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PHENOMENOLOGICAL ANTHROPOLOGIES

Ángel Alvarado Cabellos

BEMERKUNGEN ZU „KÖRPER“, „RASSE“


UND „MESTIZAJE“ IM HINBLICK AUF
HEIDEGGERS SCHWARZE HEFTE

Das Thema, mit dem sich die vorliegende Arbeit beschäftigt, diskutiert
hauptsächlich die Frage: Sind „Rasse“ und „Geschlecht“ Begriffe, unter de-
nen es möglich wäre, eine latente Philosophie des Körpers bei Heidegger zu
finden? Zunächst zeigen wir aus Heideggers Annäherung an die Leiblichkeit
in den Zollikoner Seminaren, wie sich der Körper als „Prothese“ nicht auf
die ontologische Differenz zwischen der „Vorhandenheit“ und dem „Leiben“
als mitbestimmende Bedingung des „In-der-Welt-Seins“ reduzieren lässt.
Zweitens werden wir sehen, wie Heideggers Auffassung der „Rasse“ analog
zu der der Körperlichkeit ist, indem ihr naturalistisches oder biologisches
Verständnis abgelehnt wird, um sie ontologisch in das „Rassige“ zu transpo-
nieren, ähnlich wie die Unterordnung des „Blutes“ unter die „Stimmung“,
der „Erde“ unter den „Boden“ und der „Körperlichkeit“ unter die Faktizität
der „Geworfenheit“. Diese Transposition wird ihre Aporie insofern zeigen,
als sie gleichzeitig einen „Rest“ aus sich herausschneiden muss. Im Fall der
Rasse geht es um ein Volk, das sein eigenes Volkstum ablehnt. Einerseits
würde das jüdische Volk sein Volkstum als „Rasseprinzip“ verstehen; ande-
rerseits hätte es aufgrund dieses Rassenprinzips indirekt zur „Entrassung“
aller Völker geführt und damit in sich selbst seine „Selbstvernichtung“ auch
als geschichtlichen Charakter des Volkes mit sich gebracht. Drittens werden
wir uns mit dem Versuch befassen, die Rasse in ihrer Materialität als irre-
duzibel auf ihre ontologisch geschichtliche Aneignung zu betrachten, aus
ihrer „phänotypischen Variation“ heraus oder, wie wir vorschlagen, aus der
Unentschlossenheit der „mestizaje“ mittels Deleuze und Guattari1.
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90 Der „Leib“ in den Zollikoner Seminaren


Zunächst lässt sich der Leib nicht durch den Dualismus von Seele und
Körper erklären, sondern als ein Existenzial, ausgehend von der Struktur
des „In-der-Welt-Seins“. Die Gebärde im Sinne des „Bärens“ ist also keine
Bewegung, die etwas Inneres ausdrückt:

In der Philosophie müssen wir den Namen Gebärde nicht auf die Deutung
„Ausdruck“ beschränken, sondern müssen damit alles Sich-Betragen des
Menschen als ein durch das Leiben des Leibes bestimmtes In-der-Welt-Sein
kennzeichnen. [...] Vielmehr hält sich das Betragen schon immer in einer be-
stimmten Gegend auf, die offen ist durch das Ding, auf das ich bezogen bin,
wenn ich zum Beispiel etwas in die Hand nehme2.

So zeigt sich der Leib als eine Mitbestimmung des In-der-Welt-Seins


des Daseins, insofern als er sich als die Öffnung selbst offenbart („so ist
das Leiben mitbestimmt durch mein Menschsein im Sinne des ekstatischen
Aufenthaltes inmitten des gelichteten Seienden“3). Obwohl Heidegger die
ontologische Dimension des Leibes entdeckt, bedeutet dies jedoch nicht,
dass das Sein einen leiblichen Charakter hat. Wie J. Benoist sagt, kann der
Leib, soweit er einen ontologischen Charakter hat, nur durch eine „Entkör-
perung des Seins“ entdeckt werden, also als ein Bruch mit der Metaphysik
als körperliche Anwesenheit4. Tatsächlich sagt Heidegger: „Das Leiben ge-
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hört als solches zum In-der-Welt-Sein. Aber das In-der-Welt-Sein erschöpft


sich nicht im Leiben“5. Obwohl sich das Leiben als In-der-Welt-Sein zeigt,
setzt er das Seinsverständnis als „das Verstehen dessen, dass ich in der Lich-
tung des Seins stehe, und das jeweilige Verständnis des Seins, dessen, wie
Sein im Verständnis bestimmt ist“6. Dieses Stehen in der Lichtung des Seins
ist als Leiben gegeben, aber das Stehen in der Lichtung des Seins bezieht
sich auf etwas jenseits des Leibens, auf das Sein selbst. Wenn Heidegger
sagen kann, dass wir nicht sehen können, weil wir Augen haben, sondern
wir nur Augen haben können, weil wir unserer Grundnatur nach sehenden
Wesens sind, besteht auch unserer In-der-Welt-Sein nicht aus einem Leiben,
vielmehr sind wir leiblich wegen des In-der-Welt-Seins7. So Heidegger in
einer Formulierung, die dieselbe ist, mit der er die „Rasse“ bezeichnet:

Das Leibliche ist fundiert in dem Entsprechen. Das Leibliche ist nicht zu-
nächst für sich da und dann wird ein Bezugsstrom durch es, zum Beispiel
durch die Hand, durchgeschickt. Der Leib ist die notwendige, aber nicht zu-
reichende Bedingung für den Bezug8.
Bemerkungen zu „Körper“, „Rasse“ und „mestizaje“...

Wie J. Benoist betont, ist die Formulierung ziemlich zweideutig, da 91


der „unzureichende“ Charakter des Leibes nur aus dem „In-der-Welt-Sein“,
für den er mitbestimmend ist, erfasst werden kann. Außerhalb der Struk-
tur des In-der-Welt-Seins gäbe es keinen Leib, wie im Falle des Tieres9.
So spricht Heidegger beispielweise in Sein und Zeit von der physiologi-
schen Bedingung der Angst, d. h. von der Möglichkeit, dass der Leib für die
Struktur des In-der-Welt-Seins irreduzibel bleibt, um dennoch noch einmal
auf den Charakter der leiblichen Mitbestimmung des Daseins hinzuweisen:
„Oft ist die Angst „physiologisch“ bedingt. [...] Physiologische Auslösung
von Angst wird nur möglich, weil das Dasein im Grunde seines Seins sich
ängstet“10. Im Gegenteil, dies würde die Möglichkeit offen lassen, dass das
In-der-Welt-Sein für die Beschreibung der Körperlichkeit unzureichend ist.
J. Benoist fragt sich in diesem Sinne, ob die Anordnung des Körpers mittels
der Ontologie in den Bereich des „Unwesentlichen“ nicht eine metaphysi-
sche Voraussetzung implizieren würde, indem Heidegger verpflichtet wäre,
einen „Rest“ hinauszuschneiden, um das Ursprüngliche denken zu können.
Es ist aufschlussreich, darauf hinzuweisen, dass die Beispiele, mit de-
nen J. Benoist die Irreduzibilität des Körpers für die Heidegger’sche On-
tologie zeigt, jene widerspiegeln, die Heidegger bei seiner Annäherung an
die „Rasse“ verwenden wird. So könnte beispielsweise die „Krankheit“
nach der Heidegger’schen Ontologie nur als eine Privation einer existenzi-
alen Möglichkeit des Daseins verstanden werden: „Krankheit ist ein Priva-
tions-Phänomen. In jeder Privation liegt die wesensmäßige Zugehörigkeit
zu solchem, dem etwas fehlt, dem etwas abgeht“11. Wie J. Benoist bekräf-
tigt, ist „Krankheit“ nicht durch die Privation einer existenzialen Möglich-
keit des Daseins erschöpft; sie zeigt sich als „Symptom“, d. h. „als das, was
in seinem Wesen äußerlich ist, das sich dazu weigert, nach dem Sinn meiner
Existenz totalisiert zu werden“12. In diesem Sinne ist „die ursprüngliche Er-
fahrung [von Krankheit] die eines Fleisches, das nur ein Körper ist, der sich
aus der Existenz zurückzieht, auch wenn dieser Rückzug nur einen Sinn
in der Existenz hat“13. Der „unzureichende Bedingungs-“Charakter, seine
„Insuffizienz“, ist in Wirklichkeit das Symptom, dass sein „Sein“ irredu-
zibel auf die Vorhandenheit oder auf das Leiben als In-der-Welt-Sein ist.
So kommt J. Benoist zu dem Schluss: „Mein Körper äußert sich meiner
Existenz als der Rest der ontologischen Differenz, zusätzlich zu ihr und als
solche zugleich indifferent und mitbestimmend für sie“14.
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92 Das „Rassische“ und das „Rassige“


Wie P. Trawny feststellt, ist Heideggers Auffassung der „Rasse“ „ambi-
valent“15. In seiner Vorlesung vom Sommer 1934 über „Logik als die Frage
nach dem Wesen der Sprache“ beschäftigt sich Heidegger mit der „Rasse“
im Rahmen einer Bestimmung des „Volkes“:

„Rasse“ meint nicht nur Rassisches als das Blutsmäßige im Sinne der Verer-
bung, des Erbblutzusammenhanges und des Lebensdranges, sondern meint
zugleich auch oft das Rassige. Dies ist aber nicht beschränkt auf leibliche
Beschaffenheit, sondern wir sagen z. B. auch „rassiges Auto“ (wenigstens die
Jungen). Das Rassige verwirklicht einen bestimmten Rang, gibt bestimmte
Gesetze, betrifft nicht in erster Linie die Leiblichkeit der Familie und der Ge-
schlechter. Rassisch im ersteren Sinne braucht noch lange nicht rassig zu sein,
es kann vielmehr sehr unrassig sein16.

Diese Auffassung nach der „Rasse“, sagt Heidegger, würde das „Volk“
als „Bevölkerung, Einwohnerschaft, Zusammenhang der Geschlechter“ ver-
stehen, d. h. als „Volkskörper im Sinne des leiblichen Lebens“17. Wenn man
sich beeilt, zusammen mit Heidegger die Bestimmung des Volkes auf der
Grundlage seiner Rasse abzulehnen und dann auch die Transposition vom
„Rassischen“ zum „Rassigen“ beiseitezulassen, müsste man darauf achten,
dass die erste Ablehnung dem „körperlichen“ und „sexuellen“ Charakter
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entspricht, der eine Gemeinschaft ausmacht. Diese Ablehnung entspricht bei


Heidegger der Rasse als mit dem „Blutsmäßigen“ verbunden und dennoch
wird auch das Blut ontologisch transponiert. So beschäftigt sich Heidegger
in der gleichen Vorlesung von 1934 mit dem Verhältnis von Stimmung und
Leib. Letzterer besteht, wie wir in Sein und Zeit gesehen haben, aus einer
Unterordnung. Ebenso wird Krankheit (vgl. Zollikoner Seminare) nur als
Privationsphänomen verstanden, das auch auf der Stimmung basieren muss:

Wir sagen z. B.: „Ein Magenleiden drückt auf die Stimmung“, und wir re-
den von „Magenverstimmung“; wir denken dabei aber nicht daran, dass eine
Stimmung ein Magenleiden verursachen kann. Was ist Krankheit? Krankheit
ist nicht die Störung eines biologischen Ablaufes, sondern ein geschichtliches
Geschehen des Menschen, etwas, das unter anderem im Gestimmtsein grün-
det18.

In diesem Rahmen beschäftigt sich Heidegger mit dem „Blut“: „So


kann auch das Blut und das Geblüt nur dann den Menschen wesensmäßig
bestimmen, wenn es von Stimmungen bestimmt ist, nie von sich allein aus.
Bemerkungen zu „Körper“, „Rasse“ und „mestizaje“...

Die Stimme des Blutes kommt aus der Grundstimmung des Menschen“19. 93
Jedoch ist die Stimmung, mit der sich Heidegger hier beschäftigt, im Ge-
gensatz zu der Priorität, die den Stimmungen von Angst und Langeweile
eingeräumt wird, die von „Verärgerung“, „die aufkochen, brodeln und ver-
dampfen wie das Wasser im Kochtopf“20.
Dem analogen Platz der Begriffe „Körper“ und „Rasse“ in der Heideg-
ger’schen Ontologie wollen wir entnehmen, dass die gleiche Geste in beiden
Fällen stattfindet, nämlich den biologischen Charakter der Körperlichkeit
zurückzuziehen und das Phänomen des „Körpers“ auf den der „Stimmung“,
also letztlich auf den der „Geworfenheit“ des Daseins, zu reduzieren. So wie
Heidegger im Falle des „Körpers“ von einer notwendigen, aber nicht zurei-
chenden Bedingung“ spricht, so erklärt er im Falle der Rasse:

Rasse – was eine notwendige und sich mittelbar aussprechende Bedingung


des geschichtlichen Daseins ist (Geworfenheit), das wird zur einzigen und
hinreichenden nicht nur verfälscht – sondern zugleich als das, worüber ge-
sprochen wird. Der „Intellektualismus“ dieser Haltung, das Unvermögen zu
scheiden zwischen rassischer Erziehung und Theoretisieren über Rasse. Eine
Bedingung wird zum Unbedingten aufgesteigert21.

Was in dieser Geste ausgeschlossen ist, ist gerade der Charakter der
Körperlichkeit, nicht als „Gegenstand“, sondern, wie J. Benoist feststellt,
als „Prothese“:

Meine Zahngeschichte ist langwieriger und lästiger als ich dachte; vor allem
macht die Prothese des Unterkiefers Schwierigkeiten beim Essen und Spre-
chen22.

Daher sollten wir uns fragen, was im Begriff des „Rassigen“ nach-
klingt. Das „rassige Auto“ – auch „rassiges Pferd“ sagt man, um nicht von
der Einheit „Pferdestärke“ zu sprechen – ist kein Beispiel eines bloßen „Lei-
bens“, sondern der Notwendigkeit der „Prothese“ als Erweiterung meines
Körpers, ebenso wie des Körpers als das, was die Grenze zwischen dem
Dasein und dem Tier, oder zwischen dem Dasein und der Technik ver-
wischt. Das rassige Auto ist kein Beispiel für eine Ablehnung des biologi-
schen Charakter der Rasse, sondern ist im Gegenteil eine Biologisierung der
Technik (im Englischen gibt es dafür beispielsweise den Begriff „muscle
car“), in einem Sinne des „Biologischen“, der über einen „naturalistischen
Determinismus“ hinausgeht. Das rassige Auto ist weder Vorhandenheit als
„Ausstellungswagen“ noch Zuhandenheit als „Transportfahrzeug“, sondern
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94 „Waffe“. In seiner Bestimmung als Prothese zeigt es nicht nur die Alterität
meines eigenen Körpers, sondern auch den Körper der Alterität, d. h. dass
es im Bereich des „Körperlichen“ nur „Symbiose“, Mischung und Mutation
der Grenzen gibt. Von A. Warhols Autounfallbildern bis zu D. Cronenbergs
Crash schwingt der Fetisch des „Vollblutautos“ mit der Spannung des „Le-
bensdrangs“, den Heidegger als einen naturalistischen Determinismus abtun
will, nämlich dass der Lebenstrieb auch der Todestrieb ist. Wie P. Trawny
hinsichtlich der „Stimme des Blutes“ bei Heidegger sagt: „Blut ja, die Kör-
perflüssigkeit selbst nein“23.
Es ist vielleicht interessant festzustellen, dass der Begriff „Rasse“ nicht
ausschließlich dem Menschen zugeschrieben wurde und wird. Bei Pflanzen
wurde er als taxonomischer Klassifikationsbegriff zusammen mit der „Sor-
te“ und der „Zucht“ verwendet und dann endgültig entfernt. Sicherlich zielt
die „Rasse“ darauf ab, aufgrund ihrer zweideutigen Etymologie zwischen
„Wurzel“ (radix) und „Grund“ (ratio), gleichzeitig einen genealogischen
Charakter von Physis und Eidos zu haben. Bei den Tieren sehen wir jedoch
deutlicher die Spannung, die diesem Wort zugeschrieben wird, denn „Ras-
se“ ist ein Begriff, der nur für Haustiere verwendet wird, also gerade für Tie-
re, die der Mensch nicht nur als Nahrung, Packtier oder Haustier gezähmt
hat, sondern zu diesem Zweck durch Selektion und Kreuzung manipuliert
hat (im Englischen ist der Begriff breeding für „Zucht“ derselbe wie für
„Rasse“). So beginnen wir, die Spannung zwischen dem „Rassischen“ und
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dem „Rassigen“ in den Beispielen des „rassigen Autos“ und des „rassigen
Pferdes“ zu sehen.
Es ist üblich, von Rassen von Hunde oder Kühen zu sprechen, aber es
wäre seltsamer, von Rassen von Tigern oder Schlangen zu sprechen. In Wirk-
lichkeit bezieht sich der Begriff „Rasse“, und damit sein fortschreitender
Abbruch im Bereich der Biologie, einerseits auf die „phänotypische Varia-
tion“ innerhalb einer bestimmten Spezies, d. h. auf die Menge der Merkma-
le eines Organismus, sowohl physisch als auch verhaltensbezogen, auf den
„Ausdruck“, der zwischen dem „Genotyp“ und seiner Umgebung stattfindet.
Die „phänotypische Variation“ ist nicht nur die sichtbare Manifestation des
Genotyps, eine Art ontischen Vorhandenseins einer biologischen Bestim-
mung, sondern ist wie der „Schlag“ oder die „Spur“, die die verschiedenen
Arten des Zusammenspiels mit der Welt erklären; in einer Vernetzung, in der
wir uns und die Welt verändern, einer materiellen Vernetzung, die sich nur
in dieser Materialität „sehen“ lässt. Andererseits, obwohl die „Rasse“ auf
dieser „phänotypischen Variation“ beruht, macht sie gleichzeitig den Willen
aus, sie zu domestizieren und zu klassifizieren, wie bei Tieren, aber auch
Bemerkungen zu „Körper“, „Rasse“ und „mestizaje“...

bei Menschen, um sie zu Nahrung, Packtier oder Haustier zu machen. So ist 95


aus Heideggers Unterordnung des „Rassischen“ unter das „Rassige“ genau
das Problem ersichtlich, dass die Begriffe „Verleiblichung“, „Geschlecht“,
„Drang“ und „Leben“ für seine Ontologie stehen. Die „Rasse“ ist nicht nur
ein „Verfall“ in eine ontischen Bestimmung des ontologischen Charakter
des Daseins, sondern ihre Transposition in das „Rassige“ impliziert auch
eine Formalisierung der Materialität, die sich nicht auf eine ontologische
Struktur der „phänotypischen Variation“ des Lebens reduzieren lässt, die
Heidegger jedoch unter dem Namen „Zerstreuung“ intuitiv erkennt.
„Zerstreuung“ ist in der Tat der Name, den Heidegger der existenzia-
len Möglichkeit des „Leibes“ in seiner Vorlesung von 1928 gibt. So erklärt
er: „Das Dasein überhaupt birgt die innere Möglichkeit für die faktische
Zerstreuung in die Leiblichkeit und damit in die Geschlechtlichkeit. [...]
Das Dasein ist als faktisches je unter anderem in einen Leib zersplittert und
ineins damit unter anderem je in eine bestimmte Geschlechtlichkeit zwie-
spältig“24. Diese dem Dasein als „verleiblicht“ und „geschlechtlich“ inne-
wohnenden Konzepte von „Zerstreuung“ und „Zersplitterung“ lassen sich
nicht in den Charakter des Vorhandenseins einordnen, sondern müssen als
existenziale Möglichkeiten verstanden werden. Und doch entsprechen sie
einem abgeleiteten und uneigentlichen Verständnis der Existenz, das auf die
ursprünglichere Struktur des Daseins zurückgeführt werden muss. Wie D.
Franck feststellt, gehört zum Wesen des Daseins seinem metaphysischen
neutralen Begriff nach eine ursprüngliche „Streuung“, die die Vorausset-
zung für die Möglichkeit seiner faktischen Zerstreuung ist. Und diese „ur-
sprüngliche Streuung“ als „transzendentale Zerstreuung“ gründet in einem
ursprünglichen Charakter des Daseins: der Geworfenheit25. In diesem Sinne
werden Leib und Geschlecht des Daseins jedoch nur als eine formale „Man-
nigfaltigung“ verstanden, um sie der Geworfenheit zuzuordnen. Sicherlich
basiert die „transzendentale Zerstreuung“ des Daseins auf seinem Charakter
des „Mitseins“, aber dieses Mitsein entsteht nicht aus einem faktischen Mit-
einanderleben:

Dieses Mitsein mit... entsteht nicht aufgrund eines faktischen Zusammenda-


seins, es erklärt sich nicht nur auf dem Grunde eines vermeintlich ursprüngli-
cheren gattungshaften Seins der geschlechtlich gespaltenen leiblichen Wesen,
sondern dieses gattungshafte Zusammenstreben und die gattungshafte Eini-
gung hat zur metaphysischen Voraussetzung die Zerstreuung des Daseins als
solchen, d. h. das Mitsein überhaupt. Aber nie und nimmer lässt sich dieser
metaphysische Grundcharakter des Daseins aus der gattungshaften Organisa-
tion, aus dem Miteinanderleben herleiten26.
Ángel Alvarado Cabellos

96 Diese „faktische Zerstreuung“ charakterisiert für Heidegger eine Art


uneigentlicher Existenz, die des faktischen Daseins als innerweltlich und all-
täglich Besorgte, als „Neugier“ in seiner „Aufenthaltslosigkeit“, sowie die
Zerstreuung in Bezug auf sich selbst, d. h. seine „uneigentliche Geschicht-
lichkeit“, die Unentschlossenheit des Daseins in seiner „Erstrecktheit“, die
Frage nach einem „Zusammenhang“ des Lebens im Sinne der Einheit der
„Verkettung“ der Erlebnisse zwischen Geburt und Tod, der nur aufgrund der
„Entschlossenheit“ und des „Schicksals“ geschehen kann: „Die Entschlossen-
heit des Selbst gegen die Unständigkeit der Zerstreuung ist in sich selbst die
erstreckte Stätigkeit, in der das Dasein als Schicksal Geburt und Tod in ihr
,Zwischen‘ in seine Existenz ,einbezogen‘ hält“27. Wie D. Franck sich fragt:

Wenn die neutrale und transzendentale Streuung unter der Figur des Mitseins
der a priori sowohl des in das neutrale Man zerstreuten Miteinanderleben,
als auch des in der Entschlossenheit gegründeten Miteinanderleben ist, das in
einer Art von Gegen-Zerstreuung besteht, wie kann man und wer – welches
Dasein, unter welcher Seinsweise – kann zwischen der neutralen transzenden-
talen Streuung und der Zerstreuung in das neutrale Man unterscheiden [...]?28

Es ist die gleiche „Unentschlossenheit“ in Bezug auf die „Zerstreu-


ung“ als eigentlich oder uneigentlich, die bei Heidegger in Bezug auf die
„Rasse“ auf der Grundlage der „Neutralität“ festgestellt wird. Entweder ist
die Rasse eine uneigentliche „Zerstreuung“ des Daseins als das „Rassische“
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biologisch verstanden oder das „Rassige“ ist eine eigentliche Zerstreuung


des Daseins, d. h. sie basiert auf dem „Mitsein“, das in seiner ontologischen
„Streuung“, d. h. als „Volk“, als eine Art Gegen-Zerstreuung fungiert und in
dem die Begriffe, die sich auf eine uneigentliche Zerstreuung wie „Rasse“,
„Erde“ und „Blut“ orientieren, neu eingeschrieben werden können.
Sicherlich ist diese „Unentschlossenheit“ oder „Ambivalenz“ – und
„Unentschlossenheit“ und „Ambivalenz“ sind auch Modalitäten der unei-
gentlichen Existenz – insofern zu erkennen, als dass Heidegger, aus einer
Ernüchterung der „Rassenlehre“ des Nationalsozialismus, eine Auffassung
der „Rasse“, des „Volkes“ und des „Blutes“ nach einer ontischen Bestim-
mung ablehnt. So bekräftigt er:

Alles Rassedenken ist neuzeitlich, bewegt sich in der Bahn der Auffassung
des Menschen als Subjektum. Im Rassedenken wird der Subjektivismus der
Neuzeit durch Einbeziehung der Leiblichkeit in das Subjektum und die voll-
ständige Fassung des Subjektums als Menschentum der Menschenmasse voll-
endet29.
Bemerkungen zu „Körper“, „Rasse“ und „mestizaje“...

Und zwar deshalb weil für Heidegger ein „Volk“ nicht dadurch de- 97
finiert ist, dass es eine „Rasse“, ein „Geschlecht“ oder eine „Kultur“ ist,
sondern es besteht in einer Macht des geschichtlichen Anfangs, die aus
einer Entgegnung des Wesens von Gottschaft und Menschentum entschie-
den wird, also aus einer Antwort oder einer Entscheidung gegenüber einer
Aufgabe. Das „Volk“ ist in diesem Sinne das, was sich aus dieser Aufgabe
ergibt, und die Entscheidung ist das, was seine geschichtliche Möglichkeit
darstellt30. So Heidegger:

„Die Entscheidung ist aber diese: ob der Mensch des Abendlandes sich dem
Seienden als Gegenstand überlässt oder ob er das Seyn als Ab-grund erringt
und aus diesem die Not einer Gründung seines Wesens aus der Zugewiesen-
heit zum Sein“31.

Wenn eine solche „Entscheidung“ am „ersten Anfang“ bei den Grie-


chen gegeben wird, behauptet Heidegger, dass „alles ,Blut‘ und alle ,Rasse‘,
jedes ,Volkstum‘ […] vergeblich und ein blinder Ablauf [ist], wenn es nicht
schon in einem Wagnis des Seins schwingt“32. Ja, aber die Aporie, die Un-
entschlossenheit der Entscheidung, liegt gerade darin, dass diese ontologi-
sche Charakterisierung der Völker, um ihrer „Neutralität“ in gewisser Weise
entgegenzuwirken, in einem „Volk“ konkretisiert werden muss, in Analogie
zum Solipsismus des Daseins, wobei sie aus dem banalsten ontischen Ver-
urteilen (Protokolle der Weisen von Zion) verstanden wird, d. h. aus einem
absolut „uneigentlichen“ Verständnis des Volkes. Dies deutet darauf hin,
dass Heideggers Auffassung des „Volkes“ zwar über jeden metaphysischen
Essentialismus hinausgehen will, aber durch einen Willen der „Aneignung“
oder „Neugründung“ in dieselbe Metaphysik fällt, d. h. gerade als eine Ver-
leugnung des „Geschehens“ der Geschichte.
So würde man sagen, dass Heidegger durch die „Wiederholung“ des
„ersten Anfangs“, in dem die Griechen seinen ontologischen Geschichtscha-
rakter vollgezogen haben, aber nicht als historische Wiederholung, sondern
als „der andere Anfang“, d. h. durch einen Willen der „Neugründung“, der
ontologischen Differenz als „Geschehen“ nicht treu war. Diese Blindheit
gegenüber seiner eigenen Spannung basiert auf dem Willen des Westens zur
„Selbstbehauptung“, die in einer umgekehrten Geste der Heidegger’schen
Unterordnung von „Krankheit“ unter der „Stimmung“ einen „Fremdkörper“
hinausschneiden muss, der durch seine „Verstreuung“ diese Selbstheit be-
droht. Es ist das, was J.-L. Nancy den „Selbsthass“ des Westens angesichts
dessen nennt, was sich nicht auf die Differenz als Aneignung reduzieren
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98 lässt, d. h. des Körpers, der im Rahmen der Geschichte des Seins in sei-
ner notwendigen Ipseität als „Volk“ im Sinne einer „Rasse“ durchscheint.
Wie J.-L. Nancy sagt: „Heideggers Seyn lässt sich in dem zusammenfas-
sen, was das Sich-selbst-sein oder das Sein als Sich-selbst übersteigt. Aber
der Heidegger der Schwarzen Hefte hat das Selbst in eine Art Feind von
jedem anderen verzerrt“33. Das ist es, was gleichzeitig durch eine ontolo-
gische Transposition des „Rassischen“ in das „Rassige“, des „Blutes“ in
die „Stimmung“, der „Erde“ in den „Boden“ und der „Körperlichkeit“ in
die Faktizität der „Geworfenheit“ ausgetrieben werden muss. Diese Geste
muss gleichzeitig einen „Rest“ hinausschneiden, im Falle des Körpers, wie
wir gesehen haben, seine Bestimmung als Prothese; im Falle der Rasse, ein
Volk, das sein eigenes Volkstum ablehnt. Zum einen würde das jüdische
Volk sein Volkstum genau als „Rasseprinzip“, als naturalistische Bestim-
mung der Rasse verstehen, analog zum Seienden als Gegenstand und zum
Ende der Metaphysik in seinen Bestimmungen von „Machenschaft“ und
„Bodenlosigkeit“. Zum anderen hätte das jüdische Volk aufgrund solcher
Bestimmungen indirekt zur Entrassung der Völker geführt und damit in sich
selbst seine Selbstvernichtung auch als geschichtliche Bestimmung des Vol-
kes mit sich gebracht:

Durch den Rassengedanken wird „das Leben“ in die Form der Züchtbarkeit
gebracht, die eine Art der Berechnung darstellt. Die Juden „leben“ bei ihrer
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betont rechnerischen Begabung am längsten schon nach dem Rasseprinzip,


weshalb sie sich auch am heftigsten gegen die uneingeschränkte Anwendung
zur Wehr setzen. Die Einrichtung der rassischen Aufzucht entstammt nicht
dem „Leben“ selbst, sondern die Übermächtigung des Lebens durch die Ma-
chenschaft. Was diese mit solcher Planung betreibt, ist eine vollständige Ent-
rassung der Völker durch die Einspannung derselben in die gleichgebaute und
gleichschnittige Einrichtung alles Seienden34.

Ergänzt wird dies wiederum durch die Figur des „anderen Anfangs“,
die in der aporetischen Geste der „Mimesis“ verwurzelt ist, d. h. den ersten
griechischen Anfang zu „imitieren“, um einen Ursprung zu gründen. Wie
Ph. Lacoue-Labarthe bereits sagte, geht es um die Geste der mimetischen
Aneignung aller politischen Bildung – welche er „Nationalästhetizismus“
nennt –, der Maxime: „imitiere mich, um dich selbst zu sein“35. Damit ist
verbunden, dass das Wesen des Volkes, das seine eigene Selbstzerstörung
verkörpert, auf einem historischen und nicht auf einem geschichtlichen
Antisemitismus beruht, dessen Ursprung Heidegger nicht in Frage stellt
und der, wie J.-L. Nancy und D. Franck feststellen, seinen Ursprung in der
Bemerkungen zu „Körper“, „Rasse“ und „mestizaje“...

Selbstbestimmung des Christentums unter Ausschluss von seinem jüdi- 99


schen Erbe besteht36. Kurz gesagt, diese geschichtliche Selbstbestimmung
des deutschen Volkes hat seinen Ursprung in einem metaphysischen Willen
zur Selbstbehauptung unter Ausschluss von der Differenz, die sie ausmacht,
unter Ausschluss davon, dass das „Schicksal“ aus dem „Irren“ besteht, was
Derrida „destinérrance“ nennt, und nicht das „Irren“ aus dem „Schicksal“,
wie Heidegger es will. So schließt J.-L. Nancy: „Mit anderen Worten, es ist
notwendig, existieren zu lernen, ohne zu sein und ohne Ziel, ohne vorzuge-
ben, etwas anzufangen oder neu anzufangen – oder etwas abzuschließen“37.

Auf dem Weg zu einer „materialistischen“ Auffassung der


„Rasse“: die „mestizaje“
So bleibt die Körperlichkeit einerseits irreduzibel auf ihre ontologische
Differenzierung als Vorhandenheit oder als Leiben des In-der-Welt-Seins,
auch mit dem strukturellen Moment des „In-Seins“ auf der Grundlage der
Gewesenheit des Volkes, des Blutes und der Rasse, das letztlich jedoch in
der Geworfenheit wieder angeeignet wird. Andererseits kann die Rasse in
ihrer Materialität als „phänotypische Variation“ oder, wie wir vorschlagen
werden, aus der Unentschlossenheit der „mestizaje“ mittels Deleuze und
Guattari betrachtet werden.
Es ist gerade der ambivalente Charakter von Rasse und Körper, der
sich in die ambivalente Haltung der Exegese gegenüber ihnen übersetzt.
Und dies ist eine dem Heidegger’schen gemeinsame Geste, die darin be-
stehen würde, den Körper und die Rasse als das zu bestimmen, was zum
Bereich des Ontischen gehört, was durch die Naturwissenschaften bestimmt
werden kann, sei es Ethnologie oder Biologie. In beiden Fällen besteht die
Geste darin, entweder die Rasse oder den Körper zu „vergeistigen“. Im Falle
des Körpers wird eine solche Vergeistigung jedoch insoweit angeprangert,
als sie ihre Materialität nicht berücksichtigen würde, während im Falle der
Rasse eine solche Vergeistigung ebenfalls angeprangert wird, aber insofern,
als sie nicht geistig genug wäre, weil sie immer noch mit Materialität „kon-
taminiert“ wäre. Kurz gesagt, die Annäherung an die Rasse, die wir in den
Schwarzen Heften finden, wenn man ihren analogen Charakter zu dem der
Körperlichkeit bei Heidegger als „notwendige aber nicht zureichende Be-
dingung“ des Daseins betrachtet, erlaubt es nicht nur, einen auf einer bio-
logistischen Auffassung der Rasse basierenden vulgären Antisemitismus
von einem in die Geschichte des Seins eingeschriebenen Antisemitismus zu
unterscheiden, sondern auch an die Möglichkeit einer „materialistischen“
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100 Auffassung der Rasse zu denken. In diesem Sinne fasst die Kritik an Hei-
degger den Begriff „Rasse“ auf als wäre sie nur ein „soziales oder diskur-
sives Konstrukt“. Im Gegensatz dazu, wie A. Saldanha sagt, wird „Rasse“
nach einer materialistischen Auffassung nicht einfach als eine willkürliche
Bestimmung verstanden, die den Körpern auferlegt wird, sondern ist eine
„unnötige und irreduzible Wirkung der Art und Weise, wie die Körper mit-
einander und mit ihrer Umgebung interagieren“, und ihre Räumlichkeit „ist
nicht eine von Ebenen oder Dialektiken des Selbst und der anderen, sondern
eine ,Viskosität‘, die Körper werden allmählich klebrig und organisieren
sich in Aggregaten“38. So würde die Anprangerung des Antisemitismus in
den Schwarzen Heften nicht den Begriff „Rasse“ leugnen, sondern „ihre
Energien gegen die Klebrigkeit der Rassentrennung kultivieren“39. Wie
kann man sich nach einer materialistischen Auffassung an den Begriff „Ras-
se“ bei Heidegger annähern? Gerade durch die Geste, die im „Rassischen“
keinen verborgenen Rassismus, sondern seine Unfähigkeit, mit seiner „Vis-
kosität“, mit einer sozusagen „ontologischen Mischung“, umzugehen, an-
prangert. Warum stört das Wort „Rasse“ die Exegese so sehr? Es scheint
auf eine ebenso ideologische Voraussetzung des Westens zurückzuführen
zu sein, um einen Kosmopolitismus zu erreichen, der über die vermeintlich
unbedeutenden phänotypischen Unterschiede hinausgeht, die die Europäer
Jahrhunderte lang als „Rasse“ bezeichnet haben.
Wie wir jedoch in Bezug auf den Körper als „Prothese“ in seiner Irre-
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duzibilität auf die ontologische Differenz zwischen Vorhandenheit und Lei-


ben festgestellt haben, sagt A. Saldanha: „der Rassismus operiert in erster
Linie durch die Materialitäten des Begehrens und der Geographie weit ,un-
ter‘ jeder mentalen oder sprachlichen Erkennung“40. In diesem Sinne wür-
de eine „materialistische“ Auffassung von Rasse darin bestehen, wie die
Körper materiell in Hierarchien differenziert werden, nicht aufgrund eines
Transzendierens der Rasse, sondern eines Durchführens ihrer eigenen Kör-
perlichkeit. Die Auseinandersetzung mit dem Begriff „Rasse“ bei Heidegger
in aller seinen Ambivalenz sollte sich daher nicht nur darauf beschränken,
das Material zu sein, aus dem man seinen Antisemitismus bestimmen kann
oder nicht, als wäre der Rassismus 1945 verschwunden, sondern sie sollte
seine Relevanz in einem biopolitischen Register sehen. Wie A. Saldanha
feststellt: „Fremdfeindlichkeit in Europa ist nicht nur mit dem Rassismus,
der die kolonisierenden Gesellschaften konstituierte, sondern auch mit der
fortschreitenden Verarmung der Peripherien vollständig integriert“41.
Es ist zum Beispiel symptomatisch, dass P. Trawny kritisiert wird, weil
er von „Kontamination“ spricht, denn, wie er sagt:
Bemerkungen zu „Körper“, „Rasse“ und „mestizaje“...

Der Begriff der „Kontamination“ ist für das Folgende auf eine spezifische 101
Weise wichtig. Der Antisemitismus, der bestimmte Passagen der „Schwar-
zen Hefte“ befällt, kon-taminiert, berührt anderes mit. Die Folge ist, dass Ge-
danken, die bisher als neutrale theoretische Einsichten aufgefasst wurden, in
einem anderen Licht erscheinen. Das geschieht, weil die Kontamination die
Ränder von Gedanken angreift, sie auflöst, verwischt42.

Was in der „Rasse“ als Name des Körpers genau nachklingt, ist der
„Rest“, der sich nicht in die Struktur des In-der-Welt-Seins einordnen lässt,
für die er gleichzeitig mitbestimmend würde. Es ist das, was als die Alterität
des Körpers in der „Krankheit“ und im „Virus“ schwingt. Es ist gerechtfer-
tigt, von „Kontamination“ in Bezug auf die Rasse zu sprechen, nicht weil
es sich um eine ontische Bestimmung handelt, die die ontologische Reinheit
des Daseins verunreinigt, sondern weil das Wesen der Rasse die „Kontami-
nation“ ist. Das ist es, was G. Deleuze und F. Guattari zum Ausdruck brin-
gen, wenn sie behaupten, dass das „nomadische Denken“ gegen das klas-
sische Gedankenbild, das mit zwei „Universalen“ operiert, das Ganze als
letzte Grundlage des Seins oder des umfassenden Horizontes, und das Sub-
jekt als Prinzip, das das Sein in Für-uns-Seins verwandelt, d. h. „Imperium“
und „Republik“, kein universelles Denksubjekt, sondern eine „einzigarti-
ge Rasse“ beansprucht. Und dieser „Rassenstamm“ basiert nicht auf einer
allumfassenden Totalität, sondern entfaltet sich in „einer Umgebung ohne
Horizont als glatter Raum, Steppe, Wüste oder Meer“43. So bekräftigen sie:

Der Rassenstamm existiert nur auf der Ebene einer unterdrückten Rasse und
im Namen einer erlittenen Unterdrückung: es gibt nur eine untergeordnete,
minoritäre Rasse, es gibt keine dominante Rasse, eine Rasse wird nicht durch
ihre Reinheit definiert, sondern im Gegenteil durch die Unreinheit, die ein
Herrschaftssystem ihr verleiht. Bastard und Mischling sind die wahren Na-
men der Rasse44.

In Wirklichkeit wäre die Rasse

ein verschlungenes und unwissbares Geschlecht, während die Funktion der


Zivilisation darin besteht, Bastarde und Mestizen Körper zu verhindern. Die
Rasse ist ontologisch gesehen das, was den Kategorien der Abstammung ent-
kommt, die nur falsche Verzerrungen der zugrunde liegenden Singularitäten
von Phänotyp und Verhalten sind45.

Interessanterweise erwägt Heidegger die Möglichkeit einer „Mi-


schung“:
Ángel Alvarado Cabellos

102 Warum sollte nicht die Reinigung und Sicherung der Rasse dazu bestimmt
sein, einmal eine große Mischung zur Folge haben: die mit dem Slaventum
(dem Russischen – dem ja der Bolschevismus nur aufgedrängt und nichts
Wurzelhaftes ist)?46.

Wenn gesagt wurde, dass der Begriff „Volk“ keinen ontischen Charak-
ter hat, sondern den geschichtlichen Charakter der Entscheidung und dass
er dennoch in einer „Figur“ „verleiblicht“ werden muss, was nützt es dann,
von einer „Mischung“ zwischen den Völkern zu sprechen, wenn nicht in das
Ontische zurückzukehren? Außerdem ist es gewissermaßen keine horizon-
tale Mischung, sondern eine Mischung, in der „der deutsche Geist in seiner
höchsten Kühle und Strenge ein echtes Dunkel meistern und zugleich als sei-
nen Wurzelgrund anerkennen müsste“47. Und diese Einigung zwischen Ger-
manentum und Russentum besteht in der Aufnahme der „Unerschöpflichkeit
der russischen Erde in die Unwiderstehlichkeit des deutschen Planens und
Ordnens“48. Wie kommt es, dass das deutsche Volk, das sich in einem „Bo-
den“ verleiblichen muss, der jede ontische Bestimmung ablehnt, und der aus
der „Geworfenheit“ verstanden werden muss, eine unerschöpfliche „Erde“
braucht, aus der es Wurzeln schlagen kann? Besteht aus der Betrachtung der
„Mischung“ nicht die Möglichkeit, die Irreduzibilität der Räumlichkeit und
des Körperlichen im Hinblick auf die vermeintliche Selbstbestimmung des
Volkes, auch in ihren ontologisch geschichtlichen Charakter, zu erkennen?
Trotz seiner Ablehnung des „Amerikanismus“, scheint Heidegger die glei-
DIVINATIO, volume 48, autumn-winter 2019

che Strategie der Kolonisierung der „unerschöpflichen Erde“ zu verfolgen,


d. h. des „glatten Raumes“, von dem Deleuze und Guatari als die „Wüste“
der Indianer sprechen. Und doch hat diese „Mischung“ nicht nur einen verti-
kalen Charakter, in dem eine Dialektik des Selbst und des Anderen eindeutig
weiter funktioniert, auch wenn der Andere die „Dunkelheit“ ist, die gleich-
zeitig als der Ort angeeignet werden muss, aus dem diese Aneignung ge-
schehen muss, sondern es ist eine Mischung, die zwei Völker – Germanen-
tum und Russentum – voraussetzt und die „Mischung“ nicht als diejenige
erkennt, die dem „Volk“ vorausgeht. Kurz gesagt, dies ist eine Auffassung
der „Mischung“, die sie noch nicht als „mestizaje“ versteht.
In Übereinstimmung mit den Veröffentlichungen von J.-L. Nancy und P.
Trawny, war die Intention dieses Textes, sich an der „Wunde“ der Schwarzen
Hefte zu orientieren, nicht im manichäischen Sinne zwischen einer Apologie
oder einer Verurteilung des „geschichtlichen Antisemitismus“ Heideggers, d.
h. aus ihm eine „Figur“ zu machen, die nicht nur das Denken zerstören würde,
sondern sich selbst zerstören würde und die daher ausgetrieben werden müsste,
Bemerkungen zu „Körper“, „Rasse“ und „mestizaje“...

sondern vielmehr als die dem Westen eigene Wunde in Bezug auf die „Ras- 103
se“. Eine Verurteilung der Verwendung des Begriffs bei Heidegger würde dem
Willen gehorchen, ihn durch einen „Kosmopolitismus“ zu überwinden, der die
Gefahr mit sich bringt, seine „Präsenz“ im gegenwärtigen Kontext unsichtbar
zu machen, d. h. wenn ein großer Teil der Bevölkerung weiterhin nicht nur unter
den damit verbundenen Vorurteilen lebt, sondern auch nach Wegen sucht, sie zu
bekämpfen. Ihre Unsichtbarkeit wäre in der Tat ein Privileg, das sich diejenigen,
die nicht unter ihrer Bestimmung leben, leisten können.

Literaturverzeichnis
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férence et le reste“, in Autour de Husserl. L’ego et la raison, Paris, J. Vrin,
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Ángel Alvarado Cabellos

104 Saldanha, A., „Introduction. Bastard and Mixed-Blood are the True
Names of Race“, in A. Saldanha und J. M. Adams (Hrsg.), Deleuze and
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Trawny, P., Heidegger und der Mythos der jüdischen Weltverschwö-
rung, Frankfurt, Klosterman, 2014.
Trawny, P., Heidegger-Fragmente, Frankfurt: Fischer, 2018.

Notes
1
Es ist zu beachten, dass die Irreduzibilität des „materiellen“ Charakters der
„Rasse“ in Bezug auf die ontologische Transposition Heideggers im vorliegen-
den Text mit einem Wort „geschlagen“ wird, dessen „Geschlecht“ im Sinne von
„mestizaje“ auch auf das Deutsch irreduzibel bleibt. Wie Derrida in Geschlecht
III betont, führt Heidegger das Wort „fremd“ auf seine „ursprüngliche“ Bedeu-
tung im Althochdeutschen als „fram“ zurück, d.h. als „anderswohin vorwärts“,
letztlich als „unterwegs nach“, in dem es aber kein „Irren“, sondern „Bestim-
mung“ gibt. Eine solche „etymologische“ Annäherung hat bei Heidegger den
Charakter, die Sprache selbst wieder auf das „Ungesprochene“ zurückzuführen,
also das Wort „fremd“ zu etwas „Fremdem“ zu machen. Jedoch transponiert
Heidegger gleichzeitig die lateinische Bedeutung des „Fremden“ als „das Orts-
fremde“ und „das Ungewohnte“ (extraneus) in etwas, das sich im Deutschen
selbst unter Ausschluss jeder „fremden“ Sprache abspielt und das eine solche
lateinische „Fremdheit“ zu einer „immanenten“ Fremdheit macht. Wie Derrida
feststellt, kann man, wenn diese Transposition einmal vollzogen ist, „ein Aus-
DIVINATIO, volume 48, autumn-winter 2019

länder oder ein Fremder von innen heraus sein“ (S. 61). So ist es gerechtfertigt,
den „Rest“ des „Fremden“ als bestimmungslose Nomadisierung in einer frem-
den Sprache als „mestizaje“ zu sagen, wofür das Deutsche ein Wort in Anspruch
nehmen muss, das entweder an seine eigene Kontamination als „Mischlingkeit“
erinnert, also als etwas, das an den jüdisch-arischen Mischling oder an die jüdi-
sche Prägung des Christentums appelliert, oder eine lateinische Kontamination
der eigenen Sprache als „Mestize“ durchsagt.
2
Heidegger, M., Zollikoner Seminare, S. 118.
3
Ebd., S. 113.
4
Benoist, J., „Chair et corps dans les séminaires de Zollikon: La différence et le
reste“, S. 115.
5
Heidegger, M., a. a. O., S. 244.
6
Ebd.
7
Ebd., S. 293-294.
8
Ebd., S. 232.
9
Vgl. Benoist, J., a. a. O., S. 116.
10
Heidegger, M., Sein und Zeit, GA 2, S. 190.
11
Heidegger, M., Zollikoner Seminare, S. 58.
Bemerkungen zu „Körper“, „Rasse“ und „mestizaje“...

12
Benoist, J., a. a. O., S. 119. 105
13
Ebd.
14
Ebd., S. 121.
15
Trawny, P., Heidegger und der Mythos der jüdischen Weltverschwörung, S. 59.
16
Heidegger, M., Logik als die Frage nach dem Wesen der Sprache, GA 38, S. 65.
17
Ebd., S. 65-66.
18
Ebd., S. 153.
19
Ebd.
20
Ebd., S. 151.
21
Heidegger, M., Überlegungen II-IV (1931-1938), GA 94, S. 189.
22
Heidegger, M., Zollikoner Seminare, S. 345.
23
Trawny, P., Heidegger-Fragmente, S. 238.
24
Heidegger, M., Metaphysische Anfangsgründe der Logik im Ausgang von Leib-
niz, GA 26, S. 173.
25
Ebd., S. 174; vgl. auch Franck, D., Heidegger et le problème de l’espace, S. 36.
26
Ebd., S. 174-175.
27
Heidegger, M., Sein und Zeit, S. 390.
28
Franck, D., a. a. O., S. 38.
29
Heidegger, M., Überlegungen XII-XV (1939-1941), GA 96, S. 48.
30
Ebd., S. 48; vgl. auch Nancy, J.-L., Banalité de Heidegger, S. 19.
31
Heidegger, M., Überlegungen VII-XI (1938-1939), GA 95, S. 339-340.
32
Ebd., S. 340.
33
Nancy, J.-L., a. a. O., S. 60.
34
Heidegger, M., Überlegungen XII-XV (1939-1941), GA 96, S. 56.
35
Lacoue-Labarthe, Ph., La fiction du politique. Heidegger, l’art et la politique, S.
114-133.
36
Vgl. Nancy, J.-L., a. a. O., S. 43-49; Franck, D., „Hors du Judaïsme, c.-à-d. du
Christianisme“, S. 209-252.
37
Nancy, J.-L., a. a. O., S. 85.
38
Saldanha, A., „Reontologising Race: the machinic geography of phenotype“, S. 10.
39
Ebd.
40
Saldanha, A., „Introduction. Bastard and Mixed-Blood are the True Names of
Race“, S. 7.
41
Ebd.
42
Trawny, P., Heidegger und der Mythos der jüdischen Weltverschwörung, S. 12.
43
Deleuze, G. und F. Guattari, Mille Plateaux, S. 469.
44
Ebd., S. 470.
45
Saldanha, A., a. a. O., S. 23.
46
Heidegger, M., Überlegungen VII-XI (1938-1939), GA 95, S. 402.
47
Ebd.
48
Ebd., S. 403.

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