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We must keep in mind the fact that ideas are the resiüt of
the entire material and cultural structure of a given period.
They are linked up and interwoven with the generei
philosophy of the time, and nobody can think beyond tha
framework of his worid.1
Die Leser der Zeitschrift „Saeculum" sind kürzlich mit dem Problem
des „Frühstadiums der arabischen Aneignung antiken Gutes" vertraut
gemacht worden2). Der Verfasser jenes Aufsatzes, Paul Kunitzsch,
hat ein heißes Eisen angerührt. Denn die Hellenisierung der isla-
mischen Welt, um die es bei diesem Problem geht, war ein historisches
Ereignis ersten Ranges, ein Prozeß, der die Kultur der islamischen
Länder aufs tiefste umgestaltet und geprägt hat, ein Prozeß, der auch
auf das Abendland zurückgewirkt und den Wissenschaften des euro-
päischen Mittelalters ganz neue Impulse gegeben hat. Die außer-
ordentliche Bedeutung des Themas ist damit klar, und es ist selbst-
verständlich, daß der Historiker nach den Anfängen und Ursprüngen
fragen muß, wenn er zur Erkenntnis des Wesens eines historischen
Prozesses vordringen will. Im vorliegenden Fall aber stößt die Frage
nach den Anfängen in einen dunklen Raum. Die Übersetzungen
griechischer Werke ins Arabische, die im 9. Jhdt. nach Chr., der
Hauptepoche der Hellenisierung, angefertigt wurden, sind durch er-
haltene Handschriften und durch Testimonien zeitgenössischer Auto-
ren reich bezeugt. Hier haben wir festen Boden unter den Füßen. Was
aber vor dem Jahre 800 geschehen ist, ist schlecht dokumentiert. Die
Fakten sind spärlich, die Nachrichten der Historiker und Bibliographen
widersprüchlich, und so ist es kein Wunder, daß das Problem des
„Frühstadiums der arabischen Aneignung antiken Gutes" die Köpfe
seit je erhitzt und den Scheuern der Wissenschaft eine reiche Ernte
an Hypothesen eingebracht hat. Und daß jüngst wieder einmal jemand
seine Hypothesen zu Tatsachen stilisieren wollte, wird nur den be-
fremden, der die menschliche Natur nicht kennt.
Bei dieser Lage der Dinge ist man dankbar, daß Paul Kunitzsch
einen ausgewogenen Überblick über das „Frühstadium" gegeben und
behutsam und vorsichtig argumentiert hat. Er hat das Vorläufige
seiner Bestandsaufnahme betont und hat mehrfach darauf hinge-
wiesen, daß es auf die Klärung von Detailfragen ankomme, bevor
man zu größeren Synthesen und Wertungen vordringen könne3). Vor
allem müßten die alten, angeblich vor dem Jahre 800 übersetzten oder
verfaßten Texte ediert und erschlossen werden, und dann gelte es
abzuwarten, was sie an interner Evidenz erbrächten4).
Da aber diese Texte bisher nicht veröffentlicht sind und da die
Detailforschung noch kaum geleistet ist, war auch Kunitzsch zumeist
auf Indizien angewiesen, so daß seine Darstellung sich hauptsächlich
im Kreise von Meinungen und Vermutungen bewegt. Mir scheint, daß
er die Möglichkeit früher Datierungen zu optimistisch gesehen hat, und
ich glaube, daß die Tradition der Hermetik, der Astrologie und der
Alchemie, jener Wissenschaften also, die von der Forschung besonders
vernachlässigt worden sind, nicht wesentlich früher stattgefunden hat
als die der Medizin und Philosophie. Insbesondere muß man das
Datum II. Babi< 38/September 658, das Jahr, in dem eine alchemis-
tische Schrift des Zosimos von Panopolis ins Arabische übersetzt
worden sein soll5), eliminieren. Dieses Datum steht lediglich in einer
Handschrift des 15. Jhdts.; es ist nicht mehr als „a disconnected note"
und hat, wie Douglas Morton Dunlop richtig festgestellt hat, „all the
appearance of a late gloss of no particular authority"6). Aber auch die
Berichte über die alchemistischen Ambitionen des Hälid ibn Yazid,
des im Jahre 85/704 gestorbenen Prinzen aus dem Hause der Umaiya-
den7), müssen ins Reich der Fabel verwiesen werden, und der Klärung
dieses Problems sollen die folgenden Seiten gewidmet sein. An diesem
einen Punkte also soll hier jene Detailforschung geleistet werden, die
allein weiterführen kann, und wir müssen den Leser bitten, uns auf
dem dornigen Wege der Kritik disparater arabischer Quellen zu folgen.
3
) Ibid. p. 270 Mitte.
*) Ibid. p. 276f. *) Ibid. p. 276.
e
) Journal of the Royal Asiatic Society 1974, p. 64f.
7
) Kuiützsch p. 277.
Daß Hälid ibn Yazid, der Enkel Mu'äwiya's, sich mit Alchemie
beschäftigt habe, berichten schon lateinische Schriften des Mittel-
alters, und diese Nachricht wurde bestätigt, als im vorigen Jahr-
hundert das Kitäb al-Agäm, der Fihrist des ibn an-Nadim, das biogra-
phische Lexikon des ibn Hallikän und das Geschichtswerk des ibn at-
Tiqtaqä in Europa bekannt wurden. So galt es denn allgemein als
historisches Faktum, daß Hälid ein Adept war, bis Julius Buska 1924
eine Arbeit veröffentlichte8), in der er alle jene Schriften untersucht
hatte, die unter Hälids Namen arabisch oder lateinisch kursieren. Er
war zu dem Ergebnis gekommen, daß diese Schriften — es handelt
sich um das Firdaus al-hikma, das Krates-Buch, die Bisäla jl s-San'a
aS-Sarlfa wa-hawässihä (Ms. Rämpür 16,2), die in Rämpür 16,3 er-
haltene Risäla, die Morienus-Legende9), den Liber secretorum alchemiae
und den Liber trium verborum — ausnahmslos Fälschungen sind.
Nachdem inzwischen viele neue Quellen ans Licht gekommen sind,
sind Ruska's Untersuchungen heute in vielen Einzelheiten überholt.
Nicht überholt ist sein Gesamtergebnis, denn alles, was inzwischen
bekanntgeworden ist, bestätigt Ruska's Erkenntnis, daß jene Schriften
nicht von Hälid stammen können. Man kann also Ruska's scharfen
Blick und sein unbestechliches Urteil nur bewundern. Er hatte diese
Schriften erstmals ernsthaft und konsequent mit philologisch-histo-
rischer Methode untersucht und auf diese Weise ihre Unechtheit er-
wiesen10). Aber wenn auch die Schriften nicht von Hälid stammten,
so blieb doch — wie Ruska glaubte — immerhin die Möglichkeit, daß
die Nachrichten der arabischen Historiker über Hälids alchemistische
Ambitionen einen wahren Kern enthielten. Und daher urteilte er
p. 50 zusammenfassend: „So läßt sich die Nachricht von Chälids
alchemistischer Liebhaberei weder beweisen noch sicher widerlegen".
8
) Julius Kuska, Arabische Alchemisten I. Chälid ibn Jazid ibn Mu'äwija
(Heidelberger Akten der von-Portheim-Stiftung 6), Heidelberg 1924.
9
) Die Caüd-Morienus-Geschichte ist zum Teil von Goethe übersetzt worden,
s. J". W. von Goethe, Die Schriften zu den Naturwissenschaften, Abt. I, Bd. 6,
Zur Farbenlehre, Historischer Teil, bearbeitet von Dorothea Kühn, Weimar
1957, p. 131 f. Erläuterungen dazu im Band „Ergänzungen und Erklärungen",
Abt. , Bd. 6, Weimar 1959, p. 439—441. Lateinische Neuausgabe und eng-
lische Übersetzung: Lee Stavenhagen, A Testament of Alchemy, being the
revelations of Morienus, ancient adept and hermit of Jerusalem, to Khalid ibn
Yazid ibn Mueawiyya, king of the Arabs, of the divine secrets of the magisterium
and accomplishment of the alchemical art. Edited and translated from the
oldest mamiscripts, with commentary, Hanover, New Hampshire, 1974.
10
) Daß Leute, die die Methoden der Philologie und Geschichtswissenschaft
ignorieren, auch noch nach Ruska's Veröffentlichung an der Echtheit der
Hälid-Schriften festhielten, braucht uns hier nicht zu beschäftigen.
13*
u
) G. E. von Grunebaum, The Sources of Islamic Civilization, in: Der
Islam 46, 1970, 31.
12
) Bd. II, Jerusalem 1971, Sp. 547.
13
) Martin Plessner, The Natural Sciences and Medicine, in: The Legacy of
Islam, Second Edition, edited by the late Joseph Schacht with C. E. Bosworth,
Oxford 1974, p. 428.
u
) Nur die alchemistischen Gedichte (Diwan Firdaus al-7yikma), von denen
Ruska noch so gut wie nichts kannte, sollen unten im Zusammenhang mit der
Sammlung der echten Gedichte Hälids beurteilt werden.
Hälid ibn Yazid, Kompromiss, daß Hälid und dann cAmr ibn Sa'id
al-Asdaq seine Nachfolger werden sollten.
25. Id., K. Murüg ad-daJwtb wa-ma^ädin al-gauhar, ed. C. Barbier
de Meynard, Tome VIII, Paris 1874, p. 176,1—6: Kurze Erwähnung
Hälids als Alchemist und Mitteilung dreier Verse aus einem seiner
alchemistischen Gedichte.
26. Abu 1-Farag al-Isfahänl (gest. 356/966), K. al-Agäni, Bd. 16,
87,25—92,3/17, 340,1—350,5: Wichtiger Artikel, in dem die einzelnen
Anekdoten sorgfältig mit Isnäden versehen sind. Hälid wird als
Alchemist erwähnt. Anlaß der Aufnahme Hälids in das K. al-Agäm
war seine romantische Liebe zu Ramla bint az-Zubair ibn al-cAwwäm.
27. Ibn an-Nadim, K.al-Fihrist (verfaßt 377/987), ed. Gustav
Flügel, Leipzig 1871—72, p. 242,8ff.: Hälid wurde „der Gelehrte aus
der Familie Marwäns (!)" genannt. Er zog griechische Philosophen
aus Ägypten an sich, die er alchemistische Bücher aus dem Griechi-
schen und Koptischen ins Arabische übersetzen ließ. P. 244,2: Istafän
al-Qadim übersetzte für Hälid alchemistische und andere Bücher.
P. 354,3 ff.: Hälid war der erste, der medizinische, sternkundliche und
alchemistische Bücher übersetzen ließ. Hälid bezeugt selbst, daß die
Beschäftigung mit der Alchemie für ihn ein Ersatz für das entgangene
Kalifat war. Er soll die Chemie mit Erfolg betrieben haben. Er schrieb
Abhandlungen und Gedichte über Chemie.
28. Abu Hayyän at-Tauhidi (gest. 414/1024), K.al-Imtfc wa-l-
mtfänasa, edd. Ahmad Amm und Ahmad az-Zain, Bd. III, Kairo
1944, p. 178,11 ff.: Wortgefecht zwischen Hälid und al-Haggäg.
29. Abu Mansür cAbd al-Malik ibn Muhammad at-lVälibi (gest.
429/1037), K. Timär al-qulüb fi l-mudäf wa-l-mansüb, ed. Muhammad
abü 1-Fadl Ibrahim, Kairo 1384/1965, p. 290,3—10 (nr. 436): Er-
wähnung der drei Frauen Hälids.
30. Id., K. Latä'if al-ma<ärif, ed. P. de Jong, Leiden 1867, p. 53
ult.—54,4: Hälids Frauen.
31. Abü r-Raihän al-Birüm (gest. 440/1048), K. al-Ätär al-bäqiya
<an al-qurün cd-Mliya, ed. Eduard Sachau, Leipzig 1878, p. 302,17—19
(übs. Sachau p. 300): Hälid war der erste der islamischen Philosophen,
ja man sagt sogar, daß sein Wissen zu dem gehöre, was Daniel aus der
Schatzhöhle geholt habe, derselben Höhle, in der Adam sein Wissen
deponiert habe. Drei Muzdawig-Verse über die Chronologie der Higra.
32. PS. Magriti (um 442/1050), K. Butbat al-haJdm wa-mudhal at-
tcfllm, Ms. Chester Beatty 5234,2, p. 103,10—104,12, abgedruckt bei
Manfred Ullmann, Katalog der arabischen alchemistischen Hand-
schriften der Chester Beatty Library, Teil I, Wiesbaden 1974, p. 206f.:
15
) Bd. III 70 paen. heißt es, daß dem Marwän nach dem Tode des Mu'äwiya
ibn Yazid gehuldigt wurde.
1€
) Vgl. Paul Kraus, Jäbir ibn Hayyän. Contribution ä Fhistoire des ide^s
scientifiques dans l'Islam, Vol. I, Le Caire 1943, p. XLI.
des Öildaki (nr. 45) und des Bel-Mugüä (nr. 53), dreier Autoren, die
nur alchemistische Geschichtsklitterungen bieten. Die detaillierten
Kenntnisse, die al-Öildaki über Hälids Leben und Tätigkeit besitzt,
scheinen frappant; da aber zwischen Hälid und al-öildaki mehr als
600 Jahre liegen und der letztere weder eine Quelle noch einen Gewährs-
mann zu nennen vermag, da seine Nachrichten zudem mit denen der
alten Historiker nicht konvergieren, ist ihre Nichtigkeit evident.
Schließlich — und das ist für die Verfechter der Alchemie Hälids be-
sonders schmerzlich — muß auch der Fihrist unberücksichtigt bleiben.
Denn ibn an-Nadims Berichte über Hälids Lebensumstände sind aus
den in der Mitte des 10. Jhdts. schon existierenden Pseudepigrapha
abstrahiert. Der Satz Khrist 354,5f. ist offensichtlich aus öähiz Bayän
(Harun) I 328,1 f. übernommen; die daran anschließende rührende
Geschichte, daß Hälid, nachdem ihm das Kalifat entgangen war, in
der Alchemie eine Ersatzbeschäftigung ('iwad) gefunden habe und
daß er diese Kunst nur aus altruistischen Motiven (Khrist 354,6ff.)
betrieben habe, kommt bei keinem der früheren Historiker vor. Sie
ist Legende ebenso wie die Nachricht, daß er die Übersetzungen ver-
anlaßt habe. Und wenn ibn Hallikän von dem Mönch Maryänus als
dem Lehrer Hälids spricht17), so hat er das nur aus der Maryänus-
Schrift erschlossen, jenem Pseudepigraphon, das er im selben Atemzug
nennt.
Es bleiben damit im wesentlichen die Historiker des 9. Jhdts.
übrig: Ibn Sacd, az-Zubairi, Halifa ibn Hayyät, Muhammad ibn
Habib, ibn Qutaiba, al-Baläduri, ad-Dmawari, al-Yacqübi und al-
Mubarrad. Hinzu kommen aus dem 10. Jhdt. at-Tabari mit seiner
Weltgeschichte und abü 1-Farag al-Isfahäni mit seinem K. al-Agäm,
beides Quellen, die durch die Angabe der Isnäde besonders wertvoll
sind. Die in den Isnäden genannten Personen sind es letztlich, die die
Überlieferungslücke schließen, müssen, die zwischen dem Tode Hälids
im Jahre 85/704 und den ersten schriftlichen Nachrichten liegen. Sie
müssen einen Zeitraum von mehr als hundert Jahren oder drei Gene-
rationen überbrücken.
Hälids Leben und politisches Wirken.
Hälid, mit der Kunya abü Hääim, war einer der Söhne des Kalifen
Yazid ibn Mu'äwiya (reg. 60—64/680—683) und dessen Gemahlin
Fähita bint abi Häsim ibn cUtba ibn Rabica, die wegen ihrer geringen
Körpergröße den Spitznamen Habba („das Korn") bekommen hatte.
17
) b. Hall. Wafayät I 168, 27.
18
) Zubairi Qurais 128, 12f.; Balad. Ansah IV B 4,7ff.; 61,19ff.
19
) Dahabi Ta'rih 83,5.
20
) Dlnaw. Ahbär 294,6/285,20.
21
) Der „affektierte Gang" ist vielleicht nur ein literarischer Topos zum
Ausdruck der Abneigung. Al-Haggäg sagte mit Bezug auf *Abd ar-Kahmän
ibn Muhammad ibn al-As'at, den er trotz seines Mißtrauens im Jahre 80/699
zum Statthalter von Sistän gemacht hatte: unzur ilä mi&yatihl wa-llähi la-
hamamtu an adriba ^nuqahü „sieh dir seine Art zu gehen an! Bei Gott, ich habe
schon daran gedacht, ihn köpfen zu lassen": Tab. Ta'rih 2, 1043,10.
22
) Baläd. Ansab V 132—135; 143f.; Julius Wellhausen, Das arabische
Reich und sein Sturz, Berlin 1902, p. 106.
27
) b. Sa'd Tabaqät V 29,16ff.; b. Qut. Macärif 354,3f.; Baläd. Ansäb V
145,5£f.; 158,lff.; 159,9ff.; Tab. Ta'rih l, 577,2ff.; «Iqd 316,llff./(Amin)
IV 397,17ff. usw.
28
) Michael W. Dols, Plague in Early Islamic History, in: JAOS 94, 1974,
380.
28
) b. Sacd Tabaqät V 168,10ff.
30
) Es heißt: fa-galaba <cdä 'Abdi l-MaliU d-dahiku: b. Habib Munammaq
491,9ff.; Baläd. Ansäb V 165,19ff.; Ag. 16,91,20/17,349,3£ . "
31
) Baläd. Ansäb IV B 67,19ff.; Mubarrad Kämil 189,14ff.; Ag. 16,91,4/
179347,13ff."
U Islam LV. Heft 2
untor Zufar ibn al-IIärit gehalten wurde32). Hälid scheint sogar einer
der Berater cAbd al-Maliks gewesen zusein. Er riet ihm, eigene Münzen
zu prägen33) und gab sein Urteil über die Gefahr des Aufstandes des
<Abd ar-Rafrmän ibn al-AS'at ab, der dem Kalifen brieflich gemeldet
wurde34). Schließlich heiratete Hälid <Abd al-Maliks Tochter 'Ä'iSa,
wurde also der Schwiegersohn des Kalifen35), und dieser dichtete
später aus Anlaß des Todes des Umaiya ibn <Abd Allah, Hälid und
Kauli ibn Zinbä* eine Elegie36). Direkt bezeugt wird das gute Verhältnis
durch al-Mubarrad37), der sagt: wa-käna, [sc. Hälidun] ^azlma l-qadri
€
inda *Abdi l-Maliki bni Marwäna „Hälid genoß bei 'Abd al-Malik
eine hohe Wertschätzung". Aber dieses Urteil mag aus der dort
folgenden romantischen Geschichte der Liebe Hälids zu Ramla heraus-
gesponnen sein, in der cAbd al-Malik als Brautwerber fungiert.
Hälids Verhältnis zu al-Haggäg ibn Yüsuf, dem mächtigen Statt-
halter der Umaiyaden im 'Iräq, war jedoch sehr gespannt, was
wiederum aus einer Anzahl von Anekdoten herauszulesen ist38). Einmal
macht al-Haggäg dem Hälid Vorwürfe wegen seiner Heirat mit
Ramla39), und Hälid rächte sich, indem er dem cAbd al-Malik anzeigte,
daß al-Haggäg die Hä§imitin bint cAbd Allah ibn öa'far geheiratet
hatte40). cAbd al-Malik verlangte darauf die Scheidung, und al-Haggäg
mußte seine Frau zähneknirschend entlassen41).
Wir haben also eine Fülle von Erzählungen und Anekdoten vor
uns, bei denen man Zweifel haben muß, ob sie sich in allen Einzelheiten
so abgespielt haben. Ihr wesentlicher historischer Gehalt aber ist klar:
Alle zeigen den Hälid als einen Mann ohne Ambitionen, ohne Macht-
willen, und ohne Instinkt für Politik. Er war ein Privatmann, der das
bequeme Leben genoß, das ihm seine Stellung als Prinz und das
Emirat von Hirns gewährten. In Hirns ließ er eine Moschee bauen,
wobei er vierhundert Sklaven beschäftigte, die er nach Vollendung des
Baus zur Belohnung freiließ42). Auch die Zitadelle (al-qasr) dieser
Stadt soll Hälid errichtet haben, und ebendort soll sich auch sein
32
) Baläd. Ansäb V 301 paen. ff.
33
) b. Qut. <Uyün I 199,lff.; Baläd. Futüh 240,4ff.
34
) Baläd. Ansäb XI 337,12ff.; Tab. Ta'rih 2,1059,12ff.; III l, 24,9ff.
35
) Baläd. Ansäb XI 153,12f.
3e
) ib. 225,3ff.
37
) Bei Bassär Muhtär 150,2.
38
) Baläd. Ansäb XI 183,10ff.; 187,15ff.; 'Iqdlll 9,14ff./(Amin) V 19paen.ff.
89
) Baläd. Ansäb IV B 66,17ff.; Ag. 16,89,2/17,343,6ff.
40
) <Iqd III 292,25/(Amin) VI 122,2ff.
") Mubarrad Kämü 197,18ff.
42
) Baläd. Ansäb IV B 69,8f."
wegs eine Mesallianz sei. Das gespannte Verhältnis zwischen Hälid und
al-Haggäg wurde dadurch nicht besser.
Außer mit seinen Ehefrauen verkehrte Hälid mit den Sklavinnen
seines Hauses. Nach az-Zubairi60) hatte er sechs Söhne: Sa'id, Yazid,
Harb, 'Utba, <Abd Allah und abüSufyän. Die vier letzteren stammten
von Sklavinnen (ummahät auläd).
Das Todesdatum Hälids steht nicht genau fest. Ein Teil der Quellen
nennt das Jahr 85/704, andere sprechen vom Jahre 90/708—709. Das
erstere Datum hat die größere Wahrscheinlichkeit für sich, denn
erstens heißt es bei al-Baläduri51), daß Hälid in den Tagen des <Abd
al-Malik ibn Marwän gestorben sei, und zweitens wird berichtet, daß
Hälid und Rauh ibn Zinbä* al-Öudämi in ein und demselben Jahre
gestorben seien, ein Jahr, daß daher auch „das Jahr der Könige"
(*äm al-muluk) genannt wurde52). Rauh ibn Zinbäc aber ist im Jahre
84/703 gestorben. Für das spätere Datum spricht eine Notiz bei ad-
Dinawari. Danach hat cAbd al-Malik ibn Marwän im Jahre 86/705
an seinem Sterbebett die Banü Umaiya versammelt, unter ihnen
Hälid ibn Yazid und cAbd Allah ibn Yazid ibn Mu'äwiya, und von
ihnen Loyalität zu seinem Sohn al-Walid verlangt53). Indes fällt alles,
was ad-Dinawari über Hälid berichtet, etwas aus dem Rahmen, den
die übrigen Historiker abgesteckt haben, und da ad-Dinawari keine
Isnäde oder Quellen angibt, bleibt der Wert seiner Nachrichten unge-
wiß. Mir scheint daher das Datum 85/704 das Richtige zu sein. Hälid
wäre demnach nur 36 Jahre alt geworden.
Hälids Rolle als Traditionarier. _
In den späteren Rigäl·Werken, bei ibn cAsäkir54), ibn al-Atir55)
und ibn Hagar al-'Asqaläni56), wird auch Hälid ibn Yazid ibn Mu'äwiya
unter den Traditionariern aufgezählt. Diese Autoren berufen sich dabei
zum Teil auf ältere Schriftsteller, z.B. auf ibn Hibbän al-Busti57), auf
al-Baihaqi, al-Hatib al-Bagdädi und al-'AskarL Die älteste diesbezüg-
liche Quelle ist anscheinend das K. at-Tcfrih al-kabw des Buhäri
50
) Zubairi Nasab 130,14ff.
51
) Baläd. Ansäb IV B 69,12f.
52
) Baläd. Ansäb XI 224,13f.
53
) Dinaw. Ahbär 328,8/324 ult.ff.
54
) Bd. V 116,—6ff., daraus abgeschrieben hat Yäqüt Irsäd IV 165,17—
166,1.
55
) Usd al-gäba II, Kairo 1285, p. 105,19—23.
56
) Isäba I (Bibl. Ind. 20), Calcutta 1856, p. 966,6ff. (nr. 2350).
57
) b. Hagar Tahdib III 129,3.
(s. oben die Quellenliste nr. 9), aber der kurze Abschnitt, der sich dort
befindet, ist durch Überlieferungsschäden so verstümmelt, daß ihm
praktisch nichts entnommen werden kann. Hälids Stellung wird nun
folgendermaßen umrissen: Er habe von seinem Vater Yazid und von
Dihya ibii Halifa al-Kalbi Traditionen übernommen, und von Hälid
hätten abü Bakr Muhammad ibn Muslim ibn 'Ubaid Allah az-Zuhri58)
und andere gelernt. Im 15. Jhdt. weiß ibn Hagar diese „anderen" mit
Namen zu nennen: Es seien (außer az-Zuhri) Ragä* ibn Hayät, cAli
ibn Rabäh und 'Ubaid Allah ibn al-cAbbäs (nach anderen al-cAbbäs
ibn <Ubaid Allah ibn al-cAbbäs) gewesen59).
Nun ist Dihya jedoch unter dem Kalifat des Mucäwiya, etwa im
Jahre 50/670, gestorben60), Hälid aber ist ungefähr 48/668 geboren. Er
kann demnach nicht von Dihya gehört haben, wie übrigens schon
ad-Dahabi festgestellt hat61).
Fragt man nach den Inhalten, so reduziert sich Hälids Hadit-
gelehrsamkeit auf zwei Traditionen: Die eine betrifft die (übrigens
fragwürdige) Reise, die Dihya im Auftrage Muhammads zu Herakleios
unternommen hatte. Dieser Hadit kann nach dem oben Gesagten nicht
mit Hälid in Verbindung gebracht werden. Mit dem zweiten Hadit
steht es nicht viel besser: Hier soll abü Umäma den Hälid gefragt
haben, welchen Ausspruch er vom Propheten gehört habe, und Hälid
habe folgenden Spruch rezitiert: „Wahrhaftig, ihr alle werdet ins
Paradies kommen, mit Ausnahme derer, die sich in wilder Flucht
von Gott trennen, so wie ein Kamel seinem Besitzer durchgeht*e62).
So die Filiation nach cAbdän (oder einem anderen), der von Sa'id ibn
abi Hiläl abhängig ist, welcher sich seinerseits auf cAli ibn Hälid
beruft. Aber schon die islamische Kritik hat bemerkt, daß Hälid den
Propheten nicht gehört haben kann und daß man den Isnäd anders zu
verstehen habe: Nicht abü Umäma habe den Hälid, sondern Hälid den
abü Umäma gefragt63).
Selbst wenn es sich so verhalten hat, so wird Hälid dadurch doch
noch nicht zu einem Haditgelehrten. Daß er auch auf diesem Felde
nur ein Dilettant geblieben ist, daß niemand seine Unterweisung
58
) Gest. 124/742, s. GAL I 65; S I 102; GAS I 280—283.
*») b. Hagar Tahdib 128,llff.
60
) Vgl. Henri Lammens-Charles Pellat, EI2 II 274f. (s.v. Dihya).
61
) Wa-qäfa d'Ddhablyui lam yalqa [so. Hälidun] Dihyata l-Kalblya, s. b.
Hagar Tahdib "l29,4.
62
) A-lä kullukum yadhuLu l-ffannala illä man sarada *alä llahi siräda l~ba*lri
'ata aMihi b. Hanbai Musnad V 258,20£f., vgl. auch Nih. II 211,23.
e3
) b. -Atir, Usd al-gäba 105,19—23; b. Hagar I§äba I 966,6£f. (nr.235'0).
1. Führt uns denn die Reise in jeder Nacht und an jedem Tage nicht
näher an unsere Geliebten heran? 2. Ich sehne mich nach der Tochter
des Zubair, nachdem uns die hellgelben Kamele über eine Wüste in der
Tihäma oder einen Bergpfad getragen haben. 3. Wenn sie sich in
einem Lande niederläßt, gewinnen wir auch dessen Einwohner lieb,
selbst wenn deren Wohnstätten Kriegsgebiet sind. 4. Läßt sie sich an
einem Wasserloche nieder, so finden wir, daß sein Wasser kühl und
süß ist, auch wenn es vor ihrer Ankunft salzig war. 5. Es kreisen die
Knöchelspangen der anderen Frauen, aber an Ramla sehe ich keine
Knöchelspange, die kreist, und keinen Armreif. 6. Tadelt mich doch
ihretwegen nicht so viel! Ich habe sie nun einmal aus ihrer (der Zubai-
riden) Mitte erwählt, und ihr Herz schlägt für die Zubairiden. 7. Ich
liebe die Banü l-€Awwäm allesamt, weil ich Ramla liebe, und aus Liebe
zu ihr liebe ich ihre Oheime, die [Banü] Kalb. 8. Bekennst du [Ramla]
dich zum Islam, so tun wir das auch; wirst du Christin, so machen
Männer vor ihren Augen [die Zeichen der] Kreuze, l a. Meine beiden
Freunde! Könnt ihr euch je an eine Stunde erinnern, in der ihr den
Kummer nicht von mir genommen hättet?66)
II.
An Umm Kultürn bint <Abd Allah ibn Öa'far ibn abi Tälib gerichtetes
Liebesgedicht.
1. atatnä bihä duhmu l-bigäli wa-Suhbuha 'afifata ahläqin karimata
'unsuri
2. muqäbalatan baina n-nabiyi Muhammadin wa-baina *Aliyin dl
l-fahäri wa-Öa^ari
3. manäfiyatan gädat bi-hälisi wuddihä li^abda-manäfiyin agarra
muSahharl
Quellen: 1—3: Baläd. Ansäb IV B 66,8—10, Ag. 16,90,26—28/17,
347,2—4. 3,2: Baläd. Ansäb IV B 66,4f.
Varianten:
1. atatnä Baläd. : gä*at Ag.; 'afifata ahläqin karimata 'unsurin Baläd.:
muqanna'atan fi gaufi hidgin muhaddarin Ag.
2. muqäbalatan Baläd. 66,9, Ag. : mutahharatan Baläd. 66,5; wa-baina
'Aliyin dl l-fahäri wa-öa'farin Baläd. 66,9 : wa-baina *Allyin wa-l-
hawäri wa-öa*farin Ag. : wa-baina S-Sahldi dl l-ganähaini Ga^arin
Baläd. 66,5.
3. gädat bi-hälisi wuddihä Baläd. 66,10, Ag. : garrä*u gädat bi-middihä
Baläd. 66,4.
1. Die schwarzen und grauen Maultiere haben sie zu uns gebracht, eine
Frau von keuschem Charakter und edler Rasse, 2. eine, die Aufnahme
gefunden hat zwischen dem Propheten Muhammad und dem ruhm-
reichen cAli lind Cracfar, 3. eine von den [cAbd] Manäf, die ihre reine
Liebe einem glänzenden, weithin berühmten Manne vom Stamme
*Abd Manäf gewährt.
III. ^
Liebesgedicht.
1. sarahtu safähati wa-arahtu hilml wa-jlya *alä tahallumiya 'tirädü
2. *alä annl ugibu idä da^atnl ilä hägätihä l-hadaqu l-mirädü
Quellen: Baläd. Ansäb IV B 69,6f.; Husri Zahr (clqd in margine)
I 51,10—13/(Bigäwi) I 54 paen. f.; b. Katir Bidäya VIII 138,25f.
Bei al-Husri und ibn Katir sind die Verse Mu'äwiya zugeschrieben.
C6
) Vers 8 wird als untergeschoben und unecht bezeichnet, aber für dieses
Verdikt ist lediglich sein anstößiger Inhalt maßgeblich gewesen.
Varianten:
1. sarahtu safaliatl wa- Baläd. : saramtu safähati wa- b. Katir : sa*imtu
gawäyati fa- Husri; tahalluml Baläd. : tahammuU Husri, b. Katir.
2. ilä hägätihä Baläd.: dawätu d-dalli wa- Husri.
1. Morgens habe ich meine Torheit auf die Weide geschickt, abends
habe ich meine Besonnenheit heimgeholt, doch ich spürte in mir eine
Auflehnung gegen meine Besonnenheit. 2. Gleichwohl werde ich Folge
leisten, wenn mich die kranken Pupillen67) zu dem, was ihnen Not
macht, rufen.
IV.
Epigramm anläßlich der Scheidung von Ämina bint Sa'id.
1. wallaitu Äminata t-taläqa karwiatan 'indi wa-lam yakbur 'alaiya
taläquhä
2. wa-la-aqta'anna hibäla uhrä ba*dahä yauman idä lam tastaqim
V.
Epigramm anläßlich seiner Scheidung von Ämina bint Sacid und deren
Heirat mit al-Walid ibn cAbd al-Malik (der im zweiten Vers ange-
sprochen ist).
1. ka'äbun abuhä du l-'imämati wa-bnuhü wa-^Utmänu mä akfäyuhä
bi-katm
2. fa-in tastafidhä wa-l-hiläfata tanqalib bi-afdali 'ilqai minbarin
wa-sarlrl
Quellen: l, 2: Baläd. Ansäb IVB 70,18f.; Mubarrad Kämil 196,16f.;
b.-Öarräh 'Amr 59,7f. 1: Öähiz Bayän II 78,22/111 99,12; OVäl.
Timär 290,5; b. -Atir Murassac lin. 2472; Maidäni Amtäl I 166,23.
Das Gedicht ist von ibn al-öarräh dem €Amr ibn Mihlät al-Kalbi, von
al-Maidäni dem cAmr ibn Sacid al-ASdaq zugeschrieben. Bei ibn al-
Atir ist es anonym überliefert.
67
) Das heißt: die Frauen mit dem matten, liebeskranken Blick.
Varianten:
1, ka*äbun Baläd., Gähiz : fatätun Mubarrad, b. -öarräk, Ta'äL, b.
-Atir, Maidänl; al-'imämati Baläd., Maidäni : 'imämatin b. -Atir :
al-^isabati öähiz, Mubarrad, b.-öarräfr, Ta'äl.; wa-bnuTiü wa-
^TJtmänu Baläd., Mubarrad, öähiz, b. -öarräfr : minhumü wa-
Marwänu b. -Atir : iva-bnuhü ahühä fa- Maidäni, Ta'äl.
2. tastafidhä Baläd. : taftalithä Mubarrad, b. -öarräh; bi-afdali Baläd.:
bi-akrami Mubarrad, b. -öarräh.
1. Eine vollbusige Frau; ihr Vater, dessen Sohn und ^tmän tragen
den Turban; Männer, die ihr ebenbürtig sind, gibt es nicht viele.
2. Wenn du sie und das Kalifat gewinnst, kannst du dich mit den
beiden kostbarsten Dingen, die Kanzel und Bett zu bieten haben,
davonmachen.
VI.
Epigramm über sein Schwert „al-öamr".
1. wa-manzilatin lä ya*manu l-qaumu bi-d-duhä wa-lä bi-l-*aSlyi min
gawänibihä garibä
2. qata'tu bihä mustahtinan tahta raitatl wa-fauqa, qamlsl l-gamra da
Sutdbin *adbä
Quelle: b. Habib Munammaq 523,4f.
1. Wie manche Stätte, an der die Leute weder morgens noch abends
von irgendeiner Seite her sicher sind, 2. habe ich mit ihr (d.h. mit
meiner Kamelin) durchquert, indem ich unter meinem Überwurf und
über meinem Hemd „al-öamr" an den Leib drückte, ein scharfes
Schwert mit Ziselierungen.
VII.
Zeitkritisches Epigramm. -^
1. arä zamanan ta'älibuhü qiyämun *alä 1-aSräfi tdhtiru ka-l-usüdi
2. wa-käna t-ta*lahu d-dabbähu yardä bi-mä yaritu l-kiläbu mina
s-suyüdi
Quelle: Baläd. Ansäb IV B 69,3f.
1. Ich bin Zeuge einer Zeit, in der die Füchse über den Vornehmen
stehen und sich stolz wie Löwen wiegen. 2. War doch früher der
keuchende Fuchs mit den Resten der Jagdbeute zufrieden, die die
Hunde erben.
VIII.
Gegen abü Bakr ibn Yazid ibn Mu'äwiya gerichtete Satire.
saminu l-batni min mäli l-yatämä rafnyu l-bäli mahzulu s-sadlql
Quelle: Baläd. Ansäb IV B 73,15.
Fettleibig vom Geld der Waisen, schlaffen Gemütes, ausgezehrt,
wenn's Freunde gilt.
IX.
Gegen abü Öahl (gemeint ist Harb ibn <Abd Allah ibn Yazid ibn
Mu'äwiya oder cAbd Allah ibn Sulaimän ibn Yazid ibn Mu'äwiya)
gerichtete Satire.
fa-qaddim abä Bakrin li-kulli 'azimatin wa-qaddim abä Öahlin li-laqmi
X.
Satire.
1. da'ü l-/hukma laisa 1-huJcmu fikum bani stiJiä wa-lakiunahü fi l-gurri
min äli Gälibl
2. banl Murratin a-lä tarauna ilaihimü tusägu hukümätu l-kirämi
l-manägibl
Quelle: Baläd. Ansäb IV B 70,4—7.
1. Laßt das Urteilen! Unter euch, Söhne ihres Arsches, gibt es kein
Urteilsvermögen. Das gibt es nur bei den strahlenden Männern aus
Gälibs Familie. 2. Banü Murra! Seht ihr denn nicht, daß die Streit-
sachen der edlen und vornehmen Leute vor sie gebracht werden?
XI.
Askese und Seelenheil.
1. in sarraka S-Sarafu l^azimu ma'a l-ginä wa-takünu yauma aSaddi
haufin wtfilä
2. yauma l-hisäbi idä n-nufüsu tafädalat fi l-wazni id gabata l-ahaffu
l-atqalä
3. fa-'mal li-mä ba*da l-mamäti wa-lä takun 'an hazzi nafsika fl
hayätika gäfilä
XII.
Resignation und Todesahnung.
1. qasru l-tjadldi balan wa-qasru l-'ai£i fi d-dunyä nqitä'uh
2. man nala fl d-dunyä matä^an tumma täla Wil matä'uh
3. am ayyu muntafiHn bi-saiyin tumma däma bihi ntifä'uh
4. am ayyu Sa^bin dl Iti'ämin lam yuüattithu nsid&uh
5. wa-l-awwalu l-mädl lladl haqqun calä l-bäql ttibä^uh
6. qad qala fi amtalihi yakfika min Sarrin samä'uh
Quelle: Baläd. Ansäb IV B 71,17—22.
1. Das Ziel des Neuen ist Verfall, und das Ziel des Lebens in dieser
Welt ist sein Erlöschen. 2. Welcher Mensch, der in dieser Welt einen
Genuß erlangt, kann sich dieses Genusses lange erfreuen? 3. Oder
welcher Mensch, der aus einer Sache Gewinn zieht, hat diesen Gewinn
auf Dauer? 4. Oder welchen Volksstamm, der in Eintracht zusammen-
steht, zerteilt nicht seine Spaltung? 5. Der erste, der dahingeht, ist
derjenige, dem der Übriggebliebene folgen muß. 6. In seinen Sprich-
wörtern hat er gesagt: 'Es ist schlimm genug, daß du Böses hören
mußt'.
XIII. ^
Resignation und Todesahnung.
1. hal anta muntafi'un bi-'ilmika marratan wa-l-cilmu näfi*
2. wa-mina l-mu&lri 'alaika bi-r-ra*yi l-musaddadi anta sämi*
3. al-mautu haudun lä mahalata fihi kullu l-halqi Sari*
4. wa-mina t-tuqä fa-zra* fa-innaka häsidun mä anta zäri*
Quelle: clqd I 206,24—27/(Amin) II 232,11—14.
1. Kannst du [auch nur] einmal aus deinem Wissen Nutzen ziehen? —
Wissen ist doch nützlich! 2. Und hörst du [je] auf den, der dir einen
wohldurchdachten Rat gibt ? 3. Der Tod ist eine Zisterne, aus der die
XIV.
Todesahnung.
1. a-ta*gabu an kunta da ni*matin wa-annaka fihä Sarlfun mahibü
2. fa-kam warada l-mauta min nä*imin wa-hubbu l-hayäti ilaihi 'agibü
3. agäba l-maniyata lammä da'at wa-karhan yugibu lahä man yugibü
4. saqathu danuban mina-nfäsihä wa-yudharu li-l-hayyi minhä danübü
Quelle: Yäqüt Irääd IV 168,4—7/XI 40,7-ult.
1. Wunderst du dich, daß du im Wohlstand lebst und daß du dabei
achtbar bist und geehrt wirst? 2. Aber wie viele, die sorgenfrei lebten,
mußten schon dem Tode entgegengehen, und er staunt nur darüber,
daß man das Leben liebt. 3. Sie mußten dem Todesgeschick gehorchen,
als es rief, und wer ihm gehorcht, tut es wider Willen. 4. Es hat ihm
von seinem Odem einen ganzen Eimer voll eingeflößt, und für den
Lebenden ist ein weiterer Eimer davon aufgespart.
Es sind also nur 14 Gedichte mit insgesamt 43 Versen erhalten.
Von diesen sind aber noch zwei Gedichte (nr. 3 und 5 mit je zwei
Versen) in ihrer Echtheit nicht gesichert. Das ist nicht eben viel. Auch
die Philologen des 9.Jhdts. werden nicht viel mehr Verse gekannt
haben, denn niemand scheint es der Mühe wert gefunden zu haben,
Hälids Gedichte in einem Diwan zu sammeln. Daß Hälid Aufnahme
in das Kitäb al-Agänl gefunden hat, hat er offensichtlich nur dem
einen Gedicht mit dem populären Vers tagülu halähilu n-nisa*i ...
(nr. 1,5) zu verdanken, das der romantischen -und politisch brisanten
Liebesaffaire mit Ramla entsprungen ist. Thematisch verteilen sich
die Gedichte auf Erotik, Satire und Weltflucht; sie stehen also ganz im
Rahmen dessen, was die Zeit hervorgebracht hat. Aber in ihrer
Qualität sind sie nicht mit der Poesie des TJmar ibn abi Rabi'a oder
des öarir zu vergleichen. Hälid konnte wohl ein paar nette Verse
machen, aber ein Dichter war er mitnichten. Alles ist konventionell;
vieles mutet hausbacken an; wir finden keinen wahrhaft poetischen
Zug, keinen originellen Vergleich, keine einzige Qaside.
Vergleichen wir mit diesen echten Versen Hälids nun den Diwan
Firdaus cd-hikma\ Er ist noch nicht ediert, aber eine ganze Anzahl
dieser Gedichte ist jetzt im Rahmen des Muktasab des Simäwi68) und
68
) Vgl. die Stellen bei Manfred Ullmann, die Natur- und Geheimwissen-
schaften im Islam, Leiden/Köln 1972, p. 194 Anm. 1.
e9
) Manfred Ullmann, Katalog der arabischen alchemistischen Hand-
schriften der ehester Beatty Library, Teil I, Wiesbaden 1974, Index p. 229.
70
) Kitäb al-cllm al-muktasab fi zirä'at adh-dhahab. Book of Knowledge
Acquired Concerning the Cultivation of Gold by Abu *l-Qäsim Muhammad ibn
Ahmad aMIräql. The Arabic Text edited with a translation and introduction
by Eric John Holmyard, Paris 1923, arab. p. 43,10-paen.
71
) Mit „Geist" und mit dem in den Versen 3 und 8 genannten „Körper",
Lehnübersetzungen aus und , werden flüchtige Substanzen wie
Quecksilber und Schwefel bzw. das Metall bezeichnet, s. Ullmann Naturwissen-
schaften p. 149.
mit einer Verzierung gleich der von Gewändern. 10. Man nennt ihn
„Alaun" und „Stechfliege"72). Versteh denn eine Rede, die ich als
Gedicht für dich gestaltet habe! 11. Demokritos73) aber nennt ihn
„schneidendes Schwert", und Maria74) nennt ihn „gehorsames Pferd".
12. Durch ihn werden die Wässer gefärbt. So sei denn wohl unter-
richtet, damit du sie mit fester Entschlossenheit hinauftreiben kannst.
Es bedarf keines Beweises, daß zwischen diesem Lehrgedicht und
den vorausgegangenen Gedichten kein Zusammenhang besteht. Ja
man kann ruhig einen Schritt weiter gehen und diese alchemistischen
Gedichte mit der Poesie der Zeitgenossen Hälids, also etwa der des
Farazdaq, des öarir oder des Ahtal, vergleichen, und wieder ist sofort
klar, daß diese alchemistischen Reimereien überhaupt nicht im 7. Jhdt.
entstanden sein können. Stammten sie wirklich aus dem 7. Jhdt., so
wäre zu fragen, warum die Grammatiker, die Lexikographen und
Adabschriftsteller an diesen merkwürdigen Gedichten, die so viele
seltene Wörter enthalten, vorbeigegangen sind. Kein einziger Vers von
„Hälid ibn Yazid" ist in den Schawähid-Indices, kein einziger im
Index des Lisän al-'ardb nachgewiesen. Solche Lehrgedichte konnten
frühestens im Ende des 9. Jhdts. entstanden sein. Vermutlich stammen
sie jedoch erst aus dem Anfang des 10. Jhdts.
schon aus: käna min a*lami Quraiiin bi-funüni l-^ilmi wa-käna yaqülu
§-$i*ra „er war in den [verschiedenen] Sparten der Wissenschaft einer
der gelehrtesten Quraiäiten; auch machte er Gedichte"76). Ähnlich
formuliert ibn <Abd Rabbihi: käna 'äliman Tcatlra d-diräsaii li-l-kutubi
wa-rnbba-mä qäla $-$i'ra „er war gelehrt, studierte die Bücher eingehend,
und manchmal dichtete er"77), während der Anonymus Grjaznevic
noch allgemeiner sagt: käna da 'ilmin wa-hikmatin wa-ta$ribatin
-ra'yin „er besaß Wissen, Weisheit, Erfahrung und Urteil"78).
Etwas Konkretes ist solchen Aussagen freilich nicht zu entnehmen.
Auf dem Hintergrund der voraufgegangenen Untersuchungen, in
denen sich die Aktivitäten Hälids auf den Feldern der Traditions-
wissenschaft und Dichtung als recht bescheiden (um nicht zu sagen:
bedeutungslos) herausgestellt hatten, enthüllen sie sich als Über-
treibungen. Eine wissenschaftliche Kapazität war Hälid nicht, und in
einem Selbstzeugnis bringt er dies auch klar zum Ausdruck: kuntu
ma^nlyan bi-l-kvaubi wa-mä ana mina l-*ulamä*i wa-lä mina l-guhhäli
„Ich habe mich für Bücher interessiert, gehöre aber weder zu den
Gelehrten, noch zu den ganz Unwissenden"79). Zwar ist dieser Aus-
spruch sicherlich historisch nicht echt. Er bildet nämlich den Refrain
einer stark stilisierten Anekdote, nach der Hälid eine Disputation mit
einem christlichen Abt mit Ehren bestand80). Aber der Erzähler der
Anekdote hat dennoch den Nagel auf den Kopf getroffen: Besser hätte
er Hälids Dilettantismus nicht zum Ausdruck bringen können.
Wie steht es nun mit der Alchemie? Auch dort, wo Hälid als
Mann der Wissenschaft apostrophiert wurde, ist von der Alchemie
zumeist keine Rede. Überhaupt wissen die meisten Quellen des 9. Jhdts.
nichts davon. Nur al-öähiz und al-Baläduri und im lO.Jhdt. at-
Tabari, al-Mas'üdi, abü 1-Farag al-Isfahäni und ibn an-Nadim bringen
Hälid mit der Alchemie in Verbindung, und von den späteren Autoren
sind es nur wenige, die von der Alchemie reden. Prüft man nun alle
diese Stellen auf ihren Gehalt, so lassen sich zwei GruppenTieraus-
schälen:
Die erste Gruppe bilden allgemeine Formulierungen, die die je-
weiligen Autoren selbst gewählt haben, um die Wirksamkeit Hälids zu
76
) b. Qut. Ma'ärif 352, l f.
77 c
) lqd I 206,22/232,9f.
78
) Anonymus, Ta'rih al-hulafä* fol.93 a 7f.
79
) b. «Asäkir V 117,7f. = Yäqüt Irsäd IV 166,2.
80
) Nach 'Urwa ibn Ruwaim, bei al-Hatib al-Bagdädi, zitiert von b. *Asäkir
V 117,10ff.
8?
) b. -Atir Kämil IV 104,6f.
88
) Baläd. Ansah V 301 ult.ff.
89
) Baläd. Ansah IV B 68,14f.
90
) Fuät Sezgin, Geschichte des arabischen Schrifttums, Bd. IV, Leiden 1971,
p. 5, übersetzt euphemistisch, jedoch falsch: „(sie) haben deine Mutter gehei-
ratet".
91
) Gernot Rotter, Zur Überlieferung einiger historischer Werke Madä'inis
in Tabaris Annalen, in: Oriens 23—24, 1970—71, 103—133. Al-Madä'ini ist um
228/842—843 gestorben.
*2) Baläd. Ansäb IV B 71,5.
83
) 'Iqdll 142,9/(Amin) IV 24,9ff.
»*) Ag. 16,90,6f./17,345,12.
15*
95
) b. -Rüim (Kau.) 371,6/(Na?§är) I nr. 273,3 = «Abbäsi Ma'ähid I 109 ult.
96
) b. Haldün Muqaddima 193,10ff./p. 299f. Rosenthal.
97
) Öähiz Buhalä> 49,14f./47,18f. (übs. Pellat p. 67) = Yäqüt Irsäd IV
170,7f.
Nachdem Hälid, der Enkel des Mu'äwiya, nun aber einmal mit der
Alchemie in Verbindung gebracht worden war, konnte sich in der
ersten Hälfte des 9. Jhdts. dann auch die Legende herausbilden,
Hälid habe für die Übersetzung der alchemistischen, medizinischen
und sternkundlichen Bücher Sorge getragen. Sie ist durch das K. al-
Bayän wa-t-tabym des örähiz bezeugt, das vor dem Jahre 240/855 ver-
faßt worden ist98). Im Laufe des 9. Jhdts. dürfte das Interpretament
ya^nl l-kimiyä'a dann mit dein Text verschmolzen worden sein, wie
die Formulierungen bei al-Baläduri") und im K. al-Agänl erkennen
lassen. Nachdem nun Hälid als Alchemist galt, konnten die Pseude-
pigrapha auf seinen Namen gestellt werden. Diese Schriften und
Gedichte dürften im Ende des 9. und in der ersten Hälfte des 10. Jhdts.
verfaßt worden sein, in derselben Zeit, in der so viele andere arabische
Pseudepigrapha, auch das Corpus Gabirianum, niedergeschrieben
worden sind. Ibn an-Nadim hat diese Schriften bereits gekannt und
hat die Legendenbildung kräftig gefördert, indem er die alchemisti-
schen Aktivitäten Hälids, von denen diese Schriften reden, als histo-
rische Tatsachen nahm und weiter tradierte.
Daß Hälid schließlich nicht nur die Alchemie, sondern auch die
Medizin und Astrologie (und manche anderen Wissenschaften) geför-
dert haben soll, ist nichts als eine Übertreibung, eine bekannte Er-
scheinung der Agglutination und Aufbauschung von Nachrichten. Die
Medizin und die Astrologie schwimmen hier nur im Kielwasser der
Alchemie. Nicht einmal ibn abi Usaibi'a weiß irgendetwas von Hälid
zu sagen. Hätte Hälid medizinische Bücher übersetzen lassen, so hätte
dies, da er selbst ja nicht als Arzt praktizierte, nur Sinn gehabt, wenn
er Ärzte um sich versammelt und eine Schule ins Leben gerufen hätte.
Aber kein arabischer Arzt bekennt sich zu Hälid ibn Yazid als seinem
Lehrer oder Mäzen, und keine Spur oder Nachwirkung bezeugt die
Existenz von Übersetzungen aus dem 7. Jhdt.
Die Hellenisierung der islamischen Länder ist eine der wenigen
wirklich großen und folgeschweren historischen Bewegungen unserer
Welt gewesen. Derartige Bewegungen werden nicht von Einzel-
personen ausgelöst und getragen, sondern es müssen viele Faktoren
politischer, gesellschaftlicher, geistiger und kultureller Art zusammen-
treffen, um eine solche Bewegung zu erzeugen. Die einzelnen Persön-
»8) Vgl. Charles Pellat, Arabica 3, 1956,153, nr. 32. Der Passus Öähiz Bayän
I 126,9£f./328,lf. stimmt fast wörtlich überein mit der Stelle Fihrist 354,5f.
Ibn an-Nadim dürfte liier den Gähiz ausgeschrieben haben.
9») Baläd. Ansäb IV B 68,15.