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Landgericht Krefeld, 21 StVK 218/16 https://www.justiz.nrw.de/nrwe/lgs/krefeld/lg_krefeld/j2017/21_StVK...

Landgericht Krefeld, 21 StVK 218/16

Datum: 14.08.2017
Gericht: Landgericht Krefeld
Spruchkörper: Strafvollstreckungskammer
Entscheidungsart: Beschluss
Aktenzeichen: 21 StVK 218/16
ECLI: ECLI:DE:LGKR:2017:0814.21STVK218.16.00

Normen: IRG §49; IRG §48; IRG §54

Tenor: Die Vollstreckung des Urteils des Bezirksgericht Parral/Chile vom


16.11.2004 in Verbindung mit dem Urteil des Berufungsgerichts
Talca/Chile vom 06.01.2011 in Verbindung mit dem Urteil des
Chilenischen Obersten Gerichtshofes vom 25.01.2013 wird für zulässig
erklärt.

Die ausländischen Erkenntnisse werden für vollstreckbar erklärt.

Die ausländische Sanktion wird in eine Freiheitsstrafe von 5 Jahren und


1 Tag umgewandelt.

Auf diese Freiheitsstrafe werden 23 Tage erlittene Untersuchungshaft


angerechnet.

Gründe: 1

A. 2

Das Bezirksgericht Parral/Chile verurteilte I X I mit Urteil vom 16.11.2004 durch den 3
Sonderrichter des Berufungsgerichts Talca, I H H, zu 5 Jahren und 1 Tag Freiheitsstrafe
als Gehilfe von Q T bei der Durchführung der Verbrechen des unzüchtigen Missbrauchs
zwischen 1993 und 1997 in der Villa C zu Lasten von 26 minderjährigen Opfern. Die 23
Tage vom 17.06.1997 bis 18.06.1997 und vom 12.08.1997 bis 01.09.1997, an denen er
sich in Untersuchungshaft befand, wurden angerechnet (vgl. Kapitel XXXI, G), Bl. 1403 f.
in Sonderband I-354/13 deutsche Übersetzung 4f)).

Mit Urteil des Berufungsgerichts Talca/Chile vom 06.01.2011 wurde das erstinstanzliche 4
Urteil vom 16.11.2004 bezüglich des Verurteilten I im Ergebnis – mit der Gegenstimme
einer Richterin – bestätigt (vgl. Bl. 52 in Sonderband I-353/13 Nr. 3).

Im Mai 2011 ist der Verurteilte von Chile nach Deutschland geflohen (vgl. u.a. Bl. 55 d. HA, 5
Bl. 9, 13 f. in Sonderband I – 351/13 Nr. 1).

Durch Urteil des chilenischen Obersten Gerichtshofes vom 25.01.2013 wurde das Urteil 6

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vom 16.11.2004 teilweise aufgehoben und der Verurteilte von der Anklage als
Begünstigender von Q T bei der Straftat des sexuellen Missbrauchs zu Lasten von sechs
minderjährigen Opfern freigesprochen. Im Übrigen wurde das Urteil mit Anmerkungen mit
der Maßgabe bestätigt, dass der Verurteilte I neben weiteren Angeklagten als Gehilfe von
Q T wegen Vergewaltigung von vier Minderjährigen unter 12 Jahren und sexuellen
Missbrauchs von 16 Minderjährigen zu einer Freiheitsstrafe von 5 Jahren und 1 Tag
verurteilt wurde (vgl. Bl. 88 ff. in Sonderband I-352/13 Nr. 2). Hinsichtlich der
angenommenen Strafbarkeit differenziert der Oberste Gerichtshof in seiner Begründung
zwischen der Beihilfe zu der Vergewaltigung nach Art. 362 des chilenischen
Strafgesetzbuches in vier Fällen und des sexuellen Missbrauchs nach Art. 366 und 366 bis
des chilenischen Strafgesetzbuches in 16 Fällen. Bei der Straftat der Vergewaltigung nach
Art. 362 des chilenischen Strafgesetzbuches wird derjenige, der eine Person, die jünger
als zwölf Jahre alt ist, zum vaginalen, analen oder oralen Beischlaf nötigt, mit einer im
einzelnen bestimmten Freiheitsstrafe bestraft. Bei der Straftat des sexuellen Missbrauchs
wird im Wesentlichen gegen jenen, der eine minderjährige Person, die jünger oder älter als
zwölf Jahre alt ist, sexuell angreift, dabei aber keinen Beischlaf begeht, eine im Einzelnen
näher bestimmte Freiheitsstrafe verhängt (vgl. Bl. 84 f. in Sonderband I-352/13 Nr. 2).

Der Verurteilung liegen unter anderem folgende Feststellungen zugrunde: 7

Zu den allgemeinen Hintergründen wurde festgestellt, dass die angeklagten Tatbestände 8


in dem Zeitraum zwischen 1993 und 1997 in der Gemeinde Parral in Chile, dort in der Villa
C, ehemals D E stattfanden. Dabei handelte es sich um ein Gut, welches zu seiner Zeit
von der Wohltätigkeits- und Erziehungsgesellschaft E getragen wurde. Die Zufahrten zu
und die Ausfahrten von dem Gut sowie die Bewegungen innerhalb der Villa und sogar
viele Bewegungen außerhalb davon wurden von Personen kontrolliert und/oder
koordiniert, denen diese Aufgabe übertragen worden war. Der Ablauf des
gemeinschaftlichen Lebens und die individuelle Entwicklung jeder der Personen, die
innerhalb einer einzigartigen Realität auf dem Gut arbeiteten oder lebten, fanden im
Rahmen einer streng hierarchischen Struktur statt (vgl. Erstinstanzliches Urteil, Kapitel X.
25.) „Allgemeiner Hintergrund der Tatbestände“, Bl. 945 f. in Sonderband I-354/13
deutsche Übersetzung 4e), welches insofern durch das Urteil des Obersten Gerichthofes
nicht aufgehoben wurde, vgl. Bl. 1, 48, 90 in Sonderband I-352/13 Nr. 2). Die Kinder von
Familien mit spärlichen wirtschaftlichen Mitteln aus verschiedenen Bereichen der Gegend
gingen an den Wochenenden und/oder während gewisser Ferien nach Villa C, nachdem
sie mit ihren Eltern oder Familienangehörigen dort gewesen waren oder von Mitgliedern
der ehemaligen D E an ihren Wohnsitzen abgeholt wurden. Die Kinder wurden von einigen
Siedlern geduscht, was in gemeinschaftlich eingerichteten Badezimmern auf dem Gut
stattfand. Unter den Personen, die diese Aufgaben verrichteten und sie überwachten,
befand sich Q T, einer der Gründer der „D E“. Eine kleine Gruppe von Jungen blieb zum
Leben im sogenannten „intensiven Internat“ in der Villa. Q T ließ sich gewöhnlich von
Jungen und Jugendlichen begleiten, die ihm bei seinen alltäglichen Aufgaben halfen. Er ist
das einzige Mitglied dieser Gemeinschaft, welches für seine persönlichen Aufgaben über
diese sogenannte „Sprinter“ verfügte (vgl. Erstinstanzliches Urteil Kapitel XI. 26.) „Nicht
umstrittener Tatbestand“, Bl. 947-949 in Sonderband I-354/13 deutsche Übersetzung 4e),
welches insofern durch das Urteil des Obersten Gerichthofes nicht aufgehoben wurde, vgl.
Bl. 1, 48, 90 in Sonderband I-352/13 Nr. 2). Der Verurteilte I und weitere Angeklagte waren
Anführer der Villa C und haben als solche an dem Ort das Institut errichtet, das Q T
„Intensivinternat“ nannte, zu dem die angeworbenen Jungen der benachbarten
Ortschaften gingen. Die Eltern der Minderjährigen mussten eine Verpflichtung
unterzeichnen, in der stand, dass einige Personen aus der Gemeinschaft für die Jungen
verantwortlich sein würden, was nicht geschah. Die Kinder wurden aus dem

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reglamentären Schulsystem genommen. Diese Organisation ermöglichte Q T, einige von


ihnen in der beschriebenen Vorgehensweise zu vergewaltigen und andere sexuell zu
missbrauchen. Besagtes Intensivseminar bestand während der Jahre 1995 bis 1997. In
dieser Zeit fanden die meisten sexuellen Angriffe auf die Opfer statt, obwohl schon vor
dieser Zeit, während der an Wochenenden stattfindenden Treffen in Villa C, auch Angriffe
dieser Art gemeldet wurden (vgl. Bl. 28 ff., 43, 53 ff. in Sonderband I-352/13 Nr. 2). Die
Eltern oder Erziehungsberichtigte der Minderjährigen beauftragten diese Vereinigung mit
der Erziehung der Kinder und eines ihrer Mitglieder nutzte die Situation der Verletzbarkeit
und Trennung aus, indem die Kinder in einem Internat mit eiserner Disziplin gehalten
wurden, die es ihnen unmöglich machte, beizeiten um Hilfe zu bitten (vgl. Bl. 83 f. in
Sonderband I-352/13 Nr. 2). Die strenge disziplinäre Ordnung, der die Kinder unterworfen
wurden, schwächte jeden möglichen Widerstand in einem Kontext, in dem Befehle
weitergegeben wurden, sich zum Haus des Täters zu begeben und dort zu baden,
hauptsächlich nachts. Bei diesen Gelegenheiten wurden sie eingesperrt, mussten sich
ausziehen, um anschließend in einer zweifellos wehrlosen Situation von Q T missbraucht
zu werden. Es war bekannt, dass Q T Feuerwaffen bei sich trug und innerhalb der Villa ein
regelrechtes Arsenal an Waffen aufgefunden wurde (vgl. Bl. 34 f. in Sonderband I-352/13
Nr. 2). Es existierte eine Machenschaft, um die betroffenen Minderjährigen zum
Schweigen zu bringen (vgl. Bl. 37 in Sonderband I-352/13 Nr. 2).

Q T missbrauchte zwischen 1993 und 1997 in Villa C jene Minderjährigen sexuell, indem 9
er sie in gemeinschaftlichen Badezimmern oder in dem Badezimmer neben seinem
eigenen Zimmer duschte und/oder sie in seinem Zimmer empfing oder behielt und/oder an
anderen Orten innerhalb der Villa Kontakt mit ihnen hatte. Dabei betastete er lasziv die
Köper der Jungen, fasste ihnen mit den Händen an die Genitalien und/oder rieb seinen
Penis an ihnen und/oder am Analbereich der Kinder. Er wies sie an, sein eigenes
männliches Glied in die Hand zu nehmen. Diese Missbräuche sexueller Bedeutung fanden
zu verschiedenen Zeiten auf wiederholte Weise auf dem Gut der ehemaligen D E statt
(vgl. Erstinstanzliches Urteil Kapitel XIII. „Festgestellte Tatbestände“, 41.), Bl. 967 f. in
Sonderband I-354/13 deutsche Übersetzung 4e), welches insofern durch das Urteil des
Obersten Gerichthofes nicht aufgehoben wurde, vgl. Bl. 1, 48, 90 in Sonderband I-352/13
Nr. 2; vgl. auch Bl. 43 f. in Sonderband I-352/13 Nr. 2). Hinsichtlich der konkreten
Haupttaten, bei welchen Q T von allen Minderjährigen als aktiver Täter benannt wurde
(vgl. u.a. Letztinstanzliches Urteil, Bl. 42 in Sonderband I-352/13 Nr. 2), stellte der Oberste
Gerichtshof insofern eine Vergewaltigung im Sinne eines analen Eindringens bei vier unter
12 Jahre alten Geschädigten auf dem Gelände fest (vgl. im Einzelnen Feststellungen zu
den Geschädigten Bl. 28-42, 56 in Sonderband I-352/13 Nr. 2). Darüber hinaus stellte er
einen in der vorgenannten Art und Weise sowie im Einzelnen beschriebenen sexuellen
Missbrauch bezüglich 16 Minderjährigen, teils unter 14 Jahren, fest (vgl. im Einzelnen
Feststellungen zu den Geschädigten Bl. 28 f., 32, 43 f. in Sonderband I-352/13 Nr. 2).

Hinsichtlich der konkreten Beteiligung des Verurteilten I stellte der Oberste Gerichtshof 10
unter Berücksichtigung seiner eigenen Aussage sowie der vorliegenden Beweismittel fest,
dass der Verurteilte I neben weiteren Angeklagten als Gehilfe an allen von Q T
begangenen Straftaten beteiligt war (vgl. Bl. 47 ff., 55 f., 84 in Sonderband I-352/13 Nr. 2).
I X I, Arzt, Leiter des Krankenhauses in Villa C, Mitglied der Führungsspitze der
ehemaligen D E, Leiter derselben, Sprecher für ihre Aktivitäten vor den sozialen
Kommunikationsmedien, persönlicher Arzt und Sprecher von Q T und ausgiebiger Kenner
der untersuchten Situationen, beteiligte sich daran, indem er einige der Minderjährigen, die
Opfer sexuellen Missbrauchs gewesen waren, untersuchte; indem er verschiedene
Personen bezüglich ihrer Situation befragte; indem er Unterlagen zusammensammelte,
um Q T Alibis zu besorgen; indem er mit diesem Kontakt aufnahm, während er von der

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Polizei wegen des gegen ihn erlassenen Haftbefehles gesucht wurde; indem er der
öffentlichen Meinung mit Hilfe der Medien eine jenem zugeschriebene Nachricht bekannt
gab, die die Gründe enthielt, aus denen er sich nicht dem Gericht stellte; indem er seiner
Frau und seinem Adoptivsohn half, in dem Moment das Land zu verlassen, in dem ihre
Vorladung nahe bevorstand; indem er – ein paar Male – sein eigenes erscheinen vor
Gericht hinausschob; indem er sich damit brüstete, über Waffen zu verfügen, die er nicht
der Polizei übergab; indem er die Wahrheit über T Tätigkeit in Bulnes eher als in Villa C
und über dessen Wohnsitz verzerrte; indem er vermied den oder die Verantwortlichen für
die Minderjährigen zu nennen; indem er der Polizei Bedingungen für sein Erscheinen vor
Gericht stellte; indem er dazu beitrug, T besonders auf Dokumenten medizinischen
Charakters unter einem anderen Namen erscheinen zu lassen (vgl. Erstinstanzliches Urteil
Kapitel XVII „Besondere Situation und Beteiligung eines jeden Angeklagten“, 109.) a) Bl.
1270 f. in Sonderband I-354/13 deutsche Übersetzung 4f), welches insofern durch das
Urteil des Obersten Gerichthofes nicht aufgehoben wurde, vgl. Bl. 48 in Sonderband
I-352/13 Nr. 2).

Bezüglich der Einzelheiten wird auf die zugrundeliegenden ausländischen Urteile und die 11
dortigen Feststellungen Bezug genommen.

Der chilenische Oberste Gerichtshof hat mit Verfügung vom 24.07.2013 den von dem 12
Sonderrichter des Berufungsgerichts Talca, I H H, gestellten Auslieferungsantrag an die
Bundesrepublik Deutschland für zulässig erklärt (vgl. Bl. 35 ff., insb. Bl. 40 in Sonderband I
– 351/13 Nr. 1) und mit Schreiben vom 12.08.2013 das chilenische Außenministerium
ersucht, vor der Regierung der Bundesrepublik Deutschland die Vornahme der
erforderlichen diplomatischen Amtshandlungen zur Auslieferung des Verurteilten
anzuordnen (vgl. Bl. 1 f. in Sonderband I – 351/13 Nr. 1). Der chilenische Oberste
Gerichtshof hat durch Entscheidung vom 02.07.2014 seine Verfügung vom 24.07.2013
dahingehend ergänzt, dass – im Falle der Ablehnung des Auslieferungsantrages – die
Verbüßung der Freiheitsstrafe von 5 Jahren und 1 Tag durch den Verurteilten im ersuchten
Land, nämlich in der Bundesrepublik Deutschland, beantragt wird (Bl. 1 ff., insb. Bl. 6 in
Sonderband I – 249/1 Nr. 5).

Mit Verbalnote vom 19.08.2014 ersuchte die Botschaft der Republik Chile um Auslieferung 13
des Verurteilten wegen seiner Verantwortung für die angeführten Straftaten. Sie ersuchte
des Weiteren darum, dass im Falle der Ablehnung des Auslieferungsersuchens verfügt
werde, dass der Verurteilte die Gefängnisstrafe von 5 Jahren und 1 Tag in der
Bundesrepublik Deutschland als ersuchtes Land verbüßt (Bl. 8 ff. d.HA). Mit Verbalnote
vom 02.03.2015 (Bl. 109 d.HA) übersandte die Botschaft der Republik Chile unter
Bezugnahme auf die Beantragung der Verbüßung in Deutschland die Stellungnahme des
Richters des Berufungsgerichts Talca, Herrn I H H, vom 31.12.2014 im Hinblick auf die von
den deutschen Behörden aufgeworfenen Fragen (vgl. Bl. 6, 105 d.HA) hinsichtlich der
rechtlichen Situation des Verurteilten in dem chilenischen Strafverfahren. Bezüglich der
Einzelheiten wird auf die Stellungnahme des Berufungsgerichts Talca, Herrn I H H, vom
31.12.2014 (Bl. 109a ff. d.HA) Bezug genommen.

Nachdem die Auslieferung des Verurteilten abgelehnt wurde, hat die Staatsanwaltschaft 14
Krefeld unter Bezugnahme auf das chilenische Vollstreckungsübernahmeersuchen am
03.05.2016 beantragt, die Vollstreckung aus den rechtskräftigen chilenischen Urteilen für
zulässig zu erklären und entsprechend dem chilenischen Erkenntnis eine Freiheitsstrafe
von 5 Jahren und 1 Tag festzusetzen (Bl. 326 d.HA). Bezüglich der Begründung wird auf
die Antragsschrift Bezug genommen.

Der Verurteilte hat in der Sache beantragt, den Antrag der Staatsanwaltschaft 15

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zurückzuweisen. Er hat durch diverse Schriftsätze seines Verteidigers, insbesondere vom


18.02.2015, 08.01.2016 und 15.08.2016, sowie durch darin enthaltene persönliche
Ausführungen umfangreich Stellung genommen. Er rügt im Wesentlichen die fehlende
Einhaltung rechtsstaatlicher Mindeststandards in dem chilenischen Strafverfahren. Die
Grundsätze eines fairen Verfahrens seien nicht eingehalten worden, insbesondere sei sein
Recht auf rechtliches Gehör und eine angemessene Verteidigung verletzt und nicht durch
ein unparteiliches Gericht entschieden worden. Hinsichtlich der Begründung seines
Antrags sowie der im Einzelnen erhobenen Einwände wird auf die Schriftsätze und
Stellungnahmen Bezug genommen.

B. 16

Die Vollstreckung aus dem Urteil des Bezirksgericht Parral/Chile vom 16.11.2004 in 17
Verbindung mit dem Urteil des Berufungsgerichts Talca/Chile vom 06.01.2011 in
Verbindung mit dem Urteil des Chilenischen Obersten Gerichtshofes vom 25.01.2013 ist
nach den anzuwendenden Rechtsvorschriften des Gesetzes über die internationale
Rechtshilfe in Strafsachen (im Folgenden IRG) (vgl. hierzu unter I.) gemäß §§ 48, 49 IRG
für zulässig zu erklären (vgl. hierzu unter II.). Die ausländischen Erkenntnisse sind gemäß
§ 54 IRG für vollstreckbar zu erklären und die ausländische Sanktion ist in eine
Freiheitsstrafe von 5 Jahren und 1 Tag umzuwandeln, wobei die erlittene
Untersuchungshaft angerechnet wird (vgl. hierzu unter III.).

I. 18

Rechtsgrundlage für die vorliegende Entscheidung sind §§ 48 ff. IRG. Einschlägige 19


völkerrechtliche oder bilaterale Vereinbarungen für die vorliegende Entscheidung über die
Vollstreckungshilfe, welche den Regelungen des IRG vorgehen würden (vgl. § 1 Abs. 3
IRG), bestehen mit Chile nicht. Insbesondere findet das Übereinkommen über die
Überstellung verurteilter Personen vom 21.03.1983 (im Folgenden
Überstellungsübereinkommen bzw. ÜberstÜbk) nicht vorrangig Anwendung. Denn das
Überstellungsübereinkommen setzt grundsätzlich die – hier nicht erfolgte - Übergabe der
verurteilten Person an den Heimatstaat voraus. Die Anwendbarkeit des
Überstellungsübereinkommen auch auf die Fallkonstellation, in der es der Übergabe nicht
mehr bedarf, weil der Verurteilte – wie hier – bereits in sein Heimatland zurückgekehrt ist,
ergibt sich zwar grundsätzlich aus Art. 2 des Zusatzprotokolls zum
Überstellungsübereinkommen vom 18.12.1997 (vgl. Präambel des Zusatzprotokolls sowie
BT-Drucksache 14/8995, S. 1, 12 f.; Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss
vom 26.04.2010 – 1 Ws 19/10 –, Rn. 13, juris). Seitens Chile ist ein Beitritt zu diesem
Zusatzprotokoll im Sinne von Art. 5 des Zusatzprotokolls jedoch nicht erfolgt (vgl.
Vertragstabelle ZP-ÜberstÜbk, Internetseite des Europarates, Stand 14.08.2017, unter
http://www.coe.int/de/web/conventions/search-on-treaties/-/conventions/treaty
/167/signatures?p_auth=jXcJ9ZTI).

II. 20

Die Voraussetzungen der Zulässigkeit der Vollstreckung der ausländischen Entscheidung 21


nach §§ 48, 49 IRG liegen vor. Insbesondere ist das ausländische Erkenntnis unter
Beachtung der wesentlichen Verfahrensgarantien im Sinne von § 49 Abs. 1 Nr. 2 IRG
ergangen (vgl. hierzu unter II. 2.).

1. 22

Die Voraussetzungen des § 49 Abs. 1 Nr. 1 IRG sind durch die mit dem 23

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Übernahmeersuchen der chilenischen Regierung übersandten Urteile und weiteren


Unterlagen erfüllt. Die ausländischen Erkenntnisse liegen in vollständiger, rechtskräftiger
und vollstreckbarer Form vor.

Ausweislich der amtlichen Bescheinigungen vom 19.06.2013 sind die Urteile des 24
Bezirksgerichts Parral (vgl. 1420 in Sonderband I-354/13 deutsche Übersetzung 4f)), des
Berufungsgerichts Talca (vgl. Bl. 82 in Sonderband I-353/13 Nr. 3) und des Obersten
Gerichtshofs (vgl. Bl. 99 in Sonderband I-352/13 Nr. 2) rechtskräftig. Der Einwand des
Verurteilten, dass ihm das letztinstanzliche Urteil nicht zugestellt worden sei, vermag an
dieser Rechtskraftbescheinigung keine Zweifel zu begründen. Dies gilt insbesondere auch
unter Berücksichtigung des Umstandes, dass er in dem chilenischen Strafverfahren durch
Verteidiger vertreten war und sich diesem Verfahren durch Flucht entzogen hat.

Die ausländischen Erkenntnisse sind darüber hinaus vollstreckbar, weil keine Verbüßung 25
oder sonstige Vollstreckungshindernisse entgegenstehen (vgl. Verfügung des Obersten
Gerichtshofes vom 02.07.2014, Bl. 4 in Sonderband I – 249/1 Nr. 5, sowie Unterlagen zum
Auslieferungsantrag: Mitteilung der Staatsanwaltschaft an den Obersten Gerichtshof vom
03.07.2013, Bl. 25 f. und Verfügung des Obersten Gerichthofs vom 24.07.2013, Bl. 38 in
Sonderband I – 351/13 Nr. 1).

2. 26

Das ausländische Erkenntnis ist gemäß § 49 Abs. 1 Nr. 2 IRG auch in einem Verfahren 27
ergangen, welches mit der Europäischen Konvention vom 4. November 1950 zum Schutz
der Menschenrechte und Grundfreiheiten (im Folgenden EMRK) im Einklang steht. In dem
chilenischen Strafverfahren wurde dem Verurteilten insbesondere rechtliches Gehör
gewährt (vgl. hierzu unter a)), eine angemessene Verteidigung ermöglicht (vgl. hierzu
unter b)) und die Sanktionen wurden von einem unabhängigen Gericht verhängt (vgl.
hierzu unter c)). Auch die sonstigen unabdingbaren Verfahrensvoraussetzungen wurden
gewahrt (vgl. hierzu unter d)). Die von dem Verurteilten vorgebrachten Einwände
vermögen daran keine hinreichenden Zweifel zu begründen.

Die Vorschrift des § 49 Abs. 1 Nr. 2 IRG ist durch das Gesetz vom 17.07.2015 (BGBl. I S. 28
1349) geändert worden. Zuvor sah § 49 Abs. 1 Nr. 2 IRG in der Fassung vom 22.10.2009
vor, dass die Vollstreckung nur zulässig ist, wenn in dem Verfahren, das dem
ausländischen Erkenntnis zugrunde liegt, dem Verurteilten rechtliches Gehör gewährt, eine
angemessene Verteidigung ermöglicht und die Sanktion von einem unabhängigen Gericht
verhängt worden ist. Hinsichtlich der alten Rechtslage waren folgende Grundsätze
anerkannt:

Nach § 49 Abs. 1 Nr. 2 IRG a.F. muss das Verfahren, das zu dem zu vollstreckenden Urteil 29
geführt hat, dem unverzichtbaren Bestand der öffentlichen Ordnung ebenso entsprechen
wie dem völkerrechtlichen Mindeststandard, der über Art. 25 GG Bestandteil des
deutschen Rechts ist. Insofern können lediglich eklatante Verstöße gegen den im
Grundgesetz verankerten rechtsstaatlichen Mindeststandard bzw. gegen die nach Art. 25
GG zu beachtenden Grundsätze elementarer Verfahrensgerechtigkeit des allgemeinen
Völkerrechts (wozu auch Art. 6 EMRK zählt) dazu führen, dass eine begehrte Rechtshilfe
versagt wird. Keinesfalls ist Voraussetzung, dass das ausländische Verfahren an den
Grundgedanken oder den Details der hiesigen Strafprozessordnung gemessen werden
muss (vgl. u.a. Schomburg/Hackner in: Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner: Internationale
Rechtshilfe in Strafsachen, 5. Auflage 2012, § 49, Rn. 6; BVerfG, Beschluss vom
26.01.1982 – 2 BvR 856/81 –, BVerfGE 59, 280-287, Rn. 10, juris; OLG Köln, Beschluss
vom 03. Juli 2007 – 2 Ws 156/07 –, Rn. 42, juris; Brandenburgisches Oberlandesgericht,

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Beschluss vom 26. April 2010 – 1 Ws 19/10 –, Rn. 16, juris). Die Gerichte der
Bundesrepublik Deutschland haben bei der Prüfung der Zulässigkeitsvoraussetzungen
ferner grundsätzlich von der Wirksamkeit eines dem Ersuchen zugrundeliegenden
ausländischen Strafurteils auszugehen und dessen Rechtmäßigkeit auch nicht nach
Maßgabe des innerstaatlichen Rechts des ersuchenden Staates zu überprüfen (vgl.
BVerfG, Beschluss vom 26.01.1982 – 2 BvR 856/81 –, BVerfGE 59, 280-287, juris Rn. 10).
Da die §§ 48 ff. IRG in erster Linie auf humanitären und Fürsorgeerwägungen beruhen, ist
bei der Bejahung der Ausnahmetatbestände des § 49 Abs. 1 Nr. 2 IRG größte
Zurückhaltung geboten (vgl. OLG Rostock, Beschluss vom 08. Juni 2010 – I Ws 128/10 –,
Rn. 16, juris; Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 26. April 2010 – 1 Ws
19/10 –, Rn. 16, juris).

Auch nach der Gesetzesänderung ist das ausländische Verfahren weiterhin weder an dem 30
innerstaatlichen Recht des ersuchenden Staates noch an den Regeln des deutschen
Strafprozessrechts zu messen. Der eigenen Vorstellung vom Rechtsstaat soll auch
keinesfalls dadurch unmittelbar Geltung verschafft werden, dass ein nationaler
Prüfungsmaßstab an das dem ausländischen Erkenntnis zugrunde liegende Verfahren
angelegt wird (vgl. Gesetzesbegründung, S. 91 BT-Drucksache 18/4347).

Die Kammer erachtet darüber hinaus die zu der alten Rechtslage entwickelten Grundsätze 31
hinsichtlich der erforderlichen Intensität bzw. Schwere eines etwaigen Verstoßes gegen
Verfahrensgrundsätze weiterhin als anwendbar. Durch die Gesetzesänderung hat die
Vorschrift insofern eine teilweise Erweiterung erfahren, als dass der Prüfungsmaßstab des
§ 49 Abs. 1 Nr. 2 IRG nicht mehr auf die zuvor genannten drei Verfahrensgarantien
beschränkt ist, sondern auch auf andere Garantien der EMRK zu beziehen ist (vgl.
Gesetzesbegründung, S. 90 f. BT-Drucksache 18/4347). Jedoch ist die Vorschrift nach
Auffassung der Kammer weiterhin dahingehend auszulegen, dass nicht jedweder Verstoß
gegen die EMRK zu einer Versagung der Rechtshilfe führt, sondern nur Verstöße gegen
den wesentlichen Kerngehalt der EMRK. Denn die Vorschrift des § 49 Abs. 1 Nr. 2 IRG
bezweckt einen Kompromiss zwischen den Bedürfnissen zwischenstaatlicher Rechtshilfe
und Gesichtspunkten des innerstaatlichen Verfassungsrechts (vgl. historische
Gesetzesbegründung S. 69 BT-Drucksache 9/1338; Gesetzesbegründung S. 90 BT-
Drucksache 18/4347). Damit die nach Sinn und Zweck des Gesetzes grundsätzlich
gewollte funktionierende zwischenstaatliche Rechtshilfe auch mit Nicht-EMRK-Staaten
nicht leer läuft, sieht bereits die Begründung des historischen Gesetzgebers insofern eine
Versagung der Rechtshilfe nur bei einem eklatanten bzw. offenkundigen Verstoß gegen
den nach deutschem Verfassungsrecht zu fordernden rechtsstaatlichen Mindeststandard
bzw. gegen die fundamentalen rechtsstaatlichen Garantien vor (vgl. historische
Gesetzesbegründung S. 30, 69 BT-Drucksache 9/1338). Für eine solche Auslegung
spricht auch der Wortlaut der neuen Vorschrift, welcher ein „im Einklang stehen“ mit der
EMRK (vgl. insofern auch Gesetzesbegründung S. 91 BT-Drucksache 18/4347 „in
Übereinstimmung mit den Grundsätzen der EMRK“) und nicht etwa einen „Verstoß“ gegen
die EMRK vorsieht. Dies gilt ferner unter Berücksichtigung des von dem Gesetzgeber
offenbar gewollten (vgl. Gesetzesbegründung, S. 91 BT-Drucksache 18/4347) Gleichlaufs
mit dem Überstellungsübereinkommen. Nach Art. 3 Abs. 3 ÜberstÜbk in Verbindung mit
den dazu abgegebenen Erklärungen Deutschlands (in der Bekanntmachung über das
Inkrafttreten des ÜberstÜbk vom 19. Dezember 1991; BGBl. Teil II S. 98) zu Art. 3 Abs. 1
wird die Vollstreckung ebenfalls nur übernommen, wenn die Sanktion in einem Verfahren
verhängt wurde, welches mit der EMRK in Einklang steht. Auch insofern führen lediglich
eklatante Verstöße gegen den im Grundgesetz und der Menschenrechtskonvention
verankerten rechtsstaatlichen Mindeststandard dazu, dass eine begehrte Rechtshilfe
versagt wird (vgl. OLG Rostock, Beschluss vom 08. Juni 2010 – I Ws 128/10 –, Rn. 15,

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juris; ähnlich KG Berlin, Beschluss vom 16. Juli 2007 – 1 AR 105/06 - 2/5 Ws 53/06 –,
Rn. 19, juris, wonach es sich dabei bereits nur um eine Präzision des § 49 Abs. 1 Nr. 2
IRG a.F. handele, ohne im Gehalt darüber hinaus zu gehen; Bock in: Ambos/König
/Rackow: Rechtshilferecht in Strafsachen, 1. Auflage 2015, ÜberstÜbk, S. 696, Rn. 459:
„Mindestanforderungen der EMRK“). Diese Auslegung steht im Einklang mit dem Sinn und
Zweck des Überstellungsübereinkommens, welches einerseits die internationale
Zusammenarbeit in strafrechtlichen Angelegenheiten stärken und eine Unbestraftheit
verhindern sowie andererseits die soziale Wiedereingliederung verurteilter Personen und
die Verbüßung der verhängten Sanktion in der Heimat ermöglichen möchte.

Ungeachtet dessen zielen die Rügen des Verurteilten ohnehin im Wesentlichen auf 32
Verstöße gegen Art. 6 EMRK, dessen Grundsätze auch schon nach der alten Rechtslage
zu dem im Rahmen der Vollstreckungsübernahme zu beachtenden völkerrechtlichen
Mindeststandard, der über Art. 25 GG Bestandteil des deutschen Rechts ist, zählte.

Art. 6 EMRK gewährt Verfahrensgarantien in Form von dem allgemeinen Recht auf ein 33
faires Verfahren sowie weiterer einzelner Teilrechte. Davon umfasst sind insbesondere das
Recht auf eine Entscheidung durch ein unabhängiges und unparteiisches Gericht sowie
die Gewährung rechtlichen Gehörs und einer angemessenen Verteidigung. Bei der
Prüfung einer Verletzung von Art. 6 EMRK stellt der Europäische Gerichtshof für
Menschenrechte (im Folgenden: EGMR) - in verschiedenen Ausgestaltungen hinsichtlich
der Prüfung der Teilrechte - auf eine Beurteilung der Gesamtfairness des Verfahrens ab
(vgl. im Einzelnen Meyer in: Karpenstein/Mayer: EMRK, 2. Auflage 2015, Art. 6 Rn. 7
m.w.N.). Im Rahmen von Rechtshilfeentscheidungen nimmt der EGMR einen Verstoß
gegen Art. 6 EMRK nur an, wenn begründete Tatsachen für die Annahme vorliegen, dass
der Betroffene eine offensichtliche Versagung des fundamentalen Rechts auf ein faires
Verfahren („flagrant denial of fair trial“) erfahren hat. Die offenkundige Verweigerung eines
fairen Verfahrens geht über bloße Unregelmäßigkeiten oder fehlende Garantien im
Verfahren hinaus, wie sie innerhalb eines Konventionsstaats selbst eine Verletzung von
Art. 6 EMRK sein könnten. Erforderlich ist eine Verletzung der in dieser Vorschrift
garantierten Grundsätze des fairen Verfahrens, die so grundlegend und massiv ist, dass
sie einer Aufhebung oder Zerstörung des Wesensgehalts des in Art. 6 EMRK garantierten
Rechts gleichkommt. Wie die äußerst seltene Annahme eines Verstoßes gegen Art. 6
EMRK durch den EGMR in Rechtshilfesachen zeigt, ist das Kriterium der offenkundigen
Verweigerung eines fairen Verfahrens streng auszulegen. Der EGMR hat eine solche
„flagrante Rechtsverweigerung“ insbesondere bei der Zulassung von durch Folter
erlangten Beweismitteln angenommen (vgl. zu Auslieferungsentscheidungen EGMR, Urteil
vom 07.07.1989 – 14038/88 – Soering/Vereinigtes Königreich, Rn. 113; EGMR, Urteil vom
09.05.2012 – 8139/09 – Othmann (Abu Qatada)/The United Kingdom, Rn. 258 ff.; EGMR,
Urteil vom 24.07.2014 – 28761/11 - Al Nashiri/Polen, Rn. 562 ff; Meyer in:
Karpenstein/Mayer: EMRK, 2. Auflage 2015, Art. 6 Rn. 158 m.w.N.).

Bei der gerichtlichen Prüfung im Rahmen des Exequaturverfahrens ist dem ersuchenden 34
Staat im Hinblick auf die Einhaltung der Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit und des
Menschenrechtsschutzes grundsätzlich Vertrauen entgegenzubringen. Dieser Grundsatz
des gegenseitigen Vertrauens kann so lange Geltung beanspruchen, wie er nicht durch
entgegenstehende Tatsachen erschüttert wird. Der Betroffene hat insofern eine
Darlegungslast, mit der er den an der Entscheidung über die Zulässigkeit der Rechtshilfe
beteiligten Stellen hinreichend begründete, substantiierte Anhaltspunkte für eine
menschenrechtswidrige Behandlung im konkreten Fall in dem ersuchenden Staat bieten
muss. Auf konkrete Anhaltspunkte kommt es in der Regel nur dann nicht an, wenn in dem
ersuchenden Staat eine ständige Praxis grober, offenkundiger oder massenhafter

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Verletzungen der Menschenrechte herrscht, was vorliegend hinsichtlich Chile zu verneinen


ist. Nur wenn der Verfolgte hinreichende Anhaltspunkte für eine Unterschreitung des durch
die Menschenwürde garantierten Mindeststandards darlegt, sind im Rahmen des
Exequaturverfahrens weitere Ermittlungen hinsichtlich der Rechtslage und Praxis im
ersuchenden Staat vorzunehmen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 15. Dezember 2015 – 2
BvR 2735/14 –, BVerfGE 140, 317-376, juris Rn. 69 f., 71, 110). Eine in dem
Rechtshilfeverfahren von dem ersuchenden Staat erteilte, völkerrechtlich verbindliche
Zusicherung bzw. Versicherung ist grundsätzlich geeignet, etwaige Bedenken hinsichtlich
der Zulässigkeit der Rechtshilfe auszuräumen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 15. Dezember
2015 – 2 BvR 2735/14 –, BVerfGE 140, 317-376, Rn. 70).

Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze ist ein Verstoß gegen wesentliche 35


Verfahrensgarantien nicht feststellbar. Es gehört zu den elementaren Anforderungen des
Rechtsstaats, die im deutschen Verfassungsrecht insbesondere im Gebot der Gewährung
rechtlichen Gehörs vor Gericht (Art. 103 Abs. 1 GG) Ausprägung gefunden haben, dass
niemand zum bloßen Gegenstand eines ihn betreffenden staatlichen Verfahrens gemacht
werden darf. Daraus ergibt sich für das Strafverfahren das Gebot, dass ein Verfolgter im
Rahmen der von der Verfahrensordnung des ausländischen Staates aufgestellten
angemessenen Regeln die Möglichkeit haben und auch tatsächlich nutzen können muss,
auf das Verfahren einzuwirken, sich persönlich zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen zu
äußern, entlastende Umstände vorzutragen sowie deren Nachprüfung und gegebenenfalls
auch Berücksichtigung zu erreichen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 15. Dezember 2015 – 2
BvR 2735/14 –, BVerfGE 140, 317-376, Rn. 61; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 15.
Januar 2014 – 1 Ws 269/13 –, Rn. 19 m.w.n., juris). Nach der vorzunehmenden
Gesamtbetrachtung wird das dem ausländischen Erkenntnis zugrundeliegende
Strafverfahren in seiner Gesamtheit den Grundprinzipien des fairen Verfahrens und den
wesentlichen Standards der EMRK gerecht. Dies ergibt sich aus den vorliegenden
Unterlagen und Urteilen sowie der im Rechtshilfeverfahren erteilten Versicherung des
ersuchenden Staates. Aus der mit Verbalnote vom 02.03.2015 offiziell durch die
chilenische Regierung im Rahmen des Exequaturverfahrens übermittelten Stellungnahme
des Richters des Berufungsgerichts Talca, Herrn I H H, vom 31.12.2014 ergibt sich, dass
dem Verurteilten rechtliches Gehör und eine angemessene Verteidigung in dem
chilenischen Strafverfahren gewährt wurden (vgl. Bl. 109a HA). Insofern bestätigt auch der
Oberste Gerichthof in seiner Verfügung vom 02.07.2014, dass der Verurteilte im Rahmen
des ihn verurteilenden Verfahrens einer Vernehmung unterzogen wurde und seine
Pflichtverteidiger alle in der chilenischen Gesetzgebung vorgesehenen Rechtsmittel
ausübten, wonach das Urteil in zweiter Instanz und auch von dem Obersten Gerichtshof,
also von einem unabhängigen Gericht, verfassungs- und gesetzmäßig einer Revision nach
den Grundsätzen und Vorschriften des chilenischen Strafrechtssystems unterzogen wurde
(vgl. Bl. 4 in Sonderband I – 249/1 Nr. 5).

Die von dem Verurteilten vorgebrachten Einwände sind nicht geeignet, hinreichende 36
Anhaltspunkte für einen Verstoß gegen wesentliche Verfahrensgarantien zu begründen.
Der Verurteilte wiederholt unter anderem Einwendungen, welche er bereits in dem
chilenischen Strafverfahren im Rahmen seiner Verteidigung vorgebracht hat. Die
chilenischen Gerichte haben sich mit diesen Einwendungen im Einzelnen in den
verschiedenen Instanzen auseinandergesetzt, diese geprüft und darüber rechtskräftig
entschieden. Es ist nicht Aufgabe des Exequaturverfahrens, die von dem Verurteilten
bereits in dem ausländischen Verfahren vorgebrachten Einwendungen im Einzelnen
erneut zu überprüfen. Die Kammer verkennt nicht, dass das zugrundeliegende chilenische
Strafverfahren nach dem Vorbringen des Verurteilten sowie ausweislich der vorliegenden
Unterlagen und Urteile teilweise Abweichungen zu dem hiesigen Strafprozess aufweist. Es

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kommt jedoch nicht auf einzelne Verfahrensfehler oder prozessuale Abweichungen zum
hiesigen Strafprozess an. Hinreichende Anhaltspunkte für eine Unterschreitung der durch
die EMRK gewährten wesentlichen Kerngarantien sind nicht ersichtlich. Die von dem
Verurteilten vorgebrachten Einwände legen teils Anhaltspunkte für einen solchen Verstoß
schon nicht schlüssig dar und sind im Übrigen - auch bei einer Gesamtbetrachtung - nicht
geeignet, Verfahrensverstöße mit der erforderlichen Qualität eines Verstoßes gegen
unverzichtbare Verfahrensstandards zu begründen.

Im Einzelnen: 37

a) Rechtliches Gehör 38

Ein Verstoß gegen den Grundsatz der Gewährung rechtlichen Gehörs ist nicht ersichtlich. 39

aa) 40

Hinreichende Anhaltspunkte für einen solchen Verstoß hat der Verurteilte bereits nicht 41
schlüssig dargelegt. Der Behauptung des Verurteilten, sein Anspruch auf Gewährung
rechtlichen Gehörs sei verletzt worden, steht schon entgegen, dass er selbst schildert,
dass im Zeitraum von April bis September 1997 immer wiederkehrende Vernehmungen
stattgefunden haben (vgl. u.a. Schriftsatz vom 15.08.2016, Bl. 360 f. d. HA.). Ferner trägt
er selbst vor, dass es eine mündliche Verhandlung mit ihm in Anwesenheit seiner Anwälte
gegeben habe (vgl. Anlage 9 zum Schriftsatz vom 08.01.2016, Bl. 270 d. HA).

bb) 42

Der Einwand des Verurteilten ist zudem durch die gegenteilig lautende Versicherung des 43
Richters des Berufungsgerichts Talca, Herrn I H H, vom 31.12.2014 (Bl. 109a ff. d.HA)
auszuräumen, in welcher – unter Belegung von Fundstellen in der chilenischen Akte –
ausgeführt wird, dass der Verurteilte tatsächlich und rechtzeitig angehört worden sei. Er
habe alle ihm im Rahmen des Verfahrens angelasteten Tatbestände sowie die möglichen
gesetzlichen Folgen derselben persönlich und direkt zur Kenntnis genommen. Er sei bei
seiner Vernehmung – von dem Richter persönlich – mehrmals und auch bei Aufnahme der
vielen von ihm für sich oder auch durch seine Rechtsanwälte im Verlauf des Verfahrens
gestellten Anträge sowie bei Beschluss über diese angehört worden. Diese Aussagen
seien berücksichtigt und in dem erstinstanzlichen Urteil erwogen worden (vgl. Bl. 109a f. d.
HA).

Diese Versicherung steht in Einklang mit den aus den vorliegenden Unterlagen 44
ersichtlichen Umständen. Das erstinstanzliche Gericht hat hinsichtlich der insofern von der
Verteidigung des Verurteilten bereits damals erhobenen Einwänden (vgl. u.a.
Erstinstanzliches Urteil Bl. 57, Bl. 126 ff., Kapitel V. in Sonderband I-354/13 deutsche
Übersetzung 4a)) in seinem Urteil unmissverständlich festgestellt, dass diese
Einwendungen der Verteidigung nicht zutreffend seien und sich nicht auf den Inhalt des
Verfahrens stützen (vgl. Erstinstanzliches Urteil, Bl. 258 in Sonderband I-354/13 deutsche
Übersetzung 4b)). Aus den chilenischen Urteilen ergibt sich, dass dem Verurteilten in
unterschiedlichen Verfahrensstadien rechtliches Gehör gewährt wurde. Der Verurteilte
hatte persönlich ausführlich Gelegenheit, sich zu den Vorwürfen und den
zugrundeliegenden Sachverhalten zu äußern. Neben persönlichen Vernehmungen des
Verurteilten standen dem Verurteilten Verteidiger zu Seite, welche unter anderem zu der
Anklageschrift Stellung genommen, verfahrensbezogene Anträge gestellt und Rechtsmittel
eingelegt haben. Seine Stellungnahmen haben unter anderem in dem erstinstanzlichen
Urteil umfangreich Berücksichtigung gefunden (vgl. u.a. Erstinstanzliches Urteil, Kapitel XV

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„Erscheinen vor Gericht, Aussagen bei der Ermittlung und Gegenüberstellung der
Angeklagten {...}“, 57.) Bl. 985 ff. in Sonderband I-354/13 deutsche Übersetzung 4e)). Die
Angeklagten leisteten die Aussagen vor dem zuständigen Richter und bei allen wurden die
gesetzlich vorgesehenen Rechte streng respektiert (vgl. Erstinstanzliches Urteil, Kapitel
XV „Erscheinen vor Gericht, Aussagen bei der Ermittlung und Gegenüberstellung der
Angeklagten {...}“, 80.) Bl. 1236 in Sonderband I-354/13 deutsche Übersetzung 4f)). Der
Verurteilte wurde vor seiner Befragung auch darauf aufmerksam gemacht, dass er wegen
einer möglichen Behinderung des Gerichts und/oder Begünstigung des Angeklagten Q T
befragt werde (vgl. Erstinstanzliches Urteil, Kapitel XV „Erscheinen vor Gericht, Aussagen
bei der Ermittlung und Gegenüberstellung der Angeklagten {...}“, 57.) Bl. 993 in
Sonderband I-354/13 deutsche Übersetzung 4e)). Der Einwand des Verurteilten, dass ihm
bei den Vernehmungen der konkrete Vorwurf nicht mitgeteilt worden sei, lässt sich daher
nicht nachvollziehen.

Der Beschwerdeführer ist demnach sehr wohl gehört, aber eben nicht erhört worden. Dies 45
stellt weder eine Verletzung des rechtlichen Gehörs dar noch kann es als Hinweis auf
Willkür oder sonst auf einen Verstoß verfahrensrechtlicher Mindeststandards gewertet
werden (vgl. OLG Rostock, Beschluss vom 08. Juni 2010 – I Ws 128/10 –, Rn. 19, juris).

cc) 46

Sofern der Verurteilte in diesem Zusammenhang ferner pauschal rügt, dass er nicht über 47
ein Aussageverweigerungsrecht belehrt worden sei, sind dadurch hinreichende
Anhaltspunkte für einen Verstoß gegen wesentliche Verfahrensgarantien nicht ersichtlich.
Der Verurteilte behauptet bereits nicht, dass er von einem Schweigerecht Gebrauch
gemacht hätte. Dem erstinstanzlichen Urteil lässt sich vielmehr entnehmen, dass der
Verurteilte seine Aussagebereitschaft bekundet habe (vgl. Erstinstanzliches Urteil, Kapitel
XV „Erscheinen vor Gericht, Aussagen bei der Ermittlung und Gegenüberstellung der
Angeklagten {...}“, 57.) Bl. 996 in Sonderband I-354/13 deutsche Übersetzung 4e)).

Der einschlägigen bundesrechtlichen und völkerrechtlichen Praxis ist zudem nicht zu 48


entnehmen, dass ein etwaiges fehlendes Aussageverweigerungsrecht bzw. eine fehlende
Belehrung darüber schlechthin unzulässig wäre. Das Recht zu Schweigen ist kein
absolutes Recht (vgl. EGMR, Urteil vom 08.02.1996 – 18731/91 – Murray/The United
Kingdom, Rn. 47). Es ist im Rahmen des Verhältnismäßigen beschränkbar, solange sein
Wesensgehalt intakt bleibt (vgl. im Einzelnen Meyer in: Karpenstein/Mayer: EMRK, 2.
Auflage 2015, Art. 6, Rn. 130 ff. m.w.N.). Eine Rechtshilfeentscheidung ist somit nicht
schon dann unzulässig, wenn die Selbstbelastungsfreiheit im Prozessrecht des
ersuchenden Staates nicht in demselben Umfang gewährleistet sein sollte, wie dies von
Verfassungs wegen im deutschen Strafverfahren der Fall ist, sondern erst dann, wenn
selbst der Kernbereich des nemo-tenetur-Grundsatzes nicht mehr gewährleistet ist (vgl.
BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 06. September 2016 – 2 BvR 890/16 –, Rn. 36,
juris). Der Wesensgehalt wäre etwa berührt, wenn ein Beschuldigter durch Zwangsmittel
dazu angehalten würde, eine selbstbelastende Aussage zu tätigen und so die
Voraussetzungen für seine strafgerichtliche Verurteilung zu schaffen. Eine solche oder
gleich schwerwiegende Verletzung ist vorliegend durch die Aussage des Verurteilten, in
welcher er zudem jegliche strafrechtliche Verantwortung leugnet, weder ersichtlich noch
von dem Verurteilten dargelegt. Auch eine Vereidigung ist entsprechend dem hiesigen
Verständnis (§ 60 Nr. 2 StPO) nicht erfolgt.

b) Angemessene Verteidigung 49

Ein Verstoß gegen wesentliche Verfahrensgrundsätze im Hinblick auf das Recht auf eine 50

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angemessene Verteidigung in dem chilenischen Strafverfahren ist nicht ersichtlich.

Die Kammer verkennt nicht – worauf es nach dem anzulegenden Prüfungsmaßstab aber 51
auch nicht ankommt –, dass die Verteidigungsrechte in dem chilenischen Verfahren nicht
in allen Punkten mit dem hiesigen Verfahrensverständnis übereinstimmen. Bei der
vorzunehmenden Gesamtbetrachtung kann jedoch nicht davon ausgegangen werden,
dass die Abweichungen derart grundlegend sind, dass nicht mehr von einem grundsätzlich
fairen Verfahren gesprochen werden kann. Dies gilt auch unter Berücksichtigung der
Rechtsprechung des EGMR, wonach ein Verstoß gegen Art. 6 EMRK im Sinne einer
offensichtlichen Versagung des fundamentalen Rechts auf ein faires Verfahren („flagrant
denial of fair trial“) wegen Verletzung der Verteidigungsrechte allenfalls bei einem lediglich
summarischen Verfahren und völliger Missachtung der Verteidigerrechte oder bei einer
absichtlichen und systematischen Verweigerung eines Zugangs zu einem Rechtsanwalt
bejaht wurde (vgl. EGMR, Urteil vom 09.05.2012 – 8139/09 – Othmann (Abu Qatada) ./.
The United Kingdom, Rn. 258 ff. m.w.N.). Ein solcher Verstoß ist vorliegend nicht
ersichtlich.

Der Verurteilte wurde in den verschiedenen Instanzen durch Verteidiger vertreten, welche 52
auf den Gang des Verfahrens Einfluss nehmen konnten, für den Verurteilten Stellung
genommen, verfahrensbezogene Anträge gestellt sowie ordentliche und außerordentliche
Rechtsmittel eingelegt haben (vgl. hierzu unter aa) und bb)). Die von dem Verurteilten
vorgebrachten Einwände sind nicht geeignet, einen Verstoß gegen die unabdingbaren
Verfahrensgarantien des Rechts auf eine angemessene Verteidigung zu begründen (vgl.
hierzu unter bb) und cc)).

aa) 53

Die Darlegung des Verurteilten hinsichtlich eines behaupteten Verstoßes gegen das Recht 54
auf eine angemessene Verteidigung ist insofern schon in sich unschlüssig, weil er selbst
vorträgt, dass seine Anwälte eine Stellungnahme zur Anklageschrift abgegeben haben, die
ihm gemachten Vorwürfe bestritten, umfangreich gegenbeweislich vorgetragen und
Zeugen benannt haben (vgl. Schriftsatz vom 15.08.2016, Bl. 361 f. d.A.). Sofern er anführt,
dass der Sonderrichter hierauf nicht eingegangen sei und alle Verteidigungsanträge
abgelehnt habe, ist dies unbeachtlich. Dass den Einlassungen des Verurteilten und den
prozessualen Anträgen seiner Verteidiger letztlich kein Erfolg beschieden war, stellt keinen
Verstoß gegen das Recht auf eine angemessene Verteidigung dar.

bb) 55

Dem Verurteilten wurde eine angemessene Verteidigung ermöglicht. Wie die 56


Staatsanwaltschaft Krefeld in ihrem Antrag zutreffend dargestellt hat, ergibt sich aus der
Versicherung des Berufungsgerichts in Talca vom 31.12.2014 (Bl. 109a ff. d.HA), dass
dem Verurteilten nicht nur rechtliches Gehör gewährt worden ist, sondern er auch in
verschiedenen gerichtlichen Instanzen des Verfahrens durch von ihm beauftragte und für
ihn tätige Rechtsanwälte Gelegenheit hatte, im Rahmen der chilenischen
Verfahrensordnung auf den Gang des Verfahrens Einfluss zu nehmen. Die sachliche
Richtigkeit dieser Versicherung der chilenischen Behörden wird im Übrigen durch die
vorliegenden Unterlagen bestätigt. Mit den diesbezüglich erhobenen Einwänden dringt der
Verurteilte nicht durch.

Im Einzelnen: 57

(1) 58

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Der Verurteilte war bereits in dem Ermittlungsverfahren anwaltlich vertreten. Die 59


Verteidiger des Verurteilten waren schon in diesem Verfahrensstadium umfangreich tätig,
standen mit den beteiligten Stellen in Kontakt und haben zahlreiche prozessuale Anträge
gestellt sowie ordentliche und außerordentliche Rechtsmittel eingelegt.

(a) 60

In der Versicherung der chilenischen Behörde vom 31.12.2014 (Bl. 111 d. HA) ist unter 61
Angabe von Fundstellen im Einzelnen dargelegt, welche Verteidigungshandlungen im
Rahmen des Ermittlungsverfahren stattgefunden haben. Dies waren unter anderem die
Bestellung von Prozessbevollmächtigten, diverse Anträge auf Vornahme von
Amtshandlungen, Zeugenvorladungen oder Akteneinsicht sowie die Einlegung von
Rechtsmitteln gegen entsprechend ergangene gerichtliche Entscheidungen. Bezüglich der
Einzelheiten wird auf die Stellungnahme des Richters des Berufungsgerichts Talca, Herrn I
H H, vom 31.12.2014 (Bl. 111-113 d. HA.) Bezug genommen.

Dementsprechend lässt sich auch den eigenen Ausführungen des Verurteilten (vgl. Anlage 62
9 zum Schriftsatz vom 08.01.2016, Bl. 283 d. HA)) sowie dem erstinstanzlichen Urteil (vgl.
Erstinstanzliches Urteil, Kapitel XV „Erscheinen vor Gericht, Aussagen bei der Ermittlung
und Gegenüberstellung der Angeklagten {...}“, 57.) Bl. 996 in Sonderband I-354/13
deutsche Übersetzung 4e)) entnehmen, dass sein Rechtsanwalt schon zum Zeitpunkt
seiner Vernehmungen im Ermittlungsverfahren Einwände vorbrachte und mit der Polizei
sowie dem Untersuchungsrichter – auch durch persönliche Unterredungen - in Kontakt
stand.

(b) 63

Sofern der Angeklagte vorbringt, dass eine angemessene Verteidigung dadurch 64


eingeschränkt gewesen sei, dass seine Verteidiger in dem Ermittlungsverfahren keine
Akteneinsicht erhalten hätten, begründet dies keinen Verstoß gegen verfahrensrechtliche
Mindeststandards. Der Zusicherung der chilenischen Behörde vom 31.12.2014 (Bl. 112 d.
HA) ist zu entnehmen, dass die Anträge auf Akteneinsicht gerichtlich in mehreren
Instanzen geprüft wurden. Das Akteneinsichtsrecht besteht selbst im Strafverfahren nicht
absolut, insbesondere während laufender Ermittlungen nicht (vgl. Meyer in:
Karpenstein/Mayer: EMRK, 2. Auflage 2015, Art. 6, Rn. 122, 180 m.w.N.). So ist in § 147
Abs. 2 StPO vorgesehen, dass dem Verteidiger vor dem Abschluss der Ermittlungen die
Einsicht in die Akten versagt werden kann. Auch unter Beachtung von Art. 6 EMRK ist
lediglich entscheidend, dass dem Beschuldigten und seinem Anwalt ausreichend Zeit zur
Vorbereitung der Verteidigung verbleiben. Insofern wird jedenfalls nach der Anklage ein
Recht auf Akteneinsicht angenommen (Schädler/Jakobs in: Karlsruher Kommentar, StPO,
7. Auflage 2013, MRK Artikel 6 Rn. 60). Wie der Verurteilte selbst vorbringt, wurde mit
Anklageerhebung Akteneinsicht gewährt (vgl. u.a. Schriftsatz vom 15.08.2016, Bl. 361
d. HA). Dass keine ausreichende Zeit zur Vorbereitung seiner Verteidigung bestand, ist
angesichts der umfangreich vorgebrachten Einwände der Verteidigung des Angeklagten
weder ersichtlich noch von dem Angeklagten vorgebracht.

(c) 65

Auch der Einwand des Verurteilten, dass die durch den Sonderrichter durchgeführten 66
Vernehmungen während der Ermittlungsphase ohne die Anwesenheit seines Verteidigers
durchgeführt worden sein sollen, rechtfertigt nicht die Annahme eines Verstoßes gegen
absolute verfahrensrechtliche Mindeststandards.

Grundsätzlich kann sich ein Beschuldigter nach den hiesigen Rechtsvorschriften als 67

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Ausfluss des Rechts auf eine angemessene Verteidigung bereits in dem


Ermittlungsverfahren – auch im Rahmen der Beschuldigtenvernehmungen – der
Unterstützung eines Verteidigers bedienen. Dieses Recht, welches in der EMRK nicht
ausdrücklich festgelegt ist, kann jedoch aus wichtigem Grund Beschränkungen
unterliegen. Es ist insofern allein entscheidend, ob im konkreten Einzelfall das Verfahren in
seiner Gesamtschau dem Beschuldigten das Recht auf eine angemessene Verteidigung
oder ein faires Verfahren genommen hat (vgl. EGMR, Urteil vom 08.02.1996 – 18731/91 –
Murray/The United Kingdom, Rn. 63, Meyer in: Karpenstein/Mayer: EMRK, 2. Auflage
2015, Art. 6, Rn. 190). Dies ist vorliegend zu verneinen. Der Verurteilte legt bereits nicht
dar, dass er die Anwesenheit seiner Verteidiger beantragt habe oder um was für
Vernehmungen es sich im Einzelnen, zum Beispiel als Zeuge oder Beschuldigter,
gehandelt haben soll. Auch wenn der Verteidiger bei den Anhörungen des Verurteilten
nicht zugegen gewesen sein sollte, war der Verurteilte im Ermittlungsverfahren jedenfalls
bereits anwaltlich vertreten. Sein Anwalt stand sowohl mit der Polizei als auch dem Gericht
in Kontakt und hat Einwände bezüglich der Vernehmungen diesen Stellen gegenüber
vorbringen können. Darüber hinaus war der Verurteilte auch im anschließenden
Gerichtsverfahren in allen Instanzen anwaltlich beraten und vertreten. Seine Verteidiger
hatten insofern auch die Möglichkeit, zu dem Inhalt der Vernehmungen Stellung zu
nehmen. Der Verurteilte trägt zudem selbst vor – auch wenn er dessen Ausgestaltung im
Einzelnen nicht nachvollziehbar rügt –, dass es später ein „Kreuzverhör“ in Anwesenheit
seiner Anwälte gegeben habe (vgl. Anlage 9 zum Schriftsatz vom 08.01.2016, Bl. 270).

(2) 68

In dem Verfahren erster Instanz stand dem Verurteilten ebenfalls eine angemessene 69
Verteidigung zur Seite.

Ausweislich der mit Fundstellen belegten Stellungnahme des Richters des 70


Berufungsgerichts Talca, Herrn I H H, vom 31.12.2014 (Bl. 113 f. d. HA.) hat sich der
Verurteilte nach gesetzmäßiger Zustellung der Anklage und Privatklagen durch seine
Rechtsanwälte mit verschiedenen Ansprüchen, unter anderem öffentlich-rechtlicher
Nichtigkeitserklärung, Antwort auf die Anklagen, Antwort auf die Zivilklagen, Vorlage von
Beweismitteln, Antrag auf Vorladung von Zeugen und weiterer Beweise, verteidigt. Nach
der Beweisaufnahme sei er auf rechtswirksame Weise benachrichtigt worden und sei -
vertreten und verteidigt durch seine Rechtsanwälte - bei den Anhörungen zum Verfahren
anwesend gewesen und habe an diesen teilgenommen.

Diese Ausführungen lassen sich mit den vorliegenden Unterlagen bestätigen. Das 71
erstinstanzliche Urteil widmet sich in einem Kapitel über die „Klagebeantwortung“
ausführlich dem Vortrag der Verteidigung für den Verurteilten (vgl. Erstinstanzliches Urteil,
Kapitel V., Bl. 54-136 in Sonderband I-354/13 deutsche Übersetzung 4a)). Die
Verteidigung setzt sich dabei im Einzelnen mit den dem Verurteilten in der Anklage
vorgeworfenen Tatbeständen und Beweisen auseinander (vgl. u.a. Erstinstanzliches Urteil,
Kapitel V., Bl. 114 ff. in Sonderband I-354/13 deutsche Übersetzung 4a)). Die Verteidigung
hat ferner mildernde Umstände in Form des „tadellosen vorherigen Verhaltens“
vorgebracht, welche im Rahmen des erstinstanzlichen Urteils gewürdigt wurden (vgl.
Erstinstanzliches Urteil, Kapitel XX „Mildernde Umstände“, Bl. 1288 f. in Sonderband
I-354/13 deutsche Übersetzung 4f)). Die Verteidigung hat auch umfassend zu den
„Zivilklagen“ der Privatkläger Stellung genommen (vgl. Erstinstanzliches Urteil, Kapitel
XXIII. 124), Bl. 1302 in Sonderband I-354/13 deutsche Übersetzung 4f)) und konnte die
diesbezüglichen Zeugen befragen (vgl. Erstinstanzliches Urteil, Kapitel XXVIII. 133),
Bl. 1343 ff., z.B. Bl. 1346, 1349 in Sonderband I-354/13 deutsche Übersetzung 4f)). Bei

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der Befragung des Verurteilten durch die Privatkläger war der Verurteilte ebenso anwaltlich
vertreten. Seine Verteidiger haben dabei sowohl Einwendungen gegen Fragen der
Privatkläger vorbringen können, als auch selber den Kläger befragen können
(vgl. Erstinstanzliches Urteil, Kapitel XV „Erscheinen vor Gericht, Aussagen bei der
Ermittlung und Gegenüberstellung der Angeklagten {...}“, 57.), Bl. 1023, 1025 in
Sonderband I-354/13 deutsche Übersetzung 4e)).

Das erstinstanzliche Gericht hat sich mit den Einwendungen des Verurteilten auseinander 72
gesetzt, diese geprüft und darüber entschieden. Die Staatsanwaltschaft Krefeld führt
insofern zutreffend aus:

„Im Kapitel V Nr. 9 (Seite 44 ff. [Anm.: gemeint wohl Seite 54 ff.] Sonderband 4a)) wird in 73
den Urteilsgründen eine ausführliche Abwägung der Stellungnahmen der Verteidigung,
u.a. auch der des damaligen Angeklagten I, zu den Anklagepunkten ausgeführt und
dargelegt. Ferner findet in den Urteilsgründen im Kapitel VII Nr. [Anm.:17,] 18-20 (Seiten
254-257 Sonderband 4b)) eine Auseinandersetzung mit der Rüge der der angeblichen
Beeinflussung durch die Medien, der angeblichen fehlenden gerichtlichen Zuständigkeit
und der angeblichen Nichterfüllung der gesetzlichen Anforderungen an die
Anklageformulierung statt. Die Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs wird schließlich im
Kapitel VII Nr. 21 (Seiten 257 f. Sonderband 4b)) behandelt. Die sachliche Berechtigung
der darin erfolgenden Zurückweisung der durch die Verteidigung diesbezüglich
vorgetragenen Behauptungen wird durch die im Kapitel XV Nr. 57 (Seiten 985 ff.
Sonderband 4e)) erfolgende Wiedergabe und Würdigung des Inhalts der Einlassungen
des damaligen Angeklagten I belegt. Eine weitere Zusammenfassung seiner Einlassung,
die sicher belegen, dass er im Rahmen des Verfahrens hinreichend gehört worden ist,
finden sich im Kapitel XVII Nr. 87 (Seiten 1243 ff. Sonderband 4f)).“ (S. 7 des Antrags der
Staatsanwaltschaft Krefeld).

Diesen Ausführungen schließt sich die Kammer nach eigener Prüfung an. Soweit der 74
Verurteilte dagegen vorbringt, dass nur eine Wiedergabe und keine Abwägung mit den
Stellungnahmen und Einwänden der Verteidigung erfolgt sei, ist dies nach oben
Aufgezeigtem nicht zutreffend. Die ausführliche Wiedergabe zeigt, dass das Gericht die
Stellungnahmen zur Kenntnis genommen hat. Es hat sich zudem mit den Argumenten
sowie Beweisangeboten auseinander gesetzt und über die Rechtmäßigkeit der Anträge
und Einwände entschieden. Aus der Argumentation in ihrem Gesamtzusammenhang
ergibt sich, dass das chilenische Gericht auf die wesentlichen Sachfragen eingegangen ist
und sich eine Überzeugung gebildet hat. Der Verurteilte hat keinen Anspruch darauf, wie
das Gericht seine Einwände würdigt. Dass das Gericht auf Grund anderweitiger
Überlegungen die entsprechenden Argumentationen sowie Beweisangebote des
Verurteilten nicht für relevant gehalten, die Beweise anderweitig gewürdigt und sich nicht
mit jedem einzelnen Argument des Verurteilten auseinandergesetzt hat, begründet keinen
Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs oder einer angemessenen
Verteidigung (vgl. Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken, Beschluss vom 12.
Januar 2011 – 5 W 132/09 - 48 –, Rn. 104, juris).

(3) 75

Das Recht auf eine angemessene Verteidigung wurde ferner in den Rechtsmittelverfahren 76
gewahrt, was auch der Verurteilte nicht in Abrede stellt.

(a) 77

Aus den Ausführungen in dem Urteil des Berufungsgerichts Talca vom 06.01.2011 78

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ergibt sich, dass die Verteidiger des Verurteilten gegen das erstinstanzliche Urteil
Rechtsmittel mit dem Ziel der Verfahrenskassation eingelegt haben
(vgl. Zweitinstanzliches Urteil, Bl. 4 f. in Sonderband I-353/13 Nr. 3). Es wurde im
Wesentlichen gerügt, dass der Verurteilte als Begünstigter angeklagt, aber als Gehilfe
verurteilt worden sei. Ferner wurde die Zuständigkeit des Gerichts sowie die
Beweisführung und -würdigung beanstandet. Das Berufungsgericht Talca hat sich mit den
von der Verteidigung vorgebrachten Einwänden und behaupteten Verfahrensmängeln in
einer nachvollziehbaren Weise sachlich auseinandergesetzt (vgl. Zweitinstanzliches Urteil,
Bl. 19 ff. in Sonderband I-353/13 Nr.3).

(b) 79

Der Verurteilte legte gegen das Berufungsurteil anschließend das Rechtsmittel der 80
Revision wegen Verfahrensmängel und der materiell-rechtlichen Revision ein. Auch im
Rahmen dieses Verfahrens vor dem Obersten Gerichtshof wurden die vorgebrachten
Argumente der Verteidigung erneut gewürdigt. So wurde zum Beispiel auf den Einwand
der Verteidigung – unter Berücksichtigung einer in Chile erfolgten Änderung der relevanten
strafrechtlichen Vorschriften – die für die Angeklagten günstigere Vorschrift angewandt
(vgl. Letztinstanzliches Urteil, Bl. 29 f., 35 f. in Sonderband I-352/13 Nr. 2).

(c) 81

Die Verteidiger des Angeklagten haben ausweislich der mit Fundstellen belegten 82
Versicherung des Richters des Berufungsgerichts Talca, Herrn I H H, vom 31.12.2014 (Bl.
114. d. HA.) sowohl in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht als auch vor
dem Obersten Gerichtshof teilgenommen.

cc) 83

Die von dem Verurteilten vorgebrachten weiteren Einwände sind ebenfalls nicht geeignet, 84
einen Verstoß gegen die unabdingbaren verfahrensrechtlichen Anforderungen an das
Recht auf eine angemessene Verteidigung zu begründen.

(1) 85

Es ist nicht ersichtlich, dass durch die erfolgte Beweiserhebung (vgl. unter (a)) oder 86
–würdigung (vgl. unter (b)) ein Verstoß gegen die Grundsätze der Verfahrensgerechtigkeit
oder das Recht auf eine angemessene Verteidigung gegeben ist.

Die diesbezüglichen Beanstandungen des Verurteilten hatten bereits in dem chilenischen 87


Verfahren keinen Erfolg. Das Berufungsgericht wies die Einwände der Verteidigung
hinsichtlich der gerichtlichen Beweisführung und -würdigung zurück und führte – in
Übereinstimmung mit dem hiesigen Verständnis – aus, dass eine Anfechtung der
richterlichen Erwägung oder Würdigung einzelner Beweismittel zurückzuweisen sei, da
diese Umstände ausschließlich den entscheidenden Gerichten obliegen. Es stellte ferner
fest, dass ein Verstoß gegen die beweisregelnden Gesetze nicht vorliege und ein solcher
insbesondere nicht dadurch gegeben sei, dass das Gericht zu einer anderen Überzeugung
als die Verteidigung komme (vgl. Bl. 19 ff. in Sonderband I-353/13 Nr. 3). Auch der
Oberste Gerichtshof kam zu dem Ergebnis, dass die Beweise nach den Regeln der freien
Beweiswürdigung gewürdigt und die Überzeugung daraus gebildet wurde, dass die
Überlegungen den Regeln der Logik, den begründeten wissenschaftlichen Kenntnissen
und den Grundsätzen der Erfahrung unterworfen wurden (vgl. Bl. 27 f. in Sonderband
I-352/13 Nr. 2).

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Die erhobenen Einwände des Verurteilten sind auch im Rahmen des Exequaturverfahrens 88
nicht geeignet, einen Verstoß gegen elementare Verfahrensgrundsätze zu begründen.

(a) 89

Aus der Beweiserhebung in dem chilenischen Verfahren lässt sich kein Verstoß gegen 90
verfahrensrechtliche Mindeststandards ableiten.

(i) 91

Soweit der Verurteilte den Vorwurf erhebt, die chilenischen Gerichte hätten erforderliche 92
Ermittlungen zu Gunsten des Verurteilten unterlassen, greift dieser Einwand nicht. Nach
dem von der chilenischen Regierung vorgelegten Gesetzestext hat der Richter gemäß Art.
109 (130) der chilenischen StPO grundsätzlich mit gleichem Bestreben nicht allein die
Tatsachen und Umstände zu erforschen, welche die Haftung des Angeklagten begründen
oder erschweren, sondern auch jene Tatsachen, die den Angeklagten von dieser Haftung
befreien, die Haftung aufheben bzw. mindern (vgl. Bl. 57 in Sonderband I – 351/13 Nr. 1).
Der Umstand, dass bestimmte Ermittlungen nicht vorgenommen worden sein sollen,
begründet keinen ordre-public-Verstoß sondern allenfalls einen – im Rahmen des
Exequaturverfahrens unbeachtlichen – einfachen Verfahrensfehler (vgl. Saarländisches
Oberlandesgericht Saarbrücken, Beschluss vom 12. Januar 2011 – 5 W 132/09 - 48 –, Rn.
75, juris).

(ii) 93

Der Verurteilte rügt ferner, dass keine Möglichkeit bestanden habe, Zeugen persönlich zu 94
befragen. Dieser Einwand ist bereits unschlüssig, weil der Verurteilte zugleich selbst
vorträgt, dass es zu Kreuzverhören mit Zeugen gekommen sei (vgl. Anlage 9 zum
Schriftsatz vom 08.01.2016, Bl. 270). Auch dem erstinstanzlichen Urteil lässt sich
entnehmen, dass es Gegenüberstellungen des Verurteilten mit Zeugen gab (vgl. Kapitel
XV „Erscheinen vor Gericht, Aussagen bei der Ermittlung und Gegenüberstellung der
Angeklagten {...}“, 57.) Bl. 989, 1009 ff. in Sonderband I-354/13 deutsche Übersetzung
4e)).

Sofern hinsichtlich einiger Zeugen nicht die Möglichkeit einer persönlichen Befragung 95
bestanden haben sollte, begründet dieser Einwand des Verurteilten keinen Verstoß gegen
die Grundsätze elementarer Verfahrensgerechtigkeit. Aufgrund des durch Art. 6 Abs. 1
EMRK gewährten Rechts auf ein kontradiktorisches Verfahren muss jede Partei
grundsätzlich die Möglichkeit haben, Beweise anzubieten, und sich zu allen erbrachten
Beweisen oder Vorbringen äußern zu können, die darauf gerichtet sind, die Entscheidung
des Gerichts zu beeinflussen. In einer Strafsache bedeutet dies, dass grundsätzlich
sowohl der Staatsanwaltschaft als auch der Verteidigung Gelegenheit gegeben werden
muss, die von der anderen Prozesspartei vorgelegten Schriftsätze und Beweismittel zur
Kenntnis zu nehmen und sich dazu zu äußern (vgl. BVerfG, Beschluss vom 15. Dezember
2015 – 2 BvR 2735/14 –, BVerfGE 140, 317-376, juris Rn. 100, 122; EGMR, Lietzow ./.
Deutschland, Urteil vom 13. Februar 2001, Nr. 24479/94, Rn. 44). Als Ausfluss des
Grundsatzes auf ein faires Verfahren ist sowohl im innerstaatlichen Recht als auch nach
Art. 6 Abs. 3d) EMRK ferner grundsätzlich das Recht auf eine konfrontative
Zeugenbefragung vorgesehen. Das Konfrontationsrecht gilt jedoch nicht absolut, sondern
lässt Einschränkungen zu: Insbesondere bei Verfahren in Zusammenhang mit sexuellen
Missbrauch oder kindlichen/jugendlichen Zeugen kann das Recht auf konfrontative
Befragung eingeschränkt werden (vgl. so z.B. § 168c Abs. 3 StPO). Nach der
Rechtsprechung des BGH führt eine Nichtgewährung des Befragungsrechts auch nicht

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ohne Weiteres zur Unverwertbarkeit der belastenden Aussage; vielmehr kommt es darauf
an, ob das Verfahren in seiner Gesamtheit einschließlich der Art und Weise der
Beweiserhebung und -würdigung den Geboten der Verfahrensfairness genügt (vgl. BGH,
Beschluss vom 17. März 2010 – 2 StR 397/09 –, BGHSt 55, 70-79, Rn. 16). Auch der
EGMR lässt Einschränkungen des Konfrontationsrechtes zu. So verbieten Art. 6 Abs. 1
und 3d) EMRK nicht grundsätzlich die Verwendung von Aussagen im polizeilichen oder
gerichtlichen Ermittlungsverfahren als Beweismittel. Selbst die Zulassung einer Aussage,
die vor der Hauptverhandlung von einem dabei abwesenden Zeugen gemacht wurde und
das einzige oder entscheidende belastende Beweismittel ist, führt nicht automatisch zu
einer Verletzung von Art. 6 EMRK (vgl. im Einzelnen: EGMR, Schatschaschwili ./.
Deutschland, Urteil vom 15.Dezember 2015 - 9154/10 - , Rn. 103 ff., NJOZ 2017, 544;
EGMR, Al-Khawaja and Tahery ./. United Kingdom, Urteil vom 15.Dezember 2011 –
26766/05 und 22228/06; Meyer in: Karpenstein/Mayer, EMRK, 2. Auflage 2015, Mart. 6,
Rn. 202 ff. m.w.N.). Im Rahmen dessen kann unter anderem berücksichtigt werden, ob
zum Beispiel eine Nichtgewährung des Befragungsrechts in einem nicht zur EMRK
gehörenden Vertragsstaat erfolgt ist (vgl. EGMR, Entscheidung vom 17. November 2005 –
73047/01 –, Rn. 88, juris) oder in Übereinstimmung mit dem Recht des ausländischen
Staates stand (vgl. BGH, Beschluss vom 17. März 2010 – 2 StR 397/09 –, BGHSt 55,
70-79, Rn. 25). Ferner kann von Bedeutung sein, ob der Angeklagte die Befragung des
Zeugen rechtzeitig beantragt hat und ob eine rechtmäßige Ablehnung der Befragung
erfolgt ist (vgl. BGH, Urteil vom 25. Juli 2000 – 1 StR 169/00 –, BGHSt 46, 93-106, Rn. 21
m.w.N.; EGMR, Urteil vom 26.04.1991 – 12398/86 – Asch ./. Austria, Rn. 29).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze und der der Verteidigung in dem chilenischen 96
Strafverfahren insgesamt zustehenden und wahrgenommenen Rechte ist bei der
erforderlichen Gesamtbetrachtung von einem hinreichend fairen Verfahren auszugehen.
Denn es bestand die Möglichkeit für die Verteidigung, auf die Beweiserhebung und die
Überzeugungsbildung des Gerichtes Einfluss zu nehmen. Der Verurteilte konnte
Beweisanträge stellen, zu den erhobenen Beweisen Stellung nehmen und es gab mit
Zeugen Gegenüberstellungen. Die chilenischen Gerichte haben über die prozessualen
Anträge der Verteidigung im Hinblick auf die Beweisführung entschieden und die
Verteidigung hat dagegen teilweise Rechtsmittel eingelegt. Insofern sind insbesondere
folgende Gesichtspunkte hinsichtlich der Beweiserhebung hervorzuheben:

Der Verurteilte führt selbst aus, dass 108 Anträge auf Beweismittel (46 Zeugenaussagen, 97
10 Fragen an die Uniformierte Polizei, 6 Gegenüberstellungen, 8 Gerichtliche Gutachten,
11 Medizinische Gutachten, 1 Behördliches Gutachten, 22 Gutachten der Uniformierten
und der Geheimen Polizei und 4 Sonstige Maßnahmen wie die Zuziehung von
Videoaufzeichnungen) in dem erstinstanzlichen Gerichtsverfahren gestellt und im Ergebnis
abgelehnt worden seien (vgl. Anlage 9 zum Schriftsatz vom 08.01.2016, Bl. 265 d.A.). An
anderer Stelle legt der Verurteilte dar, dass insgesamt 90 Beweisanträge gestellt und 45
Entlastungszeugen genannt worden seien (vgl. Schriftsatz vom 18.02.2015, Bl. 53 d. HA).
Der Verurteilte trägt ferner vor, dass im Rahmen der Gerichtsverhandlungen Zeugen
befragt wurden, diese Zeugen aber keine Aussagen bezüglich des Verurteilten machten
(vgl. Schriftsatz vom 18.06.2016, Bl. 386 d. HA).

Ferner lässt sich der Versicherung des Richters des Berufungsgerichts Talca vom 98
31.12.2014 (Bl. 111 ff. d. HA.) entnehmen, dass die Verteidigung Anträge auf Vorladungen
von Zeugen, auf Erhebung weiterer Beweise und auf Vornahme weiterer Amtshandlungen
gestellt hat sowie Unterlagen vorgelegt wurden. Auch aus den vorliegenden Unterlagen
ergibt sich, dass die Verteidigung des Verurteilten zahlreiche prozessuale Anträge und
Stellungnahmen in Bezug auf die Beweisführung vorgebracht hat. In der

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Klagebeantwortung hat die Verteidigung umfassend zu den erhobenen Beweisen Stellung


genommen. Es wurde insofern auch schon vorgebracht, dass es ihnen verboten worden
sei, Beweise zu liefern, die die Unschuld der Angeklagten hätten bestätigen können (vgl.
Bl. 63., Kapitel V. in Sonderband I-354/13 deutsche Übersetzung 4a)). Die Verteidigung
hat die Zeugenaussagen und weiteren Beweismittel im Einzelnen untersucht, dazu
Stellung genommen und ausgeführt, dass diese aus ihrer Sicht nicht geeignet seien, den
Anklagevorwurf zu beweisen (vgl. z.B. Bl. 101 f., Kapitel V. in Sonderband I-354/13
deutsche Übersetzung 4a)). Ausweislich des erstinstanzlichen Urteils hat die Verteidigung
ferner Ablehnungsgründe gegen Zeugen vorgebracht (vgl. Bl. 64 ff., Kapitel V. in
Sonderband I-354/13 deutsche Übersetzung 4a)), welche im Rahmen des Urteils
gewürdigt und teilweise berücksichtigt wurden (vgl. Kapitel XII., Bl. 954 ff. in Sonderband
I-354/13 deutsche Übersetzung 4e); Kapitel XXXI, G) 1. Bl. 1402 in Sonderband I-354/13
deutsche Übersetzung 4f)). Auch der Oberste Gerichthof hat die gegen einige Zeugen
vorgebrachten Ablehnungsgründe geprüft (vgl. Bl. 42, 89 in Sonderband I-352/13 Nr. 2).

Dies alles zeigt, dass für die Verteidigung die Möglichkeit bestand, auf die gerichtliche 99
Überzeugungsbildung Einfluss zu nehmen. Aus dem Umstand, dass die Anträge des
Verurteilten im Ergebnis teilweise abgelehnt wurden und das Gericht nicht zu der von dem
Verurteilten gewünschten Überzeugungsbildung gelangt ist, kann nicht abgeleitet werden,
dass ein Verstoß gegen verfahrensrechtliche Mindeststandards vorliege. Dabei ist auch zu
beachten, dass die Zeugenaussagen nicht die einzig entscheidenden Beweismittel waren.
Wie der umfangreichen Beweiswürdigung des Obersten Gerichthofes zu entnehmen ist,
wurden zum Beispiel unter anderem diverse ärztliche, psychologische und
gerichtsmedizinische Berichte bei der Urteilsfindung beachtet (vgl. Bl. 3-42 in Sonderband
I-352/13 Nr. 2).

(b) 100

Soweit der Verurteilte der Ansicht ist, dass keine angemessene Beweiswürdigung erfolgt 101
sei, ist dies zum einen nicht zutreffend und zum anderen im Rahmen des
Exequaturverfahrens nicht angreifbar.

Durch die umfangreiche Wiedergabe der Beweismittel in dem erstinstanzlichen Urteil (vgl. 102
Bl. 259 ff in Sonderband I-354/13 deutsche Übersetzung 4b) bis 4e)) wird die
Beweisgrundlage und die Kenntnis des Gerichts hiervon unmissverständlich deutlich.
Darüber hinaus findet auch eine eigentliche Beweiswürdigung statt. Sowohl das
erstinstanzliche Gericht (vgl. Kapitel XIII. „Festgestellte Tatbestände“, insb. Bl. 966 f., 968
ff. in Sonderband I-354/13 deutsche Übersetzung 4e)) als auch der Oberste Gerichtshof
(vgl. insb. Bl. 28 ff. in Sonderband I-352/13 Nr. 2) stellen die Beweismittel nicht nur dar,
sondern setzen sie zueinander in Bezug und würdigen sie. Die so gewonnene
Überzeugungsbildung der Gerichte ist im Rahmen des Exequaturverfahrens nicht zu
überprüfen.

(2) 103

Es ist kein Verstoß gegen verfahrensrechtliche Mindeststandards durch den Umstand 104
anzunehmen, dass der Verurteilte zusammen mit anderen Angeklagten durch eine Gruppe
von Verteidigern gemeinsam vertreten wurde. Die Kammer verkennt nicht, dass im
deutschen Strafprozess eine Mehrfachverteidigung nach § 146 StPO ausgeschlossen ist.
Im Rahmen des Exequaturverfahrens und den insofern zu prüfenden wesentlichen
Verfahrensgarantien kommt es jedoch allein darauf an, ob durch die gemeinschaftliche
Vertretung eine effektive Verteidigung des Verurteilten schlechterdings nicht möglich war.
Anhaltspunkte hierfür sind weder von dem Verurteilten dargelegt noch sonst ersichtlich.

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Dabei ist zu beachten, dass sich zum Beispiel ein Kapitel in der Klagebeantwortung
ausführlich allein dem Thema widmet, weshalb bezüglich des Verurteilten I eine
Begünstigung nicht vorliege und ein freisprechendes Urteil ersucht werde. Dabei setzt sich
die Verteidigung im Einzelnen mit den dem Verurteilten in der Anklage vorgeworfenen
Tatbeständen auseinander (vgl. Bl. 114 ff., Kapitel V. in Sonderband I-354/13 deutsche
Übersetzung 4a)). Inwiefern eine effektive Verteidigung des Verurteilten etwa aufgrund
einer etwaigen Interessenskollision eingeschränkt gewesen sein soll, bringt der Verurteilte
ebenso nicht vor und ist auch sonst nicht ersichtlich.

(3) 105

Der Verurteilte dringt nicht mit dem Argument durch, dass ein Verstoß gegen wesentliche 106
Verfahrensgarantien darin liege, dass kein rechtlicher Hinweis erfolgt sei, bevor er wegen
einer anderen rechtlichen Beurteilung der Tat verurteilt wurde.

Es ist nach den vorliegenden Urteilen zutreffend, dass die Anklage des Gerichts bezüglich 107
des Verurteilten auf Begünstigung lautete (vgl. Bl. 21 - 25, Kapitel III. A) 1) 1.1.;1.3 a) und
b), A) und C) in Sonderband I-354/13 deutsche Übersetzung 4a)) und er letztlich als
Gehilfe von Q T verurteilt wurde. Zur Zulässigkeit dieser Verurteilung hat bereits das
erstinstanzliche Gericht ausgeführt, dass die Strafbarkeit und Verurteilung als Gehilfe sich
innerhalb des Spielraums der staatlichen Anklage und der Anklagen der Privatkläger
befinden und kohärent mit den bewiesenen Tatbeständen, mit der juristischen Qualifikation
derselben und mit der besonderen Situation eines jeden der Angeklagten sei (vgl. Kapitel
XVII „Besondere Situation und Beteiligung eines jeden Angeklagten“, 110.) Bl. 1283 in
Sonderband I-354/13 deutsche Übersetzung 4f)). Auch das Berufungsgericht hat den
diesbezüglich erhobenen Einwand des Verurteilten zurückgewiesen, weil – in
Übereinstimmung mit dem hiesigen Rechtsverständnis - sich das Urteil auf diejenigen
Tatsachen stütze, die direkt oder indirekt mit der Reichweite der Anklage in Verbindung
stünden und das Gericht durch die Anklage hinsichtlich ihres tatsächlichen Gehaltes, nicht
jedoch bezüglich der rechtlichen Würdigung begrenzt sei (vgl. Bl. 4-19, vgl. insb. Bl. 12-14
in Sonderband I-353/13 Nr.3).

Es kann dahinstehen, ob ein - im deutschen Recht vorgesehener (§ 265 StPO) - 108


gerichtlicher Hinweis auf die anderweitige rechtliche Beurteilung der angeklagten Tat
erfolgt ist. Denn zum einen ist nicht ersichtlich, geschweige denn durch den Verurteilten
dargelegt, was der Verurteilte vorgetragen hätte und mit Erfolg hätte vortragen können,
wenn ein entsprechender Hinweis ergangen wäre. Zum anderen liegt bei einer
Verurteilung auf Grund eines anderen rechtlichen Aspekts ohne vorherige Erörterung
allenfalls ein einfacher Verfahrensfehler, jedoch kein Verstoß gegen verfahrensrechtliche
Mindeststandards vor, der den Verurteilten so wesentlich in seiner Verteidigung behindert
hätte, dass nicht mehr von einem rechtsstaatlichen Verfahren ausgegangen werden
könnte (vgl. Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken, Beschluss vom 12. Januar
2011 – 5 W 132/09 - 48 –, Rn. 106 ff. , juris). Dies gilt vorliegend insbesondere unter
Berücksichtigung der Tatsache, dass sich die Privatklagen des Staatsverteidigungsrates
und des chilenischen Jugendamtes auf die Beihilfe der Angeklagten bei den Verbrechen
des Missbrauchs Minderjähriger bezogen haben (vgl. Privatklage des
Staatsverteidigungsrates Bl. 25, 32 Kapitel III B), 2) in Sonderband I-354/13 deutsche
Übersetzung 4a); Privatklage des chilenischen Jugendamtes Bl. 35 Kapitel III B), 3) in
Sonderband I-354/13 deutsche Übersetzung 4a); Ausführungen des Berufungsgerichts
diesbezüglich Bl. 13 in Sonderband I-353/13 Nr.3). Die weiteren Privatkläger äußerten
sogar eine darüber hinausgehende strafrechtliche Beteiligung des Verurteilten als Täter
der Vergewaltigung und des sexuellen Missbrauchs und subsidiär als Gehilfe (vgl. Bl. 37 f.

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Kapitel III B), 4) in Sonderband I-354/13 deutsche Übersetzung 4a)). Dem Verurteilten und
seiner Verteidigung war es angesichts dessen auch ohne einen entsprechenden
gerichtlichen Hinweis möglich, sich vorausschauend mit anderen Beteiligungsformen zu
beschäftigen und dazu Stellung zu nehmen. Dementsprechend hat die Verteidigung des
Angeklagten im Rahmen des erstinstanzlichen Strafverfahrens auch Ausführungen zu den
kriminellen Beteiligungsformen der Begünstigung und Beihilfe gemacht (vgl. Bl. 92 ff.,
Kapitel V. in Sonderband I-354/13 deutsche Übersetzung 4a)). Die Verteidigung hat dabei
sowohl den Begriff als auch die Voraussetzungen für das Vorliegen von Beihilfe im
konkreten Fall unter Berücksichtigung der Anträge der Privatkläger untersucht und dazu
Stellung genommen (vgl. Bl. 105 f., 129 ff. Kapitel V. in Sonderband I-354/13 deutsche
Übersetzung 4a)). Eine unangemessene Einschränkung der Verteidigungsmöglichkeit ist
demnach keineswegs ersichtlich.

c) Unabhängiges Gericht 109

Die von dem Verurteilten vorgebrachten Einwände sind auch nicht geeignet, einen Verstoß 110
gegen das Recht auf eine Entscheidung durch ein unabhängiges Gericht zu begründen.

Dies gilt schon deshalb, weil der Verurteilte sich in diesem Zusammenhang im 111
Wesentlichen gegen den eingesetzten „Sonderrichter“ erster Instanz (vgl. hierzu unter aa))
und das Ermittlungsverfahren als „inquisitorisches“ Verfahren (vgl. hierzu unter bb) (2))
wendet. Etwaige Verstöße gegen das Recht auf ein unabhängiges und unparteiliches
Gericht können aber jedenfalls durch ein unabhängiges und unparteiliches
Rechtsmittelgericht geheilt werden (vgl. Meyer in: Karpenstein/Meyer, EMRK, 2. Auflage
2015, Art. 6 Rn. 50). Das erstinstanzliche Urteil wurde vorliegend durch zwei unabhängige
Gerichte überprüft und im Ergebnis – mit Abänderungen – bestätigt. An der
Unabhängigkeit des Berufungsgerichts und des Obersten Gerichtshofs bestehen keine
Zweifel und solche werden auch von dem Verurteilten nicht geltend gemacht.

Ungeachtet dessen rechtfertigen die Einwände des Verurteilten auch im Übrigen nicht die 112
Annahme eines Verstoßes gegen wesentliche Verfahrensgarantien im Hinblick auf das
Recht auf eine Entscheidung durch ein unabhängiges Gericht bzw. das Recht auf einen
gesetzlichen Richter.

Im Einzelnen: 113

aa) 114

Soweit der Verurteilte einen Verstoß gegen verfahrensrechtliche Mindeststandards im 115


Sinne von § 49 Abs. 1 Nr. 2 IRG damit begründen möchte, dass die Einsetzung des
Sonderrichters des Berufungsgerichts, I H H, für das Verfahren erster Instanz den
deutschen Verfassungsgrundsätzen von Art. 101 GG widerspreche und einen Verstoß
gegen das Verbot der Ausnahmegerichte als Ausfluss der Garantie des gesetzlichen
Richters darstelle, dringt er damit nicht durch.

(1) 116

Aufgrund einer Verfügung des Obersten Gerichthofs hat I H H, Richter des 117
Berufungsgerichts Talca, als Untersuchungsrichter am 19.03.1997 das Verfahren des
Bezirksgerichts Parral übernommen (vgl. Bl. 13, Kapitel I in Sonderband I-354/13 deutsche
Übersetzung 4a)). Es erfolgte vorliegend keine Ad-hoc-Einrichtung eines vorher nicht
bestehenden Gerichts zur Entscheidung eines bestimmten Einzelfalles, sondern es wurde
die personelle Besetzung des mit der Sache nach den gesetzlichen

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Zuständigkeitsregelungen erstinstanzlich befassten Gerichts durch die Einsetzung eines


Richters des Berufungsgerichtes geregelt.

Nach Art. 101 Abs. 1 GG darf niemand seinem gesetzlichen Richter entzogen werden und 118
Ausnahmegerichte sind unzulässig. In Ausprägung dessen ist durch die gesetzlichen
Regelungen des deutschen GVG und den gerichtlichen Geschäftsverteilungsplänen die
personelle Besetzung des entscheidenden Spruchkörpers im hiesigen Rechtssystem
vorher festgelegt. Im Rahmen von § 49 Abs. 1 Nr. 2 IRG sind diese deutschen Maßstäbe
jedoch nicht unmittelbar anzulegen. Die Frage, ob die Rechtshilfe zulässig ist, weil sich der
Verurteilte etwa vor einem „Sondergericht“ verantworten musste, ist entgegen der
Auffassung des Verurteilten nicht an dem Maßstab des Art. 101 GG sondern daraufhin zu
überprüfen, ob sie dem völkerrechtlich verbindlichen Mindeststandard und den
unabdingbaren Grundsätzen der verfassungsrechtlichen Ordnung der Bundesrepublik
Deutschland genügt. Diese Anforderungen sind jedenfalls dann erfüllt, wenn es sich bei
dem ausländischen Gericht um einen unabhängigen Spruchkörper handelt, der kraft
Gesetzes errichtet ist und im Rahmen rechtlich festgelegter Zuständigkeiten nach einem
rechtlich geordneten Verfahren durch Richter, deren Unabhängigkeit und Unparteilichkeit
von Rechts wegen gewährleistet ist, Rechtsprechungsfunktionen nach Maßgabe von
Rechtsnormen wahrnimmt (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 01.12.2003 – 2 BvR
879/03 –, juris Rn. 34 ff. zu peruanischen „Sondergerichten“; OLG Köln, Beschluss vom
03. Juli 2007 – 2 Ws 156/07 –, Rn. 42 ff., juris; Lagodny in: Schomburg/Lagodny
/Gleß/Hackner: Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 5. Auflage 2012, § 73 Rn. 93).
Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt:

Es erscheint außer Frage gewährleistet zu sein, dass sich der Verurteilte vor einer 119
Einrichtung verantworten musste, die den Voraussetzungen genügt, welche nach
allgemeiner Auffassung der Staaten erfüllt sein müssen, damit von einem Gericht in
materiellem Sinne gesprochen werden kann.

Die Einsetzung des Sonderrichters entsprach auch der damals geltenden Gesetzeslage 120
und erfolgte im Rahmen der rechtlich festgelegten Zuständigkeiten. Eine solche
Einsetzung ist in den chilenischen Gesetzen in bestimmten – im Einzelnen geregelten -
Ausnahmefällen nach Artt. 559, 560 des Gerichtsverfassungsgesetzes (Código Orgánico
de Tribunales) vorgesehen und erfolgte vorliegend gesetzesmäßig (vgl. Erstinstanzliches
Urteil, Bl. 255 in Sonderband I-354/13 deutsche Übersetzung 4b); Zweitinstanzliches Urteil
Bl. 19 f. in Sonderband I-353/13 Nr. 3). Der Verurteilte bringt selbst vor, dass die
Einsetzung des „Sonderrichters“ den damaligen chilenischen Gesetzen entsprach (vgl.
u.a. Schriftsatz vom 15.08.2016, Bl. 372, 378 d.A.). Auch das erstinstanzliche Urteil nimmt
Stellung zu der von der Verteidigung bereits in dem chilenischen Verfahren geforderten
öffentlich-rechtlichen Nichtigkeitserklärung aufgrund derer ersucht wurde, dass dieses
Gericht das Abkommen des Obersten Gerichthofes, das die Durchführung der
außerordentlichen Ermittlungen anordnete, und alle als Folge jener Bestimmungen
durchgeführten Amtshandlungen für nichtig erkläre. Insofern wird in dem erstinstanzlichen
Urteil festgestellt, dass dieses Ersuchen unzulässig ist, weil das Gericht nach den
geltenden rechtlichen Grundlagen verfassungs- und gesetzesgemäß aufgestellt wurde und
im Rahmen seiner Zuständigkeit sowohl bezüglich der Angelegenheit der von ihm
behandelten Verfahren als auch im territorialen Aspekt gültig und gesetzesgemäß
gehandelt hat (vgl. im Einzelnen Bl. 254 f. in Sonderband I-354/13 deutsche Übersetzung
4b)). Auch das Berufungsgericht hat die Rüge des Verurteilten, dass das Urteil von einem
nicht zuständigen Gericht oder nicht ordnungsgemäß besetzten Gericht verkündet worden
sei und insbesondere die Bestellung des Untersuchungsrichters rechts- und
verfassungswidrig gewesen sei, zurückgewiesen (vgl. Zweitinstanzliches Urteil Bl. 19 f. in

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Sonderband I-353/13 Nr.3).

Die Einsetzung des Berufungsrichters ist auch nicht geeignet, Zweifel an der 121
Unabhängigkeit und Unparteilichkeit des Gerichts, welche auch in Chile von Rechts wegen
gewährleistet wird, zu begründen. Zwar ist in der deutschen Rechtsordnung die personelle
Zuständigkeit des gesetzlichen Richters vorab fest geregelt. Eine andere Handhabung
führt vorliegend jedoch nicht zu einem Verstoß gegen wesentliche Verfahrensgarantien im
Sinne von § 49 Abs. 1 Nr. 2 IRG. Dabei ist zum einen zu beachten, dass die Einsetzung
vorliegend durch den Obersten Gerichtshof und damit von der Judikative selbst erfolgte,
ohne dass eine zur Gewährung der Unparteilichkeit insbesondere ungewollte
Einflussnahme durch die Exekutive bestand. Zum anderen ist anders als in Deutschland
im Rahmen der Gewährung des Rechts auf einen gesetzlichen Richter die Frage der
personellen Besetzung des Gerichts und der Geschäftsverteilung selbst innerhalb der
europäischen Länder unterschiedlich geregelt. Eine schematische Vorbestimmtheit des im
konkreten Einzelfall zur Entscheidung berufenen Richters ist nicht in allen Ländern
zwingend vorgesehen (vgl. im Einzelnen Albin Esser, Der „gesetzliche Richter“ und seine
Bestimmung für den Einzelfall: rechtsvergleichende Beobachtungen und rechtspolitische
Überlegungen zur spruchkörperinternen Geschäftsverteilung, in: Straf- und
Strafverfahrensrecht, Recht und Verkehr, Recht und Medizin: Festschrift für Hannskarl
Salger zum Abschied aus dem Amt als Vizepräsident des Bundesgerichtshofes, Köln
1994, S. 247-271, S. 258 ff. s. auch https://freidok.uni-freiburg.de/data/3381). Im Hinblick
auf die verschiedenen Modi der Richterbestellung und -wahl in den Mitgliedstaaten übt
daher auch der EGMR insofern Zurückhaltung im Rahmen der Prüfung des Art. 6 EMRK.
Es ist Aufgabe der innerstaatlichen Gerichte, ein Verfahren anzuwenden, welches eine
ordnungsgemäße Rechtspflege gewährleistet. Die Zuweisung eines Falles an einen
bestimmten Richter oder Gericht liegt in dem den inländischen Behörden in diesen
Angelegenheiten zustehenden Beurteilungsspielraum. Dabei können eine Vielzahl von
Faktoren, wie z.B. zur Verfügung stehende Ressourcen, die Qualifikation von Richtern,
Interessenskonflikte oder die Zugänglichkeit des Gerichts für die Parteien,
Berücksichtigung finden (vgl. EGMR, Urteil vom 03.05.2011 bzw. 28.11.2011 – 30024/02 –,
Sutyagin ./. Russia, Rn. 187). Die Zusammensetzung muss lediglich – wie vorliegend
gewährleistet – gesetzlich geregelt sein, im konkreten Fall den gesetzlichen Vorgaben
entsprechen und Interessenkonflikte vermeiden (vgl. Meyer in: Karpenstein/Mayer: EMRK,
2. Auflage 2015, Art. 6 Rn. 42a m.w.N.).

Die Rechtsprechung des Berufungsrichters erfolgte ferner in einem rechtlich geordneten 122
Verfahren unter Anwendung der chilenischen Vorschriften über den Strafprozess.

(2) 123

Sofern der Verurteilte darüber hinaus rügt, dass alle eingeleiteten oder noch 124
einzuleitenden Strafsachen, die durch Anzeige gegen eine der ehemaligen D E
zugehörigen Person im Jurisdiktionsbereich des Berufungsgerichts Talca zu führen seien,
sodann dem Sonderrichter übertragen worden seien, begründet auch dies nicht die
Annahme einer Missachtung verfahrensrechtlicher Mindeststandards. Ein Gerichtsstand
des Sachzusammenhangs ist auch der hiesigen Verfahrensordnung (vgl. § 13 StPO) nicht
fremd.

bb) 125

Die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit des Gerichts kann auch im Übrigen als im 126
ausreichenden Maß gewährleistet angesehen werden.

Grundsätzlich kann nicht nur die erwiesene subjektive Befangenheit sondern bereits auf 127

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objektiven Gründen basierende nachvollziehbare Zweifel an der Unabhängigkeit


ausreichend sein, die Annahme der Unparteilichkeit des Gerichtes zu begründen (vgl. u.a.
EGMR, Urteil vom 15.12.2005 – 73797/01 – Kyprianou/Cyprus, Rn. 118). Eine
Befangenheit in subjektiver Hinsicht dergestalt, dass der Sonderrichter, welcher
ordentlicher Richter des Berufungsgerichtes ist, oder ein sonst beteiligter Richter aufgrund
einer persönlichen Überzeugung oder Interesses unparteiisch sei, ist weder dargetan noch
ersichtlich. Es sind auch keine Gründe seitens des Verurteilten vorgebracht, welche in
objektiver Hinsicht hinreichende berechtigte Zweifel an einer Unparteilichkeit aufkommen
lassen und - jedenfalls bei einer Gesamtbetrachtung - einen Verstoß gegen wesentliche
Verfahrensgarantien im Sinne von § 49 Abs. 1 Nr. 2 IRG begründen würden.

Im Einzelnen: 128

(1) 129

Soweit der Verurteilte schon in der ersten Instanz in dem chilenischen Verfahren und 130
nunmehr erneut den Einfluss der Presse und des sogenannten Staatsverteidigungsrates
(Consejo de Defensa del Estado) rügt, wird bereits in dem erstinstanzlichen Urteil
unmissverständlich klargestellt, dass sich das Urteil nicht auf äußere Erwägungen sondern
allein auf den Inhalt des Verfahrens stützt und die Unabhängigkeit und
Unvoreingenommenheit des Gerichts unversehrt sei (vgl. Bl. 254 in Sonderband I-354/13
deutsche Übersetzung 4b)). Zweifel daran vermag der Verurteilte mit seinem Vorbringen
nicht zu begründen.

Das manchen Gerichtsverfahren innewohnende große Medieninteresse führt nicht zu einer 131
Befangenheit der entscheidenden Richter. Es ist Teil des – auch nach internationalen
Richtlinien vorherrschenden – richterlichen Amtsverständnisses, von solchen äußeren
Einflüssen unbeeinflusst unabhängige Entscheidungen zu fällen.

Auch ein die Unabhängigkeit des Gerichts beeinträchtigender Einfluss des 132
Verteidigungsrates ist nicht ersichtlich. Der Staatsverteidigungsrat erhob – neben dem
chilenischen Jugendamt und weiteren Privatklägern – eine Privatklage gegen die in
diesem Verfahren Angeklagten (vgl. Bl. 25 ff., Kapitel III B), 2) in Sonderband I-354/13
deutsche Übersetzung 4a)). Insofern stellt das erstinstanzliche Gericht in dem Urteil fest,
dass der Staatsverteidigungsrat von dem ihm insofern zustehenden Recht in zulässiger
Weise Gebrauch gemacht habe (vgl. Bl. 256 f. in Sonderband I-354/13 deutsche
Übersetzung 4b)). Eine Beeinflussung der Unabhängigkeit durch eine solche Privatklage
ist nicht ersichtlich. Das System der Nebenklage ist auch im hiesigen Rechtssystem nicht
fremd. Die Beteiligung einer staatlichen Institution als „Privatkläger“ bedeutet nicht, dass
das Gericht in der Entscheidungsfindung beeinflusst ist. Das Gericht hat die jeweiligen
Argumente vielmehr abgewogen, alle Verfahrensbeteiligten gehört und eine unabhängige
Entscheidung getroffen. Aus dem Umstand, dass das Gericht im Ergebnis nicht dem
Vorbringen des Verurteilten gefolgt ist, kann keine Parteilichkeit des Gerichtes abgeleitet
werden.

(2) 133

Soweit der Verurteilte ferner das Verfahren als „inquisitorisch“ rügt, weil das Verfahren 134
sowohl in der Ermittlungsphase als auch in der Urteilsphase erster Instanz von demselben
Richter geführt und entschieden worden sei, begründet dies keinen Verstoß gegen
wesentliche Verfahrensgarantien in Form des Rechtes auf eine Entscheidung durch ein
unabhängiges Gericht.

Zwar ist dem Verurteilten darin zuzustimmen, dass der EGMR in einzelnen 135

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Entscheidungen Zweifel an der Unabhängigkeit des Gerichts und damit einen Verstoß
gegen Art. 6 EMRK bejaht hat, in denen es sich um eine Art „inquisitorisches“ Verfahren
handelte, die Rollen zwischen Staatsanwaltschaft und Gericht vermischt bzw. ein Richter
schon in der Untersuchungsphase tätig war (vgl. u.a. EGMR, Urteil vom 15.12.2005 –
73797/01 – Kyprianou/Cyprus, Rn. 118, 126 f.; EGMR, Urteil vom 18.05.2010 bzw.
18.08.2010 – 64962/01 – Ozerov/Russia, Rn. 50 ff.; EGMR, Urteil vom 26.10.1984 –
9186/80 – De Cubber/Belgium, Rn. 23, 27 ff.). Jedoch kommt es im Rahmen des
Exequaturverfahrens wie bereits dargelegt nicht darauf an, ob bei einem Mitgliedstaat der
EMRK ein Verstoß gegen Art. 6 EMRK anzunehmen wäre. Ferner ist unerheblich, ob der
Verurteilte – unter Vorlage von umfangreicher Literatur – die Regelungen in Chile für mit
dem dortigen Verfassungsrecht unvereinbar hält. Es ist allein zu prüfen, ob das Recht auf
ein faires Verfahren durch solche etwaige Umstände derart eingeschränkt ist, dass es
einer Aufhebung der Grundgedanken der EMRK gleich komme. Dies vermag die Kammer
bei der erforderlichen Gesamtabwägung nicht zu erkennen:

Es ist zunächst festzustellen, dass ausweislich des erstinstanzlichen Urteils in dem 136
Verfahren die erste Staatsanwaltschaft des Berufungsgerichts Talca beteiligt war (vgl. Bl.
13 f., Kapitel I in Sonderband I-354/13 deutsche Übersetzung 4a)). Soweit der
Untersuchungsrichter selbst Maßnahmen in dem Ermittlungsverfahren durchgeführt hat, ist
darauf hinzuweisen, dass auch dem hiesigen Rechtssystem solche richterlichen
Maßnahmen nicht fremd sind und eine Vorbefassung nur bei Hinzutreten weiterer
Umstände zu der Besorgnis einer Befangenheit führen kann. Eine den
Verfahrensgegenstand betreffende Vortätigkeit eines erkennenden Richters ist, soweit sie
nicht die Tatbestände eines Ausschlussgrundes gemäß § 22 Nr. 4, 5, § 23 oder § 148a
Abs. 2 S. 1 StPO erfüllt, nach ständiger Rechtsprechung grundsätzlich nicht geeignet, die
Besorgnis der Befangenheit des Richters im Sinne von § 24 Abs. 2 StPO zu begründen.
Denn eine solche Beteiligung an Vorentscheidungen im nämlichen und in damit
zusammenhängenden Verfahren ist von der Strafprozessordnung und dem
Gerichtsverfassungsgesetz ausdrücklich vorgesehen. Dies gilt nicht nur für die
Vorbefassung mit Zwischenentscheidungen im selben Verfahren, insbesondere etwa die
Mitwirkung am Eröffnungsbeschluss oder an Haftentscheidungen, sondern etwa auch die
Befassung eines erkennenden Richters in Verfahren gegen andere Beteiligte derselben
Tat. Anders verhält es sich lediglich bei Hinzutreten besonderer Umstände, die über die
Tatsache bloßer Vorbefassung als solcher und die damit notwendig verbundenen
inhaltlichen Äußerungen hinausgehen (st. Rspr. vgl. u.a. BGH, Beschluss vom 19. August
2014 – 3 StR 283/14 –, Rn. 7, juris). Auch nach der Rechtsprechung des EGMR vermag
der Umstand, dass ein erstinstanzlicher oder Berufungsrichter in einer Rechtsordnung im
jeweiligen Fall bereits Entscheidungen vor dem eigentlichen Verfahren, insbesondere im
Ermittlungsverfahren, getroffen hat, in der Regel nicht die Besorgnis hinsichtlich seiner
Unparteilichkeit zu begründen (vgl. u.a. Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte,
Hauschildt ./. Dänemark, Urteil vom 24. Mai 1989 – 10486/83 –, Rn. 48 ff., juris).

Ferner waren – wie bereits dargelegt - nach Art. 109 (130) der chilenischen StPO ohnehin 137
nicht nur die den Angeklagten belastenden, sondern auch entlastenden Umständen zu
untersuchen (vgl. Bl. 57 in Sonderband I – 351/13 Nr. 1). Ungeachtet dessen verstößt
selbst ein System, das es dem Beschuldigten weitgehend überlässt, selbst die
entlastenden Umstände zu ermitteln und vorzubringen, nicht gegen den ordre public,
sofern ihm hierzu genügend Gelegenheit gegeben wird (vgl. Saarländisches
Oberlandesgericht Saarbrücken, Beschluss vom 12. Januar 2011 – 5 W 132/09 - 48 –, Rn.
75, juris). Nach dem eigenen Vorbringen des Verurteilten und wie bereits dargelegt
bestand hierzu genügend Gelegenheit.

Entscheidend ist abschließend zu berücksichtigen, dass das erstinstanzliche Urteil durch 138

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zwei weitere - unstreitig unabhängige - Gerichte bestätigt wurde. Etwaige Verstöße können
durch ein unabhängiges und unparteiliches Rechtsmittelgericht jedenfalls geheilt werden
(vgl. Meyer in: Karpenstein/Mayer, EMRK, 2. Auflage 2015, Art. 6 Rn. 50; EGMR, Urteil
vom 15.12.2005 – 73797/01 – Kyprianou/Cyprus, Rn. 134 f.). Insofern bestätigt auch der
Oberste Gerichthof in seiner Versicherung vom 02.07.2014, dass das Urteil in zweiter
Instanz und von dem Obersten Gerichtshof von einem unabhängigen Gericht
verfassungs- und gesetzmäßig einer Revision unterzogen wurde (vgl. Bl. 4 in Sonderband
I – 249/1 Nr. 5). Dabei ist insbesondere zu beachten, dass der Oberste Gerichtshof das
erstinstanzliche Verfahren nicht nur auf Verfahrensfehler überprüft hat sondern eine
umfangreiche Beweiswürdigung vorgenommen hat, den Verurteilten in einigen Punkten
freigesprochen und in anderen Punkten die vorherigen Urteile bestätigt hat. Dies
verdeutlicht, dass ein unabhängiges Gericht die vorliegenden Beweise und Tatsachen
unparteilich erneut gewertet und sich eine Überzeugung gebildet hat.

d) Sonstige Verfahrensvoraussetzungen 139

Dafür, dass das chilenische Strafverfahren aus anderen Gründen rechtsstaatlichen 140
Grundsätzen widersprochen hätte im Sinne von § 49 Abs. 1 Nr. 2 IRG, bestehen ebenso
keine Anhaltspunkte.

aa) 141

Sofern der Verurteilte anführt, dass durch die Reformierung der chilenischen 142
Strafprozessordnung die parallele Existenz von zwei Strafprozessordnungen in Chile ab
dem Jahr 2000 die Gefahr eines Verstoßes gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz
berge, ist dies nicht geeignet, einen Verstoß gegen verfahrensrechtliche Mindeststandards
zu begründen. Es ist mit rechtsstaatlichen Verfahrensgrundsätzen vereinbar und entspricht
auch dem hiesigen Rechtsverständnis, dass im Hinblick auf die zeitliche Geltung von
Gesetzen Übergangsvorschriften geschaffen werden und der zeitliche Geltungsbereich
bestimmt wird.

bb) 143

Auch der Umstand, dass das Urteil des Obersten Gerichthofs in Abwesenheit des 144
Verurteilten ergangen ist, begründet keinen Verstoß gegen wesentliche
Verfahrensgarantien. Ein Abwesenheitsurteil verstößt jedenfalls dann nicht gegen die
völkerrechtlichen Mindeststandards, wenn sich der Verfolgte dem ausländischen
Strafverfahren, von dem er Kenntnis hat, durch Flucht entzogen hat und in dem Verfahren
von einem ordnungsgemäß bestellten Verteidiger unter Beachtung rechtsstaatlicher
Mindestanforderungen verteidigt werden konnte (vgl. BVerfG, Beschluss vom 17.
November 1986 - 2 BvR 1255/86 -, MDR 1987, 466, 467; OLG Karlsruhe, Beschluss vom
15. Januar 2014 – 1 Ws 269/13 –, Rn. 19, juris). Diese Voraussetzungen sind hier
gegeben. Der in dem gesamten chilenischen Strafprozess anwaltlich verteidigte Verurteilte
wusste um das laufende Verfahren und hat sich nach den Urteilen in erster und zweiter
Instanz vor rechtskräftigem Abschluss des Prozesses dem Verfahren in der dritten Instanz
durch Flucht entzogen. Insoweit hat der Verurteilte sein Anwesenheitsrecht durch sein
eigenes Verhalten verwirkt.

Der Verurteilte dringt unter Berücksichtigung dieser Umstände auch nicht mit dem 145
Einwand durch, dass das Urteil des Obersten Gerichthofes ihm nicht persönlich zugestellt
worden sei. Das Urteil des Obersten Gerichtshofs wurde am 25.01.2013 durch Aushängen
an der Gerichtstafel in der Geschäftsstelle zugestellt (vgl. Bl. 98 f. in Sonderband I-352/13
Nr. 2). Ein Verstoß gegen verfahrensrechtliche Mindeststandards ist dadurch nicht

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ersichtlich.

e) Gesamtbetrachtung 146

Die vorgebrachten Einwendungen begründen auch in einer Gesamtschau keine 147


hinreichenden Anhaltspunkte für eine Verletzung der Grundsätze eines fairen Verfahrens,
welche einer Aufhebung der Grundgedanken der EMRK gleich kommen würden. Unter
Berücksichtigung der obigen Ausführungen und nach einer Gesamtwürdigung der dem
Verurteilten insgesamt zustehenden Rechte erscheint das chilenische Verfahren den
wesentlichen Anforderungen eines fairen Verfahrens zu entsprechen. Wie die
Staatsanwaltschaft Krefeld in ihrem Antrag zusammenfassend zutreffend festgestellt hat,
hat der Verurteilte nicht nur persönlich am Verfahren - insbesondere durch seine
mehrfachen persönlichen Aussagen gegenüber dem Richter - mitgewirkt, sondern sich
über drei Instanzen durch mehrere Verteidiger vertreten lassen. Seine Verteidigung hat
dabei erstinstanzlich zu prozessualen, tatsächlichen und rechtlichen Fragestellungen
umfassend Stellung genommen und das Urteil anschließend in zweiter und dritter Instanz
umfangreich angegriffen und sowohl formelle als auch materielle Rechtsverstöße
vorgebracht, die von der jeweiligen Instanz erneut geprüft wurden. Aus diesem Grunde
bedarf es im Sinne von § 52 IRG keiner weiteren Ermittlungen oder sonstiger von dem
Verurteilten angeregten Beweiserhebungen hinsichtlich der Rechtslage und Praxis im
ersuchenden Staat, weil die von dem Verurteilten an dem chilenischen Verfahren und an
den Urteilen geäußerte Kritik aus den dargestellten Gründen dafür keine Veranlassung
bietet.

3. 148

Die der ausländischen Verurteilung zu Grunde liegende Tat kann auch im Sinne des 149
Grundsatzes der beiderseitigen Strafbarkeit bzw. Sanktionierbarkeit gemäß § 49 Abs. 1 Nr.
3 IRG nach deutschem Recht geahndet werden.

Der in dem ausländischen Erkenntnis festgestellte Sachverhalt ist insofern unter die 150
hiesigen Normen zu subsumieren. Es ist unschädlich, dass sich die chilenischen Urteile
von ihrer Struktur, dem Aufbau und der Diktion von den hiesigen Strafurteilen
unterscheiden. Bei der nach konkreter Betrachtungsweise zu treffenden Feststellung der
hypothetischen Sanktionierbarkeit nach deutschem Recht sind nicht die Maßstäbe eines
deutschen erkennenden Strafgerichtes anzulegen (vgl. Schomburg/Hackner in:
Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner: Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 5. Auflage
2012, § 49, Rn. 8, 10). Es ist grundsätzlich der gesamte hiesige Rechtszustand im
Zeitpunkt der ausländischen Verurteilung – demnach auch § 2 StGB - heranzuziehen,
wobei jedoch selbst eine Sanktionierbarkeit nach deutschem materiellen Recht im
Zeitpunkt der Exequaturentscheidung als ausreichend erachtet wird (vgl. historische
Gesetzesbegründung S. 70, BT-Drucksache 9/1338; Schomburg/Hackner in:
Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner: Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 5. Auflage
2012, § 49, Rn. 8, 10, 12).

Der Verurteilte wäre nach sinngemäßer Umstellung des durch die chilenischen Gerichte 151
festgestellten Sachverhaltes gemäß dem deutschen Strafrecht nach §§ 176 Abs. 1, 174
Abs. 1 Nr. 1 bzw. 2, 178 Abs. 1, 27, 2 StGB in der Fassung vom 10.03.1987 zu bestrafen.

a) 152

Unter Zugrundelegung der chilenischen Urteile und der dortigen Feststellungen wären 153
zunächst die durch Q T begangenen Haupttaten nach deutschem Recht strafbar.

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Hinsichtlich der unter 14jährigen Geschädigten folgt danach die Strafbarkeit aus § 176 154
Abs. 1 StGB in der Fassung vom 10.03.1987. Soweit in einigen Fällen dabei eine anale
Vergewaltigung in Form des Eindringens festgestellt wurde, wäre zudem ein unbenannter
besonders schwerer Fall im Sinne von § 176 Abs. 3 StGB in der Fassung vom 10.03.1987
durch den Haupttäter verwirklicht, weil die vorgenommene anale Penetration als ebenso
schwerwiegende sexuelle Handlung zu werten ist wie der in § 176 Abs. 3 StGB a.F.
genannte Vollzug des Beischlafs mit dem Kind (vgl. BGH, Beschluss vom 28. September
1993 – 1 StR 576/93 –, Rn. 5, juris). Für die während der Tatzeit über 14 Jahre alten
Geschädigten wäre eine Strafbarkeit nach § 174 Abs. 1 Nr. 1 bzw. Nr. 2, § 178 Abs. 1
StGB in der Fassung vom 10.03.1987 gegeben.

Die Vorschriften über das Sexualstrafecht, insbesondere § 176 StGB, wurden in dem 155
Zeitraum seit den in Raum stehenden Taten von 1993 bis 1997 bis zu der
letztinstanzlichen Entscheidung des chilenischen Obersten Gerichthofes am 25.01.2013
geändert. Das zur Tatzeit geltende Recht in Form der Gesetzesfassung vom 10.03.1987
ist bei dem gemäß § 2 Abs. 3 StGB insofern vorzunehmenden Vergleich unter
Berücksichtigung des anzuwenden Meistbegünstigungsprinzips die konkret günstigere
Gesetzesfassung. Durch das 6. StrRG ist der sexuelle Missbrauch eines Kindes in der
Begehungsform des Analverkehrs von einem unbenannten schweren Fall im Sinne von §
176 Abs. 3 StGB in der Fassung vom 10.03.1987 mit einem Strafrahmen von einem Jahr
bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe zu einer eigenständigen Qualifikation des schweren
sexuellen Missbrauchs (§ 176a n.F., hier § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB in der Fassung vom
01.04.2004) mit einem Strafrahmen von zwei bis fünfzehn Jahren Freiheitsstrafe gemacht
worden (vgl. BGH, Beschluss vom 12. August 1999 – 3 StR 277/99 –, Rn. 9, juris; BGH,
Urteil vom 02. Juni 1999 – 5 StR 112/99 –, Rn. 8, juris). Demnach ist § 176 Abs. 1, Abs. 3
StGB in der Fassung vom 10.03.1987 das konkret mildere Gesetz. § 174 StGB hat
zwischen der Tatzeit und dem Zeitpunkt der letztinstanzlichen Entscheidung keine
maßgebliche Änderung erfahren. § 178 Abs. 1 StGB in der Fassung vom 10.03.1987,
welcher bei einer sexuellen Nötigung einen Strafrahmen von einem Jahr bis zu zehn
Jahren Freiheitsstrafe vorsieht, ist das konkret mildere Gesetz im Vergleich zu § 177 Abs.
1 in der Fassung vom 13.11.1998 (gültig bis 09.11.2016) mit einem Strafrahmen von
einem Jahr bis zu fünfzehn Jahren (vgl. § 38 Abs. 2 StGB).

Darüber hinaus wäre die Haupttat - sofern man auf den Zeitpunkt der 156
Exequaturentscheidung abstellen wollte - auch nach §§ 176a Abs. 2 Nr. 1, 177 Abs. 1, 6
Nr. 1, 174 Abs. 1 Nr. 1 StGB in seiner aktuellen Fassung strafbar.

b) 157

Der Verurteilte wäre unter Zugrundelegung der chilenischen Urteile und sinngemäßer 158
Umstellung der dortigen Feststellungen auch nach deutschem Strafrecht wegen Beihilfe
gemäß § 27 StGB zu den benannten Haupttaten strafbar.

Nach § 27 Abs. 1 StGB macht sich als Gehilfe strafbar, wer vorsätzlich einem anderen zu 159
dessen vorsätzlich begangener rechtswidriger Tat Hilfe leistet. Nach ständiger
Rechtsprechung ist als Hilfeleistung in diesem Sinne grundsätzlich jede Handlung
anzusehen, die die Herbeiführung des Taterfolges durch den Haupttäter objektiv fördert
oder erleichtert; dass sie für den Eintritt dieses Erfolges in seinem konkreten Gepräge in
irgendeiner Weise kausal wird, ist nicht erforderlich (vgl. u.a. BGH, Urteil vom 16.
November 2006 – 3 StR 139/06 –, BGHSt 51, 144-149, Rn. 40, juris). Dabei kommt
Beihilfe auch in der Form sogenannter psychischer Beihilfe in Betracht, indem der
Haupttäter ausdrücklich oder auch nur konkludent in seinem Willen zur Tatbegehung, sei
es auch schon in seinem Tatentschluss, bestärkt wird (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 20.

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Landgericht Krefeld, 21 StVK 218/16 https://www.justiz.nrw.de/nrwe/lgs/krefeld/lg_krefeld/j2017/21_StVK...

September 2016 – 3 StR 49/16 –, Rn. 17, juris). Wie die Staatsanwaltschaft Krefeld in
ihrem Antrag (dort S. 13 f.) - ohne zurecht eine Vergleichbarkeit mit dem
nationalsozialistischen Unrechtssystem zu konstatieren - zutreffend ausführt, ist dem
deutschen Rechtsverständnis die Annahme einer Beihilfestrafbarkeit selbst ohne die
Feststellung einer konkreten Einzeltathandlung in einem von repressiven Machtstrukturen
geprägten System begangenen Unrechts dogmatisch nicht fremd. Bei der rechtlichen
Bewertung von Handlungen auf verschiedenen – selbst unteren – Hierarchieebene und
ohne eigene Tatherrschaft der Beteiligten, die jedoch in die organisatorische Abwicklung
der konkreten massenhaften Straftathandlungen eingebundenen sind, muss danach in den
Blick genommen werden, dass zu jeder einzelnen Tat Mittäter auf mehreren Ebenen in
unterschiedlichsten Funktionen sowie mit verschiedensten Tathandlungen
zusammenwirken. Es ist daher zu prüfen, ob die Handlungen des allenfalls als Tatgehilfe
in Betracht kommenden Beteiligten die Tathandlung zumindest eines der unmittelbar an
der Tat täterschaftlich Mitwirkenden im Sinne des § 27 Abs. 1 StGB gefördert haben (vgl.
u.a. BGH, Beschluss vom 20. September 2016 – 3 StR 49/16 –, Rn. 19, juris).

Unter Beachtung dieser Grundsätze ist eine Strafbarkeit des Verurteilten wegen Beihilfe 160
auch nach dem deutschen Verständnis anzunehmen. Nach den Feststellungen der
chilenischen Urteile herrschte in der D E ein repressives Machtsystem, welches es Q T
ermöglichte, regelmäßig und über Jahre hinweg eine Vielzahl von sexuellen Missbräuchen
zu Lasten der sich dort befindlichen Kinder zu begehen. Die strenge hierarchische Struktur
und disziplinäre Ordnung, der die Kinder unterworfen waren, schwächte jeden möglichen
Widerstand. Die Trennung der Kindern von ihren Eltern und das Disziplinarsystem
innerhalb der Gemeinschaft machten es für die Kinder zudem unmöglich, beizeiten um
Hilfe zu bitten. Der Verurteilte I war nach den Feststellungen der chilenischen Urteile Teil
dieses repressiven Systems und hat die Haupttaten damit gefördert. Er hat die durch Q T
begangenen Straftaten insbesondere durch seine Stellung als Arzt und Leiter des
Krankenhauses und als Teil der Führungsspitze sowie durch konkret dargestellte andere
unterstützende Maßnahmen gefördert. All dies war dem Verurteilten nach den
Feststellungen der chilenischen Gerichte auch bekannt und wurde von ihm damit
zumindest billigend in Kauf genommen.

Ob die Teilnahme des Verurteilten an der Haupttat, die einen besonders schweren Fall im 161
Sinne von § 176 Abs. 3 StGB in der Fassung vom 10.03.1987 darstellt, ebenfalls nach der
insofern erforderlichen eigenen Gesamtwürdigung (vgl. u.a. BGH, Beschluss vom 17. Juni
1993 – 4 StR 296/93 –, Rn. 7, juris; BGH, Beschluss vom 13. September 2007 – 5 StR
65/07 –, Rn. 5, juris) selbst einen besonders schweren Fall darstellt - wofür die
Feststellungen in den chilenischen Urteilen sprechen dürften -, bedarf für die Frage der
gegenseitigen Strafbarkeit keiner Entscheidung.

c) 162

Soweit der Verurteilte die gerichtlichen Feststellungen in den chilenischen Erkenntnissen 163
teilweise bestreitet und den Schuldspruch an sich angreifen möchte, dringt er damit nicht
durch. Die gerichtliche Überzeugungsbildung, die tatsächlichen Feststellungen, der
Schuldverdacht und die materielle Richtigkeit der ausländischen Entscheidung sind
bindend und werden im Exequaturverfahren nicht überprüft. Die Exequaturentscheidung
ist kein Akt deutscher Strafgerichtsbarkeit, sondern ein Akt der Rechtshilfe.
Dementsprechend ist die Prüfungskompetenz des Exequaturgerichts nach § 49 IRG auf
die formelle Prüfung beschränkt (vgl. OLG München, Beschluss vom 22.07.1994 – 1 Ws
490/94 –, Rn. 6 f., juris; Schomburg/Hackner in: Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner:
Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 5. Auflage 2012, § 49, Rn. 15 ff).

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Landgericht Krefeld, 21 StVK 218/16 https://www.justiz.nrw.de/nrwe/lgs/krefeld/lg_krefeld/j2017/21_StVK...

4. 164

Es ist keine qualifizierte verfahrensabschließende Entscheidung eines deutschen Gerichts 165


oder einer Behörde im Sinne von § 9 Nr. 1 IRG ergangen, § 49 Abs. 1 Nr. 4 IRG.

Insbesondere liegt in dem anhängigen inländischen Ermittlungsverfahren der 166


Staatsanwaltschaft Krefeld zu dem Az. 3 Js 753/11, welches als Gegenstand unter
anderem auch den hier vorliegenden Vorwurf der Beihilfe zum sexuellen Missbrauch von
Kindern betrifft, noch keine verfahrensabschließende Entscheidung vor. Ein dort an die
chilenischen Behörden auf Erlangung von Beweismitteln gerichtetes Rechtshilfeersuchen
stehe nach Mitteilung der Staatsanwaltschaft noch aus (vgl. Bl. 329 HA). Soweit der
Verurteilte vorbringt, dass dieses Ermittlungsverfahren dem jetzigen
Vollstreckungshilfeverfahren vorgehe, kann dem nicht gefolgt werden. § 49 Abs. 1 Nr. 4 in
Verbindung mit § 9 IRG sieht eine verfahrensabschließende Entscheidung vor (vgl.
Schomburg/Hackner in: Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner: Internationale Rechtshilfe in
Strafsachen, 5. Auflage 2012, § 49, Rn. 17 f., § 9 Rn. 7 ff), die unstreitig nicht gegeben ist.

5. 167

Die gemäß § 49 Abs. 1 Nr. 5 IRG nach deutschem Recht zu beurteilende 168
Vollstreckungsverjährung ist unter Berücksichtigung von § 79 Abs. 3 Nr. 2 StGB, wonach
die Verjährungsfrist bei Freiheitsstrafen von mehr als fünf Jahren bis zu zehn Jahren
zwanzig Jahre beträgt, noch nicht eingetreten. Die Verjährungsfrist richtet sich dabei nach
der Höhe der erkannten Strafe (hier 5 Jahre und 1 Tag), wobei etwaige angerechnete
Untersuchungshaft außer Betracht bleibt (vgl. Fischer, StGB, 63. Auflage 2016, § 79 Rn.
4). Maßgeblich für den Beginn der Vollstreckungsverjährung gemäß § 79 Abs. 6 StGB ist
dabei die im Jahr 2013 eingetretene Rechtskraft der zu vollstreckenden Erkenntnisse (vgl.
OLG Köln, Beschluss vom 04.04.2011 – 2 Ws 127/11 –, juris; Schomburg/Hackner in:
Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner: Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 5. Auflage
2012, § 49 Rn. 19, § 57, Rn. 15).

6. 169

Des Einverständnisses des Verurteilten mit der Vollstreckung der Strafe in Deutschland 170
bedarf es nach § 49 Abs. 2 IRG nicht, weil er sich in Deutschland und nicht in dem
ausländischen Staat aufhält, in dem die freiheitsentziehende Sanktion verhängt worden ist.

7. 171

Ferner sieht das deutsche Recht die Sanktion der Freiheitsstrafe, die der im ausländischen 172
Staat verhängten Sanktion ihrer Art nach entspricht, im Sinne von § 49 Abs. 4 IRG vor.

III. 173

Da die Vollstreckung der ausländischen Urteile gemäß §§ 48, 49 IRG zulässig ist, sind die 174
ausländischen Erkenntnisse für vollstreckbar zu erklären und die darin verhängte Sanktion
ist in eine Freiheitsstrafe von 5 Jahren und 1 Tag umzuwandeln gemäß § 54 IRG. Hierauf
ist die verbüßte Untersuchungshaft von 23 Tagen anzurechnen.

1. 175

Die im Ausland verhängte Sanktion ist in die ihr im deutschen Recht entsprechende 176
Sanktion einer Freiheitsstrafe von 5 Jahren und 1 Tag umzuwandeln gemäß § 54 Abs. 1 S.
2 IRG.

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Landgericht Krefeld, 21 StVK 218/16 https://www.justiz.nrw.de/nrwe/lgs/krefeld/lg_krefeld/j2017/21_StVK...

Für die Höhe der individuellen Sanktion ist gemäß § 54 Abs. 1 S. 3 HS 1 IRG das 177
ausländische Erkenntnis maßgebend. Eine Strafzumessung findet im Exequaturverfahren
grundsätzlich nicht statt. Der Grundsatz der Übernahme der im Ausland verhängten
Sanktion ist gemäß § 54 Abs. 1 S. 3 HS. 2 IRG nur insoweit eingeschränkt, als die bei der
Umwandlungsentscheidung festzusetzende Strafe das Höchstmaß der im Geltungsbereich
des inländischen Gesetzes für die Tat angedrohten Sanktion nicht übersteigen darf.
Maßgebend für diesen Vergleich ist die im Inland für die konkrete Tat vorgesehene
abstrakte Strafdrohung. Strafrahmenverschiebungen, wie für Qualifizierungs- oder
Privilegierungstatbestände, Regelbeispiele sowie zwingende Milderungsgründe nach § 49
StGB sind dabei zu berücksichtigen, soweit sie sich mit den Möglichkeiten des
Exequaturverfahrens feststellen lassen, also keine eigene Strafzumessung erfordern. Bei
der Umwandlungsentscheidung ist das im Inland mit der Sache befasste Gericht an die
tatsächlichen Feststellungen gebunden, die sich – ausdrücklich oder stillschweigend – aus
dem im Urteilsstaat ergangenen Urteil ergeben (vgl. Saarländisches Oberlandesgericht
Saarbrücken, Beschluss vom 29.01.2004 – 1 Ws 239/03 –, Rn. 27 ff., juris; OLG Celle,
Beschluss vom 18. Oktober 2007 – 1 Ws 367/07 –, Rn. 26, juris; Schomburg/Hackner in:
Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner: Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 5. Auflage
2012, § 54, Rn. 4 f.m.w.N.).

Der Strafrahmen ist im vorliegenden Fall nach den obigen Ausführungen §§ 176 Abs. 1, 178
174 Abs. 1 Nr. 1 bzw. 2, 178 Abs. 1, 27 StGB in der Fassung vom 10.03.1987 zu
entnehmen. § 176 Abs. 1 StGB a.F. sieht eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu
zehn Jahren vor. Es kann auch im Rahmen von § 54 Abs. 1 IRG offen bleiben, ob
hinsichtlich des Verurteilten als Gehilfen ein besonders schwerer Fall im Sinne des § 176
Abs. 3 StGB a.F. anzunehmen ist. Denn nach § 54 Abs. 1 S. 3 IRG kommt es lediglich
darauf an, dass das Höchstmaß der nach deutschem Recht für die Tat angedrohten
Sanktion nicht überschritten wird. Das Höchstmaß der angedrohten Strafe ist sowohl bei §
176 Abs. 1 StGB a.F. als auch bei § 176 Abs. 3 StGB a.F. jeweils zehn Jahre
Freiheitsstrafe. Die sexuelle Nötigung nach § 178 Abs. 1 StGB a.F. wird mit Freiheitstrafe
von einem Jahr bis zu zehn Jahren bestraft. § 174 Abs. 1 StGB a.F. sieht eine Geldstrafe
oder Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren vor.

Die Strafe für den - nach den bindenden Feststellungen der chilenischen Erkenntnisse 179
anzunehmenden - Gehilfen richtet sich nach der Strafdrohung für den Täter, wobei sie
nach § 27 Abs. 2 S. 2 StGB nach § 49 Abs. 1 zu mildern ist. Unter Anwendung der
Strafrahmenverschiebung gemäß § 49 Abs. 1 StGB ergibt sich ein so gemilderter
Strafrahmen bezüglich § 176 Abs. 1 StGB a.F. von einem Monat bis sieben Jahre und
sechs Monate Freiheitsstrafe, bezüglich § 178 Abs. 1 StGB a.F. von drei Monaten bis
sieben Jahre und sechs Monate Freiheitsstrafe und bezüglich § 174 Abs. 1 StGB a.F. von
fünf bis 270 Tagessätze Geldstrafe bis drei Jahre und neun Monate Freiheitsstrafe.

Das Urteil des chilenischen Obersten Gerichtshofs sieht für die tatmehrheitlich 180
begangenen, abgeurteilten Straftaten eine – sinngemäß mit dem deutschen Recht
vergleichbare - Gesamtstrafe vor (vgl. letztinstanzliches Urteil, Bl. 85 in Sonderband
I-352/13 Nr. 2). Bereits im Hinblick auf die festgestellten in Betracht kommenden
Höchststrafen der Einzelstrafen ist unter Berücksichtigung der Grundsätze zur Bildung
einer Gesamtstrafe im Sinne von § 54 StGB das Höchstmaß der im Geltungsbereich
dieses Gesetzes für die Tat angedrohten Sanktion gemäß § 54 Abs. 1 S. 3 HS 2 IRG
jedenfalls nicht überschreiten.

2. 181

Auf diese Freiheitsstrafe sind 23 Tage erlittene Untersuchungshaft anzurechnen. 182

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Landgericht Krefeld, 21 StVK 218/16 https://www.justiz.nrw.de/nrwe/lgs/krefeld/lg_krefeld/j2017/21_StVK...

Nach § 54 Abs. 4 S. 1 IRG sind auf die festzusetzende Sanktion der Teil der Sanktion, der 183
in einem ausländischen Staat gegen die verurteilte Person wegen der Tat bereits
vollstreckt worden ist, sowie im Inland zur Sicherung der Vollstreckung nach § 58 IRG
erlittene Haft anzurechnen. Eine von diesem Wortlaut erfasste Haftzeit liegt nicht vor.
Jedoch befand sich der Verurteilte nach den Feststellungen in dem ausländischen
Erkenntnis in Chile für dieses Verfahren am 17. und 18.06.1997 und im Zeitraum vom
12.08. bis zum 01.09.1997, insgesamt demnach 23 Tage, in Untersuchungshaft (vgl.
Erstinstanzliches Urteil, S. 1404 Sonderband 4 f)). Die Anrechnungsvorschrift des § 54
Abs. 4 IRG bezieht sich zwar grundsätzlich nicht auf die vollstreckte Untersuchungshaft im
ausländischen Verfahren (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 07.04.2011 – 1 Ausl 17/11 –, Rn.
6, juris). Denn über die Anrechnung von im Urteilsstaat vollzogener Untersuchungshaft hat
allein dieser zu entscheiden (vgl. KG Berlin, Beschluss vom 16.07.2007 – 1 AR 105/06 -
2/5 Ws 53/06 –, Rn. 39, juris; Schomburg/Hackner in: Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner:
Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 5. Auflage 2012, § 54, Rn. 14). Eine solche
Anrechnung ist vorliegend jedoch in dem ausländischen Erkenntnis erfolgt. Nach dem
Tenor des chilenischen erstinstanzlichen Urteils des Strafgerichts Parral/Chile vom
16.11.2004 werden auf die festgesetzte Strafe die 23 Tage Untersuchungshaft
angerechnet. Da sich das letztinstanzliche Urteil des Obersten Gerichtshof zu einer
Anrechnung der Untersuchungshaft nicht ausdrücklich verhält und die angegriffenen
Urteile im Übrigen bestätigt, ist zugunsten des Verurteilten davon auszugehen, dass das
erstinstanzliche Urteil insofern bestätigt wurde und eine Anrechnung der
Untersuchungshaft erfolgen soll (vgl. letztinstanzliches Urteil S. 90 in Sonderband I-352/13
Nr. 2: die Urteile „werden mit folgenden Erläuterungen bestätigt“, S. 98: „Des Weiteren
werden die erwähnten Urteil bestätigt“). Die Zeit der Untersuchungshaft ist daher in
Übereinstimmung mit den Ausführungen der Staatsanwaltschaft auf die umzuwandelnde
Strafe anzurechnen. Dies entspricht auch dem im Rahmen der Vollstreckungsrechtshilfe
geltenden Grundsatz der alleinigen Verantwortlichkeit des Urteilsstaates für die Sanktion
(vgl. Schomburg/Hackner in: Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner: Internationale
Rechtshilfe in Strafsachen, 5. Auflage 2012, § 54, Rn. 14). Zudem soll der Verurteilte
durch die Vollstreckungshilfe hinsichtlich der Höhe der zu verbüßenden Strafe nicht
benachteiligt werden. Die Anrechnung erfolgt dabei in einem Maßstab von eins zu eins.
Für einen davon abweichenden besonderen Anrechnungsmaßstab ist kein Raum. Die
Vorschrift des § 51 Abs. 4 Satz 2 StGB ist im Exequaturverfahren nicht anwendbar (vgl.
OLG Celle, Beschluss vom 07.04.2011 – 1 Ausl 17/11 –, Rn. 7, juris; Schomburg/Hackner
in: Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner: Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 5.
Auflage 2012, § 54, Rn. 14 m.w.N.).

3. 184

Die ausländische Sanktion verstößt auch nicht gegen wesentliche Grundsätze der 185
deutschen oder europäischen Rechtsordnung (§ 73 IRG), insbesondere erscheint die
ausländische Sanktion nicht unverhältnismäßig hoch.

C. 186

Die Kammer sieht nach den obigen Ausführungen in Ausübung des ihr insofern 187
zustehenden Ermessens kein Bedürfnis für eine Vernehmung des Verurteilten oder die
Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß § 52 Abs. 2 i.V.m. § 30 Abs. 2 S. 1,
Abs. 3, § 1 IRG. Die Verfahrensbeteiligten und insbesondere der Verurteilte im Sinne von §
52 Abs. 3 IRG hatten hinreichend Gelegenheit, Stellung zu nehmen. Hiervon hat der
Verurteilte selbst sowie durch seinen Verfahrensbevollmächtigten umfangreich Gebrauch
gemacht.

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Gegen diese Entscheidung ist das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde nach Maßgabe 188
des beigefügten Formblatts statthaft (§ 55 Abs. 2 S. 1 IRG, § 311 f. StPO).

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