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1 EINFÜHRUNG
Mit der Gründung des Schweizerischen Nationalparks wurde 1914 die Funktion der
Landschaft, und damit auch diejenige des Waldes, vollständig geändert. Wo vorher die
Wirtschaftlichkeit im Sinne eines direkten Nutzens bei Forst- und Landwirtschaft im
Vordergrund stand, wurde diese Nutzung aufgegeben und der Schutz der Prozesse und
der Zuwachs an Wissen um eine ungestörte Landschaft in den Vordergrund gerückt. Die
Beobachtung der Landschaft änderte sich aber nur sehr langsam. Obwohl bei der
Gründung des Schweizerischen Nationalparks von Prof. C. Schröter und anderen
namhaften Wissenschaftern postuliert wurde, dass alle 10 Jahre der Bestand des Waldes
in seinen Haupttypen, der Legföhren usw. genau zu revidieren sei, fanden bis heute nur
wenige Erhebungen statt, deren Fokus auf den Wald, dessen Zustand und Veränderung
gerichtet war. Der „Beitrag zur Kenntnis der Waldverhältnisse im Schweizerischen
Nationalpark“ der damaligen Eidgenössischen Anstalt für das forstliche Versuchswesen
und heutigen WSL im Jahre 1960 orientierte sich an den Waldinventuren in Nutzwäldern
und beschrieb die Bestände primär nach ihrem wirtschaftlichen Nutzwert (Holzvorrat,
Zuwachs, Holzqualität, Verbiss). Ein zentrales Element der Kartierung war die
Erstunterscheidung von Wald und Nichtwald. Letzterer wurde in die Betrachtungen gar
nicht miteinbezogen. Auch spätere Vegetationsaufnahmen machten diese
Erstunterscheidung. Sie kamen aber einer ganzheitliche Betrachtung der Landschaft ein
Stück näher, indem auch Flächen ausserhalb des Waldes pflanzensoziologisch
aufgenommen wurden. Allerdings machen sie mit Ausnahme von Angaben zu den
Pflanzengesellschaften kaum Angaben zur Waldstruktur. Beispiele für flächenhafte
Kartierungen sind die Vegetationskarte des Schweizerischen Nationalparks mit einer
Beschreibung der Pflanzengesellschaften von 1968 sowie die Vegetationskartierung des
Schweizerischen Nationalparks und seiner Umgebung, herausgegeben von der
wissenschaftlichen Nationalparkkommission 1992.
Die Tatsache, dass alle drei flächendeckenden Kartierungen sehr unterschiedlichen
Fragestellungen nachgegangen sind verhindert bis heute den Aufbau einer methodisch
vertretbaren Zeitreihe zu diesem Thema.
Die Geschichte zeigt aber, dass ein langfristiges Monitoring nicht dem Zufall überlassen
werden darf, sondern in ein strategisches langfristiges Programm eingebunden werden
muss. Nur so wird es möglich sein vergleichbare Daten zu gewinnen und langfristig die
Wald- und Landschaftsentwicklung zu verfolgen.
Im Rahmen eines alpenweiten Interreg IIIB-Projektes wurden mit Hilfe von CIR (Color-
Infrared) Luftbildern die Lebensräume in 10 Schutzgebieten aus dem gesamten
Alpenraum erfasst. Ziel des Projektes HABITALP war, einheitliche Grundlagen zu
schaffen, damit zu späteren Zeitpunkten mittels weiterer Befliegungen die Interpretation
der Luftbilder nach einheitlichen Richtlinien vergleichbare Zeitreihen der landschaftlichen
Entwicklung für diese Flächen möglich wird. Die Kartierung basierte auf
Luftbildinterpretationen unter Hinzunahme weiterer verfügbarer Informationen.
Geländebegehungen (Verifikationen) dienten hauptsächlich der stichprobeweisen
Überprüfung und der lokalen Adaptation des Interpretationsschlüssels.
Der Interpretationsschlüssel basiert auf einem Schlüssel des deutschen Bundesamtes für
Natur (BfN), ergänzt für die alpine Stufe im Nationalpark Berchtesgaden. Er wurde im
Rahmen dieses Projektes erweitert, weiter systematisiert auf die biogeographischen
Regionen der Alpen ausgedehnt. Ein besonderes Augenmerk wurde auf einen
umfassenden und doch erweiterbaren Interpretationsschlüssel gelegt, bei dem der Wald
aufgrund seiner ökologischen Bedeutung, der räumlichen Ausdehnung in den beteiligten
Schutzgebieten und den Möglichkeiten in der Luftbildinterpretation einen besonderen
Stellenwert bekam.
Nach der Abgrenzung homogener Flächen erfolgt die Interpretation in vier Stufen.
Die erste Stufe folgte einem hierarchischen Ansatz Die Zuweisung einer Fläche zu einem
Habitattyp erfolgte nach Massgabe der vorherrschenden Bedeckung (Dominanzprinzip).
Wald und Feldgehölze wurden in zwei separate Hauptklassen unterschieden. Hier
übernahm der Schlüssel den traditionellen Ansatz der scharfen Trennung Wald und
Nichtwald. Auf der zweiten Stufe werden Deckungsgrade verschiedener Straten und
deren dominante Arten erfasst. Auf der dritten Stufe werden zusätzliche Charakteristika
und die Baumartenanteile im Wald erhoben. Auf der vierten Stufe konnten bei Bedarf
weitere Eigenschaften wie die horizontale Anordnung der Elemente in einer Fläche
(Textur) erfasst werden. Diese Systematik ermöglichte unabhängig des Habitattyps (z.B.
alpiner Rasen, Moor, Geröllhalde) Bäume und Totholz, zu erfassen.
Die Landschaft auf den 170.3 km2 des SNP und 201.8 km2 des angrenzenden Umlandes
wurde im Rahmen von HABITALP mittels digitaler Photogrammetrie und
Luftbildinterpretation lückenlos inventarisiert. Die Landschaft wurde in 8 Hauptklassen
mit 140 – von total 176 möglichen - Landschaftselementtypen unterteilt und mit
zahlreichen zusätzlichen Angaben ergänzt. Damit verfügt der SNP heute über eine
aktuelle und sehr detaillierte Übersicht über die Landschaftselemente weit über die
Parkgrenze hinaus (Abbildung 1).
Die Tabelle 1 gibt Auskunft über die vorkommenden Hauptklassen im SNP und den Anteil
dieser Klassen in Prozent der Gesamtfläche. 51% des SNP liegen in der Klasse „Rohböden
und Extremstandorte“. 31 % wurden als Wald klassiert und 17 % als Rasen und
Staudenfluren. Lediglich 0.1 % der Fläche des SNP sind durch rezente Elemente von
Siedlungs-, Verkehr-, Ver- und Entsorgungseinrichtung geprägt. Allerdings ist bei den
Gewässern zu beachten, dass von den 98.6 ha 18% auf den Speichersee bei Ova Spin
und weitere wasserbauliche Objekte fallen. Ausserhalb des SNP fallen 43% in diese
Kategorie. 11 ha der Gewässer liegen auf der im Jahr 2000 in den SNP integrierten
Seenplatte Macun.
Der Nationalpark hat eine mittlere Meershöhe von 2322 m. Die untersuchte Umgebung
liegt im Mittel 200 m tiefer. Allein dieser Unterschied der beiden Gebiete lässt einiges an
unterschieden in der Bodenbedeckung, insbesondere der Vegetation erwarten.
Der mit 37% höhere Waldanteil ist auch bedingt durch die Wahl des Perimeters, welcher
v.a. auf der linken Innseite die obersten Bereiche der Talflanken nicht umfasst.
Bemerkenswert ist jedoch, dass der Anteil mit Bäumen bestockte Nichtwaldflächen im
Verhältnis zur gesamten mit Bäumen bestockten Fläche signifikant grösser ist.
Die Baumartenanteile innerhalb und ausserhalb des SNP unterscheiden sich sehr deutlich
(Abbildung 4). Während innerhalb des SNP und namentlich im Gebiet Il Fuorn die
Bergföhre dominiert, sind es ausserhalb die Fichte Picea abies und Lärche Larix decidua.
Die Fichte dominiert auf 28% der Waldfläche, die Lärche auf 32%. In der Umgebung des
SNP auch ein Anteil von 4% Laubhölzer (meist Erlen) festzustellen welche auf 8% der
Waldfläche vorkommen.
Eine Übersicht über die räumliche Verteilung der Baumarten im Untersuchungsgebiet
bietet Abbildung 3.
6 TOTHOLZ
Das Vorkommen von Totholz ist ein besonderes Merkmal des SNP. Im Rahmen dieses
Projektes wurde deshalb die Totholzmenge auf jeder Fläche beurteilt. Während im SNP
auf lediglich 39% der Waldfläche kein Totholz festgestellt werden konnte, sind es
ausserhalb des SNP 54%. Erstaunlicherweise ist der Flächenanteil, auf dem nur
vereinzelte liegende oder stehende tote Bäume zu beobachten sind, innerhalb und
ausserhalb mit 37% resp. 38% nahezu gleich hoch. Der Flächenanteil mit gehäuftem
Vorkommen von Totholz liegt mit 24% im SNP deutlich höher als in der Umgebung mit
8% (Abbildung 5).
Auch ausserhalb des Waldes wurde mit dieser Inventur Totholz gefunden. Der
Flächenanteil von Nichtwaldflächen mit Totholz ist im Nationalpark mit 3,0% (339 ha) auf
den ersten Blick etwa gleich hoch wie in der Umgebung mit 2,7% (322 ha).
7 AUSBLICK
90 Jahre im Auge des menschlichen Betrachters mögen lang erscheinen, doch sind sie
nur eine Episode im Lebenszyklus eines Nadelbaums. Nachdem die menschliche Nutzung
im Nationalparkgebiet gestoppt wurde, wächst erst die 1. und 2. Waldgeneration nach.
Obwohl eine Entwicklung bis zum „Naturwald“ über 800 Jahre dauern kann, lassen sich
bereits erste Unterschiede in der Entwicklung im Gegensatz von Nutzwald erkennen.
Im Unterholz der Bergföhrenwälder des Nationalparks keimen junge Arven und
entwickeln sich langsam – oft viele Jahrzehnte – bis die Bergföhren absterben und ihnen
Platz und Licht machen. Es bleibt abzuwarten, ob und wann sie ihren Konkurrenzvorteil
nutzen und die nächste Generation der Waldentwicklung einläuten.
Dies müssen die nächsten Generationen von Veränderungsinventuren im Nationalpark
und den angrenzenden Gebieten zeigen, die auf der Basis dieser flächendeckenden
Erstinventur möglich sind. Zudem bietet der Datensatz ein weiteres grosses Potential für
Analysen in anderen Teilgebieten.
Weiterführende Literatur
BRÄNDLI, U.-B. (1996): Die häufigsten Waldbäume der Schweiz Ber. Eidg. Forsch.anst. Wald Schnee
Landsch. 342
KURTH A., WEIDMANN A.; THOMMEN F. (1960): Beitrag zur Kenntnis der Waldverhältnisse im
Schweizerischen Nationalpark. Mitt. Eidgenöss. Forsch.anst. Wald Schnee Landsch. 36. 4: 219–378.
LOTZ, A. (Hrsg.) (2006): Alpine Habitat Diversity – HABITALP – Project Report 2002–2006. EU
Community Initiative INTERREG III B Alpine Space Programme. Berchtesgaden
PAROLINI, J.-D. (1995): Zu den früheren Waldnutzungen für den Bergbau im Gebiet des
Schweizerischen Nationalparks In: MINARIA HELVETICA 15b/1995. Zeitschrift der Schweizerischen
Gesellschaft für Historische Bergbauforschung
RISCH, A. 2004: Above- and belowground patterns and processes following land use change in
subalpine conifer forests of the Central European Alps. Diss. ETH Nr. 15368. Zürich
STÄHLI, M., FINSINGER, W., TINNER,W., ALLGÖWER, B., (2006). Wildfire history and fire ecology
of the Swiss National Park (Central Alps): new evidence from charcoal, pollen and plant macrofossils.
The Holocene 16(6): 805-817.
Î abb1_übersicht.jpg
Abbildung 2: Die Anteile der aufrechten Bergföhre und der Legföhre bei Stabelchod
Î abb2a_bergföhre.jpg neben abb2b_legföhre.jpg
45.0%
HABITALP - ausserhalb SNP
40.0% Schweizerischer Nationalpark
35.0%
30.0%
25.0%
20.0%
15.0%
10.0%
5.0%
0.0%
Fi Fö Ar LFö BFö Lä üNdh
Abbildung 4: Baumartenanteile innerhalb des SNP und ausserhalb des SNP im Perimeter
des Untersuchungsgebietes
100.00%
Habitalp -ausserhalb SNP
Schweizerischer Nationalpark
10.00%
1.00%
0.10%
kein Totholz einzelne (1-5%) einige (5 - 10%) wenige (10- mittel (40 - sehr viel (60 - alles tot (90 -
40%) 60%) 90%) 100%)