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NEUE ZÜRCHER ZEITUNG


LEBEN OHNE GESICHT
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Menschen ohne geregelten Aufenthaltsstatus sind als flexible Arbeirskräfte willkommen,


leben jedoch unter prekärsten Bedingungen. In letzter Zeit haben die Beratungsstellen für
Sans-Papiers besonders viel zu tun.
(Keine Papiere, kein Gesicht: Drei Sans-Papiers, die sich in der Anlaufstelle in Basel beraten
lassen.

Die Warterschlage ist lang. Rund zwanzig Personen – jung, alt, einige mit Kleinkindern an
der Hans, andere mit Kopförern in den Ohren – warten, bis die Türen öffnen. Es ist 14 Uhr an
der Rebgasse mitten in Basel. An diesem Tag gibt Nora Niederer Rechtsberatungen. Sie
arbeitet seit bald fünf Jahren als Co-Leiterin an der Anlaufstelle für Sans-Papiers, die aus
einem Team von vier Personen besteht. Hier, in zwei kleinen Büroräumen, erhalten
Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus – also Sans-Papiers – Hilfe bei juristichen, sozialen
und medizinischen Fragen.

Die erste Ratsuchende ist eine junge Frau aus San Salvador. Nach der Trennung von ihrem
Mann sei sie plötzlich aud sich allein gestellt und nicht mehr in der Lage gewesen, für ihre
achtjährige Tochter aufzukommen. Sie lebt seit sechs Jahren in der Schweiz und arbeitet als
Haushaltshilfe bei einer Familie; die Tochter hat sie bei der Grossmutter in San Salvador
zurückgelassen. Sie schicke Geld nach zu Hause für die Ausbildung der Tochter, aber nun sei
die Grossmutter krank mit der Betreuung überfordert. Die Frau überlegt sich, die Tochter zu
sich nach Basel zu holen. Niederer klärt sie über ihre Rechte auf: Die heute 14-jährige
Tochter könne noch wenige Jahre zur Schule gehen, aber die Kriterien für eine Bewilligung
für eine Lehrstelle werde sie nicht erfüllen. Eine Entscheidung fällt der jungen Frau sichtlich
schwer und wird nicht mehr an diesem Nachmittag getroffen.

Les persones sense residència habitual són benvingudes com a treballadores flexibles, però
viuen en les condicions més precàries. Finalment, els centres d'assessorament per a sans-
papiers tenen molt a veure.
(Sense papers, sense cara: Tres sans-papiers que busquen consell al punt de contacte de
Basilea.

L'espera és llarga. Una vintena de persones –joves, grans, algunes amb nens petits al Hans,
d'altres amb auriculars a les orelles– esperen fins que s'obrin les portes. Són les 14 h a
Rebgasse, al mig de Basilea. En aquest dia, Nora Niederer dóna assessorament jurídic.
Treballa des de fa gairebé cinc anys com a codirectora al punt de contacte de Sans-Papiers,
que consta d'un equip de quatre persones. Aquí, en dues petites oficines, les persones sense
estatus de residència legal –és a dir, sans-papiers– reben ajuda per qüestions legals, socials i
mèdiques.

La primera persona que busca consell és una jove de San Salvador. Després de separar-se del
seu marit, de sobte es va deixar als seus propis dispositius i ja no va poder proporcionar a la
seva filla de vuit anys. Fa sis anys que viu a Suïssa i treballa com a ajuda domèstica per a una
família; la filla la va deixar enrere amb la seva àvia a San Salvador. Envia diners a casa per a
l'educació de la seva filla, però ara l'àvia està malalta de les cures. La dona es planteja portar
la seva filla a Basilea. Niederer explica els seus drets: La filla ara de 14 anys encara pot anar
a l'escola durant uns anys, però no complirà els criteris per a un aprenentatge. Una decisió
visiblement difícil per a la jove i que ja no es pren aquesta tarda.

- aufenthaltsstatus
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Ein weiterer Klient ist ein Basler, der seit fünf Jahren getrennt von seiner Frau lebt, aber noch
verheiratet ist. Seine neue Freundin kommt aus Kolumbien. Sie ist vor zwei Jahren zu ihm in
die Schweiz gekommen ohne dauerhafte Aufenthaltsbewilligung. Die beiden erwarten ein
Kind, doch er ist restlos überfordert mit den bürokratischen Hürden. Auch hier hört Niederer
geduldug zu und sagt, welche Schritte unternommen werden müssen, damit Aufenthalt seiner
Partnerin “legalisiert” werden kann.

Eine andere Papierlose stammt aus Äthiopien. Bei der Anhörung der Migrationsbehörden sei
sie eingeschüchtert gewesen und hab die Frage nicht beantworten können. Sie hat psychiche
Probleme und weint während der Beratung. Sie ist ausserdem schwanger, ihr Freund hat eine
Bewilligung, lebt aber in einem anderen Kanton. Eine Heirat oder die Anerkennung des
Kindes – und damit die Chance auf eine sogenannte Regularisierung des Aufenthaltes – sind
nicht so einfach umsetzbar.

Arbeit trotz fehlenden Papieren


An diesem Nachmittag finden 15 Beratungen à 20 Minuten statt. In den letzten Jahren sei der
Andrang angestiegen, sagt Niederer. Wie erklärt sie das? „Je restriktiver das Ausländergesetz
und je härter die Praxis der Behörden ist, desto mehr Sans-Papiers gibt es“. Dazu äussert sich
das Staatssekretariat für Migration mit den Worten: „Der Budesrat hat anerkannt, dass
zwischen den einzelnen Gesetzen Konflikte bestehen“.
Papierlos wird man in der Schweiz aus unterschiedlichen Gründen. „Die Sans-Papiers sind
keine homogene Gruppe, und ihre Situationen sind sehr vielfältig“, sagt Roberto Lopez, der
inn der Basler Anlaufstelle die Sozialberatungen führt. Die Sozialberatunfen finden, nebst
den Rechts- und der Gesundheitsberatungen, einmal wöchentlich statt. Die wichtigsten
Themen seien die Einschulung und Ausbildung von Kindern, der Zugang zu
Krankenversicherungen, Probleme mit der Wohn- und Arbeitssituation sowie Fragen rund
um die Heirat und die Registrierung von Geburten.

Un altre client és un resident de Basilea que ha estat separat de la seva dona durant
cinc anys però que encara està casat. La seva nova xicota és de Colòmbia. Va arribar
a ell a Suïssa fa dos anys sense permís de residència permanent. Els dos esperen un
Kinf, però està completament desbordat pels obstacles burocràtics. Aquí, també,
Niederer escolta pacientment i diu quins passos s'han de prendre perquè es pugui
"legalitzar" l'estada de la seva parella.

Un altre indocumentat prové d'Etiòpia. Durant l'audiència de les autoritats


migratòries, va ser intimidada i no va poder respondre a la pregunta. Té problemes de
salut mental i plora durant l'assessorament. També està embarassada, el seu xicot té
permís, però viu en un altre cantó. Un matrimoni o el reconeixement del fill –i, per
tant, la possibilitat d'una anomenada regularització de l'estada– no són tan fàcils
d'implementar.

Treballa tot i que falten papers


Aquesta tarda tindran lloc 15 consultes de 20 minuts cadascuna. En els últims anys,
les presses han augmentat, diu Niederer. Com ho explica? "Com més restrictiva sigui
la llei d'estrangeria i més dura sigui la pràctica de les autoritats, més sans-papiers hi
ha. " La Secretaria d'Estat de Migracions ho va comentar amb les paraules: "El
Consell Federal ha reconegut que hi ha conflictes entre les lleis individuals".
La gent va sense papers a Suïssa per diversos motius. "Els Sans-Papiers no són un
grup homogeni, i les seves situacions són molt diverses", diu Roberto López, que
dirigeix els serveis d'assessorament social al punt de contacte de Basilea. Les
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consultes socials tenen lloc un cop per setmana, a més de consultes legals i sanitàries.
Les qüestions més importants són la matrícula i l'educació dels fills, l'accés a
l'assegurança mèdica, els problemes amb la situació de vida i treball, així com
qüestions relacionades amb el matrimoni i la inscripció.

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Die Tür geht auf, und Mariama Usman, verantwortlich für den Gesundheitsbereich der
Anlaufstelle, steckt den Kopf herein.“Entschuldigung für sie Störung, aber es eilt“: Eine
Papierlose, für die sie aufgrund der Schwangerschaft eine Krakenkasse abgeschlossen habe,
sei kontrolliert worden. Sie habe eine Wegweisung bekommen, und der Rekurs müsse innert
fünf Tagen eingereicht werden. Deshalb müsse innert fünf Tagen eingereicht werden.
Deshalb müsse sie noch an diesem Nachmittag in die Rechtsberatung kommen. Niederer
seufzt; sie wird lange in den Abend hinein arbeiten.
Eine Gratwanderung
Einerseits herrscht in der schweizweischen Migrationspolitik die Meinung vor, dass
Personen, die sich unrechtmässig in der Schweiz aufhalten, nicht it der Legalisierung ihres
Aufenthaltes „belohnt“ werden dürfen, wenn sie sich nur lange genung unerchtmässig in der
Schweiz aufgehalten haben. Um ein deutliches Signal auszusenden, dass der illegale
Aufenthalt in der Schweiz nicht erwünscht ist, bessteht für die hiesigen Sans-Papiers kaum
die Möglichkeit einer Regularisierung ihres Aufenthaltes, selbst wenn sie hier geboren und
aufgewachsen sind.
Dies führt andererseits dazu, dass eine nicht vernachlässigbar grosse Gruppe von Menschen
in der Schweiz aufgrund ihres illegalen Aufenthaltes unter prekären Bedungungen lebt.

La porta s’obre i Mariama Usman, re

Por lo tanto, tendría que acudir a la asesoría jurídica esa misma tarde. Niederer suspira;
trabajará hasta bien entrada la noche.
En la cuerda floja
Por un lado, la opinión predominante en la política migratoria suiza es que no se debe
"recompensar" con la legalización de la residencia a las personas que se encuentran
ilegalmente en el país si no llevan en él el tiempo suficiente. Para enviar una señal clara de
que Suiza no está a favor de la residencia ilegal, los sin papeles apenas tienen posibilidades
de regularizar su residencia, aunque hayan nacido y crecido aquí. Por otro lado, esto da lugar
a un grupo nada insignificante de personas que viven en condiciones precarias en Suiza
debido a su estancia ilegal.

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Meistens handelt es sich bei den Sans-Papiers um Personen, die aus sogenannten Drittstaaten
kommen und in der Schweiz keine Möglichkeit haben, sich regulär aufzuhalten. Dies, weil
laut Lopez die Zulassungpraxis für „niedrig Qualifizierte“ aus Drittstaaten in der Schweiz
äussert streng ist. Trotzdem wandern viele Menchen, mehrheitlich Frauen, aus
aussereuropäischen Ländern ein und finden auch ohne Bewilligung eine Arbeit. Die
hierzulande bestehende Nachfrage nach „niedrig qualifizierten“ Arbeitskräften und die
individuellen Gründe für die Emigration, wie zum Beispiel wirtschaftliche Not und
Perspektivenlosigkeit im Herkunftsland, bilden die Grundlage von (irregulärer) Migration.
„Für Menschen, die in ihrer Existenz bedroht sind, ist es nicht ausschlaggebend, wie restriktiv
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die Gesetze eines Landes sind. Sie gehen dorthin, wo sie eine Chance auf ein besseres Leben
für sich und ihre Familien sehen“, sagt Niederer.

Es gibt aber auch andere Gründe, die in die Illegalität führen: Zum Beispiel, wenn eine
Person ihre Bewilligung verliert. Häufig ist die Aufenthaltsbewilligung an einen Zweck
gebunden, wie an eine Arbeitsstelle, ein Studium oder an den Verbleib beim Eheparter. Wenn
der Aufesthaltszweck wegfällt, zum Beispiel bei Beendigung des Studiums oder bei einer
Trennung nach weniger als drei Jahren Ehe, wird die Bewilligung entzogen. Viele Migranten
bleiben dennoch in der Schweiz, da sie hier mittlerweile zu Hause sind oder in ihrem
Herkunftsland keine Perspektiven haben. Des Weiteren kommen Personen aus dem
Asylbereich hinzu, die nach einem negativen Entshceid untertauchen oder nicht ausgewiesen
werden können (siehe Infobox).

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Leistet die Anlaufstekke rechtswidrigem Verhalten Vorschub? „Nein“, saagt Lopez. „Wir
helfen Menschen in Notsituationen und unterstützen sie dabei, ihre Grundrechte
wahrzunehmen“. Niederer ergänzt: „Es ist schade, dass es und dazu braucht, denn Menschen-
und Grundrechte stehen allen zu, unabhángig vom ausländerrechtlichen Status“.

„Das Leben in der Illegalität ist ein hartes Leben“ sagt Lopez. Sans-Papiers leben in
permanenter Unsicherheit,erhalten keine staatliche Unterstützung, wenn sie die Arbeit
verlieren oder krank werden, ihre Kinder wachsen in prekáren Lebensverhältnissen auf.

Wer untertauche und sich in der illegalität eine Existenz aufbaue, müsse sehr unauffällig
leben. „Ein Sans-Papiers würde nie im Bus schwarz fahren oder bei roter Ampel über die
Strasse laufen“. Die Angst, aufzufliegen und ausgeschafft zu werden, sei ein ständiger
Begleiter von Papierlosen. Manchmal würden sie von ihren Arbeitgebern audgebeutet und
könnten sich nicht wehren. Viele würden psychisch krank. Lat Lopez gibt es auch Fälle von
sexueller Gewalt, ohne dass die Betroffenen eine Anzeige erstatten könnten. „Niemand
entscheidet sich für dieses Leben, wenn eine Rückkehr auch nur ansatzweise móglich wäre“,
sagt Lopez Dass sie so etwas überhauot aushielten, sei Ausdruck ihrer Willenskraft und
Stärke, aber uch ihrer Ausweglosigkeit.

Prix Social für das Engagement

Derzeit setzt sich die Anlaufstelle für Sans-Papiers in Basel mit einer Kampagne für acht
Härtefälle ein, deren Gesuche laut Niederer aus nicht nachvollziehbaren Gründen vom
Migrationsamt in einer anonmen Vorprüfung abgelehnt wurden. „Es sind Personen, die seit
10 bis 20 Jahren in der Schweiz leben, arbeiten und lángst Teil der Gesellschaft geworden
sind“, sagt Niederer. Nur ein Stück Papier fehle ihnen, um ein „ganz normales Leben“ zu
führen.

Im Jahr 2014 erhielt die Anlaufstelle in Basel den Prix Social. Niederer sagt: „Dieser Preis
bestárkt und ermutigt uns in unsere Engagement für die Sans-Papiers, deren Dienstleistungen
gerne beansprucht, deren Existenz und Rechte aber verschwiegen werden.“

Draussen, beim Verlassen der kleinen komplizierten Welt dieser Anlaufstelle, versinkt die
Sonne hinter den Háusern. Im Tram – mitten in Basel, mitten im Feieraben – stellt man sich
die Frage: Welche dieser Fahrgäste sind wohl Sans-Papiers? Sie sind ja unter uns. Aber sie
sind unauffállig.
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GLOSSAR

deutsch Wortart bedeutung übersetzung


.e Gratwanderung Sustantiv Sich auf einer Estar en la cuerda floja
Gratwanderung
befinden
unrrechtmäBig Adjektiv Nicht rechtmäBig ilegal
belohnen Verben (zum Dank, als Recompensar, premiar
Anerkennung für
etwas) [mit etwas]
beschenken,
auszeichnen
vernachlässigbar Adjektiv keine Bedeutung insignificante
besitzend, keine
entscheidende Rolle
spielend

Una senyal clara, inequívoca, indiscutible

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