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William MacDonald

Kommentar
zum
Alten Testament

Christliche
Literatur-Verbreitung e. V.
Postfach 11  01  35  ·  33661 Bielefeld
1. Auflage 2005
2. Auflage 2010

Originaltitel: BBC – Believer’s Bible Commentary – Old Testament


© 1992 by William MacDonald
© der deutschen Ausgabe 2005
by CLV · Christliche Literatur-Verbreitung
Postfach 11 01 35 · 33661 Bielefeld
Internet: www.clv.de

Übersetzung: Christiane Eichler, Hermann Grabe,


Sven und Esther Passig, Melanie Reimer, Alois Wagner
Umschlaggestaltung: OTTENDESIGN.de, Gummersbach
Satz: CLV
Druck und Bindung: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 978-3-89397-657-7
Inhaltsverzeichnis
Über den Autor ................................................................................................................. 7
Über den Herausgeber .................................................................................................... 7
Vorwort des Autors........................................................................................................... 8
Einführung des Herausgebers........................................................................................ 9
Abkürzungen................................................................................................................... 11
Transliteration hebräischer Wörter.............................................................................. 11
Das hebräische Alphabet.......................................................................................... 11
Die Konsonanten....................................................................................................... 12
Die Vokale.................................................................................................................. 13
Transliteration griechischer Wörter............................................................................. 13

Einführung in das Alte Testament................................................................................ 15

Einführung in den Pentateuch ..................................................................................... 23


1. Mose.............................................................................................................................. 29
Exkurs: Die wichtigsten Bünde in der Schrift ...................................................... 41
Exkurs: Das Zeichen der Beschneidung ............................................................... 53
Exkurs: Homosexualität .......................................................................................... 54
Exkurs: Typologie .................................................................................................... 74
2. Mose.............................................................................................................................. 83
Exkurs: Die Haushaltungen oder Heilszeitalter ................................................ 102
Exkurs: Die Stiftshütte ‒ Gottes Bild von Christus ............................................ 118
3. Mose............................................................................................................................ 131
4. Mose ........................................................................................................................... 165
5. Mose............................................................................................................................ 195

Einführung in die historischen Bücher...................................................................... 227


Josua................................................................................................................................ 231
Exkurs: Die Zufluchtsstädte ................................................................................. 246
Richter............................................................................................................................. 253
Exkurs: Der Engel des Herrn ................................................................................ 262
Rut................................................................................................................................... 279
1. Samuel........................................................................................................................ 287
2. Samuel........................................................................................................................ 315
1. Könige......................................................................................................................... 343
Exkurs: Die Teilung des Reiches........................................................................... 360
2. Könige......................................................................................................................... 379
1. Chronik....................................................................................................................... 413
2. Chronik....................................................................................................................... 433
Exkurs: Scheinbare Widersprüche........................................................................ 434
Esra.................................................................................................................................. 461
Nehemia......................................................................................................................... 471
Ester................................................................................................................................. 485

Einführung in die poetischen Bücher........................................................................ 497


Das Buch Hiob............................................................................................................... 503
Das Buch der Psalmen.................................................................................................. 535
Exkurs: Die »Rachepsalmen«................................................................................ 709
Die Sprüche.................................................................................................................... 775
Prediger.......................................................................................................................... 869
Das Hohelied Salomos................................................................................................. 913

Einführung in die Propheten....................................................................................... 923


Jesaja................................................................................................................................ 927
Jeremia............................................................................................................................ 987
Klagelieder................................................................................................................... 1021
Hesekiel........................................................................................................................ 1027
Exkurs: Opfer im Tausendjährigen Reich.......................................................... 1060
Daniel............................................................................................................................ 1065
Hosea............................................................................................................................ 1085
Joel................................................................................................................................. 1097
Amos............................................................................................................................. 1103
Obadja........................................................................................................................... 1111
Jona................................................................................................................................ 1115
Micha............................................................................................................................ 1121
Nahum.......................................................................................................................... 1127
Habakuk....................................................................................................................... 1131
Zefanja.......................................................................................................................... 1137
Haggai........................................................................................................................... 1143
Sacharja......................................................................................................................... 1147
Maleachi....................................................................................................................... 1163

Bibliografie................................................................................................................... 1169
Die Zeit zwischen dem Alten und dem Neuen Testament................................... 1177
Über den Autor
William MacDonald ist ein geschätzter Nachdem er als Vermögensberater
Bibellehrer und Autor von über 60 in der First National Bank of Boston ge­
den USA und Kanada veröffentlichten arbeitet und von 1942-1949 aktiv bei
Büchern, von denen einige schon in der US-Marine gedient hatte, trat Mac-
viele Sprachen übersetzt wurden. Diese Donald in die Fakultät der »Emmaus«-
reichen von gebundenen Büchern über Bibelschule (jetzt College) ein. Dort
Taschenbücher und Bibelfernkurse bis diente er von 1947-1965. Ab 1959 war er
hin zu Traktaten. Leiter dieser Bibelschule.
Es waren nicht die verschiedenen Ab- Von 1965-1972 arbeitete er als reisen-
schlüsse des Tufts College (jetzt Univer- der Bibellehrer und Prediger. Sein
sität) und der Harvard Business School, Dienst führte ihn nicht nur durch ganz
die W. MacDonald erworben hat, son- Nordamerika, sondern auch nach Euro-
dern der außerordentlich ausführliche pa und Asien.
biblische Unterricht, den er in verschie- Seit 1973 gehört er zum Mitarbeiter-
denen Versammlungen erhielt, und stab des Discipleship Intern Training
sein Leben voll eifrigem persönlichen Program in San Leandro, Kalifornien.
Bibelstudium, die ihn für diese Auf­gabe
vorbereitet haben.

Über den Herausgeber


Arthur Farstads Weg kreuzte den des Revision der traditionellen englischen
Autors, als er Schüler an der »Emmaus«- King James Bible ist, die in englisch-
Bibelschule wurde und dort nicht nur sprachigen Ländern auch heute noch
die Bibel, sondern auch christlichen von vielen Christen bevorzugt wird.
Journalismus unter MacDonald stu- Diese Arbeit führte ihn auf natürliche
dierte. Weise dazu, den Kommentar von Mac-
Farstad hat die National Art Acade- Donald nach der New King James Bible
my in Washington (D.C.) besucht, die zu bearbeiten, damit sich dieser auf die-
»Emmaus«-Bibelschule, das Washing- se verständlichere Bibelausgabe be-
ton Bible College und das Dallas Theo- zieht.
logical Seminary. In Dallas wurde ihm Dr. Farstad hat auch die Einführun-
der Magister der alttestamentlichen gen zu den verschiedenen Büchern der
Theologie und die Doktorenwürde der Bibel geschrieben.
neutestamentlichen Theologie verlie- Er hat zusammen mit Zane Hodges
hen. An diesem Seminar lehrte er das »Greek New Testament according
fünfeinhalb Jahre Griechisch. to the Majority Text« herausgegeben.
Sieben Jahre lang war er der Heraus- Neben seiner Tätigkeit als Schriftstel-
geber der New King James Bible, erst ler und Herausgeber steht Farstad im
für das Neue Testament und dann für aktiven Predigtdienst hauptsächlich in
die gesamte Bibel, die eine konservative Dallas.

7
Vorwort des Autors
Der vorliegende Kommentar soll dem Abschnitte, die auf den kommenden
Leser ein grundlegendes Verständnis Erlöser hinweisen, werden hervor­
dafür vermitteln, worum es in der Hei- gehoben und eingehender behandelt.
ligen Schrift eigentlich geht. Die Psalmen, die Sprüche und das
Er soll außerdem im Gläubigen eine Buch Prediger werden Vers für Vers be-
solche Liebe und ein solches Interesse handelt, zum einen, weil sie sich nicht
an der Bibel wecken, dass er sich immer leicht zusammenfassen lassen, zum an-
weiter in ihre unerschöpflichen Reich- deren, weil die meisten Gläubigen sie
tümer vertiefen möchte. Auch wenn eingehender studieren möchten.
wir hoffen, dass auch Gelehrte Nah- Wir haben versucht, auch schwierige
rung für ihre Seele finden werden, soll- Texte anzugehen und, wo möglich,
ten sie doch Rücksicht darauf nehmen, alter­native Erklärungen zu geben. Viele
dass dieser Kommentar nicht in erster Textstellen bringen Kommentatoren zur
Linie für sie geschrieben wurde. Verzweiflung, und wir müssen zuge-
Zu jedem Buch der Bibel finden Sie in ben, dass auch wir sie immer noch »mit-
diesem Kommentar eine Einführung, tels eines Spiegels, undeutlich« sehen.
Anmerkungen und Bibliografien. Wichtiger als jeder Kommentar ist
Mit Ausnahme der Psalmen, der Sprü- das Wort Gottes selbst, das vom Heiligen
che und des Buches Prediger werden Geist erleuchtet wird. Ohne es gibt es
die Bücher des Alten Testaments in der kein Leben, kein Wachstum, keine Hei-
Regel abschnittweise behandelt und ligkeit und keinen akzeptablen Dienst.
nicht Vers für Vers. Die Kommentare Wir sollten es lesen, studieren, auswen-
zum Text werden durch praktische An- dig lernen, darüber nachsinnen und vor
wendungen geistlicher Wahrheiten und, allem ihm gehorchen. Jemand sagte
wo angemessen, durch typologische einmal: »Der Gehorsam ist das Sinnes-
Studien ergänzt. organ für geistliche Erkenntnis.«

8
Einführung des Herausgebers
»Verachten Sie nie die Kommentare.« gedruckte Predigten. Außerdem sind
Dies war gegen Ende der fünfziger Jah- die großartigsten Bibelauslegungen
re der Rat eines Lehrers der »Emmaus«- aller Zeiten und Sprachen in englischer
Bibelschule an seine Klasse. Mindestens Sprache zugänglich. Unglücklicher­
ein Schüler hat diese Worte mehr als weise sind viele so lang, so veraltet und
dreißig Jahre lang behalten. Der Lehrer so schwer zu lesen, dass der normale
war William MacDonald, der Autor Christ sie entmutigt, wenn nicht durch
dieses Buches. Der Schüler war der Her­ ihre Fülle erschlagen, weglegt. Daher
ausgeber Arthur Farstad, der zu dieser geben wir diesen Kommentar heraus.
Zeit seine Ausbildung an der Schule ge-
rade erst begonnen hatte. Er hatte in sei- Die verschiedenen Arten von
nem Leben nur einen einzigen Kom- Kommentaren
mentar gelesen – In der Himmelswelt Theoretisch könnte jeder, der an der
über den Epheserbrief von Harry A. Bibel interessiert ist, einen Kommentar
Ironside. Art Farstad hat in dem Som- schreiben. Aus diesem Grund gibt es
mer, in dem er als Teenager diesen ein so großes Spektrum von extrem
Kommentar jeden Abend las, heraus­ liberal bis zu äußerst konservativ, zwi-
gefunden, was ein Kommentar ist. schen denen jede Schattierung existiert.
Der vorliegende Kommentar ist ein
Was ein Kommentar ist sehr konservativer Kommentar, der die
Was genau ist nun ein Kommentar, und Bibel als inspiriertes und irrtumsloses
warum sollten wir Kommentare nicht Wort Gottes annimmt, das für alle Fra-
verachten? Kürzlich listete ein bekann- gen des Glaubens und Lebens aus­
ter christlicher Verleger fünfzehn ver- reichende Antworten bietet.
schiedene Sorten von Büchern auf, die Ein Kommentar kann sich aber auch
alle mit der Bibel zu tun haben. Wenn zwischen den Extremen »hoch speziali-
einige Menschen nicht genau wissen, siert« (Einzelheiten der griechischen
wie sich ein Kommentar z.B. von einer und hebräischen Grammatik werden
Studienbibel oder sogar von einer aufgezeigt) und »oberflächliche Skizze«
Konkordanz, einem Atlas oder einem bewegen. Dieser Kommentar liegt
biblischen Wörterbuch unterscheidet irgend­wo dazwischen. Was an spezi-
–  um nur vier Sorten aufzuführen –, ellen Bemerkungen gebraucht wird, ist
dann sollte das niemanden wundern. meist in den Anmerkungen am Schluss
Ein Kommentar erläutert den Text untergebracht, doch er setzt sich inten-
oder macht (hoffentlich) hilfreiche Be- siv mit den Einzelheiten des Textes aus-
merkungen zu ihm. Dabei geht er ent- einander, ohne schwierige Stellen oder
weder Vers für Vers oder Abschnitt für unbequeme Anwendungen auf das täg-
Abschnitt vor. Einige Christen verach- liche Leben zu umschiffen. W. Mac­
ten Kommentare und sagen: »Ich will Donald bietet eine reichhaltige Aus­
nur das gepredigte Wort hören und die legung. Sein Ziel ist es nicht, nur ge-
Bibel selbst lesen.« Das hört sich fromm wöhnliche Christen, die sich auf einem
an, ist es aber nicht. Ein Kommentar ist größten Nenner wiederfinden, zu pro-
nur die gedruckte Form der besten (und duzieren, sondern Jünger zu schulen.
schwierigsten) Form der Bibelaus­ Kommentare unterscheiden sich auch
legung – der Auslegung, die Vers für darin, zu welchem theologischen Lager
Vers vorgeht, wenn das Wort Gottes ge- sie gehören – konservativ oder liberal,
predigt wird. Einige Kommentare, wie protestantisch oder katholisch, prämil-
die von Ironside, sind ziemlich wörtlich lenialistisch oder postmillenialistisch.

9
Einführung des Herausgebers

Dieser Kommentar ist ein konserva­ bibelstunde ein bestimmtes Buch des
tiver, protestantischer, prämillenialis- Alten Testaments durchgenommen. Sie
tischer Kommentar. werden viel Gewinn davon haben (oder
auch zum Thema beitragen können),
Wie man dieses Buch benutzen kann wenn Sie den Kommentar zu dem Ab-
Man kann an dieses Buch auf verschie- schnitt, der das nächste Mal behandelt
dene Art und Weise herangehen. Wir werden wird, vorher gelesen haben.
schlagen Folgendes in etwa der angege- Das ganze Buch – Eigentlich sollte je-
benen Reihenfolge vor: der Christ die gesamte Bibel gelesen ha-
Querlesen – Wenn Sie die Bibel mö- ben. Es gibt in der ganzen Bibel ver-
gen oder lieben, dann werden Sie gerne streut schwierige Texte, deshalb wird
dieses Buch durchblättern und hier und ein sorgfältiges konservatives Buch wie
dort etwas lesen, um einen ersten Ein- dieses Ihr Bibelstudium sehr berei-
druck des Gesamtwerks zu erhalten. chern. Es mag sein, dass sie beim Bibel-
Bestimmte Abschnitte nachschlagen studium mit trockenem Brot anfangen
– Vielleicht haben Sie eine Frage zu ei- müssen – »nahrhaft, aber trocken« –,
nem bestimmten Vers oder Abschnitt. aber wenn sie weiterkommen, wird es
Schauen Sie an der entsprechenden sicherlich zu »Schokoladenkuchen«!
Stelle des Kommentars nach, denn Sie W. MacDonalds Rat an mich vor drei-
werden dort sicherlich gutes Material ßig Jahren lautete: »Verachten Sie nie
finden. die Kommentare.« Nachdem ich seinen
Eine Lehre – Wenn Sie ein Thema un- Kommentar zum Neuen Testament
tersuchen, wie z.B. Sabbat, Taufe, Er- sorgfältig gelesen habe, als ich ihn für
wählung oder Dreieinigkeit, dann kön- die Benutzung der New King James
nen Sie unter den Abschnitten nach­ Bible überarbeitete, kann ich noch einen
sehen, die es zu diesem Thema in der Schritt weitergehen. Mein Rat lautet:
Bibel gibt. Das Inhaltsverzeichnis listet »Genießen Sie ihn!«
Aufsätze oder »Exkurse«1 zu vielen die-
ser Themen auf. Benutzen Sie eine Kon-
kordanz, um anhand von Schlüsselwör- Anmerkungen
tern wichtige Bibelabschnitte zu einem 1
Eine Erläuterung in einem Kommen-
Thema zu finden, das nicht in den Ex- tar, die auf ein bestimmtes, im Text
kursen behandelt wird. angesprochenes Thema ausführ­
Ein Buch der Bibel – Vielleicht wird in licher eingeht, wird in der Regel als
Ihrem Hauskreis oder in der Gemeinde- Exkurs bezeichnet.

10
Abkürzungen

aram. aramäisch m Maskulinum


AT Altes Testament MT masoretischer Text
Bd. Band n.Chr. nach Christus
ca. circa, etwa NT Neues Testament
d.h. das heißt o.J. ohne Jahr
ebd. ebenda, an gleicher Stelle S. Seite(n)
Elb unrevidierte Elberfelder Schl 2000 Schlachter 2000
ER revidierte Elberfelder übers. übersetzt
f Femininum Übers. Übersetzung, Übersetzer
gr. griechisch u.a. und andere,
hebr. hebräisch unter anderem
hrsg. herausgegeben V. Vers
Hrsg. Herausgeber v.a. vor allem
Kap. Kapitel v.Chr. vor Christus
LU 1912 Luther 1912 vgl. vergleiche
LU 1984 Luther 1984 wörtl. wörtlich
LXX Septuaginta (gr. Überset- z.B. zum Beispiel
zung des AT)

Transliteration hebräischer Wörter


Weil dieser Kommentar für den durchschnittlichen Christen geschrieben wurde,
der kein Hebräisch kann, werden nur einige wenige hebräische Wörter im Text
verwendet. Ein paar weitere werden in den Anmerkungen erwähnt.

Das hebräische Alphabet


Zeichen am
Zeichen Transliteration Name Aussprache
Wortende
‫א‬ ’ Aleph (stummer Laut)

‫)ב( בּ‬ b (v) Beth b in Baum (w in warm)

‫)ג( גּ‬ g Gimel g in gern

‫)ד( דּ‬ d Daleth d in da (th wie im engl. the)1

‫ה‬ h He h in Hut

‫ו‬ w Waw w im engl. water2

11
Das hebräische Alphabet

‫ז‬ z Zajin ß in beißen

‫ח‬ h Chet ch in wach

‫ט‬ t Tet t in Turm

‫י‬ y Jod j in Jahr

‫)כ( כּ‬ ‫ך‬ k (kh) Kaph k in Kanne

‫ל‬ l Lamed l in lesen

‫מ‬ ‫ם‬ m Mem m in Mut

‫נ‬ ‫ן‬ n Nun n in Netz

‫ס‬ s Samech s in Set

‫ע‬ ’ Ajin (stummer Laut)3

‫)פ( פּ‬ ‫ף‬ p (ph) Pe p in Peter (f in Feder)

‫צ‬ ‫ץ‬ ts Sade ts in Latz

‫ק‬ q Koph k in Irak

‫ר‬ r Resch r in Ruhe

‫שׂ‬ s Sin s in wa

‫שׁ‬ sch Schin sch in Schule

‫)ת( תּ‬ t (th) Taw t in Tisch (th im engl. thin)4

Die Konsonanten

Das alttestamentliche Hebräisch besteht aus zweiundzwanzig Buchstaben, alles


Konsonanten; die frühen biblischen Schriftrollen enthielten keine Vokale. Die so-
genannten Vokalzeichen wurden im siebten Jahrhundert n.Chr. erfunden und
hinzugefügt. Hebräische Wörter werden von rechts nach links geschrieben, genau
umgekehrt wie im Deutschen.
Wir haben ein etwas vereinfachtes Transliterationssystem verwendet. (Ein ähnli-
ches System wird in volkstümlichen Transliterationen in Israel verwendet.)
Die deutschen Buchstaben s und t haben wir nicht markiert, da die Unterschiede
für den durchschnittlichen Leser zu subtil sind.
Namen, die im Deutschen häufiger gebraucht werden, wie Elohim, sind in der
Regel nicht mit diakritischen Zeichen über den Vokalen versehen.

12
Die Vokale
Hier ein paar Hinweise zur Aussprache der Vokale:
Vokale ohne diakritische Zeichen sind kurze Vokale: a, e, i, o, u werden ausgesprochen wie
in Katze, Bett, Mitte, Rolle, Puppe.
Vokale mit einem Längungszeichen (-) oder einem Zirkumflex (^) werden wie
folgt ausgesprochen:
ā oder â wie in Vater (z.B.: Tôrāh)
ē oder ê wie in Regen (z.B.: ’āmēn)
î wie in Liebe (z.B.: ’Elōhîm)
ō oder ô wie in rot (z.B.: Schālōm)
ū oder û wie in Mut (z.B.: hallēlû Jāh)

Transliteration griechischer Wörter

griechischer Name griechischer Buchstabe deutsche Entsprechung


Alpha α a
Beta β b
Gamma γ g, ng
Delta δ d
Epsilon ε e (kurz)
Zeta ζ z
Eta η e (lang)
Theta θ th
Iota ι i
Kappa κ k
Lambda λ l
My μ m
Ny ν n
Xi ξ x
Omikron ο o (kurz)
Pi π p
Rho ρ r
Sigma σ (ς) s
Tau τ t
Ypsilon υ u, y
Phi φ f
Chi χ ch (hart)
Psi ψ ps
Omega ω o (lang)

13
Transliteration griechischer Wörter

Anmerkungen Gutturallaut. Zum Beispiel fing der


ursprüngliche hebräische Name Gaza
1
Im modernen (israelischen) Hebrä- mit diesem Buchstaben an. Er war of-
isch wird der Buchstabe immer als fensichtlich einem »g« sehr ähnlich,
»d« ausgesprochen. sodass die Hellenisten ihn mit einem
2
Im modernen Hebräisch wird dieser Gamma wiedergaben.
Buchstabe Vav genannt und wie ein 4
Im modernen Hebräisch wird dieser
deutsches »w« ausgesprochen. Buchstabe Tav genannt und immer
3
Zu biblischen Zeiten war Ajin ein »t« ausgesprochen.

14
Einführung in das Alte Testament
Für uns ist die höchste Bekräftigung des Alten Testaments diejenige,
die es von Christus selbst empfangen hat …
Was für den Erlöser unerlässlich wichtig war,
muss auch für die Erlösten immer unerlässlich wichtig bleiben.

Professor G.A. Smith

I. Der Name »Altes Testament« Das Neue ist im Alten verborgen; das
Alte ist im Neuen offenbart.2
Bevor wir uns in die Tiefen des Studiums
des Alten Testaments begeben, oder gar II. Der alttestamentliche Kanon
in den vergleichsweise kleinen Bereich Das Wort Kanon (gr. kanōn) bezieht sich
des Studiums eines bestimmten Buches, auf eine »Regel« oder einen »Maßstab«,
ist es hilfreich, einige allgemeine Fakten nach dem etwas bemessen oder bewer-
über das Heilige Buch, das wir »das Alte tet wird. Der Kanon des AT stellt die
Testament« nennen, zu erwähnen. Sammlung göttlich inspirierter und da-
Das deutsche Wort »Bund« ist die Über- her maßgeblicher Bücher dar, die von
setzung des hebräischen Wortes berîth.1 den geistlichen Führern Israels in der
Im NT geben Bund und Testament beide Vergangenheit anerkannt wurden. Aber
dasselbe griechische Wort wieder (dia­ woher wissen wir, dass es sich hierbei
thēkē). Für den Titel der Heiligen Schriften um die einzigen Bücher handelt, die im
ist »Bund« als Bedeutung sicherlich vor- Kanon sein sollten, oder dass alle diese
zuziehen, weil das Buch einen Pakt, eine neununddreißig Schriften wirklich
Allianz, oder eben einen Bund zwischen dazu gehören? Wie können wir sicher
Gott und seinem Volk darstellt. sein, dass diese religiösen Schriften die
Es wird das Alte Testament (oder der richtigen sind, obwohl schon von An-
Alte Bund) genannt, um es vom »Neuen« fang an auch andere existierten (von
zu unterscheiden. Allerdings wäre »der denen einige Irrlehren enthielten)?
ältere Bund« sicher ein besserer Name, Oft wird gesagt, dass jüdische Ge-
weil der Begriff alt auf manche Menschen lehrte in einem Konzil gegen Ende des
den Eindruck erweckt, dass es nicht ersten Jahrhunderts n.Chr. die Liste der
mehr die Mühe wert sei, es zu studieren. kanonischen Bücher aufstellten. Tat-
Das wäre geistlich, historisch und kultu- sächlich waren diese Bücher jedoch
rell gesehen ein tödlicher Irrtum. Beide schon kanonisch, sobald sie geschrieben
Testamente sind von Gott inspiriert und worden waren. Gottesfürchtige und mit
daher für alle Christen nützlich. Zwar der Unterscheidungsgabe betraute Ju-
beschäftigen sich die meisten Christen den erkannten die inspirierten Schriften
häufiger mit dem Teil der Bibel, der be- gleich von Anfang an. Allerdings wur-
sonders von unserem Herrn erzählt, von de in manchen Kreisen eine Zeit lang
seiner Gemeinde und davon, wie seine über einige der Bücher diskutiert (z.B.
Jünger leben sollen, aber die Bedeutung Ester, Prediger, Hohelied).
des Alten Testaments für einen geistlich Die Juden unterteilten das AT in drei
voll ausgerüsteten Gläubigen kann gar Teile: die Thora, die Propheten (die frühe-
nicht stark genug betont werden. ren und die späteren) und die Schriften.3
Der Zusammenhang zwischen dem Es gibt verschiede Theorien, warum
AT und dem NT wurde von Augusti- zum Beispiel das Buch Daniel, ein pro-
nus schön ausgedrückt: phetisches Buch, zu den Schriften gezählt

15
Einführung in das Alte Testament

wird und nicht zu den Propheten. Eine sich einig über die siebenundzwanzig
verbreitete liberale Meinung ist, dass das Bücher des neutestamentlichen Kanons
Buch Daniel zu spät geschrieben wurde, mit genau denselben 260 Kapiteln, im
um noch mit in den zweiten Teil aufge- Allgemeinen in derselben Reihenfolge.6
nommen zu werden, von dem erklärt Beim Alten Testament ist die Situation
wird, er sei schon »geschlossen« gewe- jedoch etwas komplexer.
sen, als Daniel diesen Text schrieb (siehe Protestanten und Juden sind über den
Einführung in das Buch Daniel). Manche Inhalt des AT derselben Meinung. Die
konservative Gelehrte sind der Meinung, östlich-orthodoxe und die römisch-ka-
das Buch Daniel sei im dritten Teil zu fin- tholische Kirche7 akzeptieren zusätzlich
den, weil Daniel nicht von Beruf Prophet mehrere jüdische geschichtliche und
war, sondern ein Staatsmann, den Gott poetische Bücher, die sie »deuterokano-
gebrauchte, um Prophetien aufzuschrei- nisch« nennen (gr. für »zweiter Kanon«)
ben. Dr. Merrill F. Unger lehrte, dass die- und die von Protestanten und Juden
se dreifache Unterteilung durch den Sta- »apokryph« genannt werden (gr. für
tus der Schreiber zu erklären ist4: »versteckt«8).
Die jetzigen neununddreißig Bücher
Das ist die konservative und (so glauben der Lutherbibel, der Elberfelder Bibel,
wir) richtige Meinung. Die Bücher des der englischen King James Bible sowie
Alten Testaments wurden mit dem aus- anderer protestantischer Übersetzun-
drücklichen Ziel geschrieben, dass sie als gen9 enthalten genau dasselbe Material
heilig und göttlich maßgeblich gelten wie die vierundzwanzig Bücher der he-
sollten. Daher besaßen sie schon von bräischen Bibel. Der Unterschied in der
dem Augenblick an, als sie geschrieben Anzahl der Bücher ergibt sich durch
wurden, den Stempel der kanonischen Zusammenfassungen in den jüdischen
Geltung. Die dreifache Unterteilung ist Ausgaben. Zum Beispiel werden die
der offiziellen Stellung und dem Status sechs Bücher 1. und 2. Samuel, 1. und 2.
der Schreiber zuzuschreiben, nicht dem Könige und 1. und 2. Chronik als nur
Grad der Inspiration, dem unterschiedli- drei Bücher angesehen. Die kleineren
chen Inhalt oder der Chronologie.5 Propheten bilden ein einziges Buch mit
dem Titel »Das Buch der Zwölf«.
Durch das Konzil, auf dem unser Ka- Viele andere religiöse Bücher wurden
non offiziell anerkannt wurde, wurde von den Juden geschrieben, einige von
im Grunde nur das bestätigt, was seit ihnen noch nicht einmal in Hebräisch, die
Jahrhunderten allgemein akzeptiert nicht als inspiriert und maßgeblich an­
worden war. Das Konzil stellte keine in­ gesehen wurden. Einige von ihnen, wie
spirierte Liste von Büchern auf, sondern 1. und 2. Makkabäer, sind wertvolle In-
eine Liste inspirierter Bücher. formationsquellen für die Geschichte der
Noch wichtiger ist für Christen die Zeit zwischen den beiden Testamenten.
Tatsache, dass unser Herr selbst häufig Bei anderen, wie zum Beispiel »Bel und
aus allen drei Teilen des hebräischen der Drache«, bemerkt ein weiser Leser
AT zitierte und diese Bücher als maß- sofort ihren nicht-kanonischen Status.
geblich behandelte. Siehe zum Beispiel Die wertlosesten dieser jüdischen Bü-
bei Lukas 24,27 und 44, Anmerkung 4. cher werden Pseudoepigrapha genannt
Darüber hinaus ist zu erwähnen, dass (gr. für »falsche Schriften«), die besse-
Christus nie aus den sogenannten Apo- ren Apokryphen.
kryphen zitierte. Manche Juden und Christen des Al-
tertums, vor allem aber die ägyptischen
III. Die Apokryphen Gnostiker, akzeptierten einen größeren
Östlich-orthodoxe, römisch-katholische Kanon, der unter anderem einige dieser
und protestantische Bibelgelehrte sind Bücher umfasste.

16
Einführung in das Alte Testament

Als der Gelehrte Hieronymus von Da- Eine hilfreiche Analogie zum ge­
masus, dem Bischof von Rom, beauftragt schriebenen Wort ist die Doppelnatur
wurde, die apokryphen Bücher ins Latei- des lebendigen Wortes, unseres Herrn
nische zu übersetzen, tat er das nur unter Jesus Chris­tus. Er ist nicht teilweise
Protest. Der Grund war, dass er seinen he- menschlich und teilweise göttlich (wie
bräischen Text gut kannte und wusste, einige Figuren der griechischen My-
dass diese Bücher nicht zum jüdischen thologie), sondern gleichzeitig voll-
Kanon gehörten. So kam es, dass Hiero- kommen menschlich und vollkommen
nymus diese Bücher für die lateinische göttlich. Die göttliche Natur machte es
Vulgata übersetzte, obwohl er ihren (im für die menschliche Natur unmöglich,
besten Fall) zweitrangigen Status erkann- zu irren oder zu sündigen.
te. Heute sind sie in römisch-katholischen
Bibelübersetzungen enthalten, z.B. in der V. Datierung
Einheitsübersetzung, sowie in den meis­ Anders als beim NT, das innerhalb eines
ten ökumenischen Bibelübersetzungen, halben Jahrhunderts geschrieben wur-
z.B. in der Bibel in heutigem Deutsch. de (ca. von 50 bis 100 n.Chr.), dauerte es
Selbst die römisch-katholische Kirche mindestens ein Jahrtausend, bis das AT
erkannte die Apokryphen erst zur Zeit fertiggestellt wurde (ca. von 1400 bis
der Gegenreformation (16. Jahrhundert) 400 v.Chr.).11 Als Erstes wurde ent­
offiziell an.10 Ein Grund dafür war, dass weder der Pentateuch geschrieben (ca.
einige der Lehren des Vatikans, z.B. das 1400 v.Chr.) oder das Buch Hiob (Da­
Gebet für die Verstorbenen, nur in den tierung unbekannt, allerdings weist der
Apokryphen zu finden sind. Tatsäch- Inhalt auf eine Zeit hin, in der das Ge-
lich handelt es sich bei den Apokryphen setz noch nicht gegeben worden war).
in erster Linie um jüdische Literatur Andere Bücher folgten, die noch vor
und Geschichte, die für die christliche dem Exil (ca. 600 v.Chr., z.B. Josua bis Sa-
Lehre im Grunde irrelevant sind. Aber muel), während des Exils (z.B. Klagelieder
auch wenn diese Bücher nicht inspiriert und Hesekiel) oder nach dem Exil (ca.
sind, sind einige von ihnen es sicher 400 v.Chr., z.B. Chronik, Haggai, Sachar-
wert, von einem kulturellen und histo- ja und Maleachi) geschrieben wurden.
rischen Blickpunkt aus gelesen zu wer-
den, sofern man mit den inspirierten VI. Inhalt
Büchern des hebräischen Kanons aus- Der Inhalt des AT nach der Reihenfolge
reichend vertraut ist. der protestantischen Bibelausgaben kann
wie folgt zusammengefasst werden:
IV. Verfasserschaft
Der göttliche Verfasser des AT ist der Der Pentateuch
Heilige Geist. Er veranlasste Mose, Esra, 1. bis 5. Mose
Jesaja und die anonymen Verfasser, un-
ter seiner Führung zu schreiben. Die bes­ Die historischen Bücher12
te und korrekteste Erklärung für die Josua bis Ester
Entstehung dieser alttestamentlichen
Bücher wird als zweifache Verfasserschaft Die poetischen Bücher
bezeichnet. Das AT ist nicht teils mensch- Hiob bis Hohelied
lich und teils göttlich. Es ist gleichzeitig
vollkommen menschlich und vollkom- Die prophetischen Bücher
men göttlich. Das göttliche Element ver- Jesaja bis Maleachi
hinderte, dass die Menschen irgendwel-
che Fehler machten. Das Ergebnis ist ein An den entsprechenden Stellen dieses
in den ursprünglichen Handschriften Kommentars sind Einführungen zu die-
irrtumsloses und fehlerloses Buch. sen vier Hauptteilen zu finden.

17
Einführung in das Alte Testament

Ein Christ, der mit diesen Büchern Wörter, die im Lauf der Jahrhunderte
und gleichzeitig mit der späteren und als vulgär angesehen wurden.
vollständigeren Offenbarung des NT In den ersten Jahrhunderten des
gut vertraut ist, wird »zu jedem guten Christentums traten jüdische Gelehrte
Werk völlig ausgerüstet« sein. auf, die Masoreten genannt wurden
Unser Gebet ist, dass dieser Kom- (vom hebräischen Wort für Tradition).
mentar vielen Gläubigen eine wirksame Da das Hebräische immer mehr zu ei-
Hilfe dabei sein möge. ner ungebräuchlichen Sprache wurde
und sie die korrekte Aussprache beim
VII. Sprachen Vorlesen der heiligen Texte des AT be-
wahren wollten, entwickelten sie ein
1. Hebräisch detailliertes System von Punkten und
Abgesehen von einigen Abschnitten in Strichen, die über und in, hauptsächlich
Aramäisch, einer mit dem Hebräischen aber unter den zweiundzwanzig hebrä-
verwandten semitischen Sprache13, wur- ischen Konsonanten platziert wurden,
de das AT ursprünglich in Hebräisch um die akzeptierte Vokalisation des
geschrieben. Wortes anzuzeigen. Selbst heute ist die-
Es sollte einen Gläubigen nicht über- se sogenannte Punktierung der Vokale
raschen, dass Gott für den ersten Teil sei- wissenschaftlicher und genauer als
nes Wortes ein rundum geeignetes Me- die englische, französische oder sogar
dium gebrauchte – eine ausdrucksvolle, deutsche Rechtschreibung.
farbenfrohe und bilderreiche Sprache, Dieser Konsonantentext ist auch die
die gut zu den inspirierten Berichten, Ursache für umstrittene Lesarten, da eine
der Poesie und den Gesetzen des AT Konsonantengruppe manchmal mit un-
passt. Hebräisch ist eine der alten, anti- terschiedlichen Vokalen gelesen werden
ken Sprachen – aber es ist die einzige, und daher unterschiedliche Bedeutungen
die (auf fast wunderbare Weise) als haben kann. In der Regel lässt der Kon-
moderne14 Alltagssprache einer Nation text erkennen, welches die ursprüngliche
–  Israel – wieder zum Leben erweckt Bedeutung ist, in manchen Fällen jedoch
wurde. nicht. Die unterschiedlichen Schreibwei-
Hebräisch schreibt man von rechts sen von Namen in 1. und 2. Chronik (sie-
nach links. Ursprünglich wurden nur he Kommentar zu diesen Büchern), die
die Konsonanten aufgeschrieben. Wer sich von den Namen in 1. Mose unter-
einen Text vorlas, fügte nach seiner scheiden, sind teilweise auf dieses Phä-
Kenntnis der Sprache die entsprechen- nomen zurückzuführen.
den Vokale hinzu. Gerade aus diesem Im Großen und Ganzen ist der tradi-
Grund ist der hebräische Text über viele tionelle oder Masoretische Text jedoch
Jahrhunderte hinweg lesbar geblieben, erstaunlich gut erhalten. Er ist ein le-
weil sich von einem Jahrhundert zum bendiger Beweis für die große Ehr-
nächsten und von einer Region zur an- furcht, die die Juden vor dem Wort Got-
deren hauptsächlich die Vokale ver­ tes hatten. Oft ist eine Betrachtung der
änderten und unterschieden.15 älteren Übersetzungen (Targumim,
Manchmal galt das Geschriebene (ge- Septuaginta und Vulgata) hilfreich, um
nannt Ketiv) als so heilig, dass es nicht in Zweifelsfällen herauszufinden, wel-
ausgesprochen wurde (zum Beispiel che Variante die richtige ist. Seit Mitte
der Name Gottes16). In diesem Fall wur- des zwanzigsten Jahrhunderts bieten
de in einer Randbemerkung erklärt, die Schriftrollen vom Toten Meer zu-
was vorgelesen werden sollte (Qere). sätzliche Informationen über den he­
Auf die gleiche Art wurden auch Feh- bräischen Text – hauptsächlich, indem
ler, die beim Abschreiben der Texte ge- sie die Korrektheit des Masoretischen
macht worden waren, vermerkt, sowie Textes bestätigen.

18
Einführung in das Alte Testament

Wer das AT in einer englischen Über- schnitte, und verständlicherweise han-


setzung liest, profitiert davon, dass sich deln sie hauptsächlich von den Kontak-
das Hebräische gut ins Englische über- ten Israels mit seinen heidnischen
setzen lässt – viel besser als zum Bei- Nachbarn, zum Beispiel zur Zeit des
spiel ins Deutsche oder ins Lateinische, babylonischen Exils und danach.18
wie der große Übersetzer der Reforma-
tion im sechzehnten Jahrhundert, Wil- VIII. Übersetzung
liam Tyndale, betonte. Im Deutschen haben wir, ähnlich wie
Die Bibelübersetzung, die für die eng- im Englischen, viele Übersetzungen
lische Ausgabe dieses Kommentars (vielleicht zu viele). Es gibt jedoch weit-
(Believer’s Bible Commentary) verwendet aus weniger Übersetzungen des AT als
wurde, ist ein direktes Ergebnis von des NT. Diese Übersetzungen lassen
Tyndales Anfängen mit dem AT. Er sich in vier Typen einteilen:
schaffte es, die Bücher 1. Mose bis 2.
Chronik sowie einzelne poetische und 1. Sehr wörtliche Übersetzung
prophetische Abschnitte zu übersetzen, Im Deutschen ist besonders die unrevi-
bevor er von der Inquisition wegen sei- dierte Elberfelder Bibel, die u.a. von J.N.
ner Bemühungen verbrannt wurde Darby übersetzt wurde, sehr wörtlich;
(1536). Seine Arbeit am AT wurde von im Englischen sind das neben der Über-
anderen vervollständigt und 1611 über- setzung J.N. Darbys (1882) auch die eng-
arbeitet in der King James Version her- lische Revised Version von 1881 und die
ausgegeben. In jüngerer Zeit wurde American Standard Version von 1901.
diese Übersetzung erneut bearbeitet Diese Worttreue macht sie hilfreich für
und 1982 als New King James Version gründliches Bibelstudium, aber sie ha-
veröffentlicht. Für die deutsche Ausga- ben Schwächen bei der Verwendung in
be wurde die revidierte Elberfelder Bi- der Andacht, in der Verkündigung und
bel und daneben auch die Lutherbibel beim Auswendiglernen. Die große Mas-
1984, die Schlachterbibel 2000 sowie die se der Gläubigen hat auch in Deutsch-
Alte Elberfelder Bibel herangezogen. land eher die beliebte Lutherbibel beibe-
halten, als diese nützlichen, aber eher
2. Aramäisch hölzernen Übersetzungen zu wählen;
Das Aramäische ist wie Hebräisch eine dies gilt in noch größerem Maße für den
semitische Sprache (allerdings eine englischen Sprachraum, wo sich die
heidnische), die viele Jahrhunderte lang King James Bible mit der Majestät und
im alten Orient gesprochen wurde. Als Schönheit ihrer Sprache immer noch der
Hebräisch für die Juden eine tote Spra- größten Beliebtheit erfreut.
che wurde, musste das AT für sie ins
Aramäische übersetzt werden, eine 2. Optimale Entsprechung
zwar nahe verwandte, aber dennoch an- Solche Übersetzungen sind ziemlich
dere Sprache, die sie mit der Zeit ange- wörtlich und folgen dem Hebräischen
nommen hatten. Die Schriftzeichen, die und Griechischen eng, wenn es die deut-
wir mit dem Hebräischen verbinden, sche Sprache erlaubt, aber sie lassen
wurden wahrscheinlich um 400 v.Chr. eine freiere Übersetzung zu, wo es der
aus dem Aramäischen entlehnt und gute Stil und der Sprachgebrauch erfor-
dann zu der kunstvollen Quadratschrift dern. Im Deutschen gehört hierzu vor
entwickelt, mit der die heutigen Schüler allem die berühmte und beliebte Lu­
des Hebräischen vertraut sind.17 therbibel (1912 und 1984), die allerdings
Die meisten Fakten, die oben über freier und weniger wörtlich ist als ihr
das Hebräische genannt wurden, tref- noch berühmteres englisches Gegen-
fen auch für die aramäischen Teile des stück, die King James Bible. Verwandt
AT zu. Es gibt nur wenige solche Ab- mit der Lutherbibel, aber etwas wört­

19
Einführung in das Alte Testament

licher, ist die Schlachterbibel 1951 und Es ist gut, wenn man Bibeln aus min-
2000. Immer noch sehr wörtlich, aber destens drei dieser Übersetzungstypen
mehr der deutschen Sprache angepasst hat, um vergleichen zu können. Wir
sind die zwei Revisionen der Elberfelder sind jedoch der Überzeugung, dass der
Bibel, die revidierte Elberfelder Bibel Typ der optimalen Entsprechung am
(1986ff., Brockhaus Verlag) und die besten für die Art von genauem Bibel-
überarbeitete Elberfelder Übersetzung studium geeignet ist, die in diesem
2003 (Christliche Schriftenverbreitung). Kommentar vorgestellt wird.
3. Dynamische Entsprechung IX. Inspiration
(Dynamische Äquivalenz) Inmitten all dieser historischen und
Diese Art von Übersetzung ist freier als technischen Einzelheiten tun wir gut
die vom Typ der optimalen Entspre- daran, die Worte des englischen Baptis-
chung. Manchmal wird auf Paraphrase tenpredigers Charles Haddon Spur-
(Umschreibung) zurückgegriffen – eine geon zu beachten:
zulässige Methode, solange der Leser
darauf aufmerksam gemacht wird. Im Dieses Buch ist das Werk des lebendigen
Deutschen wären hier z.B. die »Gute Gottes. Jeder Buchstabe wurde mit all-
Nachricht Bibel«, die »Neue Genfer mächtiger Hand geschrieben. Jedes Wort
Übersetzung« und die »Neue Evange- darin wurde von ewigen Lippen formu-
listische Übertragung« zu nennen. Die liert. Jeder Satz wurde vom Heiligen
»Menge-Bibel« nimmt eine Zwischen- Geist diktiert. Obgleich Mose beauftragt
stellung zwischen dynamischer und wurde, seine Geschichten mit feuriger
optimaler Entsprechung ein. Im Engli- Feder zu schreiben, war es Gott, der die-
schen zählen u.a. die New English Bible se Feder führte. Es mag sein, dass David
und die New International Version zu die Harfe berührte und sanfte, melodi-
dieser Kategorie. Es wird hier versucht, sche Psalmen aus seinen Fingern strö-
ganze Gedankengänge so zu formulie- men ließ. Aber Gott war es, der seine
ren, wie Mose oder Jesaja es getan hät- Hand über die lebendigen Saiten der gol-
ten, wenn sie in der heutigen Zeit ge- denen Harfe fahren ließ. Es mag sein,
schrieben hätten – und auf Deutsch dass Salomo dem Herrn Liebeslieder
bzw. Englisch. Wenn diese Methode sang oder Worte von vollkommener
konservativ angewandt wird, kann sie Weisheit sprach. Aber Gott leitete seine
ein hilfreiches Werkzeug sein. Die Ge- Lippen und gab dem Prediger seine
fahr liegt in den liberalen theologischen Rede­gewandtheit. Wenn ich dem stür-
Ansichten vieler Übersetzer, die diese mischen Nahum folge, während seine
Methode verwenden. Pferde durch das Wasser preschen, oder
Habakuk, als er die Zelte von Kuschan
4. Paraphrase erzittern sieht, wenn ich Maleachi lese,
Eine Paraphrase versucht die Gedan- wo die Erde wie ein Ofen brennt, … so ist
ken des Textes wiederzugeben, nimmt es Gottes Stimme, nicht die Stimme eines
sich dabei jedoch große Freiheiten, et- Menschen. Die Worte sind Gottes Worte,
was hinzuzufügen. Weil der Wortlaut die Worte des Ewigen, des Unsichtbaren,
weit vom Originaltext entfernt ist, gibt des Allmächtigen, des Jahwe dieser
es immer die Gefahr, dass zu viel Aus­ Erde.19
deutung hineingebracht wird. Die »Hoff-
nung für alle« und ihr englisches Ge-
genstück, die »Living Bible«, treffen Anmerkungen
z.B. ausdeutende Entscheidungen, die 1
Dieses Wort kommt in dem Namen
bestenfalls fragwürdig sind, obwohl sie der jüdischen Organisation »B’nai
evangelikal geprägt sind. B’rith« (»Söhne des Bundes«) vor.

20
Einführung in das Alte Testament

2
Seine lateinischen Worte können (Sie sind sich untereinander auch
auch so übersetzt werden: nicht bei allen Büchern einig.)
Das Neue ist im Alten enthalten; 8
Oft wird bei diesem Wort heute auch
Das Alte ist im Neuen erklärt. an »unecht« oder »gefälscht« ge-
3
Die Reihenfolge der vierundzwanzig dacht.
Bücher des AT in einer hebräischen 9
Die ersten Ausgaben der King James
Bibel oder nach der jüdischen Tradi- Version (KJV) enthielten die Apo-
tion ist folgende: kryphen, ebenso die frühen Aus­
I. Das Gesetz (Thora) gaben der Lutherbibel. Diese waren
Genesis (1. Mose) allerdings zwischen dem AT und
Exodus (2. Mose) NT platziert worden, um ihren un-
Levitikus (3. Mose) tergeordneten Status zu verdeut­
Numeri (4. Mose) lichen.
Deuteronomium (5. Mose) 10
Beim Konzil von Trient, abgehalten
II. Die Prophenten (Nevi’im) von 1545 bis 1563 (mit Unterbrechun-
1. Die früheren Propheten gen) in Trient, Italien.
Josua 11
Weniger konservative Gelehrte leh-
Richter ren eine spätere Datierung, kommen
Samuel aber letztendlich auf eine ähnlich
Könige lange Zeitspanne.
2. Die späteren Propheten 12
Viele Bibelgelehrte ziehen es vor,
Jesaja diese zwei Teile zusammenzufassen
Jeremia (1. Mose bis Ester), und nennen sie
Hesekiel historisch.
Das Buch der Zwölf 13
Bei den semitischen Sprachen han-
(Hosea bis Maleachi) delt es sich um die Sprachen, die
III. Die Schriften (Ketuvim) hauptsächlich von den Nachkommen
Psalmen Sems gesprochen wurden oder wer-
Hiob den. Dazu gehören u.a. Arabisch,
Sprüche Phönizisch, Akkadisch sowie Hebrä-
Rut isch.
Hohelied 14
Sprachexperten haben mit franzö-
Prediger sischen, englischen und von alten he­
Klagelieder bräischen Wurzeln neu geprägten
Ester Wörtern sowie kompletten Neu-
Daniel schöpfungen mitgeholfen, diese alte
Esra-Nehemia Sprache in das zwanzigste Jahrhun-
Chronik dert zu bringen.
4
Merrill F. Unger, Introductory Guide to 15
Wer Englisch spricht, bemerkt zum
the Old Testament, S. 59. Beispiel schnell den Unterschied in
5
Ebd. der Aussprache des Wortes past in
6
Das russische NT verwendet zum Oxford, Boston, Dallas und Brook­
Beispiel eine etwas andere Reihen- lyn. Die Konsonantenklänge bleiben
folge der Bücher nach den Evange­ dieselben, das »a« wird jedoch in
lien. Luther wich bei der Anordnung diesen Städten ziemlich unterschied-
des Jakobus- und Hebräerbriefs von lich ausgesprochen.
der üblichen Reihenfolge ab. 16
An den Stellen, an denen in den
7
Siehe die Einleitung zur New Re- meisten deutschen Bibeln zum Bei-
vised Standard Version with Apocry- spiel HERR steht (alles Großbuchsta-
pha zur Hinzufügung von Büchern ben, die für das hebräische Wort Ado­
zum Kanon durch diese Gruppen. nai stehen, das beim öffentlichen

21
Einführung in das Alte Testament

Vorlesen verwendet wurde), ist die 19


Charles Haddon Spurgeon, Spur­
geschriebene Form eigentlich das geon’s Sermons, I,28. Das Wort »dik-
heilige »Tetragrammaton« (»vier tiert« sollte nicht im modernen Sinne
Buchstaben«, JHWH), das den Bun- eines Diktats verstanden werden.
desnamen Gottes, Jahwe darstellt. Wie der Rest des Zitats zeigt, glaubte
17
Unger, Introduction, S. 124. Spurgeon an die orthodoxe Lehre der
18
Die aramäischen Abschnitte sind die Inspiration – der zweifachen Verfas-
folgenden: Esra 4,8-6,18; 7,12-26; Je- serschaft (menschlich und göttlich)
remia 10,11; Daniel 2,4-7,28. jedes einzelnen Buches.

22
Einführung in den Pentateuch
Die modernen Kritiker haben es gewagt, fast alle Bücher der Heiligen Schrift anzugreifen
und zu untergraben, allerdings keines mit einer solchen Dreistigkeit wie den Pentateuch
(außer vielleicht die Prophetien Daniels). … Lassen Sie uns an der weitreichenden, tief
gehenden und endgültigen Tatsache festhalten, dass die Autorität Christi diese Frage für
jeden, der ihn als Gott und Mensch anerkennt, beantwortet hat.

William Kelly

Der Pentateuch ist eine notwendige Einführung in das gesamte Wort Gottes. Er stellt das
vor, was anschließend entfaltet wird, und führt uns immer tiefer in die Hoffnung auf die
Vollendung hinein, die zwar noch weit entfernt, aber doch sicher ist.

Samuel Ridout

Bevor wir auf die einzelnen Bücher Außer dem Namen Numeri, der die
Mose eingehen, möchten wir zuerst ein lateinische Übersetzung des grie-
paar Fakten über den Pentateuch als chischen Namens Arithmoi ist, entspre-
Ganzem darlegen, weil er einen so we- chen die Namen Genesis, Exodus usw.
sentlichen Teil der biblischen Offen­ den Namen der ersten fünf Bücher der
barung darstellt. griechischen LXX (Septuaginta). Die
Schreib­weise und Aussprache ist teil-
I. Namen des Pentateuchs weise etwas eingedeutscht (siehe Ein-
Die ersten fünf Bücher der Bibel werden führung des vorliegenden Kommen-
oft als »Pentateuch« bezeichnet. In frü­ tars zu den einzelnen Büchern für die
heren Zeiten existierten Bücher nur in Bedeutung dieser Namen).
Form von Schriftrollen. Erst später wur- Die Juden benennen diese Bücher oft
den einzelne Seiten zu einem »Kodex« nach den ersten Worten des hebräischen
(Buch) zusammengebunden. Diese Schrift- Textes. Das erste Buch Mose heißt da-
rollen, griechisch teuchoi1 genannt, wur- her Berēshîth (»Am Anfang«).
den in bestimmten Schutzbehältern auf-
bewahrt. Das griechische Wort für »fünf II. Inhalt des Pentateuchs
Rollen« ist pentateuchos, woher unser Wort Das deutsche Wort Gesetz ist in seiner
»Pentateuch« stammt. Verwendung weitaus beschränkter als
Juden reden vom Pentateuch als der das hebräische Wort tôrâ. Daher ist der
»Thora« (hebr. tôrâ, »Gesetz« oder »Un- Name Pentateuch ideal, wenn Christen
terweisung«) und behandeln ihn als die immense Bedeutung dieses fünf-
den wichtigsten Teil ihrer Bibel. bändigen Werkes betonen wollen.
Der im deutschen Sprachraum wohl
am weitesten verbreitete Name für die- A. Erstes Buch Mose – Genesis
se Bücher ist »die fünf Bücher Mose«. Es Genesis ist ein passender Name für die-
ist Ironie, dass vor allem in den Bibeln ses Buch, da es das griechische Wort für
gewisser europäischer Länder, in denen Anfang ist. Im ersten Buch der Bibel
die mosaische Urheberschaft des Penta- wird der Ursprung des Universums,
teuchs weitgehend bestritten wird, die- der Erde, des Menschen, der Ehe, der
se Bücher nicht »Genesis, Exodus« usw. Sünde, der wahren Religion, der Natio-
genannt werden, sondern »erstes Buch nen, der verschiedenen Sprachen und
Mose«, »zweites Buch Mose« etc. des auserwählten Volkes beschrieben.

23
Einführung in den Pentateuch

In den ersten elf Kapiteln lesen wir von Griffith Thomas fasst in seiner klaren
der Geschichte der Menschheit im All- und präzisen Art den Inhalt der fünf
gemeinen, während sich die Kapitel Bücher Mose wie folgt zusammen:
zwölf bis fünfzig auf die Geschichte der
Familie Abrahams, Isaaks, Jakobs und Die fünf Bücher des Pentateuchs berichten
seiner Söhne konzentrieren. von der Einführung der göttlichen Reli­
gion in dieser Welt. Jedes Buch beinhaltet
B. Zweites Buch Mose – Exodus eine Phase des Planes Gottes, und gemein-
Exodus, das nach dem griechischen sam bilden sie eine echte Einheit. Im ers-
Wort für Auszug benannt ist, erzählt, ten Buch Mose wird der Ursprung der Re-
wie die Familie Abrahams während ih- ligion und des von Gott zum Vermittler
res Frondienstes unter den Pharaonen auserwählten Volkes beschrieben. Im
Ägyptens innerhalb von vierhundert zweiten Buch Mose wird von der For-
Jahren zu einer großen Nation wurde mung dieses Volkes zu einer Nation und
und wie sie unter Mose von der Gefan- der Begründung der Beziehung zwischen
genschaft befreit wurde. Das mosaische Gott und diesem Volk berichtet. Im dritten
Gesetz und die detaillierte Beschrei- Buch Mose werden die verschiedenen
bung der Stiftshütte machen den Rest Wege beschrieben, durch welche diese Be-
des Buches aus. ziehung aufrechterhalten wurde. Im vier-
ten Buch Mose lesen wir, wie dem Volk
C. Drittes Buch Mose – Levitikus eine Organisation gegeben wurde, damit
Levitikus ist ein Handbuch für die Le- sie im gelobten Land beginnen konnten,
viten – daher der Name. Es beschreibt die göttliche Religion zu leben. Wir lesen
die Rituale, die für die sündigen Men- ebenfalls von dem Versagen des Volkes
schen jener Zeit notwendig waren, um und der daraus folgenden Verzögerung
Gemeinschaft mit dem heiligen Gott zu mit anschließender Neuordnung. Das
haben. Das Buch enthält Vorbilder (Ty- fünfte Buch Mose zeigt uns schließlich,
pen) auf das Opfer Christi. wie das Volk an der Grenze zum gelobten
Land auf den Eintritt in dieses Land vor-
D. Viertes Buch Mose – Numeri bereitet wurde, der bald folgen sollte.2
Wie der Name Numeri (lateinisch für
Zahlen) andeutet, beinhaltet dieses Buch III. Die Bedeutung des
Volkszählungen – eine zu Beginn des Pentateuchs
Buches und eine gegen Ende. Der he­
bräische Name für dieses Buch, »In der Da das ganze AT, ja sogar die ganze Bi-
Wüste« (Bemidbār), ist ausdrucksvoller, bel, auf dem Inhalt dieser ersten fünf
da das vierte Buch Mose die histori- Bücher aufbaut, kann die Bedeutung
schen Erlebnisse der Israeliten während des Pentateuchs für die offenbarte Reli-
ihrer Wüstenwanderung wiedergibt. gion gar nicht genug betont werden.
Wenn es den rationalistischen, ungläu-
E. Fünftes Buch Mose – bigen Gelehrten gelingt, den Glauben
Deuteronomium an die Integrität und Echtheit dieser Bü-
Deuteronomium, das griechische Wort cher zu untergraben, verlieren sich die
für zweites Gesetz, ist mehr als eine blo- Ursprünge des Judentums in einem
ße Wiederholung des Gesetzes für eine Meer der Unsicherheit. Christen sollten
neue Generation, obwohl das sicherlich sich nicht einreden lassen, dass unser
auch der Fall ist. Es ist gleichzeitig die Glaube durch solche Angriffe nicht ge-
Brücke zu den historischen Büchern, fährdet sei, weil das NT und unser Herr
die ihm folgen, da es vom Tod Moses selbst die fünf Bücher Mose zitieren
und seiner Ablösung durch seinen und somit für wahr und vertrauens-
Nachfolger Josua erzählt. würdig erklären.

24
Einführung in den Pentateuch

Dr. Merrill Unger sagte es ganz deutlich: hat. Die Tatsache, dass Mose den Penta-
teuch geschrieben haben könnte, be-
Das Fundament jeglicher offenbarter weist natürlich nicht, dass er es auch tat.
Wahrheit und des Erlösungsplans Gottes Als Vater des jüdischen Glaubens war
beruht auf dem Pentateuch. Wenn dieses es für ihn jedoch unerlässlich, die Offen-
Fundament unzuverlässig ist, dann ist barungen Gottes für zukünftige Genera-
die ganze Bibel unzuverlässig.3 tionen dauerhaft festzuhalten. So hatte
Gott es ihm auch geboten.
IV. Die Verfasserschaft des
Pentateuchs 2. Biblische Hinweise im Pentateuch
Abgesehen von ein paar Gelehrten in Im Text der Thora wird an mehreren
frühchristlicher Zeit, die Esra für den Stellen erwähnt, dass Mose in Gottes
Autor der Thora hielten,4 haben ortho- Auftrag Dinge niederschrieb. Siehe z.B.
doxe Juden und Christen durch die 2. Mose 17,14; 24,4; 34,27; 4. Mose 33,2;
Jahrhunderte hinweg im Großen und 5. Mose 31,19.
Ganzen an der mosaischen Verfasser-
schaft festgehalten – und tun dies auch 3. Spätere biblische Hinweise
heute noch. In den übrigen Texten des Wortes Got-
tes wird Mose ebenfalls als Verfasser
A. Die mosaische Verfasserschaft anerkannt. Siehe z.B. Josua 1,7 und
Bevor wir kurz auf die Dokumenten- 1. Könige 2,3 und im NT Lukas 24,44
Hypothese eingehen, mit der die Ver- und 1. Korinther 9,9.
fasserschaft Moses bestritten wird, wol-
len wir einige Gründe nennen, die da- 4. Das Zeugnis Christi
für sprechen. Für Christen sollte die Tatsache, dass
unser Herr selbst Mose als Autor ak-
1. Moses Qualifikation zeptierte, die Frage ein für alle Mal klä-
Der deutsche Kritiker Hartmann (19. ren. Die Meinung, dass Jesus in seiner
Jahrhundert) lehnte die mosaische Ver- menschlichen Gestalt mit Wissenschaft
fasserschaft mit der Begründung ab, und Geschichte nicht vertraut war oder
dass sie schlicht und einfach unmöglich dass er es besser wusste, sich aber mit
sei, weil das Schreiben zu Moses Zeiten der Unwissenheit und den Vorurteilen
noch nicht erfunden worden war. (Das seiner Landsleute zufriedengab, ist eine
dachten zumindest viele zu seiner Zeit.) Überlegung, die eines Gläubigen un-
Archäologische Funde haben jedoch er- würdig ist.
geben, dass Mose in althebräischer
Schrift, in ägyptischen Hieroglyphen 5. Die Archäologie und der Pentateuch
oder in akkadischer Keilschrift geschrie- Von vielen Bräuchen, Wörtern, Namen
ben haben könnte. Apostelgeschichte und historischen und kulturellen Ein-
7,22 erklärte Gläubigen natürlich schon zelheiten, die von liberalen Kritikern
lange, bevor die archäologischen Funde lange Zeit als »zu jung« erklärt wurden,
es bestätigten, dass Mose »in aller Weis- um von Mose aufgeschrieben worden
heit der Ägypter« unterwiesen war. zu sein, wurde jetzt herausgefunden,
Wenn wir sagen, dass Mose den Penta- dass sie schon Jahrhunderte vor Mose
teuch »schrieb«, erkennen wir natürlich existierten. Auch wenn dadurch Moses
die Möglichkeit an, dass er für Genesis Verfasserschaft nicht »bewiesen« wird,
frühere Dokumente verwendet haben ist doch das traditionelle Verständnis
könnte. Ebenso gehen wir von inspirier- bedeutend wahrscheinlicher als die
ten Aktualisierungen der hebräischen Theorie, dass »Redakteure« oder Schrei-
Schrift durch die Schreiber aus, da sie ber viele Jahrhunderte später all diese
sich im Lauf der Jahrhunderte ver­ändert (zu jener Zeit fast ganz in Vergessenheit

25
Einführung in den Pentateuch

geratenen) Details kannten und sie so 1. Mangel an Beweisen durch


passend zusammensetzten. Handschriften
Es gibt keine Handschriften, die bestäti-
B. Die Dokumenten-Hypothese gen, dass eine solche Arbeit des Zusam-
1753 stellte Jean Astruc, ein französi- menstellens verschiedener Quellen, die
scher Arzt, die Theorie auf, dass Mose in der Vier-Quellen-Theorie voraus­
Genesis aus zwei Dokumenten zusam- gesetzt wird, je stattgefunden hat.
menstellte. Die Abschnitte, in denen der
Name Jahwe für Gott verwendet wird, 2. Eine widersprüchliche und subjektive
stammten, so schrieb er, von einer Quel- Unterteilung
le und die Abschnitte, in denen Elohim Die Gelehrten unterteilen den Penta-
verwendet wird, von der anderen. Die- teuch recht unterschiedlich, wodurch die
se angeblichen Quellen nannte er dem- extremen, persönlichen Ansichten und
nach »J« und »E«. der Mangel an konkreten, objektiven Be-
Spätere liberale Gelehrte entwickel- weisen für die Theorie sichtbar werden.
ten die Theorie noch weiter und erklär-
ten, dass alle angeblichen Quellen be- 3. Archäologie
deutend später zu datieren waren als Durch die Archäologie wurde wieder-
Mose. Andere angebliche Dokumente holt bestätigt, dass die Schriften, die
waren »D« (»deuteronomisch«) und Bräuche, das religiöse Wissen usw. des
»P« (»priesterlich«). Es wurde erklärt, Pentateuchs sehr alt sind und definitiv
dass der Pentateuch zwischen dem nicht aus der viel späteren Zeit stam-
neunten und sechsten Jahrhundert vor men, in der der Pentateuch nach Well-
Christus aus diesen verschiedenen hausens Theorie angeblich zusammen-
Quellen zusammengestellt worden sei. gestellt wurde.
Diese Theorie wurde als »Vier-Quellen-
Theorie« bekannt. 4. Linguistik
Mehrere Dinge ließen diese Hypo­ Angeblich »jüngere« Sprachformen
these für die Gelehrten des neunzehnten und Eigennamen, die im Pentateuch
Jahrhunderts interessant erscheinen. vorkommen, wurden in anderen Quel-
Zuallererst passte sie gut zu Darwins len entdeckt, die noch vor der Zeit Mo-
Evolutionstheorie, die auch auf viele Be- ses zu datieren sind. Ein Beispiel dafür
reiche außerhalb der Biologie angewandt sind die kürzlich gefundenen Tontafeln
wurde. Zweitens herrschte eine Tendenz von Ebla, auf denen viele der Namen
vor, alles Übernatürliche zu leugnen, des Pentateuchs enthalten sind.
und so versuchten viele mit Freuden,
die Bibel auf ein rein menschliches Werk 5. Einheit des Pentateuchs
zu reduzieren. Drittens passte diese Die fünf Bücher Mose passen sehr gut
Theorie zu dem humanistischen Trend, zusammen und besitzen eine Einheit
göttliche Offenbarung durch mensch- und einen inneren Zusammenhang, die
liche Bemühungen zu ersetzen. nur schwer mit der angeblichen evolu-
1878 verbreitete Julius Wellhausen tionären »Bastelmethode« in Einklang
die Dokumenten-Hypothese auf raffi- zu bringen sind, durch die diese Bücher
nierte und täuschend überzeugende entstanden sein sollen.
Art und Weise.
In dieser kurzen Einführung können 6. Geistlicher Bankrott
wir nur einige wenige der Hauptargu- Aus geistlicher Sicht ist die Dokumen-
mente gegen diese Theorie erwähnen.5 ten-Hypothese (trotz aller Modifikatio-
Ernsthafte Probleme mit dieser Theo- nen durch die Archäologie und ähnli-
rie entstehen unter anderem durch fol- che Theorien) der großartigen und
gende Dinge: wunderbaren Wahrheiten unwürdig,

26
Einführung in den Pentateuch

die in diesen Büchern enthalten sind. erwählte. Die Rolle, die Mose bei der For-
Wäre diese Theorie wahr, wäre der mulierung dieses literarischen Werkes
Penta­teuch in Dr. Ungers Worten »un- spielte, wird in besonderer Weise sicht-
echt, unhistorisch und unzuverlässig, bar. Es ist nicht ohne Grund, dass ihm ein
ein Fabrikat des Menschen, nicht das Ehrenplatz in der Geschichte des Volkes
Werk Gottes«.6 Israel zugestanden und er von Juden und
Christen gleichermaßen als der große
V. Datierung des Pentateuchs Mittler des alten Gesetzes angesehen
Der Inhalt des Pentateuchs reicht bis wird.8
zur Schöpfung zurück. Geschrieben
wurde er natürlich einige tausend Jahre
später. Die Datierung dieser Schrift­ Anmerkungen
stücke hängt davon ab, wer sie nun tat- 1
Mit dem Wort teuchos wurde ur-
sächlich geschrieben hat. sprünglich ein Werkzeug oder Hilfs-
Liberale Gelehrte datieren die ver- mittel bezeichnet und erst später eine
schiedenen Dokumente der Dokumen- Rolle oder ein Material, auf dem man
ten-Theorie in der Regel wie folgt: Das schreiben konnte.
sogenannte »J-Dokument« wird auf 2
W.H. Griffith Thomas, The Pentateuch,
etwa 850 v.Chr. datiert, das »E-Doku- S. 25.
ment« auf etwa 750 v.Chr., das »D-Do- 3
Merrill F. Unger, Unger’s Bible Hand­
kument« auf etwa 621 v.Chr.7 und das book, S. 35.
»P-Dokument« auf etwa 500 v.Chr. 4
Der jüdische Philosoph Spinoza hielt
Konservative Gelehrte datieren den ebenfalls Esra für den Verfasser.
Pentateuch in der Regel auf etwa die 5
Eine christliche Auseinandersetzung
Zeit des Auszugs aus Ägypten, also auf ist in R.K. Harrison, Introduction to
das fünfzehnte Jahrhundert v.Chr. Eini- the Old Testament (Grand Rapids:
ge Gelehrte nennen für dieses Ereignis Wm. B. Eerdmanns Publishing Co.,
ein Datum, das etwa eineinhalb Jahr- 1996) zu finden. Der amerikanisch-
hunderte später liegt. jüdische Romanautor Hermann
Die beste Zeitspanne, um alle bibli- Wouk entlarvt diese Theorie in This
schen Ereignisse zu umfassen, liegt Is My God (Garden City: Doubleday
wahrscheinlich zwischen 1450 und 1410 & Co., 1959).
v.Chr. Für weitere Details siehe die An- 6
Unger, Handbook, S. 35.
gaben dieses Kommentars zu den ein- 7
Viele liberale Gelehrte leiten eine
zelnen Büchern. solch spezifische Datierung von der
fälschlichen Annahme her, dass Josia
VI. Schlussfolgerung das, was wir heute Deuteronomium
Wir möchten unsere Einführung in den nennen, »fand« (zusammenstellte) –
Pentateuch mit den Worten des führen- und zwar gerade zum passenden
den AT-Gelehrten Kanadas beenden: Zeitpunkt, um damit für ein zentra-
les Heiligtum in seiner Hauptstadt
Der Pentateuch ist ein einheitliches Werk Jerusalem zu werben.
in fünf Bänden, keine Ansammlung un- 8
Harrison, Introduction, S. 541.
terschiedlicher und vielleicht nur eher
zufällig zusammengestellter Werke. Er
beschreibt auf Grundlage eines akzep-
tierten historischen Hintergrunds, wie
Gott sich selbst den Menschen offenbarte
und die Israeliten für den besonderen
Dienst und das besondere Zeugnis in der
Welt und der Geschichte der Menschheit

27
1. Mose
»Das erste Buch der Bibel ist aus mehreren Gründen einer der interessantesten und
faszinierendsten Teile der Schrift. Seine Stellung im Kanon, seine Beziehung zum Rest
der Bibel und der vielseitige und eindrucksvolle Charakter seines Inhalts machen es zu
einem der herausragendsten Bücher der Heiligen Schrift. Mit echter geistlicher Einsicht
hat das Volk Gottes deshalb zu allen Zeiten an diesem Buch festgehalten und ihm seine
ernsthafteste Aufmerksamkeit gewidmet.«

W.H. Griffith Thomas

Einführung komponierten literarischen Grundlage


auf.
I. Einzigartige Stellung im Kanon
II. Verfasserschaft
Der griechische Name »Genesis« (= »An- Wir akzeptieren die alte jüdische und
fang«) ist eine gute Charakterisierung christliche Lehre, dass das 1. Buch Mose
des 1. Buches Mose. Es wird von den Ju- von Mose, dem Mann Gottes und Ge-
den Bereschith (hebr. »Im Anfang«) ge- setzgeber Israels, geschrieben und zu-
nannt. Dieses fesselnde Buch enthält den sammengestellt wurde. Weil alle Ereig-
einzigen zuverlässigen Bericht über die nisse im 1. Buch Mose vor der Zeit
Schöpfung von dem Einzigen, der dabei Moses stattfinden, ist es so gut wie si-
war – dem Schöpfer selbst! cher, dass Mose alte Dokumente be-
Durch seinen Knecht Mose zeichnet nutzte, eventuell auch mündliche Über-
der Heilige Geist die Anfänge des lieferungen, so wie er durch den Heili-
Mannes und der Frau auf, den Anfang gen Geist geleitet wurde. Vgl. die Ein­
der Ehe, der Familie, der Sünde, der führung in den Pentateuch, wo die mosa-
Opfer, der Städte, des Handels, des ische Verfasserschaft ausführlicher dis-
Ackerbaus, der Musik, der Anbetung, kutiert wird.
der Sprachen und der Rassen und Völ-
ker der Welt – und all das in den ersten III. Datierung
elf Kapiteln. Die konservativsten Gelehrten datieren
Dann sehen wir in den Kapiteln 12 bis den Auszug Israels aus Ägypten etwa
50 die Anfänge des Volkes Israel, Gottes auf das Jahr 1445 v.Chr. Das 1. Buch
»Nation aus der Retorte«, die ein geist- Mose wurde wohl zwischen diesem
licher Mikrokosmos aller Völker der Datum und dem Tod Moses 40 Jahre
Welt werden sollte. Die Lebens­ später geschrieben. Es ist natürlich auch
geschichten der Patriarchen (d.h. der möglich, dass dieses Buch des Penta-
Erzväter oder Stammväter) Abraham, teuchs schon vor dem Auszug aus
Isaak, Jakob und der zwölf Söhne Ja- Ägypten geschrieben wurde, weil alle
kobs – insbesondere die des auf so an- Ereignisse in diesem Buch vor diesem
ziehende Weise frommen Josef –, haben großen Ereignis stattfanden.
unzählige Menschen inspiriert, an­ Weitere Einzelheiten zur Datierung
gefangen von kleinen Kindern bis hin finden sich in der Einführung in den Pen­
zu den gelehrtesten Alttestamentlern. tateuch.
Ein gründliches Erfassen des 1. Bu­
ches Mose ist notwendig, um die rest- IV. Hintergrund und Themen
lichen 65 Bücher der Bibel zu ver­stehen. Außer Menschen, die gegen die Bibel,
Alle bauen auf seiner wunderschön das Judentum und das Christentum ex-

29
1. Mose

trem voreingenommen sind, sind sich es die Grundlage für alle biblische Ge-
fast alle anderen einig, dass das 1. Buch schichtsschreibung, ja sogar für die Ge-
Mose ein fesselnder Bericht aus sehr al- schichtsschreibung überhaupt.
ter Zeit ist und Erzählungen von großer Die beiden Themen von Segen und
Schönheit enthält, wie etwa die Josefs- Fluch sind sorgfältig in das 1. Buch
geschichte. Mose hineingewebt – wie auch in das
Aber was ist der Hintergrund dieses gesamte Wort Gottes. Gehorsam bringt
ersten Buches der Bibel? Was stellt es reichen Segen und Ungehorsam das
dar? Gegenteil.
Menschen, die einen persönlichen Die großen Flüche in diesem Buch
Gott ablehnen, neigen dazu, das 1. Buch sind die Strafen für den Sündenfall, die
Mose als eine Sammlung von Mythen weltweite Sintflut und die Sprachver-
anzusehen, die von heidnischen meso- wirrung in Babel.
potamischen Mythen abgeleitet und Die großen Segnungen sind die Ver-
von deren schlimmsten polytheisti- heißung eines Retters, die Rettung eines
schen Elementen »gereinigt« wurden, Überrestes durch die Flut hindurch und
um zur monotheistischen Erbauung die Erwählung eines besonderen Vol-
der Hebräer zu dienen. kes, nämlich Israel, das zum Kanal für
Andere, die nicht ganz so skeptisch Gottes Gnade werden sollte.
sind, sehen im 1. Buch Mose eine Samm- Wenn das 1. Buch Mose wirkliche Ge-
lung von Sagen oder Legenden, die eini- schichtsschreibung ist, woher konnte
gen historischen Wert haben. dann Mose all die alten Geschlechts­
Wieder andere betrachten die Ge- register, Gespräche und Ereignisse so-
schichten als Erklärungen der Herkunft wie die richtige Deutung der Ereignisse
der Dinge in Natur und Kultur (der kennen?
wissenschaftliche Ausdruck dafür lau- Als Erstes wollen wir festhalten, dass
tet »Ätiologien«). Es gibt tatsächlich die Archäologie den Bericht des 1. Bu-
Ätiologien im Alten Testament, insbe- ches Mose an vielen Stellen unterstützt
sondere in diesem Buch der Anfänge (nicht »beweist«, sondern bestätigt und
(z.B. der Ursprung der Sünde, des Re- illustriert), insbesondere im Hinblick
genbogens, des hebräischen Volkes), auf die Berichte über die Patriarchen
aber das bedeutet keinesfalls, dass die- und ihre Bräuche.
se Erklärungen nicht geschichtlich real Einige liberale Theologen des 19. Jahr-
wären. hunderts wie Hartmann1 lehrten, dass
Das 1. Buch Mose ist Geschichtsschrei­ Mose den Pentateuch nicht hätte schrei-
bung. Wie alle Geschichtsschreibung ist ben können, weil die Schrift damals
sie ausdeutend. Es handelt sich um theo­ noch nicht erfunden gewesen sei! Wir
logische Geschichtsschreibung – oder wissen heute, dass er in verschiedenen
Tatsachen, deren Erzählungen in den antiken Schriften hätte schreiben kön-
Rahmen des Planes Gottes eingeordnet nen, weil er in aller Weisheit der Ägyp-
sind. Jemand hat treffend formuliert: ter gelehrt war.
»Geschichte ist Gottes Geschichte« (eng- Mose benutzte zweifellos Berichte,
lisch: »History is His story«). die von Josef hinterlassen wurden, und
Obwohl das 1. Buch Mose das erste die Tafeln, Pergamente und münd­
Buch des »Gesetzes« ist, findet sich dar­ lichen Traditionen, die Abraham und
in doch sehr wenig Gesetzgebung im seine Nachfahren aus dem alten Meso-
eigentlichen Sinn. Es ist in dem Sinn potamien mitgebracht hatten. Dazu ha-
»Gesetz« (Torah, hebr. für »Unterwei- ben sicherlich die Stammbäume gehört,
sung«), dass es die Grundlage für das die wichtigen Abschnitte, die als »Ge-
2. bis 5. Buch Mose und Gottes Gesetz- schlechterfolge Adams« usw. bekannt
gebung durch Mose legt. In der Tat legt sind.

30
1. Mose

Damit ist der Sachverhalt aber im Kultur der Patriarchen zu rekonstruie-


Grunde nicht völlig erklärt. Der Heilige ren, um die biblischen Berichte lebendi-
Geist Gottes inspirierte Mose, genau die ger werden zu lassen,2 aber nur der
richtigen Überlieferungen auszusuchen Heilige Geist kann die Wahrheit des
und den Rest nicht zu beachten. Er hat 1. Buches Mose so für uns erleuchten,
wahrscheinlich Mose auch Einzelheiten dass unsere Herzen und unser Alltags-
von Gesprächen und andere Ereignisse leben dadurch angesprochen werden.
durch direkte Offenbarung wissen las- Wenn Sie diesen Kommentar über
sen. das 1. Buch Mose oder über irgendein
Letztlich handelt es sich hier um eine anderes alttestamentliches Buch lesen,
Frage des Glaubens. Entweder ist Gott dann sind Sie notwendigerweise davon
fähig, durch seine Diener ein solches abhängig, dass das heilige Wort selbst
Werk hervorzubringen, oder er ist es vom Heiligen Geist erleuchtet wird, da-
nicht. Die Gläubigen aller Generationen mit Sie aus diesen Ausführungen wirk-
vom Beginn der Zeit an bis heute haben lich Nutzen ziehen können. Ein echter
ihr Siegel unter die Aussage gesetzt, Kommentar ist kein unabhängiges
dass Gott treu und wahrhaftig ist. Werkzeug, sondern ein Pfeil, der hin-
Die Archäologie kann uns helfen, die zielt auf ein »so spricht der Herr«.

Einteilung 8. Isaak, der Sohn der


Verheißung (Kap. 21)
I. Die Urzeit der Erde (Kap. 1-11) 9. Die Opferung Isaaks (Kap. 22)
A. Die Schöpfung (Kap. 1-2) 10. Das Familiengrab (Kap. 23)
B. Die Versuchung und der 11. Eine Braut für Isaak
Sündenfall (Kap. 3) (Kap. 24)
C. Kain und Abel (Kap. 4) 12. Abrahams Nachkommen
D. Set und seine Nachkommen (25,1-18)
(Kap. 5) B. Isaak (25,19 - 26,35)
E. Die Ausbreitung der Sünde 1. Isaaks Familie (25,19-34)
und die weltweite Sintflut 2. Isaak und Abimelech
(Kap. 6-8) (Kap. 26)
F. Noah nach der Flut (Kap. 9) C. Jakob (27,1 - 36,43)
G. Die Völkertafel (Kap. 10) 1. Jakob betrügt Esau
H. Der Turmbau zu Babel (Kap. 11) (Kap. 27)
II. Die Patriarchen Israels (Kap. 12-50) 2. Jakobs Flucht nach Haran
A. Abraham (12,1 - 25,18) (Kap. 28)
1. Die Berufung Abrahams 3. Jakob, seine Frauen
(12,1-9) und seine Nachkommen
2. Nach Ägypten und zurück (29,1 - 30,24)
(12,10 - 13,4) 4. Jakob überlistet Laban
3. Erfahrungen mit Lot und (30,25-43)
Melchisedek (13,5 - 14,24) 5. Jakobs Rückkehr nach
4. Abrahams verheißener Kanaan (Kap. 31)
Erbe (Kap. 15) 6. Die Versöhnung zwischen
5. Ismael, der Sohn des Jakob und Esau (Kap. 32-33)
Fleisches (Kap. 16-17) 7. Sünden in Sichem (Kap. 34)
6. Sodom und Gomorra 8. Rückkehr nach Bethel
(Kap. 18-19) (Kap. 35)
7. Abraham und Abimelech 9. Die Nachkommen von
(Kap. 20) Jakobs Bruder Esau (Kap. 36)

31
1. Mose 1

D. Josef (37,1 - 50,26) 7. Josef offenbart sich seinen


1. Josef wird in die Sklaverei Brüdern (Kap. 45)
verkauft (Kap. 37) 8. Josef wird mit seiner
2. Juda und Tamar (Kap. 38) Familie wiedervereinigt
3. Josefs Prüfung und Sieg (Kap. 46)
(Kap. 39) 9. Josefs Familie in Ägypten
4. Josef deutet die Träume (Kap. 47)
des Mundschenks und des 10. Jakob segnet Josefs Söhne
Bäckers (Kap. 40) (Kap. 48)
5. Josef deutet die Träume 11. Jakobs Weissagung über
des Pharao (Kap. 41) seine Söhne (Kap. 49)
6. Josefs Brüder in Ägypten 12. Der Tod Jakobs und später
(Kap. 42-44) Josefs in Ägypten (Kap. 50)

Kommentar kann nur eine gewaltige Katastrophe


die chaotischen Zustände in Vers 2 er-
I. Die Urzeit der Erde (Kap. 1-11) klären. Vertreter dieser Ansicht weisen
darauf hin, dass das Wort, das als »war«
A. Die Schöpfung (Kap. 1-2)
übersetzt wird (hayetha) auch als »war
geworden« übersetzt werden könnte.4
1,1 »Im Anfang schuf Gott …« Diese ers- So war die Erde »wüst und leer gewor-
ten vier Worte der Bibel sind die Grund- den«.
lage des Glaubens. Glauben Sie diese »Der Geist Gottes schwebte über den
Worte, und Sie können alles Folgende in Wassern.« Das war eine Vorbereitung
der Bibel ebenfalls glauben. Das 1. Buch für die großen schöpferischen und wie-
Mose bietet den einzigen maßgeblichen derherstellenden Handlungen, die fol-
Bericht über die Schöpfung, der für gen sollten. Die übrigen Verse beschrei-
Menschen aller Zeitalter Bedeutung hat, ben die sechs Tage der Schöpfung und
aber von niemandem wirklich erschöp- Wiederherstellung, welche die Erde für
fend verstanden und ausgelegt werden die menschliche Besiedelung vorberei-
kann. Der göttliche Bericht setzt die teten.
Existenz Gottes voraus, anstatt sie be- 1,3-5 Am ersten Tag befahl Gott dem
weisen zu wollen. Die Bibel hat einen Licht, aus der Finsternis hervorzuleuch-
besonderen Namen für die Menschen, ten, und setzte den Tag-Nacht-Zyklus
die sich entschließen, die Realität Gottes in Kraft. Diese Tat darf man nicht mit
zu leugnen: Er lautet »Narr« (Ps 14,1 der Erschaffung der Sonne, des Mondes
und 53,2). Genauso wie die Bibel mit und der Sterne am vierten Tag verwech-
Gott beginnt, so sollte er auch in unse- seln. In 2Kor 4,6 zieht der Apostel Pau-
rem Leben den ersten Platz einnehmen. lus eine Parallele zwischen der ur-
1,2 Eine von mehreren konservativen sprünglichen Trennung von Licht und
Deutungen des Schöpfungsberichts aus Finsternis und der Bekehrung eines
1. Mose, die Schöpfungs-Wiederherstel- Sünders.
lungs-Theorie, besagt, dass zwischen 1,6-8 Vor dem zweiten Tag, so scheint
Vers 1 und 2 eine große Katastrophe es, war die Erde vollständig von einer
stattgefunden haben muss, eventuell mächtigen Wasserschicht bedeckt, viel-
der Fall Satans (vgl. Hes 28,11-19).3 Da- leicht in Form eines dichten Nebels. Am
durch wurde Gottes ursprüngliche, zweiten Tag teilte Gott diese Schicht
vollkommene Schöpfung »wüst und auf. Ein Teil bedeckte die Erde mit Was-
leer« (tohu wabohu). Weil Gott die Welt ser, ein Teil bildete Wolken mit atmo­
nicht wüst und leer schuf (vgl. Jes 45,18), sphärischen Schichten (»Himmelsaus-

32
1. Mose 1

dehnung«, »Firmament« oder »Wöl- den Instinkten stehen. Es geht hier nicht
bung« genannt) dazwischen. »Gott um äußerliche Ähnlichkeit. Im Gegen-
nannte die Wölbung Himmel« – d.h. satz zum Tier ist der Mensch jemand,
die räumliche Ausdehnung unmittelbar der anbeten kann, der sich in der Kom-
über der Erde (im Unterschied zum munikation ausdrücken und schöpfe-
Sternenhimmel und dem dritten Him- risch tätig sein kann.
mel, in dem Gott wohnt). Vers 20 macht In Vers 26 finden wir eine Formulie-
deutlich, dass mit »Himmel« hier der rung, die Raum für den Begriff der Tri-
Bereich gemeint ist, in dem die Vögel nität Gottes gibt oder sie sogar nahe
fliegen. legt: »Und Gott [Elohim, Plural] sprach
1,9-13 Dann ließ Gott das Trockene [im Hebr. Verb im Singular]: Lasst uns
sichtbar werden und aus dem Wasser, [Plural] Menschen machen in unserem
das die Oberfläche des Planeten be- Bild …«
deckte, hervorkommen. So wurden Die Bibel beschreibt den Ursprung
Erde und Meer erschaffen. Am dritten des männlichen und weiblichen Ge-
Tag ließ Gott auch die Vegetation und schlechts als Schöpfungshandeln Got-
alle Arten von Bäumen aus der Erde tes. Die Evolution hat nicht erklären
hervorsprießen. können, wie die Geschlechter entstan-
1,14-19 Erst am vierten Tag setzte der den sind. Der Auftrag an die Mensch-
Herr die Sonne, den Mond und die Ster- heit lautete, fruchtbar zu sein und sich
ne an die Wölbung des Himmels. Sie zu mehren.
waren Lichtquellen und ein Mittel für Gott gab dem Menschen die Voll-
die Erstellung eines Kalenders. macht, sich die Schöpfung untertan zu
1,20-23 Am fünften Tag wurde das machen und sie zu beherrschen ‒ sie zu
Wasser mit Fischen belebt und die Erde gebrauchen, aber nicht zu missbrau-
mit Vögeln und Insekten. Das Wort, das chen oder zu misshandeln. Die Um-
hier mit »Vögel« übersetzt wird, bedeu- weltkrise unserer Zeit wird durch die
tet wörtlich »Fliegende« und umfasst Habgier, die Selbstsucht und Achtlosig-
auch Fledermäuse und wahrscheinlich keit des Menschen verursacht.
auch fliegende Insekten. 1,29-30 Aus diesen Versen geht her-
1,24-25 Am sechsten Tag schuf Gott vor, dass die Tiere ursprünglich Pflan-
zunächst die Landtiere und Reptilien. zenfresser waren und dass der Mensch
Das Gesetz der Fortpflanzung wird im- Vegetarier war. Das wurde nach der
mer wieder durch die Worte »nach ih- Flut geändert (vgl. 1. Mose 9,1-7).
rer Art« angegeben. Es gibt zwar deut­ Waren die sechs Schöpfungstage
liche Variationen innerhalb der Arten wörtlich verstandene 24-Stunden-Tage,
biologischen Lebens, aber es gibt keine oder handelte es sich um geologische
Übergänge von einer Art zur anderen. Zeitalter? Oder handelte es sich um
1,26-28 Die Krönung des Werkes Got- Tage »dramatischer Visionen«, wäh-
tes war die Erschaffung des Menschen rend derer Mose der Schöpfungsbericht
nach seinem Bild und ihm ähnlich. Das offenbart wurde? Kein wissenschaft­
bedeutet, dass der Mensch als Gottes licher Beweis hat bisher die These er-
Beauftragter auf die Erde gebracht wur- schüttert, dass es sich um wörtlich ver-
de und dass er Gott in gewisser Hin- standene Sonnentage gehandelt hat.
sicht ähnlich ist. Genauso wie Gott eine Die Ausdrücke »Abend« und »Morgen«
Trinität ist (Vater, Sohn und Heiliger weisen auf 24-Stunden-Tage hin. Über-
Geist), so ist der Mensch ein dreifältiges all sonst im AT bedeuten diese Worte
Wesen (Geist, Seele und Leib). Wie Gott normale Tage. Adam erlebte den sieb-
hat der Mensch einen Intellekt, eine ten Tag und starb in seinem 930. Jahr,
moralische Natur, die Fähigkeit zur sodass der siebte Tag kein geologisches
Kommunikation und Gefühle, die über Zeitalter sein kann. Wann immer im AT

33
1. Mose 1 und 2

das Wort »Tag« mit einem Zahlwort schen. Einige Bibelkritiker haben diesen
(»erster Tag« usw.) verwendet wird, Zusammenhang nicht gesehen und
geht es um einen wörtlich verstandenen daraus geschlossen, dass diese ver-
Tag. Als Gott gebot, dass Israel am Sab- schiedenen Namen für Gott nur durch
bat ruhen sollte, begründete er das Ge- verschiedene Autoren erklärbar wären.
bot mit der Tatsache, dass er nach sechs »Das ist die Entstehungsgeschichte«
Tagen Arbeit am siebten geruht habe (V. 4) bezieht sich auf die Anfänge, die
(2. Mose 20,8-11). Eine konsequente in Kapitel 1 beschrieben wurden. Vers
Auslegung dieser Stelle erfordert die- 5, der lautet: »Noch war all das Ge-
selbe Bedeutung des Wortes »Tag«. sträuch des Feldes nicht auf der Erde,
Eine Schwierigkeit besteht jedoch dar­ und noch war all das Kraut des Feldes
in, dass der Sonnentag, so wie wir ihn nicht gesprosst«, beschreibt die Zustän-
heute kennen, unter Umständen erst ab de auf der Erde in 1,10, als das trockene
dem vierten Tag begonnen hat (V. 14- Land erschien, es aber noch keine Vege-
19). tation gab. Die Erde wurde statt vom
Die Bibel gibt uns keine Datierung Regen durch »Dunst« oder »Nebel«
der Erschaffung von Himmel und Erde. (LU 1984) bewässert.
Auch die Erschaffung des Menschen 2,7 Jetzt wird ein ausführlicher Be-
wird nicht datiert. Doch es werden richt von der Erschaffung des Menschen
Stammbäume angegeben, und selbst gegeben. Gott bildete den Leib des
wenn man mögliche Lücken in den Menschen aus Staub vom Erdboden,
Stammbäumen mit einbezieht, kann doch erst die Einhauchung von Gottes
der Mensch nicht seit Millionen von Odem oder Lebensatem machte ihn zu
Jahren auf der Erde leben, wie es von einem »lebendigen Wesen« (LU 1984),
den Evolutionisten gefordert wird. wörtlich »einer lebenden Seele«. Adam
Wir erfahren aus Joh 1,1.14, Kol 1,16 (hebr. »rot« oder »Erde«) wurde nach
und Hebr 1,2, dass der Herr Jesus der der roten Erde benannt, aus der er ge-
aktiv Handelnde bei der Schöpfung formt wurde.
war. Er ist wegen der unermesslichen 2,8-14 Der Garten, den Gott in Eden
Wunder seiner Schöpfung ewiger An- pflanzte, lag im Osten, d.h. östlich vom
betung wert. Land Israel, dem Bezugspunkt für Him-
1,31 Am Ende der sechs Tage der melsrichtungen in der Bibel. Er lag in
Schöpfung sah Gott »alles, was er ge- Mesopotamien, bei den Flüssen Hidde-
macht hatte, und siehe, es war sehr kel (Tigris) und Euphrat. Der »Baum
gut«. der Erkenntnis des Guten und Bösen«
2,1-3 Gott ruhte am siebten Tag von diente zur Prüfung für den Gehorsam
seinen Schöpfungswerken. Das ist nicht des Menschen. Der einzige Grund, wes-
die Ruhe, die auf Ermüdung folgt, son- halb es falsch war, von diesen Früchten
dern die Ruhe der Zufriedenheit nach zu essen, lautete, dass Gott es so ange-
der erfolgreichen Vollendung einer ordnet hatte. In anderer Form ist diese
Aufgabe. Obwohl Gott zu diesem Zeit- Frucht auch heute noch unter uns.
punkt dem Menschen noch nicht be- 2,15-23 Die Strafe für die Verletzung
fahl, den Sabbat zu halten, lehrte er den des Gebotes war der Tod (V. 17) – sofor-
Grundsatz, dass einer von sieben Tagen tiger geistlicher Tod und fortschreiten-
ein Ruhetag sein sollte. der körperlicher Tod. Bei der Namens-
2,4-6 Der Name »Gott, der HERR« gebung von Tieren und Vögeln hat
(Jahwe Elohim) erscheint in Vers 4 zum Adam sicherlich bemerkt, dass es
ersten Mal, aber erst nach der Erschaf- männliche und weibliche Tiere gab. Je-
fung des Menschen (1,27). Als Elohim ist der hatte einen Partner, der ihm ähnlich
Gott der Schöpfer, als Jahwe steht er in war, und doch anders. Das bereitete
einer Bundesbeziehung mit dem Men- Adam auf die Hilfe oder Gehilfin vor,

34
1. Mose 2 und 3

die ihm entsprechen sollte. Seine Braut dass dieser Bericht vom Sündenfall al-
entstand aus einer von seinen Rippen, legorisch und nicht wörtlich zu ver­
die ihm aus der Seite genommen wur- stehen ist. Sie zitieren dabei die spre-
de, als er schlief. So wurde auch aus der chende Schlange als Beweis. Kann die
Seite Christi seine Braut genommen, als Geschichte, wie die Schlange Eva be­
er unter unerhörten Leiden sein Le- trogen hat, als Tatsache anerkannt wer-
bensblut vergoss. Die Frau wurde nicht den? Der Apostel Paulus war dieser
aus Adams Kopf erschaffen, um ihn zu Meinung (2Kor 11,3), ebenso der Apo-
beherrschen, noch aus seinen Füßen, stel Johannes (Offb 12,9; 20,2). Auch ist
um niedergetreten zu werden, sondern dies nicht die einzige Geschichte in der
aus seiner Seite unter dem Arm, damit Bibel, in der Tiere sprechen können.
sie beschützt wird, und aus der Nähe Gott hat dem Esel Bileams die Fähigkeit
seines Herzens, damit sie geliebt wird. zum Sprechen verliehen, um der Tor-
Gott gab dem Mann die Stellung als heit des Propheten zu wehren (4. Mose
Haupt (Oberhaupt), noch ehe die Sün- 22), und der Apostel Petrus nahm diese
de in die Welt kam. Paulus leitet in 1Kor Stelle wörtlich (2Petr 2,16). Diese drei
11,8-9 diese Tatsache aus der Reihenfol- Apostel wurden durch den Heiligen
ge der Erschaffung ab (der Mann wur- Geist inspiriert, so zu schreiben, wie sie
de zuerst erschaffen) sowie aus dem es taten. Wer also den Bericht vom Sün-
Zweck der Erschaffung (die Frau wur- denfall nicht als wörtlich wahr akzep-
de für den Mann geschaffen). So wird tiert, der verwirft die Inspiration der
auch gesagt, dass die Sünde durch Heiligen Schrift. Es gibt allegorische Er-
Adam, das Haupt, in die Welt kam, ob- zählungen in der Bibel, aber diese ge-
wohl Eva zuerst sündigte. Adam hatte hört nicht dazu.
die Stellung des Hauptes und war da- Man beachte die Schritte, welche die
mit verantwortlich. Menschheit in die Sünde stürzten. Erst
Vers 19 ist deutlicher, wenn wir das impfte Satan Zweifel am Wort Gottes
Plusquamperfekt5 benutzen: »Und Gott ein: »Sollte Gott wirklich gesagt ha-
der Herr hatte aus dem Erdboden alle ben?« (Schl 2000). Er unterstellt Gott
Tiere gebildet«, d.h. ehe er den Men- fälschlich, dass er Adam und Eva das
schen schuf. Essen von »allen Bäumen« verboten
2,24 Mit den Worten aus Vers 24 setzt habe. Als Nächstes sagte Eva, dass sie
Gott die monogame Ehe ein. Wie alle von der Frucht des Baumes, der in der
göttlichen Einrichtungen wurde sie Mitte des Gartens ist, nicht essen soll-
zum Besten für den Menschen geschaf- ten, sie aber auch »nicht berühren«
fen und kann nicht ohne nachteilige dürften. Aber Gott hatte vom Berühren
Folgen verletzt werden. Der Ehebund des Baumes gar nichts gesagt! Dann wi-
veranschaulicht die Beziehung zwi- dersprach Satan offen der Aussage Got-
schen Christus und der Gemeinde (Eph tes, dass das Gericht über den Ungehor-
5,22-32). samen unausweichlich ist, so wie heute
2,25 Obwohl Adam und Eva im Gar- noch seine Anhänger die Existenz einer
ten Eden ohne Kleidung lebten, schäm- Hölle und der ewigen Verdammnis
ten sie sich nicht. leugnen. Satan deutete Gottes Absich-
ten falsch, indem er behauptete, dass
B. Die Versuchung und der Gott Adam und Eva etwas vorenthalten
Sündenfall (Kap. 3) wolle, das ihnen nützlich wäre.
3,1-6 Die Schlange, die Eva erschien, Eva gab der dreifachen Versuchung
war, wie später geoffenbart wird, nie- nach: der Lust des Fleisches (»gut zu
mand anders als Satan selbst (vgl. Offb essen«), der Begierde der Augen (»eine
12,9). Diejenigen, die versuchen, die Bi- Lust für die Augen«) und dem Hoch-
bel zu »entmythologisieren«, glauben, mut des Lebens (»begehrenswert, Ein-

35
1. Mose 3

sicht zu geben«) – vgl. 1Jo 2,16. Indem verflucht wird, weist darauf hin, dass
sie das tat, handelte sie unabhängig von hierbei das Reptil und nicht der Satan
Adam, ihrem Haupt. Sie hätte ihn um gemeint ist.
Rat fragen sollen, statt sich seine Auto- 3,15 Doch Vers 15 bezieht sich wieder
rität anzumaßen. auf den Teufel. Dieser Vers wird auch als
In den Worten »sie nahm von seiner »Protevangelium« bezeichnet, d.h. als
Frucht und aß« liegt die Erklärung für das »erste Evangelium«. Es sagt die
alle Krankheit, alles Leid, alle Sorgen, dauer­hafte Feindschaft zwischen Satan
alle Angst, alle Schuld und allen Tod, und der Frau (die für alle Menschen
die die Menschheit seither geplagt ha- steht) sowie zwischen dem »Samen« Sa-
ben. Wie jemand sagte: »Die Verwüs- tans (seinen Helfern) und dem Samen
tung der Erde und Millionen, ja Milliar- der Frau (dem Messias) voraus. Der
den von Gräbern sind Zeugen dafür, Same der Frau sollte Satan »den Kopf
dass Gott wahrhaftig ist und Satan ein zermalmen« – eine tödliche Verletzung,
Lügner.« Eva wurde betrogen (1Tim die von vollständiger Niederlage
2,14), aber Adam handelte willentlich spricht. Diese Wunde wurde Satan auf
und in absichtlicher Auflehnung gegen Golgatha beigebracht, als der Retter den
Gott. entscheidenden Triumph über ihn er-
Der säkulare Humanismus verbreitet rang. Satan sollte im Gegenzug die Ferse
heute die Lüge Satans weiter: »Ihr wer- des Messias zermalmen. Die verwunde-
det sein wie Gott.« te Ferse spricht hier von Leiden und
3,7-13 Die ersten Folgen der Sünde auch von leiblichem Tod, aber nicht von
waren Schamgefühl und Angst. Die einer Niederlage. So litt Christus am
Schurze aus Feigenblättern sprechen Kreuz und starb sogar, aber er erstand
vom Versuch des Menschen, sich selbst von den Toten auf und errang den Sieg
durch eine Religion guter Werke ohne über Sünde, Hölle und Satan. Die Tat­
Blut zu erretten. Wenn Gott die Sünder sache, dass der Messias »Same der Frau«
zur Verantwortung zieht, dann erfin- genannt wird, könnte ein Hinweis auf
den sie Entschuldigungen. Adam sagte: die Jungfrauengeburt sein. Beachten Sie
»Die Frau, die du mir zur Seite gegeben die Freundlichkeit Gottes, dass er den
hast …«, als ob er Gott die Schuld dafür Messias verheißt, ehe er in den fol-
zuschieben wollte (vgl. Spr 19,3). Eva genden Versen sein Urteil verkündet.
sagte: »Die Schlange …« (V. 13). 3,16-19 Sünde zieht unausweichlich
In seiner Liebe und Barmherzigkeit Konsequenzen nach sich. Die Frau wur-
suchte Gott nach seinen gefallenen Ge- de dazu verurteilt, bei der Geburt zu
schöpfen, indem er die Frage stellte: leiden. Sie sollte ihrem Mann untertan
»Wo bist du?« Diese Frage beweist sein. Der Mann wurde dazu verurteilt,
zweierlei – nämlich, dass der Mensch von einem mit Dornen und Disteln ver-
verloren war und dass Gott kam, um fluchten Acker seinen Lebensunterhalt
ihn zu suchen. Sie ist ein Beweis für die zu bestreiten. Das würde ihn Mühsal
Sünde des Menschen und für die Gna- und den Schweiß seines Angesichts
de Gottes.6 Gott ergreift bei der Erret- kosten. Am Ende seines Lebens sollte er
tung die Initiative und zeigt damit ge- dann »zum Staub zurückkehren«. Man
nau die Eigenschaft, die Eva durch Sa- sollte hier beachten, dass Arbeit an sich
tans Verführung anzweifelte – seine kein Fluch ist, sie ist viel häufiger ein
Liebe. Segen. Der Fluch ist die Sorge, die
3,14 Gott, der HERR stellte die Schlan- Mühe, die Frustration, der Schweiß und
ge unter den Fluch der Erniedrigung, die Ermüdung, die mit der Arbeit zu-
Entehrung und Niederlage. Die Tat­ sammenhängen.
sache, dass die Schlange »mehr als alles 3,20-21 Adam bewies seinen Glauben,
Vieh und mehr als alle Tiere des Feldes« indem er seiner Frau den Namen Eva

36
1. Mose 3 und 4

gab, d.h. »Mutter aller Lebenden«, denn Zeit« in Vers 3a beinhaltet, dass ein
bis zu diesem Zeitpunkt war noch kein ziemliches Wachstum der Erdbevölke-
Kind geboren worden. Dann kleidete rung stattfand. Es muss eine Zeit ge­
Gott sie in Kleider aus Fell, für deren geben haben, in der Kain und Abel un-
Herstellung der Tod von Tieren notwen- terwiesen wurden, dass der sündige
dig war. Dies ist ein Bild für das Kleid Mensch sich dem heiligen Gott nur auf
der Gerechtigkeit, das den schuldigen der Grundlage eines blutigen, stellver-
Sündern durch das vergossene Blut des tretenden Opfers nähern kann. Kain
Lammes Gottes gegeben wird und das lehnte diese Offenbarung ab und kam
wir durch den Glauben empfangen. mit einem Opfer ohne Blut, das aus
3,22-24 Es lag ein Körnchen Wahrheit Früchten und Gemüse bestand. Abel
in der Lüge Satans, dass Eva wie Gott glaubte der göttlichen Verordnung und
werden könnte (V. 5). Aber sie und opferte geschlachtete Tiere; auf diese
Adam mussten durch bittere Erfahrung Weise stellte er seinen Glauben und sei-
lernen, Gutes und Böses zu erkennen ne Rechtfertigung durch Gott unter Be-
und zu unterscheiden. Wenn sie damals weis (Hebr 11,4). »Er brachte von den
noch vom Baum des Lebens gegessen Erstlingen seiner Herde« und sagte da-
hätten, dann hätten sie für immer in mit praktisch, dass dem HERRN nur
Leibern leben müssen, die der Krank- das Beste gebührt. Abels Opfer weist
heit, Degeneration und Schwachheit auf den stellvertretenden Tod des Lam-
unterworfen waren. Deshalb war es mes Gottes hin, das die Sünde der Welt
Gottes Gnade, dass er sie nicht nach hinwegnimmt (Joh 1,29).
Eden zurückkehren ließ. »Cherubim« 4,7 Weil der eifersüchtige Zorn Kains
sind himmlische Wesen, deren Aufgabe schon der Keim eines Mordes war,
darin besteht »die Heiligkeit Gottes ge- sprach Gott zu ihm durch eine liebevol-
gen den anmaßenden Stolz des gefalle- le Warnung. Vers 7 kann auf verschie-
nen Menschen zu verteidigen«.7 dene Weise verstanden werden:
Adam und Eva mussten sich entschei- 1. »Wenn du recht tust« [indem du
den, ob Gott oder Satan gelogen hatte. Buße tust], wirst du in der Lage sein,
Sie entschieden, dass Gott gelogen habe. frei von Zorn und Schuld wieder aufzu-
»Ohne Glauben aber ist es unmöglich, schauen. »Wenn du aber nicht recht
Gott wohlzugefallen« (Hebr 11,6). Des- tust« [indem du Abel weiterhin hasst],
halb fehlen ihre Namen in der Ehrenta- dann lauert »die Sünde vor der Tür«,
fel der Glaubenszeugen in Hebräer 11. bereit, dich zu vernichten. Sein [d.h.
Die idealen äußeren Lebensbedin- Abels] »Verlangen« ist nach dir [d.h. er
gungen im Garten Eden konnten nicht wird deine Leiterschaft anerkennen],
verhindern, dass die Sünde in die Welt und du wirst über ihn herrschen [d.h.
kam. Bessere Lebensbedingungen lösen wenn du richtig handelst].
die Probleme des Menschen nicht. 2. »Wenn du recht tust (oder nach der
Septuaginta, »Wenn du recht opferst«),
C. Kain und Abel (Kap. 4) wirst du dann nicht angenommen?«
4,1 Der Mensch »erkannte« seine Frau Das rechte Tun bezieht sich bei dieser
Eva in dem Sinn, dass er geschlecht­ Deutung auf das Opfern. Abel hat rich-
liche Gemeinschaft mit ihr hatte. Als tig gehandelt und sich hinter einem an-
Kain geboren wurde, erkannte Eva an, nehmbaren Opfer verborgen. Kain han-
dass nur der Herr diese Geburt ermög- delte falsch, indem er ein unblutiges
licht hatte. Als sie ihn »Kain« nannte Opfer brachte, und all sein späteres
(»Erwerb/Errungenschaft«), tat sie das Handeln war nichts als die natürliche
vielleicht in dem Glauben, den verhei- Folge dieser falschen Gottesverehrung.8
ßenen Samen geboren zu haben. 3. Eine englische Bibelübersetzung
4,2-6 Der Ausdruck »nach einiger (Revised Standard Version) gibt die Be-

37
1. Mose 4 und 5

deutung folgendermaßen wieder: »Wenn zu bestreiten, sondern sollte als unsteter


du recht tust, wirst du dann nicht ange- Flüchtling in der Wüste wohnen.
nommen? Und wenn du nicht recht tust, 4,13-16 Kains winselnde Klage zeigt
lauert die Sünde vor der Tür, sie verlangt Reue wegen der Folgen seiner Sünde
nach dir, aber du musst sie beherr- statt wegen seiner Schuld. Aber selbst
schen.« da beschwichtigte der HERR die Be-
4. F.W. Grant übersetzt in seiner »Nu- fürchtungen des Flüchtigen um sein Le-
merical Bible«: »Wenn du nicht recht ben, indem er ein Schutzzeichen an Kain
tust, so liegt oder wartet ein Sündopfer machte und einen Fluch auf jeden legte,
vor deiner Tür.«9 Mit anderen Worten: der ihn töten würde. »Kain ging weg
Wenn er nur wollte, war auch für ihn vom Angesicht des HERRN« – einer der
für Vergebung gesorgt. traurigsten Abgänge in der Bibel.
5. In seinen Collected Writings gibt 4,17-24 Kain heiratete eine Schwester
W.E. Vine die folgende Erklärung: oder eine andere Blutsverwandte. Wie
erwähnt, erlaubt uns 1. Mose 4,3, ein
Wahrscheinlich die beste Übersetzung Bevölkerungswachstum anzunehmen,
für 1. Mose 4,7 lautet folgendermaßen: und 1. Mose 5,4 bezeugt ausdrücklich,
»Wenn du recht tust, wirst du dann nicht dass Adam Söhne und Töchter hatte.
angenommen?« (Kain hätte noch immer Die Eheschließung zwischen nahen
hingehen und das von Gott vorgeschrie- Verwandten war zu dieser Zeit noch
bene Opfer bringen können). »Und wenn nicht verboten (und barg auch noch
du nicht recht tust« (d.h. sich zu wei- keine genetischen Risiken).
gern, den Willen Gottes zu tun, was im- Die Verse 17-24 listen Kains Nach-
mer noch möglich war), »lauert die Sün- kommen auf; dazu finden wir hier meh-
de vor der Tür« (d.h. die Sünde des rere Dinge, die zum ersten Mal auftau-
Mordes ist bereit, sich auf sein Opfer zu chen: Die erste Stadt namens »Henoch«,
stürzen), »aber du sollst über sie herr- den ersten Fall von Polygamie, den Be-
schen.« Anstatt der Sünde Raum zu ge- ginn der Viehwirtschaft, den Beginn
ben und ihr zu erlauben, die Herrschaft der Künste der Musik und der Metall-
über ihn zu erlangen, hätte Kain sie be- bearbeitung und das erste Lied, das von
herrschen sollen. Stattdessen missachte- Gewalt und Blutvergießen handelte.
te er die gnädige Warnung und erlaubte Lamech erklärt hier seinen Frauen, dass
der Sünde, die Herrschaft zu erlangen, er einen jungen Mann in Selbstverteidi-
ihn dazu zu führen, sich gegen seinen gung erschlagen habe, aber weil dies
Bruder zu erheben und ihn zu erschla- nicht vorsätzlich gewesen sei wie bei
gen. So waren Kains Werke vom Anfang Kain, wäre Lamech noch besser vor
bis zum Ende böse.10 Vergeltungsmaßnahmen geschützt.
4,25-26 Es wirkt wie eine über­
4,8-12 Kains sündige Haltung eines raschende Erleichterung, wenn jetzt die
eifer­süchtigen Zorns verwandelte sich göttliche Linie Sets eingeführt wird.
schnell in verbrecherisches Handeln, Durch diese Linie sollte schließlich der
nämlich in den Mord an seinem Bruder. Messias geboren werden. Als Enosch
Obwohl Abel tot ist, ist er immer noch (Bedeutung: »hinfällig«, »sterblich«) ge­
ein Zeuge für uns, dass das Leben des boren wurde, begannen die Menschen,
Glaubens das Leben ist, das zählt (Hebr den Namen des HERRN (Jahwe) für
11,4). Als die liebevolle Frage des Gott zu gebrauchen, oder aber auch den
HERRN durch eine unverschämte, un- Namen des HERRN in öffentlichen
bußfertige Antwort beantwortet wurde, Gottesdiensten anzurufen.
verkündigte er das Gericht über Kain –
er sollte nicht mehr in der Lage sein, sei- D. Set und seine Nachkommen (Kap. 5)
nen Lebensunterhalt vom Acker­boden Kapitel 5 ist auch »Das Läuten der Toten-

38
1. Mose 5 und 6

glocken« genannt worden, weil immer Zeit nahm die Lebenserwartung der
wieder die Formulierung »und er starb« Menschen ab. Psalm 90,10 spricht von
benutzt wird. Es zeichnet die Abstam- 70 Jahren als normaler Lebensspanne.
mungslinie des Messias von Adam bis zu
Noahs Sohn Sem auf (vgl. Lk 3,36-38). E. Die Ausbreitung der Sünde und
5,1-17 Adam wurde nach dem Eben- die weltweite Sintflut (Kap. 6-8)
bild Gottes geschaffen. Set wurde nach 6,1-2 Es gibt zwei grundlegende Aus­
dem Abbild Adams geboren. In der legungsansätze von Vers 2. Eine lautet,
Zwischenzeit geschah der Sündenfall, dass die »Söhne Gottes« Engel waren,
und das Ebenbild Gottes wurde durch die den ihnen zugewiesenen Platz ver-
die Sünde verzerrt. Vers 5 berichtet von ließen (Judas 6) und auf der Erde
der leiblichen Erfüllung der Ankündi- Frauen heirateten. Dies war eine Form
gung Gottes in Kap. 2,17; die geistliche der sexuellen Abirrung, die für Gott
Erfüllung fand am selben Tag statt, an höchst verabscheuungswürdig war.
dem Adam sündigte. Die Aus­leger, die diesen Standpunkt
5,18-24 Der Henoch und der Lamech, vertreten, weisen darauf hin, dass der
die hier erwähnt werden, dürfen nicht Ausdruck »Söhne Gottes« in Hiob 1,6
mit denen aus Kapitel 4 verwechselt und 2,1 Engel bezeichnet, die Zugang
werden. Der Henoch in Vers 18 ist der zur Gegenwart Gottes hatten. Auch ist
Siebte von Adam an (Judas 14), nicht der Ausdruck »Söhne Gottes« in den se-
der Dritte. Durch den Glauben wandel- mitischen Sprachen eine feste Bezeich-
te Henoch 300 Jahre mit Gott und gefiel nung für Engel. Der Abschnitt in Judas
dem HERRN wohl (Hebr 11,5). Es 6 und 7 legt nahe, dass die Engel, die
scheint, dass die Geburt seines Sohnes ihre Behausung verlassen haben, sich
eine heiligende, adelnde Wirkung auf eines verderbten sexuellen Verhaltens
sein Leben hatte (V. 22a). Es ist schön, schuldig machten. Man beachte, dass
gut anzufangen, aber es ist noch besser, die Worte »wie Sodom und Gomorra«
bis zum Ende standhaft durchzuhalten. zu Beginn von Vers 7 im direkten Zu-
Das Wort wandeln spricht von einer sammenhang mit der Beschreibung der
ständigen, fortschreitenden Beziehung gefallenen Engel genannt werden.
und nicht von einer flüchtigen Bekannt- Der Haupteinwand gegen diese Aus-
schaft. Mit Gott wandeln ist eine Le- legung lautet, dass Engel sich nicht ge-
bensaufgabe, und nicht nur Sache von schlechtlich fortpflanzen, soweit wir
einer Stunde. Henoch wurde vor der das wissen können. Mt 22,30 wird her-
Flut in den Himmel aufgenommen, so angezogen, um zu beweisen, dass Jesus
wie die Gemeinde vor dem Beginn der lehrte, dass Engel nicht heiraten. In
Trübsal in den Himmel entrückt wer- Wirklichkeit sagt der Vers jedoch aus,
den wird (1Thes 4,13-18; Offb 3,10). dass die Engel im Himmel weder heira-
5,25-32 Metuschelach lebte länger als ten noch verheiratet werden. Engel er-
jeder andere Mensch (969 Jahre). Wenn, schienen Abraham in menschlicher Ge-
wie Williams sagt, der Name »Metu- stalt (1. Mose 18,1-5), und es scheint aus
schelach« bedeutet: »Es wird gesandt dem Text hervorzugehen, dass die bei-
werden«,11 könnte es sich um eine Weis- den, die nach Sodom gingen, mensch­
sagung handeln, weil die Flut im Jahr liche Organe und Gefühle besaßen.
seines Todes kam. Vielleicht weist La- Die alternative Auslegung besagt, dass
mechs Vorhersage, als er seinen Sohn die »Söhne Gottes« gottesfürchtige
Noah nannte, auf den Trost hin, der Nachkommen Sets waren, und die
durch Noahs größeren Nachkommen, »Töchter der Menschen« zur bösen
den Herrn Jesus Christus, in die Welt Nachkommenschaft Kains gehörten. Es
kommen sollte. Der Name »Noah« be- wird folgendermaßen argumentiert: Der
deutet nämlich »Ruhe«. Im Lauf der Text steht im Zusammenhang mit den

39
1. Mose 6

vorhergehenden Abschnitten, in denen Ordnung der Geschöpfe verletzt, und


die Nachkommenschaft Kains (Kap. 4) stellt eine so schockierende Abnormalität
und Sets (Kap. 5) beschrieben wird. dar, dass ein weltweites Gericht durch
1. Mose 6,1-4 beschreibt nun Eheschlie- eine Flut notwendig wurde.12
ßungen zwischen diesen beiden Linien.
Das Wort »Engel« findet sich in diesem 6,6-7 Die Reue des HERRN bezeichnet
Zusammenhang nicht. Die Verse 3 und 5 keine willkürliche Änderung seiner Ab-
sprechen von der Bosheit der Menschen. sichten, obwohl es dem Menschen so
Wenn es die Engel waren, die gesündigt erscheinen mag. Stattdessen zeigt sich
haben, warum sollte dann das Menschen­ hier eine veränderte Haltung auf Seiten
geschlecht ausgerottet werden? Gottes- Gottes als Antwort auf eine Ver­
fürchtige Menschen werden »Söhne änderung im Verhalten der Menschen.
Gottes« genannt, obwohl nicht genau Weil Gott heilig ist, muss er auf Sünde
mit denselben hebräischen Worten wie re­agieren.
den in 1. Mose 6,2 verwendeten (vgl. 6,8-22 »Noah aber fand Gnade in den
5. Mose 14,1; Ps 82,6; Hos 1,10; Mt 5,9). Augen des HERRN«; er wurde vor­
Es gibt mehrere Probleme bei dieser gewarnt und beauftragt, eine Arche zu
Auslegung. Warum waren alle männ­ bauen. Die Maße werden in Ellen an­
lichen Nachkommen Sets gut und alle gegeben (eine Elle entspricht 45 cm; an-
Frauen der Linie Kains böse? Auch gibt dere Ausleger gehen von der großen
es keinen Hinweis darauf, dass die Li- Elle mit 52,5 cm aus). Die Arche war
nie Sets gottesfürchtig blieb. Und wenn also etwa 135 m lang, 22,5 m breit und
sie es geblieben wäre, warum hätte sie 13,5 m hoch. Sie hatte drei Stockwerke.
vernichtet werden sollen? Auch bleibt Das »Fenster« ist wörtlich ein »Ort des
die Frage unbeantwortet, warum eine Lichts«, wahrscheinlich eine Öffnung
solche Vereinigung von gottesfürch­ für Licht und Luft, die sich über die
tigen Männern mit gottlosen Frauen volle Länge der Arche hinzog.
Riesen hervorbringen sollte. Noah wurde aus Gnade gerettet, und
6,3 Der HERR warnte davor, dass sein das war eine souveräne göttliche Hand-
Geist nicht für immer mit dem Men- lung. Seine Reaktion darauf bestand dar­
schen rechten würde. Es sollte einen in, »nach allem, was Gott ihm geboten
Aufschub von 120 Jahren geben, ehe hatte« zu handeln (V. 22), eine Handlung
das Gericht der Flut kommen sollte. der menschlichen Verantwortlichkeit.
Gott ist langmütig und will nicht, dass Noah baute die Arche, um seine Familie
jemand verloren geht, aber es gibt eine zu retten, aber es war Gott, der hinter
Grenze. Petrus sagt uns, dass es Chris­ ihm die Tür schloss und sie versiegelte.
tus war, der durch den Heiligen Geist Göttliche Souveränität und menschliche
den Menschen vor der Flut durch Noah Verantwortung schließen einander nicht
predigte (1Petr 3,18-20; 2Petr 2,5). Sie aus, sondern ergänzen einander.
lehnten die Botschaft ab und sind jetzt Noah (V. 9) und Henoch (5,22) sind
im Gefängnis. die einzigen Menschen in der Bibel, von
6,4-5 Bezüglich der »Riesen« (hebr. denen gesagt wird, dass sie »mit Gott
nephilim, »Gefallene«) erklärt Unger: wandelten« (LU 1984, Schl 2000). Wenn
Henoch ein Symbol für die Gemeinde
Die Nephilim werden von vielen als rie- ist, die in den Himmel entrückt wird, so
sige Halbgötter angesehen, die unnatür- ist Noah ein Bild für den gläubigen
liche Nachkommenschaft der »Töchter Überrest der Juden, der durch die
der Menschen« (sterbliche Frauen), die Drangsal hindurch bewahrt wird, um
mit den »Söhnen Gottes« (Engeln) ver- im Tausendjährigen Reich auf der Erde
kehrten. Dies ist eine ausgesprochen zu leben.
wider­natürliche Verbindung, die Gottes In Vers 18 wird zum ersten Mal in der

40
1. Mose 6

Bibel ein »Bund« erwähnt. Scofield führt baute. Zu seiner Arbeit würden Schweiß
8 Bünde auf: Den Bund in Eden (1. Mose und Müdigkeit gehören, und er sollte
2,16), den Bund mit Adam (1. Mose zuletzt zum Staub werden, aus dem er
3,15), den Bund mit Noah (1. Mose 9,16), gemacht wurde.
den Bund mit Abraham (1. Mose 12,2),
den Bund mit Mose (2. Mose 19,5), den Der Bund mit Noah
Bund über Palästina (Kanaan) (5. Mose (1. Mose 8,20 - 9,27)
30,3), den Bund mit David (2Sam 7,16) Gott verhieß Noah, dass er den Erd­
und den Neuen Bund (Hebr 8,8). Diese boden nicht mehr verfluchen oder die
acht werden zusammen mit dem salo- ganze Erde durch eine Flut vernichten
monischen Bund im folgenden Exkurs würde. Er gab als Zeichen seiner Ver-
behandelt. Es ist überflüssig zu erwäh- heißung den Regenbogen. Aber der
nen, dass ein so komplexes Thema wie Bund beinhaltet auch die Einsetzung ei-
die Bündnisse von verschiedenen theo- ner menschlichen Regierung mit der
logischen Schulen unterschiedlich be- Vollmacht der Todesstrafe. Gott garan-
handelt wird. Unsere Deutung folgt der tierte die Regelmäßigkeit der Zeiten
prämillennialistischen und dispensa­ und Jahreszeiten, wies die Menschen
tionalistischen Tradition. an, die Erde wieder zu bevölkern, und
bestätigte die Herrschaft über die nied-
rigeren Geschöpfe. Der Mensch konnte
nun auch Fleisch essen, während er sich
Exkurs: Die wichtigsten Bünde in vorher ausschließlich vegetarisch er-
der Schrift nährte. Von den Nachkommen Noahs
verfluchte Gott Hams Sohn Kanaan, ein
Der Bund in Eden Diener Sems und Jafets zu werden. Er
(1. Mose 1,28-30; 2,16-17) gab Sem eine bevorzugte Stellung, und
Der Bund in Eden verpflichtete den wir wissen, dass dies auch beinhaltet,
Menschen in seinem Zustand der Un- dass über ihn die Linie des Messias ver-
schuld, sich zu mehren, die Erde zu be- läuft. Jafet sollte sich sehr ausbreiten
völkern und sie zu beherrschen. Er hatte und in den Zelten Sems wohnen.
die Herrschaft über das gesamte Tier-
reich. Er sollte den Garten kultivieren Der Bund mit Abraham
und von allen seinen Früchten essen au- (1. Mose 12,1-3; 13,14-17; 15,1-8; 17,1-8)
ßer von den Früchten des Baumes der Der abrahamitische Bund ist ein Bund
Erkenntnis des Guten und des Bösen. ohne Vorbedingungen. Allein Gott, der
Der Ungehorsam gegenüber diesem ei- sich als »rauchender Ofen« und als
nen Gebot sollte den Tod bringen. »Feuerfackel« offenbarte (1. Mose 15,17),
fuhr zwischen den beiden Hälften der
Der Bund mit Adam (1. Mose 3,14-19) Opfertiere in 1. Mose 15,12-21 hindurch.
Nach dem Sündenfall des Menschen Dies hat eine tiefe Bedeutung. Wenn
verfluchte Gott die Schlange und sagte zwei Menschen einen Bund schlossen
Feindschaft zwischen der Schlange und (hebr. »schnitten«), dann gingen sie bei­
der Frau, zwischen Satan und Jesus de zwischen den beiden Hälften hin-
Christus voraus. Satan sollte Christus durch, um zu zeigen, dass sie sich beide
verletzen, aber Christus sollte Satan an die Bedingungen des Bundes halten
vernichten. Die Frau würde bei der Ge- würden. Gott jedoch stellte Abraham
burt Schmerzen haben und außerdem keinerlei Bedingungen, deshalb werden
unter der Autorität ihres Ehemannes die weiter unten aufgeführten Segnun-
stehen. Der Boden wurde verflucht. Der gen erfüllt werden, unabhängig davon,
Mann musste sich mit Dornen und Dis­ wie treu sich die Nachkommen Abra-
teln zufriedengeben, wenn er ihn be- hams erweisen sollten.

41
1. Mose 6

Die Ausleger, die keine Zukunft für setz, mit dem eine Strafe verbunden ist,
Gottes ursprüngliches Volk sehen, ver- sondern als Verhalten, das für die Men-
suchen es oft so darzustellen, als ob die- schen angemessen ist, die durch die
ser Bund doch an Bedingungen ge- Gnade gerettet sind. Der Christ steht
knüpft gewesen wäre, zumindest hin- unter der Gnade, nicht unter dem Ge-
sichtlich des Landes. Daraufhin be­ setz, aber er ist durch die Liebe an
anspruchen sie alle diese Segnungen Christus gebunden, und das ist eine hö-
für die Gemeinde, während für Israel here Motivation.
wenig bis gar nichts übrig bleibt.
Der Bund umfasst die folgenden Ver- Der Bund in Bezug auf das Land
heißungen an Abraham und seine Kanaan (5. Mose 30,1-9)
Nachkommen: ein großes Volk (Israel), Dieser Bund betrifft die immer noch zu-
persönliche Segnungen für Abraham, künftige Inbesitznahme des Landes,
ein angesehener Name, ein Segen zu das Gott Abraham verheißen hat, näm-
sein für andere (12,2), göttliches Wohl- lich »vom Strom Ägyptens [hier ist der
wollen für seine Freunde und ein Fluch Bach Ägyptens gemeint, nicht der Nil]
über seine Feinde, ein Segen für alle an bis zum großen Strom, dem Euphrat-
Völker zu sein – in Christus erfüllt – strom« (1. Mose 15,18). Israel hat dieses
(12,3), der ewige Besitz des Landes, das Gebiet nie vollständig in seinem Besitz
damals Kanaan und später Israel und gehabt. Während der Herrschaft Salo-
Palästina genannt wurde (13,14; Kap. mos haben die Länder im Osten Tribut
15 u. 17), eine zahlreiche Nachkommen- gezahlt (1Kö 5,1.4), aber das kann man
schaft, sowohl leiblich als auch geistlich nicht als echten Besitz oder Besiedelung
(13,16; 15,5), Vaterschaft vieler Natio- werten.
nen und Könige – durch Ismael und Der Kanaan-Bund sieht die Zerstreu-
Isaak – (17,4.6), eine besondere Bezie- ung der Israeliten unter die Heiden­
hung zu Gott (17,7b). völker wegen ihres Ungehorsams vor­
aus, ebenso ihre Umkehr zum Herrn,
Der Bund mit Mose die Wiederkunft des Herrn, ihre Samm-
(2. Mose 19,5; 20,1 - 31,18) lung in ihrem Land, ihr Gedeihen im
Im weitesten Sinne gehören zum mosa- Land, ihre Herzenswandlung (den
ischen Bund die Zehn Gebote, die die Herrn zu lieben und ihm gehorsam zu
Verpflichtungen Gott und dem Nächs- sein) und die Bestrafung ihrer Feinde.
ten gegenüber beschreiben (2. Mose
20,1-26), zahlreiche Regelungen des so- Der Bund mit David (2. Samuel 7,5-19)
zialen Lebens in Israel (2. Mose 21,1 - Gott hat David nicht nur verheißen,
24,11) und ausführliche Verordnungen, dass seine Königsherrschaft ewig be­
die das religiöse Leben regeln (2. Mose stehen wird, sondern auch, dass er im-
24,12 - 31,18). Der Bund wurde mit dem mer einen Nachkommen haben wird,
Volk Israel geschlossen, nicht mit den der auf dem Thron sitzt. Dies war ein
Heidenvölkern. Es handelte sich um Bund ohne Vorbedingung und in kei-
einen Bund mit Bedingungen, der den ner Weise vom Gehorsam oder von der
Gehorsam des Menschen erforderte Gerechtigkeit Davids abhängig. Chris-
und deshalb »durch das Fleisch kraft- tus ist der legitime Nachfolger auf dem
los« war (Röm 8,3a). Die Zehn Gebote Thron in der Linie über Salomo, wie
sind nie gegeben worden, um Errettung man in Josefs Geschlechtsregister sehen
zu bringen, sondern zur Überführung kann (Mt 1).
von der Sünde und dem Versagen des Er ist auch der direkte Nachkomme
Menschen. Neun der Zehn Gebote wer- Davids durch Nathan, wie wir an Ma­
den im NT wiederholt (Ausnahme: das rias Geschlechtsregister sehen können
Sabbatgebot), und zwar nicht als Ge- (Lk 3). Weil er ewig lebt, ist auch seine

42
1. Mose 6 und 7

Königsherrschaft ewig. Seine tausend- meinde mit dem Neuen Bund verbun-
jährige Herrschaft über die Erde wird den ist, sieht man am Mahl des Herrn,
in die ewige Königsherrschaft über­ wo der Kelch den Bund und das Blut,
gehen. mit dem der Bund geschlossen wurde,
symbolisiert (Lk 22,20; 1Kor 11,25).
Der Bund mit Salomo Auch der Apostel Paulus nennt sich
(2Sam 7,12-15; 1Kö 8,4-5; 2Chr 7,11-22) selbst und die anderen Apostel Diener
Der Bund mit Salomo war bedingungs- des Neuen Bundes (2Kor 3,6).
los, was das ewige Königtum anging,
aber er war an Bedingungen geknüpft,
was die Verheißung betraf, dass Nach-
kommen Salomos auf dem Thron sitzen Ein Paar von jedem lebendigen Ge-
würden (1Kö 8,4-5; 2Chr 7,17-18). Ei- schöpf sollte in die Arche gebracht wer-
nem der Nachfahren Salomos, Konja den, dazu genügend Vorräte. Kritiker
(auch Jechonja genannt), wurde es ver- behaupten, die Arche sei zu klein ge­
weigert, einen leiblichen Nachfahren wesen, um alle Arten von Tieren zu be-
auf dem Thron Davids zu haben (Jer herbergen und dazu genügend Nah-
22,30). Jesus ist kein Nachkomme Salo- rung für ein Jahr und 17 Tage. Aber es
mos, wie wir vorhin erwähnt haben, ist wahrscheinlich, dass die Arche nur
sonst stünde er unter dem Fluch des die grundlegenden Arten der Tiere und
Konja. Vögel beherbergte, und dass viele Varia­
tionen danach entstanden sind. Die
Der Neue Bund Arche war dafür mehr als groß genug.
(Jer 31,31-34; Hebr 8,7-12; Lk 22,20) 7,1 Das Wort »Komm« (das in vielen
Der Neue Bund wird eindeutig mit dem englischen Übersetzungen statt »Geh«
Haus Israel und dem Haus Juda ge- steht) erscheint hier in Vers 1 zum ers-
schlossen (Jer 31,31). Er lag noch in der ten Mal als gnädige Einladung des
Zukunft, als Jeremia schrieb (Jer 31,31a). Evangeliums: »Komm in die Arche«, in
Er ist nicht an Bedingungen geknüpft die Sicherheit.
wie der Mose-Bund, den Israel brach 7,2-18 Es wird kein Grund für den Be-
(Jer 31,32). Hier verheißt Gott ohne Vor- fehl an Noah angegeben, je sieben Paare
bedingung (man beachte die Wieder­ von den reinen Tieren und nur eines
holung des Ausdrucks »ich will«): von den unreinen in die Arche aufzu-
Israels Wiedergeburt (Hes 36,25ff.); das nehmen. Vielleicht sollte er die über-
Innewohnen des Heiligen Geistes (Hes zähligen Tiere als Nahrung schlachten.
36,27); ein Herz, das den Willen Gottes Vielleicht geschah es auch, damit Noah
tun möchte (Jer 31,33a); eine einzig­ die reinen Tiere hatte, die er für das Op-
artige Beziehung zwischen Gott und fer nach der Flut brauchte (vgl. 8,20).
seinem Volk (Jer 31,33b); eine alles um- Die Arche füllte sich sieben Tage lang
fassende Erkenntnis des HERRN in mit Bewohnern, ehe der Regen kam
Israel (Jer 31,34a); dass die Sünden so- und die unterirdischen Wasser­reser­
wohl vergeben als auch vergessen sind voire geöffnet wurden. Der Regen
(Jer 31,34b), und das Bestehen des dauer­te »vierzig Tage und vierzig
Volkes für immer (Jer 31,35-37). Nächte«. Vierzig ist die Zahl der Prü-
Israel als Nation hat bis jetzt die Seg- fung und Erprobung in der Bibel.
nungen des Neuen Bundes noch nicht 7,19-24 Handelte es sich um eine re­
erlangt, wird sie aber bei der Wieder- gional begrenzte Flut, wie einige Aus­
kunft des Herrn erhalten. In der Zwi- leger behaupten? Man überdenke fol-
schenzeit haben echte Gäubige Anteil gende Worte: »… sodass alle hohen Ber-
an einigen der Segnungen dieses Bun­­ ge, die unter dem ganzen Himmel sind,
des erhalten. Die Tatsache, dass die Ge- bedeckt wurden« (V. 19). Gott hätte

43
1. Mose 7 und 8

Noah nicht befehlen müssen, eine 5. 40 Tage – von der Zeit, als die Berg-
Arche zu bauen, die die eineinhalbfache spitzen sichtbar wurden, bis zu der
Länge eines Fußballfeldes hatte und in Zeit, als Noah den Raben aussandte
der 800 Güterwaggons Platz gehabt hät- (8,7).
ten, um einer regional begrenzten Flut 6. 7 Tage – von der Aussendung des
zu ent­gehen. Er hätte die acht Menschen Raben bis zur ersten Aussendung
und die Tiere leicht an einen anderen einer Taube (8,6-10; V. 10: »sieben
Ort bringen können. Es gibt auf der weitere Tage«).
ganzen Welt Überlieferungen, die von 7. Weitere sieben Tage, bis die Taube
einer weltweiten Flut sprechen. Die zum zweiten Mal ausgesandt wur-
höchsten Berge des Ararat-Massivs sind de (8,10).
über 5000 m hoch. Die Flut ging fünf- 8. Weitere sieben Tage, bis die Taube
zehn Ellen darüber hinweg (V. 19-20). zum letzten Mal ausgesandt wurde
Welches Wunder hätte diese Wasser- (8,12).
massen in einem begrenzten Gebiet hal- 9. 314 Tage – vom Beginn der Flut, bis
ten sollen? In 1. Mose 9,15 verheißt Gott, »Noah das Dach von der Arche ent-
dass die Wasser nie wieder zu einer Flut fernte« (vgl. 7,11 und 8,13).
werden würden, die alles Fleisch ver- 10. 371 Tage ‒ vom Beginn der Flut, bis
nichten würde. Seitdem hat es viele ört- »die Erde trocken« war (vgl. 7,11
liche Fluten gegeben, aber nie eine welt- und 8,14). Zu dieser Zeit wurde
weite. Wenn die Flut nur regional be- Noah befohlen, aus der Arche her-
grenzt gewesen wäre, dann hätte Gott auszukommen (V. 16).
sein Versprechen gebrochen – eine un-
mögliche Schlussfolgerung. Petrus be- Der unreine Rabe (V. 7) und die reine
nutzt die Zerstörung der Welt durch Taube (V. 8) sind gute Bilder für das alte
Wasser als Symbol für die noch in der und das neue Wesen des Gläubigen.
Zukunft liegende Zerstörung der Erde Die alte Natur liebt es, sich von Abfall
durch Feuer (2Petr 3,6). und Aas zu ernähren, während die neue
Die Arche ist ein Bild für Christus. keinen Gefallen an einer Szene des To-
Die Wasser sind ein Bild für das Gericht des und des Gerichts findet. Sie findet
Gottes. Der Herr Jesus begab sich auf keine Ruhe, ehe sie nicht ihren Fuß auf
Golgatha unter die Wasser des gött­ den Boden der Auferstehung setzen
lichen Zorns. Wer in Christus ist, wird kann.
gerettet, wer außerhalb ist, ist verloren 8,20-22 Noah reagierte auf Gottes ret-
(vgl. 1Petr 3,21). tende Gnade, indem er einen Altar er-
8,1-19 Im Folgenden eine Chrono­ richtete. Diejenigen unter uns, die vom
logie der Flut: kommenden Zorn Gottes errettet wor-
1. 7 Tage – von der Zeit, als Noah in den sind, sollten ebenso Gott ihre von
die Arche ging, bis zu der Zeit, als Herzen kommende Anbetung darbrin-
die Flut anfing (7,10). gen. Das ist heute noch genauso Gott
2. 40 Tage und Nächte – die Dauer des wohlgefällig und angenehm wie zur
Regens (7,12) Zeit Noahs. Der HERR schloss einen
3. 150 Tage von der Zeit, als der Regen Bund, dass er nicht noch einmal den
anfing, bis zu der Zeit, als die Was- Erdboden verfluchen oder alles Leben-
ser sich von der Erde verliefen (8,3) dige schlagen will, wie er es getan hat-
und die Arche sich auf dem Gebirge te. Auch wollte er für regelmäßige Jah-
Ararat niederließ (vgl. 7,11 und 8,4). reszeiten auf der Erde sorgen, solange
4. 224 Tage – vom Beginn der Flut bis sie besteht.
zu der Zeit, als die Bergspitzen wie- In Kap. 6,5 und hier in V. 21 spricht
der sichtbar wurden (vgl. 7,11 und Gott von dem alles durchdringenden
8,5). Bösen im menschlichen Herzen. Beim

44
1. Mose 8 bis 10

ersten Mal wurde kein Opfer dar­ bezog. In der Bibel bedeutet »Sohn« oft
gebracht, und es folgte das Gericht. auch »Enkel« oder anderer Nachkom-
Hier gibt es nun ein Opfer, und Gott me. In diesem Fall wird Kanaan nicht
handelt barmherzig. für die Sünde seines Vaters verflucht,
sondern für seine eigene. Eine weitere
F. Noah nach der Flut (Kap. 9) mögliche Erklärung besteht darin, dass
9,1-7 Vers 3 legt nahe, dass die Men- Gottes Gnade es Noah erlaubte, nur
schen nach der Flut zum ersten Mal einen kleinen Teil der Nachkommen
Fleisch essen durften. Das Essen von Hams zu verfluchen, statt etwa ein
Blut war jedoch verboten, weil in ihm Drittel der Menschheit.
das Leben (LU 1984, Schl 2000) des Flei- 9,26-29 Kanaan wurde verflucht, Sem
sches ist, und weil das Leben Gott ge- und Jafet zu dienen. Die Knechtschaft
hört. der Kanaaniter unter den Israeliten
Die Einsetzung der Todesstrafe setzt sieht man in Josua 9,23 und Ri 1,28. Die-
die Einsetzung einer Regierungsgewalt ser Abschnitt ist benutzt worden, um
voraus. Es würde zum Chaos führen, die Sklaverei der Schwarzen zu recht-
wenn jeder einen Mord rächen wollte. fertigen, aber wir finden für diese An-
Nur ordentlich eingesetzte Regierun- sicht hier keinerlei Unterstützung. Ka-
gen dürfen das tun. Das NT verkündet naan war der Stammvater der Kanaani-
die Fortdauer die Todesstrafe, wenn es ter, die im Heiligen Land wohnten, ehe
über die Regierung sagt: »Sie trägt das Israel es eroberte. Es gibt keinen Beweis
Schwert nicht umsonst« (Röm 13,4). dafür, dass es sich um Schwarze han-
9,8-17 Der Regenbogen wurde von delte. Sem und Jafet wurden mit der
Gott als Unterpfand dafür gegeben, Herrschaft gesegnet. Vers 27 könnte
dass es nie mehr eine Flut geben soll, nahe legen, dass Jafet an den geistlichen
die die Erde vernichtet. Segnungen Sems durch Sems Nach-
9,18-23 Obwohl Gott Noah viel Gna- kommen, die Israeliten, teilhatte.
de erwiesen hatte, sündigte dieser, in- Es gibt eine Diskussion darüber, ob
dem er betrunken wurde und nackt im Sem oder Jafet der älteste Sohn Noahs
Inneren seines Zeltes lag. Als Ham ihn war. Kapitel 10,21 kann auf zweierlei
sah, berichtete er seinen Brüdern da- Weise übersetzt werden: »Sem, … der
von, und sie bedeckten die Blöße ihres Bruder von Jafet dem Älteren« oder
Vaters, ohne seinen nackten Leib zu be- »Sem, … der ältere Bruder Jafets«. Letz-
trachten. teres ist die bessere Wiedergabe. Sem
9,24-25 Als Noah erwachte, verfluchte erscheint in den Geschlechtsregistern
er Kanaan. Es erhebt sich die Frage, war­ von 1. Mose 5,32 und 1Chr 1,4 als Ers-
um der Fluch auf Kanaan fiel und nicht ter.
auf Ham. Eine mögliche Erklärung be-
steht darin, dass die böse Neigung, die G. Die Völkertafel (Kap. 10)
sich in Ham zeigte, bei Kanaan noch 10,1-32 Sem, Ham und Jafet wurden die
ausgeprägter war. Der Fluch war somit Väter aller Nationen.
eine Weissagung über seinen lasterhaf- Sem:Die semitischen Völker: Juden,
ten Wandel und seine gerechte Bestra- Araber, Assyrer, Aramäer, Phönizier.
fung. Eine andere Erklärung besteht Ham:Die hamitischen Völker: Äthio-
darin, dass Kanaan selbst unanständig pier, Ägypter, Kanaaniter, Philister, Ba-
an seinem Großvater gehandelt hatte, bylonier, evtl. die afrikanischen und
und Noah es später erst erfuhr. Noah asiatischen Völker, obwohl viele Aus­
»erkannte, was sein jüngster Sohn ihm leger die Ostasiaten zu Jafet zählen.
angetan hatte«. Es kann sein, dass Vers Jafet:Die jafetitischen Völker: die Me-
24 sich auf Kanaan, den jüngsten Enkel, der, die Griechen, die Zyprioten usw.
statt auf Ham, seinen jüngsten Sohn, Wahrscheinlich die kaukasischen Völ-

45
1. Mose 10

Die Nachkommen Adams

Adam

Kain Set Abel

Henoch

Irad Enosch

Mehujael Kenan

Metuschael Mahalalel

Lamech Jered

Jabal Jubal Tubal-Kain Naama

Henoch

Metuschelach

Lamech

Noah

Ham Sem Jafet

Nachkommen Arpachschad Nachkommen


siehe siehe
1Mo 10,6-20 1Mo 10,2-5

Schelach

Eber

Peleg

ker Europas und Nordasiens. Viele schau auf die Zeit nach dem Turmbau
Ausleger ordnen auch die Ostasiaten zu Babel (11,1-9).
hier ein. Man beachte drei Hinweise zur Auf-
Der Reihenfolge nach führt dieses teilung der Völker in diesem Kapitel.
Kapitel zuerst die Söhne Jafets (V. 2-5) Vers 5 beschreibt die Einteilung der Ja-
auf, dann die Söhne Hams (V. 6-20) und fetiten-Stämme in ihre verschiedenen
dann die Söhne Sems (V. 21-31). Der Gebiete. Vers 25 berichtet uns, dass die
Geist Gottes konzentriert sich im Rest Aufteilung der Erde (in Babel) in den
des AT auf Sem und seine Nachkom- Tagen Pelegs geschah. Vers 32 ist eine
men. Die verschiedenen Sprachen in Einleitung der Geschichte vom Turm-
Vers 5 sind wahrscheinlich eine Voraus- bau zu Babel in Kapitel 11, als die »Sip-

46
1. Mose 10 und 11

Vermutliche Verbreitung der Völker aus 1. Mose 10

0
GOMER
0 200 Km

TÜRKEI TOGARMA
ASCHKENAS
Kaspisches
HETITER
(Skythen) Meer
LUD
(Lydien)

JAWAN
(Griechen)
IRAN
Eu ASSUR
p (Assyrer) MADAI
KITTIM (Meder)

hr
at
(Zyprer) ARAM

Tig
(Syrer)

ris
LIBANON
Mittelmeer
AMORITER IRAK
KANAAN

ISRAEL ELAM
PHILISTER (Perser)
PUT
JORDAN ARPACHSCHAD
MIZRAJIM
(Ägypten)
JAWAN Nachkommen von Jafet (1Mo 10,2-5)
ÄGYPTEN
JOKTAN PUT Nachkommen von Ham (1Mo 10,6-20)
Nil

N (Araber)
LUD Nachkommen von Sem (1Mo 10,21-31)

Rotes Meer SAUDI-ARABIEN (Lydien) späterer biblischer Name

pen der Söhne Noahs« in verschiedene Assur (V. 11) – Assyrien


Nationen mit verschiedenen Sprachen Elam (V. 22) – Persien
aufgeteilt wurden. Aram (V. 22) – Syrien und Mesopota-
»Nimrod« bedeutet »Rebell«. Er er- mien
scheint als »der erste Gewaltige (o. Ge-
walthaber) auf der Erde« nach der Flut H. Der Turmbau zu Babel (Kap. 11)
(V. 8) und als Erster, der ein Königreich 11,1-4 In Kapitel 10, das chronologisch
errichtet (V. 10). Er baute Babel (Ba­ erst nach Kapitel 11 kommt, wurde die
bylon) in Rebellion gegen Gott, und Menschheit nach ihren verschiedenen
auch Ninive in Assur (vgl. V. 11), ein Sprachen eingeteilt (V. 5.20.31). Jetzt er-
weiterer Erzfeind des Volkes Gottes. fahren wir den Grund für diese Eintei-
Wie schon erwähnt, führt V. 21 Sem lung. Statt sich über die Erde zu ver-
als den »älteren Bruder Jafets« auf. breiten, wie Gott es beabsichtigt hatte,
Es ist unmöglich, mit Sicherheit die bauten die Menschen eine Stadt und ei-
Länder zu bestimmen, in denen sich die nen Turm in Schinar (Babylon). »Und
verschiedenen Völker niederließen. Die sie sagten einer zum anderen: ›… Wohl-
folgenden Angaben werden sich jedoch an, wir wollen uns eine Stadt und einen
bei späteren Studien als hilfreich er­ Turm bauen, und seine Spitze bis an
weisen: den Himmel! So wollen wir uns einen
Tarsis (V. 4) – Spanien Namen machen, damit wir uns nicht
Kittim (V. 4) – Zypern über die ganze Fläche der Erde zer-
Kusch (V. 6) – Äthiopien streuen!‹« Es ging also um Stolz (sich
Mizrajim (V. 6) – Ägypten einen Namen machen) und Ungehor-
Put (V. 6) – Libyen sam (sich nicht zerstreuen). Für uns
Kanaan (V. 6) – Palästina kann der Turm auch ein Bild für das

47
1. Mose 11 und 12

vergebliche Bemühen des Menschen Ephraim und Manasse). Eine andere mög-
sein, durch eigene Werke den Himmel liche Lösung ist, dem samaritanischen
zu erreichen, statt die Errettung als frei- Text zu folgen, der Terachs Alter zum
es Geschenk der Gnade anzunehmen. Zeitpunkt seines Todes mit 145 angibt.
11,5-9 Der Herr richtete die Men- Das scheint eine bessere Erklärung zu
schen, indem er ihre Sprache verwirrte. sein, weil sonst Abraham kaum in 17,17
Das ist der Ursprung der vielen ver- gelacht hätte, wenn sein Vater ihn mit 130
schiedenen Sprachen, die wir heute auf Jahren gezeugt hätte.13
der Welt haben. Pfingsten (Apg 2,1-11)
war eine Umkehrung der Ereignisse in Ur, die Stadt der Chaldäer in Mesopota-
Babel insofern, als jeder von den Wun- mien war ein Zentrum des heidnischen
dertaten Gottes in seiner eigenen Sprache Götzendienstes. Terach und seine Fa-
hörte. Babel bedeutet »Verwirrung«, milie reisten nordwestlich nach Haran,
die unausweichliche Folge jeder Ver­ auf dem Weg in das Land Kanaan.
einigung, die Gott nicht einschließt
oder gegen den Willen Gottes einge- II. Die Patriarchen Israels (Kap.
gangen wird. 12-50)
11,10-25 Diese Verse zeichnen die
Linie von Sem bis Abram auf. Von der A. Abraham
ganzen Menschheit verschiebt der histo-
1. Die Berufung Abrahams (12,1-9)
rische Bericht nun seinen Akzent auf
einen einzelnen Zweig des Menschen­ 12,1-3 Der Ruf des HERRN war an Ab-
geschlechts (Sem) und dann auf einen ram ergangen, als er noch in Ur war
einzelnen Mann (Abraham), der das (vgl. V. 1 mit Apg 7,1-2). Abram war be-
Haupt des hebräischen Volkes wird. Der rufen, sein Land, seine Verwandtschaft
Rest des AT beschäftigt sich hauptsäch- und das Haus seines Vaters zu verlas-
lich mit der Geschichte dieser Nation. sen und ein Leben der Wanderschaft zu
11,26-32 Abram war ein bedeutender beginnen (Hebr 11,9). Gott schloss ei-
Mann des Glaubens und ist eine der nen wunderbaren Bund mit ihm, zu
wichtigsten Gestalten der Geschichte. dem folgende wichtige Verheißungen
Drei Weltreligionen – Judentum, Chris- gehörten: Ein Land – d.h. das Land Ka-
tentum und Islam – halten ihn in Ehren. naan; eine große Nation – nämlich das
Er wird in sechzehn Büchern des AT jüdische Volk; materieller und geist­
und in elf Büchern des NT erwähnt. licher Reichtum für Abram und seine
Sein Name bedeutet »erhabener Vater«, Nachkommen; ein großer Name für
oder, nachdem er in Abraham geändert Abram und seine Nachfahren; sie soll-
wurde, »Vater einer Menge«. ten anderen zum Segen werden – die
Es gibt in diesem Abschnitt ein ma- Freunde Israels sollten gesegnet und
thematisches Problem. Derek Kidner Antisemiten verflucht werden; alle Ge-
erklärt: schlechter der Erde sollten in Abram
gesegnet werden, was auf Jesus Chris-
Terachs Alter zum Zeitpunkt seines Todes tus hinweist, der ein Nachkomme Ab-
stellt uns vor eine Schwierigkeit, weil sein rahams ist. Dieser Bund wird in 1. Mose
ältester Sohn dann 135 Jahre alt gewesen 13,14-17; 15,4-6; 17,10-14 und 22,15-18
wäre (V. 26), während Abram damals nur erneuert und erweitert.
75 Jahre alt war (12,4, vgl. Apg 7,4). Eine 12,4-9 Nach den von manchen so-
Lösung ist die Annahme, dass Abram der genannten »vergeudeten Jahren in Ha-
jüngste Sohn war, der sechzig Jahre später ran«, d.h. in Jahren ohne echten Fort-
als der älteste geboren wurde, aber wegen schritt, zog Abram mit seiner Frau Sa-
seiner Bedeutung in der Liste in 11,26-27 rai, seinem Neffen Lot, anderen Ver-
als Erster erwähnt wird (wie z.B. auch bei wandten und seiner Habe nach Kanaan.

48
1. Mose 12 und 13

Sie kamen zunächst nach Sichem, wo lich vom Pharao gedemütigt und un­
Abram dem HERRN einen Altar baute. ehrenhaft aus dem Land gewiesen. Das
Die Gegenwart feindlicher Kanaaniter Wort »Pharao« ist übrigens kein Name,
war für einen Mann, der im Glauben sondern ein Titel, wie König, Kaiser,
wandelte, kein Hindernis. Als Nächstes Präsident usw.
zog Abram in die Gegend zwischen 13,1-4 Die Rückkehr Abrams aus
Bethel (»Haus Gottes«) und Ai. Wie zu Ägypten nach Bethel bedeutete auch
erwarten war, schlug er dort nicht nur eine Rückkehr in die Gemeinschaft mit
sein Zelt auf, sondern baute dort auch Gott. »Zurück nach Bethel« ist der Auf-
dem HERRN einen Altar. Das sagt eine ruf, der an alle ergeht, die von Gott in
Menge darüber aus, was diesem Mann irgendeiner Weise abgeirrt sind.
Gottes wichtig war. In Vers 9 lesen wir,
dass Abraham immer weiter nach Sü- 3. Erfahrungen mit Lot und Melchisedek
den zieht, in den Negev. (13,5 - 14,24)
13,5-13 Die Hirten von Lot und Abram
2. Nach Ägypten und zurück (12,10 - 13,4) stritten sich über Weideland für ihre
12,10-20 Der Glaube kennt jedoch im- Herden. In echter Höflichkeit, Freund-
mer wieder auch Fehltritte. Während lichkeit und Selbstlosigkeit bietet Ab-
einer Zeit großer Hungersnot verlässt ram Lot an, seine Wahl aus dem ganzen
Abram den Ort, den Gott erwählt hatte, Land zu treffen. In echter geistlicher
und flieht nach Ägypten, das ein Sym- Demut achtet er andere höher als sich
bol für die Welt ist. Dieser Umzug führt selbst (Phil 2,3). Lot wählt die reichen
zu Schwierigkeiten. Abram wird von Weidegründe im Jordantal in unmittel-
der Angst befallen, dass der Pharao ihn barer Nachbarschaft zu den sündigen
umbringen könnte, um seine schöne Städten Sodom und Gomorra. Obwohl
Frau Sarai für seinen Harem zu bekom- er ein wahrer Gläubiger war (2Petr 2,7-
men. Deshalb besteht Abram darauf, 9), lebte er doch gerne im Grenzgebiet
dass Sarai lügen soll, indem sie sagt, sie zur Welt. Wie jemand es ausdrückte:
sei seine Schwester. Sie war ja tatsäch- »Er bekam Gras für sein Vieh, während
lich seine Halbschwester (20,12), aber es Abram Gnade für seine Kinder erlang-
war immer noch eine Lüge, denn es te« (V. 15-16).
ging um die Verschleierung von Tatsa- Die Tatsache, dass die Bewohner von
chen. Die List brachte Abram Vorteile Sodom sehr böse waren und schlimm
(er wurde großzügig beschenkt), aber gegen den HERRN sündigten, hielt Lot
Sarai brachte sie Nachteile (sie kam in nicht von seiner Entscheidung ab. Man
den Harem des Pharao), und ebenso beachte seine Schritte auf dem Weg in
dem Pharao (er und sein Haus wurden die Weltlichkeit: Er (seine Männer) hat-
mit großen Plagen geschlagen). Der te Streit (V. 7); er sah (V. 10); er wählte
Pharao handelte gerechter als Abram, (V. 11); er schlug seine Zelte auf bis nach
als er von dem Betrug hörte. Nachdem Sodom hin (V. 12); er wohnte entfernt
er Abram getadelt hatte, sandte er ihn von dem Ort, an dem sich der Priester
nach Kanaan zurück. Gottes befand (14,12); er saß im Tor,
Dieser Vorfall erinnert uns daran, dem Ort der politischen Macht (19,1).
dass wir geistliche Kämpfe nicht mit Er wurde ein Mitglied der Verwaltung
fleischlichen Waffen führen dürfen, von Sodom.
dass der Zweck nicht die Mittel heiligt 13,14-18 Abram verzichtete auf das
und dass wir nicht ungestraft sündigen beste Weideland, aber Gott gab ihm
können. und seinen Nachkommen für ewig das
Gott hatte Abram nicht verlassen, ganze Land Kanaan. Zusätzlich verhieß
aber er ließ es zu, dass die Sünde zum der HERR ihm eine Nachkommen-
Vorschein kam. Abram wurde öffent- schaft, die niemand zählen kann. Nach-

49
1. Mose 13 und 14

dem er sich in Hebron ansiedelte, baute Erwähnung von Brot und Wein in der
Abram dem HERRN seinen dritten Al- Bibel nicht lesen, ohne an diese Symbo-
tar – immer einen Altar für Gott, aber le des Leidens unseres Retters zu ge-
nie ein Haus für sich selbst! denken. Wenn wir daran denken, wel-
Man beachte, dass Gott Abram befahl, chen Preis er bezahlte, um uns von der
durch das Land zu ziehen und sein Ei- Sünde zu erretten, werden wir gestärkt,
gentum zu besehen. Genauso sollen wir um jeder sündigen Versuchung zu wi-
im Glauben Gottes Verheißungen für derstehen.
uns in Anspruch nehmen. Namen haben in der Bibel eine Be-
14,1-12 Dreizehn Jahre vor den Haupt­ deutung. »Melchisedek« bedeutet »Kö-
ereignissen dieses Kapitels hatte Kedor- nig der Gerechtigkeit« und »Salem«
Laomer, der König von Elam (Persien) (Kurzform von Jerusalem) bedeutet
verschiedene Stadtkönige in der Ebene »Friede«. Also war er König der Ge-
des Salzmeeres (d.h. des Toten Meeres) rechtigkeit und König des Friedens. Er
unterworfen. Im dreizehnten Jahr em- ist ein Bild für Christus, den wahren
pörten sich die fünf in Knechtschaft ge- König der Gerechtigkeit und des Frie-
ratenen Könige gegen Kedor-Laomer. dens, unseren großen Hohepriester.
Deshalb verbündete sich dieser mit drei Wenn es in Hebräer 7,3 heißt, dass Mel-
anderen Königen aus dem Gebiet um chisedek »ohne Vater, ohne Mutter,
Babylon, marschierte am Ostufer des ohne Geschlechtsregister« gewesen sei,
Toten Meeres nach Süden, dann am dass »er weder Anfang der Tage noch
West­ufer wieder nordwärts nach So- Ende des Lebens« hatte, dann bezieht
dom, Gomorra und zu den anderen sich das ausschließlich auf sein Priester­
Städten der Ebene. Die Schlacht fand im amt. Die meisten Priester erbten ihr Amt
Tal Siddim statt, wo Asphaltgrube ne- und dienten für begrenzte Zeit. Aber
ben Asphaltgrube lag. Die Invasoren be- das Priestertum Melchisedeks war in-
siegten die Aufrührer und marschierten sofern einzigartig, als er es nach dem
mit ihrer Beute und den Gefangenen biblischen Bericht nicht von Eltern ge-
nach Norden – einschließlich Lot, Ab- erbt hatte und es weder Anfang noch
rams vom Weg abgekommenen Neffen. Ende hatte. Das Priestertum Christi ist
14,13-16 Als Abram die Neuigkeit nach der Weise oder Ordnung Mel-
hörte, versammelte er eine Streitmacht chisedeks (Ps 110,4; Hebr 7,17).
von 318 kampferprobten Männern und 14,19-20 Melchisedek segnete Abram,
verfolgte die Sieger bis nach Dan im und Abram gab diesem Priester Gottes
Norden. Schließlich besiegte er sie bei dafür den Zehnten von seiner gesamten
Damaskus in Syrien und rettete Lot so- Beute. In Hebräer 7 erfahren wir, dass
wie die gesamte Beute. Vom Weg abge- die­se Handlungsweise eine tiefe geist­
kommene Gläubige bringen nicht nur liche Bedeutung hat. Weil Abram der
Unglück über sich selbst, sondern be- Vorvater Aarons war, wird er als Ver­
reiten auch anderen Menschen Schwie- treter der aaronitischen Priesterschaft an-
rigkeiten. Hier rettete Abram Lot mit gesehen. Die Tatsache, dass Melchi­sedek
dem Schwert. Später rettete er ihn durch Abram segnete, bedeutet, dass Melchise-
Fürbitte (Kap. 18-19). deks Priesterschaft größer als die Aarons
14,17-18 Als Abram nach Hause kam, ist, weil der, der segnet, dem überlegen
zog der König von Sodom aus, ihm ent- ist, der den Segen empfängt. Die Tat­
gegen, so wie Satan oft einen Gläubigen sache, dass Abram Melchisedek den
nach einem großen geistlichen Sieg ver- Zehnten gab, wird als Bild dafür ge­sehen,
sucht. Doch Melchisedek, König von dass die aaronitische Priesterschaft die
Salem und Priester Gottes, des Aller- Überlegenheit des melchise­dekischen
höchsten, war mit Brot und Wein bereit, Pries­tertums anerkennt, weil der Gerin-
Abram zu stärken. Wir können die erste gere dem Größeren den Zehnten gibt.

50
1. Mose 14 und 15

14,21-24 Der König von Sodom sagte Entsprechend der altorientalischen Art
praktisch zu Abram: »Gib mir die See- und Weise, einen Bund zu schließen, gin-
len, und du kannst die Güter haben.« gen beide Vertragspartner zwischen den
Auf diese Weise versucht Satan uns Teilen eines geschlachteten Tieres hin-
noch heute, indem er uns mit vergäng- durch und bezeugten damit symbolisch,
lichen Spielzeugen beschäftigt, wäh- dass sie ihr Leben einsetzen würden, um
rend Menschen um uns herum verloren ihre Verpflichtung zu erfüllen (vgl. Jer
gehen. Abram antwortete, dass er nichts 34,18-19). Hier in 1. Mose 15 geht nur
von ihm nehmen wolle, weder einen Gott, dessen Gegenwart durch den rau-
Faden noch einen Schuhriemen. chenden Ofen und die Feuerfackel sym-
bolisiert wird, zwischen den geschlachte-
4. Abrahams verheißener Erbe (Kap. 15) ten Teilen hindurch, während Abram bloß
15,1 Dieser erste Vers steht in enger Ver- ein Zuschauer dieser wunderbaren Offen-
bindung mit dem Schluss von Kapitel barung der freien Gnade Gottes ist.14
14. Weil der Patriarch den Lohn des Kö-
nigs von Sodom ablehnte, sagte der Das bedeutet, dass dieser Bund ohne
HERR zu ihm: »Fürchte dich nicht, Ab- Vorbedingung geschlossen wurde und
ram; ich bin dein Schild und dein sehr seine Erfüllung nur von Gott abhängt.
großer Lohn!« Damit sicherte er Abram Eine andere Auslegung des Abschnit-
gleichzeitig Schutz und großen Reich- tes besagt, dass die Stücke der Opfertie-
tum zu. re für das Volk Israel stehen. Die Raub-
15,2-6 Weil er kinderlos war, dachte vögel stehen für die Heidenvölker. Das
Abram, dass sein Knecht Elieser von Land, das ihnen nicht gehört, ist natür-
Damaskus sein Erbe werden würde, lich Ägypten. Israel sollte aus der ägyp-
weil dies dem Gesetz jener Zeit ent- tischen Knechtschaft befreit werden und
sprach. Aber Gott verhieß ihm einen in der vierten Generation nach Kanaan
Sohn und eine Nachkommenschaft so zurückkehren. Der rauchende Ofen und
zahlreich wie die Sterne. Menschlich die Feuerfackel beschreiben das Schick-
gesprochen war dies unmöglich, da sal Israels – im Leiden und im Zeugnis.
Sarai schon keine Kinder mehr be­ Israels Befreiung sollte erst kommen,
kommen konnte. Aber Abram glaubte wenn das Maß der Schuld des Amori-
Gottes Verheißung, und Gott erklärte ters voll sein würde. Diese heidnischen
ihn für gerecht. Die Wahrheit der Recht- Einwohner Kanaans mussten ausgerot-
fertigung aus Glauben, die hier zum tet werden. Doch oft erlaubt Gott dem
Ausdruck gebracht wird, wird in Röm Bösen, seinen Lauf zu nehmen, manch-
4,3, Gal 3,6 und Jak 2,23 wiederholt. In mal sogar zum scheinbaren Nachteil
1. Mose 13,16 hat Gott Nachkommen so seines Volkes, ehe er das Böse richtet. Er
zahlreich wie Staub verheißen, und hier ist geduldig und will nicht, dass Men-
in 1. Mose 15,5 so zahlreich wie die schen verloren gehen – noch nicht ein-
Sterne. Der Staub ist ein Bild für die mal die verkommenen Amoriter (2Petr
leibliche Nachkommenschaft Abrams – 3,9). Er lässt auch das Böse zur vollen
also alle geborenen Juden. Die Sterne Frucht reifen, sodass jedem die schreck-
stehen für seinen geistlichen Samen – lichen Konsequenzen der Bosheit deut-
diejenigen, die durch den Glauben ge- lich werden. So zeigt sich, dass Gottes
rechtfertigt werden (vgl. Gal 3,7). Zorn vollkommen gerecht ist.
15,7-21 Um die Verheißung des Sa- Die Verse 13 und 14 stellen uns vor
mens (V. 1-6) und die des Landes (V. 7- ein chronologisches Problem. Sie sagen
8; 18-21) zu bestätigen, vollzog Gott voraus, dass Abrams Volk 400 Jahre
eine seltsame und bedeutungsvolle lang in einem fremden Land versklavt
Symbolhandlung (V. 9-21). David Baron werden sollte und dass es gegen Ende
erklärt: dieser Zeit wegziehen und großen

51
1. Mose 15 und 16

Reichtum mit sich nehmen würde. In 5. Ismael, der Sohn des Fleisches
Apg 7,6 wird diese Zahl von 400 Jahren (Kap. 16-17)
wiederholt. In 2. Mose 12,40-41 lesen 16,1-6 Hier zeigt sich die rastlose Sün-
wir, dass die Kinder Israels auf den Tag dennatur. Statt auf Gott zu warten,
genau 430 Jahre lang als Fremdlinge in überredet Sarai Abram, sich durch ihre
Ägypten waren. Dann sagt Paulus in Magd Hagar ein Kind zu verschaffen,
Gal 3,17, dass die Zeit von der Bestäti- die wahrscheinlich während des un-
gung des abrahamitischen Bundes bis glückseligen Aufenthalts in Ägypten
zur Gesetzgebung 430 Jahre betrug. gekauft worden war. Gott zeichnet die
Wie kann man nun diese Zahlen mit- ehelichen Irrwege seiner Leute getreu-
einander in Einklang bringen? lich auf, auch wenn er sie nicht guthei-
Die 400 Jahre, die in 1. Mose 15,13-14 ßen kann. Als Hagar schwanger wurde,
und in Apg 7,6 erwähnt werden, bezie- blickte sie voll Verachtung auf ihre Her-
hen sich auf die Zeit der harten Unter­ rin herab. Sarai antwortete darauf, in-
drückung in Ägypten. Jakob und seine dem sie Abram die Schuld gab und an-
Familie waren keine Knechte, als sie schließend Hagar aus dem Haus trieb.
nach Ägypten kamen. Im Gegenteil: Sie Das ist ein Bild für den Konflikt zwi-
wurden wie Könige behandelt. schen Gesetz und Gnade. Sie können
Die 430 Jahre in 2. Mose 12,40-41 be- nicht beieinanderwohnen (Gal 4,21-31).
ziehen sich auf die Gesamtzeit, die Isra- Damals mag manches an dem hier ge-
el in Ägypten verbracht hat – auf den schilderten Verhalten kulturell üblich
Tag genau. Das ist eine genaue Zahlen- und annehmbar gewesen sein, aber
angabe. Die 430 Jahre in Gal 3,17 be- vom christlichen Standpunkt aus ist es
zeichnen in etwa denselben Zeitraum auf jeden Fall falsch.
wie 2. Mose 12,40-41. Sie werden von 16,7-15 Während Hagar sich auf dem
der Zeit an gerechnet, als Gott dem Ja- Weg nach Ägypten in der Wüste bei
kob den abrahamitischen Bund bestä- Schur befand, kam der »Engel des
tigte, gerade als Jakob sich vorbereitete, HERRN« zu ihr. Das war der Herr Jesus
nach Ägypten zu ziehen (1. Mose 46,1- in einer seiner Erscheinungen vor sei-
4), und reichen bis zur Gesetzgebung, ner Menschwerdung, die auch als
etwa 3 Monate nach dem Auszug. »Christophanien« bezeichnet werden
Die vier Generationen von 1. Mose (vgl. die Anmerkungen zu Richter 6,
15,16 können wir in 2. Mose 6,16-20 se- wo sich ein Aufsatz über den Engel des
hen: Levi, Kehat, Amram, Mose. Israel HERRN findet). Er riet ihr, zurückzu-
hat bis heute noch nicht das Land ein- kehren und sich vor Sarai zu demüti-
genommen, das ihm in den Versen 18- gen. Er verhieß ihr außerdem, dass aus
21 verheißen wurde. Salomo regierte ihrem Sohn ein großes Volk hervor­
über dieses Gebiet (1Kö 5,1.4), jedoch gehen würde. Diese Verheißung er-
bestand ein Teil dieses Gebiets nur aus füllte sich natürlich in den arabischen
Vasallenstaaten, die von seinem Volk Völkern. Die Worte »kehre zurück und
nicht bewohnt wurden. Der Bund wird demütige dich« waren bedeutsame
erfüllt werden, wenn Christus wieder- Wendepunkte im Leben vieler Men-
kommt, um die Herrschaft anzutreten. schen, die Umgang mit Gott hatten.
Nichts kann seine Erfüllung verhin- Hagars Ausruf in Vers 13 könnte man
dern. Was Gott verheißen hat, das ist so auch so umschreiben: »Du bist ein Gott,
sicher, als ob es schon erobert wäre! den man sehen kann«, denn sie sagte:
Der »Strom Ägyptens« ist nach all­ »Habe ich nicht auch hier hinter dem
gemeiner Auffassung nicht der Nil, hergesehen, der mich angesehen hat?«
sondern ein kleines Flüsschen südlich Sie nannte den Brunnen Beer-Lachai-
von Gaza, das heute als Wadi el Arish Roi (d.h. wörtlich: »Brunnen des Leben-
bekannt ist. digen, der mich sieht«).15

52
1. Mose 16 und 17

16,16 Abram war 86 Jahre alt, als Ha-


gar Ismael gebar. Der Name Ismael be- Exkurs: Das Zeichen der
deutet »Gott hört«. In diesem Fall hörte Beschneidung
er vom Elend Hagars. Wir sollten uns
daran erinnern, dass Hagar für das Ge- Die Beschneidung wurde von Gott als
setz steht, während Sarai für die Gnade äußeres Zeichen des Bundes zwischen
steht (s. Gal 4). ihm und seinem Volk eingesetzt
17,1-14 Gottes Worte an Abram in (1. Mose 17,10-14). Deshalb werden alle
Vers 1 könnten eine verhüllte Ermah- Nachkommen Abrahams als »die Be-
nung sein, dass er aufhören sollte, aus schneidung« bezeichnet (Apg 10,45),
eigener Kraft zu handeln, und dass er und die Heiden werden »Unbeschnitte-
»Gott, den Allmächtigen« handeln las- ne« genannt (Eph 2,11). Die Beschnei-
sen sollte. Gleich darauf erneuerte Gott dung ist auch das Zeichen und Siegel
seinen Bund und änderte den Namen der Gerechtigkeit, die Abraham durch
des Patriarchen von Abram (»erhabener den Glauben erlangt hat (Röm 4,5).
Vater«) zu Abraham (»Vater einer Men- Doch später nahmen die Worte »Be-
ge«). Dann wurde die Beschneidung als schneidung« und »Beschnittene« ver-
Zeichen des Bundes eingesetzt. Diese schiedene Bedeutungen an. »Un­
chirurgische Operation, die an den beschnittene Lippen« (2. Mose 6,12) be-
männlichen Kindern vollzogen werden deuteten mangelnde Redegewandtheit
sollte, war ein äußerliches Zeichen, dass in der Öffentlichkeit. »Unbeschnittene
dieser Mensch zu Gottes auserwähltem Ohren« und »unbeschnittene Herzen«
irdischem Volk gehörte. Obwohl sie im sprachen vom mangelnden Gehorsam
Nahen Osten schon vorher praktiziert und von mangelnder Liebe gegenüber
wurde, nahm sie für Abraham und sei- dem Herrn (3. Mose 26,41; 5. Mose
ne Familie eine neue Bedeutung an. 10,16; 30,6; Jer 6,10; Apg 7,51). »Un­
Alles Männliche in Abrahams Haus beschnitten im Fleisch« (Hes 44,7) be-
wurde beschnitten, und danach wurde deutete »unrein«.
jeder männliche Säugling beschnitten, Im NT bezieht sich die »Beschnei-
wenn er acht Tage alt war, anderenfalls dung Christi« auf seinen Tod am Kreuz.
sollte er aus seinem Volk »ausgerottet« Gläubige sind beschnitten durch ihre
– d.h. aus der Gemeinschaft Israels aus- Identifikation mit Christus – Paulus
gestoßen – werden (V. 9-14). Der Aus- spricht von einer »Beschneidung, die
druck »ausrotten« oder wörtlich »ab- nicht mit Händen geschehen ist, son-
schneiden« kann manchmal »töten« dern im Ausziehen des fleischlichen
bedeuten, wie z.B. in 2. Mose 31,14-15. Leibes« (Kol 2,11). Diese Beschneidung
An anderen Stellen, wie hier, ist die spricht vom Tod der fleischlichen Na-
Bedeutung »vertreiben« oder »ächten« tur. Dies gilt von der Stellung her für
wahrscheinlicher. jeden Gläubigen, aber darauf sollte die
Der Apostel Paulus weist ausdrück- praktische Abtötung der sündhaften
lich darauf hin, dass Abraham gerecht- Taten des Fleisches folgen (Kol 3,5). Der
fertigt wurde (15,6), ehe er beschnitten Apostel spricht davon, dass die Gläubi-
wurde. Seine Beschneidung war ein gen die wahre Beschneidung sind (Phil
»Siegel der Gerechtigkeit des Glaubens, 3,3), im Gegensatz zu einer Gruppe jü-
den er hatte, als er unbeschnitten war« discher Gesetzeslehrer, die als »Be-
(Röm 4,11). Die heutigen Gläubigen schneidung« bekannt waren (Gal 2,12).
werden nicht durch ein äußerliches Zei- Zusätzlich zu ihrem Symbolwert wa-
chen versiegelt, sondern erhalten zum ren einige der gnädigen Anweisungen
Zeitpunkt ihrer Bekehrung den Hei­ Gottes dazu bestimmt, sein Volk vor
ligen Geist als Siegel (Eph 4,30). den Krankheiten der Heiden zu bewah-
ren. Heute glauben viele Mediziner,

53
1. Mose 17 bis 19

dass eine Beschneidung bestimmten Abrahams großes Ringen in der Fürbit-


Krebsarten sowohl beim Mann als auch te um Zahlen: Fünfzig, fünfundvierzig,
bei der Frau vorbeugen kann. vierzig, dreißig, zwanzig, zehn. Selbst
um »zehn Gerechter« willen hätte der
HERR Sodom nicht zerstört! Abrahams
Gebet ist ein wundervolles Beispiel für
17,15-17 Gott änderte Sarais Namen zu wirksame Fürbitte. Es gründete sich auf
Sara (Fürstin) und verhieß Abraham, den gerechten Charakter des »Richters
dass seine neunzigjährige Frau einen der ganzen Erde« (V. 25) und bewies so-
Sohn bekommen würde. Der Patriarch wohl den Mut als auch die tiefe Demut,
lachte, aber es war freudiges Erstaunen, die nur eine vertraute Beziehung zu
kein Unglaube. Sein Glaube wankte Gott schenken kann. Erst als Abraham
nicht (Röm 4,18-21). aufhörte zu bitten, schloss der HERR
17,18-27 Als Abraham darum bat, die Sache ab und ging weg (V. 33). Es
dass Ismael von Gott gesegnet werden gibt viele Geheimnisse im Leben, für
sollte, wurde ihm gesagt, dass der Bund die die Wahrheit von Vers 25 die ein-
sich durch seinen Sohn Isaak erfüllen zige zufriedenstellende Antwort ist.
würde. Doch auch Ismael sollte frucht- Man beachte das Lob, das Gott dem
bar werden, sich mehren und zu einer Abraham als einem hervorragenden
großen Nation werden. Isaak war ein Familienvater zollt (V. 19). Nach diesem
Bild für Christus, durch den der Bund Lob sollten auch wir streben!
seine letztliche Erfüllung finden wird. 19,1-11 Der Name Sodom ist zu einem
Man beachte, wie prompt Abraham ge- Synonym für die Sünde der Homosexu-
horchte: »So wurden an ebendiesem alität geworden (das englische Wort
Tag Abraham und sein Sohn Ismael be- »sodomy« steht für homosexuellen Ge-
schnitten.« schlechtsverkehr). Doch sexuelle Per-
version war nicht der einzige Grund für
6. Sodom und Gomorra (Kap. 18-19) den Fall der Stadt. In Hes 16,49-50 be-
18,1-15 Kurz nach den Ereignissen von schreibt der Herr die Sünde Sodoms als
Kapitel 17 erschienen Abraham drei »Hochmut, Speise in Fülle und sorglose
Männer. Zwei von ihnen waren Engel, Ruhe«.
der dritte war der HERR selbst. Mit ty- Lot empfing die beiden Engel und be-
pisch nahöstlicher Gastfreundschaft be- stand darauf, dass sie bei ihm über-
herbergten Abraham und Sara Engel, nachteten, weil er nur zu genau die Ge-
ohne es zu wissen (Hebr 13,2), und ei- fahr kannte, die ihnen anderenfalls
nen, der größer ist als die Engel. Als drohte. Selbst dann noch versuchten
Sara hörte, wie der HERR ihr sagte, die Männer von Sodom, die himm­
dass sie innerhalb eines Jahres ein Kind lischen Besucher homosexuell zu ver-
bekommen würde, verriet ihr Lachen gewaltigen. In einem verzweifelten Ver-
ihren Unglauben. Sie wurde durch die such, seine Gäste zu retten, bot ihnen
Frage ermahnt: »Sollte für den HERRN Lot schamlos seine zwei Töchter an.
eine Sache zu wunderbar sein?« Aber Nur ein Wunder konnte noch Rettung
die Verheißung wurde trotz ihres Zwei- bringen; die Engel schlugen die Sodo-
fels wiederholt (V. 9-15). Hebräer 11,11 miter mit einer zeitweiligen, verwirren-
zeigt, dass Sara grundsätzlich eine Frau den Blindheit.
des Glaubens war, trotz ihres hier ge-
schilderten Fehltritts.
18,16-33 Nachdem der HERR Abra-
ham offenbart hatte, dass er Sodom ver- Exkurs: Homosexualität
nichten würde, und während die zwei Sowohl im AT (1. Mose 19,1-26; 3. Mose
Engel zu dieser Stadt gingen, begann 18,22; 20,13) als auch im NT (Röm 1,18-

54
1. Mose 19

32; 1Kor 6,9; 1Tim 1,10) verurteilt Gott Einige werfen Gott vor, dass er sie mit
die Sünde der Homosexualität. Er zeig- dieser Neigung geschaffen hat, doch
te seinen Zorn über diese Sünde, indem der Fehler liegt nicht bei Gott, sondern
er die Städte Sodom und Gomorra ver- beim sündigen Zustand des Menschen.
nichtete. Unter dem mosaischen Gesetz Jedes gefallene Kind Adams hat böse
stand auf Homosexualität der Tod. Kein Neigungen. Einige sind auf einem Ge-
praktizierender Homosexueller wird biet schwach, andere auf anderem Ge-
das Reich Gottes ererben. biet. Die Sünde besteht nicht darin, dass
Die sogenannten »Schwulen« zahlen man versucht wird, sondern dass man
einen hohen Preis für ihren unmora­ der Versuchung nachgibt.
lischen Lebensstil. Paulus sagt, dass sie Es gibt Befreiung von Homosexuali-
den verdienten Lohn ihrer Verirrung an tät, so wie es Befreiung von jeder an­
sich selbst empfangen (Röm 1,27). Dazu deren Form der Begierde gibt. Doch ist
gehören Geschlechtskrankheiten, be- ständige, gottesfürchtige Seelsorge in
stimmte Formen von Krebs sowie AIDS. fast jedem Fall notwendig.
Zu dem Lohn gehören aber auch be- Christen sollten Homosexuelle als
drückende Schuldgefühle, geistige und Menschen annehmen, ohne ihren Le-
emotionale Verwirrung sowie unnor- bensstil zu akzeptieren. Weil sie Men-
male Persönlichkeitsveränderungen. schen sind, für die Christus gestorben
Wie alle anderen Sünder können ist, sollten Gläubige auf jede nur er-
Schwule und Lesben gerettet werden, denkliche Weise versuchen, sie für ein
wenn sie Buße über ihre Sünden tun Leben der »Heiligung, ohne die nie-
und den Herrn Jesus Christus als ihren mand den Herrn schauen wird« (Hebr
persönlichen Retter annehmen. Gott 12,14) zu gewinnen.
liebt Schwule und Lesben, auch wenn
er ihre Sünde hasst.
Es ist ein Unterschied, ob man Homo-
sexualität praktiziert oder ob man homo- 19,12-29 Die Engel bestanden darauf,
sexuelle Neigungen hat. Die Bibel ver­ dass Lot mit seiner Familie die Stadt
urteilt die Handlung, nicht die Orientie- verlassen sollte. Als er jedoch versuch-
rung. Es gibt viele, die von ihrem eigenen te, seine Schwiegersöhne (wohl die zu-
Geschlecht angezogen werden, aber sich künftigen Schwiegersöhne) davon zu
weigern, diesem Drang nachzugeben. überzeugen, meinten sie, er würde
Durch die Kraft des Heiligen Geistes ha- scherzen. Sein Leben voller falscher
ben sie sich so weit diszipliniert, dass sie Kompromisse machte sein Zeugnis zu-
der Versuchung widerstehen und in nichte, als der entscheidende Moment
Reinheit leben können. Viele Christen kam. Sobald die Morgenröte aufging,
mit homosexueller Orientierung führten die Engel Lot, seine Frau und
seine Töchter aus Sodom heraus. Selbst
»… sehen ihren Zustand mit Bekümme- zu diesem Zeitpunkt zögerte Lot noch
rung und Reue; sie sind zwar nicht in der und wollte lieber in Zoar bleiben, einer
Lage, ihn selbst zu verändern, aber sie sündigen Stadt unter der Herrschaft So-
haben sich auf den Geist Gottes gestützt, doms. Nicht einmal zehn Gerechte fan-
um Kraft zum Verzicht und zur Keusch- den sich in der Stadt Sodom, deshalb
heit zu erhalten, und das bedeutet wahr- zerstörte Gott sie. Aber Abrahams Ge-
haftige Heiligung. … In ihrer Hingabe an bet war nicht vergeblich, denn Gott
Christus haben sie einen bleibenden in- dachte an Abraham und geleitete Lot
neren Makel Gott dargebracht, damit er mitten aus der Umkehrung.
sie gebrauchen kann und damit die gött- Obwohl Lots Frau die Stadt verließ,
liche Kraft in menschlicher Schwachheit ließ sie doch ihr Herz dort zurück, und
vollkommen wird.«16 sie fiel deshalb unter das Gericht Got-

55
1. Mose 19 bis 21

tes. Mit den Worten »Gedenkt an Lots drohte Abimelech mit dem Tod. Er ist
Frau!« (Lk 17,32) hielt Christus sie uns mehr als nur ein Zuschauer am Rande
als Warnung an alle vor Augen, die mit der Geschichte. Er kann das Böse bei
seinem Angebot der Errettung leicht- den Seinen überwinden und sein Ziel
fertig umgehen. souverän erreichen, sogar durch das
19,30-38 Nachdem Lot Zoar verlassen Leben der Menschen, die nicht wieder-
hatte, floh er in eine Höhle im Bergland. geboren sind. Der heidnische Abime-
Seine Töchter machten ihn betrunken lech handelte in dieser Angelegenheit
und verführten ihn zum Inzest. Die äl- gerechter als Abraham, der »Freund
tere Tochter gebar daraufhin einen Sohn Gottes«. (»Abimelech« ist ein Titel, kein
namens »Moab«, die jüngere bekam Name.) Es ist beschämend, wenn ein
ebenfalls einen Sohn, den sie »Ben- Gläubiger von einem Weltmenschen er-
Ammi« nannte. So entstanden die Völ- mahnt werden muss. Wenn eine Halb-
ker der Moabiter und der Ammoniter, wahrheit als ganze Wahrheit hingestellt
die Israel immer wieder Schwierigkei- wird, ist es eine Unwahrheit. Abraham
ten machten. Es waren Moabiterinnen, versuchte sogar, einen Teil der Schuld
die später die Männer Israels zur Un- Gott zuzuschieben, der ihn schließlich
zucht verführten (4. Mose 25,1-3), und dazu gebracht habe, umherzuirren. Es
die Ammoniter, die Israel die Ver­ wäre weiser gewesen, seine Schuld de-
ehrung des Moloch lehrten, einschließ- mütig einzugestehen. Trotzdem war er
lich der Opferung von Kindern (1Kö immer ein Mensch Gottes. Und deshalb
11,33; Jer 32,35). Wir wissen aus 2. Pe- sandte der Herr Abimelech zu ihm, da-
trus 2,7-8, dass Lot ein Gerechter war, mit Abraham beten sollte, dass die Un-
aber wegen seiner Weltlichkeit verlor er fruchtbarkeit in Abimelechs Haus be-
sein Zeugnis (V. 14), seine Frau (V. 26), endet werden würde.
seine Schwiegersöhne, seine Freunde, In V. 16 heißt es wörtlich: »Das soll dir
seine geistliche Gemeinschaft (es gab eine Decke der Augen sein für alle, die
keine in Sodom), sein Eigentum (er kam um dich sind«, d.h. ein Geschenk zum
reich hin, aber er kam arm zurück), sei- Zweck der Besänftigung. Man könnte
nen guten Ruf (V. 35), sein Lebenswerk übersetzen: »Das wird dir gegeben als
und beinahe sein Leben (V. 22). Das Entschädigungszahlung zum Zeichen
verdorbene Verhalten seiner Töchter für alle, die bei dir sind, und für alle
zeigt, dass sie sich von den bösartigen Menschen, dass das Unrecht wieder-
Wertvorstellungen Sodoms hatten be- gutgemacht wurde.«
einflussen lassen. Es gibt kein Entflie-
hen (Hebr 2,3). 8. Isaak, der Sohn der Verheißung (Kap. 21)
21,1-10 Als Abraham und Sara der ver-
7. Abraham und Abimelech (Kap. 20) heißene Sohn geboren wurde, nannten
20,1-18 Es scheint uns unglaublich, dass ihn die glücklichen Eltern »Isaak« (»La-
Abraham noch einmal versuchen wür- chen«), wie von Gott befohlen (17,19.21).
de, Sara als seine Schwester auszu­ Das war ein Ausdruck ihrer eigenen
geben – 20 Jahre nachdem er denselben Freude und der Freude all derer, die die
Betrug beim Pharao begangen hatte – Nachricht hören würden. Isaak war
unglaublich, bis wir an unseren eigenen wahrscheinlich zwischen zwei und fünf
ständigen Hang zur Sünde denken! Der Jahre alt, als er entwöhnt wurde. Ismael
Vorfall mit Abimelech in Gerar ist eine war zu der Zeit zwischen 13 und 17 Jah-
fast identische Neuauflage des Betrugs re alt. Als Sara ihn sah, wie er sich über
Abrahams in Ägypten (12,10-17). Gott Isaak bei dem Fest anlässlich der Ent-
griff ein, um sein Ziel mit der Geburt wöhnung lustig machte (mit ihm spöt-
Isaaks zu verwirklichen, die sonst leicht tisch Mutwillen trieb), bat sie Abraham,
hätte verhindert werden können. Er be- Hagar und ihren Sohn hinauszutreiben.

56
1. Mose 21 und 22

Paulus deutet diesen Vorfall als Bild da- Todes von Gottes einzigem, geliebtem
für, dass das Gesetz die Gnade verfolgt, Sohn am Kreuz. Die höchste Prüfung
dass man Gesetz und Gnade nicht ver- für Abrahams Glauben kam, als Gott
mischen darf und dass geistlicher Se- ihn aufforderte, Isaak als Brandopfer im
gen nicht durch gesetzliche Mittel er- Land Morija zu opfern. In Wirklichkeit
langt werden kann (Gal 4,29). hatte Gott keinerlei Absicht, zuzulassen,
21,11-13 Abraham tat es Leid, Hagar dass Abraham dies ausführte, denn er
und Ismael zu verlieren, aber Gott trös- lehnte Menschen­opfer immer ab. Morija
tete ihn mit der Verheißung, dass Isma- ist der Gebirgszug, auf dem sowohl Je-
el der Vater eines großen Volkes werden rusalem (2Chr 3,1) als auch Golgatha
sollte. Und doch machte der HERR liegen. Gottes Worte: »deinen Sohn, dei-
deutlich, dass Isaak der verheißene nen einzigen, den du lieb hast«, müssen
Sohn war, durch den der Bund verwirk- Abrahams Herz wie schlimme Wunden
licht werden sollte. durchschnitten haben. Isaak war Abra-
21,14-21 Als Hagar und der Junge in hams »einziger« Sohn in dem Sinne,
der Wüste südlich von Kanaan fast ver- dass er der einzige Sohn der Verheißung
dursteten, ließ Gott sie einen Brunnen war – der einzigartige Sohn, der Sohn,
finden, und sie wurden gerettet. Ismael der durch ein Wunder zur Welt gekom-
war zu dieser Zeit schon ein Jugend­ men war.
licher, deshalb bedeutet V. 15 wahr- Das erste Vorkommen eines Wortes
scheinlich, dass Hagar ihn unter einen in der Bibel ist meist bedeutsam für sei-
der Sträucher legte, als er schon sehr ne Verwendung später in der Schrift.
schwach war. Ismaels Name (»Gott Die Worte »Liebe« (V. 2) und »anbeten«
hört«) findet sich in Vers 17 zweimal: (V. 5) finden sich zum ersten Mal an
»Gott erhörte« und »Gott hat gehört«. dieser Stelle. Abrahams Liebe zu sei-
Kinder und Jugendliche sollten zum nem Sohn ist ein schwaches Abbild der
Gebet ermutigt werden – Gott hört und Liebe Gottes zum Herrn Jesus. Das Op-
erhört! fer Isaaks war ein Bild für die größte
21,22-34 Der »Abimelech« in Vers 22 Art der Anbetung – die Selbstopferung
ist nicht unbedingt derselbe wie in Ka- des Retters, um den Willen Gottes zu
pitel 20. Die Knechte dieses Anführers erfüllen.
hatten den Männern Abrahams einen 22,11-12 »Abraham, Abraham« – hier
Wasserbrunnen weggenommen. Als lesen wir zum ersten Mal in der Bibel,
Abimelech mit Abraham einen Freund- dass ein Name verdoppelt wird. Dies
schaftsbund schloss, berichtete Abra- kommt zehn Mal in der Bibel vor. Sie-
ham dem Abimelech von dem gewalt- ben Mal geschicht dies, wenn Gott zu
sam weggenommenen Brunnen. Das Menschen spricht (1. Mose 22,11; 46,2;
Ergebnis war ein Bund, der den Brun- 2. Mose 3,4; 1Sam 3,10; Lk 10,1; 22,31;
nen Abraham zusprach. Sofort nannte Apg 9,4). Die anderen drei Verdopp-
Abraham den Brunnen »Beerscheba« lungen stehen in Mt 7,21.22; 23,37 und
(»Brunnen des Schwurs«). Dieser Ort Mk 15,34. Immer werden sehr bedeut-
wurde später zu einer Stadt, die die same Aussagen auf diese Weise einge-
Südgrenze des Landes markierte. Zur leitet. Der Engel des HERRN (V. 11) war
Erinnerung pflanzte Abraham eine Ta- Gott (V. 12).
mariske. 22,13-15 Isaak zu opfern, war wohl
die härteste Probe, auf die Abrahams
9. Die Opferung Isaaks (Kap. 22) Glaube je gestellt wurde. Gott hatte ver-
22,1-10 Vielleicht gibt es keine andere heißen, dass Abraham durch seinen
Szene in der Bibel außer Golgatha selbst, Sohn zahllose Nachkommen erhalten
die so ergreifend ist wie diese, und kei- sollte. Isaak könnte zu diesem Zeit-
ne enthält eine klarere Vorschattung des punkt bis zu 25 Jahre alt gewesen sein,

57
1. Mose 22 und 23

und er war unverheiratet. Wenn Abra- ‒ Jahwe-Rapha ‒ »der HERR, der dich
ham ihn opferte, wie konnte dann die heilt« (2. Mose 15,26)
Verheißung erfüllt werden? Nach Hebr ‒ Jahwe-Nissi ‒ »der HERR ist mein Feld-
11,19 glaubte Abraham, dass Gott sei- zeichen« (2. Mose 17,8‒15)
nen Sohn aus den Toten auferwecken ‒ Jahwe-Schalom ‒ »der HERR ist Frie-
würde, selbst wenn er ihn schlachten de« (Ri 6,24)
würde. Dieser Glaube war bemerkens- ‒ Jahwe-Roi ‒ »der HERR ist mein Hirte«
wert, weil es zu dieser Zeit in der Welt- (Ps 23,1)
geschichte keinen aufgezeichneten Fall ‒ Jahwe-Zidkenu ‒ »der HERR, unsere
einer Auferweckung gab. Man beachte Gerechtigkeit« (Jer 23,6)
auch seinen Glauben in 22,5: »Ich aber ‒ Jahwe-Schammah ‒ »der HERR ist hier«
und der Junge wollen dorthin gehen (Hes 48,35).
und anbeten und zu euch zurück­ 22,16-19 Der HERR schwor bei sich
kehren.« Abraham wurde erst aus selbst, weil er bei keinem Größeren
Glauben gerechtfertigt (15,6), dann schwören konnte (Hebr 6,13). Gottes
wurde er hier durch seine Werke ge- Verheißung hier, die durch seinen Eid
rechtfertigt (Jak 2,21). Sein Glaube war bekräftigt wurde, umfasst auch den
das Mittel seiner Errettung, während Segen für die Heidenvölker durch
seine Werke der Beweis für die Echtheit Christus (s. Gal 3,16). In 1. Mose 22,17c
seines Glaubens waren. Als Isaak fragte: fügt Gott zu dem großen Segen noch
»Wo ist aber das Lamm?«, antwortete Folgendes hinzu: dass Abrahams Nach-
sein Vater: »Gott wird für ein Lamm kommen »das Tor ihrer Feinde in Besitz
zum Brandopfer sorgen« (Schl 2000). nehmen« sollten. Das bedeutet, dass
Diese Verheißung wurde durch den seine Nachkommen »Autorität über
»Widder« aus Vers 13 nicht vollständig diejenigen haben sollten, die ihnen ent-
erfüllt, sondern erst durch das Lamm gegenstehen. Die Eroberung des Tores
Gottes (Joh 1,29). einer Stadt war gleichbedeutend mit
Es gibt zwei herausragende Symbole der Eroberung der Stadt selbst.«17
für Christus in diesem Kapitel. Isaak ist 22,20-24 Abrahams Bruder Nahor
das erste: ein »einziger Sohn«, von sei- hatte zwölf Söhne, während Abraham
nem Vater geliebt, bereit, den Willen sei- nur zwei hatte ‒ Ismael und Isaak. Die-
nes Vaters zu tun, und bildhaft von den se Tatsache muss den Glauben Abra-
Toten zurückgekommen. Der »Widder« hams an die Verheißung Gottes sehr auf
ist das zweite Symbol: ein unschuldiges die Probe gestellt haben, denn Gott hat-
Opfer, das stellvertretend für jemand te ihm versprochen, dass er Nachkom-
anders starb, dessen Blut vergossen men so zahlreich wie die Sterne am
wurde und das als Brand­opfer vollstän- Himmel haben würde! Es kann sein,
dig für Gott verzehrt wurde. Jemand dass diese Nachricht ihn dazu ver­
hat einmal darauf hingewiesen, dass anlasste, Elieser auf der Suche nach ei-
Gott, indem er den »Widder« als Ersatz ner Frau für Isaak zu Nahor zu schicken
für Isaak stellte, »Abrahams Herz einen (Kap. 24). Man beachte den Namen
Schmerz ersparte, den er seinem eige- »Rebekka« in 22,23.
nen Herzen nicht ersparte«. »Der Engel
des HERRN« in den Versen 11 und 15 10. Das Familiengrab (Kap. 23)
ist der Herr Jesus Christus, wie überall 23,1-16 Als Sara im Alter von 127 Jahren
im AT. starb, verhandelte Abraham mit den he-
Abraham nannte den Ort »der HERR titischen Einwohnern von Hebron, um
wird dafür sorgen« (Jahwe-Jireh) (V. 14). die Höhle Machpela als Erbbegräbnis
Dies ist einer der sieben zusammen­ zu kaufen ‒ sein einziger Grunderwerb
gesetzten Namen Gottes im AT. Die an- während seines langen Lebens der Pil-
deren sind: gerschaft. Der Abschnitt liefert uns eine

58
1. Mose 23 und 24

köstliche Beschreibung eines geschäft­ ren oder vielleicht noch gezeugt werden
lichen Handels, wie er im Orient typi- würden, den Eidbruch ahnden würden.
scherweise abläuft. Zunächst schlagen Dies nennt man einen »Schwur auf die
die Hetiter vor, dass Abraham eine ihrer Nachkommenschaft«, der hier besonders
Begräbisstätten benutzen solle. Mit gro- angebracht ist, da es die Aufgabe des
ßer Höflichkeit weist Abraham dieses Knechtes ist, für die Nachkommenschaft
Angebot zurück und besteht darauf, Abrahams durch Isaak zu sorgen.18
den vollen Preis für eine Höhle zu zah-
len, die Efron gehörte. Zunächst bietet 24,10-14 Der »Knecht« ist ein Vorbild
Efron nicht nur die Höhle, sondern auch (Typus, Symbol) für den Heiligen Geist,
das ganze dazugehörige Feld als Ge- der vom Vater auf die Erde geschickt
schenk an, aber Abraham wusste, dass wird, um für den »himmlischen Isaak«,
dies nur eine höfliche Geste war. Der Ei- d.h. den Herrn Jesus, eine Braut zu ge-
gentümer hatte nicht die Absicht, etwas winnen. Die Erzählung berichtet aus-
zu verschenken. Als Abraham darauf führlich von den Vorbereitungen für
bestand, die Höhle zu kaufen, schlug die Reise, von den Geschenken, die der
Efron als Kaufpreis 400 Schekel Silber Knecht dabeihatte, und dem Zeichen,
vor und tat so, als ob Abraham dabei ein durch das er erkennen würde, welche
gutes Geschäft mache. In Wahrheit war Frau der HERR ausgewählt hatte. Mur-
der Preis überzogen, und ein gewöhn­ doch Campbell führt aus:
licher Käufer hätte sicher weiter verhan-
delt. Deshalb war es für jeden eine Über- Es war ein Zeichen, das viel Licht auf den
raschung, als Abraham schon den ers- Charakter und das Wesen des Mädchens
ten von Efron genannten Preis akzep- werfen sollte, das für den Sohn seines
tierte. Abraham wollte nicht in der Herrn geeignet wäre. Er wollte sie nur
Schuld eines Ungläubigen stehen, und um einen Schluck Wasser für sich selbst
wir sollten es auch nicht. bitten (wie man das hebräische Wort
23,17-20 Die Höhle des Feldes von auch übersetzen könnte), doch diejenige,
Machpela wurde später auch das Grab die Gott erwählt hatte, um Mutter eines
von Abraham, Isaak, Rebekka, Jakob großen Volkes und eine Vorfahrin Jesu
und Lea. An der Stelle, wo nach der Christi zu werden, sollte ihr großzügiges
Überlieferung dieses Grab liegt, steht Wesen und ihre Bereitschaft zum Dienst
heute eine Moschee. an anderen zeigen, indem sie ihm nicht
nur einen Schluck brachte, sondern einen
11. Eine Braut für Isaak (Kap. 24) überreichen Trunk. Dazu sollte sie noch
24,1-9 Abraham nahm seinen ältesten das erstaunliche Angebot machen, auch
Knecht einen Schwur ab, dass er auf der für die Kamele Wasser zu schöpfen.
Suche nach einer Braut für Isaak darauf Wenn wir nun bedenken, dass diese zehn
achten solle, dass Isaak keine Kanaani- Tiere nach der mühseligen Wanderung
terin heiratet oder in Mesopotamien durch die Wüste sicherlich über 600 Liter
lebt. Die alte Form des Eides, wie sie in Wasser trinken würden, dann würde die
den Versen 2-4 und 9 beschrieben wird, spontane Bereitschaft des Mädchens,
wird von Charles F. Pfeiffer folgender- Mensch und Tier zu dienen, auf eine
maßen erklärt: freundliche und selbstlose Veranlagung
und zusätzlich auf einen wirklich edlen
Nach biblischem Sprachgebrauch kom- Charakter hinweisen.19
men Kinder von »der Hüfte« oder »den
Lenden« des Vaters (vgl. 1. Mose 46,26). 24,15-52 Es war natürlich die liebliche
Die Hand auf die Hüfte zu legen, bedeu- Rebekka, die diese Bedingungen erfüll-
tete, dass im Falle des Eidbruches die Kin- te und die deshalb die Geschenke des
der, die von diesen Lenden gezeugt wa- Knechtes erhielt. Nachdem sie ihn in

59
1. Mose 24 und 25

das Haus ihres Vaters geführt hatte, Fürsten wird er zeugen« (17,20). Mit
wusste Abrahams Knecht, dass seine dem Tod Ismaels wird Isaak zum Mit-
Suche beendet war. Als Rebekka ihrem telpunkt der Erzählung.
Bruder Laban die Situation erklärte,
hieß er die Reisegesellschaft herzlich B. Isaak (25,19 - 26,35)
willkommen und hörte sich dann die
1. Isaaks Familie (25,19-34)
Werbung des Knechtes um Rebekka als
Braut für Isaak an. Die erstaunliche 25,19-26 Fast 20 Jahre lang war Rebekka
Übereinstimmung der Umstände als nach ihrer Hochzeit unfruchtbar. Dann
Antwort auf das Gebet des Knechtes jedoch wurde sie schwanger als Ant-
überzeugte Laban und Betuel, Rebek- wort auf Isaaks Gebet. Der Kampf der
kas Vater, davon, dass der HERR das al- zwei Söhne in ihr verwirrte sie, bis ihr
les so geführt hatte. gesagt wurde, dass ihre Söhne die Füh-
24,53-61 Der Knecht zog dann Ge- rer zweier rivialisierender Völker (Isra-
schenke für Rebekka, Laban und ihre el und Edom) werden sollten. Der Erst-
Mutter hervor, die die Verlobung besie- geborene wurde »Esau« (»haarig«) ge-
gelten. Am Morgen wollte die Familie nannt. Der andere hieß »Jakob« (»Ver-
ihre Abreise verzögern, doch die Bereit- dränger«). Schon bei der Geburt ver-
schaft Rebekkas, abzureisen, entschied suchte Jakob, einen Vorteil gegenüber
die Sache, und sie reiste mit dem Segen seinem Bruder zu erlangen, indem er
ihrer Familie ab. die Ferse Esaus festhielt. Isaak war 60
24,62-67 Nach seinem Erlebnis auf Jahre alt, als seine Zwillinge geboren
dem Berg Morjia sehen wir Isaak erst wurden.
wieder, als er Rebekka entgegengeht. 25,27-28 Als die beiden Jungen heran-
Genauso sehen wir unseren Heiland wuchsen, wurde Esau zu einem Mann,
nach seinem Tod, seinem Begräbnis, der die freie Natur liebte und ein tüch-
seiner Auferstehung und Himmelfahrt tiger Jäger war. Jakob dagegen war ge-
erst wieder, wenn er zurückkehrt, um sittet und blieb lieber zu Hause, bei den
seine auserwählte Braut heimzuholen Zelten. Isaak hatte eher Esau lieb, Re-
(1Thes 4,13-18). Isaaks Begegnung mit bekka aber hatte Jakob lieb. Vielleicht
Rebekka ist wunderschön zart beschrie- war er ein »Muttersöhnchen«.
ben. Ohne sie vorher gesehen zu haben, 25,29-34 Als Erstgeborenem stand
heiratete er sie und gewann sie lieb. Esau ein doppelter Anteil vom Besitz
Und anders als andere Patriarchen hat- seines Vaters zu ‒ also doppelt so viel,
te er nie andere Frauen neben ihr. wie die anderen Söhne erben würden.
Er würde auch Stammes- oder Familien­
12. Abrahams Nachkommen (25,1-18) oberhaupt werden. Das war als »Erst-
25,1-6 In 1Chr 1,32 wird Ketura als Ne- geburtsrecht« bekannt. In Esaus Fall
benfrau Abrahams bezeichnet. Vers 6 hätte es auch bedeutet, dass er der Vor-
scheint das zu bestätigen. So war sie fahre des Messias geworden wäre.
eine Frau von geringerer Stellung, die Eines Tages, als Esau von einem Jagd-
nicht die vollen Vorrechte einer Ehefrau ausflug zurückkam, sah er, wie Jakob
im Haus genoss. Wieder berichtet Gott ein rotes Gericht kochte. Er bat so ein-
über Unregelmäßigkeiten in der Ehe, dringlich um etwas von dem roten Ge-
die er nie gutgeheißen hat. richt, dass er den Spitznamen »der
25,7-18 Abraham verschied im Alter Rote« (Edom) bekam, und dieser Name
von 175 Jahren; er war der zweite, der blieb ihm und seinen Nachkommen,
in der Höhle in Hebron beigesetzt wur- den Edomitern. Als Jakob für die Suppe
de. Die zwölf Söhne Ismaels, die in Vers Esaus Erstgeburtsrecht forderte, war
13-16 aufgeführt werden, erfüllen Got- Esau so töricht, einzuwilligen. »Keine
tes Verheißung an Abraham: »Zwölf Mahlzeit außer der verbotenen Frucht

60
1. Mose 25 bis 27

im Garten Eden ist je so teuer erkauft Philistern in Esek (»Streit«) und in Sitna
worden.«20 Die Weissagung in Vers 23 (»Feindschaft«). Schließlich zog Isaak
hat sich in den Versen 29-34 teilweise von den Philistern weg. Diesmal gab es
erfüllt. Gott billigte Jakobs Machen- keinen Streit, als er einen Brunnen grub,
schaften nicht, doch eines ist offensicht- deshalb nannte er ihn »Rechobot« (»wei-
lich ‒ Jakob war das Erstgeburtsrecht ter Raum«). Von dort zog er hinauf nach
und ein Platz in der Segenslinie Gottes Beerscheba, wo ihn der HERR durch eine
wichtig, während es Esau mehr um die Segensverheißung ermutigte. Dort baute
Befriedigung seines leiblichen Appetits Isaak einen Altar (Anbetung), er schlug
als um geistlichen Segen ging. sein Zelt auf (Aufenthalt) und grub einen
Das Kapitel schließt, indem es Esaus Brunnen (Erfrischung). So wie Wasser
Umgang mit dem Geburtsrecht mehr etwas Lebensnotwendiges im Bereich
hervorhebt als Jakobs Umgang mit sei- des Körperlichen ist, so ist das Wasser
nem Bruder. Esaus Nachkommen wur- des Wortes lebensnotwendig im Bereich
den erbitterte Feinde Israels. Ihr end- des Geistlichen.
gültiger Untergang ist von Obadja ver- 26,26-33 Zu den Versen 26-33 sagt
kündet worden. Williams:
2. Isaak und Abimelech (Kap. 26) Erst als Isaak sich eindeutig von den
26,1-6 Isaak reagierte auf die Hungers- Männern in Gerar trennt, kommen sie zu
not genauso wie sein Vater (Kap. 12 ihm, um den Segen Gottes zu erbitten. …
und 20). Als er nach Süden reiste, er- Der Christ hilft der Welt am besten, wenn
schien ihm der HERR in Gerar und er von ihr getrennt lebt.22
warnte ihn davor, nach Ägypten zu rei-
sen. Gerar lag etwa auf halbem Wege Genau an dem Tag, als Isaak mit Abi-
nach Ägypten. Gott befahl Isaak, nur melech einen Nichtangriffspakt schloss,
zeitweilig in Gerar zu bleiben,21 doch fanden die Knechte Isaaks Wasser. Ab-
Isaak richtete sich dort ein. Gott be­ raham hatte den Ort schon früher Beer-
stätigte gegenüber Isaak auch den be- scheba genannt, weil er dort schon ei-
dingungslosen Bund, den er mit Abra- nen Bund mit seinem Zeitgenossen Abi-
ham geschlossen hatte. melech (21,31) geschlossen hatte. Jetzt,
26,7-17 Isaak reagierte auf Angst ge- unter ähnlichen Umständen, gibt Isaak
nauso wie sein Vater. Fälschlicherweise ihm wiederum den Namen Scheba oder
gab er vor den Männern von Gerar sei- Beerscheba.
ne Frau als seine Schwester aus. Es ist 26,34-35 Esaus Ehe mit Jehudit und
die traurige Geschichte, wie sich die Basemat, zwei Heidinnen, verursachte
Schwächen des Vaters beim Sohn wie- seinen Eltern viel Herzenskummer ‒
derholen. Als der Betrug herauskam wie viele ungleiche Joche bis heute.
und getadelt wurde, bekannte Isaak. Diese Ehen waren aber auch weitere
Das Bekenntnis von Sünde bringt Se- Beweise dafür, dass er für das Erst­
gen. Isaak wurde in Gerar reich ‒ so geburtsrecht ungeeignet war.
reich, dass Abimelech, der damals re-
gierte, ihn bat, die Stadt zu verlassen. C. Jakob (27,1 - 36,43)
Deshalb zog Isaak von Gerar in das Tal
1. Jakob betrügt Esau (Kap. 27)
Gerar, nicht weit entfernt.
26,18-25 Die Philister hatten die Was- 27,1-22 Etwa 37 Jahre sind seit den Er-
serbrunnen verstopft, die Abraham ge- eignissen im vorigen Kapitel vergan-
graben hatte ‒ ein Akt der Unfreundlich- gen. Isaak ist jetzt 137 Jahre alt, er kann
keit, der signalisieren sollte, dass Fremde nicht mehr gut sehen und meint, dass
nicht willkommen waren. Isaak reinigte er bald sterben müsse, vielleicht weil
diese Brunnen. Zank entstand mit den sein Bruder Ismael in diesem Alter starb

61
1. Mose 27 und 28

(1. Mose 25,17). Aber er wird noch 43 27,23-29 Isaak segnete Jakob mit Reich-
weitere Jahre leben. tum, Herrschaft und Schutz. Es ist inter­
Als Isaak sich Wildbret von Esau essant, dass die Segenssprüche der Pa-
wünscht und ihm dafür einen Segen triarchen auch Weissagungen waren.
verspricht, plant Rebekka, ihren Mann Sie erfüllten sich wörtlich, weil diese
zu betrügen und den Segen Jakob zu- Männer ganz real durch Inspiration
kommen zu lassen, den sie liebt. Ihre sprachen.
Betrügereien waren unnötig, weil Gott 27,30-40 Als Esau zurückkehrte und
Jakob den Segen schon versprochen von dem Betrug erfuhr, suchte er den
hatte (25,23b). Sie bereitete das Fleisch Segen unter Tränen. Doch der Segen
von Ziegenböcken so zu, dass es wie war Jakob verliehen worden, und er
Wild schmeckte, ein schmackhaftes Ge- konnte nicht zurückgenommen werden
richt. Dann nahm sie die Felle der Tiere (Hebr 12,16-17). Doch Isaak hatte das
und wickelte sie um Jakobs Arme, da- folgende Wort für Esau:
mit er wie der haarige Esau wirkte. »Siehe, fern vom Fett der Erde wird
Isaak machte den Fehler, seinen Emp- dein Wohnsitz sein, und fern vom Tau
findungen zu vertrauen, der haarige des Himmels von oben. Von deinem
Arm fühlte sich genauso an wie der Schwert wirst du leben und deinem
Esaus. Im geistlichen Bereich sollten Bruder dienen. Es wird aber geschehen,
wir unseren Gefühlen jedoch miss­ wenn du dich befreien kannst, wirst du
trauen. Wie Martin Luther beobachtet sein Joch von deinem Hals reißen.«
hat: »Gefühle kommen und gehen, und Das weist darauf hin, dass die Edomi-
Gefühle können betrügen. Unsere Ga- ter in der Wüste leben sollten, dass sie
rantie ist das Wort Gottes, nichts an- Krieger sein würden, dass sie den Israe-
deres ist es wert, geglaubt zu werden.«23 liten untertan sein, aber eines Tages ge-
Obwohl Rebekka den Betrug plante, gen ihre Herrschaft aufstehen würden.
machte sich Jakob ebenso schuldig, in- Diese letzte Weissagung verwirklichte
dem er ihn ausführte. Und er erntete, sich unter der Regierung Jorams, des
was er gesät hatte. C.H. Mackintosh Königs von Juda (2Kö 8,20-22).
führt dazu die Beobachtung eines ande- 27,41-46 Esau plante, seinen Bruder Ja-
ren an: kob zu ermorden, sobald sein Vater ster-
ben und die Trauerzeit für ihn vorbei
Wer Jakobs Leben genauer betrachtet, sein würde. Als Rebekka das erfuhr, for-
nachdem er durch Betrug den Segen sei- derte sie Jakob auf, zu ihrem Bruder La-
nes Vaters erlangt hat, wird feststellen, ban in Haran zu ziehen. Sie fürchtete
dass er sehr wenig weltliches Glück ge- nicht nur, dass Jakob sterben würde,
nießen konnte. Sein Bruder trachtete da- sondern dass Esau danach weglaufen
nach, ihn umzubringen, und um dem zu oder durch Blutrache umkommen wür-
entgehen, musste er aus dem Haus sei- de, und dass sie auf diese Weise gleich
nes Vaters fliehen. Sein Onkel Laban be- zwei Söhne verlieren würde. Isaak je-
trog ihn. … Er war gezwungen, ihn heim- doch sagte sie zur Erklärung, warum Ja-
lich zu verlassen. … Er erlebte die Nie- kob abreiste, dass sie Angst habe, dass
dertracht seines Sohnes Ruben, … die Jakob eine Hetiterin heiraten würde, wie
Hinterlist und Grausamkeit von Simeon Esau es getan hatte. Jakob meinte, bald
und Levi gegenüber den Sichemitern; zurückkehren zu können, doch das sollte
dann traf ihn der Verlust seiner geliebten erst über 20 Jahre später geschehen. Sein
Frau, der scheinbare vorzeitige Tod Jo- Vater sollte zu diesem Zeitpunkt noch
sefs, und um das Maß voll zu machen, leben, doch seine Mutter nicht mehr.
musste er wegen einer Hungersnot nach
Ägypten ziehen und starb dort in einem 2. Jakobs Flucht nach Haran (Kap. 28)
fremden Land.24 28,1-9 Isaak rief Jakob und segnete ihn;

62
1. Mose 28 und 29

er sandte ihn nach Paddan-Aram, ein erfahren (Daily Notes of the Scripture
Gebiet in Mesopotamien, damit er bei Union – Anmerkungen zur täglichen An-
der Verwandtschaft seiner Mutter eine dacht, herausgegeben vom amerikani-
Frau finden sollte statt unter den Ka­ schen Bibellesebund).
naanitern. Das regte Esau zu dem Ver-
such an, den Segen seines Vaters doch 28,20-22 Als Nächstes scheint Jakob mit
noch zu erlangen, indem er eine Toch- Gott ein Geschäft abschließen zu wol-
ter Ismaels heiratete. Er war einer, der len. Dabei ging es ihm letztlich um we­
Böses tat (indem er sich viele Frauen niger, als Gott ihm verheißen hatte
nahm), damit Gutes daraus komme. (V. 14). Sein Glaube war nicht groß ge-
28,10-19 In Bethel hatte Jakob einen nug, Gott bei seinem Wort zu nehmen,
wunderbaren Traum, in dem ihm eine deshalb machte er die Zahlung des
Leiter oder Treppe erschien, die vom Zehnten davon abhängig, dass Gott sei-
Himmel bis auf die Erde reichte. Das nen Teil der Vereinbarung erfüllte. Eine
war ein Bild für »eine reale, ununter- andere Deutung geht davon aus, dass
brochene und enge Verbindung zwi- das Wort »wenn« einfach Bestandteil
schen Himmel und Erde, und im Be- aller hebräischen Eide war und dass Ja-
sonderen zwischen Gott in seiner Herr- kob sich verpflichtete, ohne Vorbedin-
lichkeit und dem Menschen in seiner gungen einen Zehnten zu geben (ähn-
Einsamkeit.«25 In seiner Begegnung mit liche hebräische Eide finden sich z.B. in
Nathanael bezog sich der Herr Jesus of- 4. Mose 21,2; Ri 11,30,31; 1Sam 1,11).
fensichtlich auf dieses Ereignis und ver-
band es mit seinem zweiten Kommen 3. Jakob, seine Frauen und seine Kinder
und der Herrlichkeit des Tausend­ (29,1 - 30,24)
jährigen Reiches (Joh 1,51). Aber Gläu- 29,1-14 Jakob war 27 Jahre alt, als er
bige können auch heute ständige Ge- Beerscheba verließ, um nach Haran zu
meinschaft mit dem Herrn genießen. reisen. Dort sollte er 20 Jahre damit ver-
Zu diesem Zeitpunkt, als Jakobs Herz bringen, seinem Onkel Laban zu die-
wahrscheinlich erfüllt war von Reue nen, daraufhin sollte er 33 weitere Jahre
über seine Vergangenheit, Einsamkeit in Kanaan verbringen und die letzten
in der Gegenwart und Unsicherheit in 17 Jahre seines Lebens in Ägypten. Als
Bezug auf die Zukunft, schloss Gott in er in Paddan-Aram ankam, führte Gott
seiner Güte mit ihm einen Bund, wie er ihn genau zu dem Feld, auf dem einige
es mit Abraham und Isaak getan hatte. Hirten aus Haran ihre Herden lagerten.
Man beachte die Verheißung der Ge­ So vollkommen war Gottes Zeitpla-
meinschaft: »Ich bin mit dir«; Sicherheit: nung, dass Rahel mit ihrer Herde ge­
»Ich will dich behüten überall, wohin rade ankam, als Jakob mit den Hirten
du gehst«; Führung: »Ich will dich in sprach. Weil er ein guter Hirte war,
dieses Land zurückbringen«; und die fragte sich Jakob, warum sie alle bei
persönliche Garantie: »Ich will dich nicht dem Brunnen warteten, wo doch noch
verlassen, bis ich vollbracht habe, was Tag war, wenn man die Schafe noch
ich dir zugesagt habe.« Jakob war sich grasen lassen konnte. Sie erklärten, dass
bewusst, dass er an diesem Ort Gott be- sie die Abdeckung des Brunnens erst
gegnet war, und änderte den Namen entfernen würden, wenn alle Herden
des Ortes deshalb von »Lus« (Tren- angekommen seien. Für Jakob war es
nung) in »Bethel« (Haus Gottes). sehr bewegend, als er seiner Kusine Ra-
hel begegnete – aber auch für Laban, als
Vor Bethel, als er »von Freude über- er kurze Zeit später seinem Neffen Ja-
rascht« und »vor Ehrfurcht erstarrt« war, kob begegnete.
hatte Jakob keine persönliche Begegnung 29,15-35 Laban willigte ein, Rahel
mit Gott. Alles hatte er aus zweiter Hand dem Jakob zur Frau zu geben, wenn er

63
1. Mose 29 und 30

ihm dafür sieben Jahre lang dienen Juda (»Lobpreis«) (29,35)


würde. Diese Jahre schienen dem Jakob Issaschar (»Lohn«) (30,18)
wie einige wenige Tage, weil er sie lieb- Sebulon (»Wohnung«) (30,20)
te. So sollte es für uns in unserem Dienst Die Söhne, die Bilha, der Magd Ra-
für den Herrn sein. hels geboren wurden:
Lea hatte matte Augen und war nicht Dan (»Richter«) (30,6)
attraktiv, aber Rahel war schön. Naftali (»Kämpfe«) (30,8)
Nach der herrschenden Sitte wurde Die Söhne, die Silpa, der Magd Leas
die Braut in der Hochzeitsnacht zum geboren wurden:
Bräutigam ins Gemach gebracht, Gad (»Heerschar« oder »Glück«)
wahrscheinlich verschleiert, und das (30,11)
Gemach war dunkel. Man kann sich Asser (»Glückselig«) (30,13)
vorstellen, wie zornig Jakob am nächs- Die Söhne Rahels:
ten Morgen war, als er herausfand, Josef (»er füge hinzu«) (30,24)
dass seine Braut Lea war! Laban hatte Benjamin (»Sohn meiner Rechten«)
ihn überlistet, aber er entschuldigte (35,18)
seinen Schachzug mit der in Haran be- 30,1-13 Rahel hatte das verzweifelte
stehenden Sitte, dass zuerst die ältere Verlangen, ein Kind auf ihrem Schoß
Tochter verheiratet werden müsse. zu halten, und deshalb gab sie ihrem
Dann sagte Laban: »Vollende die Mann ihre Magd Bilha zur Frau bzw.
[Hochzeits-]Woche mit dieser, so wol- Nebenfrau. Auch wenn damals solche
len wir dir jene (d.h. Rahel) auch ge- Arrange­ments durchaus üblich waren,
ben, für den Dienst, den du mir noch waren sie doch gegen den Willen
weitere sieben Jahre leisten sollst« Gottes. Bilha gebar zwei Söhne, Dan
(Schl 2000). Am Ende des Hochzeits- und Naftali. Um von Rahel nicht über-
festes, das eine Woche lang dauerte, vorteilt zu werden, gab Lea dem Jakob
heiratete Jakob auch Rahel und diente ihre Magd Silpa zur Frau, und es wur-
dann sieben weitere Jahre für sie. Ja- den noch zwei weitere Söhne geboren,
kob hatte Betrug gesät, jetzt erntete er nämlich Gad und Asser.
ihn. Als der Herr sah, dass Lea »ge- 30,14-24 Die »Dudaim« (Alraunen-
hasst« (Elb) bzw. »verschmäht« (Schl früchte), die Ruben fand, galten als
2000) war, d.h. weniger geliebt war als »Liebesäpfel«, nach dem Aberglauben
Rahel, glich er das aus, indem er ihr sollten sie die Fruchtbarkeit fördern.
Kinder gab. Dieses Gesetz des gött­ Weil Rahel unfruchtbar war, wollte sie
lichen Ausgleichs gilt auch heute noch: gerne einige von diesen Dudaim ha-
Menschen, die in einem Bereich Man- ben. Als Ausgleich bot sie an, dass Ja-
gel haben, bekommen in einem ande- kob jene Nacht bei Lea verbringen
ren Bereich besonders viel zugeteilt. sollte. (Aus einem uns unbekannten
Lea machte deutlich, was sie dem Grund hatte Lea offensichtlich ihre
Herrn verdankte, als sie ihren Kindern Rechte als Ehefrau eingebüßt.) Danach
Namen gab (V. 32.33.35). Von ihr wurden Lea zwei weitere Söhne gebo-
stammt die Priesterschaft (Levi), das ren ‒ Issaschar und Sebulon ‒ und
Königtum (Juda) und letztlich der auch eine Tochter namens Dina. Und
Christus ab. In diesem Kapitel finden schließlich gebar Rahel ihren ersten
wir die ersten vier Söhne Jakobs. Die Sohn und nannte ihn Josef, womit sie
vollständige Liste der Söhne Jakobs ihren Glauben ausdrückte, dass Gott
lautet folgendermaßen: ihr noch einen anderen Sohn dazu­
Die Söhne Leas: geben würde.
Ruben (»Siehe, ein Sohn!«) (29,32)
Simeon (»Erhörung«) (29,33) 4. Jakob überlistet Laban (30,25-43)
Levi (»Anhänglich«) (29,34) 30,25-36 Als Jakob Laban sagte, dass er

64
1. Mose 30 und 31

nach Kanaan zurückkehren wolle, gen hervorbringen, sondern konnte


drängte sein Onkel ihn, zu bleiben. La- auch kräftige Tiere für sich selbst und
ban hatte aus Erfahrung gelernt, dass schwächliche für Laban züchten. Viel-
der HERR ihn um Jakobs willen geseg- leicht waren die geschälten Äste nur ein
net hatte, und er war bereit, ihn nach Trick, um seine Zuchtgeheimnisse vor
seinen eigenen Wünschen zu entloh- den anderen zu verbergen. Was immer
nen, wenn er bleiben würde. Jakob war auch die Erklärung ist: Jakobs Reichtum
einverstanden, ihm weiter zu dienen, mehrte sich in den letzten sechs Jahren
wenn Laban ihm all die gesprenkelten seines Dienstes bei Laban.
und gefleckten Schafe und Ziegen und
die dunkelfarbigen Lämmer geben 5. Jakobs Rückkehr nach Kanaan
würde. Alle anderen Tiere der Herde (31,1 - 32,1)
sollten Laban gehören. Laban stimmte 31,1-18 Nachdem Jakob entdeckte, dass
dem zu und sagte: »Siehe, es geschehe Laban und seine Söhne eifersüchtig
nach deinem Wort.« Laban nahm die und ärgerlich wurden, sagte ihm der
meisten Tiere, die für Jakob bestimmt HERR, dass es Zeit war, nach Kanaan
waren, und gab sie seinen Söhnen, denn zurückzukehren. Zunächst rief er Rahel
ihm war klar, dass sie wahrscheinlich und Lea zu sich und besprach die An-
Nachkommen haben würden, die eben- gelegenheit mit ihnen; er erinnerte sie
so gezeichnet waren wie sie selbst. Sei- daran, wie Laban ihn betrogen und sei-
ne eigenen Tiere vertraute er jedoch nen Lohn zehnmal verändert hatte, und
dann Jakob an und trennte sie durch wie Gott sich darüber hinweggesetzt
eine Entfernung von drei Tagereisen. hatte, indem die Tiere sich immer zu Ja-
Dadurch konnten die gezeichneten Tie- kobs Gunsten vermehrten. Er erinnerte
re nicht zu den ungezeichneten Tieren sie auch daran, dass Gott ihn an den Eid
Labans kommen, die Jakob hütete, um erinnert hatte, den er vor 20 Jahren ge-
sich mit ihnen zu paaren. schworen hatte (28,20-22), und berich-
30,37-43 Als die Herde Labans sich tete, wie der HERR ihm befohlen hatte,
paarte, legte Jakob Stäbe, die er geschält nach Kanaan zurückzukehren. Seine
hatte, vor die Tiere, ob sie nun einfarbig Frauen waren seiner Meinung, dass ihr
oder gesprenkelt waren. Die Lämmer Vater sie betrogen hatte und dass sie
und Zicklein, die geboren wurden, wa- ihn verlassen sollten.
ren gestreift, gesprenkelt und gefleckt. Griffith Thomas weist hier auf mehre-
Das hieß natürlich, dass diese Jakob ge- re interessante Prinzipien hin, wie man
hörten. Haben wirklich die Stäbe dazu Gottes Führung erkennen kann. Zu-
geführt, dass die Tiere eine Zeichnung nächst hatte Jakob einen Wunsch (30,25).
trugen? Es könnte sein, dass es für diese Zweitens machten die Umstände eine
Methode eine wissenschaftliche Grund- Veränderung nötig. Drittens sprach
lage gibt, auch wenn wir nicht sicher Gott deutlich zu ihm durch sein Wort.
sein können. (Neuere genetische For- Und schließlich hatte er die bestätigende
schungen legen nahe, dass es solch eine Unterstützung von seinen Frauen, trotz
Begründung gibt.) Wie sonst sollten die ihrer familiären Bindungen zu Laban.26
Tiere mit den Zeichnungen geboren Man beachte, dass der Engel Gottes
worden sein, die Jakob wünschte? (V. 11) mit dem Gott von Bethel gleich-
Erstens könnte es sich um ein Wunder gesetzt wird (V. 13).
handeln (vgl. 31,12). Oder es könnte ein 31,19-21 Vor der heimlichen Abreise
schlauer Trick von Jakob gewesen sein. stahl Rahel den Teraphim, der ihrem
Es gibt Anzeichen in der Erzählung, Vater gehörte, und versteckte ihn im
dass er die selektive Kreuzung kannte. Sattel ihres Kamels. Teraphim waren
Durch sorgfältige Auswahl konnte er Hausgötzen, deren Besitz gleichbedeu-
nicht nur die gewünschten Zeichnun- tend war mit der Führungsrolle in der

65
1. Mose 31 und 32

Sippe; im Fall einer verheirateten Toch- oder dem Vieh. Dann schlug er einen
ter gab er ihrem Ehemann das Recht auf Pakt vor. Es handelte sich nicht um ei-
den Besitz des Vaters.27 Weil Laban ei- nen freundlichen, gnädigen Bund, in
gene Söhne hatte, als Jakob nach Kana- dem es darum ging, dass der HERR
an floh, hatten diese allein ein Anrecht über sie wachen sollte, während sie ge-
auf den Teraphim ihres Vaters. Rahels trennt waren. Es ging mehr um einen
Diebstahl war deshalb ein ernsthaftes Pakt zwischen zwei Betrügern, die den
Vergehen, das sie beging, um ihrem HERRN baten, sicherzustellen, dass der
Ehemann das Hauptanrecht auf Labans eine sich recht verhalten würde, wäh-
Besitz zu sichern. rend der andere nicht auf ihn aufpassen
31,22-30 Als Laban von ihrer Abreise konnte. Es handelte sich letztlich um ei-
erfuhr, verfolgte er sie mit seinen Män- nen Nichtangriffsvertrag, aber er legte
nern sieben Tagereisen weit, aber der Jakob auch die Verpflichtung auf,
Herr sprach zu ihm in einem Traum in Labans Töchter nicht schlecht zu be-
der Nacht, er solle Jakob und seine Ka- handeln und keine zusätzlichen Frauen
rawane nicht behelligen. Als Laban sie mehr zu nehmen. Laban nannte das
endlich einholte, beklagte er sich nur Denkmal auf Aramäisch »Jegar-Saha-
darüber, dass ihm das Recht abgegan- duta«, Jakob nannte ihn auf Hebräisch
gen sei, ihnen einen königlichen Ab- »Gal-Ed«. Beides bedeutet »Steinhau-
schied zu bieten, und dass sein Götze fen des Zeugnisses«. Keiner der Män-
gestohlen worden sei. ner sollte an dem Steinhaufen vorbei-
31,31-35 Auf die erste Klage antwor- ziehen, um den anderen anzugreifen.
tete Jakob, dass er heimlich geflohen 31,51 - 32,1 Laban schwor bei dem
sei, weil er Angst hatte, dass Laban ihm »Gott Abrahams«, dem »Gott Nahors«
seine Töchter mit Gewalt nehmen wer- und dem »Gott ihres Vaters« Terach. Es
de. Auf die zweite Klage hin verneinte bleibt hier offen, ob Laban den wahren
er, dass er den Götzen gestohlen habe, Gott meint, den Abraham kennenlernte,
und erklärte, dass der Schuldige ster- oder die heidnischen Götter, die Abra-
ben solle. Laban durchsuchte die Kara- ham, Nahor und Terach in Ur verehrten.
wane, doch umsonst. Rahel saß darauf Jakob aber schwor »bei der Furcht sei-
und entschuldigte sich, dass sie nicht nes Vaters Isaak«, d.h. bei dem Gott, den
von ihrem Kamelsattel aufstehen kön- Isaak fürchtete. Isaak war nie ein Göt-
ne, um ihren Vater zu ehren, weil sie zenanbeter gewesen. Jakob brachte erst
ihre Menstruation habe ‒ das behaupte- ein Opfer dar, dann gab er ein Festessen
te sie jedenfalls. für alle Anwesenden auf dem Berg, auf
31,36-42 Jetzt wurde Jakob seinerseits dem sie die ganze Nacht verbrachten.
zornig. Er warf Laban vor, er habe ihn Früh am Morgen stand Laban auf,
ungerechterweise des Diebstahls be- küsste seine Enkel und Töchter, um Ab-
zichtigt und habe ihn 20 Jahre lang un- schied zu nehmen, und zog in seine
gerecht behandelt, obwohl ihm Jakob Heimat zurück.
treu und großzügig gedient habe. Die-
ser Abschnitt enthüllt, dass Jakob hart 6. Die Versöhnung zwischen Jakob und
arbeiten konnte und dass der Segen des Esau (32,2 - 33,20)
Herrn über allem gewesen war, was er 32,2-9 Auf seinem Weg nach Kanaan
tat. Sind wir unseren Arbeitgebern treu? begegnete Jakob einem Heer von En-
Liegt der Segen Gottes auf unserer Ar- geln, und er nannte den Ort »Mahana-
beit? jim« (»zwei Heere« oder »Doppel­
31,43-50 Laban umging das Thema, lager«). Die beiden Lager könnten
indem er halbherzig einwandte, dass er Gottes Heer (V. 2) und Jakobs Reise­
seinen eigenen Töchtern nichts Böses gesellschaft gewesen sein. Es kann sich
getan hätte, auch nicht seinen Enkeln auch um einen bildlichen Ausdruck für

66
1. Mose 32 und 33

eine große Menge handeln (V. 11). Als verloren hatte, errang er einen großen
sich Jakob seiner Heimat nähert, er­ geistlichen Sieg. Er lernte, durch Nie-
innert er sich an seinen Bruder Esau derlage zum Sieg zu kommen und in
und fürchtet dessen Rache. Ob wohl Schwachheit stark zu sein. Er war nun
Esau noch zornig war, weil er um sei- losgekommen von seinem Selbst und
nen Erstgeburtssegen betrogen worden vom Vertrauen auf seine Schlauheit ‒ er
war? Als Erstes schickte Jakob Boten bekannte, dass er »Jakob« ist, ein Ver-
mit Friedens­grüßen vor sich her zu sei- dränger, ein Betrüger. Gott änderte dar-
nem Bruder Esau. Als er hörte, dass aufhin seinen Namen in »Israel« (dieser
Esau ihm mit 400 Mann entgegenzog, Name wird unterschiedlich übersetzt,
hatte er solche Angst, dass er seine Fa- z.B. »Gott herrscht«, »einer, der mit Gott
milie und Habe in zwei Gruppen auf- kämpft« oder auch »Fürst Gottes«). Ja-
teilte. Wenn die erste Gruppe angegrif- kob nannte den Ort »Pniel« (Angesicht
fen werden würde, so könnte die zwei- Gottes), weil ihm bewusst wurde, dass
te noch entkommen. er den HERRN gesehen hatte. Pfeiffer
32,10-13 Jakobs Gebet entspringt dem weist darauf hin, dass Vers 33 auch heu-
verzweifelten Bedürfnis nach gött­ te noch bei den Juden eingehalten wird:
lichem Schutz. Es gründet sich auf die »Der Ischiasnerv oder die Oberschen-
Bundesbeziehung, die der HERR mit kelvene müssen bei geschlachteten Tie-
ihm und seinen Vätern eingegangen ren entfernt werden, ehe dieser Teil des
war, und kam aus einem demütigen Tieres für orthodoxe Juden zubereitet
Herzen. Er baute mit seiner dringliche werden kann.«28
Bitte auf das Wort des HERRN und 33,1-11 Als Esau näher kam, verfiel Ja-
nahm die Verheißungen Gottes für sich kob wieder in Furcht und rein mensch-
in Anspruch. liches Verhalten und ordnete seine Fa-
Das beste Gebet entspringt einem milie so, dass diejenigen, die er am
starken inneren Bedürfnis. Durch meisten liebte, am besten geschützt wa-
menschliche Systeme der Absicherung ren. Jakob warf sich siebenmal zur Erde
beschützen wir uns oft vor einem dyna- nieder, als er sich seinem Bruder näher-
mischen Gebetsleben. Warum tun wir te. Esau dagegen war entspannt, freund-
uns das an? lich und überschwänglich, als er erst
32,14-22 Jakob sandte als Nächstes seinen Bruder begrüßte, dann Jakobs
drei Herden mit insgesamt 580 Tieren Frauen und Kinder. Er wehrte sich
als Geschenk für Esau, in der Hoffnung, schwach gegen das große Viehgeschenk,
ihn zu versöhnen. Esau bekam das Ge- aber schließlich war er einverstanden,
schenk in drei Teilen. Jakobs Manöver es anzunehmen. Jakob scheint dem Bru-
zeigen seinen Unglauben ‒ oder zumin- der gegenüber unpassende Demut ge-
dest eine Mischung aus Glauben und zeigt zu haben, als er sich selbst als
Unglauben. »Knecht« seines Bruders bezeichnet. Ei-
32,23-33 Nachdem er seine engste Fa- nige Ausleger sind der Ansicht, dass er
milie über den Fluss Jabbok (Bedeu- sich hier in Schmeicheleien und Über-
tung: »er wird leeren«) gebracht hatte, treibungen flüchtet, als er sagt, dass sein
verbrachte er die Nacht allein in Pnuel. Angesicht zu sehen so sei, wie Gottes
Dort sollte er eine der großen Erfahrun- Angesicht zu sehen. Andere meinen,
gen seines Lebens machen. »Da rang dass »Angesicht Gottes« hier einfach
ein Mann mit ihm.« Dieser Mann war nur ein versöhntes Angesicht meint.
ein Engel (Hos 12,4), der Engel des 33,12-17 Als Esau vorschlägt, dass sie
HERRN, der HERR selbst. Der HERR zusammen zurückreisen sollten, gab Ja-
verrenkte sein Hüftgelenk, sodass er kob vor, dass es nicht möglich wäre, da
für den Rest seines Lebens hinkte. Ob- die Kinder und Jungtiere ein langsame-
wohl Jakob diesen Kampf äußerlich res Tempo nötig machten. Jakob ver-

67
1. Mose 33 bis 35

sprach, Esau in Seir (= Edom) wiederzu- gottesfürchtige Abstammungslinie zu


treffen, obwohl er keine Absicht hatte, verunreinigen.) Sichem bot auch an, je-
dies zu tun. Selbst als Esau versuchte, des Heiratsgeld und Geschenk zu be-
einige seiner Männer mit dem Haushalt zahlen, das gefordert würde.
Jakobs reisen zu lassen, lehnte Jakob ab, 34,13-24 Die Söhne Jakobs hatten
ohne seine wirklichen Gründe dafür nicht die Absicht, Dina Sichem zu über-
preiszugeben ‒ Angst und Misstrauen. lassen, aber sie logen, dass sie dies tun
33,18-20 Statt nach Süden zum Berg würden, wenn sich die Männer der
Seir zu reisen, wandte sich Jakob nach Stadt beschneiden lassen würden. Das
Nordwesten. Endlich erreichte er Si- heilige Bundeszeichen wurde hier miss-
chem, siedelte dort und errichtete einen braucht. In gutem Glauben erfüllten
Altar, den er (vielleicht anmaßend) El Hamor, Sichem und alle Männer der
Elohe Israel (»Gott, der Gott Israels«) Stadt die Bedingung.
nennt. 20 Jahre früher, als Gott ihm in 34,25-31 Doch während die Sichemi­
Bethel erschienen war, hatte Jakob dem ter sich von der Operation erholten, er-
HERRN geschworen, dass er ein Zehn- mordeten Simeon und Levi sie hinter-
tel seines Reichtums Gott geben würde hältig und plünderten ihre Habe. Als
und dass er in Bethel Gottes Haus er- Jakob sie mild ermahnte, antworteten
richten würde (28,20-22). Jetzt lässt er Simeon und Levi, dass man ihre Schwes-
sich, anstatt nach Bethel zurückzukeh- ter nicht wie eine Hure hätte behandeln
ren, in der ca. 50 km entfernten frucht- dürfen. In Wirklichkeit scheint Jakob
baren Gegend von Sichem nieder, wahr- mehr um sein eigenes Wohlergehen be-
scheinlich wegen seines Viehs. (Sichem sorgt zu sein als um das schreckliche
ist ein Bild für die Welt.) Gott spricht Unrecht, das den Männern von Sichem
nicht mehr direkt zu ihm, bis er ihn vie- angetan wurde. Man beachte, dass er in
le Jahre später dazu aufruft, seinen Eid Vers 30 siebenmal »ich«, »mich« und
einzulösen (Kap. 35). In der Zwischen- »mein« verwendet.
zeit finden die tragischen Ereignisse
von Kapitel 34 statt. 8. Rückkehr nach Bethel (Kap. 35)
35,1-8 Kapitel 35 beginnt mit Gottes Be-
7. Sünden in Sichem (Kap. 34) fehl an Jakob, den Eid zu erfüllen, den
34,1-12 Der Name Gottes wird in die- er etwa 30 Jahre zuvor geschworen hat-
sem Kapitel nicht erwähnt. Während te (28,20-22). Der HERR benutzte die
Jakob mit seiner Familie in Sichem lebt, tragischen Ereignisse des vorhergehen-
mischt sich seine Tochter Dina unter die den Kapitels, um den Patriarchen dar-
heidnischen Frauen, um mit ihnen ge- auf vorzubereiten. Man beachte, dass
sellschaftlichen Kontakt zu haben. Das Gott in diesem Kapitel 20-mal genannt
war ein Bruch mit der notwendigen Ab- wird, im Gegensatz zu keiner einzigen
sonderung von den Gottlosen. Bei einer Erwähnung in Kap. 34. Ehe er Gottes
solchen Zusammenkunft wurde sie von Befehl nachkommt, nach Bethel zurück-
Sichem, dem Sohn des hewitischen zukehren, ordnet Jakob an, dass seine
Landesfürsten Hamor, vergewaltigt. Familie zuerst die fremden Götter weg-
Dieser hatte dann großes Verlangen, sie tun und reine Kleider anziehen soll. So-
zu heiraten. Als Hamor merkte, dass Ja- bald sie dies getan hatten, wurden sie
kob und seine Söhne sehr entrüstet wa- für ihre heidnischen Nachbarn zum
ren, schlug er eine friedliche Lösung »Schrecken«. Es war nur angemessen,
vor: Israeliten und Kanaaniter sollten dass Jakob bei »El Beth-El« einen Altar
untereinander heiraten, und die Israeli- baute und den Gott anbetete, der ihn
ten sollten volles Bürgerrecht im Land vor seinem Bruder Esau bewahrt hatte.
haben. (V. 9 kann als einer der vielen 35,9-15 Noch einmal bestätigt Gott,
Versuche Satans gewertet werden, die dass Jakobs Name nun Israel sein sollte.

68
1. Mose 35 bis 37

Auch wird der Bund erneuert, den er der Verheißung dar, dass Esau Haupt
mit Abraham und Isaak geschlossen eines Volkes werden sollte (25,23). Esau
hatte. Der Patriarch kennzeichnet den hatte drei, möglicherweise sogar vier
heiligen Ort mit einem Denkmal und Frauen ‒ das hängt davon ab, ob mög­
nennt ihn wiederum Bethel. licherweise einige vielleicht zwei Na-
35,16-20 Als Jakobs Familie von Bethel men hatten (vgl. 26,34; 28,9 und 36,2.3).
aus nach Süden reiste, starb Rahel bei In Vers 24 steht, dass Ana in der Wüste
einer Geburt. Sie hatte das Kind »Ben- warme Quellen fand.
Oni« genannt (Sohn meiner Not), aber 36,31-43 Mose, der Verfasser dieses
Jakob nannte seinen zwölften Sohn Buches, wusste durch göttliche Offen-
»Benjamin« (Sohn meiner Rechten). barung (vgl. 35,11), dass Israel einmal
Diese beiden Namen sind Vorbilder auf einen König haben würde. So wie sie-
die Leiden Christi und die darauffol- ben Generationen der gottlosen Ab-
gende Herrlichkeit. Der Ort, von dem stammungslinie Kains in Kap. 4 ge-
traditionellerweise angenommen wird, nannt werden, so werden hier in den
dass es sich um Rahels Grab handelt Versen 33-39 sieben Generationen von
(der aber wahrscheinlich nicht der ech- Königen aus der gottlosen Abstam-
te ist), kann heute noch auf dem Weg mungslinie Esaus erwähnt. Sieben, die
von Jerusalem nach Bethlehem besich- Zahl der Vollkommenheit, steht hier
tigt werden. Warum wurde sie nicht bei evtl. für die gesamte Linie. Nicht einer
Abraham, Sara und Rebekka in der der Nachkommen Esaus wird in Gottes
Höhle von Hebron beerdigt? Vielleicht, Verzeichnis der Gläubigen erwähnt ‒
weil sie Götzen in die Familie gebracht alle verlieren sich in der Unbekanntheit
hatte. derer, die sich vom lebendigen Gott ab-
35,21-29 Die Sünde Rubens mit Bilha, wenden. Sie hatten die vergänglichen
der Nebenfrau seines Vaters, wird kurz Reichtümer und den zeitweiligen Ruhm
erwähnt ‒ eine Sünde, durch die er sein dieser Welt, aber nichts für die Ewig-
Erstgeburtsrecht verwirkte (49,3-4). Der keit.
letzte Satz in V. 22 ist eigentlich Anfang
eines neuen Abschnitts: »Die Söhne Ja- D. Josef (37,1 - 50,26)
kobs waren zwölf.« Die nächsten zwei 1. Josef wird in die Sklaverei verkauft (Kap. 37)
Verse zählen diese 12 Söhne auf. Ob- 37,1-17 Die Worte »Dies ist die Geschich-
wohl es in V. 26 heißt, dass ihm diese te Jakobs« scheinen etwas abrupt auf-
Söhne in Paddan-Aram geboren wur- zutauchen. Jakobs Geschichte (Kap. 25-
den, ist Benjamin hier ausgenommen: 35) wird durch das Geschlechts­register
Er wurde in Kanaan geboren (V. 16-19). von Esau (Kap. 36) unter­brochen und
Jakob kehrte rechtzeitig nach Hebron wird dann von Kap. 37 bis zum Ende
zurück, um noch seinen Vater zu be­ des Buches fortgesetzt, wobei die Beto-
suchen, ehe dieser starb. Seine Mutter nung auf Jakobs Sohn Josef liegt.
Rebekka war schon einige Jahre zuvor Josef ist eines der schönsten Vorbilder
gestorben. In diesem Kapitel wird von (Symbole) für den Herrn Jesus Christus
drei Begräbnissen berichtetet: von De- im Alten Testament, obwohl ihn die Bi-
bora, Rebekkas Amme (V. 8), von Rahel bel nie als Typus bezeichnet. A.W. Pink
(V. 19) und von Isaak (V. 29). führt 101 Entsprechungen zwischen Jo-
sef und Jesus auf,29 und Ada Habershon
9. Die Nachkommen von Jakobs Bruder kommt auf 121. Zum Beispiel: Josef
Esau (Kap. 36) wurde von seinem Vater geliebt (V. 3),
36,1-30 Kapitel 36 widmet sich den er tadelte die Sünde seiner Brüder
Nachkommen Esaus, die im Land Edom (V. 2), er wurde von seinen Brüdern ge-
wohnten, südöstlich des Toten Meeres. hasst und in die Hand von Feinden ver-
Der Stammbaum stellt eine Erfüllung kauft (V. 4.26-28), er wurde ungerecht

69
1. Mose 37 und 38

bestraft (Kap. 39), er wurde erhöht und


zum Retter der Welt, denn alle Welt
Josefs Reise nach Ägypten
kam zu ihm, um Brot zu bekommen
(41,57); er empfing eine heidnische
Braut während der Zeit der Ablehnung
durch seine Brüder (41,45).
Der »bunte Leibrock« (evtl. auch ein Mittelmeer
langes Gewand mit Ärmeln) war ein
Zeichen der besonderen Zuneigung sei-
nes Vaters und erregte den eifersüchti- See

gen Hass seiner Brüder. In Josefs erstem


Genezareth

N
AA
Dotan
Traum sah er elf Garben, die sich vor

K AN
Sichem
seiner Garbe verneigten. Im nächsten GILEAD
Traum beugten sich die Sonne, der Bethel
Mond und elf Sterne vor ihm nieder. Gaza Hebron
Sonne und Mond stehen hier für Jakob NEGEV
Totes Meer

und Lea (Rahel war schon gestorben), nach Ägypten


und die elf Sterne waren Josefs Brüder N
(V. 9-11).
37,18-28 Als Josef mit einem Auftrag
zu seinen Brüdern kam, ersannen sie ge-
gen ihn einen Anschlag, um ihn zu töten. 0 100 Km

Doch auf Rubens Vorschlag hin waren


sie einverstanden, ihn nur in eine Zister-
ne bei Dotan zu werfen. Als sie sich zum Leibrock betrogen. Hier offenbart sich,
Essen setzten, sahen sie eine Karawane wie schmerzhaft Betrug ist. Die Midia-
von Ismaelitern, die nach Ägypten zog, niter erfüllten unwissend die Pläne
und auf Judas Vorschlag hin entschlos- Gottes, indem sie Josef kostenlos nach
sen sich die Brüder, Josef zu verkaufen. Ägypten transportierten und ihn an Po-
In diesem Abschnitt werden die Ismaeli- tifar, einen Kämmerer des Pharao, ver-
ter auch Midianiter genannt, wie auch in kauften. Auf diese Weise erreicht Gott,
Ri 8,22-24. Als die midianitischen Händ- dass der Zorn des Menschen letztend-
ler vorbeikamen, holten Josefs Brüder lich ihn preist (vgl. Ps 76,11), und was
ihn aus der Zisterne herauf und verkauf- ihn nicht preist, das hält er zurück.
ten Josef an die Händler.
37,29-36 Ruben war nicht anwesend, 2. Juda und Tamar (Kap. 38)
als all dies geschah. Als er zurückkam, 38,1-11 Die üble Geschichte von Judas
erschrak er sehr, weil er dafür verant- Sünde mit Tamar dient dazu, die Gnade
wortlich war, seinem Vater zu erklären, Gottes zu verherrlichen, wenn wir uns
was mit Josef geschehen war. Deshalb daran erinnern, dass der Herr Jesus von
tauchten die Brüder den Leibrock Josefs Juda abstammte (Lk 3,33). Tamar ist
in das Blut eines Ziegenbocks und eine der fünf Frauen, die im Stamm-
schickten ihn dann hartherzig zu Jakob, baum nach Matthäus 1 genannt wer-
der natürlich annehmen musste, dass den. Drei von ihnen machten sich mo-
Josef getötet worden war. Jakob hatte ralischer Sünden schuldig ‒ Tamar, Ra-
selbst seinen Vater mit einem Ziegen- hab (Mt 1,5) und Batseba (V. 6). Die an-
bock betrogen, indem er dessen Felle deren sind Rut, eine Heidin (V. 5), und
benutzte, um die behaarten Arme sei- Maria, eine gottesfürchtige Jungfrau (V.
nes Bruders nachzuahmen (27,16-23). 16). Arthur Pink entdeckt eine tiefere
Jetzt wurde er selbst grausam durch Bedeutung dieser Geschichte morali-
das Blut eines Ziegenbocks auf Josefs schen Versagens:

70
1. Mose 38

1. Mose 37 schließt mit dem Bericht, wie sehr, dass er ihn tötete. Als Juda das
die Söhne Jakobs ihren Bruder Josef an sah, befahl er Tamar, in das Haus ihres
die Midianiter verkaufen und diese wie- Vaters zurückzukehren, bis sein dritter
derum ihn nach Ägypten verkaufen. Das Sohn Schela heiratsfähig wurde. Aber
spricht als Bild davon, dass Christus von eigentlich wollte er nur ablenken. Er
Israel abgelehnt und den Heiden über­ wollte nicht wirklich, dass Tamar Sche-
geben wird. Von der Zeit an, da die jü- la heiratete, denn er hatte schon zwei
dische Führung ihren Messias in die Söhne verloren und hielt sie für eine
Hände des Pilatus übergab, hatte Israel »Unglücksbringerin«.
als Volk mit ihm nichts mehr zu tun; und 38,12-23 Als Schela groß geworden
auch Gott hat sich von ihnen abgewandt war und Juda immer noch nicht seine
und sich den Heiden zugewandt. Des- Hochzeit mit Tamar in die Wege leitete,
halb gibt es gerade hier eine wichtige entschied sich Tamar, Juda eine Falle zu
Wendung unseres Bildes. Josef wird nun stellen. Sie verkleidete sich als Hure
in den Händen der Heiden gesehen. Aber und setzte sich an einen Platz bei der
ehe uns erzählt wird, was mit Josef in Straße nach Timna, wo Juda seine Schaf-
Ägypten geschah, zeichnet der Heilige scherer treffen wollte. Er ging hin und
Geist uns in einem Bild die Geschichte hatte mit ihr unerlaubten Verkehr, ohne
der Juden, während das Gegenbild Josefs zu ahnen, dass es seine eigene Schwie-
außer Landes ist (Mt 25,14).30 gertochter war. Der ausgehandelte Preis
war ein Ziegenböckchen von der Her-
Es ist kein Zufall, dass die Geschichte de, aber bis er es ihr senden konnte,
Josefs durch Kapitel 38 unterbrochen verlangte die angebliche Hure Judas
wird. Das niederträchtige Verhalten an- Siegelring, Schnur und Stab. An der
derer Mitglieder der Familie Josefs lässt Schnur könnte der Siegelring gehangen
sein Verhalten im Kontrast dazu wie haben. Als Juda versuchte, den Bock ge-
ein helles Licht in einer schmutzigen gen das Pfand einzutauschen, konnte er
Welt erscheinen. die Hure nicht mehr finden.
Judas erster Fehler bestand darin, 38,24-26 Drei Monate später wurde
eine kanaanitische Frau zu heiraten, die Tamar angeklagt, Hurerei getrieben zu
Tochter des Schua. Sie gebar ihm drei haben, weil sie als Witwe schwanger
Söhne ‒ nämlich Er, Onan und Schela. war. Juda befahl, sie zu verbrennen. An
Sein Sohn Er heiratete eine kanaaniti- diesem Punkt gab sie die Pfänder zu-
sche Frau namens Tamar, und der rück und verkündete, dass deren Ei-
HERR ließ ihn wegen einer nicht näher gentümer der Vater des Kindes sei. Sie
bezeichneten Sünde sterben. Es war zu waren der untrügliche Beweis dafür,
dieser Zeit üblich, dass ein Bruder oder dass Juda mit ihr Verkehr gehabt hatte.
anderer naher Verwandter die Witwe Walter C. Wright beschreibt die Szene
heiratete und für den Verstorbenen eindrücklich:
Kinder großzog. Onan weigerte sich,
dies zu tun, weil der Erstgeborene der Die Gefährten Judas bringen ihm die
legale Erbe Ers sein würde, statt ihm zu Nachricht, dass seine Schwiegertochter
gehören. Seine Sünde hatte weniger mit Tamar Hurerei getrieben hat. Sein Urteil
Sexualität als mit Selbstsucht zu tun. Es ist schnell und entschieden: Sie soll ver-
handelte sich nicht um eine einzelne brannt werden. Er zögert nicht und macht
Tat, sondern, wie das Hebräische zeigt, keine Kompromisse. Als er diese schreck-
um eine ständige Weigerung. Und die- liche Strafe ausspricht, können wir noch
se Weigerung beeinträchtigte die Ab- nicht einmal ein Zittern in seiner Stimme
stammungslinie, durch die Christus vernehmen. Die israelitische Gesellschaft
das Anrecht auf den Thron Davids er- musste schließlich vor solcher Bosheit
ben sollte. Das missfiel dem HERRN so und Torheit bewahrt werden. Das Wort

71
1. Mose 38 bis 40

ergeht, der Tag wird festgelegt, die Vor- Vertrauen seines Herrn brechen oder
bereitungen werden getroffen, ein Pfahl gegen Gott sündigen. Eines Tages er-
wird aufgerichtet, ein Scheiterhaufen zu- griff sie ihn bei seinem Obergewand. Er
sammengetragen. Es gibt einen Zug wand sich aus dem Kleidungsstück und
durch das Dorf, die Menge versammelt floh. Dabei ließ er sein Gewand bei ihr
sich, und die Frau geht offensichtlich ih- zurück. Er verlor seinen Mantel, aber er
rem Tod entgegen. Aber sie trägt in ihren rettete seine Integrität und gewann zum
Händen die Pfänder, sie hat den Stab und Schluss eine Krone. Sie benutzte den
den Ring. Und der Stab gehört Juda, Mantel als »Beweis« dafür, dass Josef
ebenso der Ring! Die Pfänder werden zu versucht hätte, sie zu vergewaltigen.
einer Anklage des Richters. Welches Ge- Gläubige sollen vor Hurerei, Götzen-
wicht hat das Urteil dann noch?31 dienst und den Begierden der Jugend
fliehen (1Kor 6,18; 10,14; 2Tim 2,22).
38,27-30 Als Tamar gebiert und ein Kind Besser fliehen als fallen.
seine Hand hinausstreckt, bindet die 39,20-23 Ohne wirkliche Untersu-
Hebamme eine rote Schnur um dessen chung ordnet sein Herr an, dass Josef
Hand, weil sie denkt, dass es zuerst ge- ins Gefängnis gebracht wird, aber sogar
boren wird. Aber die Hand verschwin- dort wird Josef vom HERRN gesegnet
det wieder, und ein anderes Baby und erhält eine verantwortliche Stel-
kommt zuerst zur Welt. Den Erstgebo- lung. Die Tatsache, dass Josef nicht hin-
renen nannte sie Perez (»Durchbruch«) gerichtet wurde, könnte bedeuten, dass
und den anderen Serach. Beide Zwillin- Potifar seiner Frau nicht ganz glaubte;
ge werden in Matthäus 1,3 erwähnt, er musste ja ihren wahren Charakter
doch die messianische Linie läuft über kennen. Die Wahrheit von Röm 8,28
Perez. Serach war ein Vorfahr Achans zeigt sich in diesem Kapitel ganz wun-
(Josua 7,1). »Es ist einfach erstaunlich«, derbar. Hinter den Kulissen arbeitete
kommentiert Griffith Thomas, »dass Gott schon für Josef. Dieser widerstand
Gott die Fäden dieses sehr verwirrten der Versuchung und vermied jeden An-
Knäuels nehmen und aus ihnen sein ei- lass zur Sünde (V. 8-10); trotzdem konn-
genes Muster weben konnte«.32 te seine Verführerin ihn hereinlegen,
Judas Ehe mit der Kanaaniterin (V. 2) und so fand sich Josef zum zweiten Mal
war ein erster Schritt der Vermischung in Ketten (Ps 105,17-19). Unter den ge-
des Volkes Gottes mit einem Volk, das gebenen Umständen hätte man erwar-
für seine schlimme Unmoral bekannt ten können, dass er voller Vorwürfe
war. Israel wurde durch die unaus- war. Aber er stand nicht unter den Um-
sprechlichen Ungeheuerlichkeiten einer ständen, er stand über ihnen und sah
lüsternen Naturanbetung verunreinigt. Gottes Hand darin. Seine Zeit im Ge-
Gott ist ein Gott der Absonderung; fängnis war eine Zubereitung für die
wenn wir uns mit der Welt verbrüdern, Zeit, in der er regieren sollte. So fügten
zahlen wir einen schrecklichen Preis. sich Ereignisse zum Guten, die von an-
deren böse gemeint waren.
3. Josefs Prüfung und Sieg (Kap. 39)
39,1-19 Nun wendet sich die Geschichte 4. Josef deutet die Träume des
wieder nach Ägypten, wo Josef zum Mundschenks und des Bäckers (Kap. 40)
Aufseher im Haus von Potifar, dem 40,1-19 Unter Josefs Mitgefangenen be-
Obersten der Leibwächter, wurde. Der fanden sich auch der Mundschenk und
HERR war mit ihm, und er wurde ein der Bäcker des Königs von Ägypten (V.
erfolgreicher Mann (oder »ein Mann 1-4). Beide hatten einen Traum, den Jo-
des Gelingens«). Potifars Frau versuch- sef ihnen deutete (V. 5-8). Der Traum
te mehrmals, Josef zu verführen, aber des Mundschenks vom Weinstock be-
dieser weigerte sich. Er wollte nicht das deutete, dass der Pharao sein Haupt in

72
1. Mose 40 und 41

drei Tagen erheben werde, sodass er ist die Zahl zwei die Zahl des Zeugnis-
wieder eine hohe Stellung am Hof be- ses. Josef gab dem Pharao in seinem
kleidete (V. 9-15). Aber der Traum des Thronsaal dieselbe Antwort, die er
Bäckers von drei Körben bedeutete, schon seinen Mitgefangenen im Ge-
dass in drei Tagen der Pharao sein fängnis gegeben hatte: »Das steht nicht
Haupt ebenfalls erheben werde – je- bei mir; Gott wird antworten, was dem
doch, indem er ihn hängte (V. 16-19). Pharao zum Heil ist« (V. 16, vgl. 40,8).
Man beachte, dass Josef nicht darauf Es war diese Demut, die es dem Herrn
wartete, dass seine Umstände sich än- ermöglichte, Josef diese enorme Verant-
derten. Er verherrlichte Gott und diente wortung zu geben, ohne dass sie ihn
anderen genau in den Umständen, in verderben konnte.
welchen er sich selbst befand. 41,33-36 Josef riet dem Pharao, wäh-
40,20-23 Als der Mundschenk aus rend der Jahre des Überflusses Getrei-
dem Gefängnis kam, legte er für Josef dereserven anzulegen, damit es in den
keine Fürsprache ein, wie er es verspro- sieben Jahren der Hungersnot aus­
chen hatte (V. 23). Aber der Herr vergaß reichend Vorräte geben würde.
ihn nicht. »Aber denke an mich bei dir, 41,37-46 Der Pharao war so zufrieden,
wenn es dir gut geht« (V. 14). Der Herr dass er Josef zum zweiten Mann im
sprach ähnliche Worte in der Nacht, als Staat machte, ihn dazu bestimmte, sein
er verraten wurde ‒ Worte, denen wir Programm durchzuführen (V. 40), ihm
gehorchen können, indem wir die Sym- versicherte, dass ohne seine Zustim-
bole Brot und Wein zu uns nehmen. mung niemand etwas tun könnte
(V. 44), und ihm einen neuen Namen
5. Josef deutet die Träume des Pharao gab, nämlich »Zafenat-Paneach«
(Kap. 41) (V. 45a). Die Bedeutung des Namens ist
41,1-13 Als keiner der Wahrsager Ägyp- unsicher. Einige schlagen Retter der Welt
tens den Traum des Pharao von den sie- vor, andere behaupten, es könne Gott
ben fetten und den sieben hässlichen spricht und er lebt heißen. Pharao gab
Kühen, von den sieben fetten und vol- ihm auch Asenat, eine Heidin, zur Frau
len Ähren und den sieben mageren Äh- (V. 45). Wie konnte der Pharao einen
ren deuten konnte, erinnerte sich der hebrä­ischen Gefangenen aufgrund ei-
oberste Mundschenk an Josef und des- ner Traumdeutung über sein Land set-
sen Fähigkeit, Träume zu deuten. Die zen, ohne abzuwarten, ob sich die Deu-
zwei vollen Jahre, die in Vers 1 erwähnt tung erfüllen würde? Die Antwort fin-
werden, können sich entweder auf die den wir in Spr 21,1: »Wie Wasserbäche
gesamte Zeit Josefs im Gefängnis be­ ist das Herz eines Königs in der Hand
ziehen oder aber auf die Zeit seit der des HERRN.« Die Sahne schwimmt
Freilassung des obersten Mundschenks. oben auf der Milch. Josef war der erste
41,14-32 Als Josef zum Pharao ge­ von vielen gottesfürchtigen Juden, die
rufen wird, erklärt er, dass es sieben in einer heidnischen Regierung Karrie-
Jahre großen Überfluss in Ägypten ge- re machten. Er war 30 Jahre alt (V. 46),
ben werde, gefolgt von sieben Jahren als er seinen Dienst antrat, und das war
der Hungersnot, die das Land verwüs­ 13 Jahre nachdem er von seinen Brü-
ten sollten. Die Wiederholung oder Ver- dern verkauft worden war (vgl. 37,2).
doppelung des Traumes bedeutete, 41,47-52 Der Überfluss der ersten sie-
dass Gott die Sache fest beschlossen ben Jahre war so groß, dass es nicht
habe und es bald tun werde. Wir sehen mehr möglich war, genau darüber Buch
dasselbe Prinzip auch in Josefs eigenen zu führen. Während dieser Jahre wur-
zwei Träumen über seine Zukunft (37,6- den dem Josef zwei Söhne geboren ‒
9) und in den einander ähnlichen Visio- Manasse (»er lässt mich vergessen«)
nen Daniels in Dan 2 und 7. In der Bibel und Ephraim (»Fruchtbar«). Josef wur-

73
1. Mose 41 und 42

de fruchtbar, indem er das Unrecht, das 21-22). Josef wollte sie dazu bringen,
ihm in der Vergangenheit begegnet war, ihre Sünde zu bekennen.
vergaß. Wir glauben, dass Josef ein Typus auf
41,53-57 Als die sieben Jahre der Hun- Christus ist, wie er während der kom-
gersnot anbrachen, kam das ganze Land menden Drangsalszeit an seinen jüdi-
Ägypten und alle Welt nach Ägypten schen Brüdern handeln wird. Die Ereig-
zu Josef, um Getreide zu kaufen. Hier nisse, die zur Versöhnung mit den Brü-
ist Josef ein Vorbild (Typus) für Chris- dern Josefs führen, gehören zu den be-
tus, durch den alle Segnungen Gottes wegendsten Geschichten der Bibel. Fast
den hungrigen Völkern der Erde ver- keine andere Geschichte ist ein so inti-
teilt werden. Es war Gottes Vorsehung, mes, ausführliches und vollständiges
die Josef nach Ägypten führte, damit er Bild von Christus.
sein Volk von der Hungersnot errettete,
aber es ging auch darum, es von der
moralischen Verdorbenheit des Landes
Kanaan abzusondern. Kapitel 38 zeigt, Exkurs: Typologie
was mit den Kindern Israels in Kanaan Bestimmte Personen, Ereignisse und
geschah. Gottes Hilfe bestand darin, sie Gegenstände des AT werden im NT ein-
nach Ägypten zu bringen, wo sie von deutig als »Typen« (von gr. typoi) oder
den Heiden praktisch abgeschnitten Symbole betrachtet. So wird z.B. gesagt,
waren (43,32). dass Adam ein Vorbild von Christus
ist (Röm 5,14). Andere werden nicht
6. Josefs Brüder in Ägypten (Kap. 42-44) aus­­­­drücklich als Typen dar­gestellt,
42,1-5 Die Szene wechselt jetzt zurück doch gibt es so viele und offensichtliche
zu Jakob in Kanaan, wo die Hungersnot Parallelen, dass ihr Vorbildcharakter
sehr groß war. Er hörte, dass es in Ägyp- nicht bestritten werden kann. Josef wird
ten genug Getreide gab, wusste aber z.B. nie als Bild des Herrn Jesus bezeich-
nicht, dass Josef dort war. Also schickte net, doch gibt es über ein­hundert Wesens-
er zehn seiner Söhne, um Vorräte zu züge oder Handlungen, die sich bei
kaufen. Nur Benjamin behielt er zu Josef und Jesus entsprechen.
Hause. Nach Jakobs Wissen war Benja- Als der Herr Jesus auf dem Weg nach
min der einzige noch lebende Sohn sei- Emmaus mit den trauernden Jüngern
ner geliebten Rahel. sprach, »erklärte er ihnen in allen Schrif­
42,6-25 Als die Brüder Josefs vor ihm ten das, was ihn betraf« (Lk 24,27, Her-
erschienen, behandelte er sie hart und vorhebung vom Verfasser). Der auf­
klagte sie an, Spione zu sein. Er warf sie erstandene Christus sagte: »In der
ins Gefängnis, dann verlangte er, dass Buchrolle steht von mir geschrieben«
sie ihren jüngsten Bruder Benjamin zu (Hebr 10,7). Deshalb sind wir berech-
ihm bringen sollten. Schließlich wurde tigt, in der ganzen Schrift nach Hinwei-
Simeon als Geisel im Gefängnis behal- sen auf Christus zu suchen.
ten, während die neun anderen Brüder Über die Erlebnisse des Volkes Israel
nach Kanaan zurückkehrten, um Benja- im AT sagt uns Paulus: »Alle diese Din-
min zu holen. Sie hatten viel Getreide ge aber, die jenen widerfuhren, sind
dabei, und sie hatten sogar ihr Geld Vorbilder, und sie wurden zur Warnung
heimlich wiederbekommen. Durch die für uns aufgeschrieben, auf die das Ende
gesamte Erzählung zieht sich die Liebe der Weltzeiten gekommen ist« (1Kor
Josefs und sein Mitleid mit seinen Brü- 10,11). Diese Aussage stützt stark die
dern (V. 24a.25) sowie ihre immer grö- Ansicht, dass wir nicht nur ausdrück-
ßer werdende Überführung von ihrer lich genannte Vorbilder so interpretie-
Sünde, die sie ihrem fehlenden Bruder ren dürfen, sondern auch viele andere.
vor über 20 Jahren angetan hatten (V. Paulus erinnerte Timotheus daran,

74
1. Mose 42 und 43

dass alle Schrift nützlich ist (2Tim 3,16). Juda einverstanden, als Bürge für Ben-
Es liegen dort geistliche Lektionen für jamin einzustehen, und Jakob nahm das
uns verborgen, wenn wir nur Augen Angebot an. In dieser einen Hinsicht
haben, die sie erkennen. wenigstens erinnert uns Juda an seinen
Große Abschnitte des Hebräerbriefs Nachkommen, den Herrn Jesus, der am
sind eine Erklärung der Typologie der Kreuz unser Bürge geworden ist. Jakob
Stiftshütte und ihrer Einrichtungsge- sandte ein Geschenk an den Statthalter
genstände. Es stimmt zwar, dass eine von Ägypten, das aus ein wenig Bal-
verkürzte Sicht der Typologie den geist- samharz und ein wenig Traubenhonig,
lichen Genuss des Gläubigen an großen Tragakant und Ladanum, Pistazien und
Teilen des AT einschränken kann, doch Mandeln bestand ‒ Waren, die es trotz
sollte man auch das andere Extrem ver- der Hungersnot noch gab. Er bestand
meiden, das praktisch alles zu einem auch darauf, dass sie den doppelten
Vorbild macht oder sogar alle geschicht- Geldbetrag mitnehmen sollten, falls das
lichen Berichte allegorisch deuten will. zurückgegebene Geld ein Irrtum war.
Gekünstelte oder weit hergeholte Er- 43,16-25 Josef war tief bewegt, als er
klärungen der Vorbilder haben das seine Brüder wiedersah, doch er gab
Thema leider in Verruf gebracht. Wir sich noch nicht zu erkennen. Er beauf-
sollten dem Extremismus jedoch nicht tragte seine Diener, ein Festmahl zu be-
erlauben, uns des geistlichen Reich- reiten. Als seine Brüder in das Haus Jo-
tums im AT zu berauben. Wenn eine sefs gebracht wurden, dachten sie, dass
Aus­legung Christus ehrt und/oder sein sie jetzt wegen des Geldes bestraft wür-
Volk erbaut und/oder den Ungläubigen den, das sie in ihren Säcken gefunden
das Evangelium verdeutlicht und hatten. Sie erklärten dem Hofmeister
außer­dem noch der Gesamtlehre der die Situation, und der versicherte ih-
Schrift entspricht, dann handelt es sich nen, dass sie nichts zu befürchten hät-
zumindest um eine wertvolle An­ ten. Seinen Aufzeichnungen nach wa-
wendung der Wahrheit. ren sie nichts schuldig. Simeon wurde
aus dem Gefängnis entlassen und be-
reitete sich mit ihnen auf das Festessen
vor. Sie hielten das Geschenk ihres Va-
42,26-28 Auf dem Weg nach Hause fand ters bereit, um es Josef zu geben, wenn
einer der Brüder sein Geld in seinem er zur Mittagszeit käme.
Sack. Das brachte alle Brüder in Panik, »Wenn wir fragen, ob das wieder­
weil sie fürchteten, des Diebstahls an- gegebene Geld in Wirklichkeit auf dem
gezeigt zu werden (V. 26-28). Weg nach Kanaan (42,27; 43,21) oder
42,29-38 Als sie nach Hause kamen nachdem sie dort angekommen waren
und ihre Geschichte erzählten, fanden (42,35) in der Gegenwart Jakobs ent-
auch die anderen ihr Geld wieder, und deckt wurde, dann müssen wir sagen:
dies verstärkte ihre Ängste noch. Jakob Beides ist richtig. Die Entdeckung er-
war untröstlich. Obwohl Ruben seine folgte in zwei Stufen. Einer der Brüder
beiden Söhne als Sicherheit anbot, entdeckte das Geld unterwegs, die ande-
fürchtete sich der Patriarch davor, Ben- ren, nachdem sie nach Hause gekommen
jamin nach Ägypten reisen zu lassen, waren. Es ist verständlich, dass sie, als
weil ihm ein Unfall geschehen könnte. sie dies dem Hofmeister Josefs berichte-
43,1-15 Schließlich wurde Jakob durch ten (43,21), einen zusammengefassten
die Schwere der Hungersnot gezwun- Bericht gaben« (Daily Notes of the Scrip­
gen zu handeln. Die Brüder konnten ture Union).
ohne Benjamin nicht zurückkehren ‒ 43,26-34 Als Josef ankam, verneigten
das war die Bedingung, die der Statt- sich seine Brüder vor ihm und beugten
halter Josef gestellt hatte. Deshalb war sich vor ihm nieder. Das war eine Er­

75
1. Mose 43 und 44

füllung von Josefs Traum (37,7). Er zum Eingeständnis ihrer Blutschuld zu


wurde von seinen Gefühlen überwäl- bringen. George Williams schreibt:
tigt, als er nach der Familie fragte und
Benjamin wiedersah. Beim Mahl aß er Er handelte so, um ihnen ihre Sünde ins
abgesondert von ihnen, so wie die an- Gedächtnis zu rufen, damit sie sie mit ih-
deren Ägypter. Die Brüder waren sehr ren eigenen Lippen bekannten. … Dass er
erstaunt, als sie merkten, dass sie ent- erst Simeon und dann Benjamin zurück-
sprechend ihres Alters saßen. Wie hielt, war geschickt ausgedacht und ge-
konnte irgendwer in Ägypten wissen, schah, um festzustellen, ob sie noch im-
in welcher Reihenfolge sie geboren mer hartherzig gegen die Hilferufe eines
wurden? Benjamin wurde besondere gefangenen Bruders und die Tränen eines
Ehrung zuteil, weil die anderen nur beraubten Vaters waren. Sein Plan ging
Halbbrüder Josefs waren. bewundernswert auf. Seine Härte und
44,1-13 Als die Brüder abreisten, um seine Freundlichkeit wirkten zusammen,
nach Kanaan zurückzukehren, befahl um sie zu beunruhigen, und seine Güte
Josef, seinen silbernen Kelch in den Sack wirkte mit, um sie zur Buße zu leiten.33
Benjamins zu legen. Es handelte sich
nicht nur um den Kelch, aus dem Josef Die gesamte Szene ist eine Vorschat-
trank, sondern auch um den, den er zum tung des künftigen Tages, an dem der
Wahrsagen benutzte ‒ vielleicht bezieht Überrest Israels seine Schuld am Tod
sich das auf seine Traumdeutungen. des Messias bekennen und über ihn
Später war dem Volk Gottes das Wahr- trauern wird, wie man um den einzigen
sagen verboten (5. Mose 18,10-12). Aber Sohn trauert (Sach 12,10).
selbst zu diesem frühen Zeitpunkt ist es 44,18-34 Juda trat an Josef heran und
unwahrscheinlich, dass Josef die ägypti- erzählte noch einmal genau, was Benja-
schen Formen der Wahrsagerei über- min mit der Sache zu tun hatte ‒ wie
nommen hat. Seine Intuition und Vor- Josef verlangt hatte, den jüngsten Sohn
aussicht wurden vom Herrn gelenkt, zu sehen, wie ihr Vater über den Verlust
aber vielleicht benutzte er diese Aus­sage des ersten Sohnes getrauert und sich
als List, um sich bei den Brüdern als geweigert hatte, Benjamin nach Ägyp-
wirklicher Ägypter auszuweisen. ten ziehen zu lassen, und wie Juda sich
Später, als die Brüder angeklagt wa- selbst als Bürge für die Sicherheit Benja-
ren, den Kelch gestohlen zu haben, be- mins eingesetzt hatte. Juda sagte, dass
teuerten sie ihre Unschuld und boten ihr Vater sterben würde, wenn die Brü-
vorschnell das Leben dessen an, bei der ohne Benjamin nach Hause kämen,
dem sich der Kelch finden würde. Jo- deshalb bot er an, in Ägypten zu blei-
sefs Verwalter war damit einverstan- ben, um anstelle von Benjamin als Skla-
den, dass der Schuldige sein Sklave ve zu dienen.
werden sollte. Als der Kelch sich im Welch eine Änderung war doch in
Sack Benjamins fand, waren die Brüder Juda bewirkt worden! In Kapitel 37 ver-
am Boden zerstört und kehrten in die kaufte er noch gewissenlos Josef für
Stadt zurück. Geld, ohne sich um das Herzeleid sei-
44,14-17 Nachdem Josef ihnen Vor- nes Vaters zu kümmern. In Kapitel 38
würfe gemacht hatte, schlug Juda vor, beteiligte er sich an Betrug und Sitten­
dass sie alle seine Sklaven werden soll- losigkeit. Doch Gott arbeitete an seinem
ten, doch Josef sagte, dass Benjamin ge- Herzen, und so wurde er in Kapitel 43
nug sei und die anderen nach Hause zum Bürgen für Benjamin. Jetzt in Ka-
zurückkehren könnten. Dass er den sil- pitel 44 schüttet er in der Fürbitte sein
bernen Kelch im Sack von Benjamin Herz vor Josef aus und bietet sich selbst
versteckte und Benjamin zurückbehielt, als Sklave an, damit er nicht seinem Va-
geschah in der Absicht, seine Brüder ter die Nachricht bringen müsste, dass

76
1. Mose 44 bis 46

auch Benjamin verloren sei. Vom Ver- vor so misshandelt hatten, deshalb er-
kaufen seines eigenen Bruders zum mahnte er sie, auf dem Heimweg nicht
Sklavendienst an seines Bruders statt; zu streiten.
von Dickfelligkeit gegenüber seinem 45,25-28 Als sie nach Hause kamen,
Vater zum aufopfernden Sorgen um brachten sie Jakob die Nachricht. Zu-
sein Wohl ‒ das ist die Arbeit der Gnade erst war das zu viel für ihn. Aber als er
im Leben von Juda! die gesamte Geschichte gehört hatte
und die beladenen Wagen sah, wusste
7. Josef offenbart sich seinen Brüdern (Kap. 45) er, dass es stimmte: Josef lebte noch,
45,1-8 In einer der bewegendsten Sze- und er würde ihn wiedersehen!
nen der Bibel weist Josef seine Diener Josef erwähnt seinen Vater fünf Mal
an, den Raum zu verlassen, während er in diesem Kapitel. Das offenbart ‒ zu-
sich endlich in einer großen Gefühls­ sätzlich zu seiner bereitwilligen Ver­
erleichterung seinen Brüdern zu er­ gebung für seine Brüder ‒, wie ähnlich
kennen gibt. Er sagt ihnen, dass sie sich er Christus doch ist. Es war die Liebe
nicht darüber grämen sollten, wie sie unseres Herrn zu seinem Vater und
ihn behandelt hatten, weil Gott alles sein Verlangen, den Willen seines Va-
zum Guten gewendet hat. ters zu erfüllen, die ihn in diese Welt
45,9-15 Sie sollten ihren Vater, ihre Fa- brachten, um die gefallene Menschheit
milien und ihre Habe nach Goschen in zu erlösen. Josefs Liebe zu Jakob ist nur
Ägypten bringen, weil es noch fünf Jah- ein schwacher Schatten dieser Liebe.
re Hungersnot geben sollte. »Berichtet
meinem Vater alle meine Herrlichkeit 8. Josef wird mit seiner Familie
in Ägypten« – ein Befehl, den wir auch wiedervereinigt (Kap. 46)
heute noch befolgen können, wenn wir 46,1-7 Auf dem Weg nach Ägypten hielt
uns vor unserem Vater die Herrlichkeit Israel in dem historischen Ort Beersche-
seines geliebten Sohnes in Erinnerung ba an, um den Gott seines Vaters Isaak
rufen. Die Quellen der Tiefe sind nun anzubeten. Das war der Ort, an dem
aufgebrochen, als Josef Benjamin um- Gott Abraham erschienen war, als er
armt und alle seine Brüder küsst. Isaak opfern sollte (21,31 - 22,2). Es war
Dies ist ein glückliches Vorbild auf auch der Ort, an dem der HERR Isaak
die Freuden, die das Volk Israel erwar- erschienen war (26,23.24). Nun er-
tet, wenn der Christus von Golgatha scheint er Jakob, um ihn zu ermutigen.
ihnen erscheint und sich als ihr Mes­ Dies ist die letzte der sieben Erschei-
sias-König offenbart. nungen des HERRN, die Jakob erlebt.
45,16-24 Als der Pharao erfuhr, was Die zweite Verheißung von Vers 4 deu-
vor sich ging, befahl er Josefs Brüdern, tet scheinbar an, dass Jakob selbst nach
ihren Vater und ihre Familien nach Ka- Kanaan zurückkehren würde. Er starb
naan zu bringen, sich jedoch nicht mit aber, wie wir wissen, in Ägypten. Doch
den schweren Einrichtungsgegenstän- die Verheißung erfüllte sich auf zweier-
den und dem Hausrat abzumühen, weil lei Weise. Sein Leib wurde zum Begräb-
er ihnen alles Nötige schenken wollte. nis nach Kanaan gebracht, und in ge-
So reisten sie mit Wagen, die der Pha- wisser Weise kehrte er in den Tagen Jo-
rao stellte, nach Kanaan zurück, und suas in seinen Nachkommen zurück.
brachten auch schöne Festgewänder, Der Ausdruck »Josef soll dir die Augen
Tiere und Vorräte von Josef mit. Aber zudrücken« sagte ihm einen friedlichen
Benjamin bekam ein Geldgeschenk und Tod voraus. Atkinson erklärt diesen
eine ganze Ausstattung mit Kleidern. Ausdruck sehr schön:
Josef befürchtete, dass seine Brüder sich
jetzt gegenseitig anklagen könnten, wer Josef sollte seinem Vater nach dem Tod die
daran schuld war, dass sie ihn Jahre zu- Augen schließen. Josef durfte bei seinem

77
1. Mose 46 und 47

Tod zugegen sein. Man beachte diese per- 47,7-12 Josef führte auch eine Begeg-
sönliche, gnädige Verheißung an Jakob, nung zwischen seinem Vater, der da-
die ihn für die langen Jahre der Trauer und mals 130 Jahre alt war, und dem Pharao
des Leides um Josef entschädigen sollte. herbei. Die Tatsache, dass Jakob den
Gott kümmert sich um die persönlichen Pharao segnete, bedeutet, dass dieser
Bedürfnisse seiner Diener (1Petr 5,7).34 alte, unbekannte Jude größer war als
der Herrscher Ägyptens, denn der Ge-
Und so erreichte Jakob mit allen seinen ringere wird von dem höher Gestellten
Nachkommen, seinem Vieh und seiner gesegnet (Hebr 7,7). Jakob sagte, dass
Habe Ägypten. seine Tage »wenig und böse« gewesen
46,8-27 In den Versen 8-27 finden wir seien. Allerdings hatte er das meiste
das Familienregister von Jakob und sei- Unglück selbst über sich gebracht! Josef
nen Söhnen. Es gab 66 Familienmitglie- siedelte seine Familie im besten Teil
der (V. 26), die mit Jakob nach Ägypten Ägyptens an und gab ihr alles, was sie
kamen. Es gibt zugegebenermaßen brauchte. Sie hatten wirklich ein Leben
Schwierigkeiten, die Zahl mit den 70 in in der Fülle.
Vers 27 und 2. Mose 1,5 sowie den 75 in 47,13-26 Als die Einwohner Ägyptens
Apg 7,14 zu vereinbaren. Der offen- und Kanaans all ihr Geld für Lebens-
sichtlichste Grund ist, dass später noch mittel ausgegeben hatten, nahm Josef
Menschen miterwähnt werden, die zur ihr Vieh als Zahlung für Nahrung an.
weiteren Verwandtschaft gehören. Später kaufte Josef das ganze Land au-
46,28-34 Die bewegende Begegnung ßer dem Besitz der Priester. Er gab den
zwischen Israel und Josef fand in Go- Menschen Saatgut, damit sie ihr Land
schen statt, dem fruchtbarsten Gebiet bestellen konnten, und verlangte den
Ägyptens in der Nähe des Nildeltas. Ja- Fünften von der Ernte als Pacht ‒ eine
kob und seine Söhne zogen es vor, dort sehr entgegenkommende Regelung.
zu bleiben, weil das Land die besten 47,27-31 Als Israel auf sein Lebens­
Weiden für ihre Herden hatte. Man ei- ende zuging, ließ er sich von Josef ver-
nigte sich darauf, dem Pharao zu be- sprechen, in Kanaan begraben zu wer-
richten, dass sie Schafhirten seien. Weil den. Dann neigte er sich am Kopfende
die Ägypter Schafhirten verachteten, des Bettes anbetend nieder (oder, wie es
ließ der Pharao sie im Land Goschen le- Hebr 11,21 wiedergibt: »über der Spitze
ben ‒ weit weg vom Königspalast. Dort seines Stabes«). Die Konsonanten des
in Goschen waren sie von den Ägyptern entsprechenden hebräischen Wortes
abgesondert, und zwar wegen ihrer können sowohl als »Bett« als auch als
Nationalität (43,32) und wegen ihrer »Stab« gedeutet werden, abhängig von
Tätigkeit. Gott ließ sie in diesem »Brut- den Vokalen, die eingefügt wurden.
kasten«, bis sie sich zu einem starken Der traditionelle hebräische Text liest
Volk entwickelt hatten, das in der Lage »Bett«, aber die Septuaginta liest an die-
wäre, das Land zu erobern, welches er ser Stelle, die im Hebräerbrief zitiert
ihren Vätern verheißen hatte. wird, »Stab«. Kidner kommentiert:
9. Josefs Familie in Ägypten (Kap. 47) In 48,2 lesen zwar beide Übersetzungen
47,1-6 Als fünf der Brüder Josefs dem »Bett«, doch das hier berichtete Ereignis
Pharao berichteten, dass sie Schafhirten fand vor der letzten Krankheit Israels
waren, reagierte er, wie erwartet, indem statt, sodass hier »Stab« sehr wohl die
er ihnen auftrug, im Land Goschen zu richtige Bedeutung sein könnte. Es wäre
siedeln. Er bat Josef auch, aus seiner ein passender Gegenstand, um ihn hier
Verwandtschaft tüchtige Männer aus- zu erwähnen, denn es handelte sich um
zuwählen, die sich um die königlichen das Symbol seiner Pilgerschaft (vgl. seine
Herden kümmern könnten. dankbaren Worte in 32,10), der wohl wert

78
1. Mose 47 bis 49

ist, einen Ehrenplatz zu erhalten, wie es kunft in der Hand hat. Israel hatte den
in dem neutestamentlichen Zitat ge- Glauben, dass seine Nachkommen ei-
schieht.35 nes Tages in das Verheißene Land kom-
men würden. Jakob schenkte Josef ei-
Und so sollte der ehemalige Betrüger nen Berghang, den er von den Amo­
sein Leben in der Anbetung beenden. Er ritern erobert hatte. Vielleicht bezieht
ist der einzige Glaubensheld in He­bräer sich das auf das Gebiet mit dem Brun-
11, der als Anbeter gepriesen wird. nen, der später als Jakobsbrunnen be-
Durch die Gnade Gottes hatte er einen kannt wurde (Joh 4,5).
langen Weg hinter sich gebracht und
sollte schon bald die Erde verlassen, um 11. Jakobs Weissagung über seine Söhne
in die Herrlichkeit einzugehen. (Kap. 49)
49,1-2 Jakobs letzte Worte waren so-
10. Jakob segnet Josefs Söhne (Kap. 48) wohl Weissagung (V. 1) als auch Segen
48,1-7 Als Josef erfuhr, dass sein Vater (V. 28).
krank war, eilte er mit Ephraim und 49,3-4 Ruben, der Erstgeborene, stell-
Manasse an sein Bett. Der sterbende te die erste Manneskraft seines Vaters
Patriarch setzte sich im Bett auf und in der Fortpflanzung dar und hatte die
adoptierte seine Enkel als eigene Söh- Stellung der Würde und Kraft. Das
ne. Indem er das tat, sorgte er dafür, Erstgeburtsrecht mit seinem doppelten
dass der Stamm Josefs zwei Anteile am Anteil gehörte eigentlich Ruben. Aber
Land Kanaan erhielt, als das Land er verspielte sein Vorrecht, weil er über-
dann Jahre später unter die Stämme kochte vor finsterer Begierde und mit
auf­geteilt wurde. Auf diese Weise er- Bilha, der Nebenfrau seines Vaters, sün-
hielt Josef das Erstgeburtsrecht, zumin- digte (35,22).
dest soweit es um das Land ging. Alle 49,5-7 Weil die Brüder Simeon und
Kinder, die Josef nach ihnen geboren Levi grausam die Männer Sichems er-
werden sollten, sollten Josefs Söhne mordet hatten und einen Stier verstüm-
sein, nicht Jakobs, und sollten in den melten, sollten sie in Israel zerstreut
Gebieten leben, die Ephraim oder Ma- werden. Zur Zeit der zweiten Volkszäh-
nasse zugesprochen wurden. Vers 7 er- lung (4. Mose 26) waren diese Stämme
klärt, warum Jakob Josefs Söhne als sei- die kleinsten. Die Zerstreuung erfüllte
ne eigenen adoptieren wollte ‒ sie wa- sich, als Simeon größtenteils im Stamm
ren Enkel von seiner geliebten Frau Juda aufging (Josua 19,1-9) und dem
Rahel, die seinem Empfinden nach viel Stamm Levi 48 Städte im ganzen Land
zu früh gestorben war. zugeteilt wurden. Jakob verfluchte den
48,8-22 Jakob segnete dann seine En- grausamen Betrug, aber nicht die Men-
kel und gab dabei Ephraim, dem Jün­ schen aus diesen zwei Stämmen selbst.
geren, das Erstgeburtsrecht. Josef ver- 49,8-12 Juda (der Name bedeutet
suchte, das zugunsten von Manasse, »Preis«) sollte von seinen Brüdern ge-
dem Erstgeborenen, zu ändern, doch priesen und geehrt werden, weil er sei-
Jakob betonte, dass er absichtlich so ge- ne Feinde besiegen würde. Er wird mit
handelt habe. Welche Erinnerungen einem jungen Löwen verglichen, der
müssen ihm durch den Kopf gegangen ausgeht, um Beute zu machen, und
sein, als er durch den Glauben den Se- dann zu seiner wohl verdienten Ruhe
gen dem Jüngeren gab. Jahre zuvor hat- zurückkehrt, die niemand zu stören
te sein eigener Vater ihn, den Jüngeren, wagt. So wie Josef das Erstgeburtsrecht
unwissentlich gesegnet. Jetzt jedoch in Bezug auf das Land erbte, so erbte
segnete er den Jüngeren nicht aus Un- Juda dieses Recht in Bezug auf die Re-
wissenheit, sondern weil er mit dem gierung. Die Herrschaft würde bei sei-
Gott in Verbindung stand, der die Zu- nem Stamm bleiben, bis der »Schilo«

79
1. Mose 49 und 50

(der Messias) kommen würde, dem die enormer Geschwindigkeit los, um die
Herrschaft dann für ewig gehören wür- gute Nachricht zu verbreiten. Alle Jün-
de. Die Völker werden ihm an dessen ger Jesu außer dem Verräter kamen aus
Tag willig gehorchen. Die Bedeutung dem Gebiet Naftali, und ein Großteil
von »Schilo« ist nicht genau bekannt. des Dienstes unseres Herrn geschah in
Einige vorgeschlagene Bedeutungen diesem Land (Mt 4,13-16).
lauten: Friedefürst, Ruhe, Same (Judas), 49,22-26 Josef ist ein junger Frucht-
sein Nachkomme oder dem er gehört (vgl. baum, dem die Gebiete von Ephraim
Hes 21,27). und Manasse gehören und der Segen
49,13 Sebulon sollte Reichtum durch weit über seine Landesgrenzen aus­
Seehandel gewinnen. Weil das Gebiet teilen sollte. Er wurde bitter angefein-
des Stammes zur Zeit des AT reines Bin- det, aber er gab nicht nach, weil er von
nenland war, könnte sich diese Weis­ dem »Mächtigen Jakobs« gestärkt wur-
sagung auf das Tausendjährige Reich de ‒ der, aus dem der Hirte, der Felsen
beziehen. Israels kommen sollte (d.h. der Mes­
49,14-15 Issaschar wird mit einem sias). Gott segnet Josef mit reichlich Re-
»knochigen Esel« verglichen, der so zu- gen, mit Brunnen und rauschenden
frieden ist, in seinem lieblichen Land zu Quellen sowie zahlreichen Nachkom-
ruhen, dass er nicht mehr um Unabhän- men. Jakob war der demütigen Mei-
gigkeit kämpfen will und so dem Joch nung, dass er stärker gesegnet worden
des Feindes untertan sein muss. sei als seine Voreltern. Jetzt möchte er,
49,16-18 Dan sollte das Volk richten, dass diese Segnungen auf Josef über­
wie auch sein Name aussagt. Vers 17 ist gehen, den »Abgesonderten unter sei-
schwierig auszulegen. Er könnte darauf nen Brüdern«.
anspielen, dass Dan den Götzendienst 49,27 Benjamin, ein Stamm von
einführte und damit den Fall des Vol- Kämpfern, sollte ständig erobern und
kes verursachte (Ri 18,30-31). Viele sind Beute verteilen. Jemand hat einmal ge-
der Meinung, dass es sich um eine ver- sagt, dass Benjamin sich als der aktivste
schleierte Anspielung darauf handelt, und kämpferischste aller Stämme er-
dass der Antichrist aus Dan stammen wiesen hat.
soll und dass aus diesem Grund dieser 49,28-33 Schließlich beauftragte Jakob
Stamm in 1Chr 2,3 - 8,40 und in Offb seine Söhne, ihn in der Höhle auf dem
7,3-8 nicht erwähnt wird. In Vers 18 Feld Machpela zu begraben, in der
schiebt Jakob ein Gebet um endgültige Nähe seiner Heimat Hebron, in dem
Befreiung seines Volkes von seinen Grab von Abraham, Sara, Isaak, Rebek-
Feinden oder um seine eigene Befrei- ka und Lea. Dann zog er seine Füße
ung ein. aufs Bett herauf und verschied.
49,19 Gad, der in seinem Gebiet öst-
lich des Jordans nicht geschützt war, 12. Der Tod Jakobs und später Josefs in
sollte häufig von Feinden geplündert Ägypten (Kap. 50)
werden. Doch eines Tages wird dieser 50,1-14 Selbst die Ägypter beweinten
Stamm die Truppen seiner Feinde nie- Jakob 70 Tage lang, als er starb. Sein
dertreten. Leib wurde von den Hofärzten ein­
49,20 Asser (glücklich) hatte das Glück, balsamiert. Dann gab der Pharao Josef
fruchtbares Ackerland zu besitzen, das die Erlaubnis, die Leiche nach Kanaan
Köstlichkeiten hervorbrachte, die auch zu überführen, wobei es eine große Pro-
für die Tafel eines Königs geeignet wa- zession von Regierungsvertretern, Ver-
ren. wandten und Dienern gab. Sie hielten
49,21 Naftali wird mit einer Hirsch- östlich des Jordans und trauerten sie-
kuh verglichen, die aus der Gefangen- ben Tage lang so intensiv, dass die Ka-
schaft freigelassen wird. Sie jagt mit naaniter der Stelle den Namen Abel-

80
1. Mose 50

Mizrajim gaben, das heißt »die Weide folgt allerdings, wenn es »werden«
(oder Trauerklage) der Ägypter«. Nach bedeutet, normalerweise die Präpo-
dem Begräbnis in der Höhle Machpela sition le, was hier nicht der Fall ist.
in Hebron kehrten Josef und seine Be- Anmerkung des Verlags: Wir vertreten
gleiter nach Ägypten zurück. die Ansicht der Schöpfungs-Wieder-
50,15-21 Als nun Jakob tot war, fürch- herstellungs-Theorie nicht. Nähere In-
teten Josefs Brüder, dass Josef sich rä- formationen z.B. in: Batten, Don
chen könnte. Deshalb ließen sie ihm sa- (Hrsg.) / Ham, Ken / Sarfati, Jonathan /
gen, ihr Vater habe gewünscht, dass Wieland, Carl, Fragen an den An-
Josef ihnen vergeben solle. Josef sagte, fang, Bielefeld: CLV 2001.
dass er keinerlei Absicht habe, sich zu 5
(2,15-23) Das Hebräische kennt nur
rächen oder zu Gericht zu sitzen, weil zwei Zeitformen (und zusätzlich Par-
dies nur Gott zusteht. Er beschwichtigte tizipien): Perfekt und Imperfekt. Der
ihre Ängste weiter mit den Worten, die Zusammenhang des Textes be-
wir uns merken sollten: »Ihr gedachtet stimmt, wie eine Zeitform am besten
mir zwar Böses zu tun; aber Gott ge- ins Deutsche zu übersetzen ist.
dachte es gut zu machen« (Schl 2000). 6
(3,7-13) C.H. Mackintosh, Genesis to
50,22-26 Josef war offensichtlich der Deuteronomy, S. 33.
erste der zwölf Söhne Jakobs, der starb, 7
(3,22-24) Merrill F. Unger, Unger’s
und zwar 45 Jahre nach dem Tod seines Bible Dictionary, S. 192.
Vaters. Sein Glaube, dass Gott das Volk 8
(4,7) Mackintosh, Genesis to Deutero­
Israel zurück nach Kanaan führen wür- nomy, S. 42.
de, wird in Hebräer 11,22 gewürdigt. Er 9
(4,7) F.W. Grant, »Genesis«, in: Nu­
gab die Anweisung, dass seine Gebeine merical Bible, Bd. I, S. 38.
in Kanaan bestattet werden sollten. 10
(4,7) W.E. Vine, Collected Writings,
Ausleger haben darauf hingewiesen, Glasgow: Gospel Tract Publications
dass das 1. Buch Mose mit Gottes voll- 1985, Bd. 3, S. 534.
kommener Schöpfung beginnt und mit 11
(5,25-32) George Williams, The
einem Sarg in Ägypten endet. Es han- Student’s Commentary on the Holy
delt sich um ein Buch voller Lebens­ Scriptures, S. 12.
läufe. Nur zwei Kapitel sind dem Be- 12
(6,4-5) Unger, Bible Dictionary, S. 788.
richt über die Schöpfung von Himmel 13
(11,26-32) Derek Kidner, Genesis, S. 112.
und Erde gewidmet, aber 48 Kapitel be- 14
(15,7-21) David Baron, The New Order
schäftigen sich im Wesentlichen mit of the Priesthood, S. 9-10, Fußnote.
dem Leben bestimmter Männer und 15
(16,7-15) F. Davidson, The New Bible
Frauen. Gott geht es in erster Linie um Commentary, S. 90.
die Menschen. Welch ein Trost und 16
(Exkurs) Bennett J. Sims, »Sex and
welch eine Herausforderung für die Homosexuality«, in: Christianity To­
Menschen, die ihn kennen! day vom 24.2.1978, S. 29.
17
(22,16-19) Charles F. Pfeiffer, The Book
of Genesis, S. 6.
Anmerkungen 18
(24,1-9) Ebd., S. 62.
1
(Einführung) Anton Hartmann (1831). 19
(24,10-14) Murdoch Campbell, The
Vgl. Merrill F. Unger, Introductory Loveliest Story Ever Told, S. 9.
Guide to the Old Testament, S. 244. 20
(25,29-34) D.L. Moody, Notes from My
2
(Einführung) Vgl. z.B. Gleason Archer, Bible, S. 23.
Archaeology and the Old Testament. 21
(26,1-6) Das Wort »aufhalten« in Vers
3
(1,2) Andere datieren die Katastro- 3 ist ein anderes hebräisches Wort als
phe vor V. 1 und sehen V. 1 als zu- »bleiben« in Vers 6. »Aufhalten« be-
sammenfassende Aussage. schreibt einen weniger festen Auf-
4
(1,2) Dem hebräischen Verb hayah enthalt.

81
1. Mose

22
(26,26-32) Williams, Student’s Com­ 28
(32,23-33) Pfeiffer, Genesis, S. 80.
mentary, S. 31. 29
(37,1-17) Arthur W. Pink, Gleanings in
23
(27,1-22) Martin Luther, keine wei- Genesis, S. 343-408.
teren Angaben verfügbar. 30
(38,1-11) Ebd., S. 343-408.
24
(27,1-22) Mackintosh, Genesis to Deu­ 31
(38,24-26) Walter C. Wright, Psalms,
teronomy, S. 114. Bd. II, S. 27.
25
(28,10-19) H.D.M. Spence und J.S. 32
(38,27-30) Griffith Thomas, Genesis,
Exell, »Genesis«, in: The Pulpit Com­ S. 366.
mentary, S. 349-50. 33
(44,14-17) Williams, Student’s Com­
26
(31,1-18) W.H. Griffith Thomas, Ge­ mentary, S. 39.
nesis: A Devotional Commentary, 34
(46,1-7) Basil F. Atkinson, The Pocket
S. 288. Commentary of the Bible, The Book of
27
(31,19-21) Unger, Bible Dictionary, Genesis, S. 405.
S. 550. 35
(47,27-31) Kidner, Genesis, S. 212.

Bibliografie Pfeiffer, Charles F.,


The Book of Genesis,
Atkinson, Basil F.C., Grand Rapids: Baker Book House, 1976.
The Pocket Commentary of the Bible, The
Book of Genesis, Pink, Arthur W.,
Chicago: Moody Press, 1957. Gleanings in Genesis,
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Campbell, Murdoch,
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82
2. Mose
»Wer Theologie im Wesentlichen als Schilderung des Rettungswerkes Gottes ansieht, dem
gibt 2. Mose 1 - 15 ein wunderbares Beispiel dafür, um das sich der Rest der biblischen
Erzählungen gruppieren lässt. Wer das Alte Testament als Ergebnis des gottesdienst­
lichen Lebens der Gemeinde Israel ansieht, findet im Herzen des 2. Buches Mose den
Bericht über die Einsetzung des Passahfestes, des größten und eigentümlichsten der Feste
Israels. … Für diejenigen, die Gottes tôrâ, sein Gesetz, als wesentlich für das Leben und
Denken des späteren Israels ansehen, enthält 2. Mose die Gesetzgebung und dazu den
Kern des Gesetzes in Form der Zehn Gebote.«

R. Alan Cole

Einführung lich angesetzt; manche auf einen sehr


frühen Zeitpunkt (1580 v.Chr.), andere
I. Einzigartige Stellung im Kanon auf einen sehr späten (1230 v.Chr.). In
1. Könige 6,1 heißt es, dass der Auszug
Das zweite Buch Mose, im Griechischen 480 Jahre vor dem Tempelbau durch
und in manchen Bibelausgaben »Exo- Salomo stattgefunden habe. Da der
dus«, also »Auszug« genannt, führt den Tempelbau etwa im Jahr 960 v.Chr. be-
Bericht über die Israeliten nach dem gann, würde das den Auszug in das
Tod Josefs fort. Die Grundlagen der jü- Jahr 1440 v.Chr. verlegen, was das kon-
dischen Religion im Passahfest haben servativere Datum darstellt. Viele For-
ihren Ursprung in der Rettung Israels scher sind der Meinung, dass die Ar-
aus vierhundert Jahren Knechtschaft in chäologie ein späteres Datum (etwa
Ägypten ‒ aber erst nachdem der Pha- 1290 v.Chr.) besser stützen würde, doch
rao dem Gott der Hebräer trotzte und andere archäologische Funde weisen
zehn schreckliche Plagen über diese wiederum auf einen früheren Zeit-
Nation erlebte, die in der Bibel ein Bild punkt hin. Wir können nicht sicher
für die Welt darstellt. sein, wann der Auszug genau geschah,
Der Bericht vom Durchzug durch das doch wenn wir alle Daten einbeziehen,
Rote Meer, viele andere erstaunliche dann ist ein Datum um 1440 v.Chr. für
Wunder, die Gesetzgebung am Berg Si- den Auszug und ein etwas späteres Da-
nai und die genauen Anweisungen zur tum für die Entstehung des 2. Buches
Herstellung der Stiftshütte vervollstän- Mose wohl am besten.
digen dieses wundervolle Buch.
IV. Hintergrund und Thema
II. Verfasserschaft Am Anfang des 2. Buches Mose finden
Wir halten an der traditionellen jüdi- wir das Volk Israel in Ägypten, wo wir es
schen und christlichen Auffassung fest, am Ende des 1. Buches Mose verlassen
dass das zweite Buch Mose ebenso wie haben. Doch der Hintergrund hat sich völ-
der übrige Pentateuch wirklich von lig verändert. Es sind vier Jahrhunderte
Mose geschrieben worden ist. Eine Ver- vergangen, und die früher bevorzugten
teidigung dieser Ansicht findet sich in Hebräer sind zu Sklaven geworden, die
der Einführung zum Pentateuch. Ziegelsteine für die umfangreichen Bau-
vorhaben des Pharao herstellen.
III. Datierung Die Themen des 2. Buches Mose sind
Gelehrte Bibelkenner haben das Datum die Erlösung und die Gründung des Vol­
des Auszugs aus Ägypten unterschied- kes Israel. Seit über 3.400 Jahren feiern

83
2. Mose

die Juden in der ganzen Welt dieses Er- hütte und ihre Priesterschaft zum Gegen-
eignis im Passahfest ‒ die Errettung aus stand (Kap. 25-40). Diese Einzelheiten
Ägypten durch Gottes Macht und durch sind nicht nur von historischem Wert.
das Blut und die Gründung Israels als Um das 2. Buch Mose wirklich genie-
Nation. ßen zu können, müssen wir danach su-
Das christliche Herrenmahl, auch chen, wo Christus in ihm zu finden ist.
eine Feier der Erlösung des Volkes Got- Mose, das Passahlamm, der Fels und
tes durch Gottes Macht und das Blut, ist die Stiftshütte sind nur einige der Vor-
aus der Passahfeier hervorgegangen, bilder (Symbole bzw. Typen), die auf
sowohl historisch als auch theologisch. den Herrn Jesus hinweisen, von denen
In gewissem Maße gehen Brot und auch viele an anderer Stelle in der
Wein der Mahlfeier auf dieselben Ele- Schrift erwähnt werden (vgl. z.B. 1Kor
mente in der Passahfeier zurück. 5,7; 10,4 und Hebräer Kap. 3-10). Möge
Nach dem Auszug aus Ägypten finden der Herr für uns tun, was er für die zwei
wir uns in der Wüste wieder, wo Mose Jünger auf dem Weg nach Emmaus tat
Gottes Gesetz für sein Volk empfängt. ‒ uns in allen Schriften das auslegen,
Fast die Hälfte des Buches hat die Stifts- was sich auf ihn bezieht (Lk 24,27)!

Einteilung F. Die sechste Plage ‒ Geschwüre


(9,8-12)
I. Israels Knechtschaft in Ägypten G. Die siebte Plage ‒ Hagel und
(Kap. 1) Feuer (9,13-35)
II. Die Geburt, die Rettung und die H. Die achte Plage ‒
Ausbildung Moses (Kap. 2) Heuschrecken (10,1-20)
III. Die Berufung Moses (Kap. 3-4) I. Die neunte Plage ‒ drei Tage
A. Jahwe offenbart sich Mose Finsternis (10,21-29)
(Kap. 3) VI. Das Passah und der Tod der
B. Mose zögert, Gott zu Erstgeburt (11,1 - 12,30)
gehorchen (4,1-17) VII. Der Auszug aus Ägypten
C. Moses Rückkehr nach Ägypten (12,31 - 15,21)
(4,18-31) A. Die Flucht zum Meer
IV. Moses Auseinandersetzungen mit (12,31 - 13,22)
dem Pharao (5,1 - 7,13) B. Durchquerung des Roten
A. Die erste Auseinandersetzung Meeres (Kap. 14)
(5,1 - 7,6) C. Das Lied des Mose (15,1-21)
B. Die zweite Auseinandersetzung VIII.Die Reise zum Sinai (15,22 - 18,27)
(7,7-13) A. Die Wüste Schur (15,22-27)
V. Die ersten neun Plagen B. Die Wüste Sin (Kap. 16)
(7,14 - 10,29) C. Refidim (Kap. 17)
A. Die erste Plage ‒ der Nil D. Mose und Jitro (Kap. 18)
verwandelt sich in Blut IX. Die Gesetzgebung (Kap. 19-24)
(7,14-25) A. Vorbereitung für die
B. Die zweite Plage ‒ Frösche Offenbarung (Kap. 19)
(7,26 - 8,11) B. Die Zehn Gebote (Kap. 20)
C. Die dritte Plage ‒ Mücken C. Verschiedene Gesetze
(8,12-15) (Kap. 21-24)
D. Die vierte Page ‒ Stechfliegen 1. Gesetze über Sklaverei
(8,16-28) (21,1-11)
E. Die fünfte Plage ‒ Viehpest 2. Gesetze über Körper­
(9,1-7) verletzung (21,12-36)

84
2. Mose

3. Gesetze über Diebstahl und 6. Die Begabung der Künstler


Beschädigung von (31,1-11)
Eigentum (21,27 - 22,5) 7. Das Zeichen des Sabbats
4. Gesetze über Betrug (31,12-18)
(22,6-14) D. Ein Ausbruch des
5. Gesetze über Unzucht Götzendienstes (Kap. 32-33)
(22,15-16) 1. Das goldene Kalb (32,1-10)
6. Gesetze über öffentliche 2. Die Fürbitte und der Zorn
und religiöse Pflichten des Mose (32,11-35)
(22,17 - 23,19) 3. Die Buße des Volkes
7. Gesetze über Eroberungen (33,1-6)
(23,20-33) 4. Moses Zelt der Begegnung
8. Besiegelung des Bundes (33,7-11)
(24,1-8) 5. Das Gebet des Mose
9. Die Offenbarung der (33,12-23)
Herrlichkeit Gottes E. Die Erneuerung des Bundes
(24,9-18) (34,1 - 35,3)
X. Die Stiftshütte und die F. Herstellung der Einrichtung
Priesterschaft (Kap. 25-40) der Stiftshütte (35,4 - 38,31)
A. Anweisungen zum Bau der 1. Die Gaben des Volkes und
Stiftshütte (Kap. 25-27) die begabten Menschen
1. Die Beschaffung des (35,4 - 36,7)
Materials (25,1-9) 2. Die Vorhänge der
2. Die Bundeslade (25,10-16) Stiftshütte (36,8-19)
3. Der Gnadenstuhl (25,17-22) 3. Die Bretter der drei Seiten
4. Der Schaubrottisch (36,20-30)
(25,23-30) 4. Die Riegel, die die Bretter
5. Der goldene Leuchter und zusammenhalten (36,31-34)
sein Zubehör (25,31-40) 5. Der Vorhang vor dem
6. Das Zelt der Stiftshütte Allerheiligsten (36,35-36)
(Kap. 26) 6. Der Vorhang vor dem
7. Der bronzene Heiligtum (36,37-38)
Brandopferaltar (27,1-8) 7. Die Bundeslade (37,1-5)
8. Der Vorhof, die Säulen und 8. Der Gnadenstuhl (37,6-9)
die Leinwand (27,9-19) 9. Der Schaubrottisch
9. Das Öl für den Leuchter (37,10-16)
(27,20-21) 10. Der goldene Leuchter und
B. Die Priester (Kap. 28-29) sein Zubehör (37,17-24)
1. Die Priesterkleidung 11. Der Räucheraltar (37,25-28)
(Kap. 28) 12. Das Salböl und das
2. Die Priesterweihe (Kap. 29) Räucherwerk (37,29)
C. Weitere Anweisungen über die 13. Der Brandopferaltar
Stiftshütte (Kap. 30-31) (38,1-7)
1. Der Räucheraltar (30,1-10) 14. Das Waschbecken (38,8)
2. Das Lösegeld (30,11-16) 15. Der Vorhof, die Säulen und
3. Das Waschbecken die Leinwand (38,9-31)
(30,17-21) G. Herstellung der
4. Das Salböl (30,22-33) Priestergewänder (Kap. 39)
5. Das Räucherwerk H. Die Aufrichtung des
(30,34-38) Heiligtums (Kap. 40)

85
2. Mose 1 und 2

Kommentar Ramses zu bauen. Doch statt durch die


Unterdrückung ausgelöscht zu werden,
I. Israels Knechtschaft in Ägypten nahm das Volk immer mehr zu! Pharao
(Kap. 1) wollte Böses durch Gewalt erreichen,
aber Gott hatte etwas Gutes damit vor.
1,1-8 Die ersten Worte des Buches, näm- Sie half dabei, die Juden auf ihre müh-
lich »Und dies sind die Namen« (hebr. same Reise von Ägypten ins Verheißene
weēlleh shemôth), bilden in der jüdischen Land vorzubereiten.
Tradition den Titel des Buches. Wie per- 1,15-19 Als Schifra und Pua, die wahr-
sönlich Gott doch ist! Nicht Nummern scheinlich die leitenden hebräischen
oder Löcher in einer Lochkarte zählen, Hebammen waren, die hebräischen
sondern Namen. Jesus sagte vom Gu- Mütter Kinder auf dem Geburtsstuhl
ten Hirten: »Er ruft seine eigenen Scha- (Elb) zur Welt bringen sahen, töteten sie
fe beim Namen und führt sie heraus« die Jungen nicht, wie der Pharao befoh-
(Joh 10,3). Das passt sehr gut hierher. len hatte. Sie entschuldigten ihre Hand-
Die Israeliten kamen als Hirten nach lungsweise damit, dass die hebräischen
Ägypten ‒ aber jetzt waren sie Sklaven. Kinder zu schnell geboren würden ‒
Aber Gott, der Gute Hirte, hat vor, sie d.h. ehe die Hebamme zu ihnen kom-
herauszuführen. men kann. Diese Aussage hatte wahr-
Für eine Erklärung der siebzig Seelen, scheinlich einen wahren Kern.
die von Jakob abstammten, vergleichen 1,20-22 In den Daily Notes of the Scrip­
Sie den Kommentar zu 1Mo 46,8-27. ture Union findet sich folgender Kom-
Die Siebzig waren zu einigen Millionen mentar zu den Hebammen:
geworden, zu denen zur Zeit des Aus- »Der Lohn, den die Hebammen in
zugs Israels auch 603.550 kriegstaug­ Form eines glücklichen Familienlebens
liche Männer gehörten, die bereit wa- (V. 21) erhielten, wurde ihnen nicht für
ren, den Sinai in Richtung Kanaan zu ihre Lüge, sondern für ihre Menschlich-
verlassen (4Mo 1,46). Verse 6 und 7 zei- keit gegeben. Das heißt nicht, dass der
gen, dass viele Jahre zwischen dem Zweck in diesem Fall die Mittel heiligte,
Ende des 1. Buches Mose und den Er- und noch weniger, dass es keinen abso-
eignissen im 2. Buch Mose liegen. V. 8 luten ethischen Maßstab gibt. Aber in
bedeutet, dass ein neuer König antrat, einer Welt, die mit Sünde und ihren
der die Nachkommen Josefs nicht gerne Auswirkungen so überladen ist wie un-
sah. Josef selbst war natürlich schon tot. sere, kann es geschehen, dass der Gehor-
1,9-10 Die Israeliten hatten sich so sehr sam gegenüber einem wichtigeren Ge-
an Zahl und Macht vermehrt, dass der bot nur möglich ist, wenn man ein weni-
Pharao fürchtete, dass sie eine Gefahr in ger wichtiges verletzt. In einer solchen
Kriegszeiten darstellen könnten. Des- Situation ist wie immer ›die Furcht des
halb beschloss er, das Volk zu verskla- Herrn der Weisheit Anfang‹ (Spr 9,10).«
ven und jedes männliche Kind zu töten, Da nun die hebräischen Hebammen
um damit die Hebräer endgültig auszu- die Pläne des Pharao vereitelt hatten,
löschen. Drei böse Herrscher ordneten befahl der Pharao seinem ganzen Volk,
in der Bibel die Ermordung unschuldi- diesen Erlass durchzusetzen.
ger Kinder an: Pharao, Atalja (2. Könige
11) und Herodes (Matthäus 2). Diese sa- II. Die Geburt, Rettung und
tanisch inspirierten Gräueltaten zielten Ausbildung Moses (Kap. 2)
auf die Auslöschung der messianischen 2,1-2 Der Mann vom Haus Levi in Vers
Segenslinie. Satan hat Gottes Verhei- 1 war Amram, und die Tochter aus dem
ßung aus 1Mo 3,15 nie vergessen. Haus Levi war Jochebed (6,20). So
1,11-14 Der Pharao benutzte die Ju- stammten beide Eltern des Mose aus
den, um die Vorratsstädte Pitom und dem priesterlichen Stamm Levi. Durch

86
2. Mose 2 und 3

den Glauben verbargen seine Eltern lang in Ägypten Sklaven sein würden
Mose drei Monate lang (Hebr 11,23). (1Mo 15,13), deshalb handelte Mose
Das muss bedeuten, dass sie eine Offen- 40 Jahre zu früh. Er brauchte weitere
barung erhalten hatten, dass dieses Schulung in der Einsamkeit der Wüste.
Kind eine wichtige Aufgabe hatte, denn Und das Volk brauchte noch mehr
Glaube muss auf einem geoffenbarten Übung am Ziegelofen. Der Herr ordnet
Wort Gottes beruhen. alles nach seiner ewigen Weisheit. Er
2,3-8 Jochebeds Kästchen ist wie der hat es nicht eilig, aber er wird sein Volk
Kasten (= die Arche; im Hebräischen auch nicht einen Augenblick länger als
steht an beiden Stellen dasselbe Wort) nötig leiden lassen.
Noahs ein Bild für Christus. Die Schwes- 2,13-15a Als er am Tag darauf wieder
ter Moses war Mirjam (4Mo 26,59). Die- hinausging, versuchte Mose einen Streit
ses Kapitel ist voller scheinbarer Zufäl- zwischen zwei hebräischen Männern zu
le. Warum z.B. badete die Tochter des schlichten, doch sie lehnten seine Füh-
Pharao ausgerechnet an der Stelle, wo rung ab, so wie die Hebräer später je-
das Kästchen trieb? Warum schrie das manden ablehnen würden, der größer
Baby gerade dann, um das Mitleid der war als Mose. Als er merkte, dass sie
Prinzessin zu wecken? Warum stellte wussten, dass er den Ägypter um­
die Prinzessin ausgerechnet die Mutter gebracht hatte, ergriff Mose Panik. Als
des Kindes als Amme ein? der Pharao von dem Mord hörte, wollte
2,9-10 Christliche Eltern sollten die er Mose umbringen, und deshalb floh
Worte aus Vers 9 als heilige Verant­ Mose in das Land Midian, d.h. entweder
wortung und unverrückbare Ver­ nach Arabien oder in das Sinai-Gebiet.
heißung annehmen. Auf Ägyptisch be- 2,15b-22 An einem Brunnen in Mi­
deutet Mose, der Name, den das Kind dian half Mose den sieben Töchtern des
von der Tochter des Pharao erhielt, Priesters von Midian gegen einige un-
wahrscheinlich »Kind« oder »Sohn«. freundliche Hirten und tränkte ihre
Auf He­bräisch bedeutet derselbe Name Herde. Dieser Priester von Midian hat
»heraus­gezogen«, d.h. aus dem Wasser zwei Namen, nämlich Jitro (3,1) und
ge­zogen.1 Mackintosh kommentiert mit Reguel (V. 18). Die Midianiter waren
seiner üblichen Einsicht: entfernte Verwandte der Hebräer (1Mo
»Der Teufel wurde durch seine eige- 25,2). Jitros Tochter Zippora wurde Mo-
nen Waffen geschlagen, insofern als der ses Frau, und sie bekamen einen Sohn
Pharao, den er benutzen wollte, um den namens Gerschom (das bedeutet Frem­
Plan Gottes zu vereiteln, von Gott be- der dort).
nutzt wird, um Mose zu ernähren und 2,23-25 Gott war das Anliegen des
großzuziehen, der dann Gottes Werk- Volkes nicht gleichgültig. Als ein neuer
zeug sein sollte, um die Macht Satans König den Thron bestieg, hörte Gott, er
zunichtezumachen.«2 dachte an sein Volk, er sah nach ihnen,
2,11-12 Wir wissen aus Apg 7,23, dass und er kümmerte sich um ihre Situa­
Mose vierzig Jahre alt war, als er sein tion. Seine Antwort war, seinen Diener
Volk besuchte. Dass er den Ägypter nach Ägypten zurückzubringen (Kap.
umbrachte, war verkehrt, sein Eifer war 3), damit dieser in der mächtigsten Zur-
größer als seine Weisheit. Gott wollte schaustellung göttlicher Kraft seit Er-
eines Tages Mose benutzen, um sein schaffung der Erde Gottes Volk aus dem
Volk von den Ägyptern zu befreien, Land führen sollte.
doch die Zeit war noch nicht gekom-
men. Erst musste er noch vierzig Jahre III. Die Berufung Moses (Kap. 3-4)
am Ende der Wüste verbringen, um in
der Schule Gottes zu lernen. Gott hatte A. Jahwe offenbart sich Mose (Kap. 3)
vorhergesagt, dass sein Volk 400 Jahre 3,1-4 Als Mose die Herde Jitros weidete,

87
2. Mose 3

Moses Flucht aus Ägypten und seine Rückkehr dorthin


Mittelmeer Heschbon

Beerscheba
MOAB
Ä G Y P T E N
Wüste Zin
Ramses
Pitom Kadesch-Barnea
GOSEN EDOM

Ezjon-Geber
Wüste
Paran

SINAI
Go

AN
lf v
N il

MIDI
n S
u

(Berg Sinai)
ez

Horeb

0 75 Km

lernte er wertvolle Lektionen über die Das Wort »heilig« erscheint hier zum
Führung des Volkes Gottes. Als er zum ersten Mal in der Bibel. Indem Mose
Horeb (Berg Sinai) wanderte, erschien seine Sandalen auszieht, erkennt er die
ihm der Herr in einem Dornbusch, der Heiligkeit des Ortes an.
im Feuer brannte, aber nicht verzehrt 3,6 Gott versichert Mose, dass er der
wurde. Der Busch deutet die Herrlich- Gott seiner Vorväter ist ‒ der Gott Abra-
keit Gottes an, vor der er die Sandalen hams, Isaaks und Jakobs. Cole zeigt uns
ausziehen musste. Es könnte auch eine die Bedeutung dieser Offenbarung:
Vorschattung der Tatsache sein, dass »Mose bringt seinem Volk keinen
Jahwe später inmitten seines Volkes neuen oder unbekannten Gott, sondern
wohnte, ohne sie zu verzehren. Andere eine weitgehendere Offenbarung des
Ausleger haben in ihm sogar das Schick- einen Gottes, den sie schon kannten.
sal Israels gesehen, das im Feuer der Noch nicht einmal die Worte des Pau-
Anfechtung versucht wird, aber nicht lus auf dem Areopag (Apg 17,23) sind
verzehrt wird. Wir alle sollten wie der eine echte Parallele hierzu. Die einzige
brennende Dornbusch sein ‒ brennend echte Parallele ist die fortschreitende
für Gott, aber ohne verzehrt zu werden. Selbstoffenbarung Gottes in späteren
3,5 Der Herr versprach Mose, dass er Jahrhunderten, die ihren Höhepunkt
sein Volk aus Ägypten befreien und es im Kommen Christi findet. Doch zu ih-
in ein Land des Überflusses ‒ d.h. nach rer Zeit war die mosaische Offenbarung
Kanaan ‒ bringen werde, das von den zwar eine Erfüllung der Verheißungen
sechs heidnischen Nationen bewohnt an die Patriarchen, aber für Israel so
wurde, die in Vers 8 aufgeführt werden. neu und so erschütternd, wie es das

88
2. Mose 3 und 4

Kommen des Messias für eine spätere lig an, um es auszusprechen. Der Name
Generation werden sollte.«3 bedeutet, dass Gott aus sich selbst exis-
3,7-12 Mose protestierte dagegen, dass tiert, sich selbst genügt, ewig5 und sou-
Gott ihn zum Pharao schickte, und führ- verän ist. Der vollständige Name »Ich
te als Argument an, wie ungeeignet er bin, der ich bin« könnte auch heißen:
doch wäre. Aber der Herr versicherte »Ich bin, weil ich bin« oder: »Ich werde
Mose seine Gegenwart und verhieß ihm, sein, der ich sein werde.«
dass er Gott an diesem Berg zusammen 3,15-22 Durch diese Offenbarung ge-
mit dem befreiten Volk dienen werde. stärkt, dass Gott wirklich anwesend und
J. Oswald Sanders bemerkt dazu: bereit war, seinem Volk zu helfen, wur-
de Mose beauftragt, dem Volk Israel zu
»Zu seiner Aufzählung von Eigenschaf- verkünden, dass es bald frei sein sollte.
ten, die ihn ungeeignet machen, gehören: Auch sollte er den Pharao prüfen, indem
Fehlende Fähigkeiten (3,11), fehlende er verlangen sollte, dass den Israeliten
Botschaft (3,13), fehlende Autorität (4,1), erlaubt würde, drei Tagesreisen weit zu
fehlende Redekunst (4,10), fehlende be- reisen, um dem HERRN zu opfern. Das
sondere Anpassung (4,13), fehlender bis- war kein Versuch zu betrügen, sondern
heriger Erfolg (5,23) und fehlende frühe- ein kleiner Test der Bereitschaft des Pha-
re Anerkennung durch das Volk (6,12). rao. Die Bitte sollte auch dazu dienen,
Eine vollständigere Liste von Unfähigkei- dass die Ägypter nicht beim Schlachten
ten kann man kaum aufstellen. Doch statt der Tiere dabei sein mussten, die ihnen
Gott zu gefallen, erregten seine schein­ heilig waren. Gott wusste, dass der Pha-
bare Demut und sein Zögern Gottes rao nicht zustimmen würde, bis er von
Zorn. ›Da entbrannte der Zorn des Herrn göttlicher Macht dazu gezwungen wur-
gegen Mose‹ (4,14). In Wirklichkeit wa- de. Die Wunder in Vers 20 sind die Pla-
ren die Ausreden, die Mose vorbrachte, gen, die Gott über Ägypten senden woll-
um zu beweisen, wie ungeeignet er war, te. Wenn Gott mit den Ägyptern fertig
gerade die Gründe, weshalb Gott ihn für war, wären sie froh, den Jüdinnen alles
diese Aufgabe ausgewählt hatte.«4 zu geben, was diese forderten! Der
Reichtum, den sie so bekommen sollten,
3,13-14 Mose sah voraus, welche Fra- war nur eine gerechte Entschädigung
gen ihm die Kinder Israel stellen wür- für all die Sklavenarbeit, die die Juden
den, wenn er als Sprachrohr Gottes zu unter der Knute der Ägypter hatten leis-
ihnen kommen würde, und er wollte in ten müssen. Es ging nicht um Betrug,
der Lage sein zu erklären, wer ihn ge- nur um eine gerechte Lohnzahlung.
schickt hatte. An diesem Punkt hat Gott
sich zum ersten Mal als Jahwe, der gro- B. Mose zögert, Gott zu gehorchen
ße »ICH BIN« offenbart. Jahwe kommt (4,1-17)
von dem hebräischen Wort für »sein«, 4,1-9 Mose bezweifelte immer noch,
hayah. Dieser heilige Name Gottes ist dass das Volk ihn als Sprecher Gottes
auch als Tetragramm (»vier Buch­ anerkennen würde. Vielleicht hatte die
staben«) bekannt. Das Wort »Jahwe« Desillusionierung von 2,11-15 sich tief
kommt vom hebr. JHWH, zu dem die in seine Seele eingegraben. Deshalb gab
Vokalzeichen für Elohim und Adonai, Gott ihm drei Zeichen oder Wunder, um
anderen Namen Gottes, hinzugefügt seine göttliche Sendung zu bestätigen.
wurden. Niemand weiß sicher, wie 1. Sein Stab wurde zu einer Schlange,
JHWH wirklich ausgesprochen wurde, wenn er ihn auf den Boden warf. Wenn
weil das alte Hebräisch keine Vokale im er sie beim Schwanz fasste, wurde sie
Alphabet hatte. Doch die Aussprache wieder zum Stab. 2. Seine Hand, die er
»Jahwe« ist wahrscheinlich richtig. Die in seinen Gewandbausch steckte, wurde
Juden sehen das Wort JHWH als zu hei- aussätzig. Dieselbe Hand, die er wieder

89
2. Mose 4 und 5

in seinen Gewandbausch steckte, wurde ren die später beschriebenen Plagen.


wieder heil, als er sie herauszog. 3. Was- Gott verhärtete das Herz des Pharao,
ser aus dem Nil, das er auf das trockene aber erst nachdem der Despot selbst
Land goss, wurde zu Blut. sein Herz verhärtet hatte. Die Bezeich-
Diese drei Zeichen waren dazu be- nung »erstgeborener Sohn«, die hier für
stimmt, das Volk Israel davon zu über- Israel gebraucht wird (V. 22), bezieht
zeugen, dass Mose von Gott gesandt sich manchmal auf die Reihenfolge der
war. Sie sprechen von Gottes Macht leiblichen Geburt, aber hier geht es um
über Satan (d.h. die Schlange), über die die Ehrenstellung, die der Erstgeborene
Sünde (im Bild des Aussatzes) und da- innehatte, der das Erstgeburtsrecht ge-
von, dass Gott durch Blut Israel von erbt hatte. Der Pharao war gewarnt:
beidem erlösen würde. Wenn er nicht gehorchen würde, würde
4,10-17 Mose zögerte noch immer, dem Gott seinen Sohn töten.
HERRN zu gehorchen, und entschuldig- 4,24-26 Ehe Mose seine Botschaft
te sich damit, dass er kein redegewand- überbringen konnte, musste er erst
ter Mann sei. Nachdem Gott Mose daran selbst Gehorsam lernen. Er hatte seinen
erinnert hatte, dass es der Herr war, der eigenen Sohn nicht beschnitten (Ger-
dem Menschen den Mund gemacht hat- schom oder Elieser), vielleicht, weil
te, und er ihn deshalb redegewandt ma- Zippora sich dagegen gewehrt hatte.
chen konnte, beauftragte er Aaron, den Als Gott drohte, Mose zu töten, evtl.
Bruder Moses, an Moses Stelle zu reden. durch eine schwere Krankheit, beschnitt
Mose hätte dem Herrn in schlichter Ab- Zippora ärgerlich den Sohn und er-
hängigkeit gehorchen sollen, und zwar reichte, dass ihr Mann nicht starb. Sie
in dem Bewusstsein, dass seine Gebote nannte ihn einen »Blutbräutigam«.
immer die Befähigung zum Handeln Dieses Ereignis mag zusammen mit
enthalten. Gott gibt uns keinen Auftrag, ihrem offensichtlich fehlendem Glau-
ohne uns auch die Kraft zur Ausführung ben an den HERRN dazu geführt ha-
zu geben. Weil Mose mit dem Besten ben, dass Mose sie mit ihren beiden
Gottes nicht zufrieden war, musste Gott Söhnen zurück zu ihrem Vater schickte
ihm das Zweitbeste geben, d.h. er bekam (18,2-3).
Aaron als seinen Sprecher. Mose meinte, 4,27-31 Aaron kam Mose entgegen,
dass Aaron ihm eine Hilfe sein würde, um ihn zu begrüßen, als er nach Ägyp-
aber er erwies sich später als Hindernis, ten zurückkehrte. Beide standen vor
weil er das Volk anleitete, das goldene dem Volk Israel, richteten die Botschaft
Kalb anzubeten (Kap. 32). des Herrn aus und bestätigten sie mit
den drei Zeichen, die der Herr gegeben
C. Die Rückkehr Moses nach Ägypten hatte. Das Volk glaubte und betete den
(4,18-32) Herrn an.
4,18-23 Vierzig Jahre nach Moses Flucht
nach Midian kehrte er aufgrund eines IV. Moses Auseinandersetzungen
Befehls Gottes und mit dem Segen Jitros mit dem Pharao (5,1 - 7,13)
nach Ägypten zurück. Seine Frau und
seine Söhne waren Zippora, Gerschom A. Die erste Auseinandersetzung (5,1 - 7,7)
und Elieser (18,2-4). Der Stab von Vers 2 5,1 In 3,18 gab Gott Mose den Auftrag,
wird in Vers 20 zum Stab Gottes. Der die Ältesten mit sich zu nehmen, wenn
Herr benutzt ganz gewöhnliche Gegen- er zum Pharao gehen würde. In der
stände, um damit Außerordentliches zu Zwischenzeit hatte der Herr Aaron zum
vollbringen, damit man deutlich erken- Sprecher Moses ernannt (4,14-16). Des-
nen kann, dass Gottes Macht am Werk halb ging Aaron mit Mose anstatt der
ist. Die Wunder, die Mose laut Gottes Ältesten. Die Botschaft Gottes war un-
Auftrag vor dem Pharao tun sollte, wa- zweideutig: »Lass mein Volk ziehen!«

90
2. Mose 5 bis 7

5,2-14 Als Mose und Aaron dem Pha- Israeliten aus Ägypten befreite und sie
rao ihr erstes Ultimatum nannten, klag- in das Verheißene Land brachte. Man
te er sie an, das Volk von seinen Arbei- beachte das siebenfache »ich will«
ten ablenken zu wollen. Auch verschärf- (Schlachter 2000) in den Versen 6-8. Der
te er ihre Arbeitslast, indem er darauf Name »Jahwe« oder »HERR« war schon
bestand, dass die Israeliten künftig vorher benutzt worden, aber jetzt be-
selbst das Häcksel für die Ziegel sam- kam er eine neue Bedeutung. Man be-
meln mussten und doch dieselbe An- achte die 25 Personalpronomen, die
zahl von Ziegeln liefern sollten. Der Gott in diesen Versen benutzt, um zu
Pharao brachte die Juden in eine aus- betonen, was er getan hat, tut und tun
weglose Situation, was an die Behand- wird. Mose scheint das nicht verstan-
lung der Juden in den Konzentrations- den zu haben, weil er noch immer mit
lagern der Nazis erinnert. Sie mussten seiner eigenen Unzulänglichkeit be-
sich im ganzen Land Ägypten zer­ schäftigt war. Nach weiterer Ermu­
streuen, um Stoppeln statt Stroh zu tigung gehorchte er dem Wort des
sammeln. Das Hebräische zeigt die Ver- Herrn (Kap. 7). Der Ausdruck »un­
achtung, mit dem dieses unterdrückte beschnittene Lippen« in V. 12 und 30
Volk behandelt wurde. Cole weist dar- be­deutet stockendes Reden. Mose hielt
auf hin, dass Stoppeln ein schlechter sich nicht für einen guten Redner.
Ersatz für Stroh sind, weil sie struppig 6,13-30 Die Stammbäume in V. 14-25
und ungleichmäßig sind.6 beschränken sich auf Ruben, Simeon
5,15-23 Bis dahin war den Israeliten und Levi, die ersten drei Söhne, die Ja-
das Stroh geliefert worden. Es wurde kob geboren wurden. Der Verfasser
benutzt, um die Ziegel zu verstärken wollte hier keinen vollständigen Stamm-
und damit die Ziegel nicht in ihren For- baum angeben, sondern nur die Linie
men klebten, in denen sie gemacht wur- nachzeichnen, die zu Aaron und Mose
den. Als die jüdischen Aufseher ge- führt. So behandelt er Ruben und Si­
schlagen wurden, gingen sie zum Pha- meon nur oberflächlich und kurz, um
rao, um sich zu beschweren, aber sie dann zum Priesterstamm zu kommen.
fanden kein Gehör. Dann gaben sie 7,1-6 Am Ende von Kapitel 6 hatte
Mose und Aaron die Schuld, und Mose sich Mose gewundert, warum wohl der
wiederum klagte den HERRN an. Wi- Pharao auf ihn, einen so schlechten
derstand aus den Reihen des Volkes Gottes Redner, hören sollte. Die Antwort des
ist oft schwerer zu ertragen als Ver­ Herrn lautete, dass Mose als Repräsen-
folgung von außen. tant Gottes vor dem Pharao stand. Mose
6,1-12 Der HERR antwortet auf Moses sollte zu Aaron sprechen, und Aaron
Klage zunächst gnädig, indem er ihm sollte die Botschaft an den Pharao wei-
versichert, dass der Pharao die Israe­ tergeben. Der Pharao würde nicht auf
liten ziehen lassen werde, weil er durch sie hören, aber Gott würde sein Volk
Gottes starke Hand dazu gezwungen trotzdem befreien.
werde. Dann erinnerte Gott Mose dar- 7,7 Mose und Aaron waren 80 bzw. 83
an, dass er sich den Patriarchen als »El- Jahre alt, als sie ihren großen Dienst der
Shaddai«, »der Allmächtige« offenbart Befreiung begannen. Selbst in einem
hat, nicht in erster Linie als Jahwe, was Alter, das wir heute als »hohes Alter«
der persönliche Name des Gottes ist, bezeichnen würden, kann Gott Männer
der seinen Bund hält. Der Gedanke ist und Frauen zu seiner Ehre gebrauchen.
hier wohl, dass er sich selbst in neuer
Weise als Herr offenbaren wird ‒ d.h. in B. Die zweite Auseinandersetzung (7,8-13)
neuer Macht, indem er sein Volk befreit. Der Pharao war vorgewarnt, dass nun
Er hatte einen Bund geschlossen und Schwierigkeiten kommen würden. Als
war dabei, ihn zu erfüllen, indem er die Aaron seinen Stab hinwarf und dieser

91
2. Mose 7 und 8

zur Schlange wurde, da waren die Wei- er Mose bat, dass die Plage beendet
sen und Zauberkundigen des Pharao in würde, sagte Mose: »Du sollst die Ehre
der Lage, das Wunder durch dämo- haben, zu bestimmen, auf wann ich für
nische Mächte nachzuahmen. Wir ler- dich, für deine Knechte und für dein
nen aus 2Tim 3,8, dass die Zauberer Volk erbitten soll, dass die Frösche von
Ägyptens Jannes und Jambres hießen. dir und deinen Häusern vertrieben wer-
Sie widerstanden Mose, indem sie ihn den und nur im Nil bleiben« (Schlachter
und Aaron nachahmten, »aber Aarons 2000). Die Zauberer waren auch in der
Stab verschlang ihre Stäbe«. Gott ver- Lage, Frösche hervorzuzaubern ‒ als ob
härtete das Herz des Pharao, aber nicht es davon nicht schon genug gegeben
willkürlich, sondern als Antwort auf hätte! Sie erreichten dies wahrscheinlich
seine Widerspenstigkeit. Jetzt war es durch dämonische Kräfte, aber sie
Zeit für die erste Plage. wagten es nicht, sie auszurotten, weil
der Frosch als Gott der Fruchtbarkeit
V. Die ersten neun Plagen verehrt wurde. Als die Frösche am nächs­
(7,14 - 10,29) ten Tag starben, stieg von ihren Leichen
ein enormer Gestank auf. Der Pharao
A. Die erste Plage ‒ der Nil verstockte wieder sein Herz.
verwandelt sich in Blut (7,14-25)
7,14-18 Der HERR gab Mose den Auf- C. Die dritte Plage ‒ Mücken (8,12-15)
trag, sich am Flussufer mit dem Pharao In der dritten Plage wurde der Staub
zu einer persönlichen Konfrontation zu der Erde zu Mücken. Diesmal warnten
treffen, wenn Seine Majestät ans Wasser die Zauberer den Pharao, dass eine grö-
hinausgehen werde (wahrscheinlich ßere Kraft als ihre am Werk war, denn
badete er im »heiligen« Nil). Mose sollte sie waren nicht in der Lage, Mücken
den König davor warnen, dass die Fi- hervorzubringen. Aber der König blieb
sche sterben würden und der Nil stin- halsstarrig. Je mehr er selbst sein Herz
ken würde, sodass sich die Ägypter da- verhärtete, desto mehr verhärtete Gott
vor ekeln würden, nachdem der Fluss sein Herz weiter.
durch den Stab in Moses Hand in Blut
verwandelt werden würde. D. Die vierte Plage ‒ Stechfliegen
7,19-25 Mose und Aaron taten, was (8,16-28)
Gott ihnen aufgetragen hatte. Sie 8,16-20 So sandte Gott die vierte Plage,
streckten den Stab über den Nil aus. Stechfliegen oder Hundsfliegen. Das He-
Das Wasser des Nils und im ganzen bräische bedeutet einfach »Schwärme«
Land Ägypten wurde in Blut verwan- (oder »Vermischtes«), sodass das hier
delt, die Fische starben und der Fluss genannte Insekt von den Übersetzern
wurde stinkend. Die Zauberer ahmten ergänzt wurde. Vielleicht handelte es
dieses Wunder mit Wasser nach, das sich aber auch einfach um Schwärme
nicht aus dem Nil stammte. Das hat verschiedener lästiger Insekten. Da die
wahrscheinlich den Pharao darin be- meisten oder sogar alle Plagen gegen
stärkt, Moses Forderung abzuweisen, die falschen Götter Ägyptens gerichtet
das Volk ziehen zu lassen. Während der waren (der Nil und praktisch jedes Ge-
sieben Tage, während der der Nil ver- schöpf waren in Ägypten Götter!), ist es
unreinigt war, bekamen die Menschen möglich, dass der Pillendreher (eine Art
Wasser, indem sie Brunnen gruben. Käfer) gemeint ist. Damit würde es sich
um einen Angriff auf Khepri, den Gott
B. Die zweite Plage ‒ Frösche (7,26 - 8,11) des heiligen Käfers, handeln.7
Die Plage der Frösche, die das Land 8,21-28 Der Pharao lenkte bis zu dem
Ägypten bedeckten, war so schlimm, Punkt ein, dass er den Israeliten erlau-
dass der Pharao scheinbar einlenkte. Als ben wollte, im Land Ägypten Gott Opfer

92
2. Mose 8 bis 10

darzubringen. Aber das wäre nicht ge- Pharao daran, dass er ihn und die Ägyp-
gangen, weil sie Tiere opferten, die den ter schon durch die vorangegangene
Ägyptern heilig waren, und somit Auf- Pest hätte vernichten können, doch
stände provozieren würden. Der Pharao stattdessen hatte er den Pharao ver-
lenkte weiter ein: Die Juden sollten in schont, um seine Macht zu erweisen
der Wüste opfern, aber sie durften nicht und seinen Ruhm zu verbreiten. In Vers
zu weit wegziehen. Auch das war un­ 16 wird keinesfalls angedeutet, dass
befriedigend, weil Gott ihnen befohlen Pharao dazu vorherbestimmt war, ver-
hatte, drei Tagereisen weit zu ziehen. So- urteilt zu werden. »Verwerfung« ist kei-
bald Ägypten von der Plage befreit war, ne biblische Lehre. Der Herr benutzte
änderte der Pharao seine Meinung, und den Pharao als Beispiel dafür, was mit
verbot dem Volk zu ziehen. einem Menschen geschieht, der ent-
schlossen ist, sich der Macht Gottes zu
E. Die fünfte Plage ‒ Viehpest (9,1-7) widersetzen (vgl. auch Röm 9,16-17).
Nachdem Pharao vorgewarnt war, Die nächste Plage bestand in Hagel
sandte Gott eine Viehpest, vielleicht den und Blitz oder Feuer, begleitet von Don-
Milzbrand-Erreger, der alles Vieh der ner. Der Hagel zerstörte Menschen, Tie-
Ägypter, das auf dem Feld lebte, ster- re, Flachs und Gerste, die zur Ernte reif
ben ließ. Die Tiere der Israeliten waren waren. »Aber der Weizen und der Spelt
nicht betroffen. Somit handelte es sich waren nicht zerschlagen; denn die wach-
um ein Gericht, das unterschiedlich sen später« (Schlachter 2000). Die Israeli-
wirkte, das man nicht mit natürlichen ten, die in Goschen wohnten, waren nicht
Ursachen erklären kann. Alle Versuche, betroffen. Als Antwort auf die Bitte des
die Plagen naturalistisch zu erklären, Pharao betete Mose, und die Plage hörte
müssen Schiffbruch erleiden. Nicht alle auf. Aber wie Mose schon erwartete, be-
Tiere der Ägypter starben, weil einige in stand der Pharao nur noch mehr darauf,
Vers 19 erwähnt werden, und einige dass die Hebräer bleiben mussten.
später in der Passahnacht getötet wur-
den (12,29b). Einige flohen in die Häu- H. Die achte Plage ‒ Heuschrecken
ser (V. 20). Deshalb bedeutet das Wort (10,1-20)
»alle« in Vers 6a, dass entweder »alle Mose und Aaron warnten den Pharao
auf dem Feld« starben oder aber Tiere vor einer bevorstehenden Heuschre-
von allen Arten. Der Schafbock, der Zie- ckenplage, aber er wollte nur die Män-
genbock und der Stier waren in Ägyp- ner ziehen lassen, um dem HERRN ein
ten heilige Tiere. Jetzt verunreinigten Fest zu feiern. Die Frauen und Kinder
ihre verwesenden Kadaver die Umwelt. sollten zurückbleiben. Doch Gott wollte
nicht die Männer in der Wüste haben,
F. Die sechste Plage ‒ Geschwüre während ihre Familien noch in Ägyp-
(9,8-12) ten waren. Die Plage war von nie da ge-
Als Pharao sich auch weiterhin weiger- wesener Härte, wobei Heuschrecken
te, ließ Gott Asche zu Geschwüren an das ganze Land Ägypten bedeckten
Menschen und Tieren in Ägypten wer- und alles Verwertbare fraßen. Das zeig-
den. Selbst die Zauberer waren be­ te, dass der Gott Serapis nicht in der
troffen. Je weiter der Pharao sein Herz Lage war, vor Heuschrecken zu schüt-
verhärtete, desto stärker verstockte zen. Der Pharao war scheinbar bereit
Gott es als Gericht über ihn. nachzugeben, aber er wollte die Kinder
Israels nicht ziehen lassen.
G. Die siebte Plage ‒ Hagel (9,13-35)
»All meine Plagen« ist wahrscheinlich I. Die neunte Plage ‒ drei Tage
ein Ausdruck für die volle Härte der Finsternis (10,21-29)
Plagen Gottes. Der Herr erinnerte den 10,21-28 Die neunte Plage bestand in

93
2. Mose 10 bis 12

Finsternis, die drei Tage lang dauerte fordern sollten. Mose warnte den Pha-
und die man greifen konnte. Nur alle rao, dass um Mitternacht an einem be-
Kinder Israels hatten Licht in ihren stimmten Tag (vgl. 12,6) alle Erstgeburt
Wohnungen, ganz offensichtlich ein im Land Ägypten sterben würde, dass
Wunder. Der ägyptische Sonnengott Ra die Israeliten nicht unter dieses Gericht
war als machtlos bloßgestellt. Pharao fallen würden und dass die Beamten
sagte Mose, er könne mit Frauen und des Pharao sich niederbeugen und die
Kindern in die Wüste ziehen, aber Scha- Hebräer bitten würden, alle zusammen
fe und Rinder müssten zurückbleiben. sofort das Land zu verlassen. Dann ver-
Er meinte, dass sie deshalb bestimmt ließ Mose den Potentaten in glühendem
zurückkommen würden. (Vielleicht Zorn. Die Warnung traf auf taube Oh-
wollte er auch seine eigenen Herden ren, und der HERR verstockte das Herz
nach den Plagen wieder aufstocken.) des Pharao noch weiter.
Aber in diesem Fall hätten sie nichts ge- 12,1-10 Der HERR gab Mose und Aa-
habt, was sie dem HERRN hätten op- ron detaillierte Anweisungen, wie sie
fern können, und das Opfer war schließ- das erste Passahfest vorbereiten sollten.
lich der Zweck des Auszugs aus Ägyp- Das Lamm ist natürlich ein Vorbild auf
ten. Als Mose auf diesen Kompromiss den Herrn Jesus Christus (1Kor 5,7). Es
nicht eingehen wollte, ordnete der Pha- sollte ohne Fehler sein, was von der
rao an, dass Mose für immer aus seiner sündlosen Natur Christi spricht, ein
Gegenwart verbannt werden sollte. männliches, einjähriges Lamm sollte es
10,29 Moses starke Aussage: »Du hast sein, vielleicht ein Bild dafür, dass der
recht geredet, ich werde dir nicht mehr Herr in der Blüte seines Lebens starb.
unter die Augen treten«, scheint im Wi- Es sollte bis zum vierzehnten Tag des
derspruch zu 11,8 zu stehen, wo es heißt, Monats aufbewahrt werden, was auf
dass Mose »in glühendem Zorn vom die dreißig stillen Jahre im Leben un-
Pharao hinausging«. Matthew Henry seres Retters hinweist, die er in Naza-
meint, dass »nicht mehr« bedeutet »nicht reth verbrachte und während derer er
mehr nach dieser Zeit« und dass 11,8 von Gott erprobt wurde. Anschließend
zur selben Unterredung gehört. Er musste er drei Jahre lang öffentlich der
schreibt: vollen Prüfung der Menschen standhal-
ten. Das Lamm sollte von der ganzen
»Mose kam nach dieser Unterredung Gemeinde Israels geschlachtet werden,
nicht mehr, bis man ihn darum bat. Man so wie Christus von bösen Händen er-
beachte, dass Gott bei Menschen, die sein griffen und hingerichtet wurde (Apg
Wort von sich weisen, gerechterweise 2,23). Das Lamm wurde zur Abendzeit,
Verführungen zulässt und an ihnen nach zwischen der neunten und der elften
der Menge ihrer Götzen handelt. Als die Stunde geschlachtet, so wie Jesus zur
Gadarener Christus baten, ihr Gebiet zu neunten Stunde getötet wurde (Mt
verlassen, ging er sofort.«8 27,45-50). Das Blut sollte an die Tür ge-
strichen werden, um so Rettung vor
VI. Das Passah und der Tod der dem Verderber zu bringen (V. 7), so wie
Erstgeburt (11,1 - 12,30) das Blut Christi, wenn wir es uns durch
11,1-10 Mose hatte die Gegenwart des den Glauben aneignen, Rettung von der
Pharao noch nicht verlassen. In den Sünde und vom Satan bringt. Das
Versen 4-8 spricht er noch mit dem Fleisch sollte am Feuer gebraten wer-
Herrscher. Die ersten drei Verse könnten den, ein Bild für Christus, der Gottes
als Einschub gewertet werden. Bezüg- Zorn über unsere Sünden trug. Es sollte
lich der zehnten und letzten Plage be- mit ungesäuertem Brot und bitteren
fahl Gott, dass die Israeliten silberne Kräutern gegessen werden, was für
und goldene Geräte von den Ägyptern Christus als Speise seines Volkes steht.

94
2. Mose 12

Der Auszug aus Ägypten und die Wanderungen der Kinder Israels

AN
Mittelmeer AMMON

NA

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To te s M
KA
MOAB

ÄGYPTEN
Ramses Migdol
Etam Wüste Zin
Pitom
EDOM
Sukkot Kadesch-Barnea
GOSCHEN

Wüste Paran

Abrona
Nil

Ezjon-Geber
(Elat)

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Hazerot

ab a

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Wüste Sinai
f

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v.

Paran Refidim
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Berg Sinai
ez

Go l f

0 75 Km

Traditionelle Route des Exodus


Alternative Route des Exodus
Alternative Route für die Überquerung
des Roten Meeres Rotes Meer

Wir sollten ein Leben der Ehrlichkeit schichtlichen Situation angewandt, in


und Wahrheit führen, ohne den Sauer- der Israel verschont wurde.«9
teig der Bosheit und Schlechtigkeit.
Hinzukommen sollte echte Buße, die Das Passah fand am vierzehnten Tag des
sich immer an die Bitterkeit des Leidens religiösen Kalenderjahres Israels statt
Christi erinnert. Nicht ein Knochen des (V.  2). Eng mit dem Passah verbunden
Lammes sollte gebrochen werden war das Fest der ungesäuerten Brote. In
(V.  46), eine Anordnung, die im Falle der ersten Passahnacht verließ das Volk
unseres Herrn wortwörtlich erfüllt Ägypten in solcher Eile, dass der Teig
wurde (Joh 19,36). keine Zeit hatte zu säuern (V. 34.39). Spä-
12,11-20 Das erste Passahfest sollte ter sollten sie an die Schnelligkeit ihres
von einem Volk begangen werden, das Auszugs erinnert werden, wenn sie sie-
bereit zur Reise war, eine Erinnerung ben Tage lang das Fest feierten. Aber
für uns, dass Pilger auf einer langen weil der Sauerteig ein Bild der Sünde ist,
Reise mit leichtem Gepäck reisen wurden sie auch daran erinnert, dass
sollten. Das Passah erhielt seinen Na- diejenigen, die durch das Blut erlöst
men von der Tatsache, dass der HERR sind, die Sünde und die Welt (Ägypten)
an den Häusern, an deren Türen das hinter sich zurücklassen sollten. Jeder,
Blut war, verschonend vorübergehen der Gesäuertes aß, sollte »abgeschnit-
wollte. Der Ausdruck bedeutet nicht ten« oder ausgerottet, d.h. aus dem La-
einfach »vorbeigehen«. Cole erklärt: ger und von den Vorrechten des Lagers
ausgeschlossen werden. In einigen Zu-
»›Pesah‹ bedeutete für Israel ein ›Über- sammenhängen bedeutet das Wort, das
gehen‹ oder gar ein ›Überspringen‹ und hier mit »ausgerottet« wiedergegeben
wurde auf Gottes Handeln in dieser ge- wird, »zum Tode verurteilt«.

95
2. Mose 12 und 13

12,21-27 Als Nächstes hören wir, wie zen es auf ca. 1290 v.Chr. oder sogar
Mose die Anweisungen an alle Ältesten noch später (vgl. Einführung). Ein
des Volkes weitergibt. Weitere Einzel- Mischvolk (das auch Fremde einschloss)
heiten werden genannt, wie das Blut an zog mit den Israeliten, als sie Ägypten
die Haustür zu sprengen ist. Das Bü- verließen. In 4Mo 11,4 werden sie »her-
schel Ysop kann ein Bild des Glaubens gelaufenes Volk« genannt. Dort sieht
sein, der das Blut Christi für sich per- man, wie sie trotz der Güte des Herrn
sönlich anwendet. Das Passah sollte ein gegen ihn murren.
Anlass sein, künftige Generationen die 12,40-42 Bezüglich der Chronologie
Geschichte von der Erlösung zu lehren, von Vers 40 vgl. den Kommentar zu
wenn sie nach der Bedeutung der Zere- 1Mo 15,13-14. Die 430 Jahre, die hier er-
monie fragen würden. wähnt werden, umspannen die gesamte
12,28-30 Zu Mitternacht schließlich Zeit, die Israel in Ägypten verbracht hat.
erfolgte der Schlag, wie er angedroht Es handelt sich um eine genaue Zahl,
worden war. »Es war ein großes Ge- denn es geschah »an ebendiesem Tag«.
schrei in Ägypten, denn es gab kein Wichtig ist hier zu sehen, dass Gott sei-
Haus, darin nicht ein Toter war.« End- ne Verheißung nicht vergessen hatte,
lich durften die Israeliten ziehen. die er Jahrhunderte zuvor gegeben hat-
te. Indem er das Volk aus Ägypten
VII. Der Auszug aus Ägypten führte, erfüllte er sein Wort. Der Herr
(12,31 - 15,21) verzögert auch nicht die Verheißung be-
züglich unserer Erlösung (2Petr 3,9).
A. Flucht zum Meer (12,31 - 13,22) Eines Tages wird das »Gegenbild« des
12,31-37 Vers 31 bedeutet nicht un­ Mose, nämlich der Herr Jesus, sein Volk
bedingt, dass Mose den Pharao direkt aus dieser Welt in das ewige Verheißene
getroffen hat (vgl. 10,29). Was ein Die- Land führen.
ner sagt, wird oft seinem Meister zu­ 12,43-51 Die Anweisungen für das
geschrieben. Mose hatte vorhergesagt, spätere Passahfest lauteten, dass nur
dass die Diener des Pharao die Israe- beschnittene Männer daran teilnehmen
liten bitten würden, zu gehen (11,8). durften, egal ob es sich um Ausländer,
Die Israeliten zogen nach Sukkot, in Nachbarn oder Bedienstete handelte.
einen Bezirk Ägyptens, der nicht mit »Kein Fremder soll davon essen … ein
der gleichnamigen Stadt in Israel zu Beisasse oder Lohnarbeiter darf nicht
verwechseln ist (1Mo 33,17). Die Ägyp- davon essen.«
ter waren nur zu froh, den Israeliten 13,1-15 Gott hatte die Erstgeburt der
von ihrem Reichtum abzugeben und sie Israeliten in Ägypten vor dem Tod be-
loszuwerden. Für die Hebräer war es wahrt, deshalb sollte die Erstgeburt von
nur eine gerechte Entschädigung für all Menschen und Tieren geheiligt wer-
die Arbeit, die sie für den Pharao geleis­ den, dass sie Gott gehören sollte. Die
tet hatten. Sie hatten dadurch eine Aus- erst­­geborenen Söhne wurden Priester,
rüstung für die Reise und Mittel, um bis der Stamm Levi später für diesen
Gott zu dienen. Etwa 600.000 Mann ver- Dienst ausgesondert wurde. Die Erst-
ließen Ägypten, dazu Frauen und Kin- geburt der reinen Tiere sollte Gott in-
der. Die genaue Zahl der Männer war nerhalb eines Jahres geopfert werden.
603.550 (38,26). Die Gesamtzahl der Die Erstgeburt von unreinen Tieren,
Israeliten lag bei etwa zwei Millionen. z.B. vom Esel, konnte nicht dem Herrn
12,38-39 Es gibt unter den Auslegern geopfert werden, deshalb musste sie
beträchtliche Uneinigkeit über das Da- durch den Tod eines Lammes ausgelöst
tum des Auszugs. Ein häufig angenom- werden. Wenn der Esel nicht ausgelöst
menes konservatives Datum liegt um wurde, dann sollte ihm das Genick ge-
1440 v.Chr. Andere Wissenschaftler set- brochen werden. Das war die Wahl

96
2. Mose 13 und 14

zwischen Erlösung und Zerstörung. den ihre Vorfahren Josef geleistet hat-
Später wurde jedoch auch Sorge ge­ ten. C.F. Pfeiffer schreibt:
tragen, dass der Esel durch Geld aus­ »Der biblische Ausdruck für das
gelöst werden konnte (3Mo 27,27; 4Mo Meer, das sich vor den Israeliten öff-
18,15). Das erstgeborene Kind, das in nete, lautet ›Jam Suph‹, wörtlich ›das
Sünde geboren wurde, musste eben- Schilfmeer‹ (2Mo 13,18). Das Gebiet,
falls ausgelöst werden. Die Zahlung da- das jetzt als Bitterseen bekannt ist,
für betrug fünf Schekel (4Mo 18,16). könnte in der Antike mit dem Roten
Das war eine ernste Erinnerung daran, Meer verbunden gewesen sein, sodass
dass der Mensch vor Gott unrein ist. man die traditionelle Übersetzung von
Genauso wie die Heiligung der Erst- ›Schilfmeer‹ mit ›Rotem Meer‹ erklären
geburt über die Hingabe an Gott sprach, könnte. Es gibt zahlreiche Theorien
so sprach das Fest der ungesäuerten dar­über, wo genau der Übergang statt-
Brote von der moralischen Reinheit, die fand, doch keine davon ist allgemein
von einem erlösten Volk erwartet wur- akzeptiert.«10
de. Sieben Tage lang sollte das Volk un- 13,21-22 Die Gegenwart des Herrn bei
gesäuertes Brot essen, und in seinen seinem Volk wurde sichtbar durch die
Häusern sollte sich kein Sauerteig mehr Wolkensäule bei Tag und die Feuersäu-
befinden. Sowohl die Heiligung der le bei Nacht. »Das waren«, wie Matthew
Erstgeburt als auch das Fest der un­ Henry es ausdrückt, »ständige, andau-
gesäuerten Brote waren Anschauungs- ernde Wunder«.11 Diese Wolke der
unterricht für künftige Generationen, Herrlichkeit ist auch als »Schechina«
wie der Herr sein Volk aus Ägypten be- bekannt. Dieses Wort leitet sich vom he-
freit hat. bräischen Wort für wohnen ab. Die Säule
13,16 Die Juden befolgten später die spricht von Gottes Führung für sein
Verse 9 und 16 wörtlich, indem sie Phy- Volk und von seiner Bewahrung vor
lakterien anfertigten, kleine Leder­ Feinden (2Mo 14,19-20). In beiderlei
behälter, die Teile des Wortes Gottes Hinsicht ist sie ein gutes Bild für den
enthielten, die sie dann an ihre Stirn Herrn Jesus Christus.
und an ihre Handgelenke banden. Aber
die geistliche Bedeutung ist, dass alles, B. Die Durchquerung des Roten
was wir tun (Hand), und alles, was wir Meeres (Kap. 14)
erstreben (Auge), mit Gottes Wort über- 14,1-9 Kapitel 14 ist eines der drama-
einstimmen soll. tischsten in der ganzen Bibel. Der HERR
13,17-20 Die kürzeste Route von führte die Kinder Israels nach Pi-Hachi-
Ägypten nach Kanaan hätte durch das rot, das irgendwo westlich des Roten
Land der Philister geführt, eine Reise Meeres liegt. Dies schien eine Flucht un-
entlang der Küstenstraße, die etwa zwei möglich zu machen, doch wurde das
Wochen lang dauerte und als »Horus- darauffolgende Wunder dadurch noch
weg« bekannt war. Doch diese war eine erstaunlicher. Der Pharao meinte, die Is-
belebte Handelsstraße, die unter der raeliten in der Falle zu haben, und jagte
ständigen Aufsicht der ägyptischen Ar- ihnen nach mit seiner Armee von 600
mee stand. Um seinem Volk Angriffe auserlesenen Streitwagen und allen üb-
und eventuell daraus resultierende Ent- rigen Streitwagen Ägyptens und Wa-
mutigung zu ersparen, führte Gott sie genkämpfern auf ihnen allen. Der Pha-
einen südlicheren Weg über die Sinai- rao erreichte die zwei Millionen schein-
Halbinsel. Die Kinder Israels zogen bar hilflosen Israeliten, die beim Meer
wohl geordnet (LU 1984) aus Ägypten. lagerten und nun eingeschlossen waren.
Sie nahmen auch die Gebeine Josefs mit 14,10-14 Als die Kinder Israels ihre
in dessen Heimatland Kanaan, und Augen erhoben und die ägyptische Ar-
zwar aufgrund des feierlichen Schwurs, mee sahen, wie sie hinter ihnen herkam,

97
2. Mose 14 und 15

erschraken sie verständlicherweise, aber mühsam vorankamen. Ehe sie sich zu-
sie waren weise genug, zum HERRN zu rückziehen konnten, schloss das Meer
schreien. Doch sie beklagten sich schon sie auf Moses Befehl ein. »Es blieb auch
bald bei Mose, ihrem vom HERRN er- nicht einer von ihnen übrig.« Derselbe
nannten Anführer, wie schon einmal Glaube, der das Rote Meer geöffnet hat-
(5,21) und sagten, es sei besser für sie, te, ermöglicht es uns, das Unmögliche
den Ägyptern zu dienen, als in der Wüs­ zu tun, wenn wir im Willen Gottes vor-
te zu sterben. Das war reiner Unglaube, wärts gehen.
und dieser sollte nicht zum letzten Mal 14,29-31 Die Durchquerung des Roten
vorkommen. Mose war nicht länger Meeres wird als größte Machttat Gottes
furchtsam und befahl ihnen: »Steht und im Alten Testament angesehen, aber die
seht die Rettung des HERRN!« größte Machttat aller Zeiten war die
14,15-18 Eines der größten Wunder Auferweckung Christi von den Toten.
der ganzen Geschichte sollte nun ge-
schehen: Der HERR befahl Mose: »Sage C. Das Lied des Mose (15,1-21)
den Kindern Israels, dass sie aufbre- So wie das Passah von der Erlösung
chen sollen! Du aber hebe deinen Stab durch das Blut spricht, so spricht das
auf und strecke deine Hand über das Rote Meer von der Erlösung durch die
Meer und zerteile es, damit die Kinder Macht Gottes. Das Lied des Mose feiert
Israels mitten durch das Meer auf dem das Letztere. Dr. H.C. Woodring teilt es
Trockenen gehen können!« (Schlachter folgendermaßen ein:13
2000). Vorspiel (V. 1) – der Triumph Jahwes
Zur Verstockung der Herzen der Strophe 1 (V. 2-3) – Was er ist: Stärke,
Ägypter durch Gott und zu Gottes Ver- Loblied, Rettung.
herrlichung am Pharao und an seiner Strophe 2 (V. 4-13) – Was er getan hat:
ganzen Heeresmacht schreibt Matthew Sieg über frühere Feinde, Befreiung sei-
Henry: nes Volkes aus Ägypten.
Strophe 3 (V. 14-18) – Was er tun wird:
»Es ist gerecht bei Gott, diejenigen sei- Sieg über künftige Feinde, das Volk in
nem Zorn zu unterwerfen, die lange dem sein Erbe führen.
Einfluss seiner Gnade widerstanden ha- Nachspiel (V. 19) – Gegenüberstel-
ben. Er verkündigt hier seinen Sieg über lung der Niederlage Ägyptens und der
diesen widerspenstigen und überheb- Rettung Israels.
lichen Rebellen.«12 Antiphonische Antworten von Mir-
jam und allen Frauen (V. 20-21).
14,19-28 Der Engel Gottes (Christus, Vor fast dreihundert Jahren hat der
eine Erklärung dazu findet sich bei englische Kommentator Matthew Hen-
Richter 6) nahm seinen Platz als Wol- ry seine Wertschätzung und sein Ver-
kensäule hinter dem Heerzug Israels ständnis dieser großen geistlichen Hym-
ein, um das Volk vor den Ägyptern zu ne wie folgt ausgedrückt:
beschützen. Die Wolkensäule spendete »Wir können über dieses Lied sagen:
den Israeliten Licht und den Ägyptern 1. Es ist ein altes Lied, das älteste, das
Finsternis. Auf Moses Geheiß hin teilte wir kennen. 2. Es ist eine höchst bewun-
sich das Rote Meer und bildete zwei dernswerte Komposition, deren Stil er-
Mauern aus Wasser mit einem Weg aus haben und großartig ist, deren Bilder
trockenem Land dazwischen. Die Is­ lebendig und passend sind und die ins-
raeliten kamen sicher hindurch, aber gesamt sehr bewegend ist. 3. Es ist ein
als die ganze Heeresmacht des Pharao heiliges Lied, der Ehre Gottes geweiht
versuchte, ihnen zu folgen, brachte der und dazu bestimmt, seinen Namen zu
HERR sie in Verwirrung und be­ erhöhen und sein Lob zu singen, und
schädigte ihre Wagen, sodass sie nur zwar nur seinen Namen und nicht den

98
2. Mose 15 und 16

von irgendeinem Menschen: ›Heilig fügung gestellt wurde ‒ kein Versuch,


dem Herrn‹ ist auf ihm eingegraben, dies auf natürliche Weise zu erklären,
und ihm galt die Melodie, als sie es san- hat sich als erfolgreich erwiesen. Man-
gen. 4. Es ist ein vorbildliches Lied. Die na war rund und klein, weiß und süß
Siege der Gemeinde des Evangeliums, (V. 31). Damit ist es ein Bild für die De-
der Fall ihrer Feinde werden im Lied mut, die Vollkommenheit, die Reinheit
des Mose und im Lied des Lammes zu- und die Süße Christi, der das Brot
sammen ausgedrückt, von denen ge- Gottes ist (Joh 6,48-51). Das Erscheinen
sagt wird, dass sie einst über einem des Manna hing irgendwie mit dem
Meer aus Glas gesungen werden, so »Tau« des Morgens zusammen, was
wie dieses Lied über dem Roten Meer uns daran erinnert, dass es der Heilige
gesungen wurde (Offb 15,2-3).«14 Geist ist, der Christus unserer Seele
groß macht. Es war den Israeliten ge-
VIII. Die Reise zum Sinai stattet, einen Gomer pro Person zu sam-
(15,22 - 18,27) meln, das entspricht etwas mehr als
zwei Litern. Ganz gleich, wie viel oder
A. Die Wüste Schur (15,22-27) wie wenig sie sammelten und dabei
Mit Vers 22 beginnt der Bericht der Rei- versuchten, einen Gomer zu bekom-
se vom Schilfmeer zum Berg Sinai. Je- men, sie hatten immer genug und nie
der Schritt ist voller geistlicher Lek­ zu viel. Das erinnert uns daran, dass
tionen für Gläubige jeden Zeitalters. Christus völlig ausreicht, um jedes Be-
Mara, was bitter heißt, z.B. spricht von dürfnis seines Volkes zu erfüllen, und
den bitteren Erfahrungen im Leben. an die Ergebnisse dessen, was geschieht,
Das Stück Holz deutet das Kreuz von wenn Christen mit denen teilen, die be-
Golgatha an, welches das Bittere im Le- dürftig sind (2Kor 8,15). Das Manna
ben süß macht. In Mara offenbarte sich musste früh am Morgen gesammelt
der Herr als »der HERR, der dich heilt« werden, ehe es zerschmolz. So sollten
oder »der HERR, dein Arzt« (JHWH Ra­ wir uns am Beginn jedes Tages von
pha). Er verhieß, Israel von den Krank- Christus ernähren, ehe der Druck des
heiten zu befreien, die die Ägypter be- Alltags auf uns einströmt. Es musste
fielen. Elim mit den 12 Wasserquellen täglich gesammelt werden, und genau-
und 70 Palmbäumen steht für die Ruhe so müssen wir uns täglich von dem
und Erfrischung, die uns gehören, wenn Herrn ernähren. Man musste es an
wir beim Kreuz gewesen sind. sechs Tagen in der Woche sammeln,
und am siebten gab es nichts.
B. Die Wüste Sin (Kap. 16) 16,20-31 Am sechsten Tag wurde das
16,1-19 Das Volk zog dann nach Süd­ Volk aufgefordert, das Doppelte wie an
osten und kam in die Wüste Sin. Dort anderen Tagen zu sammeln, damit sie
murrten sie über den Mangel an Essen für den Sabbat ausreichend versorgt
und sehnten sich nach den Speisen in waren. Wenn sie an anderen Tagen et-
Ägypten. Anscheinend war die schreck- was davon übrig ließen, dann wuchsen
liche Knechtschaft schon vergessen, die Würmer im Manna, und es wurde stin-
diese Speise mit sich gebracht hatte. kend. Das Manna »war weiß wie Ko­
Gott ging darauf gnädig ein, indem er riandersamen und sein Geschmack wie
abends reichlich Wachteln schickte und Kuchen mit Honig«. Es konnte ge­
morgens Manna. Die Wachteln wurden backen oder gekocht werden. Mose
nur zweimal geschickt, hier und in 4Mo wies diejenigen zurecht, die hinaus­
11,31, während das Manna ständig ge- gingen, um es am Sabbat zu sammeln.
schenkt wurde. »Manna« (hebr. man hu) 16,32-34 Etwas von dem Manna wur-
bedeutet »Was ist das?« Es war Speise, de in ein goldenes Gefäß getan und als
die von Gott durch ein Wunder zur Ver- Erinnerung aufbewahrt. Es wurde spä-

99
2. Mose 16 bis 18

ter dann in die Bundeslade gelegt (Hebr (das bedeutet der wüste Ort) und mit
9,4). Gott ruhte am siebten Tag der dem Stab auf den Felsen zu schlagen.
Schöpfung (1Mo 2,2), doch er befahl Als er dies tat, floss Wasser aus dem
den Menschen zu diesem Zeitpunkt Felsen, ein Bild für den Heiligen Geist,
noch nicht, dasselbe zu tun. Doch jetzt der zu Pfingsten gegeben wurde als
gab er dem Volk Israel das Gesetz des Frucht dessen, dass Christus auf Golga-
Sabbats. Später wurde es zu einem der tha geschlagen wurde. Massa (Ver­
Zehn Gebote (20,9-11). Es war ein Zei- suchung oder Prüfung) war der Ort, wo
chen des Bundes, der mit Israel am Berg sie Gott prüften oder versuchten. Meri-
Sinai geschlossen wurde (31,13), und ba (Schelten oder Streit) war der Ort, wo
eine wöchentliche Erinnerung an die sie mit Mose stritten.
Befreiung aus der ägyptischen Gefan- 17,8-16 Josua (Jahwe ist Rettung) er-
genschaft (5Mo 5,15). Den Heiden ist scheint hier zum ersten Mal auf der
nie befohlen worden, den Sabbat zu Bühne. Als Diener Moses kämpfte er
halten. Neun der Zehn Gebote werden gegen Amalek in Refidim. Solange
im NT als Unterweisung in der Gerech- Mose seine Hand aufhob zur Fürbitte in
tigkeit (2Tim 3,16) für die Gemeinde Abhängigkeit von Gott, waren die Is­
wiederholt. Das einzige, das nicht wie- raeliten leicht überlegen. Doch wenn
derholt wird, ist das Sabbatgebot. Den- Moses Hände sanken, gewann Amalek
noch gilt das Prinzip der Ruhe an einem wieder die Oberhand. Das Volk »Ama-
von sieben Tagen für die gesamte lek«, das von Esau abstammt, ist ein
Menschheit. Für den Christen ist dieser Bild für das Fleisch ‒ d.h. für die böse,
Tag der erste Tag der Woche, der Tag verdorbene adamitische Natur des
des Herrn. Es handelt sich nicht um ei- Menschen. Man beachte die folgenden
nen durch gesetzliche Verpflichtung Parallelen zwischen dem Fleisch und
festgelegten Tag, sondern es ist ein gnä- Amalek. (1) Es ist zur Stelle, nachdem
diges Vorrecht, wenn wir uns, weil wir der Heilige Geist nach der Bekehrung
von den weltlichen Aktivitäten befreit gegeben wurde, um gegen den Geist zu
sind, völliger der Anbetung und dem kämpfen. (2) Der Herr hat Krieg mit
Dienst des Herrn hingeben können. dem Fleisch von Generation zu Genera-
Das Zeugnis, das für die Bundeslade tion. (3) Es wird bis zum Tod des Gläu-
steht, wird hier erwähnt, bevor es über- bigen oder bis zur Entrückung der Ge-
haupt entstanden ist. Das ist ist ein Bei- meinde nicht weggenommen. (4) Es
spiel für das Gesetz der vorherigen Er- werden zwei Mittel angedeutet, die das
wähnung. Das Zeugnis kann je nach Fleisch besiegen: Das Gebet und das
Zusammenhang auch für die Zehn Ge- Wort Gottes.
bote stehen. Der jüdische Geschichtsschreiber der
16,35-36 Dass Israel das Manna 40 Antike, Josephus, berichtet, dass Hur
Jahre lang essen würde, ist eine Vorher- der Ehemann von Mirjam, der Schwes­
sage auf die Zeit, in der die Israeliten ter Moses, gewesen ist. Das ist derselbe
später durch die Wüste wanderten. Das Hur, der mit Aaron zurückblieb, um
Manna hörte auf, als sie Gilgal erreich- das Volk zu beaufsichtigen, während
ten, als sie gerade eben die Grenze des Mose auf dem Berg Sinai war (24,14).
Landes Kanaan überschritten hatten »Der HERR ist mein Feldzeichen«
(Jos 5,12). (hebr. JHWH Nissi) ist ein zusammen-
gesetzter Name Jahwes.
C. Refidim (Kap. 17)
17,1-7 In Refidim geriet das Volk mit D. Mose und Jitro (Kap. 18)
Mose in Streit, weil Wasser fehlte. Der 18,1-12 Kap. 18 markiert einen besonde-
Herr befahl Mose, bis in ein Gebiet zu ren Abschnitt im 2. Buch Mose. Bisher
gehen, das als »Horeb« bekannt war haben wir das Manna, den geschla-

100
2. Mose 18 und 19

genen Fels und das Wasser ‒ diese spre- ten. Einige Ausleger sind der Ansicht,
chen von der Menschwerdung Christi, dass dies ein göttlicher Rat war, der ihn
seinem Tod und der Sendung des Heili- dazu brachte, auf vernünftige Weise
gen Geistes. Jetzt scheint es so, dass wir Autorität an andere zu delegieren. An-
einen Ausblick auf die zukünftige Herr- dere Ausleger dagegen erinnern uns
lichkeit Christi erhalten. Mose ist ein daran, dass Gott niemals eine Aufgabe
Vorbild auf Christus, wie er über die gibt, ohne auch Gnade für sie zu geben.
Erde herrscht. Wir sehen auch die Ju- Bis zu diesem Zeitpunkt hatte Gott wie
den, durch seine Söhne dargestellt, die ein Freund mit Mose gesprochen und
Heiden, deren Bild Jitro ist, und die Ge- nie einen Vermittler benutzt. Deshalb
meinde, die durch Moses heidnische hätte Mose weitermachen sollen, bis
Braut Zippora dargestellt wird. Alle Gott die Sache anders ordnete.
die­se werden die Segnungen des Tau-
sendjährigen Reiches genießen ‒ die Ju- IX. Die Gesetzgebung
den und Heiden als Untertanen und die (Kap. 19-24)
Gemeinde, die mit Christus über die
Erde herrschen wird. A. Vorbereitung für die Offenbarung
Die Ereignisse sind hier nicht chrono- (Kap. 19)
logisch aufgeführt. Hier wird beschrie- 19,1-9 Die Kinder Israel waren jetzt am
ben, dass Jitro beim Berg Sinai zu Mose Berg Sinai angekommen. Der Rest von
kommt (V. 5), aber die Israeliten kom- 2. Mose, das ganze 3. Buch Mose und
men erst in 19,2 am Sinai an. Ein Kom- die ersten neun Kapitel des 4. Buches
mentator meint, dass diese Anordnung Mose berichten von den Ereignissen,
deshalb in dieser Weise erfolgte, um ei- die dort stattfanden.
nen ununterbrochenen Bericht von der Von Adam bis zu diesem Zeitpunkt
Begegnung mit dem HERRN und der gab es kein direktes Gesetz Gottes. Der
Gesetzgebung zu ermöglichen. Mose Herr handelte mit seinem Volk meist in
hatte wahrscheinlich seine Frau und Gnade. Jetzt bot er den Israeliten einen
seine Söhne nach dem Ereignis in 2Mo Gesetzesbund mit Bedingungen an:
4,20-26 nach Midian zurückgesandt. »Wenn ihr willig auf meine Stimme hö-
Jetzt bringt Jitro Zippora, Gerschom ren und meinen Bund halten werdet,
und Elieser (mein Gott ist Hilfe) zu Mose, dann sollt ihr aus allen Völkern mein
damit sie ein freudiges Wiedersehen er- Eigentum sein; denn mir gehört die
leben können. Es sieht so aus, als ob ganze Erde. Und ihr sollt mir ein Kö-
sich Jitro hier zu dem einen, wahren nigreich von Priestern und eine heilige
Gottes bekehrt hat, während andere Nation sein.« Wenn sie gehorchen wür-
Ausleger meinen, dass er schon vorher den, dann würde Gott sie segnen. Da
den HERRN angebetet hat. sie ihre eigene Sündhaftigkeit und Hilf-
18,13-27 Als Jitro die riesige Aufgabe losigkeit nicht erkannten, willigten sie
sah, die Mose mit dem Richten des bereitwillig ein. D.L. Moody kommen-
Volkes hatte, riet er seinem Schwieger- tiert:
sohn, Männer auszuwählen, die ihn un-
terstützen sollten. Diese Männer sollten »›Alles, was der Herr geredet hat, wollen
Gott fürchten, Männer der Wahrheit wir tun‹ – eine kühne und selbstsichere
sein und ungerechten Gewinn hassen. Aussage. Das goldene Kalb, die zerbro-
Der Vorschlag von Jitro umfasste Ober- chenen Tafeln, die vernachlässigten An-
ste über Tausend, Oberste über Hun- weisungen, die gesteinigten Kundschaf-
dert, Oberste über Fünfzig und Oberste ter, der abgelehnte und gekreuzigte Chri-
über Zehn. Das sollte Mose entlasten stus sind überwältigende Beweise dafür,
und dafür sorgen, dass die Angelegen- wie der Mensch seine Eide bricht.«15
heiten schneller erledigt werden konn-

101
2. Mose 19

Politik geführt wurde, aber wir verbin-


Exkurs: Die Haushaltungen oder den notwendigerweise die Regierungs-
Heilszeitalter weisen mit einem bestimmten Zeit­
Wir haben hier einen großen Bruch in abschnitt.
der Geschichte des Handelns Gottes Deshalb verstehen wir unter einer
mit der Menschheit, insbesondere mit Haushaltung die Art und Weise, wie Gott
seinem auserwählten Volk Israel. Die mit den Menschen in einem bestimmten
Änderung der göttlichen Anweisungen Geschichtsabschnitt handelt. Gottes Han-
für das menschliche Leben hier und an deln in den Haushaltungen kann man
anderen Stellen zeigen einen Wechsel mit dem Ablauf eines Familienlebens
der Haushaltungen an (englisch: dispen­ vergleichen. Wenn nur der Ehemann
sations; auch »Dispensationen« oder und die Ehefrau in einem Haus leben,
»Heilszeitalter« genannt). dann wird ein bestimmter Handlungs-
Augustinus sagte einmal: »Unter- ablauf befolgt. Wenn aber dann Kinder
scheide die Zeitalter, und die Schriften kommen, wird das gesamte Programm
sind untereinander harmonisch.« Gott angepasst. Wenn die Kinder größer
hat die menschliche Geschichte in Zeit- werden, werden die Angelegenheiten
alter unterteilt: »… durch den er auch im Haus wieder anders gehandhabt.
die Zeitalter gemacht hat« (Hebr 1,2; Dasselbe Muster sehen wir in Gottes
Elb, Anm.). Diese Zeitalter können lang Handeln mit den Menschen (Gal 4,1-5).
oder kurz sein. Was sie unterscheidet, Zum Beispiel gab Gott dem Kain,
ist nicht ihre Länge, sondern die Art nachdem dieser seinen Bruder Abel
und Weise, auf die Gott mit der Mensch- umgebracht hatte, ein Zeichen, damit
heit im jeweiligen Zeitalter handelt. niemand, der ihn fand, ihn umbrächte
Während Gott selbst sich nie ändert, (1Mo 4,15). Doch nach der Flut wurde
so ändern sich doch seine Handlungs­ die Todesstrafe eingeführt, die be-
weisen. Er handelt zu unterschiedlichen stimmte: »Wer Menschenblut vergießt,
Zeiten unterschiedlich. Wir nennen die dessen Blut soll durch Menschen ver-
Art und Weise, wie Gott sein Handeln gossen werden« (1Mo 9,6). Der Unter-
mit den Menschen zu einer bestimmten schied ist auf einen Wechsel der Haus-
Zeit verwaltet, eine Dispensation oder haltungen zurückzuführen.
Haushaltung. Technisch gesehen bedeu- Ein weiteres Beispiel ist Ps 137,8-9,
tet Dispensation nicht ein Zeitalter, son- wo der Verfasser ein schreckliches Ge-
dern eine Verwaltung, eine Ordnung richt über Babylon herabruft: »Tochter
oder eine Ökonomie (unser Wort Öko­ Babel, du Verwüsterin! Glücklich, der
nomie kommt vom gr. oikonomia, dem dir vergilt dein Tun, das du uns angetan
Wort des NT für eine Haushaltung oder hast. Glücklich, der deine Kinder er-
Verwaltung). Doch es ist schwierig, an greift und sie am Felsen zerschmet-
eine Haushaltung zu denken, ohne tert!«
auch an Zeit zu denken. So wird z.B. Doch später hat der Herr sein Volk
die Geschichte des amerikanischen gelehrt: »Ich aber sage euch: Liebt eure
Staatswesens in Regierungsabschnitte Feinde, segnet, die euch fluchen, tut
aufgeteilt, z.B. die Regierung Kennedy wohl denen, die euch hassen, und bittet
oder die Regierung Bush. (Auch in der für die, welche euch beleidigen und
deutschen Geschichte finden wir ähn­ verfolgen« (Mt 5,44).
liche Begriffe, z.B. das wilhelminische Es ist ziemlich einleuchtend, dass die
Zeitalter, die Ära Adenauer usw.) Wir Worte, die für den Psalmisten richtig
meinen damit natürlich die Art und waren, der unter dem Gesetz lebte,
Weise, wie die Regierung arbeitete, als nicht für einen Christen gelten, der un-
die jeweiligen Regenten an der Macht ter der Gnade lebt.
waren. Der wichtige Punkt ist, wie die In 3. Mose 11 wurden bestimmte Spei­

102
2. Mose 19

sen für unrein erklärt. Aber in Mk 7,19b künftigen Zeitalter« spricht (Hebr 6,5).
erklärte Jesus alle Speisen für rein. Das ist die Zeit, wenn der Herr Jesus
In Esra 10,3 werden die Juden an­ Christus wiederkommen wird, um über
gewiesen, ihre heidnischen Frauen und die Erde zu herrschen, auch als Tau-
Kinder fortzuschicken. Im NT heißt es, sendjähriges Reich bekannt.
dass die Gläubigen sie nicht entlassen Auch Paulus unterscheidet zwischen
sollen (1Kor 7,12-16). dem jetzigen Zeitalter und dem zukünf­
Unter dem Gesetz durfte ausschließ­ tigen. Erstens spricht er von einer Haus-
lich der Hohepriester in die Gegenwart haltung, die ihm im Zusammenhang
Gottes treten (Hebr 9,7). Unter der mit der Wahrheit des Evangeliums und
Gnade haben alle Gläubigen Zugang ins der Gemeinde offenbart wurde (1Kor
Allerheiligste (Hebr 10,19-22). 9,17; Eph 3,2; Kol 1,25). Das ist das ge-
Diese Änderungen zeigen deutlich, genwärtige Zeitalter. Aber dann weist
dass ein Wechsel der Haushaltung er- er auch auf ein zukünftiges Zeitalter
folgt ist. hin (Eph 1,10), wenn er die »Verwal-
Nicht alle Christen sind sich einig, tung (oikonomia) der Erfüllung der Zei-
wie viele Zeitalter es gibt und wie man ten« erwähnt. Aus ihrer Beschreibung
sie nennen sollte. Es gibt auch Christen, wird klar, dass sie noch nicht angefan-
die diese Einteilung in Zeitalter ab­ gen hat.
lehnen. Deshalb wissen wir, dass wir nicht im
Doch wir können die Existenz von letzten Zeitalter der Weltgeschichte le-
Zeitaltern folgendermaßen begründen. ben.
Erstens gibt es mindestens zwei Zeit­ Dr. C.I. Scofield führt sieben Zeitalter
alter ‒ Gesetz und Gnade: »Denn das auf, und zwar wie folgt:
Gesetz wurde durch Mose gegeben; die 1. Unschuld (1Mo 1,28): Von der Er-
Gnade und die Wahrheit ist durch Jesus schaffung Adams bis zum Sündenfall.
Christus geworden« (Joh 1,17). Die Tat- 2. Gewissen oder moralische Verant-
sache, dass unsere Bibeln in das Alte wortung (1Mo 3,7): Vom Sündenfall bis
und das Neue Testament eingeteilt sind, zum Ende der Flut.
zeigt an, dass ein Wechsel der Verwal- 3. Menschliche Regierung (1Mo 8,15):
tung geschehen ist. Ein weiterer Beweis Vom Ende der Flut bis zur Berufung
ergibt sich aus der Tatsache, dass in un- Abrahams.
serem Zeitalter von den Gläubigen kei- 4. Verheißung (1Mo 12,1): Von der
ne Tieropfer mehr verlangt werden. Berufung Abrahams bis zur Gesetz­
Auch das zeigt, dass Gott eine neue gebung.
Ordnung eingesetzt hat. Kaum ein 5. Gesetz (2Mo 19,1): Von der Verkün-
Christ leugnet diesen wichtigen Ein- digung des Gesetzes bis zum Tag der
schnitt zwischen den Testamenten. Pfingsten.
Doch wenn wir uns auf zwei Haushal- 6. Gemeinde (Apg 2,1). Vom Tag der
tungen einigen können, dann werden Pfingsten bis zur Entrückung.
wir gezwungen, mindestens noch eine 7. Reich (Offb 20,4). Die tausendjähri-
weitere anzunehmen, denn das Zeit­ ge Regierungszeit Christi.16
alter des Gesetzes beginnt erst hier in Es ist zwar nicht notwendig, sich über
2. Mose 19, Hunderte von Jahren nach die exakten Einzelheiten einig zu sein,
der Schöpfung. So muss es mindestens aber es ist hilfreich zu erkennen, dass es
ein Zeitalter vor dem Gesetz gegeben verschiedene Haushaltungen oder
haben (s. Röm 5,14). Damit haben wir Heilszeitalter gibt. Besonders wichtig
drei. ist der Unterschied zwischen Gesetz
Aber dann sollten wir uns noch auf und Gnade. Wenn wir ihn nicht be­
eine vierte Haushaltung einigen kön- achten, werden wir Teile der Schrift
nen, weil die Schrift von einem »zu- nehmen und auf uns anwenden, die

103
2. Mose 19

sich auf ein anderes Zeitalter beziehen. gerettet wurden. Das heißt, dass sie auf-
Zwar ist alle Schrift für uns nützlich grund des Preises gerettet wurden, den
(2Tim 3,16), aber nicht alle Schriften der Herr Jesus erst viele Jahre später be-
richten sich direkt an uns. Schriftstellen zahlt hat (das ist die Bedeutung von Rö-
aus anderen Zeitaltern haben sicherlich mer 3,25). Wir werden auf der Grund­
ihre Anwendung für uns, aber ihre un- lage des Werkes gerettet, das Christus
mittelbare Auslegung zielt auf das Zeit- vor fast 2000 Jahren vollbracht hat.
alter, für das sie geschrieben wurden. Aber in beiden Fällen beruht die Er­
Wir haben schon die Speisevorschriften rettung auf dem Glauben an den Herrn.
in 3. Mose 11 erwähnt. Während diese Wir müssen uns vor der Vorstellung
Beschränkungen für Christen heute hüten, dass die Menschen des Zeitalters
nicht bindend sind (Mk 7,18-19), bleibt des Gesetzes durch das Halten des Ge-
das zugrunde liegende Prinzip erhalten setzes oder auch durch Tieropfer geret-
‒ dass wir moralische und geistliche tet wurden. Das Gesetz kann nur ver­
Unreinheit meiden sollen. urteilen, es kann nicht retten (Röm
Gott verheißt dem Volk Israel, dass er 3,20). Und das Blut von Stieren und Bö-
ihm materiellen Reichtum schenken cken kann keine einzige Sünde weg-
will, wenn es ihm gehorcht (5Mo 28,1- nehmen (Hebr 10,4). Nein, Gottes Weg
6). Die Betonung lag zu dieser Zeit auf der Errettung ist durch Glauben, und
materiellem Segen in einem irdischen nur durch Glauben! (vgl. Röm 5,1).
Land. Aber das gilt heute nicht mehr. Ein anderer wichtiger Punkt, an den
Gott verheißt uns nicht, dass er unseren wir denken sollten, ist folgender: Wenn
Gehorsam mit finanziellem Reichtum wir von dem gegenwärtigen Zeitalter
segnet. Stattdessen sind die Segnungen der Gemeinde als Zeitalter der Gnade
unseres Zeitalters geistliche Segnungen sprechen, dann wollen wir damit nicht
in der Himmelswelt (Eph 1,3). sagen, dass Gott in vorhergehenden
Es gibt zwar Unterschiede zwischen Zeitaltern nicht gnädig gewesen wäre.
den verschiedenen Zeitaltern, aber es Wir meinen damit nur, dass Gott den
gibt eines, das sich nie ändert, und das Menschen heute unter der Gnade er-
ist das Evangelium. Die Rettung beruh- probt, und nicht mehr unter dem Ge-
te schon immer, beruht heute und wird setz.
in Zukunft immer beruhen auf dem Es ist auch wichtig zu erkennen, dass
Glauben an den Herrn. Und die Grund- die Zeitalter nicht mit der Präzision
lage der Errettung ist in jedem Zeitalter eines Bruchteils einer Sekunde wech-
das vollendete Werk Christi am Kreuz.17 seln. Oft gibt es Überschneidungen oder
Die Menschen im AT wurden gerettet, Übergangszeiten. Wir sehen das z.B. in
wenn sie der Offenbarung glaubten, die der Apostelgeschichte. Die Gemeinde
Gott ihnen gegeben hatte. Abraham brauchte einige Zeit, um gewisse Äußer­
wurde z.B. gerettet, indem er Gott lichkeiten des vorhergehenden Zeit­
glaubte, als dieser sagte, dass sein Same alters zu überwinden. Und es ist mög-
so zahlreich wie die Sterne sein werde lich, dass es zwischen der Ent­rückung
(1Mo 15,5-6). Abraham wusste wahr- und der Großen Trübsal eine Zwischen-
scheinlich nicht viel, wenn überhaupt zeit gibt, während der der Mensch der
etwas, über die Ereignisse, die Jahrhun- Gesetzlosigkeit offenbart und der Tem-
derte später auf Golgatha stattfinden pel in Jerusalem gebaut werden wird.
sollten. Aber der Herr wusste es. Und Ein letztes Wort. Wie alle guten Dinge
als Abraham Gott glaubte, da rechnete kann das Studium der Haushaltungen
Gott ihm den ganzen Wert des zukünf- missbraucht werden. Es gibt einige
tigen Werkes Christi auf Golgatha an. Chris­ten, die den Dispensationalismus
Jemand hat es einmal so ausgedrückt, oder die Lehre von den Heilszeitaltern
dass die Heiligen des AT »auf Kredit« so ins Extrem führen, dass sie nur die

104
2. Mose 19 und 20

Gefängnisbriefe des Paulus als maß- B. Die Zehn Gebote (Kap. 20)
geblich für die Gemeinde heute anse- Die Zehn Gebote wurden von dem
hen! Als Folge davon lehnen sie die Herrn Jesus in zwei Teile eingeteilt, von
Taufe und das Herrenmahl18 ab, weil denen einer die Liebe zu Gott behandelt
die­se sich nicht in den Gefängnisbrie- und der zweite die Liebe zum Nächsten
fen finden. Sie lehren auch, dass die (Mt 22,37-40). Einige meinen, dass die
Botschaft des Evangeliums von Petrus ersten vier Gebote die Liebe zu Gott
nicht mit der von Paulus übereinstim- lehren, während andere das fünfte noch
me. (Man vgl. Gal 1,8-9, um diese An- hinzunehmen. Der Ausdruck »der
sicht zu widerlegen.) Diese Menschen HERR dein Gott« findet sich in den ers-
werden manchmal Ultradispensationa- ten fünf Geboten.
listen oder Bullingeristen genannt (nach
einem Lehrer namens E.W. Bullinger). I.
Ihre extreme Sicht der Haushaltungen 20,1-3 Du sollst keine anderen Götter ha­
sollte man ablehnen. ben: Das ist ein Verbot der Verehrung
mehrerer Götter (Polytheismus) oder
auch nur irgendeines anderen Gottes
als Jahwe.
19,10-20 Dem Volk wurde aufgetragen,
sich für eine Offenbarung Gottes vorzu- II.
bereiten, indem sie ihre Kleider wa- 20,4-6 Du sollst kein Bildnis benutzen:
schen und sich vom Geschlechtsver- Nicht nur die Verehrung von Götzen ist
kehr enthalten sollten. Das sollte sie verboten, sondern auch ihre Herstel-
lehren, dass es notwendig ist, in Rein- lung. Dazu gehören Bilder, Bildnisse
heit vor dem Angesicht Gottes zu er- und Statuen, die im Gottesdienst ge-
scheinen. Der Berg Sinai war eine ver- braucht werden. Es geht hier jedoch
botene Zone. Weder Mensch noch Tier nicht um alle Statuen und Bilder, weil es
sollten ihn unter Androhung der Todes- z.B. in der Stiftshütte geschnitzte Engel
strafe berühren. Selbst jemand, der dem gab. Auch befahl Gott dem Mose, eine
zuwiderhandelte, sollte nicht verfolgt eherne Schlange herzustellen (4Mo 21,8).
werden, sondern aus der Ferne mit dem Das Gebot bezieht sich zweifellos auf
Bogen erschossen oder gesteinigt wer- Bildnisse von Gottheiten. Gott ist »ein
den. Nur Mose und Aaron durften hin- eifer­süchtiger Gott« – d.h. er will die aus-
aufsteigen (V. 24), und auch erst dann, schließliche Verehrung und Liebe seines
wenn das Widderhorn (Schopharhorn) Volkes. Er sucht die Schuld der Väter an
ertönte. Der Berg war von einer dichten den Kindern heim, an der dritten und
Wolke bedeckt, es gab Donner und Blit- vierten Generation, und zwar durch ver-
ze, Feuer und Rauch, und der ganze erbte Schwächen, Armut, Krankheit und
Berg erbebte heftig. All das spricht von verkürzte Lebenszeit. Aber Gottes Gna-
den Schrecken einer Begegnung mit de erstreckt sich auf Tausende (von Ge-
Gott, insbesondere wenn die Begeg- nerationen) von denen, die ihn lieben
nung das Einhalten des Gesetzes zur und seine Gebote halten.
Grundlage hat.
19,21-25 Der HERR wiederholte seine III.
Warnung an Mose, dass das Volk den 20,7 Du sollst den Namen Gottes nicht
Berg nicht berühren sollte. Mose fand missbrauchen (oder »zu Nichtigem aus­
es zunächst unnötig, die Menschen dar- sprechen«): Das bedeutet, in Gottes Na-
an zu erinnern, gehorchte später jedoch. men einen Schwur zu tun, dass eine fal-
Die Priester in den Versen 22 und 24 sche Aussage richtig ist. Es könnte auch
waren wahrscheinlich die erstgebore- Fluchen, versteckte Flüche, Gottesläste-
nen Söhne. rung oder ein Gelöbnis einschließen,

105
2. Mose 20

das man mit einem Schwur bekräftigt mand rechtswidrig einen anderen um
hat und dann nicht erfüllt. sein Eigentum bringt. Es lehrt die Ach-
tung vor persönlichem Eigentum.
IV.
20,8-11 Gedenke an den Sabbattag: Zum ers- IX.
ten Mal wird der Sabbat in 1Mo 2,1-3 er- 20,16 Du sollst kein falsches Zeugnis reden:
wähnt – und später im Zusammenhang Dieses Gebot verbietet es, den Ruf eines
mit dem Sammeln des Manna befolgt anderen zu schädigen, indem man un-
(2. Mose 16). Hier wird er nun ausdrück- wahre Aussagen macht und damit
lich dem Volk Israel zur strikten Befol- möglicherweise dazu beiträgt, dass er
gung gegeben. Der Sabbat ist ein Bild der bestraft oder sogar hingerichtet wird.
Ruhe, die die Gläubigen jetzt in Christus Es lehrt die Achtung vor dem Ruf des
genießen und die eine erlöste Schöpfung anderen.
im Tausendjährigen Reich genießen wird.
Der Sabbat ist der siebte Tag der Woche X.
und dauert von Sonnenuntergang am 20,17 Du sollst nicht begehren: Das zehn-
Freitag bis zum Sonnenuntergang am te Gebot wendet sich von den Taten zu
Samstag. Nirgends im NT wird den den Gedanken, und es zeigt, dass es
Christen befohlen, den Sabbat zu halten. sündhaft ist, nach irgendetwas zu ver-
langen, von dem Gott nie wollte, dass
V. wir es bekommen sollten. Paulus be-
20,12 Du sollst Vater und Mutter ehren: Eh- zeugt, dass dieses Gebot in seinem Le-
ren bedeutet hier gehorchen. Der Vers ben eine tiefe Sündenerkenntnis her-
lehrt, dass ein Leben des Gehorsams ge- vorgebracht hat (Röm 7,7).
genüber den Eltern eine Lebensform ist,
die im Allgemeinen ein langes Leben si- 20,18-21 Nachdem die Zehn Gebote ge-
chert. Ein Leben des Ungehorsams und geben waren, war das ganze Volk von
der Sünde führt oft zum frühzeitigen den Erscheinungen der Gegenwart Gottes
Tod. Das ist das erste Gebot, das mit ei- verängstigt. Die Israeliten hatten Angst,
ner Verheißung verknüpft wird (Eph sterben zu müssen, wenn Gott direkt mit
6,2). Es lehrt den Respekt vor Autorität. ihnen reden würde, deshalb wurde Mose
ihr Mittler.
VI. 20,22-26 Der Zweck des mosaischen
20,13 Du sollst nicht töten: Das bezieht Gesetzes war es, den Menschen ihre
sich besonders auf Mord und nicht auf Sündhaftigkeit zu zeigen. Als Nächstes
die Todesstrafe oder auf fahrlässige Tö- gab Gott gnädig die Anweisungen für
tung. Das Gebot lehrt Achtung vor dem das Errichten eines Altars, der das Volk
menschlichen Leben. daran erinnerte, dass Sünder sich nur
aufgrund vergossenen Blutes Gott nä-
VII. hern können. Der Altar spricht von
20,14 Du sollst nicht ehebrechen: Dieses Ver- Christus als dem Weg, auf dem wir uns
bot lehrt die Achtung vor der Ehe und Gott nähern können. Der Mensch konnte
warnt davor, den Leib einer anderen Per- zur Vollkommenheit Christi nichts bei-
son auszubeuten. Es kann sein, dass damit tragen, weder durch die Werkzeuge per-
auch alle Formen des gesetzwidrigen ge- sönlicher Anstrengung noch durch die
schlechtlichen Verhaltens gemeint sind. Stufen menschlichen Erfolges. Priester,
die in einem langen, fließenden Gewand
eine Treppe hinaufsteigen, hätten sich
VIII.
selbst versehentlich auf eine Weise ent-
20,15 Du sollst nicht stehlen: Dies bezieht blößen können, die für solche feier­lichen
sich auf jede Handlung, durch die je- Anlässe unpassend gewesen wäre.

106
2. Mose 21

C. Verschiedene Gesetze (Kap. 21-24) den. Wenn er sie als Frau für seinen
Sohn nahm, dann musste er sie behan-
1. Gesetze über Sklaverei (21,1-11)
deln wie jede andere Schwiegertochter.
21,1-6 Nachdem Gott die Zehn Gebote Wenn der Herr sich eine andere Frau
gegeben hatte, gab er noch viele andere dazunahm, war er verpflichtet, für das
verschiedene Gesetze für das Verhalten Sklavenmädchen zu sorgen und ihr die
der Kinder Israels. vollen ehelichen Rechte zu gewähren.
Ein Hebräer konnte Sklave werden, Das Letztere bezieht sich wahrschein-
um eine Schuld abzuzahlen, um einen lich nur auf die Unterkunft. Wenn er
Diebstahl wiedergutzumachen, oder in- das nicht wollte, musste sie umsonst
dem er als Sohn eines hebräischen Skla- freigelassen werden. Die Tatsache, dass
ven geboren wurde. Ein hebräischer Gott Gesetze für die Sklaverei erließ,
Sklave konnte für sechs Jahre verpflich- bedeutet nicht, dass er die Sklaverei
tet werden, doch im siebten Jahr musste guthieß. Er wollte nur die Bürgerrechte
er freigelassen werden. Wenn er Ehe- der Sklaven schützen.
mann einer Frau war, als er Sklave wur-
de, dann sollte seine Frau auch frei sein. 2. Gesetze über Körperverletzung (21,12-36)
Wenn er aber während seiner Zeit als 21,12-14 Vers 12 hält die allgemeine Re-
Sklave heiratete, dann gehörten die Frau gel fest, dass jemandem, der einen Men-
und ihre Kinder seinem Herrn. In solch schen umgebracht hat, die Todesstrafe
einem Fall konnte er sich entscheiden, droht. Es wird eine Ausnahme wegen
Sklave zu bleiben. Dann wurde sein Ohr Totschlags gemacht: Wenn der Tod des
am Türpfosten durchbohrt. Auf diese anderen unabsichtlich eintrat, konnte
Weise identifizierte er sich freiwillig mit der Täter zum Altar Gottes fliehen, spä-
dem Haus seines Herrn. Von der Zeit an ter in besondere Freistädte. Aber im Fal-
hatte er gewissermaßen eine Ohrmarke. le eines vorsätzlichen Mordes bot der
Dies ist ein schönes Bild für Christus, Altar keine Sicherheit für den Täter.
den vollkommenen Diener, der uns so 21,15-17 Die Elternschaft wurde be-
sehr liebte, dass er nicht frei sein wollte, sonders geschützt, indem das Schlagen
sondern lieber das Kreuz auf Golgatha von Vater oder Mutter unter Todes­
erduldete. Angesichts dessen, was der strafe gestellt wurde. Auch Menschen-
Erlöser für uns getan hat, sollten wir sei- raub oder die Verfluchung der Eltern
ne bereitwilligen Knechte sein und mit stand unter Todesstrafe.
Bischof Moule sagen: 21,18-19 Wenn jemand einen anderen
im Streit verletzte, dann war es seine
»Mein Meister, führe mich zur Tür, Pflicht, ihn für die versäumte Zeit zu
Durchgrabe noch einmal dieses jetzt entschädigen und ihm die Kosten für
willige Ohr. seine Heilbehandlung zu ersetzen.
Deine Ketten sind Freiheit, lass mich bei 21,20-21 Ein Meister konnte einen
dir bleiben, Sklaven bestrafen, aber er hatte nicht
Um zu arbeiten, zu tragen und zu das Recht, ihn zu töten. Wenn ein Sklave
gehorchen.«19 unmittelbar nach einer Bestrafung starb,
dann war der Meister schuldig, starb er
21,7-11 Eine Sklavin sollte im siebten jedoch erst einen Tag oder zwei Tage
Jahr nicht freigelassen werden, wenn später, dann wurde der Meister nicht
ihr Herr sie als Frau oder Nebenfrau ge- bestraft, weil er offensichtlich nicht die
nommen hatte und bereit war, seine Absicht hatte, den Sklaven zu töten, der
Verpflichtungen ihr gegenüber zu er- ja für ihn auch Geld wert war.
füllen. War er dazu nicht bereit, so 21,22 Wenn eine Schwangere durch
musste sie ausgelöst werden, aber sie einen Streit zweier Männer gestoßen
durfte nicht an Heiden verkauft wer- wurde und sie eine Frühgeburt hatte,

107
2. Mose 21 und 22

aber weiter keine schwere Verletzung die Menge von der Art des Diebstahls
bestand, dann bestimmte ihr Ehemann abhing. Wenn der Dieb beim Einbruch
die Höhe der Buße, und die Richter re- nachts erschlagen wurde, dann war der
gelten die Angelegenheit. Totschläger nicht schuldig, denn er
21,23-25 Die allgemeine Regel bei konnte nicht wissen, ob der Eindring-
Körperverletzung lautete: »Leben um ling Diebstahl oder Mord im Sinn hatte.
Leben, Auge um Auge, Zahn um Zahn« Am Tag einen Dieb umzubringen, brach-
usw. Die Strafe sollte dem Verbrechen ent­ te jedoch Schuld über den Totschläger.
sprechen, wobei zu große Strenge und Wenn der Dieb aus V. 37 das Gestohlene
zu große Milde zu vermeiden war. In nicht zurückerstatten konnte, wurde er
der Praxis konnten alle Fälle durch die als Sklave verkauft. Wenn ein gestohle-
Zahlung einer Strafe beglichen werden, nes Tier lebend gefunden wurde, so
ausgenommen Mord (vgl. 4Mo 35,31). musste der Dieb das Doppelte erstatten.
21,26-36 Wenn jemand das Auge oder Wenn ein Bauer seinen Tieren gestattete,
den Zahn seines Sklaven beschädigte, in das Feld seines Nächsten einzudrin-
dann sollte der Sklave freigelassen wer- gen, dann musste er dieselbe Menge des
den. Wenn ein Rind unerwartet einen Abgeweideten vom Besten seines Feldes
Menschen umbrachte, dann sollte es ge- oder seines Weinbergs erstatten. Jeder,
steinigt werden, und sein Fleisch durfte der durch Unvorsichtigkeit ein Feuer
nicht gegessen werden. Wenn der Besit- entzündete, das die Ernte zerstörte,
zer schon vorher wusste, dass das Rind musste den Schaden zurückerstatten.
gefährlich war, dann sollte auch sein Be-
sitzer sterben. Allerdings gab es für den 4. Gesetze über Betrug (22,6-14)
Besitzer die Möglichkeit, der Todes­ 22,6-12 Die Verse 6-8 beschäftigen sich
strafe zu entkommen und ein Bußgeld mit dem Diebstahl von Geld oder Ei-
zu zahlen. Die Strafe sollte für den Tod gentum, das man jemandem anderen
eines Sohnes oder einer Tochter die­ zur Aufbewahrung anvertraut hat. Wer
selbe sein. Für den Tod eines Sklaven die Dinge in Verwahrung hatte, musste
betrug die Strafe 30 Schekel Silber, und das Doppelte erstatten. Wenn der Dieb
das Rind musste gesteinigt werden. nicht gefunden wurde, dann musste
Man beachte: Judas verriet Jesus für derjenige, der das Eigentum verwahrte,
denselben Betrag, die für einen Sklaven vor die Richter treten, damit man her-
bezahlt werden musste, der von einem ausfinden konnte, ob er selbst schuldig
Rind getötet worden war, und maß ihm war. In jedem Falle von Veruntreuung
damit den Wert eines toten Sklaven zu. entschied der Richter, ob der Angeklag-
Wenn jemand eine Zisterne nicht zu- te oder der Kläger schuldig war, und
deckte, war er für jeden Verlust eines verlangte dann eine doppelte Erstat-
Tieres, das hineinfiel, verantwortlich. tung. Wenn ein Tier starb, verletzt oder
Wenn jemandes Rind das Rind eines an- geraubt wurde, während es bei jeman-
deren verletzte, dann wurde der Wert dem in Verwahrung war, und wenn
beider Tiere gleichmäßig auf beide Kon- der, der es verwahrte, einen Eid vor
trahenten verteilt. Wenn jedoch der Be- dem HERRN leistete, dass er das Ge-
sitzer des wilden Rindes wusste, wie schehene nicht hatte verhindern kön-
gefährlich es ist, dann musste er das ge- nen, dann war keine Erstattung not-
tötete Tier bezahlen, er selbst durfte wendig. Wenn das Tier jedoch gestoh-
aber das tote behalten. len wurde, weil der Verwahrer nicht
achtgegeben hatte, dann musste er es
3. Gesetze über Diebstahl und ersetzen. Kein Ersatz war fällig für ein
Beschädigung von Eigentum (21,37 - 22,5) Tier, das von Raubtieren zerrissen wur-
Ein Dieb musste vollständig zurück­ de, wenn man als Beweis den Kadaver
erstatten, was er gestohlen hatte, wobei zeigen konnte.

108
2. Mose 22 und 23

22,13-14 Wenn ein geliehenes Tier für die Nacht zurückgegeben werden,
sich verletzte oder starb, dann musste weil der Mantel auch als Decke diente.
derjenige, der es ausgeliehen hatte, es 22,27-30 Es war verboten, Gott zu läs­
erstatten. Doch wenn der Besitzer an- tern oder einem Obersten des Volkes zu
wesend war, als es geschah, und des- fluchen (vgl. Apg 23,5). Der HERR muss-
halb in der Lage gewesen wäre, es zu te seinen Anteil bekommen, sei es an Er-
beschützen, dann war keine Erstattung trägen, Söhnen oder Tieren. Die Erst­
notwendig. Bei einem gemieteten Tier geborenen der Tiere sollten am achten
war keine Erstattung notwendig, weil Tag geopfert werden. Es war verboten,
das Risiko des Verlustes im Preis in­ Fleisch von einem Kadaver zu essen, der
begriffen war. von Tieren zerrissen worden war. In
einem solchen Falle war das Blut nicht
5. Gesetze über Unzucht (22,15-16) gleich ausgelaufen, und Blut zu essen
Wenn ein Mann eine nicht verlobte war ein Verstoß gegen das Gesetz Gottes
Jungfrau verführte, mit ihm zu sündi- (3. Mose 17). Auch ging von diesem
gen, musste er sie heiraten und ihr das Fleisch die Gefahr einer Infektion mit
übliche Heiratsgeld bezahlen. Wenn einer Krankheit aus, die von solchen Tie-
der Vater sich weigerte, seine Tochter ren übertragen werden (z.B. Tollwut),
zu verheiraten, dann musste der Mann vor der Gott sein Volk schützen wollte.
trotzdem das Heiratsgeld an den Vater 23,1-12 Bei Rechtsangelegenheiten
zahlen, weil die Wahrscheinlichkeit, war es verboten, ein falsches Gerücht
dass die Tochter noch heiraten konnte, zu verbreiten (Schlachter 2000), sich mit
nun stark gesunken war. den Gottlosen zusammenzutun, um
den Schuldigen zu verteidigen, sich auf
6. Gesetze über öffentliche und religiöse die Seite einer bösen Menge zu stellen
Pflichten (22,17 - 23,19) oder den Armen zu begünstigen. Einem
22,17-19 Drei Verbrechen, die außer Tier, das dem Feind gehörte, musste
Mord unter Todesstrafe standen, waren man trotzdem helfen, wenn es in
Zauberei oder Hexerei, Geschlechtsver- Schwierigkeiten war. War es verloren
kehr mit einem Tier und Götzendienst. gegangen, dann sollte man es dem Ei-
22,20-23 Die Juden sollten mit Frem- gentümer zurückbringen; war es unter
den im Land Mitleid haben, weil sie einer schweren Last gestrauchelt, dann
selbst Fremdlinge in einem anderen sollte man dem Tier helfen. Gegenüber
Land gewesen waren. Auch für Witwen den Armen sollte man Gerechtigkeit
und Waisen wurde eine menschliche üben, und die Unschuldigen und Ge-
Behandlung angeordnet. Der HERR rechten sollten nicht durch betrügeri-
nahm es auf sich, dieses Gesetz durch- sche Rechtsbeugung verurteilt werden.
zusetzen. Die Menschen hatten die Auf- Es war verboten, ein Bestechungsge-
gabe, fast alle anderen Gesetzes­verstöße schenk anzunehmen oder Fremde zu
zu ahnden, doch in diesem Fall wollte unterdrücken. Das siebte Jahr war ein
Gott direkt strafen. Er hat seine Hal- Sabbatjahr, in dem das Land brachlie-
tung zu denen, die sich nicht wehren gen (unbebaut bleiben) sollte. Die Ar-
können, auch heute nicht geändert. Er men hatten die Erlaubnis, das, was in
sorgt auch heute noch für Witwen und jenem Jahr wuchs, für sich zu nehmen.
Waisen, und wir Gläubigen sollten Der siebte Tag war dazu da, sowohl
ebenso handeln. dem Herrn als auch dem Knecht und
22,24-26 Man durfte auf Geld, das dem Vieh Ruhe zu verschaffen. Man be-
man einem Israeliten lieh, keinen Zins achte, dass der Gott des AT barmherzig
nehmen, bei den Heiden dagegen war und gerecht war, ganz gleich, was un-
dies erlaubt (5Mo 23,21). Kleidung, die gläubige Bibelkritiker heute gegen ihn
man als Pfand genommen hatte, musste vorbringen mögen.

109
2. Mose 23 und 24

23,13-17 Den Juden war es verboten, Herrn selbst) zu senden, der die Israeli-
den Namen anderer Götter zu nennen. ten in das Verheißene Land führen und
Die einzige Ausnahme war vielleicht, die heidnischen Bewohner vertreiben
um sie zu verurteilen, wie es die Pro- sollte. Wenn die Juden keinen Götzen-
pheten taten. Drei große Feste sollten dienst treiben und dem Herrn gehor-
dem HERRN gefeiert werden: chen würden, dann wollte Gott Großes
1) Das Fest der ungesäuerten Brote: Es für sie tun. Zur Warnung vor Ungehor-
wurde zu Beginn des Jahres gefeiert, sam schreibt Henry:
unmittelbar nach dem Passah. Es spricht »Wir tun gut daran, unseren Beschüt-
vorbildhaft davon, wie wichtig es ist, zer und Wohltäter nicht zu provozieren,
unser Leben von Bosheit und Schlech- weil wir verloren sind, wenn unser
tigkeit zu reinigen. Schutz von uns weicht und wir vom
2) Das Fest der Ernte, das auch Wo- Strom seiner Güte abgeschnitten
chenfest (Pfingsten) genannt wurde. Es sind.«21
spricht vorbildhaft vom Kommen des Ihr Gebiet sollte sich vom Schilfmeer
Heiligen Geistes am Pfingsttag und von bis zum Meer der Philister (d.h. dem
der Bildung der Gemeinde. Mittelmeer) erstrecken, und von der
3) Das Fest des Einsammelns, auch Wüste (dem Negev südlich von Kana-
Laubhüttenfest genannt. Es ist ein Bild an) bis an den Strom (Euphrat).
für das sichere Wohnen Israels im Land Man beachte den Befehl, die Bewoh-
der Verheißung während des Tausend- ner des Landes auszutreiben. Es sollte
jährigen Reiches. keinerlei Verträge, keinen Götzendienst,
Erwachsene Männer mussten diese keine Vermischung geben. Gott hatte
Feste besuchen, für alle anderen war schon verheißen, die bösen Kanaaniter
der Besuch freiwillig. Im NT sehen wir, auszutilgen, aber die Israeliten mussten
wie nicht nur Josef, sondern auch Maria dabei mitwirken. Darin liegt ein kost­
und der Junge Jesus jährlich zum Pas- bares geistliches Prinzip verborgen:
sahfest nach Jerusalem zogen (Lk 2,41). Gott wird uns den Sieg über unsere
23,18-19 Gesäuertes oder Sauerteig Feinde (die Welt, das Fleisch und den
(Sauerteig ist ein Bild für die Sünde) Teufel) geben, aber er erwartet von uns,
sollte nicht zusammen mit dem Blut dass wir den guten Kampf des Glau-
des Opfers für Gott, d.h. mit dem Pas- bens kämpfen.
sah, geopfert werden. Das Fett des Op- Vers 33 findet seine Entsprechung in
fers gehörte dem HERRN, weil es das 2Kor 6,14-18. Gottes Wille war immer
beste Teil war. Es sollte »nicht über die Trennung seines Volkes von der
Nacht bleiben«, sondern wurde wahr- Welt. Israels Ungehorsam gegenüber
scheinlich verbrannt. Das »Beste von diesem Gebot führte den Niedergang
den Erstlingen« (LU 1984) sollte in das herbei. Es stimmt noch immer, dass
Haus des HERRN gebracht werden. schlechter Umgang gute Sitten verdirbt
Kein Tier durfte in der Milch seiner (1Kor 15,33).
Mutter gekocht werden. Dieses Gebot
zielt wahrscheinlich auf Fruchtbarkeits- 8. Besiegelung des Bundes (24,1-8)
riten, die damals von Götzendienern 24,1-2 Mose befand sich auf dem Berg
praktiziert wurden. Die frommen Juden Sinai, als Gott ihm die Gesetze und Ord-
vermeiden es auch heute noch, Gerich- nungen in 2Mo 20-23 gab. Ehe Mose
te mit Milch und Fleisch in demselben den Berggipfel verließ, befahl ihm Gott,
Geschirr zuzubereiten oder zu Fleisch mit Aaron und dessen beiden Söhnen
Sahnesaucen o.Ä. zu essen.20 Nadab und Abihu sowie siebzig von
den Ältesten zurückzukehren. Doch
7. Gesetze über Eroberungen (23,20-33) nur Mose allein durfte zum HERRN
Hier verspricht Gott, einen Engel (den herantreten, die anderen mussten Ab-

110
2. Mose 24 und 25

stand halten. Unter dem Gesetz muss Asche werden ließe, der es ansieht,
der Abstand zwischen dem Sünder und doch kann er sich in der Form eines
Gott gewahrt werden. Unter der Gnade Menschen, eines Engels oder einer
haben wir »durch das Blut Jesu Freimü- Herrlichkeitswolke (5Mo 5,24) offen­
tigkeit zum Eintritt in das Heiligtum« baren, die ein Mensch sehen kann, ohne
(Hebr 10,19). Das Gesetz sagt: »Jene sol- zu sterben.
len sich nicht nahen.« Die Gnade sagt: 24,12-18 Hier wird offensichtlich ein
»Lasst uns hinzutreten« (Hebr 10,22). anderer Aufstieg auf den Berg Sinai be-
24,3-8 Daraufhin stieg Mose hinab schrieben. Diesmal begleitet Josua Mose
und verkündigte dem Volk das Gesetz. einen Teil des Weges den Berg hinauf.
Alle waren sofort einverstanden, das In seiner Abwesenheit bestimmte Mose
Gesetz zu halten, und erkannten nicht, Aaron und Hur als Richter für das Volk.
dass sie dazu gar keine Kraft hatten. Sechs Tage lang wartete Mose am Ab-
Um diesen Bund, der an Bedingungen hang des Berges, während die Wolke
gebunden war, zwischen Gott und Is- der Herrlichkeit den Gipfel bedeckte.
rael zu besiegeln, baute Mose zuerst Auf Gottes Aufforderung hin stieg er
einen Altar mit zwölf Gedenksteinen auf die Spitze und ging mitten in die
(für jeden Stamm Israels einen). Dann Wolke, wo er die nächsten 40 Tage und
nahm er Blut von den Opfern und 40 Nächte verbringen sollte. Vierzig ist
sprengte die Hälfte an den Altar (das die Zahl der Erprobung oder Prüfung.
steht für Gottes Anteil an dem Bund), Hier wurde mehr das Volk als Mose ge-
die andere Hälfte sprengte er auf das prüft. Es bestand den Test nicht, son-
Volk (das bedeutete ihre Entschlossen- dern fiel in Sünde. So offenbarte der
heit, ihren Anteil an der Vereinbarung Herr durch das Gesetz, was im Herzen
zu halten). des Menschen ist.
Die Anweisungen, die Mose während
9. Die Offenbarung der Herrlichkeit Gottes dieser Zeit empfing, sind bis 2Mo 31,18
(24,9-18) aufgezeichnet.
24,9-11 Anschließend gingen Mose und
die anderen wieder auf den Berg Sinai, X. Die Stiftshütte und die
wie ihnen in den Versen 1 und 2 befoh- Priesterschaft (Kap. 25-40)
len worden war. Dort sahen sie den Gott Die nächsten sieben Kapitel beschäf­
Israels in seiner Herrlichkeit. Norma- tigen sich mit Anweisungen zum Bau
lerweise würde es jeden Mensch töten, der Stiftshütte, der Einsetzung der
wenn er Gott sähe, aber in diesem Fall Pries­terschaft und damit verbundenen
geschah das nicht. »Sie schauten Gott Anweisungen. Ganze 50 Kapitel der
und aßen und tranken.« Mit anderen Bibel beschäftigen sich mit der Stifts-
Worten: Sie sahen Gott und lebten wei- hütte. Das zeigt ihre Bedeutung in den
ter, um das Friedensopfer essen zu kön- Augen Gottes.
nen. Die Stiftshütte war eine Art Zelt, der
Es gibt in der Bibel scheinbar einen Aufenthaltsort Gottes unter seinem
Widerspruch in Bezug auf das Sehen Volk. Jeder Teil der Stiftshütte lehrt uns
Gottes. Einerseits gibt es Verse, aus de- geistliche Einsichten über die Person
nen hervorgeht, das es unmöglich ist, und das Werk Christi und den Weg,
Gott zu sehen (2Mo 33,20; Joh 1,18; 1Jo sich Gott zu nähern. Die Priesterschaft
4,12). Andererseits gibt es Stellen, die erinnerte die Israeliten daran, dass die
davon sprechen, dass Menschen Gott Sünde einen Abstand zwischen Gott
sehen, z.B. 1Mo 32,30; 2Mo 24,10; 33,23. und ihnen geschaffen hatte und dass sie
Die Erklärung lautet, dass Gott zwar in sich Gott nur durch die Vertreter nä-
seiner unverhüllten Herrlichkeit ein hern konnten, die er selbst ernannt und
verzehrendes Feuer ist, das jeden zu dazu ertüchtigt hatte.

111
2. Mose 25

A. Anweisungen zum Bau der und Gerechtigkeit des HERRN und wer-
Stiftshütte (Kap. 25-27) den oft in Verbindung mit dem Thron
Gottes genannt. Sie werden in Hesekiel 1
1. Die Beschaffung des Materials (25,1-9)
und 10 beschrieben.
Mose wurde aufgetragen, vom Volk
freiwillige Gaben von den Materialien 4. Der Schaubrottisch (25,23-30)
einzusammeln, die für die Errichtung Der Schaubrottisch war ein hölzerner
der Stiftshütte (des Heiligtums) be­ Tisch, der mit reinem Gold überzogen
nötigt wurden. Die Edelmetalle, die fei- wurde. Er besaß oben einen gegossenen
nen Stoffe, Felle, Öl, Gewürze und Kranz zur Verzierung, dazu eine Leiste,
Edelsteine waren zweifellos die Be­ die eine Handbreit breit war, mit einem
zahlung, die die Israeliten von den zweiten Kranz aus Gold zur Verzierung.
Ägyptern erhalten hatten, als sie Ägyp- Wie die Lade sollte der Tisch mit Stan-
ten verließen. Sie hatten für diese Dinge gen getragen werden, die in vier Ringen
gearbeitet, ja Sklavenarbeit getan. Nun steckten, die an den unteren Ecken, die
sollten sie sie als Opfer darbringen. an seinen vier Füßen waren, angebracht
Gott bestand darauf, dass die Stifts­ waren. Auf dem Tisch sollten 12 Brote
hütte genau nach dem göttlichen Vor- liegen (V. 30), die für die 12 Stämme Is-
bild gemacht wurde. Wenn das für ein raels standen. Auch sollte es zu dem
irdisches Gebäude gilt, wie viel wich- Tisch verschiedene Schüsseln, Schalen,
tiger ist es, die Gemeinden (Versamm- Kannen und Opferschalen geben.
lungen) Christi (sein Volk) nach dem
göttlichen Vorbild im NT zu bauen! 5. Der goldene Leuchter und sein Zubehör
(25,31-40)
2. Die Bundeslade (25,10-16) 25,31-39 Der Leuchter bestand aus
Die Lade war ein hölzerner Kasten, der reinem Gold. Er hatte oben sieben
von innen und außen mit reinem Gold Arme, von denen jeder eine drehbare
überzogen werden sollte. Auf jeder Sei- kleine Lampe mit einem Docht zum
te waren goldene Ringe angebracht, Verbrennen von Öl hatte. Zu dem
durch welche Stangen gesteckt wurden, Leuchter gab es Dochtscheren und
um sie tragen zu können. Die Lade soll- Feuer­becken, in denen Stücke von ab-
te »das Zeugnis« enthalten, d.h. die bei- geschnittenen Dochten aufgefangen
den Gesetzestafeln (V. 16) und später werden konnten (V. 38-39).
Aarons Stab und einen Krug Manna 25,40 Die wichtigste Anforderung für
(Hebr 9,4). alle diese Geräte war es, dem Vorbild
zu folgen, das Gott auf dem Berg ge-
3. Der Gnadenstuhl (25,17-22) zeigt hatte. Es gab keinerlei Platz für
Der Deckel der Lade wurde »Gnaden- menschliche Improvisation. So geht es
stuhl« (LU 1912) oder »Sühnedeckel« in allen geistlichen Angelegenheiten:
genannt. Er bestand aus einer Platte aus Wir müssen den göttlichen Anweisun-
reinem Gold, auf dem zwei engelähn- gen folgen und dürfen nicht von dem
liche Figuren standen. Diese Cherubim22 Vorbild abweichen, das uns der Herr in
waren einander zugewandt, und ihre seiner Weisheit geschenkt hat.
Flügel waren nach oben gestreckt, so- Alle Einrichtungsgegenstände der
dass sie einander berührten. Gott zeigte Stifts­hütte sprechen von der Herrlich-
sich selbst in der Herrlichkeitswolke keit Christi: Die Lade ist ein Symbol sei-
zwischen den beiden Cherubim und von ner Göttlichkeit (Gold) und seiner
dem Sühnedeckel herab. Cherubim wer- Menschlichkeit (Holz). Der Gnaden-
den in mindestens dreizehn Büchern der stuhl zeigt Christus als unseren Gna-
Bibel erwähnt. Sie stehen in erster Linie denstuhl oder unsere Sühnung (Röm
im Zusammenhang mit der Heiligkeit 3,25). Der Tisch mit den Schaubroten

112
2. Mose 25 und 26

Die Stiftshütte
Die Stiftshütte sollte ein Ort sein, an
dem Gott unter seinem Volk wohnen
konnte. Der Ausdruck »Stiftshütte« be-
zieht sich manchmal auf das Zelt mit
Heiligtum und Allerheiligstem, das mit
gestickten Zeltdecken verdeckt war.
Doch an anderen Stellen gehört der ge-
samte Bereich dazu samt dem Vorhof,
der von Behängen umgeben war und in
dem das eigentliche Zelt stand.

Bundeslade Räucheraltar Schaubrottisch

W Heiliges O
Aller-
heiligstes Bronzenes Brandopferaltar
Waschbecken
Goldener
Leuchter

S
Diese Abbildung zeigt die Anordnung der Einrichtungsgegenstände der Stiftshütte, die
im israelitischen Gottesdienst verwendet wurden. Das Zelt ist zur Verdeutlichung et-
was vergrößert dargestellt.

steht für Christus als Brot des Lebens. man für die Elle 45 cm rechnet; andere
Der Leuchter zeigt uns Christus als Ausleger gehen von der großen Elle
Licht der Welt. Der bronzene Altar von 52,5 cm aus). Die beiden Seiten und
(Kap. 27) ist ein Vorbild für Christus als ein Ende bestanden aus aufrecht ste-
Brandopfer, das ganz für Gott verzehrt henden Brettern, die auf Füßen standen
wurde. Der Räucheraltar oder der gol- und miteinander verbunden wurden.
dene Altar (Kap. 30) ist ein Bild für den Am anderen Ende (am Eingang) stan-
Wohlgeruch, den Christus für Gott dar- den Säulen.
stellte. Das Waschbecken (Kap. 30) ist Die erste Hülle, die hier »Wohnung«
ein Bild dafür, wie Christus sein Volk genannt wird, bestand aus gezwirnter
reinigt, indem er es durch das Wasser- feiner Leinwand (LU 1984) mit Cheru-
bad im Wort wäscht (vgl. Tit 3,5; Joh bim als Kunststickerarbeit in den Far-
13,10; Eph 5,26). ben blauer und roter Purpur und Kar-
mesinrot. Sie bestand aus zwei Teilen,
6. Das Zelt der Stiftshütte (Kap. 26) die wiederum aus je 5 Zeltbahnen be-
26,1-6 Kapitel 26 beschreibt das Zelt der standen, die miteinander verbunden
Stiftshütte. Das Zelt war etwa 13,5 m wurden. Die beiden Teile wurden durch
lang, 4,5 m breit und 4,5 m hoch (wenn 50 goldene Haken miteinander verbun-

113
2. Mose 26 und 27

den, die offenbar an 50 Schlaufen aus das Allerheiligste (oder »Heilige der
blauem Purpur angebracht wurden. Heiligkeiten«), das 4,5 mal 4,5 m groß
Die gesamte Hülle war 13,5 mal 20 m war. Diese beiden Räume wurden durch
groß. Sie bildete die Decke und reichte einen Vorhang voneinander getrennt,
an den Seiten bis 45 cm über den Bo- der aus gezwirnter feiner Leinwand be-
den. stand und mit Cherubim bestickt war.
26,7-13 Die nächste Hülle, »Zelt­ Der Vorhang wurde an vier Säulen auf-
decke« genannt, bestand aus Ziegen- gehängt. Die Lade und der »Gnaden-
haar. Es wurden einmal fünf und ein- stuhl« sollten im Allerheiligsten stehen,
mal sechs Bahnen zusammengefügt, während der Tisch mit den Schau­
und die beiden Teile wurden durch 50 broten und der goldene Leuchter im
Schlaufen und bronzene Haken mitein- Heiligtum stehen sollten. Der Räucher-
ander verbunden. Die gesamte Decke, altar (Kap. 30) war der einzige weitere
die 13,5 mal 22 m groß war, bedeckte Einrichtungsgegenstand im Heiligtum,
alle Seiten der Stiftshütte mit Ausnah- er stand vor dem Vorhang. Der Leuch-
me des Eingangs. Dort wurde ein Teil ter stand an der Südseite des Heilig-
zurückgeschlagen. tums, der Tisch an der Nordseite. Der
26,14 Die dritte Hülle bestand aus Eingang zum Heiligtum bestand aus
Widderfellen, und die vierte aus Dachs- einem gewebten Vorhang, ähnlich dem
fellen (auch übersetzt mit Seekuhfellen, Vorhang zum Allerheiligsten, jedoch
Seehundsfellen oder Delfinhäuten).23 wurde er an fünf Säulen aus Akazien-
Hier werden keine Maße angegeben, holz aufgehängt, die mit Gold über­
wahrscheinlich sollten sie genauso groß zogen waren und auf bronzenen So-
sein wie die Decke aus Ziegenhaar. ckeln standen.
26,15-30 Die aufrecht stehenden Bret-
ter, aus denen drei Seiten der Stiftshütte 7. Der bronzene Brandopferaltar (27,1-8)
bestanden, werden in den Versen 15-25 Der Altar für das Brandopfer, auch
beschrieben. Jedes Brett maß 4,50 m mal bronzener Altar genannt, bestand aus
67,5 cm. Es bestand aus Akazienholz, Akazienholz, das mit Bronze über­
das mit Gold überzogen war, und hatte zogen war. Er maß 2,25 mal 2,25 m und
am unteren Ende zwei Zapfen, die in war etwa 1,35 m hoch. Hörner ragten an
Sockel oder Füße passten. Auf jeder seinen vier Ecken empor. Er wurde mit
Längsseite sollten zwanzig Bretter sein Stangen getragen, die an den unteren
und an der Rückseite sechs Bretter. Seiten angebracht waren.
Zwei besondere Bretter bildeten die
Ecken an der Rückseite. Die Bretter 8. Der Vorhof, die Säulen und die
wurden durch hölzerne Riegel zusam- Leinwand (27,9-19)
mengehalten, die mit Gold überzogen Um das Zelt selbst befand sich ein gro-
waren und durch Ringe aus Gold führ- ßer Platz, der als »Vorhof« bekannt war.
ten, die an den Brettern befestigt waren. Er wurde begrenzt durch Behänge aus
Der mittlere Riegel bestand aus einem gezwirnter feiner Leinwand, die zwi-
Stück. Zwei kürzere Riegel von ver- schen bronzenen Säulen gespannt wa-
schiedener Länge sind wohl zusammen ren. Die Umzäunung maß 45 m in der
über diesem Riegel eingeschoben wor- Länge, 22,5 m in der Breite und 2,25 m
den, und zwei weitere darunter. Einige in der Höhe. Das Tor im Osten war 9 m
Ausleger sind der Ansicht, dass es sich breit. Es bestand aus einem Vorhang
bei den »Brettern« um Rahmen mit Ver- aus besticktem Leinen, ähnlich den Vor-
strebungen handelte. hängen des Heiligtums. Soweit nicht
26,31-37 Die Stiftshütte selbst war in anders angegeben, sollten alle Geräte
zwei Räume aufgeteilt ‒ zuerst das Hei- der Stiftshütte aus Bronze hergestellt
ligtum, das 9 mal 4,5 m maß, und dann werden.

114
2. Mose 27 und 28

9. Das Öl für den Leuchter (27,20-21) des Rechtsspruchs« genannt (Schlachter


Das Öl für den Leuchter sollte reines Öl 2000, V. 15.29.30), vielleicht, weil die Urim
aus zerstoßenen Oliven sein, ein Bild und die Tummim sich darin befanden,
für den Heiligen Geist. Das Öl sollte die benutzt wurden, um das Urteil des
ständig brennen, d.h. jeden Abend vom Herrn zu bestimmen (4Mo 27,21).
Abend bis zum Morgen. Der Ausdruck Der Ausdruck »Urim und Tummim«
»Stiftshütte« (o. »Zelt der Begegnung«) bedeutet »Lichter« und »Vollkommen-
wird hier für das Zelt benutzt, das Got- heiten«. Wir wissen nicht genau, um
tes Wohnort sein sollte, doch wird er in was es sich dabei handelte, aber wir
33,7 für ein vorläufiges Zelt benutzt, wissen (wie oben erklärt), dass sie zum
das Mose errichtet hatte. Brustschild gehörten und dass sie be-
nutzt wurden, um Führung vom Herrn
B. Die Priester (Kap. 28-29) zu empfangen (1Sam 28,6).
28,31-35 Das Obergewand zum Ephod
1. Die Priesterkleidung (Kap. 28)
war ein Kleid aus blauem Purpur, das
28,1-2 Kapitel 28 behandelt die Kleider unter dem Ephod getragen wurde. Es
des Hohenpriesters und seiner Söhne. reichte bis unter die Knie. Am Saum
Diese Kleider, ihre Farben, die Edelstei- waren kleine Glöckchen und Granat­
ne usw. sprechen alle von den verschie- äpfel angebracht, die vom Zeugnis und
denen Herrlichkeiten Christi, unseres von der Frucht sprechen. Der Klang der
großen Hohenpriesters. Die Familie Glöckchen sollte gehört werden, wenn
Aarons war die Priesterfamilie. Aaron das Heiligtum betrat oder ver-
28,3-29 Der Hohepriester hatte zwei ließ.
verschiedene Kleider: (1) Kleider der 28,36-38 Auf dem Kopfbund oder
Herrlichkeit und Schönheit, vielfarbig »Turban« trug der Hohepriester ein gol-
und reich verziert, und (2) einfache wei- denes Stirnblatt oder eine Mitra, auf der
ße Leinenkleidung. Hier werden nun die Worte »Heiligkeit dem HERRN«
die ersteren beschrieben (V. 2-4). Das standen. Dieses sollte allezeit auf seiner
Ephod (V. 6-7) ähnelte einer Schürze, Stirn sein. Es sollte für die Schuld der
mit zwei Teilen, die an den Schultern heiligen Dinge dort sein ‒ eine Erinne-
zusammengefügt und an den Seiten rung daran, dass selbst unsere heiligsten
offen waren. Der gewirkte Gurt (V. 8) Taten mit Sünde beschmutzt sind. Wie
war ein Gürtel, der über dem Saum des Erzbischof Beveridge einmal sagte: »Ich
Ephod um die Taille ging. Die Einfas- kann nicht beten, ohne zu sündigen. …
sungen (V. 13) waren aus Goldfiligran Ich muss über meine Buße Buße tun,
gearbeitet und dienten zur Befestigung und meine Tränen müssen mit dem Blut
der Edelsteine. Auf jeder Schulter be- meines Erlösers gewaschen werden.«24
fand sich ein Onyxstein, in den je sechs 28,39-43 Das gewobene Untergewand
Namen der Stämme Israels eingraviert bestand aus Leinen und wurde von dem
waren (V. 9-12). Auf der Vorderseite des Hohenpriester unter dem blauen Ge-
Ephod befand sich das Brustschild, das wand getragen. Dazu gehörte ein Gürtel
zwölf Edelsteine umfasste. Auf jedem in Buntwirkerarbeit. Die Söhne Aarons
der Edelsteine stand der Name eines trugen einfache weiße Unter­gewänder,
Stammes. Das Brustschild war am Gürtel und hohe Kopf­b edeckungen zur
Ephod mit Ketten aus reinem Gold be- Ehre und zum Schmuck (V. 40). Dar-
festigt (V. 13-28). Auf diese Weise trug unter trugen sie leinene Beinkleider. Sie
der Hohepriester die Stämme Israels waren vom Kopf bis zu den Knöcheln
vor Gott auf seinen Schultern (V. 12, bekleidet, aber sie trugen nichts an den
dem Sitz der Kraft) und auf seinem Her- Füßen. Dies war so angeordnet, weil sie
zen (V. 29, dem Sitz der Zuneigung). auf heiligem Grund standen, wenn sie
28,30 Der Brustschild wird »Brustschild dem Herrn dienten (3,5). Das Wort, das

115
2. Mose 28 und 29

in manchen Übersetzungen mit »wei- Christi, das zur Vergebung unserer


hen« wiedergegeben wird, bedeutet Sünden vergossen wurde (Mt 26,28).
wörtlich »die Hände füllen« (nämlich Das Fett galt als bestes Teil des Tieres
mit Opfergaben). und wurde deshalb dem Herrn ge­
opfert (V. 13). Der erste Widder wurde
2. Die Weihung der Priester (Kap. 29) vollständig auf dem Altar verbrannt
29,1-9 Gott bestimmte Aaron und seine (V. 15-18). Das spricht von der völligen
Söhne zu seinen ersten Priestern. Da- Hingabe Christi an Gott und davon,
nach bestand die einzige Möglichkeit, dass er ganz Gott geopfert wurde. Das
Priester zu werden, darin, dass man in Blut des zweiten Widders (des »Wid-
den Stamm und in die Familie der Pries- ders der Einsetzung«) sollte auf das
ter hineingeboren wurde. In der Ge- rechte Ohrläppchen Aarons und seiner
meinde ist der einzige Weg, wie man Söhne gestrichen werden, dazu auf den
ein Priester werden kann, die Wieder- Daumen ihrer rechten Hand und auf
geburt (Offb 1,5-6). Wenn ein Mensch die große Zehe ihres rechten Fußes
Priester einsetzt, so handelt es sich um (V. 20). Außerdem sollte es auf ihre
menschliche Anmaßung. Kleider gesprengt werden (V. 21). Das
Das Ritual, das hier beschrieben wird, zeigte, dass es erforderlich ist, jeden Be-
wurde in 3. Mose 8 durchgeführt. Die reich des menschlichen Lebens von der
Weihung der Priester ähnelt etwas der Sünde zu reinigen ‒ das Ohr, um Gottes
Reinigung eines Aussätzigen (3. Mose Wort zu gehorchen, die Hand für alles
14). In beiden Fällen wurde Opferblut Tun und den Dienst und den Fuß für
auf die betreffende Person gestrichen, den Wandel oder das Verhalten. Es mag
was lehrt, dass Sühnung notwendig ist, seltsam erscheinen, dass die schönen
bevor der sündige Mensch sich Gott nä- Kleider der Priester mit Blut besprengt
hern kann. wurden ‒ das Sühneblut mag in den
In den Versen 1-3 wird beschrieben, Augen der Menschen nicht besonders
woraus die Opfergaben bestanden; spä- ästhetisch wirken, doch in den Augen
ter werden ausführliche Anweisungen Gottes ist es absolut erforderlich.
gegeben, wie sie zu verwenden sind. 29,22-34 Als Nächstes wurde Mose
Der erste Schritt bei der Weihung der aufgefordert, die Hände der Priester
Priester bestand darin, dass Aaron und mit den für das Opfer vorgesehenen
seine Söhne am Eingang des Zeltes der Gegenständen zu füllen und sie so zum
Begegnung mit Wasser gewaschen wur- Opfer zu bevollmächtigen (V. 22-28).
den (V. 4). Als Zweites wurde Aaron Das erste Opfer sollte vor dem HERRN
mit den Gewändern bekleidet, die im geschwungen werden, und dann sollte
vorhergehenden Kapitel beschrieben es auf dem Altar als Feueropfer für den
sind (V. 5-6). Dann wurde er mit Salböl Herrn verbrannt werden. Die Brust von
gesalbt (V. 7). Daraufhin wurden seine dem Einsetzungswidder sollte vor dem
Söhne mit ihren Priestergewändern be- Herrn geschwungen werden, wahr-
kleidet (V. 8-9). scheinlich waagerecht, und die Schulter
29,10-21 Drei Opfer folgten: ein Jung- oder Keule wurde zweifellos senkrecht
stier als Sündopfer (V. 10-14), ein Wid- vor dem Herrn aufgehoben. Diese bei-
der als Brandopfer (V. 15-18) und ein den Teile wurden den Priestern als
weiterer »Widder der Einsetzung« (V. Speise gegeben (V. 26-28). Die ge­
19-21). Das Auflegen der Hände auf schwun­gene Brust spricht von Gottes
den Kopf des Opfers bedeutete, dass Zuneigung für uns, und die gehobene
der Opfernde sich mit diesem Tier iden- Schulter symbolisiert seine Macht, die
tifizierte und dass das Tier anstelle des für uns ausgeübt wird. Aarons Kleider
Opfernden sterben sollte (V. 10). Das sollten seinen Söhnen nach ihm ge­
Blut ist natürlich ein Bild für das Blut hören, weil das Priestertum vom Vater

116
2. Mose 29 und 30

auf den Sohn vererbt wurde (V. 29-30). ringe gleichermaßen galt, wurde er­
Die Speisen der Priester und ihre Zu­ hoben, wann immer es eine Volkszäh-
bereitung werden in den Versen 31-34 lung gab, und wurde verwendet, um
beschrieben. den Dienst der Stiftshütte zu finanzie-
29,35-46 Die Weihezeremonie dauerte ren. Sie sicherte Schutz vor der Plage zu
sieben Tage, wobei täglich die Opfer (V. 12). Zu Beginn wurde sie benutzt,
wiederholt und der Altar durch Blut um die silbernen Sockel der Bretter der
gereinigt und mit Öl gesalbt werden Stiftshütte herzustellen. Das Silber
sollte (V. 35-37). Von diesem Zeitpunkt spricht von der Erlösung, welche die
an sollten die Priester täglich auf dem Grundlage unseres Glaubens ist. Er­
Brandopferaltar zwei Lämmer darbrin- lösung brauchen alle, und sie wird allen
gen, die einjährig waren ‒ ein Lamm zu denselben Bedingungen gewährt.
am Morgen und das andere zur Abend-
zeit (wörtl. »zwischen den Abenden«, 3. Das Waschbecken (30,17-21)
d.h. wahrscheinlich während der Däm- Das bronzene Becken stand zwischen
merung; V. 38-42). Gott versprach dann, dem Eingang des Zeltes der Begegnung
mit dem Volk bei der Stiftshütte zusam- und dem Altar. Es war ein Becken, in
menzukommen, unter ihm zu wohnen dem die Priester ihre Hände und Füße
und sein Gott zu sein (V. 43-46). waschen konnten. Es wurde aus den
Bronzespiegeln hergestellt, welche die
C. Weitere Anweisungen über die Frauen gestiftet hatten (38,8). Es wird
Stiftshütte (Kap. 30-31) hier keine Größe angegeben. Jeder
Priester, der heilige Handlungen voll-
1. Der Räucheraltar (30,1-10)
ziehen wollte, ehe er sich gewaschen
Der Räucheraltar bestand aus Holz, das hatte, war zum Tod verurteilt. Das ist
mit Gold überzogen war, und stand im eine ernste Erinnerung daran, dass wir
Heiligtum. Er maß etwa 45 mal 45 cm geistlich und moralisch rein sein müs-
und war 90 cm hoch. Er war auch als sen, ehe wir in irgendeinen Dienst für
der »goldene Altar« bekannt. Auf die- den Herrn treten können (vgl. Hebr
sem Altar wurde sowohl jeden Morgen 10,22).
als auch jeden Abend Räucherwerk ver-
brannt, ein Bild für die Fürbitte Christi 4. Das Salböl (30,22-33)
zu unseren Gunsten. Obwohl dieser Al- Ein heiliges Salböl wurde verwendet,
tar im Heiligtum stand, war er doch so um die Stiftshütte, ihre Einrichtungs­
eng mit dem Allerheiligsten verbun- gegenstände und die Priester selbst zu
den, dass der Verfasser des Hebräer- salben. Es durfte zu keinem anderen
briefs ihn als zum Allerheiligsten ge­ Zweck gebraucht werden. Öl ist in der
hörig erwähnt (Hebr 9,4), obwohl das Schrift oft ein Typus für den Heiligen
Wort im Hebräerbrief auch mit »Räu- Geist. Die Salbung der Priester weist
chergefäß« übersetzt werden kann (LU darauf hin, dass man bei allem Dienst
1984).25 Der Altar wurde mit Stangen für Gott immer die Ausrüstung durch
getragen, die in Ringen steckten, die den Geist braucht.
unter seinem Kranz an gegenüber­
liegenden Seiten befestigt waren. 5. Das Räucherwerk (30,34-38)
Das Räucherwerk wurde aus wohlrie-
2. Das Lösegeld (30,11-16) chenden Gwürzen hergestellt und wur-
Gott gab die Anweisung, dass jeder de morgens und abends auf dem golde-
männliche Israelit von zwanzig Jahren nen Räucheraltar verbrannt. Wie das
an und darüber einen halben Schekel als Salböl durfte es ausschließlich für das
Lösegeld für sein Leben zahlen sollte. Heiligtum hergestellt und nirgendwo
Diese Zahlung, die für Reiche und Ge- anders verwendet werden.

117
2. Mose 31

6. Die Begabung der Künstler (31,1-11) Verunreinigung zu reinigen, damit sie


Gott ernannte kunstfertige Handwer- in der Lage waren, sich Gott in der An-
ker, nämlich Bezalel26 und Oholiab, um betung zu nähern.
die Stiftshütte und alle ihre Geräte an- Die Stiftshütte und die damit verbun-
zufertigen. Sie waren über andere Ar- denen Dienste waren Abbilder von
beiter an dieser heiligen Aufgabe ge- himmlischen Dingen (Hebr 8,5; 9,23-
setzt (V. 6b). Die Wiederholung des 24). Das heißt nun nicht, dass es im
»ich« in diesem Abschnitt zeigt, dass Himmel ein Bauwerk von gleicher
mit dem göttlichen Gebot auch die gött- Struktur oder Bauweise gibt, sondern
liche Befähigung gegeben wird. Der dass die Stiftshütte geistliche Realitäten
Herr ernennt seine Arbeiter, schenkt ih- des Himmels widerspiegelt. Man be-
nen Fähigkeiten und Begabungen, und achte diese Parallelen:
gibt ihnen ein Werk, das sie zu seiner
Ehre tun sollen (V. 6). Das Werk ist ganz Das irdische Heilig- Das himmlische
das des Herrn, aber er erreicht sein Ziel tum (Hebr 9,1-5) Heiligtum
(Hebr 8,2; 9,11-15)
mit Hilfe menschlicher Werkzeuge und
belohnt seine Arbeiter anschließend. Das Allerheiligste Das Allerheiligste,
(Hebr 9,3b) Gottes Gegenwart
(Hebr 10,19)
7. Das Zeichen des Sabbats (31,12-18) Der Vorhang Der Vorhang, der Leib
31,12-17 Das Halten des Sabbats war (Hebr 9,3a) Christi (Hebr 10,20)
ein Zeichen zwischen Gott und Israel. Das Blut von Tieren Das Blut Christi
Keine Arbeit sollte am siebten Tag ge- (Hebr 5,1-4) (Hebr 9,14)
tan werden, noch nicht einmal am Bau Der Altar (Hebr 7,13; Christus, unser Altar
2. Mose 27,1-8) (Hebr 13,10)
der Stiftshütte. Ungehorsam wurde mit
Tod bestraft. Der Hohepriester Christus, unser
(Hebr 5,1-4) Großer Hohepriester
31,18 An diesem Punkt gab Gott Mose (Hebr 4,14-15; 5,5-10;
die steinernen Tafeln, auf denen das 7,20-28; 8,1; 10,21)
Gesetz Gottes geschrieben stand, d.h. Die Opfer Christus, unser Opfer
(Hebr 10,1-4.11) (Hebr 9,23-28; 10,12)
die Zehn Gebote (vgl. 5Mo 10,4).
Die Bundeslade Der Thron der Gnade
(Hebr 9,4) (Hebr 4,16)
Der Räucheraltar Der Räucheraltar im
(Hebr 9,4) Himmel (Offb 8,3)
Exkurs: Die Stiftshütte ‒ Gottes
Bild von Christus
Die gesamte Stiftshütte (das »Zelt der
Die leinenen Vorhänge des Vorhofs
Begegnung«) spricht von Christus, dem
(45 x 22,5 m)
Wort, das Fleisch wurde und unter uns
»zeltete« (Joh 1,14 im Griechischen).27 Die Vorhänge waren aus weißem, fein-
Die Stiftshütte kann auch gebraucht gezwirntem Leinen, ein Bild für die
werden, um daran Gottes Erlösungs- vollkommene Gerechtigkeit Gottes. Sie
weg und das darauffolgende Leben waren 2,25 m hoch und bildeten ein
und den Dienst des Gläubigen zu be- Hindernis, das die Menschen davon ab-
schreiben. hielt, über sie hinwegzuschauen. Dies
Doch obwohl hier der Weg zur Er­ ist ein Bild dafür, dass der Mensch Got-
lösung dargestellt wird, wurde es tes Maßstab der Gerechtigkeit nicht er-
einem Volk gegeben, das bereits in reichen kann (Röm 3,23). Außerdem
einer Bundesbeziehung zu Gott stand. zeigen die Vorhänge die Unfähigkeit
Die Stiftshütte stellte also nicht etwa des Sünders, göttliche Dinge zu sehen
einen Weg zur Erlösung zur Verfügung, oder zu erkennen (1Kor 2,14). Die Vor-
sondern sie bot die Mittel an, um die hänge wurden von 56 Säulen aufrecht
Menschen von äußerlicher, ritueller gehalten, die auf bronzenen Sockeln

118
2. Mose 31

standen und silberne Haken und Ver- ren, eines an jeder Ecke (2Mo 27,2).
bindungsstangen hatten. Wahrscheinlich wurde das Opfer an
diese Hörner gebunden (Ps 118,27b). Es
Das Tor waren weder Stricke noch Nägel, die
Um in den Vorhof zu gelangen, musste unseren Retter am Kreuz festhielten,
man durch die Tür oder das Tor kom- sondern seine ewige Liebe zu uns.
men. Es gab nur einen Eingang, genau- Wenn ein Israelit ein Brandopfer dar-
so wie Christus der einzige Weg zu Gott brachte, dann legte er die Hände auf
ist (Joh 14,6; Apg 4,12). Das Tor war 9 m das Opfer und identifizierte sich so mit
breit, ein Bild dafür, dass Christus für ihm. Auf diese Weise brachte er zum
die gesamte Menschheit genügt (Joh Ausdruck, dass dieses Tier an seiner
6,37; Hebr 7,25). Stelle sterben würde. Es war ein stell-
Die Vorhänge des Tors waren aus wei- vertretendes Opfer. Das Tier wurde ge-
ßem Leinen, das in Blau (LU 1984), Pur- schlachtet und sein Blut vergossen. Dies
purrot und Scharlachrot bestickt war. weist auf das Blut Christi hin, ohne das
Dies ist ein Bild für Christus, wie er in es keine Vergebung der Sünden gibt
den vier Evangelien dargestellt wird: (Hebr 9,22).
Alles außer der Haut wurde auf dem
Pur- Matthäus Der König (Mt 2,2) Altar verbrannt. Hier, wie so oft, hört
purrot das Vorbild auf, denn Christus war auf
Schar- Markus Der demütige Knecht, Golgatha dem Willen des Vaters voll­
lachrot der für die Sünden stirbt, ständig hingegeben.
die in Jes 1,18 (LU 1984)
mit Scharlach verglichen Es war ein Opfer des Wohlgeruchs,
werden was uns daran erinnert, dass Gott durch
Weiß Lukas Der vollkommene das Werk Christi vollständig zufrieden-
Mensch (Lk 3,22) gestellt wird. Für den Opfernden be-
Blau Johannes Der Himmlische wirkte es die Sühnung seiner Sünde.
(Joh 3,13)
Das Waschbecken
Das Waschbecken bestand aus Bronze
Der bronzene Brandopferaltar von den Spiegeln der Frauen (2Mo
(2,25 x 2,25 m, 1,35 m hoch) 38,8). J.H. Brown merkt dazu an: »Sie
lieferten die Dinge aus, die nur ihrer Ei-
Der erste Gegenstand, dem man im Vor- telkeit dienten, die in gewisser Weise
hof begegnete, war der Altar. Das war das Fleisch befriedigten.« Das Gericht
die Stätte, wo die Opfer dargebracht über die eigene Sünde muss der An­
wurden. Er spricht vom Kreuz Christi betung vorausgehen (1Kor 11,31).
auf Golgatha (Hebr 9,14.22). Hier muss Das Waschbecken war für die Priester
der Sünder beginnen, wenn er sich Gott bestimmt. Es spricht von der Notwen-
nähern will. Der Altar bestand aus Bron- digkeit der Reinigung für den Dienst
ze und Akazienholz, dem unverwüst­ (Jes 52,11). Die Priester wurden einmal
lichen Holz aus der Wüste. Bronze ganz gewaschen, als sie ihren Dienst an-
spricht vom Gericht, und das Holz ist traten (3Mo 8,6). Danach mussten sie
ein Bild für die sündlose, unverwesliche sich regelmäßig Hände und Füße wa-
Menschheit Christi. Der, der keine Sün- schen. Ein Bad, viele Reinigungen. Heu-
de kannte, trug Gottes Gericht über un- te sind alle Gläubigen Priester (1Petr
sere Sünden (2Kor 5,21). 2,5.9). Wir brauchen das Bad der Wie-
Der Altar war hohl und hatte innen dergeburt nur einmal (Joh 3,5; 13,10; Tit
ein Gitter auf halber Höhe, auf die das 3,5). Aber wir müssen ständig unsere
Opfertier gelegt wurde. Es gab vier Hände (für den Dienst) und unsere Füße
Hörner, die mit Bronze überzogen wa- (für den gottesfürchtigen Wandel) wa-

119
2. Mose 31

schen (Joh 13,10). Wir tun dies mit dem einander verbunden, die mit Gold über-
Wasser des Wortes Gottes (Ps 119,9-11; zogen waren (2Mo 26,26-28). Der mitt-
Joh 15,3; Eph 5,26). lere ging durch die Mitte aller Bretter,
Es kann sein, dass das Waschbecken vielleicht ein Bild für den Heiligen
eine obere Schale hatte, um die Hände Geist. Jedes Brett wurde durch Zapfen
zu waschen, und eine untere für die in zwei silbernen Sockeln aufrecht ge-
Füße. Die exakte Form oder Größe des halten. Silber spricht von der Erlösung
Waschbeckens werden in der Bibel (vgl. 2Mo 30,15, wo der Silberschekel
nicht beschrieben. das Lösegeld war). Das Fundament des
Gläubigen ist das Erlösungswerk Chris-
Die Stiftshütte selbst (4,5 x 13,5 m) ti (1Petr 1,18-19).
Die Stiftshütte (das Zelt) selbst war von
außen unscheinbar, aber von innen Das Heiligtum
schön. Alle Einrichtungsgegenstände Der Vorhang, der in das Heiligtum
waren entweder mit Gold oder mit Sti- führt, steht für Christus als den Weg zu
ckerei überzogen. Sie steht für Christus, unserer Gemeinschaft mit Gott (Eph
der unter uns »zeltete« (Joh 1,14). Er 2,18; 3,12). Es gab im Heiligtum keinen
war äußerlich nicht schön, dass wir ihn Stuhl, weil das Werk des Priesters nie
begehrt hätten (Jes 53,2b), aber von in- vollendet war. Man vergleiche damit
nen ist alles an ihm lieblich. das ein für alle Mal geschehene Werk
Es gab vier Zeltdecken, die von innen Christi (Hebr 10,12).
nach außen so angeordnet waren:
Der Schaubrottisch (90 cm lang,
Feines Die Gerechtigkeit und Schön-
45 cm breit, 67,5 cm hoch, steht an der
gesticktes heit Christi Nordseite)
Leinen
Der Tisch war aus mit Gold überzoge-
Ziegenhaar Die Sühnung durch Christus, nem Akazienholz gefertigt, welches ein
der unser Sündenbock wurde
(vgl. 3. Mose 16) Bild für die Menschlichkeit und Gött-
rot gefärbte Die Weihung Christi (vgl. der lichkeit unseres Herrn ist. Auf dem
Widderfelle Widder der Einsetzung) Tisch lagen 12 ungesäuerte Brote, die
Dachsfelle Diese werden auch mit Gottes Volk symbolisieren, wie es in
»Delfinhäuten« oder »Häuten Verbindung mit Christus vor Gott er-
von Seekühen« übersetzt. Sie
schützten das Zelt vor der scheint. Das Brot war von zwei golde-
Witterung, ein Bild dafür, dass nen Kränzen umgeben, so wie wir
Christus sein Volk vor dem
Bösen von außen schützt. durch den gekrönten, verherrlichten
Christus sicher bewahrt werden.
Der Leuchter (Gewicht ca. 30 kg,
Die Bretter keine Abmessungen, steht an der
Einige Ausleger sind der Meinung, dass Südseite)
es sich dabei eher um Rahmen mit Ver- Aus getriebenem Gold gearbeitet, hatte
strebungen als um solide Bretter gehan- der Leuchter einen Fuß, aus dem sich
delt habe. Jedenfalls sind sie ein Bild für ein Stamm erhob, von dem sieben Arme
die Gläubigen, die eine im Geist zusam- ausgingen, von denen jeder oben eine
mengefügte Behausung für Gott bilden Öllampe trug. Der Leuchter war die
(Eph 2,22). Sie bestanden aus mit Gold einzige Lichtquelle in der Stiftshütte. Er
bezogenem Akazienholz, was unsere kann ein Bild des Heiligen Geistes in
Menschlichkeit und unsere Stellung in seinem Dienst der Verherrlichung
Christus versinnbildlicht. Gott sieht uns Christi sein (Joh 16,14), oder er kann
in ihm. Die Bretter waren 4,5 m hoch von Christus als dem Einen sprechen,
und durch fünf waagerechte Riegel mit- der das Licht des Himmels ist (Offb

120
2. Mose 31 und 32

21,23) und die Quelle allen geistlichen 2Mo 16,2-3; das Gesetz, 2Mo 32,19; Aa-
Lichtes (Joh 8,12). Das reine Gold steht rons Stab, 4Mo 17,16-28) und kann so
für die Göttlichkeit. Die Lampen brann- ein Bild für Christus sein, der den Fluch
ten vom Abend bis zum Morgen (2Mo über unsere Rebellion getragen hat.
27,21; 1Sam 3,3). Oder das Manna kann ein Bild sein
für Christus, der das Brot Gottes ist, das
Der Räucheraltar (45 x 45 cm, 90 cm Gesetz ein Ausdruck der Heiligkeit
hoch, in der Mitte vor dem Vorhang) Gottes, die der Herr groß machte und
Der Räucheraltar bestand aus Akazien- verherrlichte, und Aarons Stab ein Bild
holz und Gold, ein Typus für die für Christus, den Auferstandenen, ei-
Menschlichkeit und Göttlichkeit Chris- nen Priester, den Gott selbst erwählt
ti. Er ist ein Bild für den verherrlichten hat.
Christus, der für sein Volk eintritt (Hebr
7,24-26; Offb 8,3-4). Das Räucherwerk Der Gnadenstuhl (Sühnedeckel)
spricht von dem Wohlgeruch seiner Der Gnadenstuhl war der Deckel der
Person und seines Werkes. Das Feuer Bundeslade. Auf ihm waren zwei Che-
musste vom Brandopferaltar gebracht rubim aus getriebenem Gold, Wächter
werden ‒ es bedeutet den Wohlgeruch des Thrones Gottes und Verteidiger sei-
Christi, der sich selbst als ein makel­ ner Gerechtigkeit. Sie blickten hinab auf
loses Opfer Gott darbrachte. das Blut, das vor die Bundeslade und
Das Räucherwerk wurde aus Stakte, auf den Gnadenstuhl gesprengt wurde.
Räucherklaue, Galbanum und Weih- Das Blut Christi befriedigt Gottes Ge-
rauch hergestellt ‒ alle zusammen bil- rechtigkeit und bedeckt alle unsere
den einen einzigen Wohlgeruch, näm- Übertretungen vor seinen Augen. So
lich den lieblichen Geruch Christi (Eph wird der Richterstuhl zum Gnadenstuhl.
5,2; LU 1984, Schlachter 2000). Christus ist unser Gnadenstuhl (dassel-
be Wort wie »Sühnung« in 1Jo 2,2). Gott
Das Allerheiligste begegnet dem Sünder in Christus.
Der Vorhang, der zum Allerheiligsten
führt, spricht vom Fleisch Christi (Hebr Die Herrlichkeitswolke
10,19-22), das im Tod auf Golgatha zer- Als die Stiftshütte vollendet war, er-
rissen wurde (Lk 23,45). Während nur schien der Herr in der Herrlichkeits-
die Priester das Heiligtum betreten wolke auf dem Gnadenstuhl. Diese
durften und nur der Hohepriester an ei­ Herrlichkeitswolke ist auch unter dem
nem Tag im Jahr in das Allerheiligste Namen »Schechina« bekannt, was vom
treten durfte, haben die Gläubigen heu- hebräischen Wort für »wohnen«
te zu jeder Zeit Zugang zur Gegenwart kommt. Sie war das sichtbare Zeichen
Gottes (Hebr 10,19-22). seiner Herrlichkeit.
Die Bundeslade (112,5 cm lang,
67,5 cm breit und hoch)
Die Bundeslade war ein Kasten aus D. Ein Ausbruch des Götzendienstes
Akazienholz, der mit Gold überzogen (Kap. 32-33)
war. Sie spricht vom Thron Gottes. Es
gibt zwei Möglichkeiten, ihren Inhalt 1. Das goldene Kalb (32,1-10)
zu betrachten, einen, der auf den Men- Das Volk wurde ungeduldig, weil es
schen bezogen und eher negativ ist, auf Mose warten musste, und so bat es
und einen anderen, der sich auf Chris- Aaron, ihm ein Götzenbild zu machen.
tus bezieht und sehr positiv ist: Er willigte ergeben ein, indem er die
Erstens enthielt die Bundeslade drei »goldenen Ohrringe« (Schlachter 2000)
Erinnerungen an Rebellion (das Manna, zu einem goldenen gegossenen Kalb

121
2. Mose 32 und 33

machte, eine Handlung, die ausdrück- 32,21-24 Als Mose Aaron fragte, was
lich verboten war (2Mo 20,4). Dann fin- ihm dieses Volk denn getan habe, dass
gen die Israeliten mit einem wüsten Ge- er ihm so etwas angetan hatte, erklärte
lage an, bei dem sie das Götzenbild an- ihm Aaron, was geschehen war. Dabei
beteten, aßen, tranken und unanständi- deutete er an, dass das goldene Kalb
ge Spielchen trieben. Sie gaben vor, den auf geheimnisvolle Weise aus dem
HERRN anzubeten, aber sie benutzten Feuer hervorgegangen sei (V. 24). Nur
dazu das Kalb. Gott hatte sein Volk mit der Fürbitte von Mose war es zu ver-
Gold gesegnet, als sie Ägypten verlie- danken, dass der Herr Aaron nicht töte-
ßen (12,35-36), aber der Segen verwan- te (5Mo 9,19-20).
delte sich durch die sündigen Herzen 32,25-29 Einige vom Volk machten
des Volkes in einen Fluch. Gott teilte ungeniert weiter. Als Mose nach treuen
Mose mit, was am Fuß des Berges vor Nachfolgern rief, antwortete der Stamm
sich ging (V. 7-8), und drohte damit, Levi, und seine Angehörigen erschlu-
dieses Volk zu vernichten (V. 9-10). gen diejenigen mit dem Schwert, die
zügellos waren (Schlachter 2000). Selbst
2. Die Fürbitte und der Zorn des Mose enge Verwandte wurden nicht ver-
(32,11-35) schont. Hier brachte der Bruch des Ge-
32,11-13 Mit seiner Antwort gehört setzes 3000 Menschen den Tod. Zu
Mose zu den großen Fürbittern der Bi- Pfingsten brachte das Evangelium der
bel. Man beachte, welch starke Argu- Gnade 3000 Menschen die Erlösung.
mente er anführt: Das Volk war das Die heroische Loyalität der Leviten mag
Volk des HERRN (V. 11-12). Gott hatte der Grund dafür gewesen sein, warum
sich genug um sie gesorgt, um sie aus sie erwählt wurden, der Priesterstamm
Ägypten zu befreien (V. 11). Die Ägyp- zu werden (vgl. V. 29).
ter würden sich hämisch freuen, wenn 32,30-35 Mose kehrte auf den Berg
Gott seinem Volk das antun würde, was zurück, um dem HERRN zu begegnen.
sie nicht geschafft hatten (V. 12). Gott Er meinte, er könne Sühnung für ihre
musste doch seinem Bund treu sein, Sünde erwirken (V. 30-32). Der Herr
den er mit den Patriarchen geschlossen gab ihm eine zweifache Antwort: Ers-
hatte (V. 13). tens würde er die Menschen bestrafen,
32,14 »Da gereute den HERRN das die das Kalb gemacht hatten (das tat er,
Unheil.« Das Wort »Unheil« bedeutet in indem er eine Seuche unter sie sandte,
diesem Zusammenhang Strafe. Als Ant- V. 35), zweitens wollte er seinen Engel
wort auf die Fürbitte Moses wandte sich vor Mose hergehen lassen, wenn er das
der Herr von der Strafe ab, die er sonst Volk in das Verheißene Land führen
seinem Volk angetan hätte. würde. Moses Charakter leuchtet hier
32,15-20 Mose kam mit den beiden in V. 32 auf ‒ er war bereit, für sein Volk
Tafeln des Zeugnisses vom Berg, begeg- zu sterben. »Tilge mich aus deinem
nete auf seinem Rückweg Josua und Buch« ist bildlich gesprochen und be-
kam zu dem Volk, als es sein sinnliches, deutet: »Lass mein Leben aufhören.«28
götzendienerisches Fest feierte. In ge- Gott verschonte Mose, aber nicht seinen
rechtem Zorn zerschmetterte er die Ta- geliebten Sohn. Wie ähnelt dies unse-
feln des Gesetzes als Zeugnis für das, rem Herrn, der als der Gerechte für die
was das Volk schon getan hatte. Dann Ungerechten starb!
zermalmte er das goldene Kalb zu
feinem Staub, streute es auf die Ober­ 3. Die Buße des Volkes (33,1-6)
fläche des Wassers und gab es dem Der Herr weigerte sich, die sündigen
Volk zu trinken (V. 20) – wohl ein Bild Israeliten weiter auf ihrer Reise nach
dafür, dass unsere Sünden als bitterer Kanaan zu begleiten, damit er nicht
Trank zu uns zurückkehren. gezwungen war, sie auf dem Weg zu

122
2. Mose 33 und 34

vernichten. Stattdessen sandte er einen sich als Gott der Gnade und Güte zu of-
Engel als Stellvertreter. »Als das Volk fenbaren (vgl. 2Mo 34,6-7). Mose konn-
diese harte Rede hörte, trug es Leid, te Gottes Angesicht nicht sehen und am
und niemand legte seinen Schmuck an« Leben bleiben, aber es war ihm gestat-
(Schlachter 2000). Dieser Schmuck war tet, auf einem Felsen zu stehen, wäh-
ähnlich dem, der für das goldene Kalb rend die Herrlichkeit Gottes an ihm vor­
verwendet worden war. Vom Berg überziehen würde, und er durfte Gott
Horeb an trugen sie keinen Schmuck »von hinten« sehen. Das ist natürlich
mehr. bildliche Sprache, denn Gott hat keinen
Leib (Joh 4,24). Wie Hywel Jones es aus-
4. Moses Zelt der Begegnung (33,7-11) gedrückt hat: »Mose darf den Nach-
Das Zelt, das in Vers 7 erwähnt wird, ist glanz sehen, der zuverlässg anzeigt,
nicht die Stiftshütte, die noch nicht er- wie die volle Herrlichkeit sein muss.«29
richtet war, sondern ein provisorisches Niemand kann Gott sehen und am
Zelt, das Mose aufschlug und das hier Leben bleiben (V. 20). Das bedeutet,
»Zelt der Begegnung« genannt wird. dass niemand die unverhüllte Herrlich-
Menschen, die den HERRN suchten, keit Gottes betrachten kann. Gott wohnt
konnten dort hingehen, »außerhalb des in einem unzugänglichen Licht (1Tim
Lagers«. Das Lager selbst war durch die 6,16). In diesem Sinne hat niemand Gott
Sünde des Volkes verunreinigt worden, jemals gesehen (1Jo 4,12). Wie können
deshalb lag das Zelt außerhalb. Wenn wir dann Abschnitte in der Bibel erklä-
Mose in das Zelt trat, kam die Wolken- ren, in denen Menschen Gott gesehen
säule herab, um Gottes Gegenwart an- haben und nicht gestorben sind? Bei-
zuzeigen. Vers 11 kann nicht bedeuten, spiele sind: Hagar (1Mo 16,13), Jakob
dass Mose wirklich Gott persönlich in (1Mo 32,30); Mose, Aaron, Nadab, Abi-
seinem Wesen sah. Es bedeutet einfach, hu und siebzig Älteste Israels (2Mo
dass er direkte, ungehinderte Gemein- 24,9-11), Gideon (Ri 6,22-23), Manoach
schaft mit Gott hatte, von Angesicht zu und seine Frau (Ri 13,22), Jesaja (Jes
Angesicht. Es ist erwähnenswert, dass 6,1), Hesekiel (Hes 1,26; vgl. 10,20), Jo-
Josua, der damals ein junger Mann war, hannes (Offb 1,17).
nicht aus dem Inneren des Zeltes wich. Die Antwort lautet, dass diese Men-
Vielleicht war dies das Geheimnis sei- schen Gott gesehen haben, wie er durch
nes späteren geistlichen Gelingens. den Herrn Jesus Christus dargestellt
wurde. Manchmal erschien dieser als
5. Das Gebet des Mose (33,12-23) Engel des HERRN (vgl. Kommentar zu
33,12-17 Mose bat darum, dass Gottes Richter 6, wo diese Lehre diskutiert
Gegenwart (wörtl. sein Angesicht) mit wird), manchmal als Mensch, und ein-
ihm sein sollte, wenn er sein Volk nach mal erschien er als Stimme (2Mo 24,9-11;
Kanaan führte. Da versprach Gott in vgl. 5Mo 4,12). Der eingeborene Sohn,
seiner Gnade, dass seine Gegenwart der in des Vaters Schoß ist, hat Gott voll-
mitgehen würde. Mose bestand darauf, kommen verkündet (Joh 1,18). Christus
dass nichts Geringeres genügen würde. ist die Ausstrahlung der Herrlichkeit
Wie einst Noah hatte Mose Gnade ge- Gottes und das ausdrückliche Abbild
funden in den Augen des HERRN, und seiner Person (Hebr 1,3). Deshalb konnte
sein Wunsch wurde erfüllt. »Sicherheit er sagen: »Wer mich sieht, der sieht den
besteht nicht in der Abwesenheit von Vater« (Joh 14,9; LU 1984).
Gefahr, sondern in der Anwesenheit
Gottes.« E. Die Erneuerung des Bundes
33,18-23 Als Nächstes bat Mose, die (34,1 - 35,3)
Herrlichkeit Gottes sehen zu dürfen. 34,1-9 Und wieder wurde Mose allein
Gott antwortete, indem er versprach, auf den Berg Sinai berufen, diesmal mit

123
2. Mose 34 und 35

zwei steinernen Tafeln, die er selbst zu- Männer zu rauben, wenn die Letzteren
hauen musste. Dort offenbarte sich der dreimal im Jahr nach Jerusalem ziehen
HERR als barmherziger und gnädiger würden. Nachdem andere Regeln wie-
Gott, als »langsam zum Zorn und reich derholt wurden (V. 25-26), befahl der
an Gnade und Treue« (V. 6-7). HERR dem Mose, dass er diese Worte,
Drei verschiedene Wörter werden in die Gott soeben in den Versen 11-26 ge-
Vers 7 für falsches Handeln gebraucht: sprochen hatte, aufschreiben sollte
»Ungerechtigkeit« (Elb) hat damit zu (V. 27). Dann schrieb der Herr selbst die
tun, dass die Wege des Herrn verdreht zehn Worte auf die Tafeln (V. 28; vgl.
werden. »Übertretung« bedeutet Rebel- V. 1 und 5Mo 10,1-4).
lion gegen Gott. »Sünde« bedeutet wört- 34,28-35 Nach vierzig Tagen und vier-
lich »Vergehen«, in erster Linie, indem zig Nächten auf dem Berg stieg Mose
man nicht die Bedingungen erfüllt, die mit den beiden Tafeln in seinen Händen
Gott gestellt hat. Alle Begriffe enthalten herab (V. 28-29a). Er war sich nicht be-
die Vorstellung, dass wir nicht die Herr- wusst, dass die Haut seines Gesichtes
lichkeit Gottes erlangen (Röm 3,23). Die strahlte, weil er in der Gegenwart Got-
Israeliten hätten eigentlich alle sterben tes gewesen war (V. 29b-30). Die Men-
müssen, weil sie Gottes Gesetz gebro- schen fürchteten sich, zu ihm heranzu-
chen hatten, aber Gott verschonte sie in treten. Nachdem er die Gebote des
seiner Gnade. Mose betete den Herrn an HERRN dem Volk Israel verkündet hat-
und bat um seine Gegenwart und Gna- te, legte er eine Decke auf sein Gesicht
de aufgrund der völligen Unwürdigkeit (V. 31-33). Paulus erklärt in 2Kor 3,13,
seines Volkes (V. 8-9). dass Mose sein Gesicht verhüllte, damit
34,10-17 Gott erneuerte daraufhin den das Volk nicht die schwindende Herr-
Bund und versprach, für Israel Wunder lichkeit des Gesetzes bzw. des Zeitalters
zu tun, indem er die Einwohner Kana- des Gesetzes sah.
ans vertrieb. Er warnte das Volk davor, 35,1-3 Mose versammelte dann die
sich mit den Heiden zu vermischen ganze Gemeinde und wiederholte das
oder ihre götzendienerischen Praktiken Sabbatgesetz für sie.
zu übernehmen. Ascherim waren an-
stößige Bilder oder Phallus-Idole, Sym- F. Herstellung der Einrichtung der
bole der Fruchtbarkeit. Weil Gott einen Stiftshütte (35,4 - 38,31)
»Bund« mit seinem Volk geschlossen
hatte, sollten sie keinen Bund mit den 1. Die Gaben des Volkes und die begabten
Bewohnern des Landes schließen. Es ist Menschen (35,4 - 36,7)
unmöglich, mit Gott und den Götzen- 35,4-20 Mose gab Anweisungen für ein
bildern gleichzeitig verbunden zu sein freiwilliges Hebopfer für den HERRN,
(vgl. 1Kor 10,21). das aus den Materialien für den Bau
34,18-27 Gott wiederholte dann die der Wohnung bestand (V. 4-9). Er berief
Anweisungen über das Fest der un­ auch begabte Handwerker, die die ver-
gesäuerten Brote (V. 18), die Weihe der schiedenen Bestandteile anfertigen soll-
Erstgeborenen (V. 19-20), den Sabbat ten (V. 10-19). Gott hatte zwei Gebäude
(V. 21), das Wochenfest und das Fest für den Gottesdienst, die Stiftshütte und
der Ernte (V. 22). Alle Männer sollten den Tempel. Für beide wurde im Vor-
zu den drei jährlichen Festen (in 23,14- aus bezahlt. Gott hatte die Herzen sei-
17 erwähnt) vor dem Angesicht des nes Volkes bewegt, alle benötigten Ma-
HERRN erscheinen (V. 23-24). Man be- terialien zur Verfügung zu stellen
achte, dass Gott in Vers 24 versprochen (V. 5.21-22.26.29). Genauso sollten un-
hatte, den Willen der Kanaaniter zu be- sere Gaben und unser Dienst freiwillig
einflussen, sodass sie nicht versuchen und ohne Widerwillen gegeben wer-
würden, das Eigentum der jüdischen den.

124
2. Mose 35 bis 37

35,21 - 36,1 Viele der Menschen gaben 4. Die Riegel, die die Bretter
großzügig von den Schätzen, die sie aus zusammenhalten (36,31-34)
Ägypten mitgebracht hatten (V. 21-29). Vier der Riegel waren sichtbar, einer
Diejenigen, die Gold für das Kalb ge­ war unsichtbar, weil er »in der Mitte der
geben hatten, hatten damit alles ver­ Bretter« entlanglief. Der unsichtbare
loren. Diejenigen, die in die Stiftshütte Riegel ist ein gutes Bild für den Heiligen
investierten, hatten die Freude, zu se- Geist, der die Gläubigen »zu einem hei-
hen, wie ihr Reichtum zur Ehre des ligen Tempel im Herrn« zusammenfügt
HERRN benutzt wurde. (Eph 2,21-22). Die vier anderen Riegel
Mose benannte öffentlich Bezalel und könnten für das Leben, die Liebe, die
Oholiab als diejenigen, die Gott ernannt Stellung und das Bekenntnis stehen, die
hatte, für jedes Kunsthandwerk zu ar- allen Gläubigen gemeinsam sind.
beiten. Sie hatten auch die Fähigkeit,
andere zu unterweisen (35,30 - 36,1). 5. Der Vorhang vor dem Allerheiligsten
36,2-7 Die geschickten Arbeiter began- (36,35-36)
nen mit dem Bau des Heiligtums, aber Dieser Vorhang ist ein Bild für das
das Volk brachte jeden Morgen so viel Fleisch des Herrn Jesus (Hebr 10,20),
Material, dass Mose sie zurückhalten das auf Golgatha zerrissen wurde, um
musste, noch mehr zu bringen. Von Vers uns einen Weg zu Gott zu eröffnen. Die
8 in Kap. 36 bis zum Ende von Kapitel 39 Cherubim auf dem Vorhang stehen
finden wir nun einen ausführ­lichen Be- wahrscheinlich für die Wächter des
richt über den Bau der Stiftshütte und Throns der Gerechtigkeit Gottes.
ihrer Einrichtungsgegen­stände. Die
Wie­derholung so vieler Einzelheiten er- 6. Der Vorhang vor dem Heiligtum (36,37-38)
innert uns daran, dass Gott sich nie von Dieser Vorhang wurde aus demselben
Dingen ermüden lässt, die zu ihm von Material hergestellt wie das Tor des Vor-
seinem geliebten Sohn sprechen. hofs und der oben erwähnte Vorhang
und zeigt uns Christus als Weg zu Gott.
2. Die Zeltdecken der Stiftshütte (36,8-19)
Die innere Zeltdecke, die aus feiner 7. Die Bundeslade (37,1-5)
Leinwand bestand, wurde »Wohnung« Die Lade war ein Kasten aus Akazien-
genannt (V. 8). Als Nächstes kamen die holz, mit reinem Gold überzogen. Sie
Zeltdecken aus Ziegenhaar, die »Zelt« wies auf die Menschlichkeit und Gött-
(LU 1984) oder »Zeltdach« (Schlachter lichkeit unseres Herrn hin. Sie enthielt
2000) genannt wurden (V. 14). Die Zelt- die Gesetzestafeln, ein goldenes Gefäß
decken aus Widderfellen und aus mit Manna und Aarons sprossenden
Dachs­fellen (vielleicht auch Delfin­ Stab. Wenn wir das auf Jesus übertra-
häuten oder Seekuhfellen) wurden gen, dann sprechen diese Gegenstände
»Decke« genannt (V. 19). von dem Einen, der sagte: »Dein Gesetz
ist in meinem Herzen« (Ps 40,8b;
Schlachter 2000), von dem Brot Gottes,
3. Die Bretter der drei Seiten (36,20-30) das vom Himmel gekommen ist (Joh
Diese Bretter bestanden aus Akazien- 6,33) und von dem von Gott erwählten
holz, der einzigen Holzsorte, die in der Priester, der von den Toten auferstan-
Stiftshütte Verwendung fand. Akazien den ist (Hebr 7,24-26). Wenn wir das
wachsen an trockenen Orten, sind sehr auf das Volk Israel anwenden, dann
schön und haben ein Holz, das prak- waren es alles Erinnerungen an Zeiten
tisch unverwüstlich ist. Genauso war des Versagens und der Auflehnung.
der Herr Jesus eine Wurzel aus dürrem
Erdreich (Jes 53,2), war sittlich schön 8. Der Gnadenstuhl (37,6-9)
und ist der Ewige. Der »Gnadenstuhl« (Luther 1912) oder

125
2. Mose 37

Die Gegenstände in der Stiftshütte

Die Bundeslade Das bronzene Der Brandopferaltar


(2Mo 25,10-22). Die Waschbecken (2Mo 27,1-8). Tieropfer
Bundeslade war der heiligste (2Mo 30,17-21). Zum wurden auf diesem Altar
Gegenstand der Stiftshütte. Waschbecken kamen die dargebracht, der sich im
Hier bewahrten die Juden Priester, um sich zu Vorhof vor dem Eingang
eine Kopie der Zehn Gebote reinigen. Sie mussten rein der Stiftshütte befand. Das
auf, die eine Zusammenfas- sein, um in die Gegenwart Blut der Opfer wurde auf
sung des gesamten Bundes Gottes zu treten. die vier Hörner des Altars
darstellten. gesprengt.

Der goldene Leuchter Der Schaubrottisch Der Räucheraltar


(2Mo 25,31-40). Der goldene (2Mo 25,23-30). Der (2Mo 30,1-10). Der
Leuch­ter stand im Heiligtum, Schaubrottisch war ein Räucheraltar im Heiligtum
dem Schaubrottisch Ständer, auf den Opfer­ war viel kleiner als der
gegenüber. Er hatte sieben gaben gelegt wurden. Auf Brandopferaltar draußen.
Lampen, flache Schalen mit dem Tisch in der Gegen- Das Räucherwerk, das auf
je einem Docht, der in dem wart Gottes befanden sich dem Altar verbrannt wurde,
Öl der Schale schwamm und immer 12 Brotlaibe, die für duftete lieblich.
dessen brennendes Ende die 12 Stämme Israels
heraushing. standen.

Sühnedeckel war Gottes Thron, sein gestellt hat zu einem Gnadenstuhl«


Aufenthaltsort auf Erden. Wenn die gol- (Röm 3,25; Elberfelder).30 Der Gnaden-
denen Cherubim auf ihn hinabschauten, stuhl war der Deckel der Bundeslade.
sahen sie nicht das Gesetz (das Israel ge-
brochen hatte), auch nicht das Gefäß mit 9. Der Schaubrottisch (37,10-16)
Manna oder Aarons Stab, die beide mit Auf dem Tisch für die Schaubrote lagen
Rebellionen Israels in Verbindung stan- 12 Brote, »ein Bild für Israels Stellung
den. Stattdessen sahen sie das gespreng- vor Gott in der Wohlgefälligkeit Christi,
te Blut, das Gott in die Lage versetzte, der als der echte Aaron sie auch jetzt
aufrührerischen Sündern gegenüber vor Gott erhält«.31 Die Brotlaibe können
gnädig zu sein. Der Gnadenstuhl zeigt auch von Gottes Fürsorge für jeden ein-
Christus als den Einen, »den Gott dar­ zelnen der zwölf Stämme sprechen.

126
2. Mose 37 bis 39

10. Der goldene Leuchter und sein 15. Der Vorhof, die Säulen und die
Zubehör (37,17-24) Leinwand (38,9-31)
Einige Ausleger sehen »den Leuchter 38,9-20 Der äußere Vorhof um die Stifts-
aus reinem Gold« als Typus für Chris- hütte bestand aus weißen, leinenen Be-
tus, das wahre Licht der Welt (Joh 8,12). hängen, 56 Säulen mit bronzenen Fuß-
Andere sehen ihn eher als Bild für den gestellen und silbernen Haken. Dazu
Heiligen Geist, dessen Aufgabe es ist, gab es einen bestickten Vorhang für das
Christus zu verherrlichen, weil er alles Tor. Das weiße Leinen spricht von der
erleuchtet, was im Heiligtum von Chris- Gerechtigkeit, die den ungläubigen
tus spricht. Wieder andere sehen in ihm Sünder daran hindert, sich Gott zu nä-
Christus in Vereinigung mit seinen hern, aber die auch den Gläubigen drin-
Gläubigen widergespiegelt. Die Schaft- nen absondert und beschützt. Der ein-
röhre des Leuchters ist einzigartig, weil zige Eingang zum Vorhof war das Tor
die sechs Arme, drei auf jeder Seite, aus aus gezwirnter feiner Leinwand, das
ihm hervorgehen, aber alle sind aus mit blauem und rotem Purpur und mit
einem einzigen Stück Gold gefertigt. Scharlach bestickt war. Dies ist hier ein
Bild für Christus, der der einzige Weg
11. Der Räucheraltar (37,25-28) zu Gott ist (»Ich bin die Tür«, Joh 10,9).
Der Räucheraltar spricht von Christus, Das feine Leinen ist ein Bild seiner ma-
der der ewige göttliche Duft ist. Er kellosen Reinheit, das Blau steht für sei-
spricht auch vom gegenwärtigen Dienst ne himmlische Herkunft, das Purpur
des Herrn Jesus, der für uns im Himmel steht für seine königliche Herrlichkeit
eintritt. und der Scharlach für sein Leiden um
unserer Sünde willen.
12. Das Salböl und das Räucherwerk (37,29) 38,21-23 Die Namen der Handwerker
Das Salböl ist ein Bild des Heiligen werden hier wiederholt. Wann immer
Geistes und das Räucherwerk von der Gott eine Aufgabe hat, die erledigt wer-
ewig duftenden Vollkommenheit un­ den soll, dann erweckt er auch die Men-
seres Herrn, die seinem Vater Freude schen, die sie ausführen. Für die Stifts-
macht. hütte berief er Bezalel und Oholiab und
rüstete sie aus. Beim Bau des Tempels
13. Der Brandopferaltar (38,1-7) benutzte er Hiram, um Material zur
Der Brandopferaltar steht für das Kreuz, Verfügung zu stellen. Um die Gemein-
an dem der Herr Jesus sich Gott als de zu bauen, benutzte er seine erwähl-
Ganzopfer hingab. Ohne seinen Opfer- ten Arbeiter Petrus und Paulus.
tod gibt es keinen Zugang zu Gott. 38,24-31 Die Materialien, die zum Bau
der Stiftshütte verwendet wurden, wer-
14. Das Waschbecken (38,8) den hier sorgfältig aufgezählt. In heuti-
Das Waschbecken spricht vom gegen- ger Währung wären sie Millionen Euro
wärtigen Dienst Christi, der sein Volk wert. Auch wir können unseren Besitz
durch das Wasserbad im Wort reinigt dem Werk des Herrn weihen: »Nimm
(Eph 5,26). Die Priester mussten vor je- mein Silber und mein Gold, kein Scherf-
dem Dienst ihre Hände und Füße wa- lein will ich zurückhalten.«32
schen. Genauso müssen unsere Hand-
lungen und unser Lebenswandel rein G. Herstellung der Priestergewänder
sein, ehe wir dem Herrn effektiv dienen (Kap. 39)
können. Das Waschbecken bestand aus 39,1-7 Nun kommen wir zur Vorberei-
den Bronzespiegeln der an der Stifts- tung der Kleider der Priester. Uns fällt
hütte dienenden Frauen. Die Verherr­ von Anfang an die Wiederholung der
lichung des Selbstlebens musste dem vier Farben auf. Einige Ausleger sehen
Dienst für Gott weichen. sie als Bild für die vielfachen Herrlich-

127
2. Mose 39 und 40

keiten Christi, wie wir sie in den vier priester von aller Unvollkommenheit
Evangelien sehen: Purpur (Matthäus): gereinigt, ehe sie den Vater erreichen.
der König; Scharlach (Markus): der lei- 39,32-43 Als die Israeliten das Werk
dende Knecht; weiß (Lukas): der sünd- vollendet hatten und die Bestandteile
lose Mensch; blau (Johannes): der Sohn der Stiftshütte zu Mose brachten, prüfte
Gottes, der vom Himmel gekommen er sie und fand, dass das ganze Werk
ist. Die goldenen Fäden des Ephods genau nach Gottes Anweisungen aus-
sprechen von der Göttlichkeit Christi geführt worden war. Da segnete Mose
(V. 3). Auf jedem Schulterband des das Volk.
Ephods befand sich ein Onyxstein, auf
dem die Namen von je sechs der zwölf H. Die Aufrichtung des Heiligtums
Stämme Israels eingraviert standen. (Kap. 40)
39,8-21 Die Brusttasche hatte zwölf 40,1-8 Gott befahl, dass die Stiftshütte
Edelsteine, einen für jeden der zwölf am ersten Tag des Jahres aufgerichtet
Stämme (V. 10-14). Genauso ist es mit werden sollte (V. 1-2). Das geschah
unserem Hohenpriester. Der Evangelist etwa ein Jahr nach dem Auszug und
Peter Pell hat das sehr schön aus­ acht­einhalb Monate nach der Ankunft
gedrückt: »Die Stärke seiner Schultern Israels am Sinai. Er beschrieb auch, wo
und die Liebe seines Herzens tragen so jeder Einrichtungsgegenstand seinen
die Namen der Menschen Gottes in der Platz finden sollte.
Gegenwart Gottes.« 40,9-17 In den Versen 9-15 werden die
39,22-26 »Das Oberkleid des Ephod« Anweisungen zum Salben der Woh-
war ein blaues Gewand, das unter dem nung, der Einrichtungsgegenstände,
Ephod getragen wurde. Am Saum wa- des Hohenpriesters und seiner Söhne
ren Glöckchen aus reinem Gold und wiederholt. Die Anweisungen wurden
Granatäpfel aus blauem und rotem am ersten Tag des ersten Monates aus-
Purpur sowie Scharlach. Diese spre- geführt, fast ein Jahr nachdem die Isra-
chen von der geistlichen Frucht und eliten Ägypten verlassen hatten (V. 16-
vom Zeugnis, wie sie sich bei unserem 17).
großen Hohenpriester finden und wie 40,18-33 »Und Mose richtete die Woh-
sie auch bei uns zu finden sein sollten. nung auf.« Dieser Abschnitt beschreibt,
39,27-29 Die leinenen Leibröcke wa- wie der große Gesetzgeber alle ausführ-
ren die ersten Kleidungsstücke, die die lichen Anweisungen Gottes durchführt,
Priester anlegten (3. Mose 8,7). Dann »so wie der HERR es Mose geboten hat-
kamen die Kleider der Herrlichkeit. te«, für jedes Einzelteil des Zeltbaus so-
Gott kleidet den Sünder, der Buße ge- wie für jeden Einrichtungsgegenstand.
tan hat, zuerst mit seiner eigenen Ge- Zuletzt richtete Mose den Vorhof auf,
rechtigkeit (2Kor 5,21). Wenn der Herr rings um die Wohnung und den Altar.
Jesus wiederkommt, wird er sein Volk Dann kommen die Worte, die den
mit Kleidern der Herrlichkeit bekleiden Höhe­punkt einer wichtigen Aufgabe
(Phil 3,20-21). Rechtfertigung muss vor bezeichnen, die gut ausgeführt wurde:
der Verherrlichung kommen. »So vollendete Mose das Werk.«
39,30-31 Das goldene Stirnblatt auf 40,34-38 Die Wolke der Herrlichkeit
dem Kopfbund des Hohenpriesters hat- kam herab und erfüllte die Stiftshütte,
te eine Siegelgravurschrift mit den Wor- sodass Mose nicht in die Stiftshütte hin­
ten »Heiligkeit dem HERRN«, sodass eingehen konnte. Diese Wolke sollte
er die Schuld der heiligen Gegenstände das Volk auf seiner Reise begleiten. Die
tragen konnte (2Mo 28,38). All unser Israeliten sollten nur weiterziehen,
Tun ist mit Sünde befleckt, aber unser wenn die Wolke sich bewegte. Wenn sie
Gottesdienst und unsere Anbetung wer- anhielt, sollten sie auch anhalten. Als
den von unserem Großen Hohen­ Glied des Stammes Levi war Mose

128
2. Mose 40

offenbar berechtigt, die priesterlichen 9


(12,11-20) Cole, Exodus, S. 108.
Aufgaben zu erfüllen, bis Aaron und 10
(13,17-20) C.F. Pfeiffer, Baker’s Bible
seine Söhne in diese Verantwortung Atlas, S. 73-74.
eingeführt waren (3. Mose 8). 11
(13,21-22) Henry, »Exodus«, Bd. I,
Und so ist das 2. Buch Mose die Ge- S. 328.
schichte des Volkes Gottes in dem Jahr 12
(14,15-18) Henry, »Exodus«, Bd. I,
zwischen seiner Befreiung aus Ägypten S. 332.
und der Errichtung der Stiftshütte beim 13
Dr. H.C. Woodring, nichtpublizierte
Berg Sinai. Das Buch ist voller wunder- Mitschrift, Emmaus Bible School.
schöner Bilder von Christus und seiner 14
(15,1-21) Henry, »Exodus«, Bd. I,
moralischen Vollkommenheit. Es ist S. 335-36.
unsere Verantwortung, diesen verherr- 15
(19,1-9) D.L. Moody, Notes from My
lichten Christus anzubeten und im Bible, S. 33-34.
Licht seiner Heiligkeit zu leben. 16
(Exkurs) The New Scofield Study Bible,
New King James Version, S. 4.
17
(Exkurs) Der alte Vorwurf, dass die
Anmerkungen Dispensationalisten an »sieben un-
1
(2,9-10) Das hebräische māshāh, »her­ terschiedliche Wege zur Erlösung«
ausziehen«, könnte wirklich ein glauben, ist vollständig falsch.
zweisprachiges Wortspiel sein. Die 18
(Exkurs) Einige erkennen eine dieser
Hebräer benutzten Anspielungen Anordnungen an.
auch in ernsthaften Situationen wie 19
(21,1-6) Dies ist die zweite Strophe
der Namensgebung eines Kindes. des Liedes von Bischof Handley C.G.
Man vergleiche z.B. die Namens­ Moule, »Mein herrlicher Retter, gött-
gebung der Söhne Jakobs in 1. Mose licher Fürst«.
29 und 30. 20
(23,18-19) Orthodoxe Juden haben
2
(2,9-10) C.H. Mackintosh, Genesis to zwei komplette Sätze Geschirr: einen
Deuteronomy, S. 144. für Fleisch-, den anderen für Milch-
3
(3,6) R. Alan Cole, Exodus: An Intro­ produkte. Um zu verhindern, dass
duction and Commentary, S. 66. Juden Milch und Fleisch zusammen
4
(3,7-12) J. Oswald Sanders, On to Ma­ essen, sind einige Kantinen in Israel
turity, S. 56. so eingerichtet, dass man gezwun-
5
(3,13-14) Einige Bibelübersetzungen, gen ist, an zwei Stellen anzustehen,
z.B. die englische Moffatt-Bibel und wenn man beides haben möchte.
die französische Louis Segond sowie Eine Kantine in Jerusalem, die der
die deutsche Zunz-Übersetzung, ge- Herausgeber dieses Werkes einmal
ben den Namen durch »der Ewige« besuchte, hatte die beiden Gruppen
wieder. sogar auf zwei verschiedenen Stock-
6
(5,2-14) Cole, Exodus, S. 82. werken getrennt!
7
(8,16-20) Die Septuaginta, die in 21
(23,20-33) Henry, »Exodus«, Bd. I,
Ägypten entstand und in der sowohl S. 376.
einheimisches Wissen als auch jüdi- 22
(25,17-22) Das Wort cherub könnte
sche Tradition zum Tragen kommen von einer semitischen Wortwurzel
könnte, übersetzt mit »Hundsfliege« abstammen, die »segnen«, »loben«
(kynomuia), eine Art Stechfliege, die oder »anbeten« bedeutet, doch all­
sehr schmerzhafte Bisse verursachte. gemein wird eher angenommen,
Vgl. Cole, Exodus, S. 93-94 für weitere dass es vom hebräischen karav, »sich
Einzelheiten. nahen«, stammt. Deshalb sind die
8
(10,29) Matthew Henry, »Exodus«, Cherubim die »Schirmenden« oder
in: Matthew Henry’s Commentary on diejenigen, die sich als Beschützer
the Whole Bible, Bd. I, S. 314. nähern.

129
2. Mose

23
(26,14) Es gibt so viele Überset- akzeptieren nur die Vorbilder, die
zungen, weil nicht sicher ist, welche ausdrücklich im NT erwähnt werden,
Tierhaut hier mit dem hebräischen vor allem im Hebräerbrief. Vgl.
Wort gemeint ist. 1. Mose 42, wo wir eine kurze Diskus-
24
(28,36-38) Erzbischof Beveridge, kei- sion der Typologie bringen.
ne weiteren Angaben verfügbar. 28
(32,30-35) Einige Ausleger glauben,
25
(30,1-10) Das gr. Wort thymiaterion dass Mose, wie Paulus 1500 Jahre
bedeutet wörtlich: »Ort (oder Ding) später, bereit war, sich verdammen
für Räucherwerk«. Von daher kann zu lassen und verloren zu gehen, um
es sich auf den Räucheraltar oder auf seine israelitischen Volksgenossen
das Räuchergefäß beziehen, welches zu erretten.
am großen Versöhnungstag mit Räu- 29
(33,18-23) Hywel R. Jones, keine wei-
cherwerk vom Altar hinter den Vor- teren Angaben verfügbar.
hang gebracht wurde. 30
(37,6-9) Dasselbe gr. Wort, nämlich
26
(31,1-11) Es ist bemerkenswert, dass hilasterion, bedeutet sowohl Sühnung
die Nationale Kunstakademie des (Genugtuung durch Opfer) als auch
heutigen Israel nach Bezalel benannt Sühneort (d.h. der Gnadenstuhl).
wurde. 31
(37,10-16) G. Morrish, New and Con­
27
(Exkurs) Die Typo­logie der Stiftshütte cise Bible Dictionary, S. 754.
wird in weiten Kreisen der Evangeli- 32
(38,24-31) Es ist natürlich viel leich-
kalen gelehrt, obwohl es keine völlige ter, diese Zeile aus einem englischen
Übereinstimmung in den Einzelheiten Lied von Frances R. Havergal zu sin­
der Ausdeutung gibt. Einige Christen gen, als sie in die Praxis umzusetzen!

Bibliografie Old Testament, Bd. 1 u. 2,


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Borland, James A., lishing Co., 1971.
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1982. »Exodus«, in: Commentary on the Holy Scrip­
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Cole, R. Alan, 2. Nachdruck (24 Bde. in 12 Bden.).
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Denver: Wilson Foundation, o.J. Ridout, Samuel,
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Henry, Matthew, New York: Loizeaux Brothers, Inc., 1973.
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McLean: MacDonald Publishing Com- Chicago: Moody Press, o.J.
pany, o.J.
Sanders, J. Oswald,
Keil, C.F. und Delitzsch, F., On to Maturity,
»Exodus«, in: Biblical Commentary on the Chicago: Moody Press, 1962.

130
3. Mose
»Es gibt kein anderes Buch im gesamten inspirierten Buch der Bücher, das der Heilige
Geist uns gegeben hat, welches mehr direkte Worte Gottes enthält als das 3. Buch
Mose. Auf fast jeder Seite spricht Gott direkt, und seine gnädigen Worte wurden
genau in der Form aufgezeichnet, in der sie auch geäußert wurden. Diese Überlegung
wird uns sicherlich anregen, dieses Buch mit besonderem Interesse und großer
Aufmerksamkeit zu lesen.«

Andrew Bonar

Einführung schen oder christlichen Glaubens sind,


wörtlich so verstanden und angenom-
I. Einzigartige Stellung im Kanon men. Unser Herr selbst nennt 3. Mose
13,49 – der Aussätzige, der sich dem
J.N. Darby warnte einmal vor den Priester zeigt und ein Opfer bringt –
schrecklichen Folgen, wenn die Gläubi- das, »was Mose geboten hat« (Mk 1,44).
gen der Heiligung überdrüssig werden. Heute jedoch ist es in vielen Kreisen
Heiligung ist das Hauptthema des Bu- modern, die Verfasserschaft des Mose
ches Leviticus (dies ist der lateinische zu leugnen oder zumindest anzuzwei-
Name des Buches, der auch in einigen feln, und zwar nicht nur beim 3. Buch
deutschen Bibelübersetzungen verwen- Mose, sondern beim gesamten Penta-
det wird), und für viele Christen ist die- teuch.
ses Buch sicherlich schwierig zu lesen. Da wir glauben, dass die traditionelle
Natürlich wird der Segen nur begrenzt Sicht nicht nur wahr, sondern auch
sein, wenn wir die Anweisungen darin wichtig ist, haben wir das Thema in un-
nur als alte jüdische Opferriten und Ge- serer Einführung in den Pentateuch, die
setze verstehen, die dazu gegeben wa- sorgfältig studiert werden sollte, aus-
ren, im Alltag die Heiligung und die führlicher behandelt.
Absonderung von den Heiden aufrecht-
zuerhalten. Sobald man jedoch erkennt, III. Datierung
dass jede Einzelheit der Opfer ein Ab- Weil wir die mosaische Verfasserschaft
bild der vollkommenen Person Jesu des 3. Buches Mose und die Hinweise
Christi und seines Werkes ist, dann fin- im Pentateuch als wahr annehmen, ge-
den wir viel Stoff, über den wir nach- hen wir davon aus, dass das Buch Mose
denken können. Weiteren Segen bietet während der fünfzig Tage offenbart
ein Vergleich von 3. Mose mit seiner wurde, nachdem die Stiftshütte errich-
Entsprechung im NT, dem Hebräer- tet worden war (2. Mose 40,17) und ehe
brief. die Israeliten den Sinai verließen
(4. Mose 10,11). Das genaue Entste-
II. Verfasserschaft hungsdatum ist unbekannt; man nimmt
Zwanzig der siebenundzwanzig Kapi- an, dass es sich um den Zeitraum zwi-
tel im 3. Buch Mose und etwa 35 weite- schen 1450 und 1410 v.Chr. handelt.
re Abschnitte beginnen mit dem Aus-
druck: »Und der Herr redete zu IV. Hintergrund und Thema
Mose …« oder einem ähnlichen gleich- Ein einfacher Weg, sich den Inhalt des
bedeutenden Ausdruck. Bis fast in die 3. Buches Mose zu merken, ist, den la-
Gegenwart hinein wurden diese Worte teinischen Namen Leviticus mit dem
von den meisten Menschen, die jüdi- Worten »Leviten« oder »Priester« zu

131
3. Mose

verbinden und dann zu erkennen, dass reinheit abgesondert werden soll, damit
es sich um eine Handlungsanweisung es sich Gott im Heiligtum nähern kann.
für die Priester handelt. 2. Mose schloss Heiligung wird zur Grundregel des La-
mit der Errichtung der Stiftshütte in der gers. Sowohl im AT als auch im NT ver-
Wüste. Jetzt brauchen die Priester und langt Gott von seinem Volk, heilig zu
Leviten Anweisungen, wie sie die sein, weil er selbst heilig ist. Dies stellt
Opfer durchführen sollen, die dort dar­ ein ernsthaftes Problem dar, weil der
gebracht werden sollen, und natürlich Mensch von Natur aus und durch sein
auch für andere Riten (wie z.B. die Rei- Verhalten unheilig ist. Die Lösung liegt
nigung eines aussätzigen Hauses). in der Sühnung durch das Blut (3. Mose
In 2. Mose sahen wir, wie Israel aus 17,11). Im AT gab es Tieropfer, die auf
Ägypten befreit und als Gottes Eigentum das ein für alle Mal geopferte Lamm
ausgesondert wurde. In 3. Mose sehen Gottes hinweisen, das im NT, insbeson-
wir, wie das Volk von Sünde und Un- dere im Hebräerbrief, geoffenbart wird.

Einteilung A. Gesetze für sexuelle Reinheit


(Kap. 18)
I. Verschiedene Arten von Opfern B. Gesetze für den Alltag
(1,1 - 6,7) (Kap. 19)
A. Das Brandopfer (Kap. 1) C. Strafen für schwere Verbrechen
B. Das Speisopfer (Kap. 2) (Kap. 20)
C. Das Friedensopfer (Kap. 3) D. Verhalten der Priester
D. Das Sündopfer (4,1 - 5,13) (Kap. 21-22)
E. Das Schuldopfer (5,14-26) VIII.Die Feste des Herrn (Kap. 23)
II. Opfergesetze (Kap. 6-7) A. Der Sabbat (23,1-3)
III. Die Weihe der Priester (Kap. 8-10) B. Das Passah (23,4-5)
A. Einsetzung der Priester durch C. Das Fest der ungesäuerten
Mose (Kap. 8) Brote (23,6-8)
B. Die von Aaron dargebrachten D. Das Fest der Erstlingsfrucht
Opfer (Kap. 9) (23,9-14)
C. Der Frevel von Nadab und E. Das Wochenfest (23,15-22)
Abihu (Kap. 10) F. Das Posaunenfest (23,23-25)
IV. Rein und unrein (Kap. 11-15) G. Der Versöhnungstag (23,26-32)
A. Reine und unreine Speisen H. Das Laubhüttenfest (23,33-44)
(Kap. 11) IX. Zeremonial- und Moralgesetze
B. Reinigung nach der Geburt (Kap. 24)
eines Kindes (Kap. 12) X. Das Sabbatjahr und das Jubeljahr
C. Diagnose bei Aussatz (Kap. 13) (Kap. 25)
D. Reinigung von Aussatz XI. Segen und Fluch (Kap. 26)
(Kap. 14) A. Segen für Gehorsam gegenüber
E. Reinigung nach Ausflüssen Gott (26,1-13)
(Kap. 15) B. Fluch für Ungehorsam
V. Der große Versöhnungstag gegenüber Gott (26,14-39)
(Kap. 16) C. Wiederherstellung durch
VI. Gesetze zu den Opfern (Kap. 17) Bekenntnis und Buße
VII. Gesetze für das persönliche (26,40-46)
Verhalten (Kap. 18-22) XII. Gelübde und Abgaben (Kap. 27)

132
3. Mose 1

Kommentar gen und Sanftmütigen, der sich in wi-


derstandsloser Selbsthingabe Gottes
I. Verschiedene Arten von Opfern Willen unterwirft. Die Ziege spricht von
(1,1 - 6,7) Christus als unserem Stellvertreter. Die
Turteltaube weist auf ihn als dem
A. Das Brandopfer (Kap. 1) Himmlischen hin und spricht auch vom
Schmerzensmann (Trauertaube, vgl. Jes
Das 3. Buch Mose beginnt damit, dass 38,14; 59,11; Hes 7,16).2
der Herr Mose rief und mit ihm aus
dem Zelt der Begegnung redete. Wie Siehe, ein makelloses Opfer stirbt,
Bonar in unserem Anfangszitat sagte, Meine Sicherheit am Kreuzesstamm
gibt es kein anderes Buch, das »mehr Das Lamm Gottes, das Opfer –
direkte Worte Gottes enthält als das Er gab sich selbst für mich!
3. Buch Mose«, weshalb wir es »mit be- Verfasser unbekannt
sonderem Interesse und großer Auf-
merksamkeit« studieren sollten. Zu Be- Pflichten des Opfernden: Er brachte das
ginn ordnet der Herr die fünf Opfer an Opfer zum Eingang der Stiftshütte (des
‒ das Brandopfer, das Speisopfer, das Zeltes der Begegnung), in die Nähe des
Friedensopfer, das Sündopfer und das bronzenen (oder ehernen) Altars (V. 3),
Schuldopfer. Die ersten waren als »Op- er legte seine Hand auf den Kopf des
fer des Wohlgeruchs« bekannt, die bei- Brandopfers (V. 4) (oder »er stützte sei-
den letzten als »Sündopfer«. Die ersten ne Hand auf ihn, als würde er sich auf
drei waren freiwillige Opfer, die beiden ihn verlassen«), er tötete das junge Rind
letzten wurden von Gott gefordert. (V. 5) oder den Schaf- oder Ziegenbock
Die erste Botschaft, die Gott für die (V. 11), enthäutete das Tier und zerlegte
Kinder Israel hat, lautet, dass sie ihre es in seine Stücke (V. 6.12), er wusch die
»Opfergabe … vom Vieh darbringen« Eingeweide und Unterschenkel mit
sollten, und zwar sowohl von Rindern Wasser (V. 9.13).
als auch vom Kleinvieh (Schafe und Pflichten der Priester: Sie sprengten das
Ziegen). Blut des Tieres ringsherum an den Al-
Kapitel 1 beschäftigt sich mit dem tar (V. 5.11); sie legten Feuer und Holz
»Brandopfer« (hebr. olah1). Es gab drei auf den Altar (V. 7) und legten dann die
verschiedene Abstufungen, je nachdem, Teile des Tieres »ordentlich« (Schlach-
was der Opfernde sich leisten konnte: ter 1951) auf das Holz (V. 8.12). Alles
ein Stier »von den Rindern« (V. 3, vgl. außer der Haut wurde auf dem Altar
V. 5), ein »männliches Tier ohne Feh- verbrannt (V. 13; 7,8). Wenn ein Vogel
ler«; ein Schaf oder eine Ziege vom geopfert wurde, wurde ihm der Kopf
»Kleinvieh« (V. 10), »ein männliches abgeknickt, das Blut an die Wand des
Tier ohne Fehler«; oder »von den Tur- Altars ausgedrückt, der Kropf mit sei-
teltauben oder von den jungen Tauben« nem Inhalt wurde nach Osten an die
(V. 14). Alle waren friedliche Geschöpfe, Seite des Altars geworfen, dann wurde
kein wildes Tier wurde auf dem Altar der Leib des Vogels geöffnet, ohne ihn
des Herrn dargebracht. in Stücke zu schneiden, und auf dem
Peter Pell ist der Ansicht, dass der Altar verbrannt. Das Wort, das hier für
Stier von unserem Herrn als dem ge- »in Rauch aufgehen lassen« (= verbren-
duldigen, unermüdlichen Arbeiter nen) benutzt wird, wird auch benutzt,
spricht, der immer den Willen des Va- um das Verbrennen von Räucherwerk
ters tut in einem Leben des vollkomme- zu bezeichnen, nicht jedoch in Verbin-
nen Dienstes und in einem Tod des dung mit einem der Sündopfer.
vollkommenen Opfers. Die Schafe ste- Verteilung des Opfers: Alles, was auf
hen für unseren Herrn als dem Demüti- dem Altar verbrannt wurde, gehörte

133
3. Mose 1 und 2

Gott; die Haut wurde den Priestern ge- Weder Sauerteig noch Honig durfte
geben (7,8), und der Opfernde erhielt bei den Speisopfern verwendet werden
keinen Anteil von diesem Opfer. (V. 11). Diese stehen für Gärung und
Wer ein Brandopfer darbrachte, natürliche Süße. Aber Salz sollte auf je-
drückte damit seine völlige Hingabe den Fall als Zeichen des Bundes zwi-
und Unterwerfung unter den Herrn schen Gott und Israel dazugetan wer-
aus. Wir lernen an anderer Stelle, dass den. Es wurde »Salz des Bundes« ge-
dieses Opfer zu vielen unterschied­ nannt (V. 13) und war ein Zeichen dafür,
lichen Gelegenheiten dargebracht wur- dass der Bund nicht gebrochen werden
de (man vergleiche ein Bibellexikon, konnte. Vgl. 4. Mose 18,19; 2Chr 13,5
um Einzelheiten zu erfahren). und Hes 43,24, wo der Salzbund eben-
In der Typenlehre ist das Brandopfer falls erwähnt wird.
ein Bild des unbefleckten Opfers Christi Pflichten des Opfernden: Er bereitete
für Gott. Auf dem Altar von Golgatha das Opfer zu Hause zu und brachte es
wurde das Lamm Gottes völlig von den den Priestern (V. 2.8).
Flammen der göttlichen Gerechtigkeit Pflichten des Priesters: Der Priester
verzehrt. Amelia M. Hulls Lied zeigt brachte das Opfer am Altar dar (6,7).
uns den Geist dieses Bildes: Dann nahm er eine Hand voll vom Op-
fer und verbrannte diesen zum Geden-
Ich war beim Altar und war Zeuge, ken bestimmten Teil auf dem Altar (V.
als das Lamm vollständig für mich zu 2.9).
Asche verbrannte, Verteilung des Opfers: Der »zum Ge-
und beobachtete, wie sein lieblicher denken bestimmte Teil« (Schlachter
Geruch in die Höhe aufstieg, 2000), der auf dem Altar mit dem ge­
und von dir, o Vater, angenommen samten Weihrauch verbrannt wurde, ge-
wurde. hörte dem Herrn. Den Priestern war es
gestattet, den ganzen Rest als Nahrung
B. Das Speisopfer (Kap. 2) zu verbrauchen (V. 3.10). Der Priester,
Das Speisopfer (hebr. minhāh) bestand der das Opfer darbrachte, hatte ein
aus Mehl oder Getreide.3 Recht auf alles, was entweder im Ofen
Das Opfer: Es gab verschiedene Arten gebacken oder in einem Tiegel oder
von Speisopfern, und zwar folgende: Topf gekocht wurde (7,9). Alles mit Öl
Feinmehl mit Öl und Weihrauch dar­ Vermischte und alles Trockene sollte
über (V. 1). Dies wurde nicht gebacken, den übrigen Priestern gehören (7,10).
sondern eine Hand voll (Schlachter Der Opfernde erhielt von diesem Opfer
2000, Luther 1984) davon wurde auf keinen Anteil.
dem Altar verbrannt (V. 2). Es gab drei- Derjenige, der das Speisopfer dar-
erlei Arten von Brot oder Kuchen: (a) brachte, erkannte die Freigebigkeit Got-
Ofengebäck (V. 4), (b) in der flachen tes an, der uns alle guten Dinge für das
Pfanne gebacken (V. 5), (c) im Topf ge- Leben zur Verfügung stellt, die durch
kocht (V. 7; manche Übersetzungen nen- Mehl, Weihrauch und Öl (und Wein im
nen das Gefäß »Backpfanne«, doch eini- Falle des Trankopfers) dargestellt wur-
ge Ausleger meinen, dass dieses Opfer den.
in Wasser gekocht wurde, ähnlich wie Symbolisch spricht dieses Opfer von
Knödel). Es gab auch Getreidekörner der moralischen Vollkommenheit des
(LU 1984), die für die Erstlinge standen Lebens unseres Erretters (feines Mehl),
und am Feuer geröstet wurden (V. 14). das nicht vom Bösen verdorben war
Vers 12 bezieht sich auf ein besonderes (kein Sauerteig), das ein Duft für Gott
Speisopfer (23,15-21), das nicht auf den war (Weihrauch) und mit dem Heiligen
Altar zum Verbrennen kommen durfte, Geist erfüllt war (Öl). Der Liederdichter
weil es Sauerteig enthielt. drückt das sehr schön aus:

134
3. Mose 2 und 3

Leben, ein Leben der Liebe, die ausgegos­ der Opfernde. Dies ist das einzige Opfer,
sen wurde, duftend und heilig! von dem der Opfernde einen Anteil er-
Leben, inmitten der harten Dornen der hielt. Wahrscheinlich feierte er mit sei-
Erde, doch makellos und süß! ner Familie und seinen Freunden ein
Leben, von dem aus Gottes liebevolles Festmahl als eine Art Gemeinschafts-
Angesicht herrlich, doch demütig mahl. Auf diese Weise förderte das Op-
Hervorleuchtet, um uns, Herr, tief zu fer den Frieden zwischen den Israeliten
beugen zu deinen Füßen! innerhalb des Bundes.
F. Allaben Wer das Opfer darbrachte, drückte
seine freudige Dankbarkeit für den
C. Das Friedensopfer (Kap. 3) Frieden aus, den er in der Gemeinschaft
3,1-15 Das Friedensopfer oder Gemein- mit dem HERRN erlebte. Man konnte
schaftsopfer (hebr. schelem4) sollte den ein Friedensopfer auch im Zusammen-
Frieden mit Gott feiern, der aufgrund hang mit einem Eid darbringen, den
der Wirkung des sühnenden Blutes ge- man dem Herrn schwur, oder aber als
stiftet worden war. Es war ein Fest der Dank für einen besonderen Gefallen,
Freude, der Liebe und der Gemein- den Gott dem Opfernden getan hatte.
schaft. Zur typologischen (symbolischen) Be-
Das Opfer: Auch hier gab es drei Arten deutung kommentiert Peter Pell:
des Opfers: ein Tier von den Rindern,
es sei ein männliches oder ein weib- Im Friedensopfer sieht man das voll­
liches (V. 1-5); ein Schaf vom Kleinvieh, endete Werk Christi in seiner Beziehung
ein männliches oder weibliches (V. 6- zum Gläubigen. Der Herr Jesus ist unser
11); eine Ziege, männlich oder weiblich Friede (Eph 2,14), der den Frieden durch
(V. 12-17). das Blut seines Kreuzes geschlossen hat
Pflichten des Opfernden: Er brachte das (Kol 1,20). Er predigte diesen Frieden
Tier vor der Stiftshütte dem Herrn dar den Fernen und den Nahen (Eph 2,17)
(V. 1-2.7.12). Er legte seine Hand auf den und brach auf diese Weise die trennende
Kopf seines Opfers (V. 2.8.13). Er tötete Zwischenwand ab, die zwischen den Ju-
es am Eingang des Zeltes (V. 2.8.13). Er den und den Heiden bestand. In Chris­
entfernte gewisse Teile des Tieres: das tus können Gott und der Sünder sich in
Fett der Eingeweide, die Nieren, den Frieden begegnen; unsere Feindschaft ist
Fettschwanz und den Fettlappen über zu Ende. Gott ist versöhnt, der Sünder
der Leber, die auf dem Altar verbrannt wiederhergestellt, und beide sind zufrie-
wurden (V. 3-4.9-10.14-15). dengestellt durch Christus und durch
Pflichten der Priester: Sie sprengten das das, was er getan hat.5
Blut ringsum an den Altar (V 2.8.13), sie
verbrannten den Anteil des Herrn (das Das Lied von Lord Adalbert Cecil jubelt
Fett usw.) auf dem Brandopfer (V. 5). über das, was Christus für uns vollbracht
Verteilung des Opfers: Der Anteil des hat:
Herrn, genannt »Speise des Feueropfers
für den Herrn« (V. 11), war das Fett, die O der Friede, der ewig fließt
Nieren, der Leberlappen und der Fett- Aus Gottes Gedanken über seinen
schwanz. In 3. Mose 7,32-33 erfahren eigenen Sohn!
wir, dass der Priester, der das Opfer dar- O der Friede, einfach zu wissen,
brachte, die rechte Keule erhielt, nach- Dass am Kreuz alles vollbracht worden ist.
dem sie zuerst als Hebopfer dem Herrn Friede mit Gott! Das Blut im Himmel
dargebracht wurde. Die anderen Pries­ Spricht nun von Vergebung zu mir:
ter erhielten die Brust des Tieres (7,31). Friede mit Gott! Der Herr ist auferstanden!
Dieses wurde vorher als Schwingopfer Die Gerechtigkeit spricht mich nun frei.
dem Herrn dargebracht, den Rest erhielt

135
3. Mose 3 und 4

3,16-17 Es war dem Volk Israel verboten, Pflichten des Opfernden: Im Allgemei-
Fett oder Blut zu essen, da beides dem nen brachte derjenige, der das Opfer
Herrn gehörte. Zusätzlich zur symboli- darbrachte, das Tier zum Tor des Vor-
schen Bedeutung war diese Anordnung hofs der Stiftshütte, brachte es dem
über das Fett eine frühe medizinische Herrn dar, legte seine Hand auf dessen
Vorbeugungsmaßnahme. Heute emp- Kopf, tötete es, entfernte das Fett, die
fehlen Ärzte eine verminderte Fettauf- Nieren und den Leberlappen. Die Ältes-
nahme, was zu weniger Bluthochdruck, ten handelten stellvertretend für die Ge-
Herzkrankheiten, Schlaganfällen, Dia- meinde (V. 15). Der Tod des Opfers stand
betes und Lungenkrankheiten führt. symbolisch für den Tod des Sünders.
Diese ersten drei Opfer ‒ Brand-, Pflichten des Priesters: Für sich selbst
Speis- und Friedensopfer ‒ hatten im und die Gemeinde trug der Hohepries-
öffentlichen Gottesdienst des Volkes ih- ter das Blut des Opfers ins Heiligtum,
ren Platz, aber sie konnten jederzeit sprengte damit siebenmal vor dem Vor-
auch von einzelnen Menschen freiwil- hang (V. 5-6.16-17) und tat es auf die
lig dem Herrn dargebracht werden. Die Hörner des goldenen Räucheraltars (V.
beiden nächsten Opfer wurden nach 7.18). Dann wurde das übrige Blut an
Gottes Gebot dargebracht, wenn je- den Fuß des Brandopferaltars gegossen
mand gesündigt hatte. So haben wir (V. 7.18). Für einen Fürsten und für ge-
hier die beiden miteinander verbunde- wöhnliche Menschen strich ein Priester
nen Gedanken der freiwilligen Anbetung das Blut an die Hörner des Brandopfer-
und der Pflicht zum Sühnopfer in den altars und goss den Rest des Blutes an
Opfern ausgedrückt. den Fuß des Altars (V. 25.30.34). Bei al-
len Arten des Opfers verbrannte er Fett,
D. Das Sündopfer (4,1 - 5,13) Nieren, Leberlappen und den Fett-
Kap. 4 Das Sündopfer (hebr. hattā‘th6) schwanz auf dem Brandopferaltar (V.
ist für ein erlöstes Volk bestimmt. Es 8-10.19.26.31). Wenn das Opfer für den
spricht nicht davon, dass ein Sünder Hohenpriester oder die gesamte Ge-
zum Herrn kommt, um Rettung zu su- meinde dargebracht wurde, dann wur-
chen, sondern von einem Israeliten, der de der Rest des Tieres aus dem Lager
in einer Bundesbeziehung zum Herrn gebracht und verbrannt (V. 11-12.21).
steht und der Vergebung sucht. Es hat Verteilung des Opfers: Der Anteil des
mit Sünden zu tun, die unbewusst oder Herrn war der Teil, der auf dem Altar
unbeabsichtigt begangen wurden. verbrannt wurde ‒ das Fett, die Nieren,
Das Opfer: Es gab verschiedene Ab- der Leberlappen usw. Der Priester durf-
stufungen des Opfers, die von der Per- te das Fleisch von Opfern eines Fürsten
son abhingen, die das Opfer brachte: oder einfachen Menschen essen, weil
Der gesalbte Priester ‒ d.h. der Hohe- das Blut dieser Opfer nicht ins Heilig-
priester, wenn er durch Sünde eine tum gebracht wurde (7,30), wie es im
Schuld auf das Volk gebracht hat (V. 3) Falle eines Opfers des Hohenpriesters
– brachte einen Jungstier ohne Fehler oder der Gemeinde geschah (4,5-6.16-
dar. Die ganze Gemeinde (V. 13) brach- 17). Aus demselben Grund durfte er
te ebenfalls einen Jungstier dar. Ein auch von den Opfern essen, die in 5,6-
Fürst (V. 22) brachte »einen Ziegenbock, 7.11 beschrieben werden. Kein Teil der
ein Männchen ohne Fehler«. Eine ge- oben genannten Opfer war für den
wöhnliche Person (V. 27) brachte »eine Opfernden bestimmt.
weibliche Ziege ohne Fehler« (V. 28) Der Körper jedes Sündopfers, dessen
oder ein weibliches Schaf ohne Fehler Blut ins Heiligtum gebracht wurde,
(V. 32). (Die Wortwahl im Hebräischen wurde außerhalb des Lagers verbrannt.
macht deutlich, dass es sich um ausge- So hat auch unser Herr durch sein eige-
wachsene Tiere handelt.) nes Blut ein für alle Mal das Heiligtum

136
3. Mose 4 und 5

betreten (Hebr 9,12), nachdem er außer- Rückerstattung gibt, die ein wichtiger
halb der Stadt Jerusalem gelitten hatte. Teil des Schuldopfers ist. (Doch muss
Wir werden ermahnt, zu ihm hinauszu- man zugeben, dass die Verse 1-13 so-
gehen, »außerhalb des Lagers«, und wohl mit dem Schuld- als auch mit dem
seine Schmach zu tragen (Hebr 13,13). Sündopfer eng verbunden sind.)
Man beachte: Der Ausdruck »aus Ver- Statt sich mit verschiedenen Gruppen
sehen sündigen« scheint mehr zu be- von Menschen zu beschäftigen, haben
deuten als einfach nichts von der Sünde diese Opfer mit verschiedenen Arten
zu wissen. Wahrscheinlich bedeutet es, von Sünden zu tun. Vers 1 beschreibt
dass die Sünde nicht absichtlich, eigen- einen Mann, der von einem Verbrechen
willig, in Auflehnung oder Rebellion ge- weiß, aber dennoch die Aussage ver-
schehen ist. Für absichtliche Sünden gab weigert, obwohl der Hohepriester oder
es kein Opfer, hier musste die Todesstra- Richter ihn vereidigt hat. Als Jude, der
fe angewendet werden (4. Mose 15,30). unter dem Gesetz lebte, sagte Jesus aus,
Wer ein Sündopfer darbrachte, er- als der Hohepriester ihn unter Eid
kannte an, dass er ohne Absicht durch nahm (Mt 26,63-64). Vers 2 beschäftigt
Schwäche oder Nachlässigkeit gesün- sich mit der Verunreinigung, die sich
digt hatte. Er suchte Vergebung der ein Jude zuzog, wenn er unwissentlich
Sünde und zeremonielle Reinigung. ein totes Tier berührt hatte. Vers 3 be-
Das Sündopfer weist symbolisch auf schreibt die Unreinheit, die man sich
Christus hin, der für uns »zur Sünde« zuzog, wenn man jemanden mit Aus-
gemacht wurde, obwohl er keine Sünde satz, einer nässenden Wunde o.Ä. an-
kannte, damit wir Gottes Gerechtigkeit rührte. Vers 4 bezieht sich auf das über-
würden in ihm (2Kor 5,21). Einige Aus- eilte Ablegen von Eiden oder Gelübden,
leger sind der Meinung, dass das Sünd- von denen man später merkt, dass man
opfer von Christus spricht, der sich mit sie nicht erfüllen kann.
dem befasst, was wir sind, während das Das Opfer: Es gab drei Arten von Op-
Schuldopfer ihn zeigt, wie er sich mit fern für solche Sünden, die davon ab-
dem befasst, was wir getan haben. hingen, wie viel der Opfernde zahlen
konnte: ein »weibliches Tier vom Klein-
Den Heiligen, der von keiner Sünde vieh« als Sündopfer (V. 6) oder zwei
wusste, Turteltauben oder junge Tauben (V. 7)
Hat Gott für uns zur Sünde gemacht. oder »ein Zehntel Efa Weizengrieß«
Der Retter starb, um unsere Seelen zu ohne Öl oder Weihrauch (V. 11). Damit
gewinnen, konnte auch der Ärmste sich ein Sünd-
Am schmachvollen Kreuz. opfer leisten. Genauso wird niemand
Allein sein kostbares Blut reichte aus, von der Vergebung durch Christus aus-
Um unsere Sünden abzuwaschen. geschlossen. Die Frage, die sich aus den
Durch Schwachheit hindurch überwand Versen 11-13 ergibt, lautet: »Wie kann
er die Hölle, ein Speisopfer als Sündopfer dienen,
Durch den Tod gewann er die Schlacht. wenn wir doch wissen, dass es ohne
Hannah K. Burlingham Blutvergießen keine Vergebung gibt?«
(Hebr 9,22). Die Antwort lautet, dass es
5,1-13 Die ersten 13 Verse von Kapitel 5 auf einem Feueropfer auf dem Altar ge-
scheinen das Schuldopfer zu beschrei- opfert wurde (das die Darbringung von
ben (vgl. V. 6), doch die meisten Aus­ Blut einschloss), und das gab dem Speis-
leger stimmen in der Meinung überein, opfer den Wert eines blutigen Opfers.
dass es sich hier um zwei weitere Arten Pflichten des Opfernden: Er musste als
des Sündopfers handelt. Der Grund, sie Erstes seine Schuld bekennen (V. 5) und
nicht zum Schuldopfer zu rechnen, liegt dann sein Opfer dem Priester bringen
darin, dass es keine Erwähnung einer (V. 8).

137
3. Mose 5

Pflichten des Priesters: Im Falle des oder einem Handel, durch Raub oder
weiblichen Schafes oder der weiblichen Unterdrückung (V. 21); wenn man einen
Ziege opferte er entsprechend der An- verlorenen Gegenstand fand und des-
weisungen für das Sündopfer in Kap. 4. halb einen falschen Eid schwor (V. 22).
Bestand das Opfer aus zwei Vögeln, op- Ein Schuldopfer war auch erforderlich,
ferte er zunächst einen Vogel als Sünd- wenn jemand mit einer Sklavin Unzucht
opfer, indem er ihm den Kopf abknick- trieb, die schon verlobt war (19,20-22),
te, etwas von dem Blut auf die Seite des bei der Reinigung eines Aussätzigen
Altars sprengte und den Rest des Blutes (14,10-14) und bei der Verunreinigung
am Fuß des Altars auslaufen ließ (V. 8- eines Nasiräers (4. Mose 6,6-12).
9). Als Nächstes opferte er den zweiten Das Opfer: Ein Widder ohne Fehler
Vogel als Brandopfer, indem er ihn voll- (V. 15.18.25) oder ein männliches Lamm
ständig auf dem bronzenen Altar ver- im Falle eines Aussätzigen (14,12) oder
brannte (V. 10). Wenn das Opfer aus eines Nasiräers (4. Mose 6,12).
Weizengrieß bestand, dann nahm der Pflichten des Opfernden: Im Falle eines
Priester davon eine Hand voll und ver- Vergehens gegen Gott brachte er erst
brannte es auf dem Brandopferaltar. Er die Wiedergutmachung mit zwanzig
verbrannte es über anderen Opfern, bei Prozent Aufschlag zum Priester. Dann
denen Blut vergossen wurde, und gab brachte er das Tier zum Priester am
ihm damit den Charakter eines Sünd- Eingang zum Vorhof der Stiftshütte,
opfers (V. 12). brachte es dem Herrn dar, legte seine
Verteilung des Opfers: Der Anteil des Hand auf den Kopf des Tieres und töte-
Herrn bestand aus dem, was auf dem te es. Er entfernte auch das Fett, den
Altar verbrannt wurde. Dem Priester Fettschwanz, die Nieren und den Fett-
gehörte alles Übrige (V. 13). lappen an der Leber. Die Vorgehens-
weise war dieselbe beim Vergehen ge-
E. Das Schuldopfer (5,14-26) gen einen Nächsten. In beiden Fällen
Das Schuldopfer (hebr. ‘āshām7) wird in musste der Opfernde zwanzig Prozent
5,14-26 behandelt. Der Unterschied zum Strafe hinzufügen, was ihn daran er­
Sündopfer besteht darin, dass hier eine innern sollte, dass Sünde sich nicht
Erstattung geschehen musste, bevor das lohnt und teuer ist.
Opfer dargebracht wurde (5,16). Pflichten des Priesters: Er sprengte das
Es gab verschiedene Arten von Sün- Blut ringsum an den bronzenen Altar,
de, für die ein Schuldopfer dargebracht dann verbrannte er das Fett, den Fett-
werden musste. schwanz, die Nieren und den Fettlap-
Schuld gegenüber Gott: wenn man Gott pen an der Leber auf dem Altar (7,3-4).
etwas vorenthielt, was ihm rechtmäßig Verteilung des Opfers: Der Anteil des
zustand ‒ Abgaben, Opfer, Heiligung Herrn wurde auf dem Altar verbrannt
der Erstlingsfrucht oder des Erst­ (7,5). Der Priester, der das Ritual durch-
geborenen usw. (V. 15); wenn man un­ führte, erhielt die Haut des Bocks (7,8).
bewusst etwas tat, was vom Herrn ver- Alle Priester teilten sich das Fleisch des
boten ist (V. 17), und wahrscheinlich für Tieres als Speise (7,6). Der Opfernde
eine Handlung, die eine Erstattung er- hatte keinen Anteil am Sünd- oder
forderte. »In Fällen, wo es unmöglich Schuldopfer.
war herauszufinden, ob jemand anders Wie schon erwähnt, wollte derjenige,
Schaden erlitten hatte, brachte der ge- der ein Schuldopfer darbrachte, eine
wissenhafte und fromme Israelit den- seiner Handlungen wiedergutmachen,
noch ein Schuldopfer dar« (Daily Notes die jemandem anderen Verlust oder
of the Scripture Union). Schaden zugefügt hatte.
Schuld gegenüber Menschen: wenn man Symbolisch weist das Schuldopfer
seinen Nächsten betrog bei einem Pfand auf den Aspekt des Werkes Christi hin,

138
3. Mose 5 und 6

durch das er erstattete, was er nicht ge- Stiftshütte essen sollten und dass es
raubt hatte (Ps 69,5b). Durch die Sünde nicht gesäuert sein durfte, weil es hoch-
des Menschen wurde Gott des Dienstes, heilig war.
der Anbetung, des Gehorsams und der 6,11 »Alles Männliche unter den Söh-
Ehre beraubt. Und der Mensch selbst nen Aarons« durfte vom Speisopfer es-
wurde des Lebens, des Friedens, der sen, aber sie mussten dazu »heilig«, d.h.
Freudigkeit und der Gemeinschaft mit zeremoniell rein sein. Die Priester wur-
Gott beraubt. Als unser Schuldopfer hat den nicht heilig durch die Berührung
der Herr Jesus nicht nur das erstattet, mit dem Opfer. Nur Unreinheit konnte
was durch die Sünde des Menschen ge- durch Berührung übertragen werden,
stohlen wurde, sondern er hat noch zu- Heiligkeit nicht (Hag 2,11-13).8
sätzlich etwas hinzugefügt. Denn Gott 6,12-16 Diese Verse beschreiben ein
hat mehr Ehre durch das vollbrachte Werk besonderes Speisopfer, welches der Ho-
Christi bekommen, als wenn die Sünde nie hepriester regelmäßig jeden Morgen
in die Welt gekommen wäre. Und wir sind und jeden Abend opfern musste. Es
in Christus besser dran, als wir es je in wurde ganz im Feuer verbrannt.
einem nicht gefallenen Adam gewesen 6,17-23 Das Gesetz des Sündopfers: Wie
wären. schon vorher erklärt, war es dem Pries-
ter gestattet, bestimmte Teile bestimm-
Er legte seine göttliche Robe ab ter Sündopfer zu essen (diejenigen, die
Und verhüllte seine Göttlichkeit in in 3. Mose 4,22 - 5,13 beschrieben wer-
einem Gewand aus Staub, den, bei denen das Blut nicht ins Heilig-
Und in diesem Gewand erwies er tum gebracht wurde). Die Opfer muss-
wunderbare Liebe ten im Vorhof der Stiftshütte gegessen
Und erstattete, was er nicht gestohlen werden. Man beachte, dass dieses Op-
hatte. fer »hochheilig« war. Wenn ein gewöhn-
Verfasser unbekannt licher Israelit das Fleisch des Opfers
berührte, musste er heilig oder gehei-
II. Opfergesetze (Kap. 6-7) ligt sein und musste sich genauso von
Die Kapitel 6 und 7 stellen das »Opfer- zeremonieller Unreinheit reinigen, wie
gesetz« dar. Es ähnelt auf vielerlei Wei- die Priester es taten, auch wenn er keine
se den vorangegangenen Ausführun- priesterlichen Aufgaben erfüllen durf-
gen. Es ist jedoch an die Priester gerich- te. Wenn etwas von dem Blut auf ein
tet, während die vorhergehenden An- Kleid spritzte, musste das Gewand ge-
weisungen an die Kinder Israel (1,2) ge- waschen werden ‒ nicht weil es unrein
richtet waren. war, sondern damit das allerheiligste
6,1-6 Das Gesetz über das Brandopfer: Blut nicht aus dem Heiligtum in den
Hier werden zusätzliche Einzelheiten Alltag getragen und so entweiht wür-
genannt, was das Gewand betrifft, das de. Ein tönernes Gefäß, in dem das
der Priester trägt, über die Art und Wei- Fleisch des Sündopfers gekocht wurde,
se, wie er die Asche des Brandopfers musste zerbrochen werden, weil der
entsorgen sollte, und dass er sorgfältig Ton porös ist und etwas von dem Blut
darauf achten musste, dass das Feuer aufnehmen könnte und das Gefäß spä-
auf dem Altar nicht erlöschen sollte. ter dann für weltliche Zwecke verwen-
Die Asche sollte zunächst neben dem det werden könnte. Ein bronzenes Ge-
Altar gelagert und später draußen vor fäß musste sowohl gescheuert als auch
dem Lager an einen reinen Ort getragen mit Wasser gespült werden, um zu ver-
werden. hindern, dass ein Teil des allerheiligsten
6,7-10 Das Gesetz über das Speisopfer: Sündopfers jemals mit etwas Unreinem
Hier erfahren wir, dass die Priester oder Alltäglichem in Berührung kam.
ihren Anteil am Opfer im Vorhof der Das Sündopfer sollte wie das Schuld­

139
3. Mose 6 und 7

opfer an dem Ort, wo das Brandopfer genoss. »Das zeigt«, schreibt John Reid,
geschlachtet wird, getötet werden. Dies »dass Gemeinschaft mit Gott frisch sein
geschah an der Nordseite des Altars muss und sich nicht zu weit von dem
(1,11), dem Ort der Schatten. Werk des Altars entfernen darf.«11
7,1-7 Die ersten sieben Verse von Ka- 7,19-21 Wenn das Fleisch mit etwas
pitel 7 wiederholen das Gesetz über das Unreinem in Berührung kam, durfte es
Schuldopfer. Das meiste davon ist schon nicht gegessen werden, sondern musste
in 5,14-26 behandelt worden. verbrannt werden. Nur Personen, die
7,8 Vers 8 bezieht sich auf das Brand- kultisch rein waren, durften das reine
opfer und bestimmt, dass der Priester, Fleisch essen. Wer kultisch unrein war
der den Dienst tat, Anrecht auf die Haut und vom Friedensopfer aß, der wurde
des Brandopfers hatte. »ausgerottet«.
7,9-10 Vers 9 bestimmt den Anteil des Die Tatsache, dass verschiedene Teile
Dienst habenden Priesters am Speisopfer, des Friedensopfers für den Herrn, die
und der Anteil in Vers 10 sollte an die Priester und den Opfernden bestimmt
restliche Priesterschaft gehen. waren, bedeutet, dass es um eine Zeit
7,11-18 Das Gesetz vom Friedens­ der Gemeinschaft ging. Da aber Gott
opfer (Schlachter 2000) wird in 7,11-21 mit Sünde oder Unreinheit keine Ge-
beschrieben. Es gab drei Arten des Frie- meinschaft haben kann, mussten die­
densopfers, je nach dem Zweck des jenigen, die an dem Festmahl teilneh-
Opfers: »zum Dank« (V. 12), wenn man men wollten, rein sein.
Gott für einen besonderen Segen preist; 7,22-27 Das Fett, das als bestes Teil an-
wegen eines Gelübdes (V. 16; d.h. ein gesehen wurde, gehörte dem Herrn. Es
Weihopfer), »als Erfüllung eines Ver- wurde für ihn auf dem Altar verbrannt
sprechens oder eines Gelübdes, das und durfte nicht gegessen werden (V.
man vor Gott abgelegt hat, wenn er ein 22-25). Genauso gehörte das Blut, weil
bestimmtes Gebet erhört hat, z.B. Be- es das Leben des Fleisches darstellt,
wahrung auf einer gefährlichen Reise«9; Gott, und durfte nicht gegessen werden
freiwillig (V. 16-17), »das wäre z.B. ein (V. 26-27). Heute versuchen viele Juden
spontaner Ausdruck des Lobes Gottes, noch immer, diese Speisevorschriften
wobei man Gott für das lobt, was er von einzuhalten. Damit Fleisch für den Ver-
sich offenbart hat.«10 Das Friedensopfer zehr geeignet ist, muss es »koscher«
selbst war ein Opfertier (Kap. 3), aber sein, d.h. das Blut muss entfernt wor-
hier erfahren wir, dass dazu noch be- den sein. Um das Essen von Fett zu ver-
stimmte Kuchen oder Brote gehören. meiden, werden in vielen jüdischen
Die zum Dankopfer gehörigen Kuchen Haushalten keine Seifen verwendet, die
werden in Vers 12 und 13 aufgeführt. aus Tierfett hergestellt sind. Sie glau-
Der Opfernde musste jeweils einen zum ben, dass die Verwendung solcher Seife
Hebopfer bringen, und dies gehörte beim Spülen das Geschirr unkoscher
dem Dienst habenden Priester (V. 14). machen würde. Neben den geistlichen
Das Fleisch eines Dank-Friedensopfers Gründen dafür, Fett nicht zu essen, gibt
sollte am selben Tag gegessen werden, es, wie Dr. S.I. McMillen feststellt, auch
während das des Weihopfers oder das noch einen medizinischen Grund:
des freiwilligen Opfers am ersten oder
zweiten Tag gegessen werden durfte (V. In den letzten Jahren ist in der Medizin
16). Alles, was nach zwei Tagen noch deutlich geworden, dass der Verzehr von
übrig war, musste verbrannt werden (V. tierischen Fetten eine der Hauptursachen
17). Wer solches Fleisch aß, der sollte für Arteriosklerose ist. Dieses Fett bildet
»ausgerottet« werden, das bedeutet, die kleinen fettigen Cholesterin-Ablage-
dass er exkommuniziert war oder nicht rungen an den Wänden der Arterien, die
mehr die Vorrechte des Volkes Israel die Blutzirkulation behindern. In unse-

140
3. Mose 7 und 8

rem Jahrzehnt verbreiten Funk und Fern- III. Die Weihe der Priester
sehen die gute Nachricht, dass wir die (Kap. 8-10)
Zahl der Opfer eines der größten Feinde
der Menschheit reduzieren können, in- A. Einsetzung der Priester durch
dem wir den Verzehr tierischer Fette ver- Mose (Kap. 8)
ringern. So glücklich wir über die Tatsa-
che sind, dass die medizinische Wissen- 8,1-5 In 2. Mose 28 und 29 gab Gott
schaft das herausgefunden hat, so kön- Mose ausführliche Anweisungen, wie
nen wir gleichzeitig erstaunt sein, wenn Aaron und seine Söhne zu Priestern zu
wir entdecken, dass unsere ultramoder- weihen waren. Jetzt, in 3. Mose 8-10 se-
ne Wissenschaft etwa 3500 Jahre hinter hen wir, wie Mose diese Anweisungen
dem Buch der Bücher hinterherhinkt.12 erfüllte. Er rief vor dem Tor des Heilig-
tums die Versammlung zusammen ‒
7,28-34 Der Opfernde schwang die Brust die Priester und das Volk. Der Einset-
des Friedensopfers vor dem Herrn, und zungsgottesdienst war sehr öffentlich.
sie wurde dann zum Anteil der Priester. 8,6-9 Mose wusch sowohl Aaron als
Die rechte Keule wurde vor dem Herrn auch seine Söhne mit Wasser. Als
hochgehoben und dann dem Dienst ha- Nächstes kleidete Mose Aaron in die
benden Priester als Nahrung für sich vollständigen Priestergewänder: den
und seine Familie gegeben. Leibrock, den Gürtel, das Oberkleid,
7,35-36 Diese Verse wiederholen, dass das Ephod, den Gurt des Ephods, die
die Brust und die rechte Keule der An- Brusttasche, die Urim und die Tum-
teil Aarons und seiner Söhne sein sollte, mim, den Kopfbund und das Stirnblatt.
von dem Tag an, an dem Gott sie als Das muss ein beeindruckender Anblick
Priester einsetzte. Wie schon vorher an- gewesen sein.
gedeutet, spricht die Brust von der gött- 8,10-13 Dann salbte Mose die Stifts-
lichen Zuneigung und die Keule von hütte und alles, was darin war, und hei-
der göttlichen Kraft. ligte alles.
7,37-38 Dieser Abschnitt beschließt Die Tatsache, dass er das Salböl auf
den Teil des Gesetzes über die Opfer, Aarons Kopf »goss« (nicht sprengte), ist
der in 6,1 beginnt. Gott hat in seinem ein liebliches Bild des Heiligen Geistes,
Wort viel Platz für die Beschreibung der der ohne Maß auf den Herrn Jesus, un-
Opfer und die dazugehörigen Anwei- seren Großen Hohenpriester, ausgegos-
sungen zur Verfügung gestellt, weil sie sen wurde.
ihm so wichtig sind. Hier können wir in Als Nächstes bekleidete er die Söhne
schönen Bildern die kleinsten Einzelhei- Aarons mit Leibröcken, Gürteln und
ten der Person und des Werkes seines Kopfbunden (Turbanen).
Sohnes betrachten. Wie die unterschied- 8,14-17 Als Aaron und seine Söhne
lichen Facetten eines Diamanten zeigen ihre Hände auf den Kopf des jungen
uns diese Vorbilder die strahlende Sündopferstieres legten, schlachtete
Herrlichkeit dessen, »der sich selbst als Mose ihn. Sogar die höchsten religiösen
Opfer ohne Fehler Gott dargebracht Führer (damals wie heute) sind nur
hat« (Hebr 9,14). Frau F.T. Wigram Sünder, die Gottes Sühnopfer genauso
drückt ihr Lob in einem Lied aus: brauchen wie das geringste Mitglied
der Gemeinde.
Die Person des Christus, 8,18-21 Ebenso brachte Mose einen
Der jede Tugend in sich trägt, Widder als Brandopfer für Aaron und
Einst geschlachtet, doch jetzt wieder seine Söhne dar und führte die vor­
lebendig, geschriebenen Riten durch.
Im Himmel, hat Anspruch auf unseren 8,22-29 Das Weiheopfer für Aaron
Lobpreis. und seine Söhne wurde auch »Widder

141
3. Mose 8 bis 10

der Einsetzung« genannt (oder wört­ Dann mussten sie für das Volk opfern:
licher »Widder des Füllopfers«). Es un- einen Ziegenbock als Sündopfer, je ein
terschied sich von dem gewohnten einjähriges Kalb und Lamm als Brand-
Friedensopfer dadurch, dass das Blut opfer, einen Stier und einen Widder als
auf die Priester aufgetragen wurde (V. Friedensopfer und ein Speisopfer.
23-24), und auch darin, dass die rechte 9,5-23 Und die ganze Gemeinde trat
Keule und die Brote und Kuchen ver- heran in die Gegenwart des Herrn vor
brannt wurden, anstatt wie üblich ge- der Stiftshütte. Als Aaron alle Vor-
gessen zu werden. Weil Mose hier als schriften über das Sündopfer, das
Priester diente, erhielt er die Brust als Brand­opfer, das Opfer des Volkes, das
seinen Anteil. Speis­opfer, das Friedensopfer und das
Das Blut wurde am Ohrläppchen, an Schwingopfer erfüllt hatte (V. 5-21), er-
der Hand und am Fuß von Aaron und hob er seine Hände und segnete sie
seinen Söhnen aufgetragen, was uns (V. 22-23).
daran erinnert, dass Christi Blut unse- 9,24 Dann ging ein Feuer aus dem Al-
ren Gehorsam, unseren Dienst und unse- lerheiligsten des Heiligtums hervor und
ren Lebenswandel beeinflussen sollte. verzehrte das Brandopfer, das auf dem
8,30-36 Mose besprengte Aaron und bronzenen Altar lag. Das zeigte, dass
seine Söhne mit etwas Blut und etwas Gott das Opfer angenommen hatte.
Salböl vom Opfer. Die Priester wurden Dieses Feuer des Herrn sollte ständig
angewiesen, vom Fleisch des Friedens- auf dem Brandopferaltar in Brand ge-
opfers zusammen mit dem Brot zu es- halten werden.
sen.
Das obige Weiheritual wurde »sieben C. Der Frevel von Nadab und Abihu
Tage lang« wiederholt, während derer (Kap. 10)
ihnen nicht erlaubt war, vor den Ein- 10,1-3 Nadab und Abihu, die Söhne Aa-
gang der Stiftshütte hinauszugehen. rons, verbrannten beide Räucherwerk
In seinem Kommentar zu diesem Ka- vor dem Herrn, und zwar mit »frem-
pitel entdeckt Matthew Henry das Eine, dem Feuer«, womit wahrscheinlich ge-
das fehlt: meint ist, dass es nicht vom Bronzealtar
genommen worden war. Weil der Altar
Aber nach all den Zeremonien, die zu ih- von Golgatha spricht, war es so, als ob
rer Weihe durchgeführt wurden, gab es sie versucht hätten, sich auf eine andere
einen Punkt der Ratifizierung, der für Art als durch das Sühnewerk Christi
die Ehre und die Einsetzung des Pries- Gott zu nähern. Da ging Feuer vom Al-
tertums Christi zurückbehalten wurde, lerheiligsten aus und verzehrte sie, als
und zwar wurden sie ohne Eid zu Pries­ sie vor dem goldenen Altar im Heilig-
tern erklärt, während bei Christus ein Eid tum standen. Mose warnte Aaron, dass
geleistet wurde (Hebr 7,21), denn weder jede Klage als Auflehnung gegen Gottes
solche Priester noch ihre Priesterschaft gerechtes Handeln geahndet werden
waren dauerhaft, aber Christus hat eine würde.
ewige und unveränderliche Priester- 10,4-7 Nachdem Mischael und Eliza-
schaft.13 fan die Leichen von dem Altar weg­
getragen und an einen Platz außerhalb
B. Die von Aaron dargebrachten des Lagers gebracht hatten, sagte Mose
Opfer (Kap. 9) Aaron und seinen beiden noch übrigen
9,1-4 Aaron und seine Söhne nahmen Söhnen, dass sie nicht trauern durften,
am achten Tag offiziell ihren Dienst auf. sondern beim Zelt der Begegnung blei-
Erst mussten sie für sich selbst einen ben sollten, während das ganze Haus
jungen Stier als Sündopfer und einen Israel das Auflodern des Zornes Gottes
Widder als Brandopfer darbringen. betrauerte.

142
3. Mose 10 und 11

10,8-11 Einige Ausleger haben aus dem Lebensbereich heilig sein. Gott be-
dem Verbot, im Heiligtum Wein oder nutzte sogar Speisen, um den Unter-
»berauschendes Getränk« zu trinken, schied zwischen rein und unrein zu er-
geschlossen, dass Nadab und Abihu be- klären.
trunken gewesen sein könnten, als sie
das fremde Feuer opferten. A. Reine und unreine Speisen (Kap. 11)
10,12-18 Mose befahl Aaron sowie 11,1-8 Unter einem reinen Tier verstand
Eleasar und Itamar, Aarons noch übrig man ein Tier, dessen Hufe vollständig
gebliebenen Söhnen, das Speisopfer (V. aufgespalten waren, und das wieder-
12-13) und die Brust des Schwingopfers käute. Reine Tiere waren Ochsen, Rin-
(V. 14-15) zu verzehren. Als er nach dem der, Schafe, Ziegen, Hirsche usw. Un-
Widder suchte, der als Sündopfer für rein dagegen waren Schwein, Kamel,
das Volk geopfert worden war, fand er Klippdachs, Hase usw. Die geistliche
heraus, dass Eleasar und Itamar, die Anwendung lautet, dass Christen über
Söhne Aarons, das Opfer verbrannt hat- das Wort Gottes gründlich nachdenken
ten, statt es an heiliger Stätte zu essen. (wiederkäuen) sollten und dass ihre Le-
(Vielleicht fürchteten sie den Zorn Got- bensweise getrennt von der Welt sein
tes, der eben noch auf ihre Brüder gefal- sollte (gespaltene Hufe).
len war.) Die Regel lautete, dass das Aber Gott wollte auch die Gesundheit
Opfer dann verbrannt wurde, wenn das seines Volkes bewahren, indem er ver-
Blut des Sündopfers ins Allerheiligste bot, das Fleisch von Tieren zu essen, die
gebracht worden war (6,30). Wenn das Krankheiten übertrugen ‒ in einer Zeit,
nicht der Fall war, dann sollte es geges- in der es kaum Möglichkeit zur Küh-
sen werden (6,26). Mose erinnerte sie lung gab und die Verwendung von An-
daran, dass in diesem Fall das Blut nicht tibiotika in der Tierhaltung unbekannt
ins Heiligtum gebracht worden war, war.
weshalb sie das Fleisch hätten essen sol- 11,9-12 Ein reiner Fisch war einer, der
len (V. 16-18). sowohl Flossen als auch Schuppen hat-
10,19-20 Als Antwort auf Moses Er- te. Fische wie Makrele und Aal waren
mahnung erklärte Aaron, dass sie das unrein, Meeresfrüchte ebenfalls. Die
Sünd- und das Brandopfer wie vor­ Schuppen werden oft als Rüstung des
geschrieben durchgeführt hatten, er Christen verstanden, die ihn in einer
sich angesichts der schweren Be­ feindlichen Welt bewahren, während
strafung von Nadab und Abihu jedoch die Flossen die göttliche Kraft symboli-
gefragt habe, ob es in den Augen des sieren, die es ihm ermöglicht, durch die
Herrn recht gewesen wäre, von dem Welt zu kommen, ohne von ihr über-
Sündopfer zu essen. Mose nahm diese wältigt zu werden.
Entschuldigung an. 11,13-19 Raubvögel waren generell
Kapitel 10 beschließt den Abschnitt unrein ‒ z.B. Adler, Habicht, Geier und
über das Priestertum. Fledermaus. (Fledermäuse sind keine
Vögel, aber das hebräische Wort, das
IV. Rein und unrein (Kap. 11-15) wir mit »Vogel« übersetzen, hat eine
Die nächsten fünf Kapitel beschäftigen weiter reichende Bedeutung als im
sich mit der zeremoniellen Reinheit Deutschen und bedeutet etwa so viel
und Unreinheit. Für die Juden gab es wie Fliegendes.)
Handlungsweisen, die nicht moralisch 11,20-23 Die Verse 20-23 befassen sich
falsch waren, die sie aber trotzdem von mit verschiedenen Formen fliegender
der Teilnahme an den jüdischen Ritua- Insekten. Nur diejenigen, die Beine mit
len ausschlossen. Wer unrein wurde, Gelenken über ihren Füßen haben, wa-
war rituell ungeeignet, bis er wieder ge- ren rein, nämlich »alle Arten der Arbeh-
reinigt war. Ein heiliges Volk muss in je- Heuschrecke, alle Arten der Solham-

143
3. Mose 11 und 12

Heuschrecke, der Hargol-Heuschrecke akzeptabel sind oder von einem Men-


und der Hagab-Heuschrecke« (Schlach- schen nicht vertragen werden.
ter 2000).
11,24-28 Wer das Aas eines der aufge- B. Reinigung nach der Geburt eines
führten unreinen Tiere berührte, war Kindes (Kap. 12)
unrein bis zum Abend. Besonders wer- 12,1-4 Kapitel 12 beschäftigt sich mit
den hier Tiere erwähnt, die »auf Tat- der Unreinheit, die mit der Geburt ver-
zen« gehen, nämlich Katzen, Hunde, bunden war. Eine Frau, die einen Jun-
Löwen, Tiger, Bären usw. gen zur Welt brachte, war sieben Tage
11,29-38 Andere kriechende Tiere lang unrein, genauso wie bei ihrer
werden als Nächstes erwähnt: der Menstruation. Am achten Tag musste
Maulwurf, die Springmaus, die ver- der Junge beschnitten werden (V. 3).
schiedenen Eidechsenarten, der Gecko Der achte Tag war der sicherste, was die
und das Chamäleon. Jeder, der Aas von Blutgerinnung anging. Heute wird das
diesen Tieren berührte, war unrein bis Problem der Blutgerinnung durch In-
zum Abend. Wenn das Aas eines sol- jektion von Vitamin K gelöst. Dann
chen Tieres auf ein Gefäß fiel, musste musste sie noch für weitere 33 Tage zu
dieses gewaschen werden und war bis Hause bleiben und durfte nichts Heili-
zum Abend unrein. Nur ein irdenes Ge- ges anrühren und auch nicht ins Heilig-
fäß musste zerbrochen werden. Jede tum kommen ‒ d.h. in den Vorhof der
Speise in einem solchen irdenen Gefäß Stiftshütte.
wurde unrein und durfte nicht geges- 12,5 Wenn eine Frau ein Mädchen zur
sen werden. Es gab zwei Ausnahmen: Welt brachte, dann war sie zwei Wo-
Eine Quelle wurde nicht durch Kontakt chen lang unrein und musste weitere 66
mit dem Aas eines solchen Tieres un- Tage zu Hause verbringen.
rein, und auch kein Saatgut, wenn es 12,6-8 Am Ende der Reinigungszeit
noch nicht in Wasser eingeweicht gewe- sollte die Mutter ein einjähriges Lamm
sen war. als Brandopfer und eine junge Taube
11,39-40 Wenn ein Mensch mit dem oder Turteltaube als Sündopfer dar-
Aas eines reinen Tieres in Berührung bringen. Wenn sie zu arm war, um sich
kam, das gestorben war (im Gegensatz ein Lamm zu leisten, dann durfte sie
zum geschlachteten Tier), oder unbe- zwei Tauben oder Turteltauben brin-
wusst solches Fleisch gegessen hatte, gen, eine davon als Brandopfer, die an-
wurde er bis zum Abend unrein. Auch dere als Sündopfer. Die Mutter unseres
musste er seine Kleider waschen. Herrn brachte zwei Vögel dar, ein Zei-
11,41-47 Die Verse 41-43 befassen sich chen der Armut, in die Jesus hinein­
mit Würmern, Schnecken, Nagetieren geboren wurde.
und Insekten. Jeder, der sie aß, wurde Es mag seltsam erscheinen, dass mit
rituell unrein. Als Gott dieses Gesetz der Geburt eines Kindes Unreinheit
über Reinheit und Unreinheit gab, be- verbunden war, weil die Ehe gestiftet
lehrte er uns damit über seine Heilig- wurde, ehe die Sünde in die Welt kam,
keit und die Notwendigkeit für das und die Schrift lehrt, dass die Ehe heilig
Volk, ebenfalls einen heiligen Wandel ist, und weil Gott den Menschen befahl,
zu führen (V. 44-47). sich zu vermehren. Die Unreinheit ist
In Mk 7,18-19 erklärte der Herr Jesus wahrscheinlich eine Erinnerung daran,
alle Speisen für rituell rein. Und Paulus dass wir alle »in Schuld geboren und in
lehrte, dass man kein Essen ablehnen Sünde empfangen« wurden (Ps 51,7).
sollte, wenn es mit Danksagung ange- Die längere Zeit, die bei einem Mäd-
nommen wird (Tit 4,1-5). Doch das er- chen eingehalten werden musste, war
streckt sich nicht auf Speisen, die ver- vielleicht als Erinnerung daran gemeint,
giftet, beschmutzt oder kulturell nicht dass der Mann vor der Frau geschaffen

144
3. Mose 12 und 13

wurde, dass die Frau für den Mann ge- sche Übersetzung (woher unsere deut-
schaffen wurde, dass der Frau eine Stel- schen Worte Lepra, Leprakranker und
lung der Unterordnung unter den Mann leprakrank stammen) folgendermaßen
gegeben ist (damit ist nicht eine ange- zusammen:
borene Minderwertigkeit gemeint) und
dass die Frau als Erste gesündigt hat. Der hebräische Ausdruck sāra’at leitet
Williams sieht in diesen Gesetzen die sich von der Wurzel mit der Bedeutung
zarte Fürsorge Gottes, der die Mutter in »an der Haut erkranken« ab und ist eher
einer Zeit vor Besuchen schützt, in der eine allgemeine Bezeichnung als ein me-
sie am schwächsten und anfälligsten dizinisches Fachwort. Im Sprachge-
für Infektionen ist.14 brauch des Alten Testaments wurde das
Wort so weit gefasst verwendet, dass es
C. Diagnose bei Aussatz (Kap. 13) sowohl auf Schimmel oder Stockflecken
Kapitel 13 beschäftigt sich mit der Dia- an Textilien als auch auf mineralische
gnose von Aussatz und Kapitel 14 mit Ausschläge an Gebäuden ausgedehnt
der notwendigen Reinigung. Die Mei- wurde und möglicherweise auch Tro-
nungen gehen auseinander, von wel- ckenfäule oder Hausschwamm in der
cher Art der in der Bibel genannte Aus- Bausubstanz solcher Gebäude umfasst.
satz war. Die Aussätzigen der Bibel In der LXX wurde das hebräische Wort
konnten problemlos laufen, hatten kei- mit dem griechischen lepra wiedergege-
ne Deformierungen, waren harmlos, ben, das selbst scheinbar von der Bedeu-
wenn sie vollständig vom Aussatz be- tung her recht weitreichend und wenig
fallen waren, und wurden manchmal klar definiert war. Die griechischen me-
auch geheilt. dizinischen Autoren benutzten das Wort,
In bestimmten Fällen erfüllte der Pries- um eine Krankheit zu beschreiben, die
ter auch ärztliche Aufgaben, vielleicht die Hautoberfläche schuppig macht,
ein versteckter Hinweis auf die enge Ver- während Herodot es im Zusammenhang
bindung zwischen den Bereichen des mit einem Symptom namens leukē er-
Geistlichen und des Leib­lichen. Der wähnt, einer Art Hautausschlag, die
Mensch ist ein dreifaches Wesen, und wohl dasselbe ist wie die griechische ele­
was einen Teil beeinträchtigt, beeinträch- phantiasis und daher mit der modernen,
tigt alle Teile dieses Wesens. medizinisch definierten Lepra (Hansen-
Kapitel 13 ist zugegebenermaßen sche Krankheit) identisch ist.16
schwierig zu verstehen, da es ausführ­
liche Beschreibungen von Symptomen 13,1-3 Die Einleitung beschreibt, wie
enthält, die auf Aussatz hinweisen oder der Priester einen Menschen auf Sym­
auch nicht hinweisen, und vom »Aus- ptome biblischen Aussatzes hin unter-
satz« an Häusern und Kleidungs­ sucht.
stücken spricht. Dr. R.K. Harrison, der 13,4-8 Als Nächstes wird die Vorge-
sowohl eine medizinische Ausbildung hensweise in Zweifelsfällen ausgeführt.
hat, als sich auch wissenschaftlich mit Der Betreffende wurde für sieben Tage
dem Hebräischen beschäftigt, weist eingesperrt. Wenn das Mal nicht weiter
darauf hin, dass es »keine Übersetzung gefressen hat, dann wurde er für weite-
gibt, die für alle Zustände, die das he­ re sieben Tage eingesperrt. Wenn dann
bräische Wort umfasst, zufriedenstel- die Krankheit eingedämmt schien, dann
lend ist, doch sollte sie weit genug sein, erklärte der Priester den Betreffenden
um auch die Krankheit zu umfassen, für rein. Wenn der Aussatz sich jedoch
die uns als Hansensche Krankheit be- nach der zweiten Untersuchung ausge-
kannt ist«.15 breitet hatte, dann erklärte der Priester
Er fasst die bekannten Fakten über ihn für unrein.
das hebräische Wort und seine griechi- 13,9-11 Wenn der Aussatz schon älter

145
3. Mose 13

oder chronisch war, dann erklärte der Hatte sich der Ausschlag ausgebreitet,
Priester den Aussätzigen für unrein. dann war er unrein. War der Ausschlag
13,12-13 Seltsamerweise war die jedoch eingedämmt, dann war der Be-
Krankheit bei einem Menschen, der treffende rein.
überall weiß geworden war, nicht län- 13,38-39 Hatte ein Mann oder eine
ger aktiv, und der Priester erklärte ihn Frau blasse weiße Flecken auf der Haut,
für rein. dann wurde er für zeremoniell rein er-
13,14-15 Wenn »rohes Fleisch« an ei- klärt. Nach Harrisons Übersetzung
nem Menschen erschien, dann erklärte handelte es sich um »eine Sprenkelung,
der Priester ihn für unrein. Es war Aus- die zu einer Hauterhebung geworden
satz. war«.17
13,16-17 In einem Fall von Aussatz, 13,40-44 Gewöhnliche Glatzenbil-
bei dem das rohe Fleisch verheilt und dung wird hier von solcher unterschie-
weiß geworden war, war die Person den, die durch Aussatz verursacht
wieder rein. wird.
13,18-23 Drei mögliche Diagnosen bei 13,45-46 Ein Aussätziger war eine be-
Geschwüren werden als Nächstes vor- dauernswerte Person: Er wurde außer-
gestellt. Wenn es für den Priester offen- halb des Lagers Israels untergebracht,
sichtlich ist, dass das Geschwür niedri- musste zerrissene Kleidung tragen und
ger als die übrige Haut ist und das Haar »mit entblößtem Haupt« (Schlachter
weiß geworden ist, dann muss er den 2000) gehen. Wann immer sich ihm
Patienten für unrein erklären (V. 18-20). Menschen näherten, musste er seinen
Wenn in der siebentägigen Quarantäne Bart verhüllen und »Unrein, unrein!«
das Geschwür sich weiter ausbreitete, rufen. Und wieder haben wir hier ein
war es Aussatz (V. 21-22). Wenn es sich Beispiel für frühe medizinische Präven-
nicht ausbreitete, wurde der Betreffen- tion. Isolierung ist heute eine allgemein
de für rein erklärt (V. 23). verwendete Vorsichtsmaßnahme, um
13,24-28 Hier wird der Fall einer die Ausbreitung von Infektionen zu
eventuell aussätzigen Brandwunde be- verhindern.
schrieben. Wenn sie von den Sympto- 13,47-59 Der Fall von Aussatz an ei-
men her offensichtlich aussätzig war, nem Kleidungsstück bezieht sich wohl
dann sollte der Priester die Person für auf eine Art Pilz oder Schimmel auf
unrein erklären (V. 24-25). Eine sieben- Woll-, Leinen- oder Lederkleidung.
tägige Prüfungszeit sollte enthüllen, ob Harrison erklärt, wie weise es ist, sol-
sich die Krankheit ausbreitete und so- che verunreinigten Kleidungsstücke zu
mit Aussatz bestand (V. 26-27). Gab es vernichten:
jedoch nur eine »Erhöhung der Brand-
wunde«, dann lag kein Aussatz vor (V. Schimmelpilze wachsen auf totem oder
28). sich zersetzendem tierischem oder pflanz-
13,29-37 Als Nächstes wird der Fall lichem Material und treten in Flecken
eines Ausschlags oder Males am Kopf verschiedener Farbtönung auf.18
oder Bart behandelt. Hatte ein Mann
oder eine Frau von den Symptomen her Er fährt fort mit einer geistlichen An-
offensichtlich Aussatz, musste er oder wendung:
sie für unrein erklärt werden (V. 29-30).
Wenn es nicht eindeutig war, dann Das Pilzwachstum beeinträchtigt das
musste der Betreffende für sieben Tage ganze Kleidungsstück durch seine Ge-
eingeschlossen werden. Wenn die genwart, genauso wie die Verunreini-
Krankheit sich nicht ausgebreitet hatte, gung durch die Ursünde alle Bereiche
dann schor sich der Betreffende die der menschlichen Persönlichkeit durch-
Haare und wartete weitere sieben Tage. zieht.19

146
3. Mose 13 und 14

Das Volk des HERRN muss sowohl äu- lebendiges Wasser (das Werk des Hei­
ßerlich als auch innerlich rein sein: ligen Geistes in der Wiedergeburt) bei
der Reinigung des Aussätzigen verwen-
»Ach, hätt’ ich ein Herz, um meinen det wurden. Wenn sich heute ein Sün-
Gott zu preisen, der in Buße und Glauben an den Herrn
Ein Herz, von Sünde befreit, wendet, dann wird ihm der Tod und
Ein Herz, das traut auf das Blut, die Auferstehung Christi (symbolisiert
Das so freigebig vergossen wurde für in den zwei Vögeln) angerechnet. Das
mich. Blut wird durch die Macht des Geistes
Ein demütiges, bescheidenes und reuiges angewandt, und in den Augen Gottes
Herz, ist die Person rein.
Das gläubig ist, wahrhaft und rein,
Das weder Tod noch Leben kann schei­ Fels der Ewigkeiten, für mich gespalten
den Lass mich in dir mich bergen,
Von ihm, der in ihm wohnt.« Lass das Wasser und das Blut,
Charles Wesley Das aus deiner geöffneten Seite floss,
Die zweifache Heilung der Sünde sein:
D. Reinigung von Aussatz (Kap. 14) Reinige mich von ihrer Schuld und
14,1-7 Hier wird nun ein Ritual zur Rei- Macht.
nigung eines Aussätzigen nach seiner Augustus M. Toplady
Heilung angeordnet: Zunächst wurde
er vom Priester außerhalb des Lagers 14,8-20 Der gereinigte Aussätzige wusch
untersucht. Wenn er geheilt war, dann seine Kleider, schor sein ganzes Haar
opferte er zwei lebende, reine Vögel mit und wusch seinen Leib (V. 8). Dann war
Zedernholz, Karmesin und Ysop. Das es ihm erlaubt, das Lager zu betreten,
Zedernholz und der Ysop, das eine von aber er durfte für weitere sieben Tage
einem hohen Baum und das andere von nicht in sein Zelt. Nach sieben Tagen
einer bescheidenen Pflanze stammend, wusch und schor er sich wieder und
sind ein Bild für das Gericht Gottes über wurde dann für rein erklärt (V. 9). Am
alle Menschen und alles, was in der achten Tag brachte er dem Herrn Opfer
Welt ist, vom Höchsten bis zum Nied- dar (V. 10-11): ein Schuldopfer (V. 12-
rigsten. Karmesin wird in Jes 1,18 mit 18), ein Sündopfer (V. 19) und ein Brand-
Sünde assoziiert, deshalb kann es sein, opfer (V. 20). Der Priester trug etwas
dass hier der Gedanke des Gerichtes von dem Blut auf das Ohr, die Hand
Gottes über die Sünde vermittelt wer- und den Fuß des Aussätzigen auf (V.
den soll. Ein Vogel wurde über lebendi- 14). Das spricht vom Hören des Wortes
gem Wasser geschlachtet, der andere Gottes, vom Tun des Willens Gottes und
sollte mit dem Zedernholz, dem Kar- vom Wandel auf Gottes Wegen.
mesin und dem Ysop in das Blut des ge- 14,21-32 Wenn der gereinigte Aussät-
schlachteten Vogels getaucht werden. zige zu arm war, um die erforderlichen
Der gereinigte Aussätzige wurde sie- Tiere darzubringen, durfte er »zwei
benmal mit dem Blut besprengt und Turteltauben oder zwei junge Tauben«
dann für rein erklärt. Der lebendige Vo- darbringen, eine als Sündopfer und die
gel wurde dann freigelassen. andere als Brandopfer, aber er musste
Auf vielerlei Weise ist der Aussatz ein trotzdem das Lamm für das Schuld­
Sinnbild (Typus) für die Sünde. Er opfer aufbringen.
machte einen Menschen unrein, er Das Schuld-, Sünd- und Brandopfer
schloss ihn aus dem Lager Gottes und wurde jeweils von einem Speisopfer be-
dem Volk Gottes aus, er machte das gleitet.
Opfer unglücklich usw. Deshalb war es 14,33-53 Zuletzt wird noch beschrie-
nötig, dass Blut (das Blut Christi) und ben, wie ein Aussatzmal an einem Haus

147
3. Mose 14 bis 16

festgestellt wird. Das sollte erst zutref- Jom Kippur), wenn der Hohepriester mit
fen, wenn das Volk Kanaan erreichen Opferblut in das Allerheiligste ging, um
würde und die Israeliten statt in Zelten für sich selbst und für das Volk Süh-
in festen Häusern wohnen würden. nung zu erwirken. Er fiel auf den zehn-
Aussatz an einem Haus war wahr- ten Tag des siebten Monats, fünf Tage
scheinlich eine Art Pilz, Schimmel oder vor dem Laubhüttenfest. Obwohl der
Trockenfäule. Der Herr ließ Vorkehrun- Versöhnungstag normalerweise zu den
gen treffen, dass das Haus ausgeräumt Festen des HERRN gehört, handelte es
würde, ehe der Priester hineinging, da- sich in Wirklichkeit um eine Zeit des
mit die Einrichtung nicht auch unrein Fastens und der Trauer (23,27-32).
würde oder eingeschlossen werden Es ist hilfreich, sich daran zu er­
würde (V. 36.38). Zuerst wurden nur innern, dass das Allerheiligste (das
die betroffenen Steine des Hauses ent- »Heilige des Heiligen«) in diesem Kapi-
fernt. Doch wenn der Aussatz immer tel Heiligtum genannt wird, und das
wieder ausbrach, musste das Haus ab- Heiligtum »Zelt der Begegnung«.
gerissen werden (V. 39-45). Wurde der 16,1-3 Der Frevel der beiden Söhne
Aussatz im Haus zum Stillstand ge- Aarons ist der Hintergrund für diese
bracht, dann folgte der Priester einem Anweisungen. Ein ähnliches Schicksal
Reinigungsritual, das dem für einen sollte den Hohenpriester an jedem an-
Aussätzigen ähnelt (V. 48-53). deren Tag als dem Versöhnungstag er-
14,54-57 Dieser Absatz ist eine Zu- eilen, wenn er das Allerheiligste betrat.
sammenfassung der Kapitel 13 und 14. Und an diesem Tag musste er das Blut
eines Jungstiers für das Sündopfer und
E. Reinigung nach Ausflüssen eines Widders für das Brandopfer mit
(Kap. 15) sich nehmen.
15,1-18 Kapitel 15 beschäftigt sich mit 16,4-10 Es ist nicht leicht, hier die Rei-
der Unreinheit, die durch Sekrete des henfolge der Ereignisse zu verfolgen,
menschlichen Körpers verursacht wird, aber das Folgende ist eine allgemeine
seien diese nun normal oder krankhaft. Beschreibung des Rituals. Zuerst wusch
Die Verse 1-12 scheinen sich auf einen sich der Hohepriester und kleidete sich
Ausfluss eines Mannes zu beziehen, der in weißes Leinen (V. 4). Als Vorberei-
von einer Krankheit wie Gonorrhoe tung brachte er einen Jungstier und
(Tripper) verursacht wird. Das Ritual einen Widder zum Heiligtum. Diese
der Reinigung wird in den Versen 13-15 opferte er »für sich und für sein Haus«,
beschreiben. Die Verse 16-18 beziehen d.h. seine Familie. Der Jungstier war ein
sich auf den Samenerguss, sei er unwil- Sündopfer, der Widder ein Brandopfer
lentlich (V. 16-17) oder willentlich ge- (V. 3). Er brachte auch zwei Ziegen­
schehen (V. 18). böcke und einen Widder, die er für das
15,19-33 Die Verse 19-24 befassen sich Volk opfern sollte, die Ziegenböcke als
mit dem normalen Menstruations­ Sündopfer und den Widder als Brand-
zyklus der Frau. In diesem Fall mussten opfer (V. 5). Er führte die beiden Zie-
keine Opfer dargebracht werden. Die genböcke vor die Tür des Heiligtums
Verse 25-30 beschäftigen sich mit dem und warf Lose ‒ ein Los für den Herrn
Blutfluss der Frau, der nicht mit ihrer und ein Los für die Verwendung als
Monatsblutung zu tun hat ‒ und des- Sündenbock (V. 7-8). Das mit »Sünden-
halb unnormal ist. Verse 31-33 fassen bock« übersetzte hebräische Wort asasel
das Kapitel zusammen. bedeutet »Ziegenbock des Weg­gehens«.
16,11-22 Dann tötete er den Jungstier
V. Der Versöhnungstag (Kap. 16) und erwirkte Sühnung für sich und sein
Der höchste Feiertag im jüdischen Ka- Haus (V. 11). Als Nächstes nahm er eine
lender war der Versöhnungstag (hebr. Pfanne voll Feuerkohlen, seine Hände

148
3. Mose 16

gefüllt mit wohlriechendem Räucher- Er trug sie alle und befreite mich
werk, und trug sie ins Allerheiligste. Von der Last des Fluchs.
Dort breitete er das Räucherwerk über Meine Schuld wurde von Jesus getragen;
den glühenden Kohlen aus, sodass die Er reinigte die scharlachroten
Wolke des Räucherwerks den Sühne­ Verschmutzungen
deckel bedeckte (V. 12-13). Er kehrte In seinem eigenen, überaus kostbaren
zum Brandopferaltar zurück, um etwas Blut
Blut von dem Jungstier zu holen, nahm Und kein Fleckchen blieb zurück.
es mit ins Allerheiligste und sprengte es Horatius Bonar
siebenmal auf den Sühnedeckel. Vor
den Sühnedeckel sprengte er dann 16,23-33 Der Hohepriester badete »an
ebenfalls noch siebenmal von dem Blut heiliger Stätte«, wahrscheinlich beim
(V. 14). Er tötete den Ziegenbock, der Waschbecken, und zog dann seine Klei-
als Sündopfer erwählt war (V. 8), und der der Herrlichkeit und Schönheit an
sprengte sein Blut, genauso, wie er es (V. 23-24a). Die jüdische Überlieferung
mit dem Blut des Jungstiers getan hatte, sagt, dass das weiße Leinengewand nie
vor und auf den Sühnedeckel (V. 9.15). wieder getragen wurde. Der Hohe-
Dies »erwirkte Sühnung für das Heilig- priester brachte als Nächstes zwei Wid-
tum wegen der Unreinheiten der Söhne der als Brandopfer dar, einen für sich
Israel« (V. 16). Durch das Sprengen des selbst und einen weiteren für das Volk
Blutes entsühnte er auch das Heiligtum (V. 24b). Er verbrannte das Fett der bei-
und den Brandopferaltar (V. 18-19), ob- den Sündopfer auf dem Altar, während
wohl die Einzelheiten hier nicht klar ihre Häute, ihr Fleisch und ihre Innerei-
sind. Das Sühnewerk begann im Aller- en außerhalb des Lagers verbrannt
heiligsten, wurde dann im Heiligtum wurden (V. 25.27). Selbst die Haut des
und schließlich am bronzenen Altar Brandopfers, die normalerweise der
fortgesetzt (V. 15-19). Anteil des Priesters war (7,8), musste
Nachdem der Priester beide Hände verbrannt werden. Nach dem jüdischen
auf den Kopf des »Sündenbocks« gelegt Talmud ging der Hohepriester nach
hatte (V. 8) und dann die Sünden des dem Abendopfer ins Heiligtum, um die
Volkes bekannt hatte (V. 10.20-21), führ- Räucherpfanne hinauszutragen. Im
te ein ausgewählter Mann den Ziegen- Sühnungsritual bekannten die Men-
bock in die Wüste. Die beiden Ziegen- schen ihre Sünden und enthielten sich
böcke stehen symbolisch für zwei ver- der Arbeit (V. 29).
schiedene Aspekte der Sühnung: »der- Aus den obigen Ausführungen geht
jenige, der den Charakter und die Hei- hervor, dass der Hohepriester das Hei-
ligkeit Gottes zufriedenstellt und der­ ligtum mindestens viermal betrat. Dies
jenige, der das Bedürfnis des Sünders widerspricht nicht Hebräer 9,7-12, wo
nach dem Hinwegtun seiner Sünden es darum geht, dass es nur einen Tag im
zufrieden stellt«.20 Wenn Aaron die Jahr gab, an dem der Hohepriester ins
Hände auf den Kopf des lebendigen Allerheiligste durfte.
Ziegenbocks legt, dann ist das ein Bild 16,34 Trotz der ernsten Zeremonie
dafür, wie die Sünden Israels (und un- dieses Tages zeigte sich die Tatsache,
sere Sünden) auf Christus gelegt wer- dass dieser Tag doch nicht in der Lage
den, um für immer weggenommen zu war, die Sünde wirklich zu beseitigen,
werden (V. 21). in den Worten »einmal im Jahr«. »Denn
Der Liederdichter drückt es folgen- unmöglich kann Blut von Stieren und
dermaßen aus: Böcken Sünden wegnehmen« (Hebr
10,4). Im lebhaften Gegensatz dazu
Meine Sünden wurden auf Jesus gelegt, steht das Werk Christi, durch das alle
Auf das fleckenlose Lamm Gottes; menschlichen Sünden vollkommen

149
3. Mose 16 bis 18

weggenommen werden und nicht nur nung lautet: Leben für Leben. Weil der
für ein Jahr bedeckt sind. Isaac Watts Lohn der Sünde der Tod ist, der durch
hat dies so ausgedrückt: Blutvergießen symbolisiert wird, so
gibt es auch »ohne Blutvergießen keine
»Nicht alles Blut von Tieren, Vergebung« (Hebr 9,22). Vergebung ge-
Die auf jüdischen Altären geschlachtet schieht nicht, weil die Strafe für die
wurden, Sünde etwa aufgehoben wäre, sondern
Konnte dem schuldigen Gewissen weil sie auf ein Opfer übertragen wird,
Frieden bringen dessen Lebensblut ausgegossen wird.
Oder seine Flecken abwaschen. Vers 11 ist einer der Schlüsselverse von
Doch Christus, das himmlische Lamm, 3. Mose, und man sollte ihn auswendig
Nahm alle unsere Sünden hinweg, kennen. Wenn ein Tier geschlachtet
Ein Opfer von edlerer Natur wurde, dann ließ man sein Blut sofort
Und kostbarerem Blut als sie.« auslaufen. Ein Tier, das unbeabsichtigt
starb, war unrein, wenn sein Blut nicht
VI. Gesetze zu den Opfern (Kap. 17) sofort abgelassen wurde.
17,1-9 Es gibt bei den Auslegern ver- 17,15-16 Diese Verse beziehen sich
schiedene Ansichten zu den Versen 1-9. auf jemanden, der, ohne es zu wissen,
(1) Der Abschnitt verbietet generell das von dem Fleisch eines Tieres gegessen
Töten von Tieren, auch wenn es darum hatte, das nicht ausgeblutet war. Es gab
geht, diese zu essen, ohne sie vorher Vorkehrungen, um ihn wieder zu reini-
beim Heiligtum geopfert zu haben. (2) gen. Wenn er sich jedoch nicht reinigen
Der Abschnitt verbietet das Opfern von wollte, dann sollte er bestraft werden.
Tieren auf dem Feld oder an irgend­
welchen anderen Orten als dem Heilig- VII. Gesetze für das persönliche
tum. (3) Er verbietet das Schlachten von Verhalten (Kap. 18-22)
Opfertieren, um davon zu essen, so­
lange das Volk in der Wüste war. Dies A. Gesetze für sexuelle Reinheit (Kap. 18)
änderte sich, als das Volk das Verhei- 18,1-5 Kapitel 18 beschäftigt sich mit
ßene Land erreichte (5. Mose 12,15). den verschiedenen Formen unerlaubter
Morgan erklärt: Eheschließungen, die die Israeliten in
Ägypten kennengelernt hatten, die sie
Das hebräische Wort [revidierte Elber- jedoch im Land Kanaan vollständig ab-
felder übersetzt »Bocksdämonen«, Lu- legen sollten.
ther 1984 »Feldgeister«] bedeutet wört- 18,6-18 Der Ausdruck »die Blöße auf-
lich »Haarige«. In Jesaja 13,21 und 34,14 decken« bedeutet hier, Geschlechtsver-
wird dieses Wort mit Ziegenbock wie- kehr zu haben. Vers 6 enthält das gene-
dergegeben, die englische King James relle Prinzip. Heirat unter engen Bluts-
Version hat »Satyr«. Der Satyr war ein verwandten war verboten, ob es nun
mythisches Dämonenwesen, halb Ziege, um die Mutter (V. 7), die Stiefmutter (V.
halb Mensch. In Ägypten wurde der Zie- 8), die Schwester oder Halbschwester
genmensch Pan verehrt. Es scheint so, als (V. 9), die Enkeltochter (V. 10), die Toch-
wolle dieses Wort ausdrücken, dass die- ter einer Stiefmutter (V. 11), eine Tante
se Menschen in Ägypten wohl den fal- (V. 12-13) oder einen Onkel (V. 14a) ging.
schen Gott angebetet hatten.21 Die moderne Medizin bestätigt, dass
sich in Ehen von Blutsverwandten häu-
17,10-14 Ebenso war der Genuss von fig die unvorteilhaften Merkmale (so-
Blut verboten. Das Blut diente der Süh- wohl körperlicher als auch geistiger Art)
nung, nicht der Ernährung. »Denn das bei den Kindern verstärken. Doch das
Leben des Fleisches ist im Blut« (V. 11; Verbot erstreckte sich auch auf Schwa-
Schlachter 2000). Das Prinzip der Süh- ger-Verhältnisse und andere angeheira-

150
3. Mose 18 und 19

tete Personen (V. 14b-16). Manchmal Verse 24-30, warum sie es nicht tun
wird als Grund für diese letzte Anwei- sollten. Es ist kein Zufall, dass Unrein-
sung angegeben, dass der Ausdruck heit und Götzendienst im selben Kapitel
»ein Fleisch« in 1. Mose 2,24 Familien- behandelt werden (vgl. auch Kap. 20).
bande beschreibt, die so eng und fest Die Moral eines Menschen ist die Frucht
sind, das selbst die Ehe mit angeheirate- seiner Theologie, seiner Vorstellung
ten Verwandten als Inzest angesehen von Gott. Die Kanaaniter waren ein an-
wird. Keiner darf seine Schwiegertoch- schauliches Bild für die Degradierung,
ter oder Stief-Enkelin heiraten (V. 17) die der Götzendienst hervorbringt
oder aber eine Frau als Rivalin ihrer (V. 24-27). Als die Kinder Israel das
Schwester (V. 18). Vers 16 wurde später Land in Besitz nahmen, töteten sie Tau-
durch 5. Mose 25,5 ergänzt: Wenn ein sende dieser Menschen auf das Gebot
Mann ohne Kinder verstarb, war sein des HERRN hin. Wenn wir den mora-
Bruder verpflichtet, die Witwe zu heira- lischen Verfall der Kanaaniter beden-
ten. Das ist als Leviratsehe bekannt. ken, wie er in den Versen 24-30 beschrie-
18,19-21 Der Verkehr mit einer Frau ben wird, dann können wir verstehen,
während ihrer Menstruation war ver- warum Gott sie so hart behandelte.
boten. Ehebruch mit der Frau des
Nächsten war untersagt. Ebenfalls ver- B. Gesetze für den Alltag (Kap. 19)
boten waren die schrecklichen Prakti- 19,1-25 Die Grundlage aller Heiligung
ken, die manchmal mit der Verehrung findet sich in den Worten: »Ich, der
des Götzen Moloch verbunden waren, Herr, euer Gott, bin heilig« (V. 2). Ver-
bei denen man Neugeborene »durch schiedene Gesetze für das Verhalten
das Feuer gehen« ließ (2Kö 23,10; Jer des Volkes werden hier folgenderma-
32,35). Moloch war der Gott der Ammo- ßen ausgeführt:
niter: Sein Götzenbild stand im Tal Hin-
nom. Francis Schaeffer beschreibt das Mutter und Vater mussten geehrt wer-
Ritual: den (V. 3) – das fünfte Gebot.

Nach einer Überlieferung gab es am Gottes Sabbate mussten gehalten wer-


Rücken der Götzenstatue aus Messing den (V. 3) – das vierte Gebot.
eine Öffnung, und nachdem dort ein Götzendienst war verboten (V. 4) –
Feuer entfacht worden war, mussten die das zweite Gebot.
Eltern kommen und mit eigenen Händen Essen des Heilsopfers am dritten Tag
ihr erstgeborenes Kind in die rot glü- war verboten (V. 5-8).
henden, ausgestreckten Arme Molochs Wenn ein Feld geerntet wurde, dann
legen. Nach dieser Überlieferung durf- sollte der Besitzer an den Rändern et-
ten die Eltern keine Gefühle zeigen, und was Getreide für die Armen und Frem-
man schlug Trommeln, damit die Schreie den stehen lassen (V. 9-10). Feldfrüchte
des Kindes, das in den Armen Molochs und Trauben werden als Beispiele ge-
starb, nicht zu hören waren.22 nannt, nicht als vollständige Aufzäh-
lung.
18,22-23 Homosexualität war verboten, Stehlen, Täuschen und Lügen waren
genauso wie sexueller Verkehr mit Tie- verboten (V. 11) – das achte Gebot.
ren. Als Gott ein Gesetz gegen die Ho- Ein Schwur beim Namen Gottes auf
mosexualität erließ, kann er sehr wohl eine falsche Aussage wurde geächtet
die moderne AIDS-Epidemie vorher­ (V. 12) – das dritte Gebot.
gesehen haben und damit versucht ha- Betrug, Raub und das Vorenthalten
ben, die Menschen davor zu bewahren. des Lohnes waren untersagt (V. 13).
18,24-30 Die Verse 1-23 sagen den Einen Tauben zu verfluchen oder
Menschen, was sie nicht tun sollten, die einen Blinden zum Stolpern zu bringen,

151
3. Mose 19 und 20

wurde verurteilt (V. 14). Die Menschen die Israeliten in den ersten drei Jahren
sollten ihre Verehrung für den HERRN keine Früchte von ihren Bäumen ern-
zum Ausdruck bringen, indem sie ein- ten. Die Früchte des vierten Jahres soll-
ander achteten (25,17). Die Behinderten ten dem Herrn geopfert werden, und
(V. 14), die Alten (V. 32) und die Armen im fünften Jahr durfte die Frucht geges-
(25,26.43) sollten alle freundlich von de- sen werden (V. 23-25). Vielleicht gingen
nen behandelt werden, die den Herrn die Früchte an die Leviten, oder, wie
fürchteten. ein Kommentator vorschlägt, sie wur-
Parteilichkeit im Gericht war ver­ den vor dem Herrn als Teil des zweiten
boten (V. 15). Zehnten gegessen.
Üble Nachrede und eine Verschwö- 19,26-37 Andere verbotene Handlun-
rung gegen das Leben des Nächsten gen waren: Essen von Fleisch, dessen
waren untersagt (V. 16). Blut nicht ausgelaufen war (V. 26a);
Hass gegen den Bruder war verboten: Wahrsagerei und Zauberei (V. 26b);
»Du sollst deinen Nächsten ernstlich Haareschneiden nach götzendieneri-
zurechtweisen, damit du nicht seinet- schem Brauch (V. 27); Einschnitte in die
wegen Schuld trägst« (V. 17). Angele- Haut als Zeichen der Trauer um Tote (V.
genheiten sollten offen und ehrlich be- 28a); Kennzeichnungen auf dem Leib,
handelt werden, damit sie nicht zur wie es die Heiden taten (V. 28b); seine
Ursache innerer Feindschaft werden, Tochter zur Prostitution anzuhalten,
die zu äußerlicher Sünde führt. wie es in heidnischen Kulten üblich war
Sich zu rächen oder gegen jemanden (V. 29); das Brechen des Sabbats (V. 30);
nachtragend zu sein, war untersagt (V. die Befragung von Totengeistern oder
18). Der zweite Teil von V. 18, nämlich Wahrsagern (V. 31). Den Alten sollte
seinen Nächsten zu lieben wie sich man Ehre erweisen (V. 32), und Fremde
selbst, ist die Zusammenfassung des sollten gütig und gastfreundlich auf­
ganzen Gesetzes (Gal 5,14). Jesus sagte, genommen werden (V. 33-34). Zu ehr-
es sei das zweitgrößte Gebot (Mk 12,31). lichen Geschäftspraktiken wurde ein-
Das größte Gebot findet sich in 5. Mose dringlich ermahnt (V. 35-37).
6,4-5.
Generell wird angenommen, dass in C. Strafen für schwere Verbrechen
Vers 19 die Kreuzung von Tieren ver­ (Kap. 20)
boten wird, die zu Maultieren oder Dieses Kapitel nennt Strafen für einige
Mauleseln führt. Vieh bedeutet hier der Verbrechen aus Kapitel 18 und 19.
Tiere allgemein. Wer ein Kind als Opfer für Moloch
Auch das Besäen eines Feldes mit durch das Feuer gehen ließ, sollte zu
zweierlei Samen und das Tragen eines Tode gesteinigt werden (V 1-3). Wenn
Kleidungsstücks, das aus einer Mi- das Volk diesen Menschen nicht um-
schung aus Leinen und Wolle bestand, brachte, würde Gott ihn und seine Fa-
waren verboten. Gott ist ein Gott der milie auslöschen (V. 4-5). Die Todesstra-
Absonderung, und durch diese mate­ fe wurde auch über Menschen ver-
riellen Beispiele wollte er sein Volk leh- hängt, die Totengeister und Wahrsager
ren, sich von Sünde und Verunreini- befragten (V. 6), über diejenigen, die Va-
gung abzusondern. ter oder Mutter verfluchten (V. 9), über
Wenn ein Mann eine ungesetzliche Ehebrecher und Ehebrecherin (V. 10),
Verbindung mit einer Sklavin einging, über jemanden, der mit der Frau seines
die mit einem anderen Mann verlobt Vaters (V. 11) oder seiner Schwieger-
war, sollte eine Bestrafung stattfinden, tochter (V. 12) Inzest beging, und über
und der Mann musste ein Schuldopfer Homosexuelle (V. 13). (Beide Beteilig-
darbringen (V. 20-22). ten sollten in Fällen von gesetzeswidri-
Wenn sie in Kanaan wohnten, sollten gem Verkehr getötet werden.)

152
3. Mose 20 bis 22

Im Falle, dass ein Mann gesetzeswid- sich zu verunreinigen. Vers 4 bedeutet


rig Verkehr mit einer Mutter und ihrer wahrscheinlich, dass er sich wegen sei-
Tochter hatte, sollten alle drei Verbre- nes hohen Ranges nicht verunreinigen
cher verbrannt werden (V. 14). Sexuelle durfte, mit Ausnahme der in V. 2 und 3
Perversion zwischen Menschen und genannten Fälle.
Tieren war der Todesstrafe würdig, so- 21,5-9 Die Praxis der Heiden, ihre
wohl Mensch als auch Tier sollten ge­ Leiber mit Zeichen der Trauer zu ver­
tötet werden (V. 15-16). Die Todesstrafe unstalten, war verboten. Der Priester
(oder, wie manche meinen, der Aus- durfte keine Frau heiraten, die durch
schluss aus der Volksgemeinschaft) Hurerei entweiht war, und auch keine
wurde auch über sexuellen Verkehr mit Geschiedene. Doch durfte er eine Wit-
einer Schwester oder Halbschwester we heiraten. Die Tochter eines Priesters,
(V. 17) oder mit einer menstruösen Frau die gehurt hatte, sollte verbrannt wer-
(V. 18) verhängt. Verkehr mit einer Tan- den.
te brachte das Urteil »sie sollen ihre 21,10-15 Ein Hoherpriester durfte
Schuld tragen« mit sich, doch wird dies nicht auf die übliche Art trauern oder
nicht weiter erklärt (V. 19). Einige mei- das Heiligtum verlassen, um den Toten
nen, es bedeute Kinderlosigkeit wie in die letzte Ehre zu geben. Er musste eine
Vers 20, wenn ein Mann mit der Frau israelitische Jungfrau heiraten, und sein
seines Onkels Verkehr hatte, und in Eheleben musste über jeden Tadel er­
Vers 21, wenn das Verbrechen mit einer haben sein.
Schwägerin geschah. 21,16-24 Leibliche Makel schlossen ei-
Vers 21 galt nur, solange der Bruder nen Mann vom Dienst in der Priester-
lebte. Wenn er starb, ohne einen Sohn schaft aus ‒ Blindheit, Lahmheit, Ent-
zu hinterlassen, der seinen Namen trug, stellung des Gesichts, verunstaltete
dann war sein Bruder verpflichtet, die Gliedmaßen, Fuß- oder Handverletzun-
Witwe zu heiraten und den ersten Sohn gen, Buckel, Zwergwuchs, fehlerhafte
nach dem Verstorbenen zu benennen Augen, Krankheiten mit Juckreiz, Krät-
(5. Mose 25,5). Solche Ehen waren als ze oder verletzte Fortpflanzungsorga-
Leviratsehen bekannt. ne. Jeder Sohn Aarons, der einen dieser
Gottes Herz sehnte sich danach, ein Makel hatte, hatte Teil an der Speise der
heiliges Volk zu haben, das von den Priester, durfte jedoch nicht aktiv als
Gräueln der Heiden abgesondert war Priester vor dem Herrn dienen (V. 22-
und das die Segnungen des Verheiße- 23). Die heilige Speise war der Anteil
nen Landes genießen konnte (V. 22-26). des Priesters am Friedensopfer, die
Medien und Wahrsager sollten durch »hochheilige Speise« war der Anteil an
Steinigung ausgerottet werden (V. 27). anderen Opfern. Die Priester, die Opfer
darbrachten, mussten makellos sein,
D. Verhalten der Priester (Kap. 21-22) weil sie ein Bild für Christus, unseren
Die Kapitel 21 und 22 wenden sich, wie makellosen Hohenpriester, waren.
auch Kap. 16 und 17, an Aaron und sei- 22,1-9 Wenn ein Priester durch Aus-
ne Söhne. satz, einen Schleimfluss, Kontakt mit
21,1-4 Die Priester sollten sich nicht Gegenständen, die durch einen Toten
verunreinigen, indem sie Tote berühr- verunreinigt waren, Essen von nicht
ten, außer in der nächsten Verwandt- ausgeblutetem Fleisch oder irgend­
schaft. Selbst das Betreten des Zeltes einen anderen Grund zeremoniell un-
des Toten verunreinigte jemanden für rein war, durfte er nicht von den Spei-
sieben Tage (4. Mose 19,14). Damit durf- sen der Priester essen. Das ist die Be-
te ein Priester in dieser Zeit nicht mehr deutung von »sich von den heiligen
dem Herrn dienen, deshalb war es ihm Dingen enthalten« in V. 2. Wenn ein
außer bei Blutsverwandten verboten, Priester Aussatz oder ein eiterndes Ge-

153
3. Mose 22 und 23

schwür hatte, dann dauerte dieses Ver- warum die Israeliten alle diese Gebote
bot sicherlich lange Zeit. In den ande- des Herrn halten und durchführen soll-
ren erwähnten Fällen galt folgendes ten: weil der Gott, der sie aus dem Land
Ritual für den Priester: Erst musste er Ägypten befreit hatte, heilig ist. Mehre-
sich baden, dann bis zum Abend war- re Ausdrücke in diesem kurzen Ab-
ten, und dann war er wieder rein. schnitt betonen die Gesamtbotschaft
22,10-13 Im Allgemeinen durften des 3. Buches Mose: »nicht entweihen«,
Fremde, Besucher und bezahlte Ar- »heiliger Name«, »damit ich geheiligt
beitskräfte nicht von den heiligen Spei- werde« und »ich bin der Herr, der euch
sen essen. Aber ein Sklave, der vom heiligt«.
Priester gekauft war, und auch die Kin-
der des Sklaven durften davon essen. VIII. Die Feste des Herrn (Kap. 23)
Wenn eine Tochter eines Priesters an
einen Mann außerhalb der Priester­ A. Der Sabbat (23,1-3)
familie verheiratet wurde, durfte sie Jetzt wird der religiöse Kalender Israels
nicht mehr von der heiligen Speise zum Thema der Gesetzgebung Gottes.
essen, wenn sie aber Witwe oder ge- Der Herr befahl den Kindern Israel
schieden wurde und keine Kinder hatte durch Mose, die Feste des Herrn als
und nun bei ihrem Vater wohnte, dann heilige Versammlungen abzuhalten.
durfte sie an den Speisen der Priester Nach sechs Tagen Arbeit sollte der sieb-
Anteil haben. te Tag oder Sabbattag ein Tag der Ruhe
22,14-16 Wenn jemand aus Versehen von der Arbeit sein. Dies war der einzi-
von der heiligen Speise aß, dann konnte ge wöchentliche Feiertag.
er das wiedergutmachen, indem er die
Speise ersetzte und ein Fünftel dazutat, B. Das Passah (23,4-5)
wie im Fall des Schuldopfers. Das Passah des Herrn wurde am vier-
22,17-30 Opfer, die dem Herrn dar­ zehnten Tag des ersten Monats (Nisan
gebracht wurden, mussten ohne Makel oder Abib) gehalten. Es erinnerte an die
sein (V. 19), ob es sich nun um Brand­ Erlösung Israels aus der Sklaverei in
opfer (V. 18-20) oder um Friedensopfer Ägypten. Das Passahlamm war ein Vor-
handelte (V. 21). Kranke, behinderte bild auf Christus, das Lamm Gottes, un-
oder verstümmelte Tiere waren ver­ ser Passah (1Kor 5,7), dessen Blut für
boten (V. 22). Ein Stier oder Schaf mit uns vergossen wurde, um uns aus der
einem zu langen Glied oder einem ver- Sklaverei der Sünde zu erlösen. Chris-
kümmerten Glied konnte als frei­wil­ tus starb nicht bei der Schöpfung, son-
liges Opfer dienen, aber nicht als Opfer dern in der Fülle der Zeit (Gal 4,4-6).
bei einem Gelübde (V. 23). Kastrier­te
Tiere oder solche mit beschädigten Ge- C. Das Fest der ungesäuerten Brote
schlechtsorganen waren nicht annehm- (23,6-8)
bar (V. 24). Die Israeliten durften keines Das Fest der ungesäuerten Brote fand
der oben genannten beschädigten Tiere im Zusammenhang mit dem Passah
als Opfer von einem Fremden anneh- statt. Es erstreckte sich über einen Zeit-
men (V. 25). Ein Opfertier musste bei raum von sieben Tagen und begann mit
der Opferung mindestens 8 Tage alt dem Tag nach dem Passah, d.h. es fand
sein (V. 26-27). Ein Muttertier und ihr vom fünfzehnten Tag bis zum einund-
Junges durften nicht am selben Tag ge- zwanzigsten Tag des Nisan statt. Die
tötet werden (V. 28). Das Fleisch eines Namen dieser beiden Feste werden oft
Dankopfers sollte am selben Tag geges- austauschbar verwendet. Während die-
sen werden, an dem es geopfert wurde ser Zeit mussten die Juden allen Sauer-
(V. 29-30). teig aus ihren Häusern verbannen. In
22,31-33 Der letzte Abschnitt erklärt, der Schrift spricht der Sauerteig von

154
3. Mose 23

der Sünde. Das Fest ist ein Bild für ein die Erstlingsfrucht der Weizenernte
Leben, aus dem der Sauerteig der Bos- dargebracht, zusammen mit einem
heit und der Schlechtigkeit hinweg­ Brandopfer, Erstlingsbroten, Trank­
getan worden ist, und von einem Le- opfern und einem Heilsopfer. Nach jü-
ben, das von den »ungesäuerten Broten discher Tradition empfing Mose an die-
der Lauterkeit und der Wahrheit« (1Kor sem Tag des Jahres das Gesetz. Das Fest
5,8) geprägt ist. Es gab keine Zeitspan- ist ein Vorbild (Typus) für das Kommen
ne zwischen dem Passah (unserer Er­ des Heiligen Geistes zu Pfingsten, als
lösung) und dem Fest der ungesäuerten die Gemeinde gegründet wurde. Das
Brote (unserer Verpflichtung, in Heili- Schwingopfer bestand aus zwei Brot­
gung zu wandeln) … Selbst heute essen laiben, die aus dem frisch geernteten
die Juden während dieses Festes unge- Feinmehl (Schlachter 2000) gebacken
säuertes Brot. Es wird Matzen genannt. waren. (Dies war das einzige Opfer, das
Zur Bereitung von Matzen gehört das aus Sauerteig hergestellt wurde.) Diese
Durchstechen des Brotes, und beim Ba­ Laiber stehen als Bild für die Juden und
cken bekommt es Streifen (Striemen). die Heiden, die in Christus zu einem
Dieses ungesäuerte Brot erinnert uns neuen Menschen geschaffen wurden
deutlich an den sündlosen Messias. Er (Eph 2,15).
wurde für uns durchbohrt, und durch Nach Pfingsten gab es einen langen
seine Striemen ist uns Heilung gewor- Zeitraum von etwa vier Monaten, ehe
den (Jes 53,5). das nächste Fest kam. Diese Zeitspanne
könnte ein Bild für das gegenwärtige
D. Das Fest der Erstlingsfrucht (23,9-14) Zeitalter der Gemeinde sein, in wel-
Die Darbringung einer Garbe Gerste chem wir sehnsüchtig die Wiederkunft
durch Schwingen fand am zweiten Tag unseres Retters erwarten.
des Festes der ungesäuerten Brote (am
Tag nach dem Sabbat, d.h. am ersten F. Das Posaunenfest (23,23-25)
Tag der Woche) statt. Dies ist als Fest Das Posaunenfest (oder Fest des Hör-
der Erstlingsfrucht bekannt. Es markier- nerschalls) fand am ersten Tag des sieb-
te den Beginn der Gerstenernte, des ers- ten Monats statt. Das Blasen der Posau-
ten Getreides im Jahr. Eine Garbe Gerste nen rief die Söhne Israels zu einer erns-
wurde vor dem Herrn als Dank für die ten »heiligen Versammlung« zusam-
Ernte geschwungen. Auch ein Brand­ men. Damals gab es eine Zeitspanne
opfer und ein Speisopfer wurden darge- von zehn Tagen, um sich selbst zu prü-
bracht. Diese erste Ernte galt als Verhei- fen und Buße zu tun, die der Vorberei-
ßung einer zukünftigen größeren Ernte. tung zum Versöhnungstag diente. Die-
Dies ist ein Bild für Christus in der Auf- se Zeit ist ein Bild für die Zeit, wenn Is-
erstehung – »Christus ist … der Erstling rael vor seiner nationalen Buße zurück
der Entschlafenen« (1Kor 15,20). Seine in das Land gesammelt wird. Es han-
Auferstehung ist die Garantie dafür, delte sich um den ersten Tag des Kalen-
dass alle, die ihren Glauben auf ihn set- ders und wird heute Rosch haSchanah
zen, ebenfalls durch Auferstehung die (hebr. »Haupt des Jahres«) genannt. Ei-
Unsterblichkeit erlangen. nige Ausleger sehen in diesem Fest zu-
gleich auch ein Bild für eine andere Ver-
E. Das Wochenfest (23,15-22) sammlung, und zwar die Versammlung
Das Wochenfest (hebr. schāvûôt) oder der Heiligen, wenn sie bei der Ent­
Pfingsten (gr. pentekoste, »fünfzig«) rückung ihrem Herrn in der Luft be-
wurde fünfzig Tage nach dem Passah- gegnen werden.
Sabbat gehalten. Es war ein Erntefest, in
dem Gott für den Beginn der Weizen- G. Der Versöhnungstag (23,26-32)
ernte gedankt wurde. Diesmal wurde Der Versöhnungstag (hebr. Jom Kippur),

155
3. Mose 23

der am zehnten Tag des siebten Monats Die Juden bauten hüttenähnliche Gebil-
stattfand, ist schon ausführlich in Kapi- de und lebten in ihnen während des Fes-
tel 16 beschrieben worden. Er ist ein tes als Erinnerung an die zeitweiligen
Vorbild für die Buße Israels als Volk, Unterkünfte der Israeliten in der Wüste.
wenn ein gläubiger Überrest zum Mes- Selbst heute bauen viele Juden dreiseiti-
sias umkehren und Vergebung erlan- ge Hütten mit offenem Dach für dieses
gen wird (Sach 12,10; 13,1). In fast je- Fest. Sie verzieren sie mit Ästen und
dem Vers, der sich mit dem Versöh- Herbstfrüchten, um sich an die Ernte zu
nungstag beschäftigt, wiederholt Gott erinnern.
das Gebot, keine Arbeit zu verrichten. Jeder, der konnte, kam zu diesem Ernte-
Der Einzige, der an diesem Tag aktiv fest jedes Jahr nach Jerusalem. Zum Tem-
wurde, war der Hohepriester. Der Herr pelgottesdienst an diesem Festtag gehör-
bekräftigte das Gebot, indem er drohte, te das rituelle Ausgießen von Wasser
jeden auszurotten, der das Gebot ver- vom Teich Siloah, ein Symbol für die Ge-
letzte. Das geschah, weil die Erlösung, bete um Winterregen. Zu dieser Zeit war
die unser Hohepriester für uns erwirkt es, als Jesus ausrief: »Wenn jemand dürs-
hat, »nicht um der Werke willen, die tet, so komme er zu mir und trinke« (Joh
wir getan hätten« (Tit 3,5) erlangt wur- 7,37-38).
de. Keine menschlichen Werke dürfen Nachdem Israel seinen endgültigen Ver-
bei der Aufgabe, unsere Sünden weg- söhnungstag gefeiert haben wird, wird
zunehmen, beteiligt sein. Christi Werk das Laubhüttenfest wieder in Jerusalem
‒ und nur dieses allein ‒ ist die Quelle gefeiert werden (Sach 14,16).23
ewiger Erlösung. »Sich selbst demüti-
gen« (V. 27.29) bedeutet zu fasten. Noch Eine der Tatsachen, die Gott sein Volk
heute halten fromme Juden diesen Tag durch die Feste lehren wollte, war die
als Zeit des Fastens und Betens. Ob- enge Beziehung zwischen den geist­
wohl der Versöhnungstag unter den lichen und den leiblichen Aspekten des
Festen des HERRN aufgezählt wird, ist Lebens. Zeiten der Fülle und des Se-
er eher ein Fasten- als ein Feiertag. Doch gens sollten Zeiten der Freude vor dem
nachdem die Frage der Sünde geklärt Herrn sein. Der Herr wurde ihnen als
war, gab es eine Zeit der Freude wäh- der Eine vorgestellt, der reichlich für
rend des Laubhüttenfestes. ihre täglichen Bedürfnisse sorgte. Ihre
Reaktion als Volk auf seine Güte fand
H. Das Laubhüttenfest (23,33-44) ihren Ausdruck in den Festen, die mit
Das Laubhüttenfest (hebr. Sukkôt, »Hüt- der Ernte verbunden waren.
ten«) begann am fünfzehnten Tag des Man beachte die Wiederholung des
siebten Monats. Sieben Tage lang wohn- Gebotes, dass die Israeliten keine Skla-
ten die Israeliten in Laubhütten (V. 42). vendienste oder Arbeit an diesen hohen
Es ist ein Bild für die letzte Ruhe und Festtagen tun sollten (V. 3.7.8.21.25.28.30.
die letzte Ernte, wenn Israel während 31.35.36).
des Tausendjährigen Reiches sicher im Ein eindeutiger zeitlicher Ablauf
Land wohnen wird. Dieses Fest wird kann in den Festen des HERRN nach-
auch »Fest des Einsammelns« (2. Mose gewiesen werden. Der Sabbat führt uns
23,16) genannt. Es stand im Zusammen- zurück zu Gottes Ruhe nach der Schöp-
hang mit der Ernte. In der Tat haben fung. Das Passah und das Fest der un-
mehrere Feste, die in diesen Kapiteln gesäuerten Brote sprechen zu uns von
erwähnt werden, mit Ernte zu tun. Die Golgatha. Als Nächstes kommt das Fest
beiden Sabbate könnten ein Bild für das der Erstlingsfrucht, das auf Jesu Auf­
Tausendjährige Reich und die ewige erstehung hinweist. Das Pfingstfest
Ruhe sein. Moishe und Ceil Rosen be- steht für das Kommen des Heiligen
schreiben die Tradition: Geistes. Dann schauen wir in die Zu-

156
3. Mose 23 bis 25

kunft mit dem Posaunenfest, das ein musste wiedergutgemacht werden.


Bild für die Sammlung Israels ist. Der Weichheit brachte das Gesetz in Verruf.
Versöhnungstag schattet die Zeit vor­ Das Gesetz der Vergeltung wird heute in
aus, wenn ein Überrest in Israel Buße der westlichen Welt verachtet, aber tiefer
tun und Jesus als Messias anerkennen denkende Menschen tun es nicht einfach
wird. Und das Laubhüttenfest schließ- ab. (a) In der antiken Gesellschaft stand
lich zeigt uns Israel, wie es die tausend- die Strafe oft in keinerlei Verhältnis zu
jährige Herrschaft Christi genießt. dem getanen Unrecht. Die vergeltende
Strafe war somit ein großer Schritt vor-
IX. Zeremonial- und wärts zu wirklicher Gerechtigkeit.
Moralgesetze (Kap. 24) (b)  Weiter leidet die rehabilitierende
In Kapitel 23 wurden die jährlichen Fes­ Strafe ‒ die Alternative, die am häu-
te behandelt. Nun werden die täglichen figsten vorgeschlagen wird ‒ an Subjekti-
und wöchentlichen Pflichten vor dem vität. Wer will entscheiden, wann ein
Herrn behandelt. Mensch rehabilitiert ist und wieder in
24,1-9 »Reines Öl aus zerstoßenen die Gesellschaft eingegliedert werden
Oliven« sollte beständig in dem golde- kann? Heute mögen die Bedingungen
nen Leuchter vor dem Herrn verbrannt sehr nachsichtig sein, aber was ist mit
werden. Die zwölf Kuchen (Schaubro- morgen? Echte Gerechtigkeit fordert ein
te) sollten in zwei Reihen oder auch Sta- Auge (aber nicht mehr) für ein Auge
peln auf den Schaubrottisch gelegt wer- (Daily Notes of the Scripture Union).
den und an jedem Sabbat ausgetauscht
werden. Der in Vers 7 erwähnte Weih- In den Versen 1-9 sehen wir ein Bild von
rauch gehörte dem Herrn. Er wurde Israel, wie Gott es beabsichtigt hatte. In
dem HERRN geopfert, wenn das alte den Versen 10-16 zeigt der fluchende
Brot weggenommen und den Priestern Mann, wie Israel wirklich geworden
zum Essen gegeben wurde. war ‒ den Namen Gottes lästernd und
24,10-23 Dann kommt etwas abrupt fluchend (»sein Blut komme über uns
der Bericht über den »Sohn einer israeli- und unsere Kinder«, Mt 27,25).
tischen Frau«, der »aber der Sohn eines
ägyptischen Mannes« war und zu Tode X. Das Sabbatjahr und das
gesteinigt wurde, weil er Gott verfluchte Jubeljahr (Kap. 25)
(V. 10-16.23). Der Vorfall zeigt, dass das Die Gesetze der Kapitel 25-27 wurden
Gesetz für jeden, der im Lager Israel Mose auf dem Berg Sinai gegeben und
wohnte, gleich galt, ob er nun reinblü- nicht in der Stiftshütte (25,1; 26,46;
tiger Jude war oder nicht (V. 22). Er zeigt, 27,34).
dass Blasphemie wie Mord unter der 25,1-7 Jedes siebte Jahr sollte als Sab-
Todes­strafe stand (V. 14.16.17.23). (V. 16 batjahr gehalten werden. Das Land soll-
war eventuell das Gesetz gegen Läs­te­ te brachliegen und nicht beackert wer-
rung, auf das sich die Juden bezogen, als den. Nahrung für die Menschen sollte
sie sagten: »Wir haben ein Gesetz, und durch die Ernte bereitgestellt werden,
nach dem Gesetz muss er [der Herr Je- die von selbst wuchs. Der Eigentümer
sus] sterben, weil er sich selbst zu Gottes durfte sie nicht ernten, sondern sollte
Sohn gemacht hat« [Joh 19,7].) Hier wird sie zur freien Verfügung für alle Men-
auch gezeigt, dass man für einige andere schen stehen lassen.
Verbrechen Wiedergut­machung leisten 25,8-17 Das fünfzigste Jahr war eben-
konnte (V. 18.21). Schließlich zeigt der so ein Sabbatjahr, als »Halljahr« oder
Vorfall auch noch, dass … »Jubeljahr« bekannt. Es begann mit
dem Versöhnungstag, der auf sieben
… Wiedergutmachung ein grundlegen- Sabbatjahr-Zyklen folgte (neunund-
des Prinzip des Gesetzes war; Unrecht vierzig Jahre). Sklaven sollten freigelas-

157
3. Mose 25

sen werden, das Land sollte brachliegen drei Arten konnte das Land »erlöst«
und an seinen ursprünglichen Besitzer (d.h. in den Besitz des ursprünglichen
zurückgegeben werden. Der Preis eines Eigentümers zurückgegeben) werden:
Sklaven oder Landstücks sank, wenn Der nächste Verwandte konnte es für
das Jubeljahr näher kam (V. 15-17), und den Verkäufer zurückkaufen (V. 25),
alle Geschäfte sollten diese Tatsache mit der Verkäufer (der ursprüngliche Ei-
berücksichtigen. Die Worte »Und ihr gentümer) konnte es auslösen, wenn er
sollt im Lande Freiheit für alle seine Be- die finanziellen Mittel dazu bekam, in-
wohner ausrufen« (V. 10; Menge) sind dem er dem Käufer die Jahre bis zum
auf der Freiheitsglocke der USA eingra- Jubeljahr bezahlte (V. 26-27), andern-
viert. Heutige Gläubige dürfen das Ju- falls gelangte das Land automatisch im
beljahr mit dem Wiederkommen des Jubeljahr an den ursprünglichen Eigen-
Herrn vergleichen. Während wir seiner tümer zurück (V. 28).
Wiederkunft entgegengehen, verliert 25,29-34 »Ein Wohnhaus in einer um-
unser materieller Reichtum an Wert. In mauerten Stadt« konnte ein Jahr lang
dem Augenblick, in dem er kommt, ausgelöst werden, danach wurde es
sind unser Geld, unser Landbesitz und ständiges Eigentum des neuen Besit-
unsere Investitionen wertlos für uns. zers. Häuser in Dörfern ohne Mauer
Die Moral daraus: Lasst diese Dinge galten als Teil des Landes und wurden
jetzt für den Herrn arbeiten! deshalb dem ursprünglichen Eigen­
25,18-22 Bezüglich des Sabbatjahres tümer im Jubeljahr zurückgegeben. Die
mochten sich die Menschen fragen, ob Häuser, die den Leviten in den beson-
sie denn in diesem und dem folgenden deren Levitenstädten gehörten, durften
Jahr genügend zu essen haben würden. immer von den Leviten zurückgekauft
Gott verhieß ihnen, dass er ihnen, wenn werden. Die Felder, die den Leviten als
sie gehorsam wären, im sechsten Jahr Weideplätze zugewiesen waren, durf-
genügend Ernte geben würde, dass es ten nicht verkauft werden.
für drei Jahre reichte. 25,35-38 Wenn ein Israelit Schulden
Einmal in fünfzig Jahren sollte es zwei machte und verarmte, dann durften sei-
Jahre hintereinander geben, in denen es ne jüdischen Kreditgeber ihn nicht un-
weder Saat noch Ernte gab ‒ wenn nach terdrücken. Sie durften ihm weder Zin-
dem normalen Sabbatjahr ein Jubeljahr sen für Geld abnehmen, noch Aufschlag
folgte. Wahrscheinlich gab der Herr ge- auf geliehene Nahrungsmittel erheben.
nug Vorräte im achtundvierzigsten 25,39-46 Wenn ein verarmter Israelit
Jahr, sodass es vier Jahre lang reichte. sich selbst einem jüdischen Gläubiger
Einige Gelehrte glauben, dass bei ei- verkaufte, weil er die Schuld nicht be-
ner einschließlichen Jahreszählung das zahlen konnte, sollte er nicht wie ein
fünfzigste Jahr eigentlich das neunund- Sklave, sondern wie ein Tagelöhner be-
vierzigste Jahr war. Jedenfalls haben handelt werden. Er sollte im Jubeljahr
wir hier ein antikes Beispiel für ökolo- befreit werden, wenn dieses vor dem
gisches Handeln: Die Fruchtbarkeit des Ende seines sechsjährigen Dienstes
Landes wurde durch erzwungene Bra- kam. Die Juden durften Sklaven aus den
che aufrechterhalten. In der heutigen heidnischen Nationen haben, und diese
Zeit ist der Mensch sehr besorgt gewor- wurden als ihr Eigentum an­gesehen,
den, die Ressourcen unseres Planeten das sie auch ihren Nach­kommen ver­
zu erhalten. Wie so oft ist das Wort Got- erben konnten. Aber Juden selbst sollten
tes seiner Zeit um Jahrhunderte vor- keine Sklaven sein.
aus. 25,47-54 Wenn ein Jude sich einem
25,23-28 Land konnte verkauft wer- Heiden verkaufte, der im Land lebte,
den, jedoch nicht für immer, weil der dann konnte der Jude jederzeit zurück-
HERR der eigentliche Besitzer war. Auf gekauft und freigelassen werden. Der

158
3. Mose 25 bis 27

Preis für die Auslösung bestimmte sich Fein­­de, Dürre, Unfruchtbarkeit, Gefahr
danach, wie viele Jahre noch bis zum von wilden Tieren, Pest, Invasionen
Jubeljahr blieben. Der Verwandte, der und Gefangenschaft führen.
den Juden auslöste, durfte ihn als Tage- Vers 26 beschreibt die Zustände einer
löhner bis zum Jubeljahr beschäftigen. Hungersnot. Brot würde so selten wer-
Wenn ihn kein Verwandter auslöste, den, dass ein Ofen ausreichen würde,
dann wurde der Sklave automatisch im um darin das Brot von zehn Frauen zu
Jubeljahr frei. backen. Normalerweise reichte ein Ofen
25,55 Dieser Vers ist eine lebhafte Er- für eine Familie. Noch schlimmere Zu-
innerung daran, dass die Israeliten und stände werden in Vers 29 geschildert,
ihr Land (V. 23) dem Herrn gehörten wo dann Kannibalismus vorherrscht
und dass er als der rechtmäßige Eigen- (vgl. 2Kö 6,29 und Kla 4,10 als histori-
tümer angesehen werden sollte. Weder sche Erfüllung dieser Warnung).
Gottes Volk noch Gottes Land konnte 26,34-39 Andauernder Ungehorsam
dauerhaft verkauft werden. der Israeliten würde dazu führen, dass
sie von einer ausländischen Macht ge-
XI. Segen und Fluch (Kap. 26) fangen genommen würden. Das Land
Israel sollte eine Zeit der Ruhe bekom-
A. Segen für Gehorsam gegenüber men, die der Anzahl der Sabbatjahre
Gott (26,1-13) entsprach, die das Volk nicht eingehal-
Die Warnung nimmt in diesem Kapitel ten hatte. Dies geschah in der babyloni-
doppelt so viel Raum wie der Segen schen Gefangenschaft. Während der
ein. Not, die verheißene Frucht des Un­ Jahre von Saul bis zur Gefangenschaft
gehorsams, ist ein Werkzeug, das Gott hatte das Volk die Sabbatjahre nicht ein-
benutzt, und zwar nicht, um Rache zu gehalten. So verbrachten sie siebzig
üben, sondern um sein Volk zur Buße Jahre im Exil, und das Land genoss
zu führen (V. 40-42). Die Strafe des Vol- Ruhe (2Chr 36,20-21).
kes würde immer schwerer werden, bis
das Volk seine Missetaten bekannte. C. Wiederherstellung durch
Man beachte die Progression in den Bekenntnis und Buße (26,40-46)
Versen 14, 18, 21, 24 und 28. Der Schlussteil von Kapitel 26 bot dem
Nach Warnungen vor Götzendienst ungehorsamen Volk eine Möglichkeit
(V. 1), vor dem Bruch des Sabbatgebotes der Wiederherstellung durch Bekennt-
und vor Ehrfurchtslosigkeit (V. 2) ver- nis und Buße. Gott wollte sein Volk
hieß der Herr dem Volk folgende Seg- nicht vollständig verlassen, sondern an
nungen, wenn es seine Gebote halten die Bundesverheißungen denken, die
würde: Regen, Fruchtbarkeit (V. 4), Pro- er den Vorfahren seines Volkes gegeben
duktivität, Sicherheit (V. 5), Frieden hatte.
und Schutz (V. 6), Sieg über die Feinde
(V.  7-8), Überfluss und die Gegenwart XII. Gelübde und Abgaben (Kap. 27)
des Herrn (V. 9-13). Die Übertragung Das letzte Kapitel des 3. Buches Mose
von V. 13 durch Knox ist hier besonders befasst sich mit freiwilligen Gelübden,
sprechend: »War ich es nicht, der die die dem Herrn gegeben wurden. Es
Ketten von euren Hälsen schlug und scheint so, dass man dem Herrn als
euch den aufrechten Gang freier Men- Dank für einen Segen einen Menschen
schen schenkte?« (sich selbst oder ein Familienmitglied),
ein Tier, ein Haus oder ein Feld weihen
B. Fluch für Ungehorsam gegenüber konnte. Was man versprochen hatte,
Gott (26,14-39) gab man den Priestern (4. Mose 18,4).
26,14-33 Ungehorsam sollte zu Schre- Weil diese Gaben für die Priester nicht
cken, Krankheit, Beraubung durch immer brauchbar waren, gab es die

159
3. Mose 27

Möglichkeit, dass derjenige, der das zum Beispiel ein Homer Gerste darauf
Gelübde abgelegt hatte, dem Priester ausgesät wurde, dann sollte es 50 Sche-
eine gewisse Geldsumme statt des ge- kel Silber wert sein.
weihten Gegenstandes geben konnte. Wenn das Feld im oder nahe beim Ju-
27,1-2 Ein Gelübde der Weihung war beljahr versprochen wurde, dann galt
etwas ganz Besonderes. der obige Wert. Doch wenn es einige
27,3-7 Wenn jemand einen Menschen Jahre nach dem Jubeljahr versprochen
dem Herrn versprach, dann sollte der wurde, dann sank der Wert des Feldes
Auslösepreis folgendermaßen an den entsprechend. Mit anderen Worten: Das
Priester gezahlt werden: Feld wäre nur noch 30 Schekel wert,
wenn es 20 Jahre nach dem Jubeljahr
Ein Mann von 20-60 Jahren: 50 Schekel versprochen wurde.
Eine Frau von 20-60 Jahren: 30 Schekel 27,19-21 Wenn das Feld ausgelöst
Eine männliche Person von 5-20 Jahren: 20 S. wurde, dann war eine zusätzliche Zah-
Eine weibliche Person von 5-20 Jahren: 10 S. lung von einem Fünftel erforderlich.
Eine männliche P. von 1 Monat bis 5 Jahren: 5 S. Wenn jemand, nachdem er das Land
Eine weibliche P. von 1 Monat bis 5 Jahren: 3 S. dem Herrn geschenkt hatte, es nicht vor
Eine männliche Person über 60 Jahre: 15 S. dem Jubeljahr einlöste, oder wenn er es
Eine weibliche Person über 60 Jahre: 10 S. heimlich an jemanden anderen verkauf-
te, dann konnte es nicht mehr eingelöst
27,8 Wenn jemand zu arm war, sein Ge- werden, sondern wurde im Jubeljahr
lübde zu erfüllen, dann bestimmte der Eigentum des Priesters. Das Land war
Priester eine Summe nach seinen Ver- dann »heilig für den Herrn«.
hältnissen. 27,22-25 Wenn ein Feld von jeman-
27,9-13 Wenn das Gelübde ein Tier be- dem versprochen wurde, der nicht der
traf, dann galten folgende Regeln: Ein eigentliche Eigentümer war, d.h. von
reines Tier, das für ein Opfer ge­eignet jemandem, der es gekauft hatte, dann
war, konnte nicht ausgelöst werden galten die Verse 22-25. Der Priester
(V.  9). Es musste dem Herrn auf dem stellte den Wert des Eigentums fest, der
Altar geopfert werden (4. Mose 18,17). davon abhängig war, wie viele Ernten
Nichts konnte dadurch gewonnen wer- es vor dem Jubeljahr bringen würde. In
den, ein Tier durch ein anderes aus- diesem Jahr ging dann das Feld an den
zutauschen, denn beide würden dem ursprünglichen Eigentümer zurück.
Herrn gehören (V. 10.33). Ein unreines 27,26-27 Das Erstgeborene eines Op-
Tier konnte ausgelöst werden, indem fertieres konnte nicht dem Herrn ver-
man den Schätzpreis des Priesters plus sprochen werden, da es ihm ohnehin
ein Fünftel bezahlte (V. 11-13). gehörte. Die Erstgeburt eines unreinen
27,14-15 Wenn jemand sein Haus dem Tieres konnte ausgelöst werden, indem
Herrn versprach, konnte er es sich über- man den Schätzwert des Priesters plus
legen und es zurückkaufen, indem er ein Fünftel zahlte. Andernfalls konnte
den vom Priester geschätzten Wert plus der Priester es verkaufen.
ein Fünftel bezahlte. 27,28-29 Nichts, was unter der Todes-
27,16-18 Den Wert eines Feldes zu be- strafe stand oder vernichtet werden soll-
stimmen, wurde durch die Tatsache te, durfte ausgelöst werden. Das ist ge-
kompliziert, dass es im Jubeljahr an den meint, wenn hier die Rede von »Gebann-
ursprünglichen Eigentümer zurückfiel. tem« ist. So konnte ein Sohn, der seine
Wenn es von seinem ursprünglichen Eltern verfluchte, nicht ausgelöst wer-
Eigentümer versprochen wurde, d.h. den, sondern er musste getötet werden.
wenn er es geerbt hatte, dann galten die In diesem Kapitel gibt es eine wichti-
Regeln von Vers 16-21. Es wurde nach ge Unterscheidung, die beachtet werden
der Aussaat darauf bewertet. Wenn muss, zwischen dem, was geweiht wur-

160
3. Mose 27

de, und dem, was mit dem Bann belegt wahren Anbetern erklärt, die den Vater
wurde. Dinge, die durch ein Gelübde im Geist und in der Wahrheit anbeten,
dem Herrn geweiht wurden, konnten nur durch Christus allein und in seinem
ausgelöst werden; gebannte Dinge wur- Namen, der unser Priester, Tempel, Altar,
den völlig und endgültig gegeben und Opfer, Reinigung und alles ist. Lasst uns
konnten nicht ausgelöst werden. deshalb nicht denken, weil wir nicht an
27,30-31 Ein Zehnter oder ein Zehntel die zeremoniellen Reinigungen, die Feste
des Getreides und der Früchte gehörte und Verpflichtungen gebunden sind,
dem Herrn. Wenn der Opfernde es be- dass ein bisschen Einsatz, Zeit und Geld
halten wollte, dann konnte er seinen ausreichen, um Gott zu ehren. Nein, son-
Wert plus ein Fünftel dafür bezahlen. dern wir sollten unsere Herzen noch viel
27,32-33 Der Ausdruck »was unter mehr öffnen für freiwillige Opfer zu sei-
dem Stab vorüberzieht« bezieht sich nem Lob, noch mehr entflammt mit heili-
auf die Praxis, die Schafe und Böcke zu ger Liebe und Freude sein und noch mehr
zählen, indem man sie unter dem Hir- hingegeben in ernsthafter Gesinnung
tenstab hindurchgehen ließ. Leslie und aufrichtiger Absicht. Da wir nun,
Flynn kommentiert: Brüder, durch das Blut Jesu Freimütigkeit
haben zum Eintritt in das Heiligtum,
Mit dem Stab in der Hand berührte [der lasst uns hinzutreten mit wahrhaftigem
Hirte] jedes zehnte Schaf. Er konnte auf Herzen in voller Gewissheit des Glaubens
keinerlei Weise ihre Reihenfolge bestim- und Gott mit so viel mehr Freude und de-
men, sodass ein gutes Tier nicht auf den mütigem Vertrauen anbeten und dabei
zehnten Platz kam. Wenn er versuchte, immer noch sprechen: Dank sei Gott für
die Reihenfolge zu ändern, dann gehör- unseren Herrn Jesus Christus!25
ten sowohl das wirkliche zehnte als auch
das Ersatztier dem Herrn.24
Anmerkungen
Dieser erste Zehnte wurde als der levi- 1
(Kap. 1) Das Wort ‘ōlāh kommt von
tische Zehnte bezeichnet, weil er den der Wortwurzel mit der Bedeutung
Leviten gezahlt wurde (4. Mose 18,21- »aufgehen / aufsteigen«. Damit ist
24). Ein weiterer Zehnter, der offen- die Vorstellung verbunden, dass das
sichtlich ein anderer als der hier be- ganze Tier hinauf zu Gottes Altar ge-
schriebene ist, wird in 5. Mose 14,22-29 bracht wird und als Gabe vollständig
angeordnet. geopfert wird.
27,34 Der Ausdruck »die Gebote, die 2
(Kap. 1) Peter Pell, The Tabernacle,
der Herr dem Mose … aufgetragen hat« S. 102-103.
im letzten Vers von 3. Mose bezieht sich 3
(Kap. 2) Einige Ausleger leiten das
wahrscheinlich auf das ganze Buch. Wort minhāh von einer Wurzel ab, die
Nachdem wir nun die Menge an detail- »führen« oder »leiten« bedeutet. Die
lierten Ritualen und Blutopfern studiert meisten jedoch gehen von einer Wur-
haben, können wir uns mit Matthew zel aus, die »Geschenk« bedeutet.
Henry freuen: 4
(3,1-15) Dieses Wort, das fast immer in
der Pluralform schelāmîm vorkommt,
Wir stehen nicht mehr unter den finsteren ist mit dem wohlbekannten hebrä-
Schatten des Gesetzes, sondern wir ge- ischen Wort schālôm verwandt. Der
nießen das klare Licht des Evangeliums, hebräische Begriff umfasst mehr als
… dass wir nicht mehr unter dem schwe­ nur die Abwesenheit von Feindschaft,
ren Joch des Gesetzes und seinen fleisch- er beinhaltet auch Wohl­ergehen, Un-
lichen Satzungen stehen …, sondern un- versehrtheit und den Frie­­­­­­­den mit
ter den süßen und leichten Einrichtungen Gott. Eine zweite Be­deutung dieses
des Evangeliums, welches diejenigen zu Wortes ist ein Opfer der Gemeinschaft

161
3. Mose

in der Gegenwart Gottes. Normaler- 10


(7,11-18) Ebd.
weise, jedoch nicht hier, steht das 11
(7,11-18) John Reid, The Chief Meeting
Friedensopfer an letzter Stelle, und of the Church, S. 58.
einige Gelehrte leiten das Wort des- 12
(7,22-27) Dr. S.I. McMillen, None of
halb von der seltenen Bedeutung These Diseases, S. 84.
»vervollständigen, vollenden« ab. 13
(8,30-36) Matthew Henry’s Commenta­
Carr gibt eine schöne Anwendung: ry on The Whole Bible, Bd. I, S. 474.
»Wenn diese Bedeutung stimmt, dann 14
(Kap. 12) George Williams, The
werden die Anspielungen auf Chris- Student’s Commentary on the Holy
tus, unseren Frieden im Neuen Testa- Scriptures, S. 71.
ment (z.B. Eph 2,14) noch bedeut- 15
(Kap. 13, Einführung) Harrison, Le­
samer, weil er das letzte Opfer für uns viticus, S. 137. Im Anhang A, S. 241
ist (vgl. Hebr 9,27; 10,12).« G. Lloyd übersetzt er das Kapitel 13 in po­
Carr, »Shelem«, Theological Wordbook pulärwissenschaftliche (englische)
of the Old Testament, Bd. III, S. 932. Sprache, was für denjenigen hilfreich
5
(Kap. 3) Pell, Tabernacle, S. 92. sein mag, der an den medizinischen
6
(Kap. 4) Für uns erscheint es befrem- Aspekten der genannten Symptome
dend, dass dasselbe hebräische Wort, interessiert ist.
das fast 300-mal im AT vorkommt, 16
(Kap. 13, Einführung) Ebd., S. 136-
sowohl »Sünde« als auch »Sünd­ 137.
opfer« bedeuten kann. 17
(13,38-39) Ebd., S. 245.
7
(5,14-6,7) In der KJV wird dieses Op- 18
(13,47-59) Ebd., S. 146.
fer als trespass offering (Übertretungs- 19
(13,47-59) Ebd.
opfer) bezeichnet. 20
(16,11-22) G. Morrish (Hrsg.), New
8
(6,11) Keil und Delitzsch interpretie- and Concise Bible Dictionary, S. 91.
ren den letzteren Teil dieses Verses 21
(17,1-9) G. Campbell Morgan, Search­
so, dass »jeder Laie, der dieses Aller- lights from the Word, S. 38.
heiligste berührte, durch den Kon- 22
(18,19-21) Francis A. Schaeffer, The
takt selbst heilig wurde, sodass er Church at the End of the 20th Century,
sich von da an genauso wie geheilig- S. 126.
te Priester vor aller Verunreinigung 23
(23,33-44) Moishe und Ceil Rosen,
hüten musste«. C.F. Keil und Franz Christ in the Passover, keine Seiten­
Delitzsch, »Leviticus«, in: Biblical angabe.
Commentary on the Old Testament, 24
(27,32-33) Leslie B. Flynn, Your God
Bd. II, S. 319. and Your Gold, S. 30-31.
9
(7,11-18) A.G. Clarke, Precious Seed 25
(27,34) Matthew Henry, »Leviticus«,
Magazine, Nr. 2, Bd. 11, März/April in: Matthew Henry’s Commentary on
1960, S. 49. The Whole Bible, Bd. I, S. 562.

Bibliografie Coleman, Robert O.,


»Leviticus«, in: Wycliffe Bible Commentary,
Bonar, Andrew, Chicago: Moody Press, 1962.
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1852, Nachdruck, Harrison, R.K.,
Grand Rapids: Baker Book House, 1978. Leviticus: An Introduction and Commen­
tary, The Tyndale Old Testament Com-
Borland, James A., mentaries,
»Leviticus«, in: Liberty Bible Commentary, Downers Grove: InterVarsity Press,
Lynchburg: The Old-Time Gospel Hour, 1980.
1982.

162
3. Mose

Henry, Matthew, Lindsey, F. Duane,


»Leviticus«, in: Matthew Henry’s Com­ »Leviticus«, in: The Bible Knowledge
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McLean: MacDonald Publishing Com- Wheaton: Victor Books, 1985.
pany, o.J.
Smith, Arthur E.,
Jukes, Andrew, Leviticus for Lambs,
The Law of the Offerings, Privatdruck, o.J.
London: The Lamp Press, 1954.
Zeitschriften:
Keil, C.F. und Delitzsch, F., Clarke, A.G.,
»Leviticus«, in: Biblical Commentary on »The Levitical Offerings«, in: Precious
the Old Testament, The Pentateuch, Bd. IV, Seed Magazine, 1960.
Grand Rapids: Wm. B. Eerdmans Pub-
lish­ing Co., 1971.

163
4. Mose
»4. Mose leistet einen einzigartigen Beitrag zum Thema ›christliches Leben‹, wenn man
die allgemeine Abfolge seines historischen Hintergrundes als Parallele zum christlichen
Lebenswandel sieht. Der Verfasser des Hebräerbriefes macht diese wichtige Anwendung
und widmet ihr zwei Kapitel (Hebr 3 und 4).«

Irving L. Jensen

Einführung III. Datierung


Rationalistische Gelehrte datieren den
I. Einzigartige Stellung im Kanon Pentateuch sehr spät in der jüdischen
Geschichte, doch ein Datum um 1406
Der lateinische Name des 4. Buches v.Chr. stimmt mit der Auffassung der
Mose, Numeri, das auch in manchen konservativen, gläubigen Gelehrten
deutschen Ausgaben mit diesem Titel über­­­­­ein. (Vgl. die Einführung zum
bezeichnet wird, ist eine Übersetzung Penta­teuch, wo Details zu finden sind.)
des Titels in der Septuaginta, Arithmoi.
Das Buch ist offensichtlich wegen der IV. Hintergrund und Thema
Volkszählung im 1. und 26. Kapitel so Der historische Hintergrund des
benannt, aber auch wegen der vielen 4. Buches Mose ist, wie der hebräische
anderen Zahlenangaben, die immer Titel vermuten lässt, die Wüste. Die
wieder gemacht werden. Reisen und Wanderungen umfassen 38
Der hebräische Titel beschreibt das Jahre, und zwar von der Abreise vom
Buch als Ganzes wesentlich besser: »In Berg Sinai bis zur Ankunft in der Ebene
der Wüste« (bemidbar). Die Erzählung Moabs gegenüber dem Verheißenen
über die vierzig Jahre in der Wüste ist Land. Die Wanderungen hatten ihre
voller interessanter und wohlbekannter Ursache im Unglauben, deshalb berich-
Geschichten: die Kundschafter in Kana- tet Gott hier nicht über sie. Wie Scrog-
an, der Aufruhr der Korachiter, Aarons gie anmerkt: »Die Bewegungen des
grünender Stab, die eherne Schlange, Volkes Gottes, die außerhalb seines Wil-
Bileam und sein Esel und andere weni- lens stattfinden, stehen nicht in seinem
ger bekannte Ereignisse. Verzeichnis.«1
Man sollte aber nicht denken, dass es Während 3. Mose den Gottesdienst
hier um bloße »Geschichte Israels« und die geistliche Stellung betont, ist
geht. All das geschah auch zu unserer das Thema von 4. Mose der Wandel und
geist­lichen Erbauung. Wir sollen aus der geistliche Fortschritt (bzw. der Man-
den Fehlern der Kinder Israel lernen, gel daran!). Christen sollten nicht mei-
statt sie zu wiederholen. Folglich ist das nen, es handele sich hier um ein trocke-
4. Buch Mose ein sehr wichtiges Buch. nes jüdisches Geschichtsbuch! Man
kann es vielfältig auf das Leben eines
II. Verfasserschaft heutigen Christen anwenden. Es wäre
Nach jüdischer und christlicher Lehre schön, wenn man davon ausgehen
wurde das vierte Buch Mose vom großen könnte, dass alle (oder die meisten)
Gesetzgeber Mose geschrieben. Dies wird Christen rasch von der Errettung zu
in liberalen Kreisen vielfach bestritten. einer vollständigen Aneignung der
Man vergleiche die Einführung zum Verheißungen Gottes vom Sieg fort-
Penta­­teuch, wo sich eine kurze Verteidi- schreiten, doch die Beobachtung und
gung der Verfasserschaft des Mose findet. Er­fahrung zeigt, wie sehr wir den alten

165
4. Mose 1

Isra­eliten im Murren, Zurückgehen müssen. Gott hat volle Vorkehrungen


und blanken Unglauben gleichen. für unseren geistlichen Erfolg durch
Die gute Nachricht lautet, dass wir in den Glauben geschenkt (vgl. den Kom­
unserer geistlichen Pilgerschaft diese mentar zum Neuen Testament vom selben
Wanderungen Israels nicht wieder­holen Autor, insbesondere zu Römer 6-8).

Einteilung H. Die Sünde Moses (20,1-13)


I. Die letzen Tage am Sinai I. Der Tod Aarons (20, 14-29)
(1,1 - 10,10) J. Die eherne Schlange
A. Die Zählung und die (21,1 - 22,1)
Aufstellung der Stämme III. Ereignisse in der Ebene Moab
(Kap. 1-2) (22,2 - 36,13)
B. Die Anzahl und die Pflichten A. Der Prophet Bileam
der Leviten (Kap. 3-4) (22,2 - 25,18)
C. Reinheit und Bekenntnis 1. Bileam wird von Balak
(5,1-10) gerufen (22,2-40)
D. Das Eifersuchtsgesetz (5,11-31) 2. Bileams Weissagungen
E. Das Gesetz für Nasiräer (22,41-24,25)
(Kap. 6) 3. Bileam verführt Israel
F. Das Opfer der Stammesfürsten (Kap. 25)
(Kap. 7) B. Die zweite Volkszählung (Kap. 26)
G. Der Dienst an der Stiftshütte C. Das Erbrecht der Töchter (27,1-11)
(Kap. 8) D. Josua, der Nachfolger Moses
H. Das Passah, die Wolke (27,12-23)
und die silbernen Trompeten E. Opfer und Schwur (Kap. 28-30)
(9,1 - 10,10) F. Vernichtung der Midianiter
II. Vom Sinai bis in die Ebene Moabs (Kap. 31)
(10,11 - 22,1) G. Das Erbe Rubens, Gads und
A. Aufbruch aus der Wüste Sinai des halben Stammes Manasse
(10,11-36) (Kap. 32)
B. Auflehnung im Lager (Kap. 11) H. Rückblick auf die Lagerplätze
C. Die Auflehnung Aarons und Israels (Kap. 33)
Mirjams (Kap. 12) I. Die Grenzen des Verheißenen
D. Das Verheißene Land wird Landes (Kap. 34)
ausgekundschaftet (Kap. 13-14) J. Städte der Leviten (35,1-5)
E. Verschiedene Gesetze (Kap. 15) K. Zufluchtsstädte und
F. Korachs Auflehnung (Kap. 16-17) Todesstrafe (35,6-34)
G. Anweisungen an die Leviten L. Das Erbe der verheirateten
(Kap. 18-19) Töchter (Kap. 36)

Kommentar Monat nach dem Auszug der Kinder


Israels aus Ägypten und einen Monat
I. Die letzen Tage am Sinai (1,1 - 10,10) nach der Errichtung der Stiftshütte
(2. Mose 40,17). Wie angemerkt, hat das
A. Die Zählung und die Aufstellung Buch seinen lateinischen Namen von
der Stämme (Kap. 1-2) den zwei Volkszählungen erhalten
(1,26). Die Volkszählung, die hier er-
1,1 Zu Beginn des 4. Buches Mose befin- wähnt wird, ist nicht identisch mit der
den wir uns zeitlich ein Jahr und einen in 2. Mose 30,11-16 aufgezeichneten. Sie

166
4. Mose 1 bis 3

wurden zu verschiedenen Zeiten und Kriegsdienst leisten sollten (V. 47). Die
zu verschiedenen Zwecken durch­ Aufgabe der Leviten war es, die Stifts-
geführt. Die zweite Volkszählung hütte auf- und abzubauen, dazu der ge-
(4.  Mose 1) beruhte eventuell auf der samte Dienst, der damit verbunden
früheren Zählung, deshalb die ähn- war. Sie lagerten sich um die Stiftshütte
lichen Summen. und beschützten sie so vor Entweihung
1,2-3 Das Volk Israel sollte bald seine und damit das Volk vor Strafe (V. 53).
Reise vom Berg Sinai in das Verheißene 2,1-2 Den Stämmen Israels wurde be-
Land antreten. Es war wichtig, dass sie fohlen, ihre Zelte im Gebiet um die
in geordneten Heeresverbänden orga- Stiftshütte aufzubauen (s. Skizze), je
nisiert waren, und zu diesem Zweck drei Stämme auf jeder Seite.
ordnete Gott die Zählung an. Die Zäh- 2,3-16 Im Osten unter der Flagge Ju-
lung sollte alle Männer »von zwanzig das befanden sich Juda, Issaschar und
Jahren an und darüber, jeden, der mit Sebulon (V. 3-9). Jeder Stamm hatte ei-
dem Heer auszieht« umfassen. gene militärische Anführer. Diese Stäm-
1,4-17 Einer aus jedem Stamm wurde me zählten zusammen 186.400 Männer.
ernannt, um Mose bei der Zählung zu Im Süden unter der Flagge Rubens be-
helfen. Ihre Namen werden in den Ver- fanden sich Ruben, Simeon und Gad
sen 5-16 aufgeführt. In Vers 17 heißt es: (V.  10-16). Das Lager Rubens bestand
»Mose und Aaron nahmen diese mit aus 151.450 Männern.
Namen bezeichneten Männer.« 2,17-31 Im Westen unter der Flagge
1,18-46 Die Zählung ergab Folgendes: Ephraims befanden sich Ephraim, Ma-
nasse und Benjamin (V. 18.24). Dieses
Stamm Bibelstelle Anzahl Lager zählte 108.100 Männer. Im Nor-
den unter der Flagge Dans befanden
Ruben V. 20‒21 46.500 sich Dan, Asser und Naftali (V. 25-31).
Simeon V. 22‒23 59.300 Diese zählten insgesamt 157.600 Män-
Gad V. 24‒25 45.650 ner. Die Stämme sollten in der an­
Juda V. 26‒27 74.600 gegebenen Reihenfolge marschieren ‒
Issaschar V. 28‒29 54.400 zuerst das Lager Juda usw. Die Leviten
Sebulon V. 30‒31 57.400 marschierten hinter Gad und vor
Ephraim V. 32‒33 40.500 Ephraim (V. 17).
Manasse V. 34‒35 32.200 2,32-34 Die Gesamtzahl der Männer
Benjamin V. 36‒37 35.400 betrug 603.550 (V. 32). Alle Männer zu-
Dan V. 38‒39 62.700 sammen mit den Leviten (3,39) waren
Asser V. 40‒41 41.500 625.550. Wenn man davon ausgeht, dass
Naftali V. 42‒43 53.400 die Männer ein Drittel des Volkes aus-
machten, dann muss die Gesamtzahl an
Gesamt 603.550 Menschen mindestens 1.876.650 be­
tragen haben. Die Anzahl der Krieger
Man beachte, dass Ephraim größer als ist ein besseres Maß für die Stärke einer
Manasse ist. Das steht im Einklang mit Gemeinde als die Anzahl der Gottes-
dem Segen Jakobs in 1. Mose 48,19-20. dienstbesucher!
Die aufgezählten Stämme beginnen mit
Ruben, dem Erstgeborenen und seinem B. Die Anzahl und die Pflichten der
Lager (Süden), dann folgen Juda und Leviten (Kap. 3-4)
sein Lager (Osten), dann Dan und sein Die Kapitel 3 und 4 beschäftigen sich
Lager (Norden) und schließlich Ephraim mit dem Dienst der Leviten, die in der
und sein Lager (Westen). Zählung von Kapitel 1 und 2 nicht ein-
1,47-54 Die Leviten wurden nicht geschlossen waren. Der Stamm Levi
unter die Männer Israels gezählt, die war von Gott zum Dienst am Heiligtum

167
4. Mose 3

Die Platzierung der Stämme im Lager Israels


NORDEN

Dan (62.700)
Asser (41.500)
Naphtali (53.400)
Gesamt: 157.600

Ephraim (40.500) Juda (74.600)


WESTEN Manasse (32.200) Issaschar (54.400)
OSTEN
Benjamin (35.400) Sebulon (57.400)
Gesamt: 108.100 Gesamt: 186.400

Zelt der Zusammenkunft

Ruben (46.500)
Simeon (59.300)
Gad (45.650)
Gesamt: 151.450

SÜDEN

ausgesondert worden. Ursprünglich in den Versen 1-4 beschrieben. Nach-


hatte Gott bestimmt, dass die Erstgebo- dem Nadab und Abihu wegen ihres
renen ihm gehören sollten, aber später Frevels getötet worden waren, hatte
erwählte er den Stamm Levi an ihrer Aaron noch zwei Söhne übrig ‒ Eleasar
statt zum göttlichen Dienst (V. 12-13). und Itamar. Die Leviten waren Diener
Levi hatte drei Söhne: Gerschon, Kehat der Priester (V. 5-9). Niemand als Aaron
und Merari. Ihre Nachkommen hatten und seine Nachkommen durfte im
die Aufgabe, für die Stiftshütte und ihre Priesteramt dienen (V. 10a).
Einrichtungsgegenstände zu sorgen. 3,10b-13 Der Mittlerdienst der alttesta-
3,1-10a Die Familie Aarons (Nachfah- mentlichen Priester konnte den einzel-
ren von Kehat) war die Priesterfamilie nen Sünder nicht in enge Gemeinschaft
(V. 9). Alle anderen Leviten dienten mit Gott bringen. Der Sünder musste
zwar an der Stiftshütte, waren aber kei- sich von den heiligen Gegenständen un-
ne Priester. (Der Ausdruck »Die Pries- ter Androhung der Todesstrafe fernhal-
ter, die Leviten«, der sich später in den ten. Doch heute schenkt uns der Mittler-
fünf Büchern Mose findet, meint die le- dienst unseres Herrn Jesus Christus,
vitischen Priester. Er bedeutet nicht, unseres großen Hohenpriesters, nicht
dass alle Leviten Priester gewesen wa- nur Zugang zu Gott, sondern auch die
ren, sondern dass alle Priester von Levi Freimütigkeit, in seine Gegenwart zu
abstammten.) Die Priesterfamilie wird treten (Hebr 4,16). Diese drastische Ver-

168
4. Mose 3 und 4

änderung hat ihre Ursache in dem groß- renen waren, die natürlich ausgelassen
artigen Ereignis, das zwischen 4. Mose wurden, als die Leviten die Erstgebore-
und dem Hebräerbrief liegt ‒ dem Wun- nen der anderen Stämme ersetzten.2
der von Golgatha. 3,40-51 Die Bedeutung des Abschnitts
3,14-39 Die Leviten wurden gezählt, ist folgende: Die Leviten waren von Gott
nicht als Krieger, sondern als Anbeter »anstelle aller Erstgeborenen« (V. 41) als
(V. 15). Jeder männliche Nachkomme sein Eigentum erwählt. Es gab 22.000
Levis hatte besondere Aufgaben in be- Leviten und 22.273 erstgeborene Söhne
stimmten Bereichen der Stiftshütte: (V. 39.43). Deshalb gab es nicht genü-
gend Leviten, um Ausgleich für alle
Erstgeborenen Israels zu schaffen, die
Stamm Aufgabe Bibelst. Anzahl
nach dem ursprünglichen Plan gedient
Gerschon Alle Vorhänge V. 18‒26 7500 hätten. Der Herr befahl, dass die zusätz-
und Behänge lichen 273 erstgeborenen Söhne durch
der Stiftshütte die Zahlung von 5 Schekeln für jeden
und des Vorhofs, freigekauft werden sollten. Dieses Löse-
außer des geld (273 x 5 = 1.365 Schekel) musste Aa-
»verhüllenden ron und seinen Söhnen bezahlt werden
Vorhangs« (4,5), (V. 51). Es sollte bemerkt werden, dass
der die Lade die Erstgeborenen, die in Vers 43 er-
umhüllte. wähnt werden, eventuell nur die umfas-
Kehat Das Allerheiligste ‒ V. 27‒32 8600 sen, die erst nach dem Auszug aus
die Lade, Ägypten geboren worden waren.
der Schaubrottisch, 4,1-3 Die Zählung in Kapitel 4 sollte
die Geräte, die Zahl der Leviten bestimmen, die
der Vorhang, wirklich zum aktiven Dienst an der
die Altäre, der Stiftshütte zur Verfügung standen. Das
goldene Leuchter usw. waren die Männer zwischen 30 und 50
Merari Die Bretter, V. 33‒37 6200 Jahren.
die Riegel, die Säulen, 4,4-20 In 2. Mose 25,15 heißt es: »Die
die Fußgestelle, Stangen sollen in den Ringen der Lade
die Pflöcke und Seile bleiben, sie dürfen nicht von ihr ent-
fernt werden.« Doch hier in Vers 6 heißt
Die Leviten sollten ihre Zelte unmittel- es, dass die Priester »Stangen daran an-
bar außerhalb der Einfriedung der bringen« sollten. Eine mögliche Erklä-
Stiftshütte aufstellen, wobei die Ger- rung aus dem Kommentar von Keil und
schoniter im Westen (V. 23), die Keha­ Delitzsch lautet, dass man Vers 6 even-
titer im Süden (V. 29) und die Merariter tuell mit »die Stangen zurechtrücken«
im Norden (V. 35) lagerten. Mose und übersetzen könnte.3
Aaron und seine Söhne sollten im Die Pflichten der Kehatiter werden
Osten lagern, beim Eingang des Heilig- zuerst genannt (V. 4-20). Aaron und sei-
tums (V. 38-39). (Vgl. Skizze.) ne Söhne waren dazu bestimmt, die
Levi war der kleinste Stamm in Israel. Stiftshütte und die heiligen Gefäße zu
Die Zahl der Leviten von einem Monat verpacken (V. 5-13). Die Bundeslade
an und darüber betrug 22.000 (V. 39). (V. 7-8), der goldene Leuchter (V. 9-10),
Doch die Angaben, die in den Versen der goldene Altar (V. 11), die Geräte
22, 28 und 34 angegeben werden, er­ (V. 12) und der bronzene Altar (V. 13-14)
geben zusammen 22.300. Verschiedene sollten mit Decken aus Delfinhaut ver-
Erklärungen wurden für diesen Unter- hüllt werden. Die anderen Söhne
schied gegeben. Williams vermutet, Kehats waren dann dazu ernannt, die
dass die zusätzlichen 300 die Erstgebo- bedeckten Einrichtungsgegenstände zu

169
4. Mose 4 und 5

tragen. (Das Waschbecken wird hier Lager geschickt werden. Das Lager be-
nicht erwähnt, aber sie müssen es auch stand aus dem Bereich der Stiftshütte
getragen haben.) Sie durften sie nicht und dem Raum, den die Zelte Israels
berühren oder auch nur ansehen, sonst um ihn herum einnahmen.
mussten sie sterben (V. 15.17-20). Elea- 5,5-10 Wenn ein Mann oder eine Frau
sar, der Sohn Aarons, war für die Stifts- irgendeine Sünde gegen jemanden tat,
hütte und ihre heiligen Einrichtungs­ dann musste er oder sie die Sünde be-
gegenstände verantwortlich (V. 16). kennen und ein Sündopfer darbringen,
Der Vorhang zwischen dem Heilig- Wiedergutmachung leisten und noch
tum und dem Allerheiligsten verbarg ein Fünftel hinzutun. Wenn derjenige,
immer die Bundeslade vor den Blicken dem das Unrecht geschehen war, tot
der Menschen (V. 5). Selbst wenn Israel war oder nicht mehr ausgemacht wer-
weiterzog, war die Bundeslade von den konnte und es keine näheren Ver-
demselben Vorhang bedeckt, der ein wandten gab, dann sollte die Zahlung
Bild für den Leib unseres Herrn Jesus an den Priester gehen.
Christus ist. Bis Golgatha, als der Vor-
hang für immer entzweigerissen wur- D. Das Eifersuchtsgesetz (5,11-31)
de, durfte niemand außer dem Hohen- 5,11-15 Dieser Abschnitt beschreibt ein
priester den Thron Gottes auf der Bun- Ritual, um Lügen zu enttarnen, das
deslade ansehen. auch als Eifersuchtsprüfung bekannt
4,21-28 Die Gerschoniter sollten die ist. Der Zweck dieser Zeremonie war
Vorhänge des Zeltes der Begegnung es, die Schuld oder Unschuld einer Frau
tragen, die Stiftshütte selbst, die Be­ zu bestimmen, die unter dem Verdacht
hänge des Vorhofs und die Decken. Ita- der ehelichen Untreue stand. Sie muss-
mar, der Sohn Aarons, beaufsichtigte te Wasser trinken, das mit Staub vom
die Gerschoniter. Boden der Stiftshütte vermischt war.
4,29-33 Die Merariter waren dazu be- Wenn sie schuldig war, würde es sich
stimmt, die Bretter, Stangen, Säulen, ihr als Fluch erweisen, indem ihr Bauch
Fußgestelle, Zeltpflöcke und Seile zu aufschwellen und die Hüfte verfaulen
tragen. würde. Wenn sie unschuldig war, dann
4,34-49 Die Ergebnisse der Zählung würde nichts Schlimmes geschehen. Es
waren folgende: geht aus den Versen 12-14 hervor, dass
der Ehemann nicht wusste, ob seine
Kehatiter: 2.750 Frau untreu gewesen war. Er musste
Gerschoniter: 2.630 zuerst seine Frau zum Priester bringen,
Merariter: 3.200 zusammen mit einem Speisopfer.
5,16-31 Der Priester bereitete die Mi-
Gesamtzahl der Leviten schung aus Wasser und Staub in einem
von 30-50 Jahren: 8.580 Tongefäß. Er brachte die Frau zum Altar
vor dem HERRN, löste ihre Haare und
C. Reinheit und Bekenntnis (5,1-10) legte das Speisopfer in ihre Hand. Dann
Dieser Abschnitt beschäftigt sich mit ließ er sie einem Eid zustimmen, durch
den Vorsichtsmaßnahmen, die die Isra- den sie verflucht werden würde, wenn
eliten ergreifen sollten, um das Lager sie schuldig wäre. Nachdem er den
frei von Verunreinigung zu halten. Der Fluch in ein Buch (d.h. auf eine Schrift-
Grund für das Gebot in Vers 3 kann in rolle) geschrieben und die Schrift in das
5. Mose 23,15 gefunden werden: Gott bittere Wasser abgekratzt hatte, schwang
wandelte inmitten des Lagers. er das Speisopfer vor dem HERRN, ver-
5,1-4 Leprakranke, Menschen mit brannte eine Hand voll davon auf dem
Ausfluss und Menschen, die einen To- Altar und ließ dann die Frau das Wasser
ten berührt hatten, sollten aus dem trinken. Die Aussage von Vers 24, dass

170
4. Mose 5 und 6

er die Frau das Wasser trinken ließ, wird So war und ist der Nasiräer für die
in Vers 26 wiederholt. Sie trank aber nur Kinder dieser Welt ein Rätsel. Um sich
einmal davon. Wenn sie schuldig war, zu freuen, zog er sich von der Freude
dann kamen die angedrohten Gerichte zurück. Um stark zu sein, wurde er
einschließlich Unfruchtbarkeit über sie. schwach. Und um seine Verwandten zu
Wenn sie jedoch unschuldig war, wurde lieben, ›hasste‹ er sie (Lk 14,26).4
sie für rein erklärt und wurde nicht be- 6,9-12 Dieser Abschnitt beschreibt das
straft. Sie konnte ein normales Eheleben Vorgehen, das angewandt werden sollte,
führen und Kinder bekommen. Die Ver- wenn jemand sein Gelübde brach, indem
se 29-31 fassen die Eifersuchtsprüfung er unbeabsichtigt einen Leichnam berührt
zusammen. hatte. Erst musste er den siebentägigen
Eifersucht kann eine Ehe zerstören, ob Reinigungsprozess durchlaufen, der in
es dafür gerechtfertigte Gründe gibt 4. Mose 19 geschildert ist. Am siebten Tag
oder nicht. Dieses Ritual stellte ein Mög- schor er seinen Kopf und brachte am fol-
lichkeit zur Verfügung, die Frage ein für genden Tag zwei Turteltauben oder junge
alle Mal klären zu lassen. Das Gericht Tauben dar, eine als Sündopfer, die an­
Gottes würde den Schuldigen treffen, dere als Brandopfer. Er brachte auch ein
aber der Unschuldige sollte vom Ver- einjähriges Lamm als Schuldopfer dar.
dacht des Partners befreit werden. Trotz aller Opfer waren die Tage, die er
Einige Ausleger glauben, dass dieser vorher schon in Absonderung verbracht
Abschnitt in der Zukunft eine besondere hatte, verfallen, und er musste ganz von
Anwendung finden wird, wenn das Volk vorne beginnen. Obwohl also ein verun-
Israel wegen seiner Untreue gegenüber reinigter Nasiräer wieder geweiht wer-
dem HERRN geprüft werden wird. den konnte, waren die Tage seiner Un-
reinheit verloren. Für uns bedeutet das,
E. Das Gesetz für Nasiräer (Kap. 6) dass ein zurückgefallener Gläubiger wie-
6,1-8 Das Wort »Nasiräer« stammt von derhergestellt werden kann, aber die Zeit,
einer Wortwurzel ab, die »trennen, ab- die er außerhalb der Gemeinschaft mit
sondern« bedeutet. Das Gelübde eines Gott verbracht hat, ist vergeudet.
Nasiräers war ein freiwilliges Gelübde, 6,13-21 Hier haben wir die Zeremonie,
das ein Mann oder eine Frau für eine die erforderlich war, wenn jemand zum
bestimmte Zeit ablegen konnte. Die Abschluss seiner Gelübdezeit kam. Vier
Mischna sagt, dass ein Nasiräergelübde Opfer wurden dargebracht: Brand­opfer,
bis zu 100 Tage dauern konnte, dass es Sündopfer, Friedensopfer und Speis­
aber normalerweise 30 Tage dauerte. In opfer (V. 14-15). Der Nasiräer schor sei-
einigen seltenen Fällen waren Men- nen Kopf und verbrannte das Haar im
schen lebenslang Nasiräer, z.B. Samuel, Feuer unter dem Friedensopfer (V. 18).
Simson und Johannes der Täufer. Das Der Anteil des Priesters am Ritual wird
Gelübde umfasste drei Bestimmungen: in den Versen 16-17 und 19-20 an­gegeben.
1. Ein Nasiräer durfte von der Frucht Vers 21 bezieht sich auf ein freiwilliges
des Weinstocks weder essen noch trin- Opfer, das der Nasiräer bei Vollendung
ken ‒ keinen Essig, keinen Wein, keinen seines Gelübdes darbringen konnte.
Traubensaft, keine Trauben oder Rosi- 6,22-27 Die letzten Verse von Kapitel
nen (V. 2-4). 2. Er durfte sein Haar nicht 6 geben den schönen und vielen ver-
schneiden (V. 5). 3. Er durfte sich kei- trauten Segen wieder, mit dem Aaron
nem Leichnam nähern (V. 6-8). und seine Söhne das Volk segnen soll-
Wein spricht von der menschlichen ten. Der große Evangelist D.L. Moody
Freude. Langes Haar, eine Schande für liebte diesen Segen sehr:
den Mann, ist ein Zeichen der Demü­
tigung. Eine Leiche verursacht Ver­ Hier haben wir einen Segensspruch, der
unreinigung. durch die ganze Welt ziehen kann und

171
4. Mose 6 bis 8

der allezeit geben kann, ohne arm zu 7,84-89 Die Gesamtzahl aller Opfer
werden. Jedes Herz kann ihn ausspre- wird in den Versen 84-88 dargestellt.
chen; es ist die Sprache Gottes; jeder Brief Gott vergisst keinen Dienst, der für ihn
kann mit ihm schließen, jeder Tag kann getan wurde. Er zeichnet alles sorgfäl-
mit ihm beginnen und jede Nacht kann tig auf. Am Ende des Opfers ging Mose
durch ihn geheiligt werden. Hier haben in das Allerheiligste und hörte die Stim-
wir Segen ‒ Bewahrung ‒ Leuchten ‒ das me Gottes, die zu ihm vom Gnaden-
Erheben des frohen himmlischen Mor- thron (Sühnedeckel) herab redete, viel-
genlichts über unser armes Leben. Der leicht ein Ausdruck der Zufriedenheit
Herr selbst bringt uns diesen musika- mit den Gaben der Fürsten (V. 89). Ob-
lischen Ausschnitt aus den ewigen Lob­ wohl Mose zum Stamm Levi gehörte,
gesängen des Himmels.5 war er kein Priester. Doch machte Gott
in diesem Fall eine Ausnahme, indem er
F. Das Opfer der Stammesfürsten (Kap. 7) ihm nicht nur das Recht gab, das
7,1-9 Dieses Kapitel führt uns zurück zu Allerheiligste zu betreten, sondern es
2. Mose 40,17, als die Stiftshütte errich- ihm sogar befahl (2. Mose 25,21-22).
tet wurde. Die »Fürsten Israels« waren
die Anführer der verschiedenen Stäm- G. Der Dienst an der Stiftshütte (Kap. 8)
me. Ihre Namen sind schon in 4. Mose 8,1-4 Aaron wurde angewiesen, die
1,5-16 und in 4. Mose 2 aufgeführt wor- Lampen auf dem Leuchter so auszu-
den. Sie brachten als Erstes ein Opfer, richten, dass sie ihr Licht in den Bereich
das aus »sechs Planwagen und zwölf vor den Leuchter werfen sollten. Wenn
Rindern« (V. 3) bestand. Mose verteilte das Licht vom Zeugnis des Heiligen
zwei Wagen und vier Rinder an die Ger- Geistes spricht und der Leuchter von
schoniter und vier Wagen und acht Rin- Christus, dann ist dies eine Erinnerung
der an die Merariter, damit sie sie be- daran, dass der Dienst des Heiligen
nutzten, um ihren Anteil an der Stifts- Geistes die Verherrlichung Christi ist.
hütte zu transportieren. Die Kehatiter 8,5-13 Im nächsten Abschnitt wird die
bekamen weder Wagen noch Ochsen, Weihe der Leviten beschrieben. Sie wur-
weil sie die kostbare Last der heiligen den zunächst gereinigt durch das Be-
Gefäße auf den Schultern trugen. sprengen mit dem »Entsündigungswas-
7,10-83 Die Stammesführer brachten ser« (das in 4. Mose 19 erklärt wird),
an zwölf aufeinanderfolgenden Tagen durch das Scheren ihrer Leiber mit
Opfer für die Einweihung des Altars einem Rasiermesser und indem sie ihre
dar. Diese Opfer werden ausführlich Kleider und sich selbst wuschen (V. 7).
beschrieben, und zwar wie folgt: Vertreter des Volkes legten an der Tür
der Stiftshütte ihre Hände auf die Köpfe
Tag Fürst Stamm Bibelstelle der Leviten, und »Aaron … brachte …
die Leviten als Schwingopfer … vor
1 Nachschon Juda V. 12‒17 dem HERRN … dar«. Das erinnert uns
2 Netanel Issaschar V. 18‒23 an Römer 12,1-2, wo es heißt, dass die
3 Eliab Sebulon V. 24‒29 heutigen Gläubigen ihre Leiber Gott als
4 Elizur Ruben V. 30‒35 lebendiges Opfer darbringen sollen.
5 Schelumiel Simeon V. 36‒41 Mose brachte dann ein Brandopfer und
6 Eljasaf Gad V. 42‒47 ein Sündopfer dar.
7 Elischama Ephraim V. 48‒53 8,14-22 Gott wiederholt, dass er die
8 Gamliel Manasse V. 54‒59 Leviten erwählt hat, damit sie ihm an-
9 Abidan Benjamin V. 60‒65 stelle der Erstgeborenen gehören, die er
10 Ahieser Dan V. 66‒71 nach dem Auszug aus Ägypten als sein
11 Pagiel Asser V. 72‒87 Eigentum beanspruchte. Die Leviten
12 Ahira Naftali V. 78‒83 waren dazu bestimmt, den Priestern zu

172
4. Mose 8 bis 10

dienen. Die Weihe der Leviten fand wie (V. 13). Ein Fremder durfte das Passah-
befohlen statt, und sie nahmen ihren fest feiern, wenn er es wollte, musste
Dienst an der Stiftshütte auf. dies jedoch zu denselben Bedingungen
8,23-36 Die Leviten sollten im Alter wie die Juden tun (V. 14).
von fünfundzwanzig bis fünfzig Jahren 9,15-23 Diese Verse nehmen die
dienen (V. 24). In 4. Mose 4,3 heißt es, nächsten Kapitel vorweg. Sie beschrei-
dass sie ab dreißig Jahren dienen sollten. ben die Herrlichkeit der Wolke, die die
Manche meinen, dass die Erwähnung in Stiftshütte bedeckte ‒ eine Wolke, die in
Kapitel 4 sich auf diejenigen bezog, die der Nacht wie das Aussehen eines Feu-
die Stiftshütte durch die Wüste trugen. ers war. Wann immer die Wolke sich
Sie sind der Ansicht, dass das niedrigere von der Stiftshütte erhob, sollte das
Alter in Kapitel 8 sich auf den Dienst an Volk Israel das Lager abbrechen und
der Stiftshütte bezieht, nachdem sie im weitermarschieren. Wenn sich die Wol-
Verheißenen Land aufgestellt worden ke niederließ, sollte das Volk anhalten
war. Andere verstehen die zusätzlichen und sich lagern. Die Wolke war natür-
fünf Jahre als eine Art Lehrlingszeit. lich ein Symbol für Gott, der sein Volk
Diejenigen, die über fünfzig Jahre alt leitet. Obwohl der Herr heute nicht
waren, leisteten keine körperliche Ar- mehr so sichtbar führt ‒ wir wandeln
beit mehr, aber sie durften in einer Art im Glauben, nicht im Schauen ‒ gilt die-
Aufseherfunk­tion bleiben (V. 25-26). ses Prinzip noch heute. Gehe, wenn der
Diese Verse unterscheiden zwischen Herr geht, und nicht eher, denn: »Wenn
»Arbeit« und »Hilfe«. Das Erstere ist wir über das Weitergehen im Dunkeln
körperliche Arbeit, das Zweite ist die sind, bedeutet dies Licht über das Blei-
Aufseherfunktion. ben.«
Jemand hat einmal darauf hingewie- 10,1-10 Mose wurde angewiesen,
sen, dass die Leviten Bilder für die zwei silberne Trompeten zu machen.
Christen sind, die erlöst, gereinigt und Diese sollten verwendet werden, um:
ausgesondert sind, um dem Herrn zu (a) »die ganze Gemeinde … zu versam-
dienen, ohne ein Erbteil auf der Erde zu meln am Eingang des Zeltes der Begeg-
haben. nung« (V. 3.7), (b) das Signal zum Auf-
bruch zu geben, (c) die Fürsten zu ver-
H. Das Passah, die Wolke und die sammeln (dann wurde nur eine Trom-
silbernen Trompeten (9,1 - 10,10) pete verwendet; V. 4), (d) um Alarm zu
9,1-14 Gottes Anweisungen, das Passah blasen in Kriegszeiten (V. 9), (e) um be-
zu halten (V. 1-2), sind zeitlich vor den stimmte besondere Tage anzukün­
Ereignissen in Kapitel 1 einzuordnen. digen, z.B. Festtage (V. 10).
Nicht alle Ereignisse in 4. Mose werden Zu diesen verschiedenen Zwecken
in chronologischer Reihenfolge berich- wurden verschiedene Signale gegeben.
tet. Das Passah wurde am vierzehnten »Das Lärmsignal« in Vers 5 galt für den
Tag des ersten Monats gehalten. Beson- Aufbruch. Die Stämme an der Ostseite
dere Vorkehrungen wurden für diejeni- der Bundeslade sollten zuerst aufbre-
gen getroffen, die zeremoniell unrein chen. Das zweite Lärmsignal zeigte den
waren (evtl. unabsichtlich), entweder Aufbruch derer an, die auf der Südseite
durch Kontakt mit einem menschlichen wohnten. Wahrscheinlich folgten die
Leichnam, oder dadurch, dass sie zur im Westen und Norden in dieser Rei-
Zeit des Passahs auf Reisen waren. Sie henfolge. Die Trompeten waren nicht
durften das Passah einen Monat später nur für die Wüstenwanderung be-
halten ‒ am vierzehnten Tag des zwei- stimmt, sondern sollten auch im Land
ten Monats (V. 6-12). Doch jeder andere, verwendet werden (V. 9). Man beachte
der das Passah nicht hielt, sollte »aus- die Worte »in eurem Land«. Gott wird
gerottet werden aus ihren Völkern« seine Verheißung an Abraham erfüllen.

173
4. Mose 10 und 11

Seine Nachkommen werden das Land glauben, dass diese Einladung vom
bekommen, aber ihr Ungehorsam und mangelnden Glauben bei Mose zeugt,
ihr Unglaube werden ihren Einzug um da Gott doch schon versprochen hatte,
vierzig Jahre verzögern. zu führen.
Eine andere Ansicht vertritt Kurtz,
II. Vom Sinai bis in die Ebene der meint:
Moabs (10,11 - 22,1)
Die Wolke bestimmte den allgemeinen
A. Aufbruch aus der Wüste Sinai Weg, der genommen werden sollte, den
(10,11-36) Ort des Lagers und wie lange am jeweili-
10,11 Mit Vers 11 beginnt ein neuer Ab- gen Ort gelagert werden sollte. Doch die
schnitt des Buches. Bis zu dieser Stelle menschliche Umsicht war keinesfalls
hatte das Volk am Berg Sinai gelagert. ausgeschlossen, wenn es darum ging,
Von 10,11 bis 22,1 geht der Bericht über das Lager so aufzubauen, dass man die
die Reise vom Berg Sinai zur Ebene Bedingungen von Wasser, Weide, Schutz
Moabs, kurz vor dem Heiligen Land. und Vorhandensein von Brennmaterial
Diese Reise erstreckte sich über einen möglichst vorteilhaft nutzen konnte. In
Zeitraum von fast vierzig Jahren. We- all diesen Einzelheiten war Hobabs Er-
gen der Feier des zweiten Passah star- fahrung und Kenntnis der Wüste außer-
teten sie erst am zwanzigsten Tag (vgl. ordentlich nützlich als Ergänzung zur
4. Mose 9,1-11). Führung durch die Wolke.6
10,12-13 Der erste Abschnitt der Reise
führte vom Berg Sinai in die Wüste Pa- 10,33-34 Die Bundeslade war in den
ran. Doch gab es vorher drei Halte- Vorhang eingewickelt, der das Heilig-
punkte, ehe sie diese Wüste erreichten tum vom Allerheiligsten trennt (4. Mose
‒ Tabera, Kibrot-Hattaawa und Haze- 4,5). Sie wurde von den Kehatitern am
rot. Sie erreichten die Wüste Paran erst Anfang des Zuges getragen. Die Reise
in 4. Mose 12,16. vom Sinai nach Kadesch-Barnea dauer-
10,14-28 Als Nächstes wird die Ord- te drei Tage. Die Herrlichkeit der Wolke
nung beschrieben, in der die Stämme überschattete das Volk, als der Herr
marschierten. Der Führer jedes Stam- ihm einen Ruheplatz aussuchte.
mes ging an der Spitze. Die Ordnung 10,35-36 Uns wird nicht gesagt, ob
ist dieselbe wie in Kapitel 2, mit einer Hobab wirklich die Israeliten begleite-
Ausnahme: Nach 2,17 sieht es so aus, te. Doch scheint aus Richter 1,16 und
als ob die Leviten hinter Gad und vor 4,11 hervorzugehen, dass er es tat, weil
Ephraim marschierten. In 10,17 werden seine Nachfahren unter den Israeliten
die Gerschoniter und Merariter nach aufgezählt werden. Wann immer die
Sebulon aufgelistet und die Kehatiter Lade morgens aufbrach, bat Mose den
nach Gad. Offensichtlich zogen die Ger- Herrn um Sieg. Und wenn sie am Abend
schoniter und Merariter weiter vorne ruhte, betete er darum, dass der Herr
mit ihrer Ausrüstung, sodass sie alles zum Volk Israel zurückkehren möge.
aufgebaut hatten, wenn die Kehatiter
mit den heiligen Gefäßen ankamen. B. Aufruhr im Lager (Kap. 11)
10,29-32 Hobab war Moses Schwager. 11,1-3 Der Leser ist erstaunt über die
Reguel (der auch Jitro genannt wird) Bereitschaft des Volkes, sich über Gott
war Hobabs Vater und daher der zu beklagen, nach allem, was er für sie
Schwiegervater Moses. Da er Midianiter getan hatte. Ein Hinweis für die Unzu-
war, kannte sich Hobab sicherlich in der friedenheit findet sich in Vers 1 – »fraß
Wüste aus. Vielleicht deshalb lud Mose am Rande des Lagers«. Die Unzufriede-
ihn ein, die Israeliten zu begleiten – »du nen waren von der Bundeslade weit
sollst unser Auge sein«. Viele Ausleger entfernt. »Ein Feuer des Herrn … fraß

174
4. Mose 11

am Rande des Lagers«, das dadurch Rat seines Schwiegervaters als zivile
den Namen Tabera erhielt (»brennen«). Obrigkeit fungierten (2. Mose 18,25;
Es war eine gnädige Warnung gegen­ 5. Mose 1,9-15). Wahrscheinlich sollten
über dem Volk als Ganzem vor einem die siebzig Ältesten, die hier gewählt
Gericht, das streng sein würde. wurden, helfen, seine geistlichen Lasten
11,4-9 Das zweite Murren fand mitten mitzutragen. Diese beiden unterschied-
im Lager statt, doch diesmal kann man lichen Ernennungen darf man nicht
den Grund in dem Ausdruck »her­ miteinander verwechseln.
gelaufenes Volk« oder Pöbel finden. Ei- 11,18-23 Bezüglich des Volkes sagte
nige Ungläubige waren mit den Israe- Gott, dass es genug Fleisch zu essen be-
liten aus Ägypten gekommen, und kommen würde. Er wollte den Israeli-
dieses »Mischvolk« (Elberfelder) war ten so viel schicken, dass ihnen davon
eine Quelle ständigen Ärgernisses für schlecht werden würde. Sie würden ei-
die Israeliten. Ihre Unzufriedenheit nen ganzen Monat lang Fleisch haben.
übertrug sich auf die Israeliten und ver- Mose bezweifelte, dass so etwas mög-
anlasste sie, sich voller Begierde nach lich wäre, aber der Herr versprach ihm,
den Speisen Ägyptens zu sehnen und dies zu tun. Auf dem Weg zum Berg Si-
das Manna zu verachten. Vgl. Psalm nai hatte Gott durch ein Wunder die
78,17-33, wo sich Gottes Kommentar Kinder Israel mit Fleisch versorgt
dazu findet. (2.  Mose 16,13). Mose hätte sich daran
erinnern und nicht die Fähigkeiten des
Wie seltsam, wenn Seelen, die Jesus Herrn anzweifeln sollen. Wie schnell
nährt vergessen wir vergangene Gnaden­
Mit Manna von droben beweise des Herrn, wenn die Umstände
Ihn betrüben durch ihre bösen Taten uns bedrängen!
Und gegen seine Liebe sündigen. 11,24-30 Als die siebzig Ältesten offi-
Aber es ist ein noch größeres Wunder ziell eingesetzt waren, kam der Geist
Dass er, von dem sie abweichen des Herrn auf sie und sie weissagten,
Sie mit ihrem rebellischen Geist erträgt d.h. sie äußerten direkte Offenbarun-
Und ihre Sünden abwäscht. gen von Gott. Selbst zwei von ihnen, die
im Lager zurückgeblieben waren, weis-
11,10-15 Mose schrie erst zum Herrn sagten. Josua war offensichtlich der
wegen seiner eigenen Unfähigkeit, für Meinung, dass dies eine Gefährdung
solch ein Volk »allein« sorgen zu kön- der Leiterschaft Moses sei und versuch-
nen. Dann beschreibt er die ausgespro- te, sie zurückzuhalten. Doch Mose zeig-
chene Unmöglichkeit, für solch eine te die Großzügigkeit seines Geistes
Volksmenge Fleisch zu beschaffen. durch seine edle Antwort in V. 29.
Schließlich bat er noch um den Tod, um 11,31-35 Das verheißene Fleisch kam
diesen Problemen zu entrinnen. in Form eines Schwarmes Wachteln.
11,16-17 Die erste Antwort des Herrn Vers 31 könnte bedeuten, dass die
bestand darin, siebzig Älteste zu be­ Wachteln zwei Ellen hoch über dem Bo-
rufen, die mit Mose »die Last des den flogen oder dass sie zwei Ellen hoch
Volkes« tragen sollten. Viele Ausleger auf dem Erdboden lagen. Das Letztere
bezweifeln, dass dies das Beste war, ist nicht unmöglich. Man hat schon er-
was Gott für Mose hatte. Sie argumen- lebt, dass von ihrer Reise erschöpfte
tieren, dass Mose, weil Gott die Kraft Wachteln in einer so großen Menge auf
gibt, das zu tun, wozu er den Auftrag einem Schiff gelandet sind, dass es
gibt, eine Verringerung der göttlichen sank.8 Die Menschen begannen, mit
Befähigung erlitt, als seine Verantwor- dem Fleisch ein Festgelage zu feiern,
tung kleiner wurde.7 Vorher hatte Mose aber viele wurden bald mit einer
schon Männer ernannt, die nach dem schrecklichen Plage geschlagen. Man

175
4. Mose 11 bis 13

nannte den Ort Kibrot-Hattaawa (»Lust- bare Repräsentation. Obwohl Mirjam


gräber«, »Gräber der Gier«), weil die selbst eine Prophetin war (2. Mose
Gier die Menschen ins Grab gebracht 15,20), stellte der Herr den Unterschied
hatte. Als nächster Lagerplatz wird Ha- zwischen seiner Beziehung zu Mose
zerot aufgeführt (V. 35). und der zu anderen Propheten klar. Das
einzige Ereignis, das nach diesem Vor-
C. Der Aufruhr Aarons und Mirjams fall über Mirjam berichtet wird, ist ihr
(Kap. 12) Tod (4. Mose 20,1).
12,1-2 Das nächste traurige Kapitel der 12,9-10 Der Herr war zornig über sie
Geschichte Israels betrifft zwei Führer und ging weg. Als Strafe für ihre Auf-
des Volkes, nämlich Mirjam und Aaron. lehnung wurde Mirjam mit Aussatz ge-
Obwohl die beiden Geschwister von schlagen. Weil Aaron nicht bestraft
Mose waren, sprachen sie gegen ihn, wurde, meinen einige Ausleger, dass
weil er sich eine kuschitische Frau ge- Mirjam die Anführerin war. Sie weisen
nommen hatte. Das war zumindest ihr darauf hin, dass das Verb in Vers 1 im
Vorwand. Aber der wirkliche Grund weiblichen Singular steht. Andere Aus-
scheint in Vers 2 angegeben zu sein: Sie leger sind der Ansicht, dass Aarons
widerstrebten der Führerschaft Moses Strafe war, mit anzusehen, wie seine
und wollten Anteil daran haben ‒ sie Schwester aussätzig wurde. Aaron war
waren eifersüchtig. Als Mose heiratete, der Hohepriester, und er hätte nicht
gab es noch kein Gesetz gegen die Ehe mehr dienen können, wenn er aussätzig
mit einer Kuschitin. Als das Volk Israel geworden wäre. Seine Stellung könnte
jedoch in das Land kam, wurden Ehen ihm die Demütigung erspart haben, die
mit Nichtjuden verboten. Mirjam durchmachen musste.
12,3 Mose versuchte nicht, sich selbst 12,11-16 Aaron bekannte Mose seine
zu rechtfertigen, sondern vertraute auf Sünde und bat darum, dass Mirjam
Gott, der ihm die führende Stellung ge- nicht wie ein »Totgeborenes sei, dessen
geben hatte. Seine Familie (Kap. 12), die Fleisch, wenn es in die Welt kommt,
Leiter (Kap. 16) und schließlich die gan- halb verwest ist«.10 Als Antwort auf
ze Gemeinde (17,6-7) griffen seine Au- Moses Gebet heilte Gott Mirjam vom
torität an. Doch als ein Gericht Gottes Aussatz, aber er bestand darauf, dass
auf seine Gegner fiel, freute Mose sich sie die übliche Zeit von 7 Tagen zur Rei-
nicht hämisch, sondern trat für sie ein. nigung des Aussätzigen einzuhalten
Er war wirklich »sehr demütig, mehr hatte. Der Herr erinnerte Mose daran,
als alle Menschen, die auf dem Erd­ dass sie ja schon aus dem Lager aus­
boden waren«. Die Tatsache, dass er geschlossen worden wäre, wenn ihr Va-
dies über sich selbst schrieb, leugnet ter ihr nur ins Gesicht gespuckt hätte.
nicht seine Demut, sondern ist ein Bei-
spiel für 2Petr 1,21b: Er schrieb, wie er D. Das Verheißene Land wird
vom Heiligen Geist getrieben wurde.9 ausgekundschaftet (Kap. 13-14)
12,4-8 Gott ließ Mose, Aaron und Mir- 13,1-20 In diesem Kapitel wird das Aus-
jam zur Tür des Zeltes der Begegnung senden der Kundschafter vom Herrn
kommen. Er tadelte Mirjam und Aaron angeordnet. In 5. Mose 1,19-22 wurde
und erinnerte sie daran, dass Mose eine es vom Volk vorgeschlagen. Zweifellos
Stellung der Nähe zu Gott innehatte, geschah die Anweisung Gottes auf die
die kein anderer Prophet je hatte. Zu Bitte des Volkes hin, selbst wenn ihre
anderen mochte er indirekt sprechen, Haltung eine des Unglaubens war. Die
durch Träume und Visionen, aber mit Namen der zwölf Kundschafter wer-
Mose sprach er direkt, »von Angesicht den in den Versen 4-15 genannt. Man
zu Angesicht«. »Die Gestalt des Herrn« be­­­­achte insbesondere Kaleb (V. 6) und
bedeutet eine Manifestation oder sicht- Hoschea (V. 8). Mose gab Hoschea den

176
4. Mose 13 und 14

Namen Josua (V. 16). Mose bat die den gläubigen Kundschafter war die
zwölf Kundschafter, einen vollstän- Gegenwart der Riesen unerheblich.
digen Bericht über das Land und seine 14,1-10 Die ganze Gemeinde beklagte
Einwohner zu bringen (V. 17-20). Zu- sich bitter bei Mose und Aaron und
nächst sollten sie in die Negev-Wüste klagte den Herrn an, dass er sie aus
im Süden ziehen, dann ins Bergland in Ägypten errettet habe, um sie dann im
der Landesmitte. Verheißenen Land ermorden zu lassen.
13,21-29 Die Kundschafter bereisten Sie forderten einen Anführer, der sie
das Land von der Wüste Zin im Süden nach Ägypten zurückbringen würde
bis nach Rehob im Norden (V. 21). Die (V. 1-3). Als Josua und Kaleb ver-
Verse 22-24 beschreiben die Auskund- suchten, dem Volk zu versichern, dass
schaftung im Süden. In Hebron sahen es gegen den Feind gewinnen könnte,
sie drei Enakiter, die laut 5. Mose 2,10- rotteten sich die Israeliten zusammen,
11 Riesen waren. In der Nähe Hebrons um sie zu steinigen (V. 6-10).
kamen sie in ein Tal voller Weingärten. Die Verse 3 und 4 zeigen eindrücklich
Sie schnitten eine Weinranke ab und die Dummheit des Unglaubens. Nach
hängten sie an eine Stange, die sie zu- Ägypten zurückzukehren, in ein Land,
sammen mit Granatäpfeln und Feigen das ihr Gott verwüstet hatte! In ein
zwischen zwei Männern ins Lager Is­ Land, in dem noch immer um die Erst-
raels trugen. Den Ort nannte man Tal geborenen getrauert wurde! In ein Land,
Eschkol, was »Traube« heißt. Die Mehr- das sie am Abend des Auszugs ausge-
heit der Kundschafter berichtet von ei- plündert hatten! Durchs Rote Meer zu-
nem wunderschönen Land mit gefähr- rückzukehren, wo die ägyptische Ar-
lichen Einwohnern. Die Kundschafter mee ertrunken war, als sie ihnen folgen
bezweifelten, dass Israel in der Lage sei, wollten! Und was für ein Willkommen
die Einwohner zu besiegen (trotz der würde der Pharao ihnen bereiten? Doch
Verheißung Gottes, sie auszutreiben). schien ihnen das sicherer, als zu glau-
13,30-32 Die Erwähnung von »Nephi- ben, dass Gott sie zu einem Sieg in Ka-
lim« (V. 33; hebr.) bedeutet nicht, dass naan führen würde. Der Herr hatte
diese Riesen die Flut überlebt hätten. Ägypten geschlagen, das Meer geteilt,
Die Israeliten hatten von diesen Nephi- sie mit Brot vom Himmel ernährt und
lim gehört, die vor der Flut lebten, und sie durch die Wüste geführt, und doch
bezeichneten diese Riesen so. Kaleb konnten sie seiner Macht nicht trauen,
(der für Josua und sich selbst sprach) dass sie sich gegenüber ein paar Riesen
drückte seine Zuversicht aus, dass Is­ durchsetzen konnten! Ihre Handlungen
rael siegen würde. Aber die anderen zeigten ganz deutlich, was sie von Gott
widersprachen ihm glattweg. Der Aus- hielten. Sie bezweifelten seine Macht.
druck »ein Land, das seine Bewohner War Gott denn wirklich den Riesen ge-
frisst« bedeutet, dass die gegenwär­ wachsen? Sie hatten nicht verstanden,
tigen Einwohner jeden anderen ver- was ihnen so offensichtlich während
nichten würden, der dort versuchte zu des letzten Jahres offenbart worden war
siedeln. ‒ nämlich das Wesen und die Wege des
13,33 Zehn Kundschafter hatten eine Herrn. Ein Bild von Gott, das ihn klein
falsche Perspektive. Sie sahen sich so, macht, kann einen Menschen oder ein
wie die Einwohner Kanaans sie sahen ganzes Volk verderben, wie es hier so
(wie Heuschrecken). Josua und Kaleb schmerzhaft dargestellt ist.
sahen Israel aus Gottes Perspektive und 14,11-19 Der Herr drohte, die Juden
waren gewiss, dass sie das Land er­ zu verlassen und ein neues Volk aus
obern konnten. Für die zehn ungläu- Moses Nachfahren entstehen zu lassen
bigen Kundschafter schien das Problem (V. 11-12). Mose trat für das Volk ein,
der Riesen unüberwindlich. Für die bei- indem er den Herrn daran erinnerte,

177
4. Mose 14

dass die Heidenvölker dann sagen wür- Es besteht viel Unklarheit bezüglich
den, dass der Herr es nicht in das Land der genauen Route, die die Israeliten
hatte bringen können (V. 13-19). Die während ihrer Wüstenwanderung nah-
Ehre Gottes stand auf dem Spiel, und men. Es ist auch unsicher, wie lange sie
Mose berief sich auf dieses Argument an jedem Ort jeweils blieben. Einige
mit außerordentlicher Eindringlichkeit. Ausleger glauben z.B., dass sie in Ka-
In 2. Mose 34,6-7 hatte sich der Herr desch über 37 Jahre zubrachten und
selbst Mose geoffenbart. In Vers 18 wie- dass sie ein Jahr auf einer Reise in den
derholt Mose fast wörtlich die Beschrei- Süden ans Ufer des Roten Meeres wa-
bung seiner selbst als Grundlage seines ren, das heute als Golf von Akaba be-
Gebets. Wie stark unterscheidet sich kannt ist. Viele der Ortsnamen auf dem
doch Moses Theologie von der des Weg zwischen dem Sinai und den Ebe-
Volkes! Seine Sicht gründete sich auf nen Moabs können heute nicht mehr
gött­licher Offenbarung, ihre auf identifiziert werden.
menschlicher Vorstellung. Der Ausdruck »die Herrlichkeit des
14,20-35 Obwohl Gott antwortete, Herrn« in V. 21 bezieht sich auf seine
dass er das Volk nicht vernichten woll- Herrlichkeit als gerechter Richter, der
te, verkündete er, dass von allen Män- das ungehorsame Volk Israel bestraft.
nern von zwanzig Jahren an und dar­ Die Israeliten hatten Gott zehnmal ge-
über, die aus Ägypten gekommen wa- prüft (V. 22). Diese Versuchungen wa-
ren und in der Lage waren, Krieg zu ren folgende: am Roten Meer (2. Mose
führen (4. Mose 26,64-65; 5. Mose 2,14), 14,11-12); in Mara (2. Mose 15,23-24); in
nur Josua und Kaleb in das Verheißene der Wüste Sin (2. Mose 16,2), zweimal
Land kommen sollten. Das Volk sollte Auflehnung wegen des Mannas
vierzig Jahre lang in der Wüste umher- (2. Mose 16,20.27), in Refidim (2. Mose
ziehen, bis die ungläubige Generation 17,1), am Horeb (2. Mose 32,7), in Ta-
gestorben war. Die Söhne hatten die bera (4. Mose 11,1), in Kibrot-Hattaawa
Last des Unglaubens ihrer Väter zu tra- (4. Mose 11,4ff.) und in Kadesch (das
gen (V. 33). Dennoch durften sie dann Murren beim Bericht der Kundschafter
nach vierzig Jahren das Verheißene – 4. Mose 14).
Land betreten. Vierzig Jahre wurden Von den 603.550 wehrfähigen Män-
angesetzt, weil die Kundschafter vier- nern, die aus Ägypten kamen, betraten
zig Tage auf ihrer Expedition im Land nur Josua und Kaleb das Land (V. 29-30;
gewesen waren (V. 34). Vierzig Jahre ist 5. Mose 2,14).
hier eine gerundete Zahl, in Wirklich- 14,36-38 Die zehn ungläubigen Kund-
keit waren es etwa achtunddreißig Jah- schafter, die ein böses Gerede über das
re. Es waren vierzig Jahre von der Zeit, Land aufgebracht hatten, wurden von
als Israel Ägypten verließ, bis es Kana- einer Plage getötet, doch Josua und
an erreichte. Das Volk lehnte das Gute Kaleb entgingen der Plage.
ab, das der Herr ihm geben wollte, des- 14,39-45 Das Volk sagte zu Mose,
halb musste es das Böse ertragen, das es nachdem es das Schicksal gehört hatte,
stattdessen gewählt hatte. Dennoch: Die das ihm verkündigt worden war, dass
Tatsache, dass es aus dem Land ausge- es nun Gott gehorchen und in das Land
schlossen war, bedeutete nicht, dass es ziehen wollte, was wahrscheinlich be-
für alle Ewigkeit verloren war. Viele aus deutet, dass sie von Kadesch-Barnea
diesem Volk, das durch die Wüste zog, aus nun direkt nach Norden gehen
wurden durch den Glauben an den wollten (V. 40). Aber Mose sagte ihnen,
Herrn errettet, auch wenn sie aufgrund dass es zu spät wäre, dass der Herr
seiner Regierungswege eine Strafe für nicht mehr mit ihnen wäre, und dass sie
ihren Ungehorsam in diesem Leben tra- bei dem Versuch besiegt werden wür-
gen mussten. den. Sie beachteten Moses Rat nicht

178
4. Mose 14 bis 16

und zogen auf die Höhe des Gebirges. Ein Beispiel für vorsätzliche Sünde wird
Sie wurden von einigen der heid­ in den Versen 32-36 gegeben. Ein Mann
nischen Einwohner des Landes an­ wurde gefunden, der »am Sabbattag
gegriffen und zurückgetrieben. Holz auflas«. Das war eine eindeutige
Verletzung des Gesetzes. Es war be-
E. Verschiedene Gesetze (Kap. 15) kannt, dass er getötet werden sollte
15,1-2 Wir wissen nicht, wie viel Zeit (2. Mose 31,15), aber die Art der Hin-
zwischen den Kapiteln 14 und 15 ver- richtung war noch nicht angegeben
gangen ist, aber der Kontrast ist be- worden. Deshalb entschied der Herr an
trächtlich: »Sie werden das Land nicht dieser Stelle, dass er außerhalb des La-
sehen« (14,23) und »wenn ihr in das gers gesteinigt werden sollte.
Land eurer Wohnsitze kommt« (15,2). 15,37-41 Den Juden wurde befohlen,
Gottes Pläne, wenn sie auch manchmal sich Quasten an den Zipfeln ihrer Ober-
durch Sünde behindert werden, kön- gewänder und eine blaue (Schlachter
nen niemals vereitelt werden. Er ver- 2000) Schnur an die Quasten der Zipfel
hieß Abraham das Land Kanaan, und zu machen. Blau ist die Farbe des Him-
wenn eine Generation seiner Nachkom- mels, und sie sollte zu ihnen von Heili-
men zu glaubenslos war, es zu empfan- gung und Gehorsam sprechen, die ihre
gen, dann schenkte er es der nächsten. Merkmale als Kinder Gottes sein sollten.
15,3-29 Die ersten 29 Verse dieses Ka-
pitels beschreiben die Opfer, die von F. Korachs Aufruhr (Kap. 16-17)
den Kindern Israel dargebracht werden 16,1-3 Korach, ein Vetter von Aaron
sollten, wenn sie im Land siedelten. Die (2. Mose 6,18-21), war ein Levit, aber kein
meisten dieser Opfer sind schon aus- Priester. Offensichtlich gefiel ihm die
führlich beschrieben worden. Besonde- Tatsache nicht, dass die Familie Aarons
re Betonung liegt hier auf unabsicht- das ausschließliche Recht auf das Pries­
lichen Sünden, die von der Gemeinde teramt hatte. Datan, Abiram und On ge-
begangen wurden (V. 22-29). Vers 24 er- hörten zum Stamm Ruben, und ihnen
wähnt zwei Opfer der Gemeinde, einen gefiel Moses Herrschaft über sie nicht
Stier und einen Ziegenbock. Doch in (V. 13-14). On wird nach Vers 1 nicht
3. Mose 4 heißt es, dass die Gemeinde mehr genannt, und es ist unmöglich fest-
nur einen Stier opfern sollte. Jedoch zustellen, ob er das Schicksal der ande-
wird in 3. Mose 4 auch erwähnt, dass ren teilte. Zweihundertfünfzig der Für-
ein Fürst einen Ziegenbock darbringen sten Israels schlossen sich dem Aufruhr
sollte, wenn er sündigte. Vielleicht er- gegen die Priesterschaft und die welt-
wähnt der Bericht in 4. Mose diese Op- liche Autorität an (V. 2). Sie argumen-
fer zusammen, während sie in 3. Mose tierten, dass das gesamte Volk heilig sei
einzeln genannt werden. In den Versen und nicht vom Darbringen der Opfer
20 und 21 finden wir ein häufig wieder- ausgeschlossen werden durfte (V. 3).
holtes Gebot der Schrift: »die Erstlinge 16,4-11 Um die Angelegenheit zu re-
… dem Herrn«. Ob die Erstgeborenen geln, befahl Mose Korach und seinen
oder die ersten Früchte: Der Herr sollte Rebellen, am nächsten Tag mit Räucher-
von allem das Beste haben. Dies er­ pfannen zu erscheinen (V. 6-7). Das Ver-
innerte die Menschen auch daran, dass brennen von Räucherwerk war eine
alles, was sie besaßen, vom Herrn kam Aufgabe der Priester. Wenn Gott sie
und letztlich ihm gehörte. also nicht als Priester anerkannte, dann
15,30-36 Es gab kein Opfer für die vor- würde er sein Missfallen zeigen.
sätzliche Sünde ‒ d.h. für willentliche, 16,12-15 Datan und Abiram weiger-
trotzige Auflehnung gegen das Wort ten sich, ihre Zelte zu verlassen, als sie
des Herrn. Jeder, der solch eine Sünde von Mose gerufen wurden, und be-
tat, sollte ausgerottet werden (V. 30-31). schimpften ihn stattdessen wegen sei-

179
4. Mose 16 und 17

ner Leiterschaft. Diese Männer bezogen Familien, die ihrer Rebellion gefolgt
sich auf das früher gegebene Verspre- sein müssen (V. 32-33). Es ist sehr frag-
chen (2. Mose 3,8), dass Gott sie in ein lich, wann Korach gestorben ist. Einige
Land bringen würde, »das von Milch Ausleger glauben, dass er mit Datan
und Honig überfließen« sollte. Sie be- und Abiram von der Erde verschlungen
klagten sich sarkastisch, dass Mose sie wurde (V. 32-33). Andere Ausleger mei-
stattdessen »aus einem Land, das von nen, dass er von demselben Feuer ver-
Milch und Honig überfließt« (Ägypten) schlungen wurde, das auch die zwei-
herausgeführt und in ein Land gebracht hundertfünfzig Aufständischen ver-
hätte, das eben nicht von Milch und Ho- schlang (V. 35). Es scheint aus 4. Mose
nig überfließt (die Wüste). 26,10 hervorzugehen, dass er mit Datan
Der Gedanke von Vers 14 könnte sein, und Abiram verschlungen wurde. Vers
dass Mose jetzt versuchte, da er sein 11 desselben Kapitels zeigt, dass seine
Versprechen nicht eingehalten hatte, Söhne verschont wurden. Israels nächs­
das Volk für seinen Fehler oder seine ter großer Prophet, Samuel, war ein
wahren Absichten blind zu machen. Nachfahre Korachs (1Chr 6,22-23.28). …
Mose erinnerte den Herrn daran, dass In Vers 30 kann Scheol (Totenreich) auch
er vom Volk keine Abgaben genommen das Grab bedeuten, aber der Ausdruck
habe, wie es sonst bei Herrschern üb- kann auch den leiblosen Zustand be-
lich ist. zeichnen.
16,16-22 Am folgenden Tag erschie- Zu bestimmten Zeiten der Geschichte
nen Korach, Aaron und zweihundert- hat Gott sein extremes Missfallen an be-
fünfzig Aufständische mit Räucher- stimmten Sünden gezeigt, indem er sie
pfannen vor der Stiftshütte. Auch die sofort richtete. Er richtete Sodom und
Gemeinde Israel versammelte sich, Gomorra (1. Mose 19,24-25), Nadab und
wahrscheinlich, um Korach zu unter- Abihu (3. Mose 10,1-2), Mirjam (4. Mose
stützen. »Da erschien die Herrlichkeit 12,10), Korach, Datan, Abiram und 250
des Herrn vor der ganzen Gemeinde.« Fürsten (dieses Kapitel) und Ananias
Und der Herr befahl Mose und Aaron, und Saphira (Apg 5,5.10). Offensicht-
sich von der Gemeinde abzusondern, lich tut er das nicht immer, wenn eine
ehe er sie vernichtete. Weil Mose und solche Sünde begangen wird, aber zu
Aaron Fürbitte für sie taten, wurde das bestimmten Gelegenheiten greift er in
Gericht nicht vollzogen. die Geschichte ein, um künftige Gene-
16,23-35 Der Schauplatz wechselt nun rationen zu warnen.
zu den Zelten, in denen Korach, Datan Der Ausdruck »alle Menschen, die
und Abiram lebten (V. 24). Mose warnte Korach angehörten« (V. 32) könnte ent-
den Rest des Volkes, sie sollten sich aus weder seine Diener oder seine Anhän-
der Nähe dieser Zelte zurückziehen. ger bezeichnen.
Dann gab Mose bekannt, dass er selbst 17,1-5 Die heiligen Räucherpfannen
diskreditiert wäre, wenn diese Männer der Sünder wurden zu »breiten Ble-
eines natürlichen Todes sterben würden chen« (Schlachter 2000) verwandelt, um
bzw. »mit der Heimsuchung aller Men- den Brandopferaltar damit zu be­
schen heimgesucht« würden. Aber decken. Sie waren eine Erinnerung dar­
wenn der Herr durch ein Wunder be- an, dass nur die Familie Aarons pries­
wirkte, dass die Erde diese Männer ver- terliche Vorrechte hatte. Das Feuer der
schlingen würde, dann sollte das Volk Becken wurde verstreut.
wissen, dass diese Männer sich der Re- 17,6-15 Am Tag nach diesen ernsten
bellion schuldig gemacht hatten (V. 30). Ereignissen klagte das Volk Mose und
Kaum hatte er diese Worte geäußert, Aaron an, das Volk Gottes getötet zu ha-
»öffnete die Erde ihren Mund« und ver- ben. Der Herr drohte in seinem Zorn, es
schlang Datan und Abiram mit ihren zu vernichten, aber Mose und Aaron

180
4. Mose 17 und 18

gingen zum Zelt der Begegnung, zwei- G. Anweisungen an die Leviten


fellos um für das Volk Fürbitte zu tun. (Kap. 18-19)
Da schlug der Herr das Volk mit einer
schrecklichen Plage. Erst als Aaron mit 18,1-7 Kapitel 18 steht im engen Zusam-
Räucherwerk mitten in die Versamm- menhang mit den letzten beiden Versen
lung lief und so Sühnung für sie er- des vorhergehenden Kapitels. Um die
wirkte, wurde der Plage gewehrt. Aber Ängste des Volkes zu zerstreuen, wie-
selbst bis zu diesem Zeitpunkt waren derholte der Herr die Anweisungen
schon 14.700 Menschen gestorben. Die über den Dienst am Heiligtum. Wenn
Leiter hatten gemeinsam mit der Ver- diese Anweisungen befolgt wurden,
sammlung die Priesterschaft Aarons in- brauchte man seinen Zorn nicht zu
frage gestellt. Nun war es die priester- fürchten. Vers 1 besteht aus zwei Teilen.
liche Fürsprache Aarons, die die Plage »Du und deine Söhne und das Haus
beendete. Mose und Aaron waren nicht deines Vaters mit dir« bezieht sich auf
diejenigen, die das Volk des Herrn tö­ alle Leviten, einschließlich der Priester.
teten, sondern diejenigen, die es retteten! »Du und deine Söhne« bezeichnet nur
17,16-24 Um vor dem Volk zu bekräf- die Priester. Die Ersteren sollten die
tigen, dass das Priestertum nur der Fa- Schuld im Zusammenhang mit dem
milie Aarons gegeben war, befahl Gott, Heiligtum tragen, die Letzteren die
dass für jeden Stamm Israels über Nacht Schuld im Zusammenhang mit dem
ein Stab in die Stiftshütte gebracht wur- Priesteramt. »Schuld tragen« bedeutet,
de. Der Stab Levis trug Aarons Namen. für jede Vernachlässigung oder jedes
Das Recht der Priesterschaft gehörte Versagen, das im Gegensatz zu den hei-
dem, dessen Stab sprossen würde. Am ligen Pflichten stand, Verantwortung zu
Morgen, als die Stäbe untersucht wur- übernehmen. Die Leviten waren Assis-
den, fand man, dass der Stab Aarons tenten der Priester, aber sie durften die
gesprosst hatte, und zwar hatte er Stiftshütte nicht zu priesterlichen Diens-
»Knospen hervorgebracht, Blüten ge- ten betreten, »damit sie nicht sterben«.
trieben und Mandeln reifen lassen«. 18,8-20 Die Priester durften bestimm-
Aarons Stab ist ein Bild des auferstan- te Anteile der verschiedenen Opfer als
denen Christus als Priester nach Gottes Lohn essen (V. 8-11). Sie hatten auch
Ordnung. Genauso wie der Mandel- Anspruch auf das Beste vom Öl und
baum der erste Baum ist, der im Früh- Most, die Erstlinge vom Getreide und
jahr blüht, so ist Christus der Erstling von den Früchten (V. 12-13), alles Ge-
der Auferstehung (1Kor 15,20.23). Der bannte (V. 14) und die Erstgeburten. Bei
goldene Leuchter im Heiligtum hatte den erstgeborenen Söhnen und der
die »Form von Mandelblüten, aus sei- Erstgeburt unreiner Tiere erhielten die
nen Knäufen und Blüten« (2. Mose Priester das Lösegeld anstatt der Söhne
25,33-34). Es war eine Aufgabe der oder der Tiere. Bei Opfertieren wurde
Priester, sich täglich um den Leuchter die Erstgeburt dem HERRN geopfert,
zu kümmern. Aarons Stab entsprach im und die Priester erhielten davon ihren
Aufbau und in den Früchten dem Anteil (V. 17-19). »Salzbund« (V. 19)
Leuchter und wies so darauf hin, dass meint einen Bund, den man nicht ver-
das Haus Aarons von Gott erwählt letzen kann und der ewig ist. Die Pries-
war, als Priester zu dienen. ter erhielten kein Land, weil der Herr
17,25-28 Von jetzt an sollte Aarons ihr besonderer Anteil und ihr Erbe war
Stab in der Bundeslade als Zeichen ge- (V. 20).
gen die Widerspenstigen aufbewahrt 18,21-32 Die Leviten erhielten vom
werden. Danach war das Volk von Volk den Zehnten, aber sie wiederum
Furcht erfüllt und wagte sich nicht waren verantwortlich, davon den Zehn-
mehr in die Nähe der Stiftshütte. ten an die Priester weiterzugeben. Die-

181
4. Mose 18 und 19

ser Zehnte wurde als Hebopfer dem Williams erklärt, dass die rote Kuh
HERRN geopfert. ein Symbol für Christus ist: äußerlich
19,1-10 Kapitel 19 beschäftigt sich mit und innerlich makellos, frei von jeder
einem der eindrücklichsten Symbole Bindung an die Sünde und gekleidet in
für Reinigung im AT, der Verwendung die rote Erde des Menschseins.11 Aber
der Asche einer roten jungen Kuh. Die- wir müssen achtgeben, das Vorbild
ses Opfer nahm insbesondere die Ver- nicht zu weitgehend deuten zu wollen.
unreinigung weg, die durch Berührung Es gibt einen historischen Bericht
eines Toten entstand. Die Kinder Israel über die Verwendung der Asche der
hatten sich gerade in Kadesch gegen Kuh, nämlich in Kap. 31. Mantle sagt,
den HERRN aufgelehnt. Sie wurden dass …
nun in die Wüste hinausgeschickt, um
dort wegen ihres Unglaubens zu ster- … die Asche als konzentrierte Substanz
ben. Über 600.000 Menschen sollten in der Wesenseigenschaften des Sünd­
dieser Zeit von 38 Jahren sterben, das opfers angesehen wurde, und man konn-
sind mehr als 40 Menschen pro Tag. te auf sie jederzeit mit vergleichbar we-
Man kann nun die Notwendigkeit der nig Aufwand und ohne Zeitverlust zu-
Asche der roten Kuh sehen, denn wer rückgreifen. Eine rote Kuh konnte für
hätte auf einer solchen Reise den Kon- Jahrhunderte ausreichen. Man sagt, dass
takt mit Toten vermeiden können? in der gesamten jüdischen Geschichte
Die Kuh wurde aus dem Lager geführt nur sechs Kühe notwendig gewesen
und geschlachtet (V. 3). Eleasar, der Pries­ seien, denn die kleinste Menge dieser
ter, sprengte ihr Blut siebenmal vor die Asche reichte, um dem reinen Quellwas-
Stiftshütte, und dann wurde die Kuh ser die reinigende Kraft zu verleihen.12
verbrannt, mit Haut und allem, zusam-
men mit Zedernholz, Ysop und Schar- Der Verfasser des Hebräerbriefs argu-
lach. Dieselben Dinge wurden verwen- mentiert, dass die Asche einer roten
det, um einen Aussätzigen zu reinigen Kuh jemanden zwar von äußerlicher,
(3. Mose 14,4.6). Der Priester und der zeremonieller Verunreinigung reinigen
Mann, der die Kuh verbrannte, waren konnte, dass dagegen das Blut Christi
bis zum Abend unrein. Dann sammelte jedoch unbegrenzte Kraft hat, eine in-
ein Mann, der rein war, sorgfältig die nerliche Reinigung des Gewissens von
Asche auf und legte sie außerhalb des den toten Werken zu erreichen (Hebr
Lagers nieder, damit sie in Zukunft ge- 9,13-14). Ein unbekannter Verfasser
braucht werden konnte (V. 9). Dann war kommentiert:
auch er unrein bis zum Abend.
19,11-19 Dieser Abschnitt behandelt, Die rote Kuh ist Gottes Vorsorge für un-
wie die Asche zu verwenden war. Wenn ausweichliche, nicht zu verhindernde Be-
jemand zeremoniell unrein wurde, weil rührung mit dem geistlichem Tod um uns
er eine Leiche berührt hatte, oder wenn herum. Sie hat eventuell eine besondere
er in einem Zelt gewesen war, in dem Bedeutung bezüglich der Blutschuld
jemand gestorben war, dann nahm je- Israels am Messias. Sie ähnelt dem
mand, der rein war, etwas von der Schuld­opfer, aber sie ist kein Ersatz dafür.
Asche und vermischte sie mit fließen-
dem Wasser. Der Reine sprengte am Die alttestamentlichen Anweisungen,
dritten und am siebten Tag das Wasser sich mit Wasser, manchmal mit fließen-
mit einem Ysopbüschel auf die unreine dem Wasser (3. Mose 15,13) zu waschen,
Person oder den unreinen Gegenstand. werden heute als medizinische Mög-
Am siebten Tag wusch der Unreine sei- lichkeit der Desinfektion anerkannt.
ne Kleidung und sich selbst und war 19,20-22 Für einen Unreinen, der das
am Abend dieses Tages rein (V. 19). Reinigungswasser nicht benutzte, war

182
4. Mose 19 und 20

die Bestrafung unausweichlich. Außer- de, war ein Bild für Christus, der auf
dem erließ Gott die Anweisung, dass Golgatha geschlagen wurde. Aber
jeder, der das Wasser berührte oder Christus sollte nur einmal geschlagen
sprengte, bis zum Abend unrein war, werden. Nach seinem Tod sollte der
und jeder, den dieser berührte, war Heilige Geist gegeben werden, für den
ebenfalls für den restlichen Tag unrein. das Wasser in Vers 11 ein Typus ist. We-
gen der Sünde Moses und Aarons in
H. Die Sünde Moses (20,1-13) dieser Angelegenheit beschloss Gott,
20,1 Zu Beginn dieses Kapitels ist es dass die beiden das Verheißene Land
vierzig Jahre her, seitdem Israel Ägyp- nicht betreten durften. Er nannte den
ten verlassen hat, und achtunddreißig Ort Meriba, es ist aber nicht dasselbe
Jahre, seitdem es die Kundschafter in Meriba wie in 2. Mose 17. Dieser Ort ist
das Land geschickt hatte. Das Volk war manchmal als Meriba-Kadesch bezeich-
achtunddreißig Jahre lang gewandert net worden. G. Campbell Morgan kom-
und war jetzt nach Kadesch in der Wüs- mentiert:
te Zin gekommen ‒ genau an den Ort,
von dem aus es die Kundschafter aus- Durch diesen Zornausbruch, der, wie wir
gesandt hatte. Die Israeliten waren dem gesagt haben, so ganz natürlich war,
Verheißenen Land nicht näher als vor stellte der Diener Gottes Gott vor dem
achtunddreißig Jahren! Hier starb Mir- Volk auf falsche Weise dar. Sein Versagen
jam und wurde begraben. Über 600.000 hatte seine Ursache darin, dass in diesem
Menschen waren in den verschwende- einen Augenblick sein Glaube nicht die
ten Jahren zwischen Kapitel 19 und 20 höchste Aktivität erreichte. Er glaubte
gestorben. Die bittere Frucht des Un- noch immer an Gott und an dessen
glaubens wurde schweigend eine gan- Macht. Aber er glaubte nicht so an ihn,
ze Generation lang geerntet. dass er ihn in den Augen seines Volkes
20,2-9 Die Menschen, die sich bei heiligte. Die Lektion, die wir daraus ler-
Mose und Aaron über Wassermangel nen, durchleuchtet wirklich unser Inne-
beklagten, gehörten zu einer neuen Ge- res. Richtige Dinge können auf eine so
neration, aber sie handelten wie ihre falsche Weise getan werden, dass sie
Väter (V. 2-5). Der Herr befahl Mose, zu schlechte Ergebnisse hervorbringen. Es
dem Felsen zu sprechen, damit er Was- gibt ein Lied, dessen tiefere Bedeutung
ser hervorbrachte. Er sollte den Stab wir nicht verstehen, wenn wir nicht nach-
Aarons mitnehmen, der in der Stifts- denklich werden:
hütte aufbewahrt wurde (V. 9, vgl. Herr, sprich zu mir, dass ich sprechen
17,25), obwohl es in V. 11 »sein Stab« möge
heißt. Aarons Stab war der Stab der Als ein lebendiges Echo deines Tones.
Priesterschaft, Moses Stab war der Stab Das ist weit mehr als ein Gebet, dass wir
des Gerichts und der Macht. in der Lage sein möchten, die Botschaft
20,10-13 Schon einmal, nämlich an ei- des Herrn weiterzugeben. Es geht dar-
nem Ort namens »Massa« (und Meri- um, dass wir es in seinem Ton und mit
ba), hatte das Volk wegen Wasserman- seinem Naturell tun möchten. Genau da
gels gemurrt. In diesem Fall hatte der versagte Mose, denn wegen dieses Ver­
Herr Mose befohlen, den Felsen zu sagens wurde er aus dem Land aus­
schlagen (2. Mose 17,1-7). Aber jetzt war geschlossen.13
Moses Geduld am Ende. Erst sprach er
ohne Aufforderung mit seinen Lippen I. Der Tod Aarons (20,14-29)
und nannte das Volk »Widerspenstige« 20,14-21 Der Plan für das Eindringen in
(V. 10). Zweitens schlug er zweimal den das Land bestand nicht darin, direkt
Felsen, anstatt zu ihm zu sprechen. Der aus der Wüste nach Norden zu ziehen,
Fels, der in 2. Mose 17 geschlagen wur- sondern östlich durch das Gebiet der

183
4. Mose 20 und 21

Edomiter und dann nach Norden ent- auch als Golf von Akaba kennen. »Der
lang der Ostküste des Toten Meeres. Weg zum Schilfmeer« könnte hier auch
Danach sollte das Volk den Jordan über- ein Name für eine Straße sein; es könnte
queren. Aber der König von Edom wei- sein, dass die Israeliten zu diesem Zeit-
gerte sich, dem Volk Israel einen siche- punkt nicht bis zum Golf von Akaba
ren Durchzug zu gewähren ‒ und das zogen.
trotz der Versicherung, dass die Juden Und wieder beklagten sich die Is­
von Edom weder Essen noch Trinken raeli­ten über ihre Lebensumstände, mit
fordern wollten, noch irgendetwas be- der Folge, dass Gott feurige Schlangen
schädigen wollten. Später in der Ge- zu ihnen schickte. Viele Menschen star-
schichte kämpfte und siegte Israel unter ben, und noch viel mehr lagen im Ster-
Saul gegen die Edomiter, die Nachfah- ben. Als Antwort auf Moses Fürsprache
ren von Jakobs Bruder Esau. befahl Gott, dass eine bronzene Schlan-
20,22-29 Als das Volk Israel von Ka- ge auf einem Feldzeichen aufgerichtet
desch zum Berg Hor in der Nähe der wurde. Gott versprach, dass jeder, der
Grenze zu Edom gezogen war, starb diese Schlange ansehen würde, von den
Aaron und wurde durch seinen Sohn Schlangenbissen geheilt würde. Dieses
Eleasar ersetzt (V. 22-29). Matthew Hen- Ereignis wurde von dem Herrn Jesus
ry schreibt: benutzt, um Nikodemus zu lehren, dass
Christus an einem Holz (dem Kreuz)
Aaron stirbt hier zwar für seine Übertre- erhöht werden müsse, damit Sünder,
tung, aber er wird nicht als Übeltäter ge- die im Glauben auf ihn schauen, ewiges
tötet, durch eine Plage oder ein Feuer Leben haben (Joh 3,1-16).
vom Himmel; er stirbt friedlich und in Die Schlange wurde später für das
Ehren. Er wird nicht aus seinem Volk aus­ Volk zum Stolperstein und in den Ta-
gerottet, wie der Ausdruck meist bei de- gen Hiskias endgültig zerstört (2Kö
nen lautet, die durch die Hand göttlicher 18,4).
Gerechtigkeit sterben, sondern er wird 21,10-20 Die Reisen der Kinder Israel
zu seinem Volk versammelt, als einer, der vom Berg Hor bis in die Ebenen Moabs
in den Armen göttlicher Gnade stirbt. … können nicht mehr exakt verfolgt wer-
Mose, dessen Hände am Anfang Aaron den. Doch die Lagerplätze werden in
in seine priesterlichen Gewänder geklei- 4. Mose 21,10 bis 22,1 aufgelistet. Das
det hatten, entkleidete ihn nun, denn aus »Buch der Kämpfe des HERRN« (V. 14)
Ehrfurcht vor der Priesterschaft war es war wahrscheinlich eine historische
nicht angemessen, dass er in ihnen ster- Aufzeichnung über die frühen Kriege
ben sollte.14 Israels. Es ist nicht überliefert. In Beer
(V. 16-18) schenkte der Herr durch ein
J. Die eherne Schlange (21,1 - 22,1) Wunder Wasser, als die Fürsten mit ih-
21,1-3 Der König von Arad lebte im ren Stäben in der trockenen Wüste gru-
südlichen Teil des Verheißenen Landes. ben.
Als er hörte, dass die Israeliten in der 21,21-26 Als sich Israel dem Land der
Wüste lagerten und planten, in sein Amoriter näherte, bat es um Erlaubnis,
Land einzumarschieren, griff er an, hindurchziehen zu dürfen, aber diese
doch er wurde an einem Ort namens wurde ihm verweigert. Ja, Sihon, der
Horma besiegt. König der Amoriter, erklärte Israel den
21,4-9 Mit »Schilfmeer« (andere Über- Krieg, doch er wurde gründlich besiegt.
setzungen haben »Rotes Meer«) wird Dieser Amoriterkönig wurde von Gott
hier nicht der Arm des Roten Meeres wie Pharao vor ihm verstockt, damit er
bezeichnet, den die Israeliten auf ihrer und sein Volk im Kampf von Israel be-
Flucht aus Ägypten durchquerten, son- siegt werden sollten (5. Mose 2,30). Die
dern der Teil des Roten Meeres, den wir »Schuld der Amoriter« (1. Mose 15,16)

184
4. Mose 21 und 22

Von der Wüste nach Kanaan

AN

AMMON
Mittelmeer Berg Nebo

NA

To tes Me er
KA
MOAB
Zoar

ÄGYPTEN Wüste Zin Punon


Kadesch-Barnea EDOM

Wüste Paran

Ezjon-Geber
(Elat)

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Nil

Go l f v
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0 75 Km
Rotes Meer

war vollständig, und Israel war das Ge- Hor zunächst nach Osten wandten,
richtsinstrument des HERRN. dann nach Norden außerhalb der West-
21,27-30 Der spruchartige Gesang in grenze Edoms bis zum Fluss Sered. Sie
den Versen 27-30 scheint Folgendes folgten dem Sered ostwärts zwischen
auszusagen: Heschbon war erst kürz- Edom und Moab, dann an Moabs Ost-
lich durch die Amoriter von den Moabi- grenze entlang zum Arnon, dann nach
tern erobert worden. Nun war Hesch- Westen zur Straße des Königs. Sie be-
bon an das Volk Israel gefallen. Wenn siegten Sihon, den König der Amoriter,
diejenigen, die diese Stadt von Moab dann drängten sie nach Norden, um
eroberten, selbst erobert wurden, dann Baschan zu erobern, das Reich von Og.
musste Moab eine drittklassige Macht Baschan war ein reiches Weideland öst-
sein. Auch wird dieser Spruch wohl als lich des Jordans und nördlich der Stelle,
Beweis dafür zitiert, dass das Land ganz wo Israel den Jordan überqueren wür-
im Besitz des Amoriterkönigs Sihon de, um ins Land zu kommen. Nachdem
und nicht länger moabitisches Territo­ die Israeliten Baschan erobert hatten,
rium war. Es war wichtig, diese Tat­ kehrten sie zu den Ebenen Moabs zu-
sache festzuhalten, denn Israel durfte rück und lagerten jenseits des Jordans
kein Land von Moab einnehmen gegenüber von Jericho (V. 1). Diese
(5. Mose 2,9). Ebenen waren den Moabitern von den
21,31 - 22,1 Die genaue Route der Amoritern abgenommen worden
Israeliten ist schwer zu rekonstruieren. (4. Mose 21,26), aber der Name Moab
Man nimmt an, dass sie sich vom Berg blieb erhalten.

185
4. Mose 22 und 23

III. Ereignisse in der Ebene Moab gegen, weil er Bileams Motive kannte.
(22,2 - 36,13) Das erste Mal sah die Eselin den Engel
und wich in ein Feld aus. Dafür wurde
A. Der Prophet Bileam (22,2 - 25,18) das arme Tier von Bileam geschlagen.
Beim zweiten Mal stand der Engel »in
1. Bileam wird von Balak gerufen (22,2-40)
einem Hohlweg zwischen den Weinber-
22,2-14 Als die Moabiter im Süden gen«. Die verängstigte Eselin drückte
hörten, wie die Amoriter erobert wor- den Fuß Bileams an die Wand und wur-
den waren, wurden sie sehr verängstigt de wieder misshandelt. Beim dritten
(unnötigerweise, vgl. 5. Mose 2,9). Des- Mal konfrontierte der Engel sie an
halb versuchte Balak, ihr König, den einem Engpass. Die verzweifelte Eselin
Propheten Bileam anzuheuern, damit legte sich auf den Boden und empfing
dieser Israel verfluche. Obwohl Bileam zum dritten Mal Prügel. Selbst ein Esel,
ein heidnischer Prophet war, schien er ein Symbol des Starrsinns, wusste,
doch etwas Wissen über den wahren wann er aufgeben musste, aber nicht
Gott zu haben. Der Herr gebrauchte der störrische, eigensinnige Prophet!
ihn, um seine Vorhaben in Bezug auf Is- 22,28-40 Die Eselin bekam nun die Fä-
raels Absonderung, Rechtfertigung, higkeit verliehen, zu Bileam zu sprechen
Schönheit und Herrlichkeit zu offen­ und ihn für die unmenschliche Behand-
baren. Der erste Versuch, Bileam zur lung zu tadeln (V. 28-30). Dann sah auch
Verfluchung zu bewegen, ist in den Bileam den Engel des HERRN mit sei-
Versen 7-14 aufgezeichnet. Die Bot- nem gezückten Schwert und hörte, wie
schafter Balaks kamen mit dem Lohn er ihm erklärte, dass es seine Aufgabe
für Wahrsager zu ihm ‒ d.h. mit dem gewesen sei, ihn von seinem Ungehor-
Lohn für den Fall, dass er erfolgreich ei- sam abzuhalten (V. 31-35). Dann erlaubt
nen Fluch auf Israel legen würde. Aber der Engel dem Propheten, zu Balak zu
Gott sagte Bileam, dass er das Volk gehen, aber er durfte nur die Worte sa-
nicht verfluchen dürfe, weil der Herr es gen, die Gott ihm eingeben würde (V.
gesegnet hatte. Balak heißt »Verheerer«. 35). Nachdem Balak Bileam empfangen
Bileam bedeutet »Verschlinger des hatte, brachte er seinem Gott Opfer dar.
Volkes« oder »Verwirrer des Volkes«.
22,15-21 Bileams zweiter Versuch 2. Bileams Weissagungen (22,41 - 24,25)
wird als Nächstes berichtet. Bileam 22,41 - 23,12 Am nächsten Tag wurde
wusste, was Gottes Wille war, doch er Bileam von Balak auf einen hohen Berg
wagte es, vor den HERRN zu treten, (den Berg Pisga) geführt, von wo aus er
vielleicht in der Hoffnung, dass dieser auf die Zelte Israels hinabschauen
seine Meinung ändern würde. Der Herr konnte. Später sollte Mose von demsel-
sagte Bileam, er solle mit den Männern ben Berg aus einen Blick in das Verhei-
Balaks gehen, aber nur das tun, was er ßene Land werfen und sterben (5. Mose
ihm befahl. Der Beweggrund Bileams, 34,1.5) Dieses und das nächste Kapitel
mitzugehen, wird in 2. Petrus 2,15-16 enthalten vier wichtige Äußerungen Bi-
eindeutig festgestellt. Er wurde moti- leams über Israel. Bevor er die drei ers-
viert durch seine Liebe zum »Lohn der ten Sprüche verkündete, wurden sie-
Ungerechtigkeit«. Er ist typisch für den ben Stiere und sieben Widder als Brand­
»Mietling«-Propheten (Joh 10,12-13), opfer dargebracht. Die erste Weis­
der seine von Gott gegebene Fähigkeit sagung Bileams sprach davon, dass er
für Geld prostituiert. nicht in der Lage war, ein Volk zu ver-
22,22-27 Der Engel des HERRN (V. 22) fluchen, das Gott nicht verflucht hatte.
war Christus in einer Erscheinung vor Der Spruch sagte Israel ein Leben der
seiner Menschwerdung. Dreimal stellte Absonderung von den heidnischen Na-
er sich Bileam und seiner Eselin ent­ tionen und eine unzählbare Nachkom-

186
4. Mose 23 und 24

menschaft voraus. Er sieht Israel als das würde wagen, diesen lagernden Löwen
gerechte Volk, dessen endgültige Be- aufzustören. Wer Israel segnen würde,
stimmung beneidenswert ist (V. 7-10). würde selbst gesegnet, und ein Fluch
Balaks Einspruch gegen diesen Segen würde Fluch über den Flucher bringen.
nützte nichts, der Prophet musste das Bileams Prophezeiung ist ein Echo des
Wort des HERRN verkünden. Bundes, der mit Abraham geschlossen
23,13-15 Balak nahm Bileam dann zu wurde: »Ich will segnen, die dich seg-
einem anderen Aussichtspunkt mit, in nen, und wer dir flucht, den werde ich
der Hoffnung, dass der Prophet das Volk verfluchen« (1. Mose 12,3).
in einem schlechteren Licht sehen würde. 24,10-14 Balak war nun völlig ver­
23,16-26 Die zweite Weissagung ver- ärgert und beschimpfte Bileam für sei-
sicherte Balak, dass Gottes ursprüng­ ne mangelnde Mitarbeit. Aber der Pro-
licher Segen für Israel sich nicht ge­ phet erinnerte ihn daran, dass er von
ändert hatte (V. 18-20). Der erste Teil Anfang an gesagt hatte, dass er nur das
von Vers 21 beschreibt die Stellung des Wort des HERRN reden könne. Ehe Ba-
Volkes, nicht sein Handeln. Das Volk lak nach Hause zurückkehrte, bot ihm
war durch den Glauben gerechtfertigt. Bileam an, ihm zu sagen, was der König
Genauso stehen die Gläubigen heute in von Israel den Moabitern eines Tages
aller Vollkommenheit seines geliebten antun würde.
Sohnes vor Gott. Der Herr war mit Is­ 24,15-19 Der vierte Spruch betrifft ei-
rael, und das Volk konnte jubeln, weil nen König (»Stern« oder »Zepter«), der
er als König in ihrer Mitte regierte sich in Israel erheben würde, um Moab
(V. 21b). Er hatte es aus Ägypten befreit und »alle Kinder des Getümmels« (Lu-
und ihm Kraft gegeben. Kein Fluch ge- ther 1912) zu erobern (V. 17, vgl. Jer
gen Israel würde sich erfüllen. Stattdes- 48,45). Auch Edom sollte von diesem
sen sollten die Siege, die Israel bald er- Herrscher unterjocht werden. Diese
ringen sollte, die Völker dazu führen zu Prophezeiung wurde von König David
sagen: »Was hat Gott gewirkt!« (V. 22- teilweise erfüllt, aber sie wird ihre völli-
24). Weil Bileam sich weigerte, das Volk ge Erfüllung erst bei der Wiederkunft
zu verfluchen, befahl ihm Balak, sie Christi erfahren.
wenigstens nicht zu segnen (V. 25), aber 24,20-25 Ähnliche Voraussagen über
der Prophet wandte ein, dass er nur tun ihre Vernichtung wurden von Bileam
konnte, was der Herr sagte. über die Amalekiter, die Keniter, die As-
23,27-30 Ein drittes Mal versuchte Ba- syrer und das Volk Eber (V. 20-24) ge-
lak, Bileam einen Fluch abzuringen, dies- macht. Die Amalekiter sollten ausdrück-
mal vom Gipfel des Berges Peor aus. lich vernichtet werden. Die Keniter
24,1-2 Da Bileam erkannte, dass Gott würden immer weniger werden, bis die
entschlossen war, Israel zu segnen, ver- Assyrer sie schließlich gefangen weg-
suchte er nicht, eine Fluchbotschaft zu führen würden. Selbst die Assyrer wür-
erhalten. Er sah nur hinab auf das La- den von bewaffneten Truppen aus Zy-
ger, und der Geist Gottes kam über ihn pern (hebr. kittim, was allgemein Zypern
und ließ ihn Dinge sagen, die seine bedeutet, aber hier vielleicht für Grie-
Weisheit und seinen Willen weit über- chenland und die Truppen Alexanders
trafen. des Großen steht) erobert werden. Das
24,3-9 Die dritte Botschaft sprach von Volk Eber könnten nichtjüdische Nach-
der Schönheit der Zelte Israels und sag- fahren des gleichnamigen nachsintflut-
te dem Volk gewaltige Fruchtbarkeit, lichen Patriarchen gewesen sein.
großen Reichtum, ein herrliches Reich Ehe Bileam Balak verließ, setzte er
und zermalmende Macht über alle Fein- noch die Räder in Bewegung, die zu
de voraus. Agag (V. 7) war wohl ein üb- den tragischen Ereignissen in Kap. 25
licher amalekitischer Name. Niemand führten.

187
4. Mose 25 und 26

3. Bileam verführt Israel (Kap. 25) 25,8b-13 Gott sandte eine Plage in das
25,1-3 Obwohl Bileams Name in diesem Lager Israel, die insgesamt 24.000 der
Kapitel nicht erwähnt wird, erfahren Täter tötete (23.000 an einem Tag – 1Kor
wir in 4. Mose 31,16, dass er für die 10,8). Durch Pinhas’ heroische Tat wur-
schreckliche Verderbnis der Kinder Is- de die Plage zurückgehalten. Weil er
rael verantwortlich ist, die hier be- für seinen Gott geeifert hatte, bestimm-
schrieben wird. Aller Lohn Balaks te der Herr, dass in der Familie von Pin-
konnte Bileam nicht dazu bringen, Is­ has ein ewiges Priestertum bestehen
rael zu verfluchen, aber er konnte ihn sollte.
schließlich überreden, Israel zu verder- 25,14-15 Simris gehobene Stellung in
ben, indem er einige vom Volk dazu seinem Stamm und die Tatsache, dass
brachte, Unzucht und Götzendienst mit die Frau eine Tochter eines midianiti-
den Frauen Moabs auszuüben. Wenn schen Oberen war, hätte die Richter
Satan mit einem direkten Angriff kei- vielleicht davon abgehalten, über ihn
nen Erfolg hat, dann gelingt es ihm oft zu richten, doch Pinhas konnte dies
mit einem indirekten Angriff. nicht abhalten. Er war eifersüchtig um
Hier zeigt sich Bileams wahrer Cha- des HERRN willen.
rakter. Bis zu diesem Punkt könnte viel- 25,16-18 Der Herr befahl Mose, gegen
leicht jemand meinen, er sei ein gottes- die Midianiter zu kämpfen (die zu die-
fürchtiger Prophet gewesen, der dem ser Zeit mit den Moabitern vermischt
Wort Gottes treu war und das Volk Got- waren). Diesem Befehl wurde in Kapi-
tes bewunderte. Doch aus 4. Mose 31,16 tel 31 Folge geleistet.
und 2. Petrus 2,15-16 erfahren wir, dass
er ein böser Abtrünniger war, der den B. Die zweite Volkszählung (Kap. 26)
Lohn der Ungerechtigkeit liebte. Bile- 26,1-51 Wieder wurde Mose befohlen,
am gab Balak den Rat, wie er die Is­ eine Volkszählung der Kinder Israel
raeliten zu Fall bringen konnte: indem durchzuführen, weil sie nun bald in das
er sie dazu brachte, »Götzenopfer zu es- Land einziehen sollten, um gegen seine
sen und Unzucht zu treiben« (Offb Einwohner zu kämpfen und ihren An-
2,14). Auf Bileams Rat wurde gehört. teil des Erbes zu empfangen. Im Ver-
Dies führte zu grobem Götzendienst gleich zur ersten Zählung gab es eine
am Heiligtum Baal-Peors. Abnahme von 1820 Menschen, wie aus
25,4-8a Gott befahl, dass alle schuldi- den folgenden Zahlen hervorgeht:
gen Anführer des Volkes vor der Sonne
aufgehängt werden sollten. Ehe die Stamm Kap. 1 Kap. 26
Strafe ausgeführt wurde, brachte ein
Anführer des Stammes Simeon eine Mi- Ruben (V. 5‒11) 46.500 43.730
dianiterin in das Lager Israel, um sie in Simeon (V. 12‒14) 59.300 22.200
sein Zelt zu führen (V. 14). Pinhas, der Gad (V. 15‒18) 45.650 40.500
Sohn des Hohenpriesters Eleasar, tötete Juda (V. 19‒22) 74.600 76.500
sowohl den Mann als auch die Frau mit Issaschar (V. 23‒25) 54.400 64.300
seinem Speer. Samuel Ridout kommen- Sebulon (V. 26‒27) 57.400 60.500
tiert: Josef (V. 28‒37):
Manasse (V. 34) 32.200 52.700
Pinhas, »ein Mund von Bronze«, ist ein Ephraim (V. 37) 40.500 32.500
außergewöhnlich passender Name für Benjamin (V. 38‒41) 35.400 45.600
jemanden, der so unbeugsam treu zu Dan (V. 42‒43) 62.700 64.400
Gott stand und durch sein unerbittliches Asser (V. 44‒47) 41.500 53.400
Gericht über die Sünde eine bleibende Naftali (V. 48‒51) 53.400 45.400
Priesterschaft für sich und seine Familie
erwirkte.15 Summe 603.550 601.730

188
4. Mose 26 bis 28

Moody kommentiert den Rückgang te, dass sie den Anteil ihres Vaters er-
über einen langen Zeitraum von 603.550 ben sollten. Im Allgemeinen war es Got-
im ersten Kapitel auf 601.730 hier: tes Wille, dass das Land von den Söh-
nen geerbt wurde, dann von Töchtern,
Israels Wachstum stagnierte vierzig Jah- Brüdern, Onkeln oder nächsten Ver-
re lang. So kann es mit unseren Gemein- wandten. Auf diese Weise sollte es stän-
den usw. gehen, wenn wir im Unglauben dig in einer Familie bleiben (V. 1-11).
leben.16
D. Josua, der Nachfolger Moses
Die gravierendste Abnahme finden wir (27,12-23)
bei den Simeonitern, die um fast 37.000 27,12-14 Gott hatte Mose vorgewarnt,
dezimiert wurden. Der Stamm Simeon dass er bald sterben würde, und er wies
war in erster Linie bei dem Vorfall am Mose an, auf das Bergland Abarim (eine
Peor im vorhergehenden Kapitel betei- Bergkette östlich des Toten Meeres) zu
ligt (Simri war ein Anführer dieses steigen. Der Berg Nebo, auf dem Mose
Stammes), und vielleicht waren die starb, war Teil dieser Bergkette.
meisten Getöteten Simeoniter. Vers 11 27,15-23 Mose dachte ganz selbstlos
berichtet uns, dass die Söhne Korachs über einen Nachfolger nach, der das
nicht mit ihrem Vater starben. Volk führen sollte, und Josua, der Sohn
26,52-56 Das Land sollte nach der An- Nuns, wurde an seiner Stelle ernannt.
zahl der Menschen in jedem Stamm Die Priesterschaft und später auch das
aufgeteilt werden, und doch mit dem Königtum wurden normalerweise in-
Los. Das kann nur bedeuten, dass die nerhalb einer Familie von Generation zu
Größe des Stammesgebiets durch die Generation weitergegeben. Doch der
Anzahl der Menschen des Stammes be- Nachfolger Moses war nicht sein Sohn,
stimmt wurde, dass aber die Lage des sondern sein Diener (2. Mose 24,13).
Landes durch Los bestimmt wurde.
26,57-65 Die Leviten wurden extra E. Opfer und Schwur (Kap. 28-30)
gezählt ‒ es waren 23.000. Nur Josua Kap. 28-29 In diesen Kapiteln wird das
und Kaleb waren in beiden Zählungen Volk an die Opfer und Feste erinnert,
erfasst worden. Alle anderen wehrfähi- die im Land durchgeführt werden soll-
gen Männer der ersten Zählung waren ten.
bis zu diesem Zeitpunkt in der Wüste
umgekommen. Die Verse 64 und 65 be- Tägliche Opfer:
ziehen sich auf die Männer, die in der Ständige Brandopfer, morgens und
Lage waren, in den Krieg zu ziehen. Le- abends, zusammen mit einem Speis­
viten und Frauen sind ausgeschlossen, opfer und einem Trankopfer (28,3-8).
obwohl einige von ihnen sicherlich Jeden Tag, solange der Tempel stand,
während der 38 Jahre dauernden Reise sollten die folgenden Opfer abends und
starben. morgens dargebracht werden (28,3-8):
Jeden Morgen und jeden Abend wur-
C. Erbrecht der Töchter (27,1-11) de ein einjähriges männliches Lamm
27,1-11 Die fünf Töchter Zelofhads aus ohne Fehler als Brandopfer dargebracht.
dem Stamm Manasse kamen zu Mose, Dazu gehörte ein Speisopfer, was aus ei-
um um ein Stück Land bei der Landver- nem Zehntel Efa Weizengrieß bestand,
teilung zu bitten, auch wenn sie keinen das mit einem Viertel Hin reinen Öls
Mann unter den Gezählten in Israel hat- vermischt wurde. Außerdem gab es ein
ten, unter denen Kanaan verteilt wer- Trankopfer, das aus einem Viertel Hin
den sollte (26,53). Ihr Vater war gestor- Wein bestand.
ben, doch war er keiner der schuldigen Morgens vor diesen Opfern wurde
Gefährten Korachs. Der Herr antworte- Weihrauch dargebracht, ebenfalls abends

189
4. Mose 28 bis 31

nach den Opfern. Seit es einen jüdischen oder nichts sagte, dann galt das Gelüb-
Tempel gab und solange der Tempel be- de und musste erfüllt werden.
stand, dauerten diese ständigen Opfer 30,7-17 Die Verse 7-9 beschreiben
an. Es war gewissermaßen eine priester- scheinbar ein Gelübde, das von einer
liche Opfer-Tretmühle. Moffatt spricht Frau vor ihrer Ehe abgelegt wurde. Ob-
von den »levitischen Sklaven«, die tag­ wohl ihr Ehemann es natürlich nicht an
ein, tagaus diese Opfer darbrachten. Die- dem Tag gehört hatte, an dem es ab­
ser Vorgang war nie zu Ende, und wenn gelegt wurde, konnte er doch an dem
alles erfüllt war, dann blieben die Men- Tag, an dem er davon hörte, »ihr weh-
schen immer noch im Bewusstsein ihrer ren«. Gelübde von einer Witwe oder
Sünde und ihrer Entfremdung von Gott einer Geschiedenen waren bindend
zurück. (V. 10). Gelübde einer verheirateten
Frau konnten vom Ehemann am ersten
Wöchentliche Opfer: Tag aufgehoben werden (V. 11-16). Dies
Wöchentliche Opfer an jedem Sabbat, unterstreicht die Hauptschaft des Ehe-
mit Speis- und Trankopfer (28,9.10). mannes. Wenn der Mann das Gelübde
nach dem ersten Tag aufhob, musste er
Monatliche Opfer: ihre Schuld tragen, d.h. er musste das
Brandopfer am ersten Tag jedes Monats, verlangte Opfer bringen oder vom
mit Speis- und Trankopfer (28,11-14). HERRN bestraft werden (V. 16).
Sündopfer (28,15).
F. Vernichtung der Midianiter (Kap. 31)
Feste des HERRN: 31,1-11 Gott befahl Mose, die Midianiter
Passah ‒ vierzehnter Tag des ersten Mo- wegen ihrer Verführung zu Ehebruch
nats (28,16). und Götzendienst mit Baal-Peor zu ver-
Fest der ungesäuerten Brote ‒ fünf- nichten. Zwölftausend Israeliten mar-
zehnter bis einundzwanzigster Tag des schierten gegen den Feind, und sie töte-
ersten Monats (28,17-25). ten alles Männliche. Pinhas zog mit in
Wochenfest (28,26-31). den Krieg (V. 6) anstelle seines Vaters,
Man beachte: Der Tag der Erstlinge des Hohenpriesters, vielleicht weil Pin-
(V. 26) ist nicht zu verwechseln mit dem has derjenige gewesen war, der den
Fest der Erstlinge (3. Mose 23,9-14). Zorn des HERRN abwendete, indem er
Fest des Trompetenblasens ‒ erster Simri und die Midianiterin tötete (Kap.
Tag des siebten Monats (29,1-6). 25). Nun sollte er die Armee des leben-
Versöhnungstag ‒ zehnter Tag des digen Gottes anführen, um das Gericht
siebten Monats (29,7-11). des HERRN an Midian zu vollenden.
Laubhüttenfest ‒ fünfzehnter bis ein- »Alles Männliche« (V. 7) bezieht sich auf
undzwanzigster Tag des siebten Mo- alle midianitischen Soldaten, nicht auf
nats (29,12-34). Es gab eine besondere alle Midianiter, die es gab, denn in den
Sabbatruhe am achten Tag (29,35-39). Tagen Gideons wurden sie wieder zu ei-
30,1-6 Kapitel 30 enthält besondere ner Bedrohung für Israel (Ri 6). Zur
Anweisungen über Gelübde. Ein Mann, (V. 8) war wahrscheinlich der Vater von
der ein Gelübde ablegte, musste das Kosbi, der Midianiterin, die im Lager Is-
Gelübde ohne Abstriche erfüllen. Wenn rael getötet wurde (25,15). (Entweder
eine junge Frau, die noch unter der Für- hatte Bileam es nicht geschafft, bis nach
sorge des Vaters lebte, ein Gelübde ab- Hause zu kommen, oder er kehrte aus
legte und ihr Vater sie hörte, konnte er irgendeinem Grund nach Midian zu-
sich nur am ersten Tag gegen das Ge- rück, denn auch er wurde getötet.)
lübde aussprechen, d.h. es verbieten, 31,12-18 Obwohl sie alle midianiti-
und damit wäre es aufgehoben. Wenn schen Soldaten getötet hatten, hatten
er aber bis nach dem ersten Tag wartete die Kinder Israel doch die Frauen und

190
4. Mose 31 bis 33

Kinder verschont und brachten sie zu- Viele Ausleger sind der Ansicht, dass
sammen mit einer großen Menge Beute Ruben und Gad eine unweise Wahl ge-
ins Lager zurück. Mose wurde zornig, troffen hatten, denn obwohl das Land
dass sie genau diejenigen verschont fruchtbar war, war es doch den Angrif-
hatten, die Israel in Sünde geführt hat- fen von Gegnern sehr ausgesetzt. Ihnen
ten, und befahl, dass die männlichen fehlte dort der Schutz des Jordans. Die
Kinder und alle Frauen, »die einen Stämme Ruben und Gad (und der halbe
Mann im Beischlaf erkannt haben«, ge- Stamm Manasse, der dazukam) waren
tötet werden sollten. Die Mädchen wur- in späteren Jahren die ersten, die erobert
den verschont und wurden wohl zu und in die Gefangenschaft verschleppt
Dienerinnen. Diese Strafe war gerecht wurden. Andererseits: Was sollte mit
und notwendig, um Israel vor weiterem dem Land östlich des Jordans gesche-
Verderben zu bewahren. hen, hätte nicht ein Teil der Kinder Is­
31,19-54 Die Krieger und Gefangenen rael dort gesiedelt? Gott hatte ihnen das
musste sich sieben Tage lang einer Rei- Land geschenkt und ihnen befohlen, es
nigung unterziehen (V. 19). Auch die in Besitz zu nehmen (5. Mose 2,24.31;
Beute musste gereinigt werden, ent­ 3,2).
weder durch Feuer oder durch Wa-
schen im Wasser (V. 21-24). Die Beute H. Rückblick auf die Lagerplätze
wurde unter den Kriegern und der ge- Israels (Kap. 33)
samten Gemeinde verteilt (V. 25-47). 33,1-49 Die Reisen der Kinder Israel aus
Die Kriegsleute waren so dankbar, dass Ägypten in die Ebene Moabs werden in
nicht einer von ihnen getötet worden diesem Kapitel zusammengefasst.
war, dass sie eine große Gabe zum Wie schon vorhin erwähnt, ist es un-
HERRN brachten (V. 48-54). möglich, alle diese Städte heute ge­
nauer zu lokalisieren. Das Kapitel
G. Das Erbe Rubens, Gads und des könnte man so einteilen: Von Ägypten
halben Stammes Manasse (Kap. 32) zum Berg Sinai (V. 5-15); vom Berg
32,1-15 Als die Söhne Gad und Ruben Sinai nach Kadesch-Barnea (V. 16-36);
die reichen Weiden östlich des Jordans von Kadesch-Barnea zum Berg Hor
sahen, baten sie darum, dass sie dort (V. 37-40); vom Berg Hor in die Steppen
ständig wohnen dürften (V. 1-5). Mose von Moab (V. 41-49). Diese Liste ist
dachte, dies bedeute, dass sie nicht den nicht vollständig, wie sich durch einen
Jordan überqueren und mit ihren Brü- Vergleich mit anderen Listen von La-
dern gegen die heidnischen Einwohner gerplätzen, z.B. in Kap. 21, ergibt.
kämpfen wollten (V. 6-15). Ihre Väter 33,50-56 Gottes Befehl an die Invasi-
hatten die Israeliten in Kadesch-Barnea onsarmee war es, die Einwohner Kana-
davon abgehalten, ins Verheißene Land ans vollständig auszurotten. Dies wirkt
einzuziehen. auf heutige Menschen grausam, aber in
32,16-42 Aber als Ruben und Gad ihm Wahrheit waren diese Völker die ver-
dreimal versicherten, dass sie für das dorbensten, unmoralischsten und ver-
Land westlich des Jordans kämpfen wür- kommensten Geschöpfe, die die Welt je
den (V. 16-32), gab ihnen Mose die Er- gesehen hat. Gott hatte über 400 Jahre
laubnis. Gad, Ruben und die Hälfte des lang mit ihnen Geduld gehabt, ohne
Stammes Manasse, des Sohnes von Josef, dass sie sich geändert hätten. Er wusste,
nahmen das Königreich von Sihon, dem dass Israel, wenn es sie nicht tötete, von
König der Amoriter, und das Reich von ihrer Unmoral und ihrem Götzendienst
Og, dem König von Baschan, ein. Sie angesteckt werden würde. Die Israeli-
bauten befestigte Städte und Schaf­ ten sollten nicht nur die Menschen tö-
hürden und übernahmen auch kleinere ten, sondern sie sollten auch jede Spur
Städtchen und Dörfer (V. 33-42). des Götzendienstes zerstören (V. 52).

191
4. Mose 34 und 35

I. Die Grenzen des Verheißenen gen Stämme, die viel Gebiet hatten,
Landes (Kap. 34) sollten den Leviten entsprechend viele
34,1-15 Die Grenzen des Landes, das Städte zur Verfügung stellen. Diejeni-
Gott Israel verheißen hatte, werden in gen, die wenig hatten, mussten auch
den Versen 1-15 genannt. Im Allgemei- nicht so viele Städte stellen.
nen erstreckte sich die Südgrenze von 35,9-21 Von den Zufluchtsstädten
der Südspitze des Salzmeeres (= Totes sollten drei auf jeder Seite des Jordans
Meer) bis zum Bach (nicht Fluss!) Ägyp- liegen. Ein Totschläger wurde norma-
tens und zum Ufer des Mittelmeeres lerweise von einem nahen Verwandten
(V. 3-5). Die Westgrenze war das Große verfolgt, der »Bluträcher« genannt wur-
Meer (= Mittelmeer) (V. 6). Die Nord- de. Wenn der Totschläger eine der Zu-
grenze erstreckte sich vom Mittelmeer fluchtsstädte erreichte, war er sicher,
über den Berg Hor (nicht derselbe, der bis sein Fall vor Gericht kam (V. 12). Die
auf den Reisen Israels erwähnt wird) bis Zufluchtsstädte waren keine Zuflucht
man nach Hamat kommt und bis Ha- für Mörder (V. 16-19). Verbrechen, die
zar-Enan (V. 7-9). Die Ostgrenze er- durch Hass oder Feindschaft entstan-
streckte sich von Hazar-Enan südlich den waren, wurden mit dem Tod be-
bis zum See Kinneret17 (See von Galiläa) straft (V. 20-21).
und den Jordan entlang bis zum Salz- 35,22-28 Wenn es sich bei dem Vorfall
meer (= Totes Meer) (V. 10-12). Die um Totschlag handelte, dann wurde
neun­einhalb Stämme sollten das oben der Fall vor der Gemeinde verhandelt
bezeichnete Land erben, während die (V. 22-24). Wenn der Totschlag bestätigt
zweieinhalb Stämme schon das Land wurde, dann musste der Totschläger
östlich des Jordans versprochen bekom- bis zum Tod des Hohenpriesters in der
men hatten (V. 13-15). Zufluchtsstadt bleiben. Er durfte dann
34,16-29 Die Namen der Männer, die zurückkehren (V. 28). Wenn er jedoch
dazu ernannt wurden, das Land zu ver- vor dem Tod des Hohenpriesters aus
teilen, werden in diesen Versen aufge- der Stadt herauskam, durfte der Blut­
führt. rächer ihn töten, ohne selbst schuldig
zu werden (V. 26-28).
J. Städte der Leviten (35,1-5) Der Tod des Hohenpriesters brachte
Weil der Stamm Levi nicht mit den ande- denen die Freiheit, die in eine Zufluchts-
ren Stämmen zusammen erbte, be- stadt geflohen waren. Sie durften vom
stimmte Gott, dass 48 Städte für die Bluträcher nicht länger geschädigt wer-
Leviten ausgesondert würden. Es ist den. Der Tod unseres Großen Hohen-
schwer, die Maße zu verstehen, die in priesters befreit uns von den verdam-
V. 4 und 5 angegeben werden, aber es menden Anforderungen des Gesetzes.
wird zumindest deutlich, dass die Städte Wie töricht wäre diese Bestimmung,
von Weideland für Haustiere umgeben wenn man in ihr nicht ein Symbol für
waren. (Vielleicht umfassen die zwei­­ das Werk unseres Herrn am Kreuz se-
tausend Ellen in Vers 5 die tausend Ellen, hen würde!
die schon in Vers 4 erwähnt werden.) Unger berichtet einige Einzelheiten
der Tradition:
K. Zufluchtsstädte und Todesstrafe
(35,6-34) Nach den Rabbis war es die Aufgabe des
35,6-8 Sechs der Levitenstädte sollten Sanhedrins, die Straßen zu den Zu-
zu Zufluchtsstädten bestimmt werden. fluchtsstädten in bestmöglichem Zu-
Ein Mensch, der jemanden versehentlich stand zu halten, um den Flüchtlingen zu
getötet hatte, konnte in eine dieser Städ- helfen. Keine Hügel blieben übrig, jeder
te fliehen und dort bis zu einer Gerichts- Fluss hatte eine Brücke, und die Straße
verhandlung in Sicherheit sein. Diejeni- selbst musste mindestens 32 Ellen breit

192
4. Mose 35 und 36

sein. An jeder Kurve gab es Hinweis- mes heiraten sollten, damit kein Land
schilder, auf denen das Wort »Zuflucht« von einem Stamm auf den anderen
stand, und zwei Schüler des Gesetzes überging (V. 5-11). Die Töchter Zelof-
wurden dazu bestimmt, den Fliehenden hads gehorchten, indem sie innerhalb
zu begleiten und den Bluträcher, wenn des Stammes Manasse heirateten (V. 10-
möglich, zu besänftigen, falls dieser den 12). Vers 13 fasst den Abschnitt ab Kapi-
Flüchtling einholen sollte.18 tel 26 zusammen.
Drei Tatsachen fallen im 4. Buch Mose
Wenn wir uns der symbolischen Lehre besonders auf:
aus diesem Abschnitt zuwenden, dann 1. Die beständige Bosheit und der be-
ist das Volk Israel der Totschläger, denn ständige Unglaube des menschlichen
es hat den Messias getötet. Doch die Is- Herzens.
raeliten taten es unwissentlich (Apg 2. Die Heiligkeit des HERRN, die von
3,17). Der Herr Jesus betete: »… denn seiner Barmherzigkeit gemildert wird.
sie wissen nicht, was sie tun« (Lk 23,34). 3. Der Mann Gottes (Mose), der als
Genauso wie der Totschläger aus seiner Mittler und Fürbitter zwischen dem
Heimat vertrieben wurde und in der sündigen Volk und dem heiligen Gott
Zufluchtsstadt leben musste, so hat Is- steht.
rael seitdem immer im Exil leben müs- Das menschliche Herz hat sich nicht
sen. Die Wiederherstellung und Wie- geändert, seit das 4. Buch Mose ge-
dereinsetzung des Volkes in sein Eigen- schrieben wurde. Auch nicht die Hei-
tum wird nicht beim Tod des Großen ligkeit und Barmherzigkeit Gottes. Aber
Hohenpriesters stattfinden (denn er Mose ist von seinem Antitypus ersetzt
kann niemals sterben), sondern wenn worden, dem Herrn Jesus Christus. In
er wiederkommt, um zu regieren. ihm haben wir Kraft, die Sünden zu
35,29-34 Für Mörder war die Todes- meiden, die für Israel charakteristisch
strafe befohlen. Es gab keine Zuflucht waren, und damit dem Missfallen Got-
oder Genugtuung, die hätte geleistet tes zu entgehen, zu dem diese Sünden
werden können (V. 30-31). Ein Tot­ führten. Um von dem zu profitieren,
schläger durfte kein Sühnegeld an die was wir gelesen haben, müssen wir er-
Zufluchtsstadt zahlen (V. 32). Blut, das kennen, dass »ihnen alles als Vorbild
durch Mord vergossen war, ver­ widerfuhr und geschrieben wurde zur
unreinigte das Land, und solches Blut Ermahnung für uns« (1Kor 10,11).
verlangte den Tod des Mörders
(V. 33-34). Man sehe dies im Zusam-
menhang mit dem Tod Christi! Anmerkungen
1
(Einführung) W. Graham Scroggie,
L. Das Erbe der verheirateten Töchter Know Your Bible, Bd. I, The Old Testa­
(Kap. 36) ment, S. 35.
Vertreter des halben Stammes Manasse, 2
(3,14-39) George Williams, The
der in Gilead östlich des Jordans siedel- Student’s Commentary on the Holy
te, kamen zu Mose mit einem Problem Scriptures, S. 80.
(vgl. 4. Mose 27,11). Wenn die Töchter 3
(4,4-20) C.F. Keil und F. Delitzsch,
Zelofhads Männer heirateten, die zu ei- »Numbers«, in: Biblical Commentary
nem anderen Stamm gehörten, dann on the Old Testament, Bd. III, S. 25.
würde ihr Eigentum in diesen Stamm 4
(6,1-8) Williams, The Student’s Com­
übergehen. Im Jubeljahr würde diese mentary, S. 82.
Übertragung an den anderen Stamm 5
(6,24-26) D.L. Moody, Notes from My
festgeschrieben (V. 4). Die Lösung be- Bible, S. 41.
stand darin, dass die Frauen, die Land 6
(10,29-32) Zitiert von John W. Haley in:
erbten, innerhalb ihres eigenen Stam- Alleged Discrepancies of the Bible, S. 431.

193
4. Mose

7
(11,16-17) Zu Moses Verteidigung 10
(12,11-16) Keil und Delitzsch, »Num-
sind folgende Punkte bemerkens- bers«, in: Biblical Commentary on the
wert: 1. Gott tadelt Mose nicht, Old Testament, Bd. III, S. 81.
2. Gott ermutigt Mose vielmehr und 11
(19,11-19) Williams, Student’s Com­
verheißt ihm, dass die siebzig Ältes­ mentary, S. 88.
ten, nachdem sie den Heiligen Geist 12
(19,11-19) J.G. Mantle, Better Things,
empfangen hatten, seine Last teilen S. 109.
würden, 3. Gott selbst erfüllt das 13
(20,10-13) G. Campbell Morgan,
Bedürfnis, 4. Mose führte bis zu Searchlights from the Word, S. 47-48.
2  Millionen ungeistliche und unzu- 14
(20,22-29) Matthew Henry, »Num­
friedene Menschen, 5. Vers 17 er- bers«, in: Matthew Henry’s Commen­­­­­
wähnt keine Verringerung in der tary on the Whole Bible, Bd. I, S. 662.
Aus­rüstung Moses mit dem Geist, 15
(25,4-8a) Samuel Ridout, The Penta­
sondern eher eine Austeilung dessel- teuch, S. 253.
ben Geistes an die siebzig Ältesten. 16
(26,1-51) Moody, Notes, S. 43.
8
(11,31-35) Vgl. International Standard 17
(34,1-15) Kinneret ist Hebräisch für
Bible Encyclopedia unter »Quails«, Harfe, die Namensgebung kommt
Bd. IV, S. 2512. von der Form des Sees von Galiläa
9
(12,3) Es ist immer möglich, dass ein (Genezareth).
inspirierter Redakteur (wie Josua) 18
(35,22-28) Merrill F. Unger, Unger’s
diese Worte später hinzufügte. Bible Dictionary, S. 208.

Bibliografie Lange, John Peter,


»Numbers«, in: Commentary on the Holy
Harrison, R.K., Scriptures, Critical, Doctrinal and Homilet­
»Numbers«, in: Introduction to the Old ical, Bd. 3, übersetzt von Philip Schaff,
Testament, Nachdruck,
Grand Rapids: Wm. B. Eerdmans Pub- Grand Rapids: Zondervan Publishing
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Henry, Matthew, Merrill, Eugene H.,


»Numbers«, in: Matthew Henry’s Com­ »Numbers«, in: The Bible Knowledge
mentary on the Whole Bible, Bd. I, Commentary,
MacLean: MacDonald Publishing Com- Wheaton: Victor Books, 1985.
pany, o.J..
Ridout, Samuel,
Keil, C.F. und Delitzsch, F., The Pentateuch,
»Numbers«, in: Biblical Commentary on New York: Bible Truth Library, o.J.
the Old Testament, Bd. III,
Grand Rapids: Wm. B. Eerdmans Pub- Wenham, Gordon J.,
lish­ing Co., 1971. Numbers: An Introduction and Commentary,
Downers Grove: InterVarsity Press, 1981.

194
5. Mose
»Das 5. Buch Mose ist eines der großartigsten Bücher des Alten Testaments. Sein
Einfluss auf die häusliche und persönliche Frömmigkeit aller Zeitalter ist von keinem
anderen Buch der Bibel übertroffen worden. Es wird im Neuen Testament über 80-mal
zitiert und gehört somit in die kleine Gruppe von vier alttestamentlichen Büchern
(1. und 5. Mose, Psalmen und Jesaja), auf die sich die ersten Christen häufig bezogen.«

J.A. Thompson

Einführung zu bringen. Das letzte Kapitel, in dem


von Moses Tod berichtet wird, könnte er
I. Einzigartige Stellung im Kanon prophetisch geschrieben haben, oder es
könnte von Josua oder jemand anderem
Unser Herr Jesus Christus wurde von Sa- hinzugefügt worden sein.
tan vierzig Tage und Nächte in der Wüs- Die liberale Kritik behauptet selbst­
te versucht. Drei dieser Versuchungen sicher, dass das 5. Buch Mose das »Buch
werden in den Evangelien zu unserem des Gesetzes« war, das zur Zeit Josias
geistlichen Nutzen berichtet. Nicht nur gefunden wurde (ca. 620 v.Chr.). Sie be-
benutzte Christus das alttestamentliche hauptet, dass es in Wirklichkeit eine
»Schwert des Geistes« dreimal, sondern »fromme Fälschung« dieser Zeit sei, die
jedes Mal benutzte er denselben Teil der so geschrieben sei, als ob Mose spräche,
Klinge ‒ das 5. Buch Mose (auch Deute- um den jüdischen Gottesdienst um ein
ronomium genannt). Es ist wahrschein- zentrales Heiligtum in Jerusalem zu
lich, dass dieses Buch eines der Lieb- vereinheitlichen.
lingsbücher Jesu war ‒ und es sollte auch Doch in Wirklichkeit gibt es so etwas
eines der unseren sein. In vielen Teilen wie eine »fromme Fälschung« über-
der Christenheit ist das fünfte Buch Mose haupt nicht ‒ ist es eine Fälschung,
traurigerweise vernachlässigt worden, dann ist es nicht fromm, ist es aber
vielleicht durch seinen etwas unpassen- fromm, dann ist es keine Fälschung.
den griechischen Titel, den es in der Sep- Es gibt auch keinen Hinweis darauf,
tuaginta erhalten hat. Seine Bedeutung dass die Bezeichnung »das Buch des
–  »zweites Gesetz« – hat wohl zu der Gesetzes« in 2. Könige 22 nicht den ge­
falschen Vorstellung geführt, dass das samten Pentateuch meint. Josias Vorgän-
Buch eine bloße Wiederholung von Ma- ger Manasse und Amon waren beide
terial ist, das wir aus 2. bis 4. Mose ken- böse Könige. Sie haben sogar Götzen-
nen. Gott wiederholt nie, einfach um zu dienst mitten im Tempel des Herrn be-
wiederholen ‒ es gibt immer verschie- trieben, wo das Gesetz des Mose offen-
dene Betonungen oder neue Einzel- sichtlich von einer oder mehreren got-
heiten. So ist es auch mit dem 5. Buch tesfürchtigen Personen versteckt wor-
Mose, einem wunderbaren Buch, das es den war.
wert ist, sorgfältig studiert zu werden. Die Wiederentdeckung des Wortes
Gottes und die Unterwerfung darunter
II. Verfasserschaft führen immer zu Erweckung und Wie-
Mose ist der Verfasser von Deuterono- derherstellung, wie in der großen Pro-
mium als Ganzem, obwohl der Herr testantischen Reformation.
evtl. inspirierte Bearbeiter gebraucht ha- Eine zusammengefasste Verteidigung
ben könnte, um einige Einzelheiten zu der Verfasserschaft des Mose findet sich
berichten oder auf den neuesten Stand in der Einführung zum Pentateuch.

195
5. Mose

III. Datierung danke ist, dass diejenigen, die sich wei-


Das 5. Buch Mose war bis zum Jahr 1406 gern, aus der Geschichte zu lernen, da­
v.Chr. größtenteils abgeschlossen, doch zu verurteilt sind, sie zu wieder­holen.
einiges Material, das genauso inspiriert Der Hauptteil ist ein Überblick über
ist, könnte nach dem Tod Moses hinzu- wichtige Teile der Gesetzgebung Gottes
gefügt worden sein, wie wir schon an- für sein Volk (Kap. 4-26). Dann folgt
gemerkt haben. eine Vorausschau auf Gottes Absichten
Eine ausführlichere Diskussion zur bezüglich der Gnade und der Regie-
Datierung findet sich in der Einführung rung von Israels Eintritt in das Land bis
zum Pentateuch. zum Zweiten Kommen des Messias
(Kap. 27-33). Das Buch schließt mit dem
IV. Hintergrund und Thema Tod Moses und der Ernennung Josuas
Das 5. Buch Mose ist eine Neuformulie­ zu dessen Nachfolger (Kap. 34).
rung (nicht bloße Wiederholung) des Der Apostel Paulus erinnert uns dar-
Gesetzes für die neue Generation, die an, dass dieses Buch eine Botschaft so-
während der Zeit der Wüstenwande- wohl für uns als auch für Israel enthält.
rung geboren worden war. Sie standen Indem er 5. Mose 25,4 kommentiert,
im Begriff, das Verheißene Land zu be- sagt er, dass es »um unsertwillen« (1Kor
treten. Um dort Gottes Segen genießen 9,10) geschrieben wurde.
zu können, mussten sie das Gesetz ken- Das Buch enthält reichlich Ermah-
nen und ihm gehorchen. nung, die mit den Verben aus 5. Mose
Das Buch besteht zunächst aus einer 5,1 zusammengefasst werden kann:
geistlichen Deutung der Geschichte Is-
raels vom Sinai an (Kap. 1-3). Der Ge- »Hört, … lernt, … bewahrt, … tut!«

Einteilung E. Der Lohn des Gehorsams (11,8-32)


F. Anweisungen für den
I. Moses erste Rede ‒ Die Reise zum Gottesdienst (Kap. 12)
Land (Kap. 1-4) G. Strafen für falsche Propheten
A. Einleitung (1,1-5) und Götzendiener (Kap. 13)
B. Vom Horeb nach Kadesch H. Reine und unreine Speisen
(1,6-46) (14,1-21)
C. Von Kadesch nach Heschbon I. Der Zehnte (14,22-29)
(Kap. 2) J. Umgang mit Schuldnern und
D. Die Eroberung Transjordaniens Sklaven (Kap. 15)
(Kap. 3) K. Drei festgesetzte Feste
E. Ermahnung zum Gehorsam (Kap. 16)
(Kap. 4) L. Richter und Könige (Kap. 17)
II. Moses zweite Rede ‒ Reinheit im M. Priester, Leviten und
Land (Kap. 5-28) Propheten (Kap. 18)
A. Überblick über den Sinai-Bund N. Strafgesetze (Kap. 19)
(Kap. 5) O. Kriegsrecht (Kap. 20)
B. Warnung vor Ungehorsam P. Verschiedene Gesetze
(Kap. 6) (Kap. 21-25)
C. Anweisungen über 1. Sühnung für ungelöste
den Umgang mit Tötungsdelikte (21,1-9)
götzendienerischen Völkern 2. Weibliche Kriegsgefangene
(Kap. 7) (21,10-14)
D. Lehren aus der Vergangenheit 3. Die Rechte des
(8,1 - 11,7) Erstgeborenen (21,15-17)

196
5. Mose 1

4. Störrische und Q. Rituale und Bestätigungen


aufrührerische Söhne (Kap. 26)
(21,18-21) 1. Das Ritual der Erstlinge
5. Die Leichen von erhängten (26,1-11)
Verbrechern (21,22-23) 2. Das Ritual für den Zehnten
6. Neun Verhaltensmaßregeln des dritten Jahres (26,12-15)
(22,1-12) 3. Bestätigung des Bundes
7. Verstöße gegen die (26,16-19)
Keuschheit (22,13 - 23,1) R. Fluch und Segen (Kap. 27-28)
8. Menschen, die vom Eintritt III. Moses dritte Rede ‒ Der Bund für
in die Versammlung Israels das Land (Kap. 29-30)
ausgeschlossen waren A. Der Bund, der in Moab
(23,2-9) geschlossen wurde (29,1-20)
9. Die Reinheit des Lagers B. Strafe für Bundesbruch
(23,10-15) (29,21-28)
10. Soziale und religiöse C. Wiederherstellung für die
Gesetze (23,16-26) Rückkehr zum Bund (Kap. 30)
11. Scheidung und IV. Die letzten Tage des Mose ‒ Tod
Wiederheirat (24,1-4) außerhalb des Landes (Kap. 31-34)
12. Verschiedene Sozialgesetze A. Der Nachfolger Moses
(24,5 - 25,4) (Kap. 31)
13. Das Gesetz der Leviratsehe B. Das Lied Moses (Kap. 32)
(25,5-10) C. Der Segen Moses (Kap. 33)
14. Drei verschiedene Gesetze D. Der Tod Moses (Kap. 34)
(25,11-19)

Kommentar Ansprache an die Kinder Israels zur


Vorbereitung ihres Einzugs nach Kana-
I. Moses erste Rede ‒ Die Reise an im vierzigsten Jahr, nachdem sie
zum Land (Kap. 1-4) Ägypten verlassen hatten. Das geschah,
nachdem sowohl Sihon, der König der
A. Einleitung (1,1-5) Amoriter, als auch Og, der König von
Baschan, geschlagen worden waren
1,1-2 Zu Beginn des 5. Buches Mose zel- (4. Mose 21).
ten die Kinder Israel in den Steppen
Moabs, die sie in 4. Mose 22 erreicht hat- B. Vom Horeb nach Kadesch (1,6-46)
ten. In 5. Mose 1,1 heißt es, dass die Stel- Von 5. Mose 1,6 bis 3,28 haben wir eine
le in der Ebene gegenüber Suf ge­legen Rückschau auf die Zeitspanne vom
war. Das bedeutet, dass die Wüste, de- Berg Sinai bis zu den Ebenen Moabs.
ren Ausläufer die Ebenen Moabs waren, Weil das meiste davon schon in 4. Mose
sich südwärts bis zu dem Teil des Roten behandelt wurde, werden wir es hier
Meeres erstreckte, der als Golf von Aka- einfach zusammenfassen: Gottes Gebot,
ba bekannt ist. Die Reise vom Horeb (Si- zum Verheißenen Land zu ziehen und
nai) über den Berg Seir bis Kadesch-Bar- es in Besitz zu nehmen (V. 6-8); die Er-
nea an der Grenze zu Kanaan dauerte nennung von Richtern über zivile An-
normalerweise nur 11 Tage, aber nun gelegenheiten (V. 9-18); die Reise vom
waren achtunddreißig Jahre vergangen, Sinai nach Kadesch-Barnea (V. 19-21);
ehe die Israeliten bereit waren, ins Ver- die Aussendung der Kundschafter und
heißene Land einzuziehen! die nachfolgende Rebellion (V. 22-46).
1,3-5 Mose richtete seine folgende Mit Ausnahme von Josua und Kaleb

197
5. Mose 1 bis 4

durfte kein Kriegsmann, der aus Ägyp- ein Riese gewesen war, denn sein gro-
ten ausgezogen war, in das Land einzie- ßes Bett aus Eisen war neun Ellen lang
hen (V. 34-38). und vier Ellen breit (ca. 4,5 m lang und
2 m breit). Thompson sagt, dass dieses
C. Von Kadesch nach Heschbon (Kap. 2) »Bett« seine letzte Ruhestätte war, nicht
2,1-23 Die Reise von Kadesch-Barnea sein eigentliches Bett:
zu den Grenzen Edoms (V. 1-7) verhin-
derte den Konflikt mit den Edomitern. Bei seinem Tod wurde er in einem massi-
Die Reise von den Grenzen Edoms in ven Sarkophag (wörtl. Bettstelle, »Ruhe-
das Tal Sered (V. 8-15) verhinderte den platz«) aus Basalt beigesetzt. Der Basalt
Konflikt mit den Moabitern. Der Herr wird hier wegen seiner Farbe Eisen ge-
befahl den Israeliten, sich nicht auf ei- nannt … Nach dem Bericht hier konnte
nen Streit mit den Ammonitern einzu- der Sarkophag zu der Zeit, als das
lassen, weil er dieses Land den Söhnen 5. Buch Mose geschrieben wurde, in
Lots zum Besitz gegeben hatte (V. 16- Rabba Ammon (dem heutigen Amman)
19). Gott hatte schon gewisse Riesen1 besichtigt werden.2
vertrieben, welche die Ammoniter
»Samsummiter« genannt hatten, ge- 3,12-20 Das eroberte Land östlich des
nauso, wie er es für die Nachfahren Jordans wurde an die Rubeniter, die
Esaus getan hatte, indem er die Horiter, Gaditer und den halben Stamm Manas-
die Awiter und die Kaftoriter vernichtet se verteilt (V. 12-17). Mose befahl den
hatte (V. 20-23). Kriegstüchtigen, gerüstet den Jordan
2,24-37 Der Rest von Kapitel 2 be- zu überqueren, um ihren Brüdern zu
schreibt die vernichtende Niederlage helfen, das Gebiet westlich des Jordans
von Sihon, dem Amoriter, dem König zu erobern. Sie durften dann zu ihrem
von Heschbon. Vers 29a deutet an, dass Eigentum zurückkehren, zu ihren
die Nachfahren Esaus, die Edomiter, Frauen, ihren Kindern, ihrem Vieh und
den Israeliten Wasser und Nahrung ihren Städten, die sie übernommen
verkauft haben, als Letztere das Land hatten.
Edom umgingen. Aber der Bericht in 3,21-29 Mose befahl auch Josua, sich
4. Mose 20,14-22 legt nahe, dass der Kö- an vergangene Siege zu erinnern und
nig von Edom völlig unkooperativ war. Gott für zukünftige Siege zu vertrauen
Er war standhaft in seiner Weigerung, (V. 21-22).
Israel zu helfen, aber es scheint, dass ei- Doch der Herr war über Mose er-
nige Angehörige seines Volkes den Ju- zürnt, weil er wegen der Kinder Israel
den Nahrung und Wasser verkauft hat- ungehorsam war, und wollte ihn nicht
ten, obwohl dies ungewiss ist. Die Verse den Jordan überqueren lassen. Er ge-
10-12 und 20-23 wurden vielleicht von währte ihm jedoch einen Blick in alle
jemandem hinzugefügt, der später als Richtungen des Verheißenen Landes
Mose lebte, aber sie sind trotzdem in- von der Spitze des Berges Pisga aus
spirierte Schrift. (V. 23-29).
D. Die Eroberung Transjordaniens E. Ermahnung zum Gehorsam (Kap. 4)
(Kap. 3) Kapitel 4 leitet Moses Wiederholung
3,1-11 Og, der König von Baschan, hatte des Gesetzes ein. Hier beschäftigt er
sechzig Städte, die alle »befestigt, mit sich insbesondere mit der Anbetung
hohen Mauern, Toren und Riegeln« wa- des einen wahren Gottes und mit den
ren, dazu viele offene Landstädte. Der Strafen, die auf jede Hinwendung zum
Herr, der Gott Israels, lieferte auch die- Götzendienst folgen würden.
se Feinde in die Hand seines Volkes 4,1-24 Israel wurde befohlen, den
aus. Man erinnerte sich daran, dass Og Ordnungen und Rechten des Herrn,

198
5. Mose 4 und 5

seines Gottes, zu gehorchen, wenn es zuwenden würde (V. 29-31). Kein Volk
nach Kanaan käme (V. 1). Es durfte hat je die Vorrechte Israels gehabt, ins-
dazu nichts hinzufügen und nichts da- besondere die Wunder, die mit der Be-
von wegnehmen (V. 2). Gottes Strafe für freiung aus Ägypten einhergingen
den Götzendienst, der bei Baal-Peor ge- (V. 32-38). Deshalb sollten sie Gott ge-
schehen war, sollte dem Volk als ständi- horchen und so seinen fortwährenden
ge Warnung dienen (V. 3-4). (Vielleicht Segen genießen (V. 39-40). Es ist eine
wird dieses besondere Beispiel des Zor- traurige Tatsache der jüdischen Ge-
nes Gottes über den Götzendienst hier schichte, dass das Volk wegen seines
erwähnt, weil es gerade erst geschehen Ungehorsams ‒ und weil es Gottes
und noch frisch im Gedächtnis war.) Warnungen nicht ernst genommen hat-
Gehorsam gegenüber dem Gesetz wür- te ‒ durch eine reinigende Gefangen-
de dazu führen, dass das Volk von den schaft gehen musste. Gottes Warnungen
Heiden als großartige Nation bewun- sind keine leeren Worte. Kein Mensch
dert werden würde (V. 5-8). Israel sollte und kein Volk kann sie ungestraft bei-
sich durch Ereignisse aus der Vergan- seitesetzen.
genheit daran erinnern, welcher Segen 4,41-43 Mose sonderte drei Zufluchts-
daraus folgt, dem Herrn nachzufolgen städte östlich des Jordans aus, nämlich
(V. 8). Die Israeliten sollten sich ins­ Bezer, Ramot-Gilead und Golan (V. 41-
besondere an die Verkündigung der 43).
Zehn Gebote am Berg Sinai (Horeb) er- 4,44-49 Hier beginnt Moses zweite
innern (V. 9-13). Rede, die in den Ebenen östlich des Jor-
Zu dieser Zeit sahen sie nicht die Ge- dans gehalten wurde. Vers 48 ist die
stalt Gottes, das heißt, obwohl sie Er- einzige Stelle, in der der Berg Hermon
scheinungen Gottes gesehen haben »Sion« genannt wird.3
mochten, sahen sie doch nicht eine leib-
liche Form, die man in einem Bild oder II. Moses zweite Rede ‒ Reinheit
Götzen darstellen konnte. Es war ihnen im Land (Kap. 5-28)
verboten, irgendein Bild zu machen,
das Gott darstellte. Auch war es ver­ A. Überblick über den Sinai-Bund
boten, die Sonne, den Mond oder die (Kap. 5)
Sterne anzubeten (V. 14-19). Die Israe- 5,1-6 Kapitel 5 berichtet über die Ver-
liten wurden an ihre Befreiung aus kündigung der Zehn Gebote am Berg
Ägypten erinnert, an den Ungehorsam Sinai (Horeb). In Vers 3 sollte man das
des Mose und das daraus folgende Ur- Wörtchen »nur« nach dem Wort »nicht«
teil sowie an Gottes Zorn über den Göt- einsetzen. Der Bund wurde mit den Vä-
zendienst (V. 20-24). »Hüte dich sehr …, tern geschlossen, aber er galt auch für
dass du nicht vergisst« (V. 9), »hütet künftige Generationen von Israeliten.
eure Seelen sehr, … dass ihr nicht zu eu- 5,7-21 Die Zehn Gebote:
rem Verderben handelt« (V. 15-16), »hü- 1. Keine anderen Götter durften ver-
tet euch …, dass ihr nicht vergesst« ehrt werden (V. 7).
(V. 23). Mose kannte die natürliche Ten- 2. Keine Bildnisse (oder geschnitzten
denz des menschlichen Herzens nur zu Bilder) durften gemacht oder angebetet
genau, und deshalb forderte er das Volk werden (V. 8-10). Dieses Gebot ist keine
ernstlich auf, ganz aufmerksam zu sein. Wiederholung des ersten. Menschen
4,25-40 Sollte sich das Volk später den könnten mythische Wesen anbeten oder
Götzen zuwenden, so würde es in die Sonne und Mond, ohne Götzenbilder
Gefangenschaft geführt werden (V. 25- zu benutzen. Kinder, die auf diese Wei-
28). Aber selbst dann würde Gott es se Gott hassen, werden dieselbe Strafe
wiederherstellen, wenn es Buße tat und erleiden wie ihre Väter (V. 9).
sich von ganzem Herzen dem Herrn 3. Der Name des Herrn durfte nicht

199
5. Mose 5 und 6

missbraucht (oder zu Nichtigem aus­ geben. Die Zehn Worte oder Zehn Ge-
gesprochen) werden (V. 11). bote sind anscheinend dem gesamten
4. Der Sabbat sollte heilig gehalten Volk wörtlich verkündigt worden, als
werden (V. 12-15). An dieser Stelle wird sie am Berg Sinai waren (V. 30-31).
ein anderer Grund für die Sabbatruhe In Vers 28 lobte der Herr sie nicht für
genannt als in 2. Mose 20,8-11 (Gottes ihr Versprechen, das Gesetz zu halten,
Ruhe bei der Schöpfung). Die Juden sondern dafür, dass sie ihrer Ehrfurcht
sollten sich daran erinnern, dass sie Ausdruck verliehen hatten (vgl. 18,16-
Sklaven in Ägypten gewesen waren. 18). Gott wusste, dass sie kein Herz hat-
Die beiden Begründungen ergänzen ten, um seine Gebote zu halten. Er
sich, sie widersprechen einander nicht. wünschte, dass sie es hätten, damit er
5. Eltern mussten geehrt werden (V. 16). sie im Überfluss segnen könnte (V. 28-
6. Mord war verboten (V. 17). 33).
7. Ehebruch war verboten (V. 18).
8. Diebstahl war verboten (V. 19). B. Warnung vor Ungehorsam (Kap. 6)
9. Es war verboten, gegen den Nächsten 6,1-9 Gott wollte, dass das Volk, wenn
ein falsches Zeugnis abzulegen (V. 20). es das Verheißene Land in Besitz neh-
10. Begehrlichkeit war verboten (V. 21). men würde, in der richtigen morali-
5,22 J.A. Thompson kommentiert die- schen Verfassung war. Um das Land so
sen Vers: genießen zu können, wie er es be­
absichtigt hatte, musste Israel ein ge-
Der Ausdruck und fügte nichts hinzu ist horsames Volk sein. Deshalb gab Mose
ungewöhnlich und könnte darauf hin- den Israeliten die praktischen Anwei-
weisen, dass diese Gebote eine solch voll- sungen, um sie für das Leben in Kanaan
ständige Zusammenfassung der funda- vorzubereiten (V. 1-2). Die Israeliten
mentalen Anforderungen des Bundes sollten ein Zeugnis von der Wahrheit
waren, dass kein anderes Gesetz mehr sein, dass Gott der einzige Gott ist (V. 3-
hinzugefügt werden musste. Alle ande- 4). Sie sollten ihn über alles lieben und
ren Gesetze waren eine bloße Interpreta- sein Wort halten (V. 5-6). Die Gebote
tion und Erweiterung dieser grundsätz­ des Herrn sollten den Kindern ein­
lichen Prinzipien. Eine alternative Aus­ geschärft werden und sie in allen Be­
legung wäre, dass der Ausdruck sich auf reichen ihres Lebens leiten.
eine spezielle Situation bezieht, als der Viele christliche Eltern verstehen die-
Herr genau diese Gebote gab. Andere Ge- sen Abschnitt auch als Auftrag, ihre ei-
bote müssen zu anderen Zeiten gegeben genen Kinder zu lehren, nicht nur in Be-
worden sein, weil der gesamte Umfang zug auf den Glauben, sondern auch in
des Gesetzes, das in Israel bekannt war anderen, sogenannten säkularen The-
und von Gott stammte, beträchtlich war.4 men, anstatt sie nur auf eine humanis-
tisch beeinflusste Schule zu schicken.
5,23-33 Als das Gesetz gegeben wurde, Zur Zeit Christi banden die Juden
erschrak das Volk vor den Erscheinun- wirklich Teile des Gesetzes an ihre Hän-
gen der göttlichen Gegenwart und de und hängten sie zwischen ihre Au-
fürchtete um sein Leben. Es bat Mose, gen (V. 8). Doch zweifellos wollte der
mit dem Herrn zu sprechen und ihm zu Herr lieber, dass ihre Taten (Hand) und
versichern, dass es tun würde, was im- ihre Wünsche (Augen) vom Gesetz be-
mer er sagte. (Die Israeliten erkannten stimmt würden.
ihre eigene Sündhaftigkeit und Macht- Die Verse 4-9 sind als »Schema« be-
losigkeit nicht, als sie dieses voreilige kannt (= hebr. »Höre«) und wurden von
Versprechen gaben.) Als Folge davon gläubigen Juden zusammen mit 11,13-
wurde der Rest des Gesetzes und der 21 und 4. Mose 15,37-41 täglich als
Ordnungen durch Mose als Mittler ge- Glaubensbekenntnis rezitiert.

200
5. Mose 6 und 7

Das hebräische Wort für »ein einiger« 6,17-25 Gehorsam würde Sieg über
(Elb) in Vers 4 ist bedeutsam, wenn man Israels Feinde bringen (V. 17-19). Künf-
es im Licht der volleren Offenbarung des tige Generationen sollten über Gottes
Neuen Testaments sieht. Es steht nicht Befreiung des Volkes aus Ägypten, über
für absolute Einheit, sondern für zusam- seine Gesetzgebung zu ihrem Guten
mengesetzte Einheit und steht damit im und zu ihrem Segen unterrichtet wer-
Einklang mit den beiden Namen Gottes, den (V. 20-25). Vgl. V. 25 mit Röm 3,21-
die in diesem Vers verwendet werden. 22. Das Gesetz sagt: »Wenn wir darauf
Jahwe (Herr) betont sein Einssein. Elo­ achten, alle diese Gebote zu tun.« Die
him (Gott) betont seine drei Personen. Gnade sagt: »Zu allen und auf alle, die
Dieselben geheimnisvollen Andeutun- glauben.« Heute werden Gläubige mit
gen der Dreiheit in der Einheit kommen der Gerechtigkeit bekleidet, auf der das
im ersten Vers der Bibel vor, wo das Wort Gesetz beruhte, der Gerechtigkeit Got-
»Elohim« (Plural) zusammen mit einem tes (2Kor 5,21), und zwar aufgrund des
Verb im Singular erscheint (»erschuf«). Glaubens, nicht aufgrund der Werke
Ähnlich in 1. Mose 1,26, wo die Plural- (Röm 4,5).
Pronomina uns und unser von Substan­
tiven im Singular, nämlich Bild und Ab- C. Anweisungen über den Umgang mit
bild begleitet werden (Daily Notes of the götzendienerischen Völkern (Kap. 7)
Scripture Union). 7,1-5 Das Volk Israel wurde streng davor
gewarnt, sich mit den Heiden zu ver­­­­­
6,10-15 Wenn das Volk das Land be­ mischen, den götzendienerischen Natio-
treten und dessen großen Reichtum ge- nen, die damals Kanaan bewohnten. Um
nießen würde, bestand die Gefahr, dass diese sieben Nationen ‒ die Hetiter, die
sie den Einen vergessen würden, der Girgasiter, die Amoriter, die Kanaaniter,
ihnen das Gesetz gab, oder dass sie an- die Perisiter, die Hewiter und die Jebusi-
deren Göttern nachlaufen würden. Ge- ter ‒ für ihre unaussprechlichen Sünden
horsam gegenüber dem Gesetz war zu bestrafen und Israel vor Verunreini-
nicht so sehr ein Mittel, um beim Herrn gung zu schützen, bestimmte Gott, dass
Wohlwollen zu erlangen, sondern um diese Heiden unbedingt völlig vernichtet
ihm Liebe zu erweisen. Biblische Liebe hat werden sollten. Vielleicht sieht Vers 3
nichts mit weicher Sentimentalität zu schon voraus, dass die Juden Vers 2 nicht
tun, sondern es geht darum, dem gehorchen würden, denn wenn alle Ein-
offenbarten Willen Gottes absichtlich wohner des Landes vernichtet worden
und ständig in seinem Handeln zu ent- wären, bestünde die Gefahr der Ver-
sprechen. Liebe ist keine Wahlmöglich- schwägerung natürlich nicht.
keit, sondern eine Notwendigkeit für 7,6-11 Gott hatte Israel erwählt, damit
das Wohlergehen. Gottes Eifersucht (Ei- es ein Volk wäre, das für ihn ausgeson-
fer für seine eigene Herrlichkeit) würde dert war. Er wollte nicht, dass es wie die
das Volk zerstören, wenn es seinen Bund anderen Nationen war. Er erwählte es
durch Ungehorsam brechen würde. nicht, weil es besonders zahlreich war
6,16 Der Herr Jesus zitiert diesen Vers (es war sogar die geringste unter den
in Mt 4,7 und Lk 4,12, um die Aufforde- Nationen). Er erwählte Israel einfach,
rung des Versuchers abzuwehren, sich weil er es liebte und er wollte, dass es
selbst von der Zinne des Tempels zu ihm in jeder Hinsicht gehorchte. »Tau-
werfen. In Massa gab es nicht genug send Generationen« bedeutet ewig. Der
Trinkwasser, und das Volk stellte in- Herr hasste die kanaanitischen Natio-
frage, ob Gott wirklich bei ihm war nen wegen ihrer bösen Taten. Er liebte
(2. Mose 17). Gottes Fürsorge und Güte das Volk Israel nicht wegen seiner gu-
anzuzweifeln bedeutet, ihn zu ver­ ten Taten, sondern einfach, weil er es
suchen. liebte und den Bund halten wollte, den

201
5. Mose 7 und 8

er seinen Vätern geschworen hatte. Wer das Volk Israel nicht in der Lage war, sich
kann die erwählende Gnade eines sou- selbst zu helfen, lehrte ihm diese Erfah-
veränen Gottes verstehen? rung die Lektion der Demut durch Got-
7,12-26 Wenn Gottes Volk ihm im tes Züchtigung in seiner Vorhersehung.
Land treu wäre, würde er es mit zahl- Die Erinnerung an diese Erfahrung sollte
reichen Kindern, überreichen Ernten, das Volk davon abhalten, auf seine Er-
großen Herden, Gesundheit und Sieg folge in einem Land stolz zu sein, das
über seine Feinde belohnen (V. 12-16). Sicherheit und Wohlstand bot (8,1-20).
Wenn die Israeliten je in die Versuchung Zweitens sollte der Erfolg, den sie bei der
geraten sollten, ihre Feinde zu fürchten, kommenden Eroberung haben würden,
sollten sie sich an Gottes mächtige Ret- von den Israeliten nicht als Zeichen gött-
tungstaten in der Vergangenheit er­ licher Anerkennung ihrer eigenen Ge-
innern, insbesondere an die Befreiung rechtigkeit gewertet werden (9,1-6). Is­
aus Ägypten (V. 17-19). Wie er es in der rael hatte sich schließlich sowohl bei dem
Vergangenheit getan hatte, würde er es Vorfall mit dem goldenen Kalb (9,7-21)
wieder tun, indem er ihren Feinden als auch bei einer Anzahl anderer Ereig-
Hornissen senden würde. »Hornissen« nisse (9,22-29) als widerspenstig und auf-
könnte auch eine übertragene Bedeu- sässig erwiesen.5
tung haben und für eine siegreiche Ar-
mee stehen (V. 20-24). Er würde nicht 8,1-6 Wieder ermahnt Mose das Volk,
alle ihre Feinde auf einmal vertreiben, Gott zu gehorchen, und gibt ihnen als
damit das Land nicht von wilden Tie- Motiv die liebevolle und erhaltende
ren bewohnt werden würde (V. 22). (In Fürsorge Gottes. Der Herr hatte erlaubt,
unbewohnten Gebieten können sich dass Versuchungen in das Leben der
wilde Tiere ungestört vermehren, wäh- Israeliten kamen, um sie zu demütigen,
rend in bewohnten Gebieten ihre Zahl sie zu erproben und ihren Gehorsam
begrenzt werden kann.) Ein anderer zu prüfen. Aber er hatte sie während
Grund dafür, dass der Sieg nicht sofort der vierzigjährigen Wüstenwanderung
kam, findet sich in Richter 2,21-23: Gott auch mit Manna vom Himmel gespeist
wollte die übrig gebliebenen Heiden- und ihnen Kleidung geschenkt, die
völker benutzen, um Israel zu prüfen. nicht verschliss, und Schuhe für ihre
Alle Götzenbilder sollten ganz zerstört Füße, damit diese nicht anschwollen.
werden, damit sie nicht zur Versuchung Gott wusste, was im Herzen des
für Israel würden (V. 25-26). Die Volkes vor sich ging. Er versuchte nicht,
schlimmste Gefahr für die Israeliten etwas zu erfahren, als er es in der Wüste
waren nicht die Völker Kanaans, son- erprobte (V. 2), sondern er wollte den
dern ihre Götzenbilder und die grobe Israeliten ihre eigene rebellische Natur
Unmoral, die mit ihnen verbunden war. verdeutlichen, damit sie seine Barmher-
Die Kämpfe, auf die sie sich am meisten zigkeit und Gnade besser zu schätzen
vorbereiten mussten, waren die geist­ wussten. Eine andere Lektion, die sie
lichen, nicht die äußerlichen. aus ihrer Wanderung lernen sollten,
war Ehrfurcht vor Gott.
D. Lehren aus der Vergangenheit 8,7-20 Mose argumentierte nicht nur
(8,1 - 11,7) auf der Basis dessen, was Gott schon
Aus den Kapiteln 8 und 9 hebt J.A. getan hatte, sondern führte auch an,
Thompson kurz und bündig hervor: was Gott zu tun im Begriff stand (V. 7).
Die Segnungen des guten Landes Kana-
Zwei wichtige Lektionen aus der Ver- an werden ausführlich beschrieben
gangenheit werden nun erwähnt. Ers- (V. 7-9). Reichtum könnte zu Vergess-
tens, die Erfahrung der Fürsorge Gottes lichkeit führen und Vergesslichkeit zu
in der Zeit der Wüstenwanderung: Als Ungehorsam, deshalb sollte das Volk

202
5. Mose 8 bis 10

vor diesen Gefahren auf der Hut sein de, dass man es nicht mehr wiederher-
(V. 10-20). Die Treue Gottes sollte von- stellen konnte (V. 21).
seiten des Volkes mit entsprechender 9,24-29 Am Berg Sinai war es nur das
Treue beantwortet werden. Gott war Eintreten des Mose, das das Volk vor
dabei, seinen Bund mit den Erzvätern dem Zorn des HERRN bewahrte. Er
zu erfüllen (V. 18), das Volk sollte im gründete seine Bitte nicht auf der Ge-
Gegenzug sein Wort Gott gegenüber rechtigkeit des Volkes (was wieder
halten (2. Mose 19,8). Wenn das Volk zeigt, dass es keine besaß), sondern auf
Gottes mächtige Taten für es vergessen Eigentum (»dein Volk und dein Erbteil«;
und seinen Reichtum seiner eigenen V. 26), auf Verheißung (»denke an deine
Macht zuschreiben würde, dann würde Knechte, Abraham, Isaak und Jakob«;
der Herr es wie die heidnischen Na­ V. 27) und auf Macht (Gottes Macht
tionen in Kanaan vernichten. würde von den Ägyptern verspottet
9,1-3 Kapitel 9 beginnt mit einer Be- werden: »damit das Land, aus dem du
schreibung der Nationen, denen Israel uns herausgeführt hast, nicht sagt: ›Weil
bald in der Schlacht gegenüberstehen der HERR nicht imstande war‹«; V. 28).
würde. Israel sollte sich nicht wie vier- In Vers 1 von Kapitel 10 geht die Er-
zig Jahre zuvor fürchten, weil Gott für zählung zurück zu den Ereignissen am
es streiten würde. »Er wird sie vernich- Berg Sinai. Die Bibel ist nicht immer
ten … Und du wirst sie vertreiben und chronologisch angeordnet, öfter hat die
sie schnell umkommen lassen« (V. 3). Reihenfolge eine geistliche oder morali-
Man beachte das sich ergänzende Wir- sche Ordnung, die wichtiger ist als die
ken von göttlicher Souveränität und streng chronologische Reihenfolge.
menschlichem Handeln. Beide waren Eine geeignetere Kapiteleinteilung6
zur Eroberung des Verheißenen Landes scheint nach Vers 11 zu liegen, weil die
unverzichtbar. ersten 11 Verse sich mit den Ereignissen
9,4-7 Nachdem Gott die kanaaniti- am Berg Sinai beschäftigen (das Thema,
schen Einwohner des Landes besiegt das in 10,8 wieder aufgegriffen wird),
hatte, sollten sich die Israeliten nicht während Vers 12 und die folgenden
brüsten. Dreimal wird das Volk davor Verse eine Ermahnung zum Gehorsam
gewarnt, ihren Erfolg ihrer eigenen Ge- aufgrund der barmherzigen Gnade
rechtigkeit zuzuschreiben (V. 4-6). Gott Gottes darstellen.
wollte ihnen das Land wegen der Gott- 10,1-5 Dieser Abschnitt berichtet von
losigkeit seiner jetzigen Bewohner ge- der zweiten Gesetzgebung und davon,
ben (V. 4), sowie wegen seines Eides an wie die Tafeln in die Bundeslade gelegt
Abraham, Isaak und Jakob (V. 5) – und wurden. Vers 3 bedeutet nicht, dass
nicht, weil sie in sich irgendeinen Ver- Mose persönlich die Bundeslade her­
dienst hatten. Die Wahrheit in dieser gestellt hatte, sondern dass er sie ma-
Angelegenheit lautet eher, dass sie so- chen ließ. In der Bibel wird von einer
wohl halsstarrig (störrisch) (V. 6) als Person oft ausgesagt, dass sie etwas ge-
auch provozierend und widerspenstig tan hätte, was sie nur angeordnet hat.
waren (V. 7). 10,6-9 Die Verse 6 und 7 scheinen an
9,8-23 Mose führt als Beispiel das Ver- diesem Punkt einen plötzlichen Wech-
halten des Volkes am Berg Horeb (Si­ sel anzudeuten. Aber in Wirklichkeit
nai) an (V. 8-21). Die Verse 22 und 23 sind sie ein Einschub, der Ereignisse be-
erwähnen andere Orte, an denen das richtet, die zu einem späteren Zeitpunkt
Volk gesündigt hatte: Tabera (4. Mose stattfanden. Sie führen den Leser bis
11,3), Massa (2. Mose 17,7), Kibrot-Hat- zum Tod Aarons. (Manche Überset-
taawa (4. Mose 11,34) und Kadesch- zungen setzen die Verse 6-9 in Klam-
Barnea (4. Mose 13,31-33). Man beachte, mern, was den Abschnitt verständlicher
dass das goldene Kalb so zerstört wur- macht.)

203
5. Mose 10 und 11

Moser war wahrscheinlich der Bezirk, ten aus Ägypten und führte sie durch
in dem der Berg Hor lag, weil dies der die Wüste, aber er konnte die Rebellion
Berg ist, auf dem Aaron starb (4. Mose von Datan und Abiram nicht dulden.
20,25-28). Die genaue Lage Mosers ist Gottes Gericht über die götzendieneri-
heute nicht mehr bekannt. Vielleicht schen Ägypter und sein energisches
führte diese Erwähnung des Todes Aa- Gericht über Rebellen innerhalb des
rons Mose dazu, an die Priesterschaft Volkes sollte als Lehre dienen, wie tö-
zu denken, und deshalb kam er auf die richt es ist, sein Missfallen auf sich zu
Erwählung Levis als priesterlicher ziehen.
Stamm zurück (V. 8-9). Die dreifache
Funktion der Priesterschaft wird in Vers E. Der Lohn des Gehorsams (11,8-32)
8 erwähnt: (1) die Lade des Bundes des 11,8-17 Umgekehrt bestand der Weg
HERRN zu tragen, (2) vor dem HERRN dazu, ihre Tage in dem Land zu verlän-
zu stehen, um seinen Dienst zu verrich- gern (V. 9), darin, das ganze Gebot Got-
ten, (3) in seinem Namen zu segnen. tes zu halten (V. 8). Das Land, das sie
Die Anweisungen über die Priester- genießen würden, wenn sie gehorsam
schaft waren wichtig für diese Genera- waren, wird in den Versen 10-12 be-
tion, die dabei war, nach Kanaan zu zie- schrieben. Der Ausdruck »das du mit
hen. deinem Fuß bewässert hast« könnte
10,10-11 Wieder erinnerte Mose die sich auf den Gebrauch eines pedal­
Israeliten an seinen zweiten Aufenthalt getriebenen Gerätes zum Befördern
auf dem Sinai, als er für sie vierzig Tage von Wasser oder auf die Öffnung der
und vierzig Nächte betete. Gott hörte, Siele mit den Füßen beziehen. Ägypten
hielt das Gericht auf und befahl ihnen, war ein Wüstengebiet, das nur durch
in das Land hineinzuziehen und es in Bewässerung fruchtbar gemacht wur-
Besitz zu nehmen. de, aber das Verheißene Land besaß die
10,12-22 Was der HERR von seinem besondere Gunst des Gottes, der die
Volk erwartete, wurde in den Worten zu- Natur regiert (V. 11-12). Regen im Über-
sammengefasst: »fürchten … gehen … fluss und reichliche Ernten sollten der
lieben … dienen … halten« (V. 12-13). Lohn des Gehorsams sein (V. 13-15),
Alle Gebote Gottes waren zum Besten wenn sie aber Gott vergaßen oder Göt-
für das Volk gegeben worden (V. 13b). zendienst betrieben, würde Dürre und
Mose ermutigte es, Gott zu gehorchen Unfruchtbarkeit die Folge sein.
wegen seiner Größe (V. 14), wegen seiner 11,18-21 Das Wort Gottes sollte The-
souveränen Erwählung Israels als sein ma der häuslichen Gespräche sein. Es
besonderes Volk (V. 15), wegen seiner sollte geliebt und gelebt werden. Der
großen Gerechtigkeit (V. 17-20) und we- Lohn für das Tun des Wortes war, dass
gen seiner vergangenen Gnadenbezei- ihre Tage in dem Land zahlreich und
gungen dem Volk gegenüber (V. 21-22). »wie die Tage des Himmels über der
Ein beschnittenes Herz (V. 16) ist ein Erde« (V. 21) werden würden.
Herz, das gehorcht.
11,1-7 Noch einmal betrachtet Mose Die späteren Juden nahmen Vers 18b
die Geschichte Israels, um daraus geist- wörtlich und trugen deshalb kleine Be-
liche Lehren zu ziehen. In Vers 2 spricht hälter mit Teilen der Schrift auf ihrer
Mose zu den Überlebenden der älteren Stirn und befestigten sie an ihren Tür­
Generation, die man von denen unter- pfosten (was noch heute einige tun). Aber
scheiden muss, die in der Wüste gebo- Vers 19a legt die Wahrheit nahe, die hier
ren worden waren. Die Kriegsleute, die beabsichtigt ist ‒ das Wort auf der Hand
über 20 Jahre alt waren, als sie Ägypten bedeutet ein Paar Hände, die sich nicht
verließen, durften nicht nach Kanaan für schlampige oder minderwertige
(2,14; Jos 5,6). Gott befreite die Israeli- Handwerksarbeit missbrauchen lassen;

204
5. Mose 11 und 12

das Wort zwischen unseren Augen stellt Die Terebinthen More sind wahr-
die Kontrolle Gottes über unser Sehen scheinlich die, welche in 1. Mose 35,1-4
dar ‒ wohin wir sehen und was wir be- erwähnt werden. Dort hatte Jakob viele
gehren. Das Wort auf dem Türpfosten be- Jahrhunderte zuvor sein Haus von Göt-
deutet ein Heim und ein Familien­leben zen gereinigt. Vielleicht wurde dieser
unter der Zucht der Verantwortung vor Hinweis gegeben, um nicht nur geogra-
Gott, insbesondere für jedes junge Leben, fisch, sondern auch geistlich den Weg
das unserer Fürsorge anvertraut ist zu weisen.
(Daily Notes of the Scripture Union).
F. Anweisungen für den Gottesdienst
11,22-25 Diejenigen, die in den Wegen (Kap. 12)
des HERRN wandelten, sollten die 12,1-3 Wenn das Volk Gottes in das
heidnischen Kanaaniter vertreiben. Die Land kommen würde, so sollte es alle
Regel für die Einnahme des Landes Götzenbilder und Götzenschreine zer-
wird in Vers 24 aufgestellt. Das gesamte stören, alle Orte, an denen ein falscher
Land gehörte ihnen durch Verheißung, Gottesdienst stattgefunden hatte. Die
aber sie mussten hineingehen und es hölzernen Bilder (hebr. aschērîm) waren
sich aneignen, genauso, wie wir die Symbole einer weiblichen Gottheit. Die
Verheißungen Gottes in Anspruch neh- »Gedenksteine« waren Symbole Baals,
men müssen. Die Grenzen, die in Vers einer männlichen Gottheit.
24 genannt werden, sind in der Ge- 12,4-14 Gott würde einen Ort der An-
schichte nie durch Israel ausgefüllt wor- betung auswählen, einen Ort, zu dem
den. Es stimmt, dass Salomos Reich sich die Opfer und Gaben gebracht werden
vom Strom (Euphrat) bis zur Grenze sollten. Dieser Ort war da, wo die Stifts-
Ägyptens erstreckte. Doch besaßen die hütte zuerst aufgestellt wurde (Silo ‒ Jos
Israeliten dieses Gebiet nicht wirklich. 18,1), und später da, wo der Tempel er-
Es gehörten Länder dazu, die Salomo richtet wurde (Jerusalem). Nur an die-
Tribut zahlten, aber ihre eigene Regie- sem bestimmten Ort war der Gottes-
rung behielten. Vers 24 wird zusammen dienst anerkannt. Das Zentrum des
mit vielen anderen seine Erfüllung christlichen Gottesdienstes ist eine Per-
während des Tausendjährigen Reiches son, nämlich der Herr Jesus Christus,
des Herrn Jesus Christus finden. die sichtbare Erscheinung der unsicht-
11,26-32 So gab es für Israel Segen oder baren Gottheit. Gott hatte bestimmte
Fluch ‒ Segen, wenn sie gehorsam wa- Unregelmäßigkeiten in der Wüste über-
ren, und Fluch für Ungehorsam. Zwei sehen, die im Land Kanaan nicht mehr
Berge in Kanaan stellen diese Wahrheit praktiziert werden durften (V. 8-9).
dar ‒ der Berg Garizim stand für den Se- 12,15-28 In 3. Mose 17,3-4 hatte Gott
gen, und der Berg Ebal für den Fluch. geboten, dass jedes Opfertier wie Rind,
Zwischen diesen beiden Bergen, die in Schaf oder Ziege, wenn es geschlachtet
der Nähe von Sichem liegen, lag ein klei- wurde, zur Stiftshütte gebracht werden
nes Tal. Die Hälfte der Stämme sollte auf musste. Jetzt, da sich das Volk in Kanaan
dem Berg Garizim stehen, während die ansiedeln würde, musste das Gesetz ge-
Priester die Segnungen aussprachen, die ändert werden. Von jetzt an durften die
dem Gehorsam folgen sollten. Die ande- Juden Haustiere, die auch Opfertiere
ren sechs Stämme sollten auf dem Berg waren, schlachten und essen, genauso,
Ebal stehen, während die Priester die wie sie Gazellen oder Hirsche (reine Tie-
Flüche aussprachen, die dem Ungehor- re, die nicht als Opfer benutzt wurden)
sam folgen würden. Beide Male sollte essen durften. Diese Erlaubnis wurde
das Volk »Amen« sagen. Vgl. 5. Mose sowohl den zeremoniell Unreinen als
27,11-26, wo Einzelheiten zur Bedeutung auch den Reinen erteilt. Doch wurden
dieser beiden Berge stehen. sie wiederholt gewarnt, nicht das Blut

205
5. Mose 12 bis 14

zu essen, da das Blut das Leben des Flei- ner ihrer Stadt von Gott weg verleitet,
sches ist und das Leben Gott gehört. sollte getötet werden, zusammen mit
12,29-32 Die Israeliten werden ernst- den Einwohnern der Stadt, und die
haft gewarnt, die götzendienerischen Stadt sollte verbrannt werden.
Praktiken der Heiden noch nicht einmal Eine götzendienerische israelitische
zu erforschen, damit sie nicht in Ver­ Stadt sollte dieselbe Behandlung erfah-
suchung gerieten, solche verwerflichen ren wie die kanaanitischen Städte ‒
Praktiken in den Gottesdienst des wah- nämlich totale Zerstörung. Gott ist un-
ren Gottes einzuführen. Vers 31 bezieht parteiisch. Er wird Sünde streng betra-
sich auf die schrecklichen Praktiken, die fen, auch in seinem auserwählten Volk.
mit dem Dienst für Moloch und Ke- Aber seine Motive sind andere. Im Fall
mosch verbunden waren. Im NT sagt einer jüdischen Stadt handelte es sich
uns Paulus ausdrücklich, dass die be- um väterliche Erziehung, die die Zu-
wegende Kraft hinter dem Götzendienst rechtbringung des gesamten Volkes im
dämonisch ist (1Kor 10,20). Sollten wir Auge hatte.
über die Grausamkeit und den Schaden
des Götzendienstes erstaunt sein, wenn H. Reine und unreine Speisen (14,1-21)
wir um seine wahre Natur wissen? Dass 14,1-2 Diese beiden Verse verbieten die
das menschliche Herz sich bereitwil- götzendienerische Praxis, sich aus Trau-
liger zu dieser Art von Finsternis hin­ er für die Toten den Leib zu verstüm-
gezogen fühlt als zum Licht des wahren meln. Die Juden achteten den Leib als
Gottes, zeigt sich an dem Volk, das in Gottes Schöpfung höher als die Hei-
5. Mose angesprochen wird. Salomo, Is- den.
raels dritter König, hat sogar unmittel- 14,3-21a Dieser Abschnitt wiederholt
bar bei Jerusalem dem Kemosch und das Thema der reinen und unreinen
dem Moloch einen Altar gebaut, im Ge- Speisen, ob es sich um Tiere (V. 4-8), um
biet der Stadt, auf die der Herr seinen Fische (V. 9-10), um fliegende Insekten
Namen gelegt hat (1Kö 11,7). (V. 19) oder um Vögel (V. 11-18.20) han-
delte. (Ausnahmen von V. 19 stehen in
G. Strafen für falsche Propheten und 3. Mose 11,21-22.) Eine ähnliche Liste
Götzendiener (Kap. 13) finden wir in 3. Mose 11. Die beiden Lis­
Einzelne oder Gruppen, die Gottes Volk ten sind nicht in jedem Detail identisch
dazu verleiten wollten, Götzendienst und wollen es auch gar nicht sein. Eini-
zu praktizieren, sollten gesteinigt wer- ge Tiere waren aus hygienischen Grün-
den ‒ ob es sich um einen Propheten den unrein, und andere, weil sie in göt-
handelte (V. 1-5), einen nahen Ver- zendienerischen Riten verwendet oder
wandten (V. 6-11) oder eine Gemein- von den Heiden angebetet wurden.
schaft (V. 12-18). Einem Propheten, der Die Anweisungen des NT über Spei-
die Menschen zum Götzendienst auf- sen finden sich in Mk 7,15; Röm 14,14
forderte, durfte man nicht folgen, selbst und 1Tim 4,3b-5. Heiden durften das
wenn einige Wunder, die er angekündi- Fleisch eines Tieres essen, das von selbst
gt hatte, stattfanden. So jemand war ein starb, Juden nicht (V. 21a). Dies zu tun,
falscher Prophet, und er musste getötet hätte 5. Mose 12,23 verletzt, weil das
werden. Selbst wenn ein naher Ver- Blut aus dem Tier nicht auf vorgeschrie-
wandter seine Familie zum Götzen- bene Weise aus dem Tier entfernt wor-
dienst verführte, sollte er erschlagen den war.
werden. 14,21b Ein Böckchen durfte nicht im
Die »ruchlosen Leute« in Vers 14 wa- selben Gefäß mit Milch von seiner Mut-
ren niederträchtige Typen oder »Söhne ter gekocht werden (V. 21b). (Dies
der Wertlosigkeit« (wörtl. »Söhne Beli- scheint ein kanaanitischer Brauch ge-
als«). Jede solche Bande, die die Bewoh- wesen zu sein; er wird im Pentateuch

206
5. Mose 14 und 15

dreimal verboten.) Von einem natur- entweder mit dem Zehnten oder mit
wissenschaftlichen Standpunkt aus be- dem entsprechenden Geld zum Heilig-
wahrte diese Regel das Volk vor Vergif- tum hinaufziehen.
tungen, die so häufig vorkommen, 14,28-29 Im dritten Jahr nutzte er den
wenn Fleischspeisen mit Sahnesaucen Zehnten, um den Leviten, den Frem-
verderben. Zusätzlich gibt es Hinweise den, die Waise und die Witwe davon zu
darauf, dass das Kalzium entwertet speisen. Wieder sehen wir, dass die
wird, wenn beide zusammen gegessen Armen und Bedürftigen für den Herrn
werden. Aus dieser Beschränkung ent- hohe Priorität haben. »Wer über den
wickelten sich die rabbinischen Regeln Geringen sich erbarmt, leiht dem Herrn,
von zweierlei Geschirr für Fleisch- und und seine Wohltat wird er ihm ver­
Milchprodukte. gelten« (Spr 19,17).
I. Der Zehnte (14,22-29) J. Umgang mit Schuldnern und
14,22-27 Die Verse 22-29 beschäftigen Sklaven (Kap. 15)
sich mit dem Thema des Zehnten. Eini- 15,1-3 Am Ende von sieben Jahren soll-
ge Kommentatoren sind der Ansicht, ten alle Schulden der Kinder Israel er-
dass es sich hier nicht um den ersten lassen werden. Das siebte Jahr war wohl
Zehnten handelt (3. Mose 27,30-33), der identisch mit dem Sabbatjahr. Die Ju-
Gott allein gehörte, an die Leviten ge­ den brauchten keine Schulden zu er­
geben werden musste und nicht von lassen, die Fremde bei ihnen gemacht
den Israeliten gegessen werden durfte. hatten; dieses Gesetz betraf nur Schul-
Stattdessen könnte es sich um einen den, die unter Juden gemacht wurden.
zweiten Zehnten handeln, der auch der Matthew Henry kommentiert:
Fest-Zehnte genannt wurde, von dem
der Opfernde selbst einen Teil essen Jedes siebte Jahr war ein Jahr der Freilas-
durfte. Allgemein gesagt musste dieser sung, in dem der Boden von der Bearbei-
zweite Zehnte an die Stätte gebracht tung ausruhte und die Diener aus ihrem
werden, die Gott zum Zentrum des Dienst entlassen wurden. Unter anderen
Gottesdienstes bestimmt hatte. Doch Gnadenerweisungen gab es die, dass die-
wenn der Opfernde so weit von dem jenigen, die Geld geliehen hatten und es
Platz entfernt wohnte, an dem Gott sei- bis dahin nicht zurückzahlen konnten, in
nen Namen wohnen ließ, dass er nicht diesem Jahr von der Schuld befreit wur-
in der Lage war, den Zehnten dorthin den. Und wenn sie auch danach in ihrem
zu bringen, dann durfte er die Dinge Gewissen gebunden waren, es zurückzu-
für Geld eintauschen, das Geld zu zahlen, wenn es ihnen möglich war, so
Gottes Heiligtum bringen und dort sollte doch der Schuldner von diesem
Essen und Trinken kaufen, das er dann Zeitpunkt an sein Geld nicht mehr per
vor dem Herrn genießen konnte. Gesetz zurückfordern.7
Man beachte in Vers 26, dass die Bibel
keine völlige Alkohol-Abstinenz ver- Sieben ist die Zahl der Vollendung oder
langt. Doch sie lehrt Mäßigung, Selbst- Fülle in der Schrift. In der Fülle der Zeit
disziplin und Abstinenz von allem, was sandte Gott seinen Sohn und verkün-
jemand anderem zum Anstoß werden digte durch ihn Erlass der Sünden ‒ ein
könnte. Außerdem lehrt sie, dass wir »Jahr der Freilassung« (Hes 46,17) nicht
keine Süchte haben sollten. Der Unter- nur für die Juden (V. 3), sondern für alle
schied zwischen Wein und Rauschtrank Menschen.
(starkem Getränk) ist, dass Wein aus 15,4-6 Nach einigen Übersetzungen
Trauben hergestellt wird und Rausch- scheinen sich Vers 4 und Vers 11 zu wi-
trank aus Korn, Früchten oder Honig. dersprechen. In Vers 4 erfahren wir von
Zwei Jahre lang sollte der Opfernde einer Zeit, in der es keine Armen im

207
5. Mose 15 und 16

Lande geben wird, während Vers 11 und sich entscheiden, aus Liebe ein
sagt, dass es immer Arme geben wird. »ewiger Sklave« zu sein. Als Zeichen
Bullingers Anmerkung dazu ist hilf- ließ er sich sein Ohr mit einem Pfriem
reich. Er meint, dass Vers 4 bedeutet: an die Tür seines Herrn nageln. Ein ei-
»damit es keine Armen bei dir gibt«.8 gener Sklave war doppelt so viel wert
Mit anderen Worten: Sie sollten ihren wie ein Lohnsklave.
Brüdern alle sieben Jahre die Schulden 15,19-23 Von Vers 19 an bis 5. Mose
erlassen, damit es keine Menschen in 16,17 haben wir Anordnungen über be-
ständiger Armut gab. Der Kreditgeber stimmte Aufgaben und Feste, die an
würde nicht darunter leiden, weil Gott dem Ort durchgeführt werden sollten,
ihn reichlich segnen würde. Der Ge- wo der Herr seinen Namen wohnen las-
danke in Vers 11 ist, dass es immer sen wollte:
Arme geben wird, zum Teil als Strafe 1. Die Aussonderung der erstgebore-
und zum Teil, um die Menschen durch nen Tiere (15,19-23)
Teilen Mitleid zu lehren. 2. Das Passah und das Fest der unge-
15,7-11 Die Tatsache, dass im siebten säuerten Brote (16,1-8)
Jahr alle Schulden getilgt wurden, sollte 3. Das Wochenfest oder Pfingsten
die Menschen nicht dazu führen, einem (16,9-12)
armen Israeliten kein Geld zu leihen, 4. Das Laubhüttenfest (16,13-17)
wenn das Erlassjahr näher kam. Diese Die erstgeborenen der reinen Tiere
Weigerung ist der niederträchtige oder sollten dem Herrn dargebracht werden,
boshafte Gedanke in Vers 9. In dieser und das Volk durfte seinen Teil essen,
Hinsicht sind die Juden durch die ganze nur nicht das Blut. Die Tiere mussten
Geschichte hindurch dafür bekannt ge- ohne Makel oder Fehler sein ‒ nichts als
wesen, dass sie für die Ihren immer gut das Beste sollte Gott geopfert werden.
gesorgt haben. Paulus sagt dasselbe in
2Kor 9,7, was Mose in Vers 10 sagt: »Ei- K. Die drei festgesetzten Feste (Kap. 16)
nen fröhlichen Geber liebt Gott.« Dieser 16,1-8 Kapitel 16 betrachtet noch einmal
Vers ist nicht nur ein Gebot, sondern die drei Feste, wegen derer die Männer
eine Verheißung, denn Gott bleibt kei- in Israel jedes Jahr zum zentralen Hei-
nem Menschen etwas schuldig. »Wer ligtum reisen sollten. Moody schreibt
gern wohltut, wird reichlich gesättigt, über ihren Zweck:
und wer andere tränkt, wird auch selbst
getränkt« (Spr 11,25). Die Feste waren (im Allgemeinen) zu fol-
15,12-15 Auch ein hebräischer Sklave gendem Zweck und Nutzen gegeben:
sollte im siebten Jahr freigelassen wer- 1. Um das Volk Gottes von anderen Na­
den (V. 12-18). Aber er sollte nicht weg- tionen zu unterscheiden.
geschickt werden, ohne dass man ihn 2. Um die Erinnerung an Gnadenbeweise
reichlich versorgte. Gott versorgte sein aufrechtzuerhalten, die man schon er­
Volk reichlich, als er es aus der Sklaverei halten hatte.
in Ägypten herausführte (2. Mose 12,35- 3. Um ein Vorbild und Sinnbild der Wohl-
36), und aus diesem Grund sollte ein taten zu sein, die später durch Christus
befreiter Sklave »nicht mit leeren Hän- auf sie übertragen werden sollen.
den entlassen« werden. Der Wunsch 4. Um Gottes Volk im heiligen Gottes-
des Herrn für sein Volk ist es, dass sie dienst zu vereinen.
seinem Beispiel folgen, oder, um die 5. Um die Reinheit in dem heiligen Got-
Goldene Regel umzuformulieren: »Tu tesdienst zu bewahren, der von Gott vor-
deinem Bruder, wie der Herr an dir ge- geschrieben war.9
tan hat.«
15,16-18 Andererseits konnte der Skla- Das Passah und das Fest der ungesäuer­
ve sich weigern, freigelassen zu werden, ten Brote gehörten eng zusammen. Das

208
5. Mose 16 und 17

Passah wird in den Versen 1-2 und 5-7 1. durch die Passion am Kreuz: Leiden
beschrieben, das Fest der un­gesäuerten 2. durch das Kommen des Heiligen
Brote in den Versen 3-4 und 8. Die­se Geistes: Gnade
Feste sollten Gottes Volk an sein Er­ 3. durch den endgültigen Sieg des kom-
lösungswerk um ihretwillen erinnern. menden Königs: Herrlichkeit.10
Das Herrenmahl ist für den neutesta- 16,18-20 Richter mussten ehrlich, ge-
mentlichen Gläubigen ein wöchent- recht und unparteiisch sein. Sie sollten
liches Erinnerungsfest, ein Gedächtnis keine Bestechungsgeschenke anneh-
an Christus, unser Passah­lamm, das für men, weil eine Bestechung es unmög-
uns geopfert wurde. Das Fest der unge- lich macht, angemessen zu richten.
säuerten Brote ist ein Bild für das Leben, 16,21-22 Der »Holzpfahl« (Luther
das die Erlösten führen sollen ‒ voller 1984, hebr. ascherah) war ein Bild aus ei-
Lob »nach dem Segen des Herrn, deines nem Baumstamm und stand für eine
Gottes, den er dir ge­geben hat« (V. 17) heidnische Göttin. Eines Tages sollte
und frei von Bosheit und Schlechtigkeit der Altar des Herrn im Tempel in Jeru-
(1Kor 5,8). salem bleiben, wo nicht so einfach Bäu-
Die Einzelheiten, die hier über das me gepflanzt werden konnten, aber wo
Passah berichtet werden, unterscheiden man götzendienerische Symbole auf-
sich in verschiedenen Punkten von den richten konnte, was später auch geschah
Einzelheiten in 2. Mose 12 und 13. Z.B. (2Kö 23,6).
tauchen Unterschiede darüber auf, was
geopfert wird und wo es geopfert L. Richter und Könige (Kap. 17)
wird. 17,1 Opfertiere sollten ohne Makel sein.
16,9-12 Das Wochenfest (Pfingsten) Sie waren ein Symbol für das sünd- und
begann mit den Erstlingsfrüchten der fleckenlose Lamm Gottes.
Weizenernte und ist ein Symbol für die 17,2-7 Jemand, der unter dem Ver-
Gabe des Heiligen Geistes. Es darf nicht dacht des Götzendienstes stand, sollte
mit dem Fest der Erstlingsfrucht (Gers- vor Gericht erscheinen. Das Zeugnis
te) verwechselt werden, das am zweiten von zwei oder drei Zeugen war erfor-
Tag des Festes der ungesäuerten Brote derlich. Wenn jemand überführt wurde,
gefeiert wurde. Die freiwilligen Opfer so sollte er zu Tode gesteinigt werden.
sollten wie in 2. Korinther 8 und 9 dem 17,8-13 Wenn sich rechtliche Proble-
Segen des Herrn auf der Arbeit des Ein- me ergaben, die für die Ältesten der
zelnen entsprechen, in diesem Falle sei- Stadt zu schwierig waren, sollten sie
ner Ernte. vor einen Richter gebracht werden.
16,13-15 Das Laubhüttenfest stand Wenn man 17,9 mit 17,12 und 19,17 ver-
am Ende der Erntesaison und schaut gleicht, dann scheint es so gewesen zu
voraus auf die Zeit, in der Israel unter sein, dass es eine Gruppe von Priestern
der Herrschaft Christi wieder im Land und eine Gruppe von Richtern gab, die
versammelt sein wird. diese schwierigen Fälle anhörten. Der
16,16-17 Dreimal im Jahr sollten alle Hohepriester und der höchste Richter
israelitischen Männer vor dem Herrn waren die jeweiligen Leiter, was durch
erscheinen, und zwar jeder mit Gaben den Gebrauch des bestimmten Artikels
nach seinem Vermögen. Moody weist in Vers 12 nahe gelegt wird. Dieses Tri-
auf die geistliche Bedeutung der drei bunal traf sich an dem Ort, an dem Got-
Feste hin, die besucht werden sollten: tes Heiligtum war. Die Entscheidung
des Tribunals war endgültig, es handel-
Passah, Pfingsten und Laubhüttenfest te sich um das höchste Gericht Israels.
sind Abbilder für eine vollständige Er­ Wenn der Angeklagte sich weigerte, auf
lösung: den Priester oder den Richter zu hören,
dann sollte er sterben (V. 12-13).

209
5. Mose 17 und 18

17,14-20 Gott sah das Verlangen des linge von Getreide, Wein, Öl und Wolle.
Volkes nach einem König vierhundert Die Verse 6-8 beschreiben einen Leviten,
Jahre später voraus und setzt hier die der sein Haus verkauft und an den Ort
Qualifikationen für solch einen Herr- zieht, wo Gott seinen Namen wohnen
scher wie folgt fest: (1) Er musste der ließ, um ihm zu dienen. Er durfte mit
von Gott ausgewählte Mann sein (V. 15). den anderen Leviten an den Opfern teil-
(2) Er musste ein Israelit sein – »aus der haben, und zwar über das hinaus, was
Mitte deiner Brüder« (V. 15). (3) Er durf- er »vom verkauften Gut seiner Väter«
te »sich nicht viele Pferde anschaffen« – hat (LU 1984). (Leviten konnten Grund-
das heißt, er durfte sich nicht von sol- eigentum besitzen, auch wenn sie als
chen natürlichen Mitteln zum Sieg über Stamm kein Gebiet als Erbe erhielten.)
seine Feinde abhängig machen (V. 16). 18,9-14 Den Israeliten war es ver­
Er musste auf den Herrn vertrauen. boten, irgendeinen Kontakt mit Men-
(4) Er durfte nicht dafür sorgen, dass das schen zu haben, die von sich behaup-
Volk nach Ägypten zurückkehrte, mit ten, mit der unsichtbaren Welt Verbin-
dem Hintergedanken, dass die Pferde, dung zu haben. Acht verschiedene
die er dort bekommen würde, ihn retten Wege der Kommunikation mit der
würden (V. 16). (5) Er durfte »sich nicht Geis­terwelt werden genannt. Sie wer-
viele Frauen anschaffen«. Das war nicht den von Gott als »Gräuel« bezeichnet.
nur ein Verbot der Vielehe und eine Dazu gehören: Wahrsager (Seher, fal­
Warnung vor der Gefahr, dass Frauen scher Prophet), Zauberer (oder Hexe /
ihn zum Götzendienst verführen Hexer), Zeichendeuter (Schlachter2000)
könnten, sondern auch ein Verbot von (z.B. Handleser, Astrologe u.Ä.), Be-
Ehen, die nur um politischer Allianzen schwörer (jemand, der Flüche abweh-
willen geschlossen wurden (V. 17). (6) Er ren oder aussprechen bzw. Geister be-
durfte sich auch nicht übermäßig Silber einflussen kann), Magier (Heiler, Scha-
und Gold anschaffen, weil diese ihn von mane), Totenbeschwörer (Medium),
seiner Abhängigkeit vom Herrn weg­ Hellseher (Schlachter 2000) (Leiter ei-
locken könnten (V. 17). (7) Er musste das ner Séance) und jemand, der die Toten
Gesetz des Herrn abschreiben, lesen und befragt (Nekromant). Einige dieser eso-
ihm gehorchen, damit er nicht stolz und terischen »Berufe« überschneiden sich.
eigensinnig wurde (V. 18-20). Indem er Tragischerweise brauchen wir dieses
ständig Zeit mit dem Gesetz verbrachte, 3400 Jahre alte Verbot in unserer »er-
sollte der König zum Vorbild für das leuchteten« modernen Welt genauso wie
Volk werden. (8) Er durfte sich nicht vor in alter Zeit. Henry G. Bosch schreibt:
Stolz erheben (V. 20).
Salomo, der Israel in seinem goldenen Satanismus, Dämonen und das Okkulte
Zeitalter regierte, verstieß gegen fast sind finstere, unheimliche Realitäten,
jede dieser Verfügungen ‒ zu seinem keine Tricks. Eines der Zeichen, dass wir
eigenen Verderben und zum Ruin sei- uns dem Ende dieses Zeitalters nähern,
nes Reiches (1Kö 10,14 - 11,10). ist das weitverbreitete Interesse an Hexe-
rei, Astrologie und anderen Formen des
M. Priester, Leviten und Propheten Okkulten. … Tausende konsultieren täg-
(Kap. 18) lich ihr Horoskop, gehen zu spiritis­
18,1-8 Und wieder sehen wir Gottes Für- tischen Sitzungen oder versuchen Kon-
sorge für die Priester und Leviten. Weil takt mit den Geistern der Verstorbenen
sie von dem Land kein Erbteil für ihren zu bekommen. Auch gibt es ein weitver-
Stamm bekamen, sollten sie vom Volk breitetes Interesse am Satanismus und an
unterhalten werden. Ihr Anteil an den Dämonen. Die Bibel warnt wiederholt
Opfern war die Vorderkeule, die Kinn- vor solchen Praktiken (3. Mose 19,31;
backen und der Magen, dazu die Erst- 20,27; 2Chr 33,6; Jer 10,2; Gal 5,19-20).

210
5. Mose 18 und 19

Wie dringlich und aktuell die Warnun- N. Strafgesetze (Kap. 19)


gen der Schrift doch sind! Wir sollten
nicht mit Dingen spielen, die zum Todes- 19,1-10 Drei Zufluchtsstädte waren schon
kuss werden könnten.11 östlich des Jordans eingerichtet worden.
Hier erinnert Mose das Volk daran, auf
»Untadelig sein« (V. 13; Anmerkung der anderen Seite ebenfalls drei Städte
rev. Elberfelder) in Bezug auf diese ver- einzurichten, so günstig gelegen, dass
botenen Arten der Kommunikation ein Totschläger dorthin vor dem Blut-
heißt, nur auf Gottes Stimme zu hören. rächer fliehen konnte (V. 1-7). Zu den
18,15-19 Im scharfen Kontrast zu den schon früher gegebenen Anweisungen
Übeln der okkulten Führer gibt V. 15 eine zum Thema wird hier hinzugefügt, dass
wunderschöne Prophezeiung über Chris­ das Volk darüber hinaus noch drei Zu-
tus, den wahren Propheten Gottes (Apg fluchtsstädte einrichten sollte, wenn das
3,22-23). Man beachte die Beschreibung Volk je das ganze Gebiet besitzen sollte,
in den Versen 15, 18 und 19: (1) ein Pro- das ihm ursprünglich verheißen war
phet ‒ d.h. jemand, der Gottes Wort aus- (V. 8-10). Diese drei zusätzlichen Städte
spricht; (2) »aus deiner Mitte« – d.h. wah- werden nicht mehr erwähnt, weil Israel
rer Mensch; (3) »aus deinen Brüdern« – nie alles Land besaß, das ihm in 1. Mose
d.h. ein Israelit; (4) »wie mich« – d.h. wie 15,18 verheißen worden war. Die drei
Mose, indem er von Gott »erweckt« wur- Städte westlich des Jordans waren Ke-
de; (5) »ich will meine Worte in seinen desch, Hebron und Sichem (Jos 20,7).
Mund legen« – volle Inspiration; (6) »er 19,11-13 Eine Zufluchtsstadt bot kei-
wird zu ihnen alles reden, was ich ihm ne Sicherheit für einen Mörder. Selbst
befehlen werde« – volle Offenbarung; wenn er in eine dieser Städte floh, soll-
(7) alle sind verantwortlich dafür, auf ihn ten die Ältesten die Beweise abwägen
zu hören und ihm zu gehorchen. und ihn dem Bluträcher übergeben,
Dieser Abschnitt lehrt auch, dass die- wenn er für schuldig befunden wurde.
ser Prophet als Mittler zwischen Gott 19,14 Eine Grenzmarkierung war ein
und Mensch dienen würde. Das Volk Stein, der auf einem Feld aufgestellt
war am Berg Sinai so erschrocken, dass wurde, um die Grenze des Eigentums
es darum bat, dass Gott nicht mehr di- anzuzeigen. Dieser konnte nachts heim-
rekt mit ihm reden solle und dass es das lich versetzt werden, um den eigenen
Feuer nicht mehr sehen müsse, um Hof zu vergrößern. Gleichzeitig betrog
nicht zu sterben. Als Antwort auf diese man seinen Nachbarn. Warum dieser
Bitte verhieß Gott Christus als den Mitt- eine Vers mitten in einem Abschnitt
ler. Dass dieser Abschnitt eine messia- steht, in dem es um juristische Praxis
nische Hoffnung für die Juden enthielt, geht ‒ d.h. um Zufluchtsstädte und um
kann man deutlich in den Evangelien falsche und rechte Zeugen, ist schwer
sehen (Joh 6,14; 7,40). zu sagen, aber seine Stellung ver­
18,20-22 Falsche Propheten konnten schleiert nicht seine Bedeutung.
auf verschiedene Weise enttarnt wer- 19,15-21 Ein einzelner Zeuge reichte
den. Wir haben schon weiter oben ge- in einer Gerichtsverhandlung nicht aus.
lernt, dass sie falsche Propheten waren, Es mussten zwei oder drei Zeugen sein.
wenn sie versuchten, das Volk von der Über einen falschen Zeugen musste von
Anbetung des wahren Gottes abzubrin- den Priestern und den Richtern verhan-
gen (13,1-5). Hier ist nun ein weiteres delt werden (17,8-9), und er wurde mit
Kennzeichen: Wenn eine Voraussage der Strafe bestraft, die für das Ver­
nicht erfüllt wurde, dann sollte dieser brechen galt, welches er einem anderen
Prophet sterben, und niemand brauch- anhängen wollte (V. 16-21).
te einen Fluch zu fürchten, den er aus- Das Prinzip »Auge um Auge, Zahn
sprechen würde. um Zahn« wird in der westlichen Kul-

211
5. Mose 19 bis 21

tur Lex Talionis genannt (lat. »Gesetz der 1. Nahe und ferne Städte (V. 10-18). Die
Vergeltung«). Es wird häufig als rache- Städte im Land waren eine unmittelbare
durstig missverstanden, ist es jedoch Gefahr, vollkommen verworfen, und
nicht. Dieses Gesetz ist keine Erlaubnis konnten nur vernichtet werden. Den
für Grausamkeit, sondern eine Begren­ Städten außerhalb des Landes, aber in-
zung. In diesem Zusammenhang bezieht nerhalb des restlichen Gebiets, das Abra-
es sich darauf, welche Art von Strafe ein ham verheißen war, sollten zuerst Frie-
falscher Zeuge bekommen konnte. densbedingungen unterbreitet werden.
Wenn sie sich weigerten, diese zu akzep-
O. Kriegsrecht (Kap. 20) tieren, sollten nur die Männer getötet
20,1-8 Kapitel 20 ist ein Handbuch der werden, die Frauen und Kinder sollten
Kriegsführung für Gottes Volk. Die verschont bleiben. Diese Städte stellten
Priester wurden aufgefordert, das Volk nicht so eine große Gefahr dar, Israel zu
zu ermutigen, wenn es gegen den Feind verunreinigen, wie die Städte innerhalb
kämpfte. Verschiedene Gruppen wer- der Grenzen Israels.
den vom Militärdienst ausgeschlossen: 2. Die Obstbäume und die fruchtlosen
(1) wer gerade ein neues Haus gebaut Bäume (V. 19-20). Das Prinzip hier war,
hatte; (2) wer gerade einen Weinberg dass Israel keinen »Verwüstungskrieg«
gepflanzt hatte und noch nie von seinen führen sollte. Sie sollten Nützliches be-
Früchten gegessen hatte; (3) die Verlob- wahren, anstatt das Land vollständig zu
ten, deren Ehe noch nicht geschlossen zerstören.
war; (4) die sich fürchteten und ein ver-
zagtes Herz hatten. P. Verschiedene Gesetze (Kap. 21-25)
1. Sühnung für ungelöste Tötungsdelikte
Die jüdischen Kommentatoren sind sich
(21,1-9)
einig, dass diese Freiheit, umzukehren,
nur für Kriege galt, die sie freiwillig führ- Wenn jemand erschlagen auf dem Feld
ten … nicht jedoch für solche, die im liegend gefunden wurde und der, der
göttlichen Auftrag gegen Amalek und ihn erschlagen hatte, nicht ermittelt
die Kanaaniter geführt wurden, wo jeder werden konnte, dann sollten die Ältes-
Mann verpflichtet war, zu kämpfen.12 ten der nächsten Stadt Sühnung erwir-
ken. Sie brachten eine junge Kuh in ein
20,9 Weil es in jeder guten Armee eine Tal mit fließendem Wasser und töteten
Organisation und Ränge geben muss, sie dort. Indem sie ihre Hände über der
ernannten die Aufseher Hauptmänner, jungen Kuh wuschen, beteuerten sie
um das Volk zu führen. ihre Unschuld an dem Verbrechen und
20,10-20 Im Gegensatz zu anderen baten darum, dass ihnen keine Blut-
Völkern sollte Israel in seiner Kriegsfüh- schuld angerechnet wurde. Auch wenn
rung unter der Leitung des HERRN Un- keine individuelle Schuld festgestellt
terschiede machen. Diese Unterschiede werden konnte, gab es noch immer eine
waren ein weiteres Kennzeichen Israels gesellschaftliche Schuld, die gesühnt
als heiliges Volk unter einem liebenden werden musste. Das Land musste von
Gott. Krieg war notwendig, aber der der Verunreinigung durch Blut ge­
HERR wollte das Übel, das er ver­ reinigt werden. Das war die Aufgabe
ursachte, begrenzen. Man muss nur die der nächstgelegenen Stadt.
grausamen Praktiken anderer Nationen Jemand hat die Verse 1-9 »Gottes gro-
wie der Assyrer studieren,13 um diese ße Untersuchung über seinen Sohn« ge-
Anweisungen schätzen zu lernen. Es nannt. Israel hat Blutschuld in Zusam-
werden Anweisungen gegeben, wie der menhang mit dem Tod Christi auf sich
Krieg zu führen war. Man beachte fol- geladen und muss auf gerechte Weise
gende Unterscheidungen: gereinigt werden.

212
5. Mose 21 und 22

2. Weibliche Kriegsgefangene (21,10-14) Seele zu gewinnen,


Ein Israelit durfte eine schöne Frau, die Sei Ehre und Preis und Lob;
im Krieg gefangen wurde, heiraten, Würdig ist das Lamm, denn es wurde
wenn diese durch eine rituelle Reini- geschlachtet.
gung und Absonderung gegangen war. Ihm, der durch Sohnesrecht den Thron
(Der Abschnitt bezieht sich jedoch nicht einnahm,
auf weibliche Einwohner des Landes Sei alle Macht im Himmel und auf
Kanaan.) Die Ehe war auf Probe, er Erden zugesprochen,
konnte seine Frau später entlassen, Ehre, Majestät und Macht;
wenn sie ihm nicht gefiel. Er durfte sie Würdig ist das Lamm, denn es wurde
aber nicht verkaufen oder gewalttätig geschlachtet.«
behandeln (V. 14). James Montgomery
3. Die Rechte des Erstgeborenen (21,15-17) 6. Neun Verhaltensmaßregeln (22,1-12)
Der Sohn einer nicht geliebten bzw. ver- 22,1-3 Kapitel 22 legt 3. Mose 19,18 aus
schmähten Frau (V. 15) durfte nicht sei- und beschreibt, was das allgemeine Ge-
nes Geburtsrechts beraubt werden, bot bedeutet, seinen Nächsten zu lieben
wenn er der Erstgeborene war. Diese wie sich selbst. Selbst die Feinde sollten
Verse beweisen nicht, dass Gott irgend- mit nachbarlicher Fürsorge behandelt
wann die Vielehe gutgeheißen hat, son- werden (2. Mose 23,4-5). Ein Israelit
dern nur, dass er das Recht des Erst­ durfte Dinge, die ein Nächster (Bruder)
geborenen auch in der Vielehe schützt. verloren hatte, nicht gleichgültig be-
Manchmal hat Gott in seiner Souveräni- handeln. Ob es ein Tier, ein Kleidungs-
tät in einer Familie den Älteren beiseite- stück oder irgendetwas anderes war: Er
gesetzt, um den Jüngeren zu segnen ‒ war verpflichtet, es in sein Haus zu neh-
z.B. bei Jakob und Esau oder bei men und dort aufzubewahren, bis es
Ephraim und Manasse. Doch das war zurückgefordert wurde.
eine Ausnahme, die auf besonderer Er- 22,4 Israeliten waren auch verpflich-
wählung Gottes beruhte, und nicht die tet, einem Tier ihres Nächsten zu hel-
Regel ‒ die hier aufgestellt wird. fen, das gestürzt war.
22,5 Männer durften keine Frauen-
4. Störrische und aufrührerische Söhne kleider tragen und umgekehrt. Gott
(21,18-21) hasst Transvestitentum.
Ein widerspenstiger Sohn sollte zu 22,6-7 Junge Vögel durften aus einem
Tode gesteinigt werden, wenn er von Nest genommen werden, aber die Mut-
den Ältesten der Stadt für schuldig be- ter musste freigelassen werden ‒ wahr-
funden wurde. Man vergleiche dies mit scheinlich, damit sie sich wieder fort-
dem Empfang, den der reuige ver­lorene pflanzen konnte.
Sohn in Lukas 15 bekam. 22,8 Ein Geländer sollte um das Flach-
dach eines Hauses gebaut werden, da-
5. Die Leichen von erhängten Verbrechern mit niemand hinunterfallen konnte.
(21,22-23) Das Dach war damals der Ort, wo man
Dieser Text weist eindeutig auf Chris- Gemeinschaft pflegte. Es ist wichtig,
tus hin. Obwohl er selbst unschuldig die Gemeinschaft zu schützen, ins­
war, wurde er an ein Holz gehängt. Er beson­dere die der jungen Menschen
trug den Fluch, den wir verdient haben. und der Achtlosen.
Sein Leib durfte nicht über Nacht am 22,9-11 Den Juden war es verboten:
Kreuz hängen bleiben (vgl. Joh 19,31). (1) zweierlei Samen in einem Weinberg
auszusäen; (2) mit einem Rind (rein)
»Ihm, der am Holz litt, und einem Esel (unrein) zusammen in
Um unsere Seelen um den Preis seiner einem Joch zu pflügen; (3) Kleidung zu

213
5. Mose 22 und 23

tragen, die aus einer Mischung aus Jungfrau hatte, musste dem Vater fünf-
Wolle und Leinen bestand. Das erste zig Schekel Silber zahlen und die Jung-
Verbot spielt auf das Hinzufügen zur frau heiraten. (5) 23,1 verbietet Inzest,
reinen Lehre des Wortes Gottes an. Das d.h. sexuelle Beziehungen mit einem
zweite beschreibt ein ungleiches Joch Familienmitglied.
im Dienst. Das dritte spricht von einer
Mischung von Gerechtigkeit und Un­ 8. Menschen, die vom Eintritt in die
gerechtigkeit im praktischen Leben des Versammlung Israels ausgeschlossen
Gläubigen. waren (23,2-9)
22,12 Juden sollten an den vier Ecken Verschiedene Personen durften nicht »in
ihres Gewandes Quasten tragen die Versammlung des HERRN« kom-
(4. Mose 15,37-41), als eine ständige Er- men, d.h. sie hatten kein volles Recht als
innerung daran, dass sie dem HERRN Bürger und als Gottesdienstteilnehmer:
gehorchen sollten. Der Grund für diese (1) ein Mann, dessen Fortpflanzungs­
Quasten wird in 4. Mose 15,37 ff. an­ organe beschädigt waren oder fehlten;
gegeben. (2) ein Bastard ‒ d.h. jemand, der unehe-
lich geboren wurde15; (3) ein Ammoniter
7. Verstöße gegen die Keuschheit (22,13 - 23,1) oder Moabiter; (4) ein Edomiter oder
22,13-21 Dieser Abschnitt handelt von Ägypter. Vers 4 sagt aus, dass Moab ih-
einem Mann, der ein Mädchen geheira- nen »nicht mit Brot und mit Wasser ent-
tet hat, und dann argwöhnt, sie sei kei- gegengekommen« sei, während 5. Mose
ne Jungfrau gewesen. »Zeichen der 2,29 nahe legt, dass einige Moabiter den
Jungfrauschaft« waren wahrscheinlich Juden Nahrung verkauften. »Mit Brot
die Flecken auf dem Bettlaken des Ehe- und mit Wasser entgegenkommen« ist
betts nach dem ersten geschlechtlichen eine Redewendung, die bedeutet, je-
Verkehr der Frau.14 Wenn der Vater und manden gastfreundlich zu empfangen.
die Mutter den Beweis für die Jung- Dies taten die Moabiter nicht.
frauschaft der jungen Frau bringen Ein Eunuch war von der Versamm-
konnten, dann sollte der übereifersüch- lung ausgeschlossen. Der außerehelich
tige Ehemann gezüchtigt werden, hun- Geborene, der Moabiter und der Am-
dert Schekel Silber bezahlen und für moniter waren bis in die zehnte Gene-
immer mit ihr leben. Wenn jedoch die ration ausgeschlossen. Der Edomiter
junge Frau vor ihrer Ehe unzüchtig war, und der Ägypter durften nach drei Ge-
dann sollte sie zu Tode gesteinigt wer- nerationen zur Versammlung gehören.
den. Dennoch gab es für diese generelle Re-
22,22 - 23,1 Die restlichen Verse dieses gel Ausnahmen, wenn ein einzelner
Kapitels behandeln verschiedene Arten Mensch den HERRN suchte. Unter Da-
geschlechtlicher Vergehen: (1) Sowohl vids Kriegshelden fand man sowohl ei-
der Mann als auch die Frau, die beim nen Ammoniter als auch einen Moabi-
Ehebruch ertappt wurden, sollten ster- ter (1Chr 11,39.46). Einige Ausleger
ben. (2) Wenn ein Mann ein verlobtes meinen, dass diese Ausschlussregeln
Mädchen in einer Stadt vergewaltigte nur für Männer galten und deshalb für
und sie nicht schrie, dann waren beide Rut z.B. nicht angewandt wurden. Eini-
des Ehebruches schuldig und sollten ge Ausleger sind der Meinung, dass
getötet werden. (3) Wenn ein Mann ein »die zehnte Generation« so viel wie
verlobtes Mädchen auf dem Feld ver­ »auf unbestimmte Zeit« bedeutet.
gewaltigte, wo niemand ihre Hilfe-
schreie hören konnte, dann sollte der 9. Die Reinheit des Lagers (23,10-15)
Mann getötet werden, aber die Frau Vers 10 warnt vor der Versuchung, der
war unschuldig. (4) Ein Mann, der ge- sich Männer stellen müssen, die weit
schlechtliche Beziehungen mit einer weg von zu Hause Militärdienst leisten.

214
5. Mose 23 und 24

(Vielleicht handelt es sich auch um eine Jünger von diesem Vorrecht Gebrauch
Einleitung zu den Versen 11-15). (Mk 2,23).
Das Gesetz über nächtlichen Samen­
erguss zeigt die Heiligkeit, mit der die 11. Scheidung und Wiederheirat (24,1-4)
Weitergabe des Lebens betrachtet wur- Ein Mann konnte sich von seiner Frau
de. wegen etwas Anstößigem scheiden las-
Jeder Soldat musste aus hygienischen sen, indem er ihr einen Scheidebrief
Gründen eine Schaufel bei seinen Waf- ausstellte. Sie war dann frei, einen an-
fen haben. Alle Exkremente sollten so- deren zu heiraten. Aber wenn ihr zwei-
fort mit Erde bedeckt werden. Wenn ter Ehemann starb oder sich von ihr
alle Armeen aller Zeiten diese einfache scheiden ließ, durfte der erste Ehemann
Regel befolgt hätten, hätten sie oft die sie nicht wieder heiraten. Der HERR
Verbreitung von Seuchen verhindert. hatte Israel einen Scheidebrief gegeben
(Jer 3,1-8), doch in der Zukunft will er
10. Soziale und religiöse Gesetze (23,16-26) Israel wieder zu sich nehmen, nachdem
23,16-17 Ein ausländischer Sklave, dem er es von seiner Untreue gereinigt ha-
es geglückt war, in die Freiheit zu ent- ben wird. O wie tief sind die Reich­
fliehen, sollte nicht seinem Herrn aus- tümer der Liebe Gottes, wie tief beugt
geliefert werden. Dadurch sollte Israel er sich, um die Unliebsamen zu lieben!
eine Zuflucht der Unterdrückten wer-
den. 12. Verschiedene Sozialgesetze (24,5 - 25,4)
23,18-19 Weder männliche noch weib- 24,5 Ein frisch verheirateter Mann
liche Prostitution sollte im Land gedul- brauchte im ersten Jahr seiner Ehe nicht
det werden, und Geld, das aus solchem mit dem Heer auszuziehen. Das gab
unmoralischen Tun gewonnen wurde, ihm Zeit, das Eheband zu pflegen und
durfte niemals in das Haus des HERRN zu stärken und eine neue Familie zu
gebracht werden, um ein Gelübde da- gründen. Wenn er in den Krieg ziehen
mit zu erfüllen. »Hund« bezeichnet hier müsste und getötet würde, dann würde
einen männlichen Prostituierten. sein Name aus Israel getilgt, es sei denn,
23,20-21 Juden durften keinen Zins ein Löser würde für ihn Nachkommen
nehmen auf etwas, was sie einem ande- zeugen. Dieser »Löser« war der nächste
ren Juden geliehen hatten, obwohl es Verwandte, der in der Lage und gewillt
ihnen erlaubt war, einem Fremden Zins war, die Witwe zu heiraten. Der erste
aufzuerlegen. Dies ist eine weitere Aus- Junge, der in dieser Ehe geboren wur-
führung des Prinzips aus 2. Mose 22,25, de, galt als Erbe des ehemaligen Man-
das es verbot, von Armen Wucherzins nes. Damit wurde der Familienname
zu nehmen. erhalten, und das Land blieb in der
23,22-24 Gelübde wurden freiwillig Familie.
abgelegt. Niemand musste dem HERRN 24,6 Weil ein Mühlstein ein Mittel
etwas geloben, aber wenn man etwas war, um sich mit dem Nötigsten zu ver-
gelobt hatte, dann war man verpflich- sorgen, durfte er nicht als Pfand bei ei-
tet, es auch zu halten. nem Geschäft genommen werden. Wer
23,25-26 Reisenden war es erlaubt, es tat, nahm damit dem Betreffenden
sich für ihren unmittelbaren Bedarf die Möglichkeit, Korn zu mahlen.
Trauben zu nehmen, aber es war ihnen 24,7 Ein Menschenräuber oder Skla-
nicht erlaubt, etwas in einem Gefäß zu venhändler sollte getötet werden.
sammeln. Genauso durften sie Ähren 24,8-9 Besondere Vorkehrungen wa-
von einem Feld sammeln, aber nur so ren bei einem Ausbruch von Aussatz
viel sie mit den Händen pflücken konn- nötig, indem man den Anweisungen an
ten, und nicht mit der Sichel. In den die Leviten folgte. Mirjam wird als ab-
Tagen unseres Herrn machten seine schreckendes Beispiel erwähnt.

215
5. Mose 24 und 25

24,10-13 Man durfte nicht in das Haus sorgsame Bibelleser wird diese wichti-
eines Mannes eindringen, um ein Pfand ge geistliche Lehre beachten und sie be-
von ihm nehmen. Wenn der Mann so folgen.
arm war, dass er sein Gewand als Pfand
hergeben musste, dann sollte er es je- 13. Das Gesetz der Leviratsehe (25,5-10)
den Abend zurückbekommen, damit er Wenn ein Israelit starb und seine Witwe
darin schlafen konnte. ohne Sohn zurückließ, bestand die Ge-
24,14-15 Der Lohn eines Tagelöhners fahr, dass sein Name verschwinden
sollte sofort bezahlt werden. und sein Besitz nicht in der Familie blei-
24,16 Niemand sollte für die Sünde ben würde. Deshalb wurde vom Bruder
eines anderen getötet werden. des Toten erwartet, dass er die Witwe
24,17-22 Dem Fremden, der Waise heiratete. Diese Praxis der »Levirats­
und der Witwe sollte Gerechtigkeit er- ehe« gab es in vielen alten Völkern.
wiesen werden. Ein Feld sollte nie voll- Wenn der Bruder nicht einwilligte, dies
ständig abgeerntet werden. Reste soll- zu tun, dann ging die Witwe zu den Äl-
ten für die Armen und Hilflosen übrig testen und gab diese Tatsache bekannt.
bleiben. Dasselbe galt für die Ernte von Er wurde vor die Ältesten gerufen und
Olivenbäumen und Trauben. Ronald erhielt die Möglichkeit, seine Unwillig-
Sider kommentiert: keit zu bestätigen. Wenn er in seiner
Ablehnung verharrte, dann nahm ihm
Die Erinnerung an ihre eigene Armut die Witwe eine seiner Sandalen ab und
und Unterdrückung in Ägypten sollte sie spuckte ihm ins Gesicht. Von da an war
dazu bringen, großzügig für die Nach­ er unter einem Schimpfnamen bekannt,
lese durch verarmte Fremde, die Witwen weil er nicht bereit gewesen war, das
und die Waisen übrig zu lassen.16 Fortbestehen des Hauses seines Bru-
ders zu sichern.
Als John Newton wiedergeboren wur- 3. Mose 20,21 verbietet es einem Mann,
de, schrieb er Vers 22 in großen Buch- die Frau seines Bruders zu heiraten, hier
staben auf und hängte ihn über seinen wird es ihm jedoch geboten. Der Ab-
Kamin, damit er sich ständig daran er- schnitt in 3. Mose galt sicherlich, wenn
innerte. der Ehemann noch lebte, während sich
25,1-3 Wenn ein Verbrecher schuldig 5. Mose auf den Fall bezieht, dass der
gesprochen wurde und er als Strafe ge- Ehemann gestorben ist und keinen
schlagen werden sollte, dann durfte er männlichen Erben hinterlassen hat.
nicht mehr als vierzig Schläge erhalten.
Die Juden gaben gewöhnlich 39 Schlä- 14. Drei verschiedene Gesetze (25,11-19)
ge, damit sie nicht, falls sie sich verzähl- 25,11-12 Wenn eine Frau sich in einen
ten, dieses Gesetz übertraten (vgl. 2Kor Kampf zwischen ihrem Mann und ei-
11,24). nem anderen einmischte, indem sie den
25,4 Der Ochse, der das Korn drosch, anderen unschicklich ergriff, sollte ihre
sollte nicht geknebelt werden, sondern Hand, die das getan hatte, abgehauen
sollte etwas von dem Korn fressen dür- werden. Ihre Handlungsweise gefähr-
fen. Paulus benutzt diesen Vers in 1Kor dete eventuell, dass der Mann noch ei-
9,9-11, um zu lehren, dass jemand, der nen Erben zeugen konnte, daher die
geistliche Arbeit tut, leiblich versorgt schwere Strafe.
werden sollte. So zeigt uns Paulus, dass 25,13-16 Ehrliche Gewichte und Maße
es einen geistlichen Aspekt des Geset- waren wichtig. Oft hatten Leute einen
zes gibt. Damit wird die wörtliche Be- Satz von Gewichten und Maßen zum
deutung nicht gemindert, doch zeigt es, Kaufen und einen anderen zum Ver-
dass unter der Oberfläche oft eine geist- kaufen. Dies war dem HERRN ein
liche Bedeutung verborgen ist. Der Gräuel.

216
5. Mose 25 bis 27

25,17-19 Die Nachkommen Amaleks Honig überfließt, ein Land von rei-
sollten vollständig ausgerottet werden, chen, grünen, üppigen Weiden. Und
weil er Israel verraten und grausam be- wenn Gott so von einem Land für Is-
handelt hatte (2. Mose 17,8-16). Israel rael sprach, dann sah er auch ein Le-
wird gesagt, es solle nicht vergessen, ben in überfließender Freude und
die Amalekiter auszurotten, aber es Sieg und Zufriedenheit für sein Volk
scheint so, als ob sie es vergaßen. Saul voraus.17
gehorchte dem Herrn nicht und rottete
sie zu seiner Zeit nicht aus (1Sam 15). In 2. Das Ritual für den Zehnten des dritten
der Tat geschah es erst zur Zeit Hiskias, Jahres (26,12-15)
dass sie »den Überrest, die Entronne- Zusätzlich zu den oben genannten Erst-
nen von Amalek erschlugen« (1Chr lingsfrüchten sollten die Juden einen
4,43). zweiten Zehnten opfern, der auch Fest-
Zehnter genannt wird und mit dem Le-
Q. Rituale und Bestätigungen (Kap. 26) viten, dem Fremden, der Waise und der
Witwe in jedem dritten Jahr geteilt wer-
1. Das Ritual der Erstlinge (26,1-11)
den sollte. Dieser Zehnte sollte an die
Nachdem sich das Volk im Land ange- Bedürftigen in ihren eigenen Städten
siedelt hatte, sollte es zu Gottes Heilig- verteilt werden. Die Menschen sollten
tum ziehen und die Erstlinge aller dann vor dem HERRN Zeugnis ab­
Früchte dem Priester geben. Dies war legen, dass sie allen Geboten über den
die freudige Anerkennung dessen, was Zehnten gehorcht hatten.
Gott getan hatte. Dann sollten sich die
Israeliten an die gnädigen Wege des 3. Bestätigung des Bundes (26,16-19)
HERRN mit ihnen erinnern, angefan- Weil das Volk zugestimmt hatte, auf
gen mit ihrem Vorfahren Jakob (einem den Wegen des HERRN zu wandeln,
wandernden Aramäer) über ihre Skla- erkannte er es im Gegenzug als sein Ei-
verei in Ägypten und die starke Hand gentumsvolk an und verhieß ihm, es
Gottes, als er sie befreite, bis hin zur über alle Nationen zu erhöhen. Die Ju-
Einnahme des Landes, das »von Milch den waren ein heiliges Volk, weil Gott
und Honig überfließt«. Philip Keller er- sie aus den anderen Nationen aus­
klärt diesen farbigen Ausdruck so: gesondert hatte ‒ nicht weil sie an sich
irgendeinen Wert gehabt hätten. Sie
Gott malt in der Schrift ein Bild des waren anders als jedes andere Volk auf
Verheißenen Landes, in das er mit so Erden, sie waren der besondere Schatz
viel Mühe versuchte, sein Volk hin- des HERRN. Ihre Reaktion auf eine sol-
einzuführen: »ein Land, das von che Ehre sollte Gehorsam gegenüber
Milch und Honig überfließt«. Das ist seinen Geboten sein.
nicht nur eine bildreiche Sprache,
sondern im Wesentlichen ein wissen- R. Fluch und Segen (Kap. 27-28)
schaftlicher Ausdruck. In der agrono-
mischen Fachsprache kennen wir ei- 27,1-8 Nachdem sie den Jordan über-
nen »Milchfluss« und einen »Honig- quert hatten, um ins Verheißene Land
fluss«. Damit meinen wir die Haupt- zu kommen, sollten die Israeliten ein
saison von Frühjahr und Sommer, großes Monument aus Steinen aufrich-
wenn die Weiden am meisten Futter ten, es kälken und dann »alle Worte
hergeben. Das Vieh, das vom Futter dieses Gesetzes« darauf schreiben. Das
frisst, und die Bienen, die die Blüten Monument sollte auf dem Berg Ebal zu-
besuchen, bringen einen ständigen sammen mit einem Altar errichtet wer-
»Fluss« von Milch oder Honig hervor. den, der aus unbehauenen Steinen ge-
Also ist ein Land, das von Milch und macht war.

217
5. Mose 27 und 28

27,9-10 Die Juden waren schon seit ei- Fluch« (Gal 3,10). Es ging nicht nur dar­
niger Zeit Gottes Volk durch seine Er- um, dass die Israeliten das Gesetz über­
wählung gewesen, doch nun, da sie im treten würden, sondern darum, dass sie
Begriff standen, das Land einzuneh- unter dem Gesetz als einem Prinzip stan-
men, wurden sie auf eine besondere den.
Weise zu seinem Volk. Die Gunst, die er 28,1-14 Vers 1 bezieht sich mit den
ihnen erwiesen hatte, rief sie zu liebe- Worten »Gott wird dich als höchste
vollem Gehorsam von ihrer Seite auf. über alle Nationen der Erde stellen« auf
27,11-13 Sechs Stämme waren be- das Ende von Kapitel 26. Dies gibt dem
stimmt, auf dem Berg Garizim zu ste- Kapitel 27 den Anschein, ein Einschub
hen, um das »Amen« zu den Segnun- zu sein. Viele Ausleger sind der Mei-
gen zu sprechen. Diese sechs Stämme nung, dass die Segnungen in den Ver-
waren Nachkommen Leas und Rahels. sen 3-6 nicht die sind, die an die sechs
Die anderen Stämme sollten auf dem Stämme auf dem Berg Garizim gerich-
Berg Ebal stehen, um die Fluchworte zu tet waren, sondern dass dieses gesamte
bestätigen. Man beachte, dass Ephraim Kapitel eine Aussage Moses über die
und Manasse nicht einzeln genannt Zukunft der Kinder Israel ist. Die ersten
werden, sondern stattdessen der Stamm vierzehn Verse sprechen von den Seg-
Josef aufgeführt wird. Ruben, Israels nungen, die dem Gehorsam folgen
Erstgeborener (der sein Erstgeburts- würden, während die letzten 54 Verse
recht verloren hatte), und Sebulon, Leas die Flüche beschreiben, die auf das Volk
jüngster Sohn, standen auf dem Berg fallen würden, wenn es den HERRN
Ebal mit den Söhnen der Mägde. Die verlassen sollte. Zu den verheißenen
bevorzugten Stämme standen auf dem Segnungen gehören eine Vorrangstel-
Berg Garizim. lung unter den Nationen, materieller
27,14-26 Die Leviten (vgl. V. 9) sollten Reichtum, Fruchtbarkeit, reiche Ernten,
in dem Tal zwischen den beiden Bergen Sieg in der Schlacht und Erfolg im in-
stehen. Wenn sie die Segnungen und ternationalen Handel.
Flüche aussprachen, sollte das Volk mit 28,15-37 Die Flüche umfassten Man-
»Amen« antworten. Die Flüche finden gel, Unfruchtbarkeit, Missernten, Pest,
sich in den Versen 15-26. Es geht in ih- Krankheiten, Getreidebrand, Dürre,
nen um Götzendienst (V. 15), um man- verlorene Schlachten, Wahnsinn, Angst,
gelnden Respekt vor den Eltern (V. 16), Elend, Katastrophen und Machtlosig-
Unehrlichkeit, indem Grenzen versetzt keit (V. 15-32). Die Verse 33-37 sagen
wurden (V. 17), Betrug von Blinden Gefangenschaft in einem fremden Land
(V. 18), Betrug von Armen und Schutz- voraus, und dies erfüllte sich durch die
losen (V. 19), verschiedene Formen des assyrische und babylonische Gefangen-
Inzests (V. 20.22-23), Sodomie (V. 21), schaft. Israel sollte zum Entsetzen, zum
heimlichen Mord am Nächsten und Sprichwort und zur Spottrede unter al-
am Unschuldigen wegen Bestechung len Nationen werden.
(V. 25), Ungehorsam gegenüber dem 28,38-46 Die Juden sollten mit Miss-
Gesetz Gottes (V. 26). Der historische ernten auf dem Feld, dem Weinberg und
Bericht über diese Zeremonie findet den Ölbäumen verflucht sein. Ihre Kin-
sich in Josua 8 ab V. 30. Man beachte, der würden in die Gefangenschaft ge-
wie eng sich Josua an die Anweisungen führt werden, und Heuschrecken (oder
hält, die er von Mose erhalten hat. Ungeziefer) würden ihre Bäume und
Es ist bezeichnend, dass in Kapitel 27 Ernten fressen. Der Fremde würde hö-
nur die Flüche angegeben sind. Es her und höher aufsteigen, und die Is­ra­e­
konnte nicht anders sein, wie Paulus liten würden tiefer und tiefer hinabsin-
uns erinnert: »Denn alle, die aus Geset- ken. Es besteht kein Widerspruch zwi-
zeswerken sind, die sind unter dem schen den Versen 12 und 44. Wenn die

218
5. Mose 28 und 29

Juden gehorsam waren, sollten sie zu in- Wenn man über diese Flüche nach-
ternationalen Geldverleihern werden. denkt, dann wundert man sich über die
Wenn sie ungehorsam waren, dann wür- Ausgießung des Zornes des HERRN.
den sie von Fremden borgen müssen. Hier wird nicht schöngeredet, und kein
28,47-57 Die Schrecken einer Belage- Detail wird der Phantasie überlassen.
rung durch ausländische Eindringlinge Mose malt das Bild mit kühnem, starkem
werden in den Versen 49-57 beschrie- Realismus. Israel muss wissen, was Un-
ben ‒ es wäre so schlimm, dass die gehorsam einbringen wird, damit es
Menschen einander aufessen würden. lernt, »diesen herrlichen und furcht­
Dies geschah, als Jerusalem von den Ba- gebietenden Namen, DEN HERRN,
byloniern und später von den Römern DEINEN GOTT«, zu fürchten (V. 58).
belagert wurde. Beide Male breitete 28,69 Der letzte Vers von Kapitel 28
sich Kannibalismus aus. Menschen, die kann tatsächlich, wie es dem Text der
normalerweise gebildet und verwöhnt hebräischen Bibel entspricht, ein Ab-
waren, wurden feindselig und kanniba- schluss des Vorhergehenden sein. Laut
listisch. Keil und Delitzsch18 könnte er aber auch
28,58-68 Plagen und Krankheiten eine Einleitung zum nächsten Kapitel
würden die Bevölkerung in Israel stark sein. In manchen Bibelübersetzungen
dezimieren. Die Überlebenden würden wird er Kapitel 29 zugeordnet.
über die Erde zerstreut werden, und sie
würden in ständiger Angst vor Verfol-
gung leben. Gott würde sein Volk sogar III. Moses dritte Rede ‒ Der Bund
in Schiffen nach Ägypten zurückbrin- für das Land (Kap. 29-30)
gen. Nach Josephus wurde diese Pro-
phezeiung, dass Israel nach Ägypten A. Der Bund, der in Moab
zurückkehren würde, in der Zeit des geschlossen wurde (29,1-20)
Titus teilweise erfüllt, als Juden mit 29,1-8 Das Volk hatte den Bund gebro-
Schiffen dorthin gebracht und als Skla- chen, den Gott mit ihm am Berg Sinai
ven verkauft wurden. Aber der Name geschlossen hatte. Nun ruft Mose die Is-
»Ägypten« könnte hier auch generell raeliten auf, den im 5. Buch Mose ent-
für Sklaverei stehen. Gott hatte Israel in haltenen Bund zu bestätigen, der hier in
der Vergangenheit aus der wörtlichen den Steppen Moabs geschlossen wur-
Sklaverei in Ägypten befreit, aber wenn de, kurz bevor sie in das Verheißene
sie ihn nicht lieben und sein souveränes Land zogen. Dem Volk mangelte es an
Recht auf Gehorsam ihrerseits nicht an- Verständnis für den HERRN und seine
erkennen würden, wenn Israel sich Pläne. Der HERR sehnte sich danach,
nicht als seine Frau rein halten würde, ihnen »ein Herz zu geben zu erken-
wenn sie nicht sein besonderer Schatz nen«, dazu »Augen zu sehen« und »Oh-
sein würde und sich stattdessen ent- ren zu hören«, aber sie machten sich
schloss, wie die anderen Nationen zu durch ihren ständigen Unglauben und
sein, dann würde Israel in die Sklaverei Ungehorsam unfähig, diese Dinge zu
zurückverkauft werden. Doch dann empfangen. Israel hatte Manna vom
wäre sie so sehr zugrunde gerichtet, Himmel und Wasser aus dem Felsen
dass sie niemand haben wollen würde, genossen. Die Israeliten hingen nicht
nicht einmal als Sklave. von Dingen ab, die Menschen zu ihrem
»Wem man viel anvertraut hat, von Überleben schaffen (d.h. Brot, Wein und
dem wird man desto mehr fordern« (Lk starkes Getränk). Dies geschah, damit
12,48). Israel hatte Privilegien erhalten, sie den HERRN, ihren Gott in all seiner
die es über alle anderen Nationen er- Treue und Liebe kennenlernen konn-
hob, und deshalb war seine Verantwor- ten.
tung größer und die Strafe schwerer. Als Anreiz, diesen Bund zu halten,

219
5. Mose 29 und 30

zeigte Mose noch einmal die ganze Das bedeutet, dass Offenbarung Ver-
Güte Gottes auf, die er Israel erwiesen antwortung mit sich bringt. Menschen
hatte ‒ die Wunder in Ägypten, die sind verantwortlich, zu gehorchen,
machtvolle Befreiung, die vierzig Jahre nicht über das Wort des Herrn zu Ge-
in der Wüste, die Niederlage von Sihon richt zu sitzen. Dieses Prinzip findet
und Og und die Verteilung von Trans- sich auch häufig im NT. »Wer nun weiß,
jordanien an Ruben, Gad und den hal- Gutes zu tun [Offenbarung], und tut es
ben Stamm Manasse. nicht [Verantwortung], dem ist es Sün-
29,9-20 Mose rief alle auf, in den Bund de« (Jak 4,17).
mit dem HERRN, den er geschworen
hatte, einzutreten (V. 9-12), und erin- C. Wiederherstellung bei Rückkehr
nerte sie daran, dass der Bund auch für zum Bund (Kap. 30)
ihre Nachkommen gelten sollte (V. 13- 30,1-10 Kapitel 30 sieht voraus, dass das
14). Wenn sie den Bund nicht halten Volk den Bund brechen und ins Exil ge-
würden, dann würden schlimme Stra- führt werden würde. Dies geschah na-
fen über sie kommen. Aufrührer sollten türlich genau so. Selbst dann würde
sich vor jeder Ver­suchung bewahren, Gott jedoch mit den Israeliten Erbar-
die Götzen der heidnischen Nationen men haben und sie wiederherstellen,
anzubeten oder zu denken, dass sie wenn sie sich in Buße zu ihm bekehren
Gottes Zorn entkommen könnten, würden. Er würde sie wieder in ihr
wenn sie es täten (V. 15-20). »… und Land bringen. Zusätzlich zu dieser äu-
dass keiner, wenn er die Worte dieser ßerlichen Wiederherstellung würde es
Eidverpflichtung hört, sich dennoch in eine geistliche Erneuerung geben (»der
seinem Herzen glücklich preist und Herr, dein Gott, wird dein Herz be-
spricht: ›Ich werde Frieden haben, schneiden« – V. 6). Das Volk würde
wenn ich auch in der Verstocktheit dann den Segen des Gehorsams genie-
meines Herzens wandle!‹ – sodass dann ßen, während ihre Feinde verflucht wä-
das bewässerte Land mitsamt dem ren. Der Ratschluss des Höchsten wird
trockenen hinweggerafft würde« (V. 18, nie fehlgehen, selbst wenn diejenigen,
Schlachter 2000). Keiner würde ent- die dieser Ratschluss betrifft, versagen.
kommen. Gott wird in jedem Fall sein Wort, das
er den Patriarchen gegeben hatte, erfül-
B. Strafe für Bundesbruch (29,21-28) len und ihren Nachkommen das Land
29,21-27 Zukünftige Generationen und auf ewig geben. Nach dem Exil, von
auch fremde Nationen würden sich dem er wusste, dass es unausweichlich
über die Verwüstung Israels wundern war, würde er sie wiederherstellen und
und sich nach dem Grund fragen, war- sie verändern. So wirkt die bedingungs-
um das Land so behandelt worden war lose Liebe des großen Liebenden! Vers 6
wie die Städte der Ebene ‒ Sodom und berührt ein Thema, das Hunderte von
Gomorra, Adma und Zebojim. Die Ant- Jahren später von den Propheten weiter
wort würde lauten: »Weil sie den Bund ausgeführt wurde ‒ den Neuen Bund
des Herrn, des Gottes ihrer Väter, ver- (Jer 32,39ff.; Hes 36,24ff.). Dieser Bund,
lassen haben … und anderen Göttern obwohl er schon im AT offenbart wur-
dienten« (V. 24-25). de, wurde erst beim Tod Christi in Kraft
29,28 Es gab zwar bestimmte Dinge, gesetzt, denn sein Blut war das Blut des
die »verborgen« waren und dem Herrn Neuen Bundes (Lk 22,20).
gehörten, insbesondere bezüglich sei- 30,11-14 Mose erinnerte das Volk dar-
ner Gerichte, doch erinnerte Mose die an, dass der Bund für sie nicht zu
Israeliten daran, dass ihre Verantwor- schwer zu verstehen war, auch war er
tung ihnen deutlich offenbart worden nicht zu fern, d.h. unerreichbar. Sie
war ‒ den Bund des Herrn zu halten. mussten nichts Unmögliches tun, um

220
5. Mose 30 und 31

ihn zu finden. Der Herr hatte ihnen den Die beiden Tafeln mit den Zehn Ge­
Bund gebracht, und ihre Verantwor- boten wurden in der Bundeslade auf­
tung bestand darin, ihm zu gehorchen. bewahrt (2. Mose 25,16; Hebr 9,4). Diese
Diese Verse werden von Paulus in Rö- Kopie des Gesetzes sollte neben der Bun-
mer 10,5-8 benutzt und auf Christus deslade ihren Platz haben (31,26). Alle
und das Evangelium angewendet. Es sieben Jahre musste das Gesetz »ganz
war nicht einfach, den Bund zu halten, Israel« vorgelesen werden.
aber Gott hatte für den Fall des Ver­ Das Lesen der Heiligen Schrift wird
sagens vorgesorgt. Das Volk sollte dann heute leider selbst in lehrmäßig konser-
Buße tun und die festgesetzten Opfer vativen Kreisen vernachlässigt. Die fol-
bringen. Weil die Opfer Bilder für Chris- genden ausführlichen, aber wertvollen
tus sind, lautet die Lehre hier, dass die- Worte von C.H. Mackintosh sind heute
jenigen, die sündigen, Buße tun und an leider der Wahrheit noch näher als vor
den Herrn Jesus Christus glauben sol- über hundert Jahren, als sie geschrieben
len. wurden:
30,15-20 Das Volk war aufgerufen,
zwischen dem Leben und dem Guten Das Wort Gottes wird nicht geliebt und
auf der einen Seite und dem Tod und studiert, weder privat noch öffentlich.
dem Bösen auf der anderen Seite zu Schundliteratur wird privat ver­
entscheiden ‒ Leben für Gehorsam und schlungen, und Musik, zeremonielle
Tod für Ungehorsam. Mose ermahnte Gottesdienste und pompöse Liturgien
sie dringlich, das Leben und den Segen werden in der Öffentlichkeit verlangt.
zu wählen. Die erwünschte Reaktion Tausende kommen zusammen, um Mu-
würde gute Ergebnisse bringen, z.B. sik zu hören, und zahlen dafür, aber wie
Verlängerung ihrer Tage und überflie- wenige lieben eine Zusammenkunft, um
ßendes geistliches Leben, was durch die die Heilige Schrift zu studieren. Das sind
Worte »indem du … ihm anhängst« Tatsachen, und Tatsachen sind vollmäch-
ausgedrückt wird. Die einzige Alter­ tige Argumente. Wir können sie nicht
native war der Fluch. leugnen. Es gibt einen wachsenden Durst
nach religiöser Erregung und eine wach-
IV. Die letzten Tage des Mose ‒ sende Abneigung gegen das stille Stu­
Tod außerhalb des Landes dium der Heiligen Schrift und die geist-
(Kap. 31-34) lichen Übungen der christlichen Ver-
sammlung. Es ist völlig nutzlos, dies zu
A. Der Nachfolger Moses (Kap. 31) leugnen. Wir können die Augen nicht
31,1-8 Mose war nun schon 120 Jahre davor verschließen. Die Beweise dafür
alt. Er kannte Gottes Beschluss, dass es haben wir ständig vor Augen.
ihm nicht erlaubt sein würde, den Jor- Gott sei Dank gibt es hier und da einige
dan gemeinsam mit dem Volk zu über- wenige, die das Wort Gottes wirklich lie-
queren. Aber er erinnerte die Israeliten ben und für die es eine Freude ist, sich in
daran, dass der Herr mit ihnen gehen heiliger Gemeinschaft zu treffen, um die
würde, dass Josua ihr Anführer sein kostbaren Wahrheiten des Wortes zu stu-
würde und dass der Sieg über ihre Fein- dieren. Möge der Herr die Zahl dieser
de sicher war. Mose ermutigte Josua als vermehren und sie segnen, »bis die Tage
Nächstes öffentlich bezüglich seiner unserer Wanderschaft vollendet sind«.19
neuen Aufgabe und versicherte ihm,
dass der HERR mit ihm sein wird 31,14-18 Als Moses Tod sich näherte,
(V. 7-8). rief Gott ihn und Josua zum Zelt der Be-
31,9-13 Den Leviten wurde das schrift- gegnung und erschien ihnen in der
liche Gesetz anvertraut. Es sollte neben Wolkensäule. Erst offenbarte er Mose,
der Bundeslade aufbewahrt werden. dass die Israeliten sich bald dem Göt-

221
5. Mose 31 und 32

zendienst hingeben und Gottes Zorn 32,10-14 Die Geburt und die Kindheit
auf sich ziehen würden. des Volkes Israel werden in Vers 10 be-
31,19-22 Dann befahl er Mose, ein schrieben. Nach dem Auszug aus Ägyp-
Lied aufzuschreiben und es die Kinder ten führte er Israel, gab auf es acht und
Israel als Zeugnis gegen sie in der künf- bewahrte sie mit der Liebe eines Adlers,
tigen Zeit zu lehren. der Junge hat (V. 11). Kein fremder Gott
31,23 Gott persönlich befahl Josua, hatte Teil an Israels Bewahrung. Warum
sein Volk in das Verheißene Land zu sollte sich dann das Volk dem Götzen-
führen, und ermunterte ihn, stark und dienst zuwenden und die Güte des
mutig zu sein. Josua musste von diesen Herrn einem anderen zuschreiben? Von
Worten des Herrn gestärkt worden sein. Vers 13 an ist das Lied prophetisch. Gott
Er hatte gerade Gott von dem kommen- brachte das Volk in die Segnungen des
den volksweiten Abfall reden hören Verheißenen Landes.
(V. 16), und er brauchte eher Ermuti- 32,15-20 Aber »Jeschurun« (ein poe-
gung als Entmutigung für die vor ihm tischer Name für das Volk Israel mit
liegende Aufgabe. der Bedeutung »aufrechtes Volk«) re-
31,24-27 Das »Buch des Gesetzes«, bellierte gegen den Herrn, indem es
d.h. das 5. Buch Mose, das den Leviten sich den Götzen zuwandte. Die Israe-
übergeben wurde, sollte ebenfalls als liten beschlossen, den Dämonen zu op-
Zeugnis gegen die Israeliten dienen, fern, wobei sie oft ihre eigenen Kinder
wenn sie den Herrn vergaßen. darbrachten. Sie sanken sogar bis zu
31,28-30 Dann sang Mose das folgen- der Dummheit herab, neue Götter
de Lied vor den Ältesten ihrer Stämme anzu­beten. Auf diese Weise vernachläs-
und den Aufsehern, wie Gott ihm be- sigten sie ihren echten Felsen und ihren
fohlen hatte. echten Vater. Als Folge verbarg der
Herr sein Angesicht vor ihnen. Dieses
B. Das Lied Moses (Kap. 32) Verbergen seines Angesichts erfüllte
32,1-3 Das Lied kann man folgender- sich, als sie in die Gefangenschaft ver-
maßen zusammenfassen: Das Univer- kauft wurden.
sum wird aufgefordert, das Wort des 32,21-33 Nachdem Gott Israel bei­
Herrn zu hören. Es ist erfrischend und seite­gesetzt hatte, handelte Gott in Gna-
nährend, wie Regen und Tau. In Vers 3 de an den Heiden und versuchte da-
(der eine Überschrift für das Lied sein durch, Israel zur Eifersucht zu reizen
könnte) spricht Mose davon, Gott die (wie im gegenwärtigen Zeitalter der
Ehre zu geben. Das Lied offenbart die Gemeinde). Israel sollte in dieser Zeit
Größe Gottes im Zusammenhang mit zerstreut und verfolgt werden. Das
seinem historischen Handeln mit sei- Volk würde jedoch nicht völlig vernich-
nem Volk. tet werden, weil der Herr nicht wollte,
32,4-9 Trotz Gottes Größe, Gerechtig- dass Israels Feinde den Fall des Volkes
keit, Treue und Heiligkeit verließ das falsch auffassten. Dies geschah nicht,
Volk Israel ihn und sündigte gegen ihn. weil der Fels der Feinde stärker war,
Die Herrlichkeit der Eigenschaften des sondern weil der Herr, der Fels Israels,
Herrn zeigt sich hier vor dem finsteren sie wegen ihrer Bosheit der Abschlach-
Hintergrund der verdrehten Bosheit Is- tung preisgegeben hat.
raels. Gott bekam nur wenig Dank da- 32,34-43 Dieser Abschnitt behandelt
für, dass er der Vater und der Schöpfer Gottes Vergeltung an den Nationen, die
der Israeliten war. Als der Höchste die von ihm benutzt wurden, um Israel zu
Erde unter den Heidenvölkern austeil- strafen. »Rache« (V. 35) und Rechtferti-
te, sorgte er zuerst für die Bedürfnisse gung (V. 36) sind Sache des Herrn. Er
seines Volkes. So groß war seine Liebe hat bei sich selbst geschworen (denn es
und Fürsorge für Israel. gibt keinen Größeren), mit seinen Fein-

222
5. Mose 32 und 33

den abzurechnen. Man beachte, wie ausgelöscht würde, sondern sich meh-
vollständig dieses Gericht ausgeführt ren möge.
werden wird (V. 41-42). Als Folge da- Simeon wird nicht erwähnt. Dieser
von wird sich Gottes Volk mit allen Na- Stamm war eng mit Juda verbunden
tionen zusammen freuen, weil Gott sich und könnte in seinen Segen mit ein­
gerächt und sein Land und sein Volk geschlossen gewesen sein.
entsühnt hat. 33,7 Juda: Dieser Stamm sollte die Er-
32,44-47 Das Lied gibt also einen his- oberung Kanaans anführen. Der Herr
torischen und prophetischen Überblick wird gebeten, den Kriegern zu helfen
über das Volk Israel. Nachdem Mose und sie sicher zu ihrem Volk zurück­
dieses Lied vorgelesen hatte, ermahnte zubringen.
er mit folgenden Worten die Menschen 33,8-11 Levi: Gottes »Tummim und
ernstlich, dem Herrn nachzufolgen: Urim« gehörten Levi, dem Stamm, der
»Denn nicht ein leeres Wort ist es für vom Volk in Massa und beim Wasser
euch, sondern es ist euer Leben.« von Meriba kritisiert wurde. Levi war
32,48-52 Dann rief der Herr Mose auf auch der Stamm, der sich gegen sein ei-
die Spitze des Berges Nebo, wo es ihm genes Volk auf die Seite Gottes stellte,
gestattet wurde, das Land zu sehen. Er als das Volk das goldene Kalb anbetete.
selbst durfte wegen seiner Sünde in Levi war ausgesondert, das Volk zu leh-
Meriba-Kadesch nicht mit nach Kanaan ren und die Opfer darzubringen. Mose
ziehen, sondern sollte auf dem Berg betete, dass der Herr Levis Kraft segnen
Nebo sterben und in einem Tal in Moab möge, dass der Stamm in seinem Dienst
begraben werden (vgl. 34,6). Freude finden möge und dass er »seine
Hasser« vernichten möge.
C. Der Segen Moses (Kap. 33) 33,12 Benjamin: Der Tempel, Gottes
Die Ausdrucksweise des Hebräischen Wohnstätte auf Erden, sollte in Ben­
in diesem Kapitel ist an vielen Stellen jamins Gebiet liegen, umgeben von
unverständlich, deshalb gibt es ver- schützenden Berghängen. Deshalb
schiedene Meinungen und Auslegun- wird Benjamin als »Liebling des Herrn«
gen von verschiedenen Kommentato- ge­schildert, der die enge Gemeinschaft
ren. Es würde den Umfang dieses mit dem Herrn genießt.
Werkes sprengen, den Details der mög­ 33,13-17 Josef: Das Gebiet der Söhne
lichen hebräischen Bedeutungen nach- Josefs sollte vom Tau von oben und von
zugehen, wir geben als Vorschlag nur Quellen von unten bewässert werden.
eine kurze, prophetische Auslegung Es sollte ungewöhnlich fruchtbar sein
jedes Segensspruchs. und das Wohlgefallen Gottes genießen,
33,1-5 Als seine letzte offizielle Hand- der sich selbst im brennenden Dorn-
lung segnete Mose, der Mann Gottes, busch offenbart hat. Majestätisch und
die Stämme Israels. Die Verse 2-5 feiern machtvoll würden Josefs beide Söhne
Gottes liebevolle Fürsorge für sein Volk. Völker erobern. Ephraim erhielt das
Am Sinai gab er den Israeliten das Ge- Erstgeburtsrecht, deshalb werden ihm
setz. Seir und der Berg Paran lagen auf Zehntausende zugeschrieben, während
dem Weg vom Sinai nach Kanaan. In Manasse nur Tausende zugeschrieben
prophetischer Sprache beschreibt Mose werden.
den Herrn als »König von Jeschurun«, 33,18-19 Sebulon und Issaschar: Sie
der sein Volk zum Sieg folgt. Dann fol- würden, weil sie zu Hause und im Aus-
gen die einzelnen Segensworte: land erfolgreich waren, die Nationen
33,6 Ruben: Ruben siedelte östlich des anleiten, in Jerusalem am Berg des
Jordans und genau nördlich von Moab Herrn anzubeten. Diese Stämme wür-
und war von daher leicht angreifbar. den sich am Überfluss der Meere und
Daher das Gebet, dass der Stamm nicht des Landes gütlich tun. Weil es keine

223
5. Mose 33 und 34

Aufzeichnungen darüber gibt, dass sie dieses herrlichen Segens lesen: »wie dei-
die Nationen in der Anbetung geleitet ne Tage, so deine Ruhe«.20
hätten, und weil beide Stämme in der
Vergangenheit im Binnenland lebten, 33,26-29 Die abschließenden Verse fei-
muss dieser Segen auf das Tausend­ ern die Größe Gottes, die sich darin
jährige Reich hinweisen. zeigt, wie er für sein Volk handelt. Der
33,20-21 Gad: Gott gab diesem Stamm »Gott Jeschuruns« ist einzigartig, in-
ein großes Gebiet östlich des Jordans. dem er »auf den Himmeln einherfährt
Gad musste wie eine Löwin kämpfen, zu deiner Hilfe«. Millionen sind durch
um es zu erobern und zu erhalten. Es die Worte von Vers 27 gestärkt worden:
war erstklassiges Weideland, das er sich »Zuflucht ist bei dem alten Gott und
aussuchte, »der Anteil eines Anfüh- unter den ewigen Armen« (Luther
rers«. Aber er vereinigte sich auch mit 1984). Die Vorhersage von Gottes künf-
»den Häuptern des Volkes«, um das tiger Vernichtung der Feinde Israels
Land westlich des Jordans zu erobern, und die Verheißung von Sicherheit,
und führte so den gerechten Willen des Frieden, Wohlstand und Sieg beschlie-
Herrn aus. ßen das Lied des Mose.
33,22 Dan wird mit einem Löwenjun-
gen verglichen, wild und stark, das D. Der Tod Moses (Kap. 34)
plötzlich aus dem Hinterhalt zuschlägt. 34,1-8 Selbst wenn der Tod Moses hier
Dans ursprüngliches Gebiet lag im Süd- von jemand anderem aufgezeichnet
westen Kanaans, doch die Daniter wan- sein sollte, ändert das nichts an der Tat-
derten in den Nordosten und eroberten sache, dass der Rest des Pentateuchs
zusätzliches Land, das an Baschan von Mose geschrieben wurde.21 Nach-
grenzte. dem Mose das Land gesehen hatte,
33,23 Naftali lag im Nordosten Kana- starb er auf dem Berg Nebo und wurde
ans und erstreckte sich südlich des Sees vom Herrn in einem geheimen Grab be-
Genezareth. Der Stamm wurde mit der stattet. Zweifellos war der Grund für
Huld und dem Segen des Herrn geseg- diese Geheimhaltung, die Menschen
net. davon abzuhalten, einen Schrein aus
33,24-25 Asser sollte mit zahlreicher dem Grab des Gesetzgebers zu machen
Nachkommenschaft, guten Beziehun- und ihn dort anzubeten. »Mose aber
gen zu den anderen Stämmen und ei- war 120 Jahre alt« bei seinem Tod, aber
nem Land, das von Olivenöl überfloss, er war noch stark, rege und kühn. Diese
gesegnet sein. Eisen und Bronze schei- Aussage ist kein Widerspruch zu 31,2.
nen seltsame Materialien für Schuhe zu Dass Mose das Volk nicht länger führen
sein (vgl. Schlachter 2000, KJV, NKJV). konnte, hatte keine gesundheitlichen,
Keil übersetzt statt »Schuhe« »Festun- sondern geistliche Ursachen. Gott hatte
gen«. F.W. Grant gibt eine interessante ihm gesagt, dass er das Volk wegen sei-
alternative Übersetzung für den zwei- ner Sünde nicht in das Land Kanaan
ten Teil von Vers 25: bringen könnte (31,2), auch wenn er ge-
sundheitlich durchaus noch dazu in der
Die modernen [Ausleger] lesen im Ge- Lage gewesen wäre.
gensatz zu den alten »Ruhe« statt »Stär- 34,9 Josua übernahm nun seine Pflich-
ke«. In diesen beiden könnte sich zwei- ten als Oberbefehlshaber. Mose hatte
fach ihre bleibende Sicherheit aus­ Josua als seinen Nachfolger nach dem
drücken. Auch wenn wir nicht bereit sein Wort des Herrn in 4. Mose 27,18-23 be-
mögen, etwas aufzugeben, mit dem wir stätigt. So wurde sein Diener sein Nach-
so vertraut sind wie dieses »wie deine folger, ein weiteres Zeugnis der Demut
Tage, so deine Kraft«, ist es sicherlich des Mose.
nicht unpassend, wenn wir als Schluss 34,10-12 Nur von wenigen Menschen

224
5. Mose 34

kann man das sagen, was dem Mose als 10


(16,16-17) Ebd., S. 45.
Anerkennung gezollt wurde. Natürlich 11
(18,9-14) Henry G. Bosch, Our Daily
war der Messias, als diese Worte ge- Bread, Grand Rapids: Radio Bible
schrieben wurden, noch nicht erschie- Class, Juni/Juli/August 1989, Tages-
nen. Vers 10 gilt jedoch nur bis zur Zeit lese zum 31. August.
des Ersten Kommens Christi. 12
(20,1-8) Henry, »Deuteronomy«,
»Und Mose war zwar in seinem gan- Bd. I, S. 806.
zen Hause als Diener treu« (Hebr 3,5). 13
(20,10-20) Einige Beispiele finden
Er starb wegen seiner Sünde, und sein sich in der Einführung zum Buch
Grab ist unbekannt. Aber sein Vorbild, Jona.
der Herr Jesus, war »als Sohn treu über 14
(22,13-21) Eine andere mögliche Be-
sein Haus« (Hebr 3,5-6). Er ist für unsere deutung ist, dass »Zeichen der Jung-
Sünden gestorben, und sein Grab ist frauschaft« mit »Zeichen der Reife«
leer, weil er zur Rechten Gottes auf­ übersetzt werden könnte, d.h., »dass
gefahren ist. »Daher, heilige Brüder, das Mädchen regelmäßig mens­
Teilhaber der himmlischen Berufung, truierte. Ein Mann, der solch ein
betrachtet den Apostel und Hohenpriester Mädchen heiratete, konnte solche
unseres Bekenntnisses, Jesus Christus. … Beweise nach seiner Eheschließung
Denn er ist größerer Herrlichkeit ge- erwarten, es sei denn, es wurde so-
würdigt worden als Mose, insofern grö- fort von ihm schwanger. Was erwar-
ßere Ehre als das Haus der hat, der es tet wurde, war ein Beweis dafür,
erbaut hat« (Hebr 3,1.3). dass das Mädchen zur Zeit der Ehe-
schließung nicht schwanger war und
deshalb menstruierte. Wenn sie nach
Anmerkungen ihrer Verlobung sexuell gesündigt
hätte, dann würde sich eine Schwan-
1
(2,1-23) Die »Riesen« oder »Refaiter« gerschaft vor der Ehe zeigen und ein
(hebr. rephaim) waren eine alte Rasse Kind geboren werden, ehe die neun
von Riesen, von denen Og abstamm- Monate um waren. Das Gesetz der
te. Das Wort Refaim konnte später Verse 13-21 könnte sich deshalb auf
alle möglichen Menschen von großer das Verhalten der Braut während der
Statur bezeichnen. Verlobungszeit vor der Ehe bezie-
2
(3,1-11) J.A. Thompson, Deuterono­ hen, und die ›Zeichen der Reife‹
my: An Introduction and Commentary, könnten ein Schwangerschaftstest
S. 93. gewesen sein.« (Thompson, Deutero­
3
(4,44-49) In der syrischen Überset- nomy, S. 236. Vgl. auch die Diskus­
zung heißt der Berg »Sirion«. sion auf S. 235.)
4
(5,22) Thompson, Deuteronomy, 15
(23,1-8) Diese Kategorie könnte sich
S. 119. besonders auf Nachkommen von in-
5
(8, Einführung) Ebd., S. 134. zestuösen Beziehungen unter den
6
(10, Einführung) Die Kapitel- und Juden beziehen ‒ oder auf Verbin-
Verseinteilung der Bibel wurde erst dungen mit Heiden.
Jahrhunderte nach der Abfassung 16
(24,17-22) Ronald Sider, Rich Chris­
der Originale festgelegt. tians in an Age of Hunger, S. 92.
7
(15,1-3) Matthew Henry, »Deutero- 17
(26,1-11) Phillip Keller, A Shepherd
nomy«, in Matthew Henry’s Commen­ Looks at Psalm 23, S. 46-47.
tary on the Whole Bible, Bd. I, S. 786. 18
(28,69) C.F. Keil und F. Delitzsch,
8
(15,4-6) E.W. Bullinger, The Compani­ »Deuteronomy«, in: Biblical Commen­
on Bible, S. 259. tary on the Old Testament, Bd. III,
9
(16,1-8) D.L. Moody, Notes from My S. 446.
Bible, S. 44-45. 19
(31,9-13) C.H. Mackintosh, »Deuter­

225
5. Mose

onomy«, in: Notes on the Pentateuch, 21


(34,1-8) Vgl. »Einführung in den
S. 895. Penta­teuch« zur Verteidigung der
20
(33,24-25) F.W. Grant, »Deuteronomy«, mosaischen Verfasserschaft des
in: The Numerical Bible, Bd. I, S. 622. Pentateuchs.

Bibliografie Mackintosh, C.H.,


»Deuteronomy«, in: Notes on the Penta­
Grant, F.W., teuch,
»Deuteronomy«, in: The Numerical Bible, Neptune: Loizeaux Brothers, 1972.
Bd. 1,
Neptune: Loizeaux Brothers, 1977. Shultz, Samuel J.,
Deuteronomy: The Gospel of Love,
Henry, Matthew, Everyman’s Bible Commentary,
»Deuteronomy«, in: Matthew Henry’s Chicago: Moody Press, 1971.
Commentary on the Whole Bible, Bd. I,
MacLean: MacDonald Publishing Com- Thompson, J.A.,
pany, o.J. Deuteronomy: An Introduction and Com­
mentary, The Tyndale Old Testament
Keil, C.F. und Delitzsch, F., Commentaries,
»Deuteronomy«, in: Biblical Commen­tary Downers Grove: InterVarsity Press, 1974.
on the Old Testament, Bd. III,
Grand Rapids: Wm. B. Eerdmans Pub- Towns, Elmer L.,
lish­ing Co., 1971. »Deuteronomy«, in: The Liberty Bible
Commentary,
Kline, Meredith G., Lynchburg: The Old-Time Gospel Hour,
»Deuteronomy«, in: The Wycliffe Bible 1982.
Commentary,
Chicago: Moody Press, 1962.

226
Einführung in die historischen Bücher
Für Millionen von Menschen, die gute I. Chronologie
Geschichten und vor allem wahre Ge-
schichten lieben, ist der zweite Haupt- Die historischen Bücher beschreiben
teil des AT besonders spannend. Die den Zeitraum von ungefähr 1400 bis
Geschichte des Volkes Gottes wird von ungefähr 400 v.Chr., also ein ganzes
dort weitererzählt, wo das 5. Buch Mose Jahrtausend hebräischer Geschichte.
endet. Wir können es über eintausend Dieser lange Zeitraum lässt sich in drei
Jahre hinweg bis zum Ende der alttesta- Abschnitte einteilen: die Zeit der Theo-
mentlichen Zeit begleiten. (Die poeti- kratie (1405-1043 v.Chr.), die Zeit der
schen und prophetischen Bücher pas- Monarchie (1043-586 v.Chr., von Saul
sen in denselben Rahmen, allerdings bis zur Zerstörung Jerusalems) und die
wird die Geschichte durch sie nicht Zeit der Wiederherstellung (536-420
weitergeführt.) v.Chr.).
Denjenigen, die für »Geschichte« nichts
übrig haben (sei es wegen der Sache an II. Die Bücher der Theokratie
sich oder aufgrund von schlechten Er- So wie eine Demokratie (griechisch für
fahrungen mit langweiligen Geschichts- Volksherrschaft) direkt vom Volk re-
lehrern), können wir nur sagen, dass die giert werden sollte, sollte eine Theokra­
Geschichte dieses Volkes einmalig ist. Zu- tie direkt von Gott regiert werden. In
erst einmal handelt es sich bei der Ge- der Zeit von Josua bis Saul (1405-1043
schichte der Bibel nicht um irgendeine v.Chr.) war Israel eine solche von Gott
Geschichte, sondern um »seine Geschich- regierte Gesellschaft.1
te« (wie das englische Wortspiel »Histo- Mit der theokratischen Ära befassen
ry is His Story« verdeutlicht). Es handelt sich drei Bücher: Josua, Richter und Rut.
sich nicht um eine vollständige Bericht-
erstattung jedes einzelnen Abschnitts der A. Josua
hebräischen Geschichte, sondern um Dieses Buch erzählt die Geschichte Is­
eine von Gott zusammengestellte, fort- raels vom Tod Moses und von seiner
laufende Geschichte. Zweitens ist es Ge- Ablösung durch Josua an, der ein mili-
schichte mit Ziel – sie dient nicht nur der tärischer und gleichzeitig geistlicher
Lehre oder Unterhaltung, sondern soll Führer war. Josua drängt die Israeliten
dazu beitragen, uns zu besseren Gläubi- nicht nur dazu, Palästina zu erobern,
gen zu machen. Diese Texte wurden, um sondern auch dazu, dem Herrn nach-
die Worte des Apostels Paulus im NT zu zufolgen. In der ersten Hälfte des
verwenden, »zu unserer Belehrung ge- Buches wird von der Eroberung des
schrieben« (Röm 15,4). Gelobten Landes erzählt, die zweite
Alle genannten Ereignisse haben tat- Hälfte beschäftigt sich mit der Auf­
sächlich stattgefunden. Unter der Inspi- teilung dieses Landes unter den zwölf
ration des Heiligen Geistes haben die Stämmen Israel.
auserwählten Schreiber Gottes jedoch
eine Auswahl getroffen und bestimmte B. Richter
Ereignisse beschrieben, um dem auf- Da die Israeliten Gottes Geboten nicht
merksamen Leser zu vermitteln, was gehorchten und in ganz Palästina heid-
Gott ihm beibringen möchte, was er z.B. nische Gruppen wohnen ließen, muss-
vom Leben Davids, von der Teilung Is- ten sie in den folgenden Jahren mehrere
raels oder von der Rückkehr der übrig Phasen heidnischer Unterdrückung
gebliebenen Juden aus dem Exil lernen über sich ergehen lassen – insgesamt
kann. sieben.

227
Einführung in die historischen Bücher

Das Buch Richter enthält einige recht geführt, zwischen 605 und 586 v.Chr.
düstere – und ein oder zwei regelrecht auch das Südreich.
grausige – Geschichten, mit denen ver-
deutlicht wird, wozu Ungehorsam dem C. Chroniken
Wort Gottes gegenüber führen kann.
In der hebräischen Bibel steht dieses
C. Rut Buch an letzter Stelle. Es erzählt die jü-
Die Ereignisse der anmutigen Geschich- dische Geschichte von Adam (nur in
te dieses kleinen Buches passierten Geschlechtsregistern) bis zum Unter-
nicht etwa nach den Geschehnissen aus gang des Südreichs. Da es sich hierbei
dem Buch Richter, sondern gerade wäh- um eine Zusammenfassung der hebrä­
rend dieser Zeit der geistlichen Finster- ischen Geschichte aus geistlicher Sicht
nis. Das Buch verdeutlicht, dass selbst handelt, werden die positiven Elemente
in einer Zeit des extremen geistlichen betont. (So wird Davids größte Sünde
Verfalls die übrigen gottesfürchtigen nicht erwähnt und das rebellische
Menschen Gott auf wunderbare und Nordreich Israel vollständig ignoriert.)
ihm wohlgefällige Art und Weise die-
nen können. IV. Die Bücher der
Wiederherstellungsphase
III. Die Bücher der Monarchie Nach siebzig Jahren im Exil in Babylon
Auch die Zeit der Monarchie (1043-586 wurde die Nation, die einst eine Theo­
v.Chr.) wird durch drei Bücher abgedeckt. kratie, dann eine Monarchie war, zu
Allerdings wurden diese in allen moder- einer einfachen Provinz unter der Herr-
nen Bibelübersetzungen der Einfachheit schaft heidnischer Weltmächte – zuerst
halber in sechs Bücher aufgeteilt. Persien, dann Griechenland und
schließ­­­­lich Rom. Diese Zeitspanne
A. Samuel dauerte von 536 bis 420 v.Chr.
1. und 2. Samuel lassen sich mit den
Namen von drei Personen zusammen- A. Esra
fassen: Samuel, Saul und David. Sie Im Jahr 536 v.Chr. gab König Kyrus ein
wurden nach dem Propheten Samuel Gesetz heraus, das den Juden die Rück-
benannt, der Israels ersten König, Saul, kehr in ihr Heimatland ermöglichte.
und auch dessen Nachfolger, David, Etwa 50.000 Juden (eine kleine Minder-
salbte. Von den Schwierigkeiten und heit) kehrte unter Serubbabel zurück,
Errungenschaften dieser beiden Könige um den Tempel wieder aufzubauen.
wird teilweise recht detailliert berich- Der Priester Esra kehrte 458 v.Chr. mit
tet. etwa 2.000 Juden zurück.
B. Könige B. Nehemia
Salomo, Davids Sohn, war ein weiser Im Jahr 444 v.Chr. erhielt Nehemia vom
und großartiger Herrscher. Er verlor je- persischen König die Erlaubnis, die
doch seinen geistlichen Einfluss da- Stadtmauern Jerusalems um den wie-
durch, dass er ganze Heerscharen von derhergestellten Tempel herum neu
heidnischen Frauen heiratete. Sein Sohn aufzubauen. Nach Beendigung des
Rehabeam verursachte die Spaltung Mauerbaus führten Esra und Nehemia
des Königreichs in das Südreich Juda eine Reformation und eine Erweckung
(das von guten und schlechten Königen im jüdischen Staat an.
regiert wurde) und das Nordreich Is­
rael (das nur von schlechten Königen C. Ester
regiert wurde). Im Jahr 722 v.Chr. wur- Dieses Buch ist chronologisch gesehen
de das Nordreich in die Gefangenschaft nicht das letzte der drei Bücher der Wie-

228
Einführung in die historischen Bücher

derherstellung. Die darin beschriebenen tischer Verfolgung, ja, vor einem Völker-
Ereignisse in Persien sind zwischen Kapi- mord, zu bewahren. Seine Werkzeuge
tel 6 und 7 des Buches Esra einzuordnen. waren eine schöne jüdische Königin und
Vielleicht steht Ester an letzter Stelle, weil ihr scharfsinniger Cousin Mordechai.
es das Leben derer beschreibt, die sich
nichts daraus machten, in das heilige
Land zurückzukehren, obwohl sie die Anmerkungen
Möglichkeit dazu gehabt hätten. Im Buch 1
Genf unter Calvin (16. Jh.) und das
Ester wird beschrieben, wie Gott hinter puritanische Neuengland (17. Jh.)
den Kulissen wirkt (sein Name wird kein waren protestantisch-reformatorische
einziges Mal erwähnt), um sein von Versuche einer Theokratie.
alters her erwähltes Volk vor antisemi-

229
Josua
»Der heilige Kanon stellt uns hier ein Buch vor, das Geschichte zum Gegenstand hat
und zugleich die Kunst der Geschichtsschreibung präsentiert, und so etwas hat unsere
Generation dringend nötig, die zwar viel über Geschichte schreibt, aber dennoch arm
an historischem Empfinden und Wahrnehmungsvermögen ist.«

Paulus Cassel

Einführung Auch berichtet das Buch ausdrücklich,


dass Josua einige Dokumente schreiben
I. Einzigartige Stellung im Kanon ließ (18,9; 24,26). Die Tatsache, dass Ra-
hab zur Zeit der Abfassung des Buches
Josua ist eine unverzichtbare Brücke noch lebte (6,25), passt gut zu der Aus-
zwischen den Büchern Mose und der sage, dass Josua der Hauptverfasser des
Geschichte Israels im Land Kanaan. So- Buches ist.
wohl in der hebräischen Anordnung
der Bücher als auch in der modernen III. Datierung
christlichen Reihenfolge ist Josua das Die Datierung von Josua hängt teilwei-
sechste Buch des AT. Für Christen ist es se von der Datierung des Auszugs aus
das erste der zwölf »historischen Bü- Ägypten ab (15. oder 13. Jh. v.Chr.). Die
cher« (Josua bis Ester), für die Juden ist Tatsachen passen besser mit der frühe-
es das erste der bei ihnen sogenannten ren, konservativeren Datierung in der
»vorderen Propheten« (Josua bis Esra/ Mitte des 15. Jh. v.Chr. zusammen. Eine
Nehemia, wogegen Rut und Chroniken Datierung für Josua zwischen 1400 und
zu den »Schriften« am Ende des hebrä­ 1350 scheint aus folgenden Gründen
ischen AT gehören). wahrscheinlich: Das Buch muss vor Sa-
Jensen betont die Bedeutung des Bu- lomo geschrieben worden sein (vgl. 1,10
ches mit folgenden Worten: mit 1Kö 9,16) und auch vor dessen Va-
ter David (vgl. 15,63 mit 2Sam 5,5-9).
Josua ist ganz real der Höhepunkt einer Weil Josua in 13,4-6 die Phönizier »Si-
fortschreitenden Geschichte wie auch donier« nennt, muss es vor den 1100er
der Anfang einer neuen Erfahrung für Is- Jahren v.Chr. geschrieben worden sein,
rael. So geben seine historischen Ver- als Tyrus Sidon unterjochte, und auch
knüpfungen dem Buch eine strategisch vor 1200 v.Chr., weil die Philister Paläs-
wichtige Stellung in den Schriften des tina nach dieser Zeit eroberten, doch
Alten Testaments.1 sind sie zu Josuas Zeit noch kein Pro-
blem.
II. Verfasserschaft
Das Buch ist zwar anonym, doch spricht IV. Hintergrund und Thema
viel für die alte Tradition, nach der es So wie das 2. Buch Mose die Geschichte
größtenteils von Josua selbst stammt Gottes ist, wie er sein Volk aus Ägypten
und nach seinem Tod von Eleasar, dem führt, so ist Josua die Geschichte Gottes,
Hohenpriester, und dessen Sohn Pin- wie er sein Volk in das Verheißene Land
has vervollständigt wurde. Josua ent- führt. Er wollte das gute Werk, welches
hält lebendig erzähltes Material, das er begonnen hatte, auch trotz des Un-
nahe legt, dass der Verfasser selbst Au- glaubens des Volkes vollenden. Wie wir
genzeuge war. Es gibt auch Abschnitte sehen werden, hatte sich das Volk nicht
in der ersten Person (ich, wir) wie 5,1.6. geändert, die Israeliten waren noch im-

231
Josua

mer ungläubig. Dennoch sollte das war ein Ephraimit (4. Mose 13,8) und
Wort des Herrn erfüllt werden und der Moses persönlicher Diener (Jos 1,1). Er
Same Abrahams im Land des Bundes war ein Mann, der schon früh die
(1. Mose 15,13-16) eingepflanzt werden, Schlachten des Herrn schlug. Er führte
damit er Wurzeln treiben und wachsen die Israeliten in ihrer ersten Schlacht
konnte. gegen die Amalekiter an (2. Mose 17,8-
Die Ereignisse dieses Buches folgen 16) und war der einzige General, den
auf die, die im letzten Kapitel des 5. Bu- sie seit Ägypten gehabt hatten. Aber
ches Mose geschildert werden. Das was Josua die Fähigkeit gab, Mose als
Volk Israel zeltete in der Ebene Moab, Haupt des Volkes zu ersetzen, war nicht
östlich des Jordans. Mose war gestor- sein militärisches Können, sondern sei-
ben, und Josua war Oberbefehlshaber ne geistliche Vitalität und sein Glaube.
geworden. Er sollte schon bald das Volk Als junger Mann hatte er sich ständig
über den Jordan in das Verheißene Land im Zelt des Herrn aufgehalten (2. Mose
führen. Das Gesetz, das durch Mose 33,11). Er war mit Mose auf dem Berg
vertreten wird, kann Gottes Volk nicht Sinai gewesen (2. Mose 32,17). Er und
in sein Eigentum hineinführen. Nur der Kaleb waren die Einzigen gewesen, die
auferstandene Christus, der hier durch das Verheißene Land mit gläubigen
Josua abgebildet wird, kann dies tun. Augen ansahen, als das Volk 38 Jahre
Wir sollten hier anhalten, um einige zuvor in Kadesch-Barnea gewesen war
wichtige Tatsachen über Josua zu wie- (4. Mose 14,6-10). Von Mose ausgebil-
derholen: Mose hatte ihn von Hoschea det, wurde er nun vom Herrn beauf-
in Josua umbenannt (4. Mose 13,16). Er tragt, obwohl er über 90 Jahre alt war.

Einteilung A. Das Land, das noch erobert


werden musste (13,1-7)
I. Die Besetzung des Verheißenen B. Die Zuteilung des Landes
Landes (Kap. 1-12) (13,8 - 19,51)
A. Vorbereitungen für die 1. Der Anteil von Ruben, Gad
Überquerung des Jordans (Kap. 1) und dem halben Stamm
B. Die Kundschafter bei Jericho Manasse (13,8-33)
(Kap. 2) 2. Der Anteil Judas
C. Die Überquerung des Jordans (Kap. 14-15)
(3,1 - 5,1) 3. Der Anteil Josefs
D. Zeremonien in Gilgal (5,2-12) (Kap. 16-17)
E. Die Eroberung von Jericho 4. Der Anteil der restlichen
(5,13 - 6,27) Stämme (Kap. 18-19)
F. Die Schlacht bei Ai (7,1 - 8,29) C. Die Zufluchtsstädte (Kap. 20)
G. Die Bestätigung des Bundes in D. Die Levitenstädte (Kap. 21)
Sichem (8,30-35) E. Der Altar östlich des Jordans
H. Das Abkommen mit den (Kap. 22)
Gibeonitern (Kap. 9) F. Josuas Abschiedsrede an die
I. Der Feldzug im Süden (Kap. 10) Anführer Israels (Kap. 23)
J. Der Feldzug im Norden (Kap. 11) G. Josuas Abschiedsrede an das
K. Zusammenfassung der Volk Israel (24,1-15)
Eroberungen (Kap. 12) H. Der Bund wird in Sichem
II. Die Besiedlung des Verheißenen erneuert (24,16-28)
Landes (Kap. 13-24) I. Der Tod Josuas (24,29-33)

232
Josua 1 und 2

Kommentar Josua daran erinnert, dass sie bei der


Eroberung des Landes helfen mussten,
I. Die Besetzung des Verheißenen danach durften sie zu ihren Familien
Landes (Kap. 1-12) zurückkehren (V. 12-15). Dieser Auffor-
derung stimmten sie bereitwillig zu
A. Vorbereitungen für die (V. 16-18). Jeder, der umkehren würde,
Überquerung des Jordans (Kap. 1) sollte getötet werden. In einigen Lie-
dern wird das Überqueren des Jordans
1,1-9 Der Herr gab zunächst Josua, dem als Bild für den Tod gesehen, und das
Sohn Nuns, einen feierlichen Auftrag Land Kanaan stellt dann den Himmel
im Hinblick auf die Aufgabe, die vor dar. Aber in Kanaan gab es Kampf,
ihm lag. Das Land war Israel verheißen, während es im Himmel keine Kämpfe
aber es musste es in Besitz nehmen, und mehr geben wird. Eigentlich ist das
zwar vom Negev im Süden bis zum Li- Land Kanaan ein Bild für unser gegen-
banon im Norden, und vom Mittelmeer wärtiges geistliches Erbe. Es gehört
im Westen bis zum großen Strom, dem ganz uns, aber wir müssen es ergreifen,
Euphrat, im Osten (vgl. V. 3-4). Josua indem wir die Verheißungen in An-
sollte stark, sehr mutig und gehorsam spruch nehmen und den guten Kampf
sein. Heute, genau wie damals, wird des Glaubens kämpfen.
uns gutes Gelingen zugesagt, wenn wir
unsere Herzen und unseren Verstand B. Die Kundschafter bei Jericho (Kap. 2)
mit Gottes Wort füllen und diesem Wort 2,1a Als Vorbereitung für die Invasion
gehorchen (V. 8). schickte Josua, der Sohn des Nun, zwei
Dreimal wird Josua vom Herrn auf- Kundschafter vom Akazienhain (so die
gefordert, stark und sehr mutig Bedeutung des Namens Schittim) nach
(Schlachter 2000, V. 7) zu sein (V. 6.7.9). Jericho aus. Dies war kein Ausdruck
Vielleicht lag Josua zu dieser Zeit die von mangelndem Glauben seinerseits,
Größe und die Dauer dieser Aufgabe, sondern eine Sache der militärischen
der Druck, ein solch widerspenstiges Taktik. Sie sollten nicht das ganze Land
Volk führen zu müssen, und die Ab­ auskundschaften, wie man es Jahre zu-
wesenheit seines geistlichen Mentors vor getan hatte, sondern immer nur
Mose auf der Seele. Aber der Herr berief einen Schritt vorwärts schauen.
ihn nicht, ohne ihn für die Aufgabe 2,1b-24 Die Kundschafter fanden Un-
auch zu befähigen. Es gab gute Gründe, terkunft im Haus einer Hure, deren
warum Josua stark sein konnte: Gottes Name Rahab war. Keil und Delitzsch
Verheißung (V. 5-6), ein gewisser Sieg; weisen darauf hin, dass ihr Bleiben im
Gottes Wort (V. 7-8), eine sichere Füh- Haus einer solchen Frau nicht so viel
rung; und Gottes Gegenwart (V. 9), eine Argwohn auf sich ziehen würde.3 Es
bewahrende Kraft. geht aus der Erzählung hervor, dass Ra-
T. Austin Sparks schreibt: hab von den wunderbaren Siegen ge-
hört hatte, die der Herr dem jüdischen
Wir treten an dieser Stelle in den echten Volk geschenkt hatte (V. 8-11). Sie
Kampf des Glaubens ein. Nicht, was wir schloss daraus, dass Israels Gott der
sind, sondern, was er ist! Nicht was wir wahre Gott sein musste, und so vertrau-
fühlen, sondern seine Tatsachen.2 te sie auf ihn und bekehrte sich wahr-
haftig. Sie bewies die Echtheit ihres
1,10-18 Das Volk sollte sich mit Weg- Glaubens, indem sie die Kundschafter
zehrung für ihre Reise durch das Land beschützte, auch wenn das hieß, ihr
Kanaan versorgen. Die Männer der eigenes Volk zu verraten.
zweieinhalb Stämme, die östlich des Die Kundschafter versprachen, Ra-
Jordans siedeln wollten, wurden von hab und ihre Familie zu verschonen,

233
Josua 2 und 3

wenn sie eine rote Schnur an das Fens- Christus. Wir sollten einen respektvol-
ter ihres Hauses binden würde und ihre len Abstand wahren, indem wir nicht
Familie in diesem Haus bleiben würde, versuchen, ehrfurchtslos alle Geheim-
während Jericho erobert wurde (V. 6- nisse seiner Person zu lösen, die für den
21). Die rote Schnur lässt uns an ein menschlichen Geist zu tief sind. Einige
Haus denken, das durch das Blut ge- der schlimmsten Irrlehren in der Ge-
schützt ist, wie beim ersten Passah schichte des Christentums sind entstan-
(2. Mose 12). den, weil man genau das dreist ver-
Als die Botschafter des Königs von Je- sucht hat. Aber wir sollten Christus im-
richo Rahab fragten, wo die Kundschaf- mer im Blick behalten; das gewährleis-
ter seien, sagte sie ihnen, dass sie die tet unseren Sieg.
Stadt schon verlassen hätten (V. 5). 3,14-17 Als die Füße der Priester das
Während die Männer Jerichos auf dem Wasser des Jordans berührten, geschah
Weg zum Jordan nach ihnen suchten, ein Wunder. Der Fluss wurde bei der
hatte Rahab die Kundschafter nach Stadt Adam einige Kilometer nördlich
Westen in die Berge geschickt. Nach- aufgehalten. Die Wasser richteten sich
dem sie sich dort drei Tage lang verbor- auf wie ein Damm, und was immer sich
gen hatten, konnten die Kundschafter an Wasser im Flussbett weiter unten be-
über den Jordan entkommen und brach- fand, lief ins Salzmeer (= Totes Meer).
ten Josua einen zuversichtlichen Bericht Ähnliche Vorkommnisse, bei denen
(V. 22-24). der Jordan in dem Gebiet gestaut wur-
Rahabs »Werke« und nicht ihre »Wor- de, wo sich Adam sicherlich befunden
te« rechtfertigten sie (Jak 2,25). Die Bi- hatte, ereigneten sich im Jahr 1267, als
bel lobt nicht ihre Lüge (V. 4-5), sondern der Fluss für 10 Stunden zurückgehal-
ihren Glauben (Hebr 11,31). Auch Jako- ten wurde, und im Jahr 1927, damals
bus nennt ihre Tat ein Werk des Glau- für 24 Stunden. Beide Male war ein Erd­
bens (Jak 2,25). Sie setzte ihr Leben aufs beben die Ursache.4 Doch vertritt D.K.
Spiel, um das Leben der Spione zu ret- Campbell die Ansicht, dass viele Um-
ten, weil sie an die Macht und Ober- stände darauf hinweisen, dass hier weit
herrschaft von deren Gott glaubte. So mehr geschehen war als eine perfekte
zeigten auch in den Tagen unseres Zeitplanung, nämlich ein besonderes
Herrn einige Menschen außerhalb Is­ Wunder:
raels mehr Glauben als jene, die Augen-
zeugen seiner Herrlichkeit waren (Lk Viele übernatürliche Elemente kommen
7,2-9). Großer Glaube wird immer be- hier zusammen: 1. Das Ereignis geschah
lohnt, wo immer er auch gefunden wird wie vorausgesagt (V. 13.15). 2. Es geschah
(vgl. Kap. 6), weil er Gott wohlgefällig exakt zum richtigen Zeitpunkt (V. 15).
ist (Hebr 11,6). 3. Das Ereignis fand statt, als der Fluss
Hochwasser führte (V. 15). 4. Die Wasser-
C. Die Überquerung des Jordans (3,1 - 5,1) mauer blieb lange Zeit an derselben Stel-
3,1-13 Es war nun die Zeit gekommen, le, wohl einen ganzen Tag (V. 16). 5. Das
über den Jordan zu ziehen. Die Priester weiche, nasse Flussbett wurde sofort tro-
wurden angewiesen, voranzugehen cken (V. 17). 6. Das Wasser kehrte sofort
und die Bundeslade zu tragen. (Norma- zurück, nachdem das Volk den Fluss
lerweise trugen die Kehatiter die Bun- überquert hatte und die Priester aus dem
deslade, wie in 4. Mose 4,1-15, aber in Fluss gestiegen waren (4,18). Jahrhunder-
diesem besonderen Fall sollten die te später überquerten die Propheten Elia
Priester die Lade tragen.) Das Volk wur- und Elisa trockenen Fußes denselben
de angewiesen, der Lade in einigem Fluss in die entgegengesetzte Richtung
Abstand zu folgen, sie aber immer im (2Kö 2,8). Schon kurze Zeit später ging
Auge zu behalten. Die Lade spricht von Elisa wieder zurück, wieder auf trocke-

234
Josua 3 bis 5

nem Grund. Wenn ein Naturphänomen auf, an der Stelle, wo die Priester ge-
nötig wäre, um die Überquerung des Jor- standen hatten. Dann, sobald die Pries-
dans durch die Israeliten unter Josua zu ter mit der Bundeslade ans Westufer
erklären, dann müsste man daraus fol- gelangt waren, überflutete das Wasser
gern, dass zwei Erdbeben kurz hinterein- des Jordans wieder genauso wie vorher
ander für Elia und Elisa geschehen wä- das Flussbett.
ren, was ein bisschen überzogen scheint.5 Die Steine im Flussbett sprechen von
unserer Identifikation mit Christus im
Gott, der durch die Bundeslade reprä- Tod. Die Steine am Westufer sprechen
sentiert wurde, führte das Volk durch von unserer Identifikation mit Christus
den Jordan, so wie er es auch zum Sieg in der Auferstehung.
westlich des Jordans führen würde. Er Indem er das Wasser des Jordans an-
zeigte hier, dass seine Gegenwart, die gehalten hatte, machte der Herr den
dazu führte, dass das Wasser vor Israel Josua groß in den Augen von ganz Is­
wich, ihre Hoffnung auf Sieg war, und rael, so wie er vorher Mose groß ge-
nicht irgendetwas in den Israeliten. macht hatte. Bisher war Josua nur ein
Die Priester gingen in die Mitte des Diener, der demütig im Schatten von
Flussbetts und blieben dort, während Mose diente und die Wege Gottes ken-
Israel auf dem Trockenen hinüberzog. nenlernte. Nun war die Zeit seiner Er­
4,1-24 Der Herr befahl, dass zwölf höhung gekommen, denn »wer sich
Männer (einer für jeden Stamm) je ei- selbst erniedrigt, wird erhöht werden«
nen Stein aus dem Bett des Jordans mit- (Lk 14,11).
nehmen sollten. Das sollte ein Zeichen Das Volk überquerte den Jordan am
zur Erinnerung sein, um die Stelle zu zehnten Tag des ersten Monats, fünf
kennzeichnen, an der Israel zum ersten Tage bevor die vierzig Jahre seit dem
Mal westlich des Jordans gelagert hatte. Auszug aus Ägypten um waren, und
So wurde in Gilgal für künftige Genera- genau rechtzeitig, um sich auf das Pas-
tionen ein Denkmal als ständige Erin- sah vorzubereiten (vgl. 2. Mose 12,2-3).
nerung daran aufgerichtet, dass Gott 5,1 Die heidnischen Einwohner wur-
auf wunderbare Weise den Jordan auf- den von Panik erfasst, als sie von der
gehalten hatte, damit die Israeliten wunderbaren Überquerung des Jordans
»trockenen Fußes« (V. 22) den Fluss durch die hebräische Armee hörten.
überqueren konnten.
Die Stämme, die ihr Erbe schon öst- D. Zeremonien in Gilgal (5,2-12)
lich des Jordans erhalten hatten ‒ 5,2-9 Dieses Kapitel berichtet über die
Ruben, Gad und der halbe Stamm Ereignisse, die in Gilgal stattfanden,
Manasse ‒ sandten bewaffnete Krieger dem ersten Lager der Israeliten in Ka-
hin­über, um ihren Brüdern zu helfen, naan. Dort wurden die Männer be-
das Land Kanaan in Besitz zu nehmen. schnitten (V. 2-9). Dort hielten sie das
Obwohl die Gesamtzahl der zweiein- Passah, das erste in Kanaan (V. 10). Dort
halb Stämme über 100.000 Mann betrug hörte das Manna auf (V. 11-12), und
(vgl. 4. Mose 26), überquerten nur dort begegnete Josua dem Oberbefehls-
40.000 den Jordan. Der Rest blieb wahr- haber des Heeres des Herrn, Jesus
scheinlich zurück, um ihr Land und Christus (V. 13-15).
ihre Familien zu schützen. Der Herr befahl Josua nun, den Ritus
Nachdem alle den Fluss überquert der Beschneidung zu erneuern. Alle
hatten, einschließlich der Männer der Männer, die aus Ägypten gekommen
zweieinhalb Stämme, und nachdem die waren, waren beschnitten gewesen,
zwölf Steine aus dem Jordan mit­ aber alle Kriegsleute waren in der Zwi-
genommen worden waren, richtete schenzeit gestorben (5. Mose 2,16). Vier-
Josua zwölf Steine mitten im Jordan zig Jahre lang war keine Beschneidung

235
Josua 5 und 6

vollzogen worden. Während der vier- 5,11-12 Das Manna spricht von dem
zig Jahre der Wüstenwanderung war Mensch gewordenen Christus, das Brot,
eine neue Generation aufgekommen, das vom Himmel kam, um unsere Be-
und sie musste jetzt als Zeichen ihrer dürfnisse während der Wüstenwande-
Wiedereinsetzung in den vollen Segen rung zu stillen. Der Ertrag (das Getrei-
des Bundes diese Zeremonie durchfüh- de) des Landes symbolisiert den auf­
ren. Solange die Israeliten durch die erstandenen Christus, nachdem man in
Wüste wanderten, wurden sie von den die Segnungen Kanaans eingetreten ist.
Ägyptern verlacht, weil sie das Verhei- Wir ernähren uns von beidem. Das
ßene Land nicht erreicht hatten. Aber Manna hörte an dem folgenden Mor-
jetzt waren sie in dem Land, und die gen auf, nachdem die Israeliten von den
Schande war von ihnen abgewälzt gerösteten Körnern gegessen hatten.
(V. 9). »Wiederum« (V. 2; Elb) bedeutet: »Wie wunderbar hält Gott die Zeit ein,
Es ist das zweite Mal, dass die Beschnei- und wie wunderbar versorgt er die Sei-
dung vom Volk praktiziert wurde. nen!«
5,10 Das Passah wurde vier Tage,
nachdem man den Jordan überquert E. Die Eroberung von Jericho (5,13 - 6,27)
hatte, gehalten (am vierzehnten Tag des 5,13-14a Der Mann in Vers 13 war der
Monats). Man beachte Josuas Glauben: Engel des HERRN ‒ der Herr Jesus in
Obwohl er sich auf feindlichem Gebiet einer seiner Erscheinungen vor seiner
befand, gehorchte er Gott, indem er sei- Menschwerdung. Er stellte sich als
ne Soldaten beschnitt und das Passah »Oberster des Heeres des Herrn« vor.
hielt – »äußerst unmilitärische Hand- Christus kommt nicht nur, um uns zu
lungsweisen«, wie einmal jemand fest- helfen, und sicherlich nicht, um uns zu
gestellt hat. schaden ‒ er kommt, um die volle Herr-
Durch die Beschneidung und das schaft zu übernehmen.
Passah rief der Herr sein Volk zurück 5,14b-15 Hier ist der schlüssige Be-
zu den Grundlagen seiner Beziehung weis dafür, dass sich Josua in der Ge-
zu ihm. Beide Handlungen waren in genwart Gottes befand und dies wuss-
der Wüste vernachlässigt worden. te. Normale Engel hätten niemals An-
Die Beschneidung war ein Zeichen betung angenommen, doch hier befiehlt
des Bundes zwischen Gott und Abra- der Engel des Herrn die Anbetung und
ham, und Gott in seiner Treue erfüllte beweist damit seine göttliche Natur. Jo-
nun seine bedingungslose Verheißung, sua musste aus erster Hand lernen, was
indem er Israel das Land schenkte Mose zu Beginn seines Dienstes gelernt
(1. Mose 15,18-21). Beschneidung war hatte (2. Mose 3) – die Heiligkeit und
auch ein Bild des Gerichts über sich Vormachtstellung des Herrn.
selbst und des Hinwegtuns des Schmut­ 6,1-21 Die Eroberung Kanaans ge-
­zes des Fleisches, das so notwendig für schah durch drei Feldzüge: den zentra-
den Sieg war. Das Passah war eine Er­ len, den im Süden und den im Norden.
innerung an die Erlösung. Der HERR Der zentrale Feldzug, der dazu diente,
hatte sie aus der Sklaverei in Ägypten das Land zu teilen und zu erobern, be-
losgekauft und befreit. Indem die Juden stand aus zwei großen Gefechten, eines
das Passah hielten, gehorchten sie dem in Jericho und das andere in Ai.
Wort des Herrn, das durch Mose zur Jericho war eine befestigte Stadt, aber
Zeit des ersten Passahs vor vierzig Jah- ihre Mauern und Tore dienten nur dazu,
ren gegeben worden war (2. Mose 13,5). ihre Einwohner zum Gericht drinnen zu
Gnade war Gottes Beweggrund, als er behalten ‒ sie konnten Israel jedenfalls
sein Volk berief und es aus Ägypten nicht draußen halten. Topografisch ge­
hin­ausführte. Treue war seine Garantie sehen lag die Stadt sehr tief (etwa 270 m
dafür, dass er sie ins Land hineinführte. unter dem Meeresspiegel gelegen), aber

236
Josua 6

auch moralisch war sie tief gesunken. Sie


Zentraler und südlicher Feldzug
war dem Untergang geweiht, weil sie auf
Gottes Land stand, dessen rechtmäßige
Besitzer gekommen waren, um ihr Ei-
gentum in Besitz zu nehmen. Viele Din-
ge in unserem Leben sehen Jericho ähn- 0 30 Km

lich und behindern unseren Fortschritt Mittelmeer


beim Inanspruchnehmen unseres Eigen- Sichem
tums. Vielleicht sind wir entmutigt, weil
unsere Versuchungen so riesig erschei-
Silo

nen. Wenn wir nur den Sieg in Anspruch Unteres Bethel Ai


Bet-Horon Gilgal

nehmen, den der Herr schenkt, und im


Schittim
Ajalon
Gibeon Jericho
Makkeda? Oberes
Glauben vorwärts gehen, unsere Augen Aseka Bet-Horon

auf Gott gerichtet, von dem wir unseren Lachisch


Libna?
Hebron
Erfolg erwarten, dann werden auch wir Eglon?
Debir?
Totes
Meer
Wunder sehen.
Die Furcht vor den Juden hatte Jeri-
N

cho dazu veranlasst, sich zu verbarrika- Zentraler Eroberungszug


dieren, noch ehe die Angreifer ange- ?
Südlicher Eroberungszug
Genaue Lage ist unklar
kommen waren. Sechs Tage lang zogen
die Israeliten einmal am Tag um die
Stadt und kehrten nachts nach Gilgal
zurück. Am siebten Tag zogen sie sie- 1. Gilgal, der Ort, von dem aus Josua
benmal um die Stadt. Als die Priester alle seine Feldzüge begann, war offen-
die Widderhörner bliesen, erhoben die sichtlich der Lagerplatz der Israeliten,
Israeliten ein großes Kriegsgeschrei. während sie die Kanaaniter aus dem
Die Mauer stürzte in sich zusammen, Land trieben (Jos 4,19).
und das Volk Gottes konnte in die Stadt 2. Der erste Sieg: Jerichos Mauern fie-
einziehen. Einige Ausleger sind der An- len zusammen, als die Israeliten ein
Kriegsgeschrei erhoben und ihre Trom-
sicht, dass die Mauern wie Aufzüge in peten bliesen (Jos 6,20).
der Erde verschwanden und den Is­ 3. Josua besiegte die Stadt Ai durch ei-
raeliten erlaubten, auf der Zinne der nen klug angelegten Hinterhalt (Jos
Mauern in die Stadt zu laufen. Wie 8,12-29).
auch immer es geschah: Es war ein Er- 4. Der König von Gibeon unterzeichne-
gebnis des Glaubens des Volkes Gottes te einen Vertrag mit Josua. Fünf kanaa-
(Hebr 11,30). Man beachte, dass die nitische Könige in der Umgegend wur-
Bundeslade zwischen den Versen 6 und den besiegt, als sie Josuas Truppen an-
12 siebenmal erwähnt wird. griffen (Jos 9-10).
Alles in der Stadt war »gebannt« – 5. Nachdem sie von Gibeon aus nach
Südwesten gezogen waren, besiegten
d.h. durch den Herrn der Vernichtung und vernichteten Josuas Truppen die
geweiht, als Erstlingsfrucht Kanaans. Städte Makkeda und Libna (Jos 10,28-
Die Einwohner (außer Rahab und ihre 30).
Familie) und die Haustiere sollten ver- 6. Nachdem sie von Libna nach Süden
nichtet werden, aber Silber, Gold, Bron- gezogen waren, besiegten die Israeli-
ze und Eisen sollten in den Schatz des ten der Reihe nach die Städte Lachisch,
Herrn kommen. Niemand durfte etwas Eglon, Hebron und Debir (Jos 10,31-
für sich selbst nehmen. 41).
Wenn man sich die moralische Per- 7. Nach Abschluss seines Feldzugs im
version der Kanaaniter bewusst macht, Süden kehrten Josua und seine Armee
zu ihrem Hauptquartier in Gilgal zurück
dann sieht man leicht ein, warum Gott (Jos 10,43).
eine vollständige Vernichtung allen Le-

237
Josua 6 und 7

bens in Jericho anordnete. Statt den


Herrn zu kritisieren, dass er ein ver- Nördlicher Feldzug
dientes Gericht an den Bösen voll-
streckt, sollten wir uns über seine Gna- nach Sidon

M i von
zpa
Tyrus
de wundern, die Rahab und ihre Fami-

l
Ta
lie vor demselben Schicksal bewahrte. N

6,22-27 Der Glaube, der die Mauer Kedesch

zum Einstürzen gebracht hatte (Hebr Hazor


11,30), brachte auch Rahab und ihre Merom

Verwandten aus der Stadt (Hebr 11,31). Genezareth


Die Gnade Gottes sorgte nicht nur für See
Rahabs Sicherheit, sondern erhob sie Genezareth

sogar auf einen Platz in der Ahnenreihe


Davids und damit letztlich im Stamm-
baum unseres Herrn Jesus Christus (Mt
1,5-6). Die Gnade errettet uns nicht nur Bet-Schean
vor der Vernichtung, sondern garan-
tiert auch unsere Verherrlichung (Röm
8,29-30). Glaube ist die Hand, die die von 0 20 Km

Gnade ergreift. Gilgal

Nachdem Rahab und ihre Familie


sicher aus der Stadt gebracht worden
waren, wurde die Stadt niedergebrannt.
1. Josua zog mit seiner Armee nach
Josua sprach einen Fluch über jeden
Norden. Er traf und besiegte die ver­
aus, der Jericho als Festung wiederauf- einigten Armeen einiger kanaanitischer
bauen würde, und prophezeite, dass Könige in einer harten Schlacht beim
der älteste Sohn jenes Mannes sterben Wasser Merom (Jos 11,1-9).
würde, wenn die Fundamente gelegt 2. Josua besiegelte seinen Sieg im
werden würden, und sein jüngster Sohn Norden, indem er die befestigte Stadt
sterben würde, wenn die Tore errichtet Hazor zerstörte, eine kanaanitische
werden würden. Vgl. 1Kö 16,34, wo Festung (Jos 11,10-12).
sich dieser Fluch erfüllt.
F. Die Schlacht bei Ai (7,1 - 8,29) 7,6-10 Sehr häufig folgt auf einen Sieg
Kapitel 7 behandelt die Sündenfrage in eine Niederlage, gerade dann, wenn
Kanaan. Auch wenn das Volk den Jor- wir sie am wenigsten erwarten. Das ge-
dan überquert hatte, waren die Juden schieht vor allem dann, wenn wir uns
doch immer noch anfällig für Sünde. in uns selbst am stärksten fühlen. Das
Hier ist die Geschichte von Israels Nie- Volk betete nicht, bevor es nach Ai zog,
derlage in Ai und Israels Sieg über die auch befahl der Herr ihm nicht, hinzu-
Sünde in Achor. ziehen, wie es in Jericho der Fall ge­
7,1-5 Als Josua Kundschafter nach Ai wesen war. Als Folge davon lernten sie
aussandte, kamen sie mit dem zuver- schmerzhaft, dass etwas nicht in Ord-
sichtlichen Bericht zurück, dass die nung war ‒ etwas war anders gewor-
Stadt schlecht verteidigt wurde und den. Die Kanaaniter waren kein biss-
dass es nicht notwendig sei, mehr als chen stärker geworden, aber Israel war
zweitausend oder dreitausend Soldaten schwächer, und der Grund dafür war
in die Schlacht zu schicken. Aber als die Sünde, die ins Lager gekommen
eine Armee von etwa dreitausend Mann war. Obwohl nur ein Einziger ge­
nach Ai marschierte, wurde sie besiegt, sündigt hatte, war das ganze Volk
statt selbst zu siegen. schuldig (V. 11) und 36 Männer starben

238
Josua 7 und 8

(V. 5). Der Herr sagte Josua, dass jetzt Diebesgut verbrannt. H.J. Blair kom-
nicht die Zeit zum Gebet, sondern die mentiert:
Zeit zum Handeln war (V. 10).
7,11-26 Josua erfuhr, dass die Nieder- Durch Achans Tod wurde der Frevel ge-
lage durch Sünde im Lager verursacht sühnt, und der Ort der Tragödie, das Tal
worden war. Jemand war gegenüber Achor, wurde eine Tür der Hoffnung, als
dem Herrn bei der Eroberung Jerichos das Volk sich entschloss, sich wieder
ungehorsam gewesen und hatte Beute zum Angriff zu wenden.6
für sich selbst behalten. Wir erfahren
nicht, welche Methode angewandt wur- 8,1-29 Beim zweiten Versuch eroberten
de, um den Schuldigen zu finden, viel- Josua und seine Armee Ai durch einen
leicht das Los. Jedenfalls wurden die Hinterhalt. Obwohl es schwierig ist, die
Verdächtigen zunächst auf einen taktischen Einzelheiten des Hinterhalts
Stamm, dann auf einen Haushalt und zu verstehen, war doch der allgemeine
dann auf einen Mann eingegrenzt ‒ Plan wie folgt: Eine Gruppe von Israeli-
Achan. Er bekannte, dass er einen baby- ten ging im Schutz der Dunkelheit über
lonischen Mantel, zweihundert Schekel Ai hinaus und verbarg sich westlich der
Silber und einen Goldbarren gestohlen Stadt. Am Morgen sollten die restlichen
hatte. Er gab auch zu, dass er die Beute Soldaten die Stadt aus dem Norden an-
in seinem Zelt verscharrt hatte. greifen. Wenn die Männer von Ai den
»Ich sah, … ich bekam Lust danach, Gegenangriff starteten, ließ Josua seine
… ich nahm« (V. 21). Die Geschichte von Männer absichtlich den Rückzug antre-
Achan ist eine gute Veranschaulichung ten und lockte so die Einwohner aus
von Jakobus 1,14.15: »Ein jeder aber ihrer Stadt. Dann streckte Josua seine
wird versucht, wenn er von seiner eige- Lanze gegen die Stadt. Dies war das
nen Lust fortgezogen und gelockt wird. Signal für die Männer im Hinterhalt, in
Danach, wenn die Lust empfangen hat, die Stadt einzudringen und sie in Brand
gebiert sie Sünde; die Sünde aber, wenn zu stecken. Als die Männer von Ai
sie vollendet ist, gebiert den Tod.« sahen, dass ihre Stadt brannte, gerieten
Achan wurde selbst zu einem Fluch, sie in Panik. Dann war es für die Israeli-
indem er etwas stahl, was unter dem ten einfach, die Soldaten Ais von zwei
Bann stand (5. Mose 7,26). Es mag grob Seiten her einzuschließen und zu ver-
erscheinen, dass die ganze Familie nichten.
Achans sein Schicksal teilen musste, In Vers 3 heißt es, dass 30.000 Mann
aber Sünde ist eine ernsthafte Sache. in den Hinterhalt geschickt wurden,
Rahabs Glaube rettete ihr gesamtes Vers 12 dagegen spricht nur von 5.000.
Haus. Achans Sünde verurteilte sein Es könnte sein, dass es zwei Gruppen
gesamtes Haus. Außerdem muss die gab, die im Hinterhalt lagen. Einige
Familie von seinen Aktivitäten gewusst Ausleger glauben, dass »30.000« besser
haben, weil die gestohlenen Sachen un- als »30 Anführer« zu lesen sei, weil das
ter ihrem Zelt vergraben waren. Viel- hebräische Wort für »tausend« auch mit
leicht hatten seine Kinder sogar Anteil »Anführer« übersetzt werden kann.
an seiner Sünde. Die Lektion, die Gott Andere meinen, dass 30.000 ein Ab-
sein Volk lehren wollte, war klar: Sünde schreibfehler ist und eigentlich 5.000
verunreinigt das gesamte Lager, und dort stehen müsste. Die 5.000 (V. 12)
sie muss völlig ausgerottet werden, könnten aber auch ausgesandt worden
wann immer sie ans Licht kommt. sein, um einen möglichen Angriff der
Als Strafe für sein Verbrechen wur- Männer aus Bethel abzuwenden, das
den Achan und sein Haus zu Tode ge- nur etwa 3 km westlich von Ai lag.
steinigt und dann verbrannt. Auch Nach dieser Schlacht war es den Ju-
wurde alle seine Habe und dazu das den erlaubt, das Vieh und die Beute für

239
Josua 8 bis 10

sich zu nehmen. Wenn Achan nur ge- Anweisung in Bezug auf Völker außer-
wartet hätte, dann hätte er seine Beute halb Kanaans hatten (5. Mose 20,10.15).
bekommen können, ohne sein Leben Wenn sie Josua und seine Armee über-
deshalb zu verlieren! zeugen konnten, dass sie eine lange
Israel verlor in der ersten Schlacht 36 Reise aus einem sehr fernen Land ge-
Mann, diesmal verlor es niemanden, macht hätten, würden sie nicht getötet
soweit wir dem biblischen Bericht ent- werden.
nehmen können. Nachdem sich die Is- So verkleideten sie sich mit zerlump-
raeliten von der Verunreinigung gerei- ten alten Kleidern und geflickten Schu-
nigt hatten, waren sie wieder mitten im hen. Auch brachten sie hartes, schim-
Krieg in Sicherheit. Sieg im Leben des meliges Brot (Schlachter 2000) und zer-
Christen besteht nicht darin, dass es kei­ rissene Weinschläuche mit. Alles an ih-
nen Konflikt gibt, sondern in der Ge- nen schien ihre Behauptung zu unter-
genwart und Bewahrung Gottes mitten mauern.
im Konflikt. Die Israeliten aber befragten nicht
den Mund des Herrn in dieser Angele-
G. Die Bestätigung des Bundes in genheit, sondern schlossen mit den Gi-
Sichem (8,30-35) beonitern einen Bund. Drei Tage später
8,30-35 Im Gehorsam gegenüber dem wurde der Schachzug aufgedeckt; eini-
Wort Gottes (5. Mose 27,2-6) baute Jo- ge Juden erregten sich und wollten die
sua einen Altar auf dem Berg Ebal und Schwindler töten. Aber die Fürsten ent-
schrieb auf die Steine eine Abschrift des schieden sich, den Vertrag mit den Gi-
Gesetzes des Mose. Die Stämme waren beonitern zu erfüllen, indem sie sie ver-
versammelt, die eine Hälfte gegen den schonten. Doch die Gibeoniter mussten
Berg Garizim hin und die andere Hälfte von diesem Zeitpunkt an als Holzhauer
gegen den Berg Ebal hin. Josua stand und Wasserträger für die ganze Ge-
im Tal zwischen ihnen, und entweder meinde dienen, und zwar für das Haus
las er selbst den Segen und den Fluch Gottes.
vor, die sich im Buch des Gesetzes des Josua und die Fürsten waren weise,
Mose finden, oder er beauftragte die ihren Eid zu halten, auch wenn sie in
Leviten, ihnen vorzulesen (5. Mose dieser Angelegenheit betrogen worden
27,14). »In der Schrift wird oft von Men- waren. Später versuchte Saul, die Gi­
schen ausgesagt, dass sie etwas getan beoniter auszurotten, und wurde dafür
haben, was sie eigentlich nur durch ei- bestraft (2Sam 21).
nen Befehl veranlasst haben.«7
I. Der Feldzug im Süden (Kap. 10)
H. Das Abkommen mit den 10,1-6 Kapitel 10 berichtet vom Feldzug
Gibeonitern (Kap. 9) im Süden Kanaans. Als die Könige von
9,1-27 Die Nachricht von den militäri- fünf kanaanitischen Städten hörten,
schen Erfolgen Israels führte dazu, dass dass die Gibeoniter zu den Israeliten
alle Könige in Kanaan sich gegen Josua übergelaufen waren, erkannten sie,
und Israel verbündeten (V. 1-2). Aber dass dies die zentrale Bergregion sehr
die Einwohner der Stadt Gibeon und verwundbar machte. So entschlossen
von drei anderen Städten, nämlich Kefi- sie sich, Gibeon anzugreifen. Daraufhin
ra, Beerot und Kirjat-Jearim (V. 3.17), sandten die Gibeoniter eine Bitte um
beschlossen, dass es vergeblich war, militärische Unterstützung an Josua.
den Invasoren Widerstand zu leisten. 10,7-8 Und wieder hörte Josua diese
Sie wussten, dass die Israeliten ange- tröstenden Worte aus dem Mund des
wiesen waren, alle heidnischen Ein- Herrn: »Fürchte dich nicht vor ihnen.«
wohner des Landes zu vernichten. Aber Er hatte sie schon früher vor dem Sieg
sie wussten auch, dass sie keine solche über Jericho und vor dem erfolgreichen

240
Josua 10 und 11

Angriff auf Ai gehört. Sie garantierten Aber warum mussten Josua und seine
den Sieg trotz des großen Widerstands. Männer sich so sehr einsetzen? Hatte
10,9-11 Josua stellte sich, nachdem ihnen Gott nicht versprochen, dass er
der Herr ihm versichert hatte, dass er ihre Feinde unweigerlich in ihre Hand
siegen würde, bei Gibeon den feind­ gegeben hatte? Das stimmt natürlich.
lichen Truppen. Zwei Wunder gescha- Aber Gottes Verheißungen sind nie dazu
hen bei der Vernichtung des Feindes. bestimmt, unsere Bemühungen erlah-
Zunächst gab es ein großes Unwetter men zu lassen oder überflüssig zu ma-
mit Hagel, der mehr Männer um- chen, sondern sie zu beflügeln und zu
brachte, als die Israeliten erschlagen ihnen zu ermutigen.10
hatten. Man beachte aber, dass es Ha-
gelkörner waren, die einen Unterschied 10,16-27 Die fünf Könige gerieten in ei-
machten ‒ sie töteten nur die Feinde! ner Höhle bei Makkeda in die Falle. Sie
10,12-15 Dann standen auf die Bitte wurden erschlagen und an fünf Bäu-
Josuas hin Sonne und Mond still und men aufgehängt und schließlich in der
verlängerten so die Zeit, die den Israeli- Höhle begraben.
ten zur Verfügung stand, um den Feind 10,28-39 Danach eroberte Josua die
zu verfolgen und zu vernichten, ehe er Kanaaniterstädte Makkeda (V. 28), Lib-
in die Sicherheit seiner ummauerten na (V. 29-30), Lachisch (V. 31-32), Geser
Städte entkommen konnte. Es handelt (V. 33), Eglon (V. 34-35), Hebron (V. 36-
sich hier, wenn gesagt wird, dass Sonne 37) und Debir (V. 38-39). Der König von
und Mond stillstanden, um literarisch Hebron in Vers 37 war ein Nachfolger
beschreibende Sprache. Verschiedene des Königs, der in Vers 26 erschlagen
natürliche Erklärungen sind für das da- worden war.
malige Geschehen vorgebracht wor- 10,40-43 Dieser Abschnitt fasst den
den.8 Aber es reicht zu wissen, dass es Feldzug im Süden zusammen. Die Zer-
sich um ein Wunder handelte, das zu störung, die in diesem Kapitel erwähnt
einem verlängerten Tag für den Kampf wird, muss allgemein verstanden wer-
führte. Spurgeon sagt: den, wie Haley anmerkt:

Wie er es machte, ist für uns nicht die … Josua durchzog dieses Gebiet so
Frage. … Es steht uns nicht zu, zu ver­ schnell, dass es nicht möglich war, es ganz
suchen, solche Wunder abzumildern, zu entvölkern. … Alle, die er verfolgte,
sondern wir sollen Gott für die Wunder vernichtete er auch, aber er hielt nicht an,
verherrlichen.9 um jedes mögliche Versteck zu durch­
suchen. Dies sollte durch jeden Stamm in
»Das Buch Jaschar« (V. 13) könnte hei- seinem eigenen Erbteil geschehen.11
ßen »das Buch des Aufrichtigen«. Kein
Buch dieses Namens ist uns heute be- J. Der Feldzug im Norden (Kap. 11)
kannt, und es war sicherlich nicht inspi- 11,1-9 Die Nachrichten von Israels sich
riert. häufenden Siegen brachten die Könige
Die Schlacht war für Israel ein un- des Nordens dazu, sich zusammenzu-
glaubliches Unternehmen. Die Juden schließen. Sie sammelten sich am Wasser
waren die ganze Nacht marschiert und Merom, nördlich des Sees Genezareth.
kämpften dann den ganzen längsten Josua und seine Armee griffen sie an und
Tag der Geschichte. Sie verausgabten besiegten sie. Dann lähmte Josua die
sich über die normalen Grenzen hin- Pferde und verbrannte die Wagen mit
weg, und dennoch gehörte der Sieg Feuer, wie der Herr es befohlen hatte.
dem Herrn (V. 11-12). Mit seiner üb­ Um die Pferde zu lähmen, schnitt man
lichen Einsicht bemerkt Matthew Hen- ihnen eine Sehne am Bein durch und
ry: machte sie dadurch kampfuntauglich.

241
Josua 11 bis 13

11,10-15 Die Hauptstadt Hazor wur- Treue (V. 7-24) – Josua besiegte westlich
de verbrannt, an den anderen Städten, des Jordans 31 Könige.
die auf Hügeln standen, wurde zwar
der Bann vollstreckt, aber sie wurden
nicht verbrannt. Vielleicht war Josua II. Die Besiedlung des
der Ansicht, dass diese Städte auf den Verheißenen Landes (Kap. 13-24)
Hügeln für die Israeliten, die sich dort
ansiedeln würden, nützlich sein könn- A. Land, das noch erobert werden
ten. Die Einwohner aller Städte wurden musste (13,1-7)
getötet, und die Israeliten nahmen die 13,1-6 Josua war nun ein alter Mann,
ganze Beute. Vollständiger Gehorsam und das Land, das den Israeliten ver-
bringt vollständigen Sieg (V. 15). heißen war, war von ihnen noch nicht
11,16-20 Diese Verse geben einen ganz besetzt worden. Die Verse 2-6 be-
Überblick über Josuas Eroberung des schreiben Landstriche im Südwesten
Landes von Edom (Seir) im Süden bis und im Nordosten, die noch immer von
zum Berg Hermon im Nordosten und Heiden bewohnt wurden. Wir wissen
der Talebene des Libanon im Nord­ auch, dass das Land im Osten bis zum
westen. Nur Gibeon entging der Ver- Euphrat den Juden verheißen war, aber
nichtung. Jerusalem wurde bis zur Zeit sie haben es nie bewohnt.12
Davids nicht erobert. (Das »Land Go- 13,7 Der Herr gab Josua den Auftrag,
schen«, das in Vers 16 erwähnt wird, ist das Land, das bereits erobert war, unter
nicht in Ägypten, sondern bezeichnet den neun Stämmen und dem halben
ein Gebiet südlich von Palästina.) Stamm Manasse aufzuteilen.
11,21-23 Besonders erwähnt wird die
Tatsache, dass die Enakiter in allen Städ- B. Die Zuteilung des Landes (13,8 - 19,51)
ten ausgerottet wurden, mit Ausnah-
1. Der Anteil von Ruben, Gad und dem
men von Gaza, Gat und Aschdod. »Und
halben Stamm Manasse (13,8-33)
das Land hatte Ruhe vom Krieg« (V. 23)
in dem Sinne, dass die Hauptschlachten Zweieinhalb Stämme hatten bereits öst-
geschlagen waren, aber es blieb noch lich des Jordans Land zugewiesen be-
viel an »Aufräumarbeit« zu tun. kommen. Dies wird wie folgt beschrie-
ben: das gesamte Gebiet, das von den
K. Zusammenfassung der zweieinhalb Stämmen bewohnt wurde
Eroberungen (Kap. 12) (V. 8-13), das Gebiet für Ruben (V. 15-
12,1-6 Die ersten sechs Verse führen uns 23), für Gad (V. 24-28) und für den hal-
zurück zum Sieg, den Gott dem Mose ben Stamm Manasse (V. 29-31).
über Sihon, den König der Amoriter, Levi bekam als Stamm keinen Anteil
und Og, den König von Baschan, ge- (V. 14), weil er der Priesterstamm war
schenkt hatte. Diese Siege werden als und der Herr auf besondere Weise sein
Teil der gesamten Eroberung ange­ Erbteil war (V. 33).
sehen, weil das Gebiet östlich des Wenn man Levi von den Stämmen
Jordans von den zweieinhalb Stämmen ausschließt, dann bleiben nur elf Stäm-
besiedelt wurde. me. Aber Josefs zwei Söhne, Ephraim
12,7-24 Gott hatte Israel eine Verhei- und Manasse, werden an Josefs statt ge-
ßung gegeben, ehe es den Jordan über- nannt, und damit ist man wieder bei
querte: »Und er wird ihre Könige in der Zahl zwölf. Josefs Söhne werden
deine Hand geben, und du wirst ihre mit eingeschlossen, weil sie von Jakob
Namen ausrotten unter dem Himmel. vor dessen Tod als eigene Söhne adop-
Kein Mensch wird vor dir bestehen, bis tiert worden waren (1. Mose 48,5).
du sie vernichtet hast« (5. Mose 7,24). Besonders erwähnt wird die Tatsache,
Hier finden wir 31 Beispiele für Gottes dass Bileam unter den Erschlagenen in

242
Josua 13 bis 15

Transjordanien war (V. 22). Der Herr gemeint, sondern auch das umliegende
hatte die schreckliche Katastrophe in Land (V. 12). Die Stadt war schon früher
seinem Volk nicht vergessen, für die von Josua erobert worden (10,36-37).
dieser böse Prophet die Ursache war Sie wurde später den Priestern ge­
(vgl. 4. Mose 23-25). »Eure Sünde wird geben, aber Kaleb behielt die Um­
euch finden« (4. Mose 32,23). gebung als Erbteil.
Ein interessantes Problem entsteht Kaleb entging der Plage, die den un-
durch Vers 25. Der Stamm Gad besaß gläubigen Kundschaftern 45 Jahre frü-
einiges vom Land der Ammoniter, was her das Leben kostete (4. Mose 14,36-
laut 5. Mose 2,19 verboten war. Aber 38). Er war während der Wüstenwan-
dieses Land war zuvor durch König Si- derung bewahrt worden. Er hatte meh-
hon, den König der Amoriter, von den rere Jahre Krieg in Kanaan überlebt. Er
Ammonitern erobert und seinem Reich wusste, dass Gott ihn nicht am Leben
einverleibt worden. Deshalb gehörte es erhalten hätte und ihm eine Belohnung
zu der Zeit, als Israel es Sihon abnahm, für seinen Glauben versprochen hätte,
schon nicht mehr den Ammonitern. nur um ihn dann den Enakitern auszu-
Debir, das in Vers 26 erwähnt wird, liefern. Was machte es also, wenn es
ist nicht dieselbe Stadt, die im vorher- Riesen waren? Sie waren auf seinem
gehenden Kapitel erwähnt worden ist. Land, und er würde sie durch die Kraft
Diese Stadt lag östlich des Jordans, Gottes vertreiben. Er sah die Dinge im-
während die Stadt, die Josua eroberte, mer noch mit den Augen des Glaubens
westlich des Jordans lag. und nicht, wie sie von außen erschie-
nen. Dies war das Geheimnis seiner
2. Der Anteil Judas (Kap. 14-15) bleibenden Stärke und seines erstaun­
14,1-5 Mit diesem Kapitel beginnt die lichen Erfolgs. Er hatte nicht vor, sich
Verteilung des Landes westlich des Jor- zur Ruhe zu setzen (obwohl er 85 Jahre
dans an die neun Stämme und den hal- alt war), ehe er nicht sein Eigentum er-
ben Stamm. Der Herr hatte Mose befoh- obert hatte.
len, dass die Verteilung durch Los ge- 15,1-12 Die Grenzen von Juda werden
schehen sollte. Dies bedeutet wahr- in den Versen 1-12 beschrieben. Es ist
scheinlich, dass die allgemeine Lage des fast unmöglich, sie heute noch genau
Stammesanteils durch Los geschah, aber nachzuvollziehen. Dies mag manche zu
dass die Größe des Gebiets durch die der Frage führen, warum all diese Ein-
Zahl der Angehörigen jedes Stammes zelheiten in der Bibel stehen. Die Ant-
bestimmt wurde (4. Mose 26,53-56). wort lautet natürlich, dass diese Einzel-
14,6-15 Als Erstes steht Juda in der Lis­ heiten nach Gottes Ansicht wichtig
te der Stämme (14,6 - 15,63). Die Männer sind. Sie sind inspiriert und nützlich,
Judas führten das Heer Israels an (vgl. um reiche geistliche Lektionen daraus
4. Mose 10,14) und waren der größ­­te zu ziehen.
und mächtigste Stamm, der sich rühmen 15,13-20 Kalebs Eroberung von He­
konnte, 76.000 Krieger zu haben. bron wird in Vers 14 berichtet. Er bot
Ehe die Grenzen des Gebiets angege- seine Tochter Achsa dem zur Frau am,
ben werden, berichtet der Geist Gottes der Kirjat-Sefer (Debir) einnehmen
von der edlen Bitte Kalebs um die Stadt würde (V. 16). Kalebs Neffe Otniel war
Hebron. Obwohl er zu diesem Zeit- derjenige, der die Stadt eroberte und
punkt 85 Jahre alt war, waren sein Glau- die Braut errang (V. 17). Er wurde spä-
be, sein Mut und seine Kraft unvermin- ter der erste Richter in Israel (Ri 3,9).
dert. Er sehnte sich nach mehr geist­ Achsa trieb Otniel an, ihren Vater um
lichen Eroberungen und bekam Hebron ein Feld zu bitten (V. 18). Ihre Worte
als Erbe. »denn ein dürres Südland hast du mir
Mit Hebron war nicht nur die Stadt gegeben« legen nahe, dass Otniel das

243
Josua 15 bis 17

getan und das Feld erhalten hatte. Dann ten Vers. Der obere Teil der Stadt, der
bat Achsa um die oberen und unteren Berg Zion, wurde erst zur Zeit Davids
Quellen, um das Land zu bewässern. erobert. Die Unterstadt Jerusalem wur-
Einige Städte wie Debir und Hebron de von Juda eingenommen (Ri 1,8),
mussten mehr als einmal erobert wer- dann später von den Jebusitern zurück-
den, weil es einen Guerilla-Krieg der erobert (Ri 1,21). Jerusalem wird sowohl
Kanaaniter gab (vgl. Kommentar zu als Besitz Benjamins als auch Judas auf-
Kap. 10). Es sollte auch festgehalten gelistet (18,28). Es lag an der Grenze
werden, dass es manchmal mehr als zwischen den beiden Stämmen.
eine Stadt desselben Namens gab (z.B.
Debir). 3. Der Anteil Josefs (Kap. 16-17)
15,21-63 Die Städte des Gebiets Judas 16,1-4 Der Stamm Josef wird als Nächs-
werden in den Versen 21-63 aufgeführt. tes erwähnt. Josef hatte das Erstgeburts-
Einige dieser Städte sollten uns von un- recht (d.h. den doppelten Anteil, 1Chr
serem Studium der Patriarchen bekannt 5,1), das Ruben verwirkt hatte (1. Mose
sein: Hebron (V. 54) (auch Kirjat-Arba 49,4). Die allgemeinen Grenzen des Ge-
und Mamre genannt) war Abraham, biets Josefs werden in den Versen 1-4
Isaak und Jakob bekannt (1. Mose 13,18; angegeben. Dieses Gebiet wurde natür-
35,27), und sie wurden dort alle begra- lich aufgeteilt zwischen Ephraim und
ben (1. Mose 23,17-20). Vielleicht mach- dem halben Stamm Manasse, der west-
te diese Tatsache die Stadt dem geistlich lich des Jordans siedelte.
scharfsichtigen Kaleb so wertvoll. Beer- 16,5-10 Ephraims Grenzen werden in
scheba (V. 28) bedeutet »Schwurbrun- den Versen 5-10 beschrieben. Man achte
nen«. Die Patriarchen haben dort viel insbesondere auf Vers 10. Dass die Ka-
Zeit verbracht. Es war ein Ort der Er- naaniter nicht vertrieben wurden, mach-
neuerung, der Erfrischung und der te den Israeliten in ihrer späteren Ge-
Ruhe (1. Mose 21,31; 26,33; 46,1). Jeru- schichte viel Kummer.
salem (V. 63) wurde von den Jebusitern 17,1-13 Das Erbe Manasses lag teil-
besetzt gehalten. Erst zur Zeit Davids weise in Gilead und Baschan, auf der
wurden sie endlich aus Jerusalem ver- Ostseite des Jordans, und teilweise
trieben (2Sam 5,6-7). westlich des Jordans (V. 7-11). Das Ge-
Diese Städte boten Juda ein reiches biet westlich des Jordans war im Nor-
Erbe und waren ein mächtiger Ansporn, den von sechs kanaanitischen Festun-
um ihren Glauben zu stärken. Der Gott gen flankiert ‒ Bet-Schean, Jibleam, Dor,
Abrahams, Isaaks und Jakobs war in- En-Dor, Taanach und Megiddo.
mitten ihrer Kinder, um sein altes Ver- Einige der Städte Ephraims lagen im
sprechen einzulösen. Gebiet Manasses, und einige der Städte
Wenn wir die Städte in den Versen 21- Manasses lagen im Gebiet von Asser
32 zählen, finden wir heraus, dass es 38 und Issaschar (V. 7-12).
sind, obwohl in Vers 32 steht, dass es Die Töchter Zelofhads erbten mit den
nur 29 gewesen seien. Neun von diesen Söhnen Manasses, wie Gott Mose befoh-
Städten gehörten Simeon, dessen Erbe len hatte (V. 3-4; 4. Mose 27,1-7). Dies ge-
innerhalb der Grenzen Judas lag (19,1- schah, damit das Haus Zelofhads eben-
9). Das lässt für Juda 29 übrig. Ein ähn- falls einen Anteil erhielt, auch wenn es
liches Problem mit der Zählung gibt es zu jener Zeit dort keine männlichen Er-
in den Versen 33-36, wo fünfzehn Städ- ben gab. Die Töchter mussten innerhalb
te aufgezählt werden. Vielleicht waren ihres eigenen Stammes heiraten, damit
Gedera und Gederotajim zwei Namen das Land, das Manasse gehörte, nicht
für dieselbe Stadt, sodass es 14 Städte durch Heirat zum Eigentum eines ande-
sind, wie in Vers 36 erwähnt wird.13 ren Stammes wurde (4. Mose 36,1-13).
Man beachte insbesondere den letz- 17,14-18 Nachdem Ephraim und Ma-

244
Josua 17 bis 19

nasse ihre aneinander angrenzenden Erinnerungssteine waren dort, um von


Anteile westlich des Jordans erhalten der wunderbaren Überquerung des Jor-
hatten, beklagten sie sich, dass sie nur dans Zeugnis abzulegen. Dort hielt das
»einen Anteil« bekommen hätten (V. 14) Volk das erste Passah in Kanaan und
und dass sie von den Festungen im Nor- fing an, sich von den Erzeugnissen des
den bedrängt würden (V. 16). Josua Landes zu ernähren. Dort wurde das
wandte alle ihre Argumente gegen sie. Volk noch einmal beschnitten, und die
Als sie sagten, sie benötigten mehr Land, Schmach Ägyptens wurde von den Ju-
weil sie zahlreich wären (V. 14), riet er den abgewälzt. Es gab kaum einen his-
ihnen, ihre vielen Leute zu nutzen und torisch bedeutenderen Platz in ganz
den Wald in ihrem Gebiet zu roden und Kanaan, weil keine andere Stelle sie so
dort zu siedeln (V. 15). Als sie sich be- viele geistliche Lektionen gelehrt hatte.
klagten, dass es innerhalb ihrer Grenzen Die Ruinen Jerichos waren in Benja-
Kanaaniter gäbe, die eiserne Wagen hät- mins Land noch immer sichtbar. Die
ten (V. 16), versicherte er ihnen, dass sie Mauern, von denen man einst dachte,
die überlegene Macht hätten, die Kana­a­ dass sie unbezwingbar wären, waren
niter zu vertreiben (V. 18). Das »eine jetzt geschliffen. Der Anteil, der Rahabs
Los« in V. 14 bedeutet das gemeinsame Haus gehörte, stand noch als Zeugnis
Territorium von Ephraim und Manasse der Gnade Gottes, die immer auf Glau-
westlich des Jordans. Als Josua ihnen ben antwortet. Ein Benjaminiter konnte
sagte: »Du sollst nicht nur ein Los ha- diese Ruinen besuchen, wann immer er
ben«, meinte er damit nicht, dass sie zu- eine Auffrischung der Erinnerung da-
sätzliches Land bekommen würden, ran nötig hatte, dass der Kampf die
sondern dass sie nur alles Land besetzen Sache des Herrn war.
müssten, das ihnen zugewiesen war. Bethel (»das Haus Gottes«) war eine
Erinnerung für die Benjaminiter an den
4. Der Anteil der restlichen Stämme (Kap. 18-19) Glauben ihrer Väter und an die Treue
18,1 Das Lager Israels zog nun von Gil- des göttlichen Befreiers Israels (1. Mose
gal nach Silo. Hier wurde die Stiftshütte 28,18-22; 35,1-15).
errichtet und blieb dort bis zu den Ta- Jerusalem war dazu bestimmt, die
gen Samuels. Die Aufteilung des Lan- Hauptstadt zu werden, aber erst als der
des ging nun von hier aus weiter. Sohn Jesses kam, wurden die Jebusiter
18,2-10 Juda und Josef hatten ihr Erbe aus ihrer Bergfeste vertrieben.
durch Los empfangen, doch gab es noch Benjamins Land umfasste viele Be-
sieben Stämme westlich des Jordans, weise und Zeichen von vergangenen,
denen ihr Erbteil noch nicht zugewie- gegenwärtigen und zukünftigen Seg-
sen worden war. Deshalb sandte Josua nungen. Welch ein reiches Erbe fiel
eine Gruppe von Männern, von jedem Jakobs jüngstem Sohn zu!
Stamm drei, aus, um das Land der rest- 19,1-9 Simeons Erbe lag inmitten des
lichen sieben Stämme zu begutachten Erbteils des Stammes Juda. Es scheint,
und später per Los zu verteilen. dass Judas Land so groß war, dass der
18,11-28 Benjamins Grenzen werden Stamm sein Land nicht besetzen konnte,
in den Versen 11-20 angegeben und sei- sodass einiges von dem Land Simeon
ne Städte in den Versen 21-28. Benja- zugesprochen wurde. Das ist eine Erfül-
mins Anteil war klein, aber es war sehr lung von Jakobs Prophezeiung über
gutes Land. Es lag in der Mitte des Lan- Simeon: »Ich werde sie verteilen in Jakob
des und enthielt in seinen Grenzen die und zerstreuen in Israel« (1. Mose 49,7).
Erstlingsfrucht der Mühen Israels im 19,10-39 Die Grenzen der restlichen
Land Kanaan. fünf Stämme werden als Nächstes an­
Gilgal lag in Benjamins Gebiet, das gegeben: Sebulon (V. 10-16), Issaschar
erste Lager westlich des Jordans. Die (V. 17-23), Asser (V. 24-31), Naftali (V. 32-

245
Josua 19 und 20

39) und Dan (V. 40-48). Dan erhielt einige mindestens 32 Ellen (ca. 15 m) breit sein.
Städte Judas (vgl. V. 41 mit 15,33). (b) Alle Hindernisse wurden beseitigt, die
19,40-48 Das ursprünglich Dan zuge- den Fuß des Flüchtenden zum Stolpern
sprochene Gebiet lag im Südwesten am bringen oder seine Geschwindigkeit min-
Mittelmeer und beinhaltete die Städte dern konnten. (c) Kein Hügelchen wurde
Joppe und Ekron (V. 40-46). Später, als übrig gelassen, kein Fluss durfte dort
sich dieses Gebiet als zu klein erwies, ohne Brücke sein. (d) An jeder Kurve gab
zog ein Teil des Stammes nach Lajisch es Schilder, auf denen »Zuflucht« stand,
(»Leschem«) im Nordosten und be- die errichtet wurden, um den Unglück-
nannte die Stadt in Dan um (V. 47-48, lichen bei seiner Flucht zu leiten. (e) Wenn
vgl. Ri 18). der Totschläger in der Stadt angekommen
19,49-51 Vers 51 schließt die Auftei- war, wurde ihm eine passende Unter-
lung des Landes ab. Die Zufluchtsstäd- kunft bereitgestellt, und die Einwohner
te mussten ausgesondert werden (Kap. sollten ihn einen Beruf lehren, damit er
20) und die Städte der Leviten mussten sich selbst erhalten konnte.14
noch benannt werden (Kap. 21), aber
Josuas Werk war fast vollbracht. Er er- Diese Städte sind ein Bild für das Volk
hielt Timnat-Serach nach dem Befehl Israel und seine Schuld in Verbindung
des Herrn (V. 50). mit der Tötung des Messias. Christus ist
die Zufluchtsstadt, zu der das reuige Is-
C. Die Zufluchtsstädte (Kap. 20) rael fliehen kann, um eine Freistätte zu
Der nächste Schritt bestand darin, sechs bekommen. D.L. Moody merkte an, dass
Zufluchtsstädte zu bestimmen, drei auf »die Zufluchtsstädte ein Typus für Chris-
jeder Seite des Jordans, in die ein Tot- tus sind und dass ihre Namen in dieser
schläger vor dem Bluträcher fliehen Beziehung von Bedeutung sind«.15
konnte. Ein Totschläger war jemand, Die Zufluchtsstädte und die Bedeu-
der aus Versehen jemanden getötet hat- tung der Namen sind wie folgt:
te. Der Bluträcher war normalerweise
ein naher Verwandter des Erschlage- Westlich des Jordans
nen, der den Getöteten rächen wollte. Kadesch ‒ Heiligkeit
Wenn der Totschläger in eine Zufluchts- Sichem ‒ Kraft
stadt fliehen konnte, dann fand er dort Kirjat-Arba oder Hebron – Gemein-
Asyl bis zum Tod des Hohenpriesters. schaft
Danach konnte er sicher in seine Hei-
matstadt zurückkehren. Östlich des Jordans
Ramot-Gilead ‒ erhebend
Golan ‒ Glück
Bezer – Sicherheit
Exkurs: Die Zufluchtsstädte
Die Zufluchtsstädte sind interessant So schenkt Christus jeden Segen, der
und von theologischer Bedeutung. Mac­ durch die Namen dieser Städte ange-
Lear stellt die Bestimmungen der Tradi- deutet wird. Ein Blick auf die Karte
tion über diese Städte dar: zeigt, dass die Zufluchtsstädte strate-
gisch günstig lagen, sodass kein Punkt
Jüdische Kommentatoren berichten, was im Land weiter als etwa 45 km von ei-
in späterer Zeit getan wurde, damit das ner dieser Städte entfernt lag. Moody
Asyl dem unabsichtlich zum Totschläger wendet das folgendermaßen an:
Gewordenen sicherer sein sollte: (a) Die
Straßen, die zu den Zufluchtsstädten Wie die Zufluchtsstädte so gelegen wa-
führten, wurden immer durch Repara- ren, dass sie von jedem Teil des Landes
turen gut instand gehalten. Sie mussten aus schnell erreichbar waren, so ist Chris-

246
Josua 20 bis 22

tus für jeden bedürftigen Sünder leicht Merariter:


erreichbar (1Jo 2,1-2).16 zwölf Städte aus Ruben, Gad und Sebu-
lon.
Man beachte die Parallelen zwischen
der zeitlichen Rettung, die den Tot- Jeder Stamm gab vier Städte ‒ außer Juda
schlägern in den Zufluchtsstädten an- und Simeon, die zusammen 9 Städte ga-
geboten wurde, und der ewigen Ret- ben, und Naftali, der drei Städte gab.
tung, die dem Sünder in Christus an­ Die Zufluchtsstädte waren ebenfalls
geboten wird. Die Straßen zu den Städ- Städte der Leviten (V. 13.21.27.32.36.38).
ten waren qualititativ gut und gut aus- Sie waren über alle Stämme Israels ver-
geschildert, genauso wie der Weg zur streut, um die Prophezeiung Jakobs
Errettung, damit niemand einen Fehler (1. Mose 49,5-7) zu erfüllen und ihnen
macht und sein Leben verliert. Die die Aufgabe zu erleichtern, das Volk zu
Städte waren im Land verteilt und für lehren.
jedermann gut erreichbar, so wie Chris- 21,43 Dieser Vers muss im Lichte ande-
tus für alle Menschen erreichbar ist. rer Schriftstellen gelesen werden. Er be-
Krisen ließen Menschen in eine der Zu- deutet nicht, dass Israel das ganze Land
fluchtsstädte fliehen, und sehr oft ist vom Euphrat bis zum Bach Ägyptens be-
eine Krise notwendig, damit Menschen saß, sondern er bedeutet, dass das Land,
bei dem Herrn Jesus Zuflucht suchen. das Josua aufteilte, eine Erfüllung der
Es gab für den Schuldigen keine neu- Verheißung Gottes war, dass er ihnen je-
trale Zone ‒ er war entweder sicher in den Ort geben würde, auf den ihre Fuß-
der Stadt oder unterstand dem Zorn sohle treten würde (Jos 1,3).
des Bluträchers. Jeder einzelne Mensch 21,44 Genauso muss Vers 44 sorgfäl-
ist entweder tig ausgelegt werden. Es gab noch im-
sicher in Christus oder steht unter dem mer Feinde im Land, und nicht alle Ka-
Gericht Gottes (Joh 3,36). naaniter waren vernichtet. Aber das
war nicht Gottes Schuld, er erfüllte sei-
ne Verheißung, indem er jeden Feind
besiegte, gegen den die Israeliten foch-
D. Die Levitenstädte (Kap. 21) ten. Wenn es noch unbesiegte Feinde
und Widerstandsnester gab, dann des-
21,1-42 48 Städte (V. 41) mit ihren Wei- halb, weil Israel Gottes Verheißung
deplätzen, einschließlich der Zufluchts- nicht in Anspruch nahm.
städte, wurden den Leviten zugespro- 21,45 Man beachte Vers 45. Der Herr
chen, wie der Herr geboten hatte hatte jede Verheißung erfüllt. Sein Wort
(4. Mose 35,2-8). ging nicht fehl. Welch eine Anerken-
nung der Treue Gottes! Aber Israel hatte
Kehatiter: sich nicht jede Verheißung zu eigen ge-
(a) für die Söhne Aarons (d.h. die Pries- macht.
ter) dreizehn Städte aus Juda, Simeon
und Benjamin E. Der Altar östlich des Jordans (Kap. 22)
(b) für die restlichen Kehatiter zehn 22,1-9 Als das Land westlich des Jor-
Städte aus Ephraim, Dan und dem hal- dans aufgeteilt war, erlaubte Josua den
ben Stamm Manasse westlich des Jor- Rubenitern, den Gaditern und dem hal-
dans ben Stamm Manasse, in ihr Gebiet öst-
lich des Jordans zurückzukehren, wie es
Gerschoniter: am Anfang vereinbart worden war. Er
dreizehn Städte aus Issaschar, Asser, forderte sie auch auf, ihren Anteil an
Naftali und dem halben Stamm Manas- der Beute aus den Schlachten mitzuneh-
se östlich des Jordans men, in denen sie mitgekämpft hatten.

247
Josua 22 und 23

Es war mehr als sieben Jahre her, seit Peor« (V. 17, vgl. 4. Mose 25) und der
sie ihre geliebten Familien verlassen »Untreue Achans« (V. 20, vgl. Kap. 7)
hatten, um gegen die Kanaaniter zu gelitten hatte.
kämpfen. Sie hatten die Härte der Sie sahen diesen Altar als weitere Be-
Schlacht ertragen, bis das Land ge­ drohung ihres Wohlergehens an, von
sichert war. Wir sind ebenfalls von un- daher ihre heftige Reaktion. Als Volk
serem Befehlshaber aufgefordert, Här- hatten sie gelernt, dass Sünde das gan-
ten zu ertragen und den guten Kampf ze Lager verunreinigte und dass Gott
des Glaubens zu kämpfen, um das das Volk für das Verhalten Einzelner
Reich Gottes auf Erden voranzutreiben zur Verantwortung zog.
(1Tim 6,12; 2Tim 2,3). Diese Art des 22,21-29 Die Männer von Ruben, Gad
Opfers ist nicht einfach, aber sie ist ein und dem halben Stamm Manasse er-
wesentlicher Bestandteil eines Lebens, klärten, dass dies keineswegs ein Op-
das Gott gefällt. Männer mit feurigem feraltar sei. Es war einfach ein Altar der
Eifer werden auch heute auf dem Erinnerung, der künftigen Generatio-
Schlachtfeld gebraucht: nen Zeugnis davon ablegen sollte, dass
die Stämme östlich des Jordans wirk-
Muss ich auf Blumenbetten der Bequem­ lich ein Teil des Volkes Israel waren.
lichkeit zum Himmel getragen werden, 22,30-34 Die anderen Stämme wur-
Während andere kämpften, um den Preis den durch diese Erklärung beschwich-
zu erringen, und durch blutige Meere tigt, und der Krieg war abgewendet.
segelten? Die östlichen Stämme nannten den Al-
Gewiss muss ich kämpfen, wenn ich tar Zeuge, was bedeutet, dass er ein
einmal regieren möchte; stärke meinen Zeuge zwischen den Stämmen auf bei-
Mut, Herr, den Seiten des Jordans war, dass der
Ich werde die Mühen und Schmerzen Herr der wahre Gott ist.
ertragen, unterstützt durch dein Wort.
Isaac Watts F. Josuas Abschiedsrede an die
Anführer Israels (Kap. 23)
22,10-11 Auf dem Weg nach Hause be- Dies ist die erste von zwei Abschieds­
schlossen diese Männer, einen Altar in reden von Josua. Hier spricht er zu den
der Nähe des Ufers des Jordans zu er- Anführern Israels.
richten. Als die anderen neuneinhalb Josuas Aufforderung, sowohl mutig
Stämme davon hörten, waren sie sehr als auch schrifttreu zu sein (V. 6), klingt
erzürnt darüber. Sie fürchteten, dass wie ein Echo der Worte des Herrn an
dies ein Konkurrenzaltar zu dem in Silo ihn viele Jahre zuvor (1,7). Er hatte seit-
sein sollte. Sie fürchteten auch, dass es dem ihre Verlässlichkeit in der Feuer-
in künftiger Zeit ein Götzenaltar wer- probe des Lebens erfahren und war nun
den würde und dass Gott deswegen in der Lage, diese Worte voller Über-
das ganze Volk bestrafen würde. zeugung und Zuversicht an die folgen-
22,12-20 Ehe sie den Stämmen östlich de Generation weiterzugeben.
des Jordans den Krieg erklärten, sand- Er erinnerte sie an die Treue Gottes,
ten die Söhne Israel eine Delegation, mit der er seine Zusagen bezüglich des
um sie zu befragen und ihnen Land Landes und seiner heidnischen Ein-
westlich des Jordans anzubieten, falls wohner gehalten hatte. Gott würde
sie ihr eigenes Gebiet für unrein hielten auch weiterhin den Feind vertreiben,
(V. 19). aber das Volk musste ihm gehorchen.
Als Pinhas sich mit den Männern aus- Vor allem sollten sich die Juden von
einandersetzte, die den Altar gebaut dem Götzendienst der Völker fernhal-
hatten, erinnerten er und die anderen ten und keine Mischehen mit den Kana-
daran, wie Israel wegen der »Sünde des anitern eingehen. Andernfalls würden

248
Josua 23 und 24

diese Heiden zu einer ständigen Quelle lich: die Souveränität Gottes. Man be-
von Schwierigkeiten für Israel werden. achte, wie Gott die Geschichte erzählt:
Keines der Worte Gottes war »hin­ »Ich nahm« (V. 3), »ich gab« (V. 4), »ich
gefallen« (V. 14). Das bedeutet nicht, sandte« (V. 5), »ich brachte« (V. 6-8),
dass schon alles Land in jüdischer Hand »ich wollte nicht hören« (V. 10), »ich
war, denn der Herr selbst hatte gesagt, schickte« (V. 12), »ich gab« (V. 13). Der
dass er nicht alle Einwohner auf ein- HERR wirkt entsprechend seinen ewi-
mal, sondern nach und nach austreiben gen Absichten, und wer kann seiner
wollte (5. Mose 7,22). Die Tatsache, dass Hand wehren? Solch einen Gott muss
nicht eine Verheißung des Herrn fehl- man fürchten und ihm gehorchen
gegangen war, war die starke Ermuti- (V. 14).
gung, die Josua benutzte, um die An- 24,15 Es ging hier nicht darum, zwi-
führer aufzufordern, die Aufgabe zu schen dem Herrn und den Götzen zu
voll­enden, die er begonnen hatte. Die- wählen: Josua nahm an, dass sich das
ser Ermahnung fügte er eine Warnung Volk schon dagegen entschieden hatte,
hinzu (V. 5.16): dass der HERR sie ge- Gott zu dienen. Deshalb forderte er sie
nauso sicher wieder aus dem guten heraus, zwischen ihren Göttern, denen
Land vertilgen würde, wie er die Kana- ihre Vorfahren in Mesopotamien ge-
aniter vertilgt hatte, wenn sie ihren dient hatten, und den Göttern der Amo-
Bund vergessen und sich den Götzen riter, die sie in Kanaan gefunden hatten,
zuwenden sollten. zu wählen. Sein edler Entschluss für
Die neutestamentliche Parallele zu sich und sein Haus ist für spätere Gene-
diesem Kapitel ist 2. Korinther 6,14-18. rationen von Gläubigen eine Inspira­
Absonderung ist für einen Menschen tion geworden: »Ich aber und mein
Gottes lebenswichtig. Wir können nicht Haus, wir wollen dem Herrn dienen.«
dem Herrn anhängen und gleichzeitig
an seine Feinde gebunden sein. H. Der Bund wird in Sichem erneuert
(24,16-28)
G. Josuas Abschiedsrede an das Volk 24,16-28 Als das Volk versprach, dem
Israel (24,1-15) HERRN zu dienen, sagte Josua: »Ihr
24,1-14 Die zweite Abschiedsrede hielt könnt dem HERRN nicht dienen«
Josua vor dem ganzen Volk, und zwar (V. 19). Das bedeutet, dass die Israeliten
in Sichem. nicht dem HERRN dienen und gleich-
Josua gab einen Überblick über die zeitig Götzen anbeten konnten. Josua
Geschichte des Volkes Gottes. Er be- erkannte zweifellos, dass die Israeliten
gann bei Terach und ging weiter mit der in den Götzendienst abrutschen wür-
Zeit von Abraham, Isaak und Jakob. Er den, denn selbst zu diesem Zeitpunkt
erinnerte das Volk an die mächtige Be- hatten sie fremde Götter in ihren Zelten
freiung aus Ägypten, die Wüstenwan- (V. 23). Die Israeliten bestanden darauf,
derung und den Sieg über die Moabi­ter ihrem Gott Loyalität zu versprechen;
östlich des Jordans. Dann erzählte er deshalb errichtete Josua einen großen
noch einmal von ihrer Ankunft im Ver- Stein als Denkmal und Zeugnis des
heißenen Land, ihrem Sieg in Jericho Bundes Israels unter der Terebinthe.
und ihrer Vernichtung der Könige in (Das »Heiligtum des Herrn« in Vers 26
Kanaan (V. 2-13). Die »Finsternis« in ist nicht die Stiftshütte, die in Silo war,
V. 7 weist auf 2. Mose 14,19-20 hin, wo sondern einfach ein heiliger Ort.)
die Wolke den Israeliten Licht gab und Über das Problem des Götzendiens-
den Ägyptern Finsternis schickte. tes schreibt Carl Armerding:
In dieser knappen Zusammenfassung
der Geschichte von 1. Mose bis Josua Götzendienst scheint eine von Israels
wird eine herausragende Tatsache deut- hartnäckigsten Sünden zu sein. Seine

249
Josua 24

frühen Vorfahren dienten anderen Göt- Anmerkungen


tern, wie wir gesehen haben (V. 2). Als Ja-
kob und seine Familie Laban verließen, 1
(Einführung) Irving L. Jensen, Joshua,
war es Rahel, die einen der Götter ihres Rest-Land Won, S. 14.
Vaters mitnahm (1. Mose 31,30-34). Aber 2
(1,1-9) T. Austin Sparks, What is
als sie in dem Land ankamen, befahl Ja- Man?, S. 104.
kob seinem Haus, diese »fremden Göt- 3
(2,1) C.F. Keil und Franz Delitzsch,
ter« wegzutun, und verbarg sie unter ei- »Joshua«, in: Biblical Commentary on
ner Terebinthe in Sichem (1. Mose 35,2.4). the Old Testament, Bd. VI, S. 34.
Und an derselben Stelle ermahnte Josua 4
(3,14-17) Donald K. Campbell,
seine Generation, die Götter wegzutun, »Joshua«, in: The Bible Knowledge
denen ihre Väter gedient hatten (V. 14).17 Commentary, Bd. I, S. 355.
5
(3,14-17) Ebd.
I. Der Tod Josuas (24,29-33) 6
(7,11-26) Hugh J. Blair, »Joshua«, in:
The New Bible Commentary, S. 229.
24,29-33 Josua starb im Alter von 110 7
(8,30-35) R. Jamieson, A.R. Fausset,
Jahren und wurde in der Stadt seines D. Brown. Critical and Experimental
Erbteils begraben. Das Volk Israel blieb Commentary, Bd. II, S. 23.
dem Herrn treu, solange die Männer 8
(10,12-15) Drei Ansichten, die an­
der Generation Josuas lebten. Wir wis- erkennen, dass ein einzigartiges
sen nicht, wer die letzten Verse des Wunder stattfand, und den Text er-
Buches geschrieben hat, auch ist dieses klären (statt etwas wegzuerklären)
Wissen nicht notwendig, denn sonst sind folgende:
wäre es uns sicherlich überliefert wor- 1. Gott verzögerte wirklich die Erd­
den. rotation (oder hielt sie sogar zeit-
»Die Gebeine Josefs«, die auf sein Ver- weilig an), als die Sonne über Jo-
langen hin aus Ägypten mitgebracht sua stand, sodass eine gesamte
worden waren, wurden nun in Sichem Umdrehung 48 Stunden dauerte.
begraben (1. Mose 50,24; 2. Mose 13,19). Es gibt Parallelen in anderen alten
Schließlich starb auch Eleasar, der Kulturen, die von einem »langen
Sohn Aarons, und wurde im Gebirge Tag« sprechen, was ganz gut Jo-
Ephraim begraben. suas langer Tag sein könnte.
Drei Begräbnisse werden in den let- 2. Wenn man »stillstehen« (hebr. dom)
zen fünf Versen dieses Buches erwähnt: mit »aufhören« oder »beenden«
das Josuas (V. 29-31), das Josefs (V. 32) übersetzt (wie in 2Kö 4,6 und Kla
und das Eleasars (V. 33). Alle drei wur- 2,18), dann sehen einige dieses Ge-
den im Gebiet Josefs begraben. Alle drei bet als Abhilfe von der brennenden
hatten ihrem Gott und ihrem Land gut Sonnenglut, die auf Josuas Trup-
gedient. Josua und Josef waren wäh- pen niederschien, wobei dann der
rend ihres Lebens große Befreier ge­ sehr lange Hagelfall Gottes Ant-
wesen, und Eleasar wurde durch seinen wort auf das Gebet Josuas war.
Tod zum Befreier, denn er war der Ho- 3. Weil Josua schon früh am Morgen
hepriester und bei seinem Tod wurden angriff, glauben einige Ausleger,
alle befreit, die in eine Zufluchtsstadt dass er dafür betete, dass die Son-
geflohen waren (20,6). Wie das 1. und ne nicht aufgehen möge und die
5. Buch Mose, so schließt auch Josua Dämmerung länger dauerte. Der
mit dem Geläut der Totenglocke über Hagel wäre dann wieder Gottes
großen und gottesfürchtigen Männern. Antwort auf das Gebet. Die erste
»Gott begräbt seine Arbeiter, aber er Ansicht scheint uns am besten mit
führt sein Werk fort.« dem Text übereinzustimmen: »Die
Sonne blieb stehen mitten am

250
Josua

Himmel und beeilte sich nicht, un- Wenn hier jedoch der gesamte Euphrat
terzugehen, ungefähr einen als Ostgrenze gemeint ist, dann muss
ganzen Tag lang« (10,13b). es sich um etwas Zukünftiges handeln.
9
(10,12-15) C.H. Spurgeon, Spurgeon’s 13
(15,21-63) Keil und Delitzsch sind
Devotional Bible, S. 168. Eine kurze, der Ansicht, dass diese und ähnliche
aber hilfreiche Behandlung der wis- Zahlenprobleme einfach nur Ab-
senschaftlichen Aspekte des Textes schreibfehler sind (»Joshua«, S. 163-
findet sich in Kap. X von Difficulties 64). Eine weitere Diskussion über
in the Bible von R.A. Torrey (Chicago: scheinbare Diskrepanzen findet sich
Moody Press, 1907). im Kommentar zu 2. Chronik.
10
(10,12-15) Matthew Henry, »Joshua«, 14
(Exkurs) G.F. MacLear, The Cambridge
in: Matthew Henry’s Commentary on Bible for Schools and Colleges, The Book
the Whole Bible, Bd. II, S. 59. of Joshua, S. 183.
11
(10,40-43) John Haley, Alleged Dis­ 15
(Exkurs) D.L. Moody, Notes from My
crepancies of the Bible, S. 324. Bible, S. 48-49.
12
(13,1-6) Unter Salomo reichte das Reich 16
(Exkurs) Ebd., S. 49.
bis zu diesem Teil des Euphrats im 17
(24,16-28) Carl Armerding, The Fight
Nordwesten, allerdings nur insofern, for Palestine, S. 149.
als diese Länder tributpflichtig waren.

Bibliografie Jensen, Irving L.,


Joshua, Rest-Land Won. Everyman’s
Blair, Hugh J., Bible Commentary,
»Joshua«, in: The New Bible Commen­ Chicago: Moody Press, 1966.
tary,
Grand Rapids: Wm. B. Eerdmans Pub­ Keil, C.F. und Delitzsch, Franz,
lish­­ing Company, 1953. »Joshua«, in: Biblical Commentary on the
Old Testament, Bd. VI,
Campbell, Donald K., Grand Rapids: Wm. B. Eerdmans Pub­
»Joshua«, in: The Bible Knowledge Com­ lish­ing Company, 1971.
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Wheaton: Victor Books, 1985. Kroll, Woodrow Michael,
»Joshua«, in: The Liberty Bible Commen­
Freedman, H., tary. Old Testament,
»Joshua«, in: Soncino Books of the Bible, Bd. 2, Lynchburg: The Old-Time Gospel Hour,
London: The Soncino Press, 1967. 1982.

Grant, F.W., MacLear, G.F.,


»Joshua«, in: The Numerical Bible, Bd. 2, The Cambridge Bible for Schools and Col­
Neptune: Loizeaux Brothers, 1977. leges, The Book of Joshua,
London: C.J. Clay and Sons, 1888.
Henry, Matthew,
»Joshua«, in: Matthew Henry’s Commen­ Pink, Arthur W.,
tary on the Whole Bible, Bd. II, Gleanings in Joshua,
McLean: MacDonald Publishing Com- Chicago: Moody Press, 1964.
pany, o.J.

251
Richter
»Im Buch Richter stehen viele Dinge, die das Herz des Lesers traurig machen ‒ vielleicht
zeugt kein Buch der Bibel so deutlich von unserer menschlichen Schwachheit. Aber es
gibt auch unmissverständliche Zeichen des göttlichen Erbarmens und der Langmut. …
Wenn wir das Leben dieser geringeren Erretter betrachten, dann kommen wir vielleicht
mehr zu der Erkenntnis, dass wir in unserer modernen Zeit einen größeren Erretter mit
einem untadeligen Leben nötig haben, der in der Lage ist, eine vollkommene Erlösung zu
schaffen, und zwar nicht nur in der Zeit, sondern in der Ewigkeit.«

Arthur E. Cundall

Einführung der Herr von 32.000 auf 300 Mann redu-


ziert hatte (7,1-8). Gerstenbrot, ein Ar-
I. Einzigartige Stellung im Kanon menessen, steht für Armut und Schwä-
che (7,13). Die unkonventionellen Waf-
Wie Gott aus menschlicher Schwachheit fen der Armee Gideons waren tönerne
Kraft hervorbringt, wird in diesem faszi- Krüge, Fackeln und Hörner (7,16), und
nierenden Buch auf einzigartige Weise die Krüge mussten zerschmettert wer-
aufgezeichnet. In der Tat ist das Buch den (7,19). Abimelech fiel durch die
der Richter in gewissem Sinne ein Kom- Hand einer Frau, die einen Teil eines
mentar zu diesen drei Versen: »Das Tö- Mühlsteins auf ihn warf (9,53). Der
richte der Welt hat Gott auserwählt, da- Name »Tola« bedeutet Wurm (10,1). Als
mit er die Weisen zuschanden mache; wir Simsons Mutter begegnen, ist sie
und das Schwache der Welt hat Gott eine namenlose, unfruchtbare Frau
auserwählt, damit er das Starke zu- (13,2). Und Simson tötete 1000 Philister
schanden mache. Und das Unedle der mit einem Eselskinnbacken (15,15).
Welt und das Verachtete hat Gott auser-
wählt, das, was nicht ist, damit er das, II. Verfasserschaft
was ist, zunichtemache, dass sich vor Obwohl das Buch der Richter anonym
Gott kein Fleisch rühme« (1Kor 1,27-29). ist, berichten sowohl der jüdische Tal-
Ehud zum Beispiel war ein linkshän- mud als auch die frühchristliche Tradi-
diger Benjaminit (3,12-30). Man meinte tion, dass Richter, Rut und Samuel von
damals, dass die linke Hand schwächer Samuel geschrieben seien. Diese An-
sei als die rechte. Schamgar benutzte ei- sicht könnte durch 1Sam 10,25 unter-
nen Viehtreiberstock, eine eher unrühm- stützt werden, woraus hervorgeht, dass
liche Waffe, um 600 Feinde zu erschla- der Prophet ein Schreiber war. Auch die
gen (3,31). Debora gehörte zum »schwa- im Text vorhandenen Hinweise auf die
chen Geschlecht« (obwohl sie selbst ge- Zeit der Abfassung passen zumindest
wiss nicht schwach war!) (4,1 - 5,31). Ba- zur Zeit Samuels.
raks 10.000 Fußsoldaten waren, mensch-
lich gesprochen, Siseras 900 eisernen III. Datierung
Streitwagen nicht gewachsen (4,10.13). Richter wird am besten in die erste
Jael gehörte ebenfalls zum »schwachen Hälfte des ersten Jahrhunderts der Mo-
Geschlecht« und tötete Sisera, indem sie narchie datiert (1050-1000 v.Chr.), und
einen Zeltpflock in seinen Kopf rammte zwar aus den folgenden Gründen:
(4,21). Sie hielt den Pflock in ihrer Lin- Erstens weist der wiederholte Satz »in
ken (5,26 nach LXX). Gideon marschier- jenen Tagen war kein König in Is­rael«
te gegen den Feind mit einer Armee, die (17,6; 18,1; 19,1; 21,25) darauf hin, dass

253
Richter

es zur Zeit der Abfassung einen König Das Buch der Richter ist nicht streng
gab. Zweitens ist ein Datum erforder- chronologisch. Die ersten beiden Kapi-
lich, das vor der Eroberung Jerusalems tel sind geschichtliche und propheti-
durch David liegt, weil 1,21 zeigt, dass sche Einleitungen. Der Bericht über die
die Jebusiter noch in Jerusalem Richter selbst (Kap. 3-16) ist nicht not-
wohnten. Und schließlich wird Geser, wendigerweise chronologisch. Einige
das später dem Salomo vom Pharao als der Richter könnten ihre Feinde zur
Hochzeitsgeschenk überreicht wird, in gleichen Zeit, aber in verschiedenen Be-
1,29 erwähnt und setzt in dieser Erwäh- reichen des Landes besiegt haben. Das
nung eine Datierung vor diesem Ereig- ist wichtig zu vermerken, denn wenn
nis voraus. So ist die Zeit der Regierung man die Jahre zusammenzählt, die im
Sauls oder die Anfangszeit der Herr- Buch erwähnt werden, dann kommt
schaft Davids ein sehr wahrscheinliches man auf über 400, und das sind mehr,
Abfassungsdatum. als die Bibel für diese Zeit annimmt
(Apg 13,19-20; 1Kö 6,1).
IV. Hintergrund und Thema Die abschließenden Kapitel (17-21) be-
Das Buch der Richter nimmt die Ge- richten von Ereignissen, die zur Zeit der
schichte des Volkes Israel nach dem Tod Richter geschahen, doch sie werden am
der Generation Josuas auf. Das Volk Ende des Buches platziert, um ein Bild
hatte versagt, indem es die heidnischen vom religiösen, moralischen und zivilen
Einwohner Kanaans nicht vollständig Verfall während dieser Zeit zu zeichnen.
vertrieben hatte. Stattdessen hatte es Der Charakter dieser Zeit wird im
sich sogar mit den Heiden vermischt Schlüsselvers (17,6) gut beschrieben: »In
und praktizierte Götzendienst. Als Fol- jenen Tagen war kein König in Israel. Je-
ge übergab Gott wiederholt sein Volk in der tat, was recht war in seinen Augen.«
die Hände von heidnischen Unterdrü- Wenn wir glauben, dass jedes Wort
ckern. Diese Knechtschaft führte die Ju- Gottes geläutert und alle Schrift nütz-
den zu Umkehr und Reue. Wenn sie lich ist, dann folgt daraus, dass das
zum Herrn schrien, dass er sie erretten Buch der Richter für uns wichtige geist-
möge, erweckte er Richter. Von diesen liche Themen und Lektionen enthält.
Führern hat das Buch seinen Namen. Einige dieser Lektionen sind in den Na-
Die Ereignisse des Buches umfassen men der heidnischen Unterdrücker und
325 Jahre, von Otniel bis Simson. der Richter, die Israel erretten, verbor-
Die Richter waren eher Heeresführer gen. Die Unterdrücker sind Bilder von
als bloße Juristen. Durch heroische Glau- Mächten dieser Welt, die versuchen,
benstaten führten sie Gottes Gericht Gottes Volk zu knechten. Die Richter
durch oder überwanden Israels Unter- symbolisieren die Mittel, durch die wir
drücker und brachten so wieder in ge- den geistlichen Kampf führen können.
wissem Maße Frieden und Freiheit für In unserem Kommentar haben wir ei-
das jüdische Volk. Zwölf Richter wur- nige praktische Anwendungen auf­
den erweckt, um Israel zu befreien. Die geführt, von denen viele aus alten klas-
Erlebnisse einiger von ihnen werden im sischen Werken stammen.1
Buch ausführlich geschildert, während Es besteht immer die Gefahr, das Studi-
andere nur in ein oder zwei Versen er- um der Typen oder Vorbilder ins Extrem
wähnt werden. Sie kamen aus neun ver- zu treiben. Wir haben versucht, alle Inter-
schiedenen Stämmen und befreiten ihr pretationen zu meiden, die zu weit her-
Volk von den Mesopotamiern, den geholt oder zu fantasiereich erscheinen.
Mo­abitern, den Philistern, den Kanaani- Auch muss zugegeben werden, dass die
tern, den Midianitern und den Ammoni- Bedeutungen einiger Namen unsicher
tern. Bis zur Zeit Samuels regierte kein sind. Wir haben, wo dies möglich war,
Richter über das gesamte Volk. alternative Bedeutungen angegeben.

254
Richter

Die Richter Israels


? genaue Lage ist unklar
Elon Name des Richters

DAN
(nördliches Siedlungsgebiet)
R
E

Mittelmeer
S

E
LI
S

NAF T A

A S S
Schamgar
A

Barak
N

Kedesch-
LO

BU Naftali?

M A N
SE Elon
ISSASCHAR
Ofra? Kamon
Gideon Jair

M A N A S S E
Jordan

Tola Jeftah
Schamir
Zafon
Piraton Abdon

G A D
Silo
EPHRAIM
Debora
Ehud
D
A
Simson BENJAMIN
N
Aschdod Zora Bethlehem
Aschkelon Ibzan
RUBEN
J U D A
N
Hebron
Gaza Debir? Totes
Meer
Otniel

S I M E O N
0 20 Km

255
Richter 1

Einteilung 1. Israels Unglück (10,6-18)


2. Jeftahs Verteidigung Israels
I. Rückblick und Ausblick (1,1 - 3,6) (11,1-28)
A. Ein Blick zurück (1,1 - 2,10) 3. Jeftahs Schwur (11,29-40)
B. Ein Blick nach vorne (2,11 - 3,6) 4. Jeftah schlägt die
II. Die Zeit der Richter (3,7 - 16,31) Ephraimiter (12,1-7)
A. Otniel (3,7-11) I. Ibzan, Elon und Abdon (12,8-15)
B. Ehud (3,12-30) J. Simson (Kap. 13-16)
C. Schamgar (3,31) 1. Simsons gottesfürchtiges
D. Debora und Barak (Kap. 4-5) Erbe (Kap. 13)
1. Ihre Geschichte in Prosa 2. Simsons Fest und Rätsel
(Kap. 4) (Kap. 14)
2. Ihre Geschichte im Lied 3. Simsons Rache (Kap. 15)
(Kap. 5) 4. Simson von Delila
E. Gideon (6,1 - 8,32) überlistet (Kap. 16)
1. Gideons Berufung in den III. Religiöser, moralischer und
Dienst (Kap. 6) politischer Verfall (Kap. 17-21)
2. Gideons dreihundert Mann A. Michas religiöse Einrichtung
(Kap. 7) (Kap. 17)
3. Gideons Sieg über die B. Micha und die Daniter (Kap. 18)
Philister (8,1-32) C. Der Levit und seine Nebenfrau
F. Abimelechs Usurpation (8,33 - 9,57) (Kap. 19)
G. Tola und Jair (10,1-5) D. Der Krieg mit Benjamin
H. Jeftah (10,6 - 12,7) (Kap. 20-21)

Kommentar er später starb. Dies war eine Vorschau


auf den Ungehorsam Israels bezüglich
I. Rückblick und Ausblick (1,1 - 3,6) der Behandlung der Heiden in seinem
Land. Statt sie vollständig zu vernich-
A. Ein Blick zurück (1,1 - 2,10) ten, verkrüppelten die Israeliten sie nur.
Solch teilweiser Gehorsam war Unge-
1,1-3 Nach dem Tod Josuas (vgl. 2,8) horsam und sollte die Juden in künfti-
übernahm der Stamm Juda die Führer- gen Zeiten teuer zu stehen kommen.
schaft im Krieg gegen die Kanaaniter 1,8 Juda hatte in gewisser Weise Er-
im Süden. Trotz der Siegesverheißung folg im Kampf gegen Jerusalem, indem
Gottes suchte Juda Unterstützung es die Stadt verbrannte. Aber weder
durch Simeon und zeigte damit, dass Juda noch Benjamin konnte die Jebusi-
sein Glaube nicht völlig vom Wort Got- ter aus ihrer Festung vertreiben (vgl.
tes abhängig war. Kommentar zu Jos 15,21-63). Dies ge-
1,4-7 Ihren ersten Sieg erkämpften sie schah erst zur Zeit Davids (2Sam 5,6-
über die Einwohner von Besek. Nach- 7).
dem sie zehntausend Männer umge- 1,9-15 Die Eroberung Hebrons wird
bracht hatten, schnitten sie dem König hier Juda zugeschrieben; Josua 14-15
die Daumen und großen Zehen ab, wie berichtet uns, dass Kaleb für die Erobe-
er es sonst mit seinen Feinden getan hat- rung dieser Stadt verantwortlich war.
te. Er hätte getötet werden sollen, wie Es gibt hier keinen Widerspruch, weil
der Herr befohlen hatte (5. Mose 7,24), Kaleb aus dem Stamm Juda stammte.
doch sie verstümmelten ihn nur. Dann Diese Verse (9-10) beziehen sich wahr-
wurde er nach Jerusalem gebracht, wo scheinlich auf Kalebs Eroberung der

256
Richter 1 und 2

Stadt (vgl. V. 20) und nicht auf einen vom Siegesort zum Trauerort gezogen.
späteren Feldzug nach Josuas Tod, auch Die Juden hatten die Kanaaniter nicht
wenn die Eroberung von Kirjat-Sefer ausgetrieben und deren götzendiene-
durch Otniel in den Versen 11-15 wie- rische Altäre nicht zerstört. Deshalb
derholt wird, obwohl sie schon vorher würde sich der Herr weigern, die Be-
stattgefunden hatte (Jos 15,16-19). wohner des Landes vor ihnen zu ver-
1,16 Die Keniter lebten weiter mit den treiben, sondern würde es diesen ge-
Kindern Juda zusammen, obwohl sie statten, die Israeliten zu drangsalieren.
sich nie wirklich bekehrten. Die Verse 1-5 geben somit den eigent-
1,17-21 Weitere Eroberungen Judas lichen Grund für die Unterdrückung
betrafen Horma, Gaza, Aschkelon und an, die hierauf folgte. Kein Wunder,
Ekron, aber es waren keine vollständi- dass das Volk weinte und jenem Ort
gen Siege. Die Bewohner der Ebene hat- den Namen Bochim gab!
ten eiserne Wagen, und Juda hatte nicht 2,6-10 Die Verse 6-10 geben einen
den Glauben, einen Angriff gegen sie Rückblick auf das Ende Josuas und der
durchzuführen. Die Männer Judas wa- Generation, die nach ihm kam. In
ren nicht bereit, in widrigen Umstän- 5. Mose 6 gab der Herr seinem Volk ei-
den durchzuhalten. Vers 21 zeigt, dass nige besondere Gebote. Ungehorsam
Richter geschrieben wurde, ehe David gegenüber diesen Geboten führte zu
Jerusalem eroberte. den traurigen Zuständen, die in Vers 10
1,22-26 Nur den beiden Stämmen Jo- beschrieben werden, wo ein Mangel an
sefs werden weitere Siege zugeschrie- geistlicher Leiterschaft als Ergebnis von
ben. (Diese Verse beziehen sich viel- entsprechend mangelndem Gehorsam
leicht auf die Eroberung Bethels, wäh- des Volkes Gottes dargestellt wird. Die
rend Josua noch lebte [Jos 12,16], ge- vorhergehende Generation hatte ihre
nauso wie die vorhergehenden Verse Kinder nicht in der Furcht des Herrn
über Hebron und Kirjat-Sefer sich auf erzogen, seine Gebote zu halten. Die
die Tage des verstorbenen großen Feld- Nachlässigkeit der Väter führte bei den
herrn beziehen.) Sie griffen Bethel an, Söhnen zum Abfall.
das früher Lus hieß, und zerstörten es.
Aber ihr Fehler lag darin, einem Kolla- B. Ein Blick nach vorne (2,11 - 3,6)
borateur Sicherheit zu versprechen. Er 2,11-19 Die verbleibenden Verse geben
begann sofort damit, eine andere Stadt dagegen eine Vorschau auf die gesamte
namens Lus im Land der Hetiter zu Richterzeit. Sie zeichnen den vierfäl-
bauen. Sünde, die nicht gerichtet wird, tigen Kreislauf nach, der für diese Zeit
überlebt, und man muss sich ihr später charakteristisch war:
wieder stellen. Sünde (V. 11-13)
1,27-36 Im restlichen Kapitel werden Knechtschaft (V. 14-15)
sieben Stämme in der Mitte und im Flehen (hier nicht aufgeführt, aber vgl.
Norden genannt, die die Kanaaniter 3,9.15; 4,3 usw.)
nicht aus ihrem Gebiet vertrieben: Ben- Rettung (V. 16-18).
jamin (V. 21), Manasse (V. 27-28), Dieses Verhaltensmuster ist auch
Ephraim (V. 29), Sebulon (V. 30), Asser schon beschrieben worden als:
(V. 31-32), Naftali (V. 33) und Dan Rebellion
(V. 34-36). Strafe
2,1-5 Der Engel des HERRN (der Herr Buße
Jesus) ermahnte das Volk in Bochim Ruhe
(»Weinende«) wegen ihres Ungehor- Diese Zusammenfassung von Richter
sams. Vers 1 sagt, dass er aus Gilgal (V. 11-19) bringt zwei entgegengesetzte
(den Ort des Segens) nach Bochim (den Wahrheiten ins Blickfeld, die sich auch
Ort des Weinens) heraufkam. Israel war im gesamten Buch zeigen:

257
Richter 2 und 3

1. die verzweifelte Bosheit des mensch­ II. Die Zeit der Richter (3,7 - 16,31)
lichen Herzens, die seine Undankbarkeit,
seinen Starrsinn, seine Rebellion und sei- A. Otniel (3,7-11)
ne Torheit offenbart; 2. Gottes Langmut,
Geduld, Liebe und Gnade. Kein Buch der 3,7-8 Die Israeliten taten, was böse war
Bibel bringt diese beiden Wahrheiten in in den Augen des Herrn, indem sie Hei-
einen schärferen Kontrast: das ausge- den heirateten und anschließend deren
sprochene Versagen Israels und die be- Götzen anbeteten. Unreinheit und Un-
ständige Gnade Jahwes!2 moral (V. 6) führen zum Götzendienst
(V. 7). Gott hatte sie schon früher vor
2,20-23 Weil Israel in seinem Ungehor- den ernsthaften Konsequenzen ge-
sam verharrte, beschloss Gott, dass die warnt, die es geben würde, wenn sie
Nationen als Strafe für sein Volk im sich mit den Einwohnern Kanaans ver-
Land bleiben durften (V. 20-23). Strafe mischten. Sie waren ein heiliges Volk
für Ungehorsam war jedoch nicht der und mussten sich von der Verunreini-
einzige Grund, warum der HERR nicht gung absondern, wenn sie den Segen
alle Kanaaniter austrieb. Er ließ sie üb- Gottes erfahren wollten (5. Mose 7.3-6).
rig, um Israel zu prüfen (V. 22; 3,4) und Gott bestrafte Israel, indem er das Volk
um die folgenden Generation für den acht Jahre lang in die Hand Kuschan-
Krieg zu trainieren (3,1-2). Wir können Rischatajims, des Königs von Meso­
daraus Einsichten gewinnen, warum potamien, gab. Sein Name bedeutet
der Herr zulässt, dass Gläubige durch Kusch, Mann der doppelten Bosheit.
Probleme und Prüfungen gehen müs- 3,9-11 Als Antwort auf die Buße sei-
sen. Er will wissen, ob wir »den Weg nes Volkes erweckte Gott Otniel, einen
des Herrn bewahren werden, darauf zu Neffen Kalebs, um Israel von seinem
gehen, … oder nicht« (V. 22). Feind zu befreien und ihm vierzig Jahre
3,1-4 Die Nationen, die als Prüfung Frieden zu verschaffen. Otniel (Löwe
für Israel übrig blieben, werden in Vers Gottes) hatte vorher Kirjat-Sefer (Stadt
3 aufgelistet: »die fünf Fürsten der Phi- des Buches) eingenommen und es in
lister, alle Kanaaniter, die Sidonier und Debir (lebendiges Orakel) umbenannt.
die Hewiter, die das Gebirge Libanon Das ist genau das, was der Glaube mit
bewohnten«. dem Wort Gottes tut.
Nun beginnt der erste Kreislauf: Sün-
de (V. 5-7), Knechtschaft (V. 8), Gebet B. Ehud (3,12-30)
(V. 9a), Rettung (V. 9b-11). 3,12-14 Im zweiten Kreislauf wurde Is-
3,5-6 Sechs von sieben heidnischen rael achtzehn Jahre lang von Eglon un-
Nationen, unter denen die Israeliten terjocht, dem König von Moab.
lebten, werden hier angegeben. Zusätz- 3,15-30 Der militärische Führer, den
lich zu den Nationen, die in Vers 3 ge- Gott Israel zu dieser Zeit gab, war Ehud,
nannt werden, werden hier die Hetiter, ein Linkshänder aus dem Stamm Benja-
die Amoriter, die Perisiter und die Jebu- min. Er war vom Volk beauftragt, König
siter aufgezählt. Die siebte Nation wa- Eglon ein Geschenk als Tribut zu über-
ren die Girgaschiter (Jos 3,10; 24,11). bringen. Er verbarg auch ein zwei-
Dr. Cohen legt den Beginn von jedem schneidiges Schwert unter seinem Ge-
abwärts führenden Kreislauf genau fest: wand. Nachdem er das Geschenk über-
geben hatte, war der König bezüglich
Die Israeliten ignorierten die Warnungen der Haltung seiner jüdischen Unter­
Moses (5. Mose 7,3-4) und gingen Misch- tanen beschwichtigt. Da bat Ehud um
ehen mit Einheimischen ein. Die Folge eine Privataudienz, um eine Geheimbot­
war, dass sie deren verführerischen Göt- schaft zu überbringen. Als alle Diener
zendienst annahmen.3 weggeschickt waren, ermordete Ehud

258
Richter 3

den König und floh. Als die Tat entdeckt von ihm kommt. Menschen sind ein-
wurde, hatte Ehud schon die Männer fach nur Handlanger der Errettung,
Israels versammelt, marschierte gegen nicht die Ursache.
Moab und erschlugen 10.000 Männer ‒
Soldaten, die sich zurückzogen. Israel C. Schamgar (3,31)
genoss daraufhin 80 Jahre lang Ruhe. 3,31 Nur ein einziger Vers ist diesem
Wenn Nachsinnen (Gera, V. 15) Lob Richter gewidmet. Er erschlug 600 Phi-
(Ehud) gebiert, dann wird der Weltherr­ lister mit einem Rinderstachel oder
scher (Eglon) durch das scharfe, zwei- Ochsenstecken (einem scharfen, spitzen
schneidige Schwert (die Bibel) verurteilt, Werkzeug, um Ochsen anzutreiben).
auch wenn das Wort von einem Links- Hier sehen wir wieder einmal im Buch
händer angewandt wird. der Richter, wie Gott ein »schwaches
Otniel stammte aus Juda, dem mäch- Ding« benutzt, um einen großen Sieg
tigsten Stamm in Israel. Ehud stammte zu erringen. Ein Pilger (Schamgar) be-
aus Benjamin, der zu dieser Zeit der nutzte das Wort Gottes (Rinderstachel ‒
kleinste Stamm war. Gott kann Große vgl. Pred 12,11) und schlug damit un­
oder Kleine benutzen, um einen Sieg zu beständig Umherwandernde (Philister)
erringen, weil die Stärke in jedem Fall unter dem Volk Gottes in die Flucht.

Unterdrü- Bedeutung Dauer Befreier Bedeutung Jahre Bibel-


cker oder Typus der stelle
Ruhe
Kuschan- Kusch, doppelt 8 Otniel Löwe Gottes (die 40 3,7-11
Rischatajim Boshafter Macht Gottes)
König von Selbsterhebung,
Mesopotamien Stolz
Eglon Kreis 18 Ehud Majestät 80 3,12-30
König von Weltlicher
Moab Beruf
Philister unbeständig Schamgar Fremder oder Pilger 3,31
Umherwan-
dernde unter
Gottes Volk
oder fleisch-
liche Religion
Jabin Verstand oder 20 Debora Honigbiene 40 4,1 -
menschlicher 5,31
Intellekt
König von Siedlung
Hazor in
Kanaan Barak Blitz
Oberbefehls- Schlachtaufstel-
haber lung
Sisera Bedeutung
unbekannt
Midianiter Streit, Zank, die 7 Gideon Der Niederschneider, 40 6,1 -
Welt (Jerub-Baal) Lasst Baal für sich 8,35
selbst streiten oder
Baalsstreiter
Abimelech, Mein Vater war König 3 9,1-57
ein Usurpator
Tola Wurm 23 10,1-2
Jair Lichtbringer 22 10,3-5
Ammoniter Rationalismus 18 Jeftah Er wird öffnen 6 10,6 -
oder Irrlehre Ibzan Bedeutung unsicher 7 12,7
12,8-15
Elon Bedeutung unsicher 10
Abdon Dienst 8
Philister fleischliche 40 Simson kleine Sonne 20 13,1 -
Religion 16,31

259
Richter 4 und 5

D. Debora und Barak (Kap. 4-5) Israeliten aus dem Süden, aus Ephraim,
zogen in Jenin in das Tal (5,14) und ver­
1. Ihre Geschichte in Prosa (Kap. 4)
einigten sich mit Barak und seinen nörd-
4,1-3 Der nächste Unterdrücker war lichen Truppen im Tal unterhalb von
Jabin, der König der kanaanitischen Taanach, südlich des Kischon. Debora
Festung Hazor. Sein Heeroberster war rief zum Angriff (V. 14). Fußsoldaten ge-
Sisera. Er konnte sich 900 eiserner gen Streitwagen! Im kritischen Moment
Streitwagen rühmen und damit zwan- fiel Regen, verwandelte die Ebene in
zig Jahre lang die Israeliten unter seiner Schlamm und verwirrte Wagenlenker
Herrschaft halten. wie Pferde (5,4). Der Vorteil lag jetzt ganz
4,4-9 Diesmal erweckte Gott keinen aufseiten der Fußtruppen. … Barak führ-
Mann. Er erweckte ein Mitglied des te den Angriff vorwärts. Sisera wurde
»schwachen Geschlechts«, eine Prophe- von seinen Männern getrennt und floh.
tin namens Debora. (Es ist nicht normal, Die führerlosen Truppen waren es nicht
dass eine Frau eine solche Stellung gewöhnt, zu Fuß zu kämpfen, und rann-
geistlicher Autorität innehat, aber wir ten zurück in ihr Lager. Der Regen fiel
befinden uns hier in einer Zeit des Nie- weiter, und der Kischon verwandelte
dergangs. Sie kann nicht als Beispiel für sich in einen Sturzbach. Diejenigen, die
die Rolle der Frau in der Gemeinde nicht bei der Verfolgung durch die Isra­e­
heute dienen, denn sie ist die Ausnah- liten getötet wurden, wurden vom Ki-
me, nicht die Regel. Auch handelt es schon weggeschwemmt, als sie ver-
sich hier um Israel, nicht um die Ge- suchten, die Furt nach Haroschet zu
meinde.) Debora beauftragte Barak, in überqueren (V. 10-16, vgl. 5,20-21) (Daily
den Norden zu ziehen und Siseras Ar- Notes of the Scripture Union).
mee anzugreifen, aber er weigerte sich
zu gehen, wenn sie ihn nicht begleiten 4,17-24 Sisera suchte Zuflucht im Zelt
würde. Weil er so zögerte, die Führung Jaels, einer Keniterin. Sisera erhielt hier
zu übernehmen, wurde ihm gesagt, Nahrung und Unterkunft. Während er
dass der Sieg über Sisera einer Frau und schlief, trieb Jael mit einem Hammer ei-
nicht ihm gegeben werden würde. nen Zeltpflock durch seine Schläfe. Als
4,10-16 Debora ergriff die Initiative, Barak in seiner Verfolgungsjagd vorbei-
indem sie Barak rief und ihm befahl, Si- kam, lud Jael ihn ein, sich die Leiche
sera in eine Schlacht zu verwickeln, wie seines Feindes anzusehen. So erfüllte
es der Herr geboten hatte. Aber Barak, sich Deboras Prophezeiung aus Vers 9.
nicht Debora, wird in Hebräer 11,32 für Gott benutzte eine einfache Honigbiene
seinen Glauben gelobt. Obwohl er zu- (Debora), um den menschlichen Ver-
erst etwas zögerlich war, gehorchte er stand (Jabin) niederzuwerfen, als er
im Glauben dem Herrn und befreite Is- sich gegen das Wissen um Gott auflehn-
rael. (Nach einigen Übersetzungen ist te. Das Gericht kam wie ein Blitz (Ba-
Hobab in Vers 11 ein Schwager von rak) über den Feind. Jael (Kletterer) be-
Mose, nicht der Schwiegervater, wie in nutzte einen Zeltpflock (ein Zeuge ihres
ER.) Pilgerlebens), um die Anmaßungen des
Mächtigen zu dämpfen. Der Hammer
Barak stellte sein Heer von 10.000 Mann spricht vom Wort (Jer 23,29).
an den Südhängen des Berges Tabor of-
fen zur Schau. Sisera schluckte den Kö- 2. Ihre Geschichte im Lied (Kap. 5)
der. Er und seine Streitwagen überquer- 5,1-5 Das Lied von Debora und Barak
ten das ausgetrocknete Bachbett des ist ein Klassiker der inspirierten Litera-
Kischon bei der Furt genau südlich von tur. Nach dem Beginn mit dem Lob des
Haroschet. Sie eilten nach Südosten, die Herrn erinnerte Debora an den trium-
alte Hauptstraße nach Taanach entlang. phalen Marsch des HERRN, als die Is-

260
Richter 5 und 6

raeliten die Grenzen Edoms verließen, Naturgewalten waren auf ihrer Seite,
um ins Verheißene Land zu ziehen. Al- weil sie auf der Seite des Herrn kämpf-
ler Widerstand schmolz vor der Majes- ten.
tät des Herrn, des Gottes Israels, dahin. 5,23-27 Meros wurde zu einem Fluch
5,6-7 Dann beschreibt sie die Zustän- herausgegriffen, weil seine Bewohner
de in den Tagen Schamgars. Die Gefah- nicht dem Herrn zu Hilfe gekommen
ren waren so groß, dass die Straßen ver- waren. Die Männer dieser Stadt blieben
lassen waren. Reisende mussten Um- neutral, als Hilfe gegen den Feind benö-
wege machen, um Räuberbanden aus tigt wurde. Aber Jael, die in einem Zelt
dem Weg zu gehen. Die Bewohner der lebte, wurde für ihren Mut und ihre List
Dörfer wagten sich nicht aus ihren Häu- gesegnet, die sie bei der Tötung Siseras
sern – zumindest, bis Debora aufstand. bewiesen hatte. Die Mutter unseres
5,8 Weil das Volk sich den Götzen zu- Herrn ist die einzige andere Frau, die in
gewandt hatte, wurde das Land mit besonderer Weise »gesegnet unter den
Krieg und Blutvergießen überzogen, Frauen« genannt wird (Lk 1,42).
und Israel hatte keine Waffen, mit de- 5,28-31 Siseras Mutter schaute in der
nen es kämpfen konnte. Zwischenzeit aus dem Fenster und war-
5,9-15 Aber als Gott Debora und Ba- tete darauf, dass ihr Sohn mit der Sie-
rak erweckte, traten auch einige Herr- gesbeute heimkäme. Sie konnte seine
scher von Israel und einige vom Volk Verspätung nicht verstehen. Die Klu-
edelmütig vor, um zu helfen. Es gab gen unter ihren Edelfrauen versicherten
Männer aus Ephraim, aus Benjamin, ihr, dass er wohl seine Beute mit den
aus Machir (dem Stamm Manasse), aus Männern teilte. Aber Sisera sollte nie
Sebulon und aus Issaschar. zurückkehren. Und sein Schicksal soll
5,16-17 Und dann erinnert sich Debo- das aller Feinde des Herrn sein.
ra an diejenigen, die nicht gekommen Dagegen sollten diejenigen, die den
waren, um zu helfen. Ruben hatte zwar Herrn lieben, wie die aufgehende Son-
»großartige Beratungen des Herzens«, ne sein. Das Kapitel schließt mit der
blieb aber »zwischen den Hürden«. Gi- Aussage, dass das Land nach Siseras
lead (Gad) überquerte den Jordan nicht, Tod vierzig Jahre Ruhe hatte.
um an der Schlacht teilzunehmen. Dan
blieb auf den Schiffen, und Asser saß E. Gideon (6,1 - 8,32)
tatenlos an der Küste der Meere.
1. Gideons Berufung in den Dienst (Kap. 6)
Die Schrift zeichnet sorgfältig auf,
wer in der Schlacht mitkämpfte ‒ und 6,1-6 Im nächsten Kreislauf wurden die
auch, wer passiv danebenstand und Israeliten von den Midianitern unter-
nicht bereit war, seine Sicherheit für die drückt. Dies waren Beduinenstämme,
Sache des HERRN aufs Spiel zu setzen. die plündernd durchs Land zogen, über
Genauso ist es heute: Der Herr weiß, Israels Ernten wie die Heuschrecken
wer sich mit der Welt und dem Teufel herfielen und das Vieh stahlen. Israels
aktiv auseinandersetzt ‒ und wer es Abtrünnigkeit führte zu Armut, Sklave-
sich bequem macht und nur zuschaut. rei und Angst. Diejenigen, die Israel
Die Zeit des Lohns wird kommen, aber einst erobert hatte, waren nun seine
es wird auch eine Zeit des Verlustes Herren. Wenn wir uns als Christen vom
sein (1Kor 3,10-15). Herrn abwenden, dann versklaven uns
5,18-22 Sebulon und Naftali ragten be- wieder alte Gewohnheiten und machen
sonders heraus. Sie riskierten ihr Leben uns arm.
für den Herrn, ohne Lohn zu nehmen 6,7-16 Als die Israeliten nach dem
(»Beute an Silber holten sie nicht«). Sie Herrn um Hilfe schrien, wurde ihnen
waren in der Schlacht gegen die Könige zunächst ein Prophet geschickt, der den
Kanaans im wildesten Getümmel. Die Auftrag hatte, sie an ihren Götzendienst

261
Richter 6

zu erinnern. Dann erschien der Engel derbar« sei (Ri 13,18), einer der Namen
des Herrn, von dem wir annehmen, Gottes (Jes 9,6). Als Jakob mit dem En-
dass er Christus vor seiner Menschwer- gel kämpfte, kämpfte er mit Gott (Hos
dung ist (vgl. Exkurs weiter unten), ei- 12,3-4). Dies sind überzeugende Be­
nem Mann aus dem Stamm Manasse weise dafür, dass Gott gemeint ist,
namens Gideon, als dieser heimlich wenn der Engel des Herrn im AT ge-
Weizen in einer Weinkelter drosch, um nannt wird.
ihn vor den Midianitern in Sicherheit John F. Walvoord (zitiert von Chafer)
zu bringen. Der Engel sagte diesem nennt vier Argumente, um dies zu un-
»tapferen Held«, dass Gott ihn gebrau- terstützen:
chen würde, um Israel von Midian zu
befreien. Trotz der Einwände Gideons »a) Die zweite Person ist der sichtbare
wiederholte der Engel seine Berufung Gott des Neuen Testaments. b) Der Engel
zu dieser wichtigen Aufgabe. Jahwes im Alten Testament erscheint nach
der Menschwerdung Christi nicht mehr.
c) Sowohl der Engel Jahwes als auch
Christus werden vom Vater gesandt.
Exkurs: Der Engel des Herrn d) Der Engel Jahwes konnte weder der
Der Engel des Herrn (Jahwe) ist der Herr Vater noch der Heilige Geist sein.« In Be-
Jesus Christus in einer Erscheinung vor zug auf den vierten Beweis fährt Wal-
seiner Menschwerdung. Ein Studium voord fort zu erklären, dass der Vater und
der Abschnitte, in denen er erwähnt der Geist für Menschen unsichtbar sind
wird, macht deutlich, dass er Gott ist und beide die Eigenschaft der Immateria-
und dass er die zweite Person der Trini- lität besitzen. Er schließt: »Es gibt keinen
tät ist. einzigen stichhaltigen Grund zu leugnen,
Die Schrift zeigt, dass er Gott ist. Als dass der Engel des Herrn die zweite Per-
er Hagar erschien, erkannte sie, dass sie son ist, da jede bekannte Tatsache darauf
sich in der Gegenwart Gottes befand. hinweist, dass er mit dem Christus des
Sie bezeichnete ihn als den »Gott, der Neuen Testaments identisch ist.«4
mich sieht« (1. Mose 16,13). Als der En-
gel auf dem Berg Morija zu Abraham Als Engel des HERRN ist Christus von
sprach, bezeichnete er sich selbst als anderen Engeln insofern unterschieden,
»der Herr« (hebr. JHWH oder Jahwe; als er nicht geschaffen wurde. Die
1. Mose 22,16). Jakob hörte, dass der Worte, die in beiden Testamenten mit
Engel sich selbst als Gott von Bethel »Engel«5 übersetzt werden, bedeuten
vorstellte (1. Mose 31,11-13). Als Israel »Bote«. Er ist der Bote Gottes. Deshalb ist
Josef segnete, benutzte er austauschbar er, wie Chafer ausführt, nur durch sein
die Namen »Gott« und »der Engel« Amt ein »Engel«.6
(1. Mose 48,15-16). Beim brennenden
Dornbusch war es der »Engel des
Herrn«, der erschien (2. Mose 3,2), aber
Mose »verhüllte sein Gesicht, denn er 6,17-24 Gideon merkte, dass er mit dem
fürchtete sich, Gott anzuschauen« Herrn sprach, und bat um ein Zeichen.
(2. Mose 3,6). Der Herr, der vor Israel Dann bereitete er ein Opfer aus einem
als Wolkensäule herzog (2. Mose 13,21), Ziegenböckchen und ungesäuertem
war niemand anders als der »Engel Brot zu. Als der Engel das Opfer mit
Gottes« (2. Mose 14,19). Gideon fürch- seinem Stab berührte und es daraufhin
tete sich zu sterben, weil er Gott ge­ vom Feuer verzehrt wurde, wusste Gi-
sehen hatte, als er den Engel des Herrn deon, dass er in der Gegenwart des
sah (Ri 6,22-23). Der Engel des Herrn Herrn war, und befürchtete, dass er
sagte Manoach, dass sein Name »Wun- sterben müsse. Doch der Herr schenkte

262
Richter 6 und 7

ihm Sicherheit durch die Worte »Friede sein Wollvlies (Schlachter 2000) fiel,
sei mit dir«. Gideon baute daraufhin ei- aber nicht auf den Boden um das Vlies
nen Altar und nannte den Ort Jahwe- herum. Das zweite bestand darin, dass
Schalom (Der Herr ist Friede). in der zweiten Nacht Tau auf den Bo-
6,25-32 In dieser Nacht zerstörte Gi- den, aber nicht auf das Vlies fiel.
deon im Gehorsam gegenüber dem Gideons Vlies wird von Christen häu-
Herrn einen Altar, den sein Vater dem fig missverstanden. Es gibt zwei Tat­
Baal errichtet hatte, und auch das höl- sachen, die man sich beim Nachdenken
zerne Aschera-Standbild (Schlachter über diese Geschichte vor Augen halten
2000) daneben. Stattdessen errichtete er sollte: Gideon suchte mit dem Vlies
einen anderen Altar für den Herrn. Am nicht nach Führung, sondern nach Be­
frühen Morgen wollten die Männer der stätigung. Gott hatte ihm schon gesagt,
Stadt ihn für diese mutige Tat umbrin- was er tun sollte. Gideon suchte ledig-
gen. Aber sein Vater Joasch griff ein und lich die Versicherung, dass er erfolg-
sagte, dass Baal, wenn er wirklich ein reich sein würde. Menschen, die davon
Gott wäre, in der Lage sein sollte, sich sprechen, ein Vlies auszulegen, um den
selbst zu verteidigen. Joasch beschloss, Willen Gottes in einer bestimmten Fra-
dass jeder, der die Sache Baals verteidi- ge zu erfahren, wenden diesen Ab-
gen würde, sterben müsse. Gideon er- schnitt falsch an. Außerdem bat Gideon
hielt den Spitznamen Jerub-Baal, was um ein übernatürliches Zeichen, nicht
bedeutet: »Lasst Baal [für sich selbst] um ein natürliches. Auf natürliche Wei-
einen Rechtstreit führen.« se hätte das, um was er gebeten hatte,
Manche mögen Gideon dafür tadeln, nicht ohne das direkte Eingreifen Got-
dass er den Altar aus Furcht in der tes geschehen können. Heute benutzen
Nacht niederriss. Aber wir dürfen nicht Menschen Ereignisse als »Vlies«, die
die Tatsache aus dem Auge verlieren, ohne göttliches Eingreifen auf natür­
dass er dem Herrn gehorchte. Seine liche Weise geschehen könnten. Auch
Angst hielt ihn nicht davon ab, gehor- dies ist eine falsche Art, diese Geschich-
sam zu sein. Wir alle fürchten uns hin te anzuwenden. Was wir hier sehen, ist
und wieder, aber Furcht an sich ist nicht die Herablassung Gottes zu einem
notwendigerweise falsch. Wenn sie uns Mann mit schwachem Glauben, um ihn
davon abhält, dem Herrn zu gehorchen, des Sieges zu versichern. Gott kann
dann wird sie allerdings zu einem Glau- heute solche Zusagen als Antwort auf
benshindernis und ist Sünde. Gebet geben, und er tut es auch.
6,33-35 Zu dieser Zeit versammelten
sich Midian, Amalek und die »Söhne 2. Gideons dreihundert Mann (Kap. 7)
des Ostens«, um mit Israel Krieg zu 7,1-3 Um sicherzustellen, dass der Sieg
führen. Sie überquerten den Jordan und gegen Midian wirklich eindeutig Gott
»lagerten sich im Tal Jesreel«. »Der zugeschrieben werden muss, reduzier-
Geist des Herrn umkleidete Gideon«, te Gott Gideons Armee zunächst von
und er sammelte eine Armee aus den 32.000 Männern auf 10.000, indem er
Stämmen Manasse, Asser, Sebulon und die Furchtsamen und Verzagten nach
Naftali. Abieser (V. 34) war ein Vorfahre Hause schickte, wie das Gesetz es gebot
Gideons. Sein Name wird hier (im hebr. (5. Mose 20,8).
Text) als Familienname für seine noch 7,4-8 Um die Armee noch weiter zu
lebenden Verwandten benutzt (Abies­ reduzieren, prüfte Gott die Soldaten am
riter). Vgl. auch 8,2. Fluss. Diejenigen, die sich die Zeit nah-
6,36-40 Ehe Gideon in die Schlacht men, auf die Knie zu gehen, um Wasser
zog, verlangte er nach einem Unter- zu trinken, wurden weggeschickt. Die-
pfand für den Sieg von Gott. Das erste jenigen, die dagegen Wasser wie ein
Unterpfand bestand darin, dass Tau auf Hund leckten und schnell weiterzogen,

263
Richter 7 und 8

wurden in der Truppe behalten. Das 7,21-25 In Verwirrung und Panik be-
waren dreihundert Männer. gannen die Midianiter, einander anzu-
7,9-14 Der Herr befahl dann Gideon, greifen und dann zu fliehen. Zunächst
um Mitternacht den Rand des Lagers wurden sie von den Männern aus den
der Midianiter zu erkunden. Begleitet Stämmen Naftali, Asser und Manasse
von seinem Diener Pura ging Gideon verfolgt. Doch dann wurden alle Männer
an die äußerste Grenze des feindlichen Ephraims gerufen, um mitzuhelfen, in-
Lagers. Dort hörte er, wie ein Midiani- dem sie die Furten des Jordans besetzten
ter seinem Freund von einem Traum und die Feinde vernichteten, sobald die-
erzählte, den er gehabt hatte, in dem ein se versuchten, über den Fluss zu entkom-
Laib Gerstenbrot über ein midianiti- men. Den Ephraimitern gelang es, zwei
sches Zelt rollte und es zerstörte. Der der Obersten von Midian zu fangen und
Freund verstand die Bedeutung des zu töten: Oreb (Rabe) und Seeb (Wolf).
Traumes so, dass die Israeliten die Mi- Wir können aus Gideons Handlungs-
dianiter besiegen würden. Gerstenbrot weise etwas über Leiterschaft lernen.
war die Nahrung der einfachen Bauern Der Leiter muss von dem, was er tun
und stand für Israel. Das Zelt steht für will, vollständig überzeugt sein, ehe er
die Armee der Midianiter. andere leiten kann. Er muss in erster
7,15-20 Vielleicht hatte der Gedanke Linie ein Anbeter sein, der Gott seinen
an seine verkleinerte Armee Gideons rechtmäßigen Platz gibt (V. 15). Er muss
Ängste wieder geweckt, und zwar nicht durch sein Vorbild leiten (V. 17). Er
ohne Grund. Gott hatte ihm befohlen, muss darauf achten, dem die Ehre zu
sich einer Armee von 135.000 Mann mit geben, dem die Ehre gebührt ‒ zuerst
nur 300 Männern zu stellen (Ri 8,10)! Gott und erst dann den Werkzeugen,
Doch dieses Wort aus dem Mund seiner die er erwählt hat (V. 18).
Feinde stärkte seinen Glauben. Seine
erste Reaktion war Anbetung (V. 15), 3. Gideons Sieg über die Philister (8,1-32)
dann kämpfte er. 8,1-3 Zunächst waren die Männer von
So vom Sieg überzeugt, kehrte Gi­ Ephraim zornig auf Gideon, weil er sie
deon in das Heerlager Israels zurück nicht früher zu Hilfe gerufen hatte.
und rief seine Männer zum Kampf auf. Doch als Gideon sie daran erinnerte,
Nachdem er die Truppe in drei Abtei- dass ihre Gefangennahme der Obersten
lungen zu je hundert Mann aufgeteilt Midians viel glanzvoller war als irgend­
hatte, bewaffnete er jeden mit einem etwas, was er selbst getan hatte, waren
Horn und einem irdenen Krug mit ei- sie zufrieden. Wie schon früher erklärt,
ner Lampe oder Fackel darin. Sie mar- bezieht sich der Name Abieser (V. 2) auf
schierten an den Rand des Heerlagers Gideon und seine Männer.
der Midianiter, und nach einem verein- 8,4-7 Die Juden in Sukkot weigerten
barten Signal stießen alle in die Hörner, sich, Gideon und seinen hungrigen 300
zerbrachen die irdenen Krüge, damit Männern Brot zu geben, weil sie die
die Fackeln sichtbar wurden, und rie- Vergeltungsmaßnahmen der Midiani-
fen: »Ein Schwert für den HERRN und ter fürchteten, falls Gideon besiegt wur-
für Gideon!« de. Gideon drohte, ihr Fleisch mit Dorn-
Die göttliche Auslegung dieses Ereig- gestrüpp und Stechdisteln zu dreschen,
nisses finden wir in 2. Korinther 4,7. Un- wenn der Herr Sebach und Zalmunna
sere Leiber sind die irdenen Krüge. Nur in seine Hand gegeben hatte.
dadurch, dass wir ständig um Jesu wil- 8,8-9 Die Männer in Pnuel beantwor-
len in den Tod gegeben werden, wird teten Gideons Bitte um Verpflegung
das Licht des Wissens von der Herrlich- ebenso negativ. Deshalb drohte er ihnen
keit Gottes im Angesicht Jesu Christi an, ihren Turm niederzureißen, wenn er
anderen Menschen weitergegeben. in Frieden zurückkäme.

264
Richter 8

8,10-17 Gideon hielt sein Wort. Er fing 32,1-6) erbeutet hatten. Aus diesen
die beiden Midianiterkönige und schlug machte Gideon ein Ephod, das schür-
das ganze Heerlager vernichtend. Mit zenähnliche Kleidungsstück eines Prie-
Hilfe einer Liste eines jungen Informan- sters. Als dieses in Ofra aufgestellt wor-
ten erteilte Gideon den 77 führenden den war, wurde es zu einem Objekt
Männern von Sukkot eine Lektion. götzendienerischer Verehrung und da-
Cohen sagt, dass diese Form der Be­ mit zu einer Falle für Israel, das es von
strafung »in Platos Politeia beschrieben Silo und der Stiftshütte wegzog. »Er
wird als für die schlimmsten Kriminel- weigerte sich, König zu werden, aber er
len bestimmt«.7 begehrte die Priesterschaft.«
Die gelehrten Rabbis Kimchi und Ra- 8,28-32 Nach dem Sieg über Midian
schi sahen den Ausdruck »dreschen mit genoss Israel vierzig Jahre Ruhe.
Dorngestrüpp und Stechdisteln« als Besonders erwähnt wird, dass Gi­
Redensart für »heftig schlagen« an. deon viele Frauen hatte, die ihm siebzig
Andere Ausleger erklären, dass er Söhne gebaren. Auch hatte er eine Ne-
[Gideon] gedroht habe, die Männer benfrau in Sichem, die ihm einen Sohn
nackt auf ein Bett aus Dornen zu werfen mit Namen Abimelech gebar.
und dann auf ihnen herumzutrampeln, Zwei weitere Eigenschaften der viel-
wie beim Korn auf der Tenne.8 gestaltigen Persönlichkeit Gideons zei-
In Pnuel riss Gideon den Turm nieder gen sich in diesem Kapitel. Seine uner-
und erschlug die Männer der Stadt. bittliche Verfolgung der Midianiter
»Eine sanfte Antwort wendet Grimm zeigte Gründlichkeit und Vollständig-
ab, aber ein kränkendes Wort erregt keit bei der Erfüllung seiner Aufträge.
Zorn« (Sprüche 15,1). Die erste Wahr- Obwohl er müde war und schon eine
heit zeigt sich in den Versen 1-3 bei Gi- ganze Menge geschafft hatte, und ob-
deons Antwort an die Ephraimiter. Die wohl ihm niemand helfen wollte, mach-
zweite Wahrheit wird in den Versen 4- te er weiter, bis die Ismaeliter vernich-
17 durch die Worte der Männer von tet waren und die Könige tot zu seinen
Sukkot und Pnuel illustriert. Füßen lagen. Der Apostel Paulus war
8,18-21 Sebach und Zalmunna hatten ähnlich energisch, nur zeigte sich das
einige der Brüder Gideons auf dem Ta- bei ihm in geistlichem Kampf (Phil
bor erschlagen, deshalb befahl er sei- 3,12-14).
nem ältesten Sohn Jeter, sie zu erschla- Der zweite Charakterzug ist ein nega-
gen. Der fürchtete sich, weil er noch ein tiver: Er verlangte und bekam die gol-
Junge war, deshalb erledigte Gideon denen Ringe aus der Beute als Lohn
diese Aufgabe selbst. dafür, dass er die Ismaeliten geschlagen
8,22-23 Die Männer von Israel baten hatte (V. 24), und dies wurde für ihn,
Gideon, ihr König zu werden ‒ so be- sein Haus und sein Land zur Falle. Man
eindruckt waren sie von seinen militäri- vergleiche das mit Abrahams Verhalten
schen Heldentaten. Sie gaben einem in 1. Mose 14,21-24. Wir sollten danach
Menschen statt Gott die Ehre (vgl. 7,2). streben, mit Gottes Hilfe Gideons Stär-
Aber Gideon lehnte das Angebot an ihn ken nachzuahmen und seine Laster zu
und seine Söhne edelmütig ab und wies meiden.
darauf hin, dass der Herr allein das
Recht hatte, über sie zu herrschen. F. Abimelechs Usurpation (8,33 - 9,57)
8,24-27 Aber nachdem er einer Versu- 8,33-35 Sobald Gideon gestorben war,
chung widerstanden hatte, verfiel Gi­ wandte sich Israel von Gott ab und ver-
deon einer anderen. Er bat um die gol- ehrte die Baalim. Wie schnell die Is­
denen Ohrringe (Schlachter 2000), die raeliten doch Gideons Heldentaten für
die Israeliten von den Midianitern das Volk vergaßen, sogar bis zu dem
(auch Ismaeliter genannt, vgl. 2. Mose Punkt, dass sie seine Nachfahren miss-

265
Richter 8 und 9

handelten und vergaßen, wie Gott sie 9,16-21 Dann verkündete Jotam dem
befreit hatte! Aber sind wir viel besser Volk mutig, dass sie sich an ihrem Kö-
darin, uns an die Segnungen zu er­ nig freuen könnten, wenn sie recht da-
innern, die wir von unserem Herrn mit getan hatten, seine Brüder umzu-
oder auch nur von unseren Mit- bringen. Wenn sie damit jedoch nicht
menschen erfahren haben? Zu unserer recht getan hatten, dann würden die
Schande müssen wir gestehen, dass wir Männer von Sichem mit Abimelech in
dazu neigen, diese zu vergessen. Bürgerkrieg geraten und sich gegensei-
9,1-6 Abimelech (mein Vater war Kö­ tig vernichten.
nig), ein Sohn Gideons, war kein Rich- 9,22-33 Genau das geschah. Drei Jah-
ter Israels, sondern ein Thronräuber re später sandte Gott einen bösen Geist
(Usurpator) – einer, der über Israel ohne zwischen Abimelech und die Bürger
echte Autorität herrschen wollte. Um von Sichem. Gott ist nicht der Ver­
alle Gefahren für seine Herrschaft aus- ursacher des Bösen, aber er erlaubt es
zuräumen, ermordete er alle seine Brü- und manchmal benutzt er es, damit es
der mit Ausnahme von Jotam, dem seinen Zweck an bösen Menschen er-
Jüngsten. Mit Hilfe ehrloser und leicht- füllt (vgl. 1Sam 16,14; 1Kö 22,19-23).
fertiger Männer überredete er die Be- Die Männer von Sichem beraubten die
wohner des Gebiets, ihn als König an- Reisenden auf den Handelsstraßen bei
zuerkennen. Weil Gideon siebzig Söhne Sichem und enthielten damit Abi-
hatte (V. 2) und nicht alle getötet wur- melech Steuern vor, die er sonst von
den, muss die Zahl siebzig in Vers 5 ge- diesen Menschen hätte einnehmen kön-
rundet sein. nen (V. 25). Gaal, der Sohn Ebeds, be-
9,7-15 Die Evangelien enthalten viele nutzte ein Erntefest als Gelegenheit, um
Gleichnisse oder Geschichten mit einer zum Aufstand gegen Abimelech aufzu-
tiefer liegenden Bedeutung. Hier ist rufen, und sagte: »Wer ist Abimelech
eines der wenigen Gleichnisse des AT. und wer Sichem, dass wir ihm dienen
Jensen kommentiert wie folgt: sollten?« Sebul, Abimelechs Marionette
und Statthalter von Sichem, benach-
Als Jotam von Abimelechs Krönung hör- richtigte Abimelech heimlich von dem
te, eilte er zu einer Zeit auf den Gipfel Komplott und riet ihm, am Morgen ge-
des Berges Garizim, als das Volk im Tal gen die Stadt zu Felde zu ziehen.
darunter versammelt war. Von diesem 9,34-40 Als Gaal am Morgen zum
Aussichtspunkt aus konnte seine Stimme Stadttor ging, meinte er, dass er Men-
im ganzen Tal gehört werden, und das schen sähe, die sich die Berghänge hin-
Volk lauschte aufmerksam der seltsamen abbewegten. Zunächst tat Sebul so, als
Geschichte, die er erzählte. Er benutzte ob er nur Schatten sähe, in der Hoff-
das Bild einer Republik der Bäume, die nung, Abimelech mehr Zeit zu geben.
einen König wählen wollten, um das Ver- Schließlich erkannte Gaal, dass es wirk-
halten Israels aufzuzeigen. Er sprach von lich Menschen waren und dass eine
Gideon und seinen Söhnen als Oliven- zweite Abteilung aus einer anderen
und Feigenbaum und als Weinstock, die Richtung kam. Da forderte ihn Sebul
sich weise weigerten, ihre von Gott be- auf, hinauszugehen und mit dem Mann
stimmte, nützliche Aufgabe zu verlassen, zu kämpfen, dessen Herrschaft er ver-
um hinzugehen und über die Bäume zu achtet hatte. Als Gaal und seine Bande
herrschen. Aber er verglich Abimelech von Gesetzlosen den Feind stellten, fie-
mit einem Dornstrauch, der die Ein­ len viele seiner Männer und er wurde
ladung nicht nur eifrig annahm, sondern schnell in die Stadt zurückgejagt.
warnte, dass er die Zedern des Libanon 9,41-44 Während Abimelech in der
zerstören wolle, wenn die Bäume ihn Nähe bei Aruma sein Lager aufschlug,
nicht zum König wählen würden.9 vertrieb Sebul Gaal und seine Brüder

266
Richter 9 bis 11

aus Sichem. Am nächsten Tag gingen G. Tola und Jair (10,1-5)


Menschen aus Sichem auf das Feld, um
zu arbeiten, vielleicht auch, um Beute Tola aus dem Stamm Issaschar richtete
bei den Gefallenen zu machen. Als Abi- Israel 23 Jahre lang. Er lebte im Gebirge
melech davon hörte, teilte er seine Män- Ephraim.
ner in drei Abteilungen und legte einen Der nächste Richter war Jair, ein Gilea-
Hinterhalt. Zwei Abteilungen sollten diter, der 22 Jahre lang über Israel richte-
die Menschen angreifen, und die dritte te. Nebenbei wird von seinen 30 Söhnen
sollte ihnen den Rückweg in die Stadt berichtet, die über 30 Städte herrschten.
abschneiden. Der Hinterhalt war er-
folgreich. H. Jeftah (10,6 - 12,7)
9,45 Nach einem Tag Kampf fiel die
Stadt. Das Volk wurde erschlagen und 1. Israels Unglück (10,6-18)
seine Stadt niedergerissen und mit Salz 10,6-9 Wieder lesen wir den trostlosen
bestreut. (Salz macht den Boden un- Bericht, wie die Kinder Israel den Herrn
fruchtbar. Hier war es eine symbolische verließen und sich dem Götzendienst zu-
Handlung von Abimelech, die seine wandten. Der Götzendienst Israels führte
Entschlossenheit ausdrücken sollte, in die Sklaverei unter Götzendienern. Die
diesen Ort für immer in eine vertrock- Philister und Ammoniter kämpften ge-
nete Salzwüste zu verwandeln.) gen die Juden, die östlich des Jordans leb-
9,46-49 In der Nähe war der Turm von ten, und die Ammoniter zogen auch über
Sichem, wo der Tempel des Gottes Berit den Jordan, um gegen Juda, Benjamin
war. Das Volk des Turms verbarg sich und Ephraim zu kämpfen.
in einem großen Keller des Tempels. Die Israeliten waren gegenüber den
Abimelech und seine Männer holten Philistern und Ammonitern machtlos,
Äste aus dem nahe gelegenen Wald am weil sie die Verehrung des HERRN auf-
Berg Zalmon und machten ein großes gegeben hatten und den Göttern dieser
Feuer über dem Kellergewölbe. Etwa Heidenvölker dienten (V. 6).
1000 Männer und Frauen starben in 10,10-16 Als die Israeliten zu dem
dem Inferno. Herrn um Hilfe schrien, wies er ihre
9,50-57 Als Abimelech Tebez erobern Bitten zunächst zurück. Er führte meh-
wollte, war das sein Untergang. Als er rere vergangene Befreiungen auf und
einen Turm angriff, wo viele Menschen erinnerte sie daran, dass sie sich nach
Zuflucht gesucht hatten, warf eine Frau jeder Befreiung wieder von ihm abge-
einen oberen Mühlstein auf Abimelechs wandt hatten (V. 13). Aber als sie weiter
Kopf. Schwer verwundet bat er einen beteten und ihre Götzen entfernten,
seiner eigenen Männer, ihn lieber um- hörte Gott auf ihr Rufen. Vers 16 gibt
zubringen, als dass von ihm gesagt uns einen Einblick in das weite und
würde, dass er von einer Frau er­ weiche Herz Gottes. Wie ein Vater wur-
schlagen worden sei. So wurde der de er von der Bitte seiner abtrünnigen
Dornbusch verzehrt, wie Jotam vorher- Kinder bewegt. Ihr Elend bewirkte,
gesagt hatte. dass seine Barmherzigkeit hervorkam.
Die Gerechtigkeit hat ihre eigene Wei- 10,17-18 Am Ende dieses Kapitels la-
se, wie sie die Strafe einem Verbrechen gerte die Armee Ammons in Gilead,
anpasst. Abimelech hatte seine Brüder und Israel hatte sich in Mizpa versam-
auf einem Stein abgeschlachtet (V. 5), melt. Die Männer in Gilead suchten
und ein Stein zerschmetterte seinen ei- nach einem Militärführer (V. 17-18).
genen stolzen Kopf. Diejenigen, die ihr
Leben mit Hilfe von Gewalt bestreiten, 2. Jeftahs Verteidigung Israels (11,1-28)
werden durch sie umkommen. 11,1-3 Der Mann der Stunde hieß Jeftah.
Er wird als Gileaditer beschrieben, als

267
Richter 11 und 12

tapferer Held und Sohn einer Hure. dem Herrn denjenigen, der ihm zuerst
Nachdem er von seinen eigenen Lands- aus dem Haus entgegenkäme, weihen
leuten zurückgewiesen worden war, werde, wenn er siegreich nach Hause
war er ins Land Tob (wahrscheinlich käme. Der Herr gab ihm den Sieg über
Syrien) gezogen, wo er der Anführer ei- die Ammoniter, und als er wiederkam,
ner Bande von Geächteten oder ver- trat ihm seine Tochter als Erste ent­
zweifelten Rebellen geworden war. gegen. Jeftah brachte sie deshalb dem
11,4-11 Die Ältesten von Gilead baten Herrn dar.
nun Jeftah, die Armee Israels gegen die Es gibt unter den Auslegern ziem­liche
Ammoniter anzuführen. Sie verspra- Uneinigkeit darüber, was Jeftah wirk-
chen ihm, ihn als ihr Oberhaupt anzu- lich mit seiner Tochter tat. Eine Ansicht
erkennen, wenn er den Feind besiegte. lautet, dass er sie tötete und sie als
Einige Eigenschaften Jeftahs erinnern Brandopfer dem Herrn darbrachte. Das
an unseren Herrn Jesus: Es lag ein ist vielleicht die auf den ersten Blick
Schatten über seiner Geburt, und er offenkundigste Bedeutung des Textes,
wurde von seinen Brüdern abgelehnt. auch wenn die Vorstellung eines Men-
Als sie in Knechtschaft gerieten, er­ schenopfers abstoßend ist und von Gott
innerten sie sich an ihn und riefen ihn niemals gewollt war (5. Mose 18,9-14).
als ihren Retter an. Als Jeftah einver- Nur Tiere wurden geopfert, Menschen
standen war, den Gileaditern zu helfen, konnten zwar dem Herrn geweiht wer-
wurde er ihr Retter, aber er bestand den, aber sie wurden anschließend
darauf, auch ihr Herr zu werden. durch Geld ausgelöst (2. Mose 13,12-13;
11,12-28 Jeftahs erste Handlung be- 3. Mose 27,1-8).
stand darin, zum König von Ammon Die andere weitverbreitete Ansicht ist,
Boten zu senden. Er wollte ihm die Ge- dass Jeftah bestimmte, dass seine Toch-
legenheit bieten, seine Aggression zu ter als lebenslange Jungfrau für den
erklären. Der König der Ammoniter be- Dienst des Herrn gegeben wurde. Die­
klagte sich, dass Israel ihm Land ge- jenigen, die diese Ansicht vertreten, wei-
stohlen hätte, als das Volk von Ägypten sen darauf hin, dass es in seinem Gelüb-
nach Kanaan gezogen war. Jeftah er- de hieß, dass, was immer ihm aus der
klärte, dass dies eindeutig nicht der Fall Tür seines Hauses entgegenkäme, »dem
gewesen sei. Der Herr hatte sein Volk Herrn gehören« solle, oder er wolle es
angewiesen, sich nicht mit den Edomi­ als Brandopfer darbringen (V. 31). Die
tern (5. Mose 2,4-5), den Moabitern Vorstellung einer ewigen Jungfrauschaft
(5. Mose 2,9) und den Ammonitern wird durch die Verse 37-39 sehr unter-
(5. Mose 2,19) einzulassen ‒ alles ent- stützt. Jedenfalls lautet die Lehre daraus
fernte Verwandte der Juden. Deshalb für uns heute, dass wir nie vorschnell
umgingen die Israeliten das Land Edom Versprechungen machen sollten.
und das Land Moab. Als sie allerdings
zu dem Gebiet der Ammoniter kamen, 4. Jeftah schlägt die Ephraimiter (12,1-7)
war es schon von den Amoritern er­ 12,1-4 Die Männer aus Ephraim waren
obert worden, deren König Sihon war. auf Jeftahs Sieg eifersüchtig und beklag-
Die Israeliten nahmen das Land ein, in- ten sich, dass sie daran keinen Anteil ha-
dem sie die Amoriter besiegten. ben durften. Jeftah erinnerte sie daran,
Als der König von Ammon seinen dass er sie vergeblich um Hilfe gebeten
Anspruch nicht aufgeben wollte, berei- hatte. Die Ephraimiter verspotteten die
tete sich Jeftah auf einen Krieg vor. Männer Jeftahs und behaupteten, sie
seien Flüchtlinge aus Ephraim. (Die
3. Jeftahs Schwur (11,29-40) Ephraimiter waren Unruhestifter. Sie
Ehe Jeftah in die Schlacht zog, legte er hatten sich mit Gideon angelegt, als er
ein vorschnelles Gelübde ab, dass er die Midianiter besiegt hatte [Kap. 8],

268
Richter 12 und 13

und jetzt stritten sie ohne Grund mit 12,13-15 Abdon, der Sohn Hillels,
Jeftah.) stammte aus der Stadt Piraton auf dem
12,5-6 Jeftah und seine Männer griffen Amalekiterberg in Ephraim. Er richtete
die Ephraimiter an und schnitten ihnen Israel acht Jahre lang. Seine 40 Söhne
den Weg zu den Furten des Jordans ab. und 30 Enkel werden besonders er-
Ehe jemandem erlaubt wurde, den Jor- wähnt.
dan zu überqueren, wurde er gezwun-
gen, ein Kennwort zu sagen, nämlich J. Simson (Kap. 13-16)
Schibbolet (wörtl. ein fließender Bach).
1. Simsons gottesfürchtiges Erbe (Kap. 13)
Die Ephraimiter konnten dieses Wort
nicht richtig aussprechen und verrieten 13,1-3 Zum siebten Mal im Buch der
ihre Herkunft, indem sie Sibbolet sagten.10 Richter lesen wir: »Und die Söhne Israel
Jeftah tötete 42.000 Männer Ephraims am taten weiter, was böse war in den Augen
Jordan ‒ eine schreckliche Abschlach- des Herrn.« Der Kreislauf beginnt er-
tung seiner eigenen Landsleute. neut; diesmal versklavten die Philister
Diese Art von Machtkämpfen im Israel vierzig Jahre lang. Das war die
Volk Gottes anzusehen, ist etwas sehr längste Unterdrückung, die das Volk
Notvolles. Das Blut der Ephraimiter bisher durchmachen musste. Während
vermischte sich jetzt mit dem der Am- die Israeliten von den Philistern unter-
moniter. Selbst die hellen Seiten im drückt wurden, erschien der Engel des
Buch Richter sind mit Unheil befleckt. Herrn (Christus) der Frau Manoachs aus
Ridout macht eine traurige Beobach- dem Stamm Dan und verkündete ihr,
tung: dass sie einen Sohn bekommen würde,
auch wenn sie bisher unfruchtbar gewe-
Ist es nicht eine Tatsache, dass … diejeni- sen war. Der unfruchtbare Mutterleib ist
gen, die Irrlehren entgegengetreten sind oft der Anfangspunkt der Pläne Gottes.
und sie besiegt haben, auch diejenigen Er ruft Leben aus dem Tod und benutzt
sind, die später ihre Klinge auch mit die Dinge, die »nicht sind«, um die Din-
ihren Brüdern gekreuzt haben und we- ge zunichtezumachen, die sind.
gen Dingen gekämpft haben, die keine 13,4-7 Dieser Sohn sollte von Mutter-
lebenswichtige Wahrheit betrafen?11 leib an bis zum Tag seines Todes ein
Nasiräer sein. Er durfte keinen Wein
12,7 Jeftahs Dienst als Richter dauerte trinken oder Weintrauben oder Rosinen
sechs Jahre, dann starb er und wurde in essen, und auch sein Haar durfte nicht
Gilead begraben. Jeftah wird in Hebräer geschnitten werden. Die Mutter selbst
11,32 zusammen mit Gideon, Barak und sollte sich von Wein und Rauschtrank
Simson genannt. Alle diese Männer hat- und von allem Unreinen enthalten.
ten ihre Fehler, aber sie bewiesen alle zu Der biblische Hintergrund des Nasi-
bestimmten Zeiten großen Glauben. räergelübdes findet sich in 4. Mose 6,2.
Normalerweise gab ein Nasiräer sein
I. Ibzan, Elon und Abdon (12,8-15) Gelübde freiwillig ab. Aber in Simsons
12,8-10 Ibzan richtete Israel sieben Jahre Fall dauerte sein Nasiräertum von sei-
lang. Wir wissen von ihm nur, dass er in ner Geburt bis zu seinem Tod.
Bethlehem geboren wurde und dass er 13,8-14 Manoach betete um einen
dreißig Söhne hatte, die alle mit Frauen weiteren Besuch des Engels des Herrn
»von auswärts« verheiratet waren (d.h. und um weitere Anweisungen. Der En-
mit Frauen außerhalb ihrer Sippe). gel erschien wieder der Frau, und sie
12,11-12 Elon gehörte zum Stamm holte schnell ihren Mann, damit er die-
Sebulon. Sein Dienst als Richter dauerte sen himmlischen Besucher traf. Doch
zehn Jahre. Er wurde in Ajalon be­ diesmal gab der Engel keine zusätz­
graben. lichen Anweisungen.

269
Richter 13 und 14

13,15-18 Dann bot Manoach an, dem Pflock herauszog, der die sieben Locken
Engel eine Mahlzeit zuzubereiten. seines Haares an einem Webstuhl befes-
Der Engel weigerte sich, einfach mit tigte (16,6-14). Und schließlich riss er
Manoach wie mit jemandem von die Säulen eines Hauses ein, in dem
gleichem Rang zu essen. Er schlug da- sich die Philister von ihm unterhalten
gegen vor, dass dem Herrn eine Ziege ließen, und brachte damit durch seinen
als Brandopfer dargebracht wurde. Als Tod mehr Menschen um, als es ihm im
Manoach den Engel nach seinem Na- Leben vergönnt gewesen war (16,30).
men fragte, antwortet dieser, dass sein Aber Simsons Schwächen sind noch
Name »wunderbar« sei (vgl. einen der viel offensichtlicher. Er hatte eine
Namen, die dem Herrn Jesus in Jesaja Schwäche für Frauen und war bereit,
9,6 gegeben werden). Gott ungehorsam zu werden, um eine
13,19-23 Da opferte Manoach den jun- Frau zu bekommen, die ihm gefiel (14,1-
gen Ziegenbock dem Herrn. Der Engel 7). Er war seinen Eltern ungehorsam
stieg in einer Flamme vom Altar in den (14,3). Er griff zu Listen (14,9; 16,7.
Himmel auf und machte so deutlich, 11.13b). Er verbrüderte sich mit 30 Phi-
dass er eine Erscheinung des Herrn listern, den Feinden des Volkes Gottes
selbst gewesen war. Manoach und seine (14,11-18). Er gab Zornausbrüchen und
Frau beteten daraufhin an, indem sie Rachsucht nach (14,19b; 15,4-5). Er ver-
auf ihr Angesicht zur Erde fielen ‒ eine kehrte mit einer Hure (16,1-2). Er spielte
Handlung, die unpassend gewesen mit dem Bösen (16,6-14). Er offenbarte
wäre, hätte es sich bei dem Engel um das Geheimnis seiner Stärke dem Feind
jemand Geringeren als Gott gehandelt. (16,17-18). Er war zu großspurig und
Sie hatten den Herrn gesehen, und sie selbstbewusst (16,20b). Nicht zuletzt
würden deshalb nicht sterben, weil Gott brach er sein Nasiräer­gelübde (14,9).
ein Brandopfer und ein Speisopfer von
ihnen angenommen hatte. 2. Simsons Fest und Rätsel (Kap. 14)
13,24-25 Danach wurde der Sohn ge- 14,1-4 Simsons Eigenwilligkeit machte
boren und Simson (kleine Sonne) ge- sich schon bald darin bemerkbar, dass
nannt. Es wurde schon bald offensicht- er entschlossen war, eine Philisterin zu
lich, dass der Geist des Herrn vollmäch- heiraten ‒ eine Feindin Israels. Sein Va-
tig in seinem Leben am Werk war. ter und seine Mutter versuchten, ihn
Nur wenige Männer in der Bibel zei- davon abzubringen, aber er bestand
gen einen solchen Kontrast von Stärke darauf. Vers 4 bedeutet nicht, dass der
und Schwäche. Wenn wir an Simson Herr den Ungehorsam Simsons billigte,
denken, denken wir normalerweise an sondern dass er ihn erlaubte und ihn zu
seine Stärken. Er tötete mit bloßen Hän- Israels Nutzen und zur Bestrafung des
den einen Löwen (14,6). Er tötete ohne Feindes benutzen wollte.
Hilfe anderer dreißig Philister (14,19). 14,5-7 Auf dem Weg mit seinen Eltern
Er zerriss die Stricke, mit denen ihn die nach Timna (einer Philisterstadt) wur-
Männer von Juda gebunden hatten, und de Simson von einem Junglöwen be-
erschlug 1000 Philister mit dem Kinn- droht. Der Geist des Herrn kam über
backen eines Esels (15,14-16). Als er ei- ihn, und es gelang ihm, den Löwen un-
ner Falle entkam, die die Philister ihm bewaffnet zu töten. Wahrscheinlich
gelegt hatten, nahm er einfach die Tore wurden zu dieser Zeit die Vorbereitun-
von Gaza mit (16,3). Dreimal entkam er gen für die Hochzeit getroffen.
dem Verrat Delilas ‒ einmal, indem er 14,8-9 Später, als Simson nach Timna
sieben frische Bogensehnen zerriss, mit zurückkehrte, um seine Braut zu holen,
denen man ihn gebunden hatte, einmal, fand er Honig im Leichnam des Löwen,
indem er neue Stricke zerriss, als ob es den er erschlagen hatte, und teilte den
Fäden wären, und einmal, indem er den Honig mit seinem Vater und seiner Mut-

270
Richter 14 und 15

ter. Er erzählte ihnen nicht, dass der Ho- und verheerenden Tat und rächten sich,
nig durch Kontakt mit einem Leichnam indem sie Simsons Frau und ihren
verunreinigt war. (Als Nasiräer brach er Vater verbrannten.
einen Teil seines Gelübdes, als er ein 15,7-13 Simson erschlug als Reaktion
totes Tier berührte.) darauf eine große Menge Philister.
14,10-14 In Timna wurde ein großes Dann zog er sich in die Felsspalte von
Hochzeitsfest veranstaltet, und Simson Etam im Gebiet Juda zurück. Aber Ge-
gab den Gästen ein Rätsel auf. Er bot walt erzeugt weitere Gewalt. Als die
seinen dreißig Brautbegleitern an, jeden Philister ihm hinterherzogen, erinner-
vollständig einzukleiden, wenn sie sein ten die Männer von Juda Simson daran,
Rätsel lösen könnten. Wenn nicht, dann dass die Philister ihre Herrscher seien.
sollten sie ihm dreißig leinene Hemden Um ihre eigene Haut zu retten, einigten
und dreißig Festkleider geben. Das Rät- sie sich mit Simson, dass er sicher ge-
sel lautete: »Speise ging aus von dem bunden dem Feind übergeben werden
Fresser, und Süßigkeit ging aus von sollte. Simson willigte ein, solange sei-
dem Starken.« ne Landsleute nicht versuchten, ihn zu
Es bezog sich natürlich darauf, dass töten. Sie waren zu einer Vasallenmen-
er den Löwen getötet und in seinem talität herabgesunken und beschlossen,
Leichnam Honig gefunden hatte. ihren eigenen Landsmann zu verraten
14,15-18 Als die Männer die Antwort und eher ihren Unterdrückern gegen­
nicht finden konnten, überredeten sie über loyal zu handeln, statt Simson zu
Simsons Frau mit Drohungen, die Ant- helfen und sich von ihren Ketten zu be-
wort aus ihm herauszubekommen. Es freien.
gelang ihr, und sie erklärte das Rätsel 15,14-17 Dann folgte einer der glanz-
den dreißig jungen Männern. Sie ka- vollsten Augenblicke im Lebenslauf
men mit der Antwort zu Simson und Simsons. Als er gebunden herauf­
verlangten die Gewänder. Da erkannte geführt wurde, kam der Geist des
Simson, dass sie mit seiner Frau zusam- Herrn über ihn. Er fand einen frischen
mengearbeitet hatten. Esels­kinnbacken und erschlug damit
14,19-20 Um die Kleidungsstücke zu 1000 Philister. Er nannte den Ort
bekommen, damit er die Männer be- Ramat-Lehi (Kinnbacken-Höhe). Vers
zahlen konnte, brachte Simson im Zorn 16 ist ein Wortspiel, das nicht ins Deut-
dreißig Männer aus Aschkelon um und sche übersetz­bar ist.
nahm ihre Kleidung. Am siebten Tag, Man fragt sich, warum Gott mit einem
als die Ehe hätte vollzogen werden sol- solch unwahrscheinlichen Werkzeug
len, ging er nach Hause. Seine Frau einen solch großen Sieg schenkte. Sim-
wurde einem seiner Brautbegleiter ge- son war es verboten, etwas Unreines
geben. anzufassen, und der Eselskinnbacken
war ganz gewiss unrein, da er Teil eines
3. Simsons Rache (Kap. 15) toten Tieres war. Aber diese ungewöhn-
15,1-6 Als Simsons Schwiegervater sich liche Waffe machte es noch viel deut-
weigerte, Simson die für ihn bestimmte licher, dass der Sieg übernatürlich war
Frau zu geben, rächte sich Simson per- und von Gott durch unedle Mittel ge­
sönlich, indem er die Schwänze von 300 geben wurde. Das ist ein Beispiel dafür,
Füchsen zu Paaren zusammenband und dass der Herr in einer extremen Krise
zwischen jedes Schwanzpaar eine Fa- auch Regelverstöße gelten lässt, die
ckel steckte. Dann ließ er die Tiere in normalerweise nicht gestattet sind.
den Getreidefeldern frei und zündete 15,18-20 Als Antwort auf Simsons Ge-
die Ernte, die Weinberge und sogar die bet um Wasser sorgte Gott auf wunder-
Olivenbäume damit an. Die Philister er- bare Weise für eine Quelle aus der
fuhren die Ursache dieser grausamen »Kinnbacken-Höhe«. Dieser Ort wurde

271
Richter 15 und 16

En-Hakore genannt, nämlich »Quelle und offenbarte Delila das Geheimnis


des Rufenden«. seiner Kraft. Sein langes Haar war zwar
An diesem herausragenden Punkt in nicht die eigentliche Quelle seiner Kraft,
Simsons Lebenslauf erwähnt der Geist aber es war das äußerliche Zeichen sei-
Gottes, dass Simson Israel zwanzig Jah- nes Nasiräertums ‒ seiner Absonderung
re lang richtete. für Gott. Es war seine Beziehung zu Gott,
die ihn stark machte, nicht sein Haar.
4. Simson von Delila überlistet (Kap. 16) Aber wenn das Haar abgeschnitten wur-
16,1-3 Gegen Ende seiner Herrschaft de, dann wäre er ohne Kraft. Delila er-
führte Simsons ungezügelte Lust ihn in kannte, dass sie jetzt wirklich sein Ge-
das Haus einer Hure in der Philister- heimnis erfahren hatte. Als er auf ihren
stadt Gaza. Die Männer der Stadt mein- Knien eingeschlafen war, rief sie die Phi-
ten, dass sie endlich ihren Feind in der lister. Einer von ihnen schor seinen Kopf,
Falle hätten. Aber Simson stand um und seine Kraft wich von ihm.
Mitternacht auf und trug die Flügel des C.H. Mackintosh beobachtet:
Stadttores weg, dazu die Pfosten, und
brachte sie auf den Gipfel des Berges, Der Schoß Delilas erwies sich für das
der nach Hebron zu liegt. Das ist eine Herz Simsons als zu stark, und was tau-
Entfernung von fast 60 Kilometern. send Philister nicht geschafft hatten,
16,4-10 Als Nächstes verliebte sich wurde durch den verführerischen Ein-
Simson in eine Philister-Frau namens fluss einer einzelnen Frau erreicht.12
Delila. Als dies bekannt wurde, boten
die Fürsten der Philister Delila eine gro- Als Simson erwachte, versuchte er, sei-
ße Belohnung an, wenn sie Simson dazu ne Kraft einzusetzen, aber er wusste
verführen könnte, das Geheimnis sei- nicht, »dass der Herr von ihm ge­wichen
ner Stärke preiszugeben. war«.
Bei ihrem ersten Versuch sagte Sim- 16,21-22 Die Philister stachen Simson
son, dass er schwach würde, wenn man die Augen aus, und er wurde in Gaza ge-
ihn mit sieben frischen Bogensehnen fangen gehalten, wo er gezwungen wur-
binden würde. Sie band ihn daraufhin de, Korn zu mahlen. Jemand hat diesen
mit sieben frischen Bogensehnen und dreifachen Abstieg als »bindende, blen-
sagte ihm, dass die Philister ihn gerade dende und zermalmende Knechtschaft
überfallen würden. Aber Simson zerriss der Sünde« beschrieben. Aber langsam
die Fesseln, als wären sie »Faden aus begann das Haar seines Hauptes wieder
Werg«. zu wachsen.
16,11-12 Beim zweiten Versuch folgte 16,23-31 Als die Fürsten der Philister
Delila seinem Vorschlag, ihn mit neuen ihrem Gott Dagon ein großes Schlacht-
Stricken zu binden, und warnte ihn opfer darbrachten und ein Fest feierten,
wieder, dass die Philister dabei waren, brachten sie Simson als Beweis dafür
ihn umzubringen. Aber wieder zerriss herbei, was ihr Gott für sie getan habe.
Simson seine Fesseln, als ob sie Fäden Auch zwangen sie ihn, sie mit seinen
wären. Kunststücken zu unterhalten. Während
16,13-14 Simson spielte weiter mit des Festes gelang es Simson, die zwei
dem Feuer und sagte Delila, dass er Mittelsäulen, auf denen das Haus ruhte,
hilflos würde, wenn sie seine sieben zu ergreifen. Er rief den Herrn um Stär-
Haarflechten mit den Kettfäden des ke an und konnte die Säulen umreißen
Webstuhls verweben würde. Als sie ihn und damit das Gebäude zum Einsturz
mit der Warnung weckte, dass die Phi- bringen. Alle Menschen darin wurden
lister ihn ergreifen wollten, riss er Web- getötet. Die traurige Bilanz lautet, dass
pflock und Kettfäden heraus. Simson in seinem Tod mehr Feinde töte-
16,15-20 Schließlich gab Simson nach te als in seinem ganzen Leben.

272
Richter 16 und 17

Weil Simson während seines Lebens für den beabsichtigten Zweck ein­
so oft Kontakt mit den Philistern gehabt setzen. Sie nahm zweihundert Silber­
und ihre Frauen unwiderstehlich ge- stücke und ließ daraus zwei Götzen-
funden hatte, finden wir ihn nun ge- bilder machen. Eines davon war ein
meinsam mit den Philistern im Tod, Schnitzbild aus Holz, mit Silber über­
eine Leiche unter Leichen im Schutt des zogen. Das Gussbild bestand ganz aus
Tempels Dagons. Absonderung hätte Silber.
ihm einen ehrenvolleren Tod beschert. 17,5-6 Micha stellte diese Bilder zu-
Hier lernen wir eine nüchterne Lektion, sammen mit seinen Hausgöttern (Tera-
die wir nicht zu leicht nehmen sollten. phim) auf. Er entschied sich auch, eine
Verlust der Absonderung (Heiligung) Priesterschaft in seiner Familie zu grün-
führt zum Verlust der Kraft und zum den, deshalb machte er ein Ephod
letztendlichen Verderben. Wenn wir (priesterliches Gewand) und weihte ei-
unsere Glieder der Sünde hingeben, nen seiner Söhne zum Priester. Dies war
dann leisten wir der Selbstzerstörung natürlich gegen das Gesetz Gottes, das
Vorschub. Simsons Leiche wurde von es einem Ephraimiter nicht erlaubte,
seinen Verwandten in das Gebiet Dans Priester zu werden. Das ganze Vor­
geholt und dort begraben. gehen stand im Widerspruch zum
mosa­ischen Gesetz.
III. Religiöser, moralischer und 17,7-13 Einige Zeit später kam ein Le-
politischer Verfall (Kap. 17-21) vit, der in Bethlehem unter dem Stamm
Dieser letzte Abschnitt des Buches Rich- Juda lebte, in das Bergland Ephraims
ter ist fast wie ein Anhang zum Buch. und sah sich nach einem Ort um, wo er
Die Kapitel 17-21 führen den Bericht bleiben konnte. (Er hätte im Dienst des
zeitlich gesehen nicht weiter. Statt­ Herrn beschäftigt sein sollen und vom
dessen erhalten wir erschreckende Zehnten des Volkes leben sollen. Aber
Ein­blicke in den schlimmen religiösen, weil dem Gesetz nicht gehorcht wurde,
moralischen und politischen Zustand, war er gezwungen, sich selbst einen
zu dem Israel in der Zeit der Richter Platz zu suchen.) Micha bot ihm eine
hin­abgesunken war. Das kleine Buch Stellung als Priester seiner Familie an.
Rut bringt in gleicher Weise die Ge- Obwohl dieser Mann ein Levit war, ge-
schichte der Richter zeitlich nicht wei- hörte er doch nicht zur Familie Aarons
ter, doch im Gegensatz zu diesen Kapi- und war deshalb nicht zum Priester-
teln hier bietet es einen lieblichen Blick dienst berechtigt. Doch Micha bot ihm
auf den gottesfürchtigen Überrest wäh- ein Gehalt, Kost und Kleidung, und der
rend dieser finsteren Periode der hebrä- Levit war einverstanden, in seinen
ischen Geschichte. Dienst zu treten. Der Levit hätte Micha
mit der Tat­sache konfrontieren müssen,
A. Michas religiöse Einrichtung (Kap. 17) dass alle seine Handlungen den Anwei-
17,1-4 Die erste Erzählung handelt vom sungen Gottes widersprachen. Stattdes-
religiösen Verfall. Micha, ein Mann aus sen billigte er sie schweigend, indem er
Ephraim, hatte seiner Mutter 1100 Sil- das Gehalt und die anderen Sozial­
berstücke gestohlen. Sie hatte deshalb leistungen annahm. Damit versiegelte
den Dieb verflucht, nicht wissend, dass er seine Lippen, sodass sie nicht mehr
es sich dabei um ihren eigenen Sohn den vollen Ratschluss Gottes verkün-
handelte. Offensichtlich fürchtete er die den konnten.
Auswirkungen des Fluchs und gab das Das Wort, um die Zustände in diesem
Silber seiner Mutter zurück. Sie hob Kapitel zu beschreiben, heißt »Durchein­
nun den Fluch auf und segnete ihren ander«: Gestohlenes Geld wird benutzt,
Sohn dafür, dass er ihr das Silber zu- um Götzenbilder zu machen, und der
rückgegeben hatte. Nun konnte sie es Herr wird angerufen, um einen Dieb zu

273
Richter 17 bis 19

segnen (V. 2). Einzelne Heiligtümer er- mit. Nach einem milden Protest ge-
setzen die Stiftshütte. Leviten und ge- horchte der Levit freudig ihrer Anord-
wöhnliche Leute werden zu Priestern nung, dem Stamm Dan als Priester zu
gemacht. Götzenbilder werden für den dienen statt nur dem Haus Michas. Als
Gottesdienst des HERRN benutzt. Und Micha mit einigen seiner Mitbürger zu
Micha war der Meinung, dass Gott ihn den Danitern ging, um gegen den Dieb-
für all das segnen würde (V. 13)! Dieses stahl seiner Götter zu protestieren,
Durcheinander stammt aus dem Her- wurde ihm gesagt, er solle den Mund
zen des Menschen (V. 6). Wenn das Ge- halten. Er wurde ohne die Götter nach
setz Gottes in dieser Zeit in Israel be­ Hause geschickt.
achtet worden wäre, wäre nichts davon 18,27-31 Die Daniter überfielen dann
geschehen. »Mancher Weg erscheint die friedliche Stadt Lajisch und gaben
dem Menschen richtig, aber zuletzt ihr den neuen Namen Dan. Sie stellten
führt er ihn doch zum Tod« (Sprüche dort das Schnitzbild auf und ernannten
14,12; Schlachter 2000), wie wir im Jonatan, den Sohn Gerschoms, des
nächsten Kapitel sehen werden. Sohnes von Mose, und dessen Söhne zu
Priestern.
B. Micha und die Daniter (Kap. 18)
18,1-6 Etwa zur selben Zeit beschlossen Man nimmt allgemein an, dass wir im
die Angehörigen des Stammes der Da- Buch der Richter für Manasse (KJV, Lu-
niter, sich nach weiteren Gebieten um- ther 1914) »Mose« einsetzen müssen,
zusehen, in denen sie wohnen konnten. weil der Name durch die jüdischen Ab-
(Wenn es in Vers 1 heißt, dass Dan schreiber verändert wurde, um die
kein Erbe gehabt habe, dann heißt das Schande von Mose abzuwenden, die dar­
nicht, dass sie kein Land bekommen in bestand, dass sein Enkel Götzendienst
hatten, als Kanaan ursprünglich aufge- trieb.14
teilt wurde (Jos 19,40-48), sondern eher,
dass ihr Anteil, der kleinste der zwölf, Wahrscheinlich ist Jonatan der Name
für sie zu klein war.) Als einige ihrer des Leviten, der vorher erwähnt wur-
Kundschafter in das Haus Michas im de. Die Stadt Dan wurde von dieser
Gebirge Ephraims kamen, erkannten Zeit an eine götzendienerische Stadt.
sie die Mundart des jungen Leviten Hier stellte Jerobeam später eines der
und baten ihn um die Bestätigung und goldenen Kälber auf. Es ist nicht be-
den göttlichen Segen für ihre Pläne. kannt, ob mit der hier erwähnten Weg-
18,7-13 Fünf Männer Dans erkun­ führung eine Wegführung durch die
deten die im Norden gelegene Stadt Philister in diesem Gebiet gemeint ist
Lajisch und hielten sie für ruhig und (z.B. 1Sam 4,11) oder die assyrische Ge-
arglos. Außerdem hatte die Stadt mit fangenschaft (2Kö 15,29).
niemandem Verbindung, d.h. seine Nicht alle Daniter zogen nach Lajisch
Bewohner waren eine friedliebende (V. 11) oder verfielen in Götzendienst.
Gemeinschaft, die »kein Hilfsabkom- Einige blieben in ihrem Land zwischen
men mit einem der Nachbarvölker Juda und Ephraim. Simson, das wohl
hatte«.13 bekannteste Mitglied dieses Stammes,
Sie nahmen die ungeschützte Lage gehörte zu der letzteren Gruppe der
der Stadt als Geschenk Gottes, und 600 Daniter.
voll gerüstete Daniter brachen nach La-
jisch auf. C. Der Levit und seine Nebenfrau
18,14-26 Später, als die fünf Männer (Kap. 19)
aus Dan nach Norden marschierten, 19,1-12 Wir kommen jetzt zu einer Ge-
um Lajisch zu erobern, kamen sie in das schichte von unglaublich verdorbener
Haus Michas und nahmen alle Götter Moral ‒ zum Bericht über den Leviten

274
Richter 19 und 20

und seine Nebenfrau. Dieser Levit hatte Benjaminiter zu beruhigen, indem er


eine Nebenfrau aus Bethlehem in Juda. ihnen seine Tochter, die noch Jungfrau
Sie verließ ihn, um in ihre Familie zu- war, und die Nebenfrau des Leviten an-
rückzukehren und als Hure zu leben. bot. Arthur Cundall kommentiert das
Der Levit zog zum Haus ihres Vaters, Verhalten des Gastgebers und des Levi-
um sie zu holen. Er wurde dort tage- ten folgendermaßen:
lang bewirtet. Jedes Mal, wenn er mit
seiner Nebenfrau losziehen wollte, In seiner Sorge um die allgemein an­
setzte der Vater durch, dass er noch ein erkannten Regeln der Gastfreundschaft
bisschen länger blieb. Schließlich ver- war der alte Mann bereit, einen mora-
ließ der Levit ihn am Abend des fünften lischen Grundsatz zu verletzen, der dem
Tages mit seinem Knecht, seinen zwei modernen Leser sehr viel wichtiger er-
gesattelten Eseln und seiner Nebenfrau. scheinen mag, nämlich den der Fürsorge
Es war später Nachmittag, als sie nach und des Schutzes der Schwachen und
Jebus, das ist Jerusalem, kamen, aber Hilflosen. Im Altertum war eine Frau we-
sie hielten nicht an, weil die Stadt noch nig wert, und in der Tat ist es größtenteils
immer von den heidnischen Jebusitern durch die Vorschriften des jüdischen
bewohnt war. George Williams be­ Glaubens, und insbesondere aufgrund
obachtet: der Erleuchtung durch den christlichen
Glauben dazu gekommen, dass die
Es wäre besser für den Leviten gewesen, Frauen ihre gegen­wärtige Stellung ge­
die Nacht mit Heiden zu verbringen, als nießen dürfen. Der alte Mann war eher
mit denen, die sich als Kinder Gottes bereit, seine eigene, jungfräuliche Toch-
bekannten, denn die Letzteren waren ter und die Nebenfrau des Leviten den
schon verdorbener geworden als die ent­arteten Begierden der Belagerer zu
Ersteren.15 opfern, als dass er gestattete, dass seinem
Hauptgast ein Schaden zugefügt wur-
19,13-21 Bei Sonnenuntergang kamen de.16
sie nach Gibea im Gebiet Benjamins.
Niemand bot der Gruppe Unterkunft 19,25-30 Schließlich sandte der feige Le-
an, deshalb rastete der Levit zeitweilig vit, der um seine eigene Haut fürchtete,
auf der Straße. Dann kam ein alter seine Nebenfrau zu ihnen heraus.
Ephraimit, der in Gibea lebte, und bot Durch die widerwärtige und grauen-
an, die Reisegesellschaft in sein Haus hafte Vergewaltigung starb die Frau
aufzunehmen, und das Angebot wurde während der Nacht. Ohne die Benjami-
angenommen. niter entschuldigen zu wollen, möchten
19,22-24 An diesem Abend umringten wir doch darauf hinweisen, dass sie
einige sexuell Perverse das Haus und nicht den Tod einer Hure gestorben
verlangten, dass der Levit, der zu Be- wäre, hätte sie sich nicht schon vorher
such war, zu ihnen herausgebracht der Hurerei hingegeben (V. 2). Die Sün-
würde. Das einzige Mal, wo wir von de bezahlt ihren Anhängern unbarm-
solch einem verkommenen Verhalten herzig den Lohn. Der Levit fand ihre
lesen, ist zu der Zeit Lots (1. Mose 19). Leiche am Morgen auf der Türschwelle.
Unglücklicherweise gab es für die jun- Er war so zornig, dass so eine Un­
ge Frau keine Schutzengel in Gibea, wie geheuer­lichkeit in Israel geschehen
damals in Sodom. Beide Ereignisse zo- war, dass er ihre Leiche in zwölf Teile
gen schlimme Strafen für die Ver­ teilte und an jeden der zwölf Stämme
brecher nach sich. Der Herr verabscheut einen Teil mit einem Bericht über die
Homosexualität. Menschliche Ver- Vorkommnisse schickte.
derbtheit kann kaum tiefer sinken. Der Das Volk Israel war wie gelähmt!
Gastgeber versuchte, diese abartigen

275
Richter 20 und 21
D. Der Krieg mit Benjamin
21,1-15 Nun wurden die elf Stämme
(Kap. 20-21)
Israels von Reue ergriffen, dass sie den
20,1-14 Ausgewählte Krieger aus den Stamm Benjamin fast ausgerottet hat-
Stämmen Israels (außer Benjamin) sam- ten. Sie wollten nicht, dass der Stamm
melten sich in Mizpa und hörten den ausstarb. Doch sie hatten in Mizpa den
Bericht des Leviten über das Geschehe- vorschnellen Schwur getan, dass sie
ne. Sie beschlossen, gegen Gibea zu ihre Töchter nicht den Männern Benja-
kämpfen, doch zuerst gaben sie den mins als Frauen geben würden. Ihre
Benjaminitern Gelegenheit, die schuldi- erste Lösung bestand darin, dass sie ge-
gen Perversen zur Bestrafung auszulie- gen Jabesch-Gilead östlich des Jordans
fern. Als sich die Benjaminiter weiger- zogen, weil dessen Einwohner nicht
ten, brach der Bürgerkrieg aus. beim Krieg gegen Benjamin geholfen
20,15-48 Dieser Vorfall geschah nicht hatten. Alle Menschen dort wurden ge-
allzu lange nach dem Tod Josuas und tötet, außer 400 Jungfrauen. Diese wur-
seiner Generation, denn Pinhas war zu den mitgenommen und den Männern
dieser Zeit Hoherpriester (V. 28). Der Benjamins gegeben.
Stamm Benjamin hatte nur 26.700 Solda- 21,16-24 Aber es war ersichtlich, dass
ten ‒ gegenüber 400.000 aus den ande- man noch weitere Vorkehrungen treffen
ren Stämmen (V. 15-17). Doch in der ers- musste, damit der Stamm wieder wuchs.
ten Schlacht tötete Benjamin 22.000 Die Männer Israels hatten geschworen,
Mann (V. 18-21). In der zweiten Schlacht dass sie ihre Töchter nicht mit Benjami-
wurden 18.000 Männer Israels erschla- nitern verheiraten würden, und konnten
gen (V. 22-25). Der Grund, warum die diesen Schwur nicht zurücknehmen.
Israeliten solche Schwierigkeiten hatten, Deshalb dachten sie sich einen Plan aus,
obwohl ihre Sache gerecht war, bestand in dem sie den übrig gebliebenen Benja-
darin, dass sie selbst nicht nahe mit dem minitern erlaubten, sich Frauen von den
Herrn wandelten. In den Versen 18, 23 jungen Frauen zu rauben, die bei einem
und 26-28 sehen wir, wie das Volk ge- Jahresfest in Silo tanzten (vielleicht beim
zwungen ist, sich vor dem Herrn zu Laubhüttenfest). Als sich die Männer
beugen, bis ihm schließlich der Sieg ver- von Silo beklagten, erklärten ihnen die
heißen wird. In der dritten Schlacht be- anderen Stämme, dass dies notwendig
nutzten die Israeliten die Strategie des sei, um den Verlust eines Stammes Is­
Hinterhalts. Sie zogen die Männer Ben- raels zu verhindern. So zog Benjamin in
jamins von der Stadt Gibea ab, setzten sein Land zurück, um sich wieder eine
die Stadt in Brand und streckten 25.100 Zukunft aufzubauen.
Benjaminiter nieder, als diese in die Diese letzten Kapitel haben uns die
Wüste fliehen wollten. Dann verbrann­ Ereignisse in Bezug auf zwei Stämme
ten sie alle Städte Benjamins und töteten Israels in der Anfangszeit der Richter
die Frauen und Kinder (V. 29-48). ganz deutlich gezeigt. Man kann sich
In den drei Schlachten verloren die vorstellen, was in den anderen Stäm-
Benjaminiter 26.100 Männer (vgl. V. 15 men vor sich ging und nicht aufgezeich-
und V. 47). (Wir müssen daraus schlie- net wurde! Diese grausigen Geschich-
ßen, dass sie 1000 Mann in den ersten ten zeigen, wie weit ein Volk sich vom
beiden Schlachten verloren.) Die Er- Herrn entfernen kann. So sehen wir ge-
schlagenen in den Versen 35 und 44-46 nug von der Frucht des Abfalls, dass
beziehen sich nur auf die letzte Schlacht. wir uns davor ekeln. Es wäre noch bes-
Sechshundert Überlebende flohen zum ser, wenn das, was wir gelesen haben,
Fels Rimmon und blieben dort vier Mo- dazu führen würde, dass wir den Herrn,
nate lang (V. 47). Hätte es diesen Über- unseren Gott, von ganzem Herzen su-
rest nicht gegeben, wäre der Stamm chen und ihm unser ganzes Leben lang
vollständig ausgerottet gewesen. treu dienen.

276
Richter 21

21,25 Das Buch Richter schließt mit 9


(9,7-15) Jensen, Judges / Ruth, S. 49.
dem traurigen Thema, das in unseren 10
(12,5-6) Einige Sprachen kennen den
Ohren klingt: »In jenen Tagen war kein Sch-Laut nicht (z.B. Griechisch und
König in Israel. Jeder tat, was recht war Lateinisch). Offensichtlich gab es ei-
in seinen Augen.« nen Dialekt, in welchem man ent­
Es gibt eine gesunde Begebenheit aus weder »sch« nicht aussprechen konnte
dieser finsteren Zeit, aber sie hat ein ei- oder zwischen »s« und »sch« nicht
genes Buch bekommen, damit sie nicht unterscheiden konnte, zumindest nicht
durch eine zu enge Verbindung mit der bei diesem Wort. Eine ähnliche Situa-
Verkommenheit des Richterbuches be- tion gab es im 2. Weltkrieg, als ameri-
schmutzt wird. Wir wenden unsere kanische Soldaten in der Südsee das
Aufmerksamkeit jetzt der keuschen Ge- Wort »lalapalooza« (ausgesprochen
schichte Ruts zu. »lalapaluhsa«) als Losung verwende-
ten. Die Japaner konnten zwischen
»l« und »r« nicht unterscheiden und
Anmerkungen sagten meist »raraparuhsa«.
1
(Einführung) Diese sind größtenteils 11
(12,5-6) Samuel Ridout, Lectures on
aus Grant, Jennings und Ridout ent- the Books of Judges and Ruth, S. 177.
nommen (vgl. Bibliografie). 12
(16,15-20) C.H. Mackintosh, Genesis
2
(2,11-19) Irving L. Jensen, Judges / to Deuteronomy, S. 465.
Ruth, S. 12. 13
(18,7-13) Cohen, »Joshua / Judges«,
3
(3,5-6) A. Cohen, »Joshua / Judges«, S. 291.
S. 176-177. 14
(18,27-31) John Haley, Alleged Discre­
4
(Exkurs) Zitiert von Lewis Sperry pancies of the Bible, S. 338. Im Hebrä-
Chafer in Systematic Theology, Bd. V, ischen sind die Konsonanten von
S. 32. Mose und Manasse fast dieselben
5
(Exkurs) Hebr. malak, gr. angelos, von (Mshh und Mnshh), deshalb könnte
dem auch unser deutsches Wort es sich auch einfach um einen Ab-
Engel abgeleitet ist. schreibfehler handeln.
6
(Exkurs) Chafer, Systematic Theology, 15
(19,1-12) George Williams, The
Bd. I, S. 328. Student’s Commentary on the Holy
7
(8,10-17) Cohen, »Joshua / Judges«, Scriptures, S. 132.
S. 227. 16
(19,22-24) Arthur E. Cundall, Judges
8
(8,10-17) Ebd., S. 225. and Ruth, S. 197.

Bibliografie Cohen, A.,


»Joshua / Judges«, Soncino Books of the
Atkinson, David, Bible,
The Message of Ruth: The Wings of Refuge, London: The Soncino Press, 1967.
Downers Grove: InterVarsity Press,
1983. Cundall, Arthur E. und Morris, Leon,
Judges and Ruth, The Tyndale Old Testa-
Barber, Cyril J., ment Commentaries,
Ruth: An Expositional Commentary, Downers Grove: InterVarsity Press,
Chicago: Moody Press, 1983. 1968.

Campbell, Donald J., Fausset, A.R.,


No Time for Neutrality, A Critical and Expository Commentary on
Wheaton: Scripture Press Publications, the Book of Judges,
Victor Books, 1981. London: James Nisbet & Co., 1885.

277
Richter

Grant, F.W., Mackintosh, C.H.,


»Judges«, »Ruth«, in: The Numerical Genesis to Deuteronomy,
Bible, Bd. 3, Joshua to 2 Samuel, Neptune: Loizeaux Brothers, 1989.
Neptune: Loizeaux Brothers, 1977.
McGee, J. Vernon,
Jennings, F.C., Ruth and Esther: Women of Faith,
Judges and Ruth, Nashville: Thomas Nelson Publishers, 1988.
New York: Gospel Publishing House,
1905. Ridout, Samuel,
Lectures on the Books of Judges and Ruth,
Jensen, Irving L., New York: Loizeaux Brothers, 1958.
Judges / Ruth,
Chicago: Moody Press, 1968.

278
Rut
»Das kleine Buch Rut, dessen Auslegung meist der des Buches der Richter folgt,
besteht nur aus 85 Versen, aber diese enthalten einen Rosengarten, der duftet und voller
geheimnisvoller Blüten ist, wie die, die der heutige Reisende noch immer in den
verlassenen Ruinen von Israel und Moab findet, diesseits und jenseits des Jordans.
Die Bedeutung und Schönheit der kurzen Erzählung kann nicht hoch genug geschätzt
werden, ob wir nun den Gedanken betrachten, der sie erfüllt, den historischen Wert,
der sie kennzeichnet, oder die reine und anmutige Form, in der sie uns präsentiert wird.«

Paulus Cassel

Einführung Der Liebreiz und die Schönheit des


Buches zeigen sich sehr deutlich in
I. Einzigartige Stellung im Kanon einem Erlebnis, das von Benjamin
Frank­lin, dem amerikanischen Staats-
Es ist bemerkenswert, dass von den bei- mann und Erfinder, berichtet wird. Als
den Büchern, die in der Bibel nach er eines Tages am französischen Hof
Frauen benannt worden sind, eines von diente, hörte er einige Aristokraten über
einem jüdischen Mädchen handelt, das die Bibel lästern, wie unwürdig sie sei,
einen herausragenden Heiden heiratete gelesen zu werden, dass es ihr an Stil
(Ester und König Ahasveros), und das mangele und so weiter. Obwohl Frank­
andere von einer Heidin, die einen her- lin selbst nicht gläubig war, hatte ihn sei-
ausragenden Israeliten heiratet (Rut und ne Jugend in den amerikanischen Kolo-
Boas). Etwas anderes, was beide Frauen nien doch damit bekannt gemacht, was
gemeinsam haben, ist die Tatsache, dass für hervorragende Literatur die Bibel
beide Teil der Erlösungsgeschichte Got- doch ist. So beschloss er, diesen Men-
tes waren. Gott benutzte Ester, um sein schen einen kleinen Streich zu spielen.
Volk vor der leiblichen Vernichtung zu Er schrieb das Buch Rut ab und ersetzte
bewahren, und er benutzte Rut als wich- alle Namen durch französische. Dann
tiges Glied der messianischen Abstam- las er das Manuskript der versammelten
mungslinie, die zunächst zu David und Elite Frankreichs vor. Sie alle riefen aus,
letztlich zu Christus führte, der dann wie elegant und einfach der Stil seiner
sein Volk von seinen Sünden erlöste. In herzbewegenden Geschichte sei.
Matthäus 1,5 wird uns berichtet, dass »Charmant! Aber, lieber Monsieur
Boas ein Nachfahre der Heidin Rahab Franklin, wo haben sie diesen Edelstein
war, mit ziemlicher Sicherheit ist damit der Literatur gefunden?«
Rahab aus Jericho gemeint. Nun kommt »Er stammt aus dem Buch, das Sie so
eine weitere Heidin als Frau von Boas in verachten«, antwortete er – »la Sainte
den Stammbaum Christi. Sowohl Rahab Bible«. An diesem Abend erröteten eini-
als auch Rut sind Symbole für die Gnade ge Leute in Paris, so wie auch in unserer
Gottes, weil beide wegen ihrer Herkunft eigenen biblisch unkundigen Kultur
normalerweise vom Bund Israels aus­ viele erröten sollten, weil sie Gottes
geschlossen gewesen wären. Wort vernachlässigen.
»Das Buch Rut«, merkt McGee an, »ist
im Wesentlichen die Geschichte einer II. Verfasserschaft
Frau, und Gott hat sie mit dem Siegel sei- Die jüdische Tradition sagt, dass Sa­
ner Zustimmung versehen, indem er sie muel das Buch Rut geschrieben hat, ob-
in die göttliche Bibliothek aufnahm.«1 wohl es anonym ist. Weil das Buch mit

279
Rut 1

David endet, kann der Verfasser es lich, weil der Verfasser meinte, den
nicht vor Davids Zeit geschrieben ha- Brauch des Ausziehens der Sandale bei
ben. Samuel, der David zum König einem Geschäftsabschluss erklären zu
salbte, könnte das Buch durchaus ge- müssen (4,7). Das lässt einen gewissen
schrieben haben, um die Abstammung Zeitraum zwischen dieser Praxis und der
des neuen Königs zu dokumentieren. Abfassung des Buches Rut vermuten.
III. Datierung IV. Hintergrund und Thema
Weil Davids Name in 4,17.22 als Hö- Die Ereignisse des Buches Rut ereig-
hepunkt erscheint, auf den die Ge- neten sich zur Zeit der Richter (1,1).
schichte von Rut zusteuert, ist es wahr- Während ein Großteil des Volkes Israel
scheinlich, dass es während oder kurz vom Herrn abfiel, gab es eine heidni-
nach seiner Regierungszeit (ca. 1011- sche Frau namens Rut, deren Glaube
970 v.Chr.) verfasst wurde ‒ oder zu- hell erstrahlte.
mindest, nachdem David von Samuel Das Schlüsselwort des Buches ist »er-
gesalbt worden war. lösen«. Ein anderes ist »Verwandter«,
Jensen schreibt: das zwölfmal vorkommt. Boas ist ein
Verwandter, der das Recht zum Lösen
Das Buch ist wahrscheinlich vor Salomo hat und das Land zurückkauft, das Eli-
geschrieben worden, dem Nachfolger melech gehörte. Er sorgt dafür, dass der
Davids auf dem Thron, sonst hätte wohl Familienname durch Nachkommen-
der Verfasser Salomos Namen in der Ge- schaft weitergeführt wird. Er ist ein Ty-
nealogie mit aufgeführt. Deshalb war der pus für Christus, der der wahre (er)lö-
Verfasser ein Zeitgenosse Davids.2 sende Verwandte ist. Rut, die Moa­
biterin, ist ein Bild für die Gemeinde als
Einige Ausleger bevorzugen jedoch eine Braut Christi, die durch Christi wunder-
etwas spätere Datierung, wahrschein- bare Gnade erlöst wurde.

Einteilung IV. Ruts erlösender Verwandter


(Kap. 3)
I. Wohnhaft in Moab (1,1-5) V. Die Erlösung durch Boas (4,1-12)
II. Rückkehr nach Bethlehem (1,6-22) VI. Der königliche Stammbaum
III. Rut auf den Feldern von Boas Davids bis auf Obed zurückgeführt
(Kap. 2) (4,13-22)

Kommentar tend). Es wäre besser gewesen, im Land


zu bleiben und Gott zu vertrauen, als
I. Wohnhaft in Moab (1,1-5) nach Moab auszuwandern. Efrata, die
Wurzel des Wortes »Efratiter«, ist der
1,1-2 Am Anfang des Buches treffen wir alte Name Bethlehems und bedeutet
eine jüdische Familie, die Bethlehem Fruchtbarkeit.
(Haus des Brotes) in Juda (Lobgesang) we- Die Zeit der Richter war von morali-
gen einer Hungersnot verlässt und sich schem Niedergang gekennzeichnet. So
im Land Moab südöstlich des Toten ist es nicht verwunderlich, dass das
Meeres niederlässt. Die Eltern waren Land eine Hungersnot durchmachen
Elimelech (mein Gott ist König) und Noo- musste, Gottes vorhergesagte Strafe für
mi, nach anderer Schreibung Naemi Ungehorsam. Elimelech hätte das Ver-
(meine Liebliche). Die Söhne hießen heißene Land nicht verlassen sollen und
Machlon (kränklich) und Kiljon (schmach­ sich vor allem nicht in Moab ansiedeln

280
Rut 1 und 2

sollen. Hatte er nie 5. Mose 23,3-6 gele- nüchtern überdacht hatte; sie wählte
sen? Warum siedelte er sich nicht bei sei- den einfachsten und bequemsten Weg.
nen jüdischen Brüdern östlich des Jor- Aber Rut war eine anhängliche Witwe,
dans an? Er führte seine Familie aus dem die trotz der Aufforderung, das Gegen-
Land der Lebendigen an einen Ort des teil zu tun, an Noomi festhielt. Als Rut
Todes und der Unfruchtbarkeit (weder sich zu einem neuen Leben mit Noomi
Machlon noch Kiljon zeugten Kinder). entschloss, wusste sie, dass dies nicht
1,3-5 Nachdem Elimelech gestorben einfach werden würde. Vor ihr lagen
war, heirateten seine Söhne Moabiterin- harte Arbeit und Armut, weil sie keinen
nen. Machlon heiratete Rut (4,10), und männlichen Versorger hatten. Auch
Kiljon heiratete Orpa. Obwohl die Mo­a­ trennte sie sich von ihrer Heimat und
biter in 5. Mose 7,1-3 nicht ausdrücklich von ihren Lieben.
als Volk genannt waren, mit denen sich 1,16-17 Rut wollte Noomi jedoch nicht
die Israeliten nicht verheiraten sollten, verlassen. Durch einen der edelsten
wird aus späteren Verweisstellen deut- Sprüche aus heidnischem Mund, die
lich, dass sie in dieses Gesetz mit einge- das AT enthält, zeigte sie, dass sie sich
schlossen waren (Esra 9,1-2; Neh 13,23- vollständig (an Noomi) band. Sie wähl-
25). Das Gesetz bestimmte auch, dass te Noomis Ziel, ihren Wohnort, ihr Volk,
die Moabiter bis in die zehnte Genera­ ihren Gott und sogar ihr Grab.
tion nicht in die Versammlung des 1,18-22 Durch göttliche Fügung ka-
Herrn aufgenommen werden durften men Rut und Noomi gerade zu Beginn
(5. Mose 23,3). Im Falle Ruts war die der Gerstenernte nach Bethlehem zu-
Gnade, wie wir sehen werden, stärker rück, der Jahreszeit der Erstlingsfrucht
und erlaubte ihrem Nachfahren David (ein Bild für die Auferstehung Christi).
sogar, König von Israel zu werden. Die ganze Stadt geriet ihretwegen in
Nach zehn Jahren starben auch Mach- Bewegung, als die Bewohner Noomi
lon und Kiljon und ließen Noomi mit wiedersahen und sie herzlich mit Na-
zwei ausländischen Schwiegertöchtern men begrüßten.
zurück, nämlich Rut und Orpa. Sie sagte zu ihnen: »Nennt mich nicht
Noomi (Liebliche), nennt mich Mara (bit­
II. Rückkehr nach Bethlehem ter)! Denn der Allmächtige hat mir sehr
(1,6-22) bitteres Leid zugefügt.« Sie war »voll«
1,6-15 Noomi beschloss, zurück nach gegangen (d.h. mit ihrem Ehemann und
Juda zu ziehen, als sie hörte, dass es ihren beiden Söhnen), aber der Herr
dort reichlich Nahrung gab. Ihre beiden hatte sie »leer« zurückkommen lassen
Schwiegertöchter begleiteten sie. Aber (d.h. als Witwe und kinderlos). So er-
als sie sie drängte, doch »in das Haus geht es uns auch: Wir können eigen-
ihrer Mutter« in Moab zurückzukeh- mächtig weggehen auf Wegen der Un-
ren, und sie daran erinnerte, dass sie treue, aber der Herr wird uns leer zu-
keine weiteren Söhne hatte, um sie rückbringen, und zwar meist durch
ihnen als Ehemänner anzubieten, bittere Züchtigung.
küsste Orpa ihre Schwiegermutter und
ging zurück. III. Rut auf den Feldern von Boas
Man beachte die drei verschiedenen (Kap. 2)
Haltungen der drei Witwen: Noomi 2,1-3 Unter dem Gesetz war es den Is­
war eine trauernde Witwe, der die irdi- raeliten nicht erlaubt, die Felder völlig
schen Freuden eines Ehemannes und abzuernten. Stattdessen sollten sie et-
einer Familie durch göttliches Gericht was von dem Korn zur Nachlese für die
genommen worden waren. Orpa erwies Bedürftigen, die Fremden, die Waisen
sich als eine Witwe, die ihre Schwieger- und die Witwen übrig lassen (3. Mose
mutter verließ, nachdem sie ihre Worte 19,9; 23,22; 5. Mose 24,19).

281
Rut 2 und 3

Rut entschloss sich, dieses Gesetz zu 2,17 Als sie am Ende des Tages aus-
nutzen, indem sie zu den Gerstenfel- klopfte, was sie aufgelesen hatte, hatte
dern ging, um etwas von der Nachlese sie etwa ein Efa Gerste, was wirklich
einzusammeln. Es war nicht einfach viel war. Wir sollten dasselbe bei unse-
Glück, sondern göttliche Fügung, die rem Studium des Wortes tun; das be-
sie zu dem Feld von Boas (in ihm ist deutet, wir sollen die kostbaren Wahr-
Stärke) führte, einem reichen Verwand- heiten für uns selbst ergreifen und sie
ten aus der Sippe ihres verstorbenen in die Praxis umsetzen.
Schwiegervaters. In Boas sehen wir viele Vorzüglich-
2,4-12 Als Boas aus Bethlehem an- keiten Christi abgebildet. Boas war ein
kam, fragte er nach dem Mädchen. Als sehr vermögender Mann (V. 1). Er hatte
er erfuhr, dass sie Noomis Schwieger- Erbarmen mit dem Fremdling, der kei-
tochter war, lud er sie freundlich ein, nen Anspruch auf seine Gunst vor­
weiter auf seinem Feld Nachlese zu hal- weisen konnte (V. 8-9). Er wusste alles
ten und sich mit seinen Arbeitern das über Rut, schon bevor sie ihm begeg-
Wasser zu teilen, das er ihnen zur Ver- nete (V. 11), so wie der Herr schon alles
fügung stellte. Als er sie für ihren über uns weiß, bevor wir ihn kennen-
treuen und selbstlosen Schritt, den sie lernen. Er versorgte Rut freundlich,
getan hatte, lobte, schloss Boas mit und alle ihre Bedürfnisse wurden be-
einem kurzen Gebet für sie: »Der Herr friedigt (V. 14). Er gewährte ihr Schutz
vergelte dir dein Tun, und dein Lohn und Wohlergehen für die Zukunft
möge ein voller sein von dem Herrn, (V. 15-16). In diesen von Gnade be-
dem Gott Israels, zu dem du gekom- stimmten Handlungen sehen wir eine
men bist, um unter seinen Flügeln Zu- Vorschattung der Gnadenerweise, die
flucht zu suchen!« (V. 12). unser wunderbarer Verwandter und
Leon Morris kommentiert: Löser uns schenkt.
2,18-23 Als Rut das Getreide nach
Zu gegebener Zeit wurde das Gebet Hause brachte und Noomi alles erzähl-
durch den beantwortet, der es ausge- te, was geschehen war, wusste die alte
sprochen hatte. Er erkennt die religiösen und weise Jüdin, dass der Plan des
Aspekte des Heimatwechsels von Rut, Herrn sich erfreulich entfaltete. Sie
indem er sagt, dass sie zum Vertrauen wusste, dass Boas ein naher Verwandter
(KJV) unter Jahwes Flügel gekommen ihres verstorbenen Ehemannes war, und
sei. Das Bild, das hier benutzt wurde, ist spürte, dass der Herr wundervoll an Rut
das eines kleinen Vögelchens, das sich und ihr selbst handeln würde. Deshalb
abmüht, unter die Flügel einer Pflege- ermutigte sie Rut, weiterhin auf dem
mutter zu kommen. Es ist ein lebendiges Feld von Boas Nachlese zu halten.
Bild für Vertrauen und Sicherheit.3 Noomis Rat, auf den Feldern von
Boas zu bleiben, war klug. Weil er sich
Sie wunderte sich darüber, dass er, ein gnädig erwiesen hatte, warum sollte
Jude, einer Heidin einen solch unver- Rut ihn dann beleidigen oder seinen
dienten Gefallen tat. Aber es gab einen Schutz abweisen, indem sie auf ein an-
Grund! Boas hatte natürlich von der deres Feld ging? Auch wir sollten nicht
Freundlichkeit gehört, die Rut der Noo- von der verheißenen Versorgung und
mi erwiesen hatte und wie sie sich zum dem Schutz des Herrn zu den Feldern
jüdischen Glauben bekehrt hatte. der weltlichen Vergnügungen gehen.
2,13-16 Er war so sehr beeindruckt
von ihr, dass er sie einlud, mit seinen IV. Ruts erlösender Verwandter
Arbeitern zu essen, und dass er den (Kap. 3)
Schnittern befahl, absichtlich für sie 3,1-5 Noomi war darum bemüht, dass
Gerste zurückzulassen. Rut Ruhe finden würde – d.h. einen

282
Rut 3

Ehemann und ein Heim. Sie gab des- ein Mann ohne Kinder starb, dass je-
halb ihr eigenes höherrangiges Anrecht mand seine Witwe heiratete, damit ein
auf Ehe und Besitz auf und riet Rut Sohn zur Welt kommen und der Name
stattdessen, eines Nachts zur Tenne von weitergeführt werden konnte.
Boas zu gehen, wenn Boas Gerste wor- Nun war Rut kinderlos geblieben.
feln würde. Weil Boas ein Verwandter Elimelechs
war, war er geeignet, als verwandter
Rut, der die israelitischen Gebräuche Löser zu handeln, indem er sie heira­
fremd waren, musste genau gesagt wer- tete. Und er war nicht nur geeignet,
den, wie sie die Bitte an ihren Verwand- sondern auch bereit dazu.
ten um Schutz und die Leviratsehe den 3,12-13 Aber es gab noch eine recht­
Gebräuchen gemäß vorbringen musste liche Komplikation: Es gab einen Ver-
(Daily Notes of the Scripture Union). wandten, der ihr noch näher stand, und
dieser Mann hatte den größeren An-
3,6-7 Nachdem Boas seine Arbeit be­ spruch. Wenn dieser näher verwandte
endet, gegessen und sich hingelegt hat- Mann nicht als verwandter Löser die-
te, legte sich Rut zu seinen Füßen unter nen wollte, dann würde Boas es tun.
eine Ecke seiner Decke. Das mag uns in Die Angelegenheit sollte am nächsten
unserer Kultur sehr seltsam erscheinen, Morgen geklärt werden.
aber es war eine akzeptierte Praxis zu 3,14-18 Rut blieb an seinem Fußende
dieser Zeit (vgl. Hes 16,8) und es gab bis kurz vor der Dämmerung. Boas füll-
daran nichts Böses oder Anstößiges. te ihr Umschlagtuch mit 6 Efa Gerste.
3,8-11 Als Boas gegen Mitternacht Dies war ein Zeichen seiner tiefen Liebe
aufwachte, fand er Rut zu seinen Fü- und ein Beweis für Noomi, dass er die
ßen. Weit davon entfernt, sie zu tadeln, Sache am nächsten Morgen ohne Zö-
segnete er sie dafür, dass sie ihn ge­ gern erledigen würde.
beten hatte, als ihr verwandter Löser zu Rut war eine edle Frau, die wirklich
handeln. Wenn Rut sagt: »Breite deine würdig war, von Boas mit Freundlich-
Flügel über deine Magd« (V. 9), so wird keit behandelt zu werden. Aber wir wa-
hier dasselbe Wort verwendet, das auch ren einst unwürdige Sünder. Doch der
in 2,12 verwendet wird. Boas hatte Rut Herr breitete seine schützenden Flügel
schon dafür gelobt, dass sie bei dem über uns und nahm uns so an, wie wir
Herrn Zuflucht gesucht hatte; wie konn- sind. Er überschüttete uns mit Geschen-
te er ihr nun die Zuflucht verwehren, ken und ermutigte uns mit seiner ver-
die sie bei ihm nach dem Gesetz des heißenen Wiederkunft, um die Ehe zu
Herrn suchte? Schließlich war sie eine besiegeln. Unsere Rettung ist sicher, ein
tugendhafte Frau, weit mehr wert als vollendetes Werk. Aber wir warten auf
Perlen (Spr 31,10; Schlachter 2000). Er den Eintritt in die volle Freude unserer
lobte sie für ihre Treue und sagte ihr, Verbindung mit ihm bis zur Wieder-
dass ihre spätere Verbundenheit (ihre kunft des Bräutigams.
persönliche Hingabe an ihn) besser war Als Noomi alles hörte, was geschehen
als ihre erste (ihr Verlassen der Heimat war, befahl sie Rut, zu Hause zu bleiben
und der Familie, um bei Noomi zu und auf das Ergebnis der folgenden Er-
sein). eignisse zu warten.
Das mosaische Gesetz erforderte es,
wenn ein Mann kinderlos starb, dass Das ist oft der schwierigste Teil unseres
ein naher Verwandter die Witwe heira- Glaubens, wenn wir selbst nichts mehr
ten sollte (5. Mose 25,5-10). Damit er- tun können und uns nichts bleibt, als ge-
hielt er den Familiennamen am Leben, duldig auf Gott zu warten, dass er seinen
und das Land blieb der Familie erhal- Willen ausführt. Gerade in solchen Mo-
ten. Es war besonders wichtig, wenn menten kommen Zweifel auf, und Sorge

283
Rut 3 und 4

schleicht sich ein (Daily Notes of the Zeugen (die Zehn Gebote) bestätigen
Scripture Union). ihm, dass es nicht in der Lage ist, den
Sünder zu erlösen. »Das Gesetz kann
V. Die Erlösung durch Boas (4,1-12) die nicht erlösen, die es verurteilt. Es
4,1-6 Am Morgen ging Boas zum Tor würde sonst seinen eigenen Zwecken
der Stadt, wo die Ältesten saßen und zuwiderhandeln.«7 Das Gesetz konnte
wo Rechtsfragen geregelt wurden. Und nicht erlösen, weil es durch das Fleisch
»zufällig« – ein weiterer gelenkter Zu- schwach war (Römer 8,3).
fall – kam dieser nähere Verwandte ge- Die Weigerung des näheren Verwand-
nau in diesem Augenblick vorbei. Boas ten befreite Boas, der das nächste An-
spricht ihn als »Soundso«4 an und bittet recht hatte, dazu, Rut zu heiraten.
ihn, eine Weile anzuhalten. Boas stand 4,7-8 In diesen Tagen wurden alle Ge-
nun vor zehn von den Ältesten und er- schäftsvorgänge, die mit dem Lösen
zählte ihnen die Geschichte von Noomi und dem Austausch zusammenhingen,
und Rut. Dann gab er dem Löser die von einer Partei dadurch bestätigt, dass
Chance, das Land zurückzukaufen, das der Betroffene seinen Schuh auszog
Elimelech gehörte und das wahrschein- und dem anderen gab. Das Gesetz hatte
lich verpachtet worden war, als Elime- sogar vorgesehen, dass die Witwe dem
lech nach Moab zog. Bis zu diesem unwilligen Löser den Schuh ausziehen
Punkt war der ungenannte Verwandte und ihm ins Gesicht spucken sollte
dazu bereit. Als ihm jedoch Boas be- (5. Mose 25,9). In diesem Fall zog der
richtete, dass derjenige, der das Land Löser einfach seinen Schuh aus und gab
kaufen würde, die Moabiterin Rut hei- ihn Boas.
raten müsse, zog er sich zurück und er- 4,9-12 Sobald Boas den Schuh hatte,
klärte, dass er damit sein eigenes Erb- verkündigte er, dass er Elimelechs Be-
teil zugrunde richten würde. sitz kaufen und Rut, die Moabiterin,
heiraten würde. Die Menge segnete
Er würde Zeit und Energie aufbringen Boas und wünschte ihm zahlreiche
müssen, um für Ruts Eigentum zu sor- Nachkommen wie im Fall von Rahel
gen, und auf diese Weise sicherlich sein und Lea. Die Erwähnung von Perez,
eigenes Land vernachlässigen müssen. dem Nachkommen von Tamar durch
Am Ende würde das Land dann an Ruts Juda, übersieht die schmutzigen Aspek­
Nachkommen gehen, nicht an seine eige- te dieser Geschichte und konzentriert
nen.5 sich auf die Tatsache, dass es sich dabei
um einen weiteren Fall der Leviratsehe
Matthew Poole schreibt zur Auslassung zwischen einem Israeliten und einer
des Namens des näheren Verwandten: Fremden handelte.

Zweifellos kannte Boas seinen Namen VI. Der königliche Stammbaum


und nannte ihn bei diesem, aber durch Davids bis auf Obed
den heiligen Verfasser wurde der Name zurückgeführt (4,13-22)
ausgelassen, teils, weil es unerheblich 4,13-16 Boas heiratete Rut, und sie ge-
war, ihn zu kennen, aber vor allem auch bar ihm einen Sohn namens Obed (Die­
aus Verachtung, da es üblich und eine ner oder Knecht). Noomi nahm das Baby
gerechte Strafe für ihn war, dass er, der als ihr eigenes an und wurde seine
den Namen seines eigenen Bruders nicht Amme.
bewahren wollte, seinen eigenen verlie- 4,17-22 Obed wurde später der Vor-
ren würde.6 fahr von Isai, dem Vater Davids. So
schließt das Buch mit einem kurzen
Der nähere Verwandte wird meist als Stammbaum Davids (Geliebter) ab, der
Bild für das Gesetz angesehen. Zehn Teil eines viel größeren Stammbaums

284
Rut 4

werden sollte – von Davids größtem Anmerkungen


Sohn, dem Herrn Jesus Christus (Mt 1).
Dieser Stammbaum ist nicht vollstän- 1
(Einführung) J. Vernon McGee, Ruth
dig. Salmon lebte zu Beginn der Zeit and Esther: Women of Faith, S. 15.
der Richter, und David wurde erst zu 2
(Einführung) Irving L. Jensen, Judges /
Beginn der Königszeit geboren, dazwi- Ruth, S. 80.
schen liegt eine Zeitspanne von fast 400 3
(2,4-12) Leon Morris (mit Arthur E.
Jahren. Namen wurden in biblischen Cundall), Judges and Ruth, S. 276-277.
Stammbäumen oft absichtlich ausgelas- 4
(4,1-6) Hebr. peloni almoni, manchmal
sen. mit »Freund« übersetzt (z.B. Zür-
Durch diesen kleinen Stammbaum, cher), meist aber ausgelassen.
der mit David endet, ist der Leser nun 5
(4,1-6) Quelle unbekannt.
auf die Monarchie und die nächsten 6
(4,1-6) Matthew Pool, Matthew Poole’s
Bücher in der biblischen Reihenfolge, Commentary on the Holy Bible, S. 511.
nämlich 1. und 2. Samuel, vorbereitet. 7
(4,1-6) Quelle unbekannt.

Bibliografie

Siehe die Bibliografie zum Buch der


Richter.

285
1. Samuel
»Das 1. Buch Samuel weckt das Interesse des Lesers wie kein anderes. Es gibt nicht nur
ereignisreiche Geschichte wieder, sondern wir haben hier ereignisreiche Geschichte
verflochten mit den Biografien von drei eindrucksvollen Persönlichkeiten –
Samuel, Saul und David. Um diese drei Personen sind die Kapitel angeordnet.«

J. Sidlow Baxter

Einführung beziehen (1Sam 1,1 - 25,1).1 Vieles in


diesen Büchern findet jedoch nach dem
I. Einzigartige Stellung im Kanon Tod des Propheten statt.
Es ist möglich, dass einer der jungen
Ohne 1. und 2. Samuel würde eine große Propheten, der unter Samuel studiert
Lücke im Kanon des Alten Testaments hatte, das Buch schrieb, und die Nieder-
klaffen. Ursprünglich handelte es sich schriften seines Lehrers einfügte. Eine
um ein Buch, das aber in der Septuagin- andere Möglichkeit ist, dass Abjatar, ein
ta-Übersetzung zur einfacheren Hand- Priester, der es gewohnt war, genaue
habung in zwei Bücher aufgeteilt wurde. Aufzeichnungen zu machen, das Buch
Jede Übersetzung des AT einschließlich zusammenstellte. Er war eng mit dem
der gedruckten hebräischen Ausgaben Lebensweg Davids verbunden und ver-
ist seitdem dieser Aufteilung gefolgt. brachte sogar eine Zeit im Exil mit ihm.
Unzählige Millionen von jüdischen
und christlichen Kindern sind ange­ III. Datierung
zogen und erbaut worden von den Die Datierung der Samuelbücher lässt
Geschichten von Samuel, David und sich nur schwer genau festlegen. Die frü-
Go­liat, David und Jonatan, der Flucht hen Teile könnten aus der Zeit um 1000
Davids vor Saul, seiner Freundlichkeit v.Chr. stammen. Die Tatsache, dass sich
gegenüber Mefi-Boschet und seiner keine Erwähnung der Gefangenschaft Is-
Trauer über die Rebellion seines Sohnes raels (722 v.Chr.) findet, erfordert sicher-
Abner und dessen Tod. lich ein Datum vor diesem Ereignis. Eini-
Auf einer mehr lehrmäßigen Ebene ge glauben, dass Bezüge auf »Israel« und
haben reifere Leser den Bund Davids »Juda« ein Datum nach 931 v.Chr. erfor-
studiert ‒ sowie die schrecklichen Par- dern, als das Reich in diese zwei Teile
allelen zwischen Davids Sünde mit aufgeteilt wurde. Doch solche Ausdrücke
Batseba und den Sünden, die unter sei- könnte es schon vorher gegeben habe, so
nen eigenen Kindern aufkamen. ähnlich, wie in der amerikanischen Ge-
1. und 2. Samuel bilden die Brücke schichte, wo die beiden Ausdrücke »Yan-
zwischen den Richtern und der vollen kees« und »Southrons« schon vor der Se-
Etablierung der königlichen Linie Da- zession von 1861 benutzt wurden.
vids. Sie haben in der Geschichte Israels
eine einzigartige Stellung. IV. Hintergrund und Thema
1. und 2. Samuel verfolgen Gottes Han-
II. Verfasserschaft deln an Israel vom 12. bis zum frühen
Während die jüdische Tradition Samuel 10. Jahrhundert v.Chr. Samuel (der Pro-
zum Verfasser des Buches erklärt, das phet und Richter), Saul (der verworfene
heute in 1. und 2. Samuel aufgeteilt ist, König) und David (der Hirten-König)
kann sich diese Angabe nur auf die Er- sind die Hauptpersonen, um die sich
eignisse während seines eigenen Lebens die Geschichte dreht.

287
1. Samuel

Samuel wurde von Gott erweckt, um Gott, Israels wahrer König, auf Verlan-
die Richterzeit abzuschließen und das gen des Volkes die königliche Souve­
Königtum einzuführen. Er lebte zu einer ränität zuerst an Saul und später an Da-
Zeit, in der die Priesterschaft (vertreten vid und seine Nachkommen weitergibt.
durch Eli und seine Söhne) versagte und Eugene Merrill verbindet das Buch tref-
der Prophetendienst eingeführt wurde. fend mit dem Thema der gesamten Bibel:
Samuel selbst war der letzte Richter und
der erste Prophet dieser Zeit (nicht der Auch kam durch Davids königliches
erste Prophet der Schrift – 1. Mose 20,7), Haus sein größerer Sohn, Jesus Christus,
und der Mann, der die ersten Könige Is- auf die Welt und wurde Mensch. Chris-
raels salbte. Obwohl er ein Levit war, tus erfüllte sein Königtum in seinem Le-
stammte er nicht aus der Familie Aarons. ben vollkommen, und in seinem Tod und
Dennoch diente er als Priester, offen- seiner Auferstehung bereitete er die
sichtlich mit Gottes Einverständnis. Sein Grundlage dafür, dass alle Menschen,
Herz war rein und hingegeben, Elis Herz die an ihn glauben, mit ihm und durch
dagegen unrein und ungehorsam. ihn regieren können (2Sam 7,12-16;
Das Thema der Samuelbücher ist, wie Ps 89,36-37; Jes 9,6).2

Einteilung III. Davids Leben bis zum Tod Sauls


(Kap. 16-30)
I. Samuels Dienst bis zur Salbung A. Salbung durch Samuel
Sauls (Kap. 1-9) (16,1-13)
A. Samuels Geburt und Kindheit B. Dienst bei Saul (16,14-23)
(Kap. 1) C. Sieg über Goliat (Kap. 17)
B. Hannas Lied (2,1-10) D. Hochzeit mit Michal (Kap. 18)
C. Eli und seine bösen Söhne E. Flucht vor Saul (Kap. 19-26)
(2,11-36) 1. Jonatans Treue (Kap. 19-20)
D. Samuels Berufung (Kap. 3) 2. Ahimelechs Freundlichkeit
E. Die Bundeslade (Kap. 4-7) gegenüber David (Kap. 21)
1. Die Bundeslade wird 3. Davids Flucht und Sauls
entführt (Kap. 4) Abschlachtung der Priester
2. Die Macht der Bundeslade (Kap. 22)
(Kap. 5) 4. Keilas Verrat (Kap. 23)
3. Die Bundeslade wieder 5. Saul wird verschont
zurückgegeben (Kap. 6-7) (Kap. 24)
F. Ein König wird begehrt und 6. Nabals Torheit (Kap. 25)
gewählt (Kap. 8-9) 7. Saul wird zum zweiten
II. Sauls Regierung bis zu seiner Mal verschont (Kap. 26)
Verwerfung (Kap. 10-15) F. Leben bei den Philistern
A. Salbung und Bestätigung (Kap. 27-30)
(Kap. 10-11) 1. Ziklag wird erobert
B. Tadel und Anklage des Volkes (Kap. 27)
(Kap. 12) 2. Sauls Schicksal
C. Ungehorsam und Verwerfung vorhergesagt (Kap. 28)
(Kap. 13-15) 3. David wird von Achisch
1. Sauls sündhaftes Opfer (Kap. 13) entlassen (Kap. 29)
2. Sauls vorschnelle Schwüre 4. Sieg über die Amalekiter
(Kap. 14) (Kap. 30)
3. Sauls unvollständiger IV. Sauls Tod (Kap. 31)
Gehorsam (Kap. 15)

288
1. Samuel 1 und 2

Kommentar wegen ihrer leiblichen Unfruchtbarkeit


Sorgen; wir sollten über unsere geistliche
I. Samuels Dienst bis zur Salbung Unfruchtbarkeit trauern.
Sauls (Kap. 1-9) 1,19-28 Als Hannas Gebet erhört war,
nannte sie ihr Kind Samuel (von Gott er­
A. Samuels Geburt und Kindheit hört),4 weil er vom Herrn erbeten war.
(Kap. 1) Als Samuel entwöhnt war, nahm sie ihn
mit sich hinauf zum Haus des Herrn
1,1-10 1. Samuel beginnt mit der Vor- und übergab ihn dem HERRN in einem
stellung Elkanas und seiner beiden Akt der einmaligen und vollständigen
Frauen Hanna (Gnade) und Peninna Weihung. Von Anfang an half der Junge
(Perle). Er war ein Levit aus Ramatajim- den Priestern und diente vor dem Herrn.
Zofim in Ephraim, daher seine Bezeich- Der letzte Satz von V. 28 schloss auch Sa-
nung als Ephraimit in Vers 1 (vgl. 1Chr muel mit ein: Er war ein Anbeter, auch
6,7-13). Als echter geschichtlicher Be- wenn er noch klein war, weil sein Leben
richt erwähnt die Bibel die Praxis der dem Dienst des Herrn geweiht war.
Polygamie, jedoch heißt sie sie niemals
gut. Wie bei Lea und Rahel war eine B. Hannas Lied (2,1-10)
Frau fruchtbar, während die andere un- Die Hingabe der Frau Elkanas und sei-
fruchtbar war. Dies verursachte Rivali- nes Sohnes leuchtet vor dem Hinter-
tät im Haus, weil Hanna, obwohl sie grund der Verdorbenheit der Familie Elis
kinderlos war, von ihrem Mann geliebt hell auf. Nachdem Hanna ihren Sohn
wurde. Wenn die Familie jedes Jahr dem Herrn geschenkt hatte, schüttete sie
nach Silo reiste, um eines der Feste zu ihr Herz in Dankbarkeit aus. Ihre Worte
feiern, erhielt Hanna einen doppelten offenbaren eine tiefe und innige Erkennt-
Anteil des Friedensopfers (V. 3-5). Aber nis Gottes, seines Charakters und seiner
dies brachte ihr beißende Sticheleien Taten. Das Gebet scheint auch Peninna
von Peninna ein. Jedes Jahr drang der für ihre vielen Sticheleien zu tadeln, die
Stachel tiefer, bis Hanna schließlich in sie Hanna zugefügt hatte, aber es geht
ihrer Verzweiflung die Sache vor den prophetisch über diesen Familienstreit
Herrn zur Stiftshütte brachte. hinaus und weist auf den Sieg Israels
1,11-18 Hanna gelobte, dass sie, wenn über seine Feinde und auf die künftige
Gott ihr einen männlichen Nachkom- Herrschaft Christi hin. Marias Lied, oft
men geben würde, dem Herrn diesen auch Magnifikat genannt (Lk 1,46-55),
wieder zurückgeben würde. Er sollte wurde offensichtlich durch ihre Kennt-
von Geburt an ein Nasiräer sein. Bischof nis des Liedes Hannas beeinflusst.
Hall rät:
C. Eli und seine bösen Söhne (2,11-36)
Der Weg, um eine Wohltat zu erhalten, 2,11-17 Die Erzählung wendet sich jetzt
ist, diese Wohltat in unserem Herzen der den bösen Söhnen Elis zu. Der Aus-
Verherrlichung des Gottes zu weihen, druck »sie hatten den Herrn nicht er-
von dem wir sie erbitten. Auf diese Weise kannt« bedeutet, dass sie nicht durch
kann Gott sowohl seinen Diener erfreuen Glauben gerettet waren. Drei Sünden
als auch sich selbst ehren.3 werden ihnen angelastet: Sie beraubten
die Menschen ihres Anteils am Frie-
Der alte Priester Eli sah, wie sich Hannas densopfer, weil sie sich nicht mit der
Lippen bewegten, und meinte, sie wäre Brust und der Keule zufriedengeben
betrunken. Aber sobald sie ihr Handeln wollten (vgl. 3. Mose 7,28-34). Sie ver-
erklärt hatte, merkte er, wie ernst es ihr langten Fleisch, ehe das Fett geopfert
war, segnete sie und sandte sie in Frie- worden war, und umgingen damit das
den auf ihren Weg. Hanna machte sich Gesetz. Drittens wollten sie das Fleisch

289
1. Samuel 2 und 3

rösten, statt es zu kochen, und setzten ren. Aber wegen der Bosheit Elis und
so ihre fleischlichen Gelüste an die erste seines Hauses durften sie nicht länger
Stelle. Wenn jemand Einspruch erhob, als Priester dienen. Kein Glied seiner
nahmen sie das Fleisch mit Gewalt. Ihre Familie sollte alt werden, das Heiligtum
Sünde war sehr groß, weil sie die Opfer in Silo sollte verfallen und Elis Nach-
des Herrn verächtlich behandelten. kommen sollten Kummer und Schande
2,18-21 In einem Gegensatz zu ihrer für ihn sein. Weiter sollten Hofni und
Bosheit stand die Hingabe des Kindes Pinhas am selben Tag sterben als Zei-
Samuel und die Treue der Eltern zu den chen dafür, dass alle diese Gerichte sich
jährlichen Festen. Weil die Erstlings- erfüllen würden.
frucht des Mutterleibes Hannas dem Der Untergang des Hauses Eli erfüll-
Herrn geweiht war, wurde sie mit drei te sich folgendermaßen: der Mord an
Söhnen und zwei Töchtern gesegnet. Ahimelech und allen seinen Söhnen bis
Dies ist eine gute Illustration der Ver- auf Abjatar durch Saul (V. 31; 22,16-20),
heißung des Herrn: »Gebt, und es wird der Ausschluss Abjatars aus der Pries-
euch gegeben werden« (Lk 6,38). terschaft durch Salomo (V. 32-33; 1Kö
2,22-26 Erst als Eli Berichte über Un- 2,27) und der Tod von Hofni und Pin-
zucht hörte, ermahnte er endlich seine has (V. 34; 4,11). Eli stammte aus dem
Söhne. Aber es war viel zu spät für sei- Haus Itamar, und als Abjatar später von
nen milden Tadel mit Worten, als dass Salomo abgesetzt wurde, wurde das
er irgendeine Wirkung gehabt hätte. Sie Priestertum wieder dem Haus Eleasars
verhärteten ihre Herzen und wurden gegeben, dem es die ganze Zeit hätte
deshalb durch gerichtliches Handeln gehören sollen. Pinhas, der Sohn Elis,
verhärtet, wie damals Pharao, denn ist nicht zu verwechseln mit Pinhas,
Gott hatte beschlossen, sie zu vernich- dem Enkel Aarons (4. Mose 25,7-8).
ten. Während dieser Zeit wuchs Samuel Der treue Priester, der in Vers 35 ver-
in der Stille, und seine Reinheit und Tu- heißen wird, ist Zadok aus dem Haus
gend gefielen sowohl dem Herrn als Eleasars, der zur Zeit Davids und Salo-
auch den Menschen. Wenn wir uns dar­ mos Dienst tat. Seine Priesterschaft
an erinnern, dass diese Ereignisse zur wird weitergehen, selbst im Tausend-
Zeit der Richter stattfanden, ist es nicht jährigen Reich Christi (Hes 44,15). Doch
erstaunlich, dass es auch den Priestern die Nachkommen Elis würden das
nicht gelang, der moralischen Deka- Priesteramt nicht begehren, um dem
denz dieser Zeit zu entkommen. Herrn zu dienen, sondern nur um et-
2,27-36 Der Tadel des Herrn für Eli was zu essen zu bekommen (V. 36).
war so hart, wie Elis Tadel für seine Viele Ausleger sehen in dem »treuen
Söhne schwach gewesen war. Ein unge- Priester« in V. 35 eine messianische An-
nannter Mann Gottes erschien und ver- spielung, und zwar insbesondere we-
kündete den Untergang des priester­ gen der Worte »alle Tage«.
lichen Hauses Elis. Der Prophet begann
zu berichten, wie Gott Aarons Familie D. Samuels Berufung (Kap. 3)
berufen hatte, seine Priester zu sein, 3,1-3 Zu der Zeit, als Samuel in Silo an
und wie großzügig ihr Anteil an den der Stiftshütte dem Herrn diente, war
Opfern war, damit sie sich ernähren das Wort des Herrn selten, d.h. der Herr
konnten. Er tadelte Eli dann dafür, dass sprach sehr selten in Gesichten zu den
er den Gelüsten seiner Söhne gestattete, Menschen. Williams sieht in den ersten
über den Ansprüchen Gottes zu stehen drei Versen ein Bild für den moralischen
(V. 29). Die frühere Verheißung des Zustand Israels:
Herrn über eine ewige Priesterschaft
war davon ausgegangen, dass die Pries- Nacht herrschte, die Lampe Gottes im
ter Männer von gutem Charakter wa- Tempel verlöschte, die Augen des Hohen-

290
1. Samuel 3 und 4

priesters waren so schwach geworden, Mangel an Gottesfurcht schlagen


dass er nicht mehr klar sehen konnte, und (3. Mose 10) und Hofni und Pinhas un-
sowohl er als auch Samuel schliefen.5 gerichtet davonkommen lassen?
3,19-21 Es wurde bald in ganz Israel
»Die Lampe Gottes« ist der Leuchter, von Dan bis Beerscheba bekannt, dass
dessen Licht gegen Sonnenaufgang ge- der Herr mit Samuel war. Ganz Israel
löscht wurde. erkannte in dem jungen Mann einen
3,4-9 Eines Nachts, kurz vor Sonnen- echten Propheten des Herrn.
aufgang, hörte Samuel eine Stimme, die
ihn rief. Er dachte, es sei Eli, aber der E. Die Bundeslade (Kap. 4-7)
Priester hatte nicht gerufen. Samuel
1. Die Bundeslade wird entführt (Kap. 4)
hatte den Herrn in dem Sinne noch
nicht erkannt, dass er bisher noch keine 4,1-4 Die nächsten drei Kapitel folgen
direkte, persönliche Offenbarung von der Lade des Bundes des Herrn auf ei-
ihm erhalten hatte (V. 7). Nachdem Sa- ner Reise ins Feindesland und wieder
muel die Stimme noch zweimal gehört hinaus. Gott wollte seine Ehre inmitten
hatte, erkannte Eli, dass der Herr Samu- der Philister verteidigen (Kap. 5), doch
el rief. Der alte Priester riet dem Kna- er wollte die Israeliten nicht mehr ver-
ben zu sagen: »Rede, Herr, denn dein teidigen, als er in ihrer Mitte war, weil
Knecht hört«, wenn er die Stimme noch sie aufgehört hatten, ihn zu ehren. Als
einmal hören würde. sie gegen die Philister bei Eben-Eser
3,10-14 Als der Herr zum vierten Mal kämpften, verloren sie 4000 Mann. In
rief, antwortete Samuel: »Rede, dein dem Versuch, das Kriegsglück zu wen-
Knecht hört«, und ließ dabei anschei- den, ließen die Ältesten die Bundeslade
nend das Wort »Herr« aus. Die Bot- aus Silo in das Lager bringen.
schaft des Herrn bestätigte das Gericht, 4,5-11 Die Israeliten freuten sich sehr,
das schon früher gegen Eli und sein als sie die Lade sahen, und die Philister
Haus ausgesprochen worden war, und fürchteten sich sehr, weil sie den Ruf
zu dem Gericht könnte gehört haben, des Herrn kannten. Aber sie ermutigten
dass Israel besiegt und die Bundeslade sich gegenseitig und näherten sich wie-
geraubt wurde. Der Vater war genauso der zum Kampf. Zu ihrem Erstaunen
schuld wie die Söhne, weil er ihnen floh Israel, 30.000 Fußsoldaten wurden
nicht gewehrt hatte oder sie von ihren getötet, die Priester Hofni und Pinhas
Sünden abgebracht hatte. Sie hätten für kamen um, und die Bundeslade selbst
ihren Frevel getötet werden müssen, wurde weggenommen!
statt nur milde gerügt zu werden. Kein 4,12-22 Als ein Läufer nach Silo rannte
Opfer konnte für ihre Schuld Sühne und Eli darüber informierte, dass die
schaffen. Ihr Schicksal war besiegelt Bundeslade weggenommen worden
und wurde Eli durch den Mund zweier war, fiel der alte Mann rückwärts von
Zeugen bestätigt: durch den Mann Got- seinem Richterstuhl, brach sich das Ge-
tes (Kap. 2) und durch den Propheten- nick und starb. Die schlechte Nachricht
knaben Samuel (V. 14). war so erschütternd, dass die Frau des
3,15-18 Zuerst fürchtete sich Samuel Pinhas Wehen bekam und bei der Ge-
davor, Eli zu sagen, was der Herr ge- burt starb. Dass sie vom Tod ihres
sprochen hatte, aber als er unter Eid ge- Schwiegervaters und ihres Mannes ge-
stellt wurde, offenbarte er dem Priester hört hatte, schien nicht so viel zu wiegen
das Gericht, das diesem bevorstand. Eli wie die Tatsache, dass die Bundeslade in
nahm die Nachricht unterwürfig an. die Hände der Philister gefallen war. Als
Sicherlich erkannte er die Gerechtigkeit sie starb, nannte sie ihren Sohn Ikabod
Gottes, dass er die Strafe schickte. (Nicht-Herrlichkeit) und sagte: »Die Herr-
Konnte Gott die Söhne Aarons für ihren lichkeit ist von Israel gewichen.«

291
1. Samuel 5 und 6

2. Die Macht der Bundeslade (Kap. 5) Schrecken schon viele umgebracht. Die
5,1-5 Die Philister brachten die Lade Menschen, die nicht starben, bekamen
Gottes aus Eben-Eser nach Aschdod wieder Beulen. Sie bettelten, dass die
und stellten sie in den Tempel Dagons, Bundeslade nach Israel zurückge-
des Hauptgottes der Philister. Dagon schickt würde.
war angeblich der Vater Baals, eines an-
deren Götzen, dem wir in der Schrift 3. Die Bundeslade wird wieder
häufig begegnen. Die Philister stellten zurückgegeben (Kap. 6-7)
die Lade neben das Bild Dagons, weil 6,1-6 In sieben kurzen Monaten hatten
sie meinten, dass sie von gleichem Rang die Philister eine gehörige Furcht vor
wären. Doch als sie am Morgen darauf der Bundeslade bekommen. Sie wollten
in den Tempel zurückkehrten, stellten sie nach Israel zurückschicken, aber auf
sie fest, dass der Herr den Dagon zu Fü- die richtige Weise, damit sie nicht wei-
ßen der Bundeslade hatte hinfallen las- tere Gerichte über sich brachten. Die
sen. Sie verstanden die Bedeutung die- heidnischen Priester und Wahrsager
ses Ereignisses nicht und stellten Da- wurden befragt. Sie schlugen vor, die
gon wieder neben der Bundeslade auf. Bundeslade mit einem Schuld- oder
Doch am nächsten Morgen gab es kei- Sühneopfer von fünf goldenen Beulen
nen Zweifel mehr, wer stärker war, und fünf goldenen Springmäusen zu-
denn Dagons Kopf und Hände waren rückzuschicken. Unter diesen Völkern
abgehauen. Wenn Dagon ein echter war es üblich, ihre Götter zu beschwich-
Gott gewesen wäre, dann hätte er sich tigen und zu entschädigen, indem man
selbst verteidigen können. Seine An- ihnen ein Opfer von dem darbrachte,
hänger hätten sich dieser Tatsache stel- was das Unglück unter ihnen ver­
len sollen. Stattdessen erfanden sie eine ursacht hatte. Die Erwähnung von Rat-
abergläubische Regel, dass man nicht ten (NIV, NKJV, nach anderen Über­
auf die Schwelle treten dürfe. Dagon setzungen »Mäuse«) hat einige Aus­
kam bei der Konfrontation mit dem leger zu der Ansicht geführt, dass es
Gott Israels nicht gut davon. Simson sich bei der Plage, die die Städte heim­
hatte seinen Tempel in Gaza zerstört, gesucht hatte, um die Beulenpest ge-
als Gott ihm die Kraft gab, das gesamte handelt haben könnte, die von Ratten-
Gebäude über den Adligen der Philis- flöhen übertragen wird. Die Priester er-
ter zum Einsturz zu bringen (Ri 16). innerten die Menschen weiter an Ägyp-
Jetzt hatte der Herr selbst das Bild Da- tens Schicksal in den Händen des Herrn
gons verstümmelt und zeigte damit, und forderten sie auf, ihr Herz nicht zu
dass man bei Götzen weder Weisheit verstocken, wie die Ägypter und der
(Kopf) noch Macht (Hände) findet. Pharao es getan hatten, sondern jeden
5,6-9 Nicht nur der Götze, sondern Versuch zu unternehmen, die Lade an
auch die Aschdoditer bekamen das ihren richtigen Ort zurückzubringen.
Missfallen des Herrn zu spüren. Sie lit- 6,7-12 Um sicherzustellen, dass das,
ten unter Verwirrung, Schwellungen was ihnen geschehen war, Gerichte des
oder Beulen und Tod. In ihrer Verzweif- Herrn waren und nicht nur reiner Zu-
lung entschieden die Philister, die Lade fall, arrangierten die Priester die Rück-
Gottes nach Gat zu bringen, einer wei- kehr so, dass sich göttliches Eingreifen
teren ihrer großen Städte. Auch hier auf jeden Fall zeigen würde. Die beiden
wurden die Menschen wieder mit Beu- säugenden Kühe, die benutzt wurden,
len geschlagen. um den Wagen zu ziehen, hatten kleine
5,10-12 Als die Bundeslade nach Ek- Kälber, und es würde alle Instinkte der
ron kam, waren die Menschen dort Tiere verletzen, wenn sie ihre Kälber
schon sehr verängstigt. Ihre Ängste wa- zurückließen. Auf die Kühe war noch
ren berechtigt, hatte doch ein tödlicher kein Joch gekommen, und doch zogen

292
1. Samuel 6 und 7

sie zusammen ohne Probleme den Wa- sammelte sich in Mizpa um Samuel.
gen und wichen weder zur Rechten Dort fasteten die Israeliten und taten
noch zur Linken aus. Ohne geführt zu vor dem Herrn Buße. Ihre Buße wurde
werden, gingen die Kühe geradewegs durch Ausgießen von Wasser auf den
nach Bet-Schemesch in Juda! Boden symbolisiert.
6,13-18 Die Männer in Bet-Schemesch 7,7-14 Als die Philister hörten, dass
waren bei der Ernte, als die Bundeslade sich die Israeliten in Mizpa versammelt
sich näherte. Welch ein Anblick – zwei hatten, mutmaßten sie, dass sich ein
Kühe ohne Führung bringen die Bun- Aufstand anbahnte, und griffen an. Die
deslade nach Israel zurück! Großer Hebräer, die auf Krieg nicht vorbereitet
Jubel brach aus. Der Wagen wurde be- waren, wurden in Schrecken versetzt.
nutzt, um Feuer zu machen, und die Als sie Samuel baten, für sie einzutre-
Kühe wurden dem Herrn als Brand­ ten, opferte er ein ganzes Brandopfer
opfer dargebracht. Die Lade und das (was die Leviten wohl durften – vgl.
Kästchen mit dem Sühneopfer wurden 1Chr 23,26-31) und betete. Daraufhin
auf einem großen Stein abgesetzt. schlug Gott den Feind auf wunderbare
Es gibt eine geistliche Parallele zu der Weise durch starken Donner, und Israel
Geschichte von den Kühen von Bet- gewann an diesem Tag. Aus Dankbar-
Schemesch. Christliche Missionare ver- keit richtete Samuel einen Stein als
lassen ihre Heimat und ihre Familie Denkmal auf und gab ihm den Namen
und bringen die Botschaft des Herrn »Eben-Eser« (Stein der Hilfe). Vers 13 be-
wohin immer der Herr sie führt, und sie zieht sich nur auf einen zeitweiligen
weichen dabei weder zur Rechten noch Sieg, wie aus dem letzten Teil des Ver-
zur Linken. Ungläubige freuen sich, ses und aus 9,16 hervorgeht. Einiges
wenn sie von dem Herrn hören. Die Land wurde zu dieser Zeit auch wieder
Missionare sind vorbereitet zum Dienst zurückerobert, und Israel hatte für eini-
oder zum Opfer. ge Zeit Frieden mit seinen Nachbarn.
6,19-21 Doch die Menschen von Bet- 7,15-17 Danach reiste Samuel als
Schemesch behandelten die Lade nicht Richter durch die Städte Israels und
als Heiligtum, sie hatten in die Lade hin­ richtete nach dem Gesetz des Herrn. Er
eingeschaut (Schlachter 2000). Als Folge lebte in Rama, der Heimat seines Va-
davon schlug Gott 70 Mann und 50.000 ters, und baute dort einen Altar. Uns
Mann (Schlachter 2000). Da sie sich wird nicht gesagt, warum er nicht zum
fürchteten, die Lade weiter in ihrer Mit- Altar des Herrn zurückkehrte, der jetzt
te bleiben zu lassen, sandten die Leute in Nob war, oder warum er es gestatte-
Boten zu den Bewohnern von Kirjat- te, dass die Lade im Haus Abinadabs
Je­arim und baten sie, die Lade zu holen. blieb. Aber es war eine Zeit, in der vie-
(Es ist zweifelhaft, ob in Bet-Schemesch les nicht nach der Ordnung Gottes ver-
50.070 Menschen wohnten. Josephus6, lief und in der vieles getan wurde, was
Keil und Delitzsch7 sowie viele andere Gott zuließ, obwohl es eigentlich nicht
Fachleute sagen, dass es lediglich 70 zu seiner ursprünglichen Absicht ge-
heißen sollte, weil die Zahl 50.000 in vie- hörte.
len hebräischen Manuskripten fehlt.) Kapitel 7 gibt uns Einblicke in das
7,1-6 Die Lade wurde in das Haus Wesen einer Erweckung. Gott erweckte
Abinadabs in Kirjat-Jearim gebracht, zunächst einen Mann, nämlich Samuel,
wo sie 20 Jahre lang blieb. Dann trat Sa- der das Volk zur Buße, zum Bekenntnis
muel auf und forderte das Volk auf, und zur Reinigung führte. Sühne wur-
zum Herrn zurückzukehren, damit de durch das Blut eines Lammes ge-
Gott sie von ihren philistischen Unter- schaffen (ein Bild für das Lamm von
drückern befreien konnte. Götzenbilder Golgatha), und dann gab es einen Sieg.
wurden weggeworfen, und das Volk Dies sind die Schritte für die Erweckung

293
1. Samuel 7 bis 9

sowohl eines Einzelnen als auch eines sagte der Herr Samuel wieder, dass er
ganzen Volkes. tun sollte, um was die Israeliten gebe-
ten hatten, und einen König über sie
F. Ein König wird begehrt und einsetzen sollte. Dann schickte der Pro-
gewählt (Kap. 8-9) phet die Menschen nach Hause. Sie
8,1-5 Als Samuel alt war, versuchte er, sollten bald ihren König bekommen.
seine beiden Söhne als Nachfolger im 9,1-14 Nun erscheint Saul, der Sohn
Richteramt einzusetzen. Doch sie wa- des Kisch, ein Benjaminiter, auf der
ren boshafte Männer, die Bestechungs- Bühne. Als er nach den Eselinnen seines
geschenke annahmen und das Recht Vaters suchte, entschlossen sich er und
beugten. Wie Eli vor ihm brachte auch sein Knecht, bei einem Mann Gottes in
Samuel seine Söhne nicht von ihren bö- einer nahe gelegenen Stadt nach dem
sen Wegen ab, und deshalb wurde sein Verbleib der Tiere zu fragen. Mit einem
Haus zurückgewiesen. Die Ältesten kleinen Geschenk in der Hand näherten
von Israel weigerten sich, Joel und sie sich der Stadt und erfuhren von eini-
Abija anzuerkennen. Sie wollten statt- gen Mädchen, dass der Seher, nach dem
dessen einen König haben wie die an- sie suchten, genau an diesem Tag bei
deren, heidnischen Völker. einem religiösen Fest erscheinen würde.
8,6-18 Es war natürlich Gottes Absicht Als sie sich beeilten, begegneten sie dem
gewesen, dass er selbst der König von Mann, nach dem sie suchten. Saul ahnte
Israel sein sollte. Sein Volk sollte heilig natürlich nicht, dass der Prophet schon
sein und anders als jedes Volk auf Er- nach ihm Ausschau hielt!
den. Aber die Hebräer wollten nicht an- 9,15-21 Am Tag zuvor hatte der Herr
ders sein, sie wollten sich der Welt an- Samuel versprochen, ihn zu dem Mann
passen. Samuel war über eine solche zu führen, der König werden sollte. Jetzt
Bitte entsetzt, aber der Herr sagte ihm, wurde ihm offenbart, dass Saul dieser
er solle tun, was sie verlangten. Schließ- Mann war. Aber der Prophet sagte Saul
lich hatten sie nicht den Propheten ver- dies nicht sofort. Erst lud er ihn zu einem
worfen, sondern den Herrn. Samuel Fest ein. Die »Höhe« (d.h. ein Ort, der
sollte auf ihre Wünsche eingehen, aber zum Gottesdienst bestimmt war) ge-
gleichzeitig sollte er sie ernsthaft ver- hörte normalerweise in den Zusammen-
warnen und ihnen von vornherein die hang mit der Anbetung von Götzen,
Rechte des Königs, den sie erhalten aber in diesem Fall wurde der Herr an-
würden, bekannt machen. Kurz gesagt, gebetet. Samuel sagte dann dem großen,
der König würde sich selbst bereichern, gut aussehenden Benjaminiter, dass er
indem er das Volk arm machte, er wür- für ihn am nächsten Morgen eine wich-
de die jungen Männer zum Wehrdienst tige Nachricht hätte. Offensichtlich ohne
und die jungen Frauen zum hauswirt- vorher von Sauls Auf­gabe erfahren zu
schaftlichen Dienst heranziehen und haben, sagte Samuel ihm, dass die Esel
würde sie praktisch zu Sklaven machen. gefunden worden seien und dass er sich
Es stimmte, dass Gott schon im Gesetz keine Sorgen um sie machen solle. Was
Vorkehrungen für die Herrschaft von waren schon ein paar Esel? Er sollte
Königen getroffen hatte (5. Mose 17,14- schon bald »alles Kostbare in Israel« be-
20), doch sein vollkommener Wille war, sitzen. Saul nahm diese Ankündigung
dass er selbst ihr König sein sollte (8,7; mit erstaunlicher Bescheidenheit auf.
12,12). Diese Gesetze im 5. Buch Mose Benjamin war sicher­lich der kleinste
wurden gegeben, um das Böse einzu- Stamm in Israel. In der Vergangenheit
dämmen, das durch eine Königsherr- war wegen seiner Sünde seine Zahl auf
schaft gewiss folgen musste. 600 verkleinert worden (Ri 20).
8,19-22 Als das Volk trotz aller War- 9,22-27 Bei dem Festmahl wurde Saul
nungen auf seiner Forderung bestand, der Ehrenplatz gegeben und ihm wur-

294
1. Samuel 9 und 10

de das auserlesenste Stück Fleisch auf- 10,10-16 Die Propheten waren hinge-
getischt. Am Abend unterhielt sich Sa- gebene und eifrige Männer, und es über-
muel lange mit ihm. Am nächsten Tag raschte die Menschen, Saul in ihrer Mitte
hielt Samuel Saul zurück, als er gerade weissagen zu sehen. Dies war der Anlass
die Stadt verlassen wollte, und ließ ihn für das Sprichwort: »Ist Saul auch unter
das Wort Gottes hören. den Propheten?« Es wurde zum verbrei-
teten Ausdruck des Erstaunens, dass
II. Sauls Regierung bis zu seiner Saul sich an einer solchen Aktivität be-
Verwerfung (Kap. 10-15) teiligte, die so ungewöhnlich für ihn
war. Sauls Onkel (nicht sein Vater, wie
A. Salbung und Bestätigung (Kap. 10-11) wir erwarten würden) befragte ihn über
10,1-6 Ohne Zeugen salbte Samuel Saul sein Gespräch mit Samuel. Saul erwähn-
zum Herrscher über Israel, indem er Öl te seinen Besuch bei Samuel, aber er be-
über sein Haupt goss. Die Priesterschaft richtete nicht, dass er ohne Zeugen zum
war mit Salbung eingesetzt worden König gesalbt worden war.
(3. Mose 8,12), und nun wurde der erste 10,17-19 In der Zwischenzeit hatte Sa-
König auf dieselbe Weise gesalbt. Eine muel das Volk in Mizpa versammelt,
öffentliche Zeremonie sollte später fol- um die Ernennung des Königs anzu-
gen. Drei Zeichen wurden genannt, die kündigen. Ehe er die eigentliche Ernen-
eintreffen würden, um das Wort des nung vornahm, erinnerte er die Israeli-
Herrn für Saul zu bestätigen: 1. Zwei ten noch einmal daran, dass ihr Verlan-
Männer würden ihm beim Grab Rahels gen nach einem König eine Ablehnung
begegnen und ihm sagen, dass die Ese- Gottes war, der sie aus Ägypten und in
linnen gefunden worden seien. 2. Drei das Verheißene Land geführt hatte. Als
Männer würden ihn bei der Terebinthe Saul ausgewählt wurde, versteckte er
in Tabor auf dem Weg nach Bethel tref- sich entweder aus Bescheidenheit oder
fen und würden ihm zwei Laib Brot ge- aus Furcht. Matthew Henry zählt vier
ben. 3. Wenn er zum »Hügel Gottes« Gründe auf, warum er Angst gehabt
kommen würde und ihm eine Gruppe haben könnte:
von Propheten begegnen würde, wür-
de der Geist des Herrn über ihn kom- 1. Weil er sich dessen bewusst war, dass
men, und er würde weissagen. er für eine solch große Verantwortung
10,7-9 Nachdem alle diese Zeichen ein- nicht geeignet war. 2. Weil es ihn dem
getroffen waren, sollte Saul nach Gil­gal Neid seiner Nachbarn aussetzen konnte,
gehen und dort sieben Tage auf Samuel die ihm Böses wollten. 3. Weil er durch
warten, der kommen und Opfer darbrin- das, was Samuel gesagt hatte, erkannte,
gen wollte. Alle Zeichen aus den Versen dass das Volk gesündigt hatte, als es um
2-6 geschahen am selben Tag, die Ereig- einen König bat, und dass Gott nur im
nisse in Gilgal geschahen später (13,7-15). Zorn die Bitte des Volkes erfüllt hatte.
Man sollte aus Vers 9 nicht schließen, 4. Weil die Sache Israels zu dieser Zeit
dass Saul wirklich bekehrt war. Eigent- schlecht stand: Die Philister waren stark,
lich war er ein Mann nach dem Fleisch, die Ammoniter drohten, und man muss
wie seine spätere Geschichte so eindeu- schon Mut haben, wenn man mitten im
tig zeigt. Er war für seine offizielle Posi- Sturm die Segel setzt.9
tion als Herrscher über das Volk Gottes
vom Geist Gottes ausgerüstet, auch 10,20-27 Saul wurde nach vorne geholt
wenn er Gott nicht in persönlicher, ret- und dem Volk als König vorgestellt.
tender Weise kannte. Mit anderen Wor- Was die äußere Erscheinung betrifft,
ten: Er war offi­ziell Gottes Mann, auch gab es keinen besseren Mann in Israel
wenn wir glauben, dass er kein echter als ihn. Einige Kriegsleute verbanden
Gläubiger war.8 sich mit Saul und begleiteten ihn nach

295
1. Samuel 10 bis 13

Hause nach Gibea. Aber nicht alle stan- Samuel zu ganz Israel. Als Erstes erin-
den einmütig hinter dem neuen König. nerte er die Israeliten an seine gerechte
Saul hielt vor diesen Rebellen, die ihn Herrschaft als Richter. Niemand konnte
verachteten, weise den Mund. ihn eines Unrechts beschuldigen. Doch
11,1-5 Jabesch in Gilead war eine Stadt als das Volk um einen König bat, hatte
östlich des Jordans in dem Gebiet, das Israel diese Herrschaft und Gottes Herr-
zu Gad gehörte. Als die Ammoniter, die schaft über es abgelehnt. Der Herr war
Nachbarn im Südwesten, die Stadt be­ in der Vergangenheit gütig gewesen
lagerten, baten die Einwohner um die und hatte ihnen Befreier erweckt, wenn
Übergabebedingungen. Aber Nahasch es nötig war. Der Name »Bedan« in
wollte sie verstümmeln und jedem zur V. 11 steht wahrscheinlich für Barak
Schmach Israels ein Auge ausstechen. (LXX und syrische Übersetzung).10 Sa-
Erstaunlicherweise erlaubten die Am- muel stellte sich selbst in eine Reihe von
moniter den Ältesten von Jabesch, um Befreiern, die mit Mose begann. Aber Is-
Hilfe zu bitten. Vielleicht war Nahasch rael war für diese vergangenen Gnaden-
doch noch nicht ganz vorbereitet, oder erweise undankbar und hatte um einen
er glaubte einfach nicht, dass der Rest König gebeten. Dass der Herr durch
Israels Jabesch helfen würde. Boten die­se Richter wirkte, war dem Volk
wurden nach Gibea gesandt, wo Saul nicht genug, deshalb gab er ihnen Saul.
noch immer auf dem Feld arbeitete. Es 12,14-18 Als die Israeliten einen König
war höchste Zeit für ihn, sich als Israels verlangten, sündigten sie sehr. Aber
neuer König zu erweisen! wenn sie dem Herrn gehorchen würden,
11,6-11 Mit dem eindrücklich dro- würde er sie selbst jetzt noch segnen.
henden Anschauungsunterricht eines Wenn sie es nicht täten, dann würden sie
zerstückelten Joches Ochsen rief Saul seinen Zorn erfahren. Als ernsthafte
das Volk zu den Waffen. Der Schrecken Warnung betete Samuel um ein großes
des Herrn fiel auf das Volk. Aus Israel Gewitter, ein offensichtliches Zeichen
und Juda kamen 330.000 Mann in Besek von Gott, weil ein Gewitter zur Zeit der
zusammen, wo sie gemustert wurden, Weizenernte ungewöhnlich war und
und sie marschierten hinüber nach Ja- zeitlich zu genau passte, um nur als Zu-
besch, wo sie die Ammoniter gründlich fall der Natur abgetan zu werden.
in die Flucht schlugen. 12,19-25 Große Furcht ergriff die Men-
11,12-15 Voller Begeisterung über schen, und so flehten sie Samuel an, für
den Sieg wollten die Männer nun die­ sie zu beten. Sein Gebet hatte ihnen das
jenigen töten, die vorher Sauls Herr- Gericht gebracht, es konnte ihnen auch
schaft nicht akzeptieren wollten. Doch Gnade bringen. Darauf antwortete er
Saul war so weise, sie aufzuhalten. Die mit einem weiteren Appell, dem Herrn
Tatsache, dass der Herr ihm den Sieg zu folgen, weil das der Weg war, um das
gegeben hatte, reichte ihm. Samuel for- Gericht zu vermeiden. Und was ihn an-
derte sie dann zu einer ernsten Ver- ging, so konnte er gar nicht aufhören,
sammlung in Gilgal auf, und das Kö- für sie zu beten, denn das zu tun, wäre
nigtum Sauls wurde nun für das ganze Sünde gewesen. Diese wichtige Aussage
Land erneuert. Zu dieser Zeit gab es zeigt, dass Gebets­losigkeit Sünde ist und
keinen Widerstand mehr. Gilgal spricht nicht nur eine Nachlässigkeit.
von geistlicher Erneuerung (Jos 5,9).
C. Ungehorsam und Verwerfung
B. Tadel und Anklage des Volkes (Kap. 13-15)
(Kap. 12)
1. Sauls sündhaftes Opfer (Kap. 13)
12,1-13 Nach der Zeremonie in Gilgal 13,1 Es gibt offensichtliche Schwierig-
zur Erneuerung des Königtums sprach keiten mit Vers 1, wie man leicht fest-

296
1. Samuel 13 und 14

stellen kann, wenn man verschiedene immer weniger, und der Krieg stand
Übersetzungen miteinander vergleicht. unmittelbar bevor, und so wurde Saul
Schlachter 2000 und Luther 1912 schrei- durch die Umstände dazu gebracht,
ben wie KJV: »Saul war ein Jahr König das Brandopfer selbst darzubringen,
gewesen, und nachdem er zwei Jahre auch wenn er keine Berechtigung hatte,
über Israel regiert hatte …« Die revi- weil er kein Levit war. Selbst wenn Sa-
dierte Elberfelder und viele andere muel zu spät gekommen war, rechtfer-
Übersetzungen lassen die Zahlenan­ tigte das nicht Sauls Übergriff auf das
gabe aus: »Saul war … Jahre alt, als er priesterliche Amt.
König wurde, und er regierte zwei Jah- 13,10-14 Als Samuel unmittelbar da-
re über Israel.« Und z.B. in der engl. nach kam, erkannte er, was Saul getan
NASB findet sich die Angabe »Saul war hatte. Alle scheinbar guten Entschuldi-
vierzig Jahre alt, als er König wurde, gungen änderten nichts an der Tat­
und er regierte über Israel 32 Jahre.« Ei- sache, dass Saul Gott ungehorsam ge-
nige Manuskripte der LXX umgehen wesen war. Dafür würde er das König-
das Problem einfach, indem sie den tum verlieren. Gott hatte schon einen
Vers ganz auslassen (wie z.B. auch Zür- anderen Mann gefunden, einen Mann
cher). Die wohl wahrscheinlichste Er- nach seinem Herzen. Das war die erste
klärung für diese Verwirrung ist, dass von mehreren Sünden im Leben Sauls,
einige Buchstaben im hebräischen Text die dazu führten, dass er den Thron Is-
durch unachtsame Abschreiber in spä- raels verlor. Die anderen Sünden wa-
teren Jahrhunderten verloren gegangen ren: sein vorschneller Schwur (Kap. 14),
sind.11 Wir wissen jedoch, dass Saul ein das Verschonen Agags und des Besten
reifer Mann war, als er an die Macht der Beute in der Schlacht mit den Ama-
kam, denn sein Sohn Jonatan war alt lekitern (Kap. 15), die Ermordung Ahi-
genug, um in den Krieg zu ziehen. melechs und 48 anderer Priester (Kap.
13,2-5 Saul hatte eine ständige Armee 22), seine ständigen Versuche, David zu
von 3000 Mann aufgebaut. Jonatan ermorden (Kap. 18-26) und der Besuch
nahm seine Abteilung und griff erfolg- bei der Hexe von En-Dor (Kap. 28).
reich den Philister-Wachposten in Gi- 13,15-23 Saul nahm seine 600 Männer
bea nördlich von Jerusalem an. Dies und traf Jonatan in Gibea. Die Philister,
erzürnte die Philister so sehr, dass sie die nicht weit davon in ihrem Lager in
eine riesige Armee aufstellten, um Michmas waren, fingen an, Vernich-
einen totalen Vernichtungskrieg zu tungstrupps in den Norden, den Wes­
führen. (Einige Übersetzungen, die der ten und den Osten zu senden, und Is­
syrischen Version und einigen Manu- rael schien nicht in der Lage zu sein, sie
skripten der LXX folgen, lesen in Vers 5 aufzuhalten. Die Philister hatten für so
»3000 Streitwagen« statt 30.000, eine lange Zeit die Kontrolle gehabt, dass sie
wahrscheinlichere Anzahl, um die 6000 jeden Schmied aus Israel entfernt hat-
Reiter zu erklären.)12 ten. Die Hebräer mussten zu ihnen
13,6-9 Die Hebräer reagierten auf die kommen, um ihre Ackergeräte schärfen
Herausforderung mit großer Feigheit, zu lassen. Nur wenige Männer hatten
einige flohen sogar über den Jordan. Sie Schwerter. Die Lage sah wirklich
waren so lange unterjocht gewesen, schlimm aus.
dass ihnen eine Befreiung unmöglich
erschien. Die Philister hatten schließlich 2. Sauls vorschnelle Schwüre (Kap. 14)
jeden Vorteil. Als Saul in Gilgal auf Sa- 14,1-15 Jonatan sah, dass sein Vater
muel wartete (vgl. 10,8), fehlten bei je- nichts unternahm, und schlich sich mit
dem Appell mehr Männer. Der siebte seinem Waffenträger weg, um die Philis­
Tag begann, aber immer noch kam Sa- ter anzugreifen. Das war kein drauf-
muel nicht. Seine Streitkräfte wurden gängerischer Kraftakt und auch kein tö-

297
1. Samuel 14

richtes Selbstmordkommando. Jonatan hatten, fanden jetzt neuen Mut, in die


vertraute auf Gott, dass er einen großen Schlacht zu ziehen. Jeder will kämpfen,
Sieg geben würde. Es machte nichts wenn der Sieg schon fast sicher ist, aber
aus, dass sie nur zu zweit waren. Jona- wo sind die Jonatans, die den ersten
tans Bekenntnis lautete: »Für den Herrn Angriff wagen?
gibt es kein Hindernis, durch viele oder 14,24-30 Um einen baldigen Erfolg zu
durch wenige zu helfen« (V. 6). Jona- sichern, hatte Saul vorschnell seinen
tans Glaube sollte belohnt werden. Gott Soldaten unter Eid verboten, bis zum
zeigte ihm, dass er Erfolg haben würde, Abend, wenn die Schlacht geschlagen
wenn die Philister ihn zu sich rufen war, etwas zu essen. Er besiegelte sei-
würden, vielleicht in der Meinung, dass nen Befehl mit einem Fluch. Der Hun-
er ein Überläufer wäre. Als die Philister ger ließ die Männer müde werden und
ihn und seinen Waffenträger auffor- führte dazu, dass sie im Nachteil wa-
derten: »Kommt zu uns herauf!«, stieg ren. Jonatan, der nichts von seines Va-
Jonatan hinauf zu ihrem Posten und ters Befehl wusste, aß etwas Honig, um
hatte schnell 20 von ihnen getötet. Als neue Kraft zu bekommen. Als er über
die Überlebenden flüchteten, sandte den Fluch informiert wurde, trauerte er
Gott ein Erdbeben, das im Philisterla- darüber, dass Israels Sieg von solch ei-
ger für viel Verwirrung sorgte. Der nem törichten Befehl behindert wurde.
Glaube, den sowohl Jonatan (V. 6) als 14,31-42 Sauls Verbot verärgerte nicht
auch sein Waffenträger (V. 7) zeigten, nur Jonatan, sondern brachte das Volk
war alles, was Gott brauchte, um mit sogar in Gefahr. Als der Kampf vorüber
den Philistern fertig zu werden. Wie war, fiel das Volk über die Beute her, tö-
schade, dass Sauls Torheit die Früchte tete die Tiere und aß sie, ohne das Blut
des Sieges verringerte! vorher auslaufen zu lassen. Dabei ver-
14,16-23 Sauls Wächter bemerkten die letzten sie 3. Mose 17,10-14 und 5. Mose
Verwirrung und berichteten ihm da- 12,23-25. Als Saul davon hörte, tadelte
von. Als alle antreten sollten, fehlten er die Menschen und richtete einen gro-
Jonatan und sein Waffenträger. Sofort ßen Stein auf, zu dem die Tiere gebracht
befahl Saul, dass Ahija, der Priester, die und wo sie ordentlich geschlachtet wer-
Lade bringen sollte, damit er den Herrn den sollten. Er baute auch einen Altar,
befragen konnte. (Zürcher liest hier seinen ersten. In seinem Eifer wollte
Ephod statt Lade und folgt damit LXX.13 Saul die Philister noch in der Nacht ver-
Die Bundeslade war wohl noch immer folgen, und deshalb sprach er wieder
in Kirjat-Jearim.) Aber Saul änderte mit dem Priester, dass er Gott befragen
schnell seine Meinung, als der tumult­ sollte. Aber Gott antwortete ihm nicht.
artige Lärm unter den Feinden stärker Das führte Saul dazu, zu meinen, dass
wurde. Er befahl dem Priester, seine Sünde im Lager war. Wie es in solchen
Hand zurückzuziehen, d.h. nicht mehr Fällen immer geschah, wurde das Los
nach dem Willen des Herrn zu fragen gezogen, und zu Sauls Erstaunen wur-
(V. 19). Er sammelte seine Truppen, da- de Jonatan getroffen, d.h. durch das Los
von überzeugt, dass er keine göttliche wurde klar, dass Jonatan schuldig war.
Führung nötig hätte, um zu wissen, 14,43-46 Jonatan erklärte, was passiert
dass der Herr die Philister in seine war, und Saul befahl, um sein Gesicht
Hand gab. Andere hatten auch schon zu wahren, ihn zu töten. Aber das Volk
bemerkt, dass Gott für Israel kämpfte. hatte mehr Verstand als ihr König. Hat-
Diese Hebräer, die vorher zu den Philis­ te Jonatan nicht mit Gott diesen großen
tern übergelaufen waren, wandten sich Sieg errungen? Wie konnte Gott über
nun gegen ihre philistäischen Herren, ihn böse sein, weil er den Befehl Sauls
und sogar die Männer, die sich in den missachtet hatte, wo Gott ihn doch so
Bergen Ephraims versteckt gehalten wunderbar in der Schlacht gebraucht

298
1. Samuel 14 und 15

hatte? Nein, Jonatan sollte nicht ster- Beute. (Ein Überrest, der wahrschein-
ben. So wurde dem Helden ein unver- lich woanders wohnte, überlebte eben-
dienter Tod erspart. Aber während Saul falls – vgl. 30,1-6; 2Sam 8,12; 1Chr 4,43.)
sich mit solch unwichtigem Kleinkram Viele Kilometer davon entfernt infor-
beschäftigte, flohen die Philister. Zum mierte der Herr Samuel über Sauls Un-
zweiten Mal hatte sein Mangel an Weis- gehorsam. Dies beunruhigte Samuel
heit den Sieg verringert. sehr und trieb ihn dazu, die Nacht im
14,47-52 Verse 47 und 48 fassen einige Gebet zu verbringen. Am Morgen war
von Sauls militärischen Siegen zusam- ihm klar, was er zu tun hatte.
men. Die nächsten drei Verse enthalten 15,13-35 Auf dem Weg nach Gilgal
Einzelheiten über seine Familie. Der hielt Saul an und errichtete ein Denk-
letzte Vers ist eine Erfüllung von Sa­ mal, ein Siegeszeichen, um seinen Sieg
muels Voraussage, dass der König Is­ zu feiern. Aber Samuel sah die Dinge
raels tapfere Söhne zum Militärdienst anders und hielt Saul seinen Ungehor-
einziehen würde (1Sam 8,11). sam vor. Saul war nie um eine Ausrede
verlegen, aber der Lärm seines Ver­
3. Sauls unvollständiger Gehorsam (Kap. 15) sagens erreichte die Ohren des Prophe-
15,1-3 Saul rutschte immer weiter ab ten und ließ Sauls Ausreden zu nichts
und wurde dabei immer schneller, je zerrinnen. Verworfen! Saul hatte das
mehr er sich dem Tiefpunkt näherte. schon vorher gehört (13,14). Das Wort
Ganz gleich, welche Aufgabe ihm über- kam nun mit lähmender Macht über
tragen wurde, nie war er völlig gehor- ihn. Saul deutete ständig die Befehle des
sam. In diesem Kapitel wurde ihm von Herrn um und tat, was ihm am besten
Gott befohlen, die Amalekiter zu ver- schien, statt das zu tun, was Gott als das
nichten – das Volk, das die hebräischen Beste bezeichnet hatte. Er stellte sich
Nachzügler gnadenlos überfallen hatte, reuig und bat Samuel, ihn nicht aufzu-
als sie Ägypten verlassen hatten und geben. Er riss sogar einen Zipfel des
auf dem Weg nach Kanaan waren Oberkleids des Propheten ab, als dieser
(5. Mose 25,17-19). Der Befehl war ein- weggehen wollte. Auch das war ein Zei-
deutig: Alles, was atmete, sollte getötet chen dafür, dass das Königtum Israels
werden, es war dem Herrn geweiht. von Saul abgerissen werden würde, um
Gottes Geduld hatte das Volk Amalek einem anderen gegeben zu werden.
viele Jahre lang ertragen, aber sein Wort Nachdem Samuel zusammen mit
gegen sie hatte sich nicht geändert Saul den Herrn angebetet hatte, befahl
(2. Mose 17,14-16; 4. Mose 24,20). Sie er, dass Agag vor ihn gebracht wurde.
sollten als Strafe für ihre Sünden aus- Agag dachte, er würde vielleicht ver-
gerottet werden. schont werden, und kam widerstrebend
15,4-12 Saul rief seine Armee zusam- zu ihm und sagte: »Fürwahr, die Bitter-
men und marschierte nach Süden zur keit des Todes ist gewichen« (V. 32).
Stadt der Amalekiter. Ehe er angriff, Samuel hieb ihn mit dem Schwert in
warnte er die Keniter davor, damit sie Stücke. Der alternde Richter trug das
fliehen konnten, denn diese nomadi- Versagen Sauls für den Rest seines Le-
schen Midianiter hatten den Israeliten bens als Last. In gewisser Weise reute es
während des Auszugs Gnade erwiesen. sogar Gott, »dass er Saul zum König
Diese Handlung zeigte, dass Saul nicht über Israel gemacht hatte«.
einfach an einem Blutbad interessiert Wir sollten Vers 22 auswendig lernen.
war, sondern dass er die Rache des Er ist einer der klassischen Verse im
Herrn an einem verruchten Volk voll- Wort Gottes. Gehorsam zuerst, zuletzt
zog. Er besiegte die Amalekiter gründ- und immer. Es ist die Losung derer, die
lich und vollstreckte den Bann an allem dem Herrn dienen und ihm gefallen
außer am König und am Besten der wollen. Erdmann kommentiert:

299
1. Samuel 15 und 16

Mit den folgenden Worten: »Gehorchen sache, die noch viele Jahre lang nicht
ist besser als Schlachtopfer«, nimmt der bekannt gegeben wurde.
Gedankengang eine neue Richtung: Ab- 16,4-13 Als Samuel nach Bethlehem
gesehen von dem, was allein Gott gefällt, kam, zitterten die Ältesten (Schlachter
ist nur eine gehorsame Geisteshaltung 2000). Nachdem Samuel Isai und seine
etwas Gutes. Das Opfer an sich ohne die- Söhne zum Opferfest eingeladen hatte,
se Geisteshaltung ist nichts Gutes und besah er sich die Männer einen nach
hat keinen moralischen Wert. … Deshalb dem anderen, im Vertrauen darauf, dass
ist Ungehorsam und die daraus folgende einer der vor ihm Stehenden der näch-
Auflehnung und trotzige Unabhängig- ste König werden würde. Doch die
keit im Wesentlichen dasselbe wie die Wahl des Herrn fiel auf keinen von ih-
äußere Sünde der Zauberei, d.h. »Wahr- nen. Samuel hätte aus seiner Erfahrung
sagen im Dienst antigöttlicher, dämoni- mit Saul lernen müssen, dass das Ausse-
scher Mächte« (Keil), und des Götzen- hen eines Mannes nicht annähernd so
dienstes.14 wichtig ist wie das Innere (13,14). Gott
beurteilt nach dem Herzen (V. 7). Das
Die Verse 29 und 35 scheinen einander Prinzip aus V. 7 ist immer wahr ge­
zu widersprechen. Der erste sagt aus, wesen: Die Menschen beurteilen nach
dass Gott seine Meinung nicht ändert dem Aussehen, der Kleidung und äu-
und ihn nichts gereut, während der ßerlichen Dingen. Aber heute fördern
zweite aussagt, dass es ihn reute, dass er die Massenmedien diese falsche An-
Saul zum König gemacht hatte. Vers 29 sicht, indem sie blendend aussehende
beschreibt Gott in seinem wesentlichen Menschen für Werbung und Fernsehen
Charakter. Er ist unveränderlich und un- in solchem Übermaß abbilden, dass
veränderbar, er ist immer derselbe. Vers ganz normal aussehende Menschen an-
35 bedeutet, dass eine Veränderung in fangen, sich als unzureichend zu emp-
Sauls Verhalten eine entsprechende Ver- finden. David war auch gut aussehend
änderung der Pläne Gottes und seiner Ab­ (V. 12), doch er schien noch viel zu jung
sichten für ihn bedeutete. Um in seinen für so einen großen Dienst. Unglück­
eigenen Eigenschaften konsequent zu licherweise haben auch die Kirchen, ins-
bleiben, muss Gott Gehorsam segnen besondere im Fernsehen, statt geist-
und Ungehorsam bestrafen. licher Einstellung den oberflächlichen
Glanz betont – mit verheerenden Ergeb-
III. Davids Leben bis zum Tod nissen, wenn solche Fernsehstars fallen.
Sauls (Kap. 16-30) David musste zu dem Fest gebracht
werden. Er war in den Augen seines Va-
A. Salbung durch Samuel (16,1-13) ters Isai so unbedeutend, dass dieser
16,1-3 Während Samuel noch immer sich gewiss war, dass der Prophet sicher
über Saul trauerte, sagte ihm der Herr, nicht an David interessiert wäre. Aber
er solle offen der Tatsache ins Auge se- der Herr war an dem Hirtenknaben
hen, dass Saul verworfen war. Gott hat- sehr interessiert, und Samuel, der Got-
te einen anderen Mann erwählt, um tes Stimme gehorchte, salbte David.
über sein Volk zu herrschen. Samuel Von dem Punkt an kam der Geist des
sollte nach Bethlehem gehen und einen Herrn vollmächtig auf David und ver-
der Söhne Isais zum König salben. Ge- ließ Saul. Es sollten noch Jahre ver­
heimhaltung ist nicht dasselbe wie Be- gehen, ehe David die Krone Sauls tra-
trug. Gott sagte Samuel nicht, er solle gen sollte, aber von diesem Tag an war
bezüglich seines Vorhabens in Bethle- David das Königtum sicher.
hem lügen, denn er brachte dort wirk-
lich ein Opfer dar. Doch die Salbung B. Dienst bei Saul (16,14-23)
des neuen Königs war eine Geheim­ Etwa zu dieser Zeit wurde Saul von ei-

300
1. Samuel 16 und 17

ner Form von Geisteskrankheit befal- bau). Das gab ihm die vielfache Kraft
len, die durch einen bösen Geist verur- eines normalen Menschen.
sacht wurde. Der Ausdruck »ein böser 17,12-30 Einmal, als David seinen drei
Geist vom Herrn ängstigte ihn« wird ältesten Brüdern Proviant an die Front
durch die Tatsache erklärt, dass in der brachte, hörte er die Schmähungen des
Bibel von Gott oft gesagt wird, dass er Riesen und sah die Angst auf den Ge-
etwas tut, was er in Wirklichkeit nur zu­ sichtern der hebräischen Kämpfer. Er
lässt. Dr. Rendle Short analysiert die fragte, was mit dem Mann geschehen
Krankheit des Königs folgendermaßen: sollte, der diesen angeberischen Roh-
ling zum Schweigen brachte. Eliab, sein
König Saul würde heute als typischer ältester Bruder, tadelte ihn, wahrschein-
Vertreter eines manisch-depressiven Ir- lich, um seine eigene Feigheit zu über-
reseins diagnostiziert werden. Die Zeiten spielen. Aber David blieb dabei, nach
tiefer Schwermut mit gelegentlichen der Belohnung für den Mann zu fragen,
Ausbrüchen von lebensbedrohender Ge- der den Riesen tötete.
walttätigkeit ohne besondere Gründe, 17,31-40 Saul hörte schon bald, dass
die irrige Vorstellung, dass Menschen ein junger Mann gefunden worden
sich gegen ihn verschwören …, sind ein- war, der bereit war, für Israel zu kämp-
deutige Anzeichen dafür.15 fen, und man brachte David vor ihn.
Als Saul David sah, hatte er verständ­
Sauls Knechte schlugen vor, dass der liche Zweifel an den Fähigkeiten des
König jemanden finden sollte, der be- Jungen. Aber David kannte die Kraft
gabt wäre, für ihn beruhigende Musik Gottes, die durch ihn wirkte, wenn er
zu spielen. Vers 18 zeigt, dass sich Da- seine Herde gegen den Löwen und den
vid schon einen Namen gemacht hatte, Bären verteidigte. Er hatte Gott in der
ehe er Goliat gegenübertrat. Jetzt schien Stille erprobt, nun konnte er sich auch
seine Musik den König aus seiner De- in der Öffentlichkeit auf ihn verlassen.
pression zu holen. Saul mochte ihn so Saul gab ihm sogar seine eigene Rüs­
gern, dass er ihn zu seinem persön­ tung, aber David legte sie wieder ab,
lichen Waffenträger ernannte. weil sie ihm hinderlich war. Stattdessen
ging er bewaffnet mit fünf glatten Stei-
C. Sieg über Goliat (Kap. 17) nen, einer Schleuder, einem Stab und
17,1-11 Die Philister sammelten ihre der Kraft des lebendigen Gottes in den
Heere zum Kampf beim Terebinthental, Kampf!
südwestlich von Jerusalem, nicht weit 17,41-54 Als Goliat David sah, der zu
von Gat entfernt. Saul und seine Armee dieser Zeit etwa zwanzig Jahre alt ge-
sammelten sich in der Nähe, und das wesen war, war er darüber erbost, dass
Terebinthental lag zwischen ihnen. Ein Israel ihn beleidigte, indem das Volk je-
Vorkämpfer mit Namen Goliat kam manden gegen ihn in den Kampf schick-
vierzig Tage lang aus dem Philister­ te, der in seinen Augen nicht mehr als
lager und forderte die Schlachtreihen ein Kind war. Aber David zeigte keine
Israels auf, ihm einen würdigen Gegner Spur von Angst, als er auf die Flüche
zu schicken. Es gab keine Freiwilligen. des Riesen antwortete. Er glaubte voll
Dieser Riese war knapp drei Meter groß und ganz daran, dass Gott ihm den Sieg
und trug mindestens 80 Kilogramm schenken würde. Als Goliat sich ihm
Rüstung. Seine eiserne Speerspitze al- näherte, schleuderte er seinen ersten
lein wog über sieben Kilogramm. Die Stein und traf ihn auf die Stirn. Der Rie-
schweren Waffen waren für Goliat kein se fiel auf sein Gesicht zur Erde. Dann
Problem, weil er selbst zwischen 270 benutzte David das eigene Schwert des
und 340 kg gewogen haben muss (wahr- Philisters, um ihn zu töten und ihm den
scheinlich sogar mehr, je nach Körper- Kopf abzuschlagen. Als die Philister

301
1. Samuel 17 und 18

das sahen, flohen sie, und Israel lieferte wandt, und beide besaßen die seltene
ihnen eine heiße Verfolgungsjagd. Gabe echten Mutes. Jonatan war der
17,55-58 Diese Verse16 scheinen ein rechtmäßige Nachfolger auf dem Thron
Problem darzustellen: Es ist seltsam, seines Vaters, doch indem er David sein
dass Saul David nicht erkannte, wenn er Obergewand schenkte, zeigte er, dass
ihn schon zu seinem Waffenträger ge- er bereit war, auf sein Recht zu verzich-
macht hatte (16,21). Man sollte jedoch ten, um stattdessen David gekrönt zu
festhalten, dass hier nicht gesagt wird, sehen.
dass Saul nicht wusste, wer dieser junge 18,6-16 Als David eine Schlacht nach
Held war, sondern es heißt nur, dass er der anderen gewann, wurde Saul ex-
fragte: »Wessen Sohn ist der junge trem eifersüchtig. Als er hörte, dass die
Mann?« Es könnte durchaus sein, dass Lieder der Frauen David größere Hel-
Saul Davids familiären Hintergrund dentaten als ihm selbst zuschrieben,
vergessen hatte. Williams kommentiert: trieb ihn dies zur Weißglut. Gott be-
nutzt manchmal das Böse, um Böses zu
Saul, der der Familie des Siegers Steuer- bestrafen, deshalb erlaubte er es, dass
freiheit und die Hand seiner Tochter mit Saul von einem beunruhigenden Geist
einer entsprechenden Mitgift versprochen gequält wurde (V. 10). Zweimal ver-
hatte, bittet verständlicherweise Abner suchte der König persönlich, David zu
um Informationen über den Vater Davids töten, doch beide Male konnte David
und seine gesellschaftliche Stellung.17 ausweichen. Dann ernannte Saul ihn
zum Obersten über tausend Soldaten,
Das scheint durch die Tatsache bestä- wahrscheinlich in der Hoffnung, dass
tigt zu werden, dass David später seine David bei den Kämpfen gegen die Phi-
Unwürdigkeit betont, der Schwieger- lister getötet werden würde. (Es scheint,
sohn des Königs zu werden (18,18). Mi- als ob er vorher höhere Befehlsgewalt
chael Griffith findet eine gute Anwen- hatte.) Aber der Herr war mit David,
dung dafür: und seine Heldentaten zogen die Auf-
merksamkeit ganz Israels auf sich.
Sowohl Jonatan (Kap. 14) als auch David 18,17-30 Die Tochter des Königs war
fingen mit Kämpfen an kleinen Fronten an, dem versprochen, der den Riesen der
dort, wo sie sich gerade befanden, doch Philister umbrachte, deshalb wurde
ihre Taten führten zu großen Siegen. Ge- Merab, die ältere Tochter Sauls, David
nauso ist es für uns notwendig, den Kampf angeboten. Doch er musste erst noch
in einem örtlich begrenzten Bereich zu er- weitere Siege erringen. Saul hoffte, dass
öffnen. Wir können nicht hoffen, es mit der David dabei getötet werden würde. Als
gesamten Truppe des Feindes aufnehmen David seine soziale Unwürdigkeit be-
zu können, aber das müssen wir auch tonte, des Königs Schwiegersohn zu
nicht. Genau an deiner »Front« steht ein werden, wurde Merab einem anderen
Dienst für Jesus für dich bereit. Wir sind Mann gegeben, was vielleicht Sauls
aufgerufen, mutig zu sein und die Initiati- Versuch war, David zu demütigen.
ve dort zu ergreifen, wo wir sind. Gott Aber Sauls jüngere Tochter Michal lieb-
wird sich um den Rest kümmern, wenn als te David, und Saul stimmte zu, sie Da-
Folge unseres Handelns die Schlacht sich vid zu geben, vorausgesetzt, er würde
auf die gesamte Front ausbreitet.18 100 Vorhäute von Philistern als Heirats-
gabe bringen. Saul hoffte, dass David
D. Hochzeit mit Michal (Kap. 18) durch die Philister getötet werden wür-
de. Aber David ließ sich nicht so leicht
18,1-5 Eine tiefe und dauerhafte Freund- ausschalten. Er kam mit der doppelten
schaft entwickelte sich zwischen Jona- Menge der seltsamen Heiratsgabe zu-
tan und David. Sie waren seelenver- rück und gewann Michal als Braut. Als

302
?1.Genaue
SamuelLage ist18 und
unklar 19

ständige militärische Erfolge deutlich


machten, dass der Herr mit David war, MittelmeerSaul verfolgt David
wuchsen Sauls Hass auf David und sei-
ne Furcht vor ihm immer mehr.
Eben-Eser?
Afek Zuf? Silo AMMON
E. Flucht vor Saul (Kap. 19-26) EPHRAIM

A
Bethel

T Ä
Mizpa Gilgal
1. Jonatans Treue (Kap. 19-20) Rama BENJAMIN

I S
Kirjat-Jearim Geba
Jerusalem

I L
Aschdod
19,1-7 Als Jonatan erkannte, dass sein Ekron
Bethlehem

P H
Vater David umbringen wollte, riet er Gat JUDA
David, sich auf dem Feld zu verstecken,
während er versuchte, den König zu be- Gaza Totes
Meer
ruhigen. In seiner Fürsprache für David N
erinnerte Jonatan Saul an Davids Mut, MOAB
seine Treue und seinen Erfolg gegen die
Feinde Israels. Er hatte nichts getan,
was des Todes würdig wäre. Saul EDOM
0 30 Km.
wurde zeitweilig versöhnt, und David
wurde seine alte Stellung am Hof des
Königs wiedergegeben. 1. David flieht aus Gibea zu Samuel nach
19,8-10 Doch als der Krieg wieder Rama (1Sam 19,18)
ausbrach, tat sich David erneut hervor, 2. David zieht nach Nob (1Sam 21,1-9)
und Sauls Eifersucht wurde wieder an- 3. David geht nach Gat (1Sam 21,10)
4. David flieht vor den Philistern nach Adullam
gefacht. Der böse Geist kam wieder, (1Sam 22,1)
und Saul versuchte, David mit dem 5. David bringt seine Familie in Moab in
Speer an die Wand zu spießen. Das war Sicher­heit (1Sam 22,3)
das dritte Mal, dass Saul danebentraf. 6. David geht nach Moab (1Sam 22,4)
David kam knapp mit dem Leben da- 7. David zieht in den Wald Heret (1Sam 22,5)
von. 8. David und seine Männer greifen die Philis-
ter an und plündern Keila (1Sam 23,5)
19,11-17 In derselben Nacht sandte
9. David zieht sich in die Wüste Sif zurück
König Saul Boten, um David in seinem (1Sam 23,14)
Haus umzubringen. Michal wusste von 10. David zieht sich in die Wüste Maon zurück
dem Plan und half ihm bei der Flucht, (1Sam 23,24)
indem sie den Hausgötzen in sein Bett 11. Sauls Verfolgung treibt David nach En-
legte. (Das Götzenbild gehörte wahr- Gedi (1Sam 23,29)
scheinlich ihr, weil David niemals Göt- 12. David verschont Sauls Leben und kehrt
nach Moab zurück (1Sam 24,22)
zen anbetete.) Als Saul die Männer 13. David kehrt nach Maon und Karmel zu-
sandte, um David zu ergreifen, wurde rück und heiratet Abigajil (1Sam 25)
ihre List entdeckt. 14. David verschont zum zweiten Mal Sauls
19,18-23 Da war David aber schon ent- Leben und kehrt nach Gat zurück (1Sam
ronnen. Er floh nach Rama, um Samuel 26,1 - 27,2)
zu treffen. Männer Gottes gehen in 15. David erhält Ziklag von Achisch, dem Phi-
listerkönig von Gat (1Sam 27)
schwierigen Zeiten zu anderen Männern 16. David und seine Männer gehen nach Afek
Gottes. Dreimal gelang es den Boten und schließen sich den Truppen der Philister
Sauls nicht, David zu fangen, weil sie an (1Sam 29,1-3)
immer dann, wenn sie sich den Prophe- 17. Widerstand der philistäischen Heerführer
ten näherten, die zu Samuel gehörten, gegen David zwingt ihn, nach Ziklag zurück-
anfingen, selbst unter der Herrschaft des zukehren (1Sam 30)
18. Nach Sauls Tod kehrt David nach Hebron
Heiligen Geistes zu weissagen. Später,
zurück, wo er zum König gekrönt wird (2Sam
als Saul selbst David verfolgte, wurde 1-2).
auch er von der Kraft Gottes ergriffen.

303
1. Samuel 19 und 20

Diese göttliche Überwältigung war je- 20,10-17 Jonatan versprach, am drit-


doch nicht dasselbe wie eine Bekeh- ten Tag auf das Feld hinauszugehen
rung. und David wissen zu lassen, wie seine
19,24 Und wieder brachten die Men- Sache stand, indem er mit ihm ein Zei-
schen das Sprichwort über Saul bei den chen verabredete. Vielleicht ahnte Jona-
Propheten (10,11-12). Sein unvorher- tan schon, wie die Sache ausgehen wür-
sehbares Verhalten verunsicherte die de, und bat David deshalb, ihm und
Menschen. Das Wort »nackt« bedeutet seinem Haus die treue Liebe des Herrn
hier nicht völlige Nacktheit. Es bedeu- zu erweisen, wenn er an die Macht
tet nur, dass Saul seine Obergewänder käme. Es geht aus den Versen 14-17 her-
ablegte, die Zeichen seiner königlichen vor, dass Jonatan glaubte, dass David
Würde. Während Gott Saul den ganzen einst König werden würde, doch er ver-
Tag auf der Erde liegend hielt, entkam sicherte David seiner Liebe, auch wenn
David (20,1). er erkannte, dass das Anrecht auf den
Vers 24 widerspricht nicht 15,34-35, Thron, das er eigentlich hatte, auf Da-
wo es heißt: »Und Samuel sah Saul vid übergegangen war. Was für eine
nicht mehr bis zum Tag seines Todes.« selbstlose Hingabe!
Hier war es Saul, der zum Propheten kam, 20,18-23 Diese Verse berichten aus-
und zwar unbeabsichtigt und ganz un- führlich von dem Zeichen, durch das
erwartet. David über die Haltung des Königs zu
20,1-3 Nachdem David Najot verlas- ihm unterrichtet werden sollte. Jonatan
sen hatte, kam er zu Jonatan und ver- wollte auf das Feld kommen und Pfeile
suchte herauszufinden, warum Saul ihn auf einen Felsen schießen, wo sich Da-
mit aller Macht umbringen wollte. Of- vid verborgen hielt. Die Anweisungen,
fensichtlich wusste Jonatan nichts von die er seinem Jungen zurufen würde,
den fortgesetzten Mordversuchen seines würden David zu erkennen geben, dass
Vaters an David. David erklärte, dass er entweder fliehen musste, um sein Le-
der König Jonatan nicht in seine Pläne ben zu retten, oder aber sicher zum Kö-
einweihte, weil er von der Freundschaft nigshof zurückkehren konnte. Wir mö-
zwischen Jonatan und David wusste. gen uns fragen, warum Jonatan dieses
20,4-9 Sie vereinbarten eine Probe, die Schauspiel arrangierte, um David das
David deutlich machen sollte, ob er in Ergebnis mitzuteilen, wenn er kurz da-
Gefahr sei oder nicht. Statt zum monat- nach doch persönlich mit ihm sprach.
lichen Festessen am königlichen Tisch Zu dieser Zeit wusste er aber vielleicht
zu erscheinen, blieb David fern. Wenn noch nicht, ob es ihm gelingen würde,
Saul wegen seiner Abwesenheit nach- mit David zu sprechen, ohne dabei ge-
fragen würde, würde Jonatan erklären, sehen zu werden.
dass er zum Jahresopfer nach Bethle- 20,24-34 Am ersten Abend des Festes
hem gereist sei. (Dies kann durchaus sagte Saul nichts zu Davids Abwesen-
wahr gewesen sein, auch wenn diese heit; er dachte sich, dass David viel-
Reise nicht in der Schrift erwähnt wird. leicht zeremoniell unrein war. Aber am
Wenn es eine Lüge war, dann wird sie zweiten Tag fragte er Jonatan nach Da-
hier einfach als Tatsache berichtet, die vids Aufenthaltsort und fand heraus,
nicht unbedingt von Gott gebilligt wur- dass er nach Bethlehem gegangen war.
de.) Wenn Saul keine Einwände hatte, Da ergriff Saul ein Anfall von Zorn und
dann würde das David zeigen, dass er klagte Jonatan an, dass er der Freund
sicher war. Wenn der König jedoch zor- eines Mannes sei, der ihn und seine
nig werden würde, weil ihm David Mutter der Ehre berauben wolle. Seine
schon wieder durch die Finger ge- Sprache war grob und sein Verhalten
schlüpft war, dann würde Jonatan wis- noch schlimmer, als er versuchte, sei-
sen, dass David in großer Gefahr war. nen eigenen Sohn an die Wand zu spie-

304
1. Samuel 20 und 21

ßen. Er übertrug dabei seinen Hass auf einem besonderen Auftrag unterwegs
David zeitweilig auf Jonatan. seien. Shake­s­peare hatte recht: »Welch
20,35-42 Am Morgen des dritten Ta- ein verwirrtes Netz weben wir, wenn
ges gab Jonatan das entsprechende Zei- wir anfangen zu betrügen!« Die Schau-
chen, und die Befürchtungen Davids brote, die gerade aus der Stiftshütte ge-
bestätigten sich. Die Männer lagen ein- nommen worden waren, wurden David
ander in den Armen und weinten, weil mitgegeben.
sie nun getrennte Wege gehen mussten In Mt 12,3-4 billigte der Herr Jesus
und nicht mehr die Gemeinschaft des diesen gegen das Gesetz erfolgten Ge-
anderen genießen konnten. David lebte brauch der Schaubrote, wahrscheinlich
nun im Verborgenen; ein notwendiger weil in Israel Sünde war und David die
Teil des Planes Gottes, um ihn auf den Gerechtigkeit vertrat. Wenn David auf
Thron vorzubereiten. Jonatan ging zu- seinem rechtmäßigen Platz auf dem
rück zum Königshof und blieb seinem Thron gesessen hätte, wäre es für ihn
Vater treu, doch wusste er tief in seinem auch nicht nötig gewesen, um Brot zu
Inneren, dass er selbst nicht der nächste betteln. Das Gesetz, das den profanen
König Israels sein würde. Hätte er mit Gebrauch des Brotes verbat, war nicht
David gehen sollen? Handelte er rich- dazu bestimmt, ein Werk der Barmher-
tig, als er seinem Vater treu war, auch zigkeit wie dieses zu verhindern.
wenn der Herr das Königtum Sauls ab- 21,8-10 Doeg, ein Knecht Sauls, war
gelehnt hatte? zu dieser Zeit »eingeschlossen vor dem
Herrn« in Nob. Obwohl er ein Edomiter
2. Ahimelechs Freundlichkeit gegenüber war, hatte er sich zur hebräischen Reli-
David (Kap. 21) gion bekehrt und war wegen einem Ge-
Selbst große Männer stehen auf töner- lübde, Unreinheit oder irgendeiner an-
nen Füßen, und David ist da keine Aus- deren rituellen Auflage verhindert. Er
nahme. Dieses traurige Kapitel berich- wurde Zeuge der Zusammenarbeit
tet über seine Lügen beim Heiligtum, Ahimelechs mit David und berichtete
das jetzt in Nob war (V. 1-10) und über Saul davon. In der Zwischenzeit äußer-
seine vorgetäuschte Verrücktheit vor te David noch eine weitere Bitte, dies-
den Philistern (V. 11-16). mal um Waffen. Und wieder log er und
21,1-7 David war bei Samuel (Kap. 19) behauptete, auf einer dringenden Mis-
und Jonatan (Kap. 20) gewesen und kam sion des Königs zu sein. Goliats Schwert
nun auf seiner Flucht vor Saul zum Ho- wurde hervorgeholt, und David nahm
henpriester. Ahimelech hatte Angst vor es bereitwillig, indem er ausrief, dass es
David (vgl. Menge) und fragte sich, wa- seinesgleichen nicht gäbe. Er hatte auf
rum er allein unterwegs war. (Er hatte den Herrn vertraut, dass er den Riesen
einige wenige Begleiter dabei, aber die- umbringen könnte, nur um jetzt sein
se warteten woanders ‒ V. 3; Mt 12,3.) Vertrauen auf das Schwert seines er-
David log, als er sagte, er sei mit einem schlagenen Feindes zu setzen.
Geheimauftrag des Königs unterwegs. 21,10-16 Dann verließ David Israel
Dann bat David um etwas Brot. Aber es und floh in die Stadt Gat, die Heimat-
waren nur Schaubrote da, das »heilige stadt Goliats. Hier suchte er, der gesalb-
Brot«, das in der Stiftshütte im Gottes- te König Israels, Zuflucht bei den Fein-
dienst Verwendung fand. Der Priester den des Volkes Gottes. Als die Philister
bot sie David an, wenn seine Männer ihm gegenüber misstrauisch wurden,
nicht zeremoniell unrein waren, weil sie war er gezwungen, sich vor ihnen
in den letzten Tagen Sexualverkehr mit wahnsinnig zu stellen, um sein Leben
Frauen gehabt hatten. David sagte, dass zu retten. DeRothschild bemerkt, dass
seine Männer nicht nur rein, sondern David sehr gut wusste, »dass die Wahn-
»heilig« (ausgesondert) seien, weil sie in sinnigen als unantastbar galten, weil sie

305
1. Samuel 21 und 22

von der Gottheit geschlagen waren, lassen sollte. Deshalb ging er in den
aber auch unter ihrem Schutz stan- Wald Heret, der ebenfalls in Juda ge­
den«.19 Und so stand der Psalmist Is­ legen war.
raels in seinen Bart sabbernd da, als er 22,6-8 In Gibea im Land Benjamin er-
auf die Flügel des Tores kritzelte. We- eiferte sich Saul gegenüber den Benja-
gen der Gleichgültigkeit des Volkes minitern und seinen Knechten über Da-
Gottes und seines eigenen Mangels an vid. Er fragte sie, ob David sie so gut
Glauben war er gezwungen, sich so zu belohnen würde, wie er es getan hatte.
erniedrigen. David war schließlich nicht aus ihrem
Aber David lernte durch diese Prü- Stamm. Saul klagte sie an, ihm einen
fung wichtige Lektionen. Ehe Sie zum Anschlag auf sein Leben zu verheim­
nächsten Kapitel übergehen, sollten Sie lichen. Er war schon völlig von Wahn-
Psalm 34 lesen, der etwa zu dieser Zeit vorstellungen ergriffen und unverstän-
verfasst wurde. In diesem Psalm finden dig. Er meinte, dass alle gegen ihn
wir neue Einsichten in Davids Charak- seien, selbst sein eigener Sohn.
ter. Er besaß eine bemerkenswerte Fä- 22,9-15 Doeg, der Edomiter, wollte
higkeit, nach Irrwegen wieder zu Gott das Beste aus seiner Gelegenheit ma-
zurückzukehren, und dies ermöglichte chen, den König zu beeindrucken, und
es ihm, trotz seines Versagens in seiner berichtete Saul, wie Ahimelech, der
Gotteserkenntnis zu wachsen. Priester, David geholfen hatte, indem er
ihm Verpflegung gegeben und für ihn
3. Davids Flucht und Sauls Abschlachtung den Herrn befragt hatte. Der Priester
der Priester (Kap. 22) und seine Familie wurden sofort vor
22,1-2 Als David nach Israel zurück- den König zitiert und des Verrats be-
kehrte, fand er in der Höhle Adullam schuldigt. Als Antwort brachte Ahime-
im Gebiet Judas südwestlich von Beth- lech die Loyalität Davids gegenüber
lehem Unterschlupf. Dies wurde ein dem König vor ‒ sowie seine eigene Un-
Ort für alle Bedrängten, Schuldner und schuld, indem er einem Mann geholfen
Erbitterten. David ist hier ein Bild (Ty- hatte, von dem er annehmen musste,
pus) für Christus in seiner gegenwärti- dass er Saul treu ergeben war. Er wies
gen Ablehnung, der die Niedergeschla- darauf hin, dass dies nicht das erste Mal
genen zu sich ruft zur Errettung. In ei- gewesen sei, dass er den Herrn für Da-
ner kurzen Zeit hatte sich in Adullam vid befragt hatte. Zu Sauls Anklage,
eine kleine Armee von 400 Mann ver- dass David sich gegen ihn aufgelehnt
sammelt, später sollte sie noch auf 600 hatte und ihm auflauerte, sagte Ahime-
anwachsen. In der Welt waren diese lech, dass er davon nichts wusste.
Männer verachtete Randgestalten, aber 22,16-19 Sauls Handlungen beweisen,
unter David wurden sie zu Helden dass er zu diesem Zeitpunkt schon
(2Sam 23). ziemlich geistesgestört war. Als seine
22,3-5 Davids Eltern waren auch bei Leibwachen sich weigerten, die Priester
ihm. Weil er sich um ihr Wohlergehen des Herrn zu töten, fiel Doeg, ein heid-
sorgte, reiste er nach Moab, damit sie nischer »Hund« im wahrsten Sinne des
dort bleiben konnten, solange er sich Wortes, schnell über sie her. Es küm-
verstecken musste. Obwohl David ein merte ihn wenig, dass sie Priester wa-
Nachfahre von Rut, der Moabiterin war ren, und er erschlug 85 von ihnen. Als
(Rut 4,17), war es falsch, sein Vertrauen ob das nicht genug gewesen wäre, griff
auf die Feinde des Herrn zu setzen. (Die er auch Nob, Ahimelechs Stadt, an, und
Tradition überliefert, dass die Moabiter tötete alle Bewohner und alles Vieh.
später Davids Eltern töteten.) Gleich 22,20-23 Nur Abjatar überlebte. Er
nach der Rückkehr Davids sagte ihm floh zu David und berichtete ihm, was
der Prophet Gad, dass er Adullam ver- passiert war. Dann blieb er bei David

306
1. Samuel 22 bis 24

und diente als Hoherpriester, bis er von wurde, kennen auch den Segen, den es
Salomo fair aus seinem Amt entlassen der Seele bringt. Jonatans Liebe für Da-
wurde (1Kö 2,27). In gewisser Weise vid war selbstverleugnend. Er ver­
war der Tod der Priester ein Ergebnis sicherte David, dass Gott seinen Plan
der Lüge und der Machenschaften Da- trotz Saul verwirklichen werde. Ein
vids (V. 22). In einem anderen Sinn war Mann, der einen Freund wie Jonatan
das jedoch auch ein Gericht Gottes über hat, hat Glück. War­um er nicht bei Da-
das Haus Elis (2,31-36; 3,11-14). Aber vid blieb und immer zu seinem Vater
Saul selbst musste den größten Anteil zurückkehrte, ist ein Rätsel.20
an der Schuld für das Massaker tragen, 23,19-29 Die Sifiter verrieten David
denn er hatte es befohlen. ebenfalls, indem sie Saul informieren
Prophet (Gad), Priester (Abjatar) und ließen, wo David sich aufhielt. Sie ver-
König (David) im Exil zusammen sind sprachen, den Flüchtling in die Hand
ein Bild von Christus heute, wie er war- des Königs auszuliefern. Als David hör-
tet, bis alle seine Feinde zum Schemel te, dass Saul kam, flüchtete er in die
für seine Füße gemacht werden und Wüste Maon, und Saul war nur knapp
sein Thron auf der Erde aufgerichtet hinter ihm. Gerade als es so aussah,
wird. dass David gefangen werden würde,
griffen die Philister Israel an, und Saul
4. Keilas Verrat (Kap. 23) war gezwungen, seine Jagd aufzu­
23,1-5 David bekam die Nachricht, dass geben. Unbewusst dienten Israels
die Stadt Keila südlich von Adullam Feinde als Verbündete des abgelehnten
von den Philistern angegriffen wurde. Königs von Israel.
Vom Herrn geleitet, kämpfte er gegen
den Feind, rettete die Stadt und erbeu- 5. Saul wird verschont (Kap. 24)
tete eine Menge Vieh. 24,1-8 Der Sohn Isais reiste dann nach
23,6-12 Als Saul hörte, dass David in En-Gedi an der Westküste des Toten
Keila war, entschloss er sich, ihm dort Meeres. Nachdem die Philister geschla-
eine Falle zu stellen. Doch David erfuhr gen waren, kehrte Saul zurück, um Da-
von dem Plan und bat den Herrn um vid weiter zu jagen. Er folgte ihm bis zu
Hilfe für seinen nächsten Schritt. Wäre den Felsenklippen bei En-Gedi. Als er
er in Keila sicher? Würden die Einwoh- dort ankam, betrat der König eine der
ner ihn trotz des Gefallens, den er ihnen Höhlen, um eine Rast einzulegen. Die
getan hatte, verraten? Durch das Ephod, Höhle, die er wählte, war nicht leer.
das Abjatar mitgebracht hatte, und ins- Weiter hinten in der Höhle hielt der
besondere durch die Urim und Tum- Mann, den er rücksichtslos verfolgte,
mim offenbarte Gott, dass das undank- gerade seine Männer davon ab, den
bare Volk Saul wirklich David verraten Monarchen umzubringen! Sie meinten,
würde, wenn Saul käme. Gott habe Saul in ihre Hände gegeben.
23,13-18 David und seine Männer Aber David kannte kein Gebot Gottes,
flohen in die Wüste Sif, südöstlich von das besagte, dass man das Königreich
Hebron. Aber selbst dort wurden sie mit Gewalt an sich reißen dürfe. Er be-
unerbittlich verfolgt. Dort fand Jonatan gnügte sich damit, auf Gottes Zeit und
auch David und ermutigte ihn im Methoden zu warten. Sogar als er einen
Herrn. Wie nötig haben wir heute die- Zipfel vom Oberkleid des Königs ab-
sen Dienst! Die Gemeinde würde sehr schnitt, schlug ihm sein Gewissen. Er
davon profitieren, wenn es mehr Men- nahm die Tatsache nicht leicht, dass
schen gäbe, die andere ermutigen. Nur Saul als König über Israel gesalbt war.
diejenigen, die die Kraft eines stär- Gott musste diesen König beseitigen; es
kenden Wortes erfahren haben, das war Davids Pflicht, ihn zu respektieren,
ihnen zur rechten Zeit zugesprochen bis der Herr ihn beseitigte.

307
1. Samuel 24 und 25

24,8-15 Nachdem Saul die Höhle ver- die Erfüllung dieser Verheißung war.
lassen hatte, ging David aus der Höhle Der tiefe Respekt, den Samuel beim
und rief ihm hinterher. David verbeug- Volk genoss, zeigt sich durch die
te sich vor dem König und sagte ihm, Trauer, die das Volk ergriff, als er starb.
dass die verleumderischen Berichte, die Nach dem Tod des Propheten kehrte
er über ihn gehört hatte, nicht wahr David in die Wüste Paran zurück, in
seien. An diesem Tag hätte David ihm den Süden Judas, vielleicht, um etwas
sein Leben nehmen können, aber er tat mehr Entfernung zwischen sich und
es nicht, weil Saul der Gesalbte des Saul mit dessen mörderischen Plänen
Herrn war. Der Teil des Gewandes in zu bringen. Das Karmel, das in Vers 2
Davids Hand war ein Beweis für seine erwähnt wird, ist nicht der Berg Karmel,
Freundlichkeit. Ein Böser hätte sich der weiter nördlich liegt, sondern eine
vielleicht gerächt, aber David hatte Stadt bei Maon. Nabal schor seine Scha-
dieses Verlangen nicht. Er fragte Saul, fe dort, und David sandte nach der da-
warum er solch eine unbarmherzige maligen Sitte einige junge Männer zu
Verfolgungsjagd gegen jemanden führ­ ihm, um ihn um ein Geschenk als Aus-
te, der so harmlos und unbedeutend gleich für den Schutz zu bitten, den er
wie ein toter Hund oder ein Floh war. Nabals Herden gewährt hatte.
24,16-22 Zeitweilig von Davids Wor- 25,10-13 Aber Nabal antwortete Da-
ten zu Tränen gerührt, erkannte Saul vids Knechten in solch selbstsüchtiger
die Gerechtigkeit von Davids Verhalten und unhöflicher Weise, dass David er-
und seine eigene Bosheit an. Erstaun­ bost wurde und mit 400 Männern nach
licherweise gab er zu, dass David eines Karmel aufbrach, um Nabal und sein
Tages König in Israel sein würde, und Haus zu bestrafen.
ließ David einen ernsthaften Eid schwö- 25,14-22 Nabals schöne und kluge
ren, dass er Sauls Familie gütig behan- Frau Abigajil erfuhr von der Gefahr, in
deln würde. Dann zog Saul in Frieden die das falsche Verhalten ihres Mannes
ab. Aber die Ruhepause für David war sie gebracht hatte. Sie sammelte schnell
nur kurz. Saul vergaß sehr schnell seine einen großen Vorrat an Nahrung zu-
Freundlichkeit. sammen und ging hinaus, um David zu
In den Worten Davids an Saul rief er treffen. Als David sich Karmel näherte,
zweimal den Herrn an, als Richter zu überdachte er gerade das Gute, dass er
handeln. Es reichte ihm, seine Sache Nabal getan hatte, und die Verachtung,
den Händen Gottes zu überlassen, statt die Nabal ihm erwiesen hatte.
zu tun, was dem natürlichen Menschen 25,23-31 Als Abigajil auf David traf,
richtig erschien. Eine der Tatsachen, an warf sie sich ihm zu Füßen und brachte
die sich Petrus bei unserem Herrn er­ ein meisterhaftes und erfolgreiches Ge-
innerte, war, dass er »geschmäht, nicht such vor. Sie gab zuerst zu, dass Nabal
wieder schmähte, leidend, nicht drohte, seinem Namen gemäß gehandelt hatte
sondern sich dem übergab, der gerecht (Nabal bedeutet Narr oder Schurke).
richtet« (1Petr 2,23). Möge Gott es uns Wären Davids Männer eher gekommen,
ermöglichen, angesichts von Wider­ hätte sie nichts davon gewusst. Als sie
wärtigkeiten so vertrauensvoll ruhig zu um Vergebung bat, erinnerte sie David
bleiben! daran, dass der Herr ihn vom Blutver-
gießen abgehalten hatte und dass Gott
6. Nabals Torheit (Kap. 25) seine Feinde bestrafen würde – sogar
25,1-9 Der Tod Samuels ließ die Zeit der Nabal. Sie hatte echte geistliche Einsicht
Richter zu Ende gehen. Das Volk war darin, wer David war, nämlich der Ge-
nun zu einer Monarchie geworden. Da- salbte des Herrn, und lobte ihn ehrlich
vids Nachkommen sollten Israels Thron dafür, dass er die Kämpfe des Herrn
für immer einnehmen, wobei Christus führte. Wie viel besser würde es für ihn

308
1. Samuel 25 und 26

sein, wenn er König wäre und nicht auf 7. Saul zum zweiten Mal verschont (Kap. 26)
eine Zeit zurückblicken musste, in der 26,1-4 Wieder einmal verrieten die Sifi-
er seine eigene Hand ausstreckte und ter Saul, wo sich David aufhielt (vgl.
sich selbst rächte, statt seine Feinde der 23,29). Saul sammelte sofort eine Trup-
Rache des Herrn zu überlassen! pe, die fünfmal stärker war als Davids
25,32-35 David war von diesen vermit- kleine Schar, machte sich auf und zog
telnden Worten tief beeindruckt und in die Wüste Sif hinab. Uns wird nicht
dankte ihr dafür, ihn daran gehindert zu erklärt, was Saul diesmal wütend ge-
haben, Nabal zu vernichten. Der Herr macht hatte. Als die beiden Männer
weiß, wie er die richtigen Menschen in zuletzt voneinanderschieden, schienen
unser Leben führt, um uns zu führen sie gewissermaßen versöhnt zu sein
und zu warnen. Wir sollten dankbar (Kap. 24). Vielleicht hatten missgüns­
sein, dass er dies tut. Abigajils Rat war tige Män­ner den Hass Sauls von
wirkungsvoll, und ihre großzügige Gabe Neuem entfacht (vgl. V. 19).
wurde angenommen. David überließ 26,5-12 David erkundete Sauls Lager,
Nabal dem Herrn. Gott brauchte nicht und am Abend drangen er und sein
lange, um zu handeln. Einige mögen ar- Verwandter Abischai in das Lager ein
gumentieren, dass Abigajil gegen Gottes und kamen an die Stelle, wo Saul schlief.
Gebot verstoßen habe, indem sie ihren Ein unnatürlich tiefer Schlaf vom Herrn
Mann nicht vorher fragte und indem sie machte das möglich. Abischai wollte
sich Autorität über ihn anmaßte. Doch den König mit einem schnellen Streich
die Bibel erwähnt an keiner Stelle, dass erschlagen, aber David verbot ihm dies,
sie falsch gehandelt hatte. Im Gegenteil: weil Saul, obwohl er böse war, dennoch
Sie rettete Nabal und sein Haus durch der Gesalbte des Herrn war. Es war die
ihr Eingreifen in einem Notfall wahr- Verantwortung des Herrn, mit ihm ab-
scheinlich vor der Vernichtung. zurechnen. David nahm Sauls Speer
25,36-44 Als Abigajil nach Hause zu- und Wasserkrug und ging wieder.
rückkehrte, war Nabal über die Maßen 26,13-16 Als David sicher außerhalb
betrunken. Sie wartete bis zum nächs- des Lagers war, erhob er seine Stimme
ten Tag, um ihm zu erzählen, was ge- und verspottete Abner dafür, dass er
schehen war. Als er die Nachricht hörte, nicht genug auf seinen König auf­
befiel ihn wahrscheinlich eine Läh- gepasst habe. Auf solche Nachlässigkeit
mung, ein Schlaganfall oder ein Herz- stand der Tod. Der Krug und der Speer,
anfall. Zehn Tage später starb er und die David mitgenommen hatte, waren
musste allen Reichtum zurücklassen, Zeugen von Sauls zweiter Verschonung
den er so selbstsüchtig für sich gehortet vom Tod durch Davids Hand.
hatte. Nachdem David von Nabals Tod 26,17-20 David war immer noch er-
gehört hatte, sandte David Abigajil bald staunt darüber, dass der König Saul ihn
einen Heiratsantrag, den sie mit großer so unermüdlich verfolgte, wo er ihm
Demut annahm. David hatte auch noch doch schon bewiesen hatte, dass er ihm
eine weitere Frau bekommen, seitdem nichts Böses wollte. Wenn der Herr Saul
er sich verstecken musste, nämlich gegen David aufgebracht hatte, dann
Ahinoam. In der Zwischenzeit war sei- konnte David ihn besänftigen, indem er
ne erste Frau Michal einem anderen ein Opfer darbrachte. Aber wenn Men-
Mann gegeben worden. schensöhne die Feindschaft Sauls ver-
In dieser Geschichte sehen wir wieder ursacht hatten, dann sollten sie ver-
einmal, dass wer sich selbst erhöht, ge- flucht sein, weil sie David vom einzigen
demütigt wird (Nabal wurde von Gott Heiligtum fernhielten, wo er Gott an­
getötet), und wer sich selbst demütigt, beten konnte. Der Ausdruck »Geh hin,
erhöht werden wird (Abigajil wurde diene anderen Göttern« (V. 19b) war,
Frau des Königs) (Lk 14,11). was diese Männer, wenn nicht mit Wor-

309
1. Samuel 26 bis 28

ten, dann doch durch Taten sagten. Da- ger und Bündnispartner gegen Israel
vid bat darum, dass er nicht »fern vom sah. Das war nicht notwendigerweise
Angesicht des Herrn« sterben müsse, derselbe Achisch, dem David in 21,10
d.h. in der Fremde (V. 20). Saul jagte begegnet war, weil Achisch ein Königs-
einen »Floh, wie man einem Rebhuhn name bei den Philistern war.22 Als Saul
nachjagt auf den Bergen«. hörte, dass David aus dem Land geflo-
26,21-25 Saul bereute scheinbar, als er hen war, hörte er auf, ihm nachzujagen.
erkannte, dass David sein Leben zum 27,5-7 Das letzte Mal, als David in Gat
zweiten Mal verschont hatte. Er erkann- gewesen war (Kap. 21), waren die
te an, dass David gerechter war als er, Knechte Achischs ihm gegenüber miss-
denn er hatte ohne Grund David nach trauisch geworden und hatten versucht,
dem Leben getrachtet, während David ihn töten zu lassen. David hatte dies
sein Leben verschont hatte, obwohl er nicht vergessen. Er gab Unterwürfigkeit
den König zur Selbstverteidigung hätte vor und weigerte sich jetzt, in der
töten können. David richtete zum Hauptstadt zu wohnen, und bat um
Schluss noch eine Bitte an den Herrn, eine eigene Stadt. Ihm wurde Ziklag ge-
seine Gerechtigkeit zu beachten. Dann geben, eine Stadt nahe der Grenze zu
antwortete Saul David mit einem Segen Israel, die ursprünglich zu Juda gehört
und einer Prophezeiung der künftigen hatte (Jos 15,31).
Größe seines »Sohnes David«.21 David 27,8-12 Während seines sechzehn­
ging seines Weges, und Saul kehrte an monatigen Aufenthalts bei den Philis­
seinen Ort zurück. tern unternahm David Raubzüge gegen
die Geschuriter, die Girsiter und die
F. Leben bei den Philistern (Kap. 27-30) Amalekiter. Diese Völker waren heid-
nische Einwohner Kanaans, deren Ver-
1. Ziklag wird erobert (Kap. 27)
nichtung von Gott angeordnet worden
27,1-4 Der Druck, ständig auf der Flucht war (2. Mose 17,14; Jos 13,13; 1Sam 15,2-
von Ort zu Ort und immer mit dem Tod 3). Selbst im Exil schlug David die
bedroht zu sein, forderte schließlich Schlachten des Herrn. Dies ist ein echter
auch von David seinen Tribut. Trotz der Widerspruch: Er konnte dem Herrn
wunderbaren Unterstützung durch den vertrauen, ihm zum Sieg gegen die
Herrn wankte sein Glaube. Er verlor die Feinde Israels zu verhelfen und ihn da-
Tatsache aus dem Auge, dass er der ge- bei zu bewahren, aber er konnte nicht
salbte König Israels war. Würde Gott auf ihn als Schutz vor Saul vertrauen!
ihn zum König ernennen und dann ge-
statten, dass er ermordet wurde, ehe er 2. Sauls Untergang wird vorhergesagt
an die Regierung kam? Würde Gott ihn (Kap. 28)
aus der Hand Goliats erretten, nur um 28,1-2 Jetzt wurde es mit Davids Stel-
ihn in die Hand Sauls zu überliefern? lung extrem schwierig. Die Philister zo-
Nein, aber die Umstände haben manch- gen in den Krieg gegen Israel, und Da-
mal die Fähigkeit, unsere Sicht der Din- vid wurde vom König befohlen, mitzu-
ge zu verzerren. Die gegenwärtige Ge- machen. Zum Schein stimmte er dem
fahr verhüllt uns oft die Verheißungen zu, obwohl seine Worte in Vers 2 zweier­
Gottes. David floh wieder in das Land lei Bedeutung haben können – »Du
der Philister und suchte Achisch, den wirst erkennen, was dein Knecht tun
König von Gat, auf. Es war lange her, kann« – um dir zu helfen, oder »Du
seit er das letzte Mal hier gewesen war, wirst erkennen, was dein Knecht tun
und Achisch war sich sicherlich klar, kann« – um dich zu hintergehen!
dass er ein Flüchtling war. Dieser heid- Achisch suchte sich die erste Bedeutung
nische König hieß ihn herzlich willkom- aus und machte David zu einem Mit-
men, weil er in ihm einen tapferen Krie- glied seiner persönlichen Leibgarde.

310
1. Samuel 28 und 29

28,3-8 Die feindlichen Armeen sam- ihm genommen und David gegeben
melten sich im Nordwesten Israels in werden, wie ihm schon früher gesagt
der Ebene von Jesreel (dem Tal Harma- worden war. Die Philister würden Is­
gedon). Die Philister lagerten bei Schu- rael am nächsten Tag besiegen, und
nem und Israel in Gilboa. Als Saul keine Saul und seine Söhne würden mit
Antwort vom Herrn erhielt, weder Samuel im Tod vereint werden. Das be-
durch Träume noch durch die Urim, deutet nicht, dass sie dasselbe ewige
noch durch die Propheten, suchte er Schicksal teilten. Wenn wir sie nach ih-
eine Totenbeschwörerin auf. Vorher ren Früchten beurteilten, dann würde
hatte er veranlasst, dass alle Toten­ es so aussehen, dass Saul ein Un­
beschwörer in Israel nach dem Gesetz gläubiger, Jonatan dagegen ein Mann
getötet oder vertrieben wurden. Als des Glaubens war.
man jetzt eine Totenbeschwörerin in 28,20-25 Alle Sünden Sauls würden
der nahen Stadt En-Dor fand, machte ihn vor der nächsten Nacht einholen.
Saul sich unkenntlich und ging zu ihr, Mit Mühe konnte er dazu überredet
um durch sie Rat von den Toten zu er- werden, etwas zu essen, ehe er sich auf
langen. den Weg machte. Das gemästete Kalb
28,9-10 Die erste Sorge der Toten­ wurde geschlachtet, allerdings nicht,
beschwörerin war ihre eigene Sicher- um zu feiern. In bedrücktes Schweigen
heit. Sie erinnerte ihren Besucher an gehüllt, aß der verurteilte Mann sein
den Erlass des Königs gegen Toten­ letztes Gericht, ehe er in der Nacht ver-
beschwörer und Wahrsager. Wie ihr schwand.
Saul im Namen des Herrn Schutz ver­
sprechen konnte, der den Tod solcher 3. David wird von Achisch entlassen (Kap. 29)
Personen angeordnet hatte, oder wie 29,1-5 Als die Philister sich zur Schlacht
sich die Totenbeschwörerin durch sammelten, kamen David und seine
einen Schwur auf diesen Gott sicher Männer dazu und marschierten im letz-
fühlen konnte, ist ein Rätsel. ten Glied. Einige der Fürsten machten
28,11-14 Die Kommentatoren sind klugerweise Einwendungen gegen die
sich nicht einig, was wirklich als Nächs- Anwesenheit Davids. Sie erkannten,
tes geschah. Einige sind der Ansicht, dass er sich in der Schlacht gegen sie
dass ein böser Geist sich als Samuel ver­ wenden könnte. Wie konnte er sich bes-
stellte, während andere glauben, dass ser mit König Saul versöhnen, als da-
Gott die Séance unerwartet unterbrach, durch, dass er ihm eine Anzahl von Phi-
indem er erlaubte, dass der wirkliche Sa- listerhäuptern lieferte? War das nicht
muel erschien. Das Letztere ist aus fol- der David, der gefeiert wurde, weil er
genden Gründen vorzuziehen: Das Me- mehr Philister getötet hatte als Saul
dium war von der plötzlichen Erschei- selbst?
nung Samuels anstatt der ihr vertrauten 29,6-11 Ihre Argumente waren ver-
Geister erstaunt. Auch sagt der Text, nünftig, und deshalb verlangte Achisch,
»dass es Samuel war«. Und schließlich dass David nach Ziklag zurückkehrte.
sagte der Geist genau voraus, was am Davids Antwort scheint eines Mannes
nächsten Tag geschehen würde. Gottes unwürdig zu sein. Er protestier-
28,15-19 Saul sagte Samuel, warum er te, dass es ihm nicht gestattet wurde,
ihn aus dem Reich der Toten gerufen »gegen die Feinde meines Herrn, des
hatte. Samuels Tadel muss ihn tief ge- Königs« zu kämpfen – obwohl diese
troffen haben. Dachte er, dass Samuel Feinde doch sein eigenes Volk waren.
ihm helfen konnte, wenn der Gott, dem David hatte Achisch schon vorher be­
Samuel gedient hatte, schwieg? Statt- logen (Kap. 27), und dies war wahr-
dessen bestätigte Samuel Sauls tiefste scheinlich ein weiterer Versuch, die Phi-
Befürchtungen. Das Königtum sollte lister zu betrügen. Wenn er, was un-

311
1. Samuel 29 bis 31

wahrscheinlich ist, wirklich gegen Israel kenen Amalekiter erwarteten, war ein
kämpfen wollte, dann hatte Gott dies Überraschungsgast bei ihrer Sieges­
verhindert und ihn davor bewahrt, feier. David überfiel die Feiernden wie
Menschen aus seinem eigenen Volk zu ein Leopard und überwältigte die viel
töten und den Arm der Philister gegen größere Truppe. Nur vierhundert junge
Israel zu stärken. David durfte nicht das Männer entkamen dem Schwert, weil
Schwert Goliats gegen Israel erheben. sie auf Kamelen fliehen konnten. Die
hebräischen Gefangenen konnten un-
4. Sieg über die Amalekiter (Kap. 30) beschadet befreit werden, und man
30,1-6 Während David mit Achischs nahm eine sehr große Menge an Beute
Truppen nach Norden marschiert war, mit, und das alles in weniger als 24
hatten die Amalekiter Ziklag eingenom- Stunden. David wurden die Schafe und
men und die Frauen und Kinder gefan- Rinder, die man von den Amalekitern
gen weggeführt. Deshalb fand David, erobert hatte, als Anteil gegeben, aber
als er zurückkehrte, nur die glimmen- einige der Männer wollten den Rest der
den Überreste der Stadt vor. War dies Beute nicht mit ihren Kameraden teilen,
eventuell ein Gericht Gottes über ihn, die in Besor zurückgeblieben waren.
weil er sich mit den Philistern zusam- David machte es zu einer Ordnung,
mengetan hatte? Wenn das so war, dann dass die, die beim Tross blieben, einen
zeigte David große Einsicht in das We- gleichen Anteil mit denen erhielten,
sen Gottes, weil er zu ihm ging, um die in den Kampf zogen (vgl. 4. Mose
Trost zu suchen, als alle Menschen und 31,27).
alle Umstände gegen ihn standen. Er 30,26-31 David teilte seine Beute in
wusste, dass es niemanden gab außer Geschenke an verschiedene Freunde
dem Herrn, an den man sich um Stärke auf, die er in Juda zurückgelassen hatte.
in einer solchen Krise wenden kann, Diese Geschenke gingen an alle Orte,
von dem gesagt ist: »Er hat zerrissen, er wo er mit seinen Männern umhergezo-
wird uns auch heilen; er hat geschlagen, gen war. Sie waren ein Beweis dafür,
er wird uns auch verbinden« (Hos 6,1). dass Gott ihm trotz seiner Feinde Erfolg
30,7-15 Nachdem er den Herrn be- geschenkt hatte. Er versuchte vielleicht
fragt hatte, verfolgte David, des Sieges auch, seine Freundschaften zu festigen,
sicher, die Amalekiter. Zweihundert um Unterstützung in seiner Auseinan-
seiner Männer, ein Drittel, konnten dersetzung mit Saul zu gewinnen. Er
nicht weiter als bis zum Bach Besor rei- wusste nicht, dass Saul schon tot war.
sen, denn sie waren seelisch durch ih-
ren gerade erst erlebten Verlust und IV. Sauls Tod (Kap. 31)
körperlich durch ihren dreitägigen 31,1-6 Während David Erfolg in der
Marsch nach Ziklag erschöpft. David Schlacht hatte, erlitt Saul eine Nieder­
ließ sie dort zurück und zog mit den lage. Die Israeliten wurden zurück­
übrigen 400 Männern, die zwar müde gedrängt, und die drei Söhne des Königs
waren, aber doch die Verfolgung weiter wurden erschlagen. Saul selbst war von
fortsetzten, nach Süden. Nach einer den Bogenschützen schwer verwundet
kurzen Weile fanden sie einen kranken worden. Als er sterbend auf dem Gebir-
Ägypter auf dem Feld, der von seinem ge Gilboa lag, bat er seinen Waffenträger,
amalekitischen Herrn zurückgelassen ihn zu töten, damit ihn die Philister nicht
worden war, um zu sterben. Er erhielt lebendig fanden und ihn foltern konn-
Wasser und Nahrung und bekam ten. Aber der Mann fürchtete sich davor,
schnell wieder etwas Kraft. Als Dank den König zu erschlagen. Deshalb nahm
für die versprochene Sicherheit führte sich Saul selbst das Leben, indem er sich
er David zum Lager der Amalekiter. in sein Schwert stürzte. Gleich darauf tat
30,16-25 Das Letzte, was die betrun- sein Waffenträger dasselbe.

312
1. Samuel 31

31,7-13 Israel war nun völlig demora- in: Lange’s Commentary on the Holy
lisiert und zog sich vor der Invasions­ Scriptures, S. 1).
armee zurück. Als die Philister kamen, 2
(Einführung) Eugene H. Merrill,
um die Toten auszuplündern, fanden »1 Samuel«, in: The Bible Knowledge
sie Saul und seine drei Söhne unter den Commentary, S. 432.
Gefallenen. Sie hieben Sauls Kopf ab 3
(1,11-18) Bischof Hall, zitiert in:
und verbreiteten die Freudenbotschaft Spurgeon’s Devotional Bible, S. 222.
im ganzen Land. Sein Leichnam und 4
(1,19-28) Gesenius und andere he­
die Leichname seiner Söhne wurden bräische Gelehrte glauben, dass der
nach Bet-Schean gebracht und dort an Name »Samuel« Name (Schem) Gottes
die Stadtmauer genagelt. Als die Män- bedeutet.
ner aus Jabesch-Gilead davon hörten, 5
(3,1-3) George Williams, The Student’s
marschierten sie die 20 Kilometer, um Commentary on the Holy Scriptures,
die Leichen zu holen. Die Überreste er- S. 140.
hielten ein ordentliches Begräbnis unter 6
(6,19-21) Flavius Josephus, The Works
der Tamariske in Jabesch. Diese Men- of Flavius Josephus (Ant. vi 1:4),
schen hatten nicht vergessen, wie Saul S. 178.
sie in seiner ersten großen Schlacht als 7
(6,19-21) C.F. Keil und F. Delitzsch,
König (Kap. 11) von den Ammonitern »The Books of Samuel«, Biblical Com­
befreit hatte. Leichen wurden in Israel mentary on the Old Testament, Bd. VII,
normalerweise nicht verbrannt. Viel- S. 68.
leicht wurden sie hier verbrannt, weil 8
(10,7-9) Einige evangelikale Gelehrte
sie so schlimm verstümmelt worden glauben, dass Saul ein Gläubiger
waren. Auch nahm es den Philistern die war, jedoch einer, der schrecklich un-
Möglichkeit, die Leichen irgendwann treu wurde und dann in geistige
noch mehr zu schänden. Umnachtung fiel. Sie argumentieren,
Gottes Gericht über Saul war jetzt dass es unwahrscheinlich ist, dass
vollendet (vgl. die Anmerkungen zu Gott jemanden als ersten König sei-
1Chr 10). Viele Male hatte Saul versucht nes erwählten Volkes auswählen
zu arrangieren, dass die Philister David würde, der nicht wiedergeboren
umbrachten, aber er selbst war letztlich war.
derjenige, der durch ihre Hand fallen 9
(10,17-19) Matthew Henry, »I Samu-
musste. David empfing den Thron, wie el«, in: Matthew Henry’s Commentary
es von Gott bestimmt war. Saul empfing on the Whole Bible, Bd. II, S. 334-335.
nur die gerechte Vergeltung für seine 10
(12,1-13) Die Namen Bedan und Ba-
Taten, gemäß der Gerechtigkeit des rak sehen in den alten Texten sehr
Herrn, der David den Saul oft über­ ähnlich aus. Das hebräische »d« (da­
geben hatte. let) und das »r« (resch) werden beim
Abschreiben oft miteinander ver-
wechselt, ebenso wie die Endformen
Anmerkungen von »n« (nun) und »k« (kaph).
1
(Einführung) Der jüdische Gelehrte 11
(13,1) Ein großer Teil der alttesta-
Abarbanel erklärte die Tradition fol- mentlichen Handschriftenprobleme
gendermaßen: »Der ganze Inhalt bei- hat mit dem hebräischen Zahlen­
der Bücher kann in gewissem Sinne system zu tun, bei dem es leicht war,
auf Samuel zurückgeführt werden, Abschreibfehler zu machen. Vgl. den
sogar die Taten Sauls und Davids, Kommentar zu den Chronikbüchern,
denn beide waren sozusagen das um weitere Details zu diesem Thema
Werk seiner Hände, weil sie von Sa- zu finden.
muel gesalbt worden waren« (zitiert 12
(13,2-5) Vgl. vorherige Anmerkung.
von Erdman, »The Books of Samuel« 13
(14,16-23) Menge übersetzt die Les-

313
1. Samuel

art der LXX in einer Anmerkung zu 19


(21,10-16) DeRothschild, keine wei-
V. 18: »Bringe das priesterliche Schul- teren Angaben verfügbar.
terkleid mit ›Licht und Recht‹ her! 20
(23,13-18) Vielleicht empfand er
Denn Ahia trug damals das priester- Loyalität der Stellung seines Vaters
liche Schulterkleid vor den Israe- gegenüber, auch wenn er wusste,
liten.« dass er persönlich im Unrecht war.

14
(15,13-35) Christian F. Erdmann, 21
(26,21-25) Dies könnten auch bloße
»The Books of Samuel«, in: Lange’s Worte gewesen sein. Wenn Saul
Commentary on the Holy Scriptures, aller­dings ehrlich sprach, dann wä-
Critical, Doctrinal and Homiletical, ren sie ein Argument dafür, dass er
Bd. III, S. 209. trotz seiner Sünde und seinen Wahn-

15
(16,14-23) Arthur Rendle Short, The vorstellungen Glauben an Gott hatte.
Bible and Modern Medicine, S. 71. 22
(27,1-4) Keil und Delitzsch, die eine

16
(17,55-58) LXX lässt diese Verse aus. fünfzigjährige Herrschaft nicht für

17
(17,55-58) Williams, Student’s Com­ unmöglich erachten, glauben, dass
mentary, S. 152. derselbe Achisch in beiden Texten

18
(17,55-58) Michael Griffith, Take my und auch in 1. Könige 2,39 gemeint
Life, S. 128. ist (»Samuel«, Bd. VII, S. 255).

Bibliografie (1. und 2. Samuel) Jensen, Irving L.,


I & II Samuel,
Blaikie, William Garden, Chicago: Moody Press, 1968.
»The First Book of Samuel«, in: The
Expositor’s Bible, Keil, C.F. und Delitzsch, F.,
London: Hodder and Stoughton, 1909. »The Books of Samuel«, in: Biblical Com­
mentary on the Old Testament, Bd. 7.
Blaikie, William Garden, Grand Rapids: Wm. B. Eerdmans Pub­
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314
2. Samuel
»König David ist die Hauptperson dieses Buches. Solange er im Licht wandelt, ist er ein
großartiges Vorbild des Messias-Königs. Der erste Teil des Buches verzeichnet die Siege,
die sein Leben des Glaubens und der Auseinandersetzung kennzeichneten. Der zweite Teil
berichtet von den Niederlagen, die er erlitt, als der Wohlstand ihn vom Weg des Glaubens
abbrachte und er dem Eigenwillen die Tür geöffnet hatte.«

George Williams

Einführung B. Schuldbekenntnis vor dem


Herrn (Kap. 12)
Vgl. Einführung zu 1. Samuel. III. Davids Nöte (Kap. 13-20)
A. Die Vergewaltigung Tamars
Einteilung durch Amnon (13,1-19)
I. Davids Aufstieg zur Macht B. Absaloms Rache an Amnon
(Kap. 1-10) und Absaloms Flucht (13,20-39)
A. Trauer über Saul und Jonatan C. Absaloms Rückkehr nach
(Kap. 1) Jerusalem (Kap. 14)
B. Krönung zum König über Juda D. Absaloms Aufstand und
(2,1-7) Davids Flucht (15,1-18)
C. Konflikt mit dem Haus Sauls E. Davids Freunde und Feinde
(2,8 - 4,12) (15,19 - 16,14)
D. Krönung zum König über ganz F. Absaloms Ratgeber (16,15 - 17,23)
Israel (Kap. 5) G. Absaloms Tod und Davids
E. Die Bundeslade wird nach Klage (17,24 - 19,9)
Jerusalem gebracht (Kap. 6) H. Davids Rückkehr aus dem Exil
F. Der Bund des Herrn mit David (19,10-44)
(Kap. 7) I. Schebas Rebellion und Tod
G. Niederlage der Feinde Israels (Kap. 20)
(Kap. 8) IV. Anhang (Kap. 21-24)
H. Barmherzigkeit gegenüber A. Die Hungersnot und ihre
Mefi-Boschet (Kap. 9) Beendigung (Kap. 21)
I. Weitere Eroberungen (Kap. 10) B. Davids Dankpsalm (Kap. 22)
II. Davids Fall (Kap. 11-12) C. Davids Helden (Kap. 23)
A. Verbrechen gegen Batseba und D. Davids Volkszählung und ihre
Uria (Kap. 11) Folgen (Kap. 24)

Kommentar ben ließen. Stattdessen war er damit be-


schäftigt, die Amalekiter zu bekämp-
I. Davids Aufstieg zur Macht fen, die Ziklag überfallen hatten (1Sam
(Kap. 1-10) 30). Nachdem er nach Ziklag zurückge-
kehrt war, erreichte ihn ein Bote aus
A. Trauer über Saul und Jonatan (Kap. 1) dem Norden mit der Nachricht vom
Tod Sauls. Der Bote trug zerrissene
1,1-16 1. Samuel 29 berichtet davon, wie Kleider und hatte Erde auf seinem Kopf
der Herr David aus der Schlacht her- – Symbole der Trauer. Er berichtete, wie
aushielt, in der Saul und Jonatan ihr Le- er Saul gefunden hatte, der sich ver-

315
2. Samuel 1 und 2

wundet an seinem Speer festhielt, als oder auch »Buch des Rechtschaffenen«
sich die Truppen des Feindes näherten. war wahrscheinlich eine Sammlung
Er sagte, dass Saul ihn, einen Amaleki- von Gedichten über große Männer des
ter, gebeten habe, ihm den Todesstoß Volkes Israel (vgl. Jos 10,13). Soweit be-
zu geben, und dass er der Bitte des Kö- kannt ist, existiert es heute nicht mehr
nigs entsprochen habe. Dieser Bericht und ist sicherlich nicht Teil der inspi-
vom Tod Sauls steht eindeutig in Kon­ rierten Schrift.
flikt mit dem in 1. Samuel 31, wo be- 1,19-27 Davids bewegende Ode be-
richtet wird, dass Saul Selbstmord be- trauert den Tod Sauls und Jonatans, der
gangen habe. Die vernünftigste Erklä- Zierde Israels. In majestätischer Poesie
rung lautet, dass der Amalekiter log. Er warnt sie davor, die Städte der Philister
meinte, dass David wohl erfreut wäre, von dem Tod des Königs und seiner
den Mann zu treffen, der Saul erschla- Söhne erfahren zu lassen, damit sie sich
gen hat, und ihn großzügig dafür be- nicht freuen. Die Berge von Gilboa, wo
lohnen würde. Stattdessen trauerte Da- Saul starb, werden aufgerufen, Dürre
vid den ganzen Tag tief, und am Abend und Trockenheit zu leiden. Dort wurde
befahl er die Hinrichtung des Amaleki- der Schild Sauls hingeworfen, ohne mit
ters, weil dieser den Gesalbten des Öl gesalbt zu werden (V. 21), d.h. er
Herrn erschlagen hatte. wurde weggeworfen und nicht mehr
Die Amalekiter waren hartnäckige für die Schlacht gefettet. Dem Mut von
Gegner Israels (2. Mose 17). Einer der Saul und Jonatan wird Tribut gezollt
Gründe dafür, dass Saul das Reich ver- (V. 22), ebenso ihren persönlichen Tu-
lor, war sein Versagen, das Gericht des genden. Sie waren im Tod zusammen,
Zornes Gottes an ihnen vollständig zu so wie im Leben (V. 23), doch darf man
vollstrecken (1Sam 15). Einige Amaleki- diesen Vers nicht gewaltsam so deuten,
ter waren gerade erst von David und dass er auch für ihr ewiges Schicksal
seinen Männern wegen der Plünderung gilt. Diejenigen, die von der Regierung
Ziklags getötet worden. Deshalb ist es Sauls profitierten, werden aufgefordert
kein Wunder, dass dieser Amalekiter, zu weinen (V. 24). Das Gedicht schließt
als er im Lager ankam und verkündete, mit einer liebevollen Lobrede auf Jona-
er habe Saul getötet, statt einer Beloh- tan, Davids engsten Freund. Der Re-
nung das Schwert als Antwort bekam. frain »Wie sind die Helden gefallen« ist
1,17-18 Es war sicherlich ein Zeichen als Redewendung in die englische Spra-
der Größe Davids, dass er bitterlich che eingegangen (»How the mighty
über den Tod Sauls weinte, statt sich have fallen«).
darüber zu freuen.
O. von Gerlach sieht hier eine Paralle- B. Krönung zum König über Juda
le zwischen David und Christus: (2,1-7)
Da Saul nun tot war und Israel keinen
Die einzige echte tiefe Trauer über Saul König mehr hatte, bat David um Lei-
(außer der Trauer der Jabeschiter – 1Sam tung durch den Herrn und wurde an-
31,11-13) kam ausgerechnet von dem gewiesen, nach Hebron zu gehen, einer
Mann, den er so viele Jahre gehasst und der Städte Judas. Dort salbten ihn die
bis zu seinem Tod verfolgt hatte, genau- Männer von Juda zum König. Als sie
so, wie Davids Nachfolger über den Fall ihn darüber informierten, wie die Män-
Jerusalems weinte, selbst als es dabei ner von Jabesch-Gilead freundlicher-
war, ihn zu vernichten.1 weise Saul beerdigt hatten, schickte Da-
vid sofort eine Botschaft des Dankes zu
David komponierte auch ein bewegen- ihnen und lud sie indirekt ein, ihn als
des Trauerlied mit dem Titel »Das Lied ihren König anzuerkennen, wie es die
von dem Bogen«. Das »Buch Jaschar« Männer von Juda schon getan hatten.

316
2. Samuel 2 und 3

C. Konflikt mit dem Haus Sauls (2,8 - 4,12) entschieden war, brach zwischen den
übrigen Männern ein heftiger Kampf
2,8-11 Aber nicht alle Stämme Israels aus. Das Ergebnis war, dass Abners
wollten David als ihren Monarchen an- Männer geschlagen wurden und über-
erkennen. Abner, der Heeroberste des stürzt flohen.
verstorbenen Saul und gleichzeitig sein 2,18-23 Einer von Joabs Brüdern, der
Onkel, nahm Sauls einzigen überleben- leichtfüßige Asael, verfolgte Abner und
den Sohn, Isch-Boschet, und erklärte ihn wollte ihn töten. Zuerst versuchte Ab-
zum König. Sieben Jahre und sechs Mo- ner, Asael zu überreden, sich damit zu-
nate regierte David nur über den Stamm friedenzugeben, einen der jungen Män-
Juda, mit Hebron als Hauptstadt. Doch ner zu fangen. Es scheint, als ob Abner
nur zwei von diesen Jahren regierte Isch- wusste, dass er Asael leicht töten konn-
Boschet über die anderen elf Stämme. Es te, doch er wollte dies nicht tun, um
kann sein, dass es Abner fünf Jahre kos- Joab nicht weiter gegen sich aufzubrin-
tete, die Philister wieder aus Israel zu gen. Als aber Asael nicht auf Abners
vertreiben und Isch-Boschet auf den zweite Bitte hören wollte, ihn nicht wei-
Thron seines Vaters zu setzen. ter zu verfolgen, drehte sich Abner in
Seinen Anspruch auf den Thron hat Selbstverteidigung um und tötete ihn
David nie selbst durchgesetzt. Auch mit dem stumpfen Ende seines Speeres.
jetzt tat er es nicht. Stattdessen ent- 2,24-32 Joab und sein anderer Bruder
schied er sich, die Sache in den Händen Abischai setzten die Verfolgungsjagd
des Herrn zu belassen. Wenn der HERR fort bis zum Hügel Amma. Dort bat Ab-
ihn zum König gesalbt hatte, dann wür- ner Joab, doch mit diesem unsinnigen
de der Herr auch seine Feinde unter- Bürgerkrieg aufzuhören. Joabs erste
drücken und ihn in Besitz seines Rei- Antwort kann auf zweierlei Weise ver-
ches bringen. Der Herr Jesus wartet standen werden. Erstens könnte sie
gleichermaßen auf die Zeit des Vaters, bedeuten, dass die jungen Männer in
damit er über den ganzen Globus regie- Frieden heimgekehrt wären, wenn Ab-
ren kann. Seine Herrschaft wird heute ner nicht die erste Herausforderung
nur von einer Minderheit der Men- aus­gesprochen hätte (in V. 14). Oder sie
schen anerkannt, aber es ist ein Tag fest­ könnte bedeuten, dass »die Leute ins-
gesetzt, an dem sich jedes Knie beugen gesamt erst morgen früh von der Ver-
und jede Zunge bekennen wird, dass folgung ihrer Brüder abgelassen hät-
Jesus Christus Herr ist (Phil 2,10-11). ten« (V. 27; Menge), wenn Abner nicht
2,12-17 Eines Tages traf Abner, der zum Waffenstillstand aufgerufen hätte.
Sohn des Ner, der Hauptmann der Ar- Jedenfalls stimmte Joab zu, den Kampf
mee Israels (der elf Stämme), auf Joab, zu beenden. Abner und seine Männer
den Sohn der Zeruja, den Militarführer zogen hinüber nach Mahanajim östlich
Davids, in Gibeon. Sie saßen auf gegen- des Jordans, wo Isch-Boschet seine
überliegenden Seiten des Teiches und Hauptstadt hatte. Er hatte 360 Männer
beschlossen, einige ihrer jungen Män- verloren. Joab und seine Soldaten kehr-
ner in einem Wettbewerb entscheiden ten nach Hebron zurück. Ihnen fehlten
zu lassen, wer militärisch überlegen nur 19 Männer.
war. Als Abner vorschlug, dass die jun- 3,1-5 Während Davids siebeneinhalb
gen Männer sich aufmachen und ein Jahren in Hebron wurde sein Reich im-
Kampfspiel halten sollten, erwartete er mer stärker, während Sauls Haus, das
nicht, dass sie bloß spielen würden. Es von Isch-Boschet regiert wurde, immer
war ein militärischer Kampf. Die zwölf schwächer wurde. Davids Familie wur-
Benjaminiter fochten gegen die zwölf de auch größer. Als er nach Hebron
Männer aus Juda, und sie brachten sich kam, hatte er erst zwei Frauen, nämlich
gegenseitig um. Weil das Ergebnis un- Ahinoam und Abigajil. Entgegen Gottes

317
2. Samuel 3

Willen heiratete er noch vier weitere, Israel zu einer großen Demonstration


nämlich Maacha, Haggit, Abital und der Loyalität gegenüber David zu ver-
Egla. Von diesen sechs Frauen hatte er sammeln.
sechs Söhne, von denen drei ihm Kum- 3,22-30 Während Abner David ver-
mer bereiten sollten, nämlich Amnon, ließ, um seinen Plan auszuführen, kehr-
Absalom und Adonija. (Er bekam spä- te Joab zum königlichen Haus zurück
ter noch weitere Söhne.) und erfuhr die Geschehnisse des Tages.
3,6-11 Während Abner angeblich Isch- Nachdem er den König zurechtgewie-
Boschet diente, stärkte er in Wirklich- sen hatte, dass er törichterweise einen
keit seine eigene politische Position, Spion empfangen hatte, sandte er ins-
weil er sah, dass David immer mächti- geheim Soldaten aus, um Abner zu-
ger wurde. Isch-Boschet klagte Abner rückzubringen. Sobald Abner nach He-
an, weil er eine Beziehung zu Rizpa, bron zurückkam, gab Joab vor, dass er
einer Nebenfrau Sauls hatte. Isch- eine private Unterredung mit ihm am
Boschet interpretierte dies als An­ Tor haben wollte, doch eigentlich woll-
zeichen dafür, dass Abner die Kontrolle te er Abner aus Rache töten. Das tat er,
über die elf Stämme ausüben wollte. indem er ihn in den Bauch stach. Er
Ob Abner wirklich schuldig war, wis- rächte so den Tod seines Bruders Asael
sen wir nicht. Er stritt es vehement und und beseitigte einen möglichen Rivalen
respektlos ab und gab bekannt, dass er für das Amt des Heerführers. Es küm-
seine Loyalität und die der Stämme merte Joab nicht, dass Hebron eine Zu-
Israels David zuwenden würde. Isch- fluchtsstadt war, wo Abner mindestens
Boschet hatte nicht die Macht, ihm zu ein Prozess zustand (4. Mose 35,22-25).
widerstehen. »Bin ich ein Hundskopf, Der Ausdruck »der, der nach der Krü-
der zu Juda hält« (V. 8) bedeutet: »Bin cke fasst« (V. 29) bezeichnet wahr-
ich ein wertloser, verachtungswürdiger scheinlich einen Krüppel. Nach dem
Verräter, der in der Vergangenheit Juda Masoretischen Text muss man überset-
gegen­über loyal gewesen ist?« zen »der nach der Spindel fasst« (d.h.
3,12-16 Abner sandte nun Boten zu ein verweiblichter Mann). Es kann auch
David und bot ihm an, ganz Israel ihm »der nach der Spindel greifen muss«
zuzuführen. Ehe David dem Vorschlag (Schlachter 2000) übersetzt werden, was
Abners zustimmte, wollte er erst errei- bedeutet, dass der Betroffene zum Krieg
chen, dass ihm Michal, Sauls Tochter, oder zur harten Arbeit ungeeignet ist.
wiedergegeben würde, in der Hoffnung 3,31-39 David rief eine große Trauer-
darauf, seinen Anspruch auf Sauls zeit um Abner aus, ergriff aber gegen
Reich zu stärken. Isch-Boschet stimmte Joab keine Maßnahmen wegen seines
demütig zu, und Michal wurde David Mordes. Es bereitete dem König Kum-
gebracht – zum großen Kummer ihres mer, dass Abner so ruhmlos gestorben
Mannes Paltiel. Davids Privatleben ge- war, weil sein Mut und seine Kraft einen
riet dadurch immer mehr durcheinan- ehrenvolleren Tod verdient hätten. Der
der, und ein weiteres finsteres Kapitel Gedanke von Vers 33 könnte sein: »Starb
seiner Biografie wurde geschrieben. Abner wie ein unerfahrener Tor, der
3,17-21 Abner ging dann zum Stamm nicht wusste, wie er sich selbst verteidi-
Benjamin und zu den anderen Stäm- gen sollte?«, und die Antwort auf diese
men, die Isch-Boschet nachgefolgt wa- rhetorische Frage lautet: »Nein, er starb
ren, und sagte ihnen, dass David Gottes als Opfer eines bösen, hinterhältigen
verheißenes Werkzeug war, um sie von Plans.«2 Das Volk wusste durch die
der Unterdrückung der Philister zu be- Trauer des Königs, dass Joab unabhän-
freien. Weil ihre Antwort offensichtlich gig von ihm gehandelt hatte. Ja, der Kö-
positiv ausfiel, besuchte er David und nig erklärte sogar öffentlich sein Miss­
gab seiner Bereitschaft Ausdruck, ganz fallen an der Grausamkeit der Söhne der

318
2. Samuel 3 bis 5

Zeruja (Joab und Abischai) und bat den Stämme Israels nun mit Juda, indem sie
Herrn, sie zu bestrafen. In Kapitel 3 ha- David als rechtmäßigen König aner-
ben wir gesehen, wie Gott die Sünde und kannten. Diejenigen, die kamen, sind in
die Intrigen von Menschen benutzt, um 1Chr 12,23-40 aufgezählt. So begann die
David das vereinigte Königreich zu ge- Regierung über ein vereinigtes Volk,
ben. Er macht, dass selbst der Grimm des die 33 Jahre dauern sollte. Insgesamt
Menschen ihn preisen wird (Ps 76,11). dauerte Davids Regierung 40 Jahre.
4,1-7 Abners Tod schwächte das Reich Vers 3 berichtet von Davids dritter
von Isch-Boschet noch mehr. Sobald die Salbung. Zuerst wurde er vom Prophe-
Armee ihren mächtigen Führer verlor, ten Samuel gesalbt (1Sam 16,13). Dann
erhoben sich zwei Rebellen, Baana und wurde er als König über das Haus Juda
Rechab, und ermordeten den König. Es in Hebron gesalbt (2,4). Nun wurde er
gelang ihnen, indem sie das Haus be- endlich zum rechtmäßigen König der
traten, in dem Isch-Boschet sich zur gesamten Nation gesalbt.
Mittagsruhe hingelegt hatte. Sie gaben 5,6-10 Einer der ersten militärischen
vor, dass sie gekommen waren, um Feldzüge Davids bestand darin, die
Weizen zu holen. LXX liest an dieser Festung auf dem Berg Zion von den Je-
Stelle (vgl. ER, Anmerkung zu V. 6): busitern einzunehmen. Diese heidni-
»Und siehe, die Pförtnerin des Hauses schen Krieger hielten ihre Stadt für so
hatte Weizen gereinigt, war dabei ein- uneinnehmbar, dass sie von Blinden
genickt und schlief. So konnten sich die und Lahmen verteidigt werden konnte.
Brüder Rechab und Baana einschlei- David entdeckte den Schwachpunkt in
chen. Und sie kamen ins Haus.« Damit der Wasserversorgung der Stadt. Er be-
blieb nur ein männlicher Erbe des fahl seinen Männern, durch einen un-
Thrones Sauls übrig, ein verkrüppelter terirdischen Wasserschacht zu klettern,
Knabe mit dem Namen Mefi-Boschet. den die Jebusiter benutzten, um Wasser
4,8-12 Rechab und Baana brachten von einer Quelle unterhalb der Stadt in
Isch-Boschets Kopf zu David in der sie hinein zu bringen. Die Strategie war
Hoffnung, seine Gunst zu bekommen. erfolgreich, und aus Jebus wurde Jeru-
Diese gottlosen Männer versuchten zu salem, das auch »Stadt Davids« heißt,
erklären, dass der Herr Ursache ihrer die Hauptstadt des Volkes Israel. Der
Handlung gewesen war. Aber David letzte Teil von Vers 8 schaut zurück auf
wusste es besser! Gott würde Menschen die Verspottung durch die Jebusiter in
nie dazu bringen, sein Gesetz zu bre- Vers 6, die später zum Sprichwort wur-
chen, um seinen König an die Macht zu de: »Ein Blinder und ein Lahmer dürfen
bringen. Gott war problemlos in der nicht ins Haus kommen.« Der »Millo«
Lage, seine Verheißungen an David zu war ein Teil der Verteidigungsanlagen
erfüllen, ohne Mörder anzuheuern. Da- der antiken Stadt. (Der Parallelbericht
vid sagte ihnen, dass sie schuldiger wa- in 1Chr 11 enthüllt, dass Joab den er-
ren als derjenige, der behauptet hatte, folgreichen Angriff auf die Stadt an-
Saul ermordet zu haben, und befahl, führte und sich so seinen Platz als Mili-
dass sie sofort erschlagen werden soll- tärführer Davids sicherte.)
ten. Ihre Leichen wurden öffentlich der 5,11-16 Hiram, der heidnische König
Schande preisgegeben, während das von Tyrus, sandte Material und Arbei-
Haupt Isch-Boschets ehrenvoll im Grab ter, um David in Jerusalem einen Palast
Abners beerdigt wurde. zu bauen. David nahm noch mehrere
Nebenfrauen und Frauen, als er in Jeru-
D. Krönung zum König über ganz salem war, und verletzte damit 5. Mose
Israel (Kap. 5) 17,17. Es wurden ihm noch mehr Söhne
5,1-5 Mit Worten der Loyalität und der und Töchter geboren. Die königliche Li-
Untertanentreue vereinigten sich die elf nie des Messias geht über Salomo. Es

319
2. Samuel 5

Jerusalem: die »Stadt Davids«

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Davids

Tal 0 300 m

gibt zwei weitere Listen der Söhne, die 5,22-25 Einige Zeit später kehrten die
David in Jerusalem geboren wurden Philister in dasselbe Tal Refaim zurück
(1Chr 3,5-8; 14,3-7) – mit leichten Ab- und bedrohten Israel. Diesmal befahl
weichungen (größtenteils in der Schreib- der Herr David, die Feinde zu umgehen
weise) zwischen den einzelnen Listen. (Schlachter 2000) und von den Baka-
5,17-21 Beunruhigt durch die Nachricht bäumen her an sie heranzugehen. So-
von der Einheit Israels unter einer starken bald er das Geräusch eines Dahinschrei-
Zentralregierung, entschlossen sich die tens in den Wipfeln der Bakabäume
Philister, anzugreifen. Sie sammelten ihre hörte, wusste er, dass der Herr gegen
Truppen im Tal Refaim südlich von Jeru- die Philister marschierte. Das Ergebnis
salem. David war durch den Herrn des war, dass David den Feind von Geba
Sieges versichert worden, griff den Feind (Schlachter 2000) bis Geser vernichtete.
an und besiegte ihn. Er nannte den Ort Wahrscheinlich sollte man statt »Geba«
»Baal-Perazim«, was »Herr der Durch- »Gibeon« lesen, wie revidierte Elber-
brüche« oder »Baal ist zerbrochen« felder übersetzt (vgl. auch 1Chr 14,16).3
(Randbemerkung der NASB) heißen Man beachte, dass David nicht annahm,
könnte. Der Herr war in die Kampflinien dass Gottes Führung für die eine
der Feinde eingebrochen. Die Götzen- Schlacht (V. 19) dieselbe sei wie für die
bilder, die die Philister zurückließen, nächste (V. 23). Wir müssen ständig in
wurden von David mitgenommen und allem Gottes Willen suchen. Gottes Stra-
verbrannt (1Chr 14,12), damit sie nicht tegie in der ersten Schlacht war der di-
zukünftigen Generationen zum Stolper- rekte Angriff, in der zweiten jedoch der
stein wurden. Hinterhalt.

320
2. Samuel 6

E. Die Bundeslade wird nach te dies. Sein Tod war eine ständige Lek­
Jerusalem gebracht (Kap. 6) tion für die Israeliten, die Herrlichkeit
ihres Gottes ernst zu nehmen. Zeigen un-
Die Ereignisse in Kap. 6 fanden nicht sere Sprache oder unsere Handlungen,
direkt nach denen in Kap. 5 statt. 2. Sa- dass wir es ernst meinen, wenn wir beten
muel folgt nicht immer streng der »geheiligt werde dein Name«? (Daily
chronologischen Reihenfolge. Notes of the Scripture Union).
6,1-7 Das letzte Mal lasen wir von der
Bundeslade in 1Sam 7,1-2. Damals wur- 6,8-11 David protestierte bei dem Herrn
de sie von den Philistern zurück­ gegen dieses schlimme Gericht und gab
geschickt und in das Haus Abinadabs zeitweilig seinen Plan auf, die Bundes-
in Kirjat-Jearim gebracht. Viele Jahre lade in die Stadt zu bringen. Stattdessen
vergingen. Dann entschied David, sie ließ er sie in das Haus Obed-Edoms
in die Nähe von Jerusalem zu bringen, bringen, wahrscheinlich in der Nähe
damit die Stadt nicht nur die politische Jerusalems. Der Herr segnete das Haus
Hauptstadt, sondern auch die religiöse Obed-Edoms sehr während der drei
würde. Deshalb nahm er 30.000 Männer Monate, in denen die Bundeslade in sei-
aus Israel mit nach Baala in Juda (das- nem Haus war.
selbe wie Kirjat-Jearim), um sie zu ho- 6,12-15 Als König David von dem Se-
len. Gott hatte befohlen, die Bundeslade gen hörte, entschied er, die Lade Gottes
mit Stangen zu tragen, die auf den nach Jerusalem zu bringen. Der Bericht
Schultern der Kehatiter ruhten (4. Mose in 1. Chronik 15,13-15 erzählt uns, dass
7,9). Stattdessen baute David einen David während dieser drei Monate die
neuen Wagen und brachte unter groß- Schrift untersuchte, um zu erfahren,
em Jubel die Lade bis zur Tenne wie die Lade transportiert werden soll-
Nachons (in 1Chr 13,9 Kidon genannt). te. Man gab den Plan mit dem neuen
Dort rissen sich die Rinder los, und die Wagen auf, und die Leviten trugen die
Lade stand in Gefahr, vom Wagen her­ Lade auf ihren Schultern. Nachdem die
unterzufallen. Deshalb stützte Usa, der Träger vorsichtig sechs Schritte mit der
Sohn Abinadabs, die Lade mit seiner Lade gegangen waren, um sicherzustel-
Hand ab. Weil es selbst den Priestern len, dass der Herr nicht noch immer
verboten war, die Lade zu berühren verstimmt war, opferte David einen
(4. Mose 4,15), wurde Usa sofort vom Stier und ein Mastkalb. Dann wurde
Herrn getötet. die Lade unter Tanz in den Straßen in
Oft ist die Frage gestellt worden, war- ein vorläufiges Zelt in der Stadt Davids
um Gott Usa schlug, weil er die Lade gebracht. (Es ist wahrscheinlich, dass
des Herrn berührt hatte, wenn die Phi- Psalm 68 in dieser Zeit entstanden ist.)
lister sie doch oft angefasst hatten, ohne Der König selbst war so freudig erregt,
zu sterben. Die Antwort lautet: »Je nä- dass er »mit aller Kraft vor dem Herrn
her jemand Gott ist, desto ernster und tanzte«. David trug ein leinenes Ephod
schneller wird er für jede Sünde be- statt seiner normalen königlichen Klei-
straft.« Das Gericht muss am Haus dung.
Gottes beginnen (1Petr 4,17). 6,16-23 Seine Frau Michal schaute aus
dem Fenster und sah, wie David, in ein
War Gottes Reaktion zu hart? Wir mei- Ephod gekleidet, sich auf eine Weise
nen, wir hätten die Freiheit, Gott zu rich- verhielt, die sie für eines Königs un-
ten, weil wir kein Gefühl für seine Ehr- würdig hielt. Als er nach Hause kam,
furcht erregende Heiligkeit und Majestät klagte sie ihn fälschlicherweise an, in
haben. Die Bundeslade war die sichtbars- der Öffentlichkeit unanständig getanzt
te Repräsentation Gottes, die Menschen zu haben. (»Entblößt« in V. 20 muss im
vor Jesus sehen konnten. Usa missachte- Licht von V. 14 verstanden werden.) Er

321
2. Samuel 6 und 7

antwortete, dass sein Tanz Ausdruck Thron Bestand haben sollte für ewig,
seiner Freude am Herrn war, und gab und seine Nachkommen würden auf
zu verstehen, dass er nicht vorhatte, sei- dem Thron sitzen. Davids Dynastie ist
nen Enthusiasmus für Gottes Sache zu seit der babylonischen Gefangenschaft
unterdrücken. Er würde sich eher noch unterbrochen, aber sie wird wiederher-
mehr von Menschen verachten lassen gestellt werden, wenn Christus, der
und niedrig werden in seinen eigenen Same Davids, wiederkehrt, um über die
Augen, aber er würde bei den Mägden ganze Erde zu herrschen. Jensen führt
in Ehren stehen, von denen Michal ge- aus:
sprochen hatte. Wegen ihrer kritischen
Haltung widerfuhr Michal die Schande, David wollte einen Tempel für Gott bau-
dass sie »kein Kind bis zum Tage ihres en, aber dieses Vorrecht wurde Salomo
Todes« bekam. Dies ist eine notwendi- gewährt. Zweifellos war das Wesen von
ge Erinnerung daran, dass ein kritischer Davids Lebenswerk für Gott das Kämp-
Geist Fruchtbarkeit erstickt. fen, nicht das Bauen. Aber gerade durch
dieses Kämpfen machte er den Weg frei
F. Der Bund des Herrn mit David für einen anderen, der das Fundament je-
(Kap. 7) nes Hauses der Anbetung legen konnte,
7,1-5 David war der Meinung, dass es das zu bauen sein Herz so sehnlich ver-
unpassend wäre, dass er selbst in einem langt hatte. Nachdem die Kämpfe vor­
schönen Haus wohnte, während die über waren, errichtete Salomo den Tem-
Bundeslade unter Zeltteppichen wohn- pel aus den Materialien, die David vor-
te. Deshalb benachrichtigte er den Pro- bereitet hatte. David stellt Christus in sei-
pheten Nathan von seiner Absicht, ein nem Leiden und im Sieg über den gro­ßen
Haus für die Bundeslade zu bauen. Na- Feind dar; Salomo stellt Christus in sei-
than hieß den Plan zunächst gut, offen- ner Herrlichkeit dar, nachdem Leiden
sichtlich, weil er handelte, ohne vorher und Kämpfe beendet sind. Die Gemein-
den Herrn zu befragen. Aber dann ge- de, die der wahre Tempel Gottes ist und
schah das Wort des Herrn zu Nathan Christus als Eckstein hat, wird am letz-
und informierte ihn darüber, dass es ten Tag offenbart werden. Heute, in den
David nicht erlaubt wäre, einen Tempel Tagen des Leidens und des Kämpfens
für Jahwe zu bauen. der Gemeinde werden die Materialien
7,6-11 Der Herr erinnerte Nathan dar­ für dieses herrliche Gebäude für Gott
an, dass er von der Zeit des Auszugs vorbereitet.4
aus Ägypten an in einem Zelt gewohnt
hatte. Das Zelt war für das Volk Israel 7,18-29 Tief von Gottes Gnadenbund
so lange geeignet, wie sie umherzogen. bewegt, ging David in das vorläufige
Jetzt war es Zeit für einen festen Tem- Zelt und brachte das Dankgebet dar,
pel. das hier aufgezeichnet ist. In ihm, sagt
7,12-15 Dann offenbarte der Herr Na- Blaikie,
than einen bedingungslosen Bund, den
er mit David schließen wollte. Dieser … drückt er sein Staunen über die Ver-
Bund verhieß, dass David einen Sohn gangenheit aus, dass Gott jemanden er-
(Salomo) haben würde, der den Tempel wählt hat, der aus einer unbekannten Fa-
bauen würde, und dass der Thron die- milie kam und selbst völlig unbekannt
ses Sohnes für ewig gefestigt sein wür- war. Er staunt über die Gegenwart: Wie
de. Wenn dieser Sohn sündigen würde, kommt es, dass du mich bis hierher ge-
würde Gott ihn züchtigen, aber seine bracht hast? Und noch mehr staunt er
Gnade würde nicht aufhören. über die Zukunft, die Vorkehrungen, die
7,16-17 Der Bund verhieß weiter, dass für die Beständigkeit seines Hauses für
Davids Haus, sein Königtum und sein alle Zukunft getroffen worden sind.5

322
2. Samuel 7 und 8

»Und dies als Weisung (wörtl. ›Gesetz‹) seinen Kriegen erbeutet hatte, dem
für Menschen, Herr Herr« (V. 19) be- Herrn geweiht und später zum Tempel-
deutet, dass Gott David mit derselben bau verwendet.
Liebe und Güte behandelt hat, die er 8,13 Hier gibt es eine scheinbare Un-
den Menschen geboten hat, einander zu stimmigkeit. Es heißt hier (nach dem
erweisen. Masoretischen Text) in KJV, NKJV, Lu-
ther 1912, unrevidierter Elberfelder und
G. Niederlage der Feinde Israels (Kap. 8) Schlachter 2000, dass David 18.000 Sy-
rer (Aramäer) im Salztal schlug. In
8,1-2 Davids Politik als König bestand 1. Chronik 18,12 heißt es, dass Abischai
darin, die heidnischen Einwohner aus 18.000 Edomiter im Salztal tötete. Eini-
dem Reich zu vertilgen, die gegen seine ge hebräische Manuskripte und auch
Herrschaft rebellierten. Diese Politik LXX und die syrische Übersetzung ha-
führte zu einer Vergrößerung des Ge- ben auch in 2Sam 8,13 »Edomiter« (vgl.
biets Israels. revidierte Elberfelder, Luther 1984).7
Zum Beispiel schlug David die Philis- Aber die Tatsache, dass sich in 2. Sa-
ter und eroberte Metheg-Amma (Anm. muel David einen Namen für den Sieg
Elb zu V. 1) – d.h. Gat (1Chr 18,1). Er machte, und der Sieg in 1. Chronik Abi-
hatte einst die Rolle des Verrückten in schai zugeschrieben wird, ist unge-
Gat gespielt (1Sam 21,11-16). Jetzt war wöhnlich. 1. Chronik lobt David ge-
er dort König. Auch eroberte er die Mo- wöhnlich sehr. Vielleicht, wie es so oft
abiter und benutzte eine Messschnur, im Krieg geschieht, bekamen die »ho-
um zwei Drittel auszuwählen, die ge­ hen Tiere«, in diesem Fall David als
tötet werden sollten. Moab musste Is­ Feldherr, die Ehre. Aber die Schlacht
rael verraten haben. wurde direkt von Abischai geschlagen,
8,3-8 Davids nächster Sieg fand im und selbst der Chronist, der die davidi-
Gebiet von Syrien (Aram) statt. Er be- sche Abstammung betont, wurde vom
siegte Hadad-Eser, den König eines Heiligen Geist dazu geführt, die Auf-
Landes namens Zoba zwischen Hamat merksamkeit auf den eigentlichen Hee-
und Damaskus. Dabei nahm er 1700 Be- resführer zu lenken. Um die Situation
rittene und 20.000 Mann Fußvolk ge- noch komplizierter zu machen, gibt die
fangen.6 Überschrift von Psalm 60 an, »dass Joab
David lähmte auch alle Wagenpferde, (Abischais Bruder) 12.000 Edomiter im
außer 100, die er übrig ließ. Das bedeu- Salztal getötet habe«.8 Eugene Merrill
tete, dass eine Sehne im Fuß durchge- macht den folgenden Vorschlag:
schnitten wurde. Dadurch wurden die
Tiere für den Krieg ungeeignet. Als die Vielleicht lässt sich dieser Unterschied
Syrer (Aramäer) aus Damaskus Hadad- dadurch erklären, dass der gesamte Feld-
Eser helfen wollten, schlug David 20.000 zug unter Abischais direktem Komman-
von ihnen und machte die Syrer zu sei- do geschah und dass Joab (mit den Sol-
nen Vasallen. Dann kehrte David mit daten seiner Einheit) für den Tod von
der Bronze und den Goldschilden, die zwei Dritteln der Edomiter verantwort-
er Hadad-Eser abgenommen hatte, lich war.9
nach Jerusalem zurück.
8,9-12 Toi, der benachbarte König von 8,14 Die Tatsache, dass David Besatzun-
Hamat, gratulierte David zu seinem gen in ganz Edom legte (vgl. Elb) und
militärischen Sieg über Hadad-Eser alle Edomiter zu seinen Knechten wur-
und sandte silberne, goldene und bron- den, ist eine weitere Unterstützung
zene Geräte als Geschenk. Diese Edel- der Lesart »Edomiter« in Vers 13 und
metalle wurden zusammen mit dem aller Manuskripte der Parallelstelle in
anderen Silber und Gold, das David in 1. Chronik.

323
2. Samuel 8 bis 10

8,15-18 Deshalb wurde Davids Reich Dabar östlich des Jordans gab. David
und Macht sehr vergrößert, und er re- ließ ihn nach Jerusalem bringen, ord-
gierte mit großer Gerechtigkeit. Einige nete an, dass ihm das Familienerbe wie-
seiner obersten Offiziere werden in den dergegeben wurde, und sorgte dafür,
Versen 16-18 aufgezählt: Joab war Ober- dass er am Tisch des Königs essen
befehlshaber seines Heeres, Joschafat konnte. Ziba und seine Söhne wurden
war Kanzleischreiber (Schlachter 2000), beauftragt, Mefi-Boschet zu dienen.
Zadok und Ahimelech (vielleicht ein Mefi-Boschet ist ein Bild einer un­
Schreibfehler für Abjatar, siehe unten) bekehrten Seele, die in einem unfrucht-
waren Priester, Seraja war Schreiber baren Land lebt (Lo-Dabar könnte keine
oder Staatsschreiber (Schlachter 2000), Weide10 heißen) und unter die Sünde ver-
Benaja war der Anführer der Leib­wache kauft ist (Machir bedeutet verkauft –
und Davids Söhne waren Minister V. 4). Er war ein Ausgestoßener des ge-
(Schlachter 2000). In Vers 17 gibt es ein fallenen Hauses Saul gewesen. Er war
Textproblem. Dort und in 1Chr 18,16 nicht in der Lage, zum König zu kom-
und 24,6 wird Ahimelech als Sohn Ab- men und um Gnade zu bitten, denn er
jatars bezeichnet, aber in 1Sam 22,20 war an beiden Füßen gelähmt. Aber der
heißt es, dass Abjatar der Sohn Ahime­ gnädige Herrscher suchte ihn, um ihn zu
lechs war. Die einfachste Lösung lautet, segnen. Als er ihn gefunden hatte, erhielt
dass in den Versen, in denen Ahimelech Mefi-Boschet große Reichtümer und ei-
als Sohn von Abjatar aufgeführt wird, nen Platz der Gemeinschaft am Tisch des
ein Abschreiber aus Versehen die Na- Königs. Die Parallelen zur Errettung sind
men vertauscht haben könnte. offensichtlich. Wie Mefi-Boschet waren
Doch gibt es noch eine andere Mög- wir in unserem Zustand hilflos (wir
lichkeit, die auf dem Brauch des AT be- konnten nicht zu Gott kommen), und un-
ruht, dass jede zweite Generation den- ser Zustand war hoffnungslos (wir waren
selben Namen trug, d.h. dass Enkel Teil der gefallenen Menschheit). Aber
nach ihren Großvätern benannt wur- durch die Gnade wurden wir der gött-
den. Deshalb wäre zu jeder Zeit der lichen Gunst teilhaftig. Wir sind an einen
priesterliche Kollege von Zadok ent­ Platz in der Familie Gottes erhoben wor-
weder Abjatar oder Ahimelech. Abjatar den und wurden zu gemeinsamen Erben
und Ahimelech waren gemeinsam mit Christus gemacht.
Priester, so wie es Hannas und Kaiphas
scheinbar zur Zeit unseres Herrn waren Eine Liebe, die so erstaunlich, so göttlich ist,
(Lk 3,2). Verlangt mein Herz, mein Leben, mein Alles!
Als Saul Ahimelech und seine Söhne Isaac Watts
in Nob tötete, war Abjatar der einzige
Überlebende. Als David König wurde, I. Weitere Eroberungen (Kap. 10)
ernannte er Abjatar zum Hohenpries- 10,1-5 Offensichtlich hatte Nahasch, der
ter, setzte Zadok aber nicht ab. König der Ammoniter, David irgend-
wann einmal einen Gefallen getan. Dies
H. Barmherzigkeit gegenüber Mefi- war derselbe Nahasch, den Saul zu Be-
Boschet (Kap. 9) ginn seiner Regierung besiegt hatte
9,1-13 David erinnerte sich an seinen (1. Samuel 11). Es könnte sein, dass
Bund mit Jonatan (1Sam 20,14-17), in Nahasch David geholfen hat, als dieser
dem er ihm versprach, ihm Gnade zu ein Flüchtling war, weil Saul eine Zeit
erweisen, und suchte nach einer Ge­ lang ihr gemeinsamer Feind war. Nun
legenheit, diesen Bund zu erfüllen. wollte David diese Loyalität zurückzah-
Ziba, ein Knecht des verstorbenen Kö- len, deshalb sandte er Boten an Hanun,
nigs Saul, berichtete ihm, dass es einen den Sohn des Nahasch, der zum König
verkrüppelten Sohn Jonatans in Lo- gekrönt wurde, nachdem sein Vater ge-

324
2. Samuel 10 und 11

storben war. Die Fürsten der Ammoni- 10,15-19 Kurz darauf zogen die Syrer
ter verdächtigten die Männer Davids, ihre Streitkräfte wieder zusammen und
Kundschafter zu sein, und deshalb ord- holten Hilfe aus anderen syrischen
nete Hanun an, dass sie entehrt und be- Staaten. Sie marschierten bis Helam
leidigt wurden. David war zornig, als er östlich des Jordans (die genaue Lage ist
seine gedemütigten Boten sah. unbekannt), wo Davids Armee auf sie
10,6-8 Sobald die Ammoniter davon traf und sie besiegte. Die Israeliten töte-
erfuhren, bereiteten sie sich auf einen ten 700 Wagenkämpfer und 40.000 Rei-
Krieg mit Israel vor, indem sie Syrer ter. (In 1Chr 19,18 werden die Verluste
(Aramäer) aus dem Norden anwarben angegeben als »7000 Wagenkämpfer
(vgl. 1. Chronik 19). So sahen sich Da- und 40.000 Mann Fußvolk«. Williams
vids Männer unter Joab zwei Armeen schlägt vor, dass es eine Reiterbrigade
gegenüber – den Syrern und den Am- von 40.000 Mann mit 700 leichten Wa-
monitern. gen gab und eine Infanteriebrigade von
John Haley gibt folgende Erklärung 40.000 Mann mit 7000 schweren Wa-
für die scheinbaren Widersprüche zwi- gen.)12 Diese Schlacht überzeugte die
schen Vers 6 und 1Chr 19,6-7: Syrer von Davids Macht, und so schlos-
sen sie Frieden mit Israel und weigerten
Bet-Rehob war eines der kleinen König- sich, den Ammonitern noch einmal zu
tümer in Mesopotamien, wie auch helfen.
Maacha, Zoba und Tob winzige Monar-
chien in Syrien waren. So stimmen die II. Davids Fall (Kap. 11-12)
Zahlen und Namen wie folgt:11
A. Verbrechen gegen Batseba und
2. Samuel Uria (Kap. 11)
Syrer aus Bet-Rehob und Zoba 20.000 11,1-5 Davids berüchtigter moralischer
Syrer aus Tob 12.000 Fehltritt hatte drei Ursachen, so der ehr-
Syrer aus Maacha 1.000 würdige Kommentator Matthew Hen-
ry: 1. »Vernachlässigung seines Ge-
GESAMT 33.000 schäfts«; 2. »Liebe zur Bequemlichkeit
und Duldung einer trägen Laune«;
1. Chronik 3. »ein umherschweifendes Auge«.13
Syrer aus Zoba etc. 32.000 Statt im Frühjahr in die Schlacht gegen
Syrer aus Maacha die Ammoniter zu ziehen, sandte Da-
(Zahl nicht angegeben) [1.000] vid Joab gegen sie, während er selbst
untätig zu Hause blieb. Zeiten der Un-
GESAMT 33.000 tätigkeit sind oft die Zeiten der größten
Versuchung. Eines Abends schaute er
10,9-14 Joab teilte seine Männer in zwei vom Dach seines Palastes umher und
Gruppen auf. Er selbst führte den Be- sah, wie eine Frau von sehr schönem
fehl über einige Auserlesene Israels in Aussehen sich badete. Er fand heraus,
einem Feldzug gegen die Syrer. Sein dass es sich um Batseba handelte, die
Bruder Abischai führte den Rest der Is- Frau Urias, eines der Kriegshelden Da-
raeliten in den Kampf mit Ammon. Bei- vids. David sandte nach ihr und beging
de Generäle kamen überein, dem an­ mit ihr Ehebruch. Sie reinigte sich von
deren Hilfe zu schicken, sollte er be- ihrer Unreinheit und kehrte in ihr Haus
droht sein. Die Syrer flohen, als Joab zurück. Als sie merkte, dass sie schwan-
und seine Männer auf offenem Feld an- ger war, sandte sie eine Nachricht an
griffen. Daraufhin zogen sich die ver- David.
ängstigten Ammoniter in ihre Stadt 11,6-13 Der König dachte sich nun ei-
(wahrscheinlich Rabba) zurück. nen Plan aus, um seine Sünde zu ver-

325
2. Samuel 11 und 12

bergen. Zunächst rief er Uria unter dem das tat?« (vgl. Ri 9,50-55). Deshalb wies
Vorwand, er wolle etwas über den Fort- Joab den Boten an, den Zorn des Königs
schritt Joabs und der Armee erfahren, abzuwenden, indem er sagte: »Auch
aus dem Krieg zurück. Nachdem Uria dein Knecht Uria, der Hetiter, ist tot«
die Fragen beantwortet hatte, befahl (V. 21). Das würde David die Nieder­
ihm David, nach Hause zu gehen, in lage des Tages vergessen lassen.
der Hoffnung, dass er mit Batseba Ver- 11,22-25 Der Bote berichtete David,
kehr haben würde. Wenn das Kind was ihm aufgetragen war. Dann bekam
dann geboren werden würde, würde er er den Auftrag, eine Botschaft an Joab
denken, es sei sein eigenes. Aber Uria zu übergeben, die besagte, dass militä-
ließ die Pläne Davids scheitern. Statt rische Verluste nicht zu verhindern sei-
nach Hause zurückzukehren, schlief er en und dass Urias Tod keine große
am Eingang des Königshauses. Er war Trauer auslösen solle, weil das Schwert
der Meinung, er könnte jetzt nicht die ohne Unterschied fresse. Auf diese Wei-
Freuden seines Hauses genießen, solan- se versuchte David heuchlerisch, seine
ge sein Volk Krieg führte. In seiner Ver- tiefe Schuld »mit einem fatalistischen
zweiflung machte David Uria betrun- Kommentar über die Unausweichlich-
ken, und dennoch weigerte sich der keit und Launenhaftigkeit des Todes«
treue Soldat, nach Hause zu gehen. zu verstecken.
Urias Loyalität und Treue stehen in 11,26-27 Nach der üblichen Trauerzeit
starkem Kontrast zum Verrat des Kö- sandte David nach Batseba, damit sie
nigs. seine Frau würde. Einige Zeit später
11,14-17 Dann sank David zu seinem wurde das Kind geboren.
niedrigsten Akt der Schande hinab. Er
wies Uria an, einen Brief an Joab mitzu- Dass die Schrift von diesem Ereignis im
nehmen – einen Brief, der Urias Todes- Leben Davids berichtet, ist ein Zeichen
urteil enthielt. Der König befahl Joab, für ihre Wahrhaftigkeit. Sie zeichnet uns
Uria dorthin zu schicken, wo die ein ehrliches und unzensiertes Bild von
Kampffront am härtesten und sein Tod Gottes Volk, wie es wirklich war, mit
unausweichlich war. Dann könnte Uria Runzeln und allem (Daily Notes of the
nicht das Kind verleugnen, das geboren Scripture Union).
werden sollte. Joab führte die Schlacht
so, dass Uria bestimmt getötet wurde. B. Schuldbekenntnis vor dem Herrn
Er befahl seinen Truppen, anzugreifen, (Kap. 12)
und dann rief er beide Flanken zurück. 12,1-9 Man nimmt allgemein an, dass
Als Uria und seine Männer in der Mitte zwischen den Kapiteln 11 und 12 etwa
vorwärts liefen, waren sie ein leichtes ein Jahr verging. Während dieser Zeit
Ziel für die Ammoniter auf der Mauer. lag die Hand des Herrn schwer auf Da-
Dieses Vorgehen war militärisch ge­ vid. Sein geistlicher Kampf wird in den
sehen lächerlich, aber dadurch gelang Psalmen 32 und 51 beschrieben. Der
es, Uria und auch viele andere treue Prophet Nathan kam zu ihm mit einem
Diener Davids auszuschalten. Gleichnis und fragte ihn nach seinem
11,18-21 Als Joab die Nachricht an Urteil zu diesem Vorfall: »Ein reicher
David sandte, wusste er, dass der Kö- Mann mit vielen Schafen war nicht be-
nig wegen der militärischen Niederlage reit, eines seiner eigenen Tiere zu
ärgerlich sein würde. David würde sa- schlachten, als er Besuch hatte. Statt­
gen: »Warum seid ihr so nahe an die dessen nahm er das einzige kleine
Stadt herangerückt, um zu kämpfen? weibliche Lamm, das einem armen
Erinnertet ihr euch nicht daran, wie Mann gehörte und schlachtete es.« Da-
Abimelech, der Sohn Gideons (Jerub­ vid konnte Sünde bei anderen leichter
beschets) getötet wurde, als er genau richten als bei sich selbst. Ärgerlich er-

326
2. Samuel 12

klärte er, dass der Mann die Schuld Tages anschließen würde, wenn er starb.
vierfach erstatten müsse und verdient Vers 23 ist eine große Quelle des Trostes
hätte, für seine Sünde zu sterben. Na- für gläubige Eltern geworden, die Säug-
than zeigte furchtlos mit einem an­ linge oder Kleinkinder verloren haben.
klagenden Finger auf David und sagte Matthew Henry kommentiert:
praktisch: »Du bist der Mann, der das
getan hat. Gott hat dich gnädig behan- Gottesfürchtige Eltern haben viel Grund
delt, machte dich zum König, machte zu der Hoffnung, dass es der Seele ihrer
dich reich und gab dir alles, was dein Kinder, die als Kleinkinder gestorben
Herz begehren kann. Aber du musstest sind, in der anderen Welt gut geht, denn
Batseba ihrem Mann wegnehmen und die Verheißung gilt uns und unseren Kin­
hast ihn dann ermordet, um dein Ver- dern, denn sie erfüllt sich an denen, die
brechen zu ver­tuschen.« sich dem Evangelium nicht bewusst ver-
12,10-14 Dann wurde die schwere schließen, wie es kleine Kinder ja nicht
Strafe für den König verkündigt: Seine tun.15
Kinder würden ihm Kummer machen.
Seine Familie sollte durch blutige Kon- Wir können zuversichtlich sein, dass
flikte zerrissen werden. Seine Frauen Kinder, die sterben, ehe sie das Alter
würden ihm gestohlen und in der Öf- der Verantwortlichkeit erreicht haben,
fentlichkeit vergewaltigt werden (vgl. in den Himmel kommen, weil Jesus ge-
2Sam 16,22). Seine Sünde würde all­ sagt hat: »Solcher ist das Reich der Him-
gemein bekannt werden. Da kam Da- mel« (Mt 19,14).
vid zur Umkehr und bekannte seine Dass David ein tiefes Verständnis des
Sünde gegen den Herrn. Morgan kom- Charakters Gottes hatte, zeigt sich in
mentiert: seiner Reaktion auf Gottes Gericht. Ehe
ihn der Schlag traf, betete er, denn er
Man beachte das »auch« in V. 13. Ein wusste, dass der HERR ein gnädiger Gott
Mann tut seine eigene Sünde hinweg, ist. Nachdem der Schlag ihn getroffen
wenn er sie ernsthaft bekennt. Das macht hatte, betete er an, denn er wusste, dass
es für Gott ebenfalls möglich, sie hinweg- der HERR ein gerechter Gott ist. Er ver-
zutun.14 gaß, was hinter ihm lag, und nahm die
göttliche Züchtigung an und schaute
Nathan versicherte ihm sofort, dass die weiter in die Zukunft. Er verzweifelte
Strafe für seine Sünde erlassen war – er nicht, weil er wusste, dass Gott ihn
musste nicht sterben. Doch die Konse­ noch segnen würde. Er hatte recht.
quenzen seiner Sünde sollten ihn verfol- 12,24-25 Batseba gebar einen weiteren
gen. Er musste den Schaden wirklich Sohn, Salomo, der dazu bestimmt war,
vierfach ersetzen (2. Mose 21,37), wie er seinem Vater als König nachzufolgen.
selbst über den reichen Mann im Gleich- Durch den Propheten Nathan gab Gott
nis bestimmt hatte: Das Kind musste dem Kind den zusätzlichen Namen
sterben, Amnon wurde ermordet (Kap. Jedidja (Geliebter Jahs).
13), Absalom wurde erschlagen (Kap. 12,26-30 Nun kehrt die Erzählung zum
18) und Adonija wurde hingerichtet Angriff gegen Rabba zurück, der in 11,1
(1Kö 2). durch Davids Sünde unterbrochen wor-
12,15-23 Als das Kind krank wurde, den war. Es scheint, als ob Joab bis auf
warf sich David in Fasten und Gebet vor einen Teil – evtl. die Festung auf dem
Gott nieder. Er war sehr betrübt. Doch Gipfel ‒ die gesamte Stadt erobert hatte.
als er erfuhr, dass das Kind gestorben (Josephus16 und die engl. NKJV schrei-
war, stand er auf und aß und erklärte, ben, dass Joab die Wasserversorgung der
dass das Kind nicht zurückkehren wür- Stadt einnahm, sodass die Übergabe un-
de, aber dass er, David, sich ihm eines mittelbar bevorstand.) Dann rief er Da-

327
2. Samuel 12 und 13

vid, damit er kommen und die Tat voll- der Hoffnung, dass sie damit »aus den
enden konnte, und gab ihm damit die Augen, aus dem Sinn« wäre. Sie trug
volle Anerkennung für den Sieg. Es war Zeichen der Trauer, und dies machte
eine bemerkenswert selbstlose Tat von- Absalom auf das Geschehnis aufmerk-
seiten Joabs. Joab war im besten Fall un- sam.
berechenbar. Zeitweilig schien er einen
wirklich starken Charakter zu zeigen. B. Absaloms Rache an Amnon und
Aber sein Gesamtverhalten war das Absaloms Flucht (13,20-39)
eines schlauen, rücksichtslosen und 13,20 Absalom tröstete Tamar, als ob er
schlimmen Intriganten. David gelang der Meinung war, dass dies nicht allzu
es, Rabba zu erobern, und er wurde mit ernst gewesen wäre, aber in Wahrheit
einer goldenen Krone von einem Talent plante er schon seine Rache an Amnon.
Gewicht belohnt, dazu mit viel anderer Entehrt und als Ehefrau nicht mehr
Beute. tauglich, und das ohne Verschulden ih-
12,31 Die Ausleger sind sich nicht ei- rerseits, blieb Tamar einsam im Haus
nig, ob der letzte Vers eine grausame ihres Bruders Absalom. Dies bedeutet
Bestrafung beschreibt, der David das eventuell, dass sie unverheiratet lebte
Volk der Ammoniter unterzog (Luther und starb. Begierde verletzt die Schul-
1912, unrevidierte Elberfelder, KJV),17 digen wie die Unschuldigen.
oder ob es hier einfach um niedere 13,21 Obwohl David sehr zornig wur-
Dienste in der Landwirtschaft oder der de, bestrafte er Amnon nicht so, wie er
industriellen Sklaverei geht (Luther es hätte tun sollen – wahrscheinlich,
1984, revidierte Elberfelder, Schlachter weil seine eigene Sünde noch frisch in
2000). Das Letztere scheint typischer jedermanns Gedächtnis war.
für Davids Umgang mit seinen Feinden
zu sein. Er kannte seine Pflicht, aber seine Hände
waren gebunden. Das tut uns absicht­
III. Davids Nöte (Kap. 13-20) liche Sünde an: Sie beraubt uns der mo-
ralischen Freiheit, der Freimütigkeit der
A. Die Vergewaltigung Tamars durch Rede und des Zeugnisses (Daily Notes of
Amnon (13,1-19) the Scripture Union).
13,1-14 Absalom war Davids Sohn von
Maacha, während Amnon ein Sohn von Die Tatsache, dass Amnon sein Erst­
Ahinoam war, daher waren sie Halb- geborener war (1Chr 3,1) und damit
brüder. Amnon gelüstete es nach Ta- sein natürlicher Thronfolger, könnte
mar, der Schwester Absaloms und des- David ebenfalls beeinflusst haben.
halb seiner eigenen Halbschwester. Er 13,22-29 Absalom wartete auf seine
wusste nicht, wie er ihr näher kommen Zeit zur Rache. Sie kam nach zwei Jah-
konnte, weil sie ein zurückgezogenes ren. Wie immer war zur Zeit der Schaf-
Leben in Reinheit führte. Dann schlug schur ein großes Fest bei Bethel geplant.
Jonadab (Davids Neffe – V. 3) eine Lö- Absaloms dringende Einladung zog
sung vor. Indem Amnon eine Krankheit seinen Vater nicht an, vielleicht, weil
vortäuschte, lockte er Tamar in sein David seinem Sohn große Ausgaben er-
Schlafzimmer, damit sie ihn pflegen sparen wollte. Aber es gelang ihm, alle
sollte. Dort vergewaltigte er sie. Söhne des Königs zu versammeln, dar-
13,15-19 Nachdem er das Verbrechen unter auch, am wichtigsten von allen,
begangen hatte, hasste er sie mehr, als er Amnon, der als ältester Sohn seinen ab-
sie vorher geliebt hatte, wie es so oft der wesenden Vater vertrat. Auf ein verein-
Fall ist. Er versuchte, sie loszuwerden, bartes Signal hin töteten Absaloms Die-
aber sie wollte nicht gehen. So ließ er sie ner Amnon. Die übrigen Prinzen flohen
schließlich mit Gewalt hinauswerfen in in Panik zurück nach Jerusalem.

328
2. Samuel 13 und 14

13,30-36 In der Zwischenzeit erreich- meiden, wenn er den Mörder frei­


te David die Nachricht, dass Absalom sprechen würde. Aber sie wollte eine
alle seine Söhne erschlagen habe! Und sofortige Antwort, damit sie David mit
wieder versank David in Trauer. Jona- seiner eigenen Entscheidung fangen
dab korrigierte die falsche Nachricht konnte. Sie bot an, jede Schuld zu über-
mit der Information, dass nur Amnon nehmen, die seine Entscheidung nach
tot sei und dass Absalom seinen Tod ge- sich ziehen könnte. König David
plant hatte, seit Tamar vergewaltigt machte eine weitere allgemeine Aus­
worden war. Kurz danach kamen die sage, indem er ihr Sicherheit versprach.
Söhne Davids mit großem Wehklagen Dann bat sie ihn freiheraus, zu garan-
nach Jerusalem zurück und bestätigten tieren, dass ihr Sohn nicht getötet wer-
den Bericht Jonadabs, dass sie noch am den würde. Sobald David diese Zusage
Leben waren. gegeben hatte, hatte sie ihn in der Falle.
13,37-39 Absalom floh um sein Leben Wenn der König ihren Sohn begnadig­
nach Geschur in Syrien (Aram), wo sei- te, warum begnadigte er dann nicht
ne Mutter gelebt hatte und wo Talmai, auch seinen eigenen verstoßenen Sohn
sein Großvater mütterlicherseits, König Absalom?
war. Absalom lebte drei Jahre lang in
Geschur. Amnon war älter als Absalom Die von der Frau vorgetäuschte Ge-
und war bis zu seinem Tod der Thron- schichte entspricht in etwa der Geschich-
folger gewesen. Da Amnon nun tot war, te Davids. Ein Sohn ist tot, und seine Ver-
sah Absalom sich nun selbst auf dem wandten fordern den Tod des Schuldi-
Thron sitzen. König David sehnte sich gen als Vergeltungsmaßnahme (V. 7). Da-
danach, Absalom wiederzusehen, nach- vids Entscheidung zeigte Gnade und hob
dem die Trauer über seinen Sohn Am- die übliche Blutrache auf, die im Nahen
non mit der Zeit nachgelassen hatte. Osten oft über viele Generationen fortge-
führt wurde. Aber die Frau drängt nun
C. Absaloms Rückkehr nach weiter, die Geschichte auf David und Ab-
Jerusalem (Kap. 14) salom zu übertragen. Und wieder, wie
14,1 Joab erkannte, dass der König sich schon bei Nathan, wird David im Netz
wünschte, Absalom wieder zurück in seiner eigenen moralischen Weisheit ge-
Jerusalem zu haben. Aber das Volk fangen. Er ist nun daran gebunden, den
wusste, dass Absalom sich des Mordes verbannten und schrecklichen Absalom
schuldig gemacht hatte und hingerich- zu rehabilitieren und ihm Schutz zu bie-
tet werden musste. So hielt die Furcht ten (Daily Notes of the Scripture Union).
vor öffentlichem Missfallen David da-
von ab, Absalom zurückzuholen. 14,14 Die Frau meinte wohl, dass, wie
14,2-7 Deshalb sandte Joab eine Frau Wasser, das auf den Boden ausgeschüt-
aus Tekoa (in der Nähe von Bethlehem) tet ist, die Vergangenheit (d.h. Amnons
zu David mit einer Familiensituation, Tod) nicht wieder »gesammelt werden
die der Davids ähnlich war. Sie gab vor, kann«, also warum sollte man dabei
in tiefer Trauer zu sein, und berichtete, stehen bleiben? Vielleicht meinte sie
wie einer ihrer Söhne den anderen ge- auch, dass das Leben zu kurz ist, um
tötet hatte. Nun verlangte ihre Familie mit einem lange andauernden Streit
den Tod ihres einzigen Erben. Das wür- verschwendet zu werden.18 Der letzte
de den Familiennamen vollständig vom Teil von Vers 14 scheint zu bedeuten,
Erdboden auslöschen. dass Gott einen Sünder nicht sofort ver-
14,8-13 Zunächst befahl der König nichtet (wie David sehr wohl wissen
ihr, nach Hause zurückzukehren und sollte), sondern Mittel bereitstellt, durch
auf eine Antwort zu warten, vielleicht die dem Sünder vergeben und er wie-
in der Hoffnung, eigene Schuld zu ver- der angenommen werden kann. Wenn

329
2. Samuel 14 und 15

Gott auf diese Weise handelt, warum Joabs Handeln in all diesem schien
sollte es der König dann nicht tun? darauf zu zielen, Davids Gunst zu erlan-
14,15-23 Die Frau sagte, dass sie in gen ‒ und auch die Gunst Absaloms, der
der Erwartung solcher gottähnlicher der direkte Thronfolger des Königs war.
Nachsicht zum König gekommen sei.
Sie hatte sie für ihren eigenen Sohn er- D. Absaloms Aufstand und Davids
halten, und nun bat sie für seinen Sohn. Flucht (15,1-18)
Der König vermutete, dass Joab hinter
diesem Plan stand, und die Frau gab es 15,1-6 Bis zu diesem Zeitpunkt hatte
frei­mütig zu. König David ordnete Absalom sein Begehren verborgen, Kö-
schwächlich an, dass Joab Absalom nig zu werden. Aber jetzt reiste er mit
nach Jerusalem zurückbringen sollte, einem beeindruckenden Gefolge um-
trotz der Tatsache, dass dieser keine her. Auch ging er kühn zum Stadttor
Buße getan hatte. Diese Handlungs­ (wo rechtliche Angelegenheiten ver-
weise Davids war höchst ungerecht, handelt wurden) und tat so, als ob er
und er sollte dafür bitter bezahlen. der Einzige in Israel sei, der ein echtes
14,24-33 Zwei volle Jahre wohnte Ab- Interesse am Wohlergehen der Men-
salom in Jerusalem, ohne in die Gegen- schen hatte. Er klagte praktisch seinen
wart seines Vaters kommen zu dürfen. Vater an, keine wirkliche angemessene
(Seine natürliche Schönheit und sein rechtliche Hilfe zu geben, und sagte,
reichlicher Haarwuchs werden als Fak- dass, wenn er selbst König wäre, die
toren erwähnt, die ihm später halfen, Menschen die Gerechtigkeit bekommen
das Herz des Volkes Israel zu stehlen.) würden, die sie verdienten.
Nach zwei Jahren versuchte Absalom, 15,7-12 Nach vier Jahren19 (nach LXX,
Joab zu kontaktieren, um durch ihn die der syrischen Übersetzung, Josephus
Erlaubnis zu bekommen, den König zu und Anm. revidierte Elberfelder) erhielt
sehen. Joab weigerte sich zwei Mal, zu Absalom die Erlaubnis, nach He­bron
ihm zu kommen, deshalb ordnete Ab- zu gehen, um dort ein Gelübde zu er-
salom an, sein Gerstenfeld abzubren- füllen, das er abgelegt hatte, während
nen. Dies veranlasste Joab, ganz schnell er im Exil war. Hebron war wahrschein-
zu kommen! Absaloms Bitte um eine lich unzufrieden mit David, weil er die
Audienz bei seinem Vater wurde statt- Hauptstadt von dort nach Jerusalem
gegeben, und die beiden waren wieder verlegt hatte. Auch war Hebron der Ge-
vereint. burtsort Absaloms. Die zweihundert
Sieben Jahre waren vergangen, seit Mann, die Absalom begleiteten, wuss-
Tamar vergewaltigt worden war, und ten nicht, dass es Absaloms eigentliche
fünf Jahre seit dem Mord an Amnon. Absicht war, eine neue Regierung mit
Fünf Jahre lang hatte Absalom seinen sich selbst als König auszurufen! Ahito-
Vater nicht gesehen. Obwohl David ihm fel, einer von Davids Beratern und
vergeben und ihn nach Jerusalem zu- Batsebas Großvater (vgl. 11,3 mit 23,34)
rückgebracht hatte, statt ihn hinzurich- ging zu Absalom über, und viele aus
ten, weigerte er sich, zu vergessen, was dem Volk schlossen sich mit Absalom
geschehen war. Aber als die beiden in der Verschwörung zusammen, den
Männer sich schließlich begegneten, er- Thron gewaltsam an sich zu reißen.
hielt Absalom eine vollständige Begna- Vielleicht wollte Ahitofel David die
digung. Er benutzte nun das Wohlwol- Sünde an seiner Enkelin heimzahlen.
len seines Vaters als Ausgangspunkt, 15,13-18 Als David die Nachricht hör-
um einen Aufstand anzuzetteln (Kap. te, entschied er, dass die Situation ernst
15-18). David verschonte das Leben sei- war und dass er Jerusalem verlassen
nes Sohnes, doch als Antwort darauf sollte. Deshalb versammelte er sein
plante Absalom den Tod seines Vaters. Haus und floh zum Rand der Stadt.

330
2. Samuel 15 und 16

Aber er ließ zehn Nebenfrauen zurück, ihnen warten, wie der Aufstand Absa-
die das Haus hüten sollten. loms fortschreiten würde.
Statt in seinem erzwungenen Exil bit-
E. Davids Freunde und Feinde ter zu werden, unterwarf sich David
(15,19 - 16,14) demütig dem, was Gott zugelassen hat-
15,19-22 Unter denen, die mit David te. Nach der Überschrift zu urteilen
gingen, war eine Gruppe von Philis- wurde Psalm 3 zu dieser Zeit geschrie-
tern, die Gat mit ihm verlassen hatten. ben. In diesem Psalm erfahren wir, dass
Einer von ihnen war der Gatiter Ittai. Davids Vertrauen auf den Herrn un­
Als dieser ihm nachfolgen wollte, erschütterlich war, als der Sturm über
drängte der König ihn umzukehren. ihn hereinbrach.
Schließlich war er kein Jude, er lebte im 15,30-37 David ging zusammen mit
Exil und war erst kürzlich in die Armee seiner treuen Gefolgschaft in tiefer
eingetreten, und Davids Aussichten Trauer den Ölberg hinauf und betete,
waren im besten Fall unsicher. Aber dass Gott jeden Rat Ahitofels an Absa-
Ittai ließ sich nicht abhalten. Er war fest lom vereiteln möge. Auf dem Gipfel
entschlossen, den König zu begleiten, des Ölbergs traf der König den Arkiter
ganz gleich, was es ihn kosten mochte. Huschai. David bat ihn, nach Jerusalem
David belohnte die Loyalität dieses zurückzukehren und vorzugeben, Ab-
Heiden, indem er ihm und seinen Nach- salom gegenüber loyal zu sein. Auf die-
folgern erlaubte, ihn ins Exil zu beglei- se Weise konnte er eventuell Ratschlä-
ten. Ittai sagte: »Wahrlich, an dem Ort, gen entgegenwirken, die Ahitofel geben
wo mein Herr, der König, sein wird, sei würde. Er konnte jede wichtige Nach-
es zum Tod, sei es zum Leben, nur dort richt an Zadok und Abjatar, die Pries-
wird dein Knecht sein.« Gläubige soll- ter, weitergeben, die wiederum ihre
ten dieselbe Hingabe dem König der beiden Söhne mit den Berichten zu Da-
Könige während seiner Verwerfung er- vid schicken konnten. Huschai erreich-
weisen, wie Ittai sie David in seinem te Jerusalem gerade, als Absalom dort
Exil erwies. eintraf, um die Herrschaft zu überneh-
15,23 Sie überquerten den Bach Ki­ men.
dron östlich von Jerusalem und wand- 16,1-4 Nachdem David den Gipfel
ten sich in Richtung Jordantal. Fast tau- des Ölbergs überschritten hatte, kam
send Jahre später sollte der Sohn Davids ihm Ziba, der Knecht Mefi-Boschets,
in dessen Fußstapfen wandeln, selbst entgegen mit einem großen Vorrat an
ein verworfener König (Joh 18,1). David Nahrungsmitteln und Wein, dazu zwei
überquerte den Kidron und floh, um Eseln. Als David nach Mefi-Boschet
sein Leben zu retten. Jesus ging durch fragte, log Ziba (vgl. 19,27), dass der
das Tal und betete in Gethsemane auf Sohn Jonatans in Jerusalem geblieben
dem Weg, um sein Leben als Opfer für sei in der Hoffnung, dass das Königtum
viele hinzugeben. an das Haus Sauls zurückgegeben und
15,24-29 Zadok und Abjatar, die Pries- so ihm als dem Thronfolger Sauls zu-
ter, kamen aus der Stadt mit der Lade kommen würde. David glaubte diese
und wollten David ins Exil folgen. Aber Lüge und ordnete an, dass Mefi-
er sandte sie in der Hoffnung zurück, Boschets Eigentum Ziba gegeben wer-
dass der Herr ihm gestatten würde, zu- den sollte.
rückzukehren. Auch sagte er den Prie- 16,5-14 In Bahurim an der Straße nach
stern, dass sie ihm in Jerusalem nütz­ Jericho kam ein Nachkomme Sauls na-
licher sein könnten (als eine Art fünfte mens Schimi heraus und verfluchte Da-
Kolonne unter Absaloms Männern). Er vid heftig. Er legte ihm die Blutschuld
selbst würde bis ans Westufer des Jor- am Hause Sauls zur Last. Abischai, ei-
dans ziehen und auf eine Nachricht von ner der Offiziere Davids, wollte Schimi

331
2. Samuel 16 und 17

auf der Stelle töten, aber der König woll- 17,1-4 Nachdem Ahitofel mit seinem
te dies nicht zulassen. Er meinte, dass ersten Ratschlag erfolgreich gewesen
ihm der Herr aufgetragen haben könn- war, riet er Absalom als Nächstes, 12.000
te, ihn zu verfluchen. Er wies darauf Mann zu mustern, David zu überholen
hin, dass ein Mitglied des Hauses Saul und ihn unerwartet zu töten sowie des-
viel mehr Grund hatte, ihm nach dem sen Anhänger zurück nach Jerusalem
Leben zu trachten, als sein eigener Sohn zu bringen.
Absalom. Auch erinnerte sich David 17,5-14 Der Rat gefiel Absalom, aber
vielleicht an den Tod Urias und erkann- er entschied sich, Huschai zu rufen, um
te, dass Schimis Anklage eventuell nicht dessen Rat zu erfragen. Das war die Ge-
aller Grundlage entbehrte. Und David legenheit, auf die Huschai gewartet hat-
hoffte, dass Schimis heftige Feindschaft te. Er sagte, dass der zweite Rat von
Gott dazu bewegen würde, gnädig zu Ahitofel »diesmal« nicht gut gewesen
sein. Als David und seine Männer sich sei. Schließlich waren David und seine
dem Jordan zuwandten, folgte ihnen Männer durch die Rebellion erbittert,
Schimi, fluchte und warf Steine und und sie würden heftig kämpfen. Und
Erde nach ihm. Schließlich erreichte der David war zu weise, die Nacht bei sei-
flüchtende König den Fluss, wo er und nen Truppen zu verbringen, er würde
seine Leute sich wieder erholten. sich irgendwo in einer Höhle ver­
stecken. Wenn Ahitofels erster Angriff
F. Absaloms Ratgeber (16,15 - 17,23) nicht erfolgreich wäre, dann würde sich
16,15-19 Die Szene wechselt nun zurück Panik im Volk verbreiten, und Absa-
nach Jerusalem, wo Absalom gerade loms Sache wäre verloren. Huschai hat-
angekommen war. Huschai spielte Ab- te einen anderen Plan, der scheinbar
salom laut und heftig seine Loyalität seine Loyalität gegenüber Absalom be-
vor. Zunächst wurde er beargwöhnt, stätigte, aber in Wirklichkeit dazu be-
doch schließlich wurde er von dem stimmt war, David zusätzliche Zeit zur
Thronräuber angenommen. Flucht zu geben und außerdem Absa-
16,20-23 Ahitofels erster Rat an Absa- loms Tod zu ermöglichen. Er schlug
lom lautete, dass er zu den zehn Neben- eine generelle Mobilisierung der ge-
frauen eingehen solle, die David in Je- samten Armee Israels vor, die von Ab-
rusalem zurückgelassen hatte. Solch salom angeführt wurde. Solch eine Ar-
eine Tat, die an sich schon entehrend mee wäre nicht zu schlagen. David
war, würde eine unaussprechliche Be- würde angegriffen und eine Flucht un-
leidigung für David sein, eine Versöh- möglich gemacht werden. Absalom
nung unmöglich machen und einen di- entschied, dass Huschais Rat der beste
rekten Anspruch auf den Thron darstel- war, deshalb lehnte er Ahitofels Plan
len. Absalom nahm den Rat an, indem ab, wie David gebetet hatte (15,31).
er in den königlichen Harem ging, vor 17,15-17 Huschai sandte sofort eine
den Augen von ganz Israel, und so die Nachricht an Zadok und Abjatar, die
Prophezeiung Nathans in 12,11-12 er- Priester, und wies sie an, David zu be-
füllte. nachrichtigen, dass er den Jordan über-
Ahitofels Rat wurde zu dieser Zeit queren und sich in Sicherheit bringen
hoch geachtet. Absalom folgte ihm, solle. Die Priester sandten eine Magd
ohne ihn zu hinterfragen, wie es auch zu ihren Söhnen, die bei En-Rogel war-
sein Vater getan hatte. Aber wenn wir teten, am Rand der Stadt.
uns daran erinnern, dass Ahitofel der 17,18-22 Trotzdem sah sie ein junger
Großvater Batsebas war, dann können Mann bei dem Geheimtreffen und ver-
wir erkennen, wie sein Verlangen nach riet die Späher an Absalom. Deshalb
Rache ihn in diesem speziellen Rat- verbargen sich die beiden Söhne der
schlag beeinflusst haben mag. Priester, Jonatan und Ahimaaz, in ei-

332
2. Samuel 17 und 18

nem Brunnen (eine trockene Zisterne) dertfach zurückbekommen, wenn


in Bahurim, bis die Suchtrupps wieder Christus in Herrlichkeit wiederkommt.
weg waren. Dann flohen sie und über- Barsillai half David während der ge-
brachten David die Nachricht. David samten Zeit, die er in Mahanajim blieb,
ging über den Jordan und legte so eine zu überleben. Er war ein sehr reicher
natürliche Barriere zwischen seine und Mann, und seine Unterstützung be­
Absaloms Truppen. Dann marschierte deutete dem König sehr viel (19,32-40).
David nach Mahanajim, einer Stadt in Auf seinem Sterbebett befahl David Sa-
Gilead. lomo, die Söhne Barsillais in gute Stel-
17,23 Ahitofel war verzweifelt, weil lungen am königlichen Hof zu erheben
sein Ratschlag zurückgewiesen worden (1Kö 2,7). Christus wird die nicht ver-
war ‒ und weil er erkannte, dass David gessen, die ihm gedient haben. Sie wer-
siegen würde. Er kehrte in sein Haus den Ehrenstellungen in seinem Reich
zurück, bestellte es und erhängte sich. bekommen.
Sowohl im Leben als auch im Tod ist er 18,1-5 David teilte seine Armee in drei
ein »Vorbild« auf Judas Iskariot. Teile, mit Joab, Abischai und Ittai als
Generälen. Der König wollte selbst an
G. Absaloms Tod und Davids Klage der Schlacht teilnehmen, aber das
(17,24 - 19,9) Kriegsvolk überredete ihn, in der Stadt
17,24-26 Absalom verfolgte seinen Va- zu bleiben und Hilfe zu senden, wenn
ter über den Jordan nach Gilead. Er hat- es nötig wäre. Als die Soldaten aus der
te Amasa zum Kommandanten seiner Stadt marschierten, gab er seinen Gene-
Truppen ernannt. Amasas Vater war rälen öffentlich die Anweisung, um sei-
von Geburt her ein Ismaelit (1Chr 2,17), netwillen schonend mit Absalom um-
aber von seiner Religion her ein Israelit. zugehen.
Er war ein Neffe Davids und ein Vetter 18,6-9 Die Schlacht fand im Wald
ersten Grades von Joab. Ephraim statt, östlich des Jordans und
17,27-29 Während David in Mahana- in der Nähe von Mahanajim. 20.000 Ge-
jim lagerte, kamen drei Männer zu ihm, fallene verzeichnete Absaloms Heer an
mit notwendigen, haltbaren Vorräten diesem Tag, größtenteils wegen des
für ihn und seine Leute. Es handelte dichten Waldes, der die Soldaten ein-
sich um Schobi, Machir und Barsillai. schloss. Davids Armee siegte. Als Absa-
Schobi war ein Sohn von Nahasch, lom durch den Wald floh, verfing sich
dem toten König der Ammoniter. Sein sein Kopf in einer großen Terebinthe,
Bruder Hanun hatte Davids Wohlwol- und sein Maultier lief ohne ihn weiter.
len abgelehnt und deshalb gelitten (Kap. Es ist eine Art poetische Gerechtigkeit,
10). Aber Schobi, der zwar von Geburt dass genau der Teil seines Körpers, auf
aus ein Ausländer war, sorgte sich mehr den er so stolz gewesen war, das Mittel
um den König Israels als die meisten Ju- zu seinem Untergang wurde.
den. Ebenso haben viele Heiden den an- 18,10-15 Der Bote, der Joab von der
genommen, der von »den Seinen« ab­ hilflosen Lage berichtete, in der sich
gelehnt worden war (Joh 1,11). Absalom befand, wurde gerügt, weil er
Machir hatte viele Jahre lang für Mefi- den Aufrührer nicht getötet hatte. Er er-
Boschet gesorgt, bis David diesen nach klärte, dass kein Geldbetrag ihn hätte
Jerusalem brachte (9,3-5). Er hatte de- dazu verführen können, die Anweisun-
nen gedient, die in Not waren, ob es der gen des Königs zu übertreten. Außer-
lahme Prinz war oder der entthronte dem, wenn er Absalom getötet hätte,
König. Diejenigen, die von ihrem Ver- dann hätte die Nachricht sicherlich den
mögen etwas abgeben, um die Sache König erreicht, und Joab hätte ihn dann
Christi durch Gastfreundschaft zu för- nicht in Schutz genommen. Joab hielt
dern, werden ihre Freundlichkeit hun- all diese Reden für Zeitverschwendung.

333
2. Samuel 18 und 19

Er stieß drei Speere in Absaloms Herz Absalom fragte, verließ Ahimaaz der
und ließ seine zehn Waffenträger ihm Mut, und er gab eine vage Antwort, er
dann den Gnadenstoß geben. All das habe ein großes Getümmel gesehen,
war gegen den Auftrag des Königs, aber aber wisse nicht, was geschehen sei.
es war das Beste für das Reich. David 18,31 - 19,1 Aber dann kam der Ku-
hatte sich ständig geweigert, seine Söh- schiter an. Er verkündigte, dass die
ne wegen ihrer Verbrechen zu bestra- Feinde Davids besiegt seien. Die unaus-
fen, deshalb fiel diese Aufgabe anderen weichliche Frage des Königs nach Ab-
zu. salom brachte die unverblümte Ant-
18,16-18 Als diese Tat vollbracht war, wort, dass alle Feinde so sein sollten
war Joab so weise und ließ die Kämpfe wie der Junge – mit anderen Worten,
beenden, weil sein Hauptziel erreicht tot. Diese Nachricht ließ David in tiefe
worden war. Absaloms Leiche wurde in Trauer verfallen. Seine herzergreifende
eine große Grube im Wald geworfen Klage wird in 19,1 aufgezeichnet. Dies
und mit einem sehr großen Steinhaufen war der größte Kummer seines Lebens,
bedeckt. Das stand im krassen Gegen- und es ist zweifelhaft, ob er Joab des­
satz zu dem Gedenkstein, den Absalom wegen je vergab.
sich selbst im Königstal errichtet hatte, 19,2-9 So groß war der Schmerz des
wahrscheinlich in der Nähe Jerusalems. Königs, dass sich seine Anhänger be-
Absalom hatte drei Söhne (14,27), aber schämt und schuldig fühlten. Sie han-
sie müssen früh gestorben sein und ihn delten, als wären sie Opfer statt Sieger.
ohne Erben zurückgelassen haben. Des- Joab war sehr ungehalten darüber und
halb hatte er das Denkmal Absaloms tadelte den König streng. Er beklagte
gebaut, um seinen Namen für die Nach- sich, dass David mehr Interesse an sei-
welt zu erhalten. nen Feinden als an seinen treuen Ge-
18,19-23 Ahimaaz wollte die Nach- folgsleuten hätte und dass er denen un-
richt David überbringen, aber Joab dankbar war, die ihm das Leben geret-
wollte dies nicht. Es scheint, dass tet hatten. Er warnte David davor, dass
Ahimaaz den Ruf hatte, gute Nachrich- das Volk, wenn er sich nicht umgehend
ten zu verkünden (V. 27b), und es wäre freundlich für es interessieren würde,
unpassend für ihn gewesen, die Nach- ihn noch diese Nacht verlassen würde.
richt von Absaloms Tod zu überbrin- David fügte sich und setzte sich ins Tor,
gen. Deshalb sandte Joab einen Kuschi- um mit den Leuten zu reden.
ter als offiziellen Boten. Aber nachdem
dieser weg war, überredete Ahimaaz H. Davids Rückkehr aus dem Exil
Joab, auch ihn gehen zu lassen, auch (19,10-44)
wenn er keine Belohnung für den Auf- 19,10-11 In der Zwischenzeit hatte Ver-
trag erhielt. Es gelang ihm, den Kuschi- wirrung im Land Israel geherrscht. Al-
ten zu überholen, indem er einen kür- les Volk stritt sich. König David, so ar-
zeren Weg wählte. gumentierten sie, der sie aus der Hand
18,24-30 David wartete auf Nachrich- der Philister befreit hatte, war im Exil,
ten von der Schlacht. Der Wächter kün- und Absalom, ihr selbst ernannter Herr-
digte erst einen Läufer an, dann einen scher, war tot. Eine Bewegung begann,
zweiten. Als David hörte, dass der erste um David wieder auf den Thron zu ho-
Ahimaaz glich, machte er sich auf eine len. »Warum sagt ihr denn nun nichts
gute Nachricht gefasst, weil Ahimaaz in davon, dass ihr den König zurückholen
der Vergangenheit immer willkomme- wollt?«, ist auch für eine schlafende Ge-
ne Nachrichten überbracht hatte. Als er meinde heute eine passende Frage.
näher kam, verkündigte Ahimaaz feier- 19,12-16 Als David hörte, dass die
lich, dass der Herr die Rebellenarmee zehn Stämme Israels davon sprachen,
geschlagen hatte. Aber als David nach ihn wieder auf den Thron zu setzen,

334
2. Samuel 19

sandte er seine beiden Hohenpriester einen Esel zu satteln, und weil Ziba dies
zu den Ältesten in Juda, um zu fragen, nicht tat, war er hilflos, weil er ja ein
warum sie, seine Blutsverwandten, die Krüppel war. Er stellte fest, dass Ziba
Letzten waren, die ihn als König wie- ihn verleumdet hatte, aber dass die Un-
derhaben wollten. Juda hatte Absalom gerechtigkeit nicht zählen würde, weil
im Aufstand stark unterstützt, und der König zurückgekehrt sei. Als David
zweifellos war noch eine gewisse Ab- ziemlich unfair bestimmte, dass Ziba
lehnung oder Furcht zurückgeblieben. und Mefi-Boschet das Land unter sich
David beschloss, Joab als Oberbe- teilen sollten, zeigte der Sohn Jonatans
fehlshaber abzusetzen (wahrscheinlich, seine wahre Loyalität: »Er mag auch
weil Joab Absalom getötet hatte) und das Ganze nehmen, nachdem mein
Amasa an seiner Stelle einzusetzen. Herr, der König, in Frieden in sein Haus
Amasa, ein Neffe Davids, war noch gekommen ist!«
kurz zuvor Absaloms General gewesen. 19,32-40 Barsillai, der achtzigjährige
Für Außenstehende musste das so aus- Gileaditer, war ein weiterer echter
sehen, dass David Loyalität bestrafte Freund Davids. Er hatte den König in
und Aufstand belohnte, eine Regie- Mahanajim versorgt. Jetzt begleitete er
rungsstrategie, die keine politische Sta- ihn zum Jordan. David lud ihn ein, mit
bilität erzeugen konnte. Aber diese ihm nach Jerusalem zu kommen, und
Schachzüge gewannen das Herz aller versprach ihm, dass er gut für ihn sor-
Männer von Juda für Davids Seite, und gen wolle. Doch Barsillai weigerte sich
sie sandten einen einstimmigen Will- mitzukommen, weil er nicht mehr lan-
kommensgruß an ihn. ge leben würde, weil er nicht mehr zwi-
19,17-24 Schimi, der David verflucht schen Angenehmem und Unangeneh-
hatte, und Ziba, der Mefi-Boschet ver- mem unterscheiden konnte, weil er sei-
leumdet hatte, kamen schnell zum Jor- nen Geschmackssinn verloren hatte
dan, um den wiederkehrenden Monar- und weil er taub geworden war. Er wür-
chen zu begrüßen. Schimis reichliche de dem König nur zusätzlich zur Last
Entschuldigung war wahrscheinlich fallen, wenn er mitkäme. Deshalb
unehrlich. Ihm ging es darum, der Stra- stimmte er zu, David nur ein wenig
fe zu entgehen, weil David nun wieder weiter als bis zum Jordan zu begleiten,
an der Macht war. In der Freude des und würde dann in seine Stadt zurück-
Augenblicks verwarf David das Verlan- zukehren. Sein Vorschlag war, dass
gen Abischais, Schimi zu töten, und Kimham (vielleicht sein Sohn) mit Da-
versprach Schimi stattdessen eine vid gehen sollte, was bereitwillig an­
Amnestie. Aber David vergaß dessen genommen wurde.
Flüche nicht. Er befahl Salomo später, 19,41-44 Inzwischen hatte sich eine
mit dem unflätigen Benjaminiter un- große Prozession gebildet – das ganze
barmherzig ins Gericht zu gehen (1Kö Volk von Juda und die Hälfte der Män-
2,8-9). ner aus den anderen Stämmen –, um
19,25-31 Mefi-Boschet kam ebenfalls den König nach Jerusalem zurückzu-
dem König entgegen. Es ging aus sei- bringen.
nem Äußeren hervor, dass er von dem Interne Streitigkeiten brachen aus,
Tag an, an dem David ins Exil gegan- weil Juda eine solche Ehrenstellung bei
gen war, getrauert hatte. Er war dem der Wiederherstellung des Königs ein-
König wirklich treu geblieben, trotz der genommen hatte (d.h. als er über den
falschen Anschuldigungen Zibas gegen Jordan gebracht wurde), ohne die ande-
ihn. Der König sprach ziemlich harsch ren Stämme einzuladen, daran teilzu-
mit ihm, weil er ihn nicht ins Exil be- haben. Die Angehörigen von Juda er-
gleitet habe. Mefi-Boschet erklärte, dass klärten, dass David ihr naher Verwand-
er seinen Knecht Ziba gebeten hatte, ter sei und dass sie keinen Vorteil davon

335
2. Samuel 19 und 20

gehabt hatten, dass sie die Führung 20,8-10a Als sie einen großen Markie-
übernommen hatten. Die anderen Stäm- rungsstein in Gibeon erreichten, war
me argumentierten, dass sie zehnmal Amasa schon vor ihnen angekommen,
so viel Recht darauf hatten, daran teil- um sie zu treffen. Joab, der die Kampf-
zunehmen, wie Juda. Die Härte der rüstung eines Soldaten trug, ging vor,
Worte Judas war ein Anzeichen dafür, um Amasa zu begrüßen, und als er dies
dass ernste Schwierigkeiten bevorstan- tat, fiel sein Schwert zu Boden. Es
den. scheint, dass dies Absicht war. Er hob
das Schwert auf und bewegte sich auf
I. Schebas Rebellion und Tod (Kap. 20) seinen nichts ahnenden Cousin zu. Mit
20,1-2 Ein ruchloser Rebell namens großer, vorgetäuschter Freundlichkeit
Scheba aus dem Stamm Benjamin (viel- ergriff Joab Amasas Bart, als ob er ihn
leicht mit Saul verwandt), nahm die küssen wolle, dann tötete er ihn mit ei-
Worte Judas (19,43) und machte daraus nem Schwertstreich.
einen Grund für einen Aufstand. Die 20,10b-13 Als Joab und Abischai an-
Männer von Juda hatten David als ihren fingen, Scheba zu verfolgen, waren ihre
König beansprucht. Scheba verkündig- Mitkämpfer durch den Anblick Amasas
te nun aufsässig, dass die anderen gelähmt, der auf der Straße in seinem
Stämme keinen Anteil an David hätten Blut lag. Erst als er weggeschafft wor-
und sich trennen würden. Nur der den war, folgten Joabs Männer ihm.
Stamm Juda blieb David erhalten. Spä- 20,14-22 Die Jagd auf Scheba führte
tere Ereignisse zeigen, dass Scheba nur weit in den Norden, bis zur Stadt Abel-
wenige Anhänger hatte. Der Ausdruck Bet-Maacha. Sie lag nördlich der Was-
»alle Männer von Israel« muss in einem ser von Merom. Es war eine Stadt, die
beschränkten Sinn verstanden werden, für die Weisheit ihrer Einwohner be-
denn er umfasst nur die Männer dieser kannt war. Als Joab die Stadt belagerte,
Stämme, die abfielen. rief eine kluge Frau zu ihm herunter,
20,3 Als der König Jerusalem erreich- warum er eine »Stadt und Mutter in Is-
te, fand er die zehn Nebenfrauen, die er rael« (d.h. eine wichtige Stadt) zerstö-
dort zurückgelassen hatte und die von ren wolle, die immer sprichwörtlich für
Absalom entehrt worden waren. David ihre Weisheit gewesen ist. Als Joab er-
ließ sie in ein Haus bringen, in dem sie klärte, dass er nur an Scheba, dem Füh-
für den Rest ihres Lebens in Abgeschie- rer des Aufstands interessiert war, der
denheit leben mussten, als ob sie Wit- sich in der Stadt versteckte, erklärte sie
wen wären. sich bereit, ihn töten und seinen Kopf
20,4-7 Zu dieser Zeit war Joab degra- über die Stadtmauer werfen zu lassen,
diert, und Amasa, Absaloms Rebellen- als Beweis dafür, dass er tot war. Sobald
general, hatte die Aufsicht über Davids dies erledigt war, stieß Joab ins Horn
Armee. Der König befahl ihm, die Sol- und kehrte nach Jerusalem zurück – sei-
daten Judas innerhalb von drei Tagen ne Aufgabe war erledigt. Schebas Auf-
zu versammeln und den Rebellenfüh- stand dauerte wahrscheinlich nicht län-
rer Scheba zu fangen. Aus einem nicht ger als eine Woche.
näher dargelegten Grund konnte Ama- 20,23-26 David hatte Joab degradiert
sa die Aufgabe nicht innerhalb der fest­ und erst Amasa (19,14) und dann Abi-
gesetzten Zeit erfüllen, deshalb befahl schai (20,6) an seiner Stelle ernannt.
David Abischai, das Kommando zu Aber Joab hatte jetzt seine Stellung als
übernehmen, sich mit ausgewählten Oberbefehlshaber wiedererlangt.
Männern aufzumachen und Scheba da- Die Liste der wichtigen Beamten
von abzuhalten, sich in den befestigten Davids stimmt im Wesentlichen mit der
Städten festzusetzen. Joab war unter von 8,15-18 überein. Joab führte die Ar-
denen, die mit Abischai loszogen. mee, Benaja war Chef der Leibwache,

336
2. Samuel 20 und 21

Joschafat war Kanzleischreiber (Schlach-


Das Reich Davids
ter 2000) oder Berater (revidierte Elber-
felder), Scheja (derselbe wie Seraja) war HA M AT

Schreiber oder Staatsschreiber (Schlach-


ter 2000), Zadok und Abjatar waren ( Z OB A )

Priester (in der früheren Liste stehen


hier Zadok und Ahimelech). Die weite-

EN
IZI
Mittelmeer
ren Unterschiede bestehen darin, dass

ÖN
Damaskus

PH
Adoram die Zwangsarbeit beaufsich- Tyrus Dan

tigte und Ira, der Jairiter, Davids Pries-


ter (oder Minister; Schlachter 2000) ist,
während an dieser Stelle in Kapitel 8 Megiddo

Davids Söhne erwähnt wurden. Bet-Schean

Jordan
Sichem

IV. Anhang (Kap. 21-24) Jafo


Bethel
ISRAEL

Jericho
Rabba

A
Der Rest von 2. Samuel ist eigentlich ein
Aschdod ( A M M ON)


Gat Jerusalem

IS
Aschkelon
Totes

IL
Anhang, der die Aufmerksamkeit auf

PH
Gaza Hebron Meer

verschiedene Ereignisse während der Beerscheba


( M OA B )

Regierungszeit Davids lenkt, allerdings Zoar

nicht in chronologischer Reihenfolge Bozra


vorgeht. (Die chronologische Reihen- Kadesch-Barnea

folge beginnt wieder mit 1. Könige 1.) ( E DOM )

A. Die Hungersnot und ihre


Beendigung (Kap. 21) 0 60 Km

Elat
21,1 Das erste Ereignis, das hier erwähnt
wird, war eine Hungersnot, die drei Jah-
re dauerte. David suchte das Angesicht schärft weder Gottes Gedächtnis noch
des Herrn, um den Grund zu erfahren, seinen Sinn für Gerechtigkeit.
und ihm wurde gesagt, dass die Hun- 21,2-9 David wandte sich an die Gi­
gersnot gekommen sei, weil Saul den beoniter, um herauszufinden, was sie
Bund mit den Gibeonitern gebrochen als Sühne für Sauls Verbrechen anneh-
hatte. Diese heidnischen Einwohner des men würden. Sie erklärten, dass sie we-
Landes hatten Josua dazu überlistet, mit der Silber noch Gold Sauls haben
ihnen einen Vertrag abzuschließen. Saul wollten, auch dass sie kein Recht hat-
hatte den Vertrag gebrochen, indem er ten, irgendeinen Mann in Israel zu tö-
versucht hatte, die Gibeoniter zu ver- ten. Nichts würde reichen als die Exe-
nichten, eine Tatsache, die vorher im AT kution von sieben männlichen Nach-
nicht erwähnt wird. Der Ausdruck kommen Sauls, und David willigte ein.
»Haus der Blutschuld« könnte bedeu- Die sieben Nachkommen waren: die
ten, dass Sauls Nachfahren eine aktive beiden Söhne Rizpas – Armoni und Me-
Rolle bei der Tötung der Gibeoniter ge- fi-Boschet (nicht Mefi-Boschet, der Sohn
spielt hatten. In diesem Fall war ihre Be- Jonatans) und die fünf Söhne von Sauls
strafung (V. 2-9) gerecht. Es scheint hart Tochter Merab (V. 8). Zwei Gründe da-
zu sein, dass das Volk für ein Ver­ für, hier Merab zu lesen statt Michal,
brechen eines Mannes leiden musste, wie es im Masoretischen Text steht,
der schon tot war, aber Jahrhunderte sind, dass Michal mit Palti verheiratet
zuvor hatte Israel den Gibeonitern ei- war, und nicht mit Adriel (vgl. 1Sam
nen Eid geschworen (Jos 9,19-20), und 25,44), und dass sie kinderlos blieb
die Hungersnot brach aus, weil der Eid (2Sam 6,23). Der Barsillai, der hier er-
gebrochen worden war. Die Zeit ent- wähnt wird, ist nicht derselbe wie der,

337
2. Samuel 21 bis 23

der später David auf der Flucht vor Ab- Psalm 18 wieder und werden im NT als
salom half (17,27). Hinweise auf den Messias zitiert (V. 3:
21,10 Rizpa, Sauls treue Nebenfrau, »auf den ich traue« – Luther 1984 – vgl.
wachte Tag und Nacht bei den Leichen, Hebr 2,13; V. 50 vgl. Röm 15,9).
damit weder Geier noch wilde Tiere sie Wenn wir das Lied als messianischen
berühren konnten. Sie hielt diese Wa- Psalm auslegen, können wir es wie folgt
che vom Anfang der Ernte bis zu der zusammenfassen:
Zeit, als Gott Regen sandte und damit 1. Lobpreis Gottes für sein Hören und
die Hungersnot beendete, die zum Tod Antworten auf Gebet (V. 2-4).
dieser Männer geführt hatte. 2. Tod umgibt den Retter (V. 5-7a).
21,11-14 Als David von ihrer Hingabe 3. Gott kämpft gegen die Heerscharen
hörte, ergriff er Maßnahmen, um diesen der Hölle, als sie vergeblich versuchen,
sieben Toten ein ordentliches Begräbnis die Auferstehung zu verhindern (V. 7b-
zu sichern, und auch den Gebeinen 20).
Sauls und Jonatans, die in Jabesch- 4. Gründe, warum Gott den Messias
Gilead begraben waren. Die Gebeine von den Toten auferweckt hat (V. 21-
Sauls und Jonatans wurden im Grab 30).
von Sauls Vater Kisch in Benjamin zur 5. Die Wiederkunft des Messias, wäh-
Ruhe gelegt. rend der er seine Feinde vernichtet
21,15-22 Dieser Abschnitt beschreibt (V. 31-43).
verschiedene Schlachten gegen Philis- 6. Das herrliche Reich des Messias
ter-Riesen. In der ersten wurde David (V. 44-51).
fast von Jischbi in Nob erschlagen, aber Eine ausführliche Auslegung findet
Abischai rettete ihn und tötete den Phi- sich im Kommentar zu Psalm 18.
lister. Von da an wollten die Leute Da-
vid nicht mehr mit ihnen in die Schlacht C. Davids Helden (Kap. 23)
ziehen lassen. In der zweiten Schlacht 23,1-7 Die ersten sieben Verse zeichnen
in Gob (oder Geser) wurde ein anderer die sehr schönen letzten Worte Davids
Sohn eines Riesen von Sibbechai er- auf – d.h. seine letzte inspirierte Äuße-
schlagen. In der dritten Schlacht er- rung in einem Lied. Er beschreibt den
schlug Elhanan Goliath, den Gatiter. idealen Herrscher, den Messias, dessen
Die vierte Schlacht führte zum Tod ei- Herrschaft eine herrliche Morgenröte
nes Riesen, der sechs Finger an jeder sein wird, ein Morgen ohne Wolken
Hand und sechs Zehen an jedem Fuß nach einer langen, stürmischen Nacht.
hatte. Plinius erwähnt gewisse sechs- David erkannte, dass er dieser Beschrei-
fingrige (sedigiti) Römer, und diese Be- bung nicht entsprach, aber er tröstete
sonderheit wird in einigen Familien sich mit der Tatsache, dass Gottes Bund
weitervererbt.20 ihm versicherte, dass der Messias ein
Nachkomme von ihm sein werde. Die
B. Davids Dankpsalm (Kap. 22) Verse 6 und 7 beschreiben das Gericht
22,1-51 Mit den Worten dieses Liedes Christi über die »Verruchten« (wörtl.
preist David den Herrn für die Erret- die dem Belial Angehörenden), wenn
tung von seinen Feinden und für die Christus zurückkehrt, um sein Reich
unzähligen Segnungen, die er über ihm aufzurichten.
ausgegossen hat. Das Lied wurde wahr- 23,8-12 Eine Liste der Helden Davids
scheinlich geschrieben, nachdem sich taucht in den Versen 8-39 auf. Es ist be-
David fest auf dem Thron etabliert hat- deutsam, dass Joab in dieser Liste nicht
te. Saul war tot, das Reich war unter sei- geehrt wird, wahrscheinlich, weil er
ner Führung vereint, und Israels Feinde Absalom getötet hat (nicht zu verges-
waren zurückgeschlagen. Die Worte sen Abner und Amasa!). Diese Aufzäh-
finden sich mit einigen Variationen in lung steht beim Ende der Regierungs-

338
2. Samuel 23

zeit Davids, während die parallele Liste die Zuneigung und Anbetung der Völker
in 1. Chronik 11,11-47 vor seiner Regie- zu gewinnen, die hoffnungslos in der
rungszeit steht. Obwohl sie nicht iden- Macht Satans sind, so wie der Brunnen
tisch sind, gibt es große Ähnlichkeiten von Bethlehem in der Hand der Philister
zwischen beiden Aufzählungen. Mehr war.21
Informationen über diese Männer und
ihre Heldentaten finden sich im Kom- 23,18-23 Zwei weitere der bekannten
mentar zu 1Chr 11. Helden Davids waren:
Die ersten drei Helden sind: 1. Abischai – er tötete dreihundert
1. Joscheb-Baschebet, der auch »Adi- Mann und war Befehlshaber der drei in
no, der Ezniter« genannt wurde (Mas. Vers 16 erwähnten Männer, auch wenn
Text ‒ vgl. unrevidierte Elberfelder, er nicht zu ihnen gehörte.
Schlachter 2000). Er erschlug achthun- 2. Benaja – er tötete die zwei löwen-
dert Mann auf einmal. (In 1Chr heißt es gleichen Kriegshelden von Moab. Er
dreihundert, aber diese Zahl beruht tötete auch einen Löwen in der Zisterne
wahrscheinlich auf einem Abschreib- an einem Schneetag und einen Ägypter,
fehler.) der besser bewaffnet war als er.
2. Eleasar schlug die Philister zurück, 23,24-39 Die weiteren Helden Davids
als seine Mitstreiter sich zurückzogen. – die 30 oder 37 – werden in den Versen
Sie kamen nur zurück, um die Toten zu 24-39 aufgezählt.
plündern. Als die Schlacht vorbei war, Einige Zahlen in diesem Kapitel müs-
war seine Hand so müde (wahrschein- sen erklärt werden, wie die 30 Helden
lich verkrampft), dass er seine Finger (V. 13.24), die 37 (V. 39) usw. Die dreißig
nicht von seinem Schwert lösen konnte. Helden könnten eine militärische Elite-
3. Schamma – er stand allein gegen truppe gewesen sein, aber wenn man
die Philister, als die Männer Israels ge- diejenigen zählte, die zu der einen oder
flohen waren. Er stand auf einem Acker anderen Zeit in ihr gedient hatten, dann
voller Linsen, bekämpfte den Feind und war die Gesamtzahl 37. Es gab drei in
erreichte eine große Rettung. der ersten Gruppe: Joscheb-Baschebet,
23,13-17 Die drei ungenannten Hel- Eleasar und Schamma (V. 8-12). Zwei
den, die hier erwähnt werden, kamen waren in der zweiten Gruppe: Abischai
zu David, als er in der Höhle von Adul- und Benaja (V. 18-23). In der dritten
lam und Bethlehem in der Hand der Gruppe (V. 24-39) könnte die Zahl 30
Philister war. David gab einem Verlan- einfach eine Bezeichnung für die Trup-
gen nach Wasser aus dem Brunnen pe sein, wie z.B. auch im Falle der
(Schlachter 2000) von Bethlehem Aus- »zwölf« Apostel, auch wenn einer oder
druck. Diese drei Männer riskierten ihr mehrere nicht immer dabei waren. Es
Leben, drangen in das Heerlager der könnte allerdings auch ganz wörtlich
Philister ein und brachten etwas Wasser gemeint sein, aber die Männer, die hier
zurück zu David. Er war durch dieses über die Zahl dreißig hinaus aufgezählt
Opfer so beeindruckt, dass er das Was- werden, könnten diejenigen ersetzt ha-
ser als Opfer für den Herrn ausgoss, er ben, die in der Schlacht fielen, z.B. Uria,
war nicht der Meinung, dass er selbst es den Hetiter, den Letzten in der Liste der
trinken dürfe. Williams kommentiert: Helden und Batsebas Ehemann.
Der Herr Jesus hat auch seine Helden
Wer nahe bei Jesus lebt, hört das Sehnen (und Heldinnen!). Er beachtet sie si-
seines Herzens nach Wasser aus Afrika, cherlich genauso, wie David seine Krie-
Indien und China. Und wie diese Helden ger beachtet hat, die ihm so helden­
kehrt er seiner Heimat und dem Reich- mütig gedient haben. Was immer unser
tum den Rücken und riskiert sein Leben Dienstgrad auch sei, wir sollten den
oder gibt es sogar hin, um für Christus guten Kampf des Glaubens kämpfen:

339
2. Samuel 23 und 24

Soldaten Christi, erhebt euch Sünde überführt und schrie zum Herrn
Und zieht die Rüstung an, um Vergebung. Gott sandte den Pro-
Stark in der Stärke, die Gott uns gibt pheten Gad zu ihm und ließ ihm die
Durch seinen ewigen Sohn. Wahl zwischen drei verschiedenen Stra-
Steht nun fest in seiner großen Macht fen: 1. sieben Jahre Hungersnot im
Mit all seiner Kraft ausgestattet Land, 2. drei Monate Verfolgung durch
Doch nehmt, um euch für den Kampf zu seine Feinde, 3. drei Tage Pest. David
rüsten, wählte, in die Hand des Herrn zu fallen
Die Waffenrüstung Gottes. ‒ und nicht in die von Menschen.
Charles Wesley 24,15-25 Der Herr sandte drei Tage
lang die Pest und tötete 70.000 Mann.
D. Davids Volkszählung und ihre Der Engel, der das Gericht ausführte,
Folgen (Kap. 24) begann gerade, die Stadt Jerusalem zu
William D. Crocket ist der Ansicht, dass vernichten, als Gott ihn an der Tenne
die Ereignisse hier einige Zeit nach der Araunas zurückhielt. David fragte den
Eroberung Jerusalems durch David Herrn, warum er das Volk Israel ver-
stattfanden (Kap. 5), aber noch ehe die nichte, wo doch David und sein Haus
Bundeslade in die Heilige Stadt ge- die Schuld trugen. Gottes Antwort, die
bracht wurde (Kap. 6).22 durch Gad gegeben wurde, lautete,
24,1 Scheinbar war es so, dass Gott in dass er einen Altar auf der Tenne des
seinem Zorn David befahl, eine Zäh- Jebusiters Arauna (auch Ornan ge-
lung Israels und Judas anzuordnen. nannt) errichten solle. Deshalb verhan-
Doch wir erfahren, dass es Satan war, delte David sofort mit Arauna, dem Je-
der David hierzu anstiftete. Satan führte busiter, über den Verkauf des Geländes.
sie herbei, David führte sie aus, und Gott Obwohl dieser ein Heide war, bot er
ließ diese Tat zu. Die Septuaginta (LXX) nicht nur die Tenne als Geschenk an,
liest in Vers 1: »Und Satan reizte David« sondern auch die Rinder als Opfer und
statt »und er reizte David«. die Dreschwerkzeuge als Feuerholz.
24,2-9 Als der König Joab befahl, mit Des Königs edle Antwort lautete: »Ich
der Zählung zu beginnen, zeigte dieser will dem Herrn, meinem Gott, nicht
eine bessere Einsicht als der König. Er umsonst Brandopfer opfern.«
erkannte, dass der Zweck der Zählung Schließlich kaufte David die Tenne
war, Davids Stolz zu mehren, und er und die Rinder für fünfzig Schekel Sil-
drängte den König, von der Zählung ber. (1Chr 21,25 berichtet, dass David
abzusehen. Seine Worte waren jedoch 600 Schekel Gold für die Tenne gezahlt
umsonst. Joab und seine Männer gingen habe, aber darin war zweifellos das
im Gehorsam gegenüber David durch Grundstück um die Tenne herum ein-
das Land und zählten das Volk, und sie geschlossen.) Die Pest hörte auf, als
fanden heraus, dass es 800.000 Soldaten Brandopfer auf dem Altar dargebracht
in Israel und 500.000 in Juda gab. wurden (V. 25).
2. Mose 30,12-13 befahl, dass ein hal- Die Tenne Araunas auf dem Berg Mo-
bes Schekel Lösegeld gezahlt wurde, rija war wahrscheinlich derselbe Platz,
wenn eine Volkszählung abgehalten an dem auch Abraham Isaak opferte.
wurde. Es gibt keinen Hinweis darauf, Später wurde der Tempel Salomos an
dass David das getan hatte. Ihn moti- dieser Stelle gebaut und dann der Tem-
vierte der Stolz, sein Volk zu zählen. pel des Herodes zur Zeit Christi. Heute
Die Zählung konnte ihn dazu verleiten, steht dort ein muslimisches Heiligtum –
sich auf die Größe seiner Armee statt der Felsendom. An dieser Stelle wird
auf den Arm des Herrn zu verlassen. wahrscheinlich der Tempel der Großen
24,10-14 Nachdem die Zählung be­ Drangsal und schließlich auch der Tem-
endet war, wurde David von seiner pel des Tausendjährigen Reiches stehen.

340
2. Samuel 24

Die Schrift ist vollkommen ehrlich, 2


(3,31-39) William Hoste und William
wenn sie von den Glaubenshelden be- Rogers, Bible Problems and Answers,
richtet. Von Davids Fehlern wird genau- S. 214.
so berichtet wie von seinem Glauben. 3
(5,22-25) Keil und Delitzsch sind der
Wir haben David von der Herde über Ansicht, dass Gibeon »unzweifelhaft
das Exil bis in die Erhöhung verfolgt. die richtige Lesart ist und Geba nur
Wenige Menschen sind enger mit Gott ein Schreibfehler«, weil Geba für die-
gewandelt, und wenige Menschen sind sen Bericht an der falschen Stelle
in tiefere Sünde gefallen. Aber durch liegt (»Samuel«, Bd. VII, S. 326).
alles hindurch wurde er von dem Herrn 4
(7,16-17) Irving L. Jensen, I and II Sa­
festgehalten. Wir alle profitieren von muel, S. 92.
den Erfahrungen, die David durch­ 5
(7,18-29) William Garden Blaikie,
machen musste, weil er sie in seinen »The Second Book of Samuel«, in:
Psalmen niedergeschrieben hat. The Expositor’s Bible, S. 105.
Matthew Henry vergleicht David, wie 6
(8,3-8) Es gibt etwas Verwirrung,
er in den Samuelbüchern dargestellt wenn wir V. 4 mit 1Chr 18 verglei-
wird, mit dem David, wie er in den chen. In Vers 4 heißt es, dass 1.700
Psalmen erscheint: Berittene gefangen genommen wur-
den, während es in 1Chr 18,4 heißt,
Vieles in seiner Geschichte ist sehr lehr- dass er 1000 Wagen und 7000 Beritte-
reich, doch von dem Helden, von dem ne eroberte. Die Zahl in 2. Samuel
diese Geschichte berichtet, müssen wir könnte aus einer einzigen Schlacht
bekennen, dass seine Ehre in den Psal- stammen, während in 1. Chronik die
men heller hervortritt als in seinen Anna- Zahlen eines ganzen Krieges angege-
len, auch wenn er in vielen Ereignissen ben werden. Oder es könnte sich ein-
sehr groß, sehr gut und als ein ausgespro- fach um einen Abschreibfehler han-
chener Liebling des Himmels erscheint.23 deln.
7
(8,13) Wenn »Syrer« (hebr. Aram) hier
Die folgenden Worte aus Psalm 40 fas- stimmt, dann könnte es bedeuten,
sen Davids Leben gut zusammen: dass die Edomiter (hebr. Edom) Hilfe
bei ihnen gesucht hatten. Doch weil
Beharrlich habe ich auf den Herrn ge- Aram und Edom im hebräischen
harrt, und er hat sich zu mir geneigt Konsonantentext fast gleich geschrie-
und mein Schreien gehört. Er hat ben werden (»r« und »d« werden
mich heraufgeholt aus der Grube des beim Abschreiben leicht miteinander
Verderbens, aus Schlick und Schlamm; verwechselt), ist es wahrscheinlicher,
und er hat meine Füße auf Felsen ge- dass es sich um einen Abschreibfeh-
stellt, meine Schritte fest gemacht. ler handelt.
Und in meinen Mund hat er ein neues 8
(8,13) Nicht alle konservativen Kom-
Lied gelegt, einen Lobgesang auf un- mentatoren glauben, dass die Über-
seren Gott. Viele werden es sehen und schriften der Psalmen ursprünglich
sich fürchten und auf den Herrn ver- sind, aber sowohl der Verfasser als
trauen (Ps 40,2-4). auch der Herausgeber des vorlie-
genden Bibelkommentars sind da-
von überzeugt.
Anmerkungen 9
(8,13) Eugene H. Merrill, »2 Chroni-
cles«, in: The Bible Knowledge Com­
1
(1,17-18) Zitiert von Keil und De- mentary, S. 608.
litzsch, »The Books of Samuel«, in: 10
(9,1-13) Lo bedeutet eindeutig
Biblical Commentary on the Old Testa­ »kein«, die Standard-Vokalisierung
ment, Bd. VII, S. 286-287. für »Weide« ist jedoch dober und

341
2. Samuel

nicht dabar. Die Konsonanten dbr Doch sind sie der Ansicht, dass die
können im Hebräischen »Wort« oder Strafe entweder nur die kämpfenden
»Ding« bedeuten. Eine mögliche Männer betraf, die gefangen genom-
Übersetzung wäre also »kein Ding« men worden waren, oder aber sich
oder »nichts«. »höchstens auf die Männer der Akro-
11
(10,6-8) John Haley, Alleged Discrepan­ polis von Rabba« bezog (»Samuel«,
cies of the Bible, S. 321. Bd. VII, S. 396).
12
(10,15-19) George Williams, The 18
(14,14) Hoste and Rodgers, Bible Prob­
Student’s Commentary on the Holy lems, S. 215.
Scriptures, S. 166. 19
(15,7-12) Weil Davids gesamte Regie­
13
(11,1-5) Matthew Henry, »The Books rungszeit vierzig Jahre währte, ist die
of Samuel« in: Matthew Henry’s Com­ traditionelle Lesart (vierzig) hier zwei-
mentary on the Whole Bible, Bd. II, fellos ein Abschreibfehler. Zahlen wa-
S. 494. ren in den alten hebräischen Hand-
14
(12,10-14) G. Campbell Morgan, schriften ganz besonders schwierig
Searchlights from the Word, S. 91. korrekt abzuschreiben.
15
(12,15-23) Henry, »Samuel«, Bd. II, 20
(21,15-22) Zitiert von Keil und De-
S. 504. litzsch, »Samuel«, Bd. VII, S. 446.
16
(12,26-30) Flavius Josephus, The 21
(23,13-17) Williams, Student’s Com­
Works of Josephus, Peabody: Hen­ mentary, S. 309.
drickson Publishers, 1987, S. 193. 22
(Kap. 24, Einführung) William D.
17
(12,31) Keil und Delitzsch glauben, Crockett, A Harmony of Samuel, Kings
dass die grausamere Bedeutung rich- and Chronicles, S. 138-140.
tig ist und dass die Tatsachen nicht 23
(24,15-25) Henry, »Samuel«, Bd. II,
beschönigt werden sollten, indem S. 446.
man hier nach tieferem Sinn sucht.

Bibliografie

Siehe 1. Samuel.

342
1. Könige
»In diesem Buch wird die Geschichte des Volkes Israel vom Ende der Herrschaft Davids bis
zur Mitte der Herrschaft Ahasjas aufgezeichnet. In seiner größten Blüte unter Salomo ist das
Reich eine Vorschattung des Tausendjährigen Reiches unseres Herrn. Das Wohlergehen der
Nation steigt oder fällt mit dem Charakter des Herrschers und seines Volkes und veranschau­
licht uns den wichtigen Grundsatz, dass Gehorsam die Bedingung für den Segen ist.«

F.B. Meyer

Einführung cher ist anscheinend aus anderen Auf-


zeichnungen zusammengestellt, aber
I. Einzigartige Stellung im Kanon unter der Leitung des Heiligen Geistes.
Einige sind der Ansicht, dass ein Priester
Die Bedeutung von 1. und 2. Könige, die der Verfasser gewesen sein könnte, aber
ursprünglich nur ein Buch umfassten, man fragt sich, welche geeigneten Pries-
kann man von der historischen Seite dar­ ter im abgefallenen Nordreich zur Ver-
in sehen, dass sie 400 Jahre Geschichte Is- fügung gestanden haben könnten. Ein
raels umfassen, von der Regierung Salo- prophetischer Verfasser scheint wahr-
mos bis zur babylonischen Gefangen- scheinlicher. Der endgültige Heraus­
schaft. Sie verzeichnen nicht nur die Re- geber der Bücher könnte Esra gewesen
gierungszeiten der Herrscher von Juda sein, wenn es sich um einen Priester han-
(wie die Chronikbücher), sondern auch delte, oder aber Hesekiel oder Jeremia,
der Regenten des abgefallenen Volkes wenn es sich um einen Propheten han-
namens »Israel« oder »Ephraim« im Nor- delte.
den. Dennoch handelt es sich nicht aus-
schließlich um Geschichtsbücher. Die III. Datierung
Bücher der Könige enthalten eine geist­ 2. Könige endet mit dem positiv-ver-
liche Bewertung der Könige, ob sie dem söhnlichen Akzent, dass der babyloni-
Herrn gedient haben oder den Götzen ‒ sche König Ewil-Merodach König Joja-
oder ob sie in ihrer Treue Gott gegenüber chin von Juda nach 37 Jahren im Ge-
halbherzig waren. fängnis begnadigte (ca. 560 v.Chr.) Ein
Vielleicht am hilfreichsten für die noch ermutigenderes historisches Er-
meisten Bibelleser ist der spannende eignis ist bedeutsam, weil es nicht im
und doch erbauende Dienst des Prophe- Buch erwähnt wird, nämlich der Beginn
ten Elia und seines Nachfolgers Elisa. der Rückführung der Juden nach Israel
Eine wichtige Lehre aus diesen beiden (536 v.Chr.). Weil es unwahrscheinlich
Büchern lautet, dass Gott Treue belohnt ist, dass solch ein patriotischer Verfas-
und Abfall bestraft. Hiskia und Josia ser wie der dieser beiden Bücher diese
sind die deutlichsten Beispiele für treue Wiederkehr nicht erwähnen würde,
Könige (2Kö 18,3; 22,2). Die massivsten wenn sie zu seiner Zeit schon begonnen
Beispiele für Strafe – auf nationaler Ebe- hätte, dürfte der Zeitpunkt, zu dem die
ne – sind die beiden Gefangenschaften, Bücher abgeschlossen waren, zwischen
erst die des Nordreichs (722 v.Chr.) und 560 und 536 v.Chr. liegen.
dann die des Südreichs (586 v.Chr.).
IV. Hintergrund und Thema
II. Verfasserschaft In 1. und 2. Könige werden besonders
Der menschliche Verfasser dieser Bücher die Könige und die Propheten erwähnt.
ist unbekannt. Ein großer Teil der Bü- Das Urteil, das über einen König gefällt

343
1. Könige

wird, hängt direkt von seinem Gehor- entfernt, Gott treu zu sein, doch erhielt es
sam oder Ungehorsam gegenüber dem so etwas wie Gehorsam unter einer gläu-
Herrn ab. Der Dienst des Propheten bigen Minderheit aufrecht. Die glän-
war es immer, das abtrünnige Volk zum zendste Periode war die unter Salomos
HERRN zurückzurufen. Herrschaft. Der Bau des Tempels und
O.J. Gibson fasst das Buch folgender- seine Einweihung werden ausführlicher
maßen zusammen: behandelt als irgendein anderer Zeit-
raum. Damit wird gezeigt, wie wichtig
Zwei chronologische Linien von Köni- diese beiden Ereignisse in Gottes Augen
gen werden in dem Bericht miteinander sind. Salomos Regierung, die mit Ab­
verwoben. Israel mit seinen zehn Stäm- weichen und Gericht endet, ist eine
men wird manchmal das Nordreich ge- ernste Warnung davor, was geschehen
nannt, weil sein Territorium nördlich von wird, wenn göttliche Privilegien und
Jerusalem lag. Von seinem ersten Herr- Ehren missbraucht werden und man sich
scher Jerobeam bis zu seiner Vernichtung über Gottes Wort hinwegsetzt. Erst als
und Gefangennahme durch die Assyrer jeder Appell an die Gnade durch stän-
befand es sich vor Gott in ständigem Un- digen Ungehorsam erschöpft war, zer-
gehorsam und Götzendienst. Das so­ störte Gott (und nicht etwa die heid-
genannte Südreich Juda, dessen Mittel- nichen Mächte) zunächst das nördliche,
punkt Jerusalem war, war weit davon und dann das südliche Reich.1

Einteilung 1. Sein Bund mit Gott (9,1-9)


2. Seine Geschenke an Hiram
I. Die letzten Tage Davids (1,1 - 2,11) (9,10-14)
A. Adonijas Versuch, den Thron 3. Seine Untertanen und
an sich zu reißen (1,1-38) Opfer (9,15-25)
B. Salomos Salbung am Gihon 4. Seine Flotte (9,26-28)
(1,39-53) 5. Der Besuch der Königin
C. Davids letzter Auftrag für von Saba (10,1-13)
Salomo (2,1-11) 6. Sein Reichtum (10,14-29)
II. Die goldene Regierung König H. Salomos Abfall und Tod (Kap. 11)
Salomos (2,12 - 11,43) III. Das geteilte Reich (Kap. 12-22)
A. Salomos Säuberungsaktion A. König Rehabeam von Juda
unter den Gegnern (2,12-46) (12,1-24)
B. Die Weisheit Salomos (Kap. 3) B. König Jerobeam von Israel
C. Salomos Verwaltungsbeamte (12,25 - 14,20)
(4,1-19) 1. Jerobeams falsche religiöse
D. Salomo in all seiner Zentren (12,25-33)
Herrlichkeit (4,20 - 5,14) 2. Jerobeam und der Mann
E. Salomos Tempel (5,15 - 7,51) Gottes (13,1-32)
1. Salomos Abkommen mit 3. Jerobeams falsche
König Hiram (5,15-32) Priesterschaft (13,33-34)
2. Beschreibung und Bau des 4. Tod des Sohnes Jerobeams
Tempels (Kap. 6) (14,1-20)
3. Der Bau anderer Gebäude C. König Rehabeam von Juda
(7,1-12) (Fortsetzung) (14,21-31)
4. Die Ausstattung des D. König Abija von Juda (15,1-8)
Tempels (7,13-51) E. König Asa von Juda (15,9-24)
F. Die Tempelweihe (Kap. 8) F. König Nadab von Israel
G. Salomos Ruhm (Kap. 9-10) (15,25-27)

344
1. Könige 1

G. König Bascha von Israel (15,28 - 6. Elias Gebet um Regen


16,7) (18,41-46)
H. König Ela von Israel (16,8-10) 7. Elias Flucht zum Horeb
I. König Simri von Israel (19,1-18)
(16,11-20) 8. Elias Ernennung Elisas
J. König Tibni von Israel (19,19-21)
(16,21-22) 9. Ahabs erster Sieg über
K. König Omri von Israel Syrien (20,1-22)
(16,23-28) 10. Ahabs zweiter Sieg über
L. König Ahab von Israel und der Syrien (20,23-34)
Prophet Elia (16,29 - 22,40) 11. Ahabs Ungehorsam
1. Die Sünden Ahabs (20,35-43)
(16,29-34) 12. Ahabs Verbrechen gegen
2. Elia und die Dürre (17,1-7) Nabot (Kap. 21)
3. Elia und die Witwe von 13. Ahabs letzte Schlacht
Zarpat (17,8-24) (22,1-40)
4. Elias Herausforderung an M. König Joschafat von Juda
die Baalspriester (18,1-19) (22,41-50)
5. Elias Sieg über die N. König Ahasja von Israel
Baalspriester (18,20-40) (22,51-53)

Kommentar und war deshalb der Meinung, dass er


das größte Anrecht auf den Thron habe.
I. Die letzten Tage Davids (1,1 - 2,11) Amnon und Absalom waren beide tot.
Kilab war wahrscheinlich ebenfalls tot
A. Adonijas Versuch, den Thron an (2Sam 3,2-4). Ehe sein Vater starb, er-
sich zu reißen (1,1-38) klärte sich Adonija zum König, be-
schaffte sich ein Gefolge und versicher-
1,1-4 David war schon siebzig Jahre alt, te sich der Unterstützung von Joab und
und seine Gesundheit wurde schlech- Abjatar. Da er »sehr schön von Gestalt«
ter. Er war dabei, die Bühne der Ge- (V. 6) war, gewann er eine große Gefolg-
schichte zu verlassen. Der Vorschlag schaft. Vers 6a legt nahe, dass David bei
seiner Diener in Vers 2 scheint auf den seinem Sohn Adonija alles durchgehen
ersten Blick verwirrend und schockie- ließ und Adonija ein verwöhnter, ver-
rend. Doch diese Praxis war zur Zeit dorbener Sohn war. Als Adonija eine
Davids als hilfreiches Mittel bei Krank- große Menge Tiere bei En-Rogel opfer-
heiten wie der Davids anerkannt. Es te, lud er alle ein außer diejenigen, von
war keine zweifelhafte moralische denen er wusste, dass sie seinem Vater
Handlung und hatte keinen öffent­lichen treu waren – der Prophet Nathan, Bena-
Skandal zur Folge. Eines ist sicher, dass ja und die Helden Davids sowie Salo-
David nämlich Abischag »nicht erkann- mo.
te« (in dem Sinne, dass er keinen Sexual­ 1,11-38 Gott hatte David gesagt, ehe
verkehr mit ihr hatte – V. 4b). Und es ist Salomo geboren wurde, dass dieser Is-
nach Kap. 2 wahrscheinlich, dass sie als raels nächster König sein werde (1Chr
rechtmäßige Ehefrau Davids galt, weil 22,9-10). Nathan wollte, dass das Wort
Salomo Adonijas späteres Verlangen des Herrn erfüllt würde. Weil er besorgt
nach ihr als Anspruch auf den Thron war wegen der Bedrohung, die von
deutete (2,21-22). Adonija ausging, brachte er die Angele-
1,5-10 Adonija war offensichtlich Da- genheit geschickt vor David. Von Na-
vids ältester überlebender Sohn (2,22) than instruiert, erschien Batseba vor

345
1. Könige 1 und 2

dem kranken König und informierte C. Davids letzter Auftrag für Salomo
ihn über die Verschwörung. Sie er­ (2,1-11)
innerte ihn auch an ein (in der Bibel
vorher nicht erwähntes) Versprechen, Wenn David im Exil ein Vorbild auf
das er ihr früher einmal gegeben hatte, Christus in seiner Verwerfung während
dass Salomo, ihr Sohn, der nächste Kö- dieses Zeitalters der Gnade ist, dann ist
nig sein würde. Gerade als sie ihre Bitte Salomo ein Vorbild auf ihn als den Kö-
vorgebracht hatte, dass er Salomo öf- nig, der über das Tausendjährige Reich
fentlich zum Nachfolger ernennen soll- regiert. Wenn er wiederkommen wird,
te, kam Nathan zum König, und Batse- um sein Reich zu errichten, dann wird
ba zog sich zurück. Nathan wiederholte seine erste Handlung sein, seine Feinde
die Nachricht von Adonijas Verschwö- zu vernichten und aus seinem Reich al-
rung zur Machtübernahme und fragte, les Anstößige zu vertilgen. Das finden
ob dies der Absicht des Königs entspre- wir in Kapitel 2 vorgeschattet.
che. Als David nach Batseba rief, zog Kurz vor seinem Tod gibt David Salo-
Nathan sich zurück. David versicherte mo einen feierlichen Auftrag. Er er-
Batseba erneut, dass Salomo sein Nach- mahnt ihn, dem Herrn gehorsam zu
folger sein würde. Dann wies er Zadok, sein, und gibt ihm Anweisung, gegen
den Priester, Nathan, den Propheten, bestimmte Männer angemessen vorzu-
und Benaja an, Salomo auf der Maul­ gehen: Joab sollte getötet werden, weil
eselin des Königs zum Gihon zu führen, er Abner und Amasa ermordet hatte.
einer Quelle außerhalb der Stadt, und Den Söhnen Barsillais sollte Gnade er-
ihn dort zum König zu salben. wiesen werden, weil ihr Vater David
freundlich behandelte, als er vor Absa-
B. Salomos Salbung am Gihon lom floh. Schimi sollte endlich erschla-
(1,39-53) gen werden, weil er David verflucht
Weil viele Ausleger der Ansicht sind, hatte, aber Salomo konnte die Einzel-
dass Salomo zwei Jahre mit seinem Va- heiten selbst bestimmen. Der Ausdruck
ter zusammen regiert hat und dafür ge- »Kriegsblut [mitten] im Frieden vergos-
salbt gewesen sein muss, wäre dies eine sen« (V. 5; Schlachter 2000) wird von
zweite Salbung, die ihn zum alleinigen anderen so übersetzt: »er hat ihr Blut im
Herrscher machte. Diese öffentliche Frieden vergossen, als wäre er im
Salbung durch Zadok, den Priester, Krieg«.
ver­ursachte große Freude bei Davids Nach einer Regierungszeit von vier-
Anhängern, aber Bestürzung bei Ado- zig Jahren starb David und wurde in
nija und denen, die mit ihm feierten. Jerusalem begraben.
Als der Letztere hörte, dass Salomo nun
auf dem Königsthron saß und dass Da- II. Die goldene Regierungszeit
vid dem Herrn dafür gedankt hatte, er- König Salomos (2,12 - 11,43)
kannten alle, dass Adonijas Verschwö-
rung misslungen war. Adonija floh zur A. Salomos Säuberungsaktion (2,12-46)
Stiftshütte und ergriff die Hörner des 2,12-25 »Salomo setzte sich auf den
Altars, eine Handlung, die ihm Sicher- Thron, … und seine Königsherrschaft
heit vor Strafe verschaffen sollte. Salo- war fest gegründet.« Adonija trauerte
mo bestimmte, dass Adonija verschont dem Thron nach, obwohl er zugeben
werden sollte, wenn er würdig (oder musste, dass er durch den Willen Got-
rechtschaffen) erfunden würde, aber tes Salomo gehören sollte (V. 15b). Ob
bestraft würde, wenn man ihn in Zu- unbewusst oder geplant: Er richtete
kunft bei irgendeiner bösen Tat er­ durch Batseba eine Bitte an König Salo-
wischen würde. Dann schickte er Ado- mo, dass Abischag, Davids Pflegerin,
nija nach Hause. ihm zur Frau gegeben werden sollte.

346
1. Könige 2 und 3

Salomo sah dies als gleichbedeutend Gottes kennenlernen, wenn er aus sei-
mit der Bitte um das Reich selbst an, nem Leben die Dinge entfernt, die der
deshalb befahl er Benaja, Adonija hin- Regierung Christi in ihm widerstreben.
zurichten.
2,26-34 Der König schloss auch Abja- B. Die Weisheit Salomos (Kap. 3)
tar aus der Priesterschaft aus, zweifel- 3,1 Salomo heiratete die Tochter des
los, weil er Adonija bei seiner fehlge- Pharaos, der damals Ägypten regierte.
schlagenen Verschwörung unterstützt Vielleicht ist dies ein Anzeichen dafür,
hatte. Das war eine teilweise Erfüllung dass er sein Vertrauen auf politische
des Gerichts Gottes über das Haus Elis Allianzen setzte. Die Ehe, obwohl poli-
(vgl. 1Sam 2,31-35). Als Joab von Abja- tisch nützlich, war geistlich verheerend
tars Entlassung hörte, floh er an die und auch vom Gesetz her verboten. Von
Hörner des Altars und gab seinem Ent- diesem Zeitpunkt an wuchs Salomos
schluss Ausdruck, dort zu sterben. Harem, bis er mehrere hundert fremd-
Benaja richtete ihn schnell hin und ließ ländische Frauen beherbergte. Salomo
ihn in seinem Haus in der Wüste be­ verband sich auf diese Weise mit aus-
graben. Der Tod von Abner und Amasa ländischen Mächten, aber entfremdete
war nun gerächt. Der Altar Gottes bot sich vom Herrn (11,1-8).
dem keinen Schutz, der das Gesetz 3,2-4 Die Höhen wurden hier benutzt,
Gottes gebrochen hatte. um den Herrn anzubeten. Das ent-
2,35 Benaja wurde zum Obersten des sprach nicht ganz dem Gesetz. Gott
Heeres ernannt, und Zadok war der wollte an einem Ort angebetet werden,
Nachfolger Abjatars als Priester. Benaja den er bestimmt hatte. Aber es wird
hatte David seit den Tagen Sauls ge- hier aufgrund der Tatsache entschul-
dient. Er war ein heldenhafter Mann digt, dass es noch keinen offiziellen
und der Anführer der Leibgarde Da- Tempel gab, weil Silo von den Philis-
vids (2Sam 20,23). Sein unerschütter­ tern im Jahr 1050 zerstört worden war,
licher Mut wurde nur noch von seiner als die Bundeslade entführt wurde
standhaften Treue zum Haus Davids (1Sam 4). Nachdem der Tempel gebaut
übertroffen. Mut und Treue sollten auch war, wurden die Höhen noch weiter be-
diejenigen charakterisieren, die Davids nutzt, dann aber für den Götzendienst.
größerem Sohn dienen, dem Herrn Obwohl die Bundeslade zu dieser
Jesus Christus. Zeit in Jerusalem war, befand sich die
2,36-46 Salomo ordnete Schimis Hin- Stiftshütte in Gibeon (1Chr 21,29), etwa
richtung nicht sofort an. Er stellte ihn 90 km entfernt. Dort opferte der König
stattdessen unter eine Art Hausarrest tausend Brandopfer, wahrscheinlich zu
und verbot ihm, die Stadt zu verlassen. Beginn seiner Regierung.
Nach drei Jahren verließ Schimi Jerusa- 3,5-15 Gott erschien Salomo in Gi­
lem, um in Gat nach zwei entlaufenen beon und fragte ihn nach seinem größ-
Sklaven zu suchen. Als er das tat, brach ten Wunsch. Der König bat um ein ver-
er den Eid, den Salomo ihm abgenom- ständiges Herz, damit er der großen
men hatte, und er zeigte damit, dass er Aufgabe, das Volk Israel zu richten und
Salomo nicht treuer war, als er es David zu regieren, gewachsen war. Diese Bitte
gewesen war. Als er wieder zurück- war dem Herrn wohlgefällig, und sie
kehrte, gab der König Benaja den Be- wurde erfüllt – zusammen mit Reich-
fehl, ihn hinzurichten. tum und Ehre und auch einem langen
So sicherte Salomo sein Reich, indem Leben, wenn Salomo im Gehorsam ge-
er alle konsequent entfernte, deren Her- genüber dem Herrn leben würde. Heu-
zen nicht auf seiner Seite waren. Da- te bietet Gott jedem das großartigste
nach war seine Regierung ein Friedens- Geschenk an, um das man nur bitten
reich. Der Christ wird den Frieden kann – den Herrn Jesus Christus, »in

347
1. Könige 3 bis 5

dem alle Schätze der Weisheit und Er- 4,7-19 Salomo teilte das Land Israel in
kenntnis verborgen sind« (Kol 2,3). zwölf Teile ein und setzte einen Verwal-
3,16-28 Der Rest von Kapitel 3 gibt ein ter an die Spitze jedes Gebiets, um Nah-
Beispiel für die große Weisheit des Kö- rungsmittel vom Volk zu sammeln. Je-
nigs. Zwei Huren stritten darüber, wer der Teil des Landes war mit seinem
die Mutter eines Kindes war. Als Salo- Verwalter an der Spitze dafür verant-
mo drohte, das Kind mit einem Schwert wortlich, die königliche Tafel für einen
in zwei Hälften zu teilen, verriet sich Monat im Jahr zu versorgen. Juda wird
die echte Mutter dadurch, dass sie lie- nicht erwähnt.
ber das Kind verschonen wollte, als es
für sich selbst zu behalten. Solche Weis- D. Salomo in all seiner Herrlichkeit
heit führte dazu, dass Salomo in ganz (4,20 - 5,14)
Israel gefürchtet und respektiert wur- 4,20 - 5,1 Das Reich unter Salomo reichte
de. bis zum Fluss Euphrat, bis zum Land
der Philister und bis an die Grenze
C. Salomos Verwaltungsbeamte (4,1-19) Ägyptens (5,1.4) Ein Großteil dieses Ge-
4,1-6 Diese Verse zählen Salomos höchs- biets waren Königreiche, die Salomo
te Beamte bzw. sein Regierungskabinett Tribut entrichteten, aber nicht als Teil
auf: Asarja, der Enkel Zadoks, scheint Israels galten. Deshalb war Salomos
Zadok als Hoherpriester gefolgt zu Reich keine völlige Erfüllung des Paläs-
sein. Elihoref und Ahia waren Staats­ tina-Bundes (1. Mose 15,18-21).
sekretäre, Joschafat war Berater, Benaja 5,2-8 Die Großartigkeit der Regierung
war Oberster des Heeres, Zadok und Salomos wird beschrieben: seine gro-
Abjatar Priester. Asarja war der Oberste ßen Vorräte, seine Tausende von Pfer-
der Vögte, Sabud war Freund Salomos, den usw. Wir müssen uns aber daran
Ahischar war Haushofmeister, und erinnern, dass die Menschen viel Steu-
Adoniram war über die Zwangsarbei- ern zahlen mussten, um solch einen
ter (Tributzahlungen) gesetzt. Überfluss zu ermöglichen. Auch müs-
Der Name »Abjatar« in Vers 4 stellt sen wir uns daran erinnern, dass Salo-
eine Schwierigkeit dar, wenn es sich um mos Ansammlung von Pferden eine
denselben Abjatar handelt, den Salomo Verletzung der Anweisung Gottes war
in 2,27 entlassen hat. Vielleicht ist er (5. Mose 17,16). (Zum scheinbaren Wi-
erst nach einiger Zeit entlassen worden. derspruch zwischen V. 6 und 2Chr 9,25
Oder er behielt weiter den Titel eines vgl. die Ausführungen dort.)
Priesters, auch wenn er seinen priester- 5,9-14 Die Weisheit des Königs wird
lichen Funktionen nicht weiter nach- wieder erwähnt. Seine Weisheit war
kam. Es kann sich jedoch auch um ei- größer als die aller anderen Menschen.
nen anderen Abjatar handeln (vgl. Die in Vers 11 erwähnten Weisen waren
Kommentar zu 2Sam 8,15-18). Matthew Söhne Serachs (1Chr 2,6). Mahol (Tän-
Poole kommentiert: zer) ist einfach ein Titel. Etan war der
Verfasser von Psalm 89, Heman schrieb
Einige Ausleger sagen, dass hier alle Psalm 88. Wir wissen nichts über die
Obersten Salomos erwähnt werden, so- anderen Männer. Salomo verfasste 3000
wohl die, die zur Abfassung dieser Liste Sprüche, von denen nur ein Teil im
im Amt waren, als auch solche, die zuvor Buch der Sprüche überliefert ist. Die
im Amt gewesen waren oder erst später Zahl seiner Lieder betrug 1005, wovon
eingesetzt wurden. Dies geht aus den das beste das Hohelied ist. Vers 13 be-
Versen 11 und 15 hervor, wo zwei Män- deutet, dass seine umfassende Kenntnis
ner genannt werden, die zwei Töchter auf vielen Gebieten der Naturkunde es
Salomos heirateten, was erst viele Jahre ihm ermöglichte, bei der Darlegung sei-
nach dieser Zeit geschehen sein konnte.2 ner Weisheit viele anschauliche Erläu-

348
1. Könige 5 und 6

terungen aus der Natur heranzuziehen. Reiches (12,4). Wie notwendig ist es in al-
Die Menschen reisten von weither zu len Angelegenheiten, in göttlicher Weis-
ihm, um ihn zu hören. heit zu handeln und sich nicht grob über
die Empfindlichkeiten und das Wohler-
E. Salomos Tempel (5,15 - 7,51) gehen anderer hinwegzusetzen! (Daily
Notes of the Scripture Union).
1. Salomos Abkommen mit König Hiram
(5,15-32) (Man vgl. unsere Anmerkungen zu Pro-
5,15-26 Hiram war ein heidnischer Kö- blemen bei 2. Chronik 2, wo eine Erklä-
nig von Tyrus, und als solcher kontrol- rung für die zahlenmäßigen Diskrepan-
lierte er die großen Holzvorkommen im zen zwischen diesen beiden Kapiteln
Libanon. Er war zu David sehr freund- gegeben wird.)
lich gewesen und wünschte sich nun,
dieselbe Freundschaft auch Salomo er- 2. Beschreibung und Bau des Tempels
weisen zu können. Deshalb wurde ver- (Kap. 6)
einbart, dass er Bauholz liefern sollte, 6,1 In Vers 1 wird ausgesagt, dass der
mit dem Salomo einen Tempel für den Tempelbau 480 Jahre nach dem Auszug
Herrn bauen konnte. Salomo würde Ar- aus Ägypten stattfand. Wenn Salomo
beiter in den Libanon schicken, um den Bau im Jahr 967/966 v.Chr. begann,
beim Fällen der Bäume zu helfen. Die dann würde der Auszug im Jahr
Stämme sollten dann zum Mittelmeer, 1447/1446 v.Chr. stattgefunden haben.
als Flöße bis an eine Stelle in der Nähe Es ist jedoch nicht möglich, diese Daten
von Joppe und anschließend über Land mit absoluter Sicherheit festzulegen. Es
nach Jerusalem gebracht werden. Als gibt viele Auseinandersetzungen unter
Bezahlung für das Holz versorgte Salo- Wissenschaftlern zu diesem Thema,
mo Jahr für Jahr Hirams Haushalt mit aber 1446 liegt sehr nahe an der Früh-
Nahrungsmitteln. datierung des Auszugs.
5,27-32 Um die Arbeitskraft zusam- 6,2-6 Einzelheiten zum Plan des Tem-
menzubekommen, die für dieses gigan- pels werden in Kapitel 6 aufgeführt. Sie
tische Vorhaben des Holzschlagens be- sind an einigen Stellen sehr ausführlich
nötigt wurde, zog Salomo 30.000 Män- gehalten, und es werden viele Fachaus-
ner aus Israel ein, die in Schichten von drücke benutzt, was es schwierig macht,
je 10.000 jeden Monat arbeiteten. Zu- sich eine genaue Vorstellung davon zu
sätzlich zu diesen Männern hatte der machen. Dennoch wissen wir, dass der
König noch 80.000 kanaanitische Skla- Tempel in etwa wie folgt gebaut wurde:
ven (Gebaliter), die in den Steinbrüchen Er war etwa 27 m lang, 9 m breit und
Israels arbeiteten und Steine für den knapp 15 m hoch (V. 2; Anmerkung des
Tempel zurechthauten (vgl. V. 15; 2Chr Übersetzers: Diesen Maßen liegt die
2,17-18). Ferner hatte er noch 70.000 kleine Elle von 45 cm zugrunde; wenn
Lastträger. die große Elle von 52,5 cm zugrunde
gelegt wird, ergeben sich entsprechend
Salomos große Bauvorhaben benötigten größere Maße.). Er war in zwei Räume
ein großes Heer an Sklaven (vgl. 9,15-22). eingeteilt. Der erste war der Tempel-
Doch selbst dies reichte nicht, und er war raum, der 18 m lang und 9 m breit war
gezwungen, einheimische Israeliten her- bei einer Höhe von 15 m (V. 2.17). Ver-
anzuziehen (wahrscheinlich keine aus gitterte Fenster, wahrscheinlich in der
Juda), nicht als Sklaven, aber als Zwangs- Nähe der Decke, gaben Licht und lie-
arbeiter. Die Israeliten mit ihrer Tradition ßen den Rauch abziehen (V. 4). Der
entschiedener Unabhängigkeit verübel- zweite Raum war das Allerheiligste,
ten ihm dies sehr, und es wurde zu ei- 9 m lang, 9 m breit und 9 m hoch. Die
nem Hauptgrund für die Teilung des Vorhalle fügte weitere 9 m zur Länge

349
1. Könige 6 und 7

entweder im Osten oder im Westen hin- ten von einer Wand zur anderen. Dies
zu und lag 5 m über der normalen Höhe sind nicht dieselben Cherubim wie die-
des Bodens. Im Norden, Westen und jenigen auf dem Sühnedeckel der Bun-
Süden des Tempels waren drei Stock- deslade (2Mo 25,18; 37,9).
werke von Seitenräumen oder Kam- 6,29-30 Innerhalb des Tempels war
mern für die Priester. Diese wurden an fast nur Gold zu sehen.
der Mauer des Tempels errichtet, waren 6,31-35 Die Türflügel der Schiebe-
aber kein direkter Teil davon. oder Falttüren, die in das Allerheiligste
6,7-10 Alles Holz und alle Steine für führten, werden in den Versen 31 und
den Tempel wurden im Steinbruch 32 beschrieben. Die Räume wurden
nach exakten Vorgaben zurechtge­ auch durch einen Vorhang voneinander
hauen, sodass die Teile, wenn sie nach getrennt, der innerhalb der Türen des
Jerusalem gebracht worden waren, Allerheiligsten hing (vgl. 2Chr 3,14).
ohne eiserne Werkzeuge zusammen­ Die Haupttüren, die in das Heiligtum
gesetzt werden konnten (V. 7). So wur- führten, werden in den Versen 33-35 be-
de der Tempel in der Stille gebaut, ge- schrieben.
nauso wie auch der lebendige Tempel 6,36 Vor dem Tempel befand sich der
heute gebaut wird. Die Verse 8 und 10 innere Vorhof der Priester. Zwischen
beschreiben den Eingang zu den Seiten- ihm und dem äußeren Vorhof befand
räumen und die Höhe jedes Stock- sich eine niedrige Mauer. Diese Mauer
werkes (2,20 m). Vers 9 beschreibt das bestand aus drei Lagen Quadern und
Dach des gesamten Tempels. einer Lage Zedernbalken.
6,11-22 Das Wort des Herrn kam in Im inneren Vorhof gab es einen gro-
Gnade zu Salomo während des Baus, ßen bronzenen Altar für die Opfer, ein
und er verhieß, dass er den Bund mit großes Waschbecken, das von den
David bestätigen würde und dass Gott Priestern zur Reinigung benutzt wurde,
im Tempel unter den Söhnen Israel und zehn kleine Waschbecken (Kap. 7).
wohnen würde, wenn der König gehor- Der äußere Vorhof war für das Volk Is-
sam wäre (V. 11-13). Das Innere des Ge- rael bestimmt.
bäudes war mit Zedernholz getäfelt 6,37-38 Der Tempelbau wurde im
und vollständig mit reinem Gold über- vierten Jahr der Regierung Salomos be-
zogen. Kein Stein war sichtbar. Diese gonnen und sieben Jahre später voll­
Steine, die so kunstvoll und genau zu- endet.
rechtgehauen waren, waren noch nicht
einmal sichtbar. Spurgeon wendet diese 3. Der Bau anderer Gebäude (7,1-12)
Tatsache geistlich an: 7,1 Der Bericht wendet sich nun dem
Bau von Salomos eigenem Haus und
Selbst die Steine des Fundaments waren anderen königlichen Gebäuden an sei-
nicht uneben oder rau, sondern behauen nem großartigen Hof zu.
und kostbar. Gott möchte, dass alles, was Salomos Haus, der königliche Palast,
wir für ihn tun, gut gemacht wird. Er benötigte 13 Jahre bis zur Fertigstel-
kümmert sich nicht so sehr um das, was lung. Er lag etwas südöstlich des Tem-
der Mensch sehen kann, sondern erfreut pels und unmittelbar außerhalb der
sich an der Schönheit dieser lebendigen Mauer des inneren Vorhofs. Einige
Steine seines geistlichen Tempels, die Ausleger sind der Ansicht, dass die Tat­
den Blicken verborgen sind.3 sache, dass der Bau des Palastes sechs
Jahre länger dauerte als der Tempelbau,
6,23-28 Auf beiden Seiten der Bundes­ ein Beweis dafür ist, dass Salomo mehr
lade im Allerheiligsten standen zwei um sein eigenes Ich bemüht war als um
geschnitzte Cherubim, mit Gold über- die Ehre Gottes. Andererseits könnte es
zogen. Ihre ausgebreiteten Flügel reich- sein, dass der Tempelbau nur sieben

350
1. Könige 7 und 8

Jahre dauerte, weil Salomo eifrig dar- digem Tempel heute Gläubige von be-
um bemüht war, dass Gott ein Haus be- sonders heiligem Charakter sind (Gal
kommen sollte, und weil seine Arbeiter 2,9). Offenbarung 3,12 ist Gottes Verhei-
den »heiligen Tempel« für den Herrn ßung, dass alle Überwinder für alle
schneller bauten. Ewigkeit zu Säulen im Tempel Gottes
7,2-12 Das Libanonwaldhaus (V. 2-5) gemacht werden.
lag am Südende des großen Hofes. Sein 7,23-26 Das »Meer« oder Wasser­
Hauptmerkmal waren eine große An- becken aus gegossener Bronze war das
zahl von Zedernsäulen. Vielleicht ist großes Waschbecken, das im inneren
das eine Erklärung für seinen Namen. Vorhof des Tempels stand. Es wurde von
Wir kennen nicht die genaue Funktion zwölf bronzenen Rindern getragen und
dieses Gebäudes, doch wir schließen stand zwischen dem Tempel und dem
aus 1. Könige 10,17, dass es eine Waffen- Altar im Süden (2Chr 4,10). Es enthielt
kammer war. Direkt neben dem Liba- Wasser für die Priester, damit sie sich
nonwaldhaus befand sich die Säulen- Hände und Füße waschen konnten.
vorhalle oder die Veranda (V. 6). Sie war 7,27-39 Zusätzlich zu dem großen
wahrscheinlich der Eingang zur Ge- Becken gab es zehn kleinere Becken, die
richtshalle und zur Thronhalle (V. 7). auf Wagen oder Gestellen mit vier Rä-
Neben dem königlichen Palast lag das dern standen. Der bronzene Altar wird
Haus der Tochter des Pharao. Es ist erst in 8,64 erwähnt, obwohl auch er im
wahrscheinlich, dass sich dort der kö- inneren Vorhof stand.
nigliche Harem befand (V. 8). Alle diese 7,40-47 Hiram beaufsichtigte die Her-
Gebäude wurden aus wertvollen Stei- stellung aller Gegenstände aus blanker
nen gebaut, die nach Maß gesägt waren. Bronze, die für den Tempelbereich her-
Auch die Mauer um den großen Hof gestellt wurden, einschließlich der Töp-
wurde aus drei Reihen von Steinblöcken fe, Schaufeln und Sprengschalen für
gebaut, auf denen Zedernbalken lagen. den Tempel selbst. Die Bronzeteile wur-
Eine andere Ansicht zu diesen Versen den in Tonformen gegossen, ganz ähn-
sieht das Libanonwaldhaus, die Säulen- lich wie es auch heute noch geschieht
halle und den Thronsaal als Teile des (V. 46).
Palastes an. Das Haus der Tochter des 7,48-50 Zu den Geräten des Heilig-
Pharao lag neben der königlichen Resi- tums gehörte der goldene Räucheraltar,
denz. der goldene Tisch, zehn Schaubrot­
tische (2Chr 4,8), zehn goldene Leuch-
4. Die Ausstattung des Tempels (7,13-51) ter aus gediegenem Gold und goldene
7,13-14 Hiram von Tyrus ist nicht der- Gerätschaften.
selbe wie der König von Tyrus. Er war 7,51 David hatte für den Tempel, den
ein Handwerksmeister jüdischer Ab- er selbst nicht bauen durfte, reichlich
stammung, der in Tyrus wohnte. vorgesorgt. Salomo brachte die »heili-
7,15-22 Als Nächstes werden zwei rie- gen Gaben seines Vaters« in den Tem-
sige Säulen aus Bronze beschrieben, die pel, damit sie dort benutzt und bewacht
am Eingang des Tempels standen. Eine wurden.
hieß Jachin (er wird befestigen), die ande- Unterschiede zwischen diesem Kapi-
re Boas (in ihm ist Stärke). Oben auf jeder tel und 2. Chronik 2-4 werden im Kom-
Säule war ein schüsselförmiges Ka­pitell, mentar zu 2. Chronik behandelt.
das aufwendig verziert war. Obwohl
die äußeren Einzelheiten dieser Säulen F. Die Tempelweihe (Kap. 8)
beschrieben werden, wird nichts über 8,1-5 Als der Tempel vollendet war, be-
die geistliche Bedeutung dieser Säulen stand der nächste Schritt darin, die Lade
ausgesagt. Jemand hat sehr gut ange- des Bundes des Herrn aus dem Teil
merkt, dass die Säulen in Gottes leben- Jerusalems zu holen, die als »Stadt Da-

351
1. Könige 8

vids« oder »Zion« bekannt war, und sie Wolke, um zu zeigen: 1. die Dunkelheit
in den Tempel auf dem Berg Morija zu jenes Zeitalters im Vergleich zum Licht
bringen. Dies geschah wahrscheinlich des Evangeliums, durch das wir mit auf­
fast ein Jahr nach der Vollendung des gedecktem Angesicht die Herrlichkeit des
Gebäudes (vgl. V. 2 mit 1Kö 6,37-38). Herrn wie in einem Spiegel schauen
Kurz vor dem Laubhüttenfest fand (2Kor 3,18; Luther 1984); 2. die Dunkel-
ein großer landesweiter Feiertag statt, heit unseres jetzigen Zustands im Ver-
und die Lade, die Stiftshütte und alle gleich zum Schauen Gottes, das unser
heiligen Geräte wurden von den Pries- Glück im Himmel sein wird, wo die gött-
tern und den Leviten in den Tempel ge- liche Herrlichkeit nicht verhüllt ist. Heu-
bracht. Dabei wurden sehr viele Schafe te können wir nur sagen, was er nicht ist,
und Rinder geopfert. aber dann werden wir ihn sehen, wie er
8,6-9 Die Bundeslade wurde in das ist (1Jo 3,2).4
Allerheiligste gebracht. Auf eine Art,
die wir nicht verstehen, waren die En- 8,14-21 Als Nächstes wandte sich der
den der Stangen vom Heiligtum aus zu König zum Volk, um es zu segnen. Er
sehen, aber von außen, vom Vorhof aus, zeichnete die Erfüllung der Verheißung
waren sie nicht sichtbar. Zu dieser Zeit an David über den Tempel nach und
waren die einzigen Gegenstände in der gab seiner Befriedigung Ausdruck, dass
Bundeslade die zwei steinernen Tafeln die Lade des Bundes nun einen festen
mit den Zehn Geboten. Es wird nicht Wohnsitz hatte.
berichtet, was mit dem Gefäß mit Man- 8,22-26 Das Weihegebet ist in den
na und Aarons Stab, der geblüht hatte, Versen 22-53 aufgezeichnet. Nachdem
geschehen war (Hebr 9,4). Salomo Gott dafür gepriesen hatte, dass
8,10-11 Sobald der Lade (ein Bild für er seinen Bund mit David über den
Christus) ihr richtiger Platz gegeben Tempel eingehalten hatte, bat er ihn, ei-
wurde, kam die Wolke der Herrlichkeit, nen anderen Bund zu erfüllen, den er
die ein Zeichen der göttlichen Gegen- mit David geschlossen hatte – die Ver-
wart ist, und erfüllte den Tempel. Die heißung, dass immer ein Nachfahre Da-
Priester konnten ihre Aufgaben nicht vids auf dem Thron sitzen würde.
ausführen, weil »die Wolke das Haus 8,27-30 Obwohl Salomo erkannte,
des Herrn erfüllte«. dass kein Tempel auf Erden ausreicht,
8,12-13 Als alles vollendet war, richte- um den großen Gott zu beherbergen,
te sich Salomo an den Herrn. Gott hatte bat er doch den Herrn, dass er diesen
gesagt, dass er in tiefer Dunkelheit Tempel anerkennen möge. Er bat weiter
wohnen wolle. Jetzt hatte ihm Salomo darum, dass der Herr hören und ver­
ein »fürstliches Haus« gebaut mit ei- geben möge, wenn er selbst oder je-
nem Allerheiligsten, das nur von der mand anders aus dem Volk Israel dort
Herrlichkeit Gottes selbst erhellt wur- mit Gott sprechen würde.
de. 8,31-53 Dann führte der König ver-
Mit seiner üblichen geistlichen Ein- schiedene besondere Fälle auf, in denen
sicht kommentiert Matthew Henry: die Antwort des Herrn besonders er-
wünscht war:
Er [der HERR] zeigte sich bereit, das Ge- 1. In Gerichtsprozessen, in denen ein
bet Salomos zu erhören, das Salomo Eid abgelegt wurde, wurde Gott, wahr-
gleich sprechen würde. Und nicht nur scheinlich weil es keine eindeutigen Be-
das, sondern er nahm auch Wohnung in weise gab, gebeten, den Schuldigen zu
diesem Haus, damit alle seine Beter er- bestrafen und den Unschuldigen zu be-
mutigt würden, dort ihre Bitten vor ihn lohnen (V. 31-32).
zu bringen. Aber die Herrlichkeit Gottes 2. Wenn Israels Heer wegen Sünde
erschien in einer Wolke, einer dunklen geschlagen wurde, wurde Gott gebeten,

352
1. Könige 8

zu vergeben und die Israeliten wieder ein Zeugnis! 2. Die Vergangenheit garan­
in ihr Land zu bringen, wenn sie ihre tiert die Zukunft (V. 57). Weil Gott sich
Sünde bekannten (V. 33-34). nicht ändert (vgl. Hebr 13,8), können wir
3. In Zeiten der Dürre wurde Gott ge- auf die Tatsache bauen, dass er das, als
beten, Regen zu senden, wenn sich das was er sich in der Vergangenheit erzeigt
Volk vor ihm in Buße demütigte (V. 35- hat, auch für uns sein wird (vgl. Jos 1,5).
36). 3. Der Mensch braucht Gottes Hilfe zum
4. Wenn es Hungersnot, Pest, Getrei- Leben in der Nachfolge (V. 58), eine Wahr-
debrand, Mehltau (Luther 1984), Insek- heit, die Jeremia kannte und für die er
tenplagen oder Belagerungen gab oder den Grund angab (s. Jer 10,23; 17,9).
sie irgendein anderes Unglück befallen Selbst der Impuls des freien Willens des
sollte, dann wurde Gott gebeten, alle Menschen kommt von Gott – fürwahr ein
Gebete zu erhören, die an ihn zum Tem- Paradoxon! Vergleiche dazu die Aktivi-
pel hin gerichtet wurden, und dem tät des Heiligen Geistes in Johannes 16,8-
Land zu vergeben (V. 37-40). 11. 4. Wir sind täglich auf die Hilfe Gottes
5. Wenn ein Heide sich zum Juden- angewiesen (»wie jeder Tag es erfordert«,
tum bekehrte und zu Gott betete, dann V. 59; Menge). Aber er schläft und
wurde Gott gebeten, das Gebet eines schlummert ja nicht (Ps 121,4)! 5. Gottes
solchen Proselyten zu erhören (V. 41- Fürsorge für seine Kinder geschieht nicht,
43). damit sie sie selbstsüchtig genießen kön­
6. Gebete um Sieg in der Schlacht nen, sondern damit andere ihn erkennen
wurden von Salomo vorausgesehen, (V. 60). 6. Angesichts all dessen: Können
und er bat den Herrn, auf solche Bitten wir ihm weniger als unsere vollständige
aufmerksam zu hören (V. 44-45). Treue und unseren ganzen Gehorsam
7. Salomo sprach nun prophetisch schenken? (V. 61) (Daily Notes of the
und sah eine Zeit kommen, in der Israel Scripture Union).
wegen seiner Sünde in die Gefangen-
schaft geführt werden würde. Er bat Dieses Gebet ist auch in 2. Chronik 6
den Herrn, auf die Bußgebete der Is­ aufgezeichnet (vgl. den Kommentar
raeliten zu hören und ihre Herren zu dazu). Die einzigen Unterschiede sind:
beeinflussen, dass sie gnädig mit ihnen In 2. Chronik beendet Salomo das Ge-
umgingen, denn schließlich waren die bet mit drei Bitten (2Chr 6,40-42), die in
Israeliten sein Volk, das er aus Ägypten 1. Könige ausgelassen sind. In 1. Könige
befreit hat. Diese Verse fanden ihre Er- segnet Salomo das Volk (V. 54-61), was
füllung in der babylonischen Gefangen- in 2. Chronik ausgelassen wird.
schaft und in der darauffolgenden 8,62-65 Von den vielen Tieren, die ge-
Rückkehr unter dem Dekret des Kyrus opfert wurden, wurden einige als Nah-
(V. 46-53). rung für die große Volksmenge benutzt,
8,54-61 Nachdem er zu Gott gebetet die zusammengekommen war (V. 65).
hatte, segnete er das Volk mit einer re- Weil der Bronzealtar nicht groß genug
degewandten Bitte um Gottes Anwe- war, um alle Opfer aufzunehmen, weihte
senheit, um die Kraft, ihm ungeteilten Salomo eine Stelle in der Mitte des Vor-
Herzens treu zu sein und ein Zeugnis hofs, wo der Rest dem Herrn geopfert
für ihn unter den Völkern der Erde zu werden konnte. Diese große Feier war
sein. erfüllt von Freude, Anbetung und Dank.
Von den Tausenden Tieren, die ge-
Salomos Segen, wie der Rest seines Ge- schlachtet wurden, wurde nicht eines als
bets, zeigt eine gewaltige Wertschätzung Sünd- oder Schuldopfer dargebracht.
großer geistlicher Wahrheiten: 1. Gott ist Gleichzeitig feierte Salomo das Laub-
ausgesprochen verlässlich. »Nicht ein hüttenfest mit den Israeliten, die von so
Wort ist dahingefallen« (V. 56) – welch weit her kamen wie vom Ort, wo man in

353
1. Könige 8 und 9

Dan bei Hamat im Norden ins Land 2. Seine Geschenke an Hiram (9,10-14)
kommt bis hin vom Bach Ägyptens im Zu diesem Abschnitt meinen einige
Süden. Das Fest der Weihe und das Kommentatoren, dass Salomo 120 Ta-
Laubhüttenfest dauerten zusammen lente Gold von Hiram geliehen hatte
vierzehn Tage. (V. 14), um sein großes Bauprogramm
8,66 Dann kehrten die Menschen zu finanzieren, und dafür Hiram zwan-
fröhlich und guten Mutes nach Hause zig Städte im Land Galiläa als Sicher-
zurück. In 2Chr 7,9 heißt es, dass am heit gegeben hatte. Wegen seiner vor-
achten Tag eine ernste Festversamm- hergehenden Hilfe (V. 11a) hatte Salo-
lung war, während Vers 66 aussagt, mo sich frei gefühlt, die Summe zu lei-
dass das Volk am achten Tag entlassen hen. Aber als Hiram die Städte sah, war
wurde. John Haley harmonisiert die er unzufrieden und nannte sie »Land
beiden Berichte folgendermaßen: Kabul« (das bedeutet unerfreulich,
schmutzig oder Abfall, wörtlich so gut wie
Das Laubhüttenfest begann am 15. Tag nichts [Menge]). Aus 2Chr 8,2 geht an-
des Monats und endete am 22. Tag mit scheinend hervor, dass Salomo diese
einer »heiligen Versammlung« am »ach- Städte wieder ausgelöst hatte, indem er
ten Tag« (3. Mose 23,33-39), an deren die Schuld zurückzahlte.
Ende Salomo das Volk entließ. Die Ent-
lassung trat am nächsten Morgen, dem 3. Seine Untertanen und Opfer (9,15-25)
23. Tag, in Kraft (2Chr 7,10).5 9,15-23 Die Verse berichten über die
Zwangsarbeiter, die Salomo in seinem
G. Salomos Ruhm (Kap. 9-10) Bauprogramm einsetzte. Hazor, Megid-
do und Geser waren drei Städte, die Sa-
1. Sein Bund mit Gott (9,1-9)
lomo zur Verteidigung des Landes be-
9,1-5 Gottes Antwort auf Salomos Gebet festigte. Hazor lag im Norden und be-
war, dass er den Tempel als sein Haus schützte so den nördlichen Zugang
annahm und seinen Namen dort für zum Land Israel. Megiddo war »eine
immer niederlegte. Obwohl Salomos wichtige Stadt in der nördlichen Mitte
Tempel schon lange nicht mehr exis- Palästinas und überblickte die Ebene
tiert, wird Gott doch in einem Tempel Jesreel. Sie beherrschte die Kreuzung
in Jerusalem wohnen, wenn der Herr wichtiger Handelsrouten und diente
Jesus wiederkehren wird, um sein welt- als Schlüssel bei der Verteidigung des
weites Reich zu errichten. In der Zwi- Jordantals (von Süden her) und der
schenzeit wohnt Gott in dem Tempel zentralen Ebene (von Norden her).«6
der Leiber der Gläubigen und in der Geser lag westlich von Jerusalem an
Gemeinde. einer Haupthandelsstraße, die aus dem
9,6-9 Bezüglich der Familie Salomos Landesinnern zur Küste des Philister-
verhieß Gott, dass Salomo und seine landes führte. Alle gefangenen Heiden,
Söhne immer einen Nachkommen auf die in Vers 20 erwähnt werden, waren
dem Thron sitzen haben würden, wenn Zwangsarbeiter. Die Kinder Israel wur-
sie gehorsam wären. Aber wenn sie den nicht in die Knechtschaft ernied-
vom lebendigen Gott abwichen und rigt. Es gab 550 Aufseher, die über Salo-
sich dem Götzendienst zuwenden wür- mos Bauvorhaben gesetzt waren.
den, dann würde er das Volk ins Exil 9,24 Der »Millo«, den Salomo baute,
schicken, den Tempel zerstören und Is- war eine Art Festungsanlage in Jerusa-
rael »zum Sprichwort und zur Spott­ lem. Mit dem Bau wurde begonnen,
rede« unter allen Völkern machen. Der nachdem der Palast der Tochter des
Tempel würde zu einem Haufen von Pharao fertiggestellt war.
Ruinen werden und Besucher würden 9,25 Salomo opferte dem Herrn drei-
sich über seine Verwüstung entsetzen. mal im Jahr zu den drei Hauptfesten:

354
1. Könige 9 bis 11

dem Fest der ungesäuerten Brote, dem 10,16-22 Gold war so reichlich vor-
Wochenfest (Pfingsten) und dem Laub- handen, dass Salomo es sogar benutzte,
hüttenfest (2Chr 8,13). um Schilde herzustellen, die er ins Li-
banonwaldhaus hing. Sein elfenbeiner-
4. Seine Flotte (9,26-28) ner Thron war mit Gold überzogen. An
König Salomo hatte eine Flotte in Ezjon- jeder Seite des Throns stand ein großer
Geber am Golf von Akaba, in der Nähe geschnitzter Löwe. Auch auf jeder Seite
von Elat. Hiram sandte einige seiner aller sechs Stufen, die zum Thron führ-
Knechte mit der Flotte nach Ofir (die ten, stand ein Löwe. In den Tagen Salo-
Lage von Ofir ist heute unbekannt, eini- mos war Silber relativ gering geachtet.
ge Ausleger sagen, damit sei Südarabien Salomos Handelsschiffe brachten nicht
gemeint, andere stimmen für Indien und nur Gold und Silber, sondern auch so
wieder andere für Afrika). Sie brachten exotische Sachen wie Elfenbein, Affen
von dort 420 Talente Gold zu König und Paviane.7
Salomo. 10,23-25 Salomos Reichtum und Weis-
heit brachten ihm weltweiten Ruhm,
5. Der Besuch der Königin von Saba (10,1-13) und er erhielt von seinen Bewunderern
Der Zweck von Kapitel 10 ist die Be­ Geschenke, wenn sie ihn besuchten.
tonung der Herrlichkeit Salomos. Von 10,26-29 Es wird die Tatsache er-
den Trinkgefäßen bis hin zu den Segel- wähnt, dass Salomo stark in Pferde und
schiffen, vom Elfenbeinthron bis hin zu Streitwagen investierte. Koe (revidierte
den handgearbeiteten Streitwagen be- Elberfelder V. 28 mit Änderung des Ma-
saß er alles, was sich das menschliche soretischen Texts)8 bezeichnet vielleicht
Herz wünschen kann, und das in Men- Zilizien und war für seine Pferde be-
gen, die unsere Vorstellung überstei- rühmt. Salomo erwarb nicht nur Streit-
gen. Die Königin von Saba, eine wirk- wagen und Pferde für die eigene Vertei-
lich reiche Frau, war von Salomos Weis- digung, sondern exportierte sie auch in
heit und dem Glanz seines Reiches andere Länder.
wirklich überwältigt. Dies war eine Er- Obwohl es hier nicht erwähnt wird,
füllung der Verheißung des Herrn, der erforderte der Luxus der Regierung Sa-
Salomo alles verdankte (3,11-13). lomos eine hohe Besteuerung, um ihn
Die Königin von Saba (Saba liegt im aufrechtzuerhalten. Dies sollte zum
Süden der arabischen Halbinsel) kam, Zerfall des Reiches führen (12,3-15).
um Salomos Weisheit zu prüfen, indem »Die Besteuerung«, schreibt J.R. Lum-
sie ihm Rätselfragen stellte, doch er by, »muss erdrückend gewesen sein,
konnte sie alle beantworten (V. 3a). Als und mit all diesem orientalischen Glanz
sie die Pracht seines Reiches sah, muss- und Luxus lag darin schon der Nieder-
te sie zugeben, dass die überschwäng­ gang. Salomo war der jüdische Ludwig
lichen Berichte, die sie gehört hatte, nur XIV.«9
einen Teil der Wahrheit schilderten. Sie Eine solche Anhäufung von Reichtum
gab Salomo Geschenke von Gold und und Pferden stand im Gegensatz zum
Balsamöle in großer Menge. Sie erhielt Wort Gottes (5. Mose 17,16-17).
selbst im Gegenzug Geschenke von Sa-
lomo, ehe sie in ihr Land zurückkehrte. H. Salomos Versagen und Tod (Kap. 11)
11,1-3 5. Mose 17,17 verbot dem König
6. Sein Reichtum (10,14-29) Israels, heidnische Frauen zu heiraten.
10,14-15 Hirams Hilfe brachte Salomo Das Ausmaß, in dem Salomo diesem
nicht nur Gold aus Ofir, sondern auch wichtigen Gebot ungehorsam war, ist er-
große Mengen Almuggim-Holz und schreckend. Das Ergebnis war genauso,
Edelsteine (V. 11). Salomo war ein Han- wie es vorausgesagt wurde: Seine Frau-
delsgenie. en neigten sein Herz zum Götzendienst.

355
1. Könige 11

11,4-8 Vers 4 bedeutet, dass König Da- hunderten als Pfahl im Fleisch Israels
vids Herz dem Herrn, seinem Gott, ganz erweisen sollte.
treu war, soweit es um den Götzen- 11,26-28 Der dritte Widersacher war
dienst ging, aber Salomo folgte in dieser ein Beamter Salomos, den Gott in Vers
An­gelegenheit seinem Vater nicht. Er 11 erwähnt hatte: Jerobeam, der Sohn
baute auf dem Ölberg von Jerusalem des Nebat aus dem Stamm Ephraim.
götzendienerische Heiligtümer. Salomo hatte ihm eine verantwortliche
11,9-13 Gott war Salomo zweimal er- Stellung beim Bau des Millo gegeben.
schienen – in Gibeon (3,5) und in Jeru- Vielleicht weckte diese Macht in Jero-
salem bei der Tempelweihe (9,2). Nun beam das Verlangen, über ganz Israel
verkündigte er, dass Salomo das Reich zu herrschen.
wegen seines Götzendienstes weggeris- 11,29-39 Eines Tages begegnete Jero-
sen und es einem seiner Knechte gege- beam einem Propheten namens Ahija.
ben werden sollte. Doch würde es nicht Als sie beide allein auf dem freien Feld
während Salomos Lebenszeit gesche- waren, fasste Ahija seinen eigenen
hen, und auch sollten nicht alle zwölf neuen Mantel und zerriss ihn in zwölf
Stämme vom Haus David weggenom- Teile. Er gab zehn Teile Jerobeam als
men werden. Ein Stamm (Benjamin; Zeichen dafür, dass Gott ihm die Herr-
Juda wurde als selbstverständlich vor- schaft über zehn Stämme Israels geben
ausgesetzt – 12,23) sollte Salomos Sohn würde. Er erklärte Jerobeam auch, dass
gegeben werden. ein Stamm (Benjamin) für Salomos
11,14-22 Drei von Salomos Wider­ Sohn übrig bleiben sollte (es versteht
sachern werden nun beschrieben. Der sich, dass Juda dazugehörte – 12,23)
erste war Hadad, ein edomitischer und dass das Reich erst nach Salomos
Prinz, der als sehr junger Mann nach Tod geteilt werden würde. Wenn Jero-
Ägypten geflohen war, als Joab alles beam dem Herrn gehorchen würde,
Männliche in Edom töten ließ. Er wur- dann wären ihm der Segen und die Hil-
de vom Pharao gut behandelt, und ihm fe des Herrn sicher. Man beachte, wel-
wurde sogar die Schwester der Königin che Grenzen Gott Jerobeam setzte. Er
Tachpenes zur Frau gegeben. Als Ha- sollte zehn Stämme haben, nicht das
dad hörte, dass David und Joab tot wa- ganze Königreich, er sollte erst nach
ren, erhielt er nur zögernd die Erlaub- Salomos Tod an die Macht kommen, und
nis vom Pharao, nach Edom zurückzu- Gott würde ihm nur dann ein bestän­
kehren. Von dort aus führte er militä- diges Haus geben, wenn er dem Herrn
rische Operationen gegen Salomo vom gehorchen und ihm von ganzem Her-
Süden aus durch. zen folgen würde.
11,23-25 Der zweite Widersacher war 11,40 Offensichtlich rebellierte Jero-
Reson, der entkommen war, als David beam schon, als Salomo noch lebte, des-
die Bewohner von Zoba tötete. Reson halb musste er nach Ägypten fliehen,
wurde dann Anführer einer Räuber- um dem Zorn des Königs zu entgehen.
schar. Später errichtete er ein unabhän- Er blieb dort bis zum Tod Salomos. Statt
giges Königreich in Damaskus. Er wur- sich seiner Sünden zu stellen und Buße
de für Salomo eine militärische Gefahr zu tun, versuchte Salomo das Wort Got-
aus dem Norden. Damaskus hatte das tes zu durchkreuzen, indem er sich
Joch Israels getragen, seit David die Jerobeams entledigte. Es war jedoch
Stadt erobert und dort Truppen statio- dumm, gegen Jerobeam zu kämpfen,
niert hatte (2Sam 8,5-6). weil er nun der von Gott bestimmte
Der Verlust von Damaskus, des wich- Erbe der Nordstämme war. Saul war
tigsten Stadtstaats in Syrien, war beson- schon nicht erfolgreich gewesen, als er
ders bedeutsam, weil der König von versuchte, seinen Nachfolger David
Syrien sich in den kommenden Jahr- umzubringen. Salomo war gleicher­

356
1. Könige 11 und 12

weise nicht erfolgreich in seinem Ver- ten Dienst deines Vaters und sein
such, Jerobeam umzubringen. schweres Joch, das er auf uns gelegt hat!
Die Stämme, über die Jerobeam herr- Dann wollen wir dir dienen.« Um die
schen sollte, waren: Ruben, Dan, Naftali, orientalische Üppigkeit seines Hofes
Gad, Asser, Issaschar, Sebulon, Ephraim, aufrechtzuerhalten, hatte Salomo hohe
Manasse und Teile von Levi und Si­ Steuern erhoben und von Zwangsarbeit
meon. Die Stämme, über die Salomos Gebrauch gemacht. Deshalb sagten sie
Sohn herrschen würde, waren: Juda, praktisch: »Verringere die Steuern, mit
Benjamin und Teile von Levi und Si­ denen dein Vater uns unterdrückt hat,
meon. Levi (2Chr 11,13-16) und Simeon und wir werden dir dienen. Andern-
waren größtenteils Juda treu. falls werden wir einen Aufstand ma-
11,41 Das Buch der Geschichte Salo- chen.«
mos ist wahrscheinlich die offizielle Rehabeam bat um drei Tage Bedenk-
Chronik seiner Regierung, aber sicher- zeit. Während dieser Zeit konsultierte
lich kein inspirierter Teil der Schrift. er zunächst seine älteren Berater. Sie
11,42-43 Nachdem Salomo vierzig rieten ihm, das Volk freundlich zu be-
Jahre lang regiert hatte, starb er und handeln und ihnen zum Knecht zu wer-
wurde in Jerusalem begraben. Sein den. Seine jüngeren Berater jedoch
Sohn Rehabeam folgte ihm nach. Salo- schlugen ihm das genaue Gegenteil vor:
mos Anfang war sicherlich besser als Er sollte dem Volk drohen, sie noch stär-
sein Ende. Ein guter Start garantiert ker zu belasten. In diesem Sinne würde
kein gutes Ende. Er war erzogen wor- Rehabeams kleiner Finger dicker sein
den, um die Spitze menschlicher Größe als Salomos Hüfte. Wenn Salomo sie
zu erreichen, aber er fiel in den Ab- mit Peitschen gezüchtigt hatte, dann
grund moralischer Degradierung und würde er dafür Skorpione nehmen (da-
des Götzendienstes. Wenn der König mit sind wahrscheinlich Peitschen mit
nur praktiziert hätte, was er in Prediger scharfen Spitzen gemeint).
12,13-14 gepredigt hatte: 12,12-20 Als Jerobeam und das ganze
Volk am dritten Tag zu Rehabeam ka-
Das Endergebnis des Ganzen lasst uns men, wurde ihnen nach dem Rat der
hören: Fürchte Gott und halte seine Ge- Jüngeren geantwortet. Vers 15 weist dar­
bote! Denn das soll jeder Mensch tun. auf hin, dass diese Wendung der Ereig-
Denn Gott wird jedes Werk, es sei gut nisse vom Herrn gewirkt wurde, um
oder böse, in ein Gericht über alles Ver- sein Wort aufrecht zu halten, das er
borgene bringen. durch Ahija, den Siloniter, geredet hatte
(11,30-39). An diesem Punkt lehnte sich
III. Das geteilte Reich (Kap. 12-22) das Volk Israel gegen Rehabeam auf,
obwohl einige aus den anderen Stäm-
A. König Rehabeam von Juda (12,1-24) men noch im Gebiet Judas wohnten. Re-
habeam sandte Adoram, seinen unbe-
Rehabeam, der Sohn Salomos, regierte liebten Zuchtmeister über die Zwangs-
Juda siebzehn Jahre lang (930/931-913 arbeiter, um diese letzteren Israeliten
v.Chr.; 1Kö 12,20-24; 2Chr 11 und 12). zur Unterwerfung zu bringen, doch sie
12,1-11 Rehabeam ging nach Sichem, steinigten Adoram zu Tode. Dann
um sich als König bestätigen zu lassen. machte das Volk Israel Jerobeam zu sei-
Jerobeam war aus Israel zurückgekehrt, nem König. Obwohl es in Vers 20 heißt,
als er vom Tod Salomos hörte, und ging dass nur der Stamm Juda Rehabeam
ebenfalls nach Sichem, zusammen mit folgte, müssen wir uns daran erinnern,
der ganzen Versammlung Israels. Die dass Benjamin (V. 21), Simeon (Jos
Israeliten stellten Rehabeam ein Ulti- 19,1b) und die meisten Leviten zu Juda
matum – »Du erleichtere nun den har- gehörten.

357
1. Könige

Chronologie der alttestamentlichen Könige und Propheten


1050 1025 1000 975 950 925 900 875 850 825 800 775 750

Secharja & Schallum


Jerobeam I
Omri Ahasja Joasch Pekach

Könige von Israel


Bascha Ahab Jehu
Jerobeam II

Nadab Tibni Joram Joahas Menahem

Isch-Boschet Ela & Simri Pekachja


& Abner
Elia Amos

931 Propheten Elisa


König Saul David Salomo REICHSTEILUNG

Jona
Hosea
966 Beginn
des Tempelbaus Obadja Joel

Abija Joschafat Ahasja


Samuel
Amazja
Asa Joasch
(unter dem
Könige von Juda Priester Jojada) Usija

Rehabeam Joram Atalja Jotam

Schamschiadad V Assurnerari V
KÖNIGE VON ASSYRIEN
Assurnassirpal II Salmanassar IV

Assurnassirpal I Adadnerari III


Salmanassar III Assurdân III

KÖNIGE VON DAMASKUS Tabrimmon Benhadad II

Hesjon Benhadad I Hasaël

Rezin

ÄGYPTISCHE PHARAONEN

Serach

Scheschonk I

1050 1025 1000 975 950 925 900 875 850 825 800 775 750

358
1. Könige

Chronologie der alttestamentlichen Könige und Propheten

725 700 675 650 625 600 575 550 525 500 475 450 425

722 werden die 10 Nordstämme in Gefangenschaft geführt

Hoschea 70-JÄHRIGE GEFANGENSCHAFT

Micha Jeremia Sacharja Maleachi

Jesaja Nahum Daniel

Haggai
Hosea Hesekiel

Zefanja Habakuk
Joahas 536 Beginn des Wiederaufbaus des Tempels Nehemia in Babylon
Usija Amon Jojakim 520 Wiederaufnahme der Tempelbauarbeiten

Hiskia Isaiah Jerusalem


Manasse Josia samt Tempel
Serubbabel Esra Nehemia
Ahas zerstört

622 wird das Gesetzbuch wiederentdeckt 516 Fertigstellung des Tempels 466 - Die Mauern
Jotam Jojachin Jerusalems abermals zerstört
Zedekia
Jojada
Tiglatpileser III HOHEPRIESTER
Joschua Jojakim Eljaschib
Sargon II
Assuruballit II

Assurbanipal ACHAIMENIDISCHE KÖNIGE VON PERSIEN


Smerdis
Salmanassar V Assarhaddon 612 - Fall von Ninive
Sanherib Assuretelilani
Sinscharischkun Kyros Dareios I
Xerxes Artaxerxes I
Hystaspes

Rezin MEDISCHE KÖNIGE Kambyses 478 - Esther wird Königin

Kyaxares Astyages

Neriglissar
Labaschimarduk
NEUBABYLONISCHES REICH Nebukadnezar Nabonid

Nabupolassar Ewil-Merodach Belsazar


Taharka
(als Pharao) Psammetich III

Psammetich I Necho Apries Amasis


II

Taharka Psammetich II

725 700 675 650 625 600 575 550 525 500 475 450 425

359
1. Könige 12

12,21-24 Rehabeam plante, dies durch


Dyn. Israel Dyn. Juda
eine Kriegserklärung an Israel zu ver-
hindern, doch er gab seinen Plan als Atalja
Folge eines göttlichen Befehls auf. Ahab (Thronräube-
Nachdem er früher schon den Rat sei- rin)
ner Ältesten ignoriert hatte, folgte Re- Ahasja Joasch (gut)
habeam jetzt dem Rat des Herrn und Joram
verschonte so das Leben vieler Israeli- Amazja (gut)
(Jehoram)
ten. Der Herr ordnete die Teilung an Usija (Asarja)
und stellte sicher, dass diese ohne Blut- 5 Jehu
(gut)
vergießen vor sich ging.
Joahas Jotam (gut)
Joasch Ahas
Jerobeam II Hiskia (gut)
Exkurs: Die Teilung des Reiches
Secharja Manasse
Die Geschichte des geteilten Reiches
6 Schallum Amon
beginnt hier und setzt sich durch das
Buch 2. Könige hindurch fort. Jerobeam 7 Menahem Josia (gut)
regierte über die nördlichen zehn Stäm- Joahas
Pekachja
me, normalerweise als »Israel« bekannt (Schallum)
und manchmal von den Propheten Jojakim
»Ephraim« genannt. Dieses Reich er- 8 Pekach
(Eljakim)
lebte, wie neun Dynastien aufeinander- Jojachin
folgten, und alle Könige waren böse. 9 Hoschea (Jechonja,
Rehabeam regierte über das Südreich, Konja)
auch als »Juda« bekannt. Dieses Reich Zedekia
hatte nur eine Dynastie. Jeder König war (Mattanja)
ein Nachfahre Davids. Durch diese Kö-
nigslinie wird der rechtmäßige An-
spruch Christi auf den Thron Davids Die Geschichte des geteilten König-
über Josef, seinen Stiefvater, zurückver- reichs kann in vier Phasen eingeteilt
folgt (vgl. Stammbaum in Mt 1). Er war werden. Zuerst gab es eine Zeit des offe-
auch durch die Jungfrau Maria ein Sohn nen Konflikts, der sich von Jerobeam
Davids, die selbst eine Nachfahrin von (1Kö 12,1) bis Omri (1Kö 16,28) er-
Davids eigenem Sohn Nathan war (vgl. streckt. Als Zweites einigten sich die
Stammbaum in Lk 3). Einige wenige zwei Reiche auf eine Zeit der Entspan-
dieser Könige waren herausragende Re- nungspolitik, und zwar von Omri (1Kö
former, doch die meisten waren böse. 16,29) bis Jehu (2Kö 9). Die dritte Phase
reichte von Jehu bis zur Assyrischen
Die Könige von Israel und Juda Gefangenschaft Israels (722 v.Chr.) und
war durch eine relative Unabhängigkeit
Dyn. Israel Dyn. Juda beider Reiche gekennzeichnet (2Kö 9-
17). Schließlich war nur noch Juda als
1 Jerobeam 1 Rehabeam
überlebendes Reich übrig, bis es von
Nadab Abija den Babyloniern im Jahr 586 v.Chr. in
2 Bascha Asa (gut) die Gefangenschaft geführt wurde (2Kö
Ela Joschafat (gut) 18-25).
Das Königreich Israel kehrte nie als
Joram
3 Simri
(Jehoram) Nation in das Land zurück. Juda blieb
siebzig Jahre in der Gefangenschaft,
4 Omri – Tibni Ahasja
und dann kehrten größere Gruppen

360
1. Könige 12 und 13

nach Jerusalem zurück, wie von Esra halb baute er sein eigenes religiöses Sys­
und Nehemia aufgezeichnet. Die süd­ tem auf: Er setzte Dan und Bethel als
lichen Stämme kamen so zurück in das neue Zentren des Gottesdienstes ein, in-
Land, unter heidnischer Herrschaft, dem er in beiden Städten goldene Kälber
und zwar etwa 500 Jahre vor der Geburt aufstellte und erklärte, dass diese Götzen­
Christi. bilder die Götter seien, die Israel aus dem
Am Ende der Geschichte des Alten Land Ägypten befreit hätten!
Testaments waren die Juden im Land 12,31-33 Jerobeam richtete götzendie-
dem König von Persien untertan. Spä- nerische Höhenheiligtümer ein. Er setz-
ter wurde Persien von Griechenland er- te eine neue Priesterschaft aus dem
obert, und die Juden wurden von dieser ganzen Volk ein – nicht notwendiger-
Weltmacht regiert. Schließlich wurden weise aus dem Stamm Levi, wie es Gott
die Griechen vom Römischen Reich un- verordnet hatte. Er stellte einen neuen
terjocht, und dieses Reich war an der religiösen Kalender auf, mit einem gro-
Macht, als der Herr Jesus erschien. ßen Fest am fünfzehnten Tag im achten
Wenn wir das geteilte Königreich stu- Monat, das das Laubhüttenfest ersetzte,
dieren, findet der Leser häufig scheinbare das im siebten Monat stattfand. Er selbst
Widersprüche bei den angegebenen Da- riss das Priesteramt an sich, indem er
ten. Die meisten dieser chronologischen Opfer auf dem Altar darbrachte, den er
Schwierigkeiten können durch die Tat­ in Bethel gemacht hatte.
sache erklärt werden, dass es verschie- Dass viele vom Volk Israel diese Än-
dene Methoden gab, mit denen die Länge derungen akzeptierten, zeigt, dass ihre
der Regierungen in Israel und Juda be- Herzen weit vom Herrn entfernt waren.
rechnet wurden. Ein anderer wichtiger Ihre Väter hatten schon einmal ein Kalb
Faktor ist, dass oft zwei Könige für eine angebetet und wurden dafür bestraft
Zeit lang gemeinsam regierten.10 (2. Mose 32). Salomo hatte Höhen errich-
Wir werden das geteilte Reich in der tet und deshalb einen Großteil seines
Reihenfolge durchgehen, in der die Kö- Reiches verloren (Kap. 11). Korach und
nige aufgeführt werden, und die wich- seine Anhänger hatten versucht, die
tigen Ereignisse der Regierung jedes Priesterschaft an sich zu reißen, und hat-
Königs angeben. ten deswegen ihr Leben verloren (4. Mo­
se 16). Diese Neuerungen, durch die
Jerobeam versuchte, sein Reich zu si-
chern, sicherten nur seinen endgültigen
B. König Jerobeam von Israel Ruin. Diejenigen, die ein Herz für Gott
(12,25 - 14,20) hatten, flohen nach Juda (2Chr 11,14-16)
Jerobeam, der Sohn des Nebat, vom und überließen ihre Brüder der Bequem-
Stamm Ephraim, war 22 Jahre lang Kö- lichkeit – und den Konsequenzen – einer
nig von Israel (930/31 - 910/09 v.Chr.). von Menschen gemachten Religion. Es
ist gut gesagt worden, dass »Jerobeam
1. Jerobeams falsche religiöse Zentren keinen so guten Posten [als Fürst] ver-
(12,25-33) dient hatte, aber dass Israel einen so
12,25-30 Israels erster König machte schlechten Fürsten verdient hatte«.
gleich zu Beginn Sichem zu seiner
Hauptstadt und baute dann Pnuel jen- 2. Jerobeam und der Mann Gottes (13,1-32)
seits des Jordans aus. Er fürchtete, dass 13,1-3 Während Jerobeam auf dem Al-
das Volk von Israel zum Gottesdienst tar in Bethel Weihrauch opferte, wurde
nach Jerusalem zurückkehren würde, ein Mann Gottes aus Juda gesandt, um
um dort an den Festtagen anzubeten, den Götzenaltar anzuprangern. Er sag-
und dann seine Loyalität wieder dem te voraus, dass ein König namens Josia
König von Juda zuwenden würde. Des- in Juda aufstehen würde und die göt-

361
1. Könige 13 und 14

zendienerischen Priester auf dem Altar Gottes weiter. Wegen seines Ungehor-
verbrennen würde. Die Erfüllung der sams würde der Mann Gottes sterben
Prophezeiung aus Vers 2 findet sich in und nicht bei seiner Familie begraben
2Kö 23,15-16. Über 300 Jahre vergingen werden. Wenn dies uns etwas hart er-
zwischen der Prophezeiung und ihrer scheint, dann sollten wir daran denken,
Erfüllung. Als Zeichen für die Gewiss- dass Gott diejenigen, die er liebt, die
heit der Prophezeiung sagte er, dass der seine Sprecher sind, strenger behandelt,
Altar zerbersten und die Fettasche ver- ebenso die, die große Vorrechte genie-
schüttet werden würde. ßen. Auf seinem Weg nach Hause wur-
13,4-6 Als Jerobeam auf den Prophe- de der Mann Gottes von einem Löwen
ten zeigte und befahl, dass er gefangen getötet. Entgegen aller Gesetze der
genommen würde, verdorrte die Hand Natur hielten der Esel und der Löwe
des Königs. Auch zerbarst der Altar, Wache bei seiner Leiche auf dem Weg.
und die Fettasche wurde verschüttet – 13,26-32 Als der alte Prophet die
ein Vorzeichen des Untergangs der Re- Nachricht hörte, erkannte er sofort,
ligion Jerobeams. Als Antwort auf das dass dies das Gericht des Herrn über
gnädige Gebet des Propheten wurde den Ungehorsam war. Er ging zu der
die Hand dem König wiedergegeben Szene der Tragödie, brachte die Leiche
und war wieder gesund. nach Bethel und begrub den Mann
13,7-10 Wenn der König den Prophe- Gottes in seinem eigenen Grab. Er wies
ten nicht durch Drohungen zum dann seine Söhne an, dass es sein
Schweigen bringen konnte, so wollte er Wunsch wäre, neben ihm begraben zu
es damit versuchen, dass er ihn dazu werden. Er erkannte, dass das götzen-
brachte, Gemeinschaft mit ihm zu pfle- dienerische Sys­tem, dessen Teil er war,
gen. Gott hatte dem Propheten strenge dazu verurteilt war, von Gott zerstört
Anweisungen gegeben, dass er nichts zu werden.
tun dürfe, was auch nur im Geringsten
einer Duldung der bösen Regierung 3. Jerobeams falsche Priesterschaft (13,33-34)
Jerobeams gleichkommen konnte. So König Jerobeam blieb bei seinem Un-
weigerte sich der Prophet in Überein- recht und machte weiterhin Menschen
stimmung mit den Anweisungen des aus dem gesamten Volk zu Priestern und
Herrn, mit Jerobeam zu essen oder zu diente auch selbst als Priester. Solche
trinken. Auch nahm er einen anderen Sünde war letztlich die Ursache für die
Weg, um von Bethel wieder nach Hause Vernichtung der Dynastie Jerobeams.
zu kommen. Irving L. Jensen bemerkt dazu:
13,11-19 Auf dem Weg wurde er von
einem alten Propheten aus Bethel ab­ König Jerobeam hätte in dem Schicksal
gefangen. Zuerst wies der Mann Gottes des Propheten aus Juda ein Bild von sich
die Gastfreundschaft des alten Prophe- und seinem eigenen Schicksal sehen sol-
ten zurück, damit er nicht die geringste len, das ihn ereilen würde, wenn er nicht
Sympathie für das zeigte, was in Bethel umkehrte. Jerobeam war wie der Pro-
geschah. Doch dann behauptete der alte phet von Gott in eine hohe Position beru-
Mann, dass ihm ein Engel gesagt hätte, fen worden. Wie der Prophet wusste
er solle den Mann Gottes bewirten. Mit auch er ganz genau, was Gott von ihm
dieser Lüge schaffte er es, den anderen wollte. Aber wie der Prophet gehorchte
zu überreden, sodass er die angebotene er dem Wort Gottes nicht.11
Gastfreundschaft annahm.
13,20-25 Während sie zusammen 4. Der Tod des Sohnes Jerobeams (14,1-20)
aßen, sprach der Herr zu dem alten 14,1-4 Als Abija, der Sohn Jerobeams,
Propheten von Bethel, und dieser wie- erkrankte, sandte der König seine Frau
derum gab die Botschaft an den Mann zum Propheten Ahija – zu dem Mann

362
1. Könige 14

Gottes, der Jerobeam zuvor gesagt hat-


te, dass er König über die zehn Nord- Das geteilte Königreich
stämme werden sollte.
Die Königin verkleidete sich – viel-
leicht aus mehreren Gründen. Erstens Mittelmeer

N
IE
Damaskus
würde ein öffentlicher Besuch bei dem

IZ
ÖN
Mann Gottes einen Mangel an Glauben Tyrus Dan

PH
an die Götzen in Dan und Bethel zei-
gen. Zweitens erkannte Jerobeam, dass
Ahija den Götzendienst ablehnte und Megiddo
Bet-Schean

ihr nichts Günstiges sagen würde, wenn Sichem


er wüsste, wer sie war. Drittens dachte Jafo ISRAEL
der König vielleicht, dass er durch eine Aschdod
Geser
Bethel
Jericho
Rabba
AMMON

Überlistung des Propheten sogar Gott Aschkelon Gat


Jerusalem
Totes

A
überlisten könnte. Meer

Ä
Gaza Hebron

T
IS
JUDA
14,5-13 Der Herr kündigte dem blin-

IL
Beerscheba

H
MOAB

P
den Propheten vorher an, dass die Kö-
nigin kommen würde. Sobald sie an­ Bozra
gekommen war, deckte der Prophet Kadesch-Barnea

M
ihre Tarnung auf und sandte sie mit

O
einer Unglücksnachricht zurück. We-
N

D
gen des Ungehorsams und des Götzen-

E
dienstes des Königs sollte von ihm al- 0 60 Km

les, was männlich ist, in Israel aus­


gerottet werden. Gott wollte dieses
Haus völlig vernichten. Keiner aus sei- Die Herrlichkeit des gemeinsamen Reiches
ner Familie würde ein ordentliches verblasste nach dem Tod Salomos, als sein
Begräbnis haben, außer dem kranken Sohn Rehabeam hart mit Jerobeam und
Sohn Abija, der sterben sollte, sobald seinen Anhängern sprach. Ihre Antwort lau-
die Königin die Stadt betrat. tete: »Zu deinen Zelten, Israel! Nun sieh
nach deinem Haus, David!« Rehabeam re-
14,14-16 Gott würde einen anderen
gierte über Juda im Süden, und Jerobeam
König (Bascha) erstehen lassen, der wurde König von Israel im Norden.
Jerobeams Familie auslöschen würde.
Schließlich würde das Volk Israel in die
Gefangenschaft geführt werden, weil
Jerobeam die Anbetung der Ascherim12 der Bibel, sondern es handelt sich um
eingeführt hatte. Die Ascherim waren die offiziellen Aufzeichnungen der
geschnitzte hölzerne Bilder, die Frucht- Könige, die als öffentliche nationale
barkeit symbolisierten. Geschichte geschrieben wurden.
14,17-18 Aus Vers 17 geht hervor, dass Jetzt wechselt die Szene zum Reich
Tirza zu dieser Zeit die Hauptstadt Is- Juda.
raels war. Sobald die Königin dorthin
zurückkehrte, starb ihr Sohn. Israel be- C. König Rehabeam von Juda
grub ihn und hielt die Totenklage, wie (Fortsetzung) (14,21-31)
vom Propheten vorhergesagt. 14,21-24 Wir haben schon den ersten
14,19-20 Nachdem Jerobeam 22 Jahre Teil der Regierung Rehabeams in Ka­
lang regiert hatte, starb er, und sein pitel 12 studiert. Dieser Abschnitt fasst
Sohn Nadab folgte ihm auf den Thron. die wichtigen Ereignisse seiner Re­
Das »Buch der Chronik der Könige von gierungszeit zusammen. Die Tatsache,
Israel« (Schlachter 2000) ist nicht iden- dass die Königinmutter zweimal als
tisch mit dem Buch der Chroniken in Ammoniterin bezeichnet wird (V. 21.

363
1. Könige 14 und 15

31), kann dazu dienen, die Aufmerk- Abijam) seine Regierung über Juda im
samkeit des Lesers auf eine tiefere 18. Jahr der Regierung Jerobeams über
Ursache für das Scheitern Rehabeams Israel antrat. Im Masoretischen Text
in seiner Regierung zu lenken – sein wird der König an dieser Stelle Abijam
Vater Salomo hatte fremde Frauen ge- genannt, in 1Chr 3,10 und 2Chr 12,16
heiratet, die ihn und seine Familie zum Abija.
Götzendienst verleiteten. In ganz Juda 15,2 Hier wird Abijas Mutter als
herrschte der Götzendienst, und männ- Maacha, die Tochter Abischaloms, an-
liche Kultprostituierte (Tempelhurer) gegeben. In 2Chr 11,21 heißt sie Maacha,
boten ihre gräulichen Dienste in den die Tochter von Absalom, und in 2Chr
Tempeln an. 13,2 ist es Michaja, die Tochter Uriels.
14,25-28 Jerusalem wurde von Schi- Es ist möglich, dass seine Mutter zwei
schak, dem König von Ägypten, ange- Namen hatte und dass sie die Tochter
griffen und geplündert. Die Schätze aus Uriels und die Enkelin von Absalom
dem Tempel und dem Königspalast (derselbe wie Abischalom) war. (»Sohn«
wurden geraubt. Rehabeam ordnete an, oder »Tochter« bezeichnet in der Bibel
dass bronzene Schilde statt der golde- oft einfach einen Nachkommen.)
nen hergestellt wurden, die weggenom- 15,3-8 Abija folgte seinem Vater als
men worden waren. Götzendiener nach ‒ und damit nicht
Ist es nicht Ironie, dass Salomo ver- David, der in dem Sinne treu gewesen
sucht hatte, sich vor Ägypten zu schüt- war, dass er nie Götzen angebetet hatte.
zen, indem er die Tochter des Pharao Die Verse 4 und 5 legen nahe, dass Gott
heiratete, aber dass schon kurze Zeit das Haus Abijas vernichtet hätte, hätte
nach seinem Tod Schischak von Ägyp- nicht der Bund mit David bestanden.
ten den größten Teil des Glanzes von Man beachte, wie es sich am Ende von
Salomos goldener Stadt wegschleppte? V. 5 erweist, wie ein ansonsten vorbild-
14,29-31 In dieser Zeit herrschte Krieg liches Leben durch einen Augenblick
zwischen Juda und Israel. Dieser Zu- der Leidenschaft beeinträchtigt werden
stand dauerte 57 Jahre, bis zur Regie- kann! Der Krieg mit Israel, der zur Zeit
rung Asas in Juda und Omris in Israel. Rehabeams begonnen hatte, ging wäh-
Der Herr verhinderte einen großen rend der Regierung Abijas weiter. In
Krieg zwischen Juda und Israel (12,24), V. 6 stehen Rehabeam und Jerobeam
aber die beiden Königreiche hatten be- für Juda und Israel. Es war Krieg zwi-
ständig Geplänkel untereinander. Re- schen diesen beiden Reichen während
habeam starb im Alter von 57 Jahren, des ganzen Lebens Abijas. Er versuchte,
und sein Sohn Abija wurde an seiner Israel sowohl durch Überredung als
Stelle König. auch durch Militärgewalt zurückzu-
bringen, und tötete 500.000 Israeliten
D. König Abija von Juda (15,1-8) bei diesem Versuch (2Chr 13,1-20).
Abija, der Sohn Rehabeams, war drei
Jahre lang König von Juda (913-911/910 E. König Asa von Juda (15,9-24)
v.Chr.; 2Chr 13,1 - 14,1a). Asa, der Sohn von Abija, war 41 Jahre
15,1 Vers 1 enthält eine Formulierung, lang König von Juda (910/911 - 870/869
die in den Büchern der Könige immer v.Chr.; vgl. 2Chr 14,1b – 16,14).
wieder verwendet wird. Diese Formu- 15,9-15 Asa war einer der wenigen
lierung beschreibt den Beginn der Re- guten Könige Judas. Er schaffte die
gierung, indem sie den Namen des Kö- Tempelhurer (götzendienerische Ho-
nigs nennt, der in dem anderen Reich an mosexuelle) aus dem Land und ver-
der Macht war, und berichtet, wie lange nichtete alle Götzen, die seine Väter ge-
dieser bis dahin regiert hatte. Deshalb macht hatten (V. 12, vgl. 2Chr 14,3-5). Er
erklärt dieser Vers, dass Abija (oder entmachtete seine Großmutter Maacha

364
1. Könige 15 und 16

und vernichtete ihr Schandbild, obwohl zeitig tötete Bascha alle übrig gebliebe-
er die Höhen, die mit diesem Götzen nen Mitglieder des Hauses Jerobeam.
verbunden waren, nicht abschaffte. Er Dies war eine Erfüllung der Prophe­
bereicherte den Tempel mit Gaben von zeiung Ahijas (14,10.14).
seinem Vater und von sich selbst.
15,16-22 Als Bascha, der König von G. König Bascha von Israel
Israel, anfing, Rama zu befestigen, das (15,28 - 16,7)
nur wenige Kilometer nördlich von Je- Bascha (Baesa), der Sohn Ahijas aus
rusalem lag, erkannte Asa, dass seine dem Stamm Issaschar, war vierund-
Hauptstadt in Gefahr war. Dennoch zwanzig Jahre lang König von Israel
suchte er Hilfe bei Ben-Hadad, dem (909/908 - 886/885 v.Chr.).
König von Syrien, statt sich zum Herrn 15,28-34 Baschas Regierung ist der
zu wenden. Indem er diesem fremden Anfang der zweiten Dynastie des Rei-
Monarchen großzügig Geld zahlte, ches Israel. Der Konflikt zwischen Juda
über­redete er ihn, Israel vom Norden und Israel ging während seiner ganzen
aus im Gebiet von Galiläa anzugreifen. Regierungszeit weiter. Mit Tirza als
Dies zog Baschas Truppen nach Nor- Hauptstadt führte er den Götzendienst
den ab und ermöglichte es Asa, Ramas weiter, den Jerobeam eingesetzt hatte.
Befestigung wieder abzureißen und die 16,1-7 Ein Prophet namens Jehu kün-
befestigten Städte Geba und Mizpa an digte Bascha an, dass seine Nachkom-
seiner Nordgrenze auszubauen. men ein ähnliches Schicksal wie die
Das Silber und Gold, das Asa zum Jerobeams erleiden würden, weil er
Tempel gebracht hatte, war dem Herrn dessen Götzendienst gefolgt war. Sie
geschenkt worden. Aber als Bascha sein würden kein übliches Begräbnis be-
Reich bedrohte, nahm Asa alle diese kommen, sondern von Hunden und
Schätze und gab sie einem heidnischen Vögeln gefressen werden. Ein weiterer
König. Damit betrog er Gott und machte Grund für das Unglück, das Bascha an-
Syrien reich. Christen müssen acht­ gekündigt wird, wird am Ende von
geben, dass sie nicht etwas nehmen, Vers 7 angegeben – weil er das Haus
was Gott gehört (z.B. ihre Zeit, ihr Geld, Jerobeams erschlagen hatte. Entweder
ihre Mittel usw.), und es jemandem an- war er nicht derjenige gewesen, durch
deren geben. den Gott dies ausführen lassen wollte,
15,23-24 Die Tatsache, dass er mit ei- oder er hat es auf grausame und rach-
ner Krankheit an den Füßen geschlagen süchtige Weise entgegen dem Willen
wurde, könnte hier erwähnt worden Gottes getan.
sein, um Gottes Missfallen daran zu zei-
gen, dass Asa auf den König von Syrien H. König Ela von Israel (16,8-10)
vertraut hatte, ihn zu befreien. Während Ela, der Sohn von Bascha aus dem Stamm
der letzten drei oder vier Jahre hat Asas Issaschar, war zwei Jahre lang König von
Sohn Joschafat wahrscheinlich mit ihm Israel (886/885 - 885/884 v.Chr.).
zusammen regiert. Ela war ein böser König, der dem Göt-
zendienst und der Trunkenheit frönte.
F. König Nadab von Israel (15,25-27) Nachdem er zwei Jahre lang regiert hat-
Nadab, der Sohn Jerobeams aus dem te, wurde er von Simri, dem Obersten
Stamm Ephraim, war zwei Jahre lang über die Hälfte der Streitwagen, durch
König über Israel (910/909 - 909/908 ein Attentat getötet. Ebenso wurde der
v.Chr.). Rest von Baschas Familie abgeschlach-
Nadab folgte seinem Vater in seiner tet, eine Erfüllung der Prophezeiung
Praxis des Götzendienstes. Einer seiner Jehus (16,3). Elas Tod beendete die
Untertanen, Bascha (Baesa), verschwor zweite Dynastie in Israel.
sich gegen ihn und tötete ihn. Gleich-

365
1. Könige 16 und 17

I. König Simri von Israel (16,11-20) Omri war ein progressiver König und
brachte in gewissem Maße Frieden und
Simri war sieben Tage lang König von Wohlstand nach Israel. Außerbiblische
Israel (885/884 v.Chr.) Quellen erwähnen Omri als Eroberer
Simris böse Regierung war die kür- Moabs. Er war so bekannt bei den Assy-
zeste von allen Königen und dauerte rern, dass sie Israel »das Haus Omris«
nur sieben Tage. Als er den Thron über- oder »Land Omris« nannten. Archäolo-
nahm, versuchte die Armee Israels ge- gen haben Überreste von Bauten gefun-
rade, die Philisterstadt Gibbeton einzu- den, die sie für den Palast Omris in Sa-
nehmen. Die Armee rief ihren Heer­ maria halten.
obersten Omri zum König aus. Er mar-
schierte sofort gegen Tirza, die Haupt- L. König Ahab von Israel und der
stadt, um die Macht zu übernehmen. Prophet Elia (16,29 - 22,40)
Simri zog sich in den Palast des Königs- Ahab, der Sohn Omris, war zweiund-
hauses zurück, legte Feuer und kam in zwanzig Jahre lang König über Israel
den Flammen um. (874/873 - 853 v.Chr.).
J. König Tibni von Israel (16,21-22) 1. Die Sünden Ahabs (16,29-34)
Tibni, der Sohn des Ginat, war vier Jah- Ahab war ein überaus böser König,
re lang König von Israel (885/884 - nicht nur, weil er Jerobeam in seinem
881/880 v.Chr.). Götzendienst folgte, sondern auch, weil
Obwohl Israel Omri, den Heer­obers­ er Isebel, eine Tochter des Königs der
ten, zum König von Israel gemacht hat- Sidonier, heiratete. Diese bösartige Frau
te (V. 16), hatte dieser einen Rivalen in war eine Anhängerin Baals, und es ge-
Tibni, und es gab vier oder fünf Jahre lang ihr, Ahab dazu zu bringen, dass er
lang Bürgerkrieg (vgl. V. 15 mit V. 23). den Baalskult in Israel förderte, indem
Die Hälfte des Nordreiches folgte Tibni er für ihn einen Tempel, einen Altar
bis zu dessen Tod. und ein Aschera-Standbild errichtete.
Die Gottlosigkeit der Zeit wird durch
K. König Omri von Israel (16,23-28) den frechen Versuch Hiels aus Bethel
Omri war zwölf Jahre lang König über bezeugt, die Stadt Jericho trotz des Flu-
Israel (885/884 - 874/873 v.Chr.). ches Gottes wiederaufzubauen (Jos
Mit Omris Regierung begann die vierte 6,26). Als er den Grundstein legte, starb
Dynastie im Nordreich. Tibni wurde 880 Abiram, sein ältester Sohn; als die Tore
v.Chr. besiegt, und Omri wurde der un- errichtet wurden, starb sein jüngster
angefochtene König. Sechs Jahre lang re- Sohn Segub.
gierte er in Tirza. Dann kaufte er den
Berg Samaria für zwei Talente Silber und 2. Elia und die Dürre (17,1-7)
verlegte seinen Regierungssitz dorthin. 17,1 In Kapitel 17 wird uns der Prophet
Der böse Charakter seiner Regierung Elia vorgestellt. Sein Dienst erstreckt
wird in den Versen 25 und 26 betont. sich bis 2. Könige 2,11. Gott sprach zu
Die Chronologie Omris ist etwas seinem Volk durch Propheten während
kompliziert. Er wurde im 27. Jahr Asas der Zeit der Sünde und des Nieder-
(mit nur der Hälfte des Volkes hinter gangs. Diese Propheten waren wirk-
ihm) nach dem Tod Simris zum König liche Sprachrohre Gottes. Sie pranger-
erklärt (V. 15). Nach vier Jahren Bürger- ten ohne Furcht den Götzendienst, die
krieg wurde er der unbestrittene König Unmoral und alle anderen Formen der
über das Nordreich in Asas 31. Jahr Bosheit an. Sie drangen in das Volk,
(V. 23). Er starb im 38. Jahr Asas (V. 29). Buße zu tun und zum Herrn umzukeh-
So hatte er etwa vier Jahre Kampf im ren und warnten vor den schlimmen
Land und acht Jahre relativen Frieden. Folgen, wenn die Israeliten dies nicht

366
1. Könige 17

täten. Einige Propheten dienten haupt-


sächlich in Israel, einige in Juda und ei- Das Leben Elias
nige in beiden Reichen. Weil Israel das ? genaue Lage ungewiss

schlimmere der beiden Reiche war, be-


Sidon

gleitete Gott die Botschaften des Pro- Zarpat


Damaskus

pheten an Israel mit Zeichen und Wun-

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dern. Damit hatte Israel keine Entschul- Tyrus

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digung für seinen Ungehorsam.

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Mittelmeer 0 20 Km

Elia wird in den Evangelien im Zu-

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sammenhang mit Johannes dem Täufer ⑩
genannt. Johannes kam im Geist und in
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der Kraft Elias (Lk 1,17). ⑤

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Schunem

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Elia stammte aus Tischbe in Gilead, Jesreel Ramot-Gilead

östlich des Jordans, und wurde deshalb ⑪ ②

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Dotan B a ch

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Abel-Mehola ? K ri t

Tischbiter genannt. Seine Geschichte


Tischbe?

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Samaria

wird nur in den Büchern der Könige er-

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Jordan

zählt. Uns wird nichts über seinen Hin- ⑬

G
Gilgal?

tergrund, seine Familie oder seine Be- A M M O N


⑫ Bethel

rufung in den Prophetendienst berich- ⑭ Jericho ⑮

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Ekron

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tet. Aber dass er ein Mann war, der von
T
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Gott gesandt worden war, konnte kei-
I
L

ner bestreiten. Er war Gottes auser-


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Totes
wähltes Instrument, um das ehebreche-
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Meer
Arad M O A B
rische und hochmütige Israel auf die Beerscheba

Knie zu bringen. Seine Gebete konnten


Wüste von
⑧ Beerscheba

Segen (Regen) oder Zorn (Dürre und


Feuer) herabbringen. Er diente seiner 1. Elia, der Tischbiter, prophezeiht dem Ahab.
Generation als furchtloses, Mensch ge- 2. Elia versteckt sich am Bach Krit.
wordenes Gewissen. Seine erste auf­ 3. Elia geht nach Zarpat.
gezeichnete Handlung bestand darin, 4. Auf dem Weg zu Ahab begegnet er
Ahab anzukündigen, dass das Land Obadja.
eine Dürre erleiden würde. Das war 5. Ahab willigt ein, Elia auf dem Berg Karmel
offensichtlich ein göttliches Gericht zu treffen.
über den Götzendienst. Gott entschied 6. Elia überholt Ahab auf dem Weg nach Jes-
reel.
sich, durch eine schlimme Dürre die
7. Aus Furcht vor Isebel flieht Elia nach Beer-
Aufmerksamkeit des Volkes zu erlan- scheba.
gen. Die Israeliten kümmerten sich 8. Elia flieht in die Wüste Beerscheba, von
nicht darum, dass der Götzendienst dort wandert er in den Süden den ganzen
eine geistliche Dürre über das Land ge- Weg bis zum Berg Sinai.
bracht hatte, doch sie konnten die äu- 9. Elia reist durch die Wüste nach Damaskus,
ßerliche Dürre nicht ignorieren, die ein um den König Hasael von Syrien zu sal-
Bild dafür war. ben.
17,2-7 Im Gehorsam gegenüber dem 10. Elia findet Elisa.
Herrn ging Elia zum Bach Krit östlich 11. Elia verurteilt den Mord Ahabs an Nabot.
12. Elia tritt Ahasjas Boten auf dem Weg nach
des Jordans. Dort wurde er durch Was-
Ekron entgegen.
ser aus dem Bach und durch Nahrung 13. Elia prophezeiht den Tod Ahasjas.
ernährt, die auf wunderbare Weise 14. Elias und Elisas letzte Reise.
morgens und abends von Raben ge- 15. Elia wird im Sturmwind in den Himmel ent-
bracht wurde. Nach einiger Zeit ver- rückt.
trocknete der Bach durch die Dürre.

367
1. Könige 17 und 18

3. Elia und die Witwe von Zarpat (17,8-24) 4. Elias Herausforderung an die
17,8-16 Im Gehorsam gegenüber dem Baalspriester (18,1-19)
Wort des Herrn reiste Elia nach Zarpat, 18,1-6 Drei Jahre, nachdem Elia Israel
das an der Mittelmeerküste zwischen verlassen hatte und dreieinhalb Jahre,
Tyrus und Sidon liegt. Dort hatte Gott nachdem die Dürre begonnen hatte (Lk
für ihn eine heidnische Witwe vorberei- 4,25), wurde der Prophet angewiesen,
tet, die ihn ernähren sollte. Zunächst vor Ahab zu erscheinen – eine Hand-
zögerte sie, weil sie nur genug Essen für lung, die, zumindest menschlich ge-
sich und ihren Sohn hatte. Doch der sprochen, außerordentlich gefährlich
Prophet befahl ihr, zuerst einen kleinen war. So schwer war die Hungersnot,
Kuchen für ihn zu machen. Indem sie dass Ahab und sein Verwalter Obadja
das tat, setzte sie Gott auf praktische (nicht der Prophet Obadja, der das Buch
Weise an die erste Stelle. Als sie ge- Obadja geschrieben hat), das Land nach
horchte, lernte sie die kostbare Lektion, Gras für die Tiere abgesucht hatten. (Es
dass diejenigen, die Gott an die erste war dieser Obadja, der einhundert Pro-
Stelle setzen, nie an Notwendigem pheten des Herrn rettete, als Isebel eini-
Mangel leiden. Ihr Topf mit Mehl und ge ermordet hatte und noch mehr ver-
ihr Krug Öl wurden nicht mehr leer. Je- nichten wollte.)
sus hob hervor, dass Elia zu einer heid­ 18,7-15 Während Obadja auf seiner
nischen Witwe geschickt wurde, und zu Suche nach Gras war, begegnete ihm
keiner der vielen israelitischen Witwen Elia und befahl ihm, Ahab zu sagen, wo
(Lk 4,26). Elia sich aufhielt. Obadja befürchtete,
Während der Dürre sorgte der HERR dass er wegen dieses Auftrags sterben
für seinen Propheten auf sehr demüti- müsse, weil Ahab unnachgiebig nach
gende Art und Weise – zuerst durch un- Elia gesucht hatte, um ihn ein für alle
reine Vögel und dann durch eine heid- Mal zum Schweigen zu bringen. Wenn
nische Frau, die dazu noch eine arme Obadja nun Elias Anwesenheit verkün-
Witwe war. Der König in seinem Palast dete, würde der König auf jeden Fall
musste darben, aber Elia hatte alles, reagieren. Doch bis dahin könnte der
was er brauchte. Der Mann Gottes, der Geist des Herrn Elia schon wieder weg-
der Stimme Gottes gehorcht, wird im- getragen haben. Dann würde Ahab
mer mit allem Notwendigen versorgt, Obad­ja wegen seines falschen Berichts
ganz gleich, welche Verhältnisse um töten. Und seine Stellung am Hof war
ihn herum herrschen. sowieso schon heikel, weil er die Pro-
17,17-24 Später wurde der Sohn der pheten des Herrn beschützt hatte. Elia
Frau schwer krank und starb. Sofort versprach ihm, dass er den Ort nicht
vermutete die Mutter, dass Elia diesen verlassen werde, und es wurde ein Tref-
Tod wegen einer Schuld, die sie auf sich fen vereinbart.
geladen hatte, verursacht hatte. Der Pro- 18,16-19 König Ahab ging, um Elia zu
phet nahm den Jungen hinauf in sein treffen, und klagte ihn an, dass er Israel
Zimmer, »streckte sich dreimal über das ins Unglück gestürzt habe. Er erkannte
Kind hin und rief zum Herrn« (V. 21). nicht, dass der Mann Gottes einer der
Der Junge wurde wieder lebendig und besten Freunde war, die Israel je gehabt
zur Mutter zurückgebracht und war hat. Elia fürchtete nicht um sein Leben,
wieder ganz gesund. Dies überzeugte sondern antwortete Ahab furchtlos und
die Frau davon, dass Elia ein Mann klagte ihn an. Er warf dem König vor,
Gottes war und dass das Wort des Herrn dass er die Anbetung des Herrn mit
Wahrheit ist. Als Heidin zeigte sie Glau- dem Baalskult vermischt habe, und for-
ben an den Gott Israels. derte ihn heraus, seine Götzenprophe-
ten zu einem Wettstreit am Berg Karmel
zu versammeln, um festzustellen, wer

368
1. Könige 18

der wahre Gott sei. (Die 450 Baalspro- sein, dass es aus dem Mittelmeer stamm-
pheten kamen zum Karmel, aber die 400 te, das nur wenige Kilometer entfernt
Ascherapropheten nicht, vgl. V. 19.22.) war. Williams sagt:
5. Elias Sieg über die Baalspriester (18,20-40) Der Kischon (V. 40), das Meer (V. 43) und
18,20-25 Elia sprach zu den versammel- ein Brunnen, der noch heute existiert,
ten Repräsentanten Israels und klagte konnten entweder einzeln oder gemein-
sie an, zwischen zwei Meinungen hin- sam das benötigte Wasser geliefert ha-
und herzuschwanken. Sie sollten sich ben, um den Graben zu füllen (V. 35).13
entweder für den Herrn oder für Baal
entscheiden. Dann begann der Wett- 18,36-40 Zur Zeit des abendlichen Speis-
streit. Zwei Jungstiere sollten getötet opfers betete Elia, dass Gott sich offen-
und auf Feuerholz gelegt werden. Elia baren möge, indem er Feuer vom Him-
würde den Herrn vertreten, während mel sandte. Sofort fiel das Feuer des
450 Propheten Ahabs Baal vertreten Herrn vom Himmel herab, und es ver-
würden. Der Gott, der mit Feuer ant- zehrte nicht nur das Opfer, sondern
wortete, sollte als der wahre Gott an­ auch das Holz und die Steine und die
erkannt werden. Erde und das Wasser im Graben um
18,26-29 Die Baalspropheten riefen ih- den Altar. Das Volk war so gezwungen,
ren Gott an und sprangen vom Morgen anzuerkennen, dass der Herr der wahre
bis zum Mittag um den Altar herum. Gott ist. Dann gehorchten sie Elias Be-
Elia verspottete sie mit »hilfreichen« fehl, die bösen Baalspropheten zu tö-
Ausreden, warum Baal nicht antwortete. ten. Erst nachdem das Volk anerkannt
»Vielleicht war er ein so kleiner, schwa- hatte, dass der Herr Gott ist, und die
cher Gott, dass er keine zwei Sachen Baalspropheten umgebracht hatte, konn-
gleichzeitig tun konnte.« In ihrer Ver- te der Regen kommen. Bekenntnis der
zweiflung »ritzten sie sich, wie es bei ih- Sünde und Gehorsam dem Wort Gottes
nen Brauch war, mit Messern und Spie- gegenüber sind Schritte zum Segen.
ßen«. Das ging so weiter bis zur Zeit des
abendlichen Speisopfers. »Da war kein 6. Elias Gebet um Regen (18,41-46)
Laut, keine Antwort, kein Aufhorchen.« Der Prophet riet Ahab, etwas zu essen,
18,30-35 Dann baute Elia im Namen denn er würde bald den Berg Karmel
des Herrn einen Altar aus zwölf Stei- verlassen müssen, um dem kommen-
nen, die für die zwölf Stämme Israels den Regen zu entkommen. Während
standen. Dann ‒ um jede Möglichkeit Ahab sich niedersetzte, um zu essen,
auszuschließen, dass der Altar irgend- erhob sich Elia, um zu beten. Er bestieg
wie auf andere Art in Brand geraten den Gipfel des Karmel, beugte sich zur
könnte als durch ein Wunder ‒ über- Erde und legte sein Gesicht zwischen
goss er den Jungstier und das Holz mit die Knie. Er bat den Herrn flehentlich
zwölf Eimern Wasser (vier Eimer wur- darum, sein Wort zu erfüllen, indem er
den dreimal geleert). Regen sandte. Er fuhr mit dem Gebet
Einige fragen sich, wie Elia nach der fort, bis sein Diener von einer kleinen
Zeit der Dürre an so viel Wasser kam. Wolke am Horizont berichtete. Das
Aber dies ist keine wirkliche Schwierig- reichte Elia. Er sandte Ahab sofort
keit, denn zwölf Eimer Wasser ist in ei- Nachricht, dass er sich beeilen müsse,
ner Zeit der Trockenheit keine unmög­ Jesreel zu erreichen, eine Stadt in Issa-
liche Menge. Die Trockenheit betraf das schar, wo die königliche Familie zu die-
Ackerland, aber es muss noch Trink- ser Zeit lebte (21,1). Als loyaler Unter-
wasser gegeben haben, sonst wären alle tan und treuer Diener lief er vor Ahabs
Menschen schon gestorben. Eine andere Streitwagen in dem niederprasselnden
Erklärung für dieses Wasser könnte Regen die 30 km bis nach Jesreel.

369
1. Könige 19

7. Elias Flucht zum Horeb (19,1-18) Wäre sein Herz nicht so mit sich selbst
19,1-4 Als Ahab Isebel alles über die beschäftigt gewesen, hätte er erfahren,
Niederlage und den Tod der Propheten dass Sturm, Erdbeben und Feuer nicht
Baals auf dem Berg Karmel berichtete, vollbringen kann, was eine sanfte Stim-
schwor sie, Elia innerhalb eines Tages me der Liebe fertigbringt. Er hätte erken-
umzubringen. Da verlor der Prophet, nen müssen, dass es zwischen seinem
dessen Glaube einen Tag zuvor solch ei- Herzen und dem des Volkes keinen Un-
nen mächtigen Sieg errungen hatte, den terschied gab und dass genauso, wie
Mut. Er lief um sein Leben von Jesreel Zwang es nicht vermocht hatte, ihn aus
aus nach Süden durch das Land bis seiner Höhle herauszubringen, es ebenso
Beerscheba, das etwa 150 km entfernt vergeblich sein musste und sein muss,
an der Südgrenze Judas liegt. Er ließ Menschen dazu zu zwingen, ihre Sün-
seinen Diener in Beerscheba und ging den zu lassen.14
weiter nach Süden »in die Wüste, eine
Tagesreise weit«. Endlich ruhte er unter 19,15-18 Es scheint, dass Elias Nutzen
einem Ginsterstrauch aus, mutlos, ab- als Diener Gottes Einbußen erlitt, als er
geschlagen und deprimiert. diese Haltung der Selbstherrlichkeit an-
19,5-8 Es ist interessant, Gottes Be- nahm. Gott beauftragte ihn, nach Nor-
handlung dieser schweren Depression den in die Steppe von Damaskus zu-
zu beobachten: Ruhe, Essen und Trin- rückzukehren, wo er drei Salbungen
ken, noch mehr Ruhe, noch mehr Essen ausführen sollte: 1. Er sollte Hasael zum
und Trinken. So gestärkt, wanderte der König über Syrien (Aram) salben. Das
Prophet »in der Kraft dieser Speise vier- ungehorsame Volk Israel sollte von die-
zig Tage und Nächte bis an den Berg sem König bestraft werden. 2. Er sollte
Horeb« (Sinai), der über 300 km ent- Jehu zum König über Israel salben. Jehu
fernt liegt und an dem Gott Mose das sollte Gottes Gericht am Haus Ahab
Gesetz gegeben hatte. durchführen. 3. Er sollte Elisa zu sei-
19,9-14 Dort beschäftigte sich der Herr nem eigenen Nachfolger salben.15 Das
in einer Höhle mit ihm. Im Geist der sollte ihn lehren, dass er nicht unersetz-
Selbstgerechtigkeit führte Elia seine ei- lich war. Diese drei Männer sollten Got-
gene Treue an und verurteilte die Söhne tes Gericht über die Götzendiener in Is-
Israels. Er sagte praktisch, dass er der rael durchführen, aber der Herr wollte
Einzige sei, der dem Herrn treu geblie- 7000 in Israel übrig lassen, die ihre Knie
ben sei. Da befahl Gott ihm, sich auf den nicht vor Baal gebeugt und ihn nicht
Berg des Gesetzes zu stellen, aber Elia geküsst haben.
gehorchte nicht. Wir wissen das, weil er
später (V. 13) hinausging und sich in den 8. Elia beruft Elisa (19,19-21)
Eingang der Höhle stellte. In schneller 19,19 Elia reiste nach Norden nach Abel-
Folge wurden die Berge von starkem Mehola im Jordantal bei Bet-Schean.
Wind, einem Erdbeben und Feuer heim- Dort fand er Elisa, einen Bauern, der
gesucht. Diese schweren Stürme müssen sein Feld pflügte. Die Tatsache, dass Eli-
Elia an seinen harten, tadelsüchtigen sa zwölf Gespanne zum Pflügen hatte,
Geist erinnert haben. Keiner von ihnen zeigt, dass er nicht arm war. Er pflügte
brachte ihn aus der Höhle. Schließlich wahrscheinlich mit einem Gespann,
hörte der Prophet nach dem Feuer den und seine Knechte mit den anderen elf.
»Ton eines leisen Wehens«. Es war diese Elia warf seinen Mantel über Elisa, ein
gnädige Stimme des Herrn, die ihn zum Zeichen dafür, dass Elisa sein Nach­
Eingang der Höhle brachte. Dort rühmte folger sein sollte.
er sich wieder als Gottes einziger übrig 19,20-21 Elisa bat um Erlaubnis, nach
gebliebener Zeuge. George Williams Hause zurückzukehren, um ein Ab-
kommentiert: schiedsfest für seine Familie zu geben.

370
1. Könige 19 und 20

Elia gab sein Einverständnis, warnte ihn rungen. Diese Schmähung brachte den
aber davor, zu vergessen, was ihm ge­ zechenden Syrer und seine Verbün­
rade geschehen war, d.h. dass Elia ihn deten zum Handeln.
gesalbt hatte. Nach einem üppigen Fest- 20,13-15 An diesem Punkt trat ein
mahl stand Elisa auf, folgte Elia nach Prophet des Herrn zu Ahab und ver­
und wurde sein Diener. sicherte ihm, dass er siegen würde. Gott
Elias Bitte, sich von seinen Eltern zu benutzte eine kleine Truppe von 232
verabschieden, hört sich gefährlich ähn- Leuten der Provinzstatthalter, denen
lich an wie die Bitte eines Möchtegern- 7000 Mann aus dem Volk Israel folgten,
Jüngers, den Jesus als ungeeignet für um die versammelten Armeen des Nor-
das Reich erklärte (Lk 6,61-62). Der Un- dens zu besiegen. Der Ausdruck »alle
terschied besteht darin, dass es in Elisas Söhne Israel« (V. 15b) bedeutet so viel
Fall eine feste Entscheidung gab, die wie »alle Soldaten in Samaria«. Eine
Bande sofort danach zu durchtrennen, kleine Zahl junger Diener wurde er-
während es in dem anderen Fall eine wählt, die Schlacht zu beginnen. Da-
Hinhalte-Taktik und Ausrede war. durch machte es Gott umso deutlicher,
dass der Sieg vom Herrn kam und nicht
9. Ahabs erster Sieg über Syrien (20,1-22) durch den Arm des Fleisches.
20,1-6 Früher meinte man, dass Ben-Ha- 20,16-22 Ahab griff am Mittag an, als
dad, der König von Syrien (Aram), der Ben-Hadad und seine Verbündeten sich
Sohn des Ben-Hadad war, der in 15,18.20 betranken. Als Ben-Hadad hörte, dass
erwähnt wird. Doch spätere Forschungen die 232 Mann aus Israel vorrückten, be-
haben die Möglichkeit ergeben, dass es fahl er, diese lebendig zu ergreifen. Dies
sich um dieselbe Person handeln könnte. gab den Israeliten natürlich einen mili-
Er bildete eine Allianz von 32 aramä- tärischen Vorteil und führte zu einer
ischen Königen, die mit Pferden und Wa- großen Niederlage der Syrer. Die Über-
gen gegen Samaria aufmarschierten. Als lebenden zogen sich in ihre Heimat zu-
sich die Stadt im Belagerungszustand rück. Der Prophet des Herrn warnte
befand, sandte er die Übergabe-Bedin- Ahab davor, dass die syrische Armee
gungen an Ahab: »Dein Silber und dein im Frühjahr wiederkommen würde.
Gold und deine Frauen und deine Söh-
ne«. Ahab stimmte schwach und demü- 10. Ahabs zweiter Sieg über Syrien (20,23-34)
tig zu. Ben-Hadad war aber mit Ahabs 20,23-25 Ben-Hadads Knechte schrieben
Kapitulation gegenüber seinen ersten ihre peinliche Niederlage zwei Faktoren
Bedingungen nicht zufrieden und ver- zu: 1. Die Israeliten hatten die Schlacht
langte nun das Recht, dass seine Knechte im Gebirge gewonnen. Zweifellos wa-
in die Stadt kommen und dort alles, was ren ihre Götter Berggötter. Aber diese
sie begehrten, nehmen durften. Götter könnten in der Ebene nichts be-
20,7-12 Die Ältesten Israels waren wirken. Deshalb sollten die Syrer das
über diese zweite Forderung empört nächste Mal in der Ebene angreifen.
und drängten darauf, nicht auf diese 2. Die 32 Könige, die gegen Ahab ge-
Bedingungen einzugehen. Als Ben- kämpft hatten, hatten offensichtlich be-
Hadad über Israels Weigerung infor- wiesen, dass sie in der Kriegsführung
miert wurde, bekam er einen Wutanfall unerfahren waren. Ben-Hadads Knechte
und brüstete sich, dass er Samaria so rieten, dass sie durch erfahrene Statthal-
zerstören würde, dass kaum eine Hand ter ersetzt werden sollten.
voll Schutt für jeden seiner Soldaten üb- 20,26-30a Im Frühjahr marschierte
rig bleiben würde. Darauf antwortete Ben-Hadad wieder in den Kampf gegen
Ahab, dass ein Soldat, der gerade erst Israel. Die Armee Israels sah verglichen
seine Rüstung anlegt, sich nicht brüsten mit dem syrischen Feind aus »wie zwei
sollte, als hätte er den Sieg schon er­ kleine Herden Ziegen«. Ein Mann

371
1. Könige 20

Gottes sagte Ahab, dass der Herr Ben- als Gott sagte: Schlage ihn!, einer wie
Hadad zeigen würde, dass er sowohl viel schlimmeren Strafe musste ein bö-
ein Gott der Berge als auch der Täler ser König würdig erachtet werden, der
sei. Im Kampf schlugen die Söhne Israel seinen und Gottes Feind verschonte, als
100.000 Mann zu Fuß an einem Tag. Die Gott sagte: Schlage ihn!16
Syrer, die entkamen, versuchten, sich 20,37-43 Der Prophet fand einen an-
hinter den Mauern der Stadt Afek zu deren Mann, der ihm gehorchte, indem
verschanzen, aber die Mauer fiel um er ihn schlug und verwundete. Dann
und tötete 27.000 von ihnen. verkleidete sich der Prophet mit einer
20,30b-34 Ben-Hadad versteckte sich Binde über seinen Augen und wartete
in einer Kammer in Afek. Seine Knechte auf König Ahab. Als der König vorbei-
überredeten ihn, dass sie zu Ahab hin- kam, erzählte ihm der Prophet, dass er
ausgehen durften. Sie waren mit den in einer Schlacht gewesen war und ihm
Zeichen der Übergabe und der Trauer die Bewachung eines feindlichen Gefan-
bekleidet und wollten um Gnade bitten. genen aufgetragen worden war. Er wäre
In der Unterredung war Ahab so dumm gewarnt worden, dass er, wenn der Ge-
und nannte den König seinen Bruder. fangene entkommen würde, entweder
Die Männer von Syrien nahmen dieses mit seinem eigenen Leben oder mit der
Wort schnell auf und sagten: »Ja, Ben- riesigen Summe von einem Talent Silber
Hadad ist dein Bruder.« Ahab befahl, bezahlen müsste. Der verkleidete Pro-
dass der König von Syrien vor ihn ge- phet erzählte, wie er sich von anderen
bracht wurde. Ben-Hadad versprach, Dingen hatte ablenken lassen und der
die Städte wieder zurückzugeben, die Gefangene entkam. Der König zeigte
Ahabs Vorfahren geraubt worden wa- hier keinerlei Nachsicht; er bestand dar-
ren (15,20), und es Israel zu erlauben, in auf, dass die Strafe ausgeführt würde.
Damaskus Straßen anzulegen (V. 34). Dann ließ der Prophet die Falle zu-
Ahab schloss zu diesen Bedingungen schnappen. Er entfernte seine Binde, um
einen Bund und ließ Ben-Hadad ent- Ahab zu zeigen, dass er ein ihm bekann-
kommen, statt ihn zu töten, wie er es ter Prophet war. Ahab hatte einen feind-
hätte tun sollen. lichen Gefangenen in seiner Gewalt ge-
habt, nämlich Ben-Hadad. Gehorsam
11. Ahabs Ungehorsam (20,35-43) gegenüber dem Herrn hätte es erfordert,
20,35-36 Ahab wollte ein starkes Syrien den syrischen König zu töten. Für die-
als Pufferstaat zwischen Israel und der sen Ungehorsam sollte Ahab getötet
wachsenden Bedrohung durch Assyrien. werden. Campbell Morgan erklärt:
Der folgende Vorfall war eine Gegen-
standslektion, die von einem Propheten Das war die Bedeutung des Gleichnisses:
durchgeführt wurde, um die Torheit der Ahab sollte nach dem Auftrag Gottes
Handlungsweise Ahabs deutlich zu ma- eines tun; er tat aber viele andere Sachen,
chen. doch er vernachlässigte diese eine Auf­
Einer von den Söhnen der Propheten gabe. Welch eine Offenbarung darüber,
befahl seinem Kollegen auf das Wort was immer wieder ein Grund und ein
des Herrn hin: »Schlag mich doch!« Der Weg zum Versagen ist! Wir erhalten von
Mann gehorchte ihm nicht und ge- Gott eine bestimmte Aufgabe, etwas
horchte deshalb dem Herrn nicht. We- Wichtiges, klar Bestimmtes, was erledigt
gen seines Ungehorsams gegenüber der werden muss. Wir fangen mit allen guten
Stimme des Herrn wurde er von einem Absichten an, es zu tun, doch dann begeg-
Löwen getötet. nen uns andere Dinge, die an sich nicht
Wenn schon ein guter Prophet auf falsch sind, auf dem Weg. Wir beschäfti-
diese Weise bestraft wurde, weil er sei- gen uns hier und dort, tun vieles und ver-
nen und Gottes Freund verschont hatte, nachlässigen die eine wesentliche Sache.17

372
1. Könige 20 bis 22

Wie König David vor ihm verurteilte voraus, dass er selbst getötet werden
sich Ahab durch seine eigenen Worte. würde, dass seine männlichen Nach-
Aber anders als David, der Buße tat, kommen ebenfalls umkommen sollten
wurde Ahab missmutig und stürmte in und damit die Dynastie zu Ende gehen
seinen Palast, um dort zu schmollen. würde, dass die Leiche von Isebel von
Statt den Herrn um Gnade zu bitten, er- den Hunden in Jesreel gefressen wer-
regte er weiter den Zorn Gottes, wie wir den würde und dass keiner der Nach-
in den übrigen Kapiteln von 1. Könige kommen Ahabs ein ordentliches Be-
lesen werden. gräbnis erhalten würde (V. 24). Die
Härte der Bestrafung Ahabs wird mit
12. Ahabs Verbrechen gegen Nabot (Kap. 21) den Exzessen erklärt, die er im Götzen-
21,1-4 Kapitel 21 zeichnet die Ereignisse dienst begangen hatte – »es hat in der
nach, die zu Ahabs Tod führten. Wir be- Tat keinen wie Ahab gegeben, der sich
finden uns in Jesreel, wo Ahab und Ise- so verkauft hätte, um zu tun, was in den
bel einen Palast hatten. An den Palast Augen des Herrn böse ist«.
grenzte ein Weinberg, der Nabot, dem 21,27-29 Als Ahab sein Urteil vernom-
Jesreeliter, gehörte. Ahab wollte den men hatte, demütigte er sich vor dem
Weinberg für sich beanspruchen, damit Herrn. Deshalb bestimmte der Herr,
er dort einen Gemüsegarten pflanzen dass das Gericht über seine Frau und
lassen konnte. Nabot weigerte sich, sein seine Familie erst nach seinem Tod voll-
Land zu verkaufen oder einzutauschen, streckt werden sollte.
weil das Gesetz Israels bestimmte, dass Wenn wir aus diesen Versen etwas ler-
das Landeigentum in der Familie blei- nen können, dann ist es die Tatsache,
ben sollte, der es ursprünglich zuge- dass Gott ein Gott der Gnade und der
wiesen worden war (3. Mose 25,23-28; Barmherzigkeit ist. In Hes 33,11 heißt
4. Mose 36,7; Hes 46,18). es: »So wahr ich lebe, spricht der Herr
21,5-16 Als Isebel ihren Mann ärger- Herr: Wenn ich Gefallen habe am Tod
lich und missmutig vorfand und von des Gottlosen! Wenn nicht vielmehr dar­
Nabots Weigerung erfuhr, seinen Wein- an, dass der Gottlose von seinem Weg
berg zu verkaufen, versicherte sie Ahab, umkehrt und lebt! Kehrt um, kehrt um
dass ihm der Weinberg bald gehören von euren bösen Wegen! Ja, warum
würde. Sie ordnete ein Fasten und ein wollt ihr sterben, Haus Israel?« Sogar
Untersuchungsgericht an. Zwei böse Ahabs oberflächliche Buße brachte Auf-
Männer sollten ernannt werden, um schub. Aber das nächste Kapitel be-
Nabot der Lästerung gegen Gott und weist, dass sein Herz unverändert war.
den König anzuklagen. Daraufhin wur- Gnade wurde durch Stolz erwidert,
de Nabot aus der Stadt geführt und zu deshalb übergab der Herr Ahab dem
Tode gesteinigt. Todesengel, und Jehu wurde ernannt,
Die heimtückische Isebel hängte Na- das blutige Urteil über den Rest seines
bot etwas an, damit es so aussah, als ob Hauses nach der Prophezeiung des Elia
er hingerichtet würde, weil er das Ge- durchzuführen (2Kö 9,10).
setz des Herrn gebrochen hatte. Weil
der Besitz nach Nabots Tod an dessen 13. Ahabs letzte Schlacht (22,1-40)
Söhne vererbt werden würde, ließ sie 22,1-6 Nach drei Jahren Frieden zwi-
auch diese ermorden (2Kö 9,26). Die schen Syrien und Israel hatte Ahab die
bösartige Königin war so gründlich, Idee, Ramot in Gilead östlich des
wie sie boshaft war. Jordans von den Syrern zurückzu­
21,17-26 Als Ahab auf dem Weg war, erobern. Ben-Hadad hatte versprochen,
um den Weinberg in Besitz zu nehmen, Israels Städte zurückzugeben, als er die
traf Elia ihn und verurteilte ihn wegen Amnestie von Ahab erhalten hatte
Mord und Diebstahl. Elia sagte Ahab (20,34), aber offensichtlich hatte er dies

373
1. Könige 22

nicht getan. Joschafat, der König von nichts als Böses über ihn sprach. Da er-
Juda, war zufällig zu dieser Zeit gerade griff der tapfere Prophet noch einmal
zu Besuch und drückte seine Bereit- das Wort. Er berichtete von einer Vi­
schaft aus, bei der Militäraktion zu hel- sion, in der ein Lügengeist vor den
fen. Aber zuerst schlug Joschafat vor, Herrn trat und einwilligte, Ahab dazu
den Herrn durch die Propheten zu be- zu verführen, dass er Ramot in Gilead
fragen. Vierhundert Propheten an angreifen und dort fallen würde. Der
Ahabs Hof waren für den Plan und ver- Lügengeist wollte seinen Rat in den
hießen einen Sieg. Dies könnten durch- Mund aller Propheten des Königs le-
aus die 400 Propheten gewesen sein, gen. Dies ist ein Beispiel dafür, wie Gott
die nicht zum Berg Karmel zum Kampf zwar nicht der Urheber des Bösen ist,
mit Elia gereist waren (18,19.22). aber es dennoch benutzt, um damit sei-
22,7-12 Joschafat war offensichtlich nen Plan auszuführen. Er sandte den
nicht wohl bei der Angelegenheit, weil Lügengeist nur in dem Sinne, dass er
er darum bat, dass ein Prophet des dessen Handlung genehmigte.
Herrn befragt werden sollte. Dies rief 22,24-25 Zedekia verstand sehr wohl,
Micha auf den Plan, einen furchtlosen was damit gemeint war. Er erkannte,
Propheten, der wegen seiner kompro- dass er und die anderen Propheten der
misslosen Botschaften von Ahab gehasst Lüge bezichtigt wurden, schlug Micha
wurde. Zu der Zeit, als Micha hinzuge- und fragte: »Auf welchem Weg ist denn
rufen wurde, drängten die 400 Prophe- der Geist des Herrn von mir gewichen,
ten einstimmig die Könige von Israel um mit dir zu reden?« Mit anderen Wor-
und Juda, gegen Syrien zu marschieren. ten sagte Zedekia: »Ich sprach durch
Einer von ihnen, Zedekia, machte sich den Geist Gottes, als ich Ahab riet, gegen
eiserne Hörner, um die unwidersteh- Ramot in Gilead zu ziehen. Jetzt behaup-
liche Macht Ahabs und Joschafats gegen test du, durch den Geist zu sprechen,
die Syrer zu versinnbildlichen. doch du rätst genau das Gegenteil. Wie
22,13-17 Micha wurde darüber infor- kam der Geist von mir zu dir?«
miert, dass seine Botschaft mit der der Micha antwortete ruhig, dass Zedekia
anderen Propheten übereinstimmen die Wahrheit erkennen würde, wenn er
sollte, aber er hörte nicht darauf. Als sich furchtsam verstecken würde –
Ahab fragte, ob der Feldzug gegen Ra- nämlich wenn Ahabs Tod Zedekia der
mot in Gilead unternommen werden Strafe für falsche Propheten ausliefern
sollte, sagte Micha zuerst dasselbe wie würde.
die anderen Propheten: »Zieh hinauf 22,26-30 Dies erboste den König von
und führe Israel zum Sieg! Denn der Israel so, dass er befahl, dass Micha ins
Herr hat es in die Hand des Königs ge- Gefängnis geworfen und nur mit Brot
geben.« Aber es ist wahrscheinlich, dass und Wasser gespeist werden sollte, bis
er dies spöttisch sagte. Sein Tonfall er (Ahab) in Frieden von Ramot in Gi­
muss voller Ironie und Sarkasmus ge- lead zurückkehrte. Michas Abschieds-
wesen sein. wort lautete: »Wenn du je in Frieden
Ahab merkte das und stellte Micha zurückkehrst, dann hat der Herr nicht
unter Eid, die Wahrheit zu sagen durch mich geredet!« Ahab beschloss,
(3. Mose 5,1). Der Prophet berichtete sich zu verkleiden, ehe er in die Schlacht
dann von einer Vision, in der Israel zer- zog, in der Hoffnung, auf diese Weise
streut war, weil es keinen Hirten hatte, das Unglück zu verhindern, das von
und legte damit nahe, dass Ahab ge­ Micha vorausgesagt worden war.
tötet und seine Armee versprengt wer- Joschafat dagegen wollte seine könig­
den würde. lichen Gewänder tragen und sich damit
22,18-23 König Ahab stellte Joschafat genau der Gefahr aussetzen, die Ahab
dies als Beweis dafür vor, dass Micha zu meiden suchte. Ahab versuchte auf

374
1. Könige 22

diese Weise, den Herrn und den König In den ersten drei oder vier Jahren re-
von Syrien zu überlisten, aber »Gott gierte er zusammen mit seinem Vater
lässt sich nicht verspotten. Denn was Asa. Wir sind Joschafat schon in den
ein Mensch sät, das wird er auch ern- Versen 2-4 begegnet, wo er einen
ten« (Gal 6,7). Ahab wurde getötet ‒ und schmählichen Bund mit dem bösen Kö-
Joschafat gerettet. nig von Israel schloss und dabei bei­
22,31-36 Die Syrer waren angewiesen, nahe sein Leben verlor. Insgesamt war
den König von Israel zu töten. Dies war seine Regierung jedoch gut. Im Folgen-
ihr militärisches Hauptziel. Zuerst hiel- den einige wichtige Ereignisse seiner
ten sie Joschafat für Ahab. Der König Regierungszeit:
schrie vor Schrecken und offenbarte da- 1. Er folgte dem Vorbild seines Vaters,
durch wohl, wer er wirklich war. Dann indem er den Götzendienst bekämpfte.
wurde Ahab zwischen den Tragbän- Er konnte ihn jedoch nicht vollständig
dern seines Panzers und dem Panzer ausrotten (V. 43).
durch einen Pfeil getroffen, der »aufs 2. Er regierte eine Zeit lang zusam-
Geratewohl« abgeschossen war. Er men mit seinem Vater Asa.
wurde aus dem Kampf herausgeführt. 3. Er schloss Frieden mit Ahab, dem
Er hielt sich in seinem Wagen noch auf- König von Israel (V. 45).
recht, damit die Armee nicht den Mut 4. Er rottete die männlichen Kult­­pro­
verlor. Als er gegen Sonnenuntergang stituierten aus dem Land aus (V. 47).
starb, wurde die Tatsache bekannt, und 5. Sein Reich erstreckte sich auf das
seine Soldaten zogen sich in ihre Hei- Land Edom (2Sam 8,14), wo er durch
matstädte zurück. einen Vogt vertreten wurde (V. 48). Sein
22,37-40 Ahabs Leiche wurde nach Sohn Joram verlor Edom später durch
Samaria zurückgebracht und begraben. eine Revolution (2Kö 8,20).
Sein blutbefleckter Wagen wurde am 6. Er verbündete sich mit Ahasja,
Teich von Samaria gewaschen, wo die Ahabs Sohn, zu einem Schiffsbaupro-
Huren sich wuschen. Das war nur eine jekt in Ezjon-Geber (2Chr 20,35-36). Ihr
teilweise Erfüllung der Prophezeiung Plan war es, die Schiffe nach Ofir zu
Elias (21,19), sie fand nämlich in Sama- schicken, um Gold zu holen. Aber die
ria statt und nicht in Jesreel. Weil Ahab Schiffe wurden zertrümmert, ehe sie
sich gedemütigt hatte (21,29), verschob überhaupt den Hafen verlassen hatten
Gott in seiner Barmherzigkeit die voll- (V. 49), zweifellos durch einen Sturm.
ständige Erfüllung auf Joram, den Sohn Der Prophet Elieser sagte Joschafat, dass
des Königs (2Kö 9,25-26). dies geschah, weil es dem Herrn nicht
Ahab erhielt drei verschiedene pro- gefallen hatte, dass er sich mit Ahasja
phetische Warnungen in Bezug auf sei- auf eine unheilige Allianz eingelassen
nen Tod. Eine wurde von einem unge- hatte (2Chr 20,37). Als Ahasja vorschlug,
nannten Propheten ausgesprochen, als dass man das Projekt wieder aufneh-
Ahab Ben-Hadad verschonte (20,42), men sollte, lehnte Joschafat ab (V. 50).
die nächste wurde von Elia gegeben, als
Ahab Nabots Weinberg in Besitz nahm N. König Ahasja von Israel (22,52-54)
(21,19), und die dritte wurde von Micha Ahasja, der Sohn Ahabs, war zwei Jahre
am Abend vor der ereignisreichen lang König von Israel (853 - 852 v.Chr.;
Schlacht ausgesprochen (V. 17-23). vgl. 2Kö 1,1-18).
Die Regierung Ahasjas war von
M. König Joschafat von Juda schlimmstem Götzendienst und Bosheit
(22,41-51) geprägt. Seine Mutter Isebel trieb ihn
Joschafat, der Sohn von Asa, war 25 Jah- zweifellos in die Gottlosigkeit, wie sie
re lang König von Juda (873/872 - 848 es einst mit seinem Vater getan hatte. Er
v.Chr.). diente dem Baal und reizte den Herrn,

375
1. Könige 22

den Gott Israels, zum Zorn. Wie der Va- V. 28b lautet übersetzt: »und ein Zug
ter, so der Sohn. Handelsleute des Königs holte einen
Es gibt keinen formellen Abschluss Zug um Geld« (unrevidierte Elber-
des 1. Buches der Könige, weil 1. und felder; vgl. Schlachter 2000).
2. Könige ursprünglich ein einziges 9
(10,16-29) J.R. Lumby, The Cambridge
Buch waren und die Trennung willkür- Bible for Schools and Colleges, The First
lich erfolgte. Der Bericht geht unmittel- Book of the Kings, S. 114.
bar in 2. Könige weiter. 10
(Exkurs) Das gesamte Thema der
Chronologie der Könige wird kom-
petent und sehr ausführlich in dem
Anmerkungen Buch von Edwin R. Thiele, The Mys­
1
(Einführung) O.J. Gibson, unver­ terious Numbers of the Hebrew Kings
öffentlichte Notizen. behandelt (siehe Bibliografie für Ein-
2
(4,1-6) Matthew Poole, Matthew zelheiten). Die Jahresdaten in diesem
Poole’s Commentary on the Holy Bible, Kommentar sind aus Thieles Buch
S. 657. übernommen.
3
(6,11-22) C.H. Spurgeon, Spurgeon’s 11
(13,33-34) Irving L. Jensen, I Kings
Devotional Bible, S. 305. with Chronicles, S. 80-81.
4
(8,12-13) Matthew Henry, »1 Kings«, 12
(14,14-16) Das Wort, das in der alten
in: Matthew Henry’s Commentary on Lutherbibel mit »Haine« übersetzt
the Whole Bible, Bd. II, S. 614. wird, ist das hebräische Wort ascherim.
5
(8,66) John Haley, Alleged Discrepan­ 13
(18,30-35) George Williams, The
cies of the Bible, S. 223. Student’s Commentary on the Holy
6
(9,15-23) Baker’s Bible Atlas, S. 309. Scriptures, S. 195.
7
(10,16-22) Das Wort, das in den mei- 14
(19,9-14) Ebd., S. 196.
sten deutschen Bibelausgaben mit 15
(19,15-18) Elia musste seinen Nachfol-
»Pfauen« wiedergegeben wird, wird ger Elisa angewiesen haben, das Gebot
in vielen englischen Bibelüberset- des Herrn zu erfüllen, Hasael und Jehu
zungen ebenso wie in der ER mit zu salben, weil diese Salbungen nach
»Paviane« oder »Affen« wiedergege- Elias Entrückung stattfanden (2Kö
ben. Die antiken Könige liebten tat- 8,7ff.; 9,1ff.). Elisa war der einzige der
sächlich Pfauen, und deshalb wurde drei, den Elia persönlich salbte.
dies von Hieronymus in der latei- 16
(20,35-36) Henry, »1 Kings«, Bd. II,
nischen Vulgata (vielleicht nur als S. 692-693.
Vermutung) so übersetzt. 17
(20,37-46) G. Campbell Morgan, Sear­
8
(10,26-29) Der Masoretische Text von chlights from the Word, S. 100.

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»I and II Kings«, in: A Commentary, Cri­
Gates, John T., tical, Experimental and Practical on the
»1 Kings«, in: The Wycliffe Bible Com­ Old and New Testaments, 3. Auflage,
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Chicago: Moody Press, 1962. House, 1983.

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on the Whole Bible, Bd. II, Joshua to Esther, Chicago: Moody Press, 1968.
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376
1. Könige

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Grand Rapids: Wm. B. Eerdmans Pub­ Zondervan Publishing House, 1977.
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Thiele, Edwin R.,
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McNeely, Richard I., Whitcomb, J.C., Jr.,


First & Second Kings, Everyman’s Bible Solomon to the Exile,
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Stigers, Harold,
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Chicago: Moody Press, 1962.

377
2. Könige
»Die Geschichte der Könige ist eine des fortschreitenden Niedergangs.
Alles wird zunehmend dunkler, bis es kein Heilmittel mehr gibt. … Erst werden
die zehn Stämme in die Gefangenschaft geführt, danach die beiden übrigen.«

Samuel Ridout

Einführung 12. Elisas Prophezeiung über die


Regierung Hasaels (8,7-15)
Vgl. 1. Könige zur Einführung in beide F. König Joram von Juda (8,16-24)
Bücher. G. König Ahasja von Juda (8,25-29)
H. König Jehu von Israel und der
Einteilung Dienst Elisas (Kap. 9-10)
I. Das geteilte Königreich (Fortsetzung 1. Jehus Salbung (9,1-10)
von 1. Könige) (Kap. 1-17) 2. Jehus Hinrichtungen
A. König Ahasja von Israel und (9,11 - 10,17)
der Dienst Elias (Kap. 1) 3. Jehus Ausrottung der
B. Die Entrückung Elias (2,1-12a) Anhänger Baals (10,18-36)
C. Der Beginn des Dienstes Elisas I. Königin Ataljas Thronraub in
(2,12b-25) Juda (Kap. 11)
D. König Joram von Israel (Kap. 3) J. König Joasch von Juda (Kap. 12)
E. Der von Wundern K. König Joahas von Israel (13,1-9)
gekennzeichnete Dienst Elisas L. König Joasch von Israel (13,10-13)
(4,1 - 8,15) M. Das Ende des Dienstes Elisas
1. Wunderbare (13,14-25)
Ölvermehrung (4,1-7) N. König Amazja von Juda (14,1-20)
2. Wunderbare Geburt (4,8-17) O. König Asarja (Usija) von Juda
3. Die Auferweckung des (14,21-22)
Sohnes der Schunemiterin P. König Jerobeam II. von Israel
(4,18-37) (14,23-29)
4. Entgiftung der vergifteten Q. König Asarja (Usija) von Juda,
Speise (4,38-41) Fortsetzung (15,1-7)
5. Wunderbare R. König Secharja von Israel
Brotvermehrung (4,42-44) (15,8-12)
6. Die wunderbare Reinigung S. König Schallum von Israel
von Naaman, dem (15,13-15)
Aussätzigen (5,1-19) T. König Menahem von Israel
7. Die Habgier Gehasis (5,20-27) (15,16-22)
8. Die wunderbare U. König Pekachja von Israel
Wiederbeschaffung eines (15,23-26)
Beilblatts (6,1-7) V. König Pekach von Israel
9. Wunderbare militärische (15,27-31)
Manöver (6,8-23) W. König Jotam von Juda (15,32-38)
10. Die Hungersnot in Samaria X. König Ahas von Juda (Kap. 16)
(6,24 - 7,20) Y. König Hoschea von Israel
11. Wiederherstellung des (17,1-6)
Eigentums der Z. Der Fall des Nordreiches
Schunemiterin (8,1-6) (17,7-41)

379
2. Könige 1

II. Das Reich Juda bis zur C. König Amon (21,19-26)


Gefangenschaft (Kap. 18-25) D. König Josia (22,1 - 23,30)
A. König Hiskia (Kap. 18-20) 1. Josias Instandsetzung des
1. Hiskias gerechte Regierung Tempels (22,1-7)
(18,1-8) 2. Josia findet das Gesetzbuch
2. Die Eroberung Samarias wieder (22,8-20)
(18,9-12) 3. Josias Erneuerung des
3. Sanheribs erste Invasion Bundes (23,1-3)
Judas (18,13-16) 4. Josias Reformen (23,4-30)
4. Sanheribs zweite Invasion E. König Joahas (23,31-33)
Judas (18,17 - 19,34) F. König Jojakim (23,34 - 24,7)
5. Sanheribs Niederlage und G. König Jojachin (24,8-16)
Tod (19,35-37) H. König Zedekia (24,17 - 25,7)
6. Hiskias Krankheit und I. Der Fall Jerusalems (25,8-21)
Genesung (20,1-11) J. Gedaljas Statthalterschaft
7. Hiskias törichter Stolz (25,22-26)
(20,12-21) K. König Jojachin (25,27-30)
B. König Manasse (21,1-18)

Kommentar Es ist schon ein Armutszeugnis, dass


ein König, dessen Name »den der HERR
I. Das geteilte Königreich erhält« bedeutet, sich an Baal um Hei-
(Fortsetzung von 1. Könige) lung wendet!
(Kap. 1-17) 1,3-8 Ein Mann in einem Gewand aus
Ziegenhaar (wörtl. »ein Mann, ein Besit-
A. König Ahasja von Israel und der zer von Haar«, vgl. Anmerkung der revi-
Dienst Elias (Kap. 1) dierten Elberfelder zu V. 8), nämlich Elia,
begegnete den Boten und sandte sie zu-
1,1 Moab war von David unterworfen rück zu Ahasja mit einem strengen Tadel
worden (2Sam 8,2). Als Salomos Reich in dafür, dass er Baal-Sebub befragen woll-
Israel und Juda geteilt wurde, kam es te, und mit der Ankündigung, dass seine
unter Israels Herrschaft. Nach Ahabs Erkrankung tödlich ausgehen würde.
Tod brachen die Moabiter mit Israel und 1,9-12 Ahasja reagierte, indem er ei-
konnten ihre Unabhängigkeit erreichen. nen Hauptmann mit 50 Leuten schickte
1,2 König Ahasja fiel durch das Gitter und Elia befahl, sofort vor ihm zu er-
auf dem Dach seines Palastes in Sama- scheinen. Als der Hauptmann die an-
ria und wurde schwer verwundet. Statt maßende Forderung überbrachte, nahm
den Herrn um Heilung zu bitten, sand- Gott Elia in Schutz, indem er Feuer vom
te er Boten zu Baal-Sebub, dem Gott Himmel herabsandte, um den Haupt-
von Ekron, um zu erfahren, ob er wie- mann und seine 50 Leute zu vernichten.
der genesen werde. John C. Whitcomb Ein zweiter Hauptmann mit 50 Leuten
beschreibt den heidnischen Gott folgen- befahl Elia: »Schnell, komm herunter!«,
dermaßen: aber diese Truppe ereilte dasselbe
Schicksal. Mit Feuer vom Himmel hatte
Der eigentliche Name dieser syrischen Gott schon Baal und seine Priester in
Gottheit war Baal-Sebul (»Herr des Le- Verruf gebracht (1Kö 18). Jetzt vernich-
bens«), aber die Juden nannten ihn spöt- tete dieselbe himmlische Flamme die
tisch Baal-Sebub (»Herr der Fliegen«). Soldaten Baals, die ihre unheiligen
Zur Zeit Christi war dieser Gott ein Sym- Hände an Elia legen wollten. Der Pro-
bol für Satan geworden.1 phet empfing seine Befehle von dem

380
2. Könige 1 und 2

echten König Israels ‒ und nicht von ei- Entfernung folgten 50 von den Prophe-
nem götzendienerischen Thronräuber. ten. Als Elia mit seinem Mantel auf den
Uns wird hier nicht ausdrücklich ge- Jordan schlug, teilte er sich, und die bei-
sagt, warum die beiden Hauptmänner den Männer konnten auf dem Trockenen
und ihre Leute getötet wurden ‒ viel- hinübergehen. Elia war während der Re-
leicht weil sie ebenso wie Ahasja ent- gierungszeit Ahabs aus Gilead östlich
schlossen waren, Elia zu vernichten. des Jordans gekommen, um seinen pro-
1,13-16 Erst als der dritte Hauptmann phetischen Dienst anzutreten (1Kö 17,1).
demütig Elias Macht anerkannte und Jetzt, am Ende seines Dienstes, kehrte er
um Gnade bat, wurde der Prophet vom über den Jordan zurück, um entrückt zu
Engel des Herrn (Christus vor seiner werden. Als Elia Elisa aufforderte, einen
Menschwerdung) angewiesen, hinzu- Wunsch zu äußern, bat Elisa um den
gehen und mit Ahasja zu reden. Elia zweifachen Anteil von Elias Geist. Der
sagte dem König furchtlos, dass er nicht zweifache Anteil ist das Recht des Erst-
gesund werden würde, weil er den geborenen und könnte einfach nur hei-
Herrn verächtlich behandelt hatte, in- ßen, dass Elisa Elias würdiger Nach­
dem er Baal-Sebub befragen wollte. folger sein wollte. George Williams
1,17-18 Als Ahasja starb, folgte ihm schreibt, dass die Erfüllung der Bitte an
sein Bruder Joram auf dem Thron nach, der Tat­­­­sache abzulesen ist, dass Elia acht
weil Ahasja keinen Sohn hatte, der die Wunder vollbrachte, während Elisa
Krone hätte tragen können. In Juda sechzehn vollbrachte.2
herrschten zu dieser Zeit zwei Könige 2,10-12a Elia sagte, dass es nicht in
gemeinsam, nämlich Joschafat (3,1) und seiner Macht stand, ihm diesen Wunsch
sein Sohn, der ebenfalls Joram hieß. zu erfüllen, und nannte dann eine Be-
dingung, die er ebenfalls nicht herbei-
B. Die Entrückung Elias (2,1-12a) führen konnte: Wenn Elisa sehen wür-
Dieses Kapitel beginnt damit, dass der de, wie er hinweggenommen würde,
fromme Elia in den Himmel aufgenom- dann würde seine Bitte erfüllt. Als sie
men wurde (V. 1-11), und schließt da- weitergingen und redeten, wurden sie
mit, dass die Rowdys von Bethel zer­ durch einen feurigen Wagen mit feuri-
rissen wurden (V. 23-25). gen Pferden getrennt. Dann nahm ein
2,1-6 Jetzt war die Zeit für Elia ge- Sturmwind Elia auf zum Himmel, und
kommen, seinen Dienst zu beenden ‒ Elisa konnte es deutlich sehen. Elisa
und für Elisa, Elias Dienst fortzuführen. schrie: »Mein Vater, mein Vater! Wagen
Aber zuerst musste Elia Bethel, Jericho Israels und sein Gespann!« Dies könnte
und den Jordan besuchen. Elisa bestand bedeuten, dass Elia die stärkste Waffe
treu darauf, ihn zu allen diesen Orten der Macht Gottes und die beste Vertei-
zu begleiten. In Bethel und Jericho sag- digung Israels war.
ten die Söhne der Propheten Elisa vor-
aus, dass der Herr Elia an diesem Tag C. Der Beginn des Dienstes Elisas
»über seinen Kopf hinweg« wegneh- (2,12b-25)
men werde. Das bezieht sich auf die 2,12b-14 Nachdem Elisa aus Trauer sei-
Praxis, dass der Schüler zu Füßen sei- ne Kleider zerrissen hatte, kehrte er ans
nes Meisters saß, sodass der Meister in Ostufer des Jordans zurück, schlug mit
der Nähe des Kopfes des Schülers war. Elias Mantel auf das Wasser und sagte:
Elia wusste das schon und befahl den »Wo ist der Herr, der Gott des Elia?«
Propheten, still zu sein. Die Angelegen- Diese Frage drückte keinen Zweifel
heit war zu traurig und zu heilig, um oder Unglauben aus, sondern gab Gott
besprochen zu werden. einfach die Gelegenheit, zu zeigen, dass
2,7-9 Von Jericho aus gingen Elia und er mit Elisa genauso war, wie er mit Elia
Elisa hinunter zum Jordan. In einiger gewesen war. Das Wasser teilte sich

381
2. Könige 2 und 3

und erlaubte dem Propheten, an das D. König Joram von Israel (Kap. 3)
Westufer des Flusses zurückzukehren,
wo die fünfzig Söhne der Propheten ge- Joram (oder Jehoram), der Sohn Ahabs,
wartet und alles beobachtet hatten. war 12 Jahre lang König von Israel (852-
2,15-18 Nachdem sie die Teilung des 841 v.Chr.; 2Kö 3,1 - 9,29).
Jordans beobachtet hatten, erkannten 3,1-3 Als Joram als König über Israel
sie an, dass Elisa wirklich der Nachfol- zu regieren begann, gab es in Juda eine
ger Elias war. Gegen Elisas besseres gemeinsame Regentschaft (Joschafat
Wissen bestanden sie darauf, 50 Mann und sein Sohn Joram). Das erklärt, wie
nach Elia auszuschicken, um ihn zu su- Joram, der König von Israel, seine Re-
chen, aber die Mühe war natürlich um- gierung im achtzehnten Jahr Joschafats
sonst, wie ihnen Elia vorausgesagt hat- beginnen konnte und gleichzeitig im
te. Entweder hatten sie Elias Ent­rückung zweiten Jahr von Joram, dem König von
nicht gesehen, oder, wenn sie sie ge­ Juda (2Kö 1,17).
sehen hatten, sie meinten, dass seine Joram war nicht so böse wie seine El-
Abwesenheit nur zeitlich begrenzt war. tern. Er beseitigte den Gedenkstein des
2,19-22 Der Dienst Elisas von diesem Baal, den Ahab errichtet hatte. Dennoch
Punkt an bis 13,20 besteht aus einer Rei- hielt er an der Verehrung der goldenen
he von Wundern, die darauf abzielten, Kälber fest, die Jerobeam, der Sohn Ne-
dass das Volk Israel weg vom Götzen- bats, eingeführt hatte.
dienst hin zum wahren und lebendigen 3,4-9 Unter der Regierung Ahabs
Gott geführt würde. Die Ereignisse musste der König von Moab Israel jähr-
werden nicht unbedingt in chronologi- lich Tribut zahlen. Als Ahab starb, ent-
scher Reihenfolge wiedergegeben. Das schied Mescha, dass die Zeit strategisch
erste dieser Wunder geschah, als Elisa günstig war, um sich aufzulehnen. Der
Salz in das brackige Wasser des Brun- berühmte Moabiterstein (auch Mescha-
nens von Jericho warf. Niemals wieder Stele genannt), der von einem deut-
verursachte der Brunnen Krankheit schen Missionar 1868 entdeckt wurde,
oder Unfruchtbarkeit. erwähnt Israels Unterwerfung Moabs
2,23-24 Auf dem Weg von Jericho und Meschas erfolgreiche Auf­lehnung.3
nach Bethel (einem der Zentren des Ahasja hatte gegen die Auflehnung
Kälber-Götzendienstes) traf Elisa auf nichts unternommen. Doch als sein
einige jugendliche Rowdys, die ihn Nachfolger Joram an die Macht kam,
»Kahlkopf« schimpften und ihn spot- versuchte er sofort, Moab wieder unter
tend aufforderten, in den Himmel hin- seine Kontrolle zu bringen, weil er des-
aufzugehen, wie Elia es getan hatte. sen beträchtlichen Tribut nicht verlieren
Nachdem er sie im Namen des Herrn wollte. Joram bat Joschafat, mit ihm in
verflucht hatte, »kamen zwei Bärinnen die Schlacht zu ziehen, und wieder ein-
aus dem Wald und zerrissen von ihnen mal war Joschafat törichterweise ein-
42«. Eine Beleidigung eines Boten Got- verstanden. (Vgl. 1. Könige 22, wo Jo-
tes ist eine Beleidigung Gottes selbst. schafat fast sein Leben verlor, als er sich
2,25 Elisa folgte Elias Fußstapfen und mit Israel verbündete.) Sie entschlossen
besuchte die Prophetenschulen in Jeri- sich, am Westufer des Toten Meeres hin­
cho und Bethel, ehe er zum Berg Kar- unterzuziehen, östlich durch Edom und
mel und nach Samaria reiste. In Jericho nördlich von Moab. Weil der König von
hatten ihn die Menschen respektvoll Edom zu dieser Zeit ein Vasall Joschafats
behandelt und wurden gesegnet. We- war, wurde seine Hilfe in dem Krieg in
gen ihres mangelnden Respekts vor Anspruch genommen.
dem Herrn behandelten ihn die jungen 3,10-12 Als sie sich Moab näherten,
Leute in Bethel schimpflich, wofür sie hatte die Armee kein Wasser mehr. Die
verflucht wurden. Anmaßung Jorams, den Herrn dafür

382
2. Könige 3 und 4

verantwortlich zu machen, wurde von wissen geschlagen, zog sich Israel zu-
Joschafat mit dem Vorschlag beantwor- rück, ohne Moab wieder zur Unterwer-
tet, einen Propheten des Herrn zu be- fung zu zwingen. Harold Stigers kom-
fragen. Als bekannt wurde, dass Elisa, mentiert:
der Diener Elias, in der Nähe war, gin-
gen die drei Könige zu ihm hinab. Der Verfasser scheint hier zu fragen:
3,13-19 Zuerst betonte Elisa, dass er Wenn die Israeliten in diesem Fall so tief
nichts mit dem götzendienerischen Kö- bewegt waren, warum waren sie dann
nig von Israel zu tun habe, und riet ihm, nicht ausreichend erschrocken, um
sich an die götzendienerischen Prophe- ihrem eigenen Götzendienst abzuschwö-
ten seines Vaters zu wenden. Jorams ren? Aber der Götzendienst ging sowohl
Antwort könnte nahe gelegt haben, in Israel als auch in Juda weiter.4
dass es nicht die Götzen, sondern der
Herr war, der das Problem herbei­ E. Der von Wundern gekennzeichnete
geführt hatte. Aus Ehrerbietung für Dienst Elisas (4,1 - 8,15)
Joschafat stimmte Elisa zu, die Ab-
1. Wunderbare Ölvermehrung (4,1-7)
sichten des HERRN zu erfragen. Als ein
Saitenspieler spielte, kam die Kraft 4,1-7 Eine verarmte Witwe eines gottes-
Gottes über Elisa, und er sagte voraus, fürchtigen Propheten stand in der Ge-
dass das Tal voller Teiche sein sollte, die fahr, ihre Söhne in die Sklaverei zu ver-
nicht durch Regen gefüllt wurden, und lieren, weil sie zu viele Schulden hatte.
dass die Moabiter geschlagen werden Sie wurde durch ein Wunder mit Öl
würden. versorgt, wobei die einzige Obergrenze
3,20-25 Am nächsten Morgen floss durch die Zahl der Gefäße festgelegt
Wasser in das Tal, das aus der Richtung wurde, die sie borgen konnte, um das
Edoms kam. Im Licht des Sonnenauf- Öl aufzunehmen. Indem sie das Öl ver-
gangs sah das Wasser für die Moabiter kaufte, konnte sie ihre Schulden zahlen
wie Blut aus, und sie meinten, dass die und ihre Familie ernähren. Dieses Er-
Könige von Israel, Juda und Edom un- eignis zeigt die Gnade für den Schuldi-
tereinander gekämpft hätten. Als sie gen, die ausreicht, um die gegenwär­
zum Lager Israels kamen, um Beute zu tigen Bedürfnisse zu stillen und auch
machen, wurden sie vernichtend ange- noch für den zukünftigen Lebensunter-
griffen. Die Israeliten füllten das urbare halt zu sorgen. Gottes Gnade gegen­über
Land mit Steinen, verstopften die Brun- bedürftigen Sündern befreit uns aus
nen und fällten alle guten Bäume. der Schuld und der Sklaverei und stellt
3,26-27 Der König von Moab, der über uns alles zur Verfügung, was wir für
seine früheren Verbündeten, die Edo- das neue Leben benötigen.
miter, verbittert war und den Verdacht
hatte, dass ihr König nicht so von gan- 2. Wunderbare Geburt (4,8-17)
zem Herzen kämpfen würde wie Israel 4,8-17 Eine vornehme Frau aus Schu-
und Juda, versuchte bei den Linien nem hatte Elisa ungewöhnliche Gast-
Edoms durchzubrechen. Als diese Stra- freundschaft erwiesen und sogar ein
tegie versagte, opferte er seinen erst­ kleines gemauertes Obergemach für
geborenen Sohn als Opfer auf der Stadt- ihn in ihrem Haus eingerichtet. Als ihr
mauer, um seine Götter zu besänftigen, durch die Fürsprache Elias eine Stel-
um seine Männer zu härterem Kampf lung oder eine Gunst des Königs ange-
anzufeuern und den Feind zu er­ boten wurde, drückte sie demütig ihre
schrecken. Israel war durch dieses Zufriedenheit aus, einfach unter ihrem
Menschenopfer, das natürlich ein eigenen Volk wohnen zu können. Ge-
Gräuel war, wie gelähmt. Direkt von hasi, der Diener des Propheten, schlug
Gott oder aber von ihrem eigenen Ge- vor, dass sie vielleicht gern einen Sohn

383
2. Könige 4

hätte, und dieser Vorschlag wurde 4,29-31 Zuerst schickte der Prophet
durch das Wort des Propheten Realität. Gehasi, der Elisas Stab auf den toten
Im folgenden Frühjahr gebar sie einen Jungen legen sollte, und befahl ihm, auf
Sohn. Aus dem Tod (dem unfrucht­ dem Weg die ausführlichen orientali-
baren Leib) brachte der Herr Leben her- schen Begrüßungen zu meiden. Die
vor, ein Bild für die geistliche Geburt je- Frau spürte, dass dies nicht ausreichen
des Kindes Gottes (Eph 2,1-10). würde, und bestand darauf, dass Elisa
selbst mit ihr kommen möge. Als sie
3. Die Auferweckung des Sohnes der sich Schunem näherten, trafen sie Ge-
Schunemiterin (4,18-37) hasi mit der Nachricht, dass der Junge
4,18-25a Jahre später erlitt der Junge nicht aufgewacht sei.
eine Art Schlaganfall, während er drau- 4,32-37 Da ging Elisa in das Zimmer,
ßen auf dem Feld war. Er wurde zu sei- in dem die Leiche lag, schloss die Tür,
ner Mutter getragen und starb gegen betete und legte sich auf das Kind,
Mittag in deren Armen. Sie legte seinen Mund auf Mund, Augen auf Augen
Leichnam in die Prophetenkammer. und Hände auf Hände. Der Prophet
Dann sagte sie ihrem Mann, ohne den stand wieder auf, ging im Zimmer hin
Grund zu nennen, dass sie den Mann und her und legte sich wieder über den
Gottes auf dem Berg Karmel besuchen Jungen. Diesmal nieste der Junge sie-
wolle. Er dachte, dass es seltsam sei, benmal und schlug seine Augen auf.
den Propheten zu besuchen, wenn kein Die dankbare Mutter erhielt ihren Sohn
Feiertag war, doch er unternahm die lebendig zurück. Als Elisa das Kind
notwendigen Vorbereitungen für die auferweckte, identifizierte er sich voll-
Reise. Sehr schnell ritt sie von Schunem ständig mit dem toten Jungen: Mund
in der Ebene Jesreel zum Berg Karmel. auf Mund, Augen auf Augen und Hand
4,25b-28 Als Elisa sie zu ihm kommen auf Hand. Sein Stab hatte keine Ver­
sah, sandte er Gehasi, der ihr entgegen- änderung gebracht, aber als er sich
laufen und sie nach ihrem Wohlbefin- selbst auf den Jungen legte und sein
den befragen sollte. Sie sagte Gehasi eigenes Leben in ihn hineinhauchte,
nicht den Grund ihres Besuchs. Sie wurde der Junge wieder lebendig.
täuschte ihn sogar, indem sie sagte, dass
es ihr, ihrem Mann und ihrem Sohn gut 4. Entgiftung der vergifteten Speise (4,38-41)
gehe. Sie zog es vor, ihr Anliegen direkt 4,38-41 Das nächste berichtete Wunder
mit dem Propheten zu besprechen. Als fand in Gilgal statt. Während einer
die Frau Elisa traf, erlebte sie einen Ge- Hungersnot (vielleicht während der
fühlsausbruch und wäre von Gehasi siebenjährigen Hungersnot, die in
weggeschickt worden, hätte der Pro- Kap. 8 erwähnt wird), befahl Elisa sei-
phet nicht ihre große Betrübnis bemerkt nem Diener, ein Gericht für die Söhne
und ihr erlaubt zu sprechen. Der Herr der Propheten zu kochen. Durch eine
hatte Elisa den Grund ihres Besuchs Verwechslung kamen einige giftige
nicht offenbart, und sie nannte ihn auch Koloquinten mit in den Topf. Als der
nicht. Doch sie gab einen Hinweis, in- Fehler entdeckt wurde, schüttete Elisa
dem sie sagte: »Habe ich einen Sohn Mehl in den Topf, und dadurch wurde
von meinem Herrn erbeten? Habe ich es essbar.
nicht gesagt: Täusche mich nicht?« Mit
anderen Worten: »Ich möchte nicht ge- 5. Wunderbare Brotvermehrung (4,42-44)
täuscht werden, indem ich erst einen 4,42-44 Zu einer anderen Zeit speiste
Sohn bekomme und er mir dann wie- Elisa 100 Mann mit zwanzig kleinen,
der genommen wird.« Vielleicht konnte runden Gerstenbroten und einigen fri-
Elisa daraus schließen, dass der Sohn schen Kornähren. Es war genug, und es
ernsthaft krank war. blieb übrig, wie der Herr verheißen hat-

384
2. Könige 4 und 5

te. Elisa gab anderen selbstlos, was ihm fand, und bat darum, Naaman zu ihm
eigentlich selbst gehörte. Wenn wir mit zu schicken. Im Palast gab es keine Voll-
anderen teilen, und die Folgen Gott macht, denn dort waren nur Götzendie-
überlassen, dann ist er in der Lage, un­ ner, aber es gab einen Propheten Gottes
sere Bedürfnisse und die von anderen zu in Israel, der die Macht hatte, jemanden
erfüllen, und zwar so, dass darüber hin­ zu reinigen und ihn zu heilen. Elisa re-
aus noch übrig bleibt (Spr 11,24-25). dete mit Naaman nicht persönlich; sein
Wort reichte aus, wenn daraufhin im
6. Die wunderbare Reinigung von Glauben gehandelt wurde. Elisa gab
Naaman, dem Aussätzigen (5,1-19) ihm den Auftrag, sich siebenmal im Jor-
5,1-4 Elisas Wundertaten erstreckten dan zu baden. Naaman hatte eher ir-
sich sogar auf die Armee der Syrer (Ara- gendeine dramatischere und interes-
mäer). Ein gefangenes jüdisches Mäd- santere Heilungsmethode als diese er-
chen war Dienerin im Haus von Naa- wartet, und er protestierte zornig, dass
man, dem Heerobersten der syrischen die Wasser seiner Heimatstadt Damas-
Armee. Sie wusste, dass er aussätzig kus dem Jordan überlegen wären.
war, und wies darauf hin, dass der Pro- 5,13-14 D.L. Moody analysierte das
phet Elisa ihn vielleicht heilen könnte. Problem treffend:
Dieses Mädchen zeigt, wie jemand, der
in den Augen der Welt keinerlei Bedeu- Naaman hatte zwei Krankheiten: Stolz
tung hat, die Geschichte der Erlösung und Aussatz. Die erste musste genauso
beeinflussen kann, wenn er sich an einer wie die zweite geheilt werden. Naaman
Schlüsselstelle befindet und Gott treu musste von dem hohen Wagen seines
ergeben ist. D.L. Moody kommentiert: Stolzes herunterkommen; danach muss-
te er sich auf die vorgeschriebene Art
Eine kleine Magd sagte ein paar Worte, waschen.6
die die Hebel in zwei Königreichen in
Gang setzte. Gott ehrte ihren Glauben, Schließlich überredeten seine Diener
indem er für Naaman, einen Götzendie- ihn, dem Propheten in solch einer einfa-
ner, tat, was er für keinen in Israel getan chen Sache zu gehorchen, und er wurde
hatte. Vgl. Lk 4,24. Wie oft hat ein kind­ ganz geheilt. Wie jemand so schön for-
licher Finger Erwachsenen die richtige mulierte: »Er schluckte seinen Stolz her­
Richtung gewiesen! Die Magd rühmte unter und verlor seinen Aussatz.«
Gott, dass er für Naaman tun konnte, 5,15-19 Naaman bekehrte sich zu dem
was er für keinen in Israel getan hatte, Gott Israels und wollte Elisa belohnen,
und Gott ehrte ihren Glauben.5 doch der Prophet wollte nichts von ihm
annehmen. Der syrische General bat
5,5-7 Naaman erhielt von Ben-Hadad, dann um die Erlaubnis, »die Traglast
dem König von Syrien (Aram), einen eines Maultiergespannes Erde« mit
Empfehlungsbrief an Joram, den König nach Hause nehmen zu dürfen, damit
von Israel, und nahm auch Geld und er den wahren Gott auf dieser Erde aus
Kleidung als Geschenke mit. Offen- Israel anbeten konnte. Er erklärte, dass
sichtlich erwähnte der Brief Elisa nicht, seine offiziellen Pflichten dazu führen
sondern bat einfach um die Heilung könnten, dass er mit seinem Herrn in
Naamans. Der König von Israel war er- den Tempel des Götzen Rimmon gehen
bost über eine solch unvernünftige For- müsse und sich dort sogar niederbeu-
derung und vermutete, dass der syri- gen müsse, aber er hoffte darauf, dass
sche König nach einem Vorwand such- der Herr ihm dies vergeben würde. We-
te, um Israel anzugreifen. der bestätigte Elisa dies noch tadelte er
5,8-12 Elisa erhielt Nachricht von der es, sondern er sandte ihn einfach auf
Zwickmühle, in der sich der König be- seinen Weg.

385
2. Könige 5 und 6

In der Geschichte von Naaman finden mit dem Aussatz Naamans geschlagen.
wir eine klassische Illustration des Er hatte sehr gesündigt, indem er dem
Evangeliums der Gnade. Er war als Syrer Anlass gab zu denken, dass
Heeroberster der syrischen Armee ein Gottes Geschenk der Gnade eben kein
Feind Gottes. Menschlich gesprochen, Geschenk wäre.
war sein Zustand hilflos und hoffnungs­
los, weil er ein Aussätziger war (vgl. 8. Die wunderbare Wiederbeschaffung
Röm 5,6-10). Weil er ein Heide war, war eines Beilblatts (6,1-7)
er ein Fremdling bezüglich der Verhei- 6,1-17 Einige der Söhne der Propheten
ßungen und des Bundes Gottes und waren mit den beengten Quartieren un-
hatte keinen Anspruch auf seinen Segen zufrieden, in denen sie mit Elisa lebten,
(Eph 2,11-12). Aber Gottes Gnade entweder in Jericho oder in Gilgal. Des-
streckte sich aus, um eine menschliche halb erlangten sie die Erlaubnis des
Not zu heilen. Naaman musste sich nur Propheten, an den Jordan zu ziehen
demütigen und dem Wort des Herrn und dort zu bauen. Beim Bauen verlor
gehorchen. Er wusch sich schließlich im einer der Männer das geliehene Beil-
Gehorsam gegenüber Gottes Wort und blatt (Menge) im Jordan. Elisa reagierte
kam als neuer Mensch mit neuer Haut auf seine verzweifelte Bitte, indem er
und einem neuen Herzen aus dem Was- ein Stück Holz in den Fluss warf. Das
ser heraus. eiserne Beilblatt schwamm und wurde
von dem dankbaren Bauarbeiter wie-
Wunderbare Gnade unseres liebenden der herausgeholt.
Herrn,
Gnade, die unsere Sünden und unsere 9. Wunderbare militärische Manöver (6,8-23)
Schuld übersteigt, 6,8-23 Ein weiteres Beispiel für Elisas
Dort ausgegossen auf dem Berg Golga­ Wunderkräfte ist sein Wissen über ab-
tha solut vertrauliche militärische Aktionen
Dort wurde das Blut des Lammes im Lager des Feindes. Der syrische Kö-
vergossen. nig war verblüfft, weil seine geheims-
Julia H. Johnston ten Pläne immer wieder dem König von
Israel bekannt wurden. Er vermutete
deshalb, dass einer seiner Männer ein
7. Die Habgier Gehasis (5,20-27)
israelischer Spion war. Als er erfuhr,
5,20-27 Doch Gehasi gelüstete es nach dass der Prophet Elisa seine Pläne dem
den Geschenken Naamans, die Elisa ab- König von Israel offenbarte, entschloss
gelehnt hatte. Er sagte dem Syrer, dass er sich, Elisa ohne Rücksicht auf die
Elisa ihn gesandt hatte, um die Gaben Folgen zu fangen. Er hörte, dass der
für zwei junge Propheten zu erbitten, Prophet in Dotan war, einer Stadt nicht
die gerade vom Gebirge Ephraim zu weit nördlich von der Stadt Samaria,
ihm gekommen seien. Dann nahm er und sandte Soldaten dorthin, um die
das Geld und die Kleider und brachte Stadt nachts zu umzingeln. Am Morgen
sie in sein eigenes Haus. Als Prophet er- war der Diener Elisas sehr erschrocken,
hielt Elisa häufig besondere Offen­ als er die feindliche Armee sah, die die
barungen vom Herrn. Diesmal wurde Stadt umstellt hatte. Doch als Antwort
er darüber informiert, was sein Diener auf das Gebet des Propheten wurde
getan hatte, und als Gehasi ankam, dem Diener die wunderbare Fähigkeit
stellte Elisa ihn bloß. Er erinnerte den gegeben, ein schützendes Heer von feu-
habgierigen Diener daran, dass jetzt rigen Pferden und Kriegswagen zu se-
nicht die Zeit sei, Silber zu nehmen hen, die Gott gesandt hatte, um seine
oder Kleider oder anderes, das für Geld Leute zu bewahren.
gekauft werden kann. Gehasi wurde Elisa bat den Herrn, die Syrer mit

386
2. Könige 6 und 7

Blindheit zu schlagen. Der Prophet war praktizierte. Er machte Elisa für die
dann in der Lage, sie kampflos von Do- schreckliche Lage und dafür, dass er
tan nach Samaria zu führen. Als der Kö- nichts getan habe, um die Situation zu
nig von Israel sie töten wollte, erinnerte entspannen, verantwortlich. Deshalb
Elisa ihn daran, dass er auch keine Ge- schwor er, ihn zu töten, ehe der Tag um
fangenen töten würde, die er mit war.
Schwert und Bogen gefangen hatte. War­ 6,32-33 Aber Elisa erhielt von Gott In-
um sollte er also diese töten, die ohne formationen über die Absichten des
sein Zutun in seine Hände geliefert Königs und sagte den Ältesten, dass ein
wurden? Stattdessen wurde angeord- Bote des Königs auf dem Weg wäre und
net, dass der König sie speisen und dass der König hinterherkäme. Er ord-
dann nach Hause schicken sollte. Durch nete an, dass sie dem Boten den Eintritt
diese humane Behandlung überwand verwehren sollten, bis der König selbst
er das Böse mit Gutem. Solche Streif- eintreffen würde. Gleich darauf traf der
scharen kamen danach nicht mehr nach Bote ein, und danach der König. Dieser
Israel. war sich sicher, dass nichts anderes üb-
Vers 16 erinnert uns an 1Jo 4,4b – »der, rig blieb, als sich den Syrern zu er­geben.
welcher in euch ist, ist größer als der, Der König sagte: »Siehe, dieses Un-
welcher in der Welt ist«. In unserem glück kommt von dem Herrn. Was soll
geistlichen Kampf mit den Mächten des ich noch länger auf den Herrn warten?«
Bösen wird uns durch unseren allmäch- Der Vorfall erinnert uns daran, dass
tigen Verbündeten Schutz und Kraft ge- »das Herz eines Königs wie Wasser­
schenkt. Durch das Gebet des Glaubens bäche in der Hand des Herrn ist; wohin
kann der Herr uns die Augen des Her- immer er will, neigt er es« (Spr 21,1).
zen für die ermutigende Tatsache öffnen, Der König von Israel wird hier nicht
dass er uns verteidigt und Satans zerstö- mit Namen genannt, ja, in den gesam-
rerische Absichten zunichtemacht. ten Kapiteln 4-8 wird kein Königsname
von Israel genannt. Viele Kommenta-
10. Die Hungersnot in Samaria (6,24 - toren sind der Meinung, dass Joram der
7,20) belagerte König war, aber es ist unmög-
6,24-31 Das Ereignis, von dem hier be- lich, hier sicher zu sein, weil der Dienst
richtet wird, steht nicht notwendiger- Elisas, der sich über ein halbes Jahrhun-
weise in der chronologischen Reihen- dert hinzog und unter vier verschiede-
folge. Ben-Hadad, der König von Sy­ nen Königen geschah, nicht in chrono-
rien, belagerte Samaria so erfolgreich, logischer Reihenfolge aufgezeichnet
dass in der Stadt eine Hungersnot aus- wurde.
brach. (Wenn diese Belagerung nach der 7,1-2 Elisa machte dem König eine be-
siebenjährigen Hungersnot ausbrach, merkenswerte Vorhersage. Er versprach,
die in 8,1-2 erwähnt wird, dann können dass am nächsten Tag Weizengrieß und
wir verstehen, wie ernst die Situation Gerste zu sehr niedrigen Preisen im Tor
eigentlich war.) Die Menschen mussten von Samaria gehandelt würden. Als der
Höchstpreise selbst für zeremoniell un- skeptische Adjutant des Königs die
reine Speisen (Eselskopf) oder für Ge- Wahrscheinlichkeit einer solch unglaub-
müse und Getreide zahlen. »Tauben- lichen Fülle infrage stellte, fügte Elisa
mist«7 war der Name einer essbaren hinzu, dass er es mit seinen eigenen Au-
Blumenzwiebel. Die Pflanze heißt heu- gen sehen werde, aber dass er davon
te »Milchstern« (Gattung Ornithoga­ nichts essen werde. »Wenn du glauben
lum). Der König von Israel erkannte an, möchtest«, schreibt Moody, »dann musst
dass niemand außer dem Herrn helfen du die Frage ›Wie?‹ kreuzigen«8 (vgl. die
konnte, und er trauerte sehr, als er her- Jünger des Herrn vor der Speisung der
ausfand, dass das Volk Kannibalismus 4000 in Mk 8,4).

387
2. Könige 7 und 8

7,3-7 In ihrer Verzweiflung beschlos- Preisen verkauft. Der Offizier, der die
sen an diesem Abend vier aussätzige Prophezeiung angezweifelt hatte, sah
Männer, die im Tor von Samaria saßen, dies zwar, aber er konnte es nicht mehr
in das Lager der Syrer überzulaufen, in genießen, denn er wurde von der ju-
der Hoffnung, etwas zu essen zu be- belnden Menge im Stadttor zu Tode ge-
kommen. Als sie ankamen, war das La- treten. Die Verse 18-20 betonen noch
ger der Syrer verlassen – der Herr hatte einmal, dass der Mann wegen seines
die feindlichen Truppen ein Getöse hö- Unglaubens nach dem Wort des Herrn
ren lassen wie von einer heranziehen- starb. Unglaube beraubt seine Opfer
den Armee. In der Annahme, es seien des Segens und belohnt sie mit dem
die Hetiter und ägyptische Soldaten, Tod.
die vom König von Israel angeworben Die beachtenswerten Worte der Aus-
worden seien, zogen sich die Syrer in sätzigen: »Wir handeln nicht recht. Die-
einem wilden Durcheinander zurück. ser Tag ist ein Tag guter Botschaft; und
Matthew Henry kommentiert: wir schweigen« (V. 9, nach NKJV), sind
eine ständige Herausforderung an die-
Bei den Syrern, die Dotan belagert hat- jenigen von uns, denen das Evangelium
ten, wurde das Sehvermögen beeinflusst, der erlösenden Gnade anvertraut ist.
6,18. Hier wurde das Hörvermögen be-
einflusst. … Ob der Lärm wirklich in der 11. Wiederherstellung des Eigentums der
Luft durch den Dienst von Engeln ver­ Schunemiterin (8,1-6)
ursacht wurde, oder ob er nur in ihren Ehe eine siebenjährige Hungersnot ins
Ohren zu hören war, ist nicht sicher, aber Land kam (vielleicht die Hungersnot in
was auch immer es war, es kam von 4,38), warnte Elia die Schunemiterin
Gott.9 (aus Kap. 4), dass sie mit ihrer Familie
wegziehen sollte, einschließlich des
7,8-16 Zunächst bedienten sich die Aus- Sohnes, den er lebendig gemacht hatte.
sätzigen reichlich mit Essen, Geld und Sie zog ins Land der Philister und kehr-
Kleidern. Dann erkannten sie jedoch, te zurück, als die Hungersnot vorbei
dass man bald herausfinden würde, war. Zu dieser Zeit befand sich Gehasi
dass die Syrer nicht mehr da waren, und am Hof des Königs von Israel, einem
sie für ihr Schweigen bestrafen würde. Ort, wo sich ein Aussätziger eigentlich
Deshalb beschlossen sie, den König zu nicht aufhalten durfte. Gerade als er
benachrichtigen. Der ver­mutete zu- dem König berichtete, wie Elisa den
nächst, dass die Syrer einen Hinterhalt Jungen zum Leben erweckt hatte, kam
für die Israeliten gelegt hätten. Aber ein die Frau mit ihrer Bitte, dass man ihr Ei-
Knecht schlug vor, dass man einige gentum zurückerstatten solle. Der Kö-
Männer als Kundschafter losschicken nig ordnete an, dass ihr sowohl das
sollte. Er argumentierte, dass sie, wenn Land als auch die Ernte, die in den sie-
sie nicht von den Syrern getötet wür- ben Jahren ihrer Abwesenheit dort ge-
den, ja wie die übrigen Israeliten durch wachsen war, zurückgegeben werden
Verhungern sterben müssten. Die musste.
Kundschafter fanden heraus, dass die
Syrer wirklich geflohen waren und eine 12. Elisas Prophezeiung über die
Spur von zurückgelassener Beute hinter Regierung Hasaels (8,7-15)
sich hergezogen hatten. So plünderten 8,7-12 Als der kranke Ben-Hadad, der
die Israeliten das Lager der Syrer, und König von Syrien, hörte, dass Elisa nach
die Hungersnot war vorüber. Damaskus gekommen war, sandte er
7,17-20 Entsprechend der Prophezei- einen seiner Offiziere, Hasael, mit ei-
ung Elisas wurden an diesem Tag Wei- nem großen Geschenk, um zu erfahren,
zengrieß und Gerste zu sehr niedrigen ob er genesen werde. Weil Naaman ein

388
2. Könige 8

Hauptmann der syrischen Armee unter vor der völligen Zerstörung bewahrt
Ben-Hadad war, wusste der König von wurde (13,3.22-23). Hasael kam auch in
Elisas Heilungskraft (Kap. 5). Vielleicht den Südwesten Palästinas und nahm Gat
konnte der Prophet auch ihn heilen. Die ein; er zwang den König von Juda, ein
vage Antwort des Propheten an Hasael hohes Bestechungsgeld dafür zu zahlen,
lautete: »Geh hin, sage ihm: Du wirst dass er Jerusalem verschonte (12,18-19;
bestimmt genesen! Aber der Herr hat 2Chr 24,23-24). Erst nach dem Tod Ha­
mich sehen lassen, dass er stirbt, ja dass saels konnte Israel die Angriffe Syriens
er stirbt.« Das bedeutete, dass die unter Ben-Hadad III., dem Sohn Hasaels,
Krankheit an sich nicht notwendiger- erfolgreich zurückschlagen (2Kö 13,24-
weise tödlich war, aber dass Ben- 25).11
Hadad nicht gesund werden würde,
weil Hasael ihn umbringen würde. F. König Joram von Juda (8,16-24)
Elisa schaute Hasael so intensiv an, Joram, der Sohn Joschafats, war acht
dass er sich schämte (vgl. Schlachter Jahre lang König von Juda (853-841
2000). Elisa sah auch voraus, dass Ha­ v.Chr; vgl. 2Chr 21,4-20).
sael schlimme Verluste und Leid über 8,16-17 Die Chronologie in V. 16 muss
die Söhne Israel bringen würde – so mit 1Kö 22,42.51; 2Kö 3,1 und 2Kö 8,25
schrecklich, dass der Gedanke daran in Einklang gebracht werden. Eine Er-
ihn weinen ließ. klärung lautet, dass Joram fünf Jahre
8,13-15 Hasael antwortete, dass er nur lang mit seinem Vater Joschafat zusam-
ein Hund sei ‒ wie konnte jemand mei- men regierte. Eine andere Erklärung
nen, dass er eine so große Sache tun lautet, dass Joschafat einen Teil seiner
konnte. Williams umschreibt diesen Regierung mit Asa teilte und dass die
Vers so: »Kann es sein, dass ich, der ich Regierungszeiten von Ahasja und Jo-
nur ein Hund bin, den Thron Syriens ram vom Beginn von Joschafats alleini-
besteigen und solche große Taten voll- ger Herrschaft an gezählt wurden.
bringen sollte?«10 8,18-19 Joram hatte Atalja, eine Toch-
Aber Elisa war vom Herrn gesagt ter von Ahab und Isebel, geheiratet.
worden, dass Hasael König von Syrien Diese Heirat war zweifellos von seinem
werden würde. Auf diese Ankündi- Vater Joschafat eingefädelt worden, als
gung hin kehrte Hasael zu Ben-Hadad Teil seiner Versöhnungspolitik mit Is­
zurück, sagte ihm, dass er genesen wer- rael. Das Ergebnis war jedoch, dass das
de und erstickte ihn dann heimtückisch Reich Juda weiter auf den götzendiene-
mit einer Decke, die er mit Wasser ge- rischen Weg des Nordreiches geführt
tränkt hatte. wurde. Wegen dieses Abfalls hätte der
Das folgende Zitat beschreibt kurz Herr Juda zerstört, wenn nicht die Ver-
und bündig, wie exakt die Prophezei- heißung an David gewesen wäre (2Sam
ung Elisas war: 7,12-16).
8,20-24 Während der Regierung Jo-
Kurz danach [nach dem Mord an Ben- rams fiel Edom von ihm ab. Um den
Hadad] kämpfte Hasael gegen die verei- Aufstand niederzuschlagen, marschier-
nigten Truppen von Joram und Ahasja te er mit seiner Armee nach Zair (Edom)
bei Ramot in Gilead (8,28-29; 9,14-15). Er südlich des Toten Meeres. Die Edomiter
besiegte Jehu häufig in der Schlacht und kreisten ihn ein und zwangen ihn, ihre
verwüstete sein ganzes Gebiet östlich des Linien zu durchbrechen, um sich in
Jordans vom Arnon im Süden bis Ba- Sicherheit zu bringen. Seine Armee floh
schan im Norden (10,32-33). Während nach Hause. Von dieser Zeit an wurde
der Regierung des Joahas, Jehus Nach- Edom nie mehr völlig von Juda be-
folger, drang er wiederholt in das Gebiet herrscht. Es könnte während der Regie-
Israels ein, das nur durch Gottes Gnade rung Jorams gewesen sein, dass der

389
2. Könige 8 und 9

Prophet Obadja seinen Spruch gegen 8,28-29 Ahasja begleitete seinen Onkel
Edom verfasste. Joram, den König von Israel, in einem
Es wird erwähnt, dass auch Libna in Krieg gegen Syrien in Ramot in Gilead.
der Nähe des Philisterlandes sich auf- König Joram wurde in der Schlacht ver-
lehnte. Dadurch wird die Aufmerksam- wundet und nach Jesreel gebracht, um
keit auf die innere Schwäche Judas sich von den Wunden heilen zu lassen.
während der bösen Regierung Jorams Ahasja besuchte ihn dort während sei-
gelenkt. Libna war eine Levitenstadt. ner Genesung. Jorams Vater Ahab hatte
Der Grund für den Aufstand wird in sein Leben in Ramot in Gilead verloren
2Chr 21,10-11 genannt. Juda gewann in (1Kö 22). Ahasjas Großvater Joschafat
späterer Zeit offensichtlich die Kontrol- hatte sich dort törichterweise mit Ahab
le über die Stadt wieder (19,8). verbündet und wurde deshalb beinahe
getötet. Aber Ahasja ließ sich nicht von
G. König Ahasja von Juda (8,25-29) der Geschichte bezüglich Bündnissen
Ahasja, der Sohn Jorams, war ein Jahr mit Israel warnen und wurde deshalb
lang König von Juda (841 v.Chr., vgl. später getötet (Kap. 9).
2Chr 22,1-9).
8,25-27 Ahasja wird in Vers 26 Sohn H. König Jehu von Israel und der
der Atalja, der Enkelin Omris, genannt. Dienst Elisas (Kap. 9-10)
Ahasja ist derselbe wie Joahas in 2Chr
21,17 und wird in 2Chr 22,6 auch Asarja 1. Jehus Salbung (9,1-10)
genannt (Schlachter 2000). Ahasja war 9,1-10 Elisa wies einen von den Söhnen
ein Neffe Jorams, des Königs von Israel. der Propheten an, nach Ramot in Gi­
Seine Mutter Atalja war die Tochter lead zu gehen und heimlich Jehu zum
Ahabs und die Schwester von Israels König von Israel als Nachfolger Jorams
König Joram. Die Namen sind an die- zu salben. Jehu war der Sohn Joschafats,
sem Punkt der Geschichte etwas ver- des Sohnes Nimschis (V. 2), nicht der
wirrend! Ahab, der König von Israel, Sohn Joschafats, des Königs von Juda.
hatte zwei Söhne, die nacheinander den Jehu war Oberster des Heeres in Jorams
Thron bestiegen, Ahasja und Joram. Jo- Armee und war in Ramot in Gilead sta-
schafat, der König von Juda, hatte einen tioniert, um die Syrer zurückzuhalten.
Sohn Joram, der nach ihm regierte. Die- Als der Prophet ihn salbte, gab er ihm
sem Joram folgte sein Sohn Ahasja auf den Auftrag, nach der Prophezeiung
den Thron. So regierten Ahasja und Jo- Elias das Haus Ahabs zu vernichten
ram in Israel, während Joram und Ahas- (1Kö 21,21-24). Elia war beauftragt wor-
ja in Juda regierten. den, Jehu zu salben (1Kö 19,16), aber es
scheint so gewesen zu sein, dass er die-
Israel Juda se Verantwortung an seinen Nachfolger
Elisa weitergegeben hatte, der wieder-
Ahasja Joram um einen unbekannten Propheten nach
Joram Ahasja Ramot in Gilead schickte, damit die Sal-
bung geheim bleiben konnte. Diese Ge-
heimhaltung gab Jehu den Vorteil der
Hier wird von Ahasja, dem König von Überraschung, von dem er geschickt
Juda, ausgesagt, dass er 22 Jahre alt war, bei seiner Machtergreifung Gebrauch
als er seine Regierung begann; in 2Chr machte.
22,2 wird »42 Jahre« (Schlachter 2000)
angegeben. Die meisten Beweise unter- 2. Jehus Hinrichtungen (9,11 - 10,17)
stützen ein Alter von 22 Jahren. Die an- 9,11-13 Als Jehu aus dem Haus heraus-
dere Zahl ist wahrscheinlich auf einen kam, wollten seine Kollegen wissen,
Abschreibfehler zurückzuführen. was der »Rasende« zu ihm gesagt habe.

390
2. Könige 9 und 10

Jehu versuchte zunächst, den Fragen Begräbnis nach Jerusalem gebracht.


auszuweichen, indem er andeutete, 2Chr 22,9 sagt aus, dass er in Samaria
dass sie es schon wüssten. Vielleicht starb, aber dies könnte sich entweder
vermutete er, dass sie den Propheten auf das Reich oder die Gegend von Sa-
gesandt hatten, um ihn zu salben, da- maria beziehen. Vers 29 entspricht nicht
mit er Joram entmachtete. Doch als sie der chronologischen Ordnung und ist
nicht locker ließen, enthüllte er ihnen, eine Wiederholung von 8,25. Der Un-
dass er soeben zum König gesalbt wor- terschied zwischen den erwähnten Jah-
den sei. Eilig bedeckten seine Männer ren (elftes und zwölftes) ist wahrschein-
die Stufen mit ihren Kleidern und rie- lich auf verschiedene Berechnungs­
fen ihn öffentlich zum König von Israel methoden zurückzuführen.
aus. 9,30-37 Als Jehu die Stadt Jesreel
Jehu, der Sohn Joschafats, war 28 Jah- selbst erreichte, verspottete Isebel ihn,
re lang König von Israel (841 - 814/813 indem sie rief: »Geht es dir gut, du Sim-
v.Chr.; 2Kö 9,14 - 10,36). ri, der seinen Herrn erschlug?« Simri
9,14-26 Mit Jehus Regierung begann war ebenfalls König von Israel gewor-
die fünfte Dynastie des Nordreiches. den, indem er seinen Herrn umbrachte,
Ehe die Nachricht von seiner Salbung aber er hatte alles andere als Frieden.
nach Jesreel gelangen konnte, eilte Jehu Sein Staatsstreich dauerte nur sieben
dorthin, um Joram zu töten. Ein Wäch- Tage (1Kö 16,9-19). Isebel gab Jehu da-
ter sah, wie sich Jehus Schar näherte, mit zu verstehen, dass er mit seinem
und benachrichtigte Joram. Zweimal Aufstand keinen Erfolg haben würde.
wurden Boten ausgesandt, um die Iden- Zwei Eunuchen (Kämmerer) im Palast
tität der sich nähernden Schar festzu- bewiesen ihre Treue zu Jehu, indem sie
stellen, aber Jehu hinderte sie an der Isebel aus dem Fenster warfen. Ihr Blut
Rückkehr. Zu diesem Zeitpunkt hatte spritzte an die Wand und auf die Pfer-
der Wächter den König darüber infor- de, und ihre Leiche wurde als Erfüllung
miert, dass das wilde Fahren dem Je- von 1Kö 21,23 von den Hunden Jesreels
hus, des Sohnes (eigentlich Enkels) gefressen – alles, außer ihr Schädel, ihre
Nimschis, glich. Joram fuhr ihm dann Füße und ihre Handteller. Campbell
in seinem königlichen Streitwagen ent- Morgan merkt dazu an:
gegen und wurde von seinem Neffen
Ahasja, dem König von Juda, begleitet. Selbst die Hunde wandten sich von dem
Sie nahmen an, dass es wichtige Nach- Schädel, den Händen und den Füßen ab,
richten aus Ramot in Gilead gab. Er die solche Gräuel geplant und ausge-
grüßte Jehu mit der Frage: »Ist es Friede führt hatten; und ihr Andenken wird
(schalom), Jehu?«, aber er erhielt eine durch kein anderes Grabmal als nur die
kriegerische Antwort. Joram bemerkte Verrufenheit bewahrt.12
den Verrat und versuchte zu fliehen,
doch er wurde von Jehus Pfeil getötet. 10,1-11 Jehus nächster Schritt war, sieb-
In wörtlicher Erfüllung der Prophe­ zig Nachkommen (»Söhne«) Ahabs um-
zeiung Elias (1Kö 21,19) wurde seine zubringen, die in Samaria lebten. Er
Leiche in Nabots Weinberg auf die Erde setzte zunächst ihren Vormündern ein
geworfen. Ultimatum – sie sollten den besten der
9,27-29 Ahasja versuchte ebenfalls zu Nachkommen Ahabs als König einset-
fliehen, aber auch er wurde von einem zen und gegen Jehu und seine Männer
Pfeil getroffen und starb in Megiddo. kämpfen. Doch sie hatten gesehen, wie
Indem er sich mit dem Haus Ahab ver- zwei Könige (Joram und Ahasja) gegen
schwägert hatte, fiel er unter den gött­ Jehu in Jesreel machtlos waren, deshalb
lichen Fluch, den Jehu vollstrecken sandten sie die Nachricht zurück, dass
sollte. Seine Leiche wurde dann zum sie seine gehorsamen Knechte seien. Er

391
2. Könige 10

schrieb zurück, dass sie ihre Loyalität großen Verbündeten im Kampf gegen
beweisen konnten, indem sie ihm die den Baalskult willkommen hieß. In Sa-
Köpfe der siebzig männlichen Nach- maria erschlug Jehu alle übrigen Ver-
kommen am nächsten Tag nach Jesreel wandten Ahabs. Morgan warnt:
lieferten. Sie waren damit einverstan-
den. Am Morgen ging Jehu hinaus, um Er [Jehu] war stolz auf seinen eigenen Ei-
die Köpfe anzusehen, die in zwei Hau- fer. Wie heimtückisch ist diese Gefahr!
fen am Eingang des Tores lagen. Viel- Und es ist eine Gefahr. Wo immer er exis-
leicht erwartete das versammelte Volk, tiert, führt er zu anderen bösen Dingen.
dass er über diese völlige Vernichtung Dieser Mann vollstreckte zwar das Ge-
zornig würde, weil es nicht wusste, richt Gottes über Israel, aber in seinem
dass er sie angeordnet hatte. Schnell be- persönlichen Leben war er verdorben.13
ruhigte er die Gewissen der Menschen,
indem er praktisch sagte: »Ihr seid an 3. Jehus Ausrottung der Anhänger Baals
dieser Tat nicht schuld. Und auch ich (10,18-36)
bin unschuldig. Es stimmt zwar, dass 10,18-28 Der nächste Angriff des neuen
ich meinen Herrn Joram getötet habe, Königs war gegen die Diener des Baal
aber wer hat diese umgebracht? Es gerichtet. Um sie erkennen zu können,
muss Gott gewesen sein, der erfüllt hat, ordnete er ein großes Fest zu Ehren
was er seinem Diener Elia vorausgesagt Baals an. Der Tempel füllte sich mit
hat.« Baalsanhängern aus allen Teilen Israels.
Weiterhin tötete Jehu in Erfüllung der Sie trugen besondere Gewänder, die sie
Prophezeiung Elias alle Verwandten als solche kennzeichneten. Man achtete
Ahabs, seine Großen, seine Vertrauten besonders darauf, dass keine Anhänger
und seine Priester in Jesreel. des Herrn anwesend waren. Sobald
10,12-14 Auf dem Weg zur Haupt- Jehu das Brandopfer dargebracht hatte,
stadt Samaria traf Jehu 42 Verwandte gab er den Leibwächtern und Offizie-
Ahasjas. »Brüder« (V. 13) schließt auch ren ein Zeichen, damit diese alle Göt-
Vettern und Neffen usw. ein, weil Ahas- zendiener umbrachten. 80 Mann waren
jas Brüder erschlagen worden waren vor dem Tempel postiert, damit keiner
(2Chr 21,17). Diese Leute waren aus entkommen konnte. Jehus Männer
Juda gekommen, um die königliche Fa- drangen in das Innere des Hauses Baals
milie Israels zu besuchen. Jehu ordnete ein, entfernten die Gedenksteine Baals,
an, sie bei der Zisterne von Bet-Eked zu die sich dort befanden, und verbrann-
töten, weil er erkannte, dass sie mit dem ten sie. Sie rissen das Haus des Baal nie-
Haus Ahab verbunden waren. der und verwandelten es in einen Abort
10,15-17 Jehu traf auch Jonadab, einen oder eine Stätte des Unrats.
Rechabiter. Auf die Versicherung hin, 10,29-30 Auf vielerlei Weise war Jehu
dass Jonadab ihm treu sei, lud Jehu ihn einer der besten, vielleicht sogar der
ein, mit nach Samaria zu reiten und beste der Könige Israels. Er vollstreckte
Zeuge seines Eifers für den Herrn zu Gottes Gericht über das Haus Ahab und
werden. Jeremia 35 berichtet uns etwas reinigte das Land von den Baalsanhän-
mehr über Jonadab. Er befahl allen sei- gern. Der Herr belohnte, was lobens-
nen Nachkommen, den Lebensstil wie- wert war, indem er verhieß, dass seine
der anzunehmen, den Israel unter Mose Dynastie bis in die 4. Generation wei-
und Josua geführt hatte. Dies geschah tergehen würde (d.h. Joahas, Joasch,
in dem Versuch, sie davon abzuhalten, Jerobeam II. und Sacharja).
dem Reich in den Abfall zu folgen, der 10,31-36 Doch Jehu fuhr damit fort,
großen Sünde Israels. Als Jonadab von die Anbetung der goldenen Kälber zu
Jehus Säuberungsaktion erfuhr, ging er fördern, die Jerobeam eingeführt hatte.
mit dem neuen König, der ihn sofort als Auch wird er in Hos 1,4 für seine extre-

392
2. Könige 10 und 11

me Grausamkeit verurteilt, mit der er ner Amme in der Schlafkammer des un-
das Haus Ahab ausrottete. Als Folge genutzten Tempels versteckt. Er blieb
seiner Fehler begann der Herr, Teile von dort sechs Jahre lang, während Atalja
Israel abzuschlagen. Hasael, der König über das Land herrschte.
von Syrien, eroberte das Land östlich 11,4-11 Im siebten Jahr rief Jojada, der
des Jordans, das ursprünglich von den Hohepriester, die Obersten über Hun-
Stämmen Ruben und Gad und dem hal- dert von den Söldnern und den Leib-
ben Stamm Manasse eingenommen wächtern und zeigte ihnen den Thron-
worden war. Elisa hatte diese Tat Ha­ erben. Er schloss mit ihnen einen Bund,
saels vorausgesehen (8,12). Der syrische Atalja zu entmachten und Joasch zum
König vollstreckte das Gericht des König zu krönen. Williams kommen-
Herrn am Haus Israel, so wie Jehu das tiert:
Gericht am Haus Ahab vollzogen hatte.
Hinter den Aktivitäten dieser bösen Die Schritte, die Jojada unternahm, um
Könige kann das geistliche Auge die den königlichen Umsturz zu erreichen
souveräne Hand Gottes erkennen, der (V. 4-11), können folgendermaßen be-
den Zorn des Menschen dazu benutzt, schrieben werden: Er sandte nach den
seine Ziele zu erreichen. Offizieren der königlichen Leibwache.
Ein Regiment wurde angewiesen, das
I. Königin Ataljas Thronraub in Juda Haus des Königs zu umstellen, und die
(Kap. 11) beiden übrigen Regimenter sollten vor
Atalja, die Tochter Ahabs, war sechs dem Tempel aufziehen. Jeder, der ver­
Jahre lang Königin von Juda (841-835 suchen würde, sich seinen Weg gewalt-
v.Chr.; 2Chr 22,10 - 23,21). sam durch die Truppen zu bahnen, sollte
11,1 Der Schauplatz wechselt nun von getötet werden. Die Wache, die an die-
Israel nach Juda. Atalja übernahm die sem Morgen abgelöst werden sollte
Herrschaft, nachdem ihr Sohn Ahasja (V. 9), sollte nicht in ihr Quartier zurück-
von Jehu getötet worden war. Um jede kehren, sondern bei der Ablösung blei-
Bedrohung ihrer Macht zu vermeiden, ben und zur Haupttruppe stoßen, um
ließ sie alle (so meinte sie jedenfalls) den König zu verteidigen.14
Söhne Ahasjas töten. Dass Atalja kalt-
blütig die Abschlachtung aller ihrer En- 11,12 Dann wurde Joasch vor das Volk
kel anordnen konnte, zeigt, wie sehr sie gebracht. Eine Krone wurde auf sein
ihrer Mutter Isebel ähnelte. Sie führte Haupt gesetzt, und eine Abschrift des
auch ungewollt den Fluch über die Zeugnisses (des Gesetzes) wurde ihm
Nachkommen Ahabs, ihres Vaters, aus übergeben. Das Volk rief: »Es lebe der
(1Kö 21,21-22). König!«
11,2-3 Joscheba, die Frau von Jojada 11,13-16 Als Atalja durch dieses Ge-
(2Chr 22,11) und eine Tante der dem schrei zum Hof des Tempels geführt
Untergang geweihten Söhne, ging mu- wurde und sah, was da vor sich ging,
tig in den Königspalast und stahl einen rief sie »Verrat, Verrat!« Weil Jojada
Jungen namens Joasch aus der Mitte nicht wollte, dass sie innerhalb des
der Königssöhne, die getötet werden Tempels getötet wurde, befahl er, dass
sollten. Atalja hätte die königliche Linie sie zwischen den Soldaten nach drau-
völlig abgeschnitten, doch der Herr be- ßen geführt und beim Eingang für die
wahrte Joasch wegen seines Bundes mit Pferde getötet werden sollte.
David. Die langfristigen Konsequenzen 11,17-21 Ein Bund wurde zwischen
von dem, was sie versuchte, sind er- dem Herrn, dem neuen König und sei-
schütternd – es war ein satanischer Ver- nen Untertanen geschlossen, dass sie
such, die königliche Linie des Messias dem Herrn dienen würden. Als Zeichen
zu unterbrechen. Joasch wurde mit sei- dafür zerstörte das Volk das Haus des

393
2. Könige 11 und 12

Baal, das Atalja gefördert hatte, und tö- – d.h. normale freiwillige Opfer, die in
tete Mattan, den Baalspriester. Der Kö- 3. Mose beschrieben sind.16
nig wurde in einer großen Prozession 12,7-17 Als bis zum 23. Jahr der Re-
zum königlichen Palast geleitet. »Das gierung Joaschs keine Reparaturen vor-
Volk des Landes freute sich, und die genommen worden waren, rief der Kö-
Stadt hatte Ruhe«, nachdem Atalja hin- nig Jojada und die anderen Priester und
gerichtet worden war. kündigte einen neuen Plan zum Sam-
meln von Geld und zur Reparatur des
J. König Joasch von Juda (Kap. 12) Tempels an. Die Priester sollten die Gel-
Joasch, der Sohn Ahasjas, der König der nicht mehr direkt sammeln, und
von Juda, regierte vierzig Jahre lang auch sollten sie die Reparaturen am
(835 - 796 v.Chr., vgl. 2Chr 23,1 - 24,27). Tempel nicht mehr beaufsichtigen
12,1-6 John C. Whitcomb kommen- (V. 8). Stattdessen wurde ein Kasten mit
tiert die Regierung Joaschs: einem Loch in seinem Deckel zur Rech-
ten des Altars aufgestellt, in den das
Die vierzigjährige Regierung Joaschs Geld für die Reparatur des Tempels
kann in zwei Abschnitte eingeteilt wer- hin­eingegeben wurde. Der Schreiber
den – vor und nach dem Tod seines geist- des Königs und der Hohepriester zähl-
lichen Vormunds Jojada. Die Aussage, ten die Gelder zusammen und verteil-
dass er »alle seine Tage tat, was recht war ten sie an die Werkführer. Die Aufseher
in den Augen des Herrn, alle seine Tage, waren ehrlich, deshalb war es nicht not-
die Jojada ihn unterwies«, ist unheil­ wendig, für das Geld öffentlich Rechen-
verkündend. Ohne den moralischen und schaft abzulegen. Vers 14 scheint 2Chr
geistlichen Mut seines Hohenpriesters 24,14 zu widersprechen. Doch Vers 14
war Joasch so wankelmütig wie Lot ohne bedeutet, dass die Gelder während der
Abraham. Deshalb zeigte Gott seine Gna- Restaurierung nicht dazu benutzt wur-
de am Volk Judas, indem er Jojadas Le- den, Geräte zu erwerben, während 2Chr
bensspanne auf erstaunliche 130 Jahre 24,14 bedeutet, dass die überschüssigen
ausdehnte (2Chr 24,15)! So lebte Jojada Gelder dafür verwendet wurden, nach­
länger als irgendein anderer in der Bibel dem die Arbeit am Tempelgebäude fer-
erwähnter Mensch während der letzten tiggestellt war. Im Gehorsam gegen­
tausend Jahre, seit Amram, ein Vorfahr über dem Wort Gottes (3. Mose 5,16;
Moses, mit 137 Jahren gestorben war 4. Mose 5,8-9) wurde das Geld von den
(2. Mose 6,20).15 Schuldopfern und den Sündopfern wei-
terhin den Priestern gegeben.
Im Allgemeinen war die Regierung 12,18-19 Zu dieser Zeit eroberte Ha­
Joaschs lobenswert. Er versagte jedoch sael, der König von Syrien, Gat und
bei der Unterbindung des Götzendiens- marschierte nach Jerusalem. Joasch gab
tes auf den Höhen. Sein Hauptwerk be- ihm die heiligen Dinge aus dem Tempel
stand darin, den Tempel ausbessern zu und aus dem Haus des Königs, um ihn
lassen. Um dies zu tun, gab er den Pries- davon abzubringen, die Hauptstadt Ju-
tern Anweisungen, dass bestimmte Gel- das anzugreifen.
der für die Reparaturen des Hauses des 12,20-22 Nach dem Tod Jojadas führten
Herrn beiseitegelegt werden sollten. die Obersten Judas ihren König in den
Nach Williams waren das: (1) das Geld Götzendienst. Als Secharja, ein Sohn (oder
von jedem, der gemustert wurde – d.h. Enkel) des Hohenpriesters, versuchte, das
die Zählungssteuer aus 2. Mose 30,12; Volk zurück zur Verehrung des Herrn zu
(2) das Geld, das für jeden geschätzt bringen, befahl König Joasch, ihn zu Tode
wurde, d.h. die Schätzung nach 3. Mose zu steinigen (2Chr 24).
27; (3) »alles Geld, das jemand freiwillig Joaschs eigene Knechte verschworen
dem Haus des Herrn zukommen lässt« sich gegen ihn und töteten ihn im Haus

394
2. Könige 12 und 13

des Millo. Das war Gottes Gericht an einen Retter, der Israel aus der Hand
ihm für seinen Mord an Secharja. der Syrer befreite. Der Retter könnte
Jesus erwähnte den Tod Secharjas, als Adadnirari III., König von Assyrien, ge-
er die Schriftgelehrten tadelte (Lk 11,51). wesen sein, der gegen Ende der Regie-
Er sagte, dass das Blut aller Propheten, rung des Joahas Syrien mehr und mehr
vom Blut Abels bis hin zum Blut Sechar- Schwierigkeiten machte und dem Land
jas von dieser Generation gefordert somit wenig Gelegenheit ließ, Israel zu
werden würde. Auf diese Weise schloss bedrängen. Einige Kommentatoren
er das Blut aller Märtyrer der alttesta- meinen, dass Elisa der Retter war. An-
mentlichen Zeit ein, von dem Blut Abels dere sagen, dass Vers 5 sich entweder
in 1. Mose bis hin zu dem von Secharja auf Joasch (V. 25) oder auf Jerobeam II.
hier und in 2. Chronik, dem letzten (14,26-27) bezieht. V. 23 erklärt, warum
Buch der hebräischen Bibel. (Die hebrä- Gott auf Joahas‘ Gebet antwortete: we-
ische Bibel enthält dieselben Bücher wie gen seines Bundes mit Abraham, Isaak
unser AT, jedoch in anderer Anord- und Jakob.
nung). Man beachte, dass die Verse 5-6 einen
Jojada war ein gottesfürchtiger Mann, Einschub darstellen. Der Einschub ist
der sich dem Dienst am Reich und am einer der Gnade. Innerhalb eines Jahr-
Tempel hingab. Er erhielt als Lohn zwei hunderts sollte Israel aus dem Verhei-
Segnungen: Sein Sohn Secharja trat in ßenen Land ausgefegt werden, weil es
seine Fußtapfen, und er wurde mit den an den Sünden Jerobeams festhielt. In-
Königen Judas begraben, eine große dem der Herr dem Land einen Retter
Ehre für jemanden, der nicht aus der schenkte, versuchte er, es von seinem
königlichen Familie stammte. Joasch destruktiven Kurs abzubringen, ehe der
dagegen wurde nach dem Tod Jojadas letzte Schlag des Gerichts fiel. Doch sie
immer schlimmer. Er plünderte den »wichen nicht ab von den Sünden des
Tempel, den er einst hatte instand set- Hauses Jerobeams«, sondern »lebten
zen lassen, und raubte die königlichen darin«.
Schätze, um die Syrer zu bestechen. Er
wurde nicht im Grab der Könige begra- L. König Joasch von Israel (13,10-13)
ben, weil er wegen des Mordes an Joasch, der Sohn des Joahas, war 16 Jah-
Secharja unter göttlichem Gericht starb. re lang König von Israel (798 - 782/781
Es ist wichtig, dass wir gottesfürchtig v.Chr.; 2Kö 13,10 - 14,16).
bleiben, damit wir nicht das Reich Got- 13,10-13 Dieser König Joasch muss
tes behindern. Jojada ist uns darin ein von dem gleichnamigen König von
leuchtendes Vorbild, während Joasch Juda unterschieden werden, der zu die-
uns eine ernste Warnung sein sollte! ser Zeit regierte. Die Herrschaft Joaschs
war böse und richtete sich nach der von
K. König Joahas von Israel (13,1-9) Jerobeam, des Sohnes Nebats. Diese
Joahas, der Sohn Jehus, war 17 Jahre Verse geben einen zusammenfassenden
lang König von Israel (814/13 - 798 Bericht von seiner Regierung: »Er wur-
v.Chr.). de König, tat, was böse war in den Au-
13,1-9 Joahas folgte Jerobeam in der gen des Herrn, und legte sich zu seinen
synkretistischen Anbetung des Herrn Vätern.« Sein Verhältnis zu Amazja
und der Aschera (V. 6). Gott bestrafte wird in 14,8-16 beschrieben.
ihn, indem er die Syrer gegen Israel
sandte. Sie reduzierten die Truppen M. Das Ende des Dienstes Elisas
Joahas‘, bis nur noch 50 Pferde und (13,14-25)
zehn Kriegswagen und 10.000 Mann 13,14-19 Die Verse 14-25 berichten von
Fußvolk übrig waren. Als Joahas zum der Prophezeiung und vom Tod Elisas
Herrn flehte (Luther 1984), erweckte er unter der Herrschaft Joaschs. Als der

395
2. Könige 13 und 14

Prophet Elisa starb, besuchte Joasch der Prophezeiung Elisas entriss Joasch
ihn, weinte über ihm und sagte: »Mein Hasael die Städte, die er Israel wegge-
Vater, mein Vater! Wagen Israels und nommen hatte. Dies wurde durch drei
sein Gespann!« Er meinte, dass Männer aufeinanderfolgende Siege erreicht.
von Elisas Kaliber die wahrste und bes-
te Verteidigung des Volkes Israel seien. N. König Amazja von Juda (14,1-20)
Elisa hatte dieselben Worte benutzt, um Amazja, der Sohn des Joasch, war 29
über den entrückten Elia zu klagen Jahre lang König von Juda (796-767
(2,12). Er erkannte, dass der Tod des v.Chr.; 2Chr 25).
Propheten für sein Reich ein großer 14,1-7 Amazjas Regierung war zwar
Verlust wäre. Von seinem Sterbebett gut, doch erreichte er nicht die Vortreff-
aus befahl Elisa Joasch, einen Pfeil nach lichkeit der Regierung Davids. Sie war
Osten zu schießen und dann mit den eher wie die seines Vaters (Joasch), weil
Pfeilen auf den Boden zu schlagen. Der beide den Dienst auf den Höhen nicht
Pfeil, der nach Osten geschossen wur- abschafften. Eine der ersten Handlun-
de, war ein Siegeszeichen über die Sy- gen Amazjas war es, die Verschwörer
rer, die Israels Gebiet östlich des Jor- zu töten, die seinen Vater erschlagen
dans besetzt hielten. Weil Joasch den hatten (12,21-22). Doch im Gehorsam
Boden nur dreimal schlug, sollte er Sy- gegenüber 5. Mose 24,16 verschonte er
rien nur dreimal schlagen. Hätte er die Söhne dieser Männer. Auch führte
fünf- oder sechsmal geschlagen, dann er einen brillanten Feldzug gegen
wäre die Gefahr Syriens beseitigt wor- Edom, tötete zehntausend seiner Ein-
den. Aber ihm fehlten Geduld und Aus- wohner und eroberte die Felsenstadt
dauer. Der Sieg über unsere Feinde Sela (wahrscheinlich die Stadt, die heu-
hängt zum großen Teil vom Gehorsam te unter dem Namen Petra bekannt ist).
ab. Joasch muss von der Bedeutung sei- Unglücklicherweise brachte er edomiti-
nes Tuns gewusst haben, oder er wäre sche Götter mit und fing an, sie zu ver-
nicht dafür verantwortlich gemacht ehren (2Chr 25,14).
worden. Elisas Tod verhieß für das 14,8-14 Aufgeblasen vor Stolz forderte
Nordreich nichts Gutes. Amazja törichterweise Joasch, den König
13,20-21 Im Frühjahr kamen jedes von Israel, zu einem Kräftemessen auf.
Jahr plündernde Räuberscharen aus Joasch antwortete in einem Gleichnis, in
Moab ins Land. Eines Tages, als einige welchem der Dornstrauch – Juda ‒ zur
Männer eine Leiche hinaustrugen, um Zeder – Israel ‒ sagte: »Gib meinem Sohn
sie zu begraben, sahen sie, wie sich eine deine Tochter zur Frau« (ein Unkraut
dieser Räuberbanden näherte. Eilig öff- stellt einem mächtigen Baum eine unver-
neten sie das Grab Elisas und warfen schämte Forderung). Die Tiere des Fel-
die Leiche hinein. Sobald der Leichnam des – die Armee Israels – zertraten die
die »Gebeine Elisas berührte, da wurde Distel – Juda. Amazja hätte mit seinem
er lebendig und stellte sich auf seine Sieg über Edom zufrieden sein sollen,
Füße«. statt dem Untergang Vorschub zu leis-
13,22-25 Die Schrift berichtet nichts ten, indem er sich Israel zum Feind
über die letzten 45 Jahre von Elisas machte. Als Amazja nicht hören wollte,
Dienst, von der Salbung Jehus 841 v.Chr. marschierte Joasch gegen Juda, riss eine
an bis zu seinem Tod etwa 795 v.Chr. Bresche in die Mauer Jerusalems und
Seine letzte Prophetie sagte (von sei- nahm viele Schätze der Stadt mit.
nem Totenbett) einen Sieg voraus 14,15-20 Die Gegnerschaft zwischen
(V. 17). Sein letztes Wunder (lange nach Juda und Israel, die zu dieser Zeit ihren
seinem Tod; V. 21) war eine Bestätigung Anfang nahm, dauerte bis zum Fall Is-
seiner Botschaft und seines Dienstes an raels im Jahr 722 v.Chr an. Amazja floh
Israel und seinem König. In Erfüllung nach Lachisch, um einer Verschwörung

396
2. Könige 14 und 15

zu entkommen, doch er wurde verfolgt die Predigt Jonas ausgelöst wurde, ge-
und dort getötet. fangen wegführte!) Jerobeam II. könnte
der Retter sein, der in 13,5 (vgl. 14,26-
O. König Asarja (Usija) von Juda 27) genannt wird. Die Verse 26 und 27
(14,21-22) geben uns eine tiefe Einsicht in die zarte
Asarja (auch Usija genannt), der Sohn Liebe und Geduld des Herrn. Vers 27
Amazjas, war 52 Jahre lang König von muss aus dem Zusammenhang heraus
Juda (792/791 - 740/739 v.Chr.; vgl. 15, verstanden werden. Israel und später
1-7; 2Chr 26). Juda werden nacheinander für eine Zeit
14,21-22 Der Dienst von Jesaja, Amos ausgetilgt werden, doch nach Gottes
und Hosea begann zu dieser Zeit der Verheißung an die Väter der Juden wird
alttestamentlichen Geschichte (Jes 1,1; das Volk wieder gesammelt und in das
Hos 1,1; Amos 1,1). Die Bücher Amos Land eingesetzt werden.
und Hosea zeigen die sozialen und reli-
giösen Bedingungen auf, die in Israel Q. König Asarja (Usija) von Juda,
vorherrschten. Durch diese Propheten Fortsetzung (15,1-7)
warnte der Herr ständig vor der kom- 15,1-7 Im Allgemeinen war Asarja ein
menden Katastrophe und versuchte guter König. Teil seines Versagens war,
gleichzeitig, sein Volk zu umwerben dass er erlaubte, dass die Höhen in Juda
und wieder zu sich zurückzuführen – bestehen blieben. Als er darauf bestand,
weg vom Abgrund des Gerichts. in das Amt des Priesters einzugreifen,
Asarja regierte in den ersten 24 Jahren indem er Weihrauch im Tempel dar-
zusammen mit seinem Vater. Er baute brachte, wurde er mit Aussatz geschla-
Elat im Norden des Golfs von Akaba. gen und musste bis zum Tag seines To-
Ein ausführlicherer Bericht seiner Re- des in einem abgesonderten Haus woh-
gierungszeit findet sich in Kapitel 15 nen (vgl. 2Chr 26,16-21). Der Dienst des
und in 2Chr 26. Amos endete in dieser Zeit.
P. König Jerobeam II. von Israel R. König Secharja von Israel (15,8-12)
(14,23-29) Secharja, der Sohn Jerobeams II., regier-
Jerobeam II., der Sohn des Joasch, war te sechs Monate über Israel (753 - 752
41 Jahre lang König von Israel (793/792 v.Chr.).
- 753 v.Chr.). 15,8-12 Wie seine Vorgänger wandelte er
14,23-29 Die ersten zwölf Jahre der in den Fußstapfen Jerobeams I., indem er
Regierungszeit Jerobeams überschnit- die goldenen Kälber in Dan und Bethel
ten sich mit der seines Vaters Joasch. In verehrte. Nach einer kurzen Regierungs-
seiner religiösen Politik folgte dieser zeit von sechs Monaten wurde er von
König dem Götzendienst seines Na- Schallum ermordet. Die Septuaginta gibt
mensvetters Jerobeam, des Sohnes Ne- als Ort seines Todes Jibleam an, eine
bats. Politisch brachte er Israel das Land Stadt im Tal Jesreel, ganz in der Nähe des
vom Zugang nach Hamat (Galiläa) bis Ortes, an dem Ahasja von Jehu getötet
an das Meer der Ebene (Transjorda­ worden war (9,27). Sein Tod war das
nien) wieder zurück, wie Jona prophe- Ende der Dynastie Jehus. Secharja war
zeit hatte. Diese Prophezeiung ist in der die vierte Generation, von der Gott Jehu
Bibel nicht festgehalten. (V. 25 legt die verheißen hatte, dass sie auf dem Thron
Zeit des Dienstes Jonas fest, was für das Israels sitzen werde (V. 12, vgl. 10,30).
Studium des Buches, das seinen Namen
trägt, von Bedeutung ist. Es macht stut- S. König Schallum von Israel (15,13-15)
zig, wenn wir uns vor Augen halten, Schallum, der Sohn des Jabesch, war
dass die Assyrer Israel nur 47 Jahre einen Monat lang König von Israel (752
nach ihrer Buße in Ninive, die durch v.Chr.).

397
2. Könige 15

15,13-15 Über diesen König ist wenig Dynastie Israels. Er war der einzige der
überliefert. Er war der einzige König späten Könige Israels, der die Krone
der 6. Dynastie des Nordreiches. Schal- nicht mit Gewalt an sich riss, aber es
lum hatte den Thron durch einen Meu- dauerte nicht lange, ehe sie ihm von ei-
chelmord erklommen, und nur einen nem seiner Offiziere mit Gewalt ge-
Monat später verlor er ihn auf dieselbe nommen wurde.
Weise. Er wurde von Menahem er­
mordet. V. König Pekach von Israel (15,27-31)
Pekach, der Sohn Remaljas, herrschte
T. König Menahem von Israel 20 Jahre lang über Israel (752 - 732/731
(15,16-22) v.Chr.).
Menahem, der Sohn Gadis, war 10 Jah- 15,27-31 Pekach war Offizier von Pe-
re lang König von Israel (752 - 742/741 kachja, den er tötete. Aus anderen
v.Chr.). Schriftstellen erfahren wir, dass er in
15,16-22 Menahem wollte Tifsach Juda eindrang und dann die Syrer (Ara-
plündern – nicht die Stadt Tifsach am mäer) zur Hilfe gegen Juda rief. Doch
Euphrat, sondern die bei Tirza. Als die Ahas, der König von Juda, rief Assyrien
Stadt sich nicht ergeben wollte, ermor- zur Hilfe. Der König von Assyrien tötete
dete er ihre Einwohner auf grausame erst Rezin, den König von Syrien, und
Weise und verschonte auch Schwange- griff dann Israel an. Er eroberte die
re nicht. zweieinhalb Stämme östlich des Jordans
Zu dieser Zeit war das syrische Reich und das Gebiet von Galiläa und führte
nicht mehr so mächtig, und Assyrien die Einwohner in die Gefangenschaft.
war Israels Hauptfeind. Während der Dies war die erste Phase der assyrischen
Regierung Menahems kam Pul, der Kö- Gefangenschaft. Pekachs Macht als Offi-
nig von Assyrien, nach Israel. Menahem zier überlappte sich mit der Regierungs-
gab ihm tausend Talente Silber, um ihn zeit Menahems (10 Jahre) und Pekachjas
zu beschwichtigen und Puls Unterstüt- (zwei Jahre). Von Assyrien unterstützt,
zung für seine eigene schwache Macht erlangte Hoschea den Thron Israels, in-
zu gewinnen. Der König von Israel dem er sich gegen Peckach verschwor
brachte dieses Geld auf, indem er die und ihn tötete. Damit endete Israels
Reichen mit je 50 Schekeln Silber be- 8. Dynastie.
steuerte (V. 20). Der Preis für einen
Sklaven lag in Assyrien zu dieser Zeit W. König Jotam von Juda (15,32-38)
ebenfalls bei 50 Schekeln Silber. Mena- Jotam, der Sohn Usijas, war zwanzig
hem unterwarf sich absichtlich dem Jahre lang König von Juda, einschließ-
Joch Assyriens, weil er der Meinung lich einer gemeinsamen Regierungszeit
war, dass ihm dies persönliche Vorteile von vier Jahren mit Usija (750 - 732/731
bringen würde. Man nimmt generell v.Chr.; vgl. 2Chr 27).
an, dass es sich bei Pul um Tiglat-Pile- 15,32-38 Den ersten Teil seiner Regie-
ser III. handelte (V. 29). rungszeit verbrachte Jotam in gemein-
samer Regentschaft mit seinem Vater
U. König Pekachja von Israel (15,23-26) Usija, den zweiten Teil mit Ahas. Seine
Pekachja, der Sohn Menahems, war offizielle Regierung dauerte 16 Jahre. Jo-
zwei Jahre lang König von Israel tam war einer von den besseren Königen
(742/741 - 740/739 v.Chr.). Judas, auch wenn er die Höhen nicht ab-
15,23-26 Wir wissen von diesem Kö- schaffte. »Er baute das obere Tor des
nig nur, dass seine Herrschaft kurz und Hauses des Herrn« und förderte andere
böse war und dass er von Pekach und Bauprojekte im Land. Kurz vor seinem
fünfzig Gileaditern umgebracht wurde. Tod begannen Rezin und Pekach ihren
Mit seiner Regierung endete die siebte gemeinsamen Angriff gegen Juda. Der

398
2. Könige 15 bis 17

Prophet Micha begann seinen Dienst künftig die Assyrer zu einem Fluch für
unter der Regierung Jotams. Juda machen (Jes 7,17-25).
2Chr 27,6 enthält den folgenden lo- 16,10-16 Als er auf einer Reise in Da-
benden Kommentar über Jotam: »Und maskus war, um Tiglat-Pileser zu be­
Jotam erstarkte; denn er richtete seine suchen, sah Ahas dort einen heidnischen
Wege vor dem Angesicht des Herrn, Altar und entschied sich, einen ähnlichen
seines Gottes, aus.« Das steht im starken in Jerusalem zu bauen. Deshalb sandte er
Kontrast zu den Königen von Israel, ein Modell davon zu Uria, dem Priester,
die ihren Weg nach Jerobeam ausrich- und Uria wiederum vollendete den Al-
teten. tar, ehe Ahas zurückkehrte. Ahas brachte
Josephus erwähnt ebenfalls Jotams auf seinem neuen Altar verschiedene
Gottesfurcht.17 Opfer dar (alle außer Sünd- und Schuld-
opfer) und befahl dann Uria, ihn von da
X. König Ahas von Juda (Kap. 16) an statt des Bronzealtars zu nutzen. Der
Ahas, der Sohn Jotams, war zwanzig letzte Teil von Vers 15 kann so verstan-
Jahre lang König von Juda (735 - 716/715 den werden, dass Ahas den Bronzealtar
v.Chr.; vgl. 2Chr 28). zum Wahrsagen benutzen wollte (»der
16,1-4 Ahas regierte wahrscheinlich eherne Altar soll mir dienen, Raths zu
12  Jahre lang mit seinem Vater zusam- fragen« – Zürcher 1860; ähnlich KJV,
men. Der Name Ahas ist eine Ab­kürzung NKJV). Doch man kann es auch so ver-
für Jehoahas. Mit dem letzteren Namen stehen, dass dieser Teil bedeutet: »Be-
ist dieser König in assyrischen Inschrif­ züglich des Bronzealtars werde ich nach-
ten erwähnt. Die Vorsilbe »Jeho-« steht fragen (oder überlegen), was ich damit
für Jehova (Jahwe), und zweifellos hat tun will« (so die meisten deutschen
der Heilige Geist sie absichtlich weg­ Übersetzungen).18 Uria, der Priester, be-
gelassen, weil Ahas ein Abtrünniger war. ging die Sünde, König Ahas in seinem
Er folgte den Königen Israels in seinem Frevel zu Willen zu sein, statt ihn furcht-
Götzendienst und ließ sogar seinen Sohn los zu tadeln. Uria wird in Jes 8,2 lobend
durchs Feuer gehen. Bei der Ver­ehrung erwähnt, aber das war vor dem Angriff
Molochs, so nimmt man an, führte man auf Jerusalem. Seine böse Einwilligung
Kinder zwischen den glühend heißen gegenüber den Forderungen Ahas‘, den
Armen der Bronzestatue hindurch, als Altar zu bauen, fand später statt.
Zeichen der Reinigung vom Bösen und 16,17-20 Ahas entfernte bestimmte
der Hingabe an diesen Gott. Manchmal Einrichtungsgegenstände aus dem Tem-
wurden die Kinder wirklich getötet und pel, vielleicht aus Angst davor, dass der
verbrannt (Jer 7,31; Hes 16,21). König von Assyrien sie mitnehmen wür-
16,5-9 Um Juda zu zwingen, mit ihnen de, sollte er jemals Jerusalem erobern.
gegen Assyrien zu kämpfen, und um ei- Einige denken, dass er sie benutzte, um
nen Vasallenkönig auf den Thron Judas Tribut zu zahlen. 2Chr 28,24 berichtet,
zu setzen (Jes 7,6), vereinigten sich Sy- dass Ahas gegen Ende seiner Regie-
rien und Israel im Angriff auf Jeru­salem. rungszeit den Tempel ganz schloss. Wie
Zur selben Zeit eroberte Syrien Elat und andere abgefallene Könige vor ihm wur-
gründete dort eine syrische Kolonie. In de Ahas nicht in den königlichen Grä-
seiner Verzweiflung sandte Ahas einen bern begraben (2Chr 28,27), sondern
Hilferuf nach Assyrien und sandte sil- wurde »bei seinen Vätern begraben in
berne und goldene Schätze aus dem der Stadt Davids«.
Tempel und aus dem Palast mit. Tiglat-
Pileser war einverstanden, eroberte Y. König Hoschea von Israel (17,1-6)
Damaskus und tötete den König von Hoschea, der Sohn Elas, war 9 Jahre
Syrien. Dies geschah in Erfüllung der lang König von Israel (732/731 - 723/722
Prophezeiung Jesajas. Doch Gott sollte v.Chr.).

399
2. Könige 17

17,1-2 Wir kommen nun zum letzen 17,24-25 Der König von Assyrien
König und zur neunten und letzten Dy- führte die zehn Stämme des Nordrei-
nastie Israels. Hoschea tötete Pekach ches Israel weg nach Mesopotamien
(vgl. 15,30), vielleicht, weil dieser nicht und Medien. Auch brachte er Menschen
in der Lage war, den Überfällen Assyri- aus fünf anderen Ländern, die er er­
ens auf Israel Widerstand zu leisten, obert hatte, und siedelte sie im Land
und übernahm die Zügel der Regie- Israel an. Als Israel noch dem Herrn ge-
rung. Er war nicht so böse wie seine horcht hatte, hatte er die heidnischen
Vorgänger, aber das Volk war zu weit Nationen vertrieben und sein Volk
gegangen – seine Reformen kamen zu durch die Hand Josuas in Kanaan ange-
spät. siedelt. Als die Israeliten aufhörten, auf
17,3-6 Salmanassar, der König von Gott zu hören, trieb er sie aus und
Assyrien, marschierte gegen Samaria brachte die Heidenvölker durch die
und sorgte dafür, dass Hoschea Tribut Hand des Königs von Assyrien ins Land
zahlen musste. Hoschea verschwor sich zurück. Diese Heidenvölker verehrten
mit dem König von Ägypten gegen As- ihre eigenen heidnischen Gottheiten
syrien und hielt seine Tributzahlungen und zogen sich so Gottes Missfallen zu,
nicht ein. Deshalb warf der König von insbesondere deshalb, weil sie jetzt im
Assyrien (entweder Salmanassar oder Land Immanuels wohnten. Der Zorn
Sargon, sein Nachfolger) Hoschea ins des Herrn zeigte sich, indem er Löwen
Gefängnis, belagerte Samaria drei Jahre unter sie sandte, die durch das Land zo-
lang und führte einige aus dem Volk in gen und einige Menschen umbrachten.
die Gefangenschaft. Über Hoscheas 17,26-28 Jemand benachrichtigte den
Schicksal wissen wir nichts, er ver- König von Assyrien darüber, dass eine
schwindet einfach in einem assyrischen Löwenplage durch die Gegenwart dieser
Gefängnis, und Samaria bleibt während Fremden im Land hervorgerufen wurde,
seiner letzten Tage ohne König. Der die das Gesetz des Gottes Israels nicht
endgültige Fall Israels fand im Jahr 723 kannten. Der König von Assyrien befahl,
oder 722 v.Chr. statt. dass ein israelitischer Priester aus der
Gefangenschaft zurückgeschickt wurde,
Z. Der Fall des Nordreiches (17,7-41) damit er die heidnischen Kolonisten un-
17,7-23 Diese Verse erklären die Grün- terrichten konnte, wie sie den Herrn ver-
de, warum Gott kein Wohlgefallen mehr ehren sollten. Der Priester, der zurück-
an Israel hatte und es zuließ, dass das kehrte, war sicherlich einer der götzen-
Volk erobert und ins Exil geführt wur- dienerischen Priester Israels und kein
de. Das Volk hatte andere Götter ge- echter Priester des Herrn. Er zog nach
fürchtet, nach den Bräuchen der Hei- Bethel, dem Sitz des Kälberdienstes
den gelebt und sich Höhen in all seinen (auch wenn das Kalb dort nicht mehr
Städten gebaut, dazu überall Gedenk- vorhanden war), und lehrte die neuen
steine und Ascherim (hölzerne Bilder), Einwohner die verdorbene Religion Jero-
sowie ständig Götzendienst getrieben. beams, zu der auch der Gottesdienst des
Die Israeliten weigerten sich, auf seine Herrn gehörte, jedoch nicht ausschließ-
Propheten zu hören, verhärteten statt- lich. Diese fremden Kolonisten heirate-
dessen ihre Nacken und weigerten sich, ten die übrig gebliebenen Israeliten im
dem Wort des Herrn, ihres Gottes, zu Land, und dadurch entstand das Volk,
glauben. Sie kehrten den Ordnungen das man unter dem Namen »Samariter«
Gottes den Rücken und nahmen die kennt – ethnisch ein Mischvolk mit einer
von Menschen erfundene Religion ihrer eigenen Religion und eigenen Bräuchen.
Nachbarn an. Sie waren eifrig im Tun 17,29-34a Diese Verse scheinen die
des Bösen und opferten ihre Söhne und fremden Siedler im Land zu beschrei-
Töchter falschen Göttern. ben. Jedes Volk hatte seine eigenen Göt-

400
2. Könige 17 und 18

ter und ernannte Priester aus seinem ei- zu können, die Hiskia durch seinen
genen Volk. Sie nahmen auch den Dienst Glauben an Gott errang.
des Herrn an, und das Ergebnis war Als Hiskia an die Macht kam, war
eine Mischreligion, die noch schlimmer Juda praktisch ein Vasallenstaat unter
war als reines Heidentum.19 Assyrien. Seine Regierung war durch
17,34b-40 Dieser Abschnitt ab V. 34b große Reformen gekennzeichnet. Er
(»sie fürchten den Herrn nicht«) bis führte eine Kampagne gegen alle For-
Vers 40 scheint die Israeliten zu be- men des Götzendienstes durch und zer-
schreiben, die im Land blieben. Sie ach- störte sogar die Höhen und die eherne
teten nicht auf die wiederholten War- Schlange aus 4. Mose 21 (weil die Kin-
nungen des Herrn, sondern verehrten der Israel ihr Rauchopfer darbrachten).
weiterhin die goldenen Kälber. Er nannte sie »Nehuschtan«, wörtlich
17,41 Dies bezieht sich auf die frem- »Bronzenes«. Was sein Vertrauen auf
den Siedler im Land. Sie schienen weni- Gott betraf, war Hiskia der größte der
ger schuldig gewesen zu sein als Israel. Könige Judas. Josia war der größte in
Mit dem Wenigen, was sie hatten, fürch- seiner Gründlichkeit, die Bösen aus
teten sie in gewissem Sinne den Herrn, dem Land auszurotten (2Kö 23,24-25).
aber die zehn Stämme, mit allem Licht, 18,7-8 Schließlich lehnte sich Hiskia
das sie hatten, fürchteten den Herrn gegen das assyrische Joch auf, vielleicht
nicht (V. 34b). wegen seiner militärischen Erfolge, als
Soweit wir wissen, kehrten die zehn er die Philister aus dem Land »vom
Stämme nie in das Land zurück.20 Sie Wachtturm« (ländliche Orte) »bis zur
sind in der Welt zerstreut. Vielleicht ge- befestigten Stadt« (dicht besiedelte und
hören zu ihnen die Falascha-Juden in gut verteidigte Orte) vertrieben hatte.
Äthiopien, die chinesischen Juden von
Kaifeng-Fu und die Cochin-Juden in In- 2. Die Eroberung Samarias (18,9-12)
dien. Ihre Identität ist vor Gott nicht 18,9-12 Dieser Abschnitt berichtet von
verborgen, und er wird sie eines Tages der Eroberung Samarias durch die As-
zurück nach Israel führen. syrer und ist hier vielleicht eingescho-
Der Dienst des Propheten Hosea en- ben, um die Schwere der Bedrohung
dete wahrscheinlich zu dieser Zeit – d.h. aufzuzeigen, der Hiskia zu dieser Zeit
mit dem Fall Samarias und der Gefan- ausgesetzt war. Der scheinbare Wider-
genschaft Israels. spruch zwischen den Daten in den Ver-
sen 9 und 10 lässt sich durch die Tatsa-
II. Das Reich Juda bis zur che erklären, dass nach jüdischer Be-
Gefangenschaft (Kap. 18-25) rechnung auch der Teil eines Jahres
noch als ganzes Jahr gilt. Die Belage-
A. König Hiskia (Kap. 18-20) rung Samarias begann während des
Hiskia, der Sohn des Ahas, war 29 Jahre letzten Teiles des vierten Jahres der Re-
lang König von Juda (716/715 - 687/686 gierung Hiskias, erstreckte sich über
v.Chr.; vgl. 2Chr 29-32; Jes 36-39). Man das fünfte Jahr und endete im ersten
glaubt, dass er vorher von 729/728 bis Teil des sechsten Jahres – deshalb »drei
716/715 mit Ahas zusammen regiert hat. Jahre«. Dies wären die Jahre 725-722
v.Chr., während der gemeinsamen Re-
1. Hiskias gerechte Regierung (18,1-8) gierungszeit von Ahas und Hiskia, die
18,1-6 Hiskia nimmt in der Heiligen oben erwähnt wurde.
Schrift mehr Raum ein als irgendein an-
derer König seit Salomo. Die Parallel­ 3. Sanheribs erste Invasion Judas (18,13-16)
berichte in 2Chr 29-32 und Jes 36-39 18,13-16 Assyrien hatte selbst zu dieser
sollte man lesen, um die geistlichen Zeit Probleme: Sargon II. war gestor-
und politischen Siege besser verstehen ben, und Babylon machte einen Auf-

401
2. Könige 18 und 19

stand. Erst im Jahr 701 v.Chr. war San- und nicht Plätze, an denen der Herr
herib, der Nachfolger Sargons, in der verehrt wurde! Als Nächstes schlug er
Lage, gegen Israel und Phönizien zu eine Wette vor – er wollte Juda 2000
marschieren. In seinen Annalen be- Pferde geben, wenn Hiskia genügend
hauptet Sanherib, 46 befestigte Städte Reiter dafür finden würde. Juda hätte
eingenommen und 200.000 Gefangene nicht genügend Kavalleristen, stichelte
in Juda gemacht zu haben. Hiskia sand- er, und müsse sich deshalb wegen der
te ihm eine unterwürfige Botschaft und Wagen und Pferde auf Ägypten verlas-
gab zu, dass er mit seiner Rebellion Un- sen. Schließlich behauptete der Rab-
recht getan hatte. In der Not zahlte er schake, dass der Herr die Assyrer ge-
dreihundert Talente Silber und dreißig sandt habe, um Juda zu vernichten.
Talente Gold (eine riesige Summe), um 18,26-27 Die jüdischen Beamten schlu-
einen Angriff auf Jerusalem zu vermei- gen dem Rabschake schnell vor, dass
den. Zu dieser Zeit war Sanherib in La- alle weiteren Diskussionen auf Aramä-
chisch, südwestlich von Jerusalem, auf isch, der Diplomatensprache, geführt
dem Weg nach Ägypten. werden sollten statt auf Judäisch. Sie
fürchteten insgeheim, dass solche arro-
4. Sanheribs zweite Invasion Judas ganten Reden eventuell die Moral der
(18,17 - 19,34) jüdischen Männer untergraben könnte,
18,17-19 Hiskia begann zu dieser Zeit, die auf der Mauer waren und zuhörten.
Jerusalem zu befestigen (2Chr 32,5). Aber der Rabschake entgegnete, dass er
Vielleicht war es die Nachricht von die- wollte, dass die Leute es hörten und
ser Tatsache, die den König von Assy­ verstanden, was ihr Schicksal sein wür-
rien später dazu führte, seine Obersten de – Hunger und Vernichtung.
nach Jerusalem zu schicken und eine 18,28-37 Jetzt sprach der Rabschake
bedingungslose Kapitulation zu for- das Volk direkt an und warnte es davor,
dern. Drei jüdische Beamte gingen hin- sich von Hiskia täuschen zu lassen und
aus, um die drei assyrischen Gesandten auf den HERRN zu vertrauen, dass er
zu treffen und ihre Forderungen anzu- es retten würde. Wenn die Bewohner
hören. Menge bezeichnet diese als kapitulieren würden, dann sollte ihnen
Großwesir (= Oberfeldherrn), Ober- für eine Zeit das Vorrecht erhalten wer-
kämmerer und Obermundschenk, doch den, in Jerusalem zu leben. Wenn dann
die revidierte Elberfelder bezeichnet sie der König von Assyrien von seinem
mit ihren ursprünglichen militärischen ägyptischen Feldzug zurückkehren
Titeln Tartan, Rab-Saris und Rabscha- würde, würde er sie nach Assyrien füh-
ke. Diese Ausdrücke sind keinesfalls ren, »ein Land wie euer Land«. Keine
Eigennamen. andere der Stammesgottheiten war in
18,20-25 Der Rabschake sprach belei- der Lage gewesen, die Völker vor den
digend zu ihnen in ihrer eigenen hebrä- Assyrern zu bewahren – wie konnten
ischen (wörtl. »judäischen«) Sprache. die Israeliten erwarten, dass ihr Gott
Zuerst spottete er über Hiskias Vertrau- das könnte? Das Volk auf den Mauern
en auf die Befestigungen Jerusalems. blieb still, während die drei jüdischen
Dann enthüllte er sein Wissen darüber, Beamten völlig entmutigt zu Hiskia zu-
dass Hiskia die Hilfe Ägyptens gegen rückkehrten.
Assyrien gesucht hatte, und verspottete 19,1-7 Hiskia war sehr beunruhigt, als
Ägypten als geknickten Rohrstab er von der Schmähung durch den Rab-
(V. 21). Drittens sagte er, dass Juda nicht schake hörte. Er sandte seine Boten zu
auf den Herrn vertrauen konnte, weil Jesaja, dem Propheten, und ließ ihm sa-
Hiskia die Höhen und Altäre zerstört gen, dass Juda machtlos war – jetzt, da
hätte. Der Rabschake erkannte nicht, es am meisten Kraft brauchte. Auch bat
dass dies heidnische Heiligtümer waren er Jesaja, für den Überrest von Juda und

402
2. Könige 19 und 20

Jerusalem zu bitten. Jesaja sandte die ges über Ägypten. Was er nicht erkann-
Nachricht an Hiskia zurück, dass er te, war die Tatsache, dass er nur getan
sich vor dem assyrischen König nicht hatte, was Gott schon längst beschlos-
zu fürchten brauche; Gott würde einen sen hatte zu tun. Gott kannte ihn von
Geist der Furcht auf ihn legen und ihn innen und außen und würde seine
ein Gerücht hören lassen, sodass er in hochfahrende Arroganz brechen, in-
sein eigenes Land zurückkehren wür- dem er die Überreste seiner zerschmet-
de, wo er getötet werden sollte. terten Armee zurück nach Assyrien
19,8-13 Als der Rabschake nach La- schicken würde.
chisch zurückgekehrt war, stellte er fest, 19,29-34 Dann wandte sich der Herr
dass Sanherib inzwischen die Nachbar- an Hiskia und gab ihm ein Zeichen da-
festung Libna angegriffen hatte. für, dass die Assyrer Jerusalem nicht
Sanherib hörte, dass Tirhaka, der Kö- erobern würden. Zwei Jahre lang sollte
nig von Äthiopien im oberen (d.h. süd- das Volk von Juda wegen der assyri-
lichen) Ägypten, heraufzog, um ihn an- schen Präsenz nicht in der Lage sein,
zugreifen. Er versuchte sofort, Jerusa- normale Ernten zu erzielen, sondern
lem so in Schrecken zu versetzen, dass würde das essen, was ohne Bearbeitung
es sich ergeben würde, indem er einen wachsen würde. Dann, im dritten Jahr,
lästerlichen Brief dorthin schickte. Eini- würden die Bewohner von Juda sicher
ge Gelehrte meinen, dass das Gerücht, genug sein vor der Bedrohung eines
das in Vers 7 genannt wird, in Vers 9 er- Angriffs, dass sie ihre normale Arbeit
klärt wird – nämlich das Gerücht, dass wieder aufnehmen konnten. Das Volk
die Ägypter heraufzogen. Andere be- von Jerusalem würde nicht nur über­
haupten, dass es sich bei dem Gerücht leben, sondern dem König von Assy-
um einen Bericht handelte, dass die Ba- rien würde es noch nicht einmal erlaubt
bylonier einen Aufstand machen wür- sein, in die Stadt zu kommen oder
den. einen Pfeil in sie hineinzuschießen.
19,14-20 Hiskia war so weise, den
Brief mit in den Tempel zu nehmen und 5. Sanheribs Niederlage und Tod (19,35-37)
ihn vor dem HERRN auszubreiten. Sein 19,35-37 In dieser Nacht besuchte ein
Gebet war eine Offenbarung seines tie- Engel des HERRN das Lager der Assy-
fen Vertrauens in den HERRN. Darauf- rer21 und tötete 185.000 Soldaten. Als
hin sandte Gott Hiskia durch Jesaja eine die Leute früh am Morgen aufstanden,
zweifache Antwort. waren die Assyrer lauter Leichen.
19,21-28 Die Verse 21-28 sind an San- Sanherib kehrte in seine Hauptstadt
herib gerichtet. Die Verse 29-34 sind an Ninive zurück, wo er zwanzig Jahre
Hiskia gerichtet. Die Prophezeiung von später (681 v.Chr.) getötet wurde. (Er
Jesaja ist ein Spottlied gegen Assyrien. überlebte Hiskia um fünf Jahre.) Jesajas
Es zeigt Jerusalem, die Jungfrau, die Prophezeiung (V. 7) wurde erfüllt, als
Tochter Zion, wie sie über die Drohun- zwei von Sanheribs eigenen Söhnen ihn
gen Assyriens lacht. Sie prangert San- ermordeten, und ein dritter, Asarhad-
herib dafür an, dass er Gottes heiligen don, an seiner Stelle König wurde.
Namen gelästert hat und sich gerühmt
hat, dass er Juda (»Libanon«) erobern, 6. Hiskias Krankheit und Genesung (20,1-11)
ihre Herrscher und Großen (»Hoch- 20,1-7 Man nimmt allgemein an, dass
wald seiner Zedern«, »Auslese seiner die Ereignisse von Kap. 20 früher statt-
Wacholderbäume«) vernichten und die gefunden haben, wahrscheinlich in der
Paläste des Berges Zion (»Herberge« Frühzeit von Kap. 18, während der ers-
und »Dickicht«) betreten würde. San- ten Invasion Sanheribs (vgl. V. 6). Als
herib brüstete sich auch mit anderen Hiskia ernsthaft krank wurde, riet Jesa-
Eroberungen einschließlich seines Sie- ja ihm, sein Haus zu bestellen, weil sein

403
2. Könige 20 und 21

Tod bevorstand. Der König betete ernst- war es seine eigentliche Absicht, seine
haft um Genesung und bekam fünfzehn Verbindung zu Juda gegen Assyrien zu
zusätzliche Lebensjahre zugesprochen. stärken. Hiskia zeigte törichterweise
Whitcomb kommentiert: den Boten aus Babylon alle seine Schät-
ze. (Aus 2Chr 32,31 erfahren wir, dass
Was würde ich mit dem Rest meines Le- Gott ihn durch diese Situation prüfen
bens machen, wenn Gott mir sagen wür- wollte, um zu erfahren, was in seinem
de, dass ich nur noch 15 Jahre zu leben Herzen war. Die Antwort: STOLZ!) Jesa-
hätte? Was hat Hiskia mit diesen Jahren ja ermahnte ihn dafür und sagte voraus,
getan? Die Bibel berichtet es nicht, denn dass Israel von Babylon in die Gefan-
das letzte aufgezeichnete Ereignis seiner genschaft geführt werden würde und
Regierungszeit war die Vernichtung der dass einige von Hiskias eigenen Söhnen
Armee Sanheribs im Jahr 701 v.Chr. (was Kämmerer (wörtl. Eunuchen) im Palast
wahrscheinlich etwas weniger als ein Jahr des Königs von Babel sein würden. Ehe
nach seiner Krankheit geschah). Manche diese Schätze in Babel landeten, sollten
Ausleger nehmen an, dass ein Grund für viele davon zunächst an Assyrien gehen
die Verlängerung seines Lebens war, dass als Teil des Tributs, den Hiskia an San-
er keinen männlichen Thronerben hatte herib zahlte, als die Assyrer kurz nach
(2Kö 21,1 sagt, dass Manasse erst zwölf seiner Genesung in Palästina einfielen
Jahre alt war, als er anfing zu regieren). (18,13-16).
Dennoch ist es wahrscheinlich, dass Ma- 20,19 Hiskia unterwarf sich dem Be-
nasse fast 10 Jahre lang mit seinem Vater schluss Gottes und sah ein, dass er
zusammen regierte, weil es andernfalls nachsichtig gewesen war. »Er dachte
unmöglich wäre, die 55 Jahre seiner Herr- nämlich: ›Nun gut, es wird ja doch Frie-
schaft in dieser Zeit der jüdischen Ge- de und Sicherheit herrschen, solange
schichte unterzubringen, wenn man vom ich lebe‹« (Menge).
festen Datum der babylonischen Gefan- 20,20-21 Hiskia baute einen Teich und
genschaft aus zurückrechnet.22 eine Wasserleitung, die Wasser von ei-
nem Brunnen außerhalb der Stadt nach
20,8-11 Als Zeichen dafür, dass Hiskia Jerusalem brachte. Eine solch verborge-
geheilt werden und zum Gottesdienst ne Wasserquelle war besonders im Falle
in den Tempel zurückkehren würde, einer Belagerung wertvoll. Es ist noch
ließ Gott den Schatten an der Sonnen- heute möglich, von der Quelle des Gi-
uhr des Ahas um zehn Stufen zurück- hon bis zum Teich Siloah durch diesen
gehen. (Chronologisch folgt Vers 7 auf Tunnel zu waten.
die Verse 8-11.) 1880 wurde eine Inschrift gefunden,
Aus 2Chr 32,31 schließen wir, dass es die von Hiskias Arbeitern in der alten
sich um ein übernatürliches Ereignis zackenförmigen semitischen Schrift ge-
handelte, und die Nachricht davon schrieben wurde. Sie wurde in ein Mu-
breitete sich bis nach Babylon aus. Die seum in der Türkei gebracht, die damals
Babylonier verehrten die Himmels­ über Palästina als Teil des damaligen
körper und hätten auf jeden Fall ir- Osmanischen Reiches regierte.23
gendwelche Unregelmäßigkeiten wahr- Der Dienst des Propheten Micha en-
genommen. Das Wort verbreitete sich dete zu dieser Zeit.
schnell, dass dieses große Wunder we-
gen Hiskia geschehen war. B. König Manasse (21,1-18)
Manasse, der Sohn Hiskias, war 55 Jah-
7. Hiskias törichter Stolz (20,12-21) re lang König von Juda (697/696 -
20,12-18 Der König von Babel, Mero­ 643/642 v.Chr.; vgl. 2Chr 33,1-20).
dach-Baladan, sandte Hiskia eine Gra- 21,1-9 Manasses Regierung war die
tulation zu seiner Genesung. Zweifellos längste und schlimmste aller Könige

404
2. Könige 21

Das babylonische Reich, etwa 560 v. Chr.

MED
IE
N
Sardes
LYDIEN

Tarsus Karkemisch
Ninive

ZYPERN
Ekbatana
BABYLONISCHES
Sidon Damaskus
Tyrus
REICH
Samaria Babylon Susa
Jerusalem
Ur
Pelusium
Memphis
ÄGYPTEN

0 200 Km

von Juda. Einige der dunklen Flecken de er Jerusalem leeren, wie man eine
sind: Er führte die Verehrung Baals, der Schüssel leert, indem man sie umdreht
Aschera und der Gestirne wieder ein. und auswischt. Sein Volk würde in die
Er entheiligte den Tempel, indem er Gefangenschaft geführt werden, weil es
dort Altäre zur Verehrung der Gestirne den HERRN so sehr provoziert hatte.
aufstellte. Er ließ seinen Sohn durchs 21,16-18 Zusätzlich zu diesem Göt-
Feuer gehen, und er trieb Zauberei und zendienst vergoss Manasse sehr viel
Beschwörung und ließ sich mit Toten- unschuldiges Blut. Nach der »Himmel­
geistern und Wahrsagegeistern ein. Er fahrt Jesajas«, einer nicht zum Kanon
stellte das Götterbild der Aschera gehörigen Schrift, ließ Manasse den
(wahrscheinlich ein obszönes sexuelles Propheten Jesaja in zwei Teile sägen
Symbol) in den Tempel Gottes. Der (vgl. Hebr 11,37).
Geist Gottes betont hier die Schwere Aus 2. Chronik 33 erfahren wir, dass
dieser Tat, indem er Gottes Verheißung Manasse durch den König von Assy­
an sein Volk im Zusammenhang mit rien (Assurbanipal) in die Gefangen-
dem Tempel wiederholt (1Kö 8,29; 9,3). schaft nach Babel geführt wurde. Dort
21,10-15 Manasse führte die Men- im Gefängnis tat er Buße und wandte
schen zu schlimmeren Gräueln als die sich dem Herrn zu. Danach wurde ihm
der Amoriter. Deshalb sagte Gott, dass erlaubt, nach Jerusalem zurückzukeh-
er Juda bestrafen würde, wie er Sama- ren und seine Herrschaft wieder aufzu-
ria und das Haus Ahabs bestraft hatte. nehmen – ein passender Beweis der
Die Messschnur und die Waage (V. 13) Gnade, Liebe und Barmherzigkeit des
sind Symbole des Gerichts. Auch wür- HERRN. Er versuchte, den Schaden,

405
2. Könige 21 bis 23

den er angerichtet hatte, wiedergutzu- schrift des Buches des Gesetzes, viel-
machen, doch es war zu spät. Das Volk, leicht den gesamten Pentateuch oder
einschließlich des Sohnes Manasses, nur das 5. Buch Mose. Dieses wurde
folgte seinem früheren Beispiel (2Chr zum König Josia gebracht und ihm vor-
33,14-23). gelesen.
22,11-13 Als der König das Wort Got-
C. König Amon (21,19-26) tes hörte und erkannte, wie weit das
Amon, der Sohn Manasses, war zwei Volk von Gott abgewichen war, zerriss
Jahre lang König von Juda (642-639 er seine Kleider als Zeichen der Buße.
v.Chr.; vgl. 2Chr 33,21-25). Dann sandte er fünf seiner Beamten,
21,19-26 Amon war bekannt für sei- um den HERRN zu befragen, denn er
nen Götzendienst und seine Abwen- erkannte, dass wegen der Sünden Judas
dung vom wahren Gott. Einige seiner der Zorn Gottes auf dem Volk liegen
Knechte verschworen sich gegen ihn musste.
und töteten ihn nach einer kurzen Re- 22,14-20 Die Beamten gingen zu der
gierungszeit. Das Volk erschlug die Prophetin Hulda, die in Jerusalem »im
schuldigen Attentäter und »machte sei- zweiten Stadtteil« wohnte, einem Di­
nen Sohn Josia an seiner Stelle zum Kö- strikt oder Vorort der Stadt. Sie gingen
nig«. Weder Amon noch sein Vater nicht direkt zu Jeremia oder Zefanja.
wurden in den Gräbern der Könige von Hulda war wahrscheinlich Jeremias
Juda begraben. Tante (V. 14; vgl. Jer 32,7). Sie bestätigte
Josias Befürchtungen, dass Gott Juda
D. König Josia (22,1 - 23,30) bald bestrafen würde, weil das Volk so
Josia, der Sohn Amons, war 31 Jahre verdorben war. Aber sie fügte hinzu,
lang König von Juda (641 - 609 v.Chr.; dass dies nicht während der Lebenszeit
vgl. 2Chr 34-35). Josias geschehen werde, weil er sich ge-
demütigt hatte und bußfertig war.
1. Josias Instandsetzung des Tempels Die Tatsache, dass Josia später in ei-
(22,1-7) ner Schlacht fiel (23,29), ist kein Wider-
22,1-7 Zefanja (Zef 1,1) und Jeremia (Jer spruch zu Vers 20. »Du wirst zu deinen
25,3) begannen ihren prophetischen Gräbern versammelt werden in Frie-
Dienst in dieser Zeit. Habakuk könnte den« könnte bedeuten »ehe die vorher-
gegen Ende der Regierungszeit Josias gesagte Katastrophe der babylonischen
gedient haben. Josias Regierung war die Gefangenschaft kommt«. Oder es be-
letzte Zeit der Reformen im Reich Juda. deutet, dass Josia im Frieden mit Gott
Er ergriff resolute Maßnahmen gegen sterben würde (er starb sicherlich nicht
den Götzendienst und ermutigte das im Frieden mit Menschen).
Volk, zum HERRN zurückzukehren. Im
achtzehnten Jahr seiner Regierung, als 3. Josias Erneuerung des Bundes (23,1-3)
er 26 Jahre alt war, begann er mit einem 23,1-3 Der König hielt nun eine heilige
Programm zur Renovierung des Tem- Versammlung im Tempel ab und las
pels. Das Geld, das im Tempel gesam- alle Worte des Bundesbuches vor. Er
melt worden war, wurde den Arbeitern stand auf einem erhöhten Standort und
für die Arbeit und für Material gegeben. schloss einen Bund, allen Worten des
Wegen ihrer Ehrlichkeit wurde von ih- Gesetzes zu gehorchen. Auch das Volk
nen keine Abrechnung verlangt. trat in den Bund mit dem HERRN ein.
2. Josia findet das Gesetzbuch wieder 4. Josias Reformen (23,4-30)
(22,8-20) 23,4-9 Nun folgt eine lange Liste der vie-
22,8-10 Während der Reparaturarbeiten len Reformen, die Josia unternahm. Er
fand der Hohepriester Hilkija eine Ab- reinigte den Tempel von allen Geräten,

406
2. Könige 23

die zum Götzendienst verwendet wor- gelegenen Gräbern und verbrannte sie
den waren, verbrannte sie und brachte auf den Überresten des Altars. (»So-
die Asche nach Bethel (um das Heilig- wohl Israeliten als auch Heiden sahen
tum dort zu entweihen). Er nahm die Menschenknochen als Mittel zur ewi-
Aschera (das Holzbild) aus dem Tempel gen Verunreinigung an.«24) All dies ge-
und verbrannte es und verteilte die schah als Erfüllung einer Prophezeiung,
Asche »auf die Gräber der Söhne des die Jerobeam über 300 Jahre zuvor von
Volkes«. Er riss im Tempelbereich die dem Mann Gottes gesagt worden war.
Häuser der männlichen Kultprostituier- Josia ist einer der wenigen Männer der
ten (Tempelhurer) nieder, wo die Frauen Schrift, die schon vor ihrer Geburt mit
Gewänder für die Aschera webten. Er Namen genannt wurden (1Kö 13,2). Er
machte die Höhen unrein. Das heißt, war ein auserwähltes Gefäß, vorherbe-
dass er sie so entweihte, dass sie nie mehr stimmt, den Spruch des ungenannten
benutzt werden konnten. Er ließ alle Propheten gegen den Altar in Bethel zu
Priester aus den Städten Judas kommen, erfüllen.
in denen sie dem HERRN auf den Höhen Als König Josia den Grabstein des
geopfert hatten. Gott hatte Jerusalem als Mannes Gottes sah, der gegen den Altar
Ort bestimmt, an dem diese Opfer darge- in Bethel Zeugnis gegeben hatte, ordne-
bracht werden sollten. Josia schloss diese te er an, dass niemand die Gebeine des
Priester vom weiteren Dienst am Tempel Propheten anrühren solle. Deshalb
aus, gab ihnen aber einen Anteil an den durften sie bei den Gebeinen des Pro-
ungesäuerten Broten. pheten bleiben, der aus Samaria ge-
23,10-12 Er entweihte und zerstörte kommen war (vgl. 1Kö 13,30-31).
das Tofet, das heidnische Heiligtum im 23,19-20 Die Reformen des Königs er-
Tal Ben-Hinnom, wo dem Moloch Kin- streckten sich sogar auf Samaria. Offen-
deropfer dargebracht worden waren. sichtlich hatte er die Kontrolle über die-
Er schaffte die Pferde ab, die der Sonne ses Gebiet erlangt, wohl weil die Macht
geweiht waren, und verbrannte die Assyriens schwächer wurde. Er zerstör-
Sonnenwagen, die von den Königen te die Höhen und schlachtete die Göt-
von Juda im Zusammenhang mit der zenpriester auf den Altären, auf denen
Verehrung der Sonne benutzt worden sie Opfer dargebracht hatten. Auch ver-
waren. Er zerstörte die Götzenaltäre, unreinigte er diese Orte mit der Asche
die von Ahas und Manasse aufgerichtet von Menschenknochen.
worden waren. Manasse hatte diese 23,21-23 Bei seiner Rückkehr nach Je-
Altäre selbst nach seiner Bekehrung be- rusalem setzte er das Passah nach dem
seitigt (2Chr 33,15), aber sie wurden Wort des HERRN, das er gelesen hatte,
zweifellos durch den götzendiene- wieder ein (weitere Einzelheiten finden
rischen Amon wieder in Betrieb ge- sich in 2Chr 35,1-19). Es war das größte
nommen. Josia stellte sicher, dass sie Fest dieser Art seit der Zeit der Richter.
nie wieder benutzt werden konnten. Andere Passahfeiern mögen größer
23,13-14 Er machte die Höhen am und aufwendiger gewesen sein, aber
Süd­ende des Ölbergs (»Berg des Ver­ diese gefiel dem HERRN besonders
derbens«) unrein, die aus der Zeit Salo- gut. Die Schrift erwähnt nur drei Pas-
mos stammten. Er zerbrach die götzen- sahfeiern während der Königszeit: die
dienerischen Gedenksteine, hieb die des Salomo (2Chr 8), die des Hiskia
Ascherim (hölzerne Bilder) um und ver- (2Chr 30) und die des Josia.
unreinigte ihre Standorte mit Men- 23,24 Josia säuberte das Land auch
schenknochen. von den Totenbeschwörern, den Wahr-
23,15-18 Er zerstörte den Altar, der in sagern und anderen Zauberern.
Bethel war, und verbrannte die Höhe. 23,25-27 Was die Gründlichkeit seiner
Dann nahm er die Knochen aus nahe Reformen angeht, war er der größte der

407
2. Könige 23 und 24

Könige Judas. Hiskia erhielt dieselbe derte Necho und ernannte Jojakim als
Ehre im Hinblick auf das Vertrauen zu Vasallenkönig. Er war dem Pharao
Gott (18,5-6). Doch trotz der guten Re- treuer als dem HERRN.
gierung Josias änderte Gott seinen Plan 24,1-4 Im Jahr 605 v.Chr. wurde Ägyp-
nicht, Juda zu bestrafen, indem er das ten in Karkemisch von Babel geschla-
Volk in die Gefangenschaft führte und gen, und Juda kam unter die Herrschaft
Jerusalem zerstörte. der Babylonier.
23,28-30 Im Jahr 609 v.Chr. marschier- Jojakim tötete den Propheten Uria
te Pharao Necho von Ägypten nach (Jer 26,23) und verbrannte das Wort
Norden entlang der Küste des Landes Gottes, das Jeremia über Juda und Is­
Israel, um den Assyrern in ihrem Kampf rael aufgeschrieben hatte (Jer 36,23). Er
gegen Babel zu helfen. Aus politischen versuchte, sowohl Jeremia als auch Ba-
Gründen beschloss Josia, Nechos ruch, seinen Schreiber, gefangen zu
Marsch aufzuhalten. Die Folge davon nehmen, aber der Herr verbarg sie (Jer
war, dass er in Megiddo tödlich ver- 36,26). Im dritten Jahr der Regierung Jo-
wundet wurde. Seine Knechte brachten jakims zog Nebukadnezar gegen Jeru-
ihn nach Jerusalem, wo er starb und be- salem (V. 1), nahm einige der Einwoh-
graben wurde (vgl. 2Chr 35,20-24). ner (einschließlich Daniel) mit nach Ba-
Necho zog weiter zum Euphrat, wo die bylon und raubte auch einige Gefäße
Babylonier ihn vier Jahre später in der des Tempels (2Chr 36,7; Dan 1,1-2). Er
Schlacht von Karkemisch besiegten (Jer fesselte Jojakim auch mit Ketten, um
46,2). ihn nach Babel zu bringen. Entweder
änderte er seinen Plan, oder er brachte
E. König Joahas (23,31-33) den König von Juda nach Jerusalem zu-
Joahas (auch Schallum genannt), der rück, weil Jojakim später gegen die Ba-
Sohn Josias, war nur drei Monate lang bylonier rebellierte (24,1). Whitcomb
König von Juda (609 v.Chr.; vgl. 2Chr beschreibt die Situation folgender­
36,1-4). maßen:
23,31-33 Joahas beachtete die Refor-
men seines Vaters nicht und gestattete Der Chronist berichtet, dass Nebukad­
dem Volk, zum Götzendienst zurück- nezar »ihn mit ehernen Fesseln band, um
zukehren. Pharao Necho, der König ihn nach Babel zu bringen« (2Chr 36,6);
von Ägypten, setzte ihn in Ribla in Ha- aber ehe der Plan erfüllt wurde, ereig-
mat, einem Gebiet in Syrien, wo die nete sich etwas Wichtiges, das Nebukad­
Ägypter gelagert hatten, gefangen und nezar dazu brachte, seinen Plan zu än-
machte Juda tributpflichtig. Später dern. Er erhielt die Nachricht, dass sein
nahm er Joahas mit nach Ägypten, wo Vater Nabopolassar am 15. August in Ba-
er starb (Jer 22,11-12). bylon gestorben war. Er erkannte, dass
sein Thron in Gefahr war, deshalb zwang
F. König Jojakim (23,34 - 24,7) er Jojakim dazu, ihm seine Treue als Va-
Jojakim, der Sohn Josias, war elf Jahre sall zu schwören, und nahm dann den
lang König von Juda (609 - 598 v.Chr.; kurzen Weg durch die arabische Wüste
vgl. 2Chr 36,5-8; Jer 22,18-19; 26,21-23; nach Babel.25
36,9-32).
23,34-37 Pharao Necho machte Elja- Gott sandte Invasionsarmeen aus vier
kim, den Bruder von Joahas, zum Kö- Völkern gegen Juda wegen der Sünden
nig an Josias statt und änderte seinen Manasses.
Namen in Jojakim. Jojakim war der 24,5-7 Der Herr bestimmte, dass der
ältes­te überlebende Sohn Josias (vgl. König ein Begräbnis wie ein Esel erhielt
V. 31.36), doch das Volk hatte zunächst – d.h. seine Leiche würde aus der Stadt
Joahas auf den Thron gesetzt. Dies än- geschleift und den Naturgewalten und

408
2. Könige 24 und 25

den Raubtieren ausgesetzt werden (Jer von Babel. Er versuchte, hierfür die Hil-
22,19). Über seinen Tod werden keine fe Ägyptens zu gewinnen. Zedekias
Einzelheiten berichtet. Verrat und Schwurbruch und Gottes
anschließendes Gericht über ihn sind in
G. König Jojachin (24,8-16) Hes 17,11-21 aufgezeichnet.
Jojachin, auch Konja oder Jechonja ge- 25,1-7 Zedekias Intrige mit Ägypten
nannt, war drei Monate lang König von brachte Jerusalem den endgültigen
Juda (598-597 v.Chr.; vgl. 25,27-30; 2Chr Schlag. Nebukadnezar belagerte es
36,9-10). 18  Monate lang, was innerhalb seiner
Während der kurzen Regierungszeit Mauern zur schlimmsten Hungersnot
dieses bösen Königs belagerte Nebu- führte. Zedekia und seine Kriegsleute
kadnezar die Stadt Jerusalem und führ- versuchten, in der Nacht aus der Stadt
te eine zweite Gruppe von Gefangenen zu entkommen, und flohen in die Wüs-
weg. Hesekiel wurde in dieser Deporta- te in der Nähe des Toten Meeres. Die
tion nach Babel gebracht. Darin einge- Chaldäer fingen den König und brach-
schlossen war auch die königliche Fa- ten ihn nach Ribla (in Hamat in Syrien)
milie, 7000 Soldaten und die ausgebil- zu Nebukadnezar. Nachdem seine Söh-
deten Handwerker. Jetzt war nur noch ne vor seinen Augen getötet worden
»das geringe Volk des Landes« übrig. waren, befahl der König von Babel, dass
Nebukadnezar nahm auch die Schätze ihm die Augen geblendet werden
aus dem Tempel und dem Königspalast sollten und dass er in ehernen Fesseln
mit. In Vers 14 heißt es, dass es zusam- nach Babel gebracht wurde. Dies er-
men 10.000 Gefangene waren. Jeremia füllte zwei bemerkenswerte Prophezei-
sagt, dass 4600 Menschen gefangen ungen: Jeremia hatte vorausgesagt, dass
weggeführt wurden (Jer 52,28-30). In Zedekia den König von Babel von An-
der Zahl in 2. Könige könnten Gefange- gesicht zu Angesicht sehen würde (Jer
ne mit eingeschlossen sein, die zu ande- 32,4; 34,3). Dies erfüllte sich in Ribla.
ren Zeiten weggeführt worden waren. Hesekiel hatte auch vorausgesagt, dass
Nachdem Jojachin 37 Jahre lang gefan- er nach Babel geführt werden würde,
gen gewesen war, befreite ihn Ewil- dass er dies aber nicht sehen und dort
Merodach, der König von Babel, aus sterben würde (Hes 12,13). Zedekias
dem Gefängnis, setzte ihn über die an- Augen wurden geblendet, ehe er nach
deren gefangenen Könige, gab ihm eine Babel kam, wo er starb.
Ehrenstellung am Hof und sorgte groß-
zügig für ihn (25,27-30). I. Der Fall Jerusalems (25,8-21)
Der Prophet Hesekiel begann zu die- 25,8-12 Die endgültige Zerstörung Jeru-
ser Zeit seinen Dienst. salems fand im Jahr 586 v.Chr. durch
Nebusaradan, den Obersten der Leib-
H. König Zedekia (24,17 - 25,7) wache der Babylonier, statt. Er ver-
Zedekia, Jojachins Onkel, war elf Jahre brannte den Tempel, den Königspalast
lang König von Juda (597 - 586 v.Chr.; und alle größeren Gebäude. Er riss die
vgl. 2Chr 36,11-21; Jer 52,1-30). Mauern nieder und führte alle außer
24,17-20 Der König von Babel ernann- den allerärmsten Leuten des Landes ins
te Mattanja, einen Onkel Jojachins, als Exil.
König an seiner Stelle. Der König von 25,13-17 Diese Verse beschreiben die
Babel änderte Mattanjas Namen in Ze- völlige Plünderung des Tempelschat-
dekia. Zedekia schloss mit Nebukadne- zes. Diejenigen Gegenstände, die für
zar einen Vertrag, in dem er sich bereit den Transport zu groß waren, wurden
erklärte, als sein Marionettenkönig zu in kleinere Teile zerschlagen. Die Bron-
fungieren. Doch dann brach er den Ver- ze all dieser Teile war nicht zu wiegen.
trag und empörte sich gegen den König Zusätzlich nahmen die Chaldäer alles

409
2. Könige 25

reine Gold und Silber mit, das sie fin-


den konnten. Nebukadnezars Feldzüge gegen Juda
25,18-21 Nebusaradan nahm etwa 72
der führenden Bürger von Jerusalem Damaskus

mit zu König Nebukadnezar in Ribla,


wo sie alle hingerichtet wurden.26
Mittelmeer
Hazor
J. Gedaljas Statthalterschaft (25,22-26)
See
25,22-26 Der König von Babel ernannte Genezareth

Gedalja zum Statthalter über das Volk, Megiddo


das noch in Juda geblieben war. Als vier Bet-Schean
Heeroberste das hörten, kamen sie zu SAMARIA

ihm nach Mizpa, vielleicht um ihm zu

n
Jorda
empfehlen, nach Ägypten zu fliehen. Afek

Gedalja riet ihnen, sich dem babyloni- Mizpa


Jericho
? genaue Lage
ungewiss
schen Joch zu unterwerfen, und sagte Aschdod Jerusalem
Aseka Bet-Schemesch
ihnen, dass es ihnen dann gut gehen Aschkelon N

würde. Später griff Ismael, ein Mitglied Lachisch


Hebron
Totes

H
Gaza
der königlichen Familie, an und tötete En-Gedi Meer

A
D
Gedalja und seine Verbündeten. Das J
U
0 40 Km

Volk war damit ohne organisierte Re-


gierung und floh nach Ägypten.
K. König Jojachin (25,27-30) Anmerkungen
Das Buch schließt mit einem ermuti-
genden Ausklang. 2. Könige und Jere- 1
(1,2) John C. Whitcomb jr., Solomon to
mia haben ein identisches Ende (vgl. the Exile, S. 64. Baal-Sebul wird von
25,27-30 mit Jer 52,31-34). Im 37. Jahr einigen Gelehrten mit »erhabener
seines Exils wurde Jojachin ehrenvoll Baal« übersetzt.
vom König von Babylon behandelt. Das 2
(2,7-9) George Williams, The Student’s
gab Anlass zu der Hoffnung, dass die Commentary on the Holy Scriptures,
Beschwernisse des Exils erleichtert und S. 200.
später ganz beendet werden würden. 3
(3,4-9) Vgl. Unger’s Bible Dictionary,
1. Könige beginnt mit dem Tod Da- S. 217, 226-227.
vids, und 2. Könige endet mit Judas 4
(3,26-27) Harold Stigers, »II Kings«, in:
Vernichtung. Das Volk hatte schon un- The Wycliffe Bible Commentary, S. 344.
ter Mose versagt, es hatte unter den 5
(5,1-4) D.L. Moody, Notes from My
Richtern versagt, und nun hatte es un- Bible, S. 58.
ter den Königen versagt. Das Volk wei- 6
(5,13-14) Ebd.
gerte sich, auf Gottes Wort zu hören. Es 7
(6,24-31) Einige Ausleger meinen,
weigerte sich, sich von den Tränen der dass es wortwörtlich um Vogelkot
Propheten bewegen zu lassen. Die Is­ geht, der allerdings als Brennmateri-
raeliten verhärteten ihre Herzen und al benutzt wurde.
versteiften ihre Nacken, bis Gott die 8
(7,1-2) Moody, Notes, S. 58.
Assyrer und die Babylonier berief, um 9
(7,3-7) Matthew Henry, »2 Kings«,
sie zu lehren, dass der Sold der Sünde in: Matthew Henry’s Commentary on
der Tod ist. Die Gefangenschaft er- the Whole Bible, Bd. II, S. 745-746.
reichte ihren Zweck: Sie reinigte das 10
(8,13-15) Williams, Commentary, S. 207.
Herz des auserwählten Volkes Gottes 11
(8,13-15) Merrill C. Tenney, The Zon­
vom Götzendienst. dervan Pictorial Encyclopedia of the
Bible, Bd. III, S. 49.

410
2. Könige

12
(9,30-37) G. Campbell Morgan, Sear­ 23
(20,20-21) Der Text der Inschrift fin-
chlights from the Word, S. 209. det sich in Unger’s Bible Dictionary,
13
(10,15-17) Ebd., S. 104. S. 481-482, und in First and Second
14
(11,4-11) Williams, Commentary, Kings von Richard I. McNeely, S. 145.
S. 210. 24
(23,15-18) Williams, Commentary,
15
(12,1-6) Whitcomb, Solomon, S. 103. S. 221.
16
(12,1-5) Williams, Commentary, 25
(24,1-4) Whitcomb, Solomon, S. 146.
S. 211. 26
(25,18-21) Es gibt drei Schwierig-
17
(15,32-38) Flavius Josephus, zusam- keiten mit Zahlen in Kap. 25, die alle-
mengefasst von Matthew Henry, samt wahrscheinlich auf Abschreib-
»2 Kings«, Matthew Henry’s Commen­ fehler zurückzuführen sind, die ent-
tary, Bd. II, S. 785. weder hier in 2. Könige oder aber in
18
(16,10-16) F.C. Cook, Hrsg., Barnes’ den entsprechenden Versen bei 1. Kö-
Notes on the Old and New Testaments, nige und Jeremia unterlaufen sind.
I Samuel – Esther, S. 273. Die genaue Abschrift von Zahlen in
19
(17,29-34a) Eine solche Religion alten Handschriften brachte beson-
nennt man »synkretistisch«. dere Schwierigkeiten mit sich (vgl.
20
(17,41) Lukas 2,36 erwähnt aller- den Kommentar zu 2. Chronik, wo
dings, dass es eine Prophetin aus diese Schwierigkeiten genauer be-
dem Stamm Asser gab, einem der handelt werden). Die Schwierigkeiten
zehn Stämme. Offensichtlich kehrten sind folgende: das Datum, an dem Je-
einige Menschen aus diesen Stäm- rusalem niedergebrannt wurde (V. 8
men zurück. Auch sandte Jakobus sagt »am Siebten des Monats«, wäh-
seinen Brief an »die zwölf Stämme, rend Jer 52,12 sagt »am Zehnten des
die in der Zerstreuung sind« (1,1), Monats«); die Höhe der Kapitelle auf
somit verschwanden die zwölf Stäm- den Säulen (V. 17 sagt »drei Ellen«,
me nicht völlig und erhielten sich so- 1Kö 7,16 sagt »fünf Ellen«) und
gar bis in die frühe christliche Zeit. schließlich die Anzahl der getöteten
21
(19,35-37) Man nimmt weithin an, Berater des Königs (V. 19-21 sagt aus,
dass es sich hierbei um Christus vor dass fünf getötet wurden, Jer 52,25
seiner Menschwerdung handelt. sagt aus, dass sieben getötet wur-
22
(20,1-7) Whitcomb, Solomon, S. 127. den).

Bibliografie

Siehe die Bibliografie von 1. Könige.

411
1. Chronik
»Die Chronikbücher haben einen ganz eigenen Charakter und eine eigene Schönheit und
sind von hohem moralischen Wert, denn sie zeigen auf, dass angesichts des Verfalls aller
anderen Dinge der Ratschluss Gottes feststeht. Damit sollten wir uns in der heutigen
Zeit trösten. Die Christenheit ist in einem Zustand des Verfalls; doch Gottes Ratschlüsse
scheitern niemals, und diejenigen, die Glauben haben, finden Zuversicht und Trost darin,
dass der Ratschluss Gottes gewiss bestehen bleibt.«

William Kelly

Einführung gen der guten Könige von Juda. Das


nördliche Königreich wird nur in sei-
I. Einzigartige Stellung im Kanon nen Beziehungen zu Davids Dynastie
erwähnt. Der Autor der Chroniken lässt
Die Chroniken, ursprünglich ein ein- sogar die tragischen Geschichten von
ziges großes Buch, bilden in der hebrä­ Amnon, Absalom und Adonija sowie
ischen Bibel den Schluss1. Der hebrä- die Untreue Salomos aus. Die Chroni-
ische Titel bedeutet »Tagebücher« oder ken sind also keinesfalls eine unnötige
wörtlicher »Worte der Tage«. Der Titel Wiederholung. Vielmehr sind sie eine
der griechischen Übersetzung (LXX) ist geistliche Interpretation der geschicht-
»Weggelassene Dinge / Ergänzungen« lichen Ereignisse, die in den vorherigen
(paraleipomena) – ein unglücklicher und Büchern erwähnt wurden.
missverständlicher Titel2. Unser treffen- Die Ereignisse während der Regie-
der deutscher Titel geht zurück auf die rung jedes Königs wurden regelmäßig
lateinische Vulgata des Hieronymus. in einem Buch festgehalten (1. Könige
Auf den ersten Blick scheint das 14,29; 15,7 usw.). Ohne Zweifel wurden
1. Chronikbuch 1. und 2. Samuel zu die Abschnitte der Chroniken, die mit
wiederholen, während das 2. Chronik- denen in Samuel und den Königen
buch die Inhalte aus dem 1. und 2. Buch identisch sind, aus dieser gemeinsamen
der Könige abzudecken scheint. Wel- Quelle abgeleitet.
chen eigenen Beitrag leisten die Chro- Manche haben die Chroniken dafür
niken? kritisiert, dass sie nicht vollständig und
Die Chronikbücher haben auffällige abgerundet sind, dafür, dass sie wich­
Unterschiede zu den Samuel- und den tige Ereignisse aus dem Zeitabschnitt,
Königisbüchern. Die anderen Bücher den sie behandeln, nicht erwähnen.3
betonen die historische Seite der Ereig- Doch William Kelly zeigt uns mit seiner
nisse, wohingegen die Chroniken die üblichen geistlichen Einsicht, dass die
geistliche Seite hervorheben. So konzen- Chroniken ‒ wie alle inspirierten Bü-
trieren sich die Chroniken auf die Re- cher ‒ nur das widerspiegeln, was der
gierung Davids und die seiner Nachfol- Heilige Geist hervorheben möchte.
ger sowie auf den Tempel und seinen
Gottesdienst. Sie teilen uns Einzelhei- Diese gesammelten Zeugnisse Gottes, die
ten über die Priester, Leviten, Musiker, in den Chronikbüchern zusammenge-
Sänger und Torwächter mit, die wo­ stellt wurden, sind bruchstückhaft, und
anders nicht gefunden werden können. sie sollten bruchstückhaft sein. Gott hätte
Sie behandeln ausführlich die Überfüh- sie vollständig machen können, wenn
rung der Bundeslade nach Jerusalem, ihm das gefallen hätte, doch das hätte
die Vorbereitungen für den Bau des nicht seiner Ordnung entsprochen. Gott
Tempels und die Reformen unter eini- selbst hat es gefallen, seine Ansicht über

413
1. Chronik

den Verfall Israels zu kennzeichnen, in- ne Informationen aus einer Reihe zeit-
dem er nur hier und da bruchstückhafte genössischer Werke. Die folgende Liste
Informationen gab. Da ist nichts wirklich zeigt die Referenzen auf andere Werke,
Vollständiges. Beide Chronikbücher sind die er erwähnt.
von diesem Prinzip durchdrungen. Für 1. Das Buch Samuels, des Sehers
Gelehrte ist das oft sehr verwirrend, weil (1Chr 29,29)
sie die Dinge nur mit dem natürlichen 2. Das Buch Nathans, des Propheten
Auge betrachten und das nicht verstehen (1Chr 29,29)
können. Sie bilden sich ein, die Chro- 3. Das Buch Gads, des Sehers (1Chr
niken seien völlig entstellt und schlecht 29,29)
überliefert. Dem ist nicht so. Sie wurden 4. Die Weissagung Achijas, des Siloni-
bewusst und absichtlich durch den Heili- ters (2Chr 9,29)
gen Geist auf diese Weise geschrieben.4 5. Die Visionen Iddos, des Sehers
(2Chr 9,29)
Kelly macht eine treffende Übertra- 6. Das Buch Schemajas, des Prophe-
gung der Situation Israels auf den zer- ten (2Chr 12,15)
rissenen und chaotischen Zustand der 7. Das Buch Iddos, des Sehers (2Chr
heutigen Christenheit: 12,15)
8. Die Berichte des Propheten Iddo
Ich bin davon überzeugt, dass die Für- (2Chr 12,15)
sorge der Gnade Gottes für sein Volk in 9. Das Buch der Könige von Israel
unserer Zeit sehr schwach und ungeord- und Juda (2Chr 20,34; 27,7; 32,32)
net aussieht für jemanden, der die Dinge 10. Die Schrift des Buches der Könige
mit dem natürlichen Auge betrachtet. (2Chr 24,27)
Aber wenn man tiefer hineinschaut, wird 11. Die Vision des Propheten Jesaja
man sehen, dass das mit den Gedanken (2Chr 26,22; 32,32)
Gottes übereinstimmt. Das anmaßende 12. Die Geschichte Hosais6 (2Chr
Verlangen, alles vollständig haben zu 33,19)
wollen, würde uns aus der Gemeinschaft
mit seinen Gedanken herausführen. Es III. Datierung
würde uns zufrieden mit uns selbst ma- Die Chroniken wurden nach der Gefan-
chen, statt mit ihm unter dem zerstörten genschaft geschrieben (2Chr 26,22-23).
Zustand seiner Gemeinde zu leiden.5 Mit Hilfe der Genealogien können wir
die Zeit noch genauer festlegen. Die
Die Chronikbücher sind keine langwei- letzte Person in Davids Stammbaum,
ligen Geschichtsbücher. Sie sind eine Anani (2Chr 3,24), lebte acht Generatio-
priesterliche Interpretation der heiligen nen später als der König Jojachin (auch
Geschichte von Adam bis zu Israels Jechonja genannt [3,17]), der um ca. 600
Rückkehr aus der babylonischen Ge- v.Chr lebte. Wenn wir durchschnittlich
fangenschaft. Sie sind für uns Gläubige 25 Jahre für eine Generation annehmen,
geschrieben und lassen sich auf unser bringt uns das frühestens ins Jahr 400
tägliches Leben anwenden. v.Chr. Die Chroniken können kaum viel
später entstanden sein. Ein Schreiber,
II. Verfasserschaft der sich so deutlich auf Davids Linie
Die meisten Kommentatoren schlagen bezieht, wie es in den Chroniken der
Esra als Autor oder Bearbeiter der Chro- Fall ist, hätte sonst auch spätere Nach-
niken vor. Die letzten beiden Verse von kommen Davids mit einbezogen.
2. Chronik sind mit den ersten beiden Die Chroniken gehören demnach zu
des Buches Esra identisch. Auch gibt es den spätesten Büchern des Alten Testa-
eine Vielzahl stilistischer Gemeinsam- ments, ungefähr zur Zeit Maleachis ge-
keiten. Der inspirierte Autor nimmt sei- schrieben.

414
1. Chronik

IV. Hintergrund und Thema Es ist bemerkenswert, dass diese bei-


den Themen ‒ der Messias und die
Der späte Entstehungszeitpunkt der Anbetung ‒ auch für die heutigen Gläu-
Chroniken hilft uns auch, ihren Schwer- bigen grundlegend wichtig sind.
punkt zu verstehen. Das Königtum Das zweite Buch der Chronik fährt
existiert nicht mehr. Die königliche Li- dort fort, wo das erste Buch aufhört. In
nie wird dennoch bis zu ihrem letzten 1. Chronik 29 setzt David Salomo als sei-
Stand aufgespürt und bereitet so auf nen Nachfolger ein. Das zweite Buch der
den Sohn Davids, den Messias, vor, der Chronik zeichnet die davidische Linie
noch kommen sollte. von Salomo bis zur Rückkehr des jüdi-
Obwohl das Königtum nicht mehr be- schen Überrests aus der babylonischen
steht, ist der Tempeldienst nach wie vor Gefangenschaft nach. 1. und 2. Könige
das Zentrum des geistlichen Lebens der behandeln im Wesentlichen denselben
Nation. W. Graham Scroggie schreibt: Zeitraum, doch liegt der Schwerpunkt
mehr auf Israel, während er, wie bereits
Alles, was sich auf die Anbetung bezieht, erwähnt, in den Chroniken auf Juda
ist hier hervorgehoben: der Tempel und liegt. Die Könige von Israel werden nur
seine Gottesdienste, die Priester, die Le- in ihrer Beziehung zur Geschichte von
viten, die Sänger und die Abscheu vor Juda erwähnt. Obwohl sich beide Bücher
dem Götzendienst. Es wird gezeigt, dass inhaltlich ähneln, enthalten die Chroni-
die Nöte des Volkes in der Missachtung ken manchmal Details, die in den Köni-
der Ansprüche Jahwes begründet lagen gen nicht zu finden sind. Die Chroniken
und dass Israels Wohlergehen in seiner wurden später und mit einer anderen
Rückkehr zu ihm begründet war. Die Bü- Absicht geschrieben. Wir werden einige
cher der Könige beziehen sich auf das Unterschiede genauer untersuchen, aber
Politische und das Königtum, die Chro- es ist unmöglich, alle ausführlich zu be-
niken auf das Heilige und den Gottes- handeln. Es gibt andere Bücher, die zu
dienst.7 diesem Zweck geschrieben wurden.

Einteilung D. Die aus der Gefangenschaft


Zurückgekehrten (9,1-34)
I. Die Geschlechtsregister (Kap. 1-9) E. Der Stammbaum Sauls
A. Von Adam bis Abraham (1,1-27) (9,35-44)
B. Von Abraham bis Israel (1,28-54) II. Der Tod Sauls (Kap. 10)
C. Nachkommen Israels (Kap. 2-8) III. Die Regierung Davids (Kap. 11-29)
1. Juda (2,1 - 4,23) A. Davids Armee (Kap. 11-12)
2. Simeon (4,24-43) 1. Davids tapfere Krieger
3. Ruben, Gad und der halbe (Kap. 11)
Stamm Manasse östlich des 2. Davids treue Anhänger
Jordans (Kap. 5) (Kap. 12)
4. Levi (Kapitel 6) B. David bringt die Bundeslade
5. Issaschar (7,1-5) nach Jerusalem (Kap. 13-16)
6. Benjamin (7,6-12) C. Davids Verlangen, den Tempel
7. Naftali (7,13) zu bauen, und Gottes Antwort
8. Der halbe Stamm Manasse darauf (Kap. 17)
westlich des Jordans D. Davids Siege (Kap. 18-20)
(7,14-19) E. Die Volkszählung und die Pest
9. Ephraim (7,20-29) (Kap. 21)
10. Asser (7,30-40) F. Vorbereitungen für den
11. Benjamin (Kap. 8) Tempelbau (Kap. 22-26)

415
1. Chronik 1 und 2

1. Materialien, Männer und G. Militärische und politische


Motivation (Kap. 22) Führer (Kap. 27)
2. Abteilungen und Pflichten H. Davids letzte Tage (Kap. 28-29)
der Leviten (Kap. 23-26)

Kommentar in 1. Mose 10 genannt wurden. Aus


1. Mose 11 kommt der Stammbaum Ab-
I. Die Geschlechtsregister (Kap. 1-9) rahams (V. 24-27).

Die ersten neun Kapitel von 1. Chronik B. Von Abraham bis Israel (1,28-54)
enthalten Geschlechtsregister oder »Fa- Abrahams natürliche Nachkommen,
milienstammbäume«, wie wir sie heute wie sie in 1. Mose 25 aufgelistet sind,
nennen würden. Geschlechtsregister werden uns in den Versen 28-33 genannt.
waren für die Juden sehr wichtig in ih- Die Nachkommen Isaaks, des Sohnes
rem Bestreben, die Unterschiede zwi- der Verheißung, werden als Nächstes
schen den Stämmen aufrechtzuerhal- behandelt. Esau und seine Nachkom-
ten. Nach der Verwirrung der Gefan- men werden wie in 1. Mose 36 in den
genschaft war es ebenfalls sehr wichtig, Versen 35-54 erwähnt, um den Weg für
die königliche und priesterliche Linie die Nachkommen Jakobs (Israels) frei zu
wieder festzulegen. machen. Die Kapitel 2 bis 9 verfolgen die
In diesem Kapitel gibt es mehrere Fäl- Nachkommen Israels.
le, bei denen sich die Namen von denen Hier im ersten Kapitel verengt der
in anderen Teilen der Bibel unterschei- Schreiber sein Blickfeld von Adam, dem
den. Es gibt mehrere Gründe für diese Vater des menschlichen Geschlechts,
scheinbaren Ungereimtheiten. Manch- hin zu Jakob, dem Vater der zwölf Stäm-
mal hat ein Mann mehr als einen Na- me Israels. Schnell macht er die Bühne
men. Außerdem sollte es uns nicht ver- frei für das auserwählte Volk. Hier ha-
wundern, dass sich die Schreibweise ei- ben wir auch den Beginn der messiani-
niger Namen über die Jahrhunderte schen Linie (vgl. Lk 3,34-38).
hinweg verändert hat. Immerhin liegt
ein ganzes Jahrtausend zwischen den
Stammbäumen in 1. Mose und ihren Adam
Gegenstücken hier in den Chroniken
(1400 - 400 v.Chr.). In vielen Fällen lie- Noah
gen Abschreibfehler vor. Ein Blick auf
die hebräische Sprache zeigt, wie schnell Jafet Sem Ham
so etwas passieren konnte. Diese »Dis-
krepanzen« bringen den ernsthaften Abraham
Studierenden nicht ins Stolpern. Die
meisten existieren in den Originaldoku- Ismael Isaak
menten nicht, und außerdem haben sie
in keiner Weise irgendeinen Einfluss auf Esau Jakob
eine wichtige Glaubenslehre.
A. Von Adam bis Abraham (1,1-27) C. Nachkommen Israels (Kap. 2-8)
Das 1. Buch Mose scheint die Quelle für
diesen Stammbaum zu sein. Die Verse 1. Juda (2,1 - 4,23)
1-4 gehen zurück auf 1. Mose 5 (Adam Juda war das Oberhaupt des größten
bis Noah). Die Verse 5-23 nennen uns Stammes und der Erste, was den Segen
die Nachkommen Noahs, wie sie auch und die Verheißung betrifft. Daher steht

416
1. Chronik 2 bis 4

sein Stammbaum am Anfang und ist Gott dadurch ehrte, dass er seinen Se-
auch am längsten (2,3 - 4,23). Die Stamm- gen suchte. Jabez war ein Mann des
bäume zweier Nachkommen Judas wer- Glaubens, und Gott nahm das zur
den ausführlicher behandelt – die von Kenntnis. »Ohne Glauben aber ist es
Kaleb (2,18-20.42-55; hier handelt es sich unmöglich, ihm wohlzugefallen; denn
nicht um den Kaleb aus 4. Mose 13; wer Gott naht, muss glauben, dass er ist
siehe 4,15) und David (3,1-24). und denen, die ihn suchen, ein Beloh-
Mitten in die Stammbäume sind ver- ner sein wird« (Hebr 11,6).
schiedene historische Anmerkungen Ironside bemerkt:
eingestreut. Auf diese Dinge möchte der
Heilige Geist unsere Aufmerksamkeit Sein Gebet umfasst vier Punkte: »Segne
lenken; es sind die besonders wichtigen mich reichlich.« Das bedeutet: »Gib mir
Punkte in diesem panoramaartigen wahre Freude.« Diese findet sich nur bei
Überblick über die Geschichte Israels. denen, die überwinden und mit Gott
Im Stammbaum Judas wird uns Gottes wandeln. »Erweitere meine Grenze.« Er
Handeln mit zwei bösen Männern und war nicht damit zufrieden, einfach mit
sein Segen für einen rechtschaffenen dem weiterzumachen, was er schon hat-
Mann besonders vorgestellt. te. Er wollte mehr in das Erbe Gottes ein-
»Und Er, der Erstgeborene Judas, war treten und es genießen. »Dass deine
böse in den Augen des HERRN, und er Hand mit mir sei!« Er rechnete mit Got-
ließ ihn sterben« (2,3). Er war der Nach- tes Fürsorge und Schutz. Und als Letztes
komme Judas aus dessen Ehe mit Schua, betete er: »Bewahre mich vom Übel, dass
einer kanaanitischen Frau (1. Mo­­­­­­se 38, es mich nicht betrübt.« Sünde ist die ein-
1.10). Es wird uns nicht gesagt, was er zige Sache, die einem Kind Gottes die
getan hat ‒ nur, dass er böse in den Au- Freude am Herrn rauben kann.8
gen des Herrn war. Seine Bosheit kos­
tete ihn die Vorrechte des Erstgebore- Jabez suchte und wurde belohnt. Möge
nen, seinen Platz in der messianischen Gott uns stärken, sodass wir seinem
Linie und sein Leben. Sein Name wurde Beispiel folgen!
ein Schandfleck in der Geschichte der Bitja (4,18) ist eine der wenigen
Familie, den alle künftigen Genera­ Frauen, die in diesem Geschlechts­
tionen sehen sollten. Die Menschen register genannt werden. Sie war eine
würden gut daran tun, die Konse- Tochter des Pharao, lebte aber nun mit
quenzen des Bösen zu durchdenken, dem auserwählten Volk. Ihr Name be-
bevor es zu spät ist. »Denn die Übeltäter deutet »Tochter des HERRN«.
werden ausgerottet; aber die auf den Bevor wir fortfahren, sollte eine
HERRN hoffen, die werden das Land scheinbare Ungereimtheit erwähnt wer-
besitzen« (Psalm 37,9). den. In 2,15 wird David als der siebte
Die Geschichte Achars (Achans) (2,7) Sohn Isais bezeichnet, wohingegen er in
findet sich in Josua 7. Er »sah«, »begehr- 1. Samuel 16,10-11 und 17,12 der achte
te« und »nahm« (Josua 7,21) von den Sohn ist. Einer von Isais Söhnen starb
Dingen, die in Jericho unter dem Bann vielleicht kinderlos oder bevor er heira-
standen. Er brachte Israel dadurch in tete und wurde daher vom Chronisten
Schwierigkeiten, denn aufgrund seiner nicht erwähnt.
Sünde starben sechsunddreißig Mann
bei dem erfolglosen Angriff auf Ai. Er 2. Simeon (4,24-43)
wurde vom Herrn ausgesondert und zu- 4,24-43 Simeon, Jakobs Zweitgeborener,
sammen mit seiner Familie hingerichtet. wird als Nächstes behandelt. Vielleicht
»Und Jabez war angesehener als sei- liegt das an seiner engen Verbindung
ne Brüder« (4,9). Hier war jemand, der mit dem Stamm Juda. Simeons Anteil
eine große Gotteserkenntnis hatte und am gelobten Land lag innerhalb von Ju-

417
1. Chronik 5 bis 7

das Territorium (Josua 19,9). Die Städte, schen Königs, und sie wurden in die
die in V. 28-33 aufgelistet werden, wa- Gefangenschaft geführt.
ren sein Erbe. Jedoch eroberten die
Simeoniter später in der Geschichte 4. Levi (Kap. 6)
weiteres Land. 6,1-38 Dieses Kapitel behandelt die Söh-
ne Levis, die Nachkommen von Jakobs
3. Ruben, Gad und der halbe Stamm drittgeborenem Sohn. Die Verse 34-38
Manasse östlich des Jordans (Kap. 5) handeln von der bekanntesten Familie
Das fünfte Kapitel beschäftigt sich mit dieses Stammes, der Familie Aarons.
den Stämmen jenseits des Jordans: Ru- Das Amt des Hohenpriesters wurde
ben, Gad und der halbe Stamm Manas- Aaron und seinen Söhnen gegeben.
se. Diesen Stämmen ist nur sehr wenig Aufgrund seiner Wichtigkeit finden wir
Raum gewidmet. Sie gehörten zu den eine genaue Wiedergabe ihres Fami­
Ersten, die in die Gefangenschaft gin- lienstammbaums von Aaron bis zur
gen (5,26). Gefangenschaft.
Die ersten beiden Verse erklären, war­ Samuel (V. 13), der Sohn Elkanas, war
um der Segen des Erstgeburtsrechts an ein großer Prophet und der letzte Rich-
andere Stämme als Ruben ging. Als Ja- ter Israels vor Sauls Königsherrschaft.
kob seine Söhne vor seinem Tod segne- Sein Dienst ist im 1. Buch Samuel auf-
te (1. Mose 49), erinnerte er sich an Ru- gezeichnet.
bens Bosheit (1. Mose 35,22) und nahm Levi hatte drei Söhne: Gerschon, Ke-
ihm den Vorzug des Erstgeburtsrechts. hat und Merari. Ihre Stammbäume ste-
Der dem Erstgeborenen zustehende hen in den Versen 1-15. Die Verse 16-33
doppelte Anteil an Land ging an Josef enthalten drei Stammbäume, die von
(durch Ephraim und Manasse) und der Heman, einem Kehatiter (V. 18-23),
doppelte Anteil, was die Führerschaft Asaf, einem Gerschoniter (24-28), und
betraf, ging an Juda. Etan, einem Merariter (29-32). Sie waren
Die Gaditer werden in den Versen 11- die Vorsteher der Sänger, die David in
17 verzeichnet. Die Führer des halben den Dienst des Herrn berief (V. 16-17).
Stammes Manasse werden in den Ver- Heman war vielleicht der Autor von
sen 23 und 24 aufgezählt. Psalm 88. Er war ein Nachkomme Sa-
Der Rest des fünften Kapitels enthält muels. Es gibt Psalmen, die Asafs Na-
einen kurzen Bericht über den Glauben men enthalten ‒ z.B. Psalm 50 und die
dieser Stämme. Gemeinsam hatten sie Psalmen 73-83. Etan war vielleicht der
erfolgreich gegen die Hagariter (Isma­e­ Autor von Psalm 89.
liten) (V. 10.19-22) gekämpft. Mit einer 6,39-66 Der Rest des Kapitels enthält
kleinen Armee von 44.760 Mann hatten eine Auflistung der Städte und Weide-
sie einen deutlich überlegenen Feind plätze, die den Leviten von den ande-
geschlagen. Sie hatten ihrem Gott ver- ren Stämmen gegeben wurden. Dies
traut (V. 20), und er gab ihnen Sieg und war in Übereinstimmung mit dem Ge-
reichliche Beute (V. 21). bot des HERRN, das er durch Mose ge-
Weil sie ständig mit den umgebenden geben hatte (4. Mose 35,1-8). Dieses Ge-
götzendienerischen Nationen in Kon- bot ist unter der Aufsicht Josuas ausge-
takt waren, hurten sie den Göttern der führt worden (Josua 21).
Völker des Landes nach, die Gott vor
ihnen vertilgt hatte (V. 25). Sie wandten 5. Issaschar (7,1-5)
sich den Göttern zu, die die Ismaeliter Sechs Stämme werden in Kapitel 7 er-
nicht zu retten vermocht hatten, und wähnt:
verließen den einen wahren Gott, in Issaschar (V. 1-5)
dessen Kraft sie gesiegt hatten. Gott gab Benjamin (V. 6-12)
sie daraufhin in die Hand des assyri- Naftali (V. 13)

418
1. Chronik 7 und 8

Der halbe Stamm Manasse westlich des 9. Ephraim (7,20-29)


Jordans (V. 14-19) Der Schreiber behandelt den Stamm
Ephraim (V. 20-29) Ephraim sehr ausführlich, um die Linie
Asser (V. 30-40) Josuas, des berühmtesten Ephraimiten
Diese Stammbäume sind nicht an­ der alten Geschichte, nachzuzeichnen.
nähernd so vollständig wie die von Männer, die Heldentaten für Gott voll-
Juda oder Levi ‒ vielleicht deshalb, weil bringen, sind eine Ehre für ihre Familie
weder der Thron noch das Priesteramt und werden in liebevoller Erinnerung
hier betroffen sind. behalten. Sie sind ein Vorbild für die
folgenden Generationen.
6. Benjamin (7,6-12)
Obwohl der Stamm Benjamin aufgrund 10. Asser (7,30-40)
seiner Torheit (Richter 20) einmal auf Die vier Söhne Assers und ihre Schwe-
600 Männer reduziert worden war, ster Serach stimmen mit der Liste in
scheint er seine Stärke und Größe zu- 1. Mose 46,17 überein. Ihre Nachkom-
rückgewonnen zu haben. Benjamins men waren auserwählte, kriegstüchtige
Nachkommen sind in Kapitel 8 noch Männer, Anführer des Volkes.
einmal aufgelistet. Hier in Kapitel 7
liegt der Schwerpunkt auf Benjamin in 11. Benjamin (Kap. 8)
seiner Beziehung zum übrigen Volk. Im 8,1-28 Benjamin, Juda und einige aus
folgenden Kapitel hingegen liegt er auf den Stämmen Simeon und Levi bilde-
seiner Beziehung zu Saul und Jeru­ ten das südliche Königreich, das in die
salem. babylonische Gefangenschaft geführt
wurde. Die meisten der Israeliten, die
7. Naftali (7,13) unter Nehemia nach Juda zurückkehr-
Die vier Söhne Naftalis wurden »Söhne ten, kamen aus diesen Stämmen, daher
der Bilha« genannt, denn sie war Nafta- wurde ihnen in diesen Geschlechts­
lis Mutter.9 Weitere Nachkommen die- registern so viel Platz gewidmet.
ser vier Söhne werden nicht erwähnt. Die Benjamiter werden hier umfas-
sender besprochen als in 7,6-12. Bei ei-
8. Der halbe Stamm Manasse westlich des nem Vergleich dieser beiden Listen und
Jordans (7,14-19) der Angaben aus 1. Mose 46,21 und
Von den Nachkommen Manasses, die 4. Mose 26,38-41 helfen uns folgende
östlich des Jordans in Gilead und Ba- Prinzipien, die scheinbaren Ungereimt-
schan lebten, wurde in 5,23-24 berich- heiten zu verstehen:
tet. Dieser Abschnitt behandelt die an- 1. Einige Männer hatten mehr als ei-
dere Hälfte des Stammes, die sich in nen Namen.
Kanaan, westlich des Jordans, nieder- 2. Die Schreibweise einiger Namen
gelassen hatte. hatte sich über die Jahre verändert.
Ein Nachkomme Manasses sticht in 3. Die Namen einiger Männer fehlen,
diesem Geschlechtsregister hervor. Ze­ da sie früh oder kinderlos starben.
lofhad hatte nur Töchter. Sie werden na- 4. Das Wort, das mit »Sohn« übersetzt
mentlich in Josua 17,3 aufgeführt und wird (hebr. ben), kann Sohn, Enkel, Ur-
im Zusammenhang mit dem Erbe er- enkel usw. bedeuten.
wähnt, das der Herr Frauen in solchen 5. Einige Namen wurden ausgelas-
Fällen versprochen hatte (4. Mose 27, sen, da sie für die Zielsetzung der Chro-
1-11). Jüdische Frauen hatten besondere niken unbedeutend sind.
Rechte zu einer Zeit, in der die meisten 8,29-40 Saul, ein Benjamiter, war Is­
heidnischen Frauen so gut wie keine raels erster König. Sein Stammbaum ist
hatten. hier und in 9,35-44 aufgeführt. Hier
sind nur die Nachkommen seines Soh-

419
1. Chronik 8 bis 11

nes Jonatan, des Freundes Davids, an- Saul hatte weitere Söhne, die nicht von
gegeben. Merib-Baal (V. 34) ist ein an- den Philistern getötet wurden (2Sam
derer Name für Mefi-Boschet.10 2,8; 21,1-8). Doch selbst sie entkamen
Die Stammbäume Dans und Sebulons schließlich nicht dem Schicksal, das zu-
sind hier nicht aufgeführt. (Dan wird vor ihren Vater ereilt hatte (2Sam 21,1-
auch in anderen Teilen der Bibel ausge- 8).
lassen – bemerkenswerterweise in Of- 10,11-12 Nachdem sie von Saul und
fenbarung 7.) seinen Söhnen gehört hatten, marschier-
ten die tapferen Männer von Jabesch-
D. Die aus der Gefangenschaft Gilead die ganze Nacht hindurch, um
Zurückgekehrten (9,1-34) ihre Leichen von den Philistern zurück-
Die Verse 2-9 erwähnen kurz einige zuholen. Dann verbrannten sie ihre
Söhne Judas und Benjamins, die nach Knochen und fasteten sieben Tage lang.
Jerusalem zurückkehrten. Sie waren Fa- Damals hatte Saul ihre Stadt vor
milienoberhäupter über ihre Vaterhäu- Nahasch, dem Ammoniter, gerettet
ser (V. 9). Die Verse 10-13 erwähnen die (1. Samuel 11). Diese tapferen Männer
Priester, während die Verse 14-34 die hatten seine Güte nicht vergessen.
anderen zurückgekehrten Leviten nen- 10,13-14 Diese Verse nennen uns zwei
nen und einige ihrer Dienste beschrei- Gründe für Sauls Tod. Er hatte das Wort
ben. Eine weitere Liste der Zurück­ des HERRN nicht gehalten (siehe 1. Sa-
gekehrten findet sich in Nehemia 11. muel 13 und 15), und er hatte ein Medi-
um befragt (siehe 1. Samuel 28).
E. Der Stammbaum Sauls (9,35-44) Dieser kurze Bericht über Saul macht
9,35-44 Die letzten zehn Verse des neun- den Weg für die Geschichte Davids frei,
ten Kapitels, die im Prinzip mit 8,29-40 des Mannes, den Gott erwählt hatte, um
identisch sind, enthalten die Abstam- über sein Volk Israel zu herrschen.
mung Sauls. Sie bereiten die Bühne für
den historischen Abschnitt von 1. Chro- III. Die Regierung Davids
nik (Kap. 10-29). Sauls Geschichte ist in (Kap. 11-29)
1. Samuel 9-31 aufgezeichnet. A. Davids Armee (Kap. 11-12)
II. Der Tod Sauls (Kap. 10) 1. Davids tapfere Krieger (Kap. 11)
10,1-5 Ein ähnlicher Bericht über den 11,1-3 Die Chroniken erwähnen die
Tod Sauls und seines Sohnes findet sich kurze und erfolglose Regentschaft Isch-
in 1Sam 31,1-13. C.H. Spurgeon be- Boschets (2. Samuel 2-4) nicht, sondern
merkt zu Vers 5: gehen gleich zu Davids Krönung in
Hebron über (vgl. 2. Samuel 5).
Obwohl wir mit aller Schärfe den Selbst- 11,4-9 Davids erste Amtshandlung
mord verurteilen, können wir nicht an- bestand darin, sich eine Hauptstadt zu
ders, als die Treue des Waffenträgers zu sichern. Diese Verse berichten darüber,
bewundern – eine Treue bis in den Tod. wie Jerusalem eingenommen wurde
Er wollte seinen Herrn nicht überleben. (vgl. 2Sam 5,6-10).
Sollte dieser Mann für Saul leben und Davids Neffe Joab, der Sohn der Ze-
sterben, und wir verraten unseren könig- ruja, war auch Befehlshaber seiner
lichen Herrn, den Herrn Jesus?11 Streitkräfte. Bei der Einnahme Jerusa-
lems bewies er großen Mut und Kühn-
10,6-10 Im Zusammenhang mit Sauls heit. Wie David es versprochen hatte,
Tod sollten einige Dinge bemerkt wer- wurde er zum Führer der Armee Israels
den. »Sein ganzes Haus starb zugleich« ernannt. Obwohl er ein tapferer Krieger
(V. 6) bezieht sich nur auf die Angehöri- war, war Joab ein rücksichtsloser Mann.
gen, die mit ihm kämpften (1Sam 31,6). Er wird nicht zusammen mit den Hel-

420
1. Chronik 11

den Davids aufgeführt, vielleicht auf- Jesus leben, um die Sehnsucht seines
grund seines skrupellosen Charakters. Herzens zu kennen? Wo sind die Män-
11,10 Die Liste der Krieger Davids ner und Frauen, die alles wagen, um
steht am Beginn seiner Regentschaft. In seine Seele zu erquicken, indem sie ihm
2. Samuel 23 wird eine ähnliche Liste einen frischen Trunk von einem Mis­
am Ende seiner Regentschaft auf­ sionsfeld bringen, in dem Mangel
geführt. Diese tapferen Helden stießen herrscht? Diejenigen, die so etwas tun,
in unterschiedlichen Zeiten seiner Kar- werden gewiss unter seine tapferen
riere zu ihm. Einige kamen, als er in der Helden gerechnet werden.
Höhle Adullam war (vgl. V. 15-19). Ei- 11,20-21 Abischai, der Bruder Joabs, war
nige kamen in Ziklag zu ihm (12,1-22). der am meisten geehrte unter den Drei-
Wieder andere kamen, als er in Hebron en12. Die Schriften zeigen uns, dass Abi­
König wurde (12,23-40). schai ein Mann unwandelbarer Hin­­­­­­­­­­­
Es folgt eine Liste mit einigen von Da- gabe an David war. Er ging mit David
vids »tapferen Helden« sowie einigen in Sauls Lager (1. Samuel 26), er war mit
ihrer mächtigen Taten. David, als er während Absaloms Revol-
11,11 Joschobam: Mit nichts als einem te aus Jerusalem floh (2. Samuel 16), er
Speer besiegte er im Alleingang 300 unterdrückte die Revolte Schebas
Mann. Gott schenkte ihm einen über­ (2. Samuel 20), er rettete David vor dem
natürlichen Sieg über die Feinde Is­raels. Riesen Jischbi (2. Samuel 21), und auf
Auch heute können tapfere Männer viele andere Arten diente er treu sei-
außer­gewöhnliche Dinge für Gott tun, nem König (2Sam 10,18; 1Chr 18).
indem sie ihm vertrauen und entschie- Selbstloser Mut verbunden mit er­
den gegen den Feind der Menschen­ gebener Treue macht aus jedem einen
seelen kämpfen. wertvollen Freund und Diener des
11,12-14 Eleasar, der Sohn des Dodo: Zu- Königs der Könige.
erst sollten wir beachten, dass er »mit 11,22-25 Benaja: Sein Vater war ein
David war«. Er war treu gegenüber Da- Priester (1Chr 27, 5) und ein tapferer
vid und stand zu ihm, als alle anderen Mann. Benaja war der Anführer von
flohen. Und wofür hat er sein Leben ris- Davids persönlichen Leibwächtern. Ei-
kiert? Für ein Gerstenfeld! Es ging ums nige seiner Heldentaten sind hier auf-
Prinzip, nicht um den Besitz. Dieses gelistet. Später nahm er Joabs Platz als
Land gehörte nach der Verheißung Is- Führer der israelischen Armee ein (1Kö
rael, und die Philister sollten nicht ei- 2,34-35). In seinen Siegen haben wir ein
nen Fußbreit davon besitzen. Heute Bild für das Überwinderleben, das der
müssen die Christen erkennen, dass sie Welt (dem ägyptischen Riesen), dem
Gott gehören und dem Satan nicht er- Fleisch (Moab) und dem Teufel (dem
lauben dürfen, in ihrem Leben einen brüllenden Löwen) gegenübertritt und
Stützpunkt zu behalten, auch nicht in sie besiegt.
scheinbar unwichtigen Bereichen. 11,26-47 Obwohl in diesen Versen
11,15-19 Die drei Männer von Adullam: keine Heldentaten genannt werden,
Sie waren mit David in seiner Not und sind die Namen derjenigen, die David
kannten die Sehnsucht seines Herzens. heldenhaft gedient haben, sorgfältig
Sie riskierten ihr Leben, um ihm Wasser aufgeführt. Einige dieser Namen sind
vom Brunnen in Bethlehem zu bringen, sehr interessant. Einige Beispiele:
das seinen Geist erfrischen würde. Sie Zelek, der Ammoniter (V. 39), und Jitma,
taten es nicht, um Ehre zu empfangen, der Moabiter (V. 46): Sie waren geborene
denn ihre Namen werden nicht er- Feinde Israels. Doch finden sie sich hier
wähnt, sondern, um David zu erfreuen. im Dienst des Königs von Israel. Wir
Wo finden wir heute die Männer und alle sind von Geburt her Feinde Gottes,
Frauen, die nahe genug bei dem Herrn aber durch seine Gnade können auch

421
1. Chronik 11 bis 13

wir einen Platz in der Armee des Kö- derte, dass David im Exil bei den Philis-
nigs bekommen. tern gegen Israel kämpfen musste. Au-
Uria, der Hetiter (V. 41): Er gehörte zu ßerdem gab er ihm Sieg über die Amale-
einer Gruppe von Menschen, die bei kiter, die Ziklag angegriffen und seine
der Eroberung des gelobten Landes Familie gefangen genommen hatten.
ausgerottet werden sollten (5. Mose 7,1- Die östlichen Stämme erscheinen mit
2). Aber hier ist er ein Krieger Davids. vielen Kriegern (V. 38), wohingegen die
David zeigte sich seiner Loyalität nicht dichter an Hebron liegenden mit klei-
würdig, als er anordnete, ihn umzu- neren Heeren vertreten sind ‒ beispiels-
bringen, damit er seine Frau Batseba für weise Juda, Simeon usw. (vgl.
sich haben konnte (2. Samuel 11). V. 25.26ff.).
Nun, da Israel vereint um seinen von
2. Davids treue Gefährten (Kap. 12) Gott ernannten König versammelt war,
Kapitel 11 handelt von den Einzelperso- gab es viel Freude, Feste und Segen
nen, die sich ganz mit David identifi- (V. 40). Der Unfriede und die durch
zierten. Dieses Kapitel behandelt im We- Sauls Ungehorsam entstandene Tren-
sentlichen die Stämme und ihre Ober- nung waren Vergangenheit. Nun würde
häupter, die sich mit David verbünde- Israel unter seinem gottesfürchtigen
ten. Jeder Stamm ist in diesem zwölften Hirten und König Wohlergehen finden.
Kapitel aufgelistet, von denen, die zu
David kamen, als er sich versteckte (vgl. B. David bringt die Bundeslade nach
V. 1-23), bis hin zu denen, die in Hebron Jerusalem (Kap. 13-16)
(nach dem Tod Isch-Boschets) zu ihm 13,1-8 Das dreizehnte Kapitel berichtet
kamen (vgl. V. 23-41). »Und auch alle von Davids erstem Versuch, die Bun-
Übrigen in Israel waren eines Herzens, deslade in die neu erworbene könig­
David zum König zu machen … denn es liche Hauptstadt zu bringen.
war Freude in Israel« (V. 39.41). Unter Sauls Regierung war die Bun-
Viele, die Schwierigkeiten und Nöte deslade vernachlässigt worden. Die
hatten, waren zuvor zu David gekom- Philister hatten sie geraubt und nach
men, um Schutz zu finden (1Sam 22,1- sieben Monaten nach Kirjat-Jearim zu-
2). Aber nun kamen diese Männer, um rückgebracht, wo sie im Haus Abina-
ihm beizustehen, damit er den Thron dabs, eines Leviten, aufbewahrt wurde
empfing, der ihm aufgrund göttlicher (1. Samuel 4-7). Nach Davids Anwei-
Anordnung zustand. Heute braucht sung luden nun Usa und Achjo die Lade
das Reich Gottes Männer und Frauen, auf einen neuen Wagen, um sie nach Je-
die von Gott ausgerüstet (V. 2), schnell rusalem zu bringen. »Schihor Ägyp-
und geübt (V. 9) und stark im Glauben tens« verweist evtl. auf den »Bach
sind ‒ fähig, einer mächtigen Über- Ägyptens« (Wadi el-Arisch).
macht zu trotzen und die Feinde in die 13,9-12 Als die Ochsen stolperten,
Flucht zu schlagen (V. 15-16), voll Geis- streckte Usa seine Hand aus, um die
tes und selbstlos an Jesus hingegeben Bundeslade festzuhalten. Sofort schlug
(V. 33), Menschen mit einem ungeteil- Gott ihn, und er starb. Das Gesetz ver-
ten Herzen (V. 34)! bot jedermann, sogar den Priestern, die
Zu Recht fragt David die Söhne Ben- Lade zu berühren (4. Mose 4,15). Die
jamins und Judas nach ihren Absichten Priester luden sie auf Stangen und tru-
(V. 18), denn früher ist er von einigen gen diese auf ihren Schultern, kamen
aus ihren Reihen verraten worden aber nie in direkten Kontakt mit der
(1. Samuel 23). Lade. Der Ort wurde von da an Perez-
Die historischen Ereignisse, auf die in Usa (»Wegreißen des Usa«) genannt.
den Versen 20-23 verwiesen wird, finden David fürchtete sich nun sehr davor,
sich in 1. Samuel 29 und 30. Gott verhin- die Lade nach Jerusalem zu bringen.

422
1. Chronik 13 bis 16

13,13-14 So wurde die Lade stattdes- von Perez-Usa (Kap. 13) bereitete sich
sen ins Haus Obed-Edoms, des Gatiters, David noch einmal darauf vor, die Bun-
gebracht. Dort verweilte sie drei Mo- deslade in die Hauptstadt Jerusalem zu
nate und brachte großen Segen für die­ bringen. Diesmal jedoch erforschte er
jenigen, die sie aufnahmen. zunächst fleißig das Gesetz und han-
14,1-2 Nachdem David als König über delte dann entsprechend.
ganz Israel bestätigt war, sandte Hiram, Ein Zelt wurde statt eines Hauses für
der König von Tyrus, Männer und Ma- die Lade vorbereitet, denn diese Vorga-
terial, um David ein Haus zu bauen. be fand sich im Gesetz. Das Zelt wurde
Dies war der Beginn einer langen und vermutlich in derselben Art und Weise
engen Freundschaft, die bis in die Re- hergestellt wie dasjenige, das während
gierung Salomos hineinreichte. Israels Wanderung (2. Mose) benutzt
14,3-7 David versündigte sich gegen wurde. Jedoch war die Lade die einzige
Gott, indem er sich viele Frauen nahm. Ausstattung des Zeltes. Die Stiftshütte
Dies war in 5. Mose 17,17 ausdrücklich und ihre Einrichtung waren in Gibeon
verboten worden. Die Chroniken er- (16,39) bis zu den Tagen Salomos.
wähnen den Verstoß, aber nicht die Tat- 15,4-15 Dann versammelte David die
sache, dass es sich hierbei um eine Sün- Oberhäupter des Stammes Levi. Die
de handelte. Die ersten vier in Vers vier Oberpriester Zadok und Abjatar (1. Kö-
erwähnten Kinder waren Söhne Batse- nige 4,3) wurden bei dieser Gelegenheit
bas (1Chr 3,5). 2. Samuel 11 berichtet ebenfalls berufen (V. 11). Nun wurde
von Davids ungesetzlicher Affäre mit die Bundeslade von den richtigen Män-
ihr. Jedoch sehen wir sogar hier das nern auf die richtige Art und Weise ge-
Wirken der göttlichen Gnade. Zwei die- tragen, »wie Mose es geboten hatte nach
ser Kinder erscheinen auch im Stamm- dem Wort des HERRN« (V. 15). Deshalb
baum unseres Herrn: Nathan (Lk 3,31), waren diese Bemühungen von Erfolg
ein Vorfahre Marias, und Salomo (Mt gekrönt (16,1).
1,6), ein Vorfahre Josefs. 15,16-29 Der Psalmist Israels traf auch
14,8-17 Nachdem die Philister gehört ausführlich Vorsorge für freudige Mu-
hatten, dass David König von Israel ge- sik zum Lob Gottes, die die Lade beglei-
worden war, kamen sie, um ihn anzu- ten sollte. Einige sangen, andere spiel-
greifen. David befragte Gott (V. 10) und ten Musikinstrumente. David hüpfte
errang einen spektakulären Sieg. Die und ließ Musik auf Streichinstrumen-
Götzen, die ihre Anbeter nicht vor dem ten und Harfen machen, und alle waren
lebendigen Gott retten konnten, wur- mit Freude erfüllt. Jedoch gab es einen
den weggebracht (2Sam 5,21) und ver- Missklang in dieser fröhlichen Sym-
brannt (V. 12). Nachdem sich die Philis- phonie: Michal, Davids Frau, spottete
ter erholt hatten und für einen zweiten (V. 29, vgl. 2Sam 6,16 ff.)
Angriff zurückkamen, befragte David 16,1-3 Sobald die Lade ins Zelt hin-
wieder den Herrn. Er erwartete nicht, eingebracht worden war, wurden Opfer
dass Gottes Führung dieselbe sein wür- dargebracht. Die Brandopfer waren der
de. Dieses Mal gab Gott den Sieg durch höchstmögliche zeremonielle Ausdruck
einen völlig anderen Schlachtplan. von Anbetung (3. Mose 1). Dieses Opfer
Diese Siege brachten Furcht in die wurde vollkommen verbrannt und ging
Herzen der benachbarten Nationen. in Rauch auf, um allein von Gott genos-
Man beachte die Verbindung zwischen sen zu werden.
Vers 16 und Vers 17. »Und David mach- Die anderen Opfer, die hier dar­
te es so, wie Gott ihm geboten hatte … gebracht wurden, waren die Friedens-
Und Davids Ruhm ging aus in alle Lan- opfer. Das waren die einzigen levi-
de« (Schlachter 2000). tischen Opfer, an denen jedermann ei-
15,1-3 Drei Monate nach der Tragödie nen Anteil hatte. Das Fett und die Nie-

423
1. Chronik 16 und 17

ren wurden dem HERRN auf dem Altar 16,35-36 Dieses Abschlussgebet ist
geopfert. Ein Teil des Rests ging an den fast identisch mit Psalm 106,47-48.
opfernden Priester. Was übrig blieb, 16,37-43 David achtete sorgfältig dar-
wurde dem Opfernden gegeben, der es auf, Leviten zu bestimmen, die die An-
mit seiner Familie und seinen Freunden betung des HERRN weiterführten, so-
vor dem HERRN teilen sollte (3. Mose wohl vor der Bundeslade in Jerusalem
4). Das Friedensopfer ist ein Bild für als auch in Gibeon, wo sich immer noch
Gemeinschaft mit dem Herrn und für die Stiftshütte und der Brandopferaltar
das Mitteilen all der guten Dinge, die befanden. In Jerusalem bestimmte er
vom Herrn kommen. Sowohl Friedens- Sänger, Torhüter und Trompeter, alle
als auch Brandopfer waren ein wich- unter Abjatar. Die Priesterschaft Zadoks
tiger Bestandteil der Feste und feier- diente in Gibeon. Die Hauptbetonung
lichen Anlässe, und dies war ganz ge- dieses Abschnitts liegt auf den Musi-
wiss ein Festtag für ganz Israel. Jeder- kern. Möglicherweise werden in Vers
mann erhielt eine Portion Nahrungs- 38 zwei verschiedene Obed-Edoms und
mittel, bevor er nach Hause ging (V. 3). in Vers 38 und 42 zwei verschiedene Je-
16,4-7 Als Nächstes sorgte David da- dutuns erwähnt.
für, dass der Dank und das Lob gegen- Nun, da die Bundeslade in Jerusalem
über Gott täglich weitergingen und ihre Bleibe gefunden hatte, gingen alle
nicht auf besondere Anlässe beschränkt nach Hause, und auch David kehrte zu-
wurden (siehe auch V. 37-42). Die Levi- rück, um seinem Haus den Segensgruß
ten wurden dazu beauftragt, dem Herrn zu bringen.
zu danken, ihn zu preisen und seiner
zu gedenken ‒ mit Instrumenten und C. Davids Verlangen, den Tempel zu
Gesang. bauen, und Gottes Antwort darauf
16,8-22 Der bei dieser Gelegenheit (Kap. 17)
niedergeschriebene Psalm hat zwei Das siebzehnte Kapitel gliedert sich in
Hauptteile. Die Verse 8-22 richten sich drei Teile: Davids Verlangen, Gott ein
an Israel, die Verse 23-34 an alle Natio- Haus zu bauen (V. 1-2), Gottes Ent-
nen. Die Verse 35 und 36 schließen den schlossenheit, David ein Haus zu bauen
Psalm ab. Es handelt sich um eine Zu- (V. 3-15), und Davids Gebet als Antwort
sammensetzung der Psalmen 105,1-15; darauf (V. 16-27). 2. Samuel 7 ist die Par­
96,1-13; 16,1.47.48. allelstelle hierzu.
In den Versen 8-22 werden die Israeli- 17,1-4 David erzählt dem Propheten
ten dazu angehalten, die Größe des Nathan, dass ihm nicht wohl dabei ist,
HERRN zu besingen und sein Ange- in einem luxuriösen Haus zu wohnen,
sicht zu suchen. Sie sollten sich an seine während sich die Bundeslade in einem
Taten erinnern, zum einen an die Wun- Zelt befand. Sein Verlangen, dem Herrn
der, die er in der Vergangenheit getan ein Haus zu bauen, trifft auf Nathans
hatte, und zum anderen an seinen Bund, übereilte Zustimmung. Dann aber kor-
die bedingungslosen Verheißungen, die rigiert Gott Nathan: David ist nicht der
er ihren Vätern gegeben hatte. Mann, der hierfür auserwählt wurde.
16,23-34 Nun erweitert der Psalmist 17,5-6 Die Lade Gottes war nie in
sein Blickfeld auf die ganze Erde und einem festen Haus untergebracht ge­
fordert alle Menschen auf, von der wesen, sondern in einem Zelt. Auch
Herrlichkeit Gottes zu erzählen. Furcht hatte Gott bis zu diesem Zeitpunkt nie-
gebührt ihm als dem Gott der Schöp- mals angeordnet, solch ein Haus zu
fung, Herrlichkeit als dem Gott der bauen. Später offenbart David seinem
Pracht, Stärke und Majestät und Freude Sohn Salomo etwas, was hier nicht er-
als dem Gott, der seine Welt erhält und wähnt wird: Er hatte sich bezüglich der
regiert. Aufgabe, den Tempel zu bauen, disqua-

424
1. Chronik 17 und 18

lifiziert, weil sein Leben von zu viel bar«). Wie David sah er seine eigene
Blutvergießen und Gewalttat geprägt Unwürdigkeit und Schwachheit erhöht
war (22,7-8). Es war seinem Sohn, einem durch Gottes wirklich unfassbare Gna-
»Mann der Ruhe« (22,9), vorbehalten, de.14
die Lade zu ihrer Ruhe zu bringen.
17,7-15 Wie Gott in der Vergangenheit D. Davids Siege (Kap. 18-20)
in Gnade zu den Patriarchen geredet Die Ereignisse, die in diesen drei Kapi-
hatte, so erwählte er nun den Hirten- teln zusammengefasst werden, fanden
König Israels für unverdiente Segnun- geschichtlich nach Davids Krönung
gen aus. Diese bedingungslosen Ver- (Kap. 12) und vor dem Umzug der Bun-
heißungen sind als der davidische Bund deslade nach Jerusalem (Kap. 13-17)
bekannt. 2Sam 7,12-16 sowie Psalm 96 statt.
überliefern ebenfalls diesen Bund. John Viele der feindlichen Nachbarn Is­
Walvoord fasst diese Verheißungen zu- raels wurden nun unter die Vorherr-
sammen: schaft Israels gebracht, so wie es ur-
sprünglich von Gott vorgesehen war.
Die Bestimmungen des davidischen Bun- Bis zu diesem Zeitpunkt hatten Sünde
des enthalten Folgendes: (1) David wird und Ungehorsam die Israeliten unter
ein Kind haben, das noch geboren wer- Sklaverei gegenüber denen gehalten,
den soll, das ihm auf seinem Thron fol- über die sie hätten siegen sollen. Nun
gen und sein Königtum festigen wird. sandten diese heidnischen Nationen
(2) Dieser Sohn (Salomo) soll an Davids Tribut an Israel und erkannten damit
statt den Tempel bauen. (3) Der Thron dessen Überlegenheit und Macht an.
seines Königtums soll für immer Bestand 18,1-6 Die Philister, Moabiter, Syrer
haben. (4) Der Thron wird nicht von Sa- und Edomiter wurden alle besiegt, weil
lomo genommen werden, obwohl seine »der HERR dem David half, wohin er
Sünden eine Strafe rechtfertigen. (5) Da- zog«.
vids Haus, sein Thron und sein König- Vers 4 berichtet von einem weiteren
reich sollen für immer Bestand haben.13 Versäumnis Davids bei der Befolgung
der Gesetze für die israelitischen Köni-
Dieser Bund spielt wie auch die ande- ge (5. Mose 17,15-17). Erst nahm er sich
ren bedingungslosen Bündnisse, die mehrere Frauen (14,3), und nun nahm
Gott machte, eine wichtige Rolle in Got- er sich viele Pferde.
tes Handeln an der Menschheit. Er wird 18,7-11 Großer Wohlstand wurde
an mehreren anderen Stellen der Schrift nach diesen Siegen angehäuft. So wur-
erwähnt (Jesaja 9; Jeremia 23,33; Hese- den zum Beispiel allerlei goldene, sil-
kiel 37; Sacharja 14). Er wird seine letzt- berne und bronzene Geräte gebracht
endliche Erfüllung in dem Herrn Jesus und dem Herrn geheiligt. Später wur-
Christus finden, dem der Thron und den diese von Salomo für den Bau des
das Königreich für immer gehören. Tempels genutzt.
17,16-27 Nachdem David dies gehört 18,12-13 Die 18.000 von Abischai Ge-
hatte, kam er vor den Herrn und schütte- töteten wurden in der Parallelstelle
te ihm sein Herz in einem glaubensvol- 2. Samuel 8,13 David zugeschrieben.
len Gebet aus. Seine Antwort zeigt uns Man beachte den Kommentar dort zur
zwei seiner herausragenden Charakter- Auflösung dieses scheinbaren Wider-
eigenschaften: Demut und Vertrauen auf spruchs.
den Herrn. Die Verse 16 und 17 inspirier- 18,14-17 Davids Feinde bekamen sei-
ten den ehemaligen Sklavenhändler und nen Zorn zu spüren, aber sein Volk
späteren Prediger John Newton zu sei- genoss seine Rechtschaffenheit und Ge-
nem berühmten geistlichen Lied »Ama- rechtigkeit. Er war nicht nur ein guter
zing Grace« (»O Gnade Gottes wunder- Feldherr, sondern auch ein fähiger Ver-

425
1. Chronik 18 bis 21

walter. Davids Offiziere und Beamte und die Krone des besiegten Königs
sind hier genauso wie in 2Sam 8,16-18 wurde auf Davids Haupt gesetzt.
aufgelistet. Gott gefällt es, diejenigen, 20,3 Dieser Vers bezieht sich vielleicht
die ihm und seinen Leitern dienen, in nur auf die Kriegsleute. Der hebräische
Erinnerung zu behalten. Wortlaut ist hier etwas unklar; die von
19,1-4 Nahasch hatte in den Tagen einigen Kommentatoren angebotene
Sauls gegen Israel gekämpft (1. Samuel Wiedergabe besagt, dass das Volk zur
11). Offensichtlich hatte er aber wäh- Zwangsarbeit verpflichtet wurde (siehe
rend Sauls Regentschaft David einen Anmerkungen zu 2. Samuel 12).
nicht genau festgehaltenen Dienst er- 20,4-8 Im Kampf mit Israels ständigen
wiesen. Daher wurden Botschafter ge- Feinden, den Philistern, wurden drei
sandt, um seinen Sohn Hanun über den Riesen getötet. Sibbechai tötete Sippai
Tod seines Vaters zu trösten. Aber Ha- bei Geser, Elhanan tötete Lachmi (der in
nun folgte seinen unweisen Beratern 2. Samuel 21 Goliath genannt wird),
und behandelte die Botschafter verächt- und Davids Neffe Jonatan (der Sohn
lich. seines Bruders Schima oder Schamma)
19,5-7 Aus Furcht vor Vergeltungs- erschlug einen Riesen, der sechs Finger
maßnahmen stellten die Leute von Am- und sechs Zehen hatte. Matthew Henry
mon Söldner ein und bereiteten sich auf wendet diese Verse für uns an:
einen Krieg vor.
19,8-15 Zusammen mit seinem Bru- Die Knechte Davids erwiesen sich, ob-
der Abischai besiegte Joab die verbün- wohl sie ganz gewöhnliche Männer wa-
deten Heere Ammons und Syriens ren, bei jedem Zusammentreffen als zu
(Arams). Joabs Ermunterung in Vers 13 stark für die Riesen von Gat, weil sie Gott
motivierte die Israeliten und zeigte, auf ihrer Seite hatten … Wir müssen kei-
dass er die richtige Einstellung hatte, ne Angst haben, wenn große Männer ge-
als er in den Kampf trat. gen uns sind, solange wir den großen
19,16-19 Die Syrer (Aramäer) sandten Gott auf unserer Seite haben. Was bringt
nach ihren Verwandten jenseits des ein Finger mehr an jeder Hand oder ein
Flusses und planten, ihre jüngste Nie- weiterer Zeh an jedem Fuß im Kampf ge-
derlage zu rächen. David erkannte die gen den Allmächtigen?15
Gefahr, zog seine Heere schnell zusam-
men und ging in die Offensive. Die E. Die Volkszählung und die Pest
überrumpelte Armee unter der Füh- (Kap. 21)
rung Schobachs war Israel nicht ge- Wenn man dieses Kapitel mit 2. Samuel
wachsen, und so wurden die stolzen 24 vergleicht, ist zunächst nicht klar,
Syrer dem David dienstbar. wer hinter Davids Sünde stand, als er
20,1-2 Joab wurde von David gegen das Volk zählen wollte. 2. Samuel
Rabba (das heutige Amman) gesandt, spricht davon, dass der HERR David
während er selbst in Jerusalem blieb dazu reizte, das Volk zu zählen, weil
(2Sam 12,1). Die Belagerung dauerte sein Zorn gegen diese Nation entbrannt
wahrscheinlich zwei Jahre. Während war. Hier wird uns gesagt, dass Satan
dieser Zeit verwickelte sich David in ihn zu dieser Handlung anstachelte.
eine Beziehung mit Batseba, der Frau Beide Aussagen sind natürlich richtig.
Urias, eines der dreißig »mächtigen Gott erlaubte Satan, David zu ver­
Helden«. 2. Samuel 12 berichtet von suchen. Gott ist nicht der Urheber des
Davids Sünde und seiner Wiederher- Bösen, aber er lässt es zu und bewirkt,
stellung. Doch getreu ihrer Form be- dass es seinen festgesetzten Zwecken
richten die Chroniken hier nicht davon. dient.
Joab forderte David auf, zu kommen, Zu den Unterschieden zwischen den
als die Stadt kurz vor ihrem Fall stand, Zahlen in diesem Kapitel und den Zah-

426
1. Chronik 21

len, die uns in 2. Samuel 24 gegeben David seine Zurechtweisung ertrug,


werden, siehe die Anmerkungen.16 mag sich für uns alle als hilfreich erwei-
21,1-7 Joab war von Anfang an gegen sen – ganz besonders für diejenigen, die
die Volkszählung und nicht sehr gewis- eine leitende Position innehaben.
senhaft darin, den königlichen Auftrag
auszuführen. Der Stamm Levi war aus- 1. Er legte ein sehr bußfertiges Bekennt-
genommen, vielleicht weil er über Israel nis seiner Sünde ab und betete ernsthaft
und Juda zerstreut war und seine Zäh- darum, dass sie ihm vergeben werde,
lung schwierig gewesen wäre. Benjamin V. 8. Dann gab er zu, dass er gesündigt
fehlt wahrscheinlich, weil die Zählung hatte, sehr gesündigt hatte, sich töricht
abgebrochen wurde, bevor sie diesen verhalten hatte, sehr töricht verhalten
Stamm erreichte (1Chr 27,24). Während hatte. Und er bat darum, dass, wenn er
der Volkszählung wurde kein Lösegeld auch dafür gezüchtigt würde, doch die
eingesammelt, wie es in 2. Mose 30,12 Ungerechtigkeit seiner Tat hinweggetan
angeordnet wurde. Davids Ungehor- würde. 2. Er akzeptierte die Strafe für
sam und Stolz hatte schlimme Folgen. seine Ungerechtigkeit: »Lass doch deine
21,8-15 Obwohl David schwer sün- Hand gegen mich und gegen das Haus
digte, war er sehr schnell bereit, dies zu meines Vaters sein«, V. 17. »Ich unterwer-
bekennen und sich vor Gott zu demüti- fe mich der Rute, nur lass mich derjenige
gen. Als ihm die Wahl der Strafe für sein, der leiden muss. Denn ich bin der
sein Fehlverhalten angeboten wurde, Sünder; auf mein schuldiges Haupt sollte
entschied er sich, »in die Hand des das Schwert zielen.« 3. Er vertraute sich
Herrn zu fallen«. Er wusste, dass der ganz der Gnade Gottes an (obwohl er
HERR barmherzig ist. Siebzigtausend wusste, dass Gott zornig auf ihn war)
Mann starben, bevor der Pest Einhalt und nährte keinen bitteren Gedanken
geboten wurde. ihm gegenüber. Wie immer es werden
Uns erscheint die Bestrafung hart. würde: »Lass mich doch in die Hand des
Wir alle haben Schwächen und werden HERRN fallen! Denn seine Erbarmun­
von Sünden bedrängt. David war nor- gen sind sehr groß«, V. 13. Gute Männer
malerweise demütig, aber in diesem denken gut von Gott, auch wenn er über
Fall fiel er in die alte Sünde des Teufels: sie zürnt. »Auch wenn er mich töten soll­
Stolz. Matthew Henry bringt die An- te, so will ich doch auf ihn vertrauen«
wendung für uns heute: [Hiob 13,15 nach KJV]. 4. Er brachte eine
sehr zarte Besorgnis über sein Volk zum
Er war stolz auf die Größe seines Volkes. Ausdruck, und es ging ihm zu Herzen,
Die göttliche Gerechtigkeit aber lenkte mit ansehen zu müssen, wie es für seine
den Gang der Ereignisse so, dass die Übertretung leiden musste: »Diese Scha­
Größe des Volkes verringert wurde. Zu fe, was haben sie getan?«18
Recht wird uns das genommen, ge-
schwächt oder bitter gemacht, worauf 21,18-26 Durch Gad wies Gott David
wir stolz sind.17 an, die Tenne Ornans (in 2Sam 24,16
Arauna genannt), eines Jebusiters, zu
21,16-17 Als David seine Augen erhob, erwerben, dort einen Altar zu errichten
bot sich ihm ein schrecklicher Anblick: und darauf Opfer darzubringen. Ornan
Der Engel des Herrn streckte das ge- bot David das Land als Geschenk an,
zückte Schwert über seinem geliebten aber der König bestand darauf, es zu
Jerusalem aus. Seine Reaktion war weit bezahlen. Vers 24 enthält ein wichtiges
besser als die der meisten Gläubigen, geistliches Prinzip. Wirkungsvolle
wenn sie bei einer schweren Sünde oder Opfer kosten immer einen Preis. Diese
Ungehorsam ertappt werden. Henrys Tenne wurde später der Standort des
Zusammenfassung in vier Punkten, wie Tempels (2Chr 3,1).

427
1. Chronik 21 bis 23

21,27-30 Auf Morija brachte Abraham genommen hatte, um für die große Auf-
den Isaak als Opfer dar (1. Mose 22). gabe Material und die Arbeiter zur Ver-
Hier wurde der Plage Einhalt geboten, fügung zu stellen. Er endete mit einem
als der Herr dem Engel befahl, sein Rat, den zu beherzigen allen Christen
Schwert wieder in die Scheide zu ste- gut tun würde: »Mache dich auf und
cken, wie wir in diesem Kapitel lesen. handle! Und der HERR sei mit dir!«
Hier stand der Tempel. Und wir glau- 22,17-19 Dann ermahnte der König
ben, dass es derselbe Berg, wenn auch die Führer Israels eindringlich, Salomo
nicht dieselbe Stelle, war, auf dem der beizustehen. Hier gilt es zu beachten,
Herr Jesus am Kreuz für die Sünde der dass das Werk Gottes zunächst eine
Menschheit starb. Frage des Herzens und dann des Tuns
Die Erkenntnis, dass diese Tenne das ist: »Richtet nun euer Herz darauf …
neue Zentrum der Anbetung werden und baut das Heiligtum.«
würde, mag Davids Angst begründen,
nach Gibeon zu gehen, um dort Füh- 2. Abteilungen und Pflichten der Leviten
rung zu erbitten. (Kap. 23-26)
23,1-3 Gegen Ende der Regentschaft
F. Vorbereitungen für den Tempelbau Davids wurden die Leviten gezählt
(Kap. 22-26) »von dreißig Jahren an und darüber« –
dem Alter, in dem sie ihren aktiven
1. Materialien, Männer und Motivation
Dienst beginnen konnten.
(Kap. 22)
23,4-5 Diese 38.000 Männer wurden
22,1-5 David erkannte, dass die Tenne dann in vier große Gruppen aufgeteilt:
(21,28) der zukünftige Standort des 24.000 Aufseher für den Tempel, 6.000
Tempels und des Brandopferaltars wer- Aufseher und Richter, 4.000 Torhüter
den würde. Daher begann er mit den und 4.000 Musiker und Sänger, die be-
Vorbereitungen für den Tempelbau, ob- ständig den HERRN anbeten sollten.
wohl er wusste, dass Salomo derjenige Diese Anweisungen waren göttlich in-
sein würde, der das Vorrecht erhielt, spiriert und wurden David durch seine
den Tempel zu bauen. Die in Vers 2 er- Propheten übermittelt (2Chr 29,25).
wähnten Fremdlinge waren die übrig 23,6-24 In den Versen 6-23 sind die le-
gebliebenen Kanaaniter des Landes vitischen Geschlechtsregister noch ein-
(1Kö 9,20-21). Israel hätte sie vernichten mal wiedergegeben: Die Gerschoniter
sollen, aber da es darin versagt hatte, (V. 7-11), Kehatiter (V. 12-20) (mit Mose
unterwarfen die Juden sie nun zur und Aaron, den bekanntesten aller Le-
Zwangsarbeit. viten) und die Merariter (V. 21-23).
22,6-13 David wandte sich in einer Gewisse priesterliche Aufgaben wa-
eher förmlichen Ansprache an Salomo ren ausschließlich Aaron und seinen
und erzählte ihm von seinem eigenen Söhnen für immer anvertraut worden
Verlangen, den Tempel zu bauen, von (V. 13). Räucheropfer darzubringen,
seiner Untauglichkeit, weil er ein Mann dem Herrn im Heiligen und Allerhei-
war, der viel Blut vergossen hatte, und ligsten (nur der Hohepriester) zu die-
von Gottes Verheißung, dass sein Sohn nen und in seinem Namen zu segnen
das Haus Gottes bauen sollte. Er bat dar­ (4. Mose 6,23-27), war den Priestern
um, dass der HERR mit Salomo sein vorbehalten.
und ihm Weisheit und Verständnis ge- 23,25-27 Als Nächstes werden die
ben möge. Er mahnte Salomo eindring- Verpflichtungen der Leviten aufgeführt.
lich, dem Gesetz des HERRN zu gehor- Sie mussten nicht länger die Stiftshütte
chen. und ihre Geräte tragen, wie es ihnen
22,14-16 Schließlich berichtete er Sa- von Mose befohlen worden war, da der
lomo von all den Mühen, die er auf sich Tempel ein festes Haus für Gott sein

428
1. Chronik 23 bis 27

würde. David setzte in seinen letzten 25,8-31 Sie wurden per Los in ihre 24
Worten das Mindestalter auf 20 Jahre Abteilungen bzw. Schichten eingeteilt,
herab, da mehr Arbeitskräfte für den wie es die Verse 8-31 überliefern.
Dienst im Tempel benötigt würden. 26,1-19 Als Nächstes werden Einzel-
23,28-32 Die 6.000 Richter wurden heiten bezüglich der Torhüter und der
wahrscheinlich auf ganz Israel verteilt, Tore, denen sie per Los zugeordnet
während die anderen Leviten im Zu- wurden, wiedergegeben. Hier finden
sammenhang mit dem Tempel ihren wir die Korachiter (V. 1). »Ihre Aufgabe
Dienst verrichteten. Die 24.000 Auf­ bestand darin, die Anmaßung zu ver-
seher kümmerten sich um die Bedürf- hindern, derer ihr Vater schuldig ge-
nisse der Priester bezüglich ihrer in den worden war (4. Mose 16). So sind die
Versen 28-32 aufgezählten Verpflich- Wege Gottes.«19 Hier findet sich auch
tungen. Obed-Edom, der die Bundeslade nach
24,1-19 In Kap. 24 wird uns erzählt, dem Tod Usas beherbergte. Gott hatte
wie die levitischen und priesterlichen seine Treue nicht vergessen.
Abteilungen aufgebaut waren. Es gab Vers 18 bedeutet, dass vier Torhüter
24 Vaterhäuser oder Abteilungen von oder Tempelwächter an einer Straße in
Priestern (V. 1-19) und 24 Abteilungen der Nähe eines Tores standen und zwei
von Leviten (V. 20-31). Im Rotationsver- weitere am anderen Ende der Straße,
fahren diente jede Abteilung nach ei- die zum Parbar führte ‒ vermutlich ein
nem Dienstplan im Tempel; jeder hatte Hof oder Säulengang, der sich im Wes-
dadurch die Möglichkeit, etwa zwei ten an den Tempel anschloss.20
Wochen im Jahr zu dienen. Zacharias 26,20-28 Einige Leviten waren dazu
(Lk 1,5) gehörte der achten Abteilung bestimmt, die Schätze des Tempels, die
an, der des Abija (V. 10). Beute und die dem Herrn geweihten
Die Vaterhäuser der zwei am Leben freiwilligen Gaben zu bewachen.
gebliebenen Söhne Aarons, Eleasar und 26,29-32 Eine dritte Gruppe von Levi-
Itamar, umfassten die Priesterschaft. ten war als Richter und Beamte ausge-
Sechzehn Abteilungen gehörten zu sondert worden – 1.700 westlich des
Eleasar und acht zu Itamar (V. 4). Das Jordans und 2.700 östlich des Flusses in
Los wurde in Anwesenheit Davids, der Gilead.
Häupter Israels sowie Zadoks und
Ahimelechs, der Priester, geworfen. Die G. Militärische und politische Führer
Ergebnisse wurden von Schemaja, dem (Kap. 27)
Schreiber, akribisch genau festgehal- 27,1-15 Ebenso wie die Leviten diente
ten. auch die Armee in Abteilungen. 24.000
24,20-31 Auch die Leviten warfen ihre Männer waren jeden Monat im Dienst.
Lose vor David und den Fürsten. An- Alle Befehlshaber werden unter Davids
scheinend bestimmte das Los darüber, Helden aufgeführt (Kap. 11 und 2. Sa-
welcher Abteilung jeder Mann zu­ muel 23).
geordnet wurde. 27,16-22 Die Stämme sind in einer be-
25,1-7 In Kap. 25 werden andere Söh- stimmten Ordnung aufgeführt. Zu-
ne Levis, die Sänger und Musiker, in nächst kommen die Söhne Leas in ihrer
ihre Abteilungen eingeteilt, damit sie korrekten Reihenfolge: die Rubeniter,
ihren heiligen Dienst verrichten konn- die Simeoniter, die Leviten, Juda, Is-
ten. Dies sind die Söhne Asafs (V. 2), Je- saschar und Sebulon. Dann die Söhne
dutuns (V. 3) und Hemans (V. 4-5). Die- Rahels: Josef (vertreten durch seine Söh-
se 288 Männer waren dazu bestimmt, ne Ephraim und Manasse) und Benja-
im Haus des Herrn zu singen, begleitet min. Die Kinder von Bilha werden da-
von Zimbeln, Harfen und Zithern nach aufgeführt (jedoch nicht in ihrer
(V. 6.7). chronologischen Reihenfolge): Naftali

429
1. Chronik 27 bis 29

und Dan. Die Söhne Silpas (Gad und vid an seinen Sohn. Vers 9 enthält einen
Asser) werden hier nicht erwähnt. Befehl, eine Verheißung und eine War-
27,23-24 Diejenigen, die zwanzig Jah- nung. Der Befehl: »Und du, mein Sohn
re und darunter waren, wurden in der Salomo, erkenne den Gott deines Vaters
von David angeordneten Volkszählung und diene ihm mit ungeteiltem Herzen
nicht berücksichtigt. Die Zählung wur- und mit williger Seele!« Die Verheißung:
de nie vollendet, da der Zorn Gottes auf »Wenn du ihn suchst, wird er sich von
Israel fiel, bevor Joab mit der Zählung dir finden lassen.« Die Warnung:
fertig wurde. David ordnete an (viel- »… wenn du ihn aber verlässt, wird er
leicht aus Scham über seine Sünde), dich verwerfen für ewig.«
dass das Ergebnis der vom Unglück Da der Herr Salomo dazu bestimmt
verfolgten Zählung nicht in die offi­ hatte, den Tempel zu bauen, sollte er
ziellen Aufzeichnungen aufgenommen mutig sein und dies auch tun.
werden sollte. 28,11-19 Wie bereits Mose vor ihm,
27,25-34 David hatte zwölf Beamte, musste Salomo nach der Vorlage des
die seine Haushaltsangelegenheiten durch Gottes Geist gegebenen Planes
verwalteten. Er hatte außerdem Rat­ bauen (wahrscheinlich wurde dieser in
geber und enge Freunde, die ihn berie- einer Vision empfangen). Es gab keinen
ten. Ahitofels traurige Geschichte fin- Raum für menschliche Vorstellungen
det sich in 2. Samuel 15 und 17. Er war und Erfindungskraft, weil der Tempel
wie Joab ein Mann mit großen Vor- ein Vorbild (Typus) auf Christus ist.
rechten, aber von schlechtem Charak- David gab Salomo die Pläne, die er un-
ter. Wie viel edler war Huschai, der ter der Inspiration des Geistes auf­
Freund des Königs. Ahitofel war ein gezeichnet hatte. Er hatte sogar die
selbstsüchtiger Opportunist, Huschai Rohmaterialien für jedes Ausstattungs-
ein selbstaufopfernder Diener. Jeder stück wiegen lassen. (Genauere An­
von ihnen erntete, was er gesät hatte gaben werden in 2. Chronik 2-4 ge­
(sie­he 2. Samuel 15-17). Beide dienten geben.) »Der Wagen der Cherubim von
dem König, aber sie hatten unterschied- Gold« (V. 18) bedeutet nach Unger
liche Motive. Der Opportunist arbeitet wahrscheinlich »die Cherubim als der
für seine eigene Ehre, der Diener für die Wagen, auf dem Gott Einzug hält oder
seines Herrn. auf dem er thront«.21
28,20-21 Nun hatte Salomo die Pläne,
H. Davids letzte Tage (Kap. 28-29) das Material lag bereit, die Tempel­
28,1-8 David versammelte in Jerusalem diener und Leviten waren alle in ihre
alle Führer der unterschiedlichen Ab- Dienste eingewiesen. Gott war mit ihm
teilungen sowie die Beamten und Füh- und würde ihn nicht im Stich lassen;
rer der Stämme. Ein weiteres Mal er- daher mahnte ihn sein Vater noch ein-
klärte er sein Verlangen, dem HERRN mal: »Sei stark … und handle!«
ein Haus zu bauen, und die Gründe, 29,1-9 Obwohl König David bereits so
warum es ihm nicht erlaubt worden viel für den Bau des Tempels gegeben
war, dies in die Tat umzusetzen. Doch hatte, gab er nun, als sein letztes Opfer
er war als König über Israel auserwählt und als ein Vorbild für das Volk, noch
und eingesetzt, und sein Sohn wurde mehr Silber und Gold aus seinem Pri-
auserwählt, ihm auf dem Thron zu fol- vatvermögen. Er bat die Israeliten in-
gen. Weil Davids Thron durch Gott be- ständig, ebenfalls freiwillig zu geben.
festigt wurde, sollte das Volk dem Ihre großzügige Reaktion brachte Freu-
HERRN durch Salomo gehorchen, ge- de in ihr eigenes Herz und das des
nauso wie es dies auch durch David ge- Königs.
tan hatte. 29,10-19 Schließlich sprach David ein
28,9-10 Als Nächstes wandte sich Da- großartiges Lob- und Dankgebet. Er

430
1. Chronik 29

pries den Herrn als den, dem alle Ehre sie zweifellos als überflüssig kriti-
gebührt, der über allem steht, als die siert worden.
Quelle allen Reichtums und aller Ehre. 4
(Einführung) William Kelly, Lectures
Er bekannte, dass er und sein Volk un- on the Books of Chronicles, S. 13.
würdig wären, Gott irgendetwas zu ge- 5
(Einführung) Ebd.
ben, und dass alles, was sie ihm gaben, 6
(Einführung) Die Septuaginta über-
ohnehin von ihm gekommen war. Er setzt »Hosai« mit »Seher«. Das he­
betete, dass die momentane Hingabe bräische Wort für »Seher« ist eng mit
(ein aufrichtiges Herz, V. 17) zu einem diesem Namen verwandt.
dauerhaften Charakterzug (ein fest auf 7
(Einführung) W. Graham Scroggie,
Gott ausgerichtetes Herz, V. 18) würde Know Your Bible, Bd. 1, The Old Testa­
und dass sein Sohn beim Tempelbau ment, S. 86.
ein ungeteiltes Herz haben würde 8
(2,1 - 4,23) H.A. Ironside, The Conti­
(V. 19). nual Burnt Offering, Lesung für den
29,20-22a Als er die Versammelten 12. März.
aufforderte, den Herrn zu preisen, 9
(7,13) Jachziel und Schallum (unrevi-
beugten diese sich tief und warfen sich dierte Elberfelder, Schlachter 2000
vor Gott und dem König nieder. Am nach MT) sind Beispiele für Namen,
nächsten Tag opferten sie 3.000 Tiere, deren Schreibweise etwas von der in
und sie aßen und tranken vor dem 1. Mose 46,24 abweicht (Ja[c]hzeel
HERRN. und Schillem).
29,22b-25 Salomo wurde zum zwei- 10
(8,29-40) Der »Boschet«-Teil von
ten Mal zum König gemacht (V. 22, vgl. Mefi-Boschets Namen (vgl. auch
23,1). Dann, nach Davids Tod, setzte er Isch-Boschet) bedeutet »Schande«.
sich auf den Thron und genoss die Seg- Statt den Namen einer heidnischen
nungen Gottes und die ergebene Treue Gottheit zu benutzen (hier Baal),
seines Volkes. Sein herrliches König- pflegten fromme Juden sie durch
reich ist ein vorausweisendes Bild für diese Beleidigung des Götzendiens-
die Größe der tausendjährigen Regent- tes zu ersetzen.
schaft Christi über die ganze Erde. 11
(10,1-5) C.H. Spurgeon, Spurgeon’s
29,26-30 Das erste Buch der Chronik Devotional Bible, S. 265.
endet mit einer kurzen Zusammen­ 12
(11,20-21) So unrevidierte Elber-
fassung der Regentschaft Davids: Er felder, Schlachter 2000 u.a. mit dem
starb in gutem Alter (mit 70 Jahren), satt MT. Die aramäische Übersetzung
an Tagen, Reichtum und Ehre. liest »dreißig« (siehe revidierte
Elber­felder).
13
(17,7-15) John Walvoord, zitiert von
Anmerkungen J. Dwight Pentecost, Things to Come,
1
(Einführung) Wenn unser Herr also S. 101-102.
vom Blut Abels (1. Mose 4,10-11) bis 14
(17,16-27) Samuel Willoughby Duf-
zum Blut Secharjas, des Sohnes Be- field, English Hymns: Their Authors
rechjas (2Chr 24,20-21), spricht, meint and History, S. 166.
er damit so viel wie »von 1. Mose bis 15
(20,4-8) Matthew Henry, »1 Chroni-
Maleachi« (oder Offenbarung). cles«, in Matthew Henry’s Commentary
2
(Einführung) Der Titel sollte wohl on the Whole Bible, Bd. II, S. 887.
andeuten, dass die Chroniken aus- 16
(21, Einführung) Die scheinbaren
füllten, was in Samuel und den Köni- Widersprüche in den Zahlenanga-
gen vernachlässigt wurde. ben zwischen 2. Samuel 24 und
3
(Einführung) Wenn die Chroniken 1. Chronik 21 können wie folgt mit-
stärkere Parallelen zu Samuel und einander in Übereinstimmung ge-
den Königen gehabt hätten, wären bracht werden:

431
1. Chronik

2. Samuel 24 1. Chronik 21 21,1) ausgelöst wurde. Wenn David


1. Zahlen der Volkszählung: drei zusätzliche Jahre gewählt hat,
800.000 tapfere 1.100.000 ‒ alle würde ein Teil der dazwischen lie-
Männer Israels, Israeliten, die das genden Jahre als ganzes Jahr zählen.
die das Schwert Schwert zogen (V. 5) So wäre die Summe der Jahre der
zogen (V. 9) Hungersnot sieben.
3. Der an Ornan gezahlte Kaufpreis
500.000 Männer 470.000 Männer von 50 Schekel (V. 24) 600 Schekel (V. 25)
von Juda (V. 9) Juda, die das Die 50 Schekel waren für die Tenne
Schwert zogen (V. 5) und die Ochsen. Die 600 Schekel wa-
ren für »den Platz der Tenne« (2Chr
1.300.000 Männer 1.570.000 Männer 21,22), ein größeres Grundstück, von
dem die Tenne nur ein Teil war.
Beachten Sie die unterschiedliche 17
(21,8-15) Henry, »1 Chronicles«, Bd. II,
Ein­tei­lung: »tapfere Männer« gegen- S. 889.
über »ganz Israel«, »Männer Judas« 18
(21,16-17) Ebd.
gegenüber »Männer Judas, die das 19
(26,1-19) George Williams, The
Schwert zogen«. Die Genannten kön- Student’s Commentary on the Holy
nen durch­aus unterschiedlichen Scriptures, S. 236.
Gruppen angehören. 20
(26,1-9) Eine andere Theorie besagt,
2. Jahre der Hungersnot dass Parbar eine Vorstadt Jerusalems
sieben Jahre (V. 13) drei Jahre (V. 12) war. Die Bedeutung dieses Begriffs
Die sieben Jahre enthalten evtl. die ist nicht sicher.
dreijährige Hungersnot, die durch 21
(28,11-19) Merrill F. Unger, Unger’s
Sauls Mord an den Gibeonitern (2Sam Bible Dictionary, S. 190.

Bibliografie Payne, J. Barton,


»I and II Chronicles«, in: The Wycliffe
Henry, Matthew, Bible Commentary,
»1 Chronicles« und »2 Chronicles«, in: Chicago: Moody Press, 1962.
Matthew Henry’s Commentary on the
Whole Bible, Bd. 1, Nachdruck, Sailhamer, John,
McLean: MacDonald Publishing Com- First and Second Chronicles. Everyman’s
pany, o.J. Bible Commentary,
Chicago: Moody Press, 1983.
Keil, C F.,
»The Books of the Chronicles«, in: Biblical Zöckler, Otto,
Commentary on the Old Testament, Bd. 9, »The Books of the Chronicles«, in: Com­
Grand Rapids: Wm. B. Eerdmans Pub­ mentary on the Holy Scriptures, Critical,
lishing Co., 1971. Doctrinal and Homiletical, Bd. 4, Nach-
druck (24 Bände in 12),
Kelly, William, Grand Rapids: Zondervan Publishing
Lectures on the Books of the Chronicles, House, 1960.
Oak Park: Bible Truth Publishers, 1963.

432
2. Chronik
»Das zweite Chronikbuch zeigt Gottes erzieherisches und züchtigendes Wirken, das sich
auf seine an Bedingungen geknüpften Verheißungen gründet. Während der Zeit von
427 Jahren regierten neunzehn Könige in Juda. Sieben waren gute Könige, die mit David
verglichen werden; zehn waren böse Könige, die mit dem nördlichen Königreich und
Jerobeam verglichen werden, und zwei waren erst gut, wurden aber später böse, nämlich
Salomo und Joasch. Hier sehen wir, wie aus Erziehung schließlich Gericht wird.«

John Heading

Einführung E. König Joram (Kap. 21)


F. König Ahasja (22,1-9)
Siehe 1. Chronik. G. Die Machtergreifung der
Königin Atalja (22,10 - 23,21)
Einteilung H. König Joasch (Kap. 24)
I. König Amazja (Kap. 25)
I. Das Königreich Salomos (Kap. 1-9) J. König Usija (Kap. 26)
A. Salomos Gottesdienst, Weisheit K. König Jotam (Kap. 27)
und Reichtum (1,1-17) L. König Ahas (Kap. 28)
B. Salomos Vorbereitungen, der M. König Hiskia (Kap. 29-32)
Bau und die Einweihung des N. König Manasse (33,1-20)
Tempels (1,18 - 7,22) O. König Amon (33,21-25)
C. Salomo in all seiner Pracht P. König Josia (Kap. 34-35)
(8,1 - 9,28) Q. König Joahas (36,1-3)
D. Salomos Tod (9,29-31) R. König Jojakim (36,4-8)
II. Die Teilung des Reiches (Kap. 10) S. König Jojachin (36,9-10)
III. Das Reich Juda (11,1 - 36,19) T. König Zedekia (36,11-19)
A. König Rehabeam (Kap. 11-12) IV. Die babylonische Gefangenschaft
B. König Abija (Kap. 13) (36,20-21)
C. König Asa (Kap. 14-16) V. Der Erlass des Kyrus (36,22-23)
D. König Joschafat (Kap. 17-20)

Kommentar Salomo hinaus bis zur Rückkehr des jü-


dischen Überrests aus der babyloni-
Der Einschnitt zwischen 1. und 2. Chro- schen Gefangenschaft. 1. und 2. Könige
nik wurde einzig wegen der bequeme- umspannen im Grunde denselben Zeit-
ren Handhabung vorgenommen, denn abschnitt, doch handeln die Chronikbü-
ursprünglich bildeten die beiden Bü- cher fast ausschließlich von Juda. Die
cher nur ein sehr großes Buch. Darum Könige des Nordreichs werden nur er-
fängt das zweite Chronikbuch genau da wähnt, wenn sie etwas mit der Ge-
an, wo das erste aufhört. Der Schnitt- schichte Judas zu tun haben. Auch be-
punkt ist gut gewählt, nämlich zwi- tonen die Chronikbücher das Geistliche,
schen der Regierung Davids und der während die Königsbücher das Histori­
Salomos. sche betonen. Obwohl hier und dort
In 1. Chronik 29 bestätigt David Salo- vielfach über dieselben Dinge gespro-
mo als seinen Nachfolger. Das zweite chen wird, enthalten die Chroniken
Buch führt die davidische Linie über manchmal Einzelheiten, die in Könige

433
2. Chronik 1 und 2

nicht zu finden sind. Die Chroniken 1,13-17 Salomo kehrte nach Jerusalem
wurden zu einem späteren Zeitpunkt zurück und regierte in großem Wohl-
und zu einem anderen Zweck verfasst. stand. Diese Verse berichten von Wagen,
Wir werden auf einige der Unterschie- Reitern, Wagenstädten, Silber, Gold, Ze-
de zwischen den beiden Werken hin- dern und Rossen. Doch enthielt sein
weisen, doch wird es unmöglich sein, Wohlstand auch den Keim für sein letzt-
auf alles gründlich einzugehen. (Zu endliches Versagen, wie dies so oft der
diesem Zweck wurden andere Bücher Fall ist.
geschrieben.)
B. Salomos Vorbereitung, der Bau
I. Das Königreich Salomos (Kap. 1-9) und die Einweihung des Tempels
(1,18 - 7,22)
A. Salomos Gottesdienst, Weisheit 1,18 - 2,1 Für die Vorbereitung des Tem-
und Reichtum (1,1-17) pelbaus suchte Salomo 70.000 Last­
1,1-3 1. Könige 1-3 berichtet über die träger aus, dazu 80.000 Steinhauer und
Geschehnisse zwischen dem Tod Da- 3.600 Aufseher.
vids (1. Chronik 29) und der Zeit, als 2,2-9 Dann bat er Huram (o. Hiram),
Salomo sein Reich in den Griff bekam. den König von Tyrus, schriftlich um
Adonija und Joab wurden in einem Hilfe. Dieser hatte schon David mit Ze-
Machtkampf umgebracht, wodurch dernholz für dessen Palast versorgt.
sich Salomo gemäß dem Wort des Herrn Nachdem er die geistliche Bedeutung
(1Chr 22,9-10) den Thron seines Vaters des Projekts beschrieben hatte, bat Salo-
sicherte. mo vor allem um einen geschickten
Als seine Königsherrschaft gesichert Handwerker, der mit den Kunsthand-
war, rief Salomo alle seine Untergebe- werkern zusammenarbeiten sollte, die
nen zusammen und führte sie in feier­ David angestellt hatte, und außerdem
licher Prozession nach Gibeon, wo die um das nötige Holz. Salomo versprach,
Stiftshütte (das Zelt der Begegnung) jede Hilfe ordentlich zu vergüten. Was
stand. die tatsächliche Menge angeht, scheint
1,4-6 David hatte die Bundeslade nach hier ein Widerspruch vorzuliegen.1
Jerusalem gebracht (1. Chronik 13-15),
doch die übrige Einrichtung der Stifts-
hütte stand in Gibeon, einschließlich des
ehernen Altars. Auf diesem Altar opfer- Exkurs: Scheinbare Widersprüche
te Salomo 1000 Brandopfer, um seine Bei der Kommentierung von 2. Chronik
Ehrfurcht und Loyalität gegen­über dem müssen wir einige scheinbare Wider-
HERRN, dem Gott seines Vaters, zu zei- sprüche zu den Parallelberichten in
gen. 1. und 2. Könige feststellen. Diese Diffe-
1,7-12 In derselben Nacht erschien renzen zu übergehen, wäre ein schlech-
ihm Gott im Traum und fragte ihn, was ter Dienst an unseren Lesern. Wenn wir
er am liebsten hätte (V. 7; 1Kö 3,5). Salo- andererseits diese Unterschiede über-
mos Bitte um Weisheit und Erkenntnis, betonen, laufen wir Gefahr, das Ver-
das Volk zu leiten, gefiel Gott so gut, trauen in das Wort Gottes zu untergra-
dass er ihm auch beispiellosen Reich- ben. Das wollen wir ganz sicher nicht
tum, dazu Güter und Ehre zu schenken tun. Unsere Lösung ist folgende: Wir
versprach. In einem gewissen Sinn er- haben uns entschlossen, die hauptsäch-
scheint Gott jedem Gläubigen und fragt lichen Differenzen offen zu legen, selbst
ihn nach seinen Wünschen. Was wir für wenn wir nicht alles auflösen können.
dieses Leben begehren, bestimmt in Gleichzeitig möchten wir klarstellen,
großem Ausmaß das, was wir empfan- dass sie an keiner Stelle die Inspiration
gen. berühren. Wir glauben, dass die Bibel,

434
2. Chronik 2 und 3

wie sie ursprünglich gegeben wurde, Dimensionen handelt. Er sagte, er wer-


von Gott inspiriert und irrtumslos und de Hiram-Abi, einen Handwerker mit
ohne Fehler ist. tadellosen Qualifikationen, schicken.2
Wir haben diese Probleme in den An- Auch versprach er Salomo, ihm Holz
merkungen behandelt. Auf diese Weise vom Libanon im Tausch gegen Gerste,
unterbricht die sachliche Diskussion Öl und Wein zu senden. Das Holz sollte
dieser offensichtlichen Widersprüche über das Mittelmeer bis nach Joppe ge-
nicht den Gedankenfluss des Kommen- flößt und dann über Land nach Jeru­
tars. Andererseits gibt uns dies die Mög- salem gebracht werden.
lichkeit, die Probleme kurz, aber offen 2,16-17 Die 153.000 Fremdlinge waren
anzusprechen. Kanaaniter, die die Israeliten nicht um-
Viele der Widersprüche sind Ab- gebracht hatten. Jetzt wurden sie als
schreibfehler. Wir sollten uns nicht wun- Zwangsarbeiter eingesetzt.3
dern, wenn sich im Laufe vieler Jahr- 3,1-4 Nach vielem Planen und Vorbe-
hunderte beim wiederholten Abschrei- reiten begann der Bau endlich im vier-
ben kleinere Fehler eingeschlichen ha- ten Jahr der Regierung Salomos. Trotz
ben. Selbst heute ist es fast unmöglich, der mehr als 150.000 Arbeiter und der
ein Buch zu veröffentlichen, das keiner- fast unbegrenzten Mittel sollte es sieben
lei Druckfehler aufweist. Jahre dauern, bis dieses Riesenwerk
Da mag jemand fragen: »Wenn Gott vollendet wurde.
die ursprünglichen Schreiber der Bibel Die Fundamente wurden auf dem
dahingehend leiten konnte, Fehler zu Berg Morija gelegt. Der Tempel sollte 60
vermeiden, warum konnte er dann Ellen lang, 20 Ellen breit und 30 Ellen
nicht machen, dass die Abschreiber feh- hoch werden (siehe 1. Könige 6, wo
lerlose Kopien herstellten?« Die Ant- weitere Einzelheiten genannt werden).
wort ist natürlich, dass er das durchaus Der Tempel hatte ungefähr die doppel-
konnte; doch beschloss er in seiner ten Maße der Stiftshütte und eine Vor-
Weisheit, es nicht zu tun. Wichtig ist halle, die genauso breit wie der Tempel
aber, dass trotz kleiner Schreib- oder war.4
Druckfehler (meistens handelt es sich 3,5-9 Das Innere des Tempels war in
um die Schreibung von Namen und zwei Räume aufgeteilt, die auf der
Zahlen), die Bibel – so, wie wir sie Hauptebene lagen. Die beiden Räume
haben ‒ Gottes Wort ist. Alle Probleme waren das große Haus (o. der große
haben mit Kleinigkeiten zu tun und Raum, das Heilige) und das Allerhei-
niemals mit der Lehre der Bibel. Es ist ligste. Das Gebäude war aus Stein. Das
beruhigend zu wissen, dass der Herr Innere wurde mit Zypressenholz aus-
Jesus hier auf Erden eine abgeschrie- gekleidet und mit reinem Gold überzo-
bene Ausgabe des Alten Testaments be- gen. Es war mit verschiedenen Mustern
nutzte und nicht die originalen Hand- geschmückt und mit kostbaren Steinen
schriften ‒ und dass er diesen Text als verziert. Alles Sichtbare im Tempel war
Gottes Wort zitierte. Wir dürfen an­ aus Gold, dem Symbol der Göttlichkeit,
erkannte Bibelübersetzungen von heute und stellte die Herrlichkeit des HERRN
getrost mit derselben Zuversicht ver- dar, die das Haus erfüllen sollte.
wenden, dass sie Gottes Wort sind. 3,10-13 In das Allerheiligste wurden
zwei Cherubim gestellt (zusätzlich zu
den beiden Cherubim, die einen Teil
des Gnadenstuhls auf der Bundeslade
2,10-15 Hirams Antwortschreiben an ausmachten). Ihre gemeinsame Flügel-
Salomo scheint die echte, geistliche Er- spanne erstreckte sich über die gesamte
kenntnis auszudrücken, dass es sich Breite des Allerheiligsten. Die Bundes-
um ein Unternehmen von historischen lade sollte später darunter gestellt wer-

435
2. Chronik 3 und 4

Die Ausbreitung von Salomos Ruhm

Hauptroute
andere Routen

0 200 Km
Tifsach
HAMAT

Tadmor
Mittelmeer PHÖNIZIEN

Tyrus Damaskus
Hazor Babylon
nach Tarsis
Joppe Jerusalem
Gaza PHILISTÄA

ÄGYPTEN Ur
Memphis
Ezjon-Geber
Nil

A r abis c he W üs t e
Rotes
Meer
nach Ofir nach Saba

den (5,7). Cherubim sind Geistwesen, 4,1-22 Die zwei hauptsächlich im


die oft in der Heiligen Schrift vorkom- Tempel verwendeten Metalle waren Erz
men. Die Wände (V. 7) und der Vorhang (Bronze) und Gold. Kap. 4 listet kurz
(V. 14) wurden mit ihnen geschmückt, einige Einrichtungsgegenstände aus
um ihren beständigen Dienst für Gott diesen Metallen auf. Erz wurde für den
zu symbolisieren. Der Tempel und die Brandopferaltar, das Waschbecken und
Stiftshütte (o. das Zelt der Begegnung) die Rinder, auf denen es stand, verwen-
waren Vorbilder von dem wahren det (V. 2-5.10),6 sowie auch für zehn
Wohnort Gottes ‒ vom Himmel, wo er transportable Becken (V. 6), den Über-
Tag und Nacht von den Myriaden der zug für die Türen des Vorhofs (V. 9),
himmlischen Heerscharen angebetet verschiedene Geräte (V. 11.14-18) und
und verherrlicht wird (Hebr 8,5). Sie die zwei Säulen mit ihren Kapitellen
sind aber auch Vorbilder von Christus (V. 12-13). Alles wurde in der lehmigen
(Joh 1,14, dort steht statt »wohnte« ei- Erde zwischen Sukkot und Zereda in
gentlich »zeltete«; Joh 2,19). Formen gegossen (V. 17).
3,14-17 Wie in der Stiftshütte trennte Salomo machte aus Gold zehn Leuch-
ein Vorhang die beiden Räume. Es gab ter für das Heiligtum (V. 7.20), zehn
auch Türen (V. 7) zwischen den Räu- Tische für die Schaubrote (V. 8.19), ver-
men des Tempels. Zwei Säulen mit Ka- schiedene Geräte (V. 8.21-22) und die
pitellen und 100 Schmuck-Granatäpfeln Verkleidung des Heiligen und des Aller-
wurden vor den Tempel gestellt.5 Die heiligsten (V. 22). Gold wurde vornehm-
rechte Säule hieß Jachin (er wird befesti- lich für die Dinge innerhalb des Tempels
gen) und die linke Boas (in ihm ist Stär- verwendet und Erz für die Gegenstände,
ke). die draußen benutzt wurden.

436
2. Chronik 4 bis 6

Der Plan des Salomonischen Tempels


Salomo errichtete den Tempel auf dem Berg Morija,
nördlich der alten Stadt Davids. Der Tempel wurde
nach den Plänen gebaut, die David vom Herrn
empfangen und an Salomo weitergegeben hatte
(1Chr 28,11-13.19). Die Aufteilung in ein Heiligtum und
ein Inneres Heiligtum oder Allerheiligstes entspricht
derselben Aufteilung in der Stiftshütte.

Leuchter und Tische


Boas
Bundeslade

Räucher- Inneres Heiligtum


Vorhalle Heiligtum
altar oder das Allerheiligste

Jachin
10 Ellen 40 Ellen 20 Ellen

Vorratskammern

Alle Einrichtungsgegenstände für dieser Zeit waren die beiden Gesetzes-


den Tempel wurden von Salomo ge- tafeln in der Bundeslade.
macht ‒ außer der Bundeslade, die aus 5,11-14 Vers 11b: »… alle Priester, …
der Stiftshütte geholt wurde. ohne sich an die Abteilungen zu hal-
5,1-10 Nun war der Tempel vollendet ten«, heißt, dass alle an diesem Tag an-
(V. 1, siehe 1. Könige 8). Die Verse 2-10 wesenden Priester teilnahmen, nicht
berichten von dem Transport der Ein- nur die an diesem Tag zum Dienst ein-
richtung der Stiftshütte zum Tempel. geteilte Abteilung.
Die Bundeslade wurde ins Allerheiligs- Als die Leviten und Priester an der
te gesetzt. Vielleicht brachte man die Ostseite des Altars versammelt waren,
anderen Gegenstände, wie den Räu- um den HERRN für seine Freundlich-
cheraltar und den Schaubrottisch, da- keit und Gnade zu loben und ihm zu
mals in die Schatzkammer, weil man sie danken, erfüllte die Herrlichkeit des
in Salomos Tempel nicht gebrauchte. HERRN den Tempel, sodass die Pries-
Die Leviten, die die Bundeslade tru- ter drinnen ihren Dienst nicht tun konn-
gen, waren Priester (V. 4.7). Sie brachten ten.
sie an ihren Ort unter die Flügel der 6,1-11 Bevor Salomo den HERRN in
Cherubim (V. 7-8). 2. Mose 25,15 ver- seinem Einweihungsgebet ansprach, er-
langt, dass die Stangen in der Bundes­ innerte er das Volk daran, dass der HERR
lade blieben. Auf eine Art, die wir nicht in der früheren Geschichte Israels keine
verstehen, waren die Enden der Stan- Stadt zur religiösen Hauptstadt und kei-
gen vom Heiligtum aus zu sehen, aber nen Mann zum Herrscher erwählt hatte.
von außen, vom Vorhof aus, waren sie (Zwar stimmt es, dass Samuel und ande-
nicht sichtbar (V. 9; vgl. 1Kö 8,8). Zu re das Volk geführt hatten, aber sie wa-

437
2. Chronik 6 und 7

ren nicht mit der Macht eines Herrschers 6,34-35 Er fleht um Sieg in der
ausgestattet gewesen.) Aber dann kam Schlacht.
die Zeit, dass Gott Jerusalem als seine 6,36-39 Er fleht um Erlösung aus der
Stadt und David als König über Israel er- Gefangenschaft, sobald das Volk Buße
wählte. David wollte einen Tempel bau- tut und seine Gottlosigkeit bekennt.
en, doch diese gute Absicht sollte durch 6,40-42 Salomo beendet seine Bitten
einen seiner Söhne ausgeführt werden. mit drei Dingen. Er bittet, dass sein Ge-
Und nun stand Salomo hier – als ein bet erhört werden möge. Er bittet um
Zeugnis für die Treue Gottes. Heil und Freude für die Priester, die
6,12-13 Den größten Teil des sechsten Gott im Tempel dienen. Er fleht für sich
Kapitels nimmt das Einweihungsgebet selbst um Gunst, die in Gottes großer
ein (V. 12-42). Es ist das längste in der Liebe zu seinem Vater David begründet
Bibel wiedergegebene Gebet und ist ist. Damit wir nicht meinen, dieses Ge-
voller Lob und Bitten. Nachdem Salo- bet enthalte nur Bitten, wollen wir es
mo ein eigens dafür hergestelltes Podi- noch einmal durchgehen. Wir finden
um erstiegen hatte, breitete er die Hän- darin vieles über die Eigenschaften
de aus und betete. Er hatte vieles, wofür Gottes. Salomo erwähnt Gottes Einzig-
er dankbar sein konnte, und ermutigt artigkeit (V. 14), seine Gnade (V. 14), sei-
durch solche Gnade, hatte er vieles, um ne alle Vorstellungen sprengende Er­
was er bitten wollte. habenheit (V. 18), seine unendliche Grö-
6,14-17 Zuerst betete Salomo für den ße (V. 18), seine Allgegenwart (V. 30),
Thron Israels. Gott hatte bis jetzt sein seine Gerechtigkeit (V. 25.27 usw.), sei-
Wort in Bezug auf die gegenüber David ne Vergebungsbereitschaft (V. 30), seine
gemachten Verheißungen gehalten. Der Allwissenheit (V. 30), seine Gnade
König bat darum, dass diese Treue fort- (V. 33) und Zugeneigtheit (V. 38-39).
dauern möge. Daneben werden die Allmacht und
6,18-21 Diese vier Verse enthalten die die Heiligkeit des Herrn überall vor-
Summe und den wesentlichen Inhalt ausgesetzt.
des ganzen Gebets. Alles Folgende ist 7,1-7 Sobald Salomo aufgehört hatte
nur die Entfaltung des einfachen Ge- zu beten, kam Feuer vom Himmel und
dankens, der durch die Verben »hören« verzehrte das Brandopfer und die
und »vergeben« ausgedrückt wird Schlachtopfer, und die Herrlichkeit des
(V. 21). HERRN erfüllte den Tempel. Das Volk
6,22-23 Als Erstes fleht Salomo zum sah die Herrlichkeitswolke und das
Herrn, dass er hören und richten möge, Feuer, wie es herniederkam auf den
wenn jemand vor seinem Altar einen Tempel, und es fiel nieder auf das Pflas-
Eid ablegt. ter und betete an und pries den HERRN.
6,24-25 Dann bittet er um Vergebung Dann leitete Salomo das Volk bei der
für Sünden, derentwegen Israel von sei- Darbringung von Tausenden von Rin-
nen Feinden besiegt wird. dern und Schafen als Schlachtopfer vor
6,26-27 Er bittet um Regen, wenn we- dem HERRN an.
gen Israels Sünden eine Dürre eintreten Die Priester nahmen ihren Platz ein,
sollte. die Leviten spielten die Musikinstru-
6,28-31 Er fleht um Erlösung von mente des HERRN, die König David
Hungersnot und Pest, die über das Volk gemacht hatte, um den HERRN zu prei-
kommen könnten, damit es den Herrn sen. Gegenüber den Leviten bliesen die
fürchten lernt. Priester ihre Trompeten, während alle
6,32-33 Er fleht darum, dass die Israeliten dabeistanden.
Fremdlinge doch Gottes Werke sehen Der eherne Altar war zu klein für die
möchten, wenn sie kommen, um seinen ungeheure Menge an Schlachtopfern
großen Namen anzurufen. und Friedensopfern.

438
2. Chronik 7 und 8

7,8-10 Das Einweihungsfest dauerte würde den Tempel verwerfen, sodass


sieben Tage und schloss den Versöh- er zum Gegenstand des Spottes und
nungstag mit ein. Daran schloss sich zum Zeugnis für die Völker werden
das Laubhüttenfest an, danach entließ würde, dass Israel den HERRN ver­
Salomo das Volk. lassen hat.
7,11-16 Nachdem Salomo den Tempel Vers 16 scheint zu beinhalten, dass
und seinen eigenen Palast vollendet der Tempel ewig stehen bleiben würde;
hatte, erschien ihm der HERR in der doch wir wissen, dass er im Jahr 586
Nacht mit Verheißungen und Warnun- v.Chr. zerstört wurde. Die Erklärung ist
gen. Falls der Herr Dürre, Heuschre- natürlich, dass Gottes Verheißung an
cken oder Pest über das Volk brachte, Israels Treue und Gehorsam geknüpft
sollten die Menschen sich demütigen, war. Die Verse 19 und 20 warnen aus-
beten und das Angesicht des HERRN drücklich davor, dass Gott den Tempel
suchen und sich von ihren bösen We- verwerfen würde, wenn das Volk den
gen abwenden. Dann würde er ihre Götzen dienen würde.
Sünden vergeben und sie heilen.
Vers 14 könnte wohl als die goldene C. Salomo in all seiner Pracht (8,1 - 9,28)
Zusammenfassung des ganzen Buches 8,1-6 Hier lesen wir von Salomos
gelten. Obwohl er ursprünglich an das Leistungen und Erfolgen auf verschie-
auserwählte Volk Israel gerichtet wur- denen Gebieten. Zuerst verfolgte er ein
de, darf er zurecht auch auf solche Völ- riesiges Stadt-Entwicklungsprogramm.
ker angewandt werden, die ein bibli- Er stellte Vorratsstädte, befestigte Städ-
sches Erbe haben. Er zeigt für alle Zei- te, Wagenstädte und Siedlungen her
ten den sicheren Weg zu Wiederherstel- oder eroberte sie.
lung und Erweckung. Sind diese Bedin- 8,7-10 Er machte aus den Kanaanitern
gungen erfüllt, so ist die Erfüllung der fronpflichtige Arbeitssklaven, aber die
Verheißungen sicher. Israeliten waren seine Kriegsleute, Offi-
J. Barton Payne sagt dazu: ziere und Oberaufseher.8
8,11 Er wollte seiner Frau, der Toch-
Dieser großartige Vers, der bekannteste ter des Pharao, nicht gestatten, im
aus den Chronikbüchern, drückt wie könig­lichen Palast zu wohnen, weil er
kein anderer Schriftabschnitt Gottes Be- sagte, er sei heilig, da die Bundeslade
dingungen für den Segen über einem des HERRN dort hineingekommen
Volk aus; das gilt sowohl für Salomos als war. Das heißt nicht, dass die Lade tat-
auch für Esras Land ‒ und auch für das sächlich in den Palast getragen worden
unsere. Alle, die glauben, müssen von ih- war, sondern nur, dass der Palast we-
ren Sünden ablassen, sich von einem gen seiner Nähe zu der Lade im Tempel
Leben abwenden, das sich um sie selbst heilig war. Leider hielt die Tatsache,
dreht, und sich dem Wort und Willen dass Salomo seine Frau auf eine spe­
Gottes ergeben. Dann, und nur dann, zielle Residenz beschränkte, sie nicht
wird der Himmel eine Erweckung schen- davon ab, den König zum Götzendienst
ken.7 zu verführen (1Kö 11,1-18).
8,12-16 Der König achtete genau dar­
7,17-22 Wenn Salomo in Gehorsam vor auf, dem religiösen Kalender entspre-
Gott leben würde, dann würde Gott sei- chend die Brandopfer und anderen Op-
nen Thron befestigen und Salomos fer darzubringen. Er bestimmte, dass
Nachkommen erlauben, darauf zu sit- die Priester und Leviten nach den An-
zen. Andererseits, wenn Salomo und ordnungen ihren Dienst taten, die sein
sein Volk den Herrn wegen anderer Vater David bestimmt hatte. So war das
Götter verlassen sollten, müssten sie in ganze Werk Salomos wohl geordnet
die Gefangenschaft gehen und Gott vom Anfang bis zum Ende.

439
2. Chronik 8 bis 10

8,17-18 Schließlich lesen wir von Salo- wähnten nicht-kanonischen Bücher


mos seefahrerischen Unternehmungen wurden möglicherweise vom Chronik-
in Partnerschaft mit Hiram. Die Schiffe schreiber als Quellenmaterial verwen-
fuhren zwischen Ezjon-Geber und Elat det, sind jedoch seither verschollen.
– beides an der Nordspitze des öst­
lichen Armes des Roten Meeres (Golf II. Die Teilung des Reiches (Kap. 10)
von Akaba) – nach Ofir.9 Ofir wird von 10,1-5 Vielleicht, um die nördlichen
verschiedenen Auslegern in Südarabi- Stämme zu beruhigen, entschied Reha-
en, Ostafrika oder Indien vermutet. beam, sich in Sichem krönen zu lassen.
9,1-9 Als die Königin von Saba von Das Volk versprach, ihm zu dienen,
dem Ruhm Salomos hörte, reiste sie mit wenn er das schwere, von Salomo auf-
einer sehr großen Karawane, voll bela- erlegte Joch erleichterte. Mit »ganz Is­
den mit Geschenken, hin, um selbst her- rael« sind die Repräsentanten aller
auszufinden, was es damit auf sich hatte. Nordstämme gemeint. Rehabeam for-
Nachdem sie die Pracht seines Reiches derte drei Tage Bedenkzeit, um über die
gesehen und seine Weisheit mit kniff­ Forderung des Volkes zu beraten.
ligen Fragen auf die Probe gestellt hatte, 10,6-11 Zuerst befragte König Reha-
war sie überwältigt. Sie bekannte, dass beam die Ältesten, die seinem Vater Sa-
man ihr nicht die Hälfte gesagt habe. Sie lomo gedient hatten. Diese rieten ihm,
begriff, dass Salomos Wohlergehen auf auf das Volk zu hören. Dann wandte er
der Gunst seines Gottes beruhte. sich an die jungen Männer um Rat. Da-
9,10-12 Die Verse 10 und 11 unter­ nach verwarf er die Empfehlung der
brechen die Erzählung, um die Her- Alten und hörte auf das, was ihm bes-
kunft einiger der Reichtümer Salomos ser gefiel. Die jungen Männer drängten
zu erklären und die einzigartig schönen ihn nämlich, dem Volk hart zu antwor-
Dinge, die er daraus machte, zu be- ten.
schreiben. Als die Königin von Saba 10,12-19 Als das Volk nach drei Tagen
fortging, gab ihr Salomo weit größere wieder erschien und die Drohungen
Schätze an Menge und Wert, als sie ihm des Königs hörte, machte es unter der
mitgebracht hatte. Leitung Jerobeams einen Aufstand. Das
9,13-28 Salomo erhielt jährlich mehr Königreich war geteilt, womit sich das
als 666 Talente Gold, die er verwendete, Wort des HERRN durch Ahija erfüllte
um Schilde daraus zu machen und den (1Kö 11,29ff.). Nachdem Hadoram, der
Elfenbeinthron damit zu überziehen so- Steuereintreiber, ermordet wurde, zog
wie Pokale und andere Geräte daraus sich Rehabeam nach Jerusalem zurück,
herzustellen. Seine Großartigkeit brach- von wo aus er über Juda und Benjamin
te ihm Ehre und Reichtum von allen regierte. Williams sagt dazu:
Königen der Erde ein. Sein Handel er-
streckte sich bis nach Tarsis, das viel- Diese Erfüllung der Vorhersage Ahijas ist
leicht in Spanien lag.10 Er besaß eine Un- ein Beispiel dafür (ähnlich wie viele an-
zahl an Pferden,11 an Land, Silber und dere in der Heiligen Schrift), wie sich
Zedern. Obwohl er über das ganze Ge- Weissagungen durch die Wirksamkeit
biet bis zum Euphrat regierte, wurde menschlicher Leidenschaften und dann
dies nicht in das Land Israel integriert, durch den natürlichen Lauf der Gescheh-
sondern bestand aus Vasallenstaaten, nisse erfüllen. Die Menschen denken,
die ihm Tribut zahlen mussten. dass sie ihrem eigenen Willen gehorchen
und ihre eigenen Pläne ausführen, und
D. Salomos Tod (9,29-31) sind sich nicht bewusst, dass die Sache
Salomo starb, nachdem er 40 Jahre lang von Gott ausgeht und von ihm zugelas-
regiert hatte. Sein Nachfolger wurde sen und souverän gelenkt wird, damit
sein Sohn Rehabeam. Die in Vers 29 er- sich sein Wort erfüllt.12

440
2. Chronik 11 bis 13

III. Das Königreich Juda sein Herz nicht darauf gerichtet hatte,
(11,1 - 36,19) den HERRN zu suchen (V. 14). Nun
standen fünf kurze Jahre nach dem Tod
A. König Rehabeam (Kap. 11-12) des mächtigen Herrschers Salomo die
Ägypter an den Toren Jerusalems, um
11,1-4 Als Rehabeam nach Jerusalem alle seine Schätze fortzutragen. Reha­
zurückkam, griff der HERR durch den beams befestigte Städte hatten nichts
Propheten Schemaja ein, um einen Bür- genützt. Schischak unterwarf Juda nicht
gerkrieg zu verhindern. Er sagte Reha- wegen der Überlegenheit der ägyp­
beam, dieser solle den Status quo aner- tischen Truppen, sondern weil Juda
kennen; denn »von mir (Gott) ist diese dem HERRN untreu geworden war.
Sache ausgegangen«. Rehabeam hatte 12,5-8 Als Schemaja, der Prophet, das
zuvor nicht auf weisen Rat gehört; doch zweite Mal zu Rehabeam kam (siehe
diesmal tat er es. Es gab aber bestän­ 11,2) und seine Strafbotschaft verkün-
digen Streit zwischen beiden Reichen dete, demütigten sich der König und
(12,15), doch ein umfassender Krieg die Fürsten vor dem HERRN und er-
wurde vermieden. Der Ausdruck »ganz kannten an, dass er gerechterweise Ge-
Israel in Juda und Benjamin« (V. 3) be- richt geübt hatte. Sofort verschaffte die
zieht sich auf all diejenigen im Süd- Barmherzigkeit und Gnade des Herrn
reich, die der Dynastie Davids die Treue ihnen Rettung ‒ allerdings nicht ohne
hielten. die schmerzliche Lektion über den Un-
11,5-12 Der König verbrachte einen terschied, ob man dem HERRN dient
großen Teil seiner Zeit mit dem Bau von oder den Eroberern.
Verteidigungsstädten in Juda. Diese be- 12,9-12 Das Volk wurde verschont,
festigten Städte, die südlich von Jeru­ aber das Königreich war verwüstet. Re-
salem lagen, bewiesen, dass er sich vor habeam versuchte, so viel wie möglich
einem Angriff aus Ägypten fürchtete. wieder in Ordnung zu bringen. Er er-
11,13-17 Inzwischen stürzte Jerobeam setzte die goldenen Schilde durch eher-
das Nordreich in ungeheuerlichen Göt- ne, wodurch er unbewusst verdeutlich-
zendienst (1. Könige 12), wodurch er te, dass Gottes Gegenwart und Gunst
diejenigen Priester und Leviten, die (Gold) durch sein Gericht (Erz / Bronze)
dem HERRN die Treue hielten, zwang, ersetzt worden war.13
nach Juda zu fliehen. Ihnen folgten alle, 12,13-16 Die Geschichte Rehabeams
die ein Herz für Gott hatten. Auf diese endet mit der Feststellung, dass er tat,
Weise wurde Rehabeams Reich gestär- was böse war, und sich zu seinen Vä-
kt. Es kostete sie alles, nach Jeru­salem tern legte. Den Unterschied zwischen
zu kommen, denn sie verließen ihr er- Rehabeam und seinem Großvater Da-
erbtes Land, ihren Besitz und ihre vid kann man sehen, wenn man Psalm
Freunde. 27,8 mit Vers 14 vergleicht. David such-
11,18-23 Rehabeam war ein Poly­ te das Angesicht des HERRN. Reha-
gamist, obwohl er in dieser Beziehung beam tat dies nicht.
nicht an seinen Vater heranreichte. Er
hatte 18 Frauen, 60 Nebenfrauen, 28 B. König Abija (Kap. 13)
Söhne und 60 Töchter. Die mit Namen 13,1-3 Abija, dessen Mutter Michaja
erwähnten Frauen waren Israelitinnen hieß,14 wurde der nächste König und re-
aus der königlichen Familie und keine gierte drei Jahre in Jerusalem. 1. Könige
Heidinnen. 15 erwähnt seine Sünde, dass er dem
12,1-4 Während 1Kö 14,22-24 einige Herrn nicht folgte, wie David es getan
Einzelheiten über Rehabeams Abfall hatte. Aber die Chroniken übergehen
mitteilt, sagen die Chroniken nur, dass alles in Abijas Leben außer einer
er das Gesetz des HERRN verließ und Schlacht mit Jerobeam.

441
2. Chronik 13 bis 15

13,4-12 In seiner Rede vor dem Kampf und mit großem Eifer sein Königreich
erinnerte Abija Jerobeam daran, dass vom Götzendienst reinigte.15 Während
Gott dem David und dessen Nachkom- dieser ruhigen Zeit befestigte Asa seine
men das Reich gegeben hatte. Jerobeam Städte und sammelte ein großes Heer.
hatte sich gegen die davidische Dynas- 14,8-14 Judas Frieden wurde durch
tie aufgelehnt und mit einer Bande ein kuschitisches Heer von einer Mil­
»ehrloser Männer« einen Aufstand ge- lion Mann und 300 Wagen gestört. Ju-
gen Rehabeam angezettelt, als dieser das schwächere Streitkräfte blieben
praktisch wehrlos war. Israel hoffte auf- siegreich, weil sie auf den HERRN ver-
grund seiner überlegenen Zahl und der trauten. Der Feind wurde für immer
goldenen Kälber auf den Sieg. Israel vertrieben.
hatte eine gefälschte Priesterschaft ein- Asas Gebet in Vers 10 ist kurz, trifft
geführt, der man ohne göttliche Autori- aber das Wesentliche. Während der
sierung beitreten konnte. Juda hielt Schlacht ist keine Zeit für langes Reden;
stattdessen an der levitischen Priester- doch aus verzweifelter Not geborene
schaft fest, die immer noch dem HERRN Gebete sind sehr wirksam, wenn der
in der vorgeschriebenen Weise diente. Beter, wie Asa, zu Gott in der rechten
Gott war der Anführer des Heeres von Beziehung steht. Weil er dem HERRN
Juda, und seine Priester benutzten ihre in Friedenszeiten folgte, wusste er, dass
Trompeten, um gegen Israel Alarm zu der HERR in Kriegszeiten für ihn sor-
blasen. Es war daher eine Torheit von gen würde. Der Kampf begann in Ma-
den nördlichen Stämmen, gegen Gott, rescha, einer Stadt in Juda, und endete
den HERRN, zu kämpfen. in Gerar, einer Stadt der Philister. Viele
13,13-18 Statt auf Abija zu hören, leg- wurden erschlagen, einschließlich sol-
te Jerobeam einen Hinterhalt. Als die cher, die Herden besaßen, und große
Falle über Juda zuschlug, schrien die Mengen an Beute und Tieren brachte
Männer zum HERRN, und die Priester man nach Jerusalem.
bliesen die Trompeten. Gott antwortete 15,1-6 Asa und seine Leute waren we-
mit einem großartigen Sieg. 500.000 er- gen ihres jüngsten Erfolges hoch ge-
lesene Männer aus Israel fielen – ein stimmt; denn eigentlich hätten sie in
schwindelerregender Preis für die Ab- diesem Kampf keine Chance gehabt.
kehr von Gott! Als sie nach Jerusalem zurückkehrten,
13,19-23 Abija eroberte zusätzliches gab der Herr ihnen eine Ermahnung
Gebiet, obwohl er Israel nicht völlig un- mit auf den Weg. Zunächst erinnerte
terwarf. Der Verlust war verheerend für Asarja sie daran, dass der HERR mit
Jerobeam, der später vom HERRN ge- ihnen war, weil sie ihn gesucht hatten.
schlagen wurde, dass er starb. Abija Doch würde er sie verlassen, wenn sie
aber wurde mächtig und hatte Erfolg. ihn verließen. Und die Geschichte be-
weist, dass Israel in der Mehrzahl der
C. König Asa (Kap. 14-16) Fälle seinen Gott verlassen hatte. Dem-
14,1 Die nächsten drei Kapitel geben zufolge hatte es keinen Frieden und
uns einen kurzen Bericht über Asa und wurde dauernd von seinen Feinden ge-
dessen 41-jährige Regierung. Man soll- schlagen. Doch wenn das Volk den
te 1. Könige 15,9-24 zu diesen Kapiteln HERRN suchte, fand es ihn stets bereit,
lesen. zu vergeben und es wiederherzustel-
14,2-7 Der Grund für Asas friedvolle len.
Regierung war seine Herzenseinstel- 15,7 Weil Asa den HERRN suchte, er-
lung dem HERRN gegenüber. Viele der mutigte Asarja ihn, das gute Werk fort-
Sünden seiner Vorväter beseitigte er, zusetzen. Ganz versteckt in der histori-
und er gebot seinem Volk, den HERRN schen Erzählung, ist Vers 7 doch wert,
zu suchen, indem er selbst voranging auswendig gelernt zu werden: »Ihr

442
2. Chronik 15 bis 17

aber, seid stark und lasst eure Hände zu funktionieren; aber Gott gefielen sie
nicht schlaff werden! Denn es gibt einen nicht.
Lohn für euer Tun!« Die Parallele für 16,7-10 Der Zweck heiligt in den Au-
die Gläubigen von heute finden wir in gen des Herrn die Mittel nicht, und so
1Kor 15,58. schickte er seinen Propheten Hanani zu
15,8-15 »Oded« (V. 8) bezieht sich Asa. Hanani klagte den König mutig
vielleicht auf Odeds Sohn Asarja. Der an, er habe töricht gehandelt. Hatte der
König reagierte auf das Wort des Pro- HERR sie nicht von den Kuschitern er-
pheten mit echtem Eifer. Er weitete so- löst? Durchstreifen nicht die Augen
gleich sein Reformprogramm aus, ent- Gottes unablässig die Erde nach Men-
fernte weitere Götzen (siehe 14,4) nicht schen, durch die er wirken kann? Weil
nur aus seinem Land Juda, sondern Asa sich entschieden hatte, auf fleisch­
auch aus den Städten Ephraims, die er liche Weise zu kämpfen, sollte er von
im Kampf erobert hatte. Er stellte den nun an Kriege haben. Asa wurde zor-
Altar im Tempel wieder her und weihte nig. Statt auf das Wort des Herrn zu
ihn mit Opfern ein. Er berief eine feier- achten, wie er es früher tat (15,8), warf
liche Versammlung nach Jerusalem ein, er Hanani ins Gefängnis.
opferte dem HERRN einen Teil der ku- 16,11-14 Asa hatte sich entschieden,
schitischen Beute und machte mit dem im Gegensatz zu den Wegen des Herrn
Volk einen Bund, dass es den HERRN zu handeln. Darum plagte ihn der Herr
suchen sollte. Für Widerstrebende ließ mit einer Fußkrankheit. Aber immer
er keinen Raum – alle, die diesem Bund noch weigerte er sich, Buße zu tun und
nicht gehorchen wollten, sollten um­ zum HERRN umzukehren. Stattdessen
gebracht werden (V. 13). bemühte er die Ärzte, und kurz darauf
15,16-19 Asa setzte auch seine Groß- starb er. Einige glauben, dass es sich bei
mutter (nicht seine Mutter16) von ihrer den »Ärzten« um Zauberer oder Geist-
Stellung als mitherrschende »Königin- heiler handelte.
mutter« ab und zerstörte ihr Götzenbild Trotz dieses traurigen Endes war Asa
(»Schandbild«). Als Kommentar zu einer der besten Könige Judas (15,17).
Vers 17 siehe die Anmerkung zu 14,3-8. Das Volk klagte bitterlich über seinen
Jetzt wurden Schätze in den Tempel ge- Tod. Das große Feuer von Vers 14 be-
bracht statt aus ihm hinausgeschleppt. zieht sich auf das Verbrennen von Räu-
Seine Arbeit wurde belohnt, wie der cherwerk und nicht auf eine Leichen-
Herr durch Asarja verheißen hatte, und verbrennung.
er hatte Frieden.
16,1 Später in der Regierung Asas17 D. König Joschafat (Kap. 17-20)
versuchte Bascha sein eigenes Volk da- 17,1-5 Joschafat folgte auf seinen Vater
von abzuhalten, zu Asa überzulaufen, und regierte fünfundzwanzig Jahre
indem er Rama befestigte, eine Stadt, lang (20,31). In 2. Chronik wird ihm viel
die nicht weit von Jerusalem lag. mehr Platz eingeräumt (Kap. 17-20) als
16,2-6 Asa hielt sich nun an die Hilfe in 1. Könige. Der Inhalt von Kap. 17 fin-
von Menschen, statt auf den Arm des det dort überhaupt keine Parallele.
Herrn zu vertrauen, wie er es früher ge- Von der Thronbesteigung an stärkte
tan hatte, als die Kuschiter einmar- Joschafat sein Reich gegenüber Israel.
schiert waren. Er schickte aus dem Er befestigte sein Reich, doch das Ge-
Schatz des Herrn zu Ben-Hadad, um heimnis seiner erfolgreichen Regierung
dessen Hilfe zu bezahlen. Daraufhin war, dass er dem HERRN nachfolgte,
griff der syrische König Israel von Nor- wie David es getan hatte. Es ist interes-
den her an und zwang Bascha, von sant, wie David stets als der Maßstab
Rama abzulassen, um seine Nordgren- benutzt wird, an dem die Könige ge-
ze zu verteidigen. Asas Pläne schienen messen wurden. Folgten sie seinem Bei-

443
2. Chronik 17 und 18

spiel, hatten sie Gelingen und wurden den. Es scheint, als ob sogar Ahab den
gesegnet. Taten sie es nicht, versagten Unterschied zwischen seinen Propheten
sie kläglich. Das Land hatte unter Jo- und einem wirklichen Propheten kann-
schafat Frieden, und seine Feinde zahl- te. Aber Micha, der einzige Prophet,
ten ihm Tribut (V. 10-12). durch den sie das Wort des Herrn erfah-
17,6-9 Das Wort Gottes hatte hohen ren konnten, wurde von Ahab gehasst,
Vorrang in Joschafats Leben. Mit gro- weil er immer nur Böses über den König
ßem Eifer befolgte er dessen Vorschrif- weissagte.
ten und hatte Freude daran, ihnen zu 18,8-11 Während Micha geholt wur-
gehorchen. Er machte es auch zur Norm de, stellte Zedekia auf schauspielerische
für sein Königreich und sandte eine Weise dar, wie die Syrer geschlagen
Kommission von Fürsten, Leviten und werden würden (vielleicht sollten die
Priestern aus, die das Volk in den We- beiden eisernen Hörner die beiden Kö-
gen des HERRN unterrichten sollte. nige Israels darstellen), wobei ihm alle
Damit befolgte er Gottes Befehle in anderen königlichen Propheten einhel-
5. Mose 6,6ff. lig zustimmten. D.L. Moody sagt dazu:
17,10-19 Unter dem Segen des HERRN
wurde Joschafat immer mächtiger. Und Ahab hatte seine Prediger und Prophe-
über welch ein Heer verfügte er! Reha- ten. Niemand ist so verdorben, dass er
beam fing mit 180.000 Männern an. Jetzt nicht einen Prediger findet, der ihm
hatte Juda 1.160.000 Soldaten, wobei die passt.18
Besatzungen der festen Städte noch
nicht mitgezählt waren. Viele davon 18,12-13 Inzwischen wurde Micha von
waren zweifellos von Israel übergelau- dem Boten des Königs bedrängt, mit
fen, weil sie sahen, dass der Herr mit den anderen Propheten übereinzustim-
Juda war. Es ist sehr traurig, dass Jo- men und den Sieg vorherzusagen; doch
schafat sein riesiges Heer nicht klüger Micha versprach, nur das Wort des
einsetzte, als wir es in Kap. 18 lesen. HERRN weiterzusagen. Vers 13 sollte
18,1 Bis zu diesem Augenblick waren das Motto jedes Predigers und auch je-
Israel und Juda feindlich einander ge- des Christen sein: »So wahr der HERR
genübergestanden. Aber Joschafats lebt, nur was mein Gott mir sagen wird,
Sohn heiratete Ahabs Tochter (21,5-6). das werde ich reden!«
So wurde zwischen den beiden Reichen 18,14-17 Zu Anfang tat Micha, als
ein Bündnis geschlossen. rede er wie alle anderen; aber schnell
18,2-7 Ahab bat Joschafat, ihm zu hel- war deutlich, dass er es nicht ernst
fen, die Syrer (Aramäer) anzugreifen, meinte. Als Ahab ihn schwören ließ, die
die einen Teil des Gebiets von Israel be- Wahrheit zu reden, sagte er ihnen Is­
setzt hielten (siehe 1Kö 22,3-4). Joschafat raels kommende Niederlage und Ahabs
willigte augenblicklich ein, Ahab zu Tod voraus.
helfen; doch meinte er, man solle vorher 18,18-22 Micha erklärte auch, warum
das Wort des HERRN erfragen. Dar­ Ahabs Propheten ihn falsch informier-
aufhin sandte Ahab nach den Prophe- ten: Sie waren unter dem Einfluss eines
ten, die einstimmig den Sieg vorher- Lügengeistes, den der HERR wegen
sagten. Allerdings können sie nicht all- Ahabs Gottlosigkeit gesandt hatte.
zu überzeugend gewesen sein, denn Ahab war jetzt der Gegenstand des Ge-
Joschafat, der über ein gewisses Maß an richts, wie schon früher von Elia ge-
geistlicher Einsicht verfügte, fragte nach weissagt war (1Kö 21,19-24). Matthew
einem »Propheten des HERRN«, als Henry sagt dazu:
wenn er andeuten wollte, dass die be- Der Teufel verführt die Menschen
reits versammelten Vierhundert mit nicht ohne göttliche Erlaubnis, und
dem HERRN nicht in Verbindung stan- selbst dann fördert Gott seine eigenen

444
2. Chronik 18 bis 20

Absichten … So warnte Micha Ahab ordent­lichen Respekt vor der Heiligen


ganz ehrlich, nicht nur vor der Gefahr, Schrift. Diese Taten zeigen auch, wie er
die ihm bei einem Kriegszug drohte, für seine Untertanen sorgte und
sondern auch vor der Gefahr, die ihm wünschte, in Treue im Sinne des
drohte, wenn er denen glaubte, die ihn HERRN zu regieren.
zum Krieg ermutigten.19 19,6-11 Die Ermahnungen des Königs
18,23-26 Micha litt wegen seiner Auf- waren dem Gesetz entnommen (V. 10).
richtigkeit. Zedekia gab ihm einen Ba- Er bekräftigte die ursprünglichen Ge-
ckenstreich, und Ahab sperrte ihn nur bote des HERRN für alle, die als Richter
mit Wasser und Brot ins Gefängnis. unter Gottes Volk tätig waren. Weil sie
Wahrscheinlich hatte er vor, ihn umzu- Gottes Bundesvolk richteten und weil
bringen. Beiden Männern trat Micha Gott alles beobachtete, was sie taten,
entgegen, indem er sagte, dass der sollten die Richter den HERRN fürchten
HERR beweisen werde, dass er die und sich in Acht nehmen. Auch in der
Wahrheit gesprochen hatte. Die Heilige Hauptstadt Jerusalem wurden Richter
Schrift sagt uns nicht, was mit Zedekia eingesetzt, denen die schwierigen Fälle
geschehen ist; aber von Ahab wissen vorgelegt werden konnten. Amarja, der
wir, dass er gemäß dem Wort des oberste Priester, war für religiöse Fälle
HERRN in der Schlacht umkam. zuständig und Sebadja, der Fürst des
18,27-29 Die Worte des Propheten Hauses Juda, für Zivilklagen. Die Levi-
müssen auf Ahab einigen Eindruck ge- ten sollten ihnen als leitende Beamte
macht haben, denn er versuchte, sich zu dienen.
verkleiden, um so dem göttlichen Ge- 20,1-6 Ein riesiges Heer von jenseits
richt zu entkommen. Er schlug vor, dass des Toten Meeres erklärte Juda den
Joschafat seine königlichen Kleider tra- Krieg. (Einige hebräische Handschrif-
gen sollte, während er, Ahab, eine ein- ten lesen in V. 2 statt »Aram« [das ist
fache Soldatenuniform anzog. Syrien] »Edom«20). Joschafat war zu
18,30-34 Aber das Wort des Herrn er- Recht erschrocken. Er ließ ein Fasten
füllte sich. Joschafat wurde vor den ausrufen und beorderte das Volk zum
Syrern errettet, nachdem er die Lektion Tempel, wo er zum HERRN betete. Das
über die Gefahren einer unheiligen Al- ist das dritte »königliche Gebet« in
lianz gelernt hatte (2Kor 6,14). Ahab 2. Chronik (siehe auch Salomos Gebet,
wurde nicht errettet. Gott lenkte einen Kap. 6, und Asas Gebet, 14,11).
scheinbar zufällig abgeschossenen Pfeil 20,7-13 Joschafat erinnerte den
zwischen die Fugen des Panzers, und er HERRN daran, dass die Juden sein
starb zur Zeit des Sonnenuntergangs. Bundesvolk waren. Der Tempel, wo Jo-
19,1-5 Als der Seher Jehu, der Sohn schafat betete, war Gottes Heiligtum
Hananis, der ebenfalls ein Prophet war, und der Ort, an dem er zu hören und
Joschafat wegen seines Bündnisses mit Gebete zu erhören versprochen hatte.
Ahab zurechtgewiesen hatte, reagierte Menschen, denen Israel einst Freund-
dieser darauf mit Buße. lichkeit erwiesen hatte, kamen nun, um
Seine Beziehung zu dem Götzendie- es zu vernichten und ihm sein Land
ner Ahab war ein schlechtes Beispiel für wegzunehmen. Nachdem Joschafat sei-
seine Untertanen. So reiste der König nen leidenschaftlichen Appell beendet
durch das ganze Königreich, um das hatte, stand er und mit ihm ganz Juda
Volk zum HERRN zurückzuführen. Er vor dem HERRN und wartete auf Ant-
führte auch ein Gerichtssystem gemäß wort.
dem mosaischen Gesetz (5. Mose 16, 20,14-17 Der Geist des HERRN sprach
18-20) ein. Dies, zusammen mit der Ver- zu Jahasiel und zerstreute die Furcht,
teilung von Lehrern überall im Land die das Volk ergriffen hatte. Der Kampf
(17,7-9), offenbarte Joschafats außer­ war Gottes Sache; das Volk sollte nur

445
2. Chronik 20 und 21

noch am nächsten Tag hinausgehen und 21,4-6 Judas fünfter König entschied
sehen, was er getan hatte. sich, auf den Wegen der Könige Israels
20,18-21 Glaubensvoll freute sich das zu wandeln statt auf den Wegen Da-
Volk seines Sieges, schon bevor er er- vids. Joram war ein Mörder und Göt-
rungen war. Am nächsten Morgen stan- zendiener. Gnadenlos ermordete er alle
den die Menschen früh auf, um zu seine eigenen Brüder, um seinen An-
sehen, was der HERR getan hatte. Sie spruch auf den Thron zu sichern. Die
marschierten auf das Schlachtfeld, als Heilige Schrift lässt uns nicht im Unkla-
gingen sie zu einem Fest, die Sänger ren über den bösen Einfluss, der Joram
voran. so gottlos handeln ließ: Seine Frau war
20,22-30 Gott verwirrte den Feind, als Ahabs Tochter (V. 6). Einst hatte
er sein Volk seine Glaubenslieder sin- Joschafat die Hochzeit zwischen den
gen hörte. Er erregte sie gegeneinander, beiden Königreichen arrangiert, und
sodass sie sich gegenseitig bekämpften nun war Juda mit derselben Gottlosig-
und einander vernichteten. Als Juda an- keit infiziert, die Israel ruiniert hatte.
kam, blieb nur noch das Beutesammeln Ahabs Tochter Atalja war das Werkzeug
übrig, eine Aufgabe, zu der es drei Tage in der Hand Satans, um Gericht über
brauchte. Mit überschäumender Freude das Volk Gottes zu bringen.
priesen die Menschen den HERRN und 21,7 Aber der HERR erinnerte sich an
kehrten singend nach Jerusalem zu- den Bund mit David; und so handelte
rück. Die Nachbarländer nahmen das er mit Joram und Juda nicht so streng
zur Kenntnis, und Juda hatte Frieden. wie mit Ahab und Israel. (»Eine Leuch-
20,31-34 Wie üblich wird hier eine te« bedeutet einen Abkömmling, der
Zusammenfassung der Regierung König sein konnte.) Trotzdem musste
Joschafats gegeben. Trotz seiner Be­ Juda wegen dieser unheiligen Vereini-
mühungen war er nicht in der Lage, gung leiden.
den Götzendienst völlig auszulöschen. 21,8-15 Die Edomiter, die Juda in den
Aber im Ganzen war seine Regierung Tagen Joschafats gefürchtet hatten
gut. Er versuchte, das Gute zu tun, und (17,10), machten jetzt einen Aufstand.
obwohl er nicht vollkommen war, tat er Libna, eine Stadt in Juda, sagte sich los.
gewöhnlich, was recht war in den Au- Joram machte die Sache immer schlim-
gen des HERRN. mer, indem er das Volk stets weiter in
20,35-37 Hier folgt ein Nachtrag be- den Götzendienst trieb. Selbst die Weis-
züglich der Partnerschaft Joschafats mit sagung Elias, die in einem Brief an den
Ahasja, dem gottlosen König Israels. Sie König enthalten war, vermochte ihn
bauten in Ezjon-Geber Schiffe, um nach nicht von seinem bösen Weg abzuhal-
Tarsis zu fahren, doch der HERR zer- ten. Joram wusste ganz sicher von dem
schlug das Projekt, wie ein Prophet mit mächtigen Dienst dieses Propheten in
Namen Elieser es vorhergesagt hatte. Israel, aber er erwies sich als genauso
Joschafat war 60 Jahre alt, als er starb. unempfänglich dafür, wie auch Ahab es
Sein Sohn Joram, der bereits sein Mit­ gewesen war.
regent gewesen war, folgte ihm auf Elia war irgendwann während der Re-
dem Thron Judas (21,1). gierung Joschafats in den Himmel auf-
genommen worden (2Kö 2,11). Weil Jo-
E. König Joram (Kap. 21) ram etwa fünf Jahre lang mit seinem
21,1-3 Beginnend mit der Regierung Jo- Vater zusammen regiert hatte, lebte Elia
rams geht die in 2. Chronik berichtete vielleicht noch, als er diese Botschaft
Geschichte durchweg abwärts bis hin sandte. Oder der Prophet hatte den Brief
zur Katastrophe und zur Verbannung. auf göttliche Anweisung hin geschrie-
Zwei Asarjas werden in Vers 2 unter ben und ihn Elisa übergeben, der ihn zu
den Brüdern Jorams aufgelistet. gegebener Zeit überbringen sollte.

446
2. Chronik 21 bis 23

21,16-17 Die Philister und die Araber eigenen Enkel ermordete! Satan war
schleppten Jorams Besitz und seine Fa- der unsichtbare Anstifter hinter diesem
milie fort – mit Ausnahme von Joahas, gnadenlosen Dahinschlachten der kö-
dem jüngsten seiner Söhne (gewöhnlich niglichen Familie. Damit wollte er die
Ahasja genannt). Weil er die Familie messianische Linie unterbrechen, wie
seines Vaters ermordet hatte, scheint er es schon früher versucht hatte und es
die­se Strafe seinem Verbrechen an­ auch noch öfter versuchen sollte. Aber
gemessen zu sein. weil die Verheißung in 1. Mose 3,15 die
21,18-20 Joram starb unter heftigsten Bewahrung der Linie garantierte, aus
Schmerzen an einer unheilbaren Krank- der schließlich der Herr Jesus kommen
heit seiner Eingeweide. Er schied aus sollte, brachte der HERR Joscheba dazu,
diesem Leben, ohne betrauert zu wer- ihren Neffen Joasch zu verbergen. Er
den. Weil er während seines Lebens wurde im Tempel versteckt, wo der
nicht wie die anderen Könige gewan- Mann Joschebas, der Priester Jojada,
delt hatte, wurde er nach seinem Tod sechs Jahre für ihn sorgte.
auch nicht bei ihnen begraben. 2. Könige 8-11 nennt weitere Einzel-
heiten zu diesen Ereignissen und be-
F. König Ahasja (22,1-9) richtet, was in derselben Zeit in Israel
22,1-9 Die durch die Verbindung mit geschah.
dem Haus Ahab entstandenen Schwie- 23,1-7 Bis er meinte, dass Joasch alt
rigkeiten erreichten jetzt die dritte Ge- genug sei, musste Jojada auf seine Zeit
neration. Ahasja (derselbe wie Joahas, warten, während die Thronräuberin auf
21,17, und Asarja, Vers 6 [Schlachter Davids Thron saß. Doch im siebten Jahr
2000]) wurde nach Jorams Tod König. rief er die Fürsten und Leviten zusam-
Er war damals 22 Jahre alt.21 men und plante mit ihnen Ataljas Sturz.
Seine Mutter Atalja, eine Enkelin Om- Boten zogen durch das ganze König-
ris, übte nach dem Tod ihres Mannes reich, und viele traten in den Bund ein,
ihren verderblichen Einfluss in Juda um Joasch auf den Thron seines Vaters
weiterhin aus. Sie war die Hauptberate- zu setzen. Die Worte: »Und alles Volk
rin ihres Sohnes zum Bösestun – »zu soll die Vorschriften des HERRN be­
seinem Verderben«. Ahasja war ver- achten«, bedeuten, dass sie das Gesetz
schont geblieben, um einen Sohn für befolgen sollten, welches ihnen den
den Thron Davids zu erhalten (V. 1); Eintritt in den Tempel verbot (siehe
doch er erwies sich als undankbar, in- V. 6a). Den Leviten und den Fürsten
dem er die Sünden seines Vaters wie- wurden ihre Aufgaben zugeteilt, und
derholte. Er vereinte sich mit Joram von ein Sabbat wurde für diesen schicksal-
Israel, um gegen Syrien Krieg zu füh- haften Tag ausersehen.
ren. Jehu und seine Leute fanden Ahas- 23,8-11 Als neue Abteilungen in den
ja versteckt in Samaria und töteten ihn. Tempel kamen, wurden die alten nicht
Die Knechte des Königs beerdigten ihn entlassen. So konnte Jojada, ohne Arg-
auf würdige Weise (2Kö 9,28), weil er wohn zu wecken, eine große Anzahl an
der Enkel des frommen Joschafat war. Männern versammeln. Die Leute waren
Ahasja hinterließ keinen Sohn, der alt mit Davids Waffen ausgerüstet, die im
genug war, um das Reich zu überneh- Tempel waren. Und als alle Vorberei-
men. tungen getroffen waren, wurde der sie-
benjährige Joasch aus dem Tempel ge-
G. Die Machtergreifung der Königin bracht und gekrönt. Ihm wurde eine
Atalja (22,10 - 23,21) Abschrift des Gesetzes (»die Ordnung«)
22,10-12 Nachdem sie ihren Mann und übergeben, in Übereinstimmung mit
ihren Sohn verloren hatte, riss Atalja dem Gesetz Moses (5. Mose 17,18-20).
den Thron an sich, indem sie ihre Einige meinen, dies sei das Original des

447
2. Chronik 23 und 24

Gesetzes gewesen, das in die Bundes­ ge der Priester Jojada lebte. Selbst
lade gelegt worden war (2. Mose 25,21; Joaschs zwei Frauen wurden für ihn von
2Chr 5,10). diesem einflussreichen Priester Gottes
23,12-15 Die Königin Atalja kam zu ausgesucht.
dem Volk im Tempel, um zu erforschen, 24,4-14 Um den Tempel auszubes-
warum dort gejubelt und gerufen wur- sern, befahl Joasch den Leviten, in ganz
de. Da fand sie einen kindlichen Riva- Israel Geld einzusammeln. Als die Le-
len, den sie längst für tot hielt und der viten dem nicht schnell genug entspra-
jetzt die königliche Krone trug. Was sie chen, wurde er ärgerlich über Jojada.
aber noch mehr erschrecken musste, Schließlich wurde ein besonderer Kas-
war die Erkenntnis, dass alles Volk ge- ten vor dem Tempel aufgestellt, und
schlossen hinter ihm stand. Niemand dem Volk wurde befohlen, herzukom-
hörte auf ihre Anklage des Verrats. men und die »Tempelsteuer« abzulie-
Schließlich war sie die Thronräuberin, fern.22 Diese wurde an die Arbeiter ver-
nicht Joasch. Jojada befahl sie zu töten, teilt, die das Haus Gottes wieder in-
jedoch nicht innerhalb des Tempel­ stand setzten und es befestigten.23
bezirks. Sie wurde zum Rosstor ge- 24,15-19 Als Jojada nach einem lan-
führt, wo sie wegen der Gräueltaten gen, fruchtbaren Leben starb, wurde er
umgebracht wurde, die sie in Juda be- dadurch geehrt, dass man ihn bei den
gangen hatte. Königen begrub, eine ungewöhnliche
23,16-19 Als Atalja aus dem Weg ge- Ehre für jemanden, der nicht aus könig-
räumt war, ging es mit den Reformen lichem Geblüt war. Als aber dieser got-
schnell voran. Jojada und das Volk tesfürchtige Einfluss dahin war, wandte
machten einen Bund, dass sie dem sich Joasch an Götzendiener um Rat,
HERRN gehören wollten. Um ihre Ent- was zum Untergang seines Reiches
schlossenheit zu zeigen, zerstörten sie führte. Der HERR sandte Propheten,
den Baalstempel und töteten den Baals- um ihn zu warnen; doch statt Buße zu
priester Mattan. Als Priester ging es Jo- tun, lehnte sich der Führer Judas gegen
jada vor allem um den Tempel und den Gott auf.
Gottesdienst. Eine der ersten Handlun- 24,20-27 Secharja verkündigte dem
gen war die Neuordnung des Tempel- Volk Gottes Warnungen, und der König
dienstes, so wie er von Mose und David befahl, ihn dafür zu steinigen. Joasch
angeordnet war. Er übertrug den Pries- dachte nicht mehr an die Güte, die Joja-
tern und Leviten ihre Aufgaben. Die da, der Vater (oder Großvater)24 von
Heiligkeit des Tempels sollte nicht län- Secharja, ihm erwiesen hatte. Vielleicht
ger leichtgenommen werden; Torhüter als Erhörung des Sterbegebets Sechar-
mussten die zeremoniell Unreinen jas schickte der Herr ein kleines Syrer-
draußen halten. Jojada wusste, dass im heer, um Juda zu plündern und die
Haus des HERRN eine Erneuerung be- Obersten des Volkes zu erschlagen.
ginnen musste. Joasch, der schon schwer verwundet
23,20-21 Joasch wurde in das Haus war, wurde von seinen eigenen Knech-
des Königs gebracht. Das Volk erwarte- ten umgebracht. Wie dem gottlosen Jo-
te freudig, was die Zukunft unter Joasch ram vor ihm wurde auch ihm ein Be-
bringen würde, und war dafür dank- gräbnis bei den Königen Judas ver-
bar, dass wieder ein Sohn Davids auf wehrt.
dem Thron Judas saß. Weil Joasch den Herrn im letzten Teil
seines Lebens verließ, war alles, was er
H. König Joasch (Kap. 24) vorher getan hatte, umsonst gewesen.
24,1-3 Joasch war erst sieben Jahre alt, Er hatte den Tempel ausgebessert und
als er König wurde, und regierte 40 Jah- neu eingerichtet, nur um dessen Schät-
re lang. Joasch tat, was recht war, solan- ze an Hasael, den König von Syrien,

448
2. Chronik 24 bis 26

auszuliefern (2Kö 12,17-18). Es ist schön, für ihn hilfreich sein! Amazja unter-
gut anzufangen; doch ist es weit wichti- brach den Propheten mit einer Dro-
ger, gut aufzuhören. Der Apostel Jo- hung, vielleicht einer verdeckten An-
hannes kannte die Neigung der Men- spielung auf Secharja, der sein Leben
schen, mitten auf dem Weg erschöpft verlor, weil er gegen Amazjas Vater ge-
aufzugeben, und warnt uns: »Seht auf weissagt hatte (24,20-24). Der Prophet
euch selbst, damit ihr nicht verliert, was antwortete auf die Warnung des Königs
wir erarbeitet haben, sondern vollen sinngemäß so: »Ich werde nicht tot­
Lohn empfangt!« (2Jo 8). geschlagen; du bist derjenige, der um-
In 2Kö 12 finden wir weitere Einzel- kommt!« Amazja hörte nicht auf Gottes
heiten über das Leben und die Regie- Rat, sondern beriet sich stattdessen mit
rung Joaschs (siehe Kommentar dazu). seinen Leuten. Unklugerweise begann
er Krieg mit Israel und verweigerte sich
I. König Amazja (Kap. 25) dem Rat des Propheten.
25,1-10 Nachdem er seinen Thron ge­ 25,22-28 Juda wurde geschlagen und
festigt und mit den Mördern seines Amazja gedemütigt und arm gemacht.
Vaters nach dem Gesetz verfahren war, Jerusalem wurde erobert und aus­
wandte sich Amazja der Außenpolitik geplündert. Amazjas Untertanen ver-
zu. Die Edomiter hatten sich während bündeten sich gegen ihn, und schließ-
der Regierung Jorams gegen Juda auf- lich floh er aus Jerusalem. Man ermor-
gelehnt (21,10), und vielleicht wollte dete ihn in Lachisch und brachte ihn
Amazja sie jetzt wieder unter seine zum Begräbnis nach Jerusalem zurück.
Herrschaft bringen. So mietete er Söld-
ner aus Israel an. Allerdings schickte er J. König Usija (Kap. 26)
sie wieder nach Hause, nachdem er von 26,1-5 Der Grund für Usijas Erfolg wird
einem Mann Gottes gewarnt worden am Anfang dieses Kapitels genannt. Er
war. Obwohl er es bedauerte, das Geld tat, was recht war, und er suchte Gott.
für die Söldnertruppe verloren zu ha- Secharja, ein Mann mit Einsicht, war
ben, nahm er die Zusicherung des Pro- sein gottesfürchtiger Berater.
pheten ernst, dass der HERR in der 26,6-15 Wohin sich Usija auch wand-
Lage war, ihm noch mehr als nur das zu te, wurde er gesegnet. Er bekämpfte er-
geben, was er durch seine törichte Geld­ folgreich die Philister und die Ammo-
anlage verspielt hatte. niter, außerdem verbesserte er Judas
25,11-13 Amazja und seine Männer Verteidigung. Er baute eine Elitetruppe
töteten 10.000 Edomiter. Außerdem auf und rüstete sie mit mächtigen Waf-
nahmen sie 10.000 gefangen, nur um sie fen aus. Auch baute er Städte und för-
später von einer Felsspitze hinabzu- derte die Entwicklung der Landwirt-
stürzen. Die letztgenannten Opfer mö- schaft (V. 10). Die »Maschinen« aus Vers
gen sich ungewöhnlicher Grausamkeit 15 waren eine Art Katapult.
schuldig gemacht haben, oder Amazja 26,16-23 Doch Usijas Herz erhob sich,
folgte nur der damals üblichen Hand- und er wurde stolz. Er ging in den Tem-
lungsweise in Kriegszeiten. Die von pel, um vor dem HERRN Räucherwerk
Amazja heimgeschickten Söldner über- zu verbrennen, etwas, was nur die
fielen zornig die Städte Judas, brachten Priester tun durften. Asarja und 80 an-
3.000 Menschen um und machten viel dere Priester, alles vortreffliche Leute,
Beute. gingen hinter dem König her. Die Zu-
25,14-21 Als Amazja anfing, Götzen rechtweisung der Priester ärgerte den
anzubeten, die er aus Edom mit­ König; doch bevor er irgendetwas tun
gebracht hatte, rügte ihn ein Prophet konnte, schlug der HERR ihn mit Aus-
dafür, dass er meinte, die Götter, die ih- satz. Er wurde aus dem Tempel getrie-
rem Volk nicht helfen konnten, könnten ben, zu dem er nie wieder zurückkehr-

449
2. Chronik 26 bis 28

te. Er blieb von diesem Tag an aussätzig dienst und heidnischen Gräueln aus
und lebte in einem abgesonderten und ermunterte sogar noch dazu.
Haus, während Jotam, sein Sohn, re- 28,5-8 Deshalb brachte der HERR vie-
gierte. Usija wurde nicht in den Grä- le Feinde gegen Juda auf. Jesaja berich-
bern der Könige beerdigt; weil er aus- tet uns, dass Rezin, der König von Syri-
sätzig war, bestattete man ihn auf einem en, und Pekach, der König von Israel,
Feld, das an die königlichen Gräber an- Verbündete im Kampf gegen Jerusalem
grenzte. waren. Es gelang ihnen nicht, die
Hauptstadt zu erobern, aber sie richte-
K. König Jotam (Kap. 27) ten großen Schaden in Juda an. Die Is-
27,1-4 Wie sein Vater Usija erfreute sich raeliten töteten 120.000 Mann an einem
auch Jotam friedlicher Zeiten, sodass er Tag und nahmen 200.000 gefangen. Vie-
seine Hauptstadt weiter ausbauen und le Vornehme wurden damals erschla-
auch in der Umgebung Städte bauen gen. Doch als Ahas von Rezin und Pe-
konnte. Er folgte dem Beispiel seines kach bedroht wurde, gab Gott in seiner
Vaters, außer in der Sache mit der Sün- Gnade dem Haus Juda durch Jesaja die
de Usijas. Allerdings wichen die Hö- Verheißung, dass die Jungfrau den Im-
henheiligtümer nicht, und Jotam scheint manuel gebären werde (Jes 7,14).
wenig von einem Reformator gehabt zu 28,9-15 Die Israeliten hatten vor, ihre
haben. Er tat nicht viel, um das Volk da- Brüder aus Juda zu versklaven, was
von abzuhalten, »verderblich« zu han- nach dem Gesetz Moses verboten war.
deln. Doch der Herr sandte einen Propheten,
27,5-9 Die Ammoniter waren von sei- um sie davor zu warnen, denn der bren-
nem Vater unterworfen worden (26,8), nende Zorn des HERRN lastete deshalb
doch vielleicht veranlasste sie dessen auf ihnen. Es stimmt, dass Israel Gottes
Tod, den Tribut einzubehalten. Jotam Werkzeug zum Gericht war; doch seine
kämpfte mit ihnen und zwang sie, wie- Grausamkeit war unverantwortlich. Ei-
der Tribut zu zahlen. Seine Stärke lag dar­ nige der Oberhäupter Ephraims waren
in, dass er bei allem, was er tat, Gott nicht vernünftig genug, auf den Propheten
aus den Augen verlor. Sie begruben Jo- Oded zu hören und die Freilassung der
tam in der Stadt Davids, und Ahas, sein Gefangenen sicherzustellen. Diese wur-
Sohn, wurde an seiner Stelle König. den vollständig eingekleidet, von der
Beute gespeist und in ihr Land zurück-
L. König Ahas (Kap. 28) geschickt.
28,1-4 Um die ganze Geschichte von 28,16-27 Zur selben Zeit wurde König
Ahas zu begreifen, sollte man 2. Könige Ahas von den Völkern bedroht, die sein
16 und Jesaja 7 lesen. Er war der bis da- Vater unterworfen hatte: Edom und
hin gottloseste König Judas und regier- Philistäa. Doch statt sich in seiner Not
te 16 Jahre in Jerusalem.25 zum Herrn zu wenden, wandte sich
Nachdem Ahas König geworden war, Ahas an Tiglat-Pileser, den König von
verlor er keine Zeit, sich in den Götzen- Assyrien. Er gewann die Unterstützung
dienst zu stürzen. Er nahm sich statt der Assyrer mit Gold aus dem Tempel
David die bösen Könige Israels zum und aus dem Haus des Königs. Darauf-
Vorbild. Ahas ließ das scheußliche Ritu- hin griff der König von Assyrien Syrien
al der Kinderopfer wieder aufleben. Es an und tötete Rezin in Damaskus (2Kö
wurde im Tal Ben-Hinnom, außerhalb 16,9). Als Ahas nach Damaskus reiste,
von Jerusalem, durchgeführt. Der Mo- um Tiglat-Pileser zu sehen, war er von
loch-Kult, von dem dies ein Bestandteil den Göttern Syriens angetan (2Kö 16,8-
war, wurde seit den Tagen Salomos 10). Das Bündnis zwischen Ahas und
nicht mehr praktiziert (1Kö 11,7); jetzt dem König von Assyrien erwies sich als
aber übte man alle Arten von Götzen- teuer erkauft, weil die Assyrer ihn be-

450
2. Chronik 28 bis 30

trogen und ihm hohen Tribut abver- 29,25-36 Die Priester und Leviten hat-
langten. Das Bündnis aber mit den syri- ten ihre Plätze eingenommen, wie Da-
schen Götzen erwies sich als tödlich, vid es angeordnet hatte, sangen und
weil es den HERRN zu großem Zorn spielten die heiligen Instrumente, wäh-
reizte. König Ahas bestärkte den Göt- rend das Brandopfer dargebracht wur-
zendienst in Juda so nachdrücklich, de. Alle Anwesenden beugten sich in
dass nicht einmal sein frommer Sohn Anbetung zusammen mit den Leviten,
Hiskia ihn ausrotten konnte. Als Ahas und wer willigen Herzens war, brachte
starb, wurde er nicht in den Gräbern Brand- und Dankopfer dar. So viele
der Könige beigesetzt.26 Ahas wird in freiwillige Opfergaben wurden dar­
Vers 19 König von Israel genannt. gebracht, dass die Leviten den Priestern
Manchmal erhielten die Könige von beim Schlachten der Tiere helfen muss-
Juda diesen Namen (siehe 2Chr 21,2). ten, weil sich nicht genügend Priester
geheiligt hatten. Das Volk freute sich,
M. König Hiskia (Kap. 29-32) weil diese Erweckung so plötzlich ge-
29,1-11 Die Bibel berichtet in mehreren kommen war und weil diese einen
Kapiteln über die Regierung Hiskias. Hoffnungsschimmer für eine bessere
Drei Kapitel sind ihm in 2. Könige ge- Zukunft in Juda darstellte. Doch dies
widmet (Kap. 18-20), vier im Buch Jesa- war nur der Beginn der Reformen His-
ja (Kap. 36-39) und vier hier. 2. Chronik kias.
erwähnt vor allem sein religiöses Ver- 30,1-5 Kapitel 30 wird völlig von His-
halten, während 2. Könige über seine kias Wiedereinsetzung des Passahfestes
innen- und außenpolitischen Tätigkei- ausgefüllt, das in dieser Weise nicht ge-
ten berichtet. Beide Bücher zusammen feiert wurde, seit das Reich geteilt wur-
zeigen seinen hervorragenden Charak- de (2Chr 8,13).
ter und seine Hingabe an den HERRN. Im ersten Monat hatte der König den
Hiskia begann seine Reformation bei Tempel gereinigt und dessen Dienste
den religiösen Führern. Er rief die Pries- erneuert. Im zweiten Monat bereitete er
ter und Leviten zusammen und befahl die Feier des Passahfestes und des
ihnen, sich und den Tempel zu heiligen. Festes der ungesäuerten Brote vor.
Wegen der Untreue ihrer Väter lag der Nach 4. Mose 9,11 konnte das Passah
Zorn des HERRN auf dem Land, und auch im zweiten Monat gefeiert wer-
viele Menschen waren schon erschla- den, wenn sich jemand durch eine Lei-
gen oder gefangen weggeführt worden. che verunreinigt hatte oder wenn je-
Der König wollte mit Gott in Ordnung mand weit weg auf Reisen war. In
kommen und forderte die Priester und Hiskias Fall war die Feier während des
Leviten auf, dasselbe zu tun. ersten Monats, »zur bestimmten Zeit«,
29,12-24 Die in den Versen 12-14 mit nicht möglich, weil sich keine ge­
Namen aufgeführten Leviten leiteten nügende Zahl an Priestern geheiligt
ihre Brüder an, dem Befehl des Königs hatte (V. 3). Da es sich um ein nationales
zu gehorchen. Sie reinigten (V. 16) die Fest handelte, musste das ganze Volk
Höfe acht Tage lang, dann den Tempel eingeladen werden. So wurden durch
selbst acht Tage lang (V. 17). Sie brach- ganz Juda und Israel Boten geschickt,
ten die Geräte für den Tempeldienst in um die Menschen zu bitten, nach Jeru-
Ordnung, dann berichteten sie dem Kö- salem zu kommen. Israel war damals
nig Hiskia, dass alles nach seinem Be- eine assyrische Provinz, und die Masse
fehl ausgeführt worden sei. Hiskia des Volkes war in die Gefangenschaft
brachte ein Sündopfer für das König- geführt worden. Trotzdem konnte
reich dar. Das Blut der Sünd- und Hiskia die verbliebenen Israeliten ein­
Brandopfer wurde zur Reinigung des laden, ohne von den Assyrern daran
Altars benutzt. gehindert zu werden.

451
2. Chronik 30 bis 32

30,6-12 Die meisten Israeliten verlach- geführt, woran man sieht, dass Gott auf
ten die Boten, die sie ermahnten, zum jeden persönlich achtgibt, der für ihn
HERRN umzukehren. Immerhin tat ein arbeitet.
kleiner Überrest Buße und reiste nach Während der Grundsatz der Abgabe
Jerusalem, um das Passah im ersten des Zehnten im Neuen Testament nicht
Jahr der Regierung Hiskias zu feiern. befohlen wird, so wird dort doch sehr
Das war 716/715 v.Chr. (2Chr 29,3). wohl die Praxis systematischen Gebens
30,13-15 Der Eifer des Volkes be- nach dem Maß dessen gelehrt, was man
schämte die Priester und Leviten und an Einkommen hat.
veranlasste sie zu einer ernsthafteren 31,20-21 Kap. 31 schließt mit einem
Pflichtauffassung. Die Stadt wurde von Lob auf Hiskia. Was immer er für Gott
ihrem heidnischen Unrat gereinigt, und tat, tat er mit ganzem Herzen. Kein
auch das Letzte, was noch an den Göt- Wunder, dass ihm alles gelang!
zendienst erinnerte, wurde in den Bach 32,1-8 Nachdem die Assyrer die nörd-
Kidron geworfen. lichen Stämme in die Gefangenschaft
30,16-27 Die Leviten halfen denen, geführt hatten (2. Könige 17), bedroh-
die zeremoniell unrein waren, und His- ten sie jetzt Juda in gleicher Weise. His-
kia betete, dass der Herr die Mängel kia, der früher Sanherib Tribut gezahlt
übersehen und die Herzenshaltung des hatte (2Kö 18,13-16), wurde von den
Volkes annehmen möge. Und der HERR Assyrern hart bedrängt, sich samt sei-
erhörte ihn. Das Fest der ungesäuerten nem Königreich ihnen zu unterwerfen.
Brote war für sie eine solche Freude, Als Sanherib in Juda einmarschierte,
dass alle beschlossen, weitere sieben reagierte Hiskia darauf, indem er die
Tage zu feiern. Der König und die Wasserversorgung außerhalb der Stadt
Obersten spendeten Opfertiere für die- verstopfte, die Mauern Jerusalems wie-
ses verlängerte Fest, und es herrschte der aufbaute und verstärkte, Waffen be-
große Freude in Jerusalem. Die ganze sorgte, Offiziere einsetzte und das Volk
Gemeinde wurde gesegnet; alles war ermutigte, auf den HERRN zu schauen,
so, wie es in Israels »Goldenem Zeit­ statt sich vor dem Heer der Assyrer zu
alter« gewesen war, und wieder wur- fürchten. G. Campbell Morgan schreibt:
den die Gebete der Priester des HERRN
im Himmel gehört. Es scheint eine eigenartige Antwort Got-
31,1 Der erste Vers von Kap. 31 tes auf die Treue seines Knechtes zu sein,
schließt an den Schlussvers des vorigen dass ein mächtiger Feind gerade jetzt das
Kapitels an. Als die Männer von Israel Königreich überfiel. Die Erzählung hat
Jerusalem verließen, zerstörten sie die mehr Einzelheiten nötig, als sie in die-
Götzen und Götzenaltäre in Juda, Ben- sem Bericht gefunden werden. Man kann
jamin, Ephraim und Manasse gründlich sie in 2. Könige 18,7-16 nachlesen. Dort
und kehrten in ihre Häuser zurück. lesen wir, dass Hiskia das Joch des Kö-
31,2-10 Als Nächstes wies Hiskia den nigs von Assyrien abgeschüttelt hatte,
Priestern und Leviten ihre jeweiligen das sein Vater Ahas bereit war, auf sich
Pflichten zu, dann stellte er ihren zu nehmen. Daraufhin war Sanherib in
Unterhalt durch Abgabe des Zehnten Juda einmarschiert, und in einem schwa-
sicher. Das Volk spendete so groß­zügig, chen Augenblick hatte Hiskia ihm einen
dass alle satt wurden und sie noch viel hohen Tribut gezahlt, um sich loszukau-
übrig behielten. fen. Dadurch hatte er sich aber wieder
31,11-19 Besondere Räume mussten seiner Oberhoheit unterworfen. Das Er-
im Tempel bereitgestellt werden, um gebnis war nicht das erstrebte, denn jetzt
den Überfluss aufzunehmen, und tüch- forderte Sanherib die völlige Unterwer-
tige Männer wurden zu Aufsehern be- fung. In dieser aus seinem Wankelmut
stimmt. Diese werden namentlich auf- entsprungenen Krisensituation wurden

452
2. Chronik 32 und 33

Hiskias Glaube und Mut erneuert. Sofort Sie waren durch das himmlische Wun-
wurde er aktiv und ärgerte den Feind, in- der, das Gott dem Hiskia gezeigt hatte,
dem er den Wasserzufluss unterband, neugierig geworden. Sie mögen daran
die Befestigungen verstärkte, sein Heer besonderes Interesse gehabt haben,
mobilisierte und schließlich dem Volk weil sie die Sonne und die Sterne anbe-
versicherte: »Ein Größerer ist mit uns als teten. Törichterweise zeigte der König
mit ihnen.«27 ihnen seine Schätze, wodurch er bei
ihnen Begehrlichkeiten weckte ‒ Be-
32,9-19 Während der König von Assy­ gehrlichkeiten, die bald erfüllt werden
rien Lachisch belagerte, verhöhnte er sollten.
Hiskia und sein Volk, indem er behaup- 32,32-33 Die übrigen Taten Hiskias
tete, dass der HERR nicht stärker sei als finden wir im Buch Jesaja. Als Hiskia
die anderen Götter, die er schon über- starb, wurde er mit allen Ehren be­
wunden hatte, und meinte, dass jeder graben. Manasse, sein Sohn, regierte an
klug beraten wäre, wenn er nicht auf seiner statt.
Hiskia hörte, sondern sich unterwarf.
Vers 12 zeigt, dass sogar die Assyrer N. König Manasse (33,1-20)
von Hiskias Reformen gehört hatten. 33,1-11 Trotz eines so frommen Vaters
Doch mit zwei Dingen hatte Sanherib führte er das übelste Regiment in Juda.
nicht gerechnet: mit der Loyalität des Es war auch das längste, nämlich 55
Volkes Hiskia gegenüber und mit der Jahre lang. Auch sein Sündenregister ist
Macht des HERRN. sehr lang. Er verunreinigte die Stadt
32,20-23 Nachdem Sanherib den und den Tempel Gottes mit seinen Göt-
Herrn verlacht hatte, beteten Hiskia und zen und belebte wieder den Brauch, für
Jesaja zusammen, und der HERR sandte Moloch im Tal Ben-Hinnom Kinder zu
einen Engel, der das Heer der Assyrer verbrennen. Er war ein unersättlicher
vernichtete. Sanherib kehrte gedemü- Mörder (2Kö 21,16); Josephus berichtet,
tigt heim und wurde später von seinen dass er tägliche Hinrichtungen anord-
ei­genen Söhnen im Tempel seines Gottes nete. Die Tradition weiß, dass er Jesaja,
ermordet. den Propheten, ermordete, indem er
32,24-26 Hiskias Krankheit und Hei- ihn entzweisägen ließ (darauf kann
lung fanden möglicherweise vor der auch der Ausdruck »wurden … zer-
Belagerung durch Sanherib statt. In sei- sägt« in Hebräer 11,37 hinweisen). Als
ner Krankheit rief er zum HERRN, und Manasse sich weigerte, auf den HERRN
dieser verhieß ihm eine Verlängerung zu hören und von seiner Gottlosigkeit
seines Lebens, was durch ein Zeichen umzukehren, veranlasste der HERR
bestätigt wurde, bei dem der Schatten den König von Assyrien, ihn nach Ba-
der Sonne rückwärts lief. Als er darin bylon zu verschleppen, das damals von
versagte, sich dieser Gnade entspre- den Assyrern beherrscht wurde.
chend zu verhalten, war der Herr zor- 33,12-20 Nur 2. Chronik erwähnt Ma-
nig auf ihn; doch Hiskia demütigte sich, nasses Buße. (Der Hinweis in Vers 18
und die Strafe kam erst nach seinem bezieht sich nicht auf die kanonischen
Tod über Juda. Bücher der Könige, sondern auf eine
32,27-30 Besonders erwähnt werden verloren gegangene weltliche Chronik.)
sein Reichtum und seine Ehre sowie Nachdem er jahrelang allen möglichen
der Tunnel, den er baute, um das Was- abscheulichen Götzen gedient hatte, er-
ser aus dem Kidrontal in ein Reservoir kannte Manasse, dass der HERR Gott
innerhalb der Stadt zu leiten (siehe 2Kö ist, und er wurde bekehrt. Er tat, was er
20,20 für weitere Einzelheiten über die- konnte, um das Volk zur Treue gegen­
sen Wassertunnel). über dem HERRN zurückzuführen und
32,31 Gesandte kamen aus Babylon. den Götzendienst aus seinem Reich zu

453
2. Chronik 33 bis 35

entfernen. Auf den in Vers 17 erwähn- Unheils über Juda zu erleben, weil sein
ten Opferhöhen wurden dem HERRN Herz weich und demütig geworden
außerhalb von Jerusalem Opfer darge- war und er dem Wort des HERRN ge-
bracht. Das war im Gesetz verboten, glaubt hatte.
wurde aber trotzdem beibehalten. 34,29-32 Obwohl Josia um die Un­
abwendbarkeit des Gerichts wusste,
O. König Amon (33,21-25) versammelte er das Volk und machte
Nach Manasses Tod folgte sein Sohn einen Bund mit dem HERRN. Er stellte
nicht dessen Reformen, sondern viel- seinen Untertanen das Wort Gottes vor
mehr dessen früheren Sünden. Der jun- Augen, damit sie begreifen konnten,
ge König Amon regierte nur zwei Jahre. wie ernst ihre Lage und wie außer­
Dann wurde er von seinen Knechten in ordentlich nötig ihre Buße war.
seinem Haus ermordet. Das Volk des 34,33 Aufgrund seiner festen und
Landes tötete Amons Mörder und er- überzeugenden Führung konnte er zeit
setzte den König durch seinen Sohn Jo- seines Lebens die Treue gegenüber dem
sia. HERRN fördern. Die Inhalte von Vers
33 werden in 2Kö 23,4-20 sehr viel aus-
P. König Josia (Kap. 34-35) führlicher dargestellt. Die der Auf­
34,1-7 Die Götzenaltäre, die Manasse findung des Gesetzes folgende Reform
aus der Stadt geschafft hatte (33,15), und der Bundesschluss waren sogar
waren von Amon und dem Volk wieder noch durchgreifender als Josias erste
zurückgebracht worden. Im achten Jahr Reinigung seines Reiches.
seiner Regierung begann der sechzehn- 35,1-6 Wie Hiskia vor ihm, ermutigte
jährige König Josia, den Gott seines Va- Josia die Priester und Leviten, den ih-
ters David zu suchen. Vier Jahre darauf nen aufgetragenen Dienst auszuführen.
begann er mit seinen Reformen. Josia Sie sollten die heilige Lade in den Tem-
stellte sicher, dass derselbe Fehler sich pel zurückbringen, sich in ihre jeweili-
nicht wiederholte; so zerstörte er alles gen Abteilungen einordnen, ihren Pos-
vollständig, was mit dem Götzendienst ten im Tempel beziehen und sich reini-
zusammenhing. Er verbrannte es und gen, damit sie bereit waren, das Passah
zermalmte es zu Staub. Seine Reformen zu feiern. Es gibt mehrere Ansichten
breitete er bis in die entlegensten Teile darüber, warum die Lade aus dem Tem-
Israels aus. pel entfernt worden war und nun zu-
34,8-18 Wie die großen Reformatoren rückgebracht werden musste. Die Pries-
vor ihm, wandte er seine Aufmerksam- ter mögen sie auf ihren Schultern von
keit bald der Wiederherstellung des einem Ort zum anderen getragen ha-
Tempels zu. Eine Abschrift des Buches ben, um sie vor Schändungen zu be-
des Gesetzes wurde dabei gefunden wahren. Manasse oder ein anderer göt-
und vor dem König verlesen. Zu jeder zendienerischer König könnte ihre Ent-
größeren oder kleineren Erweckung fernung angeordnet haben. Josia kann
wahren Glaubens gehört die Ent­ sie irgendwohin gebracht haben, wäh-
deckung der Lehren des Wortes Gottes. rend der Tempel erneuert wurde.
Die große Reformation im 16. Jahrhun- 35,7-19 Weil das Land durch die As-
dert war da keine Ausnahme. syrer arm geworden war, stiftete Josia
34,19-28 Josia nahm die Warnungen die meisten Tiere für das Fest, zusam-
ernst und sandte zu der Prophetin Hul- men mit anderen Führern und Pries-
da, um zu erfahren, ob noch eine Mög- tern, die bereitstellten, was sie konnten.
lichkeit für Gnade bestand. Ihre Worte Die mosaischen Vorschriften für das
bestätigten nur, dass Gottes Zorn vor Passah und das Fest der ungesäuerten
dem Ausbruch stand. Immerhin sollte Brote wurden auf den Buchstaben ge-
es Josia erspart bleiben, den Tag des nau befolgt. Unter Dankesliedern feier-

454
2. Chronik 35 und 36

ten der König und das Volk das bemer- schiedenen Zeiten direkt zu heidnischen
kenswerteste Passah seit den Tagen Sa- Königen gesprochen, ohne notwendiger-
muels. Es war nicht das größte oder weise ihre Herzen verändert zu haben
kunstvollste Fest, aber das Fest, an dem (siehe 1. Mose 12,17-20; 20,3-7). Wir dür-
sich der HERR am meisten erfreute, fen daraus schließen, dass Gott das ägyp-
vielleicht wegen der Qualität der An­ tische Heer zum Euphrat lenken wollte,
betung. Dieses Fest wurde in dem Jahr damit Nebukadnezar es zusammen mit
gefeiert, in dem auch die große Tempel- dem assyrischen Heer vernichten konn-
Erneuerung stattfand (V. 19; siehe te. Dadurch sollte sich seine Warnung
34,8ff.). erfüllen, dass die Babylonier Juda er­
35,20-24 Über die nächsten dreizehn obern und bestrafen würden (siehe Jer
Jahre der Regierung Josias wird nichts 25,8-11).29
berichtet. Als er 39 Jahre alt war, zog er
gegen Necho, den König von Ägypten, 35,25-27 Jeremia beklagte Josias Tod.
in den Krieg. Das ägyptische Heer war Die Sänger erwähnten ihn sogar nach
unterwegs, um zusammen mit den As- der Verbannung. Josia war der Mann ei­
syrern gegen die Babylonier zu kämp- nes Buches; er lebte nach dem Gesetz
fen (2Kö 23,29). Josia konnte sich nicht des HERRN, und seine Treue ist für im-
vorstellen, dass Gottes Hand hinter mer im Wort des Herrn festgehalten. In
Nechos Kriegszug stand. So fragte er Jeremia 22,16 lesen wir: »Er hat dem
gar nicht erst den Herrn, ob Necho die Elenden und dem Armen zum Recht
Wahrheit sprach. Obwohl er sich ver- verholfen. Darum ging es ihm gut.
kleidete, wurde er in der Schlacht ge­ Heißt das nicht mich erkennen? spricht
tötet.28 Sein Volk beklagte den Verlust, der HERR.« Josia bewies durch sein Le-
und alle, die dem Wort des Herrn glaub- ben, dass er Gott kannte. Früh begann
ten, wussten, dass mit Josias Abgang er, den Herrn zu suchen (34,3), und ge-
der göttliche Zorn unmittelbar vor dem treulich war er entsprechend dem ihm
Ausbruch stand (34,22-28). gegebenen Licht gehorsam. »Vor Josia
John Whitcomb kommentiert diese gab es keinen König wie ihn, der zu
Ereignisse so: dem HERRN umgekehrt wäre mit sei-
nem ganzen Herzen und mit seiner
Nun kommt eine der eigenartigsten Epi- ganzen Seele und mit seiner ganzen
soden der alttestamentlichen Geschichte. Kraft nach dem ganzen Gesetz des
Der heidnische König Necho II. von Mose. Und auch nach ihm ist seines-
Ägypten informierte Josia: »Gott hat zu gleichen nicht aufgestanden« (2Kö
mir gesagt, dass ich eilen soll«, und wenn 23,25).
sich Josia in Gottes Pläne mische, würde
Gott ihn verderben (2Chr 35,21). Wir Q. König Joahas (36,1-3)
würden selbstverständlich eine solche Die Verbannung Judas fand in Etappen
Aussage sofort als Propaganda abtun, statt. 605 v.Chr. betrat Nebukadnezar
wäre da nicht die Erläuterung des Chro- Jerusalem, machte Jojakim zu seinem
nikschreibers, dass Josia »nicht auf die Vasallen und brachte Gefangene nach
Worte Nechos hörte, die aus dem Mund Babylon, darunter auch Daniel (2Kö
Gottes kamen«! Außerdem muss man 24,1). 597 v.Chr. marschierte Nebukad-
Necho glauben, weil Josia getötet wurde. nezar wieder in Jerusalem ein, ver-
Was hat das zu bedeuten? Verlor Josia schleppte Jojakim und nahm weitere
seine Errettung wegen seines Ungehor- Gefangene mit, unter ihnen war auch
sams? Nein, denn Hulda hatte gesagt, er Hesekiel (2Kö 24,10). Schließlich zer-
werde »in Frieden« sterben (2Chr 34,28). störte Nebukadnezar im Jahr 586 v.Chr.
War Pharao Necho ein Prophet des den Tempel und nahm alle, bis auf die
HERRN? Nein, denn Gott hatte zu ver- Ärmsten, gefangen (2Kö 25,1-10).

455
2. Chronik 36

Joahas regierte nur drei Monate. Dann IV. Die babylonische


wurde er vom ägyptischen König ab­ Gefangenschaft (36,20-21)
gesetzt und gezwungen, einen hohen
Tribut zu entrichten. Er war ein böser Das Volk der Juden hatte sich 490 Jahre
Mensch und ganz und gar nicht wie sein lang geweigert, das Sabbatjahr zu hal-
Vater Josia (siehe 2Kö 23,31-34). Er wur- ten; jetzt sollte das Land einen erzwun-
de nach Ägypten gebracht, wo er starb. genen Sabbat von 70 Jahren haben. Zur
unterschiedlichen Berechnung der sieb-
R. König Jojakim (36,4-8) zigjährigen Gefangenschaft siehe die
Eljakim, auch Jojakim genannt, war Joa- Einführung zum Kommentar über Esra.
has’ älterer Bruder. Er wurde von Necho
auf den Thron gesetzt. Seine Regierung V. Der Erlass des Kyrus (36,22-23)
dauerte elf Jahre und war von Gott­ Während das Volk von Juda in der ba-
losigkeit gekennzeichnet. Nebukad­ bylonischen Gefangenschaft saß, wur-
nezar, der 605 v.Chr. den Tempel plün- de Babylon von den Medo-Persern er­
derte, machte ihr ein Ende. Nebukad- obert. 70 Jahre nach dem Beginn der
nezar wollte Jojakim nach Babylon Verbannung erließ Kyrus, der König
bringen, was ihm aber nicht gelang. von Persien, ein Dekret, das den Juden
Obwohl die Chroniken die Tatsache die Heimkehr in ihr Land gestattete.
nicht berichten, wissen wir, dass er un- Beachtenswert ist, dass in der hebrä­
ter Schimpf und Schande in Jerusalem ischen Reihenfolge der Bücher des Al-
starb, wie Jeremia es vorhergesagt hatte ten Testaments die Chroniken am Ende
(Jer 22,19; 36,30). stehen. Statt mit einem Fluch (Mal 3,24)
endet die jüdische Bibel also mit einem
S. König Jojachin (36,9-10) Mut machenden Ausklang: »So spricht
Jojachin war 18 Jahre alt30, als er König Kyrus, der König von Persien: Alle Kö-
wurde. Nach einer kurzen Regierung nigreiche der Erde hat der HERR, der
von drei Monaten und zehn Tagen lie- Gott des Himmels, mir gegeben. Und er
ferte Jojachin Jerusalem den Babylo- hat mich beauftragt, ihm ein Haus zu
niern aus und verbrachte die nächsten bauen in Jerusalem, das in Juda ist. Wer
37 Jahre im Gefängnis in Babylon. Nach immer unter euch aus seinem Volk ist,
dem Tod Nebukadnezars wurde er ent- mit dem sei der HERR, sein Gott! Er zie­
lassen und bekam eine ehrenvolle Stel- he hinauf!«
lung (2Kö 25,27-30).
T. König Zedekia (36,11-19) Anmerkungen
Zedekia, dessen anderer Name Mattanja 1
(2,2-9) Wie viel hat Salomo an Hiram
lautete, war ein weiterer Sohn Josias. Als bezahlt? 1Kö 5,25 nennt einen Betrag
sich Jojachin als unzuverlässig gegen­ und 2Chr 2,9 einen anderen. 1. Köni-
über den Babyloniern erwies, erwählte ge bezieht sich auf eine persönliche
das Volk Zedekia zu dessen Nachfolger. Gabe für Hirams Haushalt, während
Er tat, was böse war, und wollte sich 2. Chronik von der Versorgung der
nicht vor dem Propheten Jeremia demü- Arbeiter Hirams spricht, die die Bal-
tigen. Auch brach er den Eid gegenüber ken für Salomo sägten.
Nebukadnezar und lehnte sich auf. Jeru- 2
(2,10-15) Wer war Hirams Mutter?
salem erlebte eine furchtbare Belage- 2Chr 2,13 sagt, dass sie eine Danitin
rung, die achtzehn Monate dauerte. Als war, während 1. Könige sagt, dass sie
die Chaldäer (Babylonier) die Stadt 586 eine Witwe aus dem Stamm Naftali
v.Chr. einnahmen, zerstörten sie diese war. Die Antwort: Sie war eine Dani-
samt dem Tempel. Dann führten sie alle, tin, deren erster Mann aus dem
außer den Ärmsten, in die Verbannung. Stamm Naftali kam; darum war sie

456
2. Chronik

eine Witwe aus Naftali. Ihr zweiter statt 30 Ellen sein. Die Schwierigkeit
Mann war ein Tyrer. löst sich auf, wenn wir bedenken,
3
(2,16-17) Wie viele Oberaufseher gab dass das Wasserbecken eine Hand-
es beim Tempelbau? 3.600 (2,17) oder breit dick war. Vers 2 nennt den äu-
3.300 (1Kö 5,30)? Um das zu klären, ßeren Durchmesser und den inneren
sind zwei weitere wichtige Stellen zu Umfang. Der innere Durchmesser
beachten. 2Chr 8,10 sagt, Salomo wäre 10 Ellen minus zwei Handbrei-
habe 250 Oberaufseher gehabt, die ten. Multipliziert man diese Zahl mit
über das Werk wachten. Addiert 3,14, so erhält man fast genau 30 El-
man diese Zahl zu den 3.600 Oberauf­ len. Wie viel Wasser enthielt das
sehern (2,17), erhält man 3.850. 1Kö Wasserbecken? 2.000 Bat wie in 1Kö
9,23 beziffert die Oberaufseher Salo- 7,26 oder 3.000 Bat wie in 4,5? Die
mos mit 550. Zu den 3.300 Oberauf- Antwort lautet: Beides ist richtig.
sehern von 1Kö 5,30 addiert, erhält 2.000 Bat enthielt das Becken höchst-
man ebenfalls 3.850. Die Gesamt- wahrscheinlich normalerweise, doch
summe der Oberaufseher ist also in wenn man es bis zum Rand füllte,
beiden Büchern gleich, nur das Ver- passten 3.000 Bat hinein.
hältnis der beiden Gruppen ist un- 7
(7,11-16) J. Barton Payne, »II Chro-
terschiedlich. In 1. Könige wird ein nicles«, in The Wycliffe Bible Commen­
anderer Ausdruck für »Oberauf­ tary, S. 397.
seher« verwendet als in 2. Chronik. 8
(8,7-10) Wie viele Beamte waren in
Dabei könnte es sich einmal um Offi- Salomos Verwaltung? 250 (8,10) oder
ziere oder politische Leiter, das an- 550 (1Kö 9,23)? Siehe Fußnote zu
dere Mal um Aufseher über die Ar- 2Chr 2,17-18.
beitsvorgänge handeln. 9
(8,17-18) Erhielt Salomo 450 Talente
4
(3,1-4) War die Vorhalle 120 (3,4) oder Gold von Ofir (8,18) oder 420 (1Kö
30 Ellen (1Kö 6,2) hoch? Einige mei- 9,28)? Die hebräischen Ziffern 2 und
nen, dies sei ein Abschreibfehler. An- 5 können von späteren Abschreibern
dere, wie Josephus, bestätigen, dass leicht verwechselt worden sein. Eini-
120 Ellen die wirkliche Höhe war. ge meinen, die 30 Talente Unter-
Der Bibelkommentator Matthew schied seien die Bezahlung für Ver-
Poole meint, die 120 Ellen beziehen pflegung und Löhne, die bei der Rei-
sich auf eine Art Turm. se anfielen.
5
(3,14-17) Waren die Säulen vor dem 10
(9,13-28) Der Name Tarsis wird im All-
Tempel 35 Ellen (3,15) oder 18 Ellen gemeinen zur Bezeichnung von Ge-
hoch (1Kö 7,15; Jer 52,21)? Zu be­ genden benutzt, die mit der Metallge-
achten ist, dass in 1. Könige ausdrück- winnung verbunden sind. Im Alten
lich von der Höhe einer Säule gespro- Testament wird es für ein fernes, an
chen wird. Beide zusammen waren Metallen reiches Land angewandt.
35 Ellen lang. Mit anderen Worten: »Die meisten Gelehrten setzen den
35 Ellen war die Gesamtlänge der Namen mit Tartessus gleich, einer
Säulen, die vielleicht in einem Stück Stadt im Südwesten Spaniens, … reich
gegossen und dann in zwei Teile zer- an Silber, Kupfer und Blei« (The Revell
legt wurden. Das ergäbe zwei Säulen Bible Dictionary, S. 1136). Bei den »Tar-
von annähernd je 18 Ellen. sisschiffen« wird es sich einfach um
6
(4,1-22) Die Maße für das Wasser­ hochseetüchtige Schiffe handeln, die
becken in 4,2 werden manchmal zum Transport des aufbereiteten Me-
benutzt, um Fehler in der Bibel zu talls dienten, nicht notwendigerweise
beweisen. Wenn der Durchmesser um einen Handel mit Spanien.
10 Ellen betrug, muss der Umfang 11
(9,13-28) Hatte Salomo 4.000 Pfer-
10 mal pi (π = 3,14), also 31,4 Ellen deställe (V. 25) oder 40.000 (1Kö 5,6;

457
2. Chronik

Schlachter 2000)? Nach der ER gibt 17


(16,1) Nach 1Kö 15,33 starb Bascha,
es auch eine alte Handschrift, die in der dritte König des Nordreichs, im
1Kö 4,26 die Zahl 4.000 liest. Weil es siebenundzwanzigsten Jahr Asas.
nur 12.000 Reiter gab, könnte die Doch 2Chr 15,19 und 16,1 sprechen
sehr hohe Zahl in 1. Könige ein Ab- von Krieg zwischen Asa und Bascha
schreibfehler sein. im sechsunddreißigsten Jahr Asas.
12
(10,12-19) George Williams, The Thiele, ein Experte in der Chrono­
Student’s Commentary on the Holy logie der hebräischen Könige, ist der
Scriptures, S. 246. Ansicht, dass hier die Gesamt­
13
(12,9-12) Gold wird bei Bibelkennern geschichte des Südreichs und nicht
meistens als Symbol für Göttlichkeit allein Asas Regierungszeit gemeint
verstanden und Bronze (Erz) als ist. Das fünfunddreißigste Jahr des
Symbol für Gericht. jüdischen Königreichs (anfangend bei
14
(13,1-3) Abijas Mutter, Michaja, war Jerobeams Revolte) wäre das fünf-
die Tochter Uriels (13,2). Doch 2Chr zehnte Jahr von Asas persönlicher
11,20 sagt, Abijas Mutter sei Maacha, Regierung. Diese Erklärung ist nicht
die Tochter Absaloms. Der jüdische ohne Probleme, auf die aber hier nicht
Historiker Flavius Josephus berichtet eingegangen werden kann. Viele
uns, dass Uriel Absaloms Schwieger- glauben einfach, ein Abschreibfehler
sohn und der Vater von Michaja oder sei der Grund für diese Diskrepanz.
Maacha (zwei Namen für eine Per- 18
(18,8-11) D. L. Moody, Notes from My
son) war. Dies macht Michaja zur Bible, S. 59.
Tochter Uriels und zur Enkelin Ab­ 19
(18,18-22) Matthew Henry, »1 Kings«,
saloms (das hebräische Wort für in Matthew Henry’s Commentary on
Tochter kann auch Enkelin bedeuten). the Whole Bible, Bd. II, S. 703.
15
(14,2-7) 2Chr 14,2 und 14,4 besagen, 20
(20,1-6) Im Hebräischen sieht das
dass Asa die »Höhen« entfernte. Aber Wort für Syrien (Aram) geschrieben
in 2Chr 15,17 steht, er habe es nicht fast genauso aus wie Edom. Hier
getan. Was stimmt? Beide Aussagen konnte es leicht zu einem Abschreib-
sind wahr. Einige »Höhen« waren den fehler kommen.
Götzen geweiht, andere dem HERRN 21
(22,1-9) Der Masoretische Text sagt
(siehe 1Kö 3,2). Einige Gelehrte sind in 2Chr 22,2, Ahasja sei 42 Jahre alt
der Ansicht, Asa habe nur die Göt- gewesen, als er zu regieren begann.
zenaltäre zerstört. Keil dagegen meint, Nun sagt aber 2Kö 8,26, er sei 22 ge-
der zweite Text zeige nur an, dass es wesen. Das jüngere Alter scheint
dem König nicht gelang, seine Re- richtiger zu sein, denn sein Vater war
formen gründlich durchzuführen. erst vierzig, als er starb. »42« ist da-
Rawlinson denkt, die genannten Texte her ziemlich sicher ein Abschreib­
bezögen sich auf verschiedene Zeit- fehler.
punkte: In der Anfangszeit hatte Asa 22
(24,4-14) Wurde der Kasten für die
den Götzendienst mit starker Hand Geldsammlung außerhalb des Tores
zerschlagen, doch in späteren Jahren, aufgestellt (24,8) oder neben den Al-
als sich sein Charakter zum Schlech- tar (2Kö 12,10)? Einige Kommen­
teren verändert hatte, erlaubte er dem tatoren nehmen an, es habe zwei
Götzendienst, sich wieder einzuschlei- Kästen gegeben, einen draußen und
chen. Siehe John Haley: Alleged Discre­ einen neben dem Altar. Andere den-
pancies of the Bible, S. 323. ken, es habe nur einen Kasten ge­
16
(15,16-19) Das Wort Mutter kann im geben, den man aber versetzte.
Hebräischen in manchen Zusam- 23
(24,4-14) 2Kö 12,14 sagt, dass aus
menhängen auch Großmutter bedeu- dem eingesammelten Geld keine
ten, so auch hier. Tempelgefäße gemacht worden

458
2. Chronik

seien; aber 2Chr 24,14 sagt, die Ge- während 2Chr 28,27 sagt, er sei nicht
fäße seien aus dem überschüssigen in den Gräbern der Könige beerdigt
Geld hergestellt worden. 2. Könige worden. Beide Aussagen sind rich-
spricht von dem, was den Werkleu- tig: Er legte sich zu seinen Vätern
ten für die Reparaturen des Hauses und wurde bei ihnen begraben (d.h.
gegeben wurde, während 2. Chronik in der Stadt Jerusalem), wenn auch
sich auf den Überschuss bezieht. nicht in den eigentlichen königlichen
24
(24,20-27) In 24,20 wird Secharja der Gräbern.
Sohn Jojadas genannt, obwohl ihn 27
(32,1-8) G. Campbell Morgan, Search­
unser Herr als den Sohn Berechjas lights from the Word, S. 127.
bezeichnet (Mt 23,25). Ein anderer 28
(35,20-24) Starb Josia in Jerusalem
mit ähnlichem Namen, Sacharja, der (35,24) oder in Megiddo (2Kö 23,29)?
Autor des nach ihm benannten Er war in der Schlacht von Megiddo
Buches, wird auch als Sohn Berechjas tödlich verwundet worden, und
bezeichnet (Sach 1,1.7). Eine mög- 2. Könige spricht davon, dass er dort
liche Erklärung ist folgende: Der in gestorben sei, weil er die Todeswun-
2. Chronik erwähnte Secharja war de dort empfing. 2. Chronik sagt et-
der Enkel Jojadas und der Sohn Be- was genauer, dass er eigentlich in Je-
rechjas; im Hebräischen kann Sohn rusalem starb. Heute sagen wir auch,
auch Enkel bedeuten. Der Sacharja, dass jemand bei einem Autounfall
der das Buch geschrieben hat, das gestorben sei, auch wenn dies tat-
seinen Namen trägt, war auch ein sächlich erst etwas später im Kran-
Sohn Berechjas, aber natürlich eines kenhaus geschah. Wir meinen damit,
anderen Berechja. Beide Namen ka- dass der Unfall die Todesursache,
men in der Zeit des Alten Testaments wenn auch nicht der Ort seines letz-
häufig vor. ten Atemzugs war.
25
(28,1-4) Wenn Ahas mit 36 Jahren ge- 29
(35,20-24) John C. Whitcomb, Jr., So­
storben ist (28,1), wäre er erst elf Jah- lomon to the Exile, S. 141.
re alt gewesen, als Hiskia geboren 30
(36,9-10) Vers 9 sagt, Jojachin sei acht
wurde (29,1), oder nach einer ande- Jahre alt gewesen, als er König wurde
ren Rekonstruktion der Daten fünf- (Schlachter 2000), während 2Kö 24,8
zehn. Einige meinen, Ahas hätte sagt, er sei achtzehn gewesen. Ohne
schon mit 11 einen Sohn zeugen kön- Zweifel enthält Vers 9 einen Abschreib-
nen, sicher aber mit 15. Andere hal- fehler, denn Jojachin hatte schon weni-
ten einen Abschreibfehler für mög- ge Monate nach seiner Thronbestei-
lich. Die einfache Tatsache ist, dass gung Ehefrauen, als er sich den Ba­
wir nicht genug Informationen ha- byloniern ergab (2Kö 24,15). Einige
ben, um das Problem mit der Chro- hebräische Handschriften, die Septua-
nologie des Ahas zu lösen. ginta und syrische Übersetzungen le-
26
(28,16-27) 2Kö 16,20 sagt, Ahas sei sen ebenfalls achtzehn.
bei seinen Vätern begraben worden,

Bibliografie

Siehe die Bibliografie von 1. Chronik.

459
Esra
»Das Buch Esra ist ein Werk von so schlichter Art, dass es kaum einer ›Einführung‹
bedarf … Es ist der einfache und aufrichtige Bericht über eines der wichtigsten Ereignisse
in der jüdischen Geschichte: die Rückkehr des Volkes Gottes aus der babylonischen
Gefangenschaft … Es kommt wenig unmittelbar Belehrendes darin vor; der Schreiber
erzählt seine Geschichte so einfach, wie er kann, und überlässt es seinem Bericht,
selbst seine Lektionen zu erteilen.«

George Rawlinson

Einführung Esras. Die amtlichen Dokumente sind


durchaus folgerichtig in Aramäisch ge-
I. Einzigartige Stellung im Kanon schrieben. Das war in der Zeit Esras
und Nehemias die offizielle Verkehrs-
Zu einer bestimmten Zeit waren Esra und sprache der Heidenvölker des vorderen
Nehemia in der hebräischen Bibel ein Orients. Ein Viertel des Buches Esra ist
einziges Buch; doch bestanden sie vorher in dieser Sprache geschrieben.2 Die
zweifellos schon als unabhängige Bücher schöne Form des Alphabets, das wir
(wie in den heutigen Bibeln), denn Esra 2 »hebräisch« nennen, wurde übrigens
und Nehemia 7 sind praktisch identisch. von dieser semitischen Schwesterspra-
Eine solche Wiederholung würde es in che, dem Aramäischen, entliehen.
einem Buch nicht geben.
Das Buch Esra ist geistliche oder reli-
giöse Geschichte. Es zeigt, dass ein III. Datierung
Buch, das viele Dokumente aus welt­ Eine im fünften vorchristlichen Jahr-
lichen Quellen enthält, durch die Aus- hundert auf der Nilinsel Elephantine le-
wahl und Anordnung des Heiligen bende jüdische Kommunität hat Papyri
Geistes zu einem Teil des inspirierten hinterlassen, deren Aramäisch dem von
Wortes werden kann. Esra und Nehemia gleicht. Dies unter-
Die 280 Verse des Buches Esra zeigen stützt die traditionelle Datierung dieser
folgende, für ein biblisches Buch höchst Bücher ins fünfte Jahrhundert und nicht
ungewöhnliche Einteilung: die liberale Ansicht, sie stammten aus
der Zeit Alexanders des Großen (un­
111 Verse Auflistungen gefähr 330 v.Chr.).
109 Verse Erzählung Man nimmt an, dass Esra sein Buch
44 Verse Briefe zwischen den Ereignissen am Ende des
10 Verse Gebete 10. Kapitels (456 v.Chr.) und der An-
3 Verse Aufrufe kunft Nehemias in Jerusalem (444
3 Verse Auszüge v.Chr.) verfasste. Die folgende Zeittafel
soll zum Verständnis der Bücher Esra,
280 Verse insgesamt1 Nehemia und Ester beitragen:
II. Verfasserschaft Zeittafel für Esra, Nehemia und Ester
Obwohl der Schreiber anonym bleibt, (ungefähre Angaben)
ist die inspirierte Zusammenstellung 538 v.Chr. Der Erlass des Kyrus zum
von Erinnerungen in der Ich-Form (sie- Wideraufbau des Tempels.
he 7,27 - 9,15), Geschlechtsregistern und 538/537 Serubbabels Zug nach Jeru­
Dokumenten wahrscheinlich das Werk salem.

461
Esra

536 Die Fundamente des Tempels sagung von der Rückführung der Juden
werden gelegt. in ihr Land erfüllen sollte (Jer 29,10-14).
535 Die Arbeit am Tempel wird In den ersten sechs Kapiteln finden
unterbrochen. wir den Bericht über die erste Rück­
520 Dienst von Haggai und Sa- führung ins Land Israel unter Serub­
charja. babel. Das Erste, was die Heimgekehr-
520 Erlass des Darius zur Wieder- ten unternahmen, war der Bau des
aufnahme der Arbeiten am Brandopferaltars, danach folgte das
Tempel. Haus des Herrn. Letzteres geschah ge-
516 Der Tempel wird vollendet. gen starken Widerstand vonseiten der
486 Die Regierung des Ahasveros Feinde des Volkes Gottes, allerdings
(Xerxes) beginnt. auch unter der Ermutigung durch die
479/478 Ester wird zur Königin ge- Propheten Haggai und Sacharja.
krönt. Zwischen den Kapiteln 6 und 7 liegt
464 Die Regierung des Artaxerxes ein Zeitraum von ungefähr 58 Jahren.
beginnt. Während dieser Zeit geschahen die dra-
458 Esras Zug nach Jerusalem. matischen Ereignisse um die Königin
444 Nehemia trifft in Jerusalem Ester, und in der weltlichen Geschichte
ein. die berühmten Schlachten von Mara-
444 Die Mauern Jerusalems wer- thon, an den Thermopylen und vor Sa-
den vollendet. lamis.3
420 Nehemias zweite Reise nach Die Kapitel 7 bis 10 berichten von Es-
Jerusalem. ras Reise nach Jerusalem im Auftrag
des Königs Artaxerxes Longimanus
IV. Hintergrund und Thema (ungefähr um 458 v.Chr.). Esras persön-
Das Buch Esra beginnt zu der Zeit, als liches Bemühen, das Volk zu reformie-
das Neubabylonische Reich dem Unter- ren, findet man in diesen Kapiteln be-
gang nahe war und sich Jeremias Weis- schrieben.

Einteilung F. Haggai und Sacharja


ermutigen zum Wiederaufbau
I. Die Rückkehr der Verbannten nach (5,1-2)
Jerusalem unter Serubbabel G. Widerstand während der
(Kap. 1-6) Regierung des Darius (5,3-17)
A. Der Erlass des Kyrus (1,1-4) H. Vollendung des Tempels durch
B. Vorbereitende Maßnahmen den Erlass des Darius (Kap. 6)
(1,5-11) II. Die Rückkehr der Verbannten
C. Liste der Heimgekehrten (Kap. 2) unter Esra (Kap. 7-10)
D. Bau des Altars und der A. Großzügige Vollmachten
Fundamente des Tempels durch Artaxerxes (Artahsasta)
(Kap. 3) (Kap. 7)
E. Widerstand gegen den Bau des B. Liste der Heimgekehrten
Tempels (Kap. 4) (8,1-14)
1. Während der Regierung C. Bericht über die Reise nach
des Kyrus (4,1-5.24) Jerusalem (8,15-36)
2. Während der Regierung D. Mischehen und Esras Bußgebet
des Ahasveros (4,6) (Kap. 9)
3. Während der Regierung E. Der Bund der Juden, die
des Artaxerxes (Artahsasta) fremden Frauen und Kinder
(4,7-23) auszustoßen (Kap. 10)

462
Esra 1 bis 3

Kommentar kann sich aber auch um eine völlig an-


dere Person handeln. Man beachte die
I. Die Rückkehr der Verbannten Erwähnung von 29 Messern in Vers 9.
nach Jerusalem unter Serubbabel Wenn Gott sich um solche Kleinigkeiten
(Kap. 1-6) kümmert, wie viel mehr kümmert er
sich dann um sein Volk!
A. Der Erlass des Kyrus (1,1-4)
Die ersten drei Verse wiederholen die C. Liste der Heimgekehrten (Kap. 2)
letzten zwei Verse von 2. Chronik. Gott 2,1-58 In den Versen 1-61 haben wir die
benutzte Kyrus, den König von Persien, Liste derer, die unter Serubbabel nach
um einen Erlass zu verkünden, der den Jerusalem zurückgekehrt waren. Einige
Juden die Rückkehr nach Juda und den werden nach ihrer Abstammung auf­
Wiederaufbau des Tempels in Jeru­ gezählt (V. 3-19) und einige nach ihrem
salem erlaubte. Außerdem gebot er Heimatort (V. 20-35). Besonders er-
ihren Nachbarn, den heimkehrenden wähnt werden die Priester (V. 36-39),
Überrest großzügig zu unterstützen. die Leviten (V. 40-42) und die Nethinim
Viele Jahre vor seiner Geburt war Ky- oder Tempeldiener (V. 43-54). Sie sollten
rus schon von Gott mit Namen benannt in dem wieder erbauten Tempel eine
und zu diesem hohen Zweck aus­ wichtige Rolle spielen.
ersehen worden (Jes 44,28 - 45,13). Er ist 2,59-63 Einige behaupteten, Priester
eine Illus­tration für die Wahrheit aus zu sein, konnten aber ihre Abstammung
Sprüche 21,1: »Wie Wasserbäche ist das nicht beweisen. So wurden sie vom
Herz eines Königs in der Hand des Dienst ausgeschlossen und durften
HERRN; wohin immer er will, neigt er auch nicht von dem Hochheiligen es-
es.« sen, bis sie durch das Befragen der Urim
Der Erlass beendete die siebzigjährige und Tummim (»Lichter und Vollkom-
Gefangenschaft der Juden. Die Zeit von menheiten«) dazu autorisiert wurden.4
70 Jahren kann auf zwei Weisen berech- Der Statthalter oder Tirschata war
net werden: von 605 v.Chr., als Nebu- Serub­babel.
kadnezar Jerusalem angriff und die er- 2,64-67 In Nehemia 7 finden wir eine
sten Gefangenen wegführte, bis 535 v. ähnliche Liste wie die hier vorliegende.
Chr., als die Grundlagen des Tempels Obwohl bei der Berechnung in den bei-
gelegt wurden; oder vom Fall Jeru­ den Listen einige kleine Differenzen
salems im Jahr 586 v.Chr. bis zur Voll- auftreten, ist die Gesamtsumme der
endung des Tempels im Jahr 516 v.Chr. nach Juda heimkehrenden Juden in bei-
Als Kyrus, der Perser, 539 v.Chr. Ba- den Listen gleich: 42.360, dazu 7.337
bylon erobert hatte, war der Weg für die Knechte und Mägde. Esra zählt noch
Verbannten aus Juda frei, in ihre Hei- 200 Sänger hinzu und Nehemia 245. So
mat zurückzukehren. Zwei größere Ex- betrug die Gesamtzahl des Überrests
peditionen unternahmen diese Reise, ungefähr 50.000 Menschen – nur ein
eine im Jahr 537 v.Chr. und die andere kleiner Teil der einst Verschleppten.
im Jahr 458 v.Chr. 2,68-70 Als die Juden in Jerusalem an-
kamen, gaben einige von den Familien-
B. Vorbereitende Maßnahmen (1,5-11) oberhäuptern Gold und Silber für den
Außer den Reichtümern, die den Juden Bau des Hauses Gottes und für Priester-
von ihren Nachbarn geschenkt wurden, gewänder. Das Volk ließ sich dann in
gab ihnen König Kyrus 5.400 Gefäße seinen jeweiligen Städten nieder.
aus Gold und Silber, die Nebukadnezar
aus dem Tempel in Jerusalem genom- D. Bau des Altars und der
men hatte. Scheschbazar (V. 8) mag der Fundamente des Tempels (Kap. 3)
persische Name Serubbabels sein; es 3,1-7 Im siebten Monat, dem Anfang

463
Esra 3 und 4

Die Rückkehr aus dem Exil


Scharzes
Meer

Ti
Aleppo

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Hamat ck k
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5

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37
v.C

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SYRIEN .

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zwe 458
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Damaskus
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Babylon
Samaria Susa
SAMARIA AMMON Nippur
JUDA Jerusalem
MOAB
IDUMÄA
EDOM

Persischer Persissche
Golf r
Nil

0 200 Km
Rotes
Meer

des politischen Jahres, versammelten terscheiden konnte, und man hörte den
sich die heimgekehrten Juden in Jeru­ Schall weithin.
salem, um das Laubhüttenfest zu fei-
ern. Unter der Führung Jeschuas5 und E. Widerstand gegen den Bau des
Serubbabels bauten sie den Altar und Tempels (Kap. 4)
brachten Brandopfer dar, wie es das
1. Während der Regierung des Kyrus
Gesetz Moses forderte. Sie waren da-
(4,1-5.24)
von überzeugt, dass der HERR, wenn
sie ihm die Ehre gaben, sie vor ihren 4,1-3 Die in Vers 1 erwähnten Feinde Ju-
Feinden beschützen würde. Danach be- das und Benjamins waren Nachfahren
gannen sie mit den Vorbereitungen für der Kolonisten aus anderen Ländern,
den Tempelbau, wobei sie Hilfe aus Ty- die ins Land gebracht wurden, als Assy-
rus und Sidon in Anspruch nahmen. rien das nördliche Königreich in die Ge-
3,8-13 Der tatsächliche Bau begann fangenschaft führte. Diese Kolonisten
vierzehn Monate nach der Rückkehr. hatten sich mit den zurückgebliebenen
Sobald das Fundament gelegt war, führ- Juden vermischt, und deren Abkömm-
ten die Priester und Leviten einen Ein- linge wurden »Samariter« genannt. Die-
weihungsgottesdienst durch. Doch viele se kamen zu Serubbabel und gaben vor,
der Alten weinten, weil sie die Pracht bei dem Wiederaufbau des Tempels hel-
des salomonischen Tempels mit der fen zu wollen. Sie beteten auch den
Schlichtheit des jetzigen Gebäudes ver- HERRN an, doch war er nur einer von
glichen (Hag 2,3). Ihre Klagerufe ver- vielen Göttern ihres götzendienerischen
mischten sich mit dem Freudengeschrei, Systems. Deshalb lehnten die Führer
sodass man sie nicht voneinander un- der Israeliten ihr Angebot ab.

464
Esra 4 und 5

4,4-5.24 Daraufhin änderten die Sa- F. Haggai und Sacharja ermutigen


mariter ihre Strategie. Zuerst versuch- zum Wiederaufbau (5,1-2)
ten sie das Volk von Juda mutlos zu ma-
chen. Dann wollten sie es beunruhigen Aus Haggai 1,1 und Sacharja 1,1 erfah-
und vom Bauen abschrecken. Auch ren wir, dass dieses Kapitel ins zweite
warben sie Ratgeber gegen die Israe­ Jahr der Regierung des Darius gehört
liten an, um am königlichen Hof gegen (V. 1, vgl. 4,24). Diese beiden Propheten
sie Stimmung zu machen und die Juden drängten die Israeliten, mit dem Tem-
auf jederlei Weise in Furcht zu ver­ pelbau wieder anzufangen, statt sich
setzen. So kam die Arbeit am Tempel selbst kostspielige Häuser zu errichten
zum Erliegen. (Hag 1,4). Serubbabel und Jeschua ge-
Zeitlich folgt Vers 24 auf Vers 5. Die horchten dem Herrn und befahlen den
Feinde Judas hatten Erfolg gehabt und sofortigen Baubeginn. Hier ist zu beach-
es geschafft, die Arbeiten am Tempel ten, dass sie nicht kraft des könig­lichen
bis zum zweiten Jahr des Darius auf­ Erlasses die Arbeit wieder aufnahmen,
zuhalten. sondern durch die Kraft des Heiligen
Geistes, der durch die Propheten Gottes
2. Während der Regierung des Ahasveros zu ihnen sprach (siehe Sach 4,6).
(4,6)6
Vers 6 erwähnt einen Brief, der wäh- G. Widerstand während der
rend der Regierung des Ahasveros ge- Regierung des Darius (5,3-17)
gen die Juden geschrieben wurde. Die 5,3-5 Sehr bald erhob sich Widerstand.
Verse 7-23 sind der Inhalt eines anderen Der persische Statthalter und seine Ver-
Briefes aus der Zeit des Artaxerxes (Ar- bündeten kamen nach Jerusalem und
tahsasta), in dem die Juden angeklagt fragten, welche Vollmacht die Juden be-
werden, die Stadt samt den Mauern als säßen, den Bau zu beginnen, und welches
einen Akt der Rebellion wieder auf­ die Namen der Männer seien, die das
zubauen. Daraufhin befahl der König Volk anführten (siehe V. 9-10). Man nann-
einen Baustopp. te ihnen die Namen der jüdischen Füh-
rer. Diese persischen Beamten waren
3. Während der Regierung des Artaxerxes vernünftiger als die in Kap. 4 erwähnten.
(Artahsasta) (4,7-23) Sie hielten das Werk nicht auf, sondern
Der Wiederaufbau des Tempels wurde sandten einen Brief an Darius, damit die-
während der Regierung des Darius ser die Rechtmäßigkeit bestätige. Weil
vollendet, der vor Ahasveros (V. 6) und die Juden angefangen hatten, dem Wort
Artaxerxes (Artahsasta) (V. 7) regierte. Gottes zu gehorchen, war sein Auge auf
Somit wurden die in den Versen 6-23 sie gerichtet, sodass ihnen nicht gewehrt
erwähnten Briefe nach dem Wiederauf- wurde, es auszuführen.
bau des Tempels geschrieben. Sie haben 5,6-17 In ihrem Brief berichteten Tat-
mit den Versuchen zu tun, die Mauern tenai und Schetar-Bosnai dem Darius
Jerusalems aufzubauen – und handeln von ihrer Unterhaltung mit den Juden
nicht vom Tempel. Sie wurden aber an und von deren Auskünften. Die Ältes­
diese Stelle gesetzt und nicht dorthin, ten hätten ihnen gesagt, dass vor allem
wohin sie zeitlich gehören, um als wei- Gott ihnen die Vollmacht gebe. Sie seien
tere Illustration für die Versuche zu die- Knechte des einen wahren Gottes, seien
nen, das Werk der Heimgekehrten zu aber wegen ihrer Sünden den Babylo-
behindern. niern überliefert worden. Nun hätte der
Von 4,8 bis 6,18 wird die aramäische HERR sie in ihr Land zurückgebracht.
Sprache7 statt des Hebräischen benutzt. Darum wollten sie den Tempel wieder
Dies war die von den Persern in offiziel- aufbauen. Kyrus selbst habe großzügig
len Erlassen verwendete Sprache. für dieses Projekt gespendet. Der Statt-

465
Esra 5 und 6

halter bat zu erforschen, ob der König Es war ganz natürlich, dass sie sich in
Kyrus einen solchen Befehl erlassen diesem Augenblick freuten; denn das
hatte, und bat Darius zu antworten, was Haus ihres Gottes war der Ausdruck al-
in dieser Angelegenheit zu tun sei. ler Segnungen des Bundes, in dem sie
standen. Und endlich, nach mühseligen
H. Vollendung des Tempels durch Jahren des Versagens, der Schwierig­
den Erlass des Darius (Kap. 6) keiten, Enttäuschungen und Sorgen,
6,1-5 Nach eingehender Suche fand man stand es jetzt vollendet vor ihren Augen.
in Achmeta (auch Ekbatana genannt) Dafür waren sie aus Babylon heraus­
den Erlass des Kyrus. (Das Edikt war geführt worden, und wer irgend von ih-
weit ausführlicher als die Zusammen- nen mit Tränen gesät hatte, der erntete
fassung in Kap. 1.) Darin wird nach den jetzt mit Freuden.8
Einzelheiten über den Tempelbau auch
befohlen, die goldenen und silbernen 6,17-22 Sie brachten Schlachtopfer dar.
Gegenstände zurückzubringen, die Ne- Wenn wir diese Zahlen mit Salomos
bukadnezar weggeschleppt hatte. 22.000 Rindern und 120.000 Schafen zu-
6,6-12 Darius schrieb dann Tattenai sammen mit zahllosen Rindern und
und seinen Gefährten vor, welche Ver- Schafen, die vor der Bundeslade ge­
antwortlichkeiten sie gegenüber den opfert wurden (2Chr 7,5; 5,6), verglei-
Juden hätten. Sie sollten das Werk nicht chen, dann verblasst diese Einweihung
behindern, sondern zur Deckung der zu einem armseligen und schwachen
Kosten des Tempels etwas aus dem kö- Ereignis.
niglichen Schatz der eingesammelten Heute ist in vielen Gemeinden, Ge-
Steuern geben. Was für den Tempel- meinschaften, Denominationen, Schu-
dienst nötig war, musste auf Bitten der len und ganzen Ländern ein ähnlicher
Priester bereitgestellt werden (V. 9). Die Niedergang zu erkennen, wie der von
Juden sollten nämlich in den Augen Salomos zu Esras Zeiten. Dennett macht
Gottes Gunst erlangen, damit ihre Ge- dazu eine ermutigende Anmerkung,
bete für den König und dessen Familie die es wert ist, in voller Länge wieder-
wirksam sein möchten. Darius brachte gegeben zu werden:
einige Schärfe in seinen Erlass, indem
er die Behinderung des Werks zu einem Der Glaube hat es jedoch mit unsicht­
Kapitalverbrechen erklärte. Er rief Gott baren Dingen zu tun, und darum konnte
an, jeden zu bestrafen, Könige einge- er diesem schwachen Überrest die Tat­
schlossen, der versuchen sollte, in Zu- sache in Erinnerung rufen, dass der
kunft das Haus Gottes zu zerstören. HERR für sie nicht weniger mächtig und
6,13-15 Die Befehle des Königs wur- nicht weniger barmherzig war als für Sa-
den augenblicklich befolgt, und die Ar- lomo.
beiten am Tempel schritten voran. Mit
Hilfe der Ermutigung durch Gottes Das Haus mochte weniger herrlich und
Propheten und der Versorgung aus den sie selbst nur arme Untertanen eines
Schatzkammern des Darius wurde der heidnischen Herrschers sein; doch
Tempel vier Jahre später vollendet, nur wenn Gott für sie war, was ja der Fall
neunzehn oder zwanzig Jahre nach der war, dann waren auch die Glaubens-
Grundsteinlegung. Artaxerxes (Artah- mittel so unbeschränkt wie eh und je.
sasta) lebte in Wirklichkeit später; er Diese Wahrheit kann sich nicht tief ge-
trug zum Unterhalt des Tempels bei, nug in unsere Herzen einprägen, dass
nicht zu dessen Bau. Christus auch in schwierigen Tagen für
6,16 Die Israeliten und ihre Führer sein Volk derselbe bleibt wie in Zeiten
feierten die Einweihung des Tempels des Wohlergehens. Wenn wir in der
mit Freuden. Dennett bemerkt dazu: Kraft dieser Erkenntnis leben, dann er-

466
Esra 6 und 7

hebt uns das wie nichts anderes über 7,6-10 Außer der Tatsache, dass Esra
unsere Umstände und gibt uns Mut, eine ausgezeichnete Abstammungslinie
vorwärts zu gehen, einerlei, welche Ge- vorweisen konnte, war er ein tüchtiger
fahren auf dem Weg lauern.9 Schriftgelehrter im Gesetz Moses. Ganz
Danach feierten sie das Passah und gewiss war Esra ein Mann des Buches
das Fest der ungesäuerten Brote mit und eine lebendige Illustration der ers­
großer Freude; denn sie erkannten ten drei Verse von Psalm 1.11 Weil er
deutlich, dass Gottes Hand hinter der über das Gesetz des HERRN Tag und
Gunst stand, die ihnen vonseiten des Nacht nachsann, gelang ihm auch, was
Darius zuteil geworden war. Darius er für Gott zu tun vorhatte. Wieder
wird hier »König von Assyrien« ge- lenkte der HERR das Herz eines heid­
nannt, weil er über das alte assyrische nischen Königs, seine Ratschlüsse aus-
Reich herrschte. zuführen. Ein Dekret wurde erlassen,
das eine zweite Rückkehr nach Jeru­
II. Die Heimkehr der Verbannten salem ermöglichte, die unter Esra.
unter Esra (Kap. 7-10) 7,11-26 König Artaxerxes (Artahsasta)
von Persien gewährte Esra in dem hier
A. Großzügige Vollmachten durch auftauchenden Brief weit reichende Voll-
Artaxerxes (Artahsasta) (Kap. 7) machten. Jeder Israelit, der es wünschte,
7,1-5 Zwischen Kap. 6 und 7 liegt eine durfte Esra nach Jerusalem begleiten.
Spanne von 58 Jahren (siehe die Zeit­ Dort sollte er herausfinden, ob alles ge-
tafel für Esra, Nehemia und Ester in der tan wurde, wie es in Übereinstimmung
Einführung). Während dieser Zeit war mit dem Gesetz Moses geschehen sollte.
Ahasveros als Nachfolger des Darius Vom König und seinen Räten hatte er
König von Persien. In seine Zeit fallen großzügige Geschenke erhalten. Diese
die Ereignisse aus dem Buch Ester. wurden zusammen mit jenen Tempel­
Nach ihm kam der in Vers 1 erwähnte gefäßen, die sich noch in Babylon befan-
Artaxerxes (Artahsasta) (Longimanus) den, seiner Verantwortung übergeben.
auf den Thron. Die Gaben sollten zur Aufrechterhaltung
In Vers 1 bis 5 finden wir ein kurzes des Tempeldienstes verwendet werden,
Geschlechtsregister Esras, das seine und alles, was zu viel war, sollte nach Es-
priesterliche Herkunft aufzeigt. G. ras Einsicht verteilt werden. Falls es nicht
Campbell Morgan sagt dazu: ausreichte, sollten Silber, Weizen, Öl und
Salz ohne Höchstmengenbegrenzung
Als Botschafter des göttlichen Willens aus den königlichen Schatzhäusern ge-
nahmen die Schriftgelehrten die Stelle liefert werden. Die vier letztgenannten
der Propheten ein, aber mit einer Ein- Dinge waren wesentliche Bestandteile
schränkung: Statt neue Offenbarungen des jüdischen Opfersystems. Wer im
zu empfangen, erklärten sie die alten Tempel Dienst tat, erhielt Steuerbefrei-
und wandten sie an. Esra wurde zugleich ung. Schließlich gab das Edikt Esra auch
der Begründer und auch das Vorbild noch die politische Macht, Richter und
dieses neuen Standes … Er war Experte Rechtspfleger für die westlich vom Eu-
in der Auslegung und in der Anwen- phrat lebenden Juden einzusetzen. Diese
dung des Gesetzes. Die Voraussetzungen sollten die Gesetze Gottes lehren und ih-
für ein solches Amt werden sehr deutlich nen Geltung verschaffen.
in der Aussage über ihn im zehnten Vers 7,27-28 In seinem Dankgebet pries
dieses Kapitels dargestellt: »Esra hatte Esra den HERRN, weil er das Herz des
sein Herz darauf gerichtet, das Gesetz Königs gelenkt hatte, den Tempel herr-
des HERRN zu erforschen und zu tun lich zu machen; und er dankte ihm de-
und in Israel die Ordnung und das Recht mütig dafür, dass er ihm Kraft verliehen
des HERRN zu lehren.«10 hatte, solch ein wichtiges Werk auszu-

467
Esra 7 bis 9

führen. Ermutigt durch die Hand des neut abgewogen und denen übergeben,
HERRN über ihm, versammelte er die die für den Tempel verantwortlich wa-
Häupter Israels, damit diese mit ihm ren.
nach Jerusalem hinaufzogen.12 8,35-36 Die erste und wichtigste Er­
ledigung für die Exilanten bestand dar­
B. Liste der Heimgekehrten (8,1-14) in, Brand- und Sündopfer für ganz Is­
8,1-14 Dieser erste Abschnitt listet alle rael auf dem Altar des HERRN darzu-
auf, die mit Esra aus Babylon zurück- bringen. Als sie ihre geistlichen Ver-
kehrten. Einige aus diesen Familien wa- pflichtungen erfüllt hatten, übergaben
ren schon viele Jahre zuvor mit Serub­ sie den Beamten in den westlichen Pro-
babel zurückgekommen (Kap. 2). Diese vinzen die Anordnungen des Königs.
zweite Expedition bestand aus fast 1.500 Daraufhin versorgten diese sie diesen
Männern. Anordnungen entsprechend.
C. Bericht über die Reise nach D. Mischehen und Esras Bußgebet
Jerusalem (8,15-36) (Kap. 9)
8,15-20 Während sie am Fluss, der nach 9,1-2 Esra war noch nicht lange in Jeru-
Ahawa fließt (Ort unbekannt), lagerten, salem, als einige Oberste mit der verstö-
bemerkte Esra, dass es ihnen an Leviten renden Nachricht zu ihm kamen, dass
fehlte. So sandte er elf leitende Männer die Vorsteher und das Volk mit den
nach Kasifja. Offensichtlich wusste er, Heiden Mischehen eingegangen waren.
dass sich dort einige Leviten niederge- Das war eine der Sünden, für die Israel
lassen hatten. Er ermutigte die Leviten in der Vergangenheit bestraft worden
und Tempeldiener, sich ihm anzuschlie- war. Das Gesetz war eindeutig (2. Mose
ßen. 38 Leviten und 220 Tempeldiener 34,16; 5. Mose 7,3). Gottes Volk muss
folgten dem Aufruf. heilig sein. Er will, dass es sich von der
8,21-23 Bevor die Juden ihre knapp Welt und jeder Form des Bösen abson-
1.500 Kilometer lange Reise antraten, dert.
rief Esra ein Fasten aus. Vorher hatte er 9,3-4 Esra war bestürzt, als er von die-
dem König Gottes Güte und Macht be- sen Mischehen hörte. Er versank in
zeugt. Daher wäre die Bitte um militä- tiefsten Schmerz und Trauer bis zum
rische Begleitung einer Verleugnung Abendopfer. Mit zerrissenen Gewän-
seiner Worte durch seine Taten gleich- dern und ausgerissenen Haaren von
gekommen. Stattdessen setzte er jetzt Haupt und Bart saß er schweigend da,
alles auf seinen Glauben, indem er dem während sich andere zu ihm versam-
Gott vertraute, der Wohlgefallen daran melten, die ebenfalls das Wort Gottes
hat, diejenigen zu retten, die sich fest fürchteten.
auf ihn verlassen. Er sollte nicht ent- 9,5-15 Als das Blut des Abendopfers
täuscht werden. »Und er ließ sich von vor dem HERRN wegen der Übertre-
uns erbitten« (V. 23). tungen des Volkes ausgegossen wurde,
8,24-34 Das Geld und die dem Esra fiel Esra auf die Knie und erhob seine
übergebenen Gegenstände wurden für Stimme zu einem Bußbekenntnis. Er
zwölf leitende Priester und zwölf Levi- machte die Sünde des Volkes zu seiner
ten abgewogen. Weil diese Dinge heilig eigenen und schämte und scheute sich,
waren (für den heiligen Gebrauch abge- weil es so boshaft auf die Gnade re­agiert
sondert), mussten sie auch durch heili- hatte, die es in den vergangenen Ge-
ge Männer bewahrt werden. Nach einer richten als einen Überrest erhalten und
Reise von dreieinhalb Monaten Dauer ihm einen »Zeltpflock« an heiligem Ort
erreichten alle ohne Zwischenfälle Jeru- gegeben hatte (V. 8). Dieser »Pflock«
salem. Nach der Ankunft wurden das spricht von der Sicherheit all derer, die
Silber und das Gold und die Geräte er- sich auf Gott verlassen. Einige, wie z.B.

468
Esra 9 und 10

Ironside, meinen, dass sich das letztlich Regenwetter. Esra sprach zu der Ver-
auf Christus selbst bezieht: sammlung und stellte ihre Übertretung
vor.
Die Erwähnung des »Pflocks« ist zwei- 10,12-17 Die ganze Versammlung sah
fellos eine Erinnerung an Jesajas »Pflock sogleich ein, dass sie dem Gesetz Gottes
an einem festen Ort«, an dem die ganze ungehorsam gewesen war. Aber wegen
Herrlichkeit des HERRN hängen sollte des heftigen Regens und der großen
(Jes 22,21-25). In vollem Sinn ist das Zahl der betroffenen Fälle rieten sie, die
Chris­tus selbst.13 individuellen Fälle in jeder Stadt ein-
zeln zu untersuchen. Vier Männer ver-
Die Propheten hatten sich deutlich suchten, dagegen zu opponieren, hatten
über Mischehen geäußert. So waren aber keinen Erfolg damit. Nun wurden
die­se Männer ohne Entschuldigung, Richter bestimmt, und in weniger als
be­sonders angesichts der neuerlichen zwei Wochen begann die Befragung.
Gna­den­­erweisungen Gottes ihnen Innerhalb von drei Monaten war die
gegen­über. »Hier sind wir vor dir mit Untersuchung abgeschlossen.
unserer Schuld.« Weiter war dazu 10,18-44 Jene, die angeklagt waren,
nichts zu sagen. werden in den Versen 18-43 aufgelistet:
Priester (V. 18-22), danach Leviten
E. Der Bund der Juden, die fremden (V. 23-24) und schließlich alle anderen
Frauen und Kinder auszustoßen Israeliten (V. 25-43). In Vers 44 heißt es:
(Kap. 10) »Diese alle hatten ausländische Frauen
10,1-5 Esras Bußgebet veranlasste die genommen; und sie hatten mit diesen
Israeliten, bitterlich zu weinen. Als ihr Kinder gezeugt.« Obwohl es uns nicht
Sprecher bekannte Schechanja ihre mitgeteilt wird, ist es wahrscheinlich,
Schuld, doch erinnerte er daran, dass dass ausreichende Vorsorge für den
noch Hoffnung bestand, wenn ihrem Unterhalt dieser Frauen und Kinder ge-
Bekenntnis das Verlassen des unglei- troffen wurde. Dem Kummer, den das
chen Jochs folgte. Er schlug vor, dass Auseinanderreißen der Familien her-
Esra selbst sie anleiten solle, einen Bund vorrief, muss die Bedeutung gegen­
zu schließen, alle fremden Frauen und übergestellt werden, die dem Zusam-
Kinder fortzuschicken. Die Priester, die menhalt des Volkes zukommt, das be-
Leviten und ganz Israel gingen auf die- rufen war, den Messias hervorzubrin-
sen Vorschlag zur nationalen Buße ein, gen.
und sie schworen einen Eid. Das »ungleiche Joch« ist immer noch
10,6-8 Alle Exilanten wurden aufge- verboten (2Kor 6,14-18). Es sollte unter
rufen, sich in Jerusalem zu einer feier­ den Kindern Gottes nicht gefunden
lichen, öffentlichen Bußversammlung werden. Doch 1Kor 7,12-13 ist die neu-
einzufinden. Wer sich weigerte, inner- testamentliche Regel für solche, die bei
halb von drei Tagen zu kommen und ihrer Bekehrung schon an einen Un-
die Sache in Angriff zu nehmen, wurde gläubigen gebunden waren. Unter der
mit dem Verlust seiner Habe und mit Gnade wird von dem Gläubigen nicht
Ausschluss aus der Versammlung der das Ausstoßen des Ungläubigen oder
Weggeführten bedroht. der Kinder verlangt. Letztere sind
10,9-11 Da sie nur drei Tage Zeit hat- durch den Gläubigen zu einer Stellung
ten, dem Befehl Folge zu leisten, eilten äußerlicher Vorrechte abgesondert.
alle Männer von Juda und Benjamin Das Buch Esra ist ein Lehrbuch über
von den umliegenden Städten nach Je- Erweckung. Wo man das Wort Gottes
rusalem. Widriges Wetter hielt sie nicht liest und dessen Wahrheiten auf das Le-
ab, denn die zu regelnde Angelegenheit ben anwendet, wo Fürbitte für die Hei-
war sehr ernst und wichtiger als das ligen emporsteigt und wo es Sünden­

469
Esra 10

bekenntnis und Trennung von er- 6


(4,6) Die Verse 6-23 gehören von der
kanntem Bösen gibt, da wird in der zeitlichen Einordnung her an eine
Gemeinde Kraft sein, große Dinge für spätere Stelle der Gliederung. Siehe
Gott zu tun. die »Zeittafel für Esra, Nehemia und
Ester«.
7
(4,7-23) In älteren Bibeln und Kom-
Anmerkungen mentaren wird diese Sprache auch
1
(Einführung) Diese Übersicht »Chaldäisch« genannt.
stammt von W. Graham Scroggie, 8
(6,16) Edward Dennett, Exposition of
Know Your Bible, Bd. I, Altes Testa- the Book of Ezra: Restoration from Ba­
ment, S. 90. Die dort angeführte bylon, S. 55.
Summe »880« ist ein offenkundiger 9
(6,17-22) Ebd., S. 55-56.
Druckfehler. 10
(7,1-5) G. Campbell Morgan, Search­
2
(Einführung) 4,8 - 6,18 und 7,12-26 lights from the Word, S. 131.
sind aramäische Texte. 11
(7,6-10) Obwohl der Dichter von
3
(Einführung) Scroggie, Know Your Psalm 1 anonym ist, nehmen viele
Bible, Bd. I, S. 91. Gelehrte an, dass Esra der mensch­
4
(2,59-63) Wir wissen nicht ganz ge- liche Autor war (das gilt auch für
nau, was die »Urim und Tummim« Psalm 119, der vom Wort Gottes han-
waren. »Möglicherweise waren es delt).
zwei kostbare Steine, die in die Ta- 12
(7,27-28) In der Bibel heißt es bei Rei-
sche [im Brustschild des Hohenpries­ sen nach Jerusalem immer »hinauf«,
ters; Anmerkung des Übersetzers] einerlei, aus welcher Richtung man
gelegt wurden. Sie sind vielleicht als kommt. Dies kommt einerseits da-
Lose benutzt worden, um Gottes her, dass Jerusalem auf den Bergen
Willen zu erfahren« (Ryrie Study Judas liegt, andererseits soll es wahr-
Bible, New King James Version, scheinlich darauf hindeuten, dass
S. 135). Siehe auch 2. Mose 28,30; der Weg zu Gottes Haus immer ein
3. Mose 8,8; 4. Mose 27,21; 5. Mose »Aufwärts-Weg« ist.
33,8; 1Sam 28,6; Neh 7,65. 13
(9,5-15) H.A. Ironside, »Notes on the
5
(3,1-7) Jeschua ist die hebräische Book of Ezra«, in Notes on Ezra, Nehe­
Form von Jesus. miah and Esther, S. 90.

Bibliografie Keil, C.F.,


»Ezra«, in: Biblical Commentary on the
Dennett, Edward, Old Testament, Bd. 10,
Exposition of the Book of Ezra: Restoration Grand Rapids: Wm. B. Eerdmans Pub­
from Babylon, lishing Co., 1971.
Oak Park: Bible Truth Publishers, 1956.
Kidner, Derek,
Ironside, H.A., Ezra and Nehemiah, The Tyndale Old Tes­
»Ezra«, in: Notes on Ezra, Nehemiah and tament Commentaries,
Esther, Downers Grove: InterVarsity Press, 1979.
Neptune: Loizeaux Brothers, 1972.
Rawlinson, George,
Jensen, Irving L., »Ezra«, in: The Pulpit Commentary,
Ezra/Nehemiah/Esther, Bd. 15, Hrsg. H.D.M. Spence,
Chicago: Moody Press, 1970. New York: Funk and Wagnalls, 1909.

470
Nehemia
»Mehr als die Hälfte dieses Buches besteht aus einem persönlichen Bericht, unterbrochen
von Nebenbemerkungen und freimütigen Kommentaren, wodurch es an solchen Stellen
zu einem der lebhaftesten Texte der ganzen Bibel wird. Vieles in Esras Geschichte wurde
ebenfalls in der ersten Person erzählt (Esra 8,15 - 9,15), aber Esra war eine ruhigere
Persönlichkeit als der gewaltige und zupackende Nehemia. Esra tritt uns nicht so
anschaulich aus seinem Bericht entgegen, wie dieser Mann es tut.«

Derek Kidner

Einführung All dies unterstützt die traditionelle


Ansicht über die Autorschaft Nehe-
I. Einzigartige Stellung im Kanon mias, des Sohnes Hachaljas und des
Bruders Hananis (1,1-2). Wir wissen
Wer irgendein Bauprogramm ausführen wenig über Nehemias Hintergrund; er
soll und Schwierigkeiten hat, die nöti- wurde aber wahrscheinlich in Persien
gen Leute zur Mitarbeit zu bekommen, geboren.
der sollte Nehemias Buch lesen, studie- Der Takt, die Tatkraft und die Füh-
ren, lehren oder predigen. Die für die rungsqualitäten, die Nehemia in die-
Ausführung eines schier unmöglichen sem Buch zeigt, sind von der Art, wie
Werks benötigten Führungsqualitäten sie benötigt wurden, um die sehr be-
werden uns am Beispiel dieses jüdischen deutende Stellung eines königlichen
Führers aus dem fünften vorchristlichen Mundschenks ausfüllen zu können.
Jahrhundert wunderbar vor Augen ge-
führt. Whitcomb schreibt dazu: III. Datierung
Nehemia hat sein Buch wahrscheinlich
Kein Teil des Alten Testaments rüstet uns schon bald nach den geschilderten Er-
mit stärkerem Anreiz zu hingegebenem eignissen verfasst, also etwa um 430
und klarsichtigem Eifer für das Werk v.Chr. Das wäre in der Regierungszeit
Gottes aus als das Buch Nehemia. Der des Artaxerxes (Artahsasta) (464-424
leidenschaftliche Einsatz Nehemias für v.Chr.).
die Wahrheit des Wortes Gottes, ohne Josephus sagt, dass Jaddua Hoher-
Rücksicht auf die Kosten oder Kon­ priester gewesen sei, als Alexander der
sequenzen, gibt uns ein Vorbild, das wir Große durch das Land Israel zog. Weil
besonders in der gegenwärtigen Zeit Nehemia in 12,22 Jaddua erwähnt, be-
bitter nötig haben.1 nutzen einige diese Tatsache, um das
Buch in eine Zeit nach Nehemia zu da-
II. Verfasserschaft tieren. Es kann sein, dass Jaddua ein
Nehemia, dessen Name passenderweise sehr junger Mann war, als Nehemia
der HERR tröstet bedeutet, schreibt seine ihn erwähnte (weil er aus priester­
Erinnerungen in der ersten Person; er lichem Geschlecht war), und zu Ale-
fügt aber auch Staatsdokumente ein, zu xanders Zeiten etwa neunzig Jahre alt
denen er Zugang hatte. Die Papyri von war. Oder es mag zwei Hohepriester
Elephantine bezeugen die historische dieses Namens gegeben haben. Eine
Wahrheit dieses Buches, indem sie Joha- dritte Möglichkeit ist die, dass Jose-
nan, den Hohenpriester, erwähnen (sie- phus, der sich oft in der Chronologie
he Neh 12,22-23) und außerdem die Söh- dieser Zeit geirrt hatte, auch hier falsch
ne von Nehemias Erzfeind Sanballat. unterrichtet war.

471
Nehemia

IV. Hintergrund und Thema sich den Israeliten als ein Führer, wie
sie ihn dringend nötig hatten. Er war
Nehemia war der dritte große Führer tief in Gott gegründet (man beachte die
bei der Wiederherstellung des jüdi- häufigen Hinweise auf sein Gebets­
schen Staates. Serubbabel führte die leben); dies befähigte ihn, dem Sturm
erste Gruppe der Exilanten um 538/537 der Opposition die Stirn zu bieten, der
v.Chr. nach Jerusalem zurück (Esra 2) ihn von Anfang seiner Sendung an um-
und überwachte den Bau des Tempels. tobte. Es ist zu Recht gesagt worden:
Beinahe 80 Jahre später kam Esra, der »Es gibt drei Arten von Menschen in
Schriftgelehrte, mit einer zweiten Grup- der Welt: solche, die nicht wissen, was
pe von Juden in die Heilige Stadt und geschieht, solche, die dem zuschauen,
sorgte für reinigende Reformen durch was geschieht, und solche, die dafür
seinen Dienst am Wort Gottes. Doch sorgen, dass etwas geschieht.« Nehe-
mit der Zeit trat in Jerusalem erneut ein mia war einer, der dafür sorgte, dass
Verfall ein. etwas geschah. Während das Buch Esra
Dreizehn Jahre nach Esras Expedition mit dem Tempel und dem Gottesdienst
wurden Nehemia die Zustände in Jeru- zu tun hat, geht es bei Nehemia um die
salem aufs Herz gelegt. Nachdem er Mauern und die tägliche Arbeit. Das
Erlaubnis erhalten hatte, die Dinge wie- Buch Nehemia bringt Gott in die An­
der in Ordnung zu bringen, erwies er gelegenheiten des Alltagslebens hinein.

Einteilung E. Registrierung der Bevölkerung


Jerusalems (7,5-72)
I. Nehemias erster Besuch: Die F. Wiederbelebung des religiösen
Wiederherstellung Jerusalems Lebens in Jerusalem
(Kap. 1-12) (Kap. 8-10)
A. Erschütterung über den G. Wiederbevölkerung der
Zustand Jerusalems (Kap. 1) Stadtbezirke von Jerusalem
B. Ermächtigung zum (Kap. 11)
Wiederaufbau Jerusalems (2,1-8) H. Aufzählung der Priester und
C. Wiederaufbau der Mauern Leviten in Jerusalem (12,1-26)
Jerusalems (2,9 - 6,19) I. Einweihung der Mauer
1. Geheime Inspektion und Jerusalems (12,27-47)
öffentlicher Widerstand II. Nehemias zweiter Besuch: Die
(2,9-20) Reformation Jerusalems (Kap. 13)
2. Die Arbeiter und ihr Werk A. Hinauswurf des Tobija aus
(3,1-32) dem Tempel (13,1-9)
3. Behinderungen von außen B. Wiedereinführung des Zehnten
und besondere für die Leviten (13,10-14)
Vorsichtsmaßnahmen C. Abschaffung der unerlaubten
(3,33 - 4,17) Tätigkeiten am Sabbat
4. Innere Probleme und (13,15-22)
Sozialreformen (Kap. 5-6) D. Auflösung der Ehen mit
D. Organisation der Bewachung Frauen aus anderen Völkern
Jerusalems (7,1-4) (13,23-31)

472
Nehemia 1 und 2

Kommentar Auch bat er den Herrn, ihm Barmher-


zigkeit vor dem König zu geben, denn
I. Nehemias erster Besuch: Die ein mutiger Plan, seinen Brüdern zu
Wiederherstellung Jerusalems Hilfe zu kommen, nahm bei ihm Ge-
(Kap. 1-12) stalt an. Tagelang brachte er diese Sache
im Gebet vor den Allerhöchsten.
A. Erschütterung über den Zustand Nehemia wird oft als Vorbild für wir-
Jerusalems (Kap. 1) kungsvolle Leiterschaft benutzt. Zuerst
1,1-3 Sehr wenig Einführendes wird uns hatte er eine Vision von einem Ziel, das
in diesem ersten Kapitel mitgeteilt. Wir erreicht werden sollte. Nachdem er die
erfahren über Nehemia nur zwei Dinge: Schwierigkeiten analysiert hatte, ent-
Sein Vater hieß Hachalja, und er selbst schied er, welcher Kurs für sein Han-
war Mundschenk des Königs Arta- deln angemessen war. Dann motivierte
xerxes, was eine sehr einflussreiche Stel- er andere dazu, an seiner Vision Anteil
lung bedeutete. Seine Reaktion auf die zu nehmen und selbst aktiv mitzuarbei-
Nachrichten aus Jerusalem weist ihn als ten. Darauf sehen wir, wie er Autorität
einen Menschen von geistlichem Cha- delegierte und Aufgaben zuwies. Er
rakter aus. J. Alec Motyer sagt dazu: überwachte das Werk und überprüfte
die Durchführung, bis das Projekt in zu-
Wir wissen nicht sehr viel Sicheres über friedenstellender Weise vollendet war.
die damalige Geschichte; aber vieles
spricht dafür, dass der durch Esras Reise B. Ermächtigung zum Wiederaufbau
hervorgerufene Enthusiasmus zum Teil Jerusalems (2,1-8)
eine politisch-nationalistische Richtung 2,1-3 Es dauerte drei oder vier Monate,
einschlug. Die Begeisterung war derma- bis Nehemias Glaube auf höchst un­
ßen entfacht, dass sie zu einem unerlaub- erwartete Weise belohnt wurde. Eines
ten Wiederaufbau der Mauer in Jerusa- Tages, als er dem König Wein einschen-
lem führte. Einige der Feinde des Volkes kte, verriet sein Gesicht die Traurigkeit
Gottes in jener Gegend berichteten … Ar- seines Herzens. Die Frage des Königs
taxerxes von dieser Angelegenheit, und brachte ihn in arge Verlegenheit, denn
er befahl, mit dem Bau aufzuhören. Die Traurigkeit war in der Gegenwart des
Feinde Gottes schlugen Kapital daraus, Königs nicht erlaubt (Est 4,2). George
indem sie mit dem königlichen Verbot in Williams bemerkt dazu:
der Hand nach Jerusalem hinaufzogen,
um den Baustopp zu veranlassen und Orientalischen Herrschern, die täglich
die Mauern wieder niederzureißen. vom Gifttod bedroht waren, musste jeg­
Höchstwahrscheinlich war es die Nach- liches Anzeichen innerer Erregung bei
richt von diesem Ereignis, die zu Nehe- ihrem Mundschenk als besonders ver-
mia gelangte.2 dächtig erscheinen.3

1,4-11 Nehemia litt schmerzlich wegen Doch Nehemia wollte dem König nichts
des Überrests in Juda. Obwohl er ihre Böses antun. Der Grund seines Kum-
Mühen nicht selbst erfahren hatte, mers war der desolate Zustand Jerusa-
machte er sich doch mit ihnen eins, in- lems, der Heimat seiner Vorfahren.
dem er auf die Genüsse des Palastes 2,4-5 Nehemias Abhängigkeit vom
verzichtete, um zu fasten, zu trauern Herrn in vielem Gebet war nicht vergeb-
und zu beten. Er bekannte ihre Sünden lich. Der König gab ihm nicht nur, wor-
als die seinen und bat Gott, sich an sein um er bat, er machte ihn auch zum Statt-
Wort zu erinnern und sein Volk in sei- halter von Juda (5,14). Der Erlass des
ner Treue wieder zu sammeln, wie er es Artaxerxes erfüllte genauso das Wort
in seiner Gerechtigkeit zerstreut hatte. des Herrn an Daniel (Dan 9,25), wie der

473
Nehemia 2 und 3

frühere Erlass des Kyrus die Weissagung Schafe durch es in die Stadt hin­einbrachte.
Jeremias erfüllte (Jer 29,10; Esra 1). Die Tore werden gegen den Uhrzeiger-
2,6-8 Auf Anfrage des Königs sagte sinn aufgezählt: das Schaftor (V. 1-2), das
Nehemia ihm, wie lange er von Persien Fischtor (V. 3.5), das alte Tor oder Jescha-
fort zu sein gedachte. Tatsächlich war er na-Tor (V. 6-12), das Taltor (V. 13), das
mindestens zwölf Jahre weg (5,14). In Aschentor (V. 14), das Quelltor (V. 15-25),
all diesem erkannte Nehemia die gute das Wassertor (V. 26), das Rosstor (V. 28),
Hand seines Gottes über ihm. das Osttor (V. 29) und das Tor Mifkad
oder das Tor der Vergeltung (V. 31). Vers
C. Wiederherstellung der Mauern 32 vollendet den Kreis und bringt uns
Jerusalems (2,9 - 6,19) zum Schaftor zurück. Zwei weitere Tore
werden außerdem in diesem Buch ge-
1. Geheime Inspektion und öffentlicher
nannt: das Tor Ephraim (8,16) und das
Widerstand (2,9-20)
Wachttor (12,39). So waren es insgesamt
2,9-16 Außer den offiziellen Briefen zwölf Tore, genauso wie es auch im
sandte der König eine bewaffnete Es- Neuen Jerusalem zwölf Tore geben wird
korte mit Nehemia. Kurz nachdem er in (Offb 21,12). Sehr bedeutsam ist, dass
Jerusalem angekommen war, inspizier- Gott genaue Aufzeichnungen macht von
te der neue Statthalter im Schutz der jedem, der ihm dient. Dies sieht man an
Dunkelheit seine Hauptstadt, um mög- der Liste derer, die die Mauern und Tore
lichst wenig Aufsehen zu erregen und reparierten.
seine Pläne verborgen halten zu kön- Das »Haus der Helden« (V. 16) mag
nen. Er wusste, wie unerlässlich der ursprünglich das Hauptquartier der
Wiederaufbau der Mauern für das Helden Davids gewesen sein.
Überleben der Stadt war. An einer Stelle Männer und Frauen, Kunsthand­
lag so viel Schutt, dass sein Reittier werker und Arbeiter, Fürsten und ge-
nicht hindurchkommen konnte. wöhnliche Leute, alle arbeiteten Seite
2,17-20 Später rief er die Führer zu- an Seite. Es gab nur einen Fall von Un-
sammen und sagte ihnen, was zu tun einigkeit: Die Edlen von Tekoa drückten
sei. Er ermutigte sie, indem er berichte- sich vor ihrer Verantwortlichkeit (V. 5).
te, wie die Hand des Herrn bis jetzt mit Einige, die die ihnen zugewiesene Auf-
ihm gewesen war, und auch von den gabe erledigt hatten, nahmen sich ein
Worten des Königs erzählte. Die Juden weiteres Stück an der Mauer vor (vgl.
waren begeistert und bereit, anzufan- V. 4 und 21; V. 5 und 27). Gott hat den
gen. Ihre Feinde, Sanballat, Tobija und Gläubigen von heute ebenfalls ver-
Geschem, spotteten und versuchten, schiedene Arbeitsaufträge erteilt. Er hat
das Bauprojekt aufzuhalten, indem sie uns mit unterschiedlichen Gaben und
das verleumderische Gerücht von einer Fähigkeiten ausgerüstet, die zu unserer
Auflehnung gegen den König aufbrach- Berufung passen, und er weiß, wer sich
ten. Aber Nehemia ließ sich nicht bange nicht wirklich einsetzt, aber auch, wer
machen, weil der Gott des Himmels mehr als seine Pflicht tut. »So wird das
den Erfolg versprochen hatte. Das Volk Werk eines jeden offenbar werden,
war sich einig, und das ist nötig, wenn denn der Tag wird es klar machen, weil
Gott Segen schenken will (Ps 133). er in Feuer geoffenbart wird. Und wie
das Werk eines jeden beschaffen ist, das
2. Die Arbeiter und ihr Werk (3,1-32) wird das Feuer erweisen« (1Kor 3,13).
Die Priester nahmen als die Ersten die
Arbeit auf und reparierten das Schaftor. 3. Behinderungen von außen und beson­de­re
Dieses Tor, in der nordöstlichen Ecke der Vorsichtsmaßnahmen (3,33 - 4,17)
Stadt gelegen, wurde so genannt, weil 3,33-38 Als Sanballat und Tobija die an-
man die für den Opferdienst bestimmten fänglichen Wiederaufbau-Bemühungen

474
Nehemia 3 bis 5

verspotteten, reagierte Nehemia mit Nahrung war offensichtlich knapp und


Gebet und setzte das Werk fort. Wäh- teuer. Eine Inflation und die den Juden
rend die Sprache der Vergeltung in den vom König auferlegten Steuern hatten
Versen 36 und 37 im Zeitalter des Ge- viele von ihnen in Armut gestürzt. Sie
setzes zulässig war, wäre sie doch nicht waren gezwungen, von ihren wohl­
passend für Christen in diesem Zeit­ habenderen Brüdern Geld zu leihen
alter der Gnade (Röm 12,19-21). Bald und dafür ihren Besitz zu verpfänden.
erreichte die Mauer die Hälfte der be- Einige mussten ihre Söhne und Töchter
absichtigten Höhe. als Sklaven verkaufen. Und weil ihr
4,1-8 Äußerer Druck durch die Ara- Land jetzt anderen gehörte, hatten sie
ber, Ammoniter und Aschdoditer wa- keine Mittel, um ihre Kinder wieder
ren nicht die einzige Bedrohung; zurückzukaufen. Als sie Nehemia von
manchmal ließ die Größe der Aufgabe ihrer traurigen Notlage berichteten, rief
die Juden fast daran zerbrechen. Die er die Reichen zu einer feierlichen Ver-
scheinbar endlosen Schuttberge zehrten sammlung zusammen und wies sie
an ihren Kräften und an ihrem Mut, zurecht.
weiterzumachen (V. 10). Als ihre außer- 5,8-10 War es nicht unpassend, dass
halb Jerusalems wohnenden Lands­ sie ihre jüdischen Brüder in die Sklave-
leute sie vor einem bevorstehenden rei trieben, während Nehemia und an-
Überfall warnten, stellte Nehemia an dere sie aus der Knechtschaft unter ih-
den niedrigen Stellen Männer auf und ren heidnischen Nachbarn befreit hat-
bewaffnete die Arbeiter, wobei er ihnen ten? War es nicht zwingend notwendig
Mut zusprach: »An den Herrn denkt … für ihre Sicherheit, dass sie eine richtige
und kämpft!« Beziehung zu Gott aufrechterhielten?
4,9-17 Nachdem die Überraschung Wie konnten sie es sich leisten, den
missglückt war, gaben die Feinde Judas HERRN herauszufordern, wenn sie
den Plan eines direkten Angriffs auf. sein heiliges Gesetz übertaten, indem
Und von jenem Tag an arbeitete die sie Wucher trieben (V. 9-10; vgl. 2. Mose
Hälfte der Juden, während die andere 22,25)? Zumal ihr Führer, Nehemia,
Hälfte Wache hielt. Selbst die Bauleute ihnen ein Vorbild gegeben hatte, indem
trugen Waffen. Nehemia hatte stets ei- er für das Geliehene keine Zinsen nahm
nen Schopharhornbläser bei sich, um bei – sollten sie da nicht genauso handeln?
einem Angriff Alarm schlagen und die 5,11-12 Nachdem Nehemia die Rei-
an der Mauer weit zerstreuten Männer chen dazu ermahnt hatte, den durch
zusammenrufen zu können. Solchen, Wucher erlangten Besitz zurückzu­
die von außerhalb der Stadt kamen, geben und die Zinsen für geliehenes
wurde befohlen, über Nacht in Jeru­ Geld, Getreide, Most und Öl zu erlas-
salem zu bleiben, um sogleich bereit zu sen, versprachen sie, dies zu tun, und
sein, wenn man sie brauchte. Ihre Strate- besiegelten ihre Zusage mit einem Eid.
gie hieß: Beten, wachen und arbeiten. Das 5,13 Dann wurde eine deutliche War-
Volk eiferte dem Mut und der Entschlos- nung gegen alle ausgesprochen, die
senheit ihres unbeugsamen Führers sich weigern würden, ihr Wort zu hal-
nach. Nehemia, seine Verwandten, seine ten. Sie würden aus dem guten Land
Diener und die ihn begleitende per­ ausgeschüttelt werden wie der Staub
sische Wache gönnten sich beim Wache- aus einem Gewand. Die Männer ver­
halten über die Stadt keine Muße. ließen die Versammlung mit einem
herzlichen »Amen«, und handelten
4. Innere Probleme und Sozialreformen dann ihrem Eid entsprechend.
(Kap. 5-6) 5,14-19 Ein kurzer Bericht von Nehe-
5,1-7 Während des Wiederaufbaus er- mias zwölfjähriger Amtsführung als
hob sich ein hässliches inneres Problem. Statthalter schließt das 5. Kapitel ab. Er

475
Nehemia 5 und 6

versorgte sich selbst, statt das Volk mit cherheitsgründen in den Tempel zu fol-
seinem Lebensunterhalt zu belasten. Er gen. Nehemia durchschaute die Hinter-
nutzte seine Stellung nicht aus, um list des Propheten. Gottes Wort verbot
Grundbesitz zu erwerben oder sich für allen außer den Priestern, den Tempel
die Zukunft ein weiches Nest zu berei- zu betreten. Eher wollte Nehemia das
ten. Seine Zeit setzte er dafür ein, Jeru- Leben verlieren, als das Gesetz übertre-
salem für seine Brüder sicher zu ma- ten. Und so verpuffte Sanballats dritter
chen – und nicht für den Ausbau seines Anschlag, ohne Schaden anzurichten.
Privatvermögens. Er sorgte selbst für Die Verse 9 und 14 sind Beispiele für
seine Beköstigung und lud Fremde ein, die »Stoßgebete«, die für Nehemias Le-
seine Gastfreundschaft zu genießen. All benswandel typisch waren (siehe auch
dies tat er, weil er Gott fürchtete. Wenn 2,4; 4,9; 5,19). Er hatte sich angewöhnt,
Gott seiner Opfer gedachte, so war das sich in Krisensituationen an Gott zu
für Nehemia genug. wenden. Matthew Henry sagt dazu:
6,1-4 Weil es den Feinden missglückt
war, die Juden auf andere Weise aufzu- Während er sich noch über ihre Bosheit
halten, versuchten sie jetzt, Nehemia beklagt, in der sie alles daransetzen, ihn
umzubringen. Viermal versuchten San- zu ängstigen und seine Hände schlaff zu
ballat und Geschem, der Araber, Nehe- machen, erhebt er sein Herz zu einem
mia dazu zu bringen, sich mit ihnen in kurzen Gebet zum Himmel: »Und nun,
der Ebene Ono zu treffen. Viermal lehn- stärke meine Hände!« Es ist eine gute
te Nehemia dies ab, weil er wusste, dass Hilfe und Erleichterung für gute Men-
sie Böses mit ihm vorhatten. Solch ein schen, dass sie in all ihren Kämpfen und
großes Werk durfte nicht aufgehalten Schwierigkeiten einen guten Gott haben.
werden. Von ihm dürfen sie durch Glauben und
6,5-9 Sanballat tat immer noch, als sei Gebet die Gnade erlangen, dass ihre Be-
er Nehemias Freund. In einem Brief fürchtungen beschwichtigt und ihre Hän-
trug er Nehemia ein angebliches Ge- de gestärkt werden, wenn ihre Feinde al-
rücht zu, dass dieser vorhabe, König les unternehmen, um sie mit Furcht zu
von Juda zu werden und sich gegen erfüllen und ihre Hände schlaff zu ma-
den persischen König aufzulehnen. chen. Wenn wir in unserem christlichen
Sanballat sagte, er wolle Nehemia hel- Wirken und Kämpfen vor einer besonde-
fen, Ärger mit dem König zu vermei- ren Aufgabe oder in einer Konfliktsitua­
den, und riet ihm, mit ihm zusammen tion stehen, dann ist dies ein gutes Gebet
die Angelegenheit zu besprechen. Aber für uns: »Ich muss solche Pflichten erfül-
Nehemia lehnte dies ab. Er wusste nur len und mit solchen Versuchungen kämp-
zu genau, dass Sanballat nicht sein Bes- fen. Und nun, stärke meine Hände!«4
tes im Sinn hatte. Außerdem stimmten
die verleumderischen Anklagen nicht. 6,15-19 Trotz beständiger Anfeindung
Nehemias Loyalität sprach für sich wurden die Mauern in 52 Tagen voll­
selbst. endet – ein bemerkenswerter Erfolg.
6,10-14 Es war kein Geheimnis, dass Dieser Beweis göttlichen Segens demo-
Nehemia ein frommer Mann war, der ralisierte die Feinde Judas. Doch ein
das Wort des Herrn fürchtete. So heuer- weiterer Kummer dauerte an, während
te man falsche Propheten an, die ihn die Mauern wuchsen, wie in den Versen
zum Sündigen verleiten sollten, um 17-19 angefügt wird. Viele der Vorneh-
Gottes Missfallen auf ihn zu lenken. Ein men in Jerusalem hielten weiterhin mit
vom Feind angeworbener Informant, dem gottlosen Tobija Freundschaft,
ein Jude namens Schemaja, warnte Ne- weil sie mit ihm verwandt waren. (To-
hemia vor einem geplanten Überfall auf bija war der Statthalter der Ammoniter
ihn und riet dem Statthalter, ihm aus Si- – 2,10.) Die Vornehmen berichteten auf

476
Nehemia 6 bis 8

der einen Seite Tobija die Worte Nehe- dazu die der Knechte und Mägde, der
mias, auf der anderen Seite priesen sie Sänger und der Tiere, die zum Trans-
Tobija vor Nehemias Ohren. Wir begeg- port nötig waren, wiedergegeben.
nen Tobija in Kapitel 13 wieder. 7,70-72a Hier werden die Geber und
Obwohl der Mauerbau nur 52 Tage die Gaben für das Werk aufgeführt.
beanspruchte, hatte Nehemia noch vie- Diese Verse unterscheiden sich deutlich
le andere Pflichten, die seine mehr als von denen in Esra 2,68-69. Die Ergeb-
zwölfjährige Statthalterschaft ausfüll- nisse können zu zwei verschiedenen,
ten. sich aber überlappenden Sammlungen
gehören. Der Plan des Statthalters für
D. Organisation der Bewachung Jerusalem kam erst in Kap. 11 zur völli-
Jerusalems (7,1-4) gen Ausführung.
7,1-2 Sobald die Mauern und Tore voll- 7,72b Das Kapitel schließt friedevoll:
endet und die Torhüter, Sänger und Le- Die Städte der Kinder Israel sind be­
viten für ihre Dienste eingeteilt waren, völkert und in Sicherheit.
übergab Nehemia die Verantwortung
für die Stadt seinem Bruder Hanani F. Wiederbelebung des religiösen
und dem Hananja. Beide waren gottes- Lebens in Jerusalem (Kap. 8-10)
fürchtige Männer und für ihre Aufgabe 8,1-8 Dieses wichtige Kapitel spricht
gut geeignet. Hananja hatte große Ehr- von der geistlichen Erweckung unter
furcht vor Gott, was ihn für Nehemia dem Volk Gottes durch die öffentliche
zu einer verwandten Seele machte. Lesung der Heiligen Schrift. Man be-
7,3-4 Anweisungen wurden gegeben, achte, dass nun von Nehemia in der
um die Sicherheit Jerusalems zu ge- dritten Person gesprochen wird (bis
währleisten. Die Tore sollten nur bei Ta- 12,31). In den nächsten Kapiteln ist Esra
geslicht geöffnet sein, und rund um die die Hauptperson.
Stadt wurden Wachen aufgestellt, wo- Am ersten Tag des siebten Monats
bei jeder in der Nähe seines eigenen traf sich das ganze Volk zu einer heili-
Hauses Dienst tun sollte. Durch Glau- gen Versammlung, zum Fest des Hör-
ben hatte Nehemia die Mauern dort ge- nerschalls (3. Mose 23,24-25), das ein
baut, wo sie früher standen, obwohl das Gleichnis von der Sammlung Israels
umschlossene Gebiet viel zu groß für aus den Heidenvölkern darstellt. Auf
die wenigen Einwohner war. einer Plattform stehend und von drei-
zehn Leviten flankiert, las Esra mehrere
E. Registrierung der Bevölkerung Stunden lang aus dem Gesetz Moses.
Jerusalems (7,5-72) Das Volk zeigte tiefe Ehrfurcht vor Got-
7,5-6 Als er plante, die Stadt mit Men- tes Wort, weil die in Vers 7 erwähnten
schen wiederzubevölkern, deren Ge- Leviten den Zuhörern halfen, das Ge­
schlechtsregister sie als Juden auswies, lesene zu verstehen (V. 8). Da das Ara­
fand er eine Liste derer, die unter Serub­ mäische die hebräische Sprache ver-
babel nach Jerusalem und Juda zurück- drängt hatte, war es nötig, viele Worte
gekehrt waren. aus der hebräischen Bibel zu erklären.5
7,7-65 Die Liste in den Versen 7-65 ist Heute, viele Jahrhunderte später und
mit der in Esra 2 wiedergegebenen fast mit einer völlig anderen Kultur und
identisch. Diese Verdoppelung spricht Sprache, müssen Prediger und Bibel-
gegen die Theorie, dass Esra und Nehe- lehrer noch viel mehr erklären. Dr. Do-
mia ursprünglich ein Buch gewesen sei- nald Campbell unterstreicht die Wich-
en, selbst wenn die jüdische Tradition sie tigkeit dieses Dienstes:
in einer gewissen Zeit zusammenfasste.
7,66-69 In diesen Versen wird die Ge- Esra und seine Helfer waren die ersten in
samtzahl der ganzen Versammlung, einer langen Reihe auslegender Prediger,

477
Nehemia 8 bis 10

die die Bibel erklärt haben. Diese Pre- Fest gefeiert – Esra 3,4). Man baute die
digtmethode ist durch die Jahrhunderte Laubhütten auf den Flachdächern, in
von Gott als wirksames Werkzeug geseg- den Höfen und auf den Straßen. Groß
net worden, um den Christen zu geist­ war die Freude, als den hungrigen Her-
licher Reife zu verhelfen. Themen- oder zen täglich das Wort Gottes eröffnet
textbezogene Predigten mögen oft an­ wurde. Das Fest dauerte vom fünfzehn-
regend und hilfreich sein; aber der geist- ten bis zum zweiundzwanzigsten Tag
liche Nutzen ist nicht mit den Ergebnis- des Monats.
sen zu vergleichen, die ein Predigtdienst 9,1-3 Nach dem Fest versammelte
hervorbringt, wie Esra ihn ausübte. sich das Volk zu einem großen Tag des
Gläubige, die unter einer Predigt sitzen, nationalen Sündenbekenntnisses. Die
in der die Schrift ausgelegt wird, sind in Israeliten sonderten sich von den Frem-
der Tat gesegnet.6 den in ihrer Mitte ab und demütigten
sich vor dem HERRN. Unter Fasten
8,9-12 Die Tränen der Menschen zeigen, und in Sacktuch gekleidet lasen sie drei
dass sie die Botschaft ernst genommen Stunden lang das Wort Gottes. Dann
hatten (V. 9). Sie taten recht daran, das bekannten sie drei Stunden lang ihre
Wort Gottes ernst zu nehmen; aber sie Sünden und warfen sich vor dem
brauchten sich vom Kummer nicht HERRN nieder. Bekenntnis der Schuld
überwältigen zu lassen. Das Fest war ist der Weg zu Erweckung.
nicht zum Weinen, sondern zur Freude 9,4 - 10,1 Danach leiteten die in den
bestimmt. Nur ein Fest war zum Trau- Versen 4 und 5 erwähnten Leviten das
ern und Fasten bestimmt, und das war Volk bei einem großen Gebet des Sün-
der große Versöhnungstag. Alle ande- denbekenntnisses (V. 6-37) und der Hin-
ren Feste wurden mit Freude und in gabe und Weihung (10,1). Einige meinen,
Feierstimmung begangen. Die Frucht Esra habe sie im Gebet geleitet, obwohl
des Geistes sollte sichtbar werden: Lie- sein Name nicht ausdrücklich erwähnt
be, indem man mit den weniger Glück- wird. Es ist eines der längsten Gebete in
lichen teilte; Freude, indem man vor der Bibel, und seine Wurzeln reichen tief
dem Herrn aß und trank; Friede, indem in die heilige Geschichte hin­ein.
die Ängste zum Schweigen und die Das alles beherrschende Thema in
Herzen zur Ruhe kamen. Ihre Traurig- diesem Gebet ist Gottes Treue trotz der
keit wurde in Freude verwandelt, und Abweichungen Israels. Das Gebet kann
die Freude am HERRN war ihre Stär- wie folgt gegliedert werden: die Schöp-
ke. fung (V. 6); die Berufung Abrahams
8,13-15 Am nächsten Tag wurde eine und der Bund, den Gott mit ihm schloss
besondere Bibelstunde für die Fami­ (V. 7-8); der Auszug aus Ägypten
lienoberhäupter, die Priester und die (V. 9-12); die Gesetzgebung am Sinai
Leviten gehalten. Dabei entdeckten sie (V. 13-14); Gottes wunderbare Fürsorge
die Anweisungen für das Laubhütten- während der Wüstenwanderung
fest, das später in diesem Monat gefei- (V. 15); Israels häufiges Auflehnen in
ert werden sollte. der Wüste im Gegensatz zu Gottes un-
8,16-18 Dieses Fest war eine Vorschat- wandelbarer Freundlichkeit (V. 16-21);
tung auf die Zeit, in der Israel sicher im die Eroberung Kanaans (V. 22-25); die
Verheißenen Land wohnen würde. Eilig Richterzeit (V. 26-28); unbeachtete War-
begannen sie mit den Festvorbereitun- nungen und schließliche Verbannung
gen. Dies hatten sie als gesamte Volks- (V. 29-31); Bitte um Vergebung und Er-
gemeinschaft seit den Tagen Josuas lösung von den Folgen der Gefangen-
nicht mehr getan. (Teilweise hatten auch schaft (V. 32-37); das Begehren des
die ersten, unter Serubbabel nach Jeru- Volkes, mit Gott einen Bund zu schlie-
salem zurückgekehrten Exilanten dieses ßen (10,1).

478
Nehemia 10 und 11

Eine andere mögliche Gliederung des lichen um ihr religiöses Leben. Mit Aus-
Gebets folgt dessen Gang durch die Bü- nahme von V. 31 und 32 handelt der
cher der Bibel: V. 6-8 – 1. Mose; V. 9-13 Bund ausschließlich von der Erhaltung
– 2. Mose; V. 14 – 3. Mose; V. 15-20 – des Tempels und seiner Diener.
4. Mose (außer V. 18); V. 21-23 – 4. und 10,40 Die Worte: »So wollen wir das
5. Mose; V. 24-25 – Josua; V. 26-29 – Haus unseres Gottes nicht im Stich las-
Richter; V. 30-37 – 1. Samuel bis 2. Chro- sen«, zeigen, was den nachexilischen Ju-
nik. Das ist biblisches Beten! Die Ereig- den das Wichtigste war. Aus dieser ech-
nisse werden vom Standpunkt Gottes ten Sorge um die Äußerlichkeiten ihres
aus betrachtet. Überall wird seine Treue Glaubens sollte später das verdorbene
anerkannt, und seine Barmherzigkeit pharisäische System entstehen, das den
und Gnade werden als die einzige Herrn Jesus so heftig anfeindete, weil er
Grundlage verstanden, auf der das die wichtigeren Dinge des Gesetzes be-
Volk bestehen kann. tonte: Gehorsam, Barmherzigkeit usw.
In vielerlei Hinsicht ist der letzte Vers Doch in ihrer ursprüng­lichen Unschuld
dieses Abschnitts (10,1) der bedeu- muss diese Hingabe sicher dem HERRN
tendste Teil des Gebets. Die Juden hat- wohlgefallen haben.
ten verstanden, dass das Problem bei
ihnen und nicht beim Herrn lag, und so G. Wiederbevölkerung der
entschlossen sie sich, etwas dagegen zu Stadtbezirke von Jerusalem (Kap. 11)
tun (siehe weiteren Verlauf von Kap. 10 11,1-2 Kap. 11 hängt eng mit dem letz-
wegen der Einzelheiten dieses Bundes). ten Vers von Kap. 7 zusammen. Nehe-
Gebet und Bekenntnis, so wichtig sie mia war besorgt, weil Jerusalem so
sind, können kein Ersatz für Gehorsam spärlich bevölkert war; es sollten mehr
sein. Menschen dort wohnen, um die Stadt
10,2-28 Diese Verse listen die Männer bei einem Angriff zu verteidigen. Doch
auf, die den Bund für das Volk unter- die Furcht hielt viele Juden auf dem
zeichneten (10,1b). Nehemias Name Lande fest. Schließlich wurden Lose ge-
führt die Liste an (V. 2), gefolgt von den worfen, um jeweils einen von zehn Be-
Priestern (V. 3-9), den Leviten (V. 10-14) wohnern der kleinen Ortschaften nach
und den Häuptern des Volkes (V. 15- Jerusalem zu bringen. Andere, die frei-
28). willig kamen, vereinten sich mit ihnen.
10,29-30 Diese zwei Verse sind eine 11,3-36 Die schon früher eingeschrie-
Präambel zu dem Bund, die besagt, benen Familien Jerusalems (Kap. 7)
dass die gesamte Bevölkerung darin werden hier genannt (V. 3-24). Es gab
einwillige, die Gebote des HERRN, ihres 468 Männer aus Juda, die jeweils ihrem
Gottes, seine Rechtsbestimmungen und Haushalt vorstanden (V. 4-6). Die Ben-
seine Ordnungen zu beachten und zu jaminiter zählten 928 Familien (V. 7-8),
befolgen. Joel und Juda waren ihre Aufseher
10,31-39 Insbesondere verpflichteten (V. 9). Drei Priesterabteilungen werden
sich die Juden dazu, keine Mischehen in den Versen 10-14 aufgezählt; sie wur-
einzugehen (V. 31), den Sabbattag und den von Sabdiel angeführt. Die Leviten
das Sabbatjahr zu halten (V. 32), Holz in der Heiligen Stadt7 zählten 456; von
für den Altar des HERRN zu bringen ihnen waren 172 Torhüter (V. 15-19).
(V. 35) und das Lösegeld für ihre Erst- Die Tempeldiener unter Ziha und
geborenen und die Erstlingsfrüchte Gischpa wohnten auf dem Ofel, einem
ihrer Ernte zum Tempel zu bringen als Stadtteil Jerusalems, der nahe beim
Unterhalt für die Priester und Leviten; Tempel lag (V. 21). Ein Mann namens
d.h. sie führten den Zehnten wieder ein Usi hatte die Oberaufsicht über alle Le-
(V. 36-40). viten, und Petachja war der Bevoll-
Es ging in diesem Bund im Wesent­ mächtigte des Königs, natürlich unter

479
Nehemia 11 bis 13

Nehemia (V. 22-24). Die Übrigen von den Männer eingesetzt, welche die Auf-
Juda wohnten in den benachbarten bewahrung der Opfergaben, der Erst-
Dörfern, die in den Versen 25-30 auf­ lingsfrüchte und des Zehnten be­
gezählt werden, die von Benjamin in aufsichtigen sollten. Dies diente der
den Dörfern, die in den Versen 31-35 Versorgung der Priester und Leviten,
genannt werden. Einige Abteilungen wie es das Gesetz forderte. Die Men-
der Leviten, die früher in Juda gewohnt schen spendeten freudig, weil sie glück-
hatten, zogen jetzt in das Gebiet von lich darüber waren, dass der Gottes-
Benjamin (V. 36; Schlachter 2000). dienst wieder eingerichtet war. Die
Priester und Leviten erfüllten ihre
H. Aufzählung der Priester und Pflichten beim Gottesdienst und bei der
Leviten in Jerusalem (12,1-26) Reinigung. Die Sänger und die Tor­
Die mit Serubbabel heimgekehrten hüter führten ebenfalls die ihnen über-
Priester werden in den Versen 1-7 ge- tragenen Aufgaben aus. Diese Auf­
nannt. Die heimgekehrten Leviten ste- gaben, insbesondere die der Sänger,
hen in den Versen 8 und 9. Die Verse 10 gingen auf die Zeit Davids und Asafs
und 11 nennen die Hohenpriester von zurück.
Jeschua (in den Tagen Serubbabels, V. 1) 12,47 In den Tagen Serubbabels und
bis Jaddua. In den Versen 12-21 finden Nehemias stellte das Volk alles bereit,
wir die Priester, die in den Tagen des was zum Unterhalt der Sänger, Tor­
Hohenpriesters Jojakim Familienober- hüter, Leviten und Priester nötig war.
häupter waren. (Jojakims Sohn Elja-
schib war der Hohepriester zur Zeit II. Nehemias zweiter Besuch – Die
Nehemias [3,1].) Die meisten von ihnen Reformation Jerusalems (Kap. 13)
lebten wahrscheinlich zu diesem Zeit-
punkt noch. Die Leviten wurden unter A. Hinauswurf des Tobija aus dem
den aufeinanderfolgenden Hohenpries­ Tempel (13,1-9)
tern von Eljaschib bis Jaddua auf­ 13,1-3 Nachdem Nehemia zwölf Jahre
geschrieben. Die in den Versen 24-26 lang in Jerusalem seinen Dienst getan
namentlich aufgeführten Männer hatte, kehrte er im Jahr 433 v.Chr. für
dienten vor und während der Statt­ eine nicht genau genannte Zeit nach Ba-
halterschaft des Nehemia. bylon zurück. Dann erhielt er die Er-
laubnis, zu einem Besuch nach Jeru­
I. Einweihung der Mauer Jerusalems salem zurückzukehren; dieser Besuch
(12,27-47) hatte die Beseitigung von Missständen
12,27-30 Für die Einweihung der Mauer zum Ziel. »An jenem Tag« (V. 1) könnte
wurden die Leviten (vor allem die Sän- sich auf das vorhergehende Kapitel
ger) aus der Umgegend nach Jerusalem oder auf irgendeine andere Zeit wäh-
gebracht. Die Priester reinigten erst sich rend Nehemias Abwesenheit beziehen
selbst zeremoniell, dann das Volk, dann (V. 6). Jedenfalls wurde das Wort Gottes
die Mauer und die Tore. einschließlich des Abschnitts gelesen,
12,31-42 Danach versammelte Nehe- der Moabiter und Ammoniter aus der
mia die Fürsten Judas auf der Mauer Versammlung Israels ausschloss. Diese
und teilte zwei riesige Dankeschöre ein. Kanaaniter hatten dem Volk Gottes
Sie zogen in entgegengesetzten Rich- nicht nur Brot und Wasser verweigert,
tungen um die Mauer, wobei die Sän- sondern auch Bileam gebeten, Israel zu
ger vorangingen. Das Volk folgte den verfluchen. Doch Gott hatte den Fluch
Vorstehern, bis alle sich beim Tempel in einen Segen verwandelt. Welch ein
wieder trafen. wunderbarer Gott ist er! Das Volk re­
12,43-46 Große Opfer wurden unter agierte darauf mit der Absonderung
Jubel dargebracht. Zu dieser Zeit wur- des Mischvolks von Israel.

480
Nehemia 13

13,4-5 Durch den Hinauswurf der ßen (Esra 10). Damals hatte das Volk ei-
Fremden vollendeten sie das in 9,2 be- nen Bund geschlossen, sich von den
gonnene Werk. Eljaschib, der Priester, Heiden zu trennen, und sich auch zum
hatte dem gottlosen Tobija eine Kam- Teil daran gehalten. Aber mit der Zeit
mer im Vorhof des Hauses Gottes ein- blühte die Praxis, Frauen aus Aschdod,
gerichtet, die als Vorratsraum mit dem Ammon und Moab zu heiraten, wieder
Zehnten für die Leviten und Priester auf, selbst in der Priesterschaft. Einige
hätte gefüllt sein sollen. der Übeltäter wurden körperlich ge-
13,6-9 Nach seiner Rückkehr verlor züchtigt, andere aus der Gemeinschaft
Nehemia keine Zeit, um diese Situation ausgeschlosssen. Ein Enkel des Hohen-
zu ändern. Auch andere Probleme wa- priesters wurde fortgejagt.8 Man trieb
ren während seiner Abwesenheit auf- die Heiden weg und bat den Herrn,
getreten, und Nehemia zog entrüstet sich mit denen zu beschäftigen, die ihr
gegen diese Übel zu Felde. heiliges Amt besudelt hatten. Wieder
bat Nehemia darum, dass der Herr sei-
B. Wiedereinführung des Zehnten für ner gedenken möge (V. 31).
die Leviten (13,10-14) In der Gemeinde gibt es kein Verbot,
Nehemia wies die für diese Angelegen- einen Menschen aus einer anderen eth-
heiten zuständigen Beamten wegen nischen Gruppe zu heiraten, weil das
ihres unverantwortlichen Handelns Christentum ein Glaube ist, der alle
scharf zurecht, weil sie die Leviten ver- Völker und Stämme umschließt. Aber
nachlässigt hatten. Die Leviten waren selbst im Alten Testament waren zwei-
gezwungen gewesen, auf den Feldern fellos die verdorbenen falschen Reli­
zu arbeiten, um überleben zu können. gionen der heidnischen Völker der
Man holte sie wieder zurück, und treue Hauptgrund für dieses Verbot.
Männer wurden eingesetzt, um den Campbell sagt zu den für das Chris­
Zehnten unter ihnen zu verteilen. We- tentum verderblichen Mischehen Fol-
gen dieser guten Tat bat Nehemia Gott, gendes:
dass er seiner gedenken möge (V. 14).
Das Neue Testament fügt sein überein-
C. Abschaffung der unerlaubten stimmendes Zeugnis gegen die Heirat
Tätigkeiten am Sabbat (13,15-22) zwischen Gläubigen und Ungläubigen
Nehemia musste die Edlen von Juda hinzu. Paulus wies die Gläubigen an,
zurechtweisen, weil sie dem Volk er- »nur im Herrn« zu heiraten (1Kor 7,39).
laubt hatten, am Sabbat zu arbeiten. Die Doch heute wie auch in früheren Zeiten
unter den Juden lebenden Fremden argumentieren manche Gläubige damit,
versuchten, daraus einen Markttag zu dass sie den unerretteten Partner zum
machen. Doch der Sabbat musste ge­ Herrn führen würden. Aber dies ge-
heiligt werden, wenn nötig mit Gewalt. schieht nur höchst selten, und die Kinder
Männer wurden beauftragt, die Tore zu folgen meist den Wegen des nicht wie-
bewachen, die geldgierigen Händler dergeborenen Elternteils.9
vertrieb man unter Androhung von Re-
pressalien. So wurde diese unerlaubte Während seiner gesamten Regierungs-
Tätigkeit rasch unterbunden. Nehemia zeit war Nehemia ein Mann der Tat.
betete, dass Gott auch deshalb seiner Nirgends wird das deutlicher als hier,
gedenken möge (V. 22). da der Eifer für Gottes Sache ihn ver-
zehrt (Ps 69,10). Weil er nicht auf Rang
D. Auflösung der Ehen mit Frauen aus oder Person sah, erfuhren alle in glei-
anderen Völkern (13,23-31) cher Weise seinen Zorn, wenn sie das
Einige Jahre zuvor hatte man die frem- Gesetz des Herrn übertraten. Er warnte,
den Frauen auf Befehl Esras ausgesto- ermahnte, schlug und rügte sie, riss

481
Nehemia 13

ihnen Haare aus und machte ganz all- 5


(8,1-8) Hebräisch und Aramäisch
gemein den Gottlosen das Leben sind nah miteinander verwandte se-
schwer! Er war ein mutiger Mann und mitische Sprachen. Die mündlichen
ein unbeugsamer General auf dem aramäischen »Umschreibungen« des
Schlachtfeld des Kampfes gegen das hebräischen Originaltexts wurden
Böse. Er war ein unermüdlicher Arbei- später aufgeschrieben und Targume
ter und ein großartiger Baumeister für genannt.
Gott. 6
(8,1-8) Donald Campbell, Nehemiah:
Dieses Kapitel beendet die Geschich- Man in Charge, S. 75.
te des Alten Testaments. Die auf Nehe- 7
(11,3-36) Dies ist das erste Mal, dass
mia folgenden Bücher liegen chrono­ Jerusalem »Heilige Stadt« genannt
logisch vor dessen Zeit, mit Ausnahme wird.
des Buches des Propheten Maleachi, 8
(13,23-31) Josephus sagt, dass der
der ein Zeitgenosse Nehemias war.10 ausgewiesene Rebell nach Samaria
Charles Swindoll schließt seinen ging, wo Sanballat ihm einen Tempel
Kommentar über Nehemia, »Hand Me baute, der ein Zufluchtsort für ab­
Another Brick«, wie folgt: gefallene Juden wurde.
9
(13,23-31) Campbell, Nehemiah,
Ich meine, dass es bezeichnend ist, dass S. 116-117.
die abschließende Szene in Nehemias 10
(13,23-31) Die auf Nehemia folgende
Buch ihn auf den Knien zeigt, wo er Gott Zeit wird manchmal »die vierhun-
um Gnade bittet. Er hatte hart für das dert Jahre des Schweigens« genannt,
Richtige gekämpft, aber er hatte sich obwohl dieser Ausdruck genau ge-
dem Herrn gegenüber ein weiches Herz nommen nicht richtig ist. Daniel 11
erhalten. Welch großartiges Vorbild für gibt z.B. eine genaue Beschreibung
jeden Führer! Er war ein Mann der Auf- der Zeit der Griechen, nur dass es
richtigkeit, der Überzeugung und der sich um vorher geschriebene Ge-
Gottergebenheit.11 schichte, also um Prophetie handelt.
Tatsächlich ist dieser Abschnitt in
vielen Einzelheiten so genau (für
Anmerkungen Kenner der Geschichte der Ptolemä-
1
(Einführung) John C. Whitcomb, er und Seleukiden), dass die Libe-
»Nehemiah«, in The Wycliffe Bible ralen und ihre Bewunderer Daniel
Commentary, S. 435. als tatsächliche Prophetie verwerfen.
2
(1,1-3) J. Alec Motyer, Toward the Die alttestamentlichen Apokryphen
Mark, Bd. 6, Nr.1, Januar/Februar sind zwar nicht inspiriert, enthalten
1977, S. 6. aber wertvolle historische Informa­
3
(2,1-3) George Williams, The Student’s tionen über diesen Zeitabschnitt.
Commentary on the Holy Scriptures, 11
(13,23-31) Charles R. Swindoll, Hand
S. 264. Me Another Brick, S. 205.
4
(6,10-14) Matthew Henry, »Nehemi-
ah«, in Matthew Henry’s Commentary
on the Whole Bible, Bd. II, S. 1087.

482
Nehemia

Bibliografie Jensen, Irving L.,


Ezra/Nehemiah/Esther,
Campbell, Donald K., Chicago: Moody Press, 1970.
Nehemiah: Man in Charge,
Wheaton: Victor Books, 1979. Keil, C.F.,
»Nehemiah«, in: Biblical Commentary on
Henry, Matthew, the Old Testament, Bd. 10,
»Nehemiah«, in: Matthew Henry’s Commen­tary Grand Rapids: Wm. B. Eerdmans Pub­
on the Whole Bible, Bd. 2, Joshua to Esther, lish­ing Company, 1971.
McLean: MacDonald Publishing Com-
pany, o.J. Swindoll, Charles R.,
Hand Me Another Brick,
Ironside, H.A., Nashville: Thomas Nelson Publishers,
Notes on Ezra, Nehemiah, Esther, 1978.
Neptune: Loizeaux Brothers, 1972.

483
Ester
»Das Buch Ester teilt uns einen Ausschnitt der jüdischen Geschichte mit,
der sonst nirgends in der Bibel vorkommt. So erfahren wir hier zum Beispiel etwas
über den Ursprung des Purimfestes, das, wie wir alle wissen, noch heute vom Volk
der Juden gefeiert wird.«

Carl Armerding

Einführung Baxter hat aufgezeigt, dass der Name


JHWH (Jahwe) viermal in akrostischer
I. Einzigartige Stellung im Kanon Form (d.h. in den Anfangsbuchstaben
aufeinanderfolgender Wörter; Anmer-
Ein Jude, der in der ehemaligen Sowjet­ kung des Übersetzers) verborgen vor-
union lebte, wurde vor längerer Zeit kommt (1,20; 5,4; 5,13; 7,7), und zwar
von einem Westler über seine Ansicht immer an entscheidenden Stellen der
gefragt, was das Ergebnis wäre, wenn Geschichte. Auch der Name Ehjeh (Ich
die UdSSR ihre antisemitische Politik bin der ich bin) taucht einmal in akros-
verstärken würde. »Oh, wahrscheinlich tischer Form auf (7,5). »Dies kann kein
ein Fest!« Um Erklärung gebeten, ant- Zufall sein«, schreibt Scroggie, »und
wortete der Jude: »Pharao versuchte, die Schwierigkeit, solche Formen zu
die Hebräer auszurotten, und das Er- konstruieren, wird jedem bewusst, der
gebnis war das Passahfest; Haman es versucht.«4
trachtete danach, unser Volk zu ver- Weil nur wenige Christen Hebräisch
nichten, und das Ergebnis war das Pu- können, ist es nicht einfach, diese
rimfest; Antiochus Epiphanes wollte schwie­rige literarische Form ohne Bei-
uns ebenfalls zugrunde richten, und spiele darzustellen. Ein an A.T. Pierson
das Ergebnis war das Chanukkafest!« angelehntes deutsches Beispiel soll sie
Das Buch Ester erklärt die Entstehung veranschaulichen, wobei das Wort
des Purimfestes, eines lebhaften jüdi- JHWH mit HERR wiedergegeben wird.
schen Festes, bei dem heutzutage jedes Das Wort HERR lässt sich in 7,7 von
Mal Lärm gemacht wird, wenn der links nach rechts lesen, in 1,20 jedoch
Name Hamans bei der jährlichen öf- von rechts nach links, jeweils in den
fentlichen Lesung des Buches fällt. ersten vier Wörtern. Außerdem handelt
Das Buch Ester ist in mehrfacher Hin- es sich in 1,20 um die jeweils ersten
sicht einzigartig. Es erzählt die Ge- Buchstaben dieser Wörter, während das
schichte von nicht praktizierenden Ju- Wort HERR in 7,7 aus den jeweils letz-
den1, die den Wohlstand Persiens2 den ten Buchstaben der ersten vier Wörter
Schwierigkeiten vorzogen, die der klei- gebildet wird.
ne Überrest auf sich nahm, der unter »Richtig Respektvoll Eine Hausfrau
Serubbabel nach Jerusalem zurück­ wird sein,
gekehrt war (Esra 2). Außer dem Fasten gegen den Mann, er sei groß oder
fehlt im Buch Ester jeglicher Hinweis klein« (wie 1,20).
auf Religion. »WeH, diE HäscheR voR dem Tor,
Eine andere bemerkenswerte Eigen- der König hat mein Unglück vor!«
heit des Buches ist das völlige Fehlen (wie 7,7).5
des Namens Gottes3. Das hat einige ver- Obwohl der Name Gottes nicht aus-
anlasst, daran zu zweifeln, dass es zu drücklich zu finden ist, zeigt sich seine
Recht in der Bibel steht. Aber J. Sidlow Gegenwart und Macht überall sehr klar.

485
Ester

Das persische Reich, etwa 500 v. Chr.


Sardes

PERSISCHES REICH
Tarsus Karkemisch
Ninive

ZYPERN
Ekbatana
Sidon Damaskus
Tyrus

Samaria Babylon Susa


Jerusalem
Ur
Pelusium
Memphis
ARABIEN
ÄGYPTEN N

0 200 Km

Er sorgt für die Befreiung seines Volkes Die Wahrheit wird ans Kreuz geschlagen,
durch eine Reihe geplanter »Zufälle«. Das Böse rings ergreift die Macht,
Selbst wenn der Name des HERRN Doch jenem Kreuz gehört die Zukunft;
nicht mit denen verbunden war, die Denn, wenn auch ungeseh’n: Gott wacht.
willentlich in Babel geblieben waren, Er lenkt Geschicke im Verborg’nen
statt in ihre Stadt und in ihr Land zu Und gibt auf uns, die Seinen, acht.
ziehen, so ist seine Fürsorge für sie doch
nie zweifelhaft gewesen. Sie waren im- Das Buch Ester wird im Neuen Testa-
mer noch sein Volk, und er wollte sie ment nicht zitiert, und bisher wurden
vor dem (teuflisch inspirierten) Anti­ auch bei den Qumran-Rollen keine
semitismus beschützen, der sie zu ver- Fragmente davon gefunden. Aus die-
nichten suchte. Gott ist der Autor aller sen und anderen Gründen haben einige
Geschichte, auch wenn er nicht seinen (darunter auch Juden) die Kanonizität
Namen unten auf jede Seite schreibt. des Buches Ester angezweifelt. Trotz-
Das Gedicht von James Russell Lowell dem enthält das Buch wunderbare Be-
(hier in freier deutscher Wiedergabe) ist lehrungen über die Treue Gottes, selbst
ein passender Kommentar zu Ester: wenn sein Volk ungehorsam ist.

Wie achtlos scheint der große Rächer!


Die Weltgeschichte immerfort II. Verfasserschaft
Zeigt nichts als Krieg, und ganz im Der Schreiber dieses Buches war zwei-
Dunkeln fellos ein Jude, der die persischen Sitten
Ringt alle Welt mit Gottes Wort. und Einzelheiten aus dem Palastleben

486
Ester

kannte. (Die Archäologie bestätigt eini- oder zweites vorchristliches Jahrhun-


ge dieser besonderen Einzelheiten.) Er dert).
schreibt wie ein Augenzeuge, wobei er
das Hebräisch der nachexilischen Zeit IV. Hintergrund und Thema
benutzt. Einige haben angenommen, Die Ereignisse dieses Buches fanden
Esra oder Nehemia sei der Verfasser. zwischen dem sechsten und dem sieb-
Die jüdische Tradition weist auf Morde- ten Kapitel von Esra statt, während der
chai als Schreiber hin. Tatsächlich ha- Regierung des persischen Königs Ahas-
ben wir keine Ahnung, wer das Buch veros (Xerxes). Das Buch beschäftigt
Ester geschrieben hat, vielleicht war der sich mit den Juden, die es vorzogen, in
menschliche Schreiber eine geschicht- Babylon zu bleiben, statt mit dem klei-
lich unbedeutende Person. Der Pulpit nen Überrest unter Serubbabel nach Je-
Commentary sagt dazu: »Wer immer es rusalem zurückzukehren (Esra 2). Es
war, niemand, der nicht an Gott glaub- trägt den Namen der Hauptperson des
te, konnte es geschrieben haben, und Geschehens, der Ester, die ein Waisen-
kein an Gott Glaubender kann es lesen, kind war und Königin wurde. Ester ist
ohne zu empfinden, dass sein Glaube ein persischer Name und bedeutet
dadurch gestärkt wird.« »Stern«. Vielleicht ist er von der Göttin
Ischtar abgeleitet. Hadassa, ihr hebrä­
III. Datierung ischer Name, bedeutet »Myrte«.
Ester 10,2 legt nahe, dass der König Ahasveros hielt in Susa (oder Susan)
Ahasveros (Xerxes) schon tot war. Da er Hof. Das war eine der drei Hauptstädte
465 v.Chr. starb, würde dadurch das Persiens. Die anderen beiden waren
Buch in die Zeit danach datiert werden Achmeta (oder Ekbatana) und Babylon.
müssen. Die Einzelheiten über persi- Susa ist ein hebräischer Name und be-
sche Kultur, der Zugriff auf Hofberich- deutet »Lilie«.6 Der Prophet Daniel leb-
te und die Lebendigkeit eines Augen- te eine Zeit lang dort (Dan 8). Nehemia
zeugen unterstützen eine Datierung versah dort nach den Tagen Esters sei-
kurz nach dem Tod des Xerxes, irgend- nen Dienst (Neh 1). Dort fand auch un-
wann während der Regierung des Arta- sere Geschichte statt. Sie fängt an im
xerxes (464-424 v.Chr.). Wie gewöhnlich Jahr 483 v.Chr. (Xerxes gelangte 486 an
datieren ungläubige Bibelkritiker das die Macht, und Kap. 1 beginnt im drit-
Buch als viel später geschrieben (drittes ten Jahr seiner Regierung – V. 3).

Einteilung A. Esters Bittgesuch und Hamans


Zorn (Kap. 5)
I. Die Vertreibung der Wasti wird B. Hamans Demütigung und
beschlossen (Kap. 1) Mordechais Ehrung (Kap. 6)
II. Die Erhebung der Ester zur C. Esters Anklage und Hamans
Königin (Kap. 2) Hinrichtung (Kap. 7)
III. Die Vernichtung der Juden wird D. Mordechais Beförderung und
geplant (Kap. 3-4) die Errettung der Juden
A. Haman spricht mit dem König (Kap. 8)
(Kap. 3) E. Die Zerschlagung der Feinde
B. Mordechai spricht mit der und die Einsetzung des
Königin (Kap. 4) Purimfestes (Kap. 9)
IV. Die Vernichtung der Juden wird V. Die Erhebung Mordechais
verhindert (Kap. 5-9) (Kap. 10)

487
Ester 1 und 2

Kommentar setzen. Und dieser Erlass sollte im gan-


zen Weltreich bekannt gemacht werden.
I. Die Vertreibung der Wasti wird Weil sie wussten, dass ein Gesetz der
beschlossen (Kap. 1) Meder und Perser unabänderlich war,
mögen diese klugen Leute einen so
1,1-4 Obwohl nicht alle Gelehrten über drastischen Schritt vorgeschlagen ha-
die Identität des Ahasveros einer Mei- ben, um sicherzugehen, dass Wasti
nung sind, glauben die meisten moder- nicht wieder an die Macht gelangen
nen Kommentatoren, dass es sich bei und sie bestrafen konnte.
ihm um Xerxes handelt, den Sohn Dari- 1,21-22 Hastig machte der König die-
us’ des Großen. Xerxes regierte von 486 sen Rat durch Unterschrift zu einem
bis 465 v.Chr. Gesetz und ordnete an, es in jeder Pro-
Das erste Fest muss nicht notwendi- vinz und in der Sprache jedes Volkes zu
gerweise ununterbrochen 180 Tage ge- veröffentlichen. Darin eingeschlossen
dauert haben. Vielmehr war dies die war das Gesetz, dass jeder Mann Herr
Zeit, die nötig war, um die Reichtümer in seinem Haus sein sollte und dass
seines herrlichen Reiches darzustellen. man dort jeweils seine Sprache be­
Vielleicht kamen die verschiedenen nutzen sollte. Dr. J. Vernon McGee ver-
Fürsten zu verschiedenen Zeiten wäh- mutet, dass Memuchan zu Hause von
rend dieser Periode, weil das Reich so seiner Frau dirigiert und gepiesackt
riesig war. wurde und dass er mit diesem Erlass es
1,5-8 Das zweite Fest dauerte sieben seiner Frau heimzahlen wollte.7
Tage und war allen offen, die in Susa
wohnten. Der königliche Wein floss in II. Die Erhebung der Ester zur
Strömen. Man trank aus goldenen Po- Königin (Kap. 2)
kalen im elegant ausgestalteten Hof des 2,1-4 Als der König begann, im Nach-
Palastgartens (V. 6 ist sicherlich der far- hinein zu bereuen, was er Wasti ange-
bigste Vers in der Bibel!). Den Gästen tan hatte, schlugen seine Räte vor, unter
war erlaubt, so viel und so wenig zu den schönen Jungfrauen nach einer
trinken, wie sie wollten. Frau zu forschen, die Königin an ihrer
1,9-12 Der betrunkene Xerxes befahl Stelle werden könnte.
seinen Kämmerern, die Königin Wasti 2,5-7 Als man passende junge Frauen
zu bringen, die die Frauen auf einem nach Susa brachte, war auch Ester, ein
besonderen Bankett bewirtete. Er woll- Mädchen aus der Hauptstadt, darunter.
te, dass sie auf der öffentlichen Feier Sie war nach dem Tod ihrer Eltern von
erschien, damit er ihre Schönheit zeigen ihrem Cousin Mordechai adoptiert
könne. Weil die persische Sittsamkeit worden. Mordechai war ein Benjamini-
von den Frauen verlangte, in der Öf- ter, dessen Vorfahr, Kisch, mit Jechonja
fentlichkeit verschleiert zu erscheinen, (Jojachin) in die Gefangenschaft geführt
ist es wohl so, dass der König von ihr worden war (2Kö 24,14-16).
verlangte, sich selbst zu erniedrigen, 2,8-11 Hegai, der Aufseher des Ha-
um seine Weinlaune zu befriedigen. Sie rems, zeigte Ester besonderes Ent­
lehnte es ab, öffentlich ausgestellt zu gegenkommen, indem er dafür sorgte,
werden, was den König maßlos ärger- dass sie und ihre Dienerinnen schnell
te. alles erhielten, was zur Schönheits­
1,13-20 Als der König sich mit seinen pflege nötig war. Auch wies er ihr den
Weisen beriet, sagten sie ihm, Wastis besten Platz im Frauenhaus zu. Sie ge-
Benehmen würde sich für alle Frauen horchte Mordechai und offenbarte ihre
im ganzen Reich als schlechtes Vorbild Volkszugehörigkeit erst einmal nicht.
erweisen. Darum riet Memuchan, Wasti Und obwohl Mordechai nicht direkt
durch einen königlichen Erlass abzu- mit ihr in Kontakt treten konnte, hatte

488
Ester 2 und 3

er die Möglichkeit, sich täglich über ihr nicht sofort belohnt. Er musste warten;
Wohlergehen zu informieren. aber der Lohn würde bestimmt kom-
2,12-14 Die Vorbereitung der jungen men. Gott zeichnet in seinen Büchern
Damen, bis sie in das Schlafgemach des alles zuverlässig auf. Der antike grie-
Königs gebracht wurden, dauerte zwölf chische Historiker Herodot sagt, dass
Monate. Sie wurden einem zeremoniel- Tod durch Erhängen die übliche Strafe
len Reinigungsprogramm mit Myrrhen­ für Verräter und Rebellen im damaligen
öl, Balsam und Salben unterzogen. Persien war.8
Wenn dann die Reihe an eine jede kam,
konnte sie alles an Gewändern, Schmuck III. Die Vernichtung der Juden
und Juwelen anfordern. Sie verbrachte wird geplant (Kap. 3-4)
dann eine Nacht mit dem König und
sollte nie wieder zu ihm kommen, es sei A. Haman spricht mit dem König (Kap. 3)
denn, er hatte Gefallen an ihr und ließ 3,1 Die Worte »Nach diesen Begeben-
sie namentlich rufen. heiten« weisen auf eine Zwischenzeit
Für Christen ist das Leben eine Zeit von fünf Jahren zwischen den Kapiteln
der Übung und Vorbereitung für die 2 und 3 hin. Die letzte wichtige Figur
Zeit des Herrschens. Bald wird der Herr im Drama »Ester« betritt in Vers 1 die
die Gemeinde sich selbst ohne Flecken Bühne: Haman, der Sohn Hammedatas.
und Runzeln oder etwas dergleichen Wir wissen nicht, warum er bevorzugt
darstellen (Eph 5,27). wurde; aber die nun folgende Geschich-
2,15-18 Statt üppige Forderungen für te macht deutlich, dass hinter der Hand
äußerlichen Schmuck zu stellen, folgte des Königs der Satan stand. Haman war
Ester dem Rat Hegais. Vielleicht meinte ein Agagiter, ein Abkömmling der
er, dass sie sich auf ihre natürliche Amalekiter-Könige (Agag war ein kö-
Schönheit verlassen könne. Jedenfalls niglicher Titel). Der Herr hatte den
liebte der König Ester mehr als alle an- Amalekitern einen beständigen Krieg
deren, erwählte sie zur Königin und ver- erklärt (2. Mose 17,8-16). Das Buch Es-
anstaltete ihr zu Ehren ein großes Fest. ter berichtet von der letzten uns be-
Zu den Feiern in den Provinzen mögen kannten Schlacht in diesem Krieg (siehe
eine Amnestie und Steuererlasse gehört auch 1Sam 15,32; 30,1-10; 1Chr 4,43).
haben, oder es war einfach ein Freuden- 3,2-6 Auf offiziellen Befehl hin muss-
tag. Auch verteilte er Spenden, die sei- te Haman nun als dem Zweiten nach
ner königlichen Freigebigkeit entspra- dem König entsprechende Ehre erwie-
chen. sen werden. Aber Mordechai weigerte
2,19-23 Eine zweite Sammlung von sich, vor einem bloßen Menschen das
Jungfrauen fand statt, vielleicht um den Knie zu beugen, erst recht, wenn es ein
königlichen Harem aufzufüllen. Ester Amalekiter war. Die Gottesfurcht über-
verbarg immer noch ihre nationale Her- wand alle Menschenfurcht. Das Gesetz
kunft, und Mordechai behielt noch im- Moses verbot nicht, den Autoritäten ge-
mer seine strategisch wichtige Stellung bührenden Respekt zu erweisen; aber
am Tor des Königs. Damals belauschte es verbot sehr wohl, jemand anderen
er ein Komplott zur Ermordung des als Gott allein anzubeten. Oft forderten
Königs Ahasveros. Er berichtete dies orientalische Herrscher solche An­
Ester, die ihrerseits den König davon betung. Mordechais Mitarbeiter ver-
unterrichtete. Die Attentäter wurden suchten bei Haman Gunst zu gewin-
ergriffen, vor Gericht gestellt und auf- nen, indem sie Mordechais Weigerung
gehängt. anzeigten. Haman war ein sehr egozen-
Dieses Ereignis wurde routinemäßig trischer Mensch, und der Anblick der
in den offiziellen Chroniken des König- offenen Respektlosigkeit Mordechais
reichs verzeichnet. Mordechai wurde ließ ihn vor Zorn den Verstand verlie-

489
Ester 3 und 4

ren. Statt sich an Mordechai allein zu regung.« Nicht nur die Juden, sondern
rächen, suchte er den Plan voranzutrei- auch die Nicht-Juden reagierten erschro-
ben, alle Juden im ganzen Reich zu ver- cken auf dieses abscheuliche Beispiel von
nichten. gewalttätigem Despotismus. Manchmal
3,7-11 Hamans erster Schritt bestand haben die Massen unrecht, aber nicht
darin, das Los zu werfen, um einen pas- immer. Hier lagen die Verhältnisse so,
senden Termin für die Massenvernich- dass der König und sein höchster Minis­
tung zu finden. Scheinbar zufällig war ter eine irrende Minderheit bildeten, die
das angezeigte Datum noch fast ein Jahr jedoch mit außerordentlicher Machtfülle
entfernt. Jemand sagte einmal: »Selbst ausgestattet war. Doch alle Völker – Na­
der Aberglaube war an die göttlichen tionen wie auch Einzelpersonen – müs-
Wagenräder gekettet.« Gott sorgte dafür, sen mit Gott als der höchsten Autorität
dass genügend Zeit da war, um Hamans rechnen. Der Erlass des Königs war
Plan zu vereiteln. »Im Gewandbausch geschrieben und verschickt; doch der
schüttelt man das Los, aber all seine Ent- König der Könige sollte das letzte Wort
scheidung kommt vom HERRN« (Spr behalten.9
16,33). Als Nächstes erschien Haman vor
dem König mit einem verleumderischen B. Mordechai spricht mit der Königin
Bericht gegen die Juden, in dem er sie (Kap. 4)
fälschlich als Gefahr für das Königreich 4,1-3 Die jüdische Bevölkerung war
darstellte. Er drängte den König, einen schockiert, als die Nachricht durchs
Befehl zu ihrer Ausrottung zu erlassen. Land eilte. Wo das Böse regiert, gibt es
Gemäß dem Gesetz der Meder und Per- immer Traurigkeit. Mordechai zog
ser konnte ein solcher Erlass, einmal ver- Trauergewänder an und ging klagend
kündet, nicht wieder abgeändert oder durch die Stadt, bis er in das Tor des
zurückgenommen werden. Als zusätz­ Königs kam. Hindurchgehen durfte er
lichen Anreiz bot Haman an, 10.000 Ta- nicht, weil Sacktuch in der Gegenwart
lente Silber in die königlichen Schatz- seiner Majestät verboten war. Er wuss-
kammern zu zahlen, die jetzt arg ge- te, dass er der Hauptgegenstand von
plündert waren wegen der verlorenen Hamans Hass war. Er hatte unwissent-
Kriege gegen die Griechen. Ahasveros lich das schreckliche Unheil, das über
besiegelte das Todesurteil mit seinem sein Volk hereinbrechen sollte, ver­
Siegelring, wodurch Tausende unschul- ursacht.
diger Männer, Frauen und Kinder auf 4,4-9 Weil es die Sitte verbot, dass Es-
dem Altar des Stolzes Hamans geopfert ter ihre Gemächer im Palast verließ,
werden sollten. Vers 11 kann bedeuten, schickte sie einen Diener, um Mordechai
dass das den Erschlagenen abgenomme- einige Gewänder zu bringen, damit er
ne Silber Haman gehören sollte. nicht in Sacktuch vom König erblickt
3,12-15 Abschriften des Vernichtungs- würde und sein Leben verlöre. Doch
befehls wurden mit großer Gründlich- Mordechai weigerte sich, seine Not zu
keit bis in den letzten Winkel des Rei- verbergen. Als Hatach, Esters persön­
ches geschickt. Sie legten den dreizehn- licher Diener, hinging, um zu erfor-
ten Tag des zwölften Monats für den schen, warum er nicht mit dem Klagen
Völkermord fest. Im Palast setzten sich aufhörte, erzählte ihm Mordechai die
Ahasveros und Haman selbstzufrieden ganze Geschichte. Auch erhielt die Kö-
zusammen, um zu trinken, während in nigin eine Abschrift des Erlasses zusam-
der Stadt große Bestürzung herrschte. men mit dem Auftrag, ihre Stellung zu
Irving Jensen sagt dazu: benutzen, um für ihr Volk einzutreten.
4,10-12 Ester antwortete Mordechai
Der letzte Satz von Kapitel 3 ist bedeut- und erinnerte ihn daran, dass es ein to-
sam: »Die Stadt Susa aber war in Auf­ deswürdiges Verbrechen war, unein­

490
Ester 4 und 5

geladen vor dem König zu erscheinen, Christen sollten in schwierigen und


es sei denn, er schonte das Leben des versuchlichen Umständen keine fatalis-
Eindringlings, indem er ihm das gol- tische, sondern eine zuversichtliche
dene Zepter entgegenstreckte. Sie sagte Haltung einnehmen, besonders wenn
ihm auch von einer weiteren Schwierig- es darum geht, dem himmlischen Gna-
keit, die das Unternehmen doppelt ge- denthron zu nahen, um in Zeiten der
fährlich machte: Sie war von Ahasveros Not Hilfe zu bekommen. Wir können
seit dreißig Tagen nicht mehr gerufen mutig und vertrauensvoll hinzutreten;
worden, was darauf hinwies, dass sie das Zepter der göttlichen Vergebung ist
irgendwie sein Missfallen erregt hatte. uns auf Golgatha entgegengestreckt
4,13-14 Mordechais Antwort auf Es- worden. »Lasst uns nun mit Freimütig-
ters vernunftmäßige Begründungen keit hinzutreten zum Thron der Gnade,
war treffsicher: Sie würde nicht ent- damit wir Barmherzigkeit empfangen
kommen, wenn die übrigen Juden er- und Gnade finden zur rechtzeitigen
schlagen würden, auch nicht als Köni- Hilfe!« (Hebr 4,16).
gin. Wenn sie sich jetzt weigern sollte,
zu handeln, würde dem Volk ein ande-
rer Erretter erstehen, sie aber würde IV. Die Vernichtung der Juden
umkommen. Und vielleicht war sie nur wird verhindert (Kap. 5-9)
deshalb auf den Thron gelangt, um das
Volk retten zu können. Die Worte von A. Esters Bittgesuch und Hamans
Vers 14 sollten jeden von uns herausfor- Zorn (Kap. 5)
dern: »Wer erkennt, ob du nicht gerade 5,1-3 Am dritten Tag, als das Fasten zu
für einen Zeitpunkt wie diesen zur Kö- Ende war, legte Ester ihre königliche
nigswürde gelangt bist?« Obwohl we- Kleidung an, raffte all ihren Mut zu-
nige von uns in eine Stellung wie Ester sammen und erschien uneingeladen
gelangen werden, hat jeder Gläubige vor Ahasveros. Weil er begriff, dass nur
eine wichtige Rolle bei der Verwirk­ ein sehr wichtiger Grund seine Königin
lichung des Planes Gottes zu spielen. veranlassen würde, ihr Leben aufs Spiel
4,15-17 Ester traf ihre Entscheidung zu setzen, streckte er ihr das goldene
und befahl allen Juden, mit ihr zusam- Zepter entgegen und gewährte ihr Si-
men drei Tage lang zu fasten. Dann cherheit. Auch versprach er ihr, ihre
würde sie vor den König treten. Bitten zu erfüllen, und wäre es das hal-
Matthew Poole kommentiert Esters be Königreich. (Das ist eine Sprach­
berühmte und heroische Worte: »Wenn figur, mit der er ausdrückte, dass er
ich umkomme, so komme ich um«, wie alles zu geben bereit war, was im Rah-
folgt: men des Vernünftigen blieb.) Christus
streckt jedem Ungläubigen das Gna-
Obwohl ich angesichts der Eindeutigkeit denzepter entgegen, der in Buße und
jenes Gesetzes offensichtlich in großer Glauben zu ihm kommt (siehe Joh
Gefahr bin, die durch die Launenhaftig- 6,37b). Für die Gläubigen ist das gol-
keit des königlichen Geistes und die Här- dene Zepter immer ausgestreckt (siehe
te beim Vorgehen gegen meine Vorgän- Hebr 10,22).
gerin Wasti noch verstärkt wird, so will 5,4-8 Zunächst lud Ester den König
ich doch lieber zum König hineingehen und seinen bevorzugten Minister Ha-
und mich freudig und fest entschlossen man nur zu einem Gastmahl ein (dies
auf die Fürsorge Gottes in Bezug auf mei- ist das vierte Bankett in diesem Buch).
ne Sicherheit und den Erfolg verlassen, Während des Mahles versuchte der Kö-
statt meine Pflicht gegenüber Gott und nig wieder, herauszufinden, was die
seinem Volk zu vernachlässigen.10 Königin wollte. Wieder zögerte Ester
die Sache hinaus und bat Ahasveros

491
Ester 5 und 6

und Haman, am nächsten Tag zu einem dass bisher nicht das Geringste unter-
weiteren Gastmahl zu kommen. Dann nommen worden war, um Mordechai
wollte sie ihr Anliegen mitteilen. Die für diesen Dienst zu belohnen.
Meinungen darüber, warum Ester zwei- Wir sollten uns bewusst machen, was
mal vorhatte, ihre Bitte zu verschieben, J.G. Bellett so bezeichnet:
gehen auseinander: (1) Sie brauchte
Zeit, um die Zuneigung des Königs … die wunderbare Verwobenheit der
wiederzuerlangen, weil sie offensicht- Umstände, die wir in dieser Geschichte
lich seine Gunst verloren hatte (siehe finden. Da gibt es eine Verschwörung,
Anmerkungen zu 4,10-12). (2) Ihr fehlte und darin wieder eine Verschwörung,
beide Male der Mut. (3) Sie versuchte, »Räder mitten in anderen Rädern« [vgl.
ein Element der Spannung aufzubauen Hes 1,16; Anmerkung des Übersetzers],
und dadurch dem König deutlich zu Umstände, die von anderen Umständen
machen, dass ihre Angelegenheit le- abhängen; und alles zusammen ist so ge-
benswichtig und nicht bloß eine Laune staltet, dass dadurch die wunderbaren
sei. (4) Sie wollte Hamans Stolz an­ Pläne Gottes ausgeführt werden.11
stacheln, damit er alle Vorsicht fallen
ließ und sich als ein boshafter Mörder Der Herr hat alles vollkommen unter
offenbarte. Vielleicht spielten Elemente Kontrolle.
aller dieser Gedanken bei ihrer Stra­ 6,4-11 Vielleicht war es noch früh am
tegie eine Rolle. Morgen, als Haman kam, um dem Kö-
5,9-14 Voller Stolz und in heiterer nig vorzuschlagen, Mordechai aufzu-
Stimmung verließ Haman das Gast- hängen. Eigenartigerweise war es ge-
mahl. Als er auf dem Weg aus dem Pa- nau zu dieser Zeit, als der König den
last Mordechai erblickte, wurde er von Impuls spürte, den Mann zu belohnen,
Wut erfüllt, doch enthielt er sich der der ihn vor den Attentätern gerettet
Gewaltanwendung. Den zusammen­ hatte. Als Haman hereinkam, stellte
gerufenen Freunden und seiner Frau ihm Ahasveros eine allgemeine Frage:
Se­resch zählte er all das Gute auf, das »Was soll man mit dem Mann machen,
ihm eben widerfahren war. Die einzige den der König gern ehren möchte?«
Wolke an seinem Horizont war dieser Haman dachte nun, sein großer Augen-
hartnäckige Jude! Seine Frau riet ihm, blick sei gekommen, und beschrieb eine
einen 50 Ellen (etwa 25 m) hohen Gal- großartige Parade und Ehrungen, die
gen zu bauen und dann den König zu nur denen nachstanden, die dem König
bitten, Mordechai daran hängen zu selbst zukamen. Außerdem schlug Ha-
dürfen. Dies gefiel Haman, und so ließ man eine öffentliche Ankündigung die-
er den Galgen errichten. ser Parade in der Stadt vor: »So wird
dem Mann getan, an dessen Ehrung der
B. Hamans Demütigung und König Gefallen hat!« Daraufhin befahl
Mordechais Ehrung (Kap. 6) der König Haman, er solle sich beeilen
6,1-3 Während Haman schlief, hielt und all diese Ehrungen … nicht Ha-
Gott Ahasveros wach, um das üble Vor- man, sondern Mordechai, dem Juden,
haben zu durchkreuzen. Indem er ver- zukommen lassen! Haman ging hinaus,
suchte, das Beste aus seiner Schlaflosig- um seinen schlimmsten Feind als den
keit zu machen, ließ sich der König die auszurufen, den der König gern ehren
Chronik seiner Regierungszeit vor­ wollte. »Vor dem Verderben kommt
lesen. Durch göttlichen »Zufall« ent­ Stolz, und Hochmut vor dem Fall« (Spr
hielt der verlesene Abschnitt das ver- 16,18).
suchte Attentat auf sein Leben und die In unserer Zeit gibt es auch einen
Tatsache, dass es durch Mordechai ver- Mann, den der König gern ehren möch-
hindert wurde. Auf Anfrage erfuhr er, te – den Herrn Jesus Christus. Gott hat

492
Ester 6 bis 8

angeordnet, dass sich ihm jedes Knie besiegelt. Ohne dass der König etwas
beugen soll und jede Zunge bekennen sagte, verhüllten die Diener sein An­
soll, dass er der Herr ist, zur Ehre Got- gesicht. Das ging immer der Hinrich-
tes, des Vaters (Phil 2,10-11). tung voraus. Ein Diener berichtete dem
6,12-14 Niedergeschlagen zog sich König von dem Galgen, den Haman er-
Haman in sein Haus zurück und be- richtet hatte, und Ahasveros befahl, den
richtete dort von dieser seltsamen Ent- Bösewicht daran aufzuhängen. Auf die-
wicklung. Seine Frau und seine weisen se Weise nahm Haman Mordechais
Freunde sahen in den Ereignissen die- Stelle am Galgen ein. Er erntete, was er
ses Tages ein böses Vorzeichen des Sie- gesät hatte. Danach legte sich der Zorn
ges für die Juden und der Niederlage des Königs.
für Haman. Doch dann wurde es Zeit
für Haman, zu Esters Bankett zu eilen. D. Mordechais Beförderung und die
Errettung der Juden (Kap. 8)
C. Esters Anklage und Hamans 8,1-2 Hamans Haus wurde Ester über-
Hinrichtung (Kap. 7) geben, und seine Stellung Mordechai
7,1-4 Esters zweites Gastmahl erwies übertragen.
sich als so folgenreich, dass es das gan- 8,3-8 Haman war aus dem Weg ge-
ze Königreich erschütterte. Und es fing räumt, doch der verderbliche Plan be-
bei Hamans Haus an. Auf die Bitte des stand immer noch. Wieder erschien Es-
Königs hin sagte sie schließlich, was sie ter uneingeladen vor dem König. Sie
so heftig bewegte. Sie bat um ihr eige- fragte nicht nach ihrem Leben, sondern
nes Leben und um das Leben ihres Vol- flehte unter Tränen für ihr Volk. Wieder
kes, das zum Tod verurteilt war. Wären wurde ihr das goldene Gnadenzepter
sie nur als Sklaven verkauft worden, entgegengestreckt. Vers 3 nennt den In-
hätte sie geschwiegen, »denn das wäre halt ihrer Bitte, und die Verse 5-6 nen-
keine Bedrängnis, die einer Belästigung nen den genauen Wortlaut. Sie bat den
des Königs wert gewesen wäre (V. 4b)«. König, den ersten Erlass zu widerrufen.
Doch der bittere Ernst ihrer Notlage Doch nach dem Gesetz konnte kein
habe sie zum Handeln gezwungen. vom persischen König unterzeichnetes
7,5-7a Der König fragte entrüstet, wer und versiegeltes Edikt abgeändert wer-
einen so heimtückischen Plan gegen den. Nachdem er die Königin daran er-
Esters Volk ersonnen habe. Die Königin innert hatte, was er schon für sie getan
hatte klugerweise Haman gerade für hatte, erlaubte der König ihr und Mor-
diesen Augenblick eingeladen. Ins An- dechai jedoch, einen weiteren Erlass
gesicht klagte sie ihn an: »Dieser böse zu schreiben, um den ersten zu durch­
Haman!« Hamans wahrer Charakter kreuzen.
war nun vollends offenbart. Ahasveros 8,9-14 Man rief die Schreiber des Kö-
stampfte zornbebend aus dem Palast. nigs zusammen, und Mordechai dik-
Sein Gewissen mag ihm auch zugesetzt tierte ihnen einen Erlass, der den Juden
haben, als er an seine Rolle dachte, die das Recht gab, ihr Leben zu verteidigen.
er bei diesem schrecklichen Komplott In größter Eile wurde das neue Gesetz
gespielt hatte, der ihm nun viel näher durch Eilboten bis in die entferntesten
auf den Pelz rückte, als er erwartet hat- Winkel des Reiches gebracht. Wie viel
te. mehr sollte die Botschaft von der Er­
7,7b-10 In Todesangst warf sich Ha- lösung des Menschen aus der Macht
man vor der Königin nieder und flehte des Bösen in Satans ganzem Reich
um sein Leben. Der König kam in den gründlich und eilends ausgestreut wer-
Raum zurück und legte dies als einen den!
Versuch aus, die Königin sexuell zu be- 8,15-17 Mordechai legte das Sacktuch
lästigen. Jetzt war Hamans Schicksal ab und verließ den Palast in königlichen

493
Ester 8 bis 10

Gewändern. Die Juden waren voll Freu- jährlich gefeiert werden, um die nach-
de, als sie vom plötzlichen Wandel der folgenden Generationen an diese wun-
Dinge erfuhren, während die übrigen derbare Errettung zu erinnern.
Menschen mit Furcht erfüllt wurden. In 9,29-32 Offensichtlich gingen zwei
dem Wunsch, nicht zu ihren Feinden Briefe an alle Juden heraus, in denen sie
gezählt zu werden, wurden damals aufgefordert wurden, das Purimfest zu
viele Heiden Proselyten des jüdischen feiern – der erste in Vers 20 und der
Glaubens. zweite in den Versen 29-32. Das in Vers
32 erwähnte Buch ist wahrscheinlich
E. Die Zerschlagung der Feinde die Geschichte des Königreichs (siehe
und die Einsetzung des Purimfestes 2,23; 6,1; 10,2).
(Kap. 9)
9,1-5 An dem schrecklichen Tag – dem V. Die Erhebung Mordechais
dreizehnten Tag des zwölften Monats – (Kap. 10)
versammelten sich die Juden jeweils in 10,1-2 Das Buch Ester endet mit der Er-
ihren Städten und vernichteten ihre hebung Mordechais. Sein Aufstieg und
Feinde. Selbst die Fürsten und Statthal- seine Werke werden wie die Leistungen
ter halfen den Juden, weil sie Morde- des Ahasveros in dem Buch der Ge-
chai fürchteten, der nun der zweit- schichte der Könige der Meder und Per-
mächtigste Mann im Reich war. ser berichtet. Carl Armerding beschließt
9,6-15 In der Hauptstadt allein wur- sein Buch über Ester mit diesen Wor-
den 500 Männer getötet, außerdem die ten:
zehn Söhne Hamans. Als der König das
erfuhr, begriff er, dass es dann auch im Die Tatsache, dass uns sein Tod nicht be-
ganzen Reich ein großes Gemetzel ge- richtet wird, ist höchst bemerkenswert,
geben haben musste. Ester bat ihn, den weil die Geschichte der meisten Men-
Juden in Susa einen zweiten Tag zu ge- schen mit einer Art Todesanzeige ab-
ben, um die noch übrigen Schlupf­löcher schließt. So bleibt in unseren Herzen der
des Antisemitismus zu säubern. Dar­ Gedanke an jemanden zurück, der fort
aufhin wurden noch weitere 300 Män- und fort weiterlebt. »Wer aber den Wil-
ner hingerichtet. Außerdem bat sie dar- len Gottes tut, bleibt in Ewigkeit« (1Jo
um, dass die Leiber Hamans und seiner 2,17).13
Söhne öffentlich aufgehängt werden
sollten. 10,3 Mordechai suchte das Beste seines
9,16 In den königlichen Provinzen Volkes. Spurgeon wendet seinen Dienst
wurden 75.000 Menschen umgebracht; auf uns Christen an:
doch an dem Besitz der Feinde vergrif-
fen sich die Juden nicht. Es ging ihnen Mordechai war ein wahrer Patriot, und
nur darum, sich zu schützen, und nicht darum nutzte er, als er in die höchste
darum, reich zu werden. Stellung unter Ahasveros gebracht wor-
9,17-28 Die Juden in den Provinzen den war, seinen Einfluss aus, um das
feierten am vierzehnten Tag dieses Mo- Wohl Israels zu fördern. Darin war er ein
nats ein großes Fest, während jene aus Vorbild auf Jesus, welcher, jetzt auf dem
Susa am fünfzehnten Tag feierten. Dies Thron der Herrlichkeit, nicht das Seine
war der Beginn des Purimfestes. Der sucht, sondern seine Macht für sein Volk
Name »Purim« kommt von »Pur«12 – einsetzt. Es wäre schön, wenn jeder
das Los, welches Haman warf (3,7). Christ ein Mordechai für die Gemeinde
Später ordnete Mordechai an, dass die würde, der sich seinen Gaben entspre-
Juden sowohl am vierzehnten als auch chend für deren Wohl einsetzt. Manche
am fünfzehnten Tag feiern sollten. Wie sind wohlhabend und in einflussreichen
die alten Feste sollte auch dieses Fest Stellungen; mögen sie ihren Herrn in den

494
Ester 10

hohen Positionen der Erde ehren und Je- dafür entscheiden, fern vom Jeru­
sus vor den Großen bezeugen. Andere salemer Tempel zu leben. Diese Zu-
haben etwas weit Besseres, nämlich die sätze kann man in den Apokryphen
enge Gemeinschaft mit dem König der finden; sie haben einen völlig ande-
Könige; mögen sie getreulich jeden Tag ren Charakter als das hebräische Ori-
für die Schwachen im Volk des Herrn ginal. Sie fügen viel religiöse Aktivi-
eintreten, für die Zweifelnden, die Ge- tät hinzu und außerdem Inhalte, die
prüften und die, welche keinen Trost fin- an Volkstheaterszenen erinnern. Ju-
den!14 den und Protestanten haben diese
apokryphen Zusätze zu Gottes Wort
zu Recht verworfen.
Anmerkungen 4
(Einführung) W. Graham Scroggie,
Know Your Bible, Bd. I, The New Testa­
1
(Einführung) Ein nicht praktizie- ment, S. 96.
render Jude gehört zwar zur eth- 5
(Einführung) Das englische Original
nischen Gemeinschaft der Juden, ist zitiert bei Scroggie, ebd.
praktiziert jedoch seine Religion 6
(Einführung) Unser deutscher Vor-
nicht und versucht nicht, das mosa- name Susanne kommt von diesem
ische Gesetz mit seinen Speisevor- hebräischen Wort für »Lilie«.
schriften und Traditionen zu befol- 7
(1,21-22) J. Vernon McGee, Ruth and
gen. Esther: Women of Faith, S. 232-233.
2
(Einführung) Heute wird Persien 8
(2,19-23) Zitiert von Carl Armerding,
»Iran« genannt. Die Sprache dort ist Esther: For Such a Time as This, S. 35.
»Farsi« (= Persisch) und nicht mit 9
(3,12-15) Irving L. Jensen, Ezra/Nehe­
dem Arabischen verwandt; jedoch miah/Esther, S. 88.
verwendet man eine modifizierte 10
(4,15-17) Matthew Poole, Matthew
arabische Schrift und viele arabische Poole’s Commentary on the Whole Bible,
Wörter aus der islamischen Religion S. 913.
und Kultur. 11
(6,1-3) J.G. Bellett, Witnesses for God in
3
(Einführung) In der Absicht, diesem Dark and Evil Times: being Studies and
»Missstand« abzuhelfen, haben eini- Meditations on the Books of Ezra, Nehe­
ge Juden dem kanonischen Text des miah, and Esther, S. 70.
Buches Ester viele Abschnitte (auf 12
(9,17-28) Purim ist der hebräische
Griechisch) hinzugefügt. Sie verstan- Plural und bedeutet »Lose«.
den nicht, dass sie damit die eigent- 13
(10,1-2) Armerding, Esther, S. 128.
liche Botschaft dieses Buches zer- 14
(10,3) C.H. Spurgeon, Morning and
störten: Gott wirkt im Verborgenen Evening, S. 667, Lesung für den
für sein Volk, selbst für diejenigen 28. November abends.
Angehörigen dieses Volkes, die sich

495
Ester

Bibliografie Ironside, H.A.,


»Esther«, in: Notes on Ezra, Nehemiah,
Armerding, Carl, and Esther,
Esther: For Such a Time as This, Neptune: Loizeaux Brothers, 1972.
Chicago: Moody Press, 1955.
Keil, C.F.,
Baldwin, Joyce G., »Esther«, in: Commentary on the Old
Esther, Tyndale Old Testament Com- Tes­tament in Ten Volumes, Bd. 10,
mentaries, Grand Rapids: Wm. B. Eerdmans Pub­
Downers Grove: InterVarsity Press, 1984. lish­ing Co., 1982.

Bellett, J.G., McGee, J. Vernon,


Witnesses for God in Dark and Evil Times: Ruth and Esther: Women of Faith,
being Studies and Meditations on the Books Nashville: Thomas Nelson Publishers, 1988.
of Ezra, Nehemiah, and Esther,
Kilmarnock: John Ritchie, Publisher of
Christian Literature, o.J.

496
Einführung in die poetischen Bücher
Jemand sagte einmal: »Poesie ist das, erscheint. Viele Liebhaber der Psalmen
was bei einer Übersetzung verloren sind sich der Tatsache, dass es sich da-
geht.« Erfreulicherweise trifft das auf bei um ein poetisches Buch handelt, gar
die hebräische Dichtung des AT nicht nicht bewusst.2
zu oder ist im besten Fall reichlich über- Der Psalter war das Gesangbuch im
trieben. Die klassische deutsche oder früheren Israel. Es besteht aus einer
englische Dichtung, die ganz von Rei- Sammlung von fünf Büchern, die in
men, Versmaß und besonderen Formen einem Zeitraum von eintausend Jahren
abhängig ist, lässt sich nur recht schwer geschrieben wurden, und zwar von ca.
erfolgreich in andere Sprachen überset- 1400 v.Chr. (Mose) bis ca. 400 v.Chr.
zen. (Esra).
In der hebräischen Dichtung wird
teilweise ebenfalls Versmaß verwendet. C. Sprüche
Außerdem treten häufig Alliterationen Das alttestamentliche Buch, das von
(Wörter, die mit demselben Buchstaben Christen wohl am zweithäufigsten re-
beginnen) und andere Techniken auf, gelmäßig benutzt wird, ist das Buch der
die auch in unserer eigenen Dichtung Sprüche. Vom ersten bis zum letzten
recht häufig sind. Vers ist es angefüllt mit weisen Aus­
Auch wenn ein Großteil der prophe- sagen über ein aus Gottes Sicht erfolg-
tischen Bücher in dichterischer Form reiches Leben (das sich bei der Schluss-
geschrieben sind, werden im AT vor betrachtung als das einzige Leben her­
allem fünf Bücher zu den poetischen ausstellt, das wirklich zählt). Es ist ein
Büchern gezählt: Hiob, Psalmen, Sprü- wunderbares Beispiel für Weisheits­
che, Prediger und das Hohelied.1 literatur.
I. Die poetischen Bücher D. Prediger
Prediger ist für viele Menschen das
A. Hiob Buch, das sie am schwersten in die Leh-
Dieses Buch ist wahrscheinlich das älte- re der Bibel einordnen können. Der
ste Buch der Bibel, weil bei all den Dis- Schlüssel zum Verständnis des Buches
kussionen um Richtig und Falsch das Prediger ist der Ausdruck »unter der
Gesetz kein einziges Mal erwähnt wird. Sonne«, weil der »Prediger« aus Sicht
In dramatischen Dialogen diskutiert eines Menschen ohne Gottes Offen­
der leidende, aber gerechte Hiob mit barung urteilt. Auch dieses Buch ist ein
seinen »Freunden« über die Ur­sache gutes Beispiel für Weisheitsliteratur.
seines Elends, bis schließlich der Herr
selbst ihn lehrt, seinen souveränen Wil- E. Hohelied
len für sein Leben anzunehmen. Dieses Alle Bibelliebhaber sind sich einig, dass
Buch ist ein wunderbares Beispiel von das Hohelied ein wunderbares Gedicht
Weisheitsliteratur, das selbst von Un- über echte und reine Liebe ist, auch
gläubigen als wahrhaft majestätische wenn es verschiedene Auslegungen
Dichtung angesehen wird. dazu gibt. Die Überschrift »Hohelied«
(wörtl. »Lied der Lieder«) ist eine
B. Psalmen/Psalter he­bräische Ausdrucksweise für »das
Das unter Christen beliebteste Buch des außerordentlichste Lied«. Salomo
AT sind die Psalmen. Oft werden Aus- schrieb insgesamt 1005 Lieder (1Kö
gaben des NT mit den Psalmen benutzt, 5,12), aber das Hohelied ist das schönste
wenn eine vollständige Bibel zu sperrig von allen.

497
Einführung in die poetischen Bücher
II. Freude an poetischen Texten meint, dass zwei oder mehr Zeilen zu-
des AT sammengestellt werden, die sich in ge-
Leider wird den meisten Menschen wisser Hinsicht entsprechen. Wir sollten
heute bereits in der Schule die Freude Gott dankbar sein, dass das die Haupt-
an poetischen Texten verdorben – sei es stütze der biblischen Dichtung ist, weil
dadurch, dass sie Gedichte auswendig es sich wunderbar in fast alle Sprachen
lernen müssen, die sie nicht mögen übertragen lässt und so während des
oder nicht verstehen, oder sei es durch Übersetzungsprozesses nicht allzu viel
Lehrer, die sie die Gedichte so lange Schönheit verloren geht. Unser Herr
analysieren lassen, bis sämtliche Schön- selbst verwendete in seinen Reden häu-
heit und Frische daraus verschwunden fig Parallelismen. (Lesen Sie z.B. auf-
ist. Es ist so ähnlich wie das Hegen und merksam Matthäus 5-7 und Johannes 13-
Pflegen einer Rose. Man kann es auch 17, nachdem Sie sich mit den folgenden
ohne viel Wissen tun, solange man den Stilmitteln vertraut gemacht haben.)
Wunsch hat, Schönheit zu erleben. Die Wir möchten einige Beispiele der
Aufgabe im Biologieunterricht, die wichtigsten Arten des hebräischen Par-
Rose Stück für Stück auseinanderzu­ allelismus aufzeigen, damit der Leser
nehmen, mag zwar sehr lehrreich sein, nicht nur beim Studium des AT mit die-
hat aber aus künstlerischer oder ästhe- sem Kommentar, sondern auch bei sei-
tischer Sicht nur wenig Wert. ner täglichen Bibellese und beim Hören
Um sich an poetischen Texten des AT von Predigten nach ähnlichen Struk-
zu erfreuen, muss man einen Mittelweg turen Ausschau halten kann.
einschlagen, wie zwischen dem Erleben
einer Rose ohne jegliche Kenntnis von 1. Synonymer Parallelismus
Rosen einerseits und einer wissen- Wie der Name schon andeutet, wird bei
schaftlichen Studie andererseits. Man dieser Parallelismusart mit der zweiten
wird bedeutend mehr Freude an Rosen oder parallelen Zeile in etwa dasselbe
haben, wenn man den Unterschied zwi- ausgedrückt wie mit der ersten, um es
schen einer Wildrose und einer Edel­ zu betonen. Vor allem in den Sprüchen
rose kennt, wenn man rote Rosen von trifft man diese Parallelismen häufig an.
rot-orangen und rot-orange von kup- »Das Gesetz des HERRN ist vollkom-
ferfarbenen unterscheiden kann. men und erquickt die Seele;
Genauso ist es bei poetischen Texten. das Zeugnis des HERRN ist zuverläs-
Wer die Formen und Stilmittel kennt, sig und macht den Einfältigen weise«
mit denen die Dichter den poetischen (Ps 19,8).
Texten »Farbe« verleihen, und mit den
Methoden der Psalmisten oder anderer »Ich bin eine Narzisse von Scharon,
biblischer Dichter vertraut ist, wird mit eine Lilie der Täler« (Hl 2,1).
den poetischen Texten der Bibel bedeu-
tend mehr anfangen können. Das gilt 2. Antithetischer Parallelismus
nicht nur für die fünf Bücher, die zu Hierbei werden zwei Zeilen »gegen­
den poetischen Büchern gezählt wer- einander« gestellt und bilden einen
den, sondern auch für den Rest des AT Kontrast:
– ganz zu schweigen vom NT. »Denn der HERR kennt den Weg der
Gerechten;
III. Parallelismus aber der Gottlosen Weg vergeht«
Das in der biblischen Dichtung am häu- (Ps 1,6).3
figsten verwendete Stilmittel ist keines-
falls das Reimen von Lauten wie in der »Hass erregt Zänkereien,
deutschen Dichtung, sondern das »Rei- aber Liebe deckt alle Vergehen zu«
men« von ganzen Aussagen. Damit ist ge- (Spr 10,12).

498
Einführung in die poetischen Bücher
3. Formaler Parallelismus a. Simile
Hier ist nur die Form parallel. Die zwei Wird bei einem Vergleich das Wort wie
oder mehr Zeilen stellen keinen Gegen- benutzt, heißt die Stilfigur Simile:
satz dar und dienen nicht der weiteren »Denn du segnest den Gerechten,
Ausführung oder Betonung. Es handelt HERR,
sich einfach um zwei Zeilen eines poe- wie mit einem Schild umringst du ihn
tischen Textes, die zusammengestellt mit Huld« (Ps 5,13).
wurden, um einen Gedanken oder ein
Thema auszudrücken: »Wie ein Apfelbaum unter den Bäumen
»Habe doch ich meinen König ge- des Waldes
weiht so ist mein Geliebter unter den Söh-
auf Zion, meinem heiligen Berg« nen« (Hl 2,3a).
(Ps 2,6).
b. Metapher
4. Synthetischer Parallelismus Liegt ein direkter Vergleich vor und
Die zweite Zeile führt den Gedanken wird etwas ohne das Wort wie zu etwas
der ersten Zeile weiter aus (synthesis ist anderem erklärt, handelt es sich um
der griechische Begriff für »zusammen- eine Metapher. Die Metapher ist ein sehr
setzen«): beliebtes Stilmittel4:
»Der HERR ist mein Hirte, »Denn Gott, der HERR, ist Sonne und
mir wird nichts mangeln« (Ps 23,1). Schild.
Gnade und Herrlichkeit wird der
»Mehr als alles, was man sonst bewahrt, HERR geben,
behüte dein Herz! kein Gutes vorenthalten denen,
Denn in ihm entspringt die Quelle die in Lauterkeit wandeln« (Ps 84,12).
des Lebens« (Spr 4,23).
»Ein verschlossener Garten ist meine
5. Symbolischer Parallelismus Schwester, meine Braut,
Ein Stilmittel in der ersten Zeile veran- ein verschlossener Born, eine ver­
schaulicht den Inhalt der zweiten Zeile: siegelte Quelle« (Hl 4,12).
»Wie eine Hirschkuh lechzt nach
Wasserbächen, 2. Alliteration
so lechzt meine Seele nach dir, o Gott« Beginnen mehrere Wörter mit demselben
(Ps 42,2). Buchstaben – häufig mit einem Konso-
nanten – handelt es sich um eine Allitera-
»Ein goldener Ring im Rüssel einer Sau, tion.5 Die Anfangsverse des Hohelieds
so ist eine Frau, die schön, aber ohne enthalten zum Beispiel viele Wörter, die
Feingefühl ist« (Spr 11,22). mit dem Laut »sch« (dem hebräischen
Buchstaben shîn) anfangen, unter an­
IV. Stilfiguren derem den Namen des Buches und die
Wir verwenden jeden Tag Stilfiguren, hebräische Form des Namens Salomo.
ohne uns dessen bewusst zu sein. Aus- Natürlich werden und können Allite-
drücke wie »Du bist ein Schatz!« oder rationen in Übersetzungen nicht mit
»Er isst wie ein Schwein.« sind Rede­ den Alliterationen in der Ausgangs-
figuren. sprache übereinstimmen oder befinden
sich nicht unbedingt an derselben Stelle
1. Vergleiche wie diese.6
In der Bibel, vor allem in den fünf po­e­ »Darum bestehen Gottlose nicht im
tischen Büchern, finden wir oft an- Gericht,
schauliche Vergleiche zwischen einer noch Sünder in der Gemeinde der Ge-
Sache und einer anderen. rechten« (Ps 1,5).

499
Einführung in die poetischen Bücher
3. Anthropomorphismus
zweiundzwanzig Versen, die mit den
Das Wort bedeutet »menschliche fortlaufenden Buchstaben des hebrä-
Form«. Ein Anthropomorphismus liegt ischen Alphabets beginnen (Spr 31,10-
vor, wenn Gott, der Geist ist, mit ty- 31).
pisch menschlichen Eigenschaften be- Es gibt noch weitere rhetorische Mit-
schrieben wird: tel, von denen sich einige teilweise mit
»Der HERR ist in seinem heiligen denen überschneiden, die wir hier vor-
Tempel. gestellt haben. Allerdings reichen diese
Der Thron des HERRN ist im Him- für die meisten Gläubigen aus.
mel; Wer beim Lesen dieser fünf Bücher
seine Augen spähen, (und eines Großteils der übrigen bi-
seine Blicke prüfen die Menschen- blischen Bücher) nach einigen dieser
kinder« (Ps 11,4; Schl 2000). poetischen Kennzeichen Ausschau hält,
wird ein ganz neues Interesse am heili-
4. Zoomorphismus gen Text und eine größere Wertschät-
Auf ähnliche Weise werden Gottes Ei- zung für seine Schönheit entwickeln
genschaften mit tierischen Formen ver­ (siehe Pred 3,11a).
glichen:
»Mit seinen Schwingen deckt er dich,
und du findest Zuflucht unter seinen Anmerkungen
Flügeln. 1
Drei dieser Bücher – Hiob, Sprüche
Schild und Schutzwehr ist seine und Prediger – werden zur Weis-
Treue« (Ps 91,4). heitsliteratur gezählt. Die Form ent-
spricht zwar einer Dichtung, inhalt-
5. Personifikation lich wird allerdings Weisheit oder
Ein Gegenstand oder eine abstrakte Ei- die Kunst und Fähigkeit, ein Leben
genschaft wird als Person behandelt: in der Ehrfurcht Gottes zu führen,
»Es freue sich der Himmel, und es betont.
frohlocke die Erde! 2
Das liegt zum Teil daran, dass in den
Es brause das Meer und seine Fülle! meisten traditionellen Bibelüberset-
Es frohlocke das Feld und alles, was zungen alle Arten biblischer Litera-
darauf ist! tur – Gesetz, Geschichte, Dichtung,
Auch alle Bäume im Wald sollen ju- Briefe – im selben Format abgedruckt
beln« (Ps 96,11.12). wurden. In moderneren Bibelüber-
setzungen wird versucht, durch das
»Ich, die Weisheit, bin die Nachbarin Layout des Textes die literarische
der Klugheit, Gattung zu verdeutlichen.
und besonnene Erkenntnis finde ich« 3
Der erste Psalm ist in seiner Ganzheit
(Spr 8,12). ein antithetischer Parallelismus zwi-
schen dem Gerechten und dem Gott-
6. Akrostichon losen, ein wahres Meisterwerk, das
Dieses sprachliche Mittel ist fast un- in der Kunst »Hell-Dunkel-Kontrast«
möglich zu übersetzen,7 weil es auf dem genannt werden würde.
hebräischen Alphabet basiert und die 4
Unser Herr selbst gebrauchte Meta-
aufeinanderfolgenden Zeilen des poe- phern, als er sich z.B. als »Tür«,
tischen Textes alphabetisch geordnet »Weinstock«, »Brot des Lebens« und
sind. Bekannte Beispiele sind der 119. »guter Hirte« bezeichnete.
Psalm und vier der fünf Kapitel der 5
Vor allem Prediger lieben dieses Stil-
Klagelieder. Das Buch Sprüche endet mittel und benutzen es häufig in Pre-
mit einer Lobeshymne auf die vollkom- digtgliederungen. Wenn Allitera­tio­
mene Frau. Die Hymne besteht aus nen nicht erzwungen, zu weit her­

500
Einführung in die poetischen Bücher

geholt oder übertrieben sind, können 7


Ronald Knox versuchte es in seiner
sie eine gute Gedächtnisstütze bil- englischen Bibelübersetzung. Dabei
den. musste er vier weniger gebräuch-
6
Der Hebräerbrief im NT fängt im Ur- liche Buchstaben des englischen
text mit einer ganzen Gruppe von Alphabets weglassen, da das Hebrä-
Wörtern mit dem Buchstaben »p« ische nur zweiundzwanzig Buchsta-
(griechisch pi) an. ben besitzt.

501
Das Buch Hiob
»Dies ist die erste, älteste Darstellung der nie endenden schwierigen Frage nach dem
Schicksal des Menschen und Gottes Weg mit ihm hier auf Erden. … Erhabenes Leid,
erhabene Aussöhnung; der älteste Choral, der von dem singt, was die Menschheit im
Innersten bewegt – so sanft, so groß, wie eine warme Sommernacht, wie die Schöpfung
mit ihren Ozeanen und Sternen! Nie, so meine ich, wurde etwas literarisch Ebenbürtiges
geschrieben, weder in der Bibel noch anderswo.«

Thomas Carlyle

Einführung Der große Reformator Martin Luther,


der selbst ein begabter Schreiber und
I. Einzigartige Stellung im Kanon Übersetzer war, sagte, Hiob sei »großar-
tiger und erhabener als jedes andere Buch
Hiob ist das einzige Buch seiner Art im der Heiligen Schrift«. Alfred Lord Tenny-
ganzen Wort Gottes: Ein langer drama- son, ein gefeierter englischer Dichter, der
tischer Dialog in poetischer Form wird wohl imstande war, Poesie zu beurteilen,
wie ein facettenreicher Brillant einge- nannte Hiob »das größte Gedicht der an-
fasst von Prolog und Epilog, die in Pro- tiken wie der modernen Literatur«.
sa geschrieben sind und den histori- Wenn man den wunderbaren Stil des
schen Rahmen bilden. Im hebräischen Buches Hiob und seine tiefe Einsicht in
Original besteht das ganze Buch aus die Situation des Menschen bedenkt,
Poesie, außer den Kapiteln 1; 2; 32,1-6a sollte es nicht verwundern, dass auch
und 42,7-17. unsere Alltagssprache durch dieses
Samuel Ridout schreibt über den Buch bereichert wurde. Das Folgende
Platz, den Hiob in der Heiligen Schrift sind meist direkte Zitate aus diesem
einnimmt:: Buch (die Bibelzitate sind meist der am
meisten sprachprägenden Luther-Über-
Wenn wir seine Länge bedenken und ei- setzung von 1912 entnommen):
nen kurzen Blick auf seinen Inhalt wer-
fen, kommen wir zu dem Schluss, dass »Der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s
das Buch Hiob ein sehr wichtiger Teil des genommen; der Name des Herrn sei ge-
Wortes Gottes ist. Doch wie sehr wird es lobt!« (1,21)
von den meisten vernachlässigt; eine »… standen mir die Haare zu Berge an
wirkliche Vertrautheit mit ihm, und sei meinem Leibe« (4,15)
es nur mit seinem Inhalt, ist eher die Aus- »Ihr seid allzumal leidige Tröster!« (16,2)
nahme als die Regel.1 »… dass sie werden wie Stoppeln vor
dem Winde und wie Spreu, das der
Die Majestät der Sprache wird sogar Sturmwind wegführt« (21,18) (wie Spreu
von Ungläubigen wahrgenommen (und im Wind sein)
manchmal besonders von ihnen). Na- »So wahr Gott lebt …« (27,2)
türlich haben die Rationalisten auch »… im Lande der Lebendigen« (28,13b).
hier ihre Theorien parat über »Quel- »Bis hierher sollst du kommen und nicht
len«, »Redakteure« und »Interpolatio- weiter; hier sollen sich legen deine stol-
nen« – gewöhnlich ohne die geringsten zen Wellen!« (38,11a) (Bis hierher und
Belege durch Handschriften vorweisen nicht weiter!)
zu können, die ihre zerstörerischen »Darum bekenne ich, dass ich habe un-
Theorien unterstützen könnten. weise geredet, was mir zu hoch ist und

503
Hiob

ich nicht verstehe.« (42,3) (Das ist mir zu Patriarchen. Die Lebensweise, in der
hoch!) sich Reichtum durch den Besitz von
Der Satz: »Ich weiß, dass mein Erlöser vielen Rindern und anderen Tieren
lebt« (19,25), ist wohlbekannt, besonders zeigte, gehört ebenfalls größtenteils in
durch Händels wunderbare Vertonung die Patriarchenzeit. Hiob lebte länger
in seinem »Messias«. als zweihundert Jahre, und diese Zeit-
(Die durch die Puritaner stark beeinfluss- spanne war für die Zeit kurz vor Abra-
te amerikanische Sprache enthält noch ham kennzeichnend. Gelehrte weisen
mehr aus dem Buch Hiob entnommene auch auf die Musikinstrumente (21,12)
Redewendungen als die weit mehr ver- und die Münzarten (42,11) hin, die im
weltlichte deutsche Sprache – Anmer- Buch Hiob erwähnt werden, und ord-
kung des Übersetzers). nen diese chronologisch der Frühzeit
des Berichts aus 1. Mose zu.2
In Bezug auf den Inhalt dieses Buches Was die Zeit der Niederschrift an-
wurde darauf hingewiesen, dass die geht, haben die Gelehrten alles von der
tiefen von Hiob aufgeworfenen Fragen Pa­triarchenzeit (2100 bis 1900 v.Chr.)
über Leben, Tod und Leiden sowie über bis hin zum zweiten vorchristlichen
das Leben nach dem Tod alle ihre Ant- Jahrhundert vorgeschlagen! (Letzteres
wort in dem Mittler finden, nach dem ist die Ansicht extrem liberaler Leute
sich Hiob sehnte – in dem Herrn Jesus und überhaupt nicht mit der Tatsache
Christus. zu vereinbaren, dass Teile aus dem
Buch Hiob in den Qumran-Rollen ge-
II. Verfasserschaft funden wurden, die zur selben Zeit her-
Der Schreiber bleibt anonym, obgleich gestellt wurden.)
die jüdische Tradition Mose als Autor Die wahrscheinlichsten Zeiten sind
benennt. Andere vermuten, es sei Elihu, die Zeit der Patriarchen oder die Zeit
Salomo, Hiskia, Esra oder ein namenlo- Salomos. Wir modernen westlichen
ser Jude gewesen, der irgendwann zwi- Menschen meinen, derart komplexe Re-
schen 500 und 200 v.Chr. lebte, vielleicht den ließen sich am besten bewahren,
aber auch Hiob selbst. Da Hiob noch wenn sie bald nach ihrer Entstehung
weitere 140 Jahre nach den Ereignissen schriftlich fixiert wurden. Doch ist die
in diesem Buch lebte und alle Gescheh- orientalische und semitische mündliche
nisse und Gespräche miterlebte, kommt Überlieferung wegen ihrer bemerkens-
er wohl am ehesten als Autor infrage. werten Genauigkeit berühmt.
Das beste Argument für die Zeit Salo-
III. Datierung mos ist der Inhalt und der Stil des
Den Ereignissen in diesem Buch ent- Buches: Es ist Weisheitsliteratur, nicht
sprechend wird weithin angenommen, unähnlich den Werken Salomos. Kon-
dass Hiob vor der Geburt Abrahams servative Alttestamentler wie Franz De-
lebte. Somit gehört der Inhalt dieses Bu- litzsch und Merrill F. Unger halten die
ches chronologisch gesehen in die letz- Epoche Salomos für die Zeit der Abfas-
ten Zeilen von 1. Mose 11. Es gibt meh- sung dieses Buches, was allerdings eine
rere Gründe, Hiob dieser historischen lange und genaue mündliche Überliefe-
Periode zuzurechnen. Vor allem gibt es rung voraussetzt. Solch ein literarisches
keine eindeutige Aussage in dem Buch, Phänomen ist den Orientalen ohne Wei­
dass er ein Jude war. Auch werden we- teres verständlich, während wir Westler
der der Auszug aus Ägypten noch das kaum etwas damit anfangen können.
Gesetz Moses erwähnt. Es ist offensicht-
lich, dass Hiob der Priester seiner Fami- IV. Hintergrund und Thema
lie war (1,5), und diese Art von Fami­ Obwohl der Schreiber des Buches Hiob
lien-Priesterschaft gehört in die Zeit der unbekannt ist, gibt es keinen Zweifel an

504
Hiob

dessen Inspiration und historischer Ge- (Christus ist der Mittler, der die Kluft
nauigkeit. Der Apostel Paulus zitiert zwischen Gott und Menschen über­
Hiob 5,13 in 1Kor 3,19: »Der die Weisen brücken kann.)
fängt in ihrer List.« In Hes 14,14 wird 2. 16,8-19 – die Leiden Hiobs. Viele
von Hiob als von einer historischen Per- Ausdrücke in diesem Abschnitt werden
son gesprochen, nicht als von einer er- in den Psalmen auf den leidenden Mes-
fundenen Figur. Auch in Jak 5,11 wird sias angewandt.
er genannt: »Vom Ausharren Hiobs 3. 16,21 – »… dass er Recht schaffe für
habt ihr gehört, und das Ende des Herrn einen Mann gegen Gott und für einen
habt ihr gesehen, dass der Herr voll in- Menschensohn gegen seine Gefährten.«
nigen Mitgefühls und barmherzig ist.« (Der Herr Jesus ist unser Fürsprecher,
Das Thema des Buches ist das Ge- der sich für uns beim Vater verwendet.)
heimnis des menschlichen Leidens und 4. 19,25-26 – »Ich weiß: Mein Erlöser
das Problem des Schmerzes. Warum lebt.« (Christi Eigenschaften als Erlöser
müssen alle Menschen immer wieder und König werden deutlich beschrie-
leiden, und vor allem: Warum leiden ben.)
die Gerechten? In Hiob sehen wir einen 5. 33,24 – »Befreie ihn, damit er nicht
Menschen, der wahrscheinlich mehr in die Grube hinabfährt! Ich habe Löse-
Katastrophen an einem Tag erlebte als geld für ihn gefunden.« (Das Wort für
irgendjemand anders jemals erlebt hat »Lösegeld« ist hier dasselbe wie das
– mit Ausnahme des Herrn Jesus. Der Wort für »Sühnung«. Wegen der Süh-
Herr erlaubte es, dass diese Leiden in nung durch Christus sind die Gläubigen
Hiobs Leben kamen, damit dessen Ge- von der »Grube« der Hölle gerettet.)
meinschaft mit Gott vertieft wurde. Oft wird gesagt, mehrere Aussagen
Vielleicht weist dieses Buch auch in im Buch Hiob wiesen auf fortschritt­
ganz spezieller Weise auf die späteren liche wissenschaftliche Erkenntnis hin:
Leiden des jüdischen Volkes hin. 1. Der Wasserkreislauf von Verduns-
Wenn die Juden einen leidenden Mes- tung und Niederschlägen (36,27-28).
sias annehmen sollten (statt eines hel- 2. Wind- und Wetterrichtungen (37,9.17).
denhaften, »makkabäischen«), war es 3. Die Zusammensetzung des mensch-
nötig, ihnen zu zeigen, dass Leiden nicht lichen Körpers (33,6).
notwendigerweise die Vergeltung indi- 4. Die Aufhängung der Erde (26,7).
vidueller Sünden sind. Christus litt für 5. Quellen auf dem Meeresboden
uns, der Gerechte für die Ungerechten. (38,16).
Mehrere Stellen in diesem Buch kön- 6. Die Beziehung zwischen Wolken
nen auf den Herrn Jesus angewandt und Blitzen (37,11).
werden: 7. Die Bewegung der Himmelskörper
1. 9,33 »Es gibt auch keinen Mittler und deren Einfluss auf die Erde (38,32-
zwischen uns, der seine Hand auf uns 33).
beide legen könnte« (Schlachter 2000).

Einteilung D. 4. Szene: Der Himmel – Noch


I. Der Prolog: Die Prüfung des Hiob einmal die Gegenwart des
(Kap. 1-2). Herrn (2,1-6)
A. 1. Szene: Das Land Uz (1,1-5) E. 5. Szene: Uz– Das Unglück
B. 2. Szene: Der Himmel – Die trifft Hiob persönlich (2,7-13)
Gegenwart des Herrn (1,6-12) II. Das Streitgespräch zwischen Hiob
C. 3. Szene: Das Land Uz – Der und seinen Freunden (Kap. 3-31)
Untergang des Besitzes und A. Die erste Reihe von Reden
der Kinder des Hiob (1,13-22) (Kap. 3-14)

505
Hiob 1

1. Hiob beginnt mit seiner IV. Die Offenbarung des Herrn


Klage (Kap. 3) (38,1 - 42,6)
2. Elifas’ erste Rede (Kap. 4-5) A. Die erste Herausforderung des
3. Hiobs Antwort (Kap. 6-7) Herrn an Hiob (38,1 - 40,2)
4. Bildads erste Rede (Kap. 8) 1. Einführung (38,1-3)
5. Hiobs Antwort (Kap. 9-10) 2. Die Herausforderung
6. Zofars erste Rede (Kap. 11) durch die Wunder in der
7. Hiobs Antwort (Kap. 12-14) unbelebten Schöpfung
B. Die zweite Reihe von Reden (38,4-38)
(Kap. 15-21) 3. Die Herausforderung
1. Elifas’ zweite Rede durch die Wunder der
(Kap. 15) belebten Schöpfung
2. Hiobs Antwort (Kap. 16-17) (38,39 - 40,2)
3. Bildads zweite Rede B. Hiobs Antwort (40,3-5)
(Kap. 18) C. Die zweite Herausforderung
4. Hiobs Antwort (Kap. 19) des Herrn an Hiob
5. Zofars zweite Rede (40,6 - 41,34)
(Kap. 20) 1. Hiob wird herausgefordert,
6. Hiobs Antwort (Kap. 21) wie ein Mann zu antworten
C. Die dritte Reihe von Reden (40,6-14)
(Kap. 22-31) 2. Hiob wird herausgefordert,
1. Elifas’ dritte Rede (Kap. 22) den Behemot zu betrachten
2. Hiobs Antwort (Kap. 23-24) (40,15-24)
3. Bildads dritte Rede 3. Hiob wird herausgefordert,
(Kap. 25) den Leviatan zu betrachten
4. Hiobs Antwort (Kap. 26) (40,25 - 41,26)
5. Hiobs Abschlussmonolog D. Hiobs demütige Antwort
(Kap. 27-31) (42,1-6)
III. Elihu schaltet sich ein (Kap. 32-37) V. Epilog: Der Triumph des Hiob
A. Elihus Rede an Hiob und seine (42,7-17)
drei Freunde (Kap. 32) A. Hiobs Freunde werden
B. Elihus Rede an Hiob (Kap. 33) zurechtgewiesen und
C. Elihus zweite Rede an Hiob wiederhergestellt (42,7-9)
und seine drei Freunde B. Hiobs Besitz wird
(Kap. 34) wiederhergestellt (42,10-17)
D. Elihus zweite Rede an Hiob VI. Zusammenfassung: Lehren für uns
(Kap. 35-37) aus dem Buch Hiob

Kommentar schaffene und gottesfürchtige Mann


hatte sieben Söhne und drei Töchter.
I. Der Prolog: Die Prüfung Hiobs Seine Viehherden waren so groß, dass
(Kap. 1-2) er größer war »als alle Söhne des Os-
tens«.
A. 1. Szene: Das Land Uz (1,1-5) 1,4-5 Eines der stärksten Argumente
dafür, dass die Geschichte Hiobs in die
1,1-3 Hiob war ein reicher Mann, der im Zeit der Patriarchen fällt, ist die Tat­
Land Uz wohnte. Aus Klagelieder 4,21 sache, dass er, der Familienvater, als
wissen wir, dass Uz in Edom lag, also Priester handelte und für seine Söhne
südöstlich von Kanaan.3 Dieser recht- Brandopfer darbrachte. Die Gefahr,

506
Hiob 1 und 2

leichtfertige oder sogar gotteslästerliche nem Schöpfer »ins Angesicht fluchen«,


Reden zu führen, liegt auch für ge- wenn er ihn nicht so »umhegt« hätte.
wöhnlich fromme Menschen immer
nahe, wenn sie feiern und sich amüsie- C. 3. Szene: Das Land Uz ‒ Der
ren. In seiner Abendbetrachtung für Untergang des Besitzes und der
den Weihnachtstag wendet C.H. Spur- Kinder Hiobs (1,13-22)
geon dies sehr schön auf uns an, die wir 1,13-19 Daraufhin erlaubte der HERR
in der christlichen Heilszeit leben: dem Satan, Hiob auf die Probe zu stel-
len, indem er ihm seinen Besitz raubte.
Was der Patriarch früh am Morgen nach Allerdings durfte der Teufel seine Per-
den Familienfeierlichkeiten tat, das sollte son nicht antasten.
ein Gläubiger am besten tun, bevor er Dann ereignete sich in schneller Folge
sich abends zur Ruhe begibt. Bei aller eine Serie schrecklicher Katastrophen:
Freude im Beisammensein der Familie 1. Die Sabäer stahlen fünfhundert
kann man schnell in sündige Leichtfer- Joch Rinder und fünfhundert Eselin-
tigkeiten abgleiten und den Charakter ei- nen. Außerdem töteten sie die Knechte,
nes Christen, zu dem wir uns bekennen, die mit diesen Tieren beschäftigt wa-
vergessen. Es sollte nicht so sein, aber es ren.
ist heutzutage so, dass Festtage selten 2. Blitze vernichteten siebentausend
Tage geheiligter Freude sind, sondern Schafe und die sie hütenden Hirten.
nur allzu häufig in unheilige Heiterkeit 3. Die Chaldäer stahlen dreitausend
ausarten … Heilige Dankbarkeit sollte Kamele und töteten die Knechte, die für
uns genauso zur Reinigung dienen wie sie sorgten.
Trauer. Ach, wie schade ist es, dass sich 4. Ein Wind ließ das Haus zusammen-
für unsere armen Herzen ein Haus der brechen, in dem Hiobs Söhne und Töch-
Klage als geeigneter erweist als ein Haus ter aßen und Wein tranken. Alle wur-
des Feierns. Sag, Gläubiger, worin hast den getötet.
du heute gesündigt? Bist du wie die an- 1,20-22 Trotz dieses schrecklichen
deren gewesen mit törichten Worten und Verlustes war Hiob in der Lage, Gott
leichtfertigem Gerede? Dann bekenne anzubeten, und sagte: »Nackt bin ich
diese Sünde und fliehe zu dem Opfer. aus meiner Mutter Leib gekommen,
Das Opfer heiligt. Das kostbare Blut des und nackt kehre ich dahin zurück. Der
geschlachteten Lammes befreit von HERR hat gegeben, und der HERR hat
Schuld und reinigt von der Befleckung genommen, der Name des HERRN sei
durch unsere Sünden, die wir in Unwis- gepriesen!«
senheit und Sorglosigkeit begangen ha-
ben.4 D. 4. Szene: Der Himmel – Noch
einmal die Gegenwart des Herrn
B. 2. Szene: Der Himmel – Die (2,1-6)
Gegenwart des Herrn (1,6-12) In Kap. 2 finden wir wieder Satan vor
Im Fortgang der Geschichte wird uns Gottes Angesicht. Diesmal unterstellt
über eine Szene im Himmel berichtet, er, Hiobs Treue gegenüber Gott vergin-
bei der die Söhne Gottes (die Engel)5 ge bald, wenn ihm, dem Satan, erlaubt
vor dem HERRN erschienen. Auch der würde, Hiobs Körper anzutasten. Dies
Satan (hebr. »der Ankläger«) war an­ wird ihm daraufhin gestattet.
wesend. Als Gott mit Satan über die
Rechtschaffenheit seines Knechtes Hiob E. 5. Szene: Das Land Uz – Das
redete, unterstellte dieser, der einzige Unglück trifft Hiob persönlich (2,7-13)
Grund für Hiobs Gottesfurcht sei darin 2,7-10 Bei Hiob brechen daraufhin von
zu finden, dass Gott so gut zu ihm war. der Fußsohle bis zum Scheitel schmerz-
Satan war der Ansicht, Hiob würde sei- hafte Geschwüre aus. Sein Elend war

507
Hiob 2 und 3

dermaßen groß, dass selbst seine Frau Metaphern. Gelegentliche Leser können
ihn drängte: »Fluche Gott und stirb!« keinen Fortschritt darin erkennen und er-
Aber Hiob antwortete ihr: »Das Gute halten nur wenig Klarheit darüber, um
nehmen wir von Gott an, da sollten wir was es geht. Aufs Ganze gesehen muss zu-
das Böse nicht auch annehmen?« In Be- gegeben werden, dass Gottes Volk kaum
zug auf Hiobs Frau schrieb Harold Gewinn aus diesen Kapiteln gezogen hat
St. John: – außer aus einigen wenigen, bekannten,
schönen und oft zitierten Versen.«7
Ich denke an all die grausamen und ein-
seitigen Dinge, die männliche Schreiber Diese Streitgespräche können in drei
über Hiobs Frau verfasst haben, und ich »Runden« eingeteilt werden: Zuerst
verzweifle über mein Geschlecht. Nur spricht Hiob, dann antwortet einer der
eine Frau kann eine Frau verstehen, und drei Freunde; Hiob erwidert ihm, nur
es war einer Autorin vorbehalten (ich um von einem anderen Freund eine
meine, sie hieß Louise Haughton), fest- Antwort zu bekommen; der arme Hiob
zustellen, dass solange Hiobs Frau an versucht sich aufs Neue zu verteidigen
seinem Kummer Anteil haben konnte, – nur um von dem dritten Freund zu-
sie ihn tapfer trug. Doch als er in eine rechtgewiesen zu werden!
neuerliche Leidenskammer eintrat und Diese drei Serien von Reden können
sie draußen ließ, brach sie zusammen: wie folgt dargestellt werden:
Für sie bestand das einzig unerträgliche
Weh darin, dass es ihr verwehrt war, dies Erste Runde
mit ihm zu teilen.6 Hiob: Kap. 3
Elifas: Kap. 4-5
2,11-13 Kurz darauf hören drei Freunde Hiob: Kap. 6-7
von Hiobs Schicksal und beschließen, Bildad: Kap. 8
ihn zu besuchen und ihn zu trösten. Die Hiob: Kap. 9-10
Freunde sind Elifas, Bildad und Zofar. Zofar: Kap. 11
Als sie jedoch Hiobs beklagenswerten
Zustand erblicken, sind sie dermaßen Zweite Runde
bestürzt, dass sie sieben Tage und sie- Hiob: Kap. 12-14
ben Nächte lang nicht mit ihm sprechen Elifas: Kap. 15
können! Hiob: Kap. 16-17
Bildad: Kap. 18
II.Das Streitgespräch zwischen Hiob Hiob: Kap. 19
und seinen Freunden (Kap. 3-31) Zofar: Kap. 20
In Kap. 3 beginnt eine Reihe von Streit-
gesprächen zwischen Hiob und seinen Dritte Runde
Freunden, die den größten Teil des Bu- Hiob: Kap. 21
ches einnehmen. Ridout schreibt sehr Elifas: Kap. 22
schön darüber: Hiob: Kap. 23-24
Bildad: Kap. 25
»Man hat diesen Abschnitt wohl zu Hiob: Kap. 26-31
Recht die Verwicklung genannt; denn es (Zofar spricht nicht wieder).
ist ein Gemisch aus Argumenten, Ver-
dächtigungen, Anklagen, Vermutungen Die Argumente der drei Freunde können
und nur teilweise richtigen Theorien. Da- wie folgt zusammengefasst werden:
zwischen blitzen Lichtstrahlen des Glau- Elifas betont die Erfahrung oder die
bens und der Hoffnung auf – alles in er­ allgemeine Beobachtung: »So wie ich es
habener Dichtersprache, großartig aus­ gesehen habe …« (4,8.15; 15,7; 22,19).
gestattet mit einer Fülle von orientalischen Bildad ist die Stimme der Tradition

508
Hiob 3 und 4

und der Autorität der Alten (8,8). »In Vers 25 ist sehr bekannt: »Denn das
seinen Darlegungen wimmelt es nur so Schreckliche, das ich befürchtet habe,
von Sprichwörtern und frommen All- ist über mich gekommen, und wovor
gemeinplätzen, die zwar wahr sind, die mir graute, das hat mich getroffen«
aber jedermann weiß (9,1-3; 13,2)«8 (Schlachter 2000).
Zofar rät zu Gesetzlichkeit und Reli- Könnte dies darauf hindeuten, dass
giosität (11,14-15). »Er gibt vor, er wis- Hiob selbst in seinen glücklichen Wohl-
se, was Gott in jedem möglichen Fall standstagen fürchtete, alles zu ver­
tun wird, weshalb er es tut und was er lieren, was er besaß? Das ist ein weit-
darüber denkt.«9 Seine Vorstellungen verbreitetes Kennzeichen der ganz Rei-
sind bloße Annahmen und reiner Dog- chen: Schreckliche Furcht davor, allen
matismus. Reichtum zu verlieren und ein ärm­
Der Rest des Buches wird von einer liches Leben führen zu müssen. Reich-
langen Rede eines jungen Mannes mit tum gibt keine wirkliche Sicherheit ‒
Namen Elihu eingenommen (Kap. 32- die kann nur Gott geben.
37) – sowie von einer Unterhaltung
zwischen Gott und Hiob (Kap. 38-42). 2. Elifas’ erste Rede (Kap. 4-5)
Das Buch endet mit einem Epilog in Kapitel 4 beginnt den Redenzyklus der
Prosa, der dem Prolog entspricht. Freunde Hiobs und seiner Antworten.
Ridout fasst das Wesentliche ihrer An-
A. Die erste Reihe von Reden (Kap. 3-14) sprachen wie folgt zusammen:
1. Hiob beginnt mit seiner Klage (Kap. 3)
In der Debatte zeigen die drei Freun-
3,1-9 Dieses Kapitel hat man zu Recht de ein einheitliches Denken, das ei-
mit »Unglücklicher Geburtstag« über- nem gemeinsamen Grundsatz ent-
schrieben, weil Hiob den Tag seiner Ge- springt. Dieser Grundsatz besagt: Al-
burt verflucht, den Segen des Todes les Leiden ist strafender und nicht er-
preist und klagt, er könne trotzdem zieherischer Natur; es gründet sich
nicht sterben! Er wünscht jenem Tag auf Gottes Gerechtigkeit und nicht
»Dunkel und Finsternis«, an dem ein auf seine Liebe – obwohl beides in all
Junge – er selbst – empfangen wurde. seinen Wegen stets Hand in Hand
3,10-12 Wenn er nun schon empfan- geht. Ein solcher Grundsatz ist not-
gen und geboren wurde, warum durfte wendigerweise nicht in der Lage,
er nicht bei der Geburt sterben? (Hier zwischen den Leiden der Gerechten
ist wichtig anzumerken, dass Hiob und denen der Gottlosen zu unter-
selbst in seiner schrecklichen Verbitte- scheiden.10
rung und seinem Kummer nicht an Ab-
treibung oder Kindermord denkt, was In den Kapiteln 4 und 5 spricht Elifas.
in der antiken Welt ein genauso verbrei- Elifas (sein Name kann bedeuten: Gott
tetes Übel war wie in der westlichen ist Stärke oder Gott ist feines Gold) war
Welt von heute). eine fromme und bedeutende Person,
3,13-19 Hiob preist den Tod als eine orthodox in seiner Ansicht über Gottes
Situation, in der die Erschöpften Ruhe Größe, doch ließ er es sehr an Mitleid
haben: »Klein und groß sind dort gleich, fehlen. Im Lauf der Gesprächsrunden
und der Knecht ist frei von seinem wird er immer schroffer. Bemerkens-
Herrn.« wert ist, dass die Freunde immer weni-
3,20-26 Als Nächstes fragt er, warum ger Verständnis zeigen, und zwar im
den Mühseligen (wie ihm) Licht und doppelten Wortsinn. Gleichzeitig ver-
Leben gegeben sind, wo sie sich doch steht Hiob mehr und mehr Gottes Wege,
nach dem Tod sehnen wie nach einem bis er nach den Reden Elihus eine wirk-
verborgenen Schatz. liche Begegnung mit dem HERRN hat

509
Hiob 4 bis 6

und sich seinem Willen in wahrer De- seiner Vorsehung mit der Menschheit
mut unterwirft. umgeht. Vers 13 wird von Paulus in
4,1-11 Elifas sagt im Endeffekt: »Du 1Kor 3,19 zitiert, um die falsche Weis-
hast anderen geholfen (›Den Stürzen- heit dieser Welt zu entlarven.
den richteten deine Worte auf‹; V. 4), 5,17-27 Indem man sich der Züchti-
aber nun kannst du dir selbst nicht hel- gung des Allmächtigen unterwirft, so
fen.« (Diese Worte erinnern uns an die sagt Elifas, erfährt man die göttliche Be-
Spötter, die nach der Kreuzigung Chris- freiung von Hungersnot, Krieg, Ver-
ti sagten: »Andere hat er gerettet, sich leumdung, Bürgerkrieg, Gefahr, Dürre,
selbst kann er nicht retten.«) Der Grund, wilden Tieren und Ernteverlusten. Man
den er dafür angibt, ist Hiobs Selbst­ freut sich über häuslichen Frieden, über
gerechtigkeit. Vers 6 lautet nach der Sicherheit, Fruchtbarkeit und ein langes
eng­lischen Darby-Übersetzung: »Ist Leben.
nicht deine Frömmigkeit deine Zuver-
sicht gewesen, die Vollkommenheit 3. Hiobs Antwort (Kap. 6-7)
deiner Wege deine Hoffnung?« Weil 6,1-13 Hiob gibt zu, dass seine Worte
Menschen wegen ihrer Bosheit leiden, unbesonnen waren, doch hat er Gründe
muss Hiob gesündigt haben (V. 7-9). dafür! Sein Leid und sein Elend sind
4,12-21 Dann berichtet Elifas von ei- schwerer als der Sand der Meere, und
ner Vision, die heimlich in der Nacht zu sein Geist trinkt das Gift der Pfeile des
ihm kam. In dieser Vision stellt ein Geist Allmächtigen. Trotz all der negativen
die Frage: »Sollte ein Mensch gerechter und schrecklichen Dinge, die in diesem
sein als Gott, oder ein Mann reiner als Buch und besonders von Hiob ausge-
sein Schöpfer?« (V. 17). Dies scheint zu sprochen werden, sind sie in so schö-
bedeuten, dass der Mensch nicht das nen Worten ausgedrückt, dass der ein-
Recht hat, mit Gott zu hadern. Wenn fühlsame Leser von ihrer Kraft getrof-
ein Mensch leidet, ist es seine eigene fen wird. Hiob widerspricht und sagt,
Schuld, nicht die Schuld Gottes. Immer- er würde nicht ohne Ursache so bitter-
hin ist Gott so gewaltig, dass er seinen lich klagen, genauso wenig, wie Tiere
eigenen Knechten nicht vertrauen kann, nicht ohne Grund schreien. Leiden und
und im Vergleich zu ihm sind seine En- Weinen gehören genauso zwingend zu-
gel des Irrtums schuldig. Weil das so einander wie fade Nahrung und Wür-
ist, wie viel weniger vertrauenswürdig ze. Er wünschte sich, er könnte sterben,
und wie fehlerhaft sind dann sterbliche weil er keine Kraft zum Ertragen und
Menschen, die an Vergänglichkeit einer keine Hoffnung für die Zukunft hat.
Motte gleichen! Das Leben zu verlängern ist zwecklos.
5,1-7 Elifas fordert Hiob heraus, Men- 6,14-23 Hiobs Freunde (er nennt sie
schen und Engel (die Heiligen) zusam- Brüder) haben versagt und ihn im Stich
menzurufen, um zu widerlegen, dass gelassen, als er sie am nötigsten hatte.
der Sünde das Gericht folgt. Der Spre- Er vergleicht sie mit Wadis, mit Wüsten-
cher selbst hat die unabänderliche Ver- flüssen, die völlig versiegen, wenn sie
bindung von Gottlosigkeit und Strafe am nötigsten wären. Obwohl er nichts
beobachtet. Mühsal hat immer eine Ur- von ihnen verlangt hatte, kritisierten sie
sache. Der Mensch ist ein Sünder und ihn auf Verdacht, ohne ihm konkret zu
darum so sicher zur Mühsal bestimmt, sagen, wo er gesündigt hätte.
wie die Funken nach oben fliegen. 6,24-30 Hiob verteidigt seine Integri-
5,8-16 Darum ist es nötig, Gott zu su- tät trotz der Unterstellung in der Rede
chen und ihm die eigene Sache vorzu­ des Elifas, er sei ein heimlicher Sünder.
legen; denn er ist allweise und allmäch- Er will im Einzelnen wissen, wo er ge-
tig. Das sieht man an seiner Beherr- irrt hat, und fordert Beweise für die Un-
schung der Natur und daran, wie er in gerechtigkeit seiner Zunge. Vers 27 ist

510
Hiob 6 bis 9

eine Gegenanklage gegen seine Freun- 8,1-7 Bildad klagt Hiob an, unverant-
de; womöglich ist der Freund, um den wortlich und aufgeblasen zu reden, und
sie feilschen, Hiob selbst! verteidigt Gottes Gerechtigkeit, die den
7,1-10 Nun wendet sich Hiob direkt Bösen bestraft und den Gerechten be-
an den Herrn. Es kommt ihm ganz na- lohnt. Sehr unfreundlich sagt er, dass
türlich vor, Todeswünsche zu haben. Hiobs Söhne umgekommen seien, weil
Auch ein Knecht sehnt sich nach der sie Übertreter waren. Dafür gab es kei-
harten Tagesarbeit nach Ruhe. Aller- nerlei Anzeichen, und selbst wenn es
dings bringen in Hiobs Fall auch die welche gegeben hätte, wäre es grausam,
Nachtstunden keine Erleichterung für einem Menschen in so großen Schmer-
seinen gequälten Körper. Bis zur Mor- zen und Leiden so etwas zu sagen. Doch
gendämmerung wälzt er sich umher. wenn sich Hiob ernsthaft zu Gott wen-
Wie ein Weberschiffchen geht sein Le- den würde, so meint Bildad, wäre im-
ben schnell und ohne Hoffnung vor­ mer noch Hoffnung auf göttliche Gna-
über und verschwindet wie ein Hauch. denerweise.
7,11-21 Er fragt den Herrn, warum er 8,8-22 Als Nächstes zieht er die Ge-
so viel Aufmerksamkeit auf ein un­ schichte heran, um die Verbindung
bedeutendes Menschenkind richtet, um zwischen Bosheit und Vergeltung zu
es einzuschließen und durch »Gesichte« beweisen. Genauso wie das Schilfrohr
zu erschrecken, sodass es lieber er­ verwelkt, wenn kein Wasser da ist, so
sticken möchte. Ist der Mensch so be- trifft die Menschen, die Gott vergessen,
deutend, dass Gott verursachen sollte, und die Ruchlosen das Gericht. (V. 16a
dass er beständig leiden muss? Selbst könnte eine Anspielung auf die Foto-
wenn Hiob gesündigt hätte – gibt es synthese sein.) Gott gefällt es, den Gott-
denn keine Vergebung, wo er doch so- losen durch den Rechtschaffenen zu
wieso bald sterben würde? ersetzen, den er dann weiterhin segnen
wird.
4. Bildads erste Rede (Kap. 8)
Der Name Bildad kann Sohn des Wort­ 5. Hiobs Antwort (Kap. 9-10)
streits bedeuten, was auch gut passen 9,1-13 Wenn Hiob fragt, wie ein Mensch
würde, weil dieser Freund Hiobs die vor Gott gerecht sein könnte, so erkun-
Diskussion zu lieben scheint. Ridout digt er sich nicht nach dem Weg zur Er-
vergleicht Bildad mit Elifas in Bezug rettung, sondern drückt nur aus, wie
auf Stil und Erkenntnis folgender­ hoffnungslos es ist, jemals seine Un-
maßen: schuld vor dem beweisen zu können,
der so groß ist. Es ist Torheit, mit Gott
»Bei ihm finden wir weniger Höflichkeit zu streiten, weil man ihm auf tausend
und Würde als in den Reden des Elifas, Fragen nicht eine Antwort geben könn-
dafür noch etwas mehr Schroffheit ge- te. Er ist souverän, allweise und all-
genüber Hiob, die offensichtlich durch mächtig, was man daran sehen kann,
dessen bittere Vorwürfe gegen Gott her- wie er Berge, Erde, Sonne, Sterne und
vorgerufen wurde. Bei aller Unkenntnis Meer regiert und unzählbare Wunder
der göttlichen Grundsätze eifert Bildad tut.
für die Ehre Gottes und kann nicht dul- 9,14-31 Welche Chance hätte Hiob,
den, dass Gott angeklagt wird. Darin hat sich zu verteidigen? Kann er sicher sein,
er gewiss recht; aber es gelingt ihm na- dass Gott ihn anhört? Hiob sagt, der
türlich nicht, Hiob zu überzeugen, und Herr sei erbarmungslos, mutwillig und
zwar wegen des grundsätzlichen Irrtums ungerecht. Darum sei ein gerechtes Ge-
in den Gedanken aller drei Freunde: Gott richt unmöglich. In seiner Verzweiflung
muss Sünde bestrafen, und Hiob muss klagt Hiob Gott an, den Rechtschaffe-
ein Sünder sein, weil er bestraft wird.«11 nen und den Gottlosen ohne Unter-

511
Hiob 9 bis 11

schied zu vernichten, der Verzweiflung sich nicht auf ehrenhafte Weise entziehen
Unschuldiger zu spotten und die Rich- kann. 10,8 – »Deine Hände haben mich
ter der Erde zu veranlassen, ungerecht gebildet und gestaltet.« 10,10 – die Ent-
zu sein. Er sagt: »Rechtschaffen bin ich! stehung des Embryos. 10,11 – das Wachs-
Ich kümmere mich nicht um meine See- tum der Haut und des Fleisches und die
le, ich verachte mein Leben, es ist eins! Entwicklung der Knochen und Sehnen.
Darum sage ich: Den Rechtschaffenen 10,12 – (a) die Gabe der Seele (des Le-
wie den Gottlosen vernichtet er« (V. 21- bens) mit ihren vielseitigen Aus­prägun­
22). Während sein Leben zerrinnt, fin- gen und (b) die Fürsorge Gottes, durch
det er keine Hoffnung in sorgloser die der höchste Teil, der »Geist«, mit­
Selbstvergessenheit oder darin, sich geteilt und bewahrt wurde.13
selbst bessern zu wollen.
9,32-35 Hiob sehnt sich nach einem 10,13-22 Warum lässt der Herr Hiob so
Mittler zwischen Gott und ihm selbst. schweres Unheil treffen? Anscheinend
Wir wissen, dass der Mittler, der seinen macht es keinen Unterschied, ob er
(und unseren) tiefsten Bedürfnissen ent- gerecht oder gottlos ist; sein Leben ist
sprechen kann, der Herr Jesus Christus gesättigt mit Schande. Warum nur er-
ist (1Tim 2,5). Matthew Henry sagt laubte Gott, dass Hiob geboren wurde?
dazu: Und jetzt? Warum ließ er ihn nicht ein
»Hiob hätte gern seine Angelegenheit wenig fröhlich sein, bevor er dahinging
einem Mittler übergeben; aber kein Ge- ins Land des Todesschattens, wo selbst
schöpf war in der Lage, solch ein Mitt- das Hellwerden wie Dunkelheit ist?
ler zu sein. Darum musste er sie eben
Gott selbst übergeben und sich ent- 6. Zofars erste Rede (Kap. 11)
schließen, sein Urteil still anzunehmen. 11,1-12 Zofar von Naama besteht dar­
Unser Herr Jesus Christus ist der ge- auf, dass solch törichte Rede nicht un-
priesene Schiedsrichter, der zwischen widersprochen bleiben darf. In Bezug
Himmel und Erde vermittelt hat. Er hat auf den Namen des dritten Freundes
auf beide die Hand gelegt. Ihm hat der Hiobs schreibt Ridout:
Vater alles Gericht übergeben. Das müs-
sen auch wir tun. Aber dies alles war Zofar, ein »Sperling«, abgeleitet von dem
damals noch nicht in ein solch helles Wurzelverb »zwitschern«, ist die männ-
Licht gebracht wie jetzt durch das Evan- liche Form von Zippora, des Namens
gelium. Heute sind uns deshalb solche von Moses Frau. Er gleicht ihr in ihrem
Klagen nicht mehr gestattet.«12 unbewussten Widerstand gegen Gottes
10,1-7 Zornig und bitter klagt Hiob Urteil über das Fleisch, obwohl er sehr
und bittet Gott, ihm sein uneinsehbares engagiert die von ihm angenommenen
Verhalten gegenüber jemandem zu er- fleischlichen Werke Hiobs verdammt.
klären, den er erschaffen hat. Handelt Seine vehementen, aber völlig verfehlten
er wie ein Mensch, der gnadenlos ur- Anschuldigungen sind genauso be­
teilt, obwohl er weiß, dass Hiob nicht deutungslos wie das »Zwitschern« des
gottlos ist? Vogels, nach dem er benannt ist.14
10,8-12 Harold St. John sagt über die-
sen Abschnitt: Könnte doch, so ereifert er sich, Hiob
die Dinge sehen, wie Gott sie sieht, so
Wir dürfen diesen erstaunlichen Ab- würde er begreifen, dass er längst nicht
schnitt nicht überlesen. Hier macht der so sehr leidet, wie er verdient hat! Seine
Ton dem Töpfer Vorhaltungen und er­ Unkenntnis von Gottes Größe disquali-
innert Gott daran, dass er mit dem Er- fiziert ihn, Gottes Gerechtigkeit infrage
schaffen des Menschen Verantwortun­ zu stellen. Vers 12 ist ein besonders
gen auf sich genommen hat, denen er harsches Urteil, das offensichtlich Hiob

512
Hiob 11 bis 14

gelten soll: »Kann ein Hohlkopf Ver- de er seine Sache vor Gott bringen und
stand gewinnen und ein Eselhengst als ihm sein Leben anvertrauen. Er ist sich
Mensch geboren werden?« sicher, gerechtfertigt zu werden; doch
11,13-20 Das Beste für Hiob wäre es, auch wenn Gott ihn tötete, wollte er auf
wenn er seine Sünden entfernen würde; den Herrn vertrauen.
dann gäbe Gott ihm Vertrauen, Ruhe 13,20-28 Von 13,20 bis 14,22 redet
und Trost. Wenn er dies nicht täte, wür- Hiob Gott persönlich an. Er bittet um
de es kein Entrinnen vor dem Unter- Erlösung von dem Leiden und fordert
gang geben. eine Erklärung darüber, weshalb Gott
ihn so hart behandelt. Er zerfällt wie
7. Hiobs Antwort (Kap. 12-14) Moder, wie ein von Motten zerfressenes
12,1-6 Mit beißendem (und inzwischen Kleid – kaum wert, von Gott beachtet
berühmtem) Sarkasmus wirft Hiob sei- zu werden.
nen Freunden intellektuelle Dünkelhaf- Francis Andersen erklärt Hiobs Worte
tigkeit vor: »Wirklich, ihr seid die rech- so:
ten Leute, und mit euch wird die Weis-
heit aussterben!« »Hier erweist sich Hiob als ein ehr-
Jeder weiß, dass Gott weise und mäch- licherer Beobachter, als ein vielseitigerer
tig ist; aber wie erklären sich daraus die Denker als seine Freunde. Einem wird
unerträglichen Leiden eines Menschen, schwindlig bei der Großartigkeit seiner
der einst auf seine Gebete Antworten er- Gottesvorstellung. Die Theologie von
hielt, und im Kontrast dazu die Wohl- Elifas, Bildad und Zofar ist schnell durch-
fahrt der Gottlosen? »Ihr habt keinen dacht und wird schnell geglaubt. Der
Schmerz, und doch macht ihr euch über Glaube Hiobs fordert den menschlichen
mich lustig; ihr tretet nach einem Men- Geist zu energischer Arbeit heraus.«15
schen, der zu fallen droht« (V. 5; Today‘s
English Version). 14,1-6 Hiob fragt weiter, warum Gott so
12,7-12 Selbst die Natur – das Vieh, unerbittlich gegen jemanden vorgeht,
die Vögel und die Fische – zeigt, wie der so vergänglich, so zerbrechlich und
willkürlich Gott den einen vernichtet fehlerhaft ist. Vers 1 wird oft zitiert,
und den anderen beschützt. Wenn vielleicht, weil er so vielfältig zutrifft:
Hiobs Kritiker Worte so sorgfältig prü- »Der Mensch, von der Frau geboren,
fen würden, wie sie ihre Nahrung kos­ lebt kurze Zeit und ist mit Unruhe ge-
ten, würden sie mit den Alten überein- sättigt.«
stimmen, die ausnahmslos mit Hiob Warum darf er sein bisschen Leben
einer Meinung waren. nicht mit einem gewissen Maß an Frie-
12,13-25 Nun beginnt Hiob eine majes­ den verbringen?
tätische Darstellung der Souveränität, 14,7-12 Für einen gefällten Baum gibt
Weisheit und Kraft des HERRN und be- es mehr Hoffnung als für ihn. Der
schreibt, wie er durch sie oft unerklär- menschliche Tod hat eine schreckliche
liche und widersprüchliche Dinge tut. Endgültigkeit; ein Gestorbener gleicht
13,1-19 Hiob tadelt seine Kritiker: Sie einem ausgetrockneten Fluss.
hätten nichts Neues gesagt. Er will sei- 14,13-17 Hiob wünscht, Gott möge
ne Angelegenheit Gott vortragen und ihn im Grab verbergen, bis sich sein
nicht diesen Lügendichtern und Kur- Zorn abgewendet hat. Dann wird der
pfuschern. Hielten sie den Mund, wür- Allmächtige nach ihm rufen, und er
de man sie für Weise halten. Ihre Erklä- würde gerechtfertigt werden. Bis dahin
rung des göttlichen Waltens ist nicht achtet Gott auf jede Sünde (so unrevi-
richtig; das müssen sie vor ihm verant- dierte Elberfelder, Schlachter 2000; ER:
worten. Ihre Argumente sind schwach »… aber gäbest nicht acht auf meine
und nutzlos. Wenn sie schwiegen, wür- Sünde«).

513
Hiob 14 und 15

In diesem Abschnitt tut Hiob vier erklärt standhaft, ganz und gar kein
Dinge: 1. Er bittet darum, geoffenbart Gottloser zu sein.
zu bekommen, was seine Sünden sind.
2. Er beschreibt die Vergänglichkeit des B. Die zweite Reihe von Reden
menschlichen Lebens. 3. Er verzweifelt (Kap. 15-21)
über der Endgültigkeit des Todes (wo- Im zweiten Redenzyklus fordern Hiobs
bei er sich nach einem Mittler sehnt und »Tröster« ihn nicht länger zur Umkehr
nach Hoffnung auf ein Leben nach dem auf, sondern verurteilen ihn immer ent-
Tod sucht). 4. Er klagt über sein gegen- schiedener. Hiob hingegen wird immer
wärtiges Unglück. sturer.
In Vers 14a stellt er eine höchst wich-
tige Frage: »Wenn ein Mann stirbt, wird 1. Elifas’ zweite Rede (Kap. 15)
er etwa wieder leben?« Unser Herr be- 15,1-6 Jetzt ist Elifas von Teman an der
antwortet diese Frage in Johannes 11,25- Reihe, Hiob wegen seiner Torheit und
26: »Ich bin die Auferstehung und das seiner unfrommen, nutzlosen Reden zu
Leben, wer an mich glaubt, wird leben, tadeln. Wie ein Schnellfeuergeschütz
auch wenn er gestorben ist; und jeder, schießt er eine Reihe von Fragen ab, um
der da lebt und an mich glaubt, wird Hiobs vorgegebene Erkenntnis lächer-
nicht sterben in Ewigkeit.« lich zu machen. Er nennt sie »windig«.
Harold St. John schreibt zu den Ver- Während Hiobs starke, Gott herausfor-
sen 14 und 15: dernde Worte ihn der Anklage preis­
gaben, die »Gottesfurcht zu zerstören«,
»In 14,14-15 dämmert der Tag über dem war es nicht gerechtfertigt, ihn anzu­
stillen Meer herauf. Hiob erklärt in die- klagen, »die Sprache der Listigen« zu
sem von unglaublichem Wagemut erfüll- führen. Wenn überhaupt, war Hiob zu
ten Text, dass der Mensch mehr als nur offen, zu sehr sich selbst offenbarend.
Materie sei. Ja, obwohl die Himmel ver- Ein Heuchler war er bestimmt nicht! Es
gehen, die ewigen Hügel zerbersten und nützt weder ihm noch irgendjemand
er vielleicht für Jahrtausende in der Ge- anderem, wenn er bekennt, gerecht zu
walt des Grabes liegen wird, so muss sein.
dann doch ein Tag anbrechen, an dem 15,7-13 Als Nächstes widerspricht
Gott sich von Herzen nach seinem Freund Elifas dem, was er Hiobs Arroganz
sehnen wird, nach dem Werk seiner Hän- nennt, mit der Hiob so hoch von seinen
de. Dann wird Hiob ihm aus den Tiefen eigenen Gedanken denkt: »Was hast du
der Unterwelt antworten, und weil er be- erkannt, das wir nicht erkannt hätten?«,
ständiger als die Hügel und dauerhafter fragt er. Indem Elifas die Worte der drei
als die Himmel ist, wird er wieder mit Tröster »Tröstungen Gottes« und
dem Gott vereinigt werden, der Heim- »sanft« nennt, zeigt er, dass ihm völlig
weh nach seinem Knecht bekommen das Herz fehlt, um echt und mitleids-
hat.«16 voll Rat geben zu können.
15,14-16 Elifas wiederholt seine Be-
14,18-22 Genauso wie die Erosion in der merkungen von 4,17-19 über die Heilig-
Natur wirken die Trübsale zerstörerisch keit Gottes und die Sündhaftigkeit des
auf den Menschen. Sein Körper kehrt Menschen. Aber wieso ist Hiob sündi-
zum Staub zurück und seine Seele an ger als Elifas? Ridout fragt:
einen Ort der Trauer.
Damit endet die erste Reihe von Re- Warum wendet er das auf Hiob an, als ob
den. Die Logik der Freunde Hiobs war: es beweisen würde, dass dieser ein grö-
Gott ist gerecht; er bestraft die Gott­ ßerer Sünder sei als alle anderen? Das
losen; wenn Hiob gestraft wurde, offen- sieht weit mehr wie die Sprache der Lis-
bart ihn das als Gottlosen. Doch Hiob tigen aus als all die erregten Aussprüche

514
Hiob 15 bis 19

Hiobs. Elifas hätte sich neben Hiob set- Zustand wahrnehmen, werden gegen
zen und bekennen müssen, ebenfalls seine Kritiker aufstehen, während er
»abscheulich und verdorben« zu sein; dabei bleibt, seine Redlichkeit zu be­
dann hätte der arme Dulder vielleicht teuern. Er kann keinen Weisen unter
darauf eingehen können.17 seinen drei Widersachern entdecken.
17,13-16 Hiob bleibt nichts als das
15,17-26 Indem er sich zu der früheren Grab mit seiner Finsternis, seiner Zer-
Weisheit der Väter wendet, beschreibt setzung, seinen Würmern.
Elifas den Schmerz, den die Gottlosen
in ihrem Leben erfahren. 3. Bildads zweite Rede (Kap. 18)
15,27-35 Eine schreckliche Liste von 18,1-4 Bildad von Schuach bezichtigt
Nöten kommt über die Gottlosen, und Hiob, die Worte seiner Weisheit und
diese Katastrophen entsprechen in ih- der seiner Freunde auf grobe Weise lä-
rem Gewicht ihrer Schuld. cherlich gemacht zu haben. Etwas Gu-
tes kann über Bildad gesagt werden: Er
2. Hiobs Antwort (Kap. 16-17) fasst sich kürzer als seine Tröster-Kolle-
16,1-5 Hiob weist die Analyse des Elifas gen. Vielleicht gab ihm das Bewusstsein
zurück und erwidert das Feuer, indem von dieser Tugend, sich kurz zu fassen,
er seine Kritiker »leidige Tröster« nennt. den Mut, Hiob zu raten, seinen Reden
Wären sie an seiner Stelle, würde er ein Ende zu machen (Luther 1912).
wenigstens versuchen, sie zu trös­ten! 18,5-21 Er wiederholt den nun schon
16,6-14 Aber nun hat sich Gott gegen bekannten Refrain, dass der Gottlose in
ihn gewandt und quält ihn, indem er dem Netz seiner eigenen Sünden gefan-
ihn gottlosen Leuten ausliefert und ihn gen werde. Dann stellt er eine schreck­
mehr verfolgt, als er ertragen kann. liche Liste von Katastrophen auf, die
»Bresche auf Bresche reißt er in mich.« über das Haus des Sünders herein­
All das geschieht, obwohl er sich keiner brechen. Bildad hatte recht, wenn er
Ungerechtigkeit schuldig gemacht hat. sagte, die Menschen litten wegen ihrer
16,15-22 Die Tatsache, dass er Sack- Sünden; aber er hatte unrecht, wenn er
tuch über seine Haut genäht (nicht nur dies als Erklärung für die Leiden Hiobs
gezogen) hat, zeigt, dass er sich in an- heranzog. Nicht alle Leiden sind eine
dauernder Trauer befindet. Ohne trös- direkte Folge von Sünden im eigenen
tende Freunde oder irgendjemanden, Leben.
der für ihn sprechen würde, wird er
bald den »Weg gehen, von dem ich 4. Hiobs Antwort (Kap. 19)
nicht zurückkomme«. 19,1-22 Hiob sagt seinen Freunden, sie
Manches von den Ausdrücken in die- sollten sich darüber schämen, wie sie
sen Versen wird in den Psalmen be- ihm Unrecht taten. Er war von Gott und
nutzt, wenn von dem Messias die Rede von Verwandten, Freunden und Knech-
ist. Daher haben wir das Recht, sie auf ten schlecht behandelt worden. Sein
die Leiden Christi anzuwenden, auch Körper schwand dahin, und er war dem
wenn das nicht ihre vorrangige Bedeu- Tod nahe. Doch seine Freunde vereinen
tung ist. sich mit Gott, um ihn erbarmungslos
17,1-12 Während Hiob, verstört im anzugreifen.
Geist, am Grabesrand entlangwankt, 19,23-24 Er wünschte, seine Vertei­
wird er von seinen Freunden verspot- digungsreden würden mit eisernem
tet. Er möchte, dass Gott sich seiner Sa- Griffel und Blei für ewig in den Felsen
che annähme, weil sich seine Kritiker gehauen werden, damit ihm irgend-
als unbrauchbar erwiesen haben. Der wann in der Zukunft Gerechtigkeit
Herr hat ihn zum Gegenstand des werden möchte.
Hohns gemacht. Aufrichtige, die seinen 19,25-27 In einem kostbaren Aufleuch-

515
Hiob 19 und 20

ten des Lichts glaubt er, dass es einen sagt nicht: »Ich werde die Heiligen se-
»Erlöser« gibt, der ihn eines Tages recht- hen«, obwohl das ungeahntes Glück
fertigen und wiederherstellen wird, bedeuten wird, sondern: »Ich werde
selbst wenn sich Tod und Verwesung Gott schauen.« Es heißt nicht: »Ich wer-
dagegenstellten. de die Perlentore schauen, ich werde
Der große englische Prediger Spur- die Mauern aus Jaspis sehen und die
geon, dessen Stil dem des Buches Hiob goldenen Kronen bestaunen«, sondern:
nicht unähnlich ist, machte folgende »Ich werde Gott schauen.« Das ist das
schöne Anmerkung zu Vers 25: Wesen und der Inhalt des Himmels, das
ist die freudige Hoffnung aller Gläu­
Das Herzstück des Trostes Hiobs liegt in bigen.19
dem Wort »mein« – »mein Erlöser«, und 19,28-29 Im Hinblick auf die zukünf-
darin, dass der Erlöser lebt. Ach, was be- tige Rechtfertigung täten seine Freunde
deutet es, den lebendigen Christus zu er- gut daran, ihn nicht zu verfolgen, weil
greifen! Wir müssen einen Anteil an ihm sie sonst bestraft werden würden.
haben, bevor wir ihn genießen können. …
Denn ein Erlöser, der mich nicht erlöst, 5. Zofars zweite Rede (Kap. 20)
ein Rächer, der nicht meines Blutes wegen 20,1-19 Offensichtlich traf Hiobs Glau-
aufsteht, was nützen sie mir? Gönne dir bensbekenntnis auf taube Ohren. Zofar
keine Ruhe, bis du im Glauben sagen hatte nicht zugehört. Er sagte, die Ge-
kannst: »Ja, ich werfe mich auf meinen le- schichte zeige, dass stolze Menschen
bendigen Herrn; und er ist mein.« Viel- vergehen werden, und zwar für ewig.
leicht hältst du ihn mit schwacher Hand Die Kinder des stolzen Mannes müssen
fest; du denkst vielleicht fast, es sei eine die »Geringen« um Brot anbetteln und
Anmaßung, zu sagen: »Er lebt als mein zurückgeben, was er unrechtmäßig er-
Erlöser« – aber denke daran: Wenn du nur worben hat. Obwohl noch in jugend­
Glauben wie ein Senfkorn hast, so berech- licher Kraft, wird er zu Staub werden.
tigt dich dieser kleine Glaube, dies zu sa- Wie sehr er auch in Luxus lebte ‒ er
gen. Aber es steht hier noch ein anderes wird plötzlich alles verlieren, was er
Wort, das Hiobs starke Zuversicht aus- durch Unterdrückung der Armen er-
drückt: »Ich weiß.« Zu sagen: »Ich hoffe, worben hat.
ich vertraue darauf«, ist tröstlich; und es 20,20-29 So ziemlich jedes Unheil
gibt Tausende in den Schafhürden Jesu, wird ihn treffen, darunter Hunger, Be-
die kaum jemals viel weiter kommen. drängnis, Not, bewaffnete Übergriffe,
Willst du aber zum Wesen und Kern des Feuer und der Verlust aller Ruhe. Him-
Trostes vordringen, dann musst du sagen: mel und Erde werden sich gegen ihn
»Ich weiß!«18 verbünden, und sein Besitz wird zerrin-
nen. Dies ist das Erbteil, das Gott den
Die Tatsache, dass Hiob Glauben hatte, Gottlosen bestimmt hat. G. Campbell
Gott in seinem Fleisch zu sehen, nach- Morgan sagt dazu:
dem seine Haut »zerschunden« war, In diesem Abschnitt beschreibt Zofar
weist sehr deutlich auf die leibliche mit bebender Leidenschaft die Un­
Auferstehung hin, eine Lehre, die im sicherheit unrechten Gewinns. Er mag
Alten Testament nicht sehr viel gelehrt zunächst einmal Erfolg haben; aber die-
wird, die aber zur Zeit des Herrn Jesus ser ist nur von kurzer Dauer. Da wird
von alttestamentlich gläubigen Juden aufgehäuft; aber schnell geht alles vor-
akzeptiert wurde. über. Da erlebt man die Jugend; doch
Wieder ist es Spurgeon, der Vers 26 sie sinkt in den Staub. Da findet sich
sehr schön auslegt: Angenehmes; aber es wird zu Gewis-
Beachtet, was Hiob ehrfürchtig er- sensbissen. Da wird verschlungen; aber
wartet: »Ich werde Gott schauen.« Er es führt zum Erbrechen. Man erreicht

516
Hiob 20 bis 22

etwas, hat aber keine Freude daran. Die Niemand verdammt oder straft sie, und
letzte Vergeltung gegen den Gottlosen sie sterben genauso wie alle anderen.
besteht darin, dass Gott über ihn kommt »Und ihr? Ihr versucht mich mit Unsinn
und ihn mit seinen Gerichtswerkzeu- zu trösten. Jede eurer Antworten ist
gen verfolgt. Finsternis hüllt ihn ein. eine Lüge!« (V. 34 nach Today‘s English
Seine Sünde wird unter himmlisches Version).
Licht gebracht, und die Erde wendet Mit diesen Worten beendet Hiob die
sich gegen ihn. Man möge die Geschich- zweite Gesprächsrunde zwischen ihm
te der Gottlosigkeit betrachten; dann und seinen Freunden. Diese »Tröster«
wird man merken, wie wahr dies ist.20 sind fast ans Ende ihrer Versuche ge-
langt, Hiob von seiner Sündhaftigkeit
6. Hiobs Antwort (Kap. 21) zu überzeugen; sie werden es – außer
21,1-22 Jetzt fordert Hiob strikte Auf- Zofar – in einer weiteren Runde ein
merksamkeit. Seine Klage wendet sich letztes Mal versuchen.
nicht in erster Linie gegen Menschen, Das Problem des Hiobbuches ist im-
obwohl sein elender Zustand mensch­ mer noch ungelöst. Warum leidet der
liches Mitleid wecken müsste. Er wider- Gerechte? Hiob hat allerdings einige
legt ihre Argumentationen mit der rich- Fortschritte gemacht, und einige schwa-
tigen Beobachtung, dass es den Gott- che Lichtstrahlen haben begonnen, das
losen oft in jedem Lebensbereich gut Dunkel des Geheimnisses seiner Leiden
geht und dass sie ohne Schmerzen ster- zu durchdringen.
ben, selbst wenn sie für Gott in ihrem
Leben überhaupt keinen Platz hatten. A. Die dritte Reihe von Reden (Kap. 22-31)
Wie oft, so fragt er, ernten denn die Gott-
1. Elifas’ dritte Rede (Kap. 22)
losen zu ihren Lebzeiten den Lohn für
ihre Sünden? Wie oft werden sie denn In der dritten Runde schließen Elifas
wie Spreu vom Sturmwind entführt? und Bildad ihre Argumente ab, wobei
»Du behauptest, Gott strafe ein Kind sie sich vielfach wiederholen. Zofar
für die Sünden des Vaters. Nein! Möge bleibt still. Hiob antwortet ihnen und
Gott ihn selbst bestrafen, möge er zei- ist offensichtlich unbeeindruckt von
gen, dass er das wegen seiner Sünden ihren Vorstellungen; denn er weiß, dass
tut. Mögen die Sünder ihre eigene Strafe er kein heimlicher Sünder oder Heuch-
tragen; mögen sie den Zorn des All- ler, sondern – wie Kapitel 1 beweist –
mächtigen spüren. Wenn das Leben ein tadelloser Mensch ist (jedoch nicht
eines Menschen vorbei ist, kümmert er sündlos und nicht demütig). Die letzte
sich dann wirklich darum, ob seine Kin- Rede des Elifas ist voll Würde und lite-
der glücklich sind? Kann ein Mensch rarischer Schönheit; er ist jetzt ein we-
Gott etwas lehren, der selbst die richtet, nig höflicher gegenüber dem armen
die erhabene Stellungen einnehmen?« Dulder, doch immer noch ungerecht.
(V. 19-22 nach Today‘s English Version). 22,1-11 Die Fragen des Elifas sollen
21,23-34 Einer stirbt in Frieden, in sei- zeigen, dass Gott Hiob nicht nötig hat,
ner Vollkraft und in Wohlstand. Ein an- auch nicht irgendetwas, was Hiob hat
derer scheidet dahin mit bitterer Seele oder tut, einschließlich seines vollkom-
und in Armut. Im Tod sind sie alle menen Wandels. Dann holt er zu einer
gleich. Wenn Hiobs Freunde darauf be- langen Tirade aus, in der er Hiob gröbs-
stehen, dass die Gottlosen allesamt in ter Gottlosigkeit bezichtigt: Er nehme
ihrem Leben bestraft werden, so appel- boshaft Pfänder von dem Armen, ver-
liert er an Menschen, die viel reisen, sie weigere dem Durstigen das Wasser und
möchten doch bezeugen, dass die Gott- dem Hungrigen das Brot. Er nehme
losen hier oft sehr vergnügt leben, wenn Land gewaltsam in Besitz und unter-
sie auch nach dem Tod bestraft werden. drücke Witwen und Waisen. Daraus er-

517
Hiob 22 und 23

gibt sich Elifas zufolge Hiobs gegen- 23,1-9 Hiobs Klage ist bitter. Wenn er
wärtiges Unglück. Die Tatsachen sahen doch nur vor Gottes Thron kommen
allerdings anders aus; Hiob hatte sich in und ihn finden könnte! Spurgeon sagt
großartiger Weise sozial verhalten und dazu:
war in seiner Barmherzigkeit sehr groß-
zügig gewesen. Sein erstes Gebet ist nicht: »Ach, dass ich
22,12-20 Hiob solle nicht meinen, Gott von meinen Leiden geheilt würde, die
sehe aus der Höhe des Himmels nicht, jetzt in allen Teilen meines Körpers ei-
was geschieht. Falls er weiterhin sün- tern!« Nicht einmal: »Ach, sähe ich doch
digte, würde er das Los der Menschen meine Kinder aus dem Rachen des Gra-
zu Noahs Zeiten teilen, als die Funda- bes befreit und mein Eigentum zurück-
mente der Erde von einem Wasserstrom gebracht aus der Hand des Verderbers!«
weggerissen wurden. Das waren auch Sondern sein erstes und vordringlichstes
Menschen, denen Gott es zuvor gut ge- Schreien ist: »Ach, dass ich wüsste, wie
hen ließ. Die Gerechten freuen sich im- ich IHN finden kann, ihn, der mein Gott
mer, wenn die Gottlosen bestraft wer- ist! Dass ich zu seinem Thron gelangte!«
den. Gottes Kinder fliehen nach Hause, wenn
22,21-30 Elifas hat bei diesem letzten der Sturm naht. Es ist der himmelwärts
Appell tatsächlich einige wunderschö- gerichtete Instinkt einer begnadeten See-
ne Worte für Hiob: »Söhne dich doch le, bei allen Übeln unter den Flügeln
aus mit ihm und halte Frieden!« Jahwes Schutz zu suchen.22
(V. 21a); »… so wird der Allmächtige
dir dein Golderz und erlesenes Silber Hiob hat das Vertrauen, dass, wenn er
sein« (V. 25); und: »… über deinen We- ihm nur begegnete, der Herr zugeben
gen leuchtet Licht auf« (V. 28b). Diese müsste, dass Hiob gerecht war. Dann
Worte sind nicht nur schön, sondern würde er für immer seinem Richter ent-
stimmen auch – für einen bußfertigen kommen.
Sünder, der umkehrt zu dem Allmäch- 23,10-12 Vers 10 wird oft zitiert, um
tigen und Unrecht von seinem Zelt die heiligenden Wirkungen von Prü-
fernhält (V. 23)! Das einzige Problem ist fungen zu beweisen; aber im Text­
das der Anwendbarkeit: Hiob hatte zusammenhang handelt es sich in
nicht in Sünden gelebt! Barnes fasst den Wirklichkeit um Hiobs Vertrauen auf
Schluss­appell des Elifas so zusammen: ein »Nicht schuldig« als Urteil. In der
»Der Allmächtige wäre sein Schutz, Zwischenzeit handelt Gott mutwillig,
er fände Glückseligkeit in Gott, sein Ge- und seine furchtbaren Gerichte verset-
bet würde erhört, Licht schiene auf sei- zen Hiob in Schrecken. Trotzdem glaubt
nen Weg, und wenn andere erniedrigt Hiob, dass wenn es jemals zu einer Ver-
werden, würde er erhöht werden.«21 handlung vor dem Richterstuhl Gottes
kommt, er wie Gold befunden wird,
2. Hiobs Antwort (Kap. 23-24) und dass er stets den Worten Gottes ge-
Die Kapitel 23 und 24 enthalten eine horcht hat, die er mehr wertschätzte als
einzige lange Rede, die nur aus prak­ seine eigenen Grundsätze (so Schlach-
tischen Gründen von den alten Bibel­ ter 2000). Die schönen Worte von Vers
gelehrten in zwei Kapitel geteilt wurde. 10 sind es wert, auswendig gelernt zu
In Kapitel 23 entwickelt Hiob drei werden für unser eigenes Leben: »Denn
Hauptthemen: das Verlangen, sein An- er kennt den Weg, der bei mir ist. Prüfte
liegen vor Gottes Thron zu bringen er mich, wie Gold ginge ich hervor.«
(V. 1-9), die Verteidigung seiner eige- 23,13-17 Währenddessen scheint der
nen gerechten Lebensführung (V. 10- eine und scheinbar willkürliche Gott
12) und die Furcht, dass Gott sein Feind das zu tun, was seine Seele begehrt, und
sei (V. 13-17). Hiob fürchtet sich vor ihm, ja, er ist er-

518
Hiob 23 bis 25

schrocken, weil Gott sein Herz verzagt ger Weise um. Andersen, der »nicht da-
gemacht hat. von überzeugt ist, dass Hiob diese Wor-
24,1-12 Vor dem Allmächtigen ist te nicht geäußert haben kann«,24 be-
nichts verborgen. Darum kann Hiob schreibt, was einige mit ihnen gemacht
nicht begreifen, warum er denen, die haben:
ihn kennen, nicht die Lösung des Pro-
blems mit der Wohlfahrt der Gottlosen »Wir sollten nicht übereilig diese Worte
gibt. Er zählt im Einzelnen die furcht­ von den Lippen Hiobs fortnehmen, nur
baren Ungerechtigkeiten in dieser Welt weil sie nicht so klingen, wie wir meinen,
auf – die Verbrechen der Unterdrücker dass er sprechen sollte. Dies ist auf drei
und die Leiden der Unterdrückten. Arten geschehen: Man hat sie völlig ent-
Ridout sagt dazu: fernt, sozusagen als fromme Randbemer-
Es ist ein schreckliches Bild der Wirk- kung, durch die Hiob frommer erschei-
lichkeit, das ihnen – und uns – nur allzu nen soll, als er ist; oder man hat sie einem
bekannt ist. Wie kann Elifas solche Tat- seiner Freunde zugeschrieben, entweder
sachen in seine Theorie einordnen, nach Bildad (NAB) oder Zofar (Pope); oder
der alles Böse in diesem Leben bestraft man hat sie drittens so aufgefasst, dass
wird? Aber, ach, wie kann Gott seine Hiob seine Freunde zitiert (RSV, die Ihr
Augen vor diesen Dingen verschließen sagt hinzufügt und V. 21-24 für Hiobs Er-
und einen gläubigen Menschen ins Leid widerung hält; oder Gordis, der alle Ver-
stürzen statt dieser Übeltäter? Das ist se von V. 18 bis V. 24 für ein Zitat hält).«25
Hiobs große Not, und dafür hat er kei-
ne Lösung gefunden.23 3. Bildads dritte Rede (Kap. 25)
Hiob beklagt das scheinbare Versa- Die letzte Rede der Tröster Hiobs ist
gen in Gottes Weltregierung (V. 12): nicht die Rede Zofars, sondern die
»Von der Stadt her ächzen Sterbende, Bildads, des Schuchiters. Offenbar war
und die Seele der Durchbohrten schreit Zofars rhetorischer Vorrat erschöpft.
auf. Doch Gott nimmt keinen Anstoß Selbst Bildads Rede ist sehr kurz – die
daran.« kürzeste im ganzen Buch Hiob:
24,13-17 Als Nächstes beschreibt Hiob
die rebellischen Mörder, Ehebrecher Wegen der Kürze der Ansprache Bildads
und Diebe. Alle drei ziehen die Nacht und weil er praktisch gar nichts Neues
für ihre Aktivitäten vor. Der Morgen ist sagt, will es uns scheinen, als ob die
für sie wie Finsternis, wie Todesschat- Freunde keine neuen Argumente mehr
ten (Schlachter 2000). hatten, die ihnen gestatteten, ihre Über-
24,18-25 Obwohl diese gottlosen Sün- zeugung vorzubringen. Und das will viel
der auf der Erde verflucht sein müssten heißen; denn sie waren Männer von
und man ihrer nicht gedenken sollte, nüchterner Nachdenklichkeit und mit
gibt Gott ihnen offensichtlich Sicher- selten übertroffener Ausdruckskraft. Ihre
heit. Hiob besteht darauf, dass die Gott- Sprache ist vornehm und auf hohem Ni-
losen nicht häufiger gewaltsam um- veau, ihre Metaphern sind von seltener
kommen als alle anderen Menschen Schönheit und Kraft; doch ihre Überzeu-
auch. Er trotzt jedem, der das bestreiten gung und ihre Behauptungen waren
wollte. falsch, engherzig und unhaltbar.26
Weil Bildads Rede so kurz ist, Zofar
gar nichts sagt und Hiobs Antwort so Da Bildad offensichtlich endgültig ver-
lang ist, haben einige Bibelgelehrte an- standen hat, dass viele, große Worte
genommen, die Verse 18-25 seien gar nicht helfen würden, versucht er nur
nicht von Hiob. Manche modernen Ver- zwei Themen anzusprechen: die Größe
sionen ordnen den Text hier (und auch Gottes (V. 1-3) und die Nichtigkeit des
an anderen Stellen) in sehr eigenwilli- Menschen (V. 4-6).

519
Hiob 25 bis 27

25,1-3 Bei Gott sind Herrschaft und ßer Fehler anzunehmen, die Bibel lehre
Schrecken, und seine Armeen sind ohne keine wissenschaftlichen Wahrheiten. Sie
Zahl. lehrt alle nötige Wahrheit, zwar nicht in
25,4-6 Wenn sogar der Mond und die der Sprache der Wissenschaft, aber doch
Sterne in Gottes Augen nicht rein sind, mit wissenschaftlicher Genauigkeit.27
welche Hoffnung besteht dann für den
Menschen, der doch nur einer Made 26,14 Wenn diese Wunder nur die Säu-
und einem Wurm gleicht? Bildads Wor- me seiner Wege sind und höchstens ein
te sind wahr und schön formuliert, je- Geflüster, das wir von ihm vernehmen,
doch ohne Liebe und Trost gesprochen, wie könnte dann – so fragt Hiob – der
und damit haben sie Hiobs Bedürfnis- volle Donner seiner Machttaten anders
sen nicht gedient. als unvorstellbar sein?
4. Hiobs Antwort (Kap. 26) 5. Hiobs Schlussmonolog (Kap. 27-31)
26,1-4 Zunächst wendet sich Hiob ge- Hiobs »Tröster« haben ihre Anklagen
gen Bildads Argumente. Ja, selbst wenn nicht beweisen können – aber auch
es so wäre, dass Hiob weder Kraft noch Hiob gelang es nicht, eine Lösung für
Stärke oder Weisheit besaß – wie hat seine Not zu finden! Er ist allerdings
Bildad ihm geholfen? Seine Worte wa- auf dem richtigen Weg und scheint im
ren unnütz und gefühllos und verfehl- Glauben zu wachsen.
ten ganz ihren Zweck als Antwort auf Hiobs Monolog hat drei Haupt­
Hiobs Argumente. themen: Hiob stellt seiner Aufrichtig-
26,5-13 Der Rest des Kapitels gibt eine keit den Untergang der Gottlosen gegen­
wunderbare Beschreibung der göttlichen über (Kap. 27); er preist den unschätz­
Macht im Universum: Da ist der Wasser- baren Wert der Weisheit (Kap. 28); und
kreislauf (V. 8), die Dichte der Wolken schließlich beschäftigt er sich mit sich
(V. 9), der Wechsel von Licht und Fins­ selbst (Kap. 29-31).
ternis (V. 10), der Sturm auf dem Meer 27,1-5 Die Anfangsworte dieses Kapi-
(V. 11-12), die Sterne und die Sternbilder, tels: »Und Hiob fuhr fort, seinen Spruch
mit denen sein Geist die Himmel zu erheben, und sagte …«, lassen eine
schmückte (V. 13a nach KJV/NKJV, Lu- längere Pause vermuten. Er antwortet
ther 1912; nach anderen Übersetzungen nicht mehr nur Bildad (26,1), er richtet
[z.B. ER]: »Durch seinen Hauch wird der sich an alle, und er macht in vieler Hin-
Himmel heiter.«). sicht »seiner Seele Luft«, wie wir sagen
Während Bildad Gottes Herrlichkeit würden. Hiob fährt fort, auf seiner per-
in den Himmeln betont hat, beschäftigt sönlichen Ehrlichkeit, Aufrichtigkeit
sich Hiob mit seiner Macht in den Tie- und Gerechtigkeit zu bestehen. Er wei-
fen: unter den Wassern, im Abgrund gert sich anzuerkennen, dass seine Kri-
und in der Leere. tiker in irgendeiner Weise recht haben
Hiob sagt, Jahrhunderte bevor die könnten, wenn sie ihn anklagen, seine
Wissenschaft es lehrte, dass Gott die Leiden seien das Ergebnis geheimer
Erde über dem Nichts aufhängte (das Sünde.
ist eine poetische Beschreibung der 27,6-23 Hiob verteidigt nicht die Gott-
Stellung der Erde und ihrer Bewegung losen, die Ungerechten und die Heuch-
im Sonnensystem). ler; ihr Unglück haben sie verdient. Er
will seine drei Freunde über Gottes
Wie unermesslich hoch über allen heid- Handeln mit dem Ungerechten unter-
nischen Kosmogonien stehen doch diese richten – Wahrheiten, die sie selbst be­
wenigen, großartigen Worte! In ihnen obachtet hatten. Unglück wird seine Fa-
finden wir keimhaft die Entdeckungen milie, seinen Besitz, sein Haus und ihn
eines Newton und Kepler. Es ist ein gro- selbst oftmals (aber nicht immer) tref-

520
Hiob 27 bis 30

fen. Er wird untergehen, während die der den Plan für die Natur entwarf, ist
guten Menschen sich darüber freuen. auch die Quelle der Weisheit; denn er
28,1-11 Dieses wunderschöne Kapitel verkündigte sie und setzte sie ein. Ihn
rankt sich um die in Vers 12 und Vers 20 zu fürchten, ist Weisheit, und vom
geäußerten Fragen: Bösen zu weichen, ist Einsicht.
»Weisheit, wo kann man sie finden?« Dieses Kapitel sagt uns offensichtlich,
und: »Wo denn ist die Fundstätte der dass wir uns Gottes Handeln in der
Einsicht?« Vorsehung unterwerfen sollen, auch
Der Mensch zeigt große Fertigkeit wenn wir es nicht immer verstehen.
und Ausdauer beim Graben nach wert- 29,1-17 Jetzt gibt Hiob einen meister-
vollen Metallen und Juwelen. Hier, im lichen und nostalgischen Bericht über
ersten Abschnitt des Kapitels, erweist die »gute, alte Zeit«, als er in Wohlstand
sich menschliche Klugheit (dargestellt und Ehre lebte, und sehnt diese Tage
am Bergbau) als untauglich, Weisheit zu zurück. Er erfreute sich der Gunst und
finden. In den Versen 13-19 erweist sich der Leitung Gottes. Seine Kinder wohn-
menschlicher Reichtum als nicht aus- ten bei ihm. Er lebte in Luxus und wur-
reichend, um Weisheit einzukaufen, de in der Stadt von Jung und Alt, von
und in den Versen 21-28 wird Gott als Obersten und Fürsten respektiert we-
der alleinige Geber der Weisheit ge­ gen seiner guten Werke und wegen sei-
sehen. ner Gerechtigkeit und seiner gerechten
Die Beschreibung des Bergbaus in an- Urteile.
tiker Zeit ist sehr interessant, bietet dem 29,18-25 Er erwartete ein langes Le-
Übersetzer aber einige Schwierigkeiten. ben und einen sanften Tod in seinem
Vers 4 ist ein besonders harter Brocken: »Nest«, in dem er Wohlstand, Vitalität
Fast jede englische Übersetzung ver- und Kraft genoss, versinnbildlicht in
steht den Text anders. Andersen meint: dem Tau, der jede Nacht auf seinen
»Man kann kaum glauben, dass alle Zweigen lag. So war die Ehre bei ihm
denselben hebräischen Text vorliegen immer frisch, und »sein Bogen verjüng-
hatten.« 28 te sich in seiner Hand«. Andere nahmen
seinen Rat so gern entgegen wie ein
Im Gegensatz zu Bildad, der den Men- Bauer den Spätregen. Sein lächelndes
schen »eine Made« nennt, erkennt Hiob Gesicht erneuerte ihre Zuversicht. Sei-
dessen Klugheit beim Bergbau an: »Die ne Führerschaft machte ihn zum Haupt
bemerkenswerten Erfolge des Menschen oder zum König, der einem Heer vor-
im Bergbau zeigen, wie klug und intelli- steht, und zu einem, der die Trauern-
gent er ist; aber trotz allem versagt er völ- den tröstete. Es ist schwer zu begreifen,
lig, wenn er Weisheit ausgraben soll.«29 warum Gott einen Mann wie ihn stra-
fen sollte!
28,12-19 Der Pfad der Weisheit ist nicht 30,1-8 Nun wird Hiob traurigerweise
leicht zu finden. Man kann ihn weder verlacht von solchen, die jünger sind als
auf dem Land noch auf dem Meer ent- er, deren Väter aus der Gesellschaft aus-
decken. Man kann Weisheit weder kau- gestoßen waren, sogar unwürdig wa-
fen, noch einen angemessenen Preis da- ren, Hiobs Hunden beim Schafehüten
für entrichten, weil ihr Wert den von zu helfen. Sie sind elend, schwach und
»Schoham-Steinen und Saphiren« über- arm und so hungrig, dass sie Kräuter
steigt und nicht mit reinem Gold auf­ der Wüste essen; von den Menschen
gewogen werden kann. werden sie vertrieben wie heimatlose
28,20-28 Weisheit und Einsicht sind Nomaden, die man aus dem Land ge-
vor den Augen alles Lebendigen ver- peitscht hat.
borgen. Der Abgrund und der Tod ha- 30,9-15 Dieser Abschaum der Mensch-
ben nur von ihr gehört. Derselbe Gott, heit ist es nun, der Hiob so schmachvoll

521
Hiob 30 bis 32

und verächtlich behandelt. Man be­ sen gewesen. Er war frei von Goldgier
achte die Ausdrücke, mit denen ihr und hatte sich nicht zu heimlichem Göt-
Spott beschrieben wird: »Spottlied«, zendienst betören lassen (indem er Son-
»Ich wurde zum Gerede«, »Sie sparen ne und Mond Kusshände zugeworfen
nicht an Speichel für sein Angesicht«, hätte). Er war ohne Groll gegen seine
»Sie stoßen meine Füße weg«, »Sie rei- Feinde und gastfrei gegenüber jeder-
ßen meinen Pfad auf« usw. Sowohl mann, frei von heimlicher Sünde und
Hiobs Ehre als auch sein Wohlstand ehrlich in Grundstücksangelegenhei-
sind völlig dahin. ten. Wenn irgendjemand eine Anklage-
30,16-23 Er wird von Schmerzen ge- schrift gegen ihn verfasst hätte, wäre er
schüttelt und zusammengekrümmt und stolz, sie wie eine Krone umherzutra-
ist zu Staub und Asche geworden, kurz gen!
vor dem Verscheiden. Gott will seine 31,38-40 Mit dem Ende von Kapitel 31
Gebete nicht erhören, feindet ihn grau- sind auch Hiobs Worte zu Ende. Samu-
sam an, zerrt ihn herum und ist dabei, el Ridout ist einer von denen, die mit
ihn umzubringen. Hiobs Schlusswort nicht zufrieden
30,24-31 Der Herr wird doch nieman- sind:
dem im Grab Leid zufügen, der noch
im Sterben ihn angerufen hat (so nach Hiobs Worte werden erst dann wirklich
KJV; die meisten deutschen Überset- zu Ende sein, wenn er dem Ehre gibt,
zungen deuten den Satz anders: »Doch dem sie allein gebührt. Wir sind froh,
streckt man unter Trümmern nicht die dass wir diese Art von Hiobs Reden nun
Hand nach Rettung aus, oder erhebt hinter uns haben.30
man bei seinem Untergang nicht ein
Hilfegeschrei deswegen?«). Hiob hat III. Elihu mischt sich ein (Kap. 32-37)
anderen Mitleid erwiesen, aber ihm
selbst wird kein Mitleid erwiesen. Sein A. Elihus erste Rede an Hiobs drei
intensives Leiden ist vermischt mit Ein- Freunde (Kap. 32)
samkeit und Ablehnung. Sein körper­ 32,1-6 Hier versiegt das Gespräch zwi-
licher und seelischer Zustand ist schen Hiob und seinen drei Freunden.
beängs­tigend. Warum musste ein ge- Normalerweise wäre, wie oben er-
rechter Mann wie Hiob ein Bruder von wähnt, Zofar an der Reihe gewesen;
Schakalen und ein Gefährte der Strau- doch aus irgendwelchen Gründen zieht
ßenhennen werden? er es vor zu schweigen.
31,1-12 Hiob legt Wert darauf, sich Ein junger Mann namens Elihu, der
nicht lustvoller Blicke auf eine Jungfrau Sohn Barachels, des Busiters, hatte der
schuldig gemacht zu haben. Er weiß: hitzigen Debatte zwischen Hiob und
Gott sieht und bestraft solche Sünde. Er seinen drei Kritikern zugehört. Viele Bi-
hat nicht betrügerisch gehandelt; eine belgelehrte sehen in ihm ein Bild Chris-
ehrliche Untersuchung würde Gott da- ti, unseres Mittlers. Er scheint die voll-
von überzeugen. Er ist nicht vom Weg kommene Brücke zwischen der Deu-
der Gerechtigkeit abgeirrt, sonst hätte tung der Situation durch die drei Freun-
er es verdient, um seine Ernte gebracht de Hiobs und der Auflösung durch den
zu werden. Er hat die Frau seines HERRN zu sein. Kurz gesagt ist er ein
Nächsten nicht begehrt, sonst sollte sei- Mittler zwischen den Menschen und
ne Frau einem anderen Mann gehören Gott, ein Mittler, der das Erscheinen
und sein Besitz und sein Leben zerstört Gottes auf der Bühne vorbereitet.
werden. Andere Kommentatoren haben eine
31,13-37 Hiob war barmherzig gegen- weniger günstige Meinung von ihm
über seinen Knechten und freigebig ge- und betrachten ihn als einen eingebil-
genüber den Armen, Witwen und Wai- deten jungen Wichtigtuer.

522
Hiob 32 bis 34

Jedenfalls erregte sich dieser Elihu se verabscheut. Wenn ein Engel oder
(sein Name bedeutet mein Gott ist er) ein Mittler ihm erklärt, wie Gottes Wege
über Hiob, weil dieser sich selbst mehr der Gerechtigkeit sind (und der Leiden-
rechtfertigte als Gott. Er war auch zor- de darauf glaubend reagiert), rettet Gott
nig auf die drei Freunde, weil sie Hiob ihn von der Grube aufgrund des akzep-
nicht sachgerecht antworten konnten. tierten Lösegelds. Elihu erklärt nicht,
In den folgenden Versen fasst er neun- was er mit »Lösegeld« meint; wir aber
undzwanzig Kapitel Streitgespräche dürfen es zu Recht mit dem Einen ver-
zusammen. binden, »der sich selbst als Lösegeld für
32,7-22 Aus Respekt vor ihrem Alter alle gab« (1Tim 2,6). Wenn ein Mensch
hatte er sich still verhalten und ihren auf die Stimme des Herrn antwortet
Worten aufmerksam gelauscht; doch ‒ so sagt Elihu ‒, dann ist er in Bezug
nun kann er nicht länger schweigen. auf körperliche Gesundheit und geist-
Er sagt, dass nicht alle Angesehenen liches Wohlergehen wiederhergestellt.
(oder Betagten, wörtl. Großen) weise Wer seine Sünde bekennt, der ist es, der
sind und dass Gott auch Jüngeren, wie von geistlichem und/oder leiblichem
ihm, Einsicht geben könne. Er tadelt Tod gerettet wird.
Hiobs Kritiker dafür, dass sie keine 33,31-33 Wenn Hiob reden möchte,
überzeugenden Argumente vorbringen sollte er das tun. Wenn nicht, möge er
können. Wegen dieses Versagens ist er weiterhin gut zuhören und schweigen,
gezwungen, aus seinem Inneren zu re- während Elihu ihn Weisheit lehrt.
den, und das wird er ganz unparteiisch
und ohne Schmeichelei tun. C. Elihus zweite Rede an Hiobs drei
Freunde (Kap. 34)
B. Elihus Rede an Hiob (Kap. 33) 34,1-15 Als Nächstes bittet Elihu die
33,1-7 Elihu wirbt freundlich um Hiobs drei Freunde, seine Worte zu prüfen,
Aufmerksamkeit, um dann Worte der wie man Speise kostet. Er zitiert Hiobs
Lauterkeit und Wahrheit zu sprechen. Behauptung, Gott sei ungerecht, weil er
Hiob hat nach der Möglichkeit verlangt, einen Gerechten wie ihn veranlasst zu
sich vor Gott zu rechtfertigen. Nun leiden, und dass es keinen Nutzen brin-
dient ihm Elihu als Sprecher an Gottes ge, fromm zu sein, um Gott zu gefallen.
Stelle, obgleich er nur ein aus Lehm ge- Dann besteht er darauf, dass Gott sich
formter Sterblicher ist wie Hiob. Und niemals der Ungerechtigkeit schuldig
Hiob kann sich ‒ wenn er will ‒ vertei- macht. Wenn Gott sich zurückzöge,
digen, ohne göttlichen Zorn fürchten zu würden alle Geschöpfe insgesamt ver-
müssen. gehen.
33,8-18 Elihu weist Hiob zurecht we- 34,16-30 Wenn es unangebracht ist,
gen der Art und Weise, in der er be- einen König oder Edlen gottlos oder
hauptete, absolut unschuldig zu sein, ruchlos zu nennen, wie viel unvorstell-
und weil er Gott vorwarf, ihn ungerecht barer wäre es, den Herrscher des Uni-
zu behandeln. Gott ist größer als ein versums zu verdammen, der doch völ-
Mensch und muss keine Rechenschaft lig unparteiisch ist! Vor Gott kann keine
über sein Handeln mit dem Menschen Bosheit verborgen bleiben. Er zer-
abgeben. Trotzdem redet Gott zu den schmettert die Bösen und befreit die
Menschen durch Träume und Nacht­ Elenden.
gesichte, um sie vor dem Bösen und 34,31-37 Offensichtlich an Hiob ge-
dem Hochmut zu warnen und vor dem wandt, rät Elihu ihm, seine Sünde zu
gewaltsamen Tod zu erretten. bekennen und zu lassen und aufzu­
33,19-30 Der Herr spricht auch durch hören, von Gott zu verlangen, er solle
Schmerzen und schwere Krankheiten, tun, was Hiob will. Hiob hat töricht ge-
bei denen man sogar die Lieblingsspei- redet und Böses gesagt und Sünde und

523
Hiob 34 bis 37

Treubruch begangen und seine Worte ner und Blitz regiert. Wir können die
gegen Gott zahlreich gemacht. Großartigkeit seines Handelns in der
Vorsehung nicht begreifen, aber wir
D. Elihus zweite Rede an Hiob wissen, dass sie Gnade für sein Volk be-
(Kap. 35-37) deutet. Andreae schrieb vor langer Zeit:
35,1-8 Dann weist Elihu Hiob zurecht,
weil dieser behauptete, gerechter zu »Dasselbe Gewitter, das einerseits über
sein als Gott, und weil er sagte, Gerech- die Lande gesandt wird, um sie zu be-
tigkeit lohne sich nicht. Die Sünden des strafen und zu zerstören, ist andererseits
Menschen schaden Gott nicht, und sei- zugleich bestimmt, sie reichlich zu seg-
ne Gerechtigkeit fügt ihm nichts hinzu. nen und fruchtbar zu machen. Genauso
35,9-16 Stolze Unterdrücker (siehe sind auch die ernstesten Gerichte Gottes
Fußnote zu V. 9 in rev. Elberfelder) immer zugleich als eine Quelle anzu­
schreien in ihrer Not um Hilfe, doch sie sehen, aus der göttliche Gnade hervor-
erkennen Gott nicht an, der sie weiser kommt.31
macht als die Tiere der Erde und die Vö-
gel. Darum werden ihre Gebete nicht 37,1-13 Elihu fährt fort, sich in verschie-
erhört. Auch wenn wir ihn nicht sehen, dene Gebiete der Natur zu vertiefen,
Gott sieht uns sehr wohl, und wir sollten um die Weisheit, Macht und Ehrfurcht
ihm vertrauen und uns nichts einbilden. gebietende Majestät, aber auch den
36,1-12 In Elihus vierter Rede sagt er, strahlenden Glanz Gottes aufzuzeigen.
er schöpfe aus tiefen Wahrheiten, um Seine Naturbeschreibungen kann man
Gottes Gerechtigkeit zu verteidigen nur als »klassisch« bezeichnen. Da ist
und das Leiden zu erklären. Der Herr vom Gewitter mit seinem heftigen Re-
ist außerordentlich gerecht im Umgang gen die Rede, oder von Schnee, von
mit den Gottlosen und den Unterdrück- sanftem Regen, von Kälte durch den
ten, genauso auch mit den Gerechten Nordwind, von dichtem und lichtem
(V. 7-9), sie seien Könige auf dem Thron Gewölk.
oder Gefangene, in Stricken gebunden. 37,14-23 Elihu endet mit einem direk-
Wenn sich Gerechte überheblich gebär- ten Appell: »Nimm dieses zu Ohren,
den, versucht er sie zur Buße zu brin- Hiob! Steh still und achte auf die Wun-
gen, indem er sie von ihren Übertretun- dertaten Gottes!« Er fährt fort, Hiobs
gen überzeugt. Gehorchen sie und un- Naturkenntnis herauszufordern: »Wie-
terwerfen sie sich, wird es ihnen wohl so schweben die Wolken, und warum
ergehen. Wenn nicht, so »rennen sie wird dir heiß, wenn der Südwind
in den Spieß« und verscheiden ohne bläst?« Dies leitet über zu ähnlichen,
Gottes­erkenntnis. aber noch schwierigeren Fragen über
36,13-21 Wäre Hiob unterwürfig und die Natur, die der Schöpfer selbst im
bußfertig, hätte der Herr ihn aus seinem nächsten Hauptteil des Buches Hiob
entsetzlichen Elend befreit; doch wegen stellen wird. Solche erhabene Kraft
seiner starrköpfigen Selbstgerechtigkeit übersteigt unser schwaches Verständ-
erduldet er dasselbe Gericht wie die nis. Am besten ist es, Gott zu fürchten
Heuchler. Elihu warnt ihn, er werde, und sich seiner Erziehung zu unterwer-
wenn er so weitermache, ein Schicksal fen und nicht wie Hiob zu sein, der ihm
erleiden, von dem ihn auch ein großes ungerechtes Verhalten vorwirft.
Lösegeld nicht erretten kann. (V. 18 ist 37,24 Elihus letzter Vers gilt Hiob di-
eine notwendige Warnung an die Sün- rekt und ist eine kurze Zusammen­
der zu allen Zeiten.) fassung der ganzen Angelegenheit. Der
36,22-33 Weil Gott allweise ist, sollte erste Satz von Vers 24 ist leicht zu ver-
Hiob ihn erheben. Seine Größe wird dar­ stehen, der zweite wird oft unterschied-
in gesehen, dass er Regen, Wolken, Don- lich wiedergegeben (viele deutsche

524
Hiob 37 und 38

Übersetzungen deuten ihn ähnlich wie wilden Schrei eines verwundeten Glau-
Menge: »er sieht keinen an, der sich bens wie bei Hiob, nicht einmal den kla-
selbst weise dünkt«). Francis Andersen ren, nüchternen Worten Elihus – wir sind
übersetzt den zweiten Satz zum Bei- in der Gegenwart Jahwes selbst, der zu
spiel so, dass er die hebräische Vernei- uns redet.33
nung in dieser Konstruktion lieber als
Bestätigung auffasst: Wenn wir auf die Fragen des Herrn hö-
ren, können wir uns des Eindrucks
»Darum fürchten ihn die Menschen; ge- nicht erwehren, dass sie allegorisch ge-
wiss, alle, die weisen Herzens sind, meint sein könnten, d.h. eine tiefere,
fürchten ihn!«32 geistliche Bedeutung haben könnten,
und dass selbst die Reihenfolge der Fra-
IV. Die Offenbarung des HERRN gen etwas zu sagen hat. Aber jetzt se-
(38,1 - 42,6) hen wir alles noch wie durch ein dunk-
les Glas.
A. Die erste Herausforderung des Manche mögen stolz vorgeben, dass
Herrn an Hiob (38,1 - 40,2) sie dank der modernen Wissenschaft
manche Fragen beantworten können,
1. Einführung (38,1-3)
die Gott stellt. Als Erwiderung darauf
Der HERR selbst antwortet nun Hiob hat Alexander von Humboldt aner-
aus dem Sturm, der im Alten Testament kannt:
immer wieder Gotteserscheinungen be-
gleitet. Gottes Worte sind eine willkom- Was Hiob nicht beantworten konnte,
mene Erleichterung nach dem Wort- können die Wissenschaftler immer noch
streit der vorangehenden Kapitel. Hiob nicht beantworten. Es ist viel zu groß für
hatte den Ratschluss verdunkelt mit sie, denn obwohl die Wissenschaftler
Worten ohne Erkenntnis. Das bedeutet, sehr viel über sekundäre Ursachen wis-
dass er törichterweise die Gerechtigkeit sen, werden sie immer wieder durch pri-
des göttlichen Handelns an ihm infrage märe Ursachen aufgehalten. Sie können
gestellt hatte. Nun will Gott Fragen stel- nie bis zu der großen Ursache vordrin-
len, und Hiob ist an der Reihe, sich für gen, und sie wollen diese große Ursache
die Antworten zu rüsten! auch gar nicht.34
In den folgenden Fragen gibt Gott kei-
ne ins Einzelne gehenden Erklärungen 2. Die Herausforderung durch die Wunder
für das Geheimnis des Leidens. Statt- in der unbelebten Schöpfung (38,4-38)
dessen durchstreift er das Universum, 38,4-7 In poetischen Worten von un­
um einen Eindruck von seiner Majestät, übertrefflicher Schönheit spricht der
Herrlichkeit, Weisheit und Macht zu ge- Herr von der Schöpfung der Welt, wenn
ben. Damit sagt er: »Bevor du es wagst, er sagt, er habe die Erde gegründet.
meine Wege zu kritisieren, solltest du Dann geht es um ihre Größe, ihre Ab-
dich fragen, ob du die Schöpfung so gut messungen, ihre Grundpfeiler (natür-
regieren könntest, wie ich es tue.« Dies lich ihre Aufhängung im All) und den
kann natürlich Hiob nur zeigen, wie Jubel der Engel. Dazu fragt er: »Wo
kraftlos, unwissend, unbedeutend, un- warst du, als all dies stattfand?«
zulänglich, unfähig und endlich er ist. 38,8-11 Indem er von der Kosmologie
Hier hören wir, wie Ridout ausführt, zur Geografie und Ozeanografie schrei-
die Stimme des Herrn: tet, beschreibt Gott, wie er das Meer in
seine Küsten einschloss und ihm ver-
Wir lauschen nicht länger dem Herum- bot, weiter ins Land einzudringen. Er
tasten des natürlichen Verstands wie in hüllte das Wasser wie ein Baby in Win-
den Reden der Freunde, auch nicht dem deln aus Wolkendunkel ein.

525
Hiob 38

38,12-18 Als Nächstes beschreibt er le- die Wissenschaft der modernen Men-
bendig, wie er dem Morgen gebietet, in- schen sind Spurgeons Worte über Vers
dem er die Morgenröte alles erleuchten 31 nach der King James Version ein
lässt, wohin sie ihr Licht sendet, wodurch heilsames Gegengewicht:
die Gottlosen entlarvt werden, die im
Finstern ihr Werk treiben; es ist, als wür- »Kannst du den süßen Einfluss der Pleja-
den sie herausgeschüttelt; wie er die Ge- den zusammenbinden oder die Fesseln
stalt der Erdoberfläche offenbar macht, des Orion lösen?« (Hiob 38,31).
als sei sie wie Siegelton, in den ein Stem- Falls wir geneigt sind, uns unserer Fähig-
pel gedrückt wird, und dabei die Farben keiten zu rühmen, kann uns die Groß­
der Landschaft hervortreten lässt, als artigkeit der Natur schnell zeigen, wie
trüge sie ein schönes Kleid. Finsternis, erbärmlich wir sind. Wir können nicht
das bevorzugte »Licht« der Gottlosen, ist den kleinsten der blinkenden Sterne be-
ihnen entzogen, und so werden ihre bö- wegen oder auch nur einen morgend-
sen Anschläge verhindert. Er fordert lichen Lichtstrahl auslöschen. Wir spre-
Hiob heraus, zu sagen, wie tief der chen von Macht; aber die Himmel lachen
Ozean ist, ob er das Reich des Todes oder und spotten über uns. Wenn im Lenz die
die Breite der Erde kennt. Plejaden [das Siebengestirn; Anmerkung
38,19-24 Jetzt fragt Gott Hiob nach dem des Übersetzers] in frühlingshafter Freu-
Ursprung und dem Wesen des Lichts de hervorstrahlen, können wir diesen
aus. Die Sonne reicht als Antwort nicht Einfluss nicht eindämmen, und wenn
aus; denn es gab schon Licht (1Mo 1,3), der Orion in der Höhe regiert, während
bevor die Sonne an ihre Stelle gesetzt das Jahr in winterlichen Fesseln liegt,
war (1Mo 1,16). War Hiob alt genug, um können wir die eisigen Bande nicht lö-
die Antwort zu kennen? Und inwiefern sen. Die Jahreszeiten wechseln nach der
weiß er über Schnee und Hagel Bescheid, göttlichen Verordnung, und das gesamte
die Gott manchmal einsetzt in Zeiten der Menschengeschlecht kann nichts daran
Not und des Krieges? Wie breiten sich ändern. O Herr, was ist der Mensch?35
das Licht und der Ostwind, die von ei-
nem Punkt herzukommen scheinen, über 38,34-38 Es ist doch wohl deutlich, dass
die ganze Erdoberfläche aus? jeder, der die Weisheit und Macht
38,25-30 Als Nächstes wird Hiob in Gottes infrage stellen kann, in der Lage
einer Lektion über das Wetter, über Re- sein sollte, es regnen zu lassen, indem
gen und Gewitter befragt und wieso er den Wolken und den Blitzen zuruft,
Regen auf eine Wüste fällt und üppiges die ihm sofort gehorchen! Kann Hiob
Wachstum hervorbringt sowie über den Gott sagen, wie der Verstand arbeitet
Ursprung von Regen, Tau, Eis und und wie der Mensch Weisheit und Ver-
Frost. Wie kommt es, dass Wasser hart ständnis auf all diesen Gebieten er-
wie Stein gefriert und »die Fläche der langt?36 Niemand hat die Weisheit, die
Tiefe fest gefügt ist«? Wolken zu zählen, nicht zu reden von
38,31-33 Keine Wissenschaft ist so den Wassertröpfchen, aus denen sie ge-
sehr geeignet, dem Menschen seine Be- bildet sind. Und niemand kann die Zeit
deutungslosigkeit vor Augen zu füh- bestimmen, wann der Regen auf den
ren, wie die Astronomie. So befragt dürren Boden fällt, dessen Schollen fest
Gott Hiob über seine Fähigkeit, die aneinanderkleben.
Sterne und ihre Konstellationen zu be-
herrschen oder sie auf ihren Bahnen zu 3. Die Herausforderung durch die Wunder
halten oder zu bestimmen, welchen in der belebten Schöpfung (38,39 - 40,2)
Einfluss sie auf die Erde haben. 38,39-41 Gott schreitet von der unbeleb-
Angesichts der vermeintlichen groß- ten zur belebten Schöpfung fort. Durch
artigen Kontrolle über die Natur durch weitere Fragen erinnert er Hiob an seine

526
Hiob 38 bis 40

Vorsehung, wie er seine »Hand öffnet das Recht habe, ihn auf dem Gebiet der
und alles mit Gutem sättigt« – von den Vorsehung zu korrigieren und zurecht-
königlichen Löwen in ihren Höhlen und zuweisen, wenn er so wenig über die
Lagern bis zu dem wenig beeindrucken- natürliche Schöpfung weiß. Danach
den Raben samt seinen Jungen. nimmt Hiob endlich seine ihm gebüh-
39,1-8 Hiob wird daran erinnert, dass rende Stellung ein und sagt: »Siehe, zu
niemand außer Gott genau die Wurf- gering bin ich! Was kann ich erwidern?
zeit, das Geburtsverhalten und die In- Ich lege meine Hand auf meinen
stinkte der Steinböcke und Hirsche Mund.« Überwältigt von der so umfas-
kennt. Der Wildesel spottet der Einen- senden Weisheit des Herrn entschließt
gung und des Stadtlebens und des Ge- er sich, nichts mehr zu sagen.
schirrs und streift nach Belieben in der
Wildnis umher und auf den Bergen, wo C. Die zweite Herausforderung des
er allem Grünen nachspürt. Herrn an Hiob (40,6 - 41,34)
39,9-18 Auch der Büffel verwirft ein
1. Hiob wird herausgefordert, wie ein
Leben der Knechtschaft und will nicht
Mann zu antworten (40,6-14)
pflügen oder Lasten schleppen. Und was
ist mit der Straußenhenne und ihren un- Doch Hiobs Antwort ist noch keine
gewöhnlichen Flügeln? In mancher Wei- wirkliche Buße, darum fährt der HERR
se handelt sie töricht, indem sie ihre Eier fort, ihm aus dem Sturmwind heraus
an Stellen legt, wo sie leicht verwundbar Vorhaltungen zu machen. Er fordert
sind, und ihre Jungen schroff behandelt. Hiob auf, wie ein Mann zu antworten.
Doch kann sie schneller laufen als ein Immerhin hatte Hiob Gott der Unge-
Pferd mit seinem Reiter! rechtigkeit angeklagt und ihn verurteilt,
39,19-25 Gott fragt als Nächstes, ob um sich selbst zu rechtfertigen. Nun
Hiob dem Ross die Kraft gibt oder des- denn, da soll er die Rolle der Gottheit
sen Hals mit einer Mähne bekleidet. spielen und Allmacht demonstrieren,
Hoheitsvoll und unerschrocken über- indem er im Donner redet. Möge er den
windet es ungestüm große Entfernun- Thron einnehmen, sich in Erhabenheit
gen. Dieses stolze Tier ist nicht zu hal- und Hoheit, in Majestät und Pracht klei-
ten, wenn es in die Schlacht stürmt, wo- den; möge er seinen Zorn ausschütten
bei es weder auf das Rufen noch auf die über die Schuldigen und die Hochmüti-
Hörner oder den blitzenden Speer oder gen erniedrigen! Wenn er das alles kann,
das Krummschwert achtet. wird der Herr seine Macht anerkennen,
39,26-30 Gab Hiob dem Habicht Ein- durch die Hiob sich selbst helfen kann.
sicht, nach Süden zu ziehen? Und war
er es, der den Adler das Fliegen lehrte 2. Hiob wird herausgefordert, den Behemot
und ihm beibrachte, sein Nest auf die zu betrachten (40,15-24)
Felszacke zu bauen, um von dort aus Als Nächstes fordert der Herr Hiob her-
bis in weite Ferne nach Nahrung Aus- aus, den Behemot zu betrachten, den er
schau zu halten und seine Jungen zu mit Hiob zusammen erschaffen hat.
lehren, ihr Futter zu finden? Dies widerlegt die Ansicht mancher
40,1-2 Wieder weist der HERR Hiob Kommentatoren, beim Behemot und
zurecht wegen seiner Dreistigkeit, mit beim Leviatan handle es sich um mytho­
dem Allmächtigen zu hadern. Wenn er logische Geschöpfe, die man in früheren
so weise und mächtig wäre, müsste er Zeiten gut gekannt habe. Welche Her-
eigentlich den Fragenkatalog beantwor- ausforderung kann ein nicht existieren-
ten können, den er gerade gehört hatte! des Geschöpf für ein geschaffenes We-
sen wie den Menschen darstellen?
B. Hiobs Antwort (40,3-5) Das Wort Behemot ist einfach die
Der HERR fragt Hiob, ob dieser wohl Mehrzahlform des gewöhnlichen he­

527
Hiob 40 und 41

brä­ischen Wortes für Vieh (behēmah). sagt: »Du solltest der Weisheit und der
Meredith Kline erklärt: Liebe und Macht eines Gottes vertrauen
können, der so gewaltig, so majestä-
Die Bezeichnung Behemot, als intensi- tisch, so herrlich ist.«
vierender Plural betrachtet, bedeutet 40,25 - 41,1 Ein anderes schrecken­
»das größte aller Tiere« und ist ein Bei­ erregendes amphibisches Geschöpf ist
name wie »der Anfang der Wege Gottes« der Leviatan, einzigartig in der Schöp-
in Vers 19a. Man beachte, dass auch dem fung Gottes. Kann Hiob ihn bändigen?
Leviatan außergewöhnliche Eigenschaf- Gott will eine Antwort. »Lege doch dei-
ten zugeschrieben werden (41,25-26).37 ne Hand einmal an ihn – du wirst den
Kampf nicht vergessen, wirst es nicht
Gott stellt den Behemot als den Anfang noch einmal tun!« (Schlachter 2000).
seiner Wege vor, d.h. sozusagen als ers- Der Begriff Leviatan bezieht sich in der
tes Ausstellungsstück im Tierreich. Ob- alten kanaanitischen Literatur auf einen
wohl wir ihn nicht mit Sicherheit iden- »siebenköpfigen Seedrachen«, aber,
tifizieren können, wissen wir, dass er wie Andersen ausführt, »das bedeutet
ein Pflanzen fressendes, amphibisches nicht, dass der Leviatan in dieser Dich-
und überaus starkes Tier ist. Es ruht in tung ebenfalls ein mythologisches Un-
schattigen Feuchtgebieten und ist nicht geheuer ist«.40
leicht einzuschüchtern. Die Lehre ist: Im Deutschen sagen wir Donnerstag
Wenn Hiob nicht einmal dieses Untier oder Januar oder Hölle und glauben an
regieren kann, wie könnte er dann die nichts, was diese Worte ursprünglich in
Welt regieren? der heidnischen Literatur ausdrückten.
Der Behemot ist manchmal mit dem Die Anwendung bestimmt den Bedeu-
Nilpferd gleichgesetzt worden,38 wie tungsinhalt, und hier fordert Gott ganz
etwa Louis Segond es tatsächlich in sei- deutlich dazu auf, ein wirkliches Tier
ner französischen Übersetzung tat (vgl. zu betrachten, wenn wir heute auch
die deutsche Menge-Übersetzung). nicht genau sagen können, um welches
Aber auch bei größter Anstrengung der Tier es sich handelt. Gewöhnlich denkt
Vorstellungskraft kann das Nilpferd man an das Nilkrokodil, und manche
nicht »der Anfang der Wege Gottes« ge- Teile der Beschreibung treffen tatsäch-
nannt werden. Ein Elefant oder ein lich auf dieses Tier zu.
Mammut könnte diesen Titel vielleicht Während der Behemot vornehmlich
tragen, aber doch wohl nicht ein Nil- ein Landtier ist, lebt der Leviatan ganz
pferd! Wenn Kinder durch den Zoo ge- im Wasser. Man kann ihn nicht mit An-
hen, machen sie sich lauthals lustig gel und Seilen fangen, ihn auch nicht
über das niedliche kurze Schwänzchen, domestizieren und zum Kuscheltier für
das wohl kaum einer Zeder gleicht! die Kinder machen. Er ist auch nicht als
Einige christliche Wissenschaftler sind Handelsware zu gebrauchen. Sein waf-
heute davon überzeugt, dass der Behe- fengleiches Äußeres widersteht den
mot ein heute ausgestorbenes oder viel- Spießen und Harpunen, und schon sein
leicht in abgelegenen Teilen des afrika- Anblick entmutigt alle, die sich auf ihn
nischen Urwalds lebendes Tier ist. Tat- einlassen.
sächlich passt die Beschreibung am bes- 41,2-3 Gott unterbricht die Beschrei-
ten auf ein Reptil aus der Gruppe der bung und stellt eine sachliche Frage:
Dinosaurier.39 Wenn die Menschen schon in solchem
Schrecken vor einem bloßen Geschöpf
3. Hiob wird herausgefordert, den Leviatan stehen, wie viel mehr sollten sie dann
zu betrachten (40,25 - 41,26) den fürchten, der diese Kreatur erschaf-
Gott hat Hiobs Klagen nicht direkt be- fen hat, der doch ewig ist und niemand
antwortet. Vielmehr hat er einfach ge- Rechenschaft schuldet und der der Ei-

528
Hiob 41 und 42

gentümer und Schöpfer von allem ist? Lande und dem König aller Tiere, dem
Kline sagt dazu: Leviatan, der als unglaublich furchtbar
bekannt war, zu Wasser.
Hier ist der Punkt, um den es in diesem
Abschnitt geht: Hiob soll durch seine D. Hiobs demütige Antwort (42,1-6)
Unfähigkeit, ein bloßes Mitgeschöpf Hiob ist nun überwunden. Er hat jetzt
überwältigen zu können, erkennen, wie genug! Er erkennt die Souveränität Got-
töricht es ist, auf den Thron des Schöp- tes an. Er bekennt, dass er mit seinen
fers steigen zu wollen.41 Lippen unweise geredet hat. Jetzt hat er
nicht nur von dem Herrn gehört, son-
41,4-26 Zurück zum Leviatan. Sein Bau dern ihn mit seinen Augen gesehen. Er
ist massiv und von gewaltiger Kraftfül- verwirft sein Geschwätz und bereut in
le. Sein Schutz ist ein zäher Panzer, der Staub und Asche. Er hat Gott natürlich
nicht durchstochen werden kann. Sein nicht mit leiblichen Augen gesehen,43
Maul und seine Zähne gleichen Zan- aber er empfing eine so lebendige
gen. Seine Haut mit den Schuppen er­ Offenbarung seiner Weisheit, Macht,
innert mit den überlappenden Platten Vorsehung und Souveränität, dass dies
an Schilde. Der Herr beschreibt in poe- einem Schauen des großen Gottes
tischen Worten sein Schnaufen, die Au- gleichkam.
gen, das Maul und die Nasenlöcher als In Hiob 1,1 wird Hiob »rechtschaf-
erschreckend, wenn er aufgestört wird. fen« genannt. Hier, am Ende des Bu-
Die Stärke des Leviatans ist furcht­ ches, verabscheut er sich selbst. Dies ist
erregend, und sein Fleisch ist fest. Wäh- die Erfahrung der besten der Heiligen
rend er selbst furchtlos ist, versetzt er Gottes zu allen Zeiten gewesen.44 »Je
die tapfersten Herzen in Schrecken, mehr man in der Gnade wächst,« so
wenn er ringsumher das Wasser auf- schreibt D.L. Moody, »desto geringer
wühlt. Normale Waffen prallen an ihm wird man in den eigenen Augen.«45
ab. Kriecht er durch den Schlamm, hin-
terlässt er eine Spur wie ein Dresch- V. Epilog: Hiobs Triumph (42,7-17)
schlitten, als bestände seine Unterseite
aus Scherbenspitzen. Er bringt die Mee- A. Hiobs Freunde werden
restiefe zum Sieden und hinterlässt ein zurechtgewiesen und
leuchtendes Kielwasser. Selbst wenn wiederhergestellt (42,7-9)
wir reichlichen Gebrauch orientalischer Der HERR maßregelt Elifas und seine
dichterischer Übertreibung (Hyper­ beiden Freunde.46 Denn sie hatten »nicht
bolik) annehmen, können wir doch Wahres« über ihn geredet. Sie hatten
kaum einsehen, wie selbst das größte darauf bestanden, dass alles Leiden
Krokodil »der König über alles stolze Strafe für Sünde sei. Das stimmte in
Wild« genannt werden könnte.42 Hiobs Fall nicht. Im Gehorsam gegen­
Die Beschreibungen dieser wilden über Gottes Befehl brachten sie darauf-
Tiere in diesen Kapiteln, die möglicher- hin ein großes Brandopfer dar (sieben
weise Dinosaurier waren, lassen die Jungstiere und sieben Widder). Hiob
Herrlichkeit, Macht und Majestät Got- diente als Mittler und betete für seine
tes selbst erstrahlen. Sie sind seine Ge- Freunde. Als Ergebnis davon wurde
schöpfe, und er gebraucht sie bewusst, das Gericht über sie abgewendet, und
um seine eigene Herrlichkeit und Stär- Hiob wurde angenommen.
ke zu illustrieren. Darum überrascht es
nicht, wenn er mit harmlosen Tieren B. Hiobs Wohlstand wurde
wie Hirschen und Raben beginnt und wiederhergestellt (42,10-17)
langsam bis zu den größten aller Ge- 42,10-12 Sobald Hiob für sie gebetet
schöpfe fortschreitet, dem Behemot zu hatte, erstattete der Herr in umgekehr-

529
Hiob 42

ter Reihenfolge Hiob das Doppelte sei- Zweitens: Obwohl Hiob nicht litt,
nes vorigen Besitzes: zweimal so viele weil er gesündigt hatte, offenbarten sei-
Schafe, Kamele, Rinder und Eselinnen. ne Prüfungen doch Hochmut, Selbst-
42,13-17 Er erhielt auch wieder sieben rechtfertigung und Bitterkeit in seinem
Söhne und drei Töchter, wodurch seine Herzen. Er wurde nicht befreit, bevor er
Familie verdoppelt wurde, weil er die sein eigenes Nichtssein und Gottes Grö-
ersten Kinder wahrscheinlich im Him- ße geschaut hatte (42,1-6) und bevor er
mel hatte. Hiob lebte noch weitere ein- für seine Freunde betete (42,10).
hundertundvierzig Jahre. Der HERR Einige der Lektionen, die wir aus dem
segnete die späteren Tage Hiobs mehr Buch Hiob lernen, sind diese:
als seinen Anfang. So starb Hiob alt und 1. Die Gerechten sind nicht vom Lei-
der Tage satt. Und in all diesem hatte den ausgenommen.
Hiob Gott nicht verflucht, wie Satan an- 2. Leiden sind nicht unbedingt das
gekündigt hatte. Ergebnis von Sünde.
Es ist ein schöner Zug der Gnade 3. Gott hat eine schützende Mauer
Gottes, dass Hiob, der durch die Krank- um den Gerechten gesetzt.
heit so schrecklich entstellt gewesen war, 4. Gott sendet keine Krankheit oder
nach seiner Genesung so außergewöhn- Leiden. Sie kommen von Satan (Lk
lich schöne Töchter hatte (Väter rühmen 13,16; 2Kor 12,7).
sich gern ihrer hübschen Töchter!). Die 5. Satan kann ein gewisses Maß an
Bedeutung ihrer Namen ist lehrreich:47 Herrschaft über die Gottlosen (Sabäer
Jemima (»Taube«); Kezia (»Kassia«, Ge- und Chaldäer), über Naturkatastro-
würz aus der Zimtbaumrinde); Keren- phen (Feuer vom Himmel), über das
Happuch (»Schminkhorn«48). Hiob gab Wetter (ein großer Wind), über Krank-
ihnen auch ein Erbteil unter ihren Brü- heit (Geschwüre bei Hiob) und über
dern, was in der Patriarchenzeit wahr- den Tod ausüben.
scheinlich unüblich war. 6. Satan kann diese Dinge über einen
Gläubigen nur bringen, wenn Gott es zu­
VI. Schluss: Lehren aus dem Buch lässt.
Hiob 7. Von dem, was Gott zulässt, wird oft
Tatsächlich ist das Geheimnis des gesagt, dass er es getan hat. »Das Gute
menschlichen Leidens nicht völlig er- nehmen wir von Gott an, da sollten wir
klärt. Wesley Baker sagt es so: das Böse nicht auch annehmen?«
8. Wir sollten die Dinge als vom Herrn
Am Ende des Buches Hiob gibt es keine gesandt betrachten ‒ und nicht vom Sa-
Antwort, die ausdrücklich nieder­ tan. »Der HERR hat gegeben, und der
geschrieben wäre. Nichts ist da, was den HERR hat genommen.«
logischen Verstand zufriedenstellen 9. Gott erklärt nicht immer die Grün-
würde!49 de unseres Leidens.
10. Leiden bewirkt Ausharren.
Allerdings können wir uns dieser bei- 11. Wenn wir leidende Heilige be­
den Tatsachen sicher sein: suchen, sollten wir nicht wie Richter
Erstens war Hiobs Leiden nicht das auftreten.
direkte Ergebnis seiner persönlichen 12. Wir sollten unsere Besuche kurz
Sünde. Gott bezeugte, dass er ein recht- halten.
schaffener und redlicher Mann war 13. Menschliche Vernunftschlüsse sind
(1,8). Auch sagte Gott von den Über­ nicht hilfreich. Nur Gott kann vollkom-
legungen der drei Freunde Hiobs, dass men trösten.
sie nicht richtig seien, indem sie sein 14. Am Ende des Buches sehen wir,
Leiden als Gottes Strafe über seine Sün- dass »der Herr voll innigen Mitgefühls
de ansahen (42,8). und barmherzig ist« (Jak 5,11). Wir er-

530
Hiob

fahren, dass wenigstens manchmal Un- den kann ‒ und nicht nur wegen seiner
recht schon in diesem Leben in Ord- Gnadengaben, die er gewährt.
nung gebracht wird. 7. Sie sind uns eine Versicherung un-
15. Hiobs Geduld im Leiden gab Gott serer Sohnschaft, weil Gott nur solche
recht. züchtigt, die er liebt (Hebr 12,7-11).
16. Hiobs Geduld bewies, dass Satan 8. Sie veranlassen die Heiligen, Gott
ein falscher Ankläger und ein Lügner allein zu vertrauen ‒ und nicht ihrer
ist. eigenen Kraft (2Kor 1,9).
17. »Ein Mensch ist bedeutender als 9. Sie halten Gottes Volk nahe bei ihm
die ihn umgebenden Dinge, und was (Ps 119,67).
auch immer seinem Besitz oder seiner 10. Sie sind ein Unterpfand für künf-
Familie zustößt: Wir sollten Gott genau- tige Herrlichkeit (Röm 8,17-18).
so aufrichtig preisen und ihm genauso 11. Gott erlaubt nie, dass wir über
vertrauen wie vorher.« unser Vermögen versucht werden
18. Wir sollten vorsichtig mit all­ (1Kor 10,13).
gemeinen Urteilen sein, die keine Aus-
nahmen zulassen. »Von Hiobs standhaftem Ausharren habt
19. Satan ist weder allgegenwärtig ihr gehört, und ihr habt das Ende gesehen,
noch allmächtig, noch allwissend. das der Herr für ihn bereitet hat; denn der
20. Auch wenn Gott unverdiente Lei- Herr ist voll Mitleid und Erbarmen«
den zulässt, bleibt er doch gerecht und (Jak 5,11b; Schlachter 2000).
gut.
Von anderen Stellen der Bibel fällt
weiteres Licht auf einige der Gründe, Anmerkungen
warum Gott erlaubt, dass seine Heili- 1
(Einführung) Samuel Ridout, Job: An
gen leiden: Exposition, S. 5.
1. Manchmal sind Leiden das Ergeb- 2
(Einführung) 1. Mose 1-11 datiert
nis ungerichteter Sünden im Leben man gewöhnlich auf 2000 v.Chr. und
(1Kor 11,32). viel früher, wenn man die Ge-
2. Sie sind ein Mittel, durch das Gott schlechtsregister zurückverfolgt.
geistliche Tugenden wie z.B. Geduld, 3
(1,1-3) »Andere unterstützen eine
Langmut und Demut reifen lässt (Röm Identifikation mit der Gegend östlich
5,3-4; Joh 15,2). von Edom im Norden Arabiens« (The
3. Dadurch werden Schlacken oder Revell Bible Dictionary, hrsg. von Law-
Unreinheiten aus dem Leben eines rence O. Richards, S. 1138).
Gläubigen entfernt, sodass das Bild des 4
(1,4-5) Charles Haddon Spurgeon,
Herrn deutlicher widergespiegelt wird Morning and Evening, S. 721.
(Jes 1,5). 5
(1,6-12) In den semitischen Sprachen
4. Leiden befähigen ein Kind Gottes, war »Söhne Gottes« eine gewöhn­
andere mit dem gleichen Trost zu trös­ liche Bezeichnung für Engel.
ten, mit dem Gott es getröstet hat (2Kor 6
(2,1-10) Harold St. John, Job, The
1,4). Lights and Shadows of Eternity, S. 9.
5. Sie befähigen den Heiligen, teilzu- 7
(Kap. 3-31, Einführung) Ridout, Job,
haben an denjenigen Leiden des Hei- S. 33.
lands, die er nicht der Sühnung wegen 8
(Kap. 3-31, Einführung) The New
erduldete. Dadurch werden wir ihm Scofield Study Bible, New King James
gegenüber dankbarer (Phil 3,10). Ver­sion, S. 595.
6. Sie sind ein Anschauungsunterricht 9
(Kap. 3-31, Einführung) Ebd., S. 598.
für himmlische und irdische Wesen 10
(Kap. 4-5, Einführung) Ridout, Job,
(2Thes 1,4-6). Sie zeigen ihnen, dass S. 43-44.
Gott um seiner selbst willen geliebt wer- 11
(Kap. 8, Einführung) Ebd., S. 64.

531
Hiob

12
(9,32-35) Matthew Henry, »Job«, in: gen der bemerkenswert großen Au-
Matthew Henry’s Commentary on the gen, der riesigen Breite seines Mau-
Whole Bible, Bd. III, S. 59. les und der Einzigartigkeit, wie die
13
(10,8-12) St. John, Job, S. 17. Kiefer im Kopf angebracht sind,
14
(11,1-12) Ridout, Job, S. 31. schon fast grotesk in seiner Hässlich-
15
(13,20-28) Francis I. Andersen, Job: An keit. Öffnet es den Rachen, so sind
Introduction and Commentary, S. 163. das riesige, mit Hauern von wahrlich
16
(14,13-17) St. John, Job, S. 17-18. furchterregender Größe bewaffnete
17
(15,14-16) Ridout, Job, S. 84. Maul und die rosa-fleischfarbene
18
(19,25-27) Spurgeon, Morning and Eve­ Zunge besonders auffällig« (»Job«,
ning, Lesung für den 21. April morgens. Bd. II, S. 247-248). Das Problem mit
19
(19,25-27) Ebd., S. 21. dieser Darstellung ist, dass Barnes’
20
(20, 20-29) G. Campbell Morgan, Beschreibung des Nilpferds gut ist ‒
Searchlights from the Word, S. 145. die Hauer, das rosa-fleischfarbene
21
(22,21-30) Albert Barnes, »Job«, in: Maul usw.; doch all das findet sich
Notes on the Old Testament, Bd. II, S. 3. nicht im Buch Hiob! Auch werden in
22
(23,1-9) Spurgeon, Morning and Eve­ der Schrift weder die Kiefer noch der
ning, Lesung für den 19. November Kopf, noch die Schnauze des Behe-
abends. mot beschrieben (Kap. 40).
23
(24,1-12) Ridout, Job, S. 124. 39
(40,15-24) Siehe Ken Ham: »What
24
(24,18-25) Andersen, Job, S. 213. Happened to the Dinosaurs?«, An­
25
(24,18-25) Ebd. swers to Some of the Most Asked Ques­
26
(Kap. 25, Einführung) Ridout, Job, tions on Creation/Evolution (Sun-
S. 127. nybank: Creation Science Foundation
27
(26,5-13) Ebd. Ltd., 1986). Vgl. auch Henry Morris,
28
(28,1-11) Andersen, Job, S. 225. The Remarkable Record of Job (Grand
29
(28,1-11) Ebd. Rapids: Baker Book House, 1990).
30
(31,38-41) Ridout, Job, S. 169. 40
(40,25 - 41,1) Andersen, Job, S. 289.
31
(36,22-33) Zitiert von Otto Zöckler, 41
(41,2-3) Kline, »Job«, S. 488.
»The Book of Job«, in: Lange’s Commen­ 42
(41,4-26) Die Beschreibung des Le-
tary on the Holy Scriptures, Bd. IV, S. 569. viatan in Hiob 41 lässt an den Plesio-
32
(37,24) Andersen, Job, S. 268. saurus denken, ein gewaltiges mari-
33
(38,1-3) Ridout, Job, S. 210-211. nes Reptil aus dem Zeitalter der Di-
34
(38,1-3) Zitiert von William Kelly in nosaurier, von dem man jedoch heu-
Eleven Lectures on the Book of Job, te annimmt, es sei ausgestorben. Die
S. 278. Beschreibung erinnert auch an die
35
(38,31-33) Spurgeon, Morning and geheimnisvollen Geschöpfe, die wie-
Evening, Lesung für den 21. März derholt in Loch Ness in Schottland
abends. gesichtet wurden.
36
(38,34-38) Weil Vers 36 die Betrach- 43
(42,1-6) Es ist möglich, dass Gott
tung über Wetterphänomene in den Hiob in einer Theophanie erschienen
Versen 34-38 zu unterbrechen scheint, ist, einer sichtbaren Manifestation
wurden viele andere Übersetzungen der Herrlichkeit Gottes.
vorgeschlagen. Das Hebräische hier 44
(42,1-6) Einige andere biblische Ge-
ist zugegebenermaßen schwierig. stalten, die ihre erbärmliche Sünd-
37
(40,15-24) Meredith G. Kline, »Job«, haftigkeit in der Gegenwart Gottes
in: Wycliffe Bible Commentary, S. 488. wahrnahmen, sind Mose (2Mo 3,6),
38
(40,15-24) Barnes z.B. wendet folgen- Jesaja (Jes 6,5), Petrus (Lk 5,8), Paulus
de Beschreibung an, um den Text auf (Apg 9,4) und Johannes (Offb 1,17).
das Nilpferd anwendbar zu machen: 45
(42,1-6) Moody, Notes from My Bible,
»Der riesige Kopf des Tieres ist we- S. 62.

532
Hiob

46
(42,7-9) Interessant ist, dass Elihu, der Schmerzen. Kassia spricht von dem
Vierte, der mit Hiob sprach, nicht zu- Duft, der von seinen Wunden her-
rechtgewiesen wird. Außerdem wird kam; und das Schminkhorn von der
er in dem Buch nicht wieder erwähnt. ›Schönheit statt der Asche‹, die ihm
Sein Rat ist also offensichtlich richtig nun zuteil wurde. Liebe, Wohl­
und wurde vielleicht als »Übergang« geruch, Schönheit – alles entsteht aus
von dem schlechten Rat der Freunde unserem Herzeleid. Wahrlich, schö-
zu der majestätischen Antwort Gottes nere Töchter gibt es nicht« (Job,
eingeschaltet. Dies kann auch zu der S. 263-264)
oben erwähnten Theorie passen, dass 48
(42,13-17) Die Frauen betonten in der
Elihu ein Vorbild auf Christus ist. Antike ihre Augen mit Schminke
47
(42,13-17) Ridout meint, die Namen mehr als ihre Lippen. All dies illus-
hätten »göttliche Bedeutung … Das triert Salomos Worte: »Da ist nichts
sind die Früchte der Prüfungen Neues unter der Sonne«!
Hiobs. Die Taube erinnert an die 49
(Schluss) Wesley C. Baker, More Than
Sanftmut und Liebe des Vogels der a Man Can Take: A Study of Job, S. 128.

Bibliografie Kelly, William,


Eleven Lectures on the Book of Job, Nach-
Andersen, Francis I., druck,
Job: An Introduction and Commentary, Denver: Wilson Foundation, o.J.
London: InterVarsity Press, 1976.
Kline, Meredith G.,
Baker, Wesley C., »Job«, in: Wycliffe Bible Commentary,
More Than a Man Can Take: A Study of Chicago: Moody Press, 1962.
Job,
Philadelphia: The Westminster Press, Minn, H.R.,
1966. The Burden of this Unintelligible World or
The Mystery of Suffering,
Delitzsch, F., Auckland: Whitcombe & Tombs Limi-
»The Book of Job«, in: Biblical Commen­ ted, 1942.
tary on the Old Testament, Bde. 9,10,
Nachdruck, Morris, Henry,
Grand Rapids: Wm. B. Eerdmans Pub­ The Remarkable Record of Job,
lish­ing Co., 1971. Grand Rapids: Baker Book House, 1990.

Green, William Henry, Ridout, Samuel,


The Argument of the Book of Job, Nach- The Book of Job: An Exposition, 7. Aufl.,
druck, Neptune: Loizeaux Brothers, 1976.
Minneapolis: James & Klock Christian
Publishers, 1977. St. John, Harold,
Job, The Lights and Shadows of Eternity
Ham, Ken, (Broschüre),
»What Happened to the Dinosaurs?«, New York: Bible Scholar, o.J.
Answers to Some of the Most Asked Ques­
tions on Creation/Evolution, Zöckler, Otto,
Sunnybank: Creation Science Founda­ »The Book of Job«, in: Lange’s Commentary
tion Ltd., 1986. on the Holy Scriptures, Bd. 4, Nachdruck,
Grand Rapids: Zondervan Publishing
House, 1960.

533
Das Buch der Psalmen
»Ich darf wohl zu Recht dieses Buch als eine Anatomie aller Bereiche der Seele bezeich­
nen; denn niemand könnte eine Bewegung des Geistes empfinden, die nicht in diesem
Spiegel reflektiert würde. Aller Kummer, alle Nöte, Ängste, Zweifel, Hoffnungen,
Schmerzen, alle Bestürzung, alle stürmischen Ausbrüche, die das Herz des Menschen
bewegen, werden hier auf lebendigste Weise dargestellt.«

Johannes Calvin

Einführung der innere Zusammenhang bisweilen


sprunghaft und unberechenbar, biswei-
I. Einzigartige Stellung im Kanon len verhüllt und manchmal gar nicht
vorhanden. Zwei Beobachtungen von
Wenn Sie sich für ein Buch der Bibel Albert Barnes und von C.S. Lewis kön-
entscheiden müssten: Welches würden nen hilfreich für uns sein. Barnes sagt:
Sie auf eine einsame Insel mitnehmen?
Ehrlich gesagt: Ich hoffe, dass ich die- Die Psalmen sind zum größten Teil ly-
se Entscheidung nie treffen muss; aber rische Dichtung, Dichtung, die zur Be-
wenn, dann denke ich, dass ich mich gleitung durch die Harfe oder Leier ge-
für die Psalmen entscheiden würde! Ihr schrieben wurde; sie sollten in Verbin-
Themenbereich ist so weit, ihr Katalog dung mit Instrumentalmusik benutzt,
an Lebenserfahrungen so reichhaltig also gesungen ‒ und nicht gelesen ‒ wer-
und ihre Anbetung so erhaben, dass ich den.2
reichlich ausgestattet wäre mit geist-
licher Nahrung und mächtigem An- Lewis erklärt dies ähnlich:
trieb zu Lob und Bitte, selbst wenn ich
lange Zeit dort bleiben müsste. Vor allem müssen die Psalmen als Ge-
Unser Eingangszitat zeigt, dass Cal- dichte gelesen werden, als Lyrik, mit allen
vin höchstwahrscheinlich ebenfalls die Freiheiten und allen formalen Regeln, mit
Psalmen gewählt hätte. den Übertreibungen, den eher gefühlsmä-
Graham Scroggie hätte sich wahr- ßigen als logischen Zusammenhängen,
scheinlich auch für die Psalmen ent- die der lyrischen Dichtung eigen sind.3
schieden. Er sagt:
Diese Einsichten können uns ein ganz
Wie sind diese Psalmen erfüllt mit dem neues Verständnis für die Psalmen er-
Lobpreis Gottes! Alle Tasten der Schöp- öffnen.
fung, der Vorsehung und der Erlösung
werden von der entzückten Seele zum II. Verfasserschaft
Klingen gebracht; und Himmel und Die Psalmen werden oft »die Psalmen
Erde, Meer und Wolken, belebte und un- Davids« genannt; aber nur ungefähr
belebte Dinge werden aufgeboten, um die Hälfte (dreiundsiebzig) werden di-
den Herrn zu preisen.1 rekt David zugeschrieben, dem »lieb­
lichen Sänger Israels«. Zwölf werden
Wenn wir mit dem Studium der Psal- Asaf zuerkannt, zehn den Söhnen Ko-
men beginnen, dann sind wir oft ent- rachs, zwei Salomo und je einer Mose,
täuscht, weil wir in manchen Psalmen Etan, Heman und Esra. Neunundvier-
keinen geordneten Fluss der Gedanken zig ‒ oder fast ein Drittel der Psalmen ‒
entdecken können. Es scheint, als sei sind anonym.

535
Psalmen

Die messianischen Psalmen

Psalm
Darstellung Erfüllt
2,7 der Sohn Gottes Matthäus 3,17
8,3 von Kindern gepriesen Matthäus 21,15‒16
8,7 Herrscher über alles Hebräer 2,8
16,10 von den Toten auferstanden Matthäus 28,7
22,2 von Gott verlassen Matthäus 27,46
22,8‒9 von Feinden verspottet Lukas 23,35
22,17 Hände und Füße durchbohrt Johannes 20,27
22,19 seine Kleider wurden verlost Matthäus 27,35‒36
34,21 die Gebeine nicht gebrochen Johannes 19,32‒33.36
35,11 durch falsche Zeugen angeklagt Markus 14,57
35,19 gehasst ohne Ursache Johannes 15,25
40,8‒9 Wohlgefallen an Gottes Willen Hebräer 10,7
41,10 verraten von einem Freund Lukas 22,47
45,7 der ewige König Hebräer 1,8
68,19 aufgefahren in den Himmel Apostelgeschichte 1,9‒11
69,10 Eifer für das Haus Gottes Johannes 2,17
69,22 man gab ihm Essig und Galle Matthäus 27,34
109,4 er betet für seine Feinde Lukas 23,34
109,8 sein Verräter wurde ersetzt Apostelgeschichte 1,20
110,1 er herrscht über seine Feinde Matthäus 22,44
110,4 ein ewiger Priester Hebräer 5,6
118,22 der Eckstein im Hause Gottes Matthäus 21,42
118,26 er kommt im Namen des HERRN Matthäus 21,9

Wenn wir an die Psalmen denken, bis 400 v.Chr.). Die meisten von ihnen
verbinden wir sie allerdings gewöhnlich wurden jedoch während der dreihun-
mit dem Leben Davids. Ein unbekann- dert Jahre von David bis Hiskia ge-
ter Autor drückte dies sehr schön aus: schrieben (etwa 1000 bis 700 v.Chr.). So-
mit entstand der Psalter in der gleichen
Die Harfe Davids klingt noch in unseren Zeitspanne wie das ganze Alte Testa-
Ohren, und der Heilige Geist hat uns die ment (obgleich Hiob vielleicht vor Mose
Gebete und Lobgesänge des Sohnes Isais gelebt hat).
aufbewahrt wie einen funkelnden Kris-
tall. Jemand sagte einmal, Architektur sei IV. Hintergrund und Themen
gefrorene Musik. Die Psalmen sind Mu- Die Psalmen werden in fünf Bücher
sik des Herzens, manchmal klagend und eingeteilt, die jeweils mit einer Doxo­
traurig, manchmal jubelnd vor Freude, logie (Lobpreisung Gottes) enden. Die
manchmal voller Dunkelheit und Angst, Doxologie des fünften Buches ist der
manchmal gelassen und froh. Die Musik ganze Psalm 150.
der Seele Davids hat der Heilige Geist F.W. Grant nimmt an, dass die Psal-
bewahrt, damit wir sie hören und da- men nach bestimmten Themen geord-
durch ermutigt werden, Gott zu nahen. net sind.4 Er fasst jedes Psalmbuch ‒ so,
wie es in der hebräischen Bibel steht ‒
III. Datierung wie folgt zusammen:
Die Psalmen sind in einem Zeitabschnitt 1. Christus im Ratschluss Gottes, die
von ungefähr tausend Jahren entstan- Quelle allen Segens für sein Volk Israel
den, von Mose bis Esra (ungefähr 1400 (Psalm 1-41).

536
Psalmen

2. Der Untergang Israels, aber auch Auslegung der Psalmen


dessen Erlösung am Ende der Tage
(Psalm 42-72). In diesem Kommentar wird überall an
3. Die Heiligkeit Gottes in seinem dem Unterschied zwischen Israel und
Handeln mit Israel (Psalm 73-89). der Gemeinde festgehalten. Viele Psal-
4. Der gefallene erste Mensch wird men, besonders solche, die Flüche auf
durch den zweiten ersetzt, und die Welt die Gottlosen herabrufen, waren völlig
wird durch dessen Hand wieder in angemessen für die Juden, die unter Ge-
Ordnung gebracht (Psalm 90-106). setz lebten, aber sie sind keine angemes-
5. Der moralische Abschluss in Bezug sene Sprache für die Gläubigen des Ge-
auf die göttlichen Wege, durch die Gott meindezeitalters. In diesem Zeitalter
und Menschen am Ende wieder zusam- werden wir aufgefordert, unsere Feinde
menfinden (Psalm 107-150). zu lieben und denen Gutes zu tun, die uns
Ebenso ist es möglich, dass eine Par- Böses erwiesen haben. Bevor wir nicht
allele zwischen den fünf Büchern der diesen wichtigen Unterschied zwischen
Psalmen und den fünf Büchern Mose den beiden Haushaltungen erkennen,
besteht. So passt zum Beispiel das zwei- werden wir auf schwierige Probleme
te Psalmbuch mit der Geschichte der stoßen, wenn wir die Psalmen auslegen.
Erlösung aus Ägypten zusammen, und Jeder aufmerksame Leser der Psal-
das dritte entspricht dem dritten Buch men erkennt rasch die direkte Parallele
Mose, in dem die Heiligkeit betont zu den Erfahrungen des Psalmisten, de-
wird. nen des Volkes Israel und denen des
Die Psalmen selbst können in Gattun- Herrn Jesus. Alle drei erlebten Verfol-
gen eingeteilt werden, obwohl gewisse gung, Leiden, Betrübnis, Hass und Ver-
Psalmen in mehr als eine Gattung pas- lassenwerden – aber auch Erhöhung,
sen würden: Herrlichkeit und Jubel. Wir weisen in
1. Historische Psalmen, die mit einem diesem Kommentar oft auf diese Ge-
oder mehreren konkreten Ereignissen meinsamkeiten hin.
aus der Geschichte Israels oder dem Le-
ben des Psalmisten zusammenhängen. Anwendung der Psalmen
2. Messianische Psalmen, die von den Obwohl nicht alles in der Bibel direkt
Leiden Christi und den darauffolgen­ an die Gemeinde gerichtet wurde, so ist
den Herrlichkeiten handeln. doch die ganze Bibel für die Gemeinde
3. Prophetische oder das Tausendjährige von Nutzen. Wir können Trost, Beleh-
Reich betreffende Psalmen, die auf Israels rung, Zurechtweisung und Ermahnung
zukünftige Drangsal und die darauf­ in den Psalmen finden, weil wir unsere
folgende Zeit des Friedens und des Erfahrungen in denen des Psalmisten
Wohlstands hinweisen. gespiegelt sehen.
4. Bußpsalmen, die von tiefem Sün- Wir in der Gemeinde können wichtige
denbekenntnis und dem Schreien eines Lektionen aus den Lehren ziehen, die ur-
zerbrochenen Herzens nach Vergebung sprünglich den Juden gegeben wurden.
berichten. Der jüdische Tempel kann als Vorbild
5. Rachepsalmen, in denen Gott ge­ auf den Leib Christi betrachtet werden,
beten wird, Rache an den Feinden sei- der aus allen Gläubigen gebildet wird
nes Volkes zu nehmen. und in dem der Heilige Geist wohnt. Die
Viele andere Psalmen sind Ausdruck Kriege in den Psalmen reden zu uns von
des Lobs und der Anbetung, die Gott dem geistlichen Kampf gegen die Ge-
persönlich oder gemeinsam darge- walten und Mächte, gegen die Welt­
bracht werden, und wieder andere er- beherrscher dieser Finsternis in der Him-
zählen von dem Handeln Gottes mit melswelt. Die materiellen Segnungen
seinem Volk. Israels auf der Erde weisen uns hin auf

537
Psalm 1

die geistlichen Segnungen in der Him- sehr alt und gehören wahrscheinlich
melswelt in Christus – und so weiter. zum heiligen Text. Allerdings ist die Be-
Wenn wir diese Schlüssel benutzen, deutung und die Absicht bei vielen
werden die Psalmen voll reicher Bedeu- ziemlich unklar, und aus diesem Grund
tung für uns, und viele Auslegungspro- haben wir die meisten von ihnen nicht
bleme verschwinden. kommentiert. Es wäre wenig hilfreich,
dauernd wiederholen zu müssen: »Wir
Psalmüberschriften kennen die Bedeutung nicht!«
Die Überschriften bei den Psalmen sind

Einteilung III. Das dritte Buch (Psalm 73-89)


IV. Das vierte Buch (Psalm 90-106)
I. Das erste Buch (Psalm 1-41) V. Das fünfte Buch (Psalm 107-150)
II. Das zweite Buch (Psalm 42-72)

Kommentar Freund der Gottlosen; aber er ist nicht


ihr Genosse.
I. Das erste Buch (Psalm 1-41) 1,2 Es ist nicht möglich, sich einen
glücklichen Menschen vorzustellen,
Psalm 1: Das gute Leben der nicht gleichzeitig ein Mensch des
göttlichen Buches ist. Er hat einen un-
Das Buch der Psalmen beginnt damit, stillbaren Hunger nach dem Wort des
die allgemeine Illusion zu zerstören, HERRN. Er liebt die Bibel und sinnt
dass das sündige Leben ein gutes Leben darüber nach Tag und Nacht. Auf diese
ist. Täglich wird die Welt einer Gehirn- Weise wird sein eigenes Leben reich,
wäsche unterzogen. Sie soll glauben, und er wird ein Kanal des Segens für
wahre und andauernde Befriedigung andere.
sei darin zu finden, dass man den Lüs- 1,3 Ein Mensch, der abgesondert von
ten des Fleisches frönt. Fernsehen, Ra- Sünden und abgesondert für die Heili-
dio, Filme und Zeitschriften ‒ alle mit- ge Schrift ist, hat alle Eigenschaften ei-
einander behaupten, Freizügigkeit sei nes starken, gesunden Fruchtbaums:
der Weg zur Erfüllung. Das Leben in Gepflanzt5 an Wasserbächen: Er verfügt
Reinheit wird als »puritanisch« ab­ über einen nie versiegenden Vorrat an
getan. Aber der Psalmist rückt die Din- Nahrung und Erfrischung.
ge wieder zurecht. … der seine Frucht bringt zu seiner Zeit:
1,1 Der wahrhaft gesegnete Mensch Er offenbart die Tugenden des Heiligen
ist einer, der sich völlig von dem Le- Geistes, und seine Worte und Taten ge-
bensstil der Gottlosen fernhält. Wenn er schehen immer zur rechten Zeit und in
mit ihnen Kontakt hat, vermeidet er rechter Weise.
jede Komplizenschaft und auch die … dessen Laub nicht verwelkt: Sein
stillschweigende Duldung ihrer Sün- geistliches Leben ist nicht vom Auf und
den und ihres Spottens. Dies bedeutet Ab gekennzeichnet, sondern von be-
nicht, dass der Glückselige sich völlig ständiger innerer Erneuerung. Wie D.L.
von den Gottlosen isoliert. Stattdessen Moody es ausdrückt: »Alle Bäume des
gibt er vor ihnen Zeugnis von »Sünde, Herrn sind immergrün.«6
Gerechtigkeit und Gericht« und ver- Dieser Art von Menschen gelingt al-
sucht, ihnen Christus nahe zu bringen les, was sie tun. Der Grund dafür ist na-
als die einzige Quelle bleibender Freu- türlich, dass diese Menschen in Ge-
de. Der Glückselige ist ein wahrer meinschaft mit dem Herrn leben. Dar-

538
Psalm 1 und 2

um wird ihr ganzer Dienst vom Heili- Psalm 2: Der unveränderliche


gen Geist geleitet. Die einzige Möglich- Ratschluss
keit, im Christenleben wirkungsvoll
und erfolgreich zu sein, ist, sich vom Um diesen Psalm in seinen richtigen
Heiligen Geist Gottes leiten zu lassen. Zusammenhang zu bringen, muss man
Jede selbstbestimmte Aktivität ist eine vorausschauen ans Ende der großen
riesige Verschwendung von Zeit, Geld Drangsalszeit, kurz vor der herrlichen
und Anstrengung! Wiederkunft des Herrn Jesus Christus.
1,4 »Nicht so die Gottlosen.« Das Zu dieser Zeit wird es ein breites Bünd-
heißt, sie sind weder gut gepflanzt noch nis von Herrschern und Völkern geben,
fruchtbar und bleibend, noch sind sie die sich mit leidenschaftlicher Ent-
glückselig. Wie die Spreu fehlt es ihnen schlossenheit vereinen, um Christus
an Gewicht und Substanz. Wenn die davon abzuhalten, das Weltregiment zu
Stürme des Lebens blasen, erweisen sie übernehmen.7
sich als unbeständig. Ein starker Wind 2,1-3 Aber solch ein Bündnis wird
verweht sie. sich als völliger Fehlschlag erweisen.
1,5 Die Gottlosen bestehen nicht im »Warum«, so fragt der Psalmist, »ma-
Gericht. Sie werden natürlich vor Got- chen die Heidenvölker und das Volk
tes Gericht am großen weißen Thron Israel [die Völkerschaften; vgl. Apg
erscheinen. Dort aber werden sie kei- 4,25-28] solch eine hoffnungslose Ver-
nen geeigneten Verteidiger haben. Dar- schwörung? Wie können die heid­
um werden sie auch in der Gemeinde nischen Könige und die jüdischen
der Gerechten nicht bestehen können; Herrscher meinen, sie hätten jemals
sie werden für ewig von der Gemein- eine Chance, wenn sie gegen die Auto-
schaft der aus Gnade durch den Glau- rität des HERRN und seines Gesalbten
ben an den Herrn Jesus Christus Erret- rebellieren?«
teten ausgeschlossen sein. 2,4-6 Gott lacht im Himmel über ihre
1,6 Was ist der Grund von alldem? törichte Frechheit. Er spottet über ihre
Der HERR kennt den Weg der Gerech- geballten Fäuste. Ihr Prahlen und Dro-
ten. Er nimmt ihn nicht nur wahr, son- hen gleicht dem Piepsen einer Maus ge-
dern er erkennt ihn als gut an. Welch ein gen einen Löwen!
Unterschied zu dem Ende eines sündi- Am Ende wir Gott sein Schweigen
gen Lebens – dem ewigen Tod! brechen. Wenn er reden wird, dann
Allerdings können wir nicht oft ge- wird das in solchem Zorn und in sol-
nug betonen, dass die Endbestimmung chem Grimm geschehen, dass seine
des Menschen nicht durch seine Le- Feinde furchtbar erschrecken werden.
bensführung festgelegt wird. Der ent- Sie werden seine unwiderrufliche Ent-
scheidende Faktor ist, ob er jemals von scheidung hören: »Habe doch ich mei-
Neuem geboren wurde durch den Glau- nen König geweiht auf Zion, meinem
ben an Jesus Christus. Der Gerechte ist heiligen Berg!« Die Erfüllung dieses
derjenige, der seine Sünden bekannt einmal von Gott verkündeten Beschlus-
und den Herrn Jesus Christus als seinen ses ist so sicher, als sei er schon einge-
persönlichen Erretter angenommen hat. treten.
Sein gerechtes Leben ist das Ergebnis 2,7 Dann wird auch Christus selbst
seines neuen Lebens in Christus. Der sein Zeugnis geben. Er wird offenbaren,
Gottlose ist einer, der sich weigert, seine dass der Vater ihm persönlich vor allem
Bedürftigkeit anzuerkennen und seine Anfang gesagt hat: »Mein Sohn bist du,
Knie vor dem Herrn Jesus zu beugen. Er ich habe dich heute gezeugt.« Dieser
behält lieber seine Sünde, als einen Ret- Ratschluss kann auf mindestens vier
ter anzunehmen, und damit besiegelt er Weisen verstanden werden: Erstens hat
seine Verdammnis. der Satz seine Berechtigung darin, dass

539
Psalm 2 und 3

Christus der Sohn Gottes von aller Ewig­ te und Vernünftigste, was man tun
keit her war. In Apostelgeschichte 13,33 kann. Andererseits ist es das Unsinnigs-
wird der Vers allerdings zweitens in Be- te, was jemand unternehmen könnte,
zug auf die Menschwerdung Christi zi- wenn er dem Allmächtigen misstraut
tiert. In einem dritten Sinn wurde Chris- und ihm Widerstand leistet.
tus in der Auferstehung gezeugt als »der
Erstgeborene aus den Toten« (Kol 1,18). Psalm 3: Eine Studie über
Schließlich meinen einige, dass sich Gefühlsstimmungen
»heute« auf den zukünftigen Tag bezieht, Wenn wir schnell wechselnden Stim-
wenn Christus als König gekrönt wer- mungen unterworfen sind, können wir
den wird. aus der Tatsache Mut schöpfen, dass es
2,8 Aber der Vater fügte auch hinzu: David auch so erging. In diesem Psalm
»Fordere [o. erbitte] von mir, und ich zeigt er uns die ganze Skala von dunk-
werde dir die Nationen zum Erbteil ge- ler Verzweiflung bis zu ruhigem Ver-
ben, zu deinem Besitz die Enden der trauen.
Erde!« Mit anderen Worten: Gott, der 3,1-3 Zu Beginn ist David in panischer
Vater, hat seinem Sohn die universale Angst vor seinen Feinden. Ihre über­
Herrschaft verheißen. Die ganze Erde legene Zahl erweckt Schrecken in sei-
wird seiner Autorität unterstellt sein, nem Herzen. Was ist einer gegen so
und seine Herrschaft wird von einem viele? Darüber hinaus wird er durch ihr
Ende bis zum anderen reichen. spöttisches Reden gepeinigt. Sie ma-
2,9 Schließlich hat Gott seinem Sohn chen Andeutungen darüber, dass seine
die Macht gegeben, gegen alle Unbot- Sünde ihm alle göttliche Hilfe ab­
mäßigkeit und Rebellion vorzugehen. geschnitten hätte.
Er wird mit eisernem Stab alle zer- Vers 3 schließt mit dem rätselhaften
schmettern, die sich gegen ihn erheben, Wort »Sela« (dieses Wort wird in der
und sie wie Töpfergefäße zerschmei- Zürcher weggelassen, in der revidier-
ßen. Aus anderen Bibelstellen erfahren ten Elberfelder nur mit // angedeutet).
wir, dass Christus diese Macht anwen- Weil es hier zum ersten Mal in den Psal-
den wird, sowohl wenn er zur Erde zu- men vorkommt (im Ganzen 71-mal),
rückkehren wird, als auch während des unterbrechen wir hier den Kommentar,
ganzen Tausendjährigen Reiches. Zum um etwas darüber zu sagen. Leider
ersten Mal wird er bei seiner Einset- werden unsere Anmerkungen weniger
zung als König alle vernichten, die Gott eine Erklärung als das Eingeständnis
nicht kennen und dem Evangelium von Unwissenheit sein! Die einfache
nicht gehorchen. Dann, im Tausendjäh- Tatsache ist, dass wir nicht wissen, was
rigen Reich, wird Christus mit eisernem dieses Wort bedeutet. Alles, was wir
Stab regieren und jede Rebellion bestra- tun können, ist, einige Bedeutungen
fen, wo immer sie ihr hässliches Haupt aufzulisten, die man vorgeschlagen hat,
erhebt. um dem Leser die Entscheidung zu
2,10-11 Als Nächstes hören wir die überlassen, was ihm die beste Erklä-
Stimme des Heiligen Geistes. In einem rung zu sein scheint.
bewegenden evangelistischen Appell »Sela« kann heißen, dass die Stimmen
fordert er die Könige und Richter der oder die instrumentale Begleitung stär-
Erde auf, den HERRN zu lieben und ker werden sollen, also lauter gesungen
ihm zu dienen. Ihn abzulehnen, bedeu- oder gespielt werden soll. Crescendo!
tet Untergang, während das Vertrauen Es kann eine Pause oder Ruhe anzei-
auf ihn Sicherheit und wahres Glück gen, als ob man sagt: »Halte inne und
bedeutet. denke darüber nach!«
2,12 Als Mensch seinem Schöpfer zu »In der Septuaginta wird es mit dia­
vertrauen, ist das Heilsamste, Logischs- psalmos wiedergegeben, was entweder

540
Psalm 3 und 4

»lauter spielen« (forte) bedeutet, oder, selbst wenn er von Zehntausenden um-
was eher wahrscheinlich ist, ein instru- ringt würde!
mentales Zwischenspiel anzeigt.«8 3,8 Aber dies heißt nicht, dass Gebet
Einige meinen, es bedeute Wieder­ nun nicht mehr nötig wäre. Die Gnade,
holung ‒ wie da capo. die uns in der letzten Nacht getragen
Es kann auch das Ende einer Strophe, hat, reicht nicht für heute. Wir brau-
einer musikalischen Einheit, bedeuten. chen jeden Tag einen neuen Vorrat an
Es kann auch das Neigen des Körpers gött­licher Gnade. So kommt David zu
bedeuten als Geste der Ehrerbietung dem Herrn und bittet um fortdauernde
und des Respekts. Errettung, in dem Glauben, dass Gott
3,4 Die Stimmung des Psalms wech- seine Feinde auf die Backe schlagen
selt in Vers 4. David gelingt es, seine und ihre Zähne zerbrechen wird.
Augen von den Feinden abzuwenden 3,9 Für David war es klar: Der HERR
und zu dem HERRN zu erheben, und ist der Einzige, der überhaupt jeman-
das verändert seine gesamte Sicht. Au- den erretten kann: »Bei dem HERRN ist
genblicklich begreift er, dass er in dem die Rettung.« So bittet er Gott, er möge
HERRN einen Schild hat, eine Quelle sein Volk segnen und fortfahren, Israel
der Herrlichkeit und denjenigen, der seine wunderbare Rettung zu zeigen.
sein Haupt emporhebt. Als sein Schild Den Strudel der Gefühle dieses Man-
gibt ihm der Herr völligen Schutz vor nes Gottes können wir vielleicht besser
den Angriffen des Feindes. Als seine verstehen, wenn wir uns noch einmal
Herrlichkeit gibt er ihm Ehre, Würde die Überschrift dieses Psalms ansehen:
und Rechtfertigung anstelle von Schan- »Ein Psalm. Von David. Als er vor seinem
de, Tadel und Verleumdung, die auf ihn Sohn Absalom floh.« Der Befehlshaber
gehäuft wurden. Als der, der sein Haupt der Feinde Davids war sein eigener Sohn!
erhebt, ermutigt und erhöht ihn der Es wäre schlimm genug, wenn die Fein-
Herr. de fremde Eindringlinge wären; aber
3,5 Angespornt durch diese großarti- weil sie von Davids rebellischem Sohn
gen und wahren Gedanken über Gott, angeführt wurden, waren sein Kummer
geht David im Gebet zu dem HERRN und seine Bitterkeit umso größer.
und erhält augenblicklich die Gewiss-
heit, dass seine Bitten gehört und erhört Psalm 4: Gottes geheimes
sind. Gott antwortet von seinem heili- Beruhigungsmittel
gen Berg, das heißt, von dem Ort, an 4,1-2 Wenn David in Gottes Gegenwart
dem der Tempel in Jerusalem stand, der tritt, redet er ihn an als »Gott meiner
Stelle, wo er inmitten seines Volkes Gerechtigkeit«. Das vermittelt den Ge-
wohnte. danken, dass er sich darauf verlässt,
3,6-7 In der Sicherheit, dass der HERR dass der Gott der Gerechtigkeit David
ihn schützt, legt sich der Psalmist als Gerechten beurteilen werde. Men-
nieder und schläft ein. Es ist die an­ schen mögen ihn verleumden und ge-
genehmste Art des Schlafs, eine Gabe gen ihn stimmen; aber Gott weiß, wie
Gottes an solche, die ihm mitten in den die Sachen wirklich stehen, und wird
bedrückendsten Lebensumständen ver- der Gerechtigkeit zum Triumph ver­
trauen. helfen!
Nach einer geruhsamen Nacht er- Dann fügt David hinzu: »In Bedräng-
wacht David mit dem Bewusstsein, nis hast du mir Raum gemacht.« Ge-
dass es der Herr war, der seine Nerven wöhnlich meinen wir, Druck würde
beruhigt hatte, die vorher so an­ den Umfang und das Volumen eines
gespannt waren durch Angst und böse Gegenstands verkleinern; aber Gott be-
Vorahnungen. Nun hat er Mut, seinen nutzt den Druck, um geistliche Erwei-
Feinden ohne Furcht entgegenzutreten, terung hervorzurufen! Wohlergehen

541
Psalm 4

bewirkt wenig für uns; aber Widerwär- in Eph 4,26 zitiert, doch dort ist er an
tigkeiten erzeugen Wachstum und Rei- Gläubige gerichtet, um sie daran zu er-
fe. Spurgeon hat einmal gesagt: innern, dass es richtig ist, um der Sache
Gottes willen zornig zu sein, aber nie-
Ich fürchte, dass aller Segen, den ich aus mals um der eigenen Sache willen. Hier,
meinen bequemen und leichten Zeiten in Psalm 4, werden diese Worte natür-
und glücklichen Stunden gewonnen lich zu bösen Menschen gesprochen,
habe, auf einem Centstück Platz hat. um sie zu warnen, damit nicht der über-
Aber das Gute, das ich aus meinem Kum- schäumende Zorn zu Gewalttätigkeiten
mer, meinen Schmerzen und Leiden führt. Wenn sie in der Stille nächtlicher
empfangen habe, ist überhaupt nicht zu Stunden wach liegen, sollten sie ihre ei-
zählen. Was verdanke ich doch dem genen Herzen erforschen und die Tor-
Hammer und dem Amboss, dem Feuer heit, gegen Gott zu kämpfen, einsehen.
und der Feile! Anfechtung ist das beste Solche nüchternen Betrachtungen wür-
Möbelstück in meinem Haus.9 den ihr Verleumden verstummen las-
sen und ihre üblen Pläne beenden.
Die Erinnerung an Gottes Antworten 4,6 In einem mutigen evangelistischen
auf seine Gebete, als er in der Vergan- Vorstoß rät David den Gottlosen, prak-
genheit unter Druck stand, gibt David tische Gerechtigkeit mit Glauben an
die Freiheit, Gott wieder um Erhörung den HERRN zu verbinden. »Macht Ge-
zu bitten. rechtigkeit zu dem Opfer, das ihr
4,3-4 Der akute Anlass zu Davids Bit- bringt« (Gelineau). Doch das können
ten kann aus den Versen 3-6 abgeleitet nur solche, die ihr Vertrauen auf den
werden. Gewissenlose Menschen hat- HERRN gesetzt haben.
ten ihn schlecht gemacht und verleum- 4,7 Viele wollen Wohlstand und
det. Diese übel wollenden Kritiker zo- Glück. Sie sehnen sich fortwährend da-
gen seinen Namen in den Dreck, betrie- nach, etwas Gutes zu sehen. Aber das
ben Rufmord und beschmutzten sein Traurige ist: Sie wollen Segen ohne den
Ansehen mit haltlosen Beschuldigun- Segnenden und Gutes ohne Gott. Sie
gen und direkten Unwahrheiten. wünschen sich die Wohltaten eines von
David fragt sie, wie lange sie an ihrer Christus erfüllten Lebens; aber sie wol-
sinnlosen Wut gegen ihn festhalten len den Wohltäter nicht.
wollen. Dann erinnert er sie daran, dass Im Gegensatz dazu geht David direkt
ihre Bemühungen, ihn zu Fall zu brin- zur Quelle alles Guten mit den Worten:
gen, unnütz sind, weil Gott selbst auf »Erhebe, HERR, über uns das Licht dei-
seiner Seite steht: »Erkennt doch, dass nes Angesichts!«
der HERR den Getreuen für sich er- 4,8 Davids Freude im Herrn über-
wählt hat!« (Schlachter 2000). Die auf steigt bei weitem das Vergnügen der
den Herrn vertrauen, sind »sein Aug- Gottlosen, wenn ihre Scheunen über-
apfel« (Sach 2,12). Ihre Namen sind in quellen von Korn und ihre Fässer von
seine Hände eingezeichnet (Jes 49,16). Wein. »Niemals hat eine reiche Ernte an
Er hört sie, wenn sie rufen, und eilt ih- Korn und Wein solche Freude bereitet
nen zu Hilfe. David greift also im Vor- wie die Freude, die du in mein Herz ge-
aus das Argument des Paulus aus Rö- legt hast« (Knox).
mer 8,31 auf: »Ist Gott für uns, wer kann 4,9 Nachdem der Psalmist sich wie-
gegen uns sein?« der der Allgenugsamkeit des Herrn
4,5 Davids Feinde sollten ihre Leiden- versichert hat, kommt er innerlich zur
schaften besänftigen. Wenn sie zornig Ruhe. Er kann sich nun in Frieden nie-
sein müssten, dann sollte es eine ge- derlegen und in Frieden schlafen. Er
rechte Ursache haben. Der Satz: »Erbebt weiß: Es ist der HERR, der ihn in Sicher­
(erregt euch), aber sündigt nicht!«, wird heit wohnen lässt. Welch eine Wand-

542
Psalm 4 und 5

lung hat das Gebet in nur acht kurzen Der Psalmist bittet Gott, nicht nur auf
Versen zustande gebracht! sein Nachsinnen und seine Gedanken
zu hören, sondern auch auf die Stimme
Psalm 5: Ein Morgengebet seines Schreiens. Dies bezieht sich si-
5,1 Die Überschrift zu Psalm 5 lautet: cher nicht nur auf die bloßen Worte; es
Dem Chorleiter. Zu Flöten. Ein Psalm. weist auf den Tonfall, den tiefen Ernst
Von David. des Klangs seiner Stimme hin.
Weil viele Psalmen Überschriften Wenn er den Herrn als »mein König
ähnlicher Art haben, sollten wir noch und mein Gott« anredet, offenbart Da-
einmal erwähnen, dass viele Gelehrte vid die warme, persönliche, intime Be-
glauben, diese gehörten zu dem inspi- ziehung zu dem Herrn, derer er sich
rierten Text. In vielen Bibelausgaben, erfreute. In den Worten »denn zu dir
die dem hebräischen Originaltext fol- bete ich« zeigt er, dass der wahre Gott
gen, sind die Überschriften als Vers 1 der Einzige war, zu dem er betete – »zu
angegeben. Einige Gelehrte glauben, dir und zu dir allein«. Er gehörte dem
die Überschriften gehörten eigentlich Herrn nicht nur an, sondern gehörte
ans Ende des vorhergehenden Psalms; ihm ganz ausschließlich an.
aber die Beweise dafür sind nicht über- 5,4 David betete nicht nur gelegent-
zeugend. lich, sondern regelmäßig. Jeden Mor-
Das große Problem mit diesen Über- gen hörte der Herr seine Stimme. Jeden
schriften ist, dass ihre Bedeutung oft Morgen bereitete der Mann Gottes ein
unverständlich ist. In Psalm 5 wird Opfer des Lobs und des Gebets und
durch sie die musikalische Begleitung hielt Ausschau danach, wie der Herr
angegeben, aber in anderen Fällen kann sich während des Tages offenbaren
sie auf die Melodie eines anderen Lie- würde. Zu oft achten wir nicht darauf,
des hinweisen, nach der der Psalm ge- wie Gott antwortet. »Wir versäumen
sungen werden kann. Die Überschrift viele Antworten,« sagt F.B. Meyer, »weil
in Psalm 57 z.B. lautet: »Verdirb nicht!« wir müde werden, am Kai auf die heim-
Das kann der Name eines damals be- kehrenden Schiffe zu warten.«
kannten Liedes sein. Gelegentlich ist 5,5-7 David ist sich seiner Feinde stets
die Bedeutung so zweifelhaft, dass sich bewusst. Da wird sein Vertrauen ge-
die Übersetzer der ER entschlossen, die stärkt, wenn er sich an Gottes Heiligkeit
hebräischen Worte zu transliterieren. und Gerechtigkeit erinnert. Gläubige
So schreiben sie z.B. bei Psalm 16: »Ein haben einen inneren Zugang zum
Miktam.10 Von David.« Glücklicherwei- Thron der Gnade, nicht so die Gott­
se hängt unser Genuss eines Psalms losen. Gott kann keine Form von Ge-
nicht von dem vollen Verständnis der setzlosigkeit wohlgefallen. Der Böse
Überschrift ab. kann bei ihm kein Übernachtungsgast
Psalm 5 ist ein Morgengebet, in dem sein. Den Verblendeten wird keine Au-
David über die unterschiedliche Hal- dienz beim König gewährt. Er hasst alle
tung Gottes gegenüber den Gerechten Frevler – das ist eine Wahrheit, die den
und den Ungerechten nachsinnt. heute vorherrschenden Mythos zer-
5,2-3 Zu Beginn bittet er Gott, nicht stört, Gott sei nur Liebe und darum
nur seine Worte zu hören, sondern auch zum Hass unfähig! Gottes Heiligkeit er-
achtzugeben auf sein Nachsinnen (so fordert, dass er alle Lügner bestraft und
KJV/NKJV, unrevidierte Elberfelder; an- alle Mörder und Betrüger verabscheut.
dere übersetzen »Seufzen«). Das ist ein 5,8 Im Gegensatz zu seinen gottlosen
berechtigter Wunsch. Der Heilige Geist Feinden hatte David einen sofortigen
kann unser Nachsinnen und unsere Ge- Zutritt zur Gegenwart des Herrn durch
danken genauso schnell verstehen wie die Fülle seiner unerschöpflichen Gna-
die Worte, die wir aussprechen. de und Barmherzigkeit. Im Geist tiefer

543
Psalm 5 und 6

Ehrfurcht betete David Gott an, indem quälenden Druck durch seine Wider­
er wie alle frommen Juden sein An­ sacher. Vielleicht waren sie über seinen
gesicht zu dem heiligen Tempel rich­ hoffnungslosen Zustand entzückt.
tete. Weil der tatsächliche Tempel erst 6,1-2 David sah in seiner Krankheit ei-
nach Davids Tod gebaut wurde, muss nen Schlag, den Gott ihm zugefügt hatte
sich dieses Wort hier auf die Stiftshütte wegen irgendeiner Sünde. Wir machen
beziehen, wie auch in 1. Samuel 1,9; 3,3 das gewöhnlich selbst auch so. Oft ist
und 2. Samuel 22,7. dies der erste Gedanke, der uns in den
5,9 Weil er ständig von seinen Fein- Sinn kommt. Und diese Diagnose ist
den gequält wurde, bat David den manchmal zutreffend: Einige Krankhei-
Herrn, seine Gerechtigkeit dadurch zu ten werden tatsächlich durch Sünden
erweisen, dass er ihn sicher durch die hervorgerufen, die wir nicht vor Gott
ihn umgebenden Gefahren leitet und bekannt haben (1Kor 11,30). Aber dies
seinen Weg kristallklar macht. ist keineswegs immer der Fall. Gott lässt
5,10 Als Nächstes führt der Psalmist manchmal Krankheiten zu als Aus-
starke Gründe dafür an, warum Gott gangspunkt, um seine Kraft und Herr-
seinen gerechten Diener in Schutz neh- lichkeit zu zeigen (Joh 9,3; 11,4), oder als
men und die bösen Feinde bestrafen Mittel, um geistliche Frucht hervorzu-
sollte. Man kann kein Wort glauben, bringen (Röm 5,3), oder als natürliches
das sie aussprechen. Ihr inneres Leben, Ergebnis von Überarbeitung (Phil 2,30)
ihre Gedanken und Absichten sind oder wegen hohen Alters (Pred 12,3-6).
ganz und gar verdorben und neigen Wenn uns Krankheit trifft, sollten wir
zum Verderben. Ihre Kehle ist wie ein als Erstes sicherstellen, dass wir keine
offenes Grab, das vor Verwesung stinkt Sünden in unserem Leben haben, die
und bereit ist, seine Opfer zu verschlin- wir nicht vor Gott bekannt haben. Dann
gen. Sie sind unverbesserliche und un- sollten wir Gott bitten, seine Absichten
aufrichtige Schmeichler. mit der Krankheit auszuführen und uns
5,11 Ihr Untergang ist gerecht. Sie zu heilen. Danach ist es richtig, den
sollten die Folgen ihrer Schuld tragen. Arzt aufzusuchen und Arzneien zu ver-
Ihre bösen Absichten sollten auf sie wie wenden. Doch müssen wir aufpassen,
ein Bumerang zurückkehren. Ihre un- dass wir unser Vertrauen auf den Herrn
zähligen Übertretungen erfordern ihre setzen und nicht auf die Mittel, die er
Vertreibung. Der Gipfel ihrer Sünde ist, benutzt (2Chr 16,12). Alle Heilung
dass sie gegen den Herrn, Gott, wider- kommt von Gott, ob sie in Form eines
spenstig waren. Wunders geschieht oder auf gewöhn­
5,12-13 Doch während Gott mit sei- liche Weise. Wenn er es in einem be-
nen Feinden im Gericht handelt, kön- stimmten Fall vorzieht, nicht zu heilen,
nen seine Freunde allezeit Grund zur wird er Gnade zum Leiden oder zum
Freude und zum Jubeln haben, weil sie Sterben geben. Gewöhnlich bekommen
ihn als ihre starke und sichere Zuflucht wir die Gnade zum Sterben nicht bevor
besitzen. Mögen alle, die den HERRN wir sie nötig haben.
lieben, ihn erhöhen als ihren nie ver­ 6,3-4 Der Psalmist hat wortgewaltig
sagenden Verteidiger! Es gibt keinen und mit deutlichen Ausdrücken um
Zweifel: Gott segnet wirklich den Ge- Heilung gefleht. Er schwand dahin. Sei-
rechten, er umgibt ihn mit Gnade wie ne Gebeine schmerzten ihm unablässig.
mit einem schützenden Schild. Selbst sein gesamtes Innenleben – seine
Gefühle, sein Verstand und sein Wille –
Psalm 6: Zweifacher Kummer war betroffen. Aber es schien, als zögere
Es war schlimm genug, mit einer erns- der HERR zu antworten. Bis wann wür-
ten Krankheit gemartert zu sein; aber de es dauern, bis er den Leidenden in
Davids Leid traf zusammen mit dem Gnade heilt?

544
Psalm 6

6,5 David bittet den HERRN, von ei- nen. Seine Augen waren eingesunken
ner Haltung scheinbarer Gleichgültig- wegen seines tiefen Kummers; sein Au-
keit umzukehren und seine Seele von genlicht schwand dahin wegen der Ge-
Krankheit und Tod zu retten. Er beruft walttaten aller seiner Feinde. Es schien,
sich wegen der Befreiung von seinem als sei sein Leben bis zum Überlaufen
Elend einzig auf die unerschütterliche mit Sorgen erfüllt, sodass er es nicht
Gnade des HERRN. mehr ertragen konnte.
6,6 Dann folgt eine ungewöhnliche 6,9-11 Aber das Gebet verändert die
Begründung dafür, dass Gott ihn heilen Dinge. Durch die verborgene, geheim-
sollte: Wenn David nämlich sterben nisvolle Mitteilung des Heiligen Geistes
sollte, so hätte Gott nichts davon. Solan- erlangte er die Sicherheit, dass der
ge David lebt, kann er sich an den Herrn HERR die Stimme seines Weinens ge-
erinnern und ihn preisen. Doch wenn hört und auf sein Gebet geantwortet
er stirbt, wäre Gott vergessen. Der Kör- hatte. Gestärkt durch diese Zusiche-
per ohne Geist könnte ihm nicht dan- rung, befiehlt er seinen Feinden, zu
ken. weichen. Er lässt sich nicht mehr durch
Dieses Argument hat eine gewisse ihr Drohen einschüchtern, denn er be-
Stichhaltigkeit, sofern es den Leib be- greift: Sie werden sich plötzlich zurück-
trifft; denn der Leichnam ist ohne Ge- ziehen, besiegt und zuschanden wer-
dächtnis und ohne die Fähigkeit zum den, wenn der Herr aufsteht, um sie zu
Loben. Was aber den Geist und die See- bestrafen.
le angeht, spiegelt dieses Argument die
begrenzte Erkenntnis wider, die die Ach, Herr, wie wandelt uns doch eine
Heiligen des Alten Testaments über das Stunde,
Leben nach dem Tod besaßen. Dank der Die wir in deiner Gegenwart verbracht.
volleren Offenbarung, die Christus Wie schnell heilt dort die tiefste Seelen­
brachte, wissen wir jetzt, dass ein Gläu- wunde,
biger, wenn er stirbt, seinen irdischen Wie wird das Herz durch dich, Herr, froh
Leib verlässt, um bei Christus zu sein, gemacht!
was auch viel besser ist (Phil 1,23). Er ist Wir knieten hin mit Angst und bittern
aus dem Leib ausgewandert und da- Sorgen,
heim beim Herrn (2Kor 5,8). So gelangt Wir stehen auf und seh’n der Sonne
der Gläubige nicht in einen Schwebezu- Licht,
stand oder Seelenschlaf, sondern ist be- Was grad noch Nacht war, ist der helle
wusst in der Gegenwart des Herrn und Morgen,
bringt ihm Preis und Anbetung dar. Uns glänzt dein freundlich Angesicht.
Zu Davids Gunsten muss gesagt wer- Warum tun wir uns selbst das an und
den, dass er wunderbaren Gebrauch andern,
von dem Licht machte, das er besaß, in- Dass wir so glaubensarm und mutlos
dem er es in das Gefüge seines Gebets sind,
einwob. Machten unsere Gebete genau- Dass wir, Herr, nicht zu deiner Ehre
so guten Gebrauch von dem höheren wandern,
Licht, das wir haben, welche Vorbilder Wo wir doch bitten können wie ein Kind?
für Lob und Bitte wären sie! Warum ziehen wir betrübt und schwach
6,7-8 Durch die Beschreibung des durchs Leben,
Elends des Psalmisten erhalten wir eine Wo du doch zusagst, dass du bei uns
kleine Vorstellung von seinem Zustand. bist?
Er war von Gram und Seufzen völlig Du stehst bereit, den Bittenden zu geben
zermürbt. Die ganze Nacht schwemmte Viel Freude, Kraft und Mut, Herr Jesus
er sein Kissen wegen seines Weinens Christ.
und benetzte sein Bett mit seinen Trä- Nach Richard Chenevix Trench

545
Psalm 7

Psalm 7: Der Schrei des les, worum David bittet, ist, dass er ge-
Unterdrückten mäß seiner Gerechtigkeit und Lauter-
keit beurteilt wird. Das mag wie der
7,1 Der hebräische Titel weist diesen Gipfel des Dünkels erscheinen; aber wir
Psalm als Schiggajon Davids aus, das er müssen daran denken, dass David kei-
dem HERRN wegen der Worte Kuschs, ne absolute Gerechtigkeit für jeden Be-
des Benjaminiters, sang. F.W. Grant reich seines Lebens beansprucht, son-
schreibt, das Wort schiggajon bedeute dern nur in den Anklagepunkten, die
Wanderlied oder laute, begeisterte ihm vorgeworfen werden.
Hymne, in der der Schreiber sich von 7,10-12 Vers 10 drückt den zeitlosen
seiner Begeisterung fortreißen lässt. Schrei des gequälten Gottesvolkes aus.
Kusch, der Gegenstand dieses Liedes, Jedes Gott ergebene Herz sehnt sich
war von demselben Stamm wie Saul nach dem Tag, an dem das Regiment
und möglicherweise einer seiner Offi- des Bösen zu Ende ist und die Gerech-
ziere. Jedenfalls war er ein bösartiger ten das Erdreich einnehmen werden.
Feind Davids. Die NKJV übersetzt schig­ Jener Tag wird kommen, wenn Christus
gajon mit: »eine Besinnung«, viele deut- wieder erscheint, um sein Reich aufzu-
sche Übersetzungen haben »Klagelied«. richten. In der Zwischenzeit ist der ge-
7,2-3 In einem leidenschaftlichen Ap- rechte Gott, der die Gedanken der Men-
pell fleht David um Befreiung von sei- schen und ihre Beweggründe kennt, für
nen Verfolgern. Sonst gliche er einem die Aufrichtigen ein Schild und Be-
hilflosen Lamm, das von einem Löwen schützer und der gerechte Richter, der
angegriffen und dann schlaff und leb- den Ungerechten täglich zürnt.
los weggeschliffen wird. 7,13-14 Gott verfügt über ein gut aus-
7,4-6 Kusch klagte David offenbar gestattetes Waffenarsenal. Wenn der
wegen einer langen Liste von Verbre- Gottlose nicht Buße tut, wird er sein
chen an, darunter möglicherweise we- Schwert schärfen, den Bogen gespannt
gen eines versuchten Mordes an Saul halten und tödliche Brandpfeile vor­
und eines Überfalls auf die Vorratslager bereiten. Alle Waffen Gottes sind töd-
des Königs. Aber David beteuert seine liche Waffen.
Unschuld. Er hatte sich der Anklagen 7,15-17 Am Ende ist David zuver-
nicht schuldig gemacht. Seine Hände sichtlich, dass der Feind ernten wird,
hatten nicht geplündert (so rev. Elber- was er gesät hat. Seine Sünde wird den
felder mit alten Übersetzungen; MT: üblichen Verlauf von Empfängnis,
»errettet«). Er hatte sich nicht an dem Schwangerschaft, Geburt und Tod neh-
König gerächt, nicht einmal, als er Mög- men. Zunächst ist der Feind schwanger
lichkeit dazu gehabt hatte. Hätte er die- mit einem Plan, um den Psalmisten zu
se Dinge wirklich getan, so wäre er be- vernichten. Bald wölbt sich sein Leib
reit, die Folgen zu tragen, nämlich ge- vor gottlosen Einfällen. Dann bringt er
jagt, gefangen, niedergeschlagen und treulose Intrigen zur Welt. Aber der
getötet zu werden. Schuss geht nach hinten los. Er fällt in
7,7-9 Aber weil es nicht so war, ruft er seine eigene Falle. Unheil und Gewalt-
kühn den HERRN an, er möge in sei- tat, die er dem Psalmisten zugedacht
nem Zorn aufstehen, die Feinde bestra- hatte, fallen durch eine unerklärliche
fen und den Unschuldigen rechtferti- Ironie der Umstände auf seinen Scheitel
gen. Er beschreibt Gott, wie er einen zurück.
großen Gerichtstag einberuft, um die 7,18 Diese unparteiische Gerechtig-
Ordnung herzustellen. Eine riesige keit bringt David dazu, sein Herz in
Menge von Völkern versammelt sich im Dankbarkeit zu dem HERRN zu er­
Gerichtsraum. Der HERR sitzt auf dem heben und dem Namen des HERRN,
Richterstuhl und richtet die Völker. Al- des Höchsten, zu lobsingen.

546
Psalm 8

Psalm 8: Was ist der Mensch? durcheilt), macht dies deutlich. Licht
breitet sich mit 300.000 Sekundenkilo-
Gott ist unbeschreiblich groß. Der metern aus, und das Jahr hat 31,5 Mil­
Mensch dagegen ist jämmerlich klein. lionen Sekunden. So durcheilt das Licht
Doch Gott hat ihm unermessliche Herr- rund 9,45 Billionen Kilometer in einem
lichkeit und Ehre übertragen. Das Wun- Jahr! Doch manche Sterne sind Milliar-
der dieser Tatsache bringt David zu ei- den von Lichtjahren von der Erde ent-
nem beredten Staunen. fernt. Kein Wunder, dass wir unvor-
8,1-2 Die Majestät des HERRN ist in stellbar große Zahlen »astronomisch«
der gesamten Schöpfung offenbar, nennen.
wenn ein Mensch nur Augen zum Se- Der Blick in den nächtlichen Himmel
hen hat. Jedes Gebiet der Naturwissen- sollte uns große Gedanken über Gott
schaften wimmelt von Beweisen der eingeben. Der Mond und die Sterne
Weisheit und Macht des Schöpfers. Got- sind das Werk seiner Finger! Denken
tes Herrlichkeit ist höher als die Him- wir an die zahllosen Myriaden von
mel. Die Planeten, die Sterne, das gren- Sternen, an die ungeheuren Entfernun-
zenlose Universum ‒ alle geben nur ei- gen im Universum und an die Kraft, die
nen teilweisen Einblick darin, wie un- die Planeten mit mathematischer Präzi-
endlich groß Gott wirklich ist. Doch die sion auf der Umlaufbahn hält, so könn-
weltklugen Menschen tun diese Bewei- te einem schwindlig werden.
se mit einem Achselzucken ab, als gebe 8,5 Im Vergleich dazu ist der Planet
es sie nicht. Erde ein Staubkörnchen im Universum.
8,3 Aber Kinder in ihrem unschuldi- Wenn das so ist, was ist dann ein einzel-
gen Glauben besingen Gottes Größe in ner Mensch, der sich auf diesem Plane-
ihren schlichten Liedern. Es ist genau- ten bewegt? Doch Gott ist an jedem Ein-
so, wie Christus selbst erklärt: Gott hat zelnen gelegen. Er hat ein persönliches,
diese Dinge vor den Weisen und Ver- intimes Interesse an jedem mensch­
ständigen verborgen und sie den Un- lichen Wesen.
mündigen geoffenbart (Mt 11,25). 8,6 Gott schuf den Menschen in sei-
Ob wir an Unmündige im buchstäbli- nem Bild, ihm ähnlich. Obwohl niedri-
chen Sinn oder an Jünger des Herrn mit ger als Gott,11 hat der Mensch mit ihm
kindlichem Glauben denken, es bleibt einige Fähigkeiten gemeinsam, die kei-
wahr, dass sie ein Bollwerk für den ner anderen Gruppe von Geschöpfen
Herrn in Bezug auf seine Feinde bilden. auf der Erde verliehen wurden! Alles,
Sie können oft einen Feind durch eine was Gott schuf, nannte er »gut«. Aber
unschuldige Frage oder eine naive Fest- das Urteil über die Erschaffung des
stellung zum Schweigen bringen. So Menschen war »sehr gut«.
wie nur eine kleine Nadel nötig ist, um 8,7-9 Als Gottes Stellvertreter auf Er-
einen riesigen Ballon zum Platzen zu den war dem Menschen die Herrschaft
bringen, so machen diese schlichten über alle Arten von Landtieren, über
Nachfolger des Lammes oftmals den Vögel, Fische und Reptilien gegeben. Es
hochtrabenden Dünkel derer zunichte, gab nichts, was ihm nicht unterworfen
die Gottes Hand in Schöpfung und Vor- war.
sehung leugnen! Aber der Schreiber des Hebräerbrie-
8,4 Kein Zweig der Wissenschaft ver- fes erinnert uns daran, dass man nicht
kündet Gottes Größe und die Bedeu- sehen könne, dass sich der Mensch in
tungslosigkeit des Menschen eindrucks- der jetzigen Zeit der unbestrittenen
voller als die Astronomie. Die einfache Herrschaft erfreuen kann (Hebr 2,5-9).
Tatsache, dass Entfernungen in Licht- Hunde bellen den Menschen an, Schlan-
jahren gemessen werden müssen (die gen beißen ihn und Vögel und Fische
Strecke, die das Licht in einem Jahr können ihm ausweichen. Die Erklärung

547
Psalm 8 und 9

dafür ist: Als durch Adam die Sünde in Seins ehrt und erhöht er den Namen
die Welt kam, verlor der Mensch die des Höchsten. Das Vorbild seiner Liebe
unumschränkte Souveränität über die zum Herrn und seiner Hingabe an ihn
niederere Schöpfung. lässt uns spüren, wie kalt und undank-
Doch Gottes Absichten bleiben beste- bar wir oft sind.
hen. Er hat beschlossen, dass der 9,4-5 Dann sinnt er über den großen
Mensch wirklich die Herrschaft aus­ Kampf Gottes nach, obwohl die Erfül-
üben soll, und nichts kann Gottes Ab- lung dieser Worte erst mit dem Zweiten
sichten durchkreuzen. Wenn wir also Kommen des Herrn Jesus Christus ein-
dem Menschen im Augenblick nicht al- treffen wird. Die Feinde brauchen Gott
les unterworfen sehen, so sehen wir nur zu erblicken, dann werden sie um-
doch Jesus – die einzige Person, durch kehren und fliehen wollen. Sie werden
die die Herrschaft des Menschen am in panisches Durcheinander geraten
Ende wiederhergestellt wird. Als Chris- und umkommen, bevor sie fliehen kön-
tus auf die Erde kam, wurde er für eine nen. Der Gerechte wird an jenem Tag in
kurze Zeit niedriger als die Engel, so- seinem Recht bestätigt von dem König
dass er als Mensch für das Menschen- auf seinem herrlichen Thron. Endlich
geschlecht sterben konnte. Nun ist er wird die Erde erfahren, was gerechte
mit Herrlichkeit und Ehre gekrönt zur Rechtsprechung wirklich ist.
Rechten Gottes. Eines Tages wird Chris- 9,6-7 Heidnische Unterdrücker wer-
tus, der Sohn des Menschen, wieder- den dann gescholten, und Israels Fein-
kommen, um als König der Könige und de werden in beständiger Vergessenheit
als Herr der Herren zu regieren. Im versinken. Sie werden in den Ruinen ih-
Tausendjährigen Reich wird das, was rer viel gerühmten Zivilisation begra-
der erste Adam verspielte, vom letzten ben liegen. Städte, die jetzt zeitlos er-
Adam wiederhergestellt werden. scheinen, werden völlig ausgerottet
8,10 Dann wird Gottes erlöstes Volk sein. Namen wie Washington, Rom,
mit neuem, besserem Verständnis ein- Moskau oder Tokio werden für immer
stimmen in das Lied: »Herr, unser Herr, in Vergessenheit geraten.
wie herrlich ist dein Name auf der gan- 9,8-9 Die Feinde werden alle ver-
zen Erde!« schwunden sein; aber der HERR wird
auf ewig bleiben, und zwar so gerecht
Psalm 9: Der Tag der Vergeltung und vertrauenswürdig, wie er immer
Wenn die Überschrift in der chaldä­ gewesen ist. In seiner strahlenden Herr-
ischen Übersetzung richtig ist, feiert lichkeit wird er auf dem Thron sitzen
David hier den Sieg über Goliat. Aber und die Welt in absoluter Gerechtigkeit
er sieht offenbar über diesen Triumph regieren. Jeder wird von ihm gerecht
hinaus auf Gottes endgültigen Sieg über behandelt. Paulus benutzt den ersten
seine Feinde. Der Psalm ist ein Akrosti- Teil von Vers 9 in seiner Predigt in
chon, der auf der ersten Hälfte des he­ Athen, wo er erklärt, dass der Ausfüh-
bräischen Alphabets beruht.12 rende dieses zukünftigen Gerichts der
9,1-3 Der große Sänger Israels ist von auferstandene Herr Jesus Christus sein
all den wunderbaren Werken des Herrn wird.
hingerissen. Er denkt nicht so sehr an »Nachdem nun Gott die Zeiten der
die Werke der Schöpfung oder der Er­ Unwissenheit übersehen hat, gebietet
lösung, sondern vielmehr an die spek- er jetzt den Menschen, dass sie alle
takulären Heldentaten, mit denen Gott überall Buße tun sollen, weil er einen
die Feinde des Volkes zermalmte. Da- Tag festgesetzt hat, an dem er den Erd-
vid gibt Gott alle Ehre – keine sich selbst kreis richten wird in Gerechtigkeit
und keine den Waffen oder Fähigkeiten durch einen Mann, den er dazu be-
eines Menschen. Mit jeder Zelle seines stimmt hat, und er hat allen dadurch

548
Psalm 9 und 10

den Beweis gegeben, dass er ihn auf­ entseelten Zustand oder auf das Grab
erweckt hat aus den Toten« (Apg 17, beschränkt. Hier erfordert der Kontext
30-31). die Auslegung, dass die Hölle selbst
9,10-11 Die unterdrückten Massen gemeint ist. Das ist das Schicksal aller
werden in ihm ihre Zuflucht (oder Nationen, die Gott vergessen haben.
»hohe Feste«) und ihre nicht versagen- 9,19 Genauso sicher ist, dass die Ar-
de Rettung finden. Alle, die ihn kennen, men nicht für immer vergessen sind.
werden ihr Vertrauen auf ihn setzen, Wie Knox übersetzt: »Die Geduld der
weil sie begreifen, dass er nie das Ver- Angefochtenen wird nicht umsonst
trauen seines Volkes enttäuscht hat. sein.« Alles, was sie erhofften, wird in
9,12-13 Israel wird nicht nur dem jenem Tausendjährigen Reich eintreten.
HERRN Loblieder singen, sondern 9,20-21 Davids Gedanken über die
auch seinen missionarischen Auftrag kommende Herrschaft der Gerechtig-
gegenüber den Heidenvölkern erfüllen, keit erwecken die Sehnsucht nach deren
indem es die wunderbaren Rettungen Eintreten. Das Gebet ist, dass der HERR
des Herrn weitersagt und hervorhebt, aufstehen, die Pläne der Menschen zu-
dass er, der das Blut seines Volkes rächt, nichtemachen und die Nationen richten
Israels Leiden nicht gleichgültig zusah möge. Wenn sie vor der Gegenwart des
und dass Israels Gebete nicht unbeant- allmächtigen Richters stehen, werden
wortet blieben. sie mit Schrecken begreifen, welch arm-
9,14-15 Aber noch bestehen die Ver- selige, sterbliche Menschen sie in Wirk-
hältnisse des Tausendjährigen Reiches lichkeit sind.
nicht. Die Verse 14 und 15 bringen uns
mit einem Sprung wieder zurück in die Psalm 10: Der öffentliche Feind
qualvolle Gegenwart! David braucht Nummer 1
immer noch die Gnade des Gottes, der Hier benutzt der Psalmist ein Akrosti-
ihn vor dem Feind schützen muss, da- chon mit Hilfe der zweiten Hälfte des
mit von den Toren Zions aus glückliche hebräischen Alphabets,13 um den über-
Lobgesänge erschallen. ragenden Feind, den Erzbösewicht, zu
9,16 Dann springt er wieder nach beschreiben. Weil dieser »öffentliche
vorn in die Zeit, in der die antisemiti- Feind Nummer 1« die Verkörperung
schen Völker in die Grube fallen wer- der Sünde an sich zu sein scheint, ver-
den, die sie selbst für die Juden ge­ binden wir ihn natürlich mit dem »Men-
graben haben, und in das Netz geraten, schen der Sünde«, der sich am Anfang
das sie für Gottes Volk aufstellten. Es ist der siebenjährigen Drangsalszeit er­
sich selbst wiederholende Geschichte – heben wird. Dieser »Sohn des Verder-
wieder ein Beispiel von einem Haman, bens« wird sich widersetzen und sich
der an einen Baum gehängt wurde, den über alles erheben, was Gott oder Ge-
er für Mordechai aufrichten ließ. genstand der Verehrung genannt wird.
9,17 Noch einmal wird sich der HERR Er wird sich in den Tempel Gottes in
selbst als der offenbaren, der ausglei- Jerusalem setzen und sich selbst als
chende Gerechtigkeit walten lässt, in- Gott ausrufen (2Thes 2,3-4). Die sich
dem er dafür sorgt, dass die Gottlosen weigern, ihn anzubeten, werden wirt-
das ernten, was sie gesät haben. Gott schaftliche Sanktionen, Verfolgung und
lässt sich nicht spotten. Die Bedeutung sogar den Tod erleiden.
von »Sela« ist ungewiss. Das Wort kann
eine Intensivierung anzeigen (siehe Das Schweigen Gottes (10,1)
Kommentar zu Psalm 3). Zu Beginn des Psalms finden wir die
9,18 Wenn David sagt, die Gottlosen Frage, die sich jeder von uns früher
müssten ins Totenreich (hebr. Scheol) oder später einmal stellt: »Warum
hin­abfahren, so ist das nicht auf den schweigt der HERR, während die Un-

549
Psalm 10

schuldigen leiden und die Gottlosen immer aus nach nichts ahnenden und
ungehindert herrschen?« Solche Ge- hilflosen Opfern.
heimnisse rufen unseren Glauben auf 10,9-11 Wie ein Löwe im Gebüsch
den Plan, ermutigen uns, zu vertrauen, liegt er bereit, sich auf seine Beute zu
wenn wir nichts verstehen können, und stürzen. Wie ein Jäger lockt er sein Op-
fordern uns heraus, bis ans Ende durch- fer ins Netz, um es durch Erpressung,
zuhalten. Wucher, Bestechung, Knechtschaft oder
Tod zu quälen. Das unglückliche Opfer
Das Gebet der Unterdrückten (10,2) wird überwältigt – hingestreckt durch
In ihrer unerträglichen Arroganz het- die große Kraft des Bösewichts. In sei-
zen die Gottlosen ohne Unterlass die ner Verzweiflung hat es das Gefühl,
hilflosen Heiligen. Was wäre passender Gott habe es vergessen, als blicke er in
für sie, als genau dasselbe Schicksal zu eine andere Richtung und nehme die
erleiden, das sie den Gerechten zu­ missliche Lage seines Kindes gar nicht
gedacht hatten? zur Kenntnis.
Die Eigenschaften des Feindes (10,3-11) Das Schreien des Gläubigen (10,12-18)
10,3-4 Es ist typisch für den Gottlosen, 10,12-13 Doch nun ist es an der Zeit für
sich aller Dinge zu rühmen, die er vor- den HERRN, zu handeln, indem er sei-
hat. In seiner wahnsinnigen Gier, reich ne Hand erhebt in Gericht gegenüber
zu werden, lästert er und sagt sich von dem Unterdrücker und in Gnade ge-
Gott los; denn wer Gold anbetet, ver- genüber dem Angefochtenen. Warum
wirft Gott. Sein Lebensstil ist durch sollte den Mächten des Bösen erlaubt
Selbstzufriedenheit gekennzeichnet. Er sein, ihre Bosheit und Gottvergessen-
empfindet kein Bedürfnis nach Gott heit fortzusetzen? Warum sollten sie zu
und lebt, als gebe es Gott nicht. der Ansicht ermutigt werden, Gott wer-
10,5-6 Alles scheint ihm zu gelingen; de niemals Rechenschaft für ihre Ver-
irgendwie entkommt er den Nöten, die brechen fordern?
den Rest der Menschheit plagen. Die 10,14-15 Ja, Gott sieht sehr wohl! Er
von Gott für sein eigenes Volk auf­ hat ein wachsames Auge auf jede unge-
gestellten Richtlinien (andere Über­ rechte und böse Handlung, sodass er an
setzungen: Gerichte) gehen weit über dem Tag, der kommen wird, alles heim-
den Gottlosen hinaus; er kann geistliche zahlen kann. So ist es nicht umsonst,
Wahrheiten oder göttliche Grundsätze dass sich der Hilflose Gott übergibt. Hat
nicht verstehen. Er macht sich über all Gott sich nicht als der Freund der Wai-
seine Feinde mit tiefster Geringschät- sen erzeigt? Der Herr wird das Schreien
zung lustig; er meint, nichts könnte sei- der Gläubigen hören, indem er den Arm
ne Sicherheit beeinträchtigen und so- des Gottlosen zerbricht und indem er
lange er lebt, werde er diese sorgenfreie dessen Bosheit so lange heimsucht, bis
Existenz genießen. auch der letzte Rest bestraft wurde.
10,7-8 Wo immer er sich herumtreibt, 10,16 Jener Tag der Rache wird kom-
kann man sicher sein, dass die Luft mit men, wenn die Reiche dieser Welt das
Fluchen und Gottlosigkeit erfüllt ist. Reich unseres Herrn und seines Chris-
Wenn er nicht den einen betrügt, tyran- tus geworden sind. Dann werden die
nisiert er wahrscheinlich einen anderen! gottlosen und bedrängenden Nationen
Er spricht offenbar nichts Konstrukti- verschwunden sein, wie Jesaja es vor-
ves, nur böse Dinge und Unheil. Wie hergesagt hat:
die anderen Verbrecher lauert er, um »Siehe, beschämt und zuschanden
die Unschuldigen unvermutet aus dem werden alle, die in Feindschaft gegen
Hinterhalt zu überfallen; wenn sie vor- dich entbrannt sind. Es werden wie
übergehen, bringt er sie um. Er schaut nichts und gehen zugrunde die Män-

550
Psalm 10 und 11

ner, die den Rechtsstreit mit dir führen. die Worte des Schwarzsehers enthält.
Du wirst sie suchen und nicht finden, Er beginnt mit: »Flieh in die Berge wie
die Männer, die mit dir zanken. Wie ein Vogel!« Mit anderen Worten sagt er
nichts und wie Nichtigkeit werden die zu David: »Du bist genauso unbedeu-
Männer, die mit dir Krieg führen. Denn tend und schutzlos wie ein kleiner Vo-
ich bin der HERR, dein Gott, der deine gel. Das Beste, was du tun kannst, ist zu
Rechte ergreift, der zu dir spricht: fliehen. Jetzt haben Verbrecher die
Fürchte dich nicht! Ich, ich helfe dir!« Oberhand; sie sind bis an die Zähne be-
(Jes 41,11-13). waffnet und bereit, die ruhigen und ge-
10,17-18 Wir können völlig sicher setzestreuen Bürger umzubringen. Ge-
sein, dass der HERR die Gebete der setz und Ordnung sind dahin, und die
Elenden hören und erhören wird. Er Grundlagen der Gesellschaft lösen sich
wird ihnen für jede Prüfung Gnade ge- auf. Wenn das so ist: Welche Hoffnung,
ben und sich herabneigen, um dafür zu meinst du, besteht noch für einen Ge-
sorgen, dass Gerechtigkeit das Los der rechten wie dich?«
Waisen und Unterdrückten wird. Der 11,4-6 Welche Hoffnung? Nun, natür-
Tag kommt, Gott sei Dank, an dem der lich der HERR! Der HERR ist in seinem
Mensch von der Erde den Armen und heiligen Tempel, und nichts kann seine
Schutzlosen nicht mehr bedrücken Pläne aufhalten. Sein Thron ist im Him-
wird! mel, unbewegt und nicht zu bewegen,
einerlei, welche Reiche dieser Erde auf-
Psalm 11: Warum fliehen, wenn man stehen oder fallen. Obwohl nichts Got-
vertrauen kann? tes Ruhe und Gelassenheit stören kann,
Psalm 11 ist ein Gegenmittel gegen düs­ ist er doch höchst interessiert an dem,
tere Schlagzeilen. Wenn die Nachrich- was die Menschenkinder tun. Er sieht
ten alle schlecht sind – Kriege, Gewalt, nicht nur, was geschieht, sondern be-
Verbrechen, Korruption und politische wertet auch fortwährend die Gerechten
Unruhen –, dann erinnert uns David und die Gottlosen. Obwohl Gott unend-
daran, dass wir uns über die Umstände liche Liebe ist, hasst seine Seele die
des Lebens erheben können, indem wir Menschen, die Frevel tun. Er wird
unsere Augen auf den HERRN richten. Schlingen des Gerichts auf sie regnen
Es ist, als hätte David seine Haustür lassen. Dieser Regen wird aus Feuer
geöffnet und ein völlig aufgelöster Be- und Schwefel bestehen, und ein Sturm
sucher wäre hineingestürmt mit blas- wird die Glut entfachen.
sem, verzerrtem Gesicht, mit weit auf- 11,7 Genauso wie Gott die Gewalttäti-
gerissenen Augen und mit vor Auf­ gen hasst, liebt er die Gerechten. Gott
regung zitternden Lippen. In krampf- selbst ist gerecht, und er liebt Gerech-
haftem, atemlosem Keuchen erzählt er tigkeit. Der letztendliche Lohn der Auf-
ihm von der gerade hereinbrechenden richtigen wird sein, dass sie vor Gottes
Katastrophe und rät David, in die Berge Angesicht stehen werden.
zu fliehen. Dieser Psalm ist Davids Ant- So brauchen wir uns nicht zu sehr
wort auf den verzweifelten und ent­ über die Schlagzeilen aufzuregen. Die
mutigenden Rat seines pessimistischen Wogen der widrigen Umstände können
Besuchers. uns zu bestimmten Zeiten scheinbar
11,1-3 David drückt zunächst sein entgegenschlagen; aber es kommt ganz
schlichtes Vertrauen auf den HERRN gewiss die Zeit, da Gottes unwidersteh-
als seine Zuflucht aus: »Warum fliehen, liche Ratschlüsse den endgültigen Sieg
wenn du vertrauen kannst?« Dann weist erringen werden.
er den Unglücksboten, der seinen Frie-
den zu stören sucht, zurecht. Beachten Weg’ hast du allerwegen,
Sie, dass der Text von Vers 1c bis Vers 3 An Mitteln fehlt dir’s nicht.

551
Psalm 11 bis 13

Dein Tun ist lauter Segen, HERR, aufzustehen und »ihnen das
Dein Gang ist lauter Licht Heil zu gewähren, nach dem sie dürs-
Dein Werk kann niemand hindern, ten« (Gelineau). Und was er verspro-
Dein’ Arbeit darf nicht ruh’n, chen hat, wird er auch gewiss ausfüh-
Wenn du, was deinen Kindern ren. Seine Verheißungen sind rein, in
Ersprießlich ist, willst tun. irdenem Tiegel geschmolzenes Silber,
Paul Gerhardt siebenmal geläutert. Mit anderen Wor-
ten: Sie sind wie das reinste Silber, das
Psalm 12: Die Worte der Menschen wir kennen. Es gibt keinen Betrug, kei-
und das Wort Gottes ne Schmeichelei, keinen doppelten Bo-
12,1-2 Die allgemeine Abnahme der den und keinen Irrtum in Gottes Wort.
Treue unter den Menschen, besonders, Man kann ihm voll vertrauen.
was ihr Reden angeht, ruft das Gebet 12,8 So wendet sich der Gläubige in-
von Vers 2 hervor: »Herr, komm zu stinktiv zu dem HERRN um Schutz vor
meiner Rettung; die Frömmigkeit ist diesem Geschlecht ‒ Schutz nicht nur
tot; in einer niederträchtigen Welt sind vor dessen Angriffen, sondern auch vor
wahrhaftige Herzen rar geworden« jeder Form von Kompromissen und
(Knox). Komplizenschaft mit ihm.
12,3 Drei besondere Anklagen wer- 12,9 Der letzte Vers ist eine Beschrei-
den gegen das treulose Geschlecht vor- bung »dieses Geschlechts«. Das gott­
getragen: lose Geschlecht treibt sich überall her-
Lügen: Sie machen sich nicht nur der um, wo die Unreinheit verherrlicht und
glatten Unwahrheit schuldig, sondern die Tugend verspottet wird. Es ist das-
auch der Notlügen, der Halbwahrhei- selbe Geschlecht, das in Sprüche 30,11-
ten, der Übertreibungen und gebroche- 14 beschrieben wird:
ner Versprechungen.
Schmeichelei: Sie überschütten andere »Eine Generation, die dem Vater flucht
mit unaufrichtigen Komplimenten. Lob und die Mutter nicht segnet; eine Gene-
ist nicht dasselbe wie Schmeichelei; es ration, die in ihren Augen rein ist und
wird erst dann zur Schmeichelei, wenn doch nicht gewaschen von ihrem Unflat;
es einer Person Tugenden zuspricht, eine Generation ‒ wie hochmütig ihre
von denen man weiß, dass sie diese Augen und überheblich ihre Wimpern –;
nicht besitzt. Und hinter Schmeichelei eine Generation, deren Zähne Schwerter
verbergen sich gewöhnlich böse und sind und Messer ihr Gebiss, um wegzu-
selbstsüchtige Motive. fressen die Elenden von der Erde und die
Hinterhältigkeit: Sie denken das eine Armen weg aus der Mitte der Mensch-
und sagen etwas ganz anderes. Wie heit!«
Machiavelli praktizieren sie Doppel-
züngigkeit und Intrigen. Psalm 13: Wie lange?
12,4-5 Seit eh und je sehnen sich Got- Viermal bildeten sich die Worte »Wie
tes wahre Heilige danach, dass der lange?« auf Davids Lippen. Als er hit-
HERR selbst die schmeichelnden Lip- zig von seinem Feind (vielleicht Saul)
pen der Gottlosen zum Schweigen verfolgt wird, wundert sich David, was
bringt – dass er die Zungen jener still den Streitwagen Gottes zögern lässt.
sein lässt, die sich der Überlegenheit ih- Würde niemals Hilfe kommen, um ihn
rer Grundsätze rühmen und meinen, von der schrecklichen Last zu befreien,
sie hätten volle Freiheit, zu sagen, was die ihn zu erdrücken droht?
sie wollen, einerlei, was andere darüber Er hatte das Empfinden, von Gott ver-
denken. lassen zu sein.
12,6-7 Als Antwort auf das Seufzen Er hatte das Empfinden, von der
der Elenden und Armen, verspricht der Gunst Gottes abgeschnitten zu sein.

552
Psalm 13 und 14

Er erlebte in seiner Seele täglich tiefe Schöpfung – die Unermesslichkeit des


Depressionen. Universums, die bewundernswerte Prä-
Er litt beständig unter der Demüti- zision der Planetenbewegung, die er-
gung, immer auf der Verliererseite zu staunliche Eignung der Erde für die Er-
stehen. haltung des Lebens, den komplizierten
13,1-5 Gott muss von Davids Zwangs- Bau des menschlichen Körpers, die fan-
lage Notiz nehmen und ihm eilig zur tastische Komplexität des menschlichen
Hilfe kommen, um zwei Katastrophen Gehirns und die außerordentlichen Ei-
abzuwenden: Die erste wäre Davids genschaften von Wasser und Boden.
Tod, und die zweite die jubilierende Man denke nur einmal daran, wie gut
Prahlerei des Feindes. Wenn der Herr die Erde für die Erhaltung des Lebens
nicht schnell eingreift, um Davids Au- eingerichtet ist. Henry Bosch hat die
gen wieder zu erleuchten, werden sie folgenden Beispiele für Gottes sorgfälti-
bald für immer im Tod geschlossen blei- ge und staunenswerte Planung aufge-
ben. Wenn der HERR nicht den Um- führt:
schwung bewirkt, könnten sich die
Feinde bald rühmen, dass sie gewonnen Die Erde rotiert am Äquator mit etwa
und David völlig überwältigt hätten. 1.600 Kilometern pro Stunde um ihre
13,6 Nun, über den Ausgang gibt es Achse. Betrüge diese Geschwindigkeit
keinen Zweifel. Der Psalmist glaubt, nur 160 km/h, wären unsere Tage und
dass die Antwort schon unterwegs ist. Nächte zehnmal so lang, und unser Pla-
Er vertraut auf die Gnade des Herrn net wäre abwechselnd verbrannt und ge-
und weiß, dass er die Befreiung von sei- froren. Unter solchen Umständen könnte
nen Feinden feiern wird. In der Erwar- keine Vegetation existieren!
tung dieser Errettung kann er dem Wäre die Erde nur so klein wie der Mond,
HERRN für seine grenzenlose Freund- würde die Schwerkraft nicht ausreichen,
lichkeit Loblieder singen. um für uns Menschen genügend Luft
Dieser Psalm gleicht vielen unserer festzuhalten; doch wenn sie so groß wie
von Gott gesandten Prüfungen: Sie be- der Jupiter, der Saturn oder der Uranus
ginnen mit einem Seufzer ‒ und enden wäre, würde die extreme Schwerkraft
mit Gesang! menschliche Bewegung fast gänzlich un-
möglich machen. Wären wir der Sonne
Psalm 14: Das Glaubensbekenntnis so nah wie die Venus, könnten wir die
des Narren Hitze nicht ertragen; befänden wir uns
14,1 Das Glaubensbekenntnis des Nar- dagegen so weit entfernt von ihr wie der
ren lautet: »Es gibt keinen Gott!« Er will Mars, würden wir Nacht für Nacht
nicht, dass es Gott gibt, darum leugnet Schnee und Eis erleben, selbst in den
er die Existenz Gottes. Das ist eine irra- wärmsten Regionen. Wären die Ozeane
tionale Haltung. Zuallererst erhebt man nur halb so groß wie jetzt, erhielten wir
dadurch den Anspruch, allwissend zu nur ein Viertel des Regens, den wir nun
sein; denn man sagt damit: »Ich weiß al- erhalten. Wären sie nur um ein Achtel
les. Es ist unmöglich, dass außerhalb größer, würde sich der jährliche Nieder-
der Grenzen meiner Erkenntnis ein Gott schlag vervierfachen und die Erde wür-
existieren kann.« Zweitens behauptet de zu einem unermesslichen und unbe-
man damit, allgegenwärtig zu sein; man wohnbaren Sumpf werden.
sagt damit so viel wie: »Ich bin zu jeder Wasser gefriert bei 0 Grad Celsius. Es
Zeit an jedem Ort des Universums ge- würde zu einer Katastrophe führen,
genwärtig, darum ist es unmöglich, dass wenn die Ozeane bei dieser Temperatur
es einen Gott geben kann, sonst müsste erstarrten, weil es dann kein Gleichge-
ich es wissen.« Außerdem ignoriert die- wicht zwischen Gefrieren und Auftauen
se Haltung die Wunder Gottes in der am Rand der Polregionen mehr gäbe. Die

553
Psalm 14 und 15

Eismassen würden durch die Jahrhun- jedes Einzelnen infiziert hat. Hier, in
derte immer gewaltiger werden! Um sol- diesem Psalm, denkt David nicht an
cher Katastrophe vorzubeugen, gab Gott das gesamte Menschengeschlecht, ob-
Salz ins Meerwasser, um seinen Gefrier- wohl die Beschreibung gewiss zuträfe;
punkt zu verändern.14 vielmehr denkt er an die direkten Got-
tesleugner im Gegensatz zu den Ge-
Die Möglichkeit, dass dies alles per Zu- rechten. Sie sind es, diese Ungläubigen,
fall geschehen sein könnte, ist zu klein, die von dem wahren und lebendigen
um eine ernsthafte Überlegung zu Gott abgefallen sind. Sie sind moralisch
rechtfertigen. Darum sagt die Bibel, verdorben. Gott selbst kann unter ihnen
Atheisten seien Narren. Sie sind morali- nicht einen finden, der Gutes tut, nicht
sche Narren; denn das ist nicht eine einen Einzigen!
Frage des Intelligenzquotienten, son- 14,4 Ihre Unwissenheit wird offenbar
dern ihres Moralquotienten. durch die Weise, wie sie Gottes Volk be-
Gottes Urteil über diese Narren ist, handeln. Begriffen sie, wie Gott die Ar-
dass sie sich selbst verderben und ab- men verteidigt und die Sünden bestraft,
scheulich handeln. Es besteht eine enge würden sie niemals die Gläubigen ver-
Verbindung zwischen dem Glaubens- schlingen, als sei dies eine legitime All-
bekenntnis und dem Verhalten eines täglichkeit wie das Essen von Brot!
Menschen. Je niedriger seine Gottesvor- Wüssten sie von der Güte und der
stellung ist, umso niedriger pflegt seine Strenge Gottes, gingen sie nicht ohne
Moral zu sein. Entweder als Ursache Gebet durchs Leben.
oder als Folge sind Atheismus und 14,5-6 Wenn der Herr Partei für die
Agnostizismus mit einem verdorbenen Unschuldigen ergreift, werden die Un-
Leben verbunden. Barnes schreibt: gerechten furchtbar erschrecken. Sie
hatten den Armen immer wegen seines
Der Glaube, es gebe keinen Gott, ist ge- schlichten Glaubens verspottet; aber
wöhnlich durch den Wunsch begründet, dann werden sie sehen, dass der Gott,
ein böses Leben zu führen, oder er wird den sie verleugneten, die Zuflucht der
von solchen gern angenommen, die tat- Seinen ist.
sächlich ein solches Leben führen. Sie 14,7 Es wird ein großartiger Tag sein,
möchten sich selbst in ihrer Verderbtheit wenn der Messias aus Zion erscheinen
rechtfertigen und die Angst vor einer zu- wird, um sein Volk zu erlösen. Israels
künftigen Vergeltung vertreiben.15 Freude wird grenzenlos sein, wenn die
jüdischen Heiligen Christi gänzlich und
14,2-3 Wenn der HERR vom Himmel endgültig errettet sein werden aus der
auf die Nachkömmlinge Adams herab- Gefangenschaft unter jenen Nationen,
schaut, ob sie weise handeln oder nach die den einzig wahren Gott leugnen.
Gott fragen, so ist das Ergebnis betrüb-
lich. Von Natur aus und seinen Hand-
lungen nach ist der Mensch ein Sünder. Psalm 15: Der Mensch, den Gott
Wenn er sich selbst überlassen wird, erwählt
würde er Gott niemals suchen. Nur 15,1 Der Einzelne, den Gott sich zum
durch das Wirken des Heiligen Geistes Gefährten erwählt, ist der Gegenstand
werden sich die Menschen ihrer Be- von Psalm 15. Obwohl dieser Psalm es
dürftigkeit nach Gott und seiner Erret- nicht sagt, ist die grundlegende Vor­
tung bewusst. bedingung für den Eintritt in Gottes
Paulus zitiert die ersten drei Verse Reich die Wiedergeburt. Ohne von
dieses Psalms in Römer 3,10-12, um zu Neuem geboren zu sein, kann niemand
zeigen, dass die Sünde die gesamte in dieses Reich eingehen. Die Geburt
Menschheit und alle Bereiche des Seins von oben geschieht aus Gnade durch

554
Psalm 15 und 16

den Glauben und findet völlig un­ verlassen, dass er es niemals weiter-
abhängig von allen verdienstlichen trägt.
Werken des Menschen statt. 15,4 Moralische Unterschiede ver­
Für sich allein genommen, scheint wischen sich bei ihm nicht. Er weiß zwi-
der Psalm zu sagen, die Errettung hän- schen Sünde und Gerechtigkeit zu un-
ge irgendwie mit dem edlen Charakter terscheiden, auch zwischen Finsternis
oder den guten Taten eines Menschen und Licht und zwischen böse und gut.
zusammen. Aber im Kontext der übri- Er verachtet einen Verworfenen in dem
gen Bibel kann er nur bedeuten, dass Sinn, dass er gegen dessen Gottlosigkeit
der rettende Glaube derselbe Glaube deutlich Zeugnis ablegt. Dagegen macht
ist, der auch zu einem Leben der Heili- er sich durch offene Zustimmung mit
gung führt. Wie Jakobus in seinem allen eins, die ebenfalls gläubig sind.
Brief, so sagt David hier, dass echter Hat er etwas versprochen, so steht er
Glaube an den Herrn zu der Art von dazu, selbst wenn das für ihn finanziel-
guten Werken führt, die in diesem len Verlust bedeutet. Ein Gläubiger mag
Psalm beschrieben sind. z.B. eingewilligt haben, sein Haus für
Nebenbei: Der Psalm behauptet nicht, 85.000 Dollar zu verkaufen. Doch bevor
eine vollständige Liste der Tugenden er unterschrieben hat, erfährt er von ei-
der Bürger Zions zu sein. Das Bild ist ner größeren Maklerfirma, dass sie ihm
sehr eindrücklich, aber keineswegs er- 90.000 Dollar zahlen würde. Weil er
schöpfend. aber dem ersten Käufer sein Wort gege-
15,2 Zuallererst wandelt der Bürger ben hat, hält er seine Abmachung ein.
Zions in Unschuld. Der schuldlose 15,5 Der Freund Gottes leiht sein Geld
Mensch ist ein moralisch gesunder nicht gegen Wucherzinsen aus, jeden-
Mensch. Er ist vollständig, ausgeglichen falls nicht einem, der zur Familie Gottes
und ausgewogen. gehört. Unter dem Gesetz Moses konn-
Zweitens tut der Bürger Zions, was te ein Israelit den Heiden Geld gegen
recht ist. Er passt auf, damit sein Gewis- Zinsen leihen (5Mo 23,19-20), aber es
sen nicht verletzt wird. Lieber will er war verboten, dasselbe mit jüdischen
mit einem guten Gewissen in den Him- Volksgenossen zu tun (2Mo 22,25; 3Mo
mel gehen, als mit einem schlechten 25,35-37).
hier auf der Erde bleiben. Wenn Juden, die unter dem Gesetz
Man kann darauf vertrauen, dass die- lebten, von diesem Grundsatz geleitet
ser Mensch von Herzen die Wahrheit wurden, wie viel mehr sollten sich dann
sagt. Er würde lieber sterben als lügen. Christen davon leiten lassen, die unter
An sein Wort fühlt er sich gebunden. Sein der Gnade leben!
»Ja« ist »Ja«, und sein »Nein« ist »Nein«. Schließlich nimmt der Gerechte keine
15,3 Er verleumdet nicht mit seiner Bestechung gegen den Unschuldigen
Zunge. Man wird ihn nichts Schlechtes an. Er hasst die Pervertierung der Recht-
über andere sagen hören. Verleumdung sprechung und widerlegt den alten
und Mit-Dreck-Bewerfen kommen bei Spruch: »Jeder hat seinen Preis.«
ihm nicht vor. Er hat seine Zunge geübt, So sieht also der Mensch aus, der in
aufzuerbauen, statt Rufmord zu betrei- Zeit und Ewigkeit für Gott lebt. Kom-
ben! men Sie und denken Sie darüber nach:
Er tut seinem Nächsten nichts Böses. Kein anderer würde sich in Gottes Ge-
Sein ganzes Bestreben geht dahin, zu genwart wohlfühlen!
helfen, zu ermutigen und zu belehren.
Wenn er hört, dass über seinen Freund Psalm 16: Christus ist auferstanden!
mit Vergnügen hergezogen wird, so Den Schlüssel zum Verständnis dieses
bringt er das Geschwätz augenblicklich Psalms finden wir in Apostelgeschichte
zum Schweigen. Man kann sich darauf 2,25-28, wo Petrus die Verse 8 bis 11a

555
Psalm 16

auf die Auferstehung Christi bezieht. rer Anbetung ähnlich werden. Der hei-
Lassen Sie uns also diesen Schlüssel in lige Sohn Gottes weist jegliche Gemein-
die Tür stecken und hören, wie unser schaft mit ihren Trankopfern von Blut
wunderbarer Erretter zu seinem Vater weit von sich. Er will nicht einmal ihre
unmittelbar vor seinem Tod betet. Namen in einer Weise erwähnen, die
16,1.2 Als vollkommener Mensch und vermuten ließe, er toleriere sie oder ihre
völlig abhängig von Gott, betet Christus heidnischen Riten.
zu dem Einen um Bewahrung, der sei- 16,5-6 Für sein persönliches Leben er-
ne einzige Zuflucht ist. Während seines wählte Christus den HERRN zu seinem
etwa dreißigjährigen Lebens auf dieser Erbteil und seinem Becher. Es ist der
Erde hat der Erlöser nicht nur Gott als Herr, der die Grenzen seines Erbes
seinen Herrn anerkannt, sondern mit sichert. Wenn er daran denkt, wie weise
Freuden bekannt, dass Gott die alles be- und wunderbar der Vater jedes Detail
herrschende Leidenschaft seines Lebens seines Lebens geplant hat, vergleicht er
ist: »Es gibt für mich nichts Gutes außer es mit Grundbesitz in einer lieblichen
dir!« Das ist das bewegende Zeugnis Gegend und mit einem Erbteil, das nur
davon, dass Christus in Gott all sein Ge- voll schöner Dinge ist. Wenn wir in der
nüge fand. Dieses Zeugnis ist mit der Gemeinschaft mit Gott leben, können
Anbetung in Psalm 73,25 vergleichbar: auch wir ihn dafür preisen, wie er unser
»Wen habe ich im Himmel [außer dir]? Leben geordnet hat. Klagen wir, so ver-
Und neben dir begehre ich nichts auf raten wir einen Mangel an Vertrauen in
Erden« (Schlachter 2000). Gottes Weisheit, Liebe und Macht.
16,3 Gott ist das Zentrum im Leben 16,7 Hier preist Christus den HERRN
des Messias. Das schließt aber nicht sei- für die Treue, mit der er ihn mit Leitung
ne tiefe Wertschätzung für die Heiligen und Rat sein ganzes Leben hindurch
auf Erden aus. In Wirklichkeit ist beides versorgt hat. Selbst in schlaflosen Stun-
unauflöslich miteinander verbunden: den, wenn er betete und über Gottes
Gott lieben heißt sein Volk lieben (1Jo Wort nachdachte, hat sein Inneres ihn
5,1-2). Der Herr Jesus sieht in seinen unterwiesen. Weit davon entfernt, ver-
Heiligen die Edlen der Erde, das Volk, tane Zeit zu sein, waren diese Stunden
an dem er all sein Wohlgefallen findet. geheiligt, ihm zum Trost und Segen.
Betrachten wir dazu ein ähnliches Zeug- Wie oft haben sich Christi Erfahrungen
nis von einem alten Heiligen Gottes: im Leben des Volkes Gottes wiederholt!

Vom ersten Tag an, da ich begann, bis zur Wie mancher hingerissene Sänger,
jetzigen Stunde bin ich so hoch bevor- Durch Gnade zum Himmel gebracht,
rechtet, wie ein sterbliches und sündiges Sagt dann von den lieblichen Liedern:
Wesen es nur sein kann. Meine Gemein- »Die lernte ich einst in der Nacht!«
schaft war mit den Edlen der Erde, und Und mancher der großen Choräle,
jeder von ihnen rang mit allen Kräften Der jubelnd durchs Vaterhaus klingt,
danach, mir um des Herrn willen seine Entstieg einer weinenden Seele,
Freundlichkeit zu erzeigen.16 Die schluchzend ihr Heimweh besingt!
Autor unbekannt
16,4 In starkem Kontrast zu den wahren
Anbetern Gottes stehen Menschen, die Die übrigen Verse von Psalm 16 wurden
einen anderen Gott anbeten. Götzen- von Petrus am Pfingsttag zitiert, wo er
dienst bringt unausweichlich Elend auf sie auf die Auferstehung Christi bezog:
Elend in das Leben der Götzenverehrer.
Vielleicht ist es eines der schlimmsten Denn David sagt über ihn: »Ich sah den
Gerichte, die über die Götzendiener Herrn allezeit vor mir; denn er ist zu mei-
kommen, dass sie dem Gegenstand ih- ner Rechten, damit ich nicht wanke. Dar-

556
Psalm 16

um freute sich mein Herz, und meine 16,8 Zuallererst behauptet der Mes­
Zunge jubelte; ja, auch mein Fleisch wird sias ohne Ausflüchte, er habe den
in Hoffnung ruhen; denn du wirst meine HERRN allezeit vor Augen gehabt.
Seele nicht im Hades zurücklassen noch Jahwe, der HERR, war der Eine, für den
zugeben, dass dein Frommer Verwesung er lebte. Nie hatte er etwas im Eigenwil-
sehe. Du hast mir kundgetan Wege des len getan; alles geschah im Gehorsam
Lebens; du wirst mich mit Freude er­ gegenüber dem Willen seines Vaters.
füllen vor deinem Angesicht.« »Weil er zu meiner Rechten ist, wan-
Ihr Brüder, es sei erlaubt, mit Freimütig- ke ich nicht.« In der Schrift spricht diese
keit zu euch zu reden über den Patriar- Rechte (d.h. die rechte Hand) von:
chen David, dass er gestorben und be- Kraft (Ps 89,14)
graben und sein Grab bis auf diesen Tag Sicherheit (Ps 20,7)
unter uns ist. Da er nun ein Prophet war Ehre (Ps 45,10; 110,1)
und wusste, dass Gott ihm mit einem Eid Freude (Ps 16,11)
geschworen hatte, einen seiner Nach- Gunst (Ps 80,18)
kommen auf seinen Thron zu setzen, hat Stütze (Ps 18,36).
er voraussehend von der Auferstehung Hier spricht sie von Geborgenheit
des Christus geredet, dass er weder im und Sicherheit.
Hades zurückgelassen worden ist noch 16,9-10 In der Sicherheit, dass Gott ihn
sein Fleisch die Verwesung gesehen hat. beständig versorgt und beschützt, blickt
Diesen Jesus hat Gott auferweckt, wovon der Heiland mit Vertrauen in die Zu-
wir alle Zeugen sind. Nachdem er nun kunft. Sein Herz freut sich. Seine Seele
durch die Rechte Gottes erhöht worden frohlockt, und sein Leib ist in Sicherheit.
ist und die Verheißung des Heiligen Er weiß, dass Gott seine Seele weder im
Geistes vom Vater empfangen hat, hat er Totenreich lassen wird noch erlauben
dieses ausgegossen, was ihr seht und wird, dass sein Leib die Verwesung
hört (Apg 2,25-33). sieht. Mit anderen Worten: Christus
wird aus den Toten auferstehen.
Nun achten Sie einmal auf die Punkte, Die Erwähnung des Totenreichs (hebr.
die Petrus anführt (die meisten hätten Scheol) bedarf einer Erklärung. Scheol ist
wir selbst nie aus dem Abschnitt ent- das im Alten Testament benutzte Wort
nommen): für Grab, für die »Unterwelt«, um den
1. David sprach von Christus (V. 25). körperlosen Zustand zu beschreiben.
David konnte nicht über sich selbst Im Neuen Testament entspricht ihm
sprechen, weil sein Leib noch in einem das Wort »Hades«. Scheol weist nicht so
Grab in Jerusalem liegt. sehr auf einen geografischen Ort als
2. Als ein Prophet wusste der Psal- vielmehr auf einen Zustand des Toten
mist, dass Gott Christus aus den Toten hin – auf die Trennung von Seele und
auferwecken würde, bevor er auf dem Leib. Es wurde für jeden Verstorbenen
Thron regieren sollte. benutzt, ob er nun ein Gläubiger oder
3. David sagte daher voraus, Gott ein Ungläubiger war. Andererseits wird
werde der Seele Christi nicht erlauben, die neutestamentliche Entsprechung
im Hades zu bleiben, noch könne er zu- nur für Ungläubige verwendet. Scheol
lassen, dass sein Leib verwesen sollte. war ein sehr unbestimmtes, ungenaues
4. Gott weckte in der Tat Christus Wort. Es zeichnete kein deutliches Bild
wieder auf, und was am Pfingsttag ge- vom Leben nach dem Tod. Tatsächlich
schah, war das Ergebnis seiner Verherr- drückte es mehr Ungewissheit als Er-
lichung zur Rechten Gottes. kenntnis aus.
Mit dieser Einleitung im Hinterkopf Im Neuen Testament ist das alles an-
lassen Sie uns nun die abschließenden ders. Christus hat Leben und Unver-
Verse dieses Psalms lesen: gänglichkeit ans Licht gebracht durch

557
Psalm 16 und 17

das Evangelium (2Tim 1,10). Heute wis- keit, seine Aufrichtigkeit und seinen
sen wir, dass wenn ein Ungläubiger Gehorsam. Es hört sich fast so an, als
stirbt, sein Geist und seine Seele an ei- habe er den Stand der sündlosen Voll-
nem Ort der Qual, im Hades, sind (Lk kommenheit erreicht. Aber das ist in
16,23), während sein Leib ins Grab ge- Wirklichkeit überhaupt nicht der Fall.
legt wird. Der Geist und die Seele des David beansprucht nicht in allen Le-
Gläubigen gehen zu Christus in den bensbereichen Schuldlosigkeit, sondern
Himmel (2Kor 5,8; Phil 1,23), während nur in den vorliegenden Umständen. Er
sein irdischer Leib im Grab liegt. sagt damit, dass er nichts getan habe,
Wenn der Heiland sagt: »Denn meine was die gegenwärtige Feindseligkeit
Seele wirst du dem Scheol nicht lassen«, seiner Gegner provoziert hätte.
offenbart er damit sein Vorherwissen, Wir können Davids Fall etwa so um-
dass Gott nicht erlauben werde, ihn in schreiben:
einem leiblosen Zustand zu lassen. Ob- 17,1-2 »HERR, ich bitte dich, meinen
wohl er in den Scheol eintrat, blieb er Fall anzuhören, weil er gerecht ist. Ach-
nicht dort. te aufmerksam auf das, was ich sage;
Gott erlaubte nicht, dass der natür­ denn ich werde unrechtmäßig verfolgt.
liche Prozess der Verwesung einsetzte. In meinem Appell für Gerechtigkeit
Er bewahrte ihn durch ein Wunder. sage ich, wie es wirklich ist – weder be-
Christi lebloser Körper wurde drei Tage trüge ich, noch verdunkle ich die Wahr-
und Nächte lang vor der Verwesung heit. Vor deinem Richterstuhl suche ich
bewahrt. Freispruch. Mögen deine Augen jede
16,11 Im Schlussvers hat unser ge- Facette dieses Falls prüfen, und dann
priesener Herr das volle Vertrauen, Gott entscheide zugunsten des Rechts!«
werde ihm den Weg des Lebens zeigen 17,3-5 »Wenn du mein Herz prüfst,
– den Weg vom Tod zurück zum Leben. wenn du mich erforschst in der Dunkel-
Dieser Weg würde ihn am Ende zurück heit wie im Licht – einerlei, wie genau
in den Himmel bringen, in die Gegen- du mich prüfst – wirst du finden, dass
wart Gottes. Dort würde er ewiglich die Gegenpartei keinen stichhaltigen
Freude in Fülle und Lieblichkeiten ge- Grund hat, mich zu verfolgen, so wie sie
nießen. es tut. Auf Ehre – ich sage die Wahrheit.
Soweit es die gewöhnliche Bosheit der
Psalm 17: Das immer währende Rätsel Menschen betrifft, war es mir möglich,
Wenn wir Böses tun und dafür leiden, mich von Gewalttat fernzuhalten, indem
sagt uns unser eigenes Gewissen, dass ich mich nahe an dein Wort, die Bibel,
die Bestrafung zu Recht erfolgt. Aber es hielt. Nicht in Abhängigkeit von meiner
ist eine ganz andere Geschichte, wenn Kraft, sondern von deinen Geboten und
unser Leiden nicht mit irgendetwas Bö- Verheißungen bin ich im Gehorsam dir
sem verbunden ist, das wir getan hät- gegenüber meinen Weg gegangen. Mei-
ten! Diese Art Leiden – »das Leiden um ne Tritte sind nicht ausgeglitten; ich
der Gerechtigkeit willen,« wie Petrus es habe mich der Gewalttat gegen meine
nennt ‒ bleibt für ein Kind Gottes ein Feinde enthalten, obwohl ich viele Mög-
dauerndes Rätsel. lichkeiten hatte, sie auszuüben.«
David wusste davon ein Lied zu sin- 17,6-7 »Nun befehle ich meine Sache
gen. Aber er wusste auch, damit umzu- dir an. Ich appelliere an dich für Ge-
gehen. Er brachte seinen Fall zu dem rechtigkeit und habe die Zuversicht,
gerechten Richter. Da war er sich eines dass du mich hören und erhören wirst.
fairen Verfahrens sicher. Du bist der Retter derer, die Zuflucht
Manchmal scheint David sich in riesi- suchen bei deiner Rechten. Wenn ich zu
ger Selbstüberschätzung zu verteidi- dir gelaufen komme, so erweise mir
gen. Er bezeugt laut seine Gerechtig- deine wunderbare Gnade.«

558
Psalm 17 und 18

17,8-12 »Behüte mich wie deinen Aug- Eine großartige Verwandlung: 1Jo – wir
apfel – ich denke dabei an die Pupille, werden ihm gleichgestaltet sein. Ps – ich
wie sie ›beschützt wird von den Wim- werde erwachen in deinem Bild.
pern, dem Lid, den Augenbrauen, der Eine erweiterte Schau: 1Jo – wir werden
Augenhöhle und der schnellen Bewe- ihn sehen, wie er ist. Ps – ich werde dein
gung der aufgehobenen Hand‹ (F.B. Angesicht schauen.17
Meyer). Birg mich in dem schützenden
und trauten Schatten deiner Flügel. Dann Siehe auch 1Kor 15,51-55 und Offen­
werde ich sicher sein vor meinen Tod- barung 22,4.
feinden, die mir alles rauben und mir so-
gar mein Leben nehmen wollen. Wie du Psalm 18: Die Kraft, die Christus aus
so gut weißt, sind ihre fetten Herzen des den Toten auferweckte
Mitleids unfähig, und ihr Mund speit die Wir gewinnen einen Anhaltspunkt
schrecklichsten Prahlereien darüber aus, dafür, dass dieser Psalm von dem Herrn
was sie mir anzutun gedenken. Heimlich Jesus handelt, wenn wir erfahren, dass
reißen sie mich zu Boden. Jetzt haben sie V. 50 in Römer 15,9 auf ihn bezogen
mich umringt. Ihre Augen sind darauf wird:
gerichtet, mir den Todesstoß zu verset- »Darum will ich dich preisen unter
zen. Gierig wie ausgehungerte Löwen den Völkern, HERR, und will spielen
und verschlagen wie ein Junglöwe lau- deinem Namen.«
ern sie im Gebüsch, sind sie bereit, mich Bei näherem Nachforschen ent­decken
in Stücke zu reißen.« wir, dass wir recht haben. Der ganze
17,13-14 »HERR, du musst einfach Psalm handelt in der Tat von dem
meine Verteidigung übernehmen. Tritt Herrn Jesus Christus. Er beschreibt
ihnen direkt entgegen und lass sie bildhaft seinen Tod, seine Auferstehung
straucheln. Mit deinem Schwert rette und Erhöhung, sein Zweites Kommen
mich von der Horde dieser Gottlosen, und sein herrliches Reich.
denen es nur um das geht, was sie in Nirgends sonst in der Bibel wird uns
diesem Leben erreichen können. Du ein so lebendiges Bild von dem un­
hast ihnen mehr als genug materielle geheuren Kampf gezeichnet, der in der
Güter gegeben. Selbst ihre Kinder ha- unsichtbaren Welt zur Zeit der Auf­
ben Überfluss – genug, um es ihren erstehung unseres Retters ausgefochten
Kindern zu überlassen.« wurde. Aber davon später mehr.
17,15 »Meinetwegen können sie alles 18,1-4 Das Lied beginnt mit einem
haben, sofern es nicht mich betrifft. Lob des HERRN dafür, dass er die Ge-
Mein Interesse ist auf geistliche und bete seines geliebten Sohnes gehört und
nicht auf materielle Schätze gerichtet. erhört hat. Beachten Sie die sprach­
Es genügt mir, einmal dein Angesicht lichen Bilder, die verwendet werden,
zu schauen als einer, der gerecht ge- um die Stärke, die Geborgenheit, die Si-
sprochen wurde und kein schuldiger cherheit und die Rettung auszudrü-
Sünder mehr ist. Ich werde gesättigt cken, die in Gott zu finden sind: »meine
werden, wenn ich erwache, in deinem Stärke … mein Fels … meine Burg …
Bild (oder: »An deinem Anblick werde mein Erretter … mein Schild und das
ich mich sättigen, wenn ich erwache.«). Horn meines Heils … meine hohe Fes-
E. Bendor Samuel hat aufgezeigt, dass te«.
Vers 15 alles enthält, was wir in 1Jo 3,2 18,5-7 Mit großer Wucht bricht der
finden: Tod über den leidenden Erlöser herein.
Schnell wechseln die Bilder, mit denen
Höchste Befriedigung: 1Jo – es ist noch er seine Lage beschreibt: Er wird mit
nicht offenbar geworden … aber Ps – ich Fesseln gebunden und allmählich von
werde mich sättigen. den Wellen überwältigt, es umschlin-

559
Psalm 18

gen ihn unentrinnbare Fallstricke. In Bei seinem Erscheinen erbebte die


solch einer verzweifelten Lage gibt es Erde. Sein schrecklicher Zorn wird
nur eine Hilfe: das Gebet zu Gott. Chris- durch den Rauch beschrieben, der von
tus bat nicht darum, vor dem Sterben seiner Nase aufstieg, und durch das
bewahrt zu werden ‒ denn dazu war er verzehrende Feuer aus seinem Mund
ja in diese Welt gekommen (Joh 12,27). und durch Feuersglut, die auf seine
Worum er flehte, war, aus dem Tod er- Feinde herniederprasselte. Als er auf ei-
rettet zu werden: »Der hat in den Tagen ner Wolke gleich einem Cherub hernie-
seines Fleisches sowohl Bitten als auch derfuhr, wurde die Welt durch Sturm
Flehen mit starkem Geschrei und Trä- und dichte Finsternis erschüttert. Don-
nen dem dargebracht, der ihn aus dem ner, Blitze und Hagel griffen die Feinde
Tod erretten kann« (Hebr 5,7). in einem heftigen Bombardement an.
In seiner tiefen Bedrängnis hatte er Genauso wie bei dem Durchzug durch
die Zusicherung, dass seine Gebete ge- das Rote Meer schreckten die Wasser
hört und erhört wurden. Der Rest des der Meere und Ströme aus Angst vor
Psalms offenbart, wie Immanuels Kla- der gigantischen Entfaltung des Zorns
gerufe von Gethsemane und Golgatha des Allmächtigen zurück.
alle Kräfte der göttlichen Allmacht sei- 18,17-20 In treffenden Sinnbildern
netwegen in Bewegung setzten. »Die wird gezeigt, wie der Feind zerschla-
Stimme ist schwach und einsam«, gen, zermalmt, vernichtet, verwundet
schrieb F.B. Meyer, »aber die Antwort und verstümmelt wird, bis er sich völ-
erschüttert die ganze Schöpfung.« lig geschlagen zurückzieht. Dann
18,8-16 Liest man die Verse 8-20, so streckt Gott die Hand aus und nimmt
klingt es, als sei Krieg ausgebrochen. Christus aus dem immer noch versie-
Und genau das geschah bei der Auf­ gelten Grab. Halleluja! Christus ist auf-
erstehung Christi. Der Kampf tobte erstanden! Gott hat ihn nicht nur von
zwischen Gott und den Heeren der den Toten auferweckt, sondern ihm
Hölle. Satan und alle seine Dämonen auch einen triumphalen Aufstieg durch
versammelten sich bei dem Grab außer- das Herrschaftsgebiet des Feindes ge-
halb Jerusalems, entschlossen, dafür zu währt und ihn dann zu seiner Rechten
sorgen, dass der Herr Jesus Christus verherrlicht. So sagt Paulus: »Er hat die
niemals wieder auferstehen würde. Ihr Gewalten und die Mächte völlig ent-
Erfolg, den Sohn Gottes gekreuzigt zu waffnet und sie öffentlich zur Schau ge-
haben, wäre völlig zunichtegemacht, stellt. In ihm hat er den Triumph über
wenn er von den Toten auferstünde. So sie gehalten« (Kol 2,15).
drängten sie sich alle um das versiegel- 18,21-31 Hier haben wir das Grund-
te Grab des Erlösers. prinzip oder das Geheimnis der Auf­
Dann neigte Gott die Himmel und kam erstehung. Es bestand eine gewisse mo-
herab in der größten Machtentfaltung, ralische Notwendigkeit für Gott, den
die die Welt je erfahren hat. Der Apostel Herrn Jesus aufzuerwecken. Diese Not-
Paulus spricht später darüber als von der wendigkeit ergab sich aus dem sünd-
»überragenden Größe seiner Kraft … Die und fleckenlosen Leben Christi und aus
hat er in Christus wirksam werden las- seiner unbeirrbaren Ergebenheit in den
sen, indem er ihn aus den Toten auf­ Willen seines Vaters sowie aus der Voll-
erweckt … hat« (Eph 1,19-20). Größer als kommenheit seines Werkes am Kreuz.
die Macht, die das Universum schuf, Alle gerechten Eigenschaften Gottes er-
größer als die Kraft, die Israel aus Ägyp- forderten, dass er ihn in der Kraft eines
ten befreite, war Gottes Auferstehungs- unauflöslichen Lebens aus dem Grab
macht, die die satanische Herrschaft und hervorbrachte. Das ist mit der majestä-
ihre Mächte und alle bösen Geister am tischen Äußerung gemeint, dass »Chris-
ersten Ostermorgen zurückschlug. tus aus den Toten auferweckt worden

560
Psalm 18 und 19

ist durch die Herrlichkeit des Vaters …« löste Israel als auch die erlösten Heiden
(Röm 6,4). Der herrliche Charakter Got- dienen ihm in williger Unterwerfung
tes machte die Auferstehung zu einer unter das gerechte Regiment des ver-
moralischen Notwendigkeit. Sie war herrlichten Christus. Fremde werden
der Lohn für die vollkommene persön- sich ihm schmeichlerisch unterwerfen.
liche Gerechtigkeit Jesu Christi. 18,47-51 Der Psalm endet, wie er be-
Obwohl David die Verse 21-31 ge- gann – mit einem Lobgesang für Gott
schrieben hat, gelten sie in Wirklichkeit wegen seiner wunderbaren Rechtfer­
nicht gänzlich für ihn. Stattdessen tigung des Herrn Jesus. Er hat dem
sprach er prophetisch durch die Inspi- König große Siege gegeben und seinem
ration des Heiligen Geistes von dem, Gesalbten, dem Sohn Gottes, Gnade
der sowohl sein Sohn als auch sein Herr erwiesen.
war (Mt 22,41-46). Wegen all dessen, was er getan hat,
18,32-43 Diese Verse beschreiben das sollten auch wir ihn erheben, ihn unter
Zweite Kommen Christi, »bei der den Heiden preisen und seinem Namen
Offen­barung des Herrn Jesus vom lobsingen.
Himmel her mit den Engeln seiner
Macht, in flammendem Feuer. Dabei Psalm 19: Die zwei Bücher Gottes
übt er Vergeltung an denen, die Gott 19,1-3 »Die Himmel erzählen die Herr-
nicht kennen, und an denen, die dem lichkeit Gottes, und das Himmelsge-
Evangelium unseres Herrn Jesus nicht wölbe verkündet seiner Hände Werk.«
gehorchen« (2Thes 1,7-8). Dann ist er Und welch eine Geschichte haben sie
»bekleidet mit einem in Blut getauchten zu berichten! Bedenken Sie zuallererst,
Gewand … Und aus seinem Mund geht was sie über die Unermesslichkeit des
ein scharfes Schwert hervor, damit er Universums aussagen. Würden wir mit
mit ihm die Nationen schlage; … und er Lichtgeschwindigkeit reisen – 300.000
tritt die Kelter des Weines des Grimmes km/s, das sind rund 9,45 Billionen Kilo-
des Zornes Gottes, des Allmächtigen« meter im Jahr –, so würde es 10 Milliar-
(Offb 19,13.15). den Jahre dauern, um den entferntesten
Christus wird hier vor allem als ein Punkt zu erreichen, den wir mit unse-
Kriegsmann dargestellt. Das stimmt ren Teleskopen erkennen können. Aber
mit den anderen Bibelstellen überein, damit wären noch bei weitem nicht die
die lehren, er werde, wenn er auf die Ränder des Weltraums erreicht. Heute
Erde zurückkommt, in erster Linie glauben manche Astronomen, das Uni-
kommen, um »Gericht auszuüben ge- versum habe überhaupt keine Grenzen!
gen alle und alle Gottlosen zu überfüh- Unsere Erde ist nichts als ein winziges
ren von allen ihren Werken der Gott­ Staubkörnchen in der unendlichen
losigkeit, die sie gottlos verübt haben, Weite!
und von all den harten Worten, die gott- Bedenken Sie auch die Zahl der Ster-
lose Sünder gegen ihn geredet haben« ne und anderer Himmelskörper! Mit
(Jud 15). bloßem Auge können wir etwa 5.000
Nachdem Gott, der Vater, ihn für den Sterne sehen. Mit einem kleinen Tele­
Kampf ausgerüstet hat (V. 32-37), greift skop erkennen wir schon etwa 2 Millio-
er an und vernichtet seine Feinde voll- nen von ihnen, und mit dem Teleskop
ständig (V. 38-43). auf Mount Palomar werden Milliarden
18,44-46 Nach der Zermalmung sei- von Galaxien sichtbar, gar nicht zu re-
ner Feinde errichtet Christus sein Reich den von den einzelnen Sternen!
auf Erden und regiert als König der Dann bedenken Sie die Entfernungen
Könige und als Herr der Herren. Jetzt zwischen den Himmelskörpern und
ist er das »Haupt der Nationen (Hei- der Erde und untereinander! Jemand
denvölker)« auf Erden. Sowohl das er- hat die Entfernungen einmal so darge-

561
Psalm 19

stellt: Wenn eine Reise von 1.000 Kilo- glücklichen Umständen zuzuschreiben.
metern einen Cent kostete, müsste man Es kann nicht anders sein: Die Weisheit
für die Fahrt zum Mond 2,38 Euro be- des Höchsten ersann den Plan, und die
zahlen. Die Reise zur Sonne kostete Kraft des Unendlichen führte ihn aus.18
dann 930 Euro und die Fahrt zum
nächsten Fixstern 260 Millionen Euro. 19,5b-7 Der Psalmist sieht das Him-
Obwohl die Sterne am Firmament melsgewölbe als ein riesiges Zelt an,
dicht gedrängt erscheinen, sind die Ab- das Gott für die Sonne bereitet hat. Geht
stände zwischen ihnen so groß, dass sie morgens auf, gleicht sie einem Bräu-
man sie mit einsamen Leuchtschiffen tigam, der aus seiner Kammer tritt (das
verglichen hat, die Millionen von Kilo- hebräische Wort für »Sonne« ist männ-
metern voneinander entfernt auf einem lich; Anmerkung des Übersetzers). Die
leeren Meer treiben. Wenn die Schöp- Sonne bewegt sich durch das Himmels-
fung so groß ist, wie viel größer ist dann gewölbe wie ein Held, der freudig seine
der Schöpfer! Tag und Nacht verkündi- Bahn durchläuft. Die Reise beginnt im
gen die Himmel die Großartigkeit sei- östlichen Ende des Himmels und setzt
ner Macht und Weisheit. Unablässig sich fort bis zum Untergang am West-
verkündet das Himmelsgewölbe das horizont. Natürlich wissen wir, dass die
Werk seiner Hände. (Der Begriff »Him- Sonne nicht wirklich auf- und unter-
melsgewölbe« bezeichnet in der Bibel geht, sondern dass die Erde durch ihre
die Ausdehnung der Himmel.) Isaac Drehung diese Illusion erzeugt. Aber
Watts schrieb: »Die Natur breitet über- die Bibel redet in ihren poetischen Ab-
all mit lauter Stimme das Lob ihres schnitten oft so, wie es uns Menschen
Schöpfers aus.« vorkommt und wie wir uns im Alltag
19,4-5a Da ist keine Rede, keine hör- ausdrücken würden.
bare Stimme, und doch erstreckt sich »Nichts ist vor ihrer Glut verborgen.«
die Predigt der Sterne ȟber die ganze Sie freut sich daran, alles aufzudecken
Erde« und ihre Botschaft »bis an das und jede verborgene Ecke und Spalte
Ende der Welt«. Einfach, indem er den zu durchdringen.
Himmel betrachtet, kann der Mensch 19,8-10 Aber die Schöpfung ist nur
wissen, dass es einen Gott gibt, und sei- das eine der beiden Bücher der Selbst­
ne ewige Kraft wahrnehmen (Röm offenbarung Gottes. Vers 8 führt uns in
1,20). Die erschreckenden Dimensionen den zweiten Band der göttlichen Offen-
und die Komplexität des Universums barung ein – »das Gesetz des HERRN«.
bestätigen Lord Kelvins Beobachtung, Beide Bände verherrlichen Gott und in-
dass »wenn man scharf genug nach- spirieren die Anbetung nachdenklicher
denkt, man durch die Wissenschaft ge- Menschen. Nur wenige Kommenta-
zwungen ist, an Gott zu glauben«. Kant toren der Psalmen können widerstehen,
schrieb: hier das berühmte Kant-Wort zu zitie-
ren:
Es ist unmöglich, den Bau der Welt zu »Der gestirnte Himmel über mir und
betrachten, ohne die bewundernswerte das moralische Gesetz in mir sind zwei
Ordnung ihrer Einrichtungen und die Dinge, die meine Seele mit immer grö-
gewissen Zeichen der göttlichen Hand in ßerer Bewunderung und Ehrfurcht er-
der Vollkommenheit ihrer wechselseiti- füllen.«19
gen Beziehungen wahrzunehmen. Die Aber es gibt einen Unterschied zwi-
Vernunft, wenn sie einmal so viel Schön- schen den beiden göttlichen Büchern.
heit und so viel Vollkommenheit bedacht Die Schöpfung offenbart Gott als den
und bewundert hat, empfindet eine ge- Allmächtigen, den Gott der Kraft. Aber
rechte Abscheu vor der verwegenen Tor- sein Wort offenbart ihn als den, der in
heit, die es wagt, all dies dem Zufall und eine Bundesbeziehung zu seinem Volk

562
Psalm 19

eintritt. Gottes Werke offenbaren seine Und die Verheißungen darin


Weisheit und Macht; aber sein Wort of- Erfreu’n, ermuntern meinen Sinn,
fenbart seine Liebe und Gnade. Wissen- Wenn’s täglich zu mir reden kann.
schaftliche Wahrheit mag unseren Intel- nach Edmund Pillifant
lekt anregen; aber geistliche Wahrheit
überführt unser Herz und unser Ge­ Nebenbei: Ich finde den Ausdruck »sü-
wissen! ßer als Honig und Honigseim« wunder-
In seiner Lobrede auf das Wort Gottes bar, denn der Honig, der aus den Waben
beschreibt David es nicht nur als das tropft, ist reiner als der ausgeschleuder-
»Gesetz des HERRN«, sondern auch als te.
das »Zeugnis des HERRN«, als die 19,12 »Auch wird dein Knecht durch
»Vorschriften des HERRN«, das »Gebot sie gewarnt.« Durch die Heilige Schrift
des HERRN«, die »Furcht des HERRN« wird der Gläubige unterwiesen, dem
und die »Rechtsbestimmungen des Teufel zu widerstehen, vor der Versu-
HERRN«. Der Psalmist schreibt dem chung zu fliehen, die Sünde zu hassen
Wort Gottes acht ausgezeichnete Eigen- und sogar den Anschein des Bösen zu
schaften zu: Es ist vollkommen, zuverläs­ meiden. Wenn er den Vorschriften der
sig, richtig, lauter, rein, ewig bleibend, wahr Bibel gehorcht, findet der Christ wahre
und gerecht. Dann zählt er fünf seiner Lebenserfüllung. Geistlich, leiblich und
wunderbaren Dienste auf: Es macht die seelisch erfreut er sich des gottgewoll-
Seele lebendig (erquickt), es macht die ten Lebens! Über alldem sammelt er
Unverständigen weise, es erfreut das sich Lohn, der ihm am Richterstuhl
Herz, es erleuchtet die Augen, und es Christi zuteil werden wird. »Die Gott-
belehrt (oder warnt) den Knecht Gottes. seligkeit aber ist zu allen Dingen nütze,
19,11 Der Wert des Wortes kann nicht weil sie die Verheißung des Lebens hat,
mit Gold aufgewogen werden, doch hat des jetzigen und des zukünftigen«
es eines mit Gold gemeinsam: Die Men- (1Tim 4,8).
schen müssen nach diesen Schätzen 19,13 Aber wenn wir daran denken,
graben. Großer Reichtum ist in den Sei- wie heilig, gerecht und vollkommen
ten des göttlichen Buches verborgen, das Gesetz des HERRN ist, begreifen
und wir ziehen den größten Gewinn wir, welche Versager wir sind, und wir
daraus, wenn wir nach ihm forschen. rufen zusammen mit David aus: »Ver­
»Gottes Ehre ist es, eine Sache zu ver- irrungen – wer bemerkt sie?« Barnes
bergen, schreibt:
die Ehre der Könige aber, eine Sache
zu erforschen« (Spr 25,2). Im Hinblick auf ein so reines, so heiliges
Ich kann wirklich sagen, dass sich Gesetz, das so unerbittlich in seinen Ge-
kein Goldgräber jemals mehr über Gold boten und so umfassend in seinen Forde-
freuen kann, als ich mich freue, wenn rungen ist, das über unsere Gedanken,
ich die Goldklumpen der geistlichen unsere Worte und unser ganzes Leben
Schätze in der Bibel entdecke! So gern das Urteil fällt – wer kann da sagen, wie
ich Honig mag, sein Geschmack ist mir oft er von solch einem Gesetz ab­gewichen
nicht so süß wie der Geschmack des gu- ist? Einen ähnlichen Gedanken finden
ten Wortes Gottes! Durch nichts kann wir in Psalm 119,96: »Von allen Vollkom-
ich beschreiben, welche Bereicherung menen habe ich ein Ende gesehen. Doch
und Befriedigung ich in meiner Bibel dein Gebot reicht sehr weit.«20
gefunden habe.
Wenn die Heilige Schrift uns vor uns
Dies alte Buch weist mir den Pfad, selbst bloßstellt und uns von unseren
Es ist mein Freund, mein Trost, mein Rat. Sünden überführt, die uns vorher un­
Es macht mir hell des Lebens Bahn, bewusst waren, bringt uns dies dazu,

563
Psalm 19 und 20

um Vergebung der verborgenen Ver- sich auf seine Untertanen, und ihre Ge-
fehlungen zu bitten. Das sind Verfeh- bete sind nun mit der Gewissheit der
lungen, die uns selbst und sogar ande- Errettung vermengt (V. 8-10).
ren verborgen waren, nur Gott nicht. So
sollte unser Bekenntnis auch immer die Das Gebet des Volkes (20,1-6)
verborgenen Sünden einschließen. 20,1-2 Am Vorabend der Schlacht blickt
19,14 Aber der Psalm lehrt uns nicht das Volk auf den HERRN und bittet
nur die Befreiung von verborgenen ihn, den König bei der kommenden
Sünden, sondern auch die Bewahrung Schlacht zu erhören, indem er die Fein-
vor mutwilligen Sünden, das heißt vor de durch eine vernichtende Niederlage
Sünden, die ihre Ursache in Hochmut zurückschlägt. Wenn die Israeliten sin-
und Selbstzufriedenheit haben. Hoch- gen: »Der Name des Gottes Jakobs ma-
mut war die Ursünde des Universums. che dich unangreifbar!«, so erinnern sie
Er führte zu Luzifers erster Rebellion uns daran, dass der Name Gottes für
gegen Gott. Mehr als alles fürchtete der seine Person selbst steht. Dreimal in
Psalmist solche Sünden aus Übermut in diesem Psalm finden wir Hinweise auf
seinem Leben. Wenn er ihrer Herrschaft diesen wunderbaren Namen:
entrinnen kann – so schreibt er –, dann Der Name des Gottes Jakobs mache
»bin ich tadellos und bin rein von dich unangreifbar! (V. 2).
schwerem Vergehen«, besonders von »… (wir werden) im Namen unseres
dem großen Vergehen, sich von Gott Gottes das Panier erheben (V. 6).
loszusagen und sich gegen ihn aufzu- »Wir aber denken an den Namen des
lehnen. HERRN« (V. 8).
19,15 Das große Loblied ist zu Ende. Williams überträgt diese Anspielun-
David hat das Buch der Schöpfung und gen sinngemäß und sehr passend als:
das Buch der Offenbarung gerühmt. Der verteidigende Name.
Nun erhebt er die Schlussbitte, seine Der sich offenbarende Name.
Worte und sein Sinnen möchten vor Der erlösende Name.
dem HERRN wohlgefällig sein, der sein 20,3 Die Quelle der begehrten Hilfe
Fels und sein Erlöser ist. Wenn von Gott wird genau bezeichnet. Das Heiligtum
als von einem Felsen gesprochen wird, in Zion war der Wohnort Gottes auf Er-
soll damit Kraft, Sicherheit und Erret- den, und so ist es vernünftig, Hilfe aus
tung ausgedrückt werden. Als unser dem Heiligtum und Stärke aus Zion zu
Erlöser ist Gott in Christus derjenige, erbitten.
der uns loskauft von Sünde, Knecht- 20,4 Der glaubensvolle Gehorsam des
schaft und Schande. Königs, der sich darin äußert, dass er
Speisopfer und Brandopfer darbringt,
Psalm 20: Der Name des Gottes Jakobs wird als besonderer Grund hingestellt,
Das Volk steht am Abgrund eines weshalb der Herr ihn wohlgefällig an-
Krieges. Bevor er seine Truppen in den sehen möge.
Kampf führt, ist König David gekom- 20,5-6 Das Begehren des Königs war
men, um Schlachtopfer darzubringen. es, dass der Herr seine Pläne und Vor-
Eine Menge ergebener Untertanen ist haben mit Erfolg krönen möge. Hier
anwesend, um ihm Erfolg zu wünschen. bittet sein liebendes Volk darum, dass
In den Versen 2 bis 6 hören wir, wie sie dies tatsächlich am Ende der Schlacht
zu dem Herrn flehen, er möge David be- so sein möge. Die Untertanen denken
schützen und ihm Sieg verleihen. Er­ schon an eine großartige Siegesfeier mit
mutigt durch die Gebete seines Volkes ausgelassener Freude und Begeiste-
spricht der König seine Zuversicht aus, rung, wenn die Nachricht verkündet
dass der HERR seinetwegen eingreifen wird und die Fahnen im Wind flattern
werde (V. 7). Dieses Vertrauen überträgt zur Ehre des Namens ihres Gottes.

564
Psalm 20 und 21

Hier erhebt sich die Frage, ob die ausdrücken, dass er ihn aus den Toten
Worte »Der HERR erfülle alle deine Bit- auferweckt. Wenn sich der Messias auf
ten« vom Volk, vom Priester oder vom den Konflikt mit Satan und dessen
König ausgesprochen werden. In jedem Heerscharen einlässt, ist er zuversicht-
Fall ist es ein angemessenes Gebet. lich, was das schließliche Ende betrifft.
Psalm 20 blickt voraus auf den Jubel
Die Antwort des Königs (20,7) des ersten Ostermorgens.
20,7 Ermutigt durch das in dem Gebet Der Psalm kann auch auf Missionare
ausgedrückte Interesse des Volkes, er- angewandt werden, die in Satans Herr-
freut sich der König der Erkenntnis, schaftsgebiet hinausgehen ‒ oder auf
dass der HERR wirklich alle benötigte jeden Christen, der Neuland für den
Hilfe von seinem heiligen Himmel sen- Herrn gewinnen möchte.
den und in wunderbaren Machterwei-
sungen seine unendliche Kraft demons- Psalm 21: Dank für den Sieg
trieren werde. Dieser Psalm ist sehr eng mit dem vor-
angehenden verbunden. Da hörten wir
Das vertrauensvolle Gebet des Volkes das Volk um Sieg für den König beten,
(20,8-10) als er in den Kampf zog. Hier ist dieses
20,8-9 Solches Vertrauen ist ansteckend. Gebet erhört worden, und dasselbe
Das ergebene, durch die Gewissheit sei- Volk spricht noch einmal mit dem
nes Führers inspirierte Volk ist nicht Herrn über den Sieg. Zuerst denken die
länger voller Angst und Schrecken vor Israeliten an die begeisternde Weise,
der Militärmacht des Feindes. Mag er wie Gott den Sieg schenkte (V. 2-8).
sich der Unverwundbarkeit seiner Wa- Zum Schluss rühmen sie die Stärke und
gen und der schlachterfahrenen Rosse Macht des HERRN (V. 14).
rühmen; Israel rühmt sich des Namens
des HERRN! Es ist besser, auf ihn zu Die Freude des Sieges (21,1-8)
vertrauen, als auf prall gefüllte Waffen­ 21,1-5 Der König jubelt über die Art
arsenale. Wenn der Herr herabblickt, und Weise, wie der HERR seine Stärke
werden selbst die mächtigsten Heere als Gott der Schlachten offenbart hat. Er
niedersinken und fallen! Wer aber auf fließt über mit Lob und Preis, wenn er
Seiten des Herrn ist, wird noch aufrecht an die rechtzeitige Hilfe des HERRN
stehen, wenn sich der Rauch der denkt. Gott hat ihm den erflehten Sieg
Schlacht verzogen hat. gegeben, den Erfolg, um den er bat. Der
20,10 Mit diesem Frieden im Herzen Herr kam ihm mit köstlichen Seg-
bitten die Israeliten den HERRN aufs nungen des Triumphs und des Wohl­
Neue, er möge dem König Sieg geben ergehens entgegen. Der Höchste setzte
und dadurch ihr Gebet um Errettung ihm eine unvergängliche Krone aus
erhören. reinem Gold auf sein Haupt. Als Ant-
wort auf die Bitte des Königs um Be-
Anwendung wahrung, gab er ihm Leben – ja, Dauer
Die geschichtliche Anwendung dieses der Tage für immer und ewig. Der letzte
Psalms mag in Davids Sieg über die Ausdruck bedeutet im Hinblick auf
Ammoniter und Syrer liegen (2Sam David sicher ein langes Leben, aber
10,14-19). buchstäblich wahr ist er in Bezug auf
Aber der Psalm kann auch auf den das Auferstehungsleben des Messias.
Herrn Jesus angewandt werden als ein 21,6-8 Dieser Abschnitt gewinnt zu-
Gebet um seine Auferstehung. Sein sätzliche Schönheit, wenn wir ihn als
gläubiges Volk bittet, Gott möge seine auf den Herrn Jesus bezogen betrach-
eigene völlige Befriedigung durch ten. Gottes rettende Hilfe hat ihm große
Christi Opfer auf Golgatha dadurch Ehre verschafft. Indem er ihn aus den

565
Psalm 21 und 22

Toten auferweckte und zu seiner Rech- hat, um die Seinen zu erlösen und alle
ten setzte, hat Gott ihn mit Herrlichkeit Feinde zu vernichten. Es ist das Lied
und Ehre gekrönt (Hebr 2,9). Ja, Gott des Überrests in Israel, der um die Er-
hat ihn zum Segen gesetzt für immer höhung des Messias betet und der ihn
und zum Segen für die ganze Welt! Auf am Ende als den Herrn über alles an­
den höchsten Platz gesetzt, ist Christus erkennt.
mit Freude erfüllt in der Gegenwart sei-
nes Vaters. Es war sein unverbrüch­ Psalm 22: Christus in Leiden und
liches Vertrauen auf den HERRN, das Herrlichkeit
ihm diesen Platz der Ehre einbrachte. Preis sei dir, o Lamm, Spross aus Davids
Und es ist die Gnade des Höchsten, die Stamm!
seine ewige Erhabenheit sicherstellt. Unsre Schuld hast du gesühnet, trugst
den Fluch, den wir verdienet.
Der Untergang der Feinde des Königs Preis sei dir, o Lamm, Spross aus Davids
(21,9-13) Stamm!
21,9-11 An dieser Stelle sprechen die In welch tiefer Not schriest du zu Gott:
Menschen den König direkt an. (Im vo- »Warum hast du mich verlassen?« O,
rigen Abschnitt hatten sie mit dem wer kann dein Weh erfassen!
HERRN gesprochen.) Wenn wir in dem In welch tiefer Not schriest du zu Gott!
König den Messias sehen, beschreibt Du, zur Sünd’ gemacht, sankst in
dieser Abschnitt den Untergang der Todesnacht.
Feinde Christi zur Zeit seines Zweiten Du, der keine Sünde kannte, der sich
Kommens. selbst das Leben nannte,
Seine Rechte wird alle seine Feinde Du, zur Sünd’ gemacht, sankst in
hervorsuchen; keiner seiner Hasser wird Todesnacht.
entkommen. Das Werkzeug der Zerstö- Nun ist Gott geehrt, Satans Macht
rung wird das Feuer sein. Er wird offen- zerstört,
bart werden »vom Himmel her in flam- Frei gemacht unzähl’ge Scharen, die des
mendem Feuer. Dabei übt er Vergeltung Todes Beute waren;
an denen, die Gott nicht kennen, und an Gott in dir geehrt, Satans Macht
denen, die dem Evangelium unseres zerstört.
Herrn Jesus nicht gehorchen« (2Thes O Anbetung dir, Preis und Dank dafür!
1,7-8). Er wird auch deren Nachkommen Über alles hoch erhoben, weilest, Gottes
vom Erdboden und ihren Samen aus Lamm, du droben.
dem Menschengeschlecht vertilgen. O Anbetung dir, Preis und Dank dafür!
21,12-13 Dieses Komplott, Christus Geistliche Lieder, Nr. 124
daran zu hindern, die Zügel der univer-
salen Herrschaft in seine Hände zu neh- 22,1-3 Nähern Sie sich diesem Psalm mit
men (wie auch in Psalm 2,2-3 beschrie- äußerstem Ernst und in demütigster
ben) wird schmählich misslingen. Die Haltung; denn Sie haben wohl kaum je-
Rebellen werden in Schrecken fliehen, mals auf heiligerem Boden gestanden!
wenn Gott direkt gegen sie vorgehen Sie sind nach Golgatha gekommen, wo
wird! der Gute Hirte sein Leben für die Schafe
gab. Für drei Stunden war die Erde in
Lobt den Herrn! (21,14) dichte Finsternis gehüllt, und im ganzen
21,14 Im Schlusssatz: »Sei erhoben, Universum hallte der Verlassenheits-
Herr, in deiner eigenen Kraft!« (NKJV/ schrei Immanuels wider: »Mein Gott,
KJV), wird der Herr erhoben wegen der mein Gott, warum hast du mich verlas-
Art und Weise, in der er seine Kraft sen?«
kundgetan hat. Lobgesänge brechen Hinter dieser flehenden Frage steht
hervor, weil Gott seine Macht entfesselt eine schreckliche Wirklichkeit – der lei-

566
Psalm 22

dende Erlöser war tatsächlich, buch- unterlegen: Für mich! Er wurde – für
stäblich und völlig von Gott verlassen. mich – verlassen. Wenn ich seinen Schrei
Der ewige Sohn, der allezeit der Gegen- höre: »Warum bleibst du fern von mei-
stand der Freude seines Vaters war, ner Rettung, von den Worten meiner
wurde dort verlassen. Der vollkomme- Klage?«, dann weiß ich, dass das für
ne Mensch, der nie versagte, den Willen mich geschah. Und es war meinet­
Gottes zu tun, erlebte die schreckliche wegen, dass die Himmel Tag und Nacht
Verlassenheit des Abgeschnittenseins für ihn schwiegen.
von Gott. 22,4 In gewisser Weise erklärt der Er-
Die Frage ist: »Warum?« Warum soll- löser seine Verlassenheit mit den Wor-
te der heilige, sündlose Sohn Gottes in ten: »Doch du bist heilig, der du wohnst
jenen drei Stunden der Finsternis den unter den Lobgesängen Israels.« Die
konzentrierten Schrecken der ewigen Liebe Gottes erforderte die Bezahlung
Hölle erleiden? Die Bibel gibt uns die der Sünde; Gottes Liebe stellte bereit,
Antwort. Als Erstes ist Gott heilig und was seine Heiligkeit erforderte. Er
gerecht, und das bedeutet: Er muss jede sandte seinen Sohn als stellvertretendes
Sünde bestrafen, wo er sie findet. Die Opfer. Jetzt gilt: »Nun kann das Gericht
Sünde zu dulden oder zu übersehen, ist nichts fordern mehr, und die Gnade
Gott unmöglich. Das bringt uns zu dem kann strömen von oben her.«
zweiten Punkt: Obwohl der Herr Jesus 22,5-6 Aber hören Sie wieder! Der Er-
selbst keine Sünden getan hatte, nahm retter spricht immer noch mit seinem
er unsere Sünden auf sich. Freiwillig Vater und erinnert ihn daran, dass die
übernahm er die Verantwortung, die Patriarchen nie verlassen waren. Ihre
Strafe zu tragen für alle unsere Unge- gläubigen Hilferufe blieben nie unbe-
rechtigkeiten. Unsere Schuld wurde antwortet. Niemals wurden sie ent-
ihm zugerechnet, und er wurde der täuscht, wenn sie um Erlösung baten.
willige Bürge für alles. Aber was kann Trotz ihrer Sünden und Verkehrtheiten
Gott nun tun? Alle seine gerechten gab es für Gott niemals eine Ursache,
Eigen­schaften forderten die Bestrafung sie zu verlassen. Dieser Urteilsspruch
der Sünde. Doch hier schaut er herab war dem fleckenlosen Lamm Gottes
und sieht seinen eingeborenen Sohn, vorbehalten.
wie er zum Sündenbock für andere 22,7-8 Nicht nur war er von Gott ver-
wird. Der Sohn seiner Liebe wurde un- lassen, er war auch vom Volk verachtet
ser Sündenträger. Was wird Gott tun, und verworfen. Für die Geschöpfe, die
wenn er unsere Sünden auf seinen ge- seine Hand gemacht hatte, war er nicht
liebten Sohn gelegt findet? einmal ein Mensch – nur ein Wurm. Er
Darüber hat es nie einen Zweifel ge- kannte die Bitternis des Spottes und der
geben, was Gott tun würde! Er entfes- Verwerfung durch ebendas Volk, das
selte absichtlich die ganze Heftigkeit zu retten er gekommen war. Selbst als
seines rechtmäßigen Zorns über seinen Christus am Kreuz hing, machte sich
geliebten Sohn. Der grausame Sturm der neugierige Haufen über ihn lustig
des göttlichen Gerichts brach los über und spottete über den ewigen Lieb­
das unschuldige Opfer. Um unseretwil- haber ihrer Seelen! So unglaublich es
len wurde Christus von Gott verlassen, klingt: Sie sangen ein Spottlied, in dem
damit wir niemals verlassen zu werden sie seine offensichtliche Hilflosigkeit
brauchen. und sein scheinbar nutzloses Gott­
Wenn wir also von Christi tiefem, tie- vertrauen verhöhnten.
fem Leiden lesen, so sollte das stets in 22,9 »Er soll doch auf den HERRN
dem klaren Bewusstsein geschehen, vertrauen; der soll ihn befreien; der soll
dass er all das für uns ertragen hat. Wir ihn erretten, er hat ja Lust an ihm!«
sollten alle Aussagen mit den Worten (Schlachter 2000). Das sind genau die

567
Psalm 22

Worte der höhnenden Menge am Kreuz 22,17-18 Nachdem er seine jüdischen


(Mt 27,39.43). Peiniger mit Stieren und Löwen ver­
22,10-12 Doch nun wendet sich der glichen hat, redet er jetzt von seinen
Sohn des Menschen von den Menschen heidnischen Henkern als von Hunden.
weg, hin zu Gott und erinnert ihn an Das war die übliche Bezeichnung der
Bethlehem. Es war Gott, der ihn aus dem Juden für die Heiden (Mt 15,21-28).
Leib der Jungfrau zur Welt kommen ließ. Hier bezieht es sich zum Teil auf die rö-
Es war Gott, der ihn während seiner zar- mischen Soldaten, die ihn wie eine
ten Kindheitstage bewahrt hatte. Es war Meute bösartiger wilder Köter umzin-
Gott, der ihn während seiner Jugendzeit gelten. Es war diese Rotte von Übel­
unterstützte. Auf der Grundlage dieser tätern, die seine Hände und Füße
früheren Beziehung der Liebe appelliert durchgraben hatte. Wenn sie ihn dort
Christus jetzt an Gott, ihm nahe zu kom- halbnackt hängen sahen, konnten sie
men in diesen Stunden seiner zermal- sehen, wie seine Gebeine gegen die ein-
menden, einsamen Qual. gefallene Haut abdrückten. Das bereite-
22,13-14 Viele in der hasserfüllten te ihnen Vergnügen und Genugtuung.
Menge auf Golgatha waren Israeliten. 22,19 Dann sieht der Herr Jesus in ei-
Christus vergleicht sie mit großen Stie- ner der wunderbaren Weissagungen
ren aus Baschan und mit reißenden und dieses Psalm voraus, dass die Soldaten
brüllenden Löwen. Das Gebiet östlich seine Kleider unter sich teilen und über
des Jordans war als reiches Weideland sein Gewand das Los werfen würden.
und wegen seiner starken, wohlgenähr- Und so geschah es Hunderte von Jah-
ten Tiere bekannt. Amos vergleicht spä- ren später auch:
ter die Luxus liebenden Israeliten mit
Kühen aus Baschan (Amos 4,1). Wenn Die Soldaten nun nahmen, als sie Jesus
Christus hier von Stieren aus Baschan gekreuzigt hatten, seine Kleider ‒ und
spricht, redet er von seinen eigenen machten vier Teile, einem jeden Soldaten
Landsleuten, die in diesem Augenblick einen Teil ‒ und das Untergewand. Das
darauf warteten, über ihn herzufallen, Untergewand aber war ohne Naht, von
um ihn umzubringen. Sie waren nicht oben an durchgewebt. Da sprachen sie
nur gehörnte Stiere, sondern auch rei- zueinander: Lasst es uns nicht zerreißen,
ßende und brüllende Löwen. Der Mes- sondern darum losen, wessen es sein soll!
sias Israels war gekommen, und sie (Joh 19,23-24).
stürzten sich auf ihn wie die Löwen auf
ein Lamm! 22,20-22 Zum letzten Mal in diesem
22,15-16 Christi körperliches Leiden Psalm fleht der Heiland Gott um seine
war unvorstellbar qualvoll. Da war sei- Gegenwart und Hilfe an. Er bittet, vom
ne Erschöpfung: »Wie Wasser bin ich Schwert und von der Gewalt der Hun-
hingeschüttet.« Da waren die entsetz­ de errettet zu werden, beides weist auf
lichen Schmerzen, weil seine Gelenke die Heiden hin. Das Schwert ist das Zei-
auseinandergerissen wurden: »Alle chen der Herrschermacht (Röm 13,4).
meine Gebeine haben sich zertrennt.« Hier bezieht es sich auf die Macht der
Da war die gewaltsame Verschiebung Römer, denen es zustand, die Todes-
der inneren Organe: »Wie Wachs ist strafe zu verhängen. Die Hunde sind,
mein Herz geworden.« Da war die un- wie oben bereits ausgeführt, die heidni-
erträgliche Schwäche: »Meine Kraft ist schen Soldaten. Dann bittet Christus in
vertrocknet wie eine Scherbe.« Da war V. 22 um Errettung aus dem Rachen des
der unablässige Durst: »Meine Zunge Löwen und von den Hörnern der Büf-
klebt an meinem Gaumen.« Alles konn- fel. Wie wir in den Versen 13 und 14 ge-
te nur bedeuten, dass Gott ihn »in den sehen haben, bezieht sich das auf das
Staub des Todes« legte. Volk der Juden, das zu Pilatus sagte:

568
Psalm 22

»Wir haben ein Gesetz, und nach dem hoch erhoben und ihm den Namen ver-
Gesetz muss er sterben« (Joh 19,7). liehen, der über jeden Namen ist, damit
»Du hast mich erhört« bezeichnet ei- in dem Namen Jesu jedes Knie sich beu-
nen deutlichen und triumphierenden ge … und jede Zunge bekenne, dass
Einschnitt zwischen den Versen 22 und Jesus Christus Herr ist, zur Ehre Gottes,
23. Es ist das Bindeglied zwischen den des Vaters« (Phil 2,9-11).
zwei Teilen des Psalms. Die Dichtung 22,26 Gott ist der Gegenstand des
bewegt sich nun ganz deutlich vom kla- Lobes des Messias: »Von dir soll mein
genden Bitten zum jubelnden Gesang. Loblied handeln in der großen Gemein-
Die Leiden des Herrn Jesus sind jetzt de.« In seinem Elend hatte Christus ver-
für immer vorbei. Sein Erlösungswerk sprochen, den Herrn öffentlich zu prei-
ist vollendet. Das Kreuz wurde mit der sen, und nun will er seine Gelübde er-
Krone getauscht! füllen vor denen, die den Herrn fürch-
Zwischen diesen zwei Versen bringt ten.
uns der Psalmist in einem Augenblick 22,27 In den letzten sechs Versen des
vom ersten Kommen Christi zu seinem Psalms wechselt der Sprecher. Jetzt
Zweiten Kommen – von Golgatha zum redet der Heilige Geist, der die voll-
Ölberg! Obwohl der Psalm dies nicht kommenen Zustände während des von
erwähnt, wissen wir, dass die über- Frieden und Wohlstand geprägten
sprungene Periode Tod, Begräbnis, Tausendjährigen Reiches beschreibt.
Auferstehung und Himmelfahrt des Armut wird dann abgeschafft sein:
Erlösers umfasst ‒ und auch das Zeit­ »Die Sanftmütigen werden essen und
alter der Gemeinde, in dem wir leben. satt werden.«
22,23 An dieser Stelle des Psalms ist Die Erde wird voll des Lobes Gottes
Christus auf die Erde zurückgekehrt, sein: »Es werden den HERRN loben,
um als König zu herrschen. Der treue die ihn suchen.« Über alle diese An­
Überrest des Volkes Israel ist in das beter spricht der Geist den Segen aus:
Reich mit allen seinen Herrlichkeiten »Leben wird euer Herz für immer!«
eingegangen. Der Messias Israels ist be- 22,28 Es wird eine weltweite Er­
reit, seinen jüdischen Brüdern zu be- weckung geben. Alle Enden der Erde
zeugen, wie treu Gott seine Gebete im werden dessen gedenken, was Christus
ersten Teil dieses Psalms erhört hat. auf Golgatha getan hat, und zum
Nun lobt Christus Gott inmitten der Ge- HERRN umkehren. Alle Geschlechter
meinde. der Heiden werden sich zu einer großen
22,24-25 Die nächsten zwei Verse ge- Anbetung Gottes vereinigen.
ben den Inhalt dessen an, was Christus 22,29-30 Der Herr selbst wird welt-
den Erlösten Israels im Tausendjähri- weit die Herrschaft ausüben. Ihm ste-
gen Reich sagen wird. In drei majestäti- hen die Thronrechte zu, und er wird
schen Parallelismen redet Christus sie über die Nationen herrschen. Alle Gro-
an als »die ihr den HERRN fürchtet«, ßen der Erde werden sich seinem Regi-
»alle Nachkommen Jakobs« und »alle ment unterwerfen, und jeder Sterbliche
Nachkommen Israels«. Dann ermahnt wird seine Knie vor ihm beugen – alle,
er sie, den HERRN zu loben, ihn zu eh- die in den Staub hinabfahren und sich
ren und sich vor ihm zu scheuen. Der selbst nicht am Leben erhalten können.
Grund für diese ehrfurchtsvolle Ant- 22,31-32 Christi Ruhm wird andau-
wort liegt darin, dass Gott die angstvol- ern. Eine Generation nach der anderen
len Schreie von Golgatha erhört hat. wird ihm dienen und seine Gerechtig-
Gott hat die Leiden seines geliebten keit verkündigen. Vor allem eine Bot-
Sohnes nicht verachtet, auch hat er nicht schaft wird von einer Generation an die
sein Angesicht dauernd vor ihm ver- nächste weitergegeben werden: »Chris-
borgen. Stattdessen »hat Gott ihn auch tus hat das große Werk der Versöhnung

569
Psalm 22 und 23

rechtmäßig vollendet!« Psalm 22 be- aus für alle; aber wirksam ist es nur für
ginnt mit dem vierten Wort vom Kreuz, diejenigen, die tatsächlich an ihn glau-
dem Versöhnungsschrei. Und er endet ben. Alles hängt also an dem persön­
mit den Worten »dass er es vollbracht lichen Fürwort »mein«. Wenn er nicht
hat« (Schlachter 2000). Dies besagt ge- mein Hirte ist, gehört mir der Rest des
nau dasselbe wie Christi siebtes Wort Psalms auch nicht. Andererseits: Wenn
am Kreuz: »Es ist vollbracht!« (Joh er wirklich mein ist und ich wirklich
19,30). Seit dieser Zeit wird durch alle sein, dann habe ich alles in ihm!
Jahrhunderte von einer Generation zur 23,2 Mir wird es weder an Speise für
anderen die gute Nachricht von dem meine Seele noch für meinen Leib feh-
gnadenvollen Wunder weitergegeben, len, weil er mich auf grünen Auen wei-
dass Christus alles vollbracht hat. det (oder lagern / niederlegen lässt).
Es fehlt mir auch nicht an Erfrischung,
Psalm 23: Der Gute Hirte weil er mich zu stillen Wassern führt.
Der dreiundzwanzigste Psalm ist wohl 23,3 Es wird mir nicht an Lebenskraft
das meistgeliebte Gedicht der Welt­ mangeln, denn er erquickt meine Seele
literatur. Ob es in schönes Versmaß ge- (oder belebt sie, stellt sie wieder her).
bracht gesungen oder in einer Sonn- Mir wird es nicht an moralischer Aus-
tagsschulfeier aufgesagt wird ‒ es hat richtung fehlen, denn er leitet mich in
eine unvergängliche Anziehungskraft Pfaden der Gerechtigkeit um seines Na-
und eine unsterbliche Botschaft. »Ge- mens willen.
segnet sei der Tag«, schrieb ein alter Wir lächeln über den Jungen, der
Theologe, »als der Psalm 23 das Licht beim Aufsagen in Panik geriet und die
der Welt erblickte.« neue Version einführte: »Der HERR ist
J.R. Littleprouds Inhaltsangabe ist mein Hirte; ich sollte mich nicht fürch-
wohl kaum zu übertreffen: ten.« Er hatte nämlich mehr recht, als er
meinte. Er wusste die genauen Worte
Das Geheimnis eines glücklichen Lebens nicht, aber er hatte den Sinn genau ver-
– alle Bedürfnisse befriedigt. standen. Wenn der HERR unser Hirte
Der HERR ist mein Hirte, mir wird nichts ist, brauchen wir uns nicht zu fürchten!
mangeln. 23,4 Und wir brauchen vor dem Tod
Das Geheimnis eines glücklichen Ster- keine Angst zu haben. Im Tal der To-
bens – alle Furcht beseitigt. desschatten brauchen wir uns nicht zu
Auch wenn ich wandere im Tal des Todes­ fürchten; denn der Hirte ist ganz nah
schattens, fürchte ich kein Unheil, denn du bei uns. Der Stachel des Todes ist die
bist bei mir. Sünde – die Sünde, die nicht bekannt
Das Geheimnis einer glücklichen Ewig- und vergeben wurde. Aber Christus hat
keit – jedes Verlangen erfüllt. in Bezug auf den Gläubigen dem Tod
Nur Güte und Gnade werden mir folgen alle den Stachel geraubt. Er hat unsere Sün-
Tage meines Lebens; und ich kehre zurück ins den ein für alle Mal weggenommen.
Haus des HERRN lebenslang.21 Nun ist das Schlimmste, was uns der
Tod antun kann, in Wirklichkeit das
23,1 Trotz seiner weltweiten Beliebtheit Beste für uns! So können wir singen:
gilt dieser Psalm nicht jedermann. Nur
diejenigen können ihn auf sich anwen- O Tod, o Grab, nicht fürcht’ ich eure
den, die das Recht haben, von sich zu Macht!
sagen: »Der HERR ist mein Hirte.« Es Die Schulden sind gesühnt,
ist wahr: Der Gute Hirte starb für alle; Als Jesus in der finstern Kreuzesnacht
aber nur solche, die ihn durch einen be- Das trug, was ich verdient.
stimmten Glaubensakt annehmen, sind Margaret L. Carson
seine Schafe. Sein Rettungswerk reicht

570
Psalm 23 und 24

Es ist wahr: Christen mögen eine ge­ Wenn wir an all diese Reichtümer der
wisse sorgenvolle Vorahnung von dem Gnade denken, die wir in Christus Je-
Leiden haben, das so oft den Tod be- sus haben, bricht sich in uns die dank-
gleitet. So hörte jemand, wie ein alter bare Erkenntnis Bahn: »Mein Becher
Heiliger sagte: »Mir macht es nichts, fließt über!«
wenn der Herr mein Zelt abbricht; aber
ich hoffe, er tut es sanft!« Ja, Jesu Gnade ist ohn’ Ende,
Es ist ebenfalls wahr, dass wir ge- Ganz unverdient sind wir geliebt;
wöhnlich keine Gnade zum Sterben be- Und ewig stark sind seine Hände,
kommen, bevor wir sie nötig haben. Durch die er uns so reichlich gibt.
Doch bleibt die Tatsache, dass der Tod An frischem Quell, auf grünen Matten
seine Schrecken verloren hat, weil wir Sein reicher Segen sich ergießt;
wissen: Sterben bedeutet, bei Christus Und selbst im Tal der Todesschatten
zu sein – und das ist das weitaus Bes­ Mein Becher stets noch überfließt.
sere. »Sterben ist Gewinn!« nach Annie Johnson Flint
Der Stecken und der Stab des Hirten
sind Quellen des Trostes, des Schutzes 23,6 Zum Schluss ist noch von dem Ge-
und der Führung. Wann immer nötig, heimnis einer glücklichen Ewigkeit die
kann er den Stecken auch zur Züchti- Rede. Das ganze Leben lang begleitet
gung verwenden. Die meisten Schafe von Gottes Güte und Gnade, kommen
brauchen diesen Dienst von Zeit zu Zeit. wir schließlich im Vaterhaus an, in un-
23,5 In der Zwischenzeit bereitet der serem ewigen Zuhause. Wenn wir an
Hirte vor uns einen Tisch im Angesicht all das denken, müssen wir Guy King
unserer Feinde. Auf dem Tisch sind all recht geben, wenn er sagt: »Was für
die geistlichen Segnungen ausgebreitet, glückliche Bettler sind wir doch!«
die er uns mit seinem kostbaren Blut er-
worben hat. Der Tisch stellt all das dar, Psalm 24: Wer ist der König der
was wir in Christus besitzen. Obgleich Herrlichkeit?
von Feinden umgeben, genießen wir Der vierundzwanzigste Psalm blickt vor­
diese Segnungen in Frieden und Sicher- aus auf den herrlichen Augenblick am
heit. J.H. Jowett stellt das so dar: Ende der großen Drangsalszeit, wenn
die Donner des göttlichen Gerichts ver-
Die Gastfreundschaft im Nahen Osten stummt sind und der Herr Jesus auf die
garantiert die Sicherheit des Gastes. »Alle Erde zurückgekehrt ist. Jetzt sind alle
geheiligten Gesetze der Gastfreundschaft seine Feinde niedergeworfen, und
versammeln sich um ihn zu seiner Ver- Christus ist auf dem Weg nach Jeru­
teidigung. Er wird ins Zelt geführt, Nah- salem, um als König der Könige und als
rung wird vor ihn hingestellt, während Herr der Herren zu regieren. Das ist ein
seine ferngehaltenen Verfolger zornig Triumphzug, wie ihn die Welt noch
vor der Tür bleiben müssen.« nicht gesehen hat. Genauso, wie die Zu-
schauer durch die Tiefen der Leiden des
Er salbt auch unser Haupt mit Öl. Hirten Heilands innerlich aufgewühlt wurden,
salben die Köpfe ihrer Schafe, um Wun- so sprachlos sind sie jetzt wegen der
den zu heilen. Bei Priestern spricht die Größe seiner Herrlichkeit.
Salbung mit Öl von der Weihe für ihr 24,1-2 Bei der Annäherung des Zuges
Amt. Für Könige ist die Salbung mit Öl an die Stadt erschallt die Meldung, dass
mit der Krönung verbunden. Jeder Gläu- die Erde und alles, was darauf ist, Gott
bige ist in dem Augenblick mit dem Hei- gehört. Damit werden das Eigentums-
ligen Geist gesalbt, in dem er den Erret- recht Gottes und das Herrscherrecht
ter annimmt. Diese Salbung versichert Christi bestätigt. Dann wird der Grund
ihn des Lehrdienstes des Geistes Gottes. dafür angegeben. Christus ist es, der

571
Psalm 24 und 25

die Welt gegründet hat. Er war es, der 24,7-8 Mir gefällt der Gedanke, die
die Wasser an einen Ort sammelte und Prozession werde die Worte der Verse 1
das Trockene hervorkommen ließ. Er bis 6 beim Durchzug durch das Kidron-
war es, der die Ströme bildete, einige an tal singen; doch dann wird der Gesang
der Oberfläche, andere in der Tiefe un- durch einen Trompetenruf des Herolds
ter der Erde. So kommt er jetzt, um das an der Spitze unterbrochen. Daraufhin
in Anspruch zu nehmen, was ihm ge- ruft er den Wächtern an den Toren Jeru-
hört, was ihm aber seit Jahrhunderten salem zu: »Erhebt, ihr Tore, eure Häup-
verweigert wurde. ter, und erhebt euch, ihr ewigen Pforten,
24,3-6 Die nächsten vier Verse be- dass der König der Herrlichkeit einzie-
schreiben die Art von Menschen, die in he!« Ein Posten auf der Stadtmauer wird
das Reich eingehen und die tausend­ laut und deutlich zurückrufen: »Wer ist
jährige Regierung in Frieden und Wohl- dieser König der Herrlichkeit?« Die
stand genießen werden. Dazu gehören Antwort erschallt in klaren, mächtigen
der gläubige Überrest Israels und die Worten: »Der HERR, stark und mächtig!
erlösten Heiden, die zur Anbetung zum Der HERR, mächtig im Kampf!«
Tempel in Jerusalem hinaufziehen. Es 24,9-10 Nun sind sie der Stadt ganz
sieht so aus, als würden diese Men- nah, doch die Tore sind immer noch
schen aufgrund ihres guten Charakters nicht geöffnet. So befiehlt der Herold
in das Reich zugelassen werden; aber noch einmal, die Tore für den König der
das ist nicht der Fall. Ihr Charakter ist Herrlichkeit zu öffnen. Wieder wird er
das Ergebnis ihrer Wiedergeburt von aufgefordert, den König zu beschrei-
oben her; denn solange jemand nicht ben. Er antwortet: »Der HERR der Heer-
von oben geboren ist, kann er das Reich scharen, er ist der König der Herrlich-
weder sehen noch in es hineingelangen keit!«
(Joh 3,3.5). Diese Menschen sind also Dann betritt der König mit seinen loy­
die edlen Heiligen, die durch die Große alen Untertanen die Stadt, um das Zep-
Drangsal gegangen sind und ihre ter der weltweiten Herrschaft in seine
Kleider im Blut des Lammes weiß ge­ durchbohrte Hand zu nehmen.
waschen haben. F.B. Meyer sagt:
Vier Charakterzüge werden hervor-
gehoben: Sie haben unschuldige Hände Dieser Psalm erfüllt sich in uns, wenn Je-
‒ mit anderen Worten: Ihre Handlun- sus in unsere Herzen einzieht, um dort als
gen sind gerecht und tadellos. Sie ha- unser König zu regieren, und seine volle
ben reine Herzen, d.h. ihre Motive sind Verwirklichung wird er finden, wenn die
lauter, und ihr Denken ist ohne Falsch. Erde und ihre Bevölkerung ihn als ihren
Sie lassen sich auf keinerlei Betrug ein. Herrn willkommen heißen wird.22
Und schließlich verdrehen sie nicht die
Gerechtigkeit, indem sie behaupten, Psalm 25: Das Geheimnis des Herrn
was nicht stimmt. Ihre Hände, ihre Her- Dies ist ein akrostischer Psalm, obwohl
zen, ihre Seelen und ihre Lippen sind ein Buchstabe des hebräischen Alpha-
ganz und gar gerecht. bets fehlt und ein anderer zweimal ver-
Von dieser Art sind die Untertanen im wendet wurde.23 Es ist schwierig, ein
Tausendjährigen Reich Christi. Früher einheitliches Thema zu finden; statt­
wurden sie von den Gottlosen verspot- dessen scheint der Psalm eine Samm-
tet und verachtet, jetzt erhalten sie von lung von Gebeten und Meditationen zu
dem Gott ihres Heils alle Ehre. Ja, dies sein, deren einzig erkennbares Binde-
sind die Bürger des Milleniums – Men- glied die alphabetische Anordnung ist.
schen, die Gottes Angesicht suchen, 25,1-3 Als Erstes sehen wir ein Gebet
Menschen, die von dem Gott Gnade er- um Schutz. Davids Feinde sind niemals
langten, der die Unwürdigen liebt. weit weg, so scheint es. So blickt er zum

572
Psalm 25

HERRN auf und bittet ihn, ihm zu hel- ist, lehrt er die Sünder den Weg der
fen, wobei er Gott als den einzigen Ge- Wahrheit, Gerechtigkeit und Erlösung.
genstand seines Vertrauens anerkennt. Die bei weitem wichtigste Tugend, die
Davids Flehen geht in zwei Richtungen: wir bei ihm lernen müssen, ist die De-
Er bittet, in seinem Vertrauen auf den mut – wir müssen sanftmütig genug
HERRN nicht zuschanden zu werden, sein, unsere Unwissenheit und unser
und darum, dass seine Feinde nie Grund Bedürfnis nach weiterer Belehrung an-
zu hämischer Freude bekommen sollen, zuerkennen. Wenn wir lernfähig sind,
weil Gott sein Kind im Stich ließ. Dies werden wir bald wissen, was richtig ist,
ist ein Gebet für alle, die auf den Herrn d.h. was der Wille Gottes ist. Weit da-
vertrauen. Denen aber, die mit Absicht von entfernt, dadurch ein freudloses
betrügerisch handeln, wünscht er ein Leben zu haben, entdecken alle, die
volles Maß der Schande. dem Wort des Herrn gehorchen, dass
25,4-5 Im nächsten Abschnitt zeichnet ihr Leben voller Zeichen der unerschüt-
der Psalmist einen Jünger, der Weisung terlichen Liebe und Treue Gottes ist.
sucht. Er möchte die Wege des HERRN 25,11 David kehrt nun kurz zum Ge-
kennen, auf seinen Pfaden gehen und bet um Vergebung zurück. Ernstlich
in seiner Wahrheit wachsen. Dazu be- überzeugt von der Größe seiner Schuld,
wegt ihn die Liebe zu dem Gott seines bittet er Gott, er möge ihm vergeben um
Heils, in dem all seine Erwartungen seines Namens willen. Weil der Name
zusammengefasst sind. einer Person oft für die Person selbst
25,6-7 Dann erscheint David als ein steht, beruft sich der Psalmist auf Got-
Sünder, der Vergebung sucht. Er appel- tes eigenes Wesen – und besonders auf
liert an die ewig währende Barmherzig- seine Barmherzigkeit und Gnade – als
keit und Gnade des HERRN, und bittet den einzigen Grund dafür, ihm zu ver-
ihn, sich an die schon früher erwiesene geben. Von Davids eigenen Verdiensten
Gnade zu erinnern – als könne Gott dies wird kein Wort gesagt!
je vergessen! Wenn solche Bitten ein un- 25,12-13 Noch einmal unterbricht er
vollständiges Verständnis der gött­ das Gebet durch ein geistliches Selbst-
lichen Gnade bei David verraten, so gespräch. Er erblickt in dem Mann, der
müssen wir daran denken, dass er im den HERRN fürchtet, denjenigen, der
Zeitalter der Schatten lebte, während »das Gute« des HERRN genießen wird.
wir das volle Licht der Zeit des Evange- Solch ein Mensch wird erfahren:
liums genießen. Davids Jugendsünden Unmissverständliche Leitung – Gott
bedrückten ihn, das tun sie immer wie- wird ihm den Weg weisen, den er ge-
der bei vielen. Der Psalmist bittet den hen soll.
Herrn kurz und bündig, diese Sünden Persönliches Wohlergehen – Er wird
zu vergessen und stattdessen gemäß überreiche Fürsorge erleben.
seiner Gnade und seiner Güte seiner zu Sicherheit für seine Familie – Seine
gedenken. Solch ein Gebet ist unwider- Kinder werden das Land besitzen.
stehlich … Welche Befreiung liegt in Göttliche Gemeinschaft – Er wird
dem Wissen, dass unsere Sünden unter zum inneren Kreis der Freunde ge­
dem Blut sind, von uns so weit entfernt hören, denen der Herr seine Gedanken
wie der Osten vom Westen, begraben und seine Wege auf vertraute Weise
im Meer des Vergessens Gottes und für offenbart.
immer vergeben! 25,14 Dies ist zweifellos der goldene
25,8-10 David wendet sich jetzt vom Vers dieses Psalms:
Gebet zur Betrachtung. Er ist in Bewun- »Der HERR zieht ins Vertrauen, die
derung versunken, als er an den lehren- ihn fürchten,
den Dienst des HERRN denkt. Weil der und sein Bund dient dazu, sie zu un-
HERR wesensmäßig gut und gerecht terweisen.«

573
Psalm 25 und 26

Daniel war es, der »viel geliebte dukt eines unüberbietbaren Egoisten.
Mann,« dem Gott die wunderbaren Vi- Eine genauere Betrachtung allerdings
sionen über die Reiche der Heiden of- wird uns zeigen, dass er in Wirklichkeit
fenbarte, die von dem letzten Reich, die sachliche Beschreibung eines Le-
dem des Herrn und Erretters Jesus bens ist, das sich von der Welt weg für
Christus, beseitigt werden. Und es war Gott abgesondert hat. Zwischen den
Johannes, der Jünger, der sich an die Zeilen lesend, entdecken wir, dass Da-
Brust Jesu lehnte, dem die herrliche Of- vid der Verbrüderung mit gottlosen
fenbarung auf Patmos zuteil wurde. Leuten und mit solchen, die dem
25,15 David schließt sich selbst in die HERRN die Treue gebrochen hatten,
Gruppe der Gottesfürchtigen ein. Seine angeklagt wurde. Hier spricht er zu sei-
Augen sind stets in Vertrauen und Er- ner eigenen Verteidigung. Nirgends be-
wartung himmelwärts gerichtet, und hauptet er, sündlos zu sein; aber ganz
seine Hoffnung ist, dass der HERR ihn bestimmt plädiert er auf »Unschuldig!«
aus dem Netz der Not und der Anfech- in Bezug auf die gegen ihn erhobenen
tung reißen werde, in dem er sich ge- Anklagen.
genwärtig verfangen hat. 26,1-3 Er überlässt seine Sache dem
25,16-21 Die Erwähnung eines Netzes Herrn, indem er um göttliche Rechtfer-
veranlasst David, seine Betrachtungen tigung bittet. Im Gegensatz zu dem,
zu unterbrechen und ein Gebet wegen was seine Ankläger sagten, hatte David
seiner augenblicklichen Nöte auszu- sich moralisch integer verhalten. Be-
sprechen. Er ist einsam und elend. Die ständig lebte er in Abhängigkeit vom
Ängste seines Herzens hatten sich ver- Herrn. In einem Bild, das der Metall­
mehrt. So fleht er Gott an, ihm seine bearbeitung entlehnt ist, unterwirft er
Gnade zuzuwenden, um sein sorgen­ sich Gott, er möge ihn auf Echtheit und
beladenes Herz zu erleichtern, ihn von Aufrichtigkeit prüfen, wie etwas im
seinen Nöten zu befreien, sein ganzes Schmelzofen auf Schlacke untersucht
Elend anzuschauen und ihm alle Sün- wird. Sowohl in Bezug auf sein Herz
den zu vergeben. Auch bittet David den (Zuneigungen) als auch in Bezug auf
Herrn, ihn vor dem Feind und vor des- seine Gesinnung (Motive) war er sich
sen grimmigem Hass zu beschützen. eines Freispruchs sicher, weil er sich
Damit würde er auch gerechtfertigt in immer die Gnade Gottes vor Augen ge-
seinem Vertrauen auf den HERRN. halten hatte und auf den Wegen der
Wenn er bittet: »Lauterkeit und Red- Wahrheit gewandelt war.
lichkeit mögen mich behüten«, so be- 26,4-5 Bei falschen Leuten zu sitzen,
zieht sich das nicht auf seine eigene bedeutet, zustimmende Gemeinschaft
Rechtschaffenheit, sondern er bittet mit ihnen zu haben; das hat David nicht
Gott, er möge seine Gerechtigkeit zei- getan. Mit Hinterlistigen umzugehen,
gen, indem er den errettet, der sein Ver- bedeutet, ein williger Partner von Be-
trauen auf ihn setzt. trügern und Heuchlern zu sein; auch
25,22 Im Schlussvers macht sich Da- das war David nicht. Im Gegenteil: Er
vid eins mit Israel und bittet um die Er- hatte die Gesellschaft von Übeltätern
lösung des Volkes. Dies weist darauf gehasst und seine heilige Entschieden-
hin, dass Psalmen wie dieser die Spra- heit dadurch gezeigt, dass er jegliche
che des gottesfürchtigen jüdischen Verbrüderung mit Gottlosen verab-
Überrestes während der Drangsalszeit scheute.
sein werden. 26,6-8 Aber seine Absonderung war
nicht nur von bösen Menschen weg, son-
Psalm 26: Ein Psalm der Absonderung dern auch hin zu Gott. Bevor er sich dem
Wenn wir Psalm 26 zum ersten Mal le- Altar des HERRN nahte, stellte er
sen, könnten wir meinen, er sei das Pro- sicher, reine Hände zu haben von Sün-

574
Psalm 26 und 27

den und Verunreinigungen. Dann sang und das Geheimnis der wahren Liebe zu
er als ein lauterer Anbeter von Herzen ihm selbst. Er verkündete die rettende
ein Danklied und verkündete die Wun- Natur des Glaubens. Wenn Christen, die
derwerke des HERRN. Für ihn war die sich für einen engen Umgang mit Unbe-
Anbetung kein trockenes Ritual, das kehrten aussprechen, deren Häuser im
man kühl über sich ergehen ließ; er Geist unseres Herrn besuchen, dann lasst
liebte wirklich das Haus des HERRN, sie auf jeden Fall diese Gewohnheit bei-
wo die Wolke seiner Herrlichkeit die behalten! Aber ob sie wohl am Tisch ih-
großartige Gegenwart Gottes selbst rer unbekehrten Bekannten so reden und
symbo­lisierte. sich so verhalten, wie Jesus es am Tisch
26,9-11 Weil er die Zusammenarbeit des Simon tat? Das ist die Frage, die sie
mit dieser Welt abgelehnt hat, bittet Da- unbedingt beantworten sollten.24
vid, er möge ihrem zukünftigen Schick-
sal entkommen. Er hat sich von den Das ist eine Frage, über die wir alle
Taten der Sünder, Mörder und Beste- nachdenken müssten.
chung Übenden während seines Lebens
abgewandt; nun bittet er darum, ihrer Psalm 27: Die Gefangennahme und
Gesellschaft im Tod zu entrinnen. Weil das Gericht über Jesus
er ein gerechtes Leben geführt hat, fleht Psalm 27 ist in allen seinen Zusammen-
er nun, vor dem Untergang der Gott- hängen ausgesprochen schön; aber er
losen bewahrt zu bleiben und mit aller gewinnt eine besondere Anziehungs-
Gnade Gottes behandelt zu werden. kraft, wenn wir daran denken, dass in
26,12 Auf dem ebenen Grund einer un­ ihm die innersten Gedanken unseres
tadeligen Geschichte stehend, schwört Herrn während jener schicksalsschwe-
David, den HERRN in den Versamm- ren Stunden ausgedrückt werden, die
lungen zu loben. er unmittelbar vor Golgatha hatte.
Wir sollten uns daran erinnern, dass 27,1 So sagte er zum Beispiel, als die
es einen Aspekt der Absonderung gibt, Hohenpriester und Obersten des Tem-
von dem in diesem Psalm nicht gespro- pels in den Garten Gethsemane kamen,
chen wird. Obwohl wir von den Sün- um ihn gefangen zu nehmen: »Dies ist
dern abgesondert sein sollten, was still- eure Stunde und die Macht der Finster-
schweigendes Einverständnis oder gar nis« (Lk 22,53). Doch mag er sich im
Mitmachen bei ihrer Bosheit angeht, selben Augenblick mit dem Gedanken
sollten wir uns nicht von ihnen isolie- getröstet haben: »Der HERR ist mein
ren, wenn es darum geht, ihnen zu sa- Licht und mein Heil, vor wem sollte ich
gen, dass sie Christus nötig haben. Der mich fürchten? Der HERR ist meines
Herr Jesus selbst war ein Freund der Lebens Zuflucht, vor wem sollte ich er­
Sünder; er hat sie nicht nur angenom- schrecken?«
men, sondern er aß und trank mit ih- Gott war sein Licht, als die Finsternis
nen. Dabei aber hat er nie seine Loyali- hereinbrach. Gott war seine Rettung,
tät gegenüber Gott vergessen oder dar­ d.h. sein Befreier von den irdischen
in versagt, mit ihnen über ihre Sünden Feinden. Gott war der Bergungsort für
und ihre Vergebungsbedürftigkeit zu sein Leben, seine Zuflucht am Tag des
sprechen. Von seinem Besuch im Haus Sturms. Unter einem solchen Schutz
Simons sagt Bischof Ryle: brauchte er sich vor niemandem zu
fürchten!
Er brachte »die Sache seines Vaters« mit 27,2 Als die Menschen kamen, um
an den Tisch des Pharisäers. Er zeugte den Herrn Jesus gefangen zu nehmen,
gegen die hartnäckige Sünde des Phari- fragte er sie: »Wen sucht ihr?« Sie ant-
säers. Er erklärte dem Pharisäer das We- worteten: »Jesus, den Nazoräer.« So-
sen der freien Vergebung der Sünden bald er »zu ihnen sagte: Ich bin es,

575
Psalm 27

wichen sie zurück und fielen zu Boden« les verloren. Doch konnte er gerade in
(Joh 18,6). In diesem Augenblick mögen diesem Augenblick sehr wohl sagen:
die Gedanken Christi bei den Worten »Denn er wird mich bergen in seiner
geweilt haben: »Wenn Übeltäter mir na- Hütte am Tag des Unheils, er wird mich
hen, mein Fleisch zu fressen, … so sind verbergen im Versteck seines Zeltes; auf
sie es, die straucheln und fallen.« einen Felsen wird er mich heben.« Sein
Sie stürzten sich wie Raubvögel auf Herz ruhte in der Sicherheit, die Gott all
ihn; doch die Herrlichkeit seiner Gött- denen verheißen hat, die ihn lieben.
lichkeit schimmerte durch sein Gewand 27,6 Die Soldaten brachten Jesus zu
des Menschseins, und seine Häscher Kaiphas, den Hohenpriester (Matthäus
wurden zu Boden geworfen. 26,57). Es war der Kaiphas, der zuvor
27,3 Johannes berichtet uns, dass die den Juden den Rat gegeben hatte, dass
Rotte derer, die ihn gefangen nehmen es besser sei, dass ein Mensch für das
wollten, aus einer Abteilung Soldaten Volk umkomme (Joh 18,14). Obwohl die
bestand, dazu aus mehreren Dienern Feinde Christi vorhatten, ihn am Kreuz
der Hohenpriester und einer Reihe von zwischen Himmel und Erde zu erhöhen,
Pharisäern. Sie kamen mit Fackeln und blickte unser Herr voraus auf eine ande-
Lampen und Waffen (Joh 18,3). Als er re Art von Erhöhung: »Und nun wird
sie herankommen sah, konnte er in völ- mein Haupt sich erheben über meine
liger Gelassenheit sagen: »Wenn sich Feinde rings um mich her. Opfer voller
ein Heer gegen mich lagert, so fürchtet Jubel will ich opfern in seinem Zelt, ich
sich mein Herz nicht; wenn sich auch will singen und spielen dem HERRN.«
Krieg gegen mich erhebt, trotzdem bin Ein eigenartiger Optimismus für ei-
ich vertrauensvoll.« nen Menschen, der zum Tod verurteilt
27,4 Der arme Petrus versuchte seinen werden sollte und der wusste, dass er
Meister dadurch zu verteidigen, dass er am Kreuz enden würde! Doch sogar
dem Sklaven des Hohenpriesters ein jetzt erfreute er sich an der Aussicht auf
Ohr abschlug. Aber Jesus antwortete die Herrlichkeit. Sagte er nicht zu Kai-
Petrus: »Den Kelch, den mir der Vater phas: »Von nun an werdet ihr den Sohn
gegeben hat, soll ich den nicht trinken?« des Menschen sitzen sehen zur Rechten
(Joh 18,11). Sein einziger Wunsch war, der Macht und kommen auf den Wol-
in Gott zu sein. Auch wenn der Weg zur ken des Himmels« (Mt 26,64)?
Herrlichkeit über das Kreuz führte, war 27,7-8 Daraufhin geriet der Hohe-
er bereit, diese Leiden und diese Schan- priester in schrecklichen Zorn und be-
de zu ertragen. Seine Sprache war: schuldigte ihn der Gotteslästerung.
»Eins habe ich vom HERRN erbeten, »Was meint ihr?«, herrschte er die Um-
danach trachte ich: zu wohnen im Haus stehenden an. »Er ist des Todes schul-
des HERRN alle Tage meines Lebens, dig«, antworteten diese. Hier kann ich
um anzuschauen die Freundlichkeit mir vorstellen, wie der Heiland still ge-
des HERRN und nachzudenken in sei- betet hat: »Höre, HERR, mit meiner
nem Tempel.« Stimme rufe ich: sei mir gnädig und er-
Es ist etwas Unbesiegbares an diesen höre mich! Mein Herz erinnert dich:
Menschen, die nur »eines« kennen. Sie ›Suchet mein Angesicht!‹ – Dein An­
wissen, was sie wollen, und sind ent- gesicht, HERR, suche ich.«
schlossen, es zu erringen. Nichts kann 27,9 Zu dieser Zeit hatten ihn alle sei-
ihnen den Weg verstellen. ne Jünger verlassen und waren ge­
27,5 Schließlich ergriffen der Haufen flohen (Mt 26,56). Aber Gott war in der
Soldaten mit ihrem Hauptmann und die Vergangenheit sein Helfer gewesen,
Diener der Juden Jesus und banden ihn und so fleht er, Gott möge ihn auch in
(Joh 18,12). Zuschauern muss es erschie- diesem bedeutsamen Augenblick nicht
nen sein, als sei für den Herrn Jesus al- verlassen: »Verbirg dein Angesicht

576
Psalm 27 und 28

nicht vor mir, weise deinen Knecht anzunehmen, dass dieser Vers seine
nicht ab im Zorn! Du bist meine Hilfe Abschiedsworte an uns sind – ein klei-
gewesen. Gib mich nicht auf und ver- ner persönlicher Rat vom Himmel, der
lass mich nicht, Gott meines Heils!« sich auf die eigenen Erfahrungen des
27,10 Soweit wir wissen, haben Da- Herrn gründet, als er sich auf seinen
vids Eltern ihn nie verlassen, und auch Vater verließ: »Harre auf den HERRN!
die Eltern unseres Herrn haben das nie Sei mutig, und dein Herz sei stark, und
getan. J.N. Darby übersetzt den Vers harre auf den HERRN!«
höchstwahrscheinlich richtiger, wenn
er sagt: »Denn hätten mein Vater und Psalm 28: Das Schweigen Gottes
meine Mutter mich verlassen, so nähme 28,1-2 »Du, du allein bist es, zu dem ich
Jahwe mich auf« (Elb). rufe, o HERR! Du bist mein Fels, mit
27,11-12 Bei Christi »geistlichem« Ge- allem, was dieser Name an Sicherheit,
richt hatten sich der Hohepriester und Stärke und Stabilität bedeutet. Ich bitte
das ganze Synhedrium zusammen­ dich, mir kein taubes Ohr zuzukehren.
getan, um falsche Zeugnisse gegen Tätest du das, so wäre es, als sei ich mit
Jesus vorzubringen, damit sie einen den Gottlosen in ihrem Tod vereint – in
Grund hatten, ihn zu Tode bringen zu äußerster Getrenntheit von dir. Höre
können. Aber sie schienen nichts Ur- meine flehende Stimme, mit der ich dei-
teilskräftiges aushecken zu können, bis nen Thron bestürme, mir zu helfen,
zwei Zeugen mit der Anklage auf­traten: wenn ich meine Hände aufhebe zu dei-
»Dieser sagte: Ich kann den Tempel nem innersten Heiligtum, zum Aller-
Gottes abbrechen und in drei Tagen ihn heiligsten.«
wieder aufbauen« (Mt 26,59-61). Was 28,3 »Niemals, niemals gib mich dem
Jesus wirklich (und zwar in Bezug auf Schicksal der Gottlosen preis, die unab-
seinen Leib) gesagt hatte, war: »Brecht lässig gegen andere Böses im Sinn ha-
diesen Tempel ab, und in drei Tagen ben, die friedlich mit ihrem Nächsten
werde ich ihn aufrichten« (Joh 2,19.21). reden, während sie ihm Schaden tun
Aber weil das gesamte Gericht sowieso wollen.«
ein Schwindel war, wurde das Zeugnis 28,4 »HERR, handle mit ihnen, wie
angenommen. Jetzt können wir den sie es verdienen, indem du Rechnung
Heiland beten hören: »Lehre mich, hältst mit ihren Taten und der schreck-
HERR, deinen Weg, und leite mich auf lichen Bosheit ihrer Werke. Gib ihnen
ebenem Pfad um meiner Feinde willen! nach den Taten ihrer Hände – das, was
Gib mich nicht preis der Gier meiner sie reichlich verdient haben.«
Bedränger, denn falsche Zeugen sind 28,5 »Und nicht nur wegen ihrer
gegen mich aufgestanden und der, der Handlungen und den Werken ihrer
Gewalttat schnaubt.« Hände, sondern weil sie auf deine Taten
27,13 Als Nächstes hören wir den ra- und die Werke deiner Hände nicht ach-
senden Mob draußen vor der Richthalle ten. Darum wirst du sie zerstören wie
des Pilatus schreien: »Kreuzige ihn!« ein Bauwerk, das nicht wiederher­
(Mt 27,22-23). Der gepriesene Herr Je- gestellt werden kann.«
sus hörte diese Rufe auch, und er wuss- 28,6 »HERR, während ich betete, hat
te, was sie bedeuteten. Doch er konnte mir dein Heiliger Geist die wunderbare
in Wahrheit im selben Augenblick sa- innere Sicherheit gegeben, dass mein
gen: »Ach, wenn ich mir nicht sicher Flehen erhört und beantwortet wurde,
wäre, das Gute des HERRN zu schauen und ich preise dich dafür. Nun will ich
im Land der Lebendigen …!« dir ein Lied singen.«
27,14 Aber was ist mit dem letzten 28,7-8 Jemand hat einmal eine wun-
Vers dieses Psalms? Wie passt er in un- derbare metrische Umschreibung die-
sere Auslegung? Nun, ich bin geneigt ses Verses gemacht:

577
Psalm 28 und 29

Der HERR ist Stärke mir und Schild, chen unter den Blitzeinschlägen. Wenn
Auf ihn vertraut mein Herz. der Wind in plötzlichen wilden Böen
Er half mir, und mein Herz frohlockt, über den Wald fegt, beugen sich die
Mein Dank steigt himmelwärts. Bäume in rhythmischen Wellen, die den
Für all sein auserwähltes Volk Eindruck erwecken, das Berggebiet hüp-
Ist er der Quell der Kraft, fe wie ein Kalb und der Berg Sirjon wie
Die auch für den gesalbten Sohn ein junger Büffel.
Sein Rettungswirken schafft. 29,7-8 Die Blitze ziehen südwärts. Die
Wüste Kadesch wird erschüttert durch
28,9 »HERR, wo du nun versprochen die Wucht der entfesselten Natur.
hast, mich zu befreien, bitte ich dich 29,9 Als David das Gewitter nach Sü-
noch um eins: Rette dein Volk. Segne Is- den abziehen sah, fasste er seine Be-
rael, dein Erbe. Weil du ein freundlicher wunderung in drei Beobachtungen zu-
und milder Hirte bist, weide und trage sammen: Erstens sagte er, die Stimme
Israel bis in Ewigkeit in deinen Armen. des HERRN mache die Hirschkühe
Danke, Herr!« kreißen [gebären]. Es ist wissenschaft-
lich erwiesen, dass Wetterturbulenzen
Psalm 29: Die Stimme des Herrn einen direkten Einfluss auf Tiere haben,
29,1-2 Klagen Sie mal ab und zu über die kurz vor dem Gebären stehen.
das Wetter? Als David ein Gewitter Der Psalmist sieht, wie die Wälder
über Israel dahinbrausen sah, inspirier- entblättert sind. Die Bäume stehen kahl
te ihn das zu einem Lobgesang statt zu und nackt da, sie sind innerhalb von
einem Murren. Tatsächlich fordert er Minuten ihres Laubs beraubt worden.
alle Himmelsheere auf, den HERRN Dann erinnert sich der »liebliche Sän-
anzubeten, weil sie seine Herrlichkeit ger Israels« an Gottes Tempel, wo alles
und Stärke voll anerkennen, die er in »Herrlichkeit!« ruft. Hier ist mit dem
dem Sturm offenbart: Tempel ganz klar die Welt der Schöp-
fung gemeint, besonders das Gebiet, das
O betet den Herrn an im Schmuck der von dem Gewitter aufgewühlt wurde.
Heiligkeit, Die Pfeile der Blitze, die Donnerschläge,
Beugt euch nieder vor ihm, verkündet das wilde Sturmeswüten – alles vereint
seine Herrlichkeit; sich, indem es von der Kraft, der Herr-
Mit dem Gold des Gehorsams und dem lichkeit und der Majestät Gottes redet.
Weihrauch der Demut 29,10-11 Das Gewitter ist vorüber; der
Fallt auf die Knie und betet ihn an – HERR aber bleibt. Sein Thron bleibt un-
HERR ist sein Name! berührt von irdischen Umwälzungen
J.B. Monsell einschließlich der Großen Flut. Seine
Souveränität wird durch Naturkatastro-
29,3-4 Der Ausdruck »die Stimme des phen nicht erschüttert. Bei allen Stür-
HERRN« kommt hier siebenmal vor. Er men des Lebens kann er seinem Volk
scheint auf das Gewitter angewandt zu Kraft und Frieden verleihen. Möge es
sein, im Besonderen aber auf den Donner. ihm wohlgefallen, dies zu tun!
Zuerst ist das Gewitter über dem Mit- Einige Bibelgelehrte meinen, der
telmeer und bewegt sich dann landein- Psalm stehe symbolisch für ein militäri-
wärts auf den Libanon zu. Der Donner sches Ungewitter, das während der
hallt wider über vielen Wassern, wie Drangsalszeit von Norden her über das
eine sich nähernde Kanonade. Es ist ein Volk Israel hinwegfegt (V. 3-9). Gleich
Ton von Ehrfurcht gebietender Kraft nach jener notvollen Zeit wird der Herr
und Majestät. Jesus als König über die ganze Welt re-
29,5-6 Jetzt werden die Berge des Liba- gieren und sein irdisches Volk mit Kraft
non bombardiert. Starke Zedern zerbre- und Frieden segnen (V. 10-11). Der Ge-

578
Psalm 29 und 30

danke verdient unsere ernsthafte Auf- 30,2-5 Dies lehrt uns als Erstes, dass
merksamkeit. wir den HERRN mit aufrichtigem Dank
W.F. Vine sieht den Psalm als Bild des erheben sollen, wenn wir wieder ge-
Zweiten Kommens Christi, wo er zuerst sund geworden sind. David war es sehr
in Harmagedon (Offb 16,16) erscheint, schlecht ergangen. Seine Lebensäuße-
dann hindurchzieht bis in die Wüste rungen waren schwach, und seine Fein-
Kadesch, deren Mittelpunkt Bozra ist de freuten sich schon diebisch auf sein
(Jes 63,1).25 Der Psalm beschreibt also baldiges Ableben. Dann hat er in seiner
auf poetische Weise die Überwindung äußersten Not zum HERRN geschrien,
aller Nationen, die zu dieser Zeit nach und der Herr hat ihn erhört, indem er
Israel einmarschiert sein werden. ihn vom Rand des Todes zurückbrach-
Außerdem besteht aber immer auch te. Er war haarscharf dem Totenreich
eine praktische Anwendung für heute und mit knapper Not dem Grab ent-
und jeden Tag. Gottes Stimme wird in kommen.
den Lebensstürmen genauso vernom- Psalm 30 lehrt uns, dass wir nicht nur
men wie im Sonnenschein. Er führt sei- selbst Gott danken, sondern unseren
ne Pläne aus. Nichts entzieht sich seiner Überschwang auch mit anderen Heili-
Herrschaft. Für alle, die ihn kennen und gen teilen sollen, indem wir sie ein­
lieben, dienen alle Dinge zum Guten. laden, in das Lob mit einzustimmen.
Ironside sagt: Machen Sie aus dem Solo einen Chor!
Der »liebliche Sänger Israels« rief das
Es ist ein wunderbares Bild der Seele, die gesamte Gottesvolk auf, dem HERRN
durch ihre Übungen, ihre Anspannun- Loblieder zu singen und seinem hei­
gen und Kümmernisse gegangen ist, die ligen Namen zu danken.
aber gelernt hat, dass Gott über allem 30,6 Dann gibt er den Grund für das
steht, dass er mächtig ist zu erretten. Und Lob an in Gestalt von zwei außer­
darum ruht das Herz in ihm und hat gewöhnlich schönen Gegensätzen, wo
Frieden.26 er Zorn und Gnade, Weinen und Jubel
einander gegenüberstellt.
Psalm 30: Ein Lied der Heilung
Die meisten von uns haben dann und »Denn einen Augenblick stehen wir in
wann die tiefe Erleichterung erlebt, von seinem Zorn,
einer schweren Krankheit geheilt wor- Ein Leben lang in seiner Gunst;
den zu sein. Dann haben wir der keim- Am Abend kehrt Weinen ein,
freien Welt der Ärzte, der Operationen, Und am Morgen ist Jubel da.
der Intensivstationen, der künstlichen
Ernährung, der Spritzen und der zahl- Lassen Sie mich hier eine persönliche
losen Pillen und Tabletten Lebewohl Geschichte einfügen: Es gab eine Zeit,
gesagt. Es ist zu kurz gedacht, wenn als Familie MacDonald in tiefem Kum-
wir unsere Genesung nur der »moder- mer steckte. Viele Freunde kamen, um
nen Medizin« zuschreiben. Dann ver- ihr Beileid auszusprechen; aber nichts
gessen wir, dem einen Dankpsalm zu schien unseren Schmerz mildern zu
singen, der letztendlich für alle unsere können. Ihre Worte waren gut gemeint,
Heilung verantwortlich ist. konnten aber nichts bewirken. Dann
30,1 David hat das nicht getan. Es schickte Dr. H.A. Ironside eine kurze
mag sein, dass er gerade eine ernste Mitteilung, in der er Psalm 30,6 zitierte:
Krankheit überwunden hatte, als die »Am Abend kehrt Weinen ein, und am
Zeit kam, sein Haus einzuweihen. Auf Morgen ist Jubel da.« Das wirkte! Die
jeden Fall war die Einweihung der An- Fesseln der Trauer waren zerrissen!
lass für dieses Loblied für den HERRN, Seit jener Zeit hatte ich manche Gele-
der ihn geheilt hatte. genheit, diesen Vers anderen Gläubigen

579
Psalm 30

mit auf den Weg zu geben, die gerade selbst wir gleiten oft in dieses fehlerhaf-
den dunklen Tunnel des Leids durch- te Denken ab, Krankheit und Leiden
schritten, und stets hat dieser Vers ein seien Kennzeichen seines Missfallens.
dankbares Nicken hervorgerufen. Dann, in Vers 10, spricht David so, als
30,7-8 Die nächste Lektion dieses ob der Tod alles Lob vonseiten der Gläu-
Psalms besteht darin, dass wir nicht auf bigen beende. Soweit es sich um das
materielles Wohlergehen, sondern auf Lob und das Zeugnis auf dieser Erde
Gott vertrauen sollen. Vor seiner Krank- handelt, hat er natürlich recht. Aber wir
heit hatte David Erfolg und vertraute wissen aus der Belehrung des Neuen
auf sich selbst. Er hielt sich für immun Testaments, dass der Geist eines Gläubi-
gegen Leid und Kummer. Scheinbar gen abscheidet, um bei Christus zu sein,
war er nicht ins Wanken zu bringen – sobald er stirbt, während sein Leib ins
wie ein großer Berg. Er hatte sich mit Grab gelegt wird (2Kor 5,8; Phil 1,23).
jeder Art von Schutz und Sicherheit ge- Der Gläubige selbst ist in der bewussten
mütlich eingerichtet. So meinte er, vor Gegenwart des Herrn und betet ihn auf
nichts Angst haben zu müssen. eine Weise an, die ihm auf Erden nie-
Aber dann geschah etwas. Wie über mals möglich war. Der alttestamentliche
Nacht schien der Herr sein Angesicht Gläubige konnte das nicht wissen.
zu verbergen; es war, als sei er zornig Christus ist derjenige, der Leben und
und hätte ihm seine Gunst entzogen. Unvergänglichkeit ans Licht gebracht
Das Leben wurde zu einem Alptraum. hat durch das Evangelium (2Tim 1,10).
30,9-11 Doch dieser Alptraum be- Aber es ist doch sehr bemerkenswert,
wirkte einen plötzlichen Umschwung dass trotz ihrer beschränkteren Er-
in Davids Gebetsleben. In Wohlstands- kenntnis auf manchen Gebieten viele
tagen waren seine Gebete langweilig alttestamentliche Heilige uns in Glau-
und lustlos. Jetzt aber, in seiner Krank- ben, Gebet, Eifer und Hingabe weit
heit, betete er intensiv und ernstlich. Er übertroffen haben!
rechnete Gott vor, dass sein Tod nicht 30,12 Nun zurück zu David. Die Ver-
zum Vorteil für den Allmächtigen wäre. se 10 und 11 zeigen uns sein Gebet zu
Die leblosen Überreste des Psalmisten Gott, während er unter den heftigen
könnten ihm nicht danken, auch wäre Schmerzen seiner Krankheit litt. Dann
der Staub nicht in der Lage, Gottes kommt in Vers 12 die Erhörung. Er wird
Treue zu verkünden: »Was für Gewinn von dem Herrn geheilt. Die letzten bei-
bringt mein Blut, mein Hinabfahren in den Verse des Psalms feiern seine Gene-
die Grube? Wird der Staub dich prei- sung. Für David war es wie der Unter-
sen? Wird er deine Treue verkünden?« schied zwischen dem Klagen bei einer
Uns mag solches Argumentieren we- Beerdigung und der Freude bei einer
nig bedeuten. Ja, von einem lehrmäßi- Hochzeit. Oder, um das Bild zu wech-
gen Standpunkt aus betrachtet, scheint seln: wie das Anziehen völlig anderer
es von massivem Unwissen zu zeugen. Kleider. Gott hat das Trauergewand
Aber wir müssen aufpassen, nicht zu weggenommen und ihm Kleider der
streng mit den Heiligen des Alten Tes- Freude angezogen.
taments zu verfahren. In vielerlei Hin- 30,13 Ein Ergebnis der Genesung Da-
sicht sahen sie wie durch ein trübes vids war die Möglichkeit, den Herrn als
Glas. Wir haben dafür in diesem Psalm Lebendiger zu preisen, statt still im
zwei Beispiele: Grab zu liegen. Und genau das wollte
In Vers 6 hat David seine Krankheit er auch tun – den HERRN ewiglich
als Zeichen für Gottes Zorn ausgelegt. preisen. Er sagt damit: »Niemals kann
Wir wissen, dass die Züchtigungen des ich vergessen, was der Herr für mich
Herrn ein Zeichen seiner Liebe sind, getan hat, und niemals werde ich auf-
nicht seines Zorns (Hebr 12,6). Doch hören, ihm dafür zu danken.«

580
Psalm 30 und 31

Ich weiß nicht, was dieser Psalm in der Stunde seiner tiefsten Angst, beteu-
Ihnen bewirkt; mich aber beschämt er ert er sein Vertrauen auf den HERRN
sehr. Ich denke an all die Zeiten, in de- als seine einzige und vollkommen aus-
nen ich krank war, und an die dringen- reichende Zuflucht. Er bittet, dass er
den, verzweifelten Gebete, mit denen niemals zuschanden werden müsse,
ich die Pforten des Himmels bestürmte, weil er sich auf Gott, den Vater, verlas-
und wie der Herr gnädig erhörte. Aber sen hat. Dies ist ein sehr kraftvolles Ge-
dann vergaß ich, vor ihn zu kommen bet; denn es erinnert Gott daran, dass
mit Dankopfern des Lobs. Ich nahm die die Ehre seines Namens untrennbar mit
Heilung viel zu selbstverständlich ent- der Auferstehung seines Sohnes ver-
gegen. Ich versäumte es, meine Dank- bunden ist. Es wäre ein Akt der Gerech-
barkeit auszudrücken. tigkeit für den Vater, den Herrn Jesus
Gott hat uns das Vorbild von David aus den Toten aufzuerwecken. Täte er
nicht nur gegeben, damit wir es be­ es nicht, stünde der Heiland da als
wundern, sondern auch, damit wir ihm Opfer eines irregeleiteten Vertrauens,
nacheifern! und das wäre eine Demütigung für ihn.
31,3-4 Mit einem schönen Anthropo-
Psalm 31: In deine Hand morphismus (Übertragung mensch­
Der sechste Vers macht uns darauf auf- licher Eigenschaften auf Gott) bittet der
merksam, dass der 31. Psalm eine deut- einsame Dulder Gott, er möge sein Ohr
liche Verbindung zu dem leidenden nach Golgatha neigen; dann bittet er
und sterbenden Lamm Gottes hat; denn Gott, sein dringendes Flehen zu er­
diese Worte bildeten seinen letzten hören und ihn eilends zu retten. Weiter
Schrei am Kreuz: »Vater, in deine Hän- bittet er den Herrn, sein Fels und seine
de übergebe ich meinen Geist!« (Lk Zuflucht zu sein, unerschütterlich und
23,46). unwandelbar und wie ein unzugäng­
Gewiss, die Tatsache, dass ein Vers in liches Haus, in dem er vor jeder Gefahr
einem Psalm klar mit dem Messias ver- sicher sein kann.
bunden ist, besagt noch nicht, dass es Natürlich war Gott schon vorher sein
alle anderen Verse auch tun müssen. Fels und seine Festung, sein einziger
Immerhin scheint in diesem Psalm jeder Schutz und seine Sicherheit.
Vers wenigstens etwas mit dem Herrn
Jesus zu tun zu haben. Andre Zuflucht hab’ ich keine
Doch gibt es eine Schwierigkeit bei Zagend hoff’ ich nur auf dich.
der Untersuchung dieses Psalms. Statt Lass, o lass mich nicht alleine,
die Leiden, den Tod, das Begräbnis und Stütze du und tröste mich!
die Auferstehung des Herrn Jesus der Charles Wesley
Reihe nach zu behandeln, springt der
Psalm vor und zurück zwischen Leiden Und wieder stützt sich sein Appell auf
und Auferstehung. Aber wir sollten dar­ die Tatsache, dass die Ehre Gottes auf
an denken, was C.S. Lewis ausführte, dem Spiel steht. »Um deines Namens
nämlich dass »die Psalmen Gedichte willen führe mich und leite mich.« Hat-
sind, und Gedichte sind zum Singen be- te nicht Gott versprochen, den Gerech-
stimmt; sie sind keine lehrmäßigen Ab- ten zu befreien? In der Tat hat er das!
handlungen, nicht einmal Predigten«.27 Nun wird er gebeten, seinen Namen zu
ehren, indem er den Herrn Jesus aus
Gebet um Befreiung (31,1-6a) dem Tod zur Auferstehung und zur
31,1-2 In Vers 2 betet der Herr Jesus Herrlichkeit führt.
vom Kreuz aus zu seinem Vater. Als 31,5 Man hatte sorgfältig ein Netz des
vollkommener Mensch lebte er stets in Todes gelegt, um den Retter zu fangen
völliger Abhängigkeit von Gott. Jetzt, in und festzuhalten. Hier ruft Christus zu

581
Psalm 31

Gott, er möge ihn aus dem Netz ziehen, Seufzen. Sein Kummer hatte seine Kraft
ihn aus dem Grab retten, weil der HERR verzehrt, selbst seine Gebeine schienen
seine sichere und starke Zuflucht ist. zu schwach zu werden.
31,6a Lukas schreibt, der Herr Jesus Den Satz: »Meine Kraft wankt durch
habe Vers 6a mit lauter Stimme gerufen. meine Schuld«, kann man auf den
Niemand nahm Christus das Leben; er sündlosen Erlöser nur so anwenden,
legte es freiwillig und in vollem Besitz dass damit unsere Sünden gemeint
seiner Kräfte ab. Diese Worte sind von sind, die er als unser Sündenträger auf
sterbenden Heiligen Gottes durch die sich nahm. Sonst hätte dieser Vers keine
Jahrhunderte immer wiederholt wor- messianische Bedeutung.
den – von Menschen wie Luther, Knox, 31,12-14 Der standhafte Dulder spricht
Hus und vielen anderen. von sich selbst als dem Gegenstand
höhnischer Verachtung bei allen seinen
Lobpreis für die Auferstehung (31,6b-9) Feinden und einem Anblick des Schre-
31,6b-7 Mitten in Vers 6 ist ein deut- ckens für seine Bekannten. Sie würden
licher Einschnitt, ein Übergang vom die Straßenseite wechseln, um ihm aus-
Tod zur Auferstehung, ein Wechsel vom zuweichen, oder schnell in eine Seiten-
Bitten zum Preisen. In Treue zu seinem straße einbiegen, wenn sie ihn kommen
Wort hatte Gott seinen Heiligen von sehen. Er war schnell aus ihrem Ge-
Tod und Grab erlöst. Dies war eine herr- dächtnis verschwunden, weggeworfen
liche Rechtfertigung seines Sohnes für wie eine zerbrochene Schüssel. Er hörte
sein Vertrauen auf den lebendigen Gott; die Verleumdungskampagne, die gegen
die sich an nichtige Götzen halten, ern- ihn geführt wurde. Schrecken verfolgte
ten nichts als die Abscheu des HERRN! ihn Tag und Nacht, weil die Menschen
31,8-9 Nun schwingt sich ein Loblied Mordanschläge gegen ihn planten.
himmelwärts wegen der immer gleich Dieses Bild tiefsten Leidens und Un-
bleibenden Liebe, die stets über Gottes glücks wäre für einen Menschen schlimm
geliebtem Sohn während seiner Be- genug. Aber was sollen wir sagen, wenn
drängnisse geschwebt hat. Dies war dies die Beschreibung des Schöpfers des
eine Liebe, die jede seiner Anfeindun- Universums, des Herrn der Herrlichkeit,
gen voll zur Kenntnis nahm, die es ab- ist?!
lehnte, ihn endgültig der Macht des
Feindes zu überlassen, die den Erlöser Gebet um Befreiung (31,15-19)
aus der Grube zog und seine Füße auf 31,15-18a Kummer und Seufzen ma-
weiten Raum, auf den »Auferstehungs- chen gläubigem Gebet Platz. Der, den
boden«, gestellt hat. die Menschen verwerfen, bekennt den
HERRN als seine Hoffnung und als den
Tiefes Leid (31,10-14) Gott seines Lebens. Er findet unaus-
31,10-11 Jetzt aber werden wir zu dem sprechlichen Trost in der Tatsache, dass
Leben unseres Herrn vor seiner Ver­ seine Zeiten in den Händen seines Va-
urteilung und Kreuzigung zurückge- ters sind. Dieser Trost ist auch den gläu-
bracht. Uns wird gestattet, den Gebeten bigen Menschen Gottes zuteil gewor-
des Mannes der Schmerzen zuzuhören, den, wenn sie bei Sonnenschein und im
als er den bitteren Hass der Sünder er- Leid gesungen haben:
duldete. Verachtet und verworfen von
den Menschen, wandte er sich in seinem Unsre Zeiten sind in deinen Händen;
Leid zu dem HERRN und flehte ihn an, Vater, so wünschen wir es uns auch!
seiner in Gnade zu gedenken. Seine Au- Unser Leben, unsere Seelen, unser Alles
gen waren wegen des tiefen Grams ver- übergeben wir
fallen, und seine Seele und sein Leben Deiner liebenden Fürsorge ganz und gar.
schwanden dahin. Er war zermürbt vom William F. Lloyd

582
Psalm 31 und 32

Nach dieser Bezeugung des Vertrauens auszuschütten. Gottes Angesicht ist ein
und der Unterwerfung bittet der Herr Ort, wohin sich seine auserwählten Hei-
Jesus insbesondere, Gott möge ihn aus ligen flüchten können vor den boshaf-
dem gierigen Griff seiner Verfolger er- ten Anschlägen der Menschen; hier ist
retten. Er bittet den Vater, er möge in der passende Schutz vor dem, was Knox
Gnaden auf ihn blicken. Er fleht um »das laute Gezänk der Welt« nannte.
Rettung vom Tod, ein Gebet, das sich
auf die unerschütterliche Liebe des Persönliche Dankbarkeit (31,22-23)
Herrn gründet. Wieder bittet er, nie- 31,22-23 Der Herr Jesus erfuhr die wun-
mals enttäuscht zu werden, weil er nur derbare Erweisung der Güte Gottes, als
auf den HERRN geblickt hat als seinen er völlig von Feinden umringt war, ei-
Erlöser. Die Sprache ist natürlich rheto- ner belagerten Stadt gleich. In seiner
risch und achtet mehr auf den Stil als Notlage schien es, als sei er vollkom-
auf die strikte wörtliche Bedeutung. Es men von Gott verlassen gewesen. Doch
bestand niemals die Möglichkeit, dass obwohl er in jenen drei schrecklichen
Christus zuschanden werden könnte, Stunden am Kreuz verlassen war, hörte
weil er auf den HERRN vertraut hatte. Gott doch sein Rufen und erweckte ihn
Er wusste das, und wir wissen das. aus den Toten.
Aber wir verlieren etwas, wenn wir auf
strenger Wörtlichkeit beharren, wenn Liebt den Herrn! (31,24-25)
wir leidenschaftliche Gebete oder lyri- 31,24-25 Nachdem er die Liebe Gottes
sche Dichtung lesen. geschmeckt hat, liebt Christus seiner-
31,18b-19 Wegen der Bösen bittet seits Gott und empfindet zu Recht, dass
Christus, sie möchten diejenigen sein, alle anderen dies ebenfalls tun sollten.
die zuschanden werden und stumm in Seine Frommen können sich darauf ver-
den Scheol fahren. Er bittet, ihre Lügen- lassen, dass der HERR sie beschützt
lippen möchten zum Schweigen ge- und den arroganten Rebellen ihre ge-
bracht werden, weil sie Freches gegen rechte Strafe zumessen wird!
den Sohn Gottes geredet haben. Einige Jeder Gläubige, der in scheinbar un­
aufrichtige Menschen betrachten diese überwindlichen Schwierigkeiten steckt,
Verse als für einen Christen unan­ kann also stark und mutig sein in der
gemessen in ihrer Tonart; aber je mehr Sicherheit, dass niemand auf den
man über die Skrupellosigkeit dieser HERRN vergeblich harrt – nie und nim-
Übeltäter, über die Gemeinheit ihres mer!
Verbrechens und über die Unschuld
ihres Opfers nachdenkt, umso mehr Psalm 32: Vergeben!
kommt man zu dem Schluss, dass diese Glücklich ist, dem vergeben wurde! Es
Ausdrucksweise nicht zu heftig ist! ist ein unbeschreibliches Gefühl. Es ist
die Erleichterung, die man empfindet,
Gott, die große Zuflucht (31,20-21) nachdem eine gewaltige Bürde abge-
31,20-21 Noch einmal bewegt sich der nommen, eine Schuld getilgt und ein
Psalm vom Leid zur Freude, vom Bitten Gewissen zur Ruhe gebracht wurde.
zum Lob. In majestätischer Sprache er- Die Schuld ist fort, der Krieg ist zu
hebt der Herr Jesus seinen Vater als den Ende, und man genießt den Frieden.
unvergleichlichen Bergungsort. Er be- Für David bedeutete das die Vergebung
schreibt Gott als den Verwalter eines seiner großen Übertretung, die Be­
unerschöpflichen Schatzes an Güte, den deckung seiner Sünde, die Nicht-Zu-
er für sein gläubiges Volk aufbewahrt. rechnung seiner Ungerechtigkeit und
Für alle, die bei ihm Schutz suchen, die Reinigung seines Geistes von Be-
steht er bereit, diese Schätze im Ange- trug. Für den heutigen Gläubigen be-
sicht der Söhne der Menschen reichlich deutet Vergebung mehr als die bloße

583
Psalm 32

Bedeckung seiner Sünde ‒ das war die ganze schändliche Geschichte heraus
alttestamentliche Vorstellung von Süh- wie Eiter aus einem Abszess. Jetzt gibt
nung. Im jetzigen Zeitalter weiß der es keinen Versuch mehr zum Ver­
Gläubige, dass seine Sünden vollkom- tuschen, Abmildern oder Entschul­
men beseitigt und für immer in Gottes digen. Endlich nennt David die Sünde
Meer des Vergessens versenkt wurden. beim richtigen Namen – »meine Sünde
32,1-2 In Römer 4,7-8 zitiert der Apo­ … meine Schuld … meine Über­
stel Paulus Psalm 32,1-2, um zu zeigen, tretungen«. Sobald er bekennt, erhält er
dass die Rechtfertigung sogar zur Zeit die augenblickliche Versicherung, dass
des Alten Testaments aus Glauben war, der Herr die Schuld seiner Sünde ver-
ohne Werke des Gesetzes. Aber der Be- geben hat.
weis liegt nicht so sehr in dem, was Da- 32,6 Seine erfahrene Gebetserhörung
vid sagt, als vielmehr in dem, was er treibt ihn an, für das ganze Gottesvolk
nicht sagt. Er spricht nicht über den Ge- zu bitten, es möge den Herrn in gleicher
rechten als von einem, dem die Erret- Weise erfahren. Alle, die in Gemein-
tung zukommt oder der sie verdient. Er schaft mit dem Herrn leben, werden in
spricht über einen Sünder, dem ver­ der Zeit der Bedrängnis befreit. Die
geben wurde. Und er erwähnt keinerlei große Wasserflut wird sie nie errei-
Werke, wenn er die Glückseligkeit des- chen.
sen beschreibt, dem vergeben wurde. 32,7 Er, der so hart und unbußfertig
Durch den Heiligen Geist leitet Paulus war, ist nun zerknirscht und gebrochen.
daraus ab, dass David die Glückselig- Mit großer Dankbarkeit erkennt er, dass
keit dessen beschreibt, dem Gott die Gott sein Bergungsort ist, sein Schutz
Gerechtigkeit ohne irgendwelche Wer- vor Bedrängnis und derjenige, der ihn
ke zurechnet (Röm 4,6). mit Rettungsjubel umgibt.
32,3-4 Danach schaltet David auf Moll 32,8-9 Es besteht die Frage, ob die
um. Nachdem er Ehebruch mit Batseba Verse 8 und 9 die Worte Davids oder
betrieben und den Mord an Uria einge- die des Herrn sind. Wenn wir sie als
fädelt hatte, weigerte er sich standhaft, Aussprüche Davids ansehen, erinnern
seine Sünde zu bekennen. Er versuchte, sie uns daran, wie Jay Adams es aus-
alles unter den Teppich zu kehren. Viel- drückt, dass »die natürliche Reaktion
leicht meinte er: »Zeit heilt Wunden.« auf die Vergebung die ist, anderen zu
Aber durch seine hartnäckige Weige- helfen, ebenfalls zu erleben, was man
rung, klein beizugeben, stritt er gegen selbst erfahren hat, und besonders, an-
Gott und gegen sein eigenes Bestes. Er deren in ihrer Not beizustehen«.28
wurde körperlich krank, hervorgerufen Neigen wir zu der anderen Auffas-
durch die nicht gelinderte Qual in sei- sung, dann ist es die Antwort des Herrn
nem Geist. Er begriff, dass Gottes Hand auf Davids Anbetung. Er verheißt Lei-
schwer auf ihm lastete, ihn festhielt, sei- tung und erteilt eine Belehrung über
ne Pläne vereitelte und ihn immer wie- die Notwendigkeit beständiger Hin­
der Misserfolge erfahren ließ. Nichts gabe. Der Vater ist es, der für den zu-
wollte mehr klappen. Die Zahnräder rückgekehrten Sünder ein Fest bereitet.
des Lebens griffen nicht mehr inein­ Er bietet Lenkung und Führung für den
ander. Die sorgenfreien Tage waren da- weiteren Weg und persönlichen Rat für
hin, und was er erlebte, war so trostlos alle Entscheidungen des Lebens. Aber
wie eine verdorrte Wüstenlandschaft. wir finden auch ein Wort der Warnung:
32,5 Nach einem Jahr solcher Unbuß- »Seid nicht wie ein Ross!«, das ohne Be-
fertigkeit kam David endlich dahin, fehl rastlos voranstürmt, »wie ein
dass er bereit war, die drei Worte aus- Maultier, ohne Verstand«, das sich hart­
zusprechen, die Gott von ihm erwarte- näckig zu gehen weigert, auch wenn
te: »Ich habe gesündigt!« Dann kam die ihm der Weg gezeigt wurde. Beide

584
Psalm 32 und 33

Tiere brauchen Zaum und Zügel, damit Lied wird in besonderer Weise von dem
sie unterwürfig und gehorsam sind. erlösten Israel am Beginn des Tausend-
Der Gläubige sollte so sensibel für die jährigen Reiches gesungen werden
Leitung des Herrn sein, dass er die (Offb 14,3).
raueren Methoden der Zucht im Leben 33,4 Das neue Lied besingt das Wort
nicht nötig hat, um ihn in der richtigen des HERRN und all sein Werk. Sein
Spur zu halten. Wort ist absolut wahr und richtig, un-
32,10-11 Soweit es David betrifft, hat wandelbar und zuverlässig, und sein
der Gerechte nur Vorteile gegenüber Werk geschieht in Treue. Dies sieht man
dem Gottlosen. Da gibt es nichts zu ver- an der Schöpfung: »Saat und Ernte,
gleichen. »Viele Schmerzen hat der Frost und Hitze, Sommer und Winter,
Gottlose.« Aber der demütige Gläubige Tag und Nacht« (1. Mose 8,22). Und
wird von der Gnade des Herrn um­ man sieht es an der Erlösung: »Wenn
geben. So ist es nur recht, dass sich die wir unsere Sünden bekennen, ist er treu
Gerechten im HERRN freuen und vor und gerecht, dass er uns die Sünden
Freude jubeln. vergibt und uns reinigt von jeder Un­
gerechtigkeit.« (1Jo 1,9).
Psalm 33: Ein neues Lied 33,5 Gott ist nicht nur gerecht und
Es scheint eine unverkennbare Verbin- treu, dass er Gerechtigkeit und Treue
dung zu bestehen zwischen dem ersten liebt, nein, die Beweise für die Gnade
Vers dieses Psalms und dem letzten des des HERRN sind überall zu finden.
vorigen. In beiden fordert der Schreiber 33,6-7 Die Größe Gottes sieht man dar­
die Gerechten auf, dem Herrn zu lob- an, dass er die Himmel und ihr Sternen-
singen. Aber dieser Psalm vertieft die- heer mit keinem größeren Krafteinsatz
ses Thema, indem er ausführt, warum erschaffen hat, als dass er sein macht-
es für den Gerechten angemessen ist, volles Wort sprach. Genauso leicht
den Herrn zu preisen. schloss er die Ozeane in festgelegten
Wir sollten anmerken, dass hier keine Grenzen ein. Einige sehen in diesen
aktiven Feinde erwähnt werden, auch zwei Aussagen einen poetisch versteck-
keine Verfolgung, keine Drangsal. Es ist ten Hinweis auf Israel als die Sterne des
vielmehr eine friedliche Szene. Israel Himmels (1. Mose 15,5) und auf die
wohnt in Sicherheit, und der Herr ist als Heidenvölker als das brausende Meer,
der universale Herrscher anerkannt. das am Ende durch den Herrn Jesus bei
Der Psalm gehört also in den Beginn seinem Zweiten Kommen in seine
des Königreiches Christi, wenn die Schranken verwiesen wird.
heidnische Unterdrückung zerschlagen 33,8-9 Jedenfalls ist Gott so groß, dass
und die Zeit der Drangsal Jakobs vor­ die Menschheit ihn ehren und ihm die
über ist. tiefste Ehrerbietung erweisen sollte.
33,1-2 Der Aufruf zur Anbetung er- Sein Wort war die Energie, die zu Ma­
geht in den ersten sieben Versen an Is- terie wurde. Durch seinen Befehl ent-
rael, dann in Vers 8 auch an die Heiden. stand die gesamte Schöpfung.
Lobgesang ist so wunderschön und so 33,10-11 Während der ganzen Mensch-
unwiderstehlich, dass die schönste und heitsgeschichte haben die gottlosen,
beste Instrumentalbegleitung verwen- heidnischen Nationen zusammen­
det werden sollte: die Zither und die gewirkt, um gegen Gott zu arbeiten und
zehnsaitige Harfe. sein Volk zu verderben. Aber – wie
33,3 Das »neue Lied« ist das Lied der Burns sagt – »die schlauesten Pläne von
Erlösung. Es folgt auf die Vergebung Mäusen und Menschen gehen am Ende
der Sünden (Psalm 32) und ist für alle schief«. Gott macht schließlich die
bestimmt, die durch das kostbare Blut klügsten Anschläge zunichte, die seine
Christi gereinigt wurden. Aber dieses Feinde sich ausgedacht haben. Und

585
Psalm 33 und 34

nichts kann die Erfüllung seiner Vorsät- ne ihn töten, stellte sich David, als sei er
ze verhindern. Er wird stets das letzte irre, kritzelte an das Tor und ließ seinen
Wort haben, und was er sich vorgenom- Speichel über seinen Bart fließen. Die-
men hat, wird eintreten. ser Kunstgriff gelang. Der König hatte
33,12 So liegt der Weg des Segens dar- keinen Bedarf an weiteren Irren und
in, mit Gott zusammenzuarbeiten. schickte David fort, der in die Höhle
Glücklich ist die Nation, die den HERRN Adullam entkam. Diese Episode gehört
als ihren Gott anerkennt. Das ist das gewiss nicht zu den heldenhaftesten
Volk, das er sich zum Erbteil erwählt und großartigsten in der wechselvollen
hat. Laufbahn des Psalmisten. Trotzdem
33,13-17 Wenn der HERR vom Him- blickt er auf sie zurück als auf eine dra-
mel herabblickt, hat er einen vollkom- matische Errettung durch den Herrn.
menen Überblick über alle Menschen. Und so schrieb er diesen Psalm, um die-
Nichts entgeht ihm. Er sieht alles, was ses Ereignis zu feiern.
sie tun, und noch mehr als das: Er kennt Zu allen Zeiten haben die Gläubigen
die Gedanken und Absichten jedes diesen Psalm geliebt, weil er so wortge-
Herzens. Er sieht einige, die mit fleisch­ waltig ihr eigenes Zeugnis von der Er-
lichen Waffen kämpfen – und er lacht rettung aus Gnade durch den Glauben
über deren Torheit. Sie verlassen sich an den Herrn ausdrückt. Lassen Sie uns
mehr auf ihr Heer, ihre Flotte und ihre den Psalm in diesem Licht betrachten.
Luftwaffe als auf den lebendigen Gott. 34,2 Die Errettung ist eine Gabe von
Wann werden sie begreifen, dass auch so unermesslichem Wert, dass unsere
die tüchtigste Kavallerie den Sieg nicht Herzen dem Geber unablässig dafür
bringen kann? danken müssten. Würden wir den
33,18-19 Gott sieht auch diejenigen, HERRN allezeit preisen, so wäre das
die auf ihn wegen ihrer Errettung und nicht zu viel. Auch wenn sein Lob be-
Bewahrung vertrauen. Solche Men- ständig in unserem Mund wäre, so
schen gefallen ihm. Er blickt auf sie mit würden wir dieses Thema doch nicht
der größten Gunst herab. erschöpfend behandeln können. Bis in
33,20-22 Es besteht keine Frage, zu alle Ewigkeit kann keine menschliche
welcher Gruppe der Psalmist und sein Zunge Gott angemessen danken.
Volk gehören. Sie vertrauen auf den 34,3 Die Bekehrten rühmen sich in
HERRN als ihrem Helfer und Beschüt- dem HERRN – nicht ihres eigenen Cha-
zer. Sie haben ihr Glück darin gefun- rakters oder dessen, was sie erreicht ha-
den, all ihr Vertrauen auf seinen heili- ben. Haben wir das Evangelium der
gen Namen zu setzen. Alles, um was sie Gnade richtig verstanden, begreifen
bitten, ist, dass sie beständig in dem wir, dass wir nur alle Sünde getan ha-
Sonnenschein seiner unerschütterlichen ben und Christus alle Rettung bewirkte.
Liebe bleiben können, da sie auf ihn al- So darf unser Rühmen nur ihn betref-
lein harren. fen. Wenn diejenigen, die noch in den
Fängen der Sünde sitzen, unser Zeug-
Psalm 34: Der Psalm der neuen Geburt nis von der vollen und freien Errettung
34,1 Den historischen Hintergrund für hören und wahrnehmen, werden auch
diesen Psalm finden wir in 1. Samuel sie aufwachen und mit Freuden begrei-
21. Als David vor Saul floh, suchte er fen, dass es auch für sie Hoffnung gibt.
bei dem Philisterkönig von Gat Zu- 34,4 Die so sicher errettete Seele ist
flucht. Dieser hieß Achisch oder Abime- nicht damit zufrieden, die Errettung al-
lech, wie in der Überschrift dieses lein für sich zu genießen. Die Sache ist
Psalms, wobei »Abimelech« eher ein Ti- so überwältigend groß, dass sie ihr ge-
tel als ein Personenname sein dürfte. In samtes Umfeld aufruft, den HERRN
der Furcht, dieser feindliche König kön- mit ihr zu erheben und gemeinsam sei-

586
Psalm 34

nen Namen zu erhöhen. Manche Ehe- »Weil ich denn gar nichts bringen
paare haben diesen Spruch in ihre Ehe- kann,
ringe eingravieren lassen. Schmieg ich mich an dein Kreuz nur
34,5 Wenn der Geist Gottes beginnt, an.«
an der Seele des Sünders zu wirken, Der HERR hört unser Schreien. Unse-
pflanzt er den göttlichen Instinkt hin- re Armut appelliert an seine unbegrenz-
ein, den HERRN zu suchen. Erst später ten Möglichkeiten. Er neigt sich nieder
begreift der errettete Sünder, dass der und rettet uns aus allen unseren Be-
Herr der ursprüngliche Sucher war. Es drängnissen, aus dem Fangnetz der
ist so, wie das Lied eines Unbekannten Sünde, das wir mit eigener Hand ge­
es ausdrückt: woben haben.
34,8 Der Gläubige ist nicht nur geret-
Ich suchte den Herrn, und erst später tet, sondern auch wohl bewahrt. Der
erkannte ich, Engel des HERRN, das ist unser Herr
Dass er meine Seele bewegte, ihn zu Jesus Christus selbst, ist denen zu einer
suchen, weil er mich suchte; sie umgebenden Schutzmauer gewor-
Du, mein treuer Retter, nicht ich habe den, die ihn fürchten, und er befreit sie
dich gefunden, von erkannten und unerkannten Ge-
O nein, ich wurde gefunden von dir! fahren. Keines seiner Schafe kann je
Verfasser unbekannt ver­loren gehen (Joh 10,28).
34,9-10 Wer den Retter kennt, sehnt
Noch immer antwortet er, wenn wir ihn sich danach, von ihm zu anderen zu re-
suchen, und er rettet uns aus allen un- den. Sie sagen wie die vier Aussätzigen
seren Ängsten – aus den Ängsten vor in Samaria: »Wir tun nicht recht. Dieser
einer unbekannten Zukunft, aus der Tag ist ein Tag guter Botschaft. Schwei-
Angst, in unseren nicht bekannten und gen wir …, so wird uns Schuld treffen«
unvergebenen Sünden zu sterben, aus (2Kö 7,9). Und so rufen sie die gute Bot-
der Angst vor dem Gericht vor dem schaft aus: »Schmecket und sehet, dass
großen weißen Thron. Wenn wir auf der HERR gütig ist! Glückselig der
Christus als unseren Herrn und Retter Mann, der sich bei ihm birgt.«
vertrauen, hören wir die Worte der Ab- Dies ist die maßgebende, dringende
solution: »Deine Sünden sind dir ver­ Einladung an die Unbekehrten. Wir mö-
geben, gehe hin in Frieden!« gen begründen, argumentieren, uns der
34,6 Aber dies ist keine besondere Er- Logik bedienen und Beweise für das
rettung, die nur für wenige gilt; sie ist Christentum heranziehen; aber wenn
für alle zu haben. Alle, die im Glauben alles gesagt und getan ist, muss der
auf Christus blicken, werden strahlen. Mensch für sich selbst »schmecken und
Finstere Blicke verwandeln sich in Lä- sehen«. Murdoch Campbell schreibt:
cheln und Freude, und Depression und
Verzweiflung weichen dem Entzücken. Wir mögen über Gott diskutieren, über
Niemand, der dem Herrn sein Leben seine Existenz und über äußere Beweise,
übergibt, wird jemals enttäuscht sein; die aus der Schöpfung und Vorsehung
der Herr kann das vertrauende Herz entnommen sind. Doch nur wenn seine
nicht im Stich lassen. Liebe und Gegenwart unsere Herzen be-
34,7 Wir kommen in unserer Armut rührt, können wir ihn wirklich in seiner
und in unseren Lumpen zu ihm, in un- unaussprechlichen Güte erkennen.29
serem Elend und unserer Hilflosigkeit,
und bekennen ihm gern unser Unver- Dann folgt die Einladung an die Be-
mögen, uns selbst zu retten. Wir setzen kehrten. Es ist der Aufruf zum Leben
unser ganzes Vertrauen auf ihn. Es ist, im Glauben. Die Heiligen werden ein-
als sagten wir: geladen, im Glauben und nicht im

587
Psalm 34

Schauen zu wandeln und so Gottes dern vielmehr segnen sollen. Der Segen
wunderbare, wundersame und überrei- ist die Gunst des Herrn; seine Augen
che Vorsehung zu erleben. Es ist die »sind gerichtet auf die Gerechten
Botschaft von Matthäus 6,33: »Trachtet und seine Ohren auf ihr Schreien«
aber zuerst nach dem Reich Gottes und (Ps 34,16).
nach seiner Gerechtigkeit! Und dies al- 34,17 Bei der Zitierung von Vers 17
les wird euch hinzugefügt werden.« beschränkt sich Petrus auf die erste
34,11 Während Junglöwen30 manch- Hälfte: »Denen, die Böses tun, steht das
mal darben und Hunger haben, entbeh- Angesicht des HERRN entgegen.«
ren alle, die den HERRN suchen, nichts Den Rest zitiert er nicht, der da heißt:
Gutes; denn unser Herr Jesus Christus »… um ihr Gedächtnis von der Erde zu
ist unser großer, allgenugsamer Versor- tilgen«.
ger! Der erste Teil stimmt in jedem Zeit­
34,12 Die Gnade Gottes rettet, erhält alter. Der zweite wird sich erfüllen,
und versorgt uns nicht nur, sondern sie wenn der Herr Jesus auf die Erde als
belehrt uns auch: König der Könige zurückkehren wird.
34,18 Die Gerechten haben das un-
Denn die Gnade Gottes ist erschienen, schätzbare Vorrecht, jederzeit Audienz
Heil bringend allen Menschen, und un- bei dem HERRN zu erhalten. Er hört je-
terweist uns, damit wir die Gottlosigkeit des Mal ihr Schreien und errettet sie aus
und die weltlichen Begierden verleug- allen ihren Bedrängnissen. Barnes sagt
nen und besonnen und gerecht und got- zu dieser Stelle: »Niemand hat je in vol-
tesfürchtig leben in dem jetzigen Zeit- lem Maß das Vorrecht des Gebets, das
lauf, indem wir die glückselige Hoffnung Vorrecht, Gott anrufen zu dürfen, zu
und Erscheinung der Herrlichkeit unse- schätzen gewusst.«
res großen Gottes und Heilandes Jesus Bevor wir Vers 18 verlassen, sollten
Christus erwarten. Der hat sich selbst für wir noch anmerken, dass der Herr uns
uns gegeben, damit er uns loskaufte von nicht vor Bedrängnissen bewahrt; er er-
aller Gesetzlosigkeit und sich selbst ein rettet uns aus ihnen. Gläubige sind nicht
Eigentumsvolk reinigte, das eifrig sei in immun gegen Bedrängnisse; aber sie
guten Werken« (Titus 2,11-14). haben sehr wohl einen mächtigen Erret-
ter! Das ist der entscheidende Unter-
34,13-16 So liefert hier der Psalmist sei- schied.
nen Söhnen Belehrung darüber, was zu 34,19 Der HERR weiß, den Stolzen zu
wahrer Furcht des HERRN gehört: widerstehen; aber einem zerbrochenen
1. Eine beherrschte Zunge, die frei ist und zerschlagenen Herzen kann er
vom Bösen und vom Betrug. nicht widerstehen. Er ist für die zerbro-
2. Ein abgesonderter Wandel, abge- chenen Herzen stets erreichbar und ist
sondert vom Bösen und abgesondert zu denen nahe, die zerschlagenen Geistes
guten Werken. sind.
3. Eine friedfertige Haltung – so wie 34,20 Wie schon erwähnt, haben die
Paulus sagt: »Wenn möglich, so viel an Gerechten viele Bedrängnisse. Viel-
euch ist, lebt mit allen Menschen in leicht wird uns eines Tages bewusst,
Frieden!« (Röm 12,18). dass wir mehr davon gehabt haben als
Petrus erklärt in 1Petr 3,9: »Segnet, die Gottlosen. Aber wenigstens sind
weil ihr dazu berufen worden seid, dass alle unsere Nöte auf dieses Leben be-
ihr Segen erbt.« Dann zitiert er Vers 13 schränkt. Und was noch wichtiger ist:
bis 17a dieses Psalms, um seine Beleh- Wir brauchen sie nicht allein zu tragen;
rung zu unterstreichen, dass wir nicht denn unser ewiger Freund steht uns
Böses mit Bösem vergelten sollen, auch zur Seite. Wir haben die Zusicherung
nicht Scheltwort mit Scheltwort, son- der vollkommenen und endgültigen

588
Psalm 34 und 35

Befreiung von allen Anfechtungen derbares, wiedergeboren zu sein! Das


durch die Auferstehung des Herrn Je- ist die Botschaft dieses Psalms.
sus. Weil er aus den Toten auferstanden
ist, werden auch wir eines Tages mit Psalm 35: Freunde wurden zu
ihm auferstehen, um für ewig von Sün- Verrätern
de, Krankheit, Schmerz, Leiden und 35,1-3 David gebraucht hier seine Vor-
Tod frei zu sein! stellungskraft und bittet Gott, er möge
34,21 Aber selbst im Tod bewahrt der sich gnädigerweise mit Waffen ausstat-
Herr die Leiber seiner Heiligen: ten, um mit ihnen gegen all jene vorzu-
Er bewahrt alle seine Gebeine, gehen, die vorgaben, Freunde des Psal-
nicht eines von ihnen wird zer­ misten zu sein, sich jetzt aber als seine
brochen. grausamsten Feinde offenbarten. Der
Dieser Vers erfüllte sich buchstäblich Psalmist möchte, dass der HERR seinen
beim Sterben unseres Herrn: »Als sie Kleinschild und den Langschild er-
aber zu Jesus kamen und sahen, dass er greift, in Aktion tritt und seinen treff­
schon gestorben war, brachen sie ihm sicheren Speer schwingt, um dann
die Beine nicht … Dies geschah, damit neben David zu treten und zu sagen:
die Schrift erfüllt würde: »Kein Bein »Ich bin deine Hilfe.«
von ihm wird zerbrochen werden« (Joh 35,4-6 Es wäre ein gerechtes Urteil für
19,33.36). diese Menschen, die zum Mord bereit
Darin war der Herr das vollkommene waren, beschämt und zuschanden zu
Gegenbild des Passahlammes, von dem werden und für ihre teuflischen Pläne
geschrieben steht: »Ihr sollt kein Bein zurückgeschlagen und zunichtege-
an ihm zerbrechen!« (2. Mose 12,46). macht zu werden. Es wäre gerecht,
34,22-23 Die letzten zwei Verse haben wenn sie so hilflos und ohne Gewicht
mit dem Ausdruck »schuldig gesprochen würden wie Spreu im Wind, unablässig
werden« (in vielen deutschen Überset- fortgetrieben durch den Engel des
zungen: »büßen müssen«) zu tun. Die HERRN (der Herr Jesus in einer seiner
Gottlosen werden von ihrer Bosheit um- Erscheinungen vor seiner Menschwer-
gebracht, und sie werden schuldig ge- dung). Ja, es wäre die richtige Vergel-
sprochen werden. Aber die Knechte des tung für ihre Wege, dass sie dunkel und
HERRN haben jemanden, der ihre Seele so schlüpfrig würden wie Eis, während
erlöst, und alle, die sich bei ihm bergen, der Engel des HERRN sie verfolgt.
werden nicht schuldig gesprochen wer- 35,7-8 Sie hatten keinen Grund, sich
den! Gepriesen sei Gott; denn es gibt kei- gegen den Psalmisten zusammenzurot-
ne Verdammnis für die, die in Christus ten, wie sie es getan hatten. Sie aber
Jesus sind! (siehe Römer 8,1). wollten ihn fangen wie ein Tier bei der
Jagd. So möge der Herr das Verderben
Wo ist unsre Sünd’ geblieben? unvermutet über sie bringen und sie in
Christus starb an unsrer statt. ihrem eigenen Netz fangen!
Unsern Freibrief, längst geschrieben, 35,9-10 Dann wird David in dem
Christi Blut versiegelt hat. HERRN frohlocken und sich seiner Hil-
Ganz gereinigt, ihm vereinigt, fe freuen. Sein ganzes Sein wird sich
Der zur Rechten Gottes ist, darin vereinigen, den HERRN als den
Der den Weg zum Heiligtum Unvergleichlichen anzuerkennen, der
Uns geweiht hat, ihm zum Ruhm. den Schwachen vor der Übermacht der
Geistliche Lieder 91,1 Gegner rettet, den Hilflosen und Elen-
den vor dem Verderber.
Und so ist der Gläubige gerettet, be- 35,11-14 Um das tiefe Betroffensein des
wahrt und überschwänglich befriedigt Psalmisten zu verstehen, muss man sich
für Zeit und Ewigkeit. Es ist etwas Wun- bewusst machen, dass diese Menschen,

589
Psalm 35 und 36

die jetzt als Zeugen gegen ihn auftreten, 35,22-25 »Du hast es gesehen, HERR.
einst seine Freunde waren. Jetzt tun sie Du hast all den Schmutz gesehen. Ver-
ihm Böses und klagen ihn für Dinge an, schließe dich nicht in schweigende Zu-
mit denen er überhaupt nichts zu tun rückgezogenheit. Sei nicht fern von mir!
hat. Alle ihnen von ihm erwiesene Es ist an der Zeit, aufzuwachen und
Freundlichkeit vergelten sie ihm mit deutlich aktiv zu werden, um mich und
Hass. Kein Wunder, dass er untröstlich meine gerechte Sache zu verteidigen.
ist! Als diese Menschen krank waren, Ich sehne mich danach, dass du mich
ging es ganz anders zu. David trauerte rechtfertigst und ihrem Begehren nach
mitleidig ihretwegen. Er konnte nicht meinem Zusammenbruch entgegen-
einmal essen. Vor Kummer niederge- trittst. Lass sie sich niemals rühmen
beugt, hatte er beständig für sie gebetet können, ihr Ziel erreicht zu haben, dass
– wie er es für einen engen Freund oder sie es schafften, mich zu verschlingen.«
Bruder getan hätte. Seine Klage war so 35,26 »O Herr, sorge dafür, dass jene
tief wie beim Tod seiner eigenen Mutter. gründlich zuschanden werden, die sich
35,15-16 Als aber Unglück und Wi- darüber freuen, wenn sie mich fallen
derwärtigkeiten David erreichten, freu- sehen. Kleide sie mit Schimpf und
ten sie sich. Wie ein Mann erhoben sie Schande, weil sie mich so unverschämt
sich, um ihn zu verklagen. Sie schlepp- behandelt haben.«
ten schimpfende Schläger von der Stra- 35,27-28 »Aber alle, die meine end­
ße herbei, um ihn in fortgesetzten Tira- liche Befreiung erhofften, haben Grund
den zu verleumden. Ihr unverschämtes zu Jubel und Freude. Lass sie es be­
Höhnen wurde immer lauter, während zeugen können, dass du wirklich ein
sie gleichzeitig vor Hass die Zähne großer Herr bist, weil du ein auf­
fletschten. Die Erfahrungen des Psal- richtiges Wohlgefallen an dem Wohl­
misten erinnern uns an den Herrn Je- ergehen derer hast, die dir dienen. Und
sus, als er vor Pilatus oder Herodes meine Zunge wird ebenfalls nicht
stand; vieles, was hier gesagt ist, stimmt schweigen; sie wird beständig anderen
stark mit dem überein, was er erdulden von deiner Gerechtigkeit erzählen und
musste. sagen, wie sehr du zu preisen bist!«
35,17-18 Wie lange kann der Herr der
Ungerechtigkeit all diesen Geschehens Psalm 36: Große Sünde – ein größerer
zusehen, ohne einzuschreiten? Die Zeit Gott
ist gekommen, den Unschuldigen vor 36,1-5 »Ein Urteil über die Abtrünnig-
der Wut seiner Feinde und sein kost­ keit des Gottlosen kommt aus der Tiefe
bares Leben vor diesen Löwen in Men- meines Herzens: Die Gottesfurcht gilt
schengestalt zu retten. nichts vor seinen Augen!« (Schlachter
35,19-21 Welch ein Zerrbild ergäbe es, 2000). Eine Offenbarung in Davids Her-
wenn diese Menschen, die ohne wirk­ zen (in der ER steht mit der LXX und
lichen Grund Davids Feinde sind, auch anderen Übersetzungen: »seines [des
noch Ursache hätten, sich über dessen Gottlosen] Herzens«) gibt uns ein deut-
Untergang zu freuen und wegen ihres liches Bild von der Übertretung des
scheinbaren Triumphs mit den Augen Gottlosen. Der Sünder verwirft die Got-
zwinkern könnten. Sie wollen keinen tesfurcht, die er vielleicht einmal ge-
Frieden – alles, was sie wollen, ist, habt hat. Er schmeichelt sich selbst, sei-
falsche Anklagen gegen die stillen, ge­ ne Verbrechen könne niemand nach-
setzestreuen Bürger zu ersinnen. Sehen weisen und bestrafen. Seine Redeweise
sie nur das geringste Ausgleiten, sagen ist randvoll von Gottlosigkeit und Be-
sie: »Haha! Haha! Genau wie wir trug. Er spottet über ein ehrenhaftes,
vorher­gesagt haben! Wir haben dich gesetzestreues Leben. Wenn er schlafen
gesehen, wie du es tatest.« sollte, ersinnt er neue Missetaten, dann

590
Psalm 36

macht er sich bewusst auf einen bösen die Sünde. Müssten wir für unsere Sün-
Weg und sagt vergnügt »Ja« zu seinen den bestraft werden, hieße das ewiges
sündigen Entschlüssen. Verderben. Darum nahm Gottes geprie-
36,6 In starkem Kontrast zu der Ver- sener Sohn unsere Sünde auf sich. So
dorbenheit eines solchen Sünders ste- unbeugsam ist Gottes Gerechtigkeit,
hen die Vollkommenheiten des HERRN. dass er die Schrecken seines Gerichts
Seine Gnade reicht bis zum Himmel. auf ihn herniederprasseln ließ, als er
Barnes schreibt: unsere Sünden auf ihm sah. Nun hat
Gott eine gerechte Grundlage, auf der
Sie ist sehr erhaben, bis zum Himmel hin­ er gottlose Sünder retten kann; denn die
auf, so hoch wie das Höchste, das ein Sünde wurde durch einen würdigen
Mensch sich vorstellen kann. Der Gedan- Stellvertreter bezahlt.
ke ist weder, dass die Gnade im Himmel
offenbar wird … noch, dass der Himmel Die vollkommene Gerechtigkeit Gottes
ihr Ursprung sei (obwohl das stimmt); Ist bezeugt in dem Blut des Retters;
sondern dass sie von der allererhabens- Gerade im Kreuz Christi tritt hervor
ten Natur ist, so hoch, wie ein Mensch es Seine Gerechtigkeit und auch seine
sich nur vorstellen kann.31 wunderbare Gnade.
Albert Midlane
Gottes Treue reicht bis zu den Wolken.
Das heißt, sie ist in ihren Abmessungen Gottes Gerichte gleichen der »großen
grenzenlos. A.W. Pink sagt: Tiefe« (unrevidierte Elberfelder). Das
bedeutet: Seine Anordnungen, Ent-
Welch ein Wort ist das! »Deine Treue scheidungen, Gedanken und Pläne sind
reicht bis zu den Wolken.« Weit über wundersam tiefgründig, umfassend
allem endlichen Verstehen steht die un- und weise. Bei der Betrachtung dieser
wandelbare Treue Gottes. Bei Gott ist al- Eigenschaften Gottes rief Paulus aus:
les großartig, unendlich weit und unver- »O Tiefe des Reichtums, sowohl der
gleichbar. Er vergisst nie etwas, versagt Weisheit als auch der Erkenntnis Got-
nie, schwankt nie und lässt nie sein Wort tes. Wie unerforschlich sind seine Ge-
ungültig werden. An jede Verkündung richte und unaufspürbar seine Wege!«
einer Verheißung oder Weissagung hat (Röm 11,33).
sich der Herr genau gehalten, jede Bun- »Du, o HERR, rettest Menschen und
desabmachung, jede Drohung wird er Tiere.« Hier geht es um zeitliche Erret-
wahr machen; denn: Nicht ein Mensch tung, um die Vorsehung Gottes zur Be-
ist Gott, dass er lüge, noch der Sohn eines wahrung seiner Geschöpfe. Und welch
Menschen, dass er bereue. Sollte er ge- eine große Barmherzigkeit ist das. Man
sprochen haben und es nicht tun und ge- denke nur an alles, was dazugehört, um
redet haben und es nicht aufrechthalten? so viele menschliche Wesen, so viele
(4. Mose 23,19). Darum hat der Gläubige Landtiere, Vögel und Fische zu versor-
allen Grund auszurufen: »Sein Erbarmen gen. In Bezug auf den Menschen hat
hört nicht auf, es ist jeden Morgen neu. Gott sogar die Haare seines Hauptes
Groß ist deine Treue!« (Kla 3,22-23).32 gezählt, und was die unbedeutenden
Spatzen angeht, so fällt keiner von ih-
36,7 Gottes Gerechtigkeit ist den Bergen nen zu Boden, ohne dass unser himm­
Gottes gleich, die er stabil, fest, un­ lischer Vater davon weiß!
beweglich und höchst zuverlässig ge- 36,8 Nichts, was den Menschen im
macht hat. Man kann Gott vertrauen, Leben begegnet, ist so kostbar wie die
dass er immer gerecht handelt. Dies Liebe und Gnade Gottes. Sie ist ewig,
zeigte sich vollkommen am Kreuz. Got- sie überwindet alles, sie ist ohne Ende,
tes Gerechtigkeit verlangte Strafe für unverdient und unwandelbar. Und

591
Psalm 36 und 37

nichts kann jemals ein Kind Gottes von Corot, der große Landschaftsmaler, sagte
ihr scheiden. 1743 schrieb John Brine: einmal: »Wenn ich an einem der wunder-
schönen Orte der Natur bin, werde ich
Keine Zunge kann die Unendlichkeit der ärgerlich auf meine Bilder.« Im Studio
Liebe Gottes in ihrer Fülle ausdrücken, hatten sie ihm gefallen; aber das An-
und kein Verstand kann sie begreifen: Sie schauen der Herrlichkeit der Natur de-
übersteigt die Erkenntnis (Eph 3,19). Die mütigte den Künstler. Wenn wir uns im
höchsten Vorstellungen eines endlichen Licht der Welt beurteilen, mögen wir
Geistes über die göttliche Liebe bleiben leicht Gründe finden, mit uns selbst zu-
unendlich weit unter deren wahrer Na- frieden zu sein; wenn wir uns aber im
tur. Der Himmel ist nicht so hoch über Licht des Herrn beurteilen und uns an
der Erde wie die Güte Gottes über den er- den göttlichen Maßstäben messen, dann
habensten Vorstellungen, die wir uns von macht das unseren Stolz zuschanden.
ihr machen können. Sie ist ein Ozean, der (Choice Gleanings)
höher anschwillt als alle Berge des Wi-
derstands in denen, die der Gegenstand 36,11-12 Nachdem er die Himalajagip-
dieser Güte sind. Sie ist eine Quelle, aus fel der Vollkommenheit Gottes betrach-
der alles nötige Gute für diejenigen fließt, tet hat, kehrt der Sohn Isais ins Tal
die daran interessiert sind.33 menschlicher Bedürfnisse zurück und
bittet, Gott möge ihn weiterhin vor den
Darum bergen sich die Menschenkinder Gottlosen beschützen. Vers 12 erklärt
im Schatten seiner Flügel. Unglück­ Vers 11. David bittet Gott, seine Gnade
licherweise wollen nicht alle Menschen und Errettung darin zu beweisen, dass
Gottes liebenden Schutz genießen. Aber er den Fuß der Hochmütigen davon ab-
dieses Vorrecht ist allen zugänglich, hält, ihn niederzutreten, und die Hand
und Menschen aus allen Völkern, Klas- der Gottlosen davon, ihn zu vertreiben.
sen und Kulturen haben Ruhe, Er­ 36,13 Sein Gebet wurde erhört. Der
quickung und Sicherheit unter diesen Glaube ermöglicht dem Psalmisten, die
unvergleichlichen Flügeln gefunden. Übeltäter fallen zu sehen, unfähig, sich
36,9 Dort ist nicht nur Schutz, son- wieder zu erheben.
dern auch reichliche Versorgung zu fin-
den. »Sie laben sich am Fett deines Psalm 37: Wahrer Friede
Hauses, und mit dem Strom deiner David hatte während seines Lebens viel
Wonnen tränkst du sie.« Welche Nah- vonseiten der gottlosen und skrupel-
rung kann mit der des Hauses Gottes in losen Menschen gelitten. Nun, als alter
Bezug auf Qualität und Quantität kon- Mann, gibt er uns Ratschläge, wie wir
kurrieren? Und welche Vergnügungen? reagieren sollen, wenn wir das Opfer
F.B. Meyer sagte es einmal so: Gott gibt böser Anschläge und giftiger Zungen
die Nöte becherweise, aber die Freuden werden.
in Strömen! 37,1-2 Zuallererst dürfen wir uns
36,10 In Christus ist die Quelle des selbst nicht erlauben, uns wegen der
Lebens. »In ihm war Leben, und das Le- Übeltäter zu entrüsten. Die Gefahr be-
ben war das Licht der Menschen« (Joh steht, dass wir nachts im Bett liegen
1,4). In diesem Licht sehen wir das und uns das ganze ungeheuerliche Ge-
Licht. Genauso wie natürliches Licht schehen ins Gedächtnis rufen. Zuerst
die wahre Gestalt der Dinge offenbart, denken wir an alles, was sie gesagt und
so befähigt uns das Licht Gottes, die getan haben, dann gehen wir zu dem
Dinge so zu sehen, wie er es tut. Es be- über, was wir geantwortet haben, dann
fähigt uns, geistliche Realitäten richtig wünschen wir, uns wären passendere
einzuschätzen, sei es in der Welt, in an- Brocken eingefallen, die wir ihnen an
deren oder in uns selbst. den Kopf hätten werfen können! Bald

592
Psalm 37

verwandeln sich unsere Verdauungs- bestimmten Dienst für den Herrn zu


säfte in Schwefelsäure und wir liegen tun. Sie fühlen vertrauensvoll, dass er
und wälzen uns umher und fragen uns, Sie geleitet hat, und Ihr einziges Inter­
wann wir wohl einschlafen. Unser Är- esse ist, ihn zu verherrlichen. Doch ein
ger verletzt niemanden als uns selbst mächtiger Widersacher hat dagegen
und führt zu gar nichts. Wir dürfen das Widerstand geleistet, Ihnen den Weg
nicht tun! verstellt und Sie bei jeder Wegbiegung
Was immer wir tun: Niemals dürfen behindert. Was machen Sie in solch
wir die Ungerechten beneiden! Diese einem Fall? Die Antwort ist: »Habe dei-
Erde ist der einzige Himmel, den sie je ne Lust an dem HERRN, wobei du
haben werden. Die Sense der Vergel- weißt, dass er dir zu seiner Zeit geben
tung wird sie bald niedermähen, und wird, was dein Herz begehrt.« Sie brau-
ihre aufsehenerregenden Erfolge wer- chen nicht zurückzuschlagen. »Denn
den verdorren und verwelken. der Kampf ist nicht eure Sache, sondern
37,3 Das ist die negative Seite des Gottes!« (2Chr 20,15). »Der HERR wird
Bildes: »Errege dich nicht über sie und für euch kämpfen, ihr aber werdet stille
wünsche dir nicht, so zu sein wie sie.« sein« (2. Mose 14,14).
Auf der positiven Seite ist das Erste, 37,5-6 Oder man hat Sie falsch zitiert,
dass wir auf den HERRN vertrauen fälschlich angeklagt oder verleumdet.
und Gutes tun sollen. Dieses Vertrauen Wenn wenigstens etwas Wahres an den
ist kein unbegründeter, vager Optimis- Anklagen wäre, könnte man sie besser
mus, dass sowieso alles gut werden ertragen. Aber sie sind absolut unwahr
wird. Stattdessen bedeutet er ein tiefes, und bösartig. Was sollte man machen?
bleibendes Vertrauen auf den Gott, der Befehlen Sie die ganze Angelegenheit
versprochen hat, den Gottlosen zu be- dem HERRN. Werfen Sie die ganze Last
strafen und den Gerechten zu beloh- auf ihn. Lassen Sie ihn für Sie handeln,
nen. Sein Wort kann niemals zunichte- dann werden Sie völlig gerechtfertigt.
werden. Der Aufrichtige wird tatsäch- Es wird allen Sehenden klar werden,
lich im Land wohnen und Sicherheit dass Sie trotz allem unschuldig waren.
genießen. Trotz der wilden Angriffe Barnes sagt:
von Dämonen und Menschen wird kein
Schaf Christi verloren gehen (Joh 10, Wenn du verleumdet wirst, wenn man
27-29). Im Haus des Vaters ist allen eine deinen Ruf schlecht macht und er erst
Wohnung garantiert, die auf Christus einmal wie unter einer Wolke verdunkelt
ihr Vertrauen setzen (Joh 14,1-6). wird, wenn man dir aufgrund der Erfin-
John Wesley schickte einmal seinem dungen gottloser Leute Vorwürfe macht,
Predigerfreund Samuel Bradburn eine denen du nichts entgegnen kannst –
finanzielle Unterstützung. Zusammen wenn du dann die Sache Gott überlassen
mit einer 5-Pfund-Note schrieb er: »Lie- wirst, so wird er deinen Ruf beschützen
ber Sammy! ›Vertraue auf den HERRN und die Wolken vertreiben. Alles in Be-
und tue Gutes; wohne im Lande und zug auf deine Beweggründe und die Mo-
hüte Treue, und du wirst gewiss gesät- tive deines Handelns werden dann klar
tigt werden.‹« In seiner Dankantwort sein wie die Sonne am wolkenlosen Him-
schrieb Bradburn: »Mich hat die Schön- mel.34
heit der von dir in deinem Brief zitierten
Bibelstelle oft tief berührt; aber ich muss 37,7-8 Wenn Sie Ihre Wege dem Herrn
bekennen, dass ich niemals vorher eine übergeben haben, ist der nächste Schritt,
so nützliche Auslegung dazu gesehen in ihm zu ruhen. Weil er unsere Lasten
habe.« trägt, haben Sie es nicht nötig, sie auch
37,4 Aber stellen Sie sich vor, Sie hät- noch zu tragen. Nur allzu oft tun wir
ten ein großes Verlangen gehabt, einen gerade das. Zögerlich werfen wir unse-

593
Psalm 37

re Sorge auf ihn, um sie dann gleich hat. Es wird nicht mehr lange dauern,
selbst wieder aufzunehmen. bis die Gottlosen von der Bildfläche
verschwunden sind. Wenn Sie sich nach
Gott will, dass ich mein Sorgenheer ihnen an ihren üblichen Aufenthalts­
Stets werfe nur auf ihn, orten umsehen, wird Ihre Suche ver-
Und dass ich nun und nimmermehr geblich sein! An jenem Tag werden die
Mein Zutraun werfe hin. Sanftmütigen das Land besitzen und
Doch ich, in ganz verkehrtem Sinn, von Herzen Gottes beispiellosen Wohl-
Durch Satans Trug und Schein stand genießen. Wann wird der Tag
Werf’ gleich all mein Vertrauen hin, kommen? Für die Gemeinde kommt er,
Und trag die Sorg’ allein. wenn der Herr in Wolken herabsteigt,
nach T. Baird um sein wartendes Volk zu sich zu neh-
men, um es in die himmlischen Woh-
»Und harre auf ihn.« Beachten Sie, wie nungen zu bringen. Für den gläubigen
oft gesagt wird, dass der HERR die Zu- Überrest Israels und die Völker wird er
flucht des Gläubigen ist: sein, wenn der Herr Jesus auf die Erde
Vertraue auf den HERRN (V. 3). zurückkehrt, um seine Feinde zu ver-
Habe deine Lust an dem HERRN (V. 4). nichten und tausend Jahre des Friedens
Befiehl dem HERRN deinen Weg (V. 5). zu regieren. In der Bergpredigt blickte
Sei stille dem HERRN (V. 7a). Jesus mit diesen Worten auf den herr-
Harre auf ihn (V. 7b). lichen Tag voraus: »Glückselig die
Manchmal ist dies das Schwierigste Sanftmütigen; denn sie werden das
für uns. Warten ist das, was wir am Land erben« (Mt 5,5).
schlechtesten können! Aber wahrer 37,12-13 In der Zwischenzeit schmie-
Glaube wartet, weil er Gott zutraut, den die Betrüger, Erpresser und Unter-
dass er alles tun kann, was er verspro- drücker ihre Pläne gegen die Kinder
chen hat (Röm 4,21). Ein zweites Mal Gottes. Sie drücken ihre bitterste Feind-
sagt David: »Lass ab vom Zorn …!« seligkeit gegen diejenigen aus, die den
Warum diese Wiederholung? Natür- Herrn lieben. Aber der HERR ist nicht
lich, weil der Nachdruck wichtig ist. beeindruckt von ihrem Zähneknir-
Selbst nachdem man sich vorgenom- schen. Er weiß, dass der Tag der Ab-
men hat, sich über die Art, wie wir be- rechnung nicht mehr fern ist. Es ist gut
handelt werden, nicht aufzuregen, keh- für uns, wenn wir auf unsere Feinde
ren wir oft um und rühren in unserem mit demselben gelassenen Gleichmut
Herzen den Dreck wieder auf. Aber das blicken können, wenn wir ‒ wie jemand
ist sowohl unnütz als auch gefährlich. meinte ‒ die Welt der kleinen Men-
Selbst wenn der Weg des Gottlosen ge- schenkinder hinter uns lassen können.
lingt, selbst wenn er seine bösen Pläne 37,14-15 Oft scheint es, »als stehe die
ausführt, sollte der Christ weder inner- Wahrheit für alle Zeit auf dem Schafott
lich erregt werden, noch Zorn, Groll, und das Unrecht sitze für ewig auf dem
Bosheit und Hass in sich aufkommen Thron«. Die Gottlosen sind gut bewaff-
lassen. Wenn wir uns solche Haltungen net und ausgebildet. Die Gerechten
gestatten, führen sie uns am Ende zu scheinen vergleichsweise schlecht aus-
heftigen Worten und Handlungen. gestattet zu sein und fortwährend aus-
Dann werden wir selbst zu Misse­tätern. getrickst zu werden. Aber es herrschen
37,9-11 Der Tag wird kommen, an im moralischen Bereich gewisse unver-
dem alles Verkehrte auf der Erde richtig änderliche Gesetzmäßigkeiten. Der Weg
gestellt werden wird. Zu der Zeit wer- der Übertreter wird am Ende hart. Sün-
den die Übeltäter ausgerottet werden, den fallen einmal ganz sicher auf ihre
und die gläubigen Heiligen werden alle Urheber zurück. Die Menschen werden
Segnungen besitzen, die Gott verheißen ihren Sünden nicht für immer entkom-

594
Psalm 37

men. Der Bumerang-Effekt ist stets am 37,20 Aber die Gottlosen werden um-
Werk: »Ihr Schwert wird in ihr eigenes kommen. Durch den ganzen Psalm läu-
Herz dringen.« Wenn sie ihre Waffen am tet diese Totenglocke für die Feinde des
nötigsten haben, werden sie ver­sagen: HERRN. Sie werden als Gottlose und
»Ihre Bogen werden zerbrochen.« Übeltäter bezeichnet, weiter als solche,
37,16 Das Wenige der Gerechten ist die auf ihren eigenen Wegen Erfolg ha-
besser als die ungeheuren Reichtümer ben, Menschen, die böse Pläne ausfüh-
der vielen Gottlosen; denn der Heilige ren, Feinde des Herrn, die der Herr ver-
hat den HERRN, während der Sünder flucht, Nachkommenschaft der Gott­
nichts hat. Der Schreiber des Hebräer- losen und Übertreter. Das Wort »Gott-
briefs dokumentiert 12 Kapitel lang, lose« kommt in diesem Psalm vierzehn
wie unvergleichlich reich wir in allem Mal vor und ist eins der Schlüsselwor-
gemacht wurden durch das, was wir te.
Gläubige in Christus genießen, und Die Feinde des HERRN gleichen der
fügt dann ziemlich trocken hinzu: »Be- »Pracht der Auen«. Einen Tag schwel-
gnügt euch mit dem, was vorhanden gen sie in wilder Blütenpracht und
ist! Denn er hat gesagt: ›Ich will dich sattem Grün; am nächsten Tag sind sie
nicht aufgeben und dich nicht verlas- abgemäht, oder sie vertrocknen, weil
sen‹« (Hebr 13,5). eine Dürre einsetzte. Gegenstandslos
37,17-18 Die Arme der Gottlosen (d.h. wie Rauch schwinden sie dahin.
ihre Kraft) werden zerbrochen. Aber 37,21 Der Gottlose borgt und zahlt
nicht die der Gerechten. Der HERR nicht zurück. Das kann heißen, dass er
stützt sie durch seine unendliche Macht. einfach gar nicht daran denkt, zurück-
Er kennt die Zahl der Tage der Recht- zuzahlen, oder dass er nicht zahlen
schaffenen, alles, was sie enthalten und kann. Aber warum kann er bei all sei-
wohin sie am Ende führen. Er weiß, nem Geld nicht zurückzahlen? Die Ant-
dass das Erbteil der Gerechten für ewig wort ist: Er hat sich übernommen. In
bestehen wird – ein Erbteil, das unver- seiner Geldgier spekuliert er. Wenn er
gänglich, unbefleckt und unverwelklich verliert, borgt er sich, um seine Verluste
durch Gottes Kraft für alle im Himmel zu übertünchen. Es ist die alte Geschich-
aufbewahrt wird, die durch Glauben te, dass man von Peter leiht, um Paul zu
bewahrt werden zur Errettung, die be- zahlen. Er baut sein Imperium auf Kre-
reitsteht, in der letzten Zeit geoffenbart diten. Kommt dann ein Umschwung,
zu werden (1Petr 1,4-5). versucht er verzweifelt, sein unter­
37,19 Die Heiligen werden wegen ih- gehendes Glück abzusichern. Hinter
res Glaubens nicht zuschanden, wenn dem Firnis des Wohlstands liegt ein
harte Zeiten kommen. Sie haben die finanzielles Chaos.
verborgenen geistlichen Hilfsmittel, um Obwohl die Gerechten oft weit vom
diese durchstehen zu können. In kärg- Überfluss entfernt sind, verhalten sie
lichen Tagen genießen sie eine besonde- sich unglaublich großzügig. Immer er-
re Form des Überflusses. Zuerst einmal kennen sie, dass es gesegneter ist, zu
haben sie gelernt, opferbereit zu leben, geben, als zu nehmen. Sie haben erfah-
sodass sie nichts entbehren, wenn der ren, dass es einem Gläubigen nie an
Brotkorb hoch gehängt ist. Aber sie ha- Mitteln fehlt, wenn er wirklich geben
ben auch den Herrn, der in der Wüste will. Und Paulus lehrt:
einen Tisch bereiten kann. Sie haben das
Vorrecht zu sehen, wie Gott auf wun- »Gott aber vermag euch jede Gabe
derbare Weise für sie sorgt, und das gibt überreichlich zu geben, damit ihr in
solchem Manna vom Himmel einen be- allem allezeit alle Genüge habt, und
sonderen, geheimnisvoll süßen Ge- überreich seid zu jedem guten Werk«
schmack. (2Kor 9,8).

595
Psalm 37

37,22 Das Schicksal des Gerechten und verleiht häufig. Indem er Gottes Wort
des Gottlosen hängt an ihrer Beziehung befolgt, ist er fleißig, sparsam und haus-
zu dem Herrn. Alle, die durch Glauben hälterisch. Weil er hart arbeitet, vorsich-
gerechtfertigt sind, werden von dem tig einkauft und Vergeudung und Ex-
Herrn gesegnet; sie werden das Land travaganzen meidet, ist er in der Lage,
besitzen. Alle, die Gottes Rettungsange- seine Mittel zu vergrößern, und er kann
bot ablehnten, haben sich selbst in die anderen helfen, die in Not sind. Seine
nicht beneidenswerte Lage gebracht, Nachkommen werden zum Segen, weil
unter seinem Fluch zu stehen; sie wer- sie zu Hause diese Lektionen sorgfältig
den ausgerottet. gelernt haben und ihnen in ihrem eige-
37,23-24 Vom HERRN her werden die nen Leben folgen.
Schritte eines guten Mannes geordnet 37,27 Dieser Vers ist einer von mehre-
(KJV/NKJV; deutsche Übersetzungen: ren in der Bibel, der die Errettung durch
gefestigt, bestätigt, gefördert). Obwohl gute Werke zu lehren scheint. Wir wis-
im Originaltext das Wort »gut« nicht sen aus Abschnitten wie Epheser 2,8-10
steht, ist diese Vorstellung in den Ver- und Titus 3,5, dass dies nicht der Fall
sen 23 und 24 gewiss enthalten. Gott ist. Wir müssen daraus folgern, dass
plant und ordnet den Pfad des Men- wenn ein Mensch gerettet ist, er gute
schen, der mit ihm in Gemeinschaft Werke hervorbringen wird, und dass
lebt. Er stützt die, deren Wege ihm ge- solche treuen Heiligen die Einzigen
fallen. Obwohl ein solcher Mensch in sind, die ewiglich bewahrt werden.
Trübsale und Bedrängnisse fallen kann, 37,28 Der HERR liebt das Recht, und
wird er doch nie von ihnen ertränkt, es steht mit seinem Recht in Überein-
weil der Herr ihn an seiner Hand hält. stimmung, wenn er seine Frommen für
Es stimmt auch, dass wenn ein Gerech- ewig in Sicherheit setzt. Es geht nicht
ter in Sünde fällt, er von dem Herrn darum, dass die Heiligen ewiges Leben
nicht verlassen wird, obwohl diese be- verdient hätten, sondern dass Christus
sondere Art des Fallens in diesem Vers gestorben ist, um es für sie zu erwer-
nicht gemeint ist. ben, und dass Gott sich verpflichtet hat,
37,25 In Davids ganzem Leben – und die Bedingungen dieses Erwerbs anzu-
er war ein alter Mann, als er dies erkennen.
schrieb – hat er nie den Gerechten ver- Der Psalmist liebt es, über die Sicher-
lassen und nie seine Nachkommen um heit des Gläubigen nachzusinnen (siehe
Brot betteln sehen. Wendet jemand ein, V. 18.24.28.33). Alle, die durch den
er kenne Fälle, wo dies tatsächlich doch Glauben an den Herrn Jesus Christus
geschehen sei, so möchten wir zwei An- von Neuem geboren sind, können auf-
merkungen machen: Erstens kann Da- grund der Autorität des Wortes Gottes
vid gemeint haben, er wisse von keinem wissen, dass sie für ewig gerettet sind.
Gerechten, der letztendlich verlassen F.W. Dixon schreibt:
worden ist. Oder zweitens mag er einen Fehlt dir die Sicherheit, so gibt es nur
allgemeinen Grundsatz geäußert ha- einen Weg, sie zu erlangen oder zurück-
ben, ohne die Möglichkeit vereinzelter zuerlangen: Nimm das Wort Gottes.
Ausnahmen auszuschließen. Die Heili- Nimm es und glaube es. Gott sagt, dass
ge Schrift tut das oft. Sie macht über- du sein bist und dass du absolut sicher
greifende Aussagen über die Auswir- bist und dass er dich nie verlassen wird.
kungen geistlicher Gesetze. Ausnah- Davon nimm eine große Dosis ein!35
men widerlegen diese grundsätzlichen Aber während der Gerechte für im-
Aussagen nicht. mer in Sicherheit ist, werden die Nach-
37,26 Weit davon entfernt, seine Kin- kommen der Gottlosen ausgerottet wer-
der zum Betteln ausschicken zu müs- den. Es ist eine traurige Beschäftigung,
sen, ist er ein großzügiger Geber und wenn wir über den Untergang der nicht

596
Psalm 37

Erretteten nachdenken. Was wird es ist also, zu vertrauen (auf den HERRN
heißen, von Gott, von Christus, von der zu harren) und zu gehorchen (seinen
Hoffnung für alle Zeiten getrennt zu Weg zu bewahren). Es gibt keinen an-
sein? deren Weg, in Jesus glücklich zu sein!
37,29 Israels wichtigste Hoffnung war, Aber das ist nicht alles. Zum sechsten
unter dem Messias in dem Land zu Mal verheißt der Psalmist, dass diese
wohnen. Fromme Juden hatten zugege- alle das Land besitzen werden. Dann
benermaßen auch eine himmlische fügt er eine weitere Versicherung hin-
Hoffnung (Hebr 11,10), aber in der alttes­ zu. Wenn die Gottlosen ausgerottet
tamentlichen Zeit lag der Nachdruck werden, werden die Gläubigen nur als
auf den materiellen Segnungen im Land Zuschauer beteiligt sein. Sie werden
Israel während der goldenen Zeit des kein Vergnügen an diesem schauer­
Friedens und des Wohlstands. Wenn lichen Ereignis haben; aber sie selbst
wir lesen, dass die Gerechten für immer werden von jeglicher Form des Gerichts
darin wohnen, müssen wir verstehen, befreit sein.
dass das irdische Reich Christi eintau- 37,35 David war ein eifriger und auf-
send Jahre dauern wird, dann aber in merksamer Beobachter des mensch­
sein ewiges Reich übergehen wird. Es lichen Lebens. Er hatte einst einen Gott-
mag sein, dass im ewigen Zustand das losen betrachtet, der gewalttätig war
erlöste Israel die in Offenbarung 21,1 er- und sich wie ein üppiger Baum aus sei-
wähnte neue Erde bewohnen wird. Ist ner Heimaterde erhob. Offensichtlich
das der Fall, kann die Verheißung, das ist der Gedanke der, dass dieser Baum
Land für ewig zu besitzen, buchstäblich nie den Rückschlag durch eine Ver-
genommen werden. pflanzung erlebt hat. Er war noch »ein-
Der Unterschied zwischen den Ge- heimisch« und darum gewalttätig und
rechten und den Gottlosen bleibt be­ riesengroß. Der Gottlose war dement-
stehen. sprechend erfolgreich und mächtig.
37,30-31 Die Rede des Gerechten ist 37,36 Aber als David das nächste Mal
randvoll mit Weisheit. Was er sagt, ist an dem Ort vorüberging, gab es den
gesund, biblisch und zuverlässig. Er Menschen nicht mehr. Er suchte ihn,
spricht Recht – nicht Verdrehtes oder konnte ihn aber nirgends finden. Der
Betrug. Er denkt fortgesetzt über Gottes Mensch gedieh für eine Weile. Seine
Wort nach, und er bewahrt seine Schrit- Macht hielt nur kurze Zeit an; doch dann
te vor Sünde und Schande. Wie Spur- war er selbst verschwunden, und mit
geon anmerkt, hat er ihm sein Wohlstand und seine Kraft.
37,37-38 Der Psalmist rät uns, den
das Beste – das Gesetz seines Gottes Unterschied zwischen dem Rechtschaf-
am besten Ort – in seinem Herzen, fenen und Redlichen und dem Übertre-
und er bringt das beste Ergebnis hervor ter wahrzunehmen. Es gibt eine Zu-
– seine Schritte wanken nicht. kunft für den Menschen des Friedens,
während die Zukunft des Gottlosen ab-
37,32-33 Der Gottlose lauert auf die geschnitten wird. Beide, der Gerechte und
Möglichkeit, sich auf den Unschuldi- der Ungerechte, bringen lange Linien leib­
gen zu stürzen und ihn zu vernichten. licher Nachkommen hervor. Tholuck sagt
Aber der HERR wird weder den Ge- von dem Menschen des Friedens: »Am
rechten der Macht seiner Feinde über- Ende wird es einem solchen Menschen
lassen noch erlauben, dass man ihn wohl ergehen.« Aber der Gottlose hat
schuldig spricht, wenn es zu einem Ge- kein solches verheißungsvolles »Mor-
richtsverfahren kommt. Gott ist der gen«.
Wächter und Anwalt für all die Seinen. 37,39-40 Das Größte, was die Gerech-
37,34 Unsere beste Verhaltensweise ten haben, ist ihre Beziehung zu Gott.

597
Psalm 37 und 38

Er ist ihr Retter und ihre Stärke in Zei- Jammers. Sein Körper wird von hefti-
ten der Not. Darum ist es kein Wunder, gem Fieber geschüttelt, und kein Teil
dass sich Christen in Notzeiten instink- seines Leibes ist diesem entgangen. Er
tiv an ihn wenden! Sie erfahren, dass er hat keine Widerstandskraft mehr, und
ihnen hilft, sie erlöst und sie rettet, weil so hart gezüchtigt kann er nichts tun als
sie allein auf ihn vertrauen. Sind Sie ge- stöhnen, um seinen Gefühlen Ausdruck
rade in Bedrängnis? Vertrauen Sie ihm. zu verleihen.
Er wird Sie hindurchbringen! 38,10-12 Ein wenig Trost findet David
in dem Bewusstsein, dass der HERR die
Psalm 38: Kummer wegen Sünde Not seines Herzens kennt und die Emp-
Wir könnten meinen, dieser Psalm be- findungen, die er fühlt, aber nicht aus-
schreibe die Leiden des Retters, wenn drücken kann. Doch immer noch pocht
nicht über »meine Verfehlungen« (V. 4), sein Herz wild, seine Kraft schwindet
»meine Sünden« (V. 5), »meine Torheit« schnell, und der Glanz seiner Augen er-
(V. 6) und »meine Plage« (V. 12) gespro- lischt. Seine Lieben und Gefährten mei-
chen würde. Es mag berechtigt sein, den ihn wie einen Aussätzigen, selbst
vieles von dem Rest der Aussprüche seine Verwandten besuchen ihn nur zö-
auf den Herrn Jesus zu beziehen, als er gerlich.
vonseiten Gottes und durch die Hand 38,13-15 Auch seine Feinde, die ihn
des Menschen litt; aber die grundsätz­ gern ermorden wollen, geben ihre Plä-
liche Auslegung muss sich auf David in ne, Drohungen und Gemeinheiten nicht
einer Zeit seines Lebens beziehen, als er auf. Doch David ist taub für all ihr Dro-
intensive körperliche und geistliche hen und bleibt stumm, was Verteidi-
Not im Zusammenhang mit irgend­ gung, Selbstrechtfertigung oder Tadel
einer von ihm begangenen Sünde angeht.
durchmachte. 38,16-18 Doch egal wie dunkel die ge-
38,1-5 Zuerst fasst David sein Leiden genwärtige Lage aussieht, er ist nicht
auf als eine Strafe eines zornigen Gottes völlig ohne Hoffnung. Noch immer hat
und als eine Züchtigung wegen seines er das Vertrauen, dass Gott ihm antwor-
Grimmes, und bittet den HERRN, Er- ten wird. Er bittet, dass seine Feinde
leichterung zu schicken. Die Pfeile des nicht das Vergnügen erleben sollen, sei-
Allmächtigen haben ihr Ziel in Geist nen völligen Untergang zu feiern. Doch
und Leib des Psalmisten gefunden, und jetzt im Augenblick wird er noch fort-
Gottes Hand liegt wie ein zermalmen- während von Schmerzen geschüttelt
der Druck auf ihm. Als Ergebnis des und ist nahe an der Grenze des mensch-
göttlichen Zorns ist an seinem ganzen lich Erträglichen.
Leib nichts Heiles mehr. Die Krankheit 38,19 Mit erfrischender Ehrlichkeit
hat alle seine Gebeine durchdrungen – und Zerbrochenheit und ohne den Ver-
und alles wegen seiner Sünden. Er hat such, seine Sünde zu bemänteln, be-
keine Entschuldigung für seine Un­ kennt David seine Verfehlung und bit-
gerechtigkeiten – er ist zutiefst von sei- tet dafür um Vergebung. Niemandem,
ner Schuld überzeugt. Wie riesige Wel- der ernsthaft diese Stellung vor Gott
len sind sie über ihn hinweggegangen. einnimmt, wird die Vergebung verwei-
Wie eine zu schwere Last haben sie gert. Der Herr hat es uns schriftlich ge-
seine Kraft gebrochen. geben, dass er jedem Barmherzigkeit
38,6-9 Stinkende und eiternde Wun- gewähren wird, der seine Sünden be-
den sind an seinem Körper aufgebro- kennt und lässt (Spr 28,13). Wäre das
chen, und er hat keinen Zweifel, warum nicht so, wären alle Menschen hoff-
dies geschah. Er geht tief gekrümmt vor nungslos verloren.
Schmerz, niedergedrückt wegen seiner 38,20-21 Davids Gedanken kehren
Schwäche – ein schreckliches Bild des noch einmal zu seinen Feinden zurück.

598
Psalm 38 bis 40

Während er schwach und krank ist, ein Leben lang und lassen alles zurück,
sind sie voller Leben und Kraft. Er er- damit Undankbare, Narren oder Frem-
kennt die Gerechtigkeit der göttlichen de es genießen!«
Züchtigung an, stellt aber deutlich her- 39,8-9 »Und nun, HERR, worauf soll
aus, dass seine Feinde keinen berechtig- ich hoffen? Meine einzige Hoffnung gilt
ten Grund für ihre Bosheit haben. Er ist dir. Außer dir habe ich nichts. Errette
freundlich zu ihnen gewesen, sie aber mich von allen meinen Vergehen – be-
belohnen das nur mit Hass. Der tiefste sonders von denen, die dieses grauen-
Grund für ihre Feindseligkeit ist die volle Elend über mein Leben gebracht
Tatsache, dass David Gott und dem haben. Ich kann den Gedanken nicht er-
Guten nachfolgt. tragen, dass Narren sich über mein Un-
38,22-23 So appelliert er an Gott, ihn glück lustig machen.«
nicht zu verlassen, sondern ihm nahe 39,10-11 »Du weißt, wie ich geschwie-
zu sein und zu seiner Rettung herbeizu- gen habe, seit dieser Kummer mich ge-
eilen, damit er in Wahrheit der Retter- troffen hat – weil ich weiß, dass er ge-
Gott des Psalmisten sein möge! kommen ist, weil du es so gewollt und
zugelassen hast. Aber nun bitte ich, du
Psalm 39: Inneres Feuer mögest deine züchtigende Hand von
39,1-4 »Ich war fest entschlossen, mich mir nehmen; ich bin erschöpft von dei-
der Rebellion oder der Anklage gegen nen immer wiederkehrenden Schlä-
den Herrn zu enthalten, trotz der Au- gen.«
ßergewöhnlichkeit meiner Misere. Ich 39,12 »Strafst du einen Menschen we-
schwor, meinen Mund so lange ver- gen seiner Sünden mit Züchtigungen
schlossen zu halten, wie ich in Hörwei- unterschiedlicher Art, so schwindet er
te der Ungläubigen war; ich wollte ih- dahin wie ein kostbares Gewand durch
nen keine Entschuldigung liefern, die die Motten. Es ist klar: Wir alle sind ver-
Vorsehung Gottes in Zweifel zu ziehen. gänglich wie ein Hauch!«
So saß ich verstummt und schweigend 39,13-14 »So komme ich zu dir, HERR,
da, ohne ein Ventil für meine unter- und bitte dich, mein Gebet anzuhören.
drückten Gefühle. Doch umsonst! Mein Höre und erhöre mein dringendes Fle-
Herz wurde heiß vor Entrüstung und hen. Bleibe nicht hart bei meinen Trä-
Bestürzung. Ich konnte nicht begreifen, nen. Ich bin bei allem nur ein kurzer
warum der Herr es zuließ, dass ich sol- Gast in dieser, deiner Welt, ein Nomade
chen überwältigenden Schmerz erdul- wie meine Vorfahren. Alles, worum ich
den musste. Je mehr ich die Bitterkeit bitte, ist, dass du mir nicht mehr grollen
meiner Seele nährte, umso mehr stieg mögest in deinem Gericht, sondern
der innere Druck. Schließlich machten mich eine kurze Frist Gesundheit und
sich alle meine aufgestauten Gefühle Glück genießen lassen mögest, bevor
Luft in fragenden Gebeten.« ich die Bühne des Lebens für immer
39,5-7 »HERR, wie lange wird dieser verlasse und mich keiner auf Erden
Alptraum währen? Sage mir, wie viel wiedersieht.«
Zeit mir noch bleibt und wann sie abge-
laufen ist. Höchstens eine Handbreit ist Psalm 40: Gerettet!
meine Lebensspanne; verglichen mit Die wohlbekannten Worte: »An Schlacht-
deiner Ewigkeit ist meine Lebenszeit und Speisopfern hattest du kein Gefal-
nicht der Erwähnung wert. Wir Men- len« (V. 7), weisen diesen Psalm als mes-
schen sind alle unbeständig wie ein sianisch aus, weil diese Worte in Hebr
Hauch. Wir gehen wie Schatten durchs 10,5 auf den Herrn Jesus angewandt
Leben. Wir rennen in hitziger Geschäf- werden. Doch der Psalm bietet eine
tigkeit herum – aber was bringt das al- Schwierigkeit dadurch, dass der erste
les am Ende? Wir knausern und sparen Teil von der Auferstehung handelt, wäh-

599
Psalm 40

rend der letzte Teil zu seinem ringenden cher tiefen Löcher. Der unbekehrte
Kampf am Kreuz zurückkehrt. Diese Mensch, der durch den Heiligen Geist
Umkehrung zu erklären, ist nicht von seiner Sünde überführt wurde, be-
einfach. Manche meinen, der Heiland findet sich in einer besonders schreck­
blicke in den ersten Versen voraus auf lichen Grube. Der rückfällige Gläubige
seine Auferstehung, indem er davon befindet sich auch in einem trügeri-
spricht, als sei sie schon geschehen. An- schen Sumpf. Da ist der Schlamm der
dere beziehen das angstvolle Gebet am Krankheit, der Leiden und der Sorgen.
Ende des Psalms auf den jüdischen Oft, wenn wir Führung suchen, meinen
Überrest in der großen Drangsalszeit. In wir, in einem dunklen Loch zu stecken.
unserer Untersuchung wollen wir den Und natürlich versinken wir manchmal
ganzen Psalm auf den Herrn Jesus an- in dem Morast schmerzlicher Verluste,
wenden – zuerst auf seine Auferstehung der Einsamkeit und der Entmutigung.
und dann auf seine Leiden am Kreuz. Das sind unvergessliche Erfahrungen,
Wenn diese Verletzung der chronologi- Zeiten, in denen wir beten und schreien
schen Reihenfolge unseren westlichen und stöhnen, doch nichts scheint zu ge-
Verstand beleidigt, mögen wir uns da- schehen. Wir müssen von dem Vorbild
mit trösten, dass die Menschen im Ori- unseres Erlösers lernen, geduldig auf
ent nicht immer die zeitliche Reihenfol- den HERRN zu harren. Zu Gottes eige-
ge für das Vordringlichste halten. ner Zeit wird er uns zur Seite treten,
40,1-2 Der Sprecher ist der Messias Je- uns aus der Grube ziehen, unsere Füße
sus. Er wartet beharrlich auf den auf einen Felsen stellen und unsere
HERRN, er möge sein Gebet erhören Schritte fest und sicher machen.
und ihn vom Tod erretten. Selbst unser 40,4 Beachten Sie: Gott ist sowohl die
gepriesener Herr erhielt nicht immer Quelle als auch der Gegenstand des Lob-
gleich Antworten auf seine Gebete. gesangs. Er legt ein neues Lied in unse-
Aber er wusste, dass Verzögerung nicht ren Mund – und das ist ein Loblied auf
notwendigerweise Abweisung bedeu- unseren Gott.
tet. Gott erhört Gebete zu der Zeit, die Unsere Errettung führt nicht nur
am besten geeignet ist, um seine Pläne dazu, dass wir unseren Gott preisen,
in unserem Leben Wirklichkeit werden sondern auch zu einem Zeugnis vor an-
zu lassen. Gottes Hilfe kommt nicht zu deren: »Viele werden es sehen und sich
früh; sonst würden wir die Segnungen fürchten und auf den HERRN vertrau-
des Vertrauens in der Dunkelheit nicht en.« Dies ist nie so wahr gewesen wie
kennenlernen. Und sie kommt nicht zu bei der Auferstehung des Herrn Jesus.
spät; sonst würden wir das Elend er­ Denken Sie nur an die endlose Reihe
leben, umsonst vertraut zu haben. der Glaubenspilger, die durch das Wun-
40,3 Der Heiland vergleicht seine herr- der des leeren Grabes für den lebendi-
liche Befreiung aus dem Tod mit der gen Gott gewonnen wurden!
Rettung aus einer schrecklichen Grube 40,5 Bei dem Gedanken an alle, die
voller Schlick und Schlamm. Wir kön- gesehen und geschmeckt haben, dass
nen uns vorstellen, was es dem Geber der Herr gut ist, äußert der auferstan-
des Lebens bedeutet hat, aus dem Grab dene Erlöser eine der größten und
zu steigen als Sieger über Satan, Tod und grundlegendsten Wahrheiten im ge-
Grab – lebendig, und das in Ewigkeit! samten geistlichen Leben: »Glückselig
Obwohl Christi Errettung einmalig der Mann, der den HERRN zu seiner
ist, können wir alle in geringerem Maß Zuversicht macht …!« Wahres Glück
die Kraft Gottes erfahren, durch die er und Lebenserfüllung kommen nur
uns aus den Gruben und aus dem durch den Glauben an Gott. Anders
Schlamm dieses Lebens errettet. Wie geht es nicht. Wir sind so erschaffen,
wir alle wissen, ist das Leben voll sol- dass wir unsere Bestimmung nur be-

600
Psalm 40

greifen können, wenn wir Gott als un- Wird nur zu Lob und Preisen
seren Herrn und Meister anerkennen. Mein ganzes Sein entzückt!
Pascal sagte sehr richtig: »Es gibt ein nach Joseph Addison
von Gott geschaffenes Vakuum im
menschlichen Herzen!« Und Augusti- 40,7 Wie schon erwähnt, zeigen die
nus drückte es so aus: »Du hast uns für Verse 7 bis 9, dass dieser Psalm eindeu-
dich selbst erschaffen, o Herr; und un- tig messianisch ist. In Hebräer 10,5-9 er-
ser Herz wird keine Ruhe finden, bis es fahren wir, dass diese Worte von dem
ruht in dir!« Sohn Gottes gesprochen wurden, als er
Der glückselige Mann wendet sich in diese Welt kam. Damit sagte er, dass
nicht nur zu Gott, sondern er wendet Gott zwar Schlacht- und Speisopfer für
sich auch ab von den Aufgeblasenen das Volk Israel eingesetzt hatte, dass
und den Nachfolgern falscher Götter. diese aber niemals seine höchste und
Er lässt sich nicht durch die beiden letztendliche Absicht darstellten. Sie
größten Täuschungen des Lebens be- waren zu Vorbildern und Schatten von
trügen: durch den Gedanken, die Ehre etwas Besserem bestimmt, das kommen
von stolzen Menschen sei wichtig, und sollte. Als Platzhalter für eine vorüber-
durch die Vorstellung, die falschen Göt- gehende Zeit hatten sie ihre Berech­
ter des Materialismus, des Vergnügens tigung.
und der sexuellen Freizügigkeit könn- Aber Gott wurde durch sie niemals
ten das menschliche Herz befriedigen. wirklich befriedigt; für ihn waren sie
Dem Glückseligen geht es viel mehr um nicht ausreichend, weil sie keine end-
die Anerkennung Gottes als um die der gültige Lösung für das Sündenproblem
Menschen. Er hat begriffen, dass die brachten. In Anbetracht der innewoh-
Fülle der Freude nur in Gottes Gegen- nenden Schwachheit der Brand- und
wart gefunden wird ‒ und nicht in Ge- Sündopfer öffnete Gott die Ohren sei-
sellschaft derer, die vor Götzenaltären nes geliebten Sohnes. Das bedeutet ein-
anbeten. fach, dass die Ohren des Heilands offen
40,6 Dies lässt den Messias an die waren, den Willen seines Vaters aufzu-
zahllosen Barmherzigkeiten Gottes den- nehmen und ihm zu gehorchen. Mit
ken. Seine Werke und seine Gedanken dieser Haltung der Willigkeit und der
der Gnade gegenüber seinem Volk sind Bereitschaft zum Gehorsam kam Chris-
unzählbar. Wer könnte die unendlichen tus in diese Welt.
Einzelheiten der natürlichen Schöpfung Den Ausdruck: »Ohren hast du mir
alle beschreiben? Wer vermöchte er- gegraben«, legen einige so aus, dass sie
schöpfend die bemerkenswerten Ein- ihn auf den hebräischen Sklaven von
griffe seiner Vorsehung zu nennen? Wer 2. Mose 21,5.6 beziehen. Wenn der Skla-
könnte die Großartigkeit seiner geist­ ve im siebten Jahr nicht frei sein wollte,
lichen Segnungen verstehen – Aus­ wurde sein Ohr mit einem Pfriem an
erwählung, Vorherbestimmung, Er­ den Türpfosten gebohrt, und er blieb
lösung, Versöhnung, Vergebung, Er­ für ewig seinem Herrn untertan. Chris-
rettung, Wiedergeburt, Innewohnen des tus, das Gegenbild, wurde in seiner
Heiligen Geistes, Versiegelung durch Menschwerdung freiwillig Sklave (Phil
den Geist, Unterpfand des Geistes, Sal- 2,7) und wird fortfahren, seinem Volk
bung, Heiligung, Sohnschaft, Erbteil, zu dienen, wenn er wiederkommt (Lk
Verherrlichung? »Wollte ich davon be- 12,37).
richten und reden – sie sind zu zahl- Wenn der Satz: »Ohren hast du mir
reich, um sie aufzuzählen.« gegraben«, im Hebräerbrief zitiert wird,
wird er abgeändert in: »Einen Leib hast
Wenn deiner Gnaden Fülle du mir bereitet.« Was die Autorität für
Mein kleines Herz erblickt, eine solche Abänderung angeht, hat der

601
Psalm 40

Heilige Geist, der zunächst die Worte in dem du diese Erbarmungen von mir
Psalm 40 inspirierte, gewiss auch das zurückhältst. Lass sie mich ständig be-
Recht, diese zu erläutern, wenn er sie hüten!«
im Neuen Testament zitiert. Der hebrä- 40,13 Der unmittelbare Anlass zu die-
ische Ausdruck vom Durchgraben des sem verzweifelten Flehen waren die
Ohres ist vielleicht eine Sprachfigur, in tödlichen Qualen, die auf Golgatha
der ein Teil (hier das Ohr) für das Gan- über ihn hereinbrachen. Diese Übel
ze (hier der Leib) steht. Das bezeichnet ohne Zahl hingen mit den unzähligen
man als Synekdoche. Das Neue Testa- Sünden zusammen, für die er es unter-
ment erweitert und erklärt die Bedeu- nommen hatte, die schreckliche Strafe
tung im Hinblick auf die Menschwer- zu zahlen. So intensiv waren seine Lei-
dung. den, dass sein Herz den Dienst zu ver-
40,8-9 Als Christus Mensch wurde, sagen drohte. Wer von uns kann sich
da geschah dies nicht in ergebener Re­ die Tiefe dieses Leidens vorstellen, das
signation, sondern mit ganzem Herzen er erduldete, damit wir Gnade und Ver-
und mit Freuden. Er sagte zu der Zeit: gebung erlangen konnten!
»Siehe, ich komme; in der Rolle des Bu- 40,14 In seinem äußersten Schmerz
ches steht über mich geschrieben. Dein bestürmte Christus die Pforten des
Wohlgefallen zu tun, mein Gott, liebe Himmels um Hilfe – um augenblick­
ich, und dein Gesetz ist tief in meinem liche Hilfe. Es ist, als habe er gefleht:
Inneren.« Vom Anfang bis zum Ende »Bitte, errette mich, und bitte, tue es
wird im Alten Testament vorhergesagt, jetzt!« Das ist die Art von Gebeten, die
Christus werde nicht nur in die Welt den Sieg davontragen. Die göttliche
kommen, sondern dies auch mit einem Allmacht wird dadurch in Bewegung
eifrigen Geist tun, der bereit ist, den gesetzt.
Willen Gottes zu tun. Der Wille Gottes 40,15-16 In Bezug auf seine Feinde
war nicht nur in seinem Kopf, sondern bittet er, ihre Strafe möge ihren Verbre-
auch in sein innerstes Herz geschrie- chen entsprechend ausfallen. Für die
ben. Angriffe auf sein Leben wünscht er ih-
40,10-11 Diese Verse beschreiben sei- nen Unglück und Schande. Und er
nen Dienst auf Erden. Er hat in der gro- hofft, nicht zurückgewiesen und be-
ßen Versammlung (dem Haus Israel) schämt zu werden, wenn er ihnen Böses
die gute Botschaft von der Erlösung wünscht. Wegen ihres Gelächters über
verkündet. Er hat nichts zurückgehal- sein Unglück, würde er gern sehen, wie
ten, was Gott ihm zu verkündigen auf- sie zu Tode erschrecken über den Ab-
getragen hatte. Er hat die großen Wahr- grund ihrer eigenen Demütigung. Wenn
heiten von Gottes rettender Hilfe, von jemand einwendet, diese Gefühle seien
seiner ewigen Treue und seiner un­ unvereinbar mit einem Gott der Liebe,
erschütterlichen Liebe nicht für sich be- möchte ich daran erinnern, dass der
halten. Mensch, wenn er diese Liebe zurück-
40,12 Die übrigen Verse des Psalms weist, bewusst seine eigene Bestrafung
(V. 12-18) scheinen uns zum Kreuz zu- gewählt hat.
rückzuführen. Wir hören, wie der Hei- 40,17 Für Gottes Freunde bittet Chris-
land einen tief beeindruckenden und tus, sie möchten sich allezeit in dem
bitteren Notschrei ausstößt. Es besteht Herrn freuen. Er hofft, dass alle, die
eine enge Verbindung zu dem, was er Gott suchen, fröhlich sind und sich an
in Vers 11 gesagt hat. Und die liegt dar­ ihm freuen, und dass alle, die sein Heil
in, dass er sagte: »Ich habe den Leuten lieben, beständig sagen: »Groß ist der
deine Rettung verkündet, deine Treue HERR!«
und deine unerschütterliche Liebe. Nun 40,18 Was ihn angeht, ist seine Kraft
mache mein Zeugnis nicht zunichte, in- gering und seine Not zum Verzweifeln.

602
Psalm 40 und 41

Aber er zieht Trost aus der Tatsache, sichtlich, dass Gott ihn nicht der Bös-
dass der Herr seiner gedenkt. So hat willigkeit seiner Gegner ausliefern
einmal jemand gesagt: »Armut und wird. Stattdessen wird er David für die
Not behindern nicht das Gedenken Zeit der Krankheit alle nötige Gnade
Gottes.« gewähren und ihn dann in Gesundheit
Was Gott angeht, ist er die Hilfe und und Kraft wieder aufrichten. Der Herr
der Retter seines geliebten Sohnes. Und wird als ein Krankenpfleger beschrie-
so fleht der Herr Jesus abschließend: ben, der sein Bett richtet, damit er es
»Mein Gott, zögere nicht!« Die Antwort bequem hat.
hat nicht lange auf sich warten lassen. 41,5 Aber der Psalmist verließ sich
Am dritten Tag reichte der Vater nach nicht nur auf seine frühere Fürsorge für
unten und befreite ihn aus der Grube die Kranken und Schwachen. Er war
des Verderbens, wie wir im ersten Teil weise genug, seine Krankheit im Gebet
des Psalms gesehen haben. zum Herrn zu bringen, seine Sünden zu
Es scheint also, dass wir in diesem bekennen und um Heilung zu bitten als
Psalm zuerst die Antwort auf das Gebet etwas, was er nicht verdient hatte. Nicht
und dann das Gebet selbst haben. Das alle Krankheit ist eine direkte Folge von
erinnert uns lebhaft an die Verheißung Sünde im Leben eines Gläubigen. Viele
aus Jesaja 65,24: »Ehe sie rufen, werde der Beschwerden älterer Menschen sind
ich antworten.« zum Beispiel Teil des normalen alters-
bedingten Abbaus. Manchmal besteht
Psalm 41: Gebet aus dem allerdings eine direkte Verbindung zwi-
Krankenzimmer schen Sünde und Krankheit, und wo
David war krank, und seine Feinde die geringste Möglichkeit dazu vorliegt,
hofften, es sei keine Bagatelle. Sie jubel- sollte der Gläubige in die Gegenwart
ten schon untereinander, weil die des Herrn eilen und von Herzen Buße
Krankheit zweifellos zum Sterben füh- tun. In allen solchen Fällen sollte die
ren würde. Einen zusätzlichen Kum- Vergebung des Großen Arztes der Be-
mer bereitete es David, dass einer der handlung des Hausarztes voraus­gehen.
Verräter einst sein enger Freund ge­ 41,6 In der Zwischenzeit warten die
wesen war. Feinde des Psalmisten hoffnungsfroh
41,1-4 Doch der Patient ist nicht ohne auf eine Bekanntmachung aus dem
Trost. Zuerst erinnert er sich daran, Krankenhaus, dass David verstorben
dass der HERR den segnet, der sich des sei. »Wann wird er sterben?«, fragen sie
Armen (oder Geringen) annimmt. Hier einander, »und wann hören wir endlich
ist sicher nicht so sehr an finanzielle nichts mehr von diesem Burschen?«
Schwäche, als vielmehr an Schwäche 41,7 Gelegentlich kam einer dieser
des Leibes, an Krankheit, gedacht. Da- Übelwollenden während der Besuchs-
vid tröstet sich mit dem Gedanken, dass zeit zu ihm, doch hatte er keinen Trost
er genau das getan hat, was der HERR anzubieten, keine Worte der Hoffnung
für seine in Not geratenen Leute tat: Er oder der Ermutigung. Er redete, ohne
hat allen beigestanden, alle getröstet etwas zu sagen. Es sah so aus, als wäre
und aufgemuntert, die von Not geplagt er nur auf der Suche nach einer Infor-
waren. Nun nimmt er die Verheißung mation gewesen, die sich gegen David
in Anspruch, dass der HERR ihn auch verwenden ließ.
am Tag des Übels befreien wird. Ja, der 41,8-9 Eine Flüsterkampagne war ge-
Herr wird eine schützende Wache für gen den Kranken im Gange, und die
ihn sein und sein Leben erhalten. Weil Unglückspropheten dachten sich aller-
David sich einen guten Ruf wegen sei- hand Unheil aus, das David treffen
ner Beachtung der Kranken und Lei- möge, und verbreiteten die Nachricht,
denden erworben hatte, ist er zuver- eine tödliche Krankheit habe ihn ergrif-

603
Psalm 41 und 42

fen und sein nächster Aufenthalt sei die me sich David über alle Maßen. Aber er
Leichenhalle. war tatsächlich ein integerer, lauterer
41,10 Vielleicht war der niederträch- Mensch ‒ trotz seiner Fehler. Und ver-
tigste Schlag der Verrat durch einen, glichen mit seinen Feinden war er ein
der zu seinen engsten Freunden gehör- Muster an Tugendhaftigkeit. Es ist sehr
te. Von allen Leiden des Lebens ist dies wohl möglich, dass der Herr ihn auf-
sicher eines der bittersten, wenn man richtete, weil er Aufrichtigkeit und Ge-
von jemandem verraten wird, mit dem rechtigkeit in Davids Leben wahr-
man eng verbunden war. Es ist ein Leid, nahm.
das der Heiland erfuhr bei dem Verrat Gelineaus Übersetzung des Verses
des Judas und das auch denen nicht un- bietet weniger Schwierigkeiten: »Wenn
bekannt ist, die diesem Meister folgen. du mich aufrecht hältst, werde ich un-
Der Herr Jesus zitierte Vers 10 im Zu- versehrt bleiben und für ewig in deine
sammenhang mit Judas. Allerdings ist Gegenwart gesetzt werden.«
es bedeutungsvoll, dass er die Worte: Nach dieser Fassung hängt alles von
»Mein Freund, auf den ich vertraute«, dem Herrn ab und nicht von Davids
ausließ. Weil der Herr von Anfang an Integrität. Die unterstützende Gnade
wusste, dass Judas ihn verraten würde, des Herrn stellt sowohl die Geborgen-
hatte er ihm nie vertraut, so sagte er heit in seinem Leben als auch die Tat­
nur: »Der mit mir das Brot isst, hat sei- sache, dass er für ewig in der Gegen-
ne Ferse gegen mich aufgehoben« (Joh wart des himmlischen Königs stehen
13,18). wird, sicher.
41,11 David wendet sich von dem­ 41,14 Zuversichtlich und gelassen er-
jenigen weg, der ihm in den Rücken ge- hebt nun der Psalmist seine Stimme zu
fallen war, und schaut stattdessen auf einem abschließenden Jubellied. Der
den HERRN und seine Barmherzigkeit. HERR, der den Bund bewahrende Gott
Wenn andere ihn verlassen, rechnet er Israels, ist würdig, von Ewigkeit zu
damit, dass der Herr ihm treu zur Seite Ewigkeit gepriesen zu werden. David
steht. Dann äußert er eine scheinbar ei- konnte dieser Huldigung ein doppeltes
genartige Bitte: »Richte mich auf, dass »Amen« hinzufügen. Und das können
ich es ihnen vergelte!« Wenn dies auf auch wir tun!
den ersten Blick als unwürdig für einen
Mann von der Statur Davids erscheint, II. Das zweite Buch (Psalm 42-72)
müssen wir bedenken, dass er der vom
Herrn gesalbte Herrscher Israels war. Psalm 42: Durst nach Gott
Seine Pflicht bestand darin, Aufruhr Einige hören in diesem Psalm die Stim-
und Verrat zu ahnden. Während er es me Davids, wie er während des Auf-
als Privatperson erwählt haben mochte, stands unter seinem Sohn Absalom im
Bosheit und Verrat zu erdulden, war er Exil umherwanderte. Andere erkennen
als König verpflichtet, jedem Versuch, die Stimme des Messias während der
die Regierung zu stürzen, entgegenzu- Zeit seiner Verwerfung und seines Lei-
treten. dens. Wieder andere entdecken das kla-
41,12-13 David sieht im Scheitern des gende Schluchzen des jüdischen Über-
Komplotts seiner Feinde ein Zeichen rests während der künftigen Großen
der Gunst des Herrn gegen ihn. Dann Drangsalszeit.
fügt er hinzu: »Ich aber in meiner Lau- Dann gibt es solche, die den Psalm
terkeit, mich hast du aufrecht gehalten auf den Gläubigen anwenden möchten,
und mich vor dein Angesicht gestellt der auf die Tage der ersten Liebe zu-
auf ewig.« rückschaut und sich nach der Wieder-
Wenn wir uns dieser Übersetzung an- herstellung dieser Art von Gemein-
schließen, mag es uns scheinen, als rüh- schaft mit dem Herrn sehnt. Glück­

604
Psalm 42

licherweise haben wir nicht nötig, uns als sie von dem gekreuzigten Messias
für eine Ansicht zu entscheiden, weil sagten: »Er vertraute auf Gott. Der er-
jede von ihnen eine richtige Anwen- rette ihn jetzt, wenn er ihn liebt …« (Mt
dung darstellt. Das ist typisch für die 27,43).
Vielseitigkeit der Psalmen. 42,5 Dann gibt es natürlich auch die
42,1-2 Unser innerliches Verlangen Erinnerung an bessere Tage. Es ist die
nach Gemeinschaft mit Gott kann mit Erinnerung an die wunderbare, un­
dem heftigen Verlangen des Hirsches unterbrochene Gemeinschaft mit Gott,
nach Wasser verglichen werden, wenn die das Fehlen dieser Gemeinschaft so
er durch dürres Land zieht. Seine Flan- unerträglich macht. Knox fängt in
ken zittern und sein Atem fliegt vor seiner Übersetzung von Vers 5 diese
Verlangen nach Wasserbächen. Gama­ Gefühle wunderbar ein:
liel Bradford übertrug das Bild auf sich
selbst, als er sagte: Erinnerungen kommen noch zu mir zu-
rück und lassen mein Herz vergehen;
Mein einzig stetes Sehnen, wie gern habe ich mich einst mit der
Was mir die Welt auch bot, Menge vereint, die ich den Weg zum
War unstillbares Dürsten, Haus Gottes führte, mitten unter Dank
Ein großer Durst nach Gott! und Jubelgeschrei und in all dem Feier-
tagstreiben.
42,3 Unser Durst richtet sich auf Gott al-
lein; nichts anderes kann uns helfen. 42,6 Der Gedanke an die glückliche Ver-
Und er richtet sich auf den lebendigen gangenheit führt zu geistlicher Depres-
Gott – nicht auf einen toten Götzen. Es sion und regt zu einem Schlagabtausch
ist ein Verlangen, das nur völlig gestillt zwischen Pessimismus und Glauben
wird, wenn wir persönlich vor dem an. Die Seele wird betrübt und unruhig;
Herrn erscheinen und das Vorrecht ge- aber der Glaube fordert diesen an­
nießen, sein Angesicht anzuschauen. gespannten, bedrückten Geisteszu-
stand heraus: »Harre auf Gott! – denn
Lass mich dich sehn, den Abglanz nur ich werde ihn noch preisen für das Heil
von deiner Lieblichkeit, seines Angesichts.«
Und niemals denk ich an andre Lieb in Wenn dies nur frommer Optimismus
alle Ewigkeit. wäre, dass »alles schon in Ordnung
Dann gehn die fremden Lichter aus und kommt«, wäre es eine gänzlich wertlose
ihrer Anmut Schein, Gefühlsregung. Was diese Hoffnung
Und alle Schönheit dieser Welt wird mir 100 % zuverlässig macht, ist die Tat­
nichts Schönes sein! sache, dass sie auf die Verheißung in
Verfasser unbekannt Gottes Wort gegründet ist, dass sein
Volk sein Angesicht schauen wird (Ps
42,4 Wer kann die Bitternis der Tren- 17,15; Offb 22,4).
nung von dem Herrn beschreiben? Sie 42,7 Die Depression kehrt in Zyklen
gleicht einem unentwegten Weinen, ei- wieder. Aber der Glaube schlägt mit
nem Leben voller Elend, ohne eine Er- der vertrauensvollen Versicherung zu-
leichterung. Und als wäre das nicht ge- rück, dass er Gott vom Land des Jor-
nug, kommt noch der Schmerz wegen dans aus und vom Hermon und vom
des Hohns der Feinde hinzu: »Wo ist Berg Misar her erinnern wird. Vielleicht
dein Gott?« Das ist es, was Schimi mein- symbolisieren diese drei Orte drei geist-
te, als er zu David sagte: »Siehe, jetzt liche Erfahrungen ‒ wir wissen es nicht.
bist du in deinem Unglück; denn ein Eins scheint klar zu sein: Sie repräsen-
Blutmensch bist du!« (2Sam 16,8). Und tieren das Land des Exils, fern vom
das meinten auch die Hohenpriester, Haus Gottes in Jerusalem. Und der Ge-

605
Psalm 42 und 43

danke scheint der zu sein, dass, selbst Er sagt (nach Gelineau): »Mit Geschrei,
wenn wir das Haus Gottes nicht be­ das mich durchbohrt, verhöhnen mich
suchen können, wir immer noch an den meine Feinde.« Allem äußeren An-
Gott dieses Hauses denken können! schein nach sieht es aus, als habe Gott
42,8 Wenn wir bei Vers 8 angekom- sein Kind verlassen. So spotten die
men sind, sagt uns unser geistliches Ge- Feinde seiner fortwährend mit der Fra-
fühl, dass wir auf eine ganz besondere ge: »Wo ist dein Gott?«
Weise nach Golgatha gelangt sind und 42,12 Aber der Glaube hat immer das
das Rufen des Herrn Jesus hören, als letzte Wort. »Lass dich nicht entmuti-
die Wogen und Wellen des göttlichen gen. Reg dich nicht auf. Hoffe auf Gott;
Gerichts über ihn hinwegrollten. Die du wirst errettet werden von deinen
Sturzfluten des göttlichen Zorns ergos- Feinden und auch von deiner Depres­
sen sich mit Donnergetöse über ihn, als sion. Und du wirst ihn wieder als dei-
er unsere Sünden an seinem Leib auf nen Retter und Gott preisen.« Wie je-
dem Kreuz trug. mand gesagt hat:

Seht die Szene der letzten, der schreck­ Das Heilmittel besteht darin: Fordere die
lichen Not! Depression heraus, blicke nach oben,
Jede Woge und Welle ging über dich hin, hoffe! Das Christenleben ist Wachheit,
Als du standest für mich im Gerichte vor Aufwärtsstreben, Aktivität, ein Wettlauf.
Gott, Es besteht niemals aus niedergeschlage-
Starbst am Kreuz, gottverlassen, dass ich nen Blicken, in den Schoß gelegten Hän-
es nicht bin. den und Sich-Abfinden mit der Nieder-
Unergründliche Liebe! Das tatst du für lage.
mich!
Jesus, großer Erretter – dafür preise ich Psalm 43: Sende dein Licht und deine
dich. Wahrheit!
Nach J.J. Hopkins Dies ist ein Zwilling zu dem vorherge-
henden Psalm. Die Verbindung ist so
42,9 Doch, wie Georg Müller sagte: stark, dass einige Bibelausgaben beide
»Prüfungen sind das Brot, von dem sich zusammenbinden, als seien sie ein Ge-
der Glaube nährt.« So hören wir, wie dicht.
der vertrauensvolle Gläubige ver­ 43,1-2 Hier haben wir das fortgesetzte
sichert: »Des Tages wird der HERR sei- Gebet eines Exilanten, der gern in Zion
ne Gnade aufbieten, und des Nachts anbeten möchte, aber durch eine ab-
wird sein Lied bei mir sein, ein Gebet trünnige Nation und durch einen be-
zu dem Gott meines Lebens.« trügerischen Menschen daran gehin-
Dies ist die Antwort auf das Weinen dert wird. Das mag die Bedrückung des
bei Tag und Nacht in Vers 4: »Meine gottesfürchtigen jüdischen Überrests
Tränen sind mein Brot geworden Tag während der Drangsalszeit beschrei-
und Nacht …« Aber jetzt ist der Tag von ben, und zwar durch die Ungläubigen
Gottes unerschütterlicher Liebe und die im Volk Israel und durch den Anti-
Nacht von Gesang und Gebet erfüllt. So christ.
wird bei Tag und bei Nacht Gottes Güte Zuerst kommt das Flehen um Recht-
bewiesen. fertigung und um Hilfe. Der Psalmist
42,10-11 Noch einmal kehrt Mutlosig- bittet Gott, die Sache seines Volkes ge-
keit zurück; diesmal wegen der un­ gen dessen ungläubige Brüder und den
ablässigen Unterdrückung durch den Menschen der Sünde zu verteidigen.
Feind. Es sieht aus, als habe Gott sein Dies ist eine Sache, mit der der Glaube
Kind vergessen. Der verlassene Gläubi- zu kämpfen hat ‒ dass er seine Zuflucht
ge zieht wie ein Leidtragender umher. zu Gott nimmt und doch das Gefühl

606
Psalm 43 und 44

hat, von ihm weggestoßen zu werden; naan getrieben und das Land seinem
es ist eins der Rätsel des Glaubens, auf eigenen Volk gegeben. Durch die Unter-
der Überwinderseite zu sein und doch werfung der Kanaaniter hatte er Israel
unter der Bedrückung des Feindes lei- in dessen eigenem Land freigesetzt. Ge-
den zu müssen. wiss hatten die Juden nicht durch mili-
43,3 Dann folgt ein positives und kon- tärische Überlegenheit das angenehme
kretes Gebet für die Rückkehr nach Land erobert, auch war es nicht ihre ei-
Zion. Die Schönheit der Sprache ist un- gene Stärke, die sie siegreich sein ließ.
vergleichlich: Es geschah durch die starke Rechte
Sende dein Licht und deine Wahrheit, Gottes und durch seinen allmächtigen
dass sie mich leiten, Arm ‒ und wegen seiner liebenden Zu-
mich bringen zu deinem heiligen Berg neigung, die er auf sie herabregnen ließ.
und zu deinen Wohnungen. 44,5-9 Die Erinnerung an das, was der
Der Psalmist bat um eine Begleitung, Herr getan hat, inspiriert unsere Her-
die aus dem Licht der Gegenwart Got- zen, ihn zu preisen. Er ist der große Kö-
tes und aus der Wahrheit der göttlichen nig und der allmächtige Gott, der die
Verheißungen besteht, um durch sie ge- unwürdigen Söhne des unwürdigen Ja-
leitet zu werden ‒ und Güte und Gnade kob Siege feiern lässt. Es ist seinetwe-
(Ps 23,6) sollten ihm folgen. Dann wür- gen, dass Israel die Reihen der Feinde
de er sicher froh zu Gottes heiligem durchbrach und triumphierend über
Berg zurückkehren. die Angreifer hinschritt. Israel hatte ge-
43,4 Beachten Sie die Steigerung in lernt, dass man nicht auf den Streitbo-
den Versen 3 und 4: gen vertrauen darf, dass er Erfolg brin-
Zu deinem heiligen Berg; gen werde, auch nicht auf das Schwert
Zu deinen Wohnungen; als Retter. Gott ist es, der sein Volk erret-
Zum Altar Gottes; tet und dessen Feinde ganz und gar ver-
Zum Gott meiner Jubelfreude. wirrt hat! Da ist es kein Wunder, wenn
Der wahre Anbeter gibt sich weder das Volk sich stets der Verbindung mit
mit einem geografischen Ort noch mit ihm rühmte und immer sagte, es werde
einem Gebäude, noch mit einem Altar nicht aufhören, ihm zu danken.
zufrieden. Er muss zu Gott selbst durch- 44,10-13 Aber irgendetwas ist inzwi-
dringen! schen geschehen, was Israels Lied in
43,5 Beglückt durch die Aussicht, vor eine Klage verwandelte. Es scheint, als
Gott zu erscheinen, tadelt der Schreiber habe der Herr sein Volk verlassen und
wieder sich selbst, weil er so mutlos es Schmach leiden lassen. Die Heere zo-
und bekümmert ist. »Habe Glauben an gen ohne Gottes Gegenwart und Hilfe
Gott«, fordert er sich auf, »und er wird aus, und bald flohen sie in panischem
dich gewiss zu dem Ziel bringen, das Schrecken zurück, während die Feinde
du ersehnst.« Israels Reichtümer plünderten. Der
Herr hatte seine Schafe den Schlächtern
Psalm 44: Schlachtschafe überlassen und die Überlebenden unter
Der Schmerz der Niederlage wird noch die Heidenvölker zerstreut. Alles sah
bitterer durch die Erinnerung an frühe- aus wie ein Handel, in dem Gott sein
re Siege, und wir schätzen unsere Ge- Volk für so gut wie nichts verkauft hat.
meinschaft mit Gott nie so sehr, als Und der Feind kam offenbar mit allem
wenn sein Angesicht vor uns verborgen davon, ohne Konsequenzen tragen zu
zu sein scheint. müssen.
44,1-4 Israels Geschichte war randvoll 44,14-17 Das arme Israel wurde zum
von herzerquickenden Beispielen gött­ Gespött der anderen Völker, ein Gegen-
lichen Eingreifens zu seinen Gunsten. stand des Hohns und der Verachtung.
Er hatte die Heiden aus dem Land Ka- Was sonst Schimpfwörter und Spott-

607
Psalm 44 und 45

wörter waren, benutzte man nun, um den Schlaf aufgeweckt und aufgefor-
die Juden zu verunglimpfen. Gottes al- dert wird, wegen seines Volkes einzu-
tes Volk wurde die Zielscheibe roher greifen. Es ist mehr, als der Psalmist
Späße unter den Nationen. Ihm blieb begreifen kann: Gott verbirgt achtlos
nur die Schande, der sie nicht entkom- und gleichgültig sein Angesicht, wäh-
men konnten. Dauernd mussten sie rend sein Volk in den Staub hingestreckt
schamrot werden wegen der Vorwürfe liegt. Und so erschallt der Weckruf noch
und der Sticheleien ihrer Feinde ‒ schon einmal: »Stehe auf, uns zur Hilfe, und
beim Anblick ihrer rachgierigen Geg- erlöse uns um deiner Güte willen!«
ner.
44,18 Das Rätsel bei all dieser Nieder- Psalm 45: Der König der Könige
lage und Schande lag darin, dass dies 45,1-2 Diesen Psalm zu schreiben, fiel
nicht durch einen bewussten Abfall dem Psalmisten nicht schwer. Ja, sein
vonseiten Israels hervorgerufen wurde. Herz war in starker Wallung, er wollte
Zu anderen Zeiten der Geschichte Is­ unbedingt dieses Gedicht über den Kö-
raels gab es deutliche Zusammenhänge nig niederschreiben. Die Worte flossen
zwischen Leiden und Sünde. Aber in nur so aus seiner Feder; er fühlte sich
diesem besonderen Fall war es nicht so. buchstäblich vorwärts getragen. Seine
Es schien im Gegenteil so, als sei die Zunge glich dem Griffel eines geschick-
Notlage durch die Tatsache hervorge- ten Schreibers, und wir gehen nicht zu
rufen worden, dass es Gottes auser- weit, wenn wir in dem geschickten
wähltes Volk war. Es war ein Fall des Schreiber den Heiligen Geist selbst se-
Leidens für Gott und für seinen Bund. hen.
44,19-20 Das Unheil war über ein Volk 45,3 Zuerst wird uns der König selbst
gekommen, das Gott nicht seinen Rü- vorgestellt. Seine Schönheit ist überwäl-
cken zugekehrt und den Bund nicht tigend. Er ist der Beste unter Zehntau-
übertreten hatte. Die Juden hatten die send, der ganz und gar herrlich Schöne.
Liebe zu ihm nicht aufgegeben ‒ und Anmut ist über seine Lippen ausgegos-
auch den Weg nicht, den er ihnen vor- sen; seine Rede ist wunderbar lieblich.
gezeichnet hatte. Doch hatte der Herr Wegen seiner persönlichen Vortrefflich-
sie zermalmt am elenden Ort der Scha- keit hat Gott ihn für immer gesegnet.
kale und sie mit dem Schatten des To- 45,4-6 Dann werden wir fast unmit-
des bedeckt. telbar in die Zukunft getragen, hin zum
44,21-23 Hätten sie den Namen ihres Zweiten Kommen Christi, in die Zeit,
Gottes vergessen oder den Götzen ge­ wenn er in Macht und großer Herrlich-
opfert, würde Gott es nicht wissen? Er keit auf die Erde zurückkehrt. Diesmal
kennt die innersten Gedanken und Be- kommt er als ein siegender Kriegsmann,
weggründe. Nein, daran lag es nicht. nicht als der demütige Zimmermann
Das Volk litt wegen seiner Verbindung aus Nazareth. Mit dem Schwert an sei-
zu dem HERRN. Seinetwegen ertrugen ner Hüfte steigt der Held in Herrlich-
die Israeliten Todesnöte und wurden keit und Majestät herab. In blendender
wie Schafe misshandelt, die zum Pracht zieht er im Triumph dahin, um
Schlachten bestimmt sind. der Wahrheit, Sanftmut und Gerechtig-
Jahrhunderte später fand sich der keit willen. Seine durchbohrte Rechte
Apostel Paulus in einer ähnlichen Lage handhabt sicher und mit furcht­
wieder und zitierte Psalm 44,23, um die erregender Macht das Schwert gegen
Leiden des Gottesvolkes zu allen Zeiten seine Feinde. Seine Pfeile treffen mitten
zu beschreiben (Röm 8,36). ins Herz der Feinde des Königs; die
44,24-27 Der Psalm erreicht in Vers 24 Völker fallen reihenweise vor ihm.
einen Gipfel kühner Zudringlichkeit, 45,7-8a Jetzt hat sich der Schlachten-
wenn der Herr von seinem anscheinen- lärm verloren, und der König sitzt auf

608
Psalm 45

dem Thron seiner Herrlichkeit in Jeru- ein Priesterkönig sein wird, muss die-
salem. Vom Himmel her wird die Stim- ses Öl angewandt werden. Myrrhe und
me Gottes vernommen, die ihn als Gott Kassia waren die beiden Hauptbestand-
anredet und seine Herrschaft als eine teile in diesem Öl, und Aloe war eines
ewige bestätigt. Wir wissen, dass es der »allerbesten« Gewürze, die in Ho-
Gottes Stimme ist; denn in Hebräer 1,8- helied 4,14 erwähnt werden. All dies
9 wird uns gesagt: spricht von dem unübertrefflichen Duft
»Von dem Sohn aber (sagt er): ›Dein der Person und des Werkes unseres
Thron, o Gott, ist von Ewigkeit zu Ewig- Herrn. Myrrhe und Aloe mögen sich
keit, und das Zepter der Aufrichtigkeit besonders auf sein Leiden und Sterben
ist Zepter deines Reiches; du hast Ge- beziehen, weil sie benutzt wurden, um
rechtigkeit geliebt und Gesetzlosigkeit seinen Leib für das Begräbnis vorzu­
gehasst; darum hat dich, o Gott, dein bereiten (Joh 19,39).
Gott gesalbt mit Freudenöl vor deinen »Aus Palästen von Elfenbein erfreut
Gefährten.‹« dich Saitenspiel.« Es ist das königliche
Beachten Sie, dass Gott seinen Sohn Symphonieorchester, das den Jubel der
als Gott anredet. Das ist einer der deut- Welt aufnimmt, weil die Tage des Wei-
lichsten Beweise für die Gottheit Christi nens und Seufzens für die Menschen zu
in der ganzen Bibel. Es stimmt, dass ei- Ende sind und das Goldene Zeitalter
nige Übersetzer von Psalm 45,7 diesen endlich doch angebrochen ist!
Satz mit »Dein göttlicher Thron währt 45,10 Der König ist nicht allein am
von Ewigkeit zu Ewigkeit« wiederge- Tag seiner Macht. Die Töchter der irdi-
ben statt mit »Dein Thron, o Gott, ist schen Monarchen gehören zu seinen
immer und ewig.« Aber wenn sie die- Bediensteten. Zu seiner Rechten ist die
sen Vers aus dem Hebräerbrief zitieren, Königin, bekleidet mit Schmuck aus
wird daraus: »Dein Thron, o Gott, ist Gold von Ofir. Und wer ist die Königin?
von Ewigkeit zu Ewigkeit.« So ist es Hier müssen wir der Versuchung wi-
nicht nur wahr, dass Christi Thron gött- derstehen, sie mit der Gemeinde zu
lich ist, sondern auch, dass er selbst identifizieren, weil die Gemeinde nicht
Gott ist. Gegenstand der alttestamentlichen Of-
Christi Herrschaft wird ewig währen. fenbarung ist (Eph 3,5-9; Kol 1,26). Wir
Nach seiner tausendjährigen Regierung glauben, dass die Königin der erlöste
wird sein irdisches Reich in »das ewige Überrest aus dem Volk Israel ist (Hes
Reich unseres Herrn und Heilandes 16,10-14), während die Königstöchter
esus Christus« übergehen (2Petr 1,11). Heidenvölker repräsentieren könnten,
Das königliche Zepter Christi ist ein die durch das Zeugnis Israels für Chris-
Zepter des Rechts (oder der Geradheit). tus gewonnen wurden.
Ein Zepter ist ein Stab, der königliche 45,11-12 Der Königin wird durch eine
Autorität symbolisiert. Hier bedeutet nicht genannte Stimme geraten (viel-
es, dass der Messias mit absoluter Ge- leicht ist es der Heilige Geist): »Vergiss
rechtigkeit regieren wird. Und die Re- dein Volk und deines Vaters Haus.« Das
gierung wird auch absolut heilig sein; bedeutet natürlich, sie solle die Bindun-
denn der König liebt Gerechtigkeit und gen an ihr Leben vor der Bekehrung lö-
hasst Gottlosigkeit. sen und sich völlig dem König als ihrem
45,8b-9 Wegen seiner Gerechtigkeit Herrn weihen. Dieser Rat nimmt die
und Geradheit hat Gott den Herrn Jesus Worte unseres Heilands aus Lukas 14,26
mit Freudenöl gesalbt, mehr als alle an- vorweg:
deren Herrscher. Das »Freudenöl« be- »Wenn jemand zu mir kommt und
zieht sich auf das heilige Salböl, mit hasst nicht seinen Vater und die Mutter
dem Priester in ihr Amt eingesetzt wur- und die Frau und die Kinder und die
den (2. Mose 30,22-25). Weil unser Herr Brüder und die Schwestern, dazu auch

609
Psalm 45 und 46

sein eigenes Leben, so kann er nicht gepriesen werden. Nie wird es eine Zeit
mein Jünger sein.« geben, in der die Völker aufhören, ihn
Unsere Liebe zu Christus muss so zu bewundern.
groß sein, dass alle andere Liebe im
Vergleich dazu wie Hass erscheint. Die Psalm 46: Gott mit uns
Schönheit rückhaltloser Liebe ist ihm Während des Ersten Weltkriegs wur-
eine Freude. Weil er der Herr ist, ge- den in einer Gemeinde auf einer schot-
bührt ihm alles, was wir sind und ha- tischen Insel in immer größerer Zahl
ben. junge Männer zum Wehrdienst ein­
45,13 Die reiche Tochter Tyrus wird berufen. Jedes Mal, wenn sie sich am
mit einer Gabe zu der Königin kom- Pier zur Abreise versammelten, sangen
men. Ja, die reichsten Menschen der ihre dort anwesenden Verwandten und
Welt werden mit den erlesensten Ge- Freunde diesen Psalm so, wie er im
schenken nach Jerusalem ziehen. Schottischen Psalter vertont war.
45,14 Dann wird die Königstochter in Diese Szene ist nur eine von Tausen-
ihrem Palast gesehen, bekleidet mit kö- den, in denen Gottes Heilige in Krisen-
niglicher Pracht bereitet sie sich für ihre zeiten durch diesen Psalm getröstet
Vorstellung beim König vor. Einst war wurden. Niemand weiß, wie viele Her-
sie die müde Sklavin der Sünde, jetzt zen aufgemuntert wurden, wenn diese
kann man sie in ihrer Kammer sehen, majestätischen Zeilen in Krankenzim-
wo sie mit golddurchwirkten Gewän- mern und Trauerhäusern, in den Ge-
dern bekleidet wird. fängnissen der Verfolgungen und in den
45,15-16 Und nun wird sie vor den drückenden Kammern des Leidens und
König gebracht, angetan mit vielfarbi- des Schreckens erklangen. Es war dieser
gen Roben und begleitet von ihrem Ge- Psalm, der den gequälten und gehetzten
folge aus Jungfrauen, ihren Gefährtin- früheren Augustinermönch Martin Lu-
nen. Großen Jubel gibt es bei ihrem Ein- ther anleitete, sein berühmtes Reforma-
zug. Schließlich betreten sie den Palast tionslied »Ein feste Burg ist unser Gott«
des Königs. zu dichten. Seine Botschaft ist zeitlos,
und seine Ermutigung hört nicht auf.
Wer kann die Freude ausdrücken, die Der Psalm besteht aus drei deutlichen
Freude des Vaters und des Sohnes und Abschnitten, die G. Campbell Morgan
des Heiligen Geistes sowie der heiligen wie folgt bezeichnete:
Engel, gar nicht zu reden von der eige-
nen Freude, wenn sie in die Freude ihres 1-4 Furcht ist unnötig. Gott ist mit uns.
Herrn eintreten! Anmutig in aller An- Die Herausforderung der Zuversicht.
mut, schön in aller Schönheit, würdevoll 5-8 Der Herr ist auf dem Thron in Jeru­
in aller Würde, liebreizend in allem Lieb- salem.
reiz, attraktiv in aller Attraktivität, dem Das Geheimnis der Zuversicht.
Bild des Sohnes Gottes gleichgestaltet 9-12 Friede auf Erden und weltweite
(Quelle unbekannt). Herrschaft.
Die Rechtfertigung der Zuversicht.
45,17-18 In den letzten beiden Versen
spricht Gott, der Vater, zu Christus, Allgemein wird angenommen, der his-
dem König. Er verheißt ihm Söhne, die torische Hintergrund zu diesem Psalm
würdige Nachkommen der Patriarchen sei die wunderbare Befreiung Jeru­
sein werden, die »die Welt unter sich salems, als es von dem assyrischen
aufteilen in ihre Herrschaftsbereiche« Herrscher Sanherib belagert wurde
(Knox). (2Kö 18,13 - 19,35; Jes 36,1 - 37,36). Zu
Und der König selbst? Sein Name dieser Zeit war sich das Volk Juda der
wird durch alle Generationen hindurch Gegenwart Gottes auf ungeheuer deut-

610
Psalm 46

liche und einmalige Weise bewusst. breiten Strömen: keine Ruderflotte fährt
Und so feiert der Psalm das Lob dessen, darauf, und kein mächtiges Schiff zieht
der Immanuel ist – Gott mit uns. darüber hin« (Jes 33,21).
46,1-4 »Gott ist unsre Zuversicht und
Stärke, eine Hilfe in den großen Nöten, 46,6 Deshalb, weil Gott in Jerusalem
die uns getroffen haben (Luther 1984). thront, wird es nicht wanken. Gott wird
Er ist auch »als Beistand in Nöten reich- ihm helfen früh am Morgen. Es war
lich gefunden« (rev. Elberfelder). Ge- eine lange, dunkle Nacht für das Volk
segnete Menschen sind wir, wenn wir Gottes, aber bald wird der Morgen
begreifen, dass unsere Sicherheit und dämmern, und Christus wird seinen
unser Schutz nicht in Reichtum oder rechtmäßigen Platz einnehmen und
Heeresmacht liegt, sondern allein in sich in Bezug auf die Seinen als stark er-
dem HERRN! weisen.
Stellen wir uns das Schlimmste vor, 46,7 Die Nationen mögen vor Wut to-
was geschehen kann! Angenommen, ben, die Königreiche mögen wanken.
die Erde selbst würde schmelzen, als Wenn Gott in seinem Zorn spricht, wird
sei sie in den Lavastrom eines gigan- die Erde vor ihm in Unterwürfigkeit
tischen Vulkans geraten, oder ein Erd­ zerschmelzen.
beben würde die Berge mitten ins Meer 46,8 Diese Worte blicken in besonde-
schleudern, oder die Wasserflut würde rer Weise voraus auf die Große Drang-
brüllend und schäumend das Land salszeit, wenn die Erde geschüttelt wird
überströmen, oder die Berge würden von schrecklichen Naturkatastrophen,
erzittern, weil die gesamte Natur in von politischen Unruhen, von Kriegen
Krämpfen liegt. und Seuchen und von unvorstellbarem
Oder betrachten Sie die Berge als Elend. Dann wird der Herr vom Him-
Sinnbilder von Ländern und Städten mel erscheinen und alle Unbotmäßig-
und die Wasser als Symbole von Völ- keit und Rebellion zerbrechen und in
kern. Die tiefsten Fundamente der Ge- Gerechtigkeit und Frieden herrschen.
sellschaft zerbrechen, Königreiche stür- Zu dieser Zeit wird der gläubige Über-
zen und fallen auseinander. Die Natio- rest des Volkes Israel sagen: »Der HERR
nen der Welt werden aufgewühlt durch der Heerscharen ist mit uns, eine Fes-
politische, wirtschaftliche und soziale tung ist uns der Gott Jakobs.«
Verwirrungen, und Schwierigkeiten Die Zusicherung in diesem Vers ist
von nie da gewesener Intensität ergrei- unaussprechlich schön. Der HERR der
fen die ganze Welt. Heerscharen, d.h. der HERR der Engel-
Aber Gott …! Das Schlimmste, was heere des Himmels, ist mit uns. Aber er
geschehen kann, ist kein Grund zur ist auch der Gott Jakobs. Nun, Jakob be-
Furcht. Gott selbst ist immer noch mit deutet »Betrüger« oder »Hinterlistiger«.
uns! Doch Gott spricht von sich als dem Gott
46,5 Er selbst ist der Strom, der die Jakobs. Bringen Sie die beiden Gedan-
Stadt Gottes erfreut. In Wirklichkeit hat ken zusammen, und Sie sehen, dass der
die Stadt Jerusalem keinen Fluss. Aber Gott der Engelheere auch der Gott un-
alles, was ein Fluss für eine gewöhn­ würdiger Sünder ist. Der, der so unend-
liche Stadt bedeutet, ist Gott für seine lich hoch ist, ist auch so innig nahe. Er
heilige Wohnstätte – und noch mehr; ist mit uns auf jedem Schritt unseres
denn er ist die Quelle des Lebens und Weges, und er ist unsere nie versagende
der Erquickung, der Strom der Barm- Zuflucht in allen Lebensstürmen.
herzigkeit und Güte! 46,9 Wenn wir zu Vers 9 gekommen
sind, haben die Unruhe und die Kata-
»Dort ist ein Mächtiger bei uns, der strophen ein Ende. Der Tag des Men-
HERR – es ist ein Ort von Flüssen, mit schen ist vorüber. Jetzt sitzt der König

611
Psalm 46 und 47

auf dem Thron in Jerusalem. Wir wer- Und wisse, dass er selbst ist Gott,
den eingeladen, das Schlachtfeld seines Des heilig starker Wille
Sieges anzuschauen. Wohin wir auch Nur alles wirkte dir zugut;
sehen, erblicken wir die Trümmer sei- Blick auf drum – und sei stille!
ner geschlagenen Feinde. Überall liegen Florence Wills
die Beweise des schrecklichen Gerichts
herum, das während der Drangsalszeit Psalm 47: Frohes neues Jahr!
und bei seinem glorreichen Erscheinen Jerusalem: Das erste neue Jahr des Gol-
über die Welt hereingebrochen ist. denen Zeitalters des Messias wurde bei
46,10 Doch nun ist der Fürst des Frie- Sonnenuntergang mit einem feierlichen
dens auf dem Thron, die Kriege haben Konzert in der Nationalen Konzerthalle
überall auf der Welt aufgehört. Was all begrüßt. Im Mittelpunkt des Programms
die Beratungen, Bündnisse und »Gip- standen die jubelnden Strophen des 47.
felgespräche« nicht zustande bringen Psalms, die angesichts der jüngsten in-
konnten, erreicht der Herr Jesus durch ternationalen Entwicklungen eine gänz-
seinen eisernen Stab. Abrüstung ist vom lich neue Bedeutung erlangten.
Wunschdenken zur Wirklichkeit ge- 47,1-5 Als der Psalm begann, begrif-
worden. Die Waffen wurden zerbro- fen die Zuhörer, dass die heidnischen
chen, und die Summen, die früher für Völker, die die eben zu Ende gegange-
Munition ausgegeben wurden, werden nen, weltweiten Drangsale überlebt
jetzt für Landwirtschaft und andere hatten, aufgefordert wurden, in die
produktive Zwecke verteilt. Hände zu klatschen und Gott mit Jubel-
46,11 Die Stimme Gottes erschallt für schall zuzujauchzen. In einer nie zuvor
alle Einwohner der Erde und drückt erlebten Gefühlsbewegung klatschte
gleichzeitig Sicherheit und unbedingte der Chor selbst rhythmisch dazu, als
Herrschergewalt aus: »Seid still und er- wolle er die Übrigen anleiten. Als die
kennt, dass ich Gott bin. Ich werde er- Sänger zu der Zeile kamen: »Denn der
haben sein unter den Völkern, ich wer- HERR, der Höchste, ist gefürchtet«,
de erhaben sein auf der Erde!« Jede standen die Menschen unaufgefordert
Furcht und Sorge ist verstummt. Sein auf. Sie erinnerten sich an die kurz zu-
Volk kann ruhig sein. Er ist Gott. Seine vor erlebte Krönung des Herrn Jesus
Sache hat gesiegt. Er ist unter den Na­ Christus, als er öffentlich gerühmt wur-
tionen, erhaben über die ganze Erde. de als »ein großer König über die ganze
46,12 Einerlei, was geschehen mag Erde«. Dankbarkeit wallte auf, als die
oder wie dunkel der Augenblick ist, der Menschen sich daran erinnerten, wie er
Gläubige kann trotzdem mit Zuversicht die »Böcke-Völker« unterwarf, jene Na-
und ohne Furcht sagen: »Der HERR der tionen, die während unserer Notzeit
Heerscharen ist mit uns, eine Festung unerbittlich feindselig gegen Israel wa-
ist uns der Gott Jakobs.« Wenn der, der ren. Applauswellen rauschten durch
die Heere des Himmels lenkt, auf unse- die Konzerthalle, als der Chor sang:
rer Seite ist, wer könnte dann gegen uns »Er erwählte für uns unser Erbe,
Erfolg haben? Der Gott des unwürdi- den Stolz Jakobs, den er geliebt hat.«
gen »Wurmes Jakob« ist eine Festung, 47,6 Dem Messias, der als Kriegs-
in der wir alle Zuflucht vor den Stür- mann gekommen war, um seine Feinde
men dieses unsicheren Lebens finden zu unterwerfen, wurde nun zugejubelt,
können! weil er unter dem Jauchzen seines Vol-
kes seinen Thron in Jerusalem bestiegen
Sei still, der Morgen kommt herauf, hatte und unter Trompetenklang seinen
Die Nacht ist bald geschwunden. überwältigenden Sieg verkündete.
Trau Christus als dem hellen Licht, 47,7-8 Es war ein bewegender Augen-
Das immer treu erfunden. blick, als der Chor Israel aufforderte,

612
Psalm 47 und 48

Gott Loblieder zu singen, Loblieder für panischer Angst zurück. Jerusalem war
unseren König. Da gab es kein Zögern vor der Zerstörung bewahrt, und das
mehr. Jeder erkannte an, dass der König Lob stieg wie eine große Woge zu Gott
Jesus Gott ist und dass die auf Golgatha empor. Psalm 48 hat etwas von der Be-
durchbohrten Hände nun die Zügel der glückung dieses Augenblicks eingefan-
universalen Herrschaft halten! Jeder gen.
empfand, dass es passend war, ihn mit 48,1-3 Der HERR ist unaussprechlich
einem kunstvollen Psalm zu besingen groß. Er ist groß an Erkenntnis, Herr-
– einem maskil der Einsicht und der Be- lichkeit und Gnade. Seine Liebe und
sinnung. seine Barmherzigkeit und sein Mitleid
47,9 Immer wieder betonte der Chor sind groß. Er ist groß an Weisheit und
die Göttlichkeit des Messias-Königs. Er Wissen. Seine Gerichte sind unerforsch-
ist es, der jetzt über die Nationen regiert lich und seine Wege nicht zu begreifen.
und dessen Thron sich auf Heiligkeit Weil er so groß ist, muss er hoch ge-
gründet. priesen werden. Er ist es wert, geprie-
47,10 Vielleicht begriffen einige etwas sen zu werden als der große Schöpfer,
von der Tragweite des Gesagten, als fol- der große Erhalter, der große Prophet,
gende Worte gesungen wurden: »Die der große Priester, der König aller Kö-
Edlen der Völker haben sich versam- nige, der große Erretter und der große
melt …« Befreier seines Volkes. Hier, in Psalm
So oft in der Vergangenheit hatten 48, ist seine Größe als Retter und Er­
sich die Edlen versammelt, um Israel halter seiner Stadt und seines Volkes in
ins Meer zu treiben. Doch als der Chor besonderer Weise im Blickpunkt.
weitersang, wurde klar, dass sie nun Das Volk spricht von Gott und von
versammelt waren mit dem Volk des der Stadt Gottes in einem Atemzug. Es
Gottes Abrahams. Sie vereinten sich mit verbindet die Stadt mit Gott, der dort
den Israeliten, um dem König der Köni- im Allerheiligsten des Tempels wohnt.
ge und dem Herrn der Herren ihren Für das Volk ist Jerusalem die wunder-
Tribut zu zollen. barste Stadt der Welt, erbaut auf dem
Nicht jeder mag verstanden haben, Gipfel seines heiligen Berges. Wie ein
dass mit den »Schilden der Erde« die Edelstein in einer prächtigen Krone ist
Regenten gemeint sind, die als Beschüt- sie schön in ihrer Erhabenheit – ein
zer des Volkes eingesetzt wurden. Jetzt Juwel für die ganze Erde.
gehören sie alle Gott; er ist sehr er­ Manchmal als Berg Zion bekannt
haben, hoch über alle Potentaten der (nach einer der Anhöhen in der Stadt),
Erde. wird Jerusalem als »im äußersten Nor-
Am Schluss des Konzerts stimmten den« oder »auf der Seite des Nordens«
die Kritiker darin überein, es habe in liegend beschrieben. Sowohl Knox als
der ganzen Geschichte des Volkes nie auch Gelineau übersetzen diesen Aus-
ein so bedeutsames Rosch Haschanah druck mit »der wahre Pol der Erde«.
(Neujahrsfest) gegeben! Jerusalem ist das wirklich in den Augen
des alten Gottesvolkes, es ist ein Zen-
Psalm 48: Was haben sie gesehen? trum mit magnetischer Anziehungs-
Ein fremder Angreifer war bis an die kraft, der Ort, auf den das Volk in religi-
Tore Jerusalems vorgedrungen. Drin- öser, politischer und kultureller Hin-
nen erwarteten die Menschen die Schre- sicht ausgerichtet ist. Für das Volk ist es
cken einer langen Belagerung. Mensch- die Hauptstadt der Welt. Und es ist die
lich betrachtet sah die Lage düster aus. Stadt des großen Königs, die zukünf­
Dann bewirkte der Herr ein Wunder. tige Hauptstadt des Herrn Jesus Chris-
Der Feind sah etwas, was ihn in Furcht tus, wenn er wiederkommt, um als
und Schrecken versetzte. Er zog sich in König der Könige zu regieren.

613
Psalm 48 und 49

48,4 Innerhalb der Mauern hat sich verwandelt. Sie hatten immer gehört,
Gott als vertrauenswürdiger Verteidi- dass Gott in der Vergangenheit der
ger erwiesen. Jeder weiß, wie er auf Gründer und Verteidiger Jerusalems
wunderbare Weise die Stadt rettete, als war; nun hatten sie es mit eigenen Au-
ihre Zerstörung jeden Augenblick her- gen gesehen. »Wir haben erfahren, was
einzubrechen schien. Hier nun wird uns seit langem erzählt wurde: Gott hält
das im Einzelnen erzählt: die Stadt in Ewigkeit aufrecht« (Knox).
48,5 Die feindlichen Mächte hatten 48,10-12 So erheben sie ihre Herzen,
ihre Truppen vor der Stadt zusammen- um Gott zu loben. Sie haben reichlich
gezogen. In überwältigenden Scharen Grund, über die Gnade Gottes nachzu-
brachten sie sich in Stellung, um den sinnen, wenn sie mit ihren Dankopfern
Angriff vorzubereiten. Militärisch be- zum Tempel hinaufgehen. Sie denken
trachtet hatte die Stadt wenig Hoffnung, darüber nach, dass, wo Gottes Name
sich gegen solche Konzentration von auf Erden bekannt ist, er als derjenige
Heeresmacht zu behaupten. gepriesen wird, dessen Rechte mit Ge-
48,6 Dann sahen die Angreifer etwas, rechtigkeit und Sieg gefüllt ist. Sie ru-
was ihnen den Mut raubte. Was haben fen Jerusalem zum Feiern und die ge-
sie gesehen? War es die Stadt Jerusalem, ringeren Städte Judas zum Fröhlichsein
wie manche Übersetzungen vermuten auf.
lassen? Doch scheint es unwahrschein- 48,13-15 Nun ziehen sie rund um die
lich zu sein, dass der bloße Anblick ei- Stadt wie in einem Triumphzug nach
ner so kleinen Stadt erprobte Krieger in dem Sieg. Sie ermuntern einander, die
Panik versetzen konnte. Türme zu zählen (sie sind alle noch da),
Es mag sein, dass der Vorhang zwi- die Wälle zu betrachten (sie sind unver-
schen ihnen und der unsichtbaren Welt sehrt) und durch die nun verlassenen
zurückgezogen wurde, sodass sie ein Paläste zu gehen (genauso unbeschä-
Heer von Engeln sahen, das bereitstand, digt, wie sie vor der Ankunft des Fein-
die Stadt zu verteidigen. Oder war der des waren). Es wird eine wunderschöne
Berg voller Rosse und feuriger Wagen Geschichte sein, die sie ihren Kindern
(siehe 2Kö 6,17)? Oder sahen sie den En- und Enkeln erzählen werden – wie Gott
gel des HERRN, den Herrn Jesus, in ei- auf übernatürliche Weise Jerusalem
ner seiner Erscheinungsformen vor sei- auch vor dem geringsten Schaden be-
ner Menschwerdung? (siehe Jes 37,36). wahrt hat! Sie werden dem künftigen
48,7-8 Ehrlich gesagt, wir wissen es Geschlecht beibringen, dass der Gott,
nicht. Aber, was immer es war, es war der dies getan hat, »unser Gott (ist) im-
eine Erscheinung von so schrecklicher mer und ewiglich. Er wird uns leiten bis
Natur, dass die beherzten Krieger allen an den Tod« (unrevidierte Elberfelder).
Mut verloren. Der Anblick versetzte sie Es hat jemand sehr schön angemerkt,
in Panik. Ein Inferno brach im Lager dass man Vers 15 auch so wiedergeben
aus, sie flüchteten überstürzt und zit- könne:
terten beim Wegrennen. Ihre Angst
glich der einer Frau, die in Wehen liegt. »Dieser Gott ist unser Gott von Ewigkeit
Das Durcheinander und die Unord- zu Ewigkeit. Er wird uns führen selbst
nung im Heer der Eindringlinge glich bis zum Tod, durch den Tod und über
der Zertrümmerung einer Flotte auf den Tod hinaus.«
dem Ozean, die von einem Wirbelsturm
erfasst wurde. Psalm 49: Die Gottlosen und ihr
48,9 Die Menschen in der Stadt sind Reichtum
nun überglücklich. Was ihnen wie eine Eines der großen Lebensrätsel besteht
unabwendbare Katastrophe erschien, darin, dass die Gottlosen oft materiel-
hatte sich in einen wundersamen Sieg len Wohlstand genießen, während die

614
Psalm 49

Gläubigen vielfach arm und besitzlos kann einen Mann seinen Bruder loskau-
sind. Aber das ist nicht die ganze Ge- fen, nicht kann er Gott sein Lösegeld
schichte. Der Reichtum, auf den die geben …, dass er fortlebe immer, die
Gottlosen mit ganzer Seele vertrauen, Grube nicht sehe.«
wird sie im Stich lassen in der Stunde, 49,11 Früher oder später sterben so-
wo er ihnen am nötigsten wäre. Er kann gar die Weisen. Die reichen Toren und
sie nicht vor dem Sterben bewahren. Sie die unvernünftigen Wohlhabenden
können ihn nicht ewig genießen, noch sterben genauso und hinterlassen ihr
kann er das Verwesen im Grab abwen- Vermögen anderen. Beachten Sie, dass
den. Sie können ihn weder mitnehmen, es nicht heißt, der Weise hinterlasse sei-
noch können sie zurückkehren, um sich nen Reichtum anderen Menschen.
daran zu erfreuen. Auf lange Sicht ist es Wahrscheinlicher ist, dass sein letzter
töricht, auf Geld statt auf den Herrn zu Wille und sein Testament lautet: »Weil
vertrauen. Das ist die wesentliche Aus- ich vernünftig bin, ließ ich mein Geld
sage von Psalm 49. für den Herrn arbeiten, während ich
49,1-5 Die Botschaft gilt allen Völkern noch am Leben war.«
und Einzelpersonen, den Kleinen und 49,12-13 Es ist eine eigenartige Tat­
den Großen, den Reichen und den Ar- sache, der man immer wieder begeg-
men gleichermaßen. Es ist eine Bot- net, dass Menschen, die intelligent ge-
schaft konzentrierter Weisheit, die aus nug sind, sich in dieser Welt Wohlstand
einem Herzen voller Einsicht kommt. aufzubauen, nicht zu begreifen schei-
Die Söhne Korachs wenden ihre Auf- nen, dass sie sterben müssen. Ihre Ge-
merksamkeit der Erforschung dieser so danken gaukeln ihnen vor, dass ihre
weitverbreiteten Ungleichheit im Leben Häuser in Ewigkeit stehen, dass sie hier
zu; dann, wenn sie zu einer Antwort ohne Ende fortleben werden. Sie benen-
gelangt sind, singen sie diese unter nen Besitzungen und Straßen und Städ-
Zitherbegleitung vor. te nach ihren Namen. Aber die unaus-
49,6-10 In Wirklichkeit besteht kein weichliche Wahrheit ist, dass der
Grund für die Gläubigen, sich in diesen Mensch mitsamt seiner Ehre nicht blei-
dunklen Tagen zu sorgen, wenn die ben kann. In dieser Hinsicht gleicht er
Unterdrücker und Sünder ihnen auf dem Vieh. Im Übrigen unterscheidet
den Fersen sind, wenn Verfolger sie sich der Mensch natürlich sehr deutlich
umgeben mit ihren bösen Anschlägen. von den Tieren. So geht zum Beispiel
Ihre Feinde vertrauen auf ihr Gold und zwar der Leib des Menschen ins Grab,
auf die Macht, die es verleiht; sie rüh- doch sein Geist und seine Seele werden
men sich ihres Überflusses. Aber – und vom Grab auferstehen, entweder zum
dies ist ein ganz großes ABER – all ihr ewigen Gericht oder zu ewiger Freude.
Geld kann ihren Bruder nicht loskaufen Der Mensch besitzt ewiges Sein, das
(vom Gericht Gottes) – und sie selber Tier nicht.
auch nicht. Die Erlösung der Seele ist 49,14-15 Dies ist das Schicksal derer,
unermesslich teuer; von Anstrengun- die unklugerweise mehr auf ihren
gen, den Tag des Todes durch finanziel- Reichtum als auf Gott vertrauen – sie
le Manipulationen hinauszuschieben, waren töricht genug, so zu leben, als
muss man auf ewig ablassen. Niemand müssten sie niemals sterben. Aber ster-
verfügt über die Mittel, sich dauerndes ben müssen sie, und wenn sie gestorben
Leben auf Erden zu erkaufen oder dem sind, dann zitieren ihre Verwandten
Grab zu entrinnen. und Freunde sie wegen ihrer tief schür-
Wie die Gedankenstriche vor und fenden Weisheit.
nach Vers 9 anzeigen, ist dieser Vers ein Unausweichlich zur Trennung von
Einschub. Fasst man Vers 8 und Vers 10 Seele und Leib bestimmt, gleichen sie
zusammen, so lauten sie: »Niemals den Schafen, die unablässig von dem

615
Psalm 49 und 50

Hirten, dem Tod, bis zum Grab geführt 49,21 Es gibt einfach keine Möglich-
werden. »Am Morgen herrschen die keit für den Menschen, irdischen Reich-
Aufrichtigen über sie.« Das heißt, die tum und Ehre zu behalten. Der Tod ist
Rollen werden getauscht wie bei dem für ihn so unausweichlich wie für die
reichen Mann und dem armen Lazarus. Tiere, die vertilgt werden.
Denken Sie daran, dass Abraham zu Natürlich kann jemand einwenden,
dem reichen Mann sagte: »Kind, geden- die Gerechten müssten ebenso sterben
ke, dass du dein Gutes völlig empfan- wie die Gottlosen. Das ist wahr. Wir alle
gen hast in deinem Leben, und Lazarus werden sterben, wenn der Herr in der
ebenso das Böse; jetzt aber wird er hier Zwischenzeit nicht gekommen ist. Aber
getröstet, du aber leidest Pein« (Lk in diesem Psalm geht es darum, dass
16,25). die Gottlosen allen ihren Reichtum hier
Alle Großartigkeit und Schönheit des zurücklassen, während die Gerechten
reichen Mannes schwand dahin, und er zu ihrer ewigen Belohnung mit unend-
hatte kein anderes Heim als den Scheol lichem Reichtum gelangen.
– ein eindrucksvoller Gegensatz zu dem Eine abschließende Bemerkung: Sehr
Heim, das er auf Erden genoss! oft ist in der Schrift ein Reicher ein Syno-
49,16 Hier finden wir einen der weni- nym für einen Gottlosen. Das sollte uns
gen Lichtstrahlen, die im Alten Testa- ernüchtern. Die Bibel sagt zwar nicht,
ment auf die Auferstehung fallen. Im dass Reichtum Sünde sei, aber sie ver­
Allgemeinen offenbaren die Schreiber urteilt es sehr wohl, wenn wir mehr auf
des Alten Testaments nur sehr unbe- Reichtümer vertrauen als auf den leben-
stimmte Ausblicke auf den Tod und das digen Gott (und es ist nicht leicht, Reich-
Danach. Hier jedoch drückt der Psal- tum zu besitzen und nicht darauf zu ver-
mist seine Zuversicht aus, Gott werde trauen!). Die Bibel verurteilt die Geld­
seine Seele erlösen von der Gewalt des liebe. Sie verurteilt das Anhäufen von
Scheols. Das heißt, Gott wird seine See- Reichtümern durch Unterdrückung und
le von der Trennung zwischen Leib und Unehrlichkeit. Und sie verurteilt das
Seele befreien und beide in einem Auf- Horten des Reichtums in hartherziger
erstehungsleib vereinen. Wenn er sagt: Gleichgültigkeit gegenüber den Nöten
»Er wird mich aufnehmen«, so benutzt einer verlorenen und leidenden Welt.
er denselben Ausdruck, wie er in Ver-
bindung mit Henoch und Elia an­ Psalm 50: Gottes fortwährendes
gewandt wird (rev. Elberfelder: »ent­ Gericht
rücken«). Die Szene dieses Psalms ist ein Gerichts-
49,17-20 So hat es der Gläubige in saal, in dem Gott selbst der Richter und
Wirklichkeit nicht nötig, beunruhigt zu Israel der Angeklagte ist, während Him-
sein, wenn der Gottlose reich und sein mel und Erde die Zeugen bilden.
Haus immer prächtiger wird. Diese Aber wir sollten von dieser Gerichts-
Erde ist der einzige Himmel, den er je szene nicht meinen, sie habe vor langer
genießen wird! Wenn der Tod kommt, Zeit in der Geschichte Israels als ein
nimmt er all das nicht mit. Mit leeren Prozess stattgefunden, der heute nichts
Händen wird er ins Grab gehen, nichts mehr bedeutet. Der Psalm handelt im
von seiner Pracht wird ihn begleiten. Gegenteil davon, dass Gott seine Heili-
Solange er lebt, wird er meinen, er kön- gen unablässig und überall auf der Welt
ne niemals seines Glücks beraubt wer- beurteilt.
den, und die Menschen beglückwün-
schen ihn, weil er »sein eigenes Nest Das Gericht tagt (50,1-6)
polstert«. Aber früher oder später wird 50,1 Zuerst hören wir den Richter, wie er
er sterben wie seine Ahnen und ihre alle Völker auf der ganzen Erde (oder
lange, dunkle Nacht mit ihnen teilen. alle Menschen im Land Israel36) zusam-

616
Psalm 50

menruft – vom Osten bis zum Westen –, 50,8 Zu Beginn macht Gott deutlich,
damit sie vor seinem Gericht erschei- dass es kein Fehler ist, ihm Schlacht­
nen. Was der Stimme des Richters Au- opfer darzubringen. Auch waren die
torität verleiht, ist dies: Er ist der Mäch- Israeliten treu in der Darbringung ihrer
tige, Gott der HERR! Brandopfer. Der Fehler war nur, dass
50,2-3 Als Nächstes sehen wir den sie meinten, mit diesen Ritualen hätten
Richter, wie er seine Kammer im Tem- sie sich aller Verpflichtungen dem
pel auf dem Berg Zion in Gestalt einer HERRN gegenüber entledigt. Sie gli-
blendend glänzenden Herrlichkeitswol- chen Mädchen, die ihre Mutter das gan-
ke, der Schechina, verlässt. Er will nicht ze Jahr gleichgültig behandeln und sie
mehr schweigen über die Sünden seines dann zu ihrem Geburtstag mit Pralinen
Volkes. Er kommt herab wie auf den besänftigen, oder Söhnen, die niemals
Berg Sinai mit einem großen Feuer- ihrem Vater danken und ihm dann am
strahl, der vor ihm herfrisst, und mit ei- Vatertag einen Schlips schenken.
nem riesigen Gewitter um ihn her. Doch So klagt der HERR sie an, dass wäh-
diesmal kommt er nicht, um das Gesetz rend sie seinen Altar mit Opfertieren
zu verkünden, sondern um dessen inne- überhäufen, sie ihn selbst mit kalter
re, geistliche Bedeutung auszulegen. Gleichgültigkeit behandeln. In Bezug
50,4-5 Als er auf dem Richterstuhl auf die technische Ausführung der
Platz nimmt, lädt er Himmel und Erde Opfergaben nehmen sie es sehr genau;
vor, dass sie neben ihm in den Zeugen- aber im Hinblick auf eine warme, per-
stand treten. Dann befiehlt er den Be- sönliche Beziehung zu dem Herrn
diensteten, die Angeklagten zu bringen. selbst, mangelte es bei ihnen sehr. F.B.
Zuerst verhandelt er den Fall der Heili- Meyer schreibt:
gen aus dem Volk Israel, die er als sol-
che beschreibt, die den Bund mit ihm Der Psalm ist eine ernste Zurechtwei-
geschlossen haben beim Opfer. (Dies sung für den Heuchler, der sich zufrie-
weist auf den Gesetzesbund hin, der dengibt mit einem nur äußerlichen Ge-
am Horeb geschlossen und mit dem horsam gegenüber den Ritualen im Haus
Blut der Opfer besiegelt wurde – 2. Mose Gottes, der aber Gott die Liebe und Hul-
24,3-8). Das Gericht über seine Treuen digung seines Herzens verweigert.37
finden wir in den Versen 7 bis 15. Später
hält er eine Extrasitzung mit den Gott- 50,9 Darum sagt Gott, er werde keinen
losen ab (V. 16-21). Jungstier aus ihrem Haus noch Böcke
50,6 Die Himmel werden als Zeugen aus ihren Hürden annehmen. Er ist kein
für die Gerechtigkeit der göttlichen Ur- Ritualist, der mit religiösen Zeremo-
teile aufgerufen. Die Tatsache, dass Gott nien zufrieden ist. Als er das Opfer­
selbst der Richter ist, bedeutet, dass er system einsetzte, hatte er nie beabsich­
selbst alle Fakten kennt, dass er völlig tigt, dass bloße äußere Handlungen
unparteiisch ist und dass seine Urteile dazu dienen sollten, falsche innere Hal-
weise und ausgewogen sind. tungen zu überdecken.
50,10-13 Wenn sie nur innehielten
Die Sünde des Ritualismus (50,7-15) und nachdächten, dann würden sie be-
50,7 Gott nimmt nun die Stellung des greifen, dass Gott alle Geschöpfe über-
Staatsanwalts ein, der gegen sein Volk all auf der Welt gehören – alles Getier
Israel Anklage erhebt. In menschlichen des Waldes, das Vieh auf tausend Ber-
Prozessen wäre es undenkbar für den gen, die Vögel in den Lüften und alles,
Richter, auch als Staatsanwalt zu fun- was sich im Feld tummelt. Sie würden
gieren; aber in diesem Fall ist alles in schnell begreifen, dass Gott gar nichts
Ordnung, weil der Richter niemand an- von den Menschen nötig hat. Er leidet
ders ist als Gott, der Allerhöchste. keinen Hunger; wenn er es täte, brauch-

617
Psalm 50 und 51

te er uns nicht um irgendetwas zu bit- Statt die Bibel mit tiefer Ehrfurcht zu
ten, weil er selbst eine gefüllte Speise- behandeln, warfen sie Gottes Wort als
kammer besitzt! Auch hat er nicht nö- etwas Wertloses hinter ihren Rücken.
tig, Nahrung oder Befriedigung aus 50,18 Sie lehnten es ab, auf einem Weg
Rinderfleisch oder Ziegenblut zu ge- der Absonderung zu gehen: Indem sie sich
winnen. In dieser Hinsicht ist Gott völ- mit Dieben und Ehebrechern verbrü-
lig unabhängig. derten, waren sie dem Herrn ungehor-
50,14-15 Was sucht denn Gott bei sei- sam und brachten Schande auf seinen
nem Volk? Drei Dinge: Namen.
Dank: Keine Gabe kann jemals den 50,19-20 Ihre Rede war gottlos: Ihr
Platz einfacher Dankbarkeit einneh- Mund spie hemmungslos Böses aus. Sie
men. Allzu oft gleichen wir einer Fami- waren Experten im Lügen und Betrü-
lie, die ihre prächtige, aufopferungs­ gen geworden. Nicht einmal ihre nächs-
bereite Mutter für eine Selbstverständ- ten Verwandten waren vor ihren gemei-
lichkeit hält und erst nach ihrem Tod nen Verleumdungen sicher.
ihre Undankbarkeit dadurch wieder- 50,21 Weil Gott sie nicht augenblick-
gutzumachen versucht, dass sie ihren lich bestraft hatte, meinten sie, er sei ge-
Leib in ein original Dior-Kleid für tau- nauso gleichgültig wie sie. Sie begriffen
send Dollar hüllt! nicht, dass seine Geduld dazu dienen
Erfüllte Gelübde: »Erfülle dem Höchs­ sollte, ihnen Zeit zur Umkehr (Buße) zu
ten deine Gelübde!« – Gelübde der Lie- geben. Doch jetzt bricht der Herr sein
be, der Anbetung, des Dienstes und der Schweigen und rügt sie wegen der oben
Hingabe. aufgeführten Anklagen.
Gemeinschaft im Gebet: »Rufe mich an
am Tag der Not, ich will dich erretten, Warnung und Verheißung (50,22-23)
und du wirst mich verherrlichen!« Hier 50,22-23 Der Psalm endet mit einer War-
gewinnen wir einen wunderbaren Ein- nung und einer Verheißung. Die War-
blick in Gottes Herz. Er liebt es, wenn nung richtet sich an solche, die Gott
sein Volk betet, und er liebt es, diese vergessen und leben, als verdiene er
Gebete zu erhören. Er schätzt eine inti- keine Beachtung. Tun sie nicht Buße,
me, herzliche Beziehung zwischen sei- wird Gott wie ein Löwe über sie herfal-
nem Volk und ihm selbst. len und sie zerreißen. Die aber mit Op-
fern des Dankes zu ihm kommen, ver-
Zu dem Gottlosen aber … (50,16-21) herrlichen ihn; alle, die auf seinen We-
50,16-17 Es wird sehr deutlich, dass der gen des Gehorsams gehen, werden Got-
Richter sich jetzt an einen anderen Teil tes wunderbare Errettung in Zeiten der
des Volkes wendet ‒ an jene, die be- Bedrängnis erfahren.
haupten, religiös zu sein, deren Leben
aber ganz offen der Wahrheit wider- Psalm 51: Der süße Duft der Reue
spricht. Gott spricht ihnen das Recht ab, Alexander Maclaren sagte einmal: »Die
die Segnungen des Bundes für sich in Alchemie göttlicher Liebe kann das
Anspruch zu nehmen. Dann bringt er liebliche Parfüm der Reue und des Lo-
eine Reihe von Anklagen gegen sie vor: bes aus dem Schmutz der Sünde destil-
Sie hassten Zucht: Offensichtlich fühl- lieren.« Wir haben eine Illustration
ten sie sich über Korrektur erhaben. dazu in Psalm 51.
Statt konstruktive Kritik gern anzuneh- 51,1-2 Wie die Überschrift erklärt,
men oder wenigstens zu dulden, verab- wurde er von David geschrieben, nach-
scheuten diese Heuchler sie und griffen dem der Prophet Nathan ihn mutig we-
jeden an, der ihnen damit kam – sogar, gen des Ehebruchs mit Batseba und we-
wenn es der Herr selbst war. gen des Mordes an Uria bloßgestellt
Sie behandelten Gottes Wort verächtlich: hatte. Zutiefst von seiner Sünde über-

618
Psalm 51

führt, bricht dieser Sturzbach der Reue 51,8 »Aber du hasst Sünde und hast
aus Davids zerbrochenem und zer- Lust an der Wahrheit im innersten We-
schlagenem Herzen. sen eines Menschen. So komme ich nun
Wir können sein Bekenntnis wie folgt zu dir und bitte dich, mich tief in mei-
umschreiben: nem Herzen Weisheit zu lehren.«
51,3 »Gnade, o Gott! Ich bitte dich um 51,9 »Du hast angeordnet, Ysop und
Gnade! Ich verdiene, bestraft zu wer- fließendes Wasser sollten bei der Reini-
den. Aber du bist ein Gott der Barmher- gungszeremonie eines Aussätzigen be-
zigkeit, und auf dieser Grundlage bitte nutzt werden (3. Mose 14,1-8). Ach
ich dich, du mögest mich nicht so be- Herr, ich nehme den Platz eines mora-
handeln, wie ich es verdiene. Deine lisch Aussätzigen ein. Entsündige mich
Barmherzigkeiten sind überreich, und mit Ysop, und ich werde rein sein; wa-
deshalb wage ich dich zu bitten, meine sche mich, und ich werde weißer sein
schrecklichen Verletzungen deines hei- als Schnee.«
ligen Gesetzes auszutilgen.« 51,10 »Als ich sündigte, konnte ich
51,4 »Wasche mich durch und durch nicht mehr singen. Es ist lange her, dass
von jedem Fall, wo ich von deinen ge­ ich wusste, was wirkliche Freude und
raden Wegen abgewichen bin, und rei- Fröhlichkeit ist. Lass mich die Musik
nige mich von den erschreckenden We- des Jubels wieder vernehmen. In mei-
gen, in die ich mich verlaufen habe.« nem rückfälligen Zustand scheint es,
51,5 »Ich bekenne öffentlich, dass ich als hättest du mich zum Krüppel ge-
dein Gesetz gebrochen habe. Meine macht und meine Knochen zerbrochen.
Sünde war öffentlich, und meine Buße Ich konnte nicht mehr vor dir bei dei-
ist auch öffentlich. Die Schuld meiner nen heiligen Festen tanzen. Nun heile
Sünde jagt mich Tag und Nacht, und das Zerbrochene, dass ich mich deinem
ich kann sie nicht mehr ertragen.« Volk wieder anschließen kann, um dei-
51,6 »Ich sehe jetzt deutlich, dass du nen Namen zu preisen im Reigen.«
es warst, nur du allein, gegen den ich 51,11 »O mein Gott, ich flehe dich an:
gesündigt habe. O, ich begreife, dass Wende dein Angesicht weg vom Schau-
ich auch gegen Batseba und gegen ih- en auf meine Sünden in Gericht und
ren treuen Ehemann gesündigt habe – Strafe. Lösche auch die letzte Spur mei-
Gott, vergib mir meinen Verrat an die- ner ungeheuren Schuld aus. Wie pei-
sem tapferen Offizier! Aber ich begreife, nigt sie mich, sooft ich an sie denke!«
dass sich alle Sünde zuerst und vor al- 51,12 »Schaue ich zurück, verstehe
lem gegen dich wendet. Dein Gesetz ich, dass alles Elend in meinem Kopf
wurde gebrochen. Dein Wille wurde begann. Meine Gedankenwelt war be-
verhöhnt. Dein Name wurde entehrt. fleckt. Ich pflegte böse Gedanken, bis
So stelle ich mich auf deine Seite gegen ich schließlich Sünden beging. So bitte
mich selbst. Du bist absolut gerechtfer- ich dich jetzt: Schaffe in mir ein reines
tigt, mit jedem Urteil, das du über mich Denken. Ich weiß, dass wenn die Quelle
fällst, und niemand kann einen Fehler rein ist, auch der Fluss, der ihr ent-
in deinen Entscheidungen finden.« strömt, rein ist. Ja, Herr, erneuere mein
51,7 »Herr, ich tauge nichts. Ich bin in gesamtes inneres Wesen, damit es ein
Schuld geboren, und ich will noch wei- beständiger Wächter gegen zukünftige
tergehen: Ich bin in Sünden empfangen. Ausbrüche der Sünde werde.«
Indem ich das sage, will ich keine 51,13 »Gib mich nicht auf, Herr, und
Schande auf meine Mutter bringen oder verbanne mich nicht aus deiner Gegen-
gar meine eigene Schuld abmildern. Ich wart. Ich ertrage den Gedanken nicht,
will nur sagen, dass ich nicht nur Sün- von dir entfernt zu sein, oder dass mir
den begangen habe, sondern dass mein dein Heiliger Geist genommen würde.
gesamtes Wesen sündig ist.« In diesem Zeitalter, in dem ich lebe,

619
Psalm 51 und 52

nimmst du sehr wohl deinen Heiligen nicht. Es stimmt, du hast die Schlacht-
Geist von Menschen, wenn sie im Un- und Speisopfer eingesetzt; aber sie sind
gehorsam gegenüber dir wandeln. So nicht dein letztes Ziel. Und so komme
machtest du es mit Saul (1Sam 16,14) – ich zu dir mit einem zerbrochenen Her-
mich schaudert, wenn ich an die Folgen zen – das ist das Opfer, das du forderst.
denke. Bitte, Herr, verschone mich vor Du wirst dieses zerbrochene und zer-
diesem Schicksal.« schlagene Herz nicht abweisen, das ich
51,14 »Wie ich vorhin sagte, habe ich zu dir bringe.«
meinen Gesang verloren. Nicht meine 51,20 »Und nun Herr, möchte ich dich
Seele, aber mein Lied. Nicht deine Ret- für dein geliebtes Volk bitten wie auch
tung, aber die Freude an deinem Heil. für mich. Lass es dir wohlgefallen, die-
Nun, wo ich zu dir in Buße und Be- ses Volk mit Gutem zu überschütten.
kenntnis gekommen bin und meine Baue die Mauern Jerusalems wieder
Sünde lasse, bitte ich dich, du mögest auf. Meine Sünden haben ohne Zweifel
die zerbrochenen Saiten wieder zum den Fortschritt deines Werkes behin-
Klingen bringen. Und nicht nur bitte dert. Ich habe Schmach über deinen
ich ernstlich, du mögest meine Freude Namen gebracht. Nun möge deine Sa-
an deinem Heil wiederherstellen, son- che ohne Behinderung vorwärts ge-
dern auch, dass du mich durch deinen hen.«
großzügigen Geist stützen mögest. Mit 51,21 »Wenn wir alle in Gemeinschaft
anderen Worten: Ich möchte, dass dein mit dir wandeln und unsere Sünden be-
Geist mich willig macht, dir zu gehor- kennen und lassen, dann wirst du
chen und dir in allen Dingen wohlzuge- Wohlgefallen an unseren Opfern der
fallen. Dann werde ich mich auf den Gerechtigkeit haben. Opfer, die von
Pfaden der Gerechtigkeit bewegen.« völliger Hingabe an dich sprechen, wer-
51,15 »Ein Ergebnis meiner Verge- den dein Herz erfreuen. Wir werden
bung wird sein, dass ich mit aller Kraft Stiere auf deinem Altar opfern mit Lob
anderen Übertretern Zeugnis gebe und für den Gott, der Sünden vergibt und
ihnen von deinen Wegen zur Verge- Ungerechtigkeiten verzeiht.«
bung und zum Frieden sagen werde.
Wenn sie hören, was du an mir getan Psalm 52: Der Verräter wird entlarvt
hast, werden sie auch zu dir umkehren 52,1-2 Den historischen Hintergrund zu
wollen.« diesem Psalm finden wir in 1. Samuel 21
51,16 »Dann, wenn du mich von Blut- und 22. Doeg, der Edomiter, war König
schuld erlöst hast, o Gott, wird auch die Sauls Aufseher über die Hirten. Er war
ganze Welt mein Zeugnis von deiner dabei, als der flüchtende David von dem
Erlösung hören. Die Schuld wegen Priester Ahimelech Brot und Go­liats
Urias Blut liegt schwer auf mir, o Gott Schwert erhielt. Bald danach ging er und
meiner Rettung. Wische die Tafel aus, verriet dies Saul. Zum Lohn wurde er
und ich werde dich ewig preisen.« beauftragt, Ahimelech und vierund-
51,17 »Meine Lippen waren versie- achtzig Priester des Herrn umzubrin-
gelt, verschlossen durch meine Sünde. gen. Daraufhin ermordete er die Frauen
Öffne sie durch deine Vergebung, und und Kinder in Nob ebenfalls und ver-
lass meinen Mund in Reden und Singen nichtete das Dorf und sogar das Vieh.
deinem Lob geweiht sein.« Doegs Charakter wird in den Versen
51,18-19 »Herr, ich hänge nicht von 3 bis 6 beschrieben und sein Gericht in
Ritualen oder Zeremonien ab, um Ver- den Versen 7-9. Der völlig andere Cha-
gebung zu erlangen. Ich weiß, du bist rakter des Psalmisten ist in den Versen
kein Ritualist. Dächte ich, du wolltest 10 und 11 zu erkennen.
Tiere zum Opfer, würde ich sie bringen. 52,3-6 Davids Eingangsfrage greift
Aber Brandopfer erfreuen dein Herz den Verräter an, weil er stolz ist über

620
Psalm 52 und 53

seine außergewöhnliche Bosheit und Namen des Herrn erheben in Gegen-


weil er ein Lügner ist. Dieser verräteri- wart seiner loyalen Frommen, weil
sche Prototyp des Antichristen hatte nicht nur sein Name gut ist, sondern
eine Zunge wie ein Schermesser, das auch alles, was er tut.
die Menschen mit Verleumdungen nie-
dermähte. Er hatte einen starken Zug Psalm 53: Die Torheit des Atheismus
zum Bösen, mehr als zum Guten, und Der Hauptunterschied zwischen
pflegte zu lügen, statt die Wahrheit zu Psalm 14 und diesem Psalm besteht dar­
sagen. Er war der personifizierte Betrug in, dass der Name Gottes mehrfach von
und schwelgte in Reden, die das Leben Jahwe (der HERR) zu Elohim verändert
anderer zerstörte. wurde.39 In Psalm 14 leugnet der Tor die
52,7 Göttliche und menschliche Recht- Existenz des Gottes, der den Bund hält
sprechung stimmen überein in dem (Jahwe, HERR), der ein tiefes Interesse
Schicksal, das der Psalmist dem Doeg an seinem Volk hat und eng mit ihm
‒ und allen, die so sind wie er ‒ voraus- verbunden ist. Hier leugnet der Tor die
sagt. Gott wird ihn gründlich zer­ Existenz eines allmächtigen, souve-
brechen wie ein Gebäude, das zu Schutt ränen Gottes (Elohim), der das Univer-
zerfällt. Der Allerhöchste wird ihn aus sum erhält und regiert.
seinem Zelt reißen und ihn vollkom-
men aus der Welt der Lebendigen ent- Gott kann in dem einen oder anderen
wurzeln. Sinn geleugnet werden: Einige leugnen,
52,8-9 Gottesfürchtige werden jenen dass der Schöpfer irgendein besonderes
Tag erleben und es sehen. Sie werden Interesse an einer besonderen Rasse
sich fürchten wegen des schrecklichen oder Gruppe von Menschen hat; andere
Gerichts Gottes, doch werden sie über weisen jede Möglichkeit von sich, dass
seinen Untergang lachen und sagen: es Gott überhaupt geben könne (Daily
»Siehe, der Mann machte nicht Gott zu Notes of the Scripture Union).
seinem Schutz, sondern vertraute auf
die Größe seines Reichtums, durch sein 53,1-2 Der Tor muss kein Narr oder
Schadentun war er stark!« Dummkopf sein. Er mag eine brillante
52,10-11 Das Wesen des Psalmisten Intelligenz besitzen, was die moderne
steht dazu in scharfem Kontrast. Er ver- Ausbildung angeht; doch will er die Be-
gleicht sich mit einem grünen Oliven- weise für die Person, die Macht und die
baum im Haus Gottes – ein Bild des Vorsehung Gottes nicht zur Kenntnis
Wohlstands und der Fruchtbarkeit. Die nehmen. Er ist absichtlich unwissend.
Olive ist nach F.W. Grant »… der Baum, Das hebräische Wort enthält den Ge-
in dem jenes Öl bleibt, das ein Bild des danken an eine böswillige Weigerung,
Heiligen Geistes ist. Er ist grün in seiner die Wahrheit anzuerkennen.
Frische des ewigen Lebens. Er steht im Atheismus ist verbunden mit Ver-
Haus Gottes im Gegensatz zu dem derbtheit und Entartung, manchmal als
›Zelt‹, aus dem der Gottlose gerissen Ursache, manchmal als Wirkung. Dar-
wird.«38 um ist es kein Wunder, dass solche, die
Im Gegensatz zu Doeg, der Gott nicht sagen »es gibt keinen Gott«, korrupt
zu seiner Zuflucht machen wollte, hat sind und abscheuliche Gräuel begehen.
sich David entschieden, immer und Da ist keiner von ihnen, der Gutes tut.
ewig auf die Gnade Gottes zu ver­ 53,3 Nun scheint das Thema von den
trauen. Etwas anderes, was er tun will, Atheisten im Besonderen zur Mensch-
ist, dem Herrn zu danken für das, was heit im Allgemeinen zu wechseln. Pau-
er getan hat, nämlich dafür, dass er den lus zitiert Bruchstücke aus diesem
Gottlosen bestraft und den Gerechten Psalm in Römer 3, um die völlige Ver-
rechtfertigt. Am Schluss will er den derbtheit der Menschheit zu bestätigen.

621
Psalm 53 bis 55

Das Urteil ist ganz gewiss wahr. Gott seine Omnipotenz. Mit Rettung ist hier
hat vom Himmel herabgeschaut auf die zeitliche Erlösung von den Feinden ge-
Menschenkinder und kann nicht einen meint.
finden, der, sich selbst überlassen, die 54,4-5 Die Dringlichkeit des Jetzt-
Weisheit besäße, den Herrn zu fürch- oder-Nie im Gebet des Psalmisten er-
ten. Ohne den vorausgehenden Dienst kennen wir an dem dringenden Appell,
des Heiligen Geistes würde niemand Gott möge doch hören, doch das heiße
Gott suchen. Flehen der Worte seines Mundes zu
53,4 Sie sind alle von dem lebendigen Ohren nehmen.
Gott abgewichen, alle sind sie verdor- Was war geschehen? Diese Fremden
ben. Nicht einer tut in dem Sinn etwas hatten mit David ein falsches Spiel ge-
Gutes, dass er damit bei dem Herrn trieben; als blutdürstige Menschen wa-
Gunst oder Verdienste erwerben könn- ren sie darauf aus, ihn zu fangen. Sie
te. waren Abgefallene, die nicht nach Gott
53,5-6 Noch einmal scheint David zu fragten.
einer besonderen Klasse von Sündern 54,6-7 Gott selbst ist die Antwort. Der
hinüberzuwechseln, nämlich zu den Herr ist mit denen, die das Leben des
Abgefallenen, die Gottes Volk verfol- Gläubigen stützen. Eines Tages wird er
gen. Wie können sie nur so kurzsichtig den Feinden seines Volkes mit Unter-
sein? Sie sind grausam und gebetslos. gang und Verderben heimzahlen. Die
Sie denken über die Vernichtung des Erkenntnis dessen, was Gott tun will,
gläubigen Überrests genauso wie übers wird schnell zu einem Gebet: »Tue es,
Brotessen. Und nie empfinden sie das Herr. Als Beweis deiner Treue bringe
Bedürfnis, mit Gott im Gebet zu spre- ihr gottloses Rasen zu Ende!«
chen. Sie scheinen völlig gefühllos für 54,8 Der rettende Name von Vers 3
die Tatsache zu sein, dass sie eines Ta- wird dann der angebetete Name sein.
ges von nie da gewesenem Schrecken David wird ein freiwilliges Opfer dar-
erfasst werden. Gott wird die Gebeine bringen und den Namen des HERRN
derer verstreuen, die gegen seine ge- preisen, diesen kostbaren Namen, in
treuen Nachfolger Krieg führen. dem alles Gute beschlossen ist.
53,7 Im letzten Vers bittet David um 54,9 Im Schlussvers spricht David so,
das Kommen des Messias. Er ist der Be- als seien all seine Sorgen Vergangenheit
freier, der aus Zion kommen (Röm und als sei er schon Zeuge des Ablebens
11,26) und das ganze gläubige Israel seiner Feinde. »Jetzt schon«, schreibt
retten wird. An jenem Tag wird Israel Morgan, »obgleich vielleicht noch mit-
wiederhergestellt. Jakob wird jubeln, ten in der Gefahr, singt er das Lied der
Israel wird sich freuen. Befreiung, als sei sie schon Wirklich-
keit.«40 So ist »der Glaube eine feste Zu-
Psalm 54: Gott ist mein Helfer versicht auf das, was man hofft, eine
54,1-2 Als David vor Saul floh, verrieten Überzeugung von Tatsachen, die man
die Sifiter dem König zweimal, wo Da- nicht sieht« (Hebr 11,1; Schlachter
vid sich aufhielt (1Sam 23,19; 26,1). Die- 2000).
ser Verrat gab den Anlass zu diesem
Psalm, einem passenden Gebet für Psalm 55: Wirf auf den HERRN deine
Gläubige zu allen Zeiten, wenn sie von- Last!
seiten der Menschen leiden. Ahitofel war einer der Berater, denen
54,3 Der Hilfeschrei am Anfang erbit- David am meisten vertraute, der sich
tet Rettung durch den Namen Gottes aber später zugunsten Absaloms los-
und Rechtfertigung durch seine Macht. sagte, als dieser die Herrschaft an sich
Sein Name steht für sein Wesen oder reißen wollte. In diesem Psalm spüren
seinen Charakter und seine Macht für wir den tiefen Schmerz in Davids Her-

622
Psalm 55

zen wegen dieser bitteren Enttäuschung. Rat Ahitofels zunichtemachen (2Sam


Wir können auch etwas über die tiefen 15,31).
Gefühlswogen lesen, die durch die See- 55,10b-12 Wenn der Sohn Isais auf die
le des Heilands im Zusammenhang mit Stadt Jerusalem blickt, die er erobert
dem Verrat des Judas brandeten. Dar­ und erwählt hatte, sieht er sie jetzt mit
über hinaus weist der Psalm auf die Ge- Gewalt und Streit erfüllt. Tag und Nacht
bete des Überrests hin, wenn er unter laufen diese beiden Zwillingsübel auf
der Verschwörung des kommenden den Mauern herum. Die Stadt des Frie-
Antichristen leiden wird. dens ist jetzt eine Stadt des Unheils und
55,1-3a Auch bei tiefem Kummer fehlt der Mühsal. Das Verderben haust dort.
es der Seele nicht an Vielseitigkeit und Bedrückung und Betrug weichen nicht
Originalität, um die Aufmerksamkeit vom Marktplatz, wo es doch Recht und
Gottes auf sich zu lenken. Positiv lautet keine falsche Waage geben sollte.
das Gebet: »Nimm zu Ohren!«, negativ 55,13-16 Vor allem geht es bei Davids
ausgedrückt aber: »Verbirg dich nicht!« Klage natürlich um den grausamen
Da ist die Bitte um eine Audienz: »Hor- Verrat. Der Schmerz wäre erträglicher,
che auf mich!«, und die Bitte zu han- wenn der Missetäter sein erklärter
deln: »Antworte mir!« Feind gewesen wäre. Kämen der Hohn
55,3b-6 Dann kommt eine lange Auf- und die Verletzungen von einem, der
listung herzzerreißenden Kummers durch und durch feindlich war, dann
und verzweifelter Not: hätte ihm der Psalmist aus dem Weg ge-
Das Umherirren mit Klagen und Stöh- hen können. Aber er gehörte zu ihm ‒
nen. ein Vertrauter, ein geliebter Freund,
Erschrecken vor der Stimme des Fein­ dessen er sich sicher war, war ihm in
des. den Rücken gefallen! Es war einer, mit
Unterdrückung durch Gottlose. dem der Psalmist zuvor innige Gemein-
Begraben unter Unheil. schaft pflegte, wenn sie miteinander in
Wilden Angriffen ausgesetzt. das Haus Gottes gingen. Die Tücke die-
Das Herz bebt vor Angst. ses Menschen und seiner Gefolgschaft
Erschrecken vor hereinbrechendem verdiente den augenblicklichen Tod, le-
Verderben. bendig sollten sie in den Scheol fahren;
Gequält durch unkontrollierbares Zit- denn »Bosheiten sind in ihrer Woh-
tern. nung, in ihrem Innern«.
Schauder, der ihn ganz überwältigt. 55,17-22 Doch in all seinem gefühls-
55,7-9 Sein erster Impuls ist wegzu- mäßigen Aufruhr ist sich David der Er-
fliegen, weg von allem Kummer. Hätte hörung seiner Gebete sicher. Gott wird
er Flügel, dann würde er abheben zu helfen. Das Weinen und Stöhnen, das
einem ruhigen Ort in der Wüste. Er abends, morgens und mittags zu Gott
würde keine Zeit verlieren, um dem aufsteigt, wird das Ohr des Retters er-
heftigen Sturm zu entfliehen, der ihn reichen. Trotz der zahlenmäßigen Über-
umtobt. legenheit derer, die gegen ihn aufge-
55,10a Jetzt aber macht seine Furcht standen sind, wird David aus dem
einer brennenden Abscheu Platz. Er ist Kampf in Frieden hervorgehen. Ja, Gott
so aufgebracht von der Verräterei der wird erhören und sie unterdrücken;
Verschwörer, dass er den Herrn anruft, denn er sitzt für ewig auf dem Thron.
er möge verwirren – ohne genau zu sa- Das ist das Verdammungsurteil für die-
gen, ob er die Menschen oder deren jenigen, die sich nicht ändern, d.h. nicht
Pläne verwirren soll. Auch bittet er Buße tun, und die Gott nicht fürchten.
Gott, er möge die Zungen spalten, was Das ist das Verdammungsurteil für den
eine Anspielung auf Davids damaliges Verräter, den engsten Freund, der seine
Gebet sein kann, der Herr wolle den Hände ausstreckte, um seinem Freund

623
Psalm 55 und 56

zu schaden und den Bund der Freund- ihn. Sie vereinigten sich, um dadurch
schaft und der Untertanentreue zu bre- stärker zu sein, sie lauerten ihm auf, um
chen. Seine Worte scheinen glatter als über ihn herzufallen, wozu sie ihn un-
Butter zu sein, doch gleichen sie ge­ unterbrochen bespitzelten (V. 3.7). Es
zogenen Schwertern. sieht deutlich danach aus, dass er hoff-
55,23 Der goldene Gipfel des Psalms nungslos unterlegen ist.
ist Vers 23: 56,4 Aber der Glaube durchbricht das
»Wirf auf den HERRN deine Last, Dunkel mit der zuversichtlichen Erklä-
und er wird dich erhalten; rung: »Wenn mir angst ist, vertraue ich
er wird nimmermehr zulassen, auf dich!« Dieser »frohe Mut eines
dass der Gerechte wankt.« Flüchtlings«, wie Delitzsch es nennt,
Dem Psalmisten wurde klar, dass gründet sich auf das Wesen Gottes und
man in Notzeiten nicht fortlaufen soll, auf die Zuverlässigkeit seiner Verhei-
sondern dass es weit besser ist, die Last ßungen. Er ist stärker als alle unsere
auf den HERRN zu werfen. Möchten Feinde zusammen, und er hat verspro-
wir die schöne Lektion lernen, die uns chen, uns vor Schaden zu bewahren.
Bischof Horne lehrte: »Er, der einst die Nichts kann den Schutzzaun durchbre-
Last unserer Sünden und Schmerzen chen, den er um uns gebaut hat, außer,
trug, lädt uns ein, ihm nun und immer wenn er es zulässt. Darum können wir
zu erlauben, auch die Last unserer Sor- ohne Furcht auf Gott vertrauen.
gen zu tragen.« 56,5-7 Auf die tapfere Herausforde-
55,24 Männer des Mordes und des rung: »Was kann ein Mensch (wörtl.
Verrats werden gewaltsam und vorzei- Fleisch) mir antun?«, könnte die Ver-
tig umkommen. So ging es Ahitofel nunft antworten: »Sehr viel. Der Mensch
(2Sam 17,14.23) und Judas (Mt 27,5). kann dich verfolgen, beleidigen, zum
Gottes Volk aber kann sich auf den Krüppel machen, auf dich schießen
Herrn verlassen. Er wird es retten. oder dich umbringen.« Aber Tatsache
ist, dass ein Kind Gottes unsterblich ist,
Psalm 56: Gott ist für mich! bis sein Werk getan ist. Wir sollten die
56,1 Es war eine bittere Pille für David, Furchtlosigkeit Davids auch im Licht
dass er vor seinen eigenen Landsleuten der Worte unseres Erlösers verstehen:
bei den Philistern in Gat Zuflucht su- »Und fürchtet euch nicht vor denen,
chen musste (1Sam 21,10-15; 27,4; 29,2- die den Leib töten, die Seele aber nicht
11); doch die wilde Feindseligkeit des zu töten vermögen; fürchtet aber viel-
Königs Saul trieb ihn dazu – wenigs- mehr den, der sowohl Seele als Leib zu
tens meinte er das. Psalm 56 beschreibt verderben vermag in der Hölle!« (Mt
einige der sich abwechselnden Wogen 10,28).
von Furcht und Glauben, die damals 56,8 Nachdem er die wohl überlegten
über ihn hingingen. Versuche seiner Feinde, ihn auszu­
56,2-3 Er beginnt mit einem Gebet um löschen, aufgezählt hat, bittet David
Gottes gnädige Hilfe im Hinblick auf Gott, ihnen ihre Treulosigkeit zu ver-
die unablässigen Belästigungen durch gelten, indem er sie in seinem Zorn nie-
seine Verfolger. Beachten Sie die drei derstürzt.
Arten von Schrecken, die er den ganzen 56,9 Hier finden wir eine ausgezeich-
Tag durch die feindseligen Menschen nete Beschreibung der einfühlsamen,
erlebte: persönlichen Fürsorge unseres Herrn.
Sie bedrängen mich (V. 2). Er achtet auf uns in unserer Heimat­
Meine Feinde stellen mir nach (V. 3). losigkeit und auf das ruhelose Umher-
Sie verdrehen meine Worte (V. 6). wälzen in der Nacht, wenn wir uns wie
Seine Feinde griffen ihn von oben her im Fieber von einer Seite auf die andere
an und planten fortgesetzt Böses gegen drehen. Er kümmert sich so stark um

624
Psalm 56 und 57

die Gründe für unsere Kummertränen, len. Obwohl immer noch auf feind­
dass man ihn bitten kann, sie in seinem lichem Gebiet, erfreut er sich des Se-
Schlauch zu bewahren. Dies mag eine gens völliger Errettung. Sein Leben
Anspielung auf die alte Sitte sein, dass wurde gerettet, und seine Füße wurden
Trauernde ihre Tränen in einem kleinen vor dem Sturz bewahrt, sodass er jetzt
Gefäß auffingen, das sie auf das Grab weiter in der Gegenwart Gottes im
des verstorbenen Freundes stellten als Licht der Lebendigen wandeln kann.
Erinnerung an die Zuneigung der Über-
lebenden. Bei allem, was geschieht, Psalm 57: Im Schatten seiner Flügel
führt Gott bestimmt über unsere Tränen David verbarg sich vor Saul in einer
Buch, genauso wie Jesus uns später Höhle, als er diesen Psalm schrieb – ent-
lehrte, dass die Haare unseres Hauptes weder war es die Höhle Adullam oder
alle gezählt sind. die in En-Gedi. Vor ihm stehen zwei im-
56,10 Mit David können auch wir zu- mer gegenwärtige Realitäten: der gnä-
versichtlich sein, dass Gott als Gebetser- dige Gott und der furchterregende
hörung unsere Feinde von uns abwen- Feind. Der Psalm bewegt sich zwischen
den wird. Wir wissen das, weil Gott für beiden hin und her. Aber der Glaube an
uns ist. Und wenn Gott für uns ist, wer den Ersteren ist größer als die Furcht
kann dann gegen uns sein? (Röm 8,31). vor dem Letzteren, und darum gewinnt
der Glaube.
»Am Ende gibt es nur eine Frage, die im
Leben zählt, alle anderen sind zweitran- Der allgegenwärtige Gott (57,1-4)
gig dagegen: Ist Gott für uns? David war 57,1-4 Der Psalmist fordert keine Erret-
sich letztendlich seines Gottes sicher; tung, so, als hätte er ein Recht, diese zu
und der Mensch, der Gott auf seiner Seite erwarten. Er erbittet sie als eine Gnade
weiß, ist jenseits aller Furcht (V. 12)« von Gott, als einen unverdienten Segen,
(Daily Notes of the Scripture Union). der aus seiner Freundlichkeit quillt.
Ungeachtet der nasskalten, finsteren
56,11-12 Der Refrain von Vers 5 wird Umgebung der Höhle fühlt er sich be-
hier in den Versen 11 und 12 wieder- schützt im Schatten der göttlichen Flü-
holt, doch werden hier zwei verschie- gel, wie ein Küken sich unter die Flügel
dene Namen Gottes verwendet: der Glucke schmiegt. Und da will er
Auf Gott (Elohim) – sein Wort rühme bleiben, bis die Stürme des Lebens vor-
ich – über sind. Von seinem bevorzugten
Auf den HERRN (YHWH, Jahwe) – Platz der bewussten Nähe aus ruft er zu
sein Wort rühme ich – Gott, dem Höchsten, mit dem Zutrau-
Auf Gott (Elohim) vertraue ich, ich en, dass niemand und nichts ihn hin-
werde mich nicht fürchten; dern kann, seine Absichten im Leben
Was kann ein Mensch mir tun? seiner Leute zu verwirklichen. Wenn
Der Psalmist preist die Verheißung die Antwort vom Himmel kommt, wird
des Allmächtigen und des Gottes, der sie Errettung für das vertrauende Herz
den Bund hält, in größter Gewissheit, bedeuten und Schmach für alle, die ihm
dass er ihn schützt und versorgt. Dabei nachstellen. Das wird eine unvergess-
denkt er voll kühler Geringschätzung liche Demonstration der Liebe und Ver-
von den Fähigkeiten schwacher Men- lässlichkeit Gottes sein.
schen, ihm schaden zu können.
56,13-14 Durch die gegenwärtige Zu- Der allgegenwärtige Feind (57,5)
sicherung, in Zukunft befreit zu wer- 57,5 Die Feinde sind schreckene­rregend
den, fühlt sich David gedrängt, seine – wie grausame, wilde Löwen, die zer-
auf ihm liegenden Gelübde zu erfüllen reißen und verschlingen; diese Men-
und Gott seine Dankesschuld zu bezah- schen haben Zähne wie Speere und

625
Psalm 57 und 58

Pfeile, und ihre Zunge ist ein scharfes Herren der Erde werden zur Rechen-
Schwert. Doch David legt sich mitten in schaft gezogen. Haben sie gerechte Ent-
dieser Gefahr zur Ruhe nieder – eine scheidungen gefällt? Haben sie den ein-
wahrlich bemerkenswerte Glaubenstat. fachen Leuten Gerechtigkeit widerfah-
ren lassen? Offensichtlich lautet die Ant-
Der allgegenwärtige Gott (57,6) wort: »Nein!« In ihren Herzen haben sie
57,6 In einem Refrain, der in Vers 12 alle möglichen Winkelzüge ersonnen.
wiederholt wird, sehnt sich David da- Dann führten ihre Hände die im Herzen
nach, zu sehen, wie sich Gottes Herr- geplanten Gewalttaten aus. Das Land ist
lichkeit in der Zerschmetterung seiner voll von Rechtsverdrehungen.
Feinde zeigt, wenn seine Sache den Sieg 58,4 Das Thema erweitert sich von
behält. Nichts Geringeres wird dazu der Obrigkeit auf den größeren Kreis
ausreichen, als dass Gottes Herrlichkeit der Gottlosen, zu dem sie gehört. Ihre
Himmel und Erde erfüllt. Verdorbenheit entwickelte sich nicht im
Lauf ihres Lebens; sie lässt sich zurück-
Der allgegenwärtige Feind (57,7) verfolgen bis zu ihrer Geburt. Ihre Ge-
57,7 Die Widersacher machten sorgfäl- setzlosigkeit und Aufsässigkeit ist an-
tige Pläne, um den Sohn Isais zu fan- geboren. Sobald sie sprechen können,
gen. Seine Seele war tief unter Kummer lügen sie.
gebeugt. Ja, sie hatten eine Grube ge- 58,5-6 Ihre Rede ist verleumderisch
graben, um ihn zu fangen, doch fielen und bösartig wie tödliches Schlangen-
sie selbst hinein. gift. Ihre Ohren sind taub gegen Gottes
Stimme, wie die einer tauben Kobra,
Der allgegenwärtige Gott (57,8-12) die nicht auf den Beschwörer hören
57,8-12 Kein Wunder, dass das Herz des will, einerlei, wie kunstvoll er spielt.
Psalmisten fest entschlossen ist, dem 58,7-8 Auch hier greift David auf Bil-
Herrn ein Lied mit Begleitung zu sin- der aus dem Reich der Natur zurück,
gen. Kein Wunder, dass er seine Seele um ihre Gottlosigkeit zu beschreiben.
aufweckt und Harfe und Zither ab- Die Zähne dieser gefährlichen Löwen
staubt. Kein Wunder, dass er die Mor- sollen ausgebrochen und ihre grau­
genröte mit einem Loblied begrüßt. samen Gebisse zerschmettert werden.
Auch soll es kein privates, unauffäl- Mögen sie wie Wasser sein, das schnell
liges Gesangsfest werden. Er will den in den Boden sickert, oder wie Pfeile
Herrn unter den Völkern preisen und mit abgeknickten Spitzen, die weder ihr
unter den Völkerschaften ihm Psalmen Ziel treffen noch Schaden anrichten.
singen; denn Gottes Gnade ist so unend- 58,9 Jetzt betreten wir die Welt der
lich wie die Himmel und seine Wahrheit Schnecken. So wie die Schnecke auf
so grenzenlos wie die Wolken. einer Schleimspur »zerschmelzend da-
F.B. Meyer bemerkt dazu, dass, wie hingeht«, so mögen jene Verbrecher bei
David »sich über persönliches Leid er- ihrer Menschenjagd zugrunde gehen.
hob in dem Verlangen nach Gottes Ob sich Schnecken tatsächlich in
Herrlichkeit«, auch wir unsere kleinen Schleim auf­lösen, ist eine unerhebliche
Betrübnisse zurückstellen sollten in Nebensache. Niemand beanstandet es,
dem leidenschaftlichen Verlangen, ihn wenn jemand von einem brennenden
verherrlicht zu sehen. Haus sagt, es gehe »in Flammen auf«.
Warum sollte man dann wegen eines
Psalm 58: Das Gericht über die bildlichen Ausdrucks in der Bibel Wort-
Richter klauberei betreiben?
58,1-3 Der Beginn des Psalms ist ein Die nächste Verwünschung geht da-
energischer Protest gegen ungerechte hin, dass diese Übeltäter frühzeitig ster-
Richter und Regenten. Die mächtigen ben, wie eine Fehlgeburt, die nie die

626
Psalm 58 und 59

Sonne sah. »Die Augen der Gottlosen keit, weil Saul Männer gesandt hatte,
wurden niemals geöffnet«, sagt Scrog- um das Haus zu bewachen und die
gie, »und ihre Möglichkeiten entfalteten Schlinge zuzuziehen.
sich nie; der Sünder ist eine Fehlgeburt, 59,2-5 Die Worte sprudeln hervor
eine niemals erfüllte Verheißung.«41 gleich einem heißen Sturzbach. »Befreie
58,10 Schließlich bittet der Psalmist, mich … Bring mich in Sicherheit … Be-
sie möchten plötzlich fortgetrieben wer- freie mich … Rette mich!« Die Sprache
den wie brennende Dornen vom Wir- ist heftig, abgerissen, drängend. Diese
belwind, bevor der Topf über ihnen die Gottlosen dürsten nach seinem Blut.
Hitze spürt. Maclaren sagt: Unablässig warten sie auf ihre Gelegen-
heit, ihn umzubringen. Sie vereinen
Das Bild, das der Psalmist vor Augen sich zu gemeinsamer Anstrengung, um
hat, ist wohl das einer Reisegruppe, die ihn auszuschalten. Und doch geschieht
ein Lager aufgeschlagen hat und ver- das alles, ohne dass er Anlass dazu ge-
sucht, ihr Mahl zu bereiten. Man häuft geben hätte. Der Psalmist hat sich des
trockene Zweige unter dem Topf auf und Verrats und der Illoyalität, weswegen
hofft, dem Hunger abhelfen zu können. sie ihn anklagen, nicht schuldig ge-
Doch bevor der Topf richtig warm wird macht. Ihre fieberhaften Vorbereitun-
– gar nicht davon zu reden, dass das gen wurden durch keine Schuld seiner-
Wasser kocht –, kommt ein Wirbelwind, seits hervorgerufen. Wenn doch nur
der Feuer, Topf und alles hinwegfegt.42 Gott erwachen und zu Davids Rettung
erscheinen möge!
58,11 Am hebräischen Text gibt es hier 59,6 Einen Augenblick lang scheint
nichts zu deuteln. Er sagt unmissver- der Sohn Isais über seine direkten Fein-
ständlich, dass sich Gottes Volk freuen de hinweg alle Feinde Israels zu sehen,
wird, wenn die Gottlosen bestraft wer- und er ruft zu Gott, er möge sie gründ-
den, dass es im Blut der Gottlosen wa- lich heimsuchen. Hier redet er Gott an
ten wird. Wenn das unseren christlichen als HERR (Jahwe), als Gott der Heer-
Ohren rachsüchtig und lieblos erscheint, scharen und als Gott Israels. Das ist eine
können wir mit J.G. Bellett sagen, dass Wiederholung der Namen Gottes, um
wir uns in diesem Zeitalter der Gnade damit alles auszudrücken, was er sei-
nicht über Gericht freuen können, dass nem innersten Wesen nach und in sei-
die Gläubigen dies aber tun werden, ner besonderen Beziehung zu Israel ist.
wenn der Herr seine göttliche Herrlich- 59,7-8 Gleich einem Rudel wilder Stra-
keit in Vergeltung unter Beweis stellen ßenköter kehren sie um, um den Psal-
wird. Oder wir mögen an die Worte misten zu belagern. Dabei heulen sie,
Morgans denken, dass »es eine krank- während sie ihn umschleichen. Ihr unab-
hafte Sentimentalität und eine boshafte lässiges Bellen, ihr schreckliches Knur-
Schwäche ist, wenn man mehr Sympa- ren erfüllt die Luft. In ihrer Arroganz
thie für die verdorbenen Unterdrücker wähnen sie sich vor Entdeckung sicher.
hegt als für den Zorn Gottes«.43 59,9-10 Doch dem HERRN sind sie be-
58,12 Wenn das Gericht über die Gott- kannt, und er lacht über ihre unsinnige
losen ergeht, dann werden die Men- Torheit. Es ist derselbe Gott, der auf die
schen begreifen, dass die Gerechten be- stolzen Nationen in kühler Verachtung
lohnt werden und dass Gott sehr wohl herabblickt. Dieser große Gott ist Da-
die Menschen auf dieser Erde richtet. vids Stärke, er ist es, auf den David ach-
tet und der seine sichere Festung ist.
Psalm 59: Der Gott, der uns 59,11 Irgendjemand hat Vers 11 in un-
entgegenkommt vergesslicher Weise so umschrieben:
59,1 Hier bestürmt David den Thron »Mein Gott wird mir mit seiner Barm-
Gottes mit nahezu atemloser Dringlich- herzigkeit an jeder Ecke entgegenkom-

627
Psalm 59 und 60

men.« Welch ein Trost für alle sturm­ von Mesopotamien und von Zoba, als
geschüttelten Seelen zu allen Zeiten! Joab zurückkehrte, nachdem er zwölf-
Verbunden mit dieser Sicherheit ist das tausend Edomiter im Salztal erschlagen
Wissen darum, dass Gott uns den Un- hatte. Es scheint, als habe es in dem
tergang unserer Feinde sehen lassen Krieg gegen Syrien und Edom einen
wird. zeitweisen Rückschlag gegeben (2Sam
59,12-14 Das Gebet von Vers 12 ist ein- 8,3-14), der David veranlasste, mit die-
zigartig. David bittet den Herrn, den sem eindringlichen Gebet um Hilfe die
Feind nicht plötzlich zu erschlagen, da- Tore des Himmels zu bestürmen.
mit sich das Volk Israel nicht leichtferti- Der Psalm lässt sich wie folgt glie-
gen Gedanken über den Ernst der Sün- dern:
de hingibt. Geschieht die Strafe stufen- 1. Israels Niederlage kommt von dem
weise, wird die Strenge Gottes unaus- Herrn (60,3-6)
löschlicher bei ihnen eingeprägt. Aber 2. Israels Hoffnung ruht auf dem
aus dem Folgenden wird deutlich, dass Herrn (60,7)
in dem Katalog der schrecklichen Ge- 3. Der Endsieg wird von dem Herrn
richte, die der Psalmist für seine Verfol- verheißen (60,8-10)
ger aufzählt, am Ende die Vernichtung 4. Israel braucht den Herrn (60,11-13)
steht. Er betet, sie mögen durch Gottes 5. Israel vertraut auf den Herrn
Macht zerstreut und von ihm, dem (60,14)
Schild Israels, niedergestürzt werden.
Er bittet, sie möchten gefangen werden, Israels Niederlage kommt von dem Herrn
während sie noch stolz daherreden, und (60,3-6)
für ihre sündigen, gottlosen Worte Re- 60,3-5 David studiert Berichte über die
chenschaft geben müssen. Schließlich Opfer, die im Kampf gegen das edomi-
bittet er um ihren gänzlichen Untergang tisch-syrische Bündnis zu beklagen wa-
wegen ihres Fluchens uns Lügens. Dann ren, und er deutet diese Katastrophe als
endlich wird die Welt vom Osten bis Zeichen dafür, dass der Herr sein Volk
zum Westen wissen, dass Gott wirklich verlassen hat. Sie kann nur bedeuten:
auf die Nachkommen Jakobs achthat. Gott hat sein Volk verworfen. In seinem
59,15-16 In der Zwischenzeit kehren Zorn hat er die Verteidigungslinien des
die Hunde zur Stadt zurück und suchen Volkes durchbrochen und es hilflos den
den Psalmisten. Sie knurren und schlei- feindlichen Angriffen preisgegeben. Ist
chen und heulen, wollen ihn umbrin- es nun nicht an der Zeit für den Herrn,
gen und sind wütend, wenn sie ihn in Gnade umzukehren und seine ins
nicht zu fassen bekommen. Wanken geratene Streitmacht wieder-
59,17-18 Die Hunde knurren am herzustellen?
Abend; aber der Sohn Isais singt am Es ist, als sei das Land durch ein ge-
Morgen. Er erhebt die Stärke und Gnade waltiges Erdbeben in zwei Teile zerris-
des Herrn, weil er sich als Zuflucht am sen worden. Die wirtschaftlichen, poli-
Tage tiefster Not erwiesen hat. Dieser tischen und sozialen Grundlagen des
Morgen kommt für Gottes ganzes Volk, Volkes wurden erschüttert. Die Mauern
wenn seine Feinde dahin sind und wenn der Gesellschaft, durch riesige Löcher
die Macht und Liebe des Erretters das geschwächt, wanken. Wenn der Herr
Thema endloser Lobgesänge sein wird. doch nur die Breschen heilte und sein
Volk ein wenig zur Normalität zurück-
Psalm 60: Unsere Hoffnung ist in dem kehren ließe!
Herrn Die Bevölkerung ging durch eine
60,1-2 Nach der Überschrift ist der ge- Feuerprobe. Der Wein des Leidens und
schichtliche Hintergrund zu diesem der Niederlage machte sie taumeln wie
Psalm Davids Kampf gegen die Syrer einen Betrunkenen.

628
Psalm 60

60,6 Die Bedeutung dieses Verses ist ist das Zepter; gemäß der Weissagung
ein wenig unklar. Manche Übersetzun- des sterbenden Jakob (1. Mose 49,10)
gen haben: »Denen, die dich fürchten, wird es den Regierungssitz stellen.
hast du ein Panier gegeben, dass es sich 60,10 Dann wendet sich der Herr drei
erhebe um der Wahrheit willen« (un­ der umgebenden Nationen zu und be-
revidierte Elberfelder, Schlachter 2000, stätigt seine Herrschaft über sie. Moab,
KJV). In der revidierten Elberfelder fin- am Südostufer des Toten Meeres, wird
det sich ein ganz anderer Sinn: sein Waschbecken sein. Er wird seine
»Denen, die dich fürchten, hast du Sandale auf Edom werfen, ein Bild für
ein Signal gegeben, dass sie fliehen kön- gewaltsame Einnahme und Knecht-
nen vor dem Bogen.« schaft und vielleicht auch für Verach-
Danach würde David mit unverhoh- tung. Philistäa soll jauchzen wegen der
lenem Sarkasmus beklagen, dass das Gerichte Gottes.
von Gott für Israel aufgerichtete Banner
nicht ein Banner des Sieges, sondern Israel braucht den Herrn (60,11-13)
der Niederlage ist, eine Fahne, die den 60,11 Es scheint deutlich zu sein, dass
Rückzug vor den feindlichen Heeren an dieser Stelle der Sprecher wechselt.44
signalisiert. Auch dürfte es wohl kaum die Stimme
des Herrn sein; denn er hätte es nicht
Israels Hoffnung ruht auf dem Herrn (60,7) nötig, dass irgendjemand ihn in eine
60,7 Dieses Gebet ist aus der Asche de- feste Stadt führen müsste. So fassen wir
mütigender Niederlage geboren. Der dies als Worte Davids auf, der sich nach
Psalmist nennt sowohl sich als auch das dem Tag sehnt, an dem die Hauptstadt
Volk »deine Geliebten« und fleht den Edoms (abwechselnd Bozra, Sela oder
Herrn um Befreiung, um Sieg und um Petra genannt) in die Hände der Israe­
die Erneuerung der Gemeinschaft an. liten fällt. Natürlich steht die Stadt hier
»O komm und befreie deine Freunde, für das ganze Land Edom. David
hilf mit deiner Rechten und antworte!« wünscht sich, das Werkzeug zur Er­
(Gelineau). füllung der göttlichen Absicht zu sein,
seine Sandale auf Edom zu werfen.
Der Endsieg wird von dem Herrn 60,12 Aber im Augenblick ist es eine
verheißen (60,8-10) leere Hoffnung, weil Gott sein Angesicht
60,8-9 Die Verse 8 und 9 bilden einen vor dem Volk verborgen hält. Er hat es
göttlichen Ausspruch, in dem die Stim- verworfen. Er begleitet Israels Heere
me Gottes, im Heiligtum vernommen, nicht mehr als Garant ihres Sieges.
seinen Entschluss ausdrückt, alles Land 60,13 So fleht David Gott an, wieder
Israels zurückzuerobern und das seiner für sein bedrängtes Volk zu kämpfen.
heidnischen Feinde einzunehmen. Göttliche Hilfe ist unverzichtbar, und
Sichem, Sukkot, Gilead, Manasse, menschliche Hilfe ist wertlos.
Ephraim und Juda gehören alle zum jü-
dischen Territorium. Gott erklärt sie zu Israel vertraut auf den Herrn (60,14)
seinem Eigentum. Er wird Sichem west- 60,14 Der Psalm endet mit einem Aus-
lich des Jordans und das Tal Sukkot öst- druck des Vertrauens. Wenn Gott hilft,
lich des Jordans verteilen. Er wird das wird Israels Heer wunderbare Dinge
transjordanische Gilead besitzen und berichten können. Seine Feinde werden
die beiden Gebiete Manasses, diesseits unter seinen Füßen zertreten werden.
und jenseits des Jordans.
Ephraim, mitten in Israel, ist seine Anwendung
Bergfeste (oder der Helm), der Stamm, Die Feinde des Gläubigen sind die Welt,
der die Führung bei der nationalen Ver- das Fleisch und der Teufel. Aus sich
teidigung übernehmen wird. Und Juda selbst heraus ist er nicht in der Lage, sie

629
Psalm 60 und 61

zu besiegen. Und die Hilfe durch ande- Gottes Herz freut sich darüber. Der
re Menschen ist unzureichend, einerlei, kind­liche Glaube seines Knechtes
wie gut gemeint sie ist. Aber es gibt Sieg sichert ihm eine augenblickliche Au­
durch den Herrn Jesus Christus. Wer dienz bei dem Allerhöchsten.
auf seine Errettung vertraut, wird nicht 61,3 »Vom Ende der Erde rufe ich zu
enttäuscht werden. dir, weil mein Herz verzagt.« Der Psal-
Psalm 60 wird eine abschließende Er- mist befindet sich nicht buchstäblich
füllung in den letzten Tagen finden, am Ende der Erde, aber er ist buchstäb-
wenn der jüdische Überrest gequält lich in einer äußerst prekären Situation,
und entmutigt zu dem Messias um Ret- in der es keine Sicherheit und keine
tung und Sieg aufblicken wird. Dann Rettung zu geben scheint, wo das Le-
wird das Land Israel unter den Stäm- ben endet und der Tod beginnt. Phy-
men aufgeteilt, und die Feinde des Vol- sisch und seelisch ist er am Ende; doch
kes werden besiegt sein. weiß er den Thron der Gnade nur einen
Atemzug weit entfernt von ihm, so eilt
Psalm 61: Der Felsen, der größer ist er hinzu, »um Barmherzigkeit zu emp-
als ich fangen und Gnade zu finden zur recht-
David stand in einer wunderbaren Be- zeitigen Hilfe« (Hebr 4,16). »Entfernun-
ziehung zu dem Herrn. Für ihn war gen«, hat jemand gesagt, »sind bedeu-
Gott eine lebendige, großartige Wirk- tungslos für das Gebet, und die schreck-
lichkeit: lichsten Lebensumstände können es
nicht verhindern.«
Bewusster und näher dem gläubigen »Du wollest mich auf den Felsen lei-
Herzen ten, der mir zu hoch ist.«
Als irdische Freuden, irdische Schmer­ Ein richtiger geistlicher Instinkt lehrt
zen, David, dass er einen Felsen zum Schutz
Viel teurer und geistlich viel näher braucht und dass dieser Felsen größer
verwandt als er selbst sein muss, sodass er gött­
Als selbst durch das innigste irdische liche Hilfe braucht, um ihn zu ersteigen.
Band. Der Herr ist natürlich dieser Felsen
Verfasser unbekannt (2Sam 22,32); diese Metapher wird in
der ganzen Bibel niemals für einen blo-
Besonders in Zeiten der Gefahr, wenn ßen Menschen gebraucht.45 Der Fels
die Lage fast aussichtslos erscheint, hat muss jemand sein, der größer als ein
er gelernt, seine Last auf den Herrn zu Mensch ist, sonst könnten Menschen
werfen und bei ihm zu lassen. niemals Schutz in ihm finden. Dies weist
Hier ist wieder eine solche Situation, auf die Göttlichkeit Christi hin. (Neben-
die auf Messers Schneide steht. Der bei: Ein Felsen muss gespalten sein, um
Druck der Umstände presst seinem ein Bergungsort für den Feind zu sein.)
Herzen ein Gebet ab, das allein wegen Doch erkennt David schließlich an, dass
seiner Dringlichkeit und Ausdrucks- er nicht die Weisheit und Kraft besitzt,
stärke nur selten übertroffen wurde. Es seine Schritte dorthin zu lenken, und er
wurde das zeitlose Gebet Tausender in bittet den Herrn, ihn zu sich zu bringen
Gottes Volk, wenn sie durch Verfolgung, – zu dem »Fels der Ewigkeiten«.
Kummer und Leiden gingen, weil es 61,4 »Denn du bist meine Zuflucht
ausdrückt, was sie empfinden, aber geworden, ein starker Turm vor dem
nicht so gut in Worte kleiden können. Feind.«
61,1-2 »Höre, Gott, mein Schreien; Diese Worte bestätigen, dass Gott der
horche auf mein Gebet!« Felsen ist. David hat ihn als vertrauens-
Die vertraute Stimme Davids dringt würdige Zuflucht und als einen starken
in den Thronsaal des Universums. Turm erfahren, in den der Gerechte flie-

630
Psalm 61

hen kann, um sicher zu sein (Spr 18,10). haftigkeit seines Königtums auffassen.
Was er war, wird er auch weiterhin sein. Doch auf den Herrn Jesus angewandt,
61,5 »Ich möchte weilen in deinem haben sie sich buchstäblich erfüllt:
Zelt in Ewigkeit, mich bergen im Schutz Sein Leben ist trotz Verfolgung end-
deiner Flügel. Sela.« los verlängert (Hebr 7,16).
Gebete wie diese können nicht den Seine Jahre währen durch alle Gene-
Thron Gottes verfehlen! Solche herz­ rationen (Hebr 1,12).
liche Zuneigung, solch schlichtes Ver- Er wird für ewig auf dem Thron vor
trauen kann nicht abgewiesen werden. Gott sitzen (Hebr 1,8).
Da ist es kein Wunder, wenn Gott Da- Unerschütterliche Liebe und Treue
vid »einen Mann nach meinem Herzen« werden wie Leibwächter über ihm wa-
genannt hat (1Sam 13,14). Der Aus- chen (Ps 91,1-16).
druck »der Schutz deiner Flügel« mag Selbst der alte jüdische Kommentar
auf die Flügel der Cherubim hinweisen, im Targum sagt, dass hier von dem
die den blutbesprengten Gnadenthron Messias-König die Rede ist.
überschatteten. 61,9 »So werde ich deinen Namen be-
61,6 »Denn du, Gott, hast meine Ge- singen immerdar; um damit meine Ge-
lübde gehört, hast mir gegeben das Erb- lübde zu erfüllen Tag für Tag.«
teil derer, die deinen Namen fürchten.« Und so schließt der Psalm, der mit
Das Wort »Erbteil« wird im Alten Te- äußerster Not begann, mit tiefem Frie-
stament auf das Land Kanaan (2. Mose den. David hatte den Felsen, der ihm
6.8), auf das Volk Israel (Ps 94,5), auf von sich aus zu hoch erschien, erreicht,
das Wort Gottes (Ps 119,111), auf die und so beschließt er dankbar, beständig
Kinder in der Familie (Ps 127,3), auf die Loblieder auf den Herrn zu singen und
Immunität vor Schaden (Jes 54,17) und so seine Gelübde der Anbetung, der
schließlich auf das Allerheiligste oder Liebe und des Dienstes zu erfüllen. Er
den Tempel (Jer 12,7) bezogen. Das will nicht denen gleichen, die in schwie-
Letztgenannte ist wahrscheinlich die rigen Situationen großartige Verspre-
Hauptbedeutung hier, weil der vorher- chungen machen und diese gleich wie-
gehende Vers das Zelt Gottes erwähnte der vergessen, wenn die Notlage vor­
und auf die Cherubim anspielte. Heute über ist, die »beim Beten springen und
würden wir bei dem Erbe derer, die beim Loben humpeln«.
Gottes Namen fürchten, an das ewige Psalm 61 hat zu dem wunderschönen
Leben denken (Kol 1,12). Lied inspiriert:
61,7-8 »Du wirst Tage zu den Tagen
des Königs hinzufügen; seine Jahre mö- Oh, manchmal wird’s Nacht um mich her,
gen sein wie Geschlecht auf Ge- Durch Dornen mein Pfad mich oft führt.
schlecht. Wie Stürme das tobende Meer,
Er möge ewig thronen vor dem An­ Der Kummer mein Herze aufrührt.
gesicht Gottes. Bestelle Gnade und Refrain:
Treue, dass sie ihn behüten.« Oh, dann in den Felsen berg ich mich,
Interessant ist, dass David in diesen In den Felsen, der größer als ich.
beiden Versen von der ersten in die drit- Oh, manchmal vergeht kaum die Zeit,
te Person wechselt. Interessant, weil er Und manchmal entfällt mir der Mut.
zweifellos immer noch von sich selbst Doch fühl ich auch mitten im Streit:
und von dem Bund spricht, den Gott mit Der Schatten des Felsens ist gut.
ihm gemacht hat (2Sam 7). Trotzdem Drum bleibe ich in seiner Näh’,
passen seine Worte besser für einen an- Bei Freuden und auch in der Qual,
deren König. Wenden wir diese Worte Sei’s oben auf steiniger Höh’.
auf David an, so können wir sie nur als Sei’s unten im finsteren Tal.
eine Bitte um langes Leben und Dauer- nach Erastus Johnson

631
Psalm 62 und 63

Psalm 62: Gott allein! sollte niemals den Platz Gottes einneh-
men in unserer Wertschätzung und in
Die Botschaft von Psalm 62 ist diese: unserem Eifer. F.B. Meyer schreibt:
Gott ist die einzig wahre Zuflucht. Die »Wie oft haben wir umsonst bei Men-
Wiederholung des Wortes »nur« betont schen und Geld nach Hilfe ausgeschaut
sein ausschließliches Recht auf unser – aber Gott hat uns nie enttäuscht.«
volles und ungeteiltes Vertrauen. Möglicherweise war Absaloms Auf-
Unter den vielen wunderbaren Aus- stand der Anlass zu diesem Psalm. Die
drücken, mit denen er beschrieben Rebellen waren darauf aus, David zu
wird, finden wir: zerschmettern, als sei er eine überhän-
die Quelle unserer Rettung (Hilfe) gende Wand, eine eingestoßene Mauer.
(V. 2b.3a.7a.8a) Ihr Ziel war, ihn aus seiner hohen Stel-
unser Fels (V. 3a.7a.8b) lung zu stoßen, d.h. von seinem Thron.
unsere Festung (sichere Burg) (V. 3c.7c) Während sie Loyalität vorgaben, plan-
die Grundlage unserer Hoffnung (V. 6b) ten sie Verrat. Der flüchtige König
unsere Ehre (V. 8a) drängt seine ihm ergebenen Unter­
unsere Zuflucht (V. 8b.9b) tanen, unverwandt ihr Vertrauen auf
die Quelle der Macht (V. 12b) den Herrn zu setzen. Seine Feinde ver-
die Quelle der Gnade (V. 13a). trauten auf Menschen und auf Geld;
Wer Gott zur Grundlage seines Ver- aber in beidem war kein Heil. Sein eige-
trauens und seiner Stärke macht, hat nes Vertrauen galt dem Herrn. Wieder-
folgende Zusicherungen: holt hatte der Herr ihm versichert, dass
Er wird nicht allzu sehr wanken (V. 3b). er die Quelle aller Macht und Liebe ist
Er hat den Mut, seine Feinde zurecht- und dass er seine Macht und Liebe zur
zuweisen (V. 4). Rettung der Gläubigen und zur Bestra-
Er kann ihre Pläne und Strategien fung der Feinde einsetzt; dass er seine
durchschauen (V. 5). Liebe benutzt, um sein Volk zu trösten
Er wird nicht wanken (V. 7b). und zu segnen. Er wird erleben, dass
Er möchte, dass andere die Freude allen, die Gottes Gnade verschmähen,
des Gottvertrauens kennen (V. 9). Gericht zuteil wird.
Da werden noch fünf andere Gegen- John Donnes Kommentar über diesen
stände genannt, auf die die Menschen Psalm ist es wert, auswendig gelernt zu
vertrauen; aber solch Vertrauen wird werden:
sicher enttäuscht werden. 1. Menschen
von einfacher Abstammung sind so we- Er ist mein Fels und mein Heil und mei-
nig fest und so vergänglich wie ein ne Festung und meine Zuflucht und mei-
Hauch. 2. Menschen von Rang, seien es ne Ehre.
Herrscher oder reiche Leute ‒ man Wenn er meine Zuflucht ist, welcher
täuscht sich in ihnen, wenn man Hilfe Feind kann mich verfolgen?
und Sicherheit bei ihnen sucht; denn Wenn er meine Festung ist, welche Ver-
man kann sich nicht auf sie verlassen. suchung könnte mich verwunden?
Legen Sie den Pöbel oder die Elite auf Wenn er mein Fels ist, welcher Sturm
die Waage, und beide wiegen nichts, könnte mich wanken lassen?
was Vertrauenswürdigkeit angeht. 3. Es Wenn er mein Heil ist, welche Traurig-
ist töricht, auf Erpressung zu vertrauen; keit könnte mich niederdrücken?
»sie riecht nach Gottes Fluch.« 4. Raub Wenn er meine Ehre ist, welcher Ver-
mag als schneller Weg zu Macht und leumder könnte mich schmähen?
Reichtum erscheinen; aber unrechtmä-
ßig erworbener Gewinn ist dem Gericht Psalm 63: Besser als Leben
Gottes verfallen. 5. Selbst Reichtum, der 63,1 Für eine Zeit vom Thron vertrie-
durch ehrliche Arbeit erworben wurde, ben, zieht David durch die Wüste Juda

632
Psalm 63

in sein erzwungenes Exil jenseits des Du bist mein Höchstes, Tag und Nacht,
Jordans (2Sam 15,23-28; 16,2; 17,16). Ist Dein Nahesein mich selig macht.
auch das politische Geschick des Kö- nach einem irischen Hymnus
nigs an einem Tiefpunkt angekommen, aus dem 8. Jh.
so ist doch seine geistliche Lebendig-
keit auf dem Höhepunkt. 63,4-5 Dann steigt aus der dafür so un-
63,2 Es ist großartig, dass er Gott als passenden Wüste Juda eines der großen
seinen Gott ansieht: »Gott, mein Gott Anbetungslieder:
bist du!« Die Worte an sich sind schlicht »Denn deine Gnade ist besser als Le-
und kindlich; doch enthalten sie eine ben;
Welt voller Bedeutung. Mein Gott – eine Meine Lippen werden dich rühmen.
innige, persönliche Beziehung. Mein So werde ich dich preisen während
Gott – ein bleibender Schatz, wenn alles meines Lebens,
andere vergangen ist. Mein Gott – ein Meine Hände in deinem Namen auf-
Rückhalt, der für jede Krise genügt. heben.«
Und es demütigt uns, wenn wir die Die Gnade des Herrn ist besser als
Leidenschaft des Psalmisten für Gott alles, was das Leben bieten kann. Die
wahrnehmen, angesichts dessen, wie Lippen der Menschen sind am besten
kalt und gehemmt wir oft sind. Er such- beschäftigt, wenn sie ihn preisen. Unser
te den Herrn früh – früh in seinem Le- ganzes Leben ist nicht zu lang, um es
ben und früh an jedem Tag. Und er mit Lobliedern zu verbringen. Unsere
suchte ihn mit einer Inbrunst, die nicht Hände tun das Beste, was sie können,
zurückgewiesen werden würde. Seine wenn sie in Preis und Bitte zu ihm er­
Seele dürstete nach Gott, sein Fleisch hoben sind.
schmachtete nach Gott – was heißen 63,6-9 Kein Festessen gleicht dieser
soll, dass sein ganzes Sein nach Ge- heiligen Gemeinschaft. Unsere Seele
meinschaft mit dem Ewigen schrie. Sei- wird mit den erlesensten Genüssen ge-
ne Sehnsucht war so stark wie der Durst speist, und jubelnde Lippen fließen
eines Reisenden in einem dürren, was- über von Dank, wenn wir schlaflose
serlosen Land. Das, nebenbei, ist keine Nachtstunden dazu nutzen, dass wir
schlechte Beschreibung für die Welt – über unseren wunderbaren Herrn nach-
eine öde Wüste. denken. Welch eine Hilfe war er uns –
63,3 Seine Erinnerung bringt ihn zu- wer kann je ermessen, was er für uns
rück in die Zeit, als er Gott im Heiligtum getan hat? Unter dem Schatten seiner
in Jerusalem anbetete. Er denkt an jene Flügel erhebt sich unser jubelnder Ge-
unbeschreiblichen Augenblicke, als er sang. Und wenn wir in liebender Ab-
von heiliger Entzückung ergriffen Gott hängigkeit an ihm hängen, indem wir
in all seiner Macht und Herrlichkeit wissen, wie nötig das ist, bewahrt er
schaute. Jetzt kann seine Seele mit nichts uns vor erkannten und unerkannten
Geringerem befriedigt werden als durch Gefahren und gibt uns Kraft, vorwärts
eine neue Enthüllung des Herrn in herr- zu stürmen, um den Siegespreis zu er-
licher Macht. Manche nennen dies eine ringen.
beseligende Gottesschau – dieses An- 63,10-11 »Feinde?«, sagen Sie. »O ja,
schauen Gottes in seiner göttlichen Herr- ich habe allerdings Feinde, Menschen,
lichkeit. Wie man sie auch nennt: Sie die mich vertilgen wollen. Aber sie sind
lässt alle andere Herrlichkeit fade und fürs Verderben bestimmt. Sie werden
langweilig erscheinen. einen gewaltsamen Tod und die Schan-
de erleiden, nicht in ein ehrenhaftes
Lass mich dich schauen, mein Gott und Grab zu kommen.«
Herr, 63,12 »Aber ich werde fortfahren,
Nichts außer dir sei wichtig mir. mich an Gott zu erfreuen. Wahrhaftig,

633
Psalm 63 bis 65

wer ihm Untertanentreue schwört, wird verwundet zu Boden. Gott bewirkt,


an dem großen Jubel teilhaben, wäh- dass ihre bösen Worte auf sie zurück­
rend alle, die die Lüge lieben, zum fallen, und alle die es sehen, schütteln
Schweigen gebracht werden.« sich vor Entsetzen.
64,10-11 Als Ergebnis kommt großes
Psalm 64: Bogen und Pfeile Erschrecken über alle Menschen. Die
Zwei Kämpfe mit Pfeil und Bogen tau- Kunde verbreitet sich schnell, und die
chen in Psalm 64 auf. Der erste ereignet Menschen begreifen, dass die Gerech-
sich zwischen dem Gottlosen und dem tigkeit triumphiert. Natürlich macht
Gerechten (V. 2-7). Der Hauptkampf dies die Gerechten froh, und sie ver-
findet zwischen Gott und dem Gott­ trauen auf den HERRN. Und alle, die
losen statt (V. 8-11). das Recht lieben, werden feiern.
64,1-7 Der erste Kampf scheint völlig
einseitig zu sein. Dem Gerechten, Da- Psalm 65: Erntelied im
vid, steht eine Menge Angreifer gegen- Tausendjährigen Reich
über. Er hat keinen Pfeil, ihre Köcher Während Psalm 65 gewöhnlich als der
sind gut gefüllt. Aber er hat die Ge- klassische Erntedank-Psalm angesehen
heimwaffe des Gebets, und er benutzt wird, besteht kaum ein Zweifel daran,
sie, um die Hilfe seines unsichtbaren dass seine eigentliche Auslegung mit
Bündnispartners aufzubieten. Zuerst den Bedingungen beim Zweiten Kom-
erhebt er seine Stimme zu Gott um Be- men des Herrn zu tun hat.
wahrung vor Furcht und um Schutz vor 65,1-2 Während der langen Jahrhun-
der Verschwörung der Übeltäter. Dann derte der Entfremdung Israels von Gott
erstattet er Gott einen Erkundungs­ war Zion eine Wüste, was das Lob Got-
bericht über die Feinde. Ihre Zungen tes angeht. Doch wenn Gottes altes Volk
sind scharf geschliffen wie Schwerter. wieder auf ihn ausgerichtet ist, wird
Sie spannen ihre Bögen und schießen ihn dort Lob erwarten in ehrfürchtigem
ihre Pfeile der Anklage – bittere Worte und ehrerbietigem Schweigen. Dann
des Vorwurfs. Ihre Angriffe kommen endlich werden die Gelübde ihm ge-
unerwartet aus ihren Verstecken ‒ ohne genüber erfüllt. Das kann sich auch auf
Furcht, selbst angegriffen zu werden. das Gelübde Gottes beziehen, dass sich
Sie hängen unveränderlich an dem Ent- ihm alle Knie beugen sollen (Jes 45,23).
schluss, den Unschuldigen zu vernich- Es kann auch das Gelübde des Messias
ten. Wenn sie beraten, den Psalmisten in Psalm 22,23 gemeint sein: »Verkün-
heimlich in einer Falle zu fangen, bil- digen will ich deinen Namen meinen
den sie sich ein, vor einer Enttarnung Brüdern, inmitten der Versammlung
sicher zu sein. »Sie haben ihre Pläne gut will ich dich loben.« Hier sind aber
ausgedacht, jeder mit einem listigen wohl vor allem die Gelübde der Liebe,
Herzen, jeder mit abgründiger Ver- der Anbetung und des Dienstes ge-
schlagenheit« (V. 7 nach Moffatt). meint, die der verfolgte Überrest wäh-
64,8 Alles scheint bis jetzt für die An- rend der schrecklichen Leiden der
greifer zu sprechen. Aber der Gerechte Drangsalszeit machen wird.
hält sich an die Verheißung: »Der HERR 65,3 Während in Vers 2 vor allem Is­
wird für euch kämpfen; ihr aber werdet rael gemeint war, weitet sich hier die
stille sein« (2. Mose 14,14), und: »Der Sicht und schließt die ganze Mensch-
Kampf ist nicht eure Sache, sondern heit ein. Gott ist unter dem großartigen
Gottes« (2Chr 20,15). und erhabenen Namen »Hörer des Ge-
64,9 So sehen wir bei der zweiten bets« bekannt. Die bekehrten Völker
Konfrontation, wie Gott seinen Pfeil halten sich in gläubigem Gebet an ihn.
(nur einen einzigen!) auf sie schießt. 65,4 Hier ist es wichtig, den Sprecher-
Und das ist ein Volltreffer. Sie fallen wechsel wahrzunehmen. Im ersten Satz-

634
Psalm 65 und 66

teil erinnert der Messias an sein stellver- genauso wie die Wut heidnischer Völ-
tretendes Werk von Golgatha, als er un- ker zu besänftigen.
ter der schrecklichen Sündenlast sterben 65,9 Da ist es kein Wunder, wenn sich
musste. Doch erkennt der jüdische Über- die Ungläubigen in den fernsten Län-
rest eilig an, dass es nicht seine Sünden, dern vor solchen Zeichen und Wundern
sondern »unsere Übertretungen« waren. Gottes fürchten, mit denen er sie heim-
Sie sagen: »Er wurde durchbohrt um un- sucht. Die Gläubigen aber jauchzen
serer Vergehen willen, zerschlagen um darüber in den Ländern, wo die Sonne
unserer Sünden willen« (Jes 53,5). Und aufgeht und wo sie untergeht.
sobald Israel dieses Schuldbekenntnis 65,10 Während die Verse 10 bis 14 das
ablegt, wird es die volle Zusicherung Erntejahr von der Aussaat bis zur Ernte
der Vergebung all seiner Übertretungen beschreiben, stimmen sie doch beson-
haben. ders mit den Bedingungen des Tau-
65,5 Wieder sehen wir, dass der erste sendjährigen Reiches überein, wenn
Teil von dem Messias Jesus spricht, der Fluch weggenommen ist und Re-
während der zweite die Sprache des er- kordernten die Regel sind.
lösten Israels ist. Gottes gepriesener Der Frühling ist wie ein Besuch Gottes.
Sohn ist der von Gott Erwählte, wie wir Er sendet Regengüsse aus seinen »obe-
in Jesaja 42,1 lesen: »Siehe, mein Knecht, ren Quellen« – den Wolken, die über den
den ich halte, mein Auserwählter, an Himmel ziehen. Dann bereitet er das Ge-
dem meine Seele Wohlgefallen hat.« Er treide für den so vorbereiteten Boden.
ist es auch, den Gott auffordert, ihm zu 65,11 Während der Wachstumsperio-
nahen – ein Priester in Ewigkeit nach de werden die gepflügten Furchen be-
der Ordnung Melchisedeks. Er wird in wässert; der Regen feuchtet die Schol-
den Vorhöfen des Herrn wohnen, in der len an und hält den Boden weich. Schon
besonderen Nähe zu ihm. bald sprießen die Saaten im Übermaß.
Dann drückt der Überrest seine völli- 65,12-14 Gott krönt den Kreislauf des
ge Zufriedenheit mit dem Gut des Hau- Jahres mit Güte. Wohin immer er den
ses Gottes, d.h. seines heiligen Tempels, Fuß setzte, ergießt sich Fülle wie ein
aus. Die Erwähnung des Tempels ver- Strom (Knox). Die Weiden bieten reich-
anlasst einige, bei diesem Psalm die lich Futter, und die Hügel sind mit
Verfasserschaft Davids anzuzweifeln, üppigem Pflanzenwuchs bedeckt, als
weil der Tempel erst nach Davids Tod jubelten sie vor Freude. Die Weiden
errichtet wurde. Doch verschwindet sind mit Schaffell bekleidet, so zahl-
diese Schwierigkeit, wenn wir erken- reich sind die Herden. In den Tälern
nen, dass das Wort Tempel manchmal wogt reifes Korn in rhythmischen
benutzt wurde, um das Heiligtum zu Schwingungen durch die Felder. Es ist,
benennen, bevor Salomos Tempel ge- als feiere die gesamte Natur den Beginn
baut war (1Sam 1,9; 3,3; 2Sam 22,7). des messianischen Zeitalters.
65,6-8 Noch immer spricht der Über-
rest. Als Erhörung seiner Gebete straft Psalm 66: Seht und hört!
der Herr seine Feinde zu Recht mit 66,1-4 In den ersten vier Versen ruft der
furchtbaren Gerichten. So offenbart er Psalmist die ganze Welt auf, in das Lob
sich selbst als der Gott seines Heils, als Gottes einzustimmen. Es sollte ein freu-
Zuversicht der Menschen auf der gan- diger Gesang sein, einer, der die Vor-
zen Erde und an den fernsten Meeren. trefflichkeiten seines Namens feiert. Das
Welch ein großer Gott ist er! Mit All- Lob sollte herrlich sein; denn der Ge-
macht umgürtet, festigt er die Berge genstand des Lobs ist herrlich. Uns wer-
durch einen Akt übergroßer Kraft. Ihm den die Worte dieses Liedes der welt-
ist es eine Kleinigkeit, das Brausen des weiten Anbetung direkt vorgesprochen,
Meeres (z.B. auf dem See Genezareth) und wir könnten sie so umschreiben:

635
Psalm 66

Herr, deine Meisterwerke sind furcht­ brachte er sie in reichen Überfluss hin-
erregend. Deine Macht ist so urgewaltig, ein – eine Anspielung auf Israels über-
dass deine Feinde sich vor dir ducken. fließenden Wohlstand im Tausendjähri-
Am Ende wird sich die ganze Erde vor gen Reich. Williams sagt das so:
dir niederbeugen und dich anbeten, und
alle Völker werden deinem Namen lob- Trotz der unaufhörlichen Anstrengun-
singen. gen Satans und der Menschen, Israel
gänzlich zu vernichten, werden dessen
Dieses Lied wird sicher sehr beliebt zwölf Stämme am Morgen des Tausend-
sein, wenn das Tausendjährige Reich jährigen Reiches auf dem Berg Zion er-
gekommen ist. scheinen und so die Wahrheit des neun-
66,5-7 Das wiederholte unser und uns ten Verses beweisen. Sie werden zeigen,
in den Versen 5 bis 12 lässt uns anneh- dass die ihnen zu Recht auferlegten
men, dass diese die evangelistischen Züchtigungen (V. 10-12) von Liebe ge-
Empfindungen des jüdischen Überrests kennzeichnet waren und mit Weisheit
ausdrücken, wenn es in den letzten Ta- ausgeführt wurden.46
gen die Völker einlädt, über die erstaun-
lichen Dinge nachzudenken, die Gott 66,13-15 In den Versen 13 bis 20 zeigen
für Israel getan hat. Zwei großartige Of- das ich und das mein an, dass aus dem
fenbarungen seiner Macht kommen Chor ein Solo geworden ist. Mehrere
den Erretteten in den Sinn. Er bahnte nüchterne Kommentatoren meinen, der
durch das Rote Meer einen trockenen Sprecher sei der Herr Jesus selbst, Is­
Weg. Und als die Israeliten vierzig Jah- raels großer König und großer Hoher-
re später an den Jordan kamen, konnten priester. Er kommt zu Gott mit den
sie trockenen Fußes durch ihn hin- Brandopfern eines Lebens, das völlig
durchgehen. Welch ein Jubel brach da- Gott, seinem Vater, geweiht ist. Er er-
mals in Israel aus! Das Volk rühmte sich füllt die Gelübde des Lobs, die er ver-
seines Gottes, dessen mächtige Herr- sprochen hatte, als er in Trübsal war.
schaft niemals endet und dessen Augen Dies mag sich auf seine eigenen Leiden
die Völker beobachten. Es ist Torheit, am Kreuz beziehen ‒ oder auf die Lei-
sich gegen einen solchen Gott aufzuleh- den, die er wegen der Leiden seines
nen. Volkes empfand; denn »bei all ihrer Be-
66,8-12 Auch die Heiden sollten Gott drängnis war er auch bedrängt« (Jes
preisen für die wunderbare Weise, in 63,9).
der er das Volk Israel bewahrt hat. In Wenn wir hier von Brandopfern lesen
einem raschen Wechsel der Bilder wird ‒ oder von Opfern von Widdern, Rin-
Israel dargestellt: dern und Böcken ‒, brauchen wir das
als Silber, das geläutert wird, indem nicht buchstäblich zu verstehen, außer
der Schmelzer es starker Hitze aussetzt wenn der Psalmist über seine eigenen
(V. 10), Erfahrungen spricht. In Verbindung mit
als ein im Netz gefangenes Tier seinem Volk gebraucht der Messias die-
(V. 11a), se als Bilder für die geistliche An­betung,
als Sklave, der zu harter Arbeit ge- die er und der Überrest darbringen.
zwungen wird (V. 11b), Allerdings ist damit nicht gesagt, dass
als von bösen Menschen zertreten es in seinem Reich kein modifiziertes
(V. 12a), Opfersystem geben wird.
als schrecklichen Gefahren ausge- 66,16-19 In Vers 5 hatten wir die Ein­
setzt, indem es durch Feuer und Wasser ladung: »Kommt und seht!« Hier, in
gehen musste (V. 12b). Vers 16 heißt es: »Kommt, hört zu!« Die
Doch hat Gott nie erlaubt, dass die Is- Werke Gottes in der Geschichte können
raeliten völlig umkamen. Vielmehr gesehen werden; doch sein Handeln an

636
Psalm 66 bis 68

der Seele ist nur zu hören. Der Messias Drangsalszeit wird ein Überrest gläubi-
lädt alle Gottesfürchtigen ein, sein Zeug- ger Juden das Evangelium vom Reich
nis über erhörte Gebete zu vernehmen. in die ganze Welt tragen (Mt 24,14).
Er rief zu Gott mit Bitten und Lobprei- Und in dem darauffolgenden Reich
sungen. Das bezieht sich auf die »Tage wird Israel ein Kanal des Segens für die
seines Fleisches«, als er »sowohl Bitten Völker werden (Jes 61,6; Sach 8,23).
als auch Flehen mit starkem Geschrei 67,1-3 Dieser Psalm blickt voraus auf
und Tränen dem darbrachte, der ihn aus diese Zeit. Wir hören darin die gläubi-
dem Tod erretten kann« (Hebr 5,7). Hät- gen Juden bitten, Gott möge sie segnen,
te Gott Ungerechtigkeit in seinem Her- sodass sie das Mittel sein können, die
zen erblickt, hätte er ihn nicht erhört. Heiden zu evangelisieren. Wenn wir die
Aber er war ohne Sünde; und darum Worte lesen: »dass man auf der ganzen
hat er ihn erhört »um seiner Gottes- Erde erkenne deinen Weg«, sollten wir
furcht willen« (Hebr 5,7). daran denken, dass Christus dieser Weg
66,20 Und dies inspiriert zu dem ab- ist (Joh 14,6). Nur durch ihn kann Gottes
schließenden Ausbruch von Lob und Rettermacht von den Völkern und auch
Preis: von den Einzelnen erfahren werden.
Gepriesen sei Gott, 67,4-5 In einem außerordentlichen
der nicht verworfen hat mein Gebet, Ausbruch missionarischen Eifers bittet
noch seine Gnade von mir zurückzieht! Israel, es möchten riesige Wellen des
Lobs von den Heiden zu Gott empor-
Psalm 67: Israels Missionsauftrag steigen, damit die Nationen wunder­
Als Gott das Volk Israel berief, sollte es bare Zeiten der Anbetung genießen,
einen missionarischen Charakter ha- wenn sie Christi gesegnete und ge-
ben. Es sollte den umgebenden Natio- rechte Regierung und seine sanfte Hir-
nen von zwei wichtigen Wahrheiten tenfürsorge erleben.
Zeugnis und Beweise abliefern: 67,6 Genauso, wie Israel sich danach
1. Die Wahrheit des Monotheismus – sehnt, dass alle Völker der Erde Gott
es gibt nur einen Gott (2. Mose 20,2; preisen, sollten »wir wünschen, Chris-
5. Mose 6,4; Jes 43,10-12). tus möge mit vielen Kronen geschmückt
2. Die Wahrheit, dass ein Volk, das in werden«, wie F.B. Meyer es ausdrückt.
Gehorsam unter der Regierung des 67,7-8 Die letzten zwei Verse stellen
HERRN lebt, glücklich und wohl­ das Tausendjährige Reich als schon be-
habend ist (3. Mose 26,3-12; 5. Mose gonnen dar. Die Ernten sind ein­
33,26-29; 1Chr 17,20; Jer 33,9). gebracht, und die Scheunen und Silos
Es war nicht Gottes Wille, dass Israel quellen über. Der Beweis für den Segen
eine Endstation seines Segens sein sollte, Gottes auf Israel wird ein mächtiges
sondern es sollte ein Kanal seines Se- Zeugnis für die Nationen sein. Der He-
gens sein. Es gibt im ganzen Alten Tes- bräisch-Gelehrte Franz Delitzsch fasst
tament zahlreiche Anzeichen dafür, zusammen: »Denn es ist Gottes Weise,
dass Gottes Heil für die Heiden genau- dass alle an Israel erwiesenen Wohl­
so bestimmt war wie für die Juden und taten zum Wohl der ganzen Mensch-
dass Israel ein Königreich von Priestern heit bestimmt sind.«47
sein sollte, um als Mittler zwischen Gott
und den Nationen zu fungieren. Psalm 68: Unser Gott kommt!
Leider versagte Israel in diesem Aspekt Dies ist Israels nationale Prozessions-
seiner Berufung. Indem es dem Götzen- hymne, in der die Reise der Bundeslade
dienst verfiel, verleugnete es ebendie vom Sinai bis zum Berg Zion als sym-
Wahrheit, die es verkündigen sollte. bolischer Marsch Gottes zu seinem end-
Aber Gottes Absichten sind nicht so gültigen Sieg betrachtet wird. Für das
leicht zu durchkreuzen. Während der jüdische Verständnis stellte die Bundes-

637
Psalm 68

lade zu Recht die Gegenwart Gottes der Rechtfertigung und der Belohnung,
dar; wanderte die Bundeslade, so wan- der Freude und des Jubels.
derte Gott. 68,5-7 Es ist eine Zeit, um Loblieder
Man nimmt ganz allgemein an, dieses zu singen und dem Herrn einen Weg
Lied sei gedichtet worden, um ein be- durch die Wüsten zu bahnen (siehe Jes
stimmtes Ereignis in der Geschichte der 40,3; 62,10). Sein Name ist Jah, der
Bundeslade zu feiern, nämlich die HERR, der den Bund hält; er ist es wert,
Rückkehr zum Berg Zion nach ihrer ohne Ende gepriesen zu werden. Ob-
schmachvollen Gefangenschaft bei den wohl er unendlich hoch ist, ist er doch
Philistern und nach ihrem Verweilen denen ganz nahe, die ohne Freunde
im Haus Obed-Edoms (2Sam 6,2-18). und ohne Besitz sind. Als Gott aller
Wir können den Geist dieses Prozes­ Gnade ist er der Vater der Waisen und
sionsliedes besser verstehen, wenn wir der Richter der Witwen. Er schafft für
es in die folgenden sieben Abschnitte Einsame die Wärme und die Gemein-
einteilen: schaft eines glücklichen Zuhauses, und
1. Einführende Lobeshymne für Gott die unrechtmäßig Gefangenen führt er
(V. 1-7). jubelnd ins Glück.
2. Die Bundeslade bewegt sich vom Ganz anders geht es den Widerspens­
Sinai aus durch die Wüste (V. 8-9). tigen; sie müssen in der Verlassenheit
3. Der Einzug und die Eroberung des der Wüste wohnen.
Landes Kanaan (V. 10-15). Diese Eingangsverse sagen mit den
4. Die Eroberung Jerusalems durch Worten eines bekannten Marschliedes
David (V. 16-19). »Our God is marching on« (»Unser Gott
5. Lobgesang, mit dem Gott für den marschiert vorwärts«) und machen den
Sieg über die Jebusiter gepriesen wird Unterschied dessen deutlich, was das
(V. 20-24). für die Gerechten und die Rebellen je-
6. Die Prozession, die die Bundeslade weils bedeutet.
zum Heiligtum in Jerusalem bringt Obwohl man dies der deutschen
(V. 25-28). Übersetzung nicht entnehmen kann,
7. Die jubelnde Menge erwartet den sind sieben Namen Gottes in den Text
endgültigen Sieg Gottes (V. 29-36). dieses Psalms eingewoben: Elohim
(V. 2), Jah (V. 5), Jahwe (V. 11), El Schad­
Einführende Lobeshymne (68,1-7) dai (V. 15), Jah Elohim (V. 19), Adonai
68,1-4 Der zweite Vers lässt uns sehen, (V. 20) und Jahwe Adonai (V. 21).
dass die Bewegungen der Bundeslade
das Hauptthema darstellen; denn hier Die Bundeslade bewegt sich vom Sinai aus
werden fast dieselben Worte gebraucht, durch die Wüste (68,8-9)
die auch Mose benutzte, als die Bundes- 68,8-9 Als die Israeliten am Sinai das La-
lade zum ersten Mal vom Sinai aus auf- ger abbrachen, begannen sie mit der
brach (4. Mose 10,35). Der Anblick des Bundeslade an der Spitze die Wande-
heiligen Schreins, der unterwegs ist, er- rung in das Gelobte Land. Es war ein ge-
innert an die Zeit, in der Gott aufsteht fühlsbeladener Augenblick. Die Natur
und in Aktion tritt. Für seine Feinde be- selbst schien an diesem erhabenen Er-
deutet das Untergang und Vertreibung; eignis Anteil zu haben. Die Erde erbebte,
für die Gerechten aber tief empfundene die Himmel troffen von Regen, und der
Freude. Seine Feinde zerstieben in alle Sinai erzitterte bei diesem Anblick.
Richtungen. Sie fliehen ins Inferno. So
zusammenhanglos wie Rauch und so Der Einzug und die Eroberung des Landes
widerstandslos wie schmelzendes (68,10-15)
Wachs taumeln sie in ihr Verderben. 68,10-11 In Vers 10 hat Israel Kanaan er-
Doch für die Gerechten ist dies die Zeit reicht, und Gott hat das Wetter so ver-

638
Psalm 68

ändert, dass es reichlich mit Regen ver- Darauf nimmt der Psalmist hier Be-
sorgt wird. Das war ein willkommener zug. Weil die Eroberung der Burg Jeru-
Tausch gegen die Bewässerungsmühen salem als auserwählte Stadt offenbart,
in Ägypten und die Dürre der Wüste. blickt der schneebedeckte Gipfel des
Die Landschaft hat ein neues Bündnis Hermon im nördlichen Baschan neid-
mit dem Leben geschlossen, wodurch voll auf den Berg Zion. Der Hermon ist
die schlaffe Vegetation belebt und zum ein majestätisches Gebirge mit vielen
Erblühen gebracht wurde. Das Volk ist erhabenen Gipfeln; aber Gott ging an
daheim, von dem Herrn reichlich mit ihm vorüber und erwählte sich Zion als
allem versorgt. dauernden Wohnsitz. Darum blickt er
68,12-14 Die Erzählung kommt neidisch auf Zion.
schnell zur Eroberung des Landes. Der 68,18 David erinnert daran, wie Jeru-
Herr erlässt einen Ausspruch ‒ das be- salem den Jebusitern entrissen wurde;
deutet, er befiehlt ‒, gegen den Feind zu doch ist er sich in keinem Augenblick
ziehen. Wenn er etwas befiehlt, ist die unklar darüber, was die Ursache des
Sicherheit zu siegen darin eingeschlos- Sieges war. Nicht kluge Strategie oder
sen. Das Nächste, was wir erfahren, ist, der Heldenmut seiner Leute, sondern
dass eine große Schar von Frauen48 zu die zahllosen Wagen Gottes haben die
Hause die Freudenbotschaft verbreitet: Stadt angegriffen. Der Marsch Gottes
»Die Könige der Heere fliehen, sie flie- hatte am Sinai begonnen, und er war
hen!« In Ausdrücken, die stark an das nun an seinem herrlichen Ziel auf Zion
Lied der Debora erinnern (Ri 5), sehen angekommen.
wir, wie die Frauen die Kriegsbeute 68,19 Wenn David an die Erstürmung
verteilen, obwohl sie selbst nie die der Höhen Jerusalems durch seine
Schafhürden verlassen haben. Wenn sie Krieger dachte, sah er über Fleisch und
die schönen Kleider und den Schmuck Blut hinaus Gott die Höhe ersteigen, die
anprobieren, sehen sie aus wie die Flü- Gefangenen wegführen und Siegesbeu-
gel einer Taube, die mit Silber über­ te für jene gewinnen, die früher Re-
zogen sind, oder, wenn das Licht sie bellen waren, sodass er als ihr Herr und
aus einem anderen Winkel trifft, fun- Retter bei ihnen wohnen konnte.
keln sie wie Federn aus grüngelbem Paulus wendet Vers 19 auf die Auf­
Gold. erstehung Christi an (Eph 4,8-10). Als
68,15 Für die Feinde gab es nur eine Chris­tus von der Erde zum Himmel
vernichtende Niederlage. Gott zer- aufstieg, führte er die Gefangenschaft
streute die Könige wie Schnee auf dem gefangen, d.h. er triumphierte herrlich
Zalmon. über seine Feinde und gab den Men-
schen Gaben. Dieselben Gaben, die er
Die Eroberung Jerusalems durch David bei den Menschen empfangen hat als
(68,16-19) Lohn für sein vollbrachtes Werk am
68,16-17 Jerusalem wurde noch immer Kreuz (Ps 68,19), hat er seinerseits den
von den heidnischen Jebusitern gehal- Menschen wiedergegeben zur Errich-
ten. Das Erste, was David tat, nachdem tung und Ausbreitung seiner Gemeinde
er zum König über ganz Israel gesalbt (Eph 4,8).
worden war, war sein Feldzug gegen
diese Stadt. Die Verteidiger fühlten sich Lobgesang, mit dem Gott für den Sieg über
sicher und waren der Meinung, die die Jebusiter gedankt wird (68,20-24)
Stadt sei uneinnehmbar, sodass sie von 68,20-21 Die Erinnerung an die Er­
Blinden und Lahmen verteidigt werden oberung Zions erweckt unvermeidlich
konnte. Aber David und seine Männer Lob für Gott. Das Lied stellt Gott als Er-
eroberten die Festung und nannten sie löser und Zerstörer dar. Als Erlöser
die Stadt Davids (2Sam 5,1-9). »trägt er unsere Lasten und erringt für

639
Psalm 68

uns den Sieg« (Knox). Er ist der Gott gen und das zu vollenden, was er für
unserer Rettung, und er hat die Macht, Israel begonnen hat. Diese Bitte wird
vom Tod zu erretten. endgültig im Tausendjährigen Reich er-
68,22-24 Als Zerstörer wird er seine füllt, wenn der Tempel die Herrlichkeit
Feinde zerschmettern, jene Rebellen, Jerusalems darstellt und wenn die Kö-
deren langes Haar ihr gesetz- und gott- nige ihre Gaben von Gold und Weih-
loses Leben symbolisiert. Er hat verhei- rauch (Jes 60,6) zu dem Großen König
ßen, sie aus der Wildnis Baschans und bringen.
von den Tiefen des Meeres herbeizu- 68,31 Die Bedeutung von Vers 31 im
zerren, damit die Israeliten ihre Füße in Hebräischen ist verdunkelt, doch
ihrem Blut baden und Israels Hunde ihr scheint der allgemeine Gedanke folgen-
Fleisch fressen können. der zu sein: Das Volk bittet Gott, die
Vers 23 bezieht sich nicht auf die Wie- wilden Tiere und die Herden der Stiere
derzusammenführung Israels, sondern zurückzuweisen. Die wilden Tiere, die
auf das Zur-Strecke-bringen seiner im Schilf leben – vielleicht Krokodile
Feinde. und Nilpferde –, stellen die Führer
Ägyptens dar. Die »Starken,« die Stiere,
Die Prozession, die die Bundeslade zum weisen auf die anderen Machthaber
Heiligtum in Jerusalem bringt (68,25-28) hin, die ȟber die friedlichen Herden
68,25-28 Nicht lange nachdem David Je- der Völker herrschen« (Knox).
rusalem erobert hatte, ordnete er an, die Der Satzteil: »damit sie sich unterwer-
Bundeslade in ein Zelt zu bringen, das fen und Silberbarren als Tribut brin-
als Behausung für sie errichtet worden gen!« (Schlachter 2000), kann bedeuten:
war (2Sam 6,12-19). Hier wird die Pro- »bis jene Völker sich vor dir beugen
zession beschrieben. Wie sie so auf das und Silber als Tribut bringen«, oder:
Heiligtum zuschreitet, sagt der Psal- »Unterwerfung aller Nationen, die sich
mist: »Seht her, hier kommt er!«49 Der von Silber als Tribut nährten«. Der Sinn
Chor geht voran, und die Musik­kapelle ist beide Male richtig. Denn das Gebet
bildet den Schluss, dazwischen laufen geht im gleichen Sinn weiter: »Zer-
die Tamburin schlagenden Mädchen. streue die Völker, die Lust haben am
Achten Sie auf die Worte des Liedes: Krieg!« Diese Bitten werden beim Zwei-
»Preist Gott in Versammlungen, ten Kommen Christi völlig erhört wer-
den HERRN, die ihr aus dem Quell den, wenn alle Aggressoren und Kriegs-
Israels seid!« hetzer vernichtet sind.
Alle Stämme sind anwesend, von de- 68,32 An jenem Tag werden Gesandte
nen im Süden – Benjamin und Juda – bis aus Ägypten kommen und Tribut brin-
hin zu denen im Norden ‒ Sebulon und gen, und Äthiopien wird mit Flehen
Naftali. und in Anbetung die Hände zu dem
König der ganzen Erde ausstrecken.
Die jubelnde Menge erwartet den 68,33-36 Die Abschlussverse rufen die
endgültigen Sieg Gottes (68,29-36) Königreiche der Erde auf, den Gott Is-
Sobald die Bundeslade im Inneren des raels als den anzuerkennen, der Ehre
Heiligtums verschwindet, vereinen sich und Preis verdient. Diese Worte vermit-
die Menschen draußen zu einem ab- teln das tiefe Empfinden für die Er­
schließenden Gebet (V. 29-32) und zu habenheit und Größe Gottes. Er ist der
einem Lied, in dem die ganze Erde auf- Transzendente, der seit jeher »einher-
gefordert wird, den Herrn zu preisen fährt auf den Himmeln«. Er ist der Gott
(V. 33-36). der Offenbarung, der »mit mächtiger
68,29-30 Das Gebet ruft vor allem Stimme spricht«. Er ist der Allmächtige,
Gott an, seine Macht aufzubieten, seine der stark ist für Israel ‒ aber allmächtig
Stärke zugunsten seines Volkes zu zei- über die Wolken hinaus.

640
Psalm 68 und 69

Furchtgebietend, wie er in seinen Aber keinerlei Hilfe ist sichtbar.


Heiligtümern ist, neigt er sich doch her­ 69,5 Die wütende Menge tobt vor dem
ab, um seinem Volk Stärke und Kraft zu Kreuz, ein brodelndes Gemisch aus Nie-
geben. dertracht, Hass, Bitterkeit und Grausam-
Da bleibt nur noch zu sagen: »Geprie- keit. Welch eine Szene! Der Schöpfer
sen sei Gott!« und Erhalter des Universums hängt am
Kreuz eines Verbrechers. Seine schuld-
Psalm 69: Rette mich, Gott! haften Mörder sind um ihn herum ver-
Die Leiden und das Sterben unseres sammelt. Wer sind sie? Es sind Männer
hoch gelobten Erlösers waren für ihn und Frauen, die selbst ihren Atem ihm
ein Eintauchen in den Ozean des gött­ verdanken, und solche hassen ihn ohne
lichen Zorns. Er selbst sprach von sei- Ursache. Sie sind darauf aus, ihn zu ver-
nem nahenden Leiden als von einer nichten; sie attackieren ihn mit Lügen:
Taufe:
»Ich habe eine Taufe, womit ich ge- Was hat mein Herr dieser Welt getan?
tauft werden muss, und wie bin ich be- Was ließ sie so rasen und toben?
drängt, bis sie vollbracht ist« (Lk 12,50). Er heilte, was blind, was nicht gehen
Und in Psalm 42,8 hören wir ihn ru- kann,
fen: »Urflut ruft der Urflut zu beim Wies Niedergedrückte nach oben.
Brausen deiner Wassergüsse; alle deine Doch seine Liebe ohn’ Unterlass
Wogen und deine Wellen sind über Erregte nur den finstersten Hass,
mich hingegangen.« Und Güte war gerade das,
In seinem Tod versank er unter bit- Weshalb sie schrien: »Barabbas!«
tersten Schmerzen in den Tiefen des nach Samuel Crossman
göttlichen Gerichts über unsere Sünde.
69,1-4 Hier in Psalm 69 haben wir das Nun kommt der ergreifende Satz von
Vorrecht, von den tiefsten Erfahrungen den Lippen des Heilands: »Was ich
seiner heiligen Seele zu hören, die er nicht geraubt habe, soll ich dann erstat-
machte, als er in den Tod sank. Denn ten.« Durch die Sünde des Menschen
Wasser sind bis an seine Seele gekom- wurde Gott der Anbetung, des Gehor-
men und drohen, ihn völlig zu über­ sams und der Herrlichkeit beraubt, und
fluten. Da ist nichts, was ihn rettet, der Mensch wurde des Lebens, des
nichts als tiefer Schlamm unter seinen Friedens, der Freude und der Gemein-
Füßen. Nun überströmen ihn die Flu- schaft mit Gott beraubt. In einem sehr
ten. Die Wasser sind tief, tiefer, als je realen Sinn kam Christus, um all das zu
einer der Erlösten es erfahren wird. In erstatten, was er nicht geraubt hatte.
einem re­alen Sinn hat Gott alle Wasser
an einen Ort versammelt – nach Golga- Er hielt seine Gottheit nicht für Raub
tha –, und der Sohn seiner Liebe er­ Und trug ein Adamskleid aus Staub,
duldet dort den mächtigen Ozean des Und hat aus Lieb’ am Kreuzespfahl
Gerichts, um für unsere Sünde die Stra- Erstattet, was er selbst nicht stahl.
fe zu bezahlen. Verfasser unbekannt
Über der weglosen Wasserwüste hallt
ununterbrochen der dringende Appell: In dieser Hinsicht erinnert er uns an das
»Rette mich, Gott!« Es ist, als habe er Sündopfer (3. Mose 5). Das Hauptmerk-
eine Ewigkeit lang gerufen. Seine Kehle mal dieses Opfers bestand darin, dass
ist heiser und entzündet, müde vom ein Verlust, den der Opfernde verur­
Rufen. Seine Augen sind geschwollen, sachte, wiedergutgemacht wurde. Dar-
können nicht mehr sehen, weil sie un- über hinaus musste ein Fünftel hin-
ablässig den Horizont nach einem Zei- zugefügt werden. Der Herr Jesus hat als
chen göttlicher Hilfe abgesucht haben. unser Sündopfer nicht nur erstattet,

641
Psalm 69

was durch die Sünde des Menschen ge- dem Vorhof des Tempels vertrieb, er­
raubt war, sondern er hat noch etwas innerten sich seine Jünger an das, was
hinzugefügt. Denn Gott hat durch das hier, in Psalm 69, geschrieben steht:
vollendete Werk Christi mehr Herrlich- »Der Eifer um dein Haus hat mich ver-
keit empfangen, als wenn es nie Sünde zehrt« (Joh 2,17).
gegeben hätte. Durch die Sünde verlor 69,11-13 Nichts, was der Herr als voll-
er Geschöpfe; aber durch Gnade ge- kommener Mensch je hier auf Erden
wann er Söhne. Und wir sind in Chris­ tat, schien seinen Kritikern zu gefallen.
tus besser dran, als wir je in dem nicht Wenn er seine Seele mit Fasten ernied-
gefallenen Adam hätten sein können. rigte, fanden sie das falsch – vielleicht
69,6 Wir müssen Vers 6 in Bezug auf meinten sie, er wolle nur fromm er-
unsere Sünden verstehen, die Jesus frei- scheinen. Als er ins tiefste Leid geraten
willig auf sich nahm. Er hatte keine Tor- war, wurde er ihnen zum Sprichwort,
heiten und keine Verschuldungen, son- statt dass sie Mitleid hatten. In allen Ge-
dern er nahm unsere Sünden und sellschaftsschichten wurde gegen ihn
Schmerzen und machte sie sich zu ei- gesprochen – von den Regenten, die im
gen. Es war nichts als wunderbare Gna- Tor der Stadt saßen, bis zu den Trun-
de, dass er sich so sehr mit uns eins kenbolden in den Kneipen an der Ecke,
machte, dass er von unseren Sünden als wenn sie ihre rauen Spottlieder grölten.
von den seinen reden konnte. Das ist in der Tat etwas ganz Unerhör-
69,7 Dann wirft ein angstvoller Ge- tes: Der Herr des Lebens und der Herr-
danke einen Schatten in sein heiliges lichkeit war in die Welt gekommen und
Denken. Er fürchtet, einige ernsthafte wurde zum Spottlied der Zecher!
Gläubige könnten durch die Tatsache 69,14-19 Und so zieht er sich aufs
ins Straucheln geraten, dass seine Ge- Neue zu Gott zurück, seiner einzigen
bete zu Gott unerhört blieben. Er bittet, Hilfe. Welche Glut, welche Eindring-
es möge nicht geschehen, dass jemand, lichkeit lag in seinem Gebet! Er be-
der auf Gott hofft, beschämt werden stürmt die Bastionen des Himmels mit
möchte durch das, was ihm widerfuhr. einem Bittgesuch nach dem anderen.
Niemand, der den Gott Israels sucht, Doch selbst dabei räumt er Gott das
möge durch seine Erniedrigung und Recht ein, zur Zeit seines Wohlgefallens
Selbstaufgabe zuschanden werden. zu antworten. Während er im Schlamm
69,8-9 Es war doch wegen seines Ge- versinkt, fleht er Gott an, ihn durch sei-
horsams gegenüber dem Willen des Va- ne treue Hilfe zu retten, ihn von seinen
ters, dass er Hohn ertrug. Sein Wohl­ Feinden zu befreien und ihn aus den
gefallen war es, Gott wohlzugefallen. Wassertiefen zu retten, von der Flut
Nur darum war es den Menschen er- und aus der Tiefe. In seiner verzweifel-
laubt, sein Angesicht mit unaussprech- ten Lage gründet er seine Bitten auf
licher Schande und mit Speichel zu be- Gottes Gnade und auf die Größe seiner
decken. Ein Teil des Preises, den er für Erbarmungen. Seine Bitten sind kurz
seinen Gehorsam zahlte, war die Ent- und bestimmt. »Erhöre mich … wende
fremdung von den Kindern seiner ei­ dich zu mir … verbirg dich nicht vor
genen Mutter: Seine eigenen Halb­ mir … nahe dich … erlöse mich!« »Er­
brüder betrachteten ihn als einen, der löse mich um meiner Feinde willen«
von Sinnen war. heißt zweifellos: »damit sie sich nicht
69,10 Der Herr Jesus wurde von dem an meinem unaufhörlichen Schmerz
Eifer um das Haus seines Vaters ver- weiden«.
zehrt. Wo immer er Menschen schlecht 69,20-21 Die Erwähnung seiner Fein-
über Gott reden hörte, nahm er es als de erinnert an alles, was er vonseiten
persönlichen Angriff. An jenem Tag in der Menschen erduldet hat. Sein Weg
Jerusalem, als er die Geldwechsler aus durchs Leben war besät mit Wider-

642
Psalm 69

spruch, Schande und Entehrung. Von das Herz nicht änderte, blieb nichts als
seinen Kindertagen an wurde er von das hier beschriebene Gericht.
Feinden verfolgt: Gott wusste, wie un- Es ist wichtig, dass sich diese Verse
zählig sie waren. Sein Herz war ge­ speziell auf das Volk Israel beziehen.
brochen von Beleidigungen, dieses Paulus wendet die Verse 23 und 24 in
Herz, das nur Gutes begehrt für die Römer 11,9-10 auf Israel an. Auch die
Menschenkinder. Der Hohn und die Erwähnung »ihrer Zelte«, was auf ein
Schwere von alldem stürzten ihn in Lager hinweist (V. 26) ist eine deutlich
Verzweiflung. Niemand war da, der in jüdische Vorstellung.
seinem Kummer und Schmerz Mitleid Die Verse sagen die Gerichte voraus,
mit ihm hatte. Vergeblich schaute er die über diejenigen kommen sollen, die
nach Tröstern aus. Selbst die Jünger ihren Messias verworfen und zur Hin-
verließen ihn und flohen. Er war völlig richtung geführt haben.
allein. Ihr Tisch soll ihnen zur Falle werden.
69,22 Dann lesen wir in einer weite- Der Tisch spricht von der Gesamtheit
ren verblüffenden Weissagung Davids, der Israel übertragenen Vorrechte als
die sich nur in Jesus erfüllte: Gottes auserwähltes, irdisches Volk.
»Und sie gaben mir Galle zur Speise Statt ein Segen zu sein, würden diese
und Essig zu trinken in meinem Vorrechte das Maß seiner Verwerfung
Durst« (Schlachter 2000). bestimmen.
Die Erfüllung finden wir in Matthäus Wenn die Israeliten Wohlfahrt (hebr.
27,34.48: schalom) erleben, wird es ihnen zur Fal-
»… gaben sie ihm mit Galle ver­ le werden. Gerade wenn sie denken,
mischten Wein zu trinken; und als er alles sei in Ordnung, wird ihnen Drang-
davon gekostet hatte, wollte er nicht sal erstehen.
trinken … Sogleich lief einer von ihnen 69,24 Ihre Augen sollen dunkel wer-
und nahm einen Schwamm, füllte ihn den, dass sie nicht sehen können. Das
mit Essig und steckte ihn auf ein Rohr bezieht sich auf die tatsächlich über Is-
und gab ihm zu trinken.« rael als Gericht verhängte nationale
»Galle« war eine bittere und vielleicht Blindheit (2Kor 3,14). Weil sie das Licht
giftige Substanz, von der eine kleine verwarfen, wurde ihnen das Licht ver-
Menge betäubend wirken mochte. Der sagt.
Herr wollte sie nicht einnehmen, weil er Ihre Hüften sollen beständig wanken.
als unser Stellvertreter mit vollem Be- Unter die Nationen zerstreut, würden
wusstsein leiden musste. Der Essig war sie keinen Rastplatz für ihre Fußsohlen
ein saurer Wein, der seinen Durst viel- finden, stattdessen würde der Herr
leicht eher gesteigert als gelindert hätte. ihnen »ein zitterndes Herz geben, er­
69,23 Mit Vers 23 ändert der Psalm löschende Augen und eine verzagende
plötzlich den Tonfall, und in den nächs- Seele« (5. Mose 28,65).
ten sieben Versen hören wir, wie der 69,25 Gottes Grimm sollte über ihnen
sterbende Heiland Gott anruft, er möge ausgegossen werden und die Glut sei-
die Nation strafen, die ihn zum Tod nes Zorns sie erreichen. Wir erinnern
verurteilt hat. Zunächst erscheint uns uns mit tiefster Betrübnis, wie sich dies
das eigenartig, wenn wir uns daran er- in den schrecklichen antisemitischen
innern, dass der Herr Jesus auch ge­ Pogromen, in den Konzentrations­
betet hat: »Vater, vergib ihnen; denn sie lagern, Gaskammern und Verbren-
wissen nicht, was sie tun!« (Lk 23,34). In nungsöfen erfüllt hat. Obwohl diese
Wirklichkeit aber besteht kein Wider- Abscheulichkeiten von Gottlosen ver-
spruch zwischen diesen beiden Ge­ übt wurden, besteht kein Zweifel da-
beten. Vergebung war zu erlangen, ran, dass Gott nicht verhindert hat, dass
wenn sie Buße taten. Aber wenn sich sie über die Nachkommen des Volkes

643
Psalm 69

kamen, das gesagt hat: »Sein Blut heute ergeht das Evangelium an das
komme über uns und unsere Kinder« Volk der Juden wie an die Heiden. Und
(Mt 27,25). die Einzigen, die die in Vers 22 bis 28
69,26 Ihre Wohnstätte sollte verwüs- beschriebenen Gerichte tragen müssen,
tet werden, und in ihren Zelten sollte sind jene, die absichtlich dieses Schick-
niemand mehr wohnen. Hier werden sal wählen, indem sie den Christus Got-
wir an die Worte des Messias in Mat­ tes verwerfen.
thäus 23,38 erinnert: »Siehe, euer Haus 69,30 Jetzt hören wir ein letztes Wort
wird euch öde gelassen.« Diese Worte des sterbenden Sünderfreundes. Von
gingen im Jahr 70 n.Chr. gründlich in unsagbaren Schmerzen angefochten,
Erfüllung, als Titus und die Römer Je- bittet er Gott um Rettung und darum, in
rusalem erstürmten und den Tempel Sicherheit gebracht zu werden.
zerstörten. Und genau das geschah. Gott erweck-
69,27 Wenn man das Gericht für hart te ihn am dritten Tag und setzte ihn als
hält, muss man an das Verbrechen den- Fürst und Retter zu seiner eigenen
ken, das es hervorrief. Rechten. Seine Leiden wegen der Sün-
»Denn den du geschlagen hast, haben de sind nun für ewig vorüber. Und wir
sie verfolgt, sind froh darüber!
und vom Schmerz deiner Verwunde-
ten erzählen sie.« Nie mehr wird Gott in Ewigkeit
Im Gleichnis vom Weinberg werden Den Hirten der Herde schlagen.
die Pächter mit diesem Ausspruch über Nie mehr wird raue Sünderhand
den Sohn des Besitzers zitiert: »Dies ist Den Herrn zu kreuzigen wagen.
der Erbe. Kommt, lasst uns ihn töten nach Robert C. Chapman
und sein Erbe in Besitz nehmen!« (Mt
21,38). Sie wussten, dass er der Sohn Und wir singen jetzt:
war, und sie töteten ihn trotzdem. Der
zweite Teil von Vers 27 spricht von den Der Sturmwind deiner Seelenpein
Anhängern des Messias, die zu Mär­ Ist jetzt verstummt für alle Zeit.
tyrern wurden. Er trug uns Frieden Gottes ein,
69,28-29 Angesichts dessen ist es nicht Seit du gekrönt in Herrlichkeit.
nötig, die Schärfe der Worte des Hei- nach H. Rossier
lands zu entschuldigen:
»Füge Schuld zu ihrer Schuld, 69,31-34 Der Sprecher der letzten sieben
und lass sie nicht hineinkommen in Verse ist der auferstandene Erlöser. Zu-
deine Gerechtigkeit! nächst gelobt er, Gott zu erheben, weil
Sie sollen ausgelöscht werden aus er ihn von Tod und Grab befreit hat. Er
dem Buch des Lebens will den Namen Gottes im Lied preisen
und nicht eingeschrieben werden mit und ihn durch Danksagung groß ma-
den Gerechten.« chen. Das wird dem HERRN viel besser
Und doch sollten wir nicht vergessen, gefallen als die aufwendigsten Opfer.
dass sogar nach der Kreuzigung des Und die unterdrückten Sanftmütigen
Sohnes Gottes der Geist Gottes immer werden Mut fassen, wenn sie begreifen,
noch mit den Israeliten rang, sie sollten dass der HERR auf die Armen hört und
Buße tun und sich zu Jesus als ihrem die Gefangenen befreit, genauso wie er
Messias wenden. Durch die ganze Zeit die Gebete des Heilands erhörte und
der Apostelgeschichte erkennt man das ihn befreite.
Herzensverlangen Gottes, wie er sich 69,35-37 Und was ist mit dem Volk Is-
nach dem von ihm geliebten Volk sehnt rael? Die letzten drei Verse sagen ihm
und es freundlich einlädt, seine Gnade eine wunderbare Zukunft voraus. Ob-
und sein Erbarmen anzunehmen. Selbst wohl für eine Zeit beiseitegesetzt, wird

644
Psalm 69 bis 71

Israels Segensstellung wiederherge- Hilf eilends! (70,6)


stellt werden. Wenn die Israeliten auf 70,6 Wieder steigt der Ruf nach schnel-
den blicken, den sie durchstochen ha- ler Hilfe von dem Notleidenden auf.
ben, werden sie wehklagen, wie man Obwohl man nicht sagen kann, Davids
um den Erstgeborenen weint, wenn sie Vertrauen sei überwältigend stark, so
sagen: »Gelobt sei, der da kommt im glaubt er doch an den HERRN als sei-
Namen des Herrn«, dann wird Gott nen Helfer und Retter; und solch ein
Zion retten und die Städte Judas wieder Glaube bleibt nie unbelohnt.
bauen. Sie sollen nicht länger unter den
Völkern zerstreut sein; denn seine Psalm 71: Im Alter
Knechte werden im Land wohnen, und
ihre Kinder werden es besitzen. Dies ist Wie so oft, können wir hier eine enge
natürlich ein Ausblick auf das Tausend- Parallele zwischen den Erfahrungen
jährige Reich, wenn der Herr Jesus als des Psalmisten und denen des Volkes
Messias-König regieren und Israel si- Israel ziehen. Darum meint Bellett, die-
cher in seinem Land wohnen wird. ser Psalm könne als ein Gebet des an­
gefochtenen Überrests Israels im hohen
Psalm 70: Hilf eilends! Alter betrachtet werden.50
Zum größten Teil ist Psalm 70 eine Wie- 71,1-3 Die ersten drei Verse gleichen
derholung von Psalm 40,14-18. Psalm 31,2-4. Der HERR wird als Zu-
70,1 Die Überschrift gibt an, dass dies flucht, Fels und Burg gepriesen und
ein Psalm Davids zur Erinnerung ist. wird ersucht, das Vertrauen des Psal-
Vier deutliche Abschnitte sind zu er- misten zu rechtfertigen, das er auf ihn
kennen. als Befreier, Sicherheit und Rettung, als
Fels der Bewahrung und Hilfe und als
Hilf eilends! (70,2) Burg der Zuflucht gesetzt hat.
70,2 Morgan nennt dies »einen Stoß- 71,4 Das Gebet wird in seinem Ver-
seufzer aus angstvoller Einsamkeit«. lauf von einem starken Gefühl der
Das ist wahrlich der Eindruck, den wir Dankbarkeit für Gottes Hilfe in der Ver-
bei Vers 2 haben, in dem David den gangenheit und von dem Vertrauen auf
Herrn bittet, ihn eilends zu erretten. seine Gnade im Alter durchzogen.
Wenden wir diesen Psalm auf Israel
Strafe streng! (70,3-4) an, so ist der Gottlose, Ungerechte und
70,3-4 Die Abwehr und Vertreibung der Gewalttätige aus Vers 4 der Antichrist.
Feinde ist im Augenblick das wichtigste Seine Schreckensdiktatur wird das Aus-
Anliegen. Er klagt sie an, ihn umbrin- harren der Heiligen prüfen und aus
gen zu wollen, Freude daran zu haben, ihnen die dringlichsten Gebete pressen.
ihn zu kränken, und wegen seines Un- 71,5-6 Glücklich ist der Mensch, der
glücks zu feixen. Er bittet, sie möchten sagen kann, Gott sei von Mutterschoß
so stark verwirrt werden, dass sie zu- an seine Hoffnung gewesen. Wenn er
rückweichen und umkehren und sich sich von Geburt an auf den HERRN ge-
über ihre eigene Schande entsetzen. stützt hat, wird er am Abend seiner
Jahre keinen Mangel an Stoff für sein
Sei unablässig gepriesen! (70,5) Lob leiden.
70,5 Der Gedankenfluss ist hier fol- 71,7-8 Der Psalmist ist für viele ein
gender: Wenn Gott kommt, um den Wunder gewesen wegen der Tiefe sei-
Psalmisten zu retten, wird dies zu einer ner Ablehnung und seiner Leiden, viel-
riesigen Woge des Lobs führen. Alle, die leicht auch wegen seiner wundersamen
den Herrn suchen, werden Ursache ha- Errettungen. Aber bei allem Wechsel
ben, seine Hilfe zu rühmen und ihn als der Lebensumstände war Gott seine
den großen Gott der Rettung anzubeten. starke Zuflucht. Und so wollte er jeden

645
Psalm 71 und 72

Tag damit ausfüllen, ihn zu preisen und zählen deiner Wunder«. Jetzt ist er alt
zu verherrlichen. und grau; aber er hat nicht den Ein-
71,9 »Verwirf mich nicht zur Zeit des druck, sein Werk sei getan. Er bittet um
Alters; beim Schwinden meiner Kraft Zeit, dem neuen Geschlecht und denen,
verlass mich nicht!« die danach kommen, die Machttaten
des Herrn zu verkünden. Dieses Gebet
Um würdevoll alt zu werden, ist mehr wurde natürlich erhört, indem dieser
Gnade nötig, als die Natur bieten kann. Psalm in der Heiligen Schrift festgehal-
Das Alter ist eine neue Welt fremdartiger ten wurde.
Konflikte und heimlicher Ängste; die 71,19-21 Gott ist wirklich wunderbar!
Angst, allein gelassen zu werden, die Seine Macht und seine Gerechtigkeit
Angst, seinen Lieben eine Last zu wer- sind höher als die Himmel. Niemand
den, die Angst, hilflos und invalide zu kann ihm das Wasser reichen, beson-
werden, die Angst, sich selbst nicht mehr ders wenn man an die großen Dinge
im Griff zu haben, die Angst, deshalb denkt, die er getan hat.
ausgenutzt zu werden. Diese Ängste sind Manchmal wird von Gott gesagt, er
nicht neu. Der Psalmist denkt hier laut habe getan, was er zugelassen hat. So
darüber nach, um allen Mut zu machen, auch hier. Er ließ den Psalmisten und
die im Herbst ihres Lebens stehen (Daily auch Israel viel Unheil und Not sehen.
Notes of the Scripture Union). In Bezug auf Israel weist das auf die
Große Drangsalszeit hin. Aber er ist der
71,10-11 Natürlich hatte er dazu noch Gott der Erquickung, und er wird das
die Furcht vor seinen Feinden, die ihn Volk wiederbeleben und aus den Fän-
schmähten und ihn zu töten suchten. gen des Todes reißen. Das ist nicht alles!
Fälschlicherweise meinten sie, Gott Er wird Israel Ehre statt Anfeindung
habe ihn verlassen; so planten sie ihren geben und es mit Trost umgeben.
letzten Angriff ohne Furcht vor Gegen- 71,22 Dann wird die Zither gebraucht,
wehr. um die Treue Gottes zu besingen, und
71,12-13 Diese Krise führte zu einem die Harfe benutzt, um den Heiligen Is-
Notschrei, in dem er Gott drängt, ihm raels zu erheben. Dieser Name – der
beizustehen und ihm zu helfen. Ohne Heilige Israels ‒ wird noch zweimal in
zusätzliche Mühe könnte Gott sie auch den Psalmen verwendet (78,41; 89,19).
noch zuschanden machen und sie mit 71,23-24 Aber Zither und Harfe wer-
Hohn und Schande überschwemmen. den zu einem Chor vereint mit den Lip-
71,14-16 Aber die Hoffnung erhebt pen, der Seele und der Zunge des Psal-
sich rasch über die Angst, und Lob be- misten. Seine Lippen werden überspru-
ginnt sein mächtiges Crescendo. Die deln von freudigem Gesang. Seine Seele,
Verse erinnern an Gottes gerechte Taten erlöst durch das Blut des Lammes, wird
und die zahllosen Male, in denen er sich ebenfalls jubelnd freuen im Lied.
sein bedrohtes Kind errettete. Mit heili- Seine Zunge wird auch nicht müde, von
ger Entschiedenheit sagt der Psalmist: Gottes Zuverlässigkeit zu reden, weil er
»Ich will kommen mit den Machttaten alle Feinde gründlich beschämt hat.
des Herrn HERRN. Ich will preisen dei-
ne Gerechtigkeit, dich allein.«51 Psalm 72: Die herrliche Regierung des
71,17-18 Noch einmal, wie in den Ver- Messias
sen 5 bis 11, durchläuft er die ganze Dieser Psalm beginnt mit einem Gebet
Spanne von der Jugend bis zum Alter wie für einen irdischen Monarchen,
(V. 17-21) und findet nichts als die Treue vielleicht für Salomo; aber schon bald
Gottes. Gott hat ihn von Jugend an un- begreifen wir, dass der Schreiber über
terwiesen, und, wie Knox fortfährt, Salomo hinaus auf die Herrlichkeiten
»noch immer findet man mich beim Er- der Regierung des Herrn Jesus blickt.

646
Psalm 72

Es wird eine wunderbare Zeit sein für wie der Regen für das Gras und Regen-
diese müde, immer im Streit liegende schauer für die durstige Erde.
Welt. Das Goldene Zeitalter, nach dem 72,7 Er wird der wahre Melchisedek
die Menschheit sich sehnt, ist dann an- sein, der König der Gerechtigkeit und
gebrochen. Das Seufzen der Schöpfung des Friedens. Während seiner Regie-
wird gestillt sein, und Friede und Wohl- rung wird das Recht blühen und der
stand werden erblühen. Friede umfassend sein, bis der Mond
72,1 Im ersten Vers hören wir das Ge- zu existieren aufhört. Beachten Sie, dass
bet, das sich bei der Inthronisierung des die Gerechtigkeit dem Frieden voraus-
Königs aus der heiligen Versammlung geht. »Das Werk der Gerechtigkeit wird
erhebt. Knox übersetzt es so: »Gewähre Friede sein und der Ertrag der Gerech-
dem König deine eigene Weisheit zum tigkeit Ruhe und Sicherheit für ewig«
Gericht; der Erbe des Thrones möge ge- (Jes 32,17). Durch sein Werk der Ge-
recht sein, wie du gerecht bist!« rechtigkeit am Kreuz, bewirkte er für
Alles, was in Psalm 72 in der Wunsch- uns Frieden. Und durch sein gerechtes
form (in manchen Übersetzungen in Regiment wird er eines Tages der
der Zukunftsform) steht, wird Tatsache kriegszerissenen Welt Frieden bringen.
werden, wenn der Erlöser seine strah- 72,8 Großbritannien rühmte sich der
lende Herrschaft aufrichtet. Tatsache, dass »die Sonne im Britischen
72,2 Er wird das Volk in Gerechtigkeit Weltreich nicht untergeht«. Die briti-
richten und die Elenden mit Recht. Kor- schen Kolonien waren überall in der
ruption, Schmiergelder und Unter­ Welt verstreut. Doch Christi Reich wird
drückung wird es nicht mehr geben. weltweit sein, nicht nur aus verstreuten
Urteile werden in strikter Unparteilich- Kolonien zusammengesetzt. Es wird
keit gefällt, und die Armen werden alle Völker umfassen. Seine Herrschaft
nicht länger benachteiligt. wird von Meer zu Meer reichen und
72,3 Die Berge werden eine Ernte von vom Strom Euphrat bis ans Ende der
Frieden und Wohlstand für das Volk Erde.
bringen, und Gerechtigkeit wird die 72,9 Die unregierbaren Nomaden der
Hügel bedecken. Berge werden in der Wüste werden sich vor ihm beugen,
Schrift oft als Bild für herrschende Ge- und seine Feinde werden sich vor ihm
walten gebraucht. So ist der Gedanke geschlagen geben. Staub lecken heißt,
hier wohl, dass die Untertanen des Rei- unehrenhafte und schändliche Unter-
ches Christi Gleichbehandlung und Ge- werfung erdulden.
rechtigkeit von jedem Gericht im gan- 72,10-11 Heidenkönige werden mit
zen Land erwarten können, vom höch- Tribut und mit Geschenken für den Kö-
sten Gericht bis hinunter zu den ört­ nig der Könige nach Jerusalem kom-
lichen Behörden. men. Hier kommen die Herrscher von
72,4 Durch alle Jahrhunderte hin- Spanien, dort die Oberhäupter ver-
durch wurden die Armen und Elenden schiedener Inselstaaten, und jetzt sieht
unterdrückt, schlecht bezahlt, verfolgt man die Herrscher der Scheichtümer
und sogar getötet. Im Tausendjährigen des südlichen Arabiens. Der Flugplatz
Reich wird der König selbst ihr Rechts- ist voller besuchender Würdenträger;
anwalt sein. Er wird sie ein für alle Mal denn alle erkennen seine Oberhoheit
befreien und jene bestrafen, die sie an, und alle Völker dienen ihm ohne
übervorteilten. Ausnahme.
72,5-6 Seine Untertanen werden ihn »Könige des Reichtums, des Wissens,
achten und fürchten, solange Sonne der Musik und der Kunst haben ihn
und Mond bestehen, alle Geschlechter schon anerkannt ‒ und werden es auch
hindurch. Seine Gegenwart wird Wohl- noch tun«, sagt Meyer.
taten und Erquickung garantieren – so 72,12-14 Das außergewöhnliche Mit-

647
Psalm 72 und 73

leid des Königs mit den Elenden wird heiliger Name in Ewigkeit gepriesen
hier sichtbar. Die Armen, die Nieder­ wird und dass seine Herrlichkeit die
getretenen und Unterlegenen haben ei- ganze Erde erfüllt.
nen mächtigen Erlöser. Armut wird 72,20 Die Gebete Davids, des Sohnes
verschwinden und soziale Ungerech- Isais, sind zu Ende. Dies kann nicht hei-
tigkeit ein Ding der Vergangenheit sein. ßen, dass Davids Gebete im Buch der
Der Schwache und der Elende werden Psalmen zu Ende sind; denn noch viele
sofortigen Zutritt zu ihm haben und weitere folgen. Es könnte heißen, dass
können sich großer Aufmerksamkeit dies das letzte Gebet im zweiten Buch
und schneller Abhilfe sicher sein. Er der Psalmen ist. Eine wahrscheinlichere
wird sie vor ungerechter und grau- Erklärung allerdings wäre, dass die
samer Behandlung retten und der Welt vorhergesagte Herrschaft des Herrn Je-
zeigen, wie kostbar ihr Leben für ihn sus Christus die endgültige Erfüllung
ist. seiner Gebete darstellt. Das in den
72,15 Der Ruf: »Es lebe der König!«, voran­gegangenen Versen beschriebene
wird vonseiten seiner loyalen Unter­ Reich war der Gegenstand seiner letz-
tanen erschallen. In ihrer Dankbarkeit ten Worte (2Sam 23,1-4), und es war das
werden sie ihm Gold aus Scheba brin- Ereignis, auf das seine Gebete ausgerich­
gen, niemals aufhörende Gebete für ihn tet waren. Wenn der Messias seinen
werden überall in der Welt zum Him- Platz auf dem Thron einnimmt und
mel aufsteigen, und das Volk wird ihn herrscht, werden Davids Herzenswün-
vom Morgen bis zum Abend preisen. sche erfüllt sein.
72,16 Unbeschreiblich wird die
Fruchtbarkeit des Landes sein. Scheu- III. Das dritte Buch (Psalm 73-89)
nen und Silos werden zum Bersten mit
Getreide gefüllt sein. Selbst Orte, an de- Psalm 73: Das Dilemma des Glaubens
nen vorher nie etwas angebaut wurde, 73,1 »Hier spricht Asaf. Also, damit von
wie die Gipfel der Berge, werden wo- Anfang an alles klar ist: Ich weiß ge-
gen von reifendem Getreide und sich wiss, dass Gott zu Israel und zu denen,
im Wind wiegen wie die Wälder des Li- die reinen Herzens sind, gut ist. Die
banon. Wahrheit ist so augenfällig, dass man
Die Städte werden so reich bevölkert meint, niemand werde sie jemals in-
sein, wie die Wiesen mit Gras bewach- frage stellen.«
sen sind. Es wird eine Bevölkerungs­ 73,2-3 »Doch gab es eine Zeit, in der
explosion von sagenhaften Dimen­ ich tatsächlich anfing, irre zu werden.
sionen geben, doch wird es nicht an Meine Haltung in dieser Sache begann
Nahrungsmitteln mangeln. sehr schwankend zu werden, und mein
72,17 Sein Name soll ewig bleiben, Glaube war zeitweise fast zusammen-
geliebt und verehrt für immer. Solange gebrochen. Seht ihr, ich begann darüber
die Sonne scheint (siehe Schlachter nachzudenken, wie gut es doch den
2000), wird sein Ruhm anhalten. In Gottlosen geht. Sie haben viel Geld, viel
Übereinstimmung mit der Verheißung Spaß und keinen Kummer – und bald
Gottes an Abraham sollen sich alle wünschte ich, ihnen gleich zu sein.«
Menschen in ihm segnen, und alle Na­ 73,4-9 »Alles scheint ihnen zu glü-
tionen werden ihn glücklich preisen. cken. Sie haben nicht so viele körper-
72,18-19 Der Psalm schließt mit einer liche Beschwerden wie Gläubige, ihre
Doxologie. Die herrliche Regierung des Leiber sind gesund und geschmeidig
Herrn Jesus ist Gottes Werk. Er ist es, (natürlich, sie können sich ja von allem
der alle diese wunderbaren Zustände das Beste leisten). Sie entkommen vie-
hervorbringt, wie es kein anderer tun len der Kümmernisse und Leiden der
könnte. Und so gehört es sich, dass sein anständigen Leute wie unsereins. Und

648
Psalm 73

selbst wenn sie ein Übel treffen sollte, von deiner Zuversicht, Zweifel habe ich
sind sie hoch versichert gegen alle mög- selbst genug.‹ So behielt ich alle meine
lichen Verluste. Kein Wunder, dass sie Zweifel für mich, sonst hätte ich ir-
so selbstbewusst auftreten. Sie sind gendeiner schlichten, vertrauensvollen
stolz wie ein Pfauenhahn und gnaden- Seele Schaden zugefügt oder sie zum
los wie ein Tiger. Genauso wie ihr Kör- Straucheln gebracht.«
per vom Fett überzufließen scheint, lau- 73,16 »Doch war die ganze An­
fen ihre Gedanken über von betrüge- gelegenheit immer noch ein Rätsel für
rischen Anschlägen. Und wie arrogant mich: Die Gottlosen blühen, während
sie sind! Sie spotten und fluchen über die Gerechten leiden. Es schien mir
ihre Untergebenen und behandeln sie höchst unverständlich zu sein. Wirk-
wie Dreck. Selbst Gott entkommt ihrer lich, ich zermarterte mich, um dieses
Bosheit nicht. Ihre Rede ist durchsetzt Problem zu lösen.«
mit Gemeinheit, und in unverschämter 73,17 »Dann geschah etwas Wunder-
Weise lästern sie ihn. Ihre Zunge stol- bares. Eines Tages ging ich in das Hei-
ziert großsprecherisch durch die Welt, ligtum Gottes, nicht in das im Tempel
als wollte sie sagen: ›Platz da! Hier zu Jerusalem, sondern in das himmlische.
komme ich!‹« Im Glauben trat ich ein. Als ich dem
73,10-13 »Die meisten der gewöhn- Herrn das Wohlergehen der Gottlosen
lichen Leute halten sie für große Herr- klagte, fuhr mir wie ein Blitz die Frage
schaften. Sie beugen sich, machen durch den Kopf: ›Ja, aber was ist mit
Kratzfüße und zeigen höchsten Re- dem zukünftigen Leben?‹ Je mehr ich
spekt. Einerlei, was die Gottlosen tun, über deren ewiges Schicksal nach-
das Volk findet nichts Tadelnswertes an dachte, desto klarer wurde mir das
ihnen. Und das bestätigt die Unter­ Ganze.«
drücker nur in ihrer Arroganz. Sie mei- 73,18-20 »So sagte ich zu dem Herrn
nen, dass, wenn es einen Gott gibt, er etwa Folgendes: ›Herr, nun begreife
jedenfalls nicht weiß, was hier vor sich ich, dass entgegen allem Anschein das
geht. So fühlen sie sich sicher bei der Leben der Gottlosen eine sehr gefähr-
Verfolgung ihrer hinterhältigen Pläne. dete Existenz darstellt. Sie wandern an
Und so leben sie auch behaglich im dem schlüpfrigen Rand eines tiefen Ab-
Luxus und werden reicher und rei- grunds. Früher oder später fallen sie
cher.« ihren Täuschungen zum Opfer. Plötz-
73,13-14 »Na ja, so begann ich zu den- lich sind sie dahin, fortgespült von ei-
ken: ›Was hat es mir gebracht, ein an- ner Welle des Schreckens, die zu furcht-
ständiges, ehrliches und ehrenwertes bar ist, um darüber nachzudenken. Sie
Leben zu führen?‹ Die im Gebet ver- sind für mich wie ein Traum, wenn
brachte Zeit, die Zeit mit Gottes Wort, man am Morgen erwacht – alles, was
die Spenden für das Werk des Herrn, den Träumer erschreckte, erweist sich
das aktive Zeugnisablegen für den nur als Hirngespinst.‹«
Herrn, sowohl in der Öffentlichkeit als 73,21-22 »›Ich sehe jetzt, dass die Din-
auch zu Hause, alles, was es mir ein­ ge, die mich eifersüchtig machten, nur
gebracht hat, ist ein tägliches Quantum Schatten waren. Es war dumm von mir,
an Leiden und Strafen. Ich fragte mich, bitter und erregt über das scheinbare
ob das Leben im Glauben die Mühen Glück der Gottlosen zu sein. Indem ich
wert ist.« deine Gerechtigkeit anzweifelte, han-
73,15 »Natürlich habe ich meine delte ich eher wie ein Tier als wie ein
Zweifel und Befürchtungen keinem an- Mensch. (Verzeih mir, dass ich mich so
deren Gläubigen mitgeteilt. Ich wusste, benommen habe!)‹«
dass dies nicht gut wäre. Oft dachte ich 73,23-24 »›Doch trotz meines tö-
an den Mann, der sagte: ›Erzähle mir richten Verhaltens hast du mich nicht

649
Psalm 73 und 74

verlassen. Ich bin immer noch bei dir, noch erinnern sie den Herrn mit rüh-
und du hältst mich fest, wie ein Vater rendem Pathos daran, sie seien immer
sein Kind an der Hand hält. Während noch:
meines ganzen Lebens leitest du mich die Herde seiner Weide (V. 1),
durch deinen Rat, und am Ende nimmst seine Gemeinde (V. 2),
du mich in Herrlichkeit auf.‹« der Stamm seines Erbteils (V. 2),
73,25-26 »›Es ist genug, dass ich dich seine elende Turteltaube (V. 19),
im Himmel habe; das macht mich fabel- die Unterdrückten (V. 21),
haft reich. Und nun verlangt mich nach die Elenden und Armen (V. 21).
nichts auf der Erde als nur nach dir al- Sie wiederholen auch immer wieder
lein. Mögen die Gottlosen ihren Reich- den Gedanken des Wortes »Gedenke«:
tum besitzen. Ich bin mit dir zufrieden Gedenke deiner Gemeinde (V. 2).
und finde alles Genüge in dir. Mein Gedenke des Berges Zion (V. 2).
Leib mag vergehen und mein Herz ver- Gedenke des höhnenden Feindes
sagen; aber Gott ist die Kraft meines Le- (V. 18).
bens und alles, was ich jemals nötig Gedenke der Verhöhnung durch die
habe ‒ bis in alle Ewigkeit.‹« Toren, die deinen Namen schmähen
73,27-28 »›Alle, die versuchen, so weit (V. 22).
wie möglich von dir entfernt zu blei- 74,1-4 Als wenn Gott nicht wüsste,
ben, werden ohne dich umkommen. was geschehen ist, schreien sie zu ihm,
Und jeder, der sich von dir abwendet, er möge kommen und sehen, wie
um falschen Göttern zu dienen, wird gründlich die chaldäischen Soldaten
zum Schweigen gebracht werden. Was den heiligen Bau dem Erdboden gleich-
aber mich betrifft: Ich möchte so nahe gemacht haben. Dann geben sie einen
wie möglich bei dir sein. Ich habe mich Augenzeugenbericht darüber, wie alles
deinem Schutz übergeben, und ich geschehen ist. Die fremden Eroberer
möchte alle deine wunderbaren Taten stürmten direkt mitten ins Heiligtum.
jedem erzählen, der zuhören will.‹« Sie haben ihre eigenen Fahnen als Sie-
geszeichen aufgezogen, was bedeutet,
Psalm 74: Denke daran! dass sie heidnische Riten und Götzen-
Diese bewegende Klage blickt zurück symbole an Stelle des gesetzestreuen
auf die Zerstörung des Tempels durch Dienstes für den HERRN einführten.
die Babylonier unter Nebukadnezar. 74,5-8 Genauso wie dicke Bäume in
Aber sie blickt auch voraus auf drei schneller Folge unter den kräftigen
ähnliche Tragödien in Israel: Schlägen der Waldarbeiter umfallen, so
Die Entweihung des Heiligtums wurde das kostbare Schnitzwerk der
durch Antiochus Epiphanes (170-168 hölzernen Wandverkleidung von den
v.Chr.). Beilen und Brechstangen der heid-
Die Schleifung des Tempels durch Ti- nischen Krieger zerstört. Sobald alles
tus und die römischen Legionen (70 ein Trümmerfeld war, setzten sie die
n.Chr.). Ruinen in Brand, um so Gottes Heilig-
Die noch zukünftige Verwüstung des tum restlos zu entweihen. In der Ab-
Tempels, wie sie in Matthäus 24,15 vor­ sicht, Israel gänzlich zu zerstören, ver-
ausgesagt wird. brannten sie alle Versammlungsstätten
Als die babylonischen Zerstörer fertig Gottes im Land.
waren, schien es, als habe Gott sein 74,9 Die extreme Notlage des Volkes
Volk ein für alle Mal verlassen. Wie die wird zusammengefasst in drei Dingen,
Israeliten den Rauch aus den Trüm- die fehlen, und in vier Fragen. Es feh-
mern steigen sahen, legten sie richtiger- len:
weise die Katastrophe als das Rauchen Zeichen. Das wunderbare Eingreifen
von Gottes Zorn aus. Aber selbst dann Gottes, das Israel in der Vergangenheit

650
Psalm 74 und 75

erfahren hat, hat offensichtlich auf­ glück mit einbezogen ist. Der Feind hat-
gehört. te seinen Namen gelästert, ja, schmut-
Propheten. Die prophetische Stimme zige, törichte Leute hatten Schande auf
schwieg zu dieser Zeit (Hes 3,26). ihn gehäuft.
Hoffnung auf Erleichterung. Niemand Doch die Not seines Volkes ist ver-
wusste, wie lange dieses Elend an­ zweifelt. Die Israeliten flehen ihn an, sie
dauern würde. nicht aufzugeben, nicht seine Turteltau-
74,10-11 Die vier Fragen sind: be dem babylonischen Raubtier zu
Wie lange wird Gott dem Feind er­ überlassen. Auch möge er nicht seine
lauben, zu höhnen? Elenden für immer vergessen. Sie bitten
Wird Gott erlauben, dass sein Name ihn, den Bund, den er mit Abraham
ohne Ende geschmäht wird? schloss, zu beachten, jetzt, wo die
Warum hält er seine Hand zurück Schlupfwinkel des Landes voller Ge-
und wehrt der Zerstörung nicht? walttat und Grausamkeit sind. Sie bit-
Warum hält er seine Rechte teil- ten ihn, die Unterdrückten wieder zu
nahmslos in seinem Gewandbausch? Ehren zu bringen und nicht in Schande,
74,12-17 Doch der Psalmist findet und ihnen reichlich Grund zu verlei-
Hoffnung und Trost in der Erinnerung hen, seinen Namen aufs Neue zu prei-
an Gottes große Macht, die er in der sen, weil er ihre Gebete erhört hat.
Vergangenheit zugunsten seines Volkes 74,22-23 Letztendlich ist es Gottes Sa-
einsetzte. Als Israels König von alters che, die auf dem Spiel steht. Er muss
her hat er sich deutlich gezeigt durch die Ehre seines Namens verteidigen,
die wunderbaren Befreiungen, die er an weil ihn die Widersacher täglich höh-
manchen Orten bewirkte. Zum Beispiel nen. Er darf den zunehmenden Spott
teilte er das Rote Meer durch seine seiner Feinde nicht vergessen, der die
Macht, um einen bequemen Fluchtweg Luft beständig mit Herausforderungen
für die Juden vor den Ägyptern zu erfüllt.
schaffen. Dann, als die ägyptischen
Wasserungeheuer (Pharao und seine Psalm 75: Die Quelle wahrer
Soldaten) zu folgen versuchten, ließ er Erhöhung
die Wasser zum Normalzustand zu- Das Gebet von Psalm 74 ist in Psalm 75
rückkehren und ertränkte die feind­ erhört. Gott wird aufstehen und seinen
lichen Heere. Er zerschmetterte die Rechtsstreit führen (Psalm 74,22) und
Köpfe des Leviatans, des monströsen alle Rebellion niederschlagen. Letztlich
Krokodils, das die ägyptische Macht blickt der Psalm voraus auf den ge-
symbolisierte. Und die Leichen der Sol- schichtlichen Augenblick, wenn der
daten wurden ans Ufer gespült und Herr Jesus auf die Erde zurückkehrt,
wurden den Haifischen des Meeres zur um in Gerechtigkeit zu regieren.
Speise. Er ließ in der Wüste Quellen 75,1-2 In Erwartung dieses Ereig-
und Bäche hervorquellen und trocknete nisses führt der Retter sein Volk an,
den Jordan aus; so konnte das Volk in Gott zu danken. Alle Wunder Gottes
das Verheißene Land einziehen. Tag verkünden, wie nahe er seinen Auser-
und Nacht stehen unter seiner Herr- wählten ist, um sie zu befreien und ihre
schaft, und Sonne, Mond und Sterne Feinde zu bestrafen. Alle seine mäch-
versehen ihren Dienst nach seinen An- tigen Wunder beweisen seine Fürsorge.
weisungen. Er war es, der die Topo­ 75,3 Derselbe Sprecher sagt: »Wenn
grafie und die Geografie der Erde be- mein Zeitpunkt gekommen ist, werde
stimmte, auch die Jahreszeiten unter- ich gerecht richten.« Der Zeitpunkt ist
stehen seiner Kontrolle. von Gott, dem Vater, festgelegt worden
74,18-21 Der Psalmist erinnert den (Mk 13,32). Wenn es so weit ist, wird er
HERRN daran, dass auch er in das Un- es in die Hand nehmen, die Weis­sagung

651
Psalm 75 und 76
Psalm 76: Der Zorn des Menschen
von Jesaja zu erfüllen: »Ein König wird
preist Gott
in Gerechtigkeit regieren« (Jes 32,1).
75,4 Zu jenem entscheidenden Zeit- Im Jahr 701 v.Chr. drohten die Assyrer
punkt, wenn die Grundlagen mensch- unter Sanherib, Jerusalem zu zerstören.
licher Regierung zerbrechen, wird er Doch bevor sie sich der Stadt auch nur
sein Reich aufrichten, das niemals er- nähern konnten, suchte der Engel des
schüttert wird. Wenn auch die mensch- Herrn ihr Lager bei Nacht heim und er-
liche Gesellschaft geistlich, politisch schlug 185.000 Mann.
und moralisch einen völligen Nieder- Diese Vernichtung der Assyrer ist in
gang erleben wird, werden die Säulen Jesaja 37,36-38 beschrieben. Wenn wir
seiner Herrschaft fest und sicher ste- Psalm 76 vor diesem geschichtlichen
hen. Hintergrund sehen, wird er auf neue
75,5-6 Er sagt zu den Tobenden: »Tobt und überraschende Weise lebendig. Es
nicht!« und zu den Gottlosen: »Wer lohnt sich, diese Geschichte beim Lesen
meint ihr, dass ihr seid? Seid nicht so dieses Psalms zu bedenken.
stolz, selbstsicher und halsstarrig. Er- 76,1-2 Gott ist in Juda bekannt, weil er
hebt euch nicht in Selbstbetrug!« auf spektakuläre Weise das Heer zer-
75,7-8 »Wahre Erhöhung geschieht schlug, das Jerusalem und das Heilig-
nicht auf diese Weise. Sie kommt weder tum bedrohte. Groß ist sein Name in
von Osten noch von Westen, noch aus Israel wegen dieses unvergesslichen
der Wüste des Südens.« Dass der Nor- Kapitels jüdischer Geschichte.
den nicht erwähnt wird, kann daran lie- 76,3-5 Er bestimmte Jerusalem, die
gen, dass die Eroberer gewöhnlich aus Stadt des Friedens, zu seiner Haupt-
dem Norden kamen, und das bedeutete stadt und den Berg Zion zu seiner Woh-
Unterwerfung und nicht Erhebung. nung. Darum zerschmetterte er das
Oder es liegt daran, dass Gottes Wohn- Heerlager der Feinde, die Brandpfeile,
platz manchmal mit dem Norden asso- die Schilde und Schwerter zum Krieg
ziiert wird (Jes 14,13; Ps 48,3). In jedem und alle anderen Waffen.
Fall ist klar, dass »wahre Erhöhung« Diese auf einem Berg erbaute Stadt ist
aus keiner menschlichen Quelle kommt, glanzvoller als alle Berge des Raubes,
sondern nur von dem Herrn. Er ist der d.h. alle großen heidnischen Herrschaf-
alles überragende Herrscher, der diesen ten, die sie geplündert hatten. Jetzt sind
erhöht und jenen erniedrigt. die Räuber beraubt, der Gott Jerusalems
75,9 Als der Erniedriger hat er einen ist herrlicher als alle Macht, die sich ge-
Becher in seiner Hand, der den Wein gen Juda erheben könnte.
des Gerichts enthält. Er schäumt und ist 76,6-7 Dies kann man an dem sehen,
voll Würze. Das heißt, er ist in ungedul- was mit dem assyrischen Heer gesche-
diger Bewegung und hochwirksam. hen ist. Die starkherzigen Krieger lie-
Wenn er ihn ausschenkt, werden die ßen plötzlich ihre Waffen fallen. In ei-
gottlosen Bewohner der Erde gezwun- nem Augenblick wurden sie kraftlos.
gen sein, ihn ganz zu leeren – selbst den Ein Wort des Gottes Jakobs genügte,
Bodensatz müssen sie trinken. um sowohl Reiter als auch Rosse in den
75,10-11 In den letzten zwei Versen ist Schlaf des Todes zu versenken.
immer noch der Herr Jesus der Spre- 76,8-10 Welch ein Gott ist das! Und
cher. Er wird für immer dem Gott Ja- wie sehr sollte er gefürchtet werden! Je-
kobs lobsingen, dem Gott, der sein un- der Widerstand ist zwecklos, wenn ein-
würdiges Volk erhöht hat. Alle Hörner mal sein Zorn entbrannt ist. Sobald er
der Gottlosen, also ihre Kraft und Ehre, ankündigt, dass Gericht vom Himmel
wird er abhauen; aber die Macht und kommen soll, zittert die Erde und wird
Herrlichkeit der Gerechten wird zu­ still – wie die Ruhe vor dem Sturm.
nehmen. Denn Gott steht auf, um das Falsche zu-

652
Psalm 76 und 77

rechtzurücken auf der Erde und ihre nur noch dreimal vor, während die sich
Unterdrückten zu befreien. auf die Gottheit beziehenden Nomen
76,11 Er findet wunderbare Wege, und Pronomen mehr als zwanzigmal
durch die der Grimm der Menschen ihn auftauchen. »Der Dienst Christi durch
preist. Und mit dem, was ihn nicht den Heiligen Geist lässt das ichbezoge-
preist, gürtet er sich so, wie ein erobern- ne Denken verschwinden.«
der General sein Schwert anlegt. Jemand hat den Gedankenfluss hier
einmal mit vier Worten ausgedrückt:
Der Grimm des Menschen preist dich, Seufzen (V. 2-7)
Herr, Versinken (V. 8-11)
Du lenkest ihren Sinn, Singen (V. 12-16)
Und dieser Erden Müh’ und Plag’ Sich emporschwingen (V. 17-21)
Bringt ewigen Gewinn. 77,1-4 Zuerst schüttet Asaf seine Kla-
Was böse Menschen sich erdacht, gen vor Gott aus. Irgendein ungenann-
Bewirkt nur, was Gott will; ter Kummer hat sich bei ihm eingenis-
Drum glaube und sei still! tet. In seinem Elend kann er an nichts
»Sei still und glaube, ich bin Gott!« und niemand denken außer an sich
Dies bannt all unsre Not. selbst. Trotz unablässiger Gebete klagt
Wenn wir durch Erdenängste gehn, er, aller Trost habe ihn verlassen. Er fin-
Ja selbst bis in den Tod. det sich in der unnormalen Situation,
Der’s große Engelheer regiert dass die Gedanken an Gott ihn zum
Hält alles in der Hand, Jammern und nicht zum Jubeln veran-
Und keiner zieht ihn vor’s Gericht, lassen. Je länger er nachsinnt, um so
Noch leistet Widerstand. melancholischer wird er.
Verfasser unbekannt 77,5-7 Nur Gott allein gibt er die
Schuld an seiner akuten Schlaflosigkeit.
76,12a Mit dieser unaussprechlichen Ihm fehlen die Worte, um die Ängste
Größe und Herrlichkeit des Herrn im seines Geistes auszudrücken. Er sucht
Blick wird das Volk Juda ermahnt, dem Trost im Gedenken an die alte Zeit, als
HERRN Gelübde zu machen und sie zu alles glatt verlief. Aber je mehr er sich
erfüllen. mit sich selbst beschäftigt und in sich
76,12b Dann wird den Israel um­ selbst die Überwindung sucht, desto
gebenden Heidenvölkern der Rat er- mehr beginnt er, an der Güte des Herrn
teilt, dem obersten Regenten, diesem zu zweifeln. Er wird von Zweifeln ge-
Furchtgebietenden, als Tribut Ge- plagt, die sich in fünf glaubenslosen
schenke zu bringen; denn er kann die Fragen äußern:
Fürsten der Erde demütigen und den 77,8-11 Die erste entspringt der
mächtigsten Herrschern furchtbare schrecklichen Vorstellung, der Herr
Dinge widerfahren lassen. habe ihn vielleicht auf ewig verstoßen.
Die zweite fragt, ob Gott aufgehört hat,
Psalm 77: Eine Kur gegen Nabelschau gnädig zu sein. Als Nächstes fragt er
In den Versen 2 bis 11 leidet Asaf an sich, ob Gott seine Verheißungen für
einem heftigen Anfall von Selbstbespie- ungültig erklärt hat. Weiter schießt ihm
gelung. Die Personalpronomen ich, der aufdringliche Gedanke durch den
mein, mir, mich finden sich mehr als Kopf, Gott habe vielleicht vergessen,
zwanzigmal, während die Namen Got- gnädig zu sein. Und schließlich fragt er,
tes und die sich auf Gott beziehenden ob Gottes Zorn den Strom seiner Barm-
Pronomen nur jeweils siebenmal vor- herzigkeit verstopft hat. Und er antwor-
kommen. Doch bei Vers 11 gibt es einen tet sich selbst, dass es so sein müsse.
deutlichen Wechsel. In den letzten zehn Die Rechte des Höchsten hat sich ge­
Versen kommt das ich, mein, mir, mich ändert. Sein ganzer Kummer lässt sich

653
Psalm 77 und 78

damit erklären, dass Gott ihm gegen­ Anwärter für eine psychiatrische Kli-
über sein Verhalten geändert hat. nik. Am Ende ist er ruhig und heiter.
77,12-14 Doch in Vers 12 finden wir Und der Psalm ist eine Illustration des
einen geistlichen Wendepunkt, ver- bekannten Spruchs:
gleichbar dem Übergang von Römer 7 Beschäftigung mit sich selbst macht
zu Römer 8. Nachdem ihn die Selbst­ elend;
bespiegelung in tiefste Verzagtheit ge- Beschäftigung mit anderen macht
worfen hat, wendet Asaf seine Augen mutlos;
nun himmelwärts und entschließt sich, Beschäftigung mit Christus macht
über Gottes Eingreifen zugunsten sei- froh.
nes Volkes nachzudenken, wenn es in
der Vergangenheit in Engpässe geraten Psalm 78: Ein Lehrgedicht aus der
war. Geschichte
Dies führt ihn sogleich dazu, anzu­ »Gottes Gnadenwege und Israels ver-
erkennen, dass Gott heilig ist, dass al- kehrte Wege« – so fasste Bellett die Bot-
les, was er tut, vollkommen, gerecht schaft dieses Psalms zusammen. Es ist
und gut ist. Er macht keine Fehler. eins der großen Lieder über Israels Ge-
77,15-16 Insbesondere denkt der Psal- schichte. Sein Zweck ist, dass wir aus
mist an die wunderbare Erweisung der der Vergangenheit lernen, damit wir
Macht Gottes bei der Erlösung des nicht verurteilt sind, sie zu wieder­
Volkes Israel aus der ägyptischen holen.
Sklaverei. Dadurch schwingt er sich
empor. Das ich, mein, mir, mich ist völlig Die Einladung des Psalmisten, aus der
aus seinem Vokabular verschwunden. Geschichte zu lernen (78,1-4)
Die Selbstzentriertheit hat der Gott­ 78,1-4 Der Psalmist bittet um die Auf-
zentriert­heit Platz gemacht. merksamkeit seines Volkes (und um
77,17-19 In prachtvoller dichterischer die unsrige), weil er in einem Spruch
Sprache beschreibt er, wie die Wasser oder einer Gleichnisrede sprechen will.
des Roten Meeres aufblickten und ihren Wir sollen die tiefere Bedeutung verste-
Schöpfer schauten, um in höchstem hen, die hinter dem Berichteten steht.
Schrecken zu entfliehen. Die ganze Na- Wenn er verschiedene Kapitel aus der
tur explodierte in einem gewaltigen Geschichte des Volkes ins Gedächtnis
Sturm. Regenströme ergossen sich. Mit ruft, so werden darin Lektionen verbor-
gewaltigem Krachen dröhnten die gen sein, die er »Rätsel aus der Vorzeit«
Stimmen des Donners. Blitze zuckten nennt. So wie unsere Eltern uns einen
und machten die Umgegend hell. Ein Bericht über die Vergangenheit über­
reißender Wirbelwind verwüstete die lieferten, sind wir verpflichtet, dem
Landschaft, und die Erde bebte unter künftigen Geschlecht mitzuteilen, wie
seinen furchtbaren Schlägen. der Herr mit seinem Volk in Gnade und
77,20-21 Gott selbst bahnte eine Stra- Gericht gehandelt hat.
ße durch das Meer. Er war es, der sei-
nem Volk den Pfad öffnete, sodass es Gottes gnädige Absichten, indem er das
trockenen Fußes hindurchgehen konn- Gesetz gab (78,5-8)
te. Wie so oft gab es reichlich Beweise 78,5-8 Asaf beginnt sein Lehrgedicht
seiner Gegenwart und Macht; obwohl mit der Einsetzung des Gesetzes. Gott
er selbst sich in Schatten verbarg. gab es Israel mit der Anweisung, es
Der Psalm endet mit einem friede- treulich den künftigen Geschlechtern
vollen Klang – der göttliche Hirte führt weiterzugeben. Gottes Wunsch bei all-
Israel unter der Leitung Moses und dem war vierfältig:
Aarons durch die Wüste nach Kanaan. Die Israeliten sollten seine Hoffnung
Am Anfang war Asaf ein möglicher auf ihn setzen.

654
Psalm 78

Sie sollten seine herrlichen Werke in der Wüste – aber ihr Gedächtnis war
nicht vergessen. kurz.
Sie sollten gehorsam sein.
Sie sollten aus der Vergangenheit ler- Die anmaßende Forderung des Volkes nach
nen und nicht die Rebellionen ihrer Brot und Fleisch (78,17-22)
Vorfahren wiederholen. 78,17-22 Sie fingen an, den Herrn we-
gen ihrer Nahrung zu versuchen. Un-
Ungehorsam, Rebellion und zufrieden und mürrisch stellten sie
Undankbarkeit des Volkes (78,9-11) dem Höchsten neue Forderungen. Sie
78,9-11 Doch was geschah? Unter der deuteten an, Gott habe sie in die Wüste
Leitung Ephraims verließen sie den geführt, um sie dort verhungern zu las-
Herrn. Mit Bogen bewaffnet, wendeten sen. Sie bezweifelten seine Fähigkeit,
sie sich am Tag des Kampfes zurück. sie zu versorgen. Murrend erkannten
Dies mag sich auf ihre schmähliche sie an, dass er sie mit Wasser versorgt
Feigheit in Kadesch-Barnea beziehen, hatte, doch stellten sie seinen Willen
wo sie den pessimistischen Bericht der und seine Fähigkeit infrage, ihnen Brot
Kundschafter annahmen. Oder es kann und Fleisch zu geben.
auf ihr Versagen anspielen, die Kanaa- Dieses Misstrauen seines Volkes
niter gänzlich aus dem Land zu vertrei- machte den HERRN tatsächlich zornig.
ben. Wahrscheinlicher aber ist, dass es Er wurde verständlicherweise zornig,
sich um eine Beschreibung ihres cha- dass sie seiner Rettermacht nicht ver-
rakteristischen Verhaltens handelt. Sie trauten. Er ließ das Feuer seines
brachen wiederholt und mit Absicht Grimmes gegen Israel aufsteigen.
das Gesetz Gottes. Sie gewöhnten sich
daran, die mächtigen Wunder zu ver- Gottes gnädige Versorgung mit Manna
gessen, die er zu ihrem Wohl gewirkt (78,23-25)
hatte. 78,23-25 Sie verlangten Brot. Aber es
gab keine Supermärkte in der Wüste,
Das Volk vergaß seine Erlösung aus auch waren die Zutaten zum Brot­
Ägypten (78,12-14) backen nicht vorhanden. So öffnete
78,12-14 Sie vergaßen Ägypten – und Gott die Tore seiner himmlischen Korn-
das Wunder ihrer Befreiung aus der kammer und ließ unerschöpfliche Men-
harten Sklavenarbeit in dem Gebiet von gen von Manna herabregnen. Das Volk
Zoan. Wie konnten sie die Durch­ genoss jetzt etwas Besseres als Brot; es
querung des Roten Meeres vergessen – hatte Brot der Starken (der Engel), Him-
als die Wasser wie eine Ehrenwache an melsgetreide.
beiden Seiten von ihnen standen, so-
dass sie trockenen Fußes hindurch­ Gottes gnädige Versorgung mit Wachteln
gehen konnten? Dann war da das Wun- (78,26-31)
der der Herrlichkeitswolke, die sie am 78,26-31 Auch Fleisch wollten sie. Aber
Tag leitete, und der Feuersäule, die wo konnte man für eine solche Men-
nachts vor ihnen herging. schenmenge Fleisch in der Wüste fin-
den? Gott löste das Problem, indem er
Das Volk vergaß die wundersame einen Ostwind losbrechen ließ, der
Versorgung mit Wasser in der Wüste Schwärme von Wachteln mitten ins
(78,15-16) Lager der Israeliten warf. Diese Vögel
78,15-16 Schnell vergaßen sie, dass Gott waren gewiss nicht in der Wüste zu
sie reichlich mit Wasser versorgte, in- Hause; sie mussten von weither ge-
dem er Felsen in der Wüste spaltete. bracht werden. Aber sie waren reichlich
Dann kamen Ströme heraus wie aus ei- und umsonst bereitgestellt.
ner riesigen Quelle. Ströme von Wasser Während das Volk noch die Wachteln

655
Psalm 78

in sich hineinschlang, stieg der Zorn hatte, wie er sie von ihrem Bedränger
Gottes gegen es auf. Er sandte eine Pla- erlöste. Ihre Befreiung aus Ägypten
ge, und viele stattliche junge Männer war bis dahin der großartigste Beweis
Israels kamen um. göttlicher Macht in der Menschheits­
geschichte. Doch sie hielten das für
Des Volkes fortgesetzte Sünde und Gottes selbstverständlich.
unwandelbare Gnade (78,32-39) 78,43 Die Verse 43 bis 53 blicken wie-
78,32-39 Trotz all dieser Liebesbeweise der auf Ägypten zurück, diesmal geht
waren ihre Herzen immer noch ungläu- es vor allem um sechs von den zehn Pla-
big. Nichts, was Gott tat, gefiel ihnen. gen, und zwar in folgender Reihenfolge:
Trotz seiner Wundertaten waren sie Erste Plage – die Flüsse wurden zu Blut
zwanghafte Nörgler. So suchte der (V. 44).
HERR das Volk von Zeit zu Zeit mit Vierte Plage – Hundsfliegen (Ungezie-
Tod und Zerstörung heim. Dies schien fer) (V. 45a).
für eine Zeit zu den Überlebenden zu Zweite Plage – Frösche (V. 45b).
reden; sie wandten sich zu dem Herrn, Achte Plage – Heuschrecken (V. 46).
bekannten ihre Gottlosigkeit und wur- Siebte Plage – Hagel (V. 47-48).
den ernsthafte Sucher. Sie begriffen, Zehnte Plage – Tod der Erstgeborenen
welch eine Zuflucht er ihnen gewesen (V. 49-51).
war, wie er sie aus den Schrecken Ägyp- 78,44 Gott verwandelte die Flüsse in
tens erlöst hatte. Aber schon bald war Blut, sodass die Ägypter nicht aus ih-
ihr Leben wieder eine Lüge. Sie redeten nen trinken konnten. Der von ihnen für
fromm, aber handelten verderbt. Sie heilig gehaltene Nil war plötzlich ver-
waren wankelmütig und ungehorsam. unreinigt. Aber die Wasserspeicher der
Der Herr zeigte eine überwältigende Israeliten blieben davon verschont.
Zurückhaltung. Wegen seiner über­ 78,45 Er sandte Schwärme von
reichen Barmherzigkeit vergab er ihre Hundsfliegen in alle Häuser der Ägyp-
chronischen Rückfälle und hielt die ver- ter. Sie beteten Beelzebub an, den
diente Katastrophe zurück. Er dachte da- »Herrn der Fliegen«, und nun wandte
ran, dass sie Fleisch sind, das heute lebt sich dieser Gott um, um sie zu ver-
und morgen zugrunde gegangen ist. schlingen. Interessanterweise überfie-
len die Hundsfliegen nicht das Land
Ein Volk von Rebellen, Provokateuren und Goschen, wo die Israeliten wohnten.
Undankbaren (78,40-41) Er sandte die Plage mit den Fröschen
78,40-41 Der Psalmist nimmt nun die nach Ägypten. Als Fruchtbarkeitssym-
ganze traurige Geschichte noch einmal bol verehrt, verdarben die Frösche nun
durch (V. 40-58). Wenn uns als Leser das Volk in dem Sinn, dass sie das nor-
die­se Wiederholung schon ermüdet, male Leben zum Stillstand brachten.
sollten wir bedenken, wie übel sie für Doch die Plage berührte nur die Ägyp-
den Herrn war! ter; die Hebräer wurden von Gottes
Die wiederholten Rebellionen in der Hand beschützt.
Wüste betrübten sein Herz. Immer wie- 78,46 Gott sandte Heuschrecken, die
der stellten sie ihn auf die Probe und das Land Ägypten bedeckten. Von dem
kränkten den Heiligen Israels, indem Gott Serapis meinten die Menschen, er
sie ihm Grenzen setzten (V. 41 nach beschütze sie vor diesen zerstörerischen
KJV). Insekten. Aber Serapis war machtlos.
Die Ernte war dahin; der Ertrag war
Das Volk vergaß immer wieder seine verzehrt. Während alldem sahen die
Erlösung aus Ägypten (78,42-53) Israe­liten weder Schaben noch Heu­
78,42 Sie erinnerten sich nicht daran, schrecken.
wie stark er sich ihretwegen erwiesen 78,47-48 Die siebte Plage brachte Ha-

656
Psalm 78

gel, Regenfluten und Blitze und richtete 78,54-55 Er brachte sie an die Grenze
schreckliche Verwüstungen unter Men- des heiligen Landes, zu dem Bergland,
schen, Rindern, Schafen, Weinstöcken das seine Rechte für sie erworben hatte.
und Bäumen an. Doch war es ein Ge- Natürlich war es zu der Zeit von göt-
richt, bei dem ein deutlicher Unter- zendienerischen Heiden bewohnt, dar-
schied gemacht wurde. »Nur im Land um trieb er die Nationen aus und ver-
Goschen, wo die Söhne Israels waren, teilte das Land unter die Stämme Is­
fiel kein Hagel« (2. Mose 9,26). raels. Kein Hirte sorgte jemals freund-
78,49 Dann erreichten die göttlichen licher für seine Schafe, als der HERR es
Schläge ihren Höhepunkt: die Tötung mit den Seinen tat!
der Erstgeborenen. Der Psalmist spricht
davon, Gott habe die Glut seines Zorns Die Treulosigkeit des Volkes und der
losgelassen, dazu Grimm, Verwün- Götzendienst im Land (78,56-58)
schungen und Bedrängnis. Es war das 78,56-58 Waren sie ihm dankbar? Nein!
Werk einer Schar von Unglücksboten Während der Richterzeit versuch­­ten sie
(-en­geln). In einigen Schriftstellen wird ihn aufs Äußerste; sie rebellierten gegen
der Herr selbst als der beschrieben, der ihn, sie missachteten seine Mahnungen.
durch Ägypten geht, um die Erstgeburt Wie die Väter – so die Söhne. Sie erwie-
zu verderben (2. Mose 11,4; 12,12.23.29); sen sich als völlig treulos und unzuver-
doch in 2. Mose 12,23 ist von einem Ver- lässig, wie ein schlaffer Bogen, dem der
derber die Rede, durch den er dies tun Schütze nicht trauen kann. Sie erbitter­
ließ. Der Psalmist legt nahe, es habe ten den Herrn durch ihre Götzenschrei­
sich um eine Schar von verderbenden ne auf den Bergen und reiz­­­­­­­ten ihn
Engeln gehandelt. schrecklich mit ihren Götzenbildern.
78,50-53 Er bahnte seinem Zorn einen
Weg, dass er ungehindert lodern konn- Gottes Zorn und seine Verwerfung Israels
te. In jedem ägyptischen Haus war der (78,59-67)
Erstgeborene von einer ungenannten 78,59-60 In dichterischer Sprache zeich-
Plage oder Seuche hingerafft. Die Blüte net der Psalmist Gott, als höre er von
der ägyptischen Männer starb in einer ihrer finsteren Undankbarkeit und sei
Nacht. Aber die Häuser der Israeliten deshalb in flammenden Zorn geraten.
waren durch das Blut des Passah­ In Wirklichkeit war das für den HERRN
lammes beschützt, und nicht ein hebrä­ keine Überraschung, sondern nur das
ischer Sohn wurde umgebracht. letzte Glied in einer langen Kette von
Alle diese Plagen machten einen so Rebellionen. Diesmal jedoch ließ er es
deutlichen Unterschied, dass es dafür Israel spüren, d.h. seine nördlichen
niemals eine natürliche Erklärung ge- Stämme, die die Anführer in den Her­
ben konnte. Wie konnten die Juden je- ausforderungen und Rebellionen wa-
mals aufhören, für die wunderbare ren. Er gab Silo als Ort des Heiligtums
Weise zu danken, in der Gott ihret­ auf, als die Stelle auf Erden, die er an-
wegen gewirkt hatte? fänglich erwählt hatte, um unter sei-
Er führte sie wie eine Herde aus nem Volk zu wohnen.
Ägypten und leitete sie durch die pfad- 78,61-64 Zu dieser Zeit erlaubte Gott
lose Wüste. »Er leitete sie sicher. Sie seiner »Kraft« – gemeint ist die Bundes-
hatten nichts zu fürchten, während das lade –, von den Philistern in die Gefan-
Meer ihre Feinde verschlang« (Ge­ genschaft geführt zu werden. Das gold-
lineau). Das war eine wunderbare Zur- bedeckte Symbol seiner Herrlichkeit
schaustellung seiner Liebe und Macht! geriet in die Hand des Feindes (1Sam
Das Volk vergaß immer wieder, dass 4,11a). Dort entstand ein schreckliches
Gott es voller Güte in das Verheißene Gemetzel unter dem Volk Israel; 30.000
Land brachte (78,54-55) Kämpfer fielen in der Schlacht (1Sam

657
Psalm 78 und 79

4,10). Wo so viele junge Männer im Dann holte ihn der Herr, damit er
Krieg umgekommen waren, gab es kei- Gottes Volk Jakob und Israel, sein Erb-
ne Hochzeitslieder und keine Heirat für teil, weidet. Und David tat das auch.
die Jungfrauen. Die durchs Schwert ge- 78,72 Und er weidete sie nach der
fallenen Priester waren Hofni und Pin- Lauterkeit seines Herzens, und mit der
has, die verdorbenen Söhne Elis (1Sam Geschicklichkeit seiner Hände leitete er
4,11b). Ihre Witwen hielten keine To- sie.
tenklage, vielleicht weil der Schmerz So endet der Psalm mit einem friede-
über den Raub der Bundeslade durch vollen Bild des Hirtenlebens. Aber be-
die Philister alles andere weit überwog. vor wir weitergehen, müssen wir uns
Sie verstanden, dass die Herrlichkeit selbst noch daran erinnern, dass Israels
von Israel gewichen war (1Sam 4,19- Geschichte nur ein Spiegel unserer ei-
22). genen ist. Und auf jeden Fall sind wir
78,65-66 Eine Weile schien es, als sei schuldhafter als Israel, weil unsere Vor-
dem HERRN die Notlage Israels gleich- rechte so viel größer sind. Wir leben im
gültig; doch dann erwachte er in glü- vollen Strom der Liebe von Golgatha ‒
hender Entrüstung, wie ein Held, der wie könnten wir jemals klagen oder re-
vom Wein nüchtern wird. Und welch bellieren oder den Herrn reizen oder es
eine Schlappe bedeutete das für die an Dankbarkeit fehlen lassen? Doch wir
Philister! Er schlug sie zurück. Sie wissen uns verurteilt. Wir haben den
wandten sich und flohen – das war eine Heiligen Israels unendlich oft heraus-
schmachvolle Niederlage für sie (1Sam gefordert. Wir haben ihn durch unser
7,10.11; 13,3-4; 14,23). tausendfaches Versagen betrübt. Wir
78,67 Gott blieb bei seiner Entschei- haben gemurrt und genörgelt trotz
dung, das Zelt Josefs zu verwerfen; den zahlloser Segnungen.
Stamm Ephraim wollte er nicht erwäh- Gottes Geduld ist nicht unerschöpf-
len. Hier werden sowohl Josef als auch lich. Es kommt eine Zeit, in der er uns
Ephraim benutzt, um die Nordstämme die Bitterkeit unserer Untreue spüren
zu kennzeichnen. Nachdem Ruben das lassen wird. Wenn wir seine Gnade ver-
Erstgeburtsrecht verspielt hatte, emp- achten, werden wir seine Regierungs-
fing Josef in seinen Söhnen Ephraim wege erleben. Wenn wir es ablehnen,
und Manasse ein doppeltes Teil, was ihm loyal und in Treue zu dienen, wird
das Landerbe betraf. er andere finden, die dies tun. Wir wer-
den den Segen verlieren und niemals
Gott erwählte Juda, den Berg Zion und einen besseren Dienstherrn finden.
David (78,68-72)
78,68-69 Doch Ephraim war der Anfüh- Psalm 79: Das Stöhnen der
rer der Rebellion; darum überging Gott Gefangenen
ihn bei der Vergabe der Herrschaft und Psalm 79 ist quasi ein Partner von Psalm
verlieh diese Ehre Juda. Denn in Judas 74. Jener handelte vor allem von der
Gebiet liegt der Berg Zion, den er als Zerstörung des göttlichen Hauses – des
Ort für den Bau seines Heiligtums er- Tempels. Obwohl auch dieser Psalm
wählte – aufragend wie Himmelshöhen kurz von der Zerstörung des Tempels
und unbeweglich wie die Erde. redet, beschäftigt er sich doch vor allem
78,70-71 Und von Juda wiederum er- mit dem Wüten gegen Gottes Volk – die
wählte er David, seinen Knecht. Dieser Israeliten. Der Psalmist bittet für die Ju-
Hirtenkönig absolvierte seine Lehrjahre den mit ungewöhnlicher Beredsamkeit
zwischen den Schafherden, wo er sich um Erleichterung und Wieder­belebung.
um die Muttertiere kümmerte, die Jun- 79,1 Die heidnischen Aggressoren
ge hatten. Dort lernte er im Umgang sind ins Land Israel eingefallen und ha-
mit der Natur geistliche Wahrheiten. ben wie Panzertruppen die Hauptstadt

658
Psalm 79 und 80

überrannt. Das Heiligtum wurde von gebe es gar nicht. Dies ist seine große
ihren unheiligen Füßen verunreinigt, Möglichkeit, seine Existenz unter Be-
und die geliebte Stadt ist jetzt nichts als weis zu stellen, indem er Vergeltung
ein Schutthaufen. auf sie herabregnen lässt, um das ver-
79,2-4 Das Blutbad war schrecklich. gossene Blut seiner loyalen Knechte zu
Die Luft ist erfüllt vom Geruch ver­ rächen.
wesenden Fleisches. Jüdische Leiber 79,11-12 Der Psalmist bittet Gott, auf
liegen überall und müssen die letzte Er- das Trauern und Seufzen der Gefange-
niedrigung erleiden, nicht begraben zu nen zu hören und die zu retten, die dem
werden. Die Geier schwingen sich auf Tod verfallen sind, und zwar auf eine
sie nieder, und die wilden Tiere ver- Weise, die seiner großen Kraft würdig
schlingen gierig ihre Beute. Blut ist ge- ist. Und er bittet, den Feinden möge all
flossen wie Wasser rings um Jerusalem, ihr gotteslästerliches Höhnen sieben-
und die Eroberer kümmerten sich nicht fach vergolten werden, das sie gegen
um die Beerdigung der Erschlagenen. den Herrn gerichtet hatten.
Israels heidnische Nachbarn amüsieren 79,13 All dies würde Frieden für Is­
sich über die nationale Katastrophe. rael und Lob für Gott bedeuten. Seine
79,5-7 Es ist ein offensichtliches Zei- liebende Herde wird niemals aufhören,
chen von dem glühenden Zorn des ihm zu danken. Ein Geschlecht wird
HERRN und von seinem eifersüchtigen nach dem anderen aufstehen, um sein
Grimm; doch wie lange wird sein Eifer Lob zu erzählen.
gegen Israel brennen? Ist es nicht an der
Zeit, sich gegen die Heiden zu wenden, Psalm 80: Der Mann zur Rechten
damit ein Wandel eintritt? Immerhin Gottes
kennen diese Völker den HERRN nicht Kummer und Seufzen durchziehen so
(bzw. wollen ihn nicht kennen). Und manchen Psalm, so auch diesen. Zuerst
nun haben sie ihren Sünden die Krone fleht Israel unter dem Bild der Herde
aufgesetzt, indem sie Gottes Volk um- um Vergebung und Wiederherstellung,
gebracht und das Land verwüstet ha- dann unter dem Bild des Weinstocks.
ben. 80,1-4 Der Appell richtet sich an den
79,8-10 Bis hierhin war alles nur Ein- »Hirten Israels«. Das ist ein Name
leitung. Jetzt kommt der Psalmist auf Gottes, der im Segen Jakobs über Josef
den Kern des Problems zu sprechen, erscheint: »der Hirte und Fels Israels«
wenn er die Sünde des Volkes als den (1. Mose 49,24). Er war es, der Josef wie
eigentlichen Grund für die Katastrophe eine Herde von Ägypten nach Kanaan
anerkennt. »Rechne uns nicht an die brachte. Er war es, der in der Herrlich-
Schuld der Vorfahren!« Nun, wo das keitswolke zwischen den Cherubim
Bekenntnis ausgesprochen ist, bringt er thronte, die den Gnadenstuhl im Aller-
unwiderstehliche Argumente, die den heiligsten überschatteten. Nun aber
Allmächtigen zur Barmherzigkeit be- scheint es, als habe er Israel verlassen.
wegen. Zuerst appelliert er an das Mit- Das Heiligtum war zerstört, darum das
leid Gottes; diese hatte das Volk nie nö- Gebet zu ihm, er möge in Gnade und
tiger als jetzt. Dann gründet er sein Fle- Gunst hervorstrahlen und seine Macht
hen auf die Herrlichkeit des Namens erweisen vor Ephraim, Benjamin und
Gottes. Der Herr hatte denen Ver­ Manasse. Dies waren die drei Stämme,
gebung und Erlösung versprochen, die die bei der Prozession die Vorhut bil-
zerbrochen und voll Reue sind. Jetzt deten, wenn die Kehatiter die Bundes-
steht die Ehre seines Namens auf dem lade trugen. Hier repräsentieren sie
Spiel. Und schließlich ist es wichtig, ganz Israel, und sie flehen Gott mit
den Hohn des Feindes zum Schweigen höchster Dringlichkeit an, seine Macht
zu bringen. Sie sagen, den Gott Israels zu erwecken (vielleicht würden wir sa-

659
Psalm 80 und 81

gen »die Muskeln anzuspannen«) und mischen Legionen verheert, die stolz
zu ihrer Rettung zu kommen. Sie bitten einen Eber in ihrem Feldzeichen mit
ernstlich, er möge Israel wiederherstel- sich führten.
len, das in der Gefangenschaft war. 80,15-16 Wieder fleht das Volk zu
Wenn nur sein Angesicht mitleidig über dem Gott der Heerscharen, er möge im
ihnen leuchten würde, wären sie sich Segen zu ihm zurückkehren. Die Is­
ihrer Rettung sicher. raeliten möchten, dass er vom Himmel
80,5-8 Schrecklich weit war Israel von herniederschaut und Mitleid mit die-
dem HERRN, dem Gott der Heerscha- sem Weinstock zeigt, den sie einen
ren (JHWH Elohim Zebaoth), entfernt. Er Weinstock nennen, den »deine Rechte
ist nicht nur wegen ihrer Sünden zor- gepflanzt hat, den Sohn, den du dir hast
nig, sondern auch wegen ihrer Gebete. stark werden lassen«. Interessanterwei-
Tränenbrot gab er ihnen zur Speise und se gibt der Targum dies mit »und auf
Ströme von Tränen zum Trinken. Er hat den König, den Messias, den du dir auf-
sie zum Gegenstand von Zank und gerichtet hast« wieder. In Vers 16 scheint
Streit für ihre Nachbarn gemacht, und es logischer zu sein, den Weinstock und
sie sind die Zielscheibe des grausamen den Sohn auf Israel zu beziehen. Zwei
Spotts ihrer Feinde. Es gibt nur eine Lö- Verse weiter aber wird unmissverständ-
sung: Der Gott der Heerscharen (Elohim lich der Messias eingeführt.
Zebaoth) muss in Gnade und Rettung 80,17 Der Weinstock wurde von den
auf sie herabblicken. eindringenden Heeren abgehauen und
80,9-12 Gott brachte Israel als zarten verbrannt. Sie verdienen es, durch ein
Weinstock aus Ägypten. Um ihn in dem verdammendes Schelten des Herrn ver-
Land der Verheißung einzupflanzen, nichtet zu werden.
vertrieb er die Bewohner Kanaans. Wie 80,18-19 »Deine Hand sei über dem
ein Landeigner den Boden säubert und Mann deiner Rechten, über dem Men-
bearbeitet, so machte sich der Herr schensohn, den du dir hast stark wer-
große Mühe mit seinem Volk. Die Ver- den lassen.« Der Mann zur Rechten
pflanzung war gelungen. Der Wein- Gottes ist der Herr Jesus Christus
stock schlug tiefe Wurzeln, und die Be- (Ps 110,1; Hebr 1,3; 8,1; 10,12). Der
völkerung mehrte sich und erfüllte das »Sohn des Menschen« ist der Titel, un-
Land. Der Weinstock wurde üppig und ter dem er in den Evangelien sehr häu-
höher an Herrlichkeit als die Berge und fig von sich selbst spricht. Ganz und
stärker als die Zedern Gottes. Seine vollständig wird der Segen über Israel
Zweige reichten vom Mittelmeer auf erst kommen, wenn Christus der ihm
der einen Seite bis zum Euphrat auf der zustehende Platz eingeräumt ist. Dann
anderen. Unter der Herrschaft Salomos wird Israel nie mehr rückfällig werden.
eroberte Israel das Gebiet bis hin zum Wiederbelebt durch den Herrn, wird
Euphrat (1Kö 4,21.24), doch dies hielt Israel den Namen des Herrn anrufen.
nicht lange an. 80,20 Der bekannte Refrain beschließt
80,13-14 Doch dann riss Gott seine den Psalm. Der Hirte wird bedrängt,
schützende Mauer nieder und erlaubte das irrende Schaf wieder zurechtzu-
plündernden Völkern, den Weinstock bringen. Ein Lächeln des Gottes der
zu rupfen. Der Eber und anderes Wild- Heerscharen ‒ und Israel ist gerettet.
getier kamen und weideten ihn ab – zu-
erst Ägypten, dann Assyrien und Ba­ Psalm 81: Das Fest des Posaunenhalls
bylon, später dann Persien, Griechen- Unger beschreibt diesen jüdischen Fest-
land und Rom. Indem der Psalmist das tag so:
Bild des Ebers verwendete, schrieb er
mehr, als er wissen konnte; denn Jahr- Das Fest des Posaunenhalls wurde als
hunderte später wurde Israel von rö- Festtag im strengen Sinn eingehalten, an

660
Psalm 81

dem alle Arbeit ruhte, und als Hörner- 3. Das Orakel Gottes, das wir in den
blasen zur Erinnerung durch einen heili- übrigen Versen des Psalms finden.
gen Ruf zur Versammlung. In späteren Wenn Gott der Sprecher ist, kann der
Zeiten sangen die Priester und Leviten Gedanke sein:
beim Ausgießen des Trankopfers Psalm
81, während sie beim Abendopfer Psalm Ich hörte eine Sprache (die der Ägypter),
29 sangen. Während des ganzen Tages die ich nicht kannte (im Sinn von »an­
wurden vom Morgen bis zum Abend die erkannte«). Williams drückt es so aus:
Posaunen geblasen. … Die Rabbis glaub­ »Er erkannte die Ägypter nicht als seine
ten, dass Gott an diesem Tag alle Men- Schafe an.«
schen richtet und dass sie an ihm vor­
übergehen wie eine Herde vor dem Hir- Für Letzteres spricht, dass sich das
ten.52 Pronomen »ich« im restlichen Psalm
immer auf Gott bezieht.
Das Fest des Posaunenhalls ist ein Bild 81,7-8 Gott hatte die Schultern des
von der Sammlung Israels in seinem Volkes von den Lasten der Sklavenar-
Heimatland, nachdem die Gemeinde beit unter den Ägyptern erlöst. Die
»herausgesammelt« worden ist. Hände der Israeliten waren befreit vom
81,1-6a In den Eingangsversen wer- Tragen der Körbe, die mit Lehm und
den die Israeliten aufgefordert, ins Lob Ziegeln gefüllt waren. Von all ihrer Be-
Gottes einzustimmen, der die Quelle ih- drängnis befreite er sie, wenn sie riefen.
rer Stärke ist. Und sie sollen dem Gott Er antwortete im Donnergewölk – was
Jakobs (d.h. dem Gott aller Gnade) zu- auf die Wolke hindeutet, die sie führte
jauchzen. Die Leviten werden aufgefor- und beschützte ‒ oder auf die Gesetz­
dert, den fröhlichen Chor mit ihren In- gebung am Sinai. Er prüfte sie an den
strumenten zu begleiten, während die Wassern von Meriba, wo Mose den Fel-
Priester die Ankunft des siebten Neu- sen schlug und Gottes Missfallen er­
monds mit dem Blasen des Schophar- regte.
horns anzeigen. Es ist ein Fest, das 81,9-11 Er hatte sie ernstlich daran er-
durch Gott für das Volk Israel fest­ innert, dass der Weg des Segens in der
gesetzt wurde (3. Mose 23,23-25; 4. Mose Treue zu dem einen wahren Gott liegt.
29,1). »Er setzte ein Zeichen in Josef Sein Verbot des Götzendienstes war un-
(hier steht Josef für ganz Israel), als er missverständlich. Nachdem er sie dar-
auszog gegen das Land Ägypten.« Dies an erinnerte, wie er sie aus dem Land
scheint zu bedeuten, Gott habe dieses Ägypten gebracht hat, gab er ihnen die
Fest nach der Konfrontation mit Ägyp- wunderbare Verheißung, dass, wenn
ten eingesetzt – und nachdem das Volk sie ihren Mund weit öffneten, er ihn fül-
aus jenem Land gekommen war. len würde. Diese Verheißung haben
81,6b Am Ende von Vers 6 lesen wir: faule Prediger irrtümlich auf sich bezo-
»Eine Sprache höre ich, die ich bisher gen, um ihren Mangel an Vorbereitung
nicht kannte.« Dabei müssen wir über- zu rechtfertigen. Sie meinen, sie brauch-
legen, ob der Sprecher der Psalmist, Is- ten nur den Mund zu öffnen, dann wer-
rael oder Gott ist. de der Herr schon eine Botschaft geben.
Ist es der Psalmist oder Israel, kann Aber das ist ganz und gar nicht die Be-
sich dieses Wort beziehen auf: deutung! Der Gedanke ist folgender:
1. Die fremde Sprache der Ägypter Wenn sie mit großen Bitten zu Gott kä-
(Ps 114,1). men, würde er sie ihnen gewähren. Es
2. Gottes Reden mit den Israeliten gibt nichts Gutes, das er nicht für ein
durch die Erlösung aus Ägypten, was gehorsames Volk tun könnte. Gaebelein
eine neue Offenbarung Gottes für ihre sagt dies sehr schön:
Seele darstellte.

661
Psalm 81 und 82

Wer kann die volle Bedeutung dieses Sat- Sie haben sich der Bestechung und der
zes ergreifen! Er ist der allmächtige Herr; Korruption schuldig gemacht. Unter ih-
es gibt nichts, was dem Herrn zu schwer rer Verwaltung wurden die Reichen be-
wäre. »Öffne deinen Mund«, sagt er, »so vorzugt und die Armen unterdrückt.
weit du kannst, und ich werde ihn fül- Kriminelle entkamen ungestraft, und
len.« »Bitte alles Mögliche in meinem die Unschuldigen mussten Verluste er-
Namen«, sagt er im Neuen Testament, tragen, ohne Erstattung zu bekommen.
»und ich werde es tun.« Alles, was er ver- Die Waage der Justiz wurde zu einer
langt, ist Gehorsam ihm gegenüber, die Waage der Unterdrückung.
Unterwerfung von Herz und Willen.53 82,3-4 Dann erinnert der Richter der
ganzen Erde sie noch einmal an ihre
81,12-17 Aber Gottes Volk wandte sei- Verantwortung auf dem Gebiet der so-
ner Stimme taube Ohren zu, und Israel zialen Gerechtigkeit. Sie sollten das
gehorchte ihm nicht. Er ließ die Israeliten Recht der Geringen und Waisen, der
ihre eigenen Wege gehen und gab sie Elenden und Bedürftigen verteidigen.
dem Elend hin, dass sie ihren eigenen Sie sollten die Helfer aller Besitzlosen
Ratschlägen folgten. Er beklagt ihre fort- und Geschundenen sein.
gesetzte Torheit und Hartnäckigkeit. 82,5 Aber trotz der Ermahnungen des
Wollten sie doch nur auf ihn hören, dann Herrn scheint es keine Hoffnung auf
würde er schnell ihre Feinde unterwer- ein Umdenken zu geben. Dann, als
fen. Ihre Widersacher würden sich in spräche er zu sich selbst, beklagt er,
Furcht vor ihm winden, und Israels dass sie ohne Erkenntnis handeln. Da
Wohlstand wäre beständig. Er würde sie selbst in der Dunkelheit umher­
sein Volk mit dem besten Weizen speisen tappen, besteht kaum Hoffnung, dass
– d.h. mit der besten geistlichen und kör- sie anderen die nötige Wegweisung ge-
perlichen Ernährung versehen ‒ und mit ben. Und als Ergebnis ihres Versagens,
köstlichem Honig, der aus den Bienen- gerecht und weise zu handeln, sind die
körben in den Felsen Palästinas kommt. Fundamente der Gesellschaft schon fast
untergegangen.
Psalm 82: Die Herrscher der Erde vor 82,6-7 Obgleich mit ihren Vorrechten
Gericht bis zum Himmel erhoben, sollen sie als
Strafe hinabgestürzt werden. Dass sie
82,1 Das Gericht ist einberufen. Der von Gott »Götter« und »Söhne des
Richter hat Platz genommen. Es ist Gott Höchsten« genannt werden, bewahrt
selbst. Er hat diese besondere Sitzung sie nicht vor dem Gericht. Sie werden
des göttlichen Rats anberaumt, um die derselben Behandlung unterworfen wie
Regierenden und Richter der Erde zu andere Menschen, und wie einer der
rügen. Sie werden »Götter« genannt, Obersten werden sie fallen. Und in
weil sie die Stellvertreter Gottes sind, Wirklichkeit wird das Ausmaß ihrer
eingesetzt als seine Diener, um eine ge- Strafe größer sein, weil auch ihre Vor-
ordnete Gesellschaft zu gewährleisten. rechte größer waren.
An sich sind sie natürlich Menschen Unser Herr zitierte Vers 6 bei einer
wie wir auch; aber wegen ihrer Stellung seiner Auseinandersetzungen mit sei-
sind sie die Gesalbten des Herrn. Selbst nen Feinden (Joh 10,32-36). Gerade
wenn sie Gott persönlich nicht kennen, eben hatten sie ihn angeklagt, er lästere
sind sie doch Gottes offizielle Stellver- Gott, weil er Gleichheit mit Gott be­
treter und darum mit dem Namen anspruchte.
»Götter« ausgezeichnet, dessen Grund- Jesus antwortete ihnen: Steht nicht in
bedeutung »die Mächtigen« ist. eurem Gesetz geschrieben: »Ich habe
82,2 Zuerst weist Gott sie wegen ihrer gesagt: Ihr seid Götter?« Wenn er jene
sträflichen Amtsführung scharf zurecht. Götter nannte, an die das Wort Gottes

662
Psalm 82 und 83

erging – und die Schrift kann nicht auf- die Erde zu herrschen. Zu der Zeit wird
gelöst werden – sagt ihr von dem, den – wie der Prophet voraussagt – »in der
der Vater gesandt hat: Du lästerst, weil Wüste das Recht sich niederlassen und
ich sagte: Ich bin Gottes Sohn? die Gerechtigkeit im Fruchtgarten woh-
Für unser westliches Denken mag nen« (Jes 32,16). Die Erde wird eine Zeit
dieses Argument nicht klar und zwin- der sozialen Gerechtigkeit und der Frei-
gend sein; aber offensichtlich hatte es heit von Bestechung und Betrug er­
überzeugende Kraft für die Zuhörer. leben.
Sie verstanden, dass Jesus vom Gerin-
geren auf das Größere schloss. Die Kraft Psalm 83: Der Psalm über den
des Arguments liegt in Folgendem: Sechs-Tage-Krieg
In Psalm 82 werden Herrscher und Am 28. Mai 1967 sagte Abdel Nasser,
Richter von Gott als Götter angespro- der Präsident der Vereinigten Arabi-
chen. Tatsächlich sind sie nicht göttlich; schen Republik: »Wir wollen einen Ge-
aber wegen ihrer Stellung als Gottes neralangriff auf Israel starten. Das wird
Diener werden sie mit dem Namen ein totaler Krieg. Unser Hauptziel ist
»Götter« ausgezeichnet. Was sie am die Vernichtung Israels.« Als der Krieg
meisten von den Übrigen unterschei- am 5. Juni ausbrach, war die Vereinigte
det, ist, dass das Wort Gottes an sie er- Arabische Republik mit Jordanien, Sy-
ging, d.h. sie waren von Gott offiziell rien, Irak, Algerien, Sudan, Kuwait,
als höhere Mächte eingesetzt, um Regi- Saudi-Arabien und Marokko verbün-
ment und Gerechtigkeit auszuüben det. Der Versuch dieser Konföderation,
(Römer 13,1). Israel ins Meer zu treiben, misslang.
Der Name »Götter« konnte also in ge- Nach sechs Tagen war alles vorbei, und
wissem Sinn Menschen zuerkannt wer- Israel war der unangefochtene Sieger.
den ‒ wie viel völliger und richtiger Für viele Bibelfreunde bekam der
kann dann der Name »Gott« auf den Psalm 83 nach dem Sechs-Tage-Krieg
Herrn Jesus angewandt werden. Er eine neue Bedeutung. Und vielleicht
wurde von Gott, dem Vater, geheiligt wird er sich noch wiederholt erfüllen,
und in die Welt gesandt. Dies besagt bevor Israels Anspruch auf das Land
auch, dass er mit Gott, dem Vater, von durch das Kommen des Herrn Jesus als
Ewigkeit her im Himmel gewohnt hat. König unwiderruflich feststeht.
Dann hatte der Vater ihn mit einer Mis- 83,1-6 Dies ist offensichtlich die Spra-
sion auf der Erde beauftragt und ihn che des belagerten Israel, welches Gott
gesandt, um in Bethlehem geboren zu anruft, sein Schweigen zu brechen und
werden. entscheidend einzugreifen. Obwohl die
Die Juden verstanden vollkommen, Israeliten um die eigene Sicherheit und
dass er Gleichheit mit Gott beanspruch- Bewahrung flehen, bringen sie ihre An-
te, und sie suchten ihn zu greifen; aber gelegenheit so vor, als sei sie Gottes ge-
er entging ihren Händen (Joh 10,39). nauso wie ihre eigene. »Deine Feinde
82,8 Doch nun zurück zu dem letzten … die dich hassen … dein Volk … die
Vers dieses Psalms: du geborgen hast … sie haben einen
Stehe auf, o Gott, richte die Erde! Bund gegen dich geschlossen.« Sie wol-
Denn du sollst zum Erbteil haben alle len ihn nicht vergessen lassen, dass Is-
Nationen. raels Feinde auch seine Feinde sind.
Es ist Asaf, der den Herrn aufruft, in Die Einzelheiten sind sehr lebensnah.
die Angelegenheiten der Menschen ein- Die Feinde toben – eine lebendige Be-
zugreifen, indem er Korruption und schreibung der prahlerischen Drohun-
Unrecht durch Recht und Gerechtigkeit gen der Gegner. Sie stellen schlaue Plä-
ersetzt. Das Gebet wird erhört, wenn ne auf – hinter den Kulissen unterstützt
der Herr Jesus zurückkommt, um über durch die Ratgeber aus der Sowjet­

663
Psalm 83

union. Sie überlegen gemeinsam – in drohung so zu verfahren, wie er es mit


Gremien, die man heute Gipfeltreffen drei Feinden zu unterschiedlichen Ge-
nennt. Sie drohen mit der Auslöschung legenheiten getan hatte.
Israels – was durch das obige Zitat be- Jabin, der König von Kanaan, und Si-
legt ist. Sie bilden ein furchterregendes sera, sein Oberbefehlshaber, wurden
Bündnis – vor allem aus Völkern, die auf ruhmlose Weise bei En-Dor getötet,
mit Israel nahe verwandt sind. nachdem sie am Bach Kischon vernich-
83,7-9 Versuchen wir, die hier ge- tend geschlagen worden waren.
nannten Völker unter modernen Ent- 83,12-13 Oreb und Seeb, zwei Fürsten
sprechungen wiederzufinden, geraten Midians, wurden getötet und enthaup-
wir in Schwierigkeiten. Mit Bestimmt- tet (Ri 7,23-25). Nach Jes 10,26 hatte Gott
heit wissen wir, dass Assur dasselbe selbst eingegriffen.
wie der moderne Irak ist und dass die Zwei midianitische Könige, Sebach
Ismaeliter, abstammend von Abraham und Zalmunna, hatten gedroht, das
und Hagar, die Vorfahren der Araber »Weidegebiet Gottes« zu besetzen. Sie
waren. Wir wissen, dass die Edomiter schafften es, vor den Israeliten zu ent-
und Amalekiter von Esau abstammen, kommen, als Oreb und Seeb erschlagen
genauso wie die Moabiter und Ammo- wurden, doch wurden sie später ge­
niter von Lot; sie aber heute zu identifi- fangen und durch Gideon hingerichtet
zieren, ist nahezu unmöglich. Die Phi- (Ri 8).
lister bewohnten das heute als Gaza­ 83,14-19 In seiner kühnen Bitte um
streifen bekannte Gebiet. Die Stadt Ty- Gottes Gericht an seinen Feinden über-
rus lag im heutigen Libanon. Gebal ist lässt Israel nichts den göttlichen Vor-
dasselbe wie das alte Gubla oder By­ stellungen. Die Details der Bestrafung
blos, das in Phönizien lag. Einige Quel- werden genau benannt: Lass sie der
len bezeichnen die Hageriter als Nach- »Raddistel« gleich werden. Andere
fahren der Hagar und halten sie daher übersetzen »wie ein Blätterwirbel«
für ein Segment der Ismaeliter; doch ist (auch ein »Steppenläufer,« der vom
ihre Identifikation nicht sehr einfach. Wind umhergetriebene Pflanzenteile
Weil diese Namen von so vielen Un- enthält, wie z.B. Amaranthus gracians).
klarheiten umgeben sind, tun wir gut Weiter: Lass sie werden wie Spreu, das
daran, sie nicht mit heutigen Ländern der Wind treibt. Lass sie von einem ra-
des Nahen Ostens zu verbinden, son- senden Waldbrand gejagt werden, der
dern in ihnen einfach nur Vertreter der selbst die Berge entzündet. Lass sie
heidnischen Feinde Israels zu sehen. durch den Sturmwind des Herrn er-
Wie konnte das kleine Israel gegen schreckt werden. Lass sie gänzlich zu-
ein so überwältigendes Bündnis stand- schanden werden, damit sie den
halten? Einen Teil der Antwort finden HERRN suchen möchten. Lass sie im
wir in der Tatsache, dass Gottes Volk in Elend umkommen, damit die Menschen
ihm »geborgen« ist (V. 4). Die Israeliten lernen, dass der HERR allein der souve-
sind seine »Schutzbefohlenen« (Schlach- räne Herrscher über die ganze Erde ist.
ter 2000), oder »solche, die er liebt« (Ge- Eine harte Sprache? Ja, aber nicht un-
lineau). In der Stunde der Gefahr be- gerechtfertigt. Steht die Ehre Gottes auf
schützt er sie auf wunderbare Weise dem Spiel, kann Liebe unerbittlich sein.
und macht, dass seine Kraft in ihrer Morgan erklärt:
Schwachheit vollbracht wird. Wenn al-
les gegen sie spricht, schickt er einen Diese Sänger des alten Volkes waren vor
Sieg, der allen menschlichen Erklärun- allem von einer Leidenschaft für die Ehre
gen Hohn spricht. Gottes inspiriert. Ihnen waren, wie auch
83,10-11 Nun bittet das belagerte Volk den Propheten, selbstsüchtige Motive
den Herrn, mit der gegenwärtigen Be- unbekannt. Selbstsucht singt keine Lie-

664
Psalm 83 und 84

der und schaut keine Visionen. Anderer- die Wüste zieht; sie sind schwach und
seits kann eine Leidenschaft für die Ehre ruhelos in sich selbst. Der einzige
Gottes sowohl zu großer Strenge als auch Ort, an dem sie Ruhe und Sicherheit für
zu großer Güte fähig sein.54 sich und ihre Familien finden, sind die
Altäre des HERRN.
Psalm 84: Heimweh nach dem Es gab sowohl in der Stiftshütte als
Himmel! auch im Tempel zwei Altäre. Einer war
In Bezug auf die vorrangige Auslegung der Altar aus Erz, und der andere war
des Psalms 84 gibt es keine Frage. Er der goldene Altar. Der erste stellt Chris-
atmet das tiefe Sehnen der verbannten ti Tod, der andere seine Auferstehung
Juden nach dem Tempel in Jerusalem. dar. Zusammengenommen zeigen sie
Man kann ihn natürlich auch auf den das vollendete Werk unseres Erretters.
Christen von heute anwenden, der durch Hier ist der Ort, an dem unsere den
irgendetwas gehindert wird, an den Schwalben gleichenden Seelen zur Ruhe
Zusammenkünften der örtlichen Ge- kommen können. Und hierhin können
meinde teilnehmen zu können. Er ver- wir auch unsere Kinder bringen, damit
zehrt sich in dem Wunsch, wieder mit sie ebenfalls Ruhe finden. »Glaube an
Gottes Volk zusammen den Herrn an- den Herrn Jesus, und du wirst errettet
beten zu dürfen. werden, du und dein Haus« (Apg 16,31).
Doch am liebsten wende ich den Dann, in einem Ausbruch ‒ wie ich es
Psalm auf den gottesfürchtigen Pilger nennen möchte – heiligen Neides, sa-
an, der schlichtweg Heimweh nach dem gen sie: »Glückselig sind, die in deinem
Himmel hat. Lassen Sie uns den Psalm Haus wohnen. Stets werden sie dich lo-
aus diesem Blickwinkel betrachten! ben.« Wenn wir also an das Glück un-
84,1-3 Welcher Ort kann mit der Lieb- serer Lieben denken, die heimgegangen
lichkeit der Wohnung Gottes verglichen sind, um bei dem Herrn zu sein, kön-
werden! Es ist ein Ort beispielloser nen wir über sie nicht traurig sein. Für
Schönheit, einzigartiger Pracht und un- uns bedeutet es zwar Verlust, für sie
aussprechlicher Herrlichkeit. Aber damit aber ewigen Gewinn. Sie sind besser
wir uns nicht missverstehen: Der Ort dran als wir.
wird nur als Sprachfigur gebraucht – als 84,6 In den Versen 6 bis 8 wenden wir
Metonymie oder Namensvertauschung – uns wieder von denen, die im Himmel
für die Person, die dort wohnt. Wenn also sind, weg zu dem geringeren Glück je-
der Psalmist sagt: »Es sehnt sich, ja, es ner, die noch auf der Reise sind.
schmachtet meine Seele nach den Vorhö- Mehrere Dinge werden von ihnen ge-
fen des HERRN«, so verlangt ihn nach sagt. Zuallererst ist ihre Stärke nicht in
dem Herrn selbst. Er sagt damit, was er ihnen selbst, sondern in dem Herrn. Sie
im nächsten Satz auch ausspricht: »Mein sind »stark in dem Herrn und in der
Herz und mein Leib, sie jauchzen dem Macht seiner Stärke« (Eph 6,10). Weiter
lebendigen Gott entgegen.« sind in ihren Herzen gebahnte Wege
84,4 Der Pilger vergleicht sich mit nach Zion. Die Welt ist nicht ihre Hei-
einem Sperling und mit einer Schwalbe. mat. Obwohl sie in ihr sind, sind sie
In Ps 102,7 wird der Sperling als Bild nicht von ihr. Ihre Herzen sind auf die
der Einsamkeit benutzt: »Ich wache Pilgerreise gerichtet.
und bin wie ein einsamer Vogel [o. 84,7-8 Das Dritte ist: Indem sie durch
Sperling] auf dem Dach«, und jeder, der das Tränental gehen, machen sie es zu
schon einmal Schwalben beobachtet einem Quellort. Ihre unbeugsamen See-
hat, weiß, welch rastlose Geschöpfe sie len können mitten im Leid singen und
sind, die hinauf und hinab durch die durch den Tränenflor den Regenbogen
Luft jagen. Beides sind passende Be- wahrnehmen. Sie verwandeln Tragö­
schreibungen für Gottes Volk, das durch dien in Triumphe und benutzen Miss-

665
Psalm 84 und 85

geschick als Stufen zu größeren Seg- Ausdruck für Unvergleichlichkeit ist.


nungen. Das Geheimnis ihres Sieges Wir können die Herrlichkeit und die
über die Umstände finden wir im Freude, die Schönheit und die Freiheit,
nächs­ten Satz: »Mit Segnungen bedeckt dort zu sein, wo Jesus ist, einfach nicht
es der Frühregen.« Der Regen ist ge- begreifen. Und es ist nur gut, dass wir
wöhnlich ein Bild des Heiligen Geistes, es nicht können. Sonst wären wir sicher
und hier sehen wir ihn in seinem Dienst unglücklich, weil wir noch hier sind
als Erquicker, indem er den Wüsten- und unser Werk tun sollen.
wanderern kühles, frisches Wasser bie- Es ist besser, ein Türhüter im Haus
tet. Wir sehen in dem Wasser auch das Gottes zu sein, als in den Zelten der
Wort Gottes (wie in Eph 5,26). Dies er- Gottlosen zu wohnen. Spurgeon sagt
klärt, warum sie von Kraft zu Kraft ge- dazu: »Gottes Schlimmstes ist besser als
hen. Statt im Verlauf der Reise immer das Beste des Teufels.« Und es ist nicht
müder zu werden, werden sie ständig nur besser, sondern auch dauerhafter.
stärker. »Wenn auch unser äußerer Man beachte den Unterschied zwischen
Mensch aufgerieben wird, so wird doch dem Haus Gottes und den Zelten der
der innere Tag für Tag erneuert« (2Kor Gottlosen. Das eine ist ein dauerhafter
4,16). Und dann ein wunderbares Wort Wohnort, das andere wird für eine ver-
der Zusicherung: »Sie erscheinen vor hältnismäßig kurze Zeit aufgestellt.
Gott in Zion.« Es besteht nicht der ge- 84,12 Der HERR ist die Sonne, die das
ringste Zweifel: Der Zug durch die Dunkel erhellt, und der Schild zum
Wüste wird am Ende damit gekrönt, Schutz gegen die sengende Hitze auf
dass wir den König in seiner Schönheit dem Weg. Der HERR wird unterwegs
sehen. Gnade für alle Notlagen darreichen,
84,9 Nun bricht der Psalmist in ein und dann, am Ende der Reise, wird er
leidenschaftliches Gebet aus. Zuerst re- Herrlichkeit geben, wenn er seine er­
det er den HERRN, den Gott der Heer- lösten Kinder in seinem ewigen Zuhau-
scharen, an, dann im nächsten Atemzug se willkommen heißt. Als feststehende
den Gott Jakobs. Als HERR, Gott der Tatsache hat der Pilger die Zusicherung,
Heerscharen, ist er der Souverän über ihm werde es zwischen dem Hier und
eine riesige Schar von Engelwesen. Als dem Himmel an nichts fehlen; denn
Gott Jakobs ist er der Gott der Unwür- kein Gutes wird er denen vorenthalten,
digen, der Gott der Schwindler. Beden- die in Lauterkeit wandeln. Wenn etwas
ken Sie doch nur! Der Gott unzähliger für uns gut ist, wird er es uns nicht ver-
Engel in festlicher Versammlung ist weigern; denn was er uns vorenthält, ist
auch der Gott des »Wurmes Jakob«. Der nicht gut für uns. »Er, der doch seinen
unendlich Erhabene ist auch ganz und eigenen Sohn nicht verschont, sondern
gar nahe. Und das ist der einzige Grund, ihn für uns alle hingegeben hat: wie
weshalb Sie und ich jemals in seine Ge- wird er uns mit ihm nicht auch alles
genwart gelangen werden. schenken?« (Röm 8,32).
84,10 Und worauf gründen wir unse- 84,13 Da ist es kein Wunder, wenn
ren Anspruch, dorthin zu kommen? der Psalmist zum Schluss von ganzem
»Blicke doch, o Gott, auf unseren Schild! Herzen ausruft: »HERR der Heerscha-
Schaue an das Antlitz deines Gesalb- ren! Glücklich ist der Mensch, der auf
ten!« Nur durch die Person und das dich vertraut!« Darauf antwortet mein
Werk des Herrn Jesus werden wir an­ Herz: »Ja, Herr, ich bin ewig glücklich,
genommen. ein Christ zu sein.«
84,11 Und was heißt es, im Himmel
zu sein? Nun, »ein Tag in deinen Vor­ Psalm 85: Belebe uns wieder!
höfen ist besser als sonst tausend« Dieses Gebet um Erweckung zerfällt
irgend­wo anders ‒ was nur ein anderer ganz deutlich in vier Abschnitte:

666
Psalm 85

Ein Beispiel von einer Erweckung in eine besondere Bedeutung, wenn es von
Israel in der Vergangenheit (V. 2-4). den Lippen des Volkes Israel kommt,
Eine Bitte an Gott, dies zu wieder­ das jahrhundertelang verfolgt und zer-
holen (V. 5-8). streut wurde: »Willst du uns ewig zür-
Eine Pause, um zu hören, wie der nen? Willst du deinen Zorn währen las-
Herr antworten wird (V. 9-10). sen von Geschlecht zu Geschlecht?«
Eine Verheißung künftiger Wieder- 85,7 Geistlicher Niedergang führt un-
herstellung (V. 11-14). ausweichlich zum Verlust der Freude.
85,1 Es ist unmöglich, genau anzuge- Zerbrochene Gemeinschaft bedeutet das
ben, um welche besondere Wiederher- Ende des Gesangs. Man kann mit un-
stellung Israels es hier geht. Um die bereuter Sünde nicht jubeln. So schwingt
Wiederherstellung nach der babyloni- sich hier dieses Gebet zum Himmel em-
schen Gefangenschaft kann es sich nicht por: »Willst du uns nicht wieder beleben,
handeln; denn der Psalm stammt von dass dein Volk sich in dir freue?« Der
den Söhnen Korachs, und diese lebten Geist der Erweckung lässt die Freuden-
lange vor dieser Zeit. Aber dies heraus- glocken wieder läuten. Jede große Erwe-
zufinden, ist nicht wichtig. Was wirk- ckung wurde von Liedern begleitet.
lich zählt: Gott hat sie bewirkt. Und 85,8 Wenn Gott sein Volk wieder­
wenn er es einmal tat, kann er es ganz herstellt, ist das ein großartiger Erweis
sicher wiederholen. seiner Gnade; genauso allerdings auch
85,2-4 Die Erweckung wird als eine alles andere, was er an uns tut. Es ist
Zeit beschrieben, in der der HERR an Liebe, die uns züchtigt, die uns erzieht
seinem Land Gefallen gefunden und und korrigiert und die uns am Ende zu-
die Gefangenschaft Jakobs gewendet rückbringt. Und wie unerschütterlich ist
hatte. Drei Handlungen führten dazu. diese Liebe, die uns mit allen unseren
Die erste war das Bekenntnis der Sün- Irrungen und Rückfällen und mit un­
de. Wenn dies auch nicht ausdrücklich serem Ungehorsam trägt! Keine Liebe
gesagt wird, ist das Bekenntnis eine un- ist mit der Liebe des Herrn zu verglei-
veränderliche moralische Notwendig- chen.
keit, bevor die anderen Handlungen Und Erweckung ist die Gewährung
stattfinden können. Die zweite ist die des Heils von dem Herrn – hier ist nicht
Vergebung der Ungerechtigkeit seines die Errettung der Seele, sondern die Be-
Volkes und die dritte ein Zurückneh- freiung von allen Folgen der Untreue
men des göttlichen Zorns. wie Zerstreuung, Gefangenschaft, An-
85,5 Diese frühere Erweisung von fechtungen sowie Kraft- und Freud­
Gottes vergebender Gnade ist die losigkeit gemeint.
Grund­­­­lage für die Bitte, er möge das 85,9-10 Nachdem der Psalmist sein
noch einmal tun. Glaube begnügt sich Flehen um Wiederherstellung vor den
nicht mit der Geschichte; er will Gott in Thron der Gnade gebracht hat, wartet
den laufenden Ereignissen sehen. Ob- er auf eine Antwort des Friedens, und
wohl der Psalmist kein Bekenntnis for- die wird bald kommen. Sein Vertrauen
muliert, ist es doch in dem Gebet »Stelle gründet sich darauf, dass der den Bund
uns wieder her!« enthalten. Wenn Gott haltende Gott immer denen Frieden zu-
wiederherstellt, führt er erst sein Volk spricht, die mit ihren Herzen zu ihm
zur Buße. Dann vergibt er seine Sünden, zurückkehren, und die erlöst, die ihn
und danach beendet er die Züch­tigung, fürchten und nicht zur Torheit zurück-
die sich ergab, weil er beleidigt wurde. gehen. Und das ganz sichere Ergebnis
85,6 Jede Zeit, die wir fern von dem ist, dass Herrlichkeit im Lande wohnen
Herrn verbracht haben, erscheint uns wird. Mit »Herrlichkeit« ist hier der
wie eine Ewigkeit voller Elend. Aber Gott der Herrlichkeit bezeichnet, und
das bittere Flehen von Vers 6 bekommt der Gedanke ist: Wir können uns auf

667
Psalm 85 und 86

den Herrn verlassen, dass er mitten un- Gott kann die Sünd’ nicht übersehn,
ter seinem Volk wohnt, wenn wir mit Der Sünder muss zur Hölle gehen.
ihm in Gemeinschaft sind. Doch an dem Kreuze sehn wir dann,
85,11 Die Antwort auf das Gebet um Wie Gott rechtmäßig retten kann.
Erweckung wird in den Schlussversen Die Sünde trug der Heiland dort;
gegeben. Sie beschreiben die idealen Sein Blut wusch alle Sünden fort.
Zustände, die vorherrschen werden, Der strengste Richter find’t nichts mehr,
wenn der Herr Jesus in dem kommen- Und Gnade strahlt von oben her.
den Zeitalter der Herrlichkeit über das nach Albert Midlane
wiederhergestellte Israel regieren wird.
Doch im weiteren, poetischen Sinn sa- 85,12-14 »Wahrheit (oder Treue) wird
gen sie auch, was überall dort geschieht, sprossen aus der Erde, Gerechtigkeit
wo das Feuer der Erweckung lodert. herniederschauen vom Himmel.« Wenn
»Gnade und Wahrheit sind sich be- ein Gläubiger seinem ewigen Liebhaber
gegnet.« In menschlichen Angelegen- die Treue hält, antworten die Himmel
heiten schließt der strikte Einsatz für zu Recht mit vielfachen Segnungen.
die Wahrheit meist die Entfaltung von Der HERR, der immer zu seinem Wort
Liebe und Gnade aus. Aber Gott kann steht, wird »das Gute geben«. Er ent-
seine unerschütterliche Liebe auf sein hält den in Aufrichtigkeit Wandelnden
Volk regnen lassen, weil allen Ansprü- nichts Gutes vor (Ps 84,12). Dürre und
chen der Wahrheit durch den Herrn Je- Hungersnöte verschwinden, und das
sus am Kreuz Genüge getan worden ist. Land bringt Riesenerträge. Wenn der
Im gleichen Sinn haben sich Gerechtig- Herr sein Land besucht, wird er ein
keit und Frieden geküsst. Gläubige er- Volk vorfinden, dessen gerechtes Ver-
freuen sich des Friedens mit Gott, weil halten moralisch auf seine Gegenwart
den Ansprüchen göttlicher Gerechtig- vorbereitet ist.
keit durch das stellvertretende Werk
des Retters entsprochen wurde.

Psalm 86: Gebet mit den dazugehörigen Begründungen

Ein hervorstechendes Merkmal dieses Psalms ist, dass David für fast alles, was er
sagt, einen Grund angibt, einerlei, ob es sich um eine Bitte oder um Anbetung han-
delt. Wir können uns dies an folgender Gegenüberstellung deutlich machen:

Bitte Grund
86,1 Der HERR möge hören Die Hilflosigkeit und Not des Psalmisten.
86,2a Um Bewahrung (Beachten Sie den Seine Stellung als Frommer.
wiederholten Gebrauch des Titels
»Knecht« in den Versen 4 und 16.)
86,2b Um zeitliche Rettung Hier wird kein deutlicher Grund angege-
ben; aber man könnte den Ausdruck »du
bist mein Gott« als solchen verstehen.
86,3 Um gnädige Beachtung. Davids den ganzen Tag anhaltendes Gebet.
86,4 Um Freude der Seele. Seine Hoffnung ist der Herr ‒ und nie-
mand sonst.
86,5 Dieser Vers liefert vielleicht eine zusätz-
liche Begründung für die vorangegan-
genen Bitten. Oder er gehört zu dem
Gebet in Vers 6.

668
Psalm 86

Die Güte, die Bereitschaft zum Ver­


geben und die Gnade des Herrn ergie-
ßen sich auf alle, die ihn anrufen.
86,6 Um eine Audienz bei dem Herrn.
86,7 Um Hilfe am Tag der Bedrängnis. Die Tatsache, dass Gott hört und er­
hören wird.

In den nächsten Versen wendet sich der Psalmist dem Lob zu.

Lob Grund
86,8 Wegen der Unvergleichlichkeit der
Person des Herrn und seines Werkes.
86,9 Wegen seiner Würdigkeit, von al-
len Völkern angebetet zu werden. (Dies
wird sich im Tausendjährigen Reich er-
füllen.)
86,10 Gott ist groß, und seine Werke sind
wunderbar. Außer ihm gibt es keinen
Gott.

Bitte Grund
86,11 Um Unterweisung im Weg des Damit der Psalmist im Gehorsam ge-
HERRN. genüber der göttlichen Wahrheit wan-
deln möge.
Um ein Herz, das sich ganz für die Ver-
ehrung Gottes und für den Gehorsam
ihm gegenüber entschieden hat.

Lob Grund
86,12-13 Hier drückt David einfach sei- Denn Gottes große Gnade erlöste ihn aus
ne Entschiedenheit aus, den Herrn mit dem tiefsten Totenreich. Wenn wir den
seinem ganzen Wesen zu preisen und Psalm auf den Messias anwenden, be-
seinen Namen ewig zu verherrlichen. zieht sich dies auf seine Auferstehung.

86,14-16 Die verbleibenden Verse be- der Sohn einer Sklavin. Wer den Psalm
schreiben die große Gefahr, in der sich als messianisch auffasst, erkennt viel-
der Psalmist befand. Eine Bande über- leicht darin einen Hinweis auf die Jung-
mütiger, gewalttätiger Menschen hatte frau Maria.
sich zusammengerottet, um ihm das 86,17 Schließlich bittet der Psalmist
Leben zu nehmen. Diese Menschen hat- den Herrn, er möge ihm irgendein un-
ten keine Zeit für Gott. Aber David zweideutiges Zeichen seiner Gunst ge-
kennt den Herrn, und in diesem ent- ben. Dann werden seine Feinde begrei-
scheidenden Augenblick tröstet er sich fen, dass sie auf der falschen Seite stan-
in der Erkenntnis, dass Gott voller den, wenn sie sehen, wie Gott David
Barmherzigkeit und reich an Gnade geholfen und ihn getröstet hat.
und Wahrheit ist. Darum bittet er den Wir erwähnten eingangs bereits, dass
Herrn vertrauensvoll, ihn zu stärken der Psalm darin bemerkenswert ist, dass
und zu erretten – ihn, den »Sohn seiner er für fast alle Gebete oder Lobprei-
Magd«. Das ist eine Redewendung, die sungen Gründe anführt. Aber noch zwei
bedeutet: Ich bin dein Eigentum wie weitere Besonderheiten sollten genannt

669
Psalm 86 und 87

werden. Erstens: David zitiert sehr ge- Psalm 87: Der Psalm der königlichen
winnbringend aus anderen Bibelteilen; Volkszählung
tatsächlich bittet und lobt er beinahe mit
einer ganzen Collage von Bibelversen. Der ehemalige Bürgermeister von Jeru-
Zweitens wird der göttliche Name salem, Teddy Kollek, und sein Mitautor
»Adonai« siebenmal genannt (er ist mit drückten ihre Verwunderung wegen
»Herr« übersetzt in den Versen 3.4.5. der überraschenden Großartigkeit ihrer
8.9.12.15). Gottesfürchtige Juden be- 4000 Jahre alten Stadt aus:
nutzten diesen Namen lieber als den Na-
men JHWH. Die Sopherim, die einstigen Archäologen und Historiker wundern
Hüter der heiligen Texte, änderten den sich seit langem, warum man die Stadt Je-
Namen JHWH 134-mal in Adonai um, rusalem da gegründet hat, wo sie jetzt ist,
wenn sie den Text laut vorlasen. Das ta- und warum sie dort groß geworden ist.
ten sie – wie sie meinten – aus übergro­ Die Stadt genießt keine geografischen
ßer Ehrfurcht vor dem unaussprechlich Merkmale, die ein Emporkommen und
erhabenen Namen »JHWH«.55 Blühen fördern könnten, wie es bei ande-
In Bezug auf das »Zusammenfassen« ren Städten der Welt der Fall ist. Sie steht
unserer Herzen zur Furcht des Namen nicht am Ufer eines bedeutenden Stro-
Gottes (V. 11b) schreibt F.W. Grant: mes. Sie hat keinen großen Hafen. Sie be-
herrscht keine große Straße und liegt an
Hieran herrscht in der Tat überall ein gro- keinem Schnittpunkt großer Verkehrswe-
ßer Mangel unter dem Volk Gottes. Wie ge. Sie liegt nicht in der Nähe reichlicher
viel von unserem Leben vertun wir ‒ Wasservorräte, wenn auch eine natürliche
nicht mit direkt Bösem, sondern wir ver- Quelle nur eine bescheidene Versorgung
plempern und verlieren es in zahllosen sicherstellen würde. Sie besitzt keine mi-
nichtigen Zerstreuungen, durch die wir neralischen Reichtümer. Sie liegt fernab
aber ein positives Zeugnis für Gott sehr der großen Handelswege. Sie war nie der
wirkungsvoll verhindern! Wie wenige strategische Schlüssel zu weiten Landstri-
können mit dem Apostel sagen: »Eines chen, um die es den alten Krieg führen-
aber tue ich!« Wir sind unterwegs – aber den Mächten ging. Tatsächlich war sie mit
wir halten uns damit auf, Schmetterlinge keiner ökonomischen oder topogra-
auf der Wiese zu jagen, und machen kei- fischen Eigenschaft gesegnet, die erklären
ne ernsthaften Fortschritte. Wie muss sich könnte, warum sie jemals mehr als ein
Satan wundern, wenn er sieht, wie wir kleines, namenloses Bergdörfchen wer-
uns von den »Reichen dieser Welt und ih- den sollte und weshalb ihr Schicksal sich
rer Herrlichkeit« abwenden … und uns von dem der meisten damaligen Dörfer
doch höchst gedankenlos endlosen Ober- unterschied, die längst vergangen sind.57
flächlichkeiten hingeben, die wertloser
sind als ein »Fallschirm« der Pusteblume, 87,1-3 Der Grund für Jerusalems Groß-
hinter dem Kinder mit aller Kraft her­ artigkeit liegt natürlich in ihrer gött­
jagen, und über diese lachen wir. Wür- lichen Erwählung. Er gründete sie auf
den wir unser Leben aufmerksamer be- den heiligen Bergen, und er liebt ihre
obachten, … wie deutlich sähen wir dann Tore mehr als alle anderen Städte und
die Menge unbegründeter Sorgen, selbst Dörfer des Landes. Und ihre größte
eingebildeter Pflichten, selbst erlaubter Herrlichkeit ist noch zukünftig – wenn
Ruhepausen oder »unschuldiger« Tände- sie die Hauptstadt des Messianischen
leien, die uns unablässig von dem Ein- Reiches sein wird, die königliche Stadt
zigen abhalten, das gut für uns ist! Wie des lang erwarteten Messias. Dieser
wenige würden sich wahrscheinlich einer Psalm schaut voraus auf jenen Tag, an
solchen Prüfung ihrer tagtäglichen Le- dem das Herrliche, das über Jerusalem
bensgeschichte aussetzen wollen!56 geredet worden ist, in Erfüllung geht.

670
Psalm 87 und 88

In gewissem Sinn wird sie der geist- ben und mit dem herrlichen Gründer
liche Geburtsort vieler Nationen sein: und Beschützer zusammen zu sein.«58
»Und es wird geschehen am Ende der Gaebelein schreibt:
Tage, da wird der Berg des Hauses des
HERRN feststehen als Haupt der Berge Jahwe führt Buch, wenn eine Nation nach
und erhaben sein über die Hügel, und der anderen durch Zions Erhebung und
alle Nationen werden zu ihm strömen. Segnung in das Reich gebracht wird.
Und viele Völker werden hingehen und Dann wird Zion die herrliche Hauptstadt
sagen: ›Kommt, lasst uns hinaufziehen der ganzen Welt sein.59
zum Berg des HERRN, zum Haus des
Gottes Jakobs, dass er uns aufgrund sei- 87,7 Es wird eine Zeit der Feste und des
ner Wege belehre und wir auf seinen Feierns sein. Sänger und Instrumenten-
Pfaden gehen‹« (Jes 2,2-3). spieler werden mit den Tanzenden in
87,4 Das ist es, was anscheinend in den Jubelchor einstimmen: »Alle meine
Vers 4 in den Blick kommt. Zion ist per- Quellen sind in dir!« Es wird nicht mehr
sonifiziert und sagt, dass sie unter den ein Ort der Tränen und des Kummers
Völkern, die sie als Mutter anerkennen, sein. Jerusalem wird zum Ausgangs-
Rahab (das ist Ägypten) im Süden er- punkt des Segens und zur Quelle der
wähnen kann und Babel im Norden. Erneuerung und zum geistlichen Zu-
Auch von Philistäa, Tyrus und Äthio­ hause aller Nationen der Erde werden.
pien wird das Volk sagen, es sei in Jeru- Doch bevor wir den Psalm verlassen,
salem geboren. Diese werden zu den sollte noch eine persönliche Anwen-
Völkern gehören, die Zion als geist- dung gemacht werden. Und zwar fol-
liche, politische und ökonomische gende: Es kommt eine Zeit, in der Gott
Hauptstadt der Welt anerkennen. Sie die Menschen aufschreiben wird. Es
werden dorthin ziehen und dem Groß- wird die Volkszählung der Himmels-
en König ihren Tribut bringen (Jes 60,5- bürger sein. Der große, einzige und
7). Die Nationen, welche sich weigern, ausschlaggebende Qualifikationsgrund
hinaufzuziehen, um das Laubhütten- wird die Wiedergeburt sein. Nur sol-
fest zu feiern, werden mit Dürre ge- che, die von Neuem geboren sind, wer-
plagt werden (Sach 14,16-19). den in das Reich Gottes eingehen (Joh
87,5 Zion wird daher als der Ort an­ 3,3-5). So wird Gott bei der Zählung sa-
erkannt sein, wo die Nationen die geist- gen: »Dieser Mensch ist dort und dort
liche Wiedergeburt erleben, weil der wiedergeboren.«
Höchste es als den Ort universaler Sou- Wird er das von Ihnen sagen kön-
veränität befestigen wird. nen?
87,6 Und wenn der HERR eine Zäh- Es gibt einen Weg, wie Sie die Him-
lung der Völker durchführt, wird er melsbürgerschaft erwerben können. Der
sorgfältig beachten, dass gewisse Völ- Weg wird in Johannes 1,12 beschrieben:
ker ihre wahre Bestimmung begreifen, »So viele ihn aber aufnahmen, denen
indem sie Bürger Zions werden. Sie be- gab er das Recht, Kinder Gottes zu wer-
suchen die Hauptstadt, »nicht um die den, denen, die an seinen Namen glau-
Architektur zu bewundern oder auf die ben.«
Befestigungsanlagen zu starren oder
die Stämme zu beneiden, die gekom- Psalm 88: Der traurigste Psalm
men sind, um in der Stadt anzubeten, in Mit Psalm 88 haben wir den Nadir, den
der alles zusammenspielt, sondern, um tiefsten Punkt menschlichen Jammers
die städtischen Privilegien und ihren und Leidens, erreicht. Es ist, als habe
Schutz in Anspruch zu nehmen, ihre der Psalmist hier das ganze Vokabular
Gesetze zu halten und in ihrer glückli- von Düsternis und Bitterkeit durch-
chen Gemeinschaft zu leben und zu lie- wühlt, um sein hoffnungsloses Elend

671
Psalm 88

zu beschreiben. Er ist tatsächlich völlig ausdrucksvoll, haben allen Glanz ver­


am Ende – so, als würde er in der Iso- loren. Und Gebete scheinen nutzlos zu
lierstation des Krankenhauses als Un- sein. Täglich ruft er zum HERRN, in-
heilbarer auf seinen Tod warten. Ihn er- dem er die Hände in ernstem Flehen
wartet nichts als die Leichenhalle, und erhebt; aber nichts geschieht.
es ist nur eine Frage der Zeit, wann sie 88,11 Dann fordert er in einer Reihe
das Tuch über sein Gesicht ziehen und von Fragen Gott heraus, ihm zu erklä-
ihn hinausschieben. ren, welchen Nutzen es Gott brächte,
88,1-3 Der einzige helle Punkt in die- wenn der Psalmist stürbe. Diese Fragen
sem Psalm ist der Name Gottes, mit offenbaren die unvollständige Erkennt-
dem er beginnt: »HERR, Gott meines nis der alttestamentlichen Heiligen über
Heils!« Gaebelein nennt dies den einzi- den Tod und das Danach und machen
gen Lichtstrahl, der sich durch die Fins- uns unaufhörlich dankbar für die Zu­
ternis kämpft, den Stern, der das Dun- sicherung, dass Sterben für uns be­
kel der Mitternacht durchdringt. deutet, bei Christus zu sein, was weit-
Aber sofort danach taucht der Schrei- aus das Beste wäre (Phil 1,23). Hier nun
ber in die düstere Beschreibung seiner die Fragen:
verzweifelten Lage ein. Tag und Nacht Wird Gott an Toten Wunder tun? Die
hat er zum Herrn geschrien, aber im- erwartete Antwort lautet: »Nein.« Für
mer noch keine Hilfe erfahren. Wann einen Juden, der unter Gesetz lebte, war
wird Gott die ausweglose Lage ändern, der Tod ein bestürzender Ort des Ver-
indem er sein Gebet erhört und etwas gessens, an dem nie wieder etwas Kon-
gegen seine Not unternimmt? struktives geschieht.
88,4-8 Sein Leben ist eine brodelnde Werden die »Schatten« aufstehen und
Masse von Nöten, und er geht unauf- Gott preisen? Jene, die abgeschieden
haltsam dem Tod und dem Grab ent­ sind, werden als geistähnliche Schatten
gegen. Er ist dem Tod ausgeliefert und angesehen, die keine Möglichkeit ha-
wird schon zu den Sterbefällen gerech- ben, den Herrn zu preisen.
net. Jegliche Kraft ist von ihm gewichen; 88,12-13 Wird Gottes unerschütterliche
nun liegt er, unter den Toten hingestreckt Liebe im Grab erzählt oder seine Treue
wie ein bewusstloser Krieger auf dem im Abgrund, dem Ort der Vernichtung?
leichenübersäten Schlachtfeld oder wie Weil man annahm, dass in den
ein Kriegsopfer, das mit anderen in ein grauen, grausamen und staubigen Hal-
Massengrab geworfen wird. Er fühlt len des Scheols weder Tat noch Sprache
sich von Gott verlassen und dar­um von möglich sind, musste es doch in Gottes
jeglicher Hoffnung und göttlicher Hilfe eigenem Interesse liegen, jene so lange
entblößt. Wie ein Gefangener, der in den wie möglich am Leben zu erhalten, de-
Kerker überliefert wurde, so ist er von ren aufrichtige Lobgesänge ihn stets er-
Gott der tiefsten Grube überlassen, dem freuten.60
Ort des Grauens, finster und drohend. 88,14-19 Wie mit neuer Intensität
Da gibt es nur eine Erklärung: »Gott ringt der Psalmist mit dem HERRN. So
muss zornig auf mich sein.« Und so ge- wahr er lebt, hört jeder Morgen sein lei-
hen die bergehohen Wellen göttlichen denschaftliches Gebet. Er zeigt äußerste
Gerichts über ihn dahin. Bestürzung darüber, dass Gott ihn
88,9-10 Seine Verwandten haben sich gänzlich verworfen haben könnte und
von ihm abgewandt, als sei er aussät- ihm jeden mitleidigen und gunstvollen
zig. Sie behandeln ihn wie ein abscheu- Blick verweigert. Von seiner Jugend an
liches Gespenst oder »wie etwas Ver- war sein Leben eine ununterbrochene
fluchtes« (Knox). Er ist in einer Zelle Geschichte von Leiden und Sterben.
eingeschlossen, aus der es kein Ent­ Jetzt, im Strudel des göttlichen Schre-
rinnen gibt. Seine Augen, einst hell und ckens, ist er verwirrt und hilflos. Gottes

672
Psalm 88 und 89

glühender Zorn hat ihn überwältigt wie 89,7-9 Er ist größer als alle Engelheere
eine Flutwelle, und seine Schrecken ha- in den Himmeln. Die Myriaden in der
ben ihn sprachlos gemacht. Die wüten- Höhe werden aufgefordert, seine Wun-
den Fluten umzingeln ihn und lassen der und seine Treue zu preisen. Kein
nicht von ihm ab; die Wellen schließen Engel ist mit ihm zu vergleichen; er ist
sich über ihm zu einem gemeinsamen erhaben über alle himmlischen Wesen.
Angriff zusammen. Es ist, als habe Gott Die größten von ihnen stehen in tiefer
Freunde und Nachbarn veranlasst, ihn Ehrfurcht vor ihm; ihnen ist klar, dass
zu verlassen. Sein einziger Gefährte ist er in jeder Beziehung größer ist. Nie-
die Finsternis. mand ist so mächtig wie der HERR,
Und so endet der traurigste Psalm. Gott der Heerscharen, herrlich beklei-
Wenn wir uns fragen, warum er in der det mit Treue.
Bibel steht, sollten wir auf das Zeugnis 89,10-11 Aber das ist nicht alles. Gott
von J.N. Darby hören. Er sagte, es habe ist auch als Schöpfer und in seiner Vor-
für ihn einmal eine Zeit gegeben, wo sehung und in seiner moralischen Voll-
dies die einzige Bibelstelle war, die ihm kommenheit (V. 10-16) groß. Ein dra-
irgendwie hilfreich war, weil er sah, matisches Beispiel für seine Schöpfer-
dass vor ihm schon einmal einer so größe ist die Weise, wie er das Toben
elend dran war wie er. Clarke zitiert des Meeres beherrscht und dessen Wo-
eine unbekannte Quelle: gen zum Schweigen bringt. Er tat es vor
vielen Jahren am See von Galiläa und
Es gibt nur einen Psalm wie diesen in der tut es noch immer in den sturmdurch-
Bibel, um uns die Seltenheit dieser Erfah- tobten Lebensläufen seines Volkes. Und
rung deutlich zu machen; aber diesen ei- für die Größe seiner Vorsehung könnte
nen gibt es, damit auch der am tiefsten sicher kein besseres Beispiel angeführt
Angefochtene sicher sein kann, dass Gott werden als der Sieg über Ägypten (Ra-
ihn nicht verlassen wird.61 hab) zur Zeit des Auszugs. Er zermalm-
te das stolze Volk, wie ein Löwe die Ge-
Psalm 89: Gottes Bund mit David beine seines Opfers zermalmt. Er zer-
89,1-3 Zu Anfang erklärt Etan, dass er streute seine Feinde wie Blätter im
sich persönlich freut an der unverrück- Wind.
baren Liebe und Treue des HERRN, wie 89,12-14 Die Himmel und die Erde
sie sich in dem Bund mit David aus- sind sein, weil er sie erschaffen hat; die
drückt. Er hat sich entschieden, die Welt und alles in ihr gehört ihm, weil er
Gnadenerweise des HERRN ewig zu sie gründete. Norden und Süden ver-
besingen, weil sie ewig sind. danken ihm ihre Entstehung. Tabor und
89,4-5 Der Glaube erinnert Gott ehr- Hermon erkennen ihn freudig als ihren
erbietig an den Bund, den er mit David Schöpfer an. Sein Arm ist furchtbar
schloss. Weil David sein auserwählter mächtig, und seine Hand ist stark. Sei-
Knecht war, hatte er ihm geschworen, ne Rechte ist über alles erhoben, er­
es niemals an einem Erben auf seinem haben über alle Mächte der Welt.
Thron fehlen zu lassen, und dass sein 89,15 Was seine moralische Vollkom-
Reich auf alle Geschlechter hin Bestand menheit angeht, so ist sein Thron auf
haben wird. Eine ununterbrochene Dy- zwei Prinzipien gegründet: Gerechtig-
nastie sollte auf einem ewigen Thron keit und Recht. Gnade und Wahrheit
sitzen! sind seine Herolde, wohin immer er
89,6 Dann zählt der Glaube die Wun- geht.
der des HERRN auf, der diesen Bund 89,16-19 Nachdem er die Größe des
geschlossen hat. Fast ist es, als erinnere Bund schließenden Gottes dargestellt
Etan den Herrn daran, dass die Ehre hat, beschreibt Etan nun, wie gesegnet
seines Namens auf dem Spiel steht. sein Volk ist: »Glückselig das Volk, das

673
Psalm 89

den Jubelschall kennt!« (Elb). Für den für ein, die Feinde zu zerschmettern
frommen Juden war der »Jubelruf« der und alle niederzustoßen, die ihn hassen.
Festruf des Volkes, wenn es zu den ho- Nie würde ihn die Treue und Gnade des
hen Feiertagen gemäß dem religiösen Herrn verlassen, und das Haus Davids
Kalender nach Jerusalem hinaufzog. sollte aus Gott seine Stärke gewinnen.
Für uns wird es immer der Jubelruf des 89,26 In Übereinstimmung mit den
Evangeliums sein. Abraham gemachten Zusagen (1. Mose
Einige Dinge werden uns nun über 15,18) wird sich am Ende die Grenze
dieses glückliche Volk berichtet. Es des Reiches vom Mittelmeer bis zum
wandelt im Licht von Gottes Angesicht, Euphrat erstrecken. In 1. Mose 15 heißt
d.h. es wandelt in seiner Gunst und es: vom Strom Ägyptens bis zum gro-
wird durch seine Gegenwart geleitet. ßen Strom, dem Euphrat; weil aber der
Die Israeliten finden in ihm den Ur- Strom Ägyptens ins Mittelmeer fließt,
sprung aller ihrer Freude und hören sind die Grenzen dieselben.
nicht auf, sich seiner Gerechtigkeit zu 89,27-28 David würde den HERRN
rühmen. Sie rühmen sich nicht ihrer als seinen Vater anerkennen, als seinen
Kraft, sondern allein in ihm. Nur wegen Gott und als Fels seines Heils. Im Ge-
seiner Gunst ist ihr Horn erhöht. An- genzug würde Gott ihn zum Erstgebo-
ders ausgedrückt: Nur er macht sie renen machen, zum Höchsten unter
stark. »Denn dem HERRN gehört unser den Königen der Erde. Der Ausdruck
Schild, und dem Heiligen Israels unser »Erstgeborener« bedeutet manchmal
König.« den zeitlich Ersten, so wie Maria ihren
89,20 Und das bringt Etan zu dem ersten Sohn gebar (Lk 2,7). Aber in Da-
Bund, den der HERR mit David ge- vids Fall kann es das nicht heißen, weil
schlossen hat (V. 20-27). Viele Jahre zu- er der zuletzt geborene Sohn Isais war.
vor hatte Gott zu seinem Frommen im Hier bedeutet es, er sei der Erste an
Gesicht geredet. »Der Fromme« mag Rang oder Ehre, wie im Rest des Verses
sich auf Samuel beziehen (1Sam 16,1- ausgeführt wird: »der Höchste unter
12) oder auf Nathan (2Sam 7,1-17) oder den Königen der Erde«. Dies also meint
vielleicht auf den Knecht des HERRN, Paulus, wenn er den Herrn Jesus »den
den Herrn Jesus Christus. Er stiftete ei- Erstgeborenen aller Schöpfung« nennt
nen bedingungslosen Bund freier Gna- (Kol 1,15). Es bedeutet nicht, Christus
de und setzte die Krone auf einen Hel- sei das erste erschaffene Wesen, wie
den und erhob den aus dem Volk Er- manche Religionen lehren ‒ sondern er
wählten. Bei vielen dieser Beschreibun- überragt alle Schöpfung bei weitem.
gen Davids empfinden wir fast instink- 89,29-30 Nichts wird Gottes Liebe zu
tiv, dass wir über David hinaus auf den David verändern, und nichts wird den
kommenden Messias-König blicken. Bund berühren, den er mit ihm ge-
89,21-25 Der HERR hatte David aus schlossen hat. Es wird immer einen
der Mitte seiner Brüder erwählt und ihn Thron Davids geben, und die könig­
durch Samuel mit dem heiligen Öl ge- liche Linie wird ewiglich fortdauern.
salbt, das für die Einsetzung eines Kö- 89,31-33 Der Bund sollte aber die Söh-
nigs bestimmt war. Der Bund garantier- ne Davids nicht von Bestrafung aus-
te, dass Gottes Hand ewig über David nehmen, wenn sie gesündigt hatten.
und seinen Nachfolgern auf dem Thron Jede Verletzung des Gesetzes würde
ruhen würde, um sie zu bewahren und gerecht geahndet werden. Genau das
zu schützen, und sein Arm würde für geschah im Lauf der Geschichte. Da-
alle nötige Kraft sorgen. Die Feinde des vids Nachfahren waren dem HERRN
Königs sollten ihn nicht bedrängen kön- ungehorsam, und er züchtigte sie mit
nen, die Ungerechten ihn nicht zu be- der Rute und mit den Schlägen der ba-
drücken vermögen. Der Herr stand da- bylonischen Gefangenschaft.

674
Psalm 89

89,34 Trotzdem blieb der Bund be­ gab es keine andere Erklärung, als dass
stehen. Selbst als das Königtum für eine Gott seine dem David gemachten Ver-
gewisse Zeit in der Versenkung ver- heißungen zurückgenommen und des-
schwand und kein König in Jerusalem sen Krone in den Staub geschleudert
regierte, bewahrte Gott immer noch auf habe. Tief in seinem Herzen wusste
wundersame Weise den königlichen Etan, dass Gott seiner Verheißung nicht
Samen, um das Königtum zu seiner Zeit untreu werden konnte; doch gerade dies
wieder aufzurichten. war allem Anschein nach geschehen.
89,35-38 In den denkbar deutlichsten 89,41-46 Die Mauern Jerusalems wa-
Formulierungen wiederholt Gott die ren niedergerissen und die Befestigun-
Unverletzlichkeit des Bundes und seine gen in Trümmer gelegt. Vorüberziehen-
Entschlossenheit, dem David seine Ver- de Reisende hatten sich selbst von der
heißung einzulösen. Davids Nachkom- unbeschützten Beute bedient, und un-
menschaft soll ewig sein und sein Thron freundliche Nachbarn Judas trieben ih-
so lange bestehen, wie Sonne und Mond ren Spott mit Judas Elend. Israels Be-
am Himmel stehen. dränger hatten die Oberhand und be­
89,39-40 Dem äußeren Anschein nach jubelten ihren Sieg. Die Waffen des
mag es so aussehen, als habe Gott den Volkes Gottes erwiesen sich als un-
Bund mit David vergessen. Juda war brauchbar im Krieg; die Kämpfer konn-
von den Babyloniern erobert und in die ten einfach nicht standhalten gegen den
Verbannung geschleppt worden. Aber Feind. Der König war verschleppt und
Gott hatte ihn nicht vergessen. Vor fast sein Thron verwüstet. Gedemütigt und
zweitausend Jahren wurde der Herr Je- mit Schmach bedeckt, war er vor der
sus in Davids Königsstadt geboren. Er Zeit ein alter Mann geworden.
war der von Josef adoptierte Sohn, und 89,47-49 Der HERR, der den Bund ge-
weil Josef in der direkten Linie der Kö- schlossen hatte, schien sich vor seinem
nige von Juda stand, vererbte er Jesus Volk zu verbergen. Sein Zorn gegen Is-
die legalen Rechte auf den Thron (Mt rael brannte wie Feuer. Die klagende
1). Jesus war aber auch der leibliche Frage »Wie lange?« schwingt sich zum
Sohn der Maria, und weil sie eine direk- Himmel hinauf. Etan bittet Gott, daran
te Nachkommin Davids durch Nathan zu denken, wie kurz er doch das Men-
war, ist auch unser Herr »aus dem Sa- schenleben gemacht hatte und wie zer-
men Davids« (Lk 3,23-38). So ist also brechlich und auch wie unbedeutend
der Bund in dem Herrn Jesus Christus der Mensch ist. In seinen Tagen konnte
erfüllt. Davids Thron hat durch ihn jeder sicher sein, dass er starb, die Ge-
ewigen Bestand, und weil er die Kraft walt des Todes wird ihn letztlich über-
eines unauflöslichen Lebens hat, wird winden. Wir haben eine bessere Hoff-
immer ein Nachkomme da sein, der auf nung als Etan; wir wissen, dass nicht alle
Davids Thron sitzt. Eines Tages – viel- sterben, aber alle verwandelt werden,
leicht schon bald – wird er auf die Erde wenn der Herr Jesus wiederkommt, um
zurückkehren und seinen rechtmäßi- die Gemeinde nach Hause in den Him-
gen Platz auf dem Thron Davids ein- mel zu bringen (1Kor 15,51; 1Thes 4,13-
nehmen und als Davids größter Sohn 18). Aber all dies war ein Geheimnis für
regieren. die Heiligen des Alten Testaments.
Etan konnte das natürlich nicht er- 89,50-52 Etans Gebet ist sehr kühn
kannt haben. Ihm musste es so vorkom- und überaus dringlich. Er fragt, was
men, als sei der Bund abgeschafft. Ach- aus den Gnaden geworden ist, die Gott
ten Sie darauf, wie er klagt, Gott habe dem David mit den klarsten Aus­
die königliche Linie abgeschnitten und drücken garantiert hatte. Er ist sich
verworfen und sei zornig geworden deutlich des Hohns und der Sticheleien
über den von ihm Gesalbten. Für Etan der Feinde Israels bewusst, womit sie

675
Psalm 89 und 90

Etan selbst verletzen und sich über den wandelbar ist, voller Weisheit, Kraft,
verbannten König lustig machten, als Heiligkeit, Gerechtigkeit, Güte und
man ihn abführte. Treue«.
89,53 Aber im Schlussvers trium- 90,3-4 In scharfem Kontrast zu Gottes
phiert der Glaube. Obwohl Etan nicht Zeitlosigkeit steht die Kürze des
die Antwort auf seine Ratlosigkeit menschlichen Lebens. Es ist, als wieder-
kennt, kann er doch den HERRN prei- hole Gott unablässig den Befehl: »Kehre
sen. Es ist, als sagte er: »HERR! Verste- zum Staub zurück!«, und eine nie en-
hen kann ich nicht; aber ich will ver- dende Reihe schleppt sich zum Grab.
trauen.« So endet sein Gebet mit der Für einen Ewigen ist die ursprüngliche
hinreißenden Feststellung: »Gepriesen Lebenszeit eines Menschen von unge-
sei der HERR ewig! Amen, ja Amen!« fähr 1.000 Jahren nicht mehr als der ges-
trige Tag oder wie ein Stückchen einer
IV. Das vierte Buch (Psalm 90-106) Nacht.
90,5-6 Selbst Mose scheint das Men-
Psalm 90: Das Läuten der schenleben so flüchtig wie ein Schlaf zu
Totenglocken sein. Man schläft, man träumt, man ist
Erlauben Sie mir ein wenig geheiligte wach und wird sich doch kaum der vor­
Phantasie, um diesen Psalm zu er­ übereilenden Zeit bewusst. Oder, um
klären. Schauplatz ist die Wüste am das Bild zu wechseln, das Leben ist wie
Sinai. Jahre sind vergangen, seit die Gras – am Morgen noch frisch und
Späher mit ihrem bösen Bericht nach grün, wird es zum Abend hin welk und
Kadesch-Barnea zurückgekehrt sind. trocken.
Nun zieht das Volk noch immer in der 90,7-10 Zwar ist aller Tod ein Ergeb-
Wüste umher, doch nirgends geht es nis des Eintritts der Sünde, aber Mose
voran. Es sind alles sinnlose Hand- ist klar: Das, was da in der Wüste ge-
lungen. schieht, ist eine besondere Heim­
Jeden Morgen kommt ein Bericht­ suchung Gottes. Alle wehrfähigen
erstatter zu Moses Zelt, um neue Todes- Männer, die beim Auszug aus Ägypten
fälle zu melden. Tote, Tote, Tote und zwanzig Jahre oder älter waren, sollten
nochmals Tote. Todesanzeigen sind das sterben, bevor sie Kanaan erreichten.
häufigste Thema bei allen Neuigkeiten, Das ist ein Zeichen davon, dass Gott
und die Wüste scheint ein immer grö- zornig über sein Volk ist, weil es sich
ßerer Friedhof zu werden. Jedes Mal, auf die Seite der ungläubigen Späher
wenn das Volk das Lager abbricht, lässt gestellt hatte, statt ins Land Kanaan
es ein neues Gräberfeld zurück. einzumarschieren, wozu Kaleb und
An diesem bestimmten Tag wird es Josua die Israeliten ermutigten. Ihre
Mose, dem Mann Gottes, einfach zu Ungerechtigkeiten und geheimen Sün-
viel. Überwältigt von dem wachsenden den sind beständig vor Gott wie eine
Blutzoll, zieht er sich in sein Zelt zu- dauern­de Reizung, wie eine eiternde
rück, wirft sich auf den Boden und Wunde.
bringt dieses Gebet vor Gott dar. Als Ergebnis davon leben die Israe-
90,1-2 Mitten in dieser Vergänglich- liten unter der dunklen Wolke seines
keit, in diesem Sterben, findet er seine Zorns, überwältigt von den zermalmen-
erste Erleichterung bei der Ewigkeit des den Wellen seines Grimms. Manche,
Herrn. Während alles andere dahin- das ist wahr, erreichen das zugeteilte
welkt und vergeht, bleibt Gott unverän- Lebensalter von siebzig Jahren, und ei-
derlich. Er ist Wohnung und Zuflucht nige werden sogar achtzig. Doch selbst
für sein Volk. Von aller Ewigkeit her bis in solchen Fällen ist das Leben eine
in alle Ewigkeit ist er Gott, »der seinem Mühsal. Ein Leiden folgt dem anderen.
Wesen nach unendlich, ewig und un- Die geringsten Anforderungen be­

676
Psalm 90 und 91

deuten Anstrengung. Und bald hört de und den Triumph der Hoffnung des
das Herz auf zu schlagen, und wieder Gläubigen auf Christus; denn der Tod
ist einer gegangen. hat seinen Stachel verloren, und das
90,11-12 Der Mann Gottes steht in Grab wurde seines Sieges beraubt. Der
ehrfürchtigem Staunen vor der Macht Gläubige kann singen:
Gottes, die im Grimm erwacht ist. Wer,
so fragt er sich, kann ihn in rechter Wei- O Tod, wo ist dein Stachel nun?
se ehren angesichts der Stärke seines Wo ist dein Sieg, o Hölle?
Zorns? Dies zumindest steht fest: Wir Was kann uns nun der Teufel tun,
sollten jeden unserer Lebenstage besser Wie grausam er sich stelle?
wertschätzen und jeden im Gehorsam Gott sei gedankt, der uns den Sieg
ihm gegenüber verbringen ‒ auf eine So herrlich hat nach diesem Krieg
Weise, die für die Ewigkeit zählt. Durch Jesum Christ gegeben.
90,13-14 Mose ringt mit dem HERRN, G. Wessels
er möge wieder in Gnade zu seinem
Volk umkehren. Wird sein Zorn ewig
brennen? Möge er doch bitte Erbarmen Psalm 91: Mein Psalm
über die Israeliten haben und sie früh 1922 lag auf den Westlichen Hebriden
mit seiner Gnade sättigen, damit sie ein fünfjähriger Junge wegen Diph­
ihre verbleibenden Tage in gewisser therie im Sterben. Eine Schleimschicht
Ruhe und Freude verbringen können. bildete sich in seiner Kehle, und das
90,15-16 Nun bittet Mose um eine Zeit Atmen wurde zunehmend mühsamer.
an Freude, die so lang ist wie die Zeit, Seine gläubige Mutter wandte sich um,
in der Israel gebeugt war und Übles ge- damit sie nicht mit ansehen musste, wie
sehen hat. Das Volk hatte bereits ge­ er seinen letzten Atemzug tat. In die-
sehen, wie er seine Macht im Gericht sem Augenblick klopfte es an der Tür.
offenbarte, nun bittet er den Herrn, sich Es war ihr Schwager aus dem Nachbar-
von der anderen Seite zu zeigen, d.h. in dorf. Er sagte: »Ich komme nur eben,
Gnaden zu handeln. um dir zu sagen, dass du dir wegen
90,17 Zum Schluss fleht der Fürbitter des Kindes keine Sorgen zu machen
den Herrn an, freundlich auf sein aus- brauchst. Er wird wieder gesund, und
erwähltes irdisches Volk herabzu­ eines Tages wird Gott auch seine Seele
blicken und es in den Werken seiner retten.« Sie war verstört und konnte es
Hände zu segnen: »Ja, das Werk un- nicht glauben: »Wie kommst du nur
serer Hände, befestige du es!« dazu, das zu sagen?« Dann erklärte er
Seit jeher wird der Psalm 90 gern bei ihr, dass er am Kamin gesessen und
christlichen Beerdigungen gelesen. Und Psalm 91 gelesen habe, als Gott ganz
das geschieht nicht ohne Grund, weil er deutlich durch die letzten Verse zu ihm
uns an die Kürze unseres Lebens erin- gesprochen habe:
nert und an die Notwendigkeit, die Zeit »Weil er an mir hängt, will ich ihn er-
zu nutzen und die Möglichkeiten aus- retten.
zukaufen. Doch atmet der Psalm nicht Ich will ihn schützen, weil er meinen
den Trost und die Gewissheit des neu- Namen kennt.
testamentlichen Zeitalters. Christus hat Er ruft mich an, und ich antworte ihm.
»Leben und Unverweslichkeit ans Licht Ich bin bei ihm in der Not.
gebracht durch das Evangelium«. Wir Ich befreie ihn und bringe ihn zu Ehren.
wissen, dass Sterben Gewinn ist; es be- Ich sättige ihn mit langem Leben
deutet, vom Leib abwesend, aber da- Und lasse ihn mein Heil schauen.«
heim beim Herrn zu sein. Und so sollte Der Junge war ich. Gott errettete mich
der trübe und düstere Ausblick des in jener Nacht vom Tod, und er errettete
Psalms ersetzt werden durch die Freu- dreizehn Jahre später meine Seele, und

677
Psalm 91

mit einem langen Leben hat er mich seren Herrn anzunehmen, er sei jemals
auch gesättigt. So werden Sie verstehen, krank gewesen.
warum ich den Psalm 91 meinen Psalm Schutz und Zuflucht in dem Allmächti-
nenne. Gewöhnlich füge ich mit einem gen. Gottes freundliche, persönliche
Augenzwinkern hinzu, dass ich bereit Fürsorge wird mit der einer Vogelmut-
bin, ihn mit anderen zu teilen – aber es ter für ihre Küken verglichen.
ist ganz bestimmt mein Psalm! Schutz in der Treue Gottes. Seine Ver-
Die meisten Theologen stimmen mit heißungen sind sicher. Was er gesagt
mir nicht überein. Sie sagen, dies sei ein hat, wird er auch ausführen. Das ist des
messianischer Psalm. Natürlich haben Gläubigen Schild und Schutzwehr.
sie recht. Seine erste Auslegung betrifft Freiheit von Furcht. Vier Gefahren-
unseren wunderbaren Herrn Jesus arten werden genannt, die uns gewöhn-
Christus. Und wir wollen ihn aus dieser lich Angst einjagen:
Perspektive betrachten; aber dabei er­ Angriffe, die der Feind im Schutz der
innern wir uns stets, dass seine wun- Nacht ausführt, sind besonders erschre-
derbaren Verheißungen in geringerer ckend, weil man nicht erkennt, woher
Weise auch auf uns anzuwenden sind: sie kommen.
All deiner Gnaden Ströme nehm’ ich Der Pfeil, der bei Tage fliegt, mag als
als Erbteil ein, wirkliches Geschoss verstanden wer-
Was irgend du verheißen, ist auch im den, oder bildlich als »die bösen Pläne
Glauben mein. und Verleumdungen der Gottlosen«.
91,1-2 Jesus ist derjenige, der in einer 91,6 Die Pest, die im Finstern umgeht,
ganz außergewöhnlichen Weise im kann auch buchstäblich und bildlich
Schutz des Höchsten wohnte und unter verstanden werden. Körperliche Lei-
dem Schatten des Allmächtigen blieb. den gedeihen, wenn man sie vor den
Niemals gab es ein Leben wie seines. Er Strahlen der Sonne abschirmt, genauso
lebte in absoluter, ununterbrochener wie sich das moralisch Böse im Dun-
Gemeinschaft mit Gott, seinem Vater. keln ausbreitet.
Er handelte nie in Eigenwillen, sondern Die Seuche, die am Mittag verwüstet,
tat, was der Vater ihm sagte. Obwohl er ist nicht näher bezeichnet, und am bes­
vollkommen Gott war, war er auch ten belässt man es dabei; dann kann
vollkommener Mensch, und er führte man die Verheißung auch umso aus­
sein Leben auf Erden in absoluter Ab- gebreiteter anwenden.
hängigkeit von Gott. Ohne Einschrän- 91,7-8 Sicherheit selbst mitten in einem
kungen konnte er sagen: »Meine Zu- Massaker. Selbst bei einem allgemeinen
flucht und meine Burg, mein Gott, ich Gemetzel ist der Geliebte des Herrn ab-
vertraue auf ihn.« solut sicher. Wenn die Gottlosen be-
91,3 Es ist, als hörte man in den straft werden, wird er nur Zuschauer
Versen 3-13 die Stimme des Heiligen sein, frei von der Möglichkeit, ihm kön-
Geistes, der den Herrn Jesus der un­ ne ein Leid geschehen.
bedingten Sicherheit und Geborgenheit 91,9-10 Versicherung gegen Unglück.
vergewisserte, die er haben durfte, weil Weil der Heiland den Höchsten zu sei-
er ein Leben des vollsten Vertrauens ner Zuflucht und zu seiner Wohnung
führte. Welches sind die Sicherheits­ machte, würde ihn keine Plage antasten
garantien? Es sind neun an der Zahl: und kein Unglück ihm nahen.
Errettung von verborgenen Gefahren. 91,11-12 Von einer Engelwacht behütet.
Die Schlinge des Vogelstellers spricht Dies ist der Text, den der Satan zitierte,
von des Feindes bösem Plan, den Un- als er den Herrn versuchte und sagte, er
vorsichtigen zu fangen. solle sich von der Zinne des Tempels
Sicherheit vor tödlichen Krankheiten. Es stürzen (Lk 4,10-11). Jesus verneinte
gibt keinen Anlass, in Bezug auf un- nicht, dass sich dieser Vers auf ihn be-

678
Psalm 91 und 92

zog; aber er verneinte, dass dieser Text Menschen ihn schließlich doch um-
als Vorwand zu benutzen sei, um Gott brachten? Und wie wenden wir den
zu versuchen. Gott hatte ihm nicht be- Psalm auf die Gläubigen von heute an?
fohlen, vom Tempel zu springen. Hätte Wie passt er mit der Tatsache zusam-
der Herr das getan, hätte er außerhalb men, dass einige von ihnen von Krank-
des göttlichen Willens gehandelt, und heiten geplagt werden oder im Krieg
dann hätte die Verheißung des Schutzes umkommen oder bei Flugzeugabstür-
nicht gegolten. zen sterben?
91,13 Sieg über Löwen und Ottern. Es ist Wenigstens ein Teil der Antwort liegt
interessant, dass der Teufel zu zitieren darin, dass jeder, der dem HERRN ver-
aufhörte, bevor er zu diesem Vers kam. traut, unsterblich ist, bis sein Werk ge-
Hätte er ihn zitiert, hätte er sein eigenes tan ist. Jesus sagte das sinngemäß zu
Urteil beschrieben! Der Teufel wird in seinen Jüngern. Als er wieder nach Ju-
der Schrift als brüllender Löwe (1. Pe- däa zurückkehren wollte, sagten die
trus 5,8) und als die alte Schlange (Offb Jünger:
12,9) dargestellt. Als Löwe ist er der »Rabbi, eben suchten die Juden dich
laute, schreckliche Verfolger, der phy- zu steinigen, und wieder gehst du da-
sische Gewalt anwendet. Als Schlange hin?« Jesus antwortete: »Hat nicht der
benutzt er gemeine Strategien, um zu Tag zwölf Stunden? Wenn jemand am
betrügen und zu zerstören. Tag umhergeht, stößt er nicht an, weil
So hat der Heilige Geist dem Sohn er das Licht dieser Welt sieht; wenn
des Menschen neun Sicherheitsgaran- aber jemand in der Nacht umhergeht,
tien gegeben, während der Herr hier stößt er an, weil das Licht nicht in ihm
auf Erden in völligem Vertrauen und ist« (Joh 11,7-10).
Gehorsam lebte. An dieser Stelle bestä- Der Herr wusste, dass die Juden ihn
tigt Gott, der Vater, diese Garantien nicht antasten konnten, bis er sein Werk
durch ein sechsmaliges gewaltiges »Ich vollendet hatte. Und dies gilt auch für
werde!« Darin liegt vielleicht eine Vor- jeden Gläubigen; er wird durch Gottes
stellung von der gesamten Laufbahn Macht bewahrt durch Glauben.
des Menschen Christus Jesus: Dann kann der Herr zu einem Gläu-
91,14 Sein fleckenloses Leben auf Erden. bigen auf besondere, persönliche Weise
»Weil er an mir hängt, will ich ihn er­ durch einen Vers dieses Psalms reden.
retten, ich will ihn schützen, weil er Tut er das, kann sich der Gläubige dar-
meinen Namen kennt.« auf berufen und darauf vertrauen. Das
91,15 Seine Leiden wegen der Sünden. selbst erlebte Beispiel am Anfang illus-
»Er ruft mich an, und ich antworte ihm. triert das.
Ich bin bei ihm in der Not.« Und schließlich ist auf eine allgemei-
Seine Auferstehung und Himmelfahrt. ne Weise wahr, dass alle, die dem Herrn
»Ich befreie ihn und bringe ihn zu vertrauen, sich seiner Bewahrung si-
Ehren.« cher sind. Wir mögen die Ausnahmen
91,16 Sein gegenwärtiges Sitzen zur überbewerten. Die allgemeine Regel
Rechten Gottes und sein kommendes Reich. gilt: Bei dem Herrn ist Sicherheit.
»Ich sättige ihn mit langem Leben und
lasse ihn mein Heil schauen.« Psalm 92: Eine Unterrichtsstunde in
So weit der Psalm! Aber einen Augen- geistlicher Botanik
blick! Vielleicht denken Sie an das, was 92,1-6 Niemand kann bezweifeln, dass
der Psalm nicht sagt, und an wichtige es völlig richtig ist, dem HERRN zu
Fragen, die er nicht beantwortet. Zum danken. Es ist richtig, weil der Herr sol-
Beispiel: Wie können wir alle diese Ver- che Dankbarkeit verdient, und es ist
heißungen von Sicherheit mit der Tat­ auch gut für den, der Dank opfert, und
sache in Einklang bringen, dass die für die, die es hören. Dem Namen des

679
Psalm 92 und 93

Höchsten zu lobsingen, ist die pas- des Libanon zu vergleichen. Die Palme
sendste Tätigkeit, die jemand tun kann. symbolisiert Schönheit und Fruchtbar-
Und es fehlt auch nie an Gründen für keit, während die Zeder ein Abbild der
solches Lob. Seine Gnade ist ein un­ Kraft und Dauerhaftigkeit ist. Der
erschöpfliches Thema für den Morgen, Grund für das üppige Wachstum der
und seine Treue reicht aus, um die Gläubigen besteht darin, dass sie im
Abendstunden zu füllen – und noch ei- Haus des HERRN gepflanzt sind und
nige danach. Steigern Sie die Schönheit in den Vorhöfen Gottes grünen. Mit an-
des Gesangs mit der zehnsaitigen Lau- deren Worten: Sie leben in täglicher Ge-
te, mit der Flöte und dem klingenden meinschaft mit dem Herrn und bezie-
Spiel der Zither! Nicht die schönste hen ihre Kraft und ihre Substanz von
Musik reicht aus, um den Herrn für sei- ihm. Hohes Alter beeinträchtigt ihre
ne wunderbaren Schöpfungswerke zu Fruchtbarkeit nicht. Sie bleiben von
preisen, für seine Bewahrung und Er­ dem kräftigen geistlichen Leben durch-
lösung. Wenn man nur daran denkt, pulst (saftvoll), und ihr Zeugnis bleibt
was er getan hat, fängt das Herz vor immer frisch. Ihr Gedeihen ist ein Be-
Freude zu singen an. Die erstaunlichen, weis für die Gerechtigkeit des HERRN,
verwickelten Ratschlüsse Gottes, seine der seine Verheißungen erfüllt. Er ist
tiefen Gedanken und weisen Pläne las- der vertrauenswürdige Fels, und bei
sen die Flamme des Lobs immer wieder ihm gibt es kein Unrecht.
hell auflodern. Die Gottlosen werden mit Gras ver­
92,7-10 Doch denken Sie nicht, dass glichen (V. 7), die Gerechten dagegen
der natürliche Mensch die tiefen Dinge mit immergrünen Pflanzen (V. 14). Die
Gottes erkennen kann. Er kann sie nicht Gottlosen verwelken und schwinden
verstehen, »weil es geistlich beurteilt dahin; aber die Gerechten gehen von
wird« (1Kor 2,14). In Bezug auf gött- Kraft zu Kraft. Das ist die Ordnung in
liche Wirklichkeiten ist er dumm und der geistlichen Botanik.
unverständig, selbst wenn er ein intel-
lektueller Riese ist, was die Welt betrifft. Psalm 93: Der ewige König und sein
Er begreift nie die Tatsache, dass eherne ewiger Thron
moralische Gesetze den Untergang des 93,1-2 Die Lieder, die man singen wird,
Gottlosen vorschreiben. Obwohl er für wenn Jesus zum Herrn gekrönt ist, gibt
eine Zeit zu sprossen scheint, ist sein es schon – dieses ist eines von ihnen. Es
Erfolg so kurzlebig wie das Gras. So blickt voraus auf den herrlichen Tag,
wahr der HERR ewig erhaben ist, so wenn Israels Messias sich selbst zum
sicher werden seine Feinde zerstreut König ausruft. Er wird mit Majestät be-
und kommen um. kleidet sein im Gegensatz zu der de­
92,11-12 Die andere Seite der Medail- mütigen Freundlichkeit, die ihn bei sei-
le ist diese: Gott erhöht das Horn der nem Ersten Kommen kennzeichnete. Er
Gerechten wie das eines Büffels, d.h. er wird sich öffentlich mit Stärke kleiden,
gibt seinem Volk Kraft und Ehre. Und die nötig ist, um die Welt zu regieren.
er salbt die Treuen mit frischem Öl, was Dann werden alle Weltzustände auf ei-
ein Bild von dem gnädigen Dienst des ner festen und dauerhaften Grundlage
Heiligen Geistes ist. Wenn das letzte errichtet und nicht mehr starken mora-
Kapitel geschrieben ist, werden die lischen und politischen Erschütte-
Heiligen Gottes Zeugen gewesen sein rungen unterworfen sein.
von dem Tod ihrer Feinde und von Natürlich hat es den Thron des
dem langen, abgrundtiefen Wehklagen HERRN immer gegeben; aber er war
in ihrer Verdammnis. nie so deutlich sichtbar wie beim An-
92,13-16 Das Sprossen der Gerechten bruch des Tausendjährigen Reiches.
ist mit dem der Palmen und der Zedern Der König selbst ist auch ewig, und wie

680
Psalm 93 und 94

seine Autorität keinen Anfang hatte, so der göttlichen Vollkommenheit wie


hat sie auch kein Ende. seine Treue, Macht und Gnade … Das
93,3-4 Wenn der Psalmist von Strö- Wesen Gottes selbst macht die Hölle
men spricht, die sich erheben, und von zu einer genauso notwendigen Reali-
wuchtigen Brechern des Meeres, ist es tät wie den Himmel.63
klar, dass er von den heidnischen
Mächten spricht, die zu allen Zeiten 94,1-3 In Psalm 94 hören wir, wie der
sein Volk unterdrückt haben und sich gläubige Überrest Israels in den letzten
gegen ihn zusammenrotten, wenn er Tagen an den Gott der Rache appelliert,
zum Herrschen wiederkommt. Aber sich in seinem Hass gegen das Böse zu
ihre Bemühungen sind fruchtlos und offenbaren. Für den gerechten Richter
von kurzer Dauer. Obwohl sie ihre der ganzen Erde ist die Zeit gekommen,
Stimme zu schrecklichen Drohungen die Verbrechen der bösen Machthaber
und schauderhafter Prahlerei erheben, gegen sein geliebtes Volk zu rächen.
werden sie einsehen müssen, dass der Der Ruf »Wie lange?« wird nun ver-
HERR auf dem Thron mächtiger als alle stummen. Bald wird das Frohlocken
ihre Bündnisse und all ihre militärische der Gottlosen zum Schweigen kom-
Macht ist, die sie aufzubieten ver­ men.
mögen. 94,4-7 Die Verurteilung der stolzen
93,5 Und so wird man sehen, dass Verfolger wird im Einzelnen aufge-
Gottes Wort trotz allem wahr ist samt führt. »Höre ihre Frechheit! Sieh ihre
allen Verheißungen, die er gab in Bezug Überheblichkeit! Wie sehr rühmen sich
auf den Sieg über seine Feinde und die diese Menschen des Bösen!« Sie zer-
Errichtung seiner gerechten Herrschaft. malmen das Volk des HERRN unter ih-
Der Tempel in Jerusalem wird vom Bö- ren Füßen; sie hören nicht auf, sein lo-
sen gereinigt, damit er so rein ist, wie es yales Erbteil zu quälen. Sie schikanie-
sich für das Haus des HERRN geziemt. ren die wehrlosen Witwen, die nichts
Alles wird heilig sein, wenn er re- ahnenden Fremden und die hilflosen
giert; und alles wird von Heiligkeit ge- Waisen. Und ihr Verhalten drückt aus:
kennzeichnet sein, wie es vorhergesagt Der Gott Jakobs merkt es nicht und
wurde in Jesaja 23,18; Sacharja 14,20-21 kümmert sich nicht um das, was ge-
und Offenbarung 4,8.62 schieht.
94,8-11 Welche törichten Narren sind
Psalm 94: Der Gott der Rache sie doch, wenn sie denken, Gott nehme
In seinem ausgezeichneten Werk über nichts zur Kenntnis! Wenn er die Fähig-
Die Eigenschaften Gottes schreibt A.W. keit hatte, in den menschlichen Körper
Pink: ein Ohr einzubauen, sollte er dann
nicht auch die Macht haben, zu hören,
Es ist traurig, dass man so viele be- was die Gottlosen sagen? Könnte der
kennende Christen findet, die an- Schöpfer des Auges selbst blind sein ge-
scheinend den Zorn Gottes als etwas gen alles, was vorgeht? Wenn er die
empfinden, was sie entschuldigen Kraft hat, die Völker zu züchtigen, wie
müssen, oder zumindest wünschen die Geschichte lehrt, ist er dann un­
sie, so etwas gäbe es nicht. … Andere fähig, die Räuber zu strafen, die seine
geben sich der Täuschung hin, Gottes Geliebten unterdrücken? Wie könnte er
Zorn passe nicht zu seiner Güte, und weniger Erkenntnis haben, als er der
so versuchen sie ihn aus ihren Gedan- Menschheit mitgegeben hat? Tatsache
ken zu verdrängen. … Aber Gott ist, dass Gott alles weiß. Er weiß, was
schämt sich nicht, kundzutun, dass die verdrehten Leute denken, und er
Rache und Grimm zu ihm gehören. weiß, dass ihre Gedanken nichts als lee-
… Der Zorn Gottes ist genauso Teil rer Hauch sind.

681
Psalm 94 und 95
Psalm 95: Anbetung und Warnung
94,12-15 Der Glaube befähigt den an-
gefochtenen Psalmisten, seinen Kum- Der Psalm beginnt mit einem über-
mer als Teil der göttlichen Erziehung an schwänglichen Aufruf zur Anbetung,
ihm zu verstehen. Es ist eine großartige und es ist nicht leicht, sich dem Enthu-
Sache, in dieser Weise von dem HERRN siasmus des Schreibers zu entziehen.
belehrt und durch sein Gesetz erzogen (In Hebräer 4,7 scheint der Psalm David
zu sein. Gott wird ihm Ruhe geben vor zugeschrieben zu werden, doch mag
den bösen Tagen, bis die Grube für die der Ausdruck »durch David« [wörtl. in]
Gottlosen gegraben ist. Er kann sicher einfach nur das Buch der Psalmen be-
sein, dass der HERR sein Volk nie ver- deuten, weil so viele Psalmen von Da-
stoßen, sein Erbteil nie verlassen wird, vid geschrieben wurden.)
das er liebt. Unweigerlich wird die Ge- 95,1-2 Zweifellos hören wir die Stim-
rechtigkeit ihren gebührenden Platz zu- me des Heiligen Geistes, der in diesen
rückerhalten, und aufrechte Menschen Versen Israel am Ende der dunklen
werden sie anderen erweisen und sie Tage der Drangsalszeit zu dem HERRN
dann ihrerseits erhalten. zurückruft. Aber wir dürfen auch nicht
94,16-19 Es gab Zeiten, in denen sich überhören, dass er uns selbst von allen
der Psalmist fragte, wer ihn gegen die Götzen wegruft, die uns festhalten wol-
überwältigende Macht der Übeltäter len.
schützen würde. Doch war er nie allein Interessant ist die Vielseitigkeit der
gelassen. Der HERR kam ihm stets zur Ausdrücke, mit denen wahre Anbetung
Hilfe; sonst wäre er schnell auf dem beschrieben wird. Sie bedeutet, dem
Friedhof zum Schweigen gebracht wor- HERRN zuzujubeln. Sie ist auch ein
den. Immer, wenn er meinte, er falle freudiges Zujauchzen dem Fels unseres
gleich den Schlägen der Menschen zum Heils, d.h. wir jubeln über die Kluft in
Opfer, fand er sich wunderbar von der dem Fels der Ewigkeiten, in der wir für
Gnade des HERRN unterstützt. Wenn immer Zuflucht finden. Anbetung heißt
Ängste und Zweifel in ihm aufstiegen, auch, vor sein Angesicht zu treten, um
beruhigte und umsorgte der Herr mit ihm für alles zu danken, was er für uns
vielerlei Tröstungen seine Seele. getan hat, und sie bedeutet, ihm so laut
94,20-23 Könnte irgendeine Gemein- Lobpsalmen zu singen, dass alles um
schaft zwischen dem HERRN und die- uns her in Schwingungen versetzt wird.
sen gottlosen Herrschern bestehen? 95,3-5 Und genauso, wie es viele
Könnte es Partnerschaft zwischen Möglichkeiten für unser Lob gibt, be-
Christus und dem Antichristen geben? stehen unendlich viele Betrachtungs-
Könnte der Herr Menschen anerken- weisen dessen, was wir loben. Der
nen, die Gesetze erlassen, um die Sünde HERR soll gepriesen werden, weil er
zu legalisieren? Solche Fragen zu stel- ein großer Gott ist (hebr. El, der All-
len, heißt, sie zu beantworten. Die mächtige). Er ist ein großer König über
machttrunkenen Gewalthaber erwür- alle Götzen der Heiden. Die Tiefen der
gen den Gerechten und verurteilen den Erde sind in seiner Hand, d.h. sie ge­
Unschuldigen. Aber der HERR ist den hören ihm. Sein sind auch die Höhen
Seinen eine Burg und der Felsen, auf der Berge, weil er sie gebildet hat. Er
den sie sich retten können. Er wird den schuf die gewaltigen Ozeane, und seine
Ungerechten in vollem Maß vergelten. Hand war es, die die Erdteile und In-
Er wird sie wegen all ihrer Bosheit ver- seln machte.
tilgen. Ja, meine Herren, er wird sie ver- 95,6-7a Doch nun erschallt eine zwei-
tilgen. te Einladung, die noch persönlicher ist
Sic semper tyrannis! (So ergehe es den und uns noch näher rückt. Wir sollen
Tyrannen allezeit!) anbeten und knien vor dem HERRN,
der uns gemacht hat, weil er unser Gott

682
Psalm 95 und 96

ist. Er ist unser Gott als Schöpfer und Unglaube schließt in jedem Zeitab-
danach als unser Erlöser. Er ist der Gute schnitt der Heilsgeschichte (in jeder
Hirte, der sein Leben für uns gab. Jetzt »Haushaltung«) von Gottes Ruhe aus.
sind wir das Volk seiner Weide und die
Schafe, die er leitet und bewahrt durch Psalm 96: Der König kommt
seine durchbohrten Hände. Mindestens siebzehn verschiedene
95,7b-9 Mitten in Vers 7 sehen wir ei- Weisen, Gott zu preisen, finden wir in
nen abrupten Übergang von Anbetung Psalm 96. Es sind immer kurze Anord-
zu Ermahnung. Es ist das sehnsüchtige, nungen. Man achte auf das wiederholte
beredte Seufzen des Heiligen Geistes: »Singe!« (V. 1-2), »Gebt!« (V. 7-8) und
»Heute, wenn ihr seine Stimme hört …« »Es frohlocke!« (V. 11-12).
In den verbleibenden Versen hören 96,1-2 Das neue Lied ist die Hymne,
wir die Stimme des HERRN selbst, der die erschallen wird, wenn der Herr Je-
sein Volk vor einem bösen, ungläu- sus wiederkommt auf die Erde, um sei-
bigen Herzen warnt. In Meriba bei Re­ ne glorreiche Herrschaft anzutreten.
fidim reizten sie Gott mit ihren Klagen Das wird nicht nur ein neues, sondern
wegen des fehlenden Wassers (dies ist auch ein weltweites Lied sein; Völker
derselbe Ort wie Massa – 2. Mose 17,7). auf der ganzen Erde werden ihre Stim-
Bei einem anderen Meriba nahe Ka- men einbringen. Die Menschen werden
desch sündigte Mose gegen Gott, in- den Namen des Herrn preisen und fort-
dem er den Felsen schlug, statt zu ihm während seine Rettermacht bezeugen.
zu reden (4. Mose 20,10-12). »Jeden Tag (werden sie) jemandem sa-
Diese beiden Ereignisse – eins am An- gen, dass er rettet« (Living Bible).
fang der Wüstenreise, das andere nahe 96,3-6 Was sie in der Zukunft tun
an dessen Ende – bilden signifikante werden, sollten wir jetzt schon tun,
Eckpunkte, die auch in der Wortbedeu- nämlich unter den Nationen seine
tung ausdrücken (Meriba = Rebellion; Herrlichkeit und unter den Völkern sei-
Massa = Prüfung), wie glaubenslos das ne Wundertaten verkünden. Der HERR
Volk damals war. Obwohl sie Gottes er- ist groß und unendlich erhaben über
staunliches Wirken in der Erlösung aus alle Götter. Falsche, aus Holz und Stein
Ägypten gesehen hatten, versuchten sie gemachte Götzen sind kraftlos; der
ihn und stellten ihn auf die Probe. wahre Gott ist der HERR, der die Him-
95,10-11 Dieses herausfordernde Ver- mel gemacht hat. Seine Eigenschaften
halten dauerte vierzig Jahre. Schließlich sind wie untrennbare Adjutanten, die
sagte Gott dem Sinn nach: »Mir reicht es. ihn überallhin begleiten. So gehen Ma-
Dieses lästige Volk hat Herzen, die zum jestät und Pracht vor ihm her, und Stär-
Abirren neigen. Diese Menschen haben ke und Herrlichkeit warten auf ihn in
sich entschlossen, meinen Weg zu missa- seinem Heiligtum. »Ehre und Schön-
chten, den ich ihnen vorgezeichnet habe. heit sind seine Begleiter; Anbetung und
So schwöre ich feierlich, dass sie nicht in wunderbare Größe sind die Wächter
meine Ruhe eingehen werden, die ich für seines Heiligtums« (Knox).
sie in Kanaan vorgesehen hatte.« 96,7-9 Wenn wir wirklich die Größe
Dieser ergreifende, einst an Israel er- und Güte Gottes schätzen, werden wir
gangene Appell wird in Hebr 3,7-11 zi- danach trachten, dass auch andere sei-
tiert und richtet sich an jeden, der ver- nen Namen erheben. So ruft der Psal-
sucht ist, Christus zu verlassen und mist die Stämme der Völker auf, dabei
zum Gesetz zurückzukehren. Und es mitzumachen, dem HERRN zu sagen,
wird auch in den letzten Tagen eine wie majestätisch, erhaben und mächtig
Warnung für die Israeliten sein, dass er ist. Sie sollten ihm die Ehre zuerken-
der Unglaube sie von Gottes Ruhe im nen, die ihm zukommt. Sie sollten
Tausendjährigen Reich ausschließt. Opfer darbringen und ihm zu Füßen

683
Psalm 96 und 97

legen. Sie sollten ihn in heiliger Pracht statt den König wieder zurückzu­
(o. in heiligem Schmuck, in heiligen holen?« (2Sam 19,11).
Kleidern) anbeten. Die ganze Welt soll
ihm untertänigen Gehorsam leisten. Psalm 97: Licht ist dem Gerechten
Die Erwähnung heiliger Kleidung er- gesät
innert uns daran, dass, wenn wir Gott 97,1 Zu Beginn des Psalms hat der
anbeten, selbst unsere Kleidung dem HERR, Jesus Christus, den Thron einge-
Anlass entsprechen sollte. Es mag ja nommen. Der Krönungstag ist da! Und
stimmen, dass Ehrfurcht vor allem eine es gibt weltweiten Jubel. Nie hatten die
Sache des Herzens ist, doch ist es ge- entfernten Inseln und Küstenländer
nauso wahr, dass wir unsere Ehrfurcht solche Freude erfahren.
durch unser Äußeres ausdrücken kön- 97,2 Die Ankunft des Königs wird in
nen. Schlampige Kleidung bei der An- symbolischen Ausdrücken beschrieben,
betungsstunde verrät eine Lässigkeit, die zu tiefster Ehrfurcht nötigen. Zuerst
die man z.B. bei Hochzeitsfeiern und ist er in Wolken und Dunkel gehüllt –
Beerdigungen selten antrifft. das erinnert daran, dass der Herr vor
96,10 Dieser Vers zeigt den Anlass für den Augen der Menschen oft geheim-
das neue Lied an: Es ist die Einsetzung nisvoll verborgen ist und seine Wege
des Messias-Königs. Der HERR hat sei- vielfach in majestätischer Unerforsch-
ne Königsherrschaft angetreten! Das lichkeit bleiben. Wie wenig wissen wir
Weltsystem ist dann auf einer so sta- über ihn! Dann sind Gerechtigkeit und
bilen Grundlage errichtet, dass es nicht Recht die Grundfesten seines Throns.
durch Kriege, wirtschaftliche Nöte, Ar- Er führt eine ideale Herrschaft – er ist
mut, Ungerechtigkeit, Katastrophen ein Monarch, der nur Gutes tut. Bei ihm
oder andere Krisen ins Wanken gerät. gibt es keine Justizirrtümer und keine
Der Satz: »Sie wird nicht wanken«, Verdrehung der Wahrheit.
muss so verstanden werden: Nie wäh- 97,3-5 Große Feuerflammen fegen vor
rend der tausendjährigen Herrschaft ihm her und verzehren alle, die Gott
Christi wird sie wanken. Wir wissen, nicht kennen und dem Evangelium un-
dass am Ende jener Zeit Himmel und seres Herrn Jesus nicht gehorchen
Erde durch Feuer zerstört werden (2Thes 1,8). Die Blitze seines Gerichts
(2. Petrus 3,7-12). Hier geht es darum, erleuchten die Welt. Die Menschen er-
dass der Herr über die Völker in Ge- schrecken davor. Dies ist die Zeit, in
rechtigkeit herrschen und sie vor be­ der »jeder Berg und jeder Hügel ernied-
unruhigenden Einflüssen beschützen rigt wird« (Jes 40,4). Mit anderen Wor-
wird. ten: Alles, was sich gegen die Erkennt-
96,11-13 Die gesamte Schöpfung wird nis Gottes erhebt, soll gedemütigt wer-
eingeladen, in die Festfreude einzu- den.
stimmen, wenn der HERR (Jehova/ 97,6a Die Himmel verkünden seine
Jahwe)64 kommt, um die Erde zu regie- Gerechtigkeit. Wenn er mit seinen blut­
ren. Die Himmel sollen sich freuen, und erkauften Heiligen (1Thes 3,13) in den
die Erde soll frohlocken. »Das Meer Wolken des Himmels kommt (Offb 1,7),
und alles, was in ihm ist, wird don- wird die Welt sehen, dass er gerecht
nerndes Lob erschallen lassen« (Geli- handelte, indem er Israel wiederher-
neau). Kein Feld wird schweigen und stellte, wie er verheißen hatte. Gaebe-
»kein Baum im Walde, sondern sich lein sagt:
freuen, seinen ankommenden Herrn zu
begrüßen« (Knox). Denn er kommt, um Auch die vielen Söhne, die er mit sich zur
vollkommen gerecht und absolut auf- Herrlichkeit bringt, werden seine Ge-
richtig über die Erde zu herrschen. rechtigkeit und jenes große Werk der Ge-
»Und nun, warum schweigt ihr, an- rechtigkeit am Kreuz von Golgatha deut-

684
Psalm 97 und 98

lich machen, durch das die Erlösten er- 97,11 »Licht ist dem Gerechten gesät«
rettet wurden, die nun verherrlicht wie ein Samen – das heißt, das Kom-
sind.65 men Christi bedeutet, dass denen, die
das Recht wirken, Licht aufgehen wird,
97,6b »… und alle Völker sahen seine und unaussprechliche Freude denen,
Herrlichkeit.« die aufrichtigen Herzens sind.
97,12 So dringt dieser frohe Aufruf, in
Den König in seiner Schönheit den Jubel einzustimmen und sein hei-
Seh’n wir, so heiß begehrt, liges Gedächtnis zu preisen, zu dem
Ihn anzuschau’n in Klarheit ganzen gerechtfertigten Volk Gottes
Ist sieben Tode wert. durch. Dieses Ende des Psalms ist über-
Das Lamm mit seinem Heere raschend. Wir hätten erwartet, es hieße:
Nimmt dort auf Zion Stand, »Preist das Gedächtnis seiner Liebe –
Und Herrlichkeit und Ehre oder Barmherzigkeit ‒ oder Gnade –
Erfüllt Immanuels Land. oder Herrlichkeit.« Aber nein, es geht
Anne Ross Cousin um seine Heiligkeit. Einst schloss uns
diese Heiligkeit von seiner Gegenwart
97,7 Was werden die Götzenanbeter aus. Aber jetzt ist wegen des voll-
dann sagen? Sie werden in großer Ver- brachten Werkes des Herrn Jesus diese
legenheit sein, wenn sie begreifen, dass Heiligkeit auf unserer Seite statt gegen
sie leere Nichtse angebetet haben. uns. Darum können wir jubeln, wenn
»Fallt vor ihm nieder, alle Götter!« In wir daran denken.
der Septuaginta lesen wir: »Alle Engel
Gottes sollen ihn anbeten«, und so wird Psalm 98: Das neue Lied der
es in Hebräer 1,6 wiedergegeben. Das Schöpfung
hebräische Wort hier (Elohim) bedeutet 98,1-2 Das Zweite Kommen Christi be-
gewöhnlich Gott; doch kann es sich deutet die endgültige Erlösung Israels
auch auf Engel, Richter und Herrscher von der Unterdrückung durch die Hei-
beziehen, ja sogar auf heidnische Göt- denvölker. Diese herrliche Befreiung ist
zen und Gottheiten. der Anlass zu diesem Lied, in dem der
97,8-9 Die Stadt Zion hört die Nach- Sieg des Messias über seine Feinde ge-
richt von den Siegen des Königs über feiert wird. »Wunder« ist das richtige
die Rebellen und Götzendiener und Wort für alles, was der Herr mit seiner
freut sich. Und die Töchter (die Rechten und mit der Kraft seines Ar-
kleineren Orte) Judas stimmen jubelnd mes getan hat.
ein. »Frohe Kunde für Zion, Jubel für Der Psalm beschreibt das Reich als
die Städte Judas, wenn deine Gerichte, schon gekommen. Gottes Sieg ist jetzt
o Herr, bekannt gemacht werden« wohlbekannt. Die Völker haben ge­
(Knox). Zum Schluss wird der HERR sehen, wie treu er seinen Bund mit Is­
als der gesehen, der er immer war: der rael eingehalten hat.
Höchste über die ganze Erde und weit Als Jesus das erste Mal kam, sang
erhaben über alle anderen Machthaber, Maria: »Er hat sich Israels, seines
den wirklichen und den von Menschen Knechtes, angenommen, um der Barm-
gebildeten. herzigkeit zu gedenken, wie er zu un-
97,10 »Die ihr den HERRN liebt, hasst seren Vätern geredet hat« (Lk 1,54-55).
das Böse!« Diese beiden gehören mora- Und Zacharias weissagte, er werde
lisch zusammen: die Liebe zum HERRN »Barmherzigkeit üben an unseren Vä-
und der Hass auf alles, was ihm ent­ tern und seines heiligen Bundes geden-
gegensteht. Jeder, der diese Prüfung be- ken« (Lk 1,72).
steht, ist ein besonderer Gegenstand 98,3 Wenn er das zweite Mal kommt,
seiner bewahrenden Fürsorge. wird Israel singen:

685
Psalm 98 und 99

»Er hat seiner Gnade und Treue für Dies sind Engelwesen mit einem
das Haus Israel gedacht. menschlichen Leib und mit Flügeln. Sie
Alle Enden der Erde haben das Heil sind berufen, die Heiligkeit Gottes ge-
unseres Gottes gesehen.« gen die Sünde der Menschen zu vertei-
Die Gnade des Herrn war es, die ihn digen. Der Anblick des thronenden
veranlasste, Israel die Verheißungen zu Herrschers ist sicher so ergreifend, dass
geben, und es ist seine Treue, die sie die Völker zittern und die Erde vor
jetzt erfüllt. Furcht bebt.
98,4-6 Auf den ersten Blick scheint es, 99,2-3 Der HERR ist groß an Macht
als sei in den Versen 4 bis 6 die gesamte und Erhabenheit, wie er von seinem
Heidenwelt aufgerufen, sich mit Israel Thron in Zion aus regiert. Er ist der
zu freuen. Aber vielleicht bedeutet hohe Herrscher über alle Völker der
»Erde« in Vers 4 das »Land« Israel, wie Erde. Sie sollten seinen großen und
F.W. Grant es übersetzt (manche über- furchtbaren Namen ehren in der Er-
setzen »ganze Erde/Land« mit »alle kenntnis, dass er ganz und gar heilig ist.
Welt«).66 Die erretteten Israeliten wer- 99,4-5 Dieser mächtige König liebt
den aufgefordert, in gewaltige Jubel- auch das Recht, was sich bei irdischen
lieder auszubrechen. Die Leviten wer- Herrschern und großen Herren selten
den ermutigt, den Gesang mit Zithern beieinanderfindet. »Macht und Recht
zu begleiten. Und in Vers 6 vervollstän- sind endlich in einer Ehe vereinigt«
digen die Priester mit ihren Trompeten (FWG). In seinem Reich sind Beste-
und dem Klang eines Horns die Har- chung und Korruption unbekannt.
monien. Recht und Gerechtigkeit sind die Regel
98,7-9 Die Natur und die Völker wer- und nicht mehr die Ausnahme. Wie
den eingeladen, sich an der Symphonie sollte sein Volk ihn erheben und sich
zu beteiligen. Das Meer und seine zahl- vor dem Schemel seiner Füße nieder-
losen Bewohner werden bildmächtig werfen! In anderen Schriftstellen wer-
beschrieben, als brausten sie vor jubeln- den die Bundeslade (1Chr 28,2), das
der Freude. Die Welt und was in ihr lebt Heiligtum (Ps 132,7), Zion (Kla 2,1), die
schäumt ebenfalls über vor Glück. Die Erde (Jes 66,1) oder sogar Gottes Feinde
Ströme klatschen in die Hände, wenn (Ps 110,1) als Gottes Fußschemel be-
sie durch die Felsen brechen. Auch die zeichnet. Hier ist sicher das Heiligtum
Berge singen in ekstatischer Freude. auf Zion angesprochen.
Die gesamte Schöpfung reagiert spon- 99,7 Dies ist derselbe König, der sein
tan mit Entzücken, wenn der König Volk in der Vergangenheit führte. Mose
kommt, um sein Regiment (sein Ge- und Aaron waren unter seinen Pries­
richt) über die Erde anzutreten. Er wird tern, und Samuel war einer der großen
der armen, kranken und weinenden Fürbitter. (Von Geburt waren weder
Welt eine Regierung von Recht und Ge- Mose noch Samuel Priester; aber sie
rechtigkeit geben. Wer sollte da nicht übten unter göttlicher Erlaubnis Pries­
glücklich sein? terdienste aus.) Hier geht es darum,
dass, wenn sie zum Herrn riefen, er
Psalm 99: Heilig, heilig, heilig ihnen antwortete. Er redete in der Wol-
99,1 Die Heiligkeit des Königs ist die kensäule mit Mose und Aaron und
dreifache Schnur, die durch den ganzen übergab ihnen am Sinai das Gesetz. Sie
Psalm läuft (V. 3.5.9). Der Psalmist sieht gehorchten seiner Stimme, wenn auch
den Messias als den, der sein Reich unvollkommen, und hielten das Gesetz,
schon aufgerichtet hat. »Er thront über wenn auch nur teilweise.
den Cherubim« (Schl 2000), was mög­ 99,8 Aber Gott erhörte dann ihre Ge-
licherweise heißt, dass sein Thron von bete, und daraus folgt die Sicherheit,
symbolischen Cherubim getragen wird. dass er auch weiterhin und bis heute so

686
Psalm 99 und 100

handeln wird. Er ist ein vergebender Wir lernen aus diesen fünf kurzen
Gott. Er übersah ihre bösen Taten nicht. Versen, dass Anbetung einfach ist. Die
Wenn auch die Strafe erlassen war, blie- Worte und Gedanken sind sehr schlicht,
ben doch die Folgen für dieses Leben. nichts ist kompliziert oder blumig.
So vergab z.B. Gottes Gnade dem Mose Auch lernen wir, dass einfaches Rezitie-
seine Sünde an den Wassern von Meri- ren von Tatsachen über Gott Anbetung
ba; doch Gottes Regierung schloss ihn ist. Die Worte selbst sind mit Wundern
von dem Verheißenen Land aus. schwer beladen. Die einfachen Tat­
Es ist nicht unwahrscheinlich, dass sachen sind wunderbarer, als was man
diese drei Helden den gläubigen Teil erdichten könnte.
des Volkes Israel repräsentieren, und Dem Psalm liegt ein bestimmtes Mus­
was für sie galt, gilt auch für das ganze ter zugrunde:
treue Bundesvolk. Sie riefen den Na- Aufruf zur Anbetung (V. 1-2).
men des Herrn an und wurden errettet, Warum Gott angebetet werden sollte
und so wird auch jeder gerettet, der ihn (V. 3).
heute anruft. Aufruf zur Anbetung (V. 4).
99,9 Der dreifache Hinweis auf die Warum Gott angebetet werden sollte
Heiligkeit Gottes erinnert uns an Jesaja (V. 5).
6,3 und Offb 4,8. Auch die schönen Zei- Sieben Elemente der Anbetung wer-
len von Reginald Heber kommen uns in den vorgeschlagen:
den Sinn: Jauchzen (V. 1).
Dient dem HERRN mit Freuden!
Heilig, heilig, heilig, Gott, dir sei Ehre! (V. 2a).
Dir gilt das Lob, das dich früh am Kommt vor sein Angesicht mit Jubel!
Morgen preist. (V. 2b).
Heilig, heilig, heilig, Herr der Himmels­ Zieht ein in seine Tore mit Dank!
heere, (V. 4a).
Gnädig, allmächtig, Vater, Sohn und Zieht ein in seine Vorhöfe mit Lob­
Geist. gesang! (V. 4b).
Reginald Heber, Preist ihn! (V. 4c).
übersetzt von Günter Balders Dankt seinem Namen! (V. 4d).
Wir sollten ihn preisen wegen dessen,
Psalm 100: Der alte Hundertste was er ist. Er ist unser:
In dem alten Psalter von Genua (1551) HERR (V. 1).
wurde dieser Psalm liebevoll als der Gott (V. 3a).
»alte Hundertste« bezeichnet. Er ruft Schöpfer (V. 3b).
die ganze Erde auf, den HERRN anzu- Eigner (V. 3c).
beten. Sein Aufruf geht weit über die Hirte (V. 3d).
engen Grenzen Israels hinaus in alle Wir sollten ihn wegen seiner Eigen-
Heidenländer. Barnes schreibt: schaften preisen:
Er ist gut (V. 5).
Der Gedanke ist, dass Lobpreis nicht nur Seine Gnade währt ewiglich (V. 5).
einem Volk gebührt, dass er nicht nur für Seine Wahrheit währt von Geschlecht
ein Volk angemessen war und dass er zu Geschlecht (V. 5).
sich nicht auf die Hebräer allein be- In den ersten drei Versen wird Gott
schränkt; sondern dass alle guten Grund als Schöpfer angebetet. Aber in den
zum Preisen haben. Es gab genug, über letzten beiden Versen fällt es nicht
das sich alle Völker, alle Sprachen und schwer, Golgatha in den Text hinein­
Zustände einig werden konnten. Dieser zulesen, weil wir nirgendwo sonst so
Grund war die Tatsache, dass sie alle ei- deutlich seine Güte, seine Gnade und
nen Schöpfer hatten (V. 3).67 seine Treue sehen können.

687
Psalm 100 und 101
Psalm 101: Königliche
Die ganze Welt preist deine Macht,
Entscheidungen
Die Weisheit, die das All erdacht;
Doch deine Liebe, treuer Hirt, Davids Wünsche für sein privates und
Erst in dem Sohn ganz sichtbar wird. öffentliches Leben lagen jenseits des-
nach Samuel Medley sen, was er wirklich erreicht hat. Doch
werden die Ziele, die er sich für sein
In Vers 3 gibt es eine Gedankenverbin- Haus und das Königreich gesetzt hat,
dung, die wir nicht übersehen sollten: voll in Erfüllung gehen, wenn der Herr
Wir erfahren dort, dass der HERR Gott Jesus kommt und sich auf Davids Thron
ist. Das heißt, er ist unerreichbar hoch. setzt. Dieser Psalm ist Davids Regie-
Aber wir lesen auch, dass wir sein sind. rungserklärung; darin setzt er sich hohe
Und das zeigt uns, wie sehr er uns nahe Ziele.
ist. Ebendiese Nähe ist es, die den 101,1 Er beginnt damit, Gnade und
Psalm Freude und Gesang atmen lässt Recht zu rühmen, die er beide in dem
statt Furcht und Schrecken. Herrn findet, gern aber auch selbst ver-
Der Psalm ist ein frohes Lied für den wirklichen möchte. Vielleicht denkt er
glückseligen Gott, und seine Botschaft hier vornehmlich an Gott, an seine Gna-
ist seit Jahrhunderten in dem bekannten de gegen Israel und an sein gerechtes
Choral für uns festgehalten: Gericht über seine Feinde; denn er fügt
eilig hinzu: »Dir, HERR, will ich spie-
Nun jauchzt dem Herren alle Welt, len.«
Kommt her, zu seinem Dienst euch 101,2 Dann wendet er sich einigen Ei-
stellt; genschaften zu, die er sich für sein per-
Kommt mit Frohlocken, säumet nicht, sönliches Leben wünscht. Er ist ent-
Kommt vor sein heilig Angesicht. schlossen, auf einen vollkommenen
Erkennt, dass Gott ist unser Herr, (oder untadeligen) Weg zu achten, d.h.
Der uns erschaffen, ihm zur Ehr, sich so nahe an die Lehren des Herrn zu
Und nicht wir selbst, durch Gottes halten, dass es keinen berechtigten
Gnad’ Grund zum Tadel gibt. Sein Begehren
Ein jeder Mensch sein Wesen hat. ist so dringend und aufrichtig, dass er
Er hat uns ferner wohl bedacht den sehnsuchtsvollen Seufzer ein-
Und uns zu seinem Volk gemacht, schiebt: »Wann wirst du zu mir kom-
Zu Schafen, die er ist bereit, men?« Dies hat man unterschiedlich
Zu führen stets auf grüne Weid’. ausgelegt, als bedeute es:
Die ihr nun wollet bei ihm sein, - er sehne sich danach, Gott möge
Kommt, geht zu seinen Toren ein, kommen und sehen, dass er dieses auf-
Mit Loben durch der Psalmen Klang, richtige Leben führt;
Zu seinem Vorhof mit Gesang. - ihn verlange nach der Erfüllung des
Dankt unserm Gott, lobsinget ihm, Bundes, den Gott mit ihm geschlossen
Rühmt seinen Nam’ mit lauter Stimm’. hatte (2Sam 7), nach der endgültigen
Lobsingt und danket allesamt! Aufrichtung des Reiches Gottes auf Er-
Gott loben, das ist unser Amt. den;
Er ist voll Güt’ und Freundlichkeit, - er »fühle, dass er seine Entschlüsse
Voll Lieb’ und Treu’ zu jeder Zeit; nur ausführen könne, wenn Gott selbst
Sein’ Gnade währet dort und hier gegenwärtig ist«.68
Und seine Wahrheit für und für. Er ist entschlossen, mit lauterem Her-
David Denicke zen in seinem Haus zu wandeln. In sei-
nem häuslichen Leben will er gerecht
und aufrichtig handeln. Bei ihm soll es
kein Taktieren und auch keine Doppel-
bödigkeit geben.

688
Psalm 101 und 102

101,3-4 Wenn er sagt, er wolle keine »vertilgen« Hinrichtung oder aber die
heillosen Dinge ins Auge fassen, meint Ausweisung aus Jerusalem, der Stadt
er, er werde nicht wohlgefällig auf ei- des HERRN, bedeuten. Bei Grant heißt
nen gemeinen Menschen oder auf ein es: »Gottlosigkeit aller Art muss aus
Komplott oder auf schlechte Hand- dem Land ausgemerzt und alle, die den
lungen blicken. Götzen dienen, müssen aus der Stadt
Was die Werke der Abtrünnigen an- Gottes ausgerottet werden.«69
geht, hasst er sie und ist entschlossen,
sich nicht damit zu beflecken. Mit Men- Psalm 102: Die Dreieinheit auf
schen, die von der Wahrheit und der Golgatha
Gerechtigkeit weichen, will er nichts zu Der Schlüssel zum Verständnis dieses
tun haben. Psalms liegt darin, die unterschied-
Eine andere Eigenschaft, die er von lichen Sprecher zu entdecken.
sich fernhalten will, ist ein verkehrtes Der Herr Jesus hängt am Kreuz und
Herz – eines, das zu Falschheit und zu spricht zu Gott (V. 2-12).
bösen Taten neigt. Er will dieses Böse Der Vater antwortet seinem geliebten
nicht in sich selbst dulden, und er will Sohn; wir wissen das durch den Ver-
solche Menschen auch nicht unter sei- gleich von Vers 13 mit Hebräer 1,8
nen vertrauten Räten haben. Der groß- (V. 13-16).
artige Entschluss: »Böses will ich nicht Der Sprecher wird nicht genannt;
kennen«, kann sich auf sein eigenes Le- aber wir sind sicher, dass es sich um
ben, aber auch auf die Personen seines den Heiligen Geist handelt, der die zu-
Hofes beziehen. So übersetzt die King künftige Wiederherstellung Israels un-
James Bible: »Ich will keinen bösen ter dem Messias beschreibt (V. 17-22).
Menschen kennen.« Das Wort »ken- Der Heiland ist wieder zu hören, wie
nen« bedeutet hier gunstvoll ansehen er unter der Hand Gottes für unsere
oder ermutigen. Sünden leidet (V. 24-25a).
101,5 Jeder, der seinen Nächsten ver- Aus dem Vergleich mit Hebräer 1,10-
leumdet, wird vertilgt. Dies bedeutet 12 wissen wir, dass der Vater zu seinem
wohl kaum, dass er ihn umbringen Sohn spricht (V. 25b-29).
wird; aber er wird von der königlichen Hier haben wir wie sonst nirgends in
Regierung ausgeschlossen und da- der Bibel die Möglichkeit, einer Unter-
durch zum Schweigen gebracht. haltung zu lauschen, die zwischen den
Dasselbe gilt für die Hochmütigen drei Personen der Gottheit stattfand, als
und Stolzen. Sie werden keine Ämter der Herr Jesus für die Sünden der Welt
am königlichen Hof einnehmen. Sühnung tat.
101,6 Die entscheidende Qualifika­ 102,1-3 Wenn wir das Gebet des An-
tion wird moralische und geistliche Un- gefochtenen in den Versen 2 und 3 le-
anfechtbarkeit sein. Die Treuen im sen, sollten wir nie das Staunen darüber
Land werden die Helfer des Königs verlieren, dass der ewige Sohn sich der-
sein, und die ein reines Leben führen, maßen erniedrigte, dass er gehorsam
werden seine Diener sein. wurde bis zum Tod, ja, zum Tod am
101,7-8 Die Betrüger aber und Lügner Kreuz.
werden nicht auf der königlichen Ge- Wir hören, wie er den HERRN an-
haltsliste stehen. Mit Scharlatanen und fleht, sein Gebet zu hören, ihm in der
Winkeladvokaten will er nichts zu Bedrängnis nahe zu sein und ihn ei-
schaffen haben. lends zu erhören.
Abschließend zeigt sich der König 102,4-8 Dann beschreibt er einige sei-
entschlossen, gegen alle Arten von ner Leiden, die ihm, dem Mann der
Gottlosigkeit sofort und ernstlich vor- Schmerzen, zu tragen auferlegt waren.
zugehen. Auch hier kann das Wort Er war sich bewusst, bald sterben zu

689
Psalm 102

müssen; seine Tage entschwanden wie leid mit seinem Schutt. Dies erkennen
ein Rauch. Sein Körper brannte im Fie- wir an der hohen Wertschätzung der
ber. Es war, als seien seine lebenswich- Westmauer, die man früher Klagemau-
tigen Organe ausgetrocknet und ver- er nannte, und an Israels sentimentalem
dorrt, auch essen konnte er nichts mehr. Interesse an der Altstadt von Jerusalem.
Seine Qualen hatten sich so hingezo- Wenn Zion seinen König wieder be-
gen, dass er zu Haut und Knochen ge- grüßt, werden die Heidenvölker den
worden war. Er glich der Eule der Wüs- Namen des HERRN fürchten und die
te, dem Käuzchen, das in Ruinen haust, Könige der ganzen Erde ihm huldigen.
ein Bild der Verlassenheit und Traurig- 102,17-23 In den Versen 17-23 fehlen
keit. Schlaf war natürlich unmöglich. die Personalpronomen der ersten und
Von Gott und Menschen verlassen, zweiten Person; nur die der dritten Per-
glich er einem einsamen Vogel auf dem son werden gebraucht. Und so meinen
Dach. wir, annehmen zu dürfen, dass dies die
102,9-12 Die Feinde hörten nicht auf, Stimme des Heiligen Geistes ist, der die
ihn zu verletzen. Sie gebrauchten sei- künftige Wiederherstellung Israels un-
nen Namen bei ihren Flüchen. (Noch ter der Herrschaft Christi beschreibt.
heute ist der hebräische Name Jeschua, Der Messias wird in Macht und großer
von seinen Feinden zu Jeschu verkürzt, Herrlichkeit wiederkommen und Zion
ein Fluchwort, das bedeutet: »Möge aufbauen. Die Gebete seines zerstreuten
sein Name von der Erde verbannt Volkes werden an jenem Tag erhört
sein!«) Die Asche des Kummers war sein. Dann wird man sehen, dass ihr
sein Brot, und sein Trank wurde durch Flehen nicht vergeblich war. Künftige
seine Tränen verdünnt. Generationen werden die wunderbare
In alldem verstand er, dass er wegen Erzählung davon lesen können, wie der
des Grimmes und Zornes Gottes litt. HERR vom Himmel herabblickte von
Nicht, dass Gott über ihn persönlich der Höhe seines Heiligtums, wie er die
zornig war, sondern über unsere Sün- Schreie seines verfolgten und zer-
den, die er als das Lamm Gottes an sei- streuten Volkes hörte und wie er es in
nem Leib auf dem Holze trug. Er fühlte das Land Israel zurückbrachte. Wenn
sich, als sei er emporgehoben und wie- sich die Völker in Jerusalem versam-
der hingeworfen. Seine Tage gingen zu meln, um den HERRN anzubeten, wer-
Ende wie die Schatten des Abends, und den sie die Weisen aufzählen, in denen
sein Leben schwand dahin wie Gras. er die Gefangenen und die zum Tod
102,13-16 Gott antwortet dem Herrn Verurteilten befreite. Dann werden sie
Jesus mit zusichernden und ermuti- dem HERRN für sein gnädiges Han-
genden Worten. Indem er den Sohn als deln mit Israel preisen.
HERR anredet, erinnert er ihn daran, 102,24-29 Nun geht es in dem Psalm
dass er ewig und sein Name von Ge- wieder um den Herrn, wie er am Kreuz
schlecht zu Geschlecht bleiben werde. stirbt. Er war zu der Zeit ein junger
Obwohl er sterben würde – das Mann – Anfang dreißig. Aber schon
stimmte  –, würde er wieder auferste- war seine Kraft gebrochen in der Blüte
hen und in den Himmel auffahren. seines Lebens. Sein Leben sollte vor­
Dann würde er als Löwe des Stammes zeitig enden. Und so bittet er: »Mein
Juda zurück­kehren und sich Zions er- Gott, nimm mich nicht hinweg in der
barmen. Dies würde die Zeit sein, in Hälfte meiner Tage!«
der das nun beiseitegesetzte Volk zu- Gott antwortet sofort sinngemäß dar-
rückgebracht und wieder zu Gunst ge- auf (V. 25b): »Herr, du lebst ewig!« Wir
langt ist. Solange das Volk Israel auf die wissen, dass Gott hier spricht, weil die
Wiederherstellung wartet, hat es Wohl- folgenden Worte in Hebräer 1,10-12
gefallen an den Steinen Zions und Mit- dem Vater zugeschrieben werden. Be-

690
Psalm 102 und 103

achten Sie, was Gott über seinen Sohn Wunder der Gnade Gottes, dass karme-
bezeugt: sinrote Sünden weißer als Schnee ge-
Er war der aktiv Handelnde bei der waschen werden können. Ich kann es
Grundlegung der Erde, und die Him- dem Mann nachfühlen, der nur ein
mel sind seiner Hände Werk. Wort auf seinem Grabstein stehen hatte:
Die Schöpfung wird vergehen; aber »VERGEBEN« – und auch dem Iren,
er wird ewig bleiben. Die Schöpfung der sagte: »Der Herr Jesus hat mir alle
wird veralten wie ein Kleid und in et- meine Sünden vergeben, und er wird
was Besseres verwandelt werden. Aber niemals damit aufhören.« Das Bewusst-
Christus ist ewig und unwandelbar. sein, dass alle unsere Sünden durch das
Und nicht nur seine ewige Existenz kostbare Blut Christi weggetan sind – ja,
ist sicher, sondern auch die seines das ist einfach zu groß, als dass wir es
Volkes und dessen Nachkommen. Die begreifen könnten. Die zweite zu be-
Söhne seiner Knechte werden in Sicher- denkende Wohltat ist die Heilung aller
heit wohnen, und ihre Kinder werden unserer Krankheiten. Bevor wir die
ebenfalls in seinem Schutz leben. Probleme angehen, die damit verbun-
den sind, lassen Sie uns bedenken, dass
Psalm 103: Der Aufruf zum Danken Heilung nach der Vergebung kommt.
Das Leibliche ist eng mit dem Geist­
103,1 Einer der Gründe, weshalb wir lichen verbunden. Während nicht alle
die Psalmen so sehr lieben, ist der, dass Krankheiten direkte Folgen von Sünde
sie so schön ausdrücken, was wir zwar sind, so gilt dies doch für manche. Wo
oft empfinden, aber nicht in Worte fas- diese Verbindung besteht, muss die
sen können. Nirgends wird das deut­ Vergebung der Heilung vorausgehen.
licher als im 103. Psalm. In majestä- Aber das offensichtliche Problem ist
tischen Kadenzen des Dankes werden damit nicht erledigt. Der Vers sagt: »…
uns Empfindungen gezeigt, die unsere der da heilt alle deine Krankheiten.«
tiefsten Gefühle der Dankbarkeit wi- Doch aus praktischer Erfahrung wissen
derspiegeln. Hier rufen wir unsere See- wir, dass nicht alle Krankheiten geheilt
le auf, den HERRN zu loben – und mit werden, dass wir alle früher oder später
unserer Seele ist nicht nur der immate- sterben werden, wenn der Herr nicht in
rielle Teil unseres Seins, sondern unsere der Zwischenzeit gekommen ist. Was
gesamte Person gemeint. Geist, Seele also bedeutet dieser Vers? Wenn wir
und Leib vereinen sich, um den heili- eine Antwort suchen, machen wir ge-
gen Namen des HERRN zu preisen. wöhnlich folgende Erfahrungen:
103,2 Und zum zweiten Mal erschallt Erstens kommt alle echte Heilung
der Aufruf zur Anbetung, indem die von Gott. Wenn Sie krank gewesen und
bedeutsame Ermahnung angefügt ist, dann genesen sind, können Sie Gott für
nicht Gottes Wohltaten zu vergessen. die Heilung danken, weil er die Quelle
Das ist eine nötige Erinnerung, weil wir alles Heils ist. Einer der Namen Gottes
nur allzu schnell vergesslich sind. Wir im Alten Testament ist Jahwe-Rapha –
vergessen, ihm für einen gesunden Kör- der HERR, dein Arzt. Jede wahre Hei-
per zu danken, für Gesundheit des Ver- lung kommt von ihm.
stands und dafür, dass wir sehen, hö- Zweitens kann der Herr alle Arten von
ren, sprechen, essen und eine Vielzahl Krankheiten heilen. Es gibt für ihn keine
anderer Gnadengaben genießen kön- unheilbare Krankheit.
nen. Alles nehmen wir so selbstver- Drittens kann der Herr durch Benut-
ständlich hin. zung natürlicher Mittel im Laufe einer
103,3 Aber mehr als all das sollten wir gewissen Zeit heilen, aber auch durch
ihm für die Vergebung unserer Sünden ein augenblickliches Zeichen. Seiner hei-
danken. Es ist ein unaussprechliches lenden Kraft sind keine Grenzen gesetzt.

691
Psalm 103

Viertens heilte der Herr, als er hier zens sättigt und den aufrichtig Wan-
auf Erden war, alle Kranken, die zu ihm delnden nichts Gutes vorenthält.
gebracht wurden (Mt 8,16). Das Ergebnis dieser fünf Wohltaten
Fünftens wird er während des Tau- ‒  Vergebung, Heilung, Bewahrung,
sendjährigen Reiches tatsächlich alle Krönung und Sättigung ‒ ist die Er­
Krankheiten heilen (Jes 33,24; Jer 30,17) neuerung unserer Jugend gleich der
– außer bei denen, die sich gegen ihn des Adlers. Krankheit und Gewalt mö-
auflehnen (Jes 65,20b). gen den Körper schädigen, doch kön-
Aber was der Vers auch sonst noch nen sie den Geist nicht berühren.
bedeuten mag, er kann nicht bedeuten, »Wenn auch unser äußerer Mensch auf-
dass der Gläubige Anspruch darauf gerieben wird, so wird doch der innere
hat, alle Krankheiten geheilt zu bekom- Tag für Tag erneuert« (2Kor 4,16). Auf
men, weil wir an anderen Stellen des der Erde gibt es keinen Brunnen ewiger
Psalms an die Kürze unseres Lebens Jugend; aber der Geist kann von einer
und die Gewissheit des kommenden Stufe der Kraft zur nächsten gehen.
Endes erinnert werden (V. 15-16). Was »Aber die auf den HERRN hoffen, ge-
mir der Vers sagt, ist dies: Wo immer winnen neue Kraft: sie heben die
ein Gläubiger geheilt wurde, ist es Schwingen empor wie die Adler, sie
Gottes Gnade gewesen, und darum laufen und ermatten nicht, sie gehen
sollte er als der Heilende anerkannt und ermüden nicht« (Jes 40,31).
und gepriesen werden. Von dem Adler sagt man, er habe ein
103,4 Er heilt aber nicht nur unsere langes Leben und überragende Kräfte.
Krankheiten, sondern erlöst unser Le- Aber auch sein Leben besteht nicht aus
ben auch von der Grube, dem Verder- beständiger Vitalität und erneuerter Ju-
ben. Natürlich kann man das auf die gend; auch er wird alt und stirbt. Aber
Errettung vor der Hölle beziehen. Aber was der Psalmist damit sagen will, ist
ich meine, hier geht es um die bestän- dies: Ein Mensch, der in Gott zu Hause
dige Bewahrung vor Gefahren, Unfäl- ist, erfreut sich dauernder Erneuerung
len, Tragödien und dadurch vor dem und geht von einer Kraft zur anderen,
Sinken ins Grab. Erst wenn wir im Him- wie der Adler, der sich von einer Höhe
mel sind, werden wir begreifen, wie oft zur anderen aufschwingt.
wir durch das persönliche Eingreifen 103,6 Die Gnade und Barmherzigkeit
unseres Gottes vor einem frühzeitigen des HERRN zeigt sich in seinem Um-
Tod bewahrt wurden. gang mit seinem hebräischen Volk, be-
Die vierte Wohltat besteht darin, uns sonders beim Auszug aus Ägypten. Das
mit Gnade und Erbarmen zu krönen. war ein typisches Beispiel für die Wei-
Das ist ein wunderbares Diadem für se, wie er allen Unterdrückten Recht
solche, die früher lieblos und schuldig und Gerechtigkeit erweist.
waren. Wir sind mit ewiger Liebe ge- 103,7-8 Bei dem Zug von Ägypten ins
liebt und werden Tag für Tag mit seiner Verheißene Land offenbarte Gott dem
Gnade überschüttet. Mose seine Wege und dem Volk Israel
103,5 Dann wieder sättigt er uns mit seine Taten. Er ließ Mose teilhaben an
Gutem, solange wir leben. Das hebrä­ seinen innersten Ratschlüssen und
ische Wort hier ist ein wenig unklar. zeigte ihm seine Pläne und Absichten.
Buchstäblich übersetzt heißt es »sättigt Das Volk Israel sah die praktische Aus-
deine Zierde mit Gutem«. Von daher führung dieser Pläne. Der Unterschied
hat man abgeleitet »dein Alter«, »deine zwischen seinen Wegen und seinen Ta-
Jahre« oder »solange du lebst«. Aber ten ist der: Seine Wege erfährt man
auch wenn wir den genauen Wortsinn durch Offenbarung, während seine Ta-
nicht erkennen, besteht doch die Wahr- ten beobachtet werden können.
heit, dass der Herr das Sehnen des Her- In seinem ganzen Umgang mit sei-

692
Psalm 103

nem Volk hat er sich als barmherzig leid.« Genauso wie ein menschlicher
und gnädig erwiesen. Er leitet, schützt Vater mit liebevollem Verständnis beo-
und versorgt es bei jedem Schritt auf bachtet, wie sein kleiner Junge unter
seinem Weg. Seine Leute gehen in die einer großen Last strauchelt, so blickt
Irre, sie klagen, sind rebellisch und un- der HERR voll Mitleid auf unsere
gehorsam, doch er erträgt sie lange, be- Schwachheiten. Er weiß, was wir sind
vor sein Zorn losbricht. Seine Gnade ist – dass wir Staub sind, voller Zerbrech-
unerschütterlich, einerlei, wie viel Un- lichkeit und ohne Möglichkeit, uns
dank er dafür erfährt. selbst helfen zu können. Allzu oft ver-
103,9-10 Es kommt eine Zeit, wenn gessen wir, woran Gott sich erinnert –
der Herr seine Kinder züchtigen muss; dass wir Staub sind. Dann werden wir
aber selbst dann währt seine Zucht hochmütig, vertrauen auf uns selbst,
nicht ewig. Gericht ist sein fremdartiges werden unabhängig und versagen
Werk. Seine Gnade rühmt sich wider schmählich.
das Gericht. Wenn wir erhielten, was 103,15-16 Der Mensch ist nicht nur
wir verdient haben, wären wir für ewig Staub, er kehrt auch bald zum Staub zu-
in der Hölle; aber Gottes Gnade zeigt rück. Der urzeitliche Urteilsspruch:
sich darin, dass er uns nicht gibt, was »Staub bist du, und zum Staub wirst du
wir verdienten. Die Strafe für unsere zurückkehren«, erfüllt sich unerbittlich.
Sünden hat ein anderer auf dem Kreuz Der Mensch ist für einen kurzen Tag
von Golgatha bezahlt. Wenn wir auf geboren, dann schwindet er wie die
den Erlöser vertrauen, kann Gott uns Blume des Feldes dahin, und seine alte
rechtmäßig begnadigen. Und es kann Umgebung sieht ihn nie wieder.
keine Doppelbestrafung geben; Chris- 103,17-18 Die Gnade Gottes steht
tus hat die Schuld ein für alle Mal be­ dazu in lebendigem Kontrast. Sie
glichen, und so wird die Bezahlung von dauert von Ewigkeit zu Ewigkeit für
uns niemals gefordert werden. die, die ihn fürchten. Sowohl ihre
103,11-12 Gottes Liebe, die diesen Dauer als auch ihre Ausdehnung sind
wunderbaren Plan der Errettung aus- grenzenlos. Und seine Gerechtigkeit
führte, ist unermesslich. Sie übersteigt reicht bis zu den Kindeskindern. Darin
bei weitem die menschliche Vorstel- liegt ein großer Trost. Christliche Eltern
lungskraft. Könnten wir den Abstand haben oft großen Kummer wegen ihrer
des Himmels von der Erde messen, Kinder und Enkel, die in einer Welt zu-
würden wir ein wenig die Größe seiner nehmender Gottlosigkeit aufwachsen.
Liebe verstehen. Aber das können wir Aber wir können unsere Kinder getrost
nicht. Wir können nicht einmal die Grö- dem überlassen, dessen Liebe unend-
ße des stofflichen Universums messen, lich ist und dessen Gerechtigkeit nicht
in dem wir leben. Und wenn wir von nur für uns ausreicht, sondern auch für
unendlichen Entfernungen reden, dann alle nachfolgenden Generationen. Na-
entspricht das genau der Distanz, die türlich hängen die Verheißungen not-
unsere Vergehen uns von ihm entfernt wendigerweise an einer Bedingung. Sie
haben. Aber ebenso fern, wie der Osten gelten denen, die seinen Bund halten
vom Westen ist, die sich nie begegnen, und seiner Vorschriften gedenken, um
so fern sind auch die Sünden dem Gläu- sie zu tun. Doch das ist einsehbar.
bigen. Er wird nie mehr mit ihnen kon- 103,19-22 Der HERR ist König. Sein
frontiert. Diese Sünden wurden durch Thron ist in den Himmeln, und seine
das Wunder der Liebe aus Gottes Ge- Herrschaft ist universal. Als solcher
sichtskreis entfernt. sollte er der Gegenstand des Lobes von
103,13-14 Es hat einmal jemand ge- jedem und allem sein. So steigt David
sagt: »Gerade die Schwachheit des auf das Dirigentenpult des Univer-
Menschen appelliert an Gottes Mit- sums, um den vereinten Chor der

693
Psalm 103 und 104

Schöpfung zu einem gewaltigen Kon- sichtbaren Gott beschreiben oder seine


zert der Anbetung zu führen. Zuerst unendliche Größe in endliche Worte
bewegt er die mächtigen und gehor- einfangen?
samen Engel dazu, mit dem anschwel- Wie er so steht und schaut und sich
lenden Hymnus zu beginnen. Dann wundert, ruft der Psalmist aus: »HERR,
ruft er alle erschaffenen Diener des mein Gott, du bist sehr groß!« Dann
Herrn auf, ihn mit Harmonien des strömen die Einzelheiten seiner Theo-
Lobes zu preisen. Als Nächstes gibt er phanie (Gotteserscheinung) hervor:
den Werken Gottes das Zeichen, in das Gott hat sich in Majestät und unaus-
herrliche Crescendo einzustimmen. sprechliche Pracht gekleidet. Er hat sich
Und während der große Halleluja-Chor in Licht wie in ein Gewand gehüllt. Das
durch Gottes Herrschaftsbereich klingt, ist ein Bild für seine absolute Reinheit
fügt der Chorleiter selbst noch seine und Gerechtigkeit. Er breitet den stella-
Stimme hinzu, um den HERRN zu prei- ren und den atmosphärischen Himmel
sen. Jemand hat einmal gemeint, David wie eine Zeltdecke über der Erde aus –
sage hier: »Mitten unter den Lobliedern ein Werk, das wegen seiner Größe alles
der Schöpfung soll auch meine Stimme Denken übersteigt. Die wasserreiche
sein Lob singen.« Wolkendecke bildet die Grundlage, auf
die die Pfeiler der Himmel gestellt sind.
Psalm 104: Schöpfer und Erhalter Wie sie über den Himmel jagen, sind
die Wolken die Wagen des HERRN, die
Bedenken Sie einmal, was alles dazu­ von den Flügeln des Windes gezogen
gehört, damit Städte wie New York werden.
oder London oder Tokio mit ihren vie- 104,4 »Der seine Engel zu Winden (o.
len Millionen Einwohnern funktionie- Geistern) macht, seine Diener zu flam-
ren können. Komplexe Organisationen mendem Feuer« (unrevidierte Elber-
arbeiten für die Wasserversorgung, die felder, Schlachter 2000). Weil die He­
Bebauung oder die Bereitstellung der bräer nur ein Wort für Wind und Geist
Ernährung und für noch viele andere und nur eins für Engel und Bote haben,
lebenswichtige Dienste. kann man auch so übersetzen: »Der
Aber nun bedenken Sie, wie unend- Winde zu seinen Boten macht, Feuer
lich umfangreicher Gottes Aufgabe ist, und Lohe zu seinen Dienern« (rev. El-
die Welt zu verwalten, in der wir leben. berfelder, Luther). Dies passt schön in
Da gibt es das Problem der Wasserver- den Textzusammenhang, der von der
sorgung für alle seine Geschöpfe. Dazu Natur handelt, doch erfordert das Zitat
kommt die ungeheure logistische Auf- dieses Verses im Kontext von Hebräer
gabe, für alle Menschen, Landtiere, Vö- 1,7 die traditionelle Übersetzung. (Die
gel und Fische Nahrung bereit­z ustellen. griechische Sprache hat dieselben bei-
Dann ist für Unterkunft und Schutz zu den Doppelbedeutungen, so gilt beides
sorgen. Man kann einfach nur groß von für beide Testamente.)
Gott denken, wenn man ihn als Schöp- 104,5-9 Beim Durchwandern des
fer und Erhalter dieser weiten Welt der Psalms wird uns deutlich, dass die Tage
Natur betrachtet. der Schöpfung von 1. Mose 1 wieder
104,1-3 Nachdem der ungenannte aufleben, obgleich von manchen Tagen
Psalmist alle Bereiche seines Wesens nicht so deutlich gesprochen wird wie
aufgerufen hat, den HERRN zu preisen, von anderen. Der Psalmist staunt dar­
gibt er uns eine jener großartigen Be- über, wie Gottes Vorsehung alles für
schreibungen Gottes, die Michelangelo seine Geschöpfe und ganz besonders
inspiriert haben müssen. Man muss sei- für die Menschen eingerichtet hat.
ne Worte als Bildersprache verstehen; Zuerst erinnert er sich daran, wie
denn wie anders könnte man den un- Gott die Erde auf unsichtbare Funda-

694
Psalm 104

mente gründete, dass sie eine stabile, mancherlei Zwecke dar. Es ist gesund
erschütterungsfreie Oberfläche zum Be- und schmeckt gut. Und von dem Ge-
wohnen bietet. Anfangs war die ganze treide kommt Brot, die Stütze des Le-
Erde mit Wasser bedeckt, so tief, dass bens, um dem Menschen Kraft zu sei-
selbst die Berge untergetaucht waren. nen Werken zu geben.
Am dritten Tag sagte Gott: »Es sollen 104,16-18 Die großen Waldbäume
sich die Wasser unterhalb des Himmels trinken tonnenweise das Wasser aus
an einen Ort sammeln, es werde das dem Boden. Die Zedern des Libanon
Trockene sichtbar!« (1. Mose 1,9). Sofort wachsen gewöhnlich, ohne von Men-
traten die Wasser einen hastigen Rück- schen gepflanzt zu sein; Bäume bieten
zug an, und die Berge und Täler er- aber ihrerseits Wohnmöglichkeiten für
schienen an dem Ort, den Gott ihnen die Vögel. Der Storch z.B. baut in Zy­
bestimmt hatte. Die Meere und Ozeane pressen sein Nest. Die hohen Berge sind
wurden gebildet und erhielten eine be- für die Steinböcke ein idealer Zufluchts-
stimmte Grenze, damit sie nicht in das ort, und die Felsen sind das Heim der
Trockene eindringen konnten. Klippdachse.
104,10-13 Dann begann Gottes stau- 104,19-23 Weil das Leben sich in
nenswertes Bewässerungssystem zu ar- Kreisläufen und nach Plänen bewegt,
beiten. Quellen fingen an, reichlich muss es eine Möglichkeit der Zeit­
Wasser zu pumpen. Die Ströme bahnten messung geben. So hat Gott den Mond
sich ihren Weg von den Bergen in die gesetzt, um die Monate zu markieren,
Täler und vom Flachland schließlich ins und die Sonne – als sei es ihr bewusst –
Meer. Seither haben die Tiere ihren weiß, wann sie untergehen muss, um
Durst in diesen Strömen, Bächen und das Ende eines jeden Tages anzuzeigen.
Seen gestillt. Und die Vögel haben Nist- Der regelmäßige Wechsel zwischen Tag
plätze in den Bäumen gefunden, die an und Nacht ist eine gnädige Fügung für
ihren Ufern wachsen. Ein anderer Teil Tiere und Menschen. Im Schutz der
der Wasserversorgung ist der Regen. Dunkelheit gehen die Tiere des Waldes
Wie Elihu ausführte: »Wenn er die Was- auf Nahrungssuche. Kommt der Mor-
sertropfen heraufzieht, sickern sie gen, ziehen sie sich zur Sicherheit in
durch seinen Nebel wieder herab als ihre Höhlen zurück. Doch der Mensch
Regen, den die Wolken niederrieseln geht an sein Werk und nutzt die Stun-
und träufeln auf die vielen Menschen« den des Tageslichts für produktive
(Hi 36,27-28). Und wenn das große Arbeit.
Beregnungssystem die Berge tränkt, 104,24-26 Die Verschiedenheit der
wird die Erde gesättigt mit den Ergeb- Werke Gottes ist atemberaubend.
nissen des göttlichen Bewässerungs- »Welche Weisheit hat sie alle erdacht!«
programms. (Knox). Die Erde ist voll seiner Be-
104,14-15 Dann ist das Versorgungs- sitztümer, und er sorgt für alle mit er-
amt an der Reihe. Gott lässt reichlich staunlicher Beachtung jeder Einzelheit.
die verschiedensten Pflanzen für das Das Meer wimmelt von großen und
Vieh und Körner für die Menschen kleinen Tieren, vom winzigen Plankton
wachsen, die sie sowohl für sich als bis hin zu den Walen.
auch zum Füttern ihrer Haustiere an- Die Erwähnung von Schiffen in Vers
bauen. Langsam und leise kommt das 26 scheint irgendwie nicht in die Un­
Wunder der Nahrung aus der Erde. terhaltung über lebende Geschöpfe
Der Saft der Trauben verwandelt sich zu passen. Einige verstehen darunter
durch staunenswerte chemische Pro- die Seeungeheuer (1. Mose 1,21); aber
zesse in Wein, und dieser erfreut beim »Schif­fe« steht nun einmal da. Der im
Trinken das Herz des Menschen. Die selben Vers erwähnte Leviatan mag
Ölbäume bieten ihr goldenes Öl für sich auf Wale und Delfine beziehen, die

695
Psalm 104 und 105

das Meer als ideale Spielwiese für ihre währen, damit er sich seiner Werke er-
sportlichen Kunststücke ansehen. freuen kann – das ist der Gott, dessen
(Doch beachten Sie hierzu die Kom- Anblick die Erde erbeben lässt und des-
mentare und Fußnoten zu Hiob 41.) sen Berührung Vulkanausbrüche zur
104,27-30 Obwohl sie sich dessen Folge hat.
sicher nicht bewusst sind, hängen alle 104,33-35 In Bezug auf sich selbst ist
Organismen in Bezug auf ihre Ernäh- der geheiligte Schreiber entschlossen,
rung von Gott ab. Wenn er sie darreicht, sein Leben lang die Vortrefflichkeiten
sammeln sie ein. Er öffnet seine Hand Gottes zu besingen. Er bittet, seine Be-
und sättigt sie reichlich. In Vers 13 wird trachtungen möchten dem HERRN
die Erde dadurch gesättigt, dass Gott wohlgefallen, an dem der Psalmist sei-
wirkt, indem er Regen sendet. In Vers ne wahre Freude gefunden hat.
16 sind die Bäume voller Saft. Und jetzt Was die Sünder angeht, die Gottes
werden alle Geschöpfe satt. Schöpfung ruinieren, so sieht er es für
Eine unausweichliche Tatsache in passend an, dass sie von der Erde ver-
Gottes Haushaltung ist, dass der Tod schwinden. Gott hat schon entschieden,
eine Generation hinwegrafft und eine dass es so sein wird; damit ist sein Ge-
neue an ihre Stelle tritt. Wenn Tiere ster- bet mit dem göttlichen Willen in Ein-
ben, sei es durch Gewalt oder wegen klang.
des Alters, so ist es, als verberge Gott Was uns betrifft, können wir ganz ge-
sein Angesicht. Aber zur selben Zeit, wiss in seine abschließende Doxologie
wenn sie vergehen und wieder zu Staub einstimmen:
werden, sendet Gott seinen Geist und Preise den HERRN, meine Seele! Hal-
bevölkert die Erde wieder, was wie eine leluja!
Neuerschaffung aussieht. Einerseits
gibt es ein ständiges Dahinschwinden, Psalm 105: Der Bund mit Abraham
andererseits eine immer wiederkehren-
de Erneuerung der Gestalt der Erde. In seinem Bund mit Abraham verhieß
104,31-32 So wie der Psalm bei der ur- Gott, dessen Nachkommen das Land
sprünglichen Schöpfung begann, so en- vom Bach Ägyptens bis zum Euphrat
det er jetzt mit einer leidenschaftlichen zu geben (1. Mose 15,18-21; 2. Mose
Bitte um das goldene Zeitalter, wenn 23,31; 5. Mose 1,7-8; Josua 1,4). Das war
das Verderben der Sünde abgeschafft eine bedingungslose Verheißung, ein
sein wird und man den HERRN verehrt reiner Gnadenbund. Alles hing von
und verherrlicht wegen seiner Größe Gott ab, nichts von den Menschen.
und Güte: Dieser Psalm zählt voller Enthusias-
mus alles auf, was Gott seit der Bundes-
Er (der Psalmist) sehnt sich danach, die schließung bis zu der Zeit getan hat, als
Wiederbringung und Erneuerung zu er die Kinder Israel ins Verheißene
schauen und sich selbst samt allen Krea- Land führte. Nichts wird über Israels
turen Gottes als Teil einer gewaltigen Sünden und Rückfälle gesagt, wie in
Harmonie zu sehen, und dass der Sabbat den meisten der historischen Psalmen.
der Schöpfung heraufdämmern möge, Eigentlich hat Israel bisher niemals
die Ruhe Gottes, in der er sich all seiner das gesamte verheißene Gebiet beses-
Werke erfreut und diese sich in ihm, da- sen. Am nächsten kam es dem unter der
mit das Universum ein Tempel wird, Regierung Salomos. Obwohl er über
durchbraust von den Lob- und Dankes- alle Könige vom Euphrat bis zur Gren-
liedern.70 ze Ägyptens regierte, wohnte doch das
Volk von Juda und Israel nur in dem
In Bezug auf den HERRN bittet der Land von Dan bis Beerscheba (1Kö
Psalmist, seine Herrlichkeit möge ewig 4,21-25). Doch wenn der Messias in

696
Psalm 105

Macht und Herrlichkeit zurückkehrt, 105,9-11 Der Bund wurde ursprüng-


wird Israels Grenze das ganze Land lich mit Abraham geschlossen (1. Mose
umschließen, das Gott dem Abraham 12,1-20), später aber dem Isaak bestätigt
geschenkt hat. Wenn das eintritt, wird (1. Mose 26,3-4) und dann noch später
das gläubige Israel dieses Lied mit gegenüber Jakob bekräftigt (1. Mose
einem erneuerten Geist und Verständ- 28,13-15). Es war das Wort des Gottes,
nis singen. der nicht lügen kann, welches seinem
irdischen Volk das Land Kanaan als
Dankt und preist! (105,1-6) Erbteil garantierte.
105,1-6 Viele Psalmen beginnen in Moll, Im Verlauf der Geschichte sehen wir,
dann bauen sie ein Crescendo der An- wie Gott Hemmnisse beseitigte und
betung auf. Dieser aber fängt mit einer Feinde besiegte, damit sein Wort sich
echten Lobesexplosion an, die den Le- erfüllte.
ser durch ihre Lebendigkeit mitreißt.
Beachten Sie die vielen verschiedenen Die Jugendzeit des Volkes (105,12-15)
Verben in der Befehlsform, die verwen- 105,12-15 Als sie zuerst aus Mesopota-
det werden, um uns zur Anbetung zu mien nach Kanaan kamen, waren sie
ermuntern: eine Hand voll wehrloser Einwanderer.
Preist den HERRN, Jene frühen Tage waren von bemerkens­
Ruft an seinen Namen, werten Wanderungen gekennzeichnet,
Macht unter den Völkern kund seine sowohl in diesem Land als auch in an-
Taten! deren Ländern (1. Mose 12,1-13; 20,1-
Singt ihm, 18; 28,29-35). Aber Gott schützte sie vor
Spielt ihm, Gefahr und Unterdrückung und wies
Redet von all seinen Wundern! Herrscher wie den Pharao (1. Mose
Rühmt euch seines heiligen Namens! 12,17-20) oder Abimelech (1. Mose 20,1-
Es freue sich das Herz derer, die ihn 18; 26,6-11) in ihre Schranken, indem er
suchen! sinngemäß zu den heidnischen Kö-
Fragt nach dem HERRN, nigen sagte: »Wagt es nicht, meine Er-
Sucht sein Angesicht beständig, wählten anzurühren, und tut meinen
Gedenkt seiner Wunder, die er getan Propheten kein Leid an – diesen Patri-
hat, archen, denen ich direkte Offen­
seiner Zeichen und Urteile seines barungen gegeben habe!«
Mundes!
Ihr Nachkommen Abrahams, seines Josefs Aufstieg zur Macht in Ägypten
Knechtes, die Söhne Jakobs, seine Aus- (105,16-22)
erwählten … 105,16-22 Im Lauf der Zeit kam eine ge-
fährliche Hungersnot ins Land Kanaan.
Sein Bund mit Abraham (105,7-11) Die Nahrungsvorräte schwanden da-
105,7-8 Der unmittelbare Grund für die hin. Gott war es, der die Hungersnot
Freude des Psalmisten ist der abraha- herbeirief und die Stütze durch das Brot
mitische Bund (1. Mose 12,7; 13,14-17; zerbrach, aber nur in dem Sinn, dass er
15,7; 18,21; 22,17-18; 2. Mose 32,13). Er diese Dinge geschehen ließ. Gott be-
wurde durch den HERRN, unseren wirkt niemals etwas Böses, sondern
Gott, gestiftet, dessen gerechte Taten lässt es zu gewissen Zeiten zu, um es
überall auf der Erde zu sehen sind. Er um seiner Herrlichkeit willen und zum
wird seine Verheißungen nie vergessen, Wohl seines Volkes zu überwinden.
selbst wenn die Erfüllung erst nach tau- Gottes Mann für diese Krise war Josef.
send Generationen eintrifft. Alles, was Gehasst von seinen Brüdern, wurde er
er versprochen hat, ist so sicher, als sei als Sklave nach Ägypten verkauft. Dort
es schon geschehen. wurde er von einer verführerischen

697
Psalm 105

Frau fälschlich beschuldigt und ins Ge- wohl sie durch keine Handschrift dazu
fängnis geworfen (1. Mose 39,20). In berechtigt ist. Barnes erklärt es so: Mose
Vers 18 finden wir eine sonst nicht mit- und Aaron waren nicht widerspenstig
geteilte Einzelheit: »Sie zwängten seine gegen die Worte des Herrn, sondern ta-
Füße in Fesseln, in Eisen kam sein ten, wie ihnen befohlen war. Es kann
Hals«. Während der zwei Gefängnis- aber auch bedeuten, dass die Finsternis
jahre prüfte das Wort des HERRN seine dermaßen bedrückend war, dass die
Fähigkeit, Träume auszulegen und die Ägypter nicht die Kraft hatten, ihr et-
Zukunft vorherzusagen. Schließlich was entgegenzusetzen.
wurde der Pharao auf seine Fähigkeiten 105,29-31 Gott verwandelte ihre Ge-
aufmerksam, und er befreite ihn nicht wässer in Blut und ließ alle Fische ster-
nur, sondern beförderte ihn zum zwei- ben (1. Plage). Es war eine Umweltver-
ten Mann nach ihm. Er hatte das Recht, schmutzung der übelsten Art.
die ägyptischen Fürsten, wenn nötig, Die als Nächstes erwähnte Plage war
zu binden, und er besaß Weisheit, Men- die mit den Fröschen (2. Plage). Überall
schen zu unterrichten, die viel älter wa- waren die Frösche ‒ Frösche in den
ren als er. Backöfen, Frösche in den Betten. Nicht
einmal die königlichen Gemächer wa-
Wanderung Jakobs und seiner Familie ren vor diesen hüpfenden, quakenden
(105,23-25) und schleimigen Kreaturen sicher!
105,23-25 Schließlich wanderte Josefs Ein Wort des Herrn genügte, um das
Familie in Ägypten ein und wurde im Land von Hundsfliegen ruinieren zu
Lauf der Jahre sehr zahlreich, wohl­ lassen (4. Plage) sowie von dichten
habend und militärisch stark. Doch in Wolken scheußlicher Stechmücken
der Vorsehung Gottes wurde den (3. Plage).
Ägyptern erlaubt, rabiate Antisemiten 105,32-36 Statt Regen sandte er ver-
zu werden und die Israeliten zu unter- nichtenden Hagel und Blitze (7. Plage).
drücken und zu quälen. Wie große Feuerbälle raste das Feuer
durch das Land und schlug die Wein-
Mose und die ägyptischen Plagen stöcke, die Feigenbäume und andere
(105,26-36) Bäume. Diese Plage brachte auch über
105,26-27 Diesmal erweckte Gott den die Menschen Verletzungen und Tod
Mose und seinen Adjutanten Aaron, (2. Mose 9,25).
um vor dem Pharao zu stehen und die Dann kamen die Heuschrecken wie
Entlassung des versklavten Volkes zu das Heer eines Eroberers und fraßen
fordern. Ihre Forderungen wurden bei ihrem Vormarsch alles Kraut. Zu-
durch eine Reihe von Plagen unterstri- rück ließen sie eine Wüste (8. Plage).
chen, die dazu dienen sollten, den Wi- Als keine dieser Plagen ihr Ziel er-
derstand des Herrschers zu brechen. reichte, schlug Gott die Erstgeborenen
Hier werden die Plagen aufgeführt, der Ägypter, sowohl bei Menschen als
nicht in chronologischer Reihenfolge auch beim Vieh (10. Plage). Das war
und auch mit zwei Auslassungen – der eine erinnerungswürdige Nacht, als der
fünften und der sechsten. Stolz jedes ägyptischen Hauses umge-
105,28 Gott sandte Finsternis über das bracht wurde.
Land (9. Plage). Der Psalmist fügt den
verwirrenden Kommentar hinzu: »Sie Der Auszug (105,37-38)
waren nicht widerspenstig gegen seine 105,37-38 Die Israeliten verließen Ägyp-
Worte« (so nach Fußnote ER). Wegen ten mit mehr Silber und Gold, als sie bei
der offensichtlichen Schwierigkeit liest ihrer Ankunft besaßen; die Ägypter ga-
die revidierte Elberfelder: »Aber sie ben ihnen gern, was sie verlangten,
achteten nicht auf seine Worte«, ob- wenn man sie nur loswurde (2. Mose

698
Psalm 105 und 106

12,33-36). Und bei all der Verwüstung, auch für uns. Gott berief uns zu seinem
welche die Plagen über die Ägypter ge- Volk, damit wir nach dem letzten Vers
bracht hatten, waren die Israeliten un- unser Leben führen: »… damit sie seine
beschadet geblieben. Sie waren alle rei- Ordnungen beachteten und seine Ge-
setüchtig. Niemand strauchelte oder setze bewahrten. Halleluja!«
blieb zurück.
Für die Ägypter war es eine große Er- Psalm 106: Lektionen aus der
leichterung, dass sie auszogen; sie hat- Geschichte
ten eine tief sitzende Angst vor ihnen Cromwell fragte einmal: »Was ist die
entwickelt. Geschichte anderes als die Selbstentfal-
tung Gottes?« Der Psalmist hätte dem
Die Wüstenreise (105,39-42) sicher gern zugestimmt, weil er in der
105,39-42 Gottes Vorsorge für sein Volk Geschichte seines Volkes sah, wie
war fantastisch. Eine Wolke zeigte den der HERR sich als ein Gott der Güte,
Israeliten nicht nur den Weg (2. Mose Geduld und unerschütterlichen Liebe
13,21), sondern diente auch als eine Art offenbarte.
Nebelwand, die sie vor dem Feind ver- Obwohl wir den Psalmisten nicht
barg (2. Mose 14,19-20). Nachts wurde kennen, wissen wir doch, dass er ein
sie zur Feuersäule, damit die Reisenden frommer Jude war, der den Psalm
sehen konnten. Als sie Nahrung for- schrieb, als sein Volk in der Gefangen-
derten, gab er ihnen das Beste – Wach- schaft war (V. 47). Der Psalm ist vor
teln in Überfluss und Manna, das Wun- allem ein Bekenntnis nationaler Sünde
derbrot aus dem Himmel. Sie brauchten (V. 6-46), enthält aber auch Elemente
auch Wasser, so spaltete er den Felsen, des Lobes (V. 1-3.48) und des Bittens
aus dem Wasser hervorsprudelte. (V. 4.5.47).
Nachdem sie so viel genossen hatten,
wie sie wollten, war noch genug übrig, Lob (106,1-3)
dass es als Strom durch die Wüste floss. 106,1 Er nähert sich Gott zu Beginn mit
Warum alle diese sorgfältige Um­ Anbetung; er betritt die göttlichen Tore
sorgung durch den HERRN? Weil er mit Dank und die heiligen Vorhöfe mit
seines heiligen Versprechens gedachte, Lob. »Gepriesen sei der HERR!« Das ist
das er Abraham, seinem Knecht, ge­ die Übersetzung des hebräischen »Hal-
geben hatte. leluja!« Und damit beginnt und endet
dieses Lied.
Endlich im Land (105,43-45) Unablässiger Dank sollte zum
105,43-45 Das war eine große Erlösung, HERRN aufsteigen; denn er ist so gut
begleitet von unbeschreiblichem Jubel. zu einem jeden von uns gewesen. Seine
Der HERR brachte sie in das Land Ka- Gnade währt ewig – dass wir immer
naan und trieb die Heiden aus, die dort noch leben, ist der Beweis dafür. Be­
wohnten. Alles war für sie bereit; sie kämen wir, was wir verdienen, wären
ernteten »die Mühe der Völker- wir für immer verloren.
schaften«. 106,2-3 Keine menschliche Zunge ist
Natürlich war es Gottes Absicht, dass je in der Lage, die wunderbaren Ein-
sie ihm gehorchten und seine Gesetze griffe Gottes zugunsten seines Volkes
hielten. Tatsächlich hing der Besitz des aufzuzählen. Die Ewigkeit wird nicht
Landes von ihrem Gehorsam ab lang genug sein, um ihn genug zu prei-
(3. Mose 26,27-33; 5. Mose 28,63-68; sen für alles, was er ist und was er getan
30,19-20). hat.
Der letzte Vers bildet den beabsich­
tigten Höhepunkt. Darauf arbeitete Gedenke meiner, HERR! (106,4-5)
Gott die ganze Zeit hin. Und das gilt 106,4-5 Dem Lob folgt eine persönliche

699
Psalm 106

Bitte. In der Vorschau auf die Wieder- und Retter zu offenbaren. Er erlöste sie
herstellung Israels und die herrliche – und welch eine gewaltige Erweisung
Herrschaft des Messias-Königs bittet seiner Macht war das!
der Schreiber, an dem Segen dieses Ta- Auf sein drohendes Wort hin teilten
ges teilhaben zu dürfen, wenn Gott sei- sich die Wasser des Roten Meeres und
nen erlösten Heiligen Gunst erweist. Er ließen einen völlig trockenen Pfad zu-
sehnt sich danach, zu erleben, wie Is­ rück, auf dem die Israeliten sicher das
rael ununterbrochenen Wohlstand er- andere Ufer erreichen konnten, wo-
fährt und sich nach der langen Nacht durch sie vor dem nachfolgenden Feind
des Kummers erfreut. Er verlangt da- sicher waren. Als die Wasser an ihren
nach, teilzuhaben an der Herrlichkeit Ort zurückkehrten, ertränkten sie ein-
des alten irdischen Gottesvolkes. Sein fach die ägyptischen Gegner. Als sie
Gebet ist dem des sterbenden Schächers die­se wundersam zusammenpassen­
nicht unähnlich: »Herr, gedenke mei- den Ereignisse sahen, was konnten die
ner, wenn du in dein Reich kommst!« Israeliten anderes tun, als an ihn glau-
(Lk 23,42). ben und ihm Loblieder singen?
Die Rebellion am Roten Meer (106,6-12) Das Klagen in der Wüste (106,13-15)
106,6-12 Nun wendet sich der Psalm 106,13-15 Aber es dauerte nicht lange,
dem Sündenbekenntnis zu, indem er und ein weiterer Sündenkreislauf be-
ziemlich dieselbe Ordnung einhält wie gann.
das Gebet des Herrn. Beide beginnen Ihr kurzes Gedächtnis – bald vergaßen
mit Anbetung, gehen dann zu Bitten sie seine Wunder an ihnen.
über (»unser tägliches Brot gib uns heu- Ihr Eigenwille – sie warteten nicht auf
te!«) und flehen dann um Vergebung seinen Rat.
(»vergib uns unsere Schuld …«). Ihre Gier – sie gaben alle Selbstbeherr-
»Wir haben gesündigt samt unseren schung bei ihrem Schreien nach Nah-
Vätern, haben Unrecht getan, haben rung auf.
gottlos gehandelt.« Ihre Herausforderung Gottes – sie ver-
Beim Betrachten der Sünden Israels suchten Gott.
sollten wir nicht unsere theologische Nun, diesmal gab ihnen Gott, was sie
Nase über Israel rümpfen. Auf jeden wollten; aber er sandte ihnen eine ek-
Fall sind wir schlimmer als die Israe- lige Krankheit (4. Mose 11,20). Ihre Ge-
liten! Ihr Abweichen sollte uns an unser schichte lehrt uns, immer sorgfältig im
eigenes erinnern und uns auf die Knie Willen Gottes zu bitten; denn – wie
treiben, damit wir Buße tun. Matthew Henry sagte: »Was in Leiden-
Ihre Undankbarkeit – sie begriffen die schaft erbeten wird, wird oft im Zorn
Wunder nicht richtig, die Gott in Ägyp- gegeben.«
ten wirkte, um ihre Freiheit zu erkau-
fen. Datan und Abiram, die Rebellen
Ihre Vergesslichkeit – zu schnell ent- (106,16-18)
glitten ihrem Gedächtnis die zahllosen 106,16-18 Ihre Verwerfung der göttlichen
Gnadenerweise Gottes. Leitung – Datan und Abiram, vereint
Ihre Rebellion – als sie ans Rote Meer mit Korach und On, waren die An­
kamen, klagten sie, Gott habe sie zum führer der Rebellion gegen Mose und
Sterben in die Wüste geführt und sie Aaron (4. Mose 16,1-30). Sie beneideten
wären besser in Ägypten geblieben diese zwei Männer Gottes. Auch wollten
(2. Mose 14,11-12). sie in das Amt der Priesterschaft ein-
Aber ihre Sünde löschte nicht Gottes dringen. Indem sie gegen Gottes Heili-
Liebe aus. Er fand in ihrer Rebellion ge rebellierten, d.h. sich gegen die
eine Möglichkeit, sich als ihr Diener durch Gott als seine Stellvertreter Aus-

700
Psalm 106

gesonderten erhoben, rebellierten sie nahmen auch an Opfern für die Toten
gegen die Herrschaft Gottes. Als Er­ teil sowie an anderen Zeremonien, die
gebnis tat sich die Erde auf und ver- mit dem Dienst für Baal-Peor zusam-
schlang die Anführer und ihre Fami- menhingen (4. Mose 25,3-8). Gott war
lien. Und Feuer brach aus und verzehr- dermaßen erzürnt, dass er eine Plage
te zweihundertfünfzig andere Männer, sandte, um das Volk zu Tausenden zu
die dem Herrn Weihrauch opferten erschlagen. Als Pinhas einen Israeliten
(4. Mose 16,31-35). sah, der mit einer Heidin in sein Zelt
ging, erstach er beide mit seinem Speer.
Das goldene Kalb (106,19-23) Dies hielt die Plage auf, doch nicht be-
106,19-23 Ihr Götzendienst – Bevor Mose vor vierundzwanzigtausend Menschen
mit dem Gesetz Gottes vom Berg Sinai gestorben waren. Diese Handlung war
herabgestiegen war, machte das Volk der positive Beweis der Gerechtigkeit
ein goldenes Kalb und betete es an des Pinhas, die mit dem Bund des Frie-
(2. Mose 32,4). Die Israeliten vertausch­ dens belohnt wurde. Der Herr sagte:
ten die Herrlichkeit Gottes gegen das »Siehe, ich gebe ihm meinen Bund
Bild eines Stieres, der Gras frisst. Statt des Friedens. Und ihm und seinen
Gott als ihren Retter aus Ägypten anzu- Nachkommen wird ein Bund ewigen
erkennen, gaben sie einem leblosen Priestertums zuteil werden, weil er für
Kalb alle Ehre. Gott hätte sie in einem seinen Gott geeifert und für die Söhne
Augenblick vernichtet, wenn nicht Israels Sühnung erwirkt hat« (4. Mose
Mose für sie eingetreten wäre. Wie ein 25,12-13).
Krieger, der eine Bresche in der Mauer
mit seinem Körper bedeckt, so trat Das Elend in Meriba (106,32-33)
Mose vor Gott in die Bresche, um den 106,32-33 Moses Sünde (4. Mose 20,2-13)
Zorn Gottes abzuwenden. – An den Wassern von Meriba (»Streit«,
»Hader«) waren die Israeliten ganz ein-
Der böse Bericht der Kundschafter fach ungläubig. Sie klagten Mose an, sie
(106,24-27) in die Wüste geführt zu haben, damit
106,24-27 Ihre Treulosigkeit in Kadesch- sie verdursteten. Statt zu dem Felsen zu
Barnea (4. Mose 14,2.27-28) – Gott hatte sprechen, wie Gott es geboten hatte,
ihnen ein köstliches Land verheißen, schlug Mose ihn zweimal mit seinem
ein Land, in dem es sich gut wohnen Stab. Außerdem sprach er unbedacht
ließ, mit schönem Klima und allem zu dem Volk wegen dessen Rebellion.
Notwendigen. Die Verheißung enthielt Daraufhin ordnete Gott an, Mose solle
alles, was zum Einmarschieren und Er­ das Vorrecht verweigert werden, das
obern des Landes nötig war. Aber sie Volk Israel ins Land der Verheißung zu
glaubten der Verheißung nicht und ver- führen.
schmähten das Land. Statt im Glauben
vorwärts zu gehen, murrten sie in ihren In Kanaan – die gleiche Geschichte
Zelten. Darum erhob Gott seine Hand (106,34-39)
zum Schwur, dieses Geschlecht in der Die neue Umgebung Kanaans ver­
Wüste zu verderben und seine Nach- änderte das Wesen der Israeliten nicht,
kommen unter die Völker der Welt zu das sieht man an:
zerstreuen. 106,34 ihrem Versagen, die heidnischen
Bewohner zu vertilgen. Die verdorbenen
Die Sünde des Volkes mit Moab Kanaaniter waren ein brandiges Glied
(106,28-31) der menschlichen Rasse. Nachdem Gott
106,28-31 Ihre sündige Baalsanbetung – sie jahrhundertelang ertragen hatte, be-
Die Männer Israels betrieben nicht nur schloss er nun die Amputation und
Hurerei mit den Töchtern Moabs, sie übertrug dieses Werk dem Volk Israel.

701
Psalm 106

Aber Israel gehorchte ihm nicht (Ri salszeit, vor dem Beginn des herrlichen
1,27-36). Reiches Christi.
106,35 ihrer Vermischung mit den Hei­
den. Durch Verbrüderung und Heiraten Doxologie (106,48)
mit den Heiden verdarb Israel seine ei- 106,48 Mit diesem hinreißenden Aus-
gene Religion und Moral. klang kommen wir nicht nur an das
106,36 ihrem Götzendienst. Schon bald Ende des Psalms, sondern auch an den
beteten die Israeliten die Götzen an statt Schluss des vierten Buches der Psalmen.
den wahren und lebendigen Gott. Aber indem wir das Ende erreicht haben,
106,37-39 ihren Menschenopfern. Be- müssen wir der Versuchung wider­
sonders aufreizend für den Herrn war stehen, diesen Psalm in eine dispensa­tio­
das Opfern ihrer Söhne und Töchter, nalistische (heilsgeschichtliche) Schub­
um die Dämonen zu besänftigen (2Kö lade zu stecken, wobei wir die Botschaft
3,27; 21,6; Hes 16,20-21). Söhne und auf das gottlose Volk Israel beschränken
Töchter des auserwählten Gottesvolkes und dabei versäumen, unsere eigene Ge-
wurden den schmutzigen Götzen Ka- schichte darin wiederzuerkennen. In
naans geopfert, »und das Land wurde 1Kor 10,11 lesen wir ausdrücklich:
mit Blutschuld entweiht«. »Alles dies aber widerfuhr jenen als
Vorbild und ist geschrieben worden zur
Die Zeit der Richter (106,40-46) Ermahnung für uns, über die das Ende
106,40-46 »Er wurde gekränkt durch der Zeitalter gekommen ist.«
sein Volk«, so schreibt Barnes, »und be- Wir werden vor Undankbarkeit ge-
handelte es, als sei es für ihn ein Gräu- warnt. Wenn Israel hätte dankbar sein
el.« Er überlieferte das Volk den Heiden sollen, weil es von der Macht der Ägyp-
– den Mesopotamiern, Midianitern, ter erlöst wurde, wie viel dankbarer
Philistern, Moabitern und anderen. Die- sollten wir dann sein für die Erlösung
se gottlosen Völker beherrschten die Is- durch das Blut Christi von Sünde und
raeliten, unterdrückten und verfolgten vom Teufel!
sie. Trotz dieser Behandlung verharrte Wir werden vor Vergesslichkeit ge-
das Volk in seinen Sünden und in seiner warnt. Wie leicht vergessen wir das Lei-
Rebellion gegen den HERRN. Doch so- den und den Tod des Herrn Jesus. Wie
oft die Israeliten reuig zu ihm umkehr- oft machen wir uns des »Fluches der
ten, blickte er in Gnaden auf sie herab. tränenlosen Christenheit« schuldig!
Eingedenk seines Bundes ließ er vom Wir werden vor dem Klagen gewarnt.
Gericht ab und zeigte ihnen seine un­ Es wird für uns zur Gewohnheit, über
erschütterliche Liebe. Selbst in den das Wetter zu klagen, über unsere Le-
dunkelsten Stunden ihrer Gefangen- bensbedingungen, über geringeres Ein-
schaft ließ er sie bei ihren Unter­ kommen, ja selbst über einen Klumpen
drückern Erbarmen finden – ein ergrei- in der Bratensoße.
fendes Beispiel dafür, dass die Gnade Wir werden vor Eigenwillen gewarnt
über das Gericht triumphiert. ‒ davor, unseren Willen über den Wil-
len Gottes zu setzen. »Da erfüllte er ih-
Rette, HERR, und sammle! (106,47) nen ihre Bitte, und er sandte Schwind-
106,47 Der Psalmist bittet um die Samm- sucht in ihre Seele« (V. 15).
lung des Volkes, das unter den Natio- Wir werden davor gewarnt, Gottes
nen der Welt zerstreut lebt. Das wird zu Leiterschaft zu kritisieren, seien es Re-
großem Dank führen, der zu Gottes hei- gierungsbeamte oder Älteste in der Ge-
ligem Namen aufsteigt; sein Volk wird meinde oder die Eltern zu Hause.
sich seines Lobes rühmen. Das Gebet Wir werden vor Götzendienst gewarnt
blickt voraus auf das Flehen des Über- – vor der Anbetung des Geldes, des
rests Israels in der zukünftigen Drang- Hauses, des Autos, der Erziehung, des

702
Psalm 106 und 107

Vergnügens und des weltlichen Er- Zuerst wenden sich die Menschen vom
folgs. Herrn ab und leben im Ungehorsam ge-
Wir werden vor Unglauben gegenüber genüber seinem Wort. Dann leiden sie
den Verheißungen Gottes gewarnt. Die- unter den bitteren Konsequenzen ihrer
se Sünde war der Grund dafür, dass Is- Abkehr. Wenn sie zur Besinnung kom-
rael achtunddreißig Jahre lang in der men, rufen sie zum Herrn und beken-
Wüste umherziehen musste und dass nen ihre Sünden. Dann vergibt er ihnen
die Schuldigen nicht in das Verheißene die Sünde und bringt sie wieder in die
Land kamen. Stellung des Segens. Es ist die alte Ge-
Wir werden vor Unmoral gewarnt. schichte von dem verlorenen Sohn, und
Zum Götzendienst des Baal-Peor ge- ganz sicher ist keine Geschichte be-
hörten grobe sexuelle Sünden. Gottes kannter und lebensechter und hat mehr
Einstellung gegenüber dieser Sache Bedeutung für uns.
zeigt sich in der Katastrophe, die über Zwei Grundtatsachen werden deut-
die Missetäter hereinbrach. lich, wenn man diesen immer wieder-
Wir werden auch vor scheinbar »ge­ kehrenden Kreislauf betrachtet. Die
ringfügigem« Ungehorsam gewarnt. Mose eine ist die ständige Neigung des
schlug den Felsen, statt zu ihm zu re- menschlichen Herzens zum Abirren
den. Das mag uns unbedeutend er­ von dem lebendigen Gott. Die andere
scheinen; aber kein Ungehorsam ist un- ist die offensichtlich unerschöpfliche
bedeutend. Gnade des Herrn, die sein Volk wieder-
Wir werden vor der Eheschließung mit herstellt, wenn es in Buße zu ihm um-
Ungläubigen gewarnt. Gott ist ein Gott kehrt.
der Absonderung. Er hasst es, wenn er Hier, in Psalm 107, wird die gnädige
sieht, dass sein Volk durch die Schaf- Rettung durch den Herrn in vier ver-
fung eines ungleichen Jochs verdorben schiedenen Bildern vorgestellt:
wird. Errettung derer, die sich in der Wüste
Schließlich werden wir davor ge- verirrt haben (V. 4-9).
warnt, unsere Kinder zu opfern. Viel zu Errettung derer, die im Gefängnis
selten stellen christliche Eltern ihren steckten (V. 10-16).
Kindern die Arbeit für den Herrn tat- Heilung derer, die ernstlich krank
sächlich als begehrenswerte Lebens­ waren (V. 17-22).
weise vor. Allzu oft werden unsere Kin- Befreiung von Seeleuten aus einem
der zu dem Ehrgeiz erzogen, sich in schrecklichen Sturm (V. 23-32).
Geschäft oder Beruf einen Namen zu
machen. Wir erziehen sie für die Welt – Einleitung (107,1-3)
und für die Hölle. 107,1-3 Zuerst allerdings gibt es eine
Einführung, die auf das Thema ein-
V. Das fünfte Buch (Psalm 107-150) stimmt. Es ist ein Aufruf, dem HERRN
zu danken. Zwei Gründe werden an­
Psalm 107: Lasst die Erlösten so geführt: Der HERR ist gut, und seine
sprechen! Gnade währt ewig. Jeder von diesen
Es gibt ein allgemeines Verhaltensmus- beiden Gründen wäre ausreichend für
ter im Leben des Gottesvolkes, das man unaufhörliche Dankbarkeit.
durch zwei Wortserien kennzeichnen Eine besondere Gruppe von Men-
kann: schen wird nun herausgegriffen, die in
besonderer Weise Empfänger seiner
Sünde oder Rebellion Güte und Liebe sind, nämlich die von
Sklaverei Strafe Verfolgung, Sklaverei, Unterdrückung
Demütiges Flehen Umkehr und Kummer Erlösten, die aus der
Errettung Wiederherstellung weltweiten Zerstreuung ins Land zu-

703
Psalm 107

rückgebracht wurden. Während es klar 107,13-16 Doch als sie zum HERRN
ist, dass der Psalmist Israel im Blick hat, schrien, rettete er sie aus dem Land der
wollen wir diese Verse nicht ausschließ- Dunkelheit und zerriss die Fesseln ihrer
lich auf jenes Volk beschränken; denn Gefangenschaft. Nun ist das einzig Rich-
auch wir sind von dem Sklavenmarkt tige für sie, den HERRN für seine un-
der Sünde zurückgekauft, und als Er- wandelbare Liebe und für alle Wunder,
löste des HERRN wollen auch wir in die er an ihnen gewirkt hat, zu preisen.
das Danklied einstimmen. »Denn er hat eherne Türen zerbrochen,
und eiserne Riegel hat er zerschlagen.«
Errettung derer, die sich in der Wüste Dieser Vers führt uns zu der Annah-
verirrt haben (107,4-9) me, der Psalmist beziehe sich in diesem
107,4-9 Das erste Bild scheint deutlich Abschnitt auf die babylonische Gefan-
auf Israels vierzigjährige Wanderung genschaft. Die erkennbare Verbindung
durch die leere, schreckliche Wüste an- finden wir in Jesaja 45,2, wo der Herr in
zuspielen. Das Volk war verloren. Die fast identischer Weise davon spricht, er
Israeliten hungerten und litten Durst. werde der Verbannung ein Ende berei-
Ihr Herz verschmachtete, und sie wa- ten. Indem er von Kyrus spricht, sagt
ren entmutigt. Dann schrien sie zum er:
HERRN. Plötzlich hörte ihr Umherirren
auf. Der Herr führte sie auf geradem »Ich, ich werde vor dir herziehen und
Weg in die Ebenen von Moab. Diese er- werde die Ringmauern einebnen. Eherne
wiesen sich als Sprungbrett für den Ein- Türen werde ich zerbrechen und eiserne
zug nach Kanaan. Und da fanden sie Riegel zerschlagen.«
bewohnbare Orte, wo sie sich schließ-
lich zu Hause fühlen konnten. Wie soll- Der Zusammenhang macht deutlich,
ten sie (und wir alle) dem HERRN be- dass er vom Ende der babylonischen
ständig danken für seine nie endende Verbannung spricht.
Liebe und für seine wunderbare Für-
sorge, die er seinem Volk zuteil werden Heilung derer, die ernstlich krank waren
lässt. Denn in dem Verheißenen Land (107,17-22)
erquickt er die Durstigen, und den 107,17-20 Der dritte Abschnitt bezieht
Hungrigen bereitet er die beste Speise. sich wohl auf das Volk Israel zur Zeit
von Christi Erstem Kommen. Das Volk
Errettung derer, die im Gefängnis steckten war damals krank. Es war gerade durch
(107,10-16) die aufreibenden Zeiten der Makkabäer
107,10-12 Der zweite Ausschnitt aus der gegangen. Einige waren Toren, die un-
Geschichte Israels betrifft die babyloni- ter Gottes Gericht wegen ihrer Sünden
sche Gefangenschaft. Der Psalmist ver- litten. Sie hatten den Appetit auf Nah-
gleicht die siebzig Jahre mit einer Ker- rung verloren und näherten sich mit ra-
kerhaft. Babylon glich einem dunklen, sender Geschwindigkeit den Pforten
bedrückenden Verlies. Die Israeliten der Hölle. Ein frommer Überrest betete
fühlten sich wie angekettete Gefangene, und wartete auf »die Hoffnung Israels«.
die zur Strafarbeit verurteilt waren (ob- Gott sandte sein Wort und heilte sie.
gleich die Bedingungen in Babylon »Sein Wort« kann sich hier auf den
nicht so hart wie in Ägypten waren). Sie Herrn Jesus Christus beziehen, den Lo-
waren ins Exil verbannt, weil sie gegen gos, der mit seinem heilenden Dienst
Gottes Wort widerspenstig waren und zu dem Hause Israel kam. Wie viele
seinen Rat verachtet hatten. Von harter Male lesen wir in den Evangelien, dass
Arbeit zermürbt und geschlagen, bra- der Herr Jesus alle heilte, die zu ihm ka-
chen sie unter der Last zusammen, und men! Matthäus erinnert uns daran, dass
niemand stand ihnen bei. der Heiland mit seinen Krankenhei-

704
Psalm 107

lungen erfüllte, was der Prophet Jesaja erreichen sie den ersehnten Hafen, den
gesagt hat: »Jedoch unsere Leiden – er sie ansteuerten.
hat sie getragen, und unsere Schmerzen 107,31-32 Die erretteten Seeleute soll-
– er hat sie auf sich geladen« (Mt 8,17). ten nicht vergessen, den HERRN für
Wenn jemand moniert, dass nicht alle seine unwandelbare Gnade und für das
Israeliten geheilt wurden, sollten wir Wunder der Erhörung ihrer Gebete zu
uns daran erinnern, dass auch nicht alle preisen. Sie sollten ihm ihre Gelübde
in das Verheißene Land ein­gingen und erfüllen, indem sie sich seinem gläu­
nicht alle aus der babylo­nischen Gefan- bigen Volk anschließen, um ihn zu er-
genschaft heimkehrten. heben, indem sie alle ihn in der Sitzung
107,21-22 Und wieder ruft der Psal- der Ältesten loben.
mist die Menschen auf, den Herrn für Überdehnen wir die Angelegenheit,
seine Gnade zu preisen und für seine wenn wir sagen, dies beschreibe Israels
Wundertaten ihm zu danken. Die Gabe letztes Sturmerlebnis und den darauf-
seines Sohnes ist ein besonderer Grund folgenden Einzug in das Reich des Frie-
für Dankopfer und dafür, seine Taten in dens? Der Sturm erinnert an die Große
freudigen Liedern zu besingen. Drangsal. Das Meer stellt die brodeln-
den, ruhelosen Heidenvölker dar. Die
Befreiung von Seeleuten aus einem Seeleute sind das Volk Israel während
schrecklichen Sturm (107,23-32) der Zeit der Drangsal Jakobs. Ein gläu-
107,23-27 Das letzte Bild ist sehr plas- biger Überrest des Volkes ruft den
tisch. Es handelt von Seeleuten, die auf Herrn an. Er greift dann persönlich ein,
hochseetüchtigen Schiffen arbeiteten. kehrt auf die Erde zurück und richtet
Sie hatten Erfahrung mit der Kraft des seine Herrschaft des Friedens und des
HERRN, wenn sie auf See in einen Wohlstands auf.
Sturm gerieten. Erst nahm gewöhnlich
der Wind in erschreckendem Maß zu, Die Regierung und die Gnade Gottes
dann bildeten die Wellen riesige Was- (107,33-43)
serberge. Dann wurde das Schiff von 107,33-34 Die übrigen Verse des Psalms
den Wellen emporgehoben, sodass die erklären, wie Gott reagiert, wenn sein
Balken krachten. Auf dem Wellenkamm Volk ungehorsam und dann wieder ge-
begann es meistens zu zittern, um da- horsam ist. Er macht Ströme der Wüste
nach in die Tiefe zu stürzen. Das sta- gleich und lässt sprudelnde Quellen
bilste Schiff wird dadurch zu einer hilf- verdorren. Es ist ihm eine Kleinigkeit,
losen Nussschale in einem schäumen- fruchtbares Land in eine Salzsteppe zu
den, quirlenden Kessel. In einem sol- verwandeln, wenn das Volk ihm den
chen Sturm sinkt auch den zähesten Rücken kehrt.
Seeleuten der Mut. Ihnen bleibt nichts, 107,35-38 Aber er kann den Prozess
als wie Betrunkene auf Deck herumzu- auch umkehren, und genau das ge-
schwanken und ihre Pflichten zu er­ schieht, wenn der Fürst des Friedens
füllen. Sie empfinden ihre eigene zurückkommt, um im Tausendjährigen
schreckliche Bedeutungslosigkeit und Reich über die Erde zu herrschen. Der
sind mit ihrer Weisheit am Ende. Negev wird mit reichlich sprudelnden
107,28-30 Da überrascht es nicht, Quellen übersät sein. Die Sahara und
wenn fluchende, gottlose Matrosen in die kalifornische Mojave-Wüste wer-
solchen Zeiten zu beten anfangen. Und den zu gut bewässerten Gärten. An Or-
der Herr ist barmherzig genug, solche ten, die seit Jahrhunderten unbewohn-
Gebete der Verzweiflung zu erhören. Er bar waren, werden Siedlungen entste-
verwandelte den Sturm in Stille. Welch hen, und die Wüste wird plötzlich
eine Errettung! Nun können die Män- fruchtbar sein. Getreide, Gemüse, Obst
ner wieder navigieren, und bald schon und Beeren werden in Überfluss wach-

705
Psalm 107 und 108

sen. Durch seinen Segen wird es überall ist, weckt er seine Seele auf und reißt
Rekordernten geben, und das Vieh Harfe und Zither aus ihrer Ruhe, um
wird krankheitsresistent sein. die Morgenröte mit Dankliedern zu
107,39-43 Die andere Seite des Bildes wecken. Keine schlechte Idee, den Tag
zeigt sich in seinem Handeln mit gott­ mit Lob zu beginnen!
losen Herrschern, wie es die NEB wie- 108,4 Er will sein Lied weder auf die
dergibt: »Tyrannen verlieren ihre Abgeschiedenheit seines Heims be-
Macht und werden niedergebeugt, und schränken noch auf seine nächste Nach-
Unglück und Elend halten sie im Griff; barschaft. Wohin er auch geht, werden
er macht Fürsten verächtlich und lässt die Menschen hören, wie er seinen Gott
sie in wegloser Wüste irren« (V. 39-40). anbetet, und die Völker werden ein
Dies war das Geschick Pharaos, He- Echo auf seine Loblieder geben. Dies
rodes’ und Hitlers, und es wird das sollte auch unser Vorsatz sein.
Ende des Triumvirats des Bösen wäh- 108,5-6 Warum war David von dem
rend der Drangsalszeit sein. Herrn so begeistert? Weil seine Gnade
Doch die Armen hebt Gott aus dem in ihrer Unermesslichkeit die Himmel
Elend empor und segnet sie mit großen und seine Treue (o. Wahrheit) die Wol-
Familien. Wenn die Aufrichtigen das se- ken überragt. Sein Lob sollte Gottes
hen, werden sie sich von Herzen freu- Großartigkeit entsprechen. So möge er
en. Wenn die Gottlosen es sehen, wer- über die Himmel und seine Herrlichkeit
den ihnen die Worte fehlen (was ihnen über die ganze Erde erhoben werden.
sonst nur selten geschieht). Wenn wir Davids hinreißenden An-
Wer weise ist, wird die Hand Gottes betungsliedern lauschen, verstehen
hinter all diesen Veränderungen des wir, warum jemand einmal sagte: »Lo-
Schicksals von Menschen und Völkern ben ist göttlicher als Beten; das Gebet
erkennen und seine Lehren aus der Ge- weist uns den glücklichen Weg zum
schichte und aus gegenwärtigen Ereig- Himmel; aber das Lob befindet sich
nissen ziehen. Besonders wird er die schon dort.«
Gnadentaten des HERRN in seinem
Handeln mit denen wahrnehmen, die Gebet (108,7)
seinem Wort gehorchen. 108,7 Nun wendet er sich dem Bitten
zu. Das Land wurde von feindlichen
Psalm 108: Hilf! Eilends! Mächten angegriffen. Es sah böse aus.
Es ist nicht überraschend, wenn uns Die Erlebnisse übernatürlicher Hilfe,
dieser Psalm bekannt vorkommt. Die die Israel so oft gehabt hatte, blieben ei-
Verse 2 bis 6 sind beinahe identisch mit genartigerweise aus, darum fleht er
Psalm 57,8-12 – und die letzten acht zum Herrn, er möge seine Geliebten be-
Verse mit Psalm 60,7-14. Der Psalm be- freien, indem er die Eindringlinge zu-
wegt sich langsam vom Lob zum Gebet, rückschickt.
von dort zur Verheißung, dann zu
einem Problem, von dort wieder zum Verheißung (108,8-10)
Gebet und schließlich zu einer groß­ 108,8-9 In majestätischer Ruhe bekräf­
artigen Aussicht. tigt Gott aus seinem Heiligtum seine
souveränen Rechte über Israel und
Lob (108,1-6) auch über die Nationen. Er verheißt,
108,1-3 Der Psalmist hält unerschütter- dass die Herrschaft des Messias auch
lich an dem Vorsatz fest, dem HERRN das Gebiet von Sichem umfassen wird,
für seine unaufhörliche Liebe und wo Jakobs Brunnen war, dazu das Tal
Treue zu danken. Er ist bereit und es Sukkot, wo Jakob seinen Herden Hüt-
drängt ihn, dem Höchsten zu singen ten baute (1. Mose 33,17), außerdem die
und zu spielen. Wenn es noch dunkel Hochebene von Gilead, die wegen ihrer

706
Psalm 108 und 109

Weideplätze genauso berühmt war wie gen. »Mit Gott werden wir mächtige Ta-
für ihre Heilsalben, sowie Manasse, ten tun!« Denn er ist es, der alle Gegner-
dessen Erbteil diesseits und jenseits des schaft zerschlagen und seinen Gelieb-
Jordans lag. Ephraim sollte sein Helm ten den Sieg geben wird. Dies ist das
sein und die Stämme bei der Vertei­ aus Glauben geborene Vertrauen, das
digung des Reiches anführen. Juda Paul Gerhardt so schön auszudrücken
wird sein Herrscherstab sein, der Re- versteht:
gierungssitz, wie in 1. Mose 49,10 ver-
heißen wird. Ist Gott für mich, so trete
108,10 Drei heidnische Völker wer- Gleich alles wider mich.
den erwähnt – Moab, Edom und Philis­ So oft ich ruf und bete,
täa –, als Vertreter der fremden Gebiete, Weicht alles hinter mich.
die dann zu dem Reich gehören wer- Hab ich das Haupt zum Freunde,
den. Moab wird Gottes Wasch­becken Und bin geliebt bei Gott,
sein, ein Bild, das Demütigung und Was kann mir tun der Feinde
Kontrolle ausdrückt. Er wird seine San- Und Widersacher Rott?
dale auf Edom werfen, wodurch er Be- Nichts, nichts kann mich verdammen,
sitzrecht, Knechtschaft und Verachtung Nichts nimmet mir mein Herz;
anzeigt. Während Moab und Edom tri- Die Höll und ihre Flammen,
butpflichtige Vasallen sein sollen, wird Die sind mir nur ein Scherz.
Philistäa zerstört. »Über Philistäa will Kein Unheil mich erschrecket,
ich jauchzen.« Kein Unheil mich betrübt,
Weil mich mit Flügeln decket
Das Problem (108,11-12) Mein Heiland, der mich liebt.
108,11-12 Die Verheißung über Edom Mein Herze geht in Sprüngen
beunruhigt David in Bezug auf ihre Er- Und kann nicht traurig sein,
füllung. Sela, die Hauptstadt (auch un- Ist voller Freud und Singen,
ter dem Namen Petra bekannt), galt als Sieht lauter Sonnenschein.
uneinnehmbar. Er sucht nach jeman- Die Sonne, die mir lachet
dem, der ihn nach Edom führt, damit er Ist mein Herr Jesus Christ,
über Edom triumphieren kann. Aber da Das, was mich singen machet,
ist ein Problem: Gott hat sein Angesicht Ist, was im Himmel ist.
vor Israel verborgen. Seine Hilfe fehlt,
und das hat katastrophale Folgen. Is­ Psalm 109: Das Schicksal der Feinde
raels Heere waren in den Krieg gezogen Gottes
und wurden besiegt, weil Gott nicht mit Von allen »Rachepsalmen« nimmt die-
ihnen war. ser unwidersprochen die erste Stelle
ein. Kein anderer Psalm ruft das Ge-
Gebet (108,13) richt Gottes mit so ätzender Schärfe und
108,13 Ohne den Herrn ist die Lage aus- mit so ins Einzelne gehender Genauig-
sichtslos, nichts anderes könnte helfen. keit herab. Der Leser kann nicht anders,
David hat lange genug gelebt, um zu er wird hineingerissen und ist fasziniert
wissen: Menschenhilfe ist wertlos. Er von der schier unglaublichen Fähigkeit
bittet den mächtigen Gott, sich der des Psalmisten, immer wieder neue
Sache Israels wieder anzunehmen und Strafen für seine Feinde zu erbitten!
ihnen auf dem Schlachtfeld beizu­ 109,1-3 Der Psalm beginnt mit ent-
stehen. waffnender Milde. David erbittet Hilfe
von dem Gott, den er preist. Seine
Aussicht (108,14) Feinde hatten einen hässlichen verbalen
108,14 Sobald er den Platz des Beters Angriff gegen ihn geführt, indem sie
räumt, beginnt er ein Siegeslied zu sin- alle möglichen Anklagen lügnerisch ge-

707
Psalm 109

gen ihn vorbrachten. Worte des Hasses Was die Familie des Feindes angeht,
dringen von überallher auf ihn ein. Was so sollen seine Kinder vaterlos und sei-
sie so besonders schwer ertragen lässt, ne Frau eine Witwe werden. Die Kinder
ist die Tatsache, dass sie gänzlich un­ sollen beständig bettelnd umherirren
begründet sind. und in den Trümmern ihrer Woh-
109,4-5 David hatte seinen Gegnern nungen umhersuchen.
Liebe und Güte erwiesen, und was hat 109,11-13 Was seinen Besitz angeht,
er dafür empfangen? Einen Schwall so möge der Schuldherr eindringen
von falschen Anklagen. Und die ganze und alles an sich reißen, was er hat. All
Zeit hat er für sie gebetet. Jede Freund- sein Erworbenes möge von Fremden
lichkeit zahlen sie ihm mit Verletzungen geraubt werden! Weil er keine Gnade
heim, und seine Liebe vergelten sie mit zeigte, soll auch ihm keine erwiesen
Hass. werden und kein Erbarmen seinen
109,6-7 Hier kommt der Punkt, an vater­losen Kindern zuteil werden.
dem er seine Feder in Säure zu tunken Möge seine Familie schon im folgenden
scheint. Von jetzt an gibt es nur noch Geschlecht ausgerottet werden! (Nach
Flüche, heiß und tödlich schießen sie Ansicht der Orientalen ist das eine der
aus der verwundeten Seele. Von den schändlichsten Strafen, die verhängt
vielen Feinden aus den Versen 1 bis 5 werden können.)
wendet er sich jetzt einem einzigen, be- 109,14-15 Selbst seine Vorfahren sind
sonderen zu. nicht schuldlos. Möge der HERR der
Am Ende wird dieser Mensch gefan- Ungerechtigkeiten der Väter gedenken
gen und vor Gericht gestellt werden. und die Sünden der Mutter nicht aus­
Wenn das geschieht, möge der Herr die löschen! Es wird nicht gesagt, was sie
Umstände so gestalten, dass ein Gott- im Einzelnen gesündigt haben, doch
loser sein Ankläger, ein satanischer müssen diese Sünden sehr zahlreich
Mann sein Staatsanwalt wird. Möge am sein, weil der Psalmist bittet, der Herr
Ende der Verhandlung das Urteil möge sie nie vergessen und das Ge-
»Schuldig!« lauten. Und wenn er den dächtnis der Übeltäter solle von der
Richterspruch anficht, möge dieses An- Erde verschwinden.
sinnen als Beleidigung des Gerichts ge- 109,16-20 In Vers 16 lesen wir die
wertet und die Strafe erhöht werden. scharfe Anklage gegen den Gottlosen:
109,8-10 Sein Leben sei kurz, und ein Es war seine Lebenshaltung, niemals
anderer möge sein Amt übernehmen. Gnade walten zu lassen. Stattdessen hat
Dieser Fluch wird nach Apg 1,20 ins­ er den Elenden und Armen aktiv und
besondere auf Judas und sein Amt als mit krimineller Energie verfolgt, und
Schatzmeister der Jüngerschar an­ die, deren Herz verzagt war, brachte er
gewandt: zu Tode. Es ist nicht schwer, Judas in
Denn es steht im Buch der Psalmen diesem Vers zu sehen, der in nieder-
geschrieben: »Seine Wohnung werde trächtiger Weise den sündlosen Hei-
öde, und es sei niemand, der darin land jagte und ans Kreuz brachte.
wohne!« und »Sein Aufseheramt emp- Doch gibt es im moralischen Bereich
fange ein anderer!« ein unentrinnbares Gesetz der Vergel-
Es wird uns helfen, den tiefen Ernst tung. Was immer der Mensch sät, das
dieses Psalms zu begreifen, wenn wir wird er ernten. Die Ernte ist unaus-
uns daran erinnern, dass er sich nicht weichlich. Niemand kommt mit seiner
nur auf David und dessen Feinde be- Sünde davon. Hier bittet der Psalmist,
zieht, sondern auch auf den Messias das Gesetz von Ursache und Wirkung
und seinen Verräter und vielleicht auch möge voll zur Geltung kommen. Dieser
auf Israel und den Antichristen an Mensch liebte es, anderen zu fluchen;
einem künftigen Tag. nun möge der Fluch auf ihn zurückkeh-

708
Psalm 109

ren. Nie wünschte er anderen einen Se- Psalmist wird sich zur selben Zeit
gen; nun möge aller Segen fern von ihm freuen. Mögen sie in Schande und Ver-
sein. Er kleidete sich in Fluch wie in ein wirrung gekleidet, ja, in Schmach ge-
Kleid; jetzt mögen jene Flüche sein In- hüllt sein wie in einem langen Mantel!
neres durchdringen wie Wasser einen 109,30-31 Am Ende hören wir, wie
Schwamm ‒ mögen sie sein ganzes We- David sein Loblied plant, das er dem
sen durchdringen, selbst das Mark sei- HERRN darbringen will, wenn seine
ner Knochen. Mögen ihn die Flüche be- Gebete erhört sind. Es wird kein ge-
decken wie die Kleidung, die er trägt, wöhnliches Lob, sondern ein großer
»ihm anhaften wie ein Gürtel, den er Dank sein. Es wird auch nicht im Ge-
nicht ablegen kann« (Knox). heimen, sondern mitten in einer Menge
Dies also wünscht David seinen An- geschehen. Und das Thema wird lau-
klägern und Verleumdern. Dabei hat er ten: Der HERR steht zur Rechten des
in seinem Gerichtskanon wohl kaum Armen, und er erlöst ihn von denen,
ein Detail übersehen. Es hat einmal je- die seine Seele hinrichten wollten. Es
mand gesagt: »Tatsächlich hat er gegen gibt große Zuversicht, wenn man den
den Gottlosen alles herbeigerufen, was Herrn zum Verteidiger hat. So sagt
je ein Mensch wünschen könnte, dass F.B. Meyer:
es seinem Feind widerfährt.«
109,21-25 Der Psalmist endet mit zwei Wie mutig ist der Angeklagte, wenn er
Gebeten und einem lauten Lobgesang. sich auf den Arm des Vornehmsten des
Zuerst bittet er um Erlösung von sei- Landes stützt. Wie sinnlos ist es, ihn zu
nem Kummer. Er möchte, der HERR verdammen, wenn der Richter der
möge um seinetwillen auf Davids Seite ganzen Welt neben ihm steht, um ihn zu
treten, das heißt, damit er sich als der rechtfertigen!71
Gott der Macht und Gerechtigkeit ver-
herrlicht. Indem er für David handelt,
zeigt er aufs Neue, dass er gut und gnä-
dig ist. Exkurs: Die »Rachepsalmen«
Das Schicksal des Psalmisten ist sehr
schwer. Er ist nicht nur arm und elend, So viel zu dem, was der Psalm 109 tat-
sondern auch sein Herz in ihm ist ver- sächlich sagt. Aber es wäre intellektuell
wundet. Sein Leben gleicht einem da- unehrlich, weiterzugehen, ohne uns
hinschwindenden Schatten. Er ist vom dem Problem zu stellen, das uns die
Leben so einfach abgeschüttelt worden, Rachepsalmen bieten. Natürlich liegt
wie man eine Heuschrecke von der die Schwierigkeit darin, den angreifen-
Hand abschüttelt. Trotz lang anhal- den, richterlichen Geist dieser Psalmen
tenden Fastens wanken seine Knie, und mit dem Geist der Vergebung und der
sein Körper besteht nur noch aus Haut Liebe auszusöhnen, der an anderen
und Knochen. Seine Feinde lachen über Stellen dem Volk Gottes anempfohlen
seinen beklagenswerten Zustand; spot- wird. Weil nun Psalm 109 der »König«
tend schütteln sie über ihn ihre Köpfe. der Rachepsalmen ist, scheint hier der
109,26-29 Im zweiten Gebet bittet er rechte Ort zu sein, um dieses Thema an-
den Herrn, ihn vor seinen Feinden zu zugehen.
rechtfertigen. Wenn der HERR ihm zur Zuerst möchte ich einige Erklärungen
Hilfe kommt und ihn rettet, werden die anführen, die man vorgebracht hat, die
Gegner wissen, dass Gott selbst einge- mich aber nicht völlig überzeugen.
griffen hat, dass es seine Hand war. Dann werde ich aufzeigen, was ich für
Was macht es dann aus, wenn sie die tatsächliche Erklärung halte, ob-
fluchen, solange der Herr segnet? Die gleich auch diese nicht problemlos ist.
Feinde werden beschämt, doch der Es wurde von manchen hervorgeho-

709
Psalm 109

ben, diese Flüche seien weniger das zu Recht gutheißt, wenn Verbrecher die
Herbeirufen von Rache oder Bestra- richtige Strafe erhalten. Oder: Der Psal-
fung, als vielmehr die Ankündigung mist beschreibt, was Sünder verdienen,
von dem, was Gottes Feinden geschieht. ohne persönliches Rachegelüst.
So sagt Unger: Wie schon gesagt, finde ich keine die-
Flüche, die von heiligen Menschen ser Erklärungen völlig befriedigend.
auf Einzelpersonen geschleudert wur- Die mir am besten zusagende Erklä-
den, sind nicht der Ausdruck von Rach- rung ist die, dass Rachepsalmen einem
sucht, Leidenschaft oder Ungeduld, Geist entsprechen, der für einen unter
vielmehr sind sie Voraussagen und fal- Gesetz lebenden Juden passend ist, nicht
len daher nicht unter das Verdam- aber für einen Christen, der unter der Gna­
mungsurteil Gottes.72 de lebt. Weshalb wir diese Psalmen für
Viele dieser Abschnitte könnten ge- schroff halten, kommt daher, dass wir
nauso richtig im Futur wie im Impera- sie im Licht des Neuen Testaments be-
tiv wiedergegeben werden. trachten. David und die anderen Psal-
Eine zweite Erklärung dieser Ab- misten hatten das Neue Testament
schnitte ist diese: David spricht als der nicht. So führt Scroggie aus:
Gesalbte Gottes. In dieser Stellung war
er Gottes Stellvertreter. Darum war es … Es wäre gut, sogleich die Tatsache an-
ihm gestattet, diese ernsten Gerichts­ zuerkennen, dass die vorige »Haushal-
urteile auszusprechen. (Hier sollte je- tung« niedriger stand als die gegenwär-
doch angemerkt werden, dass nicht alle tige. Das Gesetz steht dem Evangelium
Rachepsalmen von David stammen.) nicht entgegen, es ist ihm aber auch nicht
Dann wieder sehen andere diese Ab- gleichwertig. Als Christus kam, das Ge-
schnitte als geschichtlichen Bericht über setz zu erfüllen, kam er auch, um über es
die Gefühle dieser Menschen, ohne hinauszugehen. Wir müssen uns vor­
dass ihre Härte gebilligt wird. In Bezug sehen, die Ausdrücke im Psalter, die
auf diese Sichtweise schreibt Barnes: nach Rachsucht klingen, nach den Maß-
stäben der paulinischen Briefe zu be­
Diese Ausdrücke sind nur der Bericht urteilen.74
dessen, was tatsächlich im Kopf des Psal-
misten vor sich ging, und sind uns über- Während uns der Einschluss der
liefert als Illustration des menschlichen ganzen Familie eines Menschen in seine
Wesens, wenn es teilweise geheiligt wur- Verurteilung reichlich extrem erscheint,
de. Nach dieser Sichtweise ist der Geist war dies für den Psalmisten durch
der Inspiration für diese Gefühle des Gottes Drohung gerechtfertigt, die
Psalmisten genauso wenig verantwort- Schuld der Väter an den Kindern bis in
lich wie für Taten Davids, Abrahams, Ja- die dritte und vierte Generation heim-
kobs und Petrus’ … Die richtige Sicht der zusuchen (2. Mose 20,5; 34,7; 4. Mose
Inspiration verlangt von uns nicht, diese 14,18; 5. Mose 5,9). Ob es uns gefällt
Männer für absolut sündlos zu halten … oder nicht, es gibt Gesetze im geist-
Nach dieser Betrachtungsweise sind die lichen Bereich, nach denen Sünden es
uns hier überlieferten Ausdrücke nicht an sich haben, sich an der Familie des
mitgeteilt, um sie zu imitieren.73 Menschen auszuwirken. Kein Mensch
ist eine Insel; die Konsequenzen seiner
Es gibt noch weitere Erklärungen. Die Taten erstrecken sich auf andere genau-
Rachepsalmen wurden dadurch vertei- so wie auf ihn selbst.
digt, dass man daran erinnerte, Israel Wir leben jetzt in dem »Gnadenjahr
sei Gottes auserwähltes Volk, darum des HERRN«. Ist dieses Zeitalter vor­
seien Israels Feinde Gottes Feinde. über, beginnt »der Tag der Rache für
Oder: In uns allen ist etwas, was es ganz unseren Gott«. Dann werden Worte wie

710
Psalm 109 und 110

in den Rachepsalmen wieder auf den nicht ausschließlich für göttliche Per-
Lippen des Volkes Gottes sein. So wer- sonen verwendet wird, zeigen doch die
den z.B. die Märtyrer der Großen folgenden Worte, dass Davids Herr
Drangsalszeit sagen: »Bis wann, heili- (Adon) Gott gleich ist.
ger und wahrhaftiger Herrscher, rich- Eines Tages fragte Jesus die Pharisäer
test und rächst du nicht unser Blut während eines Gesprächs in Jerusalem,
an denen, die auf der Erde wohnen?« was sie glaubten, wer der Messias sei.
(Offb 6,10). Von wem würde der Verheißene ab-
Eine abschließende Überlegung: Der stammen? Sie antworteten richtiger-
scharfe Ernst der in den Psalmen ent- weise, er werde ein Sohn Davids sein.
haltenen Flüche möge unsere Herzen Aber Jesus zeigte ihnen anhand von
zubereiten, auf schwache Weise den Psalm 110 (den sie als messianisch an-
schätzen zu lernen, der alle Flüche an erkannten), dass der Messias auch Da-
seinem Leib auf dem Kreuz getragen vids Herr sein würde. Wie konnte er
hat, damit wir in Ewigkeit vom Fluch Davids Sohn und gleichzeitig Davids
und vom Fluchen befreit seien. Alle in Herr sein? Und wie konnte David, der
den Psalmen beschriebenen Strafen zu- König, hier auf Erden jemanden zum
sammengenommen geben kaum eine Herrn haben?
schwache, blasse Vorstellung von der Die Antwort war natürlich: Der Mes-
Lawine des Gerichts, die er als unser sias ist sowohl Gott als auch Mensch.
Stellvertreter hat erdulden müssen! Als Gott würde er Davids Herr sein und
als Mensch dessen Sohn. Und Jesus selbst
war Davids Herr und Sohn, weil er
Gottsein und Menschsein in sich ver­
Psalm 110: Davids Sohn und Davids einigte.
Herr Es war die Stunde der Wahrheit für
Dieser Psalm Davids genießt die Ehre, die Pharisäer. Doch trotz aller Beweise
häufiger als jeder andere alttestament- waren sie nicht willens, Jesus als den
liche Abschnitt im Neuen Testament zi- lang erwarteten Messias anzuerkennen.
tiert worden zu sein. Er ist ganz deut- So lesen wir: »Und niemand konnte
lich ein Psalm über den Messias. Zuerst ihm ein Wort antworten, noch wagte je-
sehen wir ihn verherrlicht zur Rechten mand von dem Tag an, ihn weiter zu
Gottes, dann als König der Herrlichkeit, befragen« (Mt 22,41-46; siehe auch Mk
der auf die Erde zurückkommt, um das 12,35-37; Lk 20,41-44).
Zepter der weltweiten Herrschaft zu er- Die Schreiber des Neuen Testaments
greifen, und auch als den ewigen Pries- lassen keinen Zweifel daran aufkom-
ter nach der Ordnung Melchisedeks. men, dass der zur Rechten Gottes Sit-
110,1 Der erste Vers zitiert den zende niemand anders ist als Jesus von
HERRN, wie er zu Davids Herrn sagt: Nazareth (Mt 26,64; Mk 14,62; 16,19; Lk
»Setze dich zu meiner Rechten, 22,69; Apg 2,34-35; 5,31; 7,55-56; Röm
bis ich deine Feinde gemacht habe 8,34; 1Kor 15,24ff.; Eph 1,20; Kol 3,1;
zum Schemel deiner Füße.« Hebr 1,3.13; 8,1; 10,12-13; 12,2; 1Petr
Der Schlüssel zum Verständnis liegt 3,22; Offb 3,21). Darum sagt uns Vers 1,
in dem Erkennen der zwei unterschied- was der HERR dem Herrn Jesus sagte,
lichen Personen, die beide »Herr« ge- als dieser sich zur Rechten Gottes nie-
nannt werden. Die erste Verwendung dersetzte. Aber dort bleibt er nur, bis
dieses Wortes weist unmissverständ- seine Feinde zu seinem Fußschemel ge-
lich auf den Bundesgott Jahwe (JHWH) macht worden sind.
hin.75 Das andere Wort »Herr« ist das 110,2 Zwischen den Versen 1 und 2
hebräische adon und bedeutet »Mei- haben wir das, was H.A. Ironside »den
ster« oder »Herrscher«. Obwohl es großen Einschub«76 nannte ‒ das Zeit­

711
Psalm 110

alter der Gemeinde, das von der Thron- ist. Nichtkorrumpierte Herrschaft und
besteigung Christi bis zu seinem Zwei- geistliches Priestertum werden der
ten Kommen reicht. In Vers 2 sehen wir, Welt eine Verwaltung schenken, nach
wie der HERR den Stab seiner Macht der sie sich immer gesehnt, die sie aber
von Zion aus ausstreckt. Mit anderen nie kennengelernt hat.
Worten setzt der HERR Christus als Kö- In Vers 4 erfahren wir vier Dinge über
nig ein, und dessen Hauptstadt ist Jeru- das Priestertum des Messias:
salem. Das Zepter ist das Zeichen seiner Er wurde durch einen Eid des
Autorität. Christus ist alle Macht gege- HERRN Priester.
ben, auf der ganzen Erde inmitten sei- Diese Berufung ist unwiderruflich.
ner Feinde zu herrschen. »Herrsche in- Sein Priestertum ist ewig.
mitten deiner Feinde!« Schon vor dieser Es ist nach der Ordnung Melchi­
Zeit wird der Herr Jesus seine nicht sedeks.
wiederhergestellten Feinde vernichtet Der Ausdruck »nach der Ordnung
haben. Hier geht es nicht um die Ver­ Melchisedeks« wird uns in Hebräer 5
nichtung seiner Feinde, sondern darum, bis 7 erklärt. Dort wird das Priestertum
dass er über jene herrscht, die einstmals Melchisedeks mit dem aaronitischen
Feinde waren und nun seine Freunde bzw. levitischen Priestertum verglichen
geworden sind und sich seiner Herr- und diesem gegenübergestellt.
schaft freudig unterwerfen. Unter dem Gesetz bestimmte Gott die
110,3 Dies wird von Vers 3 bestätigt. Männer des Stammes Levi und der Fa-
Sein Volk stellt sich willig zur Ver­ milie Aarons zu Priestern. Ihr Priester-
fügung am Tag, an dem er sein Heer auf tum war eine erbliche Angelegenheit
den heiligen Berg führt. Oder wie es in und endete mit ihrem Tod.
der revidierten Elberfelder heißt: »Dein Das Priestertum der geheimnisvollen
Volk ist voller Willigkeit am Tage dei- Person Melchisedeks beruhte auf der
ner Macht. In heiliger Pracht …« souveränen Berufung Gottes. Sie war
Hier begrüßt ein williges Volk den nicht von den Eltern ererbt (»ohne Va-
König in heiligem Schmuck. »In ihrem ter, ohne Mutter, ohne Geschlechtsregis­
Leben und Verhalten«, schreibt Barnes, ter« – Hebr 7,3a), auch wird weder vom
»werden sie die Schönheit und Attrakti- Anfang noch vom Ende seiner Priester-
vität zeigen, die in einem geheiligten schaft geredet (»… hat er weder Anfang
und reinen Charakter liegen.« der Tage noch Ende des Lebens« – Hebr
Der letzte Teil von Vers 3 hat Überset- 7,3b). In dieser und anderer Hinsicht
zern und Auslegern viel Mühe bereitet. überragte Melchisedeks Priestertum
Scroggie umschreibt ihn so: »Wie der das levitische. Melchisedek war ein
Tau von seiner Mutter, dem Morgen, Vorbild auf den Herrn Jesus. Das Pries­
geboren wird, so kommt dein Heer zu tertum unseres Herrn war nicht von El-
dir – zahlreich, frisch, prächtig und tern ererbt; er war von dem Stamm
kraftvoll.«77 Juda, nicht von Levi. Sein Priestertum
110,4 Eines der besonderen Merk- wurde durch den souveränen, ewigen
male des messianischen Reiches besteht Beschluss Gottes errichtet, und weil er
darin, dass der Herr Jesus in seiner Per- in der Kraft eines unauflöslichen Le-
son zwei Ämter vereinigt, das des Kö- bens existiert, wird auch sein Priester-
nigs und das des Priesters. Diese Kom- tum niemals enden.
bination ist in den Händen rein mensch- Noch in anderer Weise ist Melchi­
licher Herrscher äußerst gefährlich. Der sedek eine »Vorschattung« des Messias:
lang anhaltende, laute Ruf nach Tren- Auch er war König und Priester. Sein
nung von Gemeinde und Staat hat sei- Name und sein Titel weisen ihn als Kö-
ne guten Gründe. Doch ist die Vereini- nig der Gerechtigkeit und als König des
gung ideal, wenn Jesus der Herrscher Friedens aus (Hebr 7,2). Und er war

712
Psalm 110 und 111

auch Priester Gottes, des Höchsten Im Hebräischen ist er ein akrostischer


(1. Mose 14,18). Psalm. Jeder der ersten acht Verse hat
110,5 Die letzten drei Verse des zwei Zeilen, die letzten beiden haben
Psalms zeigen den Herrn Jesus als jeweils drei. Jede der zweiundzwanzig
mächtigen Eroberer, der alle Gesetz­ Zeilen beginnt in der richtigen Reihen-
losigkeit und Rebellion zunichtemacht, folge mit einem Buchstaben des Alpha-
bevor sein Reich aufgerichtet wird. Das bets.
Problem mit der Identifizierung der Der Gegenstand des Psalms sind die
Personen in diesen Versen ist weit­ Vortrefflichkeiten Christi auf dem
gehend geklärt, wenn sie an den Thron. Die Israeliten singen das Lob
HERRN gerichtet sind und sich auf den dessen, der sie aus der Finsternis Ägyp-
Messias-König beziehen. Danach wür- tens und aus der babylonischen Ge­
de man Vers 5 so lesen: fangenschaft in sein wunderbares Licht
»Der Herr (Adonai – der Herr Jesus) gerufen hatte.
ist zu deiner (des HERRN) Rechten; er 111,1 Das Lied beginnt mit einem
(der Messias) zerschmettert Könige am Aufruf an die Aufrichtigen, den HERRN
Tage des Zorns.« zu preisen (hebr. Halleluja!), und mit
110,6 Es ist der Herr Jesus, der gegen dem eigenen Entschluss des Psalmisten,
die heidnischen Völker marschiert, wie den HERRN zu preisen ‒ unablässig
in Joel 4,4-12; Sacharja 14,3 und Offen- und ohne sich ablenken zu lassen. Er
barung 19,11-21 vorhergesagt. Er übt will dies sowohl in kleinen Versamm-
Gericht unter den Nationen und füllt lungen der Gläubigen als auch bei
das Land mit Leichen. Die weitere Aus- großen Volksversammlungen tun,
sage: »Das Haupt über ein großes Land oder, wie wir sagen würden, privat und
zerschmettert er«, sagt uns etwas über in der Öffentlichkeit.
den Untergang des Menschen der Sün- 111,2-3 Die vier Beschreibungen der
de, »den der Herr Jesus beseitigen wird Werke des HERRN gelten für alles, was
durch den Hauch seines Mundes und er tut; doch der Gipfel aller Werke
vernichten durch die Erscheinung sei- Gottes war für einen alttestamentlichen
ner Ankunft« (2Thes 2,8). Juden die Erlösung aus Ägypten. Die
110,7 Während er dahinschreitet, um Werke des HERRN sind groß. Sie sind
mit seinen Feinden abzurechnen, wird ein fruchtbarer Forschungsgegenstand
der König auf dem Weg aus dem Bach für alle, die Lust an ihnen haben. Sie bil-
trinken. Weil Wasser oft ein Bild des den gewaltige Demonstrationen seiner
Heiligen Geistes ist (Joh 7,38-39), deutet Herrlichkeit und Majestät, und seine
diese Formulierung an, dass der Herr Gerechtigkeit besteht ewig.
durch den Dienst des Heiligen Geistes 111,4-5 Er stiftete das Passah als
erfrischt und gestärkt wird. Damit er- dauern­de Erinnerung an die Errettung
klärt sich, warum er danach sieghaft Israels durch das Blut des Lammes, als
das Haupt erhebt. bleibendes Gedenken an seine Gnade
und Barmherzigkeit. Im Mahl des
Psalm 111: Die wunderbaren Werke Herrn hinterließ er uns ein Gedenken
des Herrn an unsere Errettung durch das Blut
Drei Stränge laufen durch den Psalm eines besseren Lammes, als unvergess-
111: liche Erinnerung für uns, dass er gnä-
Die Werke des HERRN (V. 2-4.6-7). dig und barmherzig ist. Vielleicht be-
Die Worte des HERRN unter solchen zieht sich Vers 5 insbesondere auf
Synonymen wie »Bund« (V. 5.9) und Gottes wunderbare Nahrungsfürsorge
»Gebote« (V. 7). gegenüber den Israeliten während ihrer
Das ewige Wesen all dessen, was er Wüstenreisen. Nie hat er sein Bundes-
ist und tut (V. 3.5.8-10). volk vergessen. Doch gilt es allezeit,

713
Psalm 111 und 112

dass er treu zu seinen Verheißungen ge durch den Heiligen Geist in dieselbe


steht. Schönheit verwandelt (2Kor 3,18).
111,6 Er gab seinem Volk eine weitere »Preist den HERRN!« (Halleluja!)
Demonstration seiner mächtigen Taten, Die­se Worte drücken häufig die Ge-
indem er die kanaanitischen Völker ent- fühle des Psalmisten aus, und er hat
eignete und sein Volk sicher in das Ver- uns damit ein gutes Beispiel hinter­
heißene Land brachte, das der Psalmist lassen.
hier »das Erbe der Nationen« nennt. Wer ist glückselig? Es ist der, welcher
111,7-9 Alle Werke Gottes zeigen, den HERRN ehrt und sich ihm unter-
dass er immer wahrhaftig und gerecht wirft und der große Freude an seinen
ist. Alle seine Gebote sind absolut zu- Geboten hat und sie durch Gehorsam
verlässig. Er hält seine Versprechungen erprobt. Er erntet die Wohltaten, die
ewiglich und erfüllt sie treu und seiner aus einem Leben praktischer Gottes-
würdig. Er hat seinem Volk zur Zeit des furcht fließen. Dazu gehören:
Auszugs Erlösung gesandt, dann hat er 112,2 hervorragende Nachkommen. Sei-
es aus der babylonischen Gefangen- ne Abkömmlinge werden einfluss-
schaft zurückgebracht. Er wird es noch reiche und geehrte Stellungen einneh-
einmal tun, wenn er die zwölf Stämme men und wegen ihres frommen Erbes
ins Land Israel zurückbringt, bevor sein hoch angesehen sein. (Wenn wir diese
herrliches Reich beginnt. All das gehört Segnungen auf das Zeitalter der Ge-
zu seinem Bund und kann darum nie- meinde anwenden, tun wir gut daran,
mals scheitern. Sein Name ist heilig sie von der irdisch-materiellen Bedeu-
und furchtbar oder Ehrfurcht gebie- tung auf deren geistliches Gegenstück
tend; und wie sein Name, so ist auch er! zu übertragen.)
111,10 Nur der Mensch, der ihn fürch- 112,3 Wohlstand. Es ist eine allgemei-
tet, hat auf dem Weg der Weisheit den ne Wahrheit, dass Gehorsam gegen­über
Anfang gemacht. Je mehr wir ihm ge- Gottes Wort die Menschen vor Ver-
horchen, umso mehr Licht gibt er uns. schwendung und Armut bewahrt. Die
»Gehorsam ist das Organ für geistliche Ergebnisse seiner Gerechtigkeit und
Erkenntnis.« Ehrlichkeit, seines Fleißes und seiner
Er ist es wert, ewig gepriesen zu wer- Genügsamkeit setzen sich bis in ferne
den! Generationen fort.
112,4 Zusicherung der Erleuchtung. Es
Psalm 112: Der Lohn der Gerechten gibt keine Garantie der Immunität ge-
112,1 Zwischen diesem und dem vor- gen Finsternis; aber es gibt die Verhei-
hergehenden Psalm besteht eine enge ßung, dass in der Finsternis Licht auf-
Verbindung, sowohl in ihrer akros- strahlt. In dunklen Lebensabschnitten
tischen Form als auch in ihrem Inhalt. erweist sich der Herr als gnädig und
Psalm 112 beginnt, wo Psalm 111 auf- voll innigen Mitgefühls.
hört – mit dem Menschen, der den 112,5-6 Großzügigkeit. Alles läuft bes-
HERRN fürchtet und Weisheit ausübt. ser für den Menschen, der großzügig ist
Mehrere von den Dingen, die im vori- und sich nicht weigert, anderen zu lei-
gen Psalm von dem Herrn gesagt wur- hen, die sich in echter Not befinden. Ein
den, werden in diesem Psalm auf den solcher Mensch erledigt diese Dinge
gottesfürchtigen Menschen angewandt. diskret und gerecht. Sein Leben ruht
Im 111. Psalm sehen wir die Sonne der auf einem sicheren Fundament, und
Gerechtigkeit in all ihrer Herrlichkeit man wird sich an ihn erinnern, wenn er
leuchten; hier sehen wir den Gläubigen, schon lange nicht mehr hier ist.
der dem Mond gleich diese Herrlich- 112,7 Freiheit von Furcht. Er lebt nicht
keit reflektiert. Indem er die Schönheit in beständiger Furcht vor bösen Nach-
des Herrn betrachtet, wird der Gläubi- richten, vor Geschäftsrückschlägen

714
Psalm 112 und 113

oder Naturkatastrophen. Er vertraut ten vier als einen, der ganz vertraut und
auf den HERRN und weiß, dass ihm nahe ist.
nichts geschehen kann, was nicht der Unser Gott ist unendlich erhaben. Als
Wille Gottes ist. solcher ist er wert, gelobt zu werden.
112,8 Zuversicht, wenn er angegriffen Von wem? Von allen seinen Knechten
wird. Selbst seine Feinde erschüttern (V. 1).
nicht sein Gleichgewicht und seine Wie? Indem sie seinen Namen prei-
Ruhe. Er ist voll Zuversicht, auch wenn sen, d.h. ihm danken für alles, was er ist
es scheint, als hätten sie im Augenblick (V. 2a).
die Oberhand; doch ist ihr Untergang Wie oft? Beständig – von nun an bis in
sicher, und er ist auf der Siegesseite. Ewigkeit (V. 2b).
112,9 anhaltende Fruchtbarkeit und Wo? Überall – von den Ländern des
Ehre. Weil er großzügig war, werden Sonnenaufgangs bis zu denen des Son-
die Ergebnisse seiner Freundlichkeit nenuntergangs (V. 3a).
gegen­über den Armen in stetiger Er­ Wofür? Für seine Größe. Hoch über
innerung bleiben. Er braucht sein Horn alle Nationen ist der HERR, über die
(ein Bild der Kraft) nicht beschämt zu Himmel seine Herrlichkeit (V. 4).
verstecken. Vielmehr wird sein Haupt Für seine Unvergleichlichkeit. Nie-
mit Applaus gekrönt. Paulus zitiert die- mand kann sich mit ihm vergleichen. Er
sen Vers in 2. Korinther 9,9, um den thront hoch oben (V. 5).
bleibenden Nutzen der Großzügigkeit Für seine allumfassende Sicht. Es gibt
zu zeigen. im Himmel und auf Erden nichts, was
112,10 der Neid der Gottlosen. Wenn die er nicht sieht (V. 6). Der Text legt nahe,
Gottlosen die endliche Rechtfertigung dass er sich herablassen muss, selbst
und dauerhafte Ehrung der Frommen wenn er die Dinge im Himmel betrach-
sehen, werden sie sich ärgern und nei- ten will!
disch sein. Sie werden vor Wut mit den Aber, gepriesen sei sein Name, der so
Zähnen knirschen, dann aber gänzlich unendlich Erhabene ist auch so vertraut
vergehen. Alles, wofür sie lebten, wird und nahe.
mit ihnen verloren gehen. Barnes sagt 113,7-9 Die Geringen können es wis-
dazu: sen! Er hebt sie empor aus dem Staub.
Die Armen können es wissen! Er er-
Dies steht in starkem Kontrast zu dem, hebt sie aus dem Stand der Niedrigkeit
was nach diesem Psalm den Gerechten und setzt sie zu den Fürsten, zu den
geschehen soll. Sie würden Wohlergehen Edlen der Erde.
und Glück erleben, sie würden ihre Plä- Die Unfruchtbare kann es wissen! Er
ne ausführen können; sie würden schon gewährt ihr ein Heim und macht sie
im Leben geachtet werden und nach dem einer fröhlichen Mutter von Kindern
Tod in Erinnerung bleiben; sie würden gleich. Unfruchtbarkeit war eine ge-
erfahren, dass Gott in den dunkelsten fürchtete Schmach bei den jüdischen
Stunden für sie eintritt; sie würden am Frauen. Von diesem Fluch befreit zu
Tag der Gefahr fest und ruhig sein; sie sein, war ein Grund zu ganz außer­
würden ihr Vertrauen auf den Herrn set- gewöhnlicher Freude.
zen, und alles würde gut werden. Ganz
gewiss, es ist ein Vorteil, … Gott zum Anwendung
Freund zu haben!78 Ich war gering; doch durch den Glauben
an Christus bin ich fantastisch reich ge-
Psalm 113: So groß und doch so worden an geistlichen Gütern.
gnädig Ich war arm; aber der Herr Jesus holte
113,1-6 Die ersten fünf Verse stellen den Bettler vom Misthaufen und gab
Gott als unendlich erhaben vor, die letz- ihm wunderbare christliche Brüder

715
Psalm 113 und 114

und Schwestern, eine Gemeinschaft, heute in geistlicher Hinsicht für die Ge-
die alles übertrifft, was die Welt zu bie- meinde.
ten hat. 114,3 Als das Volk Israel ans Rote
Ich war unfruchtbar, ohne Frucht für Meer kam, sah das Wasser es und zog
Gott in meinem Leben. Aber er hat mich sich in Schrecken zurück. Aber wir kön-
von meiner leeren, nutzlosen Existenz nen sicher sein, dass nicht der Anblick
befreit zu einem sinnvollen, produk- dieses flüchtenden, ärmlichen Gesin-
tiven Leben. dels solchen Schrecken verursachte.
Kein Wunder, dass ich mit dem Psal- Das Meer blickte auf und sah den
misten singe: »Halleluja! Preise den Schöpfer, dann wandte es sich ganz
HERRN!« schnell um, sodass Israel hindurch­
gehen konnte, ohne nasse Füße zu be-
Zu Recht sitzt du dort auf dem Thron, kommen.
Des Vaters Liebe, Gottes Sohn. Genauso war es vierzig Jahre später,
Dich preist in jenen lichten Höh’n als die Israeliten ins Verheißene Land
Stets der Erlösten Lobgetön. kamen. Der Jordan hielt sein Wasser bei
Obwohl so hoch, nimmst du doch an, der Stadt Adam an, und die letzte Hür-
Was dir zum Lob von uns getan. de vor dem Einzug wurde zu einem
Das schwächste Rufen dringt empor, Fußweg.
Gelangt bis an den Heilands Ohr. Der Durchzug durchs Rote Meer und
nach Thomas Kelly durch den Jordan sind zwei Eckpunkte
dieses Epos aus der Geschichte Israels.
Psalm 114: Die machtvolle Gegenwart Der Durchzug durchs Rote Meer ist
des Herrn ein Bild der Erlösung von dieser Welt
114,1 Die Geschichte von Israels Er­ durch die Kraft Gottes, indem wir
lösung aus Ägypten, seinen Erfah- mit Christi Tod, Begräbnis und Auf­
rungen in der Wüste und seiner An- erstehung einsgemacht wurden. Der
kunft im Land der Verheißung war von Durchzug durch den Jordan spricht
Anfang bis Ende eine gewaltige Macht­ von der Erlösung aus der Wüstenwan-
entfaltung Gottes. Tatsächlich war es derung und vom Einzug in unser geist-
für das jüdische Bewusstsein die groß- liches Erbteil, wieder aufgrund des
artigste Demonstration göttlicher Todes, des Begrabenseins und der Auf-
Macht, die je stattgefunden hat. erstehung Christi.
Welch eine geschichtsträchtige Zeit 114,4 Zwischen diesen zwei Ereignis-
war es doch, als Israel aus Ägypten zog sen fanden andere Ehrfurcht erwe-
und die langen Jahre der Knechtschaft ckende Beispiele göttlicher Macht statt.
und Unterdrückung zu Ende waren! Wer Eins der spektakulärsten war die Gesetz-
kann die überschäumende Freude des gebung am Sinai. Die Natur war so er-
Volkes ermessen, als es von den Ägyp- regt, dass die Berge wie Widder hüpften
tern befreit war? Nie wieder würden sich und die Hügel wie Lämmer. Es scheint,
die Israeliten unter den Drohungen und als sei die Herrlichkeit Gottes so über-
Flüchen ducken, die ihnen in fremder wältigend gewesen, dass das ganze Ge-
Sprache entgegengebrüllt wurden! biet wie von einem riesigen Erdbeben
114,2 Zu seiner Zeit wurde das für erschüttert wurde. So furchtbar war die
den Stamm Juda bestimmte Gebiet Erscheinung, dass Mose, der Mann
Gottes Heiligtum. Der Tempel wurde in Gottes, sagte: »Ich bin voll Furcht und
Jerusalem erbaut. Und das ganze Land Zittern« (Hebr 12,21). Der Schreiber des
Israel wurde sein Herrschaftsbereich – Hebräerbriefs erinnert uns daran, dass
ein Gebiet, für das er unermüdlich Sor- wir nicht zu diesem schrecklichen Berg
ge trug. Was damals im geografischen des Gesetzes, sondern zum Thron der
Sinn für Juda und Israel stimmte, gilt Gnade gekommen sind.

716
Psalm 114 und 115

114,5-6 Der Psalmist ist so entzückt stummt. Gott ist für seinen Namen ein-
von diesen Machterweisen Gottes, dass getreten.
er das Meer, den Jordan, die Berge und 115,3 Nun sollte der ganzen Welt
Hügel hänselt, sie möchten doch erklä- deutlich sein, dass der wahre Gott er­
ren, warum sie in dieser Weise handel- haben ist – »Unser Gott ist in den Him-
ten. Die Fragen bilden ein sanftes Spott- meln«, und er ist souverän – »Alles,
lied, das einige der großartigsten Sym- was ihm wohlgefällt, tut er.« Die Über-
bole von Kraft und Stabilität in der Na- legenheit Gottes bedeutet, dass er grö-
tur belächelt, weil sie vor dem Anblick ßer ist als das gesamte Universum, dass
des Herrn erschreckt zurückwichen. er sich außerhalb davon befindet. Die
114,7-8 Daraus wird der Schluss ge- Souveränität Gottes drückt sich darin
zogen, die ganze Erde schulde einem aus, dass er frei ist, zu tun, was irgend
solchen Gott die tiefste Ehrfurcht und ihm gefällt. Und was ihm gefällt, ist im-
den höchsten Respekt. Er ist der ewig mer gut, gerecht und weise.
große ICH BIN ‒ und gleichzeitig der 115,4-7 Wegen ihrer Götzendienerei
Gott Jakobs, des Unwürdigen. »Er ver- hatte Gott erlaubt, dass die Juden durch
wandelte den Felsen in einen Wasser- die Babylonier in die Gefangenschaft
teich, den Kieselfelsen in einen Wasser- geführt wurden. Doch nun haben sie
quell.« Das geschah zweimal (2. Mose erfahren, wie kraft- und wertlos die
17,6 und 4. Mose 20,11). Die Israeliten Götzen sind, und sie verspotten die
waren von Durst völlig ermattet. Sie Heiden wegen ihrer geschnitzten Bil-
klagten bitterlich und wünschten sich der.
sogar nach Ägypten zurück. Gott berei- Die Götzen sind aus Silber und Gold
tete ihnen wunderbarerweise einen gemacht, darum ist ihr Wert von den
Wasserquell aus dem Felsen, zuerst am Marktbedingungen abhängig. Sie wur-
Horeb und dann bei Meriba. Paulus den von Menschen hergestellt und sind
sagt uns, dass der Fels ein Bild von deshalb geringer als diejenigen, die sie
Christus ist, der für uns auf Golgatha anbeten. Sie haben einen Mund, kön-
geschlagen wurde und allen Leben nen aber weder lehren noch die Zu-
spendendes Wasser bietet, die im Glau- kunft voraussagen. Sie haben Augen
ben zu ihm kommen (1Kor 10,4). und können doch die Probleme ihres
Volkes nicht sehen. Sie haben Ohren,
Psalm 115: Israel sagt sich von den aber keine Kraft, Gebete zu erhören. Sie
Götzen los haben Nasen, aber sie können den
Die Juden sind nun aus der babylo- Weihrauch nicht riechen, der ihnen ge-
nischen Gefangenschaft zurückgekehrt; spendet wird. Sie haben Hände, aber
sie sind wieder in ihrem eigenen Land. keine Kraft zum Fühlen. Sie haben
Aber sie schreiben sich das keinesfalls Füße, aber sie können sich nicht von ih-
selbst zu. Ihre Wiederherstellung ist rem Podest entfernen. Sie können nicht
nur dem HERRN zu verdanken. Er tat einmal Laute durch ihre Kehle äußern.
es wegen seiner nie versagenden Liebe 115,8 Die sie gemacht haben, sollen
zu seinem Volk und weil er seiner Ver- ihnen gleich werden. Im geistlichen Be-
heißung treu ist. reich gilt als erwiesen, dass die Men-
115,1-2 Denn nur zu lange hatten die schen wie der Gegenstand ihrer An­
Heiden die Israeliten verhöhnt: »Wo ist betung werden. Ihre moralischen Maß-
denn euer Gott? Er scheint wohl wenig stäbe werden durch ihre Götter be-
Interesse an euch zu haben, wenn er stimmt. Jeder, der auf Götzenbilder
euch siebzig Jahre in der Gefangen- vertraut, wird unrein, schwach, stumpf
schaft schmachten lässt!« Aber das und unverständig.
können sie jetzt nicht mehr sagen. Ihr 115,9 Nur der HERR ist des Vertrau-
Spott und ihr Gelächter sind ver- ens würdig. So tritt nun ein Solist vor

717
Psalm 115 und 116

und ruft Israel zu einem unbeirrbaren bewundert ihr Geist ganz ungehindert
Vertrauen auf den HERRN auf. Der den Herrn und betet ihn an. Aber das
Chor antwortet mit dem Bekenntnis: Wesentliche ihrer Argumentation gilt
»Ihre Hilfe und ihr Schild ist er.« auch für uns: Wir sollten den Herrn in
115,10-11 Als Nächstes wird das unserem irdischen Leben preisen. Und
priesterliche Haus Aarons ermahnt, un- das drückt auch das Gelöbnis am Ende
eingeschränkt dem HERRN zu vertrau- des Psalms aus:
en; wieder antwortet der Chor, indem Wir aber, wir werden Jah preisen von
er anerkennt, dass er ihre erprobte Hilfe nun an bis in Ewigkeit. Halleluja!
und ihr Verteidiger ist. Beim dritten
Mal erweitert der Vorsänger seinen Ap- Psalm 116: Ich liebe den HERRN!
pell auf alle, die den HERRN fürchten, Der Jubel und die Freude des ersten Os-
was vermutlich die Bekehrten aus den termorgens klingen durch den ganzen
Heiden mit einschließt. Auch sie wis- Psalm. Das Gartengrab ist leer. Christus
sen, dass er ihre wahre Hilfe und ihr ist von den Toten auferstanden durch
Schild ist. die Herrlichkeit des Vaters. Und nun
115,12-15 Es ist, als würden die Pries- bricht er aus in Dank gegenüber Gott,
ter als Nächste den Gesang aufnehmen, weil er sein Gebet in Verbindung mit
indem sie dem Volk versichern, dass der Auferstehung erhört hat.
derselbe Gott, der des Volkes gedachte, 116,1-4 Beachten Sie, wie er anfängt:
um sein Glück wiederherzustellen, sie »Ich liebe den HERRN!« Das sind nur
segnen wird ‒ das Volk, die Priester, die vier kurze Wörter; aber es ist die reinste
Proselyten, Menschen jeden Alters und Anbetung. Für kleinmütige Seelen, die
Ranges, die Reichen genauso wie die­ fälschlich meinen, man könne Gott nur
jenigen in schwierigen Situationen. Sie mit großartigen Worten nahen, sollte
bitten, Gott möge sein Volk und dessen dies eine große Ermutigung sein; denn
Nachkommen mit Mehrung segnen, der schlichteste Ausdruck der Liebe
wobei sie vielleicht an zahlenmäßiges zum Herrn ist echte Anbetung.
Wachstum dachten für ein Volk, das Aber wir brauchen damit nicht aufzu-
sehr stark dezimiert worden war. Doch hören. Wie der Heiland können auch
könnte ihr Gebet auch geistliches und wir die großen Dinge aussprechen, die
materielles Gedeihen eingeschlossen Gott für uns getan hat. Der Herr Jesus
haben. Dazu erflehen sie noch den all- war voll von überfließendem, unaufhör-
gemeinen Segen des HERRN, der Him- lichem Dank, weil sein Vater sein angst-
mel und Erde gemacht hat. volles Flehen von Gethsemane und Gol-
115,16 Gott machte die Himmel zu gatha erhört hat. Als der Tod seine Fes-
seinem eigenen Wohnort, doch be- seln um ihn schlang und die Schmerzen
stimmte er die Erde als Lebensraum für der physischen Auflösung ihn ergriffen,
die Menschen. Und in diesem Lebens- als er einen unvorstell­baren Todes-
raum kann der Mensch ihn anbeten kampf durchmachte, rief er zu dem
und ihm dienen. HERRN, ihn zu erretten. Und er tat es.
117,17-18 Vers 17 spiegelt die allge- Er errettete ihn nicht vom Sterben; aber
meine Ansicht der alttestamentlichen er errettete ihn sehr wohl aus dem Tod.
Heiligen wider, dass mit dem Tod die 116,5-6 Ein drittes Element der An­
Möglichkeit, den HERRN anzubeten, betung finden wir im Aufzählen der
endet. Soviel sie wussten, befinden sich Vortrefflichkeiten des HERRN. Der
die Toten in einem Zustand steinernen auferstandene Christus listet hier eini-
Schweigens. Wir wissen jetzt, dass die ge der Tugenden Gottes auf, die er bei
im Glauben Gestorbenen sofort in die der Auferweckung zeigte. Gott ist gnä-
Gegenwart des Herrn gelangen. Wenn dig, das heißt freundlich und gut. Gott
auch ihr Leib schweigend im Grab liegt, ist gerecht; alle seine Taten sind richtig

718
Psalm 116

und entsprechen den Umständen. Gott wird: »Wie soll ich dem HERRN vergel-
ist barmherzig; er ist voll tiefsten Mit­ ten alle seine Wohltaten an mir?« In un-
gefühls. Der HERR behütet die Einfäl- serem Fall ist keine Rede davon, ihm zu
tigen, was im Fall des Herrn Jesus am vergelten. Jede Vergeltung, die wir ge-
Kreuz bedeutet, dass er den Aufrich­ ben wollten, wäre eine Beleidigung sei-
tigen, den Schuld- und Hilflosen be- ner Gnade. Aber es gibt ein tiefes inne-
wahrt. Gott bewahrt sein Volk, wenn es res Verlangen, auf seine Gnade in ir-
in Gefahr ist. gendwie angemessener Weise zu ant-
116,7 Am Ende tut Gott denen, die worten. Diese Antwort besteht darin,
auf ihn vertrauen, wohl; er ist nicht den Becher des Heils zu erheben und
kleinlich mit seinen Wohltaten. Und so den Namen des HERRN anzurufen.
sagt der Herr Jesus: »Kehre zurück, Den Becher des Heils zu erheben, be-
meine Seele, zu deiner Ruhe!« Seine deutet, dem Herrn unseren Dank für
Anspannung, seine Angst, sein Kampf unsere Errettung auszudrücken. Den
– alles ist vorüber. Gott hat ihn erhört Namen des HERRN anzurufen, bedeu-
und erlöst. Nun tritt er in die wohlver- tet, eine besondere Anbetungshandlung
diente Ruhe ein. auszuführen in Erinnerung an die Grö-
116,8-11 Unser Herr wendet sich wie- ße seiner Rettung.
der seinem Rückblick auf das zu, was 116,14 Der auferstandene Heiland
sein Vater für ihn getan hat. Wir lernen war entschlossen, seine Gelübde gegen-
daraus, dass wir uns bei der Anbetung über dem HERRN zu erfüllen, und
vor Wiederholungen nicht zu fürchten zwar vor seinem ganzen Volk. Da gab
brauchen. Gott wird nie müde, das Lob es Gelübde des Lobes, der Anbetung
seiner Kinder zu vernehmen. Und der und des Dankes, die er vor und wäh-
Gegenstand ist endlose Wiederholung rend seiner Passion gegeben hatte. Nun
wert. Christi Herz war voller Dankbar- erfüllt er sie.
keit gegenüber seinem Vater wegen sei- 116,15 Und wieder scheint der Fluss
ner dreifachen Errettung: Seine Seele der Gedanken durch die Anmerkung
war vom Tod errettet; seine Augen wa- des Herrn unterbrochen zu werden:
ren von Tränen errettet; und sein Fuß »Kostbar ist in den Augen des HERRN
war vom Sturz errettet. Nun wandelte der Tod seiner Frommen.« Auch wenn
er vor dem HERRN im Lande der Le- es uns schwerfällt, dies in den Zusam-
bendigen als Sieger über Sünde, Tod, menhang unterzubringen, können wir
Grab und Scheol. uns über den isolierten Text freuen.
Der Zusammenhang der Gedanken Dies gilt für alle Frommen: Ihr Tod ist
in den Versen 10 und 11 ist zugegebe- für unseren Gott kostbar, weil er bedeu-
nermaßen schwierig. Vielleicht wird tet, dass sie bei ihm in der Herrlichkeit
der Sinn am besten so wiedergegeben: sind. Aber niemals stimmte das mehr
Ich hielt am Glauben fest, selbst wenn als bei dem Herrn Jesus. Sein Tod war
ich sagte: »Ich bin gänzlich verstört«, für den Vater kostbar, weil er die recht-
selbst als ich ängstlich sagte: »Nieman- mäßige Grundlage bildete, auf der gott-
dem kann ich vertrauen.« lose Sünder gerechtfertigt werden
Sein Glaube geriet selbst in den Au- konnten.
genblicken des Todeskampfes nicht ins 116,16-17 In Vers 16 ist der auferstan-
Wanken, auch nicht, wenn die Menschen dene Jesus immer noch der »Knecht des
zeigten, wie unzuverlässig sie waren. HERRN«. Es ist, als sagte er: »Ich liebe
Was er sagte, entsprang nicht Miss­ meinen Herrn … ich will nicht als Frei-
trauen, sondern tiefster Überzeugung. er ausziehen« (2. Mose 21,5). Und so
116,12-13 Und dann gibt es noch ein verpflichtet er sich selbst, ewig Knecht
abschließendes Element bei der An­ zu sein. Als Sohn der Magd Gottes ge-
betung, das mit der Frage ausgedrückt lobt auch er, zu dienen, wie seine Mut-

719
Psalm 116 bis 118

ter Maria es getan hat, weil der HERR dern auch, damit die Heiden Gott we-
seine Fesseln gelöst hat. gen seiner Gnade verherrlichen.
116,18-19 Wieder gelobt er, dem Vater Eine passende Umschreibung der
Dankopfer darzubringen und den Na- Botschaft dieses Psalms finden wir bei
men des HERRN anzurufen. In der Ge- Isaac Watts:
meinde des Gottesvolkes, die sich im
Tempel zu Jerusalem versammelt, wird Alles, was lebt unterm himmlischen
der Herr Jesus immer noch seine Ge- Zelt,
lübde erfüllen, wenn er den brausenden Lobe und preise den Schöpfer der Welt!
Chor leitet, der den HERRN preist. Das Rühmt den Erlöser, wer ist wie er?
wird sein, wenn er, der große Immanu- Singt ihm, ihr Völker, ihm sei die Ehr!
el, auf die Erde zurückkommt, um das Herr, deine Gnade besteht fort und fort,
Zepter des Universums in seine durch- Ewige Wahrheit kündet dein Wort.
nagelte Hand zu nehmen. Dein Lob mit Schall alle Länder durchweht,
Bis dass die Sonne nicht mehr untergeht.
Psalm 117: Die Heiden verherrlichen
Gott Psalm 118: Seht, euer König kommt!
In diesem kürzesten Kapitel der Bibel Der Anlass für diesen gewaltigen Lob-
werden die Heiden aufgerufen, den und Dankchorus ist das Zweite Kom-
HERRN zu preisen; denn er ist mächtig men unseres Herrn und Erlösers Jesus
an Gnade und ewig dauernder Treue. Christus. Die Szene spielt in Jerusalem,
Der Apostel Paulus hat die Bedeutung wo die Mengen sich versammelt haben,
dieses Psalms begriffen und zitiert Vers um die Ankunft des so lange erwarte-
1 in Römer 15,11, um zu zeigen, dass ten Messias Israels zu feiern. Im Schat-
die Heidenvölker an der Gnade des ten des Tempels nimmt der Solist sei-
Messias Anteil haben. Er kam nicht nur, nen Standort am Mikrofon ein. Der
um seine Verheißungen zu erfüllen, die Chor steht hinter ihm. Unter den Zu­
er den Patriarchen gegeben hatte, son- hörern wird es ganz still.

118,1 Solist: Preist den HERRN, denn er ist gut.


Chor: Denn seine Gnade währt ewig!
(Überall in der Hörerschaft gibt es Kopfnicken herzlichen
Einverständnisses.)
118,2 Solist: Es sage Israel:
Chor: Ja, seine Gnade währt ewig!
118,3 Solist: Es sage das Haus Aaron:
Chor: Ja, seine Gnade währt ewig!
(Die Priester an der Tür des Tempels sagen dazu ein tief
empfundenes »Amen«).
118,4 Solist: Es sagen, die den HERRN fürchten:
Chor: Ja, seine Gnade währt ewig!
(Hier nun muss eine Gruppe gottesfürchtiger Heiden mit
den Tränen kämpfen, weil sie so dankbar für die Gnade
sind, diesen herrlichen Augenblick miterleben zu dürfen.)
118,5-9 Solist: Aus der Bedrängnis rief ich zu Jah.
Jah antwortete mir in der Weite.
Der HERR ist für mich, ich werde mich nicht fürchten.
Was könnte ein Mensch mir tun?
Der HERR ist unter denen, die mir helfen. Ich werde herab-
sehen auf meine Hasser.

720
Psalm 118

Es ist besser, sich bei dem HERRN zu bergen, als sich auf
Menschen zu verlassen.
Es ist besser, sich bei dem HERRN zu bergen, als sich auf
Edle zu verlassen.
(Die Menge versteht, dass dies die Sprache des gläubigen
Überrests Israels ist, der durch Gott während der Drangsals-
zeit wunderbar bewahrt wurde. Diese Menschen lernten, auf
Gott allein zu vertrauen, und verloren ihre Menschenfurcht.
Zum Schluss begriffen sie, dass es besser ist, auf den HERRN
zu vertrauen als auf Edle, d.h. auf die besten Menschen.)
118,10 Solist: Alle Nationen hatten mich umringt.
Chor: Im Namen des HERRN – ja, ich wehrte sie ab.
118,11 Solist: Sie hatten mich umringt, ja, mich eingeschlossen.
Chor: Im Namen des HERRN, ja, ich wehrte sie ab.
118,12 Solist: Sie hatten mich umringt wie Bienen.
Sie sind erloschen wie Dornenfeuer.
(Dornbüsche lodern hell auf, sind aber schnell herunter­
gebrannt.)
Chor: Im Namen des HERRN – ja, ich wehrte sie ab.
118,13-14 Solist: Hart hat man (eig: hast du) mich gestoßen, um mich zu Fall
zu bringen; aber der HERR hat mir geholfen.
Meine Stärke und mein Gesang ist Jah.
Er ist mir zur Rettung geworden.
(Der Solist bezieht sich in Vers 13 auf den Antichristen und
auf dessen bestialische Behandlung des Überrests, weil die-
ser sich weigerte, sich seinen Forderungen zu unterwerfen.
Zur rechten Zeit hatte der Herr eingegriffen und den
falschen Messias in den Feuersee geworfen [Offb 19,19-20].)
118,15-16 Solist: Klang von Jubel und Heil ist in den Zelten der Gerechten.
(Überall in ganz Israel jubelt man grenzenlos über den
Triumph des Messias. In allen Häusern singt man das fol-
gende Siegeslied:)
Chor: Die Rechte des HERRN tut Gewaltiges.
Die Rechte des HERRN ist erhoben,
Die Rechte des HERRN tut Gewaltiges.
118,17-18 Solist: Ich werde nicht sterben, sondern leben und die Taten Jahs
erzählen.
Hart hat mich Jah gezüchtigt, aber dem Tod hat er mich
nicht übergeben.
(Im Namen des Überrests sprechend, gedenkt der Solist der
vielen Pogrome gegen die Juden mit der Absicht, diese aus-
zulöschen. Aber der Herr errettete sie wunderbar aus dem
Rachen der Löwen, und nun blicken sie voll Vertrauen in
eine sichere Zukunft.)
118,19-20 Solist: Öffnet mir die Tore der Gerechtigkeit!
Ich will durch sie eingehen, Jah will ich preisen.
(Das erlöste Israel bittet um Erlaubnis, die Tempelvorhöfe
zu betreten, um dem Herrn Dankopfer darzubringen. Das
Opfersystem wird teilweise wieder eingeführt während der
Herrschaft Christi, wobei die Opfer auf Golgatha zurück­
blicken, d.h. es wird eine Erinnerungsfeier sein.)

721
Psalm 118

Chor: Dies ist das Tor des HERRN.


Gerechte ziehen hier ein.
(Dies sind die Worte der Leviten, die als Türhüter im Tem-
pel Dienst tun. Sie erklären, dass dieses Tor für den HERRN
ist und für jene Frommen, die ihm nahen möchten.)
118,21-22 Solist: Ich will dich preisen, denn du hast mich erhört und bist mir
zur Rettung geworden.
(Israel begrüßt den Herrn Jesus als seinen Erretter.)
Chor: Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, ist zum Eck-
stein geworden.
(Der Herr Jesus ist der Eckstein. Die Bauleute waren das Volk
der Juden und besonders ihre Führer, die ihn bei seinem Ers-
ten Kommen verwarfen. Nun bekennt das Volk Israel, was Par-
ker »die Torheit der Spezialisten« nennt. Jetzt sehen sie den
verachteten Nazarener mit Herrlichkeit und Ehre gekrönt. Der
verworfene Stein ist zum »Hauptstein der Ecke« geworden.
Man könnte vielleicht fragen, wovon er der Eckstein ist.
1. der Eckstein eines Gebäudes
2. der Schlussstein eines Bogens
3. der oberste Stein auf einer Pyramide.
Was auch immer die richtige Betrachtungsweise sein mag, der
Zusammenhang fordert den Gedanken an höchste Ehren.)
118,23 Vom HERRN ist dies geschehen, und es ist ein Wunder vor
unseren Augen.
(Der Chor repräsentiert Israel, das anerkennt, dass der
HERR dem Herrn Jesus den richtigen Platz in den Herzen
und in der Liebe seines Volkes gegeben hat. Endlich ist es
zum Krönungstag gekommen!)
118,24 Dies ist der Tag, den der HERR gemacht hat!
Seien wir fröhlich und freuen uns in ihm!
(Barnes schreibt: »… als sei es ein neuer Tag, der für diesen
Zweck extra gemacht wurde, ein Tag, den das Volk nicht zu
erleben erwartet hat und der daher außer der Reihe erschaf-
fen worden zu sein scheint und den übrigen hinzugefügt
wurde.«79)
118,25 Ach HERR, hilf doch! Ach HERR, gib doch Gelingen!
(Dies ist der Vers, den das Volk in Jerusalem bei dem so-
genannten triumphalen Einzug Christi zitierte. »Hosanna«
ist das originale Wort für »Hilf doch!« [Mt 21,9]. Doch än-
derten sie ihren Willkommensgruß schnell in eine Forde-
rung zur Hinrichtung. Jetzt aber heißt Israel den Herrn will-
kommen am Tag seiner Macht, und die Empfindungen des
Volkes sind sowohl ehrlich als auch dauerhaft.)
118,26 Solist: Gesegnet sei, der kommt im Namen des HERRN!
(Als der Herr sich dem Tempelbezirk nähert, singt der Vor-
sänger das Lob des Volkes mit lauter Stimme. Es ist ein his-
torischer Augenblick. Jahrhunderte zuvor hatte Jesus das
Volk Israel gewarnt, es würde ihn nicht eher sehen, bis es
sagte: »Gepriesen sei, der da kommt im Namen des HERRN«
[Mt 23,39]. Nun endlich erkennt Israel ihn glücklich als sei-
nen Messias und König an.)

722
Psalm 118 und 119

Chor: Vom Haus des HERRN aus haben wir euch gesegnet.
(Vielleicht ist dies der Segen der Priester, die an der Innen-
seite der Tempelpforte stehen.)
118,27 Der HERR ist Gott. Er hat uns Licht gegeben.
Bindet das Festopfer mit Stricken bis an die Hörner des
Altars!
(Die Gemeinde Israels betet Jesus als Gott an und als den,
der Licht in ihre dunklen Herzen brachte. Als sich die Pro-
zession mit ihm an der Spitze dem ehernen Altar nähert,
rufen sie nach Stricken, um die Opfer anzubinden.)
118,28-29 Solist: Du bist mein Gott, dich will ich preisen!
Mein Gott, ich will dich erheben!
(Der Herr Jesus wird von einem Volk als Gott bekannt, das
seinen Namen früher nur zum Spott gebrauchte.)
Chor: Preist den HERRN, denn er ist gut!
Ja, seine Gnade währt ewig!
(Das Lied schwillt an zu einem tiefen, tiefen Preisen und
Anbeten. Die Musik hallt durch die angrenzenden Straßen
des alten Jerusalems. Dann, nachdem sie verklungen ist,
kehren die Menschen in ihre Wohnungen zurück, um das
wunderbare Tausendjährige Reich ihres herrlichen Herrn
zu genießen, dessen Recht es ist, zu herrschen.)

Psalm 119: Alles über die Bibel habe damit ausdrücken wollen, »dass
alle Möglichkeiten der menschlichen
Man hat ihn »das Goldene ABC der Bi- Sprache ausgeschöpft wurden, um die
bel« genannt. Das kommt daher, weil er Fülle und Vollkommenheit des Wortes
in zweiundzwanzig Abschnitte einge- Gottes auszudrücken«.80 Denselben Ge-
teilt ist, einen für jeden Buchstaben des danken finden wir im Neuen Testament.
hebräischen Alphabets. Jeder Abschnitt Unser Herr nennt sich selbst das Alpha
enthält acht Verse, und jeder Vers eines und das Omega (Offb 1,8). Das sind na-
Abschnitts beginnt mit demselben he­ türlich der erste und der letzte Buchsta-
bräischen Buchstaben. So fangen die be des griechischen Alphabets. Der Ge-
Verse des ersten Abschnitts im Hebrä- danke ist, dass er alles an Güte und
ischen alle mit Aleph an, die des zwei- Vollkommenheit ist, was sich nur mit
ten Abschnitts alle mit Beth, usw. allen Buchstaben des Alphabets be-
In den meisten Bibelübersetzungen schreiben lässt, wenn sie in jeder nur
enthalten alle Verse dieses längsten möglichen Kombination zusammen­
Psalms bis auf vier Ausnahmen Be- gestellt werden.
schreibungen des Wortes Gottes. Diese Keine zwei Verse des Psalms sagen
vier Ausnahmen sind die Verse 84, 121, genau dasselbe. Jeder enthält seine ei-
122 und 132. Die Namen, mit denen in genen Bedeutungsnuancen. C.S. Lewis
diesem Psalm das Wort Gottes bezeich- sagte über den 119. Psalm:
net wird, sind: Gesetz, Zeugnisse, Wege,
Vorschriften, Ordnungen, Gebote, Be- Dieses Gedicht ist nicht ein plötzlicher
stimmungen, Wort(e), Satzungen, Rat- Herzensausbruch wie etwa Psalm 8, es
geber, Wunder, Zusage, Gerechtigkeit, will auch diesen Eindruck nicht er­
Urteile, Pfade. wecken. Es ist ein kunstvolles Ornament,
Da das Alphabet in dieser akrosti- gefertigt gleich einer Stickerei, Stich für
schen Form verwendet wird, kommt Ri- Stich, über lange, ruhige Stunden, aus
dout zu dem Eindruck, der Schreiber Liebe zu dem Gegenstand und aus Freu-

723
Psalm 119

de an disziplinierter, mit Muße betriebe- 119,1 Der Glückselige ist derjenige,


ner Handwerkskunst.81 der in Übereinstimmung mit dem Wort
des HERRN lebt. Selbst wenn er sün-
Die folgenden Überschriften für die 22 digt und fällt, ist in dem Wort durch
Abschnitte beruhen vor allem auf den Bekenntnis und Wiederherstellung
Anmerkungen von F.W. Grant: Vorsorge getroffen, und es erhält ihn in
V. 1-8: Die Glückseligkeit, dem Wort einem unbefleckten, untadeligen Zu-
zu gehorchen: stand.
V. 9-16: Reinigung durch das Wort 119,2 Was zählt, ist der Gehorsam ge-
V. 17-24: Unterscheidungsfähigkeit genüber seinen Zeugnissen, und zwar
durch das Wort nicht zögerlich, halbherzig und wider-
V. 25-32: Das Bewusstsein persön- willig, sondern aus tiefem, starken Be-
licher Mangelhaftigkeit durch das gehren heraus, ihm mit ganzem Herzen
Wort wohlzugefallen!
V. 33-40: Die Macht des Wortes 119,3 Negativ ausgedrückt, ist Glück-
V. 41-48: Sieg durch das Wort seligsein in der Trennung von jeder
V. 49-56: Ruhe und Trost durch das Form des Unrechts zu finden. Positiv
Wort ausgedrückt, ist es das Folgen des
V. 57-64: Ausdauer durch das Wort Pfads, den er uns durch die Schrift ge-
V. 65-72: Kostbarkeit des Wortes in zeigt hat. Der sicherste Weg, sich vom
guten und bösen Tagen Bösen zu enthalten, liegt darin, ganz
V. 73-80: Einsichten durch das Wort und gar mit dem Guten beschäftigt zu
V. 81-88: Der Angefochtene wird sein.
durch das Wort gestützt 119,4 Gottes Vorschriften sind keine
V. 89-96: Die Ewigkeit des Wortes Angebote, sondern Befehle, und man
V. 97-104: Weisheit durch das Wort soll sie nicht gelegentlich, sondern eif-
V. 105-112: Das Wort ist Leuchte und rig beobachten.
Licht für alle Gelegenheiten 119,5 Der Psalmist geht nun von dem,
V. 113-120: Die Gottlosen und das was allgemein wahr ist, über zu dem,
Wort was er in seinem eigenen Leben ver-
V. 121-128: Absonderung und wirklicht sehen möchte. Indem er un­
Befreiung durch das Wort bemerkt von Geboten zum Gebet über-
V. 129-136: Freude und Gemeinschaft geht, erkennt er an, dass sowohl das
durch das Wort Begehren nach standhaftem Gehorsam
V. 137-144: Eifer für das Wort als auch die Kraft dazu letztendlich von
V. 145-152: Erfahrungen durch das Gott kommen muss.
Wort 119,6 Solange er alle Gebote Gottes
V. 153-160: Errettung durch das Wort hält, wird er vor Schande bewahrt, die
V. 161-168: Vollkommenheit des seinen Geist quält, ihn rot werden lässt
Wortes und manchmal sogar körperliche
V. 169-176: Gebet und Lob durch das Schmerzen verursacht.
Wort 119,7 »Vom Bitten zum Loben ist es
In ganz herausragender Weise drückt keine lange oder beschwerliche Reise.«
der Psalm die Liebe zu Gottes Wort aus, Wer gelernt hat, den Bestimmungen
die der Heiland als Mensch hier auf Er- der göttlichen Gerechtigkeit zu gehor-
den empfand. Außerdem meint Bellett, chen, hat Fülle an Freude, die zu spon-
dass »[dieser Psalm] seinem vollsten taner Anbetung führt.
prophetischen Wesen nach die Sprache 119,8 Ein fester Entschluss ist mit de-
des wahren Israel sein wird, wenn es zu mütiger Abhängigkeit verbunden. Der
Gott und zu seinem so lange missachte- Psalmist hat sich entschieden, dem
ten Wort zurückgekehrt ist«.82 Herrn ganz nah nachzufolgen. Aber er

724
Psalm 119

lernt seine Unfähigkeit kennen. So bit- Gottes haben und sich vornehmen, sie
tet er: »Verlass mich nicht ganz und in ständiger Erinnerung zu behalten.
gar!« Das ist nicht so sehr etwas, was 119,17 Ohne ihn können wir nichts
tatsächlich geschehen könnte, als viel- tun. Wir brauchen seine Gnade zum Le-
mehr der Ausdruck dessen, was der ben und auch zum Gehorsam gegen­
Schreiber seiner Meinung nach ver- über seinem Wort. Lassen Sie uns um
dient hätte. reichliche Gnade bitten, weil unser Be-
119,9 Ein höchst brisantes Problem im darf danach so groß ist.
Leben eines jeden jungen Mannes ist 119,18 Die Bibel ist voller wunder­
die Frage, wie er rein bleiben kann. Die barer geistlicher Schätze, die dem ent-
Antwort: durch praktischen Gehorsam gehen, der nur gelegentlich in sie hin­
gegenüber dem Wort der Bibel. einschaut. Unsere Augen müssen ge­
119,10 Bei der Heiligung kommt es zu öffnet werden, damit wir sie sehen.
einer eigenartigen Vermischung von 119,19 Die Bibel ist eine Landkarte,
menschlichem Begehren (»Mit meinem die den Pilger unfehlbar an sein Ziel
ganzen Herzen habe ich dich gesucht.«) bringt.
und göttlicher Kraftausrüstung (»Lass 119,20 Es ist gut, wenn unser Durst
mich nicht abirren von deinen Ge­ nach der Schrift gewaltig und beständig
boten.«). ist. Die Seele des Psalmisten verzehrte
119,11 Gott macht uns nicht gegen sich vor Sehnsucht nach dem Wort, und
unseren Willen oder ohne unsere Mit- er hatte zu aller Zeit dieses heiße, inten-
arbeit heilig. Es hat einmal jemand sehr sive Verlangen.
weise gesagt: »Das beste Buch in der 119,21 Die Geschichte zeigt uns, dass
Welt ist die Bibel. Der beste Ort, an den die Übermütigen und Verfluchten die
wir sie bringen können, ist das Herz. Gebote des Herrn ablehnten und sehr
Der beste Grund dafür, sie dorthin zu bald durch die mächtige Hand Gottes
bringen, liegt darin, dass sie uns davor zunichtegemacht wurden.
bewahrt, gegen Gott zu sündigen.« 119,22 Der Gläubige wird verspottet
119,12 Weil Gott so groß und gnädig und belächelt in dieser Welt. »Hierbei
ist, will die erneuerte Natur seine Ord- befremdet es sie, dass ihr nicht mehr
nungen (Anweisungen, Satzungen) ler- mitlauft in demselben Strom der Heil-
nen und sich von ihnen umgestalten losigkeit, und sie lästern« (1. Petrus 4,4).
lassen. Die Liebe Christi drängt uns! Aber Aufrichtigkeit wird belohnt. Und
119,13 Tiefe Freude an den Schätzen sein »Gut gemacht!« wird ihren Hohn
des Wortes führt uns unweigerlich und ihre Verachtung mehr als aus­
dazu, anderen davon zu erzählen. Es ist gleichen.
ein Lebensgesetz, dass wir das, was wir 119,23 Selbst wenn die Machthaber in
wirklich glauben, auch mit anderen tei- die Schmähungen gegen den Christen
len wollen. einstimmen, kann er seine Kraft und Ruhe
119,14 Kein Goldgräber hat sich je so im Nachsinnen über die Bibel finden und
über seine Nuggets gefreut, wie sich je- »seinen Verleumdern antworten, indem
mand freut, der den verborgenen Reich- er überhaupt nicht antwortet«.
tum der Schrift durchforscht. 119,24 Matthew Henry sagt dazu:
119,15 Gottes Wort enthält unermess-
lich viel Material für die allerbefriedi- War David ratlos, als die Fürsten gegen
gendste Meditation, doch sollte diese ihn sprachen? Gottes Zeugnisse waren
niemals von dem Entschluss getrennt seine Ratgeber, und sie rieten ihm, alles
sein, ein Täter des Wortes zu sein. geduldig zu ertragen und seine Sache
119,16 »Seine Gebote sind nicht Gott anzubefehlen.83
schwer« (1Jo 5,3). Jeder aus Gott Gebo-
rene wird seine Lust an den Satzungen 119,25 Das Leben hat seine Täler und

725
Psalm 119

auch seine Höhen. Selbst wenn wir von 119,33 Wir sollten um Unterweisung
Sorgen erdrückt werden, können wir bitten. Als Schüler in Gottes Schule
den Herrn anrufen, dass er uns durch müssten wir eifrig bestrebt sein, zu ler-
die erneuernde Kraft seines Wortes be- nen, wie wir seine Anweisungen in die
leben möge. Praxis umsetzen können, und wir soll-
119,26 Wenn wir über unsere Wege ten uns vornehmen, seinen Geboten bis
sprechen, d.h. unsere Sünden offen be- ans Ende unseres Lebens zu gehorchen.
kennen, wird der Herr mit Vergebung 119,34 Wir sollten um Einsicht und
antworten. Das führt zu erneuertem Verständnis bitten. Es ist wichtig, die
Verlangen nach Heiligung, was sich in Bibel mit dem, was sie bedeutet und
dem Gebet ausdrückt: »Lehre mich dei- wozu sie uns verpflichtet, richtig zu
ne Ordnungen!« verstehen. Wie anders könnten wir Gott
119,27 Wir müssen die Bedeutung der mit ungeteilter Hingabe folgen?
göttlichen Vorschriften verstehen, um 119,35 Wir sollten um Leitung bitten.
sie in unserem praktischen Leben um- »Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist
setzen zu können. Das wird zur Medi- schwach.« So möchten wir, dass der
tation über Gottes wunderbare Werke Herr unsere Füße auf dem Pfad seines
führen. Willens leitet, weil das der einzige Weg
119,28 Wenn es im Leben dunkel wird ist, auf dem wir wirklich glücklich
und unsere Seelen in Tränen aufgelöst sind.
werden, neigt sich der Gott allen Tros- 119,36 Wir sollten mehr um geist­
tes herab und richtet uns oftmals durch lichen als um materiellen Reichtum bit-
einen einzigen Bibelvers wieder auf ten. »Die Gottseligkeit mit Genügsam-
und gibt uns Kraft zum Weitergehen. keit ist ein großer Gewinn« (1Tim 6,6).
119,29 Durch den Geist Gottes und Es ist ein Wunder der Gnade, wenn sie
durch das Wort Gottes können wir zwi- einem Menschen die Geldliebe nimmt
schen Wahrheit und Irrtum unterschei- und ihm dafür die Liebe zur Bibel gibt.
den. Die Bibel schärft uns einen heiligen 119,37 Wir sollten um göttliche Wirk-
Hass gegen jede Form der Lüge ein. lichkeit bitten, nicht um Schatten und
Auch lehrt sie uns, dass alles wahr ist, Nichtiges. Hier steht, was Gott zum
was Gott über irgendeinen Gegenstand Fernsehen sagt: »Halte meine Augen
sagt (Joh 17,17). davon ab, nach Nichtigem zu schauen.«
119,30 Niemand wächst von selbst in Das Fernsehen beschreibt ein Wolken-
die Heiligung hinein. Gefordert ist die kuckucksheim, eine Welt, die gar nicht
bewusste Wahl des Weges der Treue existiert. Gottes Wort handelt von dem
(o. Wahrheit), wie er in der Heiligen Leben, wie es wirklich ist.
Schrift offenbart wird. Spurgeon sagt: 119,38 Wir sollten Gott bitten, er möge
»Die Befehle Gottes müssen als das Ziel seine Zusagen und Verheißungen auf-
vor uns stehen, auf das wir zustreben, rechterhalten. »All deiner Gnaden Strö-
das Modell sein, nach dem wir arbeiten me nehm’ ich als Erbteil ein; was irgend
und der Weg sein, auf dem wir gehen.« du verheißen, ist auch im Glauben
119,31 Der Psalmist hat an den Zeug- mein.« Unser Anspruch auf seine Ver-
nissen Gottes festgehalten, als sei er dar­ heißungen liegt darin begründet, dass
an festgeklebt; doch bemerkt er immer wir ihn fürchten.
noch seine Geneigtheit zum Irren. Dar- 119,39 Wir sollten ihn bitten, vor
um ruft er zum HERRN im Bewusstsein Schande bewahrt zu bleiben, vor allem,
seiner Abhängigkeit. was dem Herrn Jesus Unehre bereitet.
119,32 Wenn Gott uns große Herzen, Seine Bestimmungen sind gut; wir soll-
nicht große Köpfe gibt, beeilen wir uns, ten ihnen in Treue folgen.
seine Gebote zu halten. Es ist mehr eine 119,40 Wir sollten um eine persön­
Sache des Herzens als des Verstands. liche Erweckung bitten. »Die Wüsten-

726
Psalm 119

glut wird zum Teich, und das dürre Größe stehen, vor ihrer Tiefe, ihrer
Land zu Wasserquellen« (Jes 35,7). Kraft, ihren Schätzen und ihrer Unend-
Wenn wir uns brennend nach seinen lichkeit. Wir lieben sie für das, was sie
Vorschriften sehnen, wird er uns durch ist und was sie für uns getan hat, und
seine Gerechtigkeit beleben. wir sinnen Tag und Nacht über sie.
119,41 Wir dürfen Gottes Gnaden­ 119,49 Es ist unmöglich, dass Gott je-
erweise und sein Heil nicht für selbst- mals seine Verheißungen vergessen
verständlich halten. Wir sind genauso könnte; doch im Schmelzofen der An-
abhängig von seinem Erbarmen und fechtung, wenn der Glaube ins Wanken
seinem Schutz wie damals, als wir er- gerät, ist uns erlaubt, zu beten: »Herr
rettet wurden. So stützen wir uns auf gedenke …!« Er kann uns nicht gelehrt
seine Verheißung, für uns zu sorgen haben, auf seinen Namen zu vertrauen,
und uns Tag für Tag zu bewahren. um uns jetzt zuschanden werden zu
119,42 Unbezweifelbare Beweise für lassen.
die Antwort des Herrn auf unser Gebet 119,50 Wer die belebenden Kräfte des
bringen die Lästerungen der Ungläu­ Wortes Gottes erfahren hat, findet in ihr
bigen zum Schweigen. Unser Glaube eine Quelle nie versagenden Trostes.
gründet sich auf das Wort Gottes, das Die Worte wohlmeinender Menschen
niemals versagt. sind oft hohl und nutzlos; aber Gottes
119,43 Möchten wir doch nie aus Wort ist immer lebendig, bedeutsam
Angst oder Scham das Wort der Wahr- und hilfreich.
heit verschweigen. Wenn wir auf Gottes 119,51 Wenn wir dem Herrn treu sind,
Bestimmungen hoffen, wird er immer können wir damit rechnen, unseren Teil
neu für Möglichkeiten sorgen, für ihn an Spott und Hohn abzubekommen;
ein Zeuge zu sein. doch wenn wir göttliche Grundsätze er-
119,44 Unsere Antwort auf seine Lie- kannt haben, sollten wir an ihnen fest-
be und Gnade sollte ein unwandelbarer halten.
Entschluss sein, lebenslang sein Wort 119,52 Es macht uns Mut, wenn wir
zu halten. »Wie könnte ich weniger tun, uns daran erinnern, wie der Herr in der
als ihm mein Bestes zu geben und ganz Vergangenheit für uns eingetreten ist.
für ihn zu leben, nachdem er so viel für Dieselbe Gnade, die uns so weit ge-
mich getan hat?« bracht hat, wird auch gewiss für den
119,45 Die der Sohn Gottes frei ge- Rest des Weges bei uns sein. »Sein Lie-
macht hat, die sind wirklich frei (siehe ben bis jetzt verbietet uns, zu denken, er
Joh 8,36). Die Welt hält das Christen­ ließe zuletzt uns im Dunkel versinken.«
leben für ein knechtendes System. Aber 119,53 Es versetzt den Gläubigen in
alle, die Gottes Vorschriften folgen, die helle Zornglut, wenn er sieht, wie Got-
sind es, die vollkommene Freiheit ge- tes Gesetz verunehrt und missachtet
nießen. wird. Das trifft z.B. auf den Herrn Jesus
119,46 Der Glaube gibt Mut, in der zu: »Die Schmähungen derer, die dich
Gegenwart von Königen von Jesus zu schmähen, sind auf mich gefallen« (Rö-
sprechen. Wie viele Machthaber haben mer 15,3). Jede dem Vater zugefügte
die Gute Botschaft durch geringe und Unehre wurde von dem Sohn als per-
oftmals verachtete Untertanen gehört! sönliche Beleidigung angesehen.
119,47 Wer die Bibel liebt, findet auf 119,54 Dank des wunderbaren Got-
ihren Seiten tiefe persönliche Freude. teswortes kann der Pilger im Haus der
Sie ist eine Quelle der Lust, ein Strom Fremdlingschaft singen. Knox spricht
des Vergnügens, ein nie versiegender vom »Land der Verbannung«. Der Weg
Brunnen froh machender Gewissheit. mag rau sein; aber er währt nicht ewig.
119,48 Wir verehren die Bibel in dem Die Nacht mag dunkel sein; doch Gott
Sinn, dass wir voller Staunen vor ihrer gibt ein Lied.

727
Psalm 119

119,55 Die scheinbar unendlichen ziale und rassische Unterschiede über-


Stunden einer schlaflosen Nacht verflie- windet.
gen, wenn wir über den Herrn nachden- 119,64 Gottes unerschütterliche Gna-
ken, wie er in seinem Wort offen­bart ist. de kann überall im Kosmos entdeckt
Je mehr wir ihn kennenlernen, umso werden; aber vor allem ist die Erde da-
mehr lieben wir ihn, und wenn wir ihn von erfüllt. Unsere dankbaren Herzen
lieben, wollen wir sein Gesetz halten. antworten, indem sie sagen: »Herr, ma-
119,56 Gehorsam ist ein Segen. »Die che mich durch deinen Heiligen Geist
Gottseligkeit ist zu allen Dingen nütze, lernbereit.«
weil sie die Verheißung des Lebens hat, 119,65 Wie lange ist es her, dass ich
des jetzigen und des zukünftigen« dem HERRN für die wunderbare Weise
(1Tim 4,8). gedankt habe, in der er mich behandelt
119,57 Wer begriffen hat, welch un- hat entsprechend den Verheißungen
vergleichlichen Schatz wir in dem seines Wortes? »Sieh jeden Segen Got-
Herrn haben, sollte versprechen, sein tes einzeln an, dann staunst du, was der
Wort zu halten. Er ist der Allgenug­ Herr für dich getan.«
same. Ihn zu haben, bedeutet fabel- 119,66 Wir alle haben es nötig, um
haften Reichtum. gute Einsicht und um Erkenntnis zu
119,58 Er ist wohl allgenugsam, wir bitten. Es ist möglich, Kenntnisse ohne
aber nicht. »Unsere Tüchtigkeit ist von Einsicht und Ausgewogenheit zu besit-
Gott« (2Kor 3,5). So müssen wir Men- zen. Durch das Wort Gottes und durch
schen des Gebets werden und Gott an- die Erziehung im Leben gewinnen wir
flehen, dass er seine Zusage der Gnade ein gesundes Urteilsvermögen.
an uns erfüllt. 119,67 Gottes Züchtigung »gibt … de-
119,59 Führung ist ein Dauerproblem. nen, die durch sie geübt sind, die fried-
Welchen Weg sollen wir gehen? Ehrlich volle Frucht der Gerechtigkeit« (Hebr
gesagt haben wir die Weisheit nicht, 12,11). Die Erinnerung an das, was uns
dies zu wissen. Nun denn, lassen Sie unsere Verirrungen gekostet haben,
uns unsere Füße auf die Pfade richten, dient uns als ein Heilmittel, das uns da-
die uns die Schrift vorzeichnet. vor bewahrt, sie zu wiederholen.
119,60 Wir leben in einer Zeit der 119,68 Die deutschen Wörter »Gott«
Schnellrestaurants, des Schnell-Service, und »gut« mögen eine gemeinsame
alles muss schnell gehen. Den offenbar- Wurzel haben. Gott ist gut, und alles,
ten Willen Gottes schnell auszuführen, was er tut, ist gut. Um ebenfalls gut zu
ist etwas zum Nachdenken – und zum werden, müssen wir sein Joch auf uns
Tun! nehmen und von ihm lernen.
119,61 Gottlose mögen planen, den 119,69 Wenn Gottlose unseren Ruf
unschuldigen Gläubigen zu Fall zu brin- durch Lügen zu untergraben suchen,
gen; aber das ist umso mehr ein Grund können wir in treuem und festem Ge-
für ihn, sich des Wortes Gottes zu er­ horsam gegenüber der Bibel Schutz fin-
innern als Wegweisung und Schutz. den.
119,62 »Um Mitternacht aber beteten 119,70 Mögen die Weltlinge in Luxus
Paulus und Silas und lobsangen Gott« und Vergnügen leben. Wir finden mehr
(Apg 16,25). Sie waren von Menschen Befriedigung in geistlichen Belehrun-
ungerecht behandelt worden; doch gen als in sinnlichen Begierden.
konnten sie Gott besingen wegen der 119,71 Leiden sind nur für einen Au-
Gerechtigkeit seiner Bestimmungen. genblick; doch der Gewinn der Leiden
119,63 Wer Gott liebt, liebt auch sein währt ewig. Menschen beabsichtigen,
Volk. Und wer die Bibel liebt, liebt alle, uns durch Verfolgung zu schaden, Gott
die die Bibel lieben. Das ist eine welt- aber lässt sie uns zum Guten ausschla-
weite Gemeinschaft, die nationale, so­ gen.

728
Psalm 119

119,72 Die Bibel ist der kostbarste Be- solche über den Weg zu führen, die Gott
sitz, den wir in dieser Welt haben. Ein fürchten?
Computer kann mit fantastisch großen 119,80 Es gibt viele Gründe, weshalb
Zahlen rechnen; doch den Wert der wir untadelig im Gehorsam gegenüber
Heiligen Schrift anzugeben, ist ihm un- den Anordnungen des Herrn sein soll-
möglich. ten. Der einzige hier vom Psalmisten
119,73 Weil Gott uns mit so großer erwähnte ist der, dass wir so der ätzen-
Kunstfertigkeit geschaffen hat, ist doch den, brennenden Schande entkommen,
nichts vernünftiger, als dass er auch un- in Sünde zu fallen.
ser Lehrer sein sollte. Wir sollten seine 119,81 Der Gläubige mag angefoch-
Absicht bei unserer Erschaffung her- ten werden, doch wird er nicht erdrückt.
ausfinden und ihr restlos entsprechen. Er mag irritiert sein, doch gerät er nicht
119,74 Es bedeutet immer wieder eine in Verzweiflung; als Verfolgter ist er
prächtige geistliche Erfrischung, einen nicht verlassen; niedergeworfen, geht
Christen zu treffen, der für den Herrn er doch nicht zugrunde (2Kor 4,8-9).
Jesus brennt. Wer seine Hoffnung auf Hier schmachtet er nach Gottes retten-
Gottes Wort setzt, wird »radioaktiv« der Hilfe, doch lebt seine Hoffnung
durch den Heiligen Geist. noch.
119,75 Krankheit, Leiden und Anfech- 119,82 Selbst wenn seine Augen matt
tung kommen nicht direkt von Gott, werden bei der Suche nach der Er­
doch er lässt sie unter gewissen Um- füllung der göttlichen Rettungszusage,
ständen zu, und dann macht er sie sei- betet er immer noch nicht: »Wirst du
nen Zwecken dienlich. Es ist ein Zei- mich trösten?«, sondern: »Wann wirst
chen geistlicher Reife, wenn wir ihn du mich trösten?«
verteidigen, dass er in alldem gerecht 119,83 Ein Weinschlauch im Rauch
und treu ist. wird schrumpelig und schwarz. Das
119,76 Doch in uns sind wir so Bild erklärt sich selbst. Der angefochte-
schwach wie Staub, und wir brauchen ne Gläubige ist zusammengeschrumpft,
seine mitleidsvolle Liebe, die uns trägt. ausgedörrt und unansehnlich durch
»Lasst uns nun mit Freimütigkeit hin- das Warten; aber er ist nicht ohne Hoff-
zutreten zum Thron der Gnade, damit nung, solange er das Wort Gottes hat,
wir Barmherzigkeit empfangen und um sich darauf zu stützen.
Gnade finden zur rechtzeitigen Hilfe!« 119,84 Das Leben ist nur kurz. Die
(Hebr 4,16). Tage der Anfechtung nehmen scheinbar
119,77 Jeder Erweis der Erbarmungen einen unverhältnismäßig großen Teil
Gottes ist für den hart geprüften Heili- davon ein. Es ist Zeit für den Herrn,
gen wie eine Leben spendende Trans­ einzugreifen, indem er die Verfolger
fusion. Wer seine Lust an seinem Gesetz bestraft.
hat, darf das Vertrauen haben, dass er 119,85 Die »Übermütigen« in diesem
ihm zur Hilfe kommt. Vers sind gottlos und gesetzlos; denn
119,78 Gelineau übersetzt Vers 78 so: diese beiden Eigenschaften gehören zu-
»Beschäme die Stolzen, die mir mit Lü- sammen. Sie planen den Fall des Ge-
gen Leid zufügen, während ich über rechten und Unschuldigen – ein Beweis
dein Gesetz nachsinne.« Gott erlaubt es dafür, dass sie sich weigern, sich nach
der Sünde, sich auszuwirken, und der dem göttlichen Gesetz zu richten.
Psalmist bittet Gott nur, er möge han- 119,86 Nichts ist so zuverlässig wie
deln, wie er es versprochen hat. Gottes Wort. Er hat verheißen, sein ver-
119,79 Ein geistlicher Instinkt lässt folgtes Volk zu retten. Wenn wir also von
uns Gemeinschaft mit solchen suchen, lügnerischen Verklägern angegriffen
die das Wort Gottes kennen und lieben. wer­den, können wir zuversichtlich das
Aber wie oft bitten wir den Herrn, uns »goldene Gebet« sprechen: »Hilf mir!«

729
Psalm 119

119,87 Spurgeon hat einmal gesagt: 119,94 Selbst wenn wir von der Sün-
»Wenn wir uns an die Vorschriften hal- denstrafe errettet wurden, haben wir es
ten, werden wir durch die Verheißun- nötig, Tag für Tag von Verunreini-
gen gerettet.« Selbst wenn wir dahin gungen und Schaden gerettet zu wer-
kommen, dass wir am Leben verzwei- den. Die Vertrautheit mit Gottes Vor-
feln, dürfen wir nie in unserem Gehor- schriften und mit unseren Herzen öff-
sam wankend werden. Die Hilfe wird net uns die Augen für die Notwendig-
kommen. Halten Sie nur am Glauben keit dieser gegenwärtigen Errettung.
fest! 119,95 Die einzige Möglichkeit, den
119,88 Die besten Gebete kommen Angriffen der Gottlosen zu entgehen,
aus einer starken inneren Notwendig- ist, ein armseliges, inkonsequentes Le-
keit. Hier betet der Psalmist, der Herr ben zu führen. Solange unser Leben für
möge sein Leben bewahren, damit er Gott nützlich ist, können wir mit Feind-
fortfahren kann, Gott dadurch zu ver- schaft rechnen. Aber wir bekommen
herrlichen, dass er seinem Wort ge- Kraft und Trost, wenn wir auf seine
horcht. Zeugnisse achten.
119,89 Der Glaube ist kein Sprung ins 119,96 Das Beste in dieser Welt ist
Ungewisse. Er gründet sich auf das nicht vollkommen und wird ein Ende
Sicherste im Universum – die Bibel. nehmen; doch das Wort Gottes ist voll-
Man geht kein Risiko ein, wenn man kommen und ohne Ende. Je mehr wir
ein Wort glaubt, das in Ewigkeit fest in die Bibel kennenlernen, umso deut-
den Himmeln steht. licher spüren wir, wie unvollkommen
119,90 Die Treue Gottes entfaltet sich wir selbst sind.
nicht nur in seinem Wort, sondern auch 119,97 Alle, die den Herrn lieben,
in seinen Werken. Sie gilt für alle Gene- werden sicher sein Wort genauso lie-
rationen und zeigt sich in den Ordnun- ben. Und diese Liebe äußert sich im
gen und in der präzisen Harmonie der Nachsinnen über die Bibel, sooft wir
Natur. Gelegenheit dazu haben. In solchen Au-
119,91 Himmel und Erde gehorchen genblicken des Nachsinnens entdecken
seinen Gesetzen. Saat und Ernte, Frost wir plötzlich neue Schönheiten und
und Hitze, Sommer und Winter, Tag Wunder in der Heiligen Schrift.
und Nacht sind alle seine dienstbaren 119,98 Der demütige, mit der Weis-
Knechte. Und alle werden gelenkt und heit der Bibel ausgerüstete Gläubige
erhalten durch sein mächtiges Wort. kann auf seinen Knien mehr sehen als
119,92 Barnes kommentiert wie folgt: seine Feinde, wenn sie auf Zehenspit-
zen stehen.
»Ich wäre schon tausendmal unter­ 119,99 Wenn der Lehrer selbstzufrie-
gegangen«, sagte ein ganz hervor­ragen­ den wird und sich auf seinen Lorbeeren
der, aber häufig angefochtener Mensch ausruht, wird er bald von einem jungen
zu mir, »wenn es nicht die eine Zusiche- Mann übertroffen, der beständig über
rung in Gottes Wort gäbe: ›Eine Zuflucht das Wort Gottes nachdenkt.
ist der Gott der Urzeit, und unter dir sind 119,100 Das mag wie unverantwort-
ewige Arme.‹«84 liche Prahlerei klingen, ist es aber nicht.
Es zählt nicht das Alter oder die Intelli-
119,93 Wer die Kraft der Bibel in seinem genz eines Menschen, sondern sein Ge-
Leben erfahren hat, wird sie nicht so horsam. So kann ein junger Mensch ei-
leicht vergessen. »Wir sind wieder­ nen alten übertreffen, wenn er einen
geboren nicht aus vergänglichem Sa- höheren GQ (Gehorsamsquotienten)
men, sondern aus unvergänglichem hat.
durch das lebendige und bleibende 119,101 Hier sehen wir Gehorsam in
Wort Gottes« (1Petr 1,23). Aktion. Der Psalmist hält seine Füße

730
Psalm 119

von bösen Wegen zurück, damit er bis fahr, ängstlich und hysterisch zu wer-
aufs Äußerste gehorsam sein kann. den und Gottes Wort zu vergessen,
119,102 Der heiligende Einfluss der müssen wir unter allen Umständen ver-
Bibel ist groß. Wer von dem Herrn meiden.
durch sie belehrt wurde, entwickelt 119,110 Denen, die im Wort Gottes
Hass gegen die Sünde und Liebe zur unterwiesen sind, sind die Pläne des
Heiligkeit. Teufels nicht unbekannt. Durch schlich-
119,103 Und dann ist die Bibel natür- ten Gehorsam gegenüber der Bibel ent-
lich eine Quelle reiner Freude. Kein an- gehen sie seinen Tretminen.
deres Buch der Welt ist so sehr zum 119,111 Die Schrift sollte als kostbarer
Freuen. Honig ist süß; aber Gottes Wort Besitz geschätzt werden, als ein Erbe
ist süßer. von hohem Wert. Man denke an die
119,104 Um Falschgeld zu entdecken, Freude eines Erben, wenn ihm ein Erb-
studieren die Menschen echte Bank­ teil zufällt. Wie viel größere Freude
noten. So befähigt uns eine tiefe Ver- sollten wir zeigen, da wir das Buch der
trautheit mit der Wahrheit dazu, jeden Bücher haben!
Lügenpfad zu erkennen und abzuwei- 119,112 Alle, die seinen Wert erkannt
sen. haben, sollten sich entschließen, ihm
119,105 Das Wort Gottes leitet uns ei- auf ewig (oder: bis ans Ende des Le-
nerseits durch das Verbot gewisser Ver- bens) gehorsam zu sein. Es darf keine
haltensmuster; andererseits zeigt es uns »Ferien«, keine »Auszeiten« in der
den rechten Weg. Wie viel verdanken Schule des Gehorsams geben.
wir doch den freundlichen Lichtstrah- 119,113 Moffatt übersetzt diesen Vers:
len dieser Leuchte! »Ich hasse Menschen, die so halb und
119,106 Hier finden wir eine heilige halb sind. Ich liebe dein Gesetz.« Men-
Entschlossenheit, dem Wort der Heili- schen, die geteilten Herzens sind, wol-
gen Schrift zu gehorchen. Das dient der len in der einen Minute für Gott und in
Verherrlichung Gottes, dem Segen für der anderen für die Welt sein. Sie sind
andere und auch unserem eigenen Wohl. unaufrichtig und reden mal so, mal so,
119,107 Spurgeon sagt: wodurch sie das Gesetz Gottes ver­raten.
119,114 Der Herr ist unser Schutz und
Im vorigen Vers hat der Psalmist einen Bergungsort, wenn wir verfolgt wer-
Eid als Soldat des Herrn geleistet, und in den, und unser Schild, wenn man uns
diesem ist er berufen, in dieser Eigen- direkt angreift. Wer auf seine Verhei-
schaft Drangsal zu erleiden. Der Dienst ßungen hofft, wird niemals enttäuscht
des Herrn bewahrt uns nicht vor Prü- werden, weil er niemanden täuscht und
fungen, vielmehr verschafft er sie uns auch nicht getäuscht werden kann.
mit Sicherheit.85 119,115 Wir trennen uns von denen,
die die Gebote unseres Gottes nicht hal-
119,108 Wir kommen vor den Herrn als ten. Doch während wir uns von ihren
Priester und als Lernende. Als Priester sündigen Wegen fernhalten, bleiben
bringen wir Opfer des Lobes dar. »Das wir doch mit den Menschen dieser Welt
ist die Frucht der Lippen, die seinen in Kontakt, um ihnen die Gute Nach-
Namen bekennen« (Hebr 13,15). Als richt mitteilen zu können.
Lernende öffnen wir unsere Herzen 119,116 In diesem Gebet wird so ar-
und unseren Verstand für die göttlichen gumentiert: »Du hast verheißen, mich
Unterweisungen. zu stützen. Nun tu, wie du gesagt hast.
119,109 Wenn unser Leben dauernd Sonst würden die Leute sagen, dass du
in Gefahr ist, dann liegt unser Schutz mich im Stich gelassen hast, und ich
und unsere Sicherheit in der Erinne- wäre in meiner Hoffnung getäuscht
rung an das Gesetz des Herrn. Die Ge- worden.«

731
Psalm 119

119,117 Wir sind genauso wenig in Gnade ist sein barmherziger Lehrdienst.
der Lage, uns selbst sicher zu bewah- »Lehre mich deine Ordnungen!«
ren, wie wir in der Lage waren, uns 119,125 Je besser ein Diener seinen
selbst zu erretten. Wenn Gott uns stützt, Herrn kennt, umso nützlicher und
werden wir sicher sein, doch unsere brauchbarer kann er sein. So brauchen
Aufgabe ist es, seine Ordnungen be- wir Verständnis, um den Sinn Gottes zu
ständig zu bewahren. wissen, wie er uns in seinen Zeugnissen
119,118 Der Herr weist alle ab, die offenbart ist.
von seinen Ordnungen abirren. Ihre 119,126 Hier haben wir einen Um-
Schlauheit wird eines Tages als Torheit schwung. Jetzt ruft der Diener den Herrn
offenbar. direkt an, er möge eingreifen, weil sein
119,119 Das Wort Gottes lehrt ganz Gesetz gebrochen wurde. Und so ruft das
klar, dass Gott alle Gottlosen des Lan- Volk Gottes immer, wenn dunkle Zeiten
des (o. der Erde) hinwegräumen wird, sind: »Es ist Zeit für dich zu handeln!«
wie der Schmelzer die Schlacken von 119,127 Ein Kennzeichen, wie sehr
der Oberfläche des geschmolzenen Me- wir die Bibel wertschätzen, ist die Zeit,
talls entfernt. Würde er die Sünde nicht die wir mit Bibellesen verbringen. Wenn
in gerechter Weise behandeln, könnten wir sie mehr als Feingold schätzen,
wir vor seinem geschriebenen Wort kei- werden ihre Deckel abgegriffen und
ne Achtung haben. ihre Blätter zerlesen sein.
119,120 Denken wir an Gottes Gerichte 119,128 Ein anderer Beweis für die
über die Gottlosen, können wir wohl Wertschätzung dieses Buches wird das
zittern. Aber gleichzeitig sind wir, wie Maß sein, in dem wir ihm gehorchen.
Barnes sagt, »voller Ehrfurcht angesichts Wenn wir nicht tun, was es sagt, und
der Konsequenz, des geistlichen Wesens nicht jeden Lügenpfad hassen, betrü-
und der Strenge seines Gesetzes«. gen wir uns selbst.
119,121 Wenn der Psalmist vorbringt, 119,129 Gottes Wort ist wunderbar in
er habe Recht und Gerechtigkeit geübt, seiner Zeitlosigkeit, Reinheit, Genauig-
so ist das als allgemeine und nicht als keit, Harmonie, Kraft und Allgenug-
absolute Regel zu verstehen. Sein ge- samkeit. Solch ein Buch hat es verdient,
rechtes Leben war die Frucht göttlicher gelesen und bewahrt zu werden.
Errettung und daher eine rechtmäßige 119,130 Die Eröffnung des göttlichen
Basis, von der aus er den Herrn bitten Wortes erleuchtet, ob es nun Völker, Fa-
konnte, ihn nicht seinen Unterdrückern milien oder Einzelne betrifft. Wir be-
zu überlassen. greifen nur wenig, welch heiligenden
119,122 Ein Bürge steht für jemand Einfluss es überall auf der Welt gehabt
anderen ein, an dessen Stelle er steht. hat. Es gibt denen Einsicht, die sich
Er, der für uns auf Golgatha Bürge wur- selbst für einfältig halten und darum
de, tritt unser ganzes Leben lang erfolg- Hilfe benötigen.
reich für uns ein und hält die Übermü- 119,131 Wir alle haben einen tiefen,
tigen davon ab, uns zu unterdrücken. starken Durst nach dem Wort Gottes
119,123 Hier ist ein Mensch, der nach nötig. »… und seid als neugeborene
der Rettung Gottes Ausschau hielt, bis Kindlein begierig nach der unverfälsch-
ihm die Augen brannten. Er wartete bis ten Milch des Wortes« (1. Petrus 2,2;
zur Erschöpfung auf die Erfüllung der Schlachter 2000).
verheißenen Gerechtigkeit des Herrn, 119,132 Uns mögen diese wiederhol-
die ihm das Heil bringt. ten Bitten um Gnade ermüden, den
119,124 Trotz der wie ein Anspruch Psalmisten ermüdeten sie nicht, und
klingenden Forderung nach Gerechtig- ebenso wenig Gott. In diesem Leben ge-
keit in Vers 121, wirft er sich hier auf die langen wir nie an einen Ort, an dem wir
Gnade des Herrn. Eine Form seiner seine Gnade nicht mehr benötigen.

732
Psalm 119

119,133 Hier sehen wir die beiden Sei- Es ist ein großer Triumph in der Seele
ten der Heiligkeit: Wir müssen einer- eines Menschen, wenn er angesichts von
seits bewahrt werden, um beständig für Verfolgern, Verleumdern und Klatsch-
den Herrn, in Übereinstimmung mit mäulern mehr darüber trauert, dass sie
seinem Wort, voranzugehen, und ande- Gottes Gesetz verletzen, als dass sie ihm
rerseits müssen wir von der Macht der selbst Unrecht tun.87
innewohnenden Sünde befreit werden.
119,134 Der erste Teil dieses Gebets 119,140 Die Bibel ist gründlich erprobt.
ist nicht ungewöhnlich; jeder von uns Tausende haben ihre Verheißungen ge-
möchte vor der Unterdrückung durch prüft und als wahr erfunden. »Sie hat
Menschen bewahrt bleiben, doch be­ den Hass der Menschen, die Scheiter-
achte man den ungewöhnlichen haufen der falschen Priesterschaft, den
Zweck: »damit ich deine Vorschriften Spott der Ungläubigen und die fleisch-
einhalte«. liche Weisheit der modernen Kritiker
119,135 In unserem Dienst für den überlebt« (Scripture Union).
Herrn mögen wir wohl einmal um ein 119,141 In den Augen seiner Feinde
Zeichen seiner Gunst, seiner Gegenwart war der Psalmist gering und verachtet.
und Kraft bitten. Er weiß uns Ermuti- Doch der Hohn der Menschen hielt ihn
gungen zukommen zu lassen als Ant- nicht davon ab, an der Bibel festzuhal-
wort auf unser Gebet. Und wir sollten ten.
nie das Verlangen verlieren, immer 119,142 Gottes Gerechtigkeit ist keine
mehr belehrt zu werden. vorübergehende Laune, sondern eine
119,136 Tränen fließen wie Wasser­ ewige Tugend. Es reicht nicht zu sagen,
bäche – eine dramatische Schilderung die Bibel enthalte Wahrheiten; die Bibel
tiefer Schmerzen und Kümmernisse! ist Wahrheit. Jeder Ausspruch Gottes ist
Und weshalb? Wegen Ungerechtig- wahr.
keiten gegen den Psalmisten persön- 119,143 Der Kelch des Schreibers war
lich? Nein, sondern weil die Menschen voll von Angst und Bedrängnis; doch
das Gesetz Gottes nicht halten und so mit dem Wort Gottes konnte er durch
Gottes Namen entehren. die Tränen hindurch den Regenbogen
entdecken.
Bendetti, den Autor des »Stabat Mater«, 119,144 Gottes Zeugnisse sind nicht
fand man einst weinend. Als man ihn nur im Augenblick gerecht, sie werden
nach dem Grund fragte, antwortete er: es in Ewigkeit bleiben. Je besser wir sie
»Ich weine, weil die Liebe ungeliebt ein- verstehen, umso größer ist unsere Fä-
hergeht.«86 higkeit, das Leben zu genießen, sowohl
jetzt als auch im Himmel.
119,137 Weil der Autor der Bibel ge- 119,145 Das Wort »Rufen« ist das
recht ist, verwundert es nicht, wenn Schlüsselwort dieses Abschnitts.88 Hier
sein Buch richtig, d.h. der Wahrheit ent- haben wir den Appell eines vertrauen-
sprechend ist. Die meisten von uns wis- den Herzens um Hilfe. Der allmächtige
sen das; aber bei wie wenigen wird dar- Gott kann den Gebeten nicht wider­
aus Lob und Anbetung, indem sie dem stehen, die von ganzem Herzen ge­
HERRN danken! sprochen werden und den Wunsch aus-
119,138 Alles, was Gott sagt, ist Ge- drücken, seinen Willen zu tun.
rechtigkeit und Treue, und sein Wort ist 119,146 Wenn wir wie Petrus in den
absolut zuverlässig. Gottes Wort zu Wellen zu versinken drohen, können
glauben, ist nichts Verdienstvolles. Es wir immer noch das kurze Gebet hin-
ist nur vernünftig. aufschicken: »Rette mich!« Der Herr
119,139 Barnes schreibt sehr einsichts- richtet uns dann auf, damit wir weiter-
voll dazu: gehen und wieder für ihn leben.

733
Psalm 119

119,147 Weigle schreibt: »Dies ist die tig, dass ihm neu Leben eingeflößt
Beschreibung der Gewohnheiten eines wird.
frommen Menschen in seiner Andacht; 119,155 Gott rettet den Menschen
er steht vor Sonnenaufgang auf, um sei- nicht gegen dessen Willen. Er will den
nen Tag mit Besinnung und Gebet zu Himmel nicht mit Menschen bevölkern,
beginnen.« Unser Motto sollte lauten: die nicht dorthinwollen. Es gibt keine
»Keine Bibel, kein Frühstück!« Rettung für solche, die es ablehnen, auf
119,148 Selbst die schlaflosen Nacht- das Wort Gottes zu hören.
stunden können benutzt werden, um 119,156 Keine menschliche Sprache
über das Wort Gottes nachzudenken. Es könnte angemessen die Gnade Gottes
ist nichts Ungewöhnliches, wenn uns beschreiben. Seine Erbarmungen können
dann der Herr die »Schätze der Dunkel- durch unsere Bitten nicht aufgebraucht
heit« gibt. werden. Der verfolgte Psalmist fleht um
119,149 Wir sollten nie die wunder­ Gnade zum Leben, d.h. um Errettung
bare Tatsache vergessen, dass wir im von denen, die ihn gern umbrächten.
Gebet unmittelbaren Zutritt zur Gegen- 119,157 Viele dieser Verse finden na-
wart Gottes haben. Wie der Psalmist türlich ihre wahre Erfüllung in dem
können wir Gott auf seine Gnade und Herrn Jesus. Umgeben von Verfolgern
Gerechtigkeit ansprechen, um unser und Bedrängern, hielt er sich doch treu
Leben zu bewahren. zu den Zeugnissen seines Vaters.
119,150 Die Feinde sind nahe. Sie be- 119,158 Es ist ein Zeichen geistlicher
absichtigen, dem Diener Gottes zu scha- Reife, wenn uns die Beleidigungen ge-
den. Weil sie Gottes Gesetze in ihrem gen Gott mehr schmerzen als das uns
Leben verworfen haben, werden sie selbst zugefügte Unrecht. Ach, dass wir
wohl vor nichts zurückschrecken. doch genauso vom Eifer für den Herrn
119,151 Aber der HERR ist nahe; und verzehrt würden!
mit Gott im Bunde, ist einer allein in der 119,159 In Vers 153 schrieb der Psal-
Mehrheit. »Kein Feind kann uns scha- mist: »Sieh mein Elend an!« Hier sagt
den, uns schreckt keine Furcht; denn er, wie Spurgeon ausführt, dem Sinn
unser ist der Sieg.« nach: »Sieh meine Liebe an«, d.h. die
119,152 Es ist ein gewaltiger Trost zu Liebe zu Gottes Vorschriften. Ebenso
wissen, dass Gottes Wort ewig besteht. bittet er zum dritten Mal in diesem Ab-
»Wir stehen auf den Verheißungen, die schnitt um Bewahrung seines Lebens
nie vergehen, wenn auch der heulende (nach den meisten deutschen Überset-
Sturm des Zweifels und der Angst sich zungen: um Belebung; vgl. V. 154.156).
gegen uns erhebt, so werden wir doch 119,160 Gottes Wort ist in seiner Gänze
durch das lebendige Wort Gottes sicher Wahrheit. Jede Verheißung darin wird
bestehen, wir stehen auf den Verhei- sich gewiss erfüllen. »Bis der Himmel
ßungen Gottes!« und die Erde vergehen, soll auch nicht
119,153 Der Herr nimmt unser Elend ein Jota oder ein Strichlein vom Gesetz
wirklich zur Kenntnis. »Jedes Leid in vergehen, bis alles geschehen ist« (Mt
unsern Herzen / Trifft auch ihn, den 5,18).
Mann der Schmerzen.« Und er kommt, 119,161 Menschen in Machtpositio-
um die zu erlösen, die an ihm und sei- nen haben Gottes Diener oft unter-
nem Wort hängen. drückt. Aber tiefer Respekt und Ehr-
119,154 Der Schreiber bittet Gott, er furcht vor dem Wort Gottes bewahren
möge sein Anwalt und Lebensspender den Treuen davor, zu einem Verräter an
sein. Schwere Beschuldigungen wur- dem Herrn zu werden.
den gegen ihn vorgebracht; er braucht 119,162 Die beim Finden eines ver-
einen Verteidiger. Er ist bis zur Erschöp- borgenen Schatzes erfahrbare Begeiste-
fung verfolgt worden, darum hat er nö- rung erlebt auch einer, der sich in die

734
Psalm 119 und 120

Bibel versenkt und wunderbare geist­ bet um Errettung in Übereinstimmung


liche Reichtümer findet. mit der Verheißung des Wortes Gottes.
119,163 Durch die Bekanntschaft mit 119,171 Vermehrte Erkenntnis der
dem Wort Gottes lernen wir zu lieben, Ordnungen Gottes sollte nicht zu Stolz
was Gott liebt (das Gesetz), und zu has- und gesteigertem Selbstbewusstsein
sen, was er hasst (die Lüge). Wir gelan- führen, sondern zu Lob und Anbetung
gen dahin, die Gedanken Gottes nach- des Herrn.
zudenken. 119,172 Statt über Nebensächliches
119,164 Weil 7 die Zahl der Vollkom- und über Dinge zu sprechen, die nicht
menheit und der Vollendung ist, ver­ von bleibender Bedeutung sind, sollten
stehen wir das so, dass der Psalmist da- wir uns selbst erziehen, uns über geist-
mit meint, dass er den Herrn beständig liche Dinge zu unterhalten. Alle seine
und von ganzem Herzen für seine ge- Gebote sind gerecht und von ungeheu-
rechten Bestimmungen preist. rem Wert.
119,165 Das Wort Gottes gibt Frieden 119,173 Es ist ein wunderschönes
in einer friedlosen Welt und Sicherheit Bild: Die durchbohrte Hand der All-
vor der Versuchung. Der Vers bedeutet macht reicht vom Himmel herab, um
nicht, die Gläubigen seien immun ge- jemanden zu retten, der nur ein Mensch
gen Kummer und Herzeleid; sondern ist, aber ein Mensch, der bewusst die
vielmehr, dass sie durch Gehorsam ge- Vorschriften des Herrn zur Lebensregel
genüber dem Gesetz vor den Fall­gruben erwählt hat.
der Sünde bewahrt bleiben. 119,174 Wir genießen zwar die Erret-
119,166 In Psalm 37,3 heißt es: »Ver- tung der Seele als vollendete Tat, seh-
traue auf den HERRN und tue Gutes.« nen uns aber nach der Rettung von der
Hier sagt der Psalmist, er habe diesen Gegenwart der Sünde durch die Wie-
Rat befolgt. Zuerst kommt der Glaube, derkunft des Herrn Jesus. In der Zwi-
dann sind die Werke Früchte des Glau- schenzeit finden wir große Freude am
bens. Lesen und Befolgen der Bibelworte.
119,167 Die Menschen in den Tagen 119,175 Wir sind nicht nur zum Dienst
Maleachis betrachteten Gehorsam als errettet, sondern vielmehr noch eindeu-
eine mühselige Angelegenheit (Mal tiger zum Loben. Jede Erlösung von
1,13). Nicht so der Schreiber. Er ge- Krankheit oder aus einem Unfall sollte
horchte dem Wort, und dadurch wuchs unserer Anbetung neuen Schwung ver-
seine Liebe zu ihm immer mehr. leihen und unserem Gebet um Hilfe
119,168 Die letzten drei Verse dieses neue Dringlichkeit.
Abschnitts sprechen von praktischem 119,176 Dies ist eines der wenigen
Gehorsam gegenüber der Bibel. Wem es Sündenbekenntnisse in diesem Psalm.
übertrieben erscheint, dies auf den »Die erhabensten Höhenflüge heiliger
durchschnittlichen Bibelleser anzuwen- Entzückung müssen immer wieder zu-
den, möge sie als die Worte unseres Er- rückkehren zu einem demütigen Be-
lösers verstehen; dann verschwindet kenntnis der eigenen Sünde und Un-
das Problem. würdigkeit.«
119,169 Zum Ende scheint sich der
Psalm zu einem Crescendo feurigen Fle- Psalm 120: Das hilflose Opfer von
hens zu erheben. Das Wort »lass« findet Verleumdung
sich siebenmal. Zunächst finden wir ei- Eine der bitteren Erfahrungen im Leben
nen dringenden Appell um Gehör, dann eines Gläubigen ist es, ein Opfer von
um wahres geistliches Verständnis. Lüge und Verleumdung zu werden.
119,170 Der Feind scheint in diesen Dann begreift er ganz ohnmächtig, wie
Versen niemals weit zu sein, und dar- wahr Spurgeons Anmerkung ist, dass
um finden wir hier das wiederholte Ge- »eine Lüge die Welt umrunden kann,

735
Psalm 120 und 121

während die Wahrheit noch die Stiefel erwarten, hätte aber auch besser damit
anzieht«. So kann er schnell zu einem umgehen können. Er hätte zum Beispiel
verwirrten Häufchen Elend und Ent- das Vorbild des Herrn Jesus gehabt,
täuschung werden. »der, geschmäht, nicht wieder schmäh-
120,1-2 Das war das Leid, welches te, leidend, nicht drohte, sondern sich
den Psalmisten in dem ersten »Lied für dem übergab, der gerecht richtet«
die Hinaufzüge«89 (auch »Wallfahrts- (1. Petrus 2,23).
lied« oder »Stufenlied« genannt) zu Er würde die Belehrung des Petrus
dem HERRN trieb. Seine Bitte war kurz, kennen:
einfach und bestimmt. Er wollte von »Wenn ihr aber Gutes tut und leidet,
den Lügenlippen seiner Feinde und von das ist Gnade bei Gott« (1. Petrus 2,20b).
den falschen Zungen der Heiden befreit »Vergeltet nicht Böses mit Bösem
werden. oder Scheltwort mit Scheltwort, son-
120,3-4 Dann wendet er sich genauso dern im Gegenteil segnet, weil ihr dazu
schnell zur Seite, einem einzelnen berufen worden seid, dass ihr Segen er-
Schuldigen zu, und sagt ihm eine ernste erbt!« (1. Petrus 3,9).
Strafe voraus. Welches Urteil soll ihn Und schließlich hätte er das Wort des
treffen? Scharfe Pfeile, abgeschossen Herrn Jesus:
von dem Meisterschützen. Und was ge- »Glückselig seid ihr, wenn sie euch
schieht mit der trügerischen Zunge? schmähen und verfolgen und alles Böse
Wird sie mit Seife gewaschen? Nein, sie lügnerisch gegen euch reden werden
wird mit glühenden Ginsterkohlen ver- um meinetwillen. Freut euch und ju-
brannt! Die Wurzel dieser Wüstenpflan- belt, denn euer Lohn ist groß in den
ze wurde zur Herstellung von Holz- Himmeln; denn ebenso haben sie die
kohle verwendet, die für besonders in- Propheten verfolgt, die vor euch wa-
tensive Hitze bekannt war. ren« (Mt 5,11-12).
120,5 In einem Augenblick des Selbst-
mitleids beklagt der Psalmist seinen er- Psalm 121: Bewahrt!
zwungenen Aufenthalt unter den Stäm- 121,1-2 In der King James Bible oder in
men von Mesech und Kedar. Mesech der alten Lutherbibel beginnt dieser
(Meschech) war ein Sohn Jafets (1. Mose Psalm mit:
10,2), und seine Nachkommen waren »Ich hebe meine Augen auf zu den
als rohe, unzivilisierte Leute bekannt. Bergen, von welchen mir Hilfe kommt;
Kedar war der zweite Sohn Ismaels Meine Hilfe kommt von dem HERRN,
(1. Mose 25,13), dessen Abkömmlinge der Himmel und Erde gemacht hat.«
ebenfalls grausam und erbarmungslos Spätere Übersetzer meinten hier eine
waren. Nach der »International Standard heidnische Ketzerei entdeckt zu haben,
Bible Encyclopedia« führen die muslimi- nämlich den Gedanken, die Hilfe käme
schen Genealogen die Abstammung von den Bergen und nicht von dem
Mohammeds über Kedar auf Ismael zu- HERRN (Jer 3,23). So gaben sie den
rück. zweiten Teil von Vers 1 als Frage wie-
120,6-7 Die erzwungene Verbannung der. Daher heißt es in vielen Über­
des Psalmisten unter den Barbaren, die setzungen:
den Frieden hassten, dauerte zu lange, »Ich hebe meine Augen auf zu den
als dass er sie ertragen konnte. Seine Bergen.
Bemühungen um friedliche Koexistenz Woher wird meine Hilfe kommen?
wurden durch erneute kriegerische Meine Hilfe kommt von dem HERRN,
Handlungen zurückgewiesen. der Himmel und Erde gemacht hat.«
Hätte er in der Zeit des Neuen Testa- Ich ziehe immer noch den alten Lu-
ments gelebt, wäre er besser vorbereitet thertext vor, und ich will auch sagen,
gewesen, Verleumdung und Streit zu warum. Der Tempel in Jerusalem war

736
Psalm 121

der Wohnort Gottes auf Erden. Die »Am Tag wird dich die Sonne nicht ste-
Herrlichkeitswolke im Allerheiligsten chen«, wird von modernen Auslegern
bezeichnete die Gegenwart des Herrn gewöhnlich als Sonnenstich ausgelegt.91
unter seinem Volk. Die Stadt Jerusalem Die Anspielung auf den Mond wird her­
liegt auf einem Berg und ist von Bergen ablassend als biblische Anpassung an
umgeben. So blickte ein Jude, der in an- altertümlichen Aberglauben oder an
deren Teilen Israels göttliche Hilfe Folklore gedeutet. Solchen aber, die
brauchte, zu diesen Bergen auf. Für ihn vom Dämonismus befreit worden sind
war es dasselbe, als blicke er auf den und die die wichtige Rolle von Sonne
Herrn. Weil die Wohnung des Schöp- und Mond im Spiritismus kennen, ver-
fers in Jerusalem auf den Bergen lag, heißen diese Verse willkommenen
kam also, poetisch ausgedrückt, alle Schutz und die Freiheit von den Ketten
Hilfe von jenen Bergen. dämonischer Besessenheit.
In den ersten zwei Versen ist der Psal- 121,7-8 Da gibt es die Garantie der Er-
mist der Sprecher. Er drückt sein völli- lösung von allem Unheil. Es ist eine
ges Vertrauen auf den aus, der Himmel feststehende Tatsache, dass ohne den
und Erde gemacht hat. zulassenden Willen Gottes nichts in das
121,3 Beginnend mit Vers 3 tritt ein Leben eines Gläubigen kommen kann.
anderer Sprecher auf. In den verblei- Es gibt keine Zufallsereignisse, keine
benden Versen ist es der Heilige Geist, ziellosen Unfälle, keine sinnlosen Tra-
der denen ewige Sicherheit garantiert, gödien. Obwohl Gott nicht der Autor
die auf den Herrn vertrauen. Wir haben von Krankheit, Leiden oder Tod ist, re-
die Garantie unangreifbarer Festigkeit. giert er sie und benutzt sie, um seine
Der Fuß des Gläubigen wird vor dem Absichten zu erfüllen. In der Zwischen-
Wanken bewahrt. Weil der Fuß von zeit kann sein vertrauensvolles Kind
Grundlagen und Stehvermögen spricht, wissen, dass Gott alles zum Guten mit-
bedeutet dies, dass Gott sein ihm ver- wirken lässt für solche, die ihn lieben,
trauendes Kind vor dem Gleiten und die er nach seinem Vorsatz berufen hat
Fallen bewahren wird. (Römer 8,28).
121,4 Es wird uns ein Wächter zugesi- Schließlich gibt es die Garantie für
chert, der nicht schläft noch schlum- Gottes wachsame Sorge um alle unsere
mert. Alexander der Große sagte seinen Schritte, hier und jetzt und in alle Ewig-
Soldaten: »Ich wache, damit ihr schla- keit. Er wird unseren Ausgang und un-
fen könnt.«90 Während der Nacht, wenn seren Eingang behüten, von nun an bis
wir uns der Welt um uns her nicht mehr in Ewigkeit.
bewusst sind, gibt es einen Größeren Die Wörter »hüten« und »Hüter«
als Alexander, der mit beständiger, un- kommen dreimal im Rahmen dieser
ermüdlicher Sorgfalt über uns wacht. acht Verse vor. »Bewahren« lesen wir
121,5-6 Wir haben die Garantie, dass dreimal.92 Alles vereint sich zu der Er-
unser Hüter niemand anders ist als der klärung, dass niemand so sicher ist wie
HERR selbst. Der große Herrscher des ein Mensch, dessen einzige Hoffnung
Universums engagiert sich persönlich der Herr ist.
für die Sicherheit des unbedeutendsten
Heiligen. Ein Herz, das bei Jesus ein sich’res
Wir haben die Garantie, dass er uns Zuhaus,
vor jeglichem bösen Einfluss schützen Liefert der Herr doch dem Feinde nicht aus.
wird. Wenn es heißt: »Der HERR ist Solch Herz weiß bei wildestem Höllenge­
dein Schatten über deiner rechten schrei,
Hand«, so heißt das, dass er als Leib- Ach, dass es bei Jesus in Sicherheit sei.
wächter bei uns ist, um die Seinen Tag nach Richard Keen (1787)
und Nacht vor Schaden zu bewahren.

737
Psalm 122

Psalm 122: Die Stadt des Friedens Jerusalems Steine tragen die Wundmale
ihrer Heiligkeit und ihre Mauern die der
Welche Seligkeit bringt eine Stunde Verbrechen, die in ihr im Namen der
Vor dem Thron mit dir vereint! Religion verübt wurden. David und
Wenn ich kniend mit dir rede Pharao, Sanherib und Nebukadnezar,
Wie ein Freund mit seinem Freund. Pto­lemäus und Herodes, Titus und die
Fanny Crosby Kreuzritter des Gottfried von Bouillon,
Ta­merlan und Saladins Sarazenen, alle
122,1 David spürte den Duft dieser rei- kämpften und töteten hier.93
nen Freude, als ihn gottesfürchtige Ju-
den daran erinnerten, dass es Zeit sei, Prophetisch wie auch historisch liegt
zum Fest nach Jerusalem zu gehen. Er ein Ozean an Bedeutung in der ergrei-
war froh. Das war keine lästige Pflicht fenden Bitte: »Bittet für den Frieden Je-
oder trockene Routine. In dem Gang rusalems!« (Schl 2000). Dunkle Tage lie-
zum Tempel, um dort anzubeten, fand gen vor uns. Die engen Gassen der Stadt
er Erfüllung und Freude. werden von den Schritten der Eindring-
122,2 Nun war es so weit: Die gläu­ linge widerhallen, bis der Fürst des
bigen Pilger standen innerhalb der Friedens, Israels Messias, wiederkehrt,
Stadt. »Unsere Füße standen dann in um die Zügel der Regierung in die
deinen Toren, Jerusalem.« Wie durch Hand zu nehmen (Lk 21,24).
einen göttlichen Heimat-Instinkt ge­ F.B. Meyer hat angemerkt, dass in
trieben, waren sie an den von Gott er- Vers 6 eine wunderschöne Alliteration
wählten Ort zurückgekehrt. Es war zu finden ist:
wunderbar, dort zu sein!
122,3-4 Sie treten zurück, um die hell- »Frieden in der Stadt des Friedens. Mö­­­­
ockerfarbene, kompakt gebaute Stadt gen alle Frieden haben, die sie lieben!«
zu bewundern. Innerhalb ihrer sonnen-
überfluteten Mauern lag eine Quadrat- Der Segenszuspruch des Friedens gilt
meile voller Häuser mit flachen Dä- allen, die die Stadt des Großen Königs
chern und engen Gassen. Aber das eine lieben.
Gebäude, welches für das Volk eine 122,7-9 Diese Liebe drückt sich im
brennende, alle Sinne beherrschende Gebet für sie aus und indem man die
Anziehungskraft ausübte, war der Tem- Ruhe in ihren Festungswerken und Si-
pel des Herrn. In Wahrheit war es der cherheit in ihren Palästen fördert. Was
Tempel, der für sie die Stadt ausmach- der gottesfürchtige Jude sich für Jerusa-
te. lem wünschte, das sollten wir für die
Das war der Ort, zu dem die Stämme Gemeinde erstreben. Wie sollten wir
Jahs pilgerten. Es war der eine Punkt doch alles daransetzen, die Einheit des
auf dieser Erde, den Gott für sein Volk Geistes im Band des Friedens zu be-
bestimmt hatte, sich dort zu versam- wahren (Eph 4,3)! Durch Frieden und
meln, um seinen Namen zu preisen. Wohlergehen in der Gemeinde wird
122,5 Jerusalem war natürlich auch auch Segen in die Welt ausgehen.
die Hauptstadt Israels. Sie war der Sitz Das ist der Gedanke in Vers 8. Um der
des königlichen Hauses Davids, und Freunde und Verwandten willen sollten
darum war sie der richtige Ort, um Ge- wir uns danach sehnen, dass die inne-
richt zu halten. ren Wunden in der Gemeinde heil wer-
122,6 Obwohl ihr Name »Stadt des den und Streit und Trennungen auf­
Friedens« bedeutet, widersprach dieser hören. Barnes erklärt:
Name bisher der Wirklichkeit. Nur
wenige Städte haben so viel Kampf, Dies drückt die wahren Empfindungen
Leiden und Gemetzel erlebt wie diese: der Frömmigkeit überall auf der Welt

738
Psalm 122 bis 124

aus; dies ist einer der Gründe für die 123,2 Sie vergleichen sich mit Knech-
starke Liebe, die Gottes Freunde für die ten, die auf die Hand ihrer Herren
Gemeinde haben – weil sie hoffen und blicken, und mit einer Magd, die auf
wünschen, dass durch die Gemeinde die Hand ihrer Gebieterin schaut. Dies
jene Rettung finden, die ihrem Herzen so wird meistens als Bereitschaft aus­
nahe sind.94 gelegt, den Willen des Herrn zu ver­
stehen und ihm zu gehorchen. Aber
Wie schon erwähnt, besteht die größte dieses Bild will hier etwas anderes sa-
Herrlichkeit der Stadt darin, dass dort gen. Es zeigt vielmehr, wie die Juden
das Haus Gottes steht. Weder die Lage voller Aufmerksamkeit und Erwartung
der Stadt noch ihre wenig schönen auf den HERRN blicken, dass er ihnen
Gebäude, auch nicht ihre traurige gnädig sei. Und die Gnade, an die sie
Geschichte – nein, die entscheidende denken, ist das baldige Ende ihrer Ver-
Tatsache ist, dass Gott diese Stadt als bannung und die Rückkehr in das
Standort des Tempels erwählte. Die Land, das sie von Herzen begehren. Sie
Gegenwart des Herrn umgibt alles, was blicken auf seine Hand zur Rettung von
er in Gnaden berührt, mit Strahlen der ihren Unterdrückern.
Herrlichkeit. 123,3-4 Eine zweifache dringende Bit-
Jahrhunderte später wollte Jesus den te um Gnade steigt zum Thron Gottes
Pharisäern und Schriftgelehrten diese auf von dem Volk, das mehr als genug
Wahrheit ins Gedächtnis rufen. Sie Verachtung erfahren hat. Tag für Tag
schätzten das Gold des Tempels mehr sind Spott und Verachtung die Speise,
als den Tempel selbst, die Gabe auf dem die den Juden von den heidnischen
Altar mehr als den Altar. Jesus erklärte Oberherren serviert wird. Zu lange ha-
ihnen, dass der Tempel es ist, der das ben sie die verletzenden und ätzenden
Gold heilig macht, und der Altar es ist, Bemerkungen der Sorglosen ertragen
der die Gabe heiligt (Mt 23,16-22). Und (Sach 1,15). Zu lange haben sie unter
so ist es der Herr selbst, der Jerusalem der Arroganz der stolzen Babylonier
von allen anderen Städten der Welt aus- leiden müssen, die sie gefangen hielten
gesondert hat. (Jer 50,31-32). Nun können sie es nicht
mehr aushalten. Genug ist genug! Sie
Psalm 123: Augen, die nach Gnade fühlen: Die Zeit der Befreiung ist da.
Ausschau halten Und so schütten sie ihr drängendes
Dieses »Wallfahrtslied« hat zwei Schlüs- Gebet vor dem aus, der ihre einzige Zu-
selworte: »Augen« und »gnädig«. Das er- flucht und Sicherheit in einer Welt voll
ste findet sich viermal, das zweite drei- Antisemitismus und Diskriminierung
mal. Die Szene ist das Land der Gefan- ist – zu dem Freund der Unterdrückten
genschaft – ein nur allzu bekannter und Niedergetretenen.
Schau­­­­platz für das bedrückte Volk Israel.
Es befand sich darin in Ägypten, in Baby- Psalm 124: Das alles entscheidende
lon, in Nazi-Deutschland, im Warschauer »Wenn«
Ghetto und noch vor kurzem in sibi- 124,1 »Wenn nicht der HERR für uns
rischen Arbeitslagern. Obwohl der Name gewesen wäre …«
nicht genannt wird, handelt es sich in Alles hängt von diesem »Wenn« ab.
diesem Fall wahrscheinlich um Babylon. Es macht den Unterschied zwischen Be-
123,1 Mit zum Himmel gewandten freiung und Untergang. Aber der Herr
Augen halten die Israeliten angestrengt war da, und das war eben der Unter-
Ausschau nach einem Zeichen gött­ schied.
licher Gnade und flehen den Herrn an, Wohl kein Volk ist so oft nur knapp
er möge ihre lange, dunkle Nacht der dem Untergang entronnen wie die Ju-
Verfolgung beenden. den. Gemäß allen natürlichen Gesetzen

739
Psalm 124 und 125

müssten sie schon längst ausgestorben ren die zusammentreffenden Umstände


sein. Wenn man an die Belagerungen, so wunderbar, dass nur Gottes Hand
Massaker, Pogrome, an die Gaskam- sie zuwege bringen konnte.
mern, die Verbrennungsöfen, die Bom- Wer nun geistliche Einsicht besitzt,
ben denkt, ist es ein Wunder, dass sie gibt allein Gott alle Ehre für seine ge-
überlebten. Aber sie haben überlebt – heimnisvolle, wundersame Errettung.
und das aus einem zwingenden Grund: Den Fleisch fressenden heidnischen
Der HERR war auf ihrer Seite. Untieren ist es nicht gelungen, das klei-
Leider hat das Volk diese Tatsache ne Israel zu verschlingen. Gottes Volk
nicht immer einsehen wollen. Zu oft ha- entrann der Falle, die ihr durch die Gip-
ben die Juden ihre Siege ihrer eigenen felpolitik der Heiden gestellt wurde.
Klugheit und Kraft zugeschrieben. Aber Die Schlinge ist zerrissen, der Ring aus
stets hat es jene gottesfürchtigen Juden Stahl, der die Juden umgab, ist zer­
gegeben, die klar erkannten, dass sie brochen, und wieder einmal sind sie
ohne den Herrn ausgerottet worden entkommen.
wären. 124,8 Ihr demütiges und dankbares
124,2-5 Der Psalmist denkt an Zeiten, Bekenntnis lautet so:
in denen Feinde in überwältigender »Unsere Hilfe steht im Namen des
Zahl und mit überlegenen Waffen ge- HERRN,
gen sie aufgestanden waren. Die Le- der Himmel und Erde gemacht hat.«
bensmittelvorräte schwanden gefähr- Allerdings hat Israel nicht das Mono-
lich dahin, es fehlte an medizinischer pol auf den Gott, der Wunder tut. Die
Versorgung, Kommunikationsmöglich- Gemeinde kann die Worte dieses Psalms
keiten waren unterbrochen, das Nötigs- auch auf sich anwenden, indem sie Got-
te musste aus eventuell Vorhandenem tes vielmaliges rettendes Eingreifen
improvisiert werden. Sie waren völlig »zur rechtzeitigen Hilfe« rühmt. Und
eingekesselt. Ihre Feinde drohten da- die einzelnen Gläubigen wissen, dass,
mit, sie ins Meer zu werfen. Es waren wenn der Herr nicht auf ihrer Seite ge-
schreckliche Aussichten. wesen wäre, die Welt, das Fleisch und
124,6-7 Wie ein gefährliches Un­ der Teufel sie restlos in ihre Gewalt be-
geheuer wollte der Feind sie lebendig kommen hätten.
verschlingen. Oder, um ein anderes
Bild zu gebrauchen: Sie waren drauf Psalm 125: Der Weg des Friedens
und dran, in einer riesigen Flutwelle 125,1 Der Berg Zion ist eine der Höhen
heidnischer Militärmacht unterzu­ der Stadt Jerusalem und dient manch-
gehen. mal als Sprachfigur für die Stadt selbst.
Doch dann geschah das Unerwartete. Hier bezeichnet er äußerste Stabilität
Der HERR veranlasste den Feind, sich und Kraft, eine unbewegliche Festung.
zu entzweien wegen der anzuwenden- Der Mensch des Glaubens gleicht
den Strategie; oder falsche Geheim- ihm. Sein Leben ist auf soliden Felsen-
dienstberichte über die Juden zu emp- grund gebaut. Wenn der Platzregen
fangen; oder wegen des Todes eines fällt und die Ströme kommen und die
Anführers in Panik zu geraten; oder in Winde wehen und gegen sein Haus
eine Feuerpause einzuwilligen, wenn stürmen, fällt es nicht, weil es auf den
der Sieg schon greifbar war. Felsen gegründet ist (Mt 7,25).
Andererseits mag der Herr die Juden Der Psalmist sagt, der Berg Zion blei-
zu unerwarteten Nahrungsreserven be ewig. Soweit es sich um die irdische
geführt haben; oder zu verborgenen Stadt handelt, muss das so verstanden
Waffenverstecken; oder er konnte von werden, wie es den damaligen Gläu­
außen Hilfe durch völlig unerwartete bigen erschien. Wir wissen aus dem
Quellen gesandt haben. Jedenfalls wa- Neuen Testament, dass die Erde eines

740
Psalm 125 und 126

Tages durch Feuer zerstört wird (2. Pe- losigkeit«, also den heidnischen Herr-
trus 3,7.10.12). Allerdings verwenden schern, nicht gestattet, sich ihnen zu
wir auch ähnliche Ausdrücke. Wir spre- nähern.
chen z.B. von »ewigen Hügeln« und Ein interessanter Grund wird hier ge-
von der »ewigen Stadt« (Rom). nannt für das Zurückhalten der Be­
Hier ist wichtig zu sehen, dass, wenn drohung durch Israels Feinde, solange
auch der Berg Zion eines Tages zerstört das Volk mit Gott wandelte: Der Grund
wird, der Gläubige in Christus niemals war, dass die gerechten Israeliten nicht
zugrunde geht. Weil er seiner Stellung in Versuchung geraten sollten, ihre
nach in Christus ist, ist er so sicher, wie Hände nach Unrecht auszustrecken.
Gott ihn nur machen kann. Gott bewahrt uns nicht nur vor äußer­
125,2 Der Psalmist erkannte eine wei- lichen Feinden, sondern vor uns selbst
tere geistliche Wahrheit in der Topo­ und unserer Neigung, mit Sünde auf
grafie Jerusalems. Die Stadt ist von Ber- ungerechte Behandlung zu reagieren.
gen umgeben, von denen aus ihre Sol- 125,4 Auch der vierte Vers muss in
daten jede feindliche Annäherung an diesem Zusammenhang verstanden
die Stadt beobachten können. So bildet werden: Tu Gutes, HERR, den Guten
Gott selbst einen Schutzring um seine und denen, die aufrichtig sind in ihren
Kinder »von nun an bis in Ewigkeit«. Herzen! Die Guten sind hier die durch
Dies ist der Schutz, von dem Satan Glauben Erretteten, die im Gehorsam
sprach, dass Hiob mit ihm umringt sei: gegenüber Gott wandeln. Ihre Aufrich-
»Hast du selbst nicht ihn und sein tigkeit ist nicht die Grundlage ihrer
Haus und alles, was er hat, rings um- Errettung, sondern die Frucht ihres
hegt?« (Hiob 1,10). Vertrauens und ihres Gehorsams.
Das bedeutet natürlich, dass die ver- 125,5 Es gibt andere, die bekennen zu
trauenden Heiligen nichts erreichen Gottes Volk zu gehören, die aber auf
kann ohne den zulassenden Willen Got- ihre krummen Wege abbiegen. Der
tes. HERR wird sie mitsamt den Übeltätern
125,3 Ein anderer gewaltiger An- in Gefangenschaft und Zerstreuung da-
spruch wird in Vers 3 erhoben: hingeben.
»Denn das Zepter der Gottlosigkeit »Friede sei über Israel!« Der Psalm
wird nicht mehr ruhen auf dem Erbe selbst gibt das Rezept für den Frieden
der Gerechten, damit nicht auch die Ge- an, sowohl für Israel als auch für alle
rechten ihre Hände nach Unrecht aus- anderen. Man findet ihn in dem Herrn
strecken.« Jesus. Wenn die Israeliten sich dem zu-
Mancher mag die Wahrheit des ersten wenden, den sie durchstochen haben,
Teils des Verses bezweifeln, indem er und um ihn trauern, wie man um den
auf die häufigen Invasionen und Erobe- eingeborenen Sohn wehklagt, dann
rungen hinweist, denen das Land Israel wird der ihnen seit Jahrhunderten vor-
durch gottlose Menschen ausgesetzt enthaltene Frieden endlich auf sie kom-
war. Das ist richtig; aber der Vers muss men.
in seinem Zusammenhang ausgelegt Schalom, Schalom!
werden. Der Psalm handelt von Men-
schen, die dem Herrn vertrauen, und so Psalm 126: Tränenreiches Säen und
gelten die Verheißungen hier nur sol- freudevolles Ernten
chen Menschen. Nur wenn sich Israel 126,1 Als die Ankündigung die jü-
von dem Herrn entfernt hatte, wurden dischen Gemeinden in der Verbannung
seine Grenzen verletzt und seine Mau- erreichte, waren sie wie elektrisiert und
ern abgebrochen. Solange die Israeliten in großem Jubel. Der persische König
dem Herrn gehorchten und ihm ver- Kyrus (Kores) hatte angeordnet, dass
trauten, war es dem »Zepter der Gott­ die Gefangenen in ihr Land zurück­

741
Psalm 126

kehren durften. Das schien ihnen fast was jetzt nur wie ein Rinnsal an Volk
zu schön, um wahr zu sein. Während ist, möge sich immer stärker mehren,
der langen Verbannungsjahre hatten bis alle zwölf Stämme zurückgebracht
sich viele von ihnen gefragt, ob sie Jeru- sind. Sie bitten, Gott möge die Mittel
salem jemals wiedersehen würden. zum Wiederaufbau und zum Unterhalt
Doch nun war endlich diese Botschaft bereitstellen. Und sie bitten um alles,
ergangen. Als sie ihren armseligen Be- was nötig sein mag, damit sie als glück-
sitz zusammenpackten, waren sie wie liches und fruchtbares Volk in dem
Traumwandler. Land wohnen können.
126,2 Die erregten Unterhaltungen 126,5-6 Das erste Jahr nach ihrer An-
des sowieso schon gefühlvollen und re- kunft würde besonders schwierig wer-
defreudigen Volkes waren lauter als ge- den. Sie würden keine richtige Ernte
wöhnlich. Zum ersten Mal seit siebzig einbringen können. Sie mussten ganz
Jahren hatten sie etwas, was ihnen die von vorn mit dem Säen und Pflanzen
reinste Freude bereitete, etwas, was sie beginnen, um dann auf die Erntezeit zu
ausgelassen machte. Sie konnten nach warten. Das würde eine karge Zeit sein,
Hause kommen. Als ihre Vorbereitun- in der man die mageren Essensvorräte
gen auf Hochtouren liefen, lachten und so gut wie möglich in die Länge ziehen
sangen sie – das war ihnen völlig neu. musste.
Das war ein mächtiges Zeugnis ge- Das würde gewissen Kummer oder
genüber den nichtjüdischen Menschen. Enttäuschungen während der ersten
Sie schienen zu begreifen, dass an den Aussaat geben. Da ist z.B. ein Bauer,
Juden etwas geschah, was man auf na- dessen Kornvorrat nur klein ist. Er kann
türliche Weise nicht erklären konnte. ihn jetzt benutzen, um seine Familie zu
Sie erkannten an, dass sich der Gott der ernähren, oder er kann das meiste da-
Hebräer in wunderbarer Weise für sie von in der Hoffnung aussäen, in der
eingesetzt hatte. Mehr als die anderen Zukunft reichliche Vorräte zu gewin-
Völker der Erde schien Israel der be­ nen. Er entscheidet sich für das Aus­
sondere Gegenstand der Liebe und Für- säen; doch wenn er die Hand in seine
sorge des HERRN zu sein. Schürze steckt und das Korn über das
126,3 Und die dankbaren Exilanten gepflügte Land streut, fallen seine
wetteiferten mit den Heiden darin, diese Tränen hinein. Er denkt an seine Frau
Rettung dem Herrn allein zuzuschrei- und seine Kinder, an die kargen
ben. Breiratio­nen und daran, wie viele
»Der HERR hat Großes an uns getan. Opfer sie bringen müssen, bis sie ernten
Wir waren fröhlich.« können. Er kommt sich vor, als raube er
126,4 Doch sie zogen in das Land zu- ihnen das Essen vom Munde weg.
rück als ein trauriger Überrest, der Aber aufmunternde Worte ergehen
kaum mehr besaß als die Kleider, die an die heimgekehrten Verbannten:
sie trugen. Sie brauchten Soldaten, Geld »Er geht weinend hin und trägt den
und Schutz. Daher ihr Gebet: Samen zum Säen.
»Bringe zurück, HERR, unsere Ge- Er kommt heim mit Jubel und trägt
fangenen gleich den Bächen im Süd- seine Garben.«
land.« So gehen sie denn und säen ihren Sa-
Der Süden (hebr. Negev) war die men. Ihre gegenwärtige Angst wird
Wüste im Süden. Gewöhnlich war sie mehr als ausgeglichen, wenn sie ihre
dürr und unfruchtbar. Doch nach kräf- Garben mit reifem Getreide in ihre
tigem Regen wurden die trockenen Scheunen sammeln.
Flussbette zu brausenden Strömen, die Dieser Grundsatz gilt natürlich auch
die Wildnis zum Blühen brachten. So im geistlichen Bereich. Wer auf­opfe­
bitten die heimkehrenden Verbannten, rungs­voll lebt, um das Evangelium aus-

742
Psalm 126 und 127

zubreiten, mag im Augenblick Ein- haben, und dann Gott zu bitten, er möge
schränkungen erfahren; doch was ist das Ganze segnen. Die andere Art ist,
das im Vergleich zu der Freude, Seelen auf die unmissverständliche Leitung
zu sehen, die errettet sind und im Him- des HERRN zu warten, um dann in be-
mel das Lamm Gottes in alle Ewigkeit wusster Abhängigkeit von ihm vorzu-
anbeten?! gehen. Im ersten Fall wird sich das Pro-
Das trifft auch auf das Seelengewin- jekt nie über »Fleisch und Blut« er­
nen zu. Jemand hat einmal sehr weise heben. Im zweiten ist es spannend zu
gesagt: »Seelengewinner haben zuerst sehen, wie Gott eindrucksvoll für die
für die Seelen geweint.« So sollte unser notwendigen Hilfsmittel sorgt, indem
Gebet lauten: er auf wunderbare Weise die Zeitpunk-
te und die Reihenfolge der Geschehnis-
Möcht’ ich die Menschen sehen, wie es se bestimmt, indem er die Umstände so
mein Heiland tat, zusammentreffen lässt, dass man sie
Der die verlor’nen Schafe nach Haus niemals den Gesetzen des Zufalls zu-
getragen hat. schreiben kann. Darin besteht der him-
Möchte ich doch weinen können ob ihrer melweite Unterschied, wenn man mit
großen Not Gott baut.
Und ihnen Liebe schenken, wie du mich Das zweite Bild nutzloser mensch­
liebst, o Gott! licher Bemühungen ohne Gott betrifft
Verfasser unbekannt das Gebiet der Sicherheit: Wenn der
HERR die Stadt nicht bewacht, wacht
Psalm 127: Gott in allen Dingen der Wächter vergebens. Dies bedeutet
Es gibt die Redensart: »Wenig ist viel, nicht, dass wir keine Polizei oder an­
wenn Gott mit dabei ist«, doch ist das dere Sicherheitskräfte bräuchten. Viel-
Gegenteil ebenso wahr: »Viel ist nichts, mehr bedeutet es, dass unsere Sicher-
wenn Gott nicht dabei ist.« Und darum heit letztlich bei dem Herrn liegt, und
geht es in diesem Psalm: Wenn unser wenn wir uns nicht wirklich auf ihn
ganzes Handeln nicht von dem Herrn verlassen, reichen unsere gewöhnlichen
angeordnet und geleitet wird, ist es nur Vorsichtsmaßnahmen nicht aus, um
Verschwendung von Zeit und Kraft. unsere Sicherheit zu gewährleisten.
Wir können von uns aus Projekte anpa- 127,2 In unserer täglichen Arbeit nützt
cken, auch im christlichen Dienst; wir es nichts, lange Stunden zu arbeiten, in-
können große organisatorische Imperi- dem man seinen Unterhalt durch ängst-
en aufbauen; wir können haufenweise liches Mühen erwirbt, es sei denn, wir
Statistiken erstellen, um erstaunliche sind da, wo Gott uns hinhaben will.
Ergebnisse aufzuzeigen; aber wenn die- Verstehen Sie mich bitte nicht falsch. In
se Projekte nicht Reben sind, die der der ganzen Bibel werden wir belehrt,
Herr gepflanzt hat, so sind sie weniger eifrig zu arbeiten, um den Lebensunter-
als wertlos. »Der Mensch denkt, und halt für uns, für unsere Familie und für
Gott lenkt.« andere zu verdienen. Dieser Psalm ist
Der Psalmist wählt vier gewöhnliche keine Ermunterung zum Herumsitzen,
Tätigkeiten des Lebens aus, um diesen um Cola zu trinken und Freunden auf
Punkt deutlich zu machen. Es handelt der Tasche zu liegen. Worum es geht, ist
sich um Hausbau, um die Zivilverteidi- dies: Wenn wir in Unabhängigkeit von
gung, ganz allgemein um den Brot­ Gott arbeiten, kommen wir nicht wirk-
erwerb und um die Familie. lich weiter. Haggai beschreibt die Situa-
127,1 Es gibt zwei Arten, ein Haus zu tion sehr deutlich:
bauen. Die eine ist, nach Plänen vorzu- »Ihr habt viel gesät, aber wenig einge-
gehen, die eigene Klugheit, Tüchtigkeit, bracht; ihr esst, aber ihr werdet nicht
finanzielle Hilfsmittel zur Grundlage satt; ihr trinkt, aber ihr seid noch durs-

743
Psalm 127 und 128

tig; ihr kleidet euch, aber es wird kei- lichen oder gesetzlichen Angelegen-
nem warm, und der Lohnarbeiter er- heiten verteidigen, damit er keinen Ver-
wirbt Lohn für einen durchlöcherten lust und kein Unrecht erleidet.
Beutel« (Hag 1,6). Der Psalm ist eine gewaltige Ent­
Wenn wir andererseits wirklich dem faltung des Wortes des Herrn durch
Herrn hingegeben und zu seiner Ver- Sacharja: »Nicht durch Macht und
herrlichung leben, kann er uns im Schlaf nicht durch Kraft, sondern durch mei-
Gaben schenken, die wir niemals hätten nen Geist, spricht der HERR der Heer­
erwerben können durch mühevolle scharen« (Sach 4,6). Es besteht eine
Arbeitsstunden ohne ihn. Das scheint große Gefahr, dass wir auf die Macht
die Bedeutung des Satzes zu sein: »So des Euro oder auf menschliche Fähig-
viel gibt er den Seinen im Schlaf«, oder keiten vertrauen. Aber des Herrn Wille
wie Moffatt es ausdrückt: »Gottes Ga- wird dadurch nicht erfüllt. Allein durch
ben gelangen zu seinen Geliebten, wäh- seinen Geist bauen wir für die Ewig-
rend sie schlafen.« keit. Es kommt nicht darauf an, was wir
127,3 Das vierte und letzte Bild hat aus eigenem Vermögen für Gott tun,
mit der Gründung einer Familie zu tun. sondern auf das, was er durch uns mit
Und Kinder sind eine der Gaben Gottes. seiner gewaltigen Kraft wirkt. Alles,
»Siehe, ein Erbe vom HERRN sind Söh- was wir schaffen können, ist Holz, Heu
ne, eine Belohnung die Leibesfrucht.« und Stroh. Er kann uns gebrauchen, um
Was über die Kinder gesagt wird, Gold, Silber und edle Steine hervorzu-
setzt voraus, dass sie in einem Haus bringen. Wirken wir aus eigener Kraft,
aufwachsen, in dem man den Herrn drehen wir uns um uns selbst. Wenn
ehrt und ihm gehorcht. Sie werden in wir Gott in alles hineinbringen, wird
der Zucht und Belehrung des Herrn er- unser Leben wirklich brauchbar.
zogen. Fleischliche Werkzeuge bringen fleisch-
127,4 »Wie Pfeile in der Hand eines liche Ergebnisse. Geistliche Werkzeuge
Helden, so sind die Söhne der Jugend.« schaffen geistliche Früchte.
Wenn Eltern alt werden, können sie sich
auf fromme Kinder verlassen, dass sie Psalm 128: Der Segen des Herrn
sich wie Helden für sie einsetzen und 128,1 Der Gläubige, der wirklich das
sie versorgen, wie es ein Jäger mit sei- Leben in Fülle genießt, ist einer, der den
nem Pfeil und Bogen tut. HERRN auf allen Lebensgebieten fürch-
127,5 »Glücklich der Mann, der sei- tet und in praktischem Gehorsam ge-
nen Köcher mit ihnen gefüllt hat!« Trotz genüber seinem Wort seinen Wandel
der modernen Propagandaflut gegen führt.
große Familien spricht Gott einen Segen Unter dem Gesetz Moses wurde ein
über dem Menschen aus, der einen Kö- solcher Mensch mit natürlichen Seg-
cher voller Kinder hat. Aber noch ein- nungen belohnt.
mal: Es wird vorausgesetzt, dass es 128,2 Langes Leben. Er wird nicht vor-
gläubige Kinder sind, die zur Familie zeitig sterben, sondern leben und den
des Glaubens gehören. Andernfalls materiellen Reichtum genießen, für den
können sie zu schrecklichem Herzeleid er gearbeitet hat.
werden statt zu einem Segen. Glück. Er genießt die Freiheit von
»Sie werden nicht beschämt werden, Missklängen und Streit und lebt in dem
wenn sie mit Feinden reden im Tor.« freudigen Bewusstsein, dass Gottes An-
F.B. Meyer erinnert uns daran, dass die gesicht über ihm leuchtet.
verteidigenden Soldaten einer belager- Wohlergehen. Es steht gut um ihn. Er
ten Stadt sich an den Toren versam- wurde vor Unfällen, Schädlingen, Dür-
meln. So ist der Gedanke hier, dass die re, Krankheit und Misserfolgen be-
Kinder eines Menschen ihn in bürger­ wahrt.

744
Psalm 128 und 129

128,3 Fruchtbarkeit. Wie ein frucht­ 129,1-2 Von den frühesten Tagen sei-
barer Weinstock gebar ihm seine Frau nes Volkseins an wurde Israel stark be-
viele Kinder. Da sitzen sie nun um drängt. Israels Unterdrückung in Ägyp-
seinen Tisch geschart wie zarte Öl- ten zum Beispiel war ein unvergess­­­­
baumzweige, voller Schwung, Kraft liches Kapitel von Sklaverei und Leiden
und Vitalität. in der Jugendzeit des Volkes. Doch den
128,4 In der Heilszeit der Gnade ist Feinden gelang nie die völlige Vernich-
der Gläubige in Christus schon ge­ tung der Juden. Gottes Volk wurde
segnet mit jeder geistlichen Segnung in immer aus der Gefangenschaft befreit.
der Himmelswelt (Eph 1,3). Aber, wie Das Überleben der Juden ist zu einem
Williams sagt, kann »der Glaube die der großen Wunder der Geschichte ge-
ma­teriellen Segnungen dieses Psalms worden.
geistlich auffassen und sie wirklich und 129,3 Ihre Leiden waren schwer und
gegenwärtig machen.« Besser als langes dauerten lange. Ihre heidnischen
Leben auf der Erde ist es, wenn der Steuer­eintreiber zogen über sie hinweg
Herr Jesus unser Leben mit innerer wie ein Bauer mit seinem Pflug über ein
Kraft erfüllt. Kein Glück gleicht der Be- Feld. Die Furchen auf ihrem Rücken
freiung der Seele. Seelisches Wohl­ waren lange Striemen, verursacht durch
ergehen ist der beste Wohlstand. Und Peitschenhiebe.
geistliche Nachkommenschaft über- 129,4 Aber der HERR trat in seiner
trifft die Freuden physischer Frucht­ Gerechtigkeit im richtigen Augenblick
barkeit. ein, indem er die Stricke oder Ketten
128,5-6 Die letzten beiden Verse kön- zerschnitt, mit denen das Volk von sei-
nen als Verheißung oder als Gebet ge­ nen gnadenlosen Gegnern in Gefangen-
lesen werden. Als Gebet aufgefasst, schaft gehalten wurde.
wird der HERR gebeten, er möge das 129,5-7 Möge es immer so sein, dass
glaubende Volk von seiner Wohnung Antisemiten zuschanden und in die
im Heiligtum auf Zion oder von seinem Flucht geschlagen werden. Mögen sie
Thron in Jerusalem aus segnen. Gott niemals eine Segensernte einfahren,
möge schenken, dass die Gottesfürch­ vielmehr sollen sie den vereinzelten
tigen das Wohlergehen Jerusalems unnützen Grassoden auf den Flach­
schauen, solange sie leben. Auch wird dächern des Orients gleichen. Weil sie
er um langes Leben gebeten, damit sie kaum Erde haben, können diese Soden
sich der zweiten Generation ihrer Nach- keine tiefen Wurzeln bilden, sodass sie
kommen erfreuen können. Und schließ- bald unter der sengenden Sonne ver-
lich ist hier ein Gebet um Frieden für dorren. Tatsächlich welkt das Gras, be-
Israel. vor es die Chance hat, auch nur an­
Der Psalm schaut voll Freude voraus nähernd auszuwachsen. Erntet man es,
auf die künftigen Segnungen der Ein- so füllt es kaum die Hand, geschweige
zelnen und des ganzen Volkes, wenn denn, dass man es als Garben in den
Israels König wiederkommt und in Arm nehmen könnte.
Gerechtigkeit herrscht. 129,8 Solch Gras auf dem Dach könnte
niemals zu einer fröhlichen Ernte­szene
Psalm 129: Die Ernte des führen, bei der die Vorübergehenden
Antisemitismus den Erntenden zurufen: »Der Segen des
Dieses Wallfahrtslied ruft die frühere HERRN sei mit euch!« Und wo die Ern-
Behandlung Israels vonseiten vieler tenden zurückrufen: »Wir segnen euch
Feinde in Erinnerung und bittet dann im Namen des HERRN« (siehe Rut 2,4).
den Herrn, eine aussichtslose Zukunft So möge den Feinden Israels ein glück-
für diese grausamen Aggressoren liches Ergebnis all ihres grausamen
sicher­zustellen. Pflügens verwehrt sein, das sie jahrhun-

745
Psalm 129 und 130

dertelang betrieben haben. Sie mögen die gegenwärtigen und die zukünftigen.
vielmehr ernten, was sie säten. Das ist möglich durch das vollbrachte
Werk Christi auf Golgatha; durch seinen
Psalm 130: Aus den Tiefen Tod bezahlte er die Strafe für alle Sün-
Jemand sagte einmal, das beste Gebet den, und Gott kann uns nun großzügig
komme aus einer starken inneren Not- vergeben, weil seinen gerechten An­
wendigkeit. Angenehmen Zeiten des sprüchen durch unseren Stellvertreter
Wohlstands fällt das bedeutungsschwe- völlig Genüge getan worden ist.
re Gebet als Erstes zum Opfer. Aber Das Zweite ist väterliche Vergebung –
wenn wir von den Lebensstürmen hin- die Vergebung durch Gott, unseren Va-
und hergeschleudert werden, dann ter. Wir erlangen sie, indem wir vor ihm
wissen wir wirklich, wie nötig es ist, unsere Sünden bekennen. Dadurch wird
dem Thron der Gnade mit dringendem die Gemeinschaft mit Gott und mit sei-
und anhaltendem Gebet zu nahen. ner Familie wiederhergestellt. Auch sie
130,1-2 Mich erstaunt oft, welche Tie- wurde für uns durch das Blut Jesu be-
fe der Schmerzen und des Leides der zahlt, das am Kreuz vergossen wurde.
menschliche Körper ertragen kann. Der Ein Ergebnis seiner Vergebung ist,
Psalmist befindet sich in einer dieser dass wir ihn fürchten sollen. Wenn ich
tiefen Schluchten des Lebens. Da kann bedenke, was es ihn gekostet hat, meine
man nur noch nach oben blicken. Und Sünden zu vergeben, und wenn ich be-
so schwingt sich sein klagender Ruf aus greife, dass seine Vergebung völlig,
den Tiefen hinauf zu Gottes Thron in umsonst und ewig ist, veranlasst dies
den Himmeln. mich zu Ehrfurcht, Vertrauen, Liebe
Er fleht eindringlich, damit seine und Anbetung ihm gegenüber bis in
schwache, einsame Stimme gehört wird, alle Ewigkeit.
dass der HERR ihm Audienz gewähren 130,5-6 Obwohl der Psalmist nicht di-
möge. Die Bitte wurde natürlich erhört. rekt um Vergebung gebeten hat, so ist
Wie immer! das doch in den Versen 3 und 4 ganz si-
Im Bewusstsein des Bittenden war cher enthalten. Doch wenn er in Vers 5
sein Kummer irgendwie mit einer Sün- sagt, er hoffe auf den HERRN, heißt das
de verbunden. Das kann stimmen, muss nicht, er warte auf Vergebung. Diese ist
es aber nicht. Jedenfalls ist es immer ihm sicher, sobald er bekennt. Vielmehr
gut, eine nicht bereute Sünde zu besei­ hofft er auf den Herrn, dass er ihn aus
tigen und zu bekennen, da sie durchaus den Tiefen befreit. Manchmal erhört
ein möglicher Grund für unser Unglück Gott Gebete sofort. Manchmal lehrt er
sein kann. uns das Warten.
130,3-4 Wenn der HERR Sünden an-
rechnete, in dem Sinn, dass er jede Sün- Das Bitten schwacher Seelen Gott oft
de einzeln aufführte und auf der Stelle sogleich erhört,
heimzahlte, wäre die Lage völlig hoff- Doch will er Bess’res schenken, er
nungslos. Aber wir können ewig dank- manchmal anders führt.
bar sein, dass es einen Weg zur Ver­ Dann übt er unsern Glauben, indem er
gebung der Sünden gibt. Es gibt Ver­ lange schweigt,
gebung für den schuldigen Sünder, Bis unser harter Wille sich seiner Liebe
und es gibt Vergebung für den sün­ beugt.
digenden Heiligen. Denn Sterne mögen bleichen und Berge
Das Erste ist richterliche Vergebung, untergeh’n,
d.h. Gott, der Richter, vergibt. Dies wird Doch was der Herr verheißen, bleibt
im Glauben an den Herrn Jesus Christus ewig fest besteh’n.
in Anspruch genommen. Dadurch sind Verfasser unbekannt
alle Sünden bedeckt ‒ die vergangenen,

746
Psalm 130 bis 132

So lernen wir hier, auf den HERRN zu Wer kann Gottes souveräne Erwäh-
warten und auf sein Wort zu hoffen, lung mit dem eigenen Willen des Men-
d h. auf seine Verheißungen, uns zu hö- schen harmonisch zusammenbringen?
ren und zu erhören. Mehr, als die 131,1 David gab nicht vor, alle Fragen
Wächter auf den Morgen warten, sehnt beantworten zu können. Sein Herz
sich der Psalmist danach, dass der Herr wollte nicht so hoch hinaus wie das ei-
Licht in seine Dunkelheit bringt. nes unerträglichen Alleswissers. Seine
Aber die Verse 5 und 6 können noch Augen trug er nicht so hoch, als sei er
viel mehr bedeuten, was wir nicht über- der vollendete intellektuelle Egoist. Er
sehen sollten. Sie drücken das ernste erkannte seine Grenzen an und schäm-
Verlangen des heutigen Gläubigen aus, te sich nicht zu sagen: »Ich weiß es
wenn er Ausschau hält nach dem Kom- nicht.« Er war damit zufrieden, zu wis-
men Christi, um die Gemeinde in den sen, was er wissen konnte, und überließ
Himmel zu entrücken. Diese gesegnete die Geheimnisse Gott. Warum sollte er
Hoffnung wird nicht enttäuscht werden. sich mit Dingen befassen, die zu groß
130,7-8 Die letzten zwei Verse des und zu wunderbar für ihn waren? Nein,
Psalms können als das Testament des er traute Gott zu, dass er die Dinge ver-
Psalmisten angesehen werden, nach- stand, die David nie verstehen konnte.
dem sein Gebet um Erlösung erhört 132,2 Diese Eigenschaft des Ver­
worden ist. Er hat Gott für sich selbst als trauens auf Gottes Weisheit, Liebe und
vertrauenswürdig erkannt, so wünscht Macht brachte seiner Seele Frieden und
er anderen, sie möchten diese Erfahrung Ruhe. Er glich einem entwöhnten Kind,
mit ihm teilen. Man kann es auch so das an der Brust der Mutter zur Ruhe
sehen: Wenn ein Mensch wirklich etwas gebracht ist. Am Anfang mag das Kind
glaubt, dann geht es ihm darum, dies geschrien haben und unruhig und un-
anderen mitzuteilen. geduldig gewesen sein. Doch dann kam
So wird Israel ermutigt, auf den die Stillzeit, und da lag das Baby plötz-
HERRN zu harren. Drei Gründe werden lich ruhig und entspannt in den Armen
angegeben: Erstens ist seine Gnade un- der Mutter. Und so können auch wir
veränderlich, zweitens hat er einen gro- uns in Enttäuschungen hineinsteigern
ßen Vorrat an Erlösung. Drittens wird und versuchen, Dinge zu begreifen, die
seine Willigkeit zugesichert, Israel von zu hoch für uns sind. Doch sobald wir
allen seinen Sünden zu erlösen. die nicht beantwortbaren Fragen Gott
Der Psalm begann in der Tiefe der Be- überlassen, lösen sich alle Spannungen
trübnis. Er endet mit dem intensiven unserer Seele.
Aufruf zum Vertrauen auf den Gott, für 131,3 Der Psalmist empfiehlt dem
den kein Problem zu gewaltig und kein ganzen Israel diese Vertrauenshaltung
Elend zu umfassend ist. dem Herrn gegenüber. So macht es
auch A.W. Tozer. Er schreibt: »Vergiss
Psalm 131: Intellektuelle Demut nie, dass es ein Vorrecht ist, staunend
Es gibt einige Probleme im Leben, die und in entzücktem Schweigen vor dem
sich der Erklärung versperren. Geheim- Höchsten Geheimnis zu stehen und zu
nisse, zu tief zum Ergründen, eigen­ flüstern: ›Ach Herr, Gott, du weißt
artige Umstände, die den klügsten Kopf es.‹«
überfordern.
Wer kann zum Beispiel das letzte Psalm 132: Gebet und Verheißung
Wort über das Problem des mensch­ Über diesen Psalm gibt es eine be­
lichen Leidens sagen? merkenswerte Uneinigkeit in Bezug
Wer könnte alle Fragen beantworten, auf den Autor und den Anlass seiner
die mit nicht erhörten Gebeten zusam- Entstehung. Eine der möglichen An­
menhängen? schauungen ist die, dass Salomo ihn

747
Psalm 132

dichtete, als die Bundeslade an die rich- in Zusammenhang bringt, doch wird
tige Stelle im neu errichteten Tempel uns nicht berichtet, dass sie jemals dort
gebracht wurde. In diesem Fall bilden war. Das Folgende sind die gewöhn­
die ersten zehn Verse Salomos Bitte, der lichen Versuche, diese Schwierigkeit
Herr möge in der Schechina (der Herr- aufzulösen.
lichkeitswolke) herabsteigen und auf 1. Der König und seine Leute hörten
der Lade Wohnung nehmen. Die Verse zum ersten Mal in Bethlehem von dem
11 und 12 bestätigen den mit David ge- Verbleib der Bundeslade, doch stellten
schlossenen Bund. Und die letzten sie diese schließlich in Jaar ab, das ist
sechs Verse enthalten genau die Ver­ Kirjat-Jearim.
heißungen Gottes, die den vorher auf- 2. Efrata könnte für Ephraim stehen
gezählten Bitten Salomos entsprechen. und sich auf den Aufenthalt der Bun-
132,1-5 Die erste Bitte, der HERR deslade in Silo beziehen.
möge all der von David erduldeten 3. Efrata könnte Kaleb-Efrata sein
Mühsal gedenken, bezieht sich nicht (siehe 1Chr 2,24) und nicht Bethlehem.
auf die allgemeinen Drangsale, die Da- Nach dieser Anschauung ist Kaleb-
vid während seines Lebens auf Schritt Efrata dasselbe wie Jaar (Wald) von Kir-
und Tritt begleiteten. Vielmehr geht es jat-Jearim, was »Stadt des Waldes« be-
um die tiefen emotionalen und körper- deutet. Wenn das so ist, bilden die bei-
lichen Erfahrungen, die er durchmach- den Sätze von Vers 6 einen Parallelis-
te, damit der Tempel, Gottes Wohnort mus, die Bedeutung ist also beide Male
hier auf Erden, errichtet werden konn- dieselbe.
te. Dies wird in den nächsten drei Ver- »Siehe, wir hörten von ihr in Efrata,
sen erklärt. Bei einer sonst in der Bibel wir fanden sie in dem Gebiete Jaars.«
nirgends erwähnten Gelegenheit hatte 132,7 Als sich die Prozession mit der
David mit dem HERRN einen feier­ heiligen Lade auf Jerusalem zubewegt,
lichen Vertrag abgeschlossen, nicht jubelt das Volk, weil es in Gottes Woh-
eher sein eigenes Haus zu betreten, zu nung einzieht, um dort vor dem Schemel
Bett zu gehen oder zu schlafen, bevor er seiner Füße anzubeten. Die Bundeslade
eine Stätte gefunden hat für den selbst wird als der Fußschemel Gottes
HERRN, einen Ort, wo der »Starke Ja- angesehen, weil er in der Herrlichkeits-
kobs« wohnen konnte. Dieser Eid muss wolke darüber gegenwärtig war.
nicht im streng buchstäblichen Sinn 132,8-10 Als Nächstes hören wir Salo-
verstanden werden. Mit dieser Bild- mos Gebet bei der Weihung des Tem-
sprache macht David deutlich, er wolle pels (V. 8-10; siehe 2Chr 6,41-42). Er bit-
sich nicht gemütlich zur Ruhe setzen, tet Gott, zu kommen, um in dem Heilig-
bis er einen dauerhaften Ort für die tum zu wohnen, um dadurch dem
Lade Gottes gefunden hatte. Wir wis- Symbolismus der Bundeslade Wirklich-
sen, dass es David nicht gestattet war, keit zu verleihen. Auch bittet er um eine
den Tempel zu bauen, weil er ein gottesfürchtige Haltung der Priester,
Kriegsmann war; doch wurde er dazu um ein Volk, das von Jubel überströmt,
befähigt, bedeutende Mengen an Ma­ und um Gottes beständige Gunst ge-
terial zu Salomos Bau beizusteuern. genüber dem König. Den Ausdruck
Und Gott belohnte dieses Begehren. »deines Gesalbten« kann man auf Salo-
132,6 Dieser Vers scheint eine Erinne- mo selbst beziehen, doch im letzten
rung an die Stationierung der Lade in Sinn auch auf den Messias.
Kirjat zu sein ‒ und an den ausdrück­ 132,11-13 Der HERR beantwortet das
lichen Entschluss der Männer Davids, Gebet zunächst durch einen kurzen Hin-
sie nach Jerusalem zu bringen. Vers 6 ist weis auf den davidischen Bund. Dieser
besonders schwierig, weil er anschei- Bund war bedingungslos, sofern es Da-
nend die Lade mit Efrata (Bethlehem) vid betraf; er verhieß ihm einen bestän-

748
Psalm 132 und 133

digen Thron und einen Nachkommen, Die Feinde Christi werden mit Schan-
der für ewig darauf sitzen wird. Doch de bedeckt, aber sein Haupt wird mit
war er an Bedingungen geknüpft, sofern Herrlichkeit und Ehre gekrönt sein.
es Davids Nachkommen betraf; er hing
von deren Gehorsam ab. Obwohl also Das einstmals dorngekrönte Haupt
der Herr Jesus ein Nachkomme Davids Jetzt viele Diademe schmücken,
ist, stammte er leiblich nicht von Salo- Und vor des Siegers Herrlichkeit
mo, sondern von Nathan ab, einem an- Sich Erd und Himmel bücken.
deren Sohn Davids (Lukas 3,31). nach Thomas Kelly
132,14-18 Dann werden auf Salomos
konkrete Bitten konkrete Antworten ge- Psalm 133: Lob der Einigkeit
geben. Das kann man an der folgenden Großartige Dinge kommen in kleinen
Gegenüberstellung erkennen: Paketen. Dieser Psalm ist kurz, doch
bildet er ein literarisches und geist­
Schreite ein, HERR, Dies ist meine Ruhestatt für liches Schmuckstück, das an Wert auf-
zu deiner Ruhe, du immer, hier will ich woh- wiegt, was ihm an Menge fehlt.
und die Lade dei- nen; denn ich habe ihn (den Dem Psalmisten sind vier Punkte
ner Stärke (V. 8). Berg Zion) begehrt (V. 14). wichtig. Erstens ist es gut und lieblich,
Deine Priester sol- Seine Priester will ich be- wenn Brüder einträchtig beieinander-
len sich bekleiden kleiden mit Heil (V. 16a). wohnen. Zweitens ist das ein köstlicher
mit Gerechtigkeit Duft. Drittens wirkt es erfrischend, und
(V. 9a). schließlich ist es die sichere Garantie
Und deine From- Und seine Frommen sollen für göttlichen Segen.
men sollen jubeln laut jubeln (V. 16b). 133,1 Einigkeit unter Brüdern ist ein
(V. 9b). Anblick zum Hinschauen (»Siehe«)! Al-
Um Davids, deines Dort will ich das Horn Da- lerdings erfordert die Einigkeit nicht,
Knechtes, willen vids wachsen lassen, habe dass sie in allen Dingen völlig einer
weise nicht ab das ich ein Licht zugerichtet Meinung sind. In grundlegenden An-
Angesicht deines meinem Gesalbten. … gelegenheiten stimmen sie überein. Bei
Gesalbten (V. 10). Aber auf ihm wird seine untergeordneten Dingen gibt es die
Krone glänzen (V. 17.18b). Freiheit unterschiedlicher Beurteilung.
In allem sollte ein Geist der Liebe vor-
Tatsächlich beantwortet der Herr über- herrschen. Es kann Einigkeit ohne Uni-
reich alle Bitten Salomos. Außerdem formität geben. Wir sind alle unter-
wird die Verheißung auf reichliche schiedlich; aber das soll uns nicht davon
Speisung der Armen (V. 15) hinzu­ abhalten, zusammenzuarbeiten. Alle
gefügt. Dann gibt er die Verheißung, Glieder des menschlichen Körpers sind
die Priester mit Heil, nicht nur mit Ge- verschieden; doch wenn sie in ihren
rechtigkeit, zu kleiden (V. 16a). Dazu Funktionen dem Haupt gehorchen, be-
kommt die Verheißung, dass die From- steht eine herrliche Einigkeit. Es kann
men laut jubeln werden (V. 16b). Dann Einigkeit ohne Einmütigkeit geben.
noch die Verheißung, dass die Feinde Gott hat nie beabsichtigt, dass jeder in
mit Schande bekleidet werden (V. 18a). allen unwichtigeren Dingen überein-
Vers 17 bedeutet, dass Gott in Jeru­ stimmt. Es genügt, wenn man in den
salem von David her einen mächtigen Grundlagen einer Meinung ist. In allem
König kommen lassen wird (siehe Lukas anderen mögen wir anders denken, so-
1,69) und dass er ein Licht oder einen lange wir es tun können, ohne un­
Sohn (siehe 1Kö 15,4) bereitet hat für Da- liebenswürdig zu werden. Die wahren
vid, seinen Gesalbten. Diese Verheißun­ Feinde der Einigkeit sind Eifersucht,
gen einer beständigen Dynastie sind in böse Nachrede, Verleumdung, Richt-
dem Herrn Jesus Christus erfüllt. geist und Lieblosigkeit.

749
Psalm 133 bis 135

133,2 Einigkeit gleicht dem duftenden Psalm 134: Auf, preist den HERRN!
Öl, das bei der Salbung Aarons, des
Priesters, benutzt wurde (2. Mose 30,22- 134,1-2 Nach den gewöhnlichen täg-
30). Es wurde auf sein Haupt gegossen, lichen Tätigkeiten im Tempel zu Jeru­
dann lief es auf seinen Bart herab und salem kehrten die Menschen in ihre
von dort auf den Halssaum seiner Klei- Häuser zurück, doch es gab Priester und
der. Der Wohlgeruch wurde nicht nur Leviten, die auch während der Nacht
von dem Priester selbst genossen, son- Wache hielten (1Chr 9,33). Sie ver-
dern von allen, die in seiner Nähe wa- brannten Räucherwerk, dankten dem
ren. Das heilige Salböl ist ein Bild von Herrn und lobten ihn (2Chr 29,11; 31,2).
dem Dienst des Heiligen Geistes, der Vielleicht sangen die Menschen vor
wie ein süßer Duft auf Gottes Leute ihrem Weggehen den Priestern die ers-
her­absteigt, wenn sie glücklich beiein- ten beiden Verse dieses Liedes zu. Ganz
anderwohnen. Dieser angenehme Ge- sicher ist, dass sie sich an die Knechte
ruch ihres Zeugnisses dringt dann auch des HERRN richteten, die den nächt­
zu anderen Menschen durch. lichen Dienst im Tempel versahen und
133,3 Dann bringt Einigkeit auch Er- deren Aufgabe es war, den HERRN zu
quickung. Sie ist »wie der Tau des Her- preisen und die Hände in Gebetshal-
mon, der herabfließt auf die Berge tung zum Heiligtum hin zu erheben.
Zions«. Der Psalmist sieht den Berg 134,3 Die Antwort in Vers 3 ist der
Hermon als Quelle von kühler, bele- priesterliche Segen, durch den der Se-
bender Feuchtigkeit für entfernte Berge gen Gottes auf jeden Einzelnen aus dem
an. Wieder einmal ist der Tau ein Bild Volk herabgerufen wird. Beachten Sie
für den Heiligen Geist, der die Erqui- vier Dinge in Bezug auf den Segen:
ckung von den vereinten Gläubigen bis 1. Der Segnende – der HERR, der
zu den Enden der Erde trägt. Niemand Gott, der den Bund hält.
kann ermessen, wie weitreichend der 2. Seine Größe – er hat Himmel und
Einfluss von Gläubigen ist, die in Einig- Erde gemacht.
keit mit Gott und miteinander wandeln. 3. Der einzelne Gesegnete – der HERR
Der letzte Punkt ist, dass der HERR segne dich!
dem Segen gebietet, dorthin zu kom- 4. Der Wohnort des Segnenden – Zion,
men, wo Brüder und Schwestern in Ei- wo das Heiligtum stand.
nigkeit zusammenleben. Nehmen wir
Pfingsten als Beispiel: Die Jünger lebten Psalm 135: Warum das Lob?
in Eintracht und Frieden zusammen, 135,1-2 Die ersten zwei Verse klingen
vereint im Gebet und im Warten auf wie ein allgemeiner Aufruf, den HERRN
den verheißenen Heiligen Geist. Plötz- zu preisen. Er richtet sich ganz klar an
lich kam der Heilige Geist in seiner die Priester und Leviten, vielleicht auch
ganzen Fülle auf sie alle herab, und sie an das ganze Volk Israel und an alle, die
gingen mit dem Duft und der Erqui- Gott fürchten (V. 19-20).
ckung des Evangeliums hinaus nach 135,3 Beachten Sie die vielen Gründe,
Jerusalem, nach Judäa und Samaria und seinen Namen zu preisen. Er ist gut.
bis an die Enden der Erde. Keine geschaffene Zunge wird in Zeit
Der Segen wird als »Leben bis in und Ewigkeit in der Lage sein zu sagen,
Ewigkeit« beschrieben. Das kann man wie gut er ist. Alles, was wir tun kön-
auf zwei Weisen verstehen. Herrscht nen, ist, diese Tatsache auszusprechen
unter dem Volk Gottes Einigkeit, er- und ihn anzubeten.
freuen sie sich selbst des Lebens im Sein Name ist »lieblich«. Er ist voll
wahrsten Wortsinn. Und nicht nur das bewundernswerter Gnade, die arme
‒ sie werden die Kanäle, durch die das Sünder rettet und sie für die ewige
Leben auch zu anderen fließt. Herrlichkeit bestimmt.

750
Psalm 135 und 136

135,4 Der HERR erwählte Israel als sein 135,13 Er ist ewig. Sein Name bleibt
Eigentum. Die souveräne Wahl Gottes für ewig, und natürlich steht sein Name
lässt die verwunderte Seele ohne Ende für alles, was er ist. Er hat ewigen Ruhm.
fragen: »Warum mich?« Das ist der Grund, Mit Freuden wird man seiner in Ewig-
weshalb wir zu Anbetern werden! keit gedenken.
135,5 Der HERR ist groß. Wenn wir 135,14 Er ist gerecht und voller Erbar-
über ihn als Schöpfer, Erhalter und Er- men. Wir können uns darauf verlassen:
löser nachdenken, singen wir mit tie- Gott wird sein Volk verteidigen und mit
fem Begreifen: »Wie groß bist du!« seinen Knechten Mitleid haben. Mose
Unser Gott ist über alle Götter er­ besang das zuerst in 5. Mose 32,36, doch
haben, d.h. über alle Herrscher und Po- wird dieses Lied nie enden.
tentaten und über alle Götzen. »Und er 135,15-18 Er ist größer als die Götzen.
trägt auf seinem Gewand und an seiner Die bloße Beschreibung dieser falschen
Hüfte einen Namen geschrieben: König Götter genügt, um ihre Wertlosigkeit her-
der Könige und Herr der Herren« (Offb auszustellen. Sie sind aus Silber und Gold
19,16). und darum vergänglich. Sie wurden von
135,6 Er ist der universale Herrscher. Menschen geschaffen, darum sind sie
Er tut in allen erdenklichen Gebieten, niedriger als Menschen. Sie sind stumm,
was er will. So schreibt Arthur Pink: blind, taub und leblos. Und – so traurig
es ist – die sie machen, sind ihnen gleich:
Göttliche Souveränität bedeutet, dass geistlich blind, taub, stumm und tot.
Gott in Wirklichkeit Gott ist, wie auch 135,19-20 Eine solche Betrachtung
dem Namen nach; dass er auf dem Thron der Größe Gottes führt zu dem Wunsch,
des Universums sitzt und alles lenkt und ihn zu preisen, d.h. ihn mit Ehre, Lob,
alles bewirkt nach dem Ratschluss seines Ehrung, Anbetung und Dank zu über-
Willens.95 schütten. Das ganze Haus Israel soll ihn
preisen. Alle, die als Priester dienen
135,7 Er beherrscht die Natur vollkom- (das Haus Aaron), sollen ihn preisen.
men. Der Nebel, die Blitze und der Re- Die ihm als Leviten dienen, sollen ihn
gen – so urgewaltig sie sind – werden preisen. Alle, die den HERRN fürchten,
durch seine mächtige Hand regiert. sollen ihn preisen. Mit anderen Worten:
Stephen Charnock sagt: »Gottes Macht Alle Gruppen des Volkes sollen ihn
ist so wie er selbst: unendlich, ewig, un- preisen. Dieses Lied wird Israel singen,
begreifbar; sie kann weder berechnet wenn der Messias nach Zion zurück-
noch eingeschränkt, noch durch das kehrt und von Jerusalem aus regiert.
Geschöpf zunichtegemacht werden.« 135,21 »Gepriesen sei der HERR von
135,8-9 Er befreite Israel aus Ägypten. Zion aus, der in Jerusalem wohnt! Hal-
Die größten Machterweise in der Ge- leluja! (Preist den HERRN!)«
schichte Israels waren die Zerschmette- Das ist es, was wir jetzt sagen und tun
rung des Pharao durch die Plagen (de- sollten.
ren Höhepunkt der Tod der Erstgebore-
nen war) und die Teilung des Roten Psalm 136: Das große Hallel!
Meeres. Was diesen Psalm einzigartig macht, ist
135,10-11 Er besiegte Israels Feinde. die Tatsache, dass jeweils der zweite
Gott gab seinem Volk gnädig den Sieg Teil der sechsundzwanzig Verse als
über Sihon und Og sowie über die Hei- Antwort des Wechselgesangs densel-
denvölker, die Kanaan bewohnten. ben Text enthält: »Denn seine Gnade
135,12 Er gab Kanaan dem Volk Is­ währt ewig!« »Wenn ein ›ewiglich‹
rael. Das Land Kanaan wurde den aus nicht reicht«, so schrieb Thomas Good-
Ägypten Entronnenen zum Erbteil ge- win, »so finden sich in diesem einen
geben. Psalm sechsundzwanzig ›ewiglich‹.«

751
Psalm 136 und 137

Er ist als das »große Hallel« bekannt, Rote Meer in zwei Teile spalten, sodass
das regelmäßig sowohl beim Pessach ein trockener Weg dazwischen lag. Is­
– dem jüdischen Passahfest – als auch rael gelangte sicher hindurch; aber das
beim Rosch Haschanah, der Neujahrs- Heer des Pharao ertrank, als die Wasser
feier, gesungen wurde. Er wurde aber an ihren Ort zurückkehrten. Das war
auch bei der täglichen Anbetung ver- ein unvergesslicher Erweis der un­
wendet. erschütterlichen Liebe des HERRN zu
Die Wiederholung des Themas ist seinem Volk.
nicht ermüdend; sie versichert uns, dass
uns die unerschütterliche Liebe des Der Führer (136,16)
Herrn stets vor Augen stehen muss und 136,16 Vierzig Jahre lang führte Gott die
dass dieser Gegenstand nie ausgeschöpft Israeliten durch die öde, heulende
werden kann. Seine Freundlichkeit, Ge- Wildnis. Da gab es keine gepflasterten
neigtheit und Treue versagen nie. Straßen, keine Verkehrszeichen, keine
Landkarten; doch der Herr war alles,
Aufruf zum Lobpreis (136,1-3) was sie brauchten – der unvergleich­
136,1-3 Die Einführung fordert uns auf, liche Führer.
den HERRN zu preisen für das, was er
ist, und wegen seiner ihm innewoh- Der Siegesheld (136,17-22)
nenden Güte. Er ist Jahwe – der Herr, 136,17-22 Er focht sogar ihre Kämpfe
der den Bund hält. Er ist der Gott der aus. Als die Könige Sihon und Og ihnen
Götter – erhaben über alle mächtigen den Weg verstellten, schlug er sie
Herrscher des Universums. Er ist der gründlich und gab ihr Land als Erbe
Herr der Herren – der souverän über dem Volk Israel.
allen steht, die Herrschaft innehaben,
seien es Engel oder Menschen. Aber er Der Helfer, Retter, Versorger (136,23-25)
ist nicht nur groß; er ist auch gut – gut 136,23-25 In einer Art Zusammenfas-
als Schöpfer, Erlöser, Führer, Siegesheld sung erhebt der Psalmist den HERRN,
und Versorger seines Volkes. weil er ein so wunderbarer Helfer, Ret-
ter und Versorger ist. Er gedachte Is­
Der Schöpfer (136,4-9) raels, als es noch gering an Zahl (o. in
136,4-9 Seine Güte und Gnade sieht Niedrigkeit) war. Als es wehrlos und
man vor allem in den großen Wundern unterdrückt war, rettete er es aus den
der Schöpfung. Durch seine große Weis- Klauen seiner Feinde. Er versorgt alles
heit schuf er das staunenswerte Him- Lebendige unablässig mit Nahrung.
melszelt. Er brachte die Kontinente her-
vor, als seien sie gewaltige schwimmen- Der Gott des Himmels (136,26)
de Inseln. Er setzte riesige Lichter an 136,26 Wir halten ihn für zu selbstver-
den Himmel – die Sonne für das Tages- ständlich. Das beständige Bewusstsein
licht und den Mond und die Sterne als seiner persönlichen Größe und seiner
untergeordnete Lichter, während der unablässigen Gnade würde uns ver­
Schlafenszeit für die Menschen. anlassen, ihn immer mehr zu preisen.
Der Erlöser (136,10-15) Psalm 137: Wenn ich dich vergesse,
136,10-15 Der große Schöpfer ist auch Jerusalem!
der mächtige Erlöser. Um sein Volk aus Im April 1948 befand sich der jüdische
der ägyptischen Tyrannei zu erlösen, Teil von Jerusalem praktisch im Belage-
brachte er die Blüte der ägyptischen rungszustand. Die Nahrungsvorräte
Männer um, dann nahm er sein Volk an waren fast aufgebraucht. Die Menschen
seine starke Hand und führte es in die lebten von einer Wochenration aus 57
Freiheit. Um dies zu tun, musste er das Gramm Margarine, knapp einem Vier-

752
Psalm 137

telpfund Kartoffeln und genauso viel an den Nagel gehängt. Und warum
getrocknetem Fleisch. Dann verbreitete auch nicht? Musikinstrumente machten
sich die Nachricht, ein LKW-Konvoi sei keinen Sinn mehr. Vom menschlichen
von Tel Aviv her im Anmarsch. Hun- Standpunkt aus betrachtet, gab es nichts
derte von Menschen liefen, um den lan- mehr zu besingen. Und ohne ein Lied
gen Lastwagenzug willkommen zu hei- zum Singen brauchte man keine Be­
ßen. Nie werden sie vergessen, wie sie gleit­instrumente.
den Zug zuerst erblickten. Auf die vor- 137,3 Oft geschah es, dass die babylo-
dere Stoßstange des blauen Ford, der nischen Zwingherren sie aufforderten,
den Zug anführte, hatte jemand ge- ein hebräisches Volkslied zu singen. Als
malt: wollten sie Salz in die Wunden reiben,
Wenn ich dich vergesse, Jerusalem … pflegten sie zu sagen: »Singt uns eins
Und so sind diese Worte aus Psalm der vergnügten Lieder, die ihr in eurer
137,5 durch die gesamte turbulente Heimat so oft gesungen habt!«
Geschichte von Gefangenschaft und 137,4 Lächerlich! Die Juden wollten
Zerstreuung der Juden hindurch ein nicht singen, und das nicht nur, weil
Aufruf zur Sammlung für das jüdische ihnen das Herz brach, sondern, weil es
Volk gewesen. auch höchst unpassend war, eines der
137,1 Nach der Rückkehr aus der ba- Lieder des HERRN in einem Land heid-
bylonischen Gefangenschaft geschrie- nischer Götzendiener zu singen. Das
ben, blickt der Psalm auf die Bitternis wäre, als würden sie Jerusalem ver­
des Verbanntseins von Zion zurück. gessen. Sie erkannten, wie ungehörig es
Sooft sie freie Zeit hatten, vielleicht an war, die Dinge des Herrn mit denen der
den Sabbaten, versammelten sie sich an Welt zu vermischen. »Das Land der
den Strömen Babels, um zu beten. Dann Fremden kann niemals mit dem Lied
kamen immer viele Erinnerungen hoch, des Herrn verbunden werden«, schrieb
und die Tränen flossen häufig. Sie er­ F.B. Meyer.
innerten sich an Zion. Für sie war dort 137,5-6 Nun, wo er wieder zurück im
das Zentrum der ganzen Erde und das Land ist, drückt der Psalmist die mäch-
Zentrum ihres Lebens. Sie erinnerten tige Entschiedenheit seines Volkes aus,
sich an die geistliche Freude und den Jerusalem zum Zentrum seines Lebens
Frohsinn, weil sie während der großen, zu machen. Hier erinnern wir daran,
heiligen Festversammlungen dort sein dass Jerusalem für den dort wohnen-
durften. Und nun konnten sie nicht den Herrn steht. Sollte jemals der Tag
mehr hinaufziehen, um anzubeten, und kommen, an dem der Psalmist nicht
die heiligen Stätten waren in den un­ mehr diese unaussprechliche, instink­
reinen Händen der unbeschnittenen tive Anhänglichkeit für Zion verspürte,
Heiden. Blickten sie in die Ströme Ba- dann wäre die passende Strafe, dass
bels, so sahen sie darin ein Bild ihrer seine rechte Hand vertrocknete, damit
eigenen Ströme der Tränen und Angst. er nie wieder die Saiten seiner Harfe zu
Sie beteten wie Jeremia: »Wasserbäche spielen vermöchte. Ja, wenn es jemals
lässt mein Auge fließen wegen des Zu- geschehen würde, dass Jerusalem nicht
sammenbruchs der Tochter meines die erste Stelle in seinem Herzen ein-
Volkes« (Kla 3,48). Und noch einmal: nimmt, wird er seine Zunge verfluchen,
»O dass mein Haupt Wasser wäre dass sie an seinem Gaumen klebt, um
und mein Auge eine Tränenquelle, nie wieder die wunderbaren, alten Lie-
dann wollte ich Tag und Nacht die der Zions singen zu können.
Erschla­­genen der Tochter meines 137,7 Nachdem er zunächst diese an
Volkes beweinen!« (Jer 8,23). sein Verhalten gebundenen Flüche über
137,2 Sie hatten ihre Zithern an die sich selbst ausgesprochen hat, findet er
Pappeln, oder, wie wir sagen würden, leicht den Übergang, um an jene zu

753
Psalm 137

denken, die teilhatten an der Zer­ hen-Können und nicht in dem Wort
störung der Heiligen Stadt. Gottes selbst. Zweitens wurde die Ver-
Da sind zum Beispiel die Söhne nichtung der babylonischen Klein-
Edoms. Sie bildeten sozusagen die Ein- kinder ganz deutlich von Jesaja vorher-
peitscher, die den Eroberer dazu an­ gesagt:
stachelten, möglichst alles zu zerstören. »Ihre Kinder werden vor ihren Augen
»Legt bloß, legt bloß – bis auf den zerschmettert, ihre Häuser geplündert
Grund!«, schrien sie. Möge sich der und ihre Frauen geschändet werden«
Herr an ihre boshafte Genugtuung er­ (Jes 13,16).
innern, als sie sahen, wie die Stadt in Der Psalmist wiederholt nur, was
Trümmer ging! Gott schon vorhergesagt hatte (außer
137,8 Und dann ist da natürlich Ba­ der Tatsache, dass die Ausführenden
bylon, der stolze Zerstörer. Obwohl des göttlichen Urteilsspruchs glücklich
die­se Nation in Gottes Hand das Werk- dabei sein werden).
zeug war, um sein Volk zu bestrafen, Außerdem wissen wir, dass unschul-
verzieh er den Babyloniern doch nicht dige Kinder oft in die Folgen der Sün-
ihre erbarmungslose Mordlust. den ihrer Eltern einbezogen sind (siehe
»Ich war erzürnt über mein Volk, ich 2. Mose 20,5; 34,7; 4. Mose 14,18; 5. Mose
entweihte mein Erbteil, und ich gab sie 5,9). Niemand lebt auf einer einsamen
in deine Hand. Du hast ihnen kein Er- Insel. Was man tut, beeinflusst andere,
barmen erwiesen, auf den Greis legtest sei es zum Guten oder zum Bösen. Zu
du schwer dein Joch« (Jes 47,6). der Bitterkeit der Sünde gehört, dass sie
»Mit großem Zorn zürne ich über die sich selbst auswirkt; sie reißt andere mit
sicheren Nationen. Sie nämlich, als ich in die Tragik ihrer Vergeltung hinein.
nur wenig zürnte, da haben sie zum In diesen Racheabschnitten kommen
Unheil geholfen« (Sach 1,15). wir immer wieder auf die Tatsache zu-
Dass Babylon zerstört würde, war rück, dass Betragen und Verhalten,
dem Bewusstsein des Psalmisten ganz welches für Menschen unter dem Ge-
fraglos. Dies wurde von den Propheten setz Moses passend war, sich nicht not-
vorhergesagt (Jes 13,1-22; Jer 50,15.28; wendigerweise für einen Christen ge-
51,6.36). Jene, die diese Zerstörung be- ziemt, der unter der Gnade lebt. Der
werkstelligten, hätten die Befriedigung, Herr Jesus sagte dasselbe in der Berg-
von Gott als Werkzeuge seines Gerichts predigt (siehe Mt 5,21-48).
benutzt worden zu sein. Einerlei, wie man den Vers auslegt:
137,9 Der letzte Vers des Psalms be- Die geistliche Anwendung ist klar. Wir
reitet die meisten Schwierigkeiten: müssen auch mit kleinen Sünden in un-
»Glücklich, der deine Kinder ergreift serem Leben radikal verfahren. Die
und sie am Felsen zerschmettert!« »kleinen Lieblinge« müssen vernichtet
Wer in der Lehre der Gewaltlosigkeit werden, sonst zerstören sie uns. C.S.
des Neuen Testaments erzogen wurde, Lewis sagt in diesem Zusammenhang:
findet dies ungewöhnlich grob, rach-
süchtig und lieblos. Warum sollten un- Ich weiß von Dingen in meinem Inneren,
schuldige und wehrlose Kinder so un- die wie Babys sind: die kindlichen An-
menschlich behandelt werden? Als fänge kleiner Begierden, kleiner Verstim-
Antwort auf diese Frage möchte ich auf mungen, die eines Tages zu Trunksucht
Folgendes hinweisen: oder tief sitzendem Hass werden, die uns
Zuerst beginnen wir mit der Voraus- aber mit besonderen Reizen schmeicheln
setzung, dass dieser Vers zum Wort und den Hof machen und so winzig, so
Gottes gehört, das Wort für Wort und hilflos erscheinen, dass wir uns wie Tier-
in der Gesamtheit inspiriert ist. Daher quäler vorkommen, wenn wir ihnen wi-
liegen alle Probleme in unserem Verste- derstehen. Sie fangen an, uns etwas vor-

754
Psalm 137 und 138

zuwinseln: »Ich will ja gar nicht viel, er es tun wollte, sondern dass er noch
aber …« oder: »Ich hätte wenigstens ge- viel mehr getan hat. Auch hier mag der
hofft, …« oder: »Etwas Aufmerksamkeit Gedanke vorliegen, dass »Gott in der
könntest du dir schon widmen.« Gegen überreichen Erfüllung aller dem David
all die lieben Kleinen (die Süßen haben gemachten Verheißungen alle vorher-
ein so einnehmendes Wesen) ist der Rat gehenden Offenbarungen seiner selbst
aus dem Psalm das Beste. Schlagt den übertroffen hat«.98
kleinen Rackern das Hirn aus dem Schä- Wendet man diesen Vers auf das
del! Und »gesegnet« ist, der es kann; Fleisch gewordene Wort an, dann be-
denn es ist leichter gesagt als getan.96 deutet er natürlich, dass Gott den Herrn
Jesus über alle anderen Offenbarungen
Psalm 138: Gottes zuverlässiges Wort seiner selbst erhöht hat.
David war voll übersprudelnden Dan- 138,3 Vers 3 zeigt den unmittelbaren
kes wegen irgendeiner großartigen Ge- Anlass, weshalb der Psalmist in Lob
betserhörung. Wie er seine Dankbarkeit und Dank ausbrach. Am Tage verzwei-
ausdrückt, ist ein nachahmenswertes felter Not rief er zum Herrn, und dieser
Beispiel dafür, wie wir auf Gottes Be- antwortete ihm sofort. Dadurch wurde
freiungstaten reagieren sollten. Zwei- eine große Menge an Kraft in seine See-
fellos wird dieser Psalm seine vollste le ausgegossen, die alle Furcht vertrieb
Anwendung erst finden, wenn Israel und ihn ermutigte, Gefahren entgegen-
endgültig wiederhergestellt ist unter zutreten.
der Herrschaft Jesu, des Messias. 138,4-6 Gottes Treue bei der Er­hörung
138,1 In Davids Danken ist nichts von Davids Gebet ist den Königen der
Halbherziges. Er mobilisiert alle seine Erde ein mächtiges Zeugnis. Sie wuss­
Kräfte, um den HERRN zu preisen. ten, was Gott versprochen hatte, und
Wir sehen auch nichts Schüchternes nun sehen sie, wie sich die Weissagung
und kein Verstecken bei seiner An­ erfüllte. Dadurch erkennen auch sie die
betung. Er schämt sich nicht, vor den Herrlichkeit des HERRN an. Sie begrei-
Göttern zu singen, d.h. vor den Kö- fen, dass Gott zwar der Erhabene ist,
nigen der Erde. Das Wort »Götter« aber dennoch ein besonderes Interesse
kann auch Engel oder Götzen meinen, an den Niedrigen (wie David) hat, je-
doch scheint der Kontext es auf die doch auch die Hochmütigen (wie Da-
Herrscher ringsumher zu beschränken. vids Feinde) schon von ferne kennt.
138,2 In Übereinstimmung mit der 138,7 Dies ist ein schönes Bild – David
Sitte frommer Juden fiel David vor ist von allen möglichen Feinden um-
Gottes Heiligtum nieder, wenn er an­ ringt, von allen möglichen Gefahren,
betete (der Tempel war noch gar nicht von allen möglichen Kümmernissen,
erbaut).97 Er erhob den Namen des und doch befähigt ihn der Herr, so si-
HERRN wegen seiner Gnade und Treue cher seinen Weg zu gehen, als gebe es
(o. Wahrheit). Gottes Liebe ist es, die das alles gar nicht. Dieselbe Hand, die
ihn dazu bringt, uns seine »kostbaren seine Feinde schlägt, wird ihn vor dem
und größten Verheißungen« zu schen- Unglück retten.
ken; und es ist seine Treue, die uns ge- 138,8 Mit berechtigtem Vertrauen be-
wiss macht, dass jede einzelne in Er­ stätigt David: »Der HERR wirds für
füllung geht. mich vollenden.« Es ist dasselbe Ver-
»Denn du hast dein Wort groß ge- trauen, das Paulus in Philipper 1,6 aus-
macht über all deinen Namen.« Der Zu- drückt: »Ich bin ebenso in guter Zuver-
sammenhang hat mit der Treue Gottes sicht, dass der, der ein gutes Werk in
zu tun, mit der er sein Wort hält, und euch angefangen hat, es vollenden wird
die Bedeutung scheint zu sein, dass er bis auf den Tag Christi Jesu.«
nicht nur getan hat, was er sagte, dass

755
Psalm 138 und 139

Was Gottes Liebe einst begann, um die verschiedenen Tätigkeiten des


Wird seine Kraft bestimmt vollenden. Lebens zu verrichten. Er kann sagen,
Weil er uns niemals täuschen kann, was wir denken, ja, er sieht unsere Ge-
Wird’s ganz nach der Verheißung enden. danken im Voraus.
Nichts jetzt, nichts einst, nichts hier 139,3 Er sieht es, wenn wir gehen
noch dort oder uns niederlegen; mit anderen
Kann uns von seiner Liebe scheiden. Worten: Er hat beständig acht auf uns.
Nichts löst je auf sein göttlich Wort, Keiner unserer Tage ist vor ihm verbor-
Des freu ich mich in allem Leiden. gen.
nach Augustus Toplady 139,4 Er weiß, was wir sagen wollen,
bevor wir es tun. Die Zukunft ist ihm
Ja, seine unerschütterliche Liebe währt genauso offen wie die Vergangenheit
ewig. Trotzdem ist uns erlaubt, mit Da- und die Gegenwart.
vid zu bitten: »Gib das Werk deiner 139,5 »… und kein Geschöpf ist vor
Hände nicht auf!« Tatsache ist, dass er ihm unsichtbar, sondern alles bloß und
das niemals kann noch will. aufgedeckt, vor den Augen dessen, mit
dem wir es zu tun haben« (Hebr 4,13).
Psalm 139: Gott ist so groß! Und weil er uns so unvorstellbar genau
Gott ist so großartig! kennt, kann er uns von hinten und von
Es gibt nichts, was er nicht weiß. vorn bewachen. Immer und überall
Es gibt keinen Ort, liegt seine Hand bewahrend auf uns.
Wo er nicht gegenwärtig ist. 139,6 Gottes unendliche Erkenntnis
macht uns schwindlig. Unser mensch-
Es gibt nichts, was er nicht tun kann. licher Verstand kann diesen Gedanken
Wenn Menschen darauf bestehen, die nicht fassen. Er ist für unser Verständ-
Feinde eines so großen Gottes zu sein, nis zu erhaben. Aber wenn wir an die
haben sie ihr Geschick reichlich ver- Grenze unseres Verstehen-Könnens ge-
dient. langen und nicht weiterwissen, können
Das ist, kurz zusammengefasst, der wir uns immer noch in Anbetung vor
Fluss der Gedanken Davids in diesem der gewaltigen Erkenntnis Gottes nie-
großartigen Psalm. derbeugen!
139,1-2 Zunächst beginnt er mit der 139,7-8 Gott ist nicht nur allwissend,
Allwissenheit Gottes. Gott weiß alles. er ist auch allgegenwärtig. Er ist zur sel-
ben Zeit an jedem Ort. Trotzdem ist die
Er ist der Herr des Weltalls, Allgegenwart Gottes nicht dasselbe wie
Hält alles in der Hand Pantheismus. Letzterer lehrt, die Schöp-
Und kennt doch die Geschichte fung sei Gott. Die Bibel lehrt, dass Gott
Von jedem Körnchen Sand. eine Person ist, getrennt und verschie-
den von seiner Schöpfung. Gibt es ei-
Hier aber geht es um die Kenntnis jedes nen Ort, zu dem man vor dem Heiligen
individuellen Lebens, das er gesondert Geist Gottes fliehen könnte? Gibt es ei-
im Blick hat. 2005 lebten schätzungs- nen Ort, an dem man sich vor der Ge-
weise 6 500 000 000 Menschen auf der genwart des Herrn verstecken könnte?
Welt. Doch Gott kennt jeden Einzelnen Nehmen Sie an, ein Mensch würde in
ganz genau. Er weiß alles von einem je- den Himmel aufsteigen ‒ würde er dort
den von uns. Gott entkommen? Natürlich nicht: Der
Er hat uns erforscht und erkannt! Himmel ist der Thron Gottes (Mt 5,34).
Worte und Taten, Gedanken und Mo- Selbst wenn man sein Bett im Scheol be-
tive ‒ er kennt uns in- und auswendig. reitete, im körperlosen Zustand des To-
Er weiß, wann wir uns zum Ausruhen tenreiches, würde man auch dort dem
hinsetzen und wann wir uns erheben, Herrn begegnen.

756
Psalm 139

139,9-10 »Erhöbe ich die Flügel der male des Kindes programmiert – die
Morgenröte, ließe mich nieder am äu- Farbe von Haut, Augen und Haaren,
ßersten Ende des Meeres, auch dort die Gestalt und das Aussehen, die na-
würde deine Hand mich leiten und dei- türlichen Fähigkeiten, die es einmal ha-
ne Rechte mich fassen.« Die Flügel der ben wird. Alles, was das Kind nach Leib
Morgenröte sind eine Anspielung auf und Seele ist, ist im Keim in der be-
die Strahlen der Morgensonne, die mit fruchteten Eizelle vorhanden. Daraus
300.000 Kilometern pro Sekunde von entwickelt es:
Osten nach Westen über den Himmel
streichen. Selbst wenn man mit Licht­ … 60 Billionen Zellen, 150.000 Kilometer
geschwindigkeit in eine entfernte Ecke Nervenbahnen, 100.000 Kilometer
des Weltalls reiste, fände man den Adern, die das Blut durch den Körper
Herrn dort, der darauf wartet, uns zu leiten, 250 Knochen, ganz zu schweigen
führen und aufrecht zu halten. von den Gelenken, Bändern und Mus-
Nebenbei passen die Verse 9 und 10 keln.99
fantastisch in das Zeitalter der Düsen-
flugzeuge, in dem wir leben. Ich werde David beschreibt die Bildung des Fötus
nie vergessen, wie der Herr durch diese mit ausgesuchter einfühlsamer Schön-
kostbare Verheißung sprach, als ich heit. »Du bildetest meine Nieren. Du
1969 auf eine aus­gedehnte Dienstreise wobst mich in meiner Mutter Leib.« Ja,
ging. Die vielen Düsenflugzeuge, mit Gott bildete unsere Eingeweide, von
denen ich reiste, waren wie die Flügel denen jedes ein Wunderwerk göttlicher
der Morgenröte und brachten mich Kunstfertigkeit ist. Man denke z.B. an
buchstäblich an die äußersten Enden das Gehirn mit seinen Möglichkeiten
des Meeres. Aber immer hatte ich das zur Aufnahme von Tatsachen, Klängen,
Bewusstsein von der Gegenwart des Gerüchen, Bildern, Empfindungen und
Herrn und von seiner Bewahrung, Schmerzen, mit seiner Fähigkeit, sich
völlig unabhängig von Geschwindig- zu erinnern, mit seiner Kraft zum Be-
keiten und Entfernungen. So nehmen rechnen, mit seiner anscheinend un­
Sie diese Verheißung für sich selbst in begrenzten Begabung, Entscheidungen
Anspruch, und sagen Sie davon an­ zu treffen und Probleme zu lösen.
deren Gläubigen, die auch im Flugzeug Und Gott wob uns in unserer Mutter
reisen. Leib zusammen. Das beschreibt sehr
139,11-12 Wenn jemand wünschte, passend das Gewebe der Muskeln, Seh-
Finsternis möge ihn vor Gott verber- nen, Bänder, Nerven, Blutgefäße und
gen, setzte er sein Vertrauen auf eine Knochen des menschlichen Körpers.
falsche Zuflucht. Die Nacht kann die David bricht in Lob dem Herrn gegen-
Gegenwart des Herrn nicht ausschlie- über aus. Wenn er an den Menschen als
ßen. Die Finsternis ist für ihn nicht dun- die Krone der göttlichen Schöpfung
kel. »Die Nacht würde leuchten wie der denkt, kann er nur bekennen, dass er auf
Tag, die Finsternis wäre wie das Licht.« erstaunliche und ausgezeichnete Weise
Gott können wir nicht entrinnen. gemacht ist. Je mehr wir über die Wun-
139,13-14 So viel also von der All­ der des menschlichen Körpers nachden-
gegenwart Gottes. Nun wendet sich ken ‒ über seine Ordnung, seine Kom-
David der Betrachtung seiner Macht plexität, seine Schönheit, seine Instinkte
und Fähigkeit zu. Und als besonderen und Erbfaktoren –, umso mehr verwun-
Beweis seiner Allmacht wählt er die dert es uns, wie ein in den Naturwissen-
staunenswerte Entwicklung des Babys schaften ausgebildeter Mensch nicht an
im Mutterleib aus. In einem Fleckchen einen unendlichen Schöpfer glauben
wässrigen Materials, kleiner als ein kann.
i-Tüpfelchen, sind alle künftigen Merk- 139,15 Wieder kehrt der Psalmist zu

757
Psalm 139

der Zeit zurück, als sein Körper in sei- ken« – seine Beachtung des kleinsten
ner Mutter Leib gebildet wurde. Be­ Details. Andrew Ivy sagt: »Fast aus-
achten Sie, dass er die Personalprono- nahmslos jede Zelle ›kennt‹ ihre Rolle
men »ich« und »mein« benutzt, wenn er bei der Ausführung eines Plans und
von seinem Embryo oder seinem Fötus Zwecks zum Wohlergehen des gesam­
spricht. Die biblische Sicht besagt, dass ten Körpers.«
die Persönlichkeit schon vor der Geburt 139,18b »Wenn ich erwache, bin ich
existiert. Darum ist Abtreibung Mord. noch bei dir.« Ich meine, der Psalmist
David war sich bewusst, dass Gott bezieht das auf den Augenblick seiner
ihn von Anfang an durch und durch Geburt. In den vorhergehenden Versen
kannte. Sein Gebein, also sein gesamtes (V. 13-18a) hat er den Nachdruck auf
Skelett, war Gott nicht verborgen, als Gottes Nähe während der neun Monate
David im Verborgenen gemacht wurde, vor seiner Geburt gelegt. Aber selbst
gewoben in den Tiefen der Erde. Damit nach seiner Geburt hat sich das Bild
kann nicht gemeint sein: unterhalb der nicht verändert; er ist immer noch bei
Erdoberfläche; denn niemand wurde dem Herrn als seinem Erhalter, Be-
dort gebildet. In dem Kontext kann es schützer und Führer. Er spricht von sei-
nur heißen: »innerhalb des Mutter- ner Geburt als von einem Erwachen,
leibes«. Einen ähnlichen Ausdruck fin- genauso wie wir davon sprechen, das
den wir in Epheser 4,9, wo von Christus erste Tageslicht zu erblicken.
gesagt wird, er sei »hinabgestiegen in 139,19-22 Nachdem er über die All-
die unteren Teile der Erde«. Auch da re- wissenheit, die Allgegenwart und die
det der Kontext von seinem Eintritt in Allmacht Gottes nachgedacht hat, kom-
die Welt durch die Vorkammer des men ihm die erbärmlichen Menschen in
Mutterleibes der Jungfrau. Es geht da den Sinn, die es wagen, sich gegen ihn
um seine Fleischwerdung. zu stellen, und er kommt zu dem
139,16 Wenn der Psalmist von seiner Schluss, sie hätten ihre Strafe wohl ver-
»Urform« spricht, so benutzt er ein dient. Es wird nicht ausbleiben, dass
Wort, das etwas Zusammengerolltes einige über Davids Gebet in den Versen
oder Zusammengefaltetes meint 19 bis 22 die Stirn runzeln, weil darin
(»Knäuel«). Barnes und andere meinen, etwas Niedrigeres als die christliche
dieses Wort sei eine richtige Bezeich- Gesinnung ausgedrückt wird. Sie wer-
nung für den Embryo, »wo alle Glieder den vorbringen, die Gefühle des Psal-
des Leibes noch zusammengefaltet, misten seien verurteilend und mit gött-
nicht entfaltet sind, d.h. wo sie noch licher Liebe nicht zu vereinbaren. Ich
nicht die ihnen bestimmten Formen bin der Ansicht, dass Gottes Liebe im
und Proportionen angenommen ha- Vergleich zu seiner Heiligkeit und Ge-
ben«. Selbst in dieser vorläufigen Phase rechtigkeit sehr stark überbetont wird.
seiner Existenz sahen die Augen Gottes Es ist wahr: Gott ist Liebe; aber das ist
den »lieblichen Sänger Israels«. nicht die ganze Wahrheit. Sie ist nur eine
Auch waren in Gottes Buch alle Tage seiner Eigenschaften. Und seine Liebe
des Lebens Davids von dem göttlichen kommt niemals auf Kosten seiner ande-
Baumeister verzeichnet worden, ehe ren Eigenschaften zum Tragen. Außer-
der große Augenblick eintrat, in dem dem bedeutet die Tatsache, dass Gott
David seine Ankunft in der Geschichte Liebe ist, nicht, dass er zum Hass un­
mit dem ersten kräftigen Schrei kund- fähig wäre: »Den, der Gewalttat liebt,
tat. hasst seine Seele« (Ps 11,5). »Du hassest
139,17-18a Der Psalmist sinnt über alle, die Frevel tun« (Ps 5,6). »Dem
Gottes sorgfältige Planung seines HERRN sind verhasst … stolze Augen,
Geistes, seiner Seele und seines Kör- falsche Zunge und Hände, die unschul-
pers. »Wie kostbar sind seine Gedan- diges Blut vergießen, ein Herz, das heil-

758
Psalm 139 und 140

lose Anschläge schmiedet, Füße, die ei- Davids Zorn diese Gedanken zu berück-
lig dem Bösen nachlaufen, wer Lügen sichtigen.101
vorbringt als falscher Zeuge und wer
freien Lauf lässt dem Zank zwischen 139,23-24 Der Psalm endet mit einem
Brüdern« (Spr 6,16-19). Gebet, das für Gottes Volk dauerhafte
Edward Young erinnert uns: Gültigkeit besitzt, einem Gebet, das
nicht verstummt, solange es sün­digen­
Bevor wir fortfahren, David wegen de Heilige auf dieser Erde gibt. Darin
dieses Gebets zu verurteilen, ist es gut zu wird der mächtige Gott gebeten, das
bedenken, dass wir um dasselbe bitten, Herz genau zu erforschen und sorgfäl-
sooft wir die Worte im »Vaterunser« tig alle Gedanken zu prüfen. Außerdem
sprechen: »Dein Reich komme! Dein Wil- bittet David den Herrn, jeden bösen
le geschehe!«100 Weg bloßzulegen, damit er bekannt
wird und er davon ablässt. Und schließ-
Dem Kommen des Reiches Christi wird lich bittet er ihn, er möge ihn auf ewi-
die Vernichtung seiner Feinde voraus- gem Weg leiten.
gehen. Wenn man also um das eine bit- Hier geht es nicht um einen Men-
tet, bittet man auch um das andere. Da- schen, der seine Unschuld oder Gerech-
vid schämt sich nicht, die Zeit herbeizu- tigkeit herausstellt, vielmehr ist es das
sehnen, in der Gott die Gottlosen um- Bekenntnis von jemandem, der in der
bringen wird und in der die Blutmen­ Gegenwart des Herrn war und von sei-
schen für ewig aufgehört haben, ihn zu ner eigenen Sündhaftigkeit überzeugt
quälen (V. 19). Dies sind die Menschen, wurde. Er ist sich bewusst, alle seine
die sich in boshafter Weise dem Herrn, Verfehlungen gar nicht zu kennen. Dar-
Gott, widersetzen und sich in böser um bittet er den Herrn, er möge sie ihm
Absicht gegen ihn erheben. zeigen, damit er wirkungsvoll mit ih-
Davids Hass gegen diese Menschen nen verfahren kann.
entsprang nicht persönlichem Beleidi-
gtsein, vielmehr hasste er sie, weil sie Psalm 140: Aus den Händen der
Gott hassten und gegen den Allerhöchs­ Gottlosen
ten rebellierten. Sein Eifer für die Ehre 140,1-4 David beginnt sein Gebet mit
des Herrn war es, die ihn dazu brachte, der Bitte um Errettung von der Ver-
sie mit äußerstem Hass zu hassen und leumdung durch den Feind. Böse Men-
sie als seine persönlichen Feinde zu be- schen redeten schlecht über ihn, und
trachten. Hierin erinnert er uns an den Gewalttätige schmiedeten gegen ihn
Herrn Jesus, den sein Eifer für das Haus schreckliche Pläne. Sie wurden nicht
seines Vaters dazu trieb, die Geld- froh, bevor sie nicht Krieg entfacht hat-
wechsler hinauszujagen. »Die Saiten ten. Ihre Zunge hatten sie zu einer
auf Davids Harfe waren wie das Herz scharfen Klinge geschliffen, und töd-
Jesu gestimmt.« Young erklärt dazu: liches Gift schoss zwischen ihren Lip-
pen hervor.
David hasste; aber sein Hass glich dem 140,5-6 Aber der Psalmist brauchte
Hass Gottes; er entsprang keiner bösen auch Schutz vor den Fallstricken der
Leidenschaft, sondern dem ernsten und Feinde. Die Gottlosen waren Meister im
ganz und gar aufrichtigen Begehren, Fallenstellen. Sie dachten sich Verfüh-
Gottes Absichten möchten zustande rungen aus, um ihn zu fangen. Sie ver-
kommen und die Gottlosigkeit möge zu- gruben Tretminen auf seinem Weg. Sie
grunde gehen. Hätte David nicht ge- breiteten ein Netz aus, damit er selbst
hasst, würde er den Sieg des Bösen und seinen guten Ruf verdarb. Auf seinem
damit den Untergang Gottes gewünscht ganzen Weg legten sie Verlockungen
haben. Es ist gut, beim Betrachten von und Köder aus.

759
Psalm 140 und 141

140,7-9 Und außerdem brauchte er Psalm 141: Gebet ist wie Weihrauch
Schutz vor ihren Mordanschlägen. So
wendet er sich zu Gott. 141,1 Zu Beginn des Psalms bittet Da-
In Hingabe: »Du bist mein Gott.« vid um Gehör und Annahme. Während
Im Flehen: »Höre, HERR, auf die Stim- sich sein Klageruf himmelwärts
me meines Flehens!« schwingt, bittet er, der HERR möge
In Abhängigkeit: »HERR, mein Herr, schnell zu ihm kommen und aufmerk-
du Hort meiner Rettung!« sam zuhören.
In Dankbarkeit: »Du hast mein Haupt 141,2 Dieser Vers ist außerordentlich
beschirmt« (wie mit einem Helm) »am schön. David bittet, sein Gebet möge
Tag der Waffen.« Gott genauso wohlgefällig sein wie ein
In demütiger Bitte: »Gewähre die Ge­ Rauchopfer und sein flehentliches Auf-
lüste des Gottlosen nicht, HERR!« heben der Hände dieselbe Wirkung auf
Die letzte Bitte bedeutet: »Lass ihn Gott haben wie das Abendspeisopfer.
nicht das tun, was er mir antun will. Er- 141,3-4 Aber dann kommt er vom All-
scheine nicht wie ein Komplize seines gemeinen zum Besonderen. Sein erstes
bösen Anschlags, wenn auch nur da- Hauptanliegen ist die Bewahrung vor
durch, dass du ihn zulässt.« Wir wis- der Partnerschaft mit Gottlosen in Wort
sen, dass Gott niemals die Gottlosigkeit und Tat. Er bittet um eine Wache, die an
unterstützen oder ihr Vorschub leisten seinem Mund aufpasst, dass ihm kein
würde. Hier geht es darum, dass die falsches Wort entschlüpft, und damit
bloße Duldung schon als Zeichen sei- die Tür seiner Lippen vor Reden be-
ner Zustimmung verstanden werden wahrt bleibt, die den Herrn verunehren.
könnte. Dann bittet er auch um ein Herz, das
140,10-12 Als Nächstes bittet der Psal- frei ist von dem Verlangen, mit den ver-
mist, das Blatt möchte sich für die Gott- dorbenen Menschen zusammenzu­
losen wenden, damit die schmutzigen arbeiten in ihrem gottlosen Treiben. Er
Dinge, die sie ihm zugedacht hatten, will an ihren Erfolgen nicht teilhaben,
mit voller Wucht auf ihre stolzen wenn sie auch noch so anziehend und
Häupter hereinbrechen mögen. Glü- verführerisch erscheinen.
hende Kohlen sollen auf sie herabreg- 141,5 Die Ratschläge, die Kritik und
nen, und in Wasserlöcher sollen sie ge- die Zurechtweisungen gottesfürchtiger
worfen werden, aus denen es kein Ent- Freunde sind vernünftigen Menschen
rinnen für sie gibt. Er bittet, die Ver- willkommen. Wir können unsere Feh-
leumder möchten im Land nicht Fuß ler oft nicht so deutlich sehen, wie wir
fassen können, und die Gewalttätigen sie bei anderen erkennen. Nur solche,
sollen pausenlos vom Unglück verfolgt denen wir wirklich wichtig sind, sind
werden. bereit, uns auf Fehler und »blinde Fle-
140,13-14 Der Psalm schließt mit ru- cken« aufmerksam zu machen. Es ist
higem Vertrauen auf den gerechten Freundlichkeit ihrerseits und sollte von
HERRN. Was auch geschieht, David uns gern angenommen werden wie
weiß, dass das Recht die Oberhand be- eine heilsame Medizin.
hält. Der HERR ist auf der Seite der »Ich bete nur gegen ihre Bosheiten«
Elenden und Armen. Und der Gerechte (Schlachter 2000).
wird immer Ursache haben, dem Herrn Der Zusammenhang ist hier nicht
für alle seine Hilfe zu danken. Die Auf- ganz klar; aber die Bedeutung scheint
richtigen werden ewig in seiner Gegen- zu sein, dass David fortfährt zu beten,
wart wohnen, und das lässt alle Leiden die verbrecherischen Pläne der Übel­
dieses Lebens höchstens wie Nadel- täter aus Vers 4 möchten zunichtewer-
stiche erscheinen. den. Darby übersetzt diesen Satz so:
»Dennoch ist mein Gebet für sie in

760
Psalm 141 bis 143

ihren Schwierigkeiten.« Hier ist der Ge- lassenen hallen in der Höhle wider. Er
danke, David bete für jene, die ihn aus schüttet seine Klage vor Gott aus. Er ist
Freundlichkeit zurechtgewiesen haben, nicht wütend oder voll Rachegedan-
wenn in deren Leben Trübsale auf­ ken, er will nur dem Herrn sein Elend
treten. Einige verstehen den Satz so: »Er und seinen Schmerz kundtun. Es trös­
betet für seine Feinde in ihren Schwie- tet ihn, zu wissen: Wenn seine Kraft fast
rigkeiten«, doch einer solch groß­ ganz geschwunden ist, so weiß doch
herzigen christlichen Haltung scheint der HERR, was er durchmacht.
Vers 10 zu widersprechen. 142,4-5 Ein Hauptpunkt in seiner Lei-
141,6 »Wenn ihre Richter den Felsen densgeschichte ist die beständige Be-
hinabgestürzt worden sind, so werden drohung durch seine Feinde. Sie stellen
sie auf meine Worte hören, dass sie ihm Fallen, überall, wo sie meinen, dass
lieblich sind« (Schlachter 2000). Bei den er hingehen wird. Er aber, schaut er zur
Richtern handelt es sich wahrscheinlich Rechten, d.h. dorthin, wo sein Anwalt
um die Anführer dieser üblen Mafia. oder Helfer steht, so ist niemand da.
Wenn sie ihrem unausweichlichen Ur- Allen scheint seine verzweifelte Not
teil anheim fallen, wird der Rest der gleichgültig zu sein. Niemand macht
Sünder sehen, dass Davids Worte doch sich Sorgen um sein Leben. Es ist wirk-
wahr waren. lich ein beklemmender Schrei: »Nie-
141,7 »Wie wenn einer die Erde pflügt mand fragt nach meiner Seele!«, eine
und aufreißt, so sind unsere Gebeine schreckliche Anklage gegen eine selbst-
hingestreut am Rand des Totenreichs« süchtige, unpersönliche Gesellschaft –
(Schlachter 2000). Hier wird der Blick und heute vielleicht gegen eine schla-
von den Feinden Israels offensichtlich fende Gemeinde.
auf das jüdische Volk selbst gelenkt. 142,6-8 Wenn es auch auf der mensch-
Seine Verfolgungen waren so gründlich lichen Ebene keine Zuflucht gibt, so
wie das Pflügen eines Feldes. Jetzt sieht kann er sich doch zu dem HERRN wen-
es aus, als seien nur noch die Skelette den. Er ist seine nie versagende Zu-
der Israeliten übrig, und der Scheol rei- flucht und sein gesegnetes Teil im Land
ße seinen Schlund auf, um die Gebeine der Lebendigen. So bittet David den
zu verschlingen. Das lässt uns an Hese- Herrn, schnell zu seiner Rettung zu
kiels Vision von den vertrockneten Ge- kommen, weil er mit seiner Kraft am
beinen denken, die sich natürlich auf Ende ist. Jene, die hinter ihm her sind,
Israel beziehen (Hes 37,1-14). haben die Übermacht, so braucht er den
141,8-10 In den letzten drei Versen Herrn, der die Waagschale zu seinen
bittet der Psalmist um Errettung für Gunsten nach unten drückt. Wenn der
sich und um Vergeltung für seine HERR ihn aus dem Gefängnis des Exils
Feinde. Seine Erwartungen richten sich und des Kummers erlöst, wird David
ausschließlich auf den Herrn, und seine zeigen, wie dankbar er ist.
Hoffnung auf Zuflucht und Verteidi- Auch die Gläubigen werden sich um
gung ist Gott allein. Darum bittet er, er ihn scharen, um ihm zu gratulieren,
möge vor den schlau gestellten Fallen und mit ihm dem Herrn danken, weil er
der Gottlosen bewahrt werden, und so gut zu ihm gewesen ist. Clark drückt
dass sie sich selbst darin verfangen. es so aus: »Jene, die uns in unserem Leid
nicht schützen können, sollen doch teil-
Psalm 142: Niemand kümmert sich haben an unserem Triumph.«102
Verfolgt von seinen Feinden, verlassen
von seinen Freunden, finden wir David Psalm 143: Das weite Spektrum des
in einer Höhle stecken. Gebets
142,1-3 Er betet laut, obwohl er allein Es ist erstaunlich, wie viele verschie-
ist. Die Rufe und das Flehen eines Ver- dene Gefühlslagen in einem Psalm von

761
Psalm 143

zwölf Versen angesprochen werden Bitte um Gunst. Wenn Gott sein An­
können. Hier finden wir: gesicht verbergen würde, sei es im Zorn
143,1 Allgemeine Bitte um Gehör. »Höre oder aus Desinteresse, käme das für ihn
… merke auf … erhöre!« Da gibt es kei- dem Sterben gleich.
ne Ausdrucksarmut, sondern sehr aus- 143,8 Flehen um Gnade. Er sehnt sich
geprägte Vielseitigkeit. David bittet danach, dass Gott bald zu ihm spricht
Gott, ihn in seiner Treue (zu seinen Ver- in Worten und Zeichen seiner un­
heißungen) und gemäß seiner Gerech- erschütterlichen Liebe. »Am Morgen«
tigkeit zu erhören (d.h. weil es für ihn heißt: früh oder ohne Verzögerung.
recht ist, seinen wehrlosen Knecht zu Gebet um Leitung. Jemand hat gesagt,
verteidigen). diesen Vers könnte jeder Mensch als
143,2 Buße. Er will nicht, dass Gott mit sein Lebensmotto nehmen: »Tu mir
ihm ins Gericht geht. Das wäre sein kund den Weg, den ich gehen soll, denn
Verderben. Alle sind Sünder. Niemand zu dir erhebe ich meine Seele.« Gött­
kann aus sich heraus jene vollkommene liche Leitung ist unverzichtbar. Wir
Gerechtigkeit hervorbringen, die Gott wissen einfach den Weg nicht, auch
fordert. So muss der Mensch sich auf nicht, was das Beste für uns selbst ist.
die Gnade Gottes werfen. Nur das von Gott geleitete Leben ist
Wenn wir als unwürdige, bußfertige fruchtbringend und erfüllend.
Menschen zu ihm kommen, unsere Sün- 143,9 Bitte um Errettung. Das Drohen
den anerkennen und Christus als un- seiner Feinde veranlasst David, zu dem
seren Retter von der Sünde annehmen, Herrn zu rufen, er möge ihn retten und
dann verleiht uns Gott seine eigene Ge- befreien. Er hat sich auf niemand ande-
rechtigkeit, und in Christus sind wir ren als Beschützer verlassen – nur auf
dann für den Himmel passend gemacht. den HERRN, und diese Ausschließlich-
143,3 Akute Krise. Die Lage ist furcht- keit seines Vertrauens bildet nun die
bar. Der Feind hat ihn gnadenlos ver- Grundlage seines Bittens.
folgt. David fühlt sich zu Boden ge- 143,10 Flehen um Unterweisung. Der
schlagen. Seine Quäler haben ihn ge- Psalmist wollte nicht nur den Willen
zwungen, in Isolation, in Finsternis zu Gottes erkennen (V. 8), er wollte auch,
wohnen, verborgen und abgeschnitten dass sein Herz darin geübt ist, diesen
und vergessen, gleich längst Verstorbe- Willen Gottes zu tun. Denn Gott war ja
nen in ihren Gräbern. sein Gott, und was könnte passender
143,4 Verzweiflung. Er fürchtet, es für ein Geschöpf sein, als dem Schöpfer
nicht mehr lange aushalten zu können. zu gehorchen?
Sein Geist ist so weit, alles aufzugeben, Gebet um einen ebenen Weg. Jeder kennt
und sein Herz ist erstarrt. das Auf und Ab im Leben; aber nicht
143,5 Erinnerung. Er gedenkt der Tage, jeder hat einen so steinigen Weg wie
als Gott mächtige Rettungen für ihn David. Hier äußert er den Wunsch, der
und für das Volk Israel bewirkte. Wo gute Geist des Herrn möge ihn auf we-
sind jetzt solche Zeiten? niger raues Gelände bringen, frei von
143,6 Inbrunst. Die Aufrichtigkeit und den extremen Gefahren und Katastro-
Inbrunst seines Gebets drückt sich in phen, denen er schon ausgesetzt war.
den flehentlich zu Gott erhobenen Hän- 143,11 Flehen um Bewahrung. Indem er
den aus. seine fortgesetzte Bewahrung mit der
Intensität. Sein Geist sehnt sich nach Herrlichkeit des HERRN verbindet
Gott, wie ein dürres Land sich nach (»um deines Namens willen«), bedient
dem erfrischenden Regen sehnt. sich der Psalmist eines der stärksten
143,7 Dringlichkeit. Der HERR muss Hebel, um die Hand und das Herz des
zu seiner Rettung eilen, sonst ist er nicht Allmächtigen zu bewegen. Auf dieselbe
sicher, weiter überleben zu können. Weise appelliert er an die Gerechtigkeit

762
Psalm 143 und 144

Gottes, indem er sie als Grund für seine die ganze Menschheit; aber David
Befreiung von der Not anführt. Das ist denkt hier vielleicht besonders an seine
ein machtvolles Gebet. Feinde.
143,12 Vergeltung den Feinden. Am 144,5-8 Das bringt David dazu, für
Ende bittet er, Gott möge seine Feinde den Augenblick zu beten, wenn der un-
vertilgen und umkommen lassen ‒ als besiegbare Gott gegen seine armseligen
ein Erweis seiner Gnade. Falls uns diese Feinde vorgeht. Aber wie kann man die
beiden – Vernichtung und Gnade – un- Ankunft des unsichtbaren Gottes be-
vereinbar erscheinen, sollten wir daran schreiben? Die einzige Möglichkeit ist,
denken, dass: eine jener majestätischen Gotteserschei-
nungen herauszugreifen, in denen die
… die Vernichtung der Gottlosen eine Natur umgewälzt und das Universum
Gunst gegenüber dem Universum ist; ge- erschüttert wird. Die Himmel neigen
nauso wie die Verhaftung und Be­ sich nieder, wenn Gott herabsteigt. Er
strafung eines Räubers eine Gnade berührt die Berge, und sie werden zu
gegen­über der Gesellschaft, der Mensch- rauchenden Vulkanen. Blitze zucken
heit darstellt. Genauso ist jedes Gefäng- durch den Himmel wie Pfeile des All-
nis sowohl ein Zeichen von Gnade als mächtigen. Dann, wenn die Feinde
auch von Gerechtigkeit – Gnade gegen­ gründlich verwirrt und zurückgeschla-
über der Gesellschaft als Ganzes; Ge- gen sind, greift Gott herab und reißt
rechtigkeit gegenüber den Über­tretern.103 David aus den rasenden Wogen des
Leidens. Er errettet ihn aus der Hand
Davids letzter Appell gründet sich auf der fremden Eindringlinge, dieser un-
die Tatsache, dass er der Knecht des verbesserlichen Lügner, die ihre
HERRN ist. Er steht auf der Seite des Schwurhand erheben, um zu lügen und
Herrn. Er dient dem Herrn. Nur wenn nicht, um die Wahrheit zu bekräftigen.
die Feinde beseitigt sind, fühlt er sich 144,9-11 Als Ergebnis dieser Rettung
imstande weiterzumachen. will der Psalmist dem Herrn ein neues
Lied singen. Mit der Harfe von zehn
Psalm 144: Das glückliche Volk Saiten will er den erheben, der ihn von
Obwohl der Psalm größtenteils aus dem verderblichen Schwert der auslän-
Teilen anderer Psalmen besteht, ist er dischen Feinde errettet hat, von jenen
nicht planlos zusammengestellt. Es gibt Menschen, die nichts anderes können
einen inneren Zusammenhang. als lügen, selbst wenn sie beeiden, die
144,1-2 Zunächst ehrt David Gott als Wahrheit zu sagen.
den Einzigen, den er in den Kämpfen 144,12 Wenn der König von diesen
des Lebens braucht. Der Herr ist es, der alle Ordnung untergrabenden Elemen-
ihm Geschicklichkeit und Gewandtheit ten befreit ist, wird sich sein Reich der
bei seinen Zusammenstößen mit dem idealen Bedingungen erfreuen, die hier
Feind verleiht. Der HERR ist sein Fels, beschrieben sind. Tatsächlich werden
seine Gnade, seine Burg, seine Zuflucht, diese Bedingungen nicht vollständig
sein Erretter, sein Schild, hinter dem er erfüllt, bevor der Herr wiederkommt,
sich birgt, und sein Sieg. Was könnte er die Rebellion zerschlägt und sein Tau-
außerdem noch nötig haben oder be- sendjähriges Reich aufrichtet.
gehren? Zuerst wird der Segen zu blühenden
144,3-4 Im Licht der Größe Gottes ist Familien führen. Die Söhne werden ge-
der Mensch ganz und gar unbedeu- sund, brauchbar und tüchtig sein wie
tend. Es ist ein Wunder, dass Gott ihn starke, vitale Pflanzen. Die Töchter wer-
be­­­achtet. Er ist wie ein Atemhauch an den ansehnlich und hübsch sein, wie
einem kalten Tag, so vorübergehend die behauenen Säulen eines Palastes.
wie ein fliehender Schatten. Das gilt für 144,13-15 Dazu wird es reiche Ernten

763
Psalm 144 und 145

geben. Die Scheunen und Silos werden dem nächsten gerühmt. Niemals wird
mit allerlei Getreidearten und anderen dieses Lied zu Ende sein.
Produkten gefüllt sein. Das Kleinvieh 145,5 Der Psalmist selbst will über die
wird sich so reichlich vermehren, dass herrliche Pracht der göttlichen Majestät
Herden von Zehntausenden auf den sinnen, wie sie sich in seinem wunder-
Weiden grasen. Die Rinder werden baren Erlösungswirken offenbarte.
trächtig sein und keine Fehlgeburten 145,6 Die Menschen werden sich an
haben. Die Ausdrücke »ohne Riss und die Kraft der furchtbaren Gerichtstaten
Fehlgeburt« und »kein Klagegeschrei Gottes erinnern, und David will fort-
sei auf unseren Plätzen« können auch fahren, die Größe des Herrn zu verkün-
so verstanden werden: Das Land wird den.
von fremden Eindringlingen frei sein, 145,7 Überall werden die Menschen
es wird keine erzwungene Auswande- begeistert den Ruhm der großen Güte
rung und keine lauten Demonstra­ des Herrn verbreiten. Und die Größe
tionen oder Krawalle auf den Straßen seiner Gerechtigkeit wird das Thema
geben. ihrer frohen Lieder sein.
Es ist ein Bild unvergleichlichen 145,8 Die Größe des Herrn erstreckt
Glücks, jenes Glücks, das dem Volk ge- sich auch auf seine Gnade und sein Mit-
hört, welches den HERRN als seinen gefühl. Er ist groß in seiner Selbstbe-
Gott anerkennt. herrschung und groß in seiner Gnade.
145,9-10 Seine Güte erstreckt sich
Psalm 145: Das fehlende »Nun« ohne Unterschied auf alle und sein Er-
Davids »Lobgesang« ist ein Akrosti- barmen ohne jede Ausnahme auf alle
chon; denn jeder Vers beginnt mit seine Geschöpfe.
einem Buchstaben in der richtigen Rei- Alle seine Werke werden ihn – wenn
henfolge des hebräischen Alphabets. auch unhörbar – loben. Allein ihr Da-
Allerdings fehlt in dem traditionellen sein zeigt seine Weisheit und Kraft.
masoretischen Text zwischen den Und seine Heiligen vereinen sich, um
Versen 13 und 14 das »Nun«, das un- ihn für seine unendlichen Vollkom-
serem »N« entspricht. Die alten grie- menheiten zu preisen.
chischen, syrischen und lateinischen 145,11-13 Dann ist da die Größe sei-
Versionen fügen Folgendes ein: nes Reiches. Sein ist die Kraft und die
»Der HERR ist treu in allen seinen Herrlichkeit. Sein eigenes Volk berich-
Worten, und gnädig in allen seinen tet den übrigen Menschen von der Grö-
Werken.« ße seiner Taten und den prachtvollen
Im zwanzigsten Jahrhundert fand Herrlichkeiten seiner Herrschaft. Sein
man diese Zeile – die des fehlenden Reich ist ewig und besteht durch alle
»Nun« – auch auf Hebräisch in den Rol- Geschlechter hindurch.
len vom Toten Meer. 145,14 Der HERR ist groß in der Be-
145,1-3 Das Thema des Psalms ist die wahrung derer, die unter den Lasten
Großartigkeit des Herrn. Der Psalmist des Lebens zu Boden fallen. Und er
ist erfüllt von heiliger Entschlossenheit, richtet solche auf, die unter Druck und
seinen Gott und König zu erheben, zu Sorgen niedergebeugt sind.
loben und zu preisen, jetzt in der Zeit 145,15-16 Außerdem ist er groß in sei-
(täglich) und in Ewigkeit. Der Inhalt ner Vorsehung. Alle Geschöpfe blicken
seines unablässigen Gesangs soll sein: in Abhängigkeit und Erwartung zu ihm
Gott ist groß, seine Größe ist großen auf, und er versorgt sie mit Nahrung,
Lobes wert, und seine Größe ist in jeder wie sie es nötig haben ‒ in wunderbar
Hinsicht grenzenlos. geregelter Ordnung von Wachsen, Zu-
145,4 Die Werke und mächtigen Taten bereiten und Austeilen. Er braucht nur
Gottes werden von einem Geschlecht seine Hand zu öffnen, und schon speist

764
Psalm 145 und 146

er unzählige Geschöpfe. Welch ein gro- falls Menschen. Sie können sich selbst
ßer Gott ist er! nicht retten, geschweige denn andere.
145,17 Der Herr ist groß in seiner Ge- Wenn das Herz des Menschen zu schla-
rechtigkeit und Freundlichkeit. Nichts, gen aufhört, stirbt er und wird be­
was er tut, ist falsch oder herzlos. Nur graben. Er kehrt zum Staub zurück.
in Gott vereinen sich diese Tugenden Alle seine grandiosen Pläne gehen ver-
vollkommen. loren. So können wir von den Men-
145,18 Er ist groß in seiner Herablas- schen sagen: Sie sind unzuverlässig,
sung und Erreichbarkeit – immer ganz unfähig, sterblich und schwinden da-
nahe denen, die ihn aufrichtig suchen. hin.
145,19 Er ist groß in seiner Rettung. 146,5 Der Weg zu Glück, Hilfe und
Niemand, der ihm in Reue und Glau- Hoffnung ist, sich auf den Gott Jakobs
ben naht, wird jemals abgewiesen. zu verlassen, d.h. auf den Gott derer,
145,20 Er ist groß in seiner wach- die es nicht verdient haben. Jetzt folgen
samen Bewahrung für alle, die ihn lie- einige Gründe, weshalb er all unser
ben. Er lädt sie ein, alle Sorgen auf ihn Vertrauen wert ist:
zu werfen. 146,6 Der allmächtige Schöpfer. Him-
Schließlich ist er groß im Zorn. Am mel und Erde hat er gemacht, das Meer
Ende werden alle Gottlosen vernichtet und alle Geschöpfe des Weltalls. Wenn
werden. er das kann, was kann er dann nicht?
145,21 Davids Geist war darauf ge- Der Zuverlässige. Er hält auf ewig
stimmt, ewig diesen großen Gott zu Treue. Es ist ihm unmöglich, zu lügen
preisen, und er wollte jedermann er- oder hinter seinem Wort zurückzublei-
mahnen, dasselbe zu tun. ben. Man riskiert nichts, wenn man ihm
Das bringt mich dazu, von dem feh- vertraut. Er kann nicht versagen.
lenden »Nun« zu sagen: Während das 146,7 Der Anwalt der Hilflosen. Er ach-
ganze Universum den Herrn preist, tet darauf, dass die Gerechten vertei­
seien Sie nicht derjenige, der dabei digt werden, dass ihre Sache am Ende
fehlt! triumphiert. Die Wellen scheinen gegen
sie zu sein; aber die Flut wird am Ende
Psalm 146: Die Herrlichkeiten des den Sieg davontragen.
Gottes Jakobs Der Versorger. Er gibt den Hungrigen
146,1 Der erste Vers enthält zwei Impe- Brot, sowohl im geistlichen als auch im
rative, mit denen der Psalmist sich leiblichen Sinn. Er bringt uns ins Fest-
selbst aufruft, den HERRN zu preisen haus, und welch einen Tisch bereitet er
(Halleluja heißt »Preist den HERRN!«). uns dort!
146,2 Der zweite Vers enthält zwei Der Befreier. Er macht die Gefangenen
Aussagen, in denen er darauf antwor- frei – frei von menschlicher Be­drückung,
tet: »Loben will ich den HERRN mein von den Ketten der Sünde, von dem
Leben lang, will spielen meinem Gott, Haltegriff der Welt, von den Fesseln des
solange ich bin.« Das ist ein wunder- Teufels und von einem selbstsüchtigen
schöner Dialog zwischen einem Men- Leben.
schen und seinem besten Ich. 146,8 Er gibt Sehfähigkeit. Der HERR
146,3-4 Der Rest des Psalms erklärt, öffnet die Augen der Blinden; einige
warum Gott und nicht der Mensch un- sind körperlich blind, andere geistig
sere Zuversicht und unseren Glauben und geistlich, einige von Geburt an, an-
verdient. Allerdings müssen die mei- dere durch einen Unfall, und andere
sten von uns erst lernen, nicht auf Men- haben es so gewollt. Kein Fall ist für ihn
schen zu vertrauen – nicht einmal auf zu schwer.
Edle, die man doch für etwas Besseres Er richtet auf. Er richtet den zaghaften
hält. Die besten Menschen sind besten- Geist jener auf, die niedergebeugt sind

765
Psalm 146 und 147

unter den Lasten des Kummers, der Wegen seiner besonderen Gunst ge-
Anfechtung, der Sorgen und der genüber Israel (V. 19-20).
Schmerzen. 147,1 Die erneuerte Natur des Men-
Er liebt die Gerechten. Barnes schreibt: schen merkt instinktiv, dass es gut ist,
»Es ist ein Wesensmerkmal Gottes und den HERRN zu preisen. Es ist nicht
eine Quelle des Lobes, dass er die liebt, nur schön, sondern auch äußerst an­
die dem Gesetz gehorchen, die das tun, gebracht.
was recht ist.« 147,2-4 Er ist der Gott der Wiederher-
146,9 Der Schutz der Fremdlinge. Er stellung. Hier wird er gepriesen, weil er
kümmert sich um das Wohl der Frem- Jerusalem wieder errichtete und Israels
den, der Gäste und der Verbannten. Pil- Flüchtlinge aus ihrer Gefangenschaft
ger finden in dem HERRN einen wah- sammelte. Das Versagen des Volkes
ren Beistand. oder der Einzelnen bedeutet nicht, dass
Der Freund der Beraubten. Er hält die Gott mit ihnen abgeschlossen hat. In
Waisen und Witwen aufrecht und alle seinem gnädigen Erneuerungswirken
anderen, die keinen menschlichen Hel- heilt er die, die zerbrochenen Herzens
fer haben. sind, und verbindet ihre Wunden. Und
Der Richter des Bösen. Er verdirbt die weil er die Sterne zählt und jeden mit
schlauesten Pläne der Gottlosen und Namen nennt, kann es nicht anders
lässt ihre Wege im Untergang enden. sein, als dass er auch sein Volk zählt
146,10 Der ewige König. Im Gegensatz und jeden einzeln und persönlich
zur Vergänglichkeit des Menschen steht kennt.
die Ewigkeit Gottes. Der HERR wird re- Die Weise, in der das freundliche Mit-
gieren in Ewigkeit, von Geschlecht zu leid und die unendliche Kenntnis in
Geschlecht. Preist den HERRN (»Halle- den Versen 3 und 4 nebeneinander­
luja«)! gestellt werden, veranlasste Archibald
Sind Sie nicht froh, ihn zu kennen? G. Brown, auszurufen:
In Demut und Ehrfurcht wagen wir
Psalm 147: Jerusalem ist doch zu sagen, dass du niemals zwei
wiederhergestellt – halleluja! erlesenere Aussagen zusammen neben-
Allgemein wird angenommen, dass einandergestellt hast wie diese: »Er
dieses Lied die Wiederherstellung Jeru- heilt, die zerbrochenen Herzens sind,
salems nach der babylonischen Gefan- … und zählt die Zahl der Sterne.«104
genschaft feiert. Wenn es damals pas-
send war, dann in einem viel höheren Seine Rechte heilt ein krankes Herz,
Sinn, wenn der König zurückkommt Seine Linke hält die Sterne.
und das Glück der Stadt und des ge- Dir, großer Gott, ist alles nah,
samten Volkes erneuert. Scheint’s uns auch noch so ferne.
Der Ablauf des Psalms ist folgender: nach M.P. Ferguson
Die Angemessenheit des Lobes (V. 1).
Wegen der Wiederherstellung Israels 147,5-6 Er ist ein großer Herr und reich
(V. 2-6). an Macht, und seine Einsicht ist ohne
Wegen Gottes Vorsehung in der Na- Maß. Er belebt und ermuntert die Un-
tur (V. 7-9). terdrückten, und die gottlosen Unter-
Weil er größere Freude an dem Geist- drücker erniedrigt er.
lichen als an dem Leiblichen hat (V. 10- 147,7-9 Außerdem sollten wir Gott
11). danken und preisen wegen seiner Für-
Wegen seiner Güte gegenüber Jeru­ sorge in den natürlichen Belangen. Wir
salem (V. 12-14). sollten ihm Dankeslieder singen für die
Weil er die Elemente unter Kontrolle Wolken, die er über den Himmel brei-
hat (V. 15-18). tet. Wir sollten ihm singen wegen des

766
Psalm 147 und 148

Regens und wegen all dessen, was die- ten Winter folgt die Wärme und das
ser für die Erde bedeutet. Wir sollten neue Leben des Frühlings.
ihn für das Gras loben, das die Berge 147,19-20 Schließlich ist er wegen sei-
bedeckt. Ganze Bücher könnten über ner besonderen Gunst gegenüber Israel
die Wichtigkeit von Wolken, Regen zu ehren. Nur diesem Volk hat er seine
und Gras geschrieben werden. Gesetze und Bündnisse gegeben. Kein
Obwohl er so gewaltig ist, kümmert anderes Volk ist so bevorzugt worden.
er sich doch darum, dass die Tiere ihre Die Heiden waren nicht die Empfänger
Nah­­­­­rung erhalten, und er antwortet seiner Rechtsbestimmungen. Williams
auf das klägliche Krächzen der jungen schreibt:
Raben.
147,10-11 Er sollte angebetet werden, Seine Erwählung Israels als Bewahrer
weil ihm das Geistliche wichtiger ist als seines Wortes und als Kanal seiner Wei-
das Natürliche. Ihn setzen nicht Rosse tervermittlung an die Welt (V. 19-20) be-
oder Kavallerieregimenter in Erstau- wegte sowohl Mose als auch Paulus zum
nen, auch nicht die starken, musku- Staunen und zur Anbetung (5. Mose 4,8;
lösen Beine von Infanteristen. Oder – Römer 3,2; 11,33).105
um das Bild zu wechseln – er hat kein
Gefallen an Pferderennen oder an Ath- Psalm 148: Der Chor der Schöpfung
leten, die um olympische Ehren kämp-
fen. Vielmehr freut sich der HERR über Ich habe viele verschiedene Chöre ge­
die, die ihn fürchten und die auf seine sehen und gehört, aber nie einen wie
Gnade wartend hoffen. diesen. Er wird aus allen Geschöpfen
147,12-14 Darüber hinaus sollte er gebildet, den belebten und den un­
verehrt werden wegen seiner Güte ge- belebten. Das Universum ist die Bühne
genüber Jerusalem. Vier verschiedene mit endlosen Stuhlreihen, immer eine
Segnungen werden genannt: hinter der anderen aufsteigend.
Öffentliche Sicherheit – Er befestigt 148,1-6 Im höchsten Abschnitt sind
starke Riegel, um die Tore gegen Ein- die Engel, die den HERRN von den
dringlinge zu sichern. Himmeln her loben. Die himmlischen
Häusliches Glück – Die Bewohner ge- Heerscharen besingen die Herrlich-
nießen ein glückliches, volles Leben. keiten des HERRN. Die Nächsten sind
Nationale Ruhe – Er sorgt für Frieden Sonne, Mond und Sterne; ihr Part ist die
an den Grenzen. Sphärenmusik. Die höchsten Himmel
Landwirtschaftlicher Wohlstand – Er und die mit Wasser beladenen Wolken
sättigt sein Volk mit dem Besten. singen: »Ehre sei Gott in der Höhe!«
147,15-18 Gottes Herrschaft über die Alle rühmen Gott als ihren Schöpfer, als
Elemente sollte beim Lob des Herrn den, der sprach und dadurch die Welt
nicht vergessen werden. Sendet er seine ins Dasein rief. Er ist es, der seiner
Befehle aus, so bringen sie sofortige Schöpfung Dauer und Beständigkeit
und dramatische Ergebnisse. Die Erde gab und der ihr unwandelbare Gesetze
wird mit Schnee bedeckt, als sei sie in und Prinzipien einbaute.
eine Woll­­­­decke gehüllt. Bereift scheint 148,7-8 Als Nächste in der absteigen­
sie mit weißem Staub bestreut zu sein. den Ordnung folgen die Wasser­unge­
Wenn die Hagelkörner herabsausen, heuer und alles Leben in den Ozeanen.
wer könnte wi­­­­­­der­­­­stehen, eilig Schutz Auch sie geben Zeugnis davon, dass die
zu suchen? Dann ändert er seine Be- Hand göttlich ist, die sie erschuf. Feuer,
fehle, und Schnee und Eis schmelzen. Hagel, Schnee und Nebel gehorchen
Der Süd­­­wind erwärmt die Luft, und ganz schnell seinen Befehlen und er­
Tauwetter setzt ein. Und so ist es auch innern uns daran, dass Gott die Jahres-
bei uns Menschen: Dem dunklen, kal- zeiten und das Wetter unter Kontrolle

767
Psalm 148 und 149

hat und sie veranlasst, seinen Willen zu freuen sich des HERRN als ihres Schöp-
tun. fers nach Leib und Geist und als ihres
148,9-10 Dann sind da die Berge und glorreichen Königs.
alle Hügel, die ihre Häupter zur An­ Sie preisen ihn nicht nur im Lied,
betung erheben. Alle Bäume sind da, sondern auch im Reigen. Wie das? Tan-
solche, die Frucht tragen, und solche, zende Gläubige? Ja, es geht um heiliges
die Holz liefern. Sie heben ihre Zweige und reines Entzücken vor dem Herrn.
ihm entgegen. Das Wild und das Vieh, Als Ausdruck wahrer geistlicher Freu-
Gewürm und Vögel – alles besingt die de und Anbetung ist der Tanz für Gott
Weisheit und Macht des Herrn. akzeptabel. Wenn man jedoch diesen
148,11-12 Blicken wir auf die vorde- Vers gebraucht, um das Tanzen nach
ren Reihen, so sehen wir die große Ver- heutigem Verständnis zu rechtfertigen,
sammlung der Menschen – Könige, so ist das etwas anderes. Es besteht ein
Oberste und alle regierenden Beamten, Unterschied zwischen dem Gebrauch
dann das gewöhnliche Volk, Jungen des Tanzes und seinem Missbrauch.
und Mädchen, alte und junge Men- Der Psalmist spricht nur von dem von
schen – alle mit erhobenem Haupt und Gott erlaubten Gebrauch. Dasselbe gilt
mit geöffnetem Mund den Herrn anbe- für Instrumentalmusik. Wenn Tambu-
tend. rin und Zithern Gefühle hätten, so
148,13-14 Der Massenchor preist den würden sie danach verlangen, für Gott
Namen des HERRN als den Namen zum Klingen gebracht zu werden. Nur
über allen Namen und als den, dessen allzu oft werden sie für fleischliche
Herrlichkeit alles übertrifft. Und dann Zwecke erniedrigt. Ihr richtiger Ge-
gibt es ein besonderes Thema in ihrem brauch ist gut; ihr Missbrauch ist
Gesang: Sie erheben den Herrn für schrecklich.
das, was er an Israel getan hat. Er hat 149,4-6a Warum all das? Warum die
das Horn seines Volkes erhöht. Damit ganze jubelnde Musik? Weil der HERR
ist der Messias gemeint. Bei dem Zwei- Wohlgefallen an seinem wiederherge-
ten Kommen des Herrn Jesus hat er stellten Volk hat. Er hat seinem treuen
seinen Heiligen einen besonderen Überrest einen Siegeskranz zuerkannt.
Grund gegeben, ihn zu preisen. Die Die Große Drangsalszeit ist vorüber,
Söhne Is­raels, ganz vorn in dem Chor, und die Sonne scheint strahlend nach
stehen an einer Stelle, die sich durch dem Regen.
besondere Nähe zu ihm auszeichnet. Die Menschen haben jeden Grund,
Durch das wiederhergestellte Volk sich der Herrlichkeit zu erfreuen, die
fließt der Segen hinaus in alle Welt. ihnen gehört, weil sie mit dem König
Darum vereint sich der Chor zu einem der Herrlichkeit verbunden sind. Sie
großartigen Halleluja – »Preist den haben jeden Grund, ihre Stimme zu
HERRN!« freudigem Gesang zu erheben, wäh-
rend sie bei Tag auf ihren Thronen und
Psalm 149: Das hohe Lob Gottes nachts auf ihren Betten liegen (das Wort
Dieser Psalm besteht aus zwei Teilen. »Lager« in Vers 5 kann beides bedeu-
Im ersten (V. 1-6a) singen die Heiligen. ten). Es ist nur recht, wenn ihre Stimm-
Im zweiten (V. 6b-9) regieren sie. Hier bänder mit dem hohen Lobpreis Gottes
geht es um die Zeit, wenn der Herr Je- beschäftigt sind.
sus auf die Erde zurückkommt und sie 149,6b-8 Wie man sieht, findet mitten
in sein lang erwartetes Reich hinein- in Vers 6 ein plötzlicher Wechsel statt.
bringt. Von da an bis zum Ende wird Israel in
149,1-3 Das neue Lied, das Israel der Rolle des Richters gesehen, der Ge-
singt, ist das der Schöpfung, der Er­ rechtigkeit schafft. Dies mag sich auf
lösung und der Herrschaft. Die Sänger die Vernichtung der Feinde beziehen,

768
Psalm 149 und 150

wenn der Messias wiederkommt. nen Ort, an dem Anbetung unan­


Dieses Gericht wird von dem Herrn gebracht wäre.
ausgeführt; aber dem Volk könnte man, 150,2 Und für was ist er zu preisen?
bildlich gesprochen, einen Anteil daran Für seine Machttaten und für seine ge-
zurechnen. Ich meine aber, dies bezieht waltige Größe! Mit anderen Worten:
sich vielmehr auf Israels Rolle als Haupt Wir sollen ihn für das loben, was er für
der Nationen im Tausendjährigen uns getan hat, und für das, was er ist.
Reich. Der Herr Jesus wird in dieser Aber auch gemäß seiner wunderbaren
Zeit mit eisernem Stab regieren (Offb Größe. Es ist eine Sünde, lustlos die
2,27). Die Apostel werden auf Thronen Vollkommenheiten unseres Schöpfers
sitzen und die zwölf Stämme Israels und Erlösers aufzuzählen.
richten (Mt 19,28). Und Israel selbst 150,3-5 Wie? Mit einem Orchester aus
wird an der Herrschaft über die Na­ allen Instrumenten. Die Posaune mit
tionen teilhaben (Dan 7,22). ihrem martialischen, gebietenden Ton,
Darum haben die Heiligen zwei- die Harfe und die Zither mit ihrem
schneidige Schwerter in ihren Händen sanften Saitenklang, das Tamburin, das
und üben Rache und Strafe an den Völ- festlich und beherrschend den Reigen
kern aus, wo immer es nötig ist. Rebel- begleitet, die einschmeichelnde Hirten-
lische Könige und ihre Edlen werden flöte, alle Saiteninstrumente wie Cello,
mit Ketten und eisernen Fesseln gebun- Bratsche, Geige, Mandoline, Gitarre –
den. Es wird eine Herrschaft absoluter, einfach alles, was in der Welt der Musik
unentwegter Gerechtigkeit sein. zu Ehren des Großen Königs klingt.
149,9 Dies wird die ehrenvolle Rolle Blasinstrumente wie Flöte, Oboe und
Israels an jenem Tag sein: darauf zu Klarinette – nichts darf in diesem phil-
achten, dass jede Unbotmäßigkeit und harmonischen Überschwang fehlen.
jedes Hintergehen sofort bestraft wird. Auch nicht die Schlaginstrumente, die
Es ist auch wahr, dass die Heiligen krachenden, schallenden, ohrenbetäu-
des Neuen Testaments an Christi Herr- benden Pauken und Becken, sie seien
schaft teilhaben werden. Davon können gesegnet, weil sie das Ganze wie ein
wir in 1Kor 6,2-3 lesen. lautes Amen unterstreichen.
150,6 Aber das führt uns zu der letz-
Psalm 150: Preist den HERRN! ten Frage: Wer? Und die Antwort lautet
Wir haben das große Finale erreicht. natürlich: »Alles, was Atem hat, lobe
Und was wäre passender als ein kurzer, Jah!« Der riesige Chor aller Stimmen
gezielter Appell an die Schöpfung, ihre auf Erden erhält das Zeichen, um in das
wahre Bestimmung darin zu sehen, laute, ewige Lob Gottes auszubrechen:
Gott anzubeten?! Der Psalm beantwor- Halleluja! Preist den HERRN!
tet vier Schlüsselfragen in Bezug auf
das Lob Gottes: Wo? Was? Wie? Wer?
Die Verherrlichung Gottes war der Anmerkungen
Zweck der Schöpfung. Darum findet 1
(Einführung) Graham Scroggie, Dai­
der Mensch den wesentlichen Grund ly Notes of the Scripture Union.
seiner Existenz darin, den Herrn zu 2
(Einführung) Albert Barnes, Notes on
loben. So heißt es knapp gefasst im the Books of Psalms, Bd. I, S. xix.
Shorter Catechism: »Der Hauptzweck 3
(Einführung) C.S. Lewis, Reflections
des Menschen ist, Gott zu verherrlichen on the Psalms, S. 10.
und sich seiner zu erfreuen auf ewig.« 4
(Einführung) F.W. Grant, »Psalms«,
150,1 Aber wo? Wir sollten ihn im in: The Numerical Bible, Bd. III, S. 10.
Heiligtum und in der Feste seiner 5
(1,3) Das mit »gepflanzt« übersetzte
Macht loben. Das heißt doch, überall – Wort bedeutet wörtlich »um­
auf Erden und im Himmel. Es gibt kei- gepflanzt« (Koehler-Baumgartner,

769
Psalmen

Lex­icon in Veteris Testamenti Libros, »r« (resch) kommt sowohl in Vers 18


S. 1015) – ein schönes Bild für einen als auch in Vers 19 vor, obwohl man
wiedergeborenen Menschen. in Vers 18 ein »q« (koph) erwarten
6
(1,3) D.L. Moody, Notes from My müsste.
Bi­ble, S. 64. 24
(26,12) J.C. Ryle, Expository Thoughts
7
(2, Einführung) In Apg 4,25-28 ver- on the Gospels, Luke, Bd. II, S. 239.
binden Petrus und Johannes Psalm 2 25
(29,10-11) W.E. Vine, Isaiah, S. 205.
mit der Verwerfung Christi. Tatsäch- 26
(29,10-11) H.A. Ironside, Studies on
lich hatte dieser Psalm eine teilweise the Psalms, S. 173.
Erfüllung, als Herodes, Pilatus, die 27
(31, Einführung) Lewis, Reflections,
Heiden und das Volk Israel vereint S. 10.
waren, um Christus zu ermorden. 28
(32,9-10) Jay Adams, Competent to
Doch die endgültige Erfüllung ist Counsel, S. 124.
noch Zukunft. 29
(34,9-10) Murdoch Campbell, From
8
(3,2-3) International Standard Bible Grace to Glory, S. 66.
Encyclopedia, Bd. III, S. 2096. 30
(34,11) Einige Gelehrte glauben, man
9
(4,2) Charles H. Spurgeon, zitiert in müsse statt »junge Löwen« »Leugner
»Choice Gleanings Calendar«. Gottes« lesen. Der Sinn des Verses
10
(5, Einführung) Koehler und Baum- wird dadurch aber nicht verändert.
gartner nehmen an, dass michtām 31
(36,6) Albert Barnes, The Bible Com­
von dem akkadischen Wort für be­ mentary, Psalms, Bd. 1, S. 312.
decken abgeleitet ist und darum 32
(36,6) Arthur W. Pink, The Attributes
»Sühne­psalm« bedeutet. of God, S. 47.
11
(8,6) Das Hebräische hat hier Elohim, 33
(36,8) John Brine, zitiert in Arthur W.
siehe Fußnote revidierte Elberfelder. Pink, The Attributes of God, S. 80.
12
(9, Einführung) Psalm 10 ist nach der 34
(37,5-6) Barnes, Psalms, Bd. I, S. 320.
zweiten Hälfte des hebräischen Al- 35
(37,28) F.W. Dixon, weitere Nach-
phabets aufgebaut. Daraus schließen weise nicht erhältlich.
manche, Psalm 9 und 10 seien ur- 36
(50,1) Das hebräische Wort eretz be-
sprünglich ein Psalm gewesen. deutet sowohl »Land« als auch
13
(10, Einführung) Siehe die vorher­ »Erde«.
gehende Anmerkung. 37
(50,8) Meyer, Psalms, S. 63.
14
(14,1) Henry Bosch, Our Daily Bread. 38
(52,10-11) Grant, »Psalms,« Bd. III,
15
(14,1) Barnes, Psalms, Bd. I, S. 114. S. 212.
16
(16,3) Nachweis nicht erhältlich. 39
(53, Einführung) In Psalm 14 wird
17
(17,15) E. Bendor Samuel, The Prophe­ der Name »HERR« viermal und
tic Character of the Psalms, S. 26. »Gott« (»Elohim«) dreimal verwen-
18
(19,4-5a) Immanuel Kant, Allgemeine det. Hier steht siebenmal »Gott«
Naturgeschichte, weitere Nachweise (»Elohim«).
nicht erhältlich. 40
(54,9) G. Campbell Morgan, An Expo­
19
(19,8-10) Zitiert aus der Kant-Aus­ sition of the Whole Bible, S. 240.
gabe von Wallace durch Alexander 41
(58,9) W. Graham Scroggie, Psalms,
Wright in: The Psalms of David in S. 50.
High­er Criticism, Or Was David »The 42
(58,10) A. Maclaren, zitiert in W. Gra-
Sweet Psalmist of Israel«?, S. 109. ham Scroggie, Psalms, Bd. II, S. 49.
20
(19,13) Barnes, Psalms, Bd. I, S. 175. 43
(58,11) Morgan, Exposition, S. 242.
21
(23, Einführung) J.R. Littleproud, 44
(60,11) Die Übersetzer der »New
weitere Nachweise nicht erhältlich. King James Bible« sind auch dieser
22
(24,9-10) F.B. Meyer, F.B. Meyer on the Meinung und setzen V. 8-10 in An-
Psalms, S. 35. führungszeichen.
23
(25, Einführung) Der Buchstabe für 45
(61,3) Mit Bezug auf Matthäus 16,18

770
Psalmen

sagt G. Campbell Morgan: »Man be- 61


(88,113-18) Zitiert von A.G. Clarke,
denke, dass er zu Juden sprach. Un- Analytical Studies in the Psalms, S. 219.
tersuchen wir die Verwendung 62
(93,5) Williams, Student’s Commen­
dieses Bildes in allen hebräischen tary, S. 372.
Schriften, so stellen wir fest, dass es 63
(94, Einführung) Pink, Attributes,
niemals symbolisch auf Menschen, S. 75.
sondern immer auf Gott angewandt 64
(96,11-13) »Jahwe« ist die traditio-
wird. So auch hier in Cäsarea Philip- nelle Aussprache der vier Konso-
pi: Die Gemeinde wird nicht auf Pe- nanten JHWH zusammen mit den
trus gebaut. Jesus geht nicht achtlos Vokalen von Adonai (Herr). Der he-
mit sprachlichen Bildern um. Er bräische Name wurde früher wahr-
nahm dieses alte hebräische Bild auf scheinlich Jahwe ausgesprochen. Aus
– den Felsen, der stets ein Bild von Furcht, den Namen Gottes zu ent-
Gott war ‒ und sagte: »Auf Gott weihen, lasen die Juden stets »Ado-
selbst, auf Christus, den Sohn des le- nai«, wenn der heilige Gottesname
bendigen Gottes, will ich meine Ge- JHWH im Text vorkam. Interessant
meinde bauen.« Vielleicht steht die ist, dass die Anfangsbuchstaben der
einzige Ausnahme zu Morgans Aus- vier hebrä­ischen Worte des ersten
führungen in 5. Mose 32,31: »Denn Satzteils aus Vers 11 den Eigen­namen
nicht wie unser Fels ist ihr Fels.« Gottes (JHWH) wiedergeben. Viele
Aber sogar dort ist der »Fels« das Bibel­übersetzungen weisen auf die-
Bild für eine Gottheit (wenn auch für sen Gottesnamen hin, indem sie das
eine falsche). Wort »Herr« in Großbuchstaben
46
(66,9-13) Williams, Student’s Com­ wiedergeben (HERR).
mentary on the Holy Scriptures, S. 67. 65
(97,6a) Gaebelein, Psalms, S. 363.
47
(67,7-8) Franz Delitzsch, »Psalms«, 66
(98,4-6) Siehe F.W. Grant, »Psalms«,
in: Biblical Commentary on the Old Bd. III, S. 363. Dieser Ausdruck findet
Testament, Bd. XII, S. 240. sich auch in den Rollen vom Toten
48
(68,12-14) Das hebräische Wort für Meer bei 5. Mose 32,43 und ebenfalls
»Siegesbotinnen« (Luther: »Evange- in der LXX. Verständlich wäre, dass
listen«) ist weiblich. die Masoreten (die Bewahrer der jü-
49
(68,25) Lewis, Reflections, S. 45. dischen Tradition) ihn ausließen,
50
(71, Einführung) John G. Bellett, weil die Christen den Vers benutzten,
Short Meditations on the Psalms, S. 76. um die Göttlichkeit Christi zu bewei-
51
(71,14-16) Williams, Commentary, sen (wie in Hebr 1,6).
S. 72. 67
(100, Einführung) Barnes, Psalms,
52
(81, Einführung) Merrill F. Unger, Bd. III, S. 56.
Unger’s Bible Dictionary, S. 350. 68
(101,2) Clarke, Psalms, S. 247.
53
(81,9-11) Gaebelein, Psalms, S. 316. 69
(101,7-8) Grant, »Psalms«, Bd. III,
54
(83,14-19) Morgan, Exposition, S. 252. S. 368.
55
(86,17) E.W. Bullinger, The Compa­ 70
(104,31-32) J.J. Stewart Perowne, The
nion Bible, Anhang 32, S. 31. Book of Psalms, Bd. II, S. 234.
56
(86,17) Grant, »Psalms,« Bd. III, 71
(109,30-31) Meyer, Psalms, S. 133.
S. 330. 72
(Exkurs) Unger, Bible Dictionary,
57
(87, Einführung) Teddy Kollek und S. 231.
Moshe Pearlman, Jerusalem, A History 73
(Exkurs) Barnes, Psalms, Bd. I, S. xxx-
of Forty Centuries, S. 12. vii.
58
(87,6) Nachweis nicht erhältlich. 74
(Exkurs) Scroggie, The Psalms, S. 32.
59
(87,6) Gaebelein, Psalms, S. 332. 75
(110,1) In der ER wird das Wort
60
(88,11-12) The New Bible Commentary, »Herr« in Großbuchstaben geschrie-
S. 474. ben, wenn es sich um den persön-

771
Psalmen

lichen Namen des Bundesgottes Is­ 90


(121,4) Moody, Notes, S. 79.
raels (JHWH) handelt. Siehe Anmer- 91
(121,5-6) Es muss daran erinnert
kung 64. werden, dass es sich hier um Dich-
76
(110,2) Ironside benutzte diesen Aus- tung handelt. So kann dies eine
druck als Buchtitel: The Great Paren­ Sprachfigur sein, die beide Extreme
thesis, damit ist die jetzige Dispensa- andeutet sowie alles, was dazwi-
tion gemeint, die der christlichen schen liegt. Dies nennt man einen
Gemeinde. Merismus. Ein anderes Beispiel: »dei-
77
(110,3) Scroggie, The Psalms, S. 85. nen Ausgang und deinen Eingang«
78
(112,10) Barnes, Psalms, Bd. III, (V. 8) meint die gesamte Lebensfüh-
S. 149. rung.
79
(118,24) Ebd., S. 173-174. 92
(121,7-8) Alle diese Formen geben
80
(119, Einführung) Samuel Ridout, ein hebräisches Verb (schāmar) wie-
How to Study the Bible, S. 73. der.
81
(119, Einführung) Lewis, Reflections, 93
(122,6) Collins und Lapierre, O Jeru­
S. 52. salem!, S. 33.
82
(119, Einführung) Bellett, Short Medi­ 94
(122,7-9) Barnes, Psalms, Bd. III,
tations, S. 131. S. 238.
83
(119,24) Matthew Henry, Commenta­ 95
(135,6) Pink, Attributes, S. 27.
ry in One Volume, S. 706. 96
(137,9) Lewis, Reflections, S. 113-114.
84
(119,92) Barnes, Psalms, Bd. III, 97
(138,2) Das mit »Tempel« übersetzte
S. 204. Wort (hêkāl) kann auch einen Palast
85
(119,107-8) Charles H. Spurgeon, The oder ein anderes Gebäude bezeich-
Treasury of David, Bd. VI, S. 244. nen ‒ einschließlich des Heiligtums.
86
(119,136) Zitiert bei Moody, Notes, Es ist nicht immer der jüdische Tem-
S. 79. pel gemeint.
87
(119,139) Barnes, Psalms, Bd. III, 98
(138,2) Clarke, Psalms, S. 337.
S. 217. 99
(139,13-14) Radmacher, weiterer
88
(119,145) Die Verse 145 bis 152 begin- Nachweis nicht erhältlich.
nen mit dem Buchstaben »Qoph«, 100
(139,19-22) Edward J. Young, Psalm
dem ersten Buchstaben des hebrä- 139, S. 95.
ischen Worts für »Rufen«. 101
(139,19-22) Ebd., S. 105.
89
(120,1-2) Die Psalmen 120 bis 134 102
(142,5-7) Clarke, Psalms, S. 343.
werden »Lieder für die Hinaufzüge« 103
(143,12) Barnes, Psalms, Bd. III, S. 314.
(oder »Wallfahrtslieder«) genannt, 104
(147,2-4) Archibald G. Brown, wei-
weil die Pilger sie sangen, wenn sie terer Nachweis nicht erhältlich.
zu den jährlichen Festen des Herrn, 105
(147,19-20) Williams, Student’s Com­
z.B. zum Passahfest, nach Jerusalem mentary, S. 148.
hinaufzogen.

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773
Die Sprüche
»Es ist kein Porträtalbum oder ein Buch über gesellschaftliche Umgangsformen; es bietet
uns einen Schlüssel zum Leben an. Die Verhaltensmuster, die es uns vorstellt, werden
allesamt durch ein Kriterium bewertet, das in der Frage zusammengefasst werden kann:
›Ist es Weisheit oder Torheit?‹«

Derek Kidner

Einführung Ein Spruch oder Sprichwort ist eine


knappe und prägnante Darstellung ei-
I. Einzigartige Stellung im Kanon ner Weisheit, die oft so klug in Worte
gefasst ist, dass sie sich leicht einprägt.
Das Buch der Sprüche ist so modern Die meisten biblischen Sprüche be­
wie die heutige Zeit. Es beschäftigt sich stehen aus zwei Sätzen oder Halbsät-
mit den Problemen des Lebens, denen zen, die entweder ähnliche oder ent­
sich jeder von uns gegenübersieht. gegengesetzte Aussagen vorstellen.
Wenn man überhaupt von einem Man unterscheidet verschiedene Ar-
Buch der Bibel sagen kann, dass es be- ten von Sprüchen, wie an den folgenden
sonders für junge Menschen geschrie- Beispielen zu sehen ist:
ben ist, dann von diesem. 1. Einige sind für sich stehende Aus-
Als ein junger Mann zu Carlyle sagte, sagen, die eine einfache Tatsache aus-
dass im Buch der Sprüche nichts Beson- drücken:
deres zu finden sei, antwortete er: »Ver- »Wenn der HERR an den Wegen eines
fasse selbst ein paar Sprüche – dann Mannes Wohlgefallen hat,
wirst du anders über dieses Buch den- lässt er selbst seine Feinde mit ihm
ken.«1 Frieden machen« (16,7).
Es ist die beste Sammlung von gesun- 2. Einige bestehen aus zwei Sätzen
dem und geheiligtem Verstand, die die oder Teilsätzen, in denen eine Sache mit
Welt kennt, geschrieben mit der Ab- einer anderen verglichen wird:
sicht, dass junge Menschen nicht wie- »Kühles Wasser auf eine lechzende
derum dieselben traurigen Fehler bege- Kehle,
hen müssen, die ihre Eltern begangen so ist eine gute Nachricht aus einem
haben. fernen Land« (25,25).
Der Zweck des Buches wird in Sprü- 3. Wieder andere bestehen aus zwei
che 1,1-7 beschrieben. Kurz gesagt: Es Sätzen oder Teilsätzen, die gewöhnlich
wurde geschrieben, um einem jungen durch das Wort aber miteinander ver-
Mann Weisheit und Verständnis zu ver- bunden sind und Dinge beschreiben,
mitteln, damit er wahre Glückseligkeit die einander entgegengesetzt sind:
im Leben findet und den Fallstricken »Das Andenken des Gerechten bleibt
der Sünde entflieht. Der Schlüsselvers im Segen,
ist 9,10: »Die Furcht des HERRN ist der aber der Name der Gottlosen wird
Weisheit Anfang; und Erkenntnis des verwesen« (10,7).
allein Heiligen ist Einsicht.« Diese Art von Sprüchen ist vor allem
William Arnot nennt unser Buch in den Kapiteln 10-15 zu finden.
»Grundsätze aus dem Himmel für das 4. Ferner gibt es Sprüche aus zwei
Leben auf der Erde«2. Das beschreibt Sätzen oder Teilsätzen, in denen der­
den Inhalt des Buches der Sprüche sehr selbe Gedanken mit etwas anderen
treffend. Worten wiederholt wird:

775
Sprüche

»Denn eine tiefe Grube ist die Hure, Alkoholproblem, über Teilzahlungs-
und ein enger Brunnen die fremde kauf, Jugendkriminalität und Füh-
Frau« (23,27). rung von Arbeitskräften. Wir treffen
hier alle Arten von Menschen ‒ die
II. Verfasserschaft zänkische Frau, den eingebildeten
Dieses Buch wird manchmal »Die Sprü- Narren, den Mann, der es nicht er-
che Salomos« genannt, da die meisten trägt, wenn man ihm seine Fehler
dieser Aussprüche von diesem sehr sagt, und die ideale Ehefrau. Und,
weisen König geschrieben wurden (1,1; was das Allerbeste ist: Wir finden hier
10,1; 25,1). Aus 1Kö 5,12 erfahren wir, auch den Herrn Jesus, der zu uns
dass Salomo über 3.000 Sprüche ver- spricht als die Weisheit in Person.
fasste; diese mehrere hundert Sprüche »Die idealen Elemente in diesem
hier sind also diejenigen, die der Geist Buch reden von ihm, die darin auf-
Gottes inspirierte, damit sie in die Hei- gezeichneten tatsächlichen Mängel
lige Schrift aufgenommen würden. und Fehler dagegen rufen nach ihm«
Kapitel 30 enthält – laut Text – die (zitiert in ›Daily Notes of the Scrip-
»Worte Agurs, des Sohnes des Jake« ture Union‹).
(30,1). Kapitel 31 wird als »Worte Le- Das Buch ist nicht leicht einzutei-
muels, des Königs von Massa« (31,1) len. Es stellt uns keinen fortlaufen-
vorgestellt. Wir wissen heute nichts den Gedankengang vor, vergleichbar
über die Identität dieser beiden Män- einem Film, sondern präsentiert uns
ner. Einige Ausleger glauben, dass es Einzelbilder, ähnlich einer Diaserie.
sich hierbei nur um andere Namen Wenn wir die Sprüche studieren,
Salomos handelt. stellen wir fest, dass sie dem Jako-
busbrief in vieler Hinsicht ähneln.
III. Datierung Eine andere wertvolle Studien­
Da aus Sprüche 25,1 zu entnehmen ist, methode kann sein, Illustrationen
dass die Männer Hiskias einen Teil der für einzelne Sprüche zu suchen in:
Sprüche Salomos zusammengetragen 1. der Bibel selbst
haben, entstand die Endfassung dieses 2. der Geschichte
Buches erst etwa 700 v.Chr. Salomos ei- 3. Biografien
gene Beiträge zum Buch stammen aus 4. der Literatur
der Zeit um 900 v.Chr. Wenn Agur und 5. der Natur
Lemuel keine poetischen Namen für 6. Zeitungen und Zeitschriften
Salomo selbst sind und diese beiden 7. unserer eigenen Erfahrung.
entweder vor 900 v.Chr. oder nach 700 Wenn wir uns mit den Sprüchen be-
v.Chr. gelebt hätten, würde dies die schäftigen, so tun wir gut daran, uns
mögliche Zeitspanne der Abfassung dabei auch vor Augen zu halten, dass
des Buches noch mehr vergrößern. einige Sprüche Aussagen über eine ab­
solute Wahrheit sind, während andere
IV. Hintergrund und Thema Aussagen darstellen, die zwar im All­
Von Salomo und anderen geschrie- gemeinen wahr sind, aber hier und da
ben, vermittelt das Buch der Sprüche auch Ausnahmen haben. So ist es zum
reiche Allgemeinbildung; es umfasst Beispiel immer wahr, dass »der Name
ein breites Spektrum von Themen ‒ des HERRN ein fester Turm« ist (18,10),
vom Züchtigen eines Kindes bis zum aber die Aussage »ein Freund liebt zu
Herrschen über ein Königreich. jeder Zeit« (17,17) kennt auch Ausnah-
Manchmal fragt man sich, ob es über- men.
haupt eine Wahrheit gibt, die man Beim Studium dieses Kommentars ist
hier nicht findet, zumindest in ihrem es unerlässlich, zuerst die entsprechen-
Keim. Die Sprüche reden über das den Verse im Buch der Sprüche zu le-

776
Sprüche

sen. Viele dieser Erklärungen ergeben 27; 5,1-23; 6,1-35; 7,1-27; 23,19-35; 24,4-
keinen Sinn, wenn wir nicht zuvor den 22; 31,1-9
betreffenden Spruch gelesen haben. Gehorsam und Ungehorsam gegenüber
den Eltern: 1,8.9; 6,20.22; 13,1; 19,26;
Einige Themen im Buch der Sprüche 20,20; 23,22; 30,17
Der Herr Reden
Allgegenwart des …: 15,3 Böses: 12,13a; 15,28b
Allwissenheit des …: 15,11; 16,2 Falsches: 4,24; 10,31b.32b; 15,4b; 17,20b
Führung des …: 3,5.6; 16,3.9 Gefährliches: 11,9.11; 12,18a; 15,4b;
Die Furcht des Herrn: 1,7.29; 2,5; 8,13; 16,27; 18,21; 26,18.19
9,10; 10,27; 14,26.27; 15,16.33; 16,6; 19,23; Gutes: 10,20a.21a; 16,21.23.24; 23,16
22,4; 23,17; 24,21; 28,14 Heilendes: 12,18b; 15,4a; 16,24; 18,21
Gebet erhört durch …: 15,8.29 Heimliches: 25,23
Gericht und Gerechtigkeit durch …:15,25a; Klatsch und Tratsch: 11,13a; 16,28; 17,9b;
17,3; 21,2; 29,26 18,8; 20,19; 22,11 a; 26,10.22-26.28
Quelle der Weisheit: 2,6-8 Kränkendes: 15,1b
Der Reiche und der Arme: 10,15; 13,7.8; Leeres: 14,23b
14,20.21.31; 15,16; 17,1.5; 18,23; 19,1.4.17; Lügnerisches, betrügerisches: 6,17; 10,18a;
21,13; 22,2.7.16.22.23; 28,3.6.11.27; 29,7.13 12,19b.22a; 14,25b; 17,4; 26,18.19.23-26.28a
Schöpfung durch …: 3,19.20; 16,4; 20,12; Sättigendes: 12,14; 18,20
22,2b; 29,13b Sanftes: 15,1a.4a
Schutz durch …: 15,25b; 18,10 Schmeichlerisches: 20,19; 26,28b; 28,23;
Der Segen des …: 10,22 29,5
Souveränität und Macht des …: 16,1.7.9.33; Törichtes: 12,23b; 14,3a.7; 15,2b; 18,6.7
19,21; 20,24; 21,30.31; 22,12 Treffendes: 15,23; 25,11
Vertrauen auf …: 29,25b Überlegtes: 15,28a
Zucht des …: 3,11.12 Übermäßiges: 10,19a; 13,3b
Zuversicht im …: 3,25.26 Unangemessenes: 17,7
Unüberlegtes: 18,13; 29,20
Frauen Verächtliches: 11,12a
Die gottlose Frau oder die Hure: 2,16- Verleumderisches: 10,18b; 30,10
19; 5,3-23; 6,24-35; 7,5-27; 9,13-18; 22,14; Verwünschendes: 27,14
23,27.28; 30,20 Wahres und falsches Zeugnis: 6,19;
12,17; 14,5.25; 19,5.9.28; 21,28; 25,18
Andere Frauen Wahrhaftiges: 12,19a; 13,5
Die Frau der Jugend: 5,18.19 Weises: 10,31a; 14,3b; 15,2a; 18,4
Eine anmutige Frau: 11,16 Zurückhaltendes: 10,19b; 11,12b.13b;
Eine einsichtsvolle Frau: 19,14 12,23a; 13,3a; 17,27a.28; 21,23
Eine gute und tüchtige Frau: 12,4; 18,22;
31,10-31 Reichtum
Eine schöne Frau ohne Feingefühl: 11,22 Bringt Freunde: 19,4.6
Eine verschmähte Frau: 30,23 Ehrlich erworben: 10,16
Eine zänkische Frau: 19,13; 21,9.19; Ererbt: 19,14
25,24; 27,15.16 Geschenke und Bestechung: 15,27;
17,8.23; 18,16; 19,6; 21,14; 25,14; 29,4
Kindererziehung Gewalttätig erworben: 11,16b
Anweisungen zur Kindererziehung: Nicht vertrauenswert: 11,28
13,24; 19,18; 22,6; 22,15; 23,13.14; Rechte Verwaltung und Freigebigkeit:
29,15.17 3,9.10.27.28; 11,24-26; 19,6; 21,26b; 22,9;
Elterlicher Rat: 1,8-19; 2,1-22; 3,1-35; 4,1- 28,27

777
Sprüche

Schnell erworben: 13,11; 20,21; 28,20b.22 Toren: 3,35; 10,8.13.14.23; 12,15.16.23; 13,16;
Schutz durch: 10,15a; 13,8; 18,11 14,1.3.8.15.16.18.19.24.33;15,7.14.20.
Sein begrenzter Wert: 11,4 21;17,11.12.16.21.24.25.28;18,2.6 - 8 ;
Unehrlich erworben 10,2; 13,22b; 15,6b; 29,8.9.11
20,17; 21,6; 22,16; 28,8 Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit: 13,23,
Vergänglich: 23,4.5; 27,24 17,15.26; 18,5; 21,15; 22,8.16; 24,23.24
Von Problemen begleitet: 15,6.16.17; Gräuel
16,8; 17,1 - für den Herrn: 3,32; 6,16; 8,7; 11,1.20;
Vorgeheuchelt: 13,7 12,22; 15,8.9.26; 16,5; 17,15; 20,10.23;
Weniger wert als Weisheit: 16,16 21,27; 28,9
- für andere: 13,19; 16,12; 24,9; 26,25;
Verschiedene Themen 29,27
Alte Grenzmarkierungen: 22,28; 23,10.11 Der gute Ruf: 10,7; 22,1
Alter: 16,31; 17,6; 20,29 Hochmut und Demut: 3,34b; 8,13; 11,2;
Belehrbarkeit (die Bereitschaft, Unter- 15,33; 16,5.18.19; 18,12; 22,4; 29,23
weisung und Ermahnung anzuneh- Honig: 16,24; 24,13; 25,16.27; 27,7
men): 1,5; 9,7-9; 10,17; 12,1.15; 13,1.10.18; Jähzorn und Langmut: 14,17.29; 15,18;
15,5.10.12.31.32; 17,10; 19,20.25; 21,11; 16,32; 19,11
25,12; 27,5.6; 28,23; 29,1 Der König oder Herrscher: 14,28.35;
Borgen und Leihen: 22,7b 16,10.12-15; 19,12; 20,2.8.26.28; 21,1;
Bürgschaft: 6,1-5; 11,15; 17,18; 20,16; 22,11.29; 23,1; 24,21.22; 25,2-7.15; 28,15.16;
22,26.27; 27,13 29,2.4.12.14.26; 30,31; 31,4.5
Diener und Sklaven: 14,35; 17,2; 19,10; Das Los: 16,33; 18,18
29,19.21 Mäßigung und Selbstbeherrschung:
Falsche Waagschalen und Gewichte: 23,1-3; 25,28
11,1; 16,11; 20,10.23 Neid: 3,31; 14,30; 23,17; 24,1.19; 27,4
Der Faule: 6,6-11; 10,26; 15,19; 18,9; 19,15.24; Parteilichkeit: 18,5; 24,23b-25; 28,21
20,4.13; 21,25; 22,13; 24,30-34; 26,13-16 Die personifizierte Weisheit: 1,20-33;
Der Feind: 16,7; 24,17.18; 25,21; 27,6 8,1-36; 9,1-6; 14,la; 16,16.22; 19,2
Fleiß: 12,9.11; 14,4.23a Seelen gewinnen: 11,30 (Fußnote); 24,11,12
Der Fleißige: 21,5; 22,29; 27,18.23-27; 28,19a Der Spötter: 3,34a; 9,7.8.12; 13,1; 14,6;
Freunde, Nächste und Freundschaft: 15,12; 19,25; 21,11.24; 22,10; 24,9; 29,8a
3,27-29; 6,1-5; 11,12; 12,26; 14,21; 16,28; Die Wechselbeziehung zwischen kör-
17,9.17; 18,17.24; 21,10;22,24.25; 24,17.19; perlicher, geistiger und geistlicher Ge-
25,8.9.17.20.21.22; 26,18.19; 27,6.9.10.14.17.19; sundheit: 3,1.2.7.8.16; 4,10.22; 9,11; 13,12;
28,23; 29,5 14,30; 15,13.30; 16,24; 17,22; 18,14; 27,9
Der Gegensatz zwischen dem Fleißigen Wein: 20,1; 21,17; 23,20.21.29-35; 31,4-7
und dem Faulen: 10,4.5; 12,24.27; 13,4 Die Weisheit, sich bei anderen Rat zu
Der Gegensatz zwischen dem Gerechten holen: 11,14; 12,15; 15,22; 20,18; 24,6
und dem Gottlosen: 3,32.33; 10,3.6.7.9.11. Das Wort und der Gehorsam ihm ge-
16.24.25.28.29-32; 11,3-11.17-21.23.27.31; genüber: 13,13.14; 16,20; 19,16; 28,4.7.9;
12,2.3.5-8.12-14.20.21.26.28; 13,2.5.6.9.21.25; 29,18; 30,5.6
14,2.9.11.14.22.32; 15,8.9.26; 24,15.16; 28,1.12 Zank und Streit: 10,12; 12,18; 13,10; 15,1-
Der Gegensatz zwischen dem Weisen und dem 4.18; 16,27.28; 18,6-8; 21,9.19; 28,25

Einteilung A. Die Ermahnung der Weisheit


(1,8-33)
I. Einführung (1,1-7) B. Die Wege der Weisheit (Kap. 2)
II. Sprüche Salomos zu Weisheit und C. Der Lohn der Weisheit (3,1-10)
Torheit (1,8 - 9,18) D. Weisheit als Gewinn (3,11-20)

778
Sprüche 1

E. Praktizierte Weisheit (3,21-35) B. Das Lob des gerechten


F. Weisheit als Familienschatz Lebenswandels (16,1 - 22,16)
(4,1-9) IV. Sprüche der Weisen (22,17 - 24,34)
G. Weisheit und die zwei Wege A. Worte der Weisen
(4,10-27) (22,17 - 24,22)
H. Die Torheit der Unmoral (Kap. 5) B. Weitere Aussprüche der
I. Die Torheit von Bürgschaft, Weisen (24,23-34)
Faulheit und Betrug (6,1-19) V. Sprüche Salomos, die von
J. Die Torheit von Ehebruch und den Männern Hiskias
Hurerei (6,20 - 7,27) zusammengetragen wurden
K. Die Weisheit in Person (Kap. 8) (25,1 - 29,27)
L. Einladungen der Weisheit und VI. Die Worte Agurs (Kap. 30)
der Torheit (9,1-18) VII. Die Worte, welche die Mutter
III. Sprüche Salomos zur praktischen des Königs Lemuel ihm beibrachte
Moral (10,1 - 22,16) (31,1-9)
A. Gerechter und gottloser VIII. Die ideale Ehefrau und Mutter
Lebenswandel im Vergleich (31,10-31)
(10,1 - 15,33)

Kommentar 1,5 Weise Menschen werden durch das


Beachten dieser Sprüche weiser, und
I. Einführung (1,1-7) Verständige lernen sowohl, sich selbst
richtig zu verhalten, als auch, anderen
1,1 Salomo, der Sohn Davids, war der Rat weiterzugeben. Ist es nicht bedeut-
weiseste, reichste und geehrteste aller sam, dass ein in erster Linie an die Ju-
Könige Israels (1Kö 3,12.13; 5,10.11). Er gend gerichtetes Buch bereits zu Beginn
verfasste 3.000 Sprüche, aber nur einige deutlich macht: »Der Weise höre«? Ge-
davon sind in diesem Buch erhalten. Sie nau das ist im Buch der Sprüche mit dem
umfassen den größten Teil von 1,1 bis »Weisen« gemeint. Er ist ein Mensch, der
29,27. belehrbar ist. Er ist bereit zu hören und
1,2-3 Die Verse 2-6 sagen uns, warum will nicht immer nur selbst reden. Er ist
er diese Sprüche aufschrieb. Kurz ge- kein unerträglicher Alleswisser.
sagt, vermitteln sie praktische Weisheit 1,6 Das Buch ist dazu bestimmt, uns
für unser Leben und unsere Lebens­ in die Lage zu versetzen, dass wir einen
führung. Spruch und eine bildliche Rede verste-
Hier können die Menschen Einsicht hen können, d.h. seine oft unter der
lernen und Unterweisung empfangen, Oberfläche liegende Lektion. Es hilft
die lebenspraktische Fähigkeiten ver- uns, die Bedeutung von weisen Aus-
mittelt. Hier können sie lernen, verstän- sprüchen und die darin enthaltenen
dige Worte zu verstehen und zwischen verborgenen Wahrheiten zu begreifen.
gut und böse, nützlich und wertlos, 1,7 Nun kommen wir zum Schlüssel­
hilfreich und schädlich zu unterschei- vers des Buches (siehe auch 9,10). Die
den. Hier werden Menschen in dem ge- Furcht des Herrn ist der Anfang oder
schult, was weise, rechtschaffen, an­ das wichtigste Element der Erkenntnis.
gemessen und ehrbar ist. Wenn jemand weise sein will, muss er
1,4 Im Hören auf diese Sprüche ent- damit beginnen, Gott Ehrfurcht zu er-
wickeln die Unverständigen Klugheit, weisen und ihm zu vertrauen und zu
und junge Menschen gewinnen Einsicht gehorchen. Was ist vernünftiger, als
und einen geheiligten gesunden Ver- dass ein Geschöpf seinem Schöpfer ver-
stand. traut? Und was ist andererseits un­

779
Sprüche 1

logischer für einen Menschen, als Gottes gezogen hätten, wo das Gesetz der Liebe
Wort zu verwerfen und nach seinen ei- und des christlichen Zeugnisses ihr täg-
genen Vorstellungen zu leben? Das ein- licher Leitstern und Ansporn war.3
zig Weise, was man tun kann, ist, über
seine Sünden Buße zu tun, Jesus Chris­ 1,9 Wenn elterlicher Rat befolgt wird, so
tus als seinem Herrn und Retter zu ver- wird dies zu einem anmutigen Kranz
trauen und dann mit ganzem Herzen auf dem Haupt und zu einer schönen
und in Hingabe für ihn zu leben. Halskette, was ein dichterischer Aus-
Narren verachten Weisheit und druck dafür ist, dass Gehorsam Ehre
Zucht. Ebenso wie ein Weiser in diesem und moralische Schönheit in das Leben
Buch jemand ist, der bereit und bestrebt eines weisen Sohnes bringt.
ist zu lernen, so ist ein Narr oder Tor 1,10 Wenn ein junger Mann sein Le-
jemand, der sich überhaupt nichts sa- ben ruiniert, dann hört man oft als Er-
gen lässt. Er ist eigensinnig und einge- klärung, dass er »in schlechte Gesell-
bildet und lernt, wenn überhaupt, seine schaft geraten« ist. Dieser Vorgang wird
Lektion nur durch bittere Erfahrung. in den Versen 10 bis 19 in lebendigen
Farben geschildert.
II. Sprüche Salomos zu Weisheit Zuerst wird jedoch ein Warnsignal
und Torheit (1,8 - 9,18) gegeben. Das Leben ist voller Ver­
lockungen zum Bösen. Wir müssen den
A. Die Ermahnung der Weisheit (1,8-33) Mut und das Rückgrat haben, tausend-
1,8 Die ersten sieben Kapitel sind zum mal in der Woche »Nein!« zu sagen.
großen Teil an »meinen Sohn« gerich- 1,11 Hier lädt eine Straßenbande un-
tet; diese Anrede kommt etwa 15-mal seren jungen Freund zur Teilnahme an
vor. In diesen Kapiteln lauschen wir einem bewaffneten Raubüberfall ein.
dem Herzen eines Vaters, der für sein Wenn es notwendig sein sollte, werden
Kind das Beste im Leben wünscht. sie das Opfer »kaltstellen«. Vielleicht ist
Wenn junge Menschen diese elterlichen unser Freund geschmeichelt, dass diese
Ratschläge befolgen, entgehen sie den harten Typen ihn in ihre Clique aufneh-
üblen Fallgruben im Leben und ent­ men wollen. »Geh mit uns!«, sagen sie.
wickeln Tüchtigkeit in den praktischen Und vielleicht wird er vom Nerven­
Angelegenheiten des Alltags. kitzel einer so gewagten Tat verlockt.
Wie viel verdanken wir dem Einfluss 1,12-14 Vielleicht langweilt er sich in
gottesfürchtiger Eltern ‒ und vor allem einem wohl behüteten Leben und
gottesfürchtiger Mütter! Henry Bosch möchte auch einmal »richtigen Spaß«
weist darauf hin: haben. Das wird ihm jetzt geboten. Das
perfekte Verbrechen! Ein plötzlicher
Viele große Männer der Vergangenheit und gewaltsamer Tod, dann eine schnel-
wurden reich gesegnet durch das, was sie le Beseitigung aller beweiskräftigen
auf dem Schoß ihrer Mütter lernten. Den- Spuren. Und der große Ansporn natür-
ken wir an Mose, Samuel oder Timo­ lich ist, dass sie über Nacht alle reich
theus. Die mütterliche Sorge und der got- sein werden. Es wird genug Beute ge-
tesfürchtige Einfluss, die diese geistlichen ben, um die Häuser aller Komplizen
Führungspersönlichkeiten empfangen damit zu füllen. So lautet die Losung:
hatten, trugen reiche Frucht in ihrem Le- »Komm schon, mach mit, und du wirst
ben. Denken wir auch an Augustinus, schwer absahnen. Gleicher Anteil für
John Newton und die unermüdlichen jeden. Du kannst nur gewinnen.«
Wesley-Brüder. Ihre Namen hätten wahr- 1,15-16 Aber eine weisere Stimme
scheinlich nie auf den Seiten der Ge- sagt: »Mein Sohn, tu’s nicht. Halte dich
schichte geleuchtet, wenn nicht gottes- von ihnen fern, so fern wie möglich.
fürchtige Frauen sie in einem Heim auf- Halte dich raus aus ihren Plänen,

780
Sprüche 1

schnell reich zu werden. Du kannst nur 1,22 Die Weisheit ruft den Einfältigen
verlieren.« oder Unverständigen zu, den Spöttern
»Du musst dir klar machen, dass für und den Toren. Die Einfältigen sind na-
diese Burschen das Verbrechen zum täg- ive, leicht zu beeindruckende Men-
lichen Brot gehört und dass sie schnell schen, die für jede Art von Einfluss,
mit der Waffe zur Hand sind. Sie be­ gutem wie schlechtem, offen sind; hier
gehen einen Mord nach dem anderen.« scheint ihr Mangel an Festigkeit sie in
1,17-18 Ein Vogel hat genügend Ver- die falsche Richtung zu führen. Die
stand, um jedes Netz und jede Schlinge Spötter sind diejenigen, die weise Rat-
zu meiden, die deutlich zu sehen sind. schläge mit Verachtung zurückweisen;
Aber diese Männer stellen ihrem ei­ nichts ist ihnen heilig oder auch nur
genen Leben eine Falle und laufen dann ernst zu nehmen. Toren sind solche, die
geradewegs hinein. aus Unverstand die Unterweisung ab-
1,19 Es gibt eine Moral von dieser Ge- lehnen; sie sind bei all ihrer Unwissen-
schichte. Wer schnell reich zu werden heit eingebildet und starrsinnig.
versucht, bezahlt für seine Gier mit sei- 1,23 Dieser Vers kann auf zwei Wei-
nem eigenen Leben. »Dies ist immer sen verstanden werden. Einmal kann er
das Ende der Gier; wer sie hegt und bedeuten: »Da ihr auf meine Einladung
pflegt, muss schließlich durch sie zu nicht hören wollt, so hört nun meinen
Fall kommen« (John Knox). scharfen Tadel. Ich werde meinen Geist
Dieser Abschnitt behandelt besonders in Gerichtsworten sprudeln lassen und
den Versuch, durch Gewalt reich zu euch sagen, was euch nun erwartet.«
werden. Aber die Anwendung ist brei- Nach dieser Auslegung beschreiben
ter. Sie bezieht sich auf jedweden Plan, dann die Verse 24 bis 27 ihr künftiges
schnell reich zu werden, ob es sich nun Schicksal.
um Glücksspiel, Lotterie oder Börsen- Die zweite mögliche Bedeutung ist:
spekulation handelt. »Kehrt um und tut Buße, wenn ich euch
Jetzt kommen wir zu einem Abschnitt tadle. Wenn ihr das tut, dann werde ich
im Buch der Sprüche, wo wir zwei Stim- meinen Geist auf euch in Segen aus­
men hören, die den Menschen zurufen, gießen und euch die Worte meiner
die vorübergehen. Die eine ist die Stim- Weisheit bekannt machen.«
me der Weisheit, die andere die Stimme Das Wort »Geist« bedeutet hier wahr-
der fremden Frau. Die Weisheit, obwohl scheinlich »Gedanken« oder »Ver-
hier als Frau dargestellt, symbolisiert stand«. Es stimmt zwar, dass der Herr
den Herrn Jesus Christus.4 Die fremde Jesus den Heiligen Geist auf alle die
Frau ist ein Bild für die Versuchung zur ausgießt, die seinem Ruf gehorchen,
Sünde und die gottlose Welt. doch diese Wahrheit wurde im Alten
In den Versen 20-33 redet die Weis- Testament nicht so klar und deutlich
heit eindringlich zu denen, die in ihrer ausgedrückt wie im Neuen Testament.
Torheit denken, dass sie ganz gut ohne 1,24 Eine der größten Tragödien im
sie auskommen können. Leben ist die schroffe Ablehnung aller
1,20 Beachten wir, dass die Weisheit liebevollen Ermahnungen der Weisheit.
an strategisch wichtigen Punkten steht, Sie rief die Klage über die verspielte
sodass alle Menschen ihre Botschaft Gelegenheit vom Gipfel des Ölbergs
hören können. Sie lässt ihre Stimme hervor: »Wie oft habe ich … wollen, …
öffentlich, auf den Plätzen, hören. aber ihr habt nicht gewollt!« (Mt 23,37).
1,21 Jetzt ist sie an den lauten Stra- 1,25 Die Weisheit trauert über Men-
ßenkreuzungen, dann wieder am Ein- schen, die ihren Rat beiseiteschieben
gang der Stadttore. Und so lässt unser und nichts mit ihrer hilfreichen Zu-
Herr seinen Ruf an die Menschen er- rechtweisung zu tun haben wollen.
schallen, wo immer sie vorübergehen. Was die störrische Weigerung des

781
Sprüche 1

Menschen so unvernünftig macht, ist Grausamkeit, Bosheit, Schadenfreude


die Tatsache, dass die Gebote und War- oder Rachsucht vorstellen, ist die Ant-
nungen Gottes ja zum Besten des Men­ wort eindeutig »Nein«. Wir sollten uns
schen und nicht zum Besten Gottes da dieses Lachen eher bildlich denken. Es
sind. Das wird gut von einer Geschichte ist ein Ausdruck dafür, wie lächerlich
illustriert, die D.G. Barnhouse erzählte: und absurd es ist, wenn ein winziger
Ein kleines Mädchen zwängte sich Mensch den allmächtigen Weltenherr-
durch das Metallgeländer, das die Be- scher herausfordert. Es wäre so, als ob
sucher zwei Meter vom Löwenkäfig im eine Mücke dem Feuer eines Hochofens
Zoo von Washington entfernt hielt. Als trotzen wollte. Vielleicht ist auch noch
ihr Großvater ihr befahl, herauszukom- folgender Gedanke enthalten: Jemand
men, ging sie, um ihn zu ärgern, noch kann über die Gebote der Weisheit la-
einige Schritte weiter von ihm weg. Ei- chen oder sie als nicht existent behan-
ner der auf der Lauer liegenden Löwen deln; aber wenn er dann die Früchte
packte sie, zerrte sie in den Käfig und seiner Torheit erntet, stehen diese Ge-
zerfleischte sie. Die Lektion daraus lau- bote immer noch unbeweglich fest, und
tet nach Barnhouse: so scheinen sie, über den Spötter zu-
mindest, zuletzt zu lachen – das Lachen
Gott hat uns Gebote und Grundsätze ge- als dichterisch beschriebene Gerechtig-
geben, die zu unserem eigenen Besten keit.
sind; Gott gibt uns niemals ein Gebot, 1,27 Der Zahltag kommt gewiss. Das
weil er etwa willkürlich wäre oder uns von den Menschen befürchtete Gericht
den Spaß verderben möchte. Gott sagt: wird über sie kommen wie ein Unwet-
»Du sollst keine anderen Götter haben ter. Wie ein Tornado wird das Verder-
neben mir.« Das sagt er nicht, weil er um ben einherdonnern. Schrecken, Angst,
seine eigene Stellung und seine Hoheits- Not und Verzweiflung wird sie ergrei-
rechte besorgt wäre, sondern weil er fen.
weiß, dass es uns schaden wird, wenn 1,28 Dann wird man vergeblich nach
wir irgendetwas ihm vorziehen. Wenn der Weisheit rufen. Man wird verzwei-
wir den Grundsatz hinter dieser Tat­sache felt nach ihr suchen, doch sie nirgends
verstehen, dann verstehen wir auch, finden. Zu spät werden die Menschen
warum Gott uns züchtigt. »Wen der Herr erkennen, dass Licht, das man zurück-
liebt, den züchtigt er« (Hebr 12,6). Er will weist, zu Licht wird, das einem verwei-
nicht, dass wir rückwärts ahnungslos in gert wird. Sie wollten nicht sehen; jetzt
einen Löwenrachen laufen, denn es gibt können sie nicht mehr sehen. Der Geist
einen Löwen, den Teufel, der sucht, wen Gottes wird nicht ewiglich mit dem
er verschlingen könne.5 Menschen rechten (1. Mose 6,3). Dies
verleiht dem Aufruf des Evangeliums
1,26 Wenn ein Mensch sich hartnäckig große Dringlichkeit:
weigert zu hören, dann wird diese Wei-
gerung unvermeidlich Unglück und Beinah’ bekehret, jetzt ist es Zeit!
Verderben nach sich ziehen. Dann lacht Beinah’ bekehret, komm doch noch heut!
die Weisheit ihrerseits. »So will auch Jesus wirbt um dein Herz,
ich bei eurem Unglück lachen, will Engel berührt dein Schmerz,
spotten, wenn der Schrecken über euch Seufzer geh’n himmelwärts,
kommt.« Seele, o komm!
Heißt das, dass der Herr tatsächlich
lacht, wenn die Gottlosen das Unglück Beinah’ bekehret, schnell naht der Tod!
trifft, wie diese Stelle und Psalm 2,4 an- Beinah’ bekehret, jetzt, welche Not!
zudeuten scheinen? Wenn wir uns bei Beinah’, o schlimmer Wahn!
diesem Lachen auch nur eine Spur von Beinah’ reicht nicht hinan,

782
Sprüche 1 und 2

Nun geht der Jammer an: den Schmerzen und der Schande, die
Ewig zu spät! den Spuren der Eigenwilligen und
(übersetzt von Ernst Gebhardt Gottlosen wie Bluthunde folgen.
nach einem englischen Lied
von P.P. Bliss) B. Die Wege der Weisheit (Kap. 2)
In Kapitel 2 ermahnt Salomo seinen
1,29 Das Gericht kommt über diese Sohn eindringlich, auf den Wegen der
Spötter, weil sie die Unterweisungen Weisheit zu wandeln. Die ersten vier
der Weisheit verachtet und sich hart­ Verse zeigen uns die Bedingungen, un-
näckig geweigert haben, dem HERRN ter denen man die Erkenntnis Gottes
Ehrfurcht zu erweisen. Vielleicht haben gewinnt; man muss dazu aufrichtig
sie gehöhnt, dass das Evangelium für und entschlossen sein und sie mit
Frauen und Kinder sei, aber nicht für ganzem Herzen suchen. Das übrige Ka-
sie. »Indem sie sich für Weise ausgaben, pitel verheißt, dass unter solchen Vor­
sind sie zu Narren geworden« (Röm aussetzungen Weisheit und Unterschei-
1,22). Der Hass auf die Weisheit wird dungsvermögen geschenkt werden.
auch in Joh 3,19-21 behandelt. Die 22 Verse entsprechen den 22 Buch­
1,30 In ihrem Leben gab es keinen staben des hebräischen Alphabets.
Platz für den im Wort Gottes enthal- 2,1 Zuerst wird der Sohn ermahnt,
tenen guten Rat. Sie lachten nur, wenn die Lehren seines Vaters zu Herzen zu
die Schrift ihre gottlosen Worte und nehmen und seine Gebote zu bewah-
Taten verurteilte. Sie hatten weder ren. Die Sprüche waren dazu bestimmt,
Furcht vor Gott noch vor seiner Zu­ »bei sich verwahrt«, d.h. auswendig ge-
recht­­weisung. lernt zu werden.
1,31 Jetzt müssen sie den schreck- 2,2 Ein offenes Ohr, ein offenes Herz
lichen Preis ihres Eigenwillens bezah- und ein offener Verstand sind nötig.
len und von der verderblichen Frucht Der Sohn muss ein aufmerksamer Zu-
ihrer bösen Ratschläge zu viel bekom- hörer sein, kein zwanghafter Schwätzer.
men. Es ist ihr eigener Fehler, nicht der Ihm wird nicht gesagt, er solle sich sei-
der Weisheit. Sie wollten einfach nicht ne Probleme von der Seele reden, wie
hören. dies oft in der modernen Seelsorge ge-
1,32 Die Menschen, die nicht hören schieht, sondern er soll auf den weisen
wollen, kommen durch ihre eigene Bes- Rat anderer hören.
serwisserei zu Fall, und die Unvernünf- 2,3-4 Wenn er es wirklich ernst meint,
tigen werden durch ihre Gleichgültig- dann möge er laut nach Erkenntnis ru-
keit ruiniert. Jedermann ist frei, seine fen und sich auf die Suche nach Ver-
eigenen Entscheidungen im Leben zu ständnis machen. Ernsthaftigkeit in der
treffen, aber niemand hat die Freiheit, Absicht ist von größter Wichtigkeit. Es
sich die Konsequenzen seiner Entschei- ist ein Gesetz dieses Lebens, dass wir
dungen auszusuchen. Gott hat in dieser das bekommen, wonach wir uns aus-
Welt gewisse moralische Grundsätze strecken.
eingesetzt. Diese Grundsätze bestim- Was wir brauchen, ist dieselbe Lei-
men die Konsequenzen jeder Entschei- denschaft, die Menschen beim Graben
dung. Es gibt keine Möglichkeit, das zu nach Silber und Suchen nach verbor-
trennen, was Gott auf diese Weise zu- genen Schätzen antreibt. Es ist eine Tra-
sammengefügt hat. gödie, dass die Menschen allzu oft mehr
1,33 Das Gute daran ist, dass derjeni- Eifer beim Anhäufen materiellen Wohl-
ge, der auf die Weisheit hört, in Sicher- stands zeigen als bei der Jagd nach
heit und frei von Angst leben kann. Die geistlichen Reichtümern.
Jünger der Weisheit erfreuen sich eines 2,5 Aber wer sucht, wird mit Sicher-
guten Lebens; sie entgehen den Leiden, heit finden. Wer eifrig danach strebt, in

783
Sprüche 2

eine richtige Beziehung zum Herrn zu vermögen bewahrt ihn davor, sich mit
kommen und Gott wirklich kennenzu- gottlosen Menschen einzulassen. Nie-
lernen, ist noch nie enttäuscht worden. mand von uns kann sich das Ausmaß
Darum sagte einer der frühen Kirchen- vorstellen, in dem wir täglich vor geist-
väter, dass der Mensch, der Gott sucht, lichen, moralischen und physischen
ihn bereits gefunden habe. Christus of- Gefahren bewahrt werden. Der Christ
fenbart den Vater allen, die an ihn glau- erfreut sich eines wohl behüteten Le-
ben. Christus kennen heißt Gott ken- bens, weil er dem Verderben, das durch
nen. die Begierde in der Welt ist, entflohen
2,6 Wenn wir durch den Glauben an ist.
Christus gerettet sind, sind wir dazu fä- 2,12 Wir werden bewahrt vor der Ge-
hig, göttliche Weisheit vom HERRN zu meinschaft mit bösen Menschen (V. 12-
lernen. Er lehrt uns, klar zu denken, 15) und vor der Umarmung der frem-
Dinge richtig zu bewerten, Wahrheit den Frau (V. 16-19).
und Irrtum voneinander zu unterschei- Zuerst werden wir errettet vor der
den und Einsicht in seine Gedanken zu Welt der gottlosen Menschen, die be-
gewinnen. wusste Falschdarstellung betreiben und
2,7 Er hält reichlich Weisheit (oder die Wahrheit verdrehen. Ihre Worte
Gelingen) für die Aufrichtigen bereit sind absolut nicht vertrauenswürdig.
und einen besonderen Schutzschild für 2,13-15 Das sind die Menschen, die
die, die in Lauterkeit wandeln. die gut beleuchteten Straßen der Ge-
2,8 Er bewahrt den Weg derer, die ein rechtigkeit verlassen, um sich in den
reines, von moralischen Grundsätzen dunklen Gassen der Gemeinheit und
geprägtes Leben führen; seinen Ge- des Verbrechens herumzudrücken.
treuen (Frommen) bleibt der Schmerz Sie haben ein grausames Vergnügen
und die Bitterkeit erspart, die im Kiel- an der Bosheit und freuen sich, wenn
wasser der Sünde folgen. »Geschützt als Folge ihrer Sünden alles drunter-
und sicher kommen und gehen die aus- und drübergeht.
erwählten Freunde Gottes« (Knox). Sie folgen krummen Pfaden, und ihr
2,9 Dieser Vers ist eine Parallele zu Verhalten ist hinterhältig und doppel-
Vers 5. Beide beginnen mit »dann« und deutig.
zeigen uns die Segnungen derer, die 2,16 Die Weisheit bewahrt uns aber
sich ernstlich um die Erkenntnis Gottes nicht nur vor der Gesellschaft solcher
bemühen. Menschen, sondern auch vor den Klau-
Der Mensch, der sich von Herzen da- en der Fremden, der verführerischen,
nach sehnt, Gottes Willen zu erkennen unmoralischen Frau. Wir können diese
und zu tun, lernt, sich gerecht zu ver- Frau als eine tatsächliche Prostituierte
halten, anständig zu handeln, sich ehr- oder als ein Bild für die falsche Religion
bar zu verhalten ‒ kurz, in jedem Fall oder die gottlose Welt verstehen.
den richtigen Weg zu wählen. Ihre Methode ist Schmeichelei: »Du
2,10 Der Grund dafür ist, dass die bekommst zu Hause nicht die Anerken-
Weisheit sein Herz leitet, und dann nung, die du eigentlich verdient hast.
wird die Erkenntnis dessen, was recht Du bist so schön, so begabt. Du hast so
ist, köstlich statt bitter. Für den wahren viel zu bieten. Du brauchst Liebe, Sym-
Gläubigen sind Gottes Gebote nicht läs­ pathie und Verständnis, und ich bin
tig. Das Joch Christi ist sanft, und seine die, die dir das geben will.«
Last ist leicht. 2,17 Sie ist dem Vertrauten ihrer Ju-
2,11 Besonnenheit, d.h. die Fähigkeit, gend, d.h. ihrem Ehemann, untreu. Sie
weise Entscheidungen zu treffen, be­ vergisst den Bund ihres Gottes, d.h. das
hütet einen Menschen vor manchem Eheversprechen, das sie vor Gott abge-
»Holzweg«. Ein gesundes Urteils­ legt hat. Vielleicht bezieht sich »der

784
Sprüche 2 und 3

Bund ihres Gottes« auch auf die Zehn den himmlischen Örtern. Aber die Tat-
Gebote und speziell auf das siebte Ge- sache bleibt bestehen, dass Gerechtig-
bot, das Ehebruch verbietet. keit und Anstand sowohl in diesem als
2,18 Der erste Teil dieses Verses kann auch im künftigen Leben belohnt wer-
übersetzt werden: »Denn ihr Haus führt den.
hinab bis zum Tod« oder: »Sie sinkt hin­ Doch ist es ebenso wahr, dass die
ab zum Tod, welcher ihr Haus ist« (eng- Gottlosen aus dem Land des Segens
lische Revised Version, Fußnote). Der vertilgt werden. Es gibt dort kein blei-
zweite Versteil scheint die erstere Über- bendes Erbe für die Treulosen.
setzung zu unterstützen. Wenn man
beide zusammennimmt, ergibt sich fol- C. Der Lohn der Weisheit (3,1-10)
gender Gedanke: Ihr Haus führt hinab 3,1 Wie alle guten Eltern möchte die
zum Tod, und deswegen rutschen die- Weisheit das Beste für ihre Kinder. Sie
jenigen, die dort eintreten, langsam, weiß, dass dies nur durch Gehorsam
aber sicher ins Grab. Ihre Bahnen füh- ihren Lehren gegenüber erreicht wer-
ren zu den Toten, und deswegen wer- den kann, was mit anderen Worten Ge-
den die, die ihr folgen, bald selbst im horsam gegenüber der Heiligen Schrift
Reich der abgeschiedenen Geister sein. ist. So ermahnt sie hier ihren Sohn, sich
Da jeder Mensch eines Tages sterben ihre Gebote mit dem Verstand einzu-
wird, muss der Tod hier mehr bedeuten prägen und ihnen mit dem Herzen zu
als nur das gemeinsame Los aller Sterb- gehorchen.
lichen; es muss der moralische Tod ge- 3,2 Im Allgemeinen führen solche, die
meint sein, der zum ewigen Tod führen ihren Eltern gehorchen, ein längeres
wird. und besseres Leben. Wer wie ein stör-
2,19 Wenn jemand einmal in ihrem risches Pferd gegen elterliche Zucht
Netz gefangen ist, ist es fast unmöglich, ausschlägt, holt sich damit letztendlich
wieder zu entkommen. Dieser Vers nur Krankheiten, Unfälle, Tragödien
scheint sogar jedwede Hoffnung auf ei- und schließlich einen verfrühten Tod.
nen Weg zurück auszuschließen. Aber Dieser Vers hat eine Entsprechung im
viele Aussagen der Bibel müssen als all- fünften Gebot (2Mo. 20,12), welches de-
gemeine Grundsätze verstanden wer- nen langes Leben verheißt, die ihre El-
den, die gelegentlich auch eine Ausnah- tern ehren. Jay E. Adams schreibt dazu:
me haben können. Und darum geht es
hier. Wenn jemand einmal in ihre Ge- Die Bibel lehrt, dass innerer Friede, der
heimnisse eingeweiht ist, ist es für ihn zu längerem, glücklicherem Leben führt,
unendlich schwierig, wieder auf den vom Halten der Gebote Gottes kommt.
rechten Weg zurückzukommen. Ein Gewissen voller Schuld ist eine Last,
2,20 Diesen Vers sollten wir mit Vers die den Körper zerstört. Ein gutes Ge-
11 verbinden. Weisheit bewahrt uns wissen ist ein ganz entscheidender Fak-
nicht nur vor bösen Menschen und der tor, der zu Langlebigkeit und physischer
fremden Frau, sondern ermuntert uns Gesundheit führt. Und so ist unser kör-
auch auf der positiven Seite zur Ge- perliches Wohlergehen in gewissem Maß
meinschaft mit denen, die das Guten von unserem seelischen Wohlergehen
fördern und aufrichtig sind. abhängig. Eine enge psychosomatische
2,21-22 Unter dem Gesetz Moses war Beziehung zwischen unserem Verhalten
der Lohn für die Aufrichtigen und Lau- Gott gegenüber und unserem körper-
teren ein gesicherter Platz im Land Ka- lichen Zustand ist ein erwiesener natur-
naan. Wenn wir zum Neuen Testament gesetzlicher Grundsatz.6
kommen, dann machen diese materiel-
len Segnungen in den irdischen Örtern 3,3-4 Gnade und Wahrheit sollen in un-
Platz für die geistlichen Segnungen in serem äußeren Verhalten gesehen wer-

785
Sprüche 3

den (»binde sie um deinen Hals«), aber Geistes oder durch eine Kombination
ebenso auch unser inneres Leben cha- dieser Mittel. Wenn wir warten, wird er
rakterisieren (»schreibe sie auf die Tafel die Führung so deutlich machen, dass
deines Herzens«). eine Weigerung dann direkter Un­
Auf diese Weise findet man Gunst gehorsam wäre. Dann erkennen wir,
und Wohlgefallen (oder »Erfolg«) in dass die Verheißung, unsere Wege zu
den Augen Gottes und der Menschen. lenken, wörtlich bedeutet, unsere Wege
Was damit letztendlich gesagt wird, ist, zu ebnen oder gerade zu machen, wo-
dass das wahrhaft glückliche Leben bei die Führung gewiss in dieser Ver-
dasjenige ist, das sich im Zentrum des heißung eingeschlossen ist.
Willens Gottes bewegt. Aber das wieder­ 3,7-8 Selbstgefälligkeit blockiert uns
um wirft die Frage auf: »Wie kann ich für die Führung Gottes. Wenn wir aber
Gottes Willen in meinem Leben erken- den Herrn fürchten und von dem Bösen
nen?« Eine klassische Antwort finden weichen, dann bedeutet das grünes
wir in den nächsten beiden Versen. Licht auf der ganzen Linie. Es bringt
3,5 Die erste Voraussetzung ist die Heilung für den Leib und Erquickung
völlige Hingabe unserer selbst ‒ Geist, für unsere Gebeine. Hier begegnen wir
Seele und Leib ‒ an den Herrn. Wir wiederum der engen Beziehung zwi-
müssen ihm nicht nur bezüglich der Er- schen dem moralischen und geistlichen
rettung unserer Seele, sondern auch be- Zustand des Menschen und seiner kör-
züglich der Führung in unserem Leben perlichen Gesundheit.
vertrauen. Und diese Hingabe muss Man schätzt, dass Angst, Trauer,
völlig rückhaltlos sein. Neid, Verbitterung, Hass, Schuld­
Zum Zweiten ist ein gesundes Miss- gefühle und andere emotionale Belas­
trauen uns selbst gegenüber nötig, die tungen für über 60% unserer Krank-
Anerkennung der Tatsache, dass wir heiten verantwortlich sind. Nehmen
nicht wissen, was am besten für uns ist, wir dazu noch den schrecklichen Zoll,
dass wir nicht in der Lage sind, selbst den der Alkohol (Leberzirrhose), der
den rechten Weg zu finden. Jeremia Tabak (Lungenemphyseme, Krebs,
drückt es treffend aus: »Ich habe er- Herzerkrankungen) und die Unmoral
kannt, HERR, dass der Weg des Men- (Geschlechtskrankheiten, AIDS) for-
schen nicht in seiner Macht steht und dern, dann verstehen wir, dass Salomo
dass es keinem, der geht, gegeben ist, durch göttliche Inspiration auf dem Ge-
seinen Schritt zu lenken« (Jer 10,23). biet der medizinischen Wissenschaft
3,6 Schließlich müssen wir die Herr- seiner Zeit weit voraus war.
schaft Christi anerkennen: »Auf all dei- 3,9 Ein Weg, auf dem wir die Herr-
nen Wegen erkenne nur ihn« (oder: »er- schaft Christi ehren können, ist die Ver-
kenne ihn an«, so KJV, NKJV). Jeder waltung unseres materiellen Besitzes.
einzelne unserer Lebensbereiche muss Alles, was wir haben, gehört ihm. Wir
seiner Herrschaft unterstellt werden. sind Verwalter oder Haushalter und
Wir dürfen keinen eigenen Willen ha- dafür verantwortlich, dass dieser Besitz
ben, einzig nur das lautere Verlangen, richtig eingesetzt wird. Es ist unser Vor-
seinen Willen zu erkennen und zu tun. recht, einen bescheidenen Lebensstan-
Wenn wir diese Bedingungen erfül- dard für uns selbst zu wählen, alles,
len, gilt die Verheißung, dass uns Gott was darüber hinausgeht, für das Werk
unsere Wege lenken (o. ebnen) wird. Gottes einzusetzen und bezüglich un-
Vielleicht tut er das durch die Bibel oder serer Zukunft Gott zu vertrauen. Wie
durch den Rat gottesfürchtiger Christen, David Livingstone sollten wir uns ent-
vielleicht durch ein wunderbares Zu- schließen, alles, was wir haben, für das
sammentreffen von Umständen, durch Reich Gottes einzusetzen.
den inneren Frieden des Heiligen 3,10 Dem freigebigen Juden waren im

786
Sprüche 3

Alten Testament überfüllte Scheunen Ich will lieber sein Eigen sein, als
und überfließende Weinkeltern verhei- unermessliche Reichtümer besitzen.
ßen. Wenn unsere Segnungen heute Ich möchte lieber Jesus, als Häuser oder
auch eher geistlicher Natur sind, so Land.
bleibt es dennoch wahr, dass wir im Ich will lieber geführt werden von seiner
Freigebigsein den Herrn niemals über- durchbohrten Hand,
treffen können. Als König sein über ein riesiges Reich
und dabei unter der schrecklichen
D. Weisheit als Gewinn (3,11-20) Herrschaft der Sünde stehen.
3,11-12 Eine weitere Möglichkeit, ihn Ich möchte lieber Jesus, als alles,
als Herrn anzuerkennen, besteht darin, was die Welt mir heute bieten kann.
uns willig seiner Zucht zu unterwerfen. George Beverly Shea
Zu oft leider denken wir bei Zucht an
Bestrafung, aber dieser Ausdruck 3,15 Er ist kostbarer als Korallen, Ru­
schließt alles ein, was zur richtigen Er- bine oder andere Juwelen, er ist be­
ziehung eines Kindes gehört, d.h. Un- gehrenswerter als jede irdische Kost-
terweisung, Warnung, Ermunterung, barkeit.
Rat, Zurechtweisung und körperliche 3,16 Mit der einen Hand bietet er uns
Züchtigung. Alles, was Gott in unserem Länge des Lebens, sogar ewiges Leben,
Leben zulässt, hat einen bestimmten an. Mit der anderen schenkt er uns
Zweck. Wir sollten es nicht verwerfen geistlichen Reichtum und Ehre.
oder darüber unwillig werden. Auch 3,17 Alle seine Wege sind freundlich,
sollten wir nicht davor zurückweichen alle seine Pfade Frieden. »Wo er führt,
oder unter der Last aufgeben. Vielmehr ist das Reisen angenehm; wo er den
sollten wir darum bemüht sein, dass Weg weist, ist alles Frieden« (Knox;
Gottes Absicht durch die Zucht erreicht leicht verändert).
wird, sodass wir den größtmöglichen 3,18 Denen, die ihn aufnehmen, ist er
Gewinn davon haben. Gottes letztend- wie ein Baum, dessen Frucht ein wirk-
liche Absicht bei Zuchtmaßnahmen in lich lebenswertes Leben ist. Die, die ihm
unserem Leben ist, dass wir Teilhaber nahe bleiben, sind die wirklich glück-
seiner Heiligkeit werden. lichen Menschen auf der Erde.
Zucht ist ein Beweis der Liebe, nicht 3,19-20 Diese beiden Verse beschrei-
des Zorns. Sie macht deutlich, dass wir ben die Weisheit Gottes in der Schöp-
Söhne Gottes sind (siehe Hebr 12,6-8). fung, im Gericht und in der Vorsehung.
Zum Nachdenken: Ein Gärtner be- In der Schöpfung gründete er die Erde
schneidet Reben, aber keine Disteln. und befestigte die Himmel. Im Gericht
3,13 Der Mensch, der Weisheit gefun- öffnete er die Brunnen der Tiefe zur
den hat, ist glückselig, besonders wenn Zeit der Sintflut. In seiner Vorsehung
wir daran denken, dass die Weisheit hebt er das Wasser aus dem Ozean in
hier eine verhüllte Darstellung von den Himmel und verteilt es dann wie-
Christus selbst ist. Wir wollen in den derum als Regen über die Erde.
folgenden Versen Christus einsetzen Und wer ist bei all diesem die ausfüh-
und sehen, was sich dadurch ergibt. rende Person innerhalb der Gottheit? Es
3,14 Der Vorteil, den Herrn Jesus zu ist Christus, die Weisheit Gottes (Joh
kennen, geht weit über jeden denkbaren 1,3; Kol 1,16; Hebr 1,2).
Reichtum an Silber und Gold hinaus. Er
schenkt uns, was wir für Geld niemals E. Praktizierte Weisheit (3,21-35)
kaufen können. 3,21 Das Vorrecht, von dieser Weisheit
unterwiesen zu werden, die das Weltall
Ich möchte lieber Jesus, als Silber und geschaffen hat und es erhält, ist viel zu
Gold. groß, um es sich entgehen zu lassen.

787
Sprüche 3

Wir sollten gesunde Weisheit und Be- seinen Mitmenschen vernachlässigt


sonnenheit nie aus den Augen verlie- (vgl. Jak 4,17).
ren. 3,28 Vertrösten Sie Ihren Nächsten
3,22-24 Sie schenken uns innere Le- nicht auf morgen, wenn Sie heute sei-
benskraft (»Leben für deine Seele«) und ner Not begegnen können.
äußere Schönheit (»Anmut für deinen Wer ist mein Nächster? Jeder, der
Hals«). meine Hilfe braucht! Was braucht mein
Sie befähigen einen Menschen zu Nächster? Er muss die Gute Nachricht
siche­rem Wandel ohne die Gefahr des von der Errettung hören. Wenn es der
Strauchelns oder Ausgleitens. Heilige Geist mir aufs Herz legt, jeman-
Sie garantieren einen guten Schlaf dem Zeugnis zu geben, dann sollte ich
ohne Schuld auf dem Gewissen oder es heute noch tun. Wir sollten niemals
Angst im Herzen. einem Antrieb des Heiligen Geistes wi-
3,25 Sie bewahren uns vor dem plötz- derstehen.
lichen Schrecken, der die Gottlosen 3,29 Die Liebe zu unserem Nächsten
trifft. Wer das scheinbare Wohlergehen verbietet es, Böses gegen ihn zu schmie-
der Gottlosen beneidet, übersieht meist den, während er vertrauensvoll und
die mit dieser Art von Leben verbun- ohne jeden Verdacht im Nachbarhaus
denen Gefahren ‒ wie Erpressung, wohnt. Das schließt von vornherein alle
Diebstahl, Rache, Schweigegelder, Ent- die gemeinen, höhnischen und oft grau-
führung und Mord. samen Racheakte aus, die leider allzu
3,26 Der Herr bewahrt die, die in sei- oft auf Nachbarschaftshändel folgen.
nen Wegen wandeln. Er bewahrt unsere 3,30 Hier werden wir davor gewarnt,
Füße davor, in der Falle gefangen zu einen Streit mit jemandem anzufangen,
werden. Oft sind wir uns der wunder- der ihn überhaupt nicht provoziert hat.
baren Eingriffe und der Bewahrung Es gibt schon genug Streit in der Welt,
Gottes in unserem Leben bewusst. Aber auch ohne dass wir uns unnötigerweise
sie sind nur die Spitze des Eisbergs. anstrengen, noch mehr aufzuwühlen!
Eines Tages werden wir vollkommen 3,31-32 Der Gewalttätige scheint so-
erkennen, und zwar alles, wovor ‒ und fortigen Erfolg zu haben. Aber wir
auch wozu ‒ wir bewahrt wurden. sollten seinen Wohlstand nicht bewun-
3,27 Beachten wir die negativ formu- dern oder seinem Beispiel folgen. Der
lierten Ermahnungen in den Versen 27 Herr hasst, verachtet und verabscheut
bis 31: »Enthalte nicht vor … sage nicht den Verkehrten, doch den Aufrichtigen
… schmiede nicht Böses … geh mit kei- zieht er in sein enges Vertrauen (siehe
nem vor Gericht … beneide nicht … Joh 14,23).
wähle keinen …« 3,33 Gottes Verdammungsurteil oder
Zuerst einmal sollten wir niemals et- sein Vertrauen, sein Fluch oder sein
was seinem Eigentümer vorenthalten, Segen ‒ das ist die Wahl! Eine dunkle
wenn wir es ihm geben können. Dies Wolke schwebt über dem Haus der
kann sich auf ein verdientes Gehalt, auf Gottlosen. Der Sonnenschein der Gunst
eine fällige Schuld oder auf geborgtes Gottes strahlt über dem Haus des Ge-
Werkzeug beziehen. rechten.
Aber im weiteren Sinn heißt es viel- 3,34 Wiederum haben wir die Wahl
leicht auch: »Enthalte niemals jeman- zwischen Gottes Verachtung und seiner
dem eine Freundlichkeit oder eine gute Gnade. Er spottet über den Spötter, gibt
Tat vor, der ein Recht darauf hat.« Diese aber dem Demütigen Gnade. Die be-
Verfügung soll wohl den Gerechten da- sondere Bedeutung dieses Verses sehen
vor warnen, so sehr mit seiner richtigen wir daran, dass er zweimal im Neuen
Beziehung zu Gott beschäftigt zu sein, Testament zitiert wird (Jak 4,6; 1Petr
dass er seine Verantwortung gegenüber 5,5).

788
Sprüche 3 und 4

3,35 Schließlich haben wir die Wahl dadurch Einsicht und Unterscheidungs-
zwischen Ehre und Schande. Weise vermögen zu bekommen. Das bedeutet
werden Ehre erben, aber Toren werden unter anderem, dass wir lernen, zu wäh-
dadurch berühmt, dass sie öffentliche len zwischen Böse und Gut, zwischen
Schande davontragen. dem Guten und dem Bes­ten, dem
Seelischen und dem Geist­lichen, dem
F. Weisheit als Familienschatz (4,1-9) Zeitlichen und dem Ewigen.
4,1 In den ersten neun Versen dieses 4,8 Wenn wir der Weisheit den ersten
Kapitels wiederholt Salomo die gesun- Platz unter unseren Prioritäten einräu-
de Lehre, die ihm sein Vater weiter­ men, wird sie uns reich belohnen. Wenn
gegeben hat, und schärft seinen Söhnen wir sie in Liebe umarmen, wird sie uns
ein, alles daranzusetzen, echte Weisheit in ehrenvolle Stellungen bringen.
zu erwerben. Das Buch der Sprüche ist 4,9 »Sie schmückt dich mit Anmut
voll von eindringlichen Ermahnungen und krönt dich mit Ehre« (Moffatt). Die
an junge Menschen, auf die Unter­ Weisheit verleiht ihren Kindern mora-
weisung eines weisen Vaters zu hören. lische Schönheit. Beachten wir dagegen,
4,2 Es zahlt sich aus, Freundschaften wie abstoßend z.B. ein Leben wirkt, das
mit gottesfürchtigen älteren Menschen in Verschwendung und Unmoral ver-
zu pflegen. Man kann eine Menge von bracht wird.
ihnen lernen und von ihren langjäh-
rigen Erfahrungen profitieren. Ihre G. Weisheit und die zwei Wege (4,10-27)
Lehre ist gut und sollte nicht außer Acht 4,10 Nachdem Salomo die Wieder­
gelassen werden. holung der Ratschläge seines Vaters be-
4,3 Hier denkt Salomo an die Zeit zu- endet hat, fährt er nun wieder mit der
rück, als er noch ein Sohn bei seinem Ermahnung an seinen eigenen Sohn
Vater und »als zartes und einziges Kind fort. Es ist eine allgemeine Regel, ob-
unter den Augen meiner Mutter« wohl nicht ganz ohne Ausnahmen, dass
(Schlachter 2000) war. In Wirklichkeit ein reines Leben zu einem langen Le-
war er natürlich nicht der einzige Sohn, ben führt. Denken wir daran, wie Alko-
aber der Ausdruck bedeutet vielleicht hol, Drogen und sexuelle Sünden direkt
»der Liebling meiner Mutter« (Knox). mit Krankheit und Tod verbunden
4,4 Salomos Vater, David, hatte seinen sind.
Sohn ermahnt, seinen gesunden Rat- 4,11-12 Ein Vater darf zufrieden sein,
schlägen zu folgen und dadurch ein Le- wenn er seinen Sohn die Wege der
ben zu leben, das wirklich zählt. Eine Zu- Weisheit gelehrt hat und ihm ein gutes
sammenfassung der Unterweisung Da- Vorbild gewesen ist. Jedoch muss die
vids finden wir in den Versen 4b bis 9. Belehrung mit dem guten Vorbild ver-
4,5-6 Die Hauptsorge in Bezug auf bunden sein. Das Verhalten eines Vaters
seinen Sohn war, dass er Weisheit und spricht lauter als seine Worte.
Verständnis erwerben solle ‒ was ei- Ein Sohn, der auf geraden Bahnen
gentlich bedeutet, sein Leben für den geht, wird ungehindert dahinschreiten
Herrn zu leben. Was Salomo auch im- und laufen, ohne zu stürzen.
mer sonst tun würde, er sollte dies nie Die alte syrische Übersetzung liest
vergessen, denn nur ein für Gott ge- hier: »Wenn du Schritt für Schritt gehst,
lebtes Leben zählt im Endeffekt wirk- werde ich den Weg vor dir auftun.«
lich. Dies lehrt uns zwei wichtige Prinzipien:
4,7 Die erste Voraussetzung für den Erstens führt uns Gott Schritt für Schritt,
Erwerb von Weisheit ist Motivation oder statt uns seinen ganzen Plan auf einmal
Entschlossenheit. Wir bekommen im Le- zu offenbaren. Zweitens führt Gott
ben das, was wir erstreben. Wir sollten Menschen dann, wenn sie für ihn vor-
um jeden Preis Weisheit erlangen, um wärts gehen. Ein Schiff muss in Be­

789
Sprüche 4

wegung sein, ehe es der Rudergänger das an Helligkeit zunimmt, bis es seine
steuern kann. Ebenso ist es mit einem volle Strahlkraft am Mittag erreicht. Mit
Fahrrad: Wir können es nur lenken, anderen Worten: Der Pfad der Gerech­
wenn es sich bewegt. Gleiches gilt auch ten wird immerzu besser und heller.
für uns: Gott führt uns, wenn wir für Die Gottlosen stolpern in tiefer Fins­
ihn in Bewegung sind. ternis vorwärts, ohne überhaupt zu
4,13 Wir sollten an guter Belehrung wissen, worüber sie gerade stürzen.
festhalten und sie nicht loslassen. Wir 4,20 Salomo ermahnt seinen Sohn er-
sollten auf Weisheit achthaben wie auf neut, seiner Unterweisung in der Weis-
unser eigenes Leben ‒ denn sie ist unser heit ungeteilte Aufmerksamkeit zu
Leben, besonders wenn wir an die schen­­­­­ken. In einem solchen Vers sollten
Fleisch gewordene Weisheit in der Per- wir die Stimme des Herrn zu uns reden
son des Herrn Jesus denken. hören.
4,14 Die Verse 14 bis 19 warnen vor 4,21 Es ist zu unserem eigenen Be-
schlechtem Umgang und stellen den sten, wenn wir die Belehrungen der
Gegensatz zwischen dem Weg der Fins­ Weisheit nicht außer Acht lassen, son-
ternis und dem Weg des Lichts heraus. dern sie in unseren Herzen bewahren.
Diese Ermahnungen gegen das Zu- 4,22 Die Worte der Weisheit sind Le-
sammengehen mit gottlosen Menschen ben spendend und schöpferisch. Wie
verbieten nicht, dass wir ihnen Zeugnis der Herr Jesus sagte: »Die Worte, die
geben. Aber sie verbieten jegliche Part- ich zu euch geredet habe, sind Geist
nerschaft und Gemeinschaft mit ihnen und sind Leben« (Joh 6,63).
und ihren Plänen. Und sie sind Gesundheit für den
4,15 Ein Ton eindringlicher Warnung ganzen Leib, weil sie uns vor den Sün-
klingt in diesen kurzen, stakkatoartigen den und Sorgen bewahren, die so viel
Befehlen: »Halte dich fern von einem Krankheit verursachen.
Leben in Sünde! Bleib nicht stehen, um 4,23 Die Verse 23 bis 27 sind das alttes­
dich ‒ aus Neugier ‒ damit zu beschäf- tamentliche Gegenstück zu Römer 12,1.
tigen! Dreh dich um! Geh weiter! Viel- Sie ermahnen uns, unser ganzes Wesen
leicht scheint es interessant, spannend Gott zur Verfügung zu stellen ‒ Herz,
oder aufregend ‒ aber letztendlich wird Mund, Lippen, Augen und Füße. Gott
es dich zerstören.« beginnt mit dem inneren Menschen und
4,16-17 Die Handlanger der Sünde wirkt dann von innen nach außen.
können nicht richtig schlafen, bis sie Das Herz kommt zuerst. Es spricht
nicht eine krumme Sache ausgeheckt von dem inneren Leben, dem Verstand,
haben. Sie leiden an chronischer Schlaf- dem Denken, den Beweggründen, den
losigkeit, bis sie jemanden in Ruin und Wünschen. Das Denken ist die Quelle,
Verderben gelockt haben. aus der heraus die Handlungen fließen.
Ihre tägliche Nahrung ist das Brot der Wenn die Quelle rein ist, dann ist auch
Gottlosigkeit und der Wein der Gewalt. der daraus entspringende Fluss rein.
Wir könnten auch sagen, dass die Bos- Wie ein Mensch denkt, so ist er. So be-
heit ihr tägliches Brot ist. tont dieser Vers die Wichtigkeit eines
Diese Verse zeigen uns drastisch die reinen Gedankenlebens.
sündige Natur des Menschen auf. Da er 4,24-25 Falschheit des Mundes bedeu-
von Natur aus sündig ist, ist die Sünde tet unehrliches und verschlagenes Re-
für ihn wie Fleisch und Getränk für sei- den. Verdrehtheit der Lippen bezieht
nen Körper. Dieser Abschnitt bezieht sich auf Worte, die nicht aufrichtig und
sich nicht nur auf Kriminelle (vgl. Kom- einwandfrei sind.
mentar zu Jer 17,9). Augen und Blicke, die geradeaus ge-
4,18-19 Nicht so das Leben des Ge- richtet sind, weisen auf einen ziel­
rechten. Es gleicht dem Morgenlicht, gerichteten Wandel hin, der nicht ab-

790
Sprüche 4 und 5

weicht, um zu sündigen oder etwas söhnen begegnet. Ihre Lippen triefen


Ungutes zu tun. In einer Zeit, in der die von Honig ‒ süß, sanft und trügerisch.
Massenmedien uns mit Werbung bom- Sie ist eine Schmeichlerin. Butter würde
bardieren, die darauf ausgerichtet ist, in ihrem Mund zerschmelzen. Sie ist
unsere niederen Triebe zu erregen, eine geschickte, aalglatte Rednerin.
müssen wir lernen, unsere Augen im- 5,4 Zuerst scheint sie angenehm und
mer auf den Herrn Jesus gerichtet zu begehrenswert, aber am Ende ist sie bit-
halten (Hebr 12,2). ter wie Wermut. Es ist die alte Geschich-
4,26-27 Wenn wir Sorge tragen, auf te ‒ Sünde ist attraktiv als eine Aussicht,
der geraden Bahn der Heiligkeit zu aber grässlich im Rückblick.
wandeln, werden alle unsere Wege Mit ihr ins Bett zu gehen, hat einen
wohl geordnet und sicher sein. überaus teuren Preis ‒ Schuldgefühle,
Entlang der Straße sind links und Gewissensbisse, öffentliche Schande,
rechts Seitenwege, die zu den Höhlen Geschlechtskrankheiten, eine zerstörte
der Sünde führen. »Lasst uns Jesus treu Ehe, eine zerbrochene Familie, psy-
sein, wenn auch tausend Stimmen aus chische Störungen und ein Heer von
der Welt uns rufen.« anderen Übeln.
Wenn wir versucht sind, an einen 5,5-6 Sie führt ihre Opfer auf einer
fragwürdigen Ort zu gehen, sollten wir Einbahnstraße hinab zum Tod und zum
uns fragen: »Würde ich dort gerne ge- Totenreich.
funden werden, wenn der Herr Jesus Als völlig haltlose Frau macht sie sich
wiederkommt?« Halten Sie Ihren Fuß nichts aus einem ordentlichen Leben.
vom Bösen fern! Ihr Charakter ist instabil und unstet,
und sie ist sich nicht einmal bewusst,
H. Die Torheit der Unmoral (Kap. 5) wie tief sie gefallen ist. »Die sichere
5,1-2 Salomo bemüht sich, seinen Sohn Straße des Lebens ist nichts für sie, un-
vor einer der hartnäckigsten Sünden stet und schlüpfrig sind ihre Pfade«
der Jugend zu warnen. Wer auf gesun- (Moffatt).
den Rat hört und von der Erfahrung an- 5,7 Im Bewusstsein alles dessen, was
derer lernt, entwickelt echtes Unter- auf dem Spiel steht, fügt Salomo hier
scheidungsvermögen. Weil unser Re- die ernste Warnung an seine Söhne ein,
den dann rein und wahrhaftig ist, be- doch ja auf seine Worte zu hören und
wahrt es uns vor Schwierigkeiten. Nur nicht von dem zu weichen, was er
das Wort Gottes ist ein ausreichender ihnen zu sagen hat.
Schutz vor der Verführung und der 5,8 Ein großer Schutz ist, sich von der
Täuschung, die in unserer heutigen Zeit Versuchung so weit wie möglich
um sich greift. Deshalb ermahnt Paulus fernzuhalten. Es ist sinnlos, Gott um Be-
Timotheus, sich an das Wort Gottes zu wahrung zu bitten, wenn wir unbedingt
halten, wenn er von Abfall umgeben ist mit Gegenständen oder Orten herum-
(2Tim 3,13-17). tändeln wollen, die mit Sünde in Ver-
5,3 Der Rest von Kapitel 5 beschäftigt bindung stehen.
sich mit dem, was gelegentlich »das äl- Manchmal ist es sogar notwendig zu
teste Gewerbe der Welt« genannt wird fliehen. Josef hat sich so verhalten, und
‒ mit Prostitution. Die fremde Frau oder obwohl er sein Obergewand verlor, be-
Verführerin ist eine Prostituierte, die wahrte er seine Reinheit und gewann
sich selbst für unmoralische Zwecke eine Krone.
verdingt. Man kann in ihr ein Symbol Um Vers 8 zu gehorchen, kann es so-
für die Sünde, die böse gegenwärtige gar sein, dass wir uns eine neue Arbeit
Welt, die falsche Religion, den Götzen- suchen, umziehen oder einen anderen
dienst oder eine andere gefährliche gleichermaßen entschlossenen Schritt
Verführung sehen, die den Menschen- tun müssen.

791
Sprüche 5

5,9-10 Wer ein Bordell besucht, ver- Luther 1984) als Frage: »Sollen nach
schwendet die Blüte seiner Manneskraft draußen verströmen deine Quellen, auf
und schenkt das Beste seiner goldenen die Plätze die Wasserbäche?« Dies ist
Jahre einer grausamen Verführerin. eine bildhafte Beschreibung der Ver-
Zusätzlich werden »anständige« Bür- geudung der Zeugungskraft dessen,
ger, die geheime unmoralische Verbin- der zu einer Prostituierten geht.
dungen eingehen, ob nun direkt oder Knox übersetzt den Vers: »Von dort
durch Pornografie, Sexfilme oder Vi- lass deine Nachkommenschaft über-
deos, oft auch noch Opfer von Erpres- strömen, die Wassern gleich aus deiner
sung. Wenn man kein »Schweigegeld« eigenen Quelle durch die öffentlichen
bezahlt, wird man mit öffentlicher Bloß- Straßen fließen.« Die Frau ist hier die
stellung bedroht. Quelle, und die Wasser sind die Kinder,
5,11 Das Ende eines solchen Lebens die aus dem Haus rennen und fröhlich
wird durch ein einziges unaufhörliches in den Straßen spielen.
Stöhnen geprägt, wenn der Körper von 5,17 Die echte Ehebeziehung ist eine
Geschlechtskrankheiten, von AIDS, von ausschließliche, und die Kinder erfreu-
Blindheit, Bewegungsstörungen oder en sich der Sicherheit, einen Platz zu
Störungen des Gefühlslebens gequält haben, wo sie »hingehören«. So warnt
wird. uns dieser Vers vor der Tragödie unehe-
5,12-13 Dann ist da noch der zusätz- licher Kinder oder der zweifelhaften
liche Schmerz der Schuldgefühle und Ge- Herkunft derer, die als Ergebnis wech-
wissensbisse. Das ausgebrannte Wrack selnder sexueller Beziehungen geboren
klagt sich selbst an, nicht auf seine Eltern, sind.
seinen Sonntagsschullehrer, seine christ- 5,18 Die »Quelle« bezieht sich hier
lichen Freunde gehört zu haben. Er hätte wieder auf die eigene Ehefrau eines
Meere von Elend vermeiden können, Mannes. Er soll seine Sehnsucht nach
aber er war zu starrköpfig, um sich war- Freude und Gemeinschaft bei der Frau
nen zu lassen. seiner Jugend stillen. »Indem er auf jede
5,14 Und es besteht die Möglichkeit, andere Frau verzichtet, entdeckt ein
der öffentlichen Schande ausgesetzt zu Mann, dass der Reichtum, der aus die-
werden. Das scheint der Gedanke in ser ausschließlichen Beziehung hervor-
diesem Vers zu sein, obwohl er viel- kommt, nicht versiegt, ebenso wenig
leicht auch die Vorstellung einer ge- wie die Wärme des Willkommens, die
richtlichen Verurteilung für die be- sich von seiner Familie segnend auf an-
gangenen Missetaten einschließt. dere ausdehnt« (Michael Griffiths).7
5,15 In bildlicher Sprache gibt Salomo 5,19-20 Ein Mann soll die Intimität
seinem Sohn den Rat, all seine sexuelle der ehelichen Vereinigung ausschließ-
Erfüllung bei seiner eigenen Frau in lich seiner Frau vorbehalten, indem er
einem Leben reiner ehelicher Liebe zu sie als die liebevolle, anmutige Frau be-
finden. handelt, die sie ist. Ihr Busen soll ihn
5,16 Wenn wir der unrevidierten El- allezeit sättigen. »Von ihrer Liebe sollst
berfelder Übersetzung folgen (»Mögen du stets entzückt sein« (Schlachter
nach außen sich ergießen deine Quel- 2000).
len, deine Wasserbäche auf die Stra- Warum sollte er von dem falschen
ßen«), beschreibt dieser Vers die Seg- Zauber einer Ehebrecherin entzückt
nungen einer von gegenseitiger Treue sein? Oder warum eine Verführerin in
gekennzeichneten Ehe, wie sie sich auf seine Arme nehmen?
die übrige Familie und die Freunde 5,21-22 Wenn ihm vielleicht auch kein
auswirken. menschliches Auge ins Bordell, ins Ho-
Die revidierte Elberfelder übersetzt telzimmer oder an den geheimen Treff-
diesen Vers (wie Schlachter 2000 und punkt folgt, so sieht doch Gott alles,

792
Sprüche 5 und 6

was geschieht. »Die geheime Sünde auf gesellschaft verlangt die Unterschrift
der Erde ist ein offener Skandal im von jemandem, der zahlen kann für
Himmel.« Man kann nicht einfach sün- den Fall, dass der Kreditnehmer
digen und dann ungeschoren davon- zahlungs­unfähig wird. Der Nachbar
kommen. Den mit der Sünde verbunde- kommt nun zu mir und bittet mich, den
nen Konsequenzen kann man nicht ent- Vertrag mit ihm zu unterzeichnen. Das
fliehen. Jay Adams gibt uns den Rat: bedeutet dann, dass ich zahlen muss,
falls er es nicht mehr kann.
Sündige Gewohnheiten sind schwer zu Der Nächste in diesem Vers ist mein
brechen, aber wenn sie nicht gebrochen Nachbar. Der Fremde ist die Kreditge-
werden, werden sie den Patienten nur sellschaft, der ich meine Garantie gebe.
umso fester binden. Er wird von diesen 6,2 »Bist du durch ein mündliches
Stricken seiner eigenen Sünde festgehal- Versprechen gebunden, gefangen
ten. Die Sünde zieht ihn wie in einem durch die Worte deines Mundes  …«
Strudel mit sich hinab. Er ist gefangen (Schlachter 2000). Wenn wir ein vor-
und gebunden durch die immer enger schnelles Versprechen gegeben haben,
werdenden Fesseln der Sünde. Schließ- sind wir in eine Falle geraten. Es war
lich wird er Sklave der Sünde.8 ein großer Fehler.
6,3 Das Beste, was wir jetzt tun kön-
5,23 Ellicott nennt diesen Vers die nen, ist, die Entlassung aus dieser Ver-
Schlussszene im Leben des Laster- pflichtung zu suchen. Ich sollte meinen
haften. Er wollte keine Selbstzucht aus­ Nächsten zu überreden versuchen, dass
üben. Als Ergebnis davon muss er jetzt meine Unterschrift von dem Vertrag
sterben. »Aus Mangel an Verstand stirbt wieder getilgt wird, den zu unterzeich-
er, seine gewaltige Torheit ruiniert ihn« nen ich mich habe verleiten lassen.
(Moffatt). 6,4-5 Die Sache ist von solcher Wich-
Der Dichter Shelley (1792-1822) ist tigkeit, dass ich nicht ruhen sollte, bis
eine Illustration dieses Abschnitts. In ich aus dieser Verbindlichkeit befreit
seiner Verblendung verspottete er den bin. Ich sollte mich da herauswinden
Gedanken der Einehe, als ob es darum wie eine Gazelle aus der Hand des Jä-
ginge, »eine zu heiraten und Tausende gers oder wie ein Vogel aus der Hand
zu enttäuschen«. Das Ergebnis seiner des Vogelstellers.
Lebensweise waren nach Griffiths häu- Aber warum warnt uns die Bibel so
figes Zerbrechen der Beziehungen, ernst vor den Gefahren der Bürgschaft?
Selbstmorde, uneheliche Kinder und Ist es nicht ein Akt von Güte und Freund-
Eifersucht. G. Sampson stellte die Fra- lichkeit, dies einem Freund oder Nach-
ge, »ob es je im Leben eines Dichters barn gegenüber zu tun? Bürgschaft zu
eine solche Spur von Katastrophen gab, geben, scheint ein Zeichen von Nächs-
wie die, die dieser ›schöne, aber nichts- tenliebe zu sein, im Grunde genommen
nutzige‹ Engel hinterlassen hat.« ist es aber eher genau das Gegenteil.
1. Vielleicht helfe ich ihm, etwas zu
I. Die Torheit von Bürgschaft, kaufen, ohne dass es Gottes Wille ist,
Faulheit und Betrug (6,1-19) dass er es besitzt.
6,1 Die ersten fünf Verse warnen vor 2. Vielleicht verstärke ich dadurch bei
Bürgschaft, d.h. davor, sich für die ihm einen eventuellen Hang zur Ver-
Schulden eines anderen haftbar zu ma- schwendungssucht oder gar zum Leicht-
chen für den Fall, dass dieser nicht im- sinn.
stande ist, zu bezahlen. Nehmen wir 3. Wenn er zahlungsunfähig wird und
an, ein Nachbar möchte einen Wagen ich für etwas zu bezahlen habe, was gar
auf Raten kaufen, ist aber nicht ge­ nicht mir gehört, wird die Freundschaft
nügend kreditwürdig. Die Kredit­ aufhören und Bitterkeit beginnen.

793
Sprüche 6

Es wäre besser, ihm das Geld direkt warten, aber der Tag der Armut nicht.
zur Verfügung zu stellen, wenn es sich »So holt dich die Armut ein wie ein
um ein gerechtfertigtes Bedürfnis han- Läufer, und der Mangel wie ein bewaff-
delt, doch sollten wir in keinem Fall neter Mann!« (Schlachter 2000).
Bürge für ihn werden. 6,12 Die Verse 12 bis 15 bilden eine
6,6-7 Die Verse 6 bis 11 sind eine An- klassische Beschreibung eines Betrü-
klage gegen die Faulheit. Die Ameise gers. Er ist ein böswilliger und gemei-
dient zum Anschauungsunterricht, wie ner Schwindler, hinter dessen glattem
sie hin- und herläuft, ständig in Be­ Lächeln ein betrügerisches Herz ver-
wegung ist und oft übergroße Lasten borgen ist. Er geht umher mit Falschheit
trägt. Sie verrichtet eine Menge Arbeit auf seinen Lippen.
ohne Vorarbeiter, Chef oder Abtei- 6,13-14 Er verwendet alle Arten von
lungsleiter. Wenn wir einen Ameisen- suggestiver Gestik und boshaftem Mie-
haufen beobachten, scheinen sie wirr nenspiel, um seinem Komplizen Zei-
und planlos durcheinanderzurennen, chen zu geben oder sein ahnungsloses
aber ihre Aktivitäten sind planvoll und Opfer zu fangen. Er zwinkert mit den
zielgerichtet, obwohl es keine offen- Augen, scharrt mit den Füßen und deu-
sichtliche Befehlshierarchie gibt. tet mit seinen Fingern.
6,8 Dieses kleine Geschöpf arbeitet Sein Herz ist voller Verkehrtheit und
sorgfältig und fleißig im Sommer und Bosheit, und beständig schmiedet er
sammelt ihre Speise in der Erntezeit. üble Pläne und sät Zwietracht.
Die Betonung liegt hier nicht darauf, 6,15 »Solche Männer werden über
für die Zukunft Vorsorge zu treffen, kurz oder lang von ihrem Schicksal er-
sondern hier und jetzt hart zu arbeiten. eilt, werden plötzlich zerschmettert
Dieser Abschnitt sollte nicht dazu werden ohne jede Hoffnung auf Hei-
missbraucht werden, Christen zu leh- lung« (Knox). Wenn wir lang genug da-
ren, dass sie sich einen Vorrat für nach suchen, finden wir vielleicht sogar
schlechte Zeiten zurücklegen sollten. Es eine Illustration dafür in der heutigen
ist uns verboten, Schätze auf Erden zu Tageszeitung.
sammeln (Mt 6,19). Es stimmt, dass 6,16 Die Dinge, die den ruchlosen
Ameisen für ihre Zukunft Vorsorge Mann (V. 12-15) kennzeichnen, sind
treffen, und ebenso sollten es auch Gott verhasst (V. 16-19), besonders das
Christen für die ihre tun. Aber der Un- Säen von Zwietracht (vgl. V. 14 mit
terschied ist der, dass die Zukunft einer V. 19).
Ameise in dieser Welt ist, die des Gläu- Die Formel »sechs Dinge sind es …
bigen dagegen im Himmel. Einsichtige und sieben sind« bedeutet vielleicht,
Christen sammeln sich deshalb Schätze dass die Aufzählung konkret ist, aber
im Himmel und nicht auf Erden. nicht erschöpfend. Vielleicht soll sie
6,9 Der Faule scheint ein unerschöpf- auch ausdrücken, dass die siebte Eigen-
liches Schlafbedürfnis zu haben. Seine schaft die schlimmste ist.9
Philosophie lautet: »Es ist schön, am 6,17 Stolze Augen: Stolz ist Staub, der
Morgen aufzustehen, aber es ist schö- sich selbst vergöttert. Der Leibdiener
ner, im Bett zu bleiben.« Weckern jeder eines Kaisers sagte einmal:
Art gegenüber ist er anscheinend abso-
lut taub. Ich kann nicht leugnen, dass mein Herr
6,10-11 Wenn er endlich wachgerüt- eitel war. Er musste bei jeder Ge­legenheit
telt ist, antwortet er: »Nur noch einmal der Mittelpunkt sein. Ging er zu einer
umdrehen, ein bisschen Schlaf, ein Taufe, so wollte er das Baby sein. Ging er
kurzes Nickerchen, eine Minute Ruhe zu einer Hochzeit, wollte er die Braut
für den Kreislauf.« sein. Und wenn er zu einer Beerdigung
Der Rest der Familie mag vielleicht ging, wollte er der Leichnam sein.10

794
Sprüche 6

Eine falsche Zunge: Die Zunge wurde leger in den Tagen Jesu dachten, dass
geschaffen, um den Herrn zu verherr­ sie diesem Vers gehorchten, indem sie
lichen. Lügen bedeutet, ihren Gebrauch Phylakterien trugen, d.h. kleine Leder-
zu etwas Schändlichem zu pervertieren. beutel, die Schriftstellen enthielten.
Kann es jemals richtig sein, wenn ein Während des Gebets trugen diese Ju-
Gläubiger lügt? Die Antwort ist, dass den eines am linken Arm (in der Nähe
Gott nicht lügen kann, und er kann dieses des Herzens) und eines am Kopf (in der
Recht auch niemand anderem geben. Nähe des Halses). Einige Juden tun dies
Hände, die unschuldiges Blut vergießen: auch heute noch.
Jedes menschliche Leben ist von unend- In Wirklichkeit aber sagt dieser Vers,
lichem Wert für Gott. Er hat es bewie- dass wir das Wort Gottes zu einem Teil
sen, indem er auf Golgatha einen un- unseres Lebens machen sollten, dass es
endlichen Preis für unsere Erlösung uns begleitet und leitet, wo immer wir
bezahlte. Die Einrichtung der Todes- gehen und stehen. Es geht nicht nur
strafe (1Mo 9,6) zeigt Gottes Haltung darum, der Schrift äußerlich Ehre zu er-
gegenüber Mord. weisen, sondern vor allem darum, ihr
6,18 Ein Herz, das böse Pläne schmiedet: von Herzen zu gehorchen.
Dies bezieht sich natürlich auf das Den- 6,22 Gehorsam Gottes Wort gegen­
ken eines Menschen, das ständig etwas über bringt uns:
Böses ausheckt. Der Herr Jesus nennt - Führung: »Wenn du gehst, sollen sie
einige dieser bösen Pläne in Mk 7,21- dich geleiten.«
22. - Schutz: »Wenn du dich niederlegst,
Füße, die schnell zum Bösen laufen: Gott sollen sie dich behüten.«
hasst nicht nur das Herz, das das Böse - Unterweisung: »Und wenn du auf-
plant, sondern auch die Füße, die eifrig stehst, so sollen sie zu dir reden.«
bemüht sind, es auszuführen. 6,23 Dieser Vers erweitert den vori-
6,19 Ein falscher Zeuge, der Lügen aus­ gen:
spricht: Hier geht es um das öffentliche Das Gebot ist eine Leuchte ‒ zur Füh-
Zeugnis vor Gericht. In Vers 17b war es rung.
mehr eine Sache des alltäglichen Ge- Das Gesetz (die Weisung) ist ein Licht
sprächs. ‒ zum Schutz.
Einer, der Zwietracht sät zwischen Brü­ Die Ermahnungen der Zucht sind ein
dern: Das Auffallende hier ist, dass Gott Weg zum Leben ‒ zur Unterweisung.
den, der Trennungen zwischen seinen 6,24-25 Ein wichtiger Dienst des
Brüdern verursacht, mit Mördern, Lüg- Wortes ist es, Männer vor der Ehe­
nern und Meineidigen auf eine Stufe brecherin mit ihrer glatten, schmei-
stellt. chelnden Zunge zu bewahren.
Wie viele der oben genannten sieben Niemand sollte sich von ihrer natür-
Sünden wurden bei der Verurteilung und lichen Schönheit oder von den ein­
Kreuzigung unseres Herrn begangen? ladenden Blicken unter ihren langen
Wimpern gefangen nehmen lassen.
J. Die Torheit von Ehebruch und 6,26 Die Auslegung dieses Verses va-
Hurerei (6,20 - 7,27) riiert aufgrund der verschiedenen
6,20 Das Thema des Ehebruchs bzw. Übersetzungsmöglichkeiten.
der ehelichen Untreue wird hier wieder Der Gedanke in der unrevidierten El-
aufgenommen. Die Häufigkeit, mit der berfelder und der Schlachter-Überset-
dieses Thema immer wiederkehrt, ist zung ist, dass ein Mann von einer Hure
nicht zufällig. Die Worte von Vers 20 an den Bettelstab gebracht werden und
sind eine Art Formel, die eine wichtige an eine Ehebrecherin sein Leben ver­
Unterweisung einleiten. lieren kann. Für beide Verstrickungen
6,21 Einige überzogen wörtliche Aus- wird also ein hoher Preis bezahlt.

795
Sprüche 6 und 7

Menge übersetzt (und sinngemäß die 30 zu einer Frage, wonach die Men-
revidierte Elberfelder und Luther 1984): schen einen Dieb doch verachten, auch
»Denn der Preis für eine Buhldirne be- wenn er nur stiehlt, um seinen Hunger
trägt höchstens einen Laib Brot, aber zu stillen, und er auf jeden Fall vollstän-
eine verheiratete Frau macht Jagd auf digen Ersatz leisten muss.
die kostbare Seele.« Hier wird ein Un- In jedem Fall geht es darum, dass ein
terschied gemacht zwischen einer Hure, Dieb für sein Verbrechen Ersatz leisten
die man bezahlen kann, und einer Ehe- kann, während ein Ehebrecher den
brecherin, die nicht zufrieden ist, bis sie Schaden, den er verursacht hat, niemals
den begehrten Mann völlig unter Kon- wieder völlig tilgen kann.
trolle hat. 6,32 Wer Ehebruch begeht, ist völlig
6,27-28 Unerlaubte Beziehungen mit ohne Verstand, weil er sich selbst ge-
der Frau eines anderen Mannes zu un- sellschaftlich, geistlich, moralisch und
terhalten, gleicht dem Tragen von Feuer vielleicht sogar physisch (5Mo 22,22)
in unserer Kleidung – es geht nicht, zugrunde richtet.
ohne sich dabei zu verbrennen. Es 6,33 Für einen kurzen Augenblick der
gleicht dem Schreiten auf glühenden Leidenschaft erntet er Schläge (Luther
Kohlen; man kann es nicht tun, ohne 1984, Schlachter, Menge), vielleicht von
sich dabei die Fußsohlen zu versengen. dem wutentbrannten Ehemann, und
Griffiths warnt: Schimpf und Schande, die ihn für den
Rest seines Lebens verfolgen werden.
Jeder, der Ehebruch begehen möchte, (Durch Gottes Gnade jedoch gibt es
muss in äußerster Narrheit gefangen Vergebung vor dem Herrn, wenn der
sein, denn das Ergebnis ist Selbstzerstö- Betreffende über seine Sünde Buße tut,
rung, Wunden und Scham, öffentliche sie bekennt und lässt.)
Schande und der ungestillte Zorn der be- 6,34 Hier sehen wir den Zorn des ei-
trogenen Partner.11 fersüchtigen Ehemannes, der unerwar-
tet zurückkehrt und seine Frau in den
6,29 So sicher, wie ein Mann zur Frau Armen eines anderen Mannes findet.
seines Nächsten eingeht, so sicher wird Wenn er beginnt, Rache zu üben, wird
er auch ertappt und bestraft werden. Es er sich weder durch Bitten noch durch
gibt einen Grundsatz im moralischen Entschuldigungen versöhnen lassen.
Bereich, gemäß dem eine solche Sünde 6,35 Keine Summe, die der Ehe­
im Allgemeinen ans Licht kommt. Und brecher zahlen könnte, würde den
selbst wenn ‒ die Chancen dafür stehen Ehemann zufriedenstellen; kein Be­
gering ‒ seine Sünde in diesem Leben stechungs­­geld würde je ausreichen, um
nicht entdeckt wird, so wird er doch im die Verletzung seiner Ehe wiedergut­
anderen Leben Rechenschaft darüber zumachen.
ablegen müssen. 7,1 Kapitel 7 ist eine Fortsetzung der
6,30-31 Diese Verse können wieder Warnungen an junge Menschen, ihr Le-
auf zwei verschiedene Weisen verstan- ben nicht durch Unmoral zu ruinieren.
den werden. Nach der unrevidierten Sie sollten diese inspirierten Unterwei-
Elberfelder Übersetzung (mit ihr auch sungen sorgsamst bewahren und ihnen
Luther 1984, Schlachter, Menge) haben gehorchen, da sie wertvoller sind als
die Menschen ein gewisses Maß an Ver- alle irdischen Reichtümer.
ständnis dafür, wenn ein Mann stiehlt, 7,2 Gehorsam gegenüber Gottes Wort
um seinen Hunger und den seiner Fa- ist der sichere Weg zu überströmendem
milie zu stillen; aber dann, wenn er ge- Leben. Deshalb sollte es bewahrt wer-
fasst wird, muss er Ersatz leisten, selbst den wie der eigene Augapfel. Bezüglich
wenn er all sein Eigentum verliert. dieses Ausdrucks sagt die International
Die revidierte Elberfelder ändert Vers Standard Bible Encyclopedia:

796
Sprüche 7

Der Augapfel, mit der Pupille in der junger Soldat, der hinter seinen prahle-
Mitte, wird aufgrund seiner kugelför- rischen Kameraden nicht zurückstehen
migen Gestalt »Apfel« genannt. Sein möchte. Er ist kein verstockter Sünder,
großer Wert und sorgfältiger Schutz sondern einfach ein unerfahrener jun-
durch das automatische Schließen der ger Mann aus der Kleinstadt.
Augenlider beim geringsten Anzei- 7,8 Jetzt kommt er in den »Rotlicht­
chen von Gefahr machten ihn zum bezirk«. Er überquert die Straße in der
Symbol für das, was am kostbarsten Nähe des Hauses, wo die Ehebrecherin
ist und eifersüchtig beschützt wird. 12 ihr Zimmer hat. Langsam schlendert er
weiter, wie es die Müßiggänger tun.
7,3 In poetischer Sprache ermahnt Das ist das ganze Problem. Wäre er mit
uns dieser Vers, dass wir dem Wort irgendeiner sinnvollen, positiven Tä-
Gottes die Herrschaft über all unser tigkeit beschäftigt, wäre er überhaupt
Tun übergeben (»binde sie um deine nicht hier. Wären seine Füße beschuht
Finger«) und ihm gegenüber völligen mit der Bereitschaft zur Verkündigung
Gehorsam ohne jedes Wenn und des Evangeliums des Friedens, dann
Aber lernen sollen (»schreibe sie auf hätte er keine Zeit, die er vergeuden
die Tafel deines Herzens«). könnte! Es liegt echter Schutz und Be-
7,4 Wir sollten die Weisheit mit der wahrung in einem völlig an Gott ausge-
einer Schwester gebührenden Rück- lieferten Leben. Andererseits aber »fin-
sicht und Ehrerbietung behandeln det Satan für lässige Hände immer
und die Einsicht zu unserem engsten noch irgendetwas Böses zu tun« (Isaac
Freund und Vertrauten (Luther 1984, Watts).
Schlachter, Menge) machen. Die Weis- 7,9 Er wandert schon den ganzen
heit wird in diesem Abschnitt der bö- Abend umher ‒ vom Sonnenunter-
sen Frau gegenübergestellt, die unter gang bis zum Einbruch der Dunkel-
allen Umständen zu meiden ist. heit und wieder bis zur Schwärze der
7,5 Wer der Weisheit und ihren Un- Mitternacht. »In dem Bild zuneh-
terweisungen folgt, wird vor der mender Dunkelheit liegt eine gewisse
verführerischen Frau und vor der symbolische Bedeutung. Die Nacht
Schmeichelei der Fremden bewahrt. fällt auch auf das Leben des jungen
Zwei verschiedene Worte für »fremd« Mannes, während die Schatten um
beschreiben hier die böse Frau. Das ihn her dunkler werden« (Barnes).
erste »fremd« bedeutet »liederlich« Er gleicht der Motte, die in die of-
und »dem Eheversprechen untreu«, fene Flamme fliegt. Der schreckliche
das zweite »fremd« bedeutet »Aus- Augenblick der Gefahr ist dann da,
länderin« oder »dreiste Frau«. wenn die Versuchung zur Sünde und
7,6 Die Verse 6 bis 23 geben eine le- die Gelegenheit zur Sünde zusam-
bendige Darstellung einer Prosti­ menfallen. Wir sollten ständig dar-
tuierten beim Ausüben ihres Hand- um beten, dass diese beiden Dinge
werks und eines jungen Mannes, der nie in unserem Leben zusammen-
ihr ins Garn geht. Die Tragödie be- kommen.
ginnt, während der Schreiber durch 7,10 Jetzt tritt die Prostituierte auf, im
das Gitter seines Fensters auf die aufreizenden Stil der neuesten Mode,
Straße schaut. geschminkt, gepudert, parfümiert. Un-
7,7 Ein kopf- und zielloser Bursche ist ter ihrem verzaubernden Äußeren liegt
unterwegs, um »einmal richtig einen ein lüsternes, arglistiges und raffiniertes
draufzumachen«. Vielleicht kommt er Herz.
aus einem anständigen Zuhause, aber 7,11-12 Sie ist bestimmt keine kulti-
jetzt ist er in der Stadt und möchte sei- vierte, anständige Dame! Sie ist keck,
nen Spaß haben. Vielleicht ist er ein laut und herausfordernd. Mögen ande-

797
Sprüche 7

re Frauen »Heimchen am Herd« spie- mit buntem ägyptischem Leinen. Ich ha­
len! Sie muss die Straßen nach »Freiern« be mein Lager benetzt mit Myrrhe, Aloe
durchstreifen. und Zimt.« Alles ist hier dazu bestimmt,
Sie ist fast überall gegenwärtig. »Bald seine sinnliche Natur zu erregen. Sogar
ist sie draußen, bald auf den Plätzen, sein Geruchssinn soll vom exotischen
und neben jeder Ecke lauert sie.« Die Parfum gefangen genommen werden.
Sünde ist genauso: Sie ist leicht zu fin- 7,18 Jetzt lässt sie die Maske fallen. Sie
den. Das Evangelium sollte eigentlich lädt ihn ganz offen ein, mit ihr ins Bett
leicht zu finden sein, aber leider ver­ zu steigen. Mit sorgfältig gewählten
sagen wir immer wieder darin, es weit Worten lässt sie alles als sehr lustvoll
und breit bekannt zu machen. erscheinen.
7,13 Der erste Schritt in ihrer Taktik 7,19-20 Sie entwaffnet ihn durch ihre
ist die Schockbehandlung. Sie rennt auf Erklärung, dass der Ehemann nicht zu
ihn zu, wirft die Arme um ihn und Hause ist und auch für längere Zeit
küsst ihn. Mann! Er ist völlig überwäl- nicht nach Hause kommen wird, weil
tigt von diesem tollen Liebeserweis. Er er sich auf einer ausgedehnten Reise be-
weiß nicht, dass es Wollust ist, nicht findet. Er rechnete damit, längere Zeit
Liebe. weg zu sein, weil er einen nicht gerin-
7,14 Jetzt kommt die religiöse Verstel- gen Geldvorrat mitgenommen hat. Vor
lung. Sie sagt: »Zu Friedensopfern war der Zeit des Vollmonds würde er nicht
ich verpflichtet, heute habe ich meine nach Hause kommen. Die in Vers 9 be-
Gelübde erfüllt.« Er erinnert sich an sei- schriebene Dunkelheit deutet an, dass
ne Mutter und die Bibel auf dem Wohn- der Mond erst nach einiger Zeit wieder
zimmertisch und sagt sich dann: »Diese voll werden würde.
Frau muss in Ordnung sein. Sie ist reli- 7,21 Je mehr sie redet, desto mehr
giös. Es kann nicht verkehrt sein, mit schmilzt sein Widerstand dahin. Noch
jemandem zu gehen, der Friedensopfer ein bisschen Schmeichelei, und sie hat
darbringt und seine Gelübde erfüllt.« ihn zur Kapitulation gebracht.
Die Schlinge zieht sich langsam zu. 7,22 Er entscheidet sich Hals über
Es liegt eine zusätzliche Verlockung Kopf, ihr ins Haus zu folgen (»augen-
in den Friedensopfern. Wer sie opferte, blicklich«, revidierte Elberfelder; »auf
musste sie am selben Tag oder spätes­ einmal«, unrevidierte Elberfelder;
tens am nächsten essen (3Mo 7,15ff.). »plötz­­lich«, Schlachter). Wie er so neben
Sie hat also eine Menge köstlicher Spei- ihr herschlendert, ist dies eine Szene mit
sen, um mit ihm gemeinsam zu schmau- der ganzen Tragik eines ahnungslos zur
sen. Sie weiß, dass zumindest ein Weg Schlachtung geführten Stiers.
zum Herzen eines Mannes über seinen Der hebräische Text des letzten Vers-
Magen führt. teils ist sehr unklar, wie aus der Ver-
7,15 Dann gibt sie vor, dass er derjeni- schiedenartigkeit der Übersetzungen
ge sei, nach dem sie immer gesucht hat. hervorgeht:
Was für eine Lüge! Sie hätte den erst­ - »wie Fußfesseln zur Züchtigung des
besten Mann genommen, der mit ihr Narren dienen« (unrevidierte Elber-
mitgegangen wäre. Aber er fühlt sich felder),
geschmeichelt bei dem Gedanken, dass - »wie ein Gefesselter zur Bestrafung
er ihr etwas bedeutet; endlich ein der Toren« (Schlachter 2000),
Mensch, der ihn zu schätzen weiß, je- - »wie in die Fessel hüpft der Hirsch«
mand, der sich echt um ihn kümmert. (revidierte Elberfelder),
7,16-17 Sie gibt mehr als nur einen - »wie ein Hirsch, der ins Netz rennt«
Hinweis auf ihre Absicht, indem sie in (Luther 1984, Menge),
aller Ausführlichkeit ihr Bett beschreibt: - »wie ein Hund, der zur Kette ge-
»Mit Decken habe ich mein Bett bedeckt, führt wird« (Zürcher).

798
Sprüche 7 und 8

Doch der allgemeine Sinn des Verses von Menschen ergehen, an die in hö-
besteht eindeutig darin, dass das Opfer heren Stellungen und auch an die in
sich widerstandslos in Richtung Fes- einfacheren Lebensumständen. Sie ruft
seln und Strafe bewegt. Einfältige und Toren. Sie »möchte gern
7,23 Der Ausdruck »bis ihm der Pfeil Lebensberaterin von jedermann sein«
die Leber spaltet« (Schl 2000) kann be- (Kidner).
deuten: 8,6-9 Nun wird der Charakter ihrer
1. die Art und Weise, in der der Stier Unterweisung beschrieben. Sie redet
des vorhergehenden Verses getötet Vortreffliches, Aufrichtiges, Wahrheit
wird, nämlich durch ein Messer, das und Gerechtigkeit. Von ihren Lippen
seine Eingeweide durchbohrt, kommt nichts Böses, nichts Verschla-
2. das völlige Entflammtsein der Lei- genes oder Falsches. Jeder, der auch
denschaften dieses Mannes, nur ein wenig Verständnis und Unter-
3. die Folgen der Unzucht am Leib scheidungsvermögen besitzt, wird ihre
dieses Mannes. Der junge Mann geht Unterweisung gerecht und klar finden.
zu der Hure, wie ein Vogel in ein Netz 8,10-11 Die Unterweisung durch die
fliegt, ohne auch nur zu ahnen, was es Weisheit besitzt einen unvergleich-
ihn letztendlich kosten wird (z.B. Ge- lichen Wert; wir sollten sie weit mehr
schlechtskrankheiten oder AIDS). begehren als Silber, feines Gold, Juwe-
7,24-25 Es nimmt deshalb nicht wun- len oder andere Dinge, denen Men-
der, dass der Schreiber seine Söhne in- schen großen Wert beimessen.
ständig um Aufmerksamkeit bittet! Sie 8,12-13 Die Weisheit lebt im selben
sollten ihr Herz vor jeder Art von Haus wie die Klugheit. Sie gehören im-
Wunsch bewahren, mit einer derartigen mer zusammen, sodass wir, wenn wir
Frau Gemeinschaft zu haben. Sie sollten Weisheit haben, damit auch Einsicht
ihre Füße davor bewahren, sich auf ihre besitzen. Die Weisheit gibt Erkenntnis
Pfade zu verirren. und Unterscheidungsvermögen, damit
7,26-27 Die Liste ihrer Opfer ist sehr wir die Angelegenheiten unseres Le-
lang. Sie hat ein ganzes Heer von Män- bens gut bewältigen können.
nern zerstört und erschlagen. Es gibt andere Dinge, mit der die
Jeder, der ihr Haus betritt, ist auf dem Weisheit (die Furcht des Herrn) nicht
breiten Weg zum Totenreich; er läuft zusammenlebt. Sie stehen im mora-
geradewegs hinab zu den Kammern lischen Gegensatz zu ihr, und sie ver-
des Todes. achtet diese Dinge, nämlich alle Arten
des Bösen, ob Hochmut, Stolz, böses
K. Die Weisheit in Person (Kap. 8) Verhalten oder lügenhaftes Reden.
8,1 Kapitel 8 steht in starkem Kontrast 8,14-21 Einige Segnungen der Weis-
zum vorigen Kapitel. Dort rief die Ehe- heit sind:
brecherin den Menschensöhnen zu. - Guter Rat (V. 14a)
Hier lädt die Weisheit sie ein, ihr zu fol- - Gesundes Urteilsvermögen (V. 14b)
gen, und gibt auch gute Gründe dafür - Einsicht (V. 14c)
an. Ein ähnlicher Abschnitt im Neuen - Moralische Kraft, das Richtige zu
Testament ist Johannes 7,37, wo Chris- tun und dem Bösen zu widerstehen
tus die Menschen aufruft, zu ihm zu (V. 14d)
kommen und zu trinken. - Begabung zur Menschenführung
8,2-3 Diese Verse sagen uns, wo die (V. 15a.16a)
Weisheit zu finden ist. Die Liste von Or- - Richterliches Geschick (V. 15b.16b)
ten und Plätzen deutet an, dass sie für - Liebe und Gemeinschaft (vgl. Joh
die Menschen in ihren täglichen Be- 14,21; V. 17a)
schäftigungen leicht erreichbar ist. - Leichte Erreichbarkeit für die, die es
8,4-5 Sie lässt ihren Ruf an alle Arten wirklich ernst meinen (V. 17b)

799
Sprüche 8

- Bleibender Reichtum, verbunden Die »Summe des Erdenstaubes«


mit Ehre und Gerechtigkeit (V. 18) (Schlachter 2000) bezieht sich auf die
- Ein Charakter, der wertvoller ist als Anfänge der Welt.
gediegenes Gold oder auserlesenes Sil- 8,27-29 Seine Gegenwart bei der Schöp­
ber (V. 19) fung: Er war da, als die Himmel über
- Führung auf den Pfaden des Rechts das Festland und die Meere ausgebrei-
und der Gerechtigkeit, was Schätze in tet wurden, als die Wolken gebildet
Fülle einbringt (V. 20-21). wurden und die Quellen zu sprudeln
Wir haben bereits darauf hingewie- begannen. Er war da, als über die Gren-
sen, dass diese Abschnitte, die sich mit zen der Ozeane entschieden wurde,
der Weisheit beschäftigen, mit gutem den Wassern Befehl gegeben wurde,
Recht auf den Herrn Jesus angewandt nicht über ihre gesetzten Grenzen hin-
werden können, da das Neue Testament auszufließen. Er war da, als die Grund-
ihn als die Weisheit bezeichnet (Mt festen der Erde gelegt wurden, ein-
11,19; Lk 11,49; 1Kor 1,24.30; Kol 2,3). schließlich der inneren Strukturen, die
Nirgendwo ist die Anwendung klarer die äußere Erdkruste tragen.
und schöner als in dem vor uns liegen- 8,30a Seine Aktivität bei der Schöpfung:
den Abschnitt. Die christliche Ge­ Hier lernen wir, dass bei der Schöpfung
meinde war durch die Jahrhunderte der Herr Jesus der aktiv Handelnde
hindurch ständig der Überzeugung, war. Schlachter 2000 übersetzt den ers-
dass dieser Abschnitt sich auf den ten Teil von Vers 30 korrekt: »Da war
Herrn Jesus Christus bezieht. ich Werkmeister bei ihm« (ebenso Lu-
Was lernen wir also über Christus aus ther in Anlehnung an die griechischen
diesem »edlen Beispiel heiliger Rede- und lateinischen Übersetzungen; vgl.
kunst«? die Fußnoten von unrevidierter und re-
8,22 Sein ewiger Ursprung: »Der Herr vidierter Elberfelder, Luther 1984 und
besaß mich im Anfang seines Weges« Zürcher). Dies stimmt natürlich mit Joh
(unrevidierte Elberfelder, Luther 1984, 1,3; Kol 1,16 und Hebr 1,2 überein.
Schlachter 2000). Wir dürfen das Wort 8,30b Das Wohlgefallen Gottes an ihm:
»besaß« nicht so verstehen, als ob Chris- Die ewige und unendliche Liebe des
tus jemals einen Anfang gehabt hätte. Vaters zu seinem Sohn verstärkt noch
Gott existierte nie ohne die Eigenschaft das gewaltige Wunder, dass er seinen
der Weisheit, und genauso existierte er Sohn gesandt hat, um für Sünder zu
auch nie ohne die Person seines Sohnes. sterben.
Die Bedeutung hier ist genau dieselbe 8,30c Seine persönliche Freude in der Ge­
wie in Johannes 1,1: »Im Anfang war das genwart Gottes: Dies vergrößert unser
Wort, und das Wort war bei Gott …« Staunen über die Gnade unseres Herrn
8,23 Seine Einsetzung von Ewigkeit her: Jesus Christus, dass er je diesen Ort rei-
»Eingesetzt« bedeutet gesalbt oder er- ner und vollkommener Freude verlas-
nannt. Lange bevor die Schöpfung statt- sen hat, um in unseren Dschungel vol-
fand, wurde er dazu eingesetzt, der ler Schande, Schmerz und Leiden zu
Messias Israels und der Retter der Welt kommen.
zu sein. 8,31 Seine Freude an der bewohnten Erde:
8,24-26 Seine Präexistenz: Das Wort Es ist über die Maßen erstaunlich, dass
»geboren« darf nicht dahingehend ver- er angesichts des riesigen Universums
standen werden, dass er jemals geschaf- sich ausgerechnet für diesen winzigen
fen worden wäre und also einen Anfang Planeten interessiert.
hätte. Hier wird in dichterischer Spra- Seine besondere Freude an den Men­
che die ewige Existenz des Sohnes und schenkindern: Das vielleicht größte Wun-
seine Persönlichkeit als vom Vater un- der ist, dass er seine Liebe und Zunei-
terschieden beschrieben. gung ausgerechnet dem widerspensti-

800
Sprüche 8 und 9

gen und rebellischen Geschlecht der sen. Der Auftrag der Dienerinnen sollte
Menschen entgegengebracht hat. uns daran erinnern, dass wir, die die
8,32-36 Dieser letzte Abschnitt zeigt Weisheit Gottes, d.h. Jesus Christus, er-
deutlich die ewigen Konsequenzen, die kannt haben, diese Weisheit auch an­
von der Reaktion des Menschen auf den deren weitergeben sollten und sie ein­
Ruf der Weisheit abhängen. Sie spricht laden sollten, zu kommen, diese Weis-
einen Segen aus für die, die ihre Unter- heit zu finden und für sich selbst zu
weisung anhören und auf ihren Wegen genießen.
wandeln. Sie verheißt Glückseligkeit 9,4-6 Hier finden wir die Worte der
denen, die eifrig an ihren Türen wa- Einladung. Sie ergeht an die Unerfah-
chen, die treu ihre Tore hüten. Sie ver- renen oder Unverständigen, d.h. an
spricht Leben und das Wohlgefallen leicht zu beeindruckende Menschen,
Gottes denen, die sie finden, aber per- die besonders dazu neigen, irrezu­
sönlichen Schaden und Tod denen, die gehen, und die deshalb Hilfe und Lei-
sie verfehlen. tung brauchen. Sie ergeht nicht an die
Wenden wir die letzten beiden Verse Weisen, weil diese bereits innerhalb des
auf Christus an: Jeder, der ihn findet, Palastes sind.
empfängt ewiges Leben und hat das Das Menü enthält die feinsten Spei-
Wohlgefallen Gottes (vgl. Joh 8,51; 17,3; sen und die ausgesuchtesten Weine,
Eph 1,6; 1Jo 5,12). Aber die ihn verfeh- von der Weisheit persönlich gemischt.
len, tun ihrer Seele Gewalt an, und die Von denjenigen, die kommen, wird
ihn hassen, lieben den Tod (vgl. Joh erwartet, dass sie die Torheit verlassen
3,36b). und auch äußerlich zeigen, dass in
ihrem eigenen Leben eine moralische
L. Einladungen der Weisheit und der Umkehr stattgefunden hat.
Torheit (9,1-18) 9,7-9 Hier scheint der Gedankengang
9,1 Hier können wir die Weisheit sehen, unterbrochen, aber vielleicht erklären
wie sie sich ihr Haus baut und ein diese Verse, warum die Einladung nicht
großes Festmahl bereitet für die, die an Spötter ergeht oder warum die Gäste
ihre Einladung annehmen. Ein Fest- der Weisheit mit ihnen brechen müs-
mahl ist ein besonders passendes Bild sen.
für die Freude, die Gemeinschaft und Wenn man einen Spötter zurecht-
die tiefe Befriedigung, die sie ihren Gäs- weist, wird man dafür nur Beschimp-
ten gibt. fungen ernten. Wenn man einen Gott-
Verschiedene Auslegungen werden losen rügt, wird er sich gegen uns wen-
für die sieben Säulen gegeben. Einige den.
Ausleger verweisen auf Jesaja 11,2, die Die Art und Weise, wie ein Mensch
sieben Gaben des Heiligen Geistes, die auf Tadel reagiert, ist ein Hinweis auf
auf dem Messias ruhten ‒ aber nur sechs seinen Charakter. Ein Spötter hasst uns,
sind deutlich unterscheidbar. Eine an- während ein Weiser uns dankt. Wie re-
dere mögliche Auslegung findet man in agieren wir, wenn Eltern, Lehrer, unser
Jakobus 3,17, wo die Weisheit von oben Chef oder ein Freund uns zurecht­
beschrieben wird als (1) rein, (2) fried- weisen?
sam, (3) gütig, (4) folgsam, (5) voll Statt sich der Kritik zu widersetzen,
Barm­­­herzigkeit und guter Früchte, nimmt ein Weiser sie zu Herzen und
(6) un­­­­­­parteiisch und (7) ungeheuchelt. wird dadurch noch weiser. Ein Ge-
9,2-3 Speise und Wein wird im Über- rechter zieht Nutzen daraus, indem er
fluss serviert. Die Tafel ist reich gedeckt. seinen Vorrat an praktischem Wissen
Die königliche Gastgeberin sendet Die- vermehrt.
nerinnen aus, um ihre Einladung »auf 9,10 Wiederum werden wir daran er-
den Höhen der Stadt« erschallen zu las- innert, dass der Ausgangspunkt aller

801
Sprüche 9 und 10

wahren Weisheit in der Furcht des sie damit, dass unerlaubter Geschlechts-
Herrn begründet liegt. »Die Gottheit zu verkehr deshalb so attraktiv ist, weil er
kennen ist das, was Wissen wirklich be- verboten ist und weil er mit dem Kitzel
deutet« (Moffatt). Weil er den Heiligen des Heimlichen umgeben ist.
kennt, kann ein echter Gläubiger auf Wenn der gefallenen menschlichen
seinen Knien mehr sehen als andere auf Natur verboten wird, etwas Bestimmtes
ihren Zehenspitzen. zu tun, so erregt das Verbot nur umso
»Des Heiligen« steht im Hebräischen mehr das Begehren, es dennoch zu tun
in der Mehrzahl; das kann ein Plural (vgl. Röm 7,7-8). Die Hure spekuliert
sein, der Majestät, Erhabenheit oder auf diesen perversen Instinkt im Men-
Allumfassendheit andeutet, oder es schen. Sie lädt die Naiven und Leicht-
kann das zu ergänzende »Elohim«, das gläubigen zu einem Besuch bei ihr ein.
ebenfalls ein Pluralwort ist, näher be- 9,18 Aber sie verschweigt ihnen die
stimmen. andere Seite der Medaille. Auf den
9,11 Weisheit führt zu vermehrten Le- kurzen Augenblick der Lust und Lei-
benstagen und zu zusätzlichen Jahren. denschaft folgen ein Leben lang viele
Sie sorgt nicht nur für ein langes Leben, Gewissensbisse und schließlich die
sondern auch für eine gute und frucht- Ewigkeit in den Tiefen der Hölle.
bare Lebensweise, und darüber hinaus Sogar die Welt erkennt manchmal die
gibt sie das Leben, das niemals endet. Wahrheit dieses Verses an. Ein sehr be-
9,12 Es ist zum eigenen Vorteil eines kanntes, schon etwas älteres franzö-
Menschen, wenn er weise ist; er hat sisches Lied, in dem von der weltlichen
selbst mehr davon als irgendjemand Vorstellung von »Liebe« die Rede ist,
sonst. Wenn er andererseits ein Spötter drückt es sehr passend aus:
sein will, wird er persönlich die Strafe
für seine Entscheidung tragen müssen, »Der Genuss der Liebe dauert nur eine
obwohl natürlich andere auch mit hin­ Nacht an;
eingezogen werden können. Auf lange Der Verdruss der Liebe ein ganzes Leben
Sicht gesehen ist er allein entweder der lang.«13
Gewinner oder der Verlierer.
9,13 Die, die das Fest der Weisheit III. Sprüche Salomos zur
verschmähen, sind die besten Kan­ praktischen Moral (10,1 - 22,16)
didaten für das Fasten der Torheit. Be- Bis zu diesem Punkt im Buch der Sprü-
achten wir den deutlichen Kontrast che fanden wir einen deutlich fortlau-
zwischen der vornehmen Einladung fenden Gedankengang und eine klare
der Weisheit (V. 1-6) und den ge- Verbindung zwischen den einzelnen
schmacklosen Angeboten der Torheit Versen. Die Themen wurden abschnitt-
(V. 13-18). weise behandelt. Im Abschnitt von
Frau Torheit ist marktschreierisch, 10,1 - 22,16 haben wir jedoch eine Reihe
dummdreist und unverschämt. von 375 Sprüchen, von denen jeder eine
9,14-16 Sie sitzt draußen vor ihrer Tür in sich abgeschlossene Einheit bildet.
oder auf den weit sichtbaren Höhen der Die meisten von ihnen enthalten kon-
Stadt, nicht als eine anmutige Dame, trastierende Aussagen, die durch das
sondern als die schamlose Hure, die sie Wörtchen »aber« getrennt sind. Es dürf-
ist. te kein Zufall sein, dass der Zahlenwert
Sie ist darauf aus, leicht beeinflussbare der Buchstaben des Namens Salomo im
Männer zu verführen, unverständige Hebräischen 375 beträgt und damit der
Burschen, die keine Einsicht haben. Anzahl der Sprüche in diesem Ab-
9,17 Ihr Motto ist: »Gestohlenes schnitt entspricht. Er trägt die Über-
Wasser ist süß, und heimliches Brot schrift »Sprüche Salomos«.
schmeckt lieblich.« Im Grunde meint

802
Sprüche 10

A. Der Gegensatz von gerechtem und gen. Wenn wir das Unkraut der Sünde
gottlosem Lebenswandel (10,1 - 15,33) säen, wird unser Mund mit Gewalttat
bedeckt werden (unrevidierte Elber-
10,1 Das Verhalten eines Sohnes hat di- felder). Dies geschah mit Haman: Sein
rekte Auswirkungen auf die seelische Mund (Gesicht) wurde verhüllt, und er
Gesundheit seiner Eltern. Jeder Sohn wurde hinausgeführt, um einen gewalt-
kann entweder ein Paulus (ein weiser samen Tod zu sterben (Ester 7,8-10).
Sohn) oder ein Judas (ein törichter 10,7 Der Wohlgeruch eines heiligen
Sohn) werden, mit all der Freude oder Lebens bleibt noch lange nach dem
dem Schmerz, die damit jeweils ver- Heimgang der betreffenden Person er-
bunden sind. halten, das Gedächtnis an einen Gott-
10,2 Auf illegale Weise erworbener losen aber ruft nur fauligen Ver­
Reichtum ist nicht von Dauer; er ver- wesungsgeruch hervor und keinen
flüchtigt sich auf irgendeine Weise. In Wohlgeruch. Immer noch nennen Men-
der Stunde des Todes kann man damit schen bei uns ihre Söhne »Paul« (von
keine Sekunde Aufschub erkaufen. Echte »Paulus«), niemals aber »Judas«!
Gerechtigkeit andererseits rettet minde- 10,8 Ein Mensch, der ein weises Herz
stens auf zwei Weisen vom Tod. Sie be- hat, nimmt Gebote an in dem Sinn, dass
wahrt einen Menschen vor den Gefahren er bereit ist, auf gesunde Ratschläge zu
eines sündigen Lebens und zeigt, als äu- hören. Der vorlaute Narr dagegen wird
ßere Frucht der neuen Geburt, dass der wegen seiner mangelnden Bereitschaft,
Betreffende ewiges Leben besitzt. zu lernen und zu gehorchen, in sein ei-
10,3 Es ist eine allgemeine Regel, dass genes Verderben stürzen.
Gott die Gerechten nicht hungern lässt. 10,9 Schutz und Sicherheit liegen in
David sagte: »Ich war jung und bin einem lauteren Leben, aber ein auf Be-
auch alt geworden, doch nie sah ich ei- trug aufgebautes Leben wird auf­
nen Gerechten verlassen, noch seine gedeckt und bloßgestellt werden.
Nachkommen um Brot betteln« (Psalm 10,10 Der Gegensatz in diesem Vers
37,25). Aber es ist ebenso wahr, dass der ist deutlicher, wenn wir der Septuagin-
Herr »die Gier der Gottlosen zurück- ta folgen: »Wer mit den Augen zwin-
stößt«. In dem Augenblick, wo sie sich kert, verursacht Schmerz, wer aber in
nach Befriedigung und Erfüllung aus- Freimütigkeit rügt, schafft Frieden«
strecken, zerrinnen diese ihnen zwi- (Zürcher). Das zwinkernde Auge deu-
schen den Fingern. tet List und Verschlagenheit an. Wenn
10,4 Ein fauler, nachlässiger Mensch diese Form des Betrugs freimütig ge­
erntet Armut. Wer fleißig und energisch tadelt wird, folgt daraus Frieden statt
arbeitet, wird auch Erfolg haben. Schmerz.
10,5 Sommerzeit ist Erntezeit. Es ist 10,11 Der Mund des Gerechten ist
sinnlos, sich zuerst all die Mühe des eine Quelle des Lebens, die Worte der
Pflügens, Säens und Eggens zu machen, Erbauung, des Trostes und Rates her-
wenn man dann schläft, wenn es Zeit vorsprudelt. Der Mund des Gottlosen
ist, die Frucht zu ernten. Der Herr Jesus wird durch seine eigene Bosheit und
sagt zu allen seinen Jüngern: »Hebt Gemeinheit zum Schweigen gebracht
eure Augen auf und schaut die Felder (»aber den Mund der Gesetzlosen be-
an, denn sie sind schon weiß zur Ernte« deckt Gewalttat«, unrevidierte Elber-
(Joh 4,35). felder).
10,6 Das Gesetz der Ernte besteht dar- 10,12 Ein hasserfüllter Geist kann
in, dass wir ernten, was wir gesät ha- nicht einfach vergeben und vergessen,
ben. Wenn wir ein gerechtes Leben er muss immer wieder alten Streit und
säen, werden wir den Segen Gottes und Groll aufrühren. Ein Herz voller Liebe
das Lob unserer Mitmenschen empfan- aber legt den Schleier des Schweigens

803
Sprüche 10

und Vergessens über die Fehler und das kehrt, geht selbst in die Irre und führt
Versagen anderer. Diese Fehler und auch andere dahin.
Sünden müssen natürlich bekannt und 10,18 Dieser Spruch vergleicht den
aufgegeben werden; echte Liebe aber Mann, der seinen Hass durch unehr-
tratscht darüber nicht und hält »die liche Worte verbirgt, mit dem Mann,
Suppe nicht immer am Kochen«. der ihn durch das Verleumden seines
10,13 Die Unterhaltung mit einem Nächsten öffentlich zeigt. Der erste ist
einsichtigen Menschen ist für andere ein Heuchler, der zweite ein Tor; einer
hilfreich; ein Unverständiger dagegen ist so schlimm wie der andere. Die Al-
hilft niemandem, er zieht nur sich selbst ternative zu beiden ist, überhaupt kei-
Strafe zu. nen Hass zu hegen – dies sollten wir als
10,14 Ein weiser Mensch schätzt den Gläubige lernen und tun.
Wert von Erkenntnis und bewahrt sie 10,19 Je mehr wir reden, desto größer
auf für den geeigneten Augenblick. ist die Wahrscheinlichkeit, dass wir et-
»Was er zu sagen hat, behält er sich für was Verkehrtes sagen. Menschen, die
die richtige Zeit, den richtigen Ort und meinen, sie müssten ständig reden, soll-
die richtige Person vor (vgl. Mt 7,6)«, ten sich in Acht nehmen! Die Lust auf
schreibt Barnes. Aber man kann nie unaufhörliche Unterhaltung führt oft
sicher sein, was ein törichtes Plapper- zu Übertreibung, zum Weitertragen
maul als Nächstes sagen wird. Er bringt vertraulicher Dinge und zu verwandten
sich und andere ständig in Schwierig- Sünden. Der Versuch, den Witz eines
keiten. anderen noch zu übertreffen, endet oft
10,15 Die Reichen werden reicher und in zweideutigen und schlüpfrigen Ge-
die Armen ärmer. Wer Geld hat, kann schichten.
Geld dazugewinnen. Der arme Mann Wer beim Reden Selbstbeherrschung
kann nicht einmal einen Anfang ma- übt, ist weise. Er erspart sich Peinlich-
chen; seine Armut ist sein Verderben. keiten, Entschuldigungen und direkte
Die Reichen können Qualitätswaren Sünde.
kaufen, die länger halten. Die Armen 10,20 Was ein guter Mensch sagt,
kaufen abgenutzte Dinge aus zweiter zeigt, was er ist. Weil sein Charakter
Hand, sodass sie durch Rechnungen reines Silber ist, ist es auch seine Rede.
für Reparaturen arm bleiben. So sieht es Da das Herz des Gottlosen wenig taugt,
aus in diesem Leben, aber so sollte es ist die daraus hervorkommende Unter-
nicht sein. haltung genauso wenig wert.
10,16 Durch ehrbare Beschäftigung 10,21 Jemand hat diesen Spruch tref-
erworbener Reichtum ist ein Segen. fend umschrieben: »Das Gute nährt sich
Profit aus unehrenhafter Arbeit aber selbst und andere. Das Böse kann sich
verleitet zur Sünde. Vergleichen wir ei- nicht einmal selbst am Leben erhalten.«
nen christlichen Zimmermann und ei- Die Narren sind hier störrische, eigen-
nen nichtchristlichen Kneipenwirt. Das sinnige Menschen.
Einkommen des Zimmermanns ergibt 10,22 Allein der Segen des Herrn
sich aus positiver und produktiver Ar- bringt wirklichen Reichtum in ein Le-
beit und wird außerdem für gute Zwe- ben. Aber stimmt es auch, was in der
cke eingesetzt. Die Arbeit des Kneipen- zweiten Vershälfte steht: »… und kei-
wirts ist destruktiv. Je mehr er arbeitet, nen Kummer fügt er neben ihm hinzu«
desto mehr sündigt er. Je mehr er sün- (vgl. unrevidierte Elberfelder, Fuß­
digt, desto mehr Geld verdient er. note)? Wie stimmt das mit der Tatsache
10,17 Wer es zu seiner Gewohnheit überein, dass die gottesfürchtigsten
macht, auf gottesfürchtige Unterwei- Menschen manchmal durch Zeiten tie-
sung zu hören, bleibt auf dem Weg zum fen Schmerzes hindurchgehen müssen?
Leben. Wer aber gutem Rat den Rücken Es gibt verschiedene mögliche Erklä-

804
Sprüche 10

rungen für diesen zweiten Teil des warten, werden unter Jubel und Freude
Spruchs: Wirklichkeit werden. Nicht so bei den
1. Gott sendet keinen Kummer. Aller Gottlosen ‒ ihre Hoffnungen werden
Kummer, alle Krankheit und alles Lei- gründlich enttäuscht werden, wie G.S.
den kommt von Satan. Gott lässt diese Bowes an einigen Beispielen zeigt:
Dinge im Leben seiner Kinder oft zu,
aber er ist nicht ihre Quelle. Alexander der Große war nicht zufrie-
2. Kummer ist nicht ein Teil des Se- den, selbst nachdem er alle Nationen völ-
gens Gottes, während er sehr wohl ein lig unterworfen hatte. Er weinte, weil es
Teil des getrennt von Gott erworbenen keine Welten mehr gab, die er hätte er­
Wohlstands ist. obern können. Er starb in frühen Jahren
3. Eine andere mögliche Übersetzung in einem Zustand von Verweichlichung
ist: »… und eigenes Abmühen fügt ne- und Ausschweifung. Hannibal, der drei
ben ihm nichts hinzu« (so alle deut- große Körbe mit den Goldringen der von
schen Übersetzungen). Hier findet sich ihm erschlagenen Adligen füllte, beging
der Gedanke, dass Mühe, getrennt von Selbst­mord, indem er Gift nahm. Wenige
Gott, dem Segen nichts hinzufügen nahmen von seinem Tod Notiz, und er
kann. Abmühen ist gut, aber wenn es verließ diese Welt völlig unbetrauert.
nicht von Gott gelenkt wird, führt es zu Ju­lius Caesar, der »seine Kleider mit
nichts (vgl. Psalm 127,1-2). dem Blut von einer Million seiner Feinde
10,23 Ein Tor vergnügt sich damit, färbte«, eroberte 800 Städte, nur um
Schandtaten zu verüben, dies ist sein schließlich im Augenblick seines größten
liebster Zeitvertreib. Einem einsichts- Triumphs von seinen besten Freunden
vollen Mann bereitet es dagegen Freu- erstochen zu werden. Napoleon, der ge-
de, sich weise zu verhalten. fürchtete Eroberer, einst die Geißel Euro-
10,24 Das Grauen, das der Übeltäter pas, verbrachte seine letzten Jahre in der
fürchtet, wird über ihn kommen. Der Verbannung.14
Wunsch des Gerechten ‒ der Wille Got-
tes in diesem Leben und die Gegenwart Ohne Zweifel wird die Hoffnung der
Gottes im nächsten ‒ wird erfüllt wer- Gottlosen zunichte!
den. 10,29 In seinem vorsehungsmäßigen
10,25 Wenn der Sturmwind der Ge- Handeln erweist sich der Herr als ein
richte Gottes einherfährt, wird der Gott- starker Turm für den Mann, dessen
lose nirgendwo mehr gefunden. Aber Weg rechtschaffen ist, aber als Verder-
der Gerechte ist gegründet auf den Fels ben für den Übeltäter.
der Ewigkeiten (Jesaja 26,4); nichts kann 10,30 Gott garantiert eine Wohnung
ihn jemals erschüttern. für die Gerechten, aber die Gottlosen
10,26 Essig macht die Zähne rau, und werden Verbannte und Vagabunden
Rauch reizt die Augen. In gleicher Wei- sein. Die Gefangenschaft Israels illus-
se verursacht ein fauler Bote, der auf triert dies deutlich.
seinem Weg herumtrödelt, Zorn, Ent- 10,31 Der Mund eines gottesfürch-
täuschung und Ärger für den, der ihn tigen Mannes ist wie ein Baum, der Blü-
sendet. ten der Weisheit hervorbringt; die Zun-
10,27 Eine gottesfürchtige Lebenswei- ge aber, die verschlagene und verkehrte
se führt zu langem Leben. Gottlose Rede hervorbringt, wird abgeschnitten
Menschen sterben oft eines frühen und werden.
unnatürlichen Todes, z.B. bei Banden- 10,32 Man kann sich darauf verlassen,
kriegen, Racheaktionen und aufgrund dass die Lippen eines Gerechten das
von Trunksucht, Drogen und sonstiger aussprechen, was wohlgefällig ist. Der
ausschweifender Lebensweise. Gottlose verdreht die Tatsachen und
10,28 Die Dinge, auf die die Gerechten spricht böswillig und verleum­derisch.

805
Sprüche 11

11,1 Betrügerische Kaufleute hatten Hoffnungen zu Ende. Die Dinge, für


früher manchmal zwei verschiedene die er lebte, gehören ihm nicht mehr,
Waagen, eine für den Einkauf und eine und seine trügerische Erwartung von
für den Verkauf. Die Gewichte der Ein- Reichtum und Wohlstand ist für immer
kaufswaage waren schwerer, als sie zunichte.
hätten sein dürfen, sodass der Kauf- 11,8 Gott befreit den Gerechten aus
mann mehr Waren bekam, als er eigent- der Bedrängnis und schickt sie statt­
lich bezahlte. Die Verkaufsgewichte dessen dem Gottlosen. So wurden die
waren leichter als die Norm, sodass der drei Hebräer aus dem Feuerofen ge­
Kunde weniger bekam, als er bezahlte. rettet, aber die, die sie umbringen
Es gibt auch heute unehrliche Ge- wollten, wurden vom Feuer verzehrt
schäftspraktiken, die unter dieses Ver- (Dan 3,22-26).
bot »trügerischer Waagschalen« fallen. 11,9 Ein Ruchloser versucht den Glau-
Man kann diesen Vers auch auf das Le- ben seines Nächsten mit Zweifeln und
ben in der Schule, in der Gesellschaft, Leugnungen zu unterminieren. Eine
zu Hause und in der Gemeinde anwen- gründliche Erkenntnis der Wahrheit be-
den. fähigt einen Menschen, einen solchen
11,2 Zuerst kommt Hochmut, dann falschen Bekenner zu entlarven und
der Fall; dann folgt auf den Fall die sich und andere zu schützen.
Schande. Es ist besser, demütig und be- 11,10 Bei zwei Anlässen bricht eine
scheiden zu bleiben; das verringert die Stadt in freudigen Jubel aus: wenn es
Gefahr des Strauchelns. den Gerechten gut geht und wenn die
11,3 Aufrichtigkeit ist der beste Gottlosen sterben.
Grundsatz im Leben. Die Redlichkeit 11,11 Der Segen der Aufrichtigen be-
aufrichtiger Menschen leitet sie auf dem zieht sich vielleicht auf ihre Gebete für
richtigen Weg; die Erfahrung Josefs ist die Stadt (1Tim 2,1.2) oder auf die Vor-
ein Beispiel dafür. Die Falschheit der teile und den Nutzen, den ihre Gegen-
Treulosen ist ihr eigenes Verderben; wart und ihr gottesfürchtiger Einfluss
Bileams Leben legt davon Zeugnis ab. mit sich bringen (vgl. Jesu Beschreibung
11,4 Reichtum kann den Zorn Gottes seiner Nachfolger als das Salz der Erde
weder in Zeit noch in Ewigkeit abwen- in Mt 5,13).
den. Gerechtigkeit ist ein Schutz gegen Der Betrug, die gebrochenen Verspre-
vorzeitigen Tod hier und jetzt. Und nur chen, die Schwindeleien und die all­
die, die mit der Gerechtigkeit Gottes be- gemeine Gottlosigkeit der Gesetzlosen
kleidet sind, werden dem zweiten Tod reichen völlig aus, um jede Stadt zu ru-
entgehen. inieren.
11,5 Der Unsträfliche wird von Ge- 11,12 »Wer seinen Nächsten verach-
rechtigkeit, der idealen Führerin, gelei- tet, ist ohne Verstand, aber ein verstän-
tet. Der Gottlose kommt als Opfer sei- diger Mann schweigt.« Einen anderen
ner eigenen Gottlosigkeit zu Fall. zu verachten heißt, Gott zu beleidigen,
11,6 Gerechtigkeit leitet einen guten den Betreffenden zu verletzen, Streit
Menschen nicht nur, sie rettet und be- heraufzubeschwören und niemandem
wahrt ihn auch vor allen möglichen zu helfen. Ein weiser Mann weiß, dass
sichtbaren und unsichtbaren Gefahren. es besser ist, nichts zu sagen, wenn er
Treulose und vom Glauben Abgefallene nicht loben oder ermuntern kann.
wie Judas werden in den Netzen ihrer 11,13 Ein Verleumder scheint ein bos-
eigenen Gier gefangen. haftes Vergnügen darin zu finden, üble
11,7 Es wurde einmal gesagt, dass ein Dinge zu verbreiten, anderen etwas an-
Narr ein Mensch ist, dessen sämtliche zuhängen und Anvertrautes weiterzu-
Pläne am Grab enden. Wenn der Sarg- erzählen. Er behält nichts für sich, son-
deckel geschlossen wird, sind all seine dern erzählt alles, was er weiß. Ein zu-

806
Sprüche 11

verlässiger Freund weiß Vertrauen zu gottlose Menschen scheinbar oft über


bewahren und sich im Reden zu zü- Nacht reich werden. Aber ihr Reichtum
geln. befriedigt sie nicht, ist nicht von Dauer
11,14 Ohne weise Führung und Staats- und kann ihnen vor allem dann nicht
kunst kommt ein Volk bald in Schwie- helfen, wenn sie es am meisten nötig
rigkeiten. Andererseits liegt große Si- hätten. Der Lohn eines rechtschaffenen
cherheit darin, das gebündelte Urteil Lebens ist echt und dauerhaft.
vieler guter Ratgeber zur Verfügung zu 11,19 Jede Verhaltensweise führt in
haben. eine von zwei Richtungen ‒ entweder
11,15 Für einen Fremden zu bürgen zum Leben oder zum Tod. Jedoch lehrt
heißt, für seine Schuld zu garantieren. dieser Spruch keinesfalls eine Rettung
Wer dies tut, wird dafür leiden müssen, durch gute Werke. Niemand kann be-
d.h. er muss oft eine empfindliche Stra- ständig Gerechtigkeit üben, wenn seine
fe bezahlen. Wer Bürgschaft meidet, Beziehung zu Gott nicht in Ordnung
spart sich eine Menge Sorgen. Siehe ist. Er muss zuerst von Neuem geboren
auch die Anmerkungen zu 6,1-5. werden. Ein Mensch, der dem Bösen
11,16 Eine anmutige Frau erlangt Re- nachjagt, beweist damit, dass er nie be-
spekt und Ehre, wie wir im Fall von Abi- kehrt war.
gajil sehen (1Sam 25). Im zweiten Vers- 11,20 Was den HERRN betrifft, so ist
teil hat der masoretische Text: »Gewalt- ihm ein falsches Herz verhasst und ein
tätige aber erlangen Reichtum« (unrevi- Gräuel. Aber er liebt den Menschen, der
dierte Elberfelder, Schlachter 2000). Ge- aufrichtig ist. Keine Vorstellung von
walttätige mögen vielleicht für eine Zeit Gott ist vollständig, wenn sie nicht an-
lang viel Geld erwerben, aber niemals erkennt, dass er sowohl hassen als auch
einen guten Namen. (Einige Bibeln, u.a. lieben kann. Ein untadeliger Wandel je-
revidierte Elberfelder, Luther 1984, Zür- doch gefällt Gott wohl.
cher und Menge, folgen hier der Septua- 11,21 »Die Hand darauf!« meint
ginta, der griechischen Übersetzung, »Ganz gewiss!«. Zwei Dinge sind völlig
und geben wieder: »Aber ein Thron der gewiss in dieser ungewissen Welt ‒ die
Schande ist eine Frau, die Redlichkeit Bestrafung der Bösen und die Rettung
hasst. Den Faulen fehlt es an Besitz, die der Nachkommen der Gerechten.
Fleißigen aber erlangen Reichtum«). 11,22 Ein goldener Ring und der Rüs-
11,17 Die Wesensart eines Menschen sel einer Sau passen absolut nicht zu-
prägt oft auch seine Gesundheit. Einem sammen. Der Rüssel ist so hässlich, wie
gütigen und barmherzigen Menschen der Ring schön ist. Eine schöne Frau
bleiben Verdauungsstörungen, Neigung ohne Feingefühl vereinigt in sich auch
zu Schlaganfällen, Magengeschwüre zwei Gegensätze ‒ äußere Attraktivität
und Herzkrankheiten meist erspart, die und moralische Mängel.
sich der Grausame zuzieht. Der Gütige 11,23 Gerechte Menschen begehren
erweist sich selbst Gutes. nur Gutes, und sie erlangen es auch.
Das British Medical Journal schrieb Die Gottlosen suchen das Böse und be-
einmal, dass es kein Gewebe im mensch- kommen es in Form von Zorn oder Ge-
lichen Körper gibt, das völlig unbeein- richt.
flusst ist vom Geist eines Menschen. Dieser Spruch betont die Wichtigkeit
Eine grausame Wesensart fordert vom hoher und wertvoller Ziele, denn letzt-
Körper ihren Tribut. Wer eine solche endlich bekommen wir das im Leben,
Einstellung hat, schneidet sich ins ei­ wonach wir gestrebt haben.
gene Fleisch. 11,24 Hier haben wir ein herrliches
11,18 »Der Gottlose schafft sich trüge- Paradoxon: Wir werden reich, indem
rischen Gewinn, wer aber Gerechtigkeit wir freigebig sind; wir machen uns arm,
sät, dauerhaften Lohn.« Es stimmt, dass indem wir Schätze auf Erden sammeln.

807
Sprüche 11

Was wir behalten, verlieren wir. Was gelten, der uns alles reichlich darreicht
wir hergeben, das besitzen wir. zum Genuss.
Jim Elliot sagte: »Der ist kein Narr, »Die gefühl- und gewissenlose Gier
der hingibt, was er doch nicht behalten nach Gold ist die letzte Stufe der Ver-
kann, um zu gewinnen, was er nicht derbtheit des degenerierten Menschen«
mehr verlieren kann.« Und Dr. Barn- (Samuel Johnson).
house stellt fest, dass jeder seinen Zehn- Die Gerechten, d.h. die, die auf den
ten gibt, entweder dem Herrn oder dem Herrn vertrauen, werden aufwachsen
Arzt, dem Zahnarzt oder dem Auto­ und sich entfalten voller Energie und
mechaniker. Lebenskraft wie das grüne Laub.
11,25 Ein freigebiger Mensch erntet 11,29 Es gibt verschiedene Menschen-
Dividenden, von denen der Geizhals typen, die ihr eigenes Haus zerrütten ‒
keine Ahnung hat. Was immer wir für der Alkoholiker, der Betrüger und der
andere tun, kommt mit vielfachem Ehebrecher, um einige Beispiele zu nen-
Segen zu uns zurück. nen. Aber hier ist es wahrscheinlich der
Wenn sich eine Sonntagschullehrerin Mann, der von der Gier nach Gewinn
sorgfältig vorbereitet, um dann ihre getrieben wird (vgl. 15,27) und der in
Klasse zu unterrichten, wer trägt wohl seiner wahnsinnigen Sucht nach Reich-
am meisten Nutzen davon ‒ die Klasse tum alle echten Werte im Leben aus den
oder sie selbst? Augen verliert. Er wird Wind erben, d.h.
11,26 Ein selbstsüchtiger Mann hält er wird mit nichts Greifbarem zur Be-
zur Zeit der Hungersnot sein Getreide friedigung seiner Gier enden. Seine
vom Markt zurück in der Hoffnung, ei- Strafe für dieses törichte Verhalten wird
nen wesentlich höheren Gewinn zu ma- die Sklaverei unter einem Mann sein,
chen, wenn die Preise in die Höhe ge- der weiser gehandelt hat.
trieben werden. Er ist ein Profitmacher, 11,30 Ein gerechtes Leben ist wie ein
der sich bereichert, indem er andere Fruchtbaum, der anderen Nahrung und
verarmen und hungern lässt. Es ist kein Erfrischung bringt. Der Weise gewinnt
Wunder, dass die Leute ihn verwün- andere für ein Leben in Weisheit und
schen. Sie möchten jemanden, der ih- Gerechtigkeit.
nen in ihrer verzweifelten Not hier und Dies ist einer der großen Texte für
jetzt hilft. Seelengewinner in der Bibel. Er erinnert
Die Welt hungert nach dem Brot des uns an die Verheißung, die der Herr Je-
Lebens. Das Brot ist umsonst und wird sus Petrus gab: »Von nun an wirst du
dies auch immer sein. Wir haben es, um Menschen fangen« (Lk 5,10). Was für
es mit anderen zu teilen. Worauf war- ein unaussprechliches Vorrecht ist es,
ten wir noch? Segen wird dem verhei- von Gott zu einer Arbeit am Leben von
ßen, der das Getreide verkauft, also die Menschen gebraucht zu werden, die
gute Botschaft des Evangeliums ver- ewigen Segen zur Folge hat! Jede für
breitet. den Herrn gewonnene Seele wird von
11,27 Wenn die Motive eines Men- Ewigkeit zu Ewigkeit ein Anbeter des
schen rein und selbstlos sind, gewinnt Lammes Gottes sein!
er die Hochachtung anderer. Aber wer 11,31 Auch gerechte Menschen wer-
darauf aus ist, andere in Schwierig- den in diesem Leben für ihre verkehrten
keiten zu bringen, wird sich schnell Taten gezüchtigt. Mose wurde vom
selbst darin befinden. Verheißenen Land ausgeschlossen, und
11,28 Das neutestamentliche Gegen- David musste vierfach erstatten. Wenn
stück dieses Spruches ist 1. Timotheus die Gerechten ernten, was sie säen, wie
6,17-19. Reichtum ist unsicher und des- viel mehr dann die Gottlosen! Oder, wie
halb nicht vertrauenswürdig. Unser Petrus es ausdrückt: »Und wenn der
Vertrauen sollte dem lebendigen Gott Gerechte mit Not errettet wird, wo wird

808
Sprüche 11 und 12

der Gottlose und Sünder erscheinen?« Fundament; sie werden vom Unglück
(1. Petrus 4,18). nicht hinweggespült.
12,1 Jeder, der offen ist für Zucht und 12,8 Die Menschen reden respektvoll
Unterweisung, zeigt dadurch, dass er von einem Mann, der Einsicht hat und
wirklich lernen möchte. Der Mann, der sich weise verhält; aber sie haben nichts
sich nichts sagen lassen will und sich als Verachtung übrig für jemanden, der
jeder Zurechtweisung widersetzt, ist keine Grundsätze hat.
dumm. 12,9 »Besser gering sein und sein ei-
12,2 Ein Mensch mit moralisch gutem gener Knecht, als großtun und Mangel
Verhalten kann sich des Wohlgefallens an Brot haben« (Schlachter, Luther 1984,
des Herrn sicher sein. Ein Mensch aber, Menge). Die Kombination von einer
der böse, heimtückische Absichten hat, niedrigen Stellung und Nahrung auf
kann ebenso sicher sein Gericht erwar- dem Tisch ist besser als ein vorgege-
ten. »Denke nur daran – die höchste bener Status verbunden mit Hunger.
Macht im Universum steht gegen das 12,10 Die Güte eines Gerechten er-
Tun eines gottlosen Mannes, fest ent- streckt sich sogar auf das unvernünftige
schlossen, ihn zunichtewerden zu las- Vieh; aber ein Gottloser ist grausam,
sen! Die höchste Macht überlässt den auch wenn er denkt, dass er äußerst
Menschen sich selbst in schweigender sanft sei.
Verachtung!« (Foreman). Obwohl Gott über all unser Vorstel-
12,3 Ein von der Gottlosigkeit be- lungsvermögen erhaben ist, ist er doch
herrschtes Leben besitzt keine Bestän- nicht zu hoch, sogar für Tiere zu sorgen.
digkeit. Es ist wie der Same, der auf das Er gibt Vorschriften für ihre Behandlung
Steinige fiel (Mt 13,5.6); die Erde war (2Mo 20,10; 23,4.5), ja, er gibt sogar Vor-
nicht tief, und weil er keine Wurzeln schriften für die Behandlung eines auf-
schlagen konnte, verdorrte er im Hand- gefundenen Vogelnests (5Mo 22,6).
umdrehen. Ein Gerechter dagegen hat 12,11 Ein Mann, der sich in positiver,
seine Wurzeln tief in Gott. Er kann ste- konstruktiver Arbeit wie z.B. dem
hen bleiben, wenn die Stürme des Le- Ackerbau engagiert, wird seine Bedürf-
bens brausen. Dieser Mensch wird in nisse immer befriedigt sehen. Wer aber
Psalm 1,3 beschrieben. seine Zeit damit verbringt, nichtigen
12,4 Eine tugendhafte, tüchtige Frau Dingen nachzujagen, hat nicht nur ei-
ist eine Freude und Erquickung für ih- nen leeren Küchenschrank, sondern
ren Ehemann. Aber eine, die ihn in auch einen leeren Kopf.
Schande bringt, enttäuscht ihn bitter, als 12,12 Die »Beute der Bösen« (Schlach-
ob seine Knochen zerfressen würden. ter 2000) meint das, was im Netz des
12,5 Die Gedanken und Absichten der Bösen gefangen wurde, oder Dinge, die
Gerechten sind ebenso ehrbar, wie die anderen unrechtmäßig weggenommen
der Gottlosen betrügerisch sind. Mit an- wurden; die Gottlosen gelüstet nach
deren Worten: Die Ziele und Absichten dem, was anderen gehört. Im Gegen-
eines Menschen sind ein Spiegel seines satz dazu sind die Gerechten damit zu-
Charakters. frieden, still und beständig für ihre ei-
12,6 Durch ihr Reden versuchen Sün- genen Bedürfnisse zu sorgen.
der gefährliche Fallen für die Einfäl- 12,13 Gottlose Menschen fangen sich
tigen und Unbedachtsamen aufzustel- oft in ihren eigenen Worten. Die Ge-
len. Aufrichtige Menschen befreien sich schichte, die sie erzählen, ist nicht stim-
selbst und andere, indem sie die Wahr- mig, und so geraten sie in die Falle. Ein
heit sagen. Lügner muss schon ein gutes Gedächt-
12,7 Wenn die Gerechtigkeit die Gott- nis haben, sonst stimmen seine Ge-
losen einholt, ist das ihr Ende. Gottes- schichten nicht mehr überein. Und um
fürchtige Menschen haben ein gutes eine Lüge zu stützen, muss er einen

809
Sprüche 12

ganzen Unterbau von anderen Lügen ohne Ausnahme. Was ohne Ausnahme
errichten. wahr ist, ist die Tatsache, dass die Ge-
»Aber der Gerechte entkommt der rechten vor den bösen Folgen bewahrt
Bedrängnis.« Jemand, der ehrlich und bleiben, die gottloses Verhalten unwei-
mit seinen Worten vorsichtig ist, ver- gerlich nach sich zieht. Die Gottlosen je-
meidet diese Probleme. Gott verspricht doch bekommen jede Menge solcher
den Seinen nicht Freiheit von allen Be- Schwierigkeiten.
drängnissen, aber er sorgt dafür, dass 12,22 Gott hasst Lügner. Wie sorgfältig
sie der Bedrängnis entkommen, d.h. sollten wir jedes Färben der Wahrheit,
durch sie durchkommen. jede Notlüge, Übertreibung und Halb-
12,14 Gesunde Rede und gutes Betra- wahrheit vermeiden! Ein sicherer Weg,
gen bringen ihren eigenen Lohn mit seinem Herzen Freude zu machen, ist,
sich. Weise, sanftmütige, reine Rede absolut ehrlich und vertrauenswürdig
wird mit Liebe, Wohlgefallen und Re- zu sein.
spekt belohnt. Gute Taten kehren zu 12,23 Ein kluger Mensch stellt sein
einem Menschen mit Segen zurück. Wissen und seine Kenntnisse nicht über-
12,15 Einem Narren kann man über- all zur Schau, sondern hält sich damit
haupt nichts sagen. Er weiß alles und bescheiden zurück. Aber man braucht
ist nicht bereit zu hören. Aber ein Wei- nicht lange in der Gesellschaft von Nar-
ser heißt Rat willkommen. Er ist sich ren zu sein, bis sie ihre Torheit offen­
bewusst, dass ein Einzelner nicht alle baren.
Seiten einer Frage sehen kann. 12,24 Gewöhnlich steigen im Leben
12,16 Es dauert nicht lange, bis sich fleißige und hingegebene Menschen zu
der Unmut eines Narren Luft macht. Er führenden Stellungen auf. Lässigkeit
explodiert beim geringsten Ärger. Ein führt zu Armut, und Armut lässt den
kluger Mann dagegen kann eine Belei- Menschen auf das Niveau von Zwangs-
digung einstecken (Schlachter) und sich arbeit und Sklaverei absinken.
selbst beherrschen. Oswald Chambers sagte, dass Schlam-
12,17 Ein Zeuge, der vor Gericht die perei eine Beleidigung des Heiligen
Wahrheit sagt, legt damit ein gerechtes Geistes ist; er hätte dasselbe auch über
Zeugnis ab, aber ein falscher Zeuge er- Lässigkeit sagen können.
zählt Lügen. 12,25 Sorge und Kummer drückt das
12,18 Manche Menschen verwenden Herz des Menschen nieder. Ein freund-
ihre Zunge wie ein scharfes Schwert, sie liches, ermutigendes oder mitfühlendes
schlagen einfach auf andere ein, ver- Wort wirkt oft das Wunder, ihn wieder
wunden sie und verursachen Schmer- aufzurichten.
zen. Der Weise aber redet auferbauen- 12,26 Im Gegensatz zum äußeren
de, heilsame Worte, die zur Heilung der Schein ist der Gerechte wirklich besser
Wunden verhelfen, die der Schwätzer dran als sein gottloser Nachbar (vgl.
zugefügt hat. Luther 1912: »Der Gerechte hat’s besser
12,19 Wahrheit ist ewig. Warum? Weil denn sein Nächster«; KJV). Denn der
Wahrheit das ist, was Gott über eine Sa- Schein trügt. Alles scheint zugunsten
che sagt; daher ist sie unveränderlich. des Sünders zu laufen, und das verführt
Eine lügnerische Zunge hat nur für ei- die Menschen zu dem Glauben, dass
nen Augenblick Bestand. verbotene Frucht wirklich süßer wäre.
12,20 Falschheit erfüllt das Herz derer, Deshalb sollte sich ein Christ seine
die Böses schmieden. Freude erfüllt aber Freunde sehr sorgfältig aussuchen.
das Herz derer, die zum Frieden raten. 12,27 Dieser nachlässige Mensch er-
12,21 Es ist in einem allgemeinen Sinn jagt sein Wild entweder von vornherein
wahr, dass den Gerechten kein schlimmes nicht, weil er es nicht einholt (vgl. un­
Übel trifft. Doch ist diese Regel nicht revidierte und revidierte Elberfelder,

810
Sprüche 12 und 13

Schlachter 2000), oder aber er brät nicht, Im Gegensatz dazu plant der Treulose
was er erjagt hat – je nach Übersetzung nur Gewalt für andere, und ihm wird
des schwierigen hebräischen Texts. Im mit seiner eigenen Münze heimgezahlt
ersten Fall fehlt ihm die Ausdauer, sei- werden.
ne Beute einzuholen, im zweiten hat er 13,3 Wer seine Zunge unter Kontrolle
nicht die Energie, das zu vollenden, hat, beherrscht damit sein ganzes Leben
was er begonnen hatte. (vgl. Jak 3,2b). Wer keine Selbstbeherr-
Das Hebräische des zweiten Teils des schung ausübt, wird bald in Schwierig-
Spruchs ist ebenfalls schwierig zu über- keiten kommen. Die Lektion hier ist:
setzen, die Bedeutung aber ziemlich si- »Sei vorsichtig in dem, was du sagst; es
cher die, dass ein fleißiger Mensch das könnte nämlich gegen dich verwendet
schätzt, wofür er gearbeitet hat, und es werden.«
auch sinnvoll verwendet. Rut handelte 13,4 »Wenn Wünsche Pferde wären,
so; sie drosch, was sie aufgelesen hatte würden alle Bettler reiten.« Der Faule
(Rut 2,17). In unserem Bibelstudium soll- hat große Wünsche, aber das ist nicht
ten wir das, was wir gelernt haben, auch genug. »Der Wunsch allein ohne die
vertiefen. Wir können das tun durch Anstrengung ist nutzlos.« Der Fleißige
Nachsinnen, Gebet und praktischen Ge- widmet sich ganz und gar seiner Arbeit
horsam. und trägt die Brötchen nach Hause. Das
gilt sowohl im geistlichen als auch im
So möchten wir uns mit deinem heiligen irdischen Bereich. Bosch schreibt dazu:
Wort ernähren und leben und wachsen,
um mehr und mehr den Herrn zu erken- Von Adam Clarke wird berichtet, dass er
nen und zu praktizieren, was wir erkannt 40 Jahre lang an seinem Kommentar über
haben. die Heilige Schrift geschrieben hat. Noah
Webster arbeitete 36 Jahre an seinem
12,28 Auf dem schmalen Pfad der Ge- Wörterbuch; zweimal überquerte er den
rechtigkeit ist Leben auf dem Weg und Atlantik, um Material zu sammeln, das
Leben am Ende der Reise. Es gibt kei- er brauchte, damit sein Buch ganz genau
nen Tod auf ihm, wie auf dem breiten würde. Milton stand jeden Morgen um
Weg, der zum Verderben führt (Mt vier Uhr auf, um genügend Stunden zur
7,13). »Leben« hier weist auf eine Zu- Abfassung und Korrektur seiner Dich-
kunft jenseits des Todes hin, auf das tungen zu haben, die zu den besten der
ewige Leben. Weltliteratur zählen. Gibbon verwandte
13,1 Im körperlichen wie im geistlichen 26 Jahre auf sein Buch The Decline and
Wachstum gibt es einen normalen Ent- Fall of the Roman Empire, aber es ist bis
wicklungsprozess. Ein Baby muss z.B. heute noch unübertroffen und steht da
zuerst krabbeln, bevor es gehen und als Monument sorgfältigster Forschungs-
sprechen kann. Auf geistlichem Gebiet arbeit und unermüdlicher Hingabe an
muss ein Neubekehrter zuerst hören und seine Pflicht. Bryant schrieb eines seiner
lernen, bevor er sich zum Dienst stellt. poetischen Meisterwerke vor seiner Ver-
Ein weiser Sohn unterwirft sich der Er- öffentlichung hundertmal neu, um völ-
ziehung und Unterweisung. Der Spötter lige Schönheit und Vollkommenheit im
dagegen will nichts davon wissen; er Ausdruck zu erreichen. Diese Männer
denkt, dass er alle Antworten habe, und hatten Freude an ihrer Arbeit, und jeder
verschließt sich der Zurechtweisung. wandte all seine Energie für seine Auf­
13,2 Hier haben wir einen Menschen, gabe auf, wie schwierig sie auch sein
dessen Rede auferbauend, ermunternd mochte.
und tröstend ist; er selbst wird dadurch
belohnt, dass er die positiven Auswir- Die glücklichsten und produktivsten
kungen des gesprochenen Wortes sieht. Menschen sind diejenigen, die fleißig

811
Sprüche 13

und sorgfältig in ihrer Arbeit sind zum Oder es bedeutet dies: Der gottlose
Guten der Menschen und zur Verherr­ Millionär ist in Wirklichkeit ein geist­
lichung Gottes.15 licher Bettler, während der einfachste
13,5 Ein Gerechter vermeidet jede Art Gläubige, obwohl vielleicht finanziell
von Unehrlichkeit, aber ein Gottloser arm, ein Erbe Gottes und Miterbe Jesu
handelt »schändlich und schmählich«. Christi ist. Morgan schreibt dazu:
J. Allen Blair illustriert dies am Leben
eines berühmten Amerikaners: Unsere Zeit ist voll von Menschen, die es
zu Reichtum gebracht haben ‒ und die
Von Abraham Lincoln wird erzählt, dass doch nichts besitzen. Sie haben großen
er keinen Fall annahm, in dem das Recht Reichtum aufgehäuft, und doch hat die-
nicht auf der Seite seines Klienten war. ser keine Kaufkraft in den Dingen, auf
Einmal kam ein Mann, um seine Dienste die es im Leben wirklich ankommt. Er
in Anspruch zu nehmen. Lincoln starrte kann nicht die Gesundheit sichern, er
an die Decke, hörte jedoch aufmerksam bringt kein Glück, und oft zerstört er den
zu, während der Mann die Fakten er- Frieden. Andererseits gibt es auch sol-
zählte. Plötzlich drehte er sich in seinem che, die freiwillig arm geworden sind,
Stuhl herum: aber dadurch reich wurden im wahrsten
»Ihr Fall sieht dem reinen Gesetz nach und höchsten Sinn des Wortes. Wie kann
ziemlich gut aus für Sie«, sagte er, »aber man das erklären? Finden wir nicht die
ziemlich schlecht, was Gleichheit und Lösung darin, dass wir in den gegensätz-
Gerechtigkeit betrifft. Sie werden jemand lichen Aussagen die Betonung auf das
anderen finden müssen, um den Fall für Wort sich legen? Sich (d.h. sein Ich) reich
Sie zu gewinnen. Ich könnte es nicht. zu machen heißt, die Fähigkeit zum Le-
Während ich vor den Geschworenen ben zu zerstören. Sich (d.h sein eigenes
mein Plädoyer halte, müsste ich bestän- Ich) arm zu machen, indem man andere
dig denken: ›Lincoln, du bist ein Lüg- reich macht, das bedeutet wirkliches Le-
ner!‹ Ich könnte mich vergessen und es ben. Es ist unmöglich, an diesen Aus-
lauthals sagen.« spruch hebräischer Weisheit zu denken,
Lügen und jede andere Form von Unlau- ohne sich an den zu erinnern, der die
terkeit betrüben das Herz Gottes. Kein Fleisch gewordene Weisheit wurde.17
Christ sollte je lügen oder betrügen,
gleichgültig, welche Konsequenzen es 13,8 Ein reicher Mann wird oft von de-
für ihn hat. Wenn er es dennoch tut, wird nen bedroht, die an sein Geld wollen.
er in den Dingen Gottes niemals Fort- Er muss mit Raub, Erpressung und Ent-
schritte machen.16 führung zur Erpressung eines Löse-
gelds rechnen, und er muss sein Leben
13,6 Ein gerechtes Leben ist ein be- schützen, indem er Bewacher anstellt
schütztes Leben. Gott verspricht, die oder indem er »Schutzgelder« zahlt.
Gerechten zu bewahren. Aber die Gott- Der Arme muss sich niemals Sorgen
losen sind beständig in Gefahr, denn um solche Bedrohungen machen.
ihre Gottlosigkeit bringt sie früher oder 13,9 Das Zeugnis des Gerechten ist
später zu Fall. wie eine Lampe, die hell und fröhlich
13,7 Man kann diesen Spruch auf brennt. Das Leben und die Hoffnungen
zwei Weisen verstehen. Erstens möchte der Gottlosen sind wie eine Leuchte,
vielleicht jemand, der nicht gerade viel die verlöscht.
materiellen Besitz sein Eigen nennt, den 13,10 Die erste Zeile kann wieder
Eindruck erwecken, er sei wohlhabend, zwei verschiedene Gedanken enthalten.
während jemand, der tatsächlich viel Der eine ist der, dass im Fall von Streit
Geld besitzt, sich nach außen ärmlich grundsätzlich Hochmut die Ursache ist.
gibt. Oder aber als zweite Möglichkeit, dass

812
Sprüche 13

aus Hochmut nie etwas Gutes entsteht, zweiten Versteil wird ausgesagt, dass
sondern nur Erbitterung und Zänkerei. der Weg der Treulosen hart ist (Schlach-
C.S. Lewis schrieb einmal: ter 2000, unrevidierte Elberfelder). Das
betreffende hebräische Wort bedeutet
Es ist der Stolz, der seit jeher die Haupt- normalerweise »beständig«, »andau-
ursache allen Elends in jedem Volk und ernd«, aber hier gibt allein die Überset-
jeder Familie ist, seit die Welt besteht. zung »hart«, »rau« einen guten Sinn.
Andere Laster bringen Menschen manch- Wenn es »beständig« bedeuten sollte,
mal zusammen; man kann manchmal dann müsste eine Verneinung dabei­
nette Gemeinschaft und Humor und stehen. So bleiben wir bei dem traditio-
Freundlichkeit unter Betrunkenen oder nellen Text; jede Tageszeitung gibt uns
in Unmoral Lebenden finden. Aber Stolz genügend Anschauungsmaterial dafür,
bedeutet immer Feindschaft ‒ es ist dass der Weg der Treulosen in der Tat
Feindschaft. Und nicht nur Feindschaft hart ist!
zwischen Mensch und Mensch, sondern 13,16 Das Verhalten eines Menschen
Feindschaft gegenüber Gott.18 offenbart seinen Charakter. Wenn je-
mand klug ist, wird das in seiner ver-
Wer bereit ist, auf guten Rat zu hören, antwortungsbewussten Handlungswei-
ist weise; er vermeidet dadurch Stolz se zum Ausdruck kommen. Ein Narr
und all die persönlichen Konflikte, die breitet seine Narrheit öffentlich und für
damit einhergehen. jedermann sichtbar aus.
13,11 Schnell erworbener Reichtum be- 13,17 Ein unzuverlässiger Bote verur-
deutet Wohlstand, der unehrlich oder sacht Probleme nach allen Seiten. Es
ohne Anstrengung erworben wurde. Dies ist besser, einen treuen Gesandten zu
schließt Geld ein, das durch Spielen, Lot- schicken; er erfüllt seinen Auftrag zur
terie oder Börsenspekulation gewonnen Zufriedenheit aller Beteiligten. »So sind
wurde. Dieser Reichtum zerrinnt meist wir nun Gesandte an Christi statt …«
sehr schnell in den Händen seines Besit- (2Kor 5,20).
zers. Durch ehrliche, harte Arbeit erwor- 13,18 Wer Züchtigung und Korrektur
bener Reichtum dagegen nimmt ständig unbeachtet lässt, erntet durch seinen
zu, anstatt zu schwinden. Starrsinn Armut und Schande. Wer auf
13,12 Ein wiederholter Aufschub un- Zurechtweisung hört, wird dagegen
serer Erwartungen ist deprimierend; geehrt werden.
aber wenn der Wunsch endlich erfüllt 13,19 Der Gerechte wird erfreut, wenn
ist, ist dies eine Quelle großer Befriedi- sein Wunsch erfüllt wird; aber die Toren
gung. Wenden wir das auf das Kom- hassen es, ihre Sünde aufzugeben. Der
men des Herrn an! Gegensatz in diesem Spruch scheint dar-
13,13 Das »Wort« hier ist das Wort in zu bestehen, dass die Gerechten gute
Gottes. Unsere Haltung ihm gegenüber und wertvolle Dinge erstreben, während
ist eine Frage von Leben und Tod. Wer die Sünder nicht bereit sind, vom Bösen
es verachtet, drückt damit den Selbst- zu weichen.
zerstörungsknopf. Wer aber dem Gebot 13,20 Wir sollten Gemeinschaft mit
vertraut und gehorcht, wird überreich weisen Menschen pflegen, denn wir
belohnt. können eine Menge von ihnen lernen.
13,14 Die Weisung und der Rat weiser »Schlechter Umgang verdirbt gute Sit-
Menschen sind eine Quelle des Lebens ten« (1Kor 15,33). Man erkennt einen
und der Erfrischung für die, die sie be- Menschen oft daran, mit wem er Um-
achten. Sie bewahren uns vor tödlichen gang hat. Wer sich mit Narren einlässt,
Fallen auf unserem Lebensweg. dem geht es schlecht.
13,15 Gute Einsicht verschafft uns 13,21 Der Sünder wird von den Blut-
Gunst bei Gott und den Menschen. Im hunden des Unheils, des körperlichen

813
Sprüche 13 und 14

Schadens, eines schlechten Rufes und Problem der Eltern in Amerika heute …
des Verlusts seines Besitzes verfolgt. Elterliche Nachgiebigkeit vermeidet
Der Gerechte erfreut sich eines guten Widersetzlichkeit nicht; im Gegenteil,
Rufes, eines guten Lebens und eines sie macht sie gerade unvermeidlich.«
guten Lohnes. Schuld daran seien zumindest teilweise
13,22 Ein guter Mensch hinterlässt die Fachleute – »die Kinderpsychiater,
nicht nur seinen Kindern ein Erbe, son- Psychologen, Lehrer, Sozialarbeiter und
dern auch seinen Kindeskindern. Im Kinderärzte, Menschen, wie ich selbst
Alten Testament bedeutet das wahr- einer bin«.19
scheinlich, dass er ihnen materiellen Die Eltern, die ihr Kind wirklich lie-
Reichtum hinterließ. Aber ein heutiger ben, sehen ihm Ungezogenheit oder
Christ tut besser daran, seinen Nach- Widersetzlichkeit nicht nach, sondern
kommen ein reiches geistliches Erbe zu züchtigen es beizeiten.
hinterlassen. 13,25 Gott garantiert, dass die Bedürf-
Das Vermögen des Sünders wird auf- nisse des Gerechten befriedigt werden,
bewahrt für den Gerechten; unehrlich aber ebenso sicher wird den Gottlosen
erworbener Reichtum findet schnell ein leerer Magen garantiert.
bessere Hände. 14,1 Eine weise, verständige Haus-
13,23 Die Armen bearbeiten ihr Land frau kümmert sich um ihr Zuhause und
sehr intensiv (»Neubruch«) und erhal- ihre Familie. Die törichte Frau treibt
ten viel Frucht aus einer kleinen Fläche. sich auf Kaffeekränzchen, Gartenpar-
Sie nutzen das, was sie haben, so gut sie tys, Modeschauen und anderen sinn-
es können. losen Vergnügungen herum. Sie ver-
Der zweite Teil des Verses kann be- nachlässigt ihren Mann und ihre Kinder
deuten, dass reiche Menschen, die grö- und wundert sich, warum ihre Familie
ßere Höfe haben, oft durch ihre Unge- auseinanderbricht.
rechtigkeit ruiniert werden, oder aber, Ist es möglich, dass eine Frau ihr eige-
dass der Ertrag der Armen oft durch nes Haus auch durch zu viel religiöse
Ungerechtigkeit weggerafft wird. Aktivität zugrunde richtet?
13,24 Die Bibel lehrt körperliche 14,2 Das Betragen eines Menschen ist
Züchtigung – ganz egal, was heutige ein Spiegel seiner Haltung gegenüber
»Fachleute« dazu sagen würden. Einem dem Herrn. Der Gerechte wird von dem
Kind Strafe vorzuenthalten, wenn es sie geleitet, wovon er weiß, dass es Gott
wirklich verdient hat, bedeutet, es zur wohlgefällt. Dem Verkehrten ist es
Sünde zu ermuntern und somit zu sei- gleichgültig, was Gott über ihn denkt,
nem letztendlichen Verderben beizu- und so offenbart er seine Verachtung
tragen. Die Eltern, die an der Rute spa- ihm gegenüber auch in seinem Verhal-
ren, mögen das Liebe nennen, aber Gott ten. Kidner schreibt:
nennt es Hass.
Jahrelang haben amerikanische Eltern Jedes Abweichen von den Wegen Gottes
ihre Kinder nach den toleranten Grund- heißt, sich mit dem eigenen Willen gegen
sätzen des bekannten Arztes Dr. Benja- den seinen zu stemmen, heißt, das eigene
min Spock erzogen. Diese Grundsätze Urteil gegen seines zu setzen; aber die
widersprachen dem, was wir hier und Verachtung Gott gegenüber, aus der dies
an anderen Stellen der Schrift finden. alles hervorkommt, ist zu unvernünftig,
Später in seinem Leben räumte Dr. als dass man sie zugeben könnte.20
Spock ein, dass er einen Teil der Verant-
wortung für »die Ungezogenheit vieler 14,3 »Im Mund des Narren ist eine Rute
heutiger Kinder« zu tragen habe. Er für seinen Hochmut« (Schlachter 2000).
sagte: »Die Unfähigkeit, konsequent zu Er wird für sein arrogantes Reden Stra-
sein, ist aus meiner Sicht das häufigste fe erleiden. Die zurückhaltende Rede-

814
Sprüche 14

weise des Weisen bewahrt ihn vor sol- schwer zu verstehen, aber die Überset-
chen Folgen. zung der Schlachter 2000 ergibt einen
14,4 »Wo keine Rinder sind, ist die guten Sinn: »Die Toren treiben Gespött
Krippe rein« (unrevidierte Elber- mit ihrer Schuld [o. mit der Sünde], un-
felder). Natürlich kann ein Stall leicht ter den Redlichen aber ist Gottes Wohl-
sauber gehalten werden, wenn man gefallen.«
kein Vieh hat. Aber ist es nicht besser,
ein bisschen Staub und Schmutz im Die Toren treiben Gespött mit der Sünde,
Stall zu haben und dabei zu wissen, sie wollen nicht glauben,
dass durch die Kraft des Ochsen ein dass sie einen schrecklichen Dolch in
reicher Ernteertrag eingebracht wird? ihrem Ärmel trägt!
Der Lohn der Arbeit ist mehr als nur »Wie ist es möglich«, sagen sie, »dass so
ein Ausgleich für ihre unangenehmen etwas Schönes,
Seiten. so voller Süßigkeit, je einen Stachel
Dieser Spruch sollte aber nicht dazu tragen könnte?«
ermutigen, dass unser Zuhause oder Sie wissen nicht, dass es der Zauberbann
unser Gemeinderaum wie ein Katastro- der Sünde ist,
phengebiet aussieht. Er wendet sich je- der sie treibt, sich selbst in die Hölle
doch sehr wohl gegen die krankhafte hinabzuspotten.
Sucht nach Ordnung und Sauberkeit, So habe acht auf dich, geh nicht mehr
die produktive und konstruktive Arbeit mit der Sünde um,
hemmt. damit nicht er, der rettet, vor dir die Tür
14,5 C.H. Mackintosh sagte einmal, es einst schließen muss.
wäre besser, mit einem guten Gewissen John Bunyan
in den Himmel zu gehen, als mit einem
schlechten auf der Erde zurückgelassen Die Aufrichtigen genießen die Gunst
zu werden. Wie sollten wir Sorge tra- und das Wohlgefallen des Herrn, frei
gen, zu jeder Zeit und in allen Umstän- von der Schuld und dem Gericht der
den wahrhaftig zu sein! Sünde.
14,6 Durch seine beständige Weige- 14,10 Es gibt Kummer im Menschen-
rung, zuzuhören, verliert der Spötter herzen, die kein anderer Mensch teilen
allmählich die Fähigkeit, überhaupt zu kann (obwohl der Herr es kann und
hören. Solange er den Herrn verwirft, auch tut). Es gibt auch Freuden, die
kann er niemals echte Weisheit finden. allein von der direkt betroffenen Person
Für einen verständigen Mann kommt genossen werden können.
die Erkenntnis als etwas Leichtes: 14,11 Beachten wir den Unterschied
»Denn wer hat, dem wird gegeben und zwischen Haus und Zelt. Wir stellen
überreichlich gewährt werden …« (Mt uns unter einem Haus etwas Festes und
13,12). Dauerhaftes, unter einem Zelt aber et-
14,7 Wir sollten keine Freundschaft was Provisorisches und Vorüber­
mit einem törichten Menschen pflegen, gehendes vor. Aber das Zelt des auf­
denn »du hörst doch nichts Gescheites richtigen Fremdlings und Wanderers
von ihm« (Schlachter). überlebt, während das feste Haus des
14,8 Für einen klugen Mann bedeutet gottlosen Erdbewohners zusammen-
Weisheit, dass er sich ehrlich, gewissen- stürzt.
haft und gehorsam zu verhalten weiß. 14,12 Der Weg, der den Menschen ge-
Was ein Tor als Weisheit ansieht, ist in rade und richtig erscheint, ist die Ret-
Wirklichkeit Torheit, und das Wesen die- tung durch gute Werke oder einen gu-
ser Torheit besteht im Täuschen anderer, ten Charakter. Von den Menschen, die
was letztendlich in Selbstbetrug endet. zur Hölle hinabfahren, sind mehr die-
14,9 Der hebräische Text ist hier sem schrecklichen Trugschluss zum

815
Sprüche 14

Opfer gefallen als jedem anderen (vgl. ist. Natürlich kann der Vers auch be-
auch Spr 16,25). deuten, dass er den Herrn fürchtet.
In einem allgemeineren Sinn ist der Der Tor aber ist übermütig und sorg-
Weg, der einem Menschen gerade er- los; er ist aufbrausend und allzu selbst-
scheint, sein eigener Weg, ein Weg des sicher.
Eigenwillens, der sowohl die Führung 14,17 Ein Mann mit einem jähzor-
Gottes als auch den Rat von Menschen nigen Charakter handelt töricht. In sei-
verachtet. Er muss zwangsläufig in der nem Zorn lässt er sich zu Handlungen
Katastrophe und im geistlichen Tod en- hinreißen, deren Folgen er nicht be-
den. denkt. Er schlägt Türen zu, wirft, was
14,13 So etwas wie reine, ungetrübte ihm gerade vor die Hände kommt,
Freude gibt es im Leben nicht. Immer schreit Flüche und Beleidigungen her-
ist bis zu einem gewissen Grad Schmerz aus, zerstört Mobiliar und rennt in rau-
darunter gemischt. Knox sagt: »Freude chendem Zorn davon. Aber wenn wir
mischt sich mit Trauer, und Lachen geht wählen müssten, könnten wir ihn noch
mit Tränen einher.« leichter ertragen als den Menschen, der
14,14 »Wer ein abtrünniges Herz hat, böse Absichten hat. Dieser wird wegen
bekommt genug von seinen eigenen We- seiner kaltblütigen Hinterlist von jeder-
gen, und ebenso ein guter Mensch von mann gehasst.
dem, was in ihm ist« (Schlachter 2000). 14,18 »Die Einfältigen erben Narr-
Jemand, der sich vom Herrn entfernt, heit.« Wenn sie das Hören auf gesunde
erntet die Folgen seines Irrwegs. So sagte Lehre ablehnen, entscheiden sie sich
Noomi: »Der Allmächtige hat mir sehr dadurch freiwillig dafür, törichter zu
bitteres Leid zugefügt. Voll bin ich ge- werden. Die Klugen aber werden ge-
gangen, und leer hat mich der Herr zu- ehrt und belohnt, indem sie mehr und
rückkehren lassen« (Rut 1,20b.21a). Und mehr Erkenntnis erwerben.
der verlorene Sohn musste erkennen: 14,19 Dieser Spruch weist auf den
»Wie viele Tagelöhner meines Vaters ha- letztendlichen Triumph des Guten über
ben Überfluss an Brot, ich aber komme das Böse hin. Gott wird sich der Sache
hier um vor Hunger« (Lk 15,17). der Gerechten annehmen. Der Tag kam,
Der aufrichtige Mann wird befriedigt als Haman sich vor Mordechai nieder-
auf seinen Wegen, weil sie die Wege des beugen musste. Und der Tag wird kom-
Herrn sind. Er kann mit David sagen: men, an dem sich jedes Knie im Univer-
»Mein Becher fließt über« (Ps 23,5c). sum vor Jesus Christus als dem König
Oder mit Paulus: »Ich habe den guten der Könige und Herrn der Herren beu-
Kampf gekämpft, ich habe den Lauf gen wird.
vollendet, ich habe den Glauben be- 14,20 »Ein Armer wird sogar von sei-
wahrt« (2Tim 4,7). nem Nächsten gehasst« (Schlachter
14,15 Eine naive, leicht beeinflussbare 2000). Es sollte nicht so sein, es ist aber
Person ist offen für jede neue Idee und leider oft so. Viele Menschen schließen
jeden Modetrend. Der kluge Mann sieht ihre Freundschaften auf der Grundlage
lieber zweimal hin und bewahrt sich ihrer eigenen Interessen. Sie meiden die
dadurch vor Irrtum. Der Glaube ver- Armen und pflegen Umgang mit den
langt sichere Beweise und findet sie im Reichen aus selbstsüchtigen Motiven.
Wort Gottes. Die Leichtgläubigkeit der Wir sollten an Menschen deshalb inter-
Unverständigen nimmt alles für bare essiert sein, weil wir etwas für sie tun
Münze, was jeder schnell vergängliche können, nicht weil wir etwas von ihnen
Wissenschaftler, Philosoph oder Psy- bekommen können.
chologe sagt. In gewissem Sinn hat ein reicher
14,16 Ein Weiser fürchtet sich in dem Mann viele Freunde, aber andererseits
Sinn, dass er sorgfältig und vorsichtig weiß er nie genau, wie viele wirkliche

816
Sprüche 14

Freunde er hat, d.h. Freunde, die ihn Tatsachen und ist für all die katastro-
für das lieben, was er ist, und nicht so phalen Folgen verantwortlich, die ein
sehr für das, was er hat. solcher Betrug nach sich zieht.
14,21 Dieser Vers gehört offensicht- Der Prediger des Evangeliums ist ein
lich mit dem vorhergehenden zusam- wahrhaftiger Zeuge, der Seelen vor
men. Es ist Sünde, die Armen zu ver- dem ewigen Tod bewahrt. »Moderne«,
achten, weil Gott sie auserwählt hat (Jak »liberale« Theologen sowie Sektenfüh-
2,5). Der Mann, der sich der Elenden rer aber sind falsche Zeugen, die Lügen
annimmt, wird bereits bei der Tat selbst reden und Seelen in die Irre führen.
gesegnet. 14,26 Wer den Herrn fürchtet, hat al-
Wir sollten nie vergessen, dass der len Grund, vertrauensvoll in die Zu-
Herr Jesus als ein Armer in diese Welt kunft zu blicken. Wenn Gott für ihn ist,
kam. Jemand nannte ihn einmal »mei- kann niemand etwas gegen ihn ausrich-
nen bettelarmen Freund aus Naza- ten (Röm 8,31). Auch die Kinder eines
reth«. solchen Menschen finden Zuflucht un-
14,22 Wer nach Bösem trachtet und ter Gottes Fittichen, wenn das Böse an-
üble Pläne ausheckt, wird zwangsläufig greift.
in die Irre gehen. Wer nach Gutem für 14,27 Gottesfurcht ist eine Quelle
andere trachtet, wird mit Gnade und geistlicher Energie und Stärke, die uns
Wahrheit belohnt. Das heißt, dass Gott befähigt, die Fallstricke des Todes zu
solchen Menschen Güte erzeigt und ih- meiden.
nen gegenüber treu seine Verheißungen 14,28 Die Größe, Zufriedenheit und
des Schutzes und der Belohnung erfüllt. Loyalität des Volkes bestimmen die
Es heißt auch, dass Menschen ihnen mit Herrlichkeit eines Königs. Es ist kaum
Anhänglichkeit und Treue danken. eine Ehre für einen Fürsten, wenn er
14,23 Jede ehrbare Arbeit bringt auch zwar den Titel trägt, aber wenig oder
Gewinn. Nichts als Gerede führt auch kein Volk hat, über das er herrschen
zu nichts als Armut. Wir alle kennen kann.
Menschen, die stundenlang über ihre 14,29 Ein Mann, der geduldig bleibt,
Probleme reden können, die aber nie- auch wenn er provoziert wird, zeigt
mals auch nur einen Finger krumm ma- große Einsicht. Wer sich leicht zum
chen, um sie zu lösen. Sie können mit Zorn reizen lässt, offenbart für alle
gewaltiger Rhetorik über Weltevangeli- sichtbar seine Torheit.
sation reden, bringen es aber nicht fer- 14,30 Ein gelassenes oder gesundes
tig, sich von ihrem Liegesessel zu er­ Herz bedeutet hier ein zufriedenes In-
heben, um ihrem Nachbarn Zeugnis zu nenleben. So sagt Knox: »Frieden im
geben. Sie erzählen einem endlos, was Herzen ist Gesundheit für den Leib.«
sie alles in der Zukunft zu tun geden- Eifersucht (Schlachter, Luther 1984)
ken, aber sie tun es niemals. und Leidenschaftlichkeit (Menge) sind
14,24 Die Ehre eines weisen Mannes schlecht für die Gesundheit. Dr. Paul
ist sein Reichtum; er kann als Frucht Adolph bestätigt dies, wenn er schreibt:
seiner Weisheit etwas vorweisen, ganz
gleich, ob wir nun diesen Reichtum als Einige der wichtigsten Ursachen der so-
geistlich oder materiell ansehen. Toren genannten Nervenkrankheiten, die Psy-
aber haben als Frucht ihres Lebens und chiater kennen, sind Schuldgefühle, Bit-
ihrer Arbeit nur Narrheit vorzuweisen. terkeit (eine unversöhnliche und nach-
14,25 Ein wahrhaftiger Zeuge (oder tragende Haltung), Furcht, Angst, Ent-
»Zeuge der Wahrheit«) bewahrt vor Ge- täuschung, Unentschlossenheit, Zweifel,
richt unschuldige Menschen davor, Eifersucht, Selbstsucht und Langeweile.
dass sie fälschlich verurteilt werden. Leider können viele Psychiater zwar die
Ein betrügerischer Zeuge verdreht die Ursachen emotionaler Störungen, die zu

817
Sprüche 14 und 15

Krankheiten führen, sehr gut diagnosti- niel). Sein Zorn richtet sich gegen die,
zieren, haben aber in ihren Methoden die schandbar handeln.
zur Beseitigung dieser Störungen be- 15,1 In diesem Kapitel geht es haupt-
zeichnenderweise versagt, weil sie den sächlich um unser Reden. Eine sanfte
Glauben an Gott bei ihrem Vorgehen völ- oder versöhnliche Antwort verhindert
lig unberücksichtigt lassen.21 den Ausbruch oder das Anwachsen des
Zorns. Wenn wir einem anderen harte,
14,31 Wer immer den Armen ausnutzt, verletzende Worte zurückgeben, reizen
beleidigt dadurch seinen Schöpfer. wir damit seine fleischliche Natur auf,
George Herbert sagte, dass der Mensch und bald haben wir einen heftigen
Gottes Bild ist, aber ein armer Mann Streit. Spurgeon veranschaulicht das
dazu den Stempel Christi trägt. Der schön:
zweite Versteil bedeutet, dass wer sich
der Armen erbarmt, dadurch auch Gott Einmal wohnte ich in einem Haus, bei
ehrt. dem der Garten meines Nachbarn von
14,32 »Wenn dem Gottlosen in seiner dem meinen durch eine nur äußerst un-
eigenen Münze heimgezahlt wird, ist es vollkommene Hecke abgetrennt war. Er
zu Ende mit ihm; aber die Gerechten hatte einen Hund, der ein schrecklich
haben selbst am Tor des Todes Hoff- schlechter Gärtner war und nicht eben
nung« (Knox). Judas illustriert den ers- zum Gedeihen meiner Pflanzen beitrug.
ten Halbvers, Paulus den zweiten. Als ich eines Abends allein spazieren
14,33 »Im Herzen des Verständigen ging, sah ich diesen Hund unter meinen
ruht die Weisheit« kann bedeuten, Pflanzen Unheil anrichten. Da ich ziem-
(1) dass die Weisheit dort zu Hause ist lich weit entfernt war, warf ich einen Stock
oder (2) dass dieser Mann nicht grund- nach ihm mit dem dringenden Rat, sich
los alles vorzeigen muss, was er weiß. schleunigst auf den Weg nach Hause zu
Die zweite Zeile ist schwieriger. Sie machen. Aber dieser Hund, statt sich auf
kann bedeuten: (1) Man findet schnell den Weg nach Hause zu machen, nahm
heraus, was sich im Herzen des Toren meinen Stock in die Schnauze und kam
verbirgt (»aber was im Innern der Toren damit schwanzwedelnd zu mir. Er legte
ist, tut sich kund«; unrevidierte Elber- den Stock vor meine Füße und schaute
felder, Menge, Schlachter 2000). (2) Im treuherzig zu mir auf. Was konnte ich an-
Herzen des Toren wird Weisheit nicht deres tun, als ihn zu streicheln, ihn einen
erkannt (»aber unter den Toren wird sie guten Hund zu nennen und zu bedauern,
nicht bekannt«; revidierte Elberfelder ‒ dass ich ihn je so angefahren hatte?22
Fußnote, Zürcher). (3) Sie kann auch
Toren offenbar werden, aber nur mit 15,2 Von der Zunge eines weisen Mannes
großer Mühe (»aber unter den Toren kommt nur hilfreiche und nützliche In-
schwitzt sie«; revidierte Elberfelder). formation. Er weiß, was, wann, wo und
14,34 Wenn ein Volk groß werden und wie er zu sprechen hat. Die Torheit aber
bleiben will, müssen sowohl seine Füh- strömt wie ein Wildbach aus dem Mund
rer als auch seine Bevölkerung aufrechte, der Toren hervor.
geradlinige Charaktere haben und Ge- 15,3 Gott ist allwissend. Seine Augen
rechtigkeit zeigen. Korruption, Schie- sind überall; nichts ist vor ihm verbor-
bung, Bestechung, schmutzige Tricks, gen. Er weiß um jedes Wort, jede Hand-
Verleumdung und alle andere Arten po- lung, jeden Gedanken und jedes Motiv,
litischer und gesellschaftlicher Unlau- sei es nun gut oder schlecht. Dies brach-
terkeit bringen Schande über ein Land. te David zu dem Ausruf: »Zu wunder-
14,35 Ein Herrscher blickt mit Wohl- bar ist die Erkenntnis für mich, zu hoch;
gefallen auf einen Knecht, der sich wei- ich vermag sie nicht zu erfassen«
se verhält (vgl. Josef, Mordechai, Da­ (Ps 139,6).

818
Sprüche 15

15,4 Heilsame, gelassene Rede er- lässt«) und den Unbelehrbaren (»wer
frischt, beruhigt und belebt. Verdrehtes, Zurechtweisung hasst«), sowie die Stra-
boshaftes Geschwätz verwundet (oder fe, die sie letztendlich bekommen –
zerbricht) den Geist eines Menschen. Züchtigung bzw. Tod. Oder es könnten
15,5 Wir haben diesen Narren bereits beide Zeilen denselben Menschen be-
einmal getroffen. Er denkt, sein Vater schreiben. Zuerst bringt ihm sein Irr-
sei hinter der Zeit zurückgeblieben, sei- weg schmerzliche Züchtigung ein. Aber
ne Gedanken seien altmodisch und sei- er weigert sich, daraus zu lernen und
ne Zucht sei wertlos. Der weise Sohn treibt so auf den sicheren Tod zu. Die
beachtet die Zurechtweisung seiner El- poetische Struktur des Hebräischen
tern und trägt Nutzen davon. Er ist klug (Parallelismus) scheint eher die zweite
und wird immer klüger. Deutung zu unterstützen.
15,6 Wer in einem gottesfürchtigen 15,11 Totenreich und Abgrund (hebr.
Elternhaus aufgewachsen ist, kann die Scheol und Abaddon) beschreiben beide
Wahrheit des ersten Versteils bezeugen. die unsichtbare Welt jenseits des Grabes.
Wenn die Eltern vielleicht auch nicht Wenn Gott alles genau weiß, was beim
wohlhabend waren, so hinterließen sie Tod und im Jenseits vor sich geht, wie
ihren Kindern doch ein geistliches Erbe viel mehr kennt er dann die Gedanken
von unschätzbarem Wert. und Geheimnisse der Menschenkinder
Das unredlich erworbene Einkom- auf Erden. »Alles ist enthüllt und auf-
men des Gottlosen bringt Zerrüttung gedeckt vor den Augen dessen, dem
für ihn und seine Familie. Eine gute wir Rechenschaft zu geben haben«
Illustration dieser Tatsache ist das Bei- (Hebr 4,13)!
spiel Achans (Jos 7). 15,12 Ein Spötter weigert sich, zu-
15,7 Das Reden eines Weisen ist voll rechtgewiesen zu werden. Er fragt nicht
hilfreicher Erkenntnis. Ein Narr kann einen Weisen um Rat, sondern geht zu
niemanden erbauen, weil sein eigenes jemandem, von dem er glaubt, dass er
Herz leer ist. ihm das sagt, was er ohnehin gern hö-
15,8 Die erste Zeile lehrt die Wert­ ren möchte. Ein solches Verhalten ist
losigkeit eines Rituals ohne innere selbstzerstörerisch; es bestärkt ihn nur
Wirklichkeit. Ein Gottloser mag kost- in seinem Eigensinn und lässt ihn im
bare Opfergaben vor den Herrn brin- Grab der Stagnation bleiben.
gen, aber Gott verachtet sie. Er möchte, 15,13 Ein fröhliches Herz zeigt sich in
dass zuerst das Leben des Betreffenden einem heiteren Angesicht, aber ein be-
in Ordnung ist. »Gehorchen ist besser kümmertes, gebrochenes Herz hat tie­
als Schlachtopfer« (1Sam 15,22). Gott fere Auswirkungen; es verursacht De-
freut sich über das demütige Gebet des pression und Verzweiflung.
Aufrichtigen; »die Opfer Gottes sind ein 15,14 Die Menschen, die am meisten
zerbrochener Geist; ein zerbrochenes wissen, hören niemals auf, nach Er-
und zerschlagenes Herz wirst du, Gott, kenntnis zu trachten. Doch der Mund
nicht verachten« (Psalm 51,19). des Toren kaut sinnlos Torheit wieder.
15,9 Der Weg und die Lebensweise »Die Weisen werden weiser, und die
eines gottlosen Menschen missfallen Toren werden dümmer.«
dem Herrn sehr. Aber er empfindet 15,15 Dieser Spruch scheint den Ge-
große Freude über jemanden, der in gensatz zwischen dem Pessimisten und
Gehorsam gegenüber seinem Wort dem Optimisten zu behandeln. Ersterer
lebt. ist ständig am Boden zerstört. Er hat
15,10 Man kann diesen Spruch auf eine düstere, ängstliche und negative
zwei Weisen betrachten. Er könnte zwei Einstellung. Der Optimist scheint im-
verschiedene Menschen beschreiben ‒ mer Oberwasser zu haben. Er genießt
den Irregehenden (»der den Pfad ver- das Leben in seiner ganzen Fülle.

819
Sprüche 15

15,16 Ein armer Gläubiger ist besser nie anderes kennengelernt. Der Weise
dran als ein Reicher, der in ständiger empfängt seine Freude aus einem Le-
Sorge lebt. Reichtum ist mit vielen ben in Nüchternheit und moralischer
Schwierigkeiten verbunden. Das Leben Geradheit. Ein Schwein genießt es, sich
des Glaubens ist das weitaus sorglosere im Dreck zu wälzen, während ein Schaf
von beiden. saubere Weide möchte.
15,17 Ein einfaches Gemüsegericht in 15,22 Wenn Menschen eigenmächtig
einer Atmosphäre von Liebe ist weit ohne den Rat anderer handeln, gehen
besser als der beste Braten, wenn man ihre Pläne oft daneben. Es ist immer
sich dabei streitet. sicherer, sich ein breites Spektrum an
Ein gemästeter Ochse ist in einem Informationen und Rat einzuholen.
Stall aufgewachsen und hat nur das Menschen mit Erfahrung auf dem be-
beste Futter bekommen; sein Fleisch ist treffenden Gebiet können uns vor Ge-
zart und schmackhaft. Joseph R. Sizoo fahren warnen, die wir vermeiden
sagt: sollten, können uns Hinweise auf die
besten Methoden geben usw.
In einer Stadt in der Nähe besuchte ich 15,23 Es ist eine echte Genugtuung,
einmal eine der luxuriösesten Villen, die wenn man in der Lage ist, eine ehrliche,
ich je in Amerika gesehen hatte. In die- hilfreiche Antwort zu geben. Auch ein
sem Haus gab es italienische offene Ka- treffendes Wort ‒ zur rechten Zeit in ei-
mine, belgische Gobelins, orientalische ner speziellen Notsituation gespro-
Teppiche und kostbare und seltene Ge- chen ‒ ist etwas Wunderbares. Vgl. Je­
mälde. Ich bemerkte zu einem Freund: saja 50,4: »… damit ich den Müden zu
»Wie glücklich müssen die Menschen ge- rechter Zeit mit einem Wort zu erqui-
wesen sein, die hier gelebt haben!« »O cken wisse« (Schlachter 2000). Der Herr
nein, sie waren es nicht«, antwortete er. Jesus weiß dieses Wort zu reden.
»Obwohl sie Millionäre waren, sprachen 15,24 Der Weg eines Weisen führt
Mann und Frau nie miteinander. Dieses nach oben zum Leben, und er entgeht
Haus war eine Brutstätte des Hasses! Sie so dem Pfad, der nach unten in Tod
hatten weder Liebe für Gott noch fürein- und Verderben führt. Wieder werden
ander« (Our Daily Bread). wir an die zwei Wege und die zwei Ge-
schicke des Menschengeschlechts erin-
15,18 Ein Mann mit hitzigem Gemüt nert.
verbreitet immer schnell Streit. Ein 15,25 Der HERR wird den Besitz des
weiserer Mann weiß Streitigkeiten zu Hochmütigen und Eigenmächtigen zer-
vermeiden oder sie zu entschärfen, stören, aber er schützt die Grenzen des
wenn sie einmal begonnen haben. kleinen Hofs der unterdrückten Witwe.
15,19 Der Weg des Faulen ist gesäumt 15,26 Gott verabscheut die bösen Plä-
mit allerlei Schwierigkeiten. Manchmal ne skrupelloser Menschen, aber er hat
gebraucht er diese sogar als eine Ent- Wohlgefallen an den Worten der Rei-
schuldigung für sein Nichtstun. Der Weg nen.
des Aufrichtigen ist wie eine ebene, gut 15,27 Dieser Spruch bezieht sich
ausgebaute Straße. wahrscheinlich in erster Linie auf einen
15,20 Ein weiser Sohn macht seinem Richter oder Beamten, der sein Bank-
Vater mit seinem sauberen Lebenswan- konto mit Bestechungsgeldern auf­
del große Freude. Aber ein abtrünniger bessert. Dadurch wird sein Urteil un­
Sohn behandelt seine Mutter mit Ver- gerecht und sein Lebenswandel verdor-
achtung, indem er ihr nicht gehorcht ben. Aber weit schlimmer ‒ er bringt
und ihre Tränen missachtet. unendliche Not über seine eigene Fami-
15,21 Ein unverständiger Mensch lie. Der Mann, der auch die geringste
freut sich über seine Dummheit. Er hat Berührung von Be­stechungsgeldern ka-

820
Sprüche 15 und 16

tegorisch ablehnt, kann sich seines Le- Worte der Menschen um, wenn es um
bens erfreuen. die Erfüllung seiner Absichten geht.
15,28 Ein Gerechter denkt nach, bevor »Der Mensch denkt, aber Gott lenkt.«
er spricht. Er überlegt, wie am besten Bileam beispielsweise wollte das
zu antworten ist. Der Gottlose öffnet Volk Israel verfluchen, aber seine Worte
seinen Mund, und ein Strom von Ge- kamen als Segen aus seinem Mund
meinheit, Schmutz und Bosheit spru- (4Mo 22,38; 23,7-10).
delt hervor. Oder denken wir an Kaiphas, der
15,29 Der Herr ist fern von den Gott- ohne sein Wissen und Wollen im Auf-
losen in dem Sinn, dass er keine Ge- trag Gottes weissagte (Joh 11,49-52).
meinschaft mit ihnen hat und dass sie Herodes und Pilatus verschworen sich,
mit ihm keine Verbindung durch das Jesus das anzutun, was Gott in seinem
Gebet haben. Gläubige haben eine so- Ratschluss bereits vorherbestimmt hat-
fortige Privataudienz bei dem Herr- te (Apg 4,27.28).
scher des Universums im Thronsaal des Dieser Spruch kann aber auch bedeu-
Himmels – durch das Gebet. »Wir wis- ten, dass sich die verfolgten Kinder
sen, dass Gott Sünder nicht hört, son- Gottes oft vorher überlegen, was sie bei
dern wenn jemand gottesfürchtig ist ihrer Gerichtsverhandlung sagen sol-
und seinen Willen tut, den hört er« (Joh len, dass aber Gott die rechten Worte
9,31). zur richtigen Zeit gibt (Mt 10,19).
15,30 Ein strahlendes Lächeln ist ein- 16,2 Die »Wege« eines Menschen sind
fach ansteckend. Es macht jeden fröh- seine äußeren Handlungen; er beurteilt
lich, der es erblickt. Ebenso belebt und sich danach und hält sich für lauter.
erfreut eine gute Nachricht das ganze Aber Gott sieht die Motive und Ab-
Wesen eines Menschen. sichten des Herzens. »Verirrungen ‒
15,31 Der Mensch, der auf Mah- wer bemerkt sie? Von den verborgenen
nungen hört, die ihm auf dem Weg Sünden sprich mich frei!« (Ps 19,13).
wahren Lebens helfen, hat seinen Platz 16,3 Die beste Garantie zur Verwirk­
unter den Weisen der Erde. Die Lehren lichung unserer Gedanken und Pläne
der Bibel im Allgemeinen und des besteht darin, unsere Werke dem Herrn
Evangeliums im Besonderen sind ein zu befehlen und zu weihen. J. Allen
Leben spendender Rat (»Zurechtwei- Blair gibt uns den Ratschlag:
sung zum Leben«).
15,32 Wenn jemand auf gottesfürch- Manchmal sind wir aufgewühlt und nie-
tige Unterweisung nicht hört, so ver- dergeschlagen, sogar wenn wir uns be-
achtet er sich selbst, denn er lässt sich mühen, für den Herrn zu arbeiten. Aber
direkt auf den Wasserfall des Verder- könnte je etwas weiter von dem entfernt
bens zutreiben. Wer Zurechtweisung sein, was Gott sich wünscht? Gott kann
annimmt, handelt damit in seinem ei- nicht durch besorgte und ängstliche Her-
genen besten Interesse. zen wirken. Wann immer ein Christ in ei-
15,33 Die Furcht des HERRN ist die nen solchen Zustand hineinkommt, soll-
Zucht, die zu Weisheit führt. Demut ist te er sofort innehalten und sich fragen:
der Weg zur Ehre. »Wessen Werk ist es eigentlich?« Wenn
es Gottes Werk ist, dann vergiss niemals,
B. Das Lob des gerechten dass auch die Last der Verantwortung
Lebenswandels (16,1 - 22,16) sein ist. Du bist nicht die entscheidende
16,1 Der Name Jahwe (HERR) kommt Person. Christus ist es! Er ist am Wirken
neunmal in den ersten elf Versen dieses durch uns. Was sollten wir denn tun,
Kapitels vor. Der Mensch kann sich sei- wenn etwas nicht gut läuft? Geh zu ihm!
ne Pläne im Voraus zurechtlegen, aber Alles andere ist schlicht Ungehorsam.23
Gott ist souverän und stößt notfalls alle

821
Sprüche 16

Gebet: »Gib mir das Auge, das dich, bezaubern und sogar für sich zu gewin-
Gott, in allem sieht, die Hand, die dir in nen« (Barnes).
allem dienen kann, und das Herz, das Stanton behandelte Lincoln mit äu-
dich für alles preisen kann« (Daily ßerster Verachtung. Er nannte ihn einen
Notes). »gemeinen, hinterlistigen Clown« und
16,4 Dieser Vers bedeutet nicht, dass den »ursprünglichen Gorilla«. Er sagte,
Gott bestimmte Menschen für die Ver- man brauche nicht nach Afrika zu rei-
dammnis geschaffen hat. Nirgendwo sen, um einen Gorilla zu fangen, wenn
lehrt die Bibel die Vorherbestimmung doch einer in Springfield, Illinois (der
zur ewigen Verdammnis. Menschen Heimat Lincolns), verfügbar sei. Lin-
werden aufgrund ihrer eigenen be- coln hat dies nie vergolten. Stattdessen
wussten Entscheidung gegen Gott ver- machte er Stanton zu seinem Kriegs­
dammt, nicht aufgrund eines Rat- minister, weil er glaubte, dass dieser für
schlusses Gottes. das Amt am besten qualifiziert wäre.
Der Spruch bedeutet, dass Gott für al- Als Jahre später Lincoln von der Ku-
les einen Plan, ein Ziel, eine Absicht hat. gel eines Attentäters getötet wurde, be-
Jede Ursache hat ein Ergebnis, jede trachtete Stanton das verwitterte Ge-
Handlung eine Belohnung oder Bestra- sicht des Aufgebahrten und sagte unter
fung zur Folge. Gott hat einen Tag des Tränen: »Hier liegt der größte Herr-
Unglücks für die Bösen gemacht, eben- scher über Menschen, den die Welt je
so wie er den Himmel für die gemacht gesehen hat.«
hat, die ihn lieben. 16,8 Es ist besser, ein bescheidenes,
16,5 Menschlichen Hochmut verab- aber ehrlich verdientes Einkommen zu
scheut der HERR. Wie bereits früher haben, als großen finanziellen Reich-
erklärt, bedeutet »die Hand darauf!« tum, den man sich durch Betrug und
etwa so viel wie »zweifellos«, »gewiss«, Ungerechtigkeit erworben hat.
»garantiert«. In diesem Zusammen- 16,9 Wie wir schon in Vers 1 erinnert
hang bezieht es sich wohl auf die Ge- wurden, unternimmt mancher Mensch
wissheit der Bestrafung des Hoch­ gewaltige Anstrengungen, sein Leben
mütigen. und seine Karriere zu planen, aber der
16,6 Die Lehre dieses Verses muss im Herr allein entscheidet, ob diese Pläne
Licht aller anderen Schriftstellen über je verwirklicht werden. Saulus von Tar-
dieses Thema studiert werden. Sie kann sus plante, die Heiligen in Damaskus
nicht bedeuten, dass jemand deshalb zu verfolgen, aber stattdessen wurde er
errettet wird, weil er gütig und wahr- selbst einer von ihnen. Onesimus
haftig ist; Errettung geschieht allein plante, Philemon für immer zu verlas-
durch Gnade mittels des Glaubens an sen, aber Gott brachte ihn wieder zu-
den Herrn. Nur im Hinblick darauf, rück ‒ unter besseren Bedingungen als
dass Gnade und Wahrheit äußere Zei- je zuvor.
chen eines rettenden Glaubens sind, 16,10 Weil ein König ein Stellvertreter
kann von ihnen gesagt werden, dass sie Gottes ist (Römer 13,1), haben seine Er-
von Schuld reinigen. lasse und Beschlüsse Autorität und
Der zweite Teil des Spruchs ist dazu Gültigkeit. Deshalb darf sein Mund
ganz klar. Indem man den Herrn fürch- sich beim Rechtsspruch nicht verfehlen
tet, wird man von Unglück und Bosheit (vgl. Schl 2000).
verschont. 16,11 Gott unterhält so etwas wie ein
16,7 Wie so viele Sprüche, so ist auch Eichamt. Er bestimmt Maße und Ge-
dieser eine allgemeine Regel, die aber wichte. Wenn die Menschen gemäß sei-
auch ihre Ausnahmen hat. »Ein ge- nen Maßstäben handeln, erhalten sie
rechtes Leben entwaffnet den Wider­ seine Billigung und seinen Segen.
sacher.« »Güte hat die Macht, Feinde zu 16,12 Gottloses Tun ist natürlich ein

822
Sprüche 16

Gräuel für jedermann, besonders aber lichkeit, weshalb ihn Gott vom Antlitz
für Könige. In ihrer Stellung sind sie des Himmels verbannte« (Marlowe).
Stellvertreter Gottes und haben deshalb 16,19 Es ist besser, bescheiden zu sein
eine weit größere Verantwortung als und mit einfachen und bescheidenen
andere Menschen. Ein Thron steht fest Menschen zu verkehren, als an den
auf dem Fundament der Gerechtigkeit. scheinbaren Vorteilen der Hochmü-
Wir sollten hinzufügen, dass der Vers tigen teilzuhaben.
auch bedeuten kann, dass es Königen
ein Gräuel ist, wenn ihre Untertanen Willst du der Erste sein ‒ dann diene
Gottloses tun. Eine gesetz- und ord- demütig;
nungsgemäße Regierung muss durch Willst du aufsteigen ‒ dann steige hinab;
Gerechtigkeit aufrechterhalten werden. Doch wenn du noch so niedrig lebst –
Wo moralische Maßstäbe verlassen Der Höchste hat sich noch mehr ernied­
werden, herrscht bald blanke Anarchie. rigt.
16,13 Gute Könige hören nicht auf Verfasser unbekannt
solche, die schmeicheln und heuch­
lerisch reden. Sie wollen Menschen, die 16,20 »Wer auf das Wort achtet, findet
vertrauenswürdig, ehrlich und gerade Gutes, und glücklich der, der dem
sind. Herrn vertraut!« Ein christliches Sprich-
16,14 Ein in Zorn geratener König wort besagt: »Lies deine Bibel, tu, was
kann Missetäter schnell zum Tod ver- du liest, und vertraue dem, der sie
urteilen. Ein weiser Mann provoziert schrieb.«
den Herrscher nicht grundlos, sondern 16,21 Ein wirklich weiser Mensch
sucht im Gegenteil, seinen Zorn zu lin- wird für sein Unterscheidungsver­
dern. mögen und seine Einsicht anerkannt
16,15 Wenn sich der König freut, so sein. Außerdem erhöht seine liebliche
breitet sich das Leuchten seines Ange- Redeweise bei anderen die Bereitschaft,
sichts als Freude im ganzen Reich aus. auf ihn zu hören und zu lernen. »Süßig-
Sein Wohlgefallen ist so erquickend keit der Lippen fördert die Über­
wie die Wolken, die den Spätregen redung« (revidierte Elberfelder ‒ Fuß-
bringen. note).
16,16 Irdische Reichtümer können in 16,22 Weisheit ist eine Quelle des Le-
keiner Weise mit Weisheit und Ver- bens und der Erquickung für ihren Be-
ständnis verglichen werden. Reichtum sitzer, aber Torheit ist für einen Narren
verschwindet oft über Nacht, aber gött- wie eine Peitsche. Er wird von seiner ei-
liche Weisheit bleibt in alle Ewigkeit. genen Torheit gestraft.
16,17 Die Gerechten folgen der Straße 16,23 Das Reden eines weisen Mannes
der Heiligkeit, ohne auf die Seitenpfade ist ein Hinweis auf das, was in seinem
der Sünde abzubiegen. Wer gerade- Herzen ist. Er zeigt seine Einsicht durch
wegs auf dieser Straße bleibt, bewahrt das, was er sagt, und seine Aussagen
sein Leben vor Schaden und Unglück. haben Überzeugungskraft. Er spricht
16,18 Ein hoher Baum zieht den Blitz mit Autorität.
an. So erniedrigt Gott diejenigen, die 16,24 Freundliche und gütige Worte
eingebildet sind. Aufgeblasene Men- haben die Eigenschaften von Honig:
schen machen häufig irgendeine demü- süß für den Geschmack und gesund für
tigende Erfahrung, die dazu dient, aus den Leib. »Freundliche, liebe Dinge zu
ihrem Ego die Luft abzulassen. Man sagen, wo es möglich ist, ist eine ein-
braucht nur eine winzige Nadel, um ei- fache Wohltat, die wir jemandem brin-
nen großen Ballon zu zerstechen. gen können, sowohl für sein Herz als
Der Stolz verursachte den Fall Luzi- auch davon ausgehend für seinen Leib«
fers – »Anmaßung, Stolz und Überheb- (Kidner).

823
Sprüche 16

Watchman Nee erzählt von einer kann selbst enge Freunde und Vertraute
Frau, deren Mann niemals irgendwel- entzweien.
chen Dank ausdrückte für das, was sie 16,29 Ein gewalttätiger Mensch sucht
tat. Sie machte sich ständig Sorgen dar- seinen Nächsten auf die schiefe Bahn
über, dass sie als Ehefrau und Mutter zu führen, indem er ihn zu überreden
versagt habe. Dies war vielleicht auch versucht, bei einem Verbrechen mitzu-
der Grund dafür, warum sie an Tuber- machen (vgl. Römer 1,32).
kulose erkrankte. Als sie im Sterben lag, 16,30 Auch das Mienenspiel kann mit
sagte ihr Mann zu ihr: »Ich weiß nicht, Bosheit in Verbindung stehen. Ein Au-
wie wir ohne dich weitermachen sollen. genzwinkern kann auf die stillschwei-
Du hast so viel getan und hast es immer gende Duldung einer Übeltat hinwei-
sehr gut gemacht.« »Warum hast du sen, zusammengekniffene Lippen drü-
das nicht früher gesagt«, antwortete sie, cken vielleicht die Entschlossenheit
»ich habe mir die ganze Zeit Vorwürfe aus, sie um jeden Preis durchzuführen.
gemacht, weil du nie auch nur ein ein- 16,31 Das graue Haar steht für ein
ziges Mal gesagt hast: ›Gut gemacht.‹«24 langes Leben. Es ist eine prächtige oder
16,25 Hier wird zur Verstärkung und zierende Krone, weil es hier als Be­
als Nachdruck Sprüche 14,12 wieder- lohnung für eine gerechte Lebensweise
holt. Es scheint logisch und vernünftig, gesehen wird. So ist dieser Vers das
dass der Weg zum Himmel darin be- genaue Gegenstück zu Psalm 55,24:
steht, gut zu sein und Gutes zu tun. In »… die Männer des Blutes und des Be-
Wirklichkeit aber sind die einzigen truges werden ihre Tage nicht zur Hälf-
Menschen, die je in den Himmel kom- te bringen«.
men werden, Sünder, die durch die 16,32 Ein Mann, der sein Tempera-
Gnade gerettet sind. ment unter Kontrolle hat, ist ein größe-
16,26 »Der Arbeiter arbeitet für sich rer Held als ein großer Eroberer. Ein
selbst; denn sein Hunger treibt ihn an« Sieg auf diesem Gebiet ist schwieriger
(Schlachter 2000). Er weiß, dass er seine als die Einnahme einer Stadt. Wenn wir
monatliche Überweisung nicht be- es nicht glauben, brauchen wir es nur
kommt, wenn er nicht arbeitet, und einmal zu versuchen!
ohne Geld kann er im Supermarkt
nichts zu essen kaufen. Wenn er also je Peter der Große hat auf diesem Gebiet
versucht ist, mit der Arbeit aufzuhören, versagt, obgleich er einer der größten Za-
so treibt ihn doch sein Hunger wieder ren Russlands war. In einem Wutanfall
weiter. schlug er seinen Gärtner derart, dass die-
Dies ist ebenso wahr auf geistlichem ser einige Tage später sterben musste.
Gebiet. Ein Bewusstsein unserer tiefen »Wie furchtbar«, sagte Peter traurig, »ich
geistlichen Not treibt uns zum Wort habe andere Völker besiegt, bin aber
und ins Gebet. nicht in der Lage gewesen, mich selbst zu
16,27 Die Verse 27 bis 30 stellen uns besiegen!«25
verschiedene Porträts der Bosheit vor.
Zuerst sehen wir den ruchlosen Mann 16,33 Im Alten Testament und sogar bis
als jemanden, der Unheil schmiedet Pfingsten war das Werfen von Losen
(»aufgräbt«) und dessen Reden wie eine von Gott erlaubte Möglichkeit, um
sengendes Feuer sind, brennend und seinen Willen zu erkennen. Das Ganze
verletzend. war scheinbar eine Sache des Zufalls,
16,28 Ein Mann der Falschheit ist je- aber der Herr leitete es jeweils so, dass
mand, der die Wahrheit verdreht. dadurch seine Führung erkennbar wur-
Durch Lügen, Färben der Wahrheit de.
oder Vorenthalten gewisser Tatsachen Heutzutage gibt uns das vollständige
verbreitet er Streit. Ein Ohrenbläser Wort Gottes einen allgemeinen Rah-

824
Sprüche 16 und 17

men für Gottes Willen. Wenn wir spe­ gern hört, ein Barometer dessen, was in
zielle Führung brauchen in Dingen, die seinem Herzen ist.
nicht ausdrücklich in seinem Wort er- 17,5 Wir haben bereits bei 14,31 ge­
wähnt werden, lernen wir seinen Wil- sehen, dass der, der die Armen verspot-
len kennen, indem wir ihn im Gebet tet, damit Gott beleidigt (vgl. Jak 5,1-4).
suchen. Dann erkennen wir, dass jede Wer so herzlos ist, Schadenfreude über
»Entscheidung vom Herrn kommt«. Unglücksfälle (die Menschen fast immer
17,1 Ein Stück Zwieback oder tro- in Armut stürzen) zu empfinden, wird
ckenes Toastbrot, in einer ruhigen At- vom Herrn bestraft werden. Das Buch
mosphäre gegessen, ist besser als ein Obadja enthält den Gerichtsspruch
opulentes Festmahl in einer eleganten Gottes über die Edomiter, weil sie sich
Villa, wenn es dabei nur Zank und Ver- freuten, als Jerusalem erobert wurde.
stimmung gibt. 17,6 Eine zahlreiche und gottesfürch-
17,2 Ein fähiger Knecht bringt es oft tige Nachkommenschaft bedeutet Ehre
weiter als ein Sohn, der Schande macht. für einen älteren Menschen (vgl. Ps
So gewann z.B. Salomos Diener Jero­ 127,3-5; 128,3). Kinder dürfen in glei-
beam die Herrschaft über zehn der cher Weise dankbar sein, wenn sie
Stämme Israels, während sich Salomos gottesfürchtige Eltern und Großeltern
Sohn Rehabeam mit zwei Stämmen be- haben. Hier gibt es keinen Grund für
gnügen musste. einen Generationskonflikt.
Oft erbt der Knecht ein gleiches Teil 17,7 Eine edle und wohlgesetzte
mit den Söhnen. Im Fall von Abram Rede­weise scheint im Mund eines töl-
schien es eine Weile so, als wäre sein pelhaften Toren fehl am Platz. Noch un-
Knecht der einzige Erbe (1Mo 15,2-3). passender sind lügnerische Lippen für
17,3 Gott kann das vollbringen, was einen Edelmann. Von einer Führungs-
keinem Schmelztiegel und keinem Ofen persönlichkeit muss man mehr erwar-
möglich ist. Sie können Edelmetalle ten. Die Welt erwartet von Kindern
prüfen, Gott aber prüft das menschliche Gottes mehr als von anderen Menschen.
Herz. Im Lauf des Prüfungsprozesses Da legen die Menschen höhere Maß­
entfernt er die Schlacken und reinigt stäbe an als an sich selbst.
das Leben, bis er in uns die Spiegelung 17,8 Bestechungsgeld ist wie ein Zau-
seines eigenen Bildes erblicken kann. berstein, so wenigstens denkt der, der
damit umgeht. Wo immer er es verwen-
Wenn dein Weg durchs Feuer der det, vollbringt es für ihn wahre Wun-
Prüfung führt, der, öffnet Türen, erwirkt ihm Vorteile
Wird meine Gnade, allgenugsam, dir zur und Privilegien und holt ihn aus
Verfügung stehen; Schwierigkeiten heraus.
Die Flamme soll dich nicht versengen; 17,9 Wer sich müht, ihm angetanes
meine Absicht ist nur, Unrecht zu vergessen, strebt nach Liebe
Deine Schlacken zu verzehren und dein und Freundschaft. Wer darauf besteht,
Gold zu läutern. alte Vergehen immer wieder aufzurüh-
George Keith ren, wird einen Freund damit nur ent-
fremden.
17,4 Übeltäter hören begierig auf Men- »Wenn wir lernen zu lieben, dann ler-
schen mit verderblichen Lippen. Sie nen wir auch, zuzudecken, zu ver­
freuen sich über Lügen, unbestätigte gessen und viele Fehler anderer zu
Gerüchte und falsche Beschuldigungen. übersehen« (Adams).
Lügner wiederum leihen ihr Ohr übler Eine Frau sagte zu einer anderen:
Nachrede, Verleumdung und jeder Art »Erinnern Sie sich nicht mehr an die
von Gemeinheit. Insofern ist die Art Gemeinheit, die die und die Frau neu-
von Gesprächen, auf die ein Mensch lich über Sie gesagt hat?«

825
Sprüche 17

Die andere darauf: »Ich erinnere mich schließlich unkontrollierbare Ausmaße


nicht nur nicht daran, ich erinnere mich anzunehmen. Deshalb ist es besser auf-
sogar deutlich daran, es vergessen zu zuhören, während ein Streit noch in
haben!« den Anfängen steckt. Andernfalls wer-
George Washington Carver wurde an den wir schnell in einen großen Krieg
einem College nicht zugelassen, weil er hineingezogen.
Farbiger war. Als ihn Jahre später je- 17,15 Gott hasst Ungerechtigkeit in
mand nach dem Namen des Colleges der Rechtsprechung. Den Schuldigen
fragte, antwortete er: »Das ist nicht freizusprechen oder den Unschuldigen
wichtig!« Die Liebe hatte gesiegt. schuldig zu sprechen, ist für ihn glei-
17,10 Eine einfache Zurechtweisung chermaßen ein Gräuel. Unsere Ge-
macht auf einen weisen Menschen ei- richtshöfe sind heute voll von solchen
nen tieferen Eindruck als die Prügel- Ungerechtigkeiten; aber für all diese
strafe auf einen Toren. Vernünftige Dinge müssen die Menschen einmal
Menschen bedürfen im Allgemeinen Rechenschaft ablegen, wenn sie vor
keiner harten Form der Zucht. Doch bei Gott stehen. Der Ruf: »Der Gerechtig-
jemandem, der ziemlich empfindungs- keit, der Gerechtigkeit sollst du nach­
los und gleichgültig ist, ist manchmal jagen!«, hallt durch die Korridore der
doch die Holzhammermethode nötig. Weltgeschichte.
So jemand kann sich kaum vorstellen, 17,16 Jemand ist töricht, für seine
dass er je einmal nicht richtig liegen Ausbildung viel Geld auszugeben,
könnte. wenn er es nicht wirklich ernst meint.
17,11 »Nur Aufruhr sucht der Böse.« Um gut lernen zu können, muss man
Er ist nicht willens, sich der gesetzmä- stark motiviert sein. Man muss die »Be-
ßigen Obrigkeit zu unterwerfen. Er ist reitschaft zum Lernen haben« (Mof-
fest entschlossen, seine eigenen Vor- fatt).
stellungen durchzusetzen. Der gegen Eine zweite und vielleicht zutref-
ihn gesandte »grausame Bote« kann ein fendere Bedeutung dieses Spruchs ist
vom König zu seiner Verhaftung ge- folgende: Ein Tor sollte kein Geld für
schickter Soldat sein oder vielleicht Weisheit ausgeben, wenn er von vorn-
auch der von Gott gesandte Todesbote. herein nicht die Fähigkeit hat, Dinge
17,12 Eine Bärin, die ihrer Jungen überhaupt zu begreifen. »Was soll auch
beraubt ist, ist wild und völlig un­ in der Hand des Toren das Geld, um
berechenbar. Aber sie ist nicht an­ Weisheit zu kaufen, wo er doch keinen
nähernd so gefährlich wie ein Narr in Verstand hat?« (Zürcher). Er denkt,
einem Anfall von Narrheit. Wenn die- dass man Weisheit kaufen könne, als
ser einmal eine verrückte Idee im Kopf wäre sie ein Stück Brot. Er erkennt
hat, kann ihn nichts mehr bremsen. nicht, dass man dazu ein verständiges
17,13 Ein Fluch ruht auf dem Haus je- Herz braucht.
des Menschen, der Freundlichkeit mit 17,17 Ein wahrer Freund liebt sowohl
Bosheit vergilt. David zahlte seinem in guten als auch in schlechten Zeiten.
treuen Offizier Uria nur Verrat zurück, Oft sind solche schwierigen Situationen
und als Folge dessen brachte er unend- nötig, damit sich zeigen kann, welche
liches Leid über sein Haus (2Sam 12,9- Freunde auch wirklich treu sind. Eine
10). malerische Anmerkung in D.L. Moodys
17,14 Wenn in einem Damm ein Loch Bibel lautet: »Ein wahrer Freund ist wie
entsteht, so wird es durch das durch- Efeu – je stärker der Zerfall, desto fester
strömende Wasser rasch vergrößert. hält er sich am Gemäuer.«26
Ebenso ist es mit Streitigkeiten. Kleinere Ein Bruder wird für die Not geboren,
Meinungsverschiedenheiten haben es d.h. eines der großen Vorrechte der
so in sich, sehr schnell größere und Bruderschaft ist, dass er an unserer Sei-

826
Sprüche 17

te steht, wenn wir ihn am meisten brau- merkt die amerikanische Berkeley-
chen. Übersetzung lapidar: »Hochmoderne
Es ist nicht schwer, in diesem Vers Therapie, bis heute unübertroffen«.
den Herrn Jesus zu sehen: Die heutigen Ärzte sagen uns, dass
ein herzhaftes Lachen eine hervor­
Es gibt keine Stunde, wo er uns nicht ragende Leibesübung ist. Wenn wir ei-
nahe ist, nen kräftigen Lacher ausstoßen, so er-
Nein, nicht eine! Nein, nicht eine! klären sie, dann senkt sich das Zwerch-
Keine Nacht so dunkel, dass seine Liebe fell tief in die Leibeshöhle hinab, und
uns nicht trösten kann, die Lungen erweitern sich, wodurch
Nein, nicht eine! Nein nicht eine! sich die zugeführte Sauerstoffmenge
Johnson Oatman deutlich vergrößert. Während sich das
Zwerchfell gleichzeitig seitwärts dehnt,
17,18 Dieser Vers ergänzt den vorherge- gibt es dem Herzen eine sanfte, rhyth-
henden, indem er zeigt, dass Liebe mische Massage. Dieses edle Organ re-
nicht ohne gesundes Urteilsvermögen agiert darauf, indem es fester und
sein sollte. Es wäre eine schwere Fehl- schneller schlägt. Der Kreislauf wird
entscheidung, sich zu einer Garantie schneller. Leber, Magen, Bauchspei-
für die Schulden eines Freundes im Fall cheldrüse, Milz und Gallenblase wer-
seiner Zahlungsunfähigkeit überreden den stimuliert ‒ unser ganzes Organ­
zu lassen. Jemand, der einen Bürgen system bekommt einen kräftigenden
braucht, ist ein großes Risiko. Und war- und belebenden Impuls. Wobei all das
um sollten wir uns für ein hohes Kre- nur bestätigt, was Aristoteles, jener wei-
ditrisiko verbürgen? se alte Grieche, vor mehr als 2000 Jah-
17,19 Der Mensch, der die Über­ ren über das Lachen gesagt hat: »Es ist
tretung liebt, liebt auch Streit, und um- eine leibliche Übung, die sehr wertvoll
gekehrt. Der Mensch, der seine Tür für die Gesundheit ist« (Paul Brock).27
hoch macht, ist jemand, der (1) prahle- Aber nicht jedes Lachen ist gesund.
risch redet (Moffatt), (2) laut mit seinem Howard Pollis, Professor für Psycho­
Reichtum protzt oder (3) vielleicht je- logie an der Universität von Tennessee,
mand, der in Luxus und über seine Mit- berichtet, dass ein in aggressiver Ab-
tel lebt. So jemand spielt förmlich mit sicht gebrauchtes Lachen und Lächeln
dem Verderben. ‒ um jemanden zu verhöhnen, zu ver-
17,20 Ein verschlagenes Herz wird spotten, lächerlich zu machen oder in
niemals glücklich, und einer betrüge- Verlegenheit zu bringen – »ungesund«
rischen Zunge wird es nie wohl­ergehen. ist und dem Lachenden im Endeffekt
Beide fördern das Unglück und verhin- mehr Schaden zufügen kann als dem
dern echtes Glück und Zufriedenheit. Verlachten.
17,21 Der Vater eines unverständigen »Ein niedergeschlagener Geist dörrt
Dummkopfes erlebt ständigen Kum- das Gebein aus.« Der Autor Blake Clark
mer. Es ist keine Freude, der Vater eines bestätigt dies:
Taugenichtses zu sein. Gefühle können uns krank machen.
17,22 Hier sehen wir wieder, dass die Sie können starken Haarausfall und po-
innere Haltung eines Menschen sehr chende Kopfschmerzen verursachen,
viel mit der Genesung von einer Krank- können unsere Atemwege verstopfen
heit oder einem Unfall zu tun hat. Eine oder Augen und Nase vor Allergien
fröhliche Grundhaltung ist eine starke tropfen lassen, sie können unseren Hals
zusätzliche Hilfe zur Heilung. Ein ge- mit Kehlkopfentzündung zuschnüren,
brochenes, niedergeschlagenes Gemüt Hautausschlag oder sogar Zahnausfall
nagt an der Lebenskraft eines Menschen. verursachen. Gefühle können unser In-
In einer Fußnote zu diesem Vers be- neres mit Geschwüren und Entzün-

827
Sprüche 17 und 18

dungen plagen, bei Frauen Fehl­ seinen eigenen Kopf durchsetzen muss,
geburten verursachen, bei Männern zu auch wenn er damit im Widerspruch zu
Impotenz führen ‒ und noch viel mehr. erprobtem Wissen und anerkannten
Gefühle können töten.28 Methoden steht. Durch sein übertrie-
17,23 Ein Gottloser holt sein Be­ benes Selbstbewusstsein schlägt er je-
stechungsgeld aus der Tasche, um die dem gesunden Menschenverstand ins
Entscheidung des Richters zu seinen Gesicht.
Gunsten zu beeinflussen. Andere deutsche Übersetzungen
17,24 Ein verständiger Mensch setzt deuten den Vers so: Der Mensch, der
sich den Erwerb von Weisheit als Ziel sich isoliert, sucht nach Vorwänden,
vor Augen und geht es direkt an. Ein um seine verantwortungslose Lebens-
Tor hat kein klar umrissenes Ziel. Statt weise zu rechtfertigen. Die englische
nach Weisheit zu suchen, was Selbst- Übersetzung von Knox ist in gewisser
zucht erfordert, wandert er in seiner Hinsicht ähnlich und bedarf keiner Er-
Phantasie plan- und ziellos in der klärung: »Niemand findet so schnell
ganzen Welt umher. Vorwände wie der, der mit einem
17,25 Eine der großen Nöte von El- Freund brechen möchte; er ist ständig
tern ist es, ein Kind zu haben, das nichts im Unrecht.«
als Verdruss und Bitterkeit verursacht. Jüdische Kommentatoren verstehen
17,26 »Es ist schon nicht gut, dass diesen Spruch so, dass er ein Leben der
man Unschuldige Strafe zahlen lässt; Absonderung von Sünde und Torheit
aber den Edlen zu schlagen, geht über empfiehlt. Wenn jemand dies prakti-
alles Maß« (Luther 1984). Und doch fin- ziert, so strebt er nach seinen eigenen
det diese Verkehrung der Gerechtigkeit höheren Interessen und hat dadurch
tagtäglich statt. Gemeinschaft mit aller wahren Weis-
17,27 »Wer seine Worte zügelt, besitzt heit. Aber diese Auslegung ist unwahr-
Erkenntnis; und wer kühlen Geist be- scheinlich, obgleich sie in sich selbst
wahrt, ist ein verständiger Mann.« natürlich richtig ist.
Schnelles Reden und ein heftiges Tem- 18,2 Ein Tor weigert sich, auf verstän-
perament verraten einen oberfläch- dige Menschen zu hören; er ist lediglich
lichen Charakter. daran interessiert, seine eigene Mei-
17,28 Man kann einen Toren nicht an nung auszudrücken (Gute Nachricht)
seinem Gesichtsausdruck erkennen; er oder sein Innerstes nach außen zu keh-
kann durchaus klug und weise aus­ ren (revidierte Elberfelder).
sehen. »Mit geschlossenen Lippen wird 18,3 »Wo der Gottlose hinkommt, da
er vielleicht für vernünftig gehalten« stellt sich auch Verachtung ein, und mit
(Moffatt). der Schande die Schmach« (Schlachter
»Manchmal ist es besser, wenn Sie Ih- 2000). Damit wird ausgedrückt, dass
ren Mund geschlossen halten und die äußere Schmach und Schande innerer
Menschen im Unklaren darüber lassen, Bosheit und Gemeinheit auf dem Fuß
ob Sie ein Narr sind, anstatt dass Sie ihn folgen.
öffnen und jeden Zweifel beseitigen« 18,4 Allgemein gesprochen verraten
(James G. Sinclair). die Worte eines Menschen nicht sein In-
18,1 Die Schwierigkeit bei der Ausle- nerstes. Sie sind wie tiefe Wasser, die
gung dieses Spruchs wird aus den sehr die wahren Gedanken und Beweggrün-
unterschiedlichen Übersetzungen deut- de verbergen.
lich. Im Gegensatz dazu ist die Quelle der
»Wer sich absondert, trachtet nach Weisheit wie ein sprudelnder Bach. Mit
einem Gelüste, gegen alle Einsicht geht anderen Worten: Die Botschaft der
er heftig an« (unrevidierte Elberfelder). Weisheit ist klar und durchsichtig.
Dies ist der Eigenbrötler, der unbedingt Moffatt versteht diese Verse so, dass

828
Sprüche 18

die Worte eines weisen Menschen wie 18,10 Der Name des Herrn steht für den
ein tiefer See sind, ein strömender Bach, Herrn selbst. Der Herr ist ein Ort der
eine Quelle des Lebens. Sie sind Zuflucht und des Schutzes für diejeni-
tief ‒ nicht seicht, fließend ‒ nicht bra- gen, die ihm vertrauen. Deshalb rufen
ckig, erfrischend ‒ nicht abgestanden. Sie im Augenblick starker Versuchung
18,5 Gott missbilligt hier die Verkeh- den Namen des Herrn an, und er wird
rung moralischer Urteile. Für den Bö- Sie vor dem Sündigen bewahren.
sen Partei zu ergreifen, bedeutet prak- 18,11 Der reiche Mann vertraut auf
tisch, seine Bosheit zu unterstützen. seinen Reichtum, der ihn beschützen
Den Gerechten seines Rechts zu berau- soll. In seiner Einbildung stellt er ihn
ben heißt, wie sich Lowell ausdrückt, sich als eine hohe Mauer vor, die ihn
die Wahrheit auf das Schafott zu führen vor jeder Art vor Gefahr beschützt.
und die Lüge auf den Thron zu setzen. Aber sein Reichtum lässt ihn gerade
18,6 Ein großsprecherischer Narr ver- dann im Stich, wenn er ihn am meisten
sucht ständig, Streit anzufangen oder braucht.
Schwierigkeiten zu provozieren. Ein Vers 10 ist eine Tatsache, Vers 11 blo-
Trunkenbold ist dafür besonders be- ße Einbildung. Der Gerechte von Vers
gabt, aber alles, was er erreicht, sind 10 vertraut auf Tatsachen, der Reiche
blaue Augen, Quetschungen und Ver- von Vers 11 auf Einbildung.
letzungen am eigenen Leib. 18,12 Der Hochmütige hat einen Fuß
18,7 Die Rede eines Toren ist sein Ver- im Grab und den anderen auf einer Ba-
derben. Seine freche und gemeine Spra- nanenschale. Der Demütige dagegen
che bewirkt seinen letztendlichen Ruin. geht sicher auf dem Weg zur Ehre. »Wir
18,8 Die Worte des Ohrenbläsers oder sollten den Hochmut nicht lediglich als
Verleumders sind wie Leckerbissen; sie unpassenden Charakterzug betrachten
werden von den Zuhörern gierig ver- oder die Demut als ganz nette Tugend.
schlungen. Es ist fast so, als ob sie sagen Das eine ist durch und durch Hölle und
würden: »Hmm, das schmeckt gut. Er- das andere durch und durch Himmel«
zähl mir mehr davon!« (William Law).
18,9 Ein fauler oder lässiger Mensch 18,13 Wir sollten zuerst über alle Fak-
hat mit einem zerstörerischen Gewalt- ten Bescheid wissen, ehe wir vorschnell
täter viel gemeinsam; beide verur­ unsere Meinung weitergeben. Sonst
sachen große Verwüstung und Ruin. werden wir schnell in Peinlichkeit und
Ein »Verderber« (revidierte Elberfelder) Verlegenheit kommen, wenn einmal
ist jemand, der bewusst zerstört, nicht alle Einzelheiten bekannt sind. Jede
jemand, dem etwas nur aus Versehen in Frage hat zwei Seiten ‒ jeder Streit, jede
die Brüche geht. Griffiths warnt uns: Scheidung usw. Stimmen Sie nie je-
mandem zu, ehe Sie nicht die Meinung
Wir wissen heute, dass Nachlässigkeit der anderen Seite gehört haben!
bei der Herstellung von Autos, Flugzeu- 18,14 Unser Geist kann alle Arten kör-
gen, Gebäuden und Ähnlichem oft tra- perlicher Krankheiten ertragen, aber
gische Unfälle verursacht. Dies gilt auch ein niedergeschlagener (o. gebro-
für manche Dienste und Führungsauf­ chener) Geist ist wesentlich schwieriger
gaben in der Gemeinde, wo Vernachläs- zu ertragen. Gefühlsmäßige Schwierig-
sigung der Verantwortung bis zum Zu- keiten sind oft weit schlimmer als kör-
sammenbruch einer Gemeinschaft füh- perliche Leiden.
ren kann. Eine Gemeinde kann durch tö- Doktor Paul Adolph erzählt von einer
richte Nachlässigkeit und Bequemlich- älteren Patientin, die sich in einem
keit ebenso zum Auseinanderbrechen ge- Krankenhaus zufriedenstellend von
bracht werden wie durch einen direkten einem gebrochenen Hüftgelenk erholte.
Angriff Satans.29 Als schließlich die Zeit für sie gekom-

829
Sprüche 18

men war, nach Hause zu gehen, sagte zwischen starken Parteien, die sonst
ihr ihre Tochter, dass alles für sie vor­ vielleicht Zuflucht zur Gewalt genom-
bereitet wäre, ihren restlichen Lebens­ men hätten.
abend in einem Altersheim zu verbrin- Auch wir sollten dem Herrn das letzt-
gen. Innerhalb weniger Stunden zeigte endliche Urteil überlassen, wenn
sich bei der Patientin eine deutliche Schwierigkeiten mit anderen entstehen.
Verschlechterung ihres allgemeinen Dies erreichen wir nicht durch das Wer-
Zustands, und sie starb innerhalb eines fen von Losen, sondern durch das Le-
Tages – »nicht an einer gebrochenen sen und Befolgen der Bibel, durch das
Hüfte, sondern an einem gebrochenen Bekennen unserer Fehler und Sünden,
Herzen«.30 durch das Gebet und durch das innere
Ein Mann, der die Schrecken des Kon- Zeugnis des Geistes.
zentrationslagers mit Tapferkeit erdul- 18,19 Streitigkeiten zwischen nahen
det hatte, entdeckte nach seiner Befrei- Verwandten sind oft am allerschwie-
ung, dass sein eigener Sohn ihn denun- rigsten beizulegen. Es ist leichter, eine
ziert hatte. »Diese Entdeckung warf ihn befestigte Stadt zu erobern, als zwei
zu Boden, und er starb. Er konnte den verfeindete Brüder miteinander zu ver-
Angriff eines Feindes ertragen, aber der söhnen. Ihr Streit gleicht den Riegeln
Angriff dessen, den er liebte, brachte einer Burg ‒ kalt, starr und unbeweg-
ihn um.« lich. Bürgerkriege sind immer die erbit-
18,15 Ein Weiser kommt nie an einen tertsten Kriege.
Punkt, wo er zu lernen aufhört. Sein 18,20 Wir sagen manchmal, dass je-
Geist ist immer offen für Unterweisung mand seine eigenen Worte schlucken
und sein Ohr empfänglich für Erkennt- muss. Waren es gute Worte, so bringen
nis. sie ihm Befriedigung. Er empfängt Lohn
18,16 Das Bestechungsgeld oder die entsprechend dem Charakter seines Re-
Gefälligkeiten eines Menschen erkau- dens.
fen ihm seinen Weg in die Umgebung 18,21 Die Zunge besitzt ein großes Po-
derer, die er zu beeinflussen wünscht. tenzial sowohl zum Guten als auch zum
Es ist ebenso wahr, wie der Spruch Bösen. Wer sie gern schnell verwendet,
manchmal ausgelegt wird, dass die muss mit den entsprechenden Konse-
geistliche Gabe eines Mannes ihm Mög- quenzen rechnen.
lichkeiten für ihre Ausübung verschafft. 18,22 Das Wort »gute« vor »Ehefrau«
Wenn er das Wort predigen oder lehren wird hier vorausgesetzt. Ein Mann, der
kann, so werden sich ihm viele Türen eine gute Ehefrau findet, findet einen
auftun. Aber das ist nicht die Bedeu- Schatz. Es ist ein Zeichen der Gunst des
tung dieses Verses. Herrn, wenn ihm eine gottesfürchtige
18,17 Wenn jemand seine Seite einer Braut geschenkt wird, die ihm eine
Geschichte erzählt, so scheint dies sehr echte Hilfe ist.
überzeugend, und wir neigen schnell 18,23 Arme Menschen sprechen oft
dazu, ihm zu glauben. Aber wenn sein sanft, demütig und flehend. Reiche da-
Gegner kommt und ihm ein paar ent- gegen können grob und rücksichtslos
scheidende Fragen stellt, wird oft deut- sein. Aber nicht alle Reichen haben die
lich, dass er letztlich doch nicht recht gleichen schlechten Manieren!
hatte. 18,24 Hier haben wir wieder einen
18,18 Wenn Gläubige im Alten Testa- Vers mit vielen Auslegungsmöglich-
ment Lose warfen, so riefen sie damit keiten.
eigentlich den Herrn an, damit er Dinge Wenn wir der Luther 1912 folgen, so
entscheiden sollte, die ihnen zu schwie- ist der Gedanke der, dass ein Freund,
rig schienen. Das Los brachte eine ge- wenn er wirklich treu ist, näher bei uns
rechte und friedliche Entscheidung steht als ein Bruder. Unrevidierte Elber-

830
Sprüche 18 und 19

felder, Schlachter, Luther 1984, Zürcher den Herrn dafür verantwortlich. So ver-
und Menge sagen, dass ein Mann mit suchte Adam, Gott die Schuld zuzu-
vielen Freunden schließlich an ihnen schieben mit den Worten: »Die Frau,
zugrunde gehen wird, aber dass es ei- die du mir zur Seite gegeben hast  …«
nen Freund gibt, der anhänglicher ist (1Mo 3,12).
als ein Bruder. Das heißt, dass es besser Abfall von Gott hat oft mehr, als wir
ist, einen wahren Freund zu haben, als meinen, seinen Ursprung im mora-
eine Menge von »Freunden«, die uns in lischen Versagen. Jemand verwickelt
die Irre führen. sich z.B. in irgendeine Form widergött-
Die Gute Nachricht übersetzt: »So­ lichen Handelns; statt aber seine Sünde
genannte gute Freunde können dich ru- zu bekennen und zu lassen, wendet er
inieren; aber ein echter Freund hält sich vom christlichen Glauben ab und
fester zu dir als ein Bruder.« Dies zeigt zürnt gegen den Herrn. W.F. Adeney
deutlich den Gegensatz zwischen kommentiert dazu: »Es ist einfach ab-
Schönwetterfreunden und solchen, die surd, die Vorsehung Gottes für die Fol-
uns durch dick und dünn die Treue hal- gen von Handlungen verantwortlich zu
ten. machen, die er verboten hat.«
Glücklicherweise stimmen alle Über- 19,4 Die Tatsache, dass Reichtum viele
setzungen im zweiten Teil des Verses »Freunde« verschafft, ist ein Beweis der
überein ‒ dass es einen Freund gibt, der angeborenen Selbstsucht des mensch-
anhänglicher ist als ein Bruder. G. lichen Herzens. Der Arme wird von sei-
Campbell Morgan schreibt: nem Nächsten verlassen, weil dieser
nur solche Freundschaften will, die ihm
Jede Überlegung zu diesem bedeutsamen Vorteile bringen.
Vers führt uns schließlich zu einem 19,5 Wer falsches Zeugnis gibt oder in
Punkt, zu einer Person. Er ist der Freund anderer Weise unwahrhaftig handelt,
der Sünder. Hier hört jeder Kommentar wird gewiss vom Herrn bestraft wer-
auf. Möge unser Herz staunen und an­ den, selbst wenn er nicht schon in die-
beten.31 sem Leben ertappt wird.
19,6 Der Edle oder Vornehme ist hier
19,1 Hier wird der Gegensatz zwischen ein freigebiger und mächtiger Mann.
einem armen, aber ehrlichen Menschen Viele versuchen seine Freundschaft zu
und einem verschlagenen (und mögli- gewinnen in der Hoffnung auf eigene
cherweise reichen) Toren, der die Wahr- Vorteile. Die Menschen machen sich die
heit verdreht, geschildert. Der arme zu Freunden, von denen sie sich Nut-
Mann ist weit besser dran als der Tor. zen für sich selbst erhoffen.
19,2 »Mangel an Erkenntnis ist nicht 19,7 Die Verwandten eines armen
gut für die Seele« (Schlachter 2000). Menschen lassen ihn oft im Stich, und
Dieser Mensch weiß, was er tun will, noch viel mehr zeigen ihm seine
aber er weiß nicht, wie er es machen Freunde die kalte Schulter. Er fleht sie
soll, und so geht er unüberlegt an die inständig um Hilfe und Mitleid an, aber
Sache heran. sie sind plötzlich verschwunden.
Hast und Eile machen sein Problem 19,8 Es ist eine Form von vernünf-
nur noch größer. Er hat es zu eilig, als tigem Eigeninteresse, Klugheit und
dass er um Rat und Wegweisung fragen Einsicht zu suchen, und sich von Weis-
könnte oder ihnen folgen könnte, wenn heit und Verstand leiten zu lassen, ist
sie ihm gegeben werden; deshalb ver- der sichere Weg zum Erfolg.
fehlt er seinen Weg und dreht sich stän- 19,9 Wir sollten uns nicht wundern,
dig im Kreis. dass dies so häufig wiederholt wird.
19,3 Wenn die Menschen ihr Leben Schließlich behandelt eines der zehn
ruiniert haben, machen sie plötzlich Gebote den Meineid (2Mo 20,16).

831
Sprüche 19

19,10 Wohlleben steht einem Toren lich ‒ das Beste für ihn ist. Wer hem-
nicht an. Er versteht es nicht, sich in mungslos und rücksichtslos lebt, wird
einer kultivierten Umgebung zu be­ zugrunde gehen.
wegen. Ebenso wenig weiß ein Sklave 19,17 Den Armen zu geben heißt, dem
sich in einer Autoritätsstellung richtig Herrn zu leihen. Gott wird nicht nur
zu verhalten. Er würde seine früheren den geliehenen Betrag zurückerstatten,
Vorgesetzten arrogant und gering- sondern wird darüber hinaus noch ei-
schätzig behandeln. nen hohen Zins bezahlen. Sogar ein Be-
19,11 Ein einsichtiger Mann weiß sein cher frischen Wassers, in seinem Namen
Temperament zu beherrschen. Er kann dargereicht, wird belohnt werden (Mt
es großzügig übersehen oder über­ 10,42). Henry Bosch gibt dafür ein Bei-
hören, wenn ihm jemand Unrecht tut. spiel:
Die Großherzigkeit, die David häufig
gegenüber Saul zeigte, veranschaulicht Ein Vater gab seinem Jungen einmal ei-
diesen Spruch sehr gut. nen halben Dollar und sagte ihm, er kön-
19,12 Der Zorn des Königs warnt ne damit tun, was er wolle. Als er ihn
gleich dem Knurren des Löwen Misse- später deswegen fragte, sagte der kleine
täter vor drohender Gefahr. Seine Gunst Junge, dass er ihn jemandem geliehen
gehorsamen Untertanen gegenüber ist hätte. »Hast du wenigstens eine gute
sanft und erfrischend wie Tau. Sicherheit dafür bekommen?«, fragte
Römer 13,1-7 zeigt diese beiden sein Vater. »Ja, ich gab ihn einem armen
Aspek­te der Regierungsautorität und Bettler, der hungrig aussah!« - »Oh, wie
ermahnt: »Darum ist es notwendig, un- dumm du bist. Du wirst ihn nie wieder
tertan zu sein, nicht allein der Strafe zurückbekommen!« – »Aber Papa, ich
wegen, sondern auch des Gewissens habe die beste Sicherheit. Die Bibel sagt,
wegen« (V. 5). wer dem Armen gibt, leiht dem Herrn!«
19,13 Zwei Dinge, die das Familien­ Als er darüber nachdachte, war sein Va-
leben zur Qual machen, sind ein tö- ter, ein Christ, so erfreut, dass er seinem
richter Sohn und eine zänkische Frau. Sohn einen weiteren halben Dollar gab!
Ersterer bringt seinem Vater Verderben, »Siehst du!«, sagte der Junge, »ich habe
und Letztere ist so nervenaufreibend dir ja gesagt, dass ich ihn wiederbekom-
wie das beständige Tropfen von Wasser men würde – nur dachte ich nicht, dass
auf Blech. es so schnell geschehen würde!«32
19,14 Man kann Grundstück oder
Geld von den Eltern ererben, aber allein Wir verlieren, was wir für uns selbst
der Herr kann eine einsichtsvolle Ehe- ausgeben,
frau schenken. Sie ist eine besondere Wir haben als unendliche Schätze,
Gabe Gottes. Was immer wir dir leihen, Herr,
Dies erinnert uns an Isaaks und Re- Der du alles gibst.
bekkas Bilderbuchheirat, von der ge- Christopher Wordsworth
sagt wird: »Vom Herrn ist die Sache
ausgegangen« (1Mo 24,50). Es war eine 19,18 »Züchtige deinen Sohn«, solange
Ehe, die im Himmel arrangiert wurde. er noch jung und belehrbar ist. Wenn
19,15 Faulheit ist wie eine Droge, die körperliche Züchtigung gerecht und in
einen Menschen in tiefen Schlaf ver- einer Atmosphäre echter Liebe ausge-
senkt. Lässige Menschen spielen mit übt wird, wird sie ihm nicht schaden,
Armut und Hunger. Dies gilt auch in sondern ihm im Gegenteil von großem
Bezug auf Bibelstudium und Gebet. Nutzen sein.
19,16 Wer den Geboten des Herrn ge- Der zweite Halbvers »… und lass dir
horcht, tut das, was auf lange Sicht ge- nicht in den Sinn kommen, ihn dem Tod
sehen ‒ sowohl physisch als auch geist- preiszugeben!« (Schlachter 2000) bedeu-

832
Sprüche 19

tet, dass wir nicht zulassen sollten, dass 19,25 Selbst wenn man einen Spötter
sein Leben verdorben wird, indem wir schlägt, ändert er sich nicht, aber viel-
uns weigern, ihn zu züchtigen. Nachläs- leicht lernen wenigstens einige uner-
sigkeit auf diesem Gebiet ist Grausam- fahrene Zuschauer eine Lektion. Dies
keit. Natürlich könnte der Vers auch erinnert uns an 1. Timotheus 5,20: »Die
bedeuten: »Lass dich nicht dazu hin­ da sündigen, weise vor allen zurecht,
reißen, ihn übermäßig zu züchtigen« damit auch die Übrigen Furcht haben.«
(unrevidierte Elberfelder, revidierte Ein Verständiger braucht nicht ge-
Elber­felder, Luther 1984). schlagen zu werden. Ein Wort der Er-
19,19 Ein heißblütiger und jähzor- mahnung veranlasst ihn zur Korrektur
niger Mensch hat unter diesem Charak- seines Irrtums und trägt dazu bei, dass
terzug viel zu leiden. Selbst wenn wir er durch das Ganze noch weiser wird.
ihn vor den Folgen seines Zornaus- 19,26 Ein Sohn, der seinen Vater
bruchs retten können, wird er schon schlecht behandelt und seine Mutter
bald wieder in Schwierigkeiten sein, aus dem Haus vertreibt, ist in sich selbst
und wir müssen ihm erneut zu Hilfe schandbar und verflucht und bringt
kommen. Schande und Schmach über die gebro-
19,20 Wenn wir früh im Leben auf gu- chenen Herzen seiner Eltern. Das ist ein
ten Rat hören und Unterweisung an- schlechter Dank für all das, was seine
nehmen, werden wir in unserem spä- Eltern für ihn getan haben.
teren Leben weise und einsichtig sein. 19,27 Dieser Spruch gleicht einem
Jemand drückte es einmal so aus: »Weis- Diamanten. Wie wir ihn auch drehen
heit ist eine langfristige Investition.« und wenden, jedes Mal strahlt er in
19,21 Die Menschen machen alle Ar- neuem Licht auf. Die drei wahrschein-
ten von Plänen, aber die Ratschlüsse lichsten Auslegungen sind folgende:
Gottes sind es, die letztendlich verwirk- Die unrevidierte Elberfelder sagt:
licht werden. »Der Mensch hat seine »Lass ab, mein Sohn, auf Unterweisung
Bosheit, aber Gott hat seinen Weg.« zu hören, die abirren macht von den
Letztendlich vermag kein Mensch et- Worten der Erkenntnis.« Das ist ein
was wider die Wahrheit (2Kor 13,8). ausgezeichneter Rat für junge Men-
19,22 Schlachters Übersetzung dieses schen an Schulen und Universitäten,
Verses ist sehr kostbar: »Die Zierde wo die Bibel angegriffen wird! Es ist
eines Menschen ist seine Güte, und ein besser, auf eine akademische Laufbahn
Armer ist besser als ein Mann, der be- zu verzichten, als sich dem allseitigen
trügt.« Was uns an einem anderen an- intellektuellen Kreuzfeuer der Zweifel
zieht, ist seine Güte. Das ist es, was ihn und der Gottesleugnung auszusetzen.
als Freund begehrenswert macht. Ein Die Schlachter 2000 (und mit ihr revi-
Armer, der nichts weiter als Mitleid dierte Elberfelder, Zürcher und Menge)
und Verständnis anzubieten hat, ist übersetzt: »Lass ab davon, auf Unter-
besser als ein Reicher, der Hilfe ver- weisung zu hören, mein Sohn, wenn du
spricht, sie aber nicht leistet. von den Worten der Erkenntnis doch
19,23 Die Furcht des Herrn ist der Weg abweichen willst!« Es ist sinnlos, sich
zum Leben. Wer sie besitzt, hat allen ausgezeichnete Unterweisung anzuhö-
Grund, zufrieden zu sein. Er wird nicht ren, wenn wir ihr zu folgen doch nicht
vom Unglück heimgesucht werden. bereit sind. Wir vergeuden unsere ei­
19,24 »Hat der Faule seine Hand in gene Zeit und die des Lehrers, und wir
die Schüssel gesteckt, nicht einmal zu vergrößern noch die Last unserer
seinem Mund bringt er sie zurück.« Er Schuld. »Es ist besser, nicht zu wissen,
greift in die Schale mit Kartoffelchips, als zu wissen und nicht zu tun.«
ist aber zu faul, sie bis zu seinem Mund Die dritte Übersetzungsmöglichkeit
zu heben. Sie sind ihm zu schwer. (Luther 1984, Gute Nachricht) ist eine

833
Sprüche 19 und 20

Warnung: »Lässt du ab, mein Sohn, auf ruht nicht eher, bis er sich mit jeman-
Ermahnung zu hören, so irrst du ab von dem in den Haaren liegt.
vernünftiger Lehre.« 20,4 Die Zeit zum Pflügen ist in Israel
19,28 Einem nichtswürdigen Zeugen im Allgemeinen im November und De-
ist das Recht völlig gleichgültig (außer, zember, wenn der Wind vorherrschend
wenn er selbst vor Gericht steht). Gierig aus nördlicher Richtung weht. Der
verschlingt er Unheil, oder er verbreitet Faulpelz gebraucht das kalte Wetter als
es. Er gleicht Elifas’ Beschreibung eines Vorwand für seine Untätigkeit. Aber
Mannes, »der Unrecht trinkt wie Was- ohne Pflügen gibt es kein Pflanzen, und
ser« (Hiob 15,16). ohne Pflanzen keine Ernte. Zur Ernte-
19,29 Während Spötter und Narren zeit sucht er Getreide auf seinen Fel­dern
sich auf der Bühne der menschlichen und wundert sich auch noch, warum er
Geschichte vor den Logen produzieren, nichts findet.
warten Schläge und Strafgerichte auf 20,5 Die Gedanken und Absichten
sie hinter den Kulissen. Sobald der Vor- eines Menschen sind oft tief in seinem
hang fällt, beginnt das unausweichliche Herzen verborgen. Im Allgemeinen lässt
Gericht. er sie nicht so schnell nach außen drin-
20,1 Der Wein ist letztendlich ein Ver- gen. Aber jemand mit Verständnis und
spotter der Menschen, aber hier sticht Einsicht kann sie durch die richtigen
der Gedanke hervor, dass er sie zu Spöt- Fragen hervorholen. So kann z.B. ein
tern und Lästerern macht. Starkes Ge- weiser Seelsorger jemandem helfen, ver-
tränk verwandelt sie in Lärmer und kehrte Denkweisen ans Licht zu bringen
Prahler. und dadurch Abhilfe zu schaffen.
Wein wird aus Trauben, Rauschtrank 20,6 Es ist nicht schwierig, jemanden
aus Getreide gewonnen. Beide führen zu finden, der sich als zuverlässig oder
Menschen ins Verderben. Zuerst wird treu ausgibt, aber etwas ganz anderes
jemand ein Gesellschaftstrinker, dann ist es, einen Menschen zu finden, der
ein schwerer Trinker, schließlich ein Al- tatsächlich verlässlich ist. Es besteht ein
koholiker. Er versucht, die Sucht loszu- Unterschied zwischen dem, was Men-
werden, doch wird er von ihr wie mit schen sind, und dem, was sie andere
Ketten gefesselt. Christus gibt die Kraft, gern glauben machen möchten.
diese Ketten zu zerreißen, aber zuerst 20,7 Ein gottesfürchtiger Mensch
muss der Mensch diese Befreiung auch wandelt in Lauterkeit und Heiligkeit.
wirklich wollen. Seine Kinder haben dadurch ein schö-
20,2 Wenn ein König zornig ist, ver- nes Erbteil und profitieren von seinem
breitet sich Furcht und Schrecken an beispielhaften Leben.
seinem ganzen Hof. Diese Furcht ist 20,8 »Ein König, der auf dem Richter-
wie das Knurren eines Löwen, eine stuhl sitzt, macht, mit seinen Augen
Warnung vor Gefahr. Wer den König sichtend, alles Böse ausfindig« (Men-
provoziert, setzt sein Leben aufs Spiel. ge). Wenn Christus auf seinem Gerichts-
Die Lektion, die wir daraus lernen thron sitzt, dann werden seine alles er-
können, finden wir in Römer 13,4: kennenden Augen gleich Feuerflam-
»Denn sie (d.i. die Obrigkeit) ist Gottes men alle Heuchelei und allen Schein
Dienerin, dir zum Guten. Wenn du aber durchschauen und alle Spreu vom Wei-
das Böse tust, so fürchte dich, denn sie zen trennen.
trägt das Schwert nicht umsonst, denn 20,9 Niemand kann sich aus eigener
sie ist Gottes Dienerin, eine Rächerin Kraft von seinen Sünden reinigen. »Wer
zur Strafe für den, der Böses tut.« darf sagen: Ich habe mein Herz rein ge-
20,3 Ein ehrbarer Mann macht es sich halten, ich bin rein von meiner Sünde?«
zum Grundsatz, sich nicht in einen Wenn ein Mensch denkt, er wäre rein, so
Streit verwickeln zu lassen. Ein Narr ist er ein Opfer reiner Selbsttäuschung.

834
Sprüche 20

Aber es gibt eine Reinigung durch nicht bewusst, dass sein Auto solch ein
das kostbare Blut Christi. Wahre Gläu- Schrotthaufen ist, und geht in seiner
bige »haben ihre Gewänder gewaschen Naivität mit dem Preis herunter. Der
und sie weiß gemacht im Blut des Käufer bezahlt ihn und geht schnur-
Lammes« (Offb 7,14). stracks zu seinen Freunden, um vor
ihnen über sein tolles Geschäft zu prah-
Das Blut, das unsere Freilassung erkauft len.
Und unsere scharlachroten Sünden 20,15 Jemand mag vielleicht Gold-
getilgt hat – schmuck und Juwelen tragen, aber der
Wir fordern die Erde und die Hölle schönste Schmuck ist immer noch wei-
heraus, se Rede. Tragen wir diesen Schmuck!
Auch nur eine Sünde vorzuzeigen, die es 20,16 »Nimm das Gewand dessen,
nicht wegwaschen kann. der für einen Fremden gebürgt hat; und
Augustus M. Toplady pfände ihn, wenn es für eine Verführe-
rin [o. fremde Frau] geschehen ist«
20,10 Gott hasst betrügerische Gewichte (NKJV). Jeder, der töricht genug ist,
und Maße. Das schließt jeden Trick ein, finanzielle Garantien für Menschen zu
der dazu dient, uns selbst auf Kosten übernehmen, die er kaum kennt, ist ein
anderer Vorteile zu verschaffen. Es be- Kreditrisiko. Wenn wir mit ihm in Ge-
trifft den Trick des Metzgers, der seinen schäftsbeziehungen stehen, sollten wir
Finger auf der Waage lässt, während er sicher sein, dass er genügend zusätz-
das Fleisch abwiegt, und es schließt so- liche Sicherheiten aufweisen kann. Nur
gar unsere Praxis ein, an andere stren- so sind wir geschützt, falls er seine Ver-
gere Maßstäbe anzulegen als an uns pflichtungen nicht einhält oder gar in
selbst. Konkurs geht. Dieser Rat gilt insbeson-
20,11 Der grundsätzliche Charakter dere dann, wenn die Menschen, für die
eines Menschen offenbart sich schon er als Bürge eingesprungen ist, ein un-
sehr früh im Leben. Manche Kinder moralisches Leben führen.
sind richtig gemein, andere angenehm. 20,17 Jede Form unehrlich erwor-
»Das Kind ist der Vater des Mannes.« benen Reichtums mag vielleicht für den
Es nimmt seinen Charakter mit ins Er- Augenblick befriedigen, wird sich letzt-
wachsenenalter, sei es zum Guten oder endlich aber als so unangenehm und
zum Schlechten. schmerzhaft wie ein Mund voller Kies
20,12 Gott hat das hörende Ohr und herausstellen. Dieser Vers verurteilt das
das sehende Auge gemacht. Was kann falsche Ausfüllen von Steuererklärun­
dies anderes bedeuten, als dass sie ihm gen, das Fälschen von Spesenabrech-
gehören und zu seiner Verherrlichung nungen, das Bestechen von Revisoren
verwendet werden sollten? und Inspektoren, unehrliche Preisaus-
20,13 »Gib dem Schlaf nicht zu sehr zeichnung und das Werben mit angeb-
nach, damit du nicht im Armenhaus lichen Produktunterschieden, die gar
landest. Steh auf und geh an die Ar- nicht existieren.
beit.« So verdienen wir Geld, um unse- 20,18 Es ist unbedingt zu empfehlen,
re Miete zu bezahlen, unsere Brötchen Ratschläge von möglichst vielen Seiten
zu kaufen und für das Werk des Herrn einzuholen, ehe wir definitive Pläne
geben zu können. machen. Kein General beginnt einen
20,14 Das ist ein alter Trick des Käu- Feldzug, ohne sich mit anderen Militär-
fers. Wenn er sich den Gebrauchtwagen experten beraten zu haben.
anschaut, lamentiert er über die Beulen, 20,19 Durch Klatsch wird nur Ver­
die abgefahrenen Reifen, den lauten trauen missbraucht und verraten. Des-
Motor und den abgeblätterten Lack. »Es halb sollten wir den Umgang mit sol-
ist schlecht!« Der Verkäufer war sich chen Schwätzern möglichst meiden,

835
Sprüche 20 und 21

denn wenn jemand zu uns Schlechtes der zu bereuen. Ehe jemand ein Gelüb-
über andere sagt, können wir sicher de ablegt, sollte er sicher sein, dass er es
sein, dass er ebenso zu anderen erfüllen kann und auch wirklich die
Schlechtes über uns sagt. Absicht dazu hat.
20,20 Unter dem Gesetz Moses war 20,26 Ein weiser König lässt die Ge-
das Verfluchen seiner Eltern ein todes- setzlosen nicht bestehen. Er lässt das
würdiges Verbrechen (2Mo 21,17). Das Dreschrad (unrevidierte Elberfelder)
sollte junge Leute von heute nachdenk- über sie gehen, d.h. er sondert sie aus
lich machen, die ihren Eltern gegenüber den Gerechten aus, bringt sie vor Ge-
feindlich eingestellt sind. Wenn diese richt und lässt sie bestrafen.
Bitterkeit nicht behoben wird, führt sie 20,27 Der »Geist des Menschen« wird
in dieser Zeit zu Verfinsterung und in in diesem Vers meist auf das Gewissen
der Ewigkeit zur Verdammnis. bezogen verstanden. Es ist uns vom
20,21 Der verlorene Sohn erwarb sei- Herrn gegeben und dient als eine
nen Anteil am Erbe eilig und überhas- Leuchte, die Licht auf unsere Gedan-
tet, aber er verlor ihn auch ebenso ken, Motive, Gefühle und Handlungen
schnell wieder. Doch dieser Spruch be- wirft. Es billigt die innersten Gedanken
zieht sich auch auf alle anderen Pläne und Motive unseres Lebens, oder es
und Methoden, über Nacht reich zu weist sie zurecht (vgl. Röm 2,14.15).
werden. Wie gewonnen, so zerronnen. 20,28 Ein Führer, der von Gnade und
20,22 Wir sollten nie nach Rache an Wahrheit gekennzeichnet ist, braucht
unseren Feinden trachten. Die Rache ist sich um die Achtung und Unterstüt-
des Herrn. Er wird vergelten. Wir soll- zung vonseiten seiner Untergebenen
ten uns dem Herrn anvertrauen, dann nicht zu sorgen. Er erhält seine Autori-
wird er uns befreien und uns Recht ver- tätsstellung durch Liebe und nicht
schaffen. durch Tyrannei aufrecht.
20,23 Adam Clarke arbeitete für einen 20,29 Eines der augenfälligsten Zier-
Seidenhändler, der ihm sagte, er solle den junger Menschen ist ihre Kraft,
die Seide dehnen, wenn er sie für einen während das graue Haar alter Men-
Kunden abmaß. Adams Antwort war schen mit Weisheit und Erfahrung in
kurz: »Ihre Seide lässt sich vielleicht Verbindung gebracht wird. Jede Ge-
dehnen, Herr, mein Gewissen aber lei- meinde braucht beides ‒ Stärke zum
der nicht.« Gott ehrte Adam Clarke, in- Dienst und Alter für weisen Rat.
dem er ihn Jahre später einen viel gele- 20,30 »Wundstriemen scheuern das
senen Kommentar über die ganze Bibel Böse weg, und Schläge scheuern die
schreiben ließ (acht Bände, 1810-1826). Kammern des Leibes« (unrevidierte El-
20,24 Dieser Vers betont die Souverä- berfelder). Der Gedanke hier ist an-
nität Gottes und nicht den freien Willen scheinend der, dass körperliche Bestra-
des Menschen, obwohl beides wahr ist. fung hilfreich bei der Behandlung mo-
Der Gedanke hier ist der, dass Gott sou- ralischer Bosheit ist. Ein Kind erinnert
verän über alle menschlichen Geschicke sich an den Schmerz der letzten Züchti-
ist und weiß, was am besten für uns ist. gung, wenn es versucht ist, z.B. etwas
Deshalb sollten wir ihn ständig um aus der Geldbörse seiner Mutter zu
Führung und Weisung bitten, statt zu nehmen.
versuchen, unser Schicksal selbst in die 21,1 Wie ein Kanal die Strömung des
Hand zu nehmen. Wassers in eine bestimmte Richtung
20,25 »Eine Falle für den Menschen lenkt, so lenkt und beherrscht auch der
ist es, vorschnell zu sagen: Geheiligt! – Herr die Gedanken und Handlungen
und erst nach den Gelübden zu über­ der Könige und Herrscher. Das ist eine
legen.« Es ist gefährlich, etwas dem große Ermutigung für Christen, die un-
Herrn zu weihen und es hinterher wie- ter Gewaltregimen leiden, oder für Mis-

836
Sprüche 21

sionare, die das Evangelium in feindlich stecken, sich zu maskieren, sich zu


gesinnte Länder tragen. fürchten und betrügerisch zu handeln.
21,2 Ein Mensch ist kein kompetenter Wer seine Sünden bekannt und auf­
Beurteiler seines eigenen Lebens oder gegeben hat, hat nichts zu verbergen; er
Dienstes; er urteilt nach äußerem Erfolg kann im Licht wandeln.
oder Misserfolg. Der Herr aber beurteilt 21,9 Die Häuser in den Ländern der
die Gedanken und Beweggründe des Bibel hatten Flachdächer. Dieser Spruch
Herzens. sagt, dass es besser ist, allein in der Ecke
21,3 Der Herr freut sich über Gehor- eines dieser Dächer zu wohnen, Hitze,
sam seiner Stimme gegenüber viel mehr Kälte, Regen, Schnee, Wind und Hagel
als über Brand- und Schlachtopfer ausgesetzt, als in einem Haus mit einer
(1Sam 15,22). Gott ist kein Ritualist. Was zänkischen, rechthaberischen Frau zu-
er möchte, ist lebendige innere Wirk- sammenzuwohnen. Die äußeren Stür-
lichkeit. me sind in diesem Fall erträglicher als
21,4 Dieser Spruch zeigt uns drei Din- das Unwetter im Haus selbst.
ge, die in Gottes Augen Sünde sind: 21,10 Ein gottloser Mensch denkt sich
stolze Augen, das ist der äußere Aus- ständig irgendein neues Verbrechen
druck von Einbildung und Dünkelhaf- aus, und bei seiner Durchführung er-
tigkeit; ein aufgeblasenes Herz (Schlach- weist er niemandem Gnade, nicht ein-
ter), das ist die innere Quelle des Hoch- mal seinem Nächsten. So ist seine Sün-
muts; und die Leuchte der Gottlosen, de sowohl vorsätzlich als auch rück-
das ist vielleicht ihr Wohlstand, ihr sichtslos. Moderne soziologische und
Glück, ihr Leben oder ihre Hoffnung. psychologische Entschuldigungsver-
21,5 Dieser Vers zeigt den Gegensatz suche für Verbrechen entbehren einfach
zwischen denen, die fleißig für ihren jeglicher Grundlage.
Lebensunterhalt arbeiten, und denen, 21,11 Wenn auch der Spötter aus der
die über Nacht schnell reich zu werden Strafe, die er auferlegt bekommt, nichts
versuchen. Ersteren wird Wohlstand lernt, so sieht dies doch der Naive und
verheißen, Letzteren dagegen nur Man- wird dadurch gewarnt. Ein weiser
gel. Mann braucht nicht bestraft zu werden;
21,6 Wer durch Schwindel und Betrug er lernt durch bloße Unterweisung.
Reichtum erwerben möchte, jagt dem 21,12 »Der Gerechte achtet auf das
Wind nach. Er verfolgt das, was ihm Haus des Gottlosen; er stürzt die Gott-
immer wieder entrinnen wird, und er losen ins Unglück« (Schlachter 2000).
selbst wird dabei zugrunde gehen. Sei- Gott ist der Gerechte, der alle Hand-
ne Situation gleicht dem Wüstenreisen- lungen der Gottlosen genau beobachtet
den, der einer Fata Morgana nachgeht; und registriert; genau zum richtigen
sie erweist sich für ihn als tödliche Fal- Zeitpunkt legt er den Schalter um, der
le. ihr Verderben über sie bringt.
21,7 »Die Gewalttat der Gottlosen 21,13 Der Reiche von Lukas 16,19-31
reißt sie mit weg, denn sie weigern sich, war völlig gleichgültig gegenüber der
das Rechte zu tun.« Im Universum ist verzweifelten Not des Bettlers an sei-
ein moralischer Grundsatz wirksam, nem Tor. Im Jenseits rief er selbst um
der garantiert, dass Gewalt, Bosheit Hilfe, aber sein Schrei blieb ohne Ant-
und Ungerechtigkeit niemals ungestraft wort.
davonkommen. Niemals! 21,14 Die Bibel berichtet oft Tat­
21,8 »Vielgewunden ist der Weg des sachen, ohne sie deswegen zu billigen.
schuldbeladenen Mannes; der Lautere So beobachtet sie hier, dass sich ein zor-
aber, sein Tun ist gerade« (unrevidierte niger Mann beruhigt, wenn der Beleidi-
Elberfelder). Schuld veranlasst einen ger ihm ein Geschenk zusteckt, und
Menschen dazu, zu lügen, sich zu ver- dass ein in Wut geratener Mensch durch

837
Sprüche 21

eine kleine Bestechung wieder friedlich ihm: »Sicher glauben Sie nicht an die
wird. Geschichte, dass Jesus Wasser in Wein
21,15 »Freude ist es für den Gerechten, verwandelt haben soll!« Seine Antwort
wenn Recht geschieht; Schrecken aber war: »Ich weiß nichts über das Verwan-
für die Übeltäter.« Dies wird durch das deln von Wasser in Wein, aber ich weiß,
Zweite Kommen Christi illustriert. Es dass er in meinem Haus Whisky in
wird eine Zeit überströmender Freude Möbel verwandelt hat!«
für die Erlösten sein, aber eine Zeit des 21,21 Der Punkt hier ist offensichtlich
Schreckens für alle anderen (2Thes 1,6- der, dass der, der Gerechtigkeit und
9). Gnade nachjagt, mehr bekommt, als er
21,16 Im Buch der Sprüche begegnen erstrebt hat; er empfängt zusätzlich
wir allen möglichen Leuten. Dieser Leben und Ehre.
Mann hier irrt wie ein Landstreicher in 21,22 Der weise Christ erobert Fes-
der Sahara der Sünde umher. Wenn wir tungen, nicht mit Artillerie und Bom-
ihn das letzte Mal sehen, ruht er bereits ben, sondern mit Glauben, Gebet und
in der Versammlung der Schatten. dem Wort Gottes (vgl. 2Kor 10,4). Im
21,17 Statt die Befriedigung und Er- geistlichen Kampf kann Weisheit das
füllung zu geben, die sie versprechen, vollbringen, wozu eine bewaffnete
dienen Vergnügen und ausschweifen- Armee völlig unfähig ist.
des Leben (Wein und Öl) nur dazu, ei- 21,23 Wer seine Zunge unter Kontrol-
nen Menschen verarmen zu lassen. Sie le hat, erspart sich selbst eine Unmenge
lassen seine finanziellen Mittel ver­ von Problemen. »Siehe, welch kleines
siegen und verurteilen ihn auch zu Feuer, welch einen großen Wald zündet
geistlicher Armut. es an! Auch die Zunge ist ein Feuer; als
21,18 In Jesaja 43,3 sagt Gott, dass er die Welt der Ungerechtigkeit erweist
Ägypten als Lösegeld für sein Volk Is- sich die Zunge unter unseren Gliedern,
rael hingeben würde. Der Herr belohnte als diejenige, die den ganzen Leib be-
Kyrus für die Befreiung der Juden, in- fleckt und den Lauf des Daseins ent-
dem er ihm erlaubte, Ägypten und die zündet und von der Hölle entzündet
umliegenden Königreiche in Besitz zu wird« (Jak 3,5.6).
nehmen. In einem allgemeinen Sinn be- 21,24 Wenn wir einen Menschen tref-
deutet dieser Vers, dass die Bösen be- fen, der stolz, hochmütig und arrogant
straft werden, sodass die Gerechten in ist, nennen wir ihn einfach »Spötter«.
Frieden leben können. Das ist sein Name! Der Name steht na-
21,19 Hier haben wir einen Hauch türlich für das, was eine Person ist. »Wie
heiliger Ironie! Der Schreiber zieht die sein Name, so ist er« (1Sam 25,25).
Unannehmlichkeit, die Weite und Ein- 21,25-26 Der Faule wird hin- und her-
samkeit der Wüste dem Zusammen­ gerissen zwischen seiner Gier nach
leben mit einer zänkischen, streitsüch- Reichtum einerseits und seiner Ent-
tigen Frau vor. schlossenheit, auf keinen Fall sich auch
21,20 Der Gegensatz besteht hier zwi- nur im Geringsten anzustrengen, ande-
schen der Wohnstätte eines Weisen, wo rerseits. Es ist eine mörderische Sack-
ein reichlicher Vorrat von allen guten gasse! Während er seine Zeit in einer
Dingen vorhanden ist, und dem Haus Traumwelt unerfüllter Hoffnungen ver-
eines Toren, wo Sünde, Verschwendung bringt, arbeitet der Gerechte hart und
und Ausschweifung zu Armut führen. verdient Geld, sodass er rückhaltlos für
Wir werden an den Alkoholiker er­ gute Zwecke spenden kann.
innert, der seine Möbel und andere 21,27 Gott ist angewidert von den Ga-
Haushaltsgegenstände verkaufte, um ben unbußfertiger Sünder, aber er hasst
dafür Whisky zu erstehen. Nach seiner es noch mehr, wenn eine Gabe in böser
Bekehrung zu Christus sagte jemand zu Absicht gegeben wird (NKJV), um ihn

838
Sprüche 21 und 22

zu »kaufen« oder zu »überreden«, ir- zialen Unterschiede oft auch das ganze
gendeine Bosheit zu übersehen, zu billi- Leben hindurch bestehen bleiben, so
gen oder gar zu segnen. werden sie doch spätestens mit dem
21,28 »Ein Lügenzeuge wird zugrun- Tod abgeschafft.
de gehen; ein Mann aber, der zuhört, 22,3 Ein Weiser schaut voraus und
redet für lange Dauer.« Der falsche Zeu- sucht Zuflucht vor dem kommenden
ge schwört vor Gott, dass er die Wahr- Gericht. Die Israeliten taten dies in der
heit und nichts als die Wahrheit sagen Passahnacht, indem sie das Blut des
wird, und schwört dann doch vorsätz- Passahlamms an ihre Türen strichen.
lich einen Meineid. Jemand, der sorg- Für uns wurde es Wirklichkeit, als wir
fältig zuhört und ehrlich antwortet, gibt unsere Zuflucht zu Christus nahmen.
ein Zeugnis, das niemals erschüttert Die Einfältigen gehen in ihrer Torheit
werden kann. weiter und »müssen es büßen«.
21,29 Das freche Gesicht des Gott- 22,4 Demut und Vertrauen auf den
losen zeigt, dass er in seiner Ungerech- HERRN mögen auf den ersten Blick für
tigkeit völlig festgefahren ist. Er hat den »modernen« Menschen primitiv
eine Stirn aus Erz. Der Aufrichtige da- und langweilig erscheinen, aber nie-
gegen ist sicher und geschützt auf sei- mand sollte abschätzig über sie urtei-
nem Lebensweg, weil er belehrbar ist. len, ehe er sie nicht selbst ausprobiert
21,30 Der Mensch ist absolut nicht in hat. Auf lange Sicht sind ihre Folgen
der Lage, Gott an Weisheit, Einsicht oder nämlich geistlicher Reichtum, göttliche
Planung zu übertrumpfen. Keiner seiner Ehre und überströmendes Leben.
Pläne kann gegen den Allerhöchsten je 22,5 Alle möglichen Probleme und
Erfolg haben. »Denn die Pläne des Schwierigkeiten liegen auf dem Weg
HERRN erfüllen sich« (Jer 51,29). des Verkehrten. Wer sich selbst rein be-
21,31 Die Menschen machen detail- wahrt, vermeidet sie.
lierte und komplizierte Pläne, um mili- 22,6 Die übliche Auslegung dieses
tärische Siege zu garantieren, aber Er- Spruchs ist: Wenn man ein Kind richtig
folg am Tag der Schlacht kommt allein erzieht (»in dem Weg, den es gehen
vom Herrn. Es ist besser, auf ihn zu ver- soll«), dann wird es auch im späteren
trauen, als auf Pferde oder Nuklear­ Leben einen guten Charakter bewahren
waffen! (vgl. Ps 20,8). und erfolgreich sein. Natürlich gibt es
Plumptre fasst die Verse 30 und 31 Ausnahmen, aber die grundsätzliche
wie folgt zusammen: Regel bleibt doch bestehen. Henry Ward
Vers 30: Nichts hat Erfolg gegen Gott. Beecher kommentiert:
Vers 31: Nichts hat Erfolg ohne Gott.
22,1 Ein guter Name bedeutet einen Es ist nicht allzu schwer, ein Kind oder
guten Ruf. Er ist die Frucht eines guten einen Baum richtig wachsen zu lassen,
Charakters und rechten Verhaltens. Er wenn man ihnen die richtige Richtung
ist weit besser als großer Reichtum, weil gibt, solange sie noch jung sind; aber sie
er kostbarer, machtvoller und vor allem wieder gerade zu biegen, nachdem wir
dauerhafter ist. viele Dinge haben schief laufen lassen,
Aus demselben Grund sind Anmut ist nicht einfach.33
(revidierte Elberfelder) und liebens-
würdiges Benehmen (Menge, Gute Susannah Wesley, die Mutter von Charles,
Nachricht) besser als Silber und Gold. John und 15 weiteren Kindern, folgte bei
22,2 Gesellschaftliche Unterschiede ihrer Erziehung folgenden Regeln:
sind künstlich in dem Sinn, dass wir 1. Unterdrücke den Eigenwillen in
alle zu derselben Familie der Mensch- einem Kind und arbeite dadurch mit
heit gehören und alle von demselben Gott zusammen, um seine Seele zu er-
Schöpfer herkommen. Wenn diese so­ retten.

839
Sprüche 22

2. Lehre es beten, sobald es sprechen hester Jugend an eingeprägt worden


kann. sind.34
3. Gib ihm nichts, worum es schreit,
und was gut für es ist, nur dann, wenn 22,7 Geld ist Macht, und es kann so-
es höflich darum bittet. wohl zum Guten als auch zum Bösen
4. Um den Lügen vorzubeugen, be- verwendet werden. Nur allzu oft leider
strafe keinen Fehler, der freiwillig be- verwenden die Reichen es zum Bösen,
kannt wird; aber lass niemals zu, dass und das ist vielleicht auch der Grund,
eine rebellische, sündige Handlung warum es »ungerechter Mammon« ge-
ohne Bekenntnis bzw. ohne Strafe nannt wird.
bleibt. Der Schuldner ist Sklave des Gläubi-
5. Lobe alles gute Verhalten und be- gers. Schulden sind eine Form von Skla-
lohne es auch. verei. Sie verlangen oft die Zahlung von
6. Halte eisern alle Versprechen, die wucherhaften Zinssätzen. Sie verurtei-
du deinem Kind gegeben hast. len einen Menschen gleichsam zu stän-
Der Spruch kann aber auch dahin­ diger »Zwangsarbeit«. Sie begrenzen
gehend verstanden werden, dass er El- seine Mobilität und schränken seine
tern empfiehlt, ihre Kinder im Rahmen Möglichkeiten ein, günstige Gelegen-
ihrer natürlichen Talente und Veran­ heiten zu nutzen.
lagungen zu erziehen, statt ihnen beruf- 22,8 Wer Unrecht sät, gewinnt da-
liche Laufbahnen aufzuzwingen, zu durch nichts von Substanz oder Wert.
denen sie keine angeborene Neigung Sein Versuch, andere durch sein Wüten
haben. (»Erziehe den Knaben seinem zur Unterwerfung zu zwingen, wird
Wege gemäß« – unrevidierte Elber- keinen Erfolg haben.
felder). So sagt Kidner, dass der Vers 22,9 Der Freigebige wird gesegnet, in-
Respekt vor der Individualität und Be- dem er anderen Güte erweist. Indem er
rufung des Kindes lehrt, ohne des­ sein Einkommen mit dem Armen teilt,
wegen jedoch Raum für seinen Eigen- gewinnt er Freude für die Gegenwart
willen zu lassen. und Lohn für die Zukunft.
Und drittens ist der Spruch vielleicht 22,10 Wenn ein Spötter nicht auf Un-
eine Warnung, dass, wenn wir ein Kind terweisung, Korrektur und Tadel hört,
so erziehen, wie es sein eigener Wille so ist der nächste Schritt der Raus-
unbedingt haben will, es im späteren schmiss. »Wirf ihn hinaus!« Als Ismael
Leben verdorben und selbstsüchtig aus dem Haus getrieben wurde, hörten
wird. Jay Adams schreibt: Zank, Streit und Spott auf (1Mo
21,9.10).
Der Vers steht hier nicht als eine Verhei- 22,11 Wer Herzensreinheit liebt und
ßung, sondern als Warnung für Eltern: wessen Lippen als Folge davon wohl­
Wenn sie ihrem Kind erlauben, sich selbst gefällig reden, wird sich königlicher
nach seinen eigenen Wünschen (»tole- Freundschaft erfreuen. Vielleicht ist Gott
rant«, »antiautoritär«) zu erziehen, dann der König, von dem hier die Rede ist.
dürfen sie nicht erwarten, dass das Kind
solche Verhaltensmuster ändern will, Ein kleines Wort, in Güte gesprochen,
wenn es erwachsen wird. Kinder sind Eine Handbewegung, eine Träne
nun einmal als Sünder geboren und wer- Hat oft schon ein gebrochenes Herz
den ‒ erlaubt man ihnen, ihren eigenen geheilt
Wünschen zu folgen ‒ ganz natürlich Und einen treuen Freund erworben.
sündige Gewohnheiten entwickeln. Der Verfasser unbekannt
grundsätzliche Gedanke hier ist, dass
sich solche Verhaltensmuster sehr tief 22,12 Der HERR bewahrt die Erkennt-
eingraben, wenn sie dem Kind von frü- nis der Wahrheit und sorgt für ihr Fort-

840
Sprüche 22

bestehen, sodass sie niemals von der IV. Sprüche der Weisen (22,17 - 24,34)
Erde verschwinden wird, trotz des Wü-
tens von Dämonen und Menschen. Der- A. Worte der Weisen (22,17 - 24,22)
selbe Herr entlarvt falsche Lehren und
offenbart Lügen. 22,17 Die Verse 17 bis 21 bilden einen
22,13 Wenn ein Fauler keine Entschul- Abschnitt, der den von 22,22 bis 24,22
digung für seinen Arbeitsunwillen fin- gehenden Teil des Buches der Sprüche
den kann, wird er einfach selbst eine einleitet. Der Leser wird eingeladen,
erfinden, wie lächerlich sie auch sein sein Ohr zu neigen und auf die Worte
mag. Hier sagt er, dass ein Löwe auf der Weisen zu hören. Vielleicht sind
den Plätzen der Stadt umherstreunt. hier einige Sprüche gesammelt, die
Was sollte ein Löwe in der Stadt zu su- Salomo von anderen ausgewählt hat,
chen haben? Wahrscheinlich ist es doch deutet der zweite Halbvers (»rich-
nichts weiter als eine Katze! te dein Herz auf meine Erkenntnis«) an,
22,14 Die verführerischen Worte einer dass auch einige von ihm selbst sind.
Hure verbergen eine Falle, aus der es 22,18 Wir sollten diese Sprüche in un-
kaum ein Entkommen gibt. Ein Mensch, serem Innern bewahren (sie lernen und
der sich Gott entfremdet hat, wird sehr befolgen) und sie anderen weitersagen.
leicht darin gefangen. Das erinnert uns 22,19 Der Grund, weshalb Salomo die
daran, dass Gott Menschen oft in die Sprüche veröffentlicht hat, war der,
Sünde dahingibt, wenn sie die Erkennt- dass er seine Leser anleiten wollte, ihr
nis Gottes verwerfen (vgl. Röm Vertrauen bedingungslos auf den
1,24.26.28). HERRN zu setzen.
22,15 Torheit und Eigenwillen sind 22,20 In einigen Übersetzungen heißt
dem Herzen eines Kindes angeboren, es mit Textänderung: »Habe ich dir
aber durch die Anwendung der Rute nicht dreißig Sprüche aufgeschrieben mit
der Zucht wird es von diesen Eigen- Ratschlägen und Erkenntnis« (so revi-
schaften befreit. Matthew Henry gibt dierte Elberfelder und Gute Nachricht;
den Rat: unrevidierte Elberfelder und Schlach-
ter: »Vortreffliches«; Luther 1984: »man-
Kinder müssen von ihren Eltern gezüch- nigfach«; Menge: »Kernsprüche«; vgl.
tigt und in Unterordnung gehalten wer- zu diesem Problem revidierte Elber-
den; und wir alle müssen von unserem felder ‒ Fußnote). Einige Gelehrte wei-
himmlischen Vater gezüchtigt werden sen darauf hin, dass die folgenden
(Hebr 12,6.7), und unter der Zucht müs- Sprüche (bis einschließlich 24,22) in
sen wir die Narrheit niederschlagen und etwa 30 Untergruppen eingeteilt wer-
die Rute küssen.35 den können, und zwar wie folgt:
22,22‒23 / 24‒25 / 26‒27 / 28 / 29 / 23,1‒
22,16 Der Arbeitgeber, der dadurch 3 / 4‒5 / 6‒8 / 9 / 10‒11 / 12 / 13‒14 /
reich wird, dass er nur Hungerlöhne 15‒16 / 17‒18 / 19‒21 / 22‒25 / 26‒28 /
zahlt, wird schließlich selbst arm wer- 29‒35 / 24,1‒2 / 3‒4 / 5‒6 / 7 / 8‒9 / 10 /
den (Luther 1912: »Wer dem Armen 11‒12 / 13‒14 / 15‒16 / 17‒18 / 19‒20 /
Unrecht tut, dass seines Guts viel wer- 21‒22
de, der wird auch einem Reichen geben 22,21 Das Ziel des Schreibers ist, die
und Mangel haben«). Das wird ebenso zuverlässigen Worte der Wahrheit zu
mit dem geschehen, der einem Reichen lehren, sodass seine Schüler in der Lage
gibt, um sich bei ihm einzuschmeicheln. sind, andere zu lehren, die bei ihm um
Wir sollten denen geben, die es uns Rat nachgefragt haben, bzw. denen be-
nicht wiedervergelten können. friedigend zu antworten, die sie zur
Ausbildung hergeschickt hatten.
22,22-23 Hier beginnt nun der Ab-

841
Sprüche 22 und 23

schnitt, der bis 24,22 durchläuft. Nie- Wurden nicht in plötzlichem Flug
mand sollte einen hilflosen Armen aus- erklommen,
nutzen, noch sollte jemand dem Elen- Sondern während ihre Gefährten sich
den im Tor Unrecht tun (das Tor war dem Schlaf hingaben,
damals der Ort der Rechtsprechung). Kämpften sie sich mühsam durch die
Denn Gott führt den Rechtsstreit der Nacht nach oben.
Geringen, und er wird den reichen Un- Longfellow
terdrücker und den ungerechten Rich-
ter bestrafen. 23,1-3 Hier werden wir vor übermäßi-
22,24-25 Der Umgang mit jähzor- gem Essen und Völlerei gewarnt. Wenn
nigen, leicht erregbaren Menschen ist wir mit einer einflussreichen Persön-
eine schlechte Sache. Oft wird man da- lichkeit speisen, sollten wir bedenken,
durch selbst so wie der, mit dem man was bzw. wen wir vor uns haben. Dann
umgeht. Dies kann wirklich zu einer sollten wir ein Messer an unsere Kehle
schlimmen Falle werden, denn in einem setzen, d.h. Zurückhaltung im Essen
Augenblick der Leidenschaft kann je- und Trinken ausüben.
mand sein ganzes Leben und Zeugnis Vers 3 zeigt, dass uns jemand unter
ruinieren. Umständen mit Tafelfreuden verwöhnt,
22,26-27 Den Handschlag geben be- um uns irgendwie für sich zu beeinflus-
deutet hier, für fremde Schulden zu ga- sen. Es war kein Fall selbstloser Gast-
rantieren. Das zu tun, ist schlichtweg freundschaft, sondern ein Mittel, um
Torheit. Wenn wir schon nicht die volle uns für einen bestimmten Zweck einzu-
Zahlung der Schuld leisten können, spannen.
warum sollten wir dann das Risiko ein- 23,4-5 Das unaufhörliche Streben
gehen, dass uns die Möbel aus dem nach Reichtum ist eine Form von an-
Haus genommen und wir Unannehm- geblicher »Weisheit«, die unbedingt zu
lichkeiten und öffentlicher Schande vermeiden ist. Es bedeutet, dass wir un-
ausgesetzt werden? ser Leben mit dem Jagen nach falschen
22,28 Die »uralten Grenzen« waren Werten verbringen und unser Ver­
Reihen von Steinen, die jemandes trauen auf das setzen, was nicht von
Grundstück abgrenzten (Menge: Dauer ist. Reichtum hat es so an sich,
»Grenz­­­steine«). Ehrlose Menschen ver- dass er plötzlich Flügel bekommt und
setzten sie oft während der Nacht, um wie ein Adler davonfliegt.
ihren Grund­besitz auf Kosten des 23,6-8 Eine weitere gesellschaftliche
Nachbarn zu vergrößern. Situation, die zu vermeiden ist! Wir
Geistlich gesehen ist die »uralte Gren- sollten uns nicht von jemandem ein­
ze« der »ein für alle Mal den Heiligen laden lassen, der uns missgünstig be­
überlieferte Glaube« (Jud 3). An den obachtet beim Essen (»Iss nicht das Brot
Grundwahrheiten des Christentums der Bosheit des Auges«, revidierte
darf nicht herumgepfuscht werden. Elber­felder ‒ Fußnote), d.h. der uns je-
22,29 Ein Mann, der in seiner Arbeit den einzelnen Bissen neidet. Was er
geschickt ist, wird bald eine ehrenvolle denkt, zählt ‒ nicht, was er sagt. Denn
Stellung bekommen. Er wird nicht für während er sagt: »Greifen Sie ruhig zu,
unbedeutende Menschen arbeiten. fühlen Sie sich wie zu Hause«, zählt er
(Dies ist ein weiterer Hinweis darauf, in Wirklichkeit jeden Löffel voll, den
dass »Sahne sich an der Oberfläche ab- wir zu uns nehmen.
setzt«.) Wir sehen das im Leben von Die Gute Nachricht paraphrasiert
Josef, Mose, Daniel und Nehemia. die­se Verse folgendermaßen: »Lass dich
nicht von einem Geizhals einladen,
Die Höhen, die große Männer erreichten auch wenn er dir noch so köstliche
und hielten, Speisen vorsetzen will. Denn er hat alle

842
Sprüche 23

Bissen abgezählt. ›Greif doch zu!‹, sagt Auch David versagte auf dem Gebiet
er; aber im Grunde gönnt er dir nichts. elterlicher Erziehung. Er hatte Adonija
Sobald du es merkst, vergeht dir der nie gekränkt, sodass er ihn einmal ge­
Appetit, und das ganze Essen kommt tadelt hätte (1Kö 1,6). Nach zwei hoch-
dir wieder hoch. Du hast seine Küche verräterischen Versuchen, sich des
mit überschwänglichen Worten gelobt Throns zu bemächtigen, wurde Adonija
und nichts dafür bekommen.« von Salomo getötet.
23,9 Wir sollten nicht versuchen, ei- 23,15-16 Ein Vater freut sich, wenn
ner unbelehrbaren, törichten Person sein Sohn ein Herz hat, das weise ist,
mit Gewalt etwas beizubringen. Wir und Lippen, die die Wahrheit reden.
vergeuden dabei nur unsere Zeit. Der Der Lehrer erfährt dieselbe Freude,
Betreffende wird unsere Worte der wenn sein Schüler Weisheit lernt und
Weisheit verachten. sie anderen mitteilen kann. In ähnlicher
23,10-11 Vergreifen wir uns nicht heim­ Weise sagte Paulus: »Denn jetzt leben
lich am Eigentum jemandes an­deren, in- wir, wenn ihr feststeht im Herrn«
dem wir die Grenzsteine verrücken. Nut- (1Thes 3,8). Und Johannes schrieb:
zen wir nicht die Hilf- und Schutzlosen »Eine größere Freude habe ich nicht als
aus, indem wir ihnen ihre Felder weg- diese, dass ich höre, dass meine Kinder
nehmen. Denn ihr Erlöser (oder Beschüt- in der Wahrheit wandeln« (3Jo 4).
zer, Rächer, Rechtsbeistand) ist mächtig. 23,17-18 Es gibt etwas weit Besseres
Wir werden es mit ihm selbst, dem Herrn, und Sinnvolleres, als den kurzlebigen
zu tun bekommen. Er wird ihre Sache ge- Wohlstand der Gottlosen zu beneiden;
gen uns führen. und das ist das Leben in beständiger
23,12 Es gibt keinen einfachen Weg zu Gemeinschaft mit dem Herrn. Die Be-
Wissen und Erkenntnis. Er erfordert schäftigung mit den Gottlosen bringt
Disziplin und Hingabe. Die Anzeigen uns Entmutigung und Enttäuschung,
und Werbesprüche, die uns alles »in die Beschäftigung mit dem Herrn
drei kinderleichten Lektionen« und »in bringt uns Freude. So ist die Lektion für
nur 14 Tagen« versprechen, sollten wir uns hier, dass wir die beständige Ge-
möglichst schnell vergessen. meinschaft mit dem Herrn zu unserem
23,13-14 Es ist absolut kein Zeichen obersten Lebensziel machen sollten.
von Liebe einem Kind gegenüber, wenn Ebenso sollten wir uns natürlich stets
man es verwildern lässt. Die Bibel emp- vor Augen halten, dass es in der Zu-
fiehlt niemals sogenannte »Toleranz«, kunft einen Tag der Abrechnung für die
sondern verweist im Gegenteil auf die Gottlosen gibt und eine strahlende
körperliche Züchtigung mit der Rute ‒ Hoffnung in Verbindung mit dem Lohn
und verspricht dabei, dass das Kind für die Gerechten, die niemals ent-
keinesfalls sterben wird. Dies kann be- täuscht werden wird. Das »Ende« (oder
deuten, dass ein paar Schläge es noch die »Zukunft«; Menge, Schlachter 2000)
lange nicht umbringen, oder aber, dass von Vers 18 blickt über Tod und Auf­
die Züchtigung es vor einem verfrüh- erstehung hinaus auf die herrliche Zu-
ten Tod aufgrund eigensüchtiger und kunft im Himmel.
wilder Lebensweise bewahrt. Sie wird 23,19 Was immer andere auch tun
sein Leben vom Scheol erretten. mögen ‒ ein gehorsamer Sohn sollte die
Statt seine boshaften Söhne zu züchti- erhaltene Unterweisung befolgen, wei-
gen, tadelte Eli sie mit einem milden se handeln und sein Herz auf den rich-
»Nicht doch« (1Sam 2,22-25). Er pflegte tigen Weg lenken, d.h. auf den Weg
eine falsche Toleranz und Nachlässig- Gottes.
keit, die seinem Haus, der Priester- 23,20-21 Es gibt zwei Arten von sog.
schaft ‒ ja, der ganzen Nation ‒ Verder- Schlemmern ‒ diejenigen, die zu viel
ben brachte. trinken, und diejenigen, die zu viel

843
Sprüche 23 und 24

essen. Beide geben eine schlechte Ge- dafür, dass die Liste treuloser Männer
sellschaft ab für jeden, der ein gottes- größer wird, deren Leben, Ehen und
fürchtiges Leben führen möchte. Familien entzweit und zerstört sind.
Unmäßigkeit fordert ihren Tribut. So- 23,29-30 Der Rest des Kapitels ist eine
wohl der Säufer als auch der, dessen Gott klassische Beschreibung eines Trinkers.
der Bauch ist, werden verarmen. Stumpf- Er zieht sich alle möglichen Arten von
sinn und Arbeitsunlust als Folge über- Schmerz zu und stolpert von einem
mäßigen Essens und Trinkens werden Problem ins andere. Sein Leben ist von
einen Mann bald in Lumpen kleiden. Zänkereien geprägt, da er ständig Streit
23,22 Junge Menschen sollten väter- anzufangen versucht. Ununterbrochen
lichen Rat willkommen heißen und ihre beklagt er sich und regt sich auf, aber es
Mutter nicht verächtlich behandeln. dämmert ihm nie, dass er selbst die Ur-
Alte Menschen haben jahrzehntelange sache all seiner Schwierigkeiten ist. Er
Erfahrungen. Junge Menschen sollten hat Schürfwunden, Verletzungen, ein
dies anerkennen und so viel wie mög- blaues Auge ‒ alles von sinnlosen und
lich von der Erfahrung älterer Men- grundlosen Raufereien. Seine Augen
schen im Allgemeinen und ihrer Eltern sind trübe und blutunterlaufen. Er sitzt
im Besonderen profitieren. die ganze Nacht hindurch in der Knei-
23,23 Wir sollten bereit sein, einen ho- pe und schüttet ein Glas nach dem an-
hen Preis für die Wahrheit zu bezahlen, deren hinunter.
aber unter keiner Bedingung gewillt 23,31-32 Er wird gewarnt vor der Fas-
sein, sie je wieder aufzugeben. Dasselbe zination des Weines mit seinem röt-
gilt für Weisheit, Unterweisung und lichen Schimmer, seinem brillanten
Einsicht. Wir sollten keine Mühe scheu- Funkeln, seinem leichten Hinunter­
en, sie zu erwerben, sie aber um nichts gleiten. Aber er will nicht hören, des-
in der Welt je wieder aufgeben. halb muss er die Konsequenzen tragen,
23,24-25 Unsere modernen Bräuche die wie der Biss einer Schlange und das
sagen: »Schenk Vater eine Krawatte zum Gift einer Viper sind ‒ giftig und
Geburtstag und Mutter eine Schachtel schmerzhaft.
Pralinen zum Muttertag.« Aber weit 23,33-34 Seine Augen sehen Selt-
mehr freuen sich Eltern über einen Sohn sames, vielleicht eine Anspielung auf
mit einer weisen und klugen Lebens- die Schreckensvisionen im Delirium
führung. Deshalb die Ermahnung von tremens ‒ die heftigen Sinnesstörun-
Vers 25: »Es freue sich dein Vater und gen, die übermäßiger und längerer Ge-
deine Mutter, und es frohlocke, die dich nuss von Alkohol verursacht. Seine
geboren hat!« Rede­weise ist lallend, verstümmelt und
23,26-28 Die dringliche Bitte: »Gib vulgär. Er schwankt unsicher vor und
mir, mein Sohn, dein Herz …«, leitet ei- zurück, als würde er im Meer hin- und
nige ernste Warnungen vor Unmoral herschaukeln, oder als würde er sich im
und Trunkenheit ein. Der Schreiber Topp eines Mastes festklammern, der
sagt: »Höre mir genau zu und befolge wild von einer Seite auf die andere
den Rat, den ich dir gebe!« Eine Hure schwankt.
ist wie eine tiefe, verborgene Grube, die 23,35 Jemand hat ihn verprügelt, aber
eine Falle für den Unvorsichtigen bil- wenn er wieder zu Bewusstsein kommt,
det. Sie ist wie ein enger Brunnen ‒ man sagt er, dass es ihm nicht wehtat. Man
fällt leicht hinein, aber kommt kaum hat ihn richtig verdroschen, aber er hat
wieder heraus. Sie liegt auf der Lauer es nicht gespürt. Sobald er wieder völ-
wie ein Räuber. Vielleicht hat sie einen lig bei Sinnen ist, sucht er schon wieder
pathologischen Hass auf Männer und den Weg zur Bar.
rächt sich an ihnen, indem sie sie durch 24,1-2 Es ist nicht weise, gottlose Men-
Täuschung verstrickt. Täglich sorgt sie schen um ihren Erfolg zu beneiden oder

844
Sprüche 24

ihre Gesellschaft zu suchen. Sie haben Deine blutenden Füße, von Nägeln
es an sich, andere auf ihr eigenes Ni- durchbohrt,
veau herunterzuziehen. Und was ist Mein Jesus, zeige mir deine Füße.
dieses Niveau? In ihren Köpfen planen O Gott, könnte ich es wagen,
sie ständig Gewalttaten, und ihre Unter- Dir meine Hände und Füße zu zeigen?
haltung kreist darum, Böses zu ver­üben. Amy Carmichael
24,3-4 Das Haus hier bezieht sich viel-
leicht auf das Leben eines Menschen. 24,11-12 Wenn unschuldige Menschen
Ein bedeutsames Leben wird nicht verhaftet und zu Gaskammern, Öfen
durch Bosheit, sondern durch gottes- und anderen Hinrichtungsmaschine-
fürchtige Weisheit aufgebaut. Bosheit rien abgeführt werden, wenn ungebo-
ruiniert ein Leben, aber Verständnis rene Babys in Abtreibungskliniken um-
gibt ihm Festigkeit. Bosheit bringt nichts gebracht werden, ist es unentschuldbar,
als Leere; aber göttliche Erkenntnis stat- dabeizustehen und nicht zu versuchen,
tet ein Leben mit kostbaren und an­ sie zu retten. Es hat keinen Wert, sich
genehmen Möbeln aus. auf sein Nichtwissen zu berufen. Dante
24,5-6 Ein weiser Mann übt größere sagte: »Die heißesten Plätze in der Höl-
Macht aus als ein starker, und ein Mann le sind für die reserviert, die in der Zeit
mit Köpfchen ist stärker als ein Mann einer großen moralischen Krise ihre
mit Muskeln. Mit weisen Ratgebern Neutralität bewahren.«
kann man Krieg führen, und je mehr Hat das uns etwas zu sagen, die wir
weise Ratgeber, desto besser. Gläubige sind, mit der frohen Botschaft
24,7 Weisheit scheint sich dem Be- von der Errettung betraut? Männer und
griffsvermögen des Toren für immer zu Frauen sterben ohne Christus. Der Herr
entziehen. Er kann niemals mit Autori- Jesus hat gesagt: »Hebt eure Augen auf
tät sprechen wie die Ältesten am Stadt- und schaut die Felder an, denn sie sind
tor. schon weiß zur Ernte« (Joh 4,35). Wa-
24,8-9 Wer seine gottgegebenen Fä- gen wir es, neutral zu bleiben?
higkeiten dazu missbraucht, ständig
neue Formen der Bosheit zu ersinnen, Seht die Schatten um uns her länger
verdient zu Recht den Titel »Erzböse- werden,
wicht« (Luther 1984; oder »Ränke- Bald wird der Morgen dämmern;
schmied«, unrevidierte Elberfelder). Können wir sie einsam und verloren
»Das Vorhaben der Narrheit ist die Sün- lassen?
de« (unrevidierte Elberfelder), und der Christus kommt bald ‒ ruft sie herein!
arrogante Spötter, der starrköpfig sei- Anna Shipton
ner Bosheit folgt, wird bald die Verach-
tung seiner Mitmenschen ernten. 24,13-14 Honig wird hier als Sinnbild
24,10 Ein Test für den Wert eines Men- für die Weisheit gebraucht. Beide sind
schen ist die Art, wie er sich unter Druck gesund und süß im Geschmack. »Eben-
verhält. Gibt er auf, wenn der Weg so heilsam erachte die Weisheit für dei-
schwierig wird, dann fehlt ihm das Ent- ne Seele! Hast du sie erlangt, so ist eine
scheidende. Zukunft für dich vorhanden, und deine
Hoffnung wird nicht zuschanden wer-
Christus, wenn je meine Schritte den« (Menge). Mit anderen Worten:
straucheln, Der Mensch, der Weisheit findet, wird
Und ich mich schon zum Rückzug hier einer strahlenden Zukunft und der
anschicke, Verwirklichung all seiner Hoffnungen
Wenn Wüste und Dornen mich zum versichert.
Klagen veranlassen, 24,15-16 Der Gottlose wird hier vor
Dann zeige mir, Herr, deine Füße, dem Versuch gewarnt, dem Gerechten

845
Sprüche 24
B. Weitere Aussprüche der Weisen
seine Wohnstätte zu entreißen. Viel-
(24,23-34)
leicht hat Letzteren eine augenblick-
liche Not getroffen, und der Gottlose 24,23-26 Hier beginnt eine neue Samm-
lauert darauf, über sein Eigentum her- lung von Aussprüchen der Weisen, die
zufallen. bis Vers 34 geht.
Ein Gerechter kann siebenmal in Pro- Es ist verabscheuungswürdig, Partei-
bleme oder Schwierigkeiten geraten, lichkeit zu zeigen, wenn es um das
aber er wird sich jedes Mal wieder da- Richten von Recht und Unrecht geht.
von erholen. Der Gottlose aber kann Der Richter, der moralische Unter-
durch einen einzigen Unglücksfall in schiede verwischt, indem er den Schul-
sein Verderben stürzen. digen freispricht, wird von den Völkern
24,17-18 Ein Mann von gutem Cha- verflucht und von den Völkerschaften
rakter sollte sich niemals freuen, wenn verwünscht. Andererseits werden Rich-
sein Feind in Schwierigkeiten gerät, ter, die die Sünde in ihre Schranken
oder über seinen Fall frohlocken. Wenn weisen, von Gott belohnt und von den
der Herr jemanden mit einem rach- Menschen gepriesen werden. Wenn sie
süchtigen und schadenfrohen Herzen ehrliche und gerechte Urteile sprechen,
sieht, so wird er diese Haltung als straf- werden sie dafür vom Volk den »Kuss
würdiger ansehen als die Schuld des der Zustimmung« bekommen.
Feindes. 24,27 Wie ein Mann zuerst die Bäume
24,19-20 Wieder werden wir davor fällen und das Land kultivieren muss,
gewarnt, uns über den scheinbaren Er- ehe er ein Haus bauen kann, sollte er
folg der Gottlosen zu entrüsten und die auch zuerst sein eigenes Leben geord-
Bösen zu beneiden. Diesmal wird als net haben, ehe er eine Familie gründen
Grund angegeben, dass die Zukunfts­ kann. Darum ist dieser Spruch viel-
aus­sichten für die Bösen äußerst leicht eine Warnung davor, sich über-
schlecht sind. Sie haben von der Zu- eilt in eine Ehe mit all ihren Verantwor-
kunft nichts Gutes zu erwarten. Statt- tungen und Pflichten zu stürzen, ehe
dessen wird die Leuchte ihres Lebens man geistlich, seelisch und finanziell
erlöschen. dafür gerüstet ist.
24,21-22 Dieser Spruch schärft Respekt 24,28-29 Unter gar keinen Umständen
und Ehrfurcht vor dem Herrn und vor sollte jemand falsche Anschuldigungen
dem König als seinem Stellvertreter ein. gegen seinen Nächsten vorbringen oder
Er warnt ebenso eindringlich vor denen, Lügen über ihn verbreiten. Und selbst
die gottgegebene Einrichtungen ver­ wenn der Nächste genau das getan ha-
ändern oder Regierungen umstürzen ben sollte, gibt es noch lange keinen
wollen. Beide Arten der Rebellion brin- Grund, Böses mit Bösem zu vergelten.
gen plötzliches und unbeschreibliches 24,30-34 Der Schreiber kam am Wein-
Unheil über die Schuldigen. berg des Faulen vorüber und sah, dass
Der Christ wird von der Schrift ge- er mit Dornen völlig überwachsen war.
lehrt, der menschlichen Regierung so Überall wuchsen stachlige Pflanzen
lange zu gehorchen, wie er das tun und Nesseln. Die Steinmauer war ein-
kann, ohne seine Treue zum Herrn zu gerissen. Das war für ihn ein eindrück-
verletzen. Wenn eine Regierung ihm be- licher Anschauungsunterricht. Wenn
fiehlt, dem Herrn nicht mehr zu gehor- jemand noch ein wenig Schlaf, ein we-
chen, dann sollte er sich weigern und in nig Schlummer, noch ein paar Mal gäh-
aller Demut die Konsequenzen auf sich nen möchte, können wir sicher sein,
nehmen. Unter keinen Umständen dass er bald von Armut ereilt wird wie
sollte er sich an irgendeiner Verschwö- von einem Wegelagerer oder einem be-
rung zum Umsturz der Regierung be- waffneten Mann.
teiligen. Wenn wir in geistlichen Dingen der

846
Sprüche 24 und 25

Faulheit erliegen, wird unser Leben 25,4-5 Wenn Silber in einem Schmelz-
(Weinberg) bald voll sein von den Wer- tiegel geschmolzen wird, so setzen sich
ken des Fleisches (Dornen und Nes- die Schlacken oder Verunreinigungen
seln). Es zeigt sich keine Frucht für wie Abschaum an der Oberfläche ab.
Gott. Unsere geistliche Abwehr (die Wenn dieser »Abschaum« entfernt
Steinmauer) ist zerstört, und der Teufel wird, hat der Silberschmied geschmol-
hat sich bereits einen Brückenkopf ge­ zenes Metall, das sich zur Herstellung
sichert. Das Ergebnis unserer Nach­ eines Geräts eignet. Die Schlacken ste-
lässigkeit und Gleichgültigkeit ist Ar- hen hier sinnbildlich für gottlose Be­
mut in unserer Seele. rater am Königshof. Wenn man sie ent-
fernt, steht das Königreich fest auf einer
V. Sprüche Salomos, die von den Grundlage von Gerechtigkeit.
Männern Hiskias zusammen­ Das Erste, was Christus bei seiner
getragen wurden (25,1 - 29,27) Wiederkunft zur Aufrichtung seiner
25,1 Die in den Kapiteln 25 bis 29 ent- Herrschaft tun wird, ist, sein König-
haltenen Sprüche wurden von Salomo reich von Rebellion, Gesetzlosigkeit
verfasst, jedoch erst Jahre später von und allem anderen Bösen zu reinigen.
den Männern Hiskias, des Königs von 25,6-7 Es zeugt von weisem Verhal-
Juda, aufgeschrieben und gesammelt. ten, sich am Königshof nicht nach vorn
Es sind 140 Sprüche, was dem zahlen- zu drängen oder um jeden Preis einen
mäßigen Wert der hebräischen Buch­ Platz neben Berühmtheiten zu suchen.
staben des Namens Hiskia entspricht. Es ist weit besser, auf einen Ehrenplatz
25,2 Es ist Gottes Ehre, eine Sache zu geladen zu werden, als ihn selbst zu be-
verbergen. Denken wir nur an all die setzen und dann öffentlich in der Ge-
Geheimnisse, die in seiner Schöpfung, genwart des Königs ‒ wörtlich und im
in seinem geschriebenen Wort und in übertragenen Sinn ‒ erniedrigt zu wer-
seinem Handeln in Vorsehung verbor- den.
gen sind! »Er wäre nicht Gott, wenn sei- Einen ähnlichen Rat finden wir in Je-
ne Ratschlüsse und Werke die mensch- remia 45,5: »Und du, du trachtest nach
liche Einsicht nicht weit übersteigen großen Dingen für dich? Trachte nicht
würden« (Thomas Cartwright). danach!« Wir denken auch an die Worte
Die Ehre der Könige ist es, eine Sache des Herrn Jesus in Lukas 14,8-10.
zu erforschen. Im Zusammenhang be- 25,8-10 Die Bibel verurteilt scharf jede
deutet dies wahrscheinlich, dass sich Prozesssucht, d.h. die Einstellung, we-
ein weiser König über wichtige Ent- gen jedes kleinen Streitfalls sofort vor
wicklungen, die sein Königreich betref- Gericht gehen zu wollen. Jemand mag
fen, ständig auf dem Laufenden hält wohl alles berichten, was seine Augen
und dass er gründliche Untersuchun­ gesehen haben, unter Umständen aber
gen vornimmt, um zutreffende Urteile dennoch beschämt werden, wenn sein
fällen und fundierte Richtlinien formu- Nächster als Zeuge aussagt.
lieren zu können. Es ist besser, solche Probleme unter
Die Anwendung für uns besteht dar­ vier Augen zu behandeln (vgl. Mt
in, dass wir Fleiß und Mühe aufwenden 18,15), als sie Dritten gegenüber auszu-
sollten, die in der Bibel verborgenen plaudern, wie uns ein unbekannter Ver-
geistlichen Schätze zu erforschen. fasser rät:
25,3 Die Höhe des Himmels scheint
endlos, und die Tiefen der Erde schei- Eine kleine Meinungsverschiedenheit
nen unerforschlich. Ebenso ist es etwas entsteht zwischen Freunden, und wir ha-
Geheimnisvolles um das Herz edler ben nicht den Mut, hinzugehen und mit
Könige; niemand weiß genau, was sie dem betreffenden Freund allein darüber
denken. zu sprechen. Stattdessen erwähnen wir

847
Sprüche 25

es einem anderen gegenüber. Der in die in ihn gesetzten Erwartungen nicht


Gottes Wort niedergelegte Grundsatz erfüllen kann. Die Indianer gebrauchten
wird vergessen, und Unheil folgt auf dafür den Spruch: »Haufenweise gro­
dem Fuß. Über eine solche Sache viel zu ßer Wind ‒ kein Regen«.
reden, führt zu nichts Gutem und macht 25,15 Sanftmut und Geduld über­
die Kluft nur noch schlimmer. Wenn wir reden einen Fürsten oder Richter weit
nur solch einen Vers als unsere Richt- eher, als wenn er provoziert und auf­
schnur nehmen und unser Verhalten geregt wird. In gleicher Weise kann
dar­an ausrichten würden, würden wir eine sanfte Zunge Knochen zerbrechen,
viele triviale »Anlässe« zu Streitigkeiten d.h. sie erreicht mehr als der kräftige
von vornherein aus der Welt schaffen Biss mächtiger Kiefer oder Zähne.
und uns viel innere Unruhe und Auf­ 25,16 Honig ist gut, wenn er in Maßen
regung ersparen. genossen wird, aber von zu viel des
Guten wird uns nur übel. Wir sollten
Vers 10 beschreibt, wie der Dritte uns essen, um zu leben ‒ nicht leben, um zu
dafür tadelt, dass wir nicht direkt zu essen. Larry Christenson gibt dafür ein
dem gehen, mit dem wir unser Problem Beispiel:
haben, und wie wir in der Folge einen
Ruf als Klatschbase (oder noch schlim- Ein mit uns befreundetes Ehepaar hat
mer) bekommen! acht Kinder, und alle mögen Eiskrem. An
25,11 Ein treffendes Wort gleicht gol- einem heißen Sommertag rief eine der
denen Äpfeln in silbernen Prunkscha- jüngeren plötzlich aus, sie wünschte, sie
len. Das richtige Wort zur rechten Zeit könnte nur noch Eiskrem essen! Die an-
ist moralisch ebenso schön und pas- deren stimmten ihr lauthals zu, und zu
send wie eine Kombination von kost- ihrer Überraschung sagte der Vater: »In
baren und attraktiven Metallen. Ordnung, morgen könnt ihr Eiskrem ha-
25,12 Ein goldener Ohrring und ein ben, so viel ihr wollt ‒ nichts als Eis-
Halsgeschmeide aus feinem Gold un- krem.« Die Kinder kreischten vor Ver-
terstreichen natürliche Schönheit. gnügen und konnten es kaum bis zum
Ebenso fügt ein weiser Mahner mora- nächsten Tag aushalten. Sie kamen zum
lische Schönheit dem hinzu, der bereit Frühstück heruntermarschiert und riefen
ist, zu hören und zu lernen. sogleich ihre Bestellungen von Schokola-
25,13 Gewöhnlich wäre Schnee zur de-, Erdbeer- und Vanille-Eiskrem aus ‒
Erntezeit natürlich eine Katastrophe. ganze Suppenschüsseln voll! Zum Im-
Hier ist jedoch Schnee gemeint, den biss am Vormittag gab es wieder Eis-
man einem Wassertrunk zur Kühlung krem. Zum Mittagessen ‒ Eiskrem (dies-
zusetzt und einem Schnitter auf dem mal ein wenig kleinere Portionen). Als
Erntefeld reicht. Wie uns ein eisgekühl­ sie zum Imbiss am Nachmittag ins Haus
tes Getränk an einem heißen Tag er- kamen, nahm Mutter gerade einige fri-
frischt, so erquickt ein zuverlässiger sche Brötchen aus dem Backofen, und ihr
Bote die, die ihn senden. Duft breitete sich im ganzen Haus aus.
25,14 Wer ein Geschenk verspricht, es »O Mann«, sagte Klein-Teddy, »frische
aber dann doch nicht gibt, gleicht Wol- Brötchen ‒ mein Lieblingsessen!« Er
ken und Wind, die die Menschen Regen wollte zum Schrank gehen, aber seine
erwarten lassen, dann aber ohne den er- Mutter bremste ihn. »Du weißt doch,
hofften Regen weiterziehen. Obwohl es heute ist Eiskremtag ‒ nichts als Eis-
in diesem Spruch nicht um geistliche krem.« »Ach so, ja …« »Möchtest du viel-
Gaben geht, ist dies doch eine passende leicht eine Schüssel voll?« »Nein danke
Anwendung. Jemand gibt sich viel- … vielleicht eine Waffel mit einer kleinen
leicht als großer Lehrer oder Prediger Kugel.«
aus; doch ist es enttäuschend, wenn er Zur Zeit des Abendessens war die Be-

848
Sprüche 25

geisterung für eine reine »Eiskremdiät« besuch absolvierte. »Er fand einen ar-
beträchtlich gesunken. Als sie um den men Patienten vor, dessen beide Beine
Tisch saßen und ihre Schüsseln voller fri- auf eine Rolle gespannt waren, seine
scher Eiskrem anstarrten, wandte sich beiden Arme in Gips, in einem Arm
Mary ‒ mit deren Vorschlag das ganze eine Infusion. Und er sagte mit seinem
Abenteuer begonnen hatte ‒ an ihren großen evangelikalen Lächeln zu dem
Papa und sagte: »Könnten wir nicht Kranken, indem er seine große evange-
diese Eiskrem gegen ein Stückchen Brot likale Bibel hervorzog: ›Bruder, freust
eintauschen?«36 du dich?‹« Weston sagt: »Der Pastor hat
mir nie erzählt, was der Patient sagte,
25,17 Mäßigung gilt nicht nur für den aber es war nicht sehr höflich.«37
Honigkonsum, sondern auch für Be- 25,21-22 Paulus zitiert diese Verse in
suche. Es ist wichtig zu wissen, wann Römer 12,20. Wir können das Böse
die Zeit zum Gehen gekommen ist. durch das Gute überwinden, indem wir
Sonst bleiben wir länger als erwünscht jede Beleidigung oder Unhöflichkeit
und werden sicher nicht mehr so mit Freundlichkeit vergelten.
schnell eingeladen. »Wie viel besser ist Eine wütende Nachbarin rief eine
doch die Freundschaft Gottes als die frisch bekehrte Hausfrau an und ließ ei-
der Menschen! Je öfter wir zu ihm kom- nen Schwall von Schimpfworten gegen
men, desto willkommener sind wir bei die fünfjährige Tochter der Gläubigen
ihm« (Cartwright). los, weil sie Blumen zertrampelt, ein
25,18 Hier finden wir drei passende Fenster zerbrochen und andere Misse-
Vergleiche für den Mann, der über sei- taten verübt hätte. Als die Nachbarin
nen Nächsten falsches Zeugnis gibt: einen Augenblick Luft holte, lud die
- ein Streithammer (Luther 1984, Christin sie zu sich ein, um über die Sa-
Menge), d.h. eine Keule, die erschlägt che zu sprechen. Als ihre Nachbarin
und in Stücke schmettert, kam, war der Tisch mit Kaffee und Ge-
- ein Schwert mit seinen beiden bäck gedeckt. »O es tut mir Leid – Sie
scharfen Schneiden, haben gerade Besuch!« »Nein«, antwor-
- ein Pfeil, der durchbohrt und ver- tete die Gläubige, »ich dachte nur, wir
wundet. könnten bei einer Tasse Kaffee über
25,19 Wenn wir mit einem gebro- meine Tochter sprechen.« Die Gast­
chenen Zahn hart zubeißen, so bereuen geberin dankte für die Speise und bat
wir es sofort. Wenn wir unser Gewicht Gott um Weisheit. Als sie ihre Augen
auf einen verstauchten Fuß verlagern, wieder öffnete, war ihre Besucherin am
kommt zum Schmerz vielleicht noch Weinen. »Es ist nicht Ihre Tochter, es ist
der Sturz. Genau das geschieht, wenn meine«, brach es aus ihr heraus. »Ich
wir in einer schwierigen Situation un- weiß nicht, warum ich Sie so angegrif-
ser Vertrauen auf einen unzuverläs- fen und verletzt habe. Ich komme ein-
sigen Menschen setzen ‒ wir machen fach nicht mehr klar mit meinen Kin-
eine schmerzhafte und enttäuschende dern, meinem Mann und meinem
Erfahrung. Haushalt!«
25,20 Einem traurigen Herzen Lieder Sobald die Nachbarin dies zugegeben
zu singen, ist unerwünscht, ärgerlich hatte, begann die frisch bekehrte Haus-
und unerträglich. Es ist so unpassend, frau ihr von Christus zu erzählen. In-
wie jemandem den Mantel bei kaltem nerhalb von sechs Wochen waren die
Wetter auszuziehen oder Essig auf Na- Nachbarin und ihre ganze Familie von
tron zu gießen ‒ was zu einer heftigen Neuem geboren.38
Reaktion führt. 25,23 Nordwind erzeugt Regen, und
Keith Weston erzählt von einem Pas­ ebenso verursacht eine verleumde-
tor, der seinen ersten Krankenhaus­ rische Zunge verdrießliche Gesichter.

849
Sprüche 25 und 26

Der verärgerte und zornige Blick verursacht obendrein noch Schaden.


kommt natürlich in erster Linie vom Ebenso fehl am Platz und noch dazu
Opfer der Ohrenbläserei, aber er sollte schädigend ist es, Toren zu ehren. Es ist
auch von jedem anderen kommen, der moralisch unpassend und bestärkt sie
den Klatsch hört. Wenn wir den Ohren- nur in ihrer Torheit.
bläser immer sofort zurechtweisen 26,2 Der Sperling und die Schwalbe
würden, müsste er sein Geschäft schnell fliegen und flattern in der Luft hin und
aufgeben. her, aber niemals setzen sie sich auf
25,24 Dieser Vers ist fast identisch mit uns. Ebenso wird sich ein unverdienter
21,9 und wird hier wiederholt, um die Fluch niemals auf einem Menschen nie-
Unerfreulichkeit des Zusammenlebens derlassen, ganz gleich, was der Aber-
mit einer streitsüchtigen Frau zu be­ glaube dazu sagt. Bileam versuchte, Is-
tonen. rael zu verfluchen, aber er konnte es
25,25 Das Evangelium ist Gottes gute nicht (4Mo 23,8; 5Mo 23,5).
Nachricht aus einem fernen Land ‒ 26,3 Ebenso wie der Gebrauch der
dem Himmel. Wie kühles Wasser für Peitsche für ein Pferd und der Zaum für
eine durstige Kehle, so ist auch das einen Esel notwendig ist, so ist auch
Evangelium erfrischend und löscht den strenge Zucht die einzige Sprache, die
Durst. ein Narr zu verstehen scheint. »Seid
25,26 Wenn charakterfeste Menschen nicht wie ein Ross, wie ein Maultier,
vor Gottlosen wanken, wenn sie Kom- ohne Verstand; mit Zaum und Zügel ist
promisse machen, nachgeben oder ab- seine Kraft zu bändigen, sonst nahen
lassen, für das Recht einzustehen, dann sie dir nicht« (Psalm 32,9).
ist das wie eine getrübte Quelle oder 26,4-5 Diese beiden Verse bilden ei-
ein verdorbener Brunnen. Wir suchen nen scheinbaren Widerspruch. Der ers­
nach Lauterkeit und Reinheit und wer- te besagt, dass man einem Toren nicht
den enttäuscht. antworten soll, der zweite dagegen
25,27 Es ist nicht gut, sich an Honig meint, dass wir ihm antworten sollen.
allzu sehr gütlich zu tun. »Wenn wir Wie ist das zu erklären? Nun, der je-
über Gottes ›Es ist genug!‹ hinaus­ weils zweite Teil der beiden Verse ent-
gehen, erleben wir Übelkeit, nicht hält den Schlüssel.
Hochgefühl« (Kidner). Wir sollten einem Toren nicht auf sol-
Der hebräische Text der zweiten Vers- che Weise antworten, dass wir uns da-
hälfte ist unklar. Er könnte bedeuten: bei selbst zu einem Toren machen. Wir
»Aber Streben nach Ehre ist keine Ehre« sollten nicht unsere Ruhe verlieren, un-
(Menge ‒ Fußnote; die Verneinung höflich werden oder unüberlegt reden.
wird von der ersten Vershälfte ergänzt). Aber wir sollten ihm antworten. Wir
Unrevidierte Elberfelder, Luther 1984 sollten ihn mit seiner Narrheit nicht
und Schlachter lassen die Verneinung einfach davongehen lassen. Wir sollten
weg und übersetzen: »Aber schwere ihn tadeln und zurechtweisen, wie sei-
Dinge erforschen ist Ehre.« Darby über- ne Narrheit es verdient, damit er sich in
setzte: »Schwere Dinge erforschen ist seiner Einbildung nicht selbst für weise
selbst eine Last.« Alle drei Möglich- hält.
keiten ergeben einen guten Sinn. 26,6 Eine Nachricht durch einen
25,28 Jemand, der nie gelernt hat, sein Toren überbringen zu lassen heißt, ge-
Leben und sich selbst in Zucht zu neh- gen unsere eigenen Interessen zu ar-
men, gleicht einer aufgebrochenen beiten. Es ist, als ob wir unsere eigenen
Stadt ohne Mauer, offen für jeden An- Beine verstümmeln oder Gift trinken
griff, jeder Versuchung ausgesetzt. würden. Der Tor wird die Nachricht
26,1 Schnee im Sommer ist eindeutig nicht ordentlich überbringen. Er wird
fehl am Platz, und Regen in der Ernte uns nur Probleme bereiten. Seine Füße

850
Sprüche 26

verstümmeln heißt, sich selbst hilflos »Ein guter Meister macht ein Ding
zu machen. recht; aber wer einen Stümper dingt,
26,7 Die Schenkel eines Lahmen hän- dem wird’s verderbt« (Luther 1912).
gen schlaff und nutzlos an seinem Leib. Es ist unmöglich, zu sagen, welche
Ebenso ist es mit einem Weisheits- Bedeutung die richtige ist.
spruch im Mund eines Toren, denn er 26,11 Ein Hund ekelt sich genauso
weiß nicht, wann, wo und wie dieser wenig vor seinem eigenen Gespei wie
anzuwenden ist. ein Tor vor seiner Narrheit; beide keh-
26,8 Es ist unsinnig, einen Stein in ren zurück zu dem, was ekelerregend
einer Schleuder festzubinden: Er muss und widerwärtig ist. Dieser Vers wird
frei zum Wegschleudern sein. Ebenso in 1. Petrus 2,22 auf Menschen an­
absurd ist es, einem Toren Ehre zu er- gewandt, die eine äußere moralische
weisen. Wandlung erleben, die aber niemals in-
Eine andere mögliche Bedeutung ist nerlich wiedergeboren sind. Letztend-
die, dass genauso, wie sich ein Stein lich kehren sie wieder zu ihrer alten
schnell von der Schleuder löst, auch ein Lebensweise zurück.
Narr sich alsbald der Ehre unwürdig 26,12 Jemand, der eingebildet ist, ist
erweisen wird, die man ihm hat zu- weit erhaben über jede Ermahnung,
kommen lassen. Korrektur oder Zurechtweisung. Es ist
26,9 Wenn ein Betrunkener mit Dor- hoffnungslos, ihm helfen zu wollen.
nen umgeht, so ist das schmerzhaft und Einem unwissenden Narren kann eine
gefährlich für ihn und andere. So kann körperliche Züchtigung manchmal eine
auch ein Weisheitsspruch im Mund Hilfe sein, aber der Eingebildete ist ab-
eines Toren verzerrt und falsch an­ solut taub für jeden Rat.
gewandt werden. Er kann ihn ver­ 26,13-16 Hier treffen wir wieder un-
drehen und zur Rechtfertigung seiner seren Faulpelz und seinen imaginären
Narrheit missbrauchen oder falsche Löwen, der ihn von der Arbeit abhält.
Schlüsse in Bezug auf andere ziehen. Er dreht sich in seinem Bett wie die Tür
26,10 Der hebräische Text dieses in der Angel. Er schwingt vor und zu-
Verses ist sehr schwierig zu deuten, wie rück mit viel Bewegung, doch wird
auch aus den unterschiedlichen Über- kein Fortschritt in Richtung Aufstehen
setzungen hervorgeht: erzielt. Wenn er später schließlich doch
»Ein Schütze, der alles verwundet: so am Tisch sitzt, so steckt er seine Hand
wer den Toren dingt und die Vorüber- in die Schüssel, kann aber nicht mehr
gehenden dingt« (unrevidierte Elber- genügend Energie aufbringen, die Spei-
felder, revidierte Elberfelder, Schlach- se bis zu seinem Mund zu heben. Selbst
ter 2000, Luther 1984, Gute Nachricht). etwas so Angenehmes wie das Essen ist
»Wie ein Schütze, der alle Vorüber­ für ihn eine seine Kräfte übersteigende
gehenden verwundet: so ist, wer Toren Anstrengung. Er ist weiser in seinen ei-
oder Trunkene dingt« (Menge, revi- genen Augen als sieben Männer, die
dierte Elberfelder ‒ Fußnote). verständig antworten, d.h. selbst sieben
»Vielfach verwunden ein Tor und ein intelligente Männer, die in ihrer Mei-
Trunkener die Vorübergehenden« nung übereinstimmen, dass er falsch
(Zürcher). liegt, können seine Haltung auch nicht
»Ein Händelsüchtiger verletzt alle um einen Bruchteil verändern.
und nimmt Toren und Landstreicher in 26,17 Der Vorübergehende, der sich
seinen Sold« (Schlachter 1951). über einen Streit ereifert (unrevidierte
»Viel bringt alles hervor, aber des und revidierte Elberfelder) oder sich
Toren Lohn und wer ihn dingt ver­ einmischt (die anderen Übersetzungen),
gehen« (unrevidierte Elberfelder ‒ Fuß- der ihn nichts angeht, bringt sich selbst
note). in Schwierigkeiten. Es ist, wie wenn

851
Sprüche 26 und 27

man einen Hund bei den Ohren packt: pen, die brennen vor angeblicher Liebe,
Man wagt nicht, ihn festzuhalten, man oft ein Herz voller Hass. Die vor­
wagt aber auch nicht, ihn loszulassen. getäuschte Liebe Judas’, des Verräters,
26,18-19 Wie ein Wahnsinniger, der illustriert dies.
Brandgeschosse, Pfeile und Tod schleu- Der chronische Hasser versucht, sei-
dert, so ist ein Mann, der an seinem ne Feindschaft durch liebliche Worte zu
Nächsten verräterisch handelt, und verbergen, während er gleichzeitig in
dann, wenn der Schaden angerichtet seinem Herzen Betrug hegt. Obgleich
ist, sagt: »Ich habe nur Spaß gemacht.« er freundlich redet, kann man ihm nicht
Es ist, als ob man Mord als einen Spaß vertrauen. In seinem Herzen verbirgt er
entschuldigen würde. Dieser Spruch sieben Gräuel, d.h. er ist voll Bosheit
kann auch auf verantwortungslose und Gemeinheit. Wenn auch sein Hass
»Freundschaften« und Verlobungen von seinem betrügerischen Äußeren
zwischen jungen Menschen angewandt eine Zeit lang verdeckt wird, so wird
werden. sich seine Bosheit doch schließlich vor
26,20-21 Wie Brennstoff Feuer nährt, aller Welt offenbaren.
so nährt Klatsch Probleme. Wenn ein 26,27 Die Bosheit eines Menschen
Unruhestifter nicht ständig durch neue fällt auf ihn selbst zurück, wie es auch
Anschuldigungen, Klatsch und Lügen mit der handwerklichen Fertigkeit Lud-
für neue Nahrung sorgt, wird jeder wigs des Starken geschah. Er wurde be-
Streit bald von selbst aufhören. auftragt, Ketten herzustellen, die wäh-
Vor einigen Jahren erschienen fol- rend eines der frühen französischen
gende Zeilen im Atlanta Journal: Kriege die gefährlichsten Gefangenen
verwahren sollten. Er schmiedete Stahl
Ich bin tödlicher als die heulenden Gra- von höchster Qualität und fertigte Ket-
naten einer Haubitze. Ich gewinne, ohne ten, die an Stärke nicht ihresgleichen
zu töten. Ich zerstöre Häuser, breche hatten.
Herzen und ruiniere Leben. Ich reise auf Später wurde Ludwig selbst wegen
den Flügeln des Winds. Keine Unschuld Verrats zu Gefängnis verurteilt. Man
ist stark genug, um mich abzuschrecken, hörte ihn seufzen: »Dies sind meine ei-
keine Reinheit rein genug, um mich ein- genen Ketten! Hätte ich gewusst, dass
zuschüchtern. Ich nehme keine Rück- ich sie für mich selbst schmiede, wie
sicht auf die Wahrheit, habe keine Ach- ganz anders hätte ich sie gemacht!«
tung vor der Gerechtigkeit, keine Barm- 26,28 Dieser Spruch stellt den Ver-
herzigkeit für die Wehrlosen. Meine Op- leumder und Schmeichler bloß. Erste-
fer sind so zahlreich wie der Sand am rer hasst seine Opfer, Letzterer ruiniert
Meer, und meistens genauso unschuldig. sie.
Nie vergesse ich, und nur selten vergebe 27,1 Niemand weiß, was der nächste
ich. Mein Name ist »Klatsch«.39 Tag bringt. Deshalb sollten wir uns
nicht damit rühmen, was wir dann alles
26,22 Dies ist eine Wiederholung von tun werden, wie es der reiche Narr tat
18,8. Die gefallene menschliche Natur (Lk 12,16-21). Vgl. dazu auch Jak 4,13-
giert nach Klatsch, als handele es sich 15.
um wohlschmeckende Leckerbissen. 27,2 Es ist ziemlich geschmacklos und
26,23-26 »Silberglasur über ein ir- unhöflich, sich selbst zu rühmen. Ein
denes Gefäß gezogen, so sind feurige wirklich kultivierter Mensch hält sich
Lippen und ein böses Herz« (Schlachter im Hintergrund und lobt andere. »Vor-
2000). Ein glänzender, silberner Über- sicht vor Autobiografien!« (Randbe-
zug verbirgt die Wertlosigkeit und merkung der amerikanischen Berkeley-
dunk­le Farbe der darunter liegenden Übersetzung)
irdenen Töpferware. So verbergen Lip- 27,3 Die ständigen provozierenden

852
Sprüche 27

Bemerkungen eines Narren sind 27,8 Wer von seiner Heimat fortwan-
schwerer zu ertragen als eine schwere dert, zeigt damit seine Unzufriedenheit
physische Last. Ein Mensch würde lie- und Ruhelosigkeit. Er ist vom Wander-
ber Steine oder Sand schleppen, als sich trieb infiziert. Er ist wie der Vogel, der
ständig über einen großsprecherischen fern von seinem Nest schweift, indem
Narren ärgern zu müssen. er Verantwortung scheut und nicht in
27,4 Zorn und Grimm sind grausam der Lage ist, etwas Festes und Blei-
und überwältigend, aber oft auch eben- bendes in seinem Leben aufzubauen.
so kurz. Eifersucht jedoch nagt bestän- 27,9 Der Duft von Parfüms und Sal-
dig in unserem Innern und ist deshalb ben wird mit der wohltuenden Wir-
viel schlimmer und schmerzhafter. kung des liebevollen Rates von einem
Dies bezieht sich beispielsweise auch Freund verglichen. Es ist etwas wirk-
auf jemanden, dessen Ehe von einer lich Herzerwärmendes um die Gemein-
dritten Person zerstört worden ist. schaft mit einem echten Freund.
27,5 Offener Tadel nützt dem Emp- 27,10 Freundschaften müssen ge-
fänger, aber niemand hat etwas von pflegt und lebendig erhalten werden.
verborgen gehaltener Liebe, d.h. einer Oft sind die ältesten Freunde die be-
Liebe, die nicht bereit ist, auch auf je- sten. Wir sollten deshalb nicht den Kon-
mandes Fehler hinzuweisen und deren takt mit unseren Freunden oder alten
Existenz nie bekannt wird. Freunden der Familie einschlafen las-
27,6 Die meisten Menschen sind nicht sen.
ehrlich mit uns bezüglich unserer Feh- »Und gehe nicht in deines Bruders
ler; sie haben Angst, dass wir uns gegen Haus!« Der Bruder hier ist offensicht-
sie wenden. Wer aber bereit ist, unsere lich einer, der sich entfremdet hat und
Zuneigung zu riskieren, um uns durch weit entfernt ist. Wenn wir in Not kom-
konstruktive Kritik zu helfen, der ist ein men, erhalten wir mehr Hilfe und Ver-
wirklicher Freund. ständnis von einem treuen Nachbarn
Die Küsse eines Feindes dagegen sind als von einem nahen Verwandten, der
überreichlich oder trügerisch (Luther sich uns entfremdet hat.
1984). Judas machte mit den Soldaten 27,11 Das Verhalten eines Sohnes ist
ein Zeichen aus, damit sie den Herrn ein Spiegel der Erziehung seines Vaters.
Jesus von den Jüngern unterscheiden Ein Schüler bringt seinem Lehrer ent-
konnten; das Zeichen war ein Kuss. Das weder Freude oder Schande. Die Fuß-
weltweite Symbol der Liebe wurde aufs note der Berkeley-Übersetzung drückt
Allerschändlichste missbraucht. Als Ju- es gut aus: »Die einzige Verteidigung
das sich dem Herrn näherte, sagte er: des Lehrers: der Erfolg seiner Stu-
»Sei gegrüßt, Rabbi«, und küsste ihn denten.«
zärtlich. Zwei verschiedene Worte für 27,12 Noah war ein kluger Mann, der
»küssen« werden hier gebraucht (Mt sich und seine Familie in der Arche ver-
26,48-49). Das erste in Vers 48 ist das barg. Die übrigen Menschen gingen
normale Wort für »küssen«. Aber in sorglos und gleichgültig weiterhin ih-
Vers 49 wird ein stärkeres Wort ver- ren Geschäften nach und mussten da-
wendet, welches wiederholtes, leiden- für die schrecklichen Konsequenzen
schaftliches Küssen ausdrückt. erleiden (siehe Anmerkungen zu 22,3).
27,7 Ein übersättigter Mensch verliert 27,13 Im modernen Sprachgebrauch
schließlich auch den Geschmack an den drückt man sich so aus, dass der, der
köstlichsten Speisen. Ein hungriger für einen Fremden bürgt, letztendlich
Mensch dagegen ist selbst für die ein- »sein letztes Hemd verlieren« wird.
fachsten Bissen dankbar. Dies gilt für In der zweiten Zeile lesen wir: »…
materiellen Besitz und auch für geist- und anstelle der Ausländerin (o. wegen
liche Vorrechte. der fremden Sache) pfände ihn.« Das

853
Sprüche 27

heißt mit anderen Worten, dass wir uns »Wenn mir jemand dient, so wird der
vergewissern sollten, dass wir einen ge- Vater ihn ehren« (Joh 12,26).
setzlichen Anspruch auf das Eigentum 27,19 Wenn wir in einen klaren Teich
von jemandem haben, der für die Schul- schauen, sehen wir unser Gesicht im
den von Fremden bürgt; denn wenn Wasser widergespiegelt. Wenn wir an-
der Schuldner nicht zahlen kann, dann dere Menschen studieren, werden wir
haftet der Bürge. in ähnlicher Weise vieles erkennen, das
27,14 Niemand schätzt laute, wir auch in uns selbst finden ‒ die­
schmeichlerische Grüße früh am Mor- selben Gefühle, Versuchungen, Am­
gen, wenn er ein wenig Schlaf zu be- bitionen, Gedanken, Stärken und
kommen sucht. Sie sind mehr ein Är- Schwächen.
gernis als ein Segen. Das ist auch der Grund, warum je-
27,15-16 Das ständige Tropfen des mand, der zu sich selbst predigt, oft
Wassers, das man an einem regne- überrascht ist, wie viele andere Men-
rischen Tag durch das Dach hört, hat schen er an einem entscheidenden
eines gemeinsam mit einer zänkischen, Punkt getroffen hat.
ständig schimpfenden Frau: Beide kön- 27,20 Totenreich und Abgrund (hebr.
nen einen »senkrecht die Wände hoch- Scheol und Abaddon) kommen nie zu
gehen lassen«. einem Punkt, wo sie einmal keine Op-
»Wer sie zurückhalten will, hält Wind fer mehr fordern. So werden auch die
zurück, und seine Rechte greift nach Augen der Menschen nie satt von dem,
Öl.« Was man auch sagt, sie wird Aus- was die Welt anzubieten hat. Arthur G.
flüchte suchen, sich entschuldigen, an- Gish führt dazu aus:
dere beschuldigen und mit ihrer stän-
digen Nörgelei weitermachen. Tolstoi erzählt von einem Bauern, der
27,17 Früher war es allgemeiner von der Gier nach mehr und mehr Land
Brauch, dass der Gastgeber am Tisch getrieben war. Schließlich hörte er von
das Tranchiermesser schärfte, indem er billigem Land unter den Baschkiren. Er
beide Seiten der Schneide über ein ge- verkaufte alles, was er hatte, machte eine
härtetes Stahlstück mit feinen Rillen lange Reise in ihr Gebiet und handelte
zog. Wie auf diese Weise die Reibung mit ihnen einen Vertrag aus. Für eintau-
von Eisen an Eisen zu Schärfe führt, so send Rubel konnte er all das Land kau-
schärft der Austausch von Ideen unter fen, das er in einem einzigen Tag um-
Menschen das Denken der Betref- schreiten könnte. Am nächsten Morgen
fenden. Wenn wir uns unsere Mei- brach er auf, wanderte weit in eine Rich-
nungen gegenseitig mitteilen, so be- tung und wandte sich schließlich nach
kommen wir ein weites und breites Ge- links. Er machte viele Umwege, um Ge-
sichtsfeld. Das Stellen von Fragen biete mit besonders gutem Boden zusätz-
schärft den Verstand. Freundschaft- lich einzuschließen. Als er sich schließ-
licher Austausch schleift und verfeinert lich das letzte Mal wandte, wurde ihm
den Charakter. klar, dass er zu weit gegangen war. Er
27,18 Wer sich um seinen Feigen- lief so schnell wie möglich, um vor Son-
baum kümmert, wird mit reichlicher nenuntergang zu seinem Ausgangs-
Frucht belohnt. Die Sorgfalt, die wir auf punkt zurückzukommen. Schneller und
unsere Tätigkeit und Arbeit verwen- schneller rannte er, bis er schließlich
den, garantiert uns Nahrung in der strauchelte und genau im Augenblick
Speisekammer und dem Gefrier- des Sonnenuntergangs über den Aus-
schrank. gangspunkt fiel. Er war tot. Man begrub
Ebenso gilt, dass jemand, der seinem ihn in einem kleinen Loch – das war nun
Arbeitgeber treu dient, von ihm geehrt alles Land, das er brauchte.40
werden wird. Der Herr Jesus sagte:

854
Sprüche 27 und 28

Zum Glück wird alle Sehnsucht des der trennen. Mit anderen Worten: Man
menschlichen Herzens in Christus voll- kann zwar den Weizen von der Spreu
kommen befriedigt: trennen, aber die Narrheit in einem
O Christus, er ist der Quell, Narren ist unausrottbar.
Der tiefe, süße Brunnen der Liebe! 27,23-27 Dieser Abschnitt beschreibt
Seine Ströme habe ich schon auf Erden die Vorzüge des Landlebens, legt aber
geschmeckt, dabei gleichzeitig großen Nachdruck
Und droben werde ich noch tiefer daraus auf die Sorgfalt und den Fleiß des
trinken! Bauern.
Dort breitet sich seine Gnade aus Die Pflege der Schaf- und Kleinvieh-
So voll und weit wie das Meer, herden erfordert unermüdlichen und
Und Herrlichkeit, Herrlichkeit wohnt unaufhörlichen Fleiß. Der Wohlstand
Im Land Immanuels. des Hirten kann nur durch beständige
Anne Ross Cousin Sorgfalt aufrechterhalten werden. Dies
gilt in gleicher Weise für das Weiden
27,21 Wie ein Schmelztiegel Silber prüft der Schafe in einer örtlichen Gemeinde.
und ein Ofen Gold, so wird ein Mann Reichtum ist nicht von Dauer, und
»geprüft durch den Mund des Lobred- die Ehre des Königtums geht schnell
ners« (Schlachter 2000). Dies kann be- verloren, wenn man nicht ständig dar-
deuten, dass jemand dadurch geprüft auf bedacht ist, sich um seine An­
wird, wie er auf Lob reagiert. Steigt es gelegenheiten zu kümmern.
ihm zu Kopf und verdirbt ihn, oder Es ist eine unbeschreibliche Befriedi-
kann er es ruhig und demütig anneh- gung für einen Bauern, wenn er das Ge-
men? treide hervorsprossen sieht und die
Oder es kann bedeuten, dass ein Gräser und Kräuter der Hügel einsam-
Mann geprüft wird durch die Dinge, meln kann. Die Lämmer liefern Wolle
die er lobt. Seine Wertmaßstäbe sind ein zur Bekleidung, und durch den Ver-
Spiegelbild seines Charakters. kauf von Ziegen kann er weitere Felder
Oder es könnte drittens bedeuten, erwerben. So ist reichlich Nahrung für
nach dem Vorschlag von Barnes: »So seine Familie und sein Gesinde vorhan-
soll sich ein Mann seinem Lob gegen­ den.
über verhalten.« Das heißt: »Er soll es 28,1 Ein schuldbeladenes Gewissen
reinigen von allen Schlacken der lässt uns beim geringsten Geräusch
Schmeichelei und Gemeinheit, mit wel- aufschrecken. Menschen mit einem rei-
chen es nur allzu wahrscheinlich ver­ nen Gewissen können fahren, ohne
mischt ist.« ständig im Rückspiegel nach einem
27,22 Wahrscheinlich haben wir alle Streifenwagen Ausschau zu halten; »die
schon einmal in einem Museum oder Gerechten sind unerschrocken wie ein
im Schaufenster einer Apotheke einen junger Löwe« (Menge).
Mörser mit Stößel gesehen. Der Mörser 28,2 Wenn in einem Land Über­
ist ein schüsselförmiger Gegenstand. tretung und Verbrechen weit verbreitet
Der Stößel ist eine kurze dicke Keule sind, dann leidet es unter häufigen Re-
mit einem kugelförmigen Ende und gierungswechseln. Ist der Herrscher
wird zum Zerstampfen und Zerklei- aber ein untadeliger, einsichtiger Mann,
nern von Gewürzen und Kräutern im erfreut sich das Land eines gesicherten
Mörser gebraucht. und stabilen Zustands. Das Nordreich
Selbst wenn wir einen Narren in ei- von Israel hatte 19 Könige in einem
nen Mörser mit Weizen stecken und Zeitraum von etwa 200 Jahren (oder im
beide mit dem Stößel zerstampfen Durchschnitt etwa alle zehn Jahre einen
könnten, so könnten wir doch den Nar- neuen König).
ren und seine Narrheit nicht voneinan- 28,3 Ein Armer, der eine Stellung der

855
Sprüche 28

Macht und des Wohlstands erreicht, 28,9 Wenn ein Mann das Gesetz
unterdrückt die Armen oft schlimmer Gottes nicht hören und befolgen will,
als Menschen aus einer höheren Ein- erhört Gott auch sein Gebet nicht. Im
kommensklasse. Er ist wie ein Sturzre- Gegenteil, sein Gebet ist Gott sogar ein
gen, der Getreidefelder wegschwemmt Gräuel.
und die Feldfrüchte zerstört, statt ihnen
Wachstum zu bringen. Ebenso gut könnte ich niederknien
28,4 Menschen, die die Schranken des Und Götter aus Stein anbeten,
Gesetzes Gottes und der bürgerlichen Wie dem lebendigen Gott
Gesetze verwerfen, rühmen oft die Ein Gebet aus bloßen Worten darzubrin­
Gottlosen. Dies ist natürlich ein Ver- gen.
such, sich selbst zu rechtfertigen. John Burton
Wer aber das Gesetz hält, stellt sich
den Übertretern entgegen und tritt für 28,10 Wer den Gerechten zur Sünde
die Sache der Gerechtigkeit ein. verführt, wird selbst in eine Grube des
28,5 Gottlose Menschen haben keine Verderbens fallen. Der Herr Jesus
Ahnung von Gerechtigkeit; da sie sich warnte: »Wenn aber jemand einem die-
weigern, sie zu praktizieren, verlieren ser Kleinen, die an mich glauben, An-
sie auch die Fähigkeit, sie zu begreifen. lass zur Sünde gibt, für den wäre es
Diejenigen, die den Willen des Herrn besser, dass ein Mühlstein an seinen
suchen, werden von ihm auch mit ent- Hals gehängt und er in die Tiefe des
sprechenden Fähigkeiten zur Einsicht Meeres versenkt würde« (Mt 18,6).
und zur Unterscheidung ausgestattet. »Aber die Unsträflichen werden
Es besteht eine enge Verbindung zwi- Gutes erben.« Die Unsträflichen hier
schen moralischem Verhalten einerseits sind solche, die andere auf Wege der
und Verständnis andererseits (vgl. Heiligkeit statt der Sünde führen. Viel-
Psalm 119,100). leicht sind es auch diejenigen, die sich
28,6 Ein Armer, der ein lauteres, ehr- weigern, den Versuchungen der Sünde
liches Leben führt, ist besser dran als auf den Leim zu gehen.
ein Reicher, der in allen seinen Wegen 28,11 Ein reicher Mann, der sich sei-
verschlagen ist, der zwar vorgibt, ein nes Reichtums rühmt, hält sich selbst
gutes Leben zu führen, aber dabei stän- für klug. Indem er mit seinem außerge-
dig Betrug und Verrat praktiziert. wöhnlichen finanziellen Gespür prahlt,
28,7 Ein Sohn, der das Gesetz befolgt, ist er weise in seiner eigenen Einbil-
ist weise. Wenn er sich aber mit Schlem- dung. Doch er verwechselt Reichtum
mern einlässt, bringt er Schande über und Weisheit.
seinen Vater. Ein armer Mann mit ein wenig Ein-
28,8 Unter dem Gesetz Moses war es sicht kann eine derartige Angeberei
einem Juden verboten, von einem ande- leicht durchschauen. Charles Lamb re-
ren Juden Zinsen zu verlangen. Er dete einst einen dieser prahlerischen
konnte sie von einem Heiden fordern, Männer mit folgenden Worten an:
aber nicht von einem Mitjuden (5Mo »Entschuldigen Sie, mein Herr, aber
23,19-20). Heutzutage bedeutet »Wu- sind Sie jemand Besonderes?«
cher« ungerechtfertigt hohe Zinssätze. 28,12 Wenn die Gerechten triumphie-
Wer sich durch Wucher oder andere ren, ist das Grund zu großer Freude.
Formen unerlaubten Einkommens be- Wenn Gottlose emporkommen, ver-
reichert, wird seinen Reichtum verlie- stecken sich die Menschen vor lauter
ren. Er wird von ihm genommen und Angst.
jemandem gegeben, der damit besser 28,13 Es gibt zwei Arten von Ver­
umgeht und Rücksicht auf die Armen gebung, die richterliche und die väter-
nimmt. liche. Wenn wir an Christus als unseren

856
Sprüche 28

Herrn und Erretter glauben, empfan- durch Menschen vergossen werden«


gen wir die Vergebung der Sünden, den (1Mo 9,6).
Erlass der Strafe, das ist richterliche 28,18 Die erste Zeile bezieht sich auf
Vergebung. Wenn wir als Gläubige un- die Errettung von Schwierigkeiten in
sere Sünden bekennen, empfangen wir diesem Leben und nicht vor der Ver-
väterliche Vergebung (1Joh 1,9); diese dammnis im Jenseits. Ewige Errettung
erhält unsere Gemeinschaft mit Gott, von der Sündenstrafe wird nicht durch
unserem Vater, aufrecht. einen rechtschaffenen Wandel erlangt,
Es gibt keinen Segen für den, der sei- sondern durch Glauben an den Herrn
ne Sünden zudeckt, d.h. sich weigert, Jesus Christus. Der untadelige Wandel
sie ans Licht zu bringen und sie Gott ist eine Frucht dieser Errettung. Aber
und dem Betreffenden gegenüber, an wer redlich und rechtschaffen lebt,
dem er sich versündigt hat, zu beken- wird vor mancher Gefahr in diesem
nen. Aber jeder, der seine Sünden be- Leben bewahrt.
kennt und lässt, darf versichert sein, Der Mann jedoch, der zwischen einer
dass Gott nicht nur vergibt, sondern Gemeinheit und der nächsten hin- und
ihrer auch nicht mehr gedenkt (Hebr herpendelt, wird mit einem grausamen
10,17). Schlag untergehen.
28,14 Ein Wesenszug wahren Glücks 28,19 Der Gegensatz hier ist der zwi-
ist, ein weiches, empfindsames Herz schen Fülle von Nahrung und Fülle von
vor Gott zu haben. Wer sein Herz ver- Armut. Ein fleißiger Bauer besitzt Erste-
härtet und unbußfertig wird, kommt in re, wer aber unnützen, sinnlosen Ge-
große Schwierigkeiten. Gott widersteht schäften nachgeht, besitzt Letztere.
den Stolzen und Hartherzigen, aber 28,20 Ein zuverlässiger Mann ist hier
einem zerbrochenen und zerschlagenen einer, der ehrlich ist und nicht nach
Herzen kann er nicht widerstehen. großem Besitz trachtet. Er wird reich
28,15 Bestialisch und unmenschlich gesegnet werden. Wer sich aber mit un-
sind passende Beschreibungen für den lauteren Mitteln schnell zu bereichern
Tyrannen, der arme, schwache und hilf- sucht, wird bestraft werden.
lose Menschen unterdrückt und aus- 28,21 Es ist blanke Ungerechtigkeit,
beutet. Er ist wie ein knurrender Löwe wenn ein Richter parteiisch ist; und
und ein gieriger Bär. doch handelt mancher Mensch so, oft
28,16 Offensichtlich ist der hier be- schon für einen Bissen Brot, d.h. aus
schriebene Fürst ein Mann ohne Ver- ganz geringfügigen Gründen.
ständnis in dem Sinn, dass er sich selbst 28,22 Ein mürrischer, missgünstiger
um jeden Preis zu bereichern sucht. Er und habgieriger Mann jagt nach Besitz
ist auch ein großer Erpresser, weil er und erkennt nicht, dass ihn die Armut
andere unterdrückt, um reicher zu wer- bald einholen wird.
den. Ein Herrscher, der unrechtmä- 28,23 Wenn uns ein Freund liebevoll
ßigen Gewinn hasst und selbstlos für zurechtweist, so ist das zunächst nicht
sein Volk lebt, wird seine Tage verlän- einfach zu verkraften. Es verletzt un-
gern. seren Stolz. Aber später erkennen wir,
28,17 »Ein Mensch, belastet mit dem dass dieser Freund wirklich Sorge um
Blut einer Seele, ist flüchtig bis zum uns getragen hat, weil er uns auf unsere
Grab; man unterstütze ihn nicht!« Der Fehler hingewiesen hat. Deshalb sind
vorsätzliche Mörder ist ein Flüchtling, wir ihm dankbar.
der seinem Untergang entgegeneilt. Schmeichelei ist zunächst vielleicht
Niemand sollte die Gerechtigkeit zu angenehm, aber schließlich dämmert es
verhindern suchen oder versuchen, ihr uns, dass die Komplimente ohnehin
zuvorzukommen. Gott hat gesagt: »Wer nicht wahr waren und dass der Betref-
Menschenblut vergießt, dessen Blut soll fende uns einfach für sich einzunehmen

857
Sprüche 28 und 29

suchte. Wahrscheinlich schmeichelt er Unfälle, die eigentlich gar nicht passie-


jedem, dem er begegnet. ren können ‒ aber er geschah dennoch.
28,24 Ein Sohn, der seine Eltern be- 29,2 Der Charakter der Herrscher
raubt, könnte dies vielleicht damit ent- prägt auch die Moral des Volkes. Wenn
schuldigen, dass dieser Besitz später die Gerechten zahlreich sind (auch was
ohnehin ihm gehört oder dass er ihn in ihren Einfluss betrifft), freut sich das
der Zwischenzeit dem Herrn geweiht Volk. Gottlose Herrscher verursachen
hat (Mk 7,11). Aber Gott lässt sich nicht allenthalben Seufzen.
betrügen; er reiht einen solchen Men- 29,3 Ein Sohn, der Weisheit liebt, der
schen in dieselbe Kategorie ein wie als Christ in Hingabe und Absonde-
Räuber und Mörder. rung lebt, bringt seinem Vater Freude.
28,25 Der Habgierige erregt Streit, Der Sohn aber, der in Unmoral und
vielleicht indem er in seiner sinnlosen Ausschweifung lebt, verschleudert das
Jagd nach Reichtum, Macht oder An­ Geld seines Vaters. Wir erinnern uns an
sehen jeden anderen zur Seite stößt den verlorenen Sohn, der durch sein
(vgl. Jak 4,1). Der Gottesfürchtige da­ ausschweifendes Leben den Besitz sei-
gegen findet Frieden und volle Genüge. nes Vaters vergeudete.
28,26 Wer darauf vertraut, dass sein 29,4 Ein König, der in Gerechtigkeit
eigener Verstand ihn durch das Leben handelt, bringt seinem Land Stabilität.
führen kann, ist ein Tor. Er wirft seinen Der aber, der Bestechung annimmt (un-
Anker in sein eigenes Boot und wird revidierte Elberfelder), um das Recht
deshalb unaufhörlich hin- und her­ zu beugen, untergräbt die Festigkeit
getrieben. Wer aber den Herrn um Füh- der Regierung.
rung bittet, handelt weise (vgl. Jer 29,5 Ein Schmeichler bringt seinen
9,23.24). Nächsten in Gefahr, indem er ihm nicht
28,27 Gott belohnt diejenigen, die den die Wahrheit sagt oder ihn für Dinge
Armen Barmherzigkeit erweisen. Wer lobt, die nicht stimmen. Außerdem
seine Augen von Fällen echter Not ab- nährt er den Hochmut, der zum Fall
wendet, wird viele Schmerzen haben. führt.
28,28 Wenn gottlose Männer an die 29,6 Ein böser Mensch verfängt sich
Macht kommen, verbirgt sich die Be- oft im Netz seiner eigenen Sünde. Der
völkerung aus Angst. Doch wenn die Gerechte ist glücklich, weil er nicht die
gottlosen Herrscher gestürzt werden, Folgen der Übertretung zu fürchten
werden die Gerechten zahlreich. braucht. Er wandelt freudig und ju-
29,1 Wer trotz wiederholter War- belnd weiter.
nungen halsstarrig in der Sünde ver- 29,7 Gerechte Menschen kümmern
harrt, wird plötzlich zerschmettert wer- sich aktiv um das Wohl der Armen. Die
den ohne Hoffnung auf eine etwaige Gottlosen sind an derlei Dingen nicht
zukünftige Umkehr. Die Menschen vor interessiert.
der Flut weigerten sich, auf Noah zu hö- 29,8 Spötter stecken eine Stadt in
ren. Die Flut kam, und sie kamen um. Brand (Schlachter 1951). Sie verur­
Ein Bekannter von mir, der das Evan- sachen Aufruhr, indem sie die Gemüter
gelium wiederholt verworfen hatte, traf erregen, die Menschen aufhetzen und
eine gläubige Dame, die oft für ihn ge- Entzweiungen schaffen. Weise Men-
betet hatte. Sie sagte: »Glauben Sie schen aber suchen Zwietracht abzu-
nicht, dass es Zeit für Sie wird, zum wenden und den Frieden zu fördern.
Herrn umzukehren?« Er antwortete: 29,9 Dieser Spruch kann zwei Bedeu-
»Was hat er denn je für mich getan?« tungen haben. Die wahrscheinlichere
Am selben Wochenende wurde sein Le- ist diese: Wenn ein Weiser mit einem
ben bei einem seltsamen Unglück plötz- Toren argumentiert, wird der Tor ledig-
lich ausgelöscht. Es war einer dieser lich toben und lachen. Er wird sich nie

858
Sprüche 29

überzeugen lassen, und es gibt keinen 29,14 Wenn Gott einen Herrscher be-
Frieden. urteilt, so geht es ihm besonders dar-
Die andere Auslegung ist die: Wenn um, ob dieser die Armen rücksichtsvoll
ein Weiser mit einem Toren argumen- und ohne Vorurteil behandelt. Wenn
tiert, ist es gleichgültig, ob der Weise dem so ist, verheißt er, seinen Thron für
Strenge oder Humor gebraucht: Es immer zu befestigen. In Wirklichkeit
kommt auf keinen Fall etwas dabei her- kennen wir nur einen solchen Herr-
aus. scher: Sein Name ist Jesus.
29,10 Wieder gibt es zwei mögliche 29,15 Dieser Spruch widerspricht
Auslegungen. Die eine finden wir in aufs Völligste vielen modernen Fach-
Schlachter 1951 (und revidierte Elber- leuten, die eine »antiautoritäre Gesell-
felder ‒ Fußnote): »Die Blutgierigen schaft« propagieren. Die Rute steht für
hassen den Unschuldigen und trachten körperliche Züchtigung, Ermahnung
den Redlichen nach dem Leben.« Hier ist verbale Zurechtweisung. Diese bei-
sind die Blutgierigen in beiden Fällen den Formen elterlicher Zucht vermit-
die gottlosen Aggressoren. teln Weisheit. Sie behindern ein Kind
Die andere Bedeutung finden wir in nicht und verbiegen seine Persönlich-
der revidierten Elberfelder, unrevi- keit nicht, wie uns die Experten glau-
dierten Elberfelder, Schlachter 2000, ben machen wollen.
Luther 1984 u.a. Nach diesen Überset- 29,16 Wenn die Gottlosen zahl- und
zungen suchen im ersten Halbvers die einflussreich werden, dann steigt auch
Blutgierigen Leben zu zerstören, wäh- die Kriminalitätsrate. Aber die Gerech­
rend im zweiten Halbvers die Ge- ten werden ihren Sturz erleben. Natür-
rechten es beschützen und bewahren. lich gibt es Ausnahmen, aber es sind die
29,11 »Ein Tor lässt all seinem Unmut Ausnahmen, die die Regel bestätigen.
freien Lauf, aber ein Weiser hält ihn zu- 29,17 Ein Kind, das in rechter Weise
rück« (Schlachter 2000). Jay E. Adams gezüchtigt wurde, bringt seinen Eltern
gibt den Rat: Freude und Ruhe statt Sorge und
Schmerz.
Der Gedanke, unserem ganzen Ärger in 29,18 »Wenn keine Offenbarung da
unbeherrschter Weise Luft zu machen, ist, verwildert ein Volk; aber wohl ihm,
indem wir sagen oder tun, was immer wenn es das Gesetz beachtet!« »Offen-
uns gerade in den Sinn kommt, ohne die barung« (wörtl. »Gesicht«) bedeutet
Folgen zu bedenken, ohne auch nur bis hier die prophetische Offenbarung, also
zehn zu zählen, ohne uns zu beherrschen das Wort Gottes (vgl. 1Sam 3,1). Der
und zu beruhigen, ohne sich zuerst die Gedanke ist, dass sich Anarchie im
ganze Geschichte anzuhören, ist ein völ- Volk breit macht, wenn Gottes Wort
lig verkehrter Gedanke.41 nicht gekannt und geehrt wird. Wer das
Gesetz, d.h. das Wort Gottes, bewahrt,
29,12 Der Gedanke hier ist wohl, dass dem geht es gut, und er wird gesegnet.
ein Herrscher, der sich gern schmei- 29,19 Dieser Vers beschreibt die wi-
cheln und mit angenehmen Nachrich- derspenstige und störrische Haltung
ten trösten lässt, von all seinen Dienern vieler Knechte. Mündliche Anweisun­
genauso behandelt werden wird. Sie gen sind nicht immer ausreichend.
werden lügen und schmeicheln. Vielleicht verstehen die Knechte die Be-
29,13 In der menschlichen Gesell- fehle ihres Herrn, aber sie führen sie
schaft mag vielleicht eine große Kluft nicht immer aus. Sie bleiben einfach
zwischen dem Armen und dem Unter- schweigsam und verdrossen. Der Herr
drücker bestehen, aber vor Gott stehen Jesus sagte: »Was nennt ihr mich aber
sie auf der gleichen Ebene. Er ist es, der Herr, Herr! und tut nicht was ich sage?«
beiden das Augenlicht gibt. (Lk 6,46).

859
Sprüche 29 und 30

29,20 Von allen im Buch der Sprüche 29,24 Der Komplize eines Diebes hasst
behandelten Themen nimmt unser Re- gleichsam seine eigene Seele. Warum?
den den Löwenanteil ein. Hier erfahren Weil er, wenn er »den Fluch hört«, d.h.
wir, dass ein Mensch, der redet, bevor wenn der Richter ihn unter Eid stellt, al-
er denkt, hoffnungsloser dran ist als ein les zu sagen, was er weiß, »er es nicht
Tor. Dies stellt ihn auf dieselbe Stufe anzeigt«, d.h. die Aussage verweigert.
mit dem Mann, der weise ist in seiner Unter dem Gesetz Moses wurde ein
eigenen Einbildung (26,12). Mann, der vor dem Richter, unter Eid
29,21 Wenn man einen Knecht verhät- gestellt, die Aussage verweigerte, für
schelt und verwöhnt, vergisst dieser sei- schuldig befunden und entsprechend
ne eigentliche Stellung und wird bald bestraft (vgl. 3Mo 5,1). Damals gab es
erwarten, dass man ihn wie einen Sohn keine Berufung auf das »Zeugnisver-
behandelt. Eine unangebrachte Vertrau- weigerungsrecht«.
lichkeit im Vorgesetzten-Untergebenen- 29,25 Menschenfurcht führt dazu,
Verhältnis ruft oft Verachtung hervor. dass man menschlichem Druck nach-
29,22 Die meisten von uns haben die- gibt, Böses zu tun oder Gutes nicht zu
se beiden Menschen schon einmal ge- tun. Wie viele sind in die Hölle gekom-
troffen. Der zornige Mann erregt alle men, weil sie Angst davor hatten, was
Arten von Streit, und der Hitzige be- ihre Freunde sagen würden, wenn sie
geht eine Menge von Sünden. an Christus glaubten!
29,23 Ein hochmütiger Mensch kann Wer auf den HERRN vertraut, ist
sicher sein, dass er erniedrigt wird. Der sicher – komme was da mag. William
Demütige dagegen erlangt eine ehren- Gurnall schreibt: »Wir fürchten den
volle Position. Menschen so sehr, weil wir Gott so we-
nig fürchten.«
Professor Smith bestieg das Weisshorn. 29,26 Viele Menschen suchen das An-
Kurz vor dem Gipfel trat der Bergführer gesicht eines irdischen Herrschers, als
zur Seite, um dem Reisenden die Ehre zu ob er die Lösung für all ihre Probleme
lassen, als Erster den Gipfel erreicht zu wäre. Aber Gerechtigkeit kommt allein
haben. Begeistert von der Aussicht und vom HERRN.
ohne Rücksicht auf den starken Sturm 29,27 Es kann keine Übereinstim-
sprang er auf und stellte sich aufrecht mung zwischen Übeltätern und Ge-
auf den Gipfel. Der Führer zog ihn auf rechten geben. Die Gerechten meiden
den Boden mit den Worten: »Auf Ihre die Gottlosen, und die Gesetzlosen ver-
Knie, Herr! Sie sind hier nicht sicher au- abscheuen die Gottesfürchtigen. Wie
ßer auf Ihren Knien.« Die Höhen des Le- ein gerader Stock einen verbogenen erst
bens, sei es nun der Erkenntnis oder der als solchen erkennbar macht, so ist der
Liebe oder des weltlichen Erfolgs, sind Gegensatz zwischen einem reinen und
voller Gefahren (Choice Gleanings). einem gottlosen Leben geradezu au-
genfällig.
O Lamm Gottes, halte mich immer An dieser Stelle enden die Sprüche
Ganz nah bei deiner durchbohrten Seite, Salomos.
Denn dort allein kann ich
In Sicherheit und Frieden ruhen. VI. Die Worte Agurs (Kap. 30)
Angesichts der Feinde und Fallstricke 30,1 Alles, was wir über Agur wissen,
um mich herum, steht in diesem Kapitel. Er stellt sich
Der Begierden und Ängste in mir, selbst als der Sohn Jakes vor. Der Aus-
Kann mich allein die Gnade rein bewah­ druck »Ausspruch« (unrevidierte El-
ren, berfelder, Schlachter) kann auch »aus
Die Gnade, die mich suchte und fand. Massa« übersetzt werden (revidierte El-
James G. Deck berfelder, Luther 1984, Menge, Zür-

860
Sprüche 30

cher). Dies würde Agur als einen Nach- einen Sohn hatte. Durch diesen Vers
kommen Ismaels ausweisen (1Mo konnten alttestamentliche Gläubige
25,14). verstehen, dass Gott einen Sohn hat.
Die zweite Zeile könnte auch über- 30,5 Agur wendet sich nun von der
setzt werden: »Dieser Mann sagte: ›Ich Offenbarung Gottes in der Schöpfung
habe mich abgemüht, Gott, ich habe zu seiner Offenbarung im Wort. Er be-
mich abgemüht und bin am Ende mit kräftigt die Unfehlbarkeit der Heiligen
meiner Kunst!‹« (Gute Nachricht, Lu- Schrift: »Jedes Wort Gottes ist lautere
ther 1984, Menge, Zürcher). Dies ist Wahrheit« (Menge). Dann spricht er
eine Einleitung zu dem nun Folgenden von der Sicherheit all derer, die auf den
‒ eine Beschreibung, wie unmöglich es Gott der Bibel vertrauen: »Ein Schild ist
ist, dass Endliches je den Unendlichen er denen, die bei ihm ihre Zuflucht su-
begreifen könnte. chen.«
30,2 Agur beginnt mit einem Bekennt- 30,6 Als Nächstes wird die absolute
nis der eigenen Unfähigkeit, Erkenntnis Genugsamkeit der Schrift bekräftigt.
zu erlangen. Offensichtlich ist dies eine Niemand sollte es wagen, seine Gedan-
Aussage echter Demut ‒ die angemes- ken und Spekulationen dem hinzuzu-
sene Haltung für jeden, der die Werke fügen, was Gott gesprochen hat. Dieser
und Wege Gottes erforschen möchte. Vers verurteilt die Sekten, die für ihre
30,3 Er behauptet nicht, Weisheit ge- eigenen Schriften und Überlieferungen
lernt oder Gott durch menschliches For- dieselbe Autorität wie für die Bibel be-
schen erkannt zu haben. Er erkennt an, anspruchen.
dass er in sich selbst keine Kraft hat, zur 30,7-9 Diese Verse enthalten das ein-
Erkenntnis des Heiligen zu gelangen. zige Gebet im Buch der Sprüche. Es ist
30,4 Durch eine Reihe von Fragen kurz und treffend und enthält zwei Bit-
zeigt er die Größe Gottes, wie er sich in ten, von denen die eine das geistliche
der Natur offenbart. Leben (V. 8a) und die andere das phy-
Die erste beschreibt Gott, wie er Zu- sische Leben betrifft (V. 8b.9).
gang zu den Höhen und Tiefen des Zuerst wünscht Agur für sein Leben,
Universums hat, wohin kein Mensch dass es ehrlich und etwas wert sein
ihm folgen kann. Die zweite unterstrei- möge. Er wollte seine Zeit nicht mit Be-
cht seine Herrschaft über die gewaltige langlosigkeiten vergeuden. Er wollte
Kraft der Winde. Als Drittes wird seine kein Meister in Nebensächlichkeiten
große Macht beschrieben, die die Was- werden. Und er wollte andere nicht be-
ser zusammenhält, sowohl in den trügen oder selbst betrogen werden.
Wolken über der Erde als auch in den Was das Gebiet des Physischen be-
Ozeanen. Als Nächstes wird darauf trifft, so betete er darum, vor den Extre-
hingewiesen, wie er die Grenzen der men der Armut und des Reichtums be-
Kontinente aufgerichtet hat. wahrt zu bleiben. Er wäre mit der Stil-
»Was ist sein Name und was der lung seiner täglichen Bedürfnisse zu-
Name seines Sohnes?« Der Gedanke ist: frieden. Er sagt hier praktisch: »Mein
»Wer kann ein so unendliches Wesen tägliches Brot gib mir heute.«
jemals vollkommen erkennen, ein We- Nun gibt er die Gründe an, warum er
sen, so unbegreiflich, so unerforschlich, die Extreme von Reichtum und Armut
so mächtig, so allgegenwärtig?« Die vermeiden möchte. Wenn er zu satt ge-
Antwort ist schlicht: »Niemand!« Aber worden wäre, würde er vielleicht unab-
wir wissen, dass sein Name HERR hängig von Gott werden und ihn ver-
(Jahwe) ist und der Name seines Sohnes leugnen, indem er meint, ihn nicht be-
Jesus Christus. sonders zu brauchen. Er könnte sich
Dieser Text überrascht die meisten Ju- erfrechen, zu sprechen: »Wer ist denn
den, die gelehrt bekamen, dass Gott nie der Herr?« – d.h. »Wer ist er denn

861
Sprüche 30

schon, dass ich ihn aufgrund eventu- 30,15-16 Die Gier der Gewalttäter im
eller Nöte oder Bedürfnisse um Hilfe vorhergehenden Vers führt zu anderen
bitten müsste?« Beispielen für Begierden, die niemals
Die Gefahr der Armut liegt darin, befriedigt werden.
dass er zum Stehlen verführt werden 1. Der Blutegel wird hier mit zwei
und die Tat, um sie zu verschleiern, un- Töchtern geschildert, die eine un­
ter Eid leugnen könnte. begrenzte Kapazität zum Blutsaugen
30,10 In einem anscheinend abrupten haben. Sie heißen beide »Gib her«.
Übergang warnt Agur vor der Verleum- 2. Vor dem Totenreich hängt niemals
dung eines Sklaven bei seinem Herrn. ein Schild »Keine Plätze mehr frei«. Der
Die Strafe dafür wäre nämlich, dass der Tod hat niemals Urlaub, und das Grab
Fluch, den er über uns ausspricht, ein- hört nie auf, seine Opfer aufzunehmen.
treffen würde, weil Gott der Beschützer 3. Der verschlossene Mutterleib ist nie-
der Bedrückten ist. Das Neue Testa- mals bereit, seine Unfruchtbarkeit zu
ment warnt uns davor, Knechte des akzeptieren, sondern hofft beständig
Herrn zu richten; sie stehen oder fallen auf Schwangerschaft.
ihrem eigenen Herrn (Römer 14,4). 4. Die Erde wird niemals mit Wasser
30,11 Die hier beschriebene Genera­ gesättigt, egal wie viel Regen fällt. Sie
tion hat auffallende Ähnlichkeit mit der kann immer noch mehr aufnehmen.
heute lebenden und derjenigen, die in 5. Das Feuer sagt niemals: »Genug«.
den letzten Tagen sein wird (2Tim 3,1- Es verbraucht so viel Brennstoff, wie
7). Beachten wir folgende Wesenszüge: ihm jemand zuführen möchte.
Mangelnder Respekt vor den Eltern: Sie Der Ausdruck »drei sind es … ja, vier
verfluchen ihren Vater und sind ihrer …« ist eine literarische Formel, die eine
Mutter gegenüber undankbar (revi- Steigerung ausdrücken soll. Grant
dierte Elberfelder ‒ Fußnote) und über- weist darauf hin, dass »vier« die Zahl
treten so das Fünfte Gebot. Die offene der irdischen Vollkommenheit oder
Feindseligkeit junger Menschen gegen- Universalität ist (wie z.B. in den vier
über ihren Eltern ist einer der ty- Himmelsrichtungen) oder die Zahl der
pischsten Charakterzüge unserer deka- Schwachheit, des Geschöpfes im Ge-
denten Gesellschaft. gensatz zum Schöpfer.42
30,12 Selbstgerecht: Diese Menschen 30,17 Dieser Spruch scheint isoliert
sind gemein und schmutzig, und doch vom Rest, obwohl er Ähnlichkeiten mit
haben sie keine Empfindung dafür ‒ sie Vers 11 aufweist. Er lehrt, dass ein Sohn,
sind ohne Schamgefühl. Äußerlich er- der seinen Vater verspottet und seiner
scheinen sie wie übertünchte Gräber, Mutter nicht gehorcht, eines gewalt-
aber innerlich sind sie voller Toten­ samen Todes sterben und ohne wür-
gebeine. diges Begräbnis sein wird. Für den Ju-
30,13 Stolz und Hochmut: Sie gleichen den war es ein großes Unglück und
Rabbi Simeon ben Jochai, der sagte: eine schreckliche Schande, wenn sein
»Wenn es nur zwei gerechte Männer in Leib nicht begraben werden konnte.
der Welt gibt, dann bin ich es und mein Das Schicksal des rebellischen Sohnes
Sohn. Wenn es nur einen gibt, dann bin ist, dass sein Leichnam von den Geiern
ich es.« aufgefressen wird.
30,14 Grausam und gewalttätig: In ihrer 30,18-19 Agur nennt vier Dinge, die
unersättlichen Gier nach Reichtum zer- zu wunderbar für ihn waren. Wenn wir
reißen, fressen und verschlingen sie die sie studieren, haben wir einen vagen
Armen durch lange Arbeitszeiten, nied- Verdacht, dass unter der Oberfläche
rige Löhne, elende Arbeitsbedingungen eine geistliche Analogie verborgen
und andere Formen sozialer Ungerech- liegt. Aber was ist die Analogie und
tigkeit. was die Gemeinsamkeit, die sie verbin-

862
Sprüche 30

det? Die meisten Ausleger weisen dar- 3. Eine verschmähte Frau, wenn es ihr
auf hin, dass alle diese vier Dinge keine endlich gelingt, zu heiraten (V. 23a). Ihr
Spuren hinterlassen. Dies scheint durch gehässiger Charakter hätte sie norma-
Vers 20 bestätigt, wo die ehebreche- lerweise zu dauerndem Ledigsein ver-
rische Frau ihre Schuld zu verbergen urteilt, aber durch irgendeinen Zufall
sucht. Kidner sagt, dass der gemein- zieht sie einen Ehemann an Land. Dann
same Nenner ist, »wie leicht das jewei- wird sie herrisch und hochmütig und
lige Subjekt Elemente beherrscht, mit verletzt oder verspottet die, die immer
denen so schwierig umzugehen ist, wie noch unverheiratet sind.
mit Luft, felsigem Gestein, dem Meer ‒ 4. Eine Magd, die den Besitz ihrer Herrin
oder einem jungen Mädchen«.43 ererbt (V. 23b; unrevidierte Elberfelder,
1. »Der Weg des Adlers am Himmel« Luther 1984 u.a.). Sie weiß sich nicht an-
(V. 19a). Hier staunen wir über das ständig und gütig zu benehmen, son-
Wunder des Fliegens. Die Anmut und dern ist grob, roh, und vulgär.
die Geschwindigkeit des Adlers sind 30,24 Jetzt wendet sich Agur vier Din-
sprichwörtlich. gen zu, die für ihre Kleinheit erstaun-
2. »Der Weg einer Schlange auf dem Fel­ lich weise sind.
sen« (V. 19b). Das Wunder hier ist die 30,25 1. Die Ameisen sind winzige Ge-
Vorwärtsbewegung des Reptils ohne schöpfe und scheinbar hilflos, aber sie
die Hilfe von Beinen, Armen oder Flü- sind während der Sommermonate eif-
geln. rig beschäftigt, Vorräte zu sammeln,
3. »Der Weg eines Schiffes im Herzen des und zwar nicht für den Winter, denn
Meeres« (V. 19c). Es ist möglich, dass einschlägigen Lexika zufolge »drängen
das Schiff hier ein poetischer Name für sich Ameisen zusammen und verbrin-
Fische ist (vgl. Ps 104,26) und dass Agur gen den Winter schlafend in ihrem
über die navigatorischen Fähigkeiten Bau«. Eine gewisse Ameisenart bildet
der Meerestiere staunt. hier eine Ausnahme: Sie sammelt Nah-
4. »Der Weg eines Mannes mit einem rung in warmen, trockenen Zeiten, um
Mädchen« (V. 19d). Die einfachste Erklä- sie in kälteren Zeiten zu sich zu neh-
rung dieses Ausdrucks bezieht ihn auf men. Die Betonung in diesem Text liegt
das Wunder des Werbens umeinander. jedoch auf der geschäftigen Tätigkeit
Manche jedoch haben darüber eine we- der Ameisen in Bezug auf das Einsam-
niger idyllische Ansicht und wenden es meln ihrer Nahrung.
auf die Verführung einer Jungfrau an. 30,26 2. Die Klippdachse, so schwach
30,20 Ein fünftes »Wunder«, offen- sie auch sein mögen, besitzen doch
sichtlich aus gutem Grund hier an­ Weisheit und legen im Felsen ihre Woh-
gefügt, ist die Art und Weise, wie eine nungen an. (Klippdachse sind nicht zu
ehebrecherische Frau ihre Lust befrie- verwechseln mit gewöhnlichen Dach-
digen, dann ihren Mund abwischen sen.) Felsspalten bieten ihnen den be-
und völlige Unschuld vortäuschen sten Schutz. Die geistliche Anwendung
kann. finden wir in dem Lied »Fels des Heils,
30,21-23 Als Nächstes werden vier geöffnet mir« (Jesu Name I, 233).
unerträgliche Dinge erwähnt, die die 30,27 3. Die Heuschrecken haben kei-
Erde erbeben lassen und in Aufruhr nen sichtbaren Anführer, und doch be-
versetzen. wegen sie sich mit einer erstaunlichen
1. Ein Sklave, der König wird (V. 22a). Ordnung.
Er wird arrogant und herrschsüchtig, 30,28 4. Die Eidechse oder Spinne (Lu-
trunken von seiner neuen Stellung. ther 1912, Schlachter ‒ Fußnote) ist so
2. Ein wohlgenährter Narr (V. 22b). Sein klein, dass man sie in der Hand halten
Wohlstand verführt ihn dazu, an­ kann, und doch dringt sie in die Paläste
maßender zu sein als je zuvor. der Könige ein. In ihrem Zugang zu un-

863
Sprüche 30 und 31

gewöhnlichen und wichtigen Plätzen VII. Die Worte, welche die


gleicht sie manchen Christen. Gott lässt Mutter des Königs Lemuel ihm
sich selbst nie unbezeugt, auch nicht an beibrachte (31,1-9)
Königshöfen.
30,29-31 Die letzte Serie gibt uns vier 31,1 Es ist unmöglich, festzustellen, wer
Beispiele von majestätischer, gemes- König Lemuel war. Sein Name bedeu-
sener Bewegung. tet »Gott geweiht« oder »Gott gehörig«.
1. Der Löwe (V. 30), der König der Wichtig ist jedenfalls, dass er für uns
Tiere, ist in seinem Gang majestätisch den weisen Rat aufgezeichnet hat, mit
und gelassen. dem seine Mutter ihn unterwies.
2. Es besteht beträchtliche Unsicher- 31,2 Wir könnten den Gedanken hier
heit in Bezug auf das zweite Beispiel folgendermaßen umschreiben: »Was
(V. 31a). Es könnte ein stolzierender soll ich dir sagen, und welche Juwelen
Hahn (revidierte Elberfelder, Luther der Weisheit soll ich dir vererben, mein
1984, Menge, Zürcher, Gute Nachricht), Sohn, den ich dem Herrn geweiht
ein Streitross (Schlachter) oder ein habe?«
Windhund (Luther 1912) sein. Auf alle 31,3 Zuerst kommt eine Warnung,
trifft die Beschreibung erhabener Wür- dass er ein Leben in Ausschweifung
de zu. und Sinnenlust auf jeden Fall vermei-
3. Ein Ziegenbock oder Widder (V. 31b) den soll. »Die Versuchungen des Ha-
ist ebenfalls ein Bild ruhiger Gelassen- rems waren damals wie heute der Fluch
heit, wenn er vor der Herde herschrei- aller orientalischen Reiche« (Speaker’s
tet. Commentary).
4. Es gibt auch einige Zweifel in Be- 31,4-7 Als Zweites folgt die Bitte, sich
zug auf das vierte Beispiel (V. 31c), ob von übermäßigem Genuss von Wein
es »ein König, gegen den sich niemand und Rauschtrank zu enthalten. Die Ge-
erhebt« (Gute Nachricht, Luther 1912), fahr für Könige liegt darin, dass ihre
»ein König, bei dem der Heerbann ist« Fähigkeit, zu richten und richtige Ent-
(revidierte Elberfelder, unrevidierte El- scheidungen zu treffen, durch über­
berfelder, Luther 1984, Schlachter, mäßiges Trinken beeinträchtigt wird.
Menge) oder »ein König, der vor dem Sie könnten leicht die Vorschriften des
Volk auftritt« übersetzt werden sollte. Gesetzes bezüglich der Rechtsprechung
Auf jeden Fall ist der Punkt hier deut- vergessen und dadurch die Rechts­
lich, dass der König mit majestätischer ansprüche der Elenden nicht mehr auf-
Würde einherzieht. rechterhalten. Der medizinisch dosierte
30,32-33 Das Kapitel schließt mit zwei Gebrauch von Wein als Stimulans für in
Versen, die seltsam unzusammenhän- Todesgefahr Schwebende und als Anti-
gend mit dem Vorhergehenden schei- depressivum für Verzweifelte wird da-
nen. Williams umschreibt die Verse fol- gegen erlaubt. Es mag für solche Men-
gendermaßen: schen richtig sein, zu trinken, um da-
durch ihre Not und ihr Elend zu ver-
Wenn der schwache Mensch sich in sei- gessen.
ner Torheit gegen Gott erhoben oder 31,8-9 Der König sollte ein verant-
auch nur bittere Gedanken über ihn ge- wortungsbewusster Anwalt für alle
hegt hat, so möge er auf die Stimme der diejenigen sein, die sich nicht selbst
Weisheit hören und seine Hand auf den verteidigen können, und den Rechts-
Mund legen; sonst wird dies genauso streit all derer führen, die dem Unter-
Konsequenzen nach sich ziehen wie das gang geweiht sind. Er sollte sich für die
Schütteln von Milch oder das Schlagen Armen und Rechtlosen einsetzen.
auf die Nase oder das Anstiften von Är-
ger.44

864
Sprüche 31

VIII. Die ideale Ehefrau und Bett gegangen sind, arbeitet sie oft noch
Mutter (31,10-31) bis spät in die Nacht hinein.
31,19-22 Sie greift nach der Spinnrol-
Der letzte Abschnitt des Buches be- le, und ihre Finger ergreifen die Spin-
schreibt die ideale Frau. Er ist in Form del, d.h. sie ist damit beschäftigt, Wolle
eines Akrostichons geschrieben, wobei und Flachs zu Garn und Fäden zu spin-
jeder Vers mit einem Buchstaben des nen. Zusätzlich zu alldem findet sie
hebräischen Alphabets in der richtigen noch Zeit, denen zu helfen, die in Not
Reihenfolge beginnt. Die Zürcher Über- sind. Selbstlos teilt sie denen aus, die
setzung gibt dieses Akrostichon im weniger Wohlstand haben. Sie fürchtet
Deutschen wieder (die Buchstaben C, sich nicht vor dem Herannahen des
Q, X, Y werden dabei aus verständ- Winters, weil genügend warme Klei-
lichen Gründen übersprungen). dung in ihren Schränken hängt. Sie
31,10-12 Eine tugendhafte oder tüch- stellt Decken (oder Teppiche [unrevi-
tige Frau ist fähig, fleißig, ehrenwert dierte Elberfelder]) her; sie selbst ist in
und gütig. Ihr Wert kann nicht mit Ju- Byssus (feinem Leinen) und Purpur ge-
welen oder Korallen gemessen werden. kleidet.
Ihr Mann hat volles Vertrauen zu ihr 31,23 Ihr Mann ist im ganzen Land
und braucht sich nicht vor Mangel an angesehen. Er sitzt mit den Ältesten am
ehrlichem Einkommen zu fürchten. All Tor und kann sich selbst öffentlicher
ihr Streben ist darauf ausgerichtet, ihm Verantwortung widmen, ohne sich um
zu helfen; sie arbeitet ständig mit ihm die Zustände zu Hause sorgen zu müs-
zusammen. sen.
31,13-15 Sie kümmert sich ständig um 31,24-27 Seine Frau stellt kostbare
Wolle und Flachs und hat Freude da- Hemden her und verkauft sie auf dem
ran, aus ihnen Kleidung herzustellen. Markt. Sie verdient auch Geld durch
Auf ihren Einkaufstouren gleicht sie den Verkauf von Gürteln oder Schär-
Handelsschiffen, die mit Gütern be­ pen. Mit Kraft und Hoheit bekleidet,
laden aus der Ferne zum Hafen zurück- schaut sie der Zukunft zuversichtlich
kehren. Wir sehen sie förmlich zum Su- entgegen. Die Unterweisung, die sie ih-
permarkt gehen und ihren Einkaufs­ rer Familie gibt, ist eine gute Mischung
wagen mit den besten Angeboten be­ aus Einsicht und Freundlichkeit (Men-
laden. Schon vor Tagesanbruch steht sie ge). Sie hat ein scharfes Auge auf die
auf, um für ihren Haushalt das Essen Vorgänge in ihrem Haushalt und ver-
zu bereiten. »Das Angemessene«, dass geudet keine Zeit mit oberflächlichen,
sie ihren Mägden gibt, schließt neben unproduktiven Tätigkeiten.
ihrem Frühstück sicher auch ihre Ar- 31,28-29 Ihre Kinder erkennen und
beitszuteilung für den Tag ein. schätzen es, dass sie eine außergewöhn-
31,16-18 Wenn ihr zu Ohren kommt, liche Mutter ist, und sie sagen es ihr.
dass ein benachbarter Acker zum Ver- Auch ihr Mann lobt sie als eine von Gott
kauf angeboten wird, geht sie hin und geschenkte Frau. Er sagt: »Es gibt viele
begutachtet ihn. Ist er gerade das, was gute Frauen in der Welt, aber du bist
sie braucht, kauft sie ihn und pflanzt in die beste von allen.«
ihrem Eifer einen Weinberg mit dem 31,30-31 Der Schreiber fügt nun sein
Geld, das sie verdient hat. Sie bereitet Amen dem hinzu, was der Ehemann ge-
sich auf ihre Aufgaben mit Elan und rade gesagt hat. Es ist wahr: Eine Frau
großer Begeisterung vor. Auch scheut kann vielleicht bezaubern, aber doch
sie nicht vor anstrengender Arbeit zu- ohne gesunden Menschenverstand
rück. Sie registriert die Frucht ihrer sein. Sie mag schön sein, aber doch
Arbeit mit stiller, bescheidener Befrie­ zwei linke Hände haben. Aber eine got-
digung. Wenn die anderen schon zu tesfürchtige Frau, wie oben beschrie-

865
Sprüche 31

ben, ist die beste. Für ihren Fleiß und qu’une nuit; / Chagrin d’amour dure
ihren edlen Charakter soll sie geehrt toute la vie.
werden. Wenn die Stadtväter im Rat- 14
(10,28) G.S. Bowes, zitiert aus Our
haus zusammenkommen, sollen sie Daily Bread.
ihre außergewöhnlichen Erfolge als 15
(13,4) Bosch, Hrsg., Daily Bread.
Vorbild rühmen. 16
(13,5) J. Allen Blair, weitere Angaben
Es ist bemerkenswert und sehr pas- nicht verfügbar.
send, dass die Sprüche gerade mit die- 17
(13,7) G. Campbell Morgan, Search­
sen positiven Bemerkungen über lights from the Word, S. 203.
Frauen enden. Drei Frauen sind in die- 18
(13,10) C.S. Lewis, Christianity, S. 110-
sem Buch besonders bekannt gewor- 111.
den: die personifizierte Weisheit, die als 19
(13,24) Benjamin Spock, zitiert in:
Frau dargestellt wird, die Lernende zu Tampa Tribune, Tampa, Florida, 22. Ja-
ihrem Bankett einlädt, die unmora- nuar 1974.
lische Frau oder Verführerin und schließ- 20
(14,2) Kidner, Proverbs, S. 106.
lich die tüchtige oder tugendhafte Frau. 21
(14,30) Paul Adolph, »God in Medi-
cal Practice«, in: The Evidence of God
in an Expanding Universe von John
Anmerkungen Clover Monsma.
1
(Einführung) Zitiert durch D.L. 22
(15,1) Charles Haddon Spurgeon, zi-
Moody in Notes from My Bible, S. 81. tiert von A. Naismith in: 1200 More
2
(Einführung) Arnot gebraucht diese Notes, Quotes and Anecdotes, S. 239.
Formulierung als Titel für seinen 23
(16,3) J. Allen Blair, weitere Angaben
Kommentar zu den Sprüchen (s. Bi- nicht verfügbar.
bliografie). 24
(16,24) Watchman Nee, Do All to the
3
(1,8) Henry Bosch, Hrsg., Our Daily Glory of God, S. 55.
Bread. 25
(16,32) Henry Durbanville, Winsome
4
(1,19) Das hebräische Wort für Weis- Christianity, S. 41.
heit (hokmāh) ist ein weibliches Sub­ 26
(17,17) Moody, Notes, S. 83.
stantiv, daher wurde diese Tugend 27
(17,22) Paul Brock, Reader’s Digest,
naturgemäß als Frau personifiziert September 1974.
dargestellt. 28
(17,22) Blake Clark, Reader’s Digest,
5
(1,25) Donald Grey Barnhouse, Words Mai 1972.
Fitly Spoken, S. 239. 29
(18,9) Griffiths, Life, S. 53.
6
(3,2) Jay Adams, Competent to Coun­ 30
(18,14) Adolph, »God in Medical
sel, S. 125. Practice«.
7
(5,18) Michael Griffiths, Take My Life, 31
(18,24) Morgan, Searchlights, S. 204.
S. 117. 32
(19,17) Henry Bosch, Hrsg., Our Dai­
8
(5,22) Adams, Counsel, S. 145. ly Bread.
9
(6,16) Derek Kidner, The Proverbs: An 33
(22,6) Zitiert in: A Treasury of Illustra­
Introduction and Commentary, S. 73. tions, New York: Fleming Revell Co.,
Siehe ähnliche Formulierungen in 1904, S. 11-12.
30,15.18. 34
(22,6) Adams, Counsel, S. 158.
10
(6,17) J. Oswald Sanders, On To Ma­ 35
(22,15) Matthew Henry, Matthew
turity, S. 63. Henry’s Commentary on the Whole
11
(6,28) Griffiths, Life, S. 116. Bible, Bd. III, S. 919.
12
(7,2) International Standard Bible Ency­ 36
(25,16) Larry Christenson, The Chris­
clopedia, Bd. 1, S. 209. tian Family, S. 58.
13
(9,18) Der französische Text lautet 37
(25,20) Keith Weston, Living in the
wie folgt: Plaisir d’amour ne dure Light, S. 122.

866
Sprüche

38
(25,21-22) Sarah Anne Jepson, »Pre- 41
(29,11) Adams, Counsel, S. 221.
paring Tables of Forgiveness«, Good 42
(30,15-16) F.W. Grant, The Numerical
News Broadcaster, Juni 1975, S. 13. Bible, Bd. I, S. 15.
39
(26,20-21) Atlanta Journal, weitere An- 43
(30,18-19) Kidner, Proverbs, S. 180.
gaben nicht verfügbar. 44
(30,32-33) George Williams, The
40
(27,20) Arthur G. Gish, Beyond the Rat Student’s Commentary on the Holy
Race, S. 91. Scriptures, S. 437.

Bibliografie Jensen, Irving L.,


Proverbs, Everyman’s Bible Commentary,
Arnot, William, Chicago: Moody Press, 1982.
Laws for Heaven for Life on Earth,
London: James Nisbet & Co, o.J. Kidner, Derek,
The Proverbs: An Introduction and Com­
Bridges, Charles, mentary,
A Commentary on Proverbs, Nachdruck, Downers Grove: InterVarsity Press,
Edinburgh: The Banner of Truth Trust, 1983. 1964.

Delitzsch, Franz, MacDonald, William,


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Plumptre, E.H.,
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Ironside, H.A., Weston, Keith,


Notes on the Book of Proverbs, Living in the Light,
Neptune: Loizeaux Brothers, 1964. Bromley: STL Books, 1983.

867
Prediger
»Ich kenne nichts Großartigeres als dieses Buch in seiner von innerer Bewegung und
Anteilnahme geprägten Darstellung der Leiden und Vergnügungen des sterblichen Men­
schen, in seiner Bewertung von Versagen und Erfolg, kein Buch von edlerer Traurigkeit,
kein Gedicht, das unbeirrter wirksam ist, um geistliche Erleuchtung hervorzubringen.«

E.C. Stedman

Einführung wir auch, weshalb wir dort neben wah-


ren Schlussfolgerungen auch solche fin-
I. Einzigartige Stellung im Kanon den, die nur halb wahr oder aus Gottes
Sicht sogar völlig falsch sind.
Wenn auch fast alles, was das Buch Dazu einige Beispiele:
Prediger betrifft, infrage gestellt wurde Pred 12,1 ist wahr und ein aus­
(so z.B. die Verfasserschaft, die Ab­fas­ gezeichneter Rat an alle jungen Men-
sungs­zeit, das Thema und die Theo­ schen. Es ist gut, wenn sie ihres Schöp-
logie), so wurde dies wenigstens in Be- fers in ihrer Jugend gedenken.
zug auf seine Einzigartigkeit nie getan. Pred 1,4 ist nur halb wahr. Es ist wahr,
Der Grund, weshalb dieses Buch dass eine Generation der anderen folgt.
scheinbar mit dem Rest des Wortes Got- Es ist aber nicht wahr, dass die Erde
tes in Konflikt kommt, ist die Tatsache, ewig besteht (siehe Ps 102,26-27 und
dass es lediglich das menschliche Den- 2Petr 3,7.10).
ken »unter der Sonne« aufzeigt. In die- Die folgenden Aussagen sind da­
ser Formulierung »unter der Sonne« gegen überhaupt nicht wahr: »Es gibt
besitzen wir den wichtigsten Schlüssel nichts Besseres unter den Menschen, als
zum Verständnis dieses Buches. 29-mal dass man esse und trinke und seine
lesen wir diesen Ausspruch, und er gibt Seele Gutes sehen lasse bei seiner
uns einen Hinweis auf die grundsätz­ Mühe« (2,24). »Denn was das Geschick
liche Sichtweise des Autors. Seine Su- der Menschenkinder und das Geschick
che ist auf diese Erde beschränkt. Er der Tiere betrifft, so haben sie einerlei
durchstöbert die Welt, um dem Rätsel Geschick« (3,19). »Die Toten aber wis-
des Lebens auf die Spur zu kommen, sen gar nichts« (9,5).
und zwar will er diese Aufgabe nur mit Aber wenn wir keinerlei Offenbarung
seinem Verstand, d.h. ohne die Hilfe von Gott hätten, würden wir möglicher-
Gottes, bewältigen. weise zu ähnlichen Schlussfolgerungen
Wenn wir diesen Schlüssel »unter der gekommen wie Salomo.
Sonne« nicht ständig beachten, dann
bekommen wir gewaltige Probleme im Prediger und Inspiration
Verständnis dieses Buches. Es hätte den Wenn wir sagen, dass einige Aussagen
Anschein, als widerspräche dieses Buch »unter der Sonne« in diesem Buch nur
der restlichen Heiligen Schrift, präsen- halb wahr oder überhaupt nicht wahr
tierte befremdende Lehren und befür- sind, wie vereinbart sich das dann mit
wortete eine zumindest eigenartige der göttlichen Inspiration von Predi-
Ethik. ger? Dazu ist zu sagen, dass die Inspira-
Wenn wir uns jedoch daran erinnern, tion dieses Buches durch diese Tatsache
dass wir im Prediger eine Zusammen- nicht im Geringsten infrage gestellt
fassung menschlicher und nicht gött­ wird.
licher Weisheit haben, dann verstehen Der Prediger ist Teil des inspirierten

869
Prediger

Wortes Gottes. Es ist göttlich ein­ ne« entfaltet und von daher keine taug-
gehaucht, und der Herr wachte dar- liche Quelle für Beweistexte zur Unter-
über, dass es in den Kanon der Heiligen mauerung christlicher Glaubenslehren
Schrift aufgenommen wurde. Wie bei darstellt.
allen anderen Büchern der Heiligen
Schrift bekennen wir uns auch beim II. Verfasserschaft
Prediger zur verbalen, völligen Inspira- Bis zum 17. Jahrhundert glaubten die
tion (vgl. Einführung zum Alten Testa- meisten Juden und Christen, dass Salo-
ment in diesem Buch). Die inspirierten mo der Autor des Buches Prediger ist.
Bücher der Bibel enthalten jedoch Hundert Jahre vorher lehnte Martin Lu-
manchmal unwahre Aussagen von Sa- ther, der im Allgemeinen als konserva-
tan oder von Menschen. Zum Beispiel tiv galt, die Verfasserschaft Salomos ab
sagte der Teufel zu Eva in 1Mo 3,4, dass – doch dabei handelte es sich um eine
sie nicht sterben würde, wenn sie von Ausnahme.
der Frucht des Baumes in der Mitte des Es wird einige Leser überraschen,
Gartens äße. Es war eine Lüge, und dass die meisten Theologen heutzutage
dennoch wird sie in der Heiligen Schrift – viele konservative eingeschlossen –,
festgehalten, um uns zu zeigen, dass der Auffassung sind, dass das Buch
Satan der Lügner von Anfang an ist. nicht von Salomo geschrieben wurde,
Wie Dr. Chafer bemerkt: sondern in einem salomonischen Rah-
men präsentiert ist, nicht zur Irrefüh-
Inspiration kann zwar die Unwahrheit rung, sondern einfach als literarisches
des Teufels (oder der Menschen) auf- Stilmittel.
zeichnen und wiedergeben, aber sie
rechtfertigt oder heiligt sie keinesfalls. Das Problem mit der Verfasserschaft
Inspiration gewährleistet die getreue Salomos
Aufzeichnung dessen, was gesagt wurde Das Hauptargument für die Ablehnung
– ob es gut oder schlecht ist.1 der traditionellen Verfasserschaft des
Königs Salomo ist ein sprachwissen­
Missbrauch des Buches Prediger schaftliches. Viele Experten sagen, dass
Gerade weil das Buch Prediger das das Buch Wörter und grammatische
menschliche Denken »unter der Sonne« Konstruktionen enthält, die erst nach
aufzeigt, ist es ein bevorzugtes Buch bei der babylonischen Gefangenschaft ge-
Gegnern des Glaubens und bei falschen braucht wurden.
Lehrern und Sekten. Um ihre ungläu- Für die meisten Evangelikalen ist die
bigen und falschen Lehren zu »bewei- Vorstellung, ein anderer Schreiber habe
sen«, zitieren sie voller Enthusiasmus seine Worte Salomo in den Mund ge-
aus dem Prediger, vor allem im Hin- legt, ein unerlaubtes literarisches Mit-
blick auf Themen wie den Tod und die tel, das von den westlichen Gläubigen
Dinge danach. Verse dieses Buches wer- als Betrug aufgefasst wird.
den z.B. benutzt, um zu belegen, dass Die Argumente, die für und gegen
die Seele nach dem Tod schläft und dass die­se Behauptung angeführt werden,
die Gottlosen völlig vernichtet werden. sind so ausgedehnt und kompliziert,
Dabei werden Verse aus dem Zusam- dass wir hier nicht darauf eingehen
menhang gerissen, um die Unsterblich- können. Es genügt, festzustellen, dass
keit der Seele und die ewige Verdamm- keiner der Einwände, die gegen die
nis zu leugnen. Verfasserschaft Salomos angeführt wer-
Dabei benutzen solche Menschen nie den, unwiderlegbar ist. Viele ernst zu
den Schlüssel. Sie weisen ihre Opfer nie nehmende, bibelgläubige Gelehrte, wie
darauf hin, dass der Prediger die z.B. Gleason Archer, halten an Salomo
menschliche Weisheit »unter der Son- als Autor von Prediger fest.2

870
Prediger

Argumente für die Verfasserschaft gehend basiert, ernsthaft durch Kenner


Salomos der hebräischen Sprache hinterfragt
werden, führen uns zu einer Entschei-
Da die traditionelle Sicht nie wirklich dung zugunsten der traditionellen jü-
widerlegt wurde – wie unpopulär auch disch-christlichen Sicht in Bezug auf die
immer sie heute sein mag –, halten wir Verfasserschaft.
es für das Sicherste, an der Verfasser-
schaft Salomos festzuhalten. III. Datierung
Zu den indirekten Hinweisen auf eine Wenn wir König Salomo als den
Verfasserschaft Salomos zählt der Be- menschlichen Autor des Buches akzep-
zug auf den Schreiber als »Sohn Da- tieren, ist eine Abfassungszeit um 930
vids« und »König in Jerusalem« in v.Chr. wahrscheinlich. Dabei gehen wir
1,1.12. Das Wort »Sohn« könnte sich davon aus, dass er das Buch im hohen
zwar auch auf einen späteren Nach- Alter schrieb, als er von seinem selbst-
kommen beziehen, aber diese Formu- süchtigen Leben desillusioniert war.
lierungen haben doch ein ernst zu neh- Wenn Salomo als »der Prediger«
mendes Gewicht, wenn man sie mit den (Kohelet) abgelehnt wird, dann »er-
direkten Einzelheiten vergleicht, die streckt sich der Zeitraum der vorge-
mit der uns bekannten Biografie des schlagenen Datierungen über fast tau-
Königs Salomo klar übereinstimmen. send Jahre«.4
Da der Autor schreibt, dass er König Da viele Gelehrte die Sprache im
»war« (1,12), behaupten viele, dies sei Buch als »spätes« Hebräisch ansehen
ein Beweis dafür, dass er zu diesem (während Archer es jedoch als »einzig-
Zeitpunkt schon nicht mehr König war. artig« einstuft), wird das Buch Prediger
Daher, so sagen sie, kann es sich hier im Allgemeinen in die spätexilische Zeit
nicht um Salomo handeln, da dieser als (ca. 350-250 v.Chr.) datiert. Einige Evan-
König starb. Dies ist keine zwingende gelikale ziehen die unmittelbar voran-
Schlussfolgerung. Wenn er das Buch im gehende späte Persische Ära (ca. 450-350
hohen Alter schrieb, wäre es durchaus v.Chr.) vor. Die späteste mögliche Ab-
möglich, dass er sich mit dieser Formu- fassungszeit für das Buch Prediger ist
lierung auf die weit entfernte Vergan- 250-200 v.Chr., da das apokryphe Buch
genheit bezog. von Ecclesiasticus (ca. 190 v.Chr.) ein-
Die direkten historischen Verweise im deutig Gebrauch von diesem Buch
Buch Prediger passen genau auf Salo- macht. Auch die Rollen vom Toten Meer
mo – und auf keinen anderen. Salomo (spätes zweites Jh. v.Chr.) enthalten
war König in Jerusalem: (1) von großer Fragmente vom Prediger.
Weisheit (1,16); (2) von großem Reichtum
(2,8); (3) er enthielt sich kein Vergnügen IV. Hintergrund und Thema
vor (2,3); (4) er hatte viele Diener (2,7); Wenn wir uns für die salomonische Ver-
und (5) er war bekannt für ein großes fasserschaft des Buches Prediger ent-
Bau- und Verschönerungsprogramm (2,4- scheiden, ist es einfacher, den geschicht-
6). lichen Hintergrund und das Thema des
Die jüdische Tradition3 schreibt das Buches mit einiger Gewissheit nachzu-
Buch Prediger Salomo zu, und jahrhun- zeichnen.
dertelang folgten christliche Gelehrte
dieser Ansicht – bis in unsere Tage hin- Salomos Suche
ein. Irgendwann einmal begann Salomo mit
Diese Beweise, zusammen mit der Tat- der Suche nach dem wahren Sinn des
sache, dass die sprachwissenschaftlichen Lebens, der Bedeutung der mensch­
Argumente, auf denen die Abstreitung lichen Existenz. Er nahm sich vor, zu
der salomonischen Verfasserschaft weit- entdecken, was ein wahrhaft gutes Le-

871
Prediger

ben bedeutet. Ausgestattet mit großer sen nicht genau, wie alt er war, als er
Weisheit und mit Reichtum (1Kö 10,14- auf diese philosophische Suche nach
25; 2Chr 9,22-24), dachte Salomo, dass der Wahrheit ging; offensichtlich war er
er (wenn überhaupt jemand) die rich- aber bereits ein älterer Mann, als er die-
tige Person wäre, um wirkliche, dauer- ses Tagebuch seines Lebens schrieb
hafte Befriedigung im Leben zu finden. (1,12; 11,9). Schließlich tat er einen Blick
Salomo erlegte sich jedoch eine Be- über die Sonne; diesen Schluss darf
dingung für seine Suche auf. Er wollte man aus der Tatsache ziehen, dass ins-
sie auf sich gestellt ausführen; er hoffte, gesamt drei Bücher der Schrift von ihm
dass sein Intellekt genügen würde, um stammen. Wie dem aber auch sei: Die
echte Lebenserfüllung zu entdecken, Sünden und Versäumnisse am Ende
ohne göttliche Offenbarung. Es war die seines Lebens mahnen uns eindringlich,
Entdeckungsreise eines Menschen ohne wie schlimm ein Gläubiger vom Weg
die Hilfe Gottes. Seine Suche nach den abkommen kann, und zeigen uns, wie
größten Werten des Lebens sollte »un- unvollkommen selbst die leuchtends-
ter der Sonne« stattfinden. ten Typen5 auf den Herrn Jesus sind.
Salomos Ergebnisse Salomo und Gott
Salomos Suche endete mit der be­ Es ist offenkundig, dass Salomo an Gott
drückenden Feststellung, dass das Le- glaubte, selbst in der Zeit seiner Suche
ben Nichtigkeit und Verdruss ist, oder nach wahrer Erfüllung. Er bezieht sich
wie er es ausdrückt, »ein Haschen nach im Prediger nicht weniger als 40-mal auf
Wind« (1,14). Soweit er die Sache be­ Gott. Daraus dürfen wir jedoch nicht
urteilen konnte, war ein Leben »unter schließen, dass er zu dieser Zeit ein hin-
der Sonne« der Mühe nicht wert. Trotz gegebener Gläubiger war. Er gebraucht
seiner Weisheit und seines Reichtums ausschließlich den Namen Elohim für
war er nicht in der Lage, auf Erden die Gott, welcher ihn als den mächtigen
Fülle des Lebens oder eine dauerhafte Schöpfergott offenbart. Nicht ein einzi-
Befriedigung zu finden. ges Mal verwendet er den Namen Jahwe
Und seine Schlussfolgerung ist natür- (HERR) – den Namen, der Gott als den
lich richtig. Jeder, der nicht über die Son- Gott des Bundes, der Gemeinschaft mit
ne hinauskommt, empfindet das Leben dem Menschen offenbar macht.
als eine leere, nutzlose Übung. Es ist be- Das ist eine wichtige Beobachtung.
deutungslos. Was immer die Welt zu Der Mensch unter der Sonne kann sehr
bieten hat, kann niemals das Herz eines wohl erkennen, dass es einen Gott gibt,
Menschen befriedigen. Pascal drückt es wie es auch von Paulus in Röm 1,20 un-
so aus: »Es gibt ein von Gott geformtes terstrichen wird: »Denn sein unsicht­
Vakuum im menschlichen Herzen.« bares Wesen, sowohl seine ewige Kraft
Und schon Augustinus stellte fest: »Du als auch seine Göttlichkeit, wird von Er-
hast uns für dich gemacht, o Herr, und schaffung der Welt an in dem Gemach-
unser Herz wird niemals Ruhe finden, ten wahrgenommen und geschaut, da-
bis es ruht in dir.« mit sie ohne Entschuldigung seien.«
Salomos Erfahrung unterstreicht die Die Existenz Gottes ist aufgrund der
Worte des Herrn Jesus: »Jeden, der von Schöpfung offenkundig. Atheismus ist
diesem Wasser trinkt, wird wieder durchaus kein Zeichen von Weisheit; er
dürsten« (Joh 4,13). Das Wasser dieser ist vielmehr eine willentliche Blindheit.
Welt kann keine dauernde Befriedigung Salomo, der weiseste Mensch, der je ge-
geben. lebt hat, erkannte an, dass es ein höchs-
Salomos Suche nach der Wirklichkeit tes Wesen gibt, auch während er mit
war nur eine vorübergehende Phase, seinem eigenen Verstand nach Wahr-
ein Kapitel in seiner Biografie. Wir wis- heit suchte.

872
Prediger

Während aber jeder Mensch erken- mer, die Unzufriedenheit und die Ent-
nen kann, dass es einen Gott (Elohim) täuschung ersparen, indem wir »über«
gibt, der alle Dinge erschaffen hat, kann die Sonne hinausschauen auf den, der
man Gott als Jahwe (HERR) nur durch allein zufriedenstellen kann — den
besondere Offenbarung erkennen. Das Herrn Jesus Christus.
bedeutet, dass wir die wiederholte Er- Aber es gibt noch einen weiteren gro-
wähnung des Namens Gottes, Elohim, ßen Wert dieses einzigartigen Buches –
im Prediger nicht irrtümlicherweise mit für diejenigen, die noch nicht bereit
rettendem Glauben gleichsetzen dür- sind, das Evangelium anzunehmen.
fen. Diese Stellen sagen nichts anderes Dr. W.T. Davison drückt es so aus:
aus, als dass die Schöpfung die Existenz
Gottes bezeugt und dass jeder Mensch, Es ist nicht nötig, ausführlich den Unter-
der dies leugnet, ein Narr ist (Ps 14,1; schied zwischen dem Buch Prediger und
53,2). dem Evangelium Christi aufzuzeigen. Es
ist aber vielleicht nötig, die Tatsache zu
Die Notwendigkeit des Buches unterstreichen, dass das Auftreten des
Prediger neuen Evangeliums die Weisheitslitera-
Es stellt sich zwangsläufig die Frage: tur eines früheren Zeitalters nicht über-
»Warum hat Gott angeordnet, ein Buch, flüssig oder unnütz gemacht hat. Sie hat
das sich nie über die Sonne erhob, in zu ihrer Zeit ihre Wirkung gehabt – und
die Heilige Schrift aufzunehmen?« Die sie hat immer noch eine Aufgabe zu er-
Antwort ist: Das Buch wurde aufge- füllen. Es gibt Zeiten im Leben eines
nommen, damit niemand die gleichen Menschen, in denen er nicht bereit ist, zu
traurigen Erfahrungen machen muss Jesu Füßen zu sitzen, und in denen es für
wie Salomo, der Befriedigung im Leben ihn besser ist, in die Schule des Predigers
dort suchte, wo es nicht zu finden ist. zu gehen. Das Herz muss erst geleert
Der natürliche Mensch denkt ganz in- werden, bevor es wirklich erfüllt werden
stinktiv, dass er sich glücklich machen kann. Der moderne Prediger muss dieser
kann durch Besitz, Vergnügungen oder Lektion oft Nachdruck verschaffen, die
Reisen auf der einen Seite ‒ oder durch noch nicht veraltet ist und auch nie ver­
Drogen, Alkohol oder sexuelle Aus- altet sein wird: »Fürchte Gott und halte
schweifungen auf der anderen Seite. seine Gebote! Denn das soll jeder Mensch
Die Botschaft dieses Buches ist, dass je- tun.« Er muss zu Christus kommen, um
mand, der klüger und reicher war, als zu lernen, wie man dies effektiv tut, und
irgendjemand von uns jemals sein wird, um jene höheren Lektionen zu lernen,
es versucht hat und gescheitert ist. So für die diese Weisheiten nur den Weg be-
können wir uns die Kosten, den Kum- reiten.6

Einteilung C. Die Nichtigkeit des Kreislaufs


von Leben und Tod (Kap. 3)
I. Prolog: Die Nichtigkeit alles D. Die Nichtigkeit der
Lebens unter der Sonne (1,1-11) Ungerechtigkeiten des Lebens
II. Die Nichtigkeit alles Lebens (4,1-16)
(1,12 - 6,12) E. Die Nichtigkeit von Volks­
A. Die Nichtigkeit des religion und Politik (4,17 - 5,8)
intellektuellen Strebens F. Die Nichtigkeit der
(1,12-18) vergänglichen Reichtümer
B. Die Nichtigkeit von (5,9 - 6,12)
Vergnügen, Ansehen und III. Ratschläge für das Leben unter der
Reichtum (Kap. 2) Sonne (7,1 - 12,8)

873
Prediger 1

A. Das Gute und das Bessere D. Der Weise und der Törichte
unter der Sonne (Kap. 7) unter der Sonne (Kap. 10)
B. Weisheit unter der Sonne E. Verbreitung des Guten unter
(Kap. 8) der Sonne (11,1 - 12,8)
C. Das Leben unter der Sonne IV. Epilog: Das Beste unter der Sonne
genießen (Kap. 9) (12,9-14)

Kommentar Der Apostel Paulus erinnert uns dar-


an, dass mit dem Einzug der Sünde die
I. Prolog: Die Nichtigkeit alles gesamte Schöpfung der Nichtigkeit und
Lebens unter der Sonne (1,1-11) Vergänglichkeit unterworfen wurde
(Römer 8,20). Es ist auch nicht ohne Be-
1,1 Der Autor stellt sich als Prediger deutung, dass die ersten Eltern ihren
vor, als Sohn Davids und König in Jeru- zweiten Sohn »Abel« nannten, was so
salem. Das Wort Prediger ist sehr inter­ viel heißt wie »Nichtigkeit« oder
essant. Im Hebräischen heißt Prediger »Dunst«. Salomo hat recht. Alles unter
Kohelet und bedeutet »Rufer« oder »Ver- der Sonne ist Nichtigkeit.
sammler«. Das griechische Äquivalent 1,3 Das Leben des vergänglichen
ekklēsiastēs meint einen, der eine Ver- Menschen ist voller Arbeit und Mühe.
sammlung einberuft. Von daher wird Aber wohin geht die Reise, wenn alles
dieser Name verschieden gedeutet, und gesagt und getan ist? Er befindet sich in
zwar als »Versammler, Redner, Debat- einer Tretmühle. Ermüdend bewegt er
tierer, Sprecher oder Prediger«. sich im Kreis, ohne vorwärts zu kom-
Der Prediger war der Sohn Davids, men. Fragen Sie ihn, warum er arbeitet,
und obwohl dies durchaus auch einen und er antwortet: »Um Geld zu verdie-
Enkel, Urenkel oder späteren Nach- nen natürlich.« Aber warum denn Geld
kommen bezeichnen könnte, ist die verdienen? »Um zu essen.« Und war-
erstgenannte Möglichkeit sicher die zu- um will er essen? Natürlich, um bei
treffendste. Salomo war der einzige Kräften zu bleiben. Warum denn un­
Nachkomme Davids, der König über bedingt bei Kräften bleiben? Er braucht
Israel in Jerusalem war (V. 12). Alle ande- seine Kräfte, um zu arbeiten, und schon
ren waren Könige über Juda. Die Könige sind wir wieder am Ausgangspunkt. Er
über Israel hatten ihren Sitz in Sichem arbeitet, um Geld zu verdienen, um Es-
(1Kö 12,25) bzw. Samaria (1Kö 16,24) sen zu kaufen, um bei Kräften zu blei-
und nicht in Jerusalem. ben, um zu arbeiten, um Essen zu kau-
1,2 Salomo kommt gleich zur Sache, da fen, um bei Kräften zu bleiben usw. ad
brauchen wir nicht bis zum letzten Kapi- infinitum. Henry Thoreau drückt es so
tel zu warten. Das Ergebnis all seiner aus: »Die Masse der Menschen lebt ein
Nachforschungen unter der Sonne ist zu- Leben in stiller Verzweiflung.«
sammengefasst in dem Wort »Nichtig- Da steht eine Frau weinend an einer
keit«. Das Leben ist vergänglich, flüchtig, Bushaltestelle. Ein Christ fragt sie, ob er
sinnlos, leer und wertlos. Es hat keinen helfen könne, und sie antwortet: »Ich
Sinn. Nichts auf dieser Erde stellt ein habe einfach alles satt und finde das Le-
lohnendes Ziel zum Leben dar. ben so eintönig. Mein Mann arbeitet hart,
Ist das wahr? Ja, das ist vollkommen verdient aber nicht so viel, wie ich gern
wahr! Wenn dieses Leben hier alles ist, hätte. Also gehe auch ich arbeiten. Jeden
wenn der Tod unter alles, was ist, einen Morgen stehe ich früh auf, mache das
endgültigen Schlussstrich zieht, dann Frühstück für unsere vier Kinder, packe
ist das Leben wirklich nicht mehr als für sie Butterbrote ein und fahre dann
ein sich verflüchtigender Dunst. mit dem Bus zur Arbeit. Dann komme

874
Prediger 1

ich wieder nach Hause, und mich erwar- die Sonne dreht. Er beschreibt diesen
tet noch mehr eintönige Schufterei. Ein Vorgang lediglich auf die Weise, wie er
paar Stunden Schlaf, und schon beginnt vom Menschen wahrgenommen wird.
ein neuer Tag, der genauso abläuft. Ich Es sieht so aus, als ob die Sonne auf- und
glaube, ich kann diesen endlosen Kreis- untergeht. Sogar Naturwissenschaftler
lauf nicht mehr ertragen!« drücken sich im Alltag ständig so aus,
H.L. Mencken sagte einmal: und das ist so selbstverständlich, dass es
eigentlich gar keine Erklärung erfordert.
Das Wesentliche der menschlichen Exis- 1,6 Salomo setzt seinen Gedanken in
tenz ist nicht die Tatsache, dass sie eine V. 6 fort. Die Windströmungen ändern
Tragödie ist, sondern vielmehr, dass sie ihren Verlauf mit derselben Regel­
so eintönig ist. Nicht, dass sie überwie- mäßigkeit wie die Jahreszeiten. Im
gend schmerzlich ist, sondern dass alles Winter fegt ein Nordwind über Israel
so völlig sinnlos ist.7 bis zur Wüste Negev im Süden, und im
Sommer bringt der Südwind, der nach
1,4 Die Vergänglichkeit des Menschen Norden strömt, Wärme ins Land. Mit
steht in starkem Gegensatz zur schein- beinahe eintöniger Präzision folgt der
baren Beständigkeit seiner Umwelt. Wind diesem Kreislauf und verschwin-
Eine Generation folgt auf die andere, det wieder von der Bildfläche, ohne die
und diesem Lauf der Dinge kann nie- Welt des Menschen zu beachten.
mand widerstehen. Das ist das Leben 1,7 Aber nicht nur Erde, Sonne und
unter der Sonne. Wind, sondern auch das Wasser folgt
diesem monotonen Kreislauf durch die
Jeder träumt davon, dass er dauerhaft Jahrhunderte. Alle Flüsse fließen in das
bleiben wird, Meer, aber sie bringen es nie zum Über-
und wie bald ist auch er nicht mehr laufen, weil die Sonne gewaltige Men-
unter den Lebenden!8 gen von Wasser verdunsten lässt. Durch
Will H. Houghton die Abkühlung der Luft kondensiert der
Wasserdampf und bildet Wolken, die
Ohne Offenbarung von Gottes Seite dann wiederum auf ihrer Reise über den
könnten wir denken, die Erde existiere Himmel das Wasser in Form von Regen,
ewig. Zu diesem Schluss kommt Salo- Schnee oder Hagel auf die Erde fallen
mo. Vom Apostel Petrus erfahren wir lassen. Und den Zufluss an Wasser, den
jedoch, dass die Erde und alle Werke die Flüsse dadurch bekommen, bringen
auf ihr am kommenden Tag des Herrn sie wieder zurück in den Ozean.
verbrennen werden (2Petr 3,10). Dieser unaufhörliche Kreislauf der
1,5 Die Natur befindet sich in einem Natur erinnert den Menschen an seine
sich ständig wiederholenden Kreislauf. nicht enden wollende Arbeit. Vielleicht
Die Sonne zum Beispiel geht im Osten hatte Kristofferson diesen Vers vor
auf, um nach ihrem Tageslauf im Wes- Augen, als er sagte: »Ich bin bloß ein
ten unterzugehen. Sie eilt dann um die Fluss, der immerzu vor sich hinfließt,
andere Hälfte unseres Planeten und ohne jemals zum Meer zu kommen.«
geht erneut im Osten auf. Dieser schein- 1,8 So ist das Leben, das auf diese
bar endlose Vorgang, der sich über Ge- Erde beschränkt ist, voller Mühsal. Die
nerationen und Jahrhunderte fortsetzt, menschliche Sprache ist unfähig, die
macht dem Menschen deutlich, dass er Eintönigkeit, Langeweile und Nutz­
nur ein flüchtiger Schatten ist. losigkeit all dessen zu beschreiben. Der
Jeder sollte sich hüten, Salomo eine Mensch ist nie zufrieden. Egal, wie viel
Unwissenschaftlichkeit zu unterstellen, er sieht, er will immer mehr. Auch seine
weil er die Sonne um die Erde wandern Ohren erreichen nie den Punkt, wo sie
lässt, wo es doch die Erde ist, die sich um nichts Neues mehr hören wollen.

875
Prediger 1

Der Mensch reist unaufhörlich und Natur. Die Vögel flogen lange vor dem
eifrig umher, um etwas Neues zu sehen, Menschen. Ja, sogar Raumfahrt ist nicht
etwas Neues zu hören und neue Sensa- neu, denn schon Henoch und Elia wur-
tionen zu erleben. Er jagt nach dem fun- den durch den Raum befördert, ja sogar
damentalen Wunsch nach neuen Erfah- ohne ihren eigenen Sauerstoffbedarf
rungen, wie es ein amerikanischer So­ mitführen zu müssen. Alle, die Ein­
zio­loge einmal ausdrückte. Doch im- maligkeiten und Neuheiten suchen,
mer wieder kommt er unbefriedigt und werden enttäuscht sein. Es war alles
abgestumpft zurück. So ist der Mensch schon mal da, lange bevor wir geboren
angelegt; nichts auf der ganzen Welt ist wurden.
in der Lage, dauerhaftes Glück in sein 1,11 Da gibt es noch eine bittere Pille
Herz zu bringen. Das bedeutet keines- für den Menschen zu schlucken, und
falls, dass seine Lage hoffnungslos ist. zwar die Geschwindigkeit, mit der der
Alles, was er zu tun hat, ist, über die Mensch vergisst, aber auch selbst in
Sonne hinauszugelangen zu dem, der Vergessenheit gerät. Dauerhafter Ruhm
allein in der Lage ist, die dürstende See- ist eine Illusion. Viele von uns hätten
le zu sättigen und die hungernde Seele große Schwierigkeiten, die Namen ih-
mit Gutem zu erfüllen (Ps 107,9). rer Urgroßeltern zu nennen. Noch grö-
ßere Schwierigkeiten gäbe es wohl, die
Die Lust der Welt ist vergänglich, ist Namen der letzten 4 oder 5 Vizekanzler
bloße Nichtigkeit; zu nennen. In unserer Überheblichkeit
Nichtig die blendende Schönheit, nichtig denken wir, dass ohne uns nichts läuft.
der aufgehäufte Reichtum; Und dennoch: Einmal gestorben, sind
Nichtig der Luxus und die Ehre – du auch wir schnell vergessen ‒ und das
allein kannst uns geben Leben auf der Welt geht seinen ganz ge-
Frieden und Zufriedenheit, solange wir wöhnlichen Gang weiter.
auf der Erde leben.
Niemand ist wie du, Herr Jesus, nie­ II. Die Nichtigkeit alles Lebens
mand ist wie du; (1,12 - 6,12)
Für die dürstende Seele ist niemand so
wie du.9 A. Die Nichtigkeit des intellektuellen
Verfasser unbekannt Strebens (1,12-18)
1,12 So weit Salomos Ergebnisse. Jetzt
1,9 Ein weiterer Gesichtspunkt in Salo- nimmt er uns mit auf die Reise, die er
mos Ernüchterung ist seine Feststel- auf der Suche nach dem summum bo­
lung, dass es nichts Neues unter der num, dem höchsten Gut des Lebens ge-
Sonne gibt. Die Geschichte wiederholt macht hat. Er erinnert uns daran, dass
sich ständig. Ihn verlangte nach immer er König über Israel in Jerusalem war
neuen Reizen, aber es dauerte nie lange, mit allem, was an Reichtum, Status und
bis er feststellte, dass alles letztendlich Möglichkeiten dazugehört. Wenn er
in einer Enttäuschung endete. sagt »Ich war König …«, dann meint er
1,10 Stimmt es, dass es nichts wirklich nicht, dass seine Regierung beendet
Neues gibt? In gewisser Hinsicht stimmt war. Er war damals König, als er seine
diese Feststellung. Selbst die mo- Suche begann, und er ist immer noch
dernsten Entdeckungen und Erfin- König (V. 1).
dungen sind aufgebaut auf Prinzipien, 1,13 Hier beginnt Salomo seine Suche
die schon von Anfang an in der Schöp- nach dem Glück unter der Sonne. Er
fung selbst eingeschlossen worden wa- entscheidet sich, zuerst die intellektuel-
ren. Viele der großen Erfindungen der le Route einzuschlagen. Glücklich wird
Menschheit, auf die sie sich besonders man, so dachte er, wenn man genügend
viel einbildet, haben ihr Vorbild in der Wissen erwirbt. So legt er sich die denk-

876
Prediger 1

bar umfassendste Ausbildung zu. Er selt werden. Dieser Name Gottes ist, wie
widmet sich verschiedenen Unter­ es W.J. Erdman bezeichnet, sein natür-
suchungen und Forschungen, betreibt licher Name ‒ Elohim.11 Wie schon in der
Synthese und Analyse, Induktion und Einführung erwähnt, stellt sich Gott un-
Deduktion. Bald aber erlebt er eine Er- ter diesem Namen als der allmächtige
nüchterung in Bezug auf Gelehrsamkeit Schöpfer des Universums vor. Nirgend-
als Selbstzweck. Er stellt fest, dass die- wo in dem ganzen Buch Prediger er-
ser tiefe innere Drang, den Sinn des wähnt Salomo Gott mit dem Namen,
Lebens zu entdecken, letztlich ein müh­ der ihn als den Gott des Bundes, Jahwe,
seliges Geschäft ist, von dem Gott zu- ausweist, der all denen, die ihm ver-
lässt, dass sich die Menschen damit trauen, seine erlösende Gnade schenkt.
abplagen. 1,14 Ohne jeden Zweifel erhielt Salo-
Malcolm Muggeridge, ein weiser mo die beste Ausbildung, die seinerzeit
Mann, kam zu einem ähnlichen Schluss: in Israel zu haben war. Das wird in sei-
nem Ausspruch deutlich, alle Taten ge-
Die Bildung, der größte Popanz und Be- sehen zu haben, die unter der Sonne
trug aller Zeiten, gibt vor, uns für das Le- geschehen. Das bedeutet, dass er ver-
ben auszurüsten, und wird als Allheil- traut war mit den Wissenschaften, der
mittel gegen alles Mögliche eingesetzt, Philosophie, der Geschichte, der Kunst,
angefangen von Jugendkriminalität bis den Sozialwissenschaften ebenso wie
hin zur vorzeitigen Senilität. Meist aber mit der Literatur, Religion, Psychologie,
führt sie nur dazu, dass die Dummheit Ethik, den Sprachen und anderen Ge-
noch vergrößert wird, die Einbildung bieten menschlicher Bildung.
weiter aufgebläht wird, die Leichtgläu- Aber eine Reihe von akademischen
bigkeit gefördert wird und dass diejeni- Titeln und ein Zimmer, das mit Diplo-
gen, die ihr ausgesetzt sind, unter die men vollgehängt war, gaben ihm nicht
Willkürherrschaft von Gehirnwäschern das, wonach er suchte. Im Gegenteil: Er
gebracht werden, die über Druckerpres- kam zu dem Schluss, dass dies alles ein
sen, Radio und Fernsehen verfügen.10 Haschen nach Dingen war, die flüchtig
und ungreifbar wie der Wind sind.
Es ist gar nicht lange her, dass jemand 1,15 Er war enttäuscht, herausfinden
in großen schwarzen Buchstaben fol- zu müssen, dass Bildung die Rätsel des
gendes Graffiti an die Wand einer Uni- Lebens nicht lösen konnte. Es gibt eben
versitätsbibliothek sprühte: GLEICH- krumme Dinge, die nicht gerade ge-
GÜLTIGKEIT HERRSCHT. Hier hatte macht werden können, und Fehlendes,
jemand das Gleiche entdeckt, was Salo- das nicht gezählt werden kann. Robert
mo schon Jahrhunderte vorher heraus- Laurin stellte fest:
gefunden hat ‒ dass Bildung nicht der
Weg zur garantierten Sinn-Erfüllung Das Leben ist voller Widersprüche und
ist, ja, dass sie für sich allein genommen Ungereimtheiten, die nicht gelöst wer-
sogar langweilig sein kann. den können, und umgekehrt fehlt ihm
Das heißt keineswegs, dass intellek- wiederum so vieles, was ihm Bedeutung
tuelles Streben keine wichtige Rolle im und Wert geben könnte.12
Leben spielen kann. Es hat durchaus
seinen Platz, aber dieser Platz ist zu den Der Mensch ist in der Lage, zum Mond
Füßen Jesu. Es darf kein Selbstzweck zu fliegen, aber der Flug der Biene wi-
sein, sondern muss zur Verherrlichung derspricht jedem bekannten Gesetz der
Gottes dienen! Aerodynamik. Wissenschaftler dran-
Die Bezugnahme auf Gott in diesem gen in das Geheimnis des Atoms ein,
Vers darf nicht irrtümlicherweise mit aber sie sind nicht in der Lage, den Blitz
tiefem persönlichem Glauben verwech- zu bändigen oder seine Energie zu spei-

877
Prediger 1 und 2

chern. Krankheiten wie Kinderlähmung des Friedens und der Zufriedenheit. In


und Tuberkulose wurden einigerma- Wirklichkeit sind sie jedoch wie bro-
ßen unter Kontrolle gebracht, aber die delnde Kessel der Gärung und Unruhe.
ganz gewöhnliche Erkältung ist un­ Die alte Karikatur eines Studenten, der
besiegt. seinen Kopf in ein großes Handtuch ge-
1,16 Nachdem Salomo alle akade- wickelt hat und mit Unmengen von
mischen Lorbeeren gewonnen hatte, Kaffee einige Aspirin hinunterspült,
machte er für sich Inventur. Er konnte passt gut in Salomos Fazit in Vers 18:
sich rühmen, mehr Weisheit zu besitzen Denn wo viel Weisheit ist, ist viel Ver-
als alle, die vor ihm in Jerusalem ge- druss, und wer Erkenntnis mehrt, mehrt
herrscht hatten (1Kö 4,29-31; 2Chr 1,12). Kummer.
Sein Verstand hatte enorm viel Wissen Mit anderen Worten: »Je schlauer du
aufgenommen. Neben dem Wissen be- wirst, desto mehr Sorgen wirst du ha-
saß er auch Weisheit; er wusste, wie er ben; je mehr du weißt, desto schmerz-
sein Wissen auf die täglichen prak- hafter wird es sein.«
tischen Angelegenheiten des Lebens
anwenden musste, um fundierte Ent- B. Die Nichtigkeit von Vergnügen,
scheidungen zu treffen und klug mit Ansehen und Reichtum (Kap. 2)
anderen umzugehen. 2,1 Nachdem er die Erfüllung des Le-
1,17 Salomo erinnert sich daran, wie bens auf dem intellektuellen Weg nicht
er sich selbst diszipliniert hatte, um ei- gefunden hat, wendet sich Salomo nun
nerseits Weisheit zu erwerben und an- der Suche nach Freude und Vergnü-
dererseits den Wahnsinn und die Tor- gungen zu. Es klingt doch einleuchtend,
heit kennenzulernen. Mit anderen Wor- dass man glücklich ist, wenn man nur ge­
ten: Er erforschte beide Extreme nügend Vergnügen genießen kann – so
menschlichen Verhaltens für den Fall, dachte er. Vergnügen bedeutet, eine an-
dass der Sinn des Lebens in einem da- genehme Empfindung zu haben, die
von oder vielleicht gar in beiden zu fin- aus der Befriedigung persönlicher Wün-
den wäre. Er untersuchte die ganze sche entsteht. Salomo entschied sich da-
Bandbreite der Erfahrungen des Lebens, her, alles im Leben mitzumachen. Er
aber seine trostlose Schlussfolgerung wollte jeden nur denkbaren Sinnesreiz
war: Alles ist ein Haschen nach Wind. erleben. Er nahm sich vor, den Becher
Jahrhunderte später suchte und ge- der Vergnügungen bis zur Neige zu
wann ein Mann mit Namen Henry Mar- trinken; danach gäbe es für sein Herz
tyn die höchsten Ehren auf der Univer- keine Wünsche mehr.
sität von Cambridge. Auf dem Höhe- Aber auch diese Suche war ver­
punkt seines akademischen Triumphs gebens. Er kommt zum Schluss, dass
sagte er jedoch: »Ich war überrascht die Vergnügungen »unter der Sonne«
her­auszufinden, dass ich nach einem nichtig sind. Seine Enttäuschung findet
Schatten gegriffen hatte.« Es war eine ein Echo in dem Liedvers:
gesegnete Ernüchterung, wie J.W. Jo-
wett feststellte: »Seine Augen waren Ich versuchte es mit den löchrigen
nun auf etwas Höheres gerichtet als Zisternen, Herr,
wissenschaftliche Preise, auf den völlig Doch ach, das Wasser blieb aus;
befriedigenden Preis der himmlischen Gerade, als ich mich niederbeugte, um
Berufung Gottes in Jesus Christus, un- zu trinken, verschwand es,
serem Herrn.« Und verspottete mich, als ich in Klage
1,18 Wenn Intellektualismus der ausbrach.13
Schlüssel zu erfülltem Leben wäre,
dann wären unsere Universitäten, wie Bedeutet das, Gott gönnt den Seinen
König Arthurs legendäres Schloss, Orte kein Vergnügen? Ganz und gar nicht.

878
Prediger 2

Das Gegenteil ist der Fall. Gott möchte, Handbewegung murmelte der Patient:
dass die Seinen ein erfülltes, gutes Le- »Ich bin dieser Clown.« Auch er konnte
ben führen. Aber er will, dass wir er- über das Lachen sagen: »Es ist unsin-
kennen, dass die Welt uns keine echte nig«, und über die Freude: »Was bringt
Freude schenken kann. Sie kann nur sie denn?«
»über der Sonne« gefunden werden. Wie oft schauen wir uns Menschen an
»Fülle von Freuden ist vor deinem An- und stellen uns vor, dass sie keine Pro-
gesicht, Lieblichkeiten in deiner Rech- bleme haben, keine Krisen und Nöte.
ten immerdar« (Ps 16,11). In diesem Welch eine Illusion!
Sinn ist Gott die Quelle aller Freuden. 2,3 Als Nächstes wendet sich Salomo
Die große Lüge, die durch Film, Fern- dem Wein zu. Er wollte ein Kenner der
sehen und Werbung verbreitet wird, auserlesensten Weine werden. Viel-
besteht darin, dass der Mensch sich hier leicht könnten ihn die exquisitesten Ge-
auf der Erde selbst einen Himmel schaf- schmackserfahrungen dazu bringen,
fen könne, und zwar ohne Gott. Salomo dass er innerlich ganz entspannt und
jedoch musste erkennen, dass alles, was zufrieden würde.
diese Welt zu bieten hat, wie ein Tüm- Er war weise genug, seiner epiku­rä­
pel abgestandenen Wassers ist, wäh- ischen Genusssucht Grenzen zu setzen.
rend Gott uns die Quelle des Lebens Er drückt das aus mit den Worten: »…
anbietet. doch so, dass mein Herz in Weisheit die
2,2 Wenn er an all das leere Lachen Leitung behielte«. Mit anderen Worten:
zurückdenkt, erkennt er, wie unsinnig Er wollte sich nicht hemmungslos be-
das alles ist und wie wenig all seine so- trinken. Er dachte nicht daran, sich von
genannten »angenehmen Stunden« starkem Getränk abhängig zu machen,
letztlich bewirkt haben. So ist es tat- und auf seiner Suche nach Realität
sächlich. Hinter all dem Lachen ver- wollte er keinesfalls in eine Sucht ge­
steckt sich Leid, und gerade diejenigen, raten. Dazu war er viel zu weise.
die andere unterhalten wollen, brau- Eine andere Sache, die er ausprobie-
chen selbst große Hilfe. ren wollte, war die Torheit, d.h. eine
Billy Graham erzählt in seinem Buch Form von harmlosem, unterhaltsamem
The Secret of Happiness von dem Patien- Blödsinn. Nur für den Fall, dass die
ten, der einen Psychiater aufsucht. Er Weisheit nicht hielte, was sie versprach,
litt unter starken Depressionen. Nichts wollte er auch das Gegenteil versuchen.
konnte ihm mehr helfen. Schon mor- Manchmal erscheinen Dumme glück­
gens wachte er mutlos und deprimiert licher als die Gescheiten, und so wollte
auf, und sein Zustand verschlimmerte er auch das nicht unversucht lassen. Er
sich im Laufe des Tages. Mittlerweile richtete seine Aufmerksamkeit auf das
war er so verzweifelt, dass er nicht mehr Triviale, den Genuss, das Amüsement.
weiterkonnte. Bevor er die Praxis ver- Es war ein verzweifelter Versuch, her-
ließ, erzählte ihm der Doktor von einer auszufinden, wie der Mensch sich wäh-
Vorstellung in einem Theater der Stadt. rend seines kurzen Lebens unter der
Dort wäre ein italienischer Clown zu Sonne am besten beschäftigen kann.
sehen, der Abend für Abend das Publi- Aber er fand hier keine Antwort.
kum dazu bringe, sich vor Lachen auf 2,4-5 So startete Salomo ein gewal­
dem Boden zu wälzen. Der Arzt emp- tiges Bauprogramm. Wenn schon Bil-
fahl dem Mann, die Vorstellung zu be- dung, Vergnügen, Wein und Torheit
suchen, es täte ihm bestimmt gut, einige keine Erfüllung brächten, dann aber be-
Stunden herzhaft zu lachen und dar­ stimmt Besitztümer. Er baute luxuriöse
über alle Sorgen zu vergessen. »Schau- Häuser, pflanzte Weinberge, und wenn
en Sie sich mal diesen italienischen wir Salomos Möglichkeiten richtig ein-
Clown an!« Mit einer abwehrenden schätzen, dann scheute er keine Kosten.

879
Prediger 2

Er baute riesige Anlagen mit Gärten Jesus Christus. Er zeigte uns, dass wah-
und Parks, richtige Paradiese mit aller- re Größe in seinem Reich ihren Aus-
lei Fruchtbäumen. Man kann sich vor- druck im Dienen findet (Mk 10,43-45;
stellen, wie er Freunden seine Anwesen Lk 9,24-27).
zeigte und sein Ich durch ihr Lob und Die größten Herden, die jemals ein
ihre Begeisterung aufblähen ließ. Einwohner Jerusalems besaß, grasten
Wahrscheinlich traute sich keiner sei- auf den Weiden Salomos. Wenn Pres-
ner Gäste, ihm das zu sagen, was Samu- tige und Ansehen den Schlüssel zu ei-
el Johnson zu einem Millionär sagte, nem glücklichen Leben darstellen, dann
der sich auf einem ähnlichen Ego-Trip hätte Salomo ihn gehabt. Aber das war
befand. Nachdem er all den Luxus ge- nicht der Fall. Es sagte einmal jemand:
sehen hatte, bemerkte Johnson ledig- »Ich fragte nach Dingen, die mich mein
lich: »Das sind die Dinge, die es einem Leben genießen lassen sollten; aber ich
Menschen schwer machen zu sterben.« bekam Leben, damit ich alle Dinge ge-
Auch heute noch hat die Welt ver- nießen könnte.«
blendete Millionäre wie den Kaiser in 2,8 Und was sollen wir sagen über Sa-
Andersens Märchen »Des Kaisers neue lomos finanzielle Möglichkeiten! Er
Kleider«. Dieser Kaiser veranstaltete hatte Gold, Silber, alle Reichtümer der
eine Parade und hatte, wie er meinte, Könige und der Länder. Damit sind
wunderschöne, herrliche Gewänder an. wohl die Steuern und Abgaben ge-
Aber selbst ein Kind konnte sehen, dass meint, die er von seinen Untertanen
er nackt war. kassierte, und Reichtümer, die er von
2,6 Die gewaltigen Anwesen Salomos Eroberungszügen heimbrachte. Es kön-
brauchten in der trockenen Jahreszeit nen aber auch kostbare Geschenke von
Bewässerung; deshalb baute er Aquä- Besuchern, wie z.B. der Königin von
dukte, Seen und Teiche mit allem, was Saba, gemeint sein.
dazugehört. Der König versuchte sein Glück mit
Wenn die Anhäufung von Besitz Frie- Musik. Man sagt, Musik habe die Kraft
den und Glück garantieren könnte, zu verzaubern. So sammelte er die bes-
dann hätte er jetzt endlich sein Ziel er- ten Stimmen, männliche und weibliche.
reicht. Wie wir alle, so musste auch er Möglicherweise berichtete die Jerusale-
lernen, dass echte Freude eher durch mer Tageszeitung begeistert über alle
großzügigen Verzicht zustande kommt öffentlichen Konzerte. Selbstverständ-
als durch wahnsinniges Raffen. Salomo lich hörte der König auch private Vor-
gab sein Geld für etwas aus, was nicht führungen, Abendkonzerte, Kammer-
Brot war, und in seiner Arbeit setzte er musik usw. Ich glaube jedoch, dass sei-
sich für Dinge ein, die nicht befriedigen ne Enttäuschung ähnlich war, wie sie in
(Jes 55,2). Samuel Johnsons The History of Rasselas,
2,7 Mengen von Dienern waren erfor- The Prince of Abyssinia zum Ausdruck
derlich, um all seine Besitztümer zu be- kommt:
wirtschaften, und so stellte er weibliche
und männliche Sklaven ein. Er hatte so- Ich kann mir auch den Lautenspieler
gar Sklaven, die in seinem Haus ge­ rufen lassen oder den Sänger; aber die
boren waren, ein außergewöhnlich Klänge, die mich gestern noch erfreut
wichtiges Statussymbol zu jener Zeit. haben, langweilen mich heute und wer-
Wie für die meisten Menschen, so den mich morgen noch mehr ermüden.
schien es auch für Salomo ein Zeichen Ich entdecke in mir keine Kraft der
von Größe zu sein, wenn man bedient Wahrnehmung mehr, die nicht über-
wurde. Am Tisch zu sitzen, war größer, sättigt wäre mit entsprechendem Ge-
als dort zu bedienen. Ein Größerer als nuss, aber dennoch fühle ich keine
Salomo kam in die Welt als ein Knecht: Freude in mir. Der Mensch hat gewiss

880
Prediger 2

ein verborgenes Empfinden, für das es nen Versuchen und Exkursionen war er
hier keine Befriedigung gibt; er hat immer noch im Besitz seiner natür-
Bedürfnisse, außerhalb des Bereichs lichen Weisheit. Er hatte noch nicht den
der Sinneswahrnehmungen, die erst Verstand verloren.
befriedigt sein müssen, bevor er glück- 2,10 Auf seiner Suche nach Befrie-
lich sein kann. 14 digung scheute er keine Kosten. Wenn
er etwas sah, was er gern gehabt hät-
Dann versuchte er es mit Sex. Nicht te, dann kaufte er es. Wenn er dach-
nur Wein (V. 3) und Gesang (V. 8), te, an einer Sache Vergnügen zu fin-
sondern jetzt auch Frauen. »Wein, den, dann gönnte er sie sich. Er fand
Weib und Gesang!« »… und was zur auch eine gewisse Befriedigung in
Wollust der Menschensöhne dient: diesem Karussell von Erwerbungen
Frauen über Frauen« (Schlachter und Betätigungen. Diese flüchtige
2000). Die Bibel berichtet uns nüch- Freude war alles, was er für sein Be-
tern (wobei sie diese Tatsache nicht mühen bekam.
gutheißt), dass Salomo 700 Frauen 2,11 Schließlich machte er Bestands-
und 300 Nebenfrauen hatte (1Kö aufnahme von allem, was er getan hat-
11,3). Meinte er tatsächlich, hier den te, und von aller Energie, die er auf­
Weg zum Glück zu finden? Man den- gebracht hatte. Was kam als Ergebnis
ke nur an die Eifersucht, den Tratsch her­aus? Alles war Nichtigkeit und
und die Sticheleien in solch einem Sinnlosigkeit, ein Haschen nach Wind.
Harem! Er fand keine anhaltende Befriedigung
Und dennoch bleibt in unserer unter der Sonne. Er fand wie Luther:
kranken Gesellschaft die Täuschung »Die ganze Welt ist wie eine Kruste,
bis in unsere Tage bestehen, dass Sex die man dem Hund vorwirft.« Es lang-
eine Schnellstraße zum Glück und weilte ihn alles.
zur Zufriedenheit ist. Innerhalb der Auch Ralph Barton, ein Spitzenkari-
von Gott gesetzten Grenzen der Ein­ katurist, langweilte sich. Er schrieb:
ehe kann das der Fall sein, aber der
heutige Missbrauch des Geschlecht- Ich hatte wenig Schwierigkeiten, viele
lichen führt zu Elend und Selbstzer- Freunde und großen Erfolg. Ich ging von
störung. einer Frau zur anderen, von einem Haus
Ein Opfer der heutigen Sexbesessen- zum nächsten und bereiste großartige
heit empfand hinterher, dass sie sich Länder der Welt. Aber ich habe all diese
selbst betrogen hatte. Sie schrieb: künstlichen Mittel, wie man 24 Stunden
des Tages füllen kann, so satt.16
Ich glaubte, Sex wäre eine Art psyche-
delischer Haupttreffer, durch den die Dass Vergnügungen und Besitz ver-
ganze Welt aufleuchten würde wie ein sagen, wenn es um die Befriedigung
Glücksspielautomat. Als aber alles des Herzens eines Menschen geht,
vorüber war, hatte ich das Gefühl, be- wird auch in dem fiktiven Bild eines
trogen worden zu sein. Ich erinnere Mannes deutlich, der sich nur etwas
mich, dass ich damals dachte: »Ist das zu wünschen brauchte, und schon
alles, was es gibt? Ist das wirklich hatte er es.
alles?« 15
Er wollte ein Haus, und schon war es
2,9 Und Salomo wurde groß und be- da, mit Dienern an der Tür; er wollte
deutend. Er genoss das Vorrecht, alle einen Cadillac, und schon stand er da,
seine Zeitgenossen auf der Prestige­ mit Chauffeur. Zu Beginn war er be-
leiter zu überflügeln, was immer das geistert, aber bald schon übte es keine
auch wert sein mag. Und nach all sei- Reize mehr auf ihn aus. Er sagte zu sei-

881
Prediger 2

nem Begleiter: »Ich will raus hier. Ich einen so großen Wert auf Weisheit ge-
will etwas erschaffen, ich will etwas legt hatte. Der einzige Vorteil der Weis-
leiden. Ich wäre lieber in der Hölle als heit ist doch, dass Licht auf den Weg
hier.« Sein Begleiter antwortete: »Was fällt. Abgesehen davon gibt es keinen
glauben Sie denn, wo Sie sind?« 17 Unterschied. Und so ist letztlich auch
das Streben nach Weisheit eine vergeb-
Genau dort befindet sich unsere heu- liche Mühe.
tige Gesellschaft – in der Hölle des 2,16-17 Er setzt seine diesbezüglichen
Materialismus, immer darauf aus, Gedanken in Vers 16 und 17 fort. Nach
das menschliche Herz mit Dingen zu der Beerdigung sind beide, der Weise
befriedigen, die keine dauerhafte Be- und der Tor, schnell vergessen. Schon
friedigung bieten können. nach ein oder zwei Generationen ist es
2,12 Infolge der entmutigenden so, als hätten sie nie gelebt. Namen und
Resultate seiner bisherigen Nachfor- Gesichter, die heute noch wichtig er-
schungen begann sich Salomo zu fra- scheinen, verschwinden in der Verges-
gen, was man wohl besser wäre, ein senheit. Was bleibenden Ruhm betrifft,
Weiser oder ein Tor. Er entschied sind sich beide gleich.
sich, auch das zu untersuchen. Da Diese entmutigende Erkenntnis, dass
doch das Leben ein einziges Jagen Ruhm so schnell vergänglich ist und
nach Seifenblasen ist, so fragte er dass der Mensch so rasch vergessen
sich, hat da der umsichtig handelnde wird, brachte Salomo dazu, das Leben
Mann wirklich Vorteile gegenüber zu hassen. Statt Erfüllung und Zufrie-
dem, der leichtfertig, in Tollheit und denheit in den menschlichen Aktivitä-
Torheit in den Tag hineinlebt? ten »unter der Sonne« zu finden, ent-
Er als mächtiger König, dazu noch deckte er nur Verdruss. Das Bewusst-
reich und weise, sollte das doch rasch sein, alles ist nur Nichtigkeit und ein
herausfinden können. Wenn er es nicht Haschen nach Wind, beunruhigte ihn
schaffen würde, dann blieben auch je- zutiefst.
dem anderen nach ihm kommenden Ein ehemaliger Leistungssportler be-
König wenig Chancen, neue Erkennt- richtete, nachdem er zu Ruhm und
nisse auf diesem Gebiet zu gewinnen. Ehren gekommen war:
2,13 Seine allgemeine Feststellung
war, dass Weisheit besser ist als Tor- Die größte Freude meines Lebens erlebte
heit, ebenso wie das Licht die Finsternis ich, nachdem ich in einem großen Spiel
übertrifft. Der weise Mann geht im das entscheidende Tor geschossen hatte
Licht und sieht die Hindernisse auf und die Rufe der jubelnden Zuschauer
dem Weg. Demgegenüber tastet sich hörte. Aber noch in derselben Nacht
der Tor in der Finsternis voran und fällt überkam mich in der Stille meines Zim-
in jedes Loch. mers ein Gefühl der Sinnlosigkeit. Wel-
2,14 Aber selbst wenn man den Vor- chen Wert hat das alles? Gibt es nichts
teil zugibt, dass der Weise sieht, wohin Besseres, wofür es sich zu leben lohnt, als
er geht, was macht das im Endeffekt für Tore zu schießen? Solche Gedanken wa-
einen Unterschied? Beide werden ein- ren der Anfang meiner Suche nach Zu-
mal sterben, und keine Weisheit dieser friedenheit. Ich spürte in meinem Her-
Welt kann den Tod aufhalten oder ver- zen, dass niemand als nur Gott allein das
hindern. Das ist das Los aller Men- Bedürfnis meiner Seele stillen konnte.
schen. Schon kurze Zeit später fand ich in Jesus
2,15 Nachdem Salomo erkannt hat, Christus, was ich in der Welt nie gefun-
dass ihn dasselbe Schicksal erwartet den hätte.18
wie den Toren, fragt er sich ernsthaft,
warum er dann sein ganzes Leben lang 2,18 Eine der größten Ungerechtig-

882
Prediger 2

keiten, die Salomo ärgerte, war die Tat­ anderen überlassen muss, der keinerlei
sache, dass er seinen Reichtum nie ge- Beziehung dazu hat, ja, der weder einen
nießen konnte. C.E. Stuart schrieb: Finger dafür gekrümmt hat, noch ir-
gendwie um seinen Erhalt besorgt war.
Der Tod ist ein Wurm an der Wurzel des Was für ein großes Unglück!
Baumes der Vergnügungen. Er verdirbt Ungeachtet der Erfahrung Salomos
das Vergnügen und lässt die Freude er- verbringen Eltern in der ganzen Welt
frieren, denn er schneidet den Menschen die beste Zeit ihres Lebens damit, ein
gerade dann ab, wenn er sich nach jahre- Vermögen anzuhäufen, das ihre Kinder
langer Mühe zur Ruhe setzt, um die einmal erben werden. Ganz uneigen-
Früchte seiner Arbeit zu ernten.19 nützig bezeichnen sie das auch noch als
ihre moralische Verpflichtung. Jamie-
Alles muss der Mensch seinen Erben son, Fausset und Brown schreiben dazu:
hinterlassen. »In den meisten Fällen ist Selbstsucht
2,19 Besonders bitter ist dabei der Ge- die Wurzel der angeblichen Verpflich-
danke, dass der Erbe womöglich kein tung weltlicher Eltern, für ihre Kinder
weiser Mann ist. Vielleicht ist er ein vorsorgen zu müssen.«20 Ihr Grund­
Verschwender, ein Hohlkopf oder ein gedanke ist die Vorsorge für ihr eige-
Playboy. Wie dem auch sei, er wird es nes, angenehmes Leben im Alter. In ers-
erben. Er wird über ein Vermögen ent- ter Linie denken sie an sich selbst. Dass
scheiden, für das er weder Pläne ge- ihre Kinder den Rest erben, liegt einzig
macht noch gearbeitet hat. und allein am Tod der Eltern und am
Das bedrückte Salomo. Vielleicht hat- gültigen Erbrecht.
te er in Bezug auf seine eigene Familie Vom christlichen Standpunkt aus gibt
eine Vorahnung. Möglicherweise sah er es für Eltern keinerlei Grund, zu arbei-
voraus, dass sein Sohn Rehabeam in ten, zu sparen und Opfer auf sich zu
seiner Torheit alles verschwenden wür- nehmen, nur um den Kindern etwas zu
de, was Salomo mühsam angesammelt hinterlassen. Das beste Erbe ist geist­
hatte. Die Geschichte berichtet uns, dass licher und nicht finanzieller Art. Hin-
genau dies eintrat. Indem er nicht auf terlassenes Geld hat schon oft Neid,
den Rat der Alten hörte, führte er die Missgunst und Streit in ansonsten
Reichsteilung herbei. Als die Ägypter glücklichen und harmonischen Fami-
gegen Juda zogen, wurden sie mit den lien verursacht. Kinder wurden oft
Tempelschätzen bestochen. Die gol- durch eine plötzliche Erbschaft eines
denen Schilde bereicherten die Schätze großen Vermögens geistlich und mora-
Ägyptens, und Rehabeam musste sie lisch ruiniert. Andere Übel folgen fast
durch Schilde aus Erz ersetzen (vgl. zwangsläufig.
2Chr 12,9-10). Vom geistlichen Standpunkt aus
2,20 Die Aussicht, dass sein Lebens- sollten wir unser Geld jetzt schon dafür
werk und sein Vermögen in die Hände einsetzen, dass es für Gott etwas be-
eines unwürdigen Nachfolgers fallen wirkt, und es nicht Kindern hinterlas-
könnten, stürzten Salomo in tiefe sen, die manchmal dessen gar nicht
Schwermut und Depression. Alles er- wert sind, die undankbar oder gar un-
schien so sinnlos und widersinnig. Er errettet sind. Martin Luther war davon
empfand, dass all sein Mühen vergeb- überzeugt, dass er seine Familie Gott
lich gewesen war. überlassen konnte, so wie er sich selbst
2,21 Dieser Gedanke setzte ihm sehr ihm anvertraut hatte. Er schrieb in sei-
zu – dass ein Mann, der sein Vermögen nem Testament:
durch harte Arbeit, kluge Überlegungen
und geschickte Geschäftstaktik erwor- Herr, Gott, ich danke dir, dass du es gut
ben hat, nach seinem Tod alles einem gefunden hast, mich zu einem armen, be-

883
Prediger 2

dürftigen Mann auf Erden zu machen. besten, zu essen, zu trinken und fröh-
Ich habe weder Haus noch Land, noch lich zu sein, »denn morgen sterben wir«
Geld zu hinterlassen. Du hast mir Frau (1Kor 15,32).
und Kinder gegeben, die ich dir nun zu- Salomo fügt hier hinzu, dass auch die
rückgebe. Herr, nähre, lehre und pflege Fähigkeit zur Freude von Gott komme.
sie, wie du es mit mir getan hast. Ohne ihn können wir nicht einmal die
gewöhnlichsten Dinge recht genießen.
2,22 Salomo schließt, dass es für den Selbst bei Essen, Appetit, Verdauung,
Menschen keinen dauerhaften Wert als Sicht, Gehör, Geruch, Gesundheit, Er­
Lohn seiner Mühe und seiner Sorgen innerung und Vernunft sind wir von
unter der Sonne gibt. Er müht sich, er ihm abhängig, kurz: in allem, was das
plant, er reibt sich auf – wozu eigent- Erleben von normalem Genuss möglich
lich? Was bringt ihm das alles fünf macht.
Minuten nach seinem Tod? 2,25 In Vers 25 sagt Salomo, dass er all
Ohne göttliche Offenbarung kämen das mehr als jeder andere genießen
wir zum selben Schluss wie Salomo. konnte. (»Wer kann essen und wer kann
Wir wissen aber aus Gottes Wort, dass genießen, mehr als ich?« – KJV, NKJV;
wir für Gott und die Ewigkeit leben andere Übersetzungen deuten diesen
können. Wir wissen, dass für alles, was Vers als Aussage Gottes: »Denn: Wer
wir für ihn tun, der Lohn bereitliegt. kann essen und wer kann fröhlich sein
Unsere Arbeit ist nicht vergeblich in ohne mich?«; revidierte Elberfelder,
dem Herrn (1Kor 15,58). Schlachter 2000.)
2,23 Für den Mann jedoch, dessen John D. Rockefeller hatte ein wö-
Hoffnung nicht über das Grab hinaus- chentliches Einkommen von etwa einer
geht, sind die Tage tatsächlich mit Kum- Mil­lion Dollar, dennoch erlaubten ihm
mer und lästiger Arbeit gefüllt, und seine Ärzte nur ein Essen, das wenige
selbst nachts findet er keine richtige Cent kostete. Einer seiner Biografen be-
Ruhe. Das Leben ist eine riesige Enttäu- richtete, dass er eine Diät verordnet be-
schung, gefüllt mit Sorgen und Leid. kam, die sogar ein Almosenempfänger
2,24 Und weil das der Fall ist, lautet verweigert hätte.
die logische Lebensphilosophie des
Mannes, dessen Existenz sich lediglich Er wog nun weniger als 50 kg und bekam
auf den Bereich »unter der Sonne« be- schon zum Frühstück alles genau be­
schränkt: »Iss, trink und genieße die messen: einige Tropfen Kaffee, einen
Zeit, so gut es geht.« Der Prediger redet Löffel Müsli, eine Gabel voll Rührei und
nicht irgendeiner Art von Völlerei und ein erbsengroßes Stück Fleisch.21
Trunkenheit das Wort, sondern dass
man jede sich bietende ehrliche Freude Er war der reichste Mann der Welt, hat-
mitnimmt. Selbst das ist aus der Hand te aber nicht die Möglichkeit, sein Essen
Gottes, dass der Mensch die angeneh- zu genießen.
men Seiten des Lebens genießt, den Ge- 2,26 Schließlich empfand der Predi-
schmack des guten Essens, die Erfri- ger, dass er ein grundsätzliches Lebens-
schung durch wohlschmeckende Ge- prinzip herausgefunden hatte, dass
tränke und die Befriedigung ehrlicher Gott nämlich ein gerechtes Leben be-
Arbeit. Wenn es ihm nicht von Gott ge- lohnt und Ungerechtigkeit bestraft.
geben ist, hat der Mensch überhaupt Demjenigen, der ihn erfreut, schenkt er
keine Fähigkeit, Freuden zu genießen. Weisheit, Erkenntnis und Freude; dem
Ein späterer Prediger, der Apostel Gewohnheitssünder jedoch legt er eine
Paulus, bestätigte die Sicht Salomos. Er große Last auf, Gewinn anzuhäufen
sagte, wenn es keine Auferstehung der und zu raffen, um es dann dem zu ge-
Toten gäbe, dann wäre es in der Tat am ben, den Gott sich dafür aussucht. Was

884
Prediger 2 und 3

könnte unnützer und niederschmet- wissen, dass wir bis zur Erfüllung un-
ternder sein als das? seres Dienstes nicht sterben werden,
und obwohl der Tod möglich ist, ist er
C. Die Nichtigkeit des Kreislaufs von doch nicht gewiss. Die gesegnete Hoff-
Leben und Tod (Kap. 3) nung auf die Wiederkehr Christi lässt
3,1 Als ein Erforscher menschlichen den Gläubigen mehr nach dem Erlöser
Verhaltens machte Salomo die Beobach- Ausschau halten als nach dem Tod.
tung, dass alles eine bestimmte Stunde »Zeit fürs Pflanzen und Zeit fürs Aus-
hat und jedes Geschehnis seine vorher reißen des Gepflanzten.« Es sieht so aus,
festgesetzte Zeit. Das bedeutet, dass als wollte Salomo mit diesen Worten die
Gott alles Geschehen in einem riesigen gesamte Landwirtschaft beschreiben,
Computer vorprogrammiert hat, wie wie sie eng verbunden ist mit den Jah-
die Spanier sagen: »Que será, será!«: reszeiten (1Mo 8,22). Eine ungenügende
»Was sein wird, wird sein!« Beachtung dieser Zeiten beim Pflanzen
Das bedeutet auch, dass die Geschich- und Ernten wird zwangsläufig zu Miss-
te voller zyklischer Abläufe ist, die sich erfolgen führen.
mit einer unveränderlichen Regel­ 3,3 »Zeit fürs Töten und Zeit fürs Hei-
mäßigkeit wiederholen. So ist auch der len.« Bibelkommentatoren haben alle
Mensch eingeschlossen in bestimmte möglichen Anstrengungen unternom-
Verhaltensmuster, die sich wiederum men, diesen Vers so zu erklären, dass es
nach bestimmten Gesetzen oder Prinzi- sich hierbei nicht um Mord handle, son-
pien richten. Er ist der Zwangsläufig- dern höchstens um Krieg, Todesstrafe
keit unterworfen. oder Selbstverteidigung. Wir dürfen aber
In den Versen 1 bis 8 nennt der Predi- nicht vergessen, dass sich Salomos Be­
ger 28 Aktivitäten, die wahrscheinlich obachtungen auf sein Wissen »unter der
den gesamten Lebensablauf symboli- Sonne« gründeten. Ohne göttliche Offen-
sieren sollen. Diese Schlussfolgerung barung musste er zu dem Schluss kom-
ergibt sich aus der Zahl 28, eine Multi­ men, dass das Leben entweder ein
plikation der Zahl für die Welt (vier) Schlachthaus oder ein Krankenhaus ist,
mit der Zahl der Fülle bzw. Vollkom- entweder ein Kriegsfeld oder eine Erste-
menheit (sieben). Hilfe-Station.
Diese Liste besteht aus Gegensätz- »Zeit fürs Abbrechen und Zeit fürs
lichkeiten, 14 positiven und 14 negati- Bauen.« Zuerst erscheinen die Abbruch­
ven. In gewisser Weise wird eins durch unternehmen, um die ausgedienten,
das andere aufgehoben, sodass das Er- baufälligen Gebäude zu beseitigen. Da-
gebnis gleich Null ist. nach kommen die Bauarbeiter und er-
3,2 Es gibt die Zeit, geboren zu wer- richten an der Stätte der Zerstörung
den. Die Person selbst hat keinerlei Ein- neue Wohnbauten.
fluss darauf, und selbst die Eltern müs- 3,4 »Zeit fürs Weinen und Zeit fürs
sen die normalen 9 Monate warten. Lachen.« Das Leben scheint zwischen
Es gibt auch eine Zeit zum Sterben. Tragödie und Komödie zu pendeln.
Das zugeteilte Maß an Lebenszeit ge- Heute trägt es die schwarze Maske des
mäß Psalm 90,10 ist 70, wenn es hoch Tragikers und morgen das bemalte Ge-
kommt, 80 Jahre. Aber auch unabhän- sicht des Clowns.
gig davon sieht es so aus, als ob die To- »Zeit fürs Klagen und Zeit fürs Tan-
desstunde ein vorher festgesetzter Ter- zen.« Ein Trauerzug zieht über den Fried-
min sei, der zwangsläufig eingehalten hof, und die Trauernden wehklagen und
werden muss. Es ist wahr: Gott kennt weinen. Aber schon kurze Zeit später fin-
die Todesstunde unseres Lebens im Vor­ det man dieselben Menschen auf einer
aus; für den Christen ist dies jedoch kei- Hochzeitsfeier lachend und tanzend, ihre
neswegs ein dunkles Schicksal. Wir kürzliche Trauer ist schnell vergessen.

885
Prediger 3

3,5 »Zeit fürs Steinewerfen und Zeit len. Mose durfte nicht das Gelobte Land
fürs Steinesammeln.« Nimmt man es betreten, weil er mit seinen Lippen Din-
wörtlich, dann heißt das: Es gibt eine ge gesagt hat, die ihm nicht aufgetragen
Zeit, um die Felder zur Kultivierung waren (4Mo 20,10; Ps 106,33).
vorzubereiten (Jes 5,2), und eine Zeit, »Zeit zum Reden« ist dann, wenn
um die Steine zum Hausbau zu sam- eine bedeutsame Sache oder ein wichti-
meln. Wenn wir die Worte bildlich neh- ger Grundsatz auf dem Spiel steht.
men, wie es die meisten modernen Mordechai beriet die Königin Ester,
Ausleger tun, dann bezieht es sich mög- dass für sie die Zeit zum Reden gekom-
licherweise auf den ehelichen Akt: men war (Est 4,13-14). Und er hätte,
»Eine Zeit, um miteinander zu verkeh- wenn man das einmal sagen darf, mit
ren, und eine Zeit, um es nicht zu tun.« Dante hinzufügen können: »Die heißes-
»Zeit fürs Umarmen und Zeit fürs ten Plätze in der Hölle sind für die re-
Sich-fern-Halten vom Umarmen.« Im serviert, die in einer Zeit der großen
Bereich der Gefühle kennen wir eine moralischen Krise neutral bleiben.«
Zeit für Beziehung sowie eine Zeit für 3,8 »Zeit fürs Lieben und Zeit fürs
Rückzug. Es gibt eine Zeit, in der die Hassen.« Wir dürfen nicht versuchen,
Liebe rein ist, und eine Zeit, in der sie all diese Worte in einen christlichen
unerlaubt ist. Rahmen zu pressen. Salomo sprach
3,6 »Zeit fürs Suchen und Zeit fürs nicht als Christ, sondern als ein Mann
Verlieren.« Das lenkt unsere Gedanken der Welt. Für ihn hatte es den Anschein,
auf das Geschäftsleben, mit Zeiten des dass das menschliche Verhalten zwi-
Gewinns und des Verlusts. Heute läuft schen Liebe und Hass schwanke.
das Geschäft erstklassig, die Kassen »Zeit für Krieg und Zeit für Frieden.«
klingeln. Doch schon morgen kann die Was sonst ist Geschichte, wenn nicht
Entwicklung in die entgegengesetzte eine Auflistung von Gewalttaten, Grau-
Richtung gehen. samkeiten und Kriegen, unterbrochen
»Zeit fürs Aufbewahren und Zeit fürs von kurzen Abschnitten des Friedens?
Wegwerfen.« Die meisten Hausfrauen 3,9 Die Frage, die Salomo nicht losließ,
kennen dieses seltsame Verhalten. Da war: »Was für einen Gewinn hat der
gibt es Sachen, die werden sorgsam Schaffende bei aller seiner Mühe?« Zu
verstaut und manchmal für Jahre auf- jeder konstruktiven Tätigkeit gibt es
gehoben, bis sie dann einmal beim eine destruktive. Für jedes Plus ein Mi-
Großreinemachen gefunden und weg- nus. Die 14 positiven Dinge werden auf-
gegeben bzw. weggeworfen werden. gehoben durch die 14 negativen. So ist
3,7 »Zeit fürs Zerreißen und Zeit fürs die mathematische Formel des Lebens:
Zusammennähen.« Sollte Salomo etwa Vierzehn minus vierzehn ist gleich null.
an den ständigen Wechsel der Mode ge- Dem Menschen bleibt am Ende all sei-
dacht haben? Einige Modemacher dik- nes Mühens nicht mehr als Null!
tieren einen neuen Trend, und auf der 3,10 Salomo unternahm eine ausführ-
ganzen Welt werden Säume herausge- liche Betrachtung all der Tätigkeiten,
lassen oder gekürzt. Heute ist die Mode Unternehmungen und Aufgaben, die
frech und aufreizend, morgen schon Gott dem Menschen gegeben hat, um
hat sie sich gewandelt und zeigt sich im sich damit zu beschäftigen. Wir haben
Stil der Tage unserer Großeltern. gerade seinen Katalog in den Versen
»Zeit fürs Schweigen und Zeit fürs 2 bis 8 betrachtet.
Reden.« Zeit zum Schweigen ist, wenn 3,11 Er kam zu dem Ergebnis, dass
wir ungerecht kritisiert werden, wenn Gott alles zu seiner Zeit sehr gut ge-
wir versucht sind, andere zu kritisieren, macht hat, oder besser gesagt, dass es
oder wenn wir unfreundliche, unwahre für alles eine bestimmte Zeit gebe. Er
oder zerstörerische Dinge sagen wol- denkt dabei weniger an die Schön­heiten

886
Prediger 3

der Schöpfung Gottes, als vielmehr an Schöpfers aufzubegehren. Wie viel bes-
die Tatsache, dass jede Tätigkeit ihre ser ist es doch, ihn zu fürchten und sich
eigene festgesetzte Zeit und Bedeutung seiner Herrschaft zu unterwerfen.
hat. 3,15 Die gegenwärtigen Ereignisse
Gott legte außerdem die Ewigkeit den sind nur eine Wiederholung von schon
Menschen ins Herz. Obwohl der da Gewesenem; in der Zukunft ge-
Mensch in einer Welt der Zeit lebt, hat schieht nur das, was schon vor Zeiten
er doch ein Empfinden für die Ewigkeit. geschehen war. Gott lässt alles in einer
Instinktiv denkt er an »ewig«, und ob- sich wiederholenden Art ablaufen, so-
wohl er das verstandesmäßig nicht zu dass bestimmte Dinge sich wieder und
fassen vermag, so ahnt er doch, dass wieder ereignen. Er bringt das Vergan-
nach diesem Leben die Möglichkeit ei- gene zurück, und so wiederholt sich die
nes uferlosen Meeres von Zeit besteht. Geschichte ständig.
Dennoch, das Wirken Gottes und sei- Der Ausdruck »Gott fordert [Rechen-
ne Wege sind für den Menschen uner- schaft über] das Vergangene« (NKJV)
forschlich. Ohne Offenbarung Gottes wird benutzt, um zu zeigen, dass Un-
haben wir keine Möglichkeit, das Rätsel gläubige über vergangene Sünden Re-
der Schöpfung, der Vorsehung oder der chenschaft ablegen müssen. Obwohl
Erhaltung des Universums zu lösen. das richtig ist, so ist das nicht die Aus-
Ungeachtet der großen Fortschritte in sage dieses Verses. Hier wird Gott viel-
der menschlichen Erkenntnis sehen wir mehr als der gesehen, der vergangene
immer noch wie durch dunkle Gläser. Abläufe hervorholt, um damit einen
Wie oft müssen wir mit einem Seufzer neuen Kreislauf der Geschichte zu ge-
bekennen: »Wie wenig wissen wir von stalten. R.C. Sproul bezeichnet es als
ihm!« das Thema der ewigen Wiederholung.
3,12 Eben weil das Leben des Men- »In diesem Gedanken steckt die Be-
schen offensichtlich durch irgendwel- hauptung, dass es in der unbegrenzten
che unerforschliche Gesetze regiert Zeit periodische Zyklen gibt, in denen
wird, und weil er nach all seinen Mü- alle Dinge, die einmal gewesen sind,
hen wieder dort ankam, wo er anfing, sich wiederholen. Das Drama des
entschied Salomo, es sei das Beste, fröh- menschlichen Lebens ist ein Stück mit
lich zu sein und das Leben zu genießen, einer Zugabe nach der anderen.«22
so gut das möglich ist. 3,16 Unter all den Tatsachen, die den
3,13 Er dachte nicht daran, das Leben Prediger schmerzten, waren auch Un-
in eine Fress- und Sauforgie ausufern gerechtigkeit und Gesetzlosigkeit. Un-
zu lassen, sondern dass es aus Gottes gerechtigkeit fand er in den Gerichten,
Sicht wohl das Beste sei, zu essen, zu dort wo Gerechtigkeit herrschen sollte.
trinken und die Freuden des täglichen Gesetzlosigkeit und Korruption fand er
Lebens zu genießen. Das ist eine sehr in den Regierungen, dort wo Ehrlich-
niedrige Zielsetzung, unter dem Ni- keit praktiziert werden sollte.
veau des christlichen Standpunkts; aber 3,17 Diese Ungleichheiten im Leben
wir dürfen nicht vergessen, Salomos brachten ihn zu dem Schluss, dass es
Standpunkt war ausschließlich auf die eine Zeit geben muss, in der Gott die
Erde bezogen. Menschen richtet und in der die krum-
3,14 Er verstand genau, dass Gottes men Wege wieder gerade gemacht wer-
Ratschluss unveränderlich ist. Was Gott den. Salomo sagt nicht ausdrücklich,
entschieden hat, bleibt bestehen, und dass dies im nächsten Leben sein wird,
der Mensch kann es nicht verändern, er aber das ist eine Selbstverständlichkeit,
kann weder etwas hinzufügen noch weil so viele Ungerechtigkeiten in die-
Abstriche machen. Es ist töricht für das ser Welt nicht ausgeglichen werden.
Geschöpf, gegen die Fügungen des Seine diesbezüglichen Gedanken spie-

887
Prediger 3

geln das allgemeine Empfinden gerech- 3,20 Alle gehen den gleichen Weg,
ter Menschen wider. Anständigkeit und den Weg zum Grab. Alle werden wie-
Ehrlichkeit verlangen nach einer Zeit, der zu Staub. Beide wurden aus Staub
in der die Rechnungen berichtigt wer- gemacht, beide kehren dorthin zurück.
den und dem Recht zum Durchbruch Das setzt natürlich voraus, dass die
verholfen wird. Leiblichkeit in unserem Leben alles
3,18 In den abschließenden Versen wäre. Wir wissen aber, dass dem nicht
des 3. Kapitels wendet sich der Predi- so ist. Der Leib ist nur ein Zelt, in der
ger dem Tod zu und sieht ihn als den die Person lebt. Aber von Salomo kann
grimmigen Spielverderber, der die bes- man nicht die volle Kenntnis über den
ten Vorsätze, Bemühungen und Ver- zukünftigen Zustand des Menschen er-
gnügungen des Menschen zunichte- warten.
macht. Er sieht diese Dinge genauso, 3,21 Seine Unkenntnis über die Fol-
wie wir sie sehen würden, wenn wir gen des Todes wird in der Frage sicht-
nicht das Licht der Bibel hätten. bar: »Wer weiß von dem Odem des
Es ist beachtenswert, wie er seine Menschen, ob er aufwärts fährt, und
Meinung mit den Worten beginnt: »Ich von dem Odem der Tiere, ob er nieder-
sprach in meinem Herzen …« Es ist wärts zur Erde hinabfährt?« Das darf
nichts, was Gott ihm offenbarte, son- nicht als lehrmäßige Aussage aufgefasst
dern das, was er sich selbst vorstellte. werden. Das ist menschliches Fragen
Es sind seine eigenen Gedankengänge und nicht göttliche Gewissheit.
»unter der Sonne«. Daher sind es keine Wir wissen aus dem Neuen Testa-
Aussagen, von denen wir entsprechen- ment, dass Geist und Seele des Gläubi-
de Lehren über den Tod und das Jen- gen nach seinem Tod bei Christus sind
seits ableiten können. Genau das aber (2Kor 5,8; Phil 1,23) und der Leib ins
ist es, was so viele falsche Lehrer getan Grab gelegt wird (Apg 8,2). Geist und
haben. Sie benutzen diese Verse, um Seele des Ungläubigen kommen in den
ihre Irrlehren vom Seelenschlaf und Hades, doch sein Leib landet im Grab
von der Vernichtung der verstorbenen (Lk 16,22b-23). Wenn der Herr Jesus zur
Ungerechten zu untermauern. Tatsäch- Entrückung der Seinen wiederkommt,
lich erkennt man bei einem sorgfältigen werden die Leiber der im Glauben Ge-
Studium dieser Stelle, dass Salomo kei- storbenen auferweckt und in verherr-
neswegs diese Ansichten vertreten hat. lichter Form mit Geist und Seele wie-
Was er grundsätzlich meint, ist, dass dervereinigt (Phil 3,20-21; 1Thes 4,16-
Gott jeden Menschen während seines 17). Die Leiber der ungläubigen Toten
kurzen Erdenlebens prüft und ihm werden zum Gerichtstag vor dem gro-
zeigt, wie vergänglich und flüchtig er ßen weißen Thron auferweckt, mit Geist
doch ist, genauso wie die Tiere. Aber und Seele vereinigt und nach dem Ge-
sagt er denn, der Mensch sei nicht bes- richt in den Feuersee geworfen (Offb
ser als ein Tier? 20,12-14).
3,19 Nein, er sagt ja nicht, dass der Um genau zu sein: Tiere haben Leib
Mensch ein Tier sei. Es gibt allerdings und Seele, aber keinen Geist.23 Die Bibel
einen Gesichtspunkt, in dem sich der sagt nichts über ein Leben nach dem
Mensch nicht vom Tier unterscheidet. Tod für Tiere.
So wie der Tod das Tier ereilt, so ereilt 3,22 Aus allem, was Salomo über den
er auch den Menschen. Beide haben Tod wusste (oder auch nicht wusste),
einen Lebensatem, und in der Stunde gewann er die Auffassung, dass es für
des Todes wird beiden dieser Odem ge- den Menschen das Beste sei, jeden Tag
nommen. Dann ist für den Menschen, so gut es geht zu genießen. Das sei sein
wie für Geschöpfe niederer Ordnung, Los, und er täte gut daran, sich in das
das Leben beendet. Unabänderliche zu fügen. Er solle ver-

888
Prediger 3 und 4

suchen, gerade im Annehmen dessen, tragen, was jemand als »die grässliche
was nicht zu ändern ist, seine Erfüllung Verhöhnung des Glücks, die man Le-
zu finden. Darüber hinaus aber solle er ben nennt« bezeichnete.
sich am Leben freuen, weil ihm nie- 4,4 Noch etwas anderes erregte den
mand sagen könne, was nach ihm Prediger – die Tatsache nämlich, dass
kommt. menschliche Aktivitäten und Fähig­
keiten dadurch motiviert werden, dass
D. Die Nichtigkeit der man den Nächsten überflügeln will. Er
Ungerechtigkeiten des Lebens (4,1-16) sah das Rad des Lebens angetrieben
4,1 Robert Burns sagte: »Die Unmensch- durch einen Geist der Eifersucht und
lichkeit unter den Menschen lässt un- des Konkurrenzdenkens. Das Ver­lan­
zählige Menschen klagen!« Empfind­ gen nach schöneren Kleidern und
same Herzen waren immer schon be- einem luxuriöseren Haus, das alles er-
trübt, wenn sie Unterdrückung sahen, schien ihm als nichtig und des Men-
wie sie Menschen über ihre Mitmen­ schen unwürdig, der doch im Bild
schen ausüben. Dies quälte auch Salo- Gottes geschaffen worden war.
mo. Wir sehen ihn hier betrübt über die Als Michelangelo und Raffael den
Tränen des Unterdrückten, die Macht Auftrag erhielten, mit ihren künstleri-
der Unterdrücker und die Un­fähigkeit, schen Talenten den Vatikan zu verschö-
Unterdrückten zu helfen. Die Macht lag nern, brach eine tiefe Rivalität zwischen
auf der Seite der Unterdrücker, und beiden auf. »Obwohl beide ganz ver-
niemand wagte aufzubegehren. Es sah schiedene Aufgaben zu erfüllen hatten,
so aus, als ob »die Wahrheit für immer wurden sie so eifersüchtig, dass sie am
auf dem Schafott und die Ungerechtig- Schluss nicht einmal mehr miteinander
keit für immer auf dem Thron sei«. Sa- sprachen.«25 Manche Menschen schaf-
lomo sah nicht, dass »hinter allem Un- fen es leichter als jene Genies, solchen
bekannten Gott im Schatten steht und Neid zu verbergen; aber dasselbe Kon-
über die Seinen wacht«.24 kurrenzdenken liegt auch heute vielen
4,2 So kam er in seiner Niedergeschla- Aktivitäten zugrunde.
genheit zu dem Schluss, die Toten hät- Ein moderner Zyniker schrieb einmal:
ten es besser als die Lebenden. Für ihn »Ich habe alles probiert, was das Leben
bedeutete der Tod also eine willkom- zu bieten hat. Was ich aber sehe, ist: Ei-
mene Flucht vor all den Verfolgungen ner will den anderen bei dem sinnlosen
und Grausamkeiten des Lebens. Dabei Versuch, glücklich zu werden, über-
berücksichtigte er nicht die tieferen trumpfen.«26
Auswirkungen des Todes – dass, wer 4,5 Das Gegenteil von denen, deren
im Unglauben stirbt, einem viel größe- Motiv und Lohn der Neid ist, ist der Tor
ren Leid und Schmerz ausgesetzt ist, als ‒ der stumpfsinnige, dumme Faulpelz.
es die schlimmste Unterdrückung auf Er legt seine Hände in den Schoß und
Erden vermag. Für ihn stellte sich weni- lebt von der Hand in den Mund, ohne
ger die Frage: »Gibt es Leben nach dem sich übermäßig anzustrengen. Mög­
Tod?« als vielmehr die Frage: »Gibt es licherweise ist er klüger als seine Nach-
Leben nach der Geburt?« barn, die sich von Neid und Eifersucht
4,3 Der Zynismus Salomos gipfelt in antreiben lassen.
der Feststellung, die Toten hätten es 4,6 Während andere um ihn her im
besser als die Lebenden. Das Beste sei Konkurrenzkampf förmlich umkom-
jedoch, gar nicht erst geboren zu wer- men, denkt der Tor: »Besser eine Hand
den. Solche Menschen hätten nie gelebt voll Ruhe als beide Fäuste voll Mühe
und sind von daher auch noch nie an und Haschen nach Wind.« Oder wie es
der Grausamkeit des Lebens »unter der H.C. Leupold wiedergegeben hat: »Mir
Sonne« verzweifelt. Sie mussten nie er- ist meine Ruhe lieber, auch wenn ich

889
Prediger 4

nur wenig besitze, als nach mehr zu einer dem anderen die Decke wegzieht.
streben und dann den ganzen Ärger am Das, was Salomo aber sagen will, bleibt
Hals zu haben, der damit verbunden bestehen: In Gemeinschaft lebt es sich
ist.« wesentlich angenehmer als allein.
4,7-8 Eine weitere Beobachtung er­ 4,12 Das dritte Bild hat mit dem
regte den Prediger. Es war das sinnlose Schutz vor Angriffen zu tun. Einem
Raffen eines allein stehenden Mannes, Räuber fällt es meist leicht, einen Ein-
der sich dranhielt, um immer mehr zelnen zu überwältigen. Zwei dagegen
Reichtümer aufzuhäufen. Er hat weder schützen sich normalerweise gegen­
Sohn noch Bruder, keine näheren Ver- seitig.
wandten. Er hat bereits mehr Geld, als Letztlich ist ein aus drei Schnüren ge-
er je verbrauchen wird. Dennoch reibt flochtenes Seil stärker und tragfähiger
er sich weiter auf und verzichtet selbst als die einzelne Schnur allein.
auf die wenigen Annehmlichkeiten des 4,13-16 Die Torheiten und Nichtigkei-
Lebens. Er stellt sich nie die Frage, für ten des Lebens beschränken sich nicht
wen er so hart arbeitet und so kärglich nur auf den Tagelöhner, sondern sind
lebt. selbst an Königshöfen zu finden. Salo-
Charles Bridges schreibt in seiner mo beschreibt einen König, der es nach
Auslegung: »Der elende Geizhals – wie Armut und Gefangenschaft geschafft
treffend ist dieser Name! – der erbärm- hat, auf den Thron zu steigen, und der
liche Sklave des Mammons, alt gewor- jetzt, wo er alt ist, eigensinnig wird. Er
den als mühseliger, raffender, gieriger weigert sich, auf seine Berater zu hören.
Kuli.« Welch eine nichtige, erbärmliche Es wäre besser, einen belehrbaren, wenn
Art zu leben, dachte Salomo. auch armen, jungen Mann an seiner
Wir werden wieder an den Ausspruch Stelle regieren zu lassen. Salomo dachte
von Samuel Johnson erinnert: »Die ge- über die vielen Menschen nach, die
fühl- und gewissenlose Gier nach Gold dem alten König unterworfen waren,
ist die letzte Stufe der Verderbtheit des und über diesen jungen Mann, der an
degenerierten Menschen« (vgl. Kom- der zweiten Stelle im Reich stand. Die
mentar zu Spr 11,28). Volksmenge steht hinter ihm. Sie sind
4,9 Die Einsamkeit des Geizhalses den alten König leid und wünschen
bringt Salomo dazu, die Vorzüge von sich einen Wechsel zum Guten in der
Gemeinschaft und Partnerschaft her- Regierung. Aber schon diejenigen, die
vorzuheben. Er benutzt vier Bilder, um im Volk dann wieder nachrücken, wer-
seinen Standpunkt deutlich zu machen. den mit dem Neuen nicht mehr zufrie-
Erstens: Zwei Arbeiter sind besser als den sein.
einer. Durch Zusammenarbeit bringen Diese Unbeständigkeit und die Sucht
sie mehr zustande als allein. nach dem Neuen brachten Salomo zu
4,10 Außerdem wird der Vorteil bei Bewusstsein, dass selbst die höchsten
einem Unfall deutlich, weil einer dem Ehrungen der Welt Nichtigkeit sind.
anderen aufhelfen kann. Bedauerns- Auch sie sind letztlich nur ein Haschen
wert ist derjenige, der von der Leiter nach Wind.
fällt, und niemand ist da, um nach Hilfe
zu rufen. E. Die Nichtigkeit von Volksreligion
4,11 Zwei in einem Bett in einer kalten und Politik (4,17 - 5,8)
Nacht sind besser dran, denn sie kön- Der Mensch ist instinktiv religiös, was
nen sich gegenseitig wärmen. Gewiss aber keineswegs gut sein muss. Im Ge-
könnte diesem Punkt widersprochen genteil, es kann sogar ausgesprochen
werden, indem auf das Unbehagen ver- schlecht sein. Gerade seine Religiosität
wiesen wird, das einer mit kalten Fü- kann ihn davon abhalten, seine Er­
ßen seinem Partner bereitet, oder wenn lösungsbedürftigkeit und das freie

890
Prediger 4 und 5

Gnadengeschenk Gottes zu erkennen. Aufrichtigkeit die baldige Erfüllung


Außerdem kann diese Religiosität nicht desselben. Gott hat keine Verwendung
mehr sein als eine Maskerade, ein äu­ für den Schwätzer, der alles Mögliche
ßerer Anschein ohne innere Realität. verspricht und dann die Lieferung
Nichtigkeit kann auch das religiöse schuldig bleibt. So lautet die klare For-
Leben durchdringen, vielleicht sogar derung: »Was du gelobst, erfülle.«
noch mehr als andere Gebiete. In die- 5,4 »Wenn du nicht vorhast, es zu er-
sem Abschnitt finden wir Hinweise und füllen, dann versprich erst gar nichts!«
Empfehlungen Salomos, sich von Äu- Wie gut kennt der Prediger die Nei-
ßerlichkeit und Formalismus im Um- gung des Menschen, mit Gott zu han-
gang mit dem Schöpfer zu enthalten. deln und in ausweglosen Situationen
4,17 [in manchen Übersetzungen als Versprechungen zu machen: »Herr,
5,1 gezählt] Salomo empfiehlt, seine wenn du mich hier rausbringst, dann
Schritte auf dem Weg zum Haus Gottes will ich dir immer dienen.« Meist aber
zu bewahren. Das kann sich allgemein endet das damit, dass das Versprechen
auf Gottesfurcht beziehen; aber hier in Vergessenheit gerät, sobald die Krise
wird deutlich, dass Salomo empfiehlt, vorüber ist.
es sei besser, hörend zu lernen, als zu Selbst in Augenblicken geistlicher
vor­eilig zu reden. Schnelle Verspre- Freude werden leicht Versprechungen
chungen sind Opfer von Toren. Nur ge- bezüglich Hingabe, Ehelosigkeit, Ar-
dankenlose Menschen bringen solche mut oder dergleichen gemacht. Gott hat
Opfer, ohne zu bedenken, dass sie da- nie solche Gelübde von seinem Volk ge-
mit Böses tun. fordert. In vielen Fällen, wie z.B. dem
5,1 Menschen, die Gott dienen wol- der Ehelosigkeit, ist es sogar besser, nie
len, sollten Unbesonnenheit in Gebeten, ein Gelübde abzulegen. Wenn sie aber
Versprechungen und Bekenntnissen ih- abgelegt wurden, dann sollten sie auch
rer Hingabe Gott gegenüber vermeiden. eingehalten werden.
Die Gegenwart des Allmächtigen ist Besonders das Ehegelöbnis ist im
kein Platz für überstürztes oder zwang- Himmel bestätigt worden und kann
haftes Reden. Die Tatsache, dass Gott so nicht ohne ernste Konsequenzen auf­
hoch über den Menschen steht wie der gelöst werden. Auch Gelübde aus der
Himmel über der Erde, sollte den Men- Zeit vor der Bekehrung sollten ein­
schen lehren, sein Reden sorgsam abzu- gelöst werden, es sei denn, sie ver­
wägen, wenn er Gott naht. stoßen gegen das Wort Gottes.
5,2 Genauso wie eine überaktive 5,5 Es gilt also die allgemeine Regel,
Phantasie wilde Träume hervorruft, so sich nicht durch vorschnelle Verspre-
kommen aus einem vorschnellen Mund chen zur Sünde verführen zu lassen.
Ströme törichter Worte, selbst im Gebet. »Versuche nicht, dich vor Gottes Boten
Alexander Pope schrieb: »Worte sind zu entschuldigen, indem du solches
wie Blätter; dort, wo viele Blätter sind, Handeln als Versehen ausgibst und
wird man wenig Früchte der Einsicht sagst, dass es gar nicht so gemeint war.
finden.« Denke auch nicht, die bloße Darbrin-
Salomo wollte in Vers 2 keine erschöp­ gung eines Opfers würde dich von der
fende wissenschaftliche Er­klärung der Erfüllung des Gelübdes befreien.«
Herkunft von Träumen geben; er sah Bei dem »Boten Gottes« dürfte es sich
lediglich eine Verbindung zwischen damals um den Priester gehandelt ha-
dem hektischen Wirbel seines Geistes ben, denn gebrochene Gelübde muss-
tagsüber und den dann oft unruhigen ten vor ihm bekannt werden (3Mo 5,4-
Träumen in der folgenden Nacht. 6). Das würde jedoch eine Kenntnis des
5,3 Im Fall eines vor Gott abgelegten mosaischen Gesetzes voraussetzen, ob-
Gelübdes verlangt schon die einfache wohl Salomo ja ohne Bezug zur offen-

891
Prediger 5

barten Religion spricht. In der Erklä- hebräische Text in seiner Bedeutung


rung liegen wir vielleicht richtiger, ungewiss ist. Man erkennt das leicht an
wenn wir uns den Boten Gottes als ei- den vielen verschiedenartigen Überset-
nen Beauftragten Gottes vorstellen. zungen.
Der Grundgedanke ist, dass Gott »Doch ein Gewinn für das Land ist
durch unaufrichtig gemeintes Reden bei alldem dies: ein König, der für das
überaus stark betrübt wird. Warum bebaute Feld sorgt« (rev. Elberfelder;
dann erst Dinge sagen, die ihn erzür- s.a. unrevidierte Elberfelder, Schlachter
nen? Das bringt ihn unausweichlich 2000, Luther 1984).
dazu, all unser Tun zu vereiteln und »Und immer ist’s Gewinn für ein
uns zu züchtigen. Land, wenn ein König da ist über das
5,6 So, wie viele Träume äußerst un- Feld, das man baut« (Luther 1912).
realistisch sind, so sind auch gedanken- »Zudem ist der Vorteil des Landes für
lose Worte nichtig und zerstörerisch. alle; selbst der König wird vom Feld be-
Wir sollen Gott fürchten, sagt Salomo. dient« (KJV/NKJV).
Dabei meint er nicht das liebende Ver- Der Grundgedanke wird wohl der
trauen zu dem HERRN, dem Gott des sein, dass selbst der höchste Mann im
Bundes, sondern die realistische Furcht Land auf die Früchte des Feldes ange-
davor, das Missfallen des Allmächtigen wiesen ist und somit von Gott abhängt.
auf sich zu ziehen. G. Campbell Mor- Alle sind letztlich Gott unterworfen.
gan erinnert uns daran, dass diese
Furcht die eines Sklaven und nicht ei- F. Die Nichtigkeit der vergänglichen
nes Sohnes ist. Wenn wir das nicht er- Reichtümer (5,9 - 6,12)
kennen, gestehen wir Salomo mehr 5,9 Geldliebende Menschen sind nie zu-
geistliches Verständnis zu, als es hier frieden; immerzu wollen sie noch mehr.
zum Ausdruck kommt. Mit Reichtum kann man keine Zufrie-
5,7 Als Nächstes kommt Salomo noch denheit kaufen. Gewinne, Dividenden,
einmal auf die Unterdrückung der Ar- Zinsen und Zuwächse regen den Appe-
men und die Verdrehung des Rechts tit nach mehr an. All das aber hat den
zurück. Er rät davon ab, völlig zu ver- Geschmack von Leere, von Sinnlosig-
zweifeln, wenn solche Dinge in einem keit.
Land sichtbar werden. Schließlich gibt 5,10 Wächst das Vermögen eines
es in der Regierung Hierarchien der Mannes, so gewinnt man den Eindruck,
Autorität, und die Verantwortlichen auf dass sich auch die Zahl derer, die von
höherer Ebene wachen mit Adleraugen seinem Vermögen leben wollen, ver-
über die, die ihnen unterstellt sind. mehrt ‒ ob das nun Vermögensberater
Aber ist das wirklich so? Wie oft oder Steuerberater oder Notare oder
bricht das System rechtsstaatlicher Hausangestellte oder schmarotzende
Kontrolle zusammen, und jede Ebene Verwandte sind.
dieser Herrschaftshierarchie kassiert Ein Mann kann nur einen Anzug auf
ihren Teil des Bestechungsgelds. einmal tragen; er kann auch nur so viel
Die einzige innere Genugtuung der essen, bis er satt ist. So bleibt ihm als
Gerechten ist, dass Gott über allen irdi- einziger Vorteil, dass er seine Spar­
schen Autoritäten steht und dass er da- bücher, Aktien und Pfandbriefe an-
für sorgen wird, dass eines Tages alle schauen kann und mit anderen reichen
Konten ausgeglichen sind. Es ist jedoch Narren sagen kann: »Seele, du hast
zweifelhaft, ob Salomo dies hier im viele Güter liegen auf viele Jahre, ruhe
Auge hat. aus, iss, trink, sei fröhlich« (Lk 12,19).
5,8 Der 8. Vers ist einer der schwie- 5,11 Wenn es um einen guten, ruhi-
rigsten im ganzen Buch Prediger. Der gen Schlaf geht, so liegen die Vorteile
Grund dafür ist, dass der ursprüngliche eindeutig bei dem arbeitenden Men-

892
Prediger 5 und 6

schen. Ob er nun ein üppiges Mahl oder 5,16 Die Tragik wird durch die Tat­
einen Imbiss zu sich genommen hat, er sache komplett, dass die letzten Tage
kann ohne Besorgnis ausruhen. Am dieses Menschen gefüllt waren mit
anderen Ende der Stadt aber hat der Schwermut, Zorn, Sorgen, Verdruss
reiche Mann schon wieder eine schlaf- und Krankheit. Sein Leben war die um-
lose Nacht; er denkt über den Börsen- gekehrte Aschenputtel-Geschichte: von
markt nach, über möglichen Diebstahl, Reichtum zu Armut.
Steuern und was es sonst noch für Be- Natürlich muss jeder Mensch in sei-
fürchtungen geben mag. Schließlich ner Todesstunde alles zurücklassen.
helfen nur noch Tabletten, um den auf- Aber der Prediger will hier das Törichte
gewühlten Magen und die Nerven zu deutlich machen, Geld so sinnlos zu
beruhigen. horten, statt es zu sinnvollen Dingen zu
5,12 Salomo sah, dass die Anhäufung gebrauchen. Verliert man dann alles, so
von Vermögen üble Konsequenzen hat man nichts von seiner Arbeit ge-
nach sich zieht. Da ist ein Mann mit habt.
großen Reichtümern; aber statt sie kon- 5,17 Der beste Rat bleibt also, die ge-
struktiv einzusetzen, hält er sie ver- wöhnlichen Dinge des täglichen Lebens
schlossen. recht zu genießen, zu essen, zu trinken
5,13 Plötzlich, ohne Vorwarnung und zu arbeiten. Dann kann passieren,
bricht der Markt zusammen oder ein was will – nichts kann mir die Freuden
anderes Unglück geschieht, und all sein nehmen, die ich bereits genossen habe.
Geld ist weg. Er hat zwar einen Sohn, Das Leben ist sowieso so kurz; warum
aber nichts mehr zu vererben. Er ist dann nicht genießen, solange es geht.
mittellos. 5,18 Salomo dachte, es wäre wohl ide-
5,14 Mit leeren Händen kam er aus al, wenn Gott dem Menschen Reichtum
dem Schoß seiner Mutter, mit leeren und Besitz geben würde, aber auch
Händen verlässt er auch wieder diese gleichzeitig die Fähigkeit, alles zu ge-
Welt. Trotz all des Geldes, das er in sei- nießen, mit seinem Los zufrieden zu
nem Leben angehäuft hatte, stirbt er als sein und sich an seiner Arbeit zu er­
Bettler. freuen. Diese Kombination von Um-
Cecil Rhodes verbrachte Jahre damit, ständen wäre ein besonderes Geschenk
die Schätze Südafrikas auszubeuten. Als Gottes.
er im Sterben lag, rief er voller Reue: 5,19 Solch ein Mann brauchte nicht
über die Kürze des Lebens nachzu­
Ich habe viel in Afrika gefunden. Dia- grübeln oder über das Grausame und
manten, Gold und Land, alles gehört mir Ungerechte, denn er wäre ja mit dem
– aber jetzt muss ich das alles zurücklas- Genuss der momentanen Lebens­
sen. Nicht das Geringste von dem Ge- umstände beschäftigt.
wonnenen kann ich mitnehmen. Ich habe 6,1-2 Eine grausame Ironie im Leben
nicht nach ewigen Reichtümern getrach- legt dem Menschen eine schwere Last
tet; deswegen habe ich eigentlich über- zum Tragen auf. Sie betrifft einen Mann,
haupt nichts.27 der von Gott alles bekam, was sein Herz
begehrte: Reichtum, Besitz und Ehre.
5,15 Dies nennt Salomo »ein schlimmes Unglücklicherweise erhielt er aber nicht
Übel« – ein schmerzhaftes Elend. Der die Fähigkeit, alles zu genießen. Be­
Mann hätte sein Geld für bleibende achten Sie, dass Salomo Gott vorwirft,
Wohltaten verwenden können. Statt- ihm diese Fähigkeit vorenthalten zu
dessen verlässt er die Welt so leer, wie haben.
er sie betreten hat; er hatte nichts vorzu- Dann raubt ein frühzeitiger Tod dem
weisen. Er hat sich für den Wind ge- Mann jede Möglichkeit, sein Vermögen
müht. zu genießen. Er hinterlässt es nicht ein-

893
Prediger 6 und 7

mal seinem Sohn oder Verwandten, zu wollen, ist ebenso töricht, wie den
sondern einem Fremden. Das macht Wind erhaschen zu wollen. Leupold
das Leben doch wirklich einer Seifen- sagt, es sei wie »lüsternes Umherirren
blase oder einem bösartigen Geschwür von einem Ding zum anderen auf der
ähnlich. Suche nach wahrer Befriedigung«.28
6,3 Selbst wenn der Mann eine große 6,10-11 Ganz gleich, wer er ist, reich
Familie hätte und gesund ein hohes oder arm, weise oder töricht, alt oder
Alter erreichen würde, würden diese jung, ihm ist bereits ein Name gegeben
Geschenke jede Bedeutung verlieren, worden – »Mensch«. Der Name
wenn er das Leben nicht genießen »Mensch« kommt vom hebräischen
könnte und anschließend keine an­ Wort »Adam« und heißt so viel wie »ro-
gemessene Beerdigung erhalten würde. ter Lehm«. Wie kann roter Lehm mit
Sogar ein tot geborenes Kind wäre dem Schöpfer streiten?
besser dran. 6,12 Salomo sieht diese Tatsache sehr
6,4 Das tot geborene Kind käme in einfach: Niemand weiß, was für ihn in
Nichtigkeit und ginge in Anonymität. diesem leeren Leben voller Schatten am
Sein Name bleibt in der Dunkelheit und besten ist. Und niemand weiß, was auf
Vergessenheit einer Person, die nie ge- der Erde geschehen wird, wenn er ein-
boren wurde und nie starb. mal abgetreten ist.
6,5 Obwohl das tot geborene Kind nie
die Sonne sähe oder sonst etwas ken- III. Ratschläge für das Leben
nenlernte, hätte es doch mehr Ruhe als unter der Sonne (7,1 - 12,8)
dieser Mann. Es bliebe wenigstens von
den wahnsinnigen Verkehrtheiten des A. Das Gute und das Bessere unter
Lebens verschont. der Sonne (Kap. 7)
6,6 Selbst wenn der Geizige zweimal 7,1 Der bittere Grundton am Ende des
tausend Jahre leben würde, welchen 6. Kapitels bestand darin, dass der
Wert hätte die Zeit, wenn er die guten Mensch nicht in der Lage ist, herauszu-
Dinge des Lebens nicht genießen könn- finden, was für ihn »unter der Sonne«
te? Er teilt mit der Fehlgeburt dasselbe am besten ist. Salomo hat jedoch gewis-
Schicksal. Beide gehen ins Grab. se Vorstellungen von Dingen, die gut,
6,7 Hauptgrund für die Arbeit eines und von Dingen, die noch besser sind.
Mannes ist die Beschaffung von Nah- Darum geht es in Kapitel 7. Die Worte
rung für sich und seine Familie. Das »gut« und »besser« kommen hier öfter
Sonderbare aber ist, dass er damit nie vor als in jedem anderen Kapitel des Al-
zufrieden ist. Je mehr er verdient, desto ten Testaments.
mehr will er kaufen. Die Zufriedenheit Zuerst stellt er fest, dass ein guter
ist wie der lockende Köder an dem Name besser ist als gutes Salböl. Ein
Stock, der immer vor ihm schwebt, den guter Name steht natürlich für einen
er aber nie erreicht. guten Charakter und gutes Salböl für
6,8 In diesem nutzlosen Mühen hat etwas Teures und Duftendes. Der Ge-
der Weise keinerlei Vorteile gegenüber danke hierbei ist wohl, dass selbst das
dem Toren. Und selbst wenn ein de­ wohlriechendste Salböl nicht den Stel-
mütiger Mann besser wüsste, wie das lenwert eines ehrbaren Lebens ein-
Leben zu meistern ist, so hätte er den nimmt.
anderen auch nichts voraus. Salomo sagt auch, dass der Tag des
6,9 Es ist besser, mit der vor mir ste- Todes besser ist als der Tag der Geburt.
henden Mahlzeit zufrieden zu sein, als Das ist eine der Aussagen, die uns nur
ständig nach mehr und Besserem zu ahnen lassen, was er damit meint. Mein-
verlangen. Immer nach neuen Reizen te er damit einen allgemeinen Grund-
Ausschau zu halten, immer mehr haben satz, oder bezog er sich nur auf einen

894
Prediger 7

Mann mit gutem Namen? Wenn wir es so wird das Herz gebessert« (Schlachter
auf wahre Gläubige beziehen, hat er ge- 2000). Es ist einer der großen Wider-
wiss recht mit seiner Beobachtung. sprüche des Lebens, dass Lachen neben
Aber es ist bestimmt ein Trugschluss dem Leid existieren kann. Sogar heid­
für jeden, der mit unvergebener Sünde nische Philosophen haben dem Leid
stirbt. und der Traurigkeit einen heilsamen
7,2 Als Nächstes stellt Salomo fest, Wert beigemessen. Aber was nur be-
dass es besser ist, eine Trauerfeier zu grenzt gültig ist für den Ungläubigen,
besuchen, als sich auf einem Festban- ist durch und durch wahr für das Kind
kett zu amüsieren. Der Tod ist das Ende Gottes. Trauer und Leid sind Mittel
eines jeden Menschen, und wenn wir Gottes in diesem Leben, um gewisse
ihm Auge in Auge gegenüberstehen, Tugenden recht zur Entfaltung zu brin-
werden wir gezwungen, über unseren gen. Durch sie erhalten wir einen neuen
Abgang nachzudenken. Blick für die Leiden Christi und werden
Jeder denkende Mensch wird sich befähigt, anderen beizustehen, die
über die Tatsache des Todes früher oder durch ähnliche Prüfungen gehen. Mehr
später Gedanken machen, und jeder noch: Sie sind ein Unterpfand zukünf-
sollte zu einer Lebensanschauung kom- tiger Herrlichkeit (Röm 8,17).
men, die es ihm leicht macht, diesem 7,4 Der weise Mann behält auch an­
unausweichlichen Augenblick zu be- gesichts des Todes seine Ausgeglichen-
gegnen. Das Evangelium zeigt uns den heit und Gelassenheit. Weil seine Wur-
Retter, »der durch den Tod den zunich- zeln tief hinabreichen, kann er mit Leid
temachte, der die Macht des Todes hat, und Bedrückung umgehen. Der Tor da-
das ist den Teufel, und alle die befreite, gegen hält ernsthaften Krisen nicht
die durch Todesfurcht das ganze Leben stand. Er versucht, die Klänge des Le-
hindurch der Knechtschaft unterworfen bens mit Gelächter und Heiterkeit zu
waren« (Hebr 2,14-15). übertönen. Er vermeidet den Kontakt
7,3 Weiter ist der Kummer »besser« mit Krankenhäusern und Friedhöfen,
als das Lachen. Der Prediger war davon weil ihm sein oberflächliches Wesen
überzeugt, dass Ernsthaftigkeit mehr nicht genügend Festigkeit gibt, diesem
zuwege bringt als Leichtfertigkeit. Sie Lebensdruck standzuhalten.
schärft den Verstand, sich mit den gro- 7,5 Es gibt noch etwas, was besser ist.
ßen Fragen des Lebens zu beschäftigen, »Besser, das Schelten des Weisen zu
wogegen Frivolität Zeitverschwendung hören, als dass einer das Singen der
ist und den Menschen davon abhält, Toren hört.« Konstruktive Kritik be-
sich mit Ernsthaftem zu beschäftigen. lehrt, korrigiert und warnt. Die leere
Fröhlichkeit eines Toren bewirkt gar
Ich wanderte eine Meile mit Frau nichts von dauerhaftem Wert.
Vergnügen, 7,6 Das Lachen eines Toren ist wie das
Sie plauderte die ganze Zeit, Knacken brennender Dornen im Feuer
Aber nachher war ich kein bisschen unter einem Topf, geräuschvoll, aber
weiser, nicht produktiv. Brennende Dornen
Obwohl sie mir so viel erzählt hatte. können krachen und knacken, aber sie
Ich wanderte eine Meile mit Frau sind kein gutes Brennholz. Es ent­
Kummer, wickelt sich wenig Wärme, und das
Sie sagte kein einziges Wort, Feuer wird schnell ausgehen. Es sind
Aber wie viel hab’ ich von ihr gelernt, Geräusche ohne Wirkung.
Als Frau Kummer mit mir ging! 7,7 Selbst der Weise wird zum Toren,
Robert Browning Hamilton wenn er zum unehrenhaft handelnden
Unterdrücker wird. Durch Machtbeses-
»Denn wenn das Angesicht traurig ist, senheit verliert er seine Ausgeglichen-

895
Prediger 7

heit und Beherrschung, denn alle, die 7,10 Eine weitere törichte Beschäfti-
sich in Bestechungen verlieren, verder- gung ist es, in der Vergangenheit zu le-
ben ihren Verstand. Wenn sie einmal ben. Wenn wir ständig von den »guten
Schmiergelder angenommen haben, alten Zeiten« reden und davon, wie
verlieren sie die Fähigkeit, gerecht zu schön es wäre, wenn es wieder so wie
urteilen. damals sein könne, dann zeigen wir da-
7,8 Salomo hatte den Eindruck, dass mit, dass wir völlig unrealistisch sind.
das Ende einer Sache besser sei als ihr Es ist doch viel besser, die Dinge so zu
Anfang. Vielleicht dachte er an die nehmen, wie sie sind, und trotzdem
enorme Trägheit, die oft überwunden siegreich zu leben. Es ist besser, ein
werden muss, bevor man eine neue Licht in der Dunkelheit anzuzünden,
Sache anfängt, und an die Mühe und als die Dunkelheit zu verfluchen.
Disziplin, die besonders im Anfangs- 7,11 Salomos Gedanken in Bezug
stadium nötig ist. Im Gegensatz dazu auf Weisheit und Erbbesitz kann man
stellt sich ein Gefühl des Erfolgs und auf verschiedene Weisen verstehen.
der Zufriedenheit bei der Vollendung (1) »Gut ist Weisheit zusammen mit
eines Auftrags ein. Erbbesitz« (rev. Elberfelder, Luther
Wir erkennen jedoch ziemlich rasch, 1984); es ist gut, ein Erbe mit viel Weis-
dass diese Regel nicht immer gültig ist. heit sorgsam zu verwalten. (2) »Weis-
Das Ende aller rechtschaffenen Dinge ist heit ist gut als ein Erbbesitz« (Darby);
besser als ihr Anfang, aber das Ende wenn sich jemand nur ein Erbteil wün-
der Sünde ist schlimmer. Die letzten schen dürfte, hätte er, gäbe er der Weis-
Tage Hiobs waren besser als seine ers- heit den Vorzug, eine gute Wahl getrof-
ten (Hiob 42,12), aber das Ende der fen. (3) »Weisheit ist so gut wie ein Erb-
Gottlosen wird unbeschreiblich schreck- besitz« (Schlachter 2000, unrevidierte
lich sein (Hebr 10,31). Elberfelder); sie ist eine Quelle des
Mit seiner Feststellung, der Lang­ Reichtums. Außerdem ist sie jenen zum
mütige sei besser dran als der Hoch­ Vorteil, die die Sonne sehen, d.h. die
mütige, bewegt sich der Prediger auf auf der Erde wohnen. Warum das so ist,
einem weit sichereren Grund. Langmut wird im nächsten Vers erklärt.
ist eine begehrenswerte Eigenschaft, 7,12 Weisheit ist insofern vergleich-
wogegen Hochmut der Ursprung der bar mit Geld, als sie beide Schutz und
Sünde ist. Langmut lässt einen Men- Sicherheit vermitteln. Mit Geld kann
schen angenehm in den Augen Gottes man sich gegen äußere Schäden ab­
dastehen (Röm 5,4), Hochmut und Stolz sichern, Weisheit dagegen gewährt zu-
hingegen sind Wege ins Verderben sätzlichen Schutz vor sittlichem und
(Spr 16,18). geistlichem Schaden. Darum ist Weis-
7,9 Als Nächstes werden wir davor heit dem Reichtum überlegen. Sie
gewarnt, nicht vorschnell unwillig und schützt das Leben des Besitzenden,
zornig zu werden. Solch ein Mangel an nicht nur seine materiellen Güter.
Selbstbeherrschung verrät immer eine Wenn wir uns vergegenwärtigen,
ernste Charakterschwäche. Es hat ein- dass Christus die Weisheit Gottes ist
mal jemand gesagt, man könne die Grö- und dass die, die ihn finden, das Leben
ße eines Mannes beurteilen nach der finden, dann wird die unendliche Über-
Größe dessen, was ihn dazu bringt, sei- legenheit der Weisheit sichtbar. In ihm
ne Beherrschung zu verlieren. Und sind alle Schätze der Weisheit und der
wenn wir in unserer Brust Vorwürfe Erkenntnis verborgen (Kol 2,3).
und Ärger pflegen, machen wir uns To- 7,13 Eines wird der Weise sicher tun:
ren gleich. Weise Menschen vermiesen Er bedenkt, dass Gott im Regiment sitzt
sich durch solcherlei Verhalten nicht ihr und alle Angelegenheiten souverän be-
Leben. herrscht. Wenn er etwas krumm macht,

896
Prediger 7

wer will es dann wieder gerade ma- die Seinen ist, dass sie nicht sündigen
chen? Mit anderen Worten: Wer kann sollen (1Jo 2,1). Und er garantiert den
seinem Willen erfolgreich widerstehen? Seinen, dass sie nicht sterben, bis sie
Seine Entscheidungen sind unwandel- ihre Aufgabe hier auf dieser Erde erfüllt
bar und außerhalb jeder menschlichen haben.
Beeinflussung. 7,17 Extreme Gesetzlosigkeit war die
7,14 In seinen Anordnungen für un- andere Gefahr, die Salomo sah. Auch
ser Leben hat Gott es für gut befunden, ein törichter Mann kann vor seiner Zeit
Zeiten des Wohlergehens und Zeiten sterben. Daher bleibt als beste Lösung,
des Unglücks zuzulassen. Wenn die den »goldenen Mittelweg« einzuschla-
Zeit des Wohlergehens kommt, sollten gen, so folgert der Prediger.
wir uns an ihr erfreuen und sie genie- Es ist natürlich klar, dass dies mensch-
ßen. Bei Zeiten des Unglücks sollten liche Gedankengänge sind und nicht
wir nicht vergessen, dass Gott das Gute göttliche Offenbarungen. Gott kann
wie das Schlechte gibt, Glückseligkeit niemals Sünde dulden. Sein Maßstab ist
und Traurigkeit, sodass der Mensch immer Vollkommenheit.
nicht wissen kann, was als Nächstes 7,18 Nach dem Prediger ist es am bes-
kommen wird. Das kann sowohl Gnade ten, die eine Tatsache festzuhalten ‒ das
als auch Enttäuschung sein. vorzeitige Schicksal des supergerechten
Salomo könnte allerdings auch den Mannes ‒ und die andere Tatsache nicht
Gedanken gehabt haben, dass Gott das aus der Hand zu lassen, nämlich die
Gute und Schlechte mischt, damit der Selbstzerstörung des Lasterhaften. Nur
Mensch ihm keinen Vorwurf machen wer Gott fürchtet (indem er den »golde-
kann. nen Mittelweg einschlägt«), wird bei-
Wie auch immer es gemeint ist: Die den Schicksalen entrinnen.
Schlüsse des Predigers reichen nicht Dieser Rat geht fälschlicherweise da-
über den Bereich von Fleisch und Blut von aus, dass Gott irgendeine Mäßi-
hinaus; sie bleiben »unter der Sonne«. gung bei der Sünde und Ungerechtig-
7,15 Wir sagen manchmal: »Jetzt habe keit befürworte. Aber er war das Ergeb-
ich alles gesehen«, wenn wir Zeugen nis der Suche Salomos »unter der Son-
des Unerwarteten, des Rätselhaften und ne«. Wenn wir das vergessen, wird uns
Überraschenden geworden sind; das eine derart weltlich orientierte Philo­
scheint Salomo hier gemeint zu haben. sophie irritieren.
Im Laufe seines nichtigen Lebens hatte 7,19 Salomo glaubt, dass Weisheit
er jede Art von Widerspruch gesehen. mehr Stärke und Sicherheit verleihen
Er sah gute Menschen jung sterben und kann als zehn Machthaber. Das bedeu-
schlechte Menschen alt werden. tet, Weisheit ist besser als jede militä-
7,16 Da der Prediger keine feste Be- rische Macht. Gott steht nicht zwangs­
ziehung zwischen Rechtschaffenheit läufig auf der Seite der stärkeren Ba­
und Segen auf der einen Seite und Sün- taillone.
de und Strafe auf der anderen Seite er- 7,20 Die Tatsache, dass dieser Vers
kennen konnte, kam er zu dem Schluss, mit dem begründenden Wort »denn«
dass es am besten sei, die Extreme zu beginnt, verweist auf das zuvor Gesag-
vermeiden. Diesen oberflächlichen, un- te. Er meint, dass wir alle die Auswir-
biblischen Schluss nennt man den »gol- kungen solcher Weisheit nötig haben,
denen Mittelweg«. weil keiner von uns vollkommen ist.
Indem man übermäßige Weisheit und Niemand ist aus sich selbst heraus ge-
übermäßige Rechtschaffenheit meidet, recht, tut ausnahmslos das Gute und
könnte man eventuell einen frühzeiti- sündigt nie.
gen Untergang vermeiden. Das ist na- Ganz allgemein wird Vers 20 dazu
türlich völlig falsch. Gottes Norm für benutzt, die Universalität der Sünde zu

897
Prediger 7

lehren, und diese Anwendung ist be- strengungen nicht zum Ziel kam, setzte
rechtigt. In seinem Textzusammenhang Salomo hartnäckig die Suche nach grö-
zeigt er jedoch laut Leupold, warum ßerer Weisheit und der Lösung für die
wir die gerade beschriebene Weisheit Gleichung des menschlichen Daseins
benötigen.29 fort. Er wollte das Böse der Torheit und
7,21 Ein gesundes Bewusstsein un- die Lächerlichkeit des Wahnsinns ver-
serer eigenen Unvollkommenheit hilft stehen ‒ und warum sich die Menschen
uns, Kritik zu ertragen. Wenn wir den der Ausschweifung und der Scham­
auf der sozialen Leiter tief unter uns Ste- losigkeit hingeben.
henden über uns fluchen hören, können 7,26 In diesem Zusammenhang dach-
wir eigentlich froh sein, dass er uns nicht te er vorrangig an eine Prostituierte,
besser kennt. Wahrscheinlich hätte er eine Frau, deren Einfluss bitterer ist als
dann noch mehr Grund zu fluchen! der Tod. Ihr ganzes Sinnen ist darauf
Als Schimi David verfluchte, wollte gerichtet, Männer anzulocken und sie
Abischai ihn töten. Davids Erwiderung an sich zu binden. Jeder, der von Her-
lässt jedoch vermuten, dass der Fluch zen Gott wohlgefallen möchte, wird ihr
Schimis nicht völlig grundlos war (2Sam entkommen; aber derjenige, der gern
16,5-14). mit der Sünde spielt, wird in ihre Fang-
7,22 So sollten auch wir immer daran netze geraten.
denken, dass wir in gleicher Weise Es ist gut möglich, dass die Frau in
schuldig sind. In unserem Herzen ha- diesem Vers ein Bild für die Welt und
ben wir vielleicht oft andere verflucht. für die Weisheit der Welt ist (Kol 2,8;
Wir können schlecht von ihnen Voll- Jak 3,15).
kommenheit erwarten, wenn wir selbst 7,27-28 In den Versen 27 bis 29 scheint
davon so weit entfernt sind. die grundsätzliche Enttäuschung Salo-
Das ist eine der großen Enttäuschun- mos über seine Mitmenschen zum Aus-
gen des Perfektionisten. Er will alles und druck zu kommen. Traf er jemanden
jeden vollkommen sehen; selbst aber zum ersten Mal, so hatte er große Er-
lebt er in einer Welt der Unvollkommen- wartungen. Wenn er ihn aber besser
heit, und er kann das Ziel, das er ande- kannte, endete alles in einer Enttäu-
ren gesetzt hat, selbst nie erreichen. schung. Niemand entsprach seinem
7,23 Alle diese Lebensgebiete hat der Ideal. Vielleicht sah er einmal eine an-
Prediger mit Hilfe seiner außergewöhn- ziehende Person, und er wünschte, sie
lichen Weisheit erforscht. Er wollte wei- näher kennenzulernen. Je mehr er sie
se genug sein, um alle Geheimnisse zu aber kennenlernte, desto ernüchterter
lüften und das Knäuel der Fäden des wurde er. Er fand heraus, dass es kei-
Lebens zu entwirren. Aber da er alle nen vollkommenen Fremden gab und
diese Untersuchungen ohne Gott mach- dass Vertrautheit in der Tat Verachtung
te, hatte er den Eindruck, dass ihm die hervorbringt.
letzten Antworten versagt blieben. Salomo entschied sich, einmal die Ge-
Ohne besondere Offenbarung Gottes samtzahl der Freundschaften, in denen
bleibt das Leben immer ein unlösbares er tatsächlich ein gewisses Maß an Be-
Problem. friedigung und erfüllter Hoffnung fand,
7,24 Erklärungen all dessen, was ist, zusammenzurechnen. Wie viele Men-
erscheinen so unfassbar und weit ent- schen von all den vielen, die er kannte,
fernt. Die Welt ist voller Rätsel. Das waren für Salomo wirkliche echte
Reich des Unbekannten bleibt un­ Freunde?
erforscht. Wir quälen uns mit Geheim- Er suchte wiederholt nach einer voll-
nissen und unbeantworteten Fragen kommenen Person, fand aber nie eine.
herum. Jeder, den er traf, hatte irgendwelche
7,25 Obwohl er mit all seinen An- Fehler oder Charakterschwächen.

898
Prediger 7

Alles, was er herausfand, war, dass die innere Haltung der Frauen einer
gute Männer selten sind, gute Frauen Nation edel, wird das nationale Leben
noch seltener. Nur einer aus tausend voller Kraft sein. Ist sie verdorben, ist die
kam seinen Vorstellungen nahe, d.h. Nation zum Untergang verdammt. Die
nur einer, der ein loyaler, zuverlässiger Frau ist das letzte Bollwerk des Guten
und selbstloser Freund ist. wie des Bösen. Mitleid und Grausamkeit
Selbst unter tausend Frauen aber kommen in ihr zur jeweils höchsten Ent-
konnte er keine finden, die dem Ideal- faltung.30
bild auch nur annähernd nahe gekom-
men wäre. Solch ein schockierender Später (in Sprüche 31) korrigiert Sa-
Ausbruch männlichen Chauvinismus lomo seine hier wiedergegebene rein
ist für uns heute unverständlich und irdische Sicht dadurch, dass er eine
anstößig. Dies kommt jedoch daher, der höchsten Lobeshymnen auf die
dass unser Urteil von christlichen Prin- Frau niederschreibt. Im Buch des Pre-
zipien und Werten geprägt ist. Für den digers urteilt er von der irdischen Ebe-
orthodoxen Juden wäre Salomos Fest- ne menschlicher Vorurteile aus; in den
stellung weniger schockierend; er dankt Sprüchen spricht er vom erhabenen
Gott jeden Tag dafür, dass er nicht als Standpunkt göttlicher Offenbarung
Frau auf die Welt gekommen ist. Auch aus.
für Männer aus anderen Völkern, in de- Mit dem Auftreten des christlichen
nen die Frauen als Sklaven und bloßes Glaubens erreicht die Frau den Höhe­
Eigentum angesehen werden, wären punkt ihrer Würde und ihres Re-
solche Aussagen nicht schockierend. spekts. Der Herr Jesus ist ihr treues­
Bibelausleger geben sich große Mühe, ter Freund und Befreier.
die barschen Worte Salomos durch ihre 7,29 Als Salomo über seine nicht en-
Kommentare abzuschwächen; aber sol- den wollenden Enttäuschungen nach-
che gut gemeinte Mühe ist fehlgeleitet. sann, schloss er völlig richtig, dass
Tatsächlich meint der Prediger mit der Mensch aus seiner ursprünglichen
größter Wahrscheinlichkeit genau das, Stellung gefallen ist. Wie wahr! Gott
was er auch sagte. Seine Gedanken wer- schuf den Menschen in seinem Bilde.
den von vielen Männern auf der Welt Der Mensch jedoch suchte viele arg-
geteilt, deren Sicht allein auf das Irdi- listige Machenschaften, wodurch das
sche und Fleischliche gerichtet bleibt. göttliche Bild in ihm entstellt wur-
Salomos Beurteilung der Frauen war de.
erschreckend einseitig. G. Campbell Selbst in seinem gefallenen Zu-
Morgan hat eine etwas ausgewogenere stand hat der Mensch ein intuitives
Ansicht vertreten, als er schrieb: Verlangen danach, Vollkommenheit
zu finden. So geht er durchs Leben
Der Einfluss der Frauen ist ausgespro- auf der Suche nach dem perfekten
chen mächtig, sowohl zum Guten als Partner, dem perfekten Beruf, dem
auch zum Schlechten. Ich habe einmal perfekten Alles. Aber weder in ande-
einen der scharfsinnigsten Beobachter ren noch in sich selbst kann er diese
sagen hören, dass es wohl keine die Vollkommenheit finden. Sein Pro-
Menschheit fördernde Bewegung ge­ blem ist eben, dass er seine Suche auf
geben habe, in der nicht auch Frauen den Bereich »unter der Sonne« be-
eine maßgebliche Rolle gespielt hätten. schränkt.
Ob diese gewaltige Aussage zu halten ist, Auf dieser Erde wurde bisher nur
weiß ich nicht, aber ich glaube, dass viel ein vollkommenes Leben gelebt. Das
Wahres daran ist. Es ist aber ebenso wahr, war das Leben des Herrn Jesus Chris-
dass die Frau ihren schrecklichen Anteil tus. Jetzt ist er aber »über der Sonne«,
am Niedergang der Menschheit hat. Ist hoch erhoben zur Rechten Gottes.

899
Prediger 7 und 8

Und Gott stillt den Hunger des Men- Weisheit belehrt den Menschen über
schen nach Vollkommenheit durch das, was angemessen ist, und zwar in
und mit Christus – durch niemanden Bezug auf das Wann und Wie des Ge-
sonst und durch nichts anderes. horsams königlichen Erlässen ge-
genüber.
B. Weisheit unter der Sonne (Kap. 8) 8,6 Es gibt eben eine richtige und
8,1 Trotz des Versagens mensch- eine falsche Art, etwas zu tun, und
licher Weisheit, die Probleme des genauso eine richtige und eine falsche
Menschen zu lösen, bewertet Salomo Zeit. Das notvolle Problem des Men-
den weisen Menschen dennoch am schen liegt darin, dass er häufig den
höchsten. Niemand sonst ist in der rechten Zeitpunkt nicht beurteilen
Lage, die versteckte Bedeutung man- kann.
cher Dinge zu erforschen. Der Predi- 8,7 Es gibt so vieles, das er weder
ger-König war der Ansicht, dass die- weiß noch kann. Er kann nichts über
se Weisheit ihren Ausdruck auch im die Zukunft wissen – was geschehen
äußeren Erscheinungsbild eines wird oder wie es geschehen wird.
Menschen findet. Das Gesicht strahlt, 8,8 »Ein Mensch hat nicht Macht
und sonst harte Züge werden weich. über den Geist, den Geist zurückzu-
8,2 Weisheit belehrt den Menschen, halten« (Luther 1912, KJV, NKJV). Er
wie er sich vor dem König zu be­ kann weder verhindern, dass sein
wegen hat, sei es, dass darunter Gott Geist ihn verlässt, noch kann er seine
verstanden wird oder ein weltlicher genaue Todesstunde erforschen (an-
Monarch. Sie prägt als Erstes den Ge- dere Übersetzungen geben das he­
horsam ein. Das Hebräische des zwei- bräische Wort an dieser Stelle mit
ten Teils des Verses kann unter- »Wind« wieder: »Kein Mensch hat
schiedlich gedeutet werden. Der Eid Gewalt über den Wind.«). Er kann
kann sich auf unsere Verpflichtung keine Entlassung aus dem Krieg er-
beziehen, der Obrigkeit zu gehor- wirken, besonders nicht aus dem
chen, oder aber auf Gottes Eid, durch Krieg, den der Tod gegen ihn führt.
den er Könige zur Herrschaft bevoll- Er wird auch durch irgendwelche
mächtigt hat (vgl. Ps 89,36). Tricks keinen Vollstreckungsauf-
8,3 Den ebenfalls schwer verständ- schub erwirken.
lichen Vers 3 können wir als Aufforde- 8,9 Das sind einige der Dinge, die
rung verstehen, nicht voreilig aus un- Salomo herausfand, als er das Leben
serer Verantwortung zu entfliehen, we- unter der Sonne studierte ‒ in einer
der im Zorn noch im Ungehorsam, Welt, in der ein Mensch den anderen
noch in anmaßender Weise. Der all­ zu zertreten sucht, in der ein Mensch
gemeine Gedanke dieser Stelle ist wohl, über andere Menschen zu ihrem Un-
dass es unweise wäre, sich über den glück herrscht.
König hinwegzusetzen, da er doch ge- 8,10 Vieles im Leben ist oberfläch-
nügend Mittel hat, alles zu tun, was lich. Der Gesetzlose stirbt und wird
ihm beliebt. begraben. Früher unternahm er Rei-
8,4 Wann immer ein König spricht: sen zum Heiligtum. Jetzt, wo er nicht
Sein Wort wird durch die dahinter mehr hier ist, rühmt man seinen
stehende Macht gestützt. Das Wort Namen, seine Frömmigkeit, und das
des Königs ist erhaben und kann selbst in der Stadt, in der er so gott-
nicht von denen infrage gestellt wer- los gelebt hat (so nach KJV/NKJV:
den, an die es gerichtet ist. »Dann sah ich, wie die Gottlosen be-
8,5 All jene, die dem Gebot des Kö- graben wurden, die zur Stätte des
nigs gehorchen, brauchen nicht den Heiligtums gekommen und von ihr
königlichen Unwillen zu fürchten. weggegangen waren, und sie wur-

900
Prediger 8 und 9

den vergessen [alte Übersetzungen: Leben selbst; es ist vorübergehend


gepriesen] in der Stadt, in der sie wie ein Schatten.
dies getan hatten.« Die meisten deut- 8,14 Es sieht aus, als pendele Salomo
schen Übersetzungen haben: »Und zwischen allgemeinen Regeln und
alsdann habe ich Gesetzlose ge­s ehen, rühmlichen Ausnahmen hin und her.
die begraben wurden und zur Ruhe Manchmal hat es den Anschein, als
eingingen; diejenigen aber, welche ob der aufrichtige Mann wie ein Ge-
recht gehandelt hatten, mussten von setzloser gestraft würde, und manch-
der heiligen Stätte wegziehen und mal sieht es so aus, als würde ein
wurden in der Stadt vergessen« – so Krimineller wie ein ehrlicher, ehr-
unrevidierte Elberfelder, rev. Elber- barer Bürger geehrt. Diese Verstöße
felder, Schlachter 2000, Luther u.a.) gegen das, was eigentlich sein sollte,
Religion kann eine Fassade sein, mit lassen den Philosophen-König die
der Unehrlichkeit verdeckt wird. ganze Leere und Bedeutungslosigkeit
Alles ist so leer und so bedeutungs- des Lebens als anwidernd empfin-
los! den.
8,11 Die endlosen Verzögerungen 8,15 Die einzig logische Schluss­
in Verhandlungen gegen Gesetzes- folgerung, zu der er immer wieder
brecher und in ihrer Bestrafung die- kommt, ist daher: »Genieße das Le-
nen dazu, die Gesetzlosigkeit zu för- ben, solange es geht.« Es gibt eben
dern und dem Ansehen des Rechts- nichts Besseres, als zu essen, zu trin-
systems zu schaden. Es ist zwar ken und sich zu freuen. Und das wird
wichtig, jedem Beschuldigten ein ge- des Menschen Los sein alle Tage sei-
rechtes Gerichtsverfahren zu gewähr- nes Lebens.
leisten, aber es ist leider ebenso mög- 8,16 So bemühte sich der Prediger,
lich, den Kriminellen auf Kosten des alle Antworten zu finden. Er übte
Opfers übermäßig zu schützen und seinen Verstand im Studium der Phi-
mit Rechten auszustatten. Eine faire, losophie mit dem Ziel, bis zum Grund
unparteiische Rechtsprechung mit alles Tuns und Fragens vorzustoßen.
rascher Vollstreckung dient dazu, Eine Aufgabe, die einen nicht zur
Verbrecher abzuschrecken. Auf der Ruhe kommen lässt, weder bei Tag
anderen Seite bestärken fast endlose noch bei Nacht.
Verzögerungen der Bestrafung Ver- 8,17 Schließlich fand er heraus,
brecher in ihrem Vorsatz, das Gesetz dass Gott die Dinge des Lebens so
zu brechen; sie meinen dann, sie geordnet hat, dass der Mensch über-
könnten nach begangener Tat ganz haupt nicht in der Lage ist, alle Teile
ohne oder mit einer geringen Strafe dieses Puzzles zusammenzufügen.
davonkommen. Ganz gleich, wie sehr er sich bemüht,
8,12 Obwohl Salomo in einigen er wird scheitern, und ganz gleich,
Fällen Ausnahmen sieht, so folgert er wie weise er ist, er wird nicht auf
doch, dass es demjenigen, der Gott alle Fragen eine Antwort finden.
fürchtet, auf lange Sicht gesehen bes-
ser gehen wird. Selbst wenn ein Ge- C. Das Leben unter der Sonne
setzesbrecher alt wird, ändert das genießen (Kap. 9)
nichts an der Tatsache, dass Gerech- 9,1 In Kapitel 9 erwägt der Prediger
tigkeit ihren Lohn erhält und dass noch einmal alle diese Fragen so
der Weg des Gesetzlosen hart ist. gründlich es geht. Er sah gute und
8,13 Der Prediger ist davon über- schlechte Menschen mit all ihrem
zeugt, dass der Gottlose letztlich zu Tun in der Hand Gottes. Was mit ih-
den Verlierern zählt. Weil er Gott nen geschah, lag einzig und allein an
nicht fürchtet, verkürzt er sich sein seiner Liebe oder an seinem Hass,

901
Prediger 9

niemand kann das wissen. Die ganze der Prediger die besten menschlichen
Zukunft ist ungewiss, und eigentlich Schlussfolgerungen auf der Suche
ist alles möglich. nach Antworten »unter der Sonne«.
9,2 Was aber alles so rätselhaft Nur auf der Grundlage von Beobach-
macht, ist die vermeintliche Tat­ tungen und menschlicher Logik
sache, dass der Gerechte und der kommt der Prediger zu gewissen Er-
Gottlose, der Gute und der Böse, der gebnissen, nicht aufgrund göttlicher
Reine und der Unreine, derjenige, Offenbarung. Es sind die Gedanken
der Gott verehrt, und derjenige, der eines weisen Mannes ohne die Bibel.
ihn nicht verehrt, alle am selben Ort Was könnte man denken, wenn man
enden, nämlich im Grab. Auf der einen Menschen sterben sieht und
Flucht vor dem Tod hat der Gerechte der Leib ins Grab gesenkt wird und
keinen Vorteil gegenüber dem Un­ wenn man weiß, dass alles wieder zu
gerechten. Diejenigen, die unter Staub zerfallen wird? Man würde
einem Gelübde leben, sind in der sel- vielleicht denken: »Das ist das Ende.
ben misslichen Lage wie die, die das Dieser Mann weiß nichts mehr, er
Gelübde meiden. kann nichts mehr genießen, er hat
9,3 Das ist das große Elend des Le- jetzt alles vergessen, und bald wird
bens: Der Tod macht vor keinem auch er vergessen sein.«
Menschen Halt. Menschen können le- 9,6 So dachte auch Salomo. Sobald
ben, wie sie wollen, sie können sich jemand gestorben ist, gibt es keine
gehen lassen oder auch nicht – nach Liebe mehr, keinen Hass, keine Ei-
allem kommt der Tod. Was anders fersucht oder andere menschliche
als große Ungerechtigkeit kann das Gefühle. Er wird niemals wieder an
sein, wenn der Tod das Ende aller irgendeiner Aktivität auf dieser Erde
Existenz ist? teilnehmen.
9,4 Solange der Mensch lebt, hat er 9,7 So kommt der Prediger noch
Hoffnung; er hat etwas, auf das er einmal mehr zu seiner grundsätz­
hinleben kann. In diesem Sinne ist lichen Feststellung: »Lebe dein Le-
ein lebendiger Hund besser dran als ben, genieße dein Essen und erfreue
ein toter Löwe. Hier wird der Hund dich am Wein. Gott hat dein Tun be-
nicht als Freund des Menschen an­ reits genehmigt; er ist ganz einver-
geführt, sondern als eines der nied- standen.«
rigsten und gewöhnlichsten Tiere, 9,8 »Trage helle Kleidung, nichts
die es gibt. 31 Der Löwe ist hingegen Bedrückendes! Salbe dein Haupt mit
der König der Tiere, kraftvoll und duftendem Öl, statt dir Asche aufs
großartig. Haupt zu streuen!« Manche Men-
9,5 Die Lebenden wissen zumindest, schen meinen, die Welt sei dazu ge-
dass sie sterben müssen; die Toten je- schaffen worden, dass wir Spaß und
doch wissen gar nichts mehr, was in der Fröhlichkeit hätten; zu diesen Men-
Welt vor sich geht. schen gehörte auch Salomo.
Dieser Vers wird immer wieder 9,9 Auch die Freuden der ehelichen
von falschen Lehrern herangezogen, Gemeinschaft sollten so lange wie
um zu beweisen, dass die Seele nach möglich genossen werden. Da das Le-
dem Abscheiden im Tod schläft und ben sowieso fruchtlos und leer ist,
das Bewusstsein schwindet, sobald sollte man wenigstens das Beste draus
der letzte Atemzug getan ist. Es ist je- machen. »Genieße jeden Tag, denn
doch sinnlos, auf diesen Vers oder auf das ist das Einzige, was du für all
dieses Buch eine Lehre über das »Da- dein Mühen und Sorgen zurück­
nach« aufzubauen. Wie schon wie- bekommst.«
derholt betont wurde, präsentiert Die Verse 7 bis 9 weisen eine verblüf-

902
Prediger 9

fende Ähnlichkeit mit einem Abschnitt unterscheiden. Es wird weiter angenom-


aus dem alten babylonischen Gil- men, dass die Masse der pulsierenden
gamesch-Epos auf: Atome in meinem Kopf mehr Bedeutung
hat als jene im Kopf eines Kaninchens.
»Seit die Götter die Menschen erschufen, Zur selben Zeit wird mir gesagt, dass der
Bestimmen sie den Tod für sie. Tod das Ende von allem ist. In der Zeit-
Das Leben halten sie in den Händen, skala der Evolution ist mein Leben wie
Du, Gilgamesch, fülle deinen Bauch. ein schnell sich verflüchtigender Dampf.
Erfreue dich Tag und Nacht, Was immer für Empfinden ich in mei-
Verordne dir täglich Frohsinn, nem Leben haben mag in Bezug auf
Sei in Verzückung Tag und Nacht und Recht und Unrecht: All mein Streben, all
sei fröhlich. meine großen Entscheidungen, alles
Lass deine Kleider hell sein, wird letztlich im Laufe der Zeit ver-
Dein Haupt rein gewaschen mit Wasser. schwinden. In einigen Millionen Jahren
Wünsche dir Kinder, die deine Hand ‒ nur ein Tropfen im Vergleich zur ge-
besitzt, samten Erdgeschichte – werden die Er­
An einer Frau in deinem Schoß erfreue innerungen an die schönste Literatur, die
dich.«32 großartigsten Künste, die erhabensten
Leben alle begraben sein in dem un­
Das Bedeutsame an diesem Zitat ist erbittlichen Zerfall des Zweiten Gesetzes
nicht, dass einer vom anderen abge- der Thermodynamik. Hitler und Martin
schrieben hätte, sondern dass mensch­ Luther King, James Sewell und Franz
liche Weisheit unter der Sonne zu von Assisi, der Vorsitzende Mao und Ro-
denselben Schlussfolgerungen führt. bert Kennedy, sie alle werden aus­
Von dieser Tatsache war ich beein- gelöscht in der unvorstellbaren Leere.
druckt, als ich Denis Alexanders Zu- So wird mir nun gesagt, dass ich das Bes-
sammenfassung von all dem las, was te aus einer schlechten Sache machen
uns der Humanismus heute zu bieten muss. Obwohl ich ein starkes Empfinden
hat: der Transzendenz habe, ein tiefes Gefühl
dafür, dass ich eben mehr bin als nur eine
»Das humanistische Modell mutet uns blinde Laune der Evolution, muss ich
sehr viel zu, was wir schlucken sollen. dennoch all diese beunruhigenden Fra-
Als Vertreter einer Generation von Un- gen verdrängen und mich mit den wirk-
ter-30-jährigen aus dem späten 20. Jahr- lichen Schwierigkeiten befassen, in die-
hundert werde ich zunächst aufgefor- ser Gesellschaft ein verantwortliches Le-
dert, daran zu glauben, dass ich das Er- ben zu führen. Obwohl ich mich durch
gebnis eines rein zufälligen, evolutionis- meinen Beruf intensiv mit dem mensch-
tischen Prozesses bin. Die einzigen Vor- lichen Gehirn als Maschine wie jede an-
aussetzungen dieses Prozesses sind das dere Maschine in der Natur beschäftige,
Vorhandensein von Materie, Zeit und muss ich dennoch glauben, dass der
Zufall. Durch irgendein wunderliches Mensch einen besonderen inneren Wert
Geschick zählen ich und andere Men- hat, der ihn wertvoller macht als das Tier.
schen zu den einzigen Lebewesen, die Aber während mir mein Gefühl sagt, das
mit einem Bewusstsein ihrer eigenen könnte stimmen, wird mir dennoch kein
Existenz ausgestattet sind. Deshalb soll anderer objektiver Grund geboten, daran
ich annehmen, dass ich und andere in ge- zu glauben.«33
wisser Weise wertvoller sind als andere
physikalische Gebilde, wie z.B. Kanin- 9,10 Der Grundsatz des 10. Verses,
chen, Bäume oder Steine – und das, ob- eines der bekanntesten Verse im Buch
wohl sich meine Atome nach 100 Jahren des Predigers, wird von Christen oft
wahrscheinlich nicht von deren Atomen benutzt, um zum Eifer und zur Sorg-

903
Prediger 9 und 10

falt im Dienst für den Herrn zu er- weiser Mann einen Plan vor, der die
muntern, und dieser Rat ist gut. In ganze Stadt rettet. In dem Augenblick
seinem Zusammenhang jedoch will ist er der Held; aber wie schnell ist er
er aussagen, dass der Mensch jede vergessen!
Möglichkeit zur Freude und zum Ge- 9,16 Es bedrückte den Prediger,
nuss ergreifen soll, solange es geht, dass trotz der Überlegenheit der
denn im Grab, dem unausweich- Weisheit über die Macht der Rat des
lichen Ziel, wird er nicht mehr in der Armen letztendlich verachtet wurde.
Lage sein, zu arbeiten, zu denken Sobald die Krise vorüber war, interes-
oder irgendetwas zu wissen. sierte sich niemand mehr dafür, was
Der Rat, der in diesem Vers gege- der Arme gesagt hatte.
ben wird, ist gut, aber die Begründung Dieses Gleichnis hat auch eine ganz
ist sehr schlecht! Und selbst der Rat- bestimmte evangelistische Bedeu-
schlag muss auf Dinge beschränkt tung. Die Stadt ist wie die Seele des
werden, die legitim sind, hilfreich Menschen, klein und schutzlos. Der
und auferbauend. große König ist Satan, bereit zur In-
9,11 Der Prediger fand außerdem vasion und Zerstörung (2Kor 4,4;
heraus, dass Glück und Zufall im Le- Eph 2,2). Der Retter ist der Heiland
ben eine große Rolle spielen. Das Ren- – arm (2Kor 8,9) und weise (1Kor
nen wird nicht immer vom Schnellsten 1,24; Kol 2,3). Obwohl er einen Weg
gewonnen. Der mutigste Soldat ge- zur Rettung bereitet, wie wenig wird
winnt nicht immer den Krieg. Der er doch geachtet! Die meisten Men-
Weiseste genießt nicht immer die bes­ schen dieser Welt leben, als wäre er
te Mahlzeit. Der Klügste ist nicht im- nie gestorben. Und selbst Christen
mer der Reichste. Und der Fähigste sind oft nachlässig in der Erinnerung
von allen wird nicht immer Präsident. an ihn, wie sie verordnet wurde,
Zeit und Zufall spielen eine wichtige nämlich beim Brechen des Brotes in
Rolle im Erfolg und im Versagen. Als der Gemeinde.
der Milliardär J. Paul Getty gebeten 9,17 Unabhängig von der Undank-
wurde, seinen Erfolg zu erklären, barkeit und Gleichgültigkeit des Men-
sagte er nur: »Einige Menschen fin- schen bleibt es dennoch wahr, dass die
den Öl, andere nicht.« leisen Worte eines Weisen mehr Wert
9,12 Niemand weiß, wann das Un- haben als der lautstarke Wortschwall
glück zuschlägt. So wie die Fische im eines mächtigen Herrschers unter den
Netz oder die Vögel in der Falle, so Törichten.
wird auch der Mensch vom Unglück 9,18 Weisheit ist besser als Kriegs-
oder gar vom Tod überrascht. Er gerät und Munition. In 2. Samuel
weiß niemals, auf welcher Gewehr- 20,14-22 lesen wir, wie eine weise
kugel sein Name steht. Frau die Stadt Abel-Bet-Maacha ret-
9,13-15 Ein weiterer Herzens- tete, als Joab sie belagerte.
schmerz im Leben ist die Tatsache, Jedoch kann ein sündiger Mensch viel
dass Weisheit nicht immer anerkannt von dem Guten, das der Weise bewirkt
wird. Salomo beschreibt das mit dem hat, zerstören, genauso, wie kleine
Bild einer kleinen Stadt mit wenigen Füchse einen Weinberg verderben kön-
Einwohnern, also wenigen Verteidi- nen.
gern. Ein mächtiger König umzingelt
sie und trifft Vorbereitungen, um D. Der Weise und der Törichte unter
mit Artillerie die Mauern zu durch­ der Sonne (Kap. 10)
brechen. 10,1 Wenn Fliegen in das Öl des Salben-
Als die Situation schon hoffnungs- mischers fallen und sterben, ver­
los ist, legt ein alter, armer, aber sehr ursachen sie darin einen üblen Geruch.

904
Prediger 10

Darin liegt eine Analogie zum mensch­ mäßigen Eintritt oder aus Versehen,
lichen Verhalten. Ein Mensch kann sich oder auch um Grenzlinien zu verschie-
einen Ruf von Weisheit und Ehre er- ben, muss damit rechnen, von einer
werben; nur ein einziger Fehltritt aber Schlange gebissen zu werden oder sonst
kann diesen wieder ruinieren. Eine irgendwie dafür bezahlen zu müssen.
kleine Unüberlegtheit bleibt lange in 10,9-10 Selbst rechtmäßige Aktivi­
Er­innerung, jahrelange, wertvolle Er- täten bergen ein Risiko in sich. Der Ar-
folge aber vergisst man schnell. Der Ruf beiter im Steinbruch ist gefährdet durch
eines Menschen ist dahin, wenn er auch herabfallende Steine, und wer Holz
nur drei falsche Worte in der Öffent- spaltet, kann sich mit der Axt ver­letzen.
lichkeit spricht. Es ist gut, mit scharfen Werkzeugen
10,2 Die rechte Hand wird traditionell zu arbeiten, mit stumpfen wird die Ar-
als die geschicktere angesehen, die lin- beit schwerer. Die Zeit, die man braucht,
ke als ungeschickt. Der Weise weiß, wie um die Axt zu schärfen, wird mehr als
man etwas richtig tut, der Tor ist ein un- wettgemacht durch die eingesparte
geschickter Stümper. Mühe. Die Weisheit lehrt, Abkürzun-
10,3 Selbst wenn ein Tor etwas ganz gen zu nehmen und arbeitssparende
Einfaches tut, wie z.B. auf einem Weg Vorrichtungen zu erfinden. Wie Leu-
zu gehen, verrät er seinen fehlenden pold es formuliert: »Weisheit bereitet
Verstand. Er sagt jedermann, dass er den Weg zum Erfolg!«34
ein Tor ist, vielleicht dadurch, dass er 10,11 Was nutzt ein Beschwörer, wenn
alle anderen dumm nennt, oder eher die Schlange beißt, bevor die Beschwö-
dadurch, dass er seine Unwissenheit in rung beginnt? Oder wir würden viel-
allem zeigt, was er tut. leicht sagen: »Warum den Stall zu-
10,4 Wenn ein Vorgesetzter gegen schließen, nachdem das Pferd gestohlen
dich erzürnt, dann ist es am besten, wurde?« Manche Dinge müssen zu ei-
nicht im ersten Ärger alles hinzuwer- ner bestimmten Zeit getan werden, da-
fen. Man sollte besser sanftmütig blei- mit sie wirksam und wertvoll sind.
ben und sich unterordnen. Das wird 10,12-13 Die Worte eines Weisen brin-
ihn am ehesten beruhigen und große gen ihm Gunst ein, weil sie lieblich sind.
Sünden verhindern. Die Worte eines Toren werden sich ihm
10,5-6 Eine weitere Ungereimtheit in zum Fallstrick erweisen. Er beginnt
dieser verworrenen Welt beunruhigte vielleicht mit harmlosem Unsinn, zum
Salomo: unweise Entscheidungen und Schluss aber verstrickt er sich in Bos­
Ungerechtigkeiten der Machthaber. heiten.
Sehr oft werden Männer ohne aus­ 10,14 Ein Tor weiß nicht, wann er auf-
reichende Befähigung in Vorgesetzten- hören muss. Worte, Worte, Worte! Er
Positionen berufen, während andere, redet in einem fort, als ob er alles
fähige Menschen ihre Talente in unter- wüsste, dabei weiß er gar nichts. Sein
geordneten Beschäftigungen ver- end­loses Reden führt unausweichlich
schwenden. zu Eigenlob über die Dinge, die er noch
10,7 Deshalb sitzen oft »Knechte auf zu tun gedenkt. Er ist wie der reiche
Pferden … und Fürsten gehen wie Mann, der sagte: »Dies will ich tun: ich
Knechte zu Fuß«. Solche Ungerechtig- will meine Scheunen niederreißen und
keiten findet man in der Politik, in der größere bauen und will darin all mein
Industrie, beim Militär und auch im Korn und meine Güter einsammeln;
religiösen Leben. und ich will zu meiner Seele sagen: See-
10,8 Wer anderen eine Grube gräbt, le, du hast viele Güter liegen auf viele
um ihnen zu schaden, wird häufig Jahre. Ruhe aus, iss, trink, sei fröhlich!«
Opfer seiner eigenen Bosheit. Wer eine (Lk 12,18-19). Er weiß aber nicht, was
Mauer einreißt, sei es zum unrecht­ als Nächstes geschieht. Er wäre besser

905
Prediger 10 und 11

beraten gewesen, wenn er gesagt hätte: 10,20 »Sei vorsichtig, sage nichts
»Wenn der Herr will, werden wir so- Schlechtes über den König oder über
wohl leben als auch dieses oder jenes seine reichen Untertanen. Auch wenn
tun« (Jak 4,15). du denkst, es höre niemand zu: Selbst
10,15 Er erschöpft sich selbst durch Wände haben manchmal Ohren, und
seine eigene unproduktive und un- irgendein unverdächtiger Vogel bringt
wirksame Arbeit. Er übersieht sogar die Botschaft über dein Reden in den
das Offensichtliche, das Notwendige königlichen Palast.« »Indiskretionen
und findet nicht einmal etwas so klar haben es an sich, Flügel zu bekommen.«
Erkennbares wie eine Stadt. Vielleicht
könnten wir noch hinzufügen, dass er E. Verbreitung des Guten unter der
nicht einmal klug genug ist, aus dem Sonne (11,1 - 12,8)
Regen ins Trockene zu gehen. Seine 11,1 Das Brot wird hier symbolisch ge-
Unwissenheit in Bezug auf solche ein- braucht für das Getreide, aus dem es
fachen Dinge lässt seine Zukunftspläne gemacht ist. Brot auf die Fläche des
geradezu lächerlich wirken. Wassers zu werfen, kann sich auf die
10,16-17 Welch ein Jammer für das Praxis beziehen, ehemals über-
Land, dessen Herrscher unreif und schwemmte Gebiete zu besäen, oder es
leicht beeinflussbar wie ein Kind ist, bezieht sich auf den Handel mit Getrei-
dessen Gesetzgeber schon frühmorgens de in Übersee. Wie dem auch sei, der
schwelgen, statt ihre Pflichten zu er­ Gedanke ist wohl, dass eine weitver-
füllen! Glücklich dagegen das Land, breitete und unbegrenzte Verteilung
dessen Herrscher einen edlen Charak- von Gutem als Auswirkung eine gute
ter hat, dessen übrige Führer Selbst­ Ernte nach sich zieht.
disziplin und Selbstzucht beweisen und Dieser Vers beweist sich als wahr in
Orgien meiden! Bezug auf das Evangelium. Wir werden
10,18 Fortgesetzte Faulheit und Nach- unter Umständen nicht sofort Frucht
lässigkeit bringen ein Haus zum Ein- sehen, wenn wir das Brot des Lebens
sturz, dabei kann es sich bei dem Haus austeilen. Aber zur Erntezeit wird sie
um das Bild einer Regierung oder eines sich sicherlich zeigen.
Lebens handeln. Jedes Dach wird un- 11,2 Einen Teil sieben oder sogar acht
dicht, wenn der Hausbesitzer es an der anderen zu geben, kann zweierlei be-
regelmäßigen Wartung fehlen lässt. deuten: uneingeschränkte Freigebigkeit
10,19 Essenszeiten sind Zeiten der oder vielfältiges Engagement und Di-
Fröhlichkeit, und Wein trägt seinen Teil versifizierung im Geschäftsleben. Wenn
dazu bei. Geld macht alles möglich. das Erste gemeint ist, dann besteht der
Glaubte Salomo wirklich, dass im Geld Gedanke darin, dass wir anderen groß-
der Schlüssel zu allen Freuden lag? zügig Güte erweisen, solange es uns
Vielleicht meinte er nur, dass man mit möglich ist. Es kann ja eine Zeit des Un-
Geld alles zum Leben Notwendige wie glücks kommen, wo wir nichts mehr
Essen und Trinken kaufen könne. Oder tun können. Die meisten Menschen
vielleicht zitierte er gerade die schwel- sparen für schlechte Zeiten; dieser Vers
genden Führer aus Vers 16, als sie ge- rät zu einem Geist uneingeschränkter
warnt wurden vor den Folgen ihrer Freigebigkeit gerade wegen der Un­
Auswüchse (V. 18). Tatsache ist, dass gewissheit des Lebens.
man für Geld alles kaufen kann außer Oder es gilt der andere Gedanke:
Glück und dass es einen Fahrschein für »Lege nicht alle deine Eier in einen
überallhin ausstellt ‒ mit Ausnahme Korb.« Investiere an verschiedenen
des Himmels. Das Leben des Menschen Stellen, sodass es auch dann weiter-
besteht nicht aus der Fülle der Dinge, geht, wenn eine Quelle einmal ausfällt.
die er besitzt. Das bedeutet Streuung des Risikos.

906
Prediger 11 und 12

11,3 Vers 3 setzt diesen Gedanken Gottes ist der Erfolg garantiert. Aber
fort, speziell in Bezug auf das Üble, das ganz sicher bleibt auch wahr, dass eini-
auf der Erde geschehen kann. Er unter- ge Methoden dabei fruchtbarer sind als
stellt, dass es im Elend des Lebens eine andere. Deshalb sollten wir in unserem
gewisse Unausweichlichkeit und End- christlichen Dienst unermüdlich, viel-
gültigkeit gibt. So gewiss wie regen- seitig, erfinderisch und vor allem treu
schwere Wolken sich entleeren, so ge- sein.
wiss kommen Unannehmlichkeiten Außerdem sollten wir schon am Mor-
und Prüfungen über die Menschen. gen des Lebens aussäen und auch am
Und wenn ein Baum erst mal gefällt ist, Abend nicht müde werden. Wir sind zu
dann bleibt er ein gefallener Riese. Sei- unablässigem Dienst aufgerufen.
ne Zukunft ist besiegelt. 11,7-8 Das Licht bezieht sich vielleicht
Umfassender wird dieser Vers in die- auf die frischen leuchtenden Tage der
sem Gedicht angewandt: Jugend. Es ist großartig, jung zu sein,
gesund, stark und lebhaft. Aber unab-
Wie ein Baum fällt, so muss er liegen hängig davon, wie viele Jahre der Tat-
bleiben, kraft und des Erfolgs man erlebt, sollte
Wie ein Mensch lebt, so muss er sterben, man immer bedenken, dass auch die
Wie ein Mensch stirbt, so muss er Tage der Finsternis sicher kommen. Das
bleiben Weh und das Ach des Alters werden
Durch all die Jahre der Ewigkeit. unvermeidlich kommen. Das ist laut
John Ray Salomo eine düstere, leere Zeit des
Lebens.
11,4 Man kann auch zu vorsichtig sein. 11,9 Es ist schwer zu erkennen, ob
Wenn man auf vollkommene Umstän- Vers 9 ein ernsthafter Rat an die jungen
de wartet, wird man nichts zuwege Männer ist, oder ob aus ihm der Zynis-
bringen. Normalerweise gibt es immer mus eines enttäuschten, alten Mannes
einige Wolken und etwas Wind. Wenn spricht. »Erfülle dir jeden Herzens-
man auf Windstille wartet, wird man wunsch und sieh dir so viel wie mög-
den Samen nie auf das Feld bekommen. lich an. Aber denke daran: Gott wird
Wenn man wartet, bis das Risiko von dich einmal ins Gericht bringen.« Da-
Regen nicht mehr besteht, dann werden mit ist möglicherweise das Gericht des
die Feldfrüchte verrottet sein, bevor sie Alters gemeint, das Salomo wie eine
geerntet sind. Der Mann, der auf letzte göttliche Vergeltung für in der Jugend
Sicherheit vor seinem Tun wartet, war- begangene Sünden erschien.
tet für immer. 11,10 Deshalb der Rat, Unmut und al-
11,5 Da wir nicht alles wissen kön- les Üble von den jungen Jahren fernzu-
nen, müssen wir versuchen, mit dem halten (»Übel« steht hier wahrschein-
Wissen auszukommen, das wir haben. lich eher für »Schwierigkeiten« als für
Wir verstehen nicht die Bewegungen »Sünde«). »Jugend und dunkles Haar
des Windes oder wie die Gebeine eines sind Nichtigkeit«, weil sie so kurzlebig
Kindes im Mutterleib bereitet werden. sind.
Ebenso wenig verstehen wir alle Dinge, Nirgendwo in der Literatur gibt es
die Gott tut, und warum er sie tut. eine treffendere Beschreibung des
11,6 Eben weil wir nicht alles ver­ Alters als in den ersten Versen des
stehen, ist es das Beste, den Tag mit al- 12. Kapitels. Die Bedeutung dieser
ler uns möglichen produktiven Arbeit Verse liegt nicht an der Oberfläche, da
zu füllen. Wir wissen ja nie im Voraus, uns hier vieles in Form einer Allegorie
welche Arbeit gelingt. Vielleicht gelingt vor­gestellt wird. Aber schon bald ent-
sogar all unser Tun. steht das Bild eines zittrigen alten
Bei der Verbreitung des Wortes Mannes, der sich wie ein wandelndes

907
Prediger 12

geriatrisches Museum unaufhaltsam in körperlich als auch seelisch. Die Tage


Richtung Grab schleppt. werden mühsam und die Nächte lang.
12,1 Dieses traurige Bild des Alters Schwermut und Depressionen stellen
und der Greisenhaftigkeit ist eine War- sich oft ein.
nung für die jungen Menschen, dass sie Die Wolken kehren nach dem Regen
ihres Schöpfers in ihrer Jugend geden- zurück. Selbst in früheren Jahren regne-
ken sollten. Man beachte, dass Salomo te es manchmal, was für Sorgen und
hier nicht vom HERRN, Erlöser oder Entmutigung steht. Sobald aber die
Heiland spricht, sondern vom Schöp- Sonne wieder hervorkam, erwachte
fer. Von seinem Standpunkt aus (»unter man zu neuem Leben, und alles war
der Sonne«) ist das für Salomo die ein- vergessen. Jetzt hat es jedoch den An-
zige Möglichkeit, Gott zu erkennen. schein, dass die sonnigen Tage dahin
Aber selbst dann ist der Rat immer sind und nach jedem Regenguss gleich
noch gut. Junge Menschen sollen sich an wieder neue Wolken erscheinen, die
ihren Schöpfer erinnern, bevor sich das noch mehr Regen verheißen.
Leben dem Ende zuneigt und die Tage Die Jugend ist die richtige Zeit, des
übel werden und die Jahre jede Freude Schöpfers zu gedenken, denn dann
vermissen lassen. werden die Sonne, der Mond und die
Sterne sich noch nicht verfinstern, und
Herr, in der Fülle meiner Kraft die Wolken werden nach dem Regen
Möchte ich für dich stark sein, nicht wiederkehren.
Solange jede gute Freude überfließt, 12,3 Jetzt wird uns der Körper des al-
Soll mein Loblied zu dir aufsteigen. ten Menschen im Bild eines Hauses
Ich möchte nicht mein Herz der Welt vorgestellt. Arme und Hände sind die
geben Wächter des Hauses, früher einmal
Und dann ein Bekenntnis zu deiner stark und beschäftigt, jetzt voller Falten
Liebe ablegen; und zittrig.
Ich möchte nicht meine Kräfte schwin­ Die starken Männer sind die Beine,
den sehen nicht mehr gerade und athletisch ge-
Und erst dann beginnen, dir zu dienen. baut, sondern unsicher und gebogen,
Ich möchte nicht mit beflügeltem Elan als ob sie sich unter der schweren Last
Die Aufträge der Welt erfüllen, des Körpers krümmten.
Und dann langsam, mit müden Füßen Die Müllerinnen oder »Mahlenden«
Mühselig den himmlischen Berg erklim­ stellen die Arbeit ein, d.h. die Zähne
men. sind nicht mehr in der Lage, ihre Arbeit
Nein, nicht meine schwachen Wünsche, zu verrichten, weil oben zu wenig sind,
Was niedrig und armselig an mir ist, soll die mit den unteren Zähnen zusam-
dir gehören, menkommen können. Der Zahnarzt
Nicht mein verlöschendes Feuer soll dein würde sagen: »Ein mangelhafter Biss.«
sein, Auch das Augenlicht lässt nach, als
Nicht bloß die Asche meines Herzens. blickte man durch trübe Fenster. Erst
Ach, erwähle mich in meiner goldenen bekommt man eine Lesebrille, dann
Zeit, wird der Star operiert und zuletzt kann
Nimm du teil an meinen liebsten man nur noch Schrift mit extra großen
Freuden! Buchstaben lesen, möglicherweise selbst
Dir soll meine herrliche Jugend gehören, das nur mit einem Vergrößerungsglas.
Die ganze Fülle meines Herzens!35 12,4 Die Türen zur Straße sind ge-
Thomas H. Gill schlossen. Das weist natürlich auf das
Gehör hin. Alles muss mehrfach wie-
12,2 Das Alter ist die Zeit, in der das derholt werden, und selbst laute Ge-
Licht zu verlöschen beginnt, sowohl räusche wie das Mahlen und Knirschen

908
Prediger 12

einer Mühle werden nur schwach wahr- die goldene Schale zerschlagen oder
genommen. der Krug an der Quelle zerbrochen ist
Der alte Mensch leidet an Schlaflosig- oder bevor das Schöpfrad zersprungen
keit. Schon früh, wenn die Vögel mit in den Brunnen fällt.«
ihrem Gezwitscher beginnen und der Das Reißen der Silberschnur deutet
Hahn kräht, ist er hellwach. wahrscheinlich auf den empfindlichen
Die Töchter des Gesangs werden ge- Lebensfaden hin, der zerstört wird,
dämpft, d.h. die Stimmbänder sind be- wenn der Geist den Körper verlässt. So
einträchtigt, und er hat mit dem Singen verstand es auch die blinde Sängerin,
Schwierigkeiten, weil seine Stimme rau die schrieb:
und unbeständig wird.
12,5 Es entwickelt sich eine Furcht Eines Tages wird die silberne Schnur
vor der Höhe; man bekommt Angst auf reißen,
einer Leiter, beim Ausblick von einem Und ich werde nicht mehr singen wie
Hochhaus oder bei Flügen. jetzt,
Schrecken lauert am Wegesrand. Man Doch welche Freude, wenn ich dann
traut sich nichts mehr zu und geht un- erwache
gern allein aus, weder bei Tag noch bei Im Palast des herrlichen Königs!36
Nacht. Fanny J. Crosby
Der blühende Mandelbaum weist auf
das weiße Haar hin. Erst ist es in großer Die goldene Schale wurde als die Hirn-
Fülle da, um dann langsam auszufal- schale verstanden, und ihr Zerbrechen
len. als ein poetisches Bild für das Einstellen
Die »Heuschrecke« kann man auf der Gehirntätigkeit im Augenblick des
zweierlei Weisen deuten. Erstens kann Todes. Das Bild des zerbrochenen Krugs
übersetzt werden: »die Heuschrecke ist und des zerschlagenen Schöpfrads
eine Last«, d.h. selbst die kleinste Last könnte sich zusammengefasst auf das
bereitet dem Alten größte Mühen. Oder Kreislaufsystem beziehen, auf den Zu-
man kann übersetzen: »die Heuschre- sammenbruch des systolischen und
cke schleppt sich mühsam dahin«, dann diastolischen Blutdrucks.
wäre das eine Karikatur des alten Man- 12,7 Die Totenstarre setzt ein, und der
nes, vornüber gebeugt und gekrümmt, Körper beginnt seinen Zerfall zu Staub,
wie er sich mit ruckartigen Bewegun- während der von Gott gegebene Geist
gen vorwärts bewegt. zum Schöpfer zurückkehrt. So sah es
Der Appetit lässt nach oder ver- zumindest Salomo. In Bezug auf den
schwindet ganz. Das Essen hat den Ge- wiedergeborenen Christen hat er recht.
schmack und die Würze verloren, und Der Geist der Ungläubigen jedoch geht
auch andere elementare Triebe lassen in den Hades, um dort den Tag des Ge-
nach. Die geschlechtliche Vitalität ist richts vor dem großen weißen Thron zu
verschwunden. (Der Kaper wurde eine erwarten. Dort wird der Geist wieder
die Sexualkraft stimulierende Wirkung mit dem Leib vereinigt und die voll-
zugeschrieben.) ständige Person in den Feuersee ge­
Dieser Zerfallsprozess vollzieht sich, worfen (Offb 20,12-14).
weil der Mensch auf dem Weg in den 12,8 So schließt Salomo den Kreis ge-
Tod und ins Grab ist, seinem Zuhause nau dort, wo er begann – nämlich mit
für eine lange Zeit; und schon bald geht seiner grundsätzlichen Feststellung,
eine Trauergemeinde hinter seinem dass alles unter der Sonne nichtig, ver-
Sarg her. gänglich und leer ist.
12,6 So kann der Rat des Weisen nur Wenn wir jetzt zur letzten Feststel-
lauten: »Gedenke deines Schöpfers, be- lung Salomos über die Sinnlosigkeit des
vor die silberne Schnur zerrissen oder Lebens kommen, erinnere ich mich an

909
Prediger 12

eine Geschichte, die E. Stanley Jones die Zubereitung einer nahrhaften Mahl-
gern erzählte: zeit, die zum Schluss mit Petersilie ge-
würzt wurde.
An Bord eines Schiffes sah er ein sehr 12,11 Die Belehrungen weiser Män-
korpulentes, älteres Paar mit vollen Ge- ner sind wie scharfe und spitze In­
sichtern, die ihr Leben von Mahlzeit zu strumente, einfach, direkt und über­
Mahlzeit führten. Beide waren pensio- zeugend. Und die gesammelten Aus-
niert und hatten viel – in Wirklichkeit sprüche eines Hirten sind wie Nägel
hatten sie jedoch nichts. oder Ankerhaken, welche dem Zelt
Sie waren wütend auf den Kellner, weil Stabilität verleihen. Sie verleihen Stärke
er ihnen nicht den besten Service zukom- und sind Stützen, an denen wir unsere
men ließ. Sie schienen besorgt zu sein, sie Gedanken aufhängen können.
könnten zwischen den einzelnen Mahl- Die meisten Bibelübersetzungen deu-
zeiten verhungern. Man hatte den Ein- ten den »einen Hirten« so, dass hier von
druck, dass ihr Appetit das einzig sie In- Gott die Rede ist. Wir sollten aber auch
teressierende war. Ich sah sie nie ein daran denken, dass im orientalischen
Buch oder eine Zeitung lesen. Nach dem Denken auch der König als Hirte ge­
Essen saßen sie nur da und stierten vor sehen wird. Homer sagte: »Alle Könige
sich hin, offensichtlich damit beschäftigt, sind Hirten ihres Volkes.« So könnte es
auf die nächste Mahlzeit zu warten. durchaus sein, dass Salomo mit dem
Eines Abends sah ich sie so teilnahmslos »einen Hirten« von sich selbst sprach.
dasitzen, als eine brillante Idee das Diese Auslegung passt harmonischer in
schwerfällige Gehirn des Mannes durch- den Zusammenhang.
zuckte. Er stand auf, ging zum Kamin- 12,12 Kein Gedanke daran, dass Salo-
sims, nahm die Vasen herunter und mo das Thema erschöpfend behandelt
stierte hinein. Dann kehrte er zu seiner hat! Er hätte mehr schreiben können,
Frau mit der Neuigkeit zurück: »Sie sind warnt jedoch die Leser, dass die
leer!« Ich war nahe dran, laut loszu­ Schlussfolgerung unverändert bliebe.
lachen: Er hatte recht: »Sie sind leer!« Es gibt kein Ende im Schreiben und
Aber das traf nicht nur auf die Vasen zu! Herausgeben von Büchern, und es wäre
Auch die Seelen und die Hirne der bei- ermüdend, sie alle lesen zu wollen. Das
den waren leer. Sie hatten viel in ihrer macht aber nichts, denn alles, was sie
Geldbörse, aber nichts in sich selbst. Das aufdecken könnten, ist die Nichtigkeit
war ihre Strafe. Sie hatten Sicherheit ge- des Lebens.
paart mit Langeweile, kein Erlebnis. Sie 12,13 Sein letzter Gedanke erweckt
hatten dehnbare Gürtel und einen ein­ den Eindruck, dass er sich letztendlich
geengten Horizont.37 doch über die Sonne erhoben hat. Er
sagt, die Furcht Gottes und das Halten
IV. Epilog: Das Beste unter der seiner Gebote seien die einzige Pflicht
Sonne (12,9-14) des Menschen. Wir dürfen aber nicht
übersehen, dass die hier genannte
12,9 Der Prediger war nicht nur selbst Furcht Gottes nicht dasselbe wie retten-
weise; er teilte sein Wissen auch ande- der Glaube ist. Es ist der unterwürfige
ren mit. Er suchte sein Wissen in Form Schrecken des Geschöpfs vor dem
von Sprüchen zu vermitteln, nachdem Schöpfer. Und mit den Geboten sind
er sie sorgfältig erwogen und auf Rich- nicht notwendigerweise die Gesetze
tigkeit geprüft hatte. Moses gemeint; hier könnten auch alle
12,10 Er wählte alle seine Worte sorg- Gebote gemeint sein, die Gott durch
fältig aus, indem er versuchte, Er­ den Instinkt in das Herz eines jeden
quickendes, Angenehmes und Wahres Menschen geschrieben hat.
miteinander zu verbinden. Es war wie Mit anderen Worten: Wir brauchen

910
Prediger 12

nicht unbedingt zu viel geistliche Ein- »Typus« auf Christus angesehen, der
sicht in Salomos Worte zu legen. Sie in Frieden im Tausendjährigen Reich
sagen möglicherweise nicht mehr, als herrschen wird.
jeder Weise aufgrund von praktischer 6
(Einführung) Zitiert von Scroggie in:
Erfahrung und natürlicher Intuition Know Your Bible, Bd. I, S. 144.
her­ausgefunden hätte. 7
(1,3) H.L. Mencken, zitiert von Bill
Das ist das Ganze – nicht nur die gan- Bright in Revolution Now, S. 15.
ze Pflicht, sondern die Grundlage für 8
(1,4) Will Houghton, »By Life or by
ein erfülltes und glückliches Leben. Death«.
12,14 Das Motiv dafür, Gott zu fürch- 9
(1,8) Verfasser unbekannt, »Thou
ten und seine Gebote zu befolgen, ist alone, Lord Jesus«, in: Hymns of Grace
hier die Gewissheit des kommenden and Truth, Nr. 220.
Gerichts. Als Gläubige können wir ewig 10
(1,13) Malcolm Muggeridge, Jesus
dankbar sein, dass unser Erlöser uns Rediscovered, S. 11.
von dieser Art der Furcht befreit hat. 11
(1,13) Zum Beispiel wurde dieser
»Furcht ist nicht in der Liebe, sondern Name von anderen semitischen Na-
die vollkommene Liebe treibt die tionen verwendet, und sogar im AT
Furcht aus, denn die Furcht hat es mit wird der Name Elohim für falsche
Strafe zu tun. Wer sich aber fürchtet, ist »Götter« gebraucht. Es wird darüber
nicht vollendet in der Liebe« (1Jo 4,18). diskutiert, ob Satans Worte in 1Mo
Wir vertrauen und folgen nicht aus 3,5 übersetzt werden sollten »Ihr
Furcht, sondern aus Liebe. Durch sein werdet sein wie Gott« oder »Ihr wer-
vollendetes Werk auf Golgatha haben det sein wie Götter«.
wir die Gewissheit, nicht ins Gericht zu 12
(1,15) Robert Laurin, »Ecclesiastes«,
kommen, sondern vom Tod ins Leben in: The Wycliffe Bible Commentary,
übergegangen zu sein (Joh 5,24). Jetzt S. 587.
können wir singen: 13
(2,1) B.E., »None but Christ Can Sat­
isfy!«, in: Hymns of Truth and Praise,
O Lamm Gottes! Du hast selbst getragen Nr. 306.
Unsern Fluch und unsrer Sünden Last. 14
(2,8) Samuel Johnson, The History of
Welcher Feind darf zu verdammen Rasselas, The Prince of Abyssinia.
wagen 15
(2,8) Zitiert von D.R. Reuben in »Why
Uns, dein Volk, das du erlöset hast? Wives Cheat on Their Husbands«,
Ja, dein Werk ist jetzt für uns vollendet. Reader’s Digest, August 1973, S. 123.
Ewig fest steht unser Heil in dir. 16
(2,11) Ralph Barton, zitiert von Denis
Gottes Zorn ist von uns abgewendet, Alexander in Beyond Science, Phila-
Gottes Liebe nur genießen wir. delphia: Holman, 1972, S. 123
Glaubenslieder, Nr. 52 17
(2,11) E. Stanley Jones, Growing Spiri­
tually, S. 4.
18
(2,16-17) Choice Gleanings Calendar,
Anmerkungen Grand Rapids: Gospel Folio Press, o.J.
1
(Einführung) L.S. Chafer, Systematic 19
(2,18) C.E. Stuart, Thoughts on Eccle­
Theology, Bd. I, S. 83. siastes, in: Assembly Writers Library,
2
(Einführung) Gleason Archer: A Bd. 5, S. 186.
Survey of Old Testament Introduction, 20
(2,21) Robert Jamieson, A.R. Fausset
S. 478-488. und David Brown, Critical and Exper­
3
(Einführung) Talmud, Megillah 7a; imental Commentary on the Old and
Sabbath 30. New Testament, Bd. III, S. 518.
4
(Einführung) W. Graham Scroggie, 21
(2,25) Jules Abels, The Rockefeller Bil­-
Know Your Bible, Bd. I, S. 143. l­ions, New York: Macmillan, 1965,
5
(Einführung) Salomo wird oft als S. 299.

911
Prediger

22
(3,15) Table Talk, Bd. 11, Nr. 4, August 31
(9,4) Im Nahen Osten sind Hunde oft
1987, S. 3. bissige Köter, die sich von Abfällen
23
(3,21) Das hebräische Wort für ernähren und wild durch die Straßen
»Geist« kann auch mit »Atem« über- laufen – nicht wie die geliebten
setzt werden. Haustiere der westlichen Welt.
24
(4,1) James Russel Lowell, »The 32
(9,9) Das Gilgamesch-Epos, zitiert
Pres­ent Crisis«, in: Complete Poetical durch Leupold, Ecclesiastes, S. 216.
Works, Boston: Houghton Mifflin, 33
(9,9) Denis Alexander, Beyond Science,
1897, S. 67. S. 132-133.
25
(4,4) Zitiert von Henry G. Bosch in 34
(10,9-10) Leupold, Ecclesiastes, S. 242.
Our Daily Bread, 24.5.1973. 35
(12,1) Thomas H. Gill, »Lord in the
26
(4,4) Zitiert von Bill Bright in Revo­ Fullness of My Might«, in Hymns,
lution Now, S. 37. Nr. 26.
27
(5,14) Choice Gleanings Calendar. 36
(12,6) Fanny J. Crosby, »Saved by
28
(6,9) H.C. Leupold, Exposition of Grace«, in: Hymns of Truth and Praise,
Ecclesiastes, S. 141. Nr. 621.
29
(7,20) Ebd., S. 167. 37
(12,8) E. Stanley Jones, Is the Kingdom
30
(7,28) G. Campbell Morgan, Search­ of God Realism?, weitere Angaben
lights from the Word, S. 217. nicht verfügbar.

Bibliografie Lange, John Peter (Hrsg.),


»Ecclesiastes«, in: Commentary on the
Delitzsch, Franz, Holy Scriptures, Bd. 7, Nachdruck
»Ecclesiastes«, in: Biblical Commentary (25-bändige Ausgabe in 12 Bänden),
on the Old Testament, Bd. 18, Grand Rapids: Zondervan Publishing
Grand Rapids: Wm. B. Eerdmans Pub­ House, 1960.
lish­ing Co., 1971.
Laurin, Robert,
Eaton, Michael A., »Ecclesiastes«, in: The Wycliffe Bible
Ecclesiastes, The Tyndale Old Testament Commentary,
Commentaries, Chicago: Moody Press, 1962.
Downers Grove: InterVarsity Press, 1983.
Leupold, H.C.,
Erdman, W.J., Exposition of Ecclesiastes,
Ecclesiastes, Grand Rapids: Baker Book House,
Chicago: B.I.C.A., 1969. 1952.

Hengstenburg, Ernest W., MacDonald, William,


A Commentary on Ecclesiastes, Nachdruck, Chasing The Wind,
Minneapolis: James and Klock Chris­ Chicago: Moody Press, 1975.
tian Publishing Co., 1977.

912
Das Hohelied Salomos
»In dem herrlichen Tempel der Offenbarung, einem Ort, den der Herr, unser Gott,
erwählt hat, um seinen Namen darin mit noch größerer Herrlichkeit wohnen zu lassen
als in dem Tempel der materiellen Welt, liegt dieses Buch wie eine der Kammern des
Tempels auf dem Berg Zion – klein zwar, aber vorzüglich gebaut, die Wände und die
Decke aus etwas viel Wertvollerem als Zedernholz, etwas Kostbarerem als strahlendes,
mit Saphiren besetztes Elfenbein und angefüllt mit Mustern der Wahrheit, die durch den
Heiligen Geist direkt aus dem Himmel herabgebracht und hierhin gestellt wurden, zur
Wonne und Freude derer, die die Wohnung des Hauses Gottes und den Ort, da seine
Herrlichkeit wohnt, lieben.«

George Burrowes

Einführung der Jahrhunderte ihrer Phantasie freien


Lauf gelassen. Während gewisse Juden
I. Einzigartige Stellung im Kanon und Christen das Buch strengstens mie-
den, weil sie es für zu »sinnlich« hielten,
Die wörtliche Übersetzung des Titels, feierten einige der strenggläubigsten
»Lied der Lieder«, ist eine hebräische Aus- Heiligen im Lauf der Geschichte dieses
drucksweise, die bedeutet, dass es sich Buch.
um das außerordentlichste Lied handelt.
Im jüdischen Midrasch wird es »das lo- II. Verfasserschaft
benswerteste, hervorragendste und am In der jüdischen Tradition wird davon
meisten geschätzte unter den Liedern« ausgegangen, dass Salomo das Hohe-
genannt. Dieses Lied, das auch das Hohe­ lied in seiner Jugendzeit schrieb, die
lied genannt wird, wird im Allgemeinen Sprüche als erwachsener Mann und das
als das am schwersten zu verstehende Buch Prediger, als er diese Welt im Lauf
Buch der Bibel angesehen. Franz De- der Zeit leid geworden war. Vieles
litzsch schrieb: »Das Hohelied ist das spricht für diese Annahme. Da in die-
undurchsichtigste Buch des Alten Testa- sem Buch die eheliche Treue gepriesen
ments.«1 Es fällt einem nicht schwer, das wird, wurde angenommen, dass Salo-
Buch zu genießen, wenn man Poesie, die mo es der ersten seiner vielen Frauen
Liebe und die Natur mag. Aber was ist widmete, bevor er sich in Polygamie
es und was bedeutet es? und Konkubinat verstrickte. Im vor­
Gelehrte sind uneins, ob es sich um liegenden Kommentar wird jedoch eine
eine Sammlung voneinander unabhän- andere Ansicht vertreten.
giger Liebeslieder, ein kleines Schau- In sieben Versen im Hohelied wird na-
spiel oder einen »einheitlichen, drama- mentlich auf Salomo Bezug genommen
tischen, lyrischen Liebesdialog«2 han- (1,1.5; 3,7.9.11; 8,11.12). Mit dem ersten
delt. Angesichts der sich wiederholen- dieser Verse wird Salomo wahrschein-
den Refrains, des gleichmäßigen Fort- lich als Verfasser benannt. Allerdings
laufens der Geschichte und der Tat­ könnte der Vers auch mit »Das Lied der
sache, dass das Werk zu kurz ist für ein Lieder über Salomo« übersetzt werden.
wirkliches »Schauspiel«, ist der dritte Die Anspielungen auf die Natur passen
Vorschlag wohl der beste. zu Salomos Interessen (1Kö 5,13). Auch
Aber immer noch stellt sich die Frage: die Erwähnung der königlichen Pferde,
Wie soll man dieses Buch auslegen? An der Kutschen und der königlichen Sänfte
dieser Stelle haben die Leser im Lauf scheinen auf Salomo als Verfasser hinzu-

913
Das Hohelied Salomos

deuten. Die erwähnten geografischen wenn er ihr schmeichelt, fängt sie an,
Einzelheiten deuten darauf hin, dass die- von ihrem Geliebten zu erzählen. Ge-
se Orte alle in einem vereinigten König- gen Ende des Buches sieht man sie mit
reich lagen, was hauptsächlich zu Salo- ihrem geliebten Hirten vereint, in sei-
mos Regierungszeit gegeben war. ner Liebe ruhend. Vertreter dieser Aus-
Alle Gründe sprechen also dafür, das legung weisen darauf hin, dass der
traditionelle Verständnis in Bezug auf Hintergrund der meisten Stellen, an de-
den Verfasser zu akzeptieren. Die Ge- nen Salomo erwähnt wird, die Stadt
genargumente sind nicht überzeugend. und der Palast sind, während der Hirte
immer in einem ländlichen Umfeld be-
III. Datierung schrieben wird. Der auffallende Gegen-
Wahrscheinlich schrieb Salomo dieses satz zwischen Stadt und Land bestätigt
schönste seiner 1005 Lieder (1Kö 5,12) die Annahme, dass es in der Geschichte
irgendwann während seiner vierzigjäh- um zwei Männer geht, nicht nur um ei-
rigen Regierungszeit (971-931 v.Chr.). nen. Diese Auslegung ist nicht sehr be-
Die traditionelle Annahme, dass er liebt, weil sie ein schlechtes Bild von
noch jung und noch nicht durch zu Salomo vermittelt.3 Allerdings war Sa-
viele Frauen übersättigt war, erscheint lomo tatsächlich Polygamist, obwohl
logisch und überzeugend. Gott seinem Volk Monogamie geboten
hatte. Das Volk Israel war Jahwe untreu
IV. Hintergrund und Thema geworden und anderen Liebhabern
Die übliche christliche Auslegung zu nachgelaufen. In diesem Lied hörte es
diesem Buch besagt, dass es die Liebe von der Herrlichkeit treuer Liebe.
Christi zu seiner Gemeinde beschreibt. In einer dritten Auslegung wird die
Dieser Auslegung folgen die Kapitel­ Jungfrau Sulamith als ein Bild für den
überschriften vieler Bibelausgaben. Überrest des Volkes Israel in der Zu-
Demnach ist Salomo ein Bild für Chris­ kunft gesehen. Salomo ist ein Bild für
tus und Sulamith ein Bild für die Ge- den Herrn Jesus. Das Lied beschreibt die
meinde. Wer die Schrift gewissenhaft liebevolle Gemeinschaft, die der Über-
studiert, wird jedoch feststellen, dass rest Israels genießen wird, wenn er zu
das nicht die hauptsächliche Auslegung dem aufschaut, den Israel durchbohrt
sein kann, da die Gemeinde ein Geheim- hat, und um ihn trauert, wie jemand um
nis darstellte, das seit Anbeginn der Welt seinen einzigen Sohn trauert. Die Tat­
in Gott verborgen war und erst zur Zeit sache, dass Salomo Polygamist war, än-
der Apostel und Propheten des NT of- dert nichts daran, dass er ein Bild für
fenbart wurde (Röm 16,25-26; Eph 3,9). den Herrn ist. Das Bild ist unvollkom-
Nur wenige Christen werden leugnen, men, das Original ist vollkommen.
dass dieses Buch ein wunderbares Bild Eine vierte Auslegung, die heute sehr
für die Liebe Christi zur Gemeinde ist. verbreitet ist, sieht in dem Buch eine
Allerdings ist das eine Anwendung und Aufforderung zu wahrer Liebe und
nicht die Auslegung. Die eigentliche Reinheit im Bund der Ehe. Angesichts
Auslegung des Buches muss mit Jahwe der Tatsache, dass Sex in der heutigen
und dem Volk Israel zu tun haben. Welt außerhalb der ehelichen Liebe
Bei einer zweiten Auslegungsvarian- ausgebeutet wird, ist diese Auslegung
te wird erklärt, dass dieses Buch ein durchaus möglich und steht im Ein-
Protest gegen eheliche Untreue sei. Sa- klang mit 1. Mose 1,27 und 2,20-24.
lomo mit seinen vielen Frauen umwirbt Unabhängig von der Ansicht, die ver-
das junge Mädchen Sulamith. Sulamith treten wird, wird das Hohelied von gläu-
liebt jedoch einen Hirten und bleibt ihm bigen Paaren häufig – und wir meinen
in jeder Hinsicht treu. Sie gibt Salomos zu Recht – in der Hochzeitsnacht und
Schmeicheleien nicht nach. Jedes Mal, zur Bereicherung der Ehe verwendet.

914
Das Hohelied Salomos 1

Einteilung das sie geplant haben. Sie drückt


ihre Bereitwilligkeit aus (4,7 - 5,1)
I. Überschrift (1,1) XI. Sulamith erinnert sich an einen
II. Sulamith am Hof Salomos denkt schlechten Traum, in dem sie
an ihren Geliebten, den Hirten, ihren Geliebten aufgrund ihrer
und erzählt den Hofdamen von Bequemlichkeit nicht sehen
sich und ihm (1,2-8) konnte (5,2-8)
III. Salomo umwirbt Sulamith, XII. Auf Nachfrage der Hofdamen
sie geht jedoch nicht auf seine schwärmt sie von der Schönheit
Schmeicheleien ein (1,9 - 2,6) ihres Geliebten, woraufhin sie ihn
IV. Sulamiths jungfräuliche Warnung auch sehen möchten (5,9 - 6,3)
an die Töchter Jerusalems (2,7) XIII. Salomo wiederholt seine flehenden
V. Sulamith denkt an einen Besuch Liebeserklärungen (6,4-10)
ihres Geliebten zurück, der von XIV. Sie erklärt den Hofdamen, auf
der Aufforderung ihrer Brüder zur welch unerwartete Art und Weise
Arbeit unterbrochen wurde (2,8-17) sie in den Palast gekommen ist
VI. Das Mädchen träumt von einem (6,11 - 7,1)
Treffen mit dem Geliebten (3,1-4) XV. Salomos letzter Versuch bleibt
VII. Wiederholung der Warnung an vergeblich (7,2-11)
die Töchter Jerusalems (3,5) XVI. Sie unterhält sich mit ihrem
VIII. Salomos Prozession kommt in geliebten Hirten, der gekommen
Jerusalem an (3,6-11) ist, um sie mit sich zu führen
IX. Wieder versucht Salomo, das (7,12-8,2)
Mädchen zu gewinnen, aber es XVII. Letzte Warnung an die Töchter
lässt sich von seinem Charme Jerusalems (8,3-4)
nicht beeinflussen (4,1-6) XVIII. Das Paar kommt in ihrem
X. Der junge Hirte kommt und Heimatort auf dem Lande an,
fordert Sulamith auf, Jerusalem sie geben sich gegenseitig das
mit ihm zu verlassen, um zu dem Eheversprechen und leben
Heim auf dem Land zu gehen, glücklich weiter (8,5-14)

Kommentar anderen Mädchen geliebt wird. Sie


sehnt sich danach, dass er kommt und
I. Überschrift (1,1) sie als sein Eigen erklärt. Die Töchter
Jerusalems werden umsonst versuchen,
Das Lied der Lieder wird als Werk Sa­ ihnen zu folgen. König Salomo führte
lomos vorgestellt. Es könnte auch be- sie in seine Kammern (nach der Luther-
deuten »über Salomo«. bibel), wahrscheinlich um sie in seinen
Harem aufzunehmen. Dies geschah al-
II. Sulamith am Hof Salomos denkt lerdings gegen ihren Willen. Als die
an ihren Geliebten, den Hirten, und Töchter Jerusalems ihre Gefühle für ih-
erzählt den Hofdamen von sich und ren Geliebten zu ihren eigenen machen,
ihm (1,2-8) erklärt sie ihnen, dass ihre Wertschät-
1,2-4 Sulamith sehnt sich nach den Küs- zung für ihn gerechtfertigt ist.
sen ihres geliebten Hirten. Dann stellt 1,5-6 Im Gegensatz zu den blassen
sie sich vor, er wäre anwesend, und sagt Hofdamen hat die ländliche Sulamith
ihm, dass seine Liebe köstlicher sei als als Hüterin der Weinberge viel Zeit in
Wein. Sie vergleicht seine Tugenden mit der Sonne verbracht. Daher ist sie
köstlich duftendem Salböl und sieht schwärzlich und gebräunt, doch4 an-
dar­in den Grund, warum er von den mutig.

915
Das Hohelied Salomos 1 und 2

1,7-8 Ihre Gedanken wandern zu ih- 2,1 Die Jungfrau beteuert weiter ihre
rem Geliebten. Sie fragt sich, wo er sei- Schlichtheit und Unwürdigkeit. Wenn
ne Herde weidet, wo er sie am Mittag sie sich selbst mit der Narzisse von
lagern lässt. Sie kann nicht verstehen, Scharon und der Lilie der Täler7 ver-
warum sie nicht bei ihm sein kann, statt gleicht, denkt sie wahrscheinlich nicht
als verschleierte Frau in der Gegenwart an die gezüchteten Blumen, die wir
anderer Männer zu sein, die für sie kei- »Narzissen« und »Lilien« nennen, son-
ne große Bedeutung haben. dern eher an die gewöhnlichen, wilden
Die Töchter Jerusalems5 schlagen ihr Buschwindröschen oder vielleicht den
sarkastisch vor, sie könne ihn finden, Krokus.8
indem sie den Spuren der Herde nach- 2,2 Salomo muss ihre Aussagen über
gehe. ihre Minderwertigkeit gehört haben
und sagt ihr, dass sie etwas ganz Beson-
III. Salomo umwirbt Sulamith, deres ist. Mit anderen Jungfrauen ver-
sie geht jedoch nicht auf seine glichen ist sie wie eine Lilie unter Dor-
Schmeicheleien ein (1,9 - 2,6) nen.
1,9-10 Salomo beginnt mit seinem Wer- 2,3 Wieder denkt sie an ländliche Sze-
ben um Sulamith. Sie erinnert ihn an nen und vergleicht ihren Geliebten mit
eine Stute an den Prachtwagen des Pha- einem kultivierten Apfelbaum unter
rao. Er sieht ihre Wangen mit Schmuck- den wilden Bäumen des Waldes. Mit
kettchen verziert und ihren Hals mit ihm zusammen zu sein, war immer eine
Perlenkettchen. Freude, die Gemeinschaft mit ihm im-
1,11 Indem er von sich selbst in der mer etwas Besonderes.
Wir-Form6 spricht, bietet er ihr an, sie 2,4-6 Mit ihm zusammen zu sein, war
mit goldenen und silbernen Schmuck- für sie wie in einem Weinhaus zu sein.
kettchen zu beschenken. Sein Zeichen der Liebe schwebte stets
1,12-14 Sulamith lässt sich von den über ihr. Sie ist überwältigt von dem
schmeichelnden Worten und lockenden Gedanken an ihn und bittet um Trau-
Angeboten des Königs nicht beeindru- benkuchen und Äpfel, um sich zu stär-
cken. Sie kann nur an ihren Geliebten ken und zu erquicken. Es ist, als wäre er
denken. Während der König bei seiner tatsächlich bei ihr, würde sie halten und
Tafelrunde weilt, hat sie ihre eigene umarmen.
Duftquelle – ein kleines Myrrhen­
beutelchen, das sie als Erinnerung an IV. Sulamiths jungfräuliche Warnung
ihren Hirten bei sich trägt. Ihr Geliebter an die Töchter Jerusalems (2,7)
duftet für sie wie eine Blütentraube Schließlich wendet sich Sulamith an die
vom Hennastrauch aus den Weinber- Töchter Jerusalems9 und macht die
gen von En-Gedi. wichtigste Aussage des Buches. Es gibt
1,15 Wieder versucht Salomo, sie zu eine Zeit für die Liebe. Sie sollte nicht
umwerben, diesmal, indem er ihre auf fleischliche Art und Weise angeregt
Schönheit lobt und ihre Augen mit de- werden (wie der König es zu tun ver-
nen einer Taube vergleicht. suchte). Sie beschwört sie bei den an-
1,16-17 Aber Sulamith wendet die mutigen Gazellen, dass sie die Liebe
Unterhaltung in ihren Gedanken und nicht wecken oder aufstören, bevor es
erzählt ihrem Geliebten, wie schön er ihr selber gefällt. Mit anderen Worten:
ist. Für sie ist die freie Natur ihr Haus, »Liebe kann man nicht kaufen, erzwin-
das Gras ihr Bett, und die überwälti- gen oder vortäuschen. Sie muss spon-
genden Zedern und Wacholder sind ihr tan entstehen und sollte frei und auf-
Dach. Das Umfeld ihrer Liebe ist ein- richtig weitergegeben werden.«10 Hätte
deutig ländlich und nicht das eines Pa- Israel diese einfache Regel befolgt, wäre
lastes. es Jahwe nicht untreu geworden.

916
Das Hohelied Salomos 2 bis 4

V. Sulamith denkt an einen Besuch Traum, in dem sie ihren Geliebten traf.
ihres Geliebten zurück, der von der Eines Nachts suchte sie ihn. Als sie ihn
Aufforderung ihrer Brüder zur Arbeit nicht finden konnte, ging sie in die
unterbrochen wurde (2,8-17) Stadt, suchte auf den Straßen und Plät-
zen und fragte die Wächter. Schließlich
2,8-14 Die Jungfrau denkt an einen Be- fand sie ihn, umarmte ihn und nahm
such ihres Geliebten in der Vergangen- ihn mit zu ihrer Familie.
heit zurück. In seiner Eile, sie zu errei-
chen, sprang er über die Berge und VII. Wiederholung der Warnung an
hüpfte über die Hügel. Er war so anmu- die Töchter Jerusalems (3,5)
tig wie eine Gazelle oder ein junger Sulamith unterbricht ihre Rede, um die
Hirsch. Bald stand er vor der Haus- Warnung an die Töchter Jerusalems zu
wand, schaute durch die Fenster herein, wiederholen: »Weckt nicht … die Liebe,
blickte durch die Gitter. Sie hörte seine bevor es ihr selber gefällt.«
Stimme, wie er nach ihr rief und sie auf-
forderte, mit ihm zu kommen. Denn der VIII. Salomos Prozession kommt in
lange dunkle Winter und die Regenzeit Jerusalem an (3,6-11)
waren vorbei. Die Anzeichen des Früh- Es findet ein Szenenwechsel statt. Wir
lings wurden sichtbar – die Blumen, die können die farbenfrohe und pracht-
Turteltauben, die Feigenbäume und die volle Ankunft von Salomos Prozession
Weinreben, die in Blüte standen. Er in Jerusalem beobachten. Die Frage, die
drängte sie, sich aufzumachen und mit mitschwingt, ist folgende: »Wer könnte
ihm zu kommen. Vielleicht gab es eine dem romantischen Reiz eines solch
Verzögerung, weil er sie schließlich bat, herrlichen Königs widerstehen?« Die
ans Fenster zu kommen, damit er ihre mitschwingende Antwort lautet natür-
Gestalt sehen und ihre Stimme hören lich: »Sulamith.« Sie bleibt ihrem Ge-
könnte. Bis dahin war sie für ihn wie liebten treu und lässt sich von keiner
eine Taube in den Schlupfwinkeln der anderen Stimme betören.
Felsen verborgen gewesen. Die Zuschauer, die am Weg stehen
2,15 Jegliche Hoffnung, fortgehen zu und den Zug beobachten, sind von der
können, wurde zunichte, als ihre Brü- Ankunft des Königs beeindruckt, der
der kamen und sie und ihre Gefährtin- von einer Wolke von Myrrhe und Weih-
nen11 aufforderten, die Füchse, die klei- rauch umgeben ist. Sie bewundern Sa-
nen Füchse zu fangen, die die Wein­ lomos Sänfte, die von sechzig bewaffne-
berge gerade zur entscheidenden Zeit ten Soldaten bewacht wird. Innerhalb
verdarben, als sie in Blüte standen.12 der Sänfte befindet sich der Tragsessel
2,16-17 Die Enttäuschung war groß, mit seinen wunderbaren silbernen Fü-
aber sie tröstete sich mit dem Gedan- ßen, der Lehne aus Gold und der Sitz-
ken, dass sie und ihr Hirtenfreund ein- fläche aus purpurfarbenem Polster. Das
ander gehörten. So sagte sie ihm im Innere der Sänfte besteht aus Ebenholz.
Grunde: »Komm später wieder, in der Die Bewohner Zions werden aufgefor-
Kühle des Abends, wenn die Schatten dert, den König zu begrüßen, der die
verschwunden sind. Komm mit der Krone trägt, mit der ihn seine Mutter
Schnelligkeit eines jungen Hirsches gekrönt hat am Tag seiner Hochzeit.
wieder über die zerklüfteten Berge (o.
auch die Berge der Trennung, d.h. die IX. Wieder versucht Salomo, das
Berge, die uns voneinander trennen).« Mädchen zu gewinnen, aber es
lässt sich von seinem Charme nicht
VI. Das Mädchen träumt von einem beeinflussen (4,1-6)
Treffen mit dem Geliebten (3,1-4) 4,1-5 Diejenigen, die von den drei Per-
Die Jungfrau erinnert sich an einen sonen im Hohelied ausgehen, sind sich

917
Das Hohelied Salomos 4 und 5

nicht einig, ob der Sprecher dieser er ihr Leben und ihre Unberührtheit
Verse Salomo oder der Hirte ist. Wir meint. Er vergleicht sie mit einem gut
vermuten, dass es Salomo mit seinen gewässerten Garten, in dem köstliche
vielen Frauen ist, der gerade nach Jeru­ Früchte und Gewürze wachsen.
salem zurückgekommen ist und nun 4,16 Mit poetischen Worten lädt sie
einen neuen Versuch startet, Sulamith ihn ein, in den Garten zu kommen und
in seinen Bann zu ziehen. ihn zu seinem eigenen zu machen.
Er beschreibt ausgiebig ihre Schön- 5,1a Der Hirte antwortet auf die Ein-
heit. Ihre Augen, die hinter dem ladung Sulamiths aus 4,16, indem er
Schleier hervorschauen, erinnern ihn erklärt, dass er in seinen Garten kom-
an die Augen einer Taube. Der Glanz men will, um Gewürze zu pflücken,
ihrer welligen Haare in der Sonne Honig zu essen und Wein und Milch zu
gleicht einer Herde Ziegen, die vom trinken.
Gebirge Gilead hüpfen. Ihre strahlend 5,1b Im zweiten Teil von Vers 1 schei-
weißen Zähne erinnern ihn an Schafe, nen interessierte Beobachter das Lie-
die ge­rade geschoren und gewaschen bespaar zu ermutigen.15
wurden. »Jeder Zahn hat seinen Zwil-
ling« bedeutet, dass jedem Zahn im XI. Sulamith erinnert sich an einen
Ober­kiefer einer im Unterkiefer ent- schlechten Traum, in dem sie ihren
spricht. Kein einziger fehlt. Ihre Lippen Geliebten aufgrund ihrer Bequem-
sind wie eine karmesinrote Schnur, die lichkeit nicht sehen konnte (5,2-8)
Symmetrie ihres Mundes ist vollkom- 5,2-7 Sulamith beschreibt einen Traum,
men. Hinter ihrem Schleier erscheinen in dem sie hörte, wie er an die Tür
ihre Schläfen wie eine Granatapfel- klopfte und nach ihr rief, dass sie ihm
scheibe. Ihr Hals, der wie der Turm Da- öffne. Seine Haare waren feucht vom
vids ist, steht für Stärke und Würde. abendlichen Tau. Als sie zögerte, ihm
Ihre beiden Brüste, die wie Zwillings- zu öffnen, weil sie sich schon gebadet
gazellen sind, zeugen von einer zarten, und für die Nacht zurückgezogen hat-
sanften Schönheit. te, ging er wieder fort. Endlich stand sie
4,6 Sulamith unterbricht Salomo13, auf und ging zur Tür. Ihre Hände wur-
um ihn wissen zu lassen, dass sie sich den voller flüssiger Myrrhe, die er an
von seinen Schmeicheleien nicht be­ den Griffen des Riegels gelassen hatte.
einflussen lässt und sich auf das Wie- Aber er hatte sich abgewandt und war
dersehen mit ihrem Geliebten freut. weitergegangen. Sie suchte ihn, sie rief
Wenn der Tag zu Ende geht und die ihn, aber sie konnte ihn nicht finden.
Schatten verschwinden, wird sie zum Die Wächter der Stadt missverstanden
Myrrhenberg hingehen und zum Weih- ihr Auftreten, schlugen sie und nahmen
rauchhügel, d.h. zu ihrem geliebten ihr ihren Schleier ab.
Hirten. 5,8 In ihrer Sorge fleht sie die Töchter
Jerusalems an, ihrem Geliebten, wenn
X. Der junge Hirte kommt und fordert sie ihn sehen sollten, auszurichten, dass
Sulamith auf, Jerusalem mit ihm zu sie ihn immer noch genauso liebt wie
verlassen, um zu dem Heim auf dem früher.
Land zu gehen, das sie geplant haben.
Sie drückt ihre Bereitwilligkeit aus XII. Auf Nachfrage der Hofdamen
(4,7 - 5,1) schwärmt sie von der Schönheit ihres
4,7-15 Nun erscheint der Hirte14 und Geliebten, woraufhin sie ihn auch
drängt seine Verlobte, mit ihm vom Li- sehen möchten (5,9 - 6,3)
banon zu kommen. Gleichzeitig preist 5,9 Ihr ständiger Enthusiasmus für ei-
er ihre Schönheit, ihre Liebe, ihre Lip- nen einfachen Hirten weckt das Inter­
pen, den Duft ihrer Gewänder, womit esse der Töchter Jerusalems. Sie können

918
Das Hohelied Salomos 5 bis 7

nicht verstehen, warum jemand die Lie- XIV. Sie erklärt den Hofdamen, auf
be eines unbekannten Jungen vom Lan- welch unerwartete Art und Weise sie
de der Liebe Salomos vorziehen kann. in den Palast gekommen ist (6,11 - 7,1)
So fragen sie sie, was an ihrem Gelieb-
ten so besonders ist. 6,11-12 Sulamith lenkt mit einer un-
5,10-16 Das gibt ihr genau die Ge­ deutlichen Erklärung von Salomos Lie-
legenheit, auf die sie gewartet hat, und beserklärungen ab und erzählt viel-
sie preist seinen attraktiven Körper, der leicht, wie die Kutsche des Königs vor-
hervorragend unter Zehntausend ist. beikam, als sie gerade auf dem Feld
Mit einer Vielzahl poetischer Meta- war, um die Früchte und den Nuss­
phern und Vergleiche schwärmt sie von garten zu besehen. Das daraus resultie-
seinem Aussehen, seinem Haupt, sei- rende Interesse des Königs, sie mit nach
nen Locken, seinen Augen, seinen Wan- Jerusalem in den Palast zu nehmen,
gen, seinen Lippen, seinen Armen, sei- hatte sie nicht geplant und auch nicht
nem Körper, seinen Beinen, seiner gewollt.
Gestalt und seinem Mund. Kurz gesagt, 7,1 Als sie gehen will, rufen entweder
alles an ihrem Geliebten und Freund ist Salomo und die Töchter Jerusalems
begehrenswert.16 oder seine Freunde sie zurück, um noch
6,1 Nach solchen Reden wollen die einmal ihre Schönheit zu sehen. Sula-
Töchter Jerusalems dieses Bild voll- mith stellt ihnen die Frage, warum sie
kommener männlicher Schönheit un­ jemand so Gewöhnliches wie sie sehen
bedingt sehen. Sie fragen, wo sie ihn wollten. Die letzten Worte in dem Vers
mit ihr suchen können.17 sind etwas schwer zu verstehen. Der
6,2-3 Die Antwort des Mädchens ist Reigen von Mahanajim (hebr. »zwei
absichtlich ungenau und ausweichend Felder«), von dem Sulamith spricht,
– er ist in seinen Garten hinabgegan- könnte ein Tanz mit zwei Gruppen von
gen. Warum sollte sie es ihnen erzählen? Tänzern sein.
Sie gehört zu ihm, er gehört zu ihr, und
so soll es auch bleiben! XV. Salomos letzter Versuch bleibt
vergeblich (7,2-11)
XIII. Salomo wiederholt seine 7,2-10 Salomo fährt mit seiner übertrie-
flehenden Liebeserklärungen (6,4-10) benen Lobrede fort und beschreibt aus-
Salomo erscheint erneut und versucht führlich die Schönheit ihres Körpers,
sie zu umwerben. Mit Vergleichen, die indem er sie mit bekannten Plätzen sei-
für die Ausdrucksweise des Nahen Os- nes großen Reiches vergleicht: Hesch-
tens typisch sind, schwärmt er von der bon, der Libanon-Turm, Damaskus und
Schönheit ihres Gesichts. Viele seiner der Berg Karmel. Dann vergleicht er sie
Worte sind eine Wiederholung von mit einer stattlichen Palme, die er gerne
4,1-3. In seinen Augen übertrifft sie umarmen würde. Täte er das, so sagt er,
sechzig Königinnen, achtzig Neben- wären ihre Brüste wie Trauben des
frauen und Jungfrauen ohne Zahl. Sie Weinstocks für ihn, ihr Atem wie
war nicht nur die Lieblingstochter ihrer Apfelduft und ihre Küsse wie der beste
Mutter, sondern auch die Königinnen, Wein.
Nebenfrauen und Jungfrauen priesen 7,11 Die Jungfrau beendet seine Rede,
sie alle mit den Worten: »Wer ist sie, die indem sie ihm klar macht, dass ihr Wein
da hervorglänzt wie die Morgenröte, nicht für ihn ist, sondern für ihren Ge-
schön wie der Mond, klar wie die liebten. Sie gehört ihrem Freund und
Sonne, furchterregend wie Kriegs­ nicht dem König. Nach ihm hat sie Ver-
scharen?« langen.

919
Das Hohelied Salomos 7 und 8

XVI. Sie unterhält sich mit ihrem wo ihre Liebesgeschichte begann, und
geliebten Hirten, der gekommen ist, auf ihren Geburtsort.
um sie mit sich zu führen (7,12 - 8,2) 8,6-7 Sulamith schlägt vor, dass sie
einander ihre Gelübde erneuern. Mit
7,12-14 Sulamiths Freund, der Hirte, ist wunderbaren Worten, die häufig zitiert
in Jerusalem angekommen, und sie wurden, bestätigt sie, dass es keinen
kann mit ihm aufs Feld hinausgehen. Konkurrenten für ihre Liebe gibt. Sie ist
Sie freut sich darauf, mit ihm durch die stark wie der Tod, unauslöschlich und
Felder zu laufen, frühmorgens zu den unbezahlbar.
Weinbergen aufzubrechen, um nach 8,8-9 Jahre zuvor, als Sulamiths Brü-
den Weinstöcken und den Granatapfel- der ihre Zukunft geplant hatten, hatten
bäumen zu sehen. In diesem ländlichen sie diese Entscheidung getroffen. Wenn
Umfeld, wo die Liebesäpfel ihren Duft sie sich als keusch, rein und treu erwei-
geben, wird sie ihm ihre Liebe und sen würde, würden sie ihr Silber-
allerlei köstliche Früchte schenken, die schmuck schenken. Wenn sie jedoch für
sie für ihn aufbewahrt hat. jeden offen und zugänglich sein würde
8,1-2 Sulamith spricht weiter. Wäre wie eine Tür, würden sie sie verstecken.
der Hirte ihr Bruder, könnte sie ihn 8,10-11 Das junge Mädchen, jetzt im
küssen, ohne getadelt zu werden. Sie heiratsfähigen Alter, versichert ihnen,
würde ihn mit in das Haus ihrer Mutter dass es standhaft wie eine Mauer ge-
nehmen und ihm den besten Würzwein wesen ist. Ihr Geliebter weiß das. Sie
zu trinken geben, der aus Granatäpfeln erzählt ihnen von Salomos Weinberg in
gemacht wurde. Baal-Hamon mit seinen vielen Hütern.
8,12 Aber sie war nicht daran interes-
XVII. Letzte Warnung an die Töchter siert. Sie hatte ihren eigenen Weinberg
Jerusalems (8,3-4) – ihren Geliebten, den Hirten. Salomo
Wieder spricht Sulamith zu den Töch- konnte seinen Reichtum ruhig behal-
tern Jerusalems. Sie sieht sich in seinen ten.
Armen und warnt sie zum letzten Mal 8,13 In Gegenwart von Zeugen bittet
davor, die Liebe nicht aufzuwecken, be- der Hirte sie, sich ihm nun im Bund der
vor es ihr selber gefällt. Ehe zu verpflichten, ihm also das Ja-
Wort zu geben.
XVIII. Das Paar kommt in ihrem 8,14 In bildlicher Sprache fordert sie
Heimatort auf dem Lande an, ihren Geliebten auf, sie schnell als sein
sie geben sich gegenseitig das Eigen zu nehmen. Und so endet das
Eheversprechen und leben glücklich Buch. Es wurde auch mit folgenden
weiter (8,5-14) Worten beschrieben:
8,5a Die Bewohner ihres Dorfes sehen
sie von Jerusalem zurückkommen und Es ist der Aufruf des Alten Testaments
fragen, wer die ist, die da heraufkommt zur Monogamie angesichts des be-
aus der Wüste, an ihren Geliebten ge- kanntesten Beispiels von Polygamie, das
lehnt. in der Schrift zu finden ist. Es ist ein
8,5b Als das Liebespaar näher kommt, kraftvoller Aufruf an das Israel der Zeit
weist der Hirte auf bekannte Plätze hin Salomos, zum gottgegebenen Ideal der
– auf den Platz unter dem Apfelbaum, Liebe und Ehe zurückzukehren.18

920
Das Hohelied Salomos

Anmerkungen durch erklären, dass es sich bei die-


sen Zeilen (die im Original stark
1
(Einführung) Franz Delitzsch, »The nach einem Lied klingen und sich
Song of Songs«, in: Biblical Commen­ reimen) um eine »Weingärtner­
tary on the Old Testament, Bd. XVI, weise« handelt (Delitzsch, »Song of
S. 1. Songs«, S. 53). Otto Zöckler schreibt,
2
(Einführung) Arthur Farstad, »Lit­ dieser Vers sei ein kleines Winzerlied
erary Genre of the Song of Songs«, oder zumindest ein Vers aus einem
S. 63. solchen Lied. Er erklärt weiter, alle
3
(Einführung) Clarke (siehe Biblio­ Kommentatoren seiner Zeit, die kei-
grafie) vertritt dieselbe Ansicht wie ne Allegoristen sind, seien sich dar-
der vorliegende Kommentar. über einig (»Song of Songs«, in
4
(1,5-6) Das kleine Wort, das hier mit Lange’s Commentary on the Holy Scrip­
»doch« übersetzt ist (we) kann auch tures, Bd. V, S. 71).
mit »und« übersetzt werden (was in 12
(2,15) Junge Füchse (der Begriff
den meisten Fällen geschieht). Eine schließt Schakale mit ein) kommen
wörtliche Übersetzung wäre daher im Frühjahr und zerstören die Re-
»schwarz bin ich und schön«. ben, indem sie zwischen den Wur-
5
(1,7-8) In manchen Bibelüberset- zeln Gänge und Löcher graben und
zungen wird Vers 8 dem Geliebten ihnen so den Halt nehmen. Siehe
zugeschrieben und ist somit nicht Delitzsch, »Song of Songs«, S. 54.
sarkastisch gemeint. Dort werden 13
(4,6) Für die Verfasser einiger Bibel­
der Geliebte und Salomo als eine übersetzungen gehört dieser Vers
Person angesehen und nicht als Kon- zur Rede des Geliebten.
kurrenten, die um Sulamiths Liebe 14
(4,7-15) Die Verfasser einiger Bibel­
kämpfen. Es sollte betont werden, übersetzungen sehen hier kein An-
dass die Überschriften in allen Bibel- zeichen für einen Sprecherwechsel
übersetzungen hinzugefügt wurden und sehen diese Verse als Teil der
und nicht zum eigentlichen Text ge- Rede des Geliebten an.
hören. 15
(5,1b) In manchen Bibelüberset-
6
(1,11) In manchen Bibelübersetzun­ zungen werden diese Personen »sei-
gen wird das »wir« wörtlich genom- ne Freunde« genannt.
men und auf die Töchter Jerusalems 16
(5,10-16) Nach der christologischen
bezogen. Auslegung dieses Buchs wurden die
7
(2,1) In prosaischen Texten, in der Ausdrücke »auserkoren unter vielen
Poesie und in Liedern wurde unser Tausenden« und »alles an ihm ist
Herr mit diesen Blumen verglichen. lieblich« (nach der Lutherbibel) in
Dieser Vergleich hat Gültigkeit, auch Predigten und Liedern auf unseren
wenn das nicht die ursprüngliche Herrn angewandt. Vor allem im
Bedeutung dieses Verses ist. geistlichen Sinne ist eine solche An-
8
(2,1) Farstad, »Literary Genre«, S. 79, wendung mehr als gerechtfertigt,
Fußnote 6. auch wenn das nicht die ursprüng-
9
(2,7) Nach einigen Bibelüberset- liche Aussage des Textes war.
zungen wendet sich Sulamith schon 17
(6,1) In der christologischen Ausle-
ab Vers 4 an die Töchter Jerusalems. gung weckt das »Zeugnis« der Braut
10
(2,7) W. Twyman Williams, »The (= Gemeinde) von der Schönheit
Song of Solomon«, Moody Monthly, ihres Geliebten (= Christus) in an­
Februar 1947, S. 398. deren ebenfalls das Verlangen, ihn
11
(2,15) Die Pluralform der Aufforde- sehen zu wollen.
rung »fangt« lässt sich eventuell da- 18
(8,14) Williams, »Song«, S. 422.

921
Das Hohelied Salomos

Bibliografie Zöckler, Otto,


»The Song of Solomon«, Lange’s Com­
Bellett, J.G., mentary on the Holy Scriptures, Bd. 5,
Meditations upon the Canticles, Grand Rapids: Zondervan Publishing
London: G. Morrish, o.J. House, 1960.

Burrowes, George, Zeitschriften


A Commentary on the Song of Solomon, Williams, W. Twyman,
Philadelphia: Willaim S. & Alfred Mar- »The Song of Solomon«, Moody Monthly,
tien, 1860. Februar 1947.

Clarke, Arthur G., Unveröffentlichtes Material


The Song of Songs, Farstad, Arthur L.,
Kansas City: Walterick Publishers, o.J. »Literary Genre of the Song of Songs«,
Abschlussarbeit zum Mag. theol.,
Delitzsch, Franz, Dallas Theological Seminary, 1967.
»The Song of Songs«, in: Biblical Com­
mentary on the Old Testament, Bd. 16,
Grand Rapids: Wm. B. Eerdmans Pub­-
lish­ing Company, 1971.

922
Einführung in die Propheten
Der von Jesaja bis Maleachi reichende »Vorhersage« bedeutet, dass sie in die
Abschnitt des Alten Testaments wird Zukunft schauten und dem Volk sagten,
meistens »die Propheten« genannt. Da- welche Folgen es für es hätte, wenn es
bei bezeichnet man Jesaja, Jeremia, gehorchte bzw. wenn es ungehorsam
Hesekiel und Daniel als die »Großen wäre. Die Propheten verstanden ihre
Propheten«, einfach, weil ihre Bücher Botschaften selbst nicht immer (Dan
länger sind als die meisten der anderen 7,28; 8,15-27; 10,7-15; Offb 7,13-14; 17,6).
zwölf Bücher. Diese nennt man daher Besondere Schwierigkeiten hatten sie,
die »Kleinen Propheten«. wenn sie von dem kommenden Messias
weissagten und über seine Leiden und
I. Der Dienst der Propheten die Herrlichkeiten danach sprachen
Im wahren, biblischen Sinn ist ein Pro- (1. Petrus 1,10-13). Sie konnten nicht
phet einer, der für Gott redet. Diese verstehen, wie der Messias als leidender
Männer1 wurden in Zeiten der Sünde Knecht des HERRN kommen und
und des Niedergangs erweckt, um den gleichzeitig Herrscher über die ganze
Menschen ihre Sünden vorzuhalten Erde sein konnte. Sie verstanden nicht,
und das Gericht Gottes anzukündigen, dass es zwei unterschiedliche Ankünfte
wenn sie nicht Buße taten. geben würde – sein Kommen nach Beth-
Im Alten Testament begann die Zeit lehem und sein Wiederkommen auf den
der Propheten in den Tagen Samuels Ölberg. Sie begriffen auch nicht, dass
(ungefähr 1100 v.Chr.), als das Priester- zwischen diesen beiden Ereignissen ein
tum versagt hatte. Die Propheten setz- zeitlicher Abstand liegen sollte.
ten ihren Dienst bis zum Ende der alt-
testamentlichen Geschichtsperiode fort III. Die Themen der Propheten
(ungefähr 400 v.Chr.); darin sind auch Die von den Propheten des Alten Testa-
die babylonische Gefangenschaft und ments aufgegriffenen Themen kann
die Wiedererrichtung der Stadt Jeru­ man folgendermaßen zusammenfas-
salem und des Tempels eingeschlossen. sen:
Die Schriftpropheten des AT traten 1. Die Heiligkeit Gottes
allerdings erst zur Zeit des geteilten 2. Die Sünde und das Versagen des
Reiches auf (ungefähr um 930 v.Chr.). von Gott erwählten Volkes
Sie gehören also zu der Zeit, die in 3. Der Ruf zur Buße
1. und 2. Könige und in 1. und 2. Chro- 4. Gottes Gericht über das Volk, falls
nik beschrieben wird, und wirkten bis es nicht Buße tat
in die Tage Esras und Nehemias. 5. Gottes Gericht über die Völker
ringsum
II. Die Methoden der Propheten 6. Die Rückkehr eines Teils des Volkes
Es ist vielfach darauf hingewiesen wor- aus der Gefangenschaft
den, dass die Botschaft der Propheten 7. Das Kommen des Messias und sei-
sowohl aus Verkündigung als auch aus ne Verwerfung
Vorhersage bestand. Unter »Verkündi- 8. Das Kommen des Messias in Macht
gung« verstehen wir, dass diese Pro- und großer Herrlichkeit
pheten das Wort Gottes verkündeten. 9. Die Wiederherstellung des von
Sie waren sich auch dessen bewusst, Gott erwählten Volkes
denn sie gebrauchten oft Ausdrücke 10. Die universale Herrschaft Christi.
wie: »So spricht der HERR« oder: »Das An dieser Stelle sollte angemerkt wer-
Wort des HERRN geschah zu mir« den, dass die Gemeinde nicht Gegen-
(s. Jer 1,4. 9; Hes 2,7). stand alttestamentlicher Weissagung

923
Einführung in die Propheten

ist. Wir sollten das auch nicht erwarten, 5. Jerusalem dagegen war die Haupt-
weil uns ausdrücklich im NT gesagt stadt des Südreichs.
wird, dass dies ein Geheimnis ist, das 6. Ninive war die Hauptstadt Assyriens.
von den Ewigkeiten her in Gott verbor- 7. Die Stadt Babylon (Babel) war die
gen war (Eph 3,4-9). Hauptstadt des Volkes und des Landes
Das »Gesetz des doppelten Bezugs« der Babylonier, das auch Babylon ge-
ist ein hilfreicher Schlüssel zum Ver- nannt wird.
ständnis gewisser Stellen des AT. Die- 8. Damaskus war der wichtigste Stadt-
ses Gesetz bedeutet einfach, dass einige staat in Syrien (Aram).
Weissagungen des AT eine unmittel­ Wenn die Propheten den Götzen-
bare und teilweise Erfüllung hatten, dienst anprangerten, benutzten sie oft
eines Tages aber ihre vollständige Er- Ausdrücke, die mit dem Götzendienst
füllung erfahren werden. Das gilt z.B. verbunden waren, wie z.B. »Bilder aus
für die Weissagung in Joel 3,1-5, die Holz und Stein«, »Höhen«, »Terebin-
sich teilweise am Tag der Pfingsten er- then« und »Gärten«.
füllte (Apg 2,7-21), die aber ihre voll- »Gericht« (Rechtsprechung) wird von
kommene Erfüllung erst findet, wenn den Propheten oft im Sinne von »Ge-
der Herr Jesus wiederkommt, um nach rechtigkeit« gebraucht. Sie prangerten
der Großen Drangsalszeit sein Reich die Verkehrung des »Gerichts« an, in-
auf der Erde aufzurichten. dem sie die Richter verurteilten, die Be-
Man tut auch gut daran, zu bedenken, stechungsgelder annahmen und damit
dass einige Weissagungen von Anfang keine Gerechtigkeit herbeiführten.
an kristallklar sind, während andere Der Gedanke eines »Überrests« des
erst richtig verstanden werden können, Volkes Israel nimmt einen wichtigen
wenn sie sich tatsächlich ereignen. Stellenwert in den Propheten ein. Die
Wir sollten uns vor allzu fantasievollen prophetischen Bücher sagen voraus,
Auslegungen von Weissagungen hüten. dass ein gläubiger Überrest des Volkes
Es wurde schon großer Schaden dadurch am Ende der Tage heimkehren werde,
angerichtet, dass man behauptete, ge- wie damals ein Überrest aus der babylo-
wisse Personen oder Ereignisse seien die nischen Gefangenschaft zurückkehrte.
Erfüllung, und später wurde dann offen-
sichtlich, dass dies nicht so war. V. Die Einteilung der Propheten
Man kann die Bücher der Propheten
IV. Einige bei den Propheten oft auf unterschiedliche Weise einteilen.
gebrauchte Begriffe Wir haben schon gesehen, dass man sie
Einige Schlüsselbegiffe sollen uns hel- in »Große« und »Kleine« Propheten
fen, die Propheten besser zu verstehen: einteilen kann. Man kann sie auch nach
1. Der Name Israel bezieht sich ge- der Zeit ordnen, in der sie lebten:
wöhnlich auf das Nordreich, auf die
zehn Stämme. Aber manchmal ist auch Vor der Verbannung
die gesamte Nation damit gemeint – alle (Präexilische Propheten)
Nachkommen Abrahams, Isaaks und Jesaja Jona
Jakobs. Jeremia Micha
2. Juda andererseits ist gewöhnlich Hosea Nahum
der Name des Südreichs der zwei Stäm- Joel Habakuk
me Juda und Benjamin. Amos Zefanja
3. Ephraim wird besonders von Hosea Obadja
zur Bezeichnung des Nordreichs verwen-
det, das auch »Haus Josef« genannt wird. Während der Verbannung
4. Samaria war die Hauptstadt des (Exilische Propheten)
Nordreichs und wird häufig erwähnt. Hesekiel Daniel

924
Einführung in die Propheten

Nach der Verbannung Hesekiel (»Gott stärkt«): 34,16


(Postexilische Propheten) Joel (»der HERR ist Gott«): 2,13
Haggai Sacharja Micha (»Wer ist wie der HERR?«): 7,18
Maleachi Zefanja (»verborgen bei dem HERRN«): 2,3
Maleachi (»mein Bote«): 3,1.
Die präexilischen Propheten dienten in
der Zeit vor der Verbannung bzw. der VI. Die Chronologie der
babylonischen Gefangenschaft. Die exi- Propheten
lischen Propheten sprachen für Gott Die folgende Chronologie wird dem Le-
während der babylonischen Gefangen- ser helfen, zahlreiche Hinweise in den
schaft. Die postexilischen Propheten Prophetenbüchern zu verstehen.
kehrten mit dem Volk nach der Gefan-
genschaft zurück und forderten die Is- Das Reich Israel (Nordreich)
raeliten auf, die Stadt und den Tempel Syrien (Aram) war nach der Teilung des
wieder aufzubauen und ihre Gesinnung Reiches der Hauptfeind Israels.
und ihren Lebenswandel zu erneuern. Dann wurde Assyrien mächtig und
Die Propheten lassen sich auch danach bedrohte Israel. Die Eroberung Israels
einteilen, wem ihre Botschaft in erster durch Assyrien ging in folgenden
Linie galt: Schritten vor sich:
1. Jehu zahlte Salmanassar, dem Kö-
Israel nig Assyriens, Tribut (842 v.Chr.).
Hosea Amos 2. Menahem zahlte Tiglat-Pileser Tri-
Jona but. Dieser begann, die Israeliten aus
ihrem Land wegzuführen.
Den Heidenvölkern 3. Während der Regierung Pekachs
Nahum Obadja eroberte Tiglat-Pileser Städte in Naftali
und führte die Einwohner nach Assy-
Juda rien (2Kö 15,29). Er eroberte auch das
Jesaja Zefanja Land östlich des Jordans und depor-
Jeremia Hesekiel tierte die dort lebenden zweieinhalb
Joel Daniel Stämme um 740 v.Chr. nach Mesopota-
Micha Haggai mien (1Chr 5,26). Er ließ auch zu, dass
Habakuk Sacharja Pekach ermordet wurde und Hoschea
Maleachi seinen Thron einnahm.
4. Hoschea wurde Salmanassars
Manche Propheten dienten mehr als einer Knecht und zahlte ihm Tribut, doch
Gruppe. Jona zum Beispiel könnte auch plante er einen Aufstand gegen ihn und
unter den Propheten für die Heidenvöl- sandte Geschenke nach Ägypten, um
ker aufgelistet werden. Micha weissagte Verbündete zu gewinnen, mit deren
sowohl Israel als auch Juda. Nahum Hilfe er das assyrische Joch zerbrechen
sprach zu Juda (1,15) und auch zu Ninive. konnte (2Kö 17,3-4).
Habakuk hatte viel über die anderen Völ- 5. Salmanassar belagerte Samaria. Im
ker zu sagen. Das Gleiche gilt für Daniel. ersten Regierungsjahr Sargons, 722
In mehreren Fällen ist der Name des oder 721 v.Chr., wurde die Stadt er­
Propheten in dem Text seiner Weis­ obert. Vie­le Menschen wurden nach
sagung verborgen. So bedeutet der Me­sopota­mien und Medien ver-
Name Jesaja: Jah ist Heil. Und in Jesaja schleppt (2Kö 17,5-6.18). Der Rest mus-
12,2 lesen wir: »Jah, der HERR, … ist ste Tribut zahlen.
mir zum Heil geworden.«
Jeremia (»der HERR befestigt« oder
»der HERR erhöht«): 52,31

925
Einführung in die Propheten

Das Reich Juda (Südreich) teil der Bevölkerung in die Gefangen-


schaft. Nur einige von den Ärmsten
Nach der Eroberung des Nordreichs wurden im Land zurückgelassen (2Kö
begann Assyrien auch Juda zu bedrän- 25,2-21).
gen. Gott versicherte den Juden, dass, 6. Über das im Land zurückgebliebe-
wenn auch die Assyrer gegen sie her­ ne Volk regierte der Statthalter Gedalja.
aufzögen, sie ihr Ziel nicht erreichen, Jeremia gehörte zu dieser Gruppe.
sondern selbst vernichtet würden. Das Dann wurde Gedalja ermordet, und ein
geschah, als Sanherib während der Re- großer Teil der Menschen floh nach
gierung Hiskias gegen Jerusalem zog. Ägypten und nahm Jeremia mit (2Kö
Dann gewann Babylon an Macht und 25,22-26).
wurde zur großen Bedrohung für Juda.
Die politischen Ereignisse, die zur Er­ Die siebzigjährige Gefangenschaft
oberung ganz Judas durch Babylon und die Zeit danach
führten, sind folgende: Das babylonische Weltreich dauerte bis
1. Jojakim wurde eine Marionette des 539 v.Chr., als Kyrus Babylon eroberte.
Königs von Ägypten. Er war es, der das Dekret erließ, welches
2. Babylon eroberte Ägypten und As- den Gefangenen erlaubte, ins Land Is-
syrien. So kam auch Juda unter babylo- rael zurückzukehren. Eine Gruppe un-
nische Herrschaft (605 v.Chr.). ter Serubbabel kehrte 538 v.Chr. heim,
3. In diesem Jahr (dem 3. Regierungs- eine andere unter Esra 458 v.Chr.
jahr Jojakims) kam Nebukadnezar nach Darius, der Meder, regierte von 538-
Jerusalem und brachte einige Gefäße 536 v.Chr.
aus dem Tempel nach Babylon, ebenso Das Medo-Persische Reich dauerte
führte er einige Mitglieder der könig- bis 333 v.Chr., als die Griechen unter
lichen Familie gefangen weg. Dazu ge- Alexander dem Großen zur Weltherr-
hörte der König Jojakim selbst, aber schaft gelangten.
auch der Prophet Daniel (2Kö 24,1-6; Die siebzig Jahre der Gefangenschaft
2Chr 36,5-8; Jer 45,1; Dan 1,1-2). dauerten vom Fall Jerusalems 586  v.
4. 597 v.Chr. führte Nebukadnezar Jo- Chr. bis zum Wiederaufbau des Tem-
jachin (Jechonja oder Konja) und viele pels 516 v.Chr.
andere fort (2Kö 24,10-16). Hesekiel ge-
hörte auch zu den damals nach Babylon
Deportierten. Anmerkungen
5. 586 v.Chr. verbrannten die Trup- 1
Es gab auch weibliche Propheten
pen Nebukadnezars den Tempel, zer- ‒ oder Prophetinnen ‒ wie Hulda
störten die Stadt und führten den Groß- (2Kö 22,14; 2Chr 34,22).

926
Jesaja
»Jesaja … ist der hervorragendste der hebräischen Propheten und Schriftsteller.
Unübertroffen sind die Großartigkeit seiner Sprache, die Strahlkraft seiner Metaphorik,
die Gewandtheit und Schönheit seines Stils. Zu Recht hat man ihn den ›Fürsten der
alttestamentlichen Propheten‹ genannt.«

Merrill F. Unger

Einführung rung geben als für die meisten ande-


ren.
I. Einzigartige Stellung im Kanon
Die Einheit des Jesajabuchs
Wer Irlands schöne Hauptstadt besucht Es gibt mehrere Theorien der so-
und von christlicher Kultur etwas hält, genannten »Höheren« oder »Histori-
lässt sich bestimmt das Privathaus schen Kritik«, die seit etwa einem Jahr-
zeigen, wo eines der größten Musik- hundert gelehrt werden, und zwar
werke »Weltpremiere« hatte. Denn am nicht als Hypothesen, sondern fast als
13.  April 1742 wurde dort Händels Tatsachen. Sie werden in vielen Kreisen
»Mes­sias« zum ersten Mal aufgeführt.1 auch für wahr gehalten. Zu diesen The-
Kein ernst zu nehmender Mensch hat je sen gehört: Mose hat die fünf Bücher
die Größe der Händel’schen Komposi- Mose nicht geschrieben und Daniel
tion in Bezug auf die Musik in Zweifel nicht das Buch Daniel, Petrus nicht den
gezogen; aber was ist mit dem Libretto2, zweiten Petrusbrief, Paulus (wahr-
den Texten dieses überaus berühmten scheinlich) nicht die Pastoralbriefe3,
Oratoriums? Sie stammen alle aus und Jesaja schrieb nur den ersten Teil
Gottes Wort, insbesondere aus den der 66 Kapitel, die das Buch enthält.
messianischen Weissagungen des Alten Weil Jesaja solch ein bedeutendes
Testaments. Und der Prophet, der am Werk ist, das voller messianischer Weis-
meisten zu diesem Libretto beigetragen sagungen ist (besonders in dem Teil,
hat, war ein Hebräer, der sieben Jahr- der von den Kritikern anderen Autoren
hunderte vor der Menschwerdung sei- zugeschrieben wird) und das so oft im
nes Messias lebte, der auch Händels NT zitiert wird, halten wir es für not-
und Ihr und mein Messias ist. Sein wendig, auf diese Frage ausführlicher
Name ist Jesaja, und er schrieb die einzugehen, als wir es normalerweise
längs­te und schönste und am stärksten in einem leicht verständlichen Buch für
auf den Messias bezogene Weissagung den Gläubigen tun würden.
des Alten Testaments. Dabei wollen wir zunächst die posi­
tiven Argumente für Jesajas Verfasser-
II. Verfasserschaft schaft des ganzen Buchs nennen, und
Jesaja (hebräisch Jeschajahu: »der HERR dann beantworten wir ein Argument
ist Rettung« oder »Rettung des nach dem anderen, das gegen diese
HERRN«), der Sohn des Amoz, hatte Einheit vorgebracht wird.
eine prophetisches Gesicht, das im Buch
Jesaja aufgezeichnet wurde. Wegen der 1. Das Zeugnis der Geschichte und der
bibelkritischen Theorien, die dieses Tradition
Buch künstlich in verschiedene Teile Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts ak-
zertrennt haben, möchten wir für dieses zeptierten praktisch alle jüdischen und
Buch eine etwas ausführlichere Einfüh- christlichen Gelehrten dieses Buch als

927
Jesaja

eine zusammenhängende lange Weis- einer Theorie über die Sammlung von
sagung eines einzigen begabten Schrei- Bruchstücken nicht zu erklären ist, auch
bers, nämlich Jesajas, des Sohnes des nicht mit zwei oder noch mehr Auto-
Amoz. ren.
Erst 1795 schlug J.C. Doederlein einen
»Zweiten Jesaja« oder den »Deuterojesa- 4. Die Großartigkeit der Dichtung
ja« als den Autor der Kapitel 40-66 vor. Die überragende Schönheit des zweiten
Natürlich war der Unterschied im Inhalt Teils dieses Buches macht es unvorstell-
und in der Sichtweise zwischen Jesaja 1- bar, dass solch ein wunderbarer Schrei-
39 und Jesaja 40-66 allen aufmerksamen ber, den man um das Jahr 500 v.Chr. an-
Lesern seit Jahrhunderten aufgefallen; siedelt, völlig vergessen werden konn-
doch erfordert dies nicht notwendiger- te. Immerhin wissen wir auch von den
weise unterschiedliche Autoren. 1892 kürzesten Büchern der »Kleinen Pro-
verneinte B. Duhm die Einheit der Kapi- pheten«, wer sie verfasst hat.
tel 40-66 und postulierte einen »Dritten
Jesaja«, den »Tritojesaja«, für die Kapitel 5. Die Qumran-Rollen
55-66. Manche trieben die Sache sogar Die Jesajarolle aus dem zweiten Jahr-
noch weiter; aber im Allgemeinen wer- hundert v.Chr., die man in Qumran am
den in liberalen Kreisen heute zwei oder Toten Meer entdeckt hat, gibt keinerlei
drei Jesajas anerkannt. Hinweis auf eine Zweiteilung bei Kapi-
Keine frühere Tradition hat jemals tel 40.
zwei oder noch mehr Autoren in Er­
wägung gezogen; im Gegenteil: Der Antworten auf die Argumente gegen
Glaube an die Einheit des Jesajabuchs die Einheit des Buchs
ist ganz früh und einheitlich bezeugt Drei Hauptargumente werden gegen
und nie angefochten worden. die Einheit des Buchs erhoben: die histo-
rische Sichtweise, das sprachliche Argu-
2. Das Zeugnis des NT ment und das theologische Argument.
Jesaja ist das nach den Psalmen am häu-
figsten zitierte Buch des AT im NT, und 1. Die historische Sichtweise
immer wird von einer Einheit ausge- Dass Jesaja in zwei Hauptteile zerfällt,
gangen. Zitiert wird aus dem zweiten wird von fast allen anerkannt (Kap. 1-
Teil, unter Nennung von Jesaja als Au- 39 und Kap. 40-66). Die Kapitel 36-39
tor, von Johannes dem Täufer (Mt 3,3; sind eine Art Zwischenspiel. Es ist inter­
Lk 3,4; Joh 1,23), Matthäus (8,17; 12,18- essant, wie die Kapitel 1-39 das AT wi-
21), Johannes (12,38-41) und Paulus derspiegeln und die Kapitel 40-66 das
(Röm 9,27-33; 10,16-21). Dies ist beson- NT, sogar in den Zahlen: ein Kapitel für
ders bemerkenswert im Fall von Johan- jedes Buch im AT und im NT. Das mag
nes 12,38-41; denn dort wird von dem allerdings Zufall sein; denn die Kapitel­
Autor als Person und nicht nur von einteilung ist nicht Teil des inspirierten
dem Buch geredet: »Dies sprach Jesaja, Textes.
weil er seine Herrlichkeit sah und von Die Sichtweise in den Kapiteln 1 bis
ihm redete« (V. 41). »Dies« bezieht sich 39 ist ganz deutlich präexilisch (vor der
auf Jesaja 53,1, also auf den zweiten Teil Verbannung), und die in den Kapiteln
des Buchs, und auf Jesaja 6,10, wo Jesaja 40 bis 66 ist klar postexilisch (nach der
die Herrlichkeit Christi sah (V. 39-40), Verbannung). Konnte sich Jesaja in die
aus dem ersten Teil. Zukunft versetzen und von einem zu-
künftigen Standpunkt aus schreiben?
3. Einheit von Plan und Entfaltung Viele Kritiker sagen: Nein. Und doch
Das Buch Jesaja zeigt einen durchgän- machten das Jeremia, Daniel und sogar
gigen Plan und eine Ordnung, die mit unser Herr (Matthäus 13) zuweilen.

928
Jesaja

Wenn die Kapitel 40 bis 66 um das


Jahr 500 v.Chr. geschrieben wären, war- Die Propheten Israels und Judas
um duftet dann alles nach Israel und ? genaue Lage ungewiss

nicht nach Babylon?


Sidon
Damaskus
Zarpat
2. Das sprachliche Argument

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Der Stil des »Zweiten Jesaja« unterschei-


Tyrus

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det sich von dem des »Ersten«, behaup-

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Mittelmeer 0 20 Km

ten die Kritiker. Alle haben den bedeu-

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tenden Wechsel in der Sichtweise wahr-
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genommen, die mit den Worten begin-
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nt: »Tröstet, tröstet mein Volk« (40,1).

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Aber dies kann lediglich ein Beweis für
die Vielseitigkeit des Schreibers sein. ELISA

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Plato, Milton und Shakespeare konnten
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in erstaunlichem Maß ihren Stil ändern

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Jordan
– je nachdem, wie der Inhalt es erfor-

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derte. Der herrliche Trost des Messias, SAMUEL JEREMIA NAHUM A M M O N

um den es in den Kapiteln 40 bis 66 vor Anatot

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Rama
Jerusalem Elkosch?

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allem geht, reicht aus, um den Unter- JESAJA
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Moreschet-
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schied zu erklären. ZEFANJA
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Außerdem bestehen viele stilistische
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AMOS SACHARJA
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Totes
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Ähnlichkeiten zwischen den zwei (oder
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Meer
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drei) Teilen des Buchs. Viele Einzel-
heiten würden eine Kenntnis des Hebrä­
Wüste von
Beerscheba

ischen erfordern; aber eine Redewen-


dung des Jesaja, die in seinem Werk
durchgehend auftaucht, ist »der Heili- Jesaja erwähnt Kyrus Jahrhunderte
ge Gottes« – ein göttlicher Titel. vor dessen Geburt mit Namen – wenn
wir einen einzigen Jesaja anerkennen.
3. Das theologische Argument Josephus sagt, Kyrus sei dadurch be-
Die Kritiker meinen nicht, dass ein Wi- einflusst worden, dass er diese Voraus-
derspruch zwischen der Theologie des sage in Jesaja 45 las.4
»Ersten« und der des »Zweiten« Jesaja Viele Abschnitte, die als spätere Hin-
besteht. Sie halten den »Zweiten Jesaja« zufügungen bezeichnet werden, sind
nur für »fortgeschrittener«. (Das passt überwiegend konkrete Weissagungen,
zu der gesamten ungesunden Evolu­ die sich erfüllt haben. Hier kommt wie-
tionstheorie, die auf alles, nicht nur auf der die Neigung zur Leugnung des
die Biologie angewandt wird. Jesaja be- Übernatürlichen zum Vorschein, die
tone, so sagt man, die Majestät Gottes, zur Ablehnung einer frühen Datierung
während der Deuterojesaja seine Un- dieser Stellen führt.
endlichkeit hervorhebe. Tatsächlich aber Dabei ist Gott doch allwissend. Er
offenbart Micha, ein Zeitgenosse Jesa- kann ohne irgendwelche Schwierigkei-
jas, ähnliche Gedanken, wie sie dem ten die Zukunft durch seine Propheten
»Zweiten Jesaja« zugeschrieben wer- so genau vorhersagen lassen, wie er es
den). für richtig hält.
Das theologische Argument ist das Trotz aller Einbrüche, die solche
schwächste von den dreien; aber es Theo­rien in manchen angeblich christ-
zeigt uns am deutlichsten den wahren lichen Kreisen erzielt haben, ist daher
Grund für diese Theorien: Man leugnet die althergebrachte, einheitliche evan-
das Übernatürliche. gelikale Position stark und logisch noch

929
Jesaja

dazu. Sie lautet: Das ganze Buch wur- Die Rettung kommt von dem HERRN.
de, wie Jesaja 1,1 sagt, von Jesaja, dem Das Wort »Rettung« oder »Heil« kommt
Sohn des Amoz geschrieben. bei diesem Propheten 26-mal vor, wäh-
rend alle anderen Propheten zusammen
III. Datierung es nur siebenmal erwähnen. Dieses The-
Jesaja begann seinen Dienst »im Todes- ma weist also auf die Einheit des Buchs
jahr des Königs Usija« (6,1; ca. 740 hin: Die Kapitel 1 bis 39 beschreiben die
v.Chr.). Seine Dienstjahre erstreckten verzweifelte Notwendigkeit der Rettung
sich über die Regierungszeiten von vier für die Menschen, und die Kapitel 40 bis
Königen: Usija und Jotam waren größ- 66 zeigen, wie gnädig Gott dieser Not
tenteils gute Könige, Ahas war ein bö- entgegenkommt.
ser König, und Hiskia war ein sehr gu- Jesaja warnte die Juden, dass ihre Bos-
ter König und ein persönlicher Freund heit Strafe nach sich ziehen werde, und
des Propheten. Da Jesaja vom Tod San- doch werde Gott eines Tages in seiner
heribs berichtet (681 v.Chr.), lebte er Gnade einen Retter sowohl für die Ju-
höchstwahrscheinlich bis 680 v.Chr., den als auch für die Heiden schicken.
was eine wirklich lange Dienstzeit be- Politisch lag das kleine Israel zwischen
deutet – 60 Jahre! Der Tradition zufolge den Krallen der aufsteigenden Groß-
starb Jesaja während der Regierung des macht Assyrien im Norden und denen
bösen Königs Manasse. des an Einfluss immer mehr abnehmen-
den Ägypten im Süden. Der zweite Teil
IV. Hintergrund und Thema des Buchs versetzt den Propheten im
Die Bedeutung des Namens »Jesaja« gibt Geist 200 Jahre in die Zukunft, in der Ba-
auch das Hauptthema seines Buchs an: bylon die Großmacht sein würde.

Einteilung
D. Gericht über die Völker
I. Weissagungen über Strafen und (Kap. 13-24)
Segnungen zur Zeit Jesajas 1. Gericht über Babylon
(Kap. 1-35) (13,1 - 14,23)
A. Gericht über Juda und 2. Gericht über Assyrien
Jerusalem; aber immer wieder (14,24-27)
schimmert Herrlichkeit 3. Gericht über Philistäa
hindurch (Kap. 1-5) (14,28-32)
1. Gottes Rechtsstreit mit 4. Gericht über Moab
Israel (Kap. 1) (Kap. 15-16)
2. Zukünftige Segnungen 5. Gericht über Damaskus
durch Reinigung (Kap. 2-4) (Kap. 17)
3. Israels Bestrafung wegen 6. Gericht über ein
seiner Sünden (Kap. 5) ungenanntes Land in
B. Jesajas Berufung, Reinigung Afrika (Kap. 18)
und Sendung (Kap. 6) 7. Gericht über Ägypten
C. Das Buch über Immanuel (Kap. 19-20)
(Kap. 7-12) 8. Gericht über Babylon
1. Die wunderbare Geburt (21,1-10)
des Messias (Kap. 7) 9. Gericht über Duma (Edom)
2. Das wunderbare Land des (21,11-12)
Messias (Kap. 8 -10) 10. Gericht über Arabien
3. Das zukünftige (21,13-17)
Tausendjährige Reich des 11. Gericht über Jerusalem
Messias (Kap. 11-12) (Kap. 22)

930
Jesaja

12. Gericht über Tyrus 3. Trost durch den Heiligen


(Kap. 23) Israels (Kap. 41)
13. Gericht über die ganze 4. Trost durch den Knecht
Erde (Kap. 24) des HERRN (Kap. 42)
E. Das Buch der Lieder 5. Trost durch die Wieder­
(Kap. 25-27) herstellung Israels
1. Israels Loblied über die (Kap. 43-44)
Segnungen des Reiches 6. Trost durch Kyrus, Gottes
(Kap. 25) Gesalbten (Kap. 45)
2. Judas Lied für den »Fels 7. Trost durch den Fall der
der Ewigkeiten« (Kap. 26) babylonischen Götzen
3. Gottes Lied über die (Kap. 46)
Erlösten Israels (Kap. 27) 8. Trost durch den Fall
F. Der Fall und der Babylons (Kap. 47)
Wiederaufstieg Israels und 9. Trost wegen der Rückkehr
Jerusalems (Kap. 28-35) Israels nach der
1. Wehe über Ephraim/Israel Züchtigung (Kap. 48)
(Kap. 28) B. Der Messias und seine Verwer­
2. Wehe über Ariel/Jerusalem fung durch Israel (Kap. 49-57)
(Kap.29) 1. Der Messias als Knecht
3. Wehe über das Bündnis (Kap. 49)
mit Ägypten (Kap. 30-31) 2. Der Messias als der wahre
4. Die Herrschaft des Jünger (Kap. 50)
gerechten Königs (Kap. 32) 3. Der Messias als der gerech­
5. Wehe über den Verwüster/ te Herrscher (51,1 - 52,12)
Assyrien (Kap. 33) 4. Der Messias als das
6. Wehe über alle Völker Sünden tragende Opfer
(Kap. 34) (52,13 - 53,12)
7. Die Herrlichkeit des kom­­­­­­­­­­­­­­­­­­­ 5. Der Messias als Erlöser
menden Reiches (Kap. 35) und Wiederhersteller
II. Historischer Einschub: Das Buch (Kap. 54)
über Hiskia (Kap. 36-39) 6. Der Messias als der
A. Hiskias Errettung von Assyrien Weltevangelist (55,1 - 56,8)
(Kap. 36-37) 7. Der Messias als der Richter
1. Assyriens Trotz Gott der Übeltäter (56,9 - 57,21)
gegenüber (Kap. 36) C. Israels Sünde, Gericht, Buße
2. Gott vernichtet Assyrien und Wiederherstellung
(Kap. 37) (Kap. 58-66)
B. Hiskias Krankheit und 1. Die Freuden wahrer
Genesung (Kap. 38) Geistlichkeit (Kap. 58)
C. Hiskias Sünde (Kap. 39) 2. Die Ungerechtigkeiten
III. Weissagungen der Tröstung vom Israels (Kap. 59)
Standpunkt einer zukünftigen 3. Die zukünftige Herrlichkeit
Gefangenschaft aus betrachtet Zions (Kap. 60)
(Kap. 40-66) 4. Die Dienste des Messias
A. Der Trost durch Israels kom­ (Kap. 61)
mende Erlösung (Kap. 40-48) 5. Die künftigen Freuden
1. Trost durch Gottes Ver­ge­ Jerusalems (Kap. 62)
bung und Frieden (40,1-11) 6. Der Tag der Rache (63,1-6)
2. Trost durch die Eigen­ 7. Das Gebet des Überrests
schaften Gottes (40,12-31) des Volkes (63,7 - 64,12)

931
Jesaja 1

8. Die Antwort des HERRN 9. Die Vollendung: Friede


auf das Gebet des wie ein Strom (Kap. 66)
Überrests (Kap. 65)

Kommentar sam und Gaben ohne deren Geber ab-


lehnt. Solange die Israeliten in Sünden
I. Weissagungen über Strafen leben, ist ihre Anwesenheit im Tempel
und Segnungen zur Zeit Jesajas nur ein dreistes Zertreten seiner Vor­
(Kap. 1-35) höfe. Die Vermischung von Sünde und
Festversammlungen ist ihm ein Gräuel.
A. Gericht über Juda und Jerusalem; Er wird nicht auf ihre ausgebreiteten
aber immer wieder schimmert Hände und vielen Gebete achten.
Herrlichkeit hindurch (Kap. 1-5) W.E. Vine warnt die Gläubigen von
heute vor derselben Gefahr:
1. Gottes Rechtsstreit mit Israel (Kap. 1)
1,1 Der erste Vers des Jesajabuchs Bloße äußerliche Religiosität ist immer
gleicht einer Überschrift; seine histori- ein Mantel, mit dem man seine Un­
sche Bedeutung wurde in der Einfüh- gerechtigkeit verhüllt. Der Herr fällt dar­
rung behandelt. über in Matthäus 23 sein vernichtendes
1,2-3 Das gesamte Universum wird Urteil. Diese schuldhafte Haltung des Ju-
aufgerufen, einem Gericht beizuwoh- dentums zeigt sich auch weithin in der
nen, in dem Gott der Richter ist und Christenheit. Das Gewissen eines Gläu-
Juda und Jerusalem die Angeklagten bigen kann so sehr abgestumpft sein,
sind. Die Anklage wirft den Juden vor, dass man religiöse Handlungen ausüben
dass sie widerspenstige Kinder seien, und gleichzeitig in Sünde leben kann.6
die von Gott abgefallen sind und nicht
die natürliche Dankbarkeit und Er­ 1,16-17 Was war zu tun? Sie sollten sich
gebenheit zeigen, die man sogar von waschen durch Buße und indem sie das
Haustieren erwarten kann. Böse nicht mehr ausübten, dann sollten
1,4-6 Das schuldbeladene Volk von sie Gutes tun und für soziale Gerechtig-
Übeltätern hat den Heiligen Israels ver- keit sorgen.
worfen. Gottes Züchtigungen haben 1,18-20 Sobald sie dieser göttlichen
nicht gefruchtet, obwohl der ganze Kör- Argumentation folgen, werden sie von
per voller Wunden und Striemen und ihren Sünden gereinigt, auch wenn die-
frischen Schlägen ist. se noch so tief sitzen, und sie sollen das
1,7-9 Mit Vers 7 beginnt der Prophet Gute des Landes genießen, das Gott ih-
die Zukunft zu beschreiben, als habe sie nen versprochen hat. Kennzeichnend
schon stattgefunden.5 Eingedrungene ist für den evangelistischen Propheten,
Feinde haben Israel zur Öde gemacht. dessen Name »die Rettung des HERRN«
Jerusalem, die Tochter Zion, gleicht bedeutet, dass er schon gleich am An-
einer armseligen, für kurze Dauer er- fang die wunderbare Einladung aus-
richteten Hütte, die verlassen im Elend spricht:
steht. Würde Gott in seiner Gnade nicht »Kommt doch, wir wollen mitein­
einen ganz kleinen Überrest verscho- ander rechten! spricht der HERR. Wenn
nen, wäre das Verderben so vollständig eure Sünden wie Scharlach sind, sollen
wie das von Sodom und Gomorra. sie weiß werden wie der Schnee; wenn
1,10-15 Die Anführer des Volkes von sie rot sind wie Karmesin, sollen sie
Jerusalem (Sodom und Gomorra) soll- weiß wie Wolle werden« (Schl 2000).
ten begreifen, dass Gott Rituale ohne Die göttliche Argumentation, die vom
innere Wirklichkeit, Opfer ohne Gehor- Glauben angenommen wird, lehrt uns,

932
Jesaja 1 und 2

dass es Reinigung von der Sünde gibt, völker werden nach Zion pilgern, um
dass diese Reinigung aber völlig unab- anzubeten und um göttliche Unterwei-
hängig ist von menschlichem Verdienst sung zu erhalten.
oder Bemühungen und nur durch die 2,4 Der König wird internationale
Erlösung zustande kommt, die der Herr Probleme schlichten und abschließende
Jesus bewirkte, als er am Kreuz sein Urteile fällen für viele Völker. Daraus
Blut vergoss. Wer kennt die großen wird sich eine allgemeine Abrüstung
Scharen, die der Einladung von Jesaja ergeben.7 Die für Waffen verbrauchten
1,18 gefolgt sind? Und sie ergeht noch Mittel werden für die Landwirtschaft
heute in alle Welt! eingesetzt. Diese Eingangsverse erin-
Wenn sich die Menschen aber wei- nern an Micha 4,1-3, entweder weil sie
gern und widerspenstig sind, dann durch denselben Heiligen Geist inspi-
wartet auf sie die Vernichtung. riert wurden, oder weil ein Prophet wo-
1,21-23 Jerusalem ist nicht mehr eine möglich den anderen zitierte.
Stadt der Treue, des Rechts und der Ge- 2,5 Die herrliche Aussicht auf das
rechtigkeit. Sie ist zu einer Hurenstadt Reich Christi bewegt Jesaja zu dem
und einer Zuflucht von Mördern ge- Aufruf an das Volk von Juda, augen-
worden. Alles Wertvolle ist darin ver- blicklich Buße zu tun.
dorben, und ihre Obersten sind Diebes- 2,6-9 Dann wendet sich Jesaja direkt
gesellen. Überall gibt es Bestechung an Gott und zählt ihm die Sünden des
und Ungerechtigkeit. Volkes auf, die zu dessen Elend geführt
1,24-31 Darum wird Gott seinen Zorn haben. Statt auf den HERRN gehört zu
ausgießen über alle, die sich durch ihre haben, befragten die Juden Wahrsager
Sünde als seine Feinde erweisen. Seine aus dem Osten und wurden zu Zauber-
Gerichte werden alle Unreinheit besei- ern wie die Philister. Sie gingen ver­
tigen und Jerusalem zu ihrer früheren botene Bündnisse mit den Heiden ein.
Herrlichkeit zurückbringen. Gottes Ge- Im Ungehorsam gegenüber dem Gesetz
rechtigkeit wird für die Errettung derer Gottes häuften sie sich finanzielle Reich-
bürgen, die Buße tun. tümer auf sowie Pferde und Wagen, auf
Der zusammengesetzte Name Gottes, die sie ihre Sicherheit setzten. Sie be­
»HERR der Heerscharen«, bestätigt die teten die selbst gemachten Götzen an.
Unabwendbarkeit der angekündigten Das waren die Gründe, weshalb Gott
Gerichte. sie demütigte und ihnen nicht vergab.
Die Sünder und Abtrünnigen werden Der Ausdruck: »voll von Wahrsagern
beschämt wegen der Terebinthen und aus dem Osten« beschreibt sehr gut die
Gärten (mit Opferaltären für Götzen). heutige Popularität östlicher Religionen
Sie selbst werden den Terebinthen glei- in den westlichen Ländern.
chen, deren Laub verwelkt, und den 2,10-11 Nun wendet sich der Seher
dürren Gärten ohne Wasser. Anführer, wieder dem Volk zu und ermahnt es,
die sich auf ihre Stärke verlassen (»der sich vor dem schrecklichen Zorngericht
Starke«) werden zu Werg, das durch ihr des HERRN zu verbergen, der den
eigenes böses Tun entzündet wird. Hochmut des Mannes erniedrigen
wird.
2. Zukünftiger Segen durch Reinigung 2,12-18 Ohne Übergang blickt Jesaja
(Kap. 2-4) nun auf das Gericht an jenem Tag des
2,1-3 Der Sohn des Amoz blickt nun HERRN, der dem Herrschaftsantritt
über das gegenwärtige Chaos hinaus Christi vorausgehen wird. Der HERR
auf das herrliche Reich des Messias. der Heerscharen wird mit allem mensch-
Am Ende der Tage wird Jerusalem fest- lichen Hochmut abrechnen, sowohl mit
stehen und die religiöse und politische dem persönlichen Hochmut (Zedern
Hauptstadt der Welt sein. Die Heiden- und Eichen) als auch mit Regierungen

933
Jesaja 2 bis 4

(hohe Berge) oder militärischen Mäch- die Führer an, sich auf Kosten der Ar-
ten (Turm und Mauer) oder wirtschaft- men bereichert zu haben (zweifellos
licher Macht (Schiffe und kostbare durch Bestechung und Erpressung).
Boote8). Die Erhabenheit des Menschen Weil sie schuldig gesprochen sind, wird
wird erniedrigt, und der HERR allein das Urteil gefällt.
wird erhöht sein. Die Götzen wird man 3,16-24 Als Nächstes kommt das ver-
wegtun. nichtende Urteil über die Frauen von
2,19-22 Die Menschen werden sich Juda wegen ihres Stolzes, ihres zweideu-
verbergen, wo sie nur können. Dann tigen und extravaganten Gehabes, ihrer
wird sich zeigen, wie wenig Zuversicht teuren Kleider und ihres Schmucks. Die
auf den vergänglichen Menschen zu mit teuren Kosmetika behandelten Ge-
setzen ist. Nur der HERR ist des un­ sichter werden grindig und ihre Körper
geteilten Vertrauens seines Volkes wür- aller Eleganz beraubt sein. Statt feine
dig. Damen zu sein, werden sie zu Flüchtlin-
3,1-5 An dem in 2,20 angesprochenen gen werden ‒ in Säcke gehüllt, die nach
Tag wird der HERR alle verantwort­ Moder riechen, mit Stricken umgürtet ‒,
liche Führerschaft hinwegnehmen, auf die kahl geschoren sind und ein Brand-
die das Volk sich verließ. Das Fehlen mal als Erkennungszeichen tragen.
von Brot und Wasser mag auf Hungers- 3,25 - 4,1 Ein weiteres Übel wird der
nöte hinweisen, doch mögen hier auch Verlust ihrer Männer im Krieg sein. Die
die entscheidenden Führer damit ge- Dezimierung der Männer wird dazu
meint sein, wie der folgende Vers ver- führen, dass sieben Frauen einem einzi-
muten lässt. Es wird an fähigen, brauch- gen Mann aggressiv Heiratsanträge
baren Leitern in allen Lebensbereichen machen, indem sie versprechen, für
mangeln. Und es wird eine Zeit der Un- sich selbst sorgen zu wollen, wenn sie
terdrückung, der Anarchie, der Über- nur seinen Namen tragen dürfen und
heblichkeit, der Respektlosigkeit und die Schmach des Unverheiratetseins
der Widersetzlichkeit sein. und der Kinderlosigkeit losgeworden
3,6-8 Die Menschen werden ver­ sind.
suchen, einen Verwandten dazu zu 4,2-6 Der Rest des Kapitels blickt vor-
bringen, sich um den Trümmerhaufen aus auf die Herrlichkeit des Reiches
zu kümmern, doch dieser wird das ab- Christi. Er ist der schöne und herrliche
lehnen, weil es ihm an Brot und an Spross von Vers 2. Matthew Henry
einem Mantel in seinem Haus fehlt. schreibt dazu:
Und niemand trägt die Schuld an dieser
Not, sagt Jesaja, als nur das Volk selbst. Er ist der Spross des HERRN, der Mann,
3,9-12 In Vers 9 beginnt der Prophet der Spross; das ist einer seiner propheti-
mit einer Reihe von acht »Wehe«- schen Namen: mein Knecht, Spross ge-
Rufen, zwei stehen in diesem Kapitel, nannt (Sach 3,8; 6,12), der Spross der Ge-
die anderen sechs in Kapitel 5. Der erste rechtigkeit (Jeremia 23,5; 33,15), ein
klagt den Pöbel der Parteilichkeit und Zweig aus dem Stumpf Isais und ein
Schamlosigkeit an. Der zweite tadelt Schössling aus seinen Wurzeln (Kap.
das Volk wegen seiner Bosheit, doch 11,1), und hierauf wird nach Meinung ei-
wird dem gerechten Rest des Volkes niger in Matthäus 2,23 angespielt, wo er
Segen verheißen. Eine Frucht der Taten ein »Nazarener« genannt wird. Hier
des Volkes ist, dass es von unerfah­ wird er der Spross des HERRN genannt,
renen und unreifen Menschen (Mutwil- weil er durch seine Macht gepflanzt wur-
ligen) sowie von Schwachen (Frauen) de und zu seinem Lobpreis wächst und
und Verführern beherrscht wird. gedeiht. Die alte chaldäische Umschrei-
3,13-15 In diesen Versen lädt der bung liest hier: »der Christus oder Mes­
HERR Israel vor sein Gericht. Er klagt sias des HERRN«.9

934
Jesaja 4 und 5

Er ist auch die Erstlingsfrucht des Lan- Das erste »Wehe«: Gierige Grundbesit-
des, dessen sich das wiederhergestellte zer versuchen alle Häuser aufzukaufen,
Israel rühmt. Die Ungläubigen werden sodass akute Wohnraumnot entsteht,
bei dem zweiten Erscheinen des Herrn während sie allein im Luxus leben. Die
Jesus vernichtet sein. Die erretteten Ju- Gefangenschaft wird viele Häuser leer
den, die zum Leben aufgeschrieben stehen lassen, und das Land wird nur
sind in Jerusalem, werden heilig hei- spärlichen Ertrag bringen. Weinberge
ßen. Die Reinigung in Vers 4 wird durch von fünf Juchart Größe (Juchart = ein
Gericht und nicht durch das Evange­ Stück Land, das man an einem Morgen
lium bewirkt. Der Berg Zion wird von pflügen konnte) werden nur ein Bat
einer Wolke am Tag und von flammen- Wein (= 22 Liter) bringen, und beim Ge-
dem Feuer bei Nacht bedeckt sein als treide wird nur ein Zehntel von dem
Zeichen der göttlichen Fürsorge und Ausgesäten geerntet.
Bewahrung. 5,11-17 Das zweite »Wehe«: Es betrifft
hartnäckige Alkoholiker, die von mor-
3. Israels Strafe wegen seiner Sünden gens bis abends trinken und feiern und
(Kap. 5) lärmen, ohne auch nur im Geringsten
5,1-2 In dem Lied, das Jesaja für seinen an Gott und sein Handeln zu denken.
Geliebten singt (d.h. für den HERRN), Gerade wegen dieser Art von gedan-
besinnt er sich darauf, wie freundlich kenlosem Verhalten naht die Verban-
der Herr sich um seinen Weinberg ge- nung. Die Vornehmen und die lärmen-
kümmert hat. Gott wählte den besten de Menge werden Hungersnot erfahren
Ort, kultivierte das Land und bepflanz- und danach den Tod. Keine Gesell-
te ihn mit Edelreben, er beschützte ihn schaftsschicht wird dieser Demütigung
und baute eine Kelterkufe in der Hoff- entgehen. Aber Gott wird durch sein
nung auf eine gute Ernte. Statt der er- gerechtes Gericht bestätigt werden,
warteten Früchte (Gehorsam, Dank, wenn fremde Beduinen ihre Herden
Liebe, Anbetung, Dienst für ihn) fand zwischen den Trümmerstätten Israels
er nichts als unangenehm riechende weiden lassen.
schlechte Beeren (Ungehorsam, Aufleh- 5,18-19 Das dritte »Wehe« betrifft die
nung, Götzendienst). hart gesottenen Lügner und Gottesleug-
5,3-6 Aufgebracht fragt der HERR ner, die an die Sünde gekettet sind und
Juda, was er noch hätte tun können und Schuld und Strafe auf sich ziehen. Sie
warum man ihm alles so schlecht ver- fordern Gott heraus, er solle sich mit
galt. Dann verkündet er dem Volk die seiner Strafe beeilen, die er ihnen an­
bevorstehende Strafe. Er würde Judas gedroht hat.
schützenden Zaun entfernen. Das Land 5,20 Das vierte »Wehe« gilt denen, die
würde überfallen und verwüstet wer- moralische Unterscheidungen verwi-
den; es würde Dornen und Disteln tra- schen und den Unterschied zwischen
gen und von Dürre geplagt sein. All das gut und böse leugnen.
weist natürlich auf die bevorstehende 5,21 Das fünfte »Wehe« trifft eingebil-
Gefangenschaft hin. dete Menschen, die sich nichts sagen
5,7 Die Ursache dafür liegt auf der lassen.
Hand: Als Gott auf Recht und Gerech- 5,22-23 Das sechste »Wehe« verurteilt
tigkeit wartete, sah er nichts als Mord Richter, die Helden beim Weintrinken
und hörte das Geschrei der in den Staub sind und die Gerechtigkeit durch Be­
Getretenen. stechung untergraben.
5,8-10 In den Versen 8 bis 23 finden 5,24-25 Diese bösen Menschen, die
wir sechs Weherufe als Fortsetzung von keine Ehrfurcht vor Gottes Wort haben,
Kapitel 3. Diese Weherufe ergehen ge- werden wie dürres Gras in einem Step-
gen verschiedene Sünden: penbrand verzehrt werden. Gott wird

935
Jesaja 5 bis 7

mit seinem Volk ins Gericht gehen; die sich dem Herrn, und der Herr gab ihm
Berge werden erbeben und die Straßen seinen Auftrag.
mit Leichen übersät sein. 6,9-10 Er sollte einem Volk das Wort
5,26-30 Er wird die Babylonier herbei- Gottes verkünden, das dem Gericht der
pfeifen. Man sieht ihre Truppen heran- Verblendung und Verhärtung überlie-
marschieren, kraftvoll, gut gekleidet fert würde, weil es die Botschaft Gottes
und gut ausgerüstet. Ihre Rosse und verwerfen würde. Vers 9 und 10 be-
Streitwagen kommen schnell und schreiben nicht das Ziel von Jesajas
Schrecken verbreitend heran. Das Heer Dienst, sondern sein unausweichliches
fällt wie eine Löwin über das Volk her Ergebnis. Diese Verse werden im
und verschleppt es in die Verbannung. Neuen Testament zitiert, um die Ver-
Das ist ein finsterer Tag für Juda! werfung des Messias durch Israel zu
erklären. Vine schreibt:
B. Jesajas Berufung, Reinigung und
Sendung (Kap. 6) Das Volk hatte dermaßen hartnäckig sei-
6,1 Im Todesjahr des Königs Usija10 hat- ne Wege verdorben, dass es keine Mög-
te Jesaja eine Vision des Königs der Kö- lichkeit zur Bekehrung und Heilung
nige. Aus Johannes 12,39-41 erfahren mehr gab. Ein Mensch kann sich so im
wir, dass dieser König niemand anders Bösen verhärten, dass sein Zustand un-
ist als der Herr Jesus Christus. F.C. Jen- umkehrbar ist, und das ist dann Gottes
nings sagt dazu: vergeltendes Gericht über ihn.13

Er war wie Johannes auf Patmos »im 6,11-13 Die Frage »Wie lange?« fragt
Geist« und sah den Herrn (Adon, so wird nach der Dauer des göttlichen Gerichts
Gott als der absolute Herr über alles be- über das Volk. Die Antwort lautet: »Bis
zeichnet, und hier wie in Römer 9,5 ist es die Städte verwüstet sind, ohne Bewoh-
»Christus …, der über allem ist, Gott, ge- ner, und die Häuser ohne Menschen
priesen in Ewigkeit«) ausgestattet mit al- und das Land zur Öde verwüstet ist.«
ler Majestät und Herrlichkeit. Er sitzt auf Gott wird einen Überrest übrig lassen
einem Thron, der selbst schon »hoch und (ein Zehntel), aber selbst dieser Über-
erhaben« ist, denn »sein Thron regiert rest wird durch tiefe Drangsal gehen.
über alles«; und doch, während er auf Dieser heilige Samen gleicht dem
seinem erhabenen Thron sitzt, erfüllen Stumpf eines großen Baumes, der die
die Säume seines Gewandes den groß­ Zerstörung des übrigen Baumes über-
artigen Tempel.11 lebt.

6,2-5 Ihm dienten himmlische Wesen, C. Das Buch über Immanuel (Kap. 7-12)
die Serafim genannt werden;12 vier Flü-
1. Die wunderbare Geburt des Messias
gel gebrauchten sie, um ihre Ehrfurcht
(Kap. 7)
auszudrücken, und zwei für den Dienst.
Sie verkünden feierlich die Heiligkeit 7,1-2 Die Kapitel 7 bis 12 werden wegen
Gottes und fordern, dass Gottes Knech- der klaren Weissagungen auf Christus
te gereinigt werden, bevor sie ihm die- das Buch über Immanuel genannt.
nen können. Zwischen Kapitel 6 und Kapitel 7
Dieses Gesicht bewirkte eine tiefe übergeht Jesaja die Regierung Jotams
Überführung von Sünde in dem Pro- und nimmt den Bericht während der
pheten, die ihn zum Sündenbekenntnis Zeit des Königs Ahas wieder auf. Es ist
führte. die Zeit, in der Aram (Syrien) und
6,6-8 Diesem folgte augenblicklich Ephraim (Israel) ein Bündnis gegen Juda
die Reinigung. Erst dann vernahm Jesa- geschlossen haben und Jerusalem be-
ja den Ruf des Herrn. Sofort weihte er drohen.

936
Jesaja 7

7,3 Jesaja und sein Sohn Schear- und das alle »dem Haus David« gegebe-
Jaschub14 gehen hinaus, dem König nen Prophezeiungen und Verheißungen
Ahas entgegen an das Ende der Wasser- zur Vollendung führen würde. Ahas und
leitung des oberen Teiches, zur Straße die Männer seines Schlages würden kei-
des Walkerfeldes. Vielleicht hatte sich nen Anteil an den Segnungen und Herr-
der König dorthin begeben, um die lichkeiten haben, die die Erfüllung dieses
Sicherung der Wasserversorgung der Zeichens mit sich bringen würde.15
Stadt zu überprüfen. Das Walkerfeld
war die Fläche, auf der die Menschen 7,14 Wie so manche Weissagung, so
ihre frisch gewaschene Wäsche zum scheint auch diese eine frühe Erfüllung
Bleichen auslegten. (in den Tagen des Ahas) und eine späte-
7,4-9 Der Herr versichert Ahas durch re, vollständige Erfüllung (mit dem Ers-
den Propheten, er brauche sich nicht zu ten Kommen Christi) gefunden zu ha-
fürchten. Die Könige von Aram und Is- ben. Vers 14 weist unmissverständlich
rael (Rezin und Pekach) sind nichts als auf Christus hin, den Sohn der Jung-
rauchende Holzscheitstümpfe, die kurz frau16, dessen Name anzeigt, dass er
vor ihrer Vernichtung stehen. Obwohl »Gott mit uns« (hebräisch Immanuel) ist.
die Verbündeten planen, Juda anzu- Wir zitieren nochmals Vine:
greifen und einen sonst unbekannten
Sohn Tabeals zum Marionettenkönig zu »Siehe«, so wird bei Jesaja immer et-
machen, wird ihr Plan ganz und gar was eingeführt, was sich auf die Zu-
fehlschlagen. (Tatsächlich fielen Aram kunft bezieht. Die Wahl des Wortes
und Israel in Juda ein; doch ließ der alma ist bezeichnend. Im Unterschied zu
Druck sofort nach, als Assyrien auf den betula (das ist ein Mädchen, das bei den
Plan trat.) So sicher wie Arams Haupt- Eltern wohnt und dessen Heirat noch
stadt Damaskus und Rezin dort König nicht bevorsteht) ist alma eine erwach­
ist, so sicher wird Israel nach 65 Jahren sene, heiratsfähige Frau.17
erobert werden. (Die Erfüllung finden
wir in 2. Könige 17.) So sicher wie Sa- 7,15-17 Die Verse 15 und 16 können sich
maria Israels Hauptstadt und Pekach auf Jesajas zweiten Sohn, Maher-Scha-
dort König ist, so sicher wird Ahas zu- lal-Chasch-Bas, beziehen, der in 8,18
schanden werden, wenn er dem Wort ein Zeichen genannt wird. Dieser von
des Herrn nicht glaubt. einer Jungfrau geborene Sohn wird in
7,10-13 Der HERR fordert nun Ahas Armut leben (Rahm und Honig essend),
auf, ein Zeichen zu erbitten, auf der bis er so alt wird, dass er verantwortlich
Erde oder am Himmel, das ein Beweis handeln kann. Aber bevor er so alt wird,
dafür ist, dass das Bündnis zwischen soll das Land von Aram und Israel ver-
Aram und Israel gegen Juda nichts aus- lassen sein, und das Bündnis, vor dem
richten wird. Ahas will aber sein Ver- sich Juda fürchtete, würde zerbrechen.
trauen auf den Schutz durch Assyrien Doch wird Gott auch Juda durch die
nicht aufgeben und weigert sich mit ge- Einfälle des Königs von Assyrien stra-
heuchelter Frömmigkeit und Demut. fen. Und wie?
Dem Herrn gefällt die Haltung des 7,18-22 Gott wird die Fliege (Ägyp-
Königs nicht, dennoch gibt er ihm das ten) und die Biene (Assyrien) herbei-
Zeichen. Vine schreibt: pfeifen, sie werden sich über Juda aus-
breiten. Assyrien wird Gottes gemiete-
Weil Ahas sich weigerte, ein Zeichen zu tes Schermesser sein, das Schande und
fordern, gab ihm der Herr eines nach sei- Elend über Juda bringt. Jennings sagt
ner Wahl, und zwar eins, dessen Bedeu- dazu:
tung sich auf Umstände bezog, die weit Wahrlich arm wird Juda in jenen
über die Zeit von Ahas hinausreichten, Tagen sein; denn der ganze Reichtum

937
Jesaja 7 bis 9

eines Mannes wird aus einer jungen verlassen, zum Heiligtum werden, für
Kuh und zwei Schafen oder Ziegen be- alle anderen aber zum Stein des An­
stehen. Doch wird die Weide des von stoßes.
den Menschen verlassenen Landes so 8,16-18 Jesaja befiehlt treuen Jüngern,
reichlich sein, dass diese drei Geschöpfe das Wort des Herrn aufzubewahren, bis
ihm alle Nahrung geben können, die er die Geschichte seine Erfüllung berich-
braucht oder die er bekommen kann.18 tet. Der Prophet will auf den Herrn
7,23-25 Das früher reichlich Frucht warten, der sich nun von seinem Volk
tragende Land wird mit Dornen und abgewandt hat, und will auf ihn hoffen.
Disteln überwuchert sein. Es wird nicht Jesaja (Jahwe rettet), Schear-Jaschub (ein
mehr beackerbar sein, sondern nur Überrest wird zurückkehren) und Maher-
noch als Viehweide taugen. Schalal-Chasch-Bas (bald kommt Plünde­
rung, rasch Raub) sind allein durch ihre
2. Das wunderbare Land des Messias Namen Zeichen und Wunder und wei-
(Kap. 8-10) sen auf die letztendliche Barmherzig-
8,1-4 Der Herr weist Jesaja an, auf eine keit Gottes gegenüber Juda und Israel
Tafel »Maher-Schalal-Chasch-Bas« zu und auf das Gericht über dessen Feinde
schreiben und zwei Zeugen zu nehmen, hin.
Uria, den Priester, und Secharja, den 8,19 Der Prophet warnt die Juden vor
Sohn des Jeberechja, die später diese denen, die ihnen raten, Totenbeschwö-
Botschaft bestätigen werden. Der Name rer und Wahrsager zu befragen. Die
bedeutet: »Bald kommt Plünderung, Menschen sollen sich an den lebendi-
rasch Raub«, und weist auf die Vernich- gen Gott wenden und nicht die Toten
tung Arams und Israels durch die Assy- wegen der Lebenden befragen. Die heu-
rer hin. Der HERR legt die Bedeutung tige Hingabe an den Okkultismus ist
aus, als er Jesaja anweist, sein neugebo- nichts Neues:
renes Kind so zu nennen.
8,5-10 Der HERR hat auch ein Wort Vor allen großen Krisen in den mensch­
über Israel. Weil das Volk des Nordrei- lichen Gesellschaften kam der Okkultis-
ches die Wasser von Siloah verworfen mus zum Ausbruch. So war es in Juda und
hat, die still dahinfließen, werden sie Israel kurz vor der Wegführung. So war es
überflutet werden von dem Strom, das zur Zeit der Menschwerdung und des
ist der Euphrat. Siloah (in Joh 9,7 »Si- Versöhnungstodes Christi. So ist es auch
loam« genannt) war die heimliche Was- heute. Gott hat in dem Wort der Wahrheit
serversorgung Jerusalems und wird alles vorbereitet, was zu unserer sicheren
hier als Bild für Gottes Wort der Gnade Führung und für unsere geistlichen Be-
oder für das Vertrauen auf den Herrn dürfnisse nötig ist (2Tim 3,16-17).19
gebraucht. Der »Strom« ist ein Bild von
Assyrien, das Israel und Aram erobern 8,20-22 Alle Lehrer müssen am Wort Got-
wird. Assyrien wird auch in Juda ein- tes geprüft werden. Stimmt ihre Lehre
fallen und die Weite des Landes Imma- nicht mit der Bibel überein, dann »ist
nuels überfluten, doch nicht mit end- kein Licht in ihnen« (KJV). Alle von ih-
gültigem Erfolg, nur bis an den Hals. nen Verführten werden in die Irre gehen,
Die Feinde Judas werden trotz all ihrer bedrückt und hungrig, und Gott und ih-
Pläne und Anschläge am Ende zer- ren König wegen ihrer Notlage verflu-
schmettert werden. chen. Sie werden himmelwärts und erd-
8,11-15 Der HERR weist Jesaja an, sich wärts blicken, doch nichts als Dunkelheit
nicht von der Furcht des Volkes vor der und dichte Finsternis finden.
Verschwörung anstecken zu lassen, 8,23 - 9,4 Nun werden wir weiterge-
sondern auf den Herrn allein zu ver- führt bis zum Kommen des Messias.
trauen. Er wird für alle, die sich auf ihn Die nördlichen Gebiete Israels, Land

938
Jesaja 9 und 10

Naftali genannt, die wegen der Erobe- 9,7-11 Wieder wendet sich der Pro-
rung in Verachtung geraten waren, phet dem Donner des Gerichts zu und
werden zu Ehren gebracht werden. Das teilt seine Botschaft in vier Teile ein, die
Galiläa (wörtl. der Kreis, das Gebiet) alle mit demselben Refrain enden: »Bei
der Heiden war die Heimat des Herrn alldem wendet sich sein Zorn nicht ab,
Jesus während seiner Kindheit und der und noch ist seine Hand ausgestreckt«
Schauplatz eines Teils seines öffent­ (V. 11.16.20; 10,4).
lichen Auftretens. Das Erste Kommen Unbeeindruckt von den vorherigen
Christi brachte Galiläa Licht. Sein Zwei- Strafen, will Israel in seinem Hochmut
tes Kommen wird dem ganzen Volk alles herrlicher wieder aufbauen, als es
Freude bringen und aller Sklaverei, al- gewesen ist. Doch der Herr verheißt
lem Krieg ein Ende bereiten. dem Volk den Angriff der Aramäer von
9,5 Das Erste Kommen Christi wird in Osten und den der Philister von Westen
Vers 5 beschrieben: »Denn ein Kind ist her.
uns geboren, ein Sohn ist uns gegeben.« 9,12-16 Weiter warnt er die Israeliten
Der erste Satzteil spricht von seinem vor der völligen Vernichtung der ge-
Menschsein, der zweite von seinem samten Bevölkerung, von dem geehrten
Gottsein. Der nächste Teil dieses Verses Ältesten bis zu den Propheten, die
weist auf sein Zweites Kommen hin: ihnen Lügen beibrachten. Weil die Gott­
die Herrschaft ruht auf seiner Schulter – losigkeit anhält, wendet sich der Zorn
er wird als König der Könige und als des Herrn nicht ab, und seine Hand
Herr der Herren regieren. Der Rest des bleibt zur Strafe, nicht zum Segnen aus-
Verses beschreibt seine persönlichen gestreckt.
Herrlichkeiten. 9,17-20 Wegen der allgemeinen Gott-
Man nennt seinen Namen: Wunderbarer losigkeit wird das Land vom Feuer des
– dieser Ausdruck ist ein Nomen, kein Bürgerkriegs verzehrt, von Anarchie,
Adjektiv, und spricht von seiner Person Hungersnöten, Plünderungen und
und seinem Werk. Kannibalismus.
Ratgeber – dies zeigt seine Regierungs- 10,1-4 Ein »Wehe« wird den Führern
weisheit. angekündigt, die die Geringen von
Starker Gott – dies weist auf seine All- ihrem Rechtsanspruch verdrängen und
macht, sein alles beherrschendes Regi- den Elenden ihr Recht rauben. Sobald
ment hin. das Gericht Gottes hereinbricht, werden
Vater der Ewigkeit – er ist die Quelle sie allen Reichtum verlieren, den sie mit
der Ewigkeit, er selbst ist ewig und gibt Raffgier und Erpressung erworben ha-
allen ewiges Leben, die an ihn glauben. ben.
Vine sagt dazu: »Hier haben wir eine 10,5-11 Gott wird Assyrien benutzen,
zweifache Offenbarung: 1. Er bewohnt um Juda zu strafen. Doch Assyrien hat
und besitzt die Ewigkeit (57,15); 2. Er ist noch größere Pläne. Es will durch Er­
voller Liebe und Erbarmen, ein allwei- oberungen ein Weltreich errichten. Es
ser Lehrer, Erzieher und Versorger.«20 rühmt sich, alle seine Obersten seien
Fürst des Friedens (Sar-Schalom) – er ist Könige, alle Städte, auf die es stoßen
der Eine, der am Ende dieser bedräng- wird, seien nicht bedeutender als die
ten Welt den Frieden bringen wird. schon eroberten und die Götzen Israels
9,6 Seine Herrschaft wird allumfas- und Judas seien nicht mit denen der
send, friedevoll und ohne Ende sein. Königreiche zu vergleichen, die schon
Während er auf dem Thron Davids erobert wurden, oder gar mit Assyrien
sitzt, wird er in Recht und Gerechtigkeit selbst.
regieren. Wie wird das alles ge­schehen? 10,12-19 Aber Gott wird den Stolz
Der Eifer des HERRN für sein Volk und die Überheblichkeit des Königs
wird dies tun. von Assyrien heimsuchen. Dieser

939
Jesaja 10 und 11

schreibt nämlich seinen Erfolg seiner Geist des HERRN drückt sich in drei
eigenen Kraft und Weisheit zu. Die Axt Paaren geistlicher Attribute aus. W.E.
in den Händen des Herrn sollte sich Vine erklärt sie klar und übersichtlich:
nicht rühmen gegen die Hände, die sie
halten. Eine schreckliche Katastrophe Das erste Paar, »der Geist der Weisheit
wird Assyriens stolze Krieger treffen, und des Verstandes«, bezieht sich auf
deren es sich rühmt und die es als die geistige Kräfte: Die Weisheit erkennt die
Herrlichkeit seines Waldes und seines Natur der Dinge, der Verstand erkennt
Fruchtgartens bezeichnet. Das »Licht ihre Verschiedenheit. Das zweite Paar,
Israels« ist der Herr, und für ihn sind »der Geist des Rates und der Kraft«, be-
die Truppen Assyriens Dornen und zieht sich auf praktische Tätigkeiten: Rat
Disteln. Die Überlebenden dieses Hee- ist die Fähigkeit, richtige Entschlüsse zu
res werden so wenige sein, dass ein fassen, und Kraft ist die Fähigkeit, diese
Knabe sie zählen könnte. in die Tat umzusetzen. Das dritte Paar,
10,20-23 An jenem Tag wird sich der »der Geist der Erkenntnis und der Furcht
Überrest Israels nicht mehr auf Assy­ des HERRN«, bezieht sich auf die Ge-
rien stützen, wie Ahas es tat, sondern meinschaft mit dem HERRN. Erkenntnis
auf den HERRN. Vieles aus dieser ist hier die Erkenntnis des HERRN (bei-
Weissagung weist auf das Zweite Kom- de Teile dieses Paares sind sprachlich mit
men des Herrn Jesus hin. »des HERRN« verknüpft). Christus selbst
10,24-27 Obwohl der assyrische Kö- hat gesagt: »Ihr habt ihn nicht erkannt
nig von Norden her gegen Jerusalem (ginōskō, d.h. ihr habt nicht angefangen,
heraufziehen wird, braucht sich das ihn zu erkennen), ich aber kenne ihn
Volk Juda nicht zu fürchten, weil der (oida: d.h. ich kenne ihn intuitiv und voll-
HERR der Heerscharen eingreifen wird, kommen)« – Johannes 8,55.22
wie er es gegen Midian und Ägypten
getan hatte. Juda wird dann vor der 11,3-5 Als Nächstes wird die völlige
Herrschaft Assyriens sicher sein. Unparteilichkeit der Herrschaft Christi
10,28-34 Mit den erwähnten Städten in majestätischer Sprache beschrieben;
haben wir eine anschauliche und leben- dann die Bestrafung der Bösen, ferner
dige Beschreibung der Marschroute der seine persönliche Gerechtigkeit und
Assyrer. Alles ist in panischer Flucht sein Regiment in Frieden und Sicher-
vor den vordringenden Invasoren. Am heit.
Ende kommen sie bis an den Berg Zion. 11,6-9a Selbst die wilden Tiere wer-
Dann greift der HERR ein und vernich- den sich der Herrschaft des Messias un-
tet das Heer, die Offiziere und die Sol- terwerfen, sodass es möglich wird, dass
daten, wie man einen Wald abholzt. ein Säugling am Loch der Viper spielen
kann.23
3. Das Tausendjährige Reich des Messias 11,9b Eine der herrlichsten Verhei-
(Kap. 11-12) ßungen der ganzen Bibel steht in der
11,1 Jesaja 11 ist einer der großartigsten zweiten Hälfte von Vers 9. Dort finden
Texte über das Tausendjährige Reich in wir den Grund für die wunderbaren
der gesamten Bibel. Ohne Übergang – wie Bedingungen während des Tausend­
so oft bei den Propheten – werden wir jährigen Reiches: Alles wird erfüllt sein
jetzt in die Zukunft versetzt, in die Zeit mit der Erkenntnis Gottes.
des Zweiten Kommens Christi. 11,10-16 Der Messias wird ein Feld-
Zuerst sehen wir die Abstammung zeichen, ein Banner sein, das die Völker
des Messias als Sohn Davids, ein Spross zu ihm zieht, und seine Ruhestätte wird
aus dem Stumpf Isais, des Vaters Da- herrlich sein. Der Herr wird den Über-
vids (1Sam 17,12).21 rest seines Volkes aus allen Richtungen
11,2 Die Salbung des Messias mit dem sammeln. Juda und Israel (Ephraim)

940
Jesaja 11 bis 13

werden in Frieden beieinanderleben 13,14-22 Dann wird es eine Massen-


und ihre Feinde bezwingen, die Philis- flucht aus Babylon geben. Die Fremden
ter, die Edomiter, Moabiter und Ammo- werden in ihre Länder zurückkehren.
niter. Die Meereszunge Ägyptens (das Diejenigen, die zurückbleiben, werden
Rote Meer) wird zerteilt, und der Strom schreckliche Grausamkeiten erleiden.
(der Euphrat) wird in sieben Bäche auf- Die Verse 19 bis 22 haben sich teilweise
gespalten, sodass die Juden in das Land erfüllt,24 doch ist die vollständige Er­
zurückkehren können. Eine Straße wird füllung noch zukünftig.
Assyrien und Israel verbinden, damit Es gibt gewisse Schwierigkeiten in
die Rückkehr aus dem Norden erleich- Bezug auf die Weissagungen über die
tert wird. Zerstörung Babylons, sowohl der Stadt
12,1-6 An diesem frohen Tag wird Is- als auch des Reiches (Jes 13,6-22; 14,4-
rael Lieder des Dankes und des Ver- 23; 21,2-9; 47,1-11; Jer 25,12-14; 50; 51).
trauens singen. Mit Freuden wird der Zum Beispiel führte die Eroberung
errettete Überrest seinen Durst stillen durch die Meder (Jes 13,17) im Jahr 539
an den Quellen des Heils. Israel wird v.Chr. nicht zu einer Zerstörung, die
auch als Gottes Sendbote die Völker mit der von Sodom und Gomorra zu
aufrufen und sie einladen, zu Christus vergleichen ist (Jes 13,19); die Stadt
zu kommen, um volles Genüge zu fin- blieb nicht für immer ohne Bewohner
den. (Jes 13,20-22); sie wurde nicht von ei-
nem Volk aus dem Norden zerstört –
D. Gericht über die Nationen Medo-Persien liegt im Osten (Jer 50,3);
(Kap. 13-24) die Eroberung führte auch nicht dazu,
dass ganz Israel oder mehr als nur ein
1. Gericht über Babylon (13,1 - 14,23)
Überrest von Juda den HERRN suchte
13,1-5 Die nächsten elf Kapitel enthal- und nach Zion zurückkehrte (Jer 50,4-
ten Weissagungen gegen heidnische 5); die Mauern wurden nicht abgebro-
Völker. Das erste ist Babylon, die Welt- chen und die Tore nicht verbrannt (Jer
macht, durch die Assyrien vernichtet 51,58).
wurde (etwa um 609 v.Chr.). In Kapitel Wenn wir auf derlei Schwierigkeiten
13 sehen wir Babylon, wie es von den stoßen, wie gehen wir damit um? Zu­
Medern und Persern erobert ist (539 allererst bekräftigen wir unser völliges
v.Chr.). Allerdings weisen auch einige Vertrauen auf Gottes Wort. Wenn es ir-
Prophezeiungen auf die endgültige gendeine Schwierigkeit gibt, so liegt es
Vernichtung Babylons am Ende der nur an unserem Mangel an Wissen und
Großen Drangsal hin (Offb 17-18). Erkenntnis. Wir erinnern uns auch, dass
Gott mustert das medo-persische Heer die Propheten oft die nahe Zukunft mit
(»meine Geheiligten«), das in die Tore der weit entfernten verbinden, ohne
der Edlen (die Stadt Babylon) einziehen immer auf den Wechsel der Zeit hinzu-
und das ganze Land zugrunde richten weisen. Mit anderen Worten: Eine Weis-
soll. sagung kann eine örtliche, teilweise Er-
13,6-13 Die Schrecken dieser Kata- füllung und eine in ferner Zukunft lie-
strophe werden danach beschrieben – gende vollständige Erfüllung haben.
Bestürzung und Nöte, dazu große Um- Das ist auch bei Babylon der Fall. Bisher
wälzungen am Himmel und eine furcht- haben sich nicht alle Weissagungen er-
bare Vernichtung großer Teile der Be- füllt; einige liegen noch in der Zukunft.
völkerung. Einige dieser Verse blicken Babylon ist dazu ausersehen, wäh-
über den medo-persischen Sieg hinaus rend der Drangsalszeit eine bedeutende
auf den Tag des HERRN, der die ganze Rolle zu spielen. Aber ihr Untergang ist
Welt betreffen und tatsächlich die Him- in lebendigen Bildern bereits in Offen-
mel erschüttern wird. barung 17 und 18 dargestellt. Vor dem

941
Jesaja 13 und 14

Zweiten Kommen Christi werden alle Aussagen auf den Lippen jedes ande-
Weissagungen über die Zerstörung Ba- ren außer Satan (siehe 1Tim 3,6).«26 Weil
bylons bis zum letzten i-Tüpfelchen er- dieser Glanzstern und Sohn der Mor-
füllt sein. Was uns heute unklar ist, wird genröte stolz seinen Willen gegen den
den dann Lebenden sonnenklar sein. Willen Gottes durchsetzen wollte, wur-
14,1-2 Der HERR wird sich über Ja- de er aus dem Himmel geworfen. Die
kob erbarmen und Israel wieder in sein Verse 13 und 14 wiederholen die be-
Land bringen. Heidenvölker werden rüchtigten »Ich-will«-Bekenntnisse, mit
den Israeliten dabei helfen und mit dem denen Satan sich trotzig gegen Gott auf-
Volk Gottes in Frieden leben. Israels lehnt. Schließlich wird er in den Scheol
frühere Unterdrücker werden seine verbannt, worüber sich alle verwun-
Knechte sein. dern. Die Bewohner des Scheols stau-
Mit »Jakob« und dem »Haus Israel« nen, dass jemand, der so viel Macht
sind die in Babylon gefangenen Juden ausübte, so tief erniedrigt wurde.
gemeint. Dass der HERR sie erwählt, 14,18-21 Dann wendet sich das Lied
bedeutet, dass er sie aus dem Land ih- zum König von Babylon zurück und er-
rer Gefangenschaft befreit und sie zu- wähnt, dass die meisten Könige in statt-
rückführt, damit sie in ihrem eigenen lichen Grüften beigesetzt wurden, ihm
Land wohnen. Jene Fremden, die dem aber ein gebührendes Grab verwehrt
Haus Jakob anhängen, sind die Prosely- wurde. Ihm wird kein Grabmal gesetzt,
ten aus Babylon. Die Völker, die sie an und sein königliches Geschlecht wird
ihren Ort bringen, bestehen aus denen, ausgerottet.
die aufgrund der Unterstützung von- 14,22-23 Die Stadt Babylon wird ent-
seiten des Kyrus den Juden bei ihrer völkert und von Gott gänzlich ausge-
Rückkehr halfen. fegt werden.
14,3-11 Frei von Verfolgungen und
hartem Dienst wird Israel ein Spottlied 2. Gericht über Assyrien (14,24-27)
über den König von Babylon singen: Das Thema wechselt nun zur Zerstö-
»Zerbrochen hat der HERR den Stab rung Assurs, das zu jener Zeit über Ba-
der Gottlosen …« Gottes Macht beende- bylon herrschte. Die assyrischen Heere
te alle Tyrannei. Nun kann sich die Erde werden auf den Bergen Israels vernich-
freuen, selbst die Wälder, die nicht län- tet werden.27 Die vollständige Erfüllung
ger von babylonischen Soldaten ab­ dieser Weissagung geschieht während
geholzt werden. Endlich Frieden! Die der Drangsalszeit, wenn der König des
Bewohner des Scheols begrüßen den Nordens bei dem Versuch, das Land
König Babylons und freuen sich, dass Immanuels zu zerstören, zurückge-
auch er aller Macht beraubt ist. Alle schlagen wird.
Pracht und Größe ist von ihm ge­
wichen, und die Hofkonzerte haben ein 3. Gericht über Philistäa (14,28-32)
Ende. Maden sind sein Bett, und mit 14,28-31 Die Philister sollten sich nicht
Würmern deckt er sich zu. über den Tod des Ahas freuen, des En-
14,12-17 Im weiteren Verlauf dieses kels Usijas, der hier als »Stock« bezeich-
Spottgesangs scheint sich das Thema net wird und der die Philister geschla-
über den König von Babylon hinaus auf gen hatte (2Chr 26,6-7). Ein weiterer
den auszudehnen, der ihn angetrieben Nachkomme, Hiskia, werde sie wie eine
hat, Satan, den Glanzstern (Luzifer)25 Otter, wie eine fliegende feurige Schlan-
selbst. Ryrie schreibt: »Dies ist offen- ge angreifen (siehe 2Kö 18,8). Danach
sichtlich ein Hinweis auf Satan, weil werden Gottes Geringe und Arme in
Christus ihn ähnlich beschreibt (Lukas Sicherheit sein, doch die Philister wird
10,18) – und wegen der Unangemessen- der HERR mit Hungersnot plagen und
heit der in Jesaja 14,13-14 gemachten die Überlebenden töten. Die einmar-

942
Jesaja 14 bis 17

schierenden Assyrer werden von Nor- 16,6-12 Der Untergang Moabs wurde
den kommen wie eine Rauchwolke, durch seinen Hochmut und seinen Stolz
doch Gottes Volk wird in Jerusalem verursacht. Überall wird Wehklagen zu
sicher sein. hören sein. Die Terrassengärten von
14,32 Wenn Boten aus den Heiden- Heschbon sind kahl, und die edlen
völkern fragen, was hier geschieht, wird Trauben von Sibma sind verdorben.
man ihnen sagen, dass der HERR seine Wieder trauert der Prophet selbst über
Verheißungen an Zion erfüllt und die das allgemeine Verderben. Wenn Moab
Bewohner von Jerusalem beschützt. zu seinen Götzen betet, wird es nichts
helfen.
4. Gericht über Moab (Kap. 15-16) 16,13-14 Zu Gottes vorherigen Weis-
15,1-7 Jesaja singt ein ausdrucksvolles sagungen über Moab fügt er jetzt noch
Klagelied über den Untergang Moabs. die Information hinzu, dies werde in-
Seine zwei stark befestigten Städte, Ar nerhalb von drei Jahren geschehen, wie
und Kir, werden plötzlich zerstört. Die die Jahre eines Tagelöhners – d.h. nicht
Städte und Dörfer brechen in laute Kla- eine Minute über die vereinbarte Zeit
gen aus. Selbst Jesaja wird vom Mitleid hinaus.
ergriffen über die Flüchtlinge, die das
Land verlassen. Das Land wird verwüs- 5. Gericht über Damaskus (Kap. 17)
tet, und das Volk strömt über die Gren- 17,1-3 Die dritte Weissagung gilt der
ze mit allem, was es an Wertsachen ret- Zerstörung von Damaskus, dem wich-
ten konnte. tigsten Stadtstaat in Aram (Syrien), und
15,8-9 Das Wehgeschrei ertönt über seinen Satellitenstädten. Wegen seines
die Grenzen Moabs hinaus. Der Name Bündnisses mit Aram wird es Ephraim
der Stadt Dibon (Sumpfgebiet) in Vers 2 (Israel) genauso ergehen. Ephraim wird
wird in Vers 9 zu Dimon. Das ist viel- seiner Befestigungen beraubt und Da-
leicht ein Wortspiel; denn Dimon er­ maskus seines Königtums und die über-
innert an das hebräische Wort für Blut, lebenden Aramäer ihrer Herrlichkeit.
dam. So werden die Wasser von Dimon Damaskus wurde durch die Heere der
voll Blut. Selbst die Entkommenen wer- Assyrer 732 v.Chr. zerstört, und Sama-
den noch niedergestreckt, als würde ein ria fiel zehn Jahre später.
Löwe über sie herfallen. 17,4-6 Am Tag des Gerichts wird Is­
16,1-2 Die Beschreibung der Vernich- rael geschändet und hungrig sein. Es
tung Moabs wird in Kapitel 16 fortge- wird abgeerntet werden wie die Felder
setzt. Den Moabitern, die nach Sela (d.h. der Talebene Refaim. Nur ein kleiner
Petra, die Hauptstadt Edoms) geflohen Überrest wird zurückbleiben.
sind, wird geraten, ein Lamm als Tribut 17,7-11 Dann werden die Israeliten zu
dem Beherrscher des Landes (d.h. dem dem wahren und lebendigen Gott, zu
König von Juda) zum Berg der Tochter dem Heiligen Israels, umkehren, der sie
Zion zu senden, also nach Jerusalem, so gemacht hat und werden allem absagen,
wie sie früher Lämmer nach Samaria ab- was mit Götzendienst zu tun hat. Fes­
geliefert hatten (2Kö 3,4). Die Menschen tungsstädte werden wüst liegen wie die
sind wie aufgescheuchte Vögel wegen verlassenen Waldeshöhen und Berggip-
des hereinbrechenden Unglücks. fel, nachdem die Israeliten sie er­obert
16,3-5 Der Herr rät den Moabitern, hatten. Und warum geschieht all dies?
seine jüdischen Flüchtlinge aufzuneh- Weil Gottes Volk ihn vergessen und aus-
men und sie zu beschützen; denn der ländische Weinranken gepflanzt hat,
Verwüster und Unterdrücker wird ein d.h. fremde Bündnisse schloss und frem-
Ende haben, und der Herr wird seinen de Religionen und Gebräuche annahm.
Thron aufrichten im Zelt Davids und in Die Ernte wird zur Katastrophe wer-
Recht und Gerechtigkeit regieren. den.

943
Jesaja 17 bis 19

17,12-14 Anfangend mit Vers 12 und über das Land herrschen. Eine schwere
das ganze Kapitel 18 hindurch haben Dürre wird die Wasserquellen austrock-
wir ein kurzes Zwischenspiel mit zwei nen und Missernten herbeiführen, die
Zielrichtungen. Beide beginnen mit Fischindustrie vernichten, die Baum-
»Wehe«. Im ersten Teil werden uns die wollwebereien zum Schließen zwingen
heidnischen Nationen gezeigt, die mit und alle Schichten der Bevölkerung zu-
dem schrecklichen Getöse moderner grunde richten, seien es die Führer oder
Kriegsführung auf Israel losgehen. Doch das gemeine Volk.
plötzlich treibt sie der Herr zurück, und 19,11-15 Die besten Ratgeber des Pha-
die Bedrohung Israels ist über Nacht rao, die in Zoan und Nof wohnen, wer-
vorüber, wie bei der Vernichtung des den nicht wissen, was in dieser Lage zu
Heeres der Assyrer. tun ist. Ihr Rat hat eigentlich diese Ka-
tastrophe über Ägypten hereinbrechen
6. Gericht über ungenannte Länder in lassen, sodass die Situation jetzt hoff-
Afrika (Kap. 18) nungslos ist.
18,1-7 Hier bedeutet das hebräische Die ersten 15 Verse haben sich schon
Wort eher ein »He!« als ein »Wehe«,28 erfüllt. Nach dem Tod Tirhakas, der zur
mit dem ein nicht identifiziertes freund- Zeit der Weissagungen Jesajas lebte,
liches Volk gerufen wird, das Boten an wurde das Land von Bürgerkriegen
das Volk Israel entsendet (V. 2.7). Der zerrissen und in zwölf Königreiche zer-
Ausdruck »Land des Flügelgeschwirrs« teilt, die alle von Assyrien unterjocht
mag auf den Wunsch hinweisen, Israel waren. Schließlich wurde das Land un-
»unter die Flügel« nehmen zu wollen. ter Psammetich, dem »harten Herrn«
Zur selben Zeit werden andere Hei- von Vers 4, wiedervereinigt. Der Rest
denvölker Israel ausrauben, während des Kapitels ist noch nicht erfüllt.
Gott ruhig zusieht. Aber am Ende wird 19,16-17 Wenn Gott seine Hand er-
Gott sie vernichten und ihre Leiber den hebt, wird die Bevölkerung von Angst
Tieren der Erde und den Raubvögeln geschüttelt. Die bloße Erwähnung Ju-
als Beute überlassen. das wird den Ägyptern ihr Herz sinken
Israel wird dann als ein Geschenk zu lassen.
dem HERRN der Heerscharen nach 19,18-20 Aber dem Land Ägypten ist
Zion gebracht werden (vgl. unrevidier- ebenfalls eine Wiederherstellung ver-
te Elberfelder, Schlachter 2000). Andere heißen. Fünf Städte werden Zentren der
Übersetzungen geben Vers 7 so wieder: Verehrung des HERRN der Heerscha-
In jener Zeit wird dem HERRN ein Ge- ren sein. Zu ihnen gehört Heliopolis
schenk gebracht werden von einem (Sonnenstadt), die hier aber Ir-Heres
Volk, das zertreten und beraubt ist … (Stadt des Niederreißens) genannt wird.
Diese Verse handeln jedenfalls von der Mitten im Land wird ein Altar des
Wiederherstellung Israels nach dem HERRN stehen und ein Gedenkstein
Zweiten Kommen Christi. für ihn an der Grenze. Beide werden
von dem HERRN Zeugnis ablegen. Jo-
7. Gericht über Ägypten (Kap. 19-20) sephus berichtet uns, dass diese Weis-
19,1-3 Wenn der HERR im Gericht über sagung im 1. vorchristlichen Jahrhun-
Ägypten kommt, werden die Götzen dert erfüllt wurde, als Onias, der Hohe-
beben, und das Volk wird in Panik ge- priester, nachdem er aus Jerusalem ge-
raten. Bürgerkrieg wird ausbrechen, flohen war, die Erlaubnis erhielt, in
und die besten Köpfe in der Regierung Ägypten einen Altar zu bauen. Doch
werden sich vergebens zu den Götzen vollständig wird diese Weissagung
und zu vielfältigen Formen des Spiritis- zweifellos erst im Tausendjährigen
mus flüchten. Reich erfüllt sein.
19,4-10 Ein grausamer König wird 19,21-22 Gottes Gericht über Ägypten

944
Jesaja 19 bis 21

wird dieses Volk dazu bringen, ihn an- den Waffen (»Salbt den Schild!«). Das
zubeten. bezieht sich natürlich auf Belsazars
19,23 Eine Straße wird von Ägypten Festmahl (Daniel 5).
(durch Juda) nach Assur führen und 21,6-10 Der HERR weist Jesaja an, ei-
alle drei Länder miteinander verbinden nen Späher aufzustellen, um die angrei-
und sie zur gemeinsamen Anbetung fenden Horden zu beschreiben, beson-
des HERRN bringen. ders die zahllosen berittenen Einheiten.
19,24-25 Dann wird Israel eins von Nachdem dieser Tage und Nächte ge-
den Dreien sein mit Ägypten und Assy- wartet hat, berichtet er die paarweise
rien. Sie werden also ein Dreierbündnis Ankunft von Reitern (NKJV; andere:
bilden und die Segnungen des Reiches Pferdegespannen). Dies weist vielleicht
Christi genießen. Man beachte die Wie- auf die Meder und Perser hin. Dann
derholung des Ausdrucks »an jenem verkündet er wie ein brüllender Löwe
Tag« (V. 16.18.19.21.23.24). den Fall Babylons und seiner Götzen-
20,1-6 Im Jahr 771 v.Chr. eroberte der Religion. Diese Ankündigung ist ein
Tartan (Oberbefehlshaber der Truppen) Trost für Israel, das von Babylon so sehr
des Königs Sargon von Assyrien die gedroschen und gesichtet worden war.
Philisterstadt Aschdod. In dieser Zeit Es ist gut, sich daran zu erinnern, dass
sagte der HERR dem Jesaja, er solle ent- diese Weissagung etwa zweihundert
blößt (das hieß damals: ohne Oberbe- Jahre vor dem Fall Babylons gemacht
kleidung, nicht völlig nackt) und barfuß wurde.
umhergehen als Zeichen und Wahrzei- Auch wir können Wächter für das
chen einer dreijährigen Demütigung, Reich Gottes sein:
die über Ägypten und Äthiopien kom-
men würde, wenn Assyrien bei ihnen Ein Wächter ist einer, der mit Gottes Rat-
einfällt. Dann wird das Volk Juda se- schlüssen vertraut ist, der weiß, was
hen, wie töricht es war, auf Ägypten als kommt, und danach Ausschau hält. So
Schutz vor Assyrien zu vertrauen. (Ei- auch jetzt, wer aus der gesamten Schrift
nige Kommentatoren beziehen die Ver- gelernt hat, was Gott vorhergesagt hat,
se 5 und 6 auf die Philister ‒ oder auf und seine Absichten kennt – nicht durch
Juda und Philistäa.)29 Spekulationen und eigenmächtige Aus-
legungen, sondern indem er Schrift mit
8. Gericht über Babylon (21,1-10) Schrift vergleicht und das annimmt, was
21,1-4 Die drei Weissagungen in Kapitel darin deutlich gesagt wird ‒, der wird
21 bringen nichts Gutes für Babylon, dadurch fähig, andere zu warnen und zu
Edom und Arabien. ermahnen. Er steht auf dem Wachtturm
Die »Wüste des Meeres« ist Babylon, (V. 8) und hat dort mit Gott Gemein-
vielleicht der Teil, der an den Persischen schaft.30
Golf grenzt. Die Vernichtung kommt
wie wilde Stürme aus der Negev-Wüs- 9. Gericht über Duma (Edom) (21,11-12)
te. Weil Babylon immer noch raubt und Duma ist Idumäa oder Edom. Ein be-
zerstört, wird es von den Persern (Elam) sorgter Edomiter fragt den Wächter,
und den Medern belagert und erobert. wie weit die Nacht schon vergangen
Niemals mehr wird Babylon andere sei, d.h. ob die assyrische Bedrohung
zum Seufzen bringen wie die jüdischen nun bald vorüber ist. Die Antwort lau-
Gefangenen. Diese ganze Vision ist so tet:
schrecklich, dass sie Jesaja in akute Die Nacht deiner gegenwärtigen Not
Angst versetzt. wird enden, und ein neuer Tag wird
21,5 Während die Herrscher Babylons folgen; doch bald wird es wieder Nacht
in vermeintlicher Sicherheit feiern und werden. Suchst du eine tröstliche Ant-
zechen, erschallt plötzlich der Ruf zu wort auf deine ängstlichen Fragen,

945
Jesaja 21 bis 23

musst du erst »noch einmal herkom- gleichgültig. Darum wird ihnen nicht
men«, was so viel wie »Buße tun« heißt. vergeben werden.
Erst dann bekommst du eine Antwort, 22,15-19 Schebna, der Palastverwalter
wie du sie erhoffst; dann wird die Nacht am Hof Hiskias, baut sich selbst ein
deiner Leiden enden, und ein neuer, ausgehauenes Grab. Gott sagt ihm
strahlender Morgen der Erlösung wird durch Jesaja, seine Bemühungen seien
dir aufgehen.31 vergeblich: Der HERR wird ihn in die
Gefangenschaft wegschleudern wie ein
10. Gericht über Arabien (21,13-17) Wollknäuel, und er wird, seines Prunks
Auch Arabien steht Not bevor. Die Ka- beraubt, in einem fremden Land ster-
rawanen werden in der Wüste über- ben. Vielleicht führte Schebna die Partei
nachten aus Angst vor dem Heer der derer an, die ein Bündnis mit Ägypten
Assyrer, und alle, die dem Gemetzel suchten.
entfliehen, werden heftig unter Hunger 22,20-24 Nachdem Schebna entfernt
und Durst leiden. Der HERR hat be- sein würde, sollte Eljakim (»Gott richtet
schlossen, Arabiens Herrlichkeit nach auf«) seine Stelle einnehmen. Als ein
einem Jahr zunichtezumachen, und nur Vorbild auf den Herrn Jesus sollte Elja-
einige Helden werden das über­leben. kim ein verantwortungsvoller und mit-
Der Ausdruck: »wie die Jahre eines fühlender Herrscher sein, der alles un-
Tagelöhners« bedeutet: Es wird keinen ter seiner Gewalt hat. Ihm würden die
Tag länger dauern. Schlüssel des Hauses David32 gegeben,
mit denen er die königlichen Gemächer
11. Gericht über Jerusalem (Kap. 22) und die Auswahl der Diener kontrol-
22,1-5 Das »Tal der Offenbarung« be- lierte. (In Offb 3,7 wird von dem Herrn
zieht sich auf Jerusalem (siehe V. 9-11). Jesus gesagt, dass er die Schlüssel des
Die Stadt ist belagert. Die Menschen Hauses David hat.) Eljakim wird in sei-
sind auf die Dächer gestiegen, um die ner Stellung gefestigt sein und im Rah-
Feinde vor den Toren zu beobachten. men seines Dienstes volle Autorität ha-
Die Straßen der einst feiernden Stadt ben.
sind mit Leichen gefüllt. Die Anführer 22,25 Da Eljakim ganz deutlich der
und etliche vom Volk hatten versucht Pflock ist, der an einem festen Ort ein-
zu fliehen, doch wurden sie kampflos geschlagen war (V. 23a), weist seine Be-
gefangen. Jesaja selbst ist untröstlich im seitigung und sein Fall sicher auf die
Hinblick auf das drohende Gericht über Gefangenschaft des Hauses Juda hin,
Jerusalem. dessen Repräsentant er war.
22,6-11 Elam und Kir bilden die süd­
liche und die nördliche Flanke des ba- 12. Gericht über Tyrus (Kap. 23)
bylonischen Heeres. Ihre Wagen und 23,1-5 Von Tarsis (vielleicht Spanien)
Reiter füllen die Talebenen rings um die zurückgekehrte Seeleute aus Tyrus er-
Stadt. Die Juden unternehmen große fahren in Kittim (Zypern) vom Fall ih-
Anstrengungen, um der Belagerung rer Stadt. Sie heulen vor Elend, weil
standzuhalten. Sie plündern das Arse- ihre Häuser zerstört sind und sie kei-
nal (das Waldhaus). Sie brechen die nen Hafen zum Anlegen mehr haben.
Häuser ab, um die Mauern auszubes- Die Kaufleute aus Sidon sitzen in ver-
sern, und versuchen, ein provisorisches störtem Schweigen und denken daran,
Wasserreservoir zu schaffen. Alles tun wie ihre Nachbarn in Tyrus das Meer
sie; aber sie blicken nicht auf den, der befahren haben und Getreide vom obe-
diese Katastrophe bewirkt und schon ren Nil (Schihor) brachten und wie sie
seit langem geplant hat. als Kaufleute allen Völkern Gewinn ein-
22,12-14 Während der HERR sie zur brachten. Sidon, die Mutterstadt von
Buße aufruft, leben sie zügellos und Tyrus, ist beschämt angesichts der Mee-

946
Jesaja 23 und 24

reswellen, die gegen die Trümmer von Israel in den ersten drei Versen gemeint
Tyrus schlagen, und das klingt wie ein ist (vgl. unrevidierte Elberfelder,
Echo ihrer Wehklage. Es sieht aus, als Schlachter 2000). Man beachte auch,
habe Tyrus niemals Kinder gehabt, die wie das Wort »Erde« mit dem Wort
dort wohnen könnten. Auch Ägypten »Volk« abwechselt. Die Zerstörung ist
windet sich in Schmerzen über den Ver- verheerend und trifft alle Klassen der
lust seines besten Kunden. Bevölkerung.
23,6-9 Den Tyrern wird geraten, im 24,4-13 Die Erwähnung des »Erdkrei-
fernen Tarsis (Spanien) um Asyl zu bit- ses« in Vers 4 weist darauf hin, dass sich
ten. Einst Bewohner einer seit langer der Schauplatz des Gerichts ausgewei-
Zeit blühenden Stadt, tragen ihre Füße tet hat. Der Grund für die weltweite
sie jetzt in die Ferne. Und wer brachte Verunreinigung und Entweihung ist
diesen Schrecken über das mächtige, der, dass die Menschen den ewigen
reiche und herrliche Tyrus? Es war der Bund ungültig gemacht haben. Einige
HERR der Heerscharen, der beschlos- beziehen das auf den Bund mit Noah
sen hat, den Hochmut aller mensch­ (1. Mose 9,16); doch war dieser bedin-
lichen Herrlichkeit zu entweihen. gungslose Bund nur von Gott abhängig.
23,10-17 Im Hinblick auf Nebukad­ Andere meinen, es gehe hier um das
nezars Angriff auf Tyrus wird dem mosaische Gesetz; doch das war nur Is-
Volk geraten, in andere Länder zu flie- rael gegeben und wird nicht als ewiger
hen wie der Fluss (der Euphrat, der Bund bezeichnet. In dem Kommentar
durch viele Länder fließt). Gott hat die The Bible Knowledge Commentary heißt
Babylonier gegen die Handelsstadt es, es handle sich um »den Bund, Gottes
(»Kanaan«) erregt, diese zu zerstören. Wort zu befolgen, den die Menschen
Selbst wenn die Flüchtlinge nach Kittim stillschweigend eingegangen waren«.33
(Zypern) fliehen, werden sie dort keine Die öde Stadt kann Jerusalem sein; aber
Ruhe finden. Siebzig Jahre lang würde in einem weiteren Sinn mag dies die
Tyrus eine vergessene Stadt sein, solan- ganzen städtischen Zivilisationen ein-
ge das babylonische Reich Bestand hat- schließen.
te. Nach dieser Zeit wird es wieder zu 24,14-20 Ein bewahrter Überrest singt
seinem Hurenlohn kommen, d.h. wie- das Lob des HERRN wegen seiner ret-
der mit allen Königreichen der Erde tenden Gnade.
Handel treiben. Dann klagt der Prophet über die
23,18 Der Handelsgewinn und der Schrecken der Großen Drangsalszeit.
Lohn der Tyrer werden bei dem Zwei- Es wird eine Zeit des Treubruchs sein
ten Kommen Christi eine andere Ver- (KJV und NKJV übersetzen in V. 16b:
wendung finden, wenn die Tochter Ty- »die treulosen Händler handelten treu-
rus mit einem Geschenk kommen wird los«; diese Bedeutung steckt in dem
(Psalm 45,13). Ihre Schätze werden ein hebr. Wort für »Räuber«); es gibt kein
heiliges Opfer sein, das sie dem HERRN Entkommen. Die Erde wird taumeln
bringt. wie ein Betrunkener, wie von einem ge-
waltigen Erdbeben erschüttert. Sie fällt
13. Gericht über die ganze Erde (Kap. 24) und steht nicht wieder auf.
24,1-3 Die Gerichte scheinen beim Land 24,21-23 Die Heere der Bosheit in den
Israel anzufangen, werden sich aber himmlischen Örtern werden ebenfalls
über die ganze Erde ausbreiten und so- gerichtet. Dies stimmt mit Offb 19,19-20
gar über böse Wesen im Himmel (»das und 20,1-3 überein. Die Könige der
Heer in der Höhe«, V. 21) kommen. Das Erde, die ihnen als ihre Marionetten ge-
Wort »Erde« kann auch mit »Land« dient hatten, werden ihr Gericht beim
übersetzt werden, und die Erwähnung Zweiten Kommen Christi teilen. Die al-
des Priesters legt nahe, dass das Land les übertreffende Herrlichkeit des Herrn

947
Jesaja 24 bis 26

wird dann Sonne und Mond beschä- Von dem 3. Vers sagte der bekannte
men. amerikanische Liederdichter Philip P.
Bliss: »Ich liebe diesen Vers mehr als je-
E. Das Buch der Lieder (Kap. 25-27) den anderen in der Bibel: ›Einem festen
Herzen bewahrst du den Frieden, den
1. Israels Lobgesang wegen der Segnungen
Frieden, weil es auf dich vertraut‹
des Reiches (Kap. 25)
(Schl 2000).«34
25,1-5 Die Kapitel 25 bis 27 hat man Moody verband die Verse 3 und 4 mit
»das Buch der Lieder« genannt. Hier folgenden Worten: »Der Baum des Frie-
preist der wiederhergestellte jüdische dens treibt seine Wurzeln in die Spalten
Überrest den HERRN für die Errettung des Felses der Ewigkeiten.«35 Endlich
aus der Großen Drangsalszeit. Feind­ haben die Israeliten begriffen, dass in
liche Städte (nicht notwendigerweise Jah, dem HERRN (Jah ist eine Abkür-
eine bestimmte Stadt) wurden zertrüm- zung des Gottesnamens JHWH), für
mert, was Heiden dazu brachte, die alle Ewigkeit Sicherheit und Schutz zu
Macht des HERRN anzuerkennen. Gott finden sind. Der Ausdruck »Fels der
war für sein Volk alles, was es nötig hat- Ewigkeiten« veranlasste Augustus Top-
te. lady dazu, eines der bekanntesten
25,6-9 Auf dem Berg Zion wird der christlichen Lieder zu dichten: »Rock of
HERR ein Festmahl der erlesensten Ages« (ins Deutsche übertragen von E.
geistlichen Genüsse bereiten. Er wird Gebhardt: »Fels des Heils …«). Wäh-
die Hülle der Unwissenheit entfernen, rend eines heftigen Gewitters suchte er
die Decke satanischer Blindheit, die alle in einer Felsspalte Schutz und schrieb
heidnischen Nationen zudeckte. Er be- (im Folgenden eine Übersetzung des
siegt den Tod (durch die Auferweckung englischen Originals):
der in der Drangsalszeit gestorbenen
Heiligen), er vertreibt allen Kummer Fels der Ewigkeiten, für mich gespalten,
und nimmt die Schmach von seinem Lass mich Bergung finden in dir,
Volk. Der Überrest wird sagen: »Siehe Lass das Wasser und das Blut,
da, unser Gott, auf den wir hofften, dass Das aus deiner Seite floss,
er uns rette … Wir wollen jauchzen und Das zweifache Heilmittel für die Sünde
uns freuen in seiner Rettung.« sein,
25,10-12 Israels Feinde (für die Moab Das mich reinigt von ihrer Schuld und
vielleicht stellvertretend steht) werden von ihrer Macht.
beschämt und zertreten. Gott wird in Solange ich in dieser Vergänglichkeit lebe
V. 11 (nach KJV und NKJV) mit einem und atme,
Schwimmer verglichen, der seine Hän- Wenn meine Augen sich einst im Tod
de inmitten der Moabiter zum Gericht schließen,
ausbreitet. Wenn ich in unbekannte Welten hinauf­
steige
2. Judas Gesang über den »Fels der Und dich auf deinem Richterstuhl sehe,
Ewigkeiten« (Kap. 26) Fels der Ewigkeiten, für mich gespalten,
26,1-4 Nachdem er in sein Land zurück- Lass mich Bergung finden in dir.
gekehrt ist, rühmt der wiederhergestell-
te Überrest das Leben des Glaubens 26,5-6 Die stolze Zivilisation der Men-
und der Abhängigkeit von Gott. Die schen ist so weit heruntergekommen,
Stadt Gottes steht im Gegensatz zur dass die Füße der Elenden und die Trit-
Stadt der Menschen (24,10). Die ge- te der Geringen die hoch ragende Stadt
rechte Nation (das erlöste Israel) er- zertreten.
fährt, was vollkommener Friede ist, in- 26,7-15 Die Verse 7 bis 19 scheinen die
dem sie fest auf den HERRN vertraut. Gebete des Überrests während der Gro-

948
Jesaja 26 bis 28

ßen Drangsalszeit wiederzugeben. Der und singen. Er wird ihn Nacht und Tag
HERR hat diesen Menschen den Weg behüten; er hat keinen Zorn mehr auf
bereitet, und sie haben mit ganzem sein Volk. Sollten feindliche Mächte ge-
Ernst darauf gewartet, dass er sich ih- gen den Überrest aufstehen, würde er
nen offenbart. Nur wenn der HERR Ge- sie wie Dornen und Disteln verbrennen.
richt übt, lernen die Gottlosen Gerech- Für solche Mächte wäre es besser, den
tigkeit. Gottes Hand ist dazu bereits er- Herrn um Frieden und Schutz zu bitten.
hoben, und wenn er eingreift, werden Im Tausendjährigen Reich wird Israel
sie zuschanden werden, Israel aber blühen und knospen und die Fläche des
wird Frieden haben. Viele Heidenvöl- Erdkreises mit Früchten füllen.
ker haben als Herren über den Überrest 27,7-9 Gott hat mit Israel nicht gehan-
geherrscht; Gott allein aber ist sein wah- delt wie mit dessen heidnischen Beherr-
rer Herr. Die Völker, die Israel gequält schern! Nein, er züchtigte Israel nur in
haben, werden nicht wieder aufstehen, Maßen. Er trieb die Israeliten fort in die
um dies jemals wieder zu tun. Dieser Verbannung, um sie von ihrer Sünde
Vers leugnet nicht die leibliche Auf­ des Götzendienstes zu reinigen. Dieses
erstehung der Bösen, sondern sagt nur, Ziel ist erreicht, wenn Israel gänzlich
dass die heidnischen Mächte niemals und restlos alle »Bilder« beseitigt hat.
wiederhergestellt werden. 27,10-11 In der Zwischenzeit liegt
26,16-19 Israel aber wird, nachdem es Jerusalem in Trümmern, sodass Kälber
durch Nöte gegangen ist, die denen dort die Büsche kahl fressen und
des Gebärens ähnlich sind und doch Frauen die Zweige als Feuerholz sam-
nutzlos zu sein schienen, als Volk eine meln. All das kam über das Volk, weil
Auferstehung erleben. Der HERR be­ es kein geistliches Verständnis zeigte.
antwortet das Gebet seines Volkes mit 27,12-13 An dem angekündigten Tag
der bestimmten Verheißung einer Wie- wird der HERR Ähren ausklopfen, d.h.
derherstellung als Volk. Dazu wird er die Juden von den Nichtjuden trennen.
den »Tau der Lichter«, den Heiligen Dann wird er die in solche heidnische
Geist, über das Land ausgießen. Länder wie Assyrien und Ägypten zer-
26,20-21 Bis dahin gibt der HERR streuten Juden sammeln und zurück-
dem treuen Überrest seines Volkes den bringen. Sie werden nach Jerusalem
Rat, es solle sich in seinen geheimen kommen und den HERRN anbeten.
Kammern verbergen, solange er seinen
Zorn über die von ihm abgefallene Welt F. Der Fall und der Wiederaufstieg
ausschüttet. Israels und Jerusalems (Kap. 28-35)
3. Gottes Lied über das erlöste Israel (Kap. 27) 1. Wehe über Ephraim/Israel (Kap. 28)
27,1 Am zukünftigen Tag des HERRN 28,1-4 Samaria war eine stolze Krone,
wird Gott den Leviatan, die flüchtige eine welkende Blume der Betrunkenen
Schlange (Assyrien), und den Leviatan, Israels (Ephraims). Die Stadt lag auf
die gewundene Schlange (Babylon), be- dem Berg über dem fetten Tal voller
strafen, und er wird das Ungeheuer im Menschen, die vom Wein überwältigt
Meer (Ägypten) erschlagen. Manche waren und dem Vergnügen, dem Mate-
Ausleger sehen in allen drei Bestien ein rialismus und der geschlechtlichen Un-
Bild für Babylon. Andere wieder den- moral huldigten. Die assyrischen Er­
ken, Satan sei damit gemeint, der den oberer standen schon bereit, die Stadt
Weltmächten Kraft verleiht, weil er ja zu verschlingen, als sei sie eine Früh­
»Drache« und »Schlange« genannt wird feige vor der Obsternte.
(1. Mose 3,1; Offb 12,3; 13,2; 16,13). 28,5-6 Der HERR der Heerscharen
27,2-6 An jenem Tag wird der HERR wird für den treuen Überrest eine un-
über seinen erlösten Weinberg jubeln verwelkliche, herrliche Krone sein,

949
Jesaja 28

wenn er zurückkehrt und sein Reich 28,16-17 Gott hat in dem Messias den
aufrichtet. Er wird den Führern Kraft einzig zuverlässigen Gegenstand des
verleihen, Gericht auszuüben und die Vertrauens eingesetzt, der felsenfest ge-
Feinde an ihr eigenes Tor zurückzu- gründet ist. Jene, die auf ihn vertrauen,
drängen. brauchen nicht ängstlich zu eilen. Unter
28,7-8 Der Prophet wendet sich Juda seiner Regierung wird alles der Prüfung
zu. Wie Israel ist auch Juda betrunken auf Recht und Gerechtigkeit unter­
und torkelt durch seinen eigenen Unflat zogen, und das Gericht wird alles weg-
und durch das Erbrochene von seinen schwemmen, worauf man sonst fälsch­
Gelagen. Selbst die Priester und Pro- licherweise seine Hoffnung setzte.
pheten sind verwirrt. 28,18-22 Judas diplomatisches Paktie-
28,9-10 Die religiösen Führer spotten ren mit anderen Mächten wird es nicht
über Gott und beklagen, er rede zu ihnen schützen, wenn die Eroberer einfallen.
in Säuglingssprache. Hält sie der HERR Jeder feindliche Einmarsch wird gelin-
etwa für Kinder, denen man einsilbige gen. Die Menschen werden zu spät be-
Wörter (im Hebräischen) vorsagt?36 greifen, dass Gott wirklich die Wahrheit
28,11-13 »Nun gut,« sagt Gott, »wenn gesagt hat. Das Bett ist zu kurz und die
ihr auf meine einfache, verständliche Decke zu schmal, d.h. ihr Bündnis wird
Sprache nicht hören wollt, dann werde ihnen nicht den erwünschten Wohl-
ich einen fremden Invasoren zu euch stand und die erwünschte Sicherheit
senden ‒ die Assyrer.« Ihre fremdartige gewährleisten. Der HERR wird sich
Sprache wird ein Zeichen des Gerichts aufmachen und im Gericht gegen sein
für dieses Volk sein, das Gott zurück- Volk vorgehen, wie er es einst gegen
wies, als er ihm vergeblich Ruhe anbot, dessen Feinde tat – ein Gericht, das ihm
und dazu die Möglichkeit, anderen völlig fremdartig erscheint. Wenn die
Ruhe zu verschaffen. Was den HERRN Juden spotten, so wird das ihre Fesseln
angeht, so wird er, wie Jennings sagt, nur noch fester ziehen.
28,23-29 H. Vander Lugt weist darauf
»… fortfahren, in einfachsten und klars- hin, dass der Prophet den Weg Gottes
ten Worten zu reden, doch das nur zu mit seinen Kindern anhand dreier Bil-
dem Zweck, dass alle Verantwortung für der aus der Arbeit eines Bauern be-
ihre Verwerfung keinesfalls der Unver- schreibt:
ständlichkeit der Botschaft zugeschrie-
ben werden kann, sondern ganz allein Erstens erklärt er, dass der Ackersmann
denjenigen, die die Botschaft verworfen nicht endlos fortfährt, den Boden umzu-
haben.«37 pflügen (V. 24). Genauso werden unsere
Prüfungen aufhören, wenn sie ihren
28,14-15 Die Führer Judas rühmten sich Zweck in unserem Leben erreicht haben.
ihres Bundes mit Ägypten, als könne ih- Dann sagt der Prophet, dass der Bauer
nen deshalb der Angriff der Assyrer seinen Samen mit Überlegung aussät; er
nichts anhaben. Doch dieses Bündnis streut den Kümmel frei aus, aber den
wird für sie Tod und Scheol (= Toten- Weizen sät er in ein abgestecktes Stück
reich) bedeuten. (Der Bund mit dem Tod Land (V. 25-26). Das gibt uns die Sicher-
und der Vertrag mit dem Scheol war heit, dass der Herr unsere Erziehungs-
kein buchstäblicher Vertrag. Juda mein- maßnahmen entsprechend unseren be-
te nur, mit dem Tod und dem Scheol auf sonderen Bedürfnissen aussucht. Schließ-
gutem Fuß zu stehen und keine Furcht lich zeichnet er einen Arbeiter, der seine
nötig zu haben wegen seines Bundes mit Ernte ausdrischt. Mit äußerster Sorgfalt
Ägypten. Einige Ausleger sehen darin klopft er den Dill mit einem leichten Stab
ein Bild von dem zukünftigen Bund Is- aus und den Kümmel mit einem schwe-
raels mit dem »Tier« [Dan 9,27].) reren Stock. Für den Weizen benutzt er

950
Jesaja 28 bis 30

den Dreschwagen, dessen Räder nur so war – menschlich betrachtet – ein Stück
schwer sind, dass sie das Korn nicht zer- politischer Klugheit; von Gott her ge­
malmen (V. 27-28). Der Allmächtige be- sehen war es ein Akt der Rebellion, dar-
nutzt also jeweils die denkbar mildeste um machte er ihre Politik zunichte und
Behandlung für unseren Fall und erlaubt brachte Juda in eine hilflose Lage, damit
den Anfechtungen nie, größer zu sein, sie sich allein auf Gott verlassen.39
als wir es ertragen können.38
Heute wird dieses »wundersame« Han-
2. Wehe über Ariel/Jerusalem (Kap. 29) deln durch das Evangelium vollbracht
29,1-4 Ariel ist die bevorrechtigte Stadt (siehe 1Kor 1,18-25).
Jerusalem, in der David residierte. Die 29,15-16 Ein »Wehe« wird über die
Menschen dort mögen von Jahr zu Jahr betrügerischen Führer ausgerufen, die
ihre religiösen Feste feiern, trotzdem Bündnisse mit Ägypten machen, so als
wird Gott Bedrängnis über die Stadt sähe der HERR das nicht. Sie haben al-
bringen, bis sie nichts weiter als ein les auf den Kopf gestellt und den Ton
»Ariel« ist. Der Name »Ariel« hat zwei an die Stelle des Töpfers gesetzt. Damit
Bedeutungen: »Gotteslöwe« und »Al- leugnen sie Gottes Macht und Weis-
tar« (siehe Hes 43,15-16, wo »Ariel« heit.
auch mit »Opferherd« wiedergegeben 29,17-21 Doch es wird ein Tag der Be-
wird). Die Stadt war einst der »Gottes- freiung kommen, wenn Gott ebenfalls
löwe«, nun aber ist sie ein brennender alles umkehren wird. Was jetzt wie ein
Altar. Ihre Bewohner sind die Schlacht- wilder Wald ist (Libanon), wird in ei-
opfer. nen Fruchtgarten verwandelt, und was
29,5-8 Dennoch wird Gott plötzlich jetzt wie ein Fruchtgarten (Übersetzung
eingreifen, und die Feinde werden wie von »Karmel«) aussieht, wird nichts als
feiner Staub und wie Spreu sein. Gera- ein verwilderter Wald sein. Dann wer-
de wenn die Angreifer meinen, sie den die Tauben hören, die Blinden se-
könnten Jerusalem völlig verschlingen, hen und die Armen jubeln über den
werden sie ausgelöscht, als seien sie aus HERRN. Die Gewalttätigen aber und
einem Traum erwacht. die Spötter werden nicht mehr sein –
29,9-12 Die absichtliche Blindheit des auch nicht diejenigen, die durch falsche
Volkes hat Blindheit als Gericht über es Beschuldigungen den Gerechten um
gebracht, und die Juden taumeln, als sein Hab und Gut bringen wollen.
seien sie betrunken. Gottes Wort ist für 29,22-24 Die Schlussverse beschreiben
sie unverständlich. Für die einen ist es den gläubigen Überrest, der hier »Ja-
eine versiegelte Buchrolle, für die ande- kob« genannt wird. Schande und Wi-
ren ist sie unleserlich. Jeder hat seine derspruch werden der Vergangenheit
eigene Ausrede. angehören. Die Kinder Jakobs werden
29,13-14 Weil ihr Gottesdienst rein begreifen, wie Gott zu ihren Gunsten
äußerlich ist und ihre Gottesfurcht nur eingegriffen hat, und sie werden ihn
aus auswendig gelernten Glaubensbe- dafür ehren. Die Irrenden und Murren-
kenntnissen besteht, wird Gott ein über- den werden Einsicht und Belehrung an-
natürliches Gerichtswerk an den Juden nehmen.
vollziehen: Er wird die Klügsten der
Weisheit und Erkenntnis berauben. Das 3.»Wehe« wegen des Bündnisses mit
»wundersame« Handeln aus Vers 14 ist Ägypten (Kap. 30-31)
der Einmarsch von Sanherib. W.E. Vine 30,1-7 Die widerspenstigen Söhne sind
schreibt: die Politiker in Juda, die mit Ägypten ei-
nen Bund gegen Assyrien schließen. Weil
Die Führer Judas meinten, sich auf Ägyp- uns nichts von einem solchen Bund mit-
ten als Helfer verlassen zu können. Das geteilt wird, sind wir berechtigt, ihn für

951
Jesaja 30 bis 32

noch zukünftig zu halten. Juda wird ler- 30,26-33 Das verstärkte Licht aus Vers
nen, dass man sich auf Ägypten nicht ver- 26 muss als Symbol für Herrlichkeit
lassen kann. Karawanen ziehen von Juda und Gerechtigkeit verstanden werden.
nach Ägypten und bringen Tribut durch Die gottlosen Völker werden mit einem
die gefährlichen Gebiete des Südens (Ne- Sieb der Vernichtung gesichtet werden.
gev) dorthin. Aber obwohl es den jü- Assyrien wird von dem HERRN zer-
dischen Gesandten gelingt, bis nach Zoan schlagen, und jeder Züchtigungsschlag
und Hanes zu gelangen, ist das ganze Un- wird von jubelnder Musik der Judäer
ternehmen zum Scheitern verurteilt. Gott begleitet sein. Die Feuerstätte (ein Bild
nennt Ägypten Rahab-Hem-Schebeth, »das für die Hölle) ist bereit, den bösen Kö-
stillsitzende Ungetüm«. nig aufzunehmen.
30,8-14 Es soll für alle Nachkom- 31,1-3 Gott stellt sich gegen solche,
menden aufgezeichnet werden, dass der die nach Ägypten um Hilfe hinabzie-
Bund mit Ägypten (und jedes andere hen, die auf Pferde und Streitwagen
unangebrachte Vertrauen) eine freche und Reiter als Garanten des Siegs ver-
Verwerfung des Gesetzes des HERRN trauen. Gott wird gegen das Haus der
ist, das durch seine Propheten verkün- Übeltäter (Juda) aufstehen und gegen
det wurde. Juda wird sehen, dass Ägyp- die Helfer (Ägypten) derer, die Unrecht
ten eine armselige Schutzmauer ist. Tat- tun (Juda). Der Helfer wird stürzen
sächlich wird die hoch ragende Mauer (Ägypten), und der, dem geholfen wird
zerbrechen; sie wird zerschmettert wie (Juda), wird fallen.
ein Tongefäß, dessen Scherben zu klein 31,4-9 Der HERR ist wie ein Löwe,
sind, um für irgendeine kleine Arbeit den eine Menge von Hirten (die Assy-
tauglich zu sein. rer) vergeblich verscheuchen will. Er
30,15-17 Gott hatte zu Juda gesagt: wird auch mit Vögeln verglichen, die
»Eure Rettung besteht darin, dass ihr schützend über Jerusalem schweben; er
zu mir umkehrt und in mir ruht. Eure steht bereit, die Stadt zu erretten. Wenn
Stärke beruht darauf, dass ihr still auf Israel zu dem Herrn umkehrt, wird es
mich vertraut, statt eure Zuflucht bei seine Götzen wegwerfen. Die Assyrer
den Ägyptern zu suchen!« Doch Juda werden durch ein direktes Eingreifen
antwortete: »Nein, wir wollen auf Ros- des Herrn untergehen. Die Bedeutung
sen gegen den Feind dahinfliegen.« dieses Verses erschöpft sich nicht in der
Darauf sagt Gott: »Allerdings werdet Vernichtung Sanheribs; diese Weis­
ihr fliegen; aber rückwärts und in gro- sagung hat noch eine zukünftige Er­
ßer Angst! Ihr werdet von einem zah- füllung, nämlich in der Drangsalszeit.
lenmäßig geringeren Heer gejagt wer-
den, bis ihr zu einer einsamen, dürren 4. Die Regierung des Königs der
Stange auf dem Hügel werdet.« Gerechtigkeit (Kap. 32)
30,18-25 Dennoch wird der HERR 32,1-8 Die ersten fünf Verse beschreiben
darauf warten, gnädig sein zu können. die Herrschaft Christi im Tausendjähri-
Gott wartet, bis die aus unserer eigen- gen Reich. Er ist der König, der in Ge-
mächtigen Entscheidung entstandene rechtigkeit herrscht. Die Obersten oder
Katastrophe uns von der Torheit dieser Fürsten könnten die zwölf Apostel sein
Entscheidung überzeugt hat. Wenn Juda (siehe Mt 19,28). »Ein Mann wird sein
zu Gott umgekehrt ist, wird er sein Leh- wie ein Bergungsort vor dem Wind …«
rer und sein Führer sein. Er wird Juda (Schl 2000). Dieser Mann ist der Herr
Regen und Fruchtbarkeit geben. Er wird Jesus, der für Schutz, Bewahrung, Er-
sein Heiler, sein Fels und sein Verteidi- quickung und Schatten sorgt. Es wird
ger sein. Sein Volk wird seine Götzen als im Volk keine als Gericht verhängte
etwas Unreines wegwerfen und ihnen Blindheit mehr geben, noch werden die
»Weg mit euch!« hinterherrufen. Ohren verschlossen sein, sondern die

952
Jesaja 32 und 33

Menschen werden hören und ge­ fliehen. Dann sind die Juden an der Rei-
horchen. Alle, die jetzt unbesonnene he, die Beute des fliehenden Feindes
Entscheidungen treffen, werden ver- wegzunehmen und an sich zu reißen.
nünftig handeln, und die Stammelnden Christus ist auf dem Thron und erfüllt
werden sich ohne Hinderungen aus­ Zion mit Recht und Gerechtigkeit. Da-
drücken können. Moralische Unter- durch gibt es sichere Zeiten, und das
scheidungen werden nicht mehr ver- Volk wird mit geistlichen Schätzen be-
wischt. Die törichten Menschen wird schenkt werden.
man nicht mehr ehren. Das Kommen 33,7-9 Diese Verse kommen auf die
Christi wird die Menschen im wahren Zeit zurück, in der Hiskia Friedens­
Licht er­scheinen lassen. Die Toren und boten zu Sanherib sandte und ihm ge-
Ruch­losen werden als solche bloßge- sagt wurde, er habe einen Tribut von
stellt (und entsprechend bestraft). Die dreihundert Talenten Silber und drei-
Edlen aber werden offenbar und geseg- ßig Talenten Gold zu bezahlen (2Kö
net sein. Die Verse 6 bis 8 beschreiben 18,13-16). Aber selbst das reichte nicht
das Treiben, wie Jesaja es in seinen Ta- aus, um sich von den Assyrern freizu-
gen erlebte. kaufen. Sie marschierten trotzdem in
32,9-15 Aber das Reich ist noch nicht Juda ein, wobei sie eine Spur der Ver-
gekommen. Die Frauen Judas leben wüstung und des Leidens hinterließen.
noch sorglos und in Luxus und Bequem- Die Gesandten Judas weinen bitter-
lichkeit. Bald wird sie das Gericht tref- lich, weil ihre Mission fehlschlug. Die
fen: Mangel an Nahrung, Entvölkerung Assyrer hatten ihr Wort gebrochen und
und Verwüstung. Judas Nöte werden waren einmarschiert. Die schönsten
andauern, bis der Geist aus der Höhe Orte waren Orte der Verwüstung ge-
beim zweiten Wiederkommen Christi worden.
über sie ausgegossen wird. Dann wird 33,10-12 Im richtigen Augenblick
die Wüste ein Fruchtgarten werden, wird der HERR aufstehen, um an sei-
und was jetzt als Fruchtgarten gilt, wird nen Feinden zu handeln. In bitterem
dann so üppig wie ein Wald sein. Spott beschreibt er die Assyrer als sol-
32,16-20 Recht und soziale Gerechtig- che, die mit Heu schwanger gehen und
keit werden alle Aspekte des Lebens Stoppeln zur Welt bringen. Mit anderen
durchdringen, woraus Friede, Ruhe, Worten: Ihre Vorstellungen werden zu-
Sicherheit und Zuversicht entspringen. nichte. Derselbe Zorn, den sie anderen
Der Feind (der Wald) wird durch das zuwandten, wird sich gegen sie wen-
göttliche Gericht umgestürzt, und die den und sie gänzlich verzehren. Ge-
Stadt (dessen Hauptstadt) wird zur Be- brannter Kalk und brennende Dornen
deutungslosigkeit erniedrigt. Das wird sind ein Bild des endgültigen Gerichts.
eine glückliche Zeit sein, wenn das Volk 33,13-16 Ein Wort geht aus an die
in Sicherheit an allen Wassern säen gottlosen Heiden (»ihr Fernen«) und an
kann und wenn Rind und Esel gefahr- die abgefallenen Juden (»ihr Nahen«).
los frei umherlaufen dürfen. Im Feuer göttlichen Gerichts, im Bren-
nen von Gottes Zorn werden die ein­
5.»Wehe« über die Verwüster/Assyrien zigen Überlebenden die sein, die in Ge-
(Kap. 33) rechtigkeit leben und sich von jeder
33,1-6 Die zerstörerische Gewalt und Form des Bösen absondern.
die Treulosigkeit der Assyrer fallen auf 33,17 Dann wird der gläubige Über-
sie zurück (V. 1-2). Dann wird Gottes rest den König in seiner Schönheit
Volk den HERRN um Errettung bitten schauen und das Land, dessen Grenzen
in seiner Zeit der Bedrängnis. Sobald erweitert sind.
Gott anfängt zu wirken, werden die A.J. Gordon hat diesen Vers für eines
Völker vor seinem gewaltigen Tosen seiner Lieder benutzt:

953
Jesaja 33 bis 35
6.»Wehe« über alle Nationen (Kap. 34)
Ach, den König in seiner Schönheit
Werd’ ich schau’n in dem Land voller Licht. 34,1-4 In Kapitel 34 finden wir Gottes
Wenn die Schatten endlich entflohen, Entrüstung über alle heidnischen Na­
Und der strahlende Tag anbricht. tionen im Allgemeinen und gegenüber
Herrlich wird er dann erscheinen, Edom im Besonderen. Edom mag aber
Einst das Lamm, das für uns starb! auch als Repräsentant aller anderen
Wie werd’ ich mit all den Seinen Völker gelten. Wenn der HERR die Hei-
Rühmen, was er uns erwarb! denvölker richtet, wird die Luft von
Halleluja, Halleluja! verwesenden Leichnamen verpestet
Preis dem Lamm, das für uns starb! sein, und die Berge werden triefen von
Halleluja, Halleluja! Amen. dem vielen Blut. Selbst der Sternenhim-
mel wird in Mitleidenschaft gezogen.
33,18-19 Nur noch blass wird man sich 34,5-7 Das von Blut trunkene Schwert
an den Schrecken erinnern, als die As- des HERRN wird im Gericht auf Edom
syrer das Gold wogen, das man ihnen herabfahren, sowohl auf das einfache
als Tribut zahlen musste ‒ und an die Volk (Lämmer, Böcke, Widder) als auch
Spione, die die Türme der Stadt zähl- auf die Vornehmen und Anführer (Büf-
ten, um einen Angriff vorzubereiten, fel, starke Stiere).
sowie an die fremde Sprache der Assy- 34,8 Das ist der Tag der Rache des
rer in ihrer Mitte. HERRN.
33,20-22 Im tausendjährigen Zion Das Wort »Rache« ist von großer
wird man die Festversammlungen des Wichtigkeit. Es bedeutet nicht, jeman-
HERRN wieder abhalten. Die Stadt dem zu vergelten, was er uns angetan
wird wie ein sicher und dauerhaft befes­ hat, so wie wir es verstehen. Hier be-
tigtes Zelt sein. Der HERR wird für Zion zieht es sich auf Gottes Handeln, wenn
alles sein, was ein Fluss bietet: Schutz, er das Urteil vollstreckt, das er als Rich-
Erfrischung und Schönheit. Keine feind- ter rechtmäßig verhängt hat (Daily Notes
liche Galeere, kein Kriegsschiff wird of the Scripture Union).
mehr vorüberfahren, weil der HERR 34,9-17 Dieser Abschnitt beschreibt
dort wohnt. Edoms Schicksal – ein flammendes In-
33,23-24 Ausleger sind sich uneins, ferno, eine unbewohnbare Wüste, die
ob V. 23a von Jerusalem oder von des- von geheimnisvollen Vögeln und wil-
sen Feinden spricht. Bezieht sich der den Tieren bevölkert wird. Gott wird
Text auf die Feinde, so schildert er das nicht ruhen, bis es »wüst und leer« ist.41
Schicksal aller Schiffe, die einen Angriff Es wird kein Reich mehr sein und kei-
auf die Stadt versuchen. Redet er aber nen König und keinen Edlen haben, der
von Jerusalem, so spricht Vers 23 diesen Namen verdient. Seine Ruinen
werden von Dornen überwuchert und
… von der Schwachheit und Unfähigkeit die Wohnstätte eigenartiger Wesen sein,
der Juden in sich selbst und zeigt, dass die nicht mit Sicherheit identifiziert wer-
sie weder in der Lage sind, das Staats- den können. Jede dieser unheim­lichen
schiff zu lenken, noch – was wahrschein- Kreaturen wird ihren Partner haben und
licher ist – das Zelt ihrer Wohnung mit sich fortpflanzen, und Gott hat ihnen die
den nötigen Tauen, Zeltstangen und Pla- Trümmer Edoms zum Wohnen zugeteilt
nen auszustatten.40 von Generation zu Generation.

In jenem Königreich wird selbst der 7. Die Herrlichkeit des kommenden Reiches
Lahme Beute machen können. Krank- (Kap. 35)
heit wird es nicht mehr geben, und die 35,1-7 Nachdem die aufrührerischen
Schuld des Volkes wird vergeben sein. Nationen zerstört sind, wird das herr­
liche Reich unseres Herrn und Erretters

954
Jesaja 35 und 36

eingeführt. Zu den Kennzeichen dieser Gnade erleben wird, gehören in einem


Zeit gehören zunehmende Fruchtbar- geistlichen Sinn auch uns aufgrund der-
keit des Landes und die persönliche selben Gnade. Aber dadurch werden die-
Gegenwart des HERRN in Herrlichkeit se Verheißungen nicht erfüllt, die direkt
und Pracht. Die Heiligen werden sich an Israel gegeben wurden, das mit sei-
gegenseitig ermutigen. Jede Art von Be- nem Messias, Jesus, einsgemacht worden
hinderung wird verschwunden sein, ist, und zwar lange bevor die Gemeinde
und mit Jubel wird die Verwandlung überhaupt geoffenbart wurde.42
der Wüste in ein reichlich bewässertes
Land begrüßt. II. Historischer Einschub: Das
35,8-10 Die mehreren hundert Kilo- Buch über Hiskia (Kap. 36-39)
meter durch die Wüste werden für die Die Kapitel 36 bis 39 werden manchmal
aus dem Exil Heimkehrenden zu einem »das Buch des Hiskia« genannt und bil-
»heiligen Weg«, der ausschließlich für den den geschichtlichen Teil des Jesaja-
die Erlösten des Herrn da ist. Das frohe buchs. Außer 38,9-20 sind sie eine ziem-
Zurückkehren aus der weltweiten Zer- lich genaue Wiederholung von 2. Köni-
streuung ist ein Vorbild von der Freu- ge 18,13.17 - 20,19.
de, die wir erleben, wenn die Gläubigen
beim Wiederkommen des Herrn Jesus A. Hiskias Errettung vor Assyrien
in das Vaterhaus gebracht werden. (Kap. 36-37)
In einigen Bibelausgaben sprechen
1. Assyriens Spott gegen Gott (Kap. 36)
die hinzugefügten Überschriften in
Jesaja sinngemäß immer wieder vom 36,1-3 In Kapitel 36 empfängt der Rab-
»Segen für die Kirche« und vom »Fluch schake (eigentl. »oberster Mund-
über Israel«. Tatsächlich aber sind na- schenk«, hier aber Titel des Bevollmäch-
hezu alle diese Vorhersagen direkt für tigten und Heerführers) als Bote des
Israel bestimmt, sowohl die Flüche als Königs von Assyrien drei Abgesandte
auch der Segen. Die Gemeinde kommt Hiskias an der Wasserleitung des obe-
erst später hinzu, oder man kann die ren Teichs, an der Straße des Walker­
Texte auf sie anwenden. Jennings be- feldes. Das ist derselbe Ort, an dem
klagt die ungerechte Behandlung Is­ Ahas stand, als er mehr auf Assyrien
raels durch so viele Christen: vertraute als auf den HERRN, um sich
vor den verbündeten Aramäern und
Zu Recht tadeln wir jene, die alle Verhei- Ephraimiten zu schützen (7,3).
ßungen des Alten Testaments für sich in 36,4-10 Der Rabschake warnt sie vor
Anspruch nehmen und den armen Juden der Torheit, auf Ägypten zu vertrauen,
nur die Drohungen überlassen. Damit weil dieses niederträchtige Königreich
begehen sie einen großen Irrtum, wenn alle verletzen wird, die sich auf es stüt-
auch ein Fünkchen Wahrheit in ihren Be- zen. Auf den HERRN – so sagte er –
hauptungen steckt, weil alle Verhei- könnten sie nicht vertrauen, weil Hiskia
ßungen Gottes Ja und Amen in Christus die Höhen und Altäre des HERRN ent-
Jesus sind. Ihr Irrtum besteht darin, dass fernt hätte. Das war entweder Unwis-
sie sagen, Gott wolle mit Israel nichts senheit oder absichtliche Fehldeutung;
mehr zu tun haben. So wenden sie diese Hiskia hatte die Höhen der Götzen ent-
tröstlichen Ankündigungen – und das fernt und die Anbetung des HERRN im
ausschließlich – auf die Christen an, und Tempel gestärkt. Weiter höhnt der
auf Israel als Nation überhaupt nicht! Rabschake, der König von Juda könne
Gott sei Dank verhält es sich mit allem, nicht einmal genügend Reiter stellen,
was geistlicher Natur ist, folgender­ wenn Sanherib ihm zweitausend Rosse
maßen: Die materiellen Segnungen, die schenkte. Wenn Juda so wenige Men-
Israel aufgrund des neuen Bundes der schen hatte, wie kann es dann hoffen,

955
Jesaja 36 und 37

den Assyrern zu widerstehen, selbst mit nig durch Jesaja, dass kein Grund zur
der Hilfe Ägyptens? Schließlich behaup­ Furcht vor dem König von Assyrien be-
tet er fälschlich, der HERR habe den steht. Gott will Sanherib einen Geist
Assyrern befohlen, Juda zu verheeren. (vielleicht der Besorgnis) geben, sodass
36,11-20 Hiskias Gesandte fürchten, er ein Gerücht für wahr hält und des-
die unverschämten und drohenden wegen in sein Land zurückkehrt, um
Prahlereien auf Hebräisch würden die dort getötet zu werden.
Moral der Männer Judas untergraben. 37,8-13 Als der Rabschake Jerusalem
Darum bitten sie ihn, Aramäisch mit verlässt, um sich mit Sanherib zu tref-
ihnen zu reden. Er lehnt das nicht nur fen, findet er diesen im Kampf gegen
ab, sondern beginnt eine laute Tirade, Libna; denn er hatte sich von Lachisch
in der er Hiskia anklagt, das Volk zu abgewandt, das 16 Kilometer weiter
täuschen und in falscher Sicherheit zu südöstlich liegt. Ein anderer Teil des
wiegen. Er verspricht den Menschen Heeres belagert natürlich Jerusalem.
reichlich Nahrung, wenn sie zu ihm Dann wird er davon abgebracht durch
über­laufen, und außerdem die Über- das Gerücht, Tirhaka, ein Äthiopier auf
siedlung in ein Land von gleicher dem ägyptischen Thron, sei aufgebro-
Fruchtbarkeit. Dann zählt er eine Reihe chen, um gegen ihn zu kämpfen. Dar-
er­oberter Städte auf, einschließlich Sa- um sendet Sanherib Boten zu Hiskia
marias, deren Götter nicht in der Lage mit einem Brief ähnlich lästerlichen In-
waren, sie vor der assyrischen Militär- halts wie die Hetzrede des Rabschake.
macht zu schützen. Dann fragt er, wel- Er spricht davon, dass es Torheit sei, auf
che Chance dann Jerusalem hat. Der den HERRN zu vertrauen, indem er
Rabschake beschließt hochmütig, Got­ aufzählt, wie viele Völker die Könige
tes Volk solle sich ihm unterwerfen. von Assyrien schon besiegt hatten.
36,21-22 Nach dem Befehl ihres Kö- 37,14-20 Hiskia hatte den guten Ge-
nigs versuchen die Männer Hiskias danken, den Brief in den Tempel zu
nicht, ihm zu antworten, sondern gehen, bringen und ihn dort vor dem HERRN
um diese Worte dem König mitzuteilen. auszubreiten. In einem kurzen, aber be-
wegenden Gebet beweist er seinen gro-
2. Gott vernichtet die Assyrer (Kap. 37) ßen Glauben. Er bittet Gott, Juda vor
37,1-4 Als der König Hiskia hört, was dem König von Assyrien zu retten, »da-
der Rabschake gesagt hat, gerät er in mit alle Königreiche der Erde erkennen,
große Angst und Not. Nachdem er in dass du allein der HERR bist«.
den Tempel gegangen ist, sendet er eine 37,21-29 Der HERR antwortet durch
Abordnung zu dem Propheten Jesaja Jesaja mit einem Gedicht, das zuerst Je-
und lässt ihm sagen: »Die Kinder sind rusalem als Jungfrau darstellt, die San-
bis an den Muttermund gekommen; herib verspottet, weil er in sein Verder-
aber da ist keine Kraft zu gebären.« J.A. ben stürzt. Dann zieht der HERR selbst
Alexander sagt zu dieser Bildsprache: die Assyrer zur Rechenschaft, weil sie
»Sie ist der Ausdruck von außerordent- den HERRN gelästert und geprahlt hat-
lichen Schmerzen, einer unmittelbar be- ten, als hätten sie Juda und Ägypten be-
vorstehenden Gefahr, der völligen reits erobert. Gott sagt dem Sanherib, er
Schwachheit und des gänzlichen An­ sei nur eine Schachfigur in Gottes Hand
gewiesenseins auf fremde Hilfe.«43 In und führe nur aus, was er schon längst
seiner Furchtsamkeit, die größer ist als geplant hatte. Derselbe Herr, der über
sein Glaube, überlegt Hiskia, ob der den bösen König alles weiß, wird ihn
HERR vielleicht die spöttischen Worte wie ein Tier an einem Ring in seiner
des Rabschake hört und ihn dafür be- Nase nach Assyrien zurückführen.
strafen wird. 37,30-32 Dann wendet sich der HERR
37,5-7 Der HERR versichert dem Kö- an Hiskia und versichert ihm, dass im

956
Jesaja 37 und 38

dritten Jahr wieder genug zu essen da nesung schrieb Hiskia ein Gedicht oder
sein wird, wenn es auch in diesem und einen Psalm, der allein hier im ge-
im zweiten Jahr zu Engpässen kommt schichtlichen Teil von Jesaja niederge-
wegen des Einfalls der Assyrer. Das schrieben ist und keine Parallele in
Volk, das sich wegen der Belagerung 2. Könige hat. Er beginnt mit der Be-
nach Jerusalem geflüchtet hatte, wird kümmerung, die ihn erfüllte, als er er-
wieder herauskommen und ein norma- fuhr, dass er in seinen besten Jahren
les Leben führen. Der Eifer des HERRN sterben musste. Er wird Jah, den
für sein Volk wird das tun. HERRN, nicht mehr sehen, d.h. seine
37,33-35 Der HERR versichert Hiskia, Güte in seinem Leben nicht mehr er­
der König von Assyrien werde nicht in fahren; er wird vom Rest der Mensch-
Jerusalem hineinkommen, auch nicht heit abgeschnitten sein. Sein Leben en-
so nahe herankommen, dass er die Stadt det, wie ein Hirtenzelt abgebrochen
angreifen könnte. Gott selbst will die wird, oder wie ein fertiges Stoffstück
Stadt beschirmen und die Eindring­ vom Webstuhl losgeschnitten wird.
linge auf dem Weg zurückschicken, auf Hiskia beschreibt sein Gefühl der Ver-
dem sie gekommen sind. zweiflung und der Bitterkeit, sein ernst-
37,36 Und so geschah es. Der Engel liches Gebet und seine Hilflosigkeit un-
des HERRN tötete 185.000 assyrische ter der züchtigenden Hand Gottes.
Soldaten während einer Nacht. 38,16-20 Aber in Vers 16 sehen wir et-
37,37-38 Sanherib kehrt nach Ninive was Neues. Hiskia bekennt, dass man
zurück und wird dort von seinen Söh- durch solche Anfechtungen lebt und
nen Adrammelech und Sarezer in sei- dass sie einen guten Einfluss auf den
nem Götzentempel ermordet. Charakter eines Menschen haben. Gott
hat ihn nun vor dem Sterben errettet,
B. Hiskias Krankheit und und das ist für den König ein Anzei-
Wiederherstellung (Kap. 38) chen dafür, dass Gott seine Sünden ver-
38,1-8 Kapitel 38 folgt zeitlich nicht auf geben hat. Vers 18 zeigt die unklare
Kapitel 37, denn in V. 6 wird Hiskia die Sicht, die die alttestamentlichen Heili-
Rettung von der assyrischen Bedro- gen von dem körperlosen Zustand nach
hung verheißen, die am Ende des vor- dem Tod hatten. Nun aber, da er lebt,
herigen Kapitels bereits beendet war. kann er Gott danken und seinen Kin-
Als Hiskia schwer erkrankt, betet er dern von Gottes Treue erzählen. Er ist
ernstlich um Verlängerung seines Le- entschlossen, den HERRN alle Tage sei-
bens, und der Gott seines Vaters David nes Lebens zu loben und zu preisen.
gewährt ihm noch 15 weitere Jahre. 38,21-22 Diese beiden Verse fügen sich
Zum Zeichen dafür, dass er gesund chronologisch zwischen Vers 6 und Vers
werden wird und Sanherib zurück­ 7 ein. Indem Gott sie hierher setzt,
geschlagen wird, verheißt Gott, dass er schreibt Kelly, »zeigt er seine Anteilnah-
den Schatten an der Sonnenuhr des me an den Seinen, was immer ihr Ge-
Ahas um zehn Stufen zurückgehen las- brechen sein mag, und erklärt die Mit-
sen wird. Das Hebräisch in V. 8 ist tel, die zur Heilung angewandt wurden,
schwie­­rig zu verstehen, aber es ist und den Grund, weshalb das Zeichen
wahr­­­scheinlich, dass Ahas einen Obe- gegeben wurde«.44
lisk hatte errichten lassen, zu dem Stu- Matthew Henry leitet aus diesem Ab-
fen hinaufführten und der zur Bestim- schnitt zwei gute Lehren über Heilung
mung der Zeit benutzt wurde. Gott ließ ab:
durch ein Wunder den Schatten um
zehn Stufen zurückgehen, während 1. Gottes Verheißungen sind nicht dazu
Hiskia zusah. gegeben, die Anwendung von Mitteln
38,9-15 Zum Gedenken an seine Ge- zur Heilung zu ersetzen, sondern viel-

957
Jesaja 38 bis 40

mehr zu ihr zu ermutigen und sie zu be- und dann auf die Wiederherstellung
leben. Hiskia ist sicher, dass er genesen des ganzen Volkes bei dem Zweiten
wird, und dennoch muss er eine Feigen- Kommen Christi.
masse nehmen und auf das Geschwür le-
gen (V. 21). … 2. Das wichtigste Ziel, das A. Der Trost aus der kommenden
wir verfolgen sollten, wenn wir Leben Befreiung Israels (Kap. 40-48)
und Gesundheit erstreben, ist, dass wir
1. Trost durch Gottes Vergebung und
Gott verherrlichen und Gutes tun ‒ und
Frieden (40,1-11)
Fortschritte machen in der Erkenntnis, in
der Gnade und in der Zubereitung für 40,1-2 Kapitel 40 beginnt mit einer Trost-
den Himmel.45 botschaft für die zurückkehrenden Ge-
fangenen. Jerusalems Kummer ist vor­
C. Hiskias Sünde (Kap. 39) über. Ihre Schuld ist abgetragen; denn
39,1-7 Kapitel 39 berichtet von Hiskias sie erhielt das Doppelte (d.h. ein volles
schwerwiegendem Fehler, dass er einer und entsprechendes Maß) für alle ihre
Delegation des Königs von Babylon alle Sünden. Dies wird sich beim Zweiten
seine Schätze gezeigt hatte. Die Babylo- Kommen Christi ganz erfüllen. In der
nier waren vorgeblich gekommen, um Zwischenzeit hat es diese alte Erde und
Hiskia zu seiner Genesung zu gratulie- sogar die Gemeinde bitter nötig, getrös­
ren. Hiskia hoffte vielleicht, die Babylo- tet zu werden. Jeder von uns kann dazu
nier könnten Juda gegen die Bedrohung beitragen, Gottes Volk zu trösten.
aus Assyrien unterstützen. Als Jesaja
hörte, was geschehen war, verkündete Die Kunst, recht zu trösten, erbitte von
er das Strafgericht Gottes. Juda würde Gott.
von den Babyloniern in die Gefangen- Er zeigt dir sein Mitleid mit all unserer
schaft geführt werden. Die Söhne des Not.
Königs würden Hofbeamte im dortigen Dann weih’ ihm dein Leben und lern’,
Königspalast sein. Diese Vorhersage wie er’s macht,
wurde siebzig Jahre vor dem Eintreten Und was der Herr Jesus für uns hat
dieser Ereignisse gemacht, als noch As- vollbracht.
syrien, nicht Babylon, die Hauptbedro- Denn schwer drückt das Leid die
hung für Juda darstellte. gefallene Welt.
39,8 Hiskias Antwort: »Das Wort des Drum lasse dich stärken und bitte um Mut
HERRN ist gut …«, zeigt Hiskias Un- Und suche zu trösten, wie Jesus es tut.
terwerfung sowie auch die Erleichte- Nach A.E. Hamilton
rung, dass er persönlich diese Katastro-
phe nicht mehr erleben würde. 40,3-5 Der Ruf geht aus: »Bahnt den
Weg des HERRN!« Johannes der Täufer
III. Weissagungen des Trostes aus füllte die Rolle des Vorläufers beim Ers­
dem Blickwinkel der kommen- ten Kommen des Herrn aus (Mt 3,3),
den Gefangenschaft (Kap. 40-66) und Elia wird dies beim Zweiten Kom-
men tun (Mal 4,5-6). Die Vorbereitung
Wenn die vorangegangenen 39 Kapitel auf sein Kommen ist moralischer und
den 39 Büchern des Alten Testaments geistlicher Natur und hängt nicht von
entsprechen, dann entsprechen gewiss einem Ort ab. Morgan schreibt:
die folgenden 27 Kapitel den 27 Büchern
des Neuen Testaments; denn sie sind Die Treuen unter den Menschen bereiten
voll von Bildern des Messias Jesus. seinen Weg und machen seine Straße
In diesem Teil des Buchs Jesaja blickt eben, indem sie sich ihm in voller Loyali-
der Prophet voraus auf Judas Rückkehr tät zur Verfügung stellen und nur ihm
aus der babylonischen Gefangenschaft vertrauen.46

958
Jesaja 40 und 41

Berge und Hügel stellen stolze und ar- der Götzen. Der HERR hat die Wasser
rogante Menschen dar, Täler die Men- des Ozeans mit seiner hohlen Hand ge-
schen in niedrigerer Stellung. Jede Un­ messen und die Himmel mit der Span-
ebenheit und Rauheit unseres Charak- ne abgegrenzt (also mit dem Abstand
ters muss eben gemacht werden. Die zwischen der Daumenspitze und der
Herrlichkeit des HERRN (das ist der Spitze des kleinen Fingers). Er erfasst
HERR selbst) wird sich offenbaren, und den Staub der Erde mit einem Maß
alles Fleisch miteinander wird es sehen (wörtl. Dreiling, ca. 8 Liter).
(siehe Offb 1,7). 40,13-14 Niemand hat jemals den
40,6-8 Der HERR weist den Prophe- Geist des HERRN unterwiesen. Alle
ten an: »Rufe!« Denn alle Menschen sol- seine Werke der Schöpfung und der
len wissen, wie vergänglich sie sind Vorsehung wurden und werden ohne
und wie beständig das Wort Gottes ist. fremde Hilfe ausgeführt.
Während diese Verse die Vergänglich- 40,15-17 Die Nationen sind für ihn so
keit aller Menschen beschreiben, kön- unbedeutend wie ein Tropfen am Eimer.
nen sie hier besonders Israels Unter- Die Wälder des Libanon reichen nicht
drücker betreffen. hin zum Brennholz, und alle seine Tiere
»Das Wort unseres Gottes besteht in sind viel zu wenig, um als würdiges
Ewigkeit.« Diesen Spruch haben sich Brandopfer für ihn gelten zu können.
viele christliche Schulen zum Motto ge- 40,18-26 Welches von Menschen ge-
wählt, meistens auf Latein: Verbum Dei machte Abbild könnte jemals einen so
manet in aeternam. William Kelly schreibt: großen Gott wiedergeben? Der Reiche
macht seinen Götzen aus kostbarem
Weil das Ende näher kommt, haben wir Metall, und der Arme macht ihn aus
es sehr nötig, uns einfältig auf Gottes Holz. Absolut lächerlich! Haben sie es
Wort zu verlassen. Es mag dabei für sol- nicht erkannt oder gehört, wie groß der
che, wie wir sind, Schwierigkeiten ge- HERR als Person und in seiner Macht
ben, und das Wort Gottes scheint eine ist? Welches Bild könnte je die Größe
schwache Stütze zu sein, um darauf für dessen einfangen, der die Sterne ge-
die Ewigkeit zu vertrauen; doch in Wahr- macht hat? Wenn er sie ruft, zur Nacht
heit ist es beständiger als Himmel und hervorzukommen, fehlt kein einziger.
Erde.47 40,27-31 Sollte irgendeiner aus dem
Volk Israel entmutigt sein und sich fra-
40,9-11 Zion selbst könnte hier die Ver- gen, ob Gott noch für ihn sorgt, so möge
künderin der guten Botschaft von der er begreifen, dass alle, die auf den
Ankunft des Messias sein; vielleicht HERRN hoffen, stets neue Kraft emp-
wird ihr diese aber auch durch eine fangen. Es ist absurd zu meinen, er sor-
Zeugin verkündet. Die Verse 10 und 11 ge für sein Volk weniger als für die Ster-
zeigen die Strenge und die Güte Gottes ne, die er so irrtumslos leitet.
– Strenge gegen solche, die es ablehnen,
ihn anzuerkennen, aber sanfte Güte ge- 3. Trost durch den Heiligen Israels (Kap. 41)
gen seine Herde und die Lämmer, die 41,1 Gott versammelt die Heidenvölker,
unter die Heidenvölker zerstreut wa- um vor ihm zu erscheinen. Sie sollen
ren. Diese Verse beschreiben sein Kom- dazu neue Kraft gewinnen, d.h. ihre
men in Macht und Herrlichkeit. stärksten Argumente hervorsuchen.
41,2-4 Der HERR beschreibt zunächst,
2. Trost durch die Eigenschaften Gottes wie er Kyrus beruft, den Mann vom
(40,12-31) Osten (Sonnenaufgang). Die Vergan-
40,12 Hier beginnt ein klassischer Ab- genheitsform wird benutzt, um die
schnitt über die Größe Gottes im Ge- Gewissheit des noch Zukünftigen zu
gensatz zu der gänzlichen Nichtigkeit beschreiben. Hier sollte angemerkt

959
Jesaja 41 und 42

werden, dass einige Ausleger die Verse im Tausendjährigen Reich Wasser die
2 und 3 auf Abraham beziehen; aber die Fülle haben, und die Wüste wird grü-
militärischen Siege des Mannes, der nen. Viele Baumarten wird es dort ge-
hier beschrieben wird, überragen weit ben. Daraus sollen alle lernen, dass der
alles, was Abraham zustande gebracht HERR wirklich für die Seinen sorgt.
hat. Dieser Mann (Kyrus, der König 41,21-24 In Vers 21 kommt Gott noch
von Persien) erlebt nichts als Siege. Auf einmal auf seinen Rechtsstreit mit den
seinen Kriegszügen ist jeglicher Wider- Nationen zurück. Er fordert sie auf,
stand so schwach wie Staub und Stop- Götzen zu machen, die vorhersagen
peln. Sehr schnell gelangt er an Orte, können, was sich künftig ereignen wird,
die ihm neu sind. Wer hat Kyrus er- oder auch nur für bereits vorhandene
weckt, wer ruft eine Generation, dass Dinge die Verantwortung tragen. Sie
sie der vorigen folgt? Es ist der HERR – sollen doch weissagen oder irgend­
der Erste und der Letzte; d.h. er wird etwas Gutes oder Böses tun – irgend­
bei der letzten Generation noch dersel- etwas, was zeigen würde, dass sie über­
be sein. haupt etwas tun können. Aber sie kön-
41,5-7 Die Völker fürchten sich, wenn nen es nicht. Sie selbst sind nichts – nicht
sie hören, dass der Eroberer naht. Die einmal ein ganzes Nichts, sondern nur
Menschen versuchen sich gegenseitig ein Bruchteil von Nichts.48
zu ermutigen, indem sie sagen, es sei 41,25-28 In Vers 25 gerät Kyrus wie-
nichts zu befürchten. Dann bauen sie der ins Blickfeld; diesmal als einer von
sich hastig Götzen, die sie vor dem Ver- Norden her. Ursprünglich kam er aus
derben schützen sollen. Das arme Göt- Persien (aus dem Osten, V. 2), dann er­
zenbild muss festgenagelt werden, da- oberte er Medien (den Norden) und trat
mit es nicht wackelt! seinen Vormarsch von dort an. Kyrus
41,8-10 Die Verse 8 bis 20 beschreiben rief den Namen Gottes in dem Sinn an,
Gottes persönliche Liebe und Fürsorge dass er Gott als denjenigen anerkannte,
für sein Volk. Darin liegt die Frage: der ihn leitete und ihm Kraft verlieh
»Haben sich die Götzen jemals so liebe- (Esra 1,2). Kein Götze hat jemals das
voll um euch gekümmert?« Gott hatte Auftreten des Kyrus vorhergesagt. Gott
die Israeliten aus Ur in Chaldäa ge­rufen, hat es seinem Volk von Anfang an ver-
seine Knechte zu sein. In einem der kündet, doch kann er unter den Götzen
wunderbarsten Verse des Jesajabuchs keinen finden, der mit Vollmacht spre-
versichert Gott sie seiner Gegenwart, chen kann. Sie sind allesamt Betrug und
seiner Beziehung zu ihnen, seiner Hilfe verdienen kein Vertrauen.
und seiner unterstützenden Macht: 41,29 Der letzte Vers von Kapitel 41
offenbart klar und deutlich den Unter-
Fürchte dich nicht, denn ich bin mit dir! schied zwischen Gott und den wert­
Habe keine Angst; denn ich bin dein losen Bildern. Vine lehnt sich stark an
Gott! Ich stärke dich, ja, ich helfe dir, ja, das Original an, wenn er es wie folgt
ich halte dich mit der Rechten meiner wiedergibt:
Gerechtigkeit.
Seht sie euch alle an! Nichtigkeit! Ihre
41,11-16 Ihre Feinde werden zuschan- Werke sind Nichtigkeit; ihre gegossenen
den und untergehen; Gott ist ihr Helfer Bilder sind Wind und Leere.49
und Erlöser. Der HERR benutzt Israel
als seinen Dreschschlitten gegen die 4. Trost durch den Knecht des HERRN
Nationen, und Israel wird in dem (Kap. 42)
HERRN allein jubeln. 42,1-4 Der Name »Knecht« wird von
41,17-20 Für die Armen und Elenden Jesaja auf den Messias angewandt,
wird der HERR sorgen. Die Erde wird außer­dem auf das ganze Volk Israel, auf

960
Jesaja 42 und 43

den gottesfürchtigen Überrest des Volkes sam, und als Ergebnis davon wurde es
(43,10) und auf Kyrus. Gewöhnlich beraubt und ausgeplündert und in Ker-
macht der Kontext deutlich, um wen es kern gehalten.
sich jeweils handelt. In den Versen 1 bis 42,23-25 Der Prophet Jesaja fragt:
4 ist es klar der Herr Jesus, aufrecht­ »Wer unter euch will das zu Ohren neh-
erhalten und auserwählt von Gott und men? … Wer hat Jakob der Plünderung
ausgerüstet mit dem Heiligen Geist. Er preisgegeben und Israel den Räubern?
wird das Recht zu den Heiden bringen; Nicht der HERR, gegen den wir gesün-
er wird kein Volksaufhetzer sein; er digt haben?« Gott hat die Glut seines
wird den wahrhaft Bußfertigen nicht Zornes und die Gewalt des Krieges
zerbrechen, noch den Funken des Glau- über Israel ausgegossen; doch niemand
bens auslöschen. Er wird weder er­ scheint die Bedeutung dieser Züchti-
matten noch zusammenbrechen, bis er gung zu erkennen oder nimmt sie zu
sein gerechtes Reich aufgerichtet hat. Herzen.
42,5-9 Gott, der mächtige Schöpfer,
spricht nun den Messias an und sagt 5. Trost durch Israels Wiederherstellung
ihm, was er vorhat auszuführen durch (Kap. 43-44)
den Einen, den er in Gerechtigkeit be- 43,1-7 Voll erbarmender Liebe ver­
rufen hat. Gott gibt seine Ehre keinem sichert der HERR seinem Volk, dass es
anderen, schon gar nicht den Götzen- sich nicht zu fürchten braucht, weil der,
bildern. Seine früheren Vorhersagen der es geschaffen, gebildet, erlöst und
sind eingetroffen, und nun offenbart er gerufen hat, bei ihm sein wird in Was-
wieder das Zukünftige. ser und Feuer. Der Heilige Israels gibt
42,10-13 Israel ruft die fernsten Völker Ägypten für es als Lösegeld, eine Ver-
der Erde, damit sie in das Loblied auf heißung, die sich nach der Rückkehr
den Messias einstimmen, wenn er her- der Juden aus der Gefangenschaft er-
absteigt wie ein Kriegsmann, um Rache füllt hat. Vine schreibt:
an seinen Feinden zu nehmen. Die Er-
wähnung von Kedar und Sela bedeutet, Der Herr belohnte Kyrus, den persischen
dass auch Araber in das Jauchzen ein- Herrscher, für die Befreiung Israels mit
stimmen werden. der Erlaubnis für ihn und seinen Sohn
42,14-17 Hier spricht der HERR. Die Kambyses, Ägypten und die angrenzen-
Zeit seiner Zurückhaltung ist vorüber; den Königreiche zu besitzen. Seba war
jetzt wird er seinen Grimm über seine das große Gebiet zwischen dem Weißen
Feinde entfesseln; mit dem gläubigen und dem Blauen Nil, das bis Äthiopien
Überrest Israels wird er barmherzig reichte. Der Besitz dieser Länder war
umgehen, aber die Götzendiener wird nicht nur eine Gabe; es war das Lösegeld
er völlig zuschanden machen. (kopher = Deckung, Sühne); das Volk, um
42,18-22 In Vers 19 ist der Knecht dessentwillen die Zahlung geschah, wur-
nicht mehr der Messias. Es ist Israel, de dadurch bedeckt und losgekauft.50
doch taub und blind für die Worte und
Werke des HERRN. »Wer ist blind wie Weil Israel teuer und wertvoll und von
Meschullam?« Wird dieser Name über- Gott geliebt ist, wird er Menschen hin-
setzt, so lautet der Satz: »Wer ist blind geben an seiner Stelle, d.h. auf die Hei-
wie mein Vertrauter?« Israel wurde in denvölker ringsumher wird Gericht
eine Bundesbeziehung zu dem HERRN kommen, damit seine Söhne und Töch-
gebracht; aber es wandelte nicht wür- ter ins Land zurückgebracht werden
dig dieser hohen Berufung. Der HERR können. Die Verse 5 bis 7 beschreiben
machte das Gesetz groß. Es war herrlich diese Wiederherstellung.
in seinen Augen. Aber Israel verachtete 43,8-13 Nun versammelt der HERR
es und war ihm gegenüber ungehor- Israel und alle Nationen zu einer rich-

961
Jesaja 43 und 44

terlichen Beweisaufnahme. Sie sollen 44,1-5 In diesen Versen hören wir, wie
Zeugen stellen für die Fähigkeit der das Herz des HERRN für sein Volk
Götzen, die Zukunft vorherzusagen. schlägt. Seine Liebe ist durch alle Sün-
Sonst sollen sie anerkennen, dass nur den der Israeliten nicht ausgelöscht
Gott wahrhaftig ist. Der HERR ruft die worden. Er nennt sie Jakob (Verdrän-
Israeliten als seine Zeugen auf.51 Sie sol- ger), Israel (Fürst Gottes) und Jeschu-
len bestätigen, dass er der einzig wahre run (aufrichtig). Er, der sie gemacht,
Gott, der Ewige, ist, dass es neben ihm gebildet und erwählt hat, hilft ihnen.
keinen Retter und keinen Erlöser gibt Die Verheißung des Geistes wurde teil-
und dass seine Taten niemand rückgän- weise zu Pfingsten erfüllt, doch wird
gig machen kann. ihre endgültige und völlige Erfüllung
43,14-21 Der HERR ist entschlossen, erst beim Zweiten Kommen Christi ge-
Babylon um Israels willen zu zerstören. schehen. Dann wird das Durstige, so-
Dies wird zeigen, dass er der HERR ist, wohl buchstäblich als auch geistlich
der Heilige, der Schöpfer und König verstanden, viel Wasser empfangen. Is-
seines Volkes. Er ist derjenige, der die raels Nachkommen werden aufspros-
Israeliten durch das Rote Meer brachte sen, und sie werden sich nicht schämen,
und gleichzeitig die nachfolgenden sich nach dem Namen Israels und Ja-
Ägypter vernichtete. Aber an diesen kobs zu nennen – und nach dem Na-
Auszug wird man nicht mehr geden- men des HERRN. (Vielleicht bedeutet
ken, verglichen mit dem, was er jetzt Vers 5 auch, dass sich Heiden mit dem
tun will. Er wird durch die Wüste einen HERRN und mit seinem Volk identifi-
Weg für sein Volk bahnen, wenn es aus zieren, siehe Ps 87,4-5.)
der Gefangenschaft zurückkehrt. Auf 44,6-8 Der HERR, der König Israels,
der erneuerten Erde wird die Einöde ist einmalig – der einzig wahre Gott. Er
reichlich Wasser haben, sodass alles, fordert die sogenannten Götter heraus,
was dort lebt, ihn ehren wird. Auch die Zukunft vorherzusagen, wie er es
Gottes Volk wird dankbar sein und sei- besonders im Hinblick auf das Volk der
nen Namen preisen. Urzeit (so der hebräische Text wört-
43,22-24 Diese Verse handeln wieder lich), auf Israel tut. Sein Volk braucht
von den Tagen Israels vor seiner Gefan- nicht zu erschrecken. Es gibt niemand,
genschaft. Das Volk war gebetslos und der Gottes Machtstellung infrage stel-
mühte sich nicht um den HERRN (oder, len könnte. Israel ist sein Zeuge, dass er
nach einer anderen Übersetzung: sie das Künftige vorhergesagt hat, und er
wurden des Herrn überdrüssig). Ob- ist der einzige Gott. Er kennt keinen an-
wohl die Israeliten ihm in oberfläch- deren wirklichen »Felsen«; wie sollte
licher Weise Opfer darbrachten, waren Israel einen kennen?
ihre Herzen doch fern von ihm. Damit 44,9-11 Die Bildner von Götterbildern
war es genauso, als hätten sie gar keine sind zu Schande und Enttäuschung ver-
Opfer dargebracht. Sie haben Gott nicht urteilt. Die Götzen nützen nichts und
mit Gaben überhäuft – stattdessen mit sind kraftlos.
ihren Sünden! 44,12-17 Hier macht ein Schmied ei-
43,25-28 Doch in seiner Gnade tilgt er nen Götzen für einen Reichen. Er er­
ihre Übertretungen und vergibt und müdet, während er ihn in die ge-
vergisst ihre Sünden. Können sie von wünschte Form bringt. Darum muss er
ihrer Seite ein einziges Verdienst anfüh- eine Pause einlegen – er braucht Nah-
ren, um dessentwillen er das tun sollte? rung, etwas zu trinken und Ruhe. Wenn
Nein. Ihre gesamte Geschichte ist ein der Schöpfer des Götzenbilds schon so
ununterbrochener Bericht von Sünde schnell kraftlos wird, was ist dann mit
und Versagen – von Adam an. Darum dem unbelebten Bild, das er macht?
kam sein Gericht über sie. Oder hier ist ein Handwerker, der

962
Jesaja 44 und 45

einen hölzernen Götzen für einen Gott ihn als »seinen Hirten« bezeichnet.
Armen macht. Er schnitzt an dem Holz- Der jüdische Historiker Josephus hat
klotz, bis das Bild eines Mannes er- geschrieben:
scheint. Vielleicht hat er den Baum
selbst gepflanzt. Er nimmt davon als Das hatte der König erfahren (betreffs
Brennholz und wärmt sich, mit an­ des Tempelbaus) bei der Lesung des Bu-
derem Holz davon backt er Brot, und ches der Weissagungen, welches Esaias
aus dem Übrigen macht er einen Gott 210 Jahre früher geschrieben hatte. … So
und wirft sich vor seinem eigenen Ge- prophezeite Esaias 140 Jahre vor der Zer-
schöpf nieder. störung des Tempels. Als Cyrus es ge­
44,18-20 Weil sie sich weigerten, zu lesen hatte, bewunderte er Gottes Vor­
sehen, hat Gott die Augen der Götzen- sehung und ward von regem Eifer er-
diener verklebt. Sie hören nicht auf zu füllt, dasjenige auszuführen, was ge-
meinen, dass derselbe Baum, den sie als schrieben stand.52
ihren Herrn ansehen, genauso ihr
Knecht ist, dass sie einen Teil anbeten 6.Trost durch Kyrus, Gottes Gesalbten
und den anderen zu Haushaltszwecken (Kap. 45)
verwenden! Sie ernähren sich von et- 45,1-6 Der HERR beruft Kyrus, seinen
was, was wertlos wie Asche ist; sie sind »Gesalbten« (im Hebräischen dasselbe
von ihrem Irrglauben betrogen, sie Wort wie »Messias«), weil der persische
könnten sich selbst von ihrer Knecht- Herrscher ein Vorläufer des Messias ist,
schaft erretten, und sie begreifen die der einmal seinem Volk die endgültige
Tatsache nicht, dass der Gott in ihrer Befreiung schenken wird. Der HERR
rechten Hand eine Lüge ist. verheißt, ihm Sieg zu geben über die Na-
44,21-23 Die Israeliten werden auf­ tionen, vor allem über Babylon, alle Hin-
gerufen, daran zu denken, dass Gott ihr dernisse wegzuräumen, die seinen Er­
Schöpfer ist, der sie nie vergisst, und sie oberungen im Weg stehen, und ihm un-
sind seine Knechte. Er hat den Nebel geheure verborgene Schätze und ver-
ihrer Sünden ausgelöscht, der sein An- steckte Vorräte auszuhändigen. Immer
gesicht vor ihnen verbarg; er hat sie er- noch an Kyrus gerichtet, spricht der
löst von ihren Fesseln und lädt sie ein: HERR von sich als dem einzig wahren
»Kehre um zu mir!« Die ganze Schöp- Gott, der Kyrus beim Namen ruft, der
fung ist eingeladen, in Jubel auszu­ ihm die Ehrennamen »Gesalbter« und
brechen, weil der Herr Jakob erlöst hat. »Hirte« gibt (44,28) und der ihn für seine
44,24-27 Gott stellt sich dem gläu- Sendung ausrüstet. Gott tut das alles um
bigen Überrest als Erlöser vor, als der seines Volkes willen, damit die ganze
HERR, als Schöpfer, Beschützer und Welt erkenne, dass er allein der HERR
Wiederhersteller. Er lässt die Vorher­ ist.
sagen der chaldäischen Orakelpriester 45,7 Vers 7 sagt nicht, Gott schaffe das
und Wahrsager zuschanden werden, moralisch »Böse«, wie manche behaup-
dazu die Weisheit der Weisen. Er be­ ten, indem sie sich auf die King James
stätigt die Vorhersagen seiner eigenen Bible oder andere Übersetzungen stüt-
Propheten, dass Jerusalem und Juda zen.53 Delitzsch macht deutlich, dass der
wiederhergestellt werden und dass sein frühe »christliche« Häretiker Marcion
Volk aus der Gefangenschaft heim­ und die häretischen Valentiner und an-
kehren wird nach dem Befehl des Ky- dere gnostische Sekten diesen Text miss-
rus. brauchten, um zu lehren, der Gott des
44,28 Diese Weissagung über Kyrus AT sei »ein anderes Wesen als der Gott
ist bemerkenswert, weil sie ihn, 150 bis des NT«.54 In Bezug auf das Problem des
200 Jahre vor seiner Geburt, beim Na- Bösen (natürlich einschließlich der Un-
men nennt. Erstaunlich ist auch, dass glücksfälle) fährt Delitzsch fort: »Zwei-

963
Jesaja 45

fellos ist das Böse als Handlung nicht den Erlass des Artaxerxes (Nehemia
direkt durch Gott gewirkt, sondern die 2,8b) ausgeführt wurde, war es die Ent-
spontane Wirksamkeit eines Geschöpfs, scheidung des Kyrus, die hierfür die
das mit freiem Willen ausgestattet ist.«55 Grundlagen schuf, indem er den Juden
Im vorliegenden Zusammenhang geht erlaubte, aus Babylon zurückzukehren.
es um den Unterschied zwischen Licht 45,14-17 Israels frühere Feinde wer-
und dessen Gegenteil, der Finsternis, den eines Tages mit Gaben und Tribu-
zwischen Frieden und dessen Gegenteil, ten kommen und anerkennen, dass der
dem Unheil. Von dem, was Gott zulässt, Gott der Juden der wahre Gott ist und
wird oft gesagt, er habe es geschaffen. es keinen sonst gibt. Diese Verheißung
Einige glauben, die Erwähnung von und auch die anderen Handlungen
Licht und Finsternis beziehe sich auf Gottes veranlassen den erretteten Über-
zwei Prinzipien, die von den Persern rest, Gott für seine unerforschlichen
praktisch als Gottheiten verehrt wurden Gerichte und für seine Wege, die er mit
und die sich im unaufhörlichen Streit ihm gegangen ist, zu preisen. Die Her-
befanden. Wieder andere sagen, es gebe steller und Anbeter falscher Götter wer-
keine Beweise, dass Kyrus dieser Reli­ den zuschanden, während Israel in dem
gion gefolgt sei. Durch die Feldzüge des HERRN ewige Errettung findet. Israel
Kyrus wird es zu Frieden für Israel und wird nach dem Zweiten Kommen des
zu Unheil für dessen Feinde kommen, Messias niemals mehr Ursache zur Be-
und Gott war es, der von oben her die schämung haben.
gesamte Operation leitete. 45,18-19 Als der HERR die Welt ge-
45,8 Die hier beschriebenen idealen schaffen hat, hat er sie nicht als Öde
Bedingungen von überfließender Ge- (oder Leere) gemacht (tohu, dasselbe
rechtigkeit (oder Rechtsprechung) und Wort wie in 1.Mose 1,2). Er hat sie ge-
Heil (oder Errettung) sind in begrenz- schaffen, damit sie von Menschen be-
tem Maß durch das Einschreiten des wohnt würde, und sich den Menschen
Kyrus für Israel Wirklichkeit geworden. in klarer, unmissverständlicher Sprache
Ihre vollständige Erfüllung wird erst offenbart. Er hat nichts Chaotisches ge-
das Tausendjährige Reich bringen. schaffen, noch redete er mit ihnen in
45,9-11 Ein »Wehe« wird dem ver- unverständlicher Weise. Vielmehr of-
kündigt, der das Recht des HERRN hin- fenbarte er sich ihnen in Wahrheit und
terfragt, einen Fremden zur Erlösung Gerechtigkeit als der absolute und al-
Judas zu gebrauchen. Das ist, als wenn lerhöchste Gott.
der Ton mit dem Töpfer streitet und ihn 45,20-21 Er fordert die Heidenvölker
beschuldigt, keine Hände zu haben, heraus, die ihre Götzen umhertragen
also kraftlos zu sein. Vers 11 sollte viel- und zu machtlosen Göttern beten. Sie
leicht als Frage gelesen werden: »Fragt sollen doch Beweise dafür liefern, dass
ihr mich über meine fern in der Zukunft ihre Götzen die Zukunft voraussagen
liegenden Absichten in Bezug auf mei- können, wie er es getan hat. Nur er
ne Kinder, oder wollt ihr mir befehlen, kann dies tun – und nur er ist der ge-
was meine Hände zu tun haben?« Mit rechte und rettende Gott.
anderen Worten: »Welches Recht habt 45,22-25 Er lädt die Heidenvölker ein,
ihr, mich zur Rede zu stellen?« zu ihm zu kommen, damit sie gerettet
45,12-13 Derselbe, der den Menschen werden, und er verkündet, dass jedes
geschaffen und die Himmel ausge- Knie sich vor ihm beugen und jede
spannt und die Erde gemacht hat, er- Zunge ihm schwören wird (siehe Röm
wählte Kyrus, um seine Weggeführten 14,11; Phil 2,9-11). Dies wird sich im
zu befreien und seine Stadt Jerusalem Tausendjährigen Reich erfüllen. Dann
zu bauen. Während der Wiederaufbau werden die Menschen den Herrn Jesus
der Stadt tatsächlich erst später durch als die einzige Quelle der Gerechtigkeit

964
Jesaja 46 bis 48

und der Stärke anerkennen. Alle seine den Beweis anzuerkennen, hören Got-
Feinde werden vor ihn kommen und tes fest beschlossene Absicht, in Zion
beschämt sein, und Israel wird gerecht- Heil zu geben.
fertigt sein und sich seiner rühmen,
nicht der Götzen. 8. Trost durch den Fall Babylons (Kap. 47)
47,1-4 Die Stadt Babel wird hier als jung-
7. Trost durch den Fall der Götzen fräuliche Königin dargestellt, die ge-
Babylons (Kap. 46) zwungen wird, von ihrem Thron zu stei-
46,1-2 Die Götzen Babylons, Bel und gen und eine Sklavin zu werden, die
Nebo, werden von den Persern weg­ niedrige Arbeit tut und durch Ströme in
gekarrt. Während das erschöpfte Zug- die Gefangenschaft waten muss. Sie wird
vieh dahintrottet, stürzen die Götzen- entblößt und öffentlich ausgestellt. Gott
bilder um. Die Götter, die sie repräsen- wird Rache an ihr nehmen und keinen
tieren, können die Ladung nicht be- Menschen verschonen; denn er handelt
wahren; stattdessen werden sie in die als der Erlöser, als der Heilige Israels.
Gefangenschaft geführt. 47,5-15 Babel wird wegen vier Sün-
46,3-4 Im Gegensatz zu den Götzen, den bestraft:
die von Menschen weggetragen wer- 1. Wohl hatte Gott sie angewiesen,
den, wird der wahre Gott sein Volk tra- sein Volk in die Gefangenschaft zu füh-
gen, auch bis ins Greisenalter. James ren; aber er hatte nicht befohlen, grau-
Stewart fasst das prägnant zusammen: sam und ohne Erbarmen zu sein. Sie
war weit über ihren Auftrag hinaus­
Seit Jesaja haben Menschen immer wie- gegangen. Sie sagte: »Auf ewig werde
der erfahren, dass einer der grundlegen- ich Herrin sein!« Aber Gott sagt: »Du
den Unterschiede zwischen wahrer sollst nicht länger Herrin der König-
Frömmigkeit und falscher Religion der reiche genannt werden.«
ist, dass Letztere eine tote Last für die 2. Sie war stolz und anmaßend und
Seele darstellt, die getragen werden nahm an, ihr Wohlstand könne niemals
muss, während Erstere eine lebendige zerstört werden. Sie wird an einem ein-
Kraft ist, die die Seele trägt.56 zigen Tag verwitwet und kinderlos sein,
und keine ihrer Zaubereien wird dieses
46,5-7 Welches Bild könnte jemals die Unglück abzuwenden vermögen.
absolute und alleinige Gottheit reprä- 3. Sie meinte, sie könnte der Ent­
sentieren? Doch die verführten Men- deckung und Bestrafung entgehen; aber
schen zahlen den Goldschmieden im- sie wird ihre Selbstgefälligkeit und ihren
mer noch großzügige Summen, damit Stolz mit einer Katastrophe bezahlen.
sie ihnen einen Gott anfertigen. Sie fal- 4. Sie vertraute auf Zauberer und Stern-
len vor ihm nieder und beten ihn an. Sie deuter. Jennings schreibt: »Der HERR rät
tragen ihn und setzen ihn nieder. Dann ihr, alle diese Mächte zu ihrer Hilfe anzu-
steht er ‒ unfähig, sich zu rühren. Er rufen; denn sie wird sie bitter nötig ha-
kann weder ihre Gebete erhören noch ben.«57 Gottes Strafe wird ein flammen-
ihnen in ihrer Not helfen. des Inferno sein, nicht ein Feuer, an dem
46,8-11 Jedes Volk, das sich dem Göt- man gemütlich sitzen kann. Die Handels-
zendienst zuneigt, sollte innehalten und partner Babels werden sich abwenden,
daran gedenken, dass nur der wahre weil sie unfähig sind, sie zu retten.
Gott Ereignisse geoffenbart hat, bevor sie
eintraten ‒ und das, um seine Pläne aus- 9. Trost durch Israels Rückkehr aus der
zuführen. Er wird Kyrus (einen Raub­ Züchtigung (Kap. 48)
vogel von Osten her) rufen, um sein 48,1-2 Gott redet hier die Gefangenen
Volk von den Chaldäern zu erretten. aus Juda in Babylon an. Die meisten
46,12-13 Jene, die sich trotzig weigern, von ihnen sind wahrscheinlich Abgefal-

965
Jesaja 48 und 49

lene; nur wenige sind dem HERRN treu zu seinem Gegenbild, dem Herrn Jesus,
geblieben. Er beklagt sich, dass sie sich der das Volk bei seinem Zweiten Kom-
mit dem Namen Israel (»Fürst Gottes«) men aus seiner weltweiten Zerstreuung
benennen, wo sie doch gar keine Fürs- sammeln wird.
ten sind. Sie stammen von Juda (»prei- 48,17-19 Wieder wendet sich der
sen«) ab; aber sie preisen ihn nicht. Sie HERR an sein Volk, die Israeliten, als ihr
bekennen sich zu dem Gott Israels; aber Erlöser, ihr Gott, ihr Lehrer und Weg-
sie bekennen nicht ihre Sünden. Sie weiser. Hätten sie ihm gehorcht, hätten
nennen sich nach der heiligen Stadt, sie Frieden, Gerechtigkeit, Fruchtbar-
aber sie sind nicht heilig. Sie stützen keit und ununterbrochene Gemeinschaft
sich auf den Gott Israels, aber sie fürch- mit ihm genießen können.
ten Gott nicht. 48,20-22 Er fordert den gottesfürch-
48,3-5 Der HERR hatte ihnen am An- tigen Überrest auf, aus Babel auszuzie-
fang ihre Geschichte vorhergesagt, und hen. Die Gottesfürchtigen sollen mit ju-
alles traf ein wie angekündigt. Weil belnder Stimme den Herrn als ihren
Gott ihren Trotz und ihre Herzens­ Erlöser verkünden (siehe Offb 18,4).
härtigkeit kannte, verkündete er ihnen, Vers 21 erfüllte sich beim Auszug aus
was er tun wollte, damit sie das, was ge- Ägypten. Wenn der HERR das einmal
schah, nicht ihren Götzen zuschreiben tat, kann er es auch wieder tun. Die
konnten. Gottlosen in Israel, die den Gehorsam
48,6-8 Nun will Gott etwas Neues verweigern und sich nicht von den Ba-
vorhersagen – die Aufhebung der Ge- byloniern trennen und von allem, wo-
fangenschaft durch Kyrus. Er tut das, von Babel ein Bild ist, werden niemals
damit sie nicht werden sagen können: Frieden erleben.
»Siehe, ich habe es schon längst ge-
wusst.« B. Der Messias und seine Verwerfung
48,9-11 Er wird das Exil für Juda be­ durch Israel (Kap. 49-57)
enden, nicht wegen ihrer Verdienste,
1. Der Messias als Knecht (Kap. 49)
sondern um seines Namens willen. Er
hat sie geläutert, nicht wie Silber in In den Kapiteln 49 bis 53 setzt sich Gott
buchstäblichem Feuer, sondern im mit seinem Volk auseinander, weil es
Feuer­ofen des Elends (die babylonische den Messias verworfen hat. Dies ist das
Gefangenschaft). Nun will er sie wieder Buch des leidenden Knechtes des
aufrichten um seinetwillen – sonst wür- HERRN.
de sein Name durch sie entweiht wer- 49,1-6 Der Knecht des HERRN könnte
den. Und er will die Ehre für diese Wie- in 49,1-3 scheinbar das Volk Israel sein;
derherstellung nicht mit ihren Götzen doch nur der Herr Jesus entspricht in
teilen. voller Weise dem Text. In Vers 3 wird
48,12-16 Indem er sich selbst als der Israel namentlich genannt; doch ist hier
ewige, absolute Gott darstellt (der Erste Christus, der wahre »Fürst Gottes«, ge-
und der Letzte), als der Schöpfer und meint, und nicht das Volk. In den Versen
Erhalter des Weltalls, als der Lenker der 5 und 6 wird der »Knecht« von »Israel«
Geschichte und als der Gott der Pro- unterschieden. In diesen Versen ver-
phetie, kündigt er an, er werde einen schmelzen die verschiedenen Wieder-
erheben, den er liebt (Kyrus), um die herstellungen Israels: zuerst die Rück-
Babylonier zu besiegen und das Volk kehr unter Kyrus, dann die künftige
Israel zu befreien. Man beachte hier die Wiederherstellung, wenn der Messias
drei Personen der Dreieinigkeit in Vers sein Reich aufrichtet.
16: der Herr, HERR und sein Geist und Der Knecht erlässt einen Aufruf an
mich (d.i. Christus). Hier verändert sich alle Völker der Welt, auf ihn zu hören,
das Subjekt fast unmerklich von Kyrus wenn er an seine Geburt erinnert, an

966
Jesaja 49 und 50

den Namen, der ihm vor seiner Geburt flächen mit den Wunden, die Christi
gegeben wurde (Mt 1,21), an seine ein- Hände aus Liebe zu uns trugen. Ein
dringliche, vollmächtige Botschaft und großer christlicher Dichter aus England
an seine Einsetzung durch Gott als hat das sehr schön ausgedrückt:
Knecht und Fürst Gottes (Israel), durch
den der HERR sich verherrlichen wür- Meinen Namen wird aus seinen Hand­
de. Außerdem deutet er den Seelen- flächen
schmerz an, den ihm seine Verwerfung Auch die Ewigkeit niemals tilgen.
durch Israel bereitet (siehe Mt 11,16-24), Er bleibt eingeschrieben auf seinem
dann aber auch seine Befriedigung, Herzen
dass Gott ihm Lohn geben wird (vgl. Mit Schriftzeichen unauslöschlicher
Vers 4 mit Mt 11,25-26). Gnade.
Gott berief ihn nicht allein, um Israel Augustus Toplady
zu einer geistlichen Wiedergeburt zu
führen, sondern auch, um den Heiden- 49,17-18 Die Kinder Israels eilen herbei
völkern Heil zu bringen. Vers 6b wird nach Zion, während die Verwüster sich
in Apg 13,47 auf Christus bezogen. davonmachen. Die in der Stadt zusam-
49,7 Bei seinem Ersten Kommen wur- menströmenden Scharen gleichen dem
de der Herr zutiefst verachtet und von Juwelenschmuck einer Braut.
dem Volk Israel verabscheut; er stand 49,19-21 Die verwüsteten Orte und
im Rang unter den heidnischen Herr- zerstörten Gebiete Israels werden eine
schern. Bei seinem Zweiten Kommen Bevölkerungsexplosion erleben. Zion
werden die Herren der Erde sich vor wird sich wundern, woher so viele Ju-
ihm niederwerfen. Der Ausdruck den kommen, nachdem sie so lange
»Knecht der Herrscher« ist auch wahr eine Witwe gewesen ist!
in Bezug auf Israel; man denke an Josef, 49,22-23 Auf ein Signal des HERRN
Mordechai, Esra, Nehemia und Daniel. hin werden die Heidenvölker gewaltige
49,8-13 Gott beantwortete das Gebet Anstrengungen unternehmen, um die
Christi, indem er ihn von den Toten Exilanten wieder in ihr Land zurückzu-
auferweckte; dann gab er ihm den Auf- bringen. Die Herrscher der Heiden
trag, Israel in das Land zurückzubrin- werden Gottes Volk bedienen, und Is­
gen. Der Knecht des HERRN wird das rael wird verstehen, dass es sich wahr-
Volk aufrufen, in das Land zurückzu- haft lohnt, auf den HERRN zu hoffen.
kehren, und für ideale Reisebedin- 49,24-26 Die Gefangenen in Babylon
gungen auf dem Weg sorgen. Die Is­ mögen es schwierig finden, zu glauben,
raeliten werden aus allen Richtungen dass sie von dem Gewaltigen (Tyran-
der Welt kommen, selbst aus dem fer- nen) befreit werden können. Sie sollen
nen Sewenim (möglicherweise China). wissen, dass der HERR selbst ihre Fein­
Das wird ein Freudentag für die Welt de angreifen und ihre Söhne retten wird.
sein, wenn Israel seinen Trost und sein Sobald die Unterdrücker ernten, was sie
Mitgefühl auf diese Weise erlebt. gesät haben, wird die Welt erkennen,
49,14-16 In der Zwischenzeit wird die dass der HERR Israels Retter und Er­
Stadt Zion dargestellt, als fühle sie sich löser ist ‒ er, der Mächtige Jakobs.
von ihrem Herrn vergessen. Die Ant-
wort des HERRN lautet, dass eine Mut- 2. Der Messias als der wahre Jünger (Kap. 50)
ter ihren Säugling vergessen mag, doch 50,1-3 Der HERR redet mit Israel von
er wird seine Stadt nie vergessen. Zion Herz zu Herz und erinnert es daran,
ist eingezeichnet in seine beiden Hand- dass es nicht einer Augenblickslaune
flächen, und ihre Mauern kommen ihm entsprang, sich von ihm zu scheiden
nie aus dem Sinn. Sofort vergleichen (obwohl er sich hat scheiden lassen ‒ Jer
wir den Hinweis auf des HERRN Hand- 3,8), auch hat er Israel nicht an die Chal-

967
Jesaja 50 und 51
3. Der Messias als der gerechte Herrscher
däer ausgeliefert, weil er diesem Hei-
(51,1 - 52,12)
denvolk etwas schuldig wäre. Der
Grund waren Israels eigene Sünden 51,1-3 Alle in Israel, die Befreiung su-
und Übertretungen. Niemand aus dem chen, sollten sich an die Fürsorge Gottes
Volk hieß ihn willkommen, und nie- erinnern, die sie erfuhren, seitdem er
mand folgte seinem Ruf. Meinten sie, er sie aus dem Felsen (Mesopotamien) ge-
sei zu schwach, sie zu erretten? Hatte er hauen hatte. Sie sollten Mut fassen aus
nicht das Rote Meer und den Jordan dem Gedenken an den gnädigen Um-
ausgetrocknet? Hat er nicht den Him- gang Gottes mit Abraham und Sara und
mel in Sacktuch der Trauer gekleidet? daran, wie er ihnen zahlreiche Nach-
50,4-9 Als Nächstes redet der Mes­ kommen gab. Und sie sollten aufge-
sias. Das Volk, das den HERRN im Al- muntert werden durch die Verheißung,
ten Testament verachtet hatte, verachte- dass er Zion trösten wird. Man beachte
te Jesus im Neuen. Er kam als der wah- die drei Aufforderungen, zu hören
re Jünger, den Gott gelehrt hatte, das (V. 1.4.7), und die drei Aufrufe zum
jeweils richtige Wort zu sagen. Jeden Aufwachen (51,9.17; 52,1)!
Morgen wurde ihm das Ohr geöffnet, 51,4-6 Der Messias wird während des
um von seinem Vater Weisungen für Tausendjährigen Reiches über die Hei-
den Tag zu empfangen. Es war seine denvölker herrschen wie über sein Volk
Freude, den Willen des Vaters zu tun, Israel. Am Ende dieses Reiches werden
selbst wenn dies bedeutete, ans Kreuz Himmel und Erde vergehen, und alle
zu gehen. Er war nicht widerspenstig, Ungläubigen werden dahinsterben,
sondern willig überließ er sich den Lei- doch Gottes Volk wird in Ewigkeit
den und den Schmähungen. In vollem sicher sein.
Vertrauen, dass der HERR ihn recht­ 51,7-8 Der HERR ermahnt den Über-
fertigen werde, hat er sein Angesicht rest, während der dunklen Tage der
wie einen Kieselstein gemacht, um nach Drangsalszeit die Schmähungen der
Jerusalem zu gehen. Er wurde natürlich Menschen nicht zu fürchten; denn das
gerechtfertigt durch seine Auferste- Schicksal der bösen Menschen ist besie-
hung. Nun fordert er den Widersacher, gelt, und die Erlösung seines Volkes
Satan, heraus, ihn für schuldig zu erklä- steht fest.
ren. (Auch wir dürfen dieselbe Frage 51,9-11 Dies bringt den Überrest
stellen: »Wer will mich für schuldig er- dazu, den HERRN anzurufen, er möge
klären?«, Römer 8,31-39.) Alle seine sein Volk erretten, wie er es einst von
Feinde werden zerfallen wie ein von Ägypten (Rahab) und von Pharao
Motten zerfressenes Kleid. (Schlange / Seeungeheuer / Drache als
50,10 Die letzten beiden Verse be- dessen Symbol) errettet hat. Damals
schreiben zwei Klassen von Menschen. hatte er das Meer ausgetrocknet, damit
Die Ersten sind solche, die in Abhän- die Erlösten hindurchziehen konnten.
gigkeit von dem HERRN wandeln. Sie Die Erinnerung an Gottes Eingreifen in
bekennen, dass sie Führung brauchen. der Vergangenheit veranlasst den Über-
Ihnen gilt Gottes Rat: »Vertraue auf den rest, vorauszusehen, dass die Befreiten
Namen des HERRN!« Dann werden sie (Gefangenen) nach Zion zurückkehren
von Erleuchtung durchflutet werden. werden. Jennings beschreibt dieses Ge-
50,11 Die zweite Klasse sind jene, die schehen sehr schön:
versuchen, ihre eigenen Wegweiser zu
sein und keinen Bedarf an göttlicher Ihre Häupter sind mit Girlanden der
Leitung verspüren. Sie können in der Freude und des Jubels geziert; danach
Flamme ihres eigenen Feuers wandeln; hatten sie bisher vergeblich gestrebt.
aber der HERR wird dafür sorgen, dass Doch nun endlich haben sie es erlangt,
sie in großen Qualen versinken werden. und der Gewittersturm, den sie durch­

968
Jesaja 51 und 52

leben mussten, zieht nun ab wie eine Königreichs; erst dann wird es Wahr­­­
dunkle Wolke, die all ihr Seufzen und heit.
ihre Tränen mit fortnimmt!58 52,3-6 Israel wurde umsonst in die
Sklaverei verkauft; so wird es auch ohne
51,12-16 Der HERR sendet denen eine Geld erlöst werden. Israel zog am An-
Trostbotschaft, die sich vor dem Tyran- fang nach Ägypten, um dort als Fremd-
nen fürchten, sei es Nebukadnezar in ling zu leben; aber in der Folgezeit wur-
jenen Tagen oder der künftige »Mensch de das Volk schikaniert. Später hat As-
der Sünde«. Sie sollen den HERRN sur es ebenfalls umsonst bedrückt. Nun
fürchten, der die Himmel ausspannt wird Gottes Volk wieder von Unter­
und die Grundmauern der Erde legt; drückern tyrannisiert, die dem HERRN
dann verlieren sie die Angst vor dem nichts dafür bezahlen. Die­se Sklaven-
vergänglichen Menschen. Die in V. 14 halter freuen sich, und Gottes Name
erwähnten Gefangenen wurden zur wird gelästert. Doch er wird sich um
Zeit des Kyrus losgemacht, und sie der Seinen willen als stark erweisen,
werden durch den Messias losgemacht, und sie werden erkennen, dass er all
wenn dieser in Herrlichkeit erscheint. das ist, was er zu sein versprochen hat.
Der HERR wird das geschehen lassen; 52,7-10 Die nächsten Verse beschrei-
er, der unendlich erhaben ist, ist auch ben die Rückkehr der Juden aus ihrer
ganz nahe. Er bedeckt die Israeliten mit weltweiten Zerstreuung. Während die
dem Schatten seiner Hand; er legt seine Verbannten über die Berge nach Zion
Worte in ihren Mund, sodass sie seine reisen, gehen Boten vor ihnen her, die
Missionare für die Welt sein können. die gute Botschaft von der Königsherr-
Vers 16 kann auch auf den Herrn Jesus schaft des Messias verkünden. Die
angewandt werden. Der Vater legte Wächter auf den Mauern singen vor
sein Wort in den Mund des Messias, be- Freude, wenn sie sehen, wie der HERR
schützte ihn und rüstete ihn aus, so­dass an der Spitze einer großen Menge zu-
er den neuen Himmel und die neue rückkehrt. Jerusalem selbst wird ver-
Erde des Tausendjährigen Reiches auf- sammelt, um die mächtige Rettung des
richten und zu Zion sagen kann: »Mein HERRN zu feiern.
Volk bist du!« 52,11-12 Die Heimkehrenden werden
51,17-20 »Erwache! Erwache!« ruft er aufgefordert, alle Verunreinigungen des
Jerusalem zu nach der dunklen Nacht Landes ihrer Gefangenschaft hinter sich
der Leiden, in der keiner ihrer Söhne sie zu lassen, weil sie die Geräte des Tem-
leiten konnte, als sie durch Hungersnot pels nach Jerusalem zurücktragen. Sie
und Schwert verwüstet war, als ihre sollen nicht in Hast und Furcht auszie-
Menschen hilflos wie eine erschöpfte hen; der Gott Israels wird als ihr Schutz
Antilope im Netz lagen. sowohl vor als auch hinter ihnen sein.
51,21-23 Er wird den Becher seines
Zornes nehmen, der Jerusalem taumeln 4. Der Messias als das Sünden tragende
ließ, und ihn in die Hand ihrer Feinde Opfer (52,13 - 53,12)
geben, die die von Gott gesetzten Gren- Die abschließenden Verse von Kapitel
zen überschritten hatten, indem sie 52 gehören eigentlich zu Kapitel 53. Sie
grausam und gnadenlos handelten. zeichnen die Geschichte des Knechtes
52,1-2 Wieder wird Zion zugerufen: des HERRN von seinem irdischen
»Wach auf, wach auf!« Sie soll aus dem Leben bis zum Kreuz, und dann bis zu
Schlaf der Gefangenschaft erwachen seinem Erscheinen in Herrlichkeit.
und ihre Prachtgewänder anlegen. Adolph Saphir, selbst ein jüdischer
Niemals wieder werden die Heiden in Christ, spricht voller Ergriffenheit über
sie einmarschieren. Dies blickt natür- diese großartigste aller Weissagungen
lich voraus auf die Errichtung des vom Kreuz:

969
Jesaja 52 und 53

Wunderbares, gesegnetes Kapitel! Wie 53,2 Der Herr Jesus wuchs vor den er-
viele aus dem alten Bundesvolk Gottes freuten Blicken Gottes wie ein exo­
sind durch dich zum Fuß des Kreuzes tischer zarter Schössling in dieser Welt
Christi geführt worden! Zu dem Kreuz, der Sünde auf. Er war wie ein Wur-
über dem geschrieben stand: »Jesus Chris­ zelspross aus dürrem Erdreich. Israel
tus, der König der Juden!« Und ach, war dieses dürre Erdreich, ein höchst
welch eine herrliche Auslegung wird unbrauchbarer Boden. Die Israeliten
über dich noch gegeben werden, wenn in konnten keine Pracht an ihm erkennen,
den späteren Zeiten das bußfertige und nichts in seinem Aussehen, was ihnen
gläubige Israel beim Anblick dessen, den gefallen hätte. F.B. Meyer beschreibt das
sie durchstochen haben, ausrufen wird: Geheimnis seiner Erniedrigung:
»Fürwahr, er hat unsere Leiden getragen
und unsere Schmerzen auf sich geladen; Der zarte Trieb, der Schössling, bahnt
doch wir hielten ihn für bestraft, von sich unter Schmerzen seinen Weg durch
Gott geschlagen und niedergebeugt!«59 den verkrusteten Grund; es fehlt ihm die
natürliche Anziehungskraft. Ein solches
52,13 Der Knecht des HERRN handelte Bild erwartet und empfängt seine volle
während seines ganzen irdischen Diens­ Deutung aus dem Neuen Testament mit
tes einsichtig. Er wurde bei seiner Aufer- der Geschichte von der ländlichen Her-
stehung erhoben und bei seiner Himmel­ kunft Christi, mit der Krippe als Schlaf-
fahrt erhöht, und sehr hoch ist er jetzt in platz und den ärmlichen Lebensbedin-
der Herrlichkeit zur Rechten Gottes. gungen. Fischersleute waren seine aus­
52,14 Bei seinem Ersten Kommen ha- erwählten Jünger; Armut war sein be-
ben sich viele entsetzt über die Tiefe ständiges Los. Die einfachen Leute wa-
seiner Leiden. Sein Gesicht und sein ren seine Anhänger und Bewunderer;
Körper waren entstellt, mehr als bei ir- Diebe und Übeltäter hingen zu beiden
gendeinem anderen Menschen. Seiten seines Kreuzes. Seine Gemeinde
52,15 Aber wenn er wiederkommt, bestand aus den Niedrigen und Armen.
werden die Menschen erstaunt sein60 Das war in der Tat Erniedrigung, obwohl
(sie­he Elb, Schl 2000) über seine groß­ die Ungleichheiten der menschlichen
artige Herrlichkeit. Heidnische Könige Schicksale kaum zu erkennen sind von
werden ihren Mund verschließen, wenn den Höhen her, aus denen er kam.61
sie seine unvorstellbare Pracht sehen.
Dann werden sie begreifen, dass der de- 53,3 Verachtet und verlassen, war er ein
mütige Mann von Golgatha der König Mann der Schmerzen, der wusste, was
der Könige und der Herr der Herren ist: Leiden sind. Den Menschen erschien er
abstoßend, selbst Israel hat ihn nicht
Hat auch dein Gott dich einst verlassen, anerkannt.
Sein Angesicht verborgen vor deiner
tiefen Not? »Mann der Schmerzen«, was für ein Name
In deinem Angesicht, das einst entstellt Für den Sohn Gottes, der gekommen war,
und zerschlagen war, Um elende Sünder für sich zu gewinnen!
Schauen wir nun alle seine Herrlichkeit. Halleluja, was für ein Retter!
Miss C. Thompson Er trug Schande und groben Spott,
Stand dort verurteilt an meiner statt,
53,1 Der bußfertige Überrest Israels er­ Er besiegelte meine Begnadigung mit
innert sich daran, dass nur wenige glaub­ seinem Blut,
ten, als die Verkündigung vom Ersten Halleluja, was für ein Retter!
Kommen des Messias erklang. Deshalb Philip P. Bliss
ist auch die rettende Kraft des HERRN
nur wenigen offenbar geworden. 53,4-6 Der Überrest weiß jetzt um die

970
Jesaja 53

Wahrheit über ihn und erkennt sie an. Blütezeit abgeschnitten und wegen des
Er bekennt: »Es waren unsere Leiden, Vergehens seines Volkes hingerafft wur-
die er trug, und unsere Schmerzen, die de.
er auf sich geladen hat. Doch als wir ihn 53,9 Böse Menschen planten, ihm sein
am Kreuz sahen, meinten wir, er sei von Grab bei Gottlosen zu geben; aber Gott
Gott wegen eigener Sünden bestraft trat dazwischen, und bei einem Reichen
worden. Aber nein! Es war wegen un­ ist er bei seinem Tod gewesen – in dem
serer Verbrechen und unserer Sünden, neuen Grab des Josef von Arimathäa.
damit wir Frieden hätten und damit Menschen wollten ein schändliches Be-
wir geheilt würden. Die Wahrheit ist: gräbnis für ihn, obwohl er kein Unrecht
Wir waren diejenigen, die umherirrten begangen und keine Lüge geredet hatte.
und in Eigenwillen wandelten; und der 53,10-11a Doch dem HERRN gefiel
HERR hat unser aller Schuld auf ihn, es, ihn zu zerschlagen, ihn leiden zu
den sündlosen Stellvertreter, geladen.« lassen. Wenn er sein Leben zum Schuld-
Bis zu der Zeit, wo der Überrest ihn an- opfer eingesetzt hat, wird er Nachkom-
erkennt, können wir als Christen singen: men sehen – das sind all jene, die an ihn
glauben. Er wird seine Tage verlängern,
Herr, lenke unsre Herzen und unsern denn er lebt in der Kraft eines unver-
ganzen Sinn gänglichen Lebens. Alle Vorhaben Got-
Auf deine Angst und Schmerzen und tes werden durch ihn Wirklichkeit.
auf dein Opfer hin! Wenn er die Scharen der Erlösten sehen
Du ließest dich verklagen, du wardst wird, die durch sein Blut erkauft wur-
verhöhnt, verspeit, den, wird er sich reichlich sättigen.
Verspottet und geschlagen, du Herr der 53,11b »Durch seine Erkenntnis wird
Herrlichkeit! der Gerechte, mein Knecht, den Vielen
Du wardst von Gott verlassen, damit er zur Gerechtigkeit verhelfen.« Das kann
bei uns sei, bedeuten, dass seine Erkenntnis des
Du musst’st im Tod erblassen, damit Willens seines Vaters ihn ans Kreuz
vom Tod wir frei. führte, und durch seinen Tod und seine
O Lamm, sei hoch gepriesen! Du trugst Auferstehung kann er die Gläubigen als
die ganze Schuld. Gerechte ansehen. Oder es kann bedeu-
Dank dir! Du hast erwiesen nur Gnade, ten: »dadurch, dass sie ihn erkennen«,
Lieb und Huld. d.h. Menschen werden dadurch gerecht-
Geistliche Lieder, Nr. 51 fertigt, dass sie ihn als Herrn und Retter
erkennen (Joh 17,3). In jedem Fall ist die
Unser Herr Jesus erlitt alle fünf Arten Rechtfertigung nur möglich, weil er die
von Wunden, von denen die medizini- Sünden der »Vielen« getragen hat.
sche Wissenschaft weiß: Quetschwunden Die letzte Strophe von Thomas Chis-
– Schläge mit dem Stock; Risswunden – holms Choral sagt darüber triumphie-
von der Geißelung; Stichwunden – von rend:
den Dornen seiner Krone; Perforationen
– von den Nägeln; Schnittwunden – von Wer kann sein Geschlecht aufzählen?
dem Speer. Wer kann all die Siege seines Kreuzes
53,7-8 Wie ein Schaf, d.h. stumm und verkünden?
klaglos vor seinen Scherern, erduldete er Millionen, die einst tot waren, sind
das Kreuz. Infolge von Drangsal und Ge- wieder lebendig geworden,
richt wurde er weggerafft (oder, wie an­ Unzählbare Mengen folgen ihm in
dere Bibeln übersetzen: »Aus Drangsal seinem Heerzug!
und Gericht wurde er hinweggenom- Du siegreicher Herr! Du siegreicher Herr!
men.«). Es sah aus, als würde er keine Du siegreicher Herr und kommender
Nachkommen haben, weil er in seiner König!

971
Jesaja 53 und 54

53,12 Ein anderes Ergebnis seines voll- pitel 53, das den Tod, das Begräbnis, die
brachten Werkes liegt darin, dass der Auferstehung und Erhöhung des Mes-
HERR ihm Anteil geben wird unter den sias beschreibt, könnte kein Wort pas-
Großen. Das sind die Heiligen, deren sender sein.
Größe nur in ihrer Verbindung mit ihm Der erste Vers stellt dem unfrucht­
liegt. Und mit Gewaltigen wird er die baren und einsamen Israel in der Ge-
Beute teilen; auch hier sind die Gewal- fangenschaft die wiederhergestellte,
tigen jene Gläubigen, die in sich selbst erlöste Nation mit ihrem Kinderreich-
schwach, aber stark in dem Herrn sind. tum und ihrer Freude gegenüber. Pau-
(Luther, Schlachter 2000 u.a. deuten lus wendet in Galater 4,21-31 diesen
den Vers etwas anders: »Darum will ich Vers auf das himmlische Jerusalem an,
ihm die Vielen zum Anteil geben, und das er der irdischen Stadt gegenüber-
er wird Starke zum Raub erhalten …«) stellt. Die Grenzen Israels werden be-
Vier Gründe für seinen herrlichen Tri- trächtlich erweitert, um der explodie-
umph werden angegeben: 1. Er hat seine renden Bevölkerungszahl Raum zu ge-
Seele ausgeschüttet in den Tod. 2. Er ließ ben. Israel wird die Erste unter den
sich zu den Verbrechern (o. Übeltätern) Nationen werden, und Gottes Volk
zählen. 3. Er hat die Sünde vieler getra- wird die verlassenen Städte bewohnen.
gen. 4. Er hat für die Verbrecher Fürbitte 54,4-8 Alle Schande, die mit der Ver-
getan. David Baron schreibt dazu: sklavung in Ägypten (Jugend) und der
babylonischen Gefangenschaft (Wit-
Das Verb … yaph’gia’ (»Fürbitte getan«) wenschaft) verbunden war, wird ver-
ist ein Beispiel für das Imperfekt oder gessen sein, weil der HERR das Volk
das unbestimmte Futur und spricht von wieder in die Gemeinschaft mit sich
einem angefangenen Werk, das noch selbst bringen wird. Die Gefangenschaft
nicht abgeschlossen ist. Wie Delitzsch entsprang dem vorübergehenden Zorn
anmerkt, erfüllte sich diese Weissagung Gottes; die Wiederherstellung wird sein
am ergreifendsten im Gebet des Heilands Erbarmen und seine ewige Gnade de-
am Kreuz: »Vater, vergib ihnen, denn sie monstrieren.
wissen nicht, was sie tun!« Aber dieses 54,9-10 Genauso wie Gott mit Noah
Werk der Fürbitte, das am Kreuz begann, einen Bund machte, so verspricht er
setzt er immer noch zur Rechten Gottes nun, dass Israel, wenn es in das Tau-
fort, wo er nun sitzt als Fürst und Erret- sendjährige Reich eintritt, niemals wie-
ter, um Israel Buße und Vergebung der der den Zorn oder Tadel Gottes er­
Sünden zu geben.62 fahren wird.
54,11-12 Obwohl Jerusalem eine
Zu den Widersprüchen in diesem groß- Sturm­bewegte und Ungetröstete war,
artigen Abschnitt als Ganzem sagte wird Gott sie doch wiederherstellen und
Moody: schmücken. Ihre Steine werden in Blei-
glanz (Schl 2000) gelegt (o. mit viel­
Verachtet, und doch angenommen und farbigen Edelsteinen besetzt) und ihre
angebetet. Arm, und doch reich. Er starb, Grundfesten mit Saphiren gelegt. Ihre
und doch lebt er. Die Rabbis sagten, es Zinnen, Tore und Grenzmauern werden
müsse einen doppelten Messias geben, Edelsteine sein – alles sprachliche Bil-
um dieses Kapitel zu erfüllen.63 der, die von außerordentlicher Schön­
heit reden. In einem Gedicht heißt es:
5. Der Messias als Erlöser und
Wiederhersteller (Kap. 54) Die goldene Stadt am kristallenen Meer
54,1-3 Es ist kein Zufall, dass Kapitel 54 Wird bald unser Ruheort sein,
mit dem Wort »Juble!« oder »Freue Und staunend und jubelnd dann
dich!« beginnt. Direkt folgend auf Ka- schau’n wir umher

972
Jesaja 54 und 55

Auf Perlen und Edelgestein. Wenn die Israeliten zu ihm zurückkeh-


Doch mehr noch: Wir sehn Gott in all ren, werden sie alle unverbrüchlichen
seiner Pracht Gnadenerweise erhalten, die David in
In strahlendem Licht – und das Lamm, dem ewigen Bund verheißen wurden
Und beten ihn an, der das Weltall (Psalm 89,3.4.28.29). Diese Verheißungen
gemacht, werden in dem Herrn Jesus und in sei-
Und den, der als Retter einst kam. ner herrlichen Regierung erfüllt. Auch
Vom Thron geht der Strom aller Segnun­ die Heidenvölker werden an den Wohl-
gen aus; taten des Reiches teilhaben, und es wer-
Wir trinken und trinken, und sind dort den herzliche Beziehungen zwischen Is-
zu Haus. rael und den Heiden bestehen.
55,6-7 Der Weg zu diesen Segnungen
54,13-15 Allen wird göttliche Unterwei- liegt darin, den HERRN zu suchen und
sung zuteil, dazu überfließender Wohl- von den Sünden abzulassen. Wer so zum
stand. Die Gerechtigkeit wird dann fes- HERRN umkehrt, wird ihn voll von Er-
ten Bestand haben. Vor Invasoren, Ver- barmen und Vergebung erfahren.
bannung und Schrecken braucht sich 55,8-9 Die Menschen sollten den
niemand mehr zu fürchten; jeder, der HERRN nicht nach ihren eigenen Ge-
Israel angreift, wird dafür bestraft. danken und Wegen beurteilen. Er denkt
54,16-17 Der Gott, der die Waffen- und handelt auf eine Art und Weise, die
schmiede und die Eroberer (Verderber) alles übersteigt, was der Mensch sich
geschaffen hat, ist sehr wohl in der vorstellen kann. Das ist nirgends wahrer
Lage, seine Geschöpfe unter Kontrolle als bei dem Heilsplan Gottes im Evange-
zu halten. Der HERR hat angeordnet, lium, der ausschließlich auf Gottes Gna-
dass es keiner Waffe, die gegen Israel de beruht und allen Ruhm des eigenen
geschmiedet wird, gelingen soll; Israel Bemühens ausschließt.
selbst wird jeden Ankläger schuldig 55,10-11 Gottes Wort ist genauso un-
sprechen. Die Befreiung von Verurtei- widerstehlich und wirksam wie Regen
lung und der sichere Sieg sind das Erb- und Schnee, die auch von allen Heeren
teil der Knechte des HERRN. Auf diese der Welt nicht aufgehalten werden kön-
Weise wird Gott sie in jenem goldenen nen. Gottes Wort wird niemals ver­
Zeitalter des Friedens und des Wohl- sagen, sondern es wird ausrichten,
stands verteidigen. wozu Gott es gesandt hat:
6. Der Messias als Weltevangelist So wird mein Wort sein, das aus meinem
(55,1 - 56,8) Mund hervorgeht. Es wird nicht leer zu
55,1 Der Geist Gottes sendet eine evan- mir zurückkehren, sondern es wird be-
gelistische Einladung zur Umkehr an wirken, was mir gefällt, und ausführen,
Israel. Gleichzeitig lädt er alle von über- wozu ich es gesandt habe.
allher zum Festmahl des Evangeliums
ein. Alles, was nötig ist, ist ein Bewusst- 55,12-13 Die Gott suchen, werden mit
sein der Bedürftigkeit (Durst). Die Seg- Freuden aus dem Land der Gefangen-
nungen sind die Wasser des Heiligen schaft zurückkehren und in Frieden
Geistes, der Wein der Freude und die heimziehen. Die ganze Natur wird bei
Milch des guten Wortes Gottes. Sie alle ihrer Befreiung jubeln. Das Land wird
sind freie Gaben der Gnade und ohne die Freiheit vom Fluch genießen und
Geld und ohne Kaufpreis zu haben. fruchtbar werden. Statt der Dorn-
55,2-5 In seiner Gottesferne hatte Israel sträucher und der Brennnesseln wer-
seine Kraft und seine Hilfsmittel vergeu- den Wacholder und Myrten wachsen.
det. Wahre Befriedigung und bleibendes Alle zuvor erwähnten Segnungen des
Glück sind nur in dem Herrn zu finden. Tausendjährigen Reiches werden dem

973
Jesaja 55 bis 57

HERRN zum Ruhm gereichen und zu ten, sind sie Kinder des Verderbens und
einem ewigen Zeichen werden, d.h. der Lüge. Sie brennen vor Lust, wenn
einem immer währenden Gedenken an sie Bäume anbeten und ihre Kinder
seine Gnade und Güte. dem Baal oder dem Moloch in den Tä-
56,1-8 In Erwartung der Befreiung lern opfern.
durch Gott werden die Verbannten auf- 57,7-10 Es handelt sich um ehebreche-
gefordert, Recht und Gerechtigkeit zu rische Beziehungen zu den Götzen in
üben und den Sabbat zu halten. Weder den Bergtempeln. Statt das Gesetz Got-
der Fremdling noch der Verschnittene tes auf die Pfosten ihrer Türen zu schrei-
soll Sorge haben, dass er von den Wohl- ben (5. Mose 6,9; 11,20), hängen sie Göt-
taten der Königsherrschaft Christi aus- zensymbole hinter die Tür und ergehen
geschlossen werden könnte. Stattdessen sich in geschlechtlichen Ausschweifun-
werden alle, die dem Wort des HERRN gen. Sie bringen Geschenke und Opfer-
gehorchen, eine bevorrechtigte Stellung gaben zum König (Moloch bedeutet
einnehmen. Der Tempel wird dann ein König) und senden Boten bis zum
Bethaus für alle Völker sein, nicht nur Scheol (dem Totenreich) auf der Suche
für Israel allein. Gott wird auch Heiden nach neuen Gräueltaten. Selbst wenn
zu seiner Herde sammeln, zusätzlich zu sie durch ihre Ausschweifungen müde
dem Haus Israel. werden, geben sie nicht auf, sondern
scheinen sich schnell zu erholen, nur
7. Der Messias als Richter der Übeltäter um eilig neue Bosheiten zu verüben.
(56,9 - 57,21) 57,11-13 Ohne Gottesfurcht lügen sie
56,9-12 Vers 9 kehrt zurück zu Israel in und denken nicht im Mindesten an
den Tagen seiner Auflehnung. Die Völ- Gott. Weil er geschwiegen hat, haben
ker (Tiere) werden versammelt, um ein sie den Respekt vor ihm verloren. Aber
Volk zu bestrafen, dessen Wächter die er wird ihre Selbstgerechtigkeit und
Gefahr nicht erkennen. Sie gleichen ihre Sünde zur Schau stellen, dann wer-
stummen Hunden, die nicht bellen, um den ihnen ihre Götzen nichts helfen.
das Volk zu warnen. Stattdessen sind Ihre Götter werden sie ganz und gar im
sie Träumer, die den Schlummer lieben. Stich lassen; aber derjenige, der bei dem
Sie sind Mietlinge, selbstsüchtige und HERRN seine Zuflucht sucht, wird Seg-
gierige Hirten. Sie laden ihre Freunde nungen erlangen.
zum Trinken ein, berauschen sich und 57,14-19 Den Getreuen in der Ver­
sagen, dass sie es morgen noch viel tol- bannung verheißt Gott, dass er ihnen
ler treiben wollen. bei ihrer Rückkehr eine Bahn bereitet
57,1-2 Die zwei ersten Verse des 57. und jedes Hindernis aus dem Weg
Kapitels schließen an die beiden letzten räumt; denn Gott, der in der Höhe
des vorigen Kapitels an. Mitten in all wohnt und im Heiligen, wohnt auch
der Sünde und Unterdrückung wird bei dem, der zerschlagenen und ge-
der Gerechte durch Verfolgung hin- beugten Geistes ist. Er wird nicht ewig
weggerafft. Aus menschlicher Sicht ge- rechten mit den Menschenseelen, die er
sehen kümmert sich niemand darum – gemacht hat, sonst würden sie unter
aber Gott kümmert sich darum. Er er- seinem Zorn vergehen. Allerdings hatte
löst den Gottesfürchtigen vor dem na- Gott seinen Zorn gegen sein habsüch-
henden Unheil und führt ihn zum Frie- tiges, abtrünniges Volk entbrennen las-
den und zur Ruhe. sen; aber sein Zorn ist begrenzt. Er wird
57,3-6 Selbst in der Verbannung füh- alle heilen, die von ihren Abgöttern ab-
ren einige ihren Götzendienst fort. In lassen, und sie dazu bringen, ihm die
diesem Sinn sind sie Kinder ihrer un- Frucht der Lippen darzubringen.
treuen Eltern, des Ehebrechers und der 57,20-21 Jesaja vergleicht die Gott­
Hure. Weil sie über den HERRN spot- losen, die gesetzlosen Menschen mit

974
Jesaja 57 bis 59

dem aufgewühlten Meer, das nicht ru- auf diese Weise soziale Gerechtigkeit
hig sein kann, sondern allezeit Schlamm praktizieren, wird Leitung, Heilung
und Kot aufwühlt. Es wird Frieden für und schützende Begleitung zugesagt.
die Gerechten geben, aber »keinen Frie- »Deine Gerechtigkeit« kann sich auf die
den … für die Gottlosen!« oben erwähnten Handlungen der Barm-
herzigkeit beziehen, oder es ist Gottes
C. Israels Sünde, Gericht, Buße und Gerechtigkeit gemeint, die denen zu­
Wiederherstellung (Kap. 58-66) geschrieben wird, die glauben.
Die letzten neun Kapitel des Jesaja­ 58,9-12 Dem Gottesfürchtigen wird
buches beschreiben, wie es am Ende versichert, dass, wann immer er ruft, der
den Treuen und den Abgefallenen er­ HERR antworten wird: »Hier bin ich!«
gehen wird. Alfred Martin fasst zu­ Wenn er die Unterdrückung beseitigt,
sammen: wenn er mit dem Fingerausstrecken auf-
hört, um jemanden zu beschuldigen
Der abschließende Teil des Buches be- oder ihn zu verspotten, und wenn er das
schreibt die herrliche Vollendung, die Schlechtmachen und Verleumden lässt,
Gott für Israel vorgesehen hat, für das wenn er menschliche Nöte lindert, so-
Volk seines Knechtes, das der Kanal von wohl geistliche als auch körperliche,
Gottes Segen für die Welt ist. In dem gan- dann verheißt ihm Gott, dass sich seine
zen Abschnitt gibt es einen starken Ge- Nacht in Tag verwandeln wird. Er wird
gensatz zwischen den Aufrührerischen sich an Führung, an reichlicher Versor-
und den Gläubigen, ein Gegensatz, der gung mit Gutem, an Gesundheit und
übrigens in keinem größeren Abschnitt Kraft, Schönheit und Fruchtbarkeit er-
des Wortes Gottes völlig fehlt.64 freuen und die Wiederherstellung des
Volkes Israel erfahren. Seine Söhne wer-
1. Die Freuden wahrer geistlicher den die Trümmerstätten aufbauen, und
Gesinnung (Kap. 58) er wird »Vermaurer von Breschen, Wie-
58,1-5 Der Prophet muss laut die Sün- derhersteller von Straßen« (V. 12) ge-
den Judas verkünden. Die Menschen nannt werden.
scheinen echtes Gefallen daran zu ha- 58,13-14 Wenn Gottes Volk den Sab-
ben, täglich die vorgeschriebenen Ri­ bat achtet66 und nicht seinen Geschäften
tuale einzuhalten. Sie tun, als seien sie oder selbstsüchtigen Vergnügungen
ein gehorsames Volk. Sie beschuldigen nachgeht, wenn die Israeliten es für
Gott, er stehe ihrem Fasten und ihren eine Freude halten, Gottes heiligen Tag
Demutsbezeugungen gleichgültig ge- zu ehren, dann werden sie ihre Lust am
genüber. Gott aber beschuldigt sie der HERRN haben, der ihnen diesen Tag
Zügellosigkeit und dass sie ihre Arbei- gegeben hat, und er wird ihnen eine
ter ausnutzen und dass sie während führende Stellung auf der Erde und das
ihres Fastens mit gottloser Faust zu- Erbteil geben, das Gott dem Jakob ver-
schlagen. Solches Fasten zählt bei Gott sprochen hat. Nichts kann das verhin-
nicht. Wahres Fasten ist nicht eine An- dern; denn der Mund des HERRN hat
gelegenheit der Körperhaltung oder es geredet.
der äußerlichen Zurschaustellung von
Trauergebärden.65 2. Die Sünden Israels (Kap. 59)
58,6-8 Gott will ein Fasten, das be­ 59,1-8 Israels Sünden sind es, die Gott
gleitet ist vom Lösen ungerechter Fes- davon abhalten, es zu retten; die Schuld
seln, sodass man das Joch der Unter­ kann nicht dem HERRN zugeschoben
drückung wegnimmt, die Hungrigen werden. Die Hände, Finger, Lippen und
speist, den Armen Unterschlupf und Zungen der Menschen sind an Mord
den Entblößten Kleidung gibt und dem und Lüge beteiligt. Es gibt in Israel eine
bedürftigen Nächsten hilft. Denen, die weitverbreitete Verdrehung des Rechts,

975
Jesaja 59 und 60

dazu große Unaufrichtigkeit. Die Men- Übersetzungen bezieht sich der drän-
schen gehen mit Unheil schwanger und gende Strom auf die Widersacher Is­
gebären Frevel. Ihre Handlungen sind raels, vor denen der Messias Rettung
gefährlich wie Schlangeneier und nutz- bringt.) Er wird als Erlöser für den got-
los wie das Gewebe von Spinnen. Die tesfürchtigen Überrest nach Zion kom-
Sünde beherrscht alle Lebensbereiche – men. Dann wird Gott einen neuen Bund
was sie auch tun, wo sie sich auch befin- mit dem Haus Israel machen, wie wir
den, was sie auch denken. Sie kümmern auch in Jeremia 31,31-34; Hebräer 8,10-
sich nicht um Frieden und Recht, weil 12; 10,16-17 lesen.
sie krumme Wege vorziehen. Was auf
Israel zutraf, das gilt auch für das ge- 3. Die zukünftige Herrlichkeit Zions (Kap. 60)
samte Menschengeschlecht (Römer 60,1-3 Für Zion ist die Zeit gekommen,
3,15-17). sich aufzumachen und Licht zu wer-
59,9-15a Jesaja spricht nun für die An- den, denn die Herrlichkeit des HERRN
gehörigen des gläubigen Überrests und (d.i. der Messias selbst) ist erschienen.
bekennt deren Sünden als seine eige- Dies ist die Zeit des Zweiten Kommens.
nen. Er erkennt ihre Rechtsbrüche, ihre Die Welt befindet sich noch in geist­
Ungerechtigkeit und Blindheit sowie licher Finsternis und in der Dunkelheit
die Tatsache, dass sie Toten gleichen, der Drangsalszeit; aber der HERR er-
an. Sie brummen vor Ungeduld und strahlt über Israel und durch Israel über
gurren vor Verzweiflung. Es gibt weder die ganze Welt. Vertreter der Heiden-
Recht noch Rettung. Ihre Vergehen sind völker – auch Könige – versammeln
zahlreich in Gottes Augen und zeugen sich in Jerusalem, um dem wiedergebo-
gegen sie. Sie verleugneten den HERRN renen Volk ihren Respekt zu bezeugen.
und sind weit von ihm abgewichen. Sie 60,4-7 Wenn Jerusalem die Augen er-
redeten Worte der Unterdrückung, des hebt, sieht sie ihre Söhne und Töchter
Abfalls und der Lüge. Das Recht wurde ins Land zurückkehren. Strahlende
zurückgedrängt. Gerechtigkeit stand Freude wird ihr Herz erfüllen, wenn sie
ferne, und die Wahrheit ist auf dem wahrnimmt, wie die Heiden ihre Gaben
Marktplatz zu Fall gekommen. Der Ge- und ihren Tribut bringen. Kamelkara-
rechtigkeit wird der Eingang verwehrt, wanen kommen von fern und nah mit
die Wahrheit ist nirgends zu finden, Gold und Weihrauch und preisen dabei
und der Fromme wird beraubt. den Namen des HERRN. Große Schaf-
59,15b-21 Als der HERR herabschaut, herden kommen in Jerusalem an, die
schmerzt es ihn, dass es kein Recht gibt. für die Opfer im Tempel verwendet
Er wundert sich, dass kein Mann vor- werden und so an das vollbrachte Werk
handen war (ein Fürbitter oder Vermitt- des Messias auf Golgatha erinnern sol-
ler), der in dieser Situation richtig han- len. Man beachte, dass hier in Vers 6
deln konnte. So griff er selbst ein; sein nicht von Myrrhe die Rede ist. Myrrhe
Arm (seine Stärke) brachte ihm den Sieg, redet von Leiden. Christi versöhnende
und seine Gerechtigkeit unterstützte Leiden sind für immer vollendet! Bei
ihn. Er kleidete sich in seine Rüstung seinem Zweiten Kommen wird es nur
und zog gegen seine Feinde mit Gerech- Gold (Herrlichkeit) und Weihrauch
tigkeit, Heil, Rache, Eifer und Zorn. Er (Wohlgeruch) geben.
gibt den Heiden genau das, was sie ver- 60,8-9 In Flugzeugen kehren die
dienen, sodass am Ende alle Völker vom Söhne Israels aus dem Exil zurück wie
Westen bis zum Osten gezwungen sind, Vogelschwärme, dazu bringen große
den HERRN zu fürchten; denn er, der Schiffe deren aufgehäufte Reichtümer
Messias, kommt gleich einem drän- herbei.
genden Strom, den der Hauch des 60,10 Fremde werden ihre Bauleute
HERRN vorwärts treibt. (Nach anderen sein und Könige die Diener des Volkes

976
Jesaja 60 und 61

Gottes. Das Blatt hat sich gewendet; Ohren erfüllt« (V. 21). Er wurde bei sei-
Gott erbarmt sich jetzt über sein Volk, ner Taufe mit dem Heiligen Geist ge-
das er gezüchtigt hat. salbt, und sein irdischer Dienst war
60,11-14 Es besteht keine Notwendig- darauf gerichtet, die frohe Botschaft
keit, die Tore der Stadt zu verschließen, von der Errettung den Elenden zu brin-
weil es keine Gefahr gibt. Im Gegenteil gen, um die, die gebrochenen Herzens
ist es wichtig, sie offen stehen zu lassen, sind, zu verbinden, den von der Sünde
weil Könige und Karawanen mit Reich- Gefangenen Freilassung auszurufen
tümern Tag und Nacht eintreffen. Jede und den Kerker der Gebundenen zu
Nation, die Israel an jenem Tag nicht öffnen. Er beendet dieses Zitat mit den
dienen will, muss mit ihrer Verwüstung Worten: »auszurufen das Gnadenjahr
rechnen. Der Libanon schickt seine bes- des Herrn«, weil sich das folgende »der
ten Bäume, um die Gebäude des Tem- Tag der Rache für unseren Gott« erst bei
pels zu schmücken. Die Nachkommen seinem Zweiten Kommen erfüllt. Bei
aller jener Nationen, die früher Israel seinem Erscheinen in Herrlichkeit wird
verfolgt hatten, erkennen jetzt an, dass er den Tag des göttlichen Gerichts ver-
Jerusalem die Stadt des HERRN, das künden. Dann wird er die Trauernden
Zion des Heiligen Israels ist. in Zion trösten und ihnen einen Kopf-
60,15-16 Früher war Zion die Verhass- schmuck statt Asche geben, Freudenöl
te und Entlassene; jetzt wird sie eine statt Trauer, ein Ruhmesgewand statt
Stadt voll Stolz und Freude, ernährt eines verzagten Geistes. Sein aus­
und unterstützt vom Rest der Welt. Des erwähltes Volk wird dann »Terebin-
HERRN altes Volk wird erkennen, dass then der Gerechtigkeit« genannt wer-
er Israels Retter und Erlöser ist, er, der den, gepflanzt von dem HERRN zu sei-
Mächtige Jakobs. ner Ehre. Sie werden die Städte des Ver-
60,17-22 Die kostbarsten Materialien heißenen Landes aufbauen, die in
– Gold, Silber, Bronze und Eisen – wer- Trümmern lagen.
den zum Bau der Stadt verwendet, und 61,5-9 Fremde werden den Israeliten
Frieden wird ihre Wache und Gerech- als Landarbeiter dienen und sie als
tigkeit ihre Obrigkeit sein. Statt Gewalt- Priester und Diener unseres Gottes an-
tat und Verwüstung werden Rettung erkennen. Die Reichtümer der Na­
und Ruhm regieren. Das Licht der Son- tionen werden den Juden zufallen, und
ne und des Mondes wird man in Jerusa- die jahrhundertelange Schande wird
lem nicht mehr benötigen, denn die für das Volk des HERRN zu Ende sein.
Herrlichkeit des HERRN wird für das Sie werden ein doppeltes Teil an Ehre
rechte Licht sorgen. Die Finsternis wird erhalten. (Das »euch« und das »sie« in
verschwinden, und Israels Trauer wird V. 7 bezieht sich auf dasselbe Volk, d.h.
ein Ende haben. Ein Volk von Gerech- die Juden – vgl. Elb, Schl 2000.) Der
ten wird das Land besitzen, gepflanzt HERR erinnert sich an das Unrecht, an
durch Gott zu seiner Herrlichkeit. Der den Raub, an alles Böse, was seine Er-
Niedrigste des Volkes wird mit zahl­ wählten erleiden mussten, und wird
losen Besitztümern gesegnet sein, weil ihnen ihren Lohn geben und einen
der HERR es beschlossen hat und es ewigen Bund mit ihnen schließen, so-
schnell ausführen wird. dass die Heidenvölker anerkennen,
dass der HERR sie gesegnet hat. Das
4. Der Dienst des Messias (Kap. 61) wird allgemein auf den Neuen Bund
61,1-4 Wir wissen, dass der Herr Jesus bezogen (Jer 31,31-34; Hebr 8,8-12).
hier der Sprecher ist, weil er die Verse 1 61,10-11 Der Messias leitet die Lob­
und 2a in der Synagoge in Nazareth zi- gesänge seines erlösten Überrests. Er
tiert (Lukas 4,16-21) und hinzufügt: besingt die herrlichen Kleider des Heils
»Heute ist diese Schrift vor euren und der Gerechtigkeit, mit denen Gott

977
Jesaja 61 bis 63

diese Menschen eingehüllt hat, und wie für sein Volk ist bei ihm. Sie werden die
Gott im Tausendjährigen Reich prak- bezeichnenden Namen »das heilige
tische Gerechtigkeit und Ruhm in Israel Volk« und »gesuchte, nie mehr verlas-
aufsprossen lässt vor den Völkern. (Als sene Stadt« tragen. Dieser Abschnitt
Sprecher in den Versen 10 und 11 wird weist über die Rückkehr von Babylon
von einigen Jesaja, von anderen Zion hinaus auf die endgültige Wiederher-
oder der Messias genannt. Wir ziehen stellung Israels beim Zweiten Kommen
das Letztere vor, weil er auch der Spre- Christi.
cher in den Versen 1 bis 3 ist.)
6. Der Tag der Rache (63,1-6)
5. Die zukünftigen Freuden Jerusalems Wenn der Herr wiederkommt, um sei-
(Kap. 62) ne Königsherrschaft aufzurichten, muss
62,1-5 Der HERR wird nicht schweigen er erst seine Feinde vernichten. Die Ver-
oder sich beruhigt niederlassen, bis er nichtung findet zu unterschiedlichen
die Jerusalem verheißenen Segnungen Zeiten und an verschiedenen Orten
verwirklicht hat. Die Heiden werden statt. Eine Szene spielt sich im Tal Har-
dann sehen, dass Jerusalem gerecht­ magedon ab (Offb 16,16), eine andere
fertigt ist, und der HERR wird ihr einen im Tal Joschafat (Joel 4,12), wieder eine
neuen Namen geben. Er wird Zion in andere in Edom. Letzteres finden wir
die Hand nehmen, wie ein König be- hier in Kapitel 63. Der Messias kommt
wundernd seine Krone in die Hand von Bozra, einer wichtigen Stadt Edoms,
nimmt. Die Stadt, die einst die »Verlas- in herrlichen Kleidern herauf, die aber
sene« geheißen hat, wird jetzt »mein rot vom Blut der Feinde Israels sind.
Gefallen an ihr« genannt. Und das Land Wenn er gefragt wird, warum sein Ge-
namens »Öde« wird in »Verheiratete« wand rot ist, gebraucht er das Bild einer
umbenannt. Diese Namen sprechen Kelter oder Weinpresse, um zu be-
von Gottes freundlicher Zuneigung schreiben, wie er seine Feinde nieder-
und ehelicher Freude an seiner Stadt trat. Die Zeit ist gekommen, um Rache
und an seinem Land. Jerusalems Be- an ihnen zu nehmen und sein Volk zu
wohner werden mit ihr verheiratet sein, erlösen. Weil es keinen menschlichen
und der HERR wird sich an Zion freuen Erretter gab, schritt er selbst ein und er-
wie ein Bräutigam. rang den Sieg.
62,6-9 In der Zwischenzeit hat der
HERR Wächter auf die Mauern Jeru­ 7. Das Gebet des Überrests (63,7 - 64,12)
salems bestellt und sie angewiesen, 63,7-10 Als Nächstes spricht der Pro-
nicht zu ruhen in ihrer Fürbitte und phet für den Überrest in der Gefangen-
ihm keine Ruhe zu gönnen, bis Jeru­ schaft und ersucht um Erlösung aus der
salem die Königin der Städte der Welt bedauernswerten Lage. Zunächst er­
geworden ist. Niemals wieder werden innert er an Gottes früheres Handeln an
die Erzeugnisse Israels von Fremden diesem Volk. Der HERR hatte nichts als
weggeschleppt, vielmehr werden sie Güte, eine Fülle von Gnadenerweisen
von denen genossen, die dafür ge­ und Erbarmungen gezeigt. Gott hatte
arbeitet haben. Israel zu seinem Volk berufen. Obwohl
62,10-12 Nun wird den Verbannten er von Anfang an genau wusste, was
gesagt, sie sollten durch die Tore Ba­ die Israeliten tun würden, wird er hier
bylons ausziehen und nach Israel zu- beschrieben als einer, der es für unmög-
rückkehren auf einer gebahnten Straße lich hielt, dass sie ihn jemals verlassen
und ihr Feldzeichen stolz flattern las- und anderen Göttern nachfolgen
sen. In der ganzen Welt wird verkün- könnten. So wurde er ihnen zum Retter.
det, dass Israels Heil in der Person des Er wurde auch ihr Teilhaber in all ihren
Messias gekommen ist, und sein Lohn Bedrängnissen, besonders in all ihren

978
Jesaja 63 und 64

Drangsalen in Ägypten. Der Engel (das- zuerst ihre Herzen verhärtet haben.
selbe Wort wie Bote) seines Angesichts, Vielleicht will der Überrest sagen: »War­
d.h. der Messias, errettete sie (vgl. un­ um erlaubtest du, dass wir von deinen
revidierte Elberfelder, Schlachter 2000). Wegen abgeirrt sind?« Von Gott wird
In seiner Liebe und in seinem Erbarmen oft gesagt, er tue etwas, was er aber nur
hat er sie aus Ägypten erlöst und für sie zugelassen hat. Jedenfalls rufen die
auf der Wüstenreise gesorgt. Sie aber Verbannten zu dem Herrn, dass er in
vergalten seine Liebe mit Rebellion, Gnade zu ihnen zurückkehren solle. Is-
und so wurde er ihnen zum Feind. rael hat das Land nur eine vergleichs-
63,11-13 Aber selbst die Erinnerung weise kurze Zeit in Frieden besessen,
an die Tage der Vorzeit, an Mose und und nun liegt das Heiligtum in Trüm-
dessen Generation, würde Fragen auf- mern, und die Israeliten, Gottes Volk,
werfen wie diese: Wo ist der, der Israel, sind nicht besser dran als die anderen
seine Herde, aus dem Roten Meer her­ Völker, die nie eine Bundesbeziehung
aufführte, samt Mose und allen Hirten? zu dem HERRN hatten.
Wo ist der, der seinen Heiligen Geist in 64,1-5 Das in 63,15 begonnene Gebet
ihre Mitte gab (andere Übersetzungen wird jetzt zu einem Bekenntnis. Die An-
deuten diesen Satz so, dass der Heilige gehörigen des Überrests flehen Gott an,
Geist in ihn, d.h. Mose, gegeben wurde) er möge die Himmel zerreißen und im
und der dann das Wasser zerteilte, so- Zorn gegen seine Widersacher herab-
dass Mose sie hindurchführen konnte, steigen. Sie erinnern an sein früheres
wodurch seinem Namen ewige Ehre Eingreifen, an die einzigartigen Macht­
zuteil wurde. Wo war der HERR, der erweise des allein wahren Gottes, der
sie durch das Meer brachte und den für den tätig wird, der auf ihn harrt. Sie
Weg für sie eben machte wie die Step- erinnern sich daran, dass Gott denen
pe, in der die Pferde niemals stürzten? Gunst erweist, die ihre Freude an prak-
63,14 Wie das Vieh ins Tal hinabzieht, tischer Gerechtigkeit haben. Doch sie
um Ruhe und Erfrischung zu finden, so haben durch ihre Sünden, in denen sie
hat Gott sein Volk in das Land der Ruhe lange geblieben waren, seinen Zorn
geleitet, und indem er das tat, hat er entfacht und fragen sich, ob für Men-
sich selbst einen herrlichen Namen ge- schen wie sie noch irgendeine Hoffnung
macht. Man beachte hier die Dreieinig- auf Rettung besteht.
keit: der HERR (V. 7), der Engel des 64,5-7 Sie bekennen ihre persönliche
HERRN (V. 9), der Geist des HERRN Unreinheit und erkennen an, dass ihre
(V. 10.11.14). besten Taten (Gerechtigkeiten) nur wie
63,15-16 Der Rückblick auf frühere ein beflecktes Kleid67 sind. Kein Wun-
Gnadenerweise bringt den Propheten der, dass sie wie verwelkte Blätter sind,
dazu, vorauszuschauen auf die babylo- die der Wind ihrer eigenen Sünden da-
nische Gefangenschaft und sich für die vonträgt. In Israel herrscht geistlicher
Verbannten zu verwenden. Es scheint, Tod; Fürbitter werden nirgends ge­
als würden dem Überrest Gottes Eifer, funden, weil der HERR sie den Folgen
seine Machttaten und Erbarmungen ihrer Sünden überantwortet hat.
vorenthalten. Jesaja hält Gott vor, dass 64,8-9 Doch der HERR ist immer noch
er doch immer noch ihr Vater ist, selbst ihr Vater, und sie haben nicht aufgehört
wenn Abraham und Israel sie verleug- zu hoffen, dass der Töpfer etwas aus
nen würden. dem Ton machen kann. Sie flehen ihn
63,17-19 In Vers 17 scheint der Über- an, er möge seinen Zorn besänftigen, ih-
rest dem HERRN die Verantwortung nen vergeben und ihre Sünden verges-
für sein eigenes Abgleiten zu geben. In sen und sie als sein Volk anerkennen.
Wahrheit aber verhärtet Gott nur dann 64,10-12 Der verheerende Zustand
Menschenherzen, nachdem sie selbst des Landes, besonders Jerusalems und

979
Jesaja 64 und 65

des Tempels, sind starke Gründe, Tatsache, genügend zu trinken zu ha-


derent­wegen Gott von seinem Zorn ab- ben, und Durst, zwischen Jubel und
lassen und sich tatkräftig für sein an­ Schande, zwischen Gesang und Weh-
gefochtenes Volk einsetzen sollte. klage, zwischen dem Fluch über eine
Ehebrecherin (4. Mose 5,21-24) und ei-
8. Die Antwort des HERRN auf das Gebet ner Segnung. An jenem Tag, wenn die
des Überrests (Kap. 65) Verkehrtheiten auf Erden in Ordnung
65,1 Hier beginnt die Antwort des gebracht sind, werden die Israeliten den
HERRN auf das vorangegangene Gebet Namen »Gott der Wahrheit« (o. »der
(63,15 - 64,12). In diesem Zusammen- wahrhaftige Gott«) verwenden, wenn
hang spricht der erste Vers über Israels sie sich gegenseitig segnen. Mit anderen
Fehler, Gott nicht zu suchen, und über Worten: Gott wird als der anerkannt,
seine Weigerung, Gottes Ruf zu folgen. der seine Pläne verwirklicht und der so
Aber Paulus wendet ihn in Römer 10,20 handelt, wie er es angekündigt hat.
auf den Ruf an die Heiden an: »Ich bin 65,17 Die abschließenden Verse von
von denen gefunden worden, die mich Kapitel 65 beschreiben die Zustände im
nicht suchten; ich bin denen offenbar Tausendjährigen Reich. Der neue Him-
geworden, die nicht nach mir fragten.« mel und die neue Erde beziehen sich
65,2-7 Diese Verse beziehen sich un- hier auf die Königsherrschaft Christi
missverständlich auf Israel. Gott ver- auf Erden; in Offenbarung 21 beziehen
wendet sich unermüdlich für ein wi- sie sich auf den ewigen Zustand. In
derspenstiges Volk, das sich selbst mit Jesajas neuem Himmel und auf seiner
Götzendienst und Heidentum abgibt. neuen Erde gibt es noch Sünde und
Weil sie sich in geheime Riten einfüh- Tod; in Offenbarung 21 ist das alles vor-
ren ließen, hielten sich die Israeliten für bei.
heiliger als ihre Genossen. Weil sie den 65,18-23 Wenn das Reich anbricht,
Allerhöchsten beständig reizten, wird wird sich der HERR über Jerusalem
er ihnen all ihren Götzendienst und ihre und über sein Volk freuen. Klagelaut
Sünden heimzahlen. und Wehgeschrei werden nicht mehr
65,8-12 Der HERR verheißt, eine gute gehört werden. Kindersterblichkeit und
Traube (den treuen Überrest) in einem frühen Tod wird es nicht mehr geben.
sonst schlechten Weinberg (die übrige Wer hundertjährig stirbt, wird als jun-
Nation) zu schonen. Dieser bewahrte ger Mann gelten. Jeder, der offen sün-
Überrest wird in dem Land wohnen. digt, wird gerichtet werden. Die Men-
Schafe werden weiden auf der Ebene schen werden so lange leben, dass sie
Scharons im Westen und im Tal Achor die Frucht ihrer Arbeit genießen kön-
im Osten, alles zum Wohl der Heiligen. nen; denn die Lebenszeit der Treuen
In Bezug auf die abgefallene Masse des wird das gesamte Tausendjährige Reich
Volkes sieht die Sache anders aus. Die überdauern. Es wird keine vergebliche
meisten Israeliten haben den Tempel Mühe geben, und junge Menschen wer-
verlassen und dienen dem Gad (Glücks- den nicht durch Unfälle oder Krieg um-
gott) und der Meni (Schicksalsgöttin), kommen. Eltern und Kinder werden
darum hat der HERR sie für das Schwert die Segnungen des HERRN genießen.
bestimmt. Statt den Ermahnungen des 65,24-25 Es wird keine Hindernisse
HERRN zu folgen, hatten sie erwählt, für die Erhörung des Gebets mehr ge-
woran Gott kein Gefallen hatte. ben. Wilde Tiere werden gezähmt sein,
65,13-15 Hier wird der Unterschied und giftige Schlangen werden sich von
zwischen dem Los der wahren Gläu- dem Staub der Unterwerfung und Er-
bigen und dem der Ungläubigen auf­ niedrigung nähren. Auf dem ganzen
gezeigt. Er ist der Unterschied zwischen heiligen Berg Zion wird es keine Gefahr
Überfluss und Hunger, zwischen der mehr geben.

980
Jesaja 66
9. Zusammenfassung: Frieden wie ein
Israels, die nach der Drangsalszeit ge-
Strom (Kap. 66)
schieht. Nichts wird Gott von der Er­
66,1-2 Die Eingangsworte des 66. Kapi- füllung seiner Pläne abhalten.
tels sind für das unbußfertige Volk Is­ 66,10-17 Der Tag der Wiederherstel-
rael geschrieben. Die Unbußfertigen lung wird eine Zeit großen Jubels in Je-
brauchen nicht zu denken, dass sie in rusalem sein. Alle, die diese Stadt lieben
diesem Zustand Gott gefallen können, und über sie getrauert haben, werden
indem sie ihm einen Tempel bauen ‒ ist an dem überströmenden Glück und Ju-
er doch der Schöpfer des Alls, dem alles bel jenes Augenblicks teilhaben. Be­
gehört. Er thront im Himmel, und die reichert durch die Herrlichkeit der Na-
Erde ist der Schemel seiner Füße. Der tionen, wird sie ihrerseits allen Wohl-
von ihm begehrte Wohnort ist das Herz stand, alle Nahrung, Tröstung und Er-
eines Menschen, der demütig und eines neuerung der Jugend schenken, die zu
zerschlagenen Geistes ist und vor sei- ihr kommt. Dann wird allen klar sein,
nem Wort zittert. dass dem HERRN daran liegt, den
66,3-4 Die Unbußfertigen reizen Gott Seinen wohlzutun und seine Feinde zu
durch ihre religiösen Handlungen. Los- bestrafen. Das Zweite Kommen des
gelöst von praktischer Heiligkeit sind HERRN wird die Entfesselung seines
ihre Opfer und Gaben nichts als Gräuel­ glühenden Zorns gegen alle Götzen­
taten. Ihre heuchlerischen Wege kön- diener und Rebellen bedeuten. Er sieht,
nen sie selbst wählen, deren Kon­ wie sie sich Zeremonien unterziehen,
sequenzen aber nicht. Gott wird das um rituell rein zu werden, und dann
tun! Alle, die seinen Ruf zur Buße ab- begehen sie die abscheulichsten götzen-
weisen und ihre eigenen Wege gehen, dienerischen Handlungen.
die er hasst, werden seinen Zorn zu 66,18-21 Er kennt ihre Taten und Ge-
schmecken bekommen. danken, und wenn er seine Gerichte
66,5-6 Die treuen, gottesfürchtigen Ju- auf sie herniederprasseln lässt, werden
den, die vor seinem Wort zittern, wer- sie seine Herrlichkeit sehen. Er wird
den von ihren eigenen Brüdern verfolgt ihnen ein übernatürliches Zeichen ge-
werden. Die bösen Verfolger werden ben, das wir heute noch nicht kennen.
meinen, Gott einen Dienst zu erweisen, Die Entkommenen werden an die En-
was sich an ihrem pseudo-frommen den der Erde gehen und die Botschaft
Spott zeigt: »Der HERR erweise sich von der Macht und Herrlichkeit des
herrlich, dass wir auf eure Freude se- HERRN verkünden. Dann werden die
hen können!« Sie meinen damit spöt- Heiden ihre Transportmöglichkeiten
tisch die Freude, auf übernatürliche mobili­sieren, um die zerstreuten Israe-
Weise von ihnen erlöst zu werden. Aber liten in ihr Land zurückzubringen als
der HERR wird zur Beschämung seiner eine Opfergabe für den HERRN. Gott
Feinde eingreifen. Die Arbeit des Ge- wird im Tempel des Tausendjährigen
richts wird beim Tempel anfangen. Dort Reiches das Priestertum und die levi-
wird die Stimme des HERRN erschal- tische Gottesdienstordnung wieder
len, dass die Zeit der Vergeltung ge- einsetzen.
kommen ist. 66,22-23 Israels Stellung vor Gott
66,7-9 In Vers 7 bringt Israel vor der wird so dauerhaft und sicher sein wie
Zeit einen Knaben zur Welt (den Mes­ der neue Himmel und die neue Erde.
sias), ehe die Wehen (der großen Drang- Pilger aus allen Nationen werden zu
salszeit) eingesetzt haben. In Vers 8 den festgesetzten Zeiten nach Jerusa-
bringt sie Söhne hervor nach den We- lem kommen, um anzubeten.
hen. Die erste Geburt fand vor etwa 66,24 Während sie dort sind, werden
2000 Jahren in Bethlehem statt. Die sie ins Tal Hinnom hinausgehen und
zweite ist die geistliche Wiedergeburt die Leichen der Rebellen sehen, die in

981
Jesaja 66

dem beständigen Feuer der städtischen Anmerkungen


Müllhalde brennen.
Es ist bemerkenswert, dass unser 1
(Einführung) Es war ein Wohltätig-
Herr einen Teil dieses letzten Verses des keitskonzert »zum Wohl der Gefan-
Jesajabuches als Warnung für solche zi- genen in mehreren Gefängnissen
tiert, die in Sünde leben wollen und die und zur Unterstützung des Mercer’s
Kleinen ärgern, die an Christus glau- Hospital in der Stephen Street und
ben. Dreimal verwendet der Herr in des ›Wohltätigen Hospizes‹ in der
Markus 9 Jesajas ernste Worte: »… wo Inn’s Quay«. Im Licht der betonten
ihr Wurm nicht stirbt und das Feuer Hinweise Jesajas auf die Befreiung
nicht erlischt« (V. 44.46.48).68 der Gefangenen und der Heilung der
Die gute Nachricht ist, dass ein Wunden von Kranken, hätte er zwei-
Mensch diesem ewigen Feuer der Hölle fellos Gefallen an den Liebeswerken
entkommen kann, indem er im Glauben gehabt, die früher oft mit der Auf-
den Erlöser ergreift, den »Knecht des führung des »Messias« verbunden
HERRN«, den Jesaja in vielen Weis­ waren.
sagungen so gewinnend beschrieben 2
(Einführung) Nach der Ouvertüre
hat. wird sogleich der Anfang des zwei-
Für die meisten unserer Leser, die ten Teils von Jesaja in einem Tenor­
Christus bereits als ihren Retter an­ solo gesungen: »Tröstet mein Volk«
genommen haben, ist das Jesajabuch (40,1). Wer kann Jesaja 7,14 lesen,
großartige Prophetie und großartige ohne den Contra-Alt-Solo des »Sie-
Poesie; es gehört gewiss zum Besten des he, eine Jungfrau ist schwanger« zu
ganzen Alten Testaments. Aber es wäre hören, oder Jesaja 9,6, ohne dass der
eine Schande, wenn das alles wäre. Wir Chor singt: »Denn uns ist ein Kind
sind aufgerufen, dieses Buch auf unser geboren, ein Sohn ist uns gegeben«?
tägliches Leben anzuwenden und nach »Fürwahr, er trug unsre Krankheit
Gottes Wohlgefallen zu leben. und lud auf sich unsre Schmerzen«
Wir schließen mit einer praktischen (53,4) ist ein weniger bekannter Satz.
Ermahnung des englischen Bibelgelehr- Auch aus Jesaja sind: »O thou that
ten W.E. Vine: tallest good tidings to Zion« (40,9);
»Then shall the eyes of the blind be
All dies zeigt uns, welche Torheit, Ver- open and the ears of the deaf unstop-
geblichkeit und Sünde es ist, wenn wir ped« (35,5); »He shall feed His flock
unsere eigenen Wege gehen, indem wir like a shepherd« (40,11) und das be-
unsere Pläne ausführen und dem hinter- wegende »He was despised and re-
herlaufen, woran Gott kein Wohlgefallen jected of men« (53,3). Vergleichs­
hat. Stattdessen sollten wir auf ihn war- weise wenige Texte dieses Orato­
ten, auf seine Stimme hören und uns dar­ riums stammen aus dem NT, was
an erfreuen, seinen Willen zu erfüllen. ungewöhnlich ist, besonders wenn
Wenn wir mit Gott wandeln, dann erfüllt man bedenkt, dass es hier insbeson-
er alle Verheißungen seines Wortes oder dere um den Messias geht.
wird sie erfüllen. Er beantwortet unser 3
(Einführung) Siehe die Einführun-
freudiges Vertrauen auf ihn, indem er gen in diesem Bibelkommentar zu
seiner Verheißung ein »Amen« hinzu- den erwähnten Büchern, die die tra-
fügt. Der Friede eines gehorsamen Her- ditionelle und orthodoxe Position
zens und ein vertrauensvoller Geist ge- hinsichtlich der Verfasserschaft ver-
nießen den Sonnenschein seines An­ teidigen.
gesichts und die Ruhe der heiligen Ge- 4
(Einführung) Josephus, Altertümer
meinschaft mit ihm.69 XI:1:f
5
(1,7-9) So sicher sind die Weissagun-

982
Jesaja

gen, dass sie oft im hebräischen Per- 17


(7,14) Vine, Isaiah, S. 35.
fekt ausgedrückt werden, das die 18
(7,18-22) Jennings, Isaiah, S. 90.
Ankündigung bereits als eine ab­ 19
(8,19) Vine, Isaiah, S. 41
geschlossene Handlung betrachtet. 20
(9,6) Ebd., S. 43.
6
(1,10-15) W.E. Vine: Isaiah: Prophecies, 21
(11,1) Das wunderbare alte deutsche
Promises, Warnings, S. 14. Weihnachtlied: »Es ist ein Ros’ ent-
7
(2,4) Dieser Vers steht – ohne die An- sprungen …« hat diesen Gedanken
fangsworte über Gott – am Gebäude sehr schön erfasst. Aus dichterischen
der Vereinten Nationen in New York. Gründen wählte der Verfasser eine
8
(2,12-18) Andere übersetzen »kost- Rose als die Pflanze, die aus der
bare Schauwerke« oder »köstliche »Wurzel Jesse« erwuchs.
Kleinodien«. 22
(11,2) Vine, Isaiah, S. 49.
9
(4,2-6) Matthew Henry’s Commentary 23
(11,6-9a) Der amerikanische Quäker
on the Whole Bible: »Jesaja«, Bd. IV, und Autodidakt Edward Hicks liebte
S. 27. diese Stelle so sehr, dass er mehrere
10
(6,1) Dies war wohl um 740 v.Chr. Gemälde mit dem Namen »Das Frie-
D.L. Moody schreibt: »Usijas Regie- densreich« schuf. Sein reizender Stil
rung war eine Art Viktorianisches macht bei weitem seine Unkenntnis
Zeitalter in der jüdischen Geschichte. der tierischen Anatomie wett.
Gerade als diese Zeit in Schande und 24
(13,14-22) Ryrie schreibt: »Der Nie-
Elend zu Ende ging, sah Jesaja den dergang Babylons vollzog sich stu-
ewigen König auf seinem Thron.« fenweise. Um 20 v.Chr. beschrieb
Notes from My Bible, S. 85. Strabo die Stadt als ›ein großes Trüm-
11
(6,1) F.C. Jennings: Studies in Isaiah, merfeld‹. Selbst die Wüstenwanderer
S. 61. (Araber) mieden diese Stelle, weil sie
12
(6,2-5) Das Wort Seraphim ist vom ein Vorzeichen von Unglück wurde«
hebr. Wort saraph, »brennen«, ab­ (Ryrie Study Bible, New King James
geleitet und betont die brennende Version, S. 1053).
Heiligkeit Gottes, ähnlich wie in dem 25
(14,12-17) »Luzifer« ist das lateini-
Satz: »Auch unser Gott ist ein verzeh- sche Wort für »Lichtträger«.
rendes Feuer« (Hebr 12,29; siehe 26
(14,12-17) Ryrie, Study Bible, S. 1054.
auch 5. Mose 4,24). 27
(14,24-27) Ryrie schreibt: »Die Erfül-
13
(6,9-10) Vine, Isaiah, S. 32. lung dieser Vorhersage der Zer­
14
(7,3) Der Name seines Sohnes be­ störung Assyriens wird in 37,21-38
deutet: »Ein Überrest wird zurück- berichtet.« Ebd., S. 1055.
kehren.« 28
(18,1-7) Das Wort ist der gewöhn­
15
(7,10-13) Vine, Isaiah, S. 35. liche Ausdruck für »Wehe«, aber hier
16
(7,14) Das mit »Jungfrau« wieder­ »unterscheidet es sich von dem in
gegebene hebr. Wort almah könnte 17,12 und ist eher ein Ausdruck des
nach einigen Gelehrten auch »junge Mitleids (siehe Jes 1,1; Sach 2,10) als
Frau« bedeuten. Die Weissagung ein Ausdruck des Zorns«. F. De-
mag schon eine frühere, teilweise litzsch, »Jesaja« in: Biblical Commenta­
Erfüllung gefunden haben, als Jesa- ry on the Old Testament, Bd. XVII,
jas Frau »Schnell-Raub-Eile-Beute« S. 348.
(Maher-Schalal-Chasch-Bas) zur 29
(20,1-6) Der Name »Palästina« ist von
Welt brachte (8,1.4). Die letzte, end- dem Wort »Philistäa« abgeleitet.
gültige Erfüllung war jedoch die Ge- 30
(21,6-10) Vine, Isaiah, S. 62.
burt Christi. Als Matthäus diesen 31
(21,11-12) Victor Buksbazen, The Pro­
Vers zitiert, gebraucht er das grie- phet Isaiah, S. 224.
chische Wort parthenos, das nur 32
(22,20-24) D.L. Moody schreibt: »Die
»Jungfrau« bedeuten kann (Mt 1,23). spanischen Juden haben einen silber-

983
Jesaja

nen Schlüssel Davids, der die In- Zeugen genannt werden. Der Kontext
schrift trägt: ›Gott wird öffnen, der ist weit entfernt von dem Gebrauch,
König wird eintreten.‹« Notes, S. 85. den sie von dieser Stelle machen.
33
(24,4-13) John A. Martin: »Isaiah«, 52
(44,28) Josephus, Jüdische Altertümer
The Bible Knowledge Commentary, Old (Übersetzung von Heinrich Cle­
Testament, S. 1072. mentz), xi.2.
34
(26,1-4) Zitiert von Moody in Notes 53
(45,7) Das Deutsche wie auch das
from my Bible, S. 86. Englische hat einen viel größeren
35
(26,1-4) Ebd. Wortschatz als das Hebräische. Das
36
(28,9-10) Diese Verse werden oft los- manchmal mit »Böses« übersetzte
gelöst von ihrem Zusammenhang hebräische Wort kann sowohl »Un-
angeführt, als ob sie die richtige Wei- heil« bedeuten als auch »Schlimmes«
se angäben, wie man etwas unter- und noch einiges mehr. Hier ist nicht
richtet (z.B., indem man vom Be- etwa moralisch Böses gemeint, son-
kannten zum Unbekannten geht und dern »Unheil«, das Gott zu Gerichts-
immer nur kleine Stoffmengen auf zwecken schafft.
einmal behandelt). Obwohl das 54
(45,7) Delitzsch, »Jesaja« in: Biblical
sicher­lich ein guter Rat ist, ist es ge- Commentary on the Old Testament,
wiss nicht die Aussage des Texts, Bd. XVIII, S. 220-221.
wenn man ihn im Kontext sieht. 55
(45,7) Ebd., S. 221.
37
(28,11-13) Jennings, Isaiah, S. 333. 56
(46,3-4) James S. Stewart, weitere An-
38
(28,23-29) H. Vander Lugt, Our Daily gaben sind nicht verfügbar.
Bread, Radio Bible Class, nähere An- 57
(47,5-15) Jennings, Isaiah, S. 556.
gaben nicht verfügbar. 58
(51,9-11) Ebd., S. 593.
39
(29,13-14) Vine, First Corinthians, S. 23. 59
(52,11-12) Zitiert bei David Baron,
40
(33,23-24) Vine, Isaiah, S. 83. The Servant of Jehovah, S. 46-47.
41
(34,9-17) Die hebr. Worte für »Öde« 60
(52,15) Manche älteren Bibelüberset-
und »Leere« in Vers 11 sind die­ zungen wie KJV und Luther überset-
selben Worte, die in 1. Mose 1,2 mit zen hier »wird er viele Heiden bespren-
»wüst« und »leer« übersetzt sind. gen« und setzen dies in Beziehung mit
42
(35,8-10) Jennings, Isaiah, S. 417. der Besprengung mit Opferblut in
43
(37,1-4) J.A. Alexander, The Prophecies 3. Mose und der weltweiten Verbrei-
of Isaiah, S. 289. tung der Erlösungsbotschaft. Doch
44
(38,21-22) W. Kelly, Isaiah, S. 289. vom Textzusammenhang her passt
45
(38,21-22) M. Henry, »Isaiah,« Bd. VI, hier für dieses hebräische Wort die Be-
S. 209. deutung »in Erstaunen setzen« (eigent-
46
(40,3-5) G. Campbell Morgan, Search­ lich: »aufspringen machen«) besser
lights from the Word, S. 229. (vgl. unrevidierte Elberfelder, Schlach-
47
(40,6-8) Zitiert bei Jennings, Isaiah, ter 2000, Menge), wie wir an dem par-
S. 467. allelen Ausdruck ȟber ihn werden
48
(41,21-24) Jennings, Isaiah, S. 486, Fuß- Könige ihren Mund verschließen« se-
note. hen können. Auch die Ähnlichkeit von
49
(41,29) Vine, Isaiah, S. 105. »sich entsetzen« (V. 14) und »in Erstau-
50
(43,1-7) Ebd., S. 115. nen setzen« (V. 15) ist bemerkenswert.
51
(43,8-13) Eine der anti-trinitarischen Vine schreibt: »Wegen der Erniedri-
Sekten leitet aus dieser Stelle: »Ihr gung und Entstellung, die Menschen
seid meine Zeugen, spricht der HERR ihm zufügten, waren viele erstaunt; bei
(Jahwe)«, ihren Namen ab. Weil de- der künftigen Offenbarung seiner
ren Mitglieder in so vielem gegen die Herrlichkeit wird er viele Völker in Er-
Wahrheit des HERRN Zeugnis ab­ staunen setzen (bewirken, dass sie auf-
legen, müssen sie eigentlich falsche springen und zittern vor Erstaunen);

984
Jesaja

hier ist die Bedeutung »in Erstaunen 66


(58,13-14) Zur Erörterung des Sab-
setzen« und nicht »besprengen« (was bats und wie er in Beziehung zum
durch die grammatische Ausdrucks- Christentum steht, siehe: W. Mac
weise klar wird).« Isaiah, S. 166. Donald, Kommentar zum Neuen Testa­
61
(53,2) F.B. Meyer, Christ in Isaiah, ment, S. 77f.
S. 126. 67
(64,5-7) Wörtlich: Menstruations-
62
(53,12) David Baron, The Servant of kleider.
Jehovah, S. 140. 68
(66,24) In einigen Handschriften feh-
63
(53,12) Moody, Notes, S. 87. len zwei dieser Verse; vgl. die aus-
64
(58, Einführung) A. Martin, Isaiah, führlichere Behandlung in Mac
S. 107. Donald, Kommentar zum Neuen Testa­
65
(58,1-5) Leibliches Fasten kann eben- ment, Anmerkungen zu Markus 9.
falls ein gutes Mittel zur geistlichen 69
(66,24) Vine, Isaiah, S. 214-215.
Disziplinierung sein. Zwar befiehlt
das NT das Fasten nicht; trotzdem
sagt unser Herr: »Wenn ihr fastet …«
(nicht: »Falls ihr fastet …«).

Bibliografie Jennings, F.C.,


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Alexander, Joseph A., New York: Loizeaux Bros., 1935.
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Grand Rapids: Zondervan Publishing Henry, Matthew,
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Chicago: Moody Press, 1962. London: Robert L. Allen, 1916.

Baron, David, Martin, Alfred,


The Servant of Jehovah: The Sufferings of Isaiah: The Salvation of Jehovah,
the Messiah and the Glory that Should Fol­ Chicago: Moody Press, 1967.
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Minneapolis: James Family Publishing, Meyer F.B.,
1978. Christ in Isaiah,
Grand Rapids: Zondervan Publishing
Buksbazen, Victor, House, 1952.
The Prophet Isaiah,
West Collingswood: The Spearhead Vine, W.E.,
Press, 1971. Isaiah – Prophecies, Promises, Warnings,
London: Oliphants, Ltd., 1947.
Delitzsch, Franz,
»Isaiah«, in: Biblical Commentary on the Young, Edward,
Old Testament, Bände 17 u. 18, Who Wrote Isaiah?,
Grand Rapids: Wm. B. Eerdmans Pub- Grand Rapids: Wm. B. Eerdmans Pub-
lish­ing Co., 1971. lish­ing Co., 1958.

985
Jeremia
»Überaus eindrucksvoll … ist es, wie Jesus Christus in der öffentlichen Meinung mit
Jeremia in Zusammenhang gebracht wurde. Als bei einer Gelegenheit Christus seine
Jünger nach den Ansichten der Menschen über ihn fragte, berichteten sie, dass einige ihn
für diese herausragende Prophetengestalt aus dem siebten vorchristlichen Jahrhundert
hielten (Mt 16,13f.). Es überrascht kaum, dass manche den Mann der Schmerzen mit
dem Propheten mit dem gebrochenen Herzen verwechselten, denn beide, Jeremia und
Christus, klagten und weinten über ihre Zeitgenossen (siehe Jer 9,1 und Lk 19,41).«

R.K. Harrison

Einführung wohl in dem Sinn, dass er ein Funda-


ment legt; daher ergibt sich die Bedeu-
I. Einzigartige Stellung im Kanon tung: der HERR gründet. Eine andere
mögliche Bedeutung ist: erhoben durch
Jeremia ist weithin als »der weinende den HERRN. Der Prophet war der Sohn
Prophet« bekannt. Dies ist auch der des Hilkija, eines Priesters aus Anatot,
Schlüssel zu seinen Schriften, denn wenn einer Stadt, die weniger als fünf Kilo-
wir diesen Umstand im Gedächtnis be- meter von Jerusalem entfernt im Gebiet
halten und die Ursache, weshalb er von Benjamin lag.
weint, werden wir seine Botschaft ver- Jeremia gehörte zu den Predigern, die
stehen können. Gott die Treue halten und ihre Stellung
Dieser Prophet ist einzigartig, indem und finanzielle Sicherheit aufs Spiel set-
er uns sein Herz und seine Persönlich- zen, indem sie eine Botschaft verkündi-
keit mehr als jeder andere Prophet des gen, die von den Menschen nicht gern
Alten Testaments offenbart.1 Seinem gehört wird. Darum wurde er von sei-
Wesen nach war er empfindsam und nen Feinden verleumdet und in einem
scheu, trotzdem berief Gott ihn, mit falschen Licht dargestellt. Es gibt keine
ganzem Ernst den Abfall in seinen Ta- Hinweise darauf, dass Jeremia selbst
gen anzuprangern. Da ging es um inter- jemals das Priesteramt ausübte.
nationale Spannungen zwischen Ba­
bylon, Ägypten und Assyrien wegen III. Datierung
der Vormachtstellung in der damaligen Jeremia gibt an verschiedenen Stellen in
Welt; um den schwerwiegenden geist­ seinem Buch chronologische Daten an.
lichen Niedergang in Israel nach der Er begann seinen Dienst um 627 v.Chr.
letzten Erweckung in Juda unter Josia; (das 13. Jahr Josias – 1,2). Er tat seinen
um Menschen, die mit dem Wort Gottes Dienst über eine lange Zeitspanne, bis
aufgewachsen waren und echte Fröm- zum elften Jahr Zedekias. Er weissagte
migkeit kannten und sich dann doch während der letzten vierzig Jahre Ju-
heidnischem Götzendienst zuwandten. das, bis zu der Zeit, in der Jerusalem
All das erinnert uns an die westliche erobert wurde und die Juden in die ba-
Christenheit von heute. bylonische Gefangenschaft geführt
wurden (586 v.Chr.).2 Nach dem Fall
II. Verfasserschaft Jerusalems stand Jeremia unter dem
Die Weissagungen wurden von Jeremia Schutz Gedaljas, des Statthalters. Als
verfasst (hebr. Jirmejāhû oder Jirmejāh). dieser von Fanatikern ermordet wor-
Der Name bedeutet wahrscheinlich der den war, zog der Prophet mit einigen
HERR schleudert oder wirft, und zwar Juden nach Ägypten. Dort verbrachte

987
Jeremia

er den Rest seines Lebens. Offensicht- Wahrscheinlich war es Psamme-


lich diente er auch dort noch bis zum tich II., Nechos Nachfolger, der ver-
Jahr 582 v.Chr. (Kap. 40-44). suchte, ein Bündnis gegen Babylon zu
Beim Studium des Buches Jeremia schmieden. Jeremia kämpfte sehr gegen
sollte man beachten, dass die Weis­ die Beteiligung Judas an diesem Bünd-
sagungen nicht in chronologischer Rei- nis (siehe z.B. Kap. 28). Er sagte, dass
henfolge angeordnet sind. alle, die das befürworteten, falsche Pro-
pheten seien.
IV. Hintergrund und Thema Aufgrund dieser Intrigen der Ägyp-
Jeremia begann seinen Dienst an Juda, ter wurde Zedekia treubrüchig gegen­
nachdem das Nordreich Israel von den über Babylon und rief dessen Herrscher
Assyrern erobert worden war und we- auf den Plan, der Jerusalem belagerte.
nige Jahre vor dem Ende des Reiches Das war 588 v.Chr. Ägypten wendete
Juda. Zur Zeit seiner Weissagungen mit seinem Heer die Belagerung ab, die
stritten sich drei Mächte um die Vor- aber bald wieder aufgenommen wurde.
herrschaft: Assyrien, Ägypten und Ba- Es zeigte sich, dass Jeremia im Hinblick
bylon. Weil Gott ihn davor warnte, dass auf Ägypten recht hatte, wenn er es als
Juda in die babylonische Gefangen- zerbrochenen Rohrstab bezeichnete,
schaft geführt würde, sprach er sich ge- auf den man sich nicht stützen kann. Zu
gen jedwede Verbindung mit Ägypten seinem großen persönlichen Kummer
aus, weil diese Nation am Ende unter- musste er mit ansehen, wie sich seine
liegen würde. Weissagungen über die Zerstörung und
Assyrien hatte Juda tributpflichtig Gefangenschaft Judas erfüllten.
gemacht; aber innerhalb von zwanzig Gott hatte dem Propheten offenbart,
Jahren fiel Ninive, die Hauptstadt, nach dass die Sünden Judas zu einer siebzig-
einer schrecklichen Belagerung. Necho jährigen Gefangenschaft in Babylon
von Ägypten marschierte durch Paläs­ führen würden. Jeremias unwillkom-
tina nordwärts nach Haran. Dabei tö­ mene Aufgabe war, diese Tatsachen sei-
tete er Josia (609 v.Chr.). Er und der nen Mitbürgern zu verkünden und ih-
assyrische Überrest fanden ihren Meis­ nen zu raten, sich den Babyloniern zu
ter in Nebukadnezar, der seine Trup- unterwerfen. Sie beschuldigten ihn, ein
pen in der berühmten Schlacht von Verräter zu sein, und trachteten ihm
Karkemisch vernichtend schlug. So fiel nach dem Leben.
Juda automatisch den Babyloniern in Als Jerusalem schließlich den frem-
die Hände. Necho hatte zuvor Josias den Invasoren in die Hände fiel, war
Nachfolger Joahas entmachtet und Jeremia einer von denen, die im Hei-
durch Jojakim ersetzt, von dem er matland bleiben durften, während die
glaubte, er werde den Ägyptern eher Hauptmasse des Volkes fortgeführt
zugeneigt sein. Nebukadnezar igno- wurde. Nun riet er den Übrigen, nicht
rierte Juda für eine Weile, wodurch nach Ägypten zu fliehen, um Hilfe zu
Jojakim die Möglichkeit erhielt, in finden; doch sie missachteten seinen
Ägypten Hilfe zu suchen, um für Juda Rat und schleppten ihn mit sich. Dort,
Unabhängigkeit zu erwirken. Im Jahr in Ägypten, starb der Prophet.
598 v.Chr. griff Nebukadnezar Jeru­ Außer der vorhergesagten babyloni-
salem an, fing Jojakim und ein Jahr spä- schen Gefangenschaft sah Jeremia aber
ter auch den Sohn des Rebellen und auch voraus, dass dieses Weltreich am
brachte sie nach Babylon, zusammen Ende von siebzig Jahren zerstört würde
mit einigen aus dem Volk. Er setzte und dass die Juden wieder in ihr Land
Zedekia auf den Thron. heimkehren dürften.

988
Jeremia

Einteilung H. Jeremia und der irdene Krug


(Kap. 19)
I. Einführung: Die Berufung und der IV. Weissagungen gegen die
Auftrag des Propheten Jeremia politischen und religiösen Führer
(Kap. 1) Judas (Kap. 20-23)
II. Jeremias öffentlicher Dienst A. Weissagung gegen Paschhur
(Kap. 2-10) (20,1-6)
A. Predigt gegen Judas B. Jeremias Klage vor Gott
absichtliche Untreue (2,1 - 3,5) (20,7-18)
B. Judas Zukunft hängt von C. Weissagung gegen den König
seiner Buße ab (3,6 - 6,30) Zedekia (21,1 - 22,9)
1. Frühere Sünden und D. Weissagung gegen den König
zukünftige Herrlichkeit Schallum (22,10-12)
(3,6-18) E. Weissagung gegen den König
2. Die Notwendigkeit der Jojakim (22,13-23)
Buße (3,19 - 4,4) F. Weissagung gegen den König
3. Weherufe wegen des Jojachin (22,24-30)
Gerichts aus dem Norden G. Weissagung auf den gerechten
(4,5-31) König (23,1-8)
4. Judas Sünde fordert H. Weissagung gegen Judas
Gericht heraus (Kap. 5) falsche Propheten (23,9-40)
5. Jerusalems Fall wird V. Weissagungen in Bezug auf die
vorhergesagt (Kap. 6) Zerstörung Jerusalems und die
C. Jeremias Dienst am Tempeltor babylonische Gefangenschaft
(Kap. 7-10) (Kap. 24-29)
1. Judas heuchlerische A. Das Zeichen der Feigen (Kap. 24)
Frömmigkeit (Kap. 7) B. Die siebzigjährige
2. Judas Mangel an Gefangenschaft in Babylon
Sündenbewusstsein (8,1-22) wird angekündigt (25,1-11)
3. Die Klage des weinenden C. Die babylonischen Eroberer
Propheten (8,23 - 9,25) werden gerichtet werden
4. Eine Spottrede gegen den (25,12-38)
Götzendienst (10,1-18) D. Jeremias Warnungen an das
5. Das Gebet des weinenden Volk (Kap. 26)
Propheten (10,19-25) E. Das Zeichen von dem Joch
III. Jeremias persönliche Erfahrungen (Kap. 27)
(Kap. 11-19) F. Hananjas falsche Weissagung
A. Jeremia und die Menschen von und sein Tod (Kap. 28)
Anatot (Kap. 11-12) G. Jeremias Botschaft an die
B. Jeremia und der verdorbene jüdischen Gefangenen in
Hüftschutz (Kap. 13) Babylon (Kap. 29)
C. Jeremias Bittgebet wegen der VI. Weissagungen über die
Dürre (Kap. 14-15) Wiederherstellung (Kap. 30-33)
D. Jeremias einsamer Dienst A. Die Gefangenen sollen
(16,1-18) gesammelt werden (Kap. 30)
E. Jeremias standhaftes Herz B. Das Land wird
(16,19 - 17,18) wiederhergestellt (31,1-30)
F. Jeremias Sabbatpredigt C. Offenbarung des Neuen
(17,19-27) Bundes (31,31-40)
G. Jeremia im Haus des Töpfers D. Die Stadt wird wieder erbaut
(Kap. 18) (Kap. 32)

989
Jeremia 1

E. Der Bund wird in Erinnerung C. Jeremia und der Überrest in


gebracht (Kap. 33) Ägypten (Kap. 43-44)
VII.Geschichtlicher Abschnitt D. Die Botschaft des HERRN an
(Kap. 34-45) Baruch (Kap. 45)
A. Der Niedergang Judas und VIII.Weissagungen gegen die
Jerusalems (Kap 34-39) heidnischen Völker (Kap. 46-51)
1. Zedekias Verbannung wird A. Weissagungen gegen Ägypten
vorhergesagt (Kap. 34) (Kap. 46)
2. Belohnung des Gehorsams B. Weissagungen gegen Philistäa
der Rechabiter (Kap. 35) (Kap. 47)
3. König Jojakim verbrennt C. Weissagungen gegen Moab
Jeremias Buchrolle (Kap. 36) (Kap. 48)
4. Jeremia wird eingekerkert D. Weissagungen gegen Ammon
und von Zedekia befragt (49,1-6)
(Kap. 37-38) E. Weissagungen gegen Edom
5. Der Fall Jerusalems (Kap. 39) (49,7-22)
B. Geschehnisse in Juda nach dem F. Weissagungen gegen
Fall Jerusalems (Kap. 40-42) Damaskus (49,23-27)
1. Jeremia wohnt bei dem G. Weissagungen gegen Kedar
Statthalter Gedalja und Hazor (49,28-33)
(Kap. 40) H. Weissagung gegen Elam
2. Der Statthalter Gedalja (49,34-39)
wird ermordet (Kap. 41) I. Weissagungen gegen Babylon
3. Gott verbietet, nach Ägypten (Kap. 50-51)
zu fliehen (Kap. 42) IX. Schluss: Der Fall Jerusalems (Kap. 52)

Kommentar dem aufmerksamen Leser ins Auge


springen. Hier haben wir nicht die groß-
I. Einführung: Die Berufung und artige Entfaltung der Ratschlüsse Gottes
Sendung des Propheten Jeremia für diese Erde, deren Zentrum Israel bil-
(Kap. 1) dete, sondern wir erleben die Weis­
sagung in ihrem moralischen Aspekt, die
1,1-10 Im ersten Kapitel der Weissagun- auf die Seelen des Volkes Gottes ein-
gen Jeremias, des Sohnes Hilkijas, wird wirkt. Es besteht kein Zweifel: Den Hei-
er vorgestellt, berufen und eingewie- den wird Gericht angekündigt; doch mit
sen. Sein Vater wird als einer der Pries- der Absicht, das Gewissen der Juden zu
ter in Anatot in Benjamin beschrieben. beeinflussen. Wir sehen, wie stark der
Jeremia war zum Propheten bestimmt Geist Gottes Jeremias persönliche Erfah-
worden, bevor er geboren war (V. 5). Er rungen dazu benutzt, dies zu erreichen.
war vom Menschlichen her zögernd Wir kennen keinen anderen Propheten,
(V. 6), aber von Gott mit Kraft aus­ der so oft seine Gefühle, seine eigenen
gerüstet (V. 8-9), und empfing den Auf- Gedanken, seine eigenen Wege, seinen
trag, über ganze Völker Zerstörung eigenen Geist erforscht.3
und Wiederherstellung vorherzusagen.
William Kelly fasst die Person und das 1,11-19 Als Erstes belehrt der HERR sei-
Werk des Propheten sehr schön zu­ nen Propheten mit Hilfe von Bildern,
sammen: nämlich durch einen Mandelbaum und
einen siedenden Topf. Der Mandel-
Der Unterschied im Charakter und im baum, ein erstes Frühlingszeichen,
Stil zwischen Jeremia und Jesaja muss je- weist auf die Nähe der Erfüllung des

990
Jeremia 1 und 2

göttlichen Wortes hin (V. 11-12). Der getan hat. Im Gegensatz zu solchen
siedende Topf, dessen Oberfläche von Heidenvölkern wie dem der Kittäer
Norden her geneigt ist, war Babylon, und den Menschen in Kedar, die ihren
das bereitstand, auf Juda überzu­ Göttern treu ergeben waren, hatte Juda
kochen, weil das Volk Gott verlassen den HERRN, seinen Gott, gegen wert­
hatte und dem Götzendienst verfallen lose Götzen eingetauscht. Warum hat-
war (V. 13-16). Jeremia sollte diese un- ten sie den HERRN verlassen und da-
populäre Botschaft den Königen von mit ihre Freiheit gegen Sklaverei ein­
Juda, dessen Fürsten und Priestern und getauscht durch ihre Bündnisse mit
allem Volk verkünden, wofür er aber Ägypten und Assyrien?
göttliche Hilfe erhalten sollte. Sie wer- 2,20-25 Vers 20 lautet nach dem maso-
den gegen ihn kämpfen; aber Gott wird retischen Text: »Denn vor langer Zeit
mit ihm sein und ihn erretten (V. 17-19). habe ich dein Joch zerbrochen und dei-
ne Bande zerrissen« (Schlachter 2000,
II. Jeremias öffentlicher Dienst KJV, NKJV), was bedeutet, dass Gott sie
(Kap. 2-10) aus der Sklaverei Ägyptens erlöst hatte.
Andere Übersetzungen stützen sich auf
A. Predigt gegen Judas absichtliche die Septuaginta und übersetzen: »Denn
Untreue (2,1 - 3,5) von jeher hast du dein Joch zerbrochen
2,1-3 Die Kapitel 2 bis 19 sind eine um- …« (Elberfelder, Luther). Dann bedeu-
fassende Anklage gegen Juda. Juda tet es, dass Juda schon lange die durch
stand einst in bräutlicher Liebe Gott ge- Gottes Gesetz festgelegten Gebote von
genüber. Sie war ihm heilig, und jeder, sich geworfen hatte. Jedenfalls be-
der sie beunruhigte, erlebte Unglück. schreibt das Folgende, wie sehr das
Nun aber war es nach den Worten von Volk durch seinen Götzendienst
Kyle Yates so: herunter­gekommen war. Gott hatte es
als Edelrebe gepflanzt; aber es wurde zu
Die Flitterwochen sind vorüber. Gott er- entarteten Schösslingen eines fremd­
innert das rebellische Israel an den Eifer, artigen Weinstocks. Die Schuld der Is­
die Wärme und Reinheit der Liebe in den raeliten war weder durch Natron noch
Anfangszeiten. Sie liebte den in höchs- durch Laugensalz zu entfernen; sie
tem Maß, der sie liebte, und diese zarte glichen flinken Kamelstuten oder Wild-
Liebe erfüllte ihr Leben mit Musik, Freu- eselinnen, die vor Brunst brennen – so
de und Hoffnung. Sie war ganz rein und hoffnungslos waren sie in die Fremden
heilig. Keine untreuen oder unreinen Ge- verliebt.
danken verdarben die Schönheit ihrer 2,26-37 Wenn die Sünden des Hauses
Hingabe. Aber nun hat sich alles in herz- Israel sie eingeholt haben und sie nach
zerreißendes Elend verwandelt. Gottes Errettung schreien, werden ihre zahl­
Herz leidet unter Kummer und Enttäu- losen Götter ihnen nicht helfen können.
schung. Israel lebt jetzt in offener Sünde. In der Zwischenzeit rechnet der HERR
Sie ist den Bundesschwüren untreu ge- mit ihnen ab, weil sie nicht auf die
worden. Andere Götter haben ihre Zu- Züchtigung reagiert haben. Sie fühlen
neigung gestohlen, und sie hat auf­ sich nicht an Gottes Verbote gebunden
gehört, den HERRN (Jahwe) zu lieben. und haben ihren Gott vergessen, dabei
Ihr Betragen ist über alle Maßen schand- aber das Sündigen wie eine Hure gut
bar.4 gelernt. Sie hatten die unschuldigen
Armen zugrunde gerichtet, während
2,4-19 Nun fragt der HERR, warum sie sich fortwährend darauf berufen,
Juda sich abgewendet hat. Das Volk, die unschuldig zu sein. Gott wird sie mit
Priester, die Führer und Propheten ha- Verbannung strafen, weil sie auf Natio-
ben allesamt vergessen, was Gott für sie nen vertrauen, die Gott verworfen hat.

991
Jeremia 3 und 4

3,1-5 Nach 5. Mose 24,1-4 konnte ein genannt werden. Israel und Juda wer-
Mann seine von ihm geschiedene Frau den aus der weltweiten Zerstreuung
nicht wieder heiraten, wenn sie inzwi- wieder gesammelt und vereint sein.
schen einen anderen geheiratet hatte.
Juda hatte viele Liebhaber gehabt; trotz- 2. Notwendigkeit der Buße (3,19 - 4,4)
dem lädt Gott sie ein, zu ihm zurückzu- Hier haben wir ein zukünftiges Ge-
kehren. Durch ihre Hurerei hat sie Ver- spräch des HERRN mit seinem Volk. Er
unreinigung und Dürre über ihr Land hat das Beste für es im Sinn; aber seine
gebracht, und doch blieb sie schamlos Sünden haben es von seinen Segnun-
wie eine Hure. Sie sprach zu Gott mit gen abgeschnitten. Israel antwortet mit
Worten vorgetäuschter Buße; doch er Zerknirschung und Weinen. Noch ein-
kannte ihre bösen Worte und Taten. mal ruft er: »Kehrt um!« Die Israeliten
bekennen, dass die Götzen nur trüge-
B. Judas Zukunft hängt von ihrer risch sind, dass Gott das Heil Israels ist,
Umkehr ab (3,6 - 6,30) dass der Abfall ihnen sehr teuer zu ste-
hen kam und dass sie nun mit Schande
1. Frühere Sünden und künftige und Schmach bedeckt sind.
Herrlichkeit (3,6-18)
3,6-14 Israel, das Nordreich, hatte dreis- 3.»Wehe« wegen des Gerichts von Norden
te Hurerei getrieben und sich gewei- (4,5-31)
gert, zum HERRN zurückzukehren. 4,5-13 Zu denen, die zum HERRN um-
Juda sah, wie Israel von den Assyrern kehren, wird der Messias kommen, und
verschleppt wurde, doch hielt sie an ih- die Nationen werden sich in ihm seg-
rer Sünde fest und wollte ebenfalls nicht nen. Der HERR ermahnt jetzt die Män-
zu dem HERRN umkehren. Weil nun ner von Juda und Jerusalem, sie sollten
die abtrünnigen zehn Stämme Israels Buße tun und die Götzen wegwerfen,
gerechter waren als die treulose Juda, sonst würde Gott Eroberer wie einen
lädt Gott sie ein, in Buße und Sünden- Löwen senden oder wie einen heißen
bekenntnis zu ihm umzukehren, damit Wind, wie Wolken, Sturmwind und
er sie nach Zion zurückbringen kann. Adler.
In Vers 8 ist zu beachten, dass Gott Vers 10 zeigt, dass Jeremia Gottes
sich von Israel geschieden hatte, und frühere Verheißungen von Frieden mit
das wegen ihrer Ehebrecherei. Die Wor- den gegenwärtigen Gerichtsdrohungen
te des Heilands in Matthäus 19,9 stim- nicht in Einklang bringen kann. Der Pro-
men damit überein. Er lehrte, dass phet wusste, dass Gott glaubwürdig ist,
Scheidung dem unschuldigen Partner doch machte er den Fehler, in der Dun-
erlaubt ist, wenn sich sein Ehepartner kelheit an dem zu zweifeln, was er im
der Unmoral schuldig gemacht hat. Licht gewusst hatte. In Zeiten der Be-
Wenn wir in Maleachi 2,16 lesen, dass drängnis und der Entmutigung neigt
Gott Scheidung hasst, muss es sich um man dazu, alles Gewisse in Zweifel zu
unbiblische Scheidungsgründe han- ziehen. Ein besseres Verhalten ist es für
deln, nicht um Scheidung als solche. einen Christen, an unsere Glaubens-
3,15-18 Diese Verse blicken voraus grundsätze zu glauben und an unseren
auf das Tausendjährige Reich. Gott wird Zweifeln zu zweifeln, als an unseren
den Israeliten Hirten geben nach sei- Glaubensgrundsätzen zu zweifeln und
nem Herzen, die sie mit Erkenntnis und unseren Zweifeln zu glauben.
Verstand weiden werden. Dann wird 4,14-18 Juda sollte sich eilends von ih-
man die Bundeslade nicht mehr brau- rer Bosheit abwenden, weil schon Un-
chen, weil der Messias selbst da ist. heil von Dan und vom Gebirge Ephraim,
Jerusalem wird die Hauptstadt der von Norden her, droht. Belagerer ste-
Welt sein und der Thron des HERRN hen bereit, auf Jerusalem loszuziehen ‒

992
Jeremia 4 bis 6

wegen Judas bitterer Sünden und und seine Propheten erzählten den Is-
Wider­spenstigkeit. raeliten Lügen.
4,19-22 Die Liebe des Propheten zu 5,14-19 Jeremias Worte waren wie
seinem Volk drückt sich in den Versen Feuer, welches das Volk verzehren
19 bis 21 aus: »Meine Eingeweide, mei- sollte, das dem Holz gleicht. Die Babylo­
ne Eingeweide!« bedeutet: »Ich bin in- nier kamen herbei, um zu verzehren
nerlich schmerzlich bewegt!« Er ist und zu verderben – doch nicht ganz
überwältigt, wenn er an den kommen- und gar. Judas Knechtschaft in einem
den Krieg, an Zerstörung über Zer­ fremden Land würde der Lohn dafür
störung und den Untergang denkt. Die sein, dass die Juden in ihrem eigenen
Frage in Vers 21: »Wie lange muss ich Land fremden Göttern gedient hatten.
das Feldzeichen sehen, den Schall des 5,20-31 Gott wundert sich über die
Horns hören?«, wird von dem HERRN Begriffsstutzigkeit seines törichten Vol-
in Vers 22 beantwortet, wo er sinn­ kes. Das Meer gehorcht ihm, Israel aber
gemäß sagt: »Bis das Volk von seiner nicht. Die Israeliten zeigen keine Nei-
Narrheit und seinen Sünden ablässt.« gung, den zu fürchten, der Regen gibt,
4,23-31 Jeremia beschreibt eine Vi­ selbst dann nicht, wenn er den Regen
sion: Er schaut auf eine alles umfas- vorenthält. Wie kann Gott die Strafe ge-
sende Katastrophe für Juda. Der HERR gen ein so störrisches und widerspens-
warnt, die Zerstörung werde schreck- tiges Volk zurückhalten, das so von der
liche Ausmaße annehmen, aber nicht Sünde durchtränkt ist? Kelly bemerkt
vollständig und endgültig sein. Gottes dazu:
unveränderliche Absicht zu strafen
wird nicht abgewendet, weil Jerusalem Und das Schlimmste an dem nationalen
sich äußerlich schön schmückt und Übel war, dass nicht nur ein Teil des Vol-
auch nicht, weil sie ein Klagegeschrei kes schuldig war, sondern er sagt: »Ent-
erhebt wie eine Frau, die zum ersten setzliches und Abscheuliches ist im Land
Mal Mutter wird. geschehen: die Propheten weissagen
falsch, und die Priester herrschen auf ei-
4. Judas Sünde fordert Gericht heraus gene Faust, und mein Volk liebt es so.
(Kap. 5) Was werdet ihr aber am Ende von all
5,1-9 Der HERR würde Jerusalem ver- dem tun?« (V. 30-31). So waren alle Quel-
geben, wenn ein Mann in ihr gefunden len moralischer Rechtschaffenheit ver-
werden könnte, der Recht übt. Da Jere- dorben; demzufolge war es klar, dass
mia unter den Geringen und Törichten nichts als Gericht vom Herrn über Israel
niemanden fand, wandte er sich den kommen konnte.5
Großen zu, was aber ebenso erfolglos
blieb. Darum war das Gericht unab­ 5.Jerusalems Fall wird vorausgesagt (Kap. 6)
wend­bar, das er im Bild eines reißenden 6,1-8 Ein warnendes Horn und ein Si­
Löwen, eines Steppenwolfs und eines gnal­feuer fordern die Söhne Benjamins
Leoparden beschreibt. Deshalb auch auf, aus Jerusalem zu fliehen, weil die
konnte der HERR dem Volk nicht ver- babylonischen Hirten und ihre Herden
geben, das einst einen Bund mit ihm ge- (die Heerführer und ihre Scharen) einen
schlossen hatte, weil es nun bei Nicht- Angriff vorbereiten. Man vernimmt,
göttern schwor und sich selbst dem wie die Babylonier ihre Strategie pla-
Ehebruch hingab. nen. Gott hat für Juda Verbannung be-
5,10-13 Dem Feind wird befohlen, schlossen ‒ wegen der Unterdrückung,
einzudringen und zu zerstören, aber Is- Gewalttat und Zerstörung, die das Volk
rael nicht völlig zugrunde zu richten. verübt hatte. Doch selbst zu dieser
Denn das Volk verleugnete den HERRN späten Stunde ermahnt er sein Volk
und auch die bevorstehende Gefahr, noch immer, vom Bösen abzulassen.

993
Jeremia 6 und 7

6,9-15 Der HERR der Heerscharen C. Jeremias Dienst am Tempeltor


warnt, die Babylonier würden das Land (Kap. 7-10)
abernten, wie ein gründlicher Wein­
leser den Weinstock leer pflückt. Je­ 1. Judas heuchlerischer Gottesdienst (Kap. 7)
remia empfindet es als äußerst un­
angenehm, dass er zu Menschen reden 7,1-4 Kapitel 7 hat man »die Tempel­
soll, die nicht hören wollen; aber er predigt« genannt. Die Menschen von
kann sich dem nicht entziehen. Der Juda hielten sich für sicher, weil Gott
HERR befiehlt ihm: »Gieße (die Bot- nie erlauben würde, den Tempel zu zer-
schaft) aus!«, und zwar die Botschaft stören. Falsch! Sie setzten ihre irrige
von dem drohenden Unheil wegen Zuversicht auf das Gebäude ‒ statt auf
ihrer Habsucht, wegen der Falschheit den zu vertrauen, der darin wohnte.
ihrer Propheten und Priester und we- 7,5-15 Ihre wahre Sicherheit lag darin,
gen ihrer Schamlosigkeit. Es ist ein wirklich von den Sünden zu lassen und
Kennzeichen falscher Propheten, dass gerecht zu leben. Sie meinten, sie kä-
sie in Zeiten geistlichen Niedergangs men samt ihren Sünden davon, solange
Wohlstand verheißen. sie zum Tempel kämen und sagten:
6,16-21 Das Volk verwirft Gottes Ruf, »Wir sind errettet!« Unser Herr selbst,
auf den Pfaden der Vorzeit in Gerech- der über äußerlichen Gottesdienst so
tigkeit zu wandeln. Die Israeliten wol- dachte wie Jeremia, benutzte die Worte
len nicht darauf achten. Darum wird des Propheten aus Vers 11 und sagte
das Unheil kommen trotz der wohl­ von dem Tempel, er sei »eine Räuber-
riechenden Schlachtopfer, die sie dar- höhle«, als er das Haus seines Vaters
bringen. Die Menschen werden stürzen reinigte (Mt 21,13; Mk 11,17; Lk 19,46).
und umkommen. Weil Juda den Tempel verunreinigt und
6,22-26 Die Invasion aus dem Land entweiht hatte, würde er genauso zer-
des Nordens wird große Angst, Trauer stört werden, wie es mit dem Heiligtum
und bittere Klage auslösen. in Silo geschehen war. (Die Zerstörung
6,27-30 Der HERR setzt Jeremia zum von Silo fand höchstwahrscheinlich
Prüfer ein, der Metalle testen soll. Die während der Richterzeit oder in Sa­
Menschen von Juda sind das Metall; sie muels Tagen statt.7)
sind widerspenstig wie Bronze und Ei- 7,16-26 Jeremia sollte nicht für Juda
sen, die trotz viel Blei als Flussmittel beten – die Israeliten waren gerade da-
ihre Schlacken nicht loswerden. Sie sind bei, die Himmelskönigin8 und fremde
verworfenes Silber. Yates sagt dazu: Götter auf den Straßen anzubeten. Die
Menschen sollten ruhig weiter ihre
Vielleicht werden wir eines Tages deut- Brandopfer und Schlachtopfer essen.
lich erkennen, wie unattraktiv, wie eklig, Was Gott ihnen geboten hat, ist Ge­
wie nutzlos sündige Menschen in den horsam, keine Rituale. Vers 22 muss
Augen eines heiligen Gottes sind. Wie man im Licht von Vers 23 lesen: Opfer
nötig haben wir einen objektiven Blick ohne Herzenshingabe sind wertlos.
auf uns selbst, um unsere elende Leere 7,27-34 Weil sich Juda hartnäckig wei-
zu erkennen, die vor Gott so deutlich gert, Zucht anzunehmen, soll Jeremia
sichtbar ist! Es bringt nichts, »verwor- eine Totenklage erheben. Weil die Ju-
fenes Silber« aufzuheben. Es hat keinen den den Tempel verunreinigten, würde
Wert. Kann es sein, dass Gott schon viele ein schreckliches Schlachten über sie
als wertlos abgeschrieben hat, die sich kommen, und das Land würde zur Ein-
selbst für brauchbar halten?6 öde werden.

994
Jeremia 8 und 9
2. Judas Mangel an Sündenbewusstsein 3. Die Klage des weinenden Propheten
(8,1-22) (8,23 - 9,25)
8,1-7 Die Gebeine derer, die das Ster- 8,23 - 9,10 Jeremia ist der Sprecher des
nenheer des Himmels angebetet hatten, ersten Verses dieses Abschnitts. Sein
werden von den Babyloniern ausgegra- Titel »der weinende Prophet« wird in
ben und vor dem Heer des Himmels Vers 23 sehr schön zum Ausdruck ge-
aus­gebreitet werden, und die Lebenden bracht:
werden sich den Tod wünschen. Ganz »O dass mein Haupt Wasser wäre
anders als einer, der fällt und wieder und mein Auge eine Tränenquelle,
aufsteht, der sündigt und Buße tut, dann wollte ich Tag und Nacht die Er-
lehnt Juda es ab, zu dem HERRN um- schlagenen der Tochter meines Volkes
zukehren. beweinen!«
8,8-12 Die Menschen hielten sich für Viele Prediger und Missionare kön-
weise in Bezug auf das Gesetz des nen von gleichen Gefühlen wie die des
HERRN; aber die Schriftgelehrten hat- Jeremia aus 9,1 berichten. Kyle Yates
ten es verdreht und das Wort des schreibt:
HERRN verworfen. Sie waren gierig
und betrügerisch und waren mit den Dieser Vers lässt uns ein wenig von dem
wirklichen Problemen nur oberfläch- müden, verbrauchten, entmutigten Pro-
lich umgegangen. Wegen ihrer Scham- pheten in einem Augenblick tiefster Not
losigkeit werden sie zuschanden, wenn sehen. Man könnte es einen »vorüber­
die Zeit ihrer Heimsuchung kommt. gehenden Schatten auf einer großen See-
8,13-17 Gott wird sie wegraffen. Wie le« nennen. In dieser Stunde der An­
ein leer gepflückter Weinstock oder Fei- fechtung stellt er sich vor, er möchte die-
genbaum werden sie sein. Das Volk ist se Menschen verlassen, die seiner nicht
verurteilt, in der Stadt zugrunde zu ge- wert sind. Wie schön wäre es, aller Ver-
hen. Das Heer der Babylonier naht wie antwortung und aller Reibungen ent­
eine Schlange, gegen die es keine Be- ledigt zu sein. Ihm wurde regelrecht
schwörung gibt. übel, wenn er ihre leere, gottlose und for-
8,18-22 Der Prophet mit dem gebro- male Ersatzreligion sah. Alle Tage hatte
chenen Herzen scheint die Verbannten er gebetet, geliebt, gepredigt und ge-
zu hören, wie sie fragen: »Wo ist nun warnt und war dabei nur auf eine gleich-
Gott?« Gott antwortet, indem er fragt, gültige Verhärtung gestoßen, die seiner
warum sie ihn verlassen haben wegen Seele Schmerz bereitete.9
der Bilder und wegen der Götzen aus
der Fremde. Wieder klagt das Volk, Jeremia beklagt die Sündhaftigkeit und
dass die erhoffte Befreiung nicht ge- das darauffolgende Gericht über das
kommen ist. Jeremia weint untröstlich Volk. Dann zitiert er den HERRN, der
über das scheinbar hoffnungslose Elend die Sünden der Israeliten auflistet und
des Volkes. Vers 22 liefert den Text für damit die Unausweichlichkeit des Ge-
den weithin bekannten Spiritual »There richts begründet. Doch muss er weinen,
is a Balm in Gilead«: wenn Gott Jerusalem zur Wohnung der
Schakale und die Städte Judas zur Öde
Es gibt eine Salbe in Gilead, macht.
Bringt Heilung allem Schmerz. 9,11-21 Das Unglück hängt ursächlich
Es gibt eine Salbe in Gilead mit Judas Götzendienst zu­sammen,
Fürs sündenkranke Herz. und wegen dieser Sünde wird das Volk
in die Verbannung ziehen. Der HERR
ordnet an, dass Klageweiber (die be-
rufsmäßig trauern) gerufen werden,

995
Jeremia 9 bis 11

um Wehklage zu erheben wegen des 10, 6-9 Gott ist der große König der Völ-
Mordens und der Verwüstung. ker (oder Nationen), der es wert ist, ge-
9,22-23 Es nützt nichts, dass sich das fürchtet zu werden. Alle Götzendiener
Volk seiner Weisheit, seiner Stärke und sind dumm und töricht. Sie beugen sich
seines Reichtums rühmt. Was wirklich vor dem Werk von Menschenhänden.
zählt, ist, den HERRN zu erkennen. Die 10,10-16 Der HERR ist in Wahrheit
Verse 22 und 23 sind zwei der berühm- der lebendige Gott. Die geschaffenen
testen im Buch Jeremia. Wie G. Herbert Götter werden verschwinden. Der
Livingston anmerkt, sind sie HERR ist der Gott der Schöpfung und
der Vorsehung. Götzenbildner sind
… es wert, auswendig gelernt zu wer- dumm und ihre Bilder Nichtigkeit. Der
den. Die Menschen streben nach Weis- Gott Jakobs (Gott, der das »Teil« bzw.
heit, Macht und Reichtum, während Gott der »Anteil« Jakobs ist) hat das All
Gefallen hat an Gnade, Recht und Ge- gebildet. Er ist der HERR der Heer­
rechtigkeit. Gesegnet ist derjenige, der scharen.
den HERRN erkennt, und sich an dem 10,17-18 Den Bewohnern des Landes
erfreut, was ihn erfreut.10 wird gesagt, sie sollten das Gepäck zu-
sammenraffen, weil der HERR sie in die
9,24-25 Eine zusätzliche Bitternis in Ju- Verbannung schickt.
das Leidenskelch wird sein, dass es mit
heidnischen Völkern zusammen be- 5. Das Gebet des weinenden Propheten
straft wird, weil Juda ein unbeschnitte- (10,19-25)
nes Herz hat. Die Haarränder oder den Jeremia spricht für das Volk und beklagt
Bart zu scheren, war ein heidnischer die Schrecken der Belagerung und der
Brauch, der den Juden verboten war Verbannung. Er bekennt die mensch-
(3. Mose 19,27). liche Unwissenheit, bittet Gott, sein Volk
nur mit Maß zu züchtigen und seinen
4. Spottlied auf den Götzendienst (10,1-18) Grimm über die Feinde auszugießen;
10,1-5 Dieses Kapitel stellt die Nichtig- denn sie haben das Volk ganz und gar
keit der Götzen der Größe Gottes ge- aufgezehrt.
genüber. Gottes Volk sollte sich nicht an
die Wege der Heiden und an deren leb- III. Jeremias persönliche
lose Götzen gewöhnen. Erfahrungen (Kap. 11-19)
Yates schreibt über das Spottlied ge-
gen die Götzen: A. Jeremia und die Menschen von
Anatot (Kap. 11-12)
Jeremia ist grausam gegen die armen, 11,1-10 Der HERR befiehlt Jeremia, das
wehrlosen Götzenbilder, die von Men- Volk an den Bund des Gesetzes zu er­
schen als Ersatz für Gott benutzt werden. innern, den er ihm am Sinai gegeben
Sie sind teilnahmslose Klötze und müs- hatte, an den Fluch über die Ungehor-
sen geschmückt werden, um dadurch zu samen und an den Segen für alle, die
verbergen, dass sie nur totes Holz sind. gehorsam sind. Gottes beständigen
Statt zu tragen, müssen sie getragen wer- Mahnungen begegnete man in der Ver-
den. Sie müssen geformt werden; Gott gangenheit mit hartnäckiger Ableh-
formt selbst. Weder Sprache noch Kraft, nung. Nun wird von den Männern von
noch Atem, noch Verstand, noch Wert Juda gesagt, dass sie eine Verschwö-
oder Beständigkeit kann ihnen bei­ rung gemacht haben und den Bund mit
gemessen werden. Im Gegensatz dazu ist Gott gebrochen haben, um anderen
Jahwe ewig, lebendig, aktiv und voller Göttern zu dienen.
Kraft.11 11,11-13 Wenn Gottes Gericht herein-
bricht, wird er nicht auf ihre Gebete hö-

996
Jeremia 11 bis 13
B. Jeremia und der verdorbene
ren, und Judas zahllose Götter werden
Hüftschurz (Kap. 13)
sie keineswegs retten können.
11,14-17 Dreimal wird dem Prophe- 13,1-11 Juda wird mit einem ge-
ten gesagt, er solle nicht für das Volk brauchten Hüftschurz oder Gürtel ver-
bitten (7,16; 11,14; 14,11). Das Volk hatte glichen, den Jeremia auf Gottes Befehl
kein Recht, mit seinen Opfern in den zum Euphrat bringen und dort verber-
Tempel zu kommen, als ob sie seine gen sollte. Juda war einst dem HERRN
Schuld verbergen oder sein Unheil ab- sehr nahe; nun aber wird es wie dieser
wenden könnten. Was einst von dem Hüftschurz fortgebracht und »verbor-
HERRN ein grüner Ölbaum genannt gen« werden. Wegen seiner Sünden
wurde, ist jetzt wegen der Götzen­ wird Juda weit weggebracht (etwa 1000
dienerei zum Feuer bestimmt. km) und nahe beim Euphrat (in Ba­
11,18-23 Der HERR zeigt dem zutrau- bylon) in der Gefangenschaft »verbor-
lichen und nichts Böses vermutenden gen«. Als Jeremia den Hüftschutz wie-
Propheten, dass die Männer von Anatot der aufsuchte, war er verdorben und
nach seinem Leben trachten. Während taugte zu gar nichts mehr. Auf die Fra-
er betet, erhält er die Zusicherung, dass ge, ob Jeremia tatsächlich zum Euphrat
Gott seine Feinde heimsucht. ging, hat die Scofield-Bibel eine hilf-
12,1-6 Jeremia fragt, warum der HERR, reiche Fußnote:
der doch gerecht ist, die Gottlosen – wie
etwa die Männer von Anatot – erfolg- Einige haben angesichts der Entfernung
reich sein lässt und erlaubt, dass der Ge- und der kriegerischen Auseinanderset-
rechte ‒ wie Jeremia selbst ‒ leiden muss. zungen bezweifelt, dass Jeremia tatsäch-
Gott antwortet, dass Jeremia noch schär- lich seinen Hüftschurz oder Gürtel am
feren Widerstand erfahren wird, auch Euphrat vergraben hat. Immerhin hat es
Verrat durch seine eigenen Brüder. Wenn während der Dienstzeit Jeremias Perio-
er mit relativ ruhigen Verhältnissen den des Friedens in der gesamten Region
kaum zurechtkam (mit Fußgängern lau- gegeben. Es ist nicht unmöglich, dass Je-
fen), was wollte er dann in ernsten Be- remia tatsächlich Babylon besucht hat,
drängnissen machen, die über ihn kom- und wenn das so ist, kann das leicht in
men würden (mit Pferden um die Wette solchen Zeiten geschehen sein. So kann
laufen)? er den Gürtel auch auf dem Hinweg ver-
12,7-14 Mit vielen Worten der Zunei- steckt und auf dem Rückweg wieder aus-
gung drückt Gott seinen Kummer über gegraben haben. Es besteht aber auch die
Juda wegen dessen Verwüstung aus, Möglichkeit, das hebräische Wort als
die es selbst über sich gebracht hatte. Name nicht für den »Euphrat«, sondern
Ein Vogel, der deutlich anders aussieht, für das »Wadi Farah« aufzufassen, das
wird oft von anderen Vögeln angegrif- nur wenige Kilometer nördlich von Jeru-
fen; deshalb wird Juda mit einem bun- salem fließt. In diesem Fall konnte er den
ten Raubvogel verglichen. Gott wird Gürtel zu jeder Zeit vor dem letzten An-
die heidnischen Nationen bestrafen griff der Babylonier vergraben haben. Es
und Juda wieder in sein Land bringen. besteht also Grund zu der Annahme,
12,15-17 Aber später werden die Hei- dass dieser Abschnitt etwas tatsächlich
den wieder in ihre Länder gebracht Geschehenes beschreibt und nicht nur
werden, und wenn sie sich von den eine bloße Vision oder erfundene Ge-
Götzen zu Gott wenden, werden sie an schichte ist. Jeremias verdorbener Gürtel
seinen Segnungen mitten in seinem wies auf Israels unbefriedigenden Wan-
Volk teilhaben. Andernfalls werden sie del und Dienst hin.12
endgültig vertilgt werden.
13,12-14 Das gesamte Volk wird mit
Wein gefüllt sein – nicht mit buchstäb­

997
Jeremia 13 bis 15
C. Jeremias Bittgebet wegen der
lichem Wein, wie die Israeliten dachten,
Dürre (Kap. 14-15)
sondern mit dem Zorn des Allmächti-
gen, und der wird sie zerschmettern 14,1-6 Die Botschaften der Kapitel 14
wie einen Krug. Harrison schreibt dazu: bis 29 erhielt Jeremia vor dem Fall Jeru-
salems. Damals waren schwere Dürre-
Wie Alkohol das Urteilsvermögen und perioden und Hungersnöte über Juda
die Bewegungsfähigkeit beeinträchtigt, gekommen.
so werden, betont Jeremia, sich die Men- Eine Dürre zu jenem Zeitpunkt war
schen in der kommenden Krise wie Be- eine deutliche Botschaft. Es war eins
trunkene aufführen; sie werden Freund der Zeichen, die in dem Bund Gottes
und Feind nicht voneinander unterschei- mit seinem Volk beim Einzug in das
den und sich auch nicht verteidigen kön- Verheißene Land vorausgesagt wurden
nen.13 (5. Mose 28,23-24) und das sich schon
teilweise unter der Regierung Ahabs er-
13,15-23 Der Prophet drängt auf Buße, füllt hatte (1Kö 17,1ff.). Weil dem Zei-
sonst ist die Verbannung unausweich- chen damals – wenn auch erst nach vie-
lich. Wenn die Menschen nicht Gott die len Jahren – die assyrische Gefangen-
Ehre geben, so geraten sie in Finsternis schaft des Nordreiches folgte, hätte die-
und Dunkelheit. Der König und die se Dürre von Juda als ernste Warnung
Herrin (die Königinmutter) werden verstanden werden müssen.15
vom Thron gestürzt, und die Städte des 14,7-16 Der Prophet bekennt für das
Südens werden belagert. Die Babylo­ Volk die Sünden und bittet um Erleich-
nier werden das Land verwüsten – und terung; doch der HERR antwortet ihm,
alles wegen der Sünden Judas. Juda es werde keine Erleichterung geben,
und seine Sünden sind nicht vonein­ vielmehr würde er das Volk vernichten
ander zu trennen. durch Schwert, Hunger und Pest. Die
13,24-27 Die Worte, mit denen der falschen Propheten verhießen Sicher-
Abfall Judas beschrieben wird – Ehe- heit, aber sie logen und würden mit-
brechen, lustvolles Wiehern, Schandtat samt dem Volk umkommen, dem sie
und Hurerei –, haben alle etwas mit Un- weissagten.
moral zu tun. Harrison erklärt das Bild 14,17-22 Jeremia wird befohlen, die
so: schreckliche Zerstörung Judas in Stadt
und Land zu beklagen. Er fährt fort, vor
Wie die nur äußerlichen Bekenner aller Gott für das Volk einzutreten, und er­
Zeiten konnten auch die Israeliten nicht innert ihn an die Fürbitten Abrahams
glauben, dass solch ein Unheil über sie (1. Mose 18,23-33), Moses (2. Mose
kommen sollte. Jeremia wies ihnen ein- 32,11-13) und Samuels (1Sam 7,5-9). Er
deutig die Schuld zu und kündigte ihnen gibt die Gottlosigkeiten des Volkes zu
die schändliche öffentliche Entehrung und verspricht, Israel würde auf den
an, wie sie Prostituierten zuteil wird. … einzigen Gott hoffen, der Regengüsse
Die Ironie bei der Sache wird sein, dass geben kann.
genau die Menschen ihr dies zufügen, 15,1-4 Doch das Eintreten für das
die Juda einst hofiert hatten. Weil sie »in Volk ist nutzlos; es ist für Tod, Schwert,
unfruchtbaren Werken der Finsternis« Hunger und Gefangenschaft bestimmt.
geschwelgt hatte, würde Juda jetzt öf- Selbst so hervorragende Fürbitter wie
fentlich als die verdorbene Hure zur Mose oder Samuel könnten das Gericht
Schau gestellt, und zwar von dem, der nicht aufhalten. Manasse war die Ur­
sich zuerst mit ihr in einem Bund der sache. Er hatte grobe Formen des Göt-
Liebe verlobt hatte.14 zendienstes in Jerusalem eingeführt,
darunter auch die Verehrung des Mo-
loch (siehe 2Kö 21,1-16).

998
Jeremia 15 und 16

15,5-9 Der bedauernswerte Zustand mahl sind ihm ebenfalls untersagt, weil
Jerusalems kommt daher, dass die Isra- der Tod so verbreitet ist und das Unheil
eliten auf die Züchtigung des HERRN von dem HERRN veranlasst wurde.
nicht reagiert hatten. Frauen, die einst Nach Vers 7 war es Sitte, dass sich
eine gute Familie hatten, werden sich Verwandte und Freunde im Haus des
ihrer Kinder nicht erfreuen können. Verstorbenen versammelten, um zu-
15,10-18 Jeremia wird grundlos von sammen Brot zu brechen und dabei
seinem eigenen Volk gehasst; aber Gott aller angenehmen Charakterzüge des
verspricht ihm, er werde gerechtfertigt, Verstorbenen zu gedenken. Dabei trank
wenn seine Feinde ihn um Hilfe an­ man einen Becher Wein. Auf diese Wei-
flehen werden. Juda wird das Eisen aus se tröstete man die Trauernden. Kelly
dem Norden (die Chaldäer) nicht zer- zeigt, wie diese alte jüdische Sitte von
brechen können. Stattdessen werden dem Herrn verändert wurde:
jene Judas Schätze fortschaffen. Der
Prophet ist wegen seiner Verfolgungen Diese Sitte, das Brot im Zusammenhang
und Leiden verwirrt, vor allem, weil er mit dem Tod zu brechen, scheint der
dem HERRN doch die Treue gehalten Ursprung für das zu sein, was der Herr
hatte. Immerhin nimmt er zu Gottes dann einweihte als wunderbares Erinne-
Worten Zuflucht. Sie waren die Wonne rungsmahl zu seinem Gedächtnis. »Man
und Freude seines Herzens. wird ihnen nicht Brot brechen bei der
15,19-21 Gott antwortet, der Prophet Trauer, um jemanden wegen eines Toten
habe sich falschen Gedanken über ihn zu trösten; noch wird man sie den Becher
hingegeben und habe diese unwür- des Trostes trinken lassen …« Da finden
digen Gedanken immer wieder einmal wir beide Teile des Abendmahls. Es war
auch zum Ausdruck gebracht. Sie müs- eine bekannte Sitte unter den Juden; aber
sen weggetan werden, wie man Ge- der Herr gab ihr eine einmalige Bedeu-
meines vom Edlen (Schlacke vom Me- tung und prägte ihr neue Wahrheiten
tall) absondert. Seine Feinde sollen sich auf. Sie wurde mit dem Passah verbun-
zu ihm wenden, er aber soll sich nicht den; denn wir wissen, dass das Mahl zur
zu ihnen wenden. G. Campbell Morgan Zeit des Passahs eingesetzt wurde. Es
sagt dazu: gab einen besonderen Grund, das Mahl
zu dieser und zu keiner anderen Zeit ein-
Er soll sein Herz von solcher Schlacke zuführen; denn dadurch sollte der herz-
reinigen und sich nur dem Gold der bewegende Bedeutungswandel dieses
Wahrheit über Gott hingeben. So, und großen und grundlegenden Festes Isra-
nur so, würde er dazu taugen, der Mund els zum Ausdruck kommen. Ein neues
Gottes zu sein, um seine Botschaften aus- und ganz anderes Fest war für die Chris-
zusprechen.16 ten entstanden.17

Gott wird den Propheten zu einer fes- 16,10-18 Wenn jemand nach dem Grund
ten, ehernen Mauer machen, damit sei- für das von Gott vorhergesagte große
ne Unterdrücker ihn nicht überwäl­ Unheil fragte, sollte Jeremia auf ihren
tigen können. Er wird seinen Knecht er- eigenen Ungehorsam und Götzendienst
retten und erlösen. und den ihrer Väter hinweisen. Gott
wird das Volk eines Tages aus der Ge-
D. Jeremias einsamer Dienst (16,1-18) fangenschaft in das Land zurückbrin-
16,1-9 Jeremia wird befohlen, sich we- gen; aber vorher werden Fischer und
gen der hereinbrechenden Zerstörung Jäger (die Babylonier) die Israeliten
keine Frau zu nehmen. Er ist der einzige überall hervorsuchen und sie in die Ge-
Mann in der ganzen Bibel, dem das Hei- fangenschaft führen, wo Gott ihnen ihre
raten verboten wurde. Klage und Fest- Schuld und Sünde vergelten wird.

999
Jeremia 16 und 17
E. Jeremias standhaftes Herz
trügerischer als alles andere. Es ist durch-
(16,19 - 17,18)
trieben und hinterlistig und darauf aus,
16,19-21 Der Prophet sieht den Tag vor­ zu betrügen; von diesem Wort wird der
aus, an dem die Heiden sich von den Name Jakob (Überlister, Betrüger) ab­
Götzen zu Gott wenden werden. In Vers geleitet. Es nennt Böses gut und Gutes
21 drückt Gott seinen festen Entschluss böse, färbt die Dinge falsch ein und ver-
aus, Juda mit Hilfe seiner Züchtigung kündet denen Frieden, denen der Friede
seine Macht erkennen zu lassen. nicht zusteht. Wenn Menschen in ihren
17,1-11 Judas tief eingeprägter Göt- Herzen sagen (d.h. ihren Herzen erlau-
zendienst ist die Ursache für die Weg- ben, ihnen zuzuflüstern), es gebe keinen
führung in die Gefangenschaft. Der Gott oder er könne nicht sehen oder er
Berg Gottes (Schlachter 2000, unrevi- werde nicht nachfragen oder sie würden
dierte Elberfelder) ist Jerusalem. Auf Frieden haben, obwohl sie weiter sündi-
Menschen zu vertrauen, bringt Fluch; gen ‒ bei diesen und tausend ähnlichen
das Vertrauen auf den HERRN dagegen Vorstellungen betrügt uns unser Herz.
bringt Segen. Gott kennt das trügeri- Es lockt uns in unser eigenes Verderben;
sche Herz des Menschen und wird den und dies macht die Sache nur noch
bestrafen, der unrechtmäßig Reichtum schlimmer: Solche Menschen sind Selbst-
erwirbt. Es ist »wie ein Rebhuhn, das betrüger, Selbstzerstörer. Hierin ist das
brütet, ohne gelegt zu haben«. Herz verzweifelt böse, es ist tödlich, es
Vers 9 ist eine unpopuläre, nichts­ ist unheilbar. Die Lage ist wirklich völlig
destoweniger sehr wahre Einschätzung hoffnungslos und beklagenswert, wenn
des natürlichen menschlichen Herzens. das Gewissen, das die Irrtümer der übri-
R.K. Harrison schreibt zu dem mit »un- gen geistigen Fähigkeiten zurechtrücken
heilbar« übersetzten Wort: sollte, selbst die Mutter der Falschheit
und der Anstifter der Verblendung ist.
Die nicht wiedergeborene menschliche Was wird aus einem Menschen werden,
Natur befindet sich ohne göttliche Gnade in dem das, was ein Licht des Herrn sein
in einer verzweifelten Lage, die durch sollte, ein falsches Licht gibt, wenn Got-
den Begriff »unheilbar« (oder »bösartig«, tes Stellvertreter in der Seele, der einge-
»verderbt«) in Vers 9 umschrieben wird. setzt wurde, um Gottes Anliegen zu ver-
Dieser Ausdruck findet sich auch in 15,18 treten, diese verrät? Von solcher betrüge-
und 30,12. Jede Generation bedarf einer rischen Art aber ist das Herz, sodass wir
Wiedergeburt der Seele durch den Geist wahrlich sagen können: Wer kann es er-
und die Gnade Gottes (siehe Joh 3,5-6; gründen? Wer kann beschreiben, wie
Titus 3,5).18 böse das menschliche Herz ist?19

Für jene, die meinen, dies sei ein zu har- 17,12-18 Jeremia freut sich, dass Judas
tes Urteil über ihr Herz, zitieren wir die Stätte der Sicherheit der erhabene Thron
etwas längeren, aber nötigen Ausfüh- der Herrlichkeit Gottes ist. Dann spricht
rungen von Matthew Henry: er von der Torheit, auf irgendeinen an-
deren zu vertrauen, und betet zu dem
Es gibt eine Bosheit in unseren Herzen, HERRN, der Hoffnung Israels, für das
der wir uns selbst nicht bewusst sind Volk, damit er es heile und befreie. Die
und die wir dort nicht vermuten; ja, es Menschen fragen ihn, wo denn das von
besteht die allgemeine Fehlhaltung unter Gott angekündigte Gericht ist. Jeremia
den Menschenkindern, zumindest das erinnert Gott daran, dass er sich seinem
eigene Herz für ein ganzes Stück besser Hirtendienst nicht entzogen hat und
zu halten, als es wirklich ist. Das Herz, auch den unheilvollen Tag für Jeru­
das Gewissen des Menschen ist in seinem salem nicht herbeigewünscht hat. Er
verdorbenen und gefallenen Zustand hatte nur das Wort des HERRN gespro-

1000
Jeremia 17 bis 19

chen. Nun bittet er Gott, ihn zu recht­ liegt in Gottes Hand, der damit machen
fertigen, indem er die straft, die über kann, was er will – zum Gericht oder
das Wort Gottes gespottet haben. zum Segen. Gott droht Unheil an, wenn
das Volk nicht Buße tut; aber die Ant-
F. Jeremias Sabbatpredigt (17,19-27) wort der Israeliten ist, dass sie ihren ei-
Hier werden die Könige von Juda, ganz genen Gedanken nachgehen wollen.
Juda und alle Bewohner von Jerusalem 18,13-17 Der HERR bezeichnet ihr
ermahnt, den Sabbat zu heiligen. Ihnen Verhalten als beispiellos und unnatür-
werden künftige Herrscher aus Davids lich. Durch ihren Götzendienst ziehen
Dynastie und die Fortdauer des Tem- sie sich eine Verwüstung zu, die alle in
pel-Gottesdienstes versprochen, wenn Erstaunen setzen wird, die sie zu sehen
sie gehorchen; dann werden sie vor der bekommen. Der Firnschnee verschwin-
Strafe gewarnt, die über sie kommt, det nicht vom Hermon (dieser Berg ist
wenn sie nicht gehorchen wollen (die wohl mit dem »Fels in der Landschaft«
Zerstörung Jerusalems). bzw. »Fels des Feldes« gemeint), und
Irving L. Jensen erklärt, warum die die Gebirgsbäche versiegen nicht. Dar-
Einhaltung des Sabbats für Israel so auf kann man sich in der Natur verlas-
wichtig war: sen; doch auf sein Volk konnte Gott sich
nicht verlassen! »Obwohl der Schnee
Der wahre Test für die Herzensbezie- nicht vom Libanon weicht, hat Israel
hung zu Gott ist der Gehorsam gegenüber die Quelle lebendigen Wassers ver­
seinem Wort. Eines der Gesetze für Israel gessen, aus der ihm das Wasser des
war die Sabbatheiligung ‒ dadurch, dass Lebens zufließt.«21
man an diesem Tag nicht arbeitete (17,21- 18,18 Nachdem sie das gehört haben,
22). Der beständige Druck des Materia- planen die Bewohner Jerusalems An-
lismus auf das Leben aller, auch auf das schläge gegen Jeremia und drücken ihr
Volk Gottes, machte das Halten dieses Vertrauen auf ihre eigenen Priester und
Gebotes schwierig. Darum war gerade Propheten aus. Sie wollen ihn mit Ver-
dieses eine von den Zehn Geboten ein leumdungen angreifen.
echter Prüfstein dafür, was in den Her- 18,19-23 Jeremia bereut es, jemals
zen den ersten Platz einnahm ‒ das Zeit- Gott um Schonung für sie gebeten zu
liche oder das Ewige. War das Halten des haben. Solch ein Gebet ist wohl kaum
Sabbats so wichtig für Israel? Die symbo- passend für einen Gläubigen der Gna-
lische Handlung Jeremias und die aus- denzeit.
drücklichen Worte, die er sagen sollte,
geben eine bestätigende Antwort.20 H. Jeremia und der irdene Krug (Kap. 19)
19,1-9 Jeremia bekommt den Auftrag,
Gleiche Grundsätze lassen sich auf den einen irdenen Krug hinaus zur städ-
Tag des Herrn für uns Christen anwen- tischen Müllhalde zu bringen und dort
den. Auch er dient der geistlichen und den Königen von Juda und den Bewoh-
körperlichen Erholung, der Erinnerung nern von Jerusalem zu verkünden, dass
an unseren Erlöser und an unsere Er­ Gott im Begriff steht, Juda zu zerschmet-
lösung. Wir beten den Herrn an und ge- tern wegen des Götzendienstes und der
denken seines Auferstehungssieges am Menschenopfer. Das Tal Ben-Hinnom
ersten Tag der Woche. wird »Tal des Schlachtens« genannt
werden. Während der Belagerung Jeru-
G. Jeremia im Haus des Töpfers (Kap. 18) salems wird es zu Kannibalismus kom-
18,1-12 Der HERR ist der Töpfer, und men.
Juda (hier Israel genannt) ist das Gefäß. 19,10-15 Mit dem Zerbrechen des
Die Zerstörung des Gefäßes war nicht Krugs stellt der Prophet die Verwüstung
Gottes, sondern Israels Schuld. Der Ton und das Verderben dar, das durch die

1001
Jeremia 19 bis 22

Babylonier verursacht wird. An Begräb- sandte, um den HERRN wegen der nä-
nisplätzen wird Mangel herrschen, und her rückenden Babylonier zu befragen,
die Häuser, in denen Götzendienst ver- gab Jeremia zur Antwort, der HERR
übt wurde, werden verunreinigt. Jere- werde den Invasoren gegen Juda helfen.
mia kehrt zum Vorhof des Tempels zu- Der König und das überlebende Volk
rück und wiederholt die Rede von der würden in die Gefangenschaft geführt
Tatsache des bevorstehenden Gerichts, werden. In Bezug auf diese Handlungs­
weil das Volk sich weigert, auf die Worte weise gegen den König bemerkt Kelly:
Gottes zu hören und Buße zu tun.
Das Königtum war immer der letzte Halt
IV. Weissagungen gegen die für Segnungen in der Geschichte Israels.
politischen und religiösen Führer Wenn nur der König richtig handelte
Judas (Kap. 20-23) – waren das Volk und die Propheten auch
noch so verdorben –, hat Gott Israel den-
A. Weissagung gegen Paschhur (20,1-6) noch gesegnet. Alles hing an dem König,
Paschhur, der Oberaufseher im Haus dem Nachkommen Davids. Gott mochte
des HERRN, gab den Befehl, Jeremia zu die Propheten, die Priester und das Volk
schlagen und in den Block zu legen. Am gezüchtigt haben, doch würde er immer
folgenden Tag, als man den Propheten zu ihnen halten um seines Knechtes Da-
entlassen hatte, kündigte der Paschhur vid willen. Wenn aber die Könige nicht
dessen Untergang und den seiner Fa- nur vom rechten Weg abwichen, sondern
milie an, dazu den Untergang von ganz dem Volk in der Bosheit vorangingen,
Jerusalem und Juda. Der König von Ba- war es für ihn völlig unmöglich, zu ihnen
bel würde sie in die Gefangenschaft zu halten. Jetzt war es die schmerzliche
wegführen. Paschhurs Name wurde in Aufgabe von Jeremia, diese göttliche Ent-
Magor-Missabib (Schrecken ringsum) scheidung zu verkünden.22
umgewandelt – das ist genau das, was
er erleben sollte. 21,8-14 Wer Widerstand leistete, sollte
umkommen, doch wer sich den Babylo-
B. Jeremias Klage vor Gott (20,7-18) niern (Chaldäern) ergab, würde am Le-
In den Versen 7 bis 18 bereut Jeremia ben bleiben. Das Haus des Königs wur-
seinen unpopulären Dienst. Der HERR de ermahnt, mit Unrecht und Unter­
hatte ihn dazu überredet (betört). Gern drückung aufzuhören. Die Menschen in
hätte er aufgehört, diese unpopuläre Jerusalem, die Bewohner des Tales, wer-
Botschaft von der babylonischen Ge- den vor der kommenden Zerstörung
fangenschaft zu verkünden, aber er gewarnt. »Bewohnerin des Tales, des
konnte nicht. Das Wort des HERRN Felsens der Ebene« (Schlachter 2000; un-
brannte wie Feuer in seinem Inneren. revidierte Elberfelder) ist vielleicht eine
Er bekam mit, wie seine Freunde sich spöttische Bezeichnung; denn es scheint
gegen ihn verbündeten; aber er befahl keine buchstäbliche Beschreibung Jeru-
seine Sache dem HERRN an. Manch- salems zu sein.
mal ist er voller Zuversicht und Lob für 22,1-9 Kapitel 22 handelt von den letz-
den HERRN, und manchmal ist er so ten vier Königen Judas, wenn auch nicht
entmutigt, dass er wünscht, nie gebo- in chronologischer Reihenfolge. Diese
ren worden zu sein. lautet in Wirklichkeit: Joahas, Jojakim,
Jojachin und Zedekia; mit anderen Wor-
C. Weissagung gegen den König ten: Der Letzte ist hier der Erste.
Zedekia (21,1 - 22,9) Zedekia, der Erste in der Reihe, wird
21,1-7 Als der König Paschhur (nicht ermahnt, Recht und Gerechtigkeit zu
denselben wie in Kap. 20) zusammen üben; sonst würde Juda zu einer un­
mit Zefanja (nicht dem Propheten) bewohnten Wüste, obwohl es zuvor so

1002
Jeremia 22 und 23

herrlich wie Gilead und der Libanon uns die gesetzmäßige Abstammung
gewesen ist. Die Warnung wird unter- Christi über seinen Stiefvater Josef. Aller-
strichen durch die Geschichte der drei dings ging Josefs Linie von Schealtiel
anderen Könige, die alle ein schreck­ aus, der ein Sohn Jojachins war (Mt 1,12;
liches Ende nahmen. siehe 1Chr 3,17). Wäre Christus der leib-
liche Sohn Josefs und nicht von der Jung-
D. Weissagung gegen den König frau geboren, hätte er nicht Israels König
Schallum (22,10-12) sein können. Lukas liefert uns die leib-
Schallum, der zweite König, der auch liche Abstammung Christi durch Maria,
Joahas genannt wurde, war der Sohn die von David durch die Linie seines
des Josia. Er wurde gefangen nach Sohnes Nathan (Lk 3,31) abstammte. So
Ägypten verschleppt und starb dort, stand Christus nicht unter dem »Fluch«
ohne das Land Israel noch einmal ge­ Jojachins.23
sehen zu haben.
G. Die Weissagung auf den gerechten
E. Weissagung gegen den König König (23,1-8)
Jojakim (22,13-23) Die Herrscher (Hirten) werden ver­
22,13-19 Jojakim, der dritte König, bau- urteilt, weil sie nicht auf das Volk
te seinen Palast mit unbezahlter Arbeit, Gottes achtgehabt haben. Aber Gott
folgte nicht dem Beispiel seines Vaters wird einen Überrest seines Volkes wie-
(Josia). Man wird ihn dafür wegschlei- derherstellen und ihm treue Hirten ge-
fen von Jerusalem. Er wird unbeweint ben. Er wird den Messias erwecken,
sterben und ein Eselsbegräbnis erhal- dass er der König dieses Überrests sei.
ten, d.h. man wird ihn in irgendeinen Eine nicht sehr populäre, aber höchst
Graben werfen. nötige Warnung wird uns Christen an
22,20-23 Der Bevölkerung wird ge- dieser Stelle von Kelly erteilt:
sagt, sie sollte auf den Libanon und den
Baschan steigen und wegen der Ver- Es ist klar: Diese Weissagung weist auf
nichtung aller ihrer Liebhaber (ihrer Al- den Messias, den Herrn Jesus, hin. Aber
liierten) wehklagen, weil Nebukadnezar der Herr Jesus ist der Messias nicht so
alle Hirten (ihre Regenten) zerschmet- sehr in Bezug auf uns wie auf das Volk
tert hat. Die Israeliten werden wegen Israel. Das ist wichtig, festgehalten zu
ihrer Gefangenschaft auch stöhnen vor werden, und wir verlieren nichts, wenn
Schmerzen wie eine gebärende Frau. wir das tun. Viele sind der Ansicht, wenn
wir diese Weissagungen nicht auf die
F. Weissagung gegen den König Christen und die Gemeinde anwenden,
Jojachin (22,24-30) verlieren wir etwas. Aber ehrlich vorzu-
Konja (auch Jechonja oder Jojachin), der gehen, ist stets der beste Rat. Man kann
vierte König, würde von den Babylo- dem Nächsten nicht etwas wegnehmen,
niern gefangen genommen werden und ohne viel mehr zu verlieren, als der
in Babylon sterben. Von seinen Nach- Nächste verliert. Zweifellos hat er einen
kommen wird keiner je auf dem Thron kleinen Verlust; aber man selbst wird
Davids sitzen. Keiner seiner Abkömm- schrecklich verlieren. Wenn dies bei irdi-
linge folgte ihm auf den Thron. An sei- schen Dingen stimmt, wie viel mehr in
ner statt wurde Zedekia letzter König geistlichen Angelegenheiten. Man kann
von Juda. Dieser war sein Onkel. Charles Israel nicht irgendetwas von seinem Erb-
H. Dyer sagt dazu: teil rauben, ohne sich selbst eine große
Verarmung zuzufügen.24
Diese Weissagung hilft uns auch, die Ge-
schlechtsregister Christi in Matthäus 1 In Vers 5 wird der Messias »Spross«
und Lukas 3 zu verstehen. Matthäus gibt oder »rechtmäßiger Nachkomme« Da-

1003
Jeremia 23 bis 25

vids genannt. In Sacharja 3,8 ist er »mein Ihre Gotteserkenntnis war auf einem
Knecht, Spross genannt«. In Sacharja niedrigen Niveau. Weil sie sein heiliges
6,12 wird er vorgestellt als »ein Mann, Wesen nicht verstanden, meinten und
Spross ist sein Name«. Und in Jesaja 4,2 predigten sie, er könne Israel nicht im
ist er »der Spross des HERRN«. Dies Stich lassen.26
entspricht den vier Weisen, in denen
Christus in den Evangelien vorgestellt Solche falschen Propheten sind immer
wird: Er ist König, Diener, Sohn des noch sehr zahlreich unter uns.
Menschen und Sohn Gottes. 23,33-40 Offensichtlich spotteten die
»Der Herr, unsere Gerechtigkeit« oder Israeliten über Jeremia, wenn sie frag-
Jahwe-Tsidkenu (V. 6) ist einer der sieben zu­ ten: »Was ist die Last (der Ausspruch)
sammengesetzten Namen des HERRN.25 des HERRN?«27 Der Prophet sollte ant-
Gott wird als derjenige erkannt werden, worten, dass sie selbst ihm zur Last wa-
der das Volk in das Land zurückbrachte. ren und dass er sie bald abwerfen wür-
de. Gott verbot ihnen, das Wort »Last«
H. Weissagung gegen Judas falsche weiterhin im Scherz zu gebrauchen.
Propheten (23,9-40) Sollten sie nicht gehorchen, würde er
23,9-22 Der Rest von Kapitel 23 ist eine sie ernstlich heimsuchen.
ernste Anklage gegen die verlogenen
Propheten, sowohl in Israel als auch in V. Weissagungen in Bezug auf
Jerusalem. Letztere verhießen auch jetzt die Zerstörung Jerusalems und
immer noch Frieden; doch wenn sie auf die babylonische Gefangenschaft
Gottes Wort gehört hätten, wüssten sie, (Kap. 24-29)
dass sein Gericht unabwendbar war
und so lange anhalten würde, bis alle A. Das Zeichen der Feigen (Kap. 24)
göttlichen Absichten dadurch erfüllt
sind. Sie sprachen, ohne von Gott ge- 24,1-7 Der HERR zeigte Jeremia zwei
sandt zu sein. vor dem Tempel aufgestellte Körbe mit
23,23-29 Der allgegenwärtige und all- Feigen. Der eine Korb enthielt sehr gute
wissende Gott stellt die Propheten we- Feigen und der andere sehr schlechte.
gen ihrer Träume bloß, durch die das Die guten Feigen stellten die nach Babel
Volk zum Götzendienst verleitet wur- Weggeführten dar, die wieder in dieses
de. Ihre Träume waren nur Stroh im Land zurückgebracht werden sollten,
Vergleich zu Gottes Wort, das nahr­ weil sie sich mit ihrem ganzen Herzen
haftes Korn ist. Aber es ist auch wie zu Gott bekehren würden.
Feuer und wie ein Hammer. 24,8-10 Die schlechten Feigen stellten
23,30-32 Der HERR ist gegen die Zedekia, den König von Juda, dar, dazu
Lügen­propheten. Yates beschreibt sie seine Obersten und das nach der Depor-
richtig: tation während der Regierung Jechonjas
übrig gebliebene Volk im Land. Die Ver-
Sie waren »Fachleute«, die behaupteten, bannten werden ins Land zurückge-
in göttlicher Autorität zu sprechen, in bracht, die anderen aber werden zer-
Wirklichkeit aber nur Lug und Trug äu- streut und ausgerottet durch Schwert,
ßerten. Jeremia schleudert ihnen drei An- Hunger und Pest.
klagen entgegen: Er sagt, sie seien in
Wirklichkeit unmoralisch, kannten Gott B. Die siebzigjährige babylonische
nicht und hatten keine Botschaft für das Gefangenschaft wird angekündigt
Volk. Sie gingen sorglos mit ihrer heili- (25,1-11)
gen Verantwortung um und senkten die Seit dreiundzwanzig Jahren hatte Jere-
moralischen Maßstäbe der Menschen, in- mia das ganze Volk Juda gewarnt; an-
dem sie sich aktiv an Sünden beteiligten. dere Männer Gottes hatten ebenfalls

1004
Jeremia 25 bis 27

nicht nachgelassen, das Volk zur Buße de Judas werden heulen, weil der HERR
zu rufen. Weil die Israeliten nicht hören ihre Weide verwüstet hat.
wollten, würden sie jetzt durch Gottes
Knecht, Nebukadnezar, in die Gefan- D. Jeremias Warnung an das Volk
genschaft gebracht werden und siebzig (Kap. 26)
Jahre in der Verbannung bleiben. 26,1-11 Jeremia wird gesagt, er solle sich
Der Grund, weshalb die Verbannung in den Vorhof des Tempels stellen und
siebzig Jahre dauerte und warum Gott die Israeliten warnen, dass, wenn sie
im Voraus sagte, wie lange sie dauern nicht Buße tun, der HERR den Tempel
würde, wird in 2. Chronik 36,20-21 an- preisgeben werde, wie er es mit Silo ge-
gedeutet: tan hatte. (Hier ist zu beachten, dass die
»Und was vom Schwert übrig geblie- an Bedingungen geknüpften Verheißungen
ben war, führte er gefangen nach Babel. Gottes ihn gereuen können, wenn der
Und sie mussten ihm und seinen Söh- Mensch die Bedingungen nicht erfüllt
nen als Sklaven dienen, bis das König- [V. 3]. Gott kann sich niemals seiner be­
reich der Perser zur Herrschaft kam, dingungslosen Verheißungen gereuen
damit erfüllt würde das Wort des lassen.) Die Priester, die falschen Pro-
HERRN durch den Mund Jeremias, bis pheten und das Volk wurden wütend
das Land seine Sabbate ersetzt bekam. und bedrohten den Propheten.
All die Tage seiner Verwüstung hatte es 26,12-19 Furchtlos wiederholt Jeremia
Ruhe, bis siebzig Jahre voll waren.« seine Botschaft. Daraufhin verteidigen
3. Mose 25,3-5 lehrt uns, dass das ihn die Fürsten und das ganze Volk,
Land alle sieben Jahre unbearbeitet ge- und die Ältesten erinnern das Volk dar­
lassen werden sollte. Das Volk hatte an, dass Micha in den Tagen eines gu-
diesem Gesetz nicht gehorcht. ten Königs mutig geweissagt hatte und
man ihn nicht umgebracht hatte.
C. Die babylonischen Eroberer 26,20-24 Diese Verse mögen ein Argu-
werden gerichtet werden (25,12-38) ment der Gegner darstellen, oder sie
25,12-29 Die Hoffnung auf eine baldige sind einfach der Bericht von der Tat­
Rückkehr war daher eine Lüge. Nach sache, dass Jojakim die Hinrichtung
diesen siebzig Jahren würde Gott seinen eines Propheten mit Namen Uria an-
Zorn gegen das Land der Chaldäer (Ba- ordnete, der dasselbe gesagt hatte wie
bel) richten. Mit Hilfe eines symbo- Jeremia. Allerdings setzte sich Ahikam,
lischen Bechers Wein wird Jeremia be- der Sohn des Schafan, für Jeremia ein
fohlen, Gottes Zorn über Juda und die und errettete ihn vom Tod.
anderen Nationen anzukündigen, da sie
von Nebukadnezar vernichtet würden. E. Das Zeichen von dem Joch (Kap. 27)
Schließlich wird es auch Nebukadnezar 27,1-11 Die Weissagung geschah in der
(den König von Scheschach) treffen. Zeit Jojakims (siehe Schlachter 2000,
Durch seine Weissagungen sollte Jere- NKJV, KJV), doch der Rest des Kapitels
mia diesen Völkern sagen, dass sie den handelt von der Zeit Zedekias. Einige
Becher des Zornes Gottes trinken muss­ halten das für einen Schreibfehler. Die
ten. Wenn Gott Jerusalem als Erstes be- Gesandten von fünf heidnischen Kö-
straft, dann können die Nationen kaum nigen waren nach Jerusalem gekom-
hoffen, dass sie der Strafe entrinnen. men, möglicherweise, um ein Bündnis
25,30-38 Diese Verse beschreiben den gegen Babel zu gründen. Ihnen wird
Schrecken des Bechers der grimmigen durch Stricke und Jochstangen auf bild-
Zornglut Gottes, wobei bildhafte und hafte Weise gesagt, dass das Joch Babels
dichterische Worte wie »brüllen«, so lange über sie kommen wird, bis Ba-
»Lärm« und »Getöse« verwendet wer- bel von den Medern und Persern er­
den. Die Beherrscher (Hirten) der Her- obert wird. Wenn sie sich diesem Joch

1005
Jeremia 27 bis 29

nicht unterwerfen, würden sie unter­ bronzene Mauer gewesen war, der Kö-
gehen – und das entgegen den Vorher- nigen, Propheten und Priestern ins An-
sagen der Wahrsager in diesen Völkern. gesicht widerstanden hatte, lehnt es jetzt
27,12-22 Ryries Anmerkung über eine ab, sich mit Hananja zu streiten. Der
damalige Sitte in Bezug auf den Tempel Grund für dieses Verhalten ist offen­
wird diesen Abschnitt erhellen: kundig. Jeremia tadelte und warnte sehr
wohl, solange Hoffnung auf Umkehr be-
Gewöhnlich nahm der Eroberer die Göt- stand, oder wenn die langmütige Gnade
terbilder des eroberten Volkes mit in den es verlangte; aber wenn das Gewissen
Tempel seines eigenen Gottes. Weil der nicht mehr tätig war, wenn der Name
Judaismus eine bilderlose Religion war, des HERRN missbraucht wurde, dann
nahm man stattdessen die Tempelgefäße ging er einfach fort. Er überließ es Gott,
mit.28 zwischen Prophet und Prophet zu ur­
teilen. Wenn Jeremia echt war, dann war
Jeremia rät Zedekia dringend, sich den Hananja unecht.29
Babyloniern zu unterwerfen und nicht
den Lügenpropheten zu glauben, die Gott wird jedoch ein eisernes Joch auf
vorhersagten, die Gefäße des Hauses den Hals all dieser Nationen bringen,
des HERRN würden bald wieder aus damit sie dem König von Babel dienen.
Babel zurückgebracht. Jeremia machte Hananja wird als Lügenprophet an­
den Vorschlag, die Propheten sollten geklagt, der noch in diesem Jahr ster-
ihre Autorität dadurch unter Beweis ben soll, was auch zwei Monate später
stellen, dass sie Gott anflehten, er möge geschah, nämlich im siebten Monat
die in Jerusalem übrig gebliebenen Ge- (V. 17; siehe V. 1, wo der fünfte Monat
räte nicht nach Babel kommen lassen. erwähnt wird).
Aber das wäre vergeblich. Diese Geräte
sollten auch nach Babel gebracht wer- G. Jeremias Botschaft an die
den und dort bis zum Ende der Gefan- Gefangenen in Babylon (Kap. 29)
genschaft – also siebzig Jahre – bleiben. 29,1-9 Dies ist der Brief, den Jeremia an
die Gefangenen in Babel sandte. Darin
F. Hananjas falsche Weissagung und riet er ihnen, sich auf einen langen Auf-
Tod (Kap. 28) enthalt einzurichten, und warnte sie
28,1-9 Der Prophet Hananja, der Sohn vor den falschen Propheten und Wahr-
des Asur, macht die falsche Vorhersage, sagern.
die babylonische Gefangenschaft wer- 29,10-14 Der HERR verheißt, die ba-
de nach zwei Jahren enden. Jeremia bylonische Gefangenschaft werde in
antwortet, er wünschte, dies möge wahr siebzig Jahren enden. Dann wird das
sein, sagt aber sinngemäß, dass diese Volk in das Land zurückkehren.
Weissagung nicht eintreffen wird. Wah- Vers 13 ist eine Ermutigung für alle,
re Propheten haben ausnahmslos Un- die aufrichtig den HERRN suchen,
heil vorausgesagt, während die falschen wenn auch manchmal mit wenig sicht-
Propheten von kommendem Frieden barem Erfolg:
redeten.
28,10-17 Hananja zerbrach das höl- Gottes Wort an sein Volk in den Tagen
zerne Joch, das auf dem Hals Jeremias Jeremias ist auch heute noch sein ge-
war, und machte eine Lügenweissagung. wisses Wort an alle, die gesündigt und
Jeremia ging weg (V. 11). Kelly lobt den die Verbindung mit dem Ewigen ver­
Propheten für seine Zurückhaltung: loren haben. Oberflächliche Bekundung
von Inter­esse kann diesen reichen Schatz,
Ein Knecht des Herrn soll nicht streiten. der mehr wert ist als Gold, nicht erwer-
Derselbe Mann, Jeremia, der wie eine ben. Gott ist allezeit erreichbar. Sein Ver­

1006
Jeremia 29 und 30

langen ist, dass alle Menschen auf ihn Untergang befassen, konnte Jeremia,
blicken und leben möchten. Seine Arme wenn er von der Zukunft träumte, so
sind stets geöffnet, um alle liebend in predigen, wie er es eigentlich lieber ge-
Empfang zu nehmen, die zu ihm umkeh- tan hätte. In diese Predigten legte er sein
ren. Genauso wahr ist es allerdings, dass ganzes Herz.31
ein eifriges Suchen nötig ist. Wird sich je-
mand seiner Not bewusst und begreift, Die Rückkehr aus der Gefangenschaft
dass Gottes Gabe allen Schaden heilt, war nur eine teilweise Erfüllung dieser
und macht er sich dann auf, ihn zu fin- Weissagungen; diese Kapitel schauen
den, kann er sich des Gelingens sicher voraus auf die Endzeit und die endgül-
sein, wenn er von ganzem Herzen sucht. tige Wiederherstellung.
Reinigung, Frieden, Freude, Sieg werden Dies ist ein sehr wichtiger Teil; denn er
ihm zuteil aus der Hand eines liebenden enthält den berühmten Abschnitt über
Gottes, der Wohlgefallen daran hat, seine den Neuen Bund, der die Neubelebung
Kinder wieder im Vaterhaus willkom- des Volkes Israel vorhersagt. Dies kann
men zu heißen.30 nur nach der »Zeit der Drangsal für Ja-
kob« (der »Großen Drangsal«) aus 30,4-
29,15-32 Im Gegensatz zu dem, was die 17 stattfinden. Gott hält seine Bündnisse,
falschen Propheten in Babylon sagen, wenn auch einige darüber anderer An-
werden der König und das übrige Volk sicht sind. Jeremia wird aufgetragen, ein
in Jerusalem unter Schwert, Hunger Stück Land zu kaufen, um die Gewiss-
und Pest leiden müssen, weil sie sich heit der Wiederherstellung zu zeigen.
geweigert haben, auf Gottes Worte zu
hören. Zwei Lügenpropheten wird der A. Die Gefangenen sollen gesammelt
Untergang prophezeit, Ahab, dem Sohn werden (Kap. 30)
des Kolaja, und Zedekia, dem Sohn des 30,1-11 Sowohl Israel als auch Juda wer-
Maaseja ‒ und einem dritten, Schemaja, den wieder gesammelt werden. Zu-
dem Nehelamiter, weil er einen Brief nächst wird aber die Zeit der Bedräng-
geschrieben hatte, in dem er den Pries- nis für Jakob sein (die Große Drangsals-
ter Zefanja in Jerusalem rügte, er habe zeit), danach wird Gott die Macht der
seine Pflicht versäumt, indem er Jere- Heiden über sein Volk zerbrechen. Die
mia nicht in den Block gelegt hatte. Ze- Verheißung, dass Gott den König Da-
fanja aber hatte diesen Brief Jeremia vid erwecken wird, wird allgemein auf
vorgelesen. Nun weissagte Letzterer, den Herrn Jesus, den Sohn Davids, ge-
Schemajas Nachkommen würden um- deutet. Allerdings meinen auch einige,
kommen und er selbst werde das Ende es gehe um den buchstäblichen David,
der Gefangenschaft nicht sehen. der von den Toten auferweckt würde.
30,12-17 Obwohl die Wunden des
VI.Weissagungen über die Volkes jetzt unheilbar erscheinen, wird
Wiederherstellung (Kap. 30-33) Gott es heilen, und seine Bedränger sol-
Die Kapitel 30 bis 33 enthalten Bot- len der Plünderung anheim fallen.
schaften der Hoffnung und der Er­ 30,18-24 Diese Verse beschreiben die
lösung und sind der helle Schimmer in idyllischen Bedingungen, die im Tau-
einem Buch, das größtenteils von Ge- sendjährigen Reich vorherrschen wer-
richt spricht. Clyde T. Francisco charak- den. Die letzten beiden Verse dieses Ka-
terisiert sie folgendermaßen: pitels stellen Gottes Gericht über die
Gottlosen dar. Dieses geht seinen Seg-
Nirgends wurden bewegendere Ab- nungen für Israel voraus, die im nächs­
schnitte geschrieben als in diesem Teil ten Kapitel erwähnt werden.
des Jeremiabuches. Obwohl sich die meis­
ten seiner Botschaften mit Gericht und

1007
Jeremia 31
B. Das Land wird wiederhergestellt
dorthin zu wenden, um den Götzen
(31,1-30)
nachzulaufen. Stattdessen wird sie Im-
31,1-20 Mit herzlichen Worten der Zu- manuel suchen und ihm anhängen.«33
neigung verheißt der HERR die Wieder- Kelly, ein gottesfürchtiger Gelehrter
herstellung Israels, also der nördlichen von unzweifelhafter Rechtgläubigkeit,
Stämme. Das Volk wird aus aller Welt erklärt, warum eine verbreitete Ausle-
heimkehren. Die Menschen werden vol- gung von Vers 22b nicht zutreffend ist:
ler Gesang statt voll Trauer sein. Rahels Es hat sich bei den Kirchenvätern wie
Weinen ist ein Bild von dem Kummer auch bei den Gelehrten eingebürgert,
beim Anblick der in die Verbannung … diesen Abschnitt auf die Geburt des
Ziehenden. Es wird aufhören, wenn Is- Herrn von der Jungfrau Maria anzu-
rael Buße tut und Gott dem Volk ver- wenden; aber die Weissagung hat nicht
gibt. Matthäus zitiert Vers 15 in Verbin- die geringste Beziehung dazu. Eine
dung mit dem Kindermord durch He- Frau, die den Mann umgibt, ist auf kei-
rodes (Mt 2,18). Kelly schreibt dazu: nen Fall dasselbe wie die Jungfrau, die
den Sohn gebiert. Den Mann zu um­
Es ist wunderschön zu sehen, dass der geben, hat überhaupt nichts mit der
Heilige Geist auf dieses Ereignis den Ab- Geburt eines Kindes zu tun.34
schnitt über das Leid und nicht den über 31,23-30 Auch Juda wird wiederher-
die Freude anwendet. Er bezieht sich nur gestellt werden, und seine Städte wer-
auf das, was sich schon erfüllt hatte. Da- den wieder erbaut werden. An dieser
mals herrschte bitterer Kummer, selbst Stelle wacht der Prophet aus einem
am Geburtsort des Königs. Tiefste Not köstlichen Schlaf auf. Sowohl Israel als
herrschte an der Stelle, wo die größte auch Juda werden wieder bevölkert
Freude hätte herrschen sollen. Die Ge- sein. Die Menschen werden wegen ih-
burt des Messias hätte im Land Israel das rer eigenen Schuld sterben, nicht wegen
Signal universaler Freude sein sollen. der ihrer Väter.
Das wäre auch der Fall gewesen, wenn es
Glauben an Gott und an seine Verhei- C. Offenbarung des Neuen Bundes
ßungen gegeben hätte; aber der war nicht (31,31-40)
vorhanden. Mehr noch: Weil sich das Tage kommen, da Gott einen Neuen
Volk in einem Zustand schändlichen Un- Bund mit Israel und Juda schließen
glaubens befand, saß ein edomitischer wird ‒ nicht wie das Gesetz, sondern ei-
Usurpator auf dem Thron. Daher nen Bund der Gnade. Den Menschen
herrschten Gewalt und Hinterlist im wird eine neue moralische Natur ver-
Land, und Rahel weinte um ihre Kinder liehen, und die Erkenntnis des HERRN
und wollte sich nicht trösten lassen, weil wird überall verbreitet sein (siehe Hebr
sie nicht mehr da waren. So wandte der 8,8-13; 10,15-17).
Heilige Geist den ersten Teil der Weis­ Gott schloss den Neuen Bund vor-
sagung an und hörte danach auf.32 nehmlich mit Israel und Juda (V. 31). An-
ders als das Gesetz Moses war dieser
31,21-22 Das bußfertige Israel wird auf bedingungslos. Er hebt hervor, was Gott
Straßen ziehen, die von Wegweisern tun will ‒ nicht, was der Mensch tun soll.
und Wegzeichen markiert sind. Israels Man beachte das wiederkehrende »ich
Zeit des Unglaubens ist vorüber; denn werde« in den Versen 33 und 34. Jesus
der HERR hat ein Neues geschaffen: ist der Mittler des Neuen Bundes, weil
Die Frau wird den Mann umgeben. Die durch ihn dessen Segnungen sicherge-
Frau hier ist Israel, und der Mann ist stellt sind (Hebr 9,15). Der Bund wurde
der HERR. »Dies ist die Voraussage«, mit seinem Blut in Kraft gesetzt
schreibt Williams, »dass die Jungfrau (Lk 22,20). Aber er wird für Israel als
Israel aufhören wird, sich hierhin und Volk erst wirksam werden beim Zwei-

1008
Jeremia 31 bis 33

ten Kommen Christi. Allerdings werden briefe wurden Baruch zur Aufbewahrung
in der Zwischenzeit einzelne Gläubige in einem Tongefäß gegeben. Jeremia sah,
einige seiner Wohltaten genießen. So ist dass die Babylonier Jerusalem belager-
ihr Gehorsam z.B. durch Gnade und ten, und wunderte sich, warum Gott ihn
nicht durch Gesetz motiviert; Gott ist ihr anwies, den Acker in Anatot zu kaufen.
Gott, und sie sind sein Volk; auch denkt 32,26-44 Der HERR antwortet in klas-
Gott nicht mehr an ihre Sünden. Welt- sischer Weise: »Siehe, ich bin der HERR,
weite Erkenntnis des HERRN wird es der Gott alles Fleisches! Sollte mir ir-
erst im Tausendjährigen Reich geben. gendein Ding unmöglich sein?«
Jene, die gern versuchen würden, Is- Jawohl, Gott wird Jerusalem wegen
rael vom Angesicht der Erde wegzu­ der Abgötterei des Volkes zerstören; aber
fegen, sollten sich die Verse 35 und 36 er wird später die Seinen auch wieder
zu Herzen nehmen. Israel wird nicht sammeln und sie sehr segnen. Es wird
aufhören, eine Nation zu sein, es sei wieder Landbesitz gekauft und verkauft
denn, dass die Ordnungen der Sonne werden. So wird auch der Handel wegen
und des Mondes, der Sterne und des des Ackers in Anatot an einem kommen-
Meeres weichen. Jerusalem wird an den Tag seine Gültigkeit haben.
einem kommenden Tag wieder erbaut
werden, und heute noch unreine Ge- E. Der Bund wird in Erinnerung
biete werden »für den HERRN heilig gebracht (Kap. 33)
sein« (V. 40). 33,1-16 Als Jeremia noch im Wachhof
eingeschlossen war, gab ihm der HERR
D. Die Stadt wird wieder erbaut weitere strahlende Verheißungen we-
werden (Kap. 32) gen der Wiederherstellung Israels und
Judas: Das Land wird wieder von fro-
32,1-5 Die Babylonier belagerten nun hen Menschen bevölkert, die Berge
die Stadt. Zedekia hatte Jeremia in den werden voller Herden sein, und das
Wachhof des Gefängnisses geworfen, Schönste: Der Messias, der »Spross der
weil er geweissagt hatte, die Belagerung Gerechtigkeit« aus dem Geschlecht Da-
werde für die Babylonier erfolgreich vids, wird kommen. Jerusalem wird
sein. In Vers 4 finden wir eine von drei »der HERR, unsere Gerechtigkeit« ge-
Weissagungen, die er über Zedekia aus- nannt werden. Der HERR verleiht sei-
sprach. Hier sagt er, Zedekia werde die nen Namen dem wiederhergestellten
Augen des Königs von Babel sehen. In Israel, so wie ein Mann es mit seiner
Hesekiel 12,13 lesen wir, er werde Babel Braut und wie Christus es mit seiner
nicht sehen und doch in Babel sterben. Gemeinde macht (1Kor 12,12).
Diese sich scheinbar widersprechenden 33,17-26 Gottes Verheißung in Bezug
Weissagungen erfüllten sich auf diese auf das ewige Bestehen des davidischen
Weise: Nebukadnezar stach Zedekia in Königtums und des levitischen Priester-
Ribla im Land Hamat die Augen aus tums sind so unverbrüchlich wie Gottes
(2Kö 25,7). Danach wurde er nach Babel Bund mit dem Tag und der Nacht. Eini-
verschleppt, konnte es aber nicht sehen ge Menschen aus dem Volk klagten Gott
(ihm waren ja die Augen ausgestochen), an, er habe die beiden Häuser – Juda
und er starb dort. und Israel – vergessen und würde die
32,6-25 Im Gehorsam gegenüber Gottes Juden als Verstoßene verachten, als sol-
Wort kaufte der Prophet den Acker sei- che, die kein Volk mehr sind. Der HERR
nes Vetters Hanamel in Anatot für sieb- antwortet, dass sein Bund mit dem Volk
zehn Schekel Silber. (Hanamel hatte ihm so fest ist wie die Naturgesetze. Die
das Angebot gemacht.) Dies war eine Zu- Nachkommen Davids würden so un-
sicherung für das Volk, dass Gott es aus zählbar sein wie das Heer des Himmels
Babel zurückbringen werde. Beide Kauf- und der Sand des Meeres.

1009
Jeremia 34 bis 36

VII. Geschichtlicher Abschnitt zen. (Durch den Vormarsch der Chaldä-


(Kap. 34-45) er waren sie gezwungen worden, nach
Jerusalem zu kommen.) Sie behielten
A. Der Niedergang Judas und das Verhalten echter Wanderer und
Jerusalems (Kap. 34-39) Fremdlinge bei. Welch ein Vorbild!
35,12-19 Im deutlichen Kontrast dazu
1. Zedekias Gefangenschaft wird
standen die Männer von Juda. Sie ge-
geweissagt (Kap. 34)
horchten Gott nicht und würden des-
34,1-7 Während die Babylonier Jeru­ halb bestraft. Die Rechabiter sollten be-
salem belagerten, wurde Jeremia befoh- lohnt werden, indem es ihnen nicht an
len, dem König Zedekia zu sagen, dass einem Mann fehlen würde, der vor Gott
er in die Gefangenschaft geführt und in steht. Die Rechabiter waren nach Re-
Babel sterben werde, wenn auch nicht chab benannt, dessen Sohn aktiv Jehu
durch das Schwert. unterstützte, als dieser den Baalsgottes-
34,8-22 Während der Kämpfe machte dienst im Nordreich austrieb (841 v.
der König Zedekia zu einer gewissen Chr.). Sie waren ein Nomadenstamm,
Zeit mit dem Volk einen Bund, alle jü- der zu den Kinitern gehörte (1Chr 2,55),
dischen Sklaven in die Freiheit zu ent- die sich Juda angeschlossen hatten und
lassen, vielleicht damit sie helfen wür- sich immer noch zu Juda hielten; Judas
den, die Stadt zu verteidigen. Später, Lebensstil hatten sich die Rechabiter
als sich der Feind unter dem Druck des aber nicht zu eigen gemacht (Daily
ägyptischen Heeres eine Weile von der Notes of the Scripture Union).
Stadt zurückzog (37,1-10), unterjochten Einige glauben, die Rechabiter seien
die Juden alle ihre Sklaven aufs Neue. in dem Stamm Levi aufgegangen, und
Damit entweihten sie den Namen des auf diese Weise sei Gottes Verheißung
HERRN, weil sie das Versprechen bra- erfüllt worden. Obwohl wir die Recha-
chen, das sie vor seinem Angesicht ge- biter heute nicht identifizieren können,
geben hatten. Gott ordnete deshalb eine glauben wir, dass sie im Tausend­
»Freilassung« an für das Schwert, die jährigen Reich wieder in Erscheinung
Pest und den Hunger, die sie treffen treten werden.
sollten. Diejenigen, welche in den Bund
zur Freilassung der Sklaven eingetreten 3. König Jojakim verbrennt die Buchrolle
waren (V. 15), indem sie ein Kalb im des Jeremia (Kap. 36)
Tempel geopfert hatten, und die dann 36,1-10 Im vierten Jahr des Königs Joja-
diesen Bund gebrochen hatten, würden kim befahl der HERR dem Jeremia, alle
den Feinden zur Schlachtung ausgelie- Weissagungen, die er gemacht hatte,
fert werden. Zedekia und seine Fürsten aufzuschreiben. Diese wurden dem Ba-
würden gefangen genommen werden. ruch diktiert, und dieser las sie ein Jahr
Die Babylonier würden zurückkommen später öffentlich im Tempel vor. Es wird
und die Stadt verbrennen. nicht erklärt, warum Jeremia nicht
selbst dorthin gehen konnte. Zu dieser
2. Der Gehorsam der Rechabiter wird Zeit war er nicht inhaftiert, wenn er
Belohnung finden (Kap. 35) auch sicherlich ein gejagter Mann war.
35,1-11 Jeremia gehorchte dem HERRN, 36,11-19 Als Michaja diese Weis­
indem er die Rechabiter in das Haus des sagungen hörte, berichtete er sofort den
HERRN einlud, um ihnen Wein anzu- Fürsten davon. Daraufhin bestellten sie
bieten. Die Rechabiter lehnten höflich Baruch zu sich und befahlen ihm, ihnen
ab zu trinken, weil ihr Vater ihnen das die Weissagungen vorzulesen. Dann
verboten hatte. So hatten sie sich auch rieten sie Baruch, er und Jeremia sollten
geweigert, ein Haus zu bauen, Samen sich verbergen und niemanden wissen
zu säen und einen Weinberg zu pflan- lassen, wo sie waren.

1010
Jeremia 36 bis 38

36,20-26 Als die Fürsten dem König Jeremia ihm an, die Babylonier würden
(Jojakim) davon berichtet hatten, sand- die Stadt erobern und den König ge­
te er nach den Schriftrollen. Jedes Mal, fangen nehmen. Dann bat er ihn, nicht
wenn Jehudi einige Spalten gelesen hat- wieder in den Kerker gebracht zu wer-
te, zerschnitt der König die Rolle (Gottes den. Diese Bitte wurde erfüllt, und er
Wort) und warf das Gelesene ins Feuer. kam wieder in den Wachhof.
Das ist ein vollkommenes Bild von dem, 38,1-13 Jeremia wurde in die Zisterne
was Liberale und Rationalisten seitdem des Wachhofs geworfen, weil er den
immer wieder mit Gottes Wort gemacht Menschen riet, die Stadt zu verlassen
haben. Am Ende war die ganze Rolle und sich den Babyloniern auszuliefern.
verbrannt, trotz des Protestes von drei Zedekia gibt seine Schwäche öffentlich
der Fürsten. Der König ließ Baruch und zu; er kann den Propheten nicht gegen
Jeremia suchen; aber der HERR hatte den Willen der Fürsten beschützen.
sie verborgen. Einem kuschitischen (äthiopischen) Eu-
36,27-32 Nachdem der König die Rol- nuchen gelang es, ihn mit Stricken und
le verbrannt hatte, schrieb Jeremia die abgetragenen Lumpen herauszuziehen.
Weissagungen noch einmal auf und Jeremia kehrte daraufhin in den Wach-
fügte weitere Abschnitte hinzu, die das hof zurück.
schreckliche Urteil über Jojakim ent­ 38,14-20 Als Zedekia Rat bei Jeremia
hielten! Die Tatsache, dass Jojachin, Jo- suchte und ihm Straffreiheit zusicherte,
jakims Sohn, sein Nachfolger wurde wurde dem König gesagt, er solle sich
(2Kö 24,6), scheint den Fluch von V. 30a den Eroberern ergeben. Auch wurde
ungültig zu machen. Die übliche Erklä- ihm versichert, die übergelaufenen Ju-
rung ist, dass dieser nur drei Monate den würden nicht ihren Mutwillen an
regierte, nicht lange genug, um von ir- ihm auslassen.
gendeiner Bedeutung sein zu können. 38,21-23 Würde Zedekia sich jedoch
weigern, sich zu ergeben, sollten alle
4. Jeremia wird eingekerkert und von Frauen des Palastes ihn in Gegenwart
Zedekia befragt (Kap. 37-38) der babylonischen Eroberer verhöhnen
37,1-10 Obwohl der König Zedekia, der und ihn daran erinnern, wie die Män-
nur ein Vasall Nebukadnezars war, nicht ner seines Vertrauens ihn verführt hat-
auf Jeremias Worte hörte, bat er den ten. Auch werden die Frauen des Kö-
Propheten, für ihn und seine Gefolgs- nigs und seine Söhne zusammen mit
leute zu beten. Als das Heer der Ägyp- ihm selbst gefangen genommen wer-
ter Juda zu Hilfe eilte, verließen die den, und Jerusalem würde verbrennen.
Chaldäer (die Babylonier) Jerusalem, 38,24-28 Zedekia bat Jeremia, nicht
um die Ägypter zurückzuschlagen. Je- über das Gesprochene zu reden, son-
remia ließ Zedekia ausrichten, dass die dern einfach zu sagen, er habe den Kö-
Babylonier wiederkommen würden. nig gebeten, nicht in den Kerker zurück-
Selbst wenn Zedekia das Heer der Chal- gebracht zu werden. Tatsächlich kamen
däer bis auf einen Rest verwundeter die Obersten und fragten danach, und
Männer schlagen könnte, würden diese Jeremia antwortete, wie ihm der König
noch die Stadt niederbrennen. aufgetragen hatte. Offensichtlich taucht
37,11-21 Als Jeremia Jerusalem wegen hier die Frage nach der Moral in Bezug
einer persönlichen Angelegenheit ver- auf die Antwort Jeremias auf. War es die
lassen wollte, wurde er verhaftet und in Wahrheit, eine Halbwahrheit oder eine
den Kerker geworfen. Man klagte ihn Lüge? Was er sagte, war höchstwahr-
an, zum Feind überlaufen zu wollen. scheinlich wahr; doch fühlte er sich
Nach vielen Tagen rief Zedekia nach nicht verpflichtet, alles zu sagen, was er
ihm und wollte hören, was der HERR wusste. Bis zum Fall Jerusalems blieb
ihm zu sagen hatte. Mutig kündigte Jeremia im Wachhof.

1011
Jeremia 39 bis 42
5. Der Fall Jerusalems (Kap. 39)
sie, sich den Chaldäern zu unterwerfen
39,1-10 Als Jerusalem von den Babylo- und sonst ihre alltägliche Arbeit zu ver-
niern eingenommen war (586 v.Chr.), richten. Er würde sie vor den Chal­
versuchten Zedekia, seine Söhne und däern vertreten.
seine Kriegsleute zu fliehen; sie wurden 40,11-16 Andere jüdische Flüchtlinge
aber gefasst und nach Ribla gebracht. kehrten aus Moab, Ammon, Edom und
Die Söhne des Königs wurden vor des- anderen Ländern zu Gedalja zurück.
sen Augen geschlachtet. Dann stach Johanan und andere warnten Gedalja
man Zedekia die Augen aus und führte vor Ismael, der von Baalis, dem König
ihn in die Gefangenschaft. Die Stadt der Ammoniter, gesandt war, um ihn
wurde zerstört, und nur die Geringen zu ermorden. Sie boten sich an, Ismael
aus dem Volk ließ man im Land zu- heimlich zu erschlagen. Zu seinem Un-
rück. glück glaubte Gedalja ihnen nicht, son-
39,11-14 Nebukadnezar, der König dern bezichtigte vielmehr Johanan der
von Babel, gab durch Nebusaradan, Verleumdung gegen Ismael.
den Obersten der Leibwache, den Be-
fehl, man solle Jeremia gut behandeln. 2. Der Statthalter Gedalja wird ermordet
So wurde der Prophet aus dem Wach- (Kap. 41)
hof befreit und Gedalja anvertraut. 41,1-9 Ismael und zehn seiner Männer
39,15-18 Ebed-Melech,35 dem kuschi- erschlugen Gedalja und seine Getreuen,
tischen Eunuchen, wurde schon vorher vielleicht, weil sie ihm sein Einver-
von dem HERRN Sicherheit zugesagt. ständnis mit den Babyloniern übel nah-
Wahrscheinlich erfuhr er jetzt diese Er- men oder weil Ismael selbst gern herr-
rettung. Chronologisch gehören die schen wollte, zumal er aus königlichem
Verse 15 bis 18 hinter 38,13. Hause stammte. Ismael stellte sich trau-
ernd, um noch weitere siebzig Trau-
B. Ereignisse in Juda nach dem Fall ernde zu töten, die von Sichem gekom-
Jerusalems (Kap. 40-42) men waren, wo sie an der Stelle des zer-
störten Tempels anbeteten. Danach
1. Jeremia wohnt bei dem Statthalter
warf er ihre Leichname in eine Grube.
Gedalja (Kap. 40)
Zehn ließ er entkommen, weil sie sich
40,1-6 Als Nebusaradan, der chaldäische mit dem Angebot gehorteter Lebens-
Oberste der Leibwache, Jeremia vor die mittel freikauften.
Wahl stellte, entweder mit nach Babel zu 41,10-18 Andere, einschließlich der
ziehen oder im Land unter der Statthal- Königstöchter, die Ismael gefangen hat-
terschaft Gedaljas zu bleiben, zögerte te, wurden von Johanan und seinen
dieser. Der Oberste merkte seine Unent- Kriegern befreit und flohen nach Beth-
schlossenheit und sandte ihn zu Gedalja lehem; denn man plante, nach Ägypten
zurück, auch gab er ihm Wegzehrung zu entkommen, weil man die Rache der
und ein Geschenk mit auf die Reise. Der Chaldäer fürchtete. Ismael und acht sei-
von dem Obersten verwendete Aus- ner Männer entkamen nach Ammon.
druck »der HERR, dein Gott« mag auf
der Vertrautheit mit dem jüdischen 3. Gott verbietet die Flucht nach Ägypten
Sprachgebrauch beruhen; es kann aber (Kap. 42)
auch göttliche Eingebung sein. 42,1-6 Johanan und seine verängstigten
40,7-10 Dann, als alle Heerobersten Gefährten baten Jeremia, den HERRN
im offenen Land hörten, dass Gedalja zu befragen, was sie tun sollten. Als der
beauftragt war, für die Überlebenden Prophet sich darauf einließ, verspra-
zu sorgen, kamen sie zu ihm nach Miz- chen sie zu gehorchen, ganz gleich, wie
pa, das jetzt die Hauptstadt der babylo- die Wegweisung aussehen würde.
nischen Provinz Judäa war. Er ermahnte 42,7-22 Zehn Tage später kam die Ant-

1012
Jeremia 42 bis 45

wort: »Flieht nicht nach Ägypten, son- 44,15-30 Aber das Volk weigerte sich,
dern bleibt im Land.« Wenn sie blieben, auf Jeremia zu hören, und behauptete,
so wollte Gott sie segnen; wenn sie flo- ihm sei es besser ergangen, als es der
hen, so würden alle Bedrohungen, die Königin des Himmels diente. Sowohl
sie in Juda befürchteten, in Ägypten die Männer als auch die Frauen waren in
über sie kommen. Aber es scheint, als ob diesen falschen Gottesdienst verwickelt.
sich die Menschen längst entschieden Wieder sagt ihnen der Prophet, der Göt-
hatten, nach Ägypten zu fliehen, und so zendienst sei der Grund für alle Not, die
sagt ihnen Jeremia geradeheraus, dass sie hatten, und dass sie durch ihre Sünde
sie dort das Verderben ereilen würde. das Recht verspielt hatten, den Namen
Moderne Christen machen es oft des HERRN anrufen zu können. Ein
ebenso: Sie bitten Gott um Leitung – da- schreckliches Gericht! Sie würden
bei bitten sie um den Rat von den Eltern, schwer bestraft werden, und der König
von Sonntagsschullehrern, Pas­toren von Ägypten, auf den sie ihre Hoffnung
oder Ältesten –, doch haben sie sich be- setzten, würde besiegt werden.
reits entschieden, zu tun, was ihnen ge-
fällt. Leider ist solches »Ratsuchen« D. Die Botschaft des HERRN an
nichts als Theater und Selbstbetrug. Baruch (Kap. 45)
Dieses Kapitel wurde unter der Regie-
C. Jeremia und der Überrest in rung Jojakims geschrieben und steht
Ägypten (Kap. 43-44) daher chronologisch vor Kapitel 44.
Vielleicht folgt es auf 36,1-8. Es ist eine
43,1-7 Sie klagten Jeremia an, dass er Trostbotschaft an Baruch, der offen-
lüge und von Baruch verführt sei; Jo- sichtlich wegen des drohenden Ge-
hanan nahm ihn und Baruch und zog in richts über Juda entmutigt war. Gott hat
das Land Ägypten. ein Recht, aufzubauen und niederzurei-
43,8-13 In Tachpanhes in Ägypten ßen; Baruch sollte nicht nach großen
befahl der HERR dem Jeremia, er solle Dingen trachten, weder für sich noch
einige große Steine in der Sandbettung für Juda. Er sollte froh sein, mit dem Le-
der Ziegelterrasse am Eingang des ben davonzukommen, und das ausfüh-
Hauses des Pharao vergraben. Dann ren, was von ihm gefordert würde,
sagte er voraus, Nebukadnezar werde ganz gleich, wie niedrig die Arbeit sein
in Ägypten einmarschieren und seinen würde. Kelly sagt dazu:
Thron über diesen vergrabenen Steinen
aufstellen. Wer nicht durch den Hunger Die große Lektion für Baruch bestand
und die Pest oder das Schwert um­ darin, dass in einer Zeit des Gerichts die
käme, der werde in die Gefangenschaft rechte Gesinnung für einen Heiligen und
geführt, und die Götter Ägyptens wür- Knecht Gottes darin besteht, nicht den ei-
den mit Feuer verbrannt werden. genen Vorteil zu suchen … Eine demü-
44,1-14 Kapitel 44 enthält den letzten tige Herzenshaltung sollte den Heiligen
Bericht, den wir von Jeremia in Ägyp- zu aller Zeit auszeichnen; aber an bösen
ten haben. Wahrscheinlich ist er dort Tagen ist sie die einzige Sicherheit. De-
gestorben. mut ist immer moralisch richtig, aber sie
Jeremia erinnert seine Landsleute dar­ ist zudem das Einzige, was uns vor dem
an, dass all ihr Unheil das Ergebnis Gericht bewahrt. Ich spreche jetzt nicht
ihres Götzendienstes war; doch sie von Gottes endgültigem Gericht, son-
dienten immer noch falschen Göttern in dern von seiner Ausübung des Gerichts
Ägypten. Deshalb sollten sie ganz und in dieser Welt. Diese Lektion, das scheint
gar zerstreut werden; keiner würde mir offensichtlich zu sein, hatte Baruch
nach Juda zurückkehren, außer einigen noch nicht gelernt, und nun musste er sie
Entkommenen. lernen. Dieses Wort hatte der Prophet

1013
Jeremia 45 bis 48

schon zu einem früheren Zeitpunkt an herrschende Gegenwart des Chaldäer-


ihn gerichtet – im vierten Jahr Joja- königs gleicht den Bergen Tabor und
kims.36 Karmel und bedeutet für die Ägypter
die Gefangenschaft.
VIII. Weissagungen gegen die 46,20-24 Die babylonische Bremse
heidnischen Völker (Kap. 46-51) wird die schöne junge ägyptische Kuh
In diesem Abschnitt spricht Jeremia in stechen, dazu ihre Söldner, die gemäs­
poetischer und wunderschöner Spra- teten und undisziplinierten Kälbern
che Warnungen aus, die von Zerstö- gleichen und in wilder Flucht davon­
rung und Gericht reden. Er weissagt ge- eilen. Das Geräusch Ägyptens gleicht
gen neun Länder: Ägypten, Philistäa, dem Geräusch einer davoneilenden
Moab, Ammon, Edom, Damaskus, Ara- Schlange. Die Eroberer nahen mit
bien (Kedar und Hazor), Elam und Ba- Kriegsbeilen. Sie schlagen die Ägypter
bel. Die Völker sind in geografischer nieder, wie man einen Wald umhaut.
Reihenfolge – von West nach Ost – auf- Sie sind zahlreicher als die Heuschre-
gezählt. Inhaltlich fügen sich diese cken. Ägypten befindet sich in tiefster
Weissagungen nach 25,13 ein. Sie er- Schande.
füllten sich nach der Zerstörung Jeru­ 46,25-28 Der HERR wird den Amon
salems. Babel wird zerstört und von No (den Sonnengott des alten The-
verwüs­tet, wenn Israel erlöst wird. Die- ben) bestrafen, dazu den Pharao samt
se Weissagung über Babel hat sich viel- Ägypten mit seinen Göttern und seinen
leicht schon erfüllt, obwohl einige Ge- Königen. Später aber wird Ägypten
lehrte einen Wiederaufbau Babels37 und wieder bewohnt werden. Auch Israel
einen darauffolgenden neuerlichen Un- wird in sein Land zurückgebracht wer-
tergang für möglich halten. Der Auf- den und ruhig und sicher wohnen.
stieg der Meder wird in 51,1-24 dar­
gestellt. B. Weissagungen gegen Philistäa
(Kap. 47)
A. Weissagungen gegen Ägypten Die Philister werden durch die von
(Kap. 46) Norden kommende babylonische Inva-
46,1-12 Kapitel 46 ist ein Lied, das von sion vernichtet werden. Sie werden von
Ägypten handelt und den Anfang einer Tyrus und Sidon abgeschnitten, und
Reihe von Weissagungen über heid- ihre eigenen großen Städte Gaza und
nische Völker bildet. Eine Heeresmacht Aschkelon werden von dem Schwert
wird gesehen, die sich zum Kampf rüs­ des HERRN geschlagen.
tet, sich dann aber hastig zurückzieht.
Es ist das Heer Ägyptens, das aber C. Weissagungen gegen Moab (Kap. 48)
hauptsächlich aus Söldnern besteht – 48,1-10 Auch Moab ist für die babylo-
Kusch (Äthiopien), Put (Libyen) und nische Invasion bestimmt. Seine Städte
den Luditern (Lydern). Seine Nieder­ werden zerstört. Das Geschrei von sei-
lage fand in Karkemisch 605 v.Chr. ner Verwüstung wird im ganzen Land
statt. gehört werden. Dem Volk wird geraten,
46,13-19 Als Nächstes wird Ägypten vor den Eroberern zu fliehen. Die Mo­a­
gewarnt, es solle sich auf eine Invasion biter vertrauten vergeblich auf ihre
und das Exil vorbereiten. Wenn Nebu- Werke und ihre Schätze, und jetzt muss
kadnezar dort einmarschiert, werden ihr Nationalgott Kemosch mit ihnen in
die starken Söldner einer über den an- die Gefangenschaft ziehen. Vers 10 ist
deren stürzen und sich entschließen, in ein Fluch über den Eroberer, wenn er
ihre Heimat zurückzukehren. Der Pha- sein Werk nicht gründlich ausführt. Es
rao wird den Beinamen »Getöse« (nichts kann aber auch eine Warnung an uns
als leeres Dröhnen) erhalten. Die be- sein, dass wir das Werk des Herrn nicht

1014
Jeremia 48 bis 50

nachlässig tun dürfen und nicht auf­ zufriedenheit bestraft werden, doch soll
hören dürfen, den ganzen Ratschluss das Volk nicht ausgerottet werden.
Gottes zu verkündigen – ganz gleich,
wie unpopulär das sein mag. E. Weissagungen gegen Edom (49,7-22)
48,11-27 Moab hatte eine Geschichte Edom rühmte sich seiner Weisheit und
ohne Erschütterungen erlebt, und das seiner uneinnehmbaren Stellung in den
bringt keine starken Charaktere hervor. Schlupfwinkeln der Felsen. Aber Gott
Es glich neuem Wein, der nie umgegos- hat beschlossen, dass es ohne Bewoh-
sen worden war von Fass zu Fass, um ner sein soll. Williams sagt dazu: »Der
die Hefen zu entfernen, und der des- erste Teil von Vers 12 trifft auf Israel
halb ungenießbar geworden ist. Nun zu; der zweite auf Edom. Wenn Gottes
würden die Chaldäer alles zerstören, Kinder wegen ihrer Sünden bestraft
worauf das Volk sich verließ. Moab werden müssen, wie viel mehr dann
wird wegen Kemosch zuschanden, ge- solche, die nicht seine Kinder sind!«38
nauso wie Israel wegen des goldenen Für Edom gibt es keine Verheißung
Kalbes in Bethel zuschanden wurde. einer Wiederherstellung.
Leere Prahlerei verwandelt sich in Kla-
gegeschrei. Die Festungen sind zerstört, F. Weissagungen gegen Damaskus
das Volk ist auf der Flucht, und das (49,23-27)
Land ist erniedrigt. Die Städte der Damaskus (Syrien) ist zur Vernichtung
Hochebene sind Ruinen. Weil Moab bestimmt; ihre jungen Männer werden
über Israel spottete, wird es betrunken auf ihren Plätzen fallen, alle Kriegs-
gemacht von dem Zorn Gottes. männer werden umkommen, und Da-
48,28-39 Das einst so stolze Volk wird maskus wird verbrennen. Vers 25 dürf-
ermahnt, in ferne Verstecke zu fliehen. te eher die Äußerung eines Einwohners
Der Hochmut und Stolz der Moabiter sein, die der HERR hier anführt, als
waren wohlbekannt. Aber jetzt klagt dass es von ihm selbst gesagt wird.
Gott ernstlich über ihre verdorbene
Ernte und darüber, dass alle ihre Freu- G. Weissagungen gegen Kedar und
de und all ihr Jubel dahin sind. Ein Ge- Hazor (49,28-33)
schrei der Verzweiflung geht von Moab 49,28-29 Kedars Nomadenbevölkerung
aus, weil Gott droht, dem götzendiene- (die Araber) wird von den Babyloniern
rischen Volk ein Ende zu machen. Wie- geschlagen werden.
der klagt der HERR über die Menschen 49,30-33 Das ungeschützte Hazor
von Kir-Heres, die ihren Reichtum ver- wird von Nebukadnezar erobert, seiner
loren haben. Unter dem gesamten Volk Schätze beraubt und als Wüste zurück-
von Moab herrscht laute Klage. gelassen werden.
48,40-47 Babel wird wie ein Adler her­
abstürzen und Schrecken und Vernich- H. Weissagung gegen Elam (49,34-39)
tung bringen. Es wird kein Entrinnen Die Elamiter (Perser) werden über die
geben. Obwohl das Volk in die Verban- ganze Erde zerstreut; aber der HERR
nung zieht, wird es am Ende der Tage wird am Ende der Tage ihr Geschick
wiederhergestellt werden. wenden und sie zurückbringen. Gott
wird seinen Thron in Elam aufstellen in
D. Weissagungen gegen Ammon dem Sinn, dass er dort im Gericht herr-
(49,1-6) schen wird.
Die Ammoniter hatten das Gebiet von
Ruben und Gad (zwei Stämme Israels) I. Weissagungen gegen Babel
in Besitz genommen, nachdem diese in (Kap. 50-51)
die Gefangenschaft geführt waren. Sie 50,1-16 Dieses und das folgende Kapitel
werden für ihren Stolz und ihre Selbst- handeln von dem Gericht Gottes über

1015
Jeremia 50 bis 52

Babel. Die Weissagungen haben teil­ Nationen, die durch Babylon erobert
weise Bezug auf die Eroberung Babels wurden. Gottes Größe wird den Götzen
durch die Meder, doch liegt ihre gänz- gegenübergestellt; der wahre Gott ist
liche Erfüllung noch in der Zukunft. der Gott Israels und Judas.
Babel wird im Buch Jeremia 164-mal 51,20-37 Die Verse 20 bis 23 richten
erwähnt, häufiger als in der gesamten sich an die Meder; Vers 24 gilt vielleicht
übrigen Bibel. Dieses Land wird von Juda. Dann wendet sich Vers 25 wieder
Norden her erobert werden. Sechsmal, an Babel, den »Berg des Verderbens«.
wenn der Prophet vom Gericht über Ba- Er soll zu einer ewigen Trümmerstätte
bel spricht, sagt er Segnungen für Israel ohne Bewohner werden, zu einer Be-
und Juda voraus. Die Verse 4 bis 7 sind hausung wilder Tiere. In den Versen 34
das erste Mal. Die Juden in der Verban- und 35 sprechen die Bewohner Judas
nung werden angewiesen, die übrigen und Jerusalems.
Gefangenen bei ihrer Rückkehr in ihre 51,38-44 Diese Verse hatten im Jahr
Länder anzuführen, weil Babel geplün- 539 v.Chr. eine teilweise Erfüllung. Die
dert wird. Das erobernde Heer wird aus Meder eroberten Babylon, während
mehreren Völkern zusammengesetzt Belsazar und seine Hofgesellschaft fei-
sein. Die Verse 11 und 12 sind an das erten und sich betranken (Dan 5). Aller-
Heer der Chaldäer gerichtet. »Eure Mut- dings wurde die Stadt damals nicht ge-
ter« ist das Volk selbst. Siehe unseren plündert. Das Meer bezieht sich auf die
Kommentar zu Jesaja 13,14-22, wo man- zukünftigen Eroberer.
che Probleme in Bezug auf die Zer­ 51,45-51 Die jüdischen Gefangenen
störung Babylons behandelt werden. werden im Voraus gewarnt, damit sie
50,17-34 Das versprengte Schaf, Is­ die Stadt verlassen, bevor sie angegrif-
rael, wird auf fruchtbares Land zurück- fen wird. Sie sollen so schnell wie mög-
gebracht und begnadigt. Die Verse 21 lich nach Jerusalem zurückkehren.
bis 32 beschreiben den Zorn Gottes 51,52-58 Die stolze Stadt wird fallen,
über Babel. Danach wird gesagt, dass er ihre Götzenbilder werden zerstört, ihr
sich Israels und Judas annimmt. Prahlen wird verstummen, ihre Anfüh-
50,35-46 Die Bewohner Babels erwar- rer werden erschlagen, und ihre Mau-
tet die Vernichtung durch das Schwert. ern werden geschleift.
Der Eroberer wird die Stadt unbewohnt 51,59-64 Jeremia befiehlt Seraja, diese
machen, und die Nachricht davon wird niedergeschriebenen Weissagungen ge-
unter den Nationen gehört werden. Die gen Babel mit sich in die Gefangen-
Verse 41 bis 43 und 44 bis 46, die vorher schaft zu nehmen. Er sollte sie dort vor-
jeweils auf Juda und Edom angewandt lesen und sie dann in den Euphrat ver-
wurden (6,22-24; 49,19-21), gelten hier senken – ein Bild für den Untergang
für Babel. Babels. Chronologisch gehören diese
51,1-19 Gott wird einen Zerstörer für Verse zu Kapitel 29.
Babel erwecken (Leb Kamai ist ein ver-
schlüsseltes Wort und bedeutet »das IX. Schluss: Der Fall Jerusalems
Herz (oder die Mitte) meiner Wider­ (Kap. 52)
sacher«). Dieser wird kein Mitleid ha- Das letzte Kapitel dieses Buches ist ein
ben, und dies wird der Beweis dafür geschichtlicher Rückblick auf die Er­
sein, dass Gott Israel und Juda nicht oberung Jerusalems und auf die Weg-
vergessen hat. Gott benutzte Babel als führung.
goldenen Gerichtsbecher, um die Völ- 52,1-16 In den Versen 1 bis 11 wird
ker zu berauschen, doch jetzt wird es das Ende der Regierungszeit Zedekias
die Rache des HERRN erleben. In den und in den Versen 12 bis 16 die Zerstö-
Versen 9 und 10 sprechen jüdische Ge- rung Jerusalems wiederholt.
fangene in Babylon im Namen aller 52,17-23 Dann wird genau aufgeführt,

1016
Jeremia 52

welche Gegenstände aus dem Tempel wirksam machen wie seine Verhei-
von den Babyloniern geraubt und weg- ßungen. Die Gerechtigkeit und die Wahr-
geführt wurden. heit Gottes sind hier in blutigen Buch­
52,24-27 Der Oberste der Leibwache staben aufgeschrieben zur Überführung
brachte vierundsiebzig Männer aus oder zur Verwirrung aller, die sich einen
Jerusalem zu dem König von Babel. Scherz aus diesen Drohungen machen.
Dar­aufhin tötete dieser sie in Ribla. Sie sollen sich nicht täuschen, denn Gott
52,28-34 Andere wurden in drei Weg- lässt sich nicht verspotten.39
führungen in die Gefangenschaft ge-
bracht. Im siebenunddreißigsten Jahr
der Wegführung wurde Jojachin von
dem König von Babel aus dem Gefäng- Anmerkungen
nis geholt und bis zum Tag seines Todes 1
(Einführung) Siehe z.B. 10,23-24;
freundlich behandelt. 11,18 - 12,6; 15,10-21; 17,14-18; 18,18-
So endet dieses so sehr von Gericht 23; 20,7-18.
und Tränen erfüllte prophetische Buch 2
(Einführung) Dies bedeutet, dass er
mit einem gütigen Ausklang. seinen Dienst unter der Regierung
Wir sollten nicht meinen, dies sei bloß von fünf Königen versah: Josia, Joa-
im Voraus geschriebene hebräische Ge- has, Jojakim, Jojachin (auch Jechonja
schichte. Natürlich ist es das. Aber das oder Konja genannt) und unter dem
Buch Jeremia ist ein Teil von Gottes Marionettenkönig Zedekia.
Wort, also immer frisch und ewig gül- 3
(1,1-10) William Kelly, Jeremiah: The
tig. Vor fast dreihundert Jahren fasste Tender-Hearted Prophet of the Nations,
der englische Ausleger Matthew Henry S. 9.
die geistlichen Lektionen aus Jeremia 4
(2,1-3) Kyle M. Yates, Preaching from
für uns zusammen: the Prophets, S. 139.
5
(5,20-31) Kelly, Jeremiah, S. 20.
Und nun können wir im Rückblick auf 6
(6,27-30) Yates, Preaching, S. 141.
das ganze Buch, auf seine Weissagungen 7
(7,5-15) »Ausgrabungen zeigen, dass
und seine Geschichte zusammenfassend Silo um 1050 v.Chr. zerstört wurde.
sagen, dass wir daraus lernen sollen: Das wäre die Zeit, als die Philister
1. Es ist nichts Neues, dass Gemeinden die Bundeslade weggenommen hat-
und Personen, die Gott sehr ausgezeich- ten (1Sam 4,11).« (The Wesley Bible,
net hat, degenerieren und sehr verderbt New King James Version, hrsg. von
werden. Albert F. Harper u.a., S. 1095). Das
2. Ungerechtigkeit und Sünde führen mosaische Heiligtum überlebte Silo
dazu, diejenigen zu zerstören, die sie und wurde später in Gibeon auf­
tun. Wenn sie nicht Buße tun und die gerichtet (2Chr 1,2-3).
Sünde lassen, wird der Untergang das 8
(7,16-26) Nachdem das Christentum
sichere Ende sein. Staatsreligion des Römischen Reiches
3. Äußerliche Bekenntnisse und Vor- geworden war, strömten Horden un-
rechte werden nicht nur keinesfalls als bekehrter Heiden in die Gemeinden
Entschuldigung für Sünde akzeptiert und brachten ihre heidnischen Vor-
werden und den Untergang verhindern, stellungen mit. Die Anwendung
sondern werden beides nur in hohem dieses heidnischen Titels »Himmels-
Maß verschlimmern. königin« auf die Mutter unseres
4. Kein Wort Gottes wird zu Boden fal- Herrn war sicher als hohe Ehre ge-
len, im Gegenteil werden die Ereignisse dacht, wäre aber von der demütigen
genau den Vorhersagen entsprechen; »Magd des Herrn« mit Entschieden-
und der Unglaube der Menschen wird heit abgelehnt worden (Lk 1,38).
Gottes Drohungen genauso wenig un- 9
(9,1-11) Yates, Preaching, S. 143.

1017
Jeremia

10
(9,22-23) G. Herbert Livingston, »Je­ 27
(23,33-40) Das hebr. Wort massa’ kann
remiah«, Wesley Bible, S. 1100. man entweder als »Last« oder als
11
(10,1-5) Yates, Preaching, S. 144. »Orakel« verstehen. Ryrie nennt es
12
(13,1-11) New Scofield Reference Bible, »ein übliches Wort für eine gewich-
New King James Version, S. 784-785. tige prophetische Botschaft« (vgl.
13
(13,12-14) R.K. Harrison, Jeremiah and Nah 1,1; Hab 1,1). The Ryrie Study
Lamentations, S. 99-100. Bible, New King James Version, S. 1182.
14
(13,24-27) Ebd., S. 101. 28
(27,12-22) Charles C. Ryrie, Hrsg.,
15
(14,1-6) New Scofield, NKJV, S. 785. The Ryrie Study Bible, New King James
16
(15,19-21) G. Campbell Morgan, Version, S. 1187.
Search­lights from the Word, S. 243. 29
(28,10-17) Kelly, Jeremiah, S. 67.
17
(16,1-9) Kelly, Jeremiah, S. 43-44. 30
(29,10-14) Yates, Preaching, S. 146-
18
(17,1-11) Harrison, Jeremiah, S. 106. 147.
19
(17,1-11) Matthew Henry, »Jere- 31
(Kap. 30-33, Einführung) Clyde T.
miah«, in: Matthew Henry’s Commen­ Francisco, Studies in Jeremiah, S. 107.
tary on the Whole Bible, Bd. IV, S. 519- 32
(31,1-20) Kelly, Jeremiah, S. 75-76.
520. 33
(31,21-22) George Williams, The
20
(17,19-27) Irving L. Jensen, Jeremiah, Student’s Commentary on the Holy
Prophet of Judgement, S. 59. Scriptures, S. 552.
21
(18,13-17) C.F. Keil, »Jeremiah,« in: 34
(31,21-22) Kelly, Jeremiah, S. 77.
Biblical Commentary on the Old Testa­ 35
(39,15-18) Sein Name bedeutet »Die-
ment, Bd. XIX, S. 300. ner des Königs«.
22
(21,1-7) Kelly, Jeremiah, S. 47. 36
(Kap. 45) Kelly, Jeremiah, S. 94.
23
(22,24-30) Charles H. Dyer, »Jere- 37
(Kap. 46-51, Einführung) Während
miah,« in: Bible Knowledge Commen­ der Arbeit an diesem Kommentar
tary, Bd. I, S. 1158. (1990) hatte der Irak, in dem das alte
24
(23,1-8) Kelly, Jeremiah, S. 48-49. Babylon lag, unter Saddam Hussein
25
(23,1-8) Die anderen sind: Jahwe-Jireh tatsächlich damit begonnen, die
(der HERR wird ersehen – 1. Mose Stadt Babylon wieder aufzubauen.
22,13-14), Jahwe-Rapha (der HERR, Nun allerdings (1991) ist dieser Auf-
der dich heilt – 2. Mose 15,26), Jahwe- bau sicher zurückgeworfen worden,
Nissi (der HERR ist mein Feldzeichen weil die Alliierten mit Unterstützung
– 2.Mose 17,8-15), Jahwe-Schalom (der der UNO den Irak bombardierten,
HERR ist Friede – Richter 6,24), Jahwe um Kuwait zu befreien.
Ro’i (der HERR ist mein Hirte – Ps 38
(49,7-22) Williams, Student’s Com­
23,1) und Jahwe-Schammah (hier ist mentary, S. 563.
der HERR – Hes 48,35). 39
(52,28-34) Matthew Henry, »Jere-
26
(23,30-32) Yates, Preaching, S. 146. miah«, Bd. IV, S. 711.

1018
Jeremia

Bibliografie Jensen, Irving L.,


»Jeremiah and Lamentations«, in:
Dyer, Charles A., Everyman’s Bible Commentary,
»Jeremiah« and »Lamentations«, in: The Chicago: Moody Press, 1974.
Bible Knowledge Commentary, Old Testa­
ment, Keil, C.F.,
Wheaton: Victor Books, 1985, »Jeremiah – Lamentations«, in: Biblical
[deutsch: Das Alte Testament erklärt und Commentary on the Old Testament, Bde.
ausgelegt, Bd. 3, Neuhausen-Stuttgart: 19 u. 20,
Hänssler, 1990]. Grand Rapids: Wm. B. Eerdmans Pub-
lish­ing Company, 1971.
Feinberg, Charles L.,
Jeremiah: A Commentary, Kelly, William,
Grand Rapids: Zondervan Publishing Jeremiah: The Tender-Hearted Prophet of
House, 1982. the Nations,
Charlotte: Books for Christians, o.J.
Francisco, Clyde T.,
Studies in Jeremiah, von Orelli, Hans Conrad,
Nashville: Convention Press, 1961. The Prophecies of Jeremiah, Nachdruck,
Minneapolis: Klock & Klock Christian
Harrison, R.K., Publishers, 1977.
Jeremiah and Lamentations, The Tyndale
Old Testament Commentaries,
Downers Grove: InterVarsity Press, 1973.

Henry, Matthew,
»Jeremiah«, in: Matthew Henry’s Com­
mentary on the Whole Bible, Bd. 4,
McLean: MacDonald Publishing Com-
pany, o.J.

1019
Klagelieder
»Jeder weiß, dass die Sünde trotz all ihrer Verlockungen und Reize, schwere Lasten
von Kummer, Leid, Elend, Dürre und Schmerz mit sich bringt.
Das ist die andere Seite der Medaille mit der Aufschrift: ›Iss, trink und sei lustig!‹«

Charles Swindoll

Einführung tuaginta, enthält für die Klagelieder


eine Einführung, die auf ein hebräisches
I. Einzigartige Stellung im Kanon Original schließen lässt: »Und es ge-
schah, als Israel in die Gefangenschaft
Dieses kleine Buch wird »Klagelieder« geführt und Jerusalem zerstört wurde,
genannt, was die deutsche Übersetzung dass Jeremia weinend mit diesem Kla-
des Titels ist, den dieses Buch in lateini- gelied über Jerusalem klagte, indem er
schen und englischen Bibeln trägt: »La- sprach …« (danach beginnt das erste
mentationes« oder »Lamentations«. Die Kapitel).
Juden nennen es nach dem ersten Wort Der Stil des Buches weist auf den
von Kapitel 1, 2 und 4, das übersetzt »weinenden Propheten« hin, und auch
»Wie« oder »Wehe« heißt. Das Buch 2. Chronik 35,25 bringt Jeremia mit
enthält fünf getrennte Dichtungen, die einem Klagelied ähnlichen Typs in Ver-
unter einem Thema zusammengefasst bindung. Die Tatsache, dass der Autor
werden können: die Zerstörung Jeru­ ein Augenzeuge war und vernünftiger-
salems durch Nebukadnezar 586 v.Chr. weise kein weiterer Kandidat infrage
Außerdem sind die ersten vier Kapitel kommt, unterstützt die traditionelle jü-
akrostisch aufgebaut, d.h. die Verse fan- dische und christliche Sicht, Jeremia
gen mit Buchstaben an, die der Reihen- habe die »Klagelieder« geschrieben.
folge des Alphabets folgen.
Das geschah vielleicht, um das Aus- III. Datierung
wendiglernen zu erleichtern. In Kapitel Die aus eigenem Erleben stammenden
3 fangen sogar drei Verse hintereinan- Beschreibungen der Verwüstung Zions
der jeweils mit demselben Buchstaben sind so lebendig und überzeugend,
an. Kapitel 5 hat dieselbe Anzahl an dass sie höchstwahrscheinlich kurz
Versen wie das hebräische Alphabet an nach den Ereignissen (etwa um 586
Buchstaben (zweiundzwanzig), doch oder 585 v.Chr.) niedergeschrieben wur-
ist es nicht akrostisch aufgebaut. den, noch bevor Jeremia nach Ägypten
Trotz der Schwierigkeit, die solch verschleppt wurde.
strenges Regelwerk macht, gelingt es
dem Buch, in leidenschaftlicher Form IV. Hintergrund und Thema
den tief empfundenen Kummer über Der Fall Jerusalems war eine Zeit
das nationale Elend auszudrücken. schrecklicher Leiden und Ängste. Es
war jene furchtbare Katastrophe, die
II. Verfasserschaft das Buch der Klagelieder hervorbrach-
Das Buch der Klagelieder nennt seinen te, mit dem – wie wir meinen – der ge-
Autor selbst nicht, doch überliefert die quälte Prophet Jeremia seinem Herzen
Tradition seit jeher, Jeremia habe es ge- Luft machte.
schrieben, was auch bis ins 18. Jahrhun- Dieses Buch bildet eine Art Anhang
dert unwidersprochen blieb. zu dem Buch der Weissagungen Jere-
Die griechische Übersetzung, die Sep- mias. Es beschreibt die tiefe Trauer des

1021
Klagelieder

Propheten über die Zerstörung Jeru­ 1. von dem Kummer des jüdischen Über-
salems und des Tempels. Statt Genug- rests, deren Sprecher Jeremia war, beim
tuung über die Tatsache zu empfinden, Miterleben der babylonischen Invasion.
dass sich seine Weissagungen erfüllt 2. von den Ängsten des Messias, als er
haben, weint er bitterlich über das Elend leiden, bluten und am Kreuz von Gol-
seines Volkes. gatha sterben musste (siehe z.B. 1,12).
Abgesehen davon, dass dies die 3. von dem Leid des jüdischen Überrests
Worte Jeremias sind, kann man dieses in der Zukunft, wenn er berufen wird,
Buch auch als Ausdruck von Folgendem durch die Große Drangsalszeit zu gehen,
betrachten: durch die Zeit der »Drangsal Jakobs«.

Der Weg der Erneuerung

Sünde
Leiden (1,8)

Kummer Buße (1,20)

Gebet Hoffnung (3,19-24)


Glaube Wiederherstellung (5,21)

Einteilung F. Das Gebet um Gottes


Barmherzigkeit (2,20-22)
I. Die schreckliche Zerstörung IV. Der Prophet als Stimme der
Jerusalems (1,1-11) Leiden und des Bekenntnisses des
II. Wehklage, Bekenntnis und Gebet Überrests (Kap. 3)
des Volkes (1,12-22) A. Die Gerichte Gottes (3,1-18)
A. Die Wehklage (1,12-17) B. Die Barmherzigkeiten des
B. Das Bekenntnis (1,18-19) HERRN (3,19-39)
C. Das Gebet (1,20-22) C. Der Aufruf zu geistlicher
III. Der HERR wird als der Erneuerung (3,40-42)
Züchtigende gesehen (Kap. 2) D. Das Leid des Propheten über
A. Die Auswirkungen des Jerusalem (3,43-51)
göttlichen Zorns (2,1-13) E. Das Gebet des Propheten
B. Der Grund des göttlichen um Errettung von seinen
Zorns – die falschen Propheten Widersachern (3,52-66)
hatten das Volk nicht gewarnt V. Gegenüberstellung von Einst und
(2,14). Jetzt in Juda (4,1-20)
C. Der Spott der Zuschauer VI. Zukunftsaussichten – Edom wird
(2,15-16) zerstört und Juda wiederhergestellt
D. Die Erfüllung der göttlichen (4,21-22)
Androhungen (2,17) VII. Der Überrest fleht Gott
E. Der Ruf zur Buße (2,18-19) um Barmherzigkeit und
Wiederherstellung an (Kap. 5)

1022
Klagelieder 1 und 2

Kommentar ihren heidnischen »Liebhabern« be­


trogen worden waren.
I. Die schreckliche Zerstörung
Jerusalems (1,1-11) C. Das Gebet (1,20-22)
Juda bittet, Gott möge die Bosheit ihrer
Hier sehen wir die völlige Zerstörung frohgemuten Feinde vergelten. Daneben
Jerusalems. Die Verse 1 bis 11 sind die bekennen die Juden auch ihre eigenen
Worte eines Betrachters. Die einst volk- Verbrechen, um dann wieder zu seufzen.
reiche Stadt ist zur einsamen Witwe
und die Fürstin zur Sklavin geworden; III. Der HERR wird als der
denn ihre Götzen haben sie verlassen Züchtigende gesehen (Kap. 2)
und ihre Verbündeten sie verraten
(V. 1-2). Die Menschen sind in die Ge- A. Die Auswirkungen des göttlichen
fangenschaft weggeführt, weil sie Zorns (2,1-13)
schwer gesündigt hatten, und nach 2,1-7 Diese Verse beschreiben, was Gott
Zion kommen keine Pilger mehr, um Juda getan hat – er hat den Tempel (den
anzubeten (V. 3-9). Die Kostbarkeiten Schemel seiner Füße) zerstört (V. 1) und
des Heiligtums wurden von den Ba­ die Städte zu Boden gestürzt (V. 2). Der
byloniern geraubt (V. 10), und das Volk HERR ist für Juda wie ein Gegner ge-
sucht nach Brot (V. 11). worden, hat sich selbst dem Volk zum
Feind gemacht (V. 3-5). Er hat den Tem-
II. Wehklage, Bekenntnis und pel behandelt, als sei er nur ein Garten,
Gebet des Volkes (1,12-22) und das gottesdienstliche System ließ
er aufhören (V. 6-7).
A. Die Wehklage (1,12-17) 2,8-13 Er hat die Stadt Zion zerstört,
Dieser Abschnitt spricht von dem sin- die Obersten in die Verbannung ge-
gulären Schmerz Jerusalems. Vers 12 schickt, und die Propheten erhalten kei-
wurde zum »klassischen Ausdruck des ne Botschaft mehr von dem HERRN.
Leides«1 und erinnert an die Klage un- Die Ältesten trauern, und die Jung­
seres Herrn über dieselbe Stadt, weil sie frauen lassen vor Scham ihr Haupt hän-
ihn so hartnäckig ablehnte. Die Sprache gen (V. 8-10). Die Kinder verschmach-
passt auch zu Christi schrecklichem ten vor Hunger; sie fallen hin und ster-
Schmerz, als er am Kreuz hing, wo ver- ben (V. 11-12). Des Volkes Unheil ist so
härtete Soldaten, die religiösen Wür- groß, dass sich der Prophet keinen
denträger und das gewöhnliche Volk Trost dafür mehr vorstellen kann
sein Leiden als öffentliches Schauspiel (V. 13). Eine Jungfrau, die Tochter Zion,
betrachteten. das ist es, was das Volk sein sollte, jetzt
Das Volk der Juden erkannte, dass es aber nicht mehr war.
der HERR war (V. 15), der diese Zer­
störung zuwege brachte, und obwohl B. Der Grund des göttlichen Zorns:
Zion im Flehen um Barmherzigkeit die Die falschen Propheten hatten das
Hände ausbreitet, ist niemand da, der Volk nicht gewarnt (2,14)
sie tröstet. Jerusalem wurde zu etwas Judas Propheten verkündeten Aussprü-
Unreinem (V. 17). che der Lüge, nichts als Trug und Tün-
che. Statt die Schuld der Menschen auf-
B. Das Bekenntnis (1,18-19) zudecken, erfanden sie falsche Weis­
In ihrem Bekenntnis geben die Juden sagungen, um sie in die Irre zu führen.
zu, der HERR sei gerecht, indem er sie
in die Gefangenschaft schickt, weil sie C. Der Spott der Zuschauer (2,15-16)
gegen seinen Befehl rebelliert hatten. Judas Nachbarn machen sich lustig
Auch bekannten sie, dass sie von allen über Jerusalems Zusammenbruch. Sie

1023
Klagelieder 2 und 3

klatschen in die Hände, spotten und sa- Vertrauens­verlust (siehe ER ‒ Fußnote).


gen mit sadistischem Vergnügen: »Dies So ist alle Hoffnung auf göttliche Hilfe
ist der Tag, den wir erhofft haben! Wir verloren (V. 17-18).
haben es erreicht, wir haben es ge­
sehen!« B. Die Gnadenerweise des HERRN
(3,19-39)
D. Die Erfüllung der göttlichen Der Prophet bittet Gott, des bitteren
Androhungen (2,17) Elends zu gedenken, doch bleibt ihm
Der HERR hat sein Wort zur Voll­ die tiefe Bedrückung dabei stets gegen-
endung gebracht. Er hat sein eigenes wärtig (V. 19-20). Trotzdem kann er die
Volk erniedrigt und das Horn (ein hebr. Augen von sich weg auf den HERRN
Ausdruck für »Macht«) der Gegner Ju- wenden. Die Hoffnung wird belebt
das erhöht. beim Gedenken an Gottes Gnaden­
erweise und daran, dass das Erbarmen
E. Der Ruf zur Buße (2,18-19) des HERRN jeden Morgen neu und sei-
Eltern werden aufgerufen, ohne Unter- ne Treue groß ist2 (V. 21-24). Er zeigt
lass zum HERRN um Hilfe für ihre Kin- hier, was er in der Leidensschule ge-
der zu schreien, die vor Hunger an den lernt hat. Es ist gut, wenn man schwei-
Straßenecken verschmachten. gend auf die Rettung des HERRN hofft
und sich seinem Joch früh im Leben un-
F. Das Gebet um Gottes terwirft (V. 25-27) und göttliche Züchti-
Barmherzigkeit (2,20-22) gung sowie Schläge und Verletzungen
Frauen essen ihre eigenen Kinder we- von Menschen annimmt, ohne sich zu
gen der Hungersnot. Die Straßen sind rächen (V. 28-30). Gottes Verstoßung ist
voll von solchen, die erschlagen wur- weder endgültig noch grundlos; sein
den, weil Gott die Babylonier herbei­ Erbarmen und seine Gnadenerweise
gerufen hat wie zu einem Festtag. werden stets folgen (V. 31-33). Dem
HERRN gefallen Unterdrückung, Un-
IV. Der Prophet als Stimme der gerechtigkeit und Verweigerung des
Leiden und des Bekenntnisses Rechts nicht (V. 34-36). Er ist souverän,
des Überrests (Kap. 3) sein Wort hat Bestand, alles dient sei-
nem Willen, und sich darüber zu bekla-
A. Das Gericht Gottes (3,1-18) gen, dass er Sünde bestraft, ist unver-
Indem er immer wieder zwischen »ich« nünftig (V. 37-39).
und »wir« wechselt, zieht der Prophet
die Parallele zwischen seiner eigenen C. Der Aufruf zu geistlicher
Erfahrung und der des Volkes. Gottes Erneuerung (3,40-42)
Zorn wird unter den Bildern von Fins- Den Weg zum Segen findet man durch
ternis und schweren Schlägen seiner Selbstprüfung und Umkehr zu dem
Hand beschrieben (V. 1-3), auch mit HERRN. Nicht vor Gott bekannte Sün-
frühem Altern, zerbrochenen Knochen, den werden nicht vergeben.
Ein­gesperrt­sein in Gift und Mühsal
und einem Leben, das dem Tod gleicht D. Das Leid des Propheten über
(V. 4-6). Weitere Bilder sind ein unaus- Jerusalem (3,43-51)
weichlicher Kerker, unbeantwortete Das Thema wendet sich wieder den
Gebete (V. 7-9), Angriffe wie die wilder Leiden des Propheten und des Volkes
Tiere und das von Pfeilen Getroffensein zu. Gott hat ohne Mitleid verfolgt und
(V. 10-12), tiefe Wunden, Hohn, das umgebracht, sich selbst vor ihren Gebe-
Sattsein durch bittere Kräuter (V. 13- ten verhüllt und sie zum Kehricht unter
15), zerbrochene Zähne, das Liegen im den Völkern gemacht (V. 43-45). Alle
Staub (V. 16), Gedächtnis- und Feinde spotteten, während Gottes Volk

1024
Klagelieder 3 bis 5

Angst, Gefahr und Vernichtung erlebte. VI. Zukunftsaussichten –


Die Katastrophe über sein Volk ließ Edom wird zerstört und Juda
den Propheten unaufhörlich weinen wiederhergestellt (4,21-22)
(V. 46-51). Die Tochter Edom freute sich über den
Fall Jerusalems; aber sie wird schwer
E. Das Gebet des Propheten um bestraft und ihre Sünden sollen auf­
Errettung von seinen Widersachern gedeckt werden. Zion aber wird wie-
(3,52-66) derhergestellt.
Gejagt wie ein Vogel, in einer Grube ge-
steinigt, mit Wasser überschüttet, mein- VII. Der Überrest bittet Gott
te der Prophet, sein Ende sei gekom- um Barmherzigkeit und
men (V. 52-54). Er betete aus der Grube Wiederherstellung (Kap. 5)
tief unten, und Gott erhörte ihn und 5,1-14 In diesen Versen beklagt der Pro-
sagte ihm: »Fürchte dich nicht!« (V. 55- phet die schreckliche Lage, in die sie ge-
57). Nun bittet er Gott, doch anzusehen, raten waren: die hohen Kosten für das
wie er misshandelt wurde – die Rach- Nötigste (V. 4), das auferlegte, schwere
gier, die Anschläge und Verleum- Arbeitsjoch (V. 5) (siehe ER ‒ Fußnote),
dungen (siehe ER ‒ Fußnote), die Ver- die Hungersnot und die Gefahren
wundungen, das Gerede und der Hohn (V. 9-10), die Gewalttaten gegenüber
gegen ihn – damit Gott in seiner Sache Frauen, Oberste und Älteste (V. 11-12),
Recht spricht. Die Gerechtigkeit erfor- Bedrängnisse für junge Männer, Kna-
dert, dass seine Feinde bestraft, ver- ben und Älteste (V. 13-14).
flucht, verfolgt und vernichtet werden 5,15-18 Wegen all dieser Schrecken
(V. 58-66). Verblendung des Herzens hat die Freude in Juda aufgehört, ihre
(V. 65) ist wohl auch in 2Kor 3,15 ge- Reigen sind zur Trauer geworden, die
meint, wo es »weniger um Verhärtung Krone ist von ihrem Haupt gefallen,
als um Erblinden des Herzens geht, das und der Berg Zion liegt verödet da.
in die Vernichtung führt«.3 Dann wird der Grund für all das be-
kannt: »Wehe uns, dass wir gesündigt
V. Gegenüberstellung von Einst haben!«
und Jetzt in Juda (4,1-20) 5,19-22 Abschließend bittet das Volk,
Der Prophet vergleicht die frühere der HERR möge es zu sich umkehren
Herrlichkeit mit der gegenwärtigen lassen, damit es erneuert werden kann.
traurigen Lage Jerusalems. Der Tempel Interessant ist, dass in vielen hebrä-
ist zerstört, Mütter verlassen ihre Säug- ischen Manuskripten Vers 21 nach Vers
linge (V. 3-4), Menschen sterben vor 22 wiederholt wird, offensichtlich, da-
Hunger (V. 5), alles kam, weil die mit das Buch mit einem Hoffnungs-
Schuld Judas größer als die Sodoms ist schimmer statt in völliger Dunkelheit
(V. 6). Die Fürsten erkennt man nicht endet.4 Tatsächlich macht ein richtiges
auf den Straßen (V. 7-8), Kannibalismus Verständnis von Vers 22 diese Wieder-
herrscht bei weichherzigen Frauen holung überflüssig:
(V. 10). All das geschah wegen der Sün-
den ihrer Propheten und Priester (V. 13- Der Schluss stimmt völlig mit dem Cha-
16). Die Juden blickten vergeblich nach rakter der »Klagelieder« überein, in dem
Ägypten um Hilfe (V. 17). Die Babylo- Klage und Bittgebet bis zum Ende fort­
nier belagerten sie sehr plötzlich (V. 18- gesetzt werden sollten – allerdings nicht
19), und der König Zedekia, der Ge- ohne ein Element der Hoffnung, wenn
salbte des HERRN, wurde gefangen ge- sich Letzteres auch nicht zu den Höhen
nommen (V. 20). jubelnder Siegesfreude erhebt, sondern
es ist nur – wie Gerlach sich ausdrückt ‒,
»wie ein ferner Schimmer, gleich dem

1025
Klagelieder 5

Morgenstern in den Wolken, der natür- nicht zu Ende.« Und das Lieblings-
lich selbst nicht die Schatten der Nacht lied meiner Mutter war: »Groß ist
vertreibt und trotzdem das nahende Auf- seine Treue!« (nach Vers 23). Erst
gehen der Sonne ankündigt, und diese nachdem beide zum Herrn gegan-
wird den Sieg bringen«.5 gen waren, begriffen wir richtig, dass
die Lieblingstexte beider – und zwar
charakteristisch für jeden von ihnen
– so schön, »Rücken an Rücken«, in
Anmerkungen Klagelieder 3 beieinanderstanden.
3
(3,52-66) C.F. Keil, »Lamentations«,
1
(1,12-17) R.K. Harrison, Jeremiah and in: Biblical Commentary on the Old Te­
Lamentations, S. 210. stament, Bd. XX, S. 455.
2
(3,19-39) Der Leser möge eine per- 4
(5,19-22) Eine ähnliche Wiederholung
sönliche Anmerkung erlauben: Die für den besseren Gebrauch in den
Verse 22 und 23 haben für den Her­ Syn­agogen finden wir am Ende der
ausgeber eine besondere Bedeutung. Bücher Prediger, Jesaja und Maleachi.
Mein Vater zitierte gern Vers 22: »Die 5
(5,19-22) Keil, »Lamentations«,
Gnadenerweise des HERRN sind Bd. XX, S. 455.

Bibliografie
Siehe Bibliografie zu Jeremia.

1026
Hesekiel
»Vom ersten bis zum letzten Kapitel wird das Buch Hesekiel von einem überragenden
Gedanken beherrscht. Das ist die Majestät und Herrlichkeit Gottes, des HERRN.
Er ist der Herrscher Israels, und er regiert die Völkerwelt, obwohl die lauten und
ungestümen Rechtsansprüche der Menschen diese Wahrheit übertönt zu haben scheinen.
In seinem souveränen Willen hat Gott beschlossen, dass wir ihn bis an die Enden dieser
Erde in Leben und Zeugnis verherrlichen sollen.«

Charles Lee Feinberg

Einführung rationalistischen Kritiker entkommen.


Dieser Zustand wurde von einigen Li-
I. Einzigartige Stellung im Kanon beralen bedauert. Sie machten sich flugs
daran, Theorien zu ersinnen, durch die
Vor allem durch die berühmten Spiri­ man die Einheit des Hesekielbuches
tuals »Ezekiel Saw the Wheel« und und die Verfasserschaft Hesekiels leug-
»Dry Bones« ist Hesekiel Millionen von nen konnte, darüber hinaus griff man
Menschen im englischsprachigen Raum die traditionelle Datierung an.
als biblische Gestalt bekannt geworden. Die althergebrachte und allgemeine
Leider geht das biblische Wissen über jüdisch-christliche Auffassung dazu ist
sein schwieriges Buch oft nicht sehr viel jedoch sehr gut zu verteidigen, und die
tiefer. Ganz sicher sollte Hesekiel nicht kritischen Ansichten sind überzeugend
das erste Buch sein, das ein neubekehr- widerlegt worden.1 Der Verfasser dieses
ter Christ lesen sollte, obwohl zumin- Buches war ein dichterisch begabter
dest einige literarisch Interessierte we- Prophet, »Hesekiel, der Priester, der
gen des bemerkenswerten Stils gerade Sohn des Busi«.
dieses Propheten zu Bibellesern wur- Wir fassen John B. Taylors sechs Ar-
den. gumente zusammen, weshalb dieses
Das Ungewöhnliche an Hesekiel ist, Buch eine Einheit darstellt und von
dass er (im Gegensatz zu Jeremia und einem Autor geschrieben wurde:
in schwächerem Maß auch zu Jesaja 1. Das Buch hat von Anfang bis Ende
und den meisten der Kleinen Prophe- einen inneren Zusammenhang, der einen
ten) den Nachdruck nicht so sehr auf Gesamtplan erkennen lässt.
das Gericht legt, sondern darauf, dass 2. Das Buch hat eine durchgehende
Gottes Volk getröstet wird. Am Fluss Botschaft: den Fall Jerusalems und des
Kebar, wo vielleicht eine Art Internie- Tempels.
rungslager in der Nähe von Babylon 3. Stil und Sprache bleiben gleich, ein-
war, schrieb er seine Weissagungen, um schließlich der besonderen Redewen-
die vertriebenen Juden zu ermutigen. dungen, die sich im ganzen Buch wie-
derholen (solche wie »Menschensohn«,
II. Verfasserschaft »das Wort des HERRN geschah zu mir«,
Hesekiel (»Gott stärkt« oder »gestärkt »ihr werdet erkennen, dass ich der
von Gott«) gehörte zu den Juden, die HERR bin« und »die Herrlichkeit des
mit der zweiten Gefangenengruppe HERRN«).
nach Babylon verschleppt wurden, elf 4. Das Buch hat als einziges von den
Jahre vor der Zerstörung Jerusalems. Großen Propheten eine eindeutige chro­
Bis etwa 1920 waren Hesekiels Weis- nologische Abfolge (siehe Jesaja und Jere-
sagungen größtenteils der »Schere« der mia).

1027
Hesekiel

5. Der durchgehende Gebrauch der er­ Die Herrlichkeit des HERRN ist einer
sten Person Singular gibt dem Buch ei- der Schlüsselgedanken, die sich durch
nen ausgesprochen autobiografischen das ganze Buch ziehen.
Charakter. Der Schreiber wird in 1,3 Im zweiten Teil werden Judas Nach-
und 24,24 als Hesekiel identifiziert. barn wegen ihres Götzendienstes ver­
6. Hesekiels Persönlichkeit und sein urteilt und weil sie Gottes Volk so grau-
Charakter bleiben immer gleich. Sie zei- sam behandelt hatten. Es handelt sich
gen sich durch seine Ernsthaftigkeit, um die Ammoniter, Moabiter, Edomi­ter,
durch Liebe zum Symbolismus, durch Philister, Tyrer, Sidonier und Ägypter.
Detailgenauigkeit und durch Ehrfurcht Schließlich berichtet Hesekiel im letz-
vor Gottes Herrlichkeit und Transzen- ten Abschnitt von der Wiederherstel-
denz.2 lung und der Vereinigung des ganzen
Volkes, Israels und Judas. Wenn das
III. Datierung Volk über seine Sünden Buße tut, will
Hesekiel datiert seine Weissagungen Gott ihm seinen Heiligen Geist geben.
sehr genau. Seine erste Weissagung Der Messias wird zu seinem Volk kom-
(1,2) erfolgte im fünften Jahr der Gefan- men und dessen letzte Feinde ver­
genschaft Jojachins (593 v.Chr.); seine nichten. Der Tempel wird wieder auf-
letzte datierte Weissagung erfolgte 571 gebaut, und die Herrlichkeit des
v.Chr. (29,17). Somit dauerte sein Dienst HERRN wird wieder einziehen. Diese
mindestens zweiundzwanzig Jahre. Weissagungen sind noch nicht erfüllt,
Wenn er, wie bei Priestern üblich, sei- sondern schauen voraus auf Christi
nen Dienst mit dreißig Jahren begann, Tausendjähriges Reich.
war er über fünfzig, als er die letzten Wie viele andere prophetische Bücher
Weissagungen machte. ist auch Hesekiel nicht immer chrono­
logisch, wenn auch deutlich mehr als Je-
IV. Hintergrund und Themen saja und Jeremia. Wir sollten auf die Da-
Hesekiel diente seinen Mitgefangenen tierungen und Zeitabschnitte achten, die
kurz vor und während der ersten zwei am Anfang vieler Kapitel genannt wer-
Jahrzehnte des jüdischen Exils. Sie er- den. Albert Barnes stellt die Weis­
warteten fälschlicherweise eine Rück- sagungen in folgende chronologische
kehr nach Jerusalem, darum lehrte er, Ordnung:
sie müssten vorher zu dem HERRN zu-
rückkehren. Die Weissagungen sind in Gruppen zu-
Hesekiels Dienst besteht aus drei Tei- sammengefasst durch Datierungen, die
len. Erstens erinnert er an die Sünden verschiedenen Kapiteln vorangestellt
Judas und warnt vor Gottes nahendem sind, und wir dürfen annehmen, dass
Gericht durch die Wegführung des gan- Weissagungen ohne Datierung zur sel-
zen Volkes und die Zerstörung der ben Zeit gegeben wurden, wie die je-
Hauptstadt. Das wird alles sehr leben- weils letzte genannte Datierung besagt.
dig und mit ungewöhnlichen Bildern Zumindest stehen sie in nahem zeit-
und symbolischen Handlungen an­ lichen Zusammenhang mit den genann-
gekündigt. Eine hell strahlende Wolke ten Datierungen.
als Bild für die göttliche Gegenwart 1. Das fünfte Jahr der Verbannung Jo-
wird gesehen, wie sie über dem Tempel jachins: Kap. 1-7. Hesekiels Berufung
schwebt und sich dann zögernd ent- und Vorhersage der nahenden Belage-
fernt. Das bedeutet, Gott konnte wegen rung Jerusalems.
der Sünden der Juden nicht länger un- 2. Das sechste Jahr: Kap. 8-19. Eine Be-
ter ihnen wohnen, und sein Gerichts- standsaufnahme des ganzen Zustands
schwert musste bald auf den ver­ des Volkes, verbunden mit der Vorher­
unreinigten Tempel herniederfahren. sage des kommenden Gerichts.

1028
Hesekiel

3. Das siebte Jahr: Kap. 20-23. Weitere 14. Das fünfundzwanzigste Jahr: Kap.
Zurechtweisungen und neue Vorher­ 40-48. Die Vision des Tempels.3
sagen des kommenden Untergangs.
4. Das neunte Jahr: Kap. 24. Das Jahr, in In Bezug auf die Fähigkeit Hesekiels,
dem die Belagerung begann. Die Erklä- Gottes Wort über eine so große Entfer-
rung, dass die Stadt eingenommen wird. nung – von Babel bis nach Judäa – zu
5. Dasselbe Jahr: Kap. 25. Weissagungen übermitteln, steht in Daily Notes of the
gegen Moab, Ammon und Philistäa. Scripture Union Folgendes:
6. Das elfte Jahr: Kap. 26-28. Weis­
sagungen gegen Tyrus. In diesem Jahr Eine der Schwierigkeiten dieses Buches
wurde Jerusalem nach achtzehnmona- ist Hesekiels Dienst für die im fernen Je-
tiger Belagerung eingenommen und der rusalem Wohnenden, während er selbst
Tempel zerstört. im babylonischen Exil war. Es muss an-
7. Das zehnte Jahr: 29,1-16. Weis­sagungen genommen werden, dass die Depor-
gegen Ägypten. tierten die Freiheit hatten, mit ihrem Hei-
8. Das siebenundzwanzigste Jahr: 29,17 - matland in Verbindung zu bleiben.
30,19. Weissagung gegen Ägypten. Nachdem die dazwischen liegenden Ge-
9. Das elfte Jahr: 30,20 - 31,18. Weis­ biete durch Babylon vereinigt und befrie-
sagung gegen Ägypten. det worden waren, war dies zweifellos
10. Das zwölfte Jahr: Kap. 32. Weis­ leichter als in früheren Zeiten. Auch war
sagung gegen Ägypten. es für einen Boten einfacher, mit eigenen
11. Im selben Jahr: Zurechtweisung der Worten Hesekiels symbolische Hand-
untreuen Führer. lungen wiederzugeben, als eine aus
12. Dasselbe Jahr (oder ein Jahr zwischen Worten bestehende Botschaft zu über-
dem elften und dem fünfzehnten Jahr): mitteln, die er vielleicht vergessen konn-
Kap. 35. Gericht über das Gebirge Seir. te, oder eine schriftliche Botschaft, die
13. Dasselbe Jahr: Kap. 36-39 Visionen womöglich die babylonischen Behörden
des Trostes. Vernichtung Gogs. aufmerksam gemacht hätte.

Einführung II. Beschreibung des Gerichts über


Juda und Jerusalem (3,22 - 24,27)
I. Berufung und Sendung Hesekiels A. Anschauungshilfen zur
(1,1 - 3,21) Darstellung des Gerichts
A. Hesekiels Lebensumstände zur (3,22 - 5,17)
Zeit der Vision (1,1-3) 1. Hesekiel wird befohlen, zu
B. Hesekiels Vision der verstummen, bis Gott ihn
Herrlichkeit Gottes auf dem zum Sprechen auffordert
Thronwagen (1,4-28a) (3,22-27)
C. Hesekiels Auftrag, dem Volk 2. Die Belagerung Jerusalems
Israel zu weissagen (1,28b - 3,21) wird an einem Ziegelstein
1. Der Charakter des Volkes – demonstriert (Kap. 4)
es ist rebellisch (1,28b - 2,7) 3. Das Schicksal des Volkes
2. Die Art der Botschaft – wird durch das Scheren
Gericht, durch eine Buchrolle des Haupthaares mit einem
angedeutet (2,8 - 3,3) scharfen Schwert
3. Der Charakter des Volkes – vorgestellt (Kap. 5)
unverschämt und mit B. Die Ausrottung des
verstocktem Herzen (3,4-11) Götzendienstes und die
4. Die Rolle des Propheten – Bewahrung eines Überrests des
er ist Wächter (3,12-21) Volkes (Kap. 6)

1029
Hesekiel

C. Die nahe bevorstehende, 4. Götzendienst (20,27-32)


schreckliche babylonische S. Gott verheißt eine zukünftige
Invasion (Kap. 7) Wiederherstellung (20,33-44)
D. Die Vision von dem dreisten T. Bilder für die bevorstehende
Götzendienst im Tempel (Kap. 8) Invasion (Kap. 21)
E. Der Abzug der göttlichen 1. Das Zeichen des
Gegenwart und die darauf­ Waldbrands (21,1-5)
folgende Vernichtung der 2. Das Zeichen des gezogenen
Götzendiener (Kap. 9) Schwertes (21,6-22)
F. Die Vision von Gottes 3. Das Zeichen der
Herrlichkeit, wie sie Jerusalem Weggabelung (21,23-32)
mit Gericht heimsucht (Kap. 10) 4. Gericht über Ammon
G. Die Zurückweisung des Rates (21,33-37)
der bösen Obersten des Volkes U. Drei Prophezeiungen wegen
(11,1-13) der Verunreinigung Jerusalems
H. Die Bewahrung des Überrests (Kap. 22)
wird verheißen (11,14-21) V. Das Gleichnis von den zwei
I. Die Herrlichkeitswolke zieht sich hurerischen Schwestern
zum Ölberg zurück (11,22-25) (Kap. 23)
J. Hesekiels Zeichen der 1. Ohola (23,1-10)
kommenden Verbannung 2. Oholiba (23,11-21)
(Kap. 12) 3. Die Invasion der
1. Sein Gepäck (12,1-16) Babylonier (23,22-35)
2. Sein Zittern (12,17-28) 4. Das Gericht über Ohola
K. Der Untergang der falschen und Oholiba (23,36-49)
Propheten und Prophetinnen W. Das Gleichnis von dem
(Kap. 13) siedenden Topf (24,1-14)
L. Gottes Drohung gegen die X. Das Zeichen durch den Tod
götzendienerischen Ältesten der Frau Hesekiels (24,15-27)
(Kap. 14) III. Weissagungen gegen sieben
M. Das Gleichnis vom fruchtlosen heidnische Völker (Kap. 25-32)
Weinstock (Kap. 15) A. Weissagung gegen Ammon
N. Das Gleichnis von der (25,1-7)
Hochzeit mit Jerusalem B. Weissagung gegen Moab
(Kap. 16) (25,8-11)
O. Das Gleichnis von den zwei C. Weissagung gegen Edom
Adlern (Kap. 17) (25,12-14)
P. Die Zurückweisung des D. Weissagung gegen Philistäa
Gleichnisses von den sauren (25,15-17)
Trauben (Kap. 18) E. Weissagung gegen Tyrus
Q. Klagelied über die letzten (26,1 - 28,19)
Könige von Juda (Kap. 19) 1. Die Zerstörung von Tyrus
R. Rechtfertigung von Gottes (Kap. 26)
Handeln mit Israel (20,1-32) 2. Die Klage über Tyrus
1. Götzendienst in Ägypten (Kap. 27)
(20,1-9) 3. Der Untergang des Fürsten
2. Verunreinigung des von von Tyrus (28,1-19)
Gott eingesetzten Sabbats F. Weissagung gegen Sidon
(20,10-17) (28,20-26)
3. Auflehnung in der Wüste G. Weissagung gegen Ägypten
(20,18-26) (Kap. 29-32)

1030
Hesekiel 1

1. Allgemeine Drohung 5. Die drei Tore des inneren


gegen den Pharao und sein Vorhofs (40,28-37)
Volk (Kap. 29) 6. Die Einrichtungen für den
2. Klagelied über den Fall Opferdienst (40,38-43)
Ägyptens (30,1-19) 7. Die Kammern für die
3. Der Untergang des Pharao Priester (40,44-47)
(30,20 - 31,18) 8. Die Vorhalle des Tempels
4. Klagelied über den Pharao (40,48-49)
und Ägypten (Kap. 32) 9. Das Heiligtum und das
IV. Israels Wiederherstellung und die Allerheiligste (41,1-4)
Bestrafung seiner Feinde (Kap. 33-39) 10. Die Seitenkammern
A. Der Prophet wird noch einmal (41,5-11)
zum Wächter eingesetzt (Kap. 33) 11. Ein Gebäude im Westen
B. Die falschen Hirten und der des Tempels (41,12)
Gute Hirte (Kap. 34) 12. Die Maße des Tempels
C. Das Gericht über Edom (41,13-15a)
(Kap. 35) 13. Die innere
D. Die Wiederherstellung des Ausschmückung und
Landes und des Volkes Einrichtung des Tempels
(Kap. 36) (41,15b-26)
E. Die Vision des Tales mit den 14. Die Priesterwohnungen
Totengebeinen (37,1-14) (42,1-14)
F. Die Wiedervereinigung von 15. Die Maße des äußeren
Israel und Juda (37,15-28) Vorhofs (42,15-20)
G. Die Vernichtung der B. Der Gottesdienst im
zukünftigen Feinde Israels Tausendjährigen Reich
(Kap. 38-39) (Kap. 43-44)
V. Szenen aus dem Tausendjährigen C. Die Verwaltung im
Reich (Kap. 40-48) Tausendjährigen Reich
A. Der Tempel des (Kap. 45-46)
Tausendjährigen Reiches in D. Das Land während des
Jerusalem (Kap. 40-42) Tausendjährigen Reiches
1. Der Mann mit der (Kap. 47-48)
Messrute (40,1-4) 1. Die Heilung der Gewässer
2. Das Osttor des äußeren (47,1-12)
Vorhofs (40,5-16) 2. Die Grenzen des Landes
3. Der äußere Vorhof (40,17-19) (47,13-23)
4. Die anderen beiden Tore 3. Die Aufteilung des Landes
des äußeren Vorhofs (Kap. 48)
(40,20-27)

Kommentar sekiel schon in der Gefangenschaft.


Man hatte ihn in einer der früheren De-
I. Berufung und Sendung portationen fortgeschleppt. Aber er
Hesekiels (1,1 - 3,21) weis­sagte über die Zerstörung Jeru­
salems sechs oder sieben Jahre bevor
A. Hesekiels Lebensumstände zur diese eintrat. Hesekiel war zu dieser
Zeit der Vision (1,1-3) Zeit wahrscheinlich dreißig Jahre alt
(»im dreißigsten Jahr«). Die ersten vier-
Zu Beginn des Buches befindet sich He- undzwanzig Kapitel wurden vor der

1031
Hesekiel 1 und 2

Zerstörung Jerusalems geschrieben, Wenn hingestreckt vor deinem Thron


aber nach den ersten Deportationen. Ich nur noch dich, Herr, seh.
Frederick William Faber
B. Hesekiels Vision der Herrlichkeit
Gottes auf dem Thronwagen (1,4-28a) Hesekiel sagt von dem, was er in 43,3
Das erste Kapitel wird von der Vision sah, es gliche der »Erscheinung, die ich
der Herrlichkeit Gottes unter den Ver- gesehen hatte, als er5 kam, um die Stadt
bannten ausgefüllt. Zuerst sah Hesekiel zu vernichten«. Das heißt also: Gott
einen Sturmwind, der von Norden her kam in seiner Herrlichkeit aus dem
kam. Dann sah er vier lebende Wesen, Norden zum Gericht über Jerusalem,
von denen jedes vier Gesichter hatte wobei die Babylonier das Werkzeug
(Löwe, Stier, Adler, Mensch),4 dazu vier seines Gerichts waren.
Flügel, gerade Beine und Menschen-
hände unter seinen Flügeln. Diese We- C. Hesekiels Auftrag, dem Volk Israel
sen symbolisieren die Merkmale Gottes, zu weissagen (1,28b - 3,21)
wie sie in der Schöpfung gesehen wer-
1. Der Charakter des Volkes – es ist
den: seine Majestät, Kraft, Schnelligkeit
rebellisch (1,28b - 2,7)
und Weisheit. Viele Völker haben Gott
auf dem Thron über den Wolken ver- Der Geist kam in Hesekiel, stellte ihn
gessen und beten seine schöpferischen auf seine Füße und befahl ihm, einer
Eigenschaften als Götter an statt den empörerischen Nation, Juda, zu weis­
Schöpfer selbst. sagen, ohne Rücksicht auf den Erfolg
Über dem festen Gewölbe (der Him- seiner Verkündigung. Er sollte furcht-
melsausdehnung) war ein Thron, und los und gehorsam sein.
darauf saß der HERR der Herrlichkeit. Der HERR beauftragte Hesekiel, den
Neben jedem lebenden Wesen war ein er »Menschensohn« nennt.6 Dieser wich-
Rad, in dem sich ein anderes Rad be- tige Ausdruck kommt bei Hesekiel neun-
fand. (Vielleicht im rechten Winkel zum zigmal vor. Taylor erklärt den Gebrauch
ersten wie bei der kardanischen Auf- so:
hängung eines Kreiselkompasses.) So-
mit scheint diese Vision einen Thron- Die ersten Worte, die Gott an Hesekiel
wagen darzustellen, dessen Räder sich richtet, bringen den Propheten in die an-
auf der Erde befinden, und vier lebende gemessene Stellung vor der Majestät, die
Wesen, die eine Plattform tragen, auf er in seiner Vision gesehen hat. Der Aus-
der der Thron steht. Diese Vision der druck Menschensohn ist ein Hebraismus,
Herrlichkeit Gottes war es, die der Be- der Hesekiels Bedeutungslosigkeit oder
rufung Hesekiels zum Prophetendienst sein bloßes Menschsein betont. »Sohn
vorausging. Dieser Abschnitt hat als des …« bedeutet »Teilhaber an der Natur
Antwort Fabers schönes Lied hervor­ von …«. In Verbindung mit »Mensch«
gerufen: (hebr. adam) bezeichnet es nicht mehr als
ein »menschliches Wesen«. Im Plural ist
Mein Gott, wie wunderbar bist du es ein häufiger Ausdruck für »Mensch-
In Majestät und Macht, heit«.7
Wie strahlend schön dein Gnadenthron
In reinen Lichtes Pracht! Zur Zeit Daniels (7,13-14) hat dieser Ti-
Vor aller Schöpfung warst du da, tel beinahe messianische Bedeutung
Du, Herr der Ewigkeit, angenommen, und im ersten Jahrhun-
Die Seraphim bestaunen dich, dert war es ein Name des Messias:
Anbetend alle Zeit. Der Gebrauch, den unser Herr von
O, Jesu Vater, wie wird’s sein diesem Titel machte, hat sich offensicht-
In deiner heil’gen Näh, lich die Doppeldeutigkeit zwischen

1032
Hesekiel 2 und 3

dem einfachen und dem besonderen 4. Die Rolle des Propheten – er ist Wächter
[messianischen] Sinn dieses Ausdrucks (3,12-21)
zunutze gemacht. So konnte unser Herr Dann brachte der HERR Hesekiel zu
einerseits nicht angeklagt werden, offen den Weggeführten am Fluss Kebar, bei
den Anspruch auf die Messiaswürde denen er sieben Tage lang schweigend
erhoben zu haben; andererseits hielt er saß. Kyle Yates beschreibt Hesekiels
diejenigen, die die nötige geistliche Ein- Lage:
sicht hatten, nicht davon ab, die vollere
Bedeutung seiner Person anzuerken- Den Ruf an Hesekiel, sein gemütliches
nen.8 Heim zu verlassen und den Gefangenen
in Tel-Abib zu predigen, empfand er als
2. Die Art der Botschaft – Gericht, durch unwillkommene Unterbrechung. Er fühl-
eine Buchrolle angedeutet (2,8 - 3,3) te die Hand Gottes auf sich und empfand
2,8-10 Danach wurde Hesekiel befoh- eine göttliche Erregung, der er nicht wi-
len, eine Buchrolle zu essen, auf der die derstehen konnte, doch er ging mit er­
schmerzlichen Gerichte standen, die bittertem Geist an diese unliebsame Auf-
über das Volk kommen würden. gabe. Zum Glück für ihn und für die
Er wurde im Voraus gewarnt, dass Menschen fing er nicht sofort mit dem
sein Dienst nicht beliebt sein würde. Predigen an, sondern saß eine ganze Wo-
Auch wir werden gewarnt, dass eine che lang unter diesen gequälten Men-
wahrheitsgetreue Verkündigung des schen. Diese Erfahrung gab ihm ein
Evangeliums für die Unbekehrten an- klares Verständnis für ihre Sorgen, ihr
stößig sein wird. Dies ist das Ärgernis Elend und ihre schreiende Not. Ein Pre-
des Kreuzes. Für manche Menschen diger, der das Leben mit den Augen sei-
sind wir »ein Geruch zum Tode«. ner Zuhörer sehen kann, wird ihnen
3,1-3 Hesekiel aß die Rolle wie befoh- Hilfe und die so sehr benötigte Führung
len. Ein späterer Prophet, Johannes, der geben können.9
Autor der Offenbarung, tat dasselbe
(Offb 10,8-10). Jeder Prophet oder Pre- 3,16-21 Hesekiel war zum Wächter be-
diger muss die Botschaft verinner­ stimmt, der verantwortlich war, Gottes
lichen; sie muss ein Teil seiner selbst Wort zu verkünden und das Volk ernst-
werden (siehe 3,10). lich zu warnen. Die ernste Tatsache, dass
der Prediger, der dies unterlässt, eine
3. Der Charakter des Volkes – unverschämt Blutschuld auf sich lädt, wird nicht nur
und mit verstocktem Herzen (3,4-11) im Alten Testament gelehrt (V. 18-20),
Dann wiederholte Gott, dass Hesekiel sondern auch im Neuen (Apg 20,26).
zu einem Volk gesandt werden würde, Wie hoch auch immer die Verantwor-
das nicht hören wird (Juda wird hier Is- tung der Boten Gottes ist, sollten Chris-
rael genannt). Sprachbarrieren können ten das doch nicht so verstehen, als
überwunden werden, wie uns viele müssten sie unbedingt jedem das Evan-
Missionare berichten; aber die Barriere gelium zwangsweise einflößen und in
eines widerspenstigen Herzens kann jedem Fahrstuhl »Zeugnis geben«. Trotz
niemand überwinden. Er sollte furcht- seiner großen Verantwortlichkeit ver-
los zu den Juden, die noch im Land wa- schloss Gott Hesekiels Mund, und er
ren, und zu den Juden in der Gefangen- musste auf die von Gott gegebenen Ge-
schaft reden. legenheiten warten. Auch wir müssen
Wahre Diener Gottes müssen fest ent- bei unserem Zeugnisgeben empfindsam
schlossen sein, aber sie dürfen kein har- sein für seine Leitung. Manchmal ist es
tes Herz haben. nötig, dass wir still sind. Aber leider
sind die meisten von uns stumm, wenn
wir Zeugnis geben sollten.

1033
Hesekiel 3 bis 5

II. Beschreibung des Gerichts über Nacht auf jeweils einer Seite gelegen
Juda und Jerusalem (3,22 - 24,27) hat. Viele Kommentatoren meinen, er
habe dies nur während der Zeit des Ta-
A. Anschauungshilfen zur ges getan, wo er von anderen gesehen
Darstellung des kommenden Gerichts werden konnte, weil es ja eine Anschau-
(3,22 - 5,17) ungshilfe für seine Botschaft war.
Das Gericht muss, wie Petrus schreibt, 4,9-17 Diese Verse reden von der
am Hause Gottes anfangen (1. Petrus durch die Belagerung entstehende
4,17). Und so beginnt Gott beim Zen- Hungersnot, in der Brot und Wasser ra-
trum der offenbarten Religion, beim tioniert werden. Zunächst sollte Men-
Tempel in Jerusalem. schenkot als Brennmaterial zum Backen
benutzt werden; aber später wurde ihm
1. Hesekiel wird befohlen, zu verstummen, bis der üblichere Kuhmist gestattet. Das
Gott ihn zum Sprechen auffordert (3,22-27) Kapitel spricht von Belagerung, Not,
Zuerst ging Hesekiel hinaus in die Tal­ Hunger und Verunreinigung – alles ein
ebene, wo er die Herrlichkeit des Ergebnis der Sünde Judas und seines
HERRN sah. Dann wurde ihm befohlen, Abweichens von Gott.
in sein Haus zu gehen, wo er gebunden
werden und verstummen sollte, bis Gott 3. Das Schicksal des Volkes wird durch
ihm offenbarte, was er reden sollte. das Scheren des Haupthaares mit einem
scharfen Schwert vorgestellt (Kap. 5)
2. Die Belagerung Jerusalems wird an 5,1-9 Mit Hilfe einer Gegenstandslek­
einem Ziegelstein demonstriert (Kap. 4) tion zeigte Hesekiel, dass ein Drittel der
4,1-8 Jerusalem war mit Steinen auf Fel- Stadt durch die Pest oder durch Hun-
sengrund gebaut. Aus Ton hergestellte ger sterben wird (Feuer, V. 2), ein Drittel
Ziegel symbolisieren Babel (siehe 1. Mo­ würde durchs Schwert fallen, und ein
se 11,3.9). Nun war Jerusalem mit seiner Drittel würde in andere Länder zer-
Moral und seinem Götzendienst sogar streut werden (vgl. V. 2 mit V. 12). Ein
noch schlechter geworden als Babel Überrest wird verschont bleiben; aber
(sie­he 5,7). Darum befahl Gott dem selbst von diesem würden einige später
Hesekiel, die Belagerung Jerusalems umkommen (V. 3-4). Damit sind viel-
darzustellen, indem er eine Tontafel leicht die gemeint, die zur Zeit Gedaljas
(oder einen Ziegelstein) verwendete, von Ismael umgebracht wurden. Dieses
die die Stadt darstellen sollte. Eine ei- Unheil würde über Jerusalem kommen,
serne Pfanne stellte die eiserne Mauer weil seine Bevölkerung trotz all ihrer
dar, die die Stadt von aller Hilfe ab- großen Vorrechte gottloser als die Be-
schneiden würde. Der Prophet ist Gottes völkerung der Länder ringsumher ge-
Stellvertreter. Dies zeigt, dass der HERR handelt hat.
selbst Jerusalem belagern würde. Hese- Wir als Christen haben noch größere
kiel sollte wegen Israel 390 Tage auf sei- Vorrechte als die Juden. Möge der Herr
ner linken Seite und wegen Juda vierzig uns Gnade geben, dass wir sie nicht
Tage auf seiner rechten Seite liegen. missbrauchen und dadurch ein zeit­
Jeder Tag entspricht einem Jahr; aber liches Gericht und den Verlust ewiger
keine Erklärung dieser Zahlen befrie- Belohnung über uns bringen!
digt vollständig. Die Septuaginta ver- 5,10-17 Kannibalismus würde sich
sucht das Problem dadurch zu lösen, ausbreiten (V. 10). Weil der Tempel ver-
dass sie 390 in 190 umwandelt. Das fin- unreinigt wurde, würde Gott kein Mit-
det aber im hebräischen Text keine Un- leid haben (V. 11-13). Die Juden würden
terstützung. Eine andere unbeantwor- von den Heidenvölkern verachtet wer-
tete Frage ist, ob Hesekiel während die- den und Gewalt und Zerstörung er­
ser Zeitperioden tatsächlich Tag und leiden (V. 14-17).

1034
Hesekiel 6 bis 9

B. Die Zerstörung des Götzendienstes kann keinerlei Hilfe erwarten, wenn


und die Bewahrung eines Überrests das Unheil hereinbricht. Das gilt für
des Volkes (Kap. 6) jeden einzelnen Menschen ebenso.

6,1-7 Die Berge Israels spielen auf den D. Die Vision von dem dreisten
Götzendienst an, denn die Götzenaltäre Götzendienst im Tempel (Kap. 8)
(Höhen) wurden normalerweise auf 8,1-6 Die Ältesten mussten das Gericht
Bergen errichtet. Das Land sollte für mit ansehen, das sie versäumt hatten,
seinen Götzendienst bestraft werden. abzuwenden. Dies geschieht heute eben-
6,8-14 Ein Überrest sollte verschont falls vielfach. Der HERR brachte Hese-
werden und würde sich in der Gefan- kiel von Babel in Gesichten Gottes nach
genschaft an den HERRN erinnern und Jerusalem. Dort sah er einige schreck­
über sich selbst Ekel empfinden wegen liche Beispiele für den Götzendienst des
seiner bösen Taten (V. 8-10). Götzen- Volkes. Er sah ein abscheuliches Götzen-
dienst würde mit Schwert, Hunger und bild am Eingang des Tempels, das den
Pest bestraft werden (V. 11-14). Herrn zur Eifersucht reizte.
In jedem Zeitalter sorgt Gott dafür, 8,7-15 Das Zweite, was der Prophet
dass ein Überrest von ihm Zeugnis ab- sah, war der Vorhof des Tempels. Die
legt. Das ist nicht eine »moralische Ältesten von Juda waren versammelt,
Mehrheit«, sondern die verachtete Min­ ein jeder mit seiner Räucherpfanne in
derheit. der Hand. Sie dienten den gräulichen
Bildern, die überall auf den Wänden
C. Die nahe bevorstehende, gezeichnet worden waren.
schreckliche babylonische Invasion Die dritte Szene spielte sich am Nord-
(Kap. 7) tor ab – die Frauen beweinten den Tam-
7,1-18 Die Zeit war reif für Gottes Ge- mus, eine babylonische Gottheit. Man
richt, und es sollte offenbar sein, dass meinte, bei seinem Tod verdorre die
der HERR es ist, der die Schläge austeilt Vegetation.
(V. 1-13). Niemand würde dem Aufruf 8,16-18 Der vierte Fall von Götzen-
zum Kampf folgen; Mut und Kraft wür- dienst fand im inneren Vorhof des
den fehlen wegen des schrecklichen Tempels statt, wo etwa 25 Männer (als
Zusammenbruchs (V. 14-18). Vertreter der Priesterschaft) die Sonne
7,19-22 Materielle Besitztümer wür- anbeteten und die unanständigen Ge­
den wertlos werden (V. 19). Weil der bräuche des dazugehörigen Kults voll-
Tempel (»die Zierde seines Schmu- zogen. Es ist nicht klar, worauf sich der
ckes«) durch Götzen verunreinigt wur- Ausdruck »sie halten die Ranke an mei-
de, sollte er Fremden übergeben wer- ne Nase« (V. 17) bezieht. Es kann sein,
den – den Babyloniern. Sie würden ihn dass sie Gott damit reizen oder verhöh-
plündern und entweihen (V. 20-22). nen wollten. Die »Ranke« könnte ein
7,23-27 Alle Schichten würden von obszönes Phallussymbol gewesen sein.
dem Unheil betroffen sein: König, Fürs- Oftmals geraten unerrettete religiöse
ten, Propheten, Priester, Älteste und Führer mit ihrem gottlosen Verhalten
das Volk des Landes. Das Volk sollte ein und ihren empörenden Ketzereien in
Zeugnis für Gott sein, versagte aber die Schlagzeilen; aber Gott sieht es und
völlig. Nur durch Gericht konnte jetzt wird das letzte Wort behalten.
noch Zeugnis für Gott gegeben werden.
Welch ein ernster Gedanke! Das Gericht E. Der Abzug der göttlichen
ist vollständig: Alle Klassen des ganzen Gegenwart und die darauffolgende
Landes sind betroffen. Jedes Volk, das Vernichtung der Götzendiener (Kap. 9)
die Erkenntnis Gottes verwirft, verliert 9,1-2 In diesem Kapitel werden sechs
jegliches moralisches Rückgrat und Scharfrichter gezeigt, die von Norden

1035
Hesekiel 9 und 10

her kommen (die Richtung, aus der die Ältesten (Greisen). »Aber niemandem,
Babylonier kommen sollten), um die an dem das Kennzeichen ist, dürft ihr
Götzendiener aus dem vorigen Kapitel euch nähern«, sagt Gott. Wir wissen
umzubringen. Der mit Leinen gekleide- nicht, ob die Gerechten sich dieses
te Mann stellt vielleicht die Gnade dar. Kennzeichens bewusst waren; doch
9,3 Die Herrlichkeitswolke (das Sym- können Gläubige von heute aufgrund
bol der göttlichen Gegenwart) verlässt des Wortes Gottes sicher sein, dass sie
das Allerheiligste des Tempels, vertrie- vor dem Gericht bewahrt werden. Wie
ben durch die Abgötterei des Volkes. furchtbar ist es, diese Gewissheit nicht
Die Herrlichkeitswolke bewegt sich auf zu besitzen!
die Schwelle des Tempels zu und erfüllt 9,8-11 Als Hesekiel für das Volk bat,
mit ihrem Licht den Vorhof. sagte der HERR, er werde weder ver-
9,4 Die treuen Juden, die dem Götzen- schonen noch Mitleid haben. Die Men-
dienst Widerstand geleistet hatten, wur- schen waren der Ansicht, der HERR
den mit einem Kennzeichen an den Stir- habe sie verlassen, darum seien sie ihm
nen versehen, damit sie nicht getötet nicht länger Treue schuldig. »Der HERR
würden. Dieser Vers sollte uns heraus- sieht es nicht« hört sich wie ein sehr
fordern. Wie reagieren wir, wenn einige modernes Zitat an!
dem Herrn nicht nachfolgen? Hängen Aus diesem und anderen Texten (z.B.
wir uns an sie? Beeinflussen sie uns? Noah und die Arche u.a.) kann man ab-
Rechtfertigen wir sie? Zeigen wir uns leiten, dass es kennzeichend für Gott
gleichgültig? Diese treuen Männer und ist, dass er zuerst die wahren Gläubigen
Frauen seufzten und weinten; dieses errettet, bevor er das Gericht über die
Verhalten zeigt, was in ihren Herzen war, Gottlosen hereinbrechen lässt.
und das bewahrte sie vor dem Gericht.
Das Kennzeichen an den Stirnen war F. Die Vision von Gottes Herrlichkeit,
der letzte Buchstabe des hebräischen wie sie Jerusalem mit Gericht
Alphabets (Tau oder taw), der – wie die heimsucht (Kap. 10)
Rabbiner sagten – Vollständigkeit be- Kapitel 10 hängt eng mit Kapitel 1 zu-
deutet. Er ist auch der erste Buchstabe sammen und gibt weitere Informa­
des Wortes Thora (Gesetz). Feinberger tionen über den Thronwagen, die le-
bemerkt »eine erstaunliche Ähnlichkeit benden Wesen (hier als Cherubim iden-
zwischen dem, was hier gesagt wird, tifiziert) und die Herrlichkeit Gottes.
und Offenbarung 7,1-3«.10 Er fügt eine Allerdings richtete sich Kapitel 1 an die
faszinierende Parallele aus viel späterer Verbannten und diese Botschaft an die
Zeit hinzu: Rebellen in Jerusalem.
10,1-2 Der HERR befahl dem mit Lei-
Christliche Ausleger haben darin so et- nen bekleideten Mann, er solle Feuer-
was wie eine prophetische Anspielung kohlen von der Stelle unterhalb des
auf das Zeichen des Kreuzes gesehen. In Cherubs nehmen und auf Jerusalem
der frühen hebräischen Schrift hat der streuen. Das bezeichnet Gottes Gericht,
letzte Buchstabe des hebräischen Alpha- das über die Stadt ausgegossen werden
bets (taw) die Gestalt eines Kreuzes. sollte.
Hese­kiel konnte natürlich nicht an ein 10,3-5 Diese Verse sind ein Einschub,
christliches Symbol gedacht haben, auch der die Bewegung der Herrlichkeits-
ist diese Stelle keine direkte Vorhersage wolke wiederholt, wie sie in 9,3 be-
des Kreuzes Christi. Immerhin ist es eine schrieben ist.
bemerkenswerte Übereinstimmung.11 10,6-17 In diesen Versen werden die
Cherubim und die Räder des Thron­
9,5-7 Dann erschlagen die Scharfrichter wagens genau beschrieben, die man
die Götzendiener. Sie beginnen bei den sich zugegebenermaßen kaum richtig

1036
Hesekiel 10 und 11

vorstellen kann. Das Cherub-Gesicht raels gerichtet zu werden (siehe 2Kö


von Vers 14 kann dasselbe sein wie das 25,18-21; Jer 5,24-27).
Stiergesicht in 1,10. 11,13 Als Pelatja (vielleicht der An-
10,18-19 Die Herrlichkeitswolke be- führer der 25 Männer) tot umfiel, offen-
wegt sich als Nächstes von der Schwel- bar wegen seines bösen Rates, setzte
le zum östlichen Tor des Hauses des sich Hesekiel bei Gott für das Volk ein.
HERRN.
10,20-22 Hesekiel betont daraufhin, H. Die Bewahrung des Überrests wird
dass die Cherubim dieselben waren wie verheißen (11,14-21)
die lebenden Wesen, die er in Kapitel 1 11,14-15 Der HERR antwortete, indem
am Fluss Kebar gesehen hatte. Diese er dem Propheten sagte, was die Be-
Vision lehrt uns, dass wir nie das wohner von Jerusalem gesagt hatten,
Bewusstsein der furchtgebietenden nämlich, dass die Verbannten sich weit
Macht, Weisheit und Majestät unseres von dem HERRN entfernt hatten und
Gottes verlieren dürfen. dass den in Juda und Jerusalem Zu-
rückgebliebenen das Land gehörte.
G. Die Zurückweisung des Rates der 11,16-21 Aber der HERR verheißt, er
bösen Obersten des Volkes (11,1-13) werde den Verbannten ein wenig zum
11,1-3 Die 25 Männer (sie stellen die Heiligtum sein und werde sie sammeln
Fürsten dar) versicherten dem Volk in und ihnen das Land Israel geben, und
der Stadt, es bestehe keinerlei Gefahr. sie würden völlig vom Götzendienst
Alle könnten ihre Bauvorhaben unbe- gereinigt werden und mit einem Herzen
sorgt weiterführen. Sie seien so sicher dem HERRN gehorchen. Yates sagt
wie das Fleisch in einem eisernen Topf. dazu:
(Diese Auslegung geht davon aus, dass
man Vers 3 als Frage übersetzen sollte, Hesekiel folgt Jeremia und drängt wie er
was auch möglich ist: »Ist es nicht an auf eine geistliche Frömmigkeit. Gott
der Zeit, Häuser zu bauen?«; vgl. auch geht es ausschließlich um eine Herzens-
Schlachter 2000.) Damit widersprachen frömmigkeit. Das Herz ist nicht zu hei-
die Fünfundzwanzig allem, was Gott len; Gott wird dafür sorgen, dass sie ein
über die Stadt gesagt hatte. Durch Jere- neues Herz bekommen. Aller Formalis-
mia hatte Gott den Verbannten gesagt, mus muss zurückgelassen werden. Die
sie sollten Häuser in Babylon bauen, Betonung des geistlichen Lebens wird sie
weil Jerusalem zugrunde gehen werde in Gemeinschaft mit Jahwe führen, was
(Jer 29,4-11). Diese Männer, die bösen wiederum ihr Denken, ihre Anbetung,
Rat erteilten, versuchten, unter den Ver- ihr Verhalten und ihre Treue verwandelt.
bannten durch Briefe falsche Hoff- Ein neuer Geist wird die ganz besondere
nungen zu wecken. Trotz des angekün- Gabe ihres Gottes für sie sein (siehe 18,31;
digten Gerichts Gottes fühlten sich die 36,26f.).12
Obersten in Jerusalem ganz sicher.
Auf gleiche Weise fühlen sich viele Die wahre Hoffnung der Verbannten
Namenschristen sicher vor dem Zorn gründet sich auf die Verheißung des
Gottes trotz der Sünden in ihrem Leben; HERRN. Die Verheißung des einen Her-
doch der Herr wird ihnen einmal sagen: zens (eines fleischernen) und eines neu-
»Ich habe euch niemals gekannt.« en Geistes ist an keine Bedingung ge-
11,4-12 Hesekiel wurde beauftragt, knüpft; sie wird im Neuen Bund erfüllt
ihre Bildsprache völlig anders auszu­ werden.
legen! Die Stadt Jerusalem war der
Topf, und die Erschlagenen waren das O, Jesu Name ohne gleichen,
Fleisch! Sie selbst würden aus der Stadt Voll Gnade, Trost und Lieblichkeit!
hinausgeführt, um an der Grenze Is­ Anbetend sich die Engel neigen,

1037
Hesekiel 11 bis 13

Bewundern deine Herrlichkeit. Nationen, und viele würden sterben


Der Gottheit Fülle wohnt in dir, durch Schwert, Hunger und Pest.
In dir sind auch vollendet wir.
Du bist uns alles, unsre Stärke, 2. Sein Zittern (12,17-28)
Erlösung, Weisheit, Licht und Kraft. 12,17-20 Als Hesekiel mit Beben und
Du bist die Quelle aller Werke, Zittern aß und trank, bildete er die
Die deine Gnade in uns schafft. kommende Angst und Sorge ab, die
Ja, was wir haben, was wir sind, die Menschen vor der Verbannung er-
In dir nur seinen Ursprung find’t. greifen würden.
12,21-28 Die Menschen hatten eine
I. Die Herrlichkeitswolke zieht sich Redensart, die besagte, Gottes Gerichts­
zum Ölberg zurück (11,22-25) androhungen würden sich nie erfüllen.
Am Ende dieses Kapitels steigt die Herr- Gott gab ihnen eine andere Redensart,
lichkeitswolke von der Stadt auf und die ankündigte, die Erfüllung sei her-
begibt sich zum Ölberg an der Ostseite beigekommen und jede Weissagung
Jerusalems. George Williams sagt dazu: (wörtl. jedes Gesicht) werde eintreffen.
Alle, die sagten, die Erfüllung sei noch
Sie zog sich nur widerwillig zurück. Ihr zukünftig, würden sie in ihren Tagen
Thron war das Allerheiligste, 8,4; dann selbst erleben.
entwich sie zur Schwelle, 9,3; danach war Die Neigung, Gottes Weissagungen
sie über der Schwelle, 10,4; dann zog sie wegzuerklären oder sie in die ferne Zu-
sich zum Osttor zurück, 10,19; und kunft zu verweisen, gibt es auch unter
schließlich zum Berg an der Ostseite der uns. Sobald Gott durch eine Predigt
Stadt, 11,23. So verließ der Gott Israels oder ein Buch zu uns redet, wissen wir
aufgrund seiner Liebe nur zögernd seine sofort, wie unser Bruder oder unsere
Stadt und seinen Tempel, um erst in 43,2 Schwester dies auf sein oder ihr Leben
zurückzukehren, was noch in der Zu- anwenden und sich verändern sollte. Es
kunft liegt.13 ist eine schlechte und schädliche An­
gewohnheit, Gottes Wort auf andere
J. Hesekiels Zeichen der kommenden und nicht auf sich selbst anzuwenden.
Verbannung (Kap. 12) Auch wir sollten uns vor zungenfer­
tigen Phrasen hüten, die dem Wort
1. Sein Gepäck (12,1-16) Gottes widersprechen oder Gottes Ein­
12,1-12 Hesekiel erhielt den Befehl, mit greifen verleugnen bzw. in die ferne
seinen Haushaltsgegenständen von ei- Zukunft verschieben.
nem Ort zum anderen zu ziehen als
Zeichen für die Juden, dass sie in die K. Der Untergang der falschen
Verbannung fortziehen mussten. Indem Propheten und Prophetinnen (Kap. 13)
er bei Nacht und mit verhüllten Augen 13,1-3 Hier geht es um falsche Propheten
die Mauer durchbrach, sagte er voraus, (V. 1-16) und Prophetinnen (V. 17-23). Sie
dass Zedekia (der Fürst) in der Finster- erfanden Weissagungen aus ihrem eige-
nis aus der Stadt fliehen werde. nen Herzen, wodurch sie dem Volk ge­
12,13-16 Dennoch wird Zedekia ge- rade das vorenthielten, was es am nöti-
fangen genommen und nach Babylon gsten brauchte. Sie benutzten die Worte:
gebracht werden; aber sehen wird er es »So spricht der HERR«, doch sie redeten
nicht (V. 13). Genau dies geschah: Zede- Betrug, lügenhafte Weissagungen.
kia wurde gefangen, als er aus Jerusa- Heute brauchen wir Prediger, die uns
lem floh, in Ribla stach man ihm die nicht ihre eigenen Gedanken und Mei-
Augen aus, dann wurde er nach nungen kundtun, sondern ihre Bot-
Chaldäa gebracht (2Kö 25,7). Das Volk schaft unter ernstlichem Gebet und aus
aber sollte zerstreut werden unter die Gottes Wort empfangen.

1038
Hesekiel 13 und 14

Denis Lane beschreibt die Predigt zur nur Geführte waren. Andererseits hatten
Zeit Hesekiels: sie nicht mehr Einsicht als die Masse, wes-
halb sie ganz ehrlich deren Handeln gut-
Sie stieg niemals höher, als die eigenen hießen. Sie waren von demselben Zeit-
Ansichten des Predigers reichten. Sie be- geist beseelt und willigten daher ohne Zö-
anspruchte betrügerischerweise, Gottes gern in deren Handlungsweise ein.15
Wort zu sein. Sie hatte keinerlei prak­
tische oder nützliche Auswirkungen. Sie Moderne abgefallene religiöse Führer
verkündete eine billige Gnade und einen sind genau dasselbe: getünchte Wän-
falschen Frieden. Sie schloss sich einfach de.16
den neuesten Meinungen der Welt an.14 13,17-23 Die Prophetinnen betrieben
Zauberei, indem sie um die Hand­
13,4-7 Falsche religiöse Führer sind wie gelenke Amulette und um die Köpfe
Füchse in den Trümmerstätten, die in- Kopfhüllen banden. Durch ihre Zauber-
mitten der Verwüstung nur nach Beute sprüche verdammten sie einige Men-
Ausschau halten zur Befriedigung ihrer schen zum Tod und erhielten andere
eigenen Bedürfnisse und Begierden. In am Leben. Gott würde die Seelen der
solchen Situationen wäre es die Pflicht Menschen loslassen und die falschen
des Predigers, in die Risse zu treten, Prophetinnen umbringen.
Fürbitte zu tun und die Mauer zu repa-
rieren, indem er das Volk zu Buße und L. Gottes Drohung gegen die
heiligem Lebenswandel aufruft. Dies götzendienerischen Ältesten (Kap. 14)
geschieht durch die Verkündigung von 14,1-11 Als einige von den Ältesten Is-
Gottes Wort. raels – in ihren Herzen waren sie Göt-
13,8-16 Sie würden zunichtegemacht, zendiener – Hesekiel besuchten, um
weil sie Frieden ankündigten, obwohl von Gott einen Rat zu erhalten, kündig-
kein Friede da ist, weil sie eine Wand te der HERR ihnen an, er werde den
mit Kalk tünchen, die schon einzustür- Götzendienern direkt, nicht durch den
zen droht. Die Mauer stellt die Bemü- Propheten, antworten. Wenn der Pro-
hungen der Herrscher dar, das göttliche phet sich verleiten ließe, den Götzen-
Gericht abzuwenden. Davidson erklärt dienern zu antworten, hätte er sich ver-
dieses Bild: führen lassen und würde mitsamt den
Fragestellern bestraft werden.
Dieses Bild beschreibt eindrücklich die 14,12-21 Selbst wenn drei Gerechte
nutzlosen Unternehmungen des Volkes wie Noah, Daniel und Hiob im Lande
und die erbärmliche Schmeichelei und wären, würde Gott nicht hören, sondern
Zustimmung der Propheten. Wenn ein Hunger, böse Tiere, Schwert und Pest
schwacher Mensch selbst nichts zuwege über das Land bringen. Daniel lebte am
bringt, erreicht er ein gewisses Ansehen Hof Nebukadnezars, als Hesekiel dies
(wenigstens in seinen Augen), indem er schrieb, und doch wird er mit den Ge-
den Plänen anderer Menschen seine ent- rechten Gottes aus alter Zeit zusammen
schiedene Zustimmung gibt und sagt: genannt. Es ist nicht wahr, dass es heute
»Recht so! Ich stimme dir von Herzen zu keine Helden und Heldinnen des Glau-
und hätte diesen Vorschlag selbst auch bens wie in früheren Zeiten mehr geben
gemacht.« Was die Propheten dazu brach- kann. Wollen Sie einer von ihnen sein?
te, die Mauer zu tünchen, die von den 14,21-23 Wenn Gott jedes Land ernst-
Menschen errichtet worden war, war ei- lich bestrafte, wie viel mehr dann Jeru-
nerseits das Gefühl, dass sie angesichts salem, wo sein Tempel stand! Aber ein
der Stellung, die sie einnahmen, etwas Überrest würde errettet werden, um zu
unternehmen mussten, um ihren Ruf als bezeugen, dass der HERR zu Recht das
Führer zu erhalten, auch wenn sie selbst tat, was er tat.

1039
Hesekiel 14 bis 16

Judas Schuld war zu groß, um ver­ für das ganze Volk. Sie begann als Fin-
geben zu werden, selbst wenn Noah, delkind, ungewaschen und uner-
Daniel und Hiob Fürbitte getan hätten. wünscht. Der Herr hatte Mitleid mit ihr
Was soll man da über unsere Ge­ und versorgte sie liebevoll, und sie
sellschaft sagen mit ihrer Kriminalität, wuchs, wurde groß und wunderschön.
ihrer Gewalt, ihren Abtreibungen, ihrer 16,8-22 Als sie eine junge Frau gewor-
Unmoral, ihren Drogen, ihrer Götzen- den war, verlobte sich der HERR mit ihr,
dienerei und ihrem weltlichen Hu­ reinigte sie für die Hochzeit, erwies ihr
manismus? die großzügigsten Freundlichkeiten
und schmückte sie. Aber weil sie auf
M. Das Gleichnis vom unfruchtbaren ihre Schönheit vertraute, wandte sie sich
Weinstock (Kap. 15) von ihm weg den Götzen zu und betrieb
Ein Weinstock taugt nur zum Frucht­ Hurerei mit jedem, der vorbeikam.
tragen. Man kann keine Möbel daraus 16,23-34 Statt auf den HERRN zu ver-
machen, nicht einmal einen kleinen trauen, wurde sie die Prostituierte sol-
Pflock. Ist er im Feuer versengt, ist er cher Heiden wie die Ägypter, die Assy-
noch unbrauchbarer. In einem Sinn ist rer und die Händler von Chaldäa. Je-
der Weinstock das Volk von Jerusalem mand hat es so ausgedrückt: »Sie war
(V. 6). Weil es für Gott keine Frucht heidnischer als die Heiden.« Sie war an-
brachte, wird es vom Feuer der babylo- ders als gewöhnliche Huren, indem sie
nischen Invasion verzehrt. Aber in andere dafür bezahlte, dass sie mit ihr
einem weiteren Sinn stellt der Wein- sündigten! Wer würde so etwas tun? Ist
stock das gesamte Volk dar, Israel und es möglich, dass eine Hure den Mann
Juda (V. 4). Das nördliche Ende wurde bezahlt? Dass sie ihre kostbaren Schät-
durch die Assyrer verzehrt und das ze weggibt? Und doch: Viele, die sagen,
südliche durch die Ägypter. Und jetzt sie folgten dem Herrn nach, geben ihre
wird die Mitte, Jerusalem, von den Ba- kostbare Belohnung und das Erbteil im
byloniern verbrannt (siehe 2Kö 25,9). Himmel weg und verspielen ihr Geld
Das zweite Feuer von Vers 7 stellt die und ihre Zeit mit weltlichen Vergnü-
Gefangenschaft der Entronnenen dar. gungen, statt Schätze im Himmel zu er-
Gott hat sich entschlossen, das Land werben. Sie lassen sich mit der Welt ein
zur Einöde zu machen (V. 8). und verlieren ihren ewigen Lohn und
Als Gläubige haben wir große Vor- ihren Segen. Dies bezeichnet man als
rechte, aber auch die Verantwortung, geistlichen Ehebruch, und jeder, der ihn
zur Ehre Gottes Frucht zu tragen. Wenn begeht, bezahlt einen hohen Preis.
wir ihn nicht mit unserem Leben ver- 16,35-43 Das Strafgericht über ihre
herrlichen, ist unser Dasein umsonst Unreinheit (so unrev. Elberfelder) be-
und fruchtlos. Es gleicht dem Wein- stand darin, von den heidnischen Na­
stock ohne Frucht, und unser Zeugnis tionen zerstört zu werden, die sie als
wird zerstört werden (siehe Joh 15,6). Liebhaber anwarb. Jeder, der sich wie
Als Reben in Christus, dem wahren ein untreuer Liebhaber von Gott ab-
Weinstock, besteht unsere Hauptauf­ wendet und mit der Welt Kompromisse
gabe darin, Frucht für Gott zu bringen. eingeht, wird durch ebendiese Welt zu-
Das meint vor allem die Entwicklung grunde gerichtet, deren Freund man
eines christlichen Charakters, den man sein wollte. Das ist eine ernste Warnung
an der Frucht des Geistes erkennt. an uns (siehe Jak 4,4-10).
16,44-52 Die von Jerusalem (Juda) be-
N. Das Gleichnis von der Hochzeit gangenen Schandtaten waren schlim-
mit Jerusalem (Kap. 16) mer als die der Heiden, die früher dort
16,1-7 Der HERR beschreibt hier die gewohnt hatten, der Hetiter, Amoriter,
Geschichte Jerusalems als ein Vorbild der Bewohner Samarias oder Sodoms.

1040
Hesekiel 16 und 17

Sexuelle Perversion war nur eine der und brachte ihn in ein fremdes Land. Er
Sünden Sodoms. Zur Schuld Sodoms nahm auch vom Samen des Landes und
gehörte auch Fülle von Brot und sorg­ pflanzte ihn in fruchtbare Erde. Dort
lose Ruhe. Das liest sich nur allzu sehr wuchs er zu einem wuchernden Wein-
wie eine Beschreibung des modernen stock.
Christentums! Feinberg sagt dazu: 17,7-10 Dann begann der Weinstock,
sich einem zweiten großen Adler zuzu-
Man beachte, wie der Stolz als Wurzel wenden, er gedieh aber nicht mehr.
der Sünden Sodoms hervorgehoben 17,11-21 Der HERR selbst legt das Bild
wird, wenn man nach der Quelle all ihrer aus. Der erste große Adler war Nebu-
Schandtaten sucht. Gott hatte sie reich- kadnezar, der König von Babel (V. 12).
lich mit Brot gesegnet (1. Mose 13,10); Er brachte Jojachin, den König von Juda
aber sie behielt diese Segnung für sich (den obersten Trieb), nach Babel (ins
und nutzte sie zum eigenen Vergnügen Land der Händler) und nach Babylon
und schwelgte in Wohlstand und Be- (die Stadt der Kaufleute). Er nahm auch
quemlichkeit. Weil sie nur an ihre ei­ Zedekia, einen königlichen Nachkom-
genen Bedürfnisse dachte, wurde sie un- men, und machte ihn zum Vasallen­
empfindlich für die Nöte anderer; sie könig in Juda (V. 13). Für eine Weile war
hatte kein soziales Gewissen. Dann be- Zedekia ein niedriger Weinstock, der
ging sie die ungeheuerlichen Schand­ aber in der Heimat gedieh; doch dann
taten, die untrennbar mit ihrem Namen wandte er sich an den König von Ägyp-
verbunden sind. Als Gott das sah, nahm ten (den anderen großen Adler), damit
er sie mit einem endgültigen Schlag hin- dieser ihn von den Babyloniern befreie.
weg (1. Mose 18,21).17 Als Zedekia den Bund mit Nebukad­
nezar brach (2Chr 36,13), war es das­
16,53-58 In Gnaden wird Gott Sodom selbe, als habe er den Bund mit Gott ge-
und Samaria und Jerusalem zu einer brochen (V. 19). Dafür würde Zedekia
noch zukünftigen Zeit wiederherstel- nach Babel gebracht werden, um dort
len. Vers 53 beschreibt die Wiederher- zu sterben; der Pharao Hofra würde
stellung der Städte, aber damit ist kei- ihm nicht helfen können (V. 16-21).
neswegs gemeint, dass die gottlosen 17,22-24 In diesen Versen wird das
Toten am Ende errettet werden. Kommen des Messias verheißen (der
16,59-63 Er wird mit seinem Volk einen zarte Trieb / das zarte Reis). Er wird
ewigen Bund aufrichten, und Juda wird vom Haus Davids abstammen und
sich schämen, jemals den HERRN wegen wird ein fruchtbarer Baum sein und
der Götzen verlassen zu haben. Dies ist dem Volk Sicherheit geben. Der Gott
ein bedingungsloser, mit den Stamm­ der Hoffnung lässt die Israeliten nicht
vätern geschlossener Segensbund, den ohne Hoffnung, sondern lenkt ihre
der HERR einmal in der Zukunft er­füllen Blicke auf den Messias. Auch wir sollten
wird. die Zukunft im Blick haben und uns
John Newton hatte recht, als er schrieb, mit diesen Wahrheiten trösten. Carl F.
dass die Herrlichkeiten der göttlichen Keil führt dazu aus:
Gnade alle seine anderen Wunder über-
strahlen. Die sich über die anderen Bäume er­
hebende Zeder ist das königliche Haus
O. Das Gleichnis von den zwei Davids, und der zarte Trieb, den Jahwe
Adlern (Kap. 17) abbricht und pflanzt, ist nicht das mes­
17,1-6 Der HERR befahl Hesekiel, dem sianische Reich und dessen Herrschaft,
Haus Israel ein Rätsel aufzugeben: Ein … sondern der Messias selbst … Der
großer Adler kam zum Libanon, brach hohe Berg, der in Vers 23 »der hohe Berg
vom Wipfel der Zeder einen Trieb ab Israels« genannt wird, ist Zion, betrach-

1041
Hesekiel 17 bis 19

tet als Sitz und Zentrum des Reiches ten Mannes soll gewiss leben (V. 14-17);
Gottes, das durch den Messias über alle aber der ungerechte Vater soll um sei-
Berge der Erde erhoben werden wird ner Sünde willen sterben (V. 18).
(Jesaja 11,2 usw.). Der vom Herrn ge- 4. Ein Gottloser, der Buße tut und
pflanzte Trieb wird dort zu einer herr- umkehrt von seinen Sünden, wird
lichen Zeder heranwachsen, unter der leben (V. 21-23).
alle Vögel wohnen werden. Der Messias 5. Ein Gerechter, der von seiner Ge-
wird zu einer Zeder in dem von ihm ge- rechtigkeit umkehrt und Unrecht tut,
gründeten Reich, in dem alle Bewohner soll sterben (V. 24).
der Erde sowohl Nahrung (von der Es gibt keinen Widerspruch zwischen
Frucht des Baumes) als auch Schutz (un- Vers 20 und 2Mo 20,5. Es ist wahr, wie
ter seinem Schatten) finden werden.18 in 2.Mose gelehrt wird, dass Kinder im
Allgemeinen von den Konsequenzen
Politik erweist sich stets als Reinfall. der elterlichen Sünden betroffen sind.
Nur die Wiederkunft Christi bietet eine Es ist aber auch wahr, was hier steht,
Hoffnung für die von der Sünde ver­ dass jeder für seine eigenen Handlun-
giftete Welt. gen verantwortlich ist.
In Vers 20 handelt es sich um eine
P. Die Zurückweisung des zeitliche Strafe, nicht um eine ewige. Es
Gleichnisses von den unreifen geht um den leiblichen Tod wegen der
Trauben (Kap. 18) aktuellen Sünden. Die in den Versen
18,1-4 Das Volk von Juda hatte ein 5 bis 24 dargestellten Grundsätze haben
Sprichwort, in dem es seine Schwierig- es nicht mit dem ewigen Leben zu tun;
keiten als Folge des Versagens seiner sonst wären wir zu dem Schluss ge­
Vorfahren darstellte. nötigt, die Errettung hänge von Werken
»Die Väter essen unreife Trauben, und ab (V. 5-9) und dass der Gerechte am
die Zähne der Söhne werden stumpf.« Ende verloren gehen kann. Das sind
Gott weist dieses Sprichwort zurück zwei Lehren, die der Herr im Neuen
und bestätigt, dass jeder für seine eige- Testament deutlich zurückweist (z.B.
ne Sünde verantwortlich gemacht wird. Eph 2,8-9; Joh 10,28).
18,5-24 Gott liefert dann mehrere Bei- 18,25-32 Die Menschen fahren fort,
spiele für die Grundsätze seines Ge- Gott der Ungerechtigkeit zu bezich­
richts: tigen, doch er zeigt ihnen, dass er nicht
1. Wenn jemand die Sünde meidet ungerecht ist, weil doch selbst ein Gott-
und gerecht lebt, soll er gewiss leben loser gerettet werden kann, wenn er
(V. 5-9). von seinen Sünden ablässt, und das ist
2. Der gewalttätige Sohn eines Ge- es, was der Herr von ihnen erwartet.
rechten soll unbedingt sterben (V. 10- Wenn Gott vergibt, vergisst er (V. 22).
13). Die Juden in der Gefangenschaft Das weist nicht auf ein schlechtes Ge-
wie auch zur Zeit des Herrn Jesus dächtnis hin, sondern darauf, dass
rühmten sich, Abraham zum Vater zu Gottes Gerechtigkeit durch das Versöh-
haben (Lk 3,8; Joh 8,39). Gott zeigt hier, nungswerk Christi völlig befriedigt ist.
dass es nichts hilft, einen gerechten Va- Für Gläubige ist das Gerichtsverfahren
ter zu haben, wenn das eigene Leben endgültig eingestellt.
gottlos ist. Auch wir neigen dazu, uns
auf die Frömmigkeit anderer zu ver­ Q. Klagelied über die letzten Könige
lassen. Aber das gerechte und heilige Judas (Kap. 19)
Leben unserer Väter und gottesfürch- 19,1-9 Dies ist eine Klage über die letz-
tigen Führer muss in unserem eigenen ten Könige Judas. Nicht alle sind sich
Leben Wirklichkeit werden. über die Identität der Könige einig, aber
3. Der gerechte Sohn eines ungerech- wahrscheinlich sind es Joahas, Jojachin

1042
Hesekiel 19 und 20

und Zedekia. Juda ist die Löwin. Die uns lästig. »Das haben wir schon so oft
anderen Nationen sind die Löwen, und gehört!« »In der Bibel steht immer nur:
deren Herrscher sind die jungen Löwen Tu das! Lass jenes!« »Steht denn nichts
(V. 2). Das Junge, das zu einem Jung­ als Gericht darin?« Statt angemessen
löwen wurde (V. 3), ist vielleicht Joahas, auf Gottes Wort zu reagieren, stehen
der gefangen genommen und nach wir in der Gefahr, lau zu bleiben.
Ägypten verschleppt wurde (V. 4). Das Trotz ihres Götzendienstes im Land
andere Junge (V. 5) ist vielleicht Joja- Ägypten (V. 4-8a) hatte Gott sie nicht
chin. Juda unterschied sich nicht von all gestraft, damit die Heiden nicht spotten
den anderen Nationen, eine Löwin un- würden (V. 8b-9).
ter Löwen. Die Führer der Nationen
sind grausam und selbstsüchtig, aber 2. Verunreinigung des von Gott
»unter euch soll es nicht so sein«. Der eingesetzten Sabbats (20,10-17)
Herr erwartet, dass sich sein Volk an- Israel entweihte Gottes Sabbate in der
ders verhält. Tun wir es nicht, fordern Wüste (V. 10-13a). Wieder hielt Gott sei-
wir sein Gericht heraus. nen Zorn zurück, sodass er sie nicht
19,10-14 »Deine Mutter« (V. 10) ist vernichtete, weil sonst sein Name unter
Juda oder Jerusalem, ein Weinstock, der den Heiden entweiht würde (V. 13b-
fruchtbar und voller Ranken war. Einst 17).
hatte sie starke Könige (starke Zweige),
aber sie würde durch Babel (durch den 3. Auflehnung in der Wüste (20,18-26)
Ostwind) zerstört werden, und das Volk Hier wird an die Auflehnung der Söhne
müsste in die Gefangenschaft (die Wüs­ der ersten Generation in der Wüste er-
te) ziehen (V. 11-13). Zedekia, das Feuer innert (V. 18-21a), doch wieder hielt er
von Vers 14, wird als Usurpator und als seine Hand zurück (V. 21b-26).
Unglück für das Volk betrachtet.
Israel hatte einen König begehrt wie 4. Götzendienst (20,27-32)
die anderen Völker. Hier lässt Hesekiel Zum schrecklichen Götzendienst der
den Vorhang nach dem letzten Akt der Israeliten im Land der Verheißung ge-
Monarchie fallen. Gott will, dass sich hörte sogar, dass sie ihre Söhne durchs
sein Volk von der Welt unterscheidet, Feuer gehen ließen, also Menschen­
dass es ein heiliges Volk für ihn ist und opfer darbrachten.
ihn als König anerkennt.
S. Gott verheißt eine zukünftige
R. Rechtfertigung von Gottes Handeln Wiederherstellung (20,32-44)
mit Israel (20,1-32) 20,32-38 Trotz all ihrer Bemühungen
würde Gott nie zulassen, dass sie für
1. Götzendienst in Ägypten (20,1-9)
immer wie die Heidenvölker werden
Als die Ältesten zu Hesekiel kamen, um und Holz und Stein anbeten (V. 32). Er
den HERRN zu befragen, wollte er sich würde sie aus den Völkern ihrer Ge­
nicht befragen lassen. Stattdessen zähl- fangenschaft sammeln, sie vor sich ins
te er ihnen ihre wiederholten Aufleh- Gericht bringen, die Gerechten an­
nungen gegen ihn auf. Die Ältesten wa- nehmen (V. 37) und die Widerspens­
ren recht konservativ und orthodox; sie tigen unter ihnen ausscheiden (V. 38).
befragten den HERRN, doch ihre Her- 20,39-44 Wenn das Volk ins Land Is­
zen waren weit von ihm entfernt. Göt- rael zurückgebracht ist, wird es nicht
zen verhindern, dass wir Gottes Ant- mehr den Götzen dienen, sondern den
worten auf unsere Fragen empfangen. HERRN in Heiligkeit anbeten (V. 39-44).
Wenn Gott uns unsere Sünde vorhält Die Ermahnung des Apostels Johan-
und uns seine Gnade zeigt, durch die er nes ist zeitlos: »Kinder, hütet euch vor
uns zur Buße leitet, finden das viele von den Götzen!« (1Jo 5,21).

1043
Hesekiel 21 und 22

T. Bilder für die bevorstehende Herrschaft ist vorbei, und er wird der
Invasion (Kap. 21) letzte König über Gottes Volk sein, bis
der Messias kommt, dem das Recht ge-
1. Das Zeichen des Waldbrands (21,1-5)
hört zu regieren. Matthew Henry sagt
In diesem Abschnitt finden wir eine dazu:
Weissagung über den Süden (hebr. Ne­
gev, ein Teil Judas). Er wird durch einen Nach Zedekia wird es keine Könige aus
Waldbrand zerstört (die babylonische dem Haus Davids mehr geben, bis Chris-
Invasion). tus kommt, dessen Recht es ist, als König
zu herrschen. Er ist jener Same Davids, in
2. Das Zeichen des gezogenen Schwertes dem diese Verheißung ihre ganze Erfül-
(21,6-22) lung haben wird; »dem gebe ich es«. Er
21,6-12 Gott sagt, er sei entschlossen, wird den Thron seines Vaters David ein-
Juda und Jerusalem mit gezogenem nehmen (Lk 1,32) … Und weil er das
Schwert menschenleer zu machen. He- Recht dazu hat, wird er zu seiner Zeit Be-
sekiels Seufzen sollte das Volk vor den sitz davon ergreifen: »Dem gebe ich es!«
Schrecken des kommenden göttlichen Eher wird alles in Trümmer gelegt wer-
Gerichts warnen. den, als dass ihm an seinem Recht irgend­
21,13-22 Das Schwert der Babylonier etwas fehlen wird. Und ganz gewiss wird
ist zum Schlachten bereit (V. 13-18) und alle Opposition vernichtet und aus dem
wird den Grimm des HERRN stillen Weg geräumt werden, die sich ihm ent-
(V. 19-22). Die Verse 15c und 18 sind be- gegenstellt (Daniel 2,45; 1Kor 15,25). Dies
sonders schwer zu übersetzen. Der Ge- wird hier zum Trost für solche gesagt,
danke könnte folgender sein: Für Juda die fürchteten, die dem David gemachte
war jetzt nicht Zeit, sich zu freuen. Sei- Verheißung würde für alle Zeiten zu-
ne Bewohner hatten bisher alle Waffen nichte. »Nein«, sagt Gott, »diese Verhei-
als aus Holz gemacht verachtet. Nun ßung steht fest; denn das Reich des Mes-
würden sie ein stählernes Schwert er­ sias wird auf ewig bestehen.«19
leben. Dadurch könnte es geschehen,
dass das Zepter (d.h. Juda), welches al- 4. Gericht über Ammon (21,33-37)
les bisher in den Wind geschlagen hat- 21,33-37 Die Ammoniter werden als
te, aufhören wird zu bestehen. Nächstes vom babylonischen König an-
gegriffen; sie werden völlig vernichtet.
3. Das Zeichen der Weggabelung (21,23-32) Die Geschichte und die gegenwärtige
21,23-29 Als Nächstes wird der König Ereignisse sind voller Beispiele, wie
von Babel gesehen, wie er auf das Land Gott menschliche Regierungen um-
losmarschiert. Er kommt an eine Weg- stößt, bis Christus kommt, der das
gabelung (einen Kreuzweg): In der Recht auf die Herrschaft besitzt.
einen Richtung geht es nach Jerusalem,
in der anderen nach Rabba (die Haupt- U. Drei Prophezeiungen wegen der
stadt Ammons). Welche Stadt soll er Verunreinigung Jerusalems (Kap. 22)
zuerst angreifen? Er setzt drei Metho- 22,1-12 Jetzt wird ein Katalog der Sün-
den der Wahrsagerei ein: 1. Er markiert den Jerusalems vorgelegt: Blutvergie-
einen Pfeil für Jerusalem und einen für ßen (V. 9; vielleicht ist hier von Men-
Rabba. 2. Er befragt die Hausgötzen schenopfern die Rede) und Götzen-
(Teraphim). 3. Er beschaut die Leber dienst (V. 3-4), Mord (V. 6), die Eltern
eines geschlachteten Tieres. Wie fällt werden verachtet, Fremde unterdrückt,
die Entscheidung aus? »Greife Jeru­ ebenso Waisen und Witwen (V. 7), der
salem zuerst an!« Tempel und die Sabbate werden ent-
21,30-32 Zedekia ist der entweihte Ge- weiht (V. 8), es gibt Verleumdung, Göt-
setzlose, der böse Fürst in Vers 30. Seine zendienst, Lüsternheit und Unmoral

1044
Hesekiel 22 und 23

(V. 9-10), Ehebruch, Inzest (V. 11), Be­ religiöses Zentrum geschaffen; Gottes
stechung, Wucher, Erpressung (V. 12). Tempel stand in Jerusalem.22 Ohola be-
Man hatte Gott, den HERRN, völlig ver- trieb Hurerei mit den gut aussehenden
gessen (V. 12). und kampftüchtigen Assyrern; darum
22,13-22 Für die Sünden des unrech- hat Gott sie ihren Liebhabern ausgelie-
ten Gewinns und des Blutvergießens fert. Sie zogen sie aus und erschlugen
wird das Volk unter die Heidenvölker sie mit dem Schwert.
versprengt (V. 13-16). Jerusalem wird
wie ein Schmelzofen sein, in dem das 2. Oholiba (23,11-21)
Volk wie wertlose Schlacken geschmol- Oholiba (mein Zelt ist in ihr) ging in ih-
zen wird (V. 17-22). ren götzendienerischen Hurereien und
22,23-24 Der HERR befiehlt Hesekiel, ihrer Unmoral sogar noch weiter. Zu-
dem Land zu sagen, es sei in einem erst entbrannte sie für die Assyrer, ge-
traurigen Zustand. Taylor erklärt, was nau wie Israel (V. 12-13). Dann war sie
das für das Land bedeutet: vernarrt in die Bilder von Männern aus
Babel, die mit roter Farbe an die Wand
Das Land wird in dieser Prophetie als ein gemalt waren. Sie hatte Verlangen nach
Land beschrieben, dem der Segen des ihnen und sandte Boten nach Chaldäa,
Regens vorenthalten wird. Die meisten um sie in ihr Land einzuladen. In Er­
Ausleger bevorzugen den LXX-Text in innerung an ihre Jugendsünden in
Vers 24, der das Wort »gereinigt« (siehe Ägypten vermehrte sie ihre Hurereien
Schlachter 2000, ER ‒ Fußnote) mit »be- und lieferte sich den Babyloniern zu
netzt« wiedergibt. Es ist also ein Land schrecklicher Unzucht aus.
ohne Regen und ohne Regengüsse.20
3. Die Invasion der Babylonier (23,22-35)
22,25-31 Alle Gesellschaftsschichten ha- Darum würde Gott Oholiba durch ihre
ben sich vor dem HERRN schuldig ge- babylonischen Liebhaber vernichten.
macht: Die Oberen (V. 25 nach der LXX; Jene anmutigen jungen Männer, nach
der MT hat »Propheten«),21 die Priester denen sie Verlangen hatte, werden sie
(V. 26), die Obersten oder Fürsten voller Hass behandeln. Sie hatte ver-
(V. 27) und das Volk (V. 29). Nicht ein sucht, in der fleischlichen Welt, fern von
Gerechter wurde gefunden, kein Re­ Gott, Befriedigung zu finden. Nun brin-
formator oder Fürbitter, der vor Gott gen ihre Sünden sie ins Gericht. Die
stehen konnte, um sich für das Volk zu Verse 33 und 34 beschreiben die Sym­
verwenden (V. 30-31). ptome der Bedrückung und Verzweif-
Gott sucht nicht nach neuen Metho- lung, die wir auch heute überall sehen
den oder Programmen; Gott sucht alle- können. Nur wenn wir Gottes leben­
zeit nach jemandem, der in den Riss diges Wasser trinken, wird uns nie
treten kann. Ein einziger Mensch kann mehr dürsten.
auf diese Weise viel bewirken.
4. Das Gericht über Ohola und Oholiba
V. Das Gleichnis von den zwei (23,36-49)
hurerischen Schwestern (Kap. 23) Beide Schwestern hatten sich derselben
Sünden schuldig gemacht: Ehebruch
1. Ohola (23,1-10)
(buchstäblich und geistlich), Mord, in-
23,1-4 Dies ist das Gleichnis von den dem sie Menschenopfer darbrachten
zwei hurerischen Schwestern, Ohola, der (V. 37), Entweihung des Tempels und
älteren, und Oholiba, der jüngeren. Oho- des Sabbats (V. 38), die Vermischung
la ist Samaria und Oholiba Jerusalem. von Götzendienst und Gottesdienst
23,5-10 Ohola heißt: (Sie hat) ihr eige­ (V. 39), geistlichen Ehebruch mit frem-
nes Zelt. Samaria hatte sich ein eigenes den Völkern (V. 40-44). Gerechte Män-

1045
Hesekiel 23 bis 25

ner (von Gott ausgewählte Nationen) men ist. Dieses Ereignis wird in 33,21-22
werden den Schwestern ihre Lüstern- berichtet. Die dazwischen liegenden Ka-
heit mit der wohlverdienten Vernich- pitel 25 bis 32 sind Weissagungen über
tung heimzahlen (V. 45-49). heidnische Völker, nicht über Juda.
Die Religion Judas war synkretistisch,
d.h. sie vereinte die Anbetung des III. Weissagungen gegen sieben
HERRN mit Götzendienst und Heiden- heidnische Völker (Kap. 25-32)
tum. Vieles im modernen Christentum In diesen Kapiteln lesen wir von Gottes
verbindet – so traurig es ist – Elemente Gericht über sieben Heidenvölker. Die-
der Bibel mit Judaismus, Heidentum, se Nationen werden wegen unter-
östlichen Religionen, Humanismus und schiedlicher Formen der Auflehnung
Psychologie. gegen Gott bestraft. Sie hatten Berüh-
rung mit Gottes Volk und wussten von
W. Das Gleichnis von dem kochenden ihm, waren aber unwillig, sich zu ihm
Topf (24,1-14) zu wenden. Lassen Sie uns dies auf-
An dem Tag, als die Belagerung Jeru­ merksam beachten; denn Gottes Wege
salems begann, erzählte Hesekiel das offenbaren immer seine Gedanken, sei
Gleichnis von dem kochenden Topf. es in Gericht oder in Gnade.
Der Topf war Jerusalem, die Fleisch-
stücke waren die Menschen. Der Topf A. Weissagung gegen Ammon (25,1-7)
sollte kochen. Er hatte Rost an sich – die Die erste Nation, der Gericht angekün-
Lüsternheit und Götzendienerei. Nach- digt wird, ist Ammon. Weil die Ammo-
dem der Topf gänzlich geleert wurde, niter sich über den Fall von Gottes Hei-
sollte er durchgeglüht werden, um den ligtum, von Israel und von Juda und
Rost zu entfernen. So wollte der HERR über die babylonische Gefangenschaft
versuchen, sein Volk vom Götzendienst freuten, sollen sie durch die Babylonier
zu reinigen. (Söhne des Ostens) vernichtet werden.
Rabba wird zum Weideplatz der Kame-
X. Das Zeichen durch den Tod der le und Ammon zur Lagerstätte der
Frau Hesekiels (24,15-27) Schafe werden.
24,15-18 Hesekiel wurde vorhergesagt,
dass seine Frau, die Lust seiner Augen, B. Weissagung gegen Moab (25,8-11)
sterben sollte. Sie starb am Abend des- Die zweite Nation ist Moab, das zusam-
selben Tages. Im Gegensatz zu der nor- men mit Seir Juda gegenüber eine feind-
malen Reaktion auf einen solchen To- liche Gesinnung zeigte. Das Land Moab
desfall wurde ihm geboten, nicht zu würde den Babyloniern offen stehen
klagen. und dasselbe Schicksal wie Ammon er-
24,19-24 Als die Menschen ihn nach leiden. Die Berghänge Moabs würden
der Bedeutung dieses eigenartigen Ver- von Städten entblößt, und Moab würde
haltens befragten, sagte er ihnen, dass, erkennen, dass Gott der HERR ist.
wenn die Lust ihrer Augen (der Tempel)
zerstört sein wird und ihre Söhne und C. Weissagung gegen Edom (25,12-14)
Töchter umgebracht werden, sie auch Die dritte Nation ist Edom. Weil sie
nicht trauern dürften. Rachsucht gegenüber dem Haus Juda
Ein Zweck erfüllter Weissagung liegt geübt hatten, sagt Gott, der HERR den
darin, dass die Welt erkennen soll, wer Edomitern, sie würden seine Rache er-
der Herr, HERR ist (V. 24). leben.
24,25-27 Hesekiel sollte keine weiteren
Weissagungen für Juda verkünden, bis D. Weissagung gegen Philistäa (25,15-17)
ein Flüchtling die Nachricht überbringen Die Philister sind das vierte Volk.
würde, dass Judas Zuflucht fortgenom- Wegen ihrer nie endenden Feindschaft

1046
Hesekiel 25 und 26

gegen Juda würden sie die Rache des che haben den ersten Teil von Vers 10 für
HERRN erfahren. eine absichtlich übertreibende Aus-
Diese Völker mussten lernen, dass sie drucksweise gehalten; aber er liegt
Gott selbst antasteten, wenn sie Gottes durchaus im Bereich einer buchstäb­
Volk antasteten. Wer sich heute auf Het- lichen Erfüllung. Wegen der Größe der
ze gegen die Christen einlässt, wird ei- feindlichen Kavallerie würde diese die
nes Tages erfahren, dass die Gläubigen Stadt beim Einmarsch mit Staub be­
Gottes Augapfel sind. Dies gilt sogar, decken, während gleichzeitig die Mau-
wenn Gottes Volk in Sünde fällt und da- ern vor dem Lärm der Reiter und Wagen
für bestraft wird. Wir sollten uns aller erzittern. Jede Straße musste erobert
Schadenfreude, allen Spotts oder aller werden, wobei das Volk mit dem Schwert
Rachegedanken enthalten. Vielmehr erschlagen wurde. Die Gedenksäulen,
sollten wir wie Hesekiel trauern, Für- die erwähnt werden, sind eigentlich
bitte tun und die Sünden anderer Gläu- Obeliske; wahrscheinlich sind es die von
biger als unsere eigenen bekennen. dem Historiker Herodot erwähnten, die
im Tempel des Herakles zu Tyrus auf­
E. Weissagung gegen Tyrus (26,1 - 28,19) gestellt waren. Eine war aus Gold, die
andere aus Smaragd, und sie leuchteten
1. Die Zerstörung von Tyrus (Kap. 26) nachts hell. Beide waren dem Stadtgott
26,1-2 Der fünfte Gegenstand des gött­ von Tyrus, Melkart, geweiht. Diese ein-
lichen Strafgerichts ist die Küstenstadt drucksvollen Säulen würden von den
Tyrus. Ihr Strafgericht reicht von 26,1 - Invasoren zerstört.24
28,19. Die reiche Handelsstadt freute
sich, als sie hörte, ihre Rivalin, Jeru­ 26,12-14 Aber das Volk floh mit seinen
salem, sei gefallen, indem sie meinte, Besitztümern auf eine Insel vor der
nun alle Geschäfte allein machen zu Küste, die ebenfalls Tyrus hieß. Dort
können. Jerusalem hatte alle Überland- blieben sie 250 Jahre lang in Sicherheit.
wege der Händler kontrolliert, und ihr Dann baute Alexander der Große einen
Fall bedeutete für Tyrus freieren Waren­ Damm, wozu er sämtliche Trümmer
verkehr mit Ägypten und anderen süd- der ursprünglichen Stadt benutzte. Von
lichen Ländern. diesem Einsatz der Soldaten Alexan-
26,3-11 Gott würde viele Nationen ders (332 v.Chr.) ist in diesem Abschnitt
einsetzen, um diesen Inselstaat zu stra- die Rede. Vor über hundert Jahren be-
fen. Zuerst marschierte Nebukadnezar, schrieb ein Reisender die Ruinen von
der König von Babylon, der König der Tyrus genauso, wie hier vorhergesagt
Könige,23 von Norden her gegen Tyrus wurde:
und griff es an (V. 7-11). Die Belagerung
dauerte sehr lange – von 587 bis 574 Die Insel selbst ist kaum eineinhalb Kilo-
v.Chr. Feinberg zeichnet ein lebendiges meter lang. Der Teil, der in südliche Rich-
Bild von der Art der Belagerung dieser tung zum Festland blickt, ist etwa einein-
bekannten Stadt: halb Kilometer breit und sehr felsig und
uneben. Er wird heute nur von Fischern
Die Belagerungstürme, der Erdwall und bewohnt, ist sozusagen »ein Ort, wo man
die Langschilde sind uns allen bekannt. die Fischernetze ausspannt« (Schl 2000).25
Die Langschilde wurden wie ein Schild-
krötenpanzer benutzt, um vor den von 26,15-21 Die Nachricht von Tyrus’ Fall
den Mauern herabgeschossenen Pfeilen wird Erschrecken unter anderen Natio-
geschützt zu sein. Die Mauerbrecher und nen erregen. All ihre Schönheit, die sie
Brecheisen kennen wir ebenfalls. Die so sehr bewundert haben, wird zerstört.
Schwerter werden als Beispiel für alle Aber Gott wird eine ewige Herrlichkeit
Arten von Kriegswaffen genannt. Man- im Land der Lebenden aufrichten, das

1047
Hesekiel 26 bis 28

zu demselben Reich gehört, das auch aber wegen seines Stolzes wird er ver­
unser Teil ist. nich­tet.
Tyrus wurde nie wieder aufgebaut – Der König von Tyrus wird beschrie-
eine Erfüllung von Vers 21. In seinem ben als das Siegel der Vollendung, vol-
Buch Science Speaks sagt Peter Stoner, ler Weisheit und vollendeter Schönheit,
dass die Erfüllung dieser gesamten als jemand, der in Eden war, im Garten
Weissagung über Tyrus mit allen Ein- Gottes, als jemand, der mit Edelsteinen
zelheiten nach den Gesetzen der Wahr- bedeckt war, als gesalbter Cherub, der
scheinlichkeit eine Chance von 1 zu 400 auf Gottes heiligem Berg war. Das alles,
Millionen hätte.26 zusammen betrachtet, scheint zu ein-
drucksvoll für irgendeinen großen
2. Die Klage über Tyrus (Kap. 27) Herrscher zu sein, selbst wenn man den
27,1-9 Tyrus wird mit einem sehr schö- Gebrauch von Bildern und literarischer
nen Schiff verglichen, das aufwendig Übersteigerung annimmt.
mit Materialien aus aller Welt gebaut Aus diesem Grund sehen viele Bibel-
wurde. Tyrus war keine Militärmacht, gelehrte in den Versen 11 bis 19 eine Be-
die die Welt eroberte; die Tyrer waren schreibung Satans und seines Falls aus
Kaufleute. Sie trieben Handel mit allen dem Himmel. Feinberg erklärt dazu:
möglichen Waren und Kenntnissen, um
sich selbst zu bereichern. Dagegen hat Hesekiel … dachte offenbar an die Zu-
man im Allgemeinen nichts; aber alle stände in seinen Tagen, und seine Auf-
Schönheit und Erkenntnis ohne den merksamkeit war auf den Herrscher von
Herrn Jesus ist nichts wert. Wenn Sie Tyrus gerichtet, die Verkörperung des
die ganze Welt gewinnen würden und Stolzes und der Gottlosigkeit des Volkes.
würden Ihre Seele verlieren, was woll- Aber wie er so die Gedanken und Wege
ten Sie für Ihre Seele geben? dieses Monarchen betrachtete, erkannte
27,10-36 Das tyrische Heer, zu dem er deutlich hinter ihm die treibende Kraft
auch Perser (Paras) und Söldner aus Ly- und die Persönlichkeit, die ihn zu seinem
dien (Lud) und Libyen (Put) gehörten, Widerstand gegen Gott aufstachelte.
wird in den Versen 10 und 11 beschrie- Kurz gesagt, er sah das Werk und die Ak-
ben. Tyrus’ ausgedehnter Handel mit tivitäten Satans, den der König von Ty-
Luxusgütern wird in den Versen 12 bis rus auf so manche Weise nachahmte. Wir
27a beschrieben. Aber die Stadt wird erinnern uns an die Geschichte in Mat­
zunichtegemacht durch einen Ostwind thäus 16,21-23, wo Petrus von dem Herrn
(die Babylonier; V. 26b-27). Die anderen Jesus zurechtgewiesen wurde. Zu nie-
Völker sind durch den Fall der Stadt zu- mandem wurden während des irdischen
tiefst bestürzt (V. 28-36). Dienstes Christi ernstere Worte geredet.
Aber er meinte keinesfalls, Petrus selbst
3. Der Untergang des Fürsten von Tyrus sei irgendwie zum Satan geworden; er
(28,1-19) deutete nur an, dass der Antrieb zum
28,1-10 Der Stolz, die Weisheit und der Widerstand des Petrus gegen den Weg
Reichtum des Fürsten von Tyrus werden des Herrn nach Golgatha von niemand
in den Versen 1 bis 6 beschrieben, da- anders als von dem Fürsten der Dämo-
nach sein Untergang durch die Babylo- nen ausging. Hier scheint eine ähnliche
nier (V. 7-10). Zweifellos ist dieser Fürst Situation vorzuliegen. Einige liberale
eine Vorschattung des Antichristen. Ausleger geben zu, es sehe so aus, als ob
28,11-19 In Vers 11 sehen wir einen Hesekiel irgendeinen Geist oder Genius
Wechsel vom Fürsten von Tyrus zum von Tyrus im Sinn hatte, vergleichbar
König von Tyrus. Letzterer ist der Geist, den Engelmächten und Fürs­tentümern
der den Fürsten antrieb. Der König im Buch Daniel, denen die Angelegen-
ist berühmt wegen seiner Schönheit, heiten der Nationen anvertraut waren.27

1048
Hesekiel 28 bis 30

Wenn Stolz tödlich genug ist, um ein ist stolz, bedenkt aber das Ende nicht.
höchst mächtiges und kluges Wesen zu Die Fische sind die Ägypter. Alle wer-
ruinieren, wie sollten dann wir Men- den von Gott bestraft. Als Israel bei
schen uns davor hüten, unabhängig Ägypten Hilfe suchte, hatte es sich auf
vom Herrn zu leben! ein Schilfrohr gelehnt (V. 6-9a). Ägyp-
ten empfängt das schwerste Gericht,
F. Weissagung gegen Sidon (28,20-26) weil es unzuverlässig und nicht ver-
28,20-23 Der sechste Gegenstand der trauenswürdig ist. Wenn wir als Gläu-
Gerichte Gottes ist Sidon. Das war eine bige diese Charakterschwäche haben,
Küstenstadt in der Nähe von Tyrus. müssen wir uns mit des Herrn Hilfe
Gott warnte, Sidon werde der Pest und ändern. Er ist für Charakterverän­
dem Schwert überantwortet, aber er derungen zuständig.
sagt nicht, sie werde für immer zerstört Weil der Pharao so stolz ist, wird das
werden. Sidon existiert heute noch als Land Ägypten vierzig Jahre lang zur
eine Stadt im Libanon, während das bi- Einöde (V. 9b-12).
blische Tyrus völlig zerstört wurde (sie- 29,13-21 Dann wird Gott das Volk
he 26,21). wieder sammeln, doch wird Ägypten
28,24-26 Diese Verse sagen die Wie- nie wieder ein großes Königreich, und
derherstellung Israels voraus, wenn Israel wird nicht mehr bei ihm Hilfe su-
Gott, der HERR sein Reich auf Erden chen (V. 13-16). Nebukadnezar hatte
aufgerichtet hat. schwer gearbeitet bei der Belagerung
von Tyrus, doch Lohn war ihm nicht
G. Weissagung gegen Ägypten zuteil geworden (denn dessen Bevöl­
(Kap. 29-32) kerung floh mit ihren Besitztümern auf
Die siebte und letzte Nation in dieser die Inselfestung). Darum würde Gott
Aufzählung von Gerichten ist Ägypten. ihm Ägypten zum Lohn geben (V. 17-
Dies scheinen die schonungslosesten 20). An jenem Tag, an dem Nebukad­
Gerichte von allen zu sein. Ohne den nezar Ägypten zum Lohn erhält, wird
Nil wäre Ägypten tot, und man sollte Gott ein Horn aus dem Haus Israel
erwarten, die Menschen liebten das Le- hervorsprossen lassen (eine Wieder­
ben. Aber nein, Ägypten ist das Land belebung der Macht, über die uns nichts
des Todes. Sein berühmtestes Buch ist weiter gesagt wird), und Hesekiel
das Totenbuch. Seine größten Denk­ konnte von da an freimütig zu dem
mäler sind die Pyramiden, die nichts Volk reden (V. 21).
als riesige Begräbnisstätten darstellen.
Seine Könige bauten kleine Paläste, 2. Klagelied über den Fall Ägyptens (30,1-19)
aber gewaltige Grabkammern, und sie 30,1-12 Ägypten und alle seine Verbün-
wurden mumifiziert, um das Leben im deten – Kusch, Put und Lud – würden
Grab zu genießen. Das Herz des Ägyp- durchs Schwert der Babylonier fallen.
ters bleibt angesichts des Todes un­ Nebukadnezar, der König von Babylon,
beeindruckt, voller Selbstbewusstsein. wird als der Zerstörer des Landes ge-
Darum musste das Gericht über Ägyp- nannt (V. 10-12).
ten kommen, eine Nation, die in der 30,13-19 Die führenden Städte Ägyp-
Bibel ein Bild für die Welt ist, besonders tens werden aufgeführt als zur Vernich-
für die Welt ohne Gott. tung bestimmt mitsamt ihren Bildern
und Götzen: Nof (Memphis), Patros
1. Allgemeine Drohung gegen den Pharao (vielleicht im südlichen Oberägypten),
und sein Volk (Kap. 29) Zoan (Tanis), No (Theben), Sin (Pelu­
29,1-12 In den Versen 1 bis 5 wird der sium), On (Heliopolis), Pi-Beseth (viel-
Pharao mit einem Seeungeheuer in dem leicht Bubastis), Tachpanhes28 (vielleicht
großen Strom, dem Nil, verglichen. Es das alte Daphne). Die Weissagung

1049
Hesekiel 30 bis 33

»… und es soll kein Ägypter mehr Fürst wüsten. Die Völker werden ein Klage-
sein über das Land« aus Vers 13 hat sich lied über es anstimmen.
buchstäblich erfüllt. Niemand von rein 32,17-32 In den Versen 17 bis 31 bli-
ägyptischer Abstammung aus der cken wir in den Scheol, d.h. das Toten-
könig­lichen Familie hat je wieder über reich (in die untersten Örter der Erde),
Ägypten regiert. König Faruk gehörte wohin Ägypten geschickt wird. Assy­
zu einer Anfang des 19. Jahrhunderts rien ist dort (V. 22-23), genauso Elam
von einem Albaner gegründeten Dynas­ (V. 24-25), Meschech-Tubal (V. 26-27),
tie. Er selbst war der Erste aus dieser Edom (V. 29) und die Sidonier (V. 30).
Dynastie, der die arabische Sprache Ägypten war in dieser Welt groß; doch
vollkommen beherrschte! im Scheol wird es genauso erniedrigt
und zuschanden wie die anderen Na­
3. Der Untergang des Pharao tionen (V. 28.31-32). Damit enden Hese-
(30,20 - 31,18) kiels Weissagungen gegen sieben Na­
30,20-26 Hier wird der Untergang tionen (und Stadtstaaten).
Ägyptens in zwei Schritten gesehen. Ei- Der HERR befiehlt Hesekiel in Vers
ner der Arme des Pharao war bildlich 18, über Ägypten zu wehklagen wegen
zerbrochen, als er in Karkemisch ge- all seiner Menge.
schlagen wurde (605 v.Chr.). Der ande- Der Herr Jesus hat auch Tränen ver-
re zerbrach, als die Babylonier in Ägyp- gossen über eine Stadt von Mördern,
ten einmarschierten und es eroberten. die ihn nicht annehmen und nicht unter
31,1-9 Wem glich der Pharao an Grö- seinen Flügeln Schutz suchen wollte.
ße? Er glich dem König von Assyrien Gott kümmert sich um seine Geschöpfe
(siehe Schlachter 2000), er war wie eine und straft sie nicht gern. O Herr, gib
hohe Zeder. Der König wurde so mäch- uns Tränen des Mitleids mit den Ver­
tig, dass ihm keiner an Größe und lorenen!
Schönheit gleichkam, ein wirklicher
Riesenbaum, in dessen Schatten viele IV. Israels Wiederherstellung
Nationen wohnten. und die Bestrafung seiner Feinde
31,10-14 Weil sein Herz sich vor Stolz (Kap. 33-39)
erhob, lieferte Gott ihn den Babyloniern Von Kapitel 33 an bis zum Ende des
aus. Buches beschäftigt sich Hesekiel vor
31,15-18 Als der Assyrer in das Toten- allem mit der Wiederherstellung Israels
reich (den Scheol) hinabfuhr, sahen es und dem Neubau des Tempels.
die anderen Nationen (V. 15-17) und
trösteten sich (V. 16) in dem Sinn, dass A. Der Prophet wird noch einmal zum
sie die Erniedrigung Assyriens erleben Wächter eingesetzt (Kap. 33)
durften, des Volkes, von dem sie früher 33,1-9 In diesem Kapitel wird Hesekiel
verachtet wurden. Der Pharao gleicht mit einem Wächter verglichen. Wenn er
darin den Assyrern: Obwohl er gewal- die Menschen in Treue warnt und sie
tig war, wurde er in die untersten Örter nicht auf ihn hören, so werden sie für
der Erde hinabgestürzt (V. 18). ihren Untergang selbst verantwortlich
sein. Versäumt er, sie zu warnen, und sie
4. Klagelied über den Pharao und Ägypten gehen zugrunde, so wird Gott ihr Blut
(Kap. 32) von der Hand des Wächters fordern.
32,1-16 Der Pharao hielt sich für einen Gott machte Hesekiel für das Haus
Junglöwen, doch Gott betrachtete ihn Israel verantwortlich. Die Frage erhebt
als Seeungeheuer, das er mit dem Fang- sich für jeden Gläubigen: Für wen wird
netz ergreifen und vernichten wollte. Gott mich verantwortlich machen? Sind
Der König von Babel würde den Prunk es die Verwandten, die Arbeitskollegen,
Ägyptens austilgen und das Land ver- Nachbarn oder Freunde? Es ist eine

1050
Hesekiel 33 und 34

ernste Verantwortung, und wir fügen unsere Herzen ständig überprüfen, da-
unserer eigenen Seele Schaden zu, wenn mit wir nicht versäumen, das Gehörte
wir ihr nicht in Treue nachkommen. auch anzuwenden. Die beste Reaktion
33,10-20 Das Volk fragt voller Ver- auf eine Predigt ist nicht: »Das war eine
zweiflung: »Wie könnten wir leben?« schöne Botschaft!«, sondern: »Gott hat
Wie viele Menschen haben heute alle zu mir geredet; ich muss das nun in die
Hoffnung verloren und sind verzwei- Tat umsetzen.«
felt und depressiv. Die Antwort des
Herrn ist: »Kehrt um!« Es gibt Hoff- B. Die falschen Hirten und der Gute
nung für den schlimmsten Sünder, aber Hirte (Kap. 34)
nur, wenn er sich von der Sünde ab- 34,1-6 Die Hirten (die Führer) waren
wendet, und nicht, wenn er sie ent- nur an sich selbst interessiert und nicht
schuldigt. Das Volk beklagte sich, Gott am Wohlergehen der Herde (des Vol-
behandle es ungerecht; doch er streitet kes). Sie hatten mit Härte geherrscht,
das ab und erinnert es daran, dass er und die Herde hatte sich zerstreut.
einem Gottlosen vergibt, wenn dieser Bis heute haben es viele religiöse Füh-
seine Sünde bekennt und lässt. Ebenso rer nicht gelernt, dass sie den Schafen
wird er einen Gerechten strafen, der dienen sollen. Sie verwechseln ihren
sich der Gottlosigkeit zuwendet. »Dienst« mit einem Mittel zur Bereiche­
33,21-22 Hesekiels Mund wurde ge- rung. Wir können Gott für Leiter dan-
öffnet, sodass er nicht mehr stumm ken, die eifrig im Dienst und Vorbilder
war, als ein Entkommener aus Jeru­ der Herde sind.
salem verkündigte: »Die Stadt ist ge- Der Herr ließ es zu, dass die Herde
schlagen!« (siehe 24,27). zunächst zerstreut wurde, um weitere
33,23-29 Diese Verse beziehen sich Zerstörung zu verhindern (V. 10). Yates
offensichtlich auf die wenigen Juden, beschreibt das sehr schön:
die nach dem Fall Jerusalems im Land
Israel zurückgelassen worden waren. Hesekiel malt ein erschütterndes Bild
Sie argumentierten: Abraham war ein von den untreuen Predigern seiner Tage.
Einzelner und nahm das Land in Besitz, Die Herde ist zerstreut, unversorgt und
wie viel mehr Recht hatten sie als Grup- hungrig, während es sich die selbstsüch-
pe, dies zu tun! Aber Gott war an Qua- tigen Hirten gut gehen lassen und sich in
lität und nicht an Quantität gelegen. Sie Müßiggang und Luxus räkeln und keine
übten selbst dann noch verschiedene Gedanken an ihre Verantwortung ver-
Formen des Götzendienstes aus, und schwenden. Sie sind um die eigene Nah-
das Land musste von solchem Gräuel rung, Kleidung und Bequemlichkeit be-
gereinigt werden. Und das zeugte ge- sorgt, aber sie denken nicht eine Minute
gen sie. Sie waren keine wahren (geist­ an jemand anderen.29
lichen) Abkömmlinge Abrahams. Ihr
äußerliches Bekenntnis würde sie nicht 34,7-10 Darum hat Gott sich entschlos-
vor dem Gericht bewahren; denn Gott sen, seine Schafe vor diesen falschen
geht es nicht um bloße Worte, sondern Hirten zu retten. Er hat allezeit die Ab-
um das, was wir leben (siehe Jak 2,14). sicht, zu segnen, und deshalb will er
33,30-33 Die Menschen hörten Hese- seine Schafe sammeln und für jedes ein-
kiel gern zu; aber sie hatten nicht die zelne sorgen. Der größte Segen wird die
Absicht, seinen Worten zu gehorchen! Verbindung des Herrn mit seinem Schaf
Wenn sich seine Weissagungen er­ sein, die innige Gemeinschaft zwischen
füllten, würden sie erkennen, dass ein Gott und Mensch.
Prophet in ihrer Mitte war. 34,11-16 Er wird ihr Hirte sein und
Wir sollten mit der Absicht unter Got- wird sie sammeln und in ihr Land brin-
tes Wort gehen, ihm zu gehorchen, und gen und dann über sie herrschen (wäh-

1051
Hesekiel 34 und 35

rend des Tausendjährigen Reiches). Der sind. »Mein Knecht David« in den Ver-
Evangelist D.L. Moody beschreibt Gottes sen 23 und 24 bezieht sich auf den Herrn
Dienst an seinen Schafen sehr schön: Jesus, der ein Nachkomme Davids ist.
Beachtet einmal, wie oft Gott, der Der jüdische Christ David Baron er-
HERR in Bezug auf seine Schafe sagt: klärt:
»Ich werde« oder: »Ich will.«
Der Hirte und die Schafe: - Selbst die Juden erklären den Namen
V. 11: Ich werde sie suchen und mich »David« in diesem Text als Bezeichnung
ihrer annehmen. für den Messias – den großen Sohn Da-
V. 12: Ich werde sie retten. vids, in dem sich alle Verheißungen des
V. 13: Ich werde sie herausführen. davidischen Hauses vereinen. So sagt
V. 13: Ich werde … sie … sammeln. Kimchi in seinem Kommentar zu Hese-
V. 13: Ich werde sie in ihr Land bringen. kiel 34,23: »Mein Knecht David – das ist
V. 14: Ich werde sie weiden. der Messias, der aus dem Samen Davids
V. 15: Ich werde sie lagern. zur Zeit der Erlösung kommen wird.«
V. 16: Ich werde das Gebrochene ver- Und über Vers 24 in Kapitel 37 merkt er
binden. an: »Der König, der Messias, sein Name
V. 16: Ich werde das Kranke stärken. wird David genannt werden, weil er aus
In Gottes Schafstall sind viele magere dem Samen Davids ist.« Dem schließen
Schafe; aber nicht auf Gottes Weide.30 sich praktisch alle jüdischen Kommen­
Einige Menschen, zu denen auch eine tatoren an.33
gewisse Art von Predigern gehört, ver-
suchen uns einzureden, der Gott des 34,25-31 Hier wird die Sicherheit und
Alten Testaments sei eine harsche, lieb- das Glück der Herde Gottes während
lose Gottheit im Gegensatz zu dem der künftigen Herrschaft Christi be-
Gott, der uns im Neuen Testament ge- schrieben. Unter dem Bund des Frie-
zeigt wird.31 John Taylor verbindet für dens (V. 25) wird es Regengüsse des
uns wunderschön die Offenbarungen Segens (V. 26) und eine Pflanzung des
Gottes als Hirte in beiden Testamenten: Ruhmes (V. 29) geben.
Die ideale Regierungsform ist eine
Das Bild des Hirten, der das zerstreute allen wohltuende absolute Monarchie
Schaf sucht (V. 12), ist eine bemerkens- mit Christus als König.
werte Vorschattung auf das Gleichnis
vom verlorenen Schaf (Lk 15,4ff.), das C. Das Gericht über Edom (Kap. 35)
der Herr zweifellos auf diese Hesekiel- 35,1-7 Das Gebirge Seir ist Edom. Dieses
stelle bezogen hat. Dieses Bild zeigt klar Land wird von dem Herrn beschuldigt
und deutlich die fürsorglichen, lieben- wegen seiner nicht endenden Feind-
den Wesenseigenschaften des Gottes des schaft gegen die Juden, wegen seines
Alten Testaments und versetzt denen ei- Jubels beim Fall Jerusalems und wegen
nen vernichtenden Schlag, die zwischen der Grausamkeit gegen die Flüchtlinge.
Jahwe, dem Gott Israels, und Gott, dem Edom begehrte den Segen; aber es wollte
Vater unseres Herrn Jesus Christus einen den Herrn nicht. Ohne den Herrn
Keil zu treiben versuchen. Zudem ist Jesus können wir nicht gesegnet wer-
dies nicht die einzige Stelle, die von dem den, und das gilt heute noch. Edom ist
fürsorglichen Hirten spricht (siehe Ps zu ewiger Verwüstung verurteilt, all
78,52f.; 79,13; 80,2; Jes 40,11; 49,9f.; Jer sein Handel wird aufhören (V. 7).
31,10).32 35,8-15 Edom sprach Lästerungen ge-
gen die Juden und behandelte sie wie
34,17-24 Der Herr, HERR wird auch sei- Feinde. Es hatte vor, das Land Israel an
ne Schafe vor den falschen Hirten ret- sich zu bringen. Aber der Herr identifi-
ten, die selbstsüchtig und grausam zierte sich selbst immer noch mit sei-

1052
Hesekiel 35 bis 37

nem Volk. Israel war unter seiner Züch- geben (die Wiedergeburt) und sie von
tigung; aber er hatte es nicht verworfen. allen ihren Unreinheiten befreien. Keil
Edom hatte diesen Unterschied außer sagt zu diesem wichtigen Abschnitt:
Acht gelassen.
Weil Edom sich gefreut hat über die Auf die Reinigung von Sünden, die der
Zerstörung Israels, wird sich die ganze Rechtfertigung entspricht und nicht mit
Erde freuen, wenn Edom zur Wüste der Heiligung verwechselt werden darf,
wird (siehe Schlachter 2000, unrevidier- … folgt die Erneuerung durch den Heili-
te Elberfelder). gen Geist, der das alte Herz aus Stein
Gott gefällt es nicht, wenn Gläubige fortnimmt und ein neues Herz aus Fleisch
sich heimlich über den Fall der Feinde einpflanzt. Dann kann der Mensch die
des Glaubens freuen. Wirkliche Liebe Gebote Gottes erfüllen und in Neuheit
empfindet nicht einmal eine stille Ge- des Lebens wandeln.34
nugtuung, wenn andere leiden, weder
bei Freunden noch bei Feinden. Als unser Herr sich über die Unwissen-
heit des Nikodemus über die neue Ge-
D. Die Wiederherstellung des Landes burt wunderte, war dieser Abschnitt in
und des Volkes (Kap. 36) Hesekiel sicher einer der Haupttexte,
Kapitel 36 hat man »das Evangelium dessen Kenntnis der Herr bei einem
nach Hesekiel« genannt, besonders Lehrer Israels voraussetzte (Joh 3,10).
wegen der Verse 25 bis 30. 36,29b-30 Die Getreideernte und die
36,1-7 Die Heiden hatten das Land Frucht würden sich mehren, und nie
Israel in Besitz genommen und verspot- mehr würden die Israeliten eine Hun-
teten Gottes Volk, darum werden sie, gersnot erleiden. All dies würde der
und besonders Edom, von dem HERRN Herr nicht tun, weil sie es verdienten,
bestraft werden. sondern zur Ehre seines Namens.
36,8-15 Israels Städte und das ganze 36,31-38 Die umliegenden Völker
Land werden bewohnt und fruchtbarer würden erkennen, dass Gott das Land
denn je sein, und die anderen Völker wieder bevölkert und bepflanzt hat.
werden Israel nicht mehr verhöhnen. Menschen werden an Jerusalems Fest-
36,16-21 Nicht nur das Land wird zeiten dort so zahlreich sein wie Tier-
wiederhergestellt, sondern auch das herden. Diese Weissagungen haben
Volk wird wieder in das Land gebracht eine teilweise Erfüllung nach der Rück-
werden. Die Gründe für Israels Verban- kehr der Juden aus der babylonischen
nung waren Blutschuld und Götzen- Gefangenschaft gefunden; aber ihre
dienst; die Israeliten waren schuld dar- gänzliche Erfüllung geschieht erst un-
an, dass der Name Gottes unter den ter der zukünftigen Königsherrschaft
Nationen entweiht wurde, wohin sie Christi.
auch kamen. Das moderne Israel wurde 1948 ein
36,22-23 Paulus zitiert Vers 22 in Rö- eigenständiger Staat. Und noch immer
mer 2,24, wo er die Juden wegen ihrer kehren Juden in ihr Land zurück, aller-
zwiespältigen Haltung gegenüber den dings im Unglauben. Die Zeit, in der
Heiden und dem Gesetz zur Rechen- der Herr kommt, muss nahe sein!
schaft zieht. Um seinen eigenen Namen
zu verteidigen ‒ und nicht um Israels E. Die Vision des Tals mit den
willen ‒, wird Gott das Volk in sein Hei- Totengebeinen (37,1-14)
matland zurückbringen. 37,1-8 In der Vision der Verse 1 und 2
36,24-29a Die Verse 24 bis 29 beschrei- sah Hesekiel die vertrockneten Gebeine
ben Israels geistliche Erneuerung. Gott Israels und Judas in einem Tal liegen.
wird die Israeliten reinigen und ihnen Ihm wurde befohlen, den Gebeinen zu
ein neues Herz und einen neuen Geist weissagen, damit sie lebendig würden.

1053
Hesekiel 37 bis 39

Yates wendet das auf unser heutiges Be- einen ewigen Bund des Friedens mit
dürfnis nach dem Hauch des Lebens an: den Israeliten machen, und der Tempel
wird in ihre Mitte gestellt werden. Das
Mit unheimlichem Realismus und star- ist noch Zukunft.
ker dramatischer Kraft stellt uns der Pro-
phet die froh machende Nachricht vor, G. Die Vernichtung der zukünftigen
dass Israel auf neues Leben hoffen darf. Feinde Israels (Kap. 38-39)
Eine Erweckung ist möglich! Selbst tro- Dieses und das folgende Kapitel sagen
ckene Knochen ohne Sehnen, Fleisch und die Vernichtung der zukünftigen Feinde
Blut können aufleben. Das Kommen des Israels voraus. Gog ist der Anführer der
Geistes Gottes bringt Leben. Dieselbe Gegner, und Magog ist sein Land.
aufregende Wahrheit ist immer noch nö- Schriftforscher sind sich über die Iden-
tig in einer Welt voller vertrockneter Ge- tität von Gog nicht einig. Offensichtlich
beine. Was wir brauchen, ist, dass der liegen die hier beschriebenen Zeitereig-
Heilige Geist mit seiner Leben we- nisse zwischen der Rückkehr Israels ins
ckenden Kraft kommt, damit eine echte Land und dem Tausendjährigen Reich.
Er­weckung über diese Erde hinwegfährt Gog und Magog aus Offenbarung 20,8
(siehe auch 1. Mose 2,7; Offb 11,11).35 allerdings gehören zu der Zeit nach dem
Tausendjährigen Reich.
Als er das erste Mal das Wort Gottes zu 38,1-16 Gott wird Gog dazu verleiten,
ihnen sprach, kamen Sehnen, Fleisch seine Truppen zu mobilisieren (V. 1-6).
und Haut über die Gebeine. Gog wird der Fürst von Rosch36,
37,9-14 Das nächste Mal weissagte er Meschech und Tubal genannt, die einige
dem Wind oder Odem, und der Odem für alte Namen von Russland, Moskau
kam in die Körper. Dies beschreibt die und Tobolsk halten. Das ist eine faszinie-
nationale Wiederherstellung Israels rende Möglichkeit, die allerdings durch
(V. 11-14), zunächst die Wiederherstel- nichts bewiesen ist. Sie werden sich süd-
lung des geistlich toten Volkes und wärts auf das Land Israel zubewegen.
dann seine Wiedergeburt. Die Juden werden in Sicherheit wohnen,
Wir sollten auf die Parallele zu unse- ohne Mauern und Riegel. Gott kennt die
rer eigenen Wiedergeburt achten. Dazu Pläne der Feinde sogar schon Jahrtau-
brauchen wir das Wort des Herrn (V. 4) sende im Voraus. Und er hat auch einen
und den Geist (Odem) Gottes (V. 9). Plan, um sein Volk zu erretten. Das gibt
den Gläubigen einen großen Trost.
F. Die Wiedervereinigung von Israel 38,17-23 Dann werden sich die Streit-
und Juda (37,15-28) kräfte Gogs über das Land ergießen.
37,15-23 Hesekiel erhielt als Nächstes Aber sie werden der Zornglut und dem
den Befehl, zwei Stücke Holz zu neh- Eifer Gottes begegnen. Das Land wird
men, eins, das Juda, und eins, das Israel durch ein schreckliches Erdbeben er-
(Josef oder Ephraim) darstellte. Indem schüttert werden. Gogs Leute werden
er beide aneinanderhielt, vereinigte er in Furcht versetzt durch Pest, Blut,
sie zu einem Holzstab. Dies bedeutete, überschwemmenden Regen, Hagel,
die beiden Königreiche, die sich in den Feuer und Schwefel (V. 17-23).
Tagen Rehabeams getrennt hatten, wer- Die Vernichtung der Feinde des
den wieder vereint werden. Ein König, Volkes Gottes erinnert uns an die Ver-
der Messias, wird über sie regieren, heißung des Herrn in Jesaja 54,17: »Kei-
und sie werden gerettet, gereinigt und ner Waffe, die gegen dich geschmiedet
wiederhergestellt sein. wird, soll es gelingen … Das ist das
37,24-28 David (hier der Herr Jesus) Erbteil der Knechte des HERRN.«
wird der König sein, und das Volk wird 39,1-6 Die Scharen Gogs werden auf
ihm vorbehaltlos gehorchen. Gott wird den Bergen Israels völlig zerschlagen.

1054
Hesekiel 39 und 40

Die Erwähnung der Bogen und Pfeile in Gott nicht in der Lage war, das zu ver­
Vers 3 bedeutet nicht notwendiger­ hindern, sondern weil Israels Unreinheit
weise, dass künftige Heere sich wieder und seine Verbrechen dies erforderten.
primitiver Waffen bedienen werden, 39,25-29 Israels Wiederherstellung
obwohl es das heißen könnte. »Warum wird vollkommen sein. Die Juden wer-
sollten die Völker dergleichen tun?«, den ihre Schmach vergessen und den
könnte man wohl fragen. Eine mögliche HERRN erkennen, der seinen Geist
Antwort ist die Tatsache, dass schon über das Haus Israel ausgießen wird.
seit Jahren die unterschiedlichsten
Militär­mächte an Erfindungen arbeiten, V. Szenen aus dem
die motorisierte Waffen wie Panzer, Tausendjährigen Reich (Kap. 40-48)
Flugzeuge usw. völlig wirkungslos
machen. Wird dieses Ziel erreicht, wäre A. Der Tempel des Tausendjährigen
es nötig, im Krieg wieder Rosse und Reiches in Jerusalem (Kap. 40-42)
unmotorisierte Waffen einzusetzen. Dieses und die nächsten beiden Kapitel
Andererseits hat S. Maxwell Coder zeigen uns die Einzelheiten des Tem-
erklärt, die hebräischen Wörter seien pels, der in Jerusalem erbaut wird. Viele
flexibel genug, um auch moderne, hoch der Beschreibungen sind zugegebener-
technisierte Geräte einzuschließen. Da- maßen nicht leicht zu verstehen; aber
nach können Bogen und Pfeile genauso der Grundplan ist zu erkennen. Paul
gut Abschussrampen und Raketen be- Lee Tan schreibt:
deuten. Die »Pferde« in 38,4 (wörtlich:
»Springende«) könnten Fahrzeuge wie Ausleger, die diesen Text nicht wörtlich
Panzer oder Hubschrauber sein. Die nehmen, sagen, diese Weissagung sei ein
Waffen in 39,9-10 müssen nicht aus symbolisches Bild für die christliche Ge-
Holz bestehen. Viele glauben, es könnte meinde. Diese groß angelegte Weis­
sich auch um militärische Ausrüstung sagung im Hesekielbuch enthält jedoch
in Form von Dieselöl und Raketentreib- Beschreibungen, Detailangaben und
stoffen handeln.37 Maße, die so vollständig sind, dass man
39,7-8 Der HERR wird an jenem Tag sogar eine Skizze davon anfertigen
seinen heiligen Namen verteidigen. könnte wie von dem salomonischen his-
39,9-10 Die auf den Bergen ver- torischen Tempel. Ja, F. Gardiner bringt
streuten Waffen Gogs werden für sie- es in Ellicotts Commentary on the Whole
ben Jahre Brennstoff liefern. Die Tat­ Bible fertig, den Grundriss des Tempels
sache, dass man nicht nötig haben wird, im Tausendjährigen Reich zu zeichnen,
Holz vom Feld oder aus dem Wald zu während er gleichzeitig bestreitet, dass
holen, um Feuer machen zu können, dies möglich ist. Das hat Alva J. McClain
scheint die Ansicht zu unterstützen, veranlasst, zu erklären, dass, »wenn ein
dass die zahlreichen fortgeworfenen nicht inspirierter Kommentator etwas
Waffen tatsächlich aus Holz bestehen. Sinnvolles aus dem Bauplan entnehmen
39,11-16 Die Beerdigung der Leichen kann, dann werden ganz sicher künftige
wird im Tal »Hamon Gog« (»Heerhau- Baumeister, die unter göttlicher Leitung
fen von Gog«) stattfinden, das östlich arbeiten, keine Probleme mit der Errich-
des Toten Meeres liegt. Diese Aufgabe tung des Bauwerks haben.«38
wird sieben Monate beanspruchen.
39,17-20 Die Leiber der toten Pferde 1. Der Mann mit der Messrute (40,1-4)
und Reiter werden ein Festmahl für Im Eröffnungsvers wird Hesekiel eine
Vögel und Raubtiere sein. Schau der Stadt Jerusalem und des
39,21-24 An jenem Tag werden die Tempels im Tausendjährigen Reich ge-
Heidenvölker sehen, dass Israel nicht in währt. Im vierzehnten Jahr, nachdem
die Gefangenschaft gehen musste, weil Jerusalem eingenommen worden war,

1055
Hesekiel 40 und 41

wurde Hesekiel auf einen sehr hohen 7. Die Kammern für die Priester (40,44-47)
Berg gebracht. Ihm wurde eine Vision Es gibt Kammern für die Dienst tu­
der Stadt Jerusalem und des Tempels enden Priester und für die Sänger, eine
im Tausendjährigen Reich zuteil durch gegen Süden, die andere gegen Nor-
einen Mann, der aussah, als wäre er aus den. Die erste ist für die Priester, die
Erz (oder Bronze). Dem Propheten wur- den Dienst am Tempelhaus versehen;
de befohlen, aufmerksam auf alles zu die nördliche ist für die Priester, die den
achten, was er sah, und es dem Haus Dienst am Altar versehen (die Söhne
Israel zu verkünden. Dies tut er in den Zadoks).
folgenden Kapiteln.
8. Die Vorhalle des Tempels (40,48-49)
2. Das Osttor des äußeren Vorhofs (40,5-16) Die Vorhalle des Tempels scheint der
Weil der Tempel in Ost-West-Richtung des salomonischen Tempels zu glei-
steht, ist das Osttor der natürliche Ein- chen. Die Säulen erinnern uns an die
gang. So beginnt mit diesem Tor die Be- beiden Jachin und Boas genannten Säu-
schreibung des Bauwerks. Zuerst wird len in jenem Bau (1Kö 7,21).
die Mauer um das Tempelhaus gemessen Kapitel 40 handelt vor allem von dem
(V. 5), dann folgt die Beschreibung des den Tempel umgebenden Areal, wäh-
Osttors zum äußeren Vorhof (V. 6-16). rend Kapitel 41 den Tempel selbst be-
schreibt.
3. Der äußere Vorhof (40,17-19) Die genauen Maße in den Kapiteln 40
Gegenüber dem »Steinpflaster«, das als bis 43 erinnern uns daran, dass wir un-
Mosaik gearbeitet gewesen sein mag seren gesamten Dienst nach den ge-
(vgl. 2Chr 7,3; Ester 1,6), liegen dreißig nauen Anordnungen Gottes einzurich-
Kammern. ten haben (siehe 2. Mose 25,40). Genaue
Maße erscheinen auch sinnlos, wenn es
4. Die anderen beiden Tore des äußeren sich nicht um ein tatsächliches Gebäude
Vorhofs (40,20-27) handelte. Eine Allegorie oder ein Bild
Das Tor in nördlicher Richtung soll dem enthielte wohl kaum so präzise Bau­
Osttor entsprechen mit seiner Vorhalle anleitungen. Auch hat noch niemand
und seinen Palmen. Das Tor in südlicher eine befriedigende Erklärung für di-
Richtung hatte dieselben Maße und For- verse Teilangaben geben können, wenn
men. Nach Westen hin gibt es kein Tor. alles nur symbolisch zu verstehen wäre.
5. Die drei Tore des inneren Vorhofs 9. Das Heilige und das Allerheiligste
(40,28-37) (41,1-4)
Auch der innere Vorhof hat drei Tore: Die Maße des Heiligtums entsprechen
eins nach Süden (V. 28-31), ein zweites genau denen im salomonischen Tempel
nach Osten (V. 32-34) und ein drittes und sind zweimal so groß wie die der
nach Norden (V. 35-37). Stiftshütte. Der wie Bronze aussehende
Mann brachte Hesekiel in den Tempel-
6. Die Einrichtungen für den Opferdienst raum; aber er allein ging ins Allerheilig-
(40,38-43) ste. Das erinnert uns an die Verbote, die
Acht Tische an und in der Vorhalle sol- für den alten Tempel und die Stiftshütte
len am Nordtor für die Tieropfer gebaut galten (siehe Hebr 9,8.12; 10,19). Diesel-
werden. Außerdem werden vier Tische be Zweiteilung wie im alten Tempel
aus Quadersteinen für die Brandopfer wird offensichtlich im Tempel des Tau-
benutzt. Dort werden die Werkzeuge sendjährigen Reiches beibehalten.
zum Schlachten der Opfer abgelegt,
auch die Gabelhaken werden dort 10. Die Seitenkammern (41,5-11)
ringsum befestigt. Der Tempel wird sehr massiv und ge-

1056
Hesekiel 41

Hesekiels Tempel

Küche Vorratskammern Vorratskammern Küche

Äußeres Nordtor

Vorratskammern
Zellen für Sänger / Priester
Inneres
Küche der Nordtor
Priester Zellen der Priester
Äußerer Vorhof
Tempel
Aller- Innerer Inneres
W Westtrakt heilig- Heiliges
stes
Altar
Hof Osttor Äußeres Osttor O

Vorratskammern
Küche der
Priester Zellen der Priester Inneres
Südtor
Zellen für Sänger / Priester

Äußeres Südtor

Küche Vorratskammern Vorratskammern Küche

räumig sein; er wird drei Stockwerke des Tempels fest: einhundert Ellen lang
mit dreißig Seitenkammern in jedem und einhundert Ellen breit.
Stockwerk besitzen. Sie werden nach
oben hin an Größe zunehmen, vielleicht, 13. Die innere Ausschmückung und
weil die Tempelwand nach oben hin je- Einrichtung des Tempels (41,15b-26)
weils treppenartig schmaler wird (V. 7). Das Innere des Tempels soll Galerien an
beiden Seiten haben, es soll getäfelt sein
11. Ein Gebäude im Westen des Tempels und gerahmte (oder verzierte) Fenster
(41,12) haben.
Am Westende des Tempelbezirks befin- Cherubim und Palmen, die sich rings-
det sich ein separates Gebäude, siebzig um am Gebäude ablösen, werden die
mal neunzig Ellen groß. Sein Zweck Dekoration sein. Die Cherubim, die von
wird nicht angegeben. Gottes Heiligkeit sprechen (siehe 1. Mo­
se 3), haben das Gesicht eines Men-
12. Die Maße des Tempels (41,13-15a) schen zur einen Palme hin und das Ge-
Hesekiels Tempelführer stellte das Maß sicht eines Löwen zur anderen Palme

1057
Hesekiel 41 bis 43

hin. Palmen sind in der Schrift ein Sym- treiben oder Gräuel im Bereich des Tem-
bol des Sieges und der Gerechtigkeit. pels begehen.
Der aus Holz gemachte Altar wird 43,10-12 Die Menschen vom Haus Is-
von Hesekiels Führer »der Tisch, der rael werden sich wegen all dessen schä-
vor dem HERRN steht« genannt. men, was sie getan haben, wenn sie die
Der Tempel soll zwei Türen mit je Zeichnungen, die Einrichtungen und
zwei Flügeln haben, in die ebenfalls die Anordnungen für den neuen Tem-
Cherubim und Palmen geschnitzt sind. pel sehen. Sobald sie Buße tun, wird
Die Vorhalle wird von einem höl- Gott ihnen neue Hoffnung geben. (Wir
zernen Dachgesims überdacht sein. sollten auch so reagieren, wenn jemand
Von einem Vorhang, von der Bundes- Buße tut.) Dem Volk soll gesagt werden,
lade oder von dem Hohenpriester ist dass das gesamte Gebiet ringsum auf
nirgends die Rede. Der Vorhang wurde der Kuppe des Berges, auf dem das
auf Golgatha zerrissen. Das, was die Tempelhaus steht, hochheilig sein wird.
Bundeslade symbolisieren sollte, ist in Wenn wir wirklich die Herrlichkeit
Christus erfüllt worden. Und der Herr des HERRN erkennen, werden wir uns
ist als Großer Hoherpriester selbst an- unserer Sünden schämen (V. 10).
wesend.
Nur der Blick, der Petrus beschämte,
14. Die Räume der Priester (42,1-14) Nur das Angesicht, das Stephanus sah,
Die Priester werden nördlich und süd- Nur das Herz, das mit Maria weinte,
lich vom Tempel ihre Räume haben. Kann uns von den Götzen wegziehen.
Dort werden sie die hochheiligen Ga- Verfasser unbekannt
ben essen und ihre heiligen Kleider
nach dem Dienst ablegen. 43,13-17 Die Maße des Altars – wahr-
scheinlich wie eine abgestufte Plattform
15. Die Maße des äußeren Vorhofs – werden uns als Nächstes mitgeteilt.
(42,15-20) Der Opferherd (Gottesherd) ist die Flä-
Die Maße des äußeren Vorhofs be­ che des Altars, wo das Feuer entzündet
tragen 500 Ruten auf jeder der vier Sei- wird. Er wird vier Hörner haben, die
ten. Der Unterschied zwischen dem vom Opferherd aufragen. Eine un­
Heiligen und dem Unheiligen oder Ge- gewöhnliche Eigenart dieses Altars ist
meinen in Vers 20 ist das, was wir viel- die, dass Stufen zu ihm hinaufführen;
leicht sakral und säkular nennen wür- das war im vorigen Tempel untersagt.
den. Es ist der Unterschied zwischen Dieser Altar wird so hoch sein, dass
Anbetung und Gottesdienst einerseits eine Treppe unerlässlich ist.
und den Angelegenheiten des alltäg- 43,18-27 Als Nächstes wird das Ritual
lichen Lebens andererseits. beschrieben, das für die Einweihung des
Altars mit Hilfe von Blut zu befolgen ist.
B. Der Gottesdienst im Dieses Ritual wird sieben Tage dauern,
Tausendjährigen Reich (Kap. 43-44) und seine Bedeutung in Israels öffent-
43,1-5 Im elften Kapitel (V. 23) sahen lichem Gottesdienst kann an mehreren
wir, wie sich die Herrlichkeitswolke alttestamentlichen Texten abgelesen wer-
zögernd von dem Tempel in Jerusalem den: 2. Mose 29,37; 3. Mose 8,11.15.19.33;
entfernte. Aber die Herrlichkeit des 1Kö 8,62-65 und 2Chr 7,4-10. Danach be-
Gottes Israels wird in der Person des ginnt am achten Tag der reguläre Opfer-
Herrn Jesus zurückkehren, wenn er als dienst.
König kommt. Das Kapitel endet mit der Mut ma-
43,6-9 Er wird in der Mitte seines chenden Ankündigung, dass Gott nicht
Volkes wohnen für ewig; nie mehr wird nur die Opfer des Volkes annehmen
Israel geistliche Hurerei (Götzendienst) wird, sondern: »Ich werde euch wohl-

1058
Hesekiel 43 und 44

gefällig annehmen, spricht der Herr, wegen des Fluchs über Elis Familie vom
HERR.« priesterlichen Dienst ausgeschlossen
Man beachte, dass zu dieser Zeit die sein ‒ oder wegen ihrer Untreue in der
Söhne Zadoks die Priester sein werden Königszeit. Von alldem lernen wir, dass
(V. 19). Das ist eine Ehre, die vielleicht Sünden oft bittere Folgen haben und
daher rührt, dass Zadok sowohl David dass Treue belohnt wird.
als auch Salomo unerschütterlich die 44,17-19 Die Priester sollen leinene
Treue hielt. Kleider und keine wollenen tragen. Der
44,1-3 Das Osttor des äußeren Vor- Ausdruck: »… damit sie das Volk nicht
hofs muss beständig verschlossen blei- mit ihren Kleidern heilig machen«
ben; denn wenn der HERR in den Tem- (V. 19b), bezieht sich auf die rituelle
pel zurückgekehrt ist, wird er ihn nie- Heiligkeit, die nur auf den Dienst im
mals wieder verlassen. Nur der Fürst Heiligtum beschränkt ist und nicht für
darf in der Vorhalle des Tores sitzen die regulären Aufgaben eines Priesters
und die Opfermahlzeit dort zu sich gilt (2. Mose 29,37; 30,9; 3. Mose 6,18;
nehmen. Einige glauben, der Fürst sei Hag 2,10-12).
der Messias selbst, andere halten ihn 44,20-22 Hier werden Regeln für den
für einen Nachkommen Davids, der richtigen Haarschnitt gegeben, außer-
unter Christus als dem König als stell- dem wird das Verbot formuliert, wäh-
vertretender Herrscher fungiert. Aller- rend des Tempeldienstes Wein zu trin-
dings weist F.W. Grant darauf hin, dass ken. Dann geht es darum, wen ein
es nicht der Messias sein kann, weil er Pries­ter heiraten darf.
Söhne hat (46,16) und für sich selbst 44,23-24 Die Söhne Zadoks sollen
Sündopfer bringen muss (45,22).39 auch als Lehrer und Richter dienen und
44,4-9 Als der Herr Hesekiel an die das Volk den Unterschied zwischen
Vorderseite des Tempelhauses brachte, dem Heiligen und Reinen einerseits
wurde dieser von Ehrfurcht und Stau- und dem Unheiligen und Unreinen an-
nen ergriffen angesichts der Herrlich- dererseits lehren.
keit des HERRN, die das Haus erfüllte. 44,25-27 Manchmal ist der Kontakt
Vers 4 sollte in uns ein sehnsüchtiges mit toten Menschen unumgänglich; in
Verlangen nach Anbetungsversamm- einem solchen Fall werden jedoch be-
lungen wecken, in denen sich die Herr- stimmte Reinigungsrituale erforder-
lichkeit des Herrn so sehr offenbart, lich.
dass die Anbeter vor ihm niederfallen. 44,28-31 Sie werden ihren Lebens­
Der Herr unterwies Hesekiel, auf- unterhalt bestreiten von den Dingen,
merksam achtzugeben auf die neuen die man dem HERRN geweiht hatte.
Anordnungen in Bezug auf den Tem- Der HERR will ihr Erbteil sein, und auf
pel, seinen Eingang und seine Ausgän- Erden werden sie nichts besitzen. Dies
ge (V. 5), und das Volk zu ermahnen, gilt auch heute für einen Diener Gottes.
dass der Einsatz von Fremden mit un- Der Herr will, dass wir unser volles Ge-
beschnittenem Herzen beim Tempel- nüge in ihm finden, um dadurch frei zu
dienst aufhören muss (V. 6-9). sein von allen weltlichen Bindungen.
44,10-16 Künftig sollen die Leviten für Wie Paulus können wir lernen, in allen
untergeordnete Dienste bestimmt sein; Verhältnissen zufrieden zu sein (Phil
denn sie waren einst zu Götzendienern 4,11); aber wir müssen es lernen, weil
geworden. Nur die Söhne Zadoks dür- wir von Natur aus anders eingestellt
fen als Priester dienen und Gott nahen sind. Nur ein zerbrochener Mensch
und vor ihm stehen. Die Söhne Zadoks kann sagen: »Außer dir habe ich an
waren in der Zeit treu geblieben, als Da- nichts Gefallen auf der Erde … Meines
vid durch Leiden ging (2Sam 15,24; 1Kö Herzens Fels und mein Teil ist Gott auf
1,32ff.; 2,26-27.35). Die Leviten mögen ewig« (Ps 73,25-26).

1059
Hesekiel 45

C. Die Verwaltung des


Tausendjährigen Reiches (Kap. 45-46) Exkurs: Opfer im Tausendjährigen Reich
45,1 Im Zentrum des Landes Israel wird In Hesekiel 43,20.26; 45,15.17 wird von
ein Teil für den HERRN als heiliges einigen im Tausendjährigen Reich dar-
Land abgesondert. Es wird 25.000 Ellen gebrachten Opfern ausdrücklich ge-
lang und 20.000 Ellen breit sein. sagt, sie sollten Sühnung erwirken. Wie
45,2-5 Dieses Stück wird in zwei Strei- kann das mit Hebräer 10,12 in Einklang
fen geteilt. Die obere Hälfte soll das gebracht werden? Dort heißt es: »Er
Heiligtum enthalten und auch für die aber hat sich, nachdem er ein einziges
Priester bestimmt sein. Die untere Hälf- Opfer für die Sünden dargebracht hat,
te ist für die Leviten. das für immer gilt, zur Rechten Gottes
45,6 Unterhalb der »heiligen Weihe- gesetzt.« Oder Hebräer 10,18: »Wo aber
gabe« wird ein dritter Streifen von 5.000 Vergebung für diese ist, da gibt es kein
Ellen Breite dem »ganzen Haus Israel Opfer mehr für Sünde.«
gehören« und Platz für die Stadt Jeru­ Wie das Wort »Sühnung« (wörtl. »Be-
salem bieten. deckung«) im Alten Testament ge-
45,7-8 Alles Land westlich und östlich braucht wird, bedeutet es niemals das
von diesem Quadrat soll bis zu den Wegnehmen der Sünden. Hebräer 10,4
Grenzen des Landes dem Fürsten ge­ erinnert uns daran: »… unmöglich kann
hören. Blut von Stieren und Böcken Sünden
45,9-12 Die Fürsten Israels sollen in wegnehmen.« Vielmehr waren die Op-
ihren Handlungen Gerechtigkeit üben fer ein Erinnern an die Sünden (Hebr
(V. 9), indem sie gerechte Waagen und 10,3). Was bedeutete dann aber »Süh-
Maße verwenden. nung«? Es bedeutete, dass die Opfer
45,13-17 In diesen Versen wird das eine äußerliche, zeremonielle Reini-
ganze Volk aufgefordert, gewisse Pro- gung bewirkten. Sie bewirkten eine ri-
zentsätze ihrer Ernten dem Fürsten in tuelle Reinheit des Volkes, die ihm er-
Israel zu geben, um das Nötige für die laubte, mit Gott in Anbetung Gemein-
regelmäßigen Opfer und die besonde- schaft zu haben. Die Opfer konnten so-
ren Festzeiten zur Verfügung zu stel- gar für unbelebte Dinge »Sühnung voll-
len. ziehen«, wie etwa für den Altar (2Mo
45,18-20 Am ersten Tag des ersten 29,37), bei dem es niemals um ein Weg-
Monats soll das Heiligtum entsündigt nehmen von Sünden gehen konnte.
werden, und am siebten Tag desselben Dies bedeutete für den Altar lediglich,
Monats soll das Volk von seinen Sün- dass er zeremoniell rein war, damit er
den gereinigt werden, die es aus Ver­ zum Dienst vor Gott tauglich wurde.
sehen oder aus Unwissenheit begangen Wenn wir von unbewussten Sünden
hatte. im Zusammenhang mit Sühnung lesen
45,21-25 Das Passah soll am vierzehn- (3. Mose 4,20), kann dies nur die Ent­
ten Tag des ersten Monats gefeiert wer- fernung zeremonieller Unreinheit be-
den ‒ und am fünfzehnten Tag des sieb- deuten, damit die betreffende Person
ten Monats das Laubhüttenfest. an der Anbetung teilnehmen konnte.
Nicht erwähnt werden das Wochen- In unserer Zeit hat das Wort Sühnung
fest (Pfingsten), das Fest des Posaunen- eine weitere und tiefere Bedeutung er-
schalls und der Große Versöhnungstag. langt. Es wird zum Beispiel zur Be-
Wie dankbar sollten wir im Licht all schreibung des Opferwerkes Christi
dieser Rituale und heiligen Tage für das gebraucht, durch das die Sünden fort-
ein für alle Mal um unseretwillen voll- genommen und wir mit Gott versöhnt
brachte stellvertretende Erlösungswerk wurden. Doch in der Bibel hat es diese
Christi sein! Bedeutung nirgends.

1060
Hesekiel 45 bis 47

Die geschichtlichen Opfer Israels dem Tor des Tempels fließen, neben
blickten voraus auf das vollkommene dem Altar her, durch die Mauer südlich
und allumfassende Opfer Christi. Die vom Osttor, bis hinab ins Tote Meer. Die
Opfer des Tausendjährigen Reiches wer- Wasser des Meeres werden gesund,
den an das Werk von Golgatha erinnern. und es wird zahllose Fische darin ge-
Sie werden Erinnerungsfeiern für Israel ben. Yates schreibt:
sein wie der Tisch des Herrn für uns.
Die Stellen in Hebräer schließen also Das Wasser des Lebens ist ein beliebtes
nicht gewisse Opferzeremonien für die Bild im Alten Testament. Wüstengebiete
Zukunft aus. Dagegen bestätigen sie, brauchen Wasser, damit dort Leben mög-
dass keine zukünftigen Opfer Sünden lich ist. Dieser Strom, den Hesekiel aus
tatsächlich wegnehmen können, genau- dem Tempel fließen sieht, bahnt sich sei-
so wenig wie sie es in der Vergangen- nen Weg in die dürren Gebiete der Ara-
heit vermochten. ba. Als immer tiefer werdender Strom
fließt er dorthin und bringt, wohin er
kommt, Leben, Gesundheit und überrei-
che Fruchtbarkeit. Er ist das einzige Heil-
46,1-8 Die Verse 1 bis 8 berichten uns, mittel, das wir brauchen. Jesus nahm die-
dass der Fürst im Osttor des inneren ses Bild als Grundlage für seine Predigt,
Vorhofs stehen und anbeten soll, wäh- die er der Frau am Jakobsbrunnen hielt
rend er seine Opfer am Sabbat oder an (vgl. auch Ps 1,3; 46,5; Joel 4,18; Sach 14,8;
den Neumondfesten darbringt (V. 6). Er Joh 4,7-15; 7,38; Offb 22,1-2).40
darf den inneren Vorhof nicht betreten.
Das Volk soll hinter dem Fürsten ste- Der Strom, der ein tatsächlicher, geo-
hen und an­beten, während die Priester grafischer Fluss sein wird, ist ein über-
die Opfer darbringen. Weder der Fürst zeugendes Bild von dem weitverbrei-
noch das Volk kann den inneren Vor- teten, aber noch unvollständigen Segen
hof betreten. (V. 11), der von der Königsherrschaft
Im Tausendjährigen Reich wird Israel Christi im Tausendjährigen Reich aus-
Christus in den Opfern erblicken, et- gehen wird. Gott wird in dem Tempel
was, was das Volk als Ganzes in der wohnen; darum wird ein immer mehr
Vergangenheit nie getan hat. zunehmender Strom des Segens von
46,9-10 Die Menschen sollen den äuße- dort zu anderen Orten ausgehen. Heute
ren Vorhof durch das ihrem Eingang ge- wohnt Gott in unseren Leibern (1Kor
genüberliegende Tor verlassen. Sie soll- 6,19), und darum sollte auf andere rings
ten den Bewegungen des Fürsten folgen. um uns her ein Strom des Segens kom-
46,11-18 In den Versen 11 und 12 wer- men (Joh 7,37-38). Jemand sagte einmal:
den die freiwilligen Gaben des Fürsten »Wenn jemand mit dem Heiligen Geist
beschrieben, in den Versen 13 bis 15 die erfüllt ist und sein Leben berührt das
täglichen Opfer. Gesetze über den Erb- Leben anderer, so geschieht etwas für
besitz des Fürsten bewahren ihn davor, Gott.« Welch eine Herausforderung für
diesen auf Dauer zu verlieren oder ihn uns, die Bedingungen zu erfüllen, die
rechtswidrig zu vermehren. solche Segnungen zur Folge haben!
46,19-24 Für die Priester werden Der Strom bringt Leben, wohin er
Kochstellen eingerichtet. kommt – ein vielsagendes Bild vom Le-
ben spendenden Dienst des Heiligen
D. Das Land während des Geistes.
Tausendjährigen Reiches (Kap. 47-48)
2. Die Grenzen des Landes (47,13-23)
1. Die Heilung der Gewässer (47,1-12)
47,13-20 Als Nächstes werden uns die
Hesekiel sah in einer Vision Wasser von künftigen Grenzen und die Aufteilung

1061
Hesekiel 47 und 48

des Landes mitgeteilt. Hier werden die min (V. 23), Simeon (V. 24), Issaschar
Grenzen beschrieben. (V. 25), Sebulon (V. 26) und Gad (V. 27)
Hesekiels Erwähnung des Jordans als liegen.
Grenze des Landes (V. 18) kann kein 48,28-35 Die neue Stadt Jerusalem
Fehler sein; er wusste sicher, dass sich wird zwölf Tore haben, drei an jeder
das Land ostwärts bis zum Euphrat er- Seite, eins für jeden Stamm Israels, ihr
strecken würde (1. Mose 15,18). Hier Name wird sein: Jahwe Schammah – der
bezieht er sich vielleicht auf die vorläu- HERR ist hier.
fige Besetzung des eigentlichen Palästi- Dieser Name erinnert uns an das, was
nas. Oder er deutet an, dass der Jordan stets in Gottes Herzen war: Er liebt seine
nur einen Teil der Ostgrenze bildet, Geschöpfe so sehr, dass er immer vor-
während der Rest nordostwärts bis hin hatte, sie nahe bei sich zu haben. Er ist
zum Euphrat reicht. Die zweite Erklä- der immer Suchende, der uns fragt: »Wo
rung ist nicht so beliebt; aber weil Hese- bist du?«, und der uns zur Buße und
kiels Beschreibung so genau ist und er zum Glauben ruft. Als Gott, der Sohn,
den Euphrat überhaupt nicht erwähnt, kam er sogar auf diese Erde herab, um
darf man sie nicht völlig außer Acht las- für uns zu sterben. Sein Wunsch wird
sen. erfüllt: Der Mensch wird seinem Herzen
47,21-23 Innerhalb des Gebiets, das nahe sein. Wir können uns einbringen
den Stämmen zukommt, wird das Erb- und an seiner Suche nach den Verlore-
teil durchs Los unter die Stammesmit- nen teilnehmen, auch jetzt, während wir
glieder verteilt; aber auch die Fremdlin- hier auf Erden seinem Herzen nahe sind.
ge werden nicht von einem Erbteil aus- Das ist es, was Gott von uns möchte.
geschlossen. Wir beenden den Kommentar zu
Hese­kiel mit einer Zusammenfassung
3. Die Einteilung des Landes (Kap. 48) des christlich-jüdischen Alttestament-
48,1-7 Es scheint so, dass das Land in lers Char­les L. Feinberg:
horizontale Streifen geteilt wird, die
vom Mittelmeer zur Ostgrenze des Lan- Diese unvergleichliche Weissagung be-
des verlaufen. Der nördlichste Streifen gann mit einer Vision von der Herrlich-
wird für den Stamm Dan sein (V. 1). keit Gottes und endet mit der Beschrei-
Dann folgen Asser (V. 2), Naftali (V. 3), bung der Herrlichkeit des Herrn in der
Manasse (V. 4), Ephraim (V. 5), Ruben verherrlichten Stadt Jerusalem. Hesekiel
(V. 6) und Juda (V. 7). endet wie Johannes in der Offenbarung
48,8-22 Südlich von Juda wird das damit, dass Gott bei den Menschen in
schon festgelegte Teil für den Fürsten Heiligkeit und Herrlichkeit wohnt. Es
sein, das auch das Heiligtum und die gibt kein größeres Ziel der Geschichte
Stadt Jerusalem einschließt. Diese und des Handelns Gottes mit den Men-
»Weihe­gabe« wird eine riesige quadra- schen.41
tische Fläche sein, die an das nördliche
Ende des Toten Meeres grenzt. Sie wird
in drei horizontale Streifen geteilt wer- Anmerkungen
den; der nördliche gehört den Priestern 1
(Einführung) Z.B. von Gleason Ar-
und hat den Tempel als Mittelpunkt. cher, A Survey of Old Testament Intro­
Der mittlere Streifen wird für die Levi- duction, Stichwort »Ezekiel«.
ten sein und der südliche für das Volk, 2
(Einführung) John B. Taylor, Ezekiel:
mit Jerusalem im Zentrum. Das übrige An Introduction and Commentary,
östlich und westlich davon liegende Tyndale Old Testament Commen­
Gebiet wird dem Fürsten gehören. taries, S. 14-16.
48,23-27 Südlich vom heiligen Gebiet 3
(Einführung) Albert Barnes, The Bible
werden die Erbteile der Stämme Benja- Commentary, Proverbs-Ezekiel, S. 302.

1062
Hesekiel

4
(1,4-28a) Diese vier Gesichter werden 11
(9,4) Ebd.
traditionell mit den vier Bildern un- 12
(11,16-21) Yates, Prophets, S. 182.
seres Herrn in den Evangelien ver- 13
(11,22-25) George Williams, The
bunden: Matthäus – der Löwe (Chris­ Student’s Commentary on the Holy
tus als König); Markus – der Stier Scriptures, S. 579.
(Christus als Diener); Lukas – der 14
(13,1-3) Denis Lane, The Cloud and the
Mensch (Christus, der vollkommene Silver Lining, S. 53-62.
Mensch); Johannes – der Adler (Chris­ 15
(13,8-16) A.B. Davidson, The Book of
tus, der Sohn Gottes). Siehe William the Prophet Ezekiel, S. 88.
MacDonald, Kommentar zum Neuen 16
(13,8-16) Unser Herr gibt den Phari-
Testament, Einführung in die Evan­ säern einen ähnlichen (aber schlim-
gelien, Seite 15. meren) Namen: »übertünchte Grä-
5
(1,4-28a) Der Masoretische Text hat in ber« (Mt 23,27).
Hes 43,3: »… als ich kam, um die Stadt 17
(16,44-52) Feinberg, Ezekiel, S. 91.
zu zerstören« (vgl. unrevidierte El- 18
(17,22-24) Carl F. Keil, »Ezekiel«, in:
berfelder, Schlachter 2000). Die neue Biblical Commentary on the Old Testa­
Scofield-Bibel sagt in ihrer Fußnote ment, Bd. XXI, S. 244-245.
zu diesem Textproblem: »Offensicht- 19
(16,44-52) Matthew Henry, »Ezekiel«,
lich war es nicht Hesekiel, der kam, in: Matthew Henry’s Commentary on
um die Stadt Jerusalem zu zerstören the Whole Bible, Bd. IV, S. 878-879.
wegen ihrer Sünden, sondern der 20
(22,23-24) Taylor, Ezekiel, S. 168-169.
HERR selbst. Aufgrund der Erforder- 21
(22,25-31) Ebd., S. 169. Siehe auch
nisse des Kontexts liest man nach Fußnoten in der ER.
etwa sechs Manuskripten, nach der 22
(23,5-10) Auch später blieb dort ein
Übersetzung des Theodotion und der rivalisierendes Zentrum falschen Got-
Vulgata am besten: ›Als er kam, die tesdienstes erhalten. Die Samariterin
Stadt zu zerstören.‹ Eine mögliche scheint in Johannes 4,20 ihren »deno-
Wiedergabe, die man vielleicht vor- minationellen Unterschied« dem
ziehen sollte, würde den letzten Buch- Herrn gegenüber zu verteidigen.
staben des hier diskutierten Wortes 23
(26,3-11) Nebukadnezar erhielt die-
als wohlbekannte Abkürzung für sen Titel, weil er viele Könige seiner
›HERR‹ lesen. Dann hätte man fol- Herrschaft unterwarf.
gende Lesart: ›Als der HERR kam, die 24
(26,3-11) Feinberg, Ezekiel, S. 149.
Stadt zu zerstören.‹« The New Scofield 25
(26,12-14) Zitiert bei W.M. Thomson
Bible, New King James Version, S. 995. in The Land and the Book, S. 155f.
6
(1,28b - 2,7) Moderne Bibelüberset- 26
(26,15-21) Peter Stoner, Science Speaks,
zungen haben z.T. statt »Menschen- S. 76.
sohn« geschlechtsneutrale Umschrei- 27
(28,11-19) Feinberg, Ezekiel, S. 161-162.
bungen wie »du sterblicher Mensch« 28
(30,13-19) Dies ist die bekannte
(Hoffnung für alle) bzw. »Mensch« Grenzstadt, in die Jeremia gebracht
(Gute Nachricht) und verdunkeln so wurde, nachdem der Statthalter Ge-
die Beziehung zu den Bezeichnun- dalja ermordet worden war (Jer 43,7;
gen bei Daniel und den Aussagen vgl. 44,1).
unseres Herrn. 29
(34,1-6) Yates, Preaching, S. 183.
7
(1,28b - 2,7) Taylor, Ezekiel, S. 60. 30
(34,11-16) D.L. Moody, Notes from
8
(1,28b - 2,7) Ebd. My Bible, S. 90.
9
(3,12-15) Kyle M. Yates, Preaching 31
(34,11-16) Ein liberaler protestan-
from the Prophets, S. 181. tischer »Bischof« von Washington
10
(9,4) Charles Lee Feinberg, The Proph­ (D.C.) lästerte in den fünfziger Jah-
ecy of Ezekiel: The Glory of the Lord, ren den Gott des AT und nannte ihn
S. 56. einen »Tyrannen«.

1063
Hesekiel

32
(34,11-16) Taylor, Ezekiel, S. 220-221. men auffasst, ist damit nicht ent-
33
(34,17-24) David Baron, The Shepherd schieden, wer damit gemeint ist. Es
of Israel, S. 8-9. kann Russland sein, muss aber nicht.
34
(36,24-29a) Keil, »Ezekiel«, S. 110. Die meisten Historiker verlegen
35
(37,1-8) Yates, Preaching, S. 184. Meschech und Tubal in die heutige
36
(38,1-16) Manche Übersetzungen ge- Zentraltürkei.
ben das hebräische Rosch adjekti- 37
(39,1-6) S. Maxwell Coder, »That Bow
visch wieder und übersetzen es mit and Arrow War«, Moody Monthly,
»Haupt« und von da abgeleitet mit April 1974, S. 37.
»Fürst«. Das kommt von der latei- 38
(40, Einführung) Paul Lee Tan, The
nischen Vulgata und dem Targum, Interpretation of Prophecy, S. 161.
ist aber nicht genau ‒ vielleicht aus 39
(44,1-3) F.W. Grant, »Ezechiel«, in:
Furcht, die Leser könnten Russland The Numerical Bible, Bd. IV, S. 273.
in »Rosch« erkennen. Doch auch 40
(47,1-12) Yates, Preaching, S. 184.
wenn man »Rosch« als richtigen Na- 41
(48,28-35) Feinberg, Ezekiel, S. 239.

Bibliografie »Ezekiel«, in: Biblical Commentary on the


Old Testament, Bde. 22 u. 23, Nach-
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Davidson, A.B., Mills, Montague S.,


The Book of the Prophet Ezekiel, The Cam­ Ezekiel: An Overview,
bridge Bible for Schools and Colleges, Dallas: 3E Ministries, o.J.
Cambridge: The University Press, 1900.
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Feinberg, Charles Lee, Dead Bones Live: An Exposition of the
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Lord, Eastbourne: Prophetic Witness Publish­
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tary on the Whole Bible, Bd. IV,
McLean: MacDonald Publishing Com-
pany, o.J.
Keil, C.F.,

1064
Daniel
»Ich möchte betonen … dass keiner der Propheten so klar in Bezug auf Christus geredet
hat wie dieser Prophet Daniel. Er bestätigte nicht nur, dass er kommen würde,
was auch bei anderen Propheten anzutreffen ist, sondern er hat darüber hinaus die
genaue Zeit angegeben, in der er kommen sollte. Überdies beschrieb er der Reihe nach die
verschiedenen Könige, nannte die genaue Zahl der sie betreffenden Jahre und kündigte
im Voraus die deutlichsten Zeichen der kommenden Ereignisse an.«

Hieronymus (347-420 n.Chr.)

Einführung ausführlicher als bei den meisten an­


deren Büchern.
I. Einzigartige Stellung im Kanon Die erste Salve gegen die orthodoxe
Ansicht wurde im dritten Jahrhundert
Daniel ist eines der faszinierendsten n.Chr. von dem antichristlichen Philo-
Bücher des Alten Testaments und ge- sophen Porphyrius abgefeuert. Schon
hört auch zu den wichtigsten. Wegen dieser leugnete, dass Daniel ein wirk-
seiner präzisen Vorhersagen, seiner licher Prophet war, der von Gott mit
messianischen Prophezeiungen und genauen Visionen über die heidnischen
seines inspirierenden Vorbilds einer Weltreiche und den kommenden Mes-
klaren Trennung von der antigöttlichen sias beschenkt wurde.
Weltreligion wurde das Buch Daniel Seine Ideen wurden später von einer
zur Zielscheibe der Angriffe von Ratio- Hand voll Juden des siebzehnten Jahr-
nalisten und ungläubigen Gelehrten. So hunderts und dann vom Christentum
ist es kein Wunder, dass der konserva­ des achtzehnten und der folgenden Jahr-
tive Bibelgelehrte Sir Robert Anderson hunderte aufgenommen. Mit der Aus-
einem seiner Bücher den Titel gab: Da­ breitung des Rationalismus (Vernunft-
niel in der Kritikergrube. glaubens) breiteten sich diese Ansichten
Die Hauptstoßrichtung der Angriffe weiter aus und wurden in liberalen und
bezieht sich darauf, ob dieses Buch tat- halbliberalen Kreisen akzeptiert.
sächlich von einem Propheten namens Merrill F. Unger schreibt:
Daniel aus dem sechsten vorchristlichen
Jahrhundert geschrieben wurde, wie es Die moderne Bibelkritik betrachtet die
konservative Juden und Christen be- Festlegung eines Entstehungsdatums in
kräftigen, oder aber von einem un­ der Makkabäerzeit (etwa 167 v.Chr.) und
bekannten Autor aus dem zweiten Jahr- die Verwerfung der traditionellen da­
hundert vor Christus verfasst wurde, nielschen Verfasserschaft als eine ihrer
der geschichtliche Ereignisse (besonders gesicherten Errungenschaften. Diese An-
das elfte Kapitel) so niederschrieb, als sichten beruhen allerdings auf einer Rei-
handele es sich um Weissagungen. he von höchst trügerischen Fehlschlüs-
sen und unredlichen Vermutungen.1
II. Verfasserschaft
Weil die traditionell anerkannte Ver­ Bevor wir die Hauptangriffe gegen Da-
fasserschaft des Danielbuches von so niels Verfasserschaft untersuchen, wol-
vielen verworfen wird und es für den len wir mehrere Beweise für diese An-
Gläubigen sehr wichtig ist, in diesem sicht anführen:
wunderbaren Buch gut gegründet zu 1. Unser Herr Jesus Christus zitiert
sein, behandeln wir diese Frage hier dieses Buch ausdrücklich als von

1065
Daniel

Daniel verfasst (Mt 24,15). Das allein ist reich noch in der Zukunft lag, während
für einen hingegebenen Christen Be- Daniel schrieb, breiteten sich die grie-
weis genug. chische Kultur und ihre Erfindungen
2. Das Buch spiegelt überall das Lo- schon in der antiken Welt aus.
kalkolorit und die Sitten im alten Ba­ In Bezug auf das Aramäische haben
bylon und in Medo-Persien wider, nicht Kitchen und Kutscher nachgewiesen,
die im makkabäischen Palästina. dass es sehr wohl in die Zeit der Welt-
3. Juden und Christen wurden seit reiche passt, in der Daniel lebte.
Jahrhunderten durch dieses Buch er- Zu den historischen Argumenten gegen
baut und gesegnet. Das gilt zwar auch die orthodoxe Ansicht bezüglich der
für eine Reihe von nicht inspirierten Verfasserschaft gehört die Behauptung,
Büchern, aber die kraftvolle Erleuch- die Juden hätten Daniel in den dritten
tung des Buches Daniel durch den Hei- Abschnitt des Alten Testaments einge-
ligen Geist wäre kaum vereinbar mit ordnet (»die Schriften«) und nicht in
einer Fälschung. die »Propheten«, weil dieser Teil des
4. Eine Handschrift des Buches Da­ Kanons schon abgeschlossen war, als
niel, die man in der Höhle 1 von Qum- »Daniel« schrieb. Einfacher ist es, sich
ran fand, wurde wahrscheinlich wäh- klar zu machen, dass Daniel nicht zum
rend oder vor der Makkabäerzeit ab­ Propheten berufen wurde, sondern
geschrieben. Daraus folgt, dass das durch seinen Dienst zum Propheten
Original noch älter sein muss. wurde. Von Beruf war er Staatsmann.
Die Argumente gegen die Authentizi- Daher wurde er nicht unter die »haupt-
tät von Daniel sind dreifacher Natur: amtlichen« Propheten wie Jesaja, Jere-
linguistischer, historischer und theo­ mia usw. gerechnet.
logischer. Verschiedene angebliche historische
Das linguistische Argument lautet: Da- Probleme wurden gegen die Echtheit des
niel konnte im sechsten Jahrhundert Buches Daniel vorgebracht – doch auf
nicht der Schreiber sein, weil das Buch alle haben konservative Gelehrte von un-
persische und sogar griechische Wörter zweifelhafter Integrität vernünftige Ant-
enthält. Das verwendete Aramäisch worten gegeben. Wer dies weiter unter-
wird als eine Variante aus späterer Zeit suchen möchte, dem empfehlen wir (in
bezeichnet. chronologischer Reihenfolge) nach­
Da aber Daniel bis in die medo-per- stehen­de Autoren: Robert Dick Wilson,
sische Zeit hinein lebte und diente (um Charles Boutflower, John F. Walvoord,
530 v.Chr.), zeigt die Anwesenheit von R.K. Harrison und Gleason Archer.
persischen Wörtern genau das Gegen- Das theologische Argument gegen Da-
teil der liberalen Unterstellungen. Die niel besteht darin, dass das Buch angeb-
Chancen für einen Fälscher im Palästi- lich zu »fortgeschrittene« Ansichten
na des zweiten Jahrhunderts, Persisch über Engel, das Leben nach dem Tod
zu beherrschen, sind sehr gering. (Auferstehung) und den Messias ent-
Was die griechischen Wörter angeht, hält. Diese Ansicht rührt daher, dass
sind die meisten Bibelschüler sehr über- man die Theorie der Evolution auf die
rascht, wenn sie entdecken, dass es sich Theologie anwendet. Der tatsächliche
nur um drei Wörter handelt – und alle Protest gegen Daniel rührt von dem
sind Namen von Musikinstrumenten! Vorurteil gegen alles Übernatürliche
Es ist eine bekannte Tatsache, dass Na- her, wie einige wenige liberale Gelehrte
men von Gegenständen aus einer Kul- (etwa R. Pfeiffer in Old Testament Intro­
tur in eine andere Sprache übergehen, duction, S. 755) ehrlich zugeben. Da sind
längst bevor umfassendere Kontakte zu viele Wunder, zu viele präzise Vor-
zwischen den beiden Kulturen einset- hersagen im Buch Daniel, als dass es
zen. Während das griechische Groß- der rationalistischen Kritik gefallen

1066
Daniel

könnte. Genauso wie Daniel, der Pro- einer der intelligenten und ansehn-
phet, unbeschadet der Löwengrube lichen jungen jüdischen Gefangenen
entkam, so entkommt auch Daniel, das war, die von Nebukadnezar nach Ba­
prophetische Buch, der »Kritikergrube« bylon verschleppt wurden, als Jojakim
im Geist und in den Herzen intelli- König von Juda war (um 604 v.Chr.).
genter Gläubiger. Sein Name bedeutet »Gott ist mein
Richter«. Sein Charakter und sein Ver-
III. Datierung halten zeigen, dass er im Licht dieser
Die Gelehrten geben für das Buch Dani- Tatsache lebte.
el Entstehungszeiten zwischen dem Was seine Stellung angeht, so war Da-
sechsten und dem zweiten Jahrhundert niel ein Staatsmann, ganz oben in der
v.Chr. an. Liberale und ihre Bewunde- Regierung am Hof Nebukadnezars und
rer datieren das Buch in seiner jetzigen Belsazars. Als die Meder und Perser Ba-
Form beinahe alle in die Makkabäer- bylon eroberten, wurde Daniel unter
zeit. Sie sehen es allgemein als einen Darius zum ersten von drei Kanzlern
Versuch an, die Juden aufzumuntern gemacht. Wie schon erwähnt, wurde
während der schrecklichen antisemi- vielleicht deshalb das Buch Daniel im
tischen Ausschreitungen unter Antio- hebräischen Alten Testament in die
chus Epiphanes. Gruppe der »Schriften« eingeordnet
Alle, die glauben, dass Gott nicht nur und nicht in die Reihe der »Propheten«
allgemeine Weissagungen über König- wie in unseren Bibeln.
reiche eingeben kann, die zu der Zeit Daniels Dienst allerdings war der
noch nicht so bekannt sind (wie das eines Propheten, und unser Herr be-
griechische oder das römische Welt- zeichnete ihn so (Mt 24,15; Mk 13,14).
reich), sondern auch minutiöse Einzel- Daniel gleicht in etwa solchen Men-
heiten aus dem griechischen Zeitalter, schen, die einen »weltlichen« Beruf ha-
und zwar Jahrhunderte vor ihrem Ein- ben und doch viel Zeit auf Bibel­studium
treffen (Kap. 11), haben keine Schwie- und Predigt verwenden. So leitete z.B.
rigkeit, die konservative Lehrmeinung Sir Robert Anderson, ein gelehrter Ken-
anzuerkennen, dass Daniel seine Weis- ner der danielschen Weissagungen, in
sagungen im sechsten Jahrhundert auf- seinem weltlichen Beruf die Abteilung
schrieb, wahrscheinlich um das Jahr für Kriminalermittlungen bei Scotland
530 v.Chr. Yard (der Londoner Kriminalpolizei) in
Selbst mit ihrem »späten« Datum sind der späten viktorianischen Zeit. Trotz-
die Kritiker der allwissenden Einsicht dem tat er einen ausgedehnten und ge-
Gottes in die Zukunft nicht entkom- segneten bibeltreuen Verkündigungs-
men, wie Unger schreibt: dienst.3
Weil so vieles in diesem Buch mit den
Es muss daran erinnert werden, dass so- heidnischen Weltmächten zu tun hat,
gar wenn sich das späteste für die Nie- sollte es nicht verwundern, dass Daniel
derschrift des Buches Daniel zuerkannte von 2,4 bis einschließlich Kapitel 7 in
Datum als richtig erweisen würde, diese Aramäisch verfasst ist. Diese mit dem
Weissagung immer noch ein Wissen von Hebräischen verwandte heidnische Spra-
der Zukunft offenbart, das man nur gött- che wurde viel im internationalen Aus-
licher Inspiration zuschreiben kann.2 tausch benutzt, in Daniels Zeit etwa so
wie heute das Englische. Einige Gelehrte
IV. Hintergrund und Thema gliedern Daniels Weissagungen diesem
Wechsel der Sprachen entsprechend.
Wir halten also an der konservativen Die ersten sechs Kapitel des Buches
Sicht in Bezug auf Verfasserschaft und Daniel sind größtenteils erzählender Na­
Datum fest und glauben, dass Daniel tur, und prophetische Themen spielen

1067
Daniel 1

eine untergeordnete Rolle. Die letzten tisch mit nur geringen erzählenden An-
sechs Kapitel sind überwiegend prophe­ teilen.

Einteilung IX. Daniels Vision von der


siebzigwöchigen Vorherrschaft der
I. Die standhafte Treue Daniels und Heiden (Kap. 9)
seiner Gefährten (Kap. 1) X. Vision von Gottes Herrlichkeit, die
II. Nebukadnezars Vision des aus vier Daniel einen Überblick über die
Metallen hergestellten Standbilds kommenden Ereignisse gibt
(Kap. 2) (Kap. 10)
III. Nebukadnezars goldenes XI. Weissagungen für die unmittelbare
Götzenbild und der Feuerofen Zukunft (11,21-35)
(3,1-30) A. Eroberung Medo-Persiens
IV. Nebukadnezars Traum von dem durch die Griechen (11,1-3)
zugrunde gerichteten Baum und B. Der Zerfall des griechischen
dessen Bedeutung (3,31 - 4,34) Reiches (11,4-35)
V. Belsazars Untergang wird durch 1. Die Kriege zwischen
die Schrift an der Wand verkündet Ägypten und Syrien
(Kap. 5) (11,4-20)
VI. Der Erlass des Darius und die 2. Die Regierung des
Löwengrube (Kap. 6) gottlosen Antiochus
VII. Daniels Traum von den vier Epiphanes (11,21-35)
Tieren, die vier Weltreiche XII.Weissagungen für die ferne
darstellen (Kap. 7) Zukunft (11,36 - 12,13)
VIII.Daniels Vision von der Widder- A. Der Antichrist (11,36-45)
und der Ziegenbock-Nation B. Die Große Drangsalszeit
(Kap. 8) (Kap. 12)

Kommentar Testaments unrein waren. Vielleicht


standen sie auch mit Götzendienst in
I. Die standhafte Treue Daniels und Verbindung.
seiner Freunde (Kap. 1) In Vers 1 scheint ein Widerspruch zu
Jeremia 25,1 vorzuliegen. Hier wird ge-
1,1-7 Die Szene spielt am Hof Nebukad- sagt, Nebukadnezar habe Jerusalem im
nezars in Babylon nach seinem Angriff dritten Jahr der Regierung Jojakims be-
auf Jerusalem im dritten Jahr der Regie- lagert. Die Stelle in Jeremia sagt, es sei
rung Jojakims. Nebukadnezar befahl, das vierte Jahr Jojakims und das erste
dass mehrere junge jüdische Männer Nebukadnezars gewesen. Dies mag mit
vorbereitet würden, ihm als Männer der unterschiedlichen Zeitrechnung der
mit Weisheit und Erkenntnis zu dienen. Juden und der Babylonier zu erklären
Unter ihnen waren Daniel, Hananja, sein.
Mi­schael und Asarja. Ihre chaldäischen 1,8-12 Daniel weigerte sich tapfer, da-
Namen lauteten Beltschazar, Scha- von zu essen. Er bat darum, dass er und
drach, Meschach und Abed-Nego. Als seine Freunde stattdessen Gemüse es-
Teil ihrer Vorbereitung mussten sie von sen und Wasser trinken dürften. Asch-
des Königs Delikatessen essen und von penas, der Oberste der Eunuchen (er
seinem Wein trinken. Diese Speisen verstand weder die jüdischen Sitten
ent­hielten möglicherweise Fleischsor- noch kannte er ihren Gott), war erschro-
ten, die nach dem Gesetz des Alten cken über dieses Ansinnen und sagte,

1068
Daniel 1 bis 3

sein Kopf stünde in Gefahr, wenn der seine Füße teils aus Eisen, teils aus Ton.
Plan nicht funktionierte! Immerhin war Nebukadnezar schaute es an, bis ein
er für sie verantwortlich. Stein – nicht durch Hände – losbrach und
1,13-21 Daniels Bitte wurde trotzdem das Bild zerstörte und zu einem großen
gewährt. Am Ende der Probezeit von Berg wurde, der die ganze Erde erfüllte.
zehn Tagen waren sie besser genährt als 2,36-45 Das Bild stellte die vier heid-
die anderen Zöglinge. Und als später nischen Weltreiche dar, die über das
ihre Fähigkeiten geprüft werden sollten, Volk der Juden herrschen würden. Ne-
standen sie vor dem König und erwie- bukadnezar, ein absoluter Monarch
sen sich den Weisen von Babylon zehn- (Babylon), war das Haupt aus Gold
fach überlegen. Darum wurden sie von (V. 38). Persien waren die Arme aus Sil-
dem König in den Dienst genommen. ber, ein Arm stellte die Meder, der an-
Gott begabte sie gnädig mit aller Sprach- dere die Perser dar. Griechenland, das
und Schriftkenntnis und Weisheit, und dritte Reich, war der Bauch und die
Daniel gewährte er Verständnis in allen Lenden aus Bronze. Das römische Reich
Visionen und Träumen. waren die zwei Beine aus Eisen. Die
Beine stellten den östlichen und den
II. Nebukadnezars Vision des aus vier westlichen Teil des Reiches dar. Die
Metallen bestehenden Standbilds Füße aus Eisen und Ton sind ein Bild
(Kap. 2) des wiederbelebten Römischen Rei-
2,1-13 Nebukadnezar hatte einen ches, wobei die Zehen zehn Reiche dar-
Traum, für den er nicht nur die Aus­ stellen. Man beachte den abnehmenden
legung, sondern auch die Angabe des Wert der Metalle und ihre zunehmende
Inhalts des Traums selbst forderte, eine Härte (außer bei den Zehen aus Eisen
viel schwerere, wenn nicht sogar un- und lehmigem Ton). Man beachte auch,
mögliche Aufgabe. Seine eigenen Wei- dass der Mensch seine Reiche durch
sen, die Chaldäer, konnten ihm weder wertvolle Metalle darstellt, während
den Traum noch seine Deutung er­ Gott jene Reiche als Raubtiere beschreibt
zählen. So traf er eine radikale Ent­ (Kap. 7). Der Herr Jesus ist der Stein,
scheidung: Alle Weisen, einschließlich der nicht durch Hände losgebrochen
Daniels und seiner Freunde, sollten wurde. Er wird die vier Reiche zerstö-
umgebracht werden! ren und über die ganze Erde herrschen.
2,14-30 Als Gebetserhörung erfuhr Sein Reich wird in Ewigkeit bestehen.
Daniel von dem Herrn in einem Nacht- 2,46-49 Als der König Nebukadnezar
gesicht den Inhalt des Traums und des- Daniels Weisheit begriff, machte er ihn
sen Auslegung. Dankbar pries Daniel zum Herrscher über die ganze Provinz
den Gott des Himmels mit wunder- Babel und zum Oberaufseher über alle
baren Worten der Anbetung. Dann ging Weisen Babels. Die drei anderen jü-
er zu Arjoch, um weiteres Morden un- dischen Jugendlichen wurden dann zu
ter den Weisen von Babylon zu verhin- Stellvertretern oder Assistenten er-
dern. Von Arjoch in die Gegenwart des nannt.
Königs gebracht, wies Daniel deutlich
auf die Quelle seines göttlich geoffen- III. Nebukadnezars Götzenbild und
barten Geheimnisses hin. der Feuerofen (3,1-30)
2,31-35 Daniel ließ den König wissen, 3,1-7 Nebukadnezar machte ein Göt-
dass er ein großes Standbild gesehen zenbild aus Gold, etwa 30 Meter hoch,
habe, sowohl gewaltig als auch furcht­ und stellte es in der Ebene Dura auf.
erregend. Das Haupt dieses Bildes war Dann befahl er, dass sich alle nieder-
aus Gold, seine Brust und Arme waren werfen und es anbeten sollten, wenn sie
aus Silber, sein Bauch und seine Lenden den Klang von Horn, Rohrpfeife, Zi-
aus Bronze, seine Beine aus Eisen und ther, Harfe, Laute, Dudelsack und alle

1069
Daniel 3 bis 5

Arten von Musik hörten. Jeder, der sich Erfahrung in seinem Leben, die ihn zur
weigerte, sollte in einen Feuerofen ge- Bekehrung brachte (3,31-33). Er hatte
worfen werden. einen Traum, den seine eigenen Weisen
3,8-12 Schadrach, Meschach und nicht auslegen konnten, so schickte er
Abed-Nego weigerten sich als fromme nach Daniel und erzählte ihm den
Juden, das Götzenbild anzubeten, und Traum.
wurden von einigen chaldäischen Män- 4,7-12b Er hatte einen Baum gesehen,
nern bei dem König angezeigt. hoch, schön und voller Früchte. Der
3,13-21 Dieser gab ihnen noch eine Baum reichte bis an den Himmel und
Möglichkeit, es sich anders zu über­ breitete sich bis an die Enden der Erde
legen, aber sie weigerten sich. Ihr Ver- aus. Ein Wächter, ein Heiliger, stieg
trauen auf eine Errettung ist großartig. vom Himmel herab und befahl, dass
Aber selbst wenn sie nicht von Gott er- der Baum umgehauen würde. Nur der
rettet würden, würden sie dem Herrn Wurzelstock sollte in der Erde bleiben.
die Treue halten. Daraufhin befahl der 4,12c-15 Dann beschrieb der Heilige
König, den Feuerofen siebenmal heißer einen Menschen, der seinen Verstand
als sonst zu heizen, und dann befahl er, verliert und sieben Jahre wie ein wildes
die drei Juden in voller Kleidung hin­ Tier auf der Erde lebt.
einzuwerfen. 4,16-23 Daniel sagte dem König, der
3,22-25 Der Ofen war so heiß, dass die Baum stelle ihn und sein weltweites
Männer, die sie hineinwarfen, getötet Reich dar. Er würde seinen Thron und
wurden, doch dann blickte der er- sieben Jahre lang den Verstand verlie-
staunte Nebukadnezar auf und sah vier ren und wie ein Tier des Feldes leben.
Männer ‒ die drei Juden und einen (Der medizinische Name dieses Zu-
vierten, dessen Aussehen einem »Sohn stands heißt Boanthropie.4) Aber der
der Götter« (o. dem Sohn Gottes) glich. Wurzelstock bedeutet, dass Nebukad-
Wir glauben, dass es tatsächlich der nezar nicht umkommen, sondern wie-
Sohn Gottes war, einerlei, für wen der derhergestellt würde.
König ihn hielt. Der Herr errettet uns 4,24-34 Daniel gab ihm auch den Rat,
entweder aus den Nöten, oder er ist in sein Leben zu ändern. Nach zwölf Mo-
den Nöten bei uns. naten der Unbußfertigkeit des Königs
3,26-30 Die Juden waren unversehrt. jedoch erfüllte sich diese Vision. Sieben
Das Feuer hatte nur die Stricke ver- Jahre lang lebte er wie ein Tier. Am
brannt, mit denen sie gefesselt waren. Ende dieser Zeit wandte er sich zu Gott
Anfechtungen gereichen dazu, Gottes und erkannte ihn als den Allerhöchsten
Absichten zu erfüllen, und befreien uns an, der ewig lebt. Dann gelangte er wie-
von den Dingen, die uns gefangen hal- der zu der Herrlichkeit seines König-
ten. Der König war dermaßen be­ tums.
eindruckt, dass er jedermann verbot,
etwas gegen den Gott der Juden zu sa- V. Belsazars Untergang wird durch
gen, und beförderte die drei jungen die Schrift an der Wand verkündet
Männer in der Provinz Babel. Und all (Kap. 5)
das, obwohl sie sein Wort missachtet 5,1-4 Belsazar war der Sohn des Nabo-
hatten! nidus und der Enkel Nebukadnezars
(»Vater« in Vers 2 kann auch »Groß­
IV. Nebukadnezars Traum von dem vater« bedeuten). Er veranstaltete ein
zugrunde gerichteten Baum und großes Fest, und er benutzte die ge-
dessen Bedeutung (3,31 - 4,34) weihten Gold- und Silbergefäße, die
3,31 - 4,6 Hier gibt der König Nebukad- Nebukadnezar aus dem Tempel in Jeru-
nezar Zeugnis von der Größe des salem geraubt hatte, für eine Götzen­
höchs­ten Gottes und spricht von einer orgie. Der König und sein Gefolge be-

1070
Daniel 5 und 6

tranken sich und rühmten dabei ihre niel unter persischer Herrschaft. Er war
Götter aus Gold und Silber, Bronze, von dem König ausersehen, einer der
Eisen, Holz und Stein. drei Minister über die einhundertzwan-
5,5-9 Während er und seine Gewal- zig Satrapen zu werden. Wegen seines
tigen vor Trunkenheit ausgelassen außergewöhnlichen Geistes hatte Da­
wurden, erschienen Finger einer Men- rius vor, Daniel über das gesamte
schenhand, die an die Wand schrieben. Königreich zu setzen.
Der erschrockene König bot demjeni- 6,4-8 Neidische Beamte, die wussten,
gen, der die Schrift deuten konnte, ein dass sie niemals eine schuldhafte Hand-
Purpurgewand an, dazu eine goldene lung bei Daniel finden würden, über­
Kette und die Beförderung zu einem redeten den König, folgendes Gesetz zu
der drei Herrscher im Reich (vielleicht erlassen: Innerhalb von dreißig Tagen
neben Nabonidus und Belsazar); aber war es verboten, zu irgendjemand an-
niemand konnte die Schrift erklären. derem zu beten als zu Darius. Sobald
5,10-16 Auf Vorschlag der Königin dieser Erlass Gesetz war, konnte er
wurde Daniel aufgefordert, die Schrift nicht widerrufen werden. Daniels
zu deuten.5 Selbst nach all diesen Jah- Standhaftigkeit ist eine Herausforde-
ren und den Wechseln in der Regie- rung für uns (1. Petrus 3,13-17).
rungsgewalt erinnerten sich zumindest 6,9-13 König Darius unterzeichnete
einige noch an die »Erleuchtung und den schriftlichen Erlass, doch Daniel
Einsicht« Daniels. So wurde Daniel vor ließ nicht davon ab, dreimal am Tag zu
den König gebracht. Gott zu beten, und seine Feinde berich-
5,17-24 Nachdem er von den Erfah- teten dies eilig dem König.7
rungen Nebukadnezars gesprochen 6,14-17 Darius bemühte sich, Daniel
und mutig die Entweihung der Tempel- freizubekommen, bis die Sonne un-
gefäße gerügt hatte, weil man sie für ein terging; aber der Erlass war unabänder-
Trinkgelage und Götzenfest missbrauch­ lich, und so war er gezwungen, Daniel
te, fuhr Daniel damit fort, die Schrift in die Löwengrube zu werfen. Trotz-
und ihre Bedeutung zu offen­baren. dem ermutigte dieser heidnische König
5,25-31 Die Schrift lautete: MENE, den Daniel, Gott werde ihn retten, weil
MENE, TEKEL UPHARSIN. MENE be- er ihm beständig gedient hatte. Es ist
deutet »gezählt«. Gott hatte das Babylo- schön zu sehen, wie selbst Ungläubige
nierreich »gezählt« und macht ihm ein manchmal etwas von dem Glauben
Ende. TEKEL6 bedeutet »gewogen«. und dem Mut treuer Gläubiger über-
Belsazar war auf der Waage gewogen nehmen, die sie aus der Nähe beobach-
und für zu leicht befunden worden. ten können. Nur zu oft schaden Chris-
UPHARSIN bedeutet »geteilt« oder ten ihren unerretteten Freunden und
»Teilungen« (PHARSIN ist außerdem Verwandten, weil sie nicht so hohe
der Plural von PERES. Das »U« bedeu- Maßstäbe an ihren Glauben und ihr
tet »und«). Belsazars Königreich würde Handeln anlegen, wie die Welt sie von
geteilt und den Medern und Persern ge- Gottes Volk erwartet.
geben werden. In derselben Nacht mar- 6,18-28 Darius verschmähte seine üb-
schierten die medo-persischen Truppen lichen nächtlichen Unterhaltungen und
in Babylon ein, erschlugen Belsazar brachte die Nacht mit Fasten zu. Sehr
und rissen die Weltherrschaft an sich. früh am Morgen lief der bekümmerte
Darius, der Meder, war der neue König. König zu der Grube und fand den jü-
dischen Propheten unbehelligt von den
VI. Der Erlass des Darius und die Löwen.
Löwengrube (Kap. 6) Wie gewöhnlich gab der gottesfürch-
6,1-3 In diesem Kapitel, einem der be- tige Prophet dem Herrn die Ehre: »Mein
kanntesten der ganzen Bibel, lebt Da­ Gott hat seinen Engel gesandt, und er

1071
Daniel 6 und 7

hat den Rachen der Löwen verschlos- ren – mit leeren Händen. Die vier Köpfe
sen, sodass sie mich nicht verletzt ha- des Leoparden stellen offensichtlich die
ben.« Teilung des Reiches unter die vier Ge-
Dann wurden Daniels Ankläger vor neräle Alexanders nach dessen Tod dar.
die Löwen geworfen und von ihnen 7,7-8 Das vierte Tier, mächtig und
aufgefressen. Das Ergebnis von allem zerstörerisch, unterschied sich von den
war, dass König Darius ein Dekret an anderen, doch hatte es einige ihrer
alle Völker, Nationen und Sprachen er- Raubtiereigenschaften. Es wird als
ließ, sie sollten den Gott Daniels ehren. furchtbar und schreckenerregend be-
schrieben, als außergewöhnlich stark,
VII. Daniels Traum von vier Tieren, mit großen eisernen Zähnen. Es spricht
die vier Weltreiche darstellen (Kap. 7) von dem römischen Reich, das auf das
Die ersten sechs Kapitel von Daniel griechische folgen sollte. Dann würde
sind hauptsächlich historischer Natur; es verschwinden und nach einer be-
die letzten sechs sind prophetisch. Da- trächtlichen Zeitspanne wiederbelebt
niels Traum und seine Visionen in den werden. In dieser wiederbelebten Ge-
Kapiteln 7 und 8 ereigneten sich wäh- stalt wird es die zehn Hörner, d.h. zehn
rend der Regierung Belsazars, des Kö- Könige haben, und ein kleines Horn,
nigs von Babylon, bevor die Meder und das ist dann das zukünftige Haupt des
Perser an die Macht gelangten. wiederbelebten römischen Reiches –
7,1-4 In Kapitel 7 haben wir Daniels der Antichrist.
Vision von vier großen Tieren, die aus 7,9-14 In Vers 9 beschreibt Daniel das
dem Meer aufsteigen (das große Meer fünfte und endgültige Weltreich – die
ist das Mittelmeer). Diese repräsentie- herrliche Königsherrschaft des Herrn
ren die vier Weltreiche. Jesus Christus. Ihm wird eine allumfas-
Der Löwe stellt Babylon dar. Die Ad- sende Macht gegeben. Die Beschrei-
lerflügel weisen auf die Geschwindig- bung dessen, der »alt war an Tagen«,
keit der Eroberungen hin.8 Die aus­ erinnert an die von Christus in Offen­
gerissenen Flügel dürften sich auf barung 1. Aber diese Gleichstellung ist
Nebukad­nezars Wahnsinn beziehen doch etwas unklar; denn in Vers 13
und der Rest von Vers 4 auf seine Ge­ wird einer wie der Sohn eines Men-
nesung und Bekehrung. schen vor den Alten an Tagen gebracht.
7,5 Der Bär stellt das medo-persische Dann müsste man lesen: Christus wür-
Reich dar. Die Perser stiegen zu größe- de vor sich selbst gebracht. Vielleicht ist
rer Bedeutung auf als die Meder. Die die beste Erklärung, bei dem Alten an
drei Rippen, die er im Maul hielt, sind Tagen an Gott, den Vater zu denken. Ei-
vielleicht die drei Teile des babylo- ner wie der Sohn eines Menschen wür-
nischen Reiches, die von den Medern de dann der Herr Jesus sein, der vor
und Persern unter Kyrus erobert wur- den Vater kommt, um das Reich zu
den: Babylon im Osten, Ägypten im Sü- empfangen.
den und das Lydische Reich in Klein­ Der Alte an Tagen sitzt als Richter
asien. und spricht Recht (V. 10.26). Das kleine
7,6 Der Leopard ist ein Bild für Grie­ Horn und sein Reich sind zerstört
chenland. Seine vier Flügel sprechen (V. 11). Die anderen Weltreiche haben
von der raschen Ausweitung des grie- ebenfalls aufgehört, doch die Nationen
chischen Reiches. Vier ist die Zahl der und Völker gibt es noch (V. 12). Dem
Welt. Flügel sprechen von Geschwin- Herrn Jesus werden universale Herr-
digkeit. Innerhalb von dreizehn Jahren schaft und ein Reich verliehen, das nie-
eroberte Alexander die Welt, wobei er mals vergehen wird (V. 14).
ostwärts bis nach Indien marschierte. 7,15-18 Als Daniel wegen der Vision
Dann starb er mit dreiunddreißig Jah- in Angst und Ratlosigkeit war, erklärte

1072
Daniel 7 und 8

ihm ein nicht näher bezeichneter Aus­ Westen, Norden und Süden. Scheinbar
leger, dass die vier großen Tiere vier konnte ihm niemand widerstehen.
Weltherrscher bedeuten, die sich von 8,5-8 Dann kam ein Ziegenbock in
der Erde erheben, die aber von dem einem Blitzkrieg aus dem Westen. Er
Reich des Höchsten und seiner Heili- hatte ein ansehnliches Horn (Alexander
gen abgelöst werden. Während die Rei- der Große). Der Ziegenbock besiegte
che dieser Welt alle vergehen, werden den Widder und zog weiter in seinem
die Heiligen des Höchsten ein ewiges rasenden Eroberungszug. Als Alexan­
Reich besitzen. In Vers 3 kommen die der starb, wurde sein Reich in vier Teile
Tiere aus dem Meer, das gewöhnlich geteilt, dargestellt durch vier ansehn-
die Heidenvölker darstellt. Hier, in liche Hörner, die nach den vier Winden
Vers 17, kommen sie von der Erde; das des Himmels hin wuchsen.
bezieht sich auf ihre moralische Be- 8,9-14 Eines dieser Teile wurde später
schaffenheit und zeigt, dass sie nicht von einem kleinen Horn regiert (Antio-
geistlicher Natur sind. chus Epiphanes), dessen militärischer
7,19-22 Daniel erkundigte sich beson- Erfolg ihn nach Süden, nach Osten und
ders nach dem vierten Tier, das alle an- nach Palästina brachte (die Zierde oder
deren an Grausamkeit und Wildheit das herrliche Land). Vers 10 beschreibt
übertraf. Er wollte auch über die zehn seine Verfolgung der Juden.9 Er lästerte
Hörner und über das andere Horn Be- den Herrn, ließ das regelmäßige Opfer
scheid wissen, vor dem drei Hörner in Jerusalem aufhören und entweihte
ausfielen. Er sah das kleine Horn, das den Tempel (V. 11-12). Daniel erfuhr,
mit den Heiligen der Drangsalszeit dass diese »Zertretung« 2300 Tage an-
Krieg führte, bis der Alte an Tagen kam, dauern würde. Dies fand zwischen 171
ihre Leiden beendete und ihnen das und 165 v.Chr. statt.
Reich übergab. 8,15-17 Gabriel wurde befohlen, Da-
7,23-28 Der ungenannte Ausleger er- niel diese Vision zu erklären.
klärte das vierte Tier, die zehn Hörner 8,18-26 Obwohl Daniel ein gottes-
und das wichtigtuerische kleine Horn. fürchtiger und tapferer Mann war, er-
Letzteres wird den Höchsten lästern, griff ihn in der Gegenwart des Engels
die Heiligen verfolgen und sich vor- dermaßen die Furcht, dass er ohnmäch-
nehmen, den jüdischen Festkalender tig auf sein Angesicht fiel. Vielleicht soll
dreieinhalb Jahre lang zu verändern damit Gottes Macht und Heiligkeit be-
(dies ist die Große Drangsal, von der tont werden, die selbst in Gegenwart sei-
der Herr Jesus in Mt 24,21 spricht). ner Engel verspürt wird. Die Erklärung
Aber er wird seiner Macht beraubt wer- der Vision beginnt in den Versen 19 bis
den, und das herrliche, ewige Reich un- 22, aber in Vers 23 scheint es, als sähen
seres Herrn wird aufgerichtet werden. wir über Antiochus Epiphanes hin­aus
Daniel reagierte darauf mit Er­schrecken auf dessen künftige Entsprechung – ei-
und großer Verwunderung. nen in Ränken erfahrenen König, der
gnadenlos das heilige Volk in der Drang-
VIII. Daniels Vision von der Widder- salszeit verfolgen wird. Er wird schlau,
und der Ziegenbock-Nation (Kap. 8) stolz und hinterlistig sein und sich sogar
8,1-4 Zwei Jahre später hatte Daniel gegen den »Fürsten der Fürsten« (den
eine Vision von einem Widder und Herrn Jesus) erheben; aber er wird durch
einem Ziegenbock. Der Widder war göttliches Eingreifen vernichtet werden.
Persien, und die zwei Hörner waren die Daniel wurde gesagt, diese Vision bezie-
Könige von Medien und Persien. Ein he sich auf die Zukunft.
Horn war höher als das andere, weil 8,27 Daniel war tagelang krank und
der Perserkönig mächtiger war. Der entsetzt und verstand das Gesehene
Widder war auf Eroberungszug nach nicht.

1073
Daniel 9
IX. Daniels Vision von der
chen in sieben Wochen und zweiund-
siebzigwöchigen Vorherrschaft der
sechzig Wochen und dann – nach einer
Heiden (Kap. 9)
zeitlichen Lücke – eine abschließende
9,1-2 Die Ereignisse dieses Kapitels fan- Woche aufgeteilt sind. Am Ende dieser
den während der Regierung Darius’, siebzig Wochen werden folgende sechs
des Meders, statt. Durch das Studium Dinge geschehen:
des Jeremiabuches begriff Daniel, dass »… um die Übertretung zum Ab-
die siebzig Jahre der Gefangenschaft schluss zu bringen und den Sünden ein
schon fast vorüber waren. Ende zu machen.« Während sich dies
9,3-19 Er bekannte seine Sünden und im allgemeinen Sinn auf die sündigen
die Sünden seines Volkes (er benutzte Wege von ganz Israel beziehen mag,
das Wort wir) und bat den Herrn, seine geht es hier im Besonderen um die Ver-
Verheißungen über Jerusalem und das werfung des Messias durch dieses Volk.
Volk von Juda zu erfüllen. Als Antwort Bei seinem Zweiten Kommen wird sich
auf sein Gebet gewährte Gott ihm eine ein Überrest im Glauben zu Christus
sehr bedeutsame Offenbarung betreffs wenden, und die Übertretungen und
der »siebzig Wochen«, die man »das Sünden des Volkes werden vergeben
Rückgrat der biblischen Prophetie« ge- werden.
nannt hat. »… und die Ungerechtigkeit zu süh-
Daniels Bitten gründeten sich auf nen.« Die Grundlage für die Sühnung
Gottes Wesen (seine Furcht einflößende wurde auf Golgatha gelegt, doch dies
Größe, seine Treue, Gerechtigkeit, Ver­ bezieht sich auf eine noch zukünftige
gebungsbereitschaft und Barmherzig- Zeit, wenn der gläubige Teil des Volkes
keit) und auf das, was ihm teuer war Israel in den Genuss des vollbrachten
(»dein Volk, deine Stadt Jerusalem, der Werkes Christi kommen wird.
Berg deines Heiligtums, dein Heilig- »… und eine ewige Gerechtigkeit ein-
tum«). zuführen.« Auch dies weist hin auf das
9,20-23 Während er noch betete, wur- Zweite Kommen und auf das Tausend-
de Gabriel befohlen, rasch zu Daniel zu jährige Reich, wenn der König in Ge-
fliegen (so deuten einige Übersetzungen rechtigkeit regieren wird. Es ist eine
die Formulierung »als ich ganz ermat- »ewige Gerechtigkeit« in dem Sinn,
tet war« in V. 21; vgl. KJV, ER ‒ Fuß­ dass sie sich bis in den Zustand der
note). Er erreichte Daniel um die Zeit Ewigkeit fortsetzen wird.
des Abendopfers. Er sagte ihm, er sei »… und Gesicht und Propheten zu
ein »Vielgeliebter«, eine großartige An- versiegeln« heißt: Die alttestamentliche
erkennung, kam sie doch direkt von Prophetie dreht sich hauptsächlich um
Gott selbst. Dann gab er ihm eine Skiz- die herrliche Wiederkunft Christi und
ze der zukünftigen Geschichte im Bild seine darauffolgende Herrschaft. Dar­
der siebzig Wochen. Jede »Woche«10 um wird sich die Hauptmasse der Weis-
stellt sieben Jahre dar. Weil diese Weis- sagungen erst am Ende der siebzig Wo-
sagung so wichtig für das Verständnis chen erfüllen.
von Gottes Plan ist, wollen wir sie Satz »… und ein Allerheiligstes zu salben«
für Satz untersuchen (Bibelzitate nach bedeutet, dass zu Beginn des Tausend-
unrevidierter Elberfelder). jährigen Reiches der in Hesekiel 40-44
9,24 »Siebzig Wochen sind über dein beschriebene Tempel in Jerusalem ge-
Volk (Israel) und über deine heilige salbt und eingeweiht wird. Die Herr-
Stadt (Jerusalem) bestimmt.« Die histo- lichkeit (Gottes) wird in der Person des
rische Erfüllung der Weissagung zeigt, Herrn zurückkehren (Hes 43,1-5).
dass die Wochen »Jahrwochen« sind. 9,25 »So wisse denn und verstehe: Vom
Somit sind siebzig Wochen 490 Jahre. Ausgehen des Wortes, Jerusalem wieder-
Wir werden sehen, dass die siebzig Wo- herzustellen und zu bauen …« Dies er-

1074
Daniel 9

füllte sich durch den Befehl des Arta- »Und das Volk des kommenden Fürs­
xerxes im Jahr 445 v.Chr. (Neh 2,1-8). ten …«: Dieser kommende Fürst ist das
»… bis auf den Messias (Gesalbten), Haupt des wiederbelebten römischen
den Fürsten …« Dies bezieht sich nicht Reiches, in dem einige den Antichristen
nur auf das Erste Kommen Christi, son- erkennen. Er wird während der Drang-
dern im Besonderen vor allem auf sei- salszeit an die Macht kommen. Sein
nen Tod (siehe V. 26a). Volk sind natürlich die Römer.
»… sind es sieben Wochen (49 Jahre) »… wird die Stadt und das Heiligtum
und zweiundsechzig Wochen (434 Jah- zerstören …«: Die Römer zerstörten un-
re) …«: Die neunundsechzig Wochen ter Titus im Jahr 70 n.Chr. Jerusalem
werden also in zwei Perioden aufge- und seinen großartigen, goldge-
teilt: sieben Wochen und zweiundsech- schmückten weißen Marmortempel.
zig Wochen. »… und das Ende davon wird durch
Jerusalem sollte wieder aufgebaut die überströmdende Flut sein …«: Die
werden (während der ersten sieben Stadt wurde wie von einer Flut ein­
Wochen), mit Straßen (o. Platz) und geebnet. So blieb z.B. vom Tempel nicht
Befestigungsgräben; aber nicht ohne ein Stein auf dem anderen. Titus hatte
Widerstand und Unruhen. seinen Soldaten verboten, Herodes’
9,26 »Und nach den zweiundsechzig Tempel anzuzünden; aber sie gehorch-
Wochen …«, d.h. nach dem zweiund- ten nicht, weil sie das Gold bekommen
sechzigwöchigen Zeitabschnitt, also in wollten. Um das geschmolzene Gold
Wirklichkeit am Ende der neunund- erfolgreich zwischen den Steinen her-
sechzigsten Woche, »wird der Messias vorzuholen, mussten sie die groß­
(Gesalbte) weggetan werden.« Hier ha- artigen Steine losschlagen. So erfüllten
ben wir einen unmissverständlichen sie die Worte Christi in Matthäus 24,1-2
Hinweis auf den Tod des Heilands am wie auch Daniels Weissagung.
Kreuz. »… und bis ans Ende ist Krieg, fest
Vor einem Jahrhundert gab Sir Robert beschlossene Verwüstungen.« Von der
Anderson in seinem Buch The Coming Zeit an würde die Geschichte der Stadt
Prince (»Der kommende Fürst«) detail- von Krieg und Zerstörung erfüllt sein.
lierte Berechnungen über die 69 Wo- »Das Ende« bedeutet hier das Ende der
chen an, indem er »prophetische Jahre« Zeit der Nationen (Heiden).
anwandte, wobei er Räume für Schalt- 9,27 Wir kommen nun zur 70. Woche.
jahre, Kalenderirrtümer, den Wechsel Wie schon erwähnt, besteht eine zeit-
von der vor- zur nachchristlichen Zeit- liche Lücke zwischen der 69. und der
rechnung usw. berücksichtigte. Er 70. Woche. Diese eingeschobene Perio-
zeigte auf, dass die neunundsechzig de ist das Zeitalter der Gemeinde, das
Wochen an genau dem Tag endeten, an von Pfingsten bis zur Entrückung
dem Jesus im Triumph in Jerusalem ein- dauert. Sie wird im Alten Testament
zog, fünf Tage vor seinem Tod.11 nirgends ausdrücklich erwähnt. Sie ist
»… und nichts haben« (o. »und ihm ein Geheimnis, das bei Gott von Grund-
wird nichts zuteil werden«; Schl 2000). legung der Welt an verborgen war,
Das kann bedeuten, er werde nichts seinen Aposteln und Propheten des
von dem Volk Israel empfangen, zu Neuen Testaments aber offenbart wur-
dem er doch gekommen war. Oder es de. Immerhin illustriert unser Herr in
kann bedeuten, dass er ohne erkenn- der Syn­agoge von Nazareth sehr schön,
bare Nachkommenschaft gestorben ist was es mit dieser Lücke auf sich hat (Lk
(Jes 53,8). Oder es ist eine zusammen- 4,18-19). Jesus zitiert Jesaja 61,1-2a, aber
fassende Bilanz seiner gänzlichen Ar- nur bis »Gnadenjahr des HERRN« (sein
mut: Er ließ nichts als die Kleidung zu- Ers­tes Kommen), und ließ das Gericht
rück, die er trug. bei seinem Zweiten Kommen aus:

1075
Daniel 9 und 10

»… und den Tag der Rache für unseren gekehrt, wie das Dekret des Kyrus es
Gott« (Jes 61,2b). In diesem Zwischen- erlaubte; doch Daniel blieb im Exil.
raum sollte das ganze Gemeindezeit­ Nach einer dreiwöchigen Trauerzeit,
alter auftauchen. vielleicht wegen der entmutigenden
»Und er (der römische Fürst) wird ei- Berichte der Zurückgekehrten (die Ar-
nen festen Bund mit den Vielen schlie- beit am Tempel hatte aufgehört), viel-
ßen (mit der ungläubigen Mehrheit des leicht auch wegen des schlechten geist-
Volkes Israel) für eine Woche (die sie- lichen Zustands der noch in der Ver-
benjährige Drangsalszeit) …«: Dabei bannung Lebenden oder weil er die Zu-
kann es sich um einen Freundschafts- kunft des Volkes erfahren wollte, stand
oder einen Nichtangriffspakt handeln Daniel am Ufer des Hiddekel (hebr.
oder um einen militärischen Beistands- Name für den Tigris). Da sah er einen
pakt gegen alle Nationen, die Israel an- herrlichen, in Leinen gekleideten Mann.
greifen. Die Beschreibung erinnert uns an den
»… und zur Hälfte der Woche wird er Herrn Jesus in Offenbarung 1,13-16.
Schlachtopfer und Speisopfer aufhören 10,10-14 Dann erklärte eine Stimme,
lassen.« Der römische Fürst wird sich warum Daniel drei Wochen auf eine
feindlich gegen Israel stellen und ver- Gebetserhörung warten musste: Der
bieten, dass dem HERRN weiterhin Fürst des Königreichs Persien hatte ein-
Schlacht- und Speisopfer dargebracht undzwanzig Tage Widerstand geleistet.
werden. Wer ist dieser Fürst (oder Herrscher),
»Und auf dem Flügel von Gräueln der der Erhörung von Daniels Gebet so
…« (ER): Aus Matthäus 24,15 erfahren lange widerstand? Weil Michael, der
wir, dass er ein gräuliches Götzenbild Erzengel und Beschützer Israels, in die-
in den Tempel stellen wird, und höchst- sen Kampf gerufen wurde, muss es sich
wahrscheinlich wird er befehlen, dass um eine böse Engelsmacht handeln,
dieses Bild angebetet wird. Einige mei- eine, die stärker ist als ein bloßer
nen, dass es sich bei dem »Flügel« um menschlicher »Fürst«. Leon Wood er-
einen Seitenflügel des Tempels handelt. klärt in seinem ausgezeichneten Dani-
»… kommt ein Verwüster …« (ER): Er el-Kommentar:
wird diejenigen verfolgen und vernich-
ten, die sich weigern, das Bild anzu­ Weil auch Griechenland einen ähnlichen
beten. »Fürsten« zu seiner Zeit zugeteilt be-
»… bis fest beschlossene Vernichtung kommt (siehe V. 20) und Gottes Volk
über den Verwüster ausgegossen wird« nach dem Fall Persiens unter griechische
(ER). Schreckliche Judenverfolgungen Herrschaft geraten sollte, scheint die Ver-
werden die letzten dreieinhalb Jahre der mutung vernünftig, dass Satan oft be-
siebzigsten Woche anhalten. Das ist die sondere Boten einsetzt, um Regierungen
als Große Drangsalszeit bekannte Perio- gegen Gottes Volk zu beeinflussen. Ganz
de. Dann wird der römische Fürst, »der sicher trägt dieses Kapitel viel dazu bei,
Verwüster«, selbst vernichtet werden das Wesen der Kämpfe zwischen den hö-
nach dem Befehl Gottes, indem er in den heren Mächten im Zusammenhang mit
Feuersee geworfen wird (Offb 19,20). Gottes Plan auf Erden zu verstehen (sie-
he Eph 6,11-12).12
X. Vision von Gottes Herrlichkeit,
die Daniel einen Überblick über Aber wie konnte der Fürst von Persien
kommende Ereignisse gibt (Kap. 10) dem Herrn einundzwanzig Tage lang
10,1-9 Die Ereignisse dieses Kapitels erfolgreich widerstehen, und warum
fanden im dritten Jahr Kyrus’, des Kö- sollte der allmächtige Herr die Hilfe
nigs von Persien, statt. Einige Gefange- Michaels nötig haben (V. 13)? Ein Vor-
ne waren schon nach Jerusalem zurück- schlag ist, dass der »Mann, in Leinen

1076
Daniel 10 und 11

gekleidet« in den Versen 5 und 6 nicht B. Der Zerfall des griechischen


der Herr, sondern ein Engelwesen, viel- Reiches (11,4-35)
leicht Gabriel, ist.13
1. Die Kriege zwischen Ägypten und
Auf jeden Fall erklärte die Stimme,
Syrien (11,4-20)
warum Daniels Gebete in ihrer Er­
hörung aufgehalten wurden; wie schon 11,4 Als Alexander starb, wurde sein
erwähnt, war der Fürst von Persien da- Reich in vier Reiche aufgeteilt: Ägypten,
für verantwortlich. Die Stimme ver- Syrien-Babylon, Kleinasien und Grie-
sprach auch, Dinge zu offenbaren, die chenland. Der Herrscher von Ägypten
Daniels Volk, den Juden, am Ende der war der König des Südens, während der
Tage widerfahren würden. Dies ge- Herrscher über Syrien und Babylon der
schieht in den Kapiteln 11 und 12. König des Nordens war. Nicht einer der
10,15-19 Es besteht die Frage, ob die Nachfolger Alexan­ders gehörte zu sei-
Stimme die des Mannes in Leinen oder nen Nachkommen, sondern alle waren
die Stimme eines Engelboten ist. Daniel seine Generäle gewesen.
wurde schwach und verstummte durch 11,5-6 Die Verse 5 bis 35 beschreiben
dieses Erlebnis, wurde aber gestärkt die zweihundert Jahre anhaltenden
durch einen, der »im Aussehen wie ein Kämpfe zwischen den beiden zuletzt
Mensch« war. genannten Reichen. Der erste König
10,20-21 Dann sagte dieser, den Da­ des Südens war Ptolemäus I., und der,
niel als »mein Herr« anredete, er müsse der »über ihn hinaus mächtig sein
mit dem Fürsten von Persien kämpfen wird«, war Seleukus I. von Syrien. Die-
und dann dem Fürsten von Griechen- se beiden verbündeten sich zunächst,
land entgegentreten. Er würde Daniel dann wurden sie Gegner.14 Später hei-
weiterhin noch offenbaren, was »im ratete Berenice, die Tochter des Ptole-
Buch der Wahrheit aufgezeichnet ist«. mäus II. den Antiochus II. von Syrien,
Michael, »euer« (Daniels und des um eine Wiederannäherung zwischen
Volkes) Fürst war der Einzige, der in den zwei Reichen zu erreichen; aber
diesen Kämpfen mutig zu ihm hielt. dieser Schachzug schlug fehl und en­
dete in einem Strudel von Intrigen und
XI.Weissagungen für die unmittelbare Mord.
Zukunft (11,1-35) 11,7-9 Ptolemäus III., ein Bruder der
Berenice, griff das Gebiet des Seleukus
A. Eroberung Medo-Persiens durch Callinikus erfolgreich an und kehrte
die Griechen (11,1-3) mit Gefangenen und großer Beute nach
Obwohl bei der Abfassung noch Zu- Ägypten zurück. Zwei Jahre später un-
kunft, sind die Verse 1 bis 35 jetzt ver- ternahm Seleukus einen erfolglosen
gangene Geschichte. Die Verse 36 bis 45 Angriff auf Ägypten.
beziehen sich auf die Zukunft. Das 11,10-17 Seine Söhne erwiesen sich
»ihm« aus Vers 1 mag sich auf Michael als erfolgreicher, besonders Antiochus
beziehen, der im Vers davor erwähnt III. Die Verse 10 bis 20 beschreiben, wie
wird, oder auf Darius. Vers 2 berichtet Sieg und Niederlage beständig zwi-
von der Macht von vier persischen Kö- schen Norden und Süden hin- und
nigen und von der Feindschaft des letz- herschwankten. Vers 17b berichtet, wie
ten gegen die Griechen. Die vier Könige Antiochus III. einen Bund mit Ägypten
waren Kambyses, Pseudo-Smerdis, machte, indem er seine Tochter Kleo­
Darius I. (Hystaspes) und Xerxes I. patra (nicht die berühmte – oder be-
(Ahasverus). Alexander war der tapfere rüchtigte – Königin von Ägypten) Pto-
oder gewaltige König, der den Persern lemäus V. zur Frau gab; aber sie wurde
die Weltherrschaft entriss und sie für abtrünnig und hielt seitdem zu Ägyp-
die Griechen eroberte. ten.

1077
Daniel 11

Das persische Reich, etwa 500 v. Chr.


Sardes

PERSISCHES REICH
Tarsus Karkemisch
Ninive

ZYPERN
Ekbatana
Sidon Damaskus
Tyrus

Samaria Babylon Susa


Jerusalem
Ur
Pelusium
Memphis
ARABIEN
ÄGYPTEN N

0 200 Km

11,18-20 Als Antiochus III. versuchte, 11,23-24 Antiochus schloss mit einer
Griechenland zu erobern, wurde er von Reihe von Nationen Verträge, beson-
den Römern bei den Thermopylen und ders mit Ägypten, doch immer zu sei-
bei Magnesia besiegt und kehrte in sein nem Vorteil. Wenn er eine eroberte Pro-
eigenes Land zurück. Dort starb er bei vinz ausplünderte, so benutzte er den
einem Aufruhr gegen ihn. Sein Nachfol- Reichtum, um seine Macht weiter aus-
ger, Seleukus Philopator, war ver­rufen zubauen.
wegen seiner drückenden Steuern, die 11,25-26 Sein Feldzug gegen Ägypten
er in der »Herrlichkeit des Königreichs«, wird besonders erwähnt: Der König des
also in Israel, eintreiben ließ. Er starb auf Südens konnte ihm nicht widerstehen,
mysteriöse Weise, vielleicht durch Gift. zum Teil deswegen, weil einige seiner
eigenen Gefolgsleute Verrat übten.
2. Die Regierung des gottlosen Antiochus 11,27-28 Daraufhin trafen sich der
Epiphanes (11,21-35) König von Syrien und der König von
11,21-22 Vers 21 bringt uns zum Empor- Ägypten und hielten heuchlerische und
kommen von Antiochus Epiphanes, des betrügerische Verhandlungen ab. Als
»kleinen Horns« von Daniel 8. Diese Antiochus in sein eigenes Land zurück-
niederträchtige Person gewann den zog, begann er, seine Feindseligkeit ge-
Thron durch Intrigen; rechtmäßig stand gen Israel zu wenden, und richtete ein
er seinem Neffen zu. Königreiche wur- großes Gemetzel und viel Zerstörung
den durch seine Militärmacht über- an.
schwemmt, und der jüdische Hohe­ 11,29-31 Als Antiochus das nächste
pries­ter Onias, der »Fürst des Bundes«, Mal nach Ägypten marschierte, wurde
wurde ermordet. er von den Römern bei Alexandria zu-

1078
Daniel 11

Alexanders griechisches Weltreich

Sardes

ALEXANDERS REICH
Tarsus Karkemisch
Issus Ninive

ZYPERN
Ekbatana
Sidon Damaskus
Tyrus

Samaria Babylon Susa


Alexandria Jerusalem
Ur
Pelusium
Memphis
ARABIEN
ÄGYPTEN N

0 200 Km

rückgeschlagen (Schiffe aus Kittim/ XII. Weissagungen für die ferne


Zypern). Er zog auf dem Rückweg Zukunft (11,36 - 12,13)
durch Palästina und ließ seine Wut an
Israel aus. Einige abgefallene Juden ar- A. Der Antichrist (11,36-45)
beiteten mit ihm zusammen. Er unter- 11,36-39 Wie schon erwähnt, sind die
brach die täglichen Opfer und ordnete Verse 36 bis 45 noch Zukunft. Vers 36
an, ein Götzenbild im Heiligtum auf­ führt den nach Belieben handelnden
zustellen. Die weltliche Geschichte be- König ein, dessen Beschreibung sehr
richtet, er habe den Tempel durch die der des Antichristen ähnelt. Er wird Er-
Opferung eines Schweins auf dem Altar folg haben, bis Gottes Zorn gegen Israel
verunreinigt. Der »heilige Bund« vollendet ist. Viele glauben, dass er ein
(V. 28.30.32) bezieht sich auf den jü- Jude sein wird. Das entnehmen sie den
dischen Glauben, mit besonderer Be­ Ausdrücken »den Gott seiner Väter«
tonung des Opfer­­­systems. und »den Schatz der Frauen« (d.h. den
11,32-35 Diese Frevel führten zum Messias). Die Juden würden sich
Makkabäer-Aufstand, der von Judas schwerlich durch einen heidnischen
Makkabäus (»der Hammer«) und sei- Messias verführen lassen. Auf jeden
ner Familie angeführt wurde. Die ab­ Fall wird er seine Herrschaft durch ag-
gefallenen Juden hielten zu Antiochus, gressiven Militarismus sehr weit aus-
aber die treuen waren stark und han- dehnen.
delten dementsprechend. Es war einer- 11,40-45 Es entsteht in Vers 40 die Fra-
seits eine schreckliche Zeit des Mor- ge, wer mit »ihm«, »ihn« und »er« ge-
dens, andererseits eine Zeit geistlicher meint ist. Eine Auslegung lautet folgen-
Erweckung. dermaßen: Der König des Südens trifft

1079
Daniel 11 und 12

Palästina unter ptolemäischer Herrschaft

Pergamus
Sardes R Ö M I S C H E S R E I C H
Ephesus

Tarsus Karkemisch
Ninive
Antiochia

ZYPERN PARTHERREICH
Ekbatana

Sidon Damaskus
Tyrus Seleucia

Samaria Babylon Susa

Jerusalem
Ur
Pelusium
Memphis
ARABIEN
ÄGYPTEN N

0 200 Km

auf den nach Belieben handelnden Kö- erwiesen haben, indem sie dem Herrn
nig in einer Schlacht. Der König des gehorchten und andere zum Glauben
Nordens zieht dann rasch durch Paläs­ und zur Gerechtigkeit wiesen, werden
tina und weiter nach Ägypten. Aber be- in ewiger Herrlichkeit erstrahlen.
unruhigende Gerüchte von Osten und Einige Kommentatoren sehen in Vers
von Norden veranlassen ihn, nach Paläs­ 2 keinen Hinweis auf eine leibliche Auf­
tina zurückzukehren, um sein Lager erstehung, sondern auf die nationale und
zwischen den Meeren (Mittelmeer und moralische Erweckung Israels. Nachdem
Totes Meer) und Jerusalem aufzuschla- Gottes altes Volk im Unglauben in das
gen. Er wird umkommen, und niemand Land zurückgebracht wurde, wird ein
wird ihm helfen. Überrest das Evangelium annehmen
und in das Tausendjährige Reich einge-
B. Die Große Drangsalszeit (Kap. 12) hen. Diese sind es, die zu ewigem Le-
12,1-3 Vers 1 beschreibt die Große ben aufwachen. Alle anderen, die den
Drangsalszeit, die dreieinhalb Jahre, Antichrist anbeten, werden zur Schan-
die dem Zweiten Kommen Christi vor­ de ewiger Abscheu verurteilt werden.
ausgehen. Einige werden auferweckt, Seit Jahrhunderten unter den Heiden
um in das Tausendjährige Reich mit begraben, wird Israel als Nation wie-
Christus einzugehen; die gottlosen To- derhergestellt, und dann wird der
ten werden am Ende des Tausendjäh- gläubige Überrest die geistliche Auf­
rigen Reiches auferweckt werden (V. 2; erstehung erleben, wie sie in Jesaja
siehe Offb 20,5). Jene Heiligen der 26,19 und Hesekiel 37 beschrieben ist.
Drangsalszeit, die sich als verständig 12,4 Daniel wurde angewiesen, die

1080
Daniel 12

Weissagungen in einem Buch zu verwah- nießen – die Segnungen des Tausend-


ren. Vers 4b wird nach gewissen Überset- jährigen Reiches mit seinem Messias,
zungen (»viele werden suchend umher- dem Herrn Jesus Christus.
streifen«; revidierte Elberfelder) so aus-
gelegt, als rede er von Fortschritten im Anmerkungen
Verkehrswesen und in wissenschaftlicher 1
(Einführung) Merrill F. Unger, Intro­
Erkenntnis. Aber wahrscheinlich bedeu- ductory Guide to the Old Testament,
tet er dies gar nicht. Darby übersetzt: S. 396.
»Viele werden fleißig forschen« (vgl. 2
(Einführung) Ebd., S. 399.
auch Schlachter 2000: »Viele werden dar­ 3
(Einführung) Anderson arbeitete als
in forschen«; ähnlich unrevidierte Elber- Erster die genaue Chronologie der
felder, Luther, Menge u.a). Und Tregelles siebzig Wochen im Buch Daniel her­
gibt ihn so wieder: »Viele werden das aus ‒ in seinem Klassiker The Coming
Buch von einem Ende bis zum anderen Prince.
Ende sorgfältig untersuchen.«15 Der Vers 4
(4,19-26) Boanthropie (Rinder-
lehrt uns, dass viele das prophetische Mensch-Krankheit) ist eine seltene
Wort studieren werden, und die Erkennt- Form der Monomanie. Dr. R.K. Har-
nis desselben wird sich in der Großen rison berichtet einigermaßen aus-
Drangsalszeit mehren. führlich über seine Begegnung, die
12,5-10 Diese Verse berichten von ei- er mit dieser Krankheit in einer Lon-
ner Unterhaltung zwischen zwei nicht doner Nervenklinik hatte (Introduc­
näher bezeichneten Personen und einem tion to the Old Testament, S. 1114-
in Leinen gekleideten Mann. Es geht dar­ 1117).
um, wie lange es bis zur Zeit des Endes 5
(5,10-16) Dies bezieht sich wahr-
dauern würde. Die angegebene Zeit ist scheinlich nicht auf Belsazars Frau,
dreieinhalb Jahre (eine Zeit, zwei Zeiten sondern auf die »Königinmutter«.
und eine halbe Zeit). Als Daniel deutlich 6
(5,10-16) Tekel ist mit dem hebr. Wort
macht, dass ihm immer noch Verständ- Schekel verwandt. Die Wörter waren
nis fehlt, wird ihm gesagt, diese Vision den Menschen bekannt (aramäisch),
werde nicht vollständig klar werden, aber die Bedeutung war so geheim-
bis sie eintrifft. Aber er kann sicher sein, nisvoll, dass sie die Botschaft nicht
dass die Gerechten gereinigt werden, verstanden. Außerdem waren die
die Gottlosen aber werden sich selbst als Wörter vielleicht mit anderen Buch-
solche offenbaren, und nur die Verstän- staben geschrieben, als sie im Ara-
digen werden es begreifen. Vom Anfang mäischen gebräuchlich sind.
der Großen Drangsalszeit bis zu ihrem 7
(6,9-13) Im Buch Ester wurde König
Ende würden eine Zeit, zwei Zeiten und Ahasveros auch von seinen Unter­
eine halbe Zeit vergehen (dreieinhalb tanen hinters Licht geführt, als er ein
Jahre oder 1260 Tage). »unabänderliches« Gesetz zur Ver-
12,11 Vielleicht wird der »Gräuel der nichtung des Volkes Gottes erließ.
Verwüstung« dreißig Tage vor Beginn Daniel wurde von der Löwengrube
der Großen Drangsalszeit im Tempel bedroht, Ester dadurch, dass sie
von Jerusalem aufgestellt; dies würde Ahasveros vor die Augen treten
die 1290 Tage hier erklären. musste. Beide waren in der Gefahr,
12,12 Die 1335 Tage werden so erklärt, ihr Leben zu verlieren. Beide ver­
dass sie uns in die Zeit nach dem Kom- ließen sich darauf, dass ihr Gott sie
men Christi und dem Gericht über sei- retten würde, und traten der Gefahr
ne Feinde zum Beginn seiner Herrschaft heldenmütig entgegen. Beide waren
führen. Fremde im Perserreich. In beiden
12,13 Daniel würde ruhen (im Tod) Fällen tat es einem persischen König
und auferstehen, um sein Erbteil zu ge- Leid, ein unwiderrufliches Gesetz

1081
Daniel

unterzeichnet zu haben. Und in bei- Hoeh­ner ein etwas anderes Anfangs-


den Fällen wurden Gottes Leute vor datum angenommen (444 v.Chr.)
ihren Feinden gerettet. und kommt daher auf das Jahr 33
8
(7,1-4) Der geflügelte Löwe war das n.Chr. Auch er erzielt eine vollkom-
Symbol für Babylon ‒ wie der Löwe mene Datenreihe für diese Prophe-
für Großbritannien und der Adler tie. Siehe Bibliotheca Sacra, Januar-
für die Vereinigten Staaten oder März 1975, S. 62-64.
Deutschland. 12
(10,10-14) Leon Wood, A Commentary
9
(8,9-14) Antiochus steht in der lan- on Daniel, S. 272-273.
gen Reihe der Judenhasser, zu der 13
(10,10-14) Einige, wie William Kelly,
auch Haman und Adolf Hitler ge­ beantworten diese Einwände, indem
hören. Er ist wahrscheinlich ein Bild sie annehmen, dass der Sprecher in
für den kommenden Antichristen. Vers 13 eine andere Person als der
Antiochus gefiel es, Epiphanes (der Herr ist.
Berühmte) genannt zu werden; aber 14
(11,5-6) Es ist wichtig festzuhalten,
die Juden hatten einen anderen Na- dass sich die Titel »König des Nor-
men für ihn: Epimanes (der Ver- dens« und »König des Südens« auf
rückte)! Seine Geschichte wird in die Führer Syriens und Ägyptens be-
dem apokryphen Buch der Makka- ziehen, die zu der Zeit der im jewei-
bäer erzählt. ligen Vers geschilderten Ereignisse
10
(9,20-23) Das hebräische Wort für herrschen, und nicht im gesamten
Woche bedeutet einfach »eine Einheit Text dieselben Herrscher gemeint
von sieben«. sind.
11
(9,26) Gemäß Anderson der 6. April 15
(12,4) S.P. Tregelles, The Prophetic Vi­
32 n.Chr. Später hat Dr. Harold sions in the Book of Daniel, S. 158.

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1082
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1083
Hosea
»Wir haben im Buch Hosea eine der packendsten Offenbarungen der wahren Natur der
Sünde und eine der klarsten Darstellungen der Kraft der göttlichen Liebe. Niemand kann
die Geschichte von Hosea lesen, ohne den tiefen Schmerz seines Herzens zu spüren.
Dann aber, wenn man das Menschliche auf die Stufe des Unendlichen hebt, erkennt man:
Die Sünde verwundet das Herz Gottes.«

G. Campbell Morgan

Einführung 2. Eine zweite Sichtweise besagt, Gott


habe es tatsächlich befohlen und Hosea
I. Einzigartige Stellung im Kanon habe gehorcht. Dies scheint in der Tat
das richtige Textverständnis zu sein (si-
Obwohl das Buch Hosea nicht in erzäh- ehe allerdings Anmerkung 2!). Das Ziel
lender Form oder Geschichtsform ge- der Errettung rechtfertigt demnach das
schrieben ist, enthält es sehr wohl eine Mittel und die Not, die Hosea er­leben
in den Text verwobene Geschichte.1 musste. Gegen diese Ansicht spricht die
Kurz gesagt, ist es die Geschichte von Tatsache, dass wenn Gomer vor ihrer
Hosea, der Gomer heiratet, und sie ge- Ehe eine Hure war, sie ein unzurei-
bar ihm drei Kinder – Jesreel, Lo-Ruha- chendes Bild für Israel wäre.
ma und Lo-Ammi. Gomer war treulos, 3. Eine dritte Erklärung besagt, Hosea
trotzdem suchte Hosea sie in großer habe eine reine Frau geheiratet, die spä­
Liebe und brachte sie aus der Sklaverei ter zur Ehebrecherin wurde. Diese An-
und Erniedrigung zurück. sicht passt gut dazu, dass der Prophet
Die übliche Übersetzung von 1,2 sagt, und seine Frau ja Bilder für den HERRN
Gott habe anscheinend dem Propheten und seine untreue Frau Israel sind. Es
befohlen, eine Frau zu heiraten, die stimmt auch mit dem hohen Ideal des
schon eine Hure war.2 Propheten (und der Bibel) von der Ehe
Viele Bibelleser sehen darin ein mora- überein. Menschen, die dieser Ansicht
lisches Problem. Sollte Gott einen seiner sind, haben oft Schwierigkeiten, sich
Propheten auffordern, »eine hurerische vorzustellen, dass Hosea so viel Kum-
Frau« zu heiraten? Und würde ein mo- mer wegen seiner zerrütteten Ehe litt,
ralisch empfindender Prophet gehor- wenn Gomer von Anfang an unmora-
chen? Mindestens drei Lösungen wur- lisch war.
den vorgeschlagen: Ein starkes Argument gegen die letz-
1. Die erste ist, hierin ein Gleichnis zu tere Sicht ist, dass Gott sie in Hosea 1,2
sehen, das Gottes Liebe zu dem sündi- »eine hurerische Frau« nennt, und zwar
gen Israel beschreibt; es wäre also nicht unmittelbar im Zusammenhang mit
buchstäblich zu verstehen. Der Stil ist je- seinem Befehl, Hosea solle sie heiraten!
doch erzählender Natur, wie in Jesaja 7,3 Vielleicht ist unsere Abneigung ge-
und Jeremia 13,11, wo es ebenfalls um gen die Ehelichung einer unmora-
göttliche Befehle geht, die aber niemand lischen Frau als solche schon eine wei-
als bloße Fabeln auffasst. Die Wahrheit tere Illustration der göttlichen Gnade,
in dieser Sichtweise liegt darin, dass die- die er gegenüber Israels Sünden (und
se Geschichte wunderschön illustriert, die der Gemeinde!) beweist, obwohl er
wie sehr Gott das sündige Israel liebt, doch so viel heiliger ist, als je ein Pro-
während der Irrtum darin steckt, dies phet oder Prediger es sein könnte.
nur für ein Gleichnis zu halten. Welche Ansicht wir auch vertreten

1085
Hosea

mögen, die Geschichte hinter der Weis- öffentlichen Markt zu kaufen und sie in
sagung zeichnet uns ein lebendigeres den Segen zurückzubringen. Die Ab-
Bild, als Worte allein es tun könnten, sicht bei alldem war natürlich, ein Bild
von der wunderbaren Gnade Gottes ge- von Gottes Beziehung zu Israel zu
genüber dem sündigen, abirrenden Is- zeichnen (das auch Ephraim, Jakob und
rael ‒ und im übertragenen Sinn gegen- Samaria genannt wird). Das Volk hatte
über allen Sündern, die sich von ihren sich als untreu erwiesen und lebte in
bösen Wegen zu einem Gott der Liebe Götzendienst und moralischer Bosheit.
wenden. Viele Jahre lang würde es ohne König,
Opfer oder Götzen sein. Das ist Israels
II.Verfasserschaft gegenwärtiger Zustand.
Hosea war der Sohn des Beeri. Sein In der Zukunft jedoch, wenn Israel in
Name bedeutet Errettung und ent- Buße zu Gott zurückkehrt, wird er
springt derselben Wurzel wie der Barmherzigkeit erweisen. Ephraim
Name Jeschua und dessen neutesta- wird dann für immer von seinen Rück-
mentliche Entsprechung Jesus. Hosea fällen in den Götzendienst geheilt und
lebt seinem Namen entsprechend und zu Gott bekehrt sein. Henry Gehman
weissagt von der Rettung des HERRN, schreibt:
die sichtbar werden wird, wenn Chris-
tus zurückkommt, um sein Reich auf- Hosea stellt die unerschöpfliche Barm-
zurichten. Hosea war hauptsächlich ein herzigkeit Gottes vor, die keine Sünde
Prophet für Israel; aber es gibt auch Ab- der Menschen aufhalten oder ermüden
schnitte, die ein Interesse für Juda er- kann. Der große Hauptgedanke der Bot-
kennen lassen. schaft von Hosea ist der, dass Gottes
mächtige und unauslöschliche Liebe zu
III. Datierung Israel nicht befriedigt sein wird, bis er
Hosea weissagte, als Jerobeam II., der ganz Israel in Übereinstimmung mit sich
Sohn des Joasch, König in Israel war selbst gebracht hat.4
und Usija, Jotam, Ahas und Hiskia in
Juda regierten. Dies würde einen Zeit- Hinter der Züchtigung steht – wie
abschnitt von mehreren Jahrzehnten Campbell Morgan ausführt – ein Gott
des achten vorchristlichen Jahrhun- der Liebe:
derts ausfüllen. R.K. Harrison meint,
Hoseas Dienst »reichte von ungefähr Das überragende Thema in jeder einzel-
753 v.Chr. bis kurz vor dem Fall Sama- nen Weissagung ist dies: Den Gott, mit
rias im Jahr 722 v.Chr«.3 dem diese Menschen vertraut waren,
kannten sie als einen Gott zarter Liebe
IV. Hintergrund und Thema und unendlichen Mitgefühls, der zürnte,
Hosea sagte den Einmarsch der Assyrer weil er liebte, und im Grimm handelte
ins nördliche Königreich und den Fall aufgrund seiner Liebe, um durch Ge-
Samarias voraus. richte das höchste Ziel seines Herzens zu
Als seine Frau Gomer ihn verließ, um erreichen. Der Herzschlag Gottes pul-
in schändlicher Sünde zu leben, wies siert durch diese Abschnitte.5
Gott seinen Knecht an, sie auf dem

1086
Hosea 1 und 2

Einteilung F. Die verheißenen Gerichte über


Israel und Juda und Gottes
I. Die Verwerfung Israels, dargestellt Absicht, auf ihre Umkehr zu
durch die drei Namen der Kinder warten (5,8-15)
Hoseas (Kap. 1) G. Ein Appell an Israel, Buße zu
II. Die Wiederherstellung Israels wird tun (6,1-3)
verheißen (2,1-3) H. Die Sündhaftigkeit sowohl
III. Gottes Warnung wegen Israels als auch Judas (6,4-11)
Israels Untreue und seine I. Die Bosheit Israels wird
Gerichtsandrohung (2,4-15) aufgedeckt (Kap. 7)
IV. Israel wird eine zukünftige J. Eine Mahnung, sich auf
Segenszeit verheißen (2,16-25) eine Invasion von Fremden
V. Die Erlösung der Frau des Hosea – vorzubereiten wegen des
ein Bild für die Umkehr Israels zu Götzendienstes und der
dem HERRN in der Zeit des Endes Bündnisse mit Fremden
(Kap. 3) (Kap. 8)
VI. Gottes Streitgespräch mit seinem K. Israel wird wegen seiner
Volk (Kap. 4-10) Ungerechtigkeit die
A. Die Sünden des Volkes (4,1-6) Gefangenschaft angekündigt
B. Die Sünden des Priester (Kap. 9-10)
(4,7-11) VII. Im Zorn erinnert sich Gott an seine
C. Der Götzendienst des Volkes Barmherzigkeit (11,1 - 14,1)
(4,12-14) VIII.Israel wird zur Buße aufgerufen,
D. Ein besonderer Appell an Juda damit es Gottes Segen genießen
(4,15-19) kann (14,2-10)
E. Das böse Verhalten der
Priester, des Volkes und der
königlichen Familie (5,1-7)

Kommentar 1,6-7 Das zweite Kind wurde Lo-


Ruhama (»Nicht-Erbarmen«) genannt.
I. Die Verwerfung Israels, Dies bedeutete, Israel würde kein Er-
dargestellt durch die drei Namen barmen mehr erfahren, sondern in die
der Kinder Hoseas (Kap. 1) Gefangenschaft geschickt werden,
während Juda vor den Angriffen der
1,1-5 Der HERR wies Hosea, den Sohn Assyrer beschützt werden sollte.
des Beeri, an, eine untreue Frau zu hei- 1,8-9 Das dritte Kind wurde Lo-Am-
raten (siehe die Einführung »Einzig- mi (»Nicht-mein-Volk«) genannt. Gott
artige Stellung im Kanon«, wo die bei sah Israel nicht mehr als sein Eigen an.
solch einer Ehe zur Debatte stehenden Einige meinen auch, der Prophet sei im
ethischen Fragen besprochen werden). Zweifel gewesen, ob dieses Kind sein
Er heiratete Gomer, die Tochter Dibla- eigenes war.
jims.
Ihr erstes Kind wurde Jesreel (»Gott II. Die Wiederherstellung Israels
wird zerstreuen«) genannt, ein Hinweis wird verheißen (2,1-3)
auf das, was der Herr bald mit dem 2,1-2 Aber dieses Gericht über Israel
Volk Israel tun würde. Das assyrische war nur zeitlich begrenzt. Gott würde
Heer würde die Macht Israels in der Israel und Juda wieder sammeln und
Ebene Jesreel zerbrechen. als sein Eigentum anerkennen. Dies

1087
Hosea 2

wird beim Zweiten Kommen Christi sie seien ihr Lohn von ihren Götzen-
geschehen. Liebhabern), und sie wird für alle Tage
Der Kontext zeigt, dass es sich bei bestraft werden, die sie dem Baal
dem letzten Teil von Vers 1 um Israel diente.
handelt. Aber Paulus zitiert diese Worte
in Römer 9,26 und wendet sie auf die IV. Israel wird eine zukünftige
Berufung der Heiden an. Dies illustriert Segenszeit verheißen (2,16-25)
die Wahrheit, dass wenn der Heilige 2,16-19 Trotzdem wird er Israel wieder-
Geist Verse aus dem Alten Testament herstellen und trösten. Gott wird ihr
im Neuen anführt, er selbst festlegen ihre Weinberge zurückgeben, und sie
kann, wie er sie anwendet. wird singen wie zu der Zeit, als sie aus
2,3 Hier wird Hosea gesagt, er solle dem Land Ägypten heraufkam. Sie
zu dem gläubigen Überrest des Volkes wird ihn dann Ischi (mein Mann) nen-
sprechen. Die Brüder werden als Ammi nen, nicht Baal (mein Herr). Das Volk
(»mein Volk«) und die Schwestern als wird sogar so sehr von dem Baalsdienst
Ruhama (»die Erbarmen erlangt hat«) gereinigt sein, dass es selbst die Namen
angesprochen. der Baalim (Mehrzahl von Baal) verges-
sen haben wird.
III. Gottes Warnung wegen 2,20-22 Das Volk wird in Sicherheit
Israels Untreue und seine und Frieden wohnen; denn Gott wird
Gerichtsandrohung (2,4-15) einen Bund mit den Tieren des Feldes
2,4-5 Der treue Überrest sollte bei der und mit anderem Getier machen, so-
Masse des Volkes Israel dafür eintreten, dass alle Raubtiere harmlos werden.
dass die Menschen von ihrem Götzen- Krieg wird es nicht mehr geben. Israel
dienst und von ihren Hurereien ablas- wird für immer mit dem HERRN ver-
sen, sonst wird Gott sie nackt ausziehen mählt sein, aufgrund von Gerechtigkeit
und Dürre über sie bringen. und Recht und Gnade und Erbarmen,
2,6-7 Der Kinder des sündigen Volkes gegründet auf Gottes Treue.
wird er sich auch nicht erbarmen, weil 2,23-25 An jenem Tag wird Jesreel (Is-
sie Kinder einer Hure sind, die falschen rael) nicht mehr zerstreut, sondern gesät
Göttern nachlaufen und diesen Götzen bedeuten. Das Volk wird in seinem ei-
zuschreiben, sie versorgten sie mit genen Land gesät werden; Himmel und
Nahrung, Kleidung und Luxusgütern. Erde werden sich vereinigen, um Israel
2,8-9 Gott wird ihnen alle möglichen zu segnen und fruchtbar zu machen.
Sperren und Hindernisse in den Weg Williams erklärt diesen Abschnitt sehr
legen und sie von ihren Götzen entfer- hilfreich:
nen, bis sie sich entscheiden, zu ihm
(ihrem ersten Mann) zurückzukehren. Jesreel (Israel) als von Gott ins Land ge-
2,10 Sie (die untreue Israel) schrieb sät (V. 23) wird dem Getreide, dem Wein
nicht Gott zu, dass er sie mit allem Nö- und dem Öl rufen, es zu versorgen; es
tigen und mit Luxusgütern wie Gold wird die Erde und den Himmel anrufen,
und Silber versorgte, die sie verwende- es fruchtbar zu machen; die Erde wird
te, um ein Götzenbild des Baal daraus den Himmel wegen des nötigen Regens
zu machen. anrufen, damit sie Frucht hervorbringen
2,11-12 So wird Gott ihr Nahrung und kann, und der Himmel wird zu dem
Kleidung fortnehmen und ihre Blöße HERRN rufen, damit er ihn mit dem nö-
aufdecken. tigen Wasser füllt. Von ihm aus gibt es
2,13-15 Ihre Feiern und ihre Festzeiten keinen weiteren Appell an jemand ande-
und religiösen Feiertage werden auf­ ren, denn er ist die Große Erste Ursache!
hören, und ihre Weinstöcke und Fei- Als Antwort auf diese Anrufungen wird
genbäume werden zerstört (sie dachte, er den Himmel mit Feuchtigkeit erfüllen,

1088
Hosea 2 bis 4

der Himmel wird sie auf die Erde brin- an Bluttat. Fünf von den Zehn Geboten
gen, die Erde wird dar­aufhin Getreide, werden in Vers 2 angesprochen. Das
Wein und Öl hervorbringen, Israel wird Übertreten dieser Gebote war der
reichlich versorgt sein, und Himmel und Grund für den Zustand des Landes.
Erde werden durch eine Liebeskette mit- Selbst die wilden Tiere würden wegen
einander verbunden sein. Dann wird des nahenden Gerichts dahinschwin-
Gott Mitleid mit Israel haben, wird es als den.
sein Volk anerkennen, und Israel wird 4,4-6 Sowohl Priester als auch Pro-
ihn als seinen Gott anerkennen.6 phet werden wegen ihres absichtlich
verursachten Mangels an Erkenntnis
V. Die Erlösung der Frau des getadelt. Gottes Volk kommt um aus
Hosea – ein Bild der Umkehr Mangel an Erkenntnis; die Israeliten
Israels zu dem HERRN in der hatten das Gesetz ihres Gottes verges-
Zeit des Endes (Kap. 3) sen.
3,1-3 Dann gebot der HERR dem Ho-
sea, zum öffentlichen Markt zu gehen B. Die Sünden der Priester (4,7-11)
und seine untreue Frau von ihrer Sünde Je mehr das Volk sündigte, umso mehr
loszukaufen. Der Preis dafür, fünfzehn Sündopfer nahmen die Priester gierig
Silberschekel und einen Homer Gerste in Empfang. So glichen sich das Volk
und einen Letech Gerste, war der für und die Priester; beide waren verdor-
eine Sklavin. Für viele Tage danach ben. Ihre Strafe würde sein, dass sie der
sollten keine ehelichen Beziehungen Hurerei, dem Wein und dem Most ver-
bestehen; später würde sie wieder in sklavt sein sollten, denen sie sich hin­
ihre ehelichen Rechte zurückgebracht. gaben und von denen sie doch nie ge-
Dies ist ein Bild der Vergangenheit, der nug bekommen konnten.
Gegenwart und der Zukunft des Volkes
Israel. Dem HERRN untreu, lief es an- C. Der Götzendienst des Volkes
deren Liebhabern (den Götzen) nach. (4,12-14)
Aber Gott hat es zurückgebracht. Als Nächstes wird der Götzendienst
3,4-5 Der gegenwärtige Zustand wird des Volkes beschrieben. Es suchte Lei-
in Vers 4 beschrieben: ohne König, ohne tung durch hölzerne Götzen. Es betete
Oberste (herrschende Klasse), ohne auf Bergheiligtümern und im Schatten
Schlachtopfer (d.h. die levitischen Op- von Bäumen an. Die Männer begannen
fer waren ausgesetzt), ohne Gedenk- damit, und die Frauen machten es
säulen (Götzenbilder), ohne ein Ephod ihnen nach.
(Symbol des levitischen Priestertums)
und ohne Teraphim (Hausgötter). Is­ D. Ein besonderer Appell an Juda
raels Zukunft wird in Vers 5 beschrie- (4,15-19)
ben: Es wird zu dem HERRN umkeh- Juda wird gewarnt, nicht dem Beispiel
ren und ihn in Treue lieben und fürch- Israels zu folgen. Israel ist widerspen-
ten. stig und weigert sich, von seinen Göt-
zen getrennt zu werden. Es liebt die
VI.Gottes Streitgespräch mit Schande mehr als die Herrlichkeit. In
seinem Volk (Kap. 4-10) der revidierten Elberfelder lautet Vers
16 so: »Ja, Israel ist widerspenstig ge-
A. Die Sünden des Volkes (4,1-6) worden wie eine widerspenstige Kuh.
4,1-3 Gott hat einen Rechtsstreit mit Is- Wird da der HERR sie weiden wie ein
rael wegen der Untreue, Unbarmher- Lamm auf weitem Raum?« In der unre-
zigkeit und Gottlosigkeit des Volkes. vidierten Elberfelder und der Schlach-
Die Israeliten fluchen, morden, stehlen, ter 2000 steht in Vers 16 keine Frage:
brechen die Ehe, und Bluttat reiht sich »nun wird sie der HERR weiden wie

1089
Hosea 4 bis 7

ein Lamm in weiter Landschaft«, d.h. scheint sie echt und von Herzen kom-
wegen der Widerspenstigkeit wird Is­ mend zu sein, aber bei näherem Hinse-
rael wie ein Lamm in weiter, offener hen merken wir, dass keine Sünde di-
Landschaft allen Raubtieren preis­ rekt bekannt wird. Die Buße ist ober-
gegeben. flächlich und unaufrichtig. Dies geht
daraus hervor, dass Gott weiterhin dem
E. Das böse Verhalten der Priester, Volk Vorhaltungen machen muss, von
des Volkes und der königlichen denen wir bis zum Ende des Kapitels
Familie (5,1-7) lesen. Zu wahrer Umkehr kommt es
Die Priester, das Volk und der König nicht vor dem letzten Kapitel. Da be-
sind gleichermaßen des Götzendienstes kennt sich das Volk zu seinem Götzen-
schuldig, und Israel hat sich verunrei­ dienst und erkennt an, dass es Gottes
nigt; Ephraim ist zur Hure geworden. Gnade nötig hat.
Sowohl Israel als auch Juda werden we- Vers 2 könnte eine Anspielung auf die
gen ihrer Schuld bestraft werden, weil Auferstehung Jesu Christi enthalten,
sie dem HERRN untreu geworden sind. die nach zwei Tagen, am dritten Tag
Sie werden Schafe und Rinder als Opfer stattfand. Wenn das so ist, ist die natio-
zum HERRN bringen, werden ihn aber nale Wiederherstellung auf die Auf­
nicht finden können. erstehung Christi gegründet und wird
durch sie vorgeschattet. Oder dies be-
F. Die verheißenen Strafgerichte über zieht sich auf die letzten drei »Tage« der
Israel und Juda und Gottes Absicht, Drangsalszeit. Israels Buße und Klage
auf ihre Umkehr zu warten (5,8-15) erstreckt sich über zwei Tage. Dann
5,8-12 Den historischen Hintergrund wird das Volk am dritten Tag wieder­
dieses Abschnitts finden wir in 2. Kö- geboren, und der Messias erscheint.
nige 16. Israel (Ephraim) und Syrien
(Aram) waren in Juda eingefallen. Mit H. Die Sündhaftigkeit sowohl Israels
Hilfe von Assyrien hatte Juda sie zu- als auch Judas (6,4-11)
rückgeschlagen und Gebiete erobert. 6,4-6 Weil Israel und Juda treulos wa-
Drei Städte in Benjamin werden mit fol- ren, hat Gott sie durch den Propheten
genden Worten vor Bestrafung ge- verurteilt; es lag ihm mehr an Liebe
warnt: »Stoßt ins Horn zu Gibea, in die (auch Gnade, Güte, Bundestreue) als an
Trompete zu Rama! Erhebt Kriegs­ Schlachtopfern und mehr an Gottes­
geschrei in Bet-Awen« (V. 8). Gott wird erkenntnis als an Brandopfern.
wie eine Motte für Israel sein und wie 6,7-11 »Sie aber haben den Bund
Fäulnis (oder Wurmfraß) für das Haus übertreten wie Adam7 (o. wie die Be-
Juda. wohner der Stadt Adam).« Die Bosheit
5,13-15 Als Israel seine Krankheit er- Israels wird in den Versen 7 bis 10 dar-
kennt, sucht es Hilfe in Assyrien. Aber gestellt: Sie gleichen einer Stadt von
es wurde nicht geheilt, weil Assyrien Übeltätern, einer Räuberbande und ei-
von Juda gebeten (und von Gott be- ner Rotte mordender Priester. Auch für
nutzt) wurde, gegen Israel zu kämpfen. Juda ist eine Leidensernte bestimmt
Gott beschloss, an seinen Ort zurückzu- (V. 11), bevor Gott das Geschick seines
kehren und auf Israel und Juda zu war- Volkes wendet. (Einige halten die Ernte
ten, bis sie ihre Sünden bekannten und hier für eine Segnung, nicht für ein Ge-
sein Angesicht suchten. richt).
G. Ein Appell an Israel, Buße zu tun I. Die Bosheit Israels wird aufgedeckt
(6,1-3) (Kap. 7)
6,1-3 Die Verse 1 bis 3 sind Israels Ant- 7,1-7 Die Bosheit in Ephraim war groß;
wort auf Gottes Bußruf (5,15). Zuerst dazu gehörte Betrug, Räuberei, Lüge,

1090
Hosea 7 bis 9

Hinterlist, Ehebruch und Trunkenheit. würde: »Wann lernen sie endlich ihre
Das Volk und die Obersten waren in Lek­tion?«
Fleischeslust entbrannt. 8,7-10 Die Getreideernte würde
7,8-10 Die Israeliten vermischten sich schlecht ausfallen, und das Volk würde
mit den Fremden, die ihre Kraft ver- unter die Heiden zerstreut werden.
zehrten, und wollten nicht auf Zurecht- Weil Ephraim in Assyrien Hilfe suchte
weisung hören. Der Ausdruck, Ephraim und Bündnisse mit den Nationen
sei wie ein Kuchen (o. Brotfladen), der schloss, würde Gott es strafen. Dies
nicht gewendet wurde, weist auf einen wird po­etisch so ausgedrückt: »bald
Mangel an Ausgeglichenheit hin. Auf werden sie sich winden« oder »bald
der einen Seite ist der Fladen verbrannt werden sie zu leiden haben«.
und zu stark gebacken, auf der anderen 8,11-14 Israels Götzendienst und Ju-
Seite ist er glitschig und nicht auf­ das Vertrauen auf befestigte Städte
gegangen. Kurz gesagt: Ephraim ist würde Leid und Vernichtung nach sich
völlig unbrauchbar. ziehen.
7,11-12 Ephraim flog einer törichten
Taube gleich nach Ägypten und Assy- K. Israel wird wegen seiner
rien, um Hilfe zu holen; aber Gott wür- Ungerechtigkeit die Gefangenschaft
de die Taube in einem Netz fangen und angekündigt (Kap. 9-10)
das Volk züchtigen. 9,1-2 Die Israeliten sollten nicht jubeln.
7,13-14 Die Israeliten waren von dem Ihre Götzen würden ihnen nicht die rei-
HERRN geflohen und zeigten keine chen Ernten geben, die sie erwarteten.
echte Reue. Sie jammerten vor Gott mit Götzendienst ist geistlicher Ehebruch.
ihren Stimmen, aber nicht mit ihren Francis Schaeffer erklärt dazu:
Herzen. Es waren nicht die weichen
Tränen der Buße, sondern das Schmerz- Man beachte, in welcher Weise Gott hier
geheul eines verwundeten Tieres. spricht! Eine Frau ist draußen bei der
7,15-16 Der Herr hatte sie gelehrt, wie Ernte. Mitten in der Ernte hat sie freie
man durch seine Disziplin und Stärke Zeit. Sie nimmt von irgendeinem Mann
Siege erringt; doch sie vertrauten auf Geld an, um mit ihm während der Ernte
die Götzenbilder, und so würden sie auf der Korntenne zu schlafen. So weit
Niederlage und Spott ernten. sind diejenigen heruntergekommen, die
einst Gottes Volk waren. Dies ist die Frau
J. Eine Mahnung, sich auf eine des lebendigen Gottes in ihrer Abtrün-
Invasion von Fremden einzustellen nigkeit.8
wegen des Götzendienstes und der
Bündnisse mit Fremden (Kap. 8) 9,3-4 Wegen ihres Ehebruchs würde Is-
rael in die Gefangenschaft gehen – nicht
8,1-3 Der assyrische Eindringling wird buchstäblich nach Ägypten, sondern in
mit einem Adler oder Geier verglichen, die assyrische Gefangenschaft, deren
der über Israel schwebt. Das Volk hatte Fesseln den ägyptischen gleichen. Die
das Gesetz gebrochen, und darum war Israeliten betrieben einen vermischten
sein Untergang nahe. Obwohl die Is­ Gottesdienst – Götzendienst vermengt
raeliten bekannten, den Herrn zu ken- mit der Anbetung des HERRN, womit
nen, hatten sie ihn verworfen. sie weder ihm wohl­gefielen, noch sich
8,4-6 Die Teilung des Reiches in Israel selbst etwas Gutes taten.
und Juda war von Gott nicht gut­ 9,5-9 Sie würden nicht im Lande sein,
geheißen worden. Ihr Götzendienst ließ um die Tage der Festversammlungen
seinen Zorn entbrennen. Gott fragt: einzuhalten, vielmehr würden sie in die
»Wie lange sind sie zur Reinheit un­ Gefangenschaft gebracht werden. In
fähig?«, oder wie man heute sagen den Zelten Ephraims würden Nesseln

1091
Hosea 9 bis 11

und Dornen wohnen statt Menschen. den Assyrern weggeschleppt werden.


Die Verbannung war nahe ‒ und eben- Statt ihren Gott zu lieben, der sie so oft
falls der Untergang der falschen Pro- gerettet hatte, zeigen die folgenden
pheten. Worte mit göttlichem Sarkasmus, dass
9,10-17 Israel war anfangs eine so ver- die Israeliten in das goldene Kalb ver-
heißungsvolle, wunderbare Frucht wie liebt waren: »Sein Volk wird noch trau-
die Erstlingsfrucht am Feigenbaum; ern darüber. Seine Götzenpriester heu-
aber es verfiel in schrecklichen Götzen- len um es wegen seiner Herrlichkeit;
dienst, und so ist es zur Unfruchtbar- denn sie wird gefangen von ihm weg-
keit und zum Verlust seiner Kinder be- ziehen.« Kein Wunder, dass Gott sie
stimmt. Der Ausdruck »kein Mensch« dar­aufhin strafen wollte! Samarias
(V. 12) muss relativ, nicht absolut ver- König würde untergehen, die Altäre
standen werden (siehe V. 17c). Die (Götzenschreine) würden zerstört, und
männliche Bevölkerung würde dras­ die Menschen würden den Bergen und
tisch reduziert. Weil die Israeliten ihre Hügeln zurufen, sie möchten sie be­
Herrlichkeit gegen Gräuel eingetauscht decken.
hatten, wird über sie dieses Urteil ge- 10,9-10 Bei Gibea hielten die Stämme
fällt: »Kein Gebären, keine Schwanger- zusammen, um Benjamin wegen seiner
schaft, keine Empfängnis!« Sünde zu strafen (Richter 20). Aber seit-
10,1-2 Israel, einst ein üppiger Wein- dem gleicht die Geschichte Israels einer
stock, ist nun leer, weil er seinen Wohl- Aufzählung von Sünden. Nun wird
stand nur benutzte, um seinen Götzen- Gott die Heidenvölker benutzen, um
dienst auszuweiten. Gott klagt die Is­ ein Volk zu züchtigen, das sich zum
raeliten jetzt an, dass sie ein falsches, Sündigen zusammengetan hatte.
geteiltes Herz haben. 10,11 Ephraim war einst eine einge-
10,3-4 Das Volk bestritt, überhaupt wöhnte junge Kuh, die für die leichte
Gott oder einen König nötig zu haben. Arbeit des Dreschens vorgesehen war.
Daran sehen wir, wie weit das Volk ab- Aber nun wird sie unter das Joch der
gefallen war. Ursprünglich hatten sich Gefangenschaft gebeugt, und auch
die Israeliten am Berg Sinai verpflich- Juda wird zu harter Arbeit gezwungen
tet, Gott über sich herrschen zu lassen werden.
durch Mose und Aaron. Ein langer, un- 10,12-15 Ihre einzige Hoffnung, zu
ablässiger Abfall und Niedergang entkommen, läge darin, Buße zu tun
folgte, der endlich zu einem Punkt und den HERRN zu suchen. Aber Israel
führte, an dem sie nicht einmal mehr muss die Frucht seines sündigen Ver-
die Herrschaft eines Königs über sich trauens auf die Menge seiner Wagen
ertragen konnten. Die fortschreitende und Helden ernten. Das Land wird in
geistliche Selbstaufgabe zeigt sich in Krieg versinken, und alle Festungen
den aufeinanderfolgenden Regierungs- werden verwüstet. Samaria wird zer-
formen, gegen die sie sich aufgelehnt stört und der König getötet. Schalman
hatten: 1.  Gott (Theokratie), 2. Mose (V. 14) ist Salmanassar III., obwohl
(Prophet und Gesetzgeber), 3. Josua manche meinen, der Name bezöge sich
(geistlich-militärischer Heerführer), auf einen König von Moab namens Sa-
4. Richter (rechtsprechende Regierung), lamanu.
5. Könige (Monarchie), 6. kein König
(Anarchie – keine Regierung). Sie VII. Im Zorn erinnert sich Gott an
schlossen Bündnisse mit inhaltslosen seine Barmherzigkeit (11,1 - 14,1)
Schwüren; darum wird Gericht das Es ist hilfreich, die Sprecher in den
Land überziehen wie Giftkraut. nächsten vier Kapiteln zu unterschei-
10,5-8 Das goldene Kalb von Bet- den – ob es sich um den Herrn oder um
Awen (Bethel)9 würde erobert und von Hosea handelt:

1092
Hosea 11 bis 13

Der Herr: 11,1 - 12,1 jemanden hingestellt, der Siege errang,


Hosea: 12,2-6 weil er zu Gott umkehrte.
Der Herr: 12,7-11 12,5-7 Der »Engel« von Vers 5 ist der
Hosea: 12,12 - 13,1 HERR, der Gott der Heerscharen aus
Der Herr: 13,2-14 Vers 6. Er ist derselbe Engel des
Hosea: 13,15 - 14,4 HERRN, der auch Hagar erschien
Der Herr: 14,4-9 (1. Mo­­­­­se 16,7-11) sowie dem Abraham
11,1-4 Aus Liebe hat Gott Israel aus (1. Mose 18,1; 22,11.15-16) und dem
Ägypten gerufen (2. Mose). (Dies wird Jakob (1. Mose 31,11-13; 48,16). Siehe
in Mt 2,15 auch auf den Herrn Jesus an- auch 2. Mose 2,6-15 und 4. Mose 22,22-
gewandt.) Je mehr er die Israeliten rief, 35. Evangelikale glauben im Allgemei-
umso mehr liefen sie den Götzen nach. nen, dass er die Zweite Person der
Er handelte sanft und liebevoll mit Trinität ist, der Herr Jesus, wie er sich
Ephraim; aber der erkannte nicht, dass vor seiner Menschwerdung zeigte.
der HERR ihn geheilt hatte. Ephraim wird ermahnt, Jakob nach-
11,5-8 Wegen seiner Abwendung von zuahmen, der auf Gottes Kraft vertraute
Gott sollte sein Volk nicht nach Ägyp- statt auf seine eigene (siehe 1. Mose
ten zurückkehren, sondern nach Assy- 32,28).
rien verbannt werden. Gottes Herz 12,8-9 Aber Ephraim ist ein berech-
wurde tief bewegt bei dem Gedanken, nender Kanaaniter10 (Händler), ein Be-
Israel so wüst zu machen wie die Städte trüger, ein selbstsicherer Prahler, der
Adma und Zebojim. meint, er sei vor Entdeckung gefeit.
11,9-11 Diese Verse sind Zukunft. 12,10 Der HERR erinnert Ephraim
Gott hat die Wiederherstellung und dar­an, dass es seinen ganzen Wohl-
Segnung Israels vor. Er wird Ephraim stand dem Einen verdankt, der es aus
nie wieder zerstören. Ägypten herausbrachte. Wenn es doch
12,1 Die zweite Hälfte dieses Verses nur gehorchen wollte, würde Gott es
ist unterschiedlich übersetzt worden. In wieder in Zelten wohnen lassen wie
den deutschen Übersetzungen wird zu- in den Tagen des Festes (der Laub­
meist in dem Sinn übersetzt, dass Juda hütten).
ebenfalls Gott untreu geworden ist (z.B. 12,11-13 Der HERR hat immer wieder
»Und Juda ist immer noch schwankend durch die Propheten gesprochen, aber
gegenüber Gott« [revidierte Elber- vergeblich. Gilead und Gilgal, die zwei
felder], »Juda schweift immer noch um- Teile des Nordreichs, die durch den Jor-
her neben Gott« [Schlachter 2000]). KJV dan getrennt waren, werden wegen
und NKJV übersetzen jedoch sinn­ ihres Götzendienstes zunichtewerden.
gemäß: Während Israel voller Lüge Der Ahnherr des Volkes, Jakob, war ein
und Betrug ist, vertraut Juda noch auf Flüchtling in Syrien (Aram) und ein
den HERRN. armseliger Schafzüchter in Mesopota-
12,2-3 »Ephraim nährt sich von mien.
Wind« (Schlachter 2000), in dem Sinn, 12,14 Aber Gott führte seine Nach-
dass es sein Überleben von den Bünd- kommen gnädig aus der ägyptischen
nissen mit Assyrien und Ägypten ab- Sklaverei ‒ durch Mose, den Propheten.
hängig macht. Gott hat einen Rechts- 12,15 Ephraim vergaß dies alles und
streit mit Juda, und obwohl die Sünde hat den Herrn durch seinen Götzen-
Ephraims größer ist, würde er auch Ja- dienst zum Zorn gereizt und Blutschuld
kob bestrafen. über sich gebracht. Gott wird ihm seine
12,4 Der Patriarch Jakob rückt hier ins Kränkungen und Schmähungen ver­
Blickfeld. Obwohl er an einigen ande- gelten.
ren Stellen in ungünstigem Licht er- 13,1 Vor seinem götzendienerischen
scheint, wird er hier als ein Beispiel für Treiben stand Ephraim in Israel durch

1093
Hosea 13 und 14

sein Reden groß da, doch als er sich VIII. Israel wird zur Buße
dem Baalsdienst hingab, starb er. aufgerufen, damit es Gottes
13,2-3 Nun versinkt das Volk immer Segen genießen kann (14,2-10)
tiefer in Götzendienst; man sagt den 14,2-4 Israel wird zur Buße aufgefor-
Menschen, sie sollten die Kälber küs- dert. Sogar die Worte, die es bei dem
sen. Darum werden sie vergehen wie Bekenntnis an einem noch künftigen
die Morgenwolke und wie der frühe Tag verwenden soll, werden ihm vorge-
Tau. Sie werden wie Spreu weggeweht geben. Vertrauen auf Assyrien und auf
‒ oder wie der Rauch aus dem Kamin. Rosse aus Ägypten sowie Götzendienst
13,4-8 Der HERR war es, der sie aus sind die Sünden, die hier erwähnt wer-
Ägypten errettet und für sie in der den. Gott ist Israels einzige Hoffnung.
Wüste gesorgt hat. Aber sie vergaßen 14,5-8 In ausnehmend schöner Natur-
ihn und kehrten sich den Götzenbildern poesie verheißt der Herr Heilung, Lie-
zu. Nun wird sich Gott wie ein Raubtier be, Erquickung, Schönheit, Wieder­
gegen sie wenden. belebung und Wachstum.
13,9-13 Wenn der Herr das tut, wer 14,9 Auch in Vers 9 spricht immer
wird sie dann erretten? Ephraims Sün- noch der Herr.11 Er will, dass die Göt-
den werden gebündelt, um für den Tag zen seines Volkes der Vergangenheit
des Gerichts aufbewahrt zu werden. angehören. Er erinnert die Israeliten
Geburtswehen werden für es einsetzen; daran, dass er ihr Beschützer und Er-
aber es wird nicht dort sein, wo die Kin- halter ist.
der geboren werden, d.h. am Mutter- 14,10 Der Prophet Hosea beendet sei-
mund. Dies bedeutet: Ephraim tut trotz ne Weissagung, indem er betont, dass
der göttlichen Gerichte nicht Buße. Weisheit und Erkenntnis darin liegen,
13,14 Während Luther, unrevidierte den Wegen des HERRN zu folgen.
Elberfelder und Schlachter 2000 hier
eine Ankündigung von Gottes Gnaden-
handeln sehen und übersetzen: »Ich Anmerkungen
will sie erlösen aus der Gewalt des To- 1
(Einführung) Das Buch Jona ist das
tenreichs, vom Tod will ich sie loskau- einzige Prophetenbuch in Erzähl-
fen. Tod, wo ist dein Verderben? Toten- form.
reich, wo ist dein Sieg?«, übersetzt die 2
(Einführung) Die Elberfelder Bibel
revidierte Elberfelder den ersten Teil (rev. und unrev.) übersetzt: »Als der
dieses Verses als Frage: »Aus der Ge- HERR (bzw. Jahwe) anfing, mit (nicht
walt des Scheol sollte ich sie befreien, durch) Hosea zu reden …« Morgan
vom Tod sie erlösen?« Die zu erwar- sagt dazu, dies zeige, dass der Pro-
tende Antwort lautet: Nein! Stattdessen phet zurückblickte auf die frühere
wird er den Tod wegen seiner Plagen Beziehung mit Gott. Hosea sagt sinn-
und den Scheol (das Grab) wegen sei- gemäß: »Als damals, als mein Dienst
ner Zerstörung rufen; denn Mitleid ist begann, bevor das Elend in mein Le-
vor seinen Augen verborgen. Aller- ben kam, der HERR mit mir sprach,
dings wird dieser Vers in ganz anderem war er es, der mir befahl, Gomer zu
Sinn in 1. Korinther 15,55 zitiert. heiraten.«
13,15 - 14,1 Dann wird die Zerstörung »Der Text nennt sie ausdrücklich
Israels und Samarias durch die grau- »eine hurerische Frau«, aber das
samen Assyrer (»ein Ostwind«) an­ muss nicht bedeuten, dass sie es da-
gekündigt. mals schon war. Ganz gewiss aber
bedeutet es, dass Gott die Anlagen in
Gomers Herz kannte und dass sie
sich schon bald in ihrem Verhalten
zeigen würden. Trotz dieses Wissens

1094
Hosea

gebot er Hosea, sie zu heiraten. Auch 7


(6,7-11) »Adam« bedeutet im Hebrä-
wusste er, was Hoseas Erfahrungen ischen auch »Mensch«.
für dessen Prophetendienst bedeu- 8
(9,1-2) Francis Schaeffer, The Church
ten würden. Als Hosea Gomer hei­ at the End of the 20th Century, S. 124.
ratete, war sie keine Frau, die in of- 9
(10,5-8) Bethel bedeutet Haus Gottes;
fener Sünde lebte, und die Kinder der Name Bet-Awen ist eine Parodie
wurden vor ihrer Untreue geboren« darauf und bedeutet Haus der Bosheit
(G. Camp­bell Morgan, Hosea: The oder Nichtigkeit.
Heart and Holiness of God, S. 9). 10
(12,8-9) Die Kanaaniter waren solche
3
(Einführung) R.K. Harrison, Intro­ leidenschaftlichen Händler, dass ihr
duction to the Old Testament, S. 860. Name zu einem Synonym für den
4
(Einführung) Henry Snyder Gehman gerissenen Krämer wurde.
(Hrsg.), The New Westminster Dictio­ 11
(14,9) Die Zeichensetzung (wie in
nary of the Bible, S. 410. Schl 2000) gehört nicht zum Original,
5
(Einführung) G. Campbell Morgan, doch stimmen die meisten Überset-
The Minor Prophets, S. 6. zungen mit dieser überein.
6
(2,21-23) George Williams, The
Student’s Commentary on the Holy
Scriptures, S. 633.

Bibliografie Morgan, G. Campbell,


The Heart and Holiness of God,
Feinberg, Charles Lee, Old Tappan: Fleming H. Revell Compa-
The Minor Prophets, ny, 1967.
Chicago: Moody Press, 1976.
Morgan, G. Campbell,
Keil, C.F., The Minor Prophets,
»Hosea«, in: Commentary on the Old Tes­ Old Tappan: Fleming H. Revell Compa-
tament, Bd. 25, ny, 1960.
Grand Rapids: Wm. B. Eerdmans Pub-
lish­ing Co., 1971. Pfeiffer, Charles F.,
»Hosea«, in: The Wycliffe Bible Commen­
Kelly, William, tary,
Lectures Introductory to the Study of the Chicago: Moody Press, 1952.
Minor Prophets,
London: C.A. Hammond Trust Bible Stevenson, Herbert F.,
Depot, o.J. Three Prophetic Voices. Studies on Joel,
Amos and Hosea,
Kidner, Derek, Old Tappan: Fleming H. Revell, 1971.
Love to the Loveless: The Message of Hosea.
The Bible Speaks Today, Tatford, Frederick A.,
Downers Grove: InterVarsity Press, The Minor Prophets, Bd. 1, Nachdruck
1981. (3 Bde.),
Minneapolis: Klock & Klock Christian
Logsdon, S. Franklin, Publishers, 1982.
Hosea: People Who Forgot God,
Chicago: Moody Press, 1959.

1095
Joel
»Joel … war wahrscheinlich der erste der sogenannten Schriftpropheten; daher gewährt
dieses Buch wertvolle Einsichten in die Geschichte der Prophetie, besonders weil es einen
Rahmen für die Endzeitprophetie bildet, der von allen nachfolgenden Bibelbüchern
getreulich eingehalten wird. Gott begann mit der Schrift des Joel ein neues Werk,
ein Werk, durch das das Menschengeschlecht auf das Ende der gegenwärtigen Zeit
vorbereitet wird und das uns einen Überblick über seinen gesamten Plan liefert. Spätere
Propheten, einschließlich unseres Herrn, würden diesen Überblick nur mit Inhalten
füllen, aber sie hatten es – in Übereinstimmung mit der göttlichen Natur der Heiligen
Schrift – nie nötig, von dieser anfänglichen Offenbarung abzuweichen.«

Montague S. Mills

Einführung digung der Ausgießung des Geistes


Gottes auf alles Fleisch (3,1-5) und der
I. Einzigartige Stellung im Kanon darauffolgenden Wunder. Weil Petrus
diese Stelle in seiner Predigt in Apo­
Die Weissagung Joels ist kurz, doch stelgeschichte 2 zitiert, wurde Joel auch
fehlt es ihr nicht an Schönheit und in­ als der »Prophet von Pfingsten« be-
teres­­­­santen Inhalten. Der Prophet be- kannt.
nutzt viele Stilmittel, um einen leben­­
digen Text zu verfassen: Stabreime, II. Verfasserschaft
bild­liche Aus­drücke, Vergleiche und Joel wird als Sohn des Petuel vor­
sowohl synony­men als auch antithe­­ gestellt. Weiter ist über ihn nur wenig
tischen Parallelismus. W. Graham bekannt. Sein Name bedeutet der HERR
Scroggie lobt Joels Sprachgewalt wie ist Gott. Man hat ihn auch »Johannes
folgt: der Täufer des Alten Testaments« ge-
nannt.
Der Stil ist elegant, klar und leidenschaft-
lich; ihm gebührt ein hoher Rang in der III. Datierung
hebräischen Literatur.1 In Joel wird kein König erwähnt, und es
gibt wenige chronologische Hinweise
Ein höchst ungewöhnlicher Gegen- in seiner kurzen Prophetie, die uns hel-
stand des Buches Joel ist die Heu­ fen, das Buch in den richtigen Zeitrah-
schreckenplage (Kap. 1). Ist sie buch- men zu stellen. Die unterschiedlichsten
stäblich aufzufassen, oder symbolisiert Daten vom zehnten bis zum fünften
sie den Einmarsch fremder Heere? Ver- vorchristlichen Jahrhundert wurden
mutlich beides. Irgendwann, während vorgeschlagen. Joels Stellung im »Buch
der Lebenszeit des Propheten – dessen der Zwölf«, wie die Juden die Kleinen
Datum sehr umstritten ist – hatte eine Propheten nennen, zeigt, dass die jü-
umfassende Heuschreckenplage ganz dische Tradition Joel als ein frühes
Juda überfallen und das Land völlig Werk betrachtet. Sein Stil passt besser
verwüstet. Diese Naturerscheinung ist zu der früheren, klassischen Periode als
ein lebendiges Bild für die kommende zu der nachexilischen von Haggai,
Heeresinvasion und den großen und Sacharja und Maleachi. Die Tatsache,
schrecklichen Tag des HERRN. dass kein König erwähnt wird, mag
Eine weitere bemerkenswerte Eigen- darin begründet sein, dass dieses Buch
art dieser Weissagung ist die Ankün­ vielleicht zur Zeit der Regentschaft

1097
Joel 1

Jojadas (während der Kindheitsjahre der Regierungszeit des Joasch bis zu


des Joasch, der zwischen 835 und 796 der des Ahas. Dies würde ihn zu dem
v.Chr. regierte) verfasst wurde. Außer- frühesten Schriftpropheten machen.
dem sind Judas Feinde die Phönizier Das Schlüsselwort seines Buches ist
und die Philister (3,4) sowie auch die »der Tag des HERRN«. Man findet es
Ägypter und Edomiter (3,19), nicht die fünfmal (1,15; 2,1.11.31; 4,14).
späteren Feinde – die Syrer, Assyrer Bei 2,18 erkennen wir einen deut-
und Babylonier. lichen Wendepunkt. Bis zu diesem Vers
spricht Joel von der Verwüstung, die
IV. Hintergrund und Thema über Juda kommen würde. Von da an
Wenn wir das frühe Datum akzeptie- spricht Gott von der Erlösung, die er
ren, sprach Joel zu dem Volk Juda von dem Volk bringen wird.

Einteilung IV. Ausrufung eines Fastens (2,15-17)


V. Verheißung der göttlichen
I. Beschreibung der Erlösung (2,18 - 4,21)
Heuschreckenplage (Kap. 1) A. Materieller Wohlstand
A. Ihre beispiellose Schwere (2,18-19.21-27)
(1,1-4) B. Vernichtung des Feindes (2,20)
B. Ihre Wirkung auf C. Ausgießung von Gottes Geist
1. die Betrunkenen (1,5-7) (3,1-2)
2. die Priester (1,8-10.13-16) D. Zeichen, die dem Zweiten
3. die Landwirtschaft Kommen Christi vorausgehen
(1,11-12.17-18) (3,3-5)
4. den Propheten Joel E. Das Gericht über die
(1,19-20) Heidenvölker (4,1-16a)
II. Beschreibung der feindlichen F. Die Wiederherstellung der
Invasion (2,1-11) Juden und ihre künftigen
III. Göttlicher Bußruf an Juda (2,12-14) Segnungen (4,16b-21)

Kommentar durch die Entwicklungsstufen der


Heuschrecke dargestellt werden: »der
I. Beschreibung der Nager«, »die Heuschrecke«, »der Ab-
Heuschreckenplage (Kap. 1) fresser«, »der Vertilger«.2 Dies mag sich
auf die vier Weltreiche beziehen, die
A. Ihre beispiellose Schwere (1,1-4) Gottes Volk beherrschten: Babylon,
Medo-Persien, Griechenland und Rom.
Mit dem Bild einer Heuschreckenplage
beschreibt hier Joel, der Sohn Petuels, B. Ihre Wirkung auf
die drohende Invasion eines Heeres aus 1. die Betrunkenen (1,5-7)
dem Norden gegen Juda. Diese Weis­ 2. die Priester (1,8-10.13-16)
sagung wurde teilweise erfüllt in der 3. die Landwirtschaft (1,11-12.17-18)
babylonischen Invasion; doch in der und
Zukunft wird der Eindringling der 4. den Propheten Joel (1,19-20)
König aus dem Norden (Assyrien) sein.
Die Schwere der Heuschreckenplage Das Volk wird aufgerufen, Buße zu tun,
war so groß, dass die Ältesten sich an zu fasten und zu beten – von den Be­
nichts Vergleichbares erinnern konn- trun­kenen bis zu den Bauern (V. 11-12.
ten. Die Plage kam in vier Stufen, die 17-18) und den Priestern (V. 8-10.13-16).

1098
Joel 1 und 2

Die Heuschecken hatten das Land III. Göttlicher Bußruf an Juda


leer gefegt, sodass nichts übrig blieb, (2,12-14)
um davon dem HERRN Speis- oder
Trankopfer darbringen zu können Doch auch jetzt noch ruft der HERR das
(V. 8-10). Volk zur Buße. Es ist nicht zu spät für
Der Prophet sah darin den Tag des die Umkehr zu ihm. Aber es muss mehr
HERRN und die Verwüstung vom All- sein als ein äußerliches Ritual. Die Is­
mächtigen (V. 15). Dieser Ausdruck be- raeliten sollten von ganzem Herzen,
zieht sich auf jede Zeit, in der Gott zum mit Fasten, Weinen und Klagen zu ihm
Gericht schreitet und das Böse und die umkehren.
Rebellion niederwirft und herrlich
triump­hiert. In der Zukunft schließt der IV. Ausrufung eines Fastens
»Tag des HERRN« die Drangsalszeit, (2,15-17)
das Zweite Kommen Christi, seine Alle Klassen des Volkes werden zu ei-
Herrschaft im Tausendjährigen Reich ner heiligen Versammlung zusammen-
und die abschließende Vernichtung gerufen, um ein Fasten zu heiligen. An
von Himmel und Erde durch Feuer ein. einem zukünftigen Tag werden die
Der Prophet macht sich zum Spre- Priester den HERRN in einer feierlichen
cher für das Volk und ruft den HERRN Bußversammlung anrufen.
um Barmherzigkeit an; denn das Feuer
hat sowohl die Weideplätze als auch die V. Verheißung der göttlichen
Bäume verzehrt. Selbst die Tiere des Erlösung (2,18 - 4,21)
Feldes schreien zu Gott, weil die Was-
serbäche ausgetrocknet sind. A. Materieller Wohlstand
(2,18-19.21-27)
II.Beschreibung der feindlichen Dann wird der HERR für sein Land
Invasion (2,1-11) eifern und Mitleid mit seinem Volk
2,1-3 Das Volk wird durch das Lärm haben. Er wird Korn, Most und Öl
blasende Horn zum Kampf aufgerufen; senden, so viel die Israeliten brauchen.
denn der Tag des HERRN ist nahe. Das Dazu wird er dafür sorgen, dass sie
nimmt unmittelbar Bezug auf die ba­ nicht mehr von den Heidenvölkern ver-
bylonische Gefangenschaft, doch liegt höhnt werden. Das Land wird wieder
die gänzliche Erfüllung noch in der fruchtbar und ertragreich gemacht.
Zukunft. Vor dem Einmarsch der In­ Reichlicher Regen wird die Kufen über-
vasoren ist das Land Juda wie der fließen machen und die Tennen mit
Garten Eden, danach ist es eine öde Weizen füllen. Das Volk wird wie­
Wüste. derhergestellt sein und nie mehr zu­
2,4-11 Die Heuschrecken werden mit schanden werden. Alle von den Heu­
schnellen Pferden verglichen, die wie schrecken verzehrten Jahre werden von
Kriegsleute die Mauern ersteigen. Jede Gott ebenfalls erstattet werden (2,25).
zieht ihren eigenen Weg. Sie steigen
überall ein wie ein Dieb und verfinstern B. Vernichtung des Feindes (2,20)
wegen ihrer großen Zahl den Himmel. In dem Rest des Joeltextes sagt der
Dieser Abschnitt gehört zu den bild- HERR, was er für Juda tun wird. Er
haftesten, poetischsten Beschreibungen wird »den von Norden [Kommenden]«
in den prophetischen Büchern. (die Assyrer) vernichten vom östlichen
Diese unerträgliche Invasion steht Meer (Totes Meer) bis zum westlichen
ganz unter dem Kommando des Meer (Mittelmeer).
HERRN, dessen Heerlager sehr groß
ist.

1099
Joel 3 und 4

C. Die Ausgießung von Gottes Geist will mit ihnen kämpfen im Tal der Ent-
(3,1-2) scheidung, im Tal Joschafat. Dort wird
der HERR sitzen und alle umliegenden
An jenem Tag wird er seinen Geist über Völker richten. Der souveräne Gott
alles Fleisch ausgießen. Junge Men- prüft gegenwärtig alle Menschen und
schen werden weissagen und Gesichte Völker, so unbegreiflich diese Vor­
sehen, und Greise werden Träume ha- stellung auch den heutigen weltlich ge-
ben. Diese Weissagung erfüllte sich teil- sonnenen Denkern erscheinen mag.
weise in Apostelgeschichte 2,16-21; Stevenson sagt dazu:
aber sie geht über Pfingsten hinaus. Die Menschen lehnen die biblische
Ihre vollständige Erfüllung wird erst zu Lehre vom zukünftigen Gericht ab, das
Beginn der tausendjährigen Herrschaft über Einzelpersonen wie auch über
Christi geschehen. Völker kommt. Es ist für sie eine über-
holte Vorstellung. Aber das Volk Gottes
D. Zeichen, die dem Zweiten hat alle Generationen hindurch an der
Kommen Christi vorausgehen (3,3-5) Gewissheit festgehalten, dass der Rich-
ter der ganzen Erde am »Tag des
Der Ausgießung des Heiligen Geistes HERRN« Gerechtigkeit üben wird. Das
werden Wunderzeichen am Himmel ist unsere Zuversicht, die sich auf den
vorausgehen. Einige dieser angekün­ Felsen des Wortes Gottes gründet.3
digten Zeichen sind: Blut, Feuer und
Rauchsäule, die Sonne wird sich in F. Die Wiederherstellung der Juden
Finsternis und der Mond in Blut ver- und ihre künftigen Segnungen
wandeln. Alle, die sich zu Jesus als dem (4,16b-21)
Messias wenden und seinen Namen an- Aber sein Volk wird der HERR mit Er-
rufen, werden gerettet und gehen mit lösung segnen, mit Sicherheit vor An-
ihm in das Tausendjährige Reich ein. greifern und Überfluss an Gütern. Das
Land Israel wird fruchtbar und gut be-
E. Gericht über die Heidenvölker wässert sein: Die Berge werden triefen
(4,1-16a) von Most, die Hügel werden von Milch
4,1-8 Gott wird die Heidenvölker ins überfließen, und alle Bäche Judas wer-
Tal Joschafat versammeln und sie dafür den voll Wasser sein. Ägypten und
richten, wie sie die Juden behandelt ha- Edom werden zur öden Wüste werden;
ben. Tyrus, Sidon und Philistäa wird aber Juda wird für immer bewohnt
ihre Plünderung und Versklavung des bleiben. Gott wird es auch von seiner
Volkes Gottes vergolten. Die Bevöl­ Blutschuld befreien.
kerung dieser Städte wird dann ihrer- Das Buch endet mit Gewissheit und
seits in die Sklaverei verkauft – die ge- Zuversicht, aus einem guten Grund:
rechte Strafe für ihre Verbrechen. Der HERR wohnt in Zion.
4,9-16a Den Heiden wird gesagt:
»Heiligt einen Krieg!«, denn der HERR

Anmerkungen ger« könnten so verstanden werden,


als seien es vier verschiedene Insek-
1
(Einführung) W. Graham Scroggie, tenarten. Das ist aber wenig wahr-
Know Your Bible, Bd. I, S. 155. scheinlich.
2
(1,1-4) Die in einigen Bibelüber­set­ 3
(4,9-16a) Herbert F. Stevenson, Three
zungen genannten »Nager«, »Heu­­­­­ Prophetic Voices. Studies in Joel, Amos
schrecke«, »Abfresser« und »Vertil- and Hosea, S. 40.

1100
Joel

Bibliografie Morgan, G. Campbell,


The Minor Prophets,
Feinberg, Charles Lee, Old Tappan: Fleming H. Revell Com­
The Minor Prophets, pany, 1960.
Chicago: Moody Press, 1976.
Stevenson, Herbert F.,
Three Prophetic Voices. Studies on Joel,
Keil, C.F., Amos and Hosea,
»Joel«, in: Commentary on the Old Testa­ Old Tappan: Fleming H. Revell, 1971.
ment, Bd. 25 u. 26,
Grand Rapids: Wm. B. Eerdmans Pub- Tatford, Frederick A.,
lish­ing Co., 1971. The Minor Prophets, Bd. 1, Nachdruck
(3 Bde.),
Minneapolis: Klock & Klock Christian
Kelly, William, Publishers, 1982.
Lectures Introductory to the Study of the
Minor Prophets,
London: C.A. Hammond Trust Bible
Depot, o.J.

1101
Amos
»Im Gegensatz zu anderen Propheten war Amos kein Mann, der sein Leben nur dem Hören
und Weitersagen des Wortes Gottes gewidmet hatte. Er kam nicht aus einer ›Propheten­
schule‹, auch war er kein berufsmäßiger ›Seher‹. Auf Befehl Gottes verließ er seine Herde
für eine bestimmte Zeit, um eine besondere Botschaft in Bethel abzuliefern. Nachdem er das
getan hatte, kehrte er wahrscheinlich zu seiner Schafzucht in Tekoa zurück.«

Herbert F. Stevenson

Einführung war ein ernster Prophet der Gerechtig-


keit und der kompromisslosen Recht-
I. Einzigartige Stellung im Kanon sprechung.

Das Buch Amos ist in einem besonders III. Datierung


schönen alttestamentlichen Hebräisch Amos tat seinen Dienst während der
verfasst. Amos war ein Schafzüchter Regierungszeit Usijas in Juda (790-739
und baute Maulbeerfeigen an. Viel- v.Chr.) und Jerobeams II. in Israel (793-
leicht ist er eine Veranschaulichung da- 753 v.Chr.). Es war eine Zeit des Wohl-
für, dass immer wieder in der Geschich- stands, des Überflusses und der mora-
te Männer auftraten, die von Gott be­ lischen Gleichgültigkeit, besonders im
rufen wurden und sehr wirkungsvoll nördlichen Königreich. Amos erwähnt,
und sogar auf wunderschöne Weise für dass seine Sendung »zwei Jahre vor
den Herrn geredet haben, ohne den dem Erdbeben« stattfand. Damit lässt
Hintergrund einer traditionellen »Pro- sich das Datum nicht unbedingt fest­
phetenschule« oder eine formale Aus- legen; doch hat die Archäologie Be­
bildung zu haben, auf die heute so viel weise ausgegraben, die auf ein starkes
Wert gelegt wird. Erdbeben um 760 v.Chr. hinweisen.
Das würde in die Zeit der von Amos er-
II. Verfasserschaft wähnten Könige passen.
Amos, dessen Name »Last« oder »Last-
träger« bedeutet, nennt uns keinen IV. Hintergrund und Thema
Stammbaum. Daher dürfen wir wohl Assyrien unter Adadnirari III. hatte
annehmen, dass er nicht von vorneh- den syrischen Staatenbund besiegt, was
mer, bekannter Abkunft war wie Jesaja Joahas und Jerobeam II. erlaubte, sich
oder Zefanja. Es ist bei Predigern Mode neues Land anzueignen. Israel machte
geworden, den »ländlichen Hinter- große Gewinne, als Samaria zu einem
grund« von Amos zu stark hervorzu­ Lager- und Umschlagplatz für Kara­
heben. Das Wort, mit dem seine übliche wanen wurde. Elfenbeinpaläste wur-
Beschäftigung beschrieben wird, ist den errichtet, und Kaufleute fanden die
nicht das gewöhnliche Wort für »Hir- Beschränkungen wegen der Sabbatruhe
te«, sondern wird nur noch einmal lästig. Die Reichen waren tyrannisch
für den König Mescha verwendet, der und korrupt; die Gerichte urteilten un-
ein erfolgreicher Schafzüchter war gerecht; die religiösen Übungen waren
(2Kö 3,4).1 entweder Heuchelei oder bestanden
Obwohl Amos zum Reich Juda ge- aus Götzendienst. Aberglaube und Un-
hörte, wurde er beauftragt, nach Nor- moral nahmen überhand. Amos sah,
den, nach Samaria, zu gehen, um gegen dass solche schrecklichen Zustände
das Reich Israel zu weissagen. Amos nicht lange Bestand haben konnten und

1103
Amos 1

dass sich die Wolken des Gerichts auf- Israel anzuklagen und es vor dem Ge-
türmten. Sein unpopulärer Auftrag richt zu warnen. Israel war ein Korb
war, nach Norden, nach Samaria, zu ge- voll Sommerobst, dessen Gericht vor
hen, um das rivalisierende Königreich der Tür stand.

Einteilung C. Der dritte Aufruf zum Hören


(5,1-17)
I. Über acht Nationen werden D. Das erste Wehe (5,18-27)
Gerichte angedroht (Kap. 1-2) E. Das zweite Wehe (Kap. 6)
A. Einleitung (1,1-2) III. Die Sinnbilder für das nahende
B. Damaskus (1,3-5) Gericht (7,1 - 9,10)
C. Gaza (1,6-8) A. Die Heuschreckenplage (7,1-3)
D. Tyrus (1,9-10) B. Das fressende Feuer (7,4-6)
E. Edom (1,11-12) C. Das Senkblei (7,7-9)
F. Ammon (1,13-15) D. Zwischenteil: Weigerung des
G. Moab (2,1-3) Amos, sich einschüchtern zu
H. Juda (2,4-5) lassen (7,10-17)
I. Israel (2,6-16) E. Der Korb mit Sommerobst
II. Schuld und Strafe Israels (Kap. 3-6) (Kap. 8)
A. Der erste Aufruf zum Hören F. Der Schlag gegen den
(Kap. 3) Säulenknauf (9,1-10)
B. Der zweite Aufruf zum Hören IV. Die zukünftige Wiederherstellung
(Kap. 4) Israels (9,11-15)

Kommentar Überlaufen gebracht.« Sie waren einen


Schritt zu weit gegangen.2
I. Über acht Nationen werden
Gerichte angedroht (Kap. 1-2) B. Damaskus (1,3-5)
Die erste Drohung richtet sich gegen
A. Einführung (1,1-2) Damaskus, den wichtigsten Stadtstaat
in Syrien (Aram). Die Syrer hatten ge-
In seinen ersten beiden Kapiteln kün­ gen die zweieinhalb Stämme östlich des
digt Amos Gerichte über acht Nationen Jordans (Gilead) gekämpft und waren
an. offensichtlich außergewöhnlich barba-
Jede Gerichtsankündigung wird mit risch und grausam vorgegangen (was
den Worten eingeleitet: »Wegen drei durch den eisernen Dreschschlitten
Übertretungen … und wegen vier.« angedeutet wird). Die Strafe für das
J. Sidlow Baxter erklärt diese hebrä- syrische Volk war die Gefangenschaft
ische Redewendung für uns: und Verschleppung nach Kir.

Diese Redewendung darf nicht mathe- C. Gaza (1,6-8)


matisch verstanden werden, als ginge es Die zweite Drohung gilt Gaza, wo die
buchstäblich um drei und vier Dinge, Philister den grausamen Edomitern ge-
sondern ist als feststehende Redewen- fangene Juden auslieferten. Andere
dung aufzufassen, die bedeutet, dass das Philisterzentren, die bestraft werden
Maß voll, ja, mehr als voll ist. Die Men- sollen, sind Aschdod, Aschkelon und
schen hatten es mit der Sünde zu weit ge- Ekron. Als Ergebnis davon würde der
trieben; oder, um es auf heutige Weise Überrest der Philister zugrunde gehen.
auszudrücken: »Sie haben das Fass zum

1104
Amos 1 bis 3

D. Tyrus (1,9-10) dem HERRN verspielt hatten. Juda


sollte bestraft werden, weil es das Ge-
Die dritte Drohung gilt Tyrus. Die setz des HERRN verachtet hat und
Tyrer hatten ebenfalls Gefangene an seine Gebote nicht hielt. Stattdessen
Edom ausgeliefert und den Bruder- war es den Lügen (d.h. Götzen) gefolgt.
bund mit Israel gebrochen. »Feuer«
wird außerdem den Palästen von Tyrus I. Israel (2,6-16)
vorhergesagt. 2,6-8 Bis zu diesem Punkt hätten die
Bewohner von Israel den Anklagen von
E. Edom (1,11-12) Amos Beifall gespendet. Aber jetzt
Die vierte Drohung gilt Edom. Die Edo- wendet er sich ihnen zu, und ihre
miter (Esaus Nachkommen) waren un- Zustimmung schlägt sehr schnell in
entwegte und grausame Feinde ihres Entrüstung um! Israel sollte bestraft
Bruders (Esau war Jakobs Bruder). werden, weil sie den Gerechten und
Wegen ihres unbarmherzigen Ver­ den Armen unterdrückten, weil sie
haltens und ihres unversöhnlichen schreckliche Formen der Unmoral aus-
Hasses würden ihre Städte Teman und übten, die gepfändeten Kleider über
Bozra die gebührende Strafe erhalten. Nacht behielten3 und sich im Tempel
mit Wein betranken, den sie mit Geld
F. Ammon (1,13-15) bezahlt hatten, das aus Erpressung und
Die fünfte Drohung wendet sich gegen Bestechung stammte.
Ammon. Die Ammoniter hatten scheuß­ 2,9-12 Als Nächstes wiederholt Gott,
liche Grausamkeiten bei der Eroberung welche Barmherzigkeiten er Israel in
eines Teils von Gilead begangen. Sie der Vergangenheit erwiesen hatte: Er
hatten sogar schwangere Frauen in Gi­ hatte die Amoriter vernichtet, die stark
lead in ihrer blutrünstigen Grausamkeit wie Zedern und Eichen das Land be-
aufgeschlitzt. Sowohl ihr König als auch wohnt hatten. Er hatte Israel aus dem
ihre Obersten waren zu Gefangenschaft Land Ägypten errettet, und er ließ
und Feuer und zu einer von Unwettern Nasiräer auftreten, um den Israeliten
umtosten Schlacht bestimmt. zu zeigen, wie ein Leben in Abson­
derung für Gott aussieht. Aber sie ver-
G. Moab (2,1-3) führten die Nasiräer und verboten den
Das sechste Gericht gilt Moab, das dem Propheten zu weissagen.
König von Edom eine angemessene 2,13-16 Als eine Folge davon würde
Bestattung versagt hatte (siehe 2Kö Gott sie zerbrechen und ihr Entkom-
3,26-27; dort bezieht sich »seinen erst- men verhindern und ihre Niederlage
geborenen Sohn« wahrscheinlich auf gegen die Assyrer herbeiführen. Nicht
den Sohn des Königs von Edom, nicht einmal die Helden werden sich selbst
von Moab). retten können, und den Schnellfüßigen
wird die Flucht nicht gelingen.
H. Juda (2,4-5)
Nun rückt der HERR unangenehm II. Schuld und Strafe Israels
nahe heran: Die beiden nächsten zu (Kap. 3-6)
verurteilenden Nationen sind Juda und
Israel! Es ist erschreckend, sie in der­ A. Erster Aufruf zum Hören (Kap. 3)
selben Reihe wie die sechs Heidenvöl- 3,1-2 Wieder droht der HERR den Kin-
ker zu sehen. Für die Juden zu Amos’ dern Israels Gericht an. Da sie eine ein-
Zeiten war das sicherlich sehr ernie­ malig enge Beziehung zu dem HERRN
drigend! Aber Gott macht auf diese hatten, war ihre Sünde umso schwer-
Weise klar, dass Juda und Israel wegen wiegender, und ihre Bestrafung würde
ihrer Sünden ihre Sonderstellung bei dementsprechend härter ausfallen.

1105
Amos 3 bis 5

Und darum würde er alle ihre Sünden 4,4-13 Gott fordert sie spottend auf,
an ihnen heimsuchen. ihren Götzendienst fortzusetzen und
3,3-8 Das Gericht würde nicht ohne ihre Opfer nach Bethel zu bringen. Für
Grund über sie hereinbrechen – jede ihn war nichts dabei. Sie hatten Mangel
Wirkung hat eine Ursache. Amos stellt an Brot erduldet (V. 6), dazu Trocken-
sieben Ursache-Wirkung-Fragen, die heit (V. 7-8), Getreidebrand und Ver­
darin gipfeln, dass jedes Unglück in der gilben, eine Heuschreckenplage (V. 9),
Stadt von dem HERRN verursacht Pest, Krieg mit massenhaftem Sterben
wird. Dieses Unglück sollte sie nicht (V. 10) und Katastrophen (V. 11). Weil
überraschen, denn Gott hatte es zuvor nichts von alledem sie zur Buße leitete,
durch seine Propheten enthüllt. sollte sich Israel jetzt vorbereiten, Gott
3,9-12 Aschdod (in Philistäa) und selbst, dem HERRN der Heerscharen,
Ägypten werden als Zeugen der Unter- zu begegnen. Vers 12 ist kein Evan­
drückung, Gewalt und Misshandlung geliumsaufruf, sondern eine Gerichts­
in Samaria geladen. Diese Sünden wür- botschaft.4
den die assyrischen Invasoren ins Land
Israel bringen. Nur ein kleiner Überrest C. Die dritte Aufforderung zum Hören
– plastisch als übrig gebliebene Teile (5,1-17)
eines zerrissenen Schafes dargestellt – 5,1-7 Der Prophet klagt über Israels
wird überleben. Niedergang; nur einer von zehn Solda-
3,13-15 Die Altäre von Bethel, wo das ten wird verschont bleiben. Doch auch
goldene Kalb angebetet wurde, sollen jetzt noch sollten die Israeliten nicht die
gänzlich zerstört werden. Das Kalb Städte mit den Götzenbildern aufsu-
selbst würde von den Assyrern fort­ chen (Bethel, Beerscheba, Gilgal), son-
geschleppt werden (Hosea 10,5-6). Die dern den HERRN suchen und leben.
großartigen Häuser der Wohlhabenden 5,8-13 Sonst würde der Herr, der die
würden zugrunde gehen. Sternbilder des Siebengestirns und des
Orions und die Gesetze des Weltalls ge-
B. Die zweite Aufforderung zum schaffen hat, seinen Zorn über sie aus-
Hören (Kap. 4) gießen, weil es bei ihnen an Recht und
4,1-3 Die reichen Frauen von Samaria Gerechtigkeit mangelt. Die Sünder in
werden mit den Kühen Baschans ver­ Israel hassten den Gerechten, der sie
glichen, wohlgenährt und widerspens­ zurechtwies, und sie verabscheuten
tig. Sie haben sich der Unterdrückung den Aufrichtigen. Weil sie auf unehr-
der Armen schuldig gemacht und leben liche Weise reich geworden waren,
selbst im Luxus. Dafür werden sie in sollte ihnen nicht gestattet sein, sich
die assyrische Gefangenschaft ver- ihres Reichtums zu erfreuen.
schleppt und müssen das Land in Ver- 5,14-17 Nun ergeht ein Aufruf zu
wirrung und Schrecken verlassen. Ihr Recht und sozialer Gerechtigkeit:
Auszug und der ihrer Kinder wird so »Sucht das Gute und nicht das Böse …
beschrieben: Sie werden mit Fischer­ richtet das Recht auf!« Doch geht aus
angeln weggeführt, und sie kriechen dem plötzlichen Übergang zu »Auf
durch zerbrochene Mauern. allen Plätzen Wehklage!« hervor, dass
Statt das Wort »Hermon« als Orts­ das Volk nicht hören will und so der
angabe wiederzugeben, übersetzen es Strafe anheim fallen wird.
einige Bibeln mit »Festung« oder
»Palast«. Darby sagt dazu: D. Das erste Wehe (5,18-27)
Einige übersetzen »zu den Bergen«, 5,18-20 Das Volk sollte den Tag des
andere mit »zu der Festung (des HERRN nicht herbeiwünschen; denn es
Feindes)« oder »zum Palast« [KJV], wie wird ein Tag der Finsternis sein, an dem
in 1,4; die Bedeutung ist nicht sicher. ein Unheil das andere überholt.

1106
Amos 5 bis 7

5,21-27 Die Israeliten brachten an lästert; jetzt wagen sie es nicht mehr, ihn
ihren Festtagen Gott Brandopfer und auszusprechen aus Furcht, eine neue
Speisopfer dar, doch ihr Leben führten Lawine seines Zornes loszutreten. Es ist
sie in Verdorbenheit, so lehnte Gott ihre kennzeichnend, dass ein orthodoxer
Opfer ab. Ihm gefällt Gerechtigkeit Jude selbst bis zum heutigen Tag den
mehr als ein bloßes Ritual. Selbst in der Bundesnamen des Gottes Israels nicht
Wüste, als sie bekannt hatten, den ausspricht.5
HERRN anzubeten, hatten sie dem
Moloch und anderen Götzen gedient, 6,11-14 Ihr Verhalten war töricht und
wie z.B. dem Sikkut und dem Kiun. unnütz und wird verglichen mit Och-
sen, die auf Felsen pflügen. Sie verdar-
E. Das zweite Wehe (Kap. 6) ben das Recht und spotteten über Ge-
6,1-8 Ihr Luxus, ihre Bequemlichkeit, rechtigkeit. Sie rühmten sich ihrer mili-
ihre Selbstzufriedenheit und ihre tärischen Stärke, obwohl die Siege bei
Sicher­heit würden gewaltsam gestört Lo-Dabar und Karnajim unbedeutende
werden. Ein »Wehe« wird über denen Siege waren. Die Assyrer würden das
ausgesprochen, die auf Elfenbeinlagern Land vom nördlichen Zugang nach
ruhen und sich auf Ruhebetten räkeln, Hamat an bis zum Bach der Ebene
die essen, worauf sie Appetit haben, (d.h. über die gesamte Nord- und Ost-
und zum Klang von Saiteninstrumen­ grenze) angreifen.
ten dummes Zeug singen, die reichlich
Wein aus Schalen trinken und sich mit III. Die Sinnbilder des nahenden
den teuersten Parfüms und Ölen salben Gerichts (7,1 - 9,10)
und sich um den Zusammenbruch des
Reiches nicht kümmern. Gottes Ant- A. Die Heuschreckenplage (7,1-3)
wort auf eine solch leichtfertige und In den Versen 1 bis 9 bittet Amos für das
selbstzufriedene Haltung ist diese: »Ich Volk. Drei Drohungen für Israel wer-
verabscheue den Stolz Jakobs, und sei- den beschrieben. Die erste mag ein Bild
ne Paläste hasse ich.« Samaria würde für den Angriff Puls, des Königs von
den Assyrern ausgeliefert werden. Assyrien, sein: die alles verzehrenden
6,9-10 Diese tragischen Verse werden Heuschrecken. Als Antwort auf das Ge-
von Page H. Kelly so beschrieben: bet des Amos wird das Gericht ab­
gewendet.
Während der Pest, die durch das Land
rast, wird es so viele Opfer geben, dass B. Der Feuerregen (7,4-6)
man die üblichen Beerdigungszeremo- Die zweite Drohung, der Feuerregen,
nien beiseitesetzen muss, und die Über- mag sich auf den Einfall Tiglat-Pilesers
lebenden werden zu der ungewöhn- beziehen. Das Gebet für das kleine
lichen Maßnahme der Leichenverbren- »Jakob« wendet abermals eine Kata-
nung Zuflucht nehmen. Wenn der Ver- strophe ab.
wandte eines Verstorbenen das Haus be-
tritt, um den Leib zu verbrennen, ent- C. Das Senkblei (7,7-9)
deckt er dort einen einsamen Überleben- Die dritte mag sich auf die Zerstörung
den, der sich in einer hinteren Ecke des Samarias durch Salmanassar beziehen.
Hauses versteckt hat. Wenn der Ver- Das Senkblei spricht von der absoluten
wandte ihn ruft, antwortet jener mit Rechtlichkeit des Gerichts. Gott kün­
einem hebräischen Ausruf, der übersetzt digt an, er werde nicht noch einmal
»Still!« heißt, um dann hinzuzufügen, schonend an Israel vorübergehen.
man dürfe den Namen des HERRN nicht
erwähnen. Diese Menschen hatten den
Namen Gottes in der Vergangenheit ge-

1107
Amos 7 bis 9
D. Zwischenteil: Weigerung des
mit dem Gericht bei dem Altar beginnt;
Amos, sich einschüchtern zu lassen
vielleicht ist es der falsche Altar in
(7,10-17)
Bethel. Das Volk findet keinen wirk-
7,10-13 Amazja, ein Götzenpriester in lichen Fluchtweg; das Schwert verfolgt
Bethel, verbot Amos, gegen das Heilig- die Israeliten, wohin sie auch zu fliehen
tum des Königs in Bethel zu weissagen, versuchen. Selbst hypothetische »Zu-
und sagte ihm, er solle wieder nach fluchtsorte« würden für sie unerreich-
Juda zurückkehren und dort sein Brot bar sein: der Scheol, der Himmel, der
verdienen. Gipfel des Karmel, der Grund des
7,14-17 Amos antwortete, Gott habe Meeres, das Ziehen in Gefangenschaft
ihn in diesen Dienst gestellt, und er vor ihren Feinden her. Der Ernst des
werde nicht aufhören. Er war kein Pro- göttlichen Zorns gegen sie wird in den
phet dem Beruf nach, noch der Sohn Worten deutlich: »Ich werde mein Auge
eines Propheten, aber er musste die auf sie richten zum Bösen und nicht
Worte des HERRN reden. So verkünde- zum Guten.« Mit unmissverständlichen
te er Amazja, ein schreckliches Gericht Worten sagt der Prophet dem Volk
werde über ihn, seine Frau und seine Israel, es befinde sich in einer höchst
Söhne und Töchter kommen, dazu über prekären Lage!
seinen Landbesitz. 9,5-10 Wer kann dem HERRN der
Heerscharen mit seiner Allmacht wi-
E. Der Korb mit Sommerobst (Kap. 8) derstehen? Die »Stufen im Himmel«
8,1-6 Der Korb mit Sommerobst bedeu- (die Schichten der Erdatmosphäre) und
tete, dass Israel reif war zum Gericht. die Felsschichten auf der Erde legt der-
Gott würde nicht länger schonend an selbe HERR. Israel wird mit dem heid-
Israel vorübergehen. Die Reichen be- nischen Kusch (Äthiopien) verglichen
drückten die Armen; sie konnten das und von Gott selbst »das sündige
Ende von Festtagen nicht abwarten, Königreich« genannt. Das ist wirklich
weil sie wieder Geld verdienen wollten. eine starke Sprache! Israel hatte jegliche
Ihr Geschäftsgebaren war korrupt; sie bevorzugte Stellung verspielt. Er wird
machten sich der Manipulation ihrer die Sünder bestrafen, doch einen Über-
Waagschalen schuldig. rest retten, wie man Korn in einem Sieb
8,7-12 Für all dies wird der HERR das aussortiert, und nicht das kleinste
Land mit schrecklichen Erdbeben stra- Körnchen wird zu Boden fallen. Ob-
fen. Dunkelheit wird mitten am Tag die wohl die meisten zugrunde gehen, wer-
Erde bedecken, und Klage wird in je- den die von dem Allmächtigen für
dem Haus sein. Das Volk wird sich würdig Befundenen verschont bleiben.
nach dem Wort des HERRN sehnen;
aber es wird ihm vorenthalten. Hunger IV. Die zukünftige
und Durst (nach Gottes Wort) werden Wiederherstellung Israels
überhand nehmen. (9,11-15)
8,13-14 Der Götzendienst wird 9,11-12 Die Wiederherstellung Israels
schlimmen Durst über die attraktivsten wird in den Versen 11 bis 15 beschrie-
jungen Menschen bringen ‒ und Ver- ben. Gottes Verheißungen an David
nichtung über alle, die bei den falschen werden erfüllt werden. Während einige
Göttern schwören. Man wird nach ei- Vers 11 benutzen, um zu lehren, dass
ner Botschaft von den Götzen suchen Israel und die Gemeinde ein und das-
und keine erhalten. selbe sei und dass jetzt die Gemeinde
die »wieder aufgerichtete Hütte« sei, so
F. Das Schlagen auf den Säulenknauf geht aus dem Kontext eindeutig hervor,
(9,1-10) dass es sich um Israel und alle Heiden-
9,1-4 Der HERR wird gesehen, wie er völker im Tausendjährigen Reich han-

1108
Amos 9

delt. (Die »Hütte« steht sinnbildlich für Anmerkungen


eine abgesetzte Dynastie.) Scofield 1
(Einführung) Das Wort für »Hirte«
schreibt dazu: lautet rō´eh, das Wort für »Schaf-
züchter« ist nōgēd.
Das davidische Königtum, hier als eine 2
(1,3-5) J. Sidlow Baxter, Explore the
Hütte dargestellt, … befand sich in einem Book, S. 130.
heruntergekommenen Zustand. Vgl. Jes 3
(2,6-8) Ein Mantel, der als Pfand für
11,1. Aufgrund dieses Verses nannten tal- eine Geldschuld gegeben war, durfte
mudische Rabbis den Messias Bar Na­ über Nacht nicht behalten werden,
phli (»Sohn des Gefallenen«). Aber er weil er vielleicht die einzige Decke
wird aufgehen wie die Sonne (Mal 3,20).6 des Armen war (5. Mose 24,12-13).
4
(4,4-13) Jedoch steckt als Anwen-
9,13-15 Die Ernte an Weintrauben, an dung darin eine großartige evange-
Wein, Weizen, Oliven und Früchten listische Ermahnung. Der Evangelist
wird in erstaunlicher Schnelle heran­ D.L. Moody z.B. fand »vier Dinge in
reifen; die Städte werden wieder erbaut diesem Text: a) Es gibt nur einen
und von Neuem bewohnt sein, und Gott. b) Wir sind ihm Rechenschaft
Gott wird sein Volk in das Land pflan- schuldig. c) Wir müssen ihm begeg-
zen, aus dem es nie wieder heraus­ nen. d) Wir müssen uns auf diese
gerissen wird. Begegnung vorbereiten« (Notes from
My Bible, S. 92).
5
(6,9-10) Page H. Kelly, Amos, Prophet
of Social Justice, S. 97.
6
(9,11-12) The New Scofield Study Bible,
New King James Version, S. 1056.

Bibliografie Stevenson, Herbert F.,


Three Prophetic Voices. Studies in Joel,
Feinberg, Charles, Amos and Hosea,
The Minor Prophets, Old Tappan: Fleming H. Revell Compa-
Chicago: Moody Press, 1976. ny, 1971.

Kelly, Page H., Tatford, Frederick A.,


Amos, Prophet of Social Justice, The Minor Prophets, Bd. 1, Nachdruck
Grand Rapids: Baker Book House, 1966. (3 Bde.),
Minneapolis: Klock & Klock Christian
Mills, Montague S., Publishers, 1982.
The Minor Prophets, A Survey,
Dallas: 3E Ministries, o.J.

1109
Obadja
»Die Weissagung des Obadja ist einzigartig, was den Charakter ihres Inhalts betrifft.
Es ist ein Buch, das ausschließlich Verdammung verkündet, die auch durch keine
Andeutung von Mitleid oder Hoffnung gemildert wird.«

Frederick A. Tatford

Einführung (848-841 v.Chr.) oder die von Ahas


(731-715 v.Chr.). Nur wenige halten an
I. Einzigartige Stellung im Kanon dem Letztgenannten fest; die es aber
tun, stützen sich auf 2Chr 28,17, wo uns
Das »Gesicht Obadjas« (1,1) ist das kür- gesagt wird, dass die Edomiter Jeru­
zeste Buch des Alten Testaments und salem angriffen und Gefangene mach-
das drittkürzeste der ganzen Bibel. Es ten.
hat nur ein Thema: die Vernichtung der Wenn das früheste Datum stimmt,
Nachkommen von Jakobs Zwillings- wäre Obadja der erste der Schrift­
bruder Esau. Während der ganzen Ge- propheten und ein Zeitgenosse Elisas.
schichte haben die Edomiter unentwegt Außer der Tatsache, dass dieses Buch
gegen Israel gekämpft und ihren Ab- nichts über die völlige Zerstörung von
scheu vor dem auserwählten Volk zur 586 v.Chr. sagt, scheinen die Verse 12
Schau getragen. bis 14 eine Warnung an die Edomiter zu
enthalten, nicht wieder das zu tun, was
II. Verfasserschaft sie getan hatten. Läge Jerusalem in
Es gibt ein Dutzend Männer im Alten Schutt und Asche, wären solche Mah-
Testament, die Obadja (»Knecht des nungen gegenstandslos.
HERRN«) heißen; aber keiner kann mit Ein bibelgläubiger Christ kann alle
einiger Sicherheit als dieser Prophet drei Ansichten vertreten, ohne den
identifiziert werden. Tatsächlich wissen großen Wert der Inspiration zu verleug-
wir absolut nichts weiter über ihn, als nen. Allerdings scheint ein Datum um
uns durch seine Worte offenbart wird. 840 v.Chr. das wahrscheinlichste zu
sein.
III. Datierung
Weil wir nichts über den Autor wissen, IV. Hintergrund und Thema
müssen seine Daten aus Textinhalten Die Weissagung richtet sich gegen die
erschlossen werden. Edomiter, die von Esau abstammten
Die Liberalen im Allgemeinen, aber und erbitterte Feinde des Volkes Israel
auch viele Konservative ziehen ein spä- waren. Sie werden als solche beschrie-
tes Datum vor, bald nach 586 v.Chr., als ben, die sich über den Fall Jerusalems
Jerusalem zerstört war. Während Ähn- freuten. Matthew Henry beschreibt die
lichkeiten bei Jeremia, den Klageliedern starken Gefühle, die den Hintergrund
und in Psalm 137 sowie gewisse Aus- zu Obadjas kurzer Weissagung bilden:
drücke1 auf ein spätes Datum schließen
lassen, lässt sich die Tatsache, dass nicht Einige haben zu Recht bemerkt, dass es
von der völligen Zerstörung Jerusalems eine große Versuchung für die Israeliten
und des Tempels die Rede ist, eher mit darstellen musste, wenn sie sich selbst
einem früheren Datum vereinbaren. als die Kinder des geliebten Jakob in
Die vorgeschlagenen früheren Daten Trübsalen fanden, während die Edo­
sind v.a. die Regierungszeit Jorams miter, der Same des gehassten Esau,

1111
Obadja

nicht nur Gelingen hatten, sondern auch um die Zerstörung durch Nebukadne-
noch wegen der Trübsale Israels trium- zar oder um einen früheren Nieder-
phierten. Darum gibt Gott ihnen eine gang Jerusalems handelt.
Vorschau auf die Vernichtung Edoms, Im Neuen Testament wird Edom Idu-
die vollkommen und endgültig sein mäa genannt. Die Edomiter wurden
sollte – und auf einen glücklichen Aus- wirtschaftlich von den Arabern zu-
gang ihrer eigenen Züchtigung.2 grunde gerichtet und später von den
Römern besetzt; sie verschwinden etwa
Wie schon erwähnt, stimmen die Ge- 70 n.Chr. aus den Geschichtsbüchern.
lehrten nicht darin überein, ob es sich

Einteilung C. Der Untergang der Führer


Edoms (V. 8-9)
I. Edoms Übermut soll gedemütigt III. Gründe für Edoms Untergang
werden (V. 1-4) (V. 10-14)
II. Die Vernichtung Edoms (V. 5-9) IV. Edoms Gericht ist eine Vergeltung
A. Die Vollkommenheit der (V. 15-16)
Plünderung (V. 5-6) V. Die Wiederherstellung Israels und
B. Der Verrat durch die Judas und die Auslöschung Edoms
Verbündeten Edoms (V. 7) (V. 17-21)

Kommentar übrig gelassen und nicht alles leer ge-


macht. Aber selbst Esaus Verstecke
I. Edoms Übermut soll würden nach verborgenen Schätzen
gedemütigt werden (V. 1-4) durchsucht werden!

Obadja beginnt mit der Vorhersage des B. Der Verrat durch die Verbündeten
Untergangs Edoms durch einen Er­ Edoms (V. 7)
oberer wegen seines Hochmuts. Ein Alle Verbündeten Edoms würden es
Bote wird geschildert, der die Nationen verraten und ihm Fallen stellen.
auffordert, gegen Edom in den Krieg zu
ziehen. Dessen führende Stadt Sela C. Der Untergang der Führer Edoms
(oder Petra) war aus den Steilwänden (V. 8-9)
hoher roter Felsen gehauen und lag Die Weisen und die Helden Edoms, de-
südlich vom Toten Meer. Man hielt sie ren es sich rühmte, würden durch Mord
für völlig geschützt gegen Angriffe. umkommen.
Trotzdem würde der Herr sie zu Fall
bringen von ihren Adlerhorsten und III. Gründe für Edoms Untergang
ihren Nestern zwischen den Sternen. (V. 10-14)
Die Edomiter hätten sich nicht freuen
II.Die Vernichtung Edoms (V. 5-9) dürfen, als sie sahen, wie Jerusalem an-
gegriffen wurde. Sie hätten nicht scha-
A. Die Vollkommenheit der denfroh das Maul aufreißen und bei
Plünderung (V. 5-6) der Plünderung der Stadt helfen sollen
Edoms Zerstörung konnte nicht dem oder die fliehenden Juden umbringen
Werk von Dieben oder Räubern zu­ dürfen, die zu entkommen suchten,
geschrieben werden; diese hätten nur oder die Entronnenen dem Feind aus-
genommen, was sie brauchen konnten. liefern dürfen.
Selbst Plünderer hätten eine Nachlese Das hier gezeichnete Bild zeigt die

1112
Obadja

äußerste Hartherzigkeit und das Fehlen Flamme sein, die das Haus Esau völlig
jeglicher Rücksicht bei ihrem grau- verzehrt. Tatford fasst die Geschichte
samen Umgang mit dem Volk Gottes. von Edoms Abtreten zusammen:
Edom war absolut gnadenlos und
zeigte keine Spur von Mitleid gegen­ Die Edomiter wurden von den Naba­
über seinem Bruder Jakob. Vielleicht täern aus ihrem Land vertrieben, nah-
war dieser Verrat an der familiären men aber den Negev in Besitz, der dann
Bindung einer der Gründe für die als Idumäa bekannt wurde. Zeitweise
End­gültigkeit seines Untergangs. besetzten die Edomiter sogar Teile von
Juda, bis Judas Makkabäus sie 185 v.Chr.
IV. Edoms Gericht ist eine vertrieb. Simon von Gerasa verwüstete
Vergeltung (V. 15-16) später Idumäa, und die Edomiter schei-
Der Tag des Zornes Gottes über alle Na- nen im ersten Jahrhundert nach Christus
tionen war nahe, und Edom würde für völlig verschwunden zu sein. Es ist wahr:
seinen Umgang mit Juda bestraft wer- Petra wurde der Sitz eines christlichen
den. Sein Tun würde auf seinen Kopf Patriarchats, bis das Land von den Mo-
zurückfallen. G. Herbert Livingstone hammedanern im siebten Jahrhundert
erklärt das Bild vom Trinken wie folgt: eingenommen wurde. Heute ist keine
Spur von irgendjemandem zu finden,
Das Kummer bringende Strafgericht der als Edomiter identifiziert werden
wird manchmal von den Propheten mit könnte. Obadjas Vorhersage, es werde
dem Trinken starken Weins verglichen keine Überlebenden geben, hat sich er-
(siehe Jer 25,15-28 für eine ausführliche füllt.4
Anwendung dieses Bildes). Gott hatte
sich Edom nicht einfach ausgesucht, um 19-21 Das Land Edom wird den im Sü-
ein Exempel zu statuieren, sondern er den (dem Negev) wohnenden Israeliten
wird alle Nationen gleicherweise für ihre gegeben. Die in der Küstenebene
Sünden richten.3 (Schefelah; die Niederung) Lebenden
werden das Land der Philister bekom-
V. Die Wiederherstellung Israels men. Die Weggeführten werden wieder
und Judas und die Auslöschung Teile des Landes der Kanaaniter besit-
Edoms (V. 17-21) zen. Retter5 (o. Befreier) werden das Ge-
17-18 Israels zukünftige Errettung wird birge Esau richten, und der HERR wird
im letzten Abschnitt von Obadja vor- über das gesamte Königreich herr-
hergesagt. Israel und Juda werden eine schen.

Anmerkungen 3
(15-16) G. Herbert Livingstone,
»Oba­diah«, The Wycliffe Bible Com­
1
(Einführung) Z.B. das hebräische mentary, S. 841.
Wort für Weggeführte in Vers 20. 4
(17-18) Frederick A. Tatford, Prophet
2
(Einführung) Matthew Henry, »Oba- of Edom’s Doom, S. 55.
diah«, Matthew Henry’s Commentary 5
(19-21) Die Retter oder Befreier von
on the Whole Bible, Bd. IV, S. 1271. Vers 21 könnten die Heiligen sein,
die mit Christus regieren.

1113
Obadja

Bibliografie Mills, Montague S.,


»Obadiah«, in: The Minor Prophets: A
Feinberg, Charles Lee, Survey,
Joel, Amos and Obadiah, Dallas: 3E Ministries, o.J.
New York: American Board of Missions
to the Jews, 1948. Tatford, Frederick A.,
Prophet of Edom’s Doom,
Henry, Matthew, Eastbourne: Prophetic Witness Publish­
»Obadiah«, in: Matthew Henry’s Com­ ing House, 1973.
mentary on the Whole Bible, Bd. IV,
McLean: MacDonald Publishing Com-
pany, o.J.

Livingstone, G. Herbert,
»Obadiah«, in: The Wycliffe Bible Com­
mentary,
Chicago: Moody Press, 1962.

1114
Jona
»Das Buch ist einzigartig, weil es mehr mit dem Propheten als mit seiner Prophetie
beschäftigt ist. Der Zustand seiner Seele und Gottes liebevolle Erziehung belehren
und demütigen den Leser.«

George Williams

Einführung er das ganze Buch geschrieben hat (wie


auch traditionell angenommen wird).
I. Einzigartige Stellung im Kanon Andere Schreiber der Bibel einschließ-
lich Mose haben dasselbe von Zeit zu
Jona (hebr. für »Taube«) ist der einzige Zeit getan. Die Verfasserschaft dieses
unter den Propheten, dessen Weis­ Buches sollte nicht zum Prüfstein für
sagung nicht aus dem besteht, was er Rechtgläubigkeit gemacht werden,
sagt, sondern vielmehr aus seinem ei- denn tatsächlich wird der Schreiber
genen Leben und seinen Erfahrungen. nicht genannt.
Diese porträtieren die Vergangenheit,
die Gegenwart und die Zukunft des III. Datierung
Volkes Israel wie folgt: Jonas Sendung nach Ninive fand wäh-
1. Es ist berufen, für Gott ein Zeugnis rend der Regierung des mächtigsten
vor den Heiden zu sein. Herrschers des Nordreiches, Jerobeam
2. Es wehrt sich eifersüchtig dagegen, II., statt (2Kö 14,23), der etwa von 793
dass eine Botschaft der Gnade an die bis 753 v.Chr. regierte. Während assy-
Heiden ergeht. rische Inschriften keine große Er­
3. Es wird ins Meer geworfen (die weckung während dieser Zeit erwäh-
Heidenwelt) und von den Völkern ver- nen, stimmen andere Ereignisse mit
schlungen, aber nicht von ihnen assimi- Jona überein. Es ist wohlbekannt, dass
liert. die alten Heiden Hungersnöte und
4. Es wird aufs trockene Land gewor- Sonnenfinsternisse als göttliche Zei-
fen (wiederhergestellt im Land Israel) chen für kommende Katastrophen an-
und zum Segen für die Völker gemacht. sahen. Der Herr kann sehr wohl die
Der einzige Teil seiner Erfahrungen, Hungersnöte von 765 und 759 in Assy-
der nicht ins Bild zu passen scheint, ist rien und die totale Sonnenfinsternis am
das, was wir in Kapitel 4 vorfinden. 15. Juni 763 v.Chr. dazu benutzt haben,
Nirgends in der Bibel wird jemals an­ die Herzen der Niniviten auf die evan-
gedeutet, dass Israel schmollt und gelistische Botschaft des Jona vorzu­
schlechte Laune hat, wenn sich die Seg- bereiten. Auch eine kurze Wendung
nungen des Tausendjährigen Reiches zum Monotheismus unter der Königin
über die Heiden ergießen. Semiramis und ihres mitregierenden
Sohnes Adadnirari III. (810-782 v.Chr.)
II. Verfasserschaft könnte eine Vorbereitung auf Jonas
Nur Kapitel 2, Jonas sehr persönlicher Dienst gewesen sein.
»Psalm« aus dem Bauch des großen
Fisches, ist in der ersten Person (Ich- IV. Hintergrund und Thema
Form) geschrieben. Die Tatsache, dass Jona war der Sohn Amittais (wahrhaftig
die anderen drei Kapitel über Jona in [gegenüber Gott]). In 2. Könige 14,25
der dritten Person (»er«, »ihn«, »sein«) lesen wir, dass seine Heimat Gat-Hefer
sprechen, schließt aber nicht aus, dass in Galiläa war.

1115
Jona

Das Assyrische Reich, ca. 650 v. Chr.


Sardes

Tarsus Karkemisch

A S S Y R I S C H E S Ninive
REICH
ZYPERN
Ekbatana
Sidon Damaskus
Tyrus

Samaria Babylon Susa


JUDA
Jerusalem Ur
Pelusium

Memphis

ÄGYPTEN N

0 200 Km

Er weissagte während der Zeit, als und wurde verschont – sehr zu Jonas
die Assyrer das Nordreich Israel be- Missvergnügen!
drohten. Gott sandte ihn, um der Der Herr Jesus benutzte Jona als ein
Hauptstadt Assyriens, Ninive, Buße zu Zeichen für seinen Tod, sein Begräbnis
predigen. Er wollte das nicht, weil er und seine Auferstehung (Mt 12,40;
fürchtete, die Stadt würde Buße tun 16,4).
und verschont werden. Die Assyrer wa- Das Buch ist ein Kommentar zu Rö-
ren ein außerordentlich grausames mer 3,29: »Oder ist Gott nur der Gott
Volk. Wenn man ihren Inschriften glau- der Juden und nicht auch der Heiden?
ben darf, häuteten sie ihre Feinde bei Ja freilich, auch der Heiden!«
lebendigem Leibe, stapelten ihre Schä- Es ist auch eine Illustration von Rö-
del zu Haufen und verübten andere mer 11,12.15. Als Jona ins Meer ge­
schreckliche Taten. Die hochmütigen worfen wurde, diente das der Rettung
und lästerlichen Worte des Rabschake, der Schiffsbesatzung, die aus Heiden
des Sprechers Sanheribs, werden in bestand. Aber als er ans trockene Land
2Kö 18,19ff. festgehalten. kam, diente das zur Rettung einer Stadt.
Deshalb floh Jona, um nach Tarsis zu So wurde der Fall Israels zum Reich-
entkommen. Auf dem Weg dorthin tum der Heidenwelt; aber noch viel
wurde er von einem großen Fisch ver- mehr Segen wird sich durch die Wie-
schluckt. Nach seiner Befreiung be- derherstellung Israels über die Welt
folgte er den Auftrag des Herrn und ergießen!
predigte in Ninive. Die Stadt tat Buße

1116
Jona 1

Einteilung III. Die Verkündigung der göttlichen


Botschaft durch den Propheten
I. Der Ungehorsam des Propheten (Kap. 3)
(1,1 - 2,1) A. Die Gerichtsandrohung (3,1-4)
A. Jonas missionarischer Auftrag B. Die stadtweite Buße (3,5-9)
(1,1-2) C. Das Gericht wird abgewendet
B. Jonas Flucht nach Tarsis (1,3) (3,10)
C. Der Sturm auf dem Meer IV. Das Missvergnügen des Propheten
(1,4-10) (Kap. 4)
D. Jona wird über Bord geworfen A. Jonas gereiztes Gebet (4,1-3)
und von dem großen Fisch B. Gottes forschende Frage (4,4)
verschlungen (1,11 - 2,1) C. Jona schmollt draußen vor der
II. Die Befreiung des Propheten Stadt (4,5)
(2,2-11) D. Anschauungsunterricht
A. Jonas Gebet (2,2-10) über Gottes souveräne
B. Gottes Antwort (2,11) Barmherzigkeit (4,6-11)

Kommentar schickte ihn in die damals größte Stadt


der Welt. Stattdessen machte sich Jona
I. Der Ungehorsam des Propheten auf den Weg zu einer abgelegenen Han-
(1,1 - 2,1) delsstation am Rand der Zivilisation. Der
Herr wollte mit seinem Propheten ge-
A. Jonas missionarischer Auftrag hen. Stattdessen versuchte Jona, dem An-
(1,1-2) gesicht und der Macht Gottes zu ent­
fliehen.1
Gott sandte Jona nach Ninive, um dort
zu predigen. Es war die Hauptstadt C. Der Sturm auf dem Meer (1,4-10)
Assyriens, des bedeutendsten Feindes Der Herr warf einen gewaltigen Wind
Israels. Vom rein natürlichen Gesichts- auf das Meer, und es entstand ein gro­
punkt aus kann man die Furcht des ßer Sturm, der das Schiff und seine Be-
Propheten verstehen, dorthin zu gehen satzung in Gefahr brachte. Die heid-
(siehe oben: »Hintergrund und The- nischen Seeleute – wahrscheinlich Phö-
ma«). nizier – warfen Lose, um zu erfahren,
wer an dem Unheil Schuld trug. Jona,
B. Jonas Flucht nach Tarsis (1,3) der Hebräer, wurde als der Missetäter
Im Ungehorsam nahm Jona ein Schiff entlarvt ‒ denn er floh vor dem An­
nach Tarsis (wahrscheinlich an der Süd- gesicht des HERRN.
küste Spaniens). H.C. Woodring sagt
zu der Auflehnung des Propheten ge- D. Jona wird über Bord geworfen und
gen seine Bestimmung: von dem großen Fisch verschlungen
(1,11 - 2,1)
Gott wollte, dass er nach Ninive gehen 1,11-16 Die Frage: »Was sollen wir mit
sollte, 800 Kilometer nordöstlich von Pa- dir tun, damit das Meer uns in Ruhe
lästina. Statt nach Osten zu gehen, hatte lässt?«, zeigt die typisch menschliche
Jona vor, gut 3.000 Kilometer weit nach Haltung, sein eigenes Fell zu retten,
Westen zu reisen. Gott wollte, dass Jona koste es, was es wolle. Immerhin, für
über Land durch den »Fruchtbaren heidnische alte Seebären zeigten sie
Halbmond« wandern sollte. Stattdessen durchaus Gerechtigkeitssinn. Jona riet
unternahm er eine unangenehme See­ ihnen, ihn über Bord zu werfen. Sie
reise (die Juden hassten das Meer). Gott zögerten, das zu tun, und ruderten mit

1117
Jona 1 bis 3

aller Kraft, um das Schiff stattdessen an sächlich in dem Fisch gestorben und
Land zu bringen. Doch am Ende waren wurde wieder auferweckt. Das hebrä-
sie zu diesem letzten Mittel gezwungen ische Wort Scheol kann jedoch Grab, das
– »weil das Meer immer stürmischer Leben nach dem Tod und andere Dinge
gegen sie anging«. bedeuten. Hier ist es wahrscheinlich ein
2,1 Ein großer Fisch, von dem HERRN poetischer Ausdruck für »Tiefe« oder
dazu »bestellt«, verschlang Jona und ‒ moderner ausgedrückt ‒ für »Ab-
hielt ihn drei Tage und drei Nächte gründe«.
gefangen. (Das Wunder bestand nicht Obwohl es höchst unwahrscheinlich
dar­in, dass ein Fisch einen Menschen ist, dass Jona buchstäblich starb und
verschlingen konnte, sondern dass wieder auferweckt wurde, gebraucht
dieser nicht verdaut wurde.) unser Herr den Propheten als ein Bild
für seinen eigenen Tod, sein Begräb-
II.Die Befreiung des Propheten nisses für drei Tage und drei Nächte
(2,2-11) und seine glorreiche Auferstehung (Mt
12,40). Nebenbei zeigt dies, dass Chris­
A. Jonas Gebet (2,2-10) tus Jona als historische Figur und nicht
Jonas Gebet zu Gott aus dem Magen nur als »Gleichnis« ansah, wie es einige
des Fisches gedenkt seiner Errettung moderne Prediger behaupten.
vor dem Ertrinken und nicht seines
Entkommens aus dem Fisch. Dieses B. Gottes Antwort (2,11)
Entkommen folgte seinem Gebet. Sein Sobald Jona anerkannte, dass die Ret-
Gebet ist bemerkenswert, weil es Teile tung von dem HERRN kommt, spie der
aus dem Buch der Psalmen enthält. Fisch ihn auf das trockene Land aus.
J. Sidlow Baxter analysiert das Gebet
wie folgt: III. Die Verkündigung der
göttlichen Botschaft durch den
In Jonas Gebet gibt es kein Wort der Bit- Propheten (Kap. 3)
te. Es besteht aus Danksagung (V. 3-7),
Reue (V. 8-9) und erneuter Hingabe A. Die Gerichtsandrohung (3,1-4)
(V. 10). Es ist ein richtiger Lobpsalm, ein Noch einmal gab der HERR dem Jona
»Te Deum«, eine »Doxologie«. Ich kenne den Auftrag, nach Ninive zu gehen,3
einen Menschen, der eine Doxologie und diesmal gehorchte er. Nachdem er
sang, während er seinen Kopf in sein lee- in die große Stadt hineingegangen war,
res Mehlfass steckte. Es war ein Aus- verkündete er, dass sie nach vierzig
druck seines Glaubens, Gott werde ihn Tagen zerstört werden würde.
wieder mit Mehl versorgen! Doch die
Meldung, jemand habe eine Doxologie B. Die stadtweite Buße (3,5-9)
gesungen, während sein Kopf – und alles Die Niniviten, die den Fischgott Dagon
Übrige ebenfalls – in einem großen Fisch anbeteten, wussten offensichtlich, was
steckte, das ist absolut beispiellos.2 mit Jona geschehen war. Andere Men-
schen, die ähnliche Erfahrungen im
Jonas Gebet ist eine Vorschattung von Lauf der Geschichte überlebt hatten,
Israels zukünftiger Buße. Wenn das zeigten eine von den Verdauungssäften
Volk den Messias als Retter annimmt, dermaßen angegriffene Haut, dass sie
wird es wiederhergestellt und eine in jeder Volksmenge aufgefallen wären.
Stellung des Segens unter ihm ein­ Er war ihnen ein Zeichen. Die ganze
nehmen. Stadt tat Buße und glaubte an Gott,
Die Erwähnung des »Schoßes des vom Größten bis zum Kleinsten. Ein
Scheols (Totenreiches)« in Vers 3 führte Fasten wurde für Menschen und Tiere
einige zu der Annahme, Jona sei tat- gleichermaßen ausgerufen, und allen

1118
Jona 3 und 4

wurde Sacktuch angelegt, vom König B. Gottes forschende Frage (4,4)


bis zum Vieh.
Der HERR rührte das Gewissen des
C. Das Gericht wird abgewendet Propheten mit der eindringlichen Rück-
(3,10) frage an: »Ist es recht, dass du zornig
Als Ergebnis davon wurde Ninive vor bist?«
der Katastrophe bewahrt. Allerdings
wissen wir aus der Geschichte, dass die C. Jona schmollt draußen vor der
Assyrer zu ihren bösen Wegen zurück- Stadt (4,5)
kehrten und dass ihre Hauptstadt nach Statt eine Antwort zu geben, geht Jona
mehr als 150 Gnadenjahren zerstört aus Ninive hinaus und »ließ sich östlich
wurde. von der Stadt nieder … bis er sähe, was
mit der Stadt geschehen würde«.
IV. Das Missvergnügen des
Propheten (Kap. 4) D. Anschauungsunterricht über
Gottes souveräne Barmherzigkeit
A. Jonas gereiztes Gebet (4,1-3) (4,6-11)
Jona war ärgerlich, dass Israels heid- 4,6-8 Dort bestellte Gott eine riesige
nische Feinde verschont worden waren. Pflanze, die Jona vor der Sonne
Er bat daraufhin ganz niedergeschla- schützte.4 Der Prophet freute sich sehr
gen, sterben zu dürfen. Vielleicht fürch- dar­über. Jedoch bestellte Gott am
tete er, die Assyrer könnten Israel wie- nächs­ten Tag einen Wurm, durch den
derum bedrohen. die Pflanze verwelkte. Außerdem be-
Mit den meisten Feinden Israels hatte stellte Gott einen sengenden Ostwind,
Gott sehr ernst gehandelt, und das Volk der zusammen mit der Sonne den Pro-
Israel erwartete die Vernichtung seiner pheten ermatten ließ, sodass er zu
Feinde – und nicht ihre Rettung. Auch sterben wünschte.
Jona, der doch als Prediger begriffen 4,9-11 Dann erinnerte Gott den Pro-
hatte, dass Gott gnädig und barmherzig pheten daran, dass dieser Mitleid mit
ist, wusste, dass Länder wie Assyrien der Pflanze hatte, wie viel mehr Grund
gewöhnlich für die Vernichtung durch hatte der Herr, mit einer Stadt von
Gott aufgehoben wurden. Dass Gott allein 120.000 Kindern Mitleid zu ha-
den Assyrern Barmherzigkeit erwies, ben, gar nicht zu reden von den vielen
schien für den durchschnittlichen Is­ Tieren.
raeliten völlig falsch zu sein, zumal Die Lektion dieses kleinen Buches ist,
dieses Volk zu den ärgsten Feinden dass Gott die Welt liebt – nicht nur die
Israels in der Zeit des Alten Testaments Juden, sondern die Heiden ebenfalls.
gehörte.

Anmerkungen groß beschrieben, dass man drei


Tage brauchte, um es zu durchwan-
1
(1,3) Chester Woodring, »Easter Chal- dern (etwa 90 bis 100 Kilometer).«
lenge« Lectures on Jona, Emmaus Mon­tague S. Mills, The Minor Pro­
Bible School (heute College), 1960. phets, A Survey, S. 55.
2
(2,1-9) J. Sidlow Baxter, Explore the 4
(4,6-8) Der Herr »bestellte« oder
Book, S. 169. »entsandte« vier Dinge für den wi­
3
(3,1-4) »Ninive … war von einem der­spenstigen Propheten: 1. den gro­
Komplex kleinerer Städte und Dör- ßen Fisch (1,16), 2. die Pflanze (4,6),
fer umgeben; so wird dieses riesige 3. einen Wurm (4,7) und 4. einen sen-
Hauptstadtgebiet passend als so genden Ostwind (4,8).

1119
Jona

Bibliografie Kleinert, Paul,


»The Book of Jonah«, in: Lange’s Com­
Banks, William L., mentary on the Holy Scriptures, Nach-
Jonah, the Reluctant Prophet, druck (24 Bde. in 12),
Chicago: Moody Press, 1966. Grand Rapids: Zondervan Publishing
House, 1960.
Blair, J. Allen,
Living Obediently: A Devotional Study of Mills, Montague S.,
the Book of Jonah, »Jonah«, in: The Minor Prophets: A Sur­
Neptune: Loizeaux Brothers, 1963. vey,
Dallas: 3E Ministries, o.J.
Draper, James T., Jr.,
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Wheaton: Tyndale House Publishers, The Minor Prophets, Bd. 2, Nachdruck
1971. (3 Bde.),
Minneapolis: Klock & Klock Christian
Feinberg, Charles L., Publishers, 1982.
Jonah, Micah, and Nahum,
New York: American Board of Missions Unveröffentlichtes Material:
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Gaebelein, Frank E., Emmaus Bible School (heute College),
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Habakkuk, and Haggai,
Chicago: Moody Press, 1877.

Keil, C.F.,
»Jonah«, in: Commentary on the Old Tes­
ta­ment, Bd. 25,
Grand Rapids: Wm. B. Eerdmans Pub-
lish­ing Co., 1971.

1120
Micha
»Es ist gut, einen würdigen Fürsprecher der Armen zu finden, der Mut und Kraft für eine
wirkungsvolle Botschaft hat. Micha kannte seine Leidensgenossen so genau, dass er die
Herausforderung der Gerechtigkeit und Anteilnahme in lebendigen Farben schildern
konnte. Sein tiefes Mitgefühl mit den Unterdrückten wurde in unvergesslichen Worten
lebendig, und sein Geist brannte von gerechtem Abscheu, wenn er die krasse Ungerechtig­
keit sah, die seinen Nachbarn und Freunden angetan wurde. Die armen Bauern in Juda
hatten in diesem vollmächtigen jungen Prediger vom Lande einen starken Fürsprecher.«

Kyle M. Yates

Einführung Mîkājāh und Mîkājāhû – (wer ist wie der


HERR) zeigt an, dass der Prophet ein
I. Einzigartige Stellung im Kanon Knecht des einen wahren Gottes, des
Gottes Israels, war. Wie bei so vielen
Micha ist der viertlängste der Kleinen Propheten war der Name Gottes (-el)
Propheten. Er wird fünfmal im Neuen oder Jahwes (-jah) Teil seines Namens.
Testament zitiert, einmal von unserem Möglicherweise macht er in 7,18 ein
Herrn. Das berühmteste Zitat (Mt 2,6) Wortspiel aus seinem eigenen Namen,
steht in 5,1, das ist der Vers, der vorher- wenn er fragt: »Wer ist ein Gott wie
sagt, der Messias werde in Bethlehem du?«
Efrata geboren (im Norden gab es noch Micha war ein Zeitgenosse von Jesaja,
ein Bethlehem). aber von niedrigerer Abkunft. Er kam
Ein anderes faszinierendes Merkmal aus Moreschet, nahe Gat, etwa vierzig
von Micha ist die Vorliebe des Prophe- Kilometer südwestlich von Jerusalem.
ten für »Paronomasie« – oder verständ-
licher ausgedrückt, für Wortspiele. III. Datierung
Viele haben Spaß an Wortspielen, doch Micha weissagte von 740 bis etwa 687
wird das bei uns meistens nicht als se­ v.Chr. während der Regierungen von
riöse Literatur betrachtet (obwohl Jotam, Ahas und Hiskia. Obwohl sich
Shakespeare sie oft gebrauchte). Im seine Hauptbotschaft an Juda richtete,
Hebräischen allerdings enthalten sol- sagte Micha die Wegführung des Nord-
che ernsten Schrif­ten, wie sie im Alten reiches voraus, die 722/721 v.Chr. statt-
Testament stehen, viele Wortspiele. fand. Das Datum der Verkündigung
Micha zeigt uns in 1,10-15 ein be- der Botschaften, die seine kurze Weis-
rühmtes Beispiel, das manche mit den sagung bilden, kann einige Zeit vor
Reden des lateinischen Dichters Cicero deren Niederschrift liegen.
verglichen haben. Leider ist dies eine
der am schwierigsten zu übersetzenden IV. Hintergrund und Thema
Literaturgattungen, weil keine zwei Um das achte Jahrhundert v.Chr. wurde
Sprachen dieselben Paare von Doppel- das alte Agrarsystem in Israel und Juda
bedeutungen haben (siehe die Fußnote mit seiner ziemlich gleichmäßigen Ver-
in der revidierten Elberfelder mit dem teilung des Wohlstands allmählich
Versuch, diese Wortspiele auf Deutsch durch eine habgierige, materialistische
verständlich zu machen). und rücksichtslose Gesellschaftsord-
nung ersetzt, die das Volk scharf in
II. Verfasserschaft Besitzer und Habenichtse teilte. Die rei-
Der Name Micha – eine Kurzform von chen Grundbesitzer wurden immer

1121
Micha 1

reicher und die armen Bauern immer är- Kurz gesagt: Die Verhältnisse glichen
mer. Letztere wanderten in die Städte sehr denen des Christentums der west-
aus, die durch Armut und Lasterhaftig- lichen Welt von heute.
keit gekennzeichnet waren. Daneben be- Vor diesem dunklen, verweltlichten
stand das Luxusleben der Oberschicht Hintergrund schrieb Micha seine Weis-
mit ihrer Grausamkeit gegen die Armen. sagung, wobei es vor allem um drei
Der Handel mit den Heidenvölkern Städte ging: Samaria, Jerusalem und
führte außerdem deren falsche religiöse Bethlehem.
Sekten und deren Sittenverderbnis ein.

Einteilung V. Die Herrlichkeit der Herrschaft


Christi im Tausendjährigen Reich
I. Ankündigung des Zorns gegen (Kap. 4)
Israel und Juda (Kap. 1) VI. Die Verheißung vom Kommen des
II. Der Untergang der reichen Messias (Kap. 5)
Unterdrücker (2,1-11) VII. Israel vor Gericht (Kap. 6)
III. Die Verheißung der VIII.Das Volk betrauert seinen elenden
Wiederherstellung (2,12-13) Zustand (7,1-10)
IV. Anklage gegen die Anführer, IX. Der zukünftige Segen für Israel
die falschen Propheten und die (7,11-20)
Priester (Kap. 3)

Kommentar kluges Klagelied, durch das die Inva­


sion des assyrischen Heeres beschrie-
I. Ankündigung des Zorns gegen ben wird. Verschiedene Städte in Israel
Israel und Juda (Kap. 1) und Juda werden angesprochen ‒ Gat,
Bet-Leafra, Schafir, Zaanan, Bet-Ezel,
1,1-3 Die Völker werden von Gott, dem Marot, Jerusalem, Lachisch, Moreschet-
HERRN aufgefordert, seine Gerichts­ Gat, Achsib, Marescha und Adullam ‒,
botschaft zu vernehmen, während er während sich die Assyrer nähern. In
seinen Tempel, den »heiligen Palast«, diesem Abschnitt finden wir viele
den Ort der Segnung, verlässt, um ge- Wortspiele.1 Moffatt hat diese Stelle so
gen sie Zeugnis abzulegen. wiedergegeben:
1,4-7 Seine Strafe wird ernst für Sa-
maria und Jerusalem sein, weil diese Weint Tränen in Tränenstadt (Bochim),
Städte Zentren des Götzendienstes ge- Wälzt euch im Staub in Staubstadt (Bet-
worden waren. Wenn er im Gericht Leafra),
kommt, werden die Berge unter ihm Lebe wohl, du entblößte Schönstadt
schmelzen und die Täler sich vor (Schafir) (Saphir),
ihm spalten wie Wachs vor dem Feuer. Stadt des Auszugs (Zaanan), wage nicht
Samaria wird zum Trümmerhaufen, auszuziehen,
und alle ihre Götzen werden zerschla- Bet-Ezel (Haus der Trennung) und Ma-
gen. rot (Bitterkeit) sind bitter wegen ihrer
1,8-9 Michas Klage, er werde weinen Hoffnungslosigkeit;
und heulen wie die einsamen Schakale Denn Verhängnis von dem Ewigen steigt
in der Nacht und die Strauße, und er herab auf die Tore Jerusalems.
werde barfuß und entblößt gehen, ist Zu Pferde und fahre weg, o Pferdestadt
Ausdruck tiefster, äußerster Traurig- (Lachisch).
keit. Der Grund dafür ist, dass die Du Quell der Sünde Zions,
Wunden Israels unheilbar sind. Wo die Verbrechen Israels ihren Ur-
1,10-14 Die Verse 10 bis 16 sind ein sprung hatten!

1122
Micha 1 bis 4

O, Tochter Zion, du musst den Besitz dei- was die Wiederherstellung behindern
ner Kelter (Moreschet-Gat) aufgeben, sollte.
Und Israels Könige werden in Betrug-
stadt (Achsib) betrogen wie von einem IV. Anklage gegen die Anführer,
vertrockneten Bach.2 die falschen Propheten und
Priester (Kap. 3)
1,15-16 Ein Eroberer wird über Israel
kommen, und das Volk wird nach 3,1-4 Die Anführer des Hauses Israel
Adullam fliehen. Israel wird sein Haupt werden angeklagt wegen ihrer un­
kahl scheren aus Klage um die Kinder gerechten Urteile, wegen ihrer Un­
seiner Wonne, d.h. diese werden aus gerechtigkeit und Habgier. Sie behan-
dem Land in die Gefangenschaft ge- delten die Armen überaus grausam. Sie
bracht. hassten das Gute und liebten das Böse.
Statt Hirten der Schafe zu sein, wie
II. Der Untergang der reichen Anführer es sein sollten, waren diese
Unterdrücker (2,1-11) Politiker Wölfe, die aus den Schafen
2,1-5 Die Gründe für das Gericht wer- Essen für ihren Topf und Fleisch für
den hier aufgezählt. Die Reichen nah- ihren Kessel machten. Sie waren das
men den Armen gewaltsam Häuser Gegenteil von David, der ein wirklicher
und Landbesitz fort. Darum würde die- Hirte war, der kam, um das Volk zu
ser Besitz den Reichen durch die frem- weiden (1Sam 17,15; 2Sam 5,2; 7,7).
den Invasoren genommen, und ihnen Wenn ihre Not her­einbricht, wird Gott
würde nichts bleiben. ihr Schreien nicht hören, um ihnen zu
2,6-7 Die Menschen sagten Micha, er helfen.
solle nicht solche unangenehmen Dinge 3,5-7 Die falschen Propheten rufen
weissagen, weil solche Schmach nicht denen »Frieden« zu, die sie gut entloh-
über sie kommen werde. Aber Micha nen, und drohen denen Krieg an, die
antwortete, sie sollten nicht (in Bezug ihnen nichts bezahlen. Darum wird
auf sich) sagen: »Ist der HERR etwa un- Gott ihnen die Erkenntnis seines Wil-
geduldig? Oder sind dies seine Taten? lens vorenthalten. Sie werden von Gott
Sind seine Worte nicht gütig gegen ein keine Antwort erhalten.
Volk, das rechtschaffen lebt?« 3,8-12 Im Gegensatz dazu war Micha
2,8-11 Durch ihre Sünden waren die mit Kraft erfüllt durch den Geist des
Menschen wie Feinde für den HERRN HERRN, um Israel und Juda (Jakob)
geworden. Sie beraubten die Fried­ Gottes Botschaft auszurichten. Die
fertigen ihrer Kleidung und trieben die käuflichen Anführer, die Priester und
Frauen und Kinder aus ihren Häusern. Propheten dachten, sie seien in Sicher-
Sie sollten sich aufmachen und in die heit; aber Micha kündigte ihnen an,
Verbannung ziehen; denn das von dass Jerusalem ihretwegen zu einem
ihnen verunreinigte Land würde sie Trümmerhaufen würde.
verderben. Jeder falsche Prophet, der
Wein und starkes Getränk anpreist, V. Die Herrlichkeit der Herrschaft
würde von diesem Volk schnell an­ Christi im Tausendjährigen Reich
genommen werden. (4,1-13)
4,1-4 Die ersten acht Verse sprechen
III. Die Verheißung der von den Segnungen der Herrschaft
Wiederherstellung (2,12-13) Christi im Tausendjährigen Reich. Jeru-
Nach dem Gericht würde Gott den salem wird erhaben sein, die Heiden-
Überrest Israels aus der Verbannung völker werden kommen, um über den
wieder sammeln. Ein »Durchbrecher« HERRN etwas zu lernen, und er wird
(der HERR) würde alles zerbrechen, über die Völker herrschen. Weltweite

1123
Micha 4 und 5

Abrüstung wird lebendig und anschau- Micha es genauer als Bethlehem Efrata,
lich dargestellt mit den berühmten gut neun Kilometer südlich von Jeru­
Wor­­­­ten: »Dann werden sie ihre salem. Dieser Vers ist als Gegensatz zu
Schwerter zu Pflugscharen umschmie- 4,14 gedacht. Obwohl Israels gegen-
den und ihre Speere zu Winzer­ wärtiger Zustand entmutigend sein
messern.«3 Friede und Sicherheit wer- mochte ‒ es würde sich alles ändern,
den vorherrschen, und der Herr wird wenn der Messias kommt.
von seinem ganzen Volk erkannt sein. 5,2 Drei Stufen in der Geschichte Is­
4,5-8 Vers 5 zeigt den Unterschied raels werden hier beschrieben: 1) Weil
zwischen dem in Michas Tagen prak­ die Israeliten den Herrn Jesus verwor-
tizierten Götzendienst und der reinen fen haben, ist es dahingegeben worden.
Anbetung, die im Tausendjährigen Das beschreibt den gegenwärtigen Zu-
Reich vorherrschen wird. Das durch stand im Zeitalter der Gnade. 2) Als
die Gefangenschaft verkrüppelte Volk Nächstes erwartet das Volk eine Zeit
(das Hinkende) wird der HERR ins der Trübsal. Das ist die Drangsalszeit.
Land zurückbringen, und der HERR 3) Nach diesen Wehen wird Israel ge­
wird als König über es regieren. Die er- bären. Das bezieht sich auf den »gläu-
ste oder frühere Herrschaft (V. 8) ist die bigen Überrest aus der immer noch un-
höchste Regierung auf Erden, das Reich gläubigen Nation« (Scofield). Dieser
des Messias-Königs. Überrest wird ins Land gesammelt,
4,9-13 In der Zwischenzeit muss Juda und Christus wird über sein Volk herr-
in die babylonische Gefangenschaft ge- schen.
hen. Ebenfalls vor der Wiederherstel- 5,3-5 Die Hirtenfürsorge des Messias
lung wird der Herr die Heidenvölker für Israel und seine weltweite Herr-
sammeln und sie richten; Israel wird schaft wird uns in Vers 3 vorgestellt.
das Werkzeug sein, mit dem er sie be- Wenn ein künftiges assyrisches Heer
straft, und ihr Reichtum wird dem ins Land kommt, wird der Messias ge-
Herrn der ganzen Erde geweiht sein. nügend fähige Führer erwecken, die sie
forttreiben. Der Ausdruck »sieben Hir-
VI. Die Verheißung von dem ten … und acht Menschenfürsten«
Kommen des Messias (4,14 - 5,14) sollte nicht so verstanden werden, als
4,14 Vers 14 scheint den Zustand des würden da buchstäblich nur fünfzehn
Volkes zu der Zeit, als Micha sein Buch Führer aufstehen, um »Assur« Wider-
schrieb, zu beschreiben. Israel bedeutet stand zu leisten. Wenn eine Zahl von
hier Juda; ihm wird gesagt, es solle sich der nächsthöheren gefolgt wird, so ist
auf eine Belagerung durch die Babylo- das eine poetische Form4, die bedeutet,
nier vorbereiten, die den König unver- dass es eine ausreichende und vollkom-
schämt und rücksichtslos behandeln mene Anzahl gibt für alles, worum es
werden. Dies mag sich auf Sanheribs im Kontext geht.
Verhöhnung Hiskias oder auf die De- 5,6-8 Dann wird Israel ein Kanal des
mütigung Zedekias durch Nebukad­ Segens für alle sein. Das Volk wird un-
nezar beziehen. bezwingbar wie ein Löwe sein, der sehr
5,1 Dieser Vers schaut voraus auf die wohl Gottes Feinde zu zerreißen ver-
Geburt des Einen, der Herrscher in Is­ mag.
rael war, dessen Hervorgehen (o. Her- 5,9-14 An jenem Tag wird Israel ge­
vorgänge, Ausgänge) von der Urzeit, reinigt sein. Es wird nicht mehr auf
von den Tagen der Ewigkeit her war. Rosse und Wagen oder befestigte Städ-
Diese Worte zeigen die Ewigkeit des te vertrauen. Zauberer und Wahrsager
Messias und reden deshalb von seiner werden ausgerottet sein. Götzenbilder
Göttlichkeit. Weil es zwei Bethlehems und Gedenksteine – heidnische Schrei­
im Heiligen Land gab, bezeichnet ne – werden zerstört sein. Feindliche

1124
Micha 5 bis 7

Nationen werden mit Gottes Rache ge- 7,3-6 Die Obersten und die Richter
straft. fordern Bestechungsgelder; ihre Be­
strafung ist nahe. Auf niemanden kann
VII.Israel vor Gericht (Kap. 6) man sich verlassen. Freunde und Ge-
6,1-5 Die Berge werden aufgerufen, als fährten, ja selbst Verwandte verraten
Richter zu dienen, während der HERR einander.
(der Ankläger) seine Sache gegen das 7,7-10 Nur dem HERRN kann man
Volk (den Angeklagten) vorbringt. Er vertrauen. Der treue Überrest des
erinnert die Israeliten daran, wie Volkes warnt seine Feindin, sich nicht
freundlich er sie aus Ägypten befreit zu sehr über ihn zu freuen. Das Unheil
und Balak und Bileam daran gehindert ist Folge der Sünde des Volkes; aber der
hat, sie zu verfluchen. Herr würde die Seinen zur Beschä-
6,6-8 Was sucht der Gott der Höhe als mung ihrer Feinde wiederherstellen.
Dankesbezeugung dafür? Keine außer-
gewöhnlichen Tieropfer und schon gar IX.Der zukünftige Segen für
keine Menschenopfer, sondern Recht Israel (7,11-20)
und Güte und Demut. Vers 8 beschreibt, 7,11-12 Als Nächstes wird Jerusalem
was Gott fordert. Um in dieser Weise angesprochen. Ihre Mauern würden
gehorchen zu können, muss ein Mensch wieder erbaut und ihre Grenzen außer-
göttliches Leben haben. Ein Unbekehr- ordentlich erweitert werden. Die Ver-
ter ist völlig außerstande, diese Art von bannten würden zurückkehren aus den
Gerechtigkeit hervorzubringen. Ländern ihrer Gefangenschaft, und die
6,9-12 Der HERR ruft der Stadt zu Heidenvölker würden wegen ihrer
und zählt ihre Sünden auf als Ursache Bosheit bestraft.
ihres Unheils. Die Einwohner benutzen 7,13 Dieser Vers scheint beim ersten
falsche Gewichte und Maße, sie wen- Lesen eigenartig zu sein. Die Verödung
den Gewalt an und reden Lügen. des Landes bezieht sich wahrscheinlich
6,13-16 Die Sünde bringt ihren eige- auf das Ergebnis des Gerichts über die
nen Untergang hervor, und die Sünden Heiden als Frucht ihrer Taten. Dies fin-
gewalttätiger Reicher werden Krank- det genau vor der verheißenen Wieder-
heiten nach sich ziehen, dazu Zer­ herstellung statt. Es sollte auch beachtet
störung, Hunger, Unzufriedenheit und werden, dass der mit »Land« wiederge-
Enttäuschung. Ihnen wird der Genuss gebene hebr. Ausdruck (eretz) auch
der unredlich erworbenen Güter ver- »Erde« bedeuten kann.5 Moffatt um-
wehrt werden. Die »Ordnungen Om- schreibt daher diese Zeilen so: »… ob-
ris« (V. 16) beziehen sich höchstwahr- wohl die ganze Welt wüst liegt als Ver-
scheinlich auf den Götzendienst, zu geltung für ihre heidnischen Wege«.
dem Omri ermutigt hatte (1Kö 16, 7,14-17 Vers 14 ist ein Gebet zum
25-26). Herrn, in dem er angefleht wird um
Nahrung und Hirten-Fürsorge. Der
VIII. Das Volk betrauert seinen Herr versichert seinem Volk, er werde
elenden Zustand (7,1-10) so wunderbare Dinge für es tun, dass
7,1-2 Micha macht sich mit der Nation die Heidenvölker beschämt sein und
eins und verwendet sich für sie vor sich vor ihm niederbeugen werden.
Gott. Die Stadt ist von Frommen und 7,18-20 Micha beendet seine Weis­
Rechtschaffenen entblößt worden; Ge- sagung mit einem Loblied auf Gott und
walt und Mord nehmen überhand. Die rühmt seine Barmherzigkeit, seine Ver-
traurige Lage wird mit der Weinnach­ gebung, sein Mitleid, seine Treue und
lese verglichen, bei der keine Traube seine unerschütterliche Liebe.
zum Essen gefunden wird.

1125
Micha

Anmerkungen tar zu Jesaja) kann die Welt doch kei-


nen dauernden Frieden erwarten, bis
1
(1,10-14) Siehe die buchstäbliche Be- der Herr kommt, weil sie den Für-
deutung in der Fußnote der revi- sten des Friedens außer Acht lässt.
dierten Elberfelder. 4
(5,4-6) Diese Anwendung von Zah-
2
(1,10-14) The Bible: A New Translation, len ist im Alten Testament nicht un-
von James Moffatt, Micha 1,10-14. gewöhnlich. Siehe z.B. Hiob 5,19;
3
(4,1-4) Obwohl diese Worte am Haus Ps 62,12-13; Amos 1,3.
der Vereinten Nationen in New York 5
Siehe die Fußnote in der revidierten
eingeschrieben sind (aus der Paral- Elberfelder.
lelstelle in Jes 2,2-4, siehe Kommen-

Bibliografie Mills, Montague S.,


The Minor Prophets: A Survey,
Carlson, E. Leslie, Dallas: 3E Ministries, o.J.
»Micah«, in: The Wycliffe Bible Commen­
tary, Morgan, G. Campbell,
Chicago: Moody Press, 1968. The Minor Prophets,
Old Tappan: Fleming H. Revell Compa-
Feinberg, Charles L., ny, 1960.
The Minor Prophets, Chicago,
Moody Press, 1976. Tatford, Frederick A.,
The Minor Prophets, Bd. 2, Nachdruck
Keil, C.F., (3 Bde.),
»Micah«, in: The Biblical Commentary on Minneapolis: Klock & Klock Christian
the Old Testament, Bd. 24, Publishers, 1982.
Grand Rapids: Wm. B. Eerdmans Pub-
lish­ing Co., 1971.

1126
Nahum
»Die Beschreibungen Nahums sind außerordentlich schön und lebendig,
und das Buch wird verdientermaßen zu dem Besten gezählt,
was die Literatur des Alten Testaments hervorgebracht hat.«

C.H.H. Wright

Einführung derschrift auf ein halbes Jahrhundert


genau festzulegen. Sie muss nach der
I. Einzigartige Stellung im Kanon Eroberung von No-Amon (Theben) im
Jahr 663 v.Chr. erfolgt sein, weil Na-
Die kurze Weissagung von Nahum ist hum dieses Ereignis in 3,8 erwähnt. Sie
zwar von einem Hebräer geschrieben muss vor 612 v.Chr. verfasst worden
und gegen die Hauptstadt einer heid- sein, als Ninive zerstört wurde. Dies
nischen Weltmacht gerichtet (Ninive), würde das Buch in die lange Regie-
doch ist sie keine nationalistische Ab- rungszeit des götzendienerischen Kö-
handlung, sondern eine Anklage gegen nigs Manasse (696-642) legen, vielleicht
zügellosen Militarismus und Tyrannei, zwischen 663 und 654 v.Chr.
besonders wenn diese sich gegen Gottes
Volk wenden. Obwohl Gott Heiden be- IV. Hintergrund und Thema
nutzt, um den Abfall und die Sünden Nahum, der Elkoschiter, hatte eine
seines Volkes zu bestrafen, ist das Trostbotschaft für Juda, weil er den Un-
Werkzeug selbst nicht von Strafe aus­ tergang der Assyrer und die Wieder-
genommen. herstellung des Volkes Gottes vorher-
R.K. Harrison sagt es so: sagte. Seine Weissagung vervollstän­
digt das Buch Jona. In Jona sehen wir
In dieser kleinen Prophetie des Unter- Ninives Buße, aber bei Nahum waren
gangs zeigte der Schreiber in kraftvoller die Niniviten zu ihren alten Wegen zu-
und eindrücklicher Sprache, dass der rückgekehrt und hatten Gottes Zorn auf
Gott des von den Assyrern verachteten sich gezogen. Unser Herr vergleicht die
Volkes in Wirklichkeit der Schöpfer und Niniviten in ihrem bußfertigen Zustand
Lenker aller Menschenschicksale ist. Sei- vorteilhaft mit den unbußfertigen Pha-
ner Gerichtsbarkeit muss sich selbst die risäern (Mt 12,41).
größte Weltmacht in Demut und Be­ Das kurze Buch ist eine klassische
schämung unterwerfen.1 Zurückweisung des Militarismus. Die
Assyrer gingen gnadenlos mit ihren
II. Verfasserschaft Gegnern um. In ihren Inschriften über
Nahum stammte aus Elkosch, einer militärische Siege rühmen sie sich, die
nicht genauer bekannten Stadt, die aber Häute der geschlagenen Feinde an ihre
oft mit Kapernaum (hebr. Kāphar Zelte und Mauern gehängt zu haben.
Nahûm,
. »die Stadt Nahums«) gleich­ Ob das eine übliche Praxis war oder
gesetzt wird, das nahe dem See Gene­ nicht ‒ immerhin verrät es ihre Gesin-
zareth liegt. Der Name des Propheten nung.
bedeutet »Tröster«. Sie verachteten den Gott Israels, den
Gott, der alles in seiner Hand hält –
III. Datierung auch den Fall Ninives.
Obwohl kein Datum angegeben wird, Nahum sagt die Zerstörung Ninives
ist es doch möglich, die Zeit der Nie- voraus, der Hauptstadt Assyriens und

1127
Nahum 1 und 2

damals größten Stadt der Welt. Im deren Sinn schaut sie voraus auf die
buchstäblichen Sinn hat sich diese Assyrer der Zukunft, die Gottes Volk
Weissagung erfüllt; aber in einem an­ bedrohen werden.

Einteilung III. Beschreibung der Belagerung


I. Das Wesen Gottes, des Richters Ninives (2,2-13)
(1,1-8) IV. Gottes Entschlossenheit, die Stadt
II. Gewissheit des Untergangs von zu zerstören (2,14 - 3,19)
Ninive (1,9 - 2,1)

Kommentar ausgeplündert werden, und der Herr


wird sein Grab bereiten, weil er nichts
I. Das Wesen Gottes, des Richters wert ist.
(1,1-8) 2,1 Dieser Vers beschreibt die Boten,
1,1-5 Das Wesen Gottes wird als eifer- die die Freudenbotschaft von der Zer-
süchtig, rächend und voll Grimm einer- störung Assyriens und des sich daraus
seits und doch langsam zum Zorn und ergebenden Friedens für Juda verkün-
groß an Kraft andererseits beschrieben. den. Paulus zitiert ähnliche Worte in
Er beherrscht das Universum und alle, Römer 10,15, doch dort stehen sie im
die darin wohnen. Seine Eifersucht ist Zusammenhang mit dem Evangelium
die gerechte Eifersucht eines Mannes, (Jes 52,7).
der seine Frau liebt, nicht der Neid we-
gen des Glücks eines anderen. Israel ist III. Beschreibung der Belagerung
»die Frau« des HERRN (siehe Hosea). Ninives (2,2-13)
1,6-8 Wenn er straft, kann niemand 2,2 Die Verse 2 bis 11 handeln von der
ihm widerstehen. Doch er ist gut zu Belagerung Ninives durch die Babylo-
denen, die sich bei ihm bergen. Seine nier. »Der Zerstreuer« (andere über­
Gerichte werden wie eine überschwem- setzen »Zerstörer«) kann sich auf den
mende Flut durch Assyrien fegen und Herrn oder auf die Babylonier bezie-
Ninive, die Hauptstadt, zerstören. hen. Den in wilder Aufregung befind-
lichen Bewohnern wird mit vier Be­
II. Gewissheit des Untergangs fehlen spottend gesagt, sie sollten sich
von Ninive (1,9 - 2,1) für den Kampf rüsten: »Bewache die
1,9-11 Diese Worte sind an die Assyrer Festung!« »Spähe aus auf den Weg!«
gerichtet. Gott war kurz davor, sie zu »Stärke die Lenden!« und »Nimm alle
verderben. Wer gegen den HERRN Kraft zusammen!«
Böses plant, wird fallen. Dies bezieht 2,3 Der HERR wird sein Volk wieder-
sich vielleicht auf Sanherib oder auf herstellen. Etwas von der Hoheit Israels
den anmaßenden Rabschake. wird wieder erstehen, wenn auch nicht
1,12-13 Obwohl die Assyrer im Au- notwendigerweise bald. Das Südreich
genblick sicher sind, werden sie doch war noch nicht deportiert, doch zahlte
abgehauen. Obwohl Israel gedemütigt es Tribut.
worden war, wird es nicht mehr ge- Eine völlig andere Bedeutung dieses
demütigt werden; denn Gott wird das Textes ergibt sich aus einer möglichen
auf dem Volk lastende Joch der Assyrer alternativen Übersetzung. In seinem
zerbrechen. beinahe 400 Seiten starken Kommentar
1,14 Als Nächstes spricht Gott den über Nahums kurze Weissagung über-
assyrischen König direkt an. Sein Name setzt Walter A. Maier »stellt … her«
wird vergessen und sein Götzentempel durch »schneidet … ab« – ein Wort ge-

1128
Nahum 2 und 3

gensätzlicher Bedeutung ‒ und gibt Skulpturen. Zweifellos hielten sie sich


»Hoheit« als »Stolz« wieder, wie dieses selbst für Löwen und versuchten, die-
Wort öfter im AT übersetzt wird. Er ser Rolle gerecht zu werden.
schreibt: Indem Nahum Ninive mit einer
Lö­wengrube vergleicht, sticht er das
Die Aussage »Jahwe hat den Stolz Jakobs Messer seiner Ironie tief in die Über-
abgeschnitten« beschreibt eine ver- heblichkeit der Niniviten, um sie zu
gangene, historische Bestrafung, mit der verwunden. Die Wörter »Löwe«, »Lö­
Jahwe Juda heimsuchte wegen seiner wen­junge«, »Löwin« und »Lagerstätte
hochmütigen Verwerfung des Allmäch­ der Löwen« benutzt er siebenmal in
tigen. Nahum mag dabei an die Verwüs­ zwei Versen!
tung durch Sanherib gedacht haben, der
sich rühmte, er habe Juda verheert.2 IV. Gottes Entschlossenheit, die
Stadt zu zerstören (2,14 - 3,19)
Der Hinweis auf Israel als einen zer- 2,14 Der HERR der Heerscharen hat Ni-
störten und leer geraubten Weinberg nive zur völligen Zerstörung bestimmt.
passt zu mehreren alttestamentlichen Weil sich der Herr selbst zu ihrem Feind
Bildern (Ps 80,13ff.; Jes 5,5-6; Jer 12,10; gemacht hat, hat die Stadt keine Chance
Hos 10,1). mehr. Ihre Wagen sollen verbrannt und
2,4-7 Die babylonischen Krieger wer- ihre jungen Löwen (die Kämpfer)
den in den Versen 4 und 5 in ihren be- durchs Schwert verzehrt werden. Das
vorzugten Farben beschrieben: die Ba- Geräusch ihrer Heerscharen würde
bylonier in rot und ihre Verbündeten, nicht mehr zu hören sein, und niemand
die Meder, in karmesinfarbigen Ge- würde ihnen mehr zum Opfer fallen.
wändern. (Die Farbe der assyrischen 3,1-3 Kapitel 3 setzt das Bild vom Fall
Krieger war blau.) In den straucheln- Ninives fort und gibt als Gründe dafür
den »Mächtigen« aus Vers 6 hat man an: Es ist eine Blutstadt und erfüllt mit
die assyrischen Verteidiger gesehen; Lüge und Gewalttat und hat vielen im
aber der Kontext weist eher auf die ba- Kampf Beute entrissen. Nun greifen
bylonischen Eindringlinge hin. Die babylonische Reiter mit funkelnden
Flusswasser ergießen sich in die Stadt Schwertern an, und die Straßen sind
und unterspülen die Fundamente, so- mit zahllosen Leichen übersät.
dass der Palast einstürzt. 3,4-7 Das Volk wird für seine Hure-
2,8-11 Die Königin wird in die Gefan- reien und Zaubereien bestraft ‒ und
genschaft fortgeführt. Die Menschen weil es andere mit seinem Götzendienst
fliehen aus der Stadt und achten nicht und seinem Handel verdorben hat. Der
auf den Befehl, stehen zu bleiben. Der HERR wird Assyriens Sündhaftigkeit
Reichtum und die Schätze Ninives wer- zur Schau stellen und es mit Schande
den geplündert – »Plündert Silber, plün- bedecken. Das ist die angemessene
dert Gold!« Jetzt ist die Stadt verwüstet, Strafe für eine verführerische Hure.
Furcht herrscht auf allen Gesichtern. 3,8-10 Sie wird genauso wenig ent-
2,12-13 Diese Verse können wir viel kommen wie No-Amon (das ägyptische
besser verstehen, wenn wir uns daran Theben),3 jene große Stadt, in der sich
erinnern, dass, so wie Großbritannien die vereinte Macht von Äthiopien und
den Löwen und die Vereinigten Staaten Ägypten darstellte.
und Deutschland den Adler als ihr na­ Zu ihren Verbündeten zählte Theben
tionales Symbol haben, die Assyrer auch Put und die Lubier, die sie be-
geradezu vernarrt in Löwen waren. schützten. Diese Gebiete werden meist
Menschenköpfe mit Löwenleibern und mit Libyen in Verbindung gebracht; Put
umgekehrt erscheinen regelmäßig in könnte weiter südlich, im Gebiet des
der assyrischen Kunst und in ihren heutigen Somalia gelegen haben.4

1129
Nahum 3

3,11-13 Auch Ninive wird trunken 3,18-19 Die Hirten (Führer) von Assy-
werden vom Kelch des Zornes Gottes. rien schlafen nun im Tod. Das Volk
Wie reife Feigen ist die Stadt für den hat eine tödliche Wunde erlitten. Die
Untergang bereit. Ihre Verteidigungs- Botschaft von seinem Fall wird große
anlagen werden versagen, wenn sich Freude auslösen, weil viele unter
ihre Tore weit für ihre Feinde öffnen. ihm ge­litten haben. Ninive fiel im Jahr
3,14-17 Ninive wird fallen trotz sorg- 612 v.Chr.
fältiger Vorbereitungen für die Belage- So gründlich ging Nahums Weis­
rung wie z.B. das Anlegen von Wasser- sagung in Erfüllung, dass in späteren
vorräten und die Verstärkung der Fes­ Zeiten Heere wie die des Xenophon
tungsanlagen mit Lehmziegeln. Ob- oder Alexanders des Großen nicht ein-
wohl die Kaufleute, die Höflinge und mal ahnten, dass sie über die Ruinen
Be­amten so zahlreich wie die Sterne Ninives oder in deren Nähe marschier­
am Himmel sind, werden sie die Stadt ten.
verlassen, wie schwärmende Heu­ Erst im neunzehnten Jahrhundert
schrecken fortfliegen, wenn die Sonne wurde die tatsächliche Stätte des anti-
aufgeht. ken Ninive wiederentdeckt.5

Anmerkungen »Punt« sein, ein Land an der Küste


des Roten Meeres, das bis Somalia
1
(Einführung) R.K. Harrison, Intro­ reichte. Siehe Maier, Nahum, S. 321-
duction to the Old Testament, S. 930. 322.
2
(2,2) Walter A. Maier, The Book of 5
(3,18-19) Paul Emile Botta, Austen
Nahum, A Commentary, S. 228. Henry Layard und George Smith
3
(3,8-10) Der Targum und die Vulgata waren die Pionier-Archäologen in
lesen hier »das volkreiche Alexan­ den berühmten Ruinen von Ninive
dria«. (von den vierziger bis zu den siebzi-
4
(3,8-10) »Put« könnte das ägyptische ger Jahren des 19. Jh.).

Bibliografie Maier, Walter A.,


The Book of Nahum, A Commentary,
Feinberg, Charles Lee, Nachdruck,
The Minor Prophets, Minneapolis: James Family, 1977.
Chicago: Moody Press, 1976.
Tatford, Frederick A.,
Keil, C. F., The Minor Prophets, Bd. 1, Nachdruck
»Nahum«, in: Biblical Commentary on the (3 Bde.),
Old Testament, Bd. 25, Minneapolis: Klock & Klock Christian
Grand Rapids: Wm. B. Eerdmans Pub- Publishers, 1982.
lish­ing Co., 1971.

1130
Habakuk
»Habakuk war kein Mensch, bei dem sich alles um seine Person drehte und der nur auf
Bequemlichkeit und Sicherheit für sich und seine Familie aus war. Als echter Patriot war
er zutiefst betrübt über die moralischen und geistlichen Zustände rings um ihn her. Er
liebte sein Volk und wusste, dass es sich immer mehr auf den Abgrund des Untergangs
zubewegte, weil es nicht aufhörte, die Gesetze Gottes zu brechen. Daher entrangen sich
zwei schmerzliche Fragen seiner Brust: ›Wie lange noch?‹ und ›Warum?‹«

Richard W. De Haan

Einführung Gabe, sondern auch das Amt eines Pro-


pheten hatte. (Daniel z.B. war ein
I. Einzigartige Stellung im Kanon Staatsmann der Berufung nach, hatte
aber die Gabe eines Propheten.) Weil
Habakuk 2,4 hat die Auszeichnung, Habakuk in Kapitel 3 Musikinstru-
dreimal im Neuen Testament zitiert zu mente erwähnt, meinen einige, er habe
werden (s. unten). In Apostelgeschichte etwas mit dem Tempelchor zu tun,
13,40-41 beendete der Apostel Paulus doch ist dies nur eine Vermutung.
seine Predigt in der Synagoge von
Antio­chien in Pisidien, indem er Haba- III. Datierung
kuk 1,5 zitierte. Das ist ein weiteres Bei- Da Habakuk keinen König erwähnt, ist
spiel dafür, dass ein scheinbar schwer seine kurze Weissagung schwierig zu
verständliches und kurzes Buch des datieren. Sie stammt vielleicht aus dem
Alten Testaments einen reichen lehr­ siebten Jahrhundert v.Chr., obwohl na-
mäßigen Gehalt haben kann. Vgl. auch türlich einige rationalistische Kritiker
Habakuk 3,17-18 mit Philipper 4,4.10- Habakuk aus ihrer eigenen Sicht viel
19! Sowohl der Prophet als auch der später ansetzen. Konservative Gelehrte
Apostel konnten sich in ihrem Gott setzen den Propheten im Allgemeinen
freuen, einerlei wie die äußeren Lebens­ in die Zeit der Regierung Manasses,
umstände waren. Josias oder Jojakims, die alle im siebten
Über seinen Stil schreibt der juden- Jahrhundert v.Chr. lebten. Die Regie-
christliche Gelehrte Charles Feinberg: rungszeit des Letztgenannten ist viel-
leicht die beste Wahl, weil in dieser Zeit
Alle gestehen Habakuk einen hohen die Schlacht von Karkemisch (605 v.
Rang unter den hebräischen Propheten Chr.) stattfand, in der Babylon siegreich
zu. Die Dichtung in Kapitel 3 ist zu Recht war.
von allen Seiten als die großartigste he-
bräische Dichtung gepriesen worden. IV. Hintergrund und Thema
Die Sprache dieses Buches ist von großer Die religiöse Erweckung unter dem
Schönheit.1 König Josia hielt nicht lange an. Die
öffentliche Moral war wieder unter den
II. Verfasserschaft Einfluss des unzüchtigen Baals- und
Wir wissen tatsächlich nichts über die- Astarte­kults gekommen und hatte ein
sen Propheten. Der Name Habakuk2 sehr niedriges Niveau. Ungerechtigkeit
kann umarmen oder ringen bedeuten. war weit verbreitet. Dies waren die
Weil er einer der wenigen ist, die sich beklagenswerten Zustände, mit denen
selbst »Prophet« nennen, nehmen eini- Habakuk zu tun hatte.
ge Gelehrte an, dass er nicht nur die Dieser Prophet sprach zu Juda vor

1131
Habakuk 1

der babylonischen Gefangenschaft (586 Habakuk bedeutet ein Umarmer, oder ei-
v.Chr.). Weil sein Name auch »der Rin- ner, der einen anderen umarmt, in die
gende« bedeuten kann, passt es für ihn, Arme schließt. Er umarmt sein Volk und
dass er mit dem HERRN ringt wegen nimmt es auf die Arme, d.h. er tröstet es
der Sünde und wegen der Bestrafung und richtet es auf, wie man ein wei-
des Volkes von Juda. nendes Kind umarmt, um es mit der Ver-
Feinberg zieht die Bedeutung »Um- sicherung zu trösten, dass wenn Gott
armer« vor und zitiert zustimmend will, es ihm bald besser gehen wird.3
Martin Luther:

Einteilung D. Liste der Sünden der Chaldäer


(2,5-19)
I. Der Prophet ist bestürzt, dass Gott 1. Endloser Hunger auf
die Ungerechtigkeit in Juda nicht Eroberungen (2,5-8)
straft (1,1-4) 2. Habgier und Stolz (2,9-11)
II. Der Herr antwortet, er werde die 3. Bereicherung durch
Babylonier benutzen, um Juda zu Blutvergießen (2,12-14)
strafen (1,5-11) 4. Sie verderben ihre
III. Habakuk stellt nun die Nachbarn (2,15-17)
Entscheidung Gottes infrage, ein 5. Götzendienst (2,18-19)
noch böseres Volk zum Strafgericht E. Vor dem Sturm des göttlichen
über Juda zu benutzen (1,12-17) Gerichts wird Schweigen
IV. Gottes Antwort ist, dass die auferlegt (2,20)
Gerechten in Juda überleben V. Habakuk betet und vertraut
werden; doch die ungerechten (Kap. 3)
Chaldäer werden umkommen A. Er appelliert an Gott, für sein
(Kap. 2) Volk zu handeln (3,1-2)
A. Habakuk erwartet Gottes B. Er hält Rückschau auf Gottes
Antwort (2,1) Fürsorge für Israel von
B. Anweisungen, die Antwort Ägypten bis Kanaan (3,3-15)
aufzuzeichnen und ihre C. Er wartet, dass der Feind
Erfüllung abzuwarten (2,2-3) bestraft wird (3,16)
C. Der Gerechte wird aus D. Einerlei was geschieht: Er
Glauben leben, und die will auf Gott als seine Kraft
ungerechten Chaldäer werden vertrauen (3,17-19)
sterben (2,4)

Kommentar sprüche in Juda. Er fragt den HERRN,


wie lange das ungestraft erlaubt sein
I. Der Prophet ist bestürzt, dass soll. Wegen dieser und anderer Fragen
Gott die Ungerechtigkeit in Juda an Gott hat man Habakuk manchmal
nicht straft (1,1-4) den »zweifelnden Thomas des Alten
Testaments« genannt.
»Die Last [oder der Ausspruch], die der Die ersten elf Verse der Weissagung
Prophet Habakuk geschaut hat« sind ein Gespräch zwischen Habakuk
(Schlachter 2000), ist wahrscheinlich und dem Herrn.
der Titel des gesamten Buches. In den
Versen 2 bis 4 beklagt er vor dem Herrn II. Der Herr antwortet, er werde
die schreckliche Bedrückung und Ge- die Babylonier benutzen, um
walt, das Unrecht, den Zank und den Juda zu strafen (1,5-11)
Streit und die ungerechten Richter­ Gottes Antwort wird in den Versen

1132
Habakuk 1 und 2

5 bis 11 gegeben. Er wird das Heer der liche Ehre erweist, durch das er so reich
Chaldäer erwecken, um Juda zu stra- geworden ist. In diesem Vergleich ist die
fen. Der Feind wird ungestüm, grim- Welt ein Meer; die Völker sind die Fi-
mig, gierig, gewalttätig, schrecken­ sche; Nebukadnezar ist der Fischer; die
erregend und stolz sein. Die Babylonier militärische Macht der Chaldäer ist das
waren bekannt wegen ihrer Kavallerie, Netz, durch das er große Reichtümer bei
die rasche Eroberungen machte und ge- seinen Eroberungen gewinnen konnte.5
fährlicher war als Wölfe am Abend. Sie
spotteten über die gefangenen Könige IV. Gottes Antwort ist, dass die
und Fürsten. Ihre Kraft war ihr Gott. Gerechten in Juda überleben
Feinberg sagt dazu: werden, doch die ungerechten
Chaldäer werden umkommen
Der Erfolg der Chaldäer wird sich aus- (Kap. 2)
breiten; sie werden alles vor sich her trei-
ben, wie der Wind über weite Strecken A. Habakuk erwartet Gottes Antwort
Landes fegt. Indem sie so handeln, häu- (2,1)
fen sich die chaldäischen Eroberer Habakuk zog sich auf seinen Wachpos­
Schuld vor Gott auf, wegen ihres gott- ten zurück, um zu sehen, wie Gott ihm
losen Ehrgeizes und der Unterjochung so antworten würde. Er wollte allein sein,
vieler hilfloser Völker.4 um Gottes Sichtweise zu gewinnen.
Dies ist ein überaus wichtiger Grund-
III. Habakuk stellt nun die satz auch für Gläubige von heute. Ob
Entscheidung Gottes infrage, wir es unsere »Stille Zeit« oder »An-
ein noch böseres Volk zum dacht« oder noch anders nennen – täg-
Strafgericht über Juda zu liche Gemeinschaft mit Gott ist für je-
benutzen (1,12-17) den Christen von größter Bedeutung.
Als Habakuk dies hörte, wurde er sehr
beunruhigt, und seine Erregung führte B. Anweisung, die Antwort zu
zum zweiten Dialog (1,12 - 2,20). Wie übermitteln und auf die Erfüllung zu
konnte Gott Juda durch ein Volk stra- warten (2,2-3)
fen, das schlechter als es selbst war? Er 2,2 Der HERR befiehlt dem Propheten:
argumentiert mit Gott aufgrund seines »Schreib das Gesicht (seine Antwort auf
Wissens, dass Gott zu reine Augen hat, Habakuks Frage) auf«, damit jeder, der
um Böses mit ansehen zu können, und es gelesen hat, die Botschaft (von dem
Verderben nicht anschauen kann. Und Untergang Babylons und von der Wie-
die Babylonier waren ohne Zweifel derherstellung Judas) weitergeben
böse! Judas Bosheit war jedoch größer, kann.
weil die Juden gegen ein weit größeres 2,3 A.J. Pollock sagt, dass dieser Vers
Licht (bessere Erkenntnis) sündigten. der Hoffnung der Juden gilt – Christus
Aber wie konnte Gott auf die Bosheit kommt auf die Erde, um alle seine
der Babylonier blicken, wie sie Gefan- Feinde zu unterwerfen, aus seinem
gene mit dem Netz, ja, mit Angel und Reich alle Ärgernisse fortzunehmen
Netz fingen? Sie opferten ihren Götzen und seine herrliche Regierung anzutre-
und wurden fett dabei. Würde es kein ten, wobei er Israel zum Haupt der Na-
Ende geben für ihr Dahinmorden der tionen macht, weil er das Haupt des jü-
Völker? J.E. Evans erklärt: dischen Volkes sein wird.6 In Hebräer
10,37 wird Vers 3 zitiert, und dort wird
Ein Vergleich mit dem Leben eines Fi- aus dem »es« (d.h. das »Gesicht«) ein
schers wird gezogen. Die Menschen wa- »er« (d.h. der Herr), der kommen und
ren wie Fische, die der Fischer in seinem nicht säumen wird. Der neutestament-
Netz sammelt, der dann dem Netz gött- liche Zusammenhang bezieht sich auf

1133
Habakuk 2
2. Habgier und Stolz (2,9-11)
die Hoffnung des Christen – die Ent­
rückung der Gemeinde. Ein zweites Wehe wird über Nebukad-
nezar wegen seiner Habsucht und sei-
C. Der Gerechte wird aus Glauben nes Stolzes ausgesprochen. Er hatte ver-
leben, und die ungerechten Chaldäer sucht, seine Dynastie zu sichern, sodass
werden sterben (2,4) kein Unglück sie treffen sollte; doch
sein unrechter Gewinn und seine
Weil die Seele des Königs von Babylon Grausamkeit würden gegen ihn (um
sich im Stolz erhoben hatte, würde er Rache) schreien.
sterben; aber der gottesfürchtige Über-
rest Israels würde durch Glauben le- 3. Bereicherung durch Blutvergießen
ben. Vers 4b wird dreimal im Neuen (2,12-14)
Testa­ment zitiert. Die drei Teile: »der Das dritte Wehe gegen den König er-
Gerechte« – »wird leben« – »durch geht wegen seiner Gier nach Größe und
Glauben«, passen schön zu dem, was in seiner blutrünstigen Methoden. Die
den Kontexten besonders hervorgeho- Städte Babylons, durch Sklavenarbeit
ben wird: Römer 1,17 betont »den Ge- errichtet, werden am Ende im unersätt-
rechten«, Galater 3,11 betont den »Glau- lichen Feuer verzehrt werden, und die
ben« und Hebräer 10,38 betont das »Le- Erde wird den HERRN als den wahren
ben«. Die buchstäbliche Wiedergabe in Gott anerkennen.
Habakuks Kontext lautet: »Der Ge- Der Tag kommt, an dem der wahre
rechte aber wird durch seinen Glauben Gott weltweit anerkannt wird. Diese
leben.« Das könnte auch mit: »Der herrliche Zeit wird in einem so be-
durch Glauben Gerechtfertigte wird le- rühmten poetischen Vergleich darge-
ben« umschrieben werden. stellt, wie es ihr auch zukommt: »Denn
die Erde wird davon erfüllt sein, die
D. Liste der chaldäischen Sünden Herrlichkeit des HERRN zu erkennen,
(2,5-19) wie die Wasser den Meeresgrund be­
decken« (2,14).
1. Endloser Hunger auf Eroberungen
(2,5-8) 4. Sie verderben ihre Nachbarn (2,15-17)
2,5 Das Weintrinken war eine nationale Das vierte Wehe richtet sich gegen Ne-
Sünde Babylons und zweifellos auch bukadnezar, weil er eine grausame Lust
Nebukadnezars. Keil schreibt, diese daran hat, andere Völker zu verderben,
Sucht sei »von Schreibern des Altertums auch wegen seiner Schamlosigkeit und
bestätigt …, und es ist uns aus Daniel 5 wegen der Zerstörung Jerusalems und
bekannt, dass Babylon erobert wurde, Judas. Nebukadnezar hat sich schuldig
als Belsazar und die Großen seines Rei- gemacht, zwei der Hauptinhalte des
ches ein wildes Gelage abhielten«.7 modernen Fernsehens, der Kinofilme
Dazu kam, dass Letztgenannter einen und der »Literatur« gefördert zu haben,
unstillbaren Eroberungsdurst hatte. nämlich schamloses sexuelles Verhal-
2,6-8 Vers 6 beginnt mit einem Spott- ten (einschließlich vieler Perversionen)
lied, das fünf »Wehe« gegen Babylon und unerhörte Gewalt.
enthält. Das erste Wehe richtet sich ge-
gen die Lust zur Weltherrschaft oder 5. Götzendienst (2,18-19)
zur Aggression. Die vielen von Nebu- Das fünfte und letzte Wehe verurteilt
kadnezar eroberten Völker würden ihn den König wegen des Götzendienstes
wegen seines unrechtmäßig erwor- in Babylon mit ausdrucksstarkem Sar-
benen Gewinns verhöhnen und Ba­ kasmus. Was nützt ein mit Gold oder
bylon unterdrücken und ausplündern, Silber überzogener Götze, wenn über-
wie er es mit ihnen gemacht hatte. haupt kein Odem in ihm ist?

1134
Habakuk 2 und 3
E. Vor dem Sturm des göttlichen
sprechen alle von den Feinden Israels.
Gerichts wird Schweigen auferlegt
So ist z.B. Teman eine große Stadt in
(2,20)
Edom und steht für ganz Idumäa, und
In wunderschöne Musik gefasst, wird Kuschan ist wahrscheinlich dasselbe
dieser Vers in manchen Gemeinden be- wie »Kusch« oder Äthiopien.
nutzt, um die Versammlung zur stillen 3,8-11 In diesen Worten wird Gottes
Beachtung der Predigt zu bringen. Die Kraft hervorgehoben, besonders, wie
Worte eignen sich durchaus dazu, aller- sie sich an den Strömen, an dem Meer
dings besagt der Zusammenhang, dass und an den Bergen zeigt.
der HERR bereitsteht, seine Macht im Vers 11 bezieht sich auf das berühmte
Gericht kundzutun. Aus diesem Grund Ereignis, bei dem der Herr ein mäch-
sollte die ganze Erde vor ihm still sein. tiges Wunder am Himmel bewirkte,
um Josua zu helfen, den Kampf zu ge-
V. Habakuk betet und vertraut winnen (Jos 10,12).
(Kap. 3)8 3,12-15 Hier wird Gott gesehen, wie
er durch das Land Israel zieht und die
A. Er appelliert an Gott, für sein Volk Feinde im Zorn zertritt.
zu handeln (3,1-2) Vers 15 bezieht sich auf den Durch-
Jetzt betet Habakuk zu dem HERRN. Er zug durch das Rote Meer (2. Mose 14).
hatte gehört, wie der Herr in der Ver- »Gewaltige Wasser« standen zu beiden
gangenheit mit den Feinden seines Seiten des Volkes Gottes, als es hin-
Volkes umgegangen ist; nun bittet er durchzog, als sei es trockenes Land.
ihn, sein Werk zu verwirklichen, indem Habakuk sieht Gott, wie er mit seinen
er die Feinde bestraft und sein Volk Pferden durch das Meer zieht.
rettet.
C. Er wartet darauf, dass der Feind
B. Er hält Rückschau auf Gottes bestraft wird (3,16)
Fürsorge für Israel von Ägypten bis Als der Prophet von dem Gericht über
Kanaan (3,3-15) die babylonischen Invasoren hörte, zit-
3,3-7 In einer großartigen Schau von terte er und entschloss sich, ruhig zu
Gottes Souveränität, die Scroggie »eine warten, bis das kommende Ereignis
Ode der Theophanie«9 (ein feierliches eintrifft.
Lied über das Offenbarwerden Gottes)
nennt, beschreibt Habakuk, wie Gott D. Einerlei, was geschieht,
gegen seine Feinde einschreitet, sie er will auf Gott als seine Kraft
durch seine Macht zermalmt und herr- vertrauen (3,17-19)
lich über sie triumphiert. Er spielt auf In der Zwischenzeit war er entschlos-
Strafgerichte gegen Israels Feinde in sen, in dem HERRN zu frohlocken und
der Vergangenheit an, auf das Gericht zu jubeln in dem Gott seines Heils, ei-
über Ägypten zur Zeit des Auszugs, auf nerlei, welche Leiden den Propheten
die Völker, die sich Israel auf dem Weg und sein Volk durch die babylonische
ins Verheißene Land entgegenstellten, Invasion heimsuchen könnten – auch
und auf die Nationen, die durch Josua wenn der Feigenbaum nicht blühen
aus Kanaan vertrieben werden muss- sollte, die Terrassengärten keine Nah-
ten. rung hervorbringen sollten und die
Im ersten Teil des Gebets werden Hürde ohne Schafe sein sollte. Baxter
Gottes Herrlichkeit und sein Glanz ge- ruft aus:
sehen, sowohl im Himmel als auch auf
der Erde. Buchstäblich heißt es: »Ich will springen
Die geografischen Angaben – Teman, vor Freude in dem Herrn; ich will her­
Gebirge Paran, Kuschan und Midian – umwirbeln vor Wonne über Gott.« Hier

1135
Habakuk 3

sehen wir die Fröhlichkeit des Glaubens 4


(1,5-11) Ebd., S. 17.
– die höchste Freude angesichts der 5
(1,12-17) J.E. Evans, nähere Angaben
schlimmsten Umstände! Welch ein Sieg! nicht verfügbar.
Möge er auch uns zuteil werden!10 6
(2,3) A.J. Pollock, nähere Angaben
nicht verfügbar.
7
(2,5) C.F. Keil, »Habakkuk«, in: Bibli­
Anmerkungen cal Commentary on the Old Testament,
1
(Einführung) Charles L. Feinberg, Bd. 25, S. 74-75.
Habakkuk, Zephaniah, Haggai and Ma­ 8
(Kap. 3) Dieses wunderbare Kapitel
lachi, S. 12. wurde von den Juden vertont und in
2
(Einführung) Die meisten Menschen ihren Gottesdiensten verwendet.
betonen die erste Silbe. Im Hebrä­­ 9
(3,3-7) Scroggie, »Habakkuk«, in:
ischen wird die letzte Silbe betont Know Your Bible, Bd. 1, The Old Testa-
(Ha-ba-KUK). ment, S. 196.
3
(Einführung) Feinberg, Habakkuk, 10
(3,17-19) J. Sidlow Baxter, Explore the
S. 11. Book, S. 212.

Bibliografie Keil, C.F.,


»Habakkuk«, in: Biblical Commentary on
De Haan, Richard W., the Old Testament, Bd. 25,
Song in the Night, Grand Rapids: Wm. B. Eerdmans Pub-
Grand Rapids: Radio Bible Class (Bro- lish­ing Company, 1971.
schüre), 1969.
Scroggie, W. Graham,
Feinberg, Charles Lee, »Habakkuk«, in: Know Your Bible, Bd. 1,
Habakkuk, Zephaniah, Haggai and Mala­ The Old Testament,
chi, London: Pickering & Inglis Ltd., o.J.
New York: American Board of Mission
to the Jews, Inc., 1951. Tatford, Frederick A.,
The Minor Prophets, Bd. 3, Nachdruck
Kelly, William, (3 Bde.),
Lectures Introductory to the Study of the Minneapolis: Klock & Klock Christian
Minor Prophets, Publishers, 1982.
London: C.A. Hammond Trust Bible
Depot, o.J.

1136
Zefanja
»Will jemand alle geheimen Offenbarungen der Propheten in einer kurzen
Zusammenfassung haben, so lese er dieses kurze Buch des Zefanja!«

Martin Bucer (1528)

Einführung die zukünftige Aufrichtung des Tausend-


jährigen Reiches blickt.1
I. Einzigartige Stellung im Kanon

Viele Menschen sind interessiert am Le- III. Datierung


ben der Königshäuser und verfolgen
gern, was der Adel macht. Als Urenkel Zefanja tat seinen Dienst während der
des guten Königs Hiskia und daher ent- Regierung Josias (640-609 v.Chr.). Gläu-
fernter Cousin des gerade regierenden bige Gelehrte sind sich uneins darüber,
frommen Königs Josia mag Zefanja ob er vor der großen Erweckung von
zu dieser Gesellschaftsschicht gehört 621 v.Chr. oder nach ihr geschrieben
haben. Traurigerweise lag zwischen hat. Wenn er vorher geschrieben hat, so
den Regierungszeiten dieser beiden ge- wird sicher seine Weissagung zum
rechten Könige mehr als ein halbes geistlichen Erwachen beigetragen ha-
Jahrhundert übler Herrschaft unter ben. Aber mehrere Details, wie etwa die
Amon und Manasse. Möglicherweise Erwähnung des kürzlich wiederent-
hatte Zefanja Zugang zum königlichen deckten Gesetzbuches, würden ein Da-
Hof in der Hauptstadt des Südreiches tum nach 621 nahe legen. Weil Zefanja
Juda. 2,13 zeigt, dass Ninive noch steht, ist
ein Datum vor der Zerstörung der Stadt
II. Verfasserschaft um 612 v.Chr. anzunehmen. So wurde
Wir wissen sehr wenig über Zefanja, das Buch wahrscheinlich zwischen 621
den Sohn Kuschis. Sei Name bedeutet und 612 v.Chr. geschrieben.
Jah (der HERR) verbirgt, d.h. er »schützt«
oder »bewahrt als Schatz«. Seine Ab- IV. Hintergrund und Thema
stammung führt, wie gesagt, auf einen Zefanja weissagte wahrscheinlich von
königlichen Ahnherrn zurück. Er liebte Jerusalem aus (»diesem Ort«; 1,4). Der
es, Dunkelheit gegen Licht und Licht historische Hintergrund zu seiner Weis-
gegen Dunkelheit zu stellen. So zeich- sagung ist in 2Kö 21-23 und in den ers-
net er ein sehr düsteres Bild von dem ten Jeremia-Kapiteln zu finden:
»Tag des HERRN«, doch gibt er auch
helle Ausblicke auf Israels kommende Zefanja sah die drohenden Horden der
Herrlichkeit und auf die Bekehrung der Skythen am Horizont auftauchen, schnell
Heiden zum Herrn. Wie Hewitt aus- und furchtbar in ihren Bewegungen …
führt, ist Zefanja kein Mann vorsich- Die Situation Judas war heikel und
tiger Worte: schwierig; mit seinen geringen Hilfs-
quellen konnte es nicht hoffen, den groß-
Seine Sprache kennt keine Kompromisse. en Mächten widerstehen zu können.
Mit vollkommener Furchtlosigkeit stellt Wenn die größeren Nationen im Norden
er die Sünde bloß und kündigt Gericht und im Süden Judas um die Weltherr-
an; er beendet sein Buch mit einem inspi- schaft rangen, waren die schwächeren
rierenden Lied voller Hoffnung, das auf Völker zwischen ihnen mit betroffen und

1137
Zefanja 1

wurden oft verwüstet. Im Bewusstsein Buches an: Gottes Gericht kommt über
der brodelnden Unruhe ringsumher Juda wegen seines Ungehorsams. An-
wurde Zefanja ein Prediger der Gerech- dere Schlüsselwörter sind »Eifer« und
tigkeit und prangerte die Übel seiner »in deiner Mitte«. Gott ist eifersüchtig
Zeit schonungslos an.2 in dem Sinn, dass er den Götzendienst
seines Volkes übel nimmt. Er ist »in ih-
Zefanja verwendet den Ausdruck »Tag rer Mitte« erstens als gerechter Richter
des HERRN« siebenmal in seinem klei- (3,5) und zweitens als Sieger über Judas
nen Buch. Das gibt das Thema des Feinde (3,15).

Einteilung D. Die Assyrer und besonders die


Stadt Ninive (2,13-15)
I. Gottes Entschlossenheit, Gericht IV. Wehe über Jerusalem (3,1-7)
auszuüben (Kap. 1) A. Widerspenstigkeit,
A. Über die ganze Erde (1,1-3) Ungehor­sam, Unglaube,
B. Über Juda und Jerusalem Unbußfertigkeit (3,1-2)
wegen ihres Götzendienstes B. Habgier der Obersten und
(1,4-6) Richter (3,3)
C. Der Tag des HERRN im Bild C. Leichtfertigkeit und Verrat der
eines Schlachtopfers (1,7-13) Propheten und Tempel­schän­
1. Die Gäste – Judas Feinde dung durch die Priester (3,4)
(1,7) D. Die Gegenwart des HERRN im
2. Die Opfer – die Gottlosen Gericht (3,5-7)
in Juda (1,8-13) V. Trostbotschaft für den treuen
D. Der Schrecken des Tages des Überrest (3,8-20)
HERRN (1,14-18) A. Vernichtung der gottlosen
II. Juda wird zur Buße aufgerufen Heiden (3,8)
(2,1-3) B. Bekehrung der übrigen
III. Der Untergang der Heidenvölker Nationen (3,9)
(2,4-15) C. Wiederherstellung des
A. Die Philister (2,4-7) zerstreuten Israel (3,10-13)
B. Die Moabiter und Ammoniter D. Jubel über das Zweite
(2,8-11) Kommen Christi (3,14-17)
C. Die Kuschiter (2,12) E. Was Gott für sein Volk tun
wird (3,18-20)

Kommentar damit wir von seinem königlichen Ahn-


herrn, dem König Hiskia, wissen.
I. Gottes Entschlossenheit, Das Kapitel als Ganzes beschreibt die
Gericht auszuüben (Kap. 1) Zerstörung des ganzen Landes (oder
der ganzen Erde), und dann besonders
A. Über die ganze Erde (1,1-3) Jerusalems und Judas. Gott will das
ganze Land völlig zur Wüste machen.
Die Propheten nennen gewöhnlich den
Namen ihres Vaters und manchmal B. Über Juda und Jerusalem wegen
auch den ihres Großvaters, denn die des Götzendienstes (1,4-6)
Juden sind sich sehr ihrer Herkunft be- Die Einwohner Judas werden wegen
wusst. Zefanja aber nennt vier Gene­ ihres Götzendienstes bestraft – wegen
rationen seiner Vorfahren – sicherlich, ihres Baalsdienstes, ihrer Sternenan­

1138
Zefanja 1 und 2

betung und weil sie Milkom, den Gott Gott ist eifersüchtig bezüglich der
der Ammoniter, verehren. Zuneigung seines Volkes und wird alle
Rivalen strafen.
C. Der Tag des HERRN im Bild eines
Schlachtopfers (1,7-13) II. Juda wird zur Buße gerufen
(2,1-3)
1. Die Gäste – Judas Feinde (1,7)
Gott fordert die schamlose (o. nicht er-
Der HERR hat ein Schlachtopfer zu­ wünschte) Nation zur Buße auf. Vers 3
bereitet; Juda ist das Opfer, und die scheint auf einen Überrest von ge-
Babylonier sind die geladenen Gäste. rechten Juden hinzuweisen. Wenn sie
den HERRN suchen, werden sie am Tag
2. Die Opfer – die Gottlosen in Juda seines Zornes Bergung finden.
(1,8-13)
Gott wird Juda wegen der götzendiene- III. Der Untergang der
rischen Kleidung und Praktiken seiner Heidenvölker (2,4-15)
Bewohner bestrafen, ferner wegen ihrer
Gewalttaten und ihres Betrugs. Ge- A. Die Philister (2,4-7)
schrei wird von verschiedenen Teilen Die Verse 4 bis 15 sagen den Nationen
der Hauptstadt aufsteigen, so vom das Gericht voraus, die im Westen, Os-
Fischtor, vom zweiten Stadtteil (oder ten, Süden und Norden Israel um­
der Neustadt) und von den Hügeln her, geben. Zuerst kommen die Philister an
wenn die Eindringlinge alles nieder- die Reihe, die mit ihrem anderen Na-
metzeln und plündern. men bezeichnet werden: die Kreter
(Cheretiter). Ihre Städte Gaza, Aschke-
D. Der Schrecken des Tages des lon und Aschdod werden verlassen
HERRN (1,14-18) und verödet sein. Sie werden zugrunde
Hier finden wir das anschaulichste Bild gerichtet, und ihr Land wird von Juda
vom Tag des HERRN in der Bibel; es ist als Weideland benutzt.
der Tag des Zornes Gottes über die
Menschen wegen ihrer Bosheit, und be- B. Die Moabiter und Ammoniter
sonders über die Menschen in Juda. Es (2,8-11)
ist der Tag des Krieges, der Bedrängnis Als Nächstes kommen Moab und Am-
und des Mordens. Ein klassischer latei- mon an die Reihe. Gott hat ihre anma-
nischer Hymnus basiert auf den Versen ßenden Reden und Schmähungen ge-
15 und 16: gen sein Volk gehört. Sie werden ver-
wüstet werden, und der Überrest von
Thomas von Celano schrieb 1250 seine Gottes Volk wird dort wohnen. Vers 11
berühmte Gerichtshymne über Vers 15: weist auf die Verhältnisse im Tausend-
Dies irae, dies illa, was bedeutet: »Ein Tag jährigen Reich hin, wenn der HERR alle
des Zorns ist jener Tag.« Dies ist ein Tag Götter der Erde zunichtegemacht ha-
des Grimms, der Not, der Bedrängnis, ben wird.
des Verwüstens und der Verwüstung
(die Wörter für Verwüsten und Verwüs­ C. Die Kuschiter (2,12)
tung klingen auch im Hebräischen sehr Die Kuschiter (Äthiopier) werden
ähnlich: scho’a und umescho’a, um die Mo- durch Gottes Schwert bestraft (den Kö-
notonie der Zerstörung auszudrücken), nig von Babylon). Einige, wie auch
der Finsternis, der Dunkelheit, des Ge- Feinberg, verbinden die Kuschiter hier
wölks und des Wolkendunkels, des Hör- mit Ägypten:
nerschalls und des Kampfgeschreis, der
sich gegen befestigte Städte und hohe Das Schicksal Äthiopiens war mit dem
Türme richtet.3 von Ägypten verknüpft, das äthio-

1139
Zefanja 2 und 3

pischen Herrscherdynastien unterwor- machten das Heilige gemein. Sie taten


fen war. Man beachte dazu Jeremia 46,9 dem Gesetz Gewalt an, indem sie dessen
und He­sekiel 30,5.9. Somit besteht Grund klare Absicht und Bedeutung ver-
anzunehmen, dass unter dem Begriff drehten, wenn sie das Volk lehrten.5
»Kuschiter« Ägypten selbst zu verstehen
ist.4 D. Die Gegenwart des HERRN im
Gericht (3,5-7)
D. Die Assyrer und besonders die Trotz all ihrer Sünde und Verdorben-
Stadt Ninive (2,13-15) heit ist der HERR in ihrer Mitte und
Nebukadnezar wird auch Assyrien zer- richtet in Gerechtigkeit. Er hat andere
stören. Ninive wird eine Zuflucht für Völker bestraft und meinte, das würde
allerlei Wildtiere und Vögel sein, und Juda sicher dazu bringen, ihn zu fürch-
jeder, der vorübergeht, wird verächt- ten; aber das Volk wurde immer ver-
lich zischen und höhnisch seine Hand dorbener.
schwenken (oder die Faust schütteln).
V. Trostbotschaft für den treuen
IV. Wehe über Jerusalem (3,1-7) Überrest (3,8-20)
A. Widerspenstigkeit, Ungehorsam, A. Vernichtung der gottlosen Heiden
Unglaube, Unbußfertigkeit (3,1-2) (3,8)
Die Stadt Jerusalem, als Frau dar­
gestellt, wird verurteilt als widerspen- Der treue Überrest von Juda wird er-
stig, befleckt und gewalttätig. Sie war mahnt, auf Gott zu warten, bis er alle
un­gehorsam und hat nicht auf den seine Feinde mit dem Feuer seines
HERRN vertraut und sich nicht ihrem Eifers verzehrt hat.6
Gott genaht.
B. Bekehrung der übrigen Nationen
B. Habgier der Obersten und Richter (3,9)
(3,3) Die »reinen Lippen« von Vers 9 meinen
Ihre Fürsten und Obersten sind wie wahrscheinlich nicht eine universale
brüllende Löwen, und ihre Richter sind Sprache, sondern vielmehr Lippen, die
so gierig wie Wölfe am Abend. nicht durch Götzendienst verunreinigt
sind, oder eine Sprache, die nur noch
C. Leichtfertigkeit und Verrat der den HERRN preisen kann. Alle Völker
Propheten und Tempelschändung werden einmütig den HERRN anrufen
durch die Priester (3,4) und ihm dienen.
Ihre Propheten sind treulos und ihre
Priester gottlos. Feinberg sagt dazu: C. Wiederherstellung des zerstreuten
Israel (3,10-13)
In Vers 4 finden wir die einzige Anklage An jenem Tag des Tausendjährigen Rei-
gegen die Propheten in diesem Buch. Sie ches werden die Heiden die zerstreuten
hatten sich der Leichtfertigkeit schuldig Juden als eine Opfergabe für den Herrn
gemacht und scherzten über die gewich- ins Land zurückbringen. Gottlose Men-
tigsten Dinge. Es gab weder Ernsthaftig- schen, die hochmütig prahlen, werden
keit noch Standhaftigkeit in ihrem Leben aus Juda vertilgt, und darum gibt es für
und Lehren. Sie waren Verräter, weil sie den gläubigen Überrest in Israel keinen
dem untreu waren, den zu repräsentie- Grund mehr, sich zu fürchten. Diejeni-
ren sie vorgaben. Sie ermunterten statt- gen, die übrig bleiben, werden demütig
dessen das Volk in seinem Abfall von und gering sein und auf den Namen
Gott. Durch ihr unheiliges Handeln ent- des HERRN vertrauen und kein Un-
weihten [die Priester] das Heiligtum; sie recht mehr tun.

1140
Zefanja 3

D. Jubel über das Zweite Kommen E. Was Gott für sein Volk tun wird
Christi (3,14-17) (3,18-20)

Die Verse 14 bis 20 sind das Lied des Weil das Gericht für das Volk so nahe
wiederhergestellten Israel, das den bevorstand, beschließt der HERR die
HERRN wegen seiner machtvollen Be- Weissagung mit einer starken Verhei-
freiung preist und seiner Liebe zu den ßung, dass der gläubige Überrest eine
Seinen feierlich gedenkt. Die Tochter völlige Wende seines Geschicks erleben
Zion hat allen Grund, zu jubeln, zu wird. Statt der Schmach und Trauer
jauchzen und sich zu freuen! Nicht nur über die Abwesenheit von den Festver-
sind ihre Feinde vertrieben, sondern sammlungen, werden die Verbannten
der Messias-König, der HERR selbst, ist Ruhm und Ehre empfangen in jedem
in ihrer Mitte. Es besteht kein Grund Land, wo sie schändlich behandelt wor-
mehr, schwach oder ängstlich zu sein, den waren.
weil Gott, der starke Held, sie in seiner
Liebe zur Ruhe kommen lässt.

Anmerkungen 4
(2,12) Ebd., S. 59.
5
(3,4) Ebd., S. 64.
1
(Einführung) J.B. Hewitt, Outline 6
(3,8) Zefanja 3,8 ist der einzige Vers
Studies in the Minor Prophets, S. 45. im Originaltext des Alten Testa-
2
(Einführung) Ebd., S.44. ments, der alle Buchstaben des he-
3
(1,14-18) Charles Lee Feinberg, bräischen Alphabets enthält.
Habak­kuk, Zephaniah, Haggai, Malachi,
S. 50.

Bibliografie Kelly, William,


Lectures Introductory to the Study of the
Feinberg, Charles Lee, Minor Prophets,
Habakkuk, Zephaniah, Haggai and Ma­ London: C.A. Hammond Trust Bible
lachi, Depot, o.J.
New York: American Board of Mission
to the Jews, Inc., 1951. Morgan, G. Campbell,
The Minor Prophets,
Feinberg, Charles Lee, Old Tappan: Fleming H. Revell Compa-
The Minor Prophets, ny, 1960.
Chicago: Moody Press, 1976.
Tatford, Frederick A.,
Hewitt, J.B., The Minor Prophets, Bd. 3, Nachdruck
Outline Studies in the Minor Prophets, (3 Bde.),
West Glamorgan: Precious Seed Publi- Minneapolis: Klock & Klock Christian
cations, o.J. Publishers, 1982.

Keil, C.F.,
»Zephaniah«,
in: Biblical Commentary on the Old Testa­
ment, Bd. 26,
Grand Rapids: Wm. B. Eerdmans Pub-
lish­ing Co., 1971.

1141
Haggai
»Wenigen Propheten gelang es, in einen so kleinen Umfang
so viel geistlichen Realitätssinn einzufangen wie Haggai.«

Frank E. Gaebelein

Einführung Haggai ist der erste von drei Prophe-


ten, die nach der Rückkehr aus Babylon
I. Einzigartige Stellung im Kanon ihren Dienst taten, zusammen mit
Sacharja und Maleachi. Esra erwähnt
Die einzige Grundaussage dieses zweit- Haggai in 5,1 und 6,14; aber was wir
kürzesten Buches des Alten Testaments über sein Leben wissen, ist so gut wie
lautet schlicht: Baut den Tempel wieder nichts. Dies richtet unseren Blick auf
auf! Der nach Palästina zum Wieder- die Bedeutung der Botschaft und auf
aufbau zurückgekehrte Überrest hatte Gott, der den Propheten gesandt hatte,
das Werk sechzehn Jahre lang ruhen ganz im Gegensatz zu der modernen
lassen, und so wurde Haggai beauf- (und zugleich uralten) Tendenz, den
tragt, die trägen Juden zu ermahnen, Prediger zu verherrlichen.1
dass sie wieder ans Werk gehen sollten.
Darüber hinaus enthält Haggais Bot- III. Datierung
schaft auch Gerichtsandrohungen ge- Das Buch Haggai kann sehr genau auf
gen die gottlosen Völker. Auch spricht das Jahr 520 v.Chr. datiert werden. Es war
er über die künftige Herrlichkeit des »im zweiten Jahr des Darius« (Darius I.).
Volkes Gottes.
IV. Hintergrund und Thema
II. Verfasserschaft Als nachexilischer Prophet kehrte Hag-
Haggai wurde vielleicht an einem jü- gai mit der von Serubbabel angeführten
dischen Feiertag geboren, denn sein ersten Gruppe aus Babylon ins Land Is-
Name bedeutet »der Festliche«. Er ist rael zurück. Sein Dienst bestand darin,
die einzige Person im ganzen Alten Tes- das Volk zu ermuntern, den Tempel
tament, die diesen Namen trägt. Viel- wieder aufzubauen (Esra 5,1).
leicht wurde er auch von gläubigen El- Der Schlüsselausdruck ist: »Ich bin mit
tern in der Erwartung einer künftigen euch, spricht der HERR« (1,13; 2,4). Ande-
freudigen Wiederherstellung so ge- re bezeichnende Ausdrücke sind: »Rich-
nannt; denn höchstwahrscheinlich wur- tet euer Herz auf eure Wege / die Zeit!«
de er in der Verbannung geboren. (1,5.7; 2,15.18), und: »Seid stark!« (2,4).

Einteilung C. Ermutigt durch Haggai nimmt


das Volk die Arbeit am Tempel
I. Erste Weissagung – erster Tag des wieder auf (1,12-15)
sechsten Monats (Kap. 1) II. Zweite Weissagung
A. Tadel wegen der – einundzwanzigster Tag des
Vernachlässigung des siebten Monats (2,1-9)
Tempelbaus (1,1-4) A. Wieder ermutigt der Prophet
B. Die Unterlassung des das Volk mit der Versicherung
Wiederaufbaus führte zu der Gegenwart des HERRN
Mangel und Dürre (1,5-11) (2,1-5)

1143
Haggai 1 und 2

B. Die Herrlichkeit des künftigen C. Wenn das Volk die Arbeit am


Tempels wird die des Tempel wieder aufnähme,
vergangenen übertreffen (2,6-9) würde der HERR es segnen
III. Dritte Weissagung (2,18-19)
– vierundzwanzigster Tag des IV. Vierte Weissagung
neunten Monats (2,10-19) – vierundzwanzigster Tag des
A. Auf dem Altar dargebrachte neunten Monats (2,20-23)
Opfer waren so lange unrein, Das Volk wird ermuntert durch
wie der Tempel in Trümmern die Verheißung des Niedergangs
lag (2,10-14) der heidnischen Reiche und der
B. Vor der Grundsteinlegung des Errichtung der Herrschaft des
Tempels litt das Volk Mangel Messias
(2,15-17)

Kommentar II. Zweite Weissagung


– einundzwanzigster Tag des
I. Erste Weissagung – erster Tag siebten Monats (2,1-9)
des sechsten Monats (Kap. 1)
A. Wieder ermutigt der Prophet
A. Tadel wegen der Vernachlässigung das Volk mit der Versicherung der
des Tempelbaus (1,1-4) Gegenwart des HERRN (2,1-5)

Diese Weissagung wird in das zweite Ungefähr einen Monat später, im sieb-
Jahr des Königs Darius datiert. Der ten Monat, war das Volk wegen des
HERR rügt das Volk von Juda, weil es neuen Gebäudes entmutigt, als es an
den Wiederaufbau des Tempels ein­ die Herrlichkeit des früheren Tempels
gestellt hatte, während es selbst be- dachte. Den Führern wird gesagt: »Seid
quem in seinen getäfelten Häusern stark!« Sie sollen sich nicht fürchten,
wohnte. weil Gottes Geist in ihrer Mitte bleiben
wird.
B. Unterlassung des Wiederaufbaus
führte zu Mangel und Dürre (1,5-11) B. Die Herrlichkeit des künftigen
Die Bewohner Judas hätten durch ihre Tempels wird die des vergangenen
jüngste Geschichte gewarnt sein sollen. übertreffen (2,6-9)
Wenn sie das Haus Gottes vernachlässig­ Gott ermutigt die Führer mit der Ver­
ten, erlitten sie Hunger, Durst und Ar- sicherung, dass die Herrlichkeit des zu-
mut. Nun befahl ihnen der HERR, mit künftigen Tempels (im Tausendjährigen
der Arbeit am Tempel zu beginnen. So- Reich) größer als die seiner Vorgänger
lange Gottes Haus in Trümmern lag, sein werde. »Das Ersehnte aller Natio-
hätten sie nichts als Dürre zu erwarten. nen« (Elb) wird oft auf den Messias und
seine Rückkehr zum Tempel gedeutet;
C. Ermutigt durch Haggai nimmt das aber der Kontext legt nahe, dass es sich
Volk die Arbeit am Tempel wieder wohl um die Kostbarkeiten und Schät-
auf (1,12-15) ze der Nationen handelt (s. ER: »die
Serubbabel, der Statthalter von Juda, Kostbarkeiten aller Nationen«). Ihr Sil-
und Jeschua, der Hohepriester, hörten ber und Gold wird nach Jerusalem flie-
zusammen mit dem ganzen Überrest ßen, um den Tempel zu verschönern.
des Volkes auf das Wort des HERRN Vers 9 sagt: »Größer wird die Herrlich-
und begannen mit dem Wiederaufbau keit dieses künftigen Hauses sein als
23 Tage nach der Anweisung. die des früheren …«, nach anderen

1144
Haggai 2

Übersetzungen: »Die letzte Herrlichkeit rein war, wie der Tempel in Trümmern
dieses Hauses wird größer sein als die lag.
erste«; die zwei Tempel werden hier als
ein Haus betrachtet. Außer der Herr- B. Vor der Grundsteinlegung des
lichkeit wird für jene zukünftige Zeit Tempels litt das Volk Mangel (2,15-17)
auch Frieden verheißen. Bevor die Juden mit dem Bauen begon-
nen hatten, erlebten sie Mangel an Ge-
III. Dritte Weissagung treide und Wein, und ihre Ernten litten
– vierundzwanzigster Tag des unter Getreidebrand, Vergilben und
neunten Monats (2,10-19) Hagel. Ja, bis zu diesem Tag brachte ihr
lang anhaltendes Zögern beim Wieder-
A. Auf dem Altar dargebrachte aufbau als Züchtigung von Gott Not
Opfer waren so lange unrein, wie der und Entbehrung.
Tempel in Trümmern lag (2,10-14)
Die dritte Weissagung wurde am vier- C. Wenn das Volk die Arbeit am
undzwanzigsten Tag des neunten Mo- Tempel wieder aufnähme, würde der
nats gegeben. Dem Volk wurde befoh- HERR es segnen (2,18-19)
len, den Priestern zwei Fragen zu stel- Aber von dem Tag an, da die Juden den
len: 1) Wenn jemand heiliges Fleisch im Grundstein des Tempels des HERRN
Zipfel seines Kleides trägt und mit dem legen würden, wollte Gott sie segnen.
Zipfel andere Speisen berührt, werden
diese Speisen dadurch heilig? Die Pries- IV. Vierte Weissagung
ter antworteten zu Recht mit »Nein«. – vierundzwanzigster Tag des
2) Wenn jemand, der durch das Berüh- neunten Monats (2,20-23)
ren einer Leiche unrein wurde, alle die-
se Speisen berührte, würden diese un- Das Volk wird ermuntert durch
rein werden? Die Priester antworteten die Verheißung des Niedergangs
zu Recht mit »Ja«. der heidnischen Reiche und der
Mit anderen Worten: »Wer heilig ist, Errichtung der Herrschaft des
teilt diese Heiligkeit niemand anderem Messias
mit; aber ein Verunreinigter gibt seine Serubbabel ist hier ein Bild für den
Unreinheit weiter.«2 Oder, um es noch Herrn Jesus Christus. Gott wird die
anders zu sagen: »Arbeit und Anbetung heidnischen Reiche dieser Welt umstür-
heiligen keine Sünde; aber Sünde ver- zen und zerstören und das Tausendjäh-
unreinigt Arbeit und Anbetung.«3 Das rige Reich Christi aufrichten. Der Sie-
sollte das Volk daran erinnern, dass sei- gelring weist darauf hin, dass der Mes-
ne Gott dargebrachten Opfer befleckt sias von Gott die Vollmacht zur Herr-
waren und dass es selbst so lange un- schaft übertragen bekommt.

Anmerkungen men: »die Feier zu Ehren des


Wurmes«.
1
(Einführung) Dr. Howard Hendricks 2
(2,10-14) William Kelly, Lectures In­
hat einen aussagekräftigen Ausdruck troductory to the Study of the Minor
für diese nur allzu häufige Neigung Prophets, S. 437.
geprägt, über erfolgreiche Kanzel­ 3
(2,10-14) Donald Campbell, nähere
redner nach der Predigt zu schwär- Angaben nicht verfügbar.

1145
Haggai

Bibliografie Keil C.F.,


»Haggai«, in: Biblical Commentary on the
Baldwin, Joyce G., Old Testament, Bd. 26,
Haggai, Zechariah, Malachi: An Introduc­ Grand Rapids: Wm. B. Eerdmans Pub-
tion and Commentary, The Tyndale Old lish­ing Company, 1971.
Testament Commentaries,
Downers Grove: InterVarsity Press, 1972. Tatford, Frederick A.,
The Minor Prophets, Bd. 3, Nachdruck
Feinberg, Charles Lee, (3 Bde.),
The Minor Prophets, Minneapolis: Klock & Klock Christian
Chicago: Moody Press, 1976. Publishers, 1982.

Kelly, William,
Lectures Introductory to the Study of the
Minor Prophets,
London: C.A. Hammond Trust Bible
Depot, o.J.

1146
Sacharja
»Die Weissagung des Sacharja ist außerordentlich kostbar für den Christen,
weil sie in einzigartiger Weise auf den Messias ausgerichtet ist und
weil sie einen umfassenden Ausblick auf die mit dem Ersten und
vor allem mit dem Zweiten Kommen Christi verbundenen Ereignisse und
die darauffolgende Wiederherstellung des Volkes Israel im Tausendjährigen Reich bietet.«

Merrill F. Unger

Einführung scheinlich viel später als die datierten


Teile.
I. Einzigartige Stellung im Kanon
III. Datierung
Das 1. Buch Mose, die Psalmen und Sacharja begann seine Weissagungen
Jesaja sind die am häufigsten zitierten im Jahr 520 v.Chr., im selben Jahr, in
AT-Bücher im Neuen Testament, was dem Haggai seinen Dienst tat; aber er
angesichts ihres Umfangs und ihres be- setzte ihn mindestens drei Jahre lang
deutungsvollen Inhalts nicht über- fort.
rascht. Die meisten aber werden er-
staunt sein, wenn sie hören, dass IV. Hintergrund und Thema
Sacharja mit seinen nur vierzehn Kapi- Sacharja war der Sohn Berechjas. Wie
teln ungefähr vierzigmal im Neuen Tes- Haggai war er ein Prophet für die­
tament zitiert wird. Zweifellos ist dies jenigen Menschen von Juda, die aus
in erster Linie der Tatsache zu verdan- dem Land der Gefangenschaft heim­
ken, dass dieses Buch so messianisch ist gekehrt waren. Zusammen mit Haggai
und mehr auf Christus ausgerichtet ist er­mutig­te er sie, den Tempel wieder
als die anderen Kleinen Propheten. aufzu­bauen (Esra 5,1). Sacharjas Weis-
Sacharjas fesselnde symbolische Vi­­sio­ sagung begann zwischen der zweiten
nen, dazu seine Botschaften und Offen- und der dritten Botschaft Haggais.
barungen verstärken noch die Bedeu- In acht Visionen mit einer höchst
tung und Aussagekraft dieses Buches. symbolträchtigen Sprache sagt er den
Sturz der heidnischen Weltmächte vor-
II. Verfasserschaft aus, außerdem das Gericht über die ab-
Im Alten Testament gibt es ungefähr gefallenen Juden wegen ihrer Verwer-
dreißig Männer, die Sacharja heißen fung Christi, die Reinigung, Wiederher-
(»der HERR gedenkt«). Es ist derselbe stellung und Verherrlichung eines
Name, der im neutestamentlichen Grie- Überrests und das zukünftige Wohler-
chisch mit »Zacharias« wiedergegeben gehen Jerusalems. Die ersten fünf Vi­
wird. sionen sind Botschaften der Gnade; die
Dieser Prophet und Priester wurde letzten drei solche des Gerichts.
wahrscheinlich in Babylon während der Sacharjas bemerkenswerte Weis­
Verbannung geboren. Nehemia erwähnt sagun­gen über den Messias sagen sei-
seine Ankunft in Jerusalem (12,4.16), nen Einzug in Jerusalem voraus (9,9),
und Esra erwähnt seinen Dienst (5,1; außerdem seinen Verrat für dreißig Sil-
6,14). Sacharja führte den kurzen öffent- berschekel (11,12-13), seinen Tod als der
lichen Dienst des älteren Haggai fort, geschlagene Hirte (13,7), sein nochma-
um den Überrest zu ermutigen. liges Kommen zum Ölberg (14,4) und
Sacharja hatte eine lange Dienstzeit seine Herrschaft als Hoherpriester und
und schrieb die Kapitel 9 bis 14 wahr- König im Tausendjährigen Reich (14,9).

1147
Sacharja

Während sich viele Weissagungen ließen oder erfüllten, gibt es auch viele,
zur Zeit Sacharjas teilweise anwenden die noch zukünftig sind.

Einteilung F. Das Eingreifen des HERRN


zum Schutz seines Volkes
I. Aufruf zu Buße und Gehorsam (9,14-17)
und Mahnung, aus den Fehlern G. Das Volk wird ermahnt, den
der Väter zu lernen (1,1-6) Herrn – und nicht die Götzen –
II. Eine Reihe von acht Visionen, die um Regen zu bitten (10,1-2)
bestimmt waren, das Volk zum H. Gott wird die Führer Israels
Wiederaufbau des Tempels zu strafen, den Messias erwecken
ermutigen (1,7 - 6,8) und dem Volk Sieg geben
A. Der Mann, der auf dem roten (10,3-5)
Pferd reitet (1,7-17) I. Israel und Juda werden
B. Vier Hörner und vier gesammelt und
Handwerker (2,1-4) wiederhergestellt (10,6-12)
C. Der Mann mit der Messschnur J. Untreue Führer werden
(2,5-17) bestraft (11,1-3)
D. Joschua, der Hohepriester K. Der Messias wird der wahre
(Kap. 3) Hirte der Herde (11,4-8a)
E. Der Leuchter aus Gold und die L. Der Messias wird von seinem
beiden Ölbäume (Kap. 4) Volk verworfen (11,8b-14)
F. Die fliegende Schriftrolle (5,1-4) M. Gott überliefert es dem Götzen-
G. Die Frau im Efa (5,5-11) Hirten (dem Antichristen)
H. Die vier Wagen (6,1-8) (11,15-17)
III. Joschua wird als Hoherpriester VI. Der zweite Ausspruch (oder Last),
gekrönt (6,9-15) der das Zweite Kommen des
IV. Juden aus Bethel fragen, ob sie das Messias betont (Kap. 12-14)
Fasten fortsetzen sollen (Kap. 7-8) A. Jerusalem wird zur Quelle
A. Die Frage wegen des Fastens der Bedrängnis für die
(7,1-3) Heidenvölker (12,1-3)
B. Erste Botschaft (7,4-7) B. Der Herr wird die Feinde
C. Zweite Botschaft (7,8-14) Judas vernichten (12,4)
D. Dritte Botschaft (8,1-17) C. Die Juden werden Gott als ihre
E. Vierte Botschaft (8,18-23) Stärke anerkennen (12,5)
V. Der erste Ausspruch (oder Last), D. Die nicht in Jerusalem
der das Erste Kommen des Messias wohnenden Judäer werden die
betont (Kap. 9-11) Feinde vernichten und als Erste
A. Die Heidenvölker werden den Sieg erringen (12,6-9)
gerichtet (9,1-8) E. Das Volk wird über die
B. Das Erste Kommen des Verwerfung des Messias
Messias nach Zion (9,9) trauern (12,10-14)
C. Entwaffnung und universaler F. Vorsorge für die Reinigung
Friede beim Zweiten Kommen von der Sünde wird getroffen
Christi (9,10) (13,1)
D. Rückkehr der Gefangenen aus G. Götzen und falsche Propheten
dem Exil nach Jerusalem werden ausgerottet (13,2-6)
(9,11-12) H. Der Messias wird geschlagen
E. Triumph des ganzen Israel und Israel zerstreut werden
über Griechenland (9,13) (13,7)

1148
Sacharja 1

I. Ein Überrest des Volkes wird P. Jerusalem wird bewohnt und


zum Herrn umkehren (13,8-9) sicher sein (14,11)
J. Die Heiden werden sich gegen Q. Plagen und Schrecken werden
Jerusalem versammeln (14,1-2) die heidnischen Feinde
K. Der Herr selbst wird eingreifen überkommen (14,12-15)
(14,3-5) R. Überlebende aus den Heiden
L. Kosmische Veränderungen werden in Jerusalem anbeten
bei Wetter und Beleuchtung oder mit einer Plage bestraft
(14,6-7) werden (14,16-19)
M. Der Strom lebendigen Wassers S. Selbst gewöhnliche
(14,8) Gebrauchsgegenstände werden
N. Christus wird als König dem HERRN heilig sein, und
regieren (14,9) Händler wird es im Haus des
O. Geografische Veränderungen HERRN nicht mehr geben
im Land (14,10) (14,20-21)

Kommentar A. Der Mann, der auf dem roten Pferd


reitet (1,7-17)
I. Aufruf zu Buße und Gehorsam
und Mahnung, aus den Fehlern Bedeutung: Gott gefällt es nicht, dass die
der Väter zu lernen (1,1-6) Heiden in Ruhe leben, während sein
Volk leidet. Er will die Heidenvölker
Die ersten sechs Verse stellen eine Ein- bestrafen und sein Volk wiederherstel-
führung dar. Sie enthalten eine Bot- len.
schaft des HERRN durch Sacharja, den 1,7-11 In Vers 7 beginnt der Prophet
Sohn Berechjas, an das Volk, in der es mit einer Reihe von acht Visionen. In
gedrängt wird, zu dem Herrn umzu- der ersten Vision wird der Herr (der
kehren. Vers 3 ist der Schlüsselvers zu Mann auf dem roten Pferd, vgl. der
dem Buch: »So spricht der HERR der »Engel des HERRN« in Vers 11) mit sei-
Heerscharen: Kehrt um zu mir! spricht nen Bevollmächtigten (wahrscheinlich
der HERR der Heerscharen, und ich Engel) gesehen, die die Erde durchstrei-
werde mich zu euch umkehren, spricht fen auf roten, hellroten und weißen
der HERR der Heerscharen.« Er mahnt Pferden. Die Myrten im Talgrund oder
das Volk, aus den Fehlern der Väter zu der Niederung stellen Israel unter heid-
lernen, die sich geweigert hatten, auf nischer Unterjochung dar. Als der Pro-
die früheren Propheten, wie Jesaja, Je- phet nach der Bedeutung der Reiter
remia oder Hosea, zu hören. Gericht fragt, verspricht ihm ein auslegender
kam über das Volk, wie der Herr an­ Engel, es ihm zu erklären; aber der Herr
gedroht hatte, und die Juden verstan- (der Mann, der unter den Myrten hält)
den, dass der HERR sie wegen ihrer antwortet, ihre Aufgabe sei es, die Erde
bösen Wege so behandelte. zu durchstreifen. Diese Streifen berich-
ten dem Herrn, dass die ganze Erde still
II. Eine Reihe von acht Visionen, und ruhig ist. Wahrscheinlich meinen
die geeignet sind, das Volk zum sie damit die heidnischen Völker, be-
Wiederaufbau des Tempels zu sonders Babylon. Sie fühlen sich wohl,
ermutigen (1,7 - 6,8) während Gottes Volk unterdrückt
Sacharja beginnt sein Buch mit einem wird.
prophetischen Panorama von seiner ei- 1,12-17 Der Engel des HERRN tritt
genen Zeit bis zum Tausendjährigen fürbittend bei dem HERRN der Heer-
Reich. scharen für Jerusalem und Juda ein, die

1149
Sacharja 1 und 2

nun seit siebzig Jahren verwüstet sind. allgemeine Wahrheit klar zum Ausdruck,
Nachdem er eine ermunternde Antwort dass jede böse Macht, die gegen das Volk
erhalten hat, sagt der auslegende Engel Gottes aufsteht, am Ende besiegt und
dem Propheten, er solle verkünden, gerichtet wird.2
dass Gott sich für sein Volk einsetzen
werde. Die Heidenvölker hatten durch C. Der Mann mit der Messschnur
ihre Grausamkeit gegen Juda Gottes (2,5-17)
Zorn erregt. Gott wird sich Jerusalem Bedeutung: Zukünftiger Wohlstand, Be-
wieder zuwenden, und der Tempel völkerungswachstum und Sicherheit
wird wieder errichtet werden. Die für Jerusalem.
Messschnur spricht hier von Wieder- 2,5-9 Die dritte Vision zeigt einen
aufbau, während sie in 2Kö 21,13 Zer- Mann mit einer Messschnur. Als der
störung signalisiert. Der Prophet sollte Prophet ihn fragte, wohin er gehe, ant-
dem Volk sagen, dass Gott die Städte wortete dieser, er gehe, um Jerusalem
Judas blühen lassen, Zion trösten und zu messen, d.h. die Stadt würde wieder
Jerusalem wieder erwählen wird. aufgebaut. Der auslegende Engel trifft
einen anderen Engel, der ihm sagt, er
B. Vier Hörner und vier Handwerker solle dem jungen Mann (entweder Sa-
(2,1-4) charja oder dem Mann mit der Mess-
Bedeutung: Zerstörung von vier heid- schnur) versichern, dass Jerusalem wie-
nischen Weltreichen. der dicht besiedelt sein würde und dass
Die gänzliche Erfüllung dieser zwei- die Stadt keine Mauern braucht, weil
ten Vision ist noch zukünftig. In den der HERR sie beschützen wird. Dies
vier Hörnern sieht man die vier Natio- bezieht sich letztlich natürlich auf das
nen, die Juda, Israel und Jerusalem zer- Jerusalem während der tausendjäh-
streut haben, mit anderen Worten, die rigen Herrschaft Christi.
vier heidnischen Weltreiche Babylon, 2,10-16 Hier werden die im Exil ver-
Medo-Persien, Griechenland und Rom.1 bliebenen jüdischen Gefangenen auf­
Die vier Handwerker werden nicht nä- gefordert, aus dem Land des Nordens
her identifiziert; sie sind aber offen- nach Jerusalem zurückzukehren. (Ob-
sichtlich die Werkzeuge, die Gott er- wohl Babylon nordöstlich von Jeru­
weckte, um die heidnischen Mächte zu salem liegt, würden die Gefangenen
zerstören, die Juda zerstreut haben. über die Strecke entlang des »Frucht-
G. Coleman Luck erklärt: baren Halbmondes« kommen und so-
mit von Norden her das Land Israel be-
Wer sind diese vier Bevollmächtigten treten.) Auch dies wird eine Er­füllung
Gottes? Man hat gemeint, sie seien die finden, nachdem »die Herrlichkeit« sich
vier Gerichte, die in Hesekiel 14,21 und offenbart und etabliert hat, d.h. nach
Offenbarung 6,1-8 erwähnt werden. Die- dem Zweiten Kommen Chris­ti. Gott
se sind Krieg, Hunger, wilde Tiere und wird die Feinde seines Volkes strafen,
die Pest. Eine andere Vermutung, die weil sein Volk für ihn wie sein Augapfel
wahrscheinlicher ist, sieht in ihnen die ist. Jubel wird ausbrechen, wenn Chris-
Repräsentanten der aufeinanderfolgen­ tus zu dem Tempel des Tausendjährigen
den Mächte, die die in der vorigen Vision Reiches kommt, und die Heidenvölker
gezeigten vier Reiche besiegen. Medo- werden sich ihm an jenem Tag anschlie-
Persien besiegte ja Babylon, Griechen- ßen. Der Ausdruck »Heiliges Land« für
land besiegte Medo-Persien, Rom be- Palästina findet sich in der ganzen Bibel
siegte Griechenland, und das wieder er- nur hier.
standene römische Reich der letzten Tage 2,17 Allem Fleisch wird geboten zu
wird von dem großen messianischen schweigen, wenn der HERR sich auf-
Reich besiegt. Auf jeden Fall kommt die macht, um die Nationen zu strafen.

1150
Sacharja 3 und 4

D. Joschua, der Hohepriester (Kap. 3) ches, erfüllt mit seinem Geist; denn wir
lesen im Zusammenhang damit: »Ich …
Bedeutung: Die Priesterschaft, die das will die Schuld dieses Landes entfernen
Volk vertritt, wird gereinigt und wieder an einem Tag.« Gaebelein spricht von
eingesetzt. dem wiederhergestellten Israel als von
3,1-3 Joschua, der Hohepriester, war dem »Kern des Reiches Gottes«.4
mit schmutzigen Kleidern gekleidet. Er 3,10 Das Kapitel schließt mit einem
ist ein Bild für die Priesterschaft als Re- zu Recht berühmten Ausblick auf die
präsentanten Israels. Satan (hebr. für friedvolle Art des ländlichen Lebens im
»Widersacher, Ankläger«) verklagte Is­ Tausendjährigen Reich: »An jenem Tag,
rael, es sei nicht würdig, seine priester- spricht der HERR der Heerscharen,
lichen Aufgaben zu erfüllen. Gott antwor- werdet ihr einer den anderen einladen
tet dem Satan, dass er das Volk wie einen unter den Weinstock und unter den
Holzscheit aus dem Feuer gerissen (d.h. Feigenbaum.«
aus der Gefangenschaft geführt) hat.
3,4-7 Der Engel verheißt, dass das E. Der goldene Leuchter und die zwei
Volk gereinigt und mit Feierkleidern Ölbäume (Kap. 4)
angetan werden wird. Auf Sacharjas Bedeutung: Israel, Gottes Lichtträger,
Bitte hin wird Joschua ein reiner Kopf- wird durch den Geist Gottes (dar­
bund aufs Haupt gesetzt, und er wird gestellt durch das Öl) den Tempel wie-
eingekleidet, während der Engel des der aufbauen.
HERRN dabeisteht. Wenn das Volk treu 4,1-6 Die fünfte Vision beschreibt ei-
ist und dem Herrn gehorcht, wird es nen Leuchter, ganz aus Gold, neben
das Haus Gottes verwalten und seine dem zwei Ölbäume stehen. Es scheint,
Vorhöfe beaufsichtigen und unter den als ob der Leuchter einen Fuß hatte, aus
dort Stehenden Zutritt bekommen. dem ein Schaft emporstieg. Oben auf
3,8-9 Joschua und seine Mitpriester dem Schaft war ein Gefäß, das als Öl­
waren ein wunderbares Zeichen (»Män- behälter diente. Aus dem Schaft führten
ner des Wunders«, d.h. Männer, die ein sieben Röhren aufwärts zu sieben klei-
Zeichen sind). Unger führt aus: nen Öllampen, die sich oben auf dem
Schaft befanden. An jeder Seite des gol-
… Männer mit prophetischer Vorbedeu- denen Leuchters stand ein Ölbaum, der
tung, die in ihrer Amtsstellung kommen- offensichtlich das Gefäß des goldenen
de Ereignisse vorschatten … Durch Leuchters direkt mit Öl versorgte, das
Christus wird Israel erlöst und wieder- durch die Röhren aus dem Gefäß dann
hergestellt und als hohepriesterliche Na- zu den sieben Lampen floss.
tion eingesetzt werden, wofür Joschua Der goldene Leuchter könnte mög­
und die mit ihm verbundenen Priester licherweise ein Bild für Israel als Gottes
ein Bild sind.3 Zeuge in der Welt sein. Es kann seine
Aufgabe als Licht in der Welt nur durch
In Vers 8 wird von Christus als von das Öl, d.h. durch den Heiligen Geist
»meinem Knecht, Spross genannt« ge- erfüllen. Die nächstliegende Auslegung
sprochen. In Vers 9 ist von ihm als von der Vision ist, dass der Tempel nicht
einem Stein mit eingravierter Inschrift durch menschliche Anstrengung oder
die Rede (siehe Dan 2,34-35). Einige Kraft, sondern durch den Geist des
nehmen an, dass der »Spross« sich auf Herrn aufgebaut werden wird. Schwie-
das Erste Kommen bezieht, der Stein rigkeiten werden beseitigt, und die
dagegen auf das Zweite. Gaebelein sagt, Hände Serubbabels werden den Wie-
der gravierte Stein mit den sieben Au- deraufbau des Tempels vollenden, so
gen darauf muss auch die erlöste Na­ wie sie auch den Grundstein gelegt
tion bezeichnen, die Grundlage des Rei- hatten. Unger sagt dazu:

1151
Sacharja 4 und 5

Das hier in Vers 6 aufgezeigte geistliche dem Gericht zu tun haben. Die Rolle
Prinzip wird wunderschön durch die war etwa 10 Meter lang und 5 Meter
Bilder der Vision beschrieben. Die auto- breit, also genauso groß wie der Säulen-
matische und von selbst erfolgende Öl- gang in Salomos Tempel.
versorgung für die Beleuchtung ge- 5,3-4 Auf der Buchrolle stand der
schieht völlig ohne menschliches Zutun. Fluch über jeden Dieb und jeden, der
Sie ist ein Bild für Israels Zeugnis im Tau- falsch schwört. Als Teil dieses Fluches
sendjährigen Reich, das durch die Fülle würde das Haus eines jeden, der ge-
des ausgegossenen Geistes bewirkt wird. stohlen oder falsch geschworen hat,
Aber in seinem unmittelbaren Zusam- zerstört werden, sowohl das Gebälk als
menhang findet diese Verheißung seine auch die Steine. Vielleicht hat diese
direkte Anwendung in Serubbabel, der Vision mit dem weltweiten Gericht zu
damals vor der riesigen Aufgabe stand, tun, das der Errichtung des Reiches
den Tempel zu vollenden.5 Christi vorausgeht. Mit Sünden gegen
den Menschen (Diebstahl) und Sünden
4,7-10 Trotz der bergehohen Widerstän- gegen Gott (Meineid) wird man sich zu
de würde der Tempel vollendet werden jener Zeit beschäftigen. (Diese beiden
und wegen seiner Schönheit die Zurufe können auch die zwei Tafeln des Geset-
hervorrufen: »Gnade, Gnade!« Jene, die zes symbolisieren.)
den Tag kleiner Dinge (oder geringer
Anfänge) verachtet hatten, d.h. die über G. Die Frau in dem Efa (5,5-11)
die Möglichkeit gespottet hatten, Gott Bedeutung: Götzendienst und käufliche
könne große Dinge tun, würden das Religion werden aus dem Land entfernt
Senkblei in der Hand Serubbabels se­ und in das Ursprungsland, Babylon,
hen, d.h. sie würden den Tag erleben, an zurückgebracht.
dem Serubbabel das Werk vollendete. Die siebte Vision zeigt eine Frau in ei-
Die sieben Lampen sind die sieben nem Gefäß (hebr. efa). Das Efa war die
Augen des HERRN, die seine aufmerk- größte Maßeinheit im Handel, etwa
same Fürsorge sowohl über den Wie- 22 Liter (nach anderen Angaben 36-40
deraufbau als auch über die ganze Erde Liter). Die Frau ist die personifizierte
darstellen. Gottlosigkeit (o. Gesetzlosigkeit). Im
4,11-14 Als Sacharja nach den zwei Land blieb der Bleideckel auf dem Efa,
Ölbäumen und nach den zwei Zweig- was bedeutet, dass die Gottlosigkeit
büscheln der Ölbäume fragt, erklärt begrenzt wurde. Aber zwei andere
ihm der Engel, diese seien die Gesalb- Frauen flogen mit dem Efa nach Schi-
ten, die vor dem HERRN stehen. Dies nar (Babylon). Dies scheint die Umsied-
wird gewöhnlich auf Serubbabel und lung der götzendienerischen und käuf-
Joschua bezogen, die das Amt des Kö- lichen Religion von Israel nach deren
nigs und des Priesters repräsentieren. Ursprung in Babylon zu bedeuten, wo-
Diese Vision lehrt, dass geistliche her sie ursprünglich kam. Solch ein
Kraft nötig war zur Wiederherstellung, Umzug wäre natürlich die Vorberei-
genauso wie die vorherige Vision die tung für das Gericht über Babylon und
Notwendigkeit der Reinigung lehrte. für die Aufrichtung des Reiches. Das
»Haus« in Vers 11 bezeichnet einen
F. Die fliegende Buchrolle (5,1-4) heidnischen Tempel.
Bedeutung: Der Fluch Gottes, der über Israel war nach der babylonischen
Meineid und Diebstahl im Land aus­ Gefangenschaft vom Götzendienst ge-
gesprochen ist. reinigt; doch wird es eine schlimmere
5,1-2 Die Vision von der fliegenden Form des Götzendienstes in der Zu-
Buchrolle ist die erste in einer Reihe kunft annehmen, wenn es den Anti-
von dreien, die mit der Regierung und christen als Gott anbetet.

1152
Sacharja 6 und 7

H. Die vier Wagen (6,1-8) Jedaja –, um eine schöne Krone für Jo-
schua6, den Hohenpriester, zu machen.
Bedeutung: Gottes Streifen melden, dass Eigentlich wird eine Krone für den
Israels Feinde geschlagen sind. Herrscher gemacht, nicht für den Ho-
6,1-4 Sacharja sieht als Nächstes vier henpriester. Aber diese Handlung weist
Gespanne von Pferden und Streit­ voraus auf den kommenden Christus
wagen, die zwischen Bergen aus Bron- als König und Priester. Von ihm wird in
ze hervorkommen. Die Pferde waren Vers 12 gesprochen als dem SPROSS,
rot, schwarz, weiß und scheckig – alles der den Tempel des Tausendjährigen
starke Streitrosse. Reiches bauen, königliche Ehre tragen
6,5-7 Der auslegende Engel erkennt in und auf dem Thron sitzen und herr-
den vier Gespannen die vier Winde (o. schen wird.
Geister) des Himmels, Gottes Werkzeu- David Baron bemerkt dazu:
ge, um die Heidenwelt dem Messias zu
unterwerfen. Die schwarzen Pferde ge- Gewiss stimmt es mit dem königlichen
hen nach Norden und die Scheckigen Priestertum des Messias überein, dass
nach Süden. Diese zwei Richtungen das hier verwendete hebräische Wort
werden in den prophetischen Schriften (für den Tempel) sowohl den Palast als
gewöhnlich mit den Feinden Israels in auch das Heiligtum bezeichnet. Als Kö-
Zusammenhang gebracht (z.B. der Kö- nig ist er in seinen Palast und als Priester
nig des Nordens und der König des Sü- in sein Heiligtum eingetreten.7
dens). Die weißen Pferde folgen den
schwarzen, und offensichtlich patrouil- »Der Rat des Friedens wird zwischen
lieren die roten in unbezeichneten Ge- ihnen beiden sein« bedeutet: Fried­
bieten. liches Verständnis wird zwischen Kö-
6,8 Der auslegende Engel erklärt, nig und Priester (in einer Person) herr-
dass die Pferde, die ins nördliche Land schen.
ge­zogen waren, dem Geist des Herrn 6,14 Die Krone wurde im Tempel zum
Ruhe gegeben haben. Das mag die Ver- Gedächtnis aufbewahrt. Helem ist iden-
nichtung der nördlichen Heere (Ba­ tisch mit Heldai, und Hen ist Joschua
bylon) bedeuten, die eine beständige (vgl. Schlachter 2000; unrevidierte El-
Gefahrenquelle für das Land Israel dar- berfelder).
stellten. Die Vision als Ganzes betrach- 6,15 Die Wiederherstellung des zer-
tet scheint die Vernichtung der Feinde streuten Israel und die Erfüllung der
Israels durch Abgesandte des Herrn an- messianischen Verheißung werden dem
zuzeigen. Auch dies ist ein Ereignis, das Volk als eine Ermutigung zum Gehor-
der Herrschaft Christi auf Erden vor- sam vorgestellt.
ausgehen wird.
IV. Juden von Bethel fragen, ob
III. Joschua wird als sie das Fasten fortsetzen sollen
Hoherpriester gekrönt (6,9-15) (Kap. 7-8)
Bedeutung: Ein Bild von Christus, der
als König und Hoherpriester kommen A. Die Frage wegen des Fastens (7,1-3)
wird, die ideale Verbindung von Kirche Die Kapitel 7 und 8 bilden einen geson-
und Staat. derten Abschnitt und haben das Fasten
6,9-13 Nun, nach Abschluss der Ge- zum Gegenstand. Eine Delegation aus
richtsvisionen, findet eine höchst sym- Bethel8 kam, um sich zu erkundigen, ob
bolische Handlung statt. Sacharja be- sie das Fasten am Jahrestag des Falls
kommt den Auftrag, Gold und Silber von Jerusalem noch fortsetzen sollten.
von drei der heimgekehrten Exilanten Sie hatten dies über siebzig Jahre lang
zu nehmen – von Heldai, Tobija und getan.

1153
Sacharja 7 und 8

B. Erste Botschaft (7,4-7) 8,1-5 Die dritte Botschaft an die Dele-


gation aus Bethel verheißt künftigen
Bedeutung: Das Fasten war ihre Idee ge- Segen für Juda. Großer Zorn wird die
wesen, nicht Gottes. Der Herr will inne- Feinde Judas treffen (V. 2). Jerusalem
re Wirklichkeit, nicht bloßes Ritual. wird wieder aufgebaut und »die Stadt
Die Antwort auf die obige Frage wird der Wahrheit« (unrevidierte Elber-
in vier verschiedenen Botschaften ge­ felder, Luther, Schlachter 2000) genannt
geben (7,4-7; 7,8-14; 8,1-17; 8,18-23). In werden. Ihre Straßen werden in Spiel-
der ersten erinnert Gott sie daran, dass plätze für Jungen und Mädchen und in
die Fastenzeiten sowohl im fünften als einen Treffpunkt für die alten Men-
auch im siebten Monat von ihnen selbst schen verwandelt.
eingesetzt wurden, nicht von ihm. So- 8,6-8 Wenn dies dem zahlenmäßig
wohl ihr Fasten als auch ihre Feste winzigen Überrest zu wunderbar er-
hielten sie für sich selbst, nicht für Gott. scheint, ist es darum zu schwer für
Vor der Zerstörung Jerusalems hatten Gott? Er ist es, der die Verbannten zu-
die früheren Propheten das Volk ge- rückbringen wird und in ihrer Mitte als
mahnt, dass Gott Gerechtigkeit und ihr Gott wohnen will.
innere Wirklichkeit will und nicht Während diese Verse eine unmittel-
Rituale. bare Anwendung für das Volk in
Sacharjas Zeit hatten, ist ihre völlige Er-
C. Zweite Botschaft (7,8-14) füllung erst bei dem Zweiten Kommen
Bedeutung: Das Gericht war deshalb unseres Herrn zu erwarten.
über das Volk gekommen, weil es sich 8,9-13 Das Volk, das die Ermuti-
geweigert hatte, Recht, Gerechtigkeit gungen durch Haggai und Sacharja ge-
und Barmherzigkeit zu üben. hört hatte, wird ermahnt, das Bauen
In der zweiten Botschaft erklärt Gott, fortzusetzen. Bevor die Juden mit der
weshalb Gericht über das Volk herein- Arbeit am Tempel begannen, gab es
brach. Er hatte das Volk aufgerufen, weitverbreitete Arbeitslosigkeit, und
Recht, Barmherzigkeit und Güte zu Gewalt machte die Straßen unsicher.
üben. Aber es hatte sich geweigert, dar- Aber jetzt verheißt Gott ihnen Frieden
auf zu hören. Man beachte die Ergeb- und Wohlstand, und sie werden zu
nisse dieses Ungehorsams: göttlicher einem Segen für die Heiden, statt ein
Zorn, unbeantwortete Gebete, Zer- Fluch zu sein.
streuung des Volkes unter die Heiden- 8,14-17 Genauso sicher wie Gott den
völker, Verwüstung des Landes. Mit Juden Unheil versprochen hatte in der
anderen Worten: Das Fasten, wegen Zeit ihres Ungehorsams, so hat er nun
dessen sie sich erkundigten, war das im Sinn, ihnen Gutes zu tun. Angesichts
Ergebnis ihrer eigenen Sündhaftigkeit dessen werden sie ermahnt, wahrhaf-
und ihres Un­gehorsams. So warnt uns tig, gerecht und friedlich zu leben und
William Kelly: alles zu vermeiden, was der HERR
hasst (Böses gegen seinen Bruder zu
Religiöse Handlungen – was immer sie sinnen und falschen Eid, also Unehr-
zum Inhalt haben mögen – ersetzen in lichkeit, zu lieben).
Gottes Augen niemals die praktische Ge-
rechtigkeit, viel weniger noch den Glau- E. Vierte Botschaft (8,18-23)
ben.9 Bedeutung: Israels Fastenzeiten werden
sich in Feste verwandeln, und Jeru­
D. Dritte Botschaft (8,1-7) salem wird das weltweite Zentrum der
Bedeutung: Der Herr wird in der Zu- Anbetung sein.
kunft noch seinen Segen auf Juda aus- 8,18 Als Ermutigung für die Delega­
gießen. tion aus Bethel verheißt der Herr, dass

1154
Sacharja 8 und 9

die trauernden Fastenzeiten sich in leben. Ekron wird wie die Jebusiter
Zeiten der Wonne und Freude und werden, in dem Sinn, dass sie als loyale
fröhlichen Feste verwandeln werden. und friedliche Bürger unter dem Volk
Mit dem Fasten im zehnten Monat be- Israel leben werden.
klagte man die Belagerung Jerusalems 9,8 Fremde Invasoren werden nicht
(2Kö 25,1), der vierte Monat erinnerte mehr den Tempel und das Volk be­
an seine Einnahme (2Kö 25,3), der fünf- drohen. Die Verse 1 bis 8 hatten eine
te Monat an seine Zerstörung (2Kö 25, teilweise Erfüllung, als diese heid-
8-10), der siebte Monat an die Ermor- nischen Mächte von Alexander dem
dung Gedaljas (2Kö 25,25). Großen erobert wurden (s. den Hinweis
8,19-23 Die Schlussverse dieses Ka­ auf Griechenland in V. 13).
pitels zeigen uns, dass viele Heiden
und mächtige Nationen aus aller Welt B. Das Erste Kommen des Messias
nach Jerusalem zusammenkommen, nach Zion (9,9)
um den HERRN der Heerscharen zu Gottes Volk wird als Nächstes durch
suchen. An jenem Tag werden die Ju- die Verheißung von dem Kommen des
den ein Kanal des Segens für die Welt Messias (»dein König«) ermutigt. Vers 9
sein. Man beachte den häufigen Ge- beschreibt sein Erstes Kommen, in De-
brauch des Ausdrucks »so spricht der mut und Gnade, auf einem Esel reitend.
HERR« oder »so spricht der HERR Sowohl Matthäus, als das jüdischste der
der Heerscharen« in diesem Kapitel vier Evangelien, als auch Johannes als
(V. 2.3.4.6.7.9.14.19.20.23). das universalste zitieren diesen Vers
und beziehen ihn auf den sogenannten
V. Der erste Ausspruch (oder »triumphalen Einzug« des Herrn nach
Last), der das Erste Kommen des Jerusalem.
Messias betont (Kap. 9-11)
Die verbleibenden Kapitel enthalten C. Entwaffnung und universaler
zwei Aussprüche oder »Lasten«. Der er- Friede beim Zweiten Kommen Christi
ste in den Kapiteln 9 bis 11 betont das (9,10)
Erste Kommen des Messias, während Vers 10 blickt dagegen voraus auf sein
der zweite in den Kapiteln 12 bis 14 Zweites Kommen, wenn er in Macht
vor­ausschaut auf die Erscheinung und großer Herrlichkeit erscheint.
Chris­ti in Herrlichkeit. Kriegswaffen werden zerstört, und
Christus wird regieren »von Meer zu
A. Die Heidenvölker sollen gerichtet Meer und vom Strom bis an die Enden
werden (9,1-8) der Erde« (hier zitiert Sacharja Psalm
9,1-7 Hier, in Kapitel 9, wird Gottes Ge- 72,8). Das gegenwärtige Zeitalter der
richt zunächst gegen Syrien (Aram) mit Gnade ist verborgen zwischen den
den Stadtstaaten Hadrach, Damaskus Versen 9 und 10.
und Hamat ausgesprochen (V. 1-2a),
dann gegen Tyrus und Sidon (V. 2b-4) D. Rückkehr der Gefangenen aus
und gegen Philistäa (Aschkelon, Gaza, dem Exil nach Jerusalem (9,11-12)
Ekron, Aschdod – V. 5-7). Tyrus war Das »Blut deines Bundes« bezieht sich
stolz auf seinen Reichtum und seine auf das Blut, mit dem ein Bund besiegelt
Fes­tung, aber der HERR wird es ins wurde. Dieser Ausdruck könnte sich auf
Meer stürzen. Die Philisterstädte wer- den Bund des Gesetzes beziehen (2. Mo­
den bestürzt sein, wenn sie den Fall von se 24,8) oder auf den Bund, der Israel
Tyrus sehen, weil sie meinten, es sei un- das Land garantierte (5. Mose 30,1-10),
einnehmbar. Die Philister selbst wür- oder auf den Bund mit David (2Sam 7,4-
den vom Götzendienst gereinigt wer- 17) oder auf die allgemeine Bundes­
den und als ein Geschlecht in Israel beziehung Israels zu dem HERRN.

1155
Sacharja 9 und 10

Israels Gefangene werden befreit aus G. Das Volk wird ermahnt, den
der wasserlosen Grube der fremden HERRN – und nicht die Götzen – um
Länder und in die Festung zurück­ Regen zu bitten (10,1-2)
geführt, mit der Jerusalem, das Land
Israel oder Gott selbst gemeint sein Das Volk wird ermahnt, den HERRN
kann. um Regen zu bitten und nicht zu den
nutzlosen Götzen zu beten. Der Götzen-
E. Triumph des ganzen Israel über dienst führt dazu, dass die Menschen
Griechenland (9,13) umherirren wie Schafe ohne Hirten.

An jenem Tag werden Juda und Israel H. Gott wird die Führer Judas strafen,
(Ephraim) erobernde Länder sein den Messias erwecken und dem Volk
und Griechenland unterwerfen. Diese Sieg geben (10,3-5)
Weissa­gung erfüllte sich teilweise im 10,3 Gottes Zorn ist über die Hirten und
Makka­bäerkrieg 175-163 v.Chr. Sie Leiter (die »Leitböcke«) entbrannt, weil
weist auch voraus auf die endgültige sie das Volk in die Irre führen. Der
Wiederherstellung Israels von der welt- HERR nimmt sich seiner Herde, des
weiten Zerstreuung. Hauses Juda, an und verwandelt sie in
ein Prachtross im Kampf.
F. Das Eingreifen des HERRN zum 10,4-5 Viele Kommentatoren legen
Schutz seines Volkes (9,14-17) Vers 4 als eine Verheißung auf den Mes-
Ein unbekannter Kommentator be- sias aus; denn aus Juda kommend wird
schreibt diesen Kampf sehr lebendig, er der Eckstein, der Zeltpflock, der
der geradezu ein »heiliger Krieg« wird: Kriegsbogen und der Beherrscher sein.
Andere meinen, dies sei ein Bild des
Nicht nur werden die Sieger Gottes das wiederhergestellten Israel. Feinberg
Blut ihrer geschlagenen Gegner in Strö- sagt, dass die letzte Zeile beschreibt,
men vergießen und den Opferschalen was der Messias tun wird, nämlich die
gleichen, die gefüllt mit Blut zum Be- feindlichen Unterdrücker aus dem
sprengen der Seiten des Altars und sei- Land werfen.11 Auf jeden Fall werden
ner Hörner dienen, sondern sie werden die Männer von Juda herrlich über ihre
auch durch ihren blutrünstigen Triumph Feinde triumphieren.
mit Blut befleckt sein wie die Ecken des
Altars. I. Israel und Juda werden gesammelt
und wiederhergestellt werden
Merrill Unger beschreibt den Unter- (10,6-12)
schied zwischen Israel und seinen Fein- Die Verse 6 bis 12 sagen die Sammlung
den: sowohl Israels (Josef) als auch Judas
aus der weltweiten Zerstreuung vor­
In offensichtlichem Gegensatz zu Israels aus. Israel (Ephraim) wird wie ein Held
Feinden, die im vorangehenden Vers wie sein.
Schleudersteine in den Dreck getreten Der Herr wird sein Volk herbeipfei-
werden, vergleicht Sacharja Zions sieg- fen und es zurückbringen in das Land
reiche Söhne (den geretteten Überrest) Gilead und auf den Libanon, aus Ägyp-
mit kostbaren Steinen einer Krone, die ten und aus Assyrien, wohin er sie ge-
über dem Land des HERRN erstrahlen. sät oder zerstreut hatte. Die Nationen,
Das ist offenbar ein Bild für den Lohn für die sie früher versklavt hatten, werden
die treuen Märtyrer und tapferen Heili- bestraft, und Juda und Israel werden
gen Israels, die in das Reich des Messias sich rühmen im Namen des Herrn. Der
kommen.10 »er« in Vers 11 ist der HERR. Die
Bedrängnis oder Not, mit der er die

1156
Sacharja 10 und 11

Wellen des Meeres schlägt, kann für beamten. Er erklärt den »einen Monat«
alles stehen, was die Rückkehr behin- als die Zeit, in welcher der Unglaube
dert, wie das Rote Meer den Auszug seinen Höhepunkt erreichte, kurz be-
aus Ägypten zu behindern schien. vor die Führer Israels unseren Herrn
kreuzigten.)12
J. Untreue Führer werden bestraft
(11,1-3) L. Der Messias wird von seinem Volk
Kapitel 11 handelt von der Verwerfung verworfen (11,8b-14)
des Messias und der Zerstörung Jeru­ 11,8b-11 Als das Volk den Hirten ver-
salems durch die Römer, aber auch von wirft, überlässt er es seinem Schicksal.
dem Aufkommen des Antichristen. Sacharja zerbricht dann den ersten Stab
Die ersten drei Verse könnten eine (»Freundlichkeit«), wodurch der Bund
buchstäbliche Beschreibung sein von aufgehoben wird, der die Heiden da-
der Zerstörung in den Wäldern Israels von abhält, das Volk Gottes zu unter-
(Libanon), sowohl im Bergland als auch drücken. Nur die Armen (oder Elenden)
in der Ebene. Die Hirten heulen, weil der Herde (unrevidierte Elberfelder,
die Weiden entlang des Jordans ver- Schlachter 2000) verstehen, was Gott tut
wüstet sind und ihre Schafe nichts zu – und warum.
essen haben. Einige meinen, dass dies 11,12-13 Als Sacharja nach seinem
auf die Verwüstung des Landes durch Lohn fragt, erhält er dreißig Silber­
die Römer im Jahr 70 n.Chr. hinweist. schekel – das Lösegeld für einen Skla-
ven, der von einem Stier getötet wor-
K. Der Messias wird der treue Hirte den war. Dieser Lohn wird dem Töpfer
der Herde (11,4-8a) hingeworfen, eine Weissagung im
11,4-6 Der HERR weist Sacharja an, die Hinblick auf das, was Judas nach dem
Rolle eines Hirten zu übernehmen, des- Verrat an dem Herrn tun würde.
sen Herde zur Schlachtung verurteilt 11,14 Dann zerbricht Sacharja den
ist. Hierin ist Sacharja ein Bild für den zweiten Stab (»Verbindung«) und zeigt
Herrn Jesus. Die Schafe (der jüdische damit an, dass die Bruderschaft zwi-
Überrest) waren von den früheren Hir- schen Juda und Israel zerbrochen war
ten (den Obersten) grausam ausgebeu- und dass es zu Uneinigkeit und Bruder-
tet worden. Gott hatte beschlossen, die kämpfen unter den Juden kommen
gottlosen Bewohner des Landes in die würde.
Hände des römischen Kaisers zu geben,
den sie als ihren König anerkennen M. Gott überliefert es dem Götzen-
würden (Johannes 19,15). Hirten (Antichristen) (11,15-17)
11,7-8a In der Rolle des Hirten nahm Feinberg führt aus, dass das Zeitalter
Sacharja zwei Stäbe – »Freundlichkeit« der Gemeinde zwischen den Versen 14
(o. »Huld«) und »Verbindung«. Sie und 15 verborgen liegt.13
symbolisieren Gottes Wunsch, seinem Weil Israel den Guten Hirten verwarf,
Volk Gnade zu erweisen und Juda und würde ihm ein falscher Hirte gegeben
Israel zu vereinen. Sacharja musste drei werden. Sacharja stellt das dar, indem
falsche Hirten entlassen, was allgemein er die Geräte eines törichten Hirten
auf die drei Ämter von König, Priestern nimmt. Dies weist auf den zukünftigen
und Propheten gedeutet wird. Erst Antichristen hin, der sich um die Schafe
dann konnte er sein Werk tun. (Unger nicht kümmern, sondern sie ausrauben
meint, dass die drei Hirten die drei und schlachten will. Sein Arm wird im
Klassen von Regierenden im jüdischen Kampf verdorren und sein Auge er­
Staat darstellten: die Priester, die Ge- löschen.
setzeslehrer und die Verwaltungs­

1157
Sacharja 12 und 13

VI. Der zweite Ausspruch (oder »Und sie werden auf mich blicken, den
Last), der das Zweite Kommen sie durchbohrt haben, und werden über
des Messias betont (Kap. 12-14) ihn wehklagen, wie man über den ein-
zigen Sohn wehklagt« (V. 10b). Man be-
A. Jerusalem wird zur Quelle der achte das »auf mich«! Der, den sie
Bedrängnis für die Völker (12,1-3) durchbohrt hatten, war der Herr Jesus
Christus, der HERR. Die Wehklage um
Hier werden die Heidenvölker ge­ den einzigen Sohn war das tiefste Leid
sehen, wie sie an einem künftigen Tag für einen Israeliten. Zur »Wehklage von
gegen Jerusalem marschieren. Alle, die Hadad-Rimmon« (V. 11) vgl. 2Chr 35,
der Stadt Leid zufügen, werden in ge- 20-24. Zu den Klagenden wird die kö-
waltiges Leid geraten. Sie werden sich nigliche Familie gehören, außerdem die
selbst verletzen, wenn sie versuchen, Propheten (Nathan), die Priester (Levi),
diesen schweren Laststein (o. »Stemm- die Lehrer (die Schimiter) und das
stein«) aufzuheben. Volk. Einige meinen, »Schimiter« wür-
de Simeon14 bezeichnen, der zusammen
B. Der Herr wird die Feinde Judas mit Levi so grausam gegen die Männer
vernichten (12,4) von Sichem vorgegangen war (1. Mose
An jenem Tag wird Gott die Invasoren 34,35). Man beachte die Wiederholung
mit Wahnsinn und Scheuwerden schla- der Worte »für sich« in den Versen 12
gen, sowohl Ross als auch Reiter. bis 14! Wahres Bekenntnis macht es not-
wendig, dass jeder von uns allein vor
C. Die Juden werden Gott als ihre Gott steht.
Stärke anerkennen (12,5)
Die Fürsten Judas, die nicht in Jeru­ F. Vorsorge zur Reinigung von den
salem wohnen, werden in ihren Herzen Sünden wird getroffen (13,1)
sagen, dass die Einwohner von Jeru­ Der erste Vers von Kapitel 13 steht in
salem ihre Stärke von dem HERRN ha- enger Verbindung mit dem vorigen Ka-
ben. pitel. Nachdem die Menschen von Juda
und Israel zur Buße über ihre Verwer-
D. Die nicht in Jerusalem wohnenden fung des Messias gebracht worden
Judäer werden ihre Feinde vernichten sind, folgt ein großer nationaler Versöh-
und als Erste den Sieg erringen nungstag. Die Quelle der Reinigung
(12,6-9) wurde auf Golgatha eröffnet, aber Is­
An jenem Tag werden die Fürsten Judas rael als Nation wird diesen Segen nicht
gleich einem verzehrenden Feuer sein, vor dem Zweiten Kommen Christi ge-
das alles verbrennt, was es erreicht. Der nießen.
Sieg wird als Erstes den nicht in Jeru­
salem wohnenden Bewohnern Judas G. Götzen und falsche Propheten
zuteil, sodass die Menschen in Jeru­ werden ausgerottet (13,2-6)
salem sich nicht über sie erheben. Die 13,2 Das Land wird von Götzen ge­
Einwohner von Jerusalem werden be- reinigt werden, und falsche Propheten
schützt und gestärkt, und die Heiden- und unreine Geister werden ausgerottet.
völker werden vernichtet. 13,3-5 Diese Verse beschreiben offen-
sichtlich den Zorn, der am Tag der Wie-
E. Das Volk wird über die derherstellung Israels über die falschen
Verwerfung des Messias wehklagen Propheten kommen wird. Wenn sich
(12,10-14) ein Mensch fälschlich als Prophet aus-
Die Menschen werden bitterlich weh- gibt, werden seine eigenen Eltern ihn
klagen, wenn sie auf den Messias bedrohen und ihn durchbohren. Die
blicken, den sie durchbohrt haben. Menschen werden sich nicht leicht­

1158
Sacharja 13 und 14

fertig als Propheten bezeichnen, wenn phet die Wahrheit gesagt hat). Auch
sie nicht wahrhaft von Gott gesandt wurde unser Herr nicht im Haus seiner
sind, sondern lieber sagen, sie seien Freunde verwundet, sondern in dem
Bauern oder das, was sie sonst tatsäch- seiner grausamsten Feinde.
lich von Beruf sind.
13,6 Wenn ein falscher Prophet durch- H. Der Messias wird umgebracht und
bohrt wurde, oder wenn er Wunden in Israel zerstreut (13,7)
seinen Händen trägt, die er sich selbst Mit Vers 7 beginnt ein Abschnitt, den
als Teil seiner kultischen Praxis als alle gläubigen Bibelgelehrten als mes­
falscher Prophet zugefügt hat, wird er sianisch ansehen. Der HERR gibt sei-
nicht den wahren Grund dafür an­ nem Schwert Befehl, gegen den Herrn
geben. Eher wird er eine etwas zwei- Jesus zu erwachen. Der Hirte wurde
deutige Antwort geben wie etwa: »Sie auf Golgatha geschlagen, und die jü-
entstanden, als ich im Haus meiner dischen Schafe sind seither zerstreut.
Freunde geschlagen wurde.«
Viele fromme Prediger haben Vers 6 I. Ein Überrest des Volkes wird zu
auf den Herrn Jesus und auf die Nägel- dem Herrn umkehren (13,8-9)
male, die er auf Golgatha empfangen
hat, angewandt. Es fällt aber schwer, Wegen ihrer Verwerfung des Herrn
eine solche Bedeutung in den Kontext Jesus werden während der Großen
einzufügen, wo doch deutlich von Drangsalszeit zwei Drittel des Volkes
einem falschen Propheten die Rede ist.15 sterben, das übrig bleibende Drittel
In unserem Eifer, die messiani­schen Ab- wird bewahrt werden. Dieser Überrest
schnitte des Alten Testaments vor dem wird geläutert wie das Silber und das
Unglauben rationalistischer Kritiker zu Gold. Diese Menschen werden Gott als
schützen, müssen wir sehr darauf ach- ihren Gott anerkennen, und er wird sie
ten, einen Vers nicht mit Gewalt aus als »mein Volk« anerkennen.
seinem Zusammenhang zu reißen.
Der konservative Bibellehrer G. Cole- J. Die Heiden werden sich gegen
man Luck stimmt mit der nicht-mes­ Jerusalem versammeln (14,1-2)
sianischen Auslegung überein: Der »Tag des HERRN« bezieht sich hier
auf die letzte Belagerung Jerusalems
Der befragte Mensch hat geleugnet, je durch die Nationen. Die eindringenden
ein falscher Prophet gewesen zu sein. Heere werden die in der Stadt gemach-
Der ihn Befragende allerdings ist miss­ te Beute verteilen. Die Hälfte wird in
trauisch und setzt das Verhör fort. Es war die Gefangenschaft geführt, und die
üblich, dass sich falsche Propheten selbst andere Hälfte wird zurückbleiben.
Wunden zufügten (siehe 1Kö 18,28;
Jer 16,6 usw.).16 K. Der Herr selbst wird einschreiten
(14,3-5)
Weitere Einzelheiten in diesem Vers Dann wird der HERR selbst auf den
selbst passen besser zu dem falschen Ölberg kommen. Der Berg wird sich in
Propheten. Im Hebräischen bezieht sich zwei Teile spalten, zur Hälfte nach Nor-
das Wort für »Hände« auf die Unter- den, und zur Hälfte nach Süden, mit
arme. »Die Wunden zwischen deinen einem sehr weiten Tal dazwischen.
Armen«, wie man genauer übersetzen »Dann wird der HERR, mein Gott,
kann, könnten sich auf Wunden überall kommen und alle Heiligen mit ihm.«
am Körper, vorn oder hinten, beziehen, Unger erklärt:
die er sich als kultische Schnitte zu­
gefügt hatte (oder von seinen »Freun- Um seiner Erregung Ausdruck zu ver­
den« stammen, wenn der falsche Pro- leihen, wechselt der Prophet von der

1159
Sacharja 14

indirekten zur direkten Anrede, ein Phä- O. Geografische Veränderungen im


nomen, das man häufig im lebendigen Land (14,10)
he­bräischen Stil antrifft.17
Das ganze Land wird in eine Ebene ver-
L. Kosmische Veränderungen des wandelt werden, über die sich Jeru­
Wetters und der Beleuchtung (14,6-7) salem erhebt.
Die genaue Bedeutung dieses Ab-
schnitts ist so unklar, dass viele moder- P. Jerusalem wird bewohnt und
ne Übersetzer eine oder mehrere der sicher sein (14,11)
antiken Übersetzungen übernommen Jerusalem wird in Sicherheit bewohnt
haben, die den Gedanken enthalten, sein, und das Volk, das darin wohnt,
»dass alle Extreme der Temperatur auf- wird nicht mehr von einer feindlichen
hören werden«.18 Baldwin gibt eine Invasion oder einer gänzlichen Zer­
alternative Übersetzung des letzten störung bedroht sein.
Teils von Vers 6: »›Die Prächtigen (Ge-
stirne) gerinnen‹, d.h. sie verlieren ihre Q. Plagen und Schrecken werden die
Leuchtkraft.«19 feindlichen Heere heimsuchen
Die grundsätzliche Bedeutung des (14,12-15)
Textes ist klar: Die vorhergesagten Ver- Chronologisch gehören diese Verse zu
änderungen werden kosmische Aus- V. 3, wo der Sieg Christi über die Feinde
maße haben. Israels beschrieben wird. Diese Feinde
Unger, der die in den frühen Überset- werden von schrecklichen Plagen
zungen unterstützten Lesarten als gepeinigt werden.21 »Er lässt jedem sein
»offen­sichtlich falsch« ablehnt, be­ Fleisch verwesen, während er noch auf
trachtet den erwähnten »Tag« als einen seinen Füßen steht, und seine Augen
Zeitabschnitt (den Tag des HERRN), werden verwesen in ihren Höhlen, und
nicht als einen 24-Stunden-Tag. Er ver- seine Zunge wird in seinem Mund ver-
bindet diesen Abschnitt mit Jesaja 30,26: wesen.« Es wird eine große Verwirrung
»Dann wird das Licht des Mondes sein von dem HERRN unter ihnen geben.
wie das Licht der Sonne, und das Licht Die jüdische Landbevölkerung wird bei
der Sonne wird siebenfach sein wie das der Verteidigung Jerusalems helfen,
Licht von sieben Tagen, an dem Tag, da und die Beute wird gewaltig sein.
der HERR den Bruch seines Volkes ver-
binden und die Wunde seines Schlages R. Überlebende aus den Heiden
heilen wird.«20 werden in Jerusalem anbeten oder
mit einer Plage bestraft werden
M. Der Strom lebendigen Wassers (14,16-19)
(14,8) Die überlebenden Heidenvölker wer-
Lebendiges Wasser wird das ganze Jahr den jährlich nach Jerusalem kommen,
über aus Jerusalem fließen, die eine um den König, den HERRN der Heer-
Hälfte zum Toten Meer (östliches Meer) scharen, anzubeten und das Laubhüt-
und die andere Hälfte ins Mittelmeer tenfest zu feiern. Unger erklärt dazu:
(westliches Meer).
Das Laubhüttenfest ist das einzige der
N. Christus wird als König regieren jüdischen Feste, von dem in dieser Weis-
(14,9) sagung gesagt wird, dass es im Tausend-
Der HERR wird König über die ganze jährigen Reich gefeiert wird. Warum? Es
Erde sein, und er wird als der alleinige ist das einzige, das zu der Zeit als Vor-
wahre Gott anerkannt werden. bild noch nicht erfüllt ist, und das ein-
zige, dessen Erfüllung das Reich selbst
ist.22

1160
Sacharja 14

Wer sich weigert, zu kommen und an- die Stadt Bethel, im Gegensatz zur
zubeten, wird Dürre erleiden müssen. Übersetzung in der King James Bible
Ägypten wird besonders erwähnt als oder der Luther-Bibel vor 1912, die
eins der Länder, auf die es bei Ungehor- »zum Haus Gottes« lautet. Im
sam nicht regnen wird. Grundtext findet sich auch keine
Präposition, sodass es ebenso »von
S. Selbst gewöhnliche Gebrauchs­ Bethel« wie auch »zum Haus Gottes«
gegenstände werden dem HERRN heißen kann. Baldwin merkt an: »Die
heilig sein, und Händler wird es im richtige Übersetzung dieses Verses
Haus des HERRN nicht mehr geben ist keineswegs eindeutig zu ermit-
(14,20-21) teln« (siehe Joyce G. Baldwin, Hag­
An jenem Tag wird alles »heilig dem gai, Zechariah, Malachi, S. 141-143).
HERRN« sein. Es wird keinen Unter- 9
(7,8-14) William Kelly, Lectures Intro­
schied zwischen »weltlich« und »hei- ductory to the Study of the Minor Pro­
lig« geben; selbst die Schellen der phets, S. 467.
Pferde und gewöhnliche Töpfe werden 10
(9,14-17) Unger, Zechariah, S. 170.
in Jerusalem und Juda heilig sein! Die 11
(10,4-5) Charles Lee Feinberg, God
»Kanaaniter« (ein abwertender Begriff Remembers, S. 188.
für einen Feilscher oder einen unreinen 12
(11,7-8a) Unger, Zechariah, S. 195.
Menschen) werden aus dem Tempel, 13
(11,15-17) Feinberg, God Remembers,
dem Haus des HERRN der Heer­ S. 211.
scharen, verbannt sein. 14
(12,10-14) Im Hebräischen heißt
Simeon Schimon. In dem alten, nur
Anmerkungen aus Konsonanten bestehenden Text
konnte dies, bevor die Vokale hinzu-
1
(2,1-4) Einige sehen die vier nur gefügt wurden, leicht fälschlich als
als Darstellung »der Ganzheit der Schimei abgeschrieben werden.
Oppo­sition, genauso wie diese Zahl 15
(13,6) Unger, ein bedeutender Ge-
in der achten Vision auf alle Rich- lehrter des Alten Testaments, wendet
tungen weist« (Joyce G. Baldwin, den Vers auf Christus an, gibt aber
Haggai, Zech­ariah, Malachi, S. 407). zu, dass nur wenige Bibelgelehrte
Allerdings wird der Bezug auf be- mit ihm übereinstimmen: »Die
stimmte Völker schon von antiken Kühnheit und gewagte Form dieser
Auslegern gestützt. messianischen Prophetie und die
2
(2,1-4) G. Coleman Luck, Zechariah, dramatische Schroffheit, mit der sie
S. 26-27. eingeführt wird, hat die meisten
3
(3,8-9) Merrill F. Unger, Zechariah: Ausleger dermaßen vor ihrer wahren
Prophet of Messiah’s Glory, S. 64-65. Bedeutung zurückschrecken lassen,
4
(3,8-9) Arno C. Gaebelein, Studies in dass sie bei der Annahme bleiben,
Zechariah, S. 42. die­se Aussage sei untrennbar mit
5
(4,1-6) Unger, Zechariah, S. 75. den Versen 2 bis 5 verbunden und
6
(6,9-13) Wir sollten beachten, dass habe deshalb immer noch den
Joschua und Jeschua (die hebr. Form falschen Propheten im Blick – und
von Jesus) zwei Schreibweisen des- hier den Messias einzuführen, hieße
selben Namens sind. auf krasse Weise den Kontext zu
7
(6,9-13) David Baron, The New Order ignorieren.« Dr. Unger fährt auf fünf
of Priesthood, S. 30 Fußnote Spalten seines Kommentars damit
8
(7,1-3) Bethel ist der hebr. Ausdruck fort, seine Ansicht zu verteidigen
für Haus Gottes; aber der Tempel (S. 228-230).
wird »Haus des HERRN« genannt, 16
(13,6) G. Coleman Luck, Zechariah,
so handelt es sich wahrscheinlich um S. 113.

1161
Sacharja

17
(14,3-5) Unger, Zechariah, S. 250. 21
(14,12-15) Viele heutige Leser haben
18
(14,6-7) Baldwin, Haggai, Zechariah, gemerkt, wie stark dieser Abschnitt
Malachi, S. 203. an die schrecklichen Folgen eines
19
(14,6-7) Ebd. Atomangriffs erinnert.
20
(14,6-7) Unger, Zechariah, S. 252-253. 22
(14,16-19) Unger, Zechariah, S. 265.

Bibliografie Luck, G. Coleman,


Zechariah,
Baldwin, Joyce G., Chicago: Moody Press, 1969.
Haggai, Zechariah, Malachi: An Introduc­
tion and Commentary, The Tyndale Old Mills, Montague S.,
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Downers Grove: InterVarsity Press, Survey,
1972. Vertrieb durch 3E Ministries, Dallas,
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1162
Maleachi
»Maleachi gleicht einem späten Abend, der einen langen Tag beschließt –
aber auch der Morgendämmerung, aus der ein herrlicher Tag erwachsen wird.«

Nagelsbach

Einführung für »Statthalter«, das fast ausschließlich


nachexilisch ist.2 Auch ist deutlich, dass
I. Einzigartige Stellung im Kanon er später als die anderen nachexilischen
Kleinen Propheten, Haggai und Sachar-
Maleachi (»mein Bote« – vielleicht eine ja, schrieb, denn in Maleachi ist der
Kurzform von Malā´k-îyyāh – Bote des Tempel fertiggestellt, die Rituale waren
HERRN) hat das Vorrecht, der letzte wieder eingeführt, und es war so viel
der Propheten und eine Brücke zwi- Zeit verstrichen, dass wieder ein geist­
schen den beiden Testamenten zu sein, licher Niedergang eingesetzt hatte.
indem er sowohl auf Johannes den Auch waren die Mauern von Jerusalem
Täufer vorausschaut als auch auf den wieder erbaut.
Herrn Jesus selbst. Maleachi sollte vielleicht zwischen
Seltsamerweise nehmen einige an, die 470 und 460 v.Chr. datiert werden.
Prophetie von Maleachi sei anonym
und der Name sei nur ein Titel Esras IV. Hintergrund und Thema
oder eines anderen Schreibers. Einige Die Probleme in Maleachi sind die­
Kirchenväter dachten sogar, der Schrei- selben wie in Nehemia – Mischehen mit
ber sei ein Engel gewesen, weil das Heiden, ungerechter Umgang mit Geld,
griechische (und das hebräische) Wort die Verweigerung des Zehnten für das
sowohl Engel als auch Bote bedeuten Haus Gottes und allgemeine geistliche
kann!1 Trägheit. Entweder handelt es sich um
Maleachi hat außerdem einen beson- dieselben Probleme wie die, die in Ne-
deren Sprachstil (Fragen und Antwor- hemia erwähnt werden, oder um deren
ten), was einige dazu veranlasste, ihn Wiederholung oder Fortsetzung nicht
den »hebräischen Sokrates« zu nennen. lange nach dieser Zeit.
Wegen des lauen religiösen Lebens
II. Verfasserschaft der nachexilischen Juden trachtete Ma-
Obwohl die jüdische Tradition berich- leachi danach, sie aufzuwecken, indem
tet, Maleachi habe zur »Großen Syna- er die lebendige Methode des Dialogs
goge« gehört und sei ein Levit aus Sufa mit dem treulosen Volk anwandte.
in Sebulon gewesen, wissen wir außer Es wurde darauf hingewiesen, dass
aus diesem Buch nichts Gewisses über Maleachi seinen Namen »mein Bote«
den Propheten. Dort finden wir aller- oder »Bote des HERRN« zu Recht trägt,
dings Gründe genug, ihn als einen mu- weil der Prophet in diesen drei Kapiteln
tigen, oft strengen Schreiber anzusehen, drei Boten beschreibt: den Priester des
der zusammen mit Haggai und Sachar- Herrn (2,2), Johannes den Täufer (3,1a)
ja die nachexilischen Juden zu ihrer und den Herrn Jesus selbst (3,1b).
Bundesbeziehung zu Gott zurückrief. Maleachi berichtet von Gottes letztem
Werben um sein Volk in alttestament-
III. Datierung licher Zeit. Danach schweigt die pro-
Es ist klar, dass Maleachi nach 538 v. phetische Stimme für Jahrhunderte bis
Chr. schrieb, denn er benutzt ein Wort zum Auftreten Johannes’ des Täufers.

1163
Maleachi 1

Es ist wert, angemerkt zu werden, dass des Täufers oder des Herrn Jesus ge-
es keine Rolle spielt, wie »spät« einige schrieben. Sie sind also wahrhaft Weis­
Kritiker Maleachi oder andere Propheten sagungen und nicht »Geschichte in Weis­
ansetzen. Diese Schriften wurden ein- sagungsform«, wie manche destruktiven
deutig lange vor der Ankunft Johannes’ Kritiker behaupten.

Einteilung G. Der Abfall des Volkes (3,7)


H. Gott wird des Zehnten und der
I. Die Beschuldigungen des HERRN Opfer beraubt (3,8-12)
gegen Israel, dessen Antworten I. Falsche Beschuldigungen
und Gottes angedrohte Strafen gegen Gott (3,13-15)
(1,1 - 3,15) II. Segen für den Überrest und
A. Undankbarkeit (1,1-5) Gericht für die Gottlosen (3,16-24)
B. Tempelentweihung durch die A. Die Wiederherstellung des
Priester (1,6-14) treuen Überrests (3,16-18)
C. Verurteilung der Priester B. Das Gericht über die Gottlosen
(2,1-9) (3,19)
D. Scheidung und Mischehen C. Der Messias kommt zu dem
(2,10-16) Überrest (3,20-21)
E. Leugnung der Heiligkeit und D. Abschließende Ermahnung
Gerechtigkeit Gottes (2,17) zum Gehorsam, mit der
F. Einschub: Der Messias kommt Verheißung, Elia, der Prophet,
zum Gericht (3,1-6) werde kommen (3,22-24)

Kommentar B. Tempelentweihung durch die


Priester (1,6-14)
I. Die Beschuldigungen
des HERRN gegen Israel, 1,6 Als Nächstes klagt der Herr die
dessen Antworten und Gottes Pries­ter an, die seinen Namen verach-
angedrohte Strafen (1,1 - 3,15) ten und es an Verehrung und Ehrfurcht
fehlen lassen. Sie verlangen nach Be-
A. Undankbarkeit (1,1-5) weisen für ihr lästerliches Verhalten.
1,7-8 Der Herr beschuldigt sie, un-
Im ersten Kapitel sehen wir, wie der reine Opfer darzubringen. Auch dies
Herr gewisse Anklagen gegen sein Volk leugnen sie. Aber er erinnert sie daran,
erhebt und wie dieses antwortet, indem dass sie so handelten, als sei alles gut
es diese Anklagen entschieden abstrei- genug für den Herrn. Sie brachten blin-
tet. Als Erstes macht der HERR seine de und lahme Tiere als Opfer, was sie
Liebe zu dem Volk geltend, und die Ju- bei ihrem Statthalter nicht wagen wür-
den verlangen von ihm Beweise dafür: den.
»Worin hast du uns geliebt?« Er gibt sie 1,9 Der Prophet drängt sie, für ihre
ihnen, indem er sie daran erinnert, dass Sünden Buße zu tun, damit Gottes Zorn
er Jakob (von dem sie abstammten) ge- abgewendet wird.
liebt und Esau gehasst und dessen 1,10 Der HERR der Heerscharen
Nachkommen, die Edomiter, gerichtet wünscht, dass jemand die Türen des
hat. Die Augen des Volkes würden die Tempels schließen möchte, damit das
Verwüstung Edoms sehen, und sie wür- Opfern aufhört; denn die Opfer waren
den die Größe Gottes anerkennen. ganz und gar unannehmbar für ihn.

1164
Maleachi 1 bis 3

1,11 Aber der HERR wird seinen Na- Er betrachtet Scheidung so, als bedecke
men in Schutz nehmen unter den Na­ jemand sein Gewand mit Gewalt; ein bild-
tionen, selbst wenn sein eigenes Volk hafter Ausdruck für alle Arten groben
ihn nicht ehren will. Unrechts, das wie das Blut eines er­
1,12-14 Die Juden verachteten die hei- mordeten Opfers seine Spuren für alle
ligen Dinge des Tempels und waren es sichtbar hinterlässt.3
müde, Gott zu dienen. Alle würde ein
Fluch treffen, die verdorbene, minder- E. Leugnung der Heiligkeit und
wertige Tiere Gott zum Opfer darbrach- Gerechtigkeit Gottes (2,17)
ten. Der Grund ist: Der HERR der Heer- Sie hatten den HERRN ermüdet, indem
scharen ist ein großer König, und sein sie sagten, er kümmere sich nicht um
Name ist unter den Heidenvölkern zu das Verhalten derer, die Böses tun.
fürchten. Heuchlerisch forderten sie das Ein­
greifen Gottes: »Wo ist der Gott des Ge-
C. Verurteilung der Priester (2,1-9) richts?«
Die Priester werden feierlich vor einem
schrecklichen Gericht gewarnt, wenn sie F. Einschub: Der Messias kommt zum
nicht Buße tun und ihre Wege ändern Gericht (3,1-6)
würden. Sie werden daran erinnert, dass 3,1 Als Erstes antwortet Gott auf die
die Priester in früherer Zeit dem Bund ruchlose Herausforderung des vorigen
Gottes mit Levi treu waren; aber nun Verses. Er wird seinen Boten senden,
waren die Priester völlig korrupt gewor- eine Verheißung, die eine frühe und
den, sodass Gott sie vor allem Volk ver- teilweise Erfüllung in Johannes dem
ächtlich und niedrig gemacht hat. Täufer gefunden hat, aber eine spätere
und vollkommene Erfüllung finden
D. Scheidung und Mischehen (2,10-16) wird, wenn Elia (3,23) den Weg des
2,10-12 Als Nächstes wird das Thema Herrn bereiten wird, des Engels (oder
Scheidung und Heirat mit götzen­ Boten), den sie erwarteten (man be­
dienerischen Heidenfrauen behandelt. achte die Ironie).
Die Menschen von Juda hatten treulos Die Ironie hier liegt darin, dass, als er
gehandelt, indem sie Fremde heirateten später kam (bei seinem Ersten Kom-
und dadurch ihren nationalen Zu­ men), das Volk Israel sich nicht an ihm
sammenhalt zerstörten. Solche, die in freute, sondern ihn stattdessen kreuzig-
Mischehen eintraten, würden aus­ te.
gerottet werden. 3,2-4 Der »Tag seines Kommens« be-
2,13-16 Die Menschen weinten am zeichnet das Zweite Kommen. Der Herr
Altar, weil der Herr ihre Opfer nicht wird zum Gericht über die Sünde kom-
mehr mit Wohlgefallen annehmen men, und wer wird dann bestehen kön-
wollte. Und warum nicht? Weil der nen? Dieser reinigende Dienst, der in
HERR ein Zeuge ihres Eintritts in die Christi Tempelreinigung vorgeschattet
Ehe gewesen ist, die sie nun so leicht- wurde, erwartet eine endgültige Er­
fertig brachen. Sein Wille für sie war es, füllung bei seinem Zweiten Kommen.
dass sie ein reines Volk sein sollten, das Die Söhne Levis (die Priester) werden
gottesfürchtigen Nachwuchs erzeugt gereinigt, sodass sie Opfergaben in
und sich von dem Verderben unter den Heiligkeit und Gerechtigkeit darbrin-
Heiden fernhält. Gott hasst die Ehe- gen können, die dem HERRN gefallen,
scheidung, wenn sie gegen die Schrift wie in den Jahren der Vergangenheit.
ist, und das sich daraus ergebende Un- 3,5 Der Herr wird auch heimsuchen
recht. Der Zusammenhang zwischen die Zauberer, Ehebrecher und Mein­
Scheidung und Unrecht (oder Gewalt) eidigen und diejenigen, die den Lohn
wird von Baldwin wie folgt erklärt: der Tagelöhner, Witwen und Waisen

1165
Maleachi 3

drücken, genauso wie alle, die den sie von Dürre, Plagen, Feinden und
Fremden wegdrängen. Heuschrecken befreien und sie zu ei-
3,6 Die Tatsache, dass der HERR der nem Segen auf Erden machen.
Unwandelbare ist, ist die Garantie für
die Bewahrung der Söhne Jakobs vor I. Falsche Beschuldigungen gegen
dem Untergang (siehe unrevidierte Gott (3,13-15)
Elberfelder, Schlachter 2000). Wieder beschuldigt sie der HERR, dass
sie anmaßend gegen ihn geredet hatten,
G. Der Abfall des Volkes (3,7) indem sie sagten, es bringe nichts, Gott
Der HERR lädt das Volk ein, zu ihm zu dienen und ihm zu gehorchen. Sie
umzukehren; doch die Juden leugnen, lehrten, dass der Stolze, der Gottlose
weggelaufen zu sein, und fragen heuch- und der Gott Versuchende nicht nur
lerisch: »Worin sollen wir umkehren?« Gelingen habe, sondern auch ungescho-
ren davonkomme.
H. Gott wird des Zehnten und der
Opfer beraubt (3,8-12) II. Segen für den Überrest und
Unter dem mosaischen Gesetz wurde Gericht für die Gottlosen (3,16-24)
von den Israeliten gefordert, dem Herrn
den Zehnten von allem zu geben – von A. Die Wiederherstellung des treuen
dem, was sie ernteten, und von ihrem Überrests (3,16-18)
Vieh (oder sie konnten es durch Geld Aber es gab einen Überrest von Men-
ersetzen, mussten dann aber ein Fünftel schen, die dem HERRN die Treue hiel-
hinzufügen). Die Zehnten waren zu- ten. Diese Menschen sollen verschont
sätzlich zu zahlreichen weiteren Opfern und gesegnet und als Gottes auser-
zu geben. Man erkannte damit an, dass wähltes Eigentum (o. Schatz, Juwelen)
alles Gott gehörte und dass er der Ge- an­erkannt werden.
ber allen Besitzes war. William Kelly sagt dazu:
Das Neue Testament lehrt die Gläubi-
gen, regelmäßig, freiwillig und freudig Die Juden selbst werden sich nicht mehr
zu geben – und je nach dem, wie der nur darauf stützen, dass sie Juden sind.
Herr sie gesegnet hat, d.h. verhältnis- Sie werden die Nichtigkeit einer äußer-
mäßig. Vom Zehnten ist jedoch keine lichen Stellung erkennen; sie werden das
Rede. Vielmehr liegt der Gedanke nahe: wertschätzen, was von Gott ist, sie wer-
Wenn ein Jude, der unter Gesetz lebte, den umso mehr jene verabscheuen, die
den Zehnten gab, wie viel mehr sollte sich gottlos verhalten, weil sie Juden sind
ein Christ geben, der unter der Gnade (V. 18).4
lebt!
Der Lohn für treues Zehntengeben B. Das Gericht über die Gottlosen
war im Alten Testament materieller (3,19)
Wohlstand; der Lohn für treue Haus- Der Tag kommt, der wie ein Ofen
halterschaft im gegenwärtigen Zeitalter brennt, an dem alle Frechen und Gott­
besteht aus geistlichen Reichtümern. losen mit Stumpf und Stiel (Wurzel und
So erinnert er sie an ihr Versagen, den Zweig) ausgerottet werden.
Zehnten zu geben und die Opfer darzu-
bringen. Sie beraubten damit Gott und C. Das Kommen des Messias für den
luden sich selbst einen Fluch auf. Wenn Überrest (3,20-21)
sie treu mit ihrem Zehnten sein wür- Die Treuen werden die Sonne der Ge-
den, würde er sie mit unvorstellbarem rechtigkeit willkommen heißen, die auf-
Überfluss segnen und ihnen so viel da- gehen wird mit Heilung unter ihren Flü-
von geben, dass sie nicht Raum genug geln. Jene, die den Namen Gottes fürch-
haben würden, ihn zu bergen. Er wird ten, werden über ihre Feinde triumphie-

1166
Maleachi 3

ren. Ihre Feinde werden zu Staub unter Wiedergabe des letzten Absatzes im got-
ihren Füßen. tesfürchtigen und gelehrten Kommentar
zum Alten Testament von Keil und De-
D. Abschließende Ermahnung zum litzsch7, in dem beide Testamente sehr
Gehorsam mit der Verheißung, Elia, schön miteinander verbunden werden:
der Prophet werde kommen (3,22-24)
Das Buch schließt mit einer Ermahnung, Das Gesetz und die Propheten gaben
an das Gesetz Moses zu denken, und Zeugnis von Christus, und Christus kam
mit einer Verheißung, dass Gott den Elia nicht, um das Gesetz oder die Propheten
vor dem Tag des HERRN senden wird. aufzulösen, sondern um sie zu erfüllen.
Er wird das Leben der Menschen refor- Auf dem Berg der Verklärung Christi er-
mieren, damit sie ihren gottesfürch- schienen daher Mose, der Begründer des
tigen Vorvätern ähnlich werden. An- Gesetzes und Mittler des Alten Bundes,
dernfalls wird Gott das Land5 (oder die und Elia, der Prophet, als Erneuerer des
Erde) mit dem Bann schlagen müssen. Gesetzes in Israel, um mit Jesus über sein
Wenn Maleachi in der Synagoge ge­ Sterben zu reden, das in Jerusalem ge-
lesen wird, wiederholen die Juden Vers schehen sollte … als ein praktisches
23 nach Vers 24, damit das Buch nicht Zeugnis für die Apostel und für uns alle,
mit einem Fluch aufhört. Aber, so merkt dass Jesus Christus, der sein Leben für
Wolf an: »Dieser Versuch, die Botschaft uns gab, um unsere Sünden zu tragen
abzumildern, ändert nichts an der har- und uns vom Fluch des Gesetzes zu er­
ten Wirklichkeit.«6 lösen, der geliebte Sohn des Vaters ist,
Da wir den Alten Bund im volleren auf den wir alle hören sollen, damit wir
Licht des Neuen lesen, gibt es keinen durch den Glauben an seinen Namen
besseren Schluss für den alttestament- Kinder Gottes und Erben des ewigen
lichen Band dieses Kommentars als die Lebens werden.8

Anmerkungen 6
(3,22-24) Herbert Wolf, Haggai and
Malachi, S. 126.
1
(Einführung) Unser deutsches Wort 7
(3,22-24) Es ist interessant, dass Keils
»Engel« kommt von dem griechi­ und Delitzschs vielbändiges, nun
schen Wort angelos (»Bote« oder schon über einhundert Jahre altes
»En­gel«). Der Name des Buches Ma- Werk noch gedruckt und von vielen
leachi entstammt dem hebräischen benutzt wird. Während rationalis-
Wort Māla´k mit denselben Bedeu- tische, bibelkritische Kommentare
tungen. dauernd durch immer radikaleren
2
(Einführung) Joyce Baldwin, Haggai, Unglauben ersetzt werden, erweisen
Zechariah, Malachi, S. 241. sich lehrmäßig gesunde und gut ge-
3
(2,13-16) Ebd., S. 241. schriebene Kommentare noch für
4
(3,16-18) William Kelly, Lectures In­ kommende Jahrzehnte, ja sogar Jahr-
tro­ductory of the Minor Prophets, hunderte als wertvoll.
S. 536. 8
(3,22-24) C.F. Keil, »Malachi«, Biblical
5
(3,22-24) Das hebräische Wort eretz Commentary on the Old Testament,
kann Land und Erde bedeuten. Bd. XXVI, S. 475.

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Maleachi

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1175
Die Zeit zwischen dem Alten und dem
Neuen Testament
Nachdem Gott zum letzten Mal durch gang mit beschränkten, unbeständigen
Maleachi gesprochen hatte, sprach er Menschen. Nur hin und wieder erken-
vierhundert Jahre lang nicht mehr durch nen wir einen Teil dieses Plans.
Menschen. Eine lähmende Stille in der Es ist hilfreich, sich einen kurzen
göttlichen Offenbarung war die Folge. Überblick über Gottes Kommunikation
Das Schweigen Gottes ließ zweifellos mit den Menschen in den Jahren, die im
viele Theorien über Gottes Charakter Alten Testament festgehalten sind, zu
entstehen. Manche meinten, er müsse verschaffen. Die Berichte, die durch die
sich so verhalten, wie er es immer getan Inspiration des Heiligen Geistes festge-
hatte. Andere vermuteten vielleicht, halten wurden, zeichnen ein einheit-
dass die Menschen zu sündig waren, liches Bild des Handelns Gottes. Diese
um Gottes Stimme zu hören. (Das ist Kontinuität in der Vergangenheit gibt
immer eine absurde Vorstellung, da Aufschluss über das Handeln Gottes in
jede Sünde ein Anstoß für Gott ist. Ohne dem Zeitraum, den wir als Zeit zwi-
seine Gnade hätte er auch vor der Zeit schen den Testamenten bezeichnen.
Maleachis mit keinem Menschen oder Zwei Dinge fallen besonders auf. Er-
keiner Generation kommuniziert, ge- stens hatte Gott sein Volk regelmäßig in
schweige denn danach.) Wieder andere aussichtslose Situationen geführt, bevor
waren vielleicht davon überzeugt, dass er ihm seine Botschaft oder Befreiung
der mangelnde Glaube der Menschen brachte. Zweitens berief er stets einen
die Ursache für Gottes Schweigen und treuen Diener, der »in die Bresche tre-
scheinbare Untätigkeit war. ten« und für das Volk bitten würde (Hes
Aber bei keiner dieser Theorien wur- 22,30; Lutherbibel). Durch diesen Bot-
de die Allwissenheit und Souveränität schafter vollbrachte er sein Werk.
Jahwes in Betracht gezogen. In seiner Denken Sie an die schrecklichen Be-
entschlossenen, bindenden Liebe (hebr. dingungen, unter denen die vorsint­
hesed) hatte er schon längst beschlossen, flutliche Gesellschaft lebte. Es reute
was er tun würde. Dieses lange Schwei- Gott, die Menschen gemacht zu haben
gen gehörte zu seinem ewigen Plan. Er (1. Mo­se 6,6). Vor diesem düsteren und
hatte in zahlreichen Situationen durch trostlosen Hintergrund erklärt die
zahlreiche Menschen gesprochen. Jetzt Bibel: »Noah aber fand Gunst in den
aber wollte er sein größtes und mäch- Augen des HERRN« (1. Mose 6,8). Die
tigstes Wort zu den Menschen zu spre- Situation war aussichtslos, aber Gott
chen: Jesus. Durch das Schweigen – das hatte einen treuen Diener berufen.
lange und ausgeprägte Schweigen – Dieses Muster wiederholte sich bei
wollte er dieser imposanten Offen­ Abraham. Gott rief ein Volk aus einem
barung mehr Nachdruck verleihen. Menschengeschlecht, das in Stolz und
Wir Menschen sind mit Sicherheit Götzendienst verstrickt war. Wir finden
nicht in der Lage, die Wege Gottes voll- es ebenfalls bei Josef und der Bewah-
kommen zu durchschauen. »Denn so rung Israels vor der Hungersnot. Mose
viel der Himmel höher ist als die Erde, war ein weiterer Befreier, der gerade
so sind meine Wege höher als eure zur rechten Zeit auftrat, um Gottes Volk
Wege und meine Gedanken als eure von scheinbar unmöglichen Zuständen
Gedanken« (Jes 55,9). Der Architekt zu befreien. Das gleiche Thema finden
dieses Universums handelt jedoch nie wir im Buch Richter und im Leben von
ohne Plan und Ordnung, selbst im Um- Personen wie Ester und Nehemia.

1177
Die Zeit zwischen dem Alten und dem Neuen Testament

In all diesen und vielen ähnlichen waren, recht tolerant, bis interne Rivali-
Beispielen mussten die Menschen er- täten um das politisch einflussreiche
kennen, dass ihre Bemühungen zu Amt des Hohenpriesters zu einer teil-
nichts führten, bevor Gott eingriff. Was weisen Zerstörung Jerusalems durch
wir von der zwischentestamentlichen den persischen Statthalter führten. Ab-
Geschichte wissen, deutet auf eine ähn- gesehen davon konnten die Juden in
liche Erfahrung hin. Es scheint, als habe dieser Zeit ein recht ungestörtes Leben
Gott zugelassen, dass sein Volk einmal führen.
mehr in eine aussichtslose Situation ge-
riet, bevor er seinen treuesten und als Religiöse Entwicklungen
Einziger vollkommenen Zeugen, seinen Gott benutzte die babylonische Gefan-
Sohn Jesus Christus, ins Spiel brachte. genschaft, um sein Volk vom Götzen-
dienst zu reinigen. Die Israeliten kamen
Der Zeitrahmen mit einer neuen Ehrfurcht vor der
Wenn das Buch Maleachi 397 v.Chr. Schrift und insbesondere vor dem mo-
vollendet wurde, beginnt die zwischen- saischen Gesetz nach Jerusalem zurück.
testamentliche Zeit mit diesem Datum Außerdem hielten sie am theologischen
und endet mit der Ankündigung der Konzept des Monotheismus fest. Diese
Geburt Johannes’ des Täufers durch zwei Einflüsse reichten auch in die zwi-
den Engel (Lukas 1,11-17). In diesem schentestamentliche Zeit hinein.
Zeitraum von vierhundert Jahren gab Das Aufkommen von Synagogen als
es keine inspirierten Schreiber oder lokalen Zentren der Anbetung kann bis
göttlichen Offenbarungen. in diese Zeit zurückverfolgt werden.
Es lassen sich sechs historische Zeit­ Schriftgelehrte spielten bei der Aus­
abschnitte finden. Die Zeit der Perser be- legung der Schriften in den Synagogen
gann eigentlich schon 536 v.Chr. und eine immer wichtigere Rolle. Als Jesus
überschnitt sich von 397 bis 336 v.Chr. geboren wurde, waren die Synagogen
mit der zwischentestamentlichen Zeit. Es bereits gut organisiert und in den jü-
folgten die Zeit der Griechen (336-323 dischen Gemeinschaften der Welt weit
v.Chr.), die Zeit der Ägypter (323-198 v. verbreitet.
Chr.), die Zeit der Syrer (198-165 v.Chr.), Eine weitere Entwicklung, die die
die Zeit der Makkabäer (165-63 v.Chr.) Verbreitung des Evangeliums zur neu-
und die Zeit der Römer (63-4 v.Chr.). Die- testamentlichen Zeit beeinflusste, be-
se sechs Zeitabschnitte wollen wir in gann gegen Ende der persischen Herr-
chronologischer Reihenfolge genauer be- schaft. In Samaria wurde ein Tempel
trachten. Insbesondere wollen wir uns gebaut, durch den in der Anbetung eine
dabei mit der historischen Situation und gewisse Konkurrenz zum Judentum
den religiösen Entwicklungen der einzel- entstand. Dieses Ereignis führte schließ-
nen Zeitabschnitte beschäftigen. lich zu der sozialen und religiösen Spal-
tung zwischen Juden und Samaritern.
Die Zeit der Perser (397-336 v.Chr.)
Das griechische Reich (336-323 v.Chr.)
Historische Situation
Historische Situation
Wie bereits erwähnt waren die Perser
schon seit 536 v.Chr. die vorherrschende Alexander der Große, in vielerlei Hin-
Macht im Nahen Osten. Gott hatte die sicht der größte Eroberer aller Zeiten,
Perser benutzt, um Israel aus der ba­ war die Hauptfigur dieses kurzen Zeit-
bylonischen Gefangenschaft zu be­ abschnitts. Er eroberte Persien, Ba­
freien (Dan 5,30 - 6,1). bylon, Palästina, Syrien, Ägypten und
Die Perser waren gegenüber den Ju- den Westen Indiens. Auch wenn er
den, die in Palästina übrig geblieben schon im Alter von dreiunddreißig Jah-

1178
Die Zeit zwischen dem Alten und dem Neuen Testament

ren starb und somit nur dreizehn Jahre ptolemäischen Dynastie Konflikte zwi-
lang über Griechenland regierte, lebte schen Ägypten und Syrien ausbrachen.
sein Einfluss lange nach ihm weiter. Israel lag genau in der Mitte. Als die Sy-
rer 198 v.Chr. in der Schlacht bei Paneas
Religiöse Entwicklungen Ägypten besiegten, wurde Judäa an
Das große Ziel Alexanders war ein Syrien angeschlossen.
durch Sprache, Brauchtum und Kultur
vereintes Weltreich. Unter seinem Ein- Religiöse Entwicklungen
fluss begann die Welt, Griechisch zu Die Politik der Toleranz, die die Ptole-
sprechen und zu lernen. Dieser Prozess, mäer verfolgten und unter der das Ju-
den wir als Hellenisierung bezeichnen, dentum und der Hellenismus friedlich
beinhaltete die Annahme der grie- nebeneinander existierten, war für den
chischen Kultur und Religion in vielen jüdischen Glauben sehr gefährlich. All-
Teilen der Welt. Der Hellenismus er- mählich wurden die griechischen Ein-
freute sich so großer Beliebtheit, dass er flüsse stärker, und fast unbemerkt wur-
selbst bis in die Zeit des Neuen Testa- de der griechische Lebensstil mehr und
ments hinein von den Römern ge­ mehr angenommen.
fördert wurde. Die Betonung von Schönheit, Formen
Der Kampf der Juden gegen den Ein- und Bewegungen ermutigte die Juden
fluss des Hellenismus auf ihre Kultur dazu, ihre jüdischen religiösen Rituale
und Religion, der sich daraus ergab, zu vernachlässigen, weil sie diese als
war ein langer und erbitterter Kampf. unästhetisch empfanden. Anbetung
Obwohl die griechische Sprache bis 270 wurde mehr und mehr zu einer äuße-
v.Chr. so weit verbreitet war, dass eine ren Übung statt einer inneren – eine
griechische Übersetzung des Alten Ten­denz, die einen bleibenden Einfluss
Testaments angefertigt wurde (die Sep- auf das Judentum hatte.
tuaginta), widersetzten sich gläubige Zwei religiöse Parteien entstanden:
Juden dem heidnischen Polytheismus die Hellenisten, die den Syrern wohl­
vehement. gesonnen waren, und die orthodoxen
Juden, insbesondere die Hasidim oder
Die Zeit der Ägypter (323-198 v.Chr.) »Frommen« (Vorgänger der Pharisäer).
Der Machtkampf zwischen diesen bei-
Historische Situation den Gruppen führte zu einer Spaltung
Nach dem Tod Alexanders 323 v.Chr. der Juden auf politischem, kulturellem
wurde das griechische Reich unter vier und religiösem Gebiet. Dieser Konflikt
Generäle aufgeteilt: Ptolemaios, Lysi- war schließlich die Ursache des Angriffs
machos, Kassander und Seleukos. Das durch Antiochus Epiphanes im Jahr 168
waren Daniels »vier Königreiche«, die v.Chr.
aus dem »großen Horn« hervorgingen
(Dan 8,21.22). Die Zeit der Syrer (198-165 v.Chr.)
Ptolemaios Soter, der erste Herrscher
Historische Situation
der ptolemäischen Dynastie, erhielt
Ägypten und herrschte bald in unmittel- Unter der Herrschaft Antiochus’ des
barer Nähe Israels. Zuerst ging er streng Großen und seines Nachfolgers Seleu-
mit den Juden um. Gegen Ende seiner kos Philopator wurden die Juden zwar
Regierungszeit und unter der Herrschaft teilweise unterdrückt, durften jedoch
seines Nachfolgers Ptole­mai­os Philadel- ihre eigene Regierung unter ihrem Ho-
phos hatten die Juden jedoch viele Frei- henpriester beibehalten. Alles verlief
heiten. Zu dieser Zeit wurde die Septua- friedlich, bis die hellenistische Partei
ginta offiziell genehmigt. sich entschloss, ihren Favoriten Jason
Israel hatte Ruhe, bis gegen Ende der anstelle Onias III., der von den ortho-

1179
Die Zeit zwischen dem Alten und dem Neuen Testament

doxen Juden ernannt worden war, zum priesters identifiziert werden konnte,
Hohenpriester zu machen. Um das zu war gelegt. Das Denkmuster, auf das
erreichen, bestachen Sie Seleukos’ Nach­ sich die zweite Gruppe berief, führte
folger Antiochus Epiphanes. Dadurch später zum Auftreten der Sadduzäer.
entstand ein politischer Konflikt, auf-
grund dessen Antiochus schließlich wut­ Das Makkabäerreich (165-63 v.Chr.)
schnaubend nach Jerusalem reiste.
Historische Situation
Im Jahr 168 v.Chr. setzte sich Antio-
chus das Ziel, alle Eigenheiten des jü- Ein älterer Priester, Mattathias aus dem
dischen Glaubens zu zerstören. Er Hause Hasmon, lebte mit seinen fünf
schaffte sämtliche Opfer ab, verbot den Söhnen in Modein, einer Stadt nord-
Brauch der Beschneidung und stellte die westlich von Jerusalem. Als syrische
Einhaltung des Sabbats und das Feiern Beamte versuchten, in Modein heid-
der jüdischen Feste ein. Die Schriften nische Opfer einzuführen, verursachte
wurden verschandelt oder zerstört. Ju- Mattathias einen Aufstand, tötete einen
den wurden gezwungen, Schweine- abtrünnigen Juden, den er beim Göt-
fleisch zu essen und den Götzen zu zenopfer erwischte, erschlug den sy-
opfern. Sein letzter Akt der Gottesläste- rischen Beamten und floh mit seiner Fa-
rung, der schließlich auch seinen Unter- milie in die Berge. Tausende von gläu-
gang herbeiführte, war die Entheiligung bigen Juden gingen mit ihm. Ihr heili-
des Allerheiligsten, indem er dem Gott ger Eifer für die Ehre Gottes war einer
Zeus dort einen Altar baute und ihm der ehrenvollsten in der Geschichte.
opferte. In der sich daraus ergebenden Nach Mattathias’ Tod führten drei sei-
Verfolgung starben viele Juden. ner Söhne nacheinander den Aufstand
Vielleicht müssen wir an dieser Stelle weiter: Judas mit dem Beinamen Mak-
noch einmal auf Gottes Wirken mit den kabäus (166-160 v.Chr.), Jonathan (160-
Menschen hinweisen. Er schafft aus- 142 v.Chr.) und Simon (143-134 v.Chr.).
sichtslose Situationen oder lässt sie zu Diese Männer waren so erfolgreich, dass
und beruft anschließend einen beson- sie bis zum 25. Dezember 165 v.Chr. be-
deren, treuen Diener. Trotzdem ver­ reits Jerusalem zurückerobert, den Tem-
suchen die Menschen immer wieder, pel gereinigt und die Anbetung wieder
sich selbst zu retten, nur um erneut und eingeführt hatten. An dieses Ereignis
noch tiefer zu fallen, nachdem sie es wird heute mit dem Chanukka-Fest
fast geschafft haben. Genau das geschah (Fest der Einweihung) erinnert.
in der Geschichte der Juden, dem Volk In den abseits gelegenen Gebieten
Gottes. Gott war dabei, die Szene für Judäas gingen die Kämpfe weiter. Die
den kommenden, wahren Erlöser vor- Syrer versuchten einige Male vergeb-
zubereiten. lich, die Makkabäer zu besiegen. Unter
der Führung von Simon erreichten die
Religiöse Entwicklungen Juden schließlich ihre Unabhängigkeit
Wie schon an den historischen Entwick- (142 v.Chr.). Fast siebzig Jahre lang
lungen zu erkennen ist, war die jüdische konnten sie unter der Dynastie der Has-
Bevölkerung jener Zeit geteilter Mei- monäer ihre Unabhängigkeit genießen.
nung über den Hellenismus. Das Fun- Die bemerkenswertesten Führer waren
dament für eine orthodoxe jüdische Johannes Hyrkanus (134-104 v.Chr.)
Gruppierung unter der Führung der und Alexander Jannäus (102-76 v.Chr.).
Schriftgelehrten, die später die Grup-
pierung der »Pharisäer« bildete, und Religiöse Entwicklungen
für eine Gruppe, die wir eher pragma- Die wichtigsten religiösen Entwick-
tisch nennen könnten und die mehr lungen dieser Zeit waren das Ergebnis
oder weniger mit dem Amt des Hohen- der starken Meinungsverschiedenheiten

1180
Die Zeit zwischen dem Alten und dem Neuen Testament

über die Rolle des Königs und des Ho- auch genannt wurde, den Bau eines
henpriesters in Judäa. Seit mehreren neuen Tempels in Jerusalem plante und
Jahrhunderten hatten die Hohenpriester durchführte, war er ein hingegebener
einige offensichtlich politische Funk­ Hellenist und hasste die Familie der
tionen übernommen. Es war nicht mehr Hasmonäer. Er tötete alle Nachkom-
wichtig, dass der Hohepriester aus der men der Hasmonäer, sogar seine eigene
Linie Aarons stammte, sondern dass er Frau Mariamne, Enkelin von Johannes
politischen Einfluss hatte. Orthodoxe Hyrkanus. Anschließend tötete er seine
Juden hielten das für falsch und wider- beiden Söhne, die er mit Mariamne hat-
setzten sich dieser Entwicklung. Als te, Aristobul und Alexander. Dieser
Johannes Hyrkanus an die Macht kam Mann saß auf dem Thron, als Jesus in
und Hoherpriester wurde, eroberte er Bethlehem geboren wurde. Was für
das Ostjordanland und Idumäa und zer- eine düs­tere und aussichtslose Lage für
störte den Tempel in Samaria. Seine das Volk Gottes!
Macht und Beliebtheit brachten ihn
dazu, sich selbst als König zu bezeich- Religiöse Entwicklungen
nen. Das war für die orthodoxen Juden, Das Auftreten der Pharisäer und Sad-
die zu dieser Zeit »Pharisäer« genannt duzäer wurde bereits erwähnt. Bevor
wurden, ein Schlag ist Gesicht. Sie wür- wir drei andere wichtige Gruppie-
den keinen König anerkennen, der nicht rungen erwähnen, wollen wir diesen
aus dem Stamm Davids war, und das beiden größeren Gruppen etwas mehr
war bei den Hasmonäern nicht der Fall. Aufmerksamkeit schenken.
Die Juden, die sich den Pharisäern (1) Die Pharisäer erhielten ihren Na-
widersetzten und die Hasmonäer un- men zu Beginn der Herrschaft Johannes
terstützen, wurden Sadduzäer genannt. Hyrkanus’. Der Name bedeutet »Ab­
Diese Bezeichnungen traten während gesonderte«. Sie waren in großem Maße
der Herrschaft Johannes Hyrkanus’ von den Schriftgelehrten abhängig und
zum ersten Mal auf, der selbst Saddu- blieben dem Gesetz und der Religion
zäer wurde. Jahwes treu. Ihre Betonung der stren-
gen Einhaltung der Schrift führte zu
Das römische Reich (63-4 v.Chr.) einem engen Bezug zum »mündlichen
Gesetz«, der Mischna, mit der das ge-
Historische Situation
schriebene Gesetz auf das Alltagsleben
Die Unabhängigkeit der Juden endete angewandt werden sollte.
63 v.Chr., als Pompeius von Rom Syrien Als Jesus auf der Erde wirkte, war
eroberte und nach Israel einmarschierte. dieses »mündliche Gesetz« so streng
Aristobul II., der sich selbst als König und voller gesetzlicher Zusätze, dass es
Israels bezeichnete, versperrte ihm den mit dem eigentlichen Inhalt der Schrift
Weg nach Jerusalem. Der römische nur noch wenig zu tun hatte. Die an-
Feldherr nahm die Stadt im Sturm und fänglichen Bemühungen, ganz von der
verkleinerte die Grenzen Judäas. Eine Schrift abhängig zu sein, die an sich
Zeit lang sah es so aus, als hätte sich Is- dringend nötig waren, wurden schnell
raels Kampf um Freiheit gelohnt. Jetzt zu äußerlicher Gesetzlichkeit, die dem
schien es allerdings keine Hoffnung eigentlichen Geist der Schrift nicht
mehr zu geben. mehr entsprach.
Im Jahr 47 v.Chr. wurde der Idumäer (2) Die Sadduzäer wurden nach den
Antipater von Julius Caesar zum Pro- Zadokiten oder dem hebräischen Wort
kurator von Judäa ernannt. Antipaters tsaddik (gerecht) benannt. Während die
Sohn Herodes wurde schließlich um Pharisäer eng mit den Schriftgelehrten
40 v.Chr. König der Juden. verbunden waren, hatten die Saddu­
Obwohl Herodes der Große, wie er zäer einen engen Bezug zum Hohen­

1181
Die Zeit zwischen dem Alten und dem Neuen Testament

pries­ter. Die Priester jener Zeit scheinen Zeloten einen feurigen Eifer für ihre
mehr Wert auf die sozialen, politischen Nation hinzu. Sie lehrten eher eine von
und irdischen Aspekte ihres Amtes ge- Menschen vollbrachte, militärische Be-
legt zu haben. Ihre Denkweise war für freiung als ein göttliches Eingreifen.
viele der eher sozial ausgerichteten (5) Die Essener waren ebenfalls ein Pro-
jüdischen Führer recht attraktiv. dukt des römischen Reiches. Sie werden
Zahlenmäßig waren die Sadduzäer im Neuen Testament nicht erwähnt. Al-
den Pharisäern weit unterlegen. Aller- lerdings wurde ihnen seit der Entde-
dings gehörten die meisten Sadduzäer ckung der Schriftrollen vom Toten Meer
zu den reichen und einflussreichen beachtliche Aufmerksamkeit geschenkt.
Priesterfamilien, die die soziale Ober- Die Essener waren eine religiöse
schicht der jüdischen Nation bildeten. Gruppierung, keine politische. Es han-
Für sie hatten die Gesetze Gottes und delte sich um eine pseudospirituelle
die Politik einer Nation nichts mit­ Sekte, die glaubte, sich von der norma-
einander zu tun. Mit anderen Worten len menschlichen Gesellschaft zurück-
bestand für sie kein Zusammenhang ziehen, ein klösterliches Leben führen
zwischen der Notwendigkeit, ein hei- und eine mystische Form des Juden-
liges Leben zu führen, und dem Schick- tums praktizieren zu müssen.
sal ihrer Nation. Religion war Religion, Vor lauter Leidenschaft für den Geist
Politik war Politik. Sie waren den Phari- des Gesetzes und die Absonderung für
säern gegenüber daher sehr skeptisch Gott hatten die Essener den evangelis-
und hielten sie für altmodisch, un­ tischen Auftrag Israels aus den Augen
bedeutend und fanatisch. verloren. Sie gaben sich damit zufrie-
(3) Die Herodianer traten zur Zeit der den, die Welt von sich fernzuhalten,
Römer auf (Mt 22,16). Es war eine poli- ihre Probleme zu ignorieren und sie
tische Partei, deren Hauptziel darin be- ohne jegliche Hoffnung sterben zu las-
stand, Herodes’ Regierung zu unterstüt- sen.
zen. Ihre Motivation war vielleicht die
Angst vor der römischen Regierung und Schlussfolgerung
vor einer eventuellen vollständigen Zer- Die Voraussetzungen waren geschaf-
störung Israels, die durch eine Rebellion fen. Die vergeblichen Versuche der
der Juden verursacht werden könnte. Juden, mit den ständig wechselnden
Sie neigten stark zum Hellenismus und politischen Mächten und religiösen
widersetzten sich den Pharisäern und Glaubensrichtungen umzugehen, hat-
ihren Aufrufen zur Absonderung. ten zu nichts geführt. Israel befand sich
(4) Die Zeloten (oder »Kananäer«, vom in einer Art geistlicher Knechtschaft,
aramäischen Wort kanna’ah, »eifernd«) die noch schlimmer war als die poli-
waren ebenfalls eine politische Partei, tische Knechtschaft. Das Auftreten der
die allerdings eine direkte Opposition unterschiedlichen Gruppierungen und
zu den Anhängern des Herodes bildete. Bewegungen, die wir angesprochen ha-
Sie weigerten sich, sich der römischen ben, war ein Zeichen für die ernsthafte
Regierung unterzuordnen, und hielten Suche nach einer endgültigen Lösung
es ebenso wenig für sinnvoll, wie die dieses Problems. Nichts schien zu wir-
Pharisäer geduldig zu warten, bis Is­ ken. Der Lauf der Geschichte war düs­
raels Messias kommen und die Römer ter. Die Lage war aussichtslos.
besiegen würde. Ihrer Meinung nach Und dann plötzlich unterbrach Gott
half Gott nur denen, die sich selbst hal- sein vierhundertjähriges Schweigen mit
fen. Die Juden sollten bereit sein, für der Ankündigung des kommenden
ihre Unabhängigkeit zu kämpfen. Christus, des treuen Dieners des Herrn.
Dem pharisäerhaften Fanatismus für Und so geht die zwischentestament-
den Buchstaben des Gesetzes fügten die liche Zeit zu Ende.

1182
William MacDonald
Kommentar zum Neuen Testament

1488 Seiten, Hardcover


ISBN 978-3-89397-378-1

Bei diesem Vers-für-Vers-Kommentar geht es dem bekannten


Autor vor allem darum, die Person Jesu Christi großzumachen,
Zusammenhänge der Schrift zu verdeutlichen, die Gedanken Gottes
darzulegen und so Auslegung mit Auferbauung zu verbinden.
Daher sind die Ausführungen stets praxisbezogen und erfrischend
zu lesen. Schwierige Bibelstellen werden nicht einfach übergangen,
sondern ausführlich erklärt, und wichtige Themen in Exkursen
behandelt.
Gleason L. Archer
Schwer zu verstehen?

Biblische Fragen und Antworten


592 Seiten, Hardcover
ISBN 978-3-89397-656-0

Dr. Gleason Archer hat dieses Lexikon geschrieben, um aufzuzeigen,


dass alles in der Bibel mit ihrem Anspruch übereinstimmt, das unfehl-
bare Wort Gottes zu sein. Im letzten Jahrhundert sah sich diese Lehre
zunehmender Kritik ausgesetzt. Leider besitzen Christen, die die
Lehre der Unfehlbarkeit der Bibel ablehnen, für gewöhnlich ein fal-
sches Verständnis von ihr. In den meisten Fällen wurde ihre Sicht von
einem schlecht unterwiesenen Sonntagsschullehrer oder einem über-
enthusiastischen Radioprediger ge­­­­­­­prägt. Möglicherweise hatten sie
nie die Gelegenheit, das Werk eines ernsthaften Gelehrten zurate zu
ziehen. Der Leser wird schnell herausfinden, dass Dr. Archers Sicht
von biblischer Unfehlbarkeit der historische Standpunkt der Kirche
in all ihren Hauptverzweigungen ist. Hinter ihr stehen solch illustere
Namen wie Augustinus, Thomas von Aquin, Johannes von Damaskus,
Luther, Calvin, Wesley und eine Menge anderer. Einfach ausgedrückt:
Der Standpunkt biblischer Unfehlbarkeit behauptet, dass uns die Bibel
an jeder Stelle die Wahrheit sagt.
Wenige Gelehrte sind für solch ein Buch so sehr geeignet wie
Dr. Archer, der die erforderliche Kenntnis alter Sprachen und das
Handwerkszeug biblischer Gelehrsamkeit in sich vereinigt. Zusätzlich
zu seiner Integrität als Gelehrter ist er ein hingebungsvoller Schüler
der Schrift und ein vertrauenswürdiger Leiter für Menschen, die die
Bibel besser verstehen wollen. In seinem Buch werden jene eine rich-
tige Goldgrube finden, die an die Unfehlbarkeit der Bibel glauben und
Hilfe benötigen, diese Überzeugung in Einklang zu bringen mit dem,
was sie in der Bibel lesen, und den Fakten der Erfahrungswelt.

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