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Das Problem des Ǧābir ibn Ḥayyān im Lichte neu gefundener Handschriften

Author(s): Fuad Sezgin


Source: Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft , 1964, Vol. 114, No. 2
(1964), pp. 255-268
Published by: Harrassowitz Verlag

Stable URL: https://www.jstor.org/stable/43372033

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Das Problem des Gabir ibn Hayyan
im Lichte neu gefundener Handschriften
Von Fuad Sezgin, Frankfurt

Ich möchte hier ein Problem behandeln, über das nun schon seit
70 Jahren diskutiert wird. Dabei werde ich zuerst die Frage noch einmal
aufgreifen, wann der islamische Chemiker öäbir b. Hayyän gelebt hat.
Die über dieses Problem erschienenen Arbeiten stammen aus einem Zeit-
raum, in dem wir einen nur unvollkommenen Überblick über die auf uns
gekommenen Materialien aus diesem wie aus allen anderen Gebieten der
islamischen Kultur hatten. Aber es bestand immer die Hoffnung, daß
man Quellen auffinden würde, welche die bestehenden Unklarheiten
nach und nach beseitigen würden. Und tatsächlich sind unter den
Materialien, die ich bei meiner Vorbereitung eines Supplements zu
Brockelmanns Geschichte der Arabischen Literatur untersucht habe,
solche, die unsere bisherigen Kenntnisse von der islamischen Chemie in
großem Maße zu erweitern geeignet sind. Um einen Begriff von der Trag-
weite dieser neu aufgefundenen Quellen zu geben, kann man sagen, daß
sie ungefähr den gleichen Umfang haben wie alle bisher auf diesem
Gebiet zugänglich gewesenen Quellen zusammengenommen. Diese
Quellen bestehen nicht etwa aus zweiten oder dritten Kopien bereits
bekannter Handschriften ; es handelt sich vielmehr um aus verschiedenen
Jahrhunderten stammende, völlig neuentdeckte Werke bereits bekannter
oder trotz ihrer großen Bedeutung für die islamische Chemie unbekannt
gebliebener Autoren. Gegenstand dieser Erörterungen werden nur die-
jenigen dieser Werke sein, die Hinweise auf die Persönlichkeit öäbirs
oder die Zeit, in der er gelebt hat, enthalten. Bei der Feststellung, wann
öäbir gelebt hat oder ob er überhaupt gelebt hat, geht es nicht lediglich
um die Person irgendeines Chemikers. Ganz im Gegenteil stellt öäbir
den Schwerpunkt der gesamten islamischen Chemie dar. Aber auch bei-
spielsweise hinsichtlich der Frage der ersten islamischen Chemiker und
der Bedeutung öäbirs für die allgemeine Geschichte der Chemie können
wir nur weiterkommen, wenn wir zuvor eindeutig bestimmt haben, wann
öäbir gelebt hat.
Als erster hat im Jahre 1893 M. Berthelot zusammen mit O. Houdas
einige arabische Abhandlungen Öäbirs herausgegeben. Im Jahre 1906
fand er die lateinische Übersetzung der sog. ,,70 Bücher' ť Öäbirs, unter-
suchte sie und kam zu dem Ergebnis, daß es sich um apokryphe Werke
lateinischer Autoren des 13. Jahrhunderts handele, die diese dem öäbir

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256 Fuad Sezgin

zugeschrieben hätten. Nac


abendländischen Methoden g
Ideen zugeschrieben worden
gesamte Geschichte der Wiss
Im Jahre 1919 hat Lippman
ungerecht war, und er hat s
mente und seiner Beurteilun
Von 1922 ab griff auch Hol
Öäbir ein. In seinen Untersu
tigen Material Nutzen ziehen
einem Autor mit dem latinis
Übersetzungen von in Arab
dieser im 8. Jh. christliche
Begründer der modernen
und Lavoisier gleichkomme.
Gleichzeitig mit Holmya
Diskussion ein. Er akzeptie
gelebt habe. Dagegen ware
herausgegebenen Abhandl
großer Teil der von Ibn an-N
die dem Geber zugeschrieb
anderes als Fälschungen.
1928 gab Holm yard elf Abh
der sog. „70 Bücher" durch
neue Probleme bezüglich der
Im Jahre 1930 befaßte sich Paul Kraus mit den Problemen um
öäbir. Er bemühte sich festzustellen, wann öäbir gelebt habe, und eine
Chronologie seiner Werke aufzustellen. 1935 fand er einige unbekannte
Werke von ihm und gab sie heraus. In den Jahren 1942/43 legte er seine
Untersuchungen über Öäbir b. Hayyän in einem zweibändigen Werk1
nieder, das bis heute die ausführlichste und bedeutendste Arbeit auf
diesem Grebiet überhaupt geblieben ist. Seine Ansichten über öäbirs
Leben und seine Werke werden seitdem überall anerkannt2.
Den ersten Band seines Buches hat Kraus dem literarischen Studium
der Bücher öäbirs gewidmet; er bestreitet jedoch deren Echtheit und
behauptet, es seien apokryphe Werke einer schiitischen Schule von
1 Contribution à V histoire des idées scientifiques dans V islam, Vol. I, Le
corpus des écrits Jabiriens , 1943, Caire; Vol. II, Jabir et la science grecque ,
1942, Caire (Mémoires présentés à l'Institut d'Egypte).
2 Ausgenommen E. J. Holm yard, der trotz seiner Würdigung der
Arbeit von P. Kraus über Öäbir bei seiner Auffassung über die Echtheit
des öäbir-Corpus im wesentlichen geblieben zu sein scheint, cf. seine Alche-
misten des Islam im Mittelalter , in Endeavour , 1955.

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Das Problem des Gābir ibņ Hayyän 257

Chemikern aus der zweiten Hälfte des 9. und dem Anfang des 10. Jh.,
die diese einem Manne namens öäbir zugeschrieben hätten.
Im zweiten Band setzt er sich mit dem eigentlichen wissenschaftlichen
Inhalt des Corpus öäbirs auseinander und sucht nach dem Ursprung
seiner Ideen. Nach seiner Meinung haben die chemischen Theorien
öäbirs sehr wenig mit der antiken Chemie gemeinsam. So lehnte er z.B.
die Verwendung von Symbolen und Allegorien ab, machte den Körper
von Lebewesen zum Gegenstand seiner chemischen Untersuchungen und
arbeitete mit dem der Antike unbekannten Ammoniak. Nach Kraus ist
der Ursprung von öäbirs System im Orient zu suchen, vielleicht in
Indien, vielleicht sogar in China.
Am Ende seines Buches gibt er der Tatsache Ausdruck, daß man auf
alle derartigen Fragen noch keine endgültige Antwort geben könne, da
die Studien über die Geschichte der islamischen Wissenschaften noch
nicht weit genug fortgeschritten seien.
In der Tat scheint heute, nachdem viele neue Materialien zugänglich
geworden sind, eine Überprüfung seiner Ergebnisse notwendig geworden
zu sein.
Hier werde ich die Materialien behandeln, die uns vor allem Auf-
schlüsse darüber geben, daß öäbir - entgegen der Meinung von Kraus
- im 8. Jh. n.Chr. gelebt hat. Wenn wir die Richtigkeit dieser traditio-
nellen Zeitangabe beweisen können, dann entstehen völlig neue Fragen
bezüglich der Quellen öäbirs. Nach meiner Meinung sind bei Kraus
einige Fehler in Bezug auf die Quellen öäbirs entstanden, deren Grund
in der falschen Festlegung der Zeit öäbirs liegt, andererseits aber sind
einige Vorurteile gegenüber den Quellen der Grund für eben diese falsche
Festlegung von öäbirs Zeit.
Die Zweifel an der geschichtlichen Persönlichkeit öäbirs sind schon
ziemlich alt. Bereits im 10. Jh. christlicher Zeitrechnung hat Ibn an-
Nadīm3 sie aufgegriffen und zu widerlegen versucht. Obwohl er nicht
sagt, wer solche Zweifel geäußert hat, wird es doch deutlich, daß er die
folgende Angabe seines Zeitgenossen Abü Sulaimän al-Mant>iqī meint4:
,,Ich habe einen Freund namens al-Hasan b. an-Nakad al-Mau§ilï.
Der pflegte Bücher zu verfassen und dem öäbir zuzuschreiben und
brachte sie dann zu Liebhabern der Chemie, womit er eine schöne
Stange Geldes verdiente".
Kraus mißt dieser Angabe von Abü Sulaimän al-Mantiqī eine große
Bedeutung bei. Er sagt, daß dessen Freund al-Hasan b. an-Nakad al-
Mauçilï nach dem Jahre 320 der Hiģra, also 932 der christlichen Zeit-
rechnung, die sog. „500 Bücher" des Corpus öäbirs verfaßt und die
8 Fihrist ed. Flügel, 354ff.
4 Cf. Kraus, Contribution I, Vorwort LXHI - LXIV.
18 ZDMG 114/2

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258 Fuad Sezgin

übrigen redigiert bzw. neu e


leider keine weitere Angabe ü
können. Unter diesen Büch
zuschreiben möchte, sind e
Umail, der ein Jahrhundert f
Allerdings muß man zugeben
4. und nicht im 3. Jh. der Hi
Der wichtigste Beweis, den
öäbirs vorbringen kann, ist d
al-Ihrāg, bei der Behandlung
schen und Mazdak-Philosophe
sächlich ist die Entstehimg d
3. Jh. der Hiģra anzusetzen.
hundert früher gelebt haben
nicht von solcher Wichtigkei
in Gefahr bringen könnte. W
Verfassers, sondern finden die
Exemplar. Es ist schon mögl
Abhandlungen die Überliefer
Kopisten, die der SchTa oder
einer oder mehreren dieser Ab
haben.
Wir wollen nun über die Beweise für die im allgemeinen im islamischen
Bereich angenommene Lebenszeit öäbirs sprechen. Der bis heute älteste
Beweis wurde schon von Holm yard vorgebracht5. Er fand in dem Buche
al-Ahbār at-tiwal von Abü Hanīfa ad-Dīnawarī, der im Jahre 282/895
starb, den Hinweis auf einen schiitischen Drogisten Hayyän, der Anfang
des 2. Jahrh. der Hiģra gelebt habe und für die Schiiten und Abbasiden
tätig gewesen sei. Dieser Hayyän soll Yaqtïn gekannt haben, den Vater
des 'Ali, den wiederum Gäbir in seinem Corpus als seinen eigenen Zeit-
genossen erwähnt6. Nach Holmyard muß dieser Hayyän also öäbirs
Vater sein. Kraus fand dieses eine kluge Konstruktion, als Beweis jedoch
sehr schwach7.
Die von mir als Beweis vorzubringenden neuen Materialien für die
Lebenszeit öäbirs lassen sich in zwei Gruppen aufteilen : die Zitate von
öäbirs Zeitgenossen und die Zitate von Chemikern, die im auf öäbir
folgenden 3. Jh. gelebt haben. Ich werde nicht sprechen von den von
mir neu gefundenen Materialien, die aus einer etwas späteren Zeit
6 An Essay on Jābvr ibn Hayyän , in Studien zur Geschichte der Chemie ,
Berlin, 1927, 28ff.
6 K. al-Ahbār at-tiwal, hrsg. v. Guirgass, Leiden 1888, S. 334 - 7.
7 Contribution I, Vorwort XL VI.

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Das Problem des Öäbir ibņ Hayyän 259

stammen, nämlich von al-Maģrītī, Ibn Miskawaih und Muhammad b.


Bišrūn8, die ungefähr der Zeit von Abū Sulaimān al-Mantiqī angehören,
demselben, der von Kraus als ein starker Beweis gegen öäbir gebraucht
wird.
Meiner Meinung nach finden wir den wichtigsten Beleg dafür, daß
öäbir im 2. Jh. gelebt hat, bei Šālim al-Harrānī, der ebenfalls dem 2. Jh.
angehört. Šālim ist der berühmte Gründer der Akademie „Bait al-Hikma"
zur Zeit des Chalifen Ma'mün9. Er ist im Griechischen als ,, Salmanas' ť
bekannt, unter welchem Namen uns eine Abhandlung über Edelsteine
in einer Übersetzimg aus der byzantinischen Zeit in der Collection des
anciens alchimistes grecs (II, 364) erhalten geblieben ist. In den Istanbuler
Bibliotheken finden wir von Harrānī das Exemplar einer Abhandlung
über „Die Natur der Dinge " und zwei Exemplare einer Abhandlung über
„Elixiere"10. In der Abhandlung über „Die Natur der Dinge" sagt er,
daß er 15 Jahre lang unter dem Einfluß der falschen Vorstellungen des
Arius über die Zusammensetzung der Materie gestanden habe und erst
durch Heraklius und durch öäbirs Kitāb ar-Rahma sich davon habe
befreien können. Die genannte Abhandlung des Šālim ist auch insofern
wichtig, als sie uns zeigt, was für ein großes Interesse die Chemie im
2. Jh. in der islamischen Welt genoß. Außerdem enthält sie Beweise
gegen die negative Stellungnahme Julius Ruskas bezüglich der
Beschäftigung des Kaisers Heraklius mit der Chemie und der Zu-
sammenarbeit christlicher und muslimischer Chemiker in dieser frühen
Periode11.
Die aus dem 13. Jh. christlicher Zeitrechnung stammende Kopie eines
Sammelbandes, die in der Fatih-Bibliothek erhalten ist, enthält 2
weitere Hinweise für die Lebensdaten öäbirs. Sie finden sich im Kitāb
al-õâmic von Ostan und in dem dazu geschriebenen Supplement seines
Übersetzers Yahyä b. Hālid al-ôassânî, denn sowohl im Original als auch
im Supplement wird öäbir häufig erwähnt. Wenn wir auch noch nichts
darüber sagen können, ob Yahyä b. Hālid al-ôassânî mit Yahyä b.
Hālid al-Barmakī, der im 2. Jahrh. gelebt hat und über die Chemie ge-
schrieben hat12, identisch ist, so versteht es sich doch aus einer Be-
merkung im Vorwort zum Werk Ostans, daß er Ostans Zeitgenosse war.
Wie man weiß, ist Ostans Zeit und Buch ziemlich heftigen Diskussionen

8 Sezgin, Ü ç macmü'at ar -rasa* il in Review of The Inst, of Isl. Stud .


Istanbul, II, 2 - 4, S. 238 - 9
9 Cf. Kraus, Contribution Vol. II, 39 ; Sezgin, Ücmacmü' atar -rasā* il S. 242.
10 Cf. Sezgin, Ûç macmü'at ar -rasā* il, S. 242.
11 s. Arabische Alchemisten, Heidelberg, 1924, I, S. 11, 12.
12 Cf. Ibn an-Nadîm, S. 353 und Kraus, Contribution I, Vorwort XXXVIII ;
Isis , XV, 23 ff.
18*

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260 Fuad Sezgin

unterworfen gewesen13. Das Kit


des Bandes in der Fatih-Bibli
Daß öäbirs Name oft erwähn
betrachtet15. Ich glaube, daß
Bibliothek16 für die Feststellu
ist. Wir erfahren, daß dieses Bu
Muttersprache (vermutlich Syri
dann von <Ubaidallāh b. Ahmad al-Hindī aus dem Griechischen ins
Persische, von öacfar b. 'Omar al-Fārisī in den Dialekt von Nord-
Horäsän, und dann aus diesem Dialekt von Yahyä b. Hälid ins Iraq-
Arabische.
Den fünften derartigen Hinweis auf öäbir kann das Buch von Yahyä
b. Abī Bakr b. al-Barmakī liefern. Das Buch, nämlich das Kitāb Sarh
ar-rahma wa-z-zulma, ist in zwei Exemplaren, in Kairo und Teheran,
erhalten. Im Vorwort dazu erwähnt der Verfasser, daß er ein Schüler
von öäbir b. Hayyän ist. Leider wurde dieses Buch von Kraus auch als
apokryph bezeichnet, weil im Vorteil der Name 'öäbir' erwähnt ist17.
Von den Chemikern, die im folgenden Jahrhundert lebten und öäbir
als Quelle benutzt haben, will ich auf drei Persönlichkeiten eingehen :
Ibn Umail, Ibn Wahšiya und Abü Bakr b. Zakariyä al-Rāzī. Auch
Kraus hat diese erwähnt. Die Einstellung von Kraus zum Datum des
öäbirschen Corpus hat es mit sich gebracht, daß die Beziehungen
zwischen öäbir und diesen, ihn als Quelle benutzenden Verfassern oft
Anlaß zu wunderlichen Interpretationen gegeben.
So hat er mit einer Kritik an den Lebensdaten Ibn Umails, von dem
man zuerst annahm, daß er im 3. Jh. gelebt habe, Brockelmann in der
letzten Auflage verbessert und Ibn Umail ein Jahrhundert später da-
tiert18. Damit ist es kein Problem mehr, wenn der so im 4. Jh. datierte
Ibn Umail einige Werke öäbirs erwähnt. Von Ibn Umail habe ich sieben
Bücher über die Chemie gefunden, die bis heute unbekannt geblieben
waren. Durch dieses neue Material erfahren wir, daß Abu '1-Fadl öacfar
an-Nahwī, der im Jahre 289 starb, Ibn Umails Zeitgenosse war19. Wenn
man die neu gefundenen Bücher untersucht, so sieht man, daß Ibn Umail
einen großen Teil des Corpus öäbirs kannte und von den Chemikern des
3. Jh. derjenige war, der am meisten von öäbir profitiert hat.
Von den erwähnten Büchern ist das Kitāb an-Nihāya , das ein Kom-
mentar zu seinem Mā* al-Waraqï ist, in zwei Exemplaren in den Biblio-
18 Cf. Steinschneider, Die arabischen Übersetzungen aus dem Griechischen ,
Graz 1960, 364 - 5; Kraus, Contribution II, 44.
14 In Leiden nr. 1259 und Privatbesitz v. Hangi.
15 Contribution I, 197. 16 Fatih 3635/4, 13D- 44°.
17 Contribution I, 197. 18 Brock. G2 1, 278, S I, 429.
19 Sezgin, Ûç macmü'at ar~rasãyil9 S. 242 - 243.

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Das Problem des Öäbir ibņ Hayyän 261

theken Topkapi Saray und Beçiraga vorhanden20. Wir erfahren, daß


Ibn Umail öäbirs Kutub al-Mawâzïn und die sogenannten „500 Bücher"
gekannt haben muß und aus ihnen reichlich zitiert hat. Kraus hingegen
führt sie als gegen Ende des Corpus entstanden an und ordnet sie ungefähr
in das Jahr 330/941 ein21.
Sprechen wir nun über die Beziehungen Ibn Wahšiyas zu dem Corpus
des öäbir: Die Tatsache, daß das Leben Ibn Wahšiyas ebenso wie das
der meisten anderen Chemiker unbekannt war, hat bei einigen Orienta-
listen Zweifel an seiner Person hervorgerufen.
Dennoch ist es bekannt, daß Ibn an-Nadīm ihn als einen Zeitgenossen
von Abü Qirän und Ihmīmī, die Schüler öäbirs waren, erwähnt und
sagt, daß er mit ihnen in Beziehung gestanden und Schriftverkehr gehabt
habe. Ibn Wahšiya gibt im Vorwort zu seinem Buch al-Filāķa an, daß
er das Buch im Jahre 291/904 verfaßt und 318/930 seinem Schüler Abü
Tälib Ahmad b. az-Zayyäd zur Weiterüberlieferung diktiert habe. Ob-
wohl Kraus keinerlei Beweise dafür besaß, hat er behauptet, daß Ibn
az-Zayyäd nicht nur das Buch verfälscht, sondern daß er sogar die
Person des Ibn Wahšiya frei erfunden habe, obgleich wir über ihn als
geschichtliche Persönlichkeit eindeutig Kenntnis besitzen. Ibn Wahšiya
ist als Verfasser des Kitāb al-Filãha, bekannt, das er, wie er selbst angibt,
aus dem Nabatäischen übersetzt hat. Wenn auch nicht in diesem Buch,
so erwähnt er doch öäbirs Namen in Büchern über fast dasselbe Thema,
die aber nicht Übersetzungen aus dem Nabatäischen sind, z.B. spricht
er im Kanz al-hikma oft von „ unser Meister Abü Mūsā", womit er öäbir
b. Hayyän meint. Aber im Vorwort zum Kitāb as-Sumüm (Buch der
Gifte), das er aus dem Nabatäischen übersetzt hat, erwähnt er öäbir und
sagt: „Im islamischen Bereich wurden auch verschiedene Bücher über
Gifte geschrieben. Eines von ihnen ist von Öäbir b. Hayyän as-Sūfī, von
dem man sagt, daß er von den Azd stamme. Wenn diese Behauptung
zutrifft, so ist er ein richtiger Araber. Dieses Buch von ihm über die
Gifte ist großartig. Es enthält riesige verschiedenartige Probleme und
nützliche Dinge. Wie erstaunlich ist es doch!"22
Kraus führt diese Stelle an und sagt, daß das Kitāb as-Sumūm zu
den sog. „70 Büchern" gehöre. Sollten diese Angaben wirklich von Ibn
Wahšiya stammen, sagt er, so heißt das, das Ibn Wahšiya oder die Ver-
fasser der Ibn Wahšiya zugeschriebenen Bücher nur die ersten Zu-
sammenstellungen unter öäbirs Namen gekannt haben23.
Wir sehen, wie sehr Kraus sich bemüht hat, das Datum, das er sich
für das Corpus vorgestellt hat, zu rechtfertigen. Kann man aus dem
20 Sezgin, ebenda 242 - 247.
21 Kraus, Contribution I, Vorwort LXV.
22 Ebenda LVII. 23 Ebenda LVIII.

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262 Fuad Sezgin

obigen Zitat annehmen, da


öäbirs Schülern war und mit
nicht gekannt habe ? Jedoch
al-kablru in der Rägib-Biblio
Kitāb al-wādih in der Saib-Bi
Nuzhat al-ahdäq wiederum in d
al-hagar in der Nuri Osmaniye2
schiedenen Themen von versc
Sprechen wir nun über die B
Jahre 320/932 starb, zum C
ziehimg seinem Standpunkt
sie auf sehr komplizierte Art
zugleich Arzt, Philosoph und
erwähnt, und zwar soll er
gesprochen haben.
Ibn Wahšiya in Kanz al-hilcma
einen Vergleich zwischen den
Gebiete der Chemie, öäbir. Der
starb, behauptet, daß Rāzī
Kitāb al-Mugarradāt ungefäh
historischen Hinweise anführ
Sirr al-asrār, die sich in Kraus' Hand befanden, dieses nur Hinzu-
fügungen aus späterer Zeit seien. Er sagt, daß auch das Liber de alumini-
bus et salibus , in dem Öäbirs Name oft erwähnt wird und das dem Rāzī
zugeschrieben wird, nur eine Fälschung sei29. Wie man aus dem Kitāb
aš- Sawähid Rāzīs entnehmen kann, hat Rāzī in seinem Kitāb at-Tartib
oder Kitāb ar-Rāha aus öäbirs Kitāb ar-rahma Ideen übernommen, die
seinen eigenen völlig zuwiderlaufen, wie uns Kâtip Çelebi berichtet, der
das Buch gelesen hat. Kraus nimmt dieses an, weil nach seiner Vor-
stellung das Kitāb ar-Rahma schon in der ersten Hälfte des 3. Jh. dem
öäbir zugeschrieben worden sei30. Diese Annahme stößt seine Theorien
über die Chronologie des Corpus nicht um. Er nimmt auch an, daß Rāzī
die sog. „70 Bücher", und die sog. „112 Bücher" gekannt habe31. Die
merkwürdigste Betrachtung Kraus' zu der Beziehung zwischen Rāzī
und dem Corpus ist folgende : Er meint, da Rāzī in einigen seiner Bücher
die Werke öäbirs über dasselbe Thema nicht anführt und außerdem von
öäbir ganz verschiedene Gedanken äußert, daß diese Bücher öäbirs

24 Islamica IV, 549.


25 Ismail Saib (Ankara) 3116 (S. 229 - 232, nur ein Stuck ist erhalten).
26 A. Ate§, Belleten XVI, 89. 27 Ismail Saib 3334/4 (14 Fol.).
28 NO 3631/1, (fol. 1-56). 29 Kraus, Contribution, Vorwort LX.
80 Ebenda LX. 81 Ebenda LX.

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Das Problem des Öäbir ibņ Hayyän 263

erst in einer nach Rāzī liegenden Zeit dem öäbir zugeschrieben worden
seien. So z.B.: öäbir wie auch Rāzī haben beide ein Kitab al-Hawäss
verfaßt. Rāzī benutzt für sein Buch die antiken Autoren sowie Ibn
Mäsawaih (243/857), Kindī (256/870), Ahmad b. Rabban at-Tabarī
(250/864) und Hunain (260/873), die alle im 3. Jh. gelebt haben. Kraus
sagt nun: Wenn Rāzī öäbirs Buch, das noch umfassender und besser als
sein eigenes Buch war, gekannt hätte, so hätte er sicher nicht versäumt
daraus zu profitieren. Dagegen steht dem nichts im Wege, wenn wir
denken, daß der Verfasser von öäbirs Buch von Rāzī profitiert und
einen großen Teil seines Materials diesem Buche entnommen habe. Zu-
mindest können wir annehmen, daß entweder beide voneinander unab-
hängig sind oder dieselben Quellen benutzt haben. Kürzlich haben
J. Ruska und K. Garbeks gezeigt, daß die chemischen Rezepte im
Sirr al-asrār von Rāzī und dem Kitab ar-Riyäd al-kablr von öäbir eine
große Ähnlichkeit aufweisen.
Kraus sagt aber, daß trotz alledem ein genaues Studium der Texte
zeige, daß auch in diesem Fall zwischen öäbirs und Rāzīs Chemie keine
direkte Verbindung besteht, öäbirs Rezepte seien fast immer umfassender
und stützten sich auf „Autoritäten" wie Sokrates und Plato, seien auch auf
arithmetischer Grundlage entstanden, die bei Rāzī hingegen zu völlig fal-
schen Ergebnissen führen. Er fügt hinzu, daß er hier auch völlig mit Ruska
übereinstimme, nämlich, daß weder öäbir Rāzī nachfolge, noch Rāzī dem
öäbir, sondern daß beide sich auf eine ältere Chemieschule stützten32
Kraus weist hier auf zwei sehr wichtige Probleme hin: 1. Der große
Unterschied zwischen öäbirs und Rāzīs Auffassung von der Chemie,
2. die Tatsache, daß Rāzī in seinem Kitāb al-Hawäss , obwohl er von
antiken und von Verfassern aus dem dritten Jh. der Hiģra profitiert,
öäbirs Buch nicht benutzt. Kraus will hiermit seine Theorie über das
Datum des Corpus stützen, daß nämlich öäbirs Bücher nicht in einer
vor Rāzī liegenden Zeit entstanden seien.
Ich werde zeigen, daß hieraus sich aber Beweise für das traditionell
angenommene Datum des Corpus und für den wichtigen Charakter seiner
Chemie und vielleicht seiner gesamten Wissenschaft ergeben. Dies wird
uns auch zur Erklärung führen, ob die Quellen Öäbirs und Rāzīs
„gemeinsam4 ' sind, wie Kraus behauptet hat. Indem Kraus im 2. Band
seines Buches öäbirs Materialien und Theorien und seine Quellen sehr
gut ausgewertet und den Unterschied zwischen ihm und den anderen
islamischen Naturwissenschaftlern sehr geschickt erklärt hat, befindet
er sich in Wiederspruch zu seinem eigenen ersten Band, in welchem er
behauptet, daß öäbir nicht gelebt habe und die ihm zugeschriebenen
Werke im 3. und 4. Jh. von einer Schī(a- Schule hervorgebracht worden
32 Ebenda LXII.

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264 Fuad Sezgin

seien. So kann er meiner Meinu


lichen Theorie gelangen. Im e
chronologische Widersprüch
Leser einer besonderen, außerordentlichen Persönlichkeit unter den
islamischen Chemikern und in einem großen Maße auch den Natur-
wissenschaftlern überhaupt und einer klaren, einheitlichen Verfasser-
persönlichkeit gegenüber. Um diesen Widerspruch aufzuheben, müssen
wir zuerst öäbirs Lebenszeit in das 2. Jh. setzen. Damit stellen wir ihn
vor die Zeit, in der die islamische Welt mit der griechischen Wissenschaft
direkt und auf breiter Grundlage in Kontakt kam. In der ersten Periode
war die islamische Kultur in Kontakt mit dem Hellenismus innerhalb
eines hochentwickelten Kulturkreises, in dem auch andere Zivilisationen
ihren Einfluß genommen hatten. Viele Werke der griechischen Wissen-
schaft wurden ins Syrische, Pahlavi und andere Sprachen übertragen.
In dieser Kulturwelt gab es viele pseudoepigraphische Werke, die antiken
Verfassern zugeschrieben wurden.
Aber im 3. Jh. wurde fast die ganze Aufmerksamkeit auf die griechische
Wissenschaft konzentriert. Viele verschiedene berühmte Übersetzer über-
trugen Werke der griechischen Wissenschaft. Der Unterschied in der
Auffassung von der Chemie im Kitāb al-Hawāss von Öäbir und dem von
Rāzī wird uns helfen, auch den Unterschied zwischen den beiden Epochen
klarzumachen. Um in dieser Hinsicht zu einer klaren Vorstellung zu
gelangen, finden wir bei Stapleton und Kbatjs genügend Material.
In seiner Studie aus dem Jahre 1927 hat Stapleton öäbirs Über-
legenheit gegenüber Rāzī festgestellt. Seine unvergleichlich reicheren
Materialien und sein System nahm er als Beweis für die Echtheit und
das Alter des Corpus. Nach Stapleton ist Rāzī in seiner Chemie ohne
öäbir nicht denkbar und öäbirs Werke sind seine hauptsächliche
Quelle33. Nach Ruska und besonders Kraus (wie er in seinem ersten
Band anführt) sollen Rāzī und öäbir aber die gleichen Quellen benutzt
haben. Wenn wir aber den 2. Band von Kraus' Buch lesen, so sehen wir,
daß Rāzī sich auf die griechische Wissenschaft stützt, öäbir hingegen
reicher und vielseitiger ist und bei ihm statt der griechischen eine
pseudepigraphische griechische Wissenschaft neben vielen anderen
einen Platz einnimmt34. Wenn Kraus auch auf diesen Unterschied
zwischen beiden nicht geachtet hat, so hat er uns doch bei der Fest-
stellung von öäbirs Quellen ein großartiges Arbeitsmaterial in die Han
gegeben. Kraus hat tatsächlich von dem Einfluß der pseudepigraphi-
schen Literatur in öäbirs Corpus gesprochen, die sich nach dem goldene
88 H. E. Stapleton, R. F. Azo and Hidayat Husain, Chemistry in Iraq
and Persia in the X. Century A, D . (Mem. of the As. Soc. of Bengály Vol. VIII,
1927), S. 317-418. 84 S. Contribution II, 22-23, 63-95.

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Das Problem des öäbir ibņ Hayyän 265

Zeitalter der griechischen Wissenschaft in anderer Umgebung als Frucht


der Gedankenentwicklung ergab. Er läßt aber ein klares Resultat in
seinem Werk vermissen, teilweise, weil er nicht in reichem Maße dieses
Quellenmaterial besaß, teilweise auch, weil er sich nicht vor Augen hielt,
daß Öäbir in einer Epoche lebte, in der die islamische Welt mit der
griechischen Wissenschaft noch keinen direkten Kontakt hatte. Ein
typisches Beispiel hierfür: wenn Öäbirs Bücher authentisch gewesen
wären, so hätten die Werke von Aristoteles, Alexander von Aphrodisias,
Galen und Plutarch ins Arabische übersetzt sein müssen, und das in
einer Zeit, die mehr als ein Jahrhundert vor dem Zeitalter liegt, für das
allgemein die Übersetzungen ins Arabische angesetzt werden. Dann hätte
weder Hwärizmi die indische Mathematik eingeführt, noch hätte die
Hunain- Schule als erste die wissenschaftliche Terminologie im Arabi-
schen festgelegt. An den Anfang der islamischen Wissenschaft müßte
man also eine solche Persönlichkeit stellen, welche die ganze Entwicklung
aller folgenden Generationen vorwegnimmt und sie vorher geformt, ja,
sie sogar nutzlos gemacht hätte35. Ob öäbir eine solche Persönlichkeit
war oder nicht, werden zukünftige Studien zeigen.
Ich hätte gern ausführlich über das neu gefundene Material gehandelt,
das sich auf öäbirs Quellen bezieht, jedoch ist dieses ein sehr umfassendes
Problem, öäbirs Quellen sind nicht nur chemische Texte, sondern ebenso
Texte philosophischen, mathematischen und physikalischen Inhalts. In
manchem Punkte hat Kbaus über die chemischen Quellentexte öäbirs -
trotz einiger Fehler - großartige Gedanken geäußert. Nach ihm unter-
scheidet sich öäbirs experimentelle Chemie wesentlich von der esoteri-
schen Chemie der Griechen. In der griechischen Chemie ist niemals von
der Bereitung von Elixieren auf der Grundlage tierischer und pflanzlicher
Wesen gesprochen worden.
Ganz im Gegenteil hierzu besitzt öäbir die Konzeption einer „orga-
nischen" Chemie; die Reduktion des Körpers auf die ihn aufbauenden
Grundstoffe bildet einen wesentlichen Teil von öäbirs Lehre und ist
ausschließlich an die Analyse organischer Wesen gebunden. Zu dieser
Methode, die öäbir in den graeco-orientalischen Schulen fand, brachte
er noch die Entdeckung eines neuen Grundkörpers. Dem schon vorher
bekannten Schwefel, Quecksilber und Arsen fügt öäbir das mineralische
Ammoniak und Ammoniakderivate hinzu. Nach Stapleton und Ruska
hat dies die antike Chemie völlig verändert.36

35 Contribution I, Vorwort XL VIII.


36 Contribution II, 41 ; H. E. Stapleton, Sal Ammoniac , a study in
primitive Chemistry, in Mem. As. Soc. Bengal , I (1905), 25 - 40; J. Ruska,
Sal ammoniac , Nušādir und Salmiak , in Sitz. Ber. d. Heidelberger Akademie
d. Wiss.y phü . hist Kl., 1923, 23 ff.

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266 Fuad Sezgin

Daß die Bezeichnung nūšādir


die Entdeckung des Ammoni
dischen Imperiums suchen w
Verbindungsglied zwischen d
graeco-orientalischen Zentre
unser heutiger Wissensstand
lokalisieren37.
Mehrere apokryphe Werke, die in den graeco-orientalischen Schulen
entstanden und in unsere Hände gelangt sind, habe ich nicht gründlich
darauf durchsuchen können, jedoch in einer hermetischen Abhandlung,
die sich in der Istanbuler Universitätsbibliothek befindet habe ich das
Ammoniak erwähnt gefunden38.
Heute besitzen wir einen großen Teil von Übersetzungen der Quellen,
die entweder aus der griechischen Antike oder aus den graeco-orienta-
lischen Schulen stammen. Meistenteils sind die, die aus den graeco-
orientalischen Schulen stammen, von öäbirs Zeitgenossen verfaßt. Weil
in diesen öäbirs Name oft genannt wird, glaubte Kraus, daß sie in
späterer Zeit falsch redigiert worden seien. Dadurch hat er einen großen
Teil der Materialien vernachlässigt, die ihm wichtige Anknüpfungs-
punkte über den Geist der Zeit öäbirs hätten geben können.
Von den Werken, die den griechischen Verfassern Pythagoras, Platon,
Aristoteles und Zosimos zugeschrieben werden, glaube ich, daß nur
Zosimos' Mushaf as-suwar im 3. Jh. aus dem Griechischen übersetzt
worden ist. Die Untersuchung eines alten Exemplars von Zosimos, das
ich im Istanbuler Archäologischen Museum gefunden habe39, zeigt uns
den großen Unterschied zwischen öäbir und den anderen arabischen
Chemikern - den auch Kraus bemerkt - die vom 3. Jh. an ihre Theorien
in Allegorien kleiden. Z.B. nimmt in den Werken Ibn Umails, der im
3. Jh. lebte und in reichem Maße von öäbir profitierte, die Allegorie in der
Chemie mit einem Male einen solchen Umfang an, daß er nicht mehr im
echten Sinne als Nachfolger von öäbir gelten kann.
Wollen wir die Beziehungen öäbirs zur indischen Chemie untersuchen,
so stehen uns hierzu zwei Werke zur Verfügung. Das eine davon ist von
Hätif al-Hindl, von dem klar wird, daß er öäbirs Zeitgenosse war und
dem dieser 99 von seinen sog. ,,112 Büchern" gewidmet hat40; es trägt
den Titel Kitab fi s-san'a, und ich habe es in der Bibliothek der Universi-
tät Ankara41 gefunden. Das zweite ist die Risala fi Him al-katif des
37 Contribution II, 42.
38 Istanbul Un. Bibi. A 6156 (88a- 89a) : Taf air çahîfatihi (Harmas) wa-kašf
ramz al-haģar al-a'zam wa-tadbirihi.
89 Istanbul Arkeoloji Müzesi 1574 (224 Fol. und im Jahre 608 H. abge-
schrieben). 40 Kraus, Contribution , I, 38.
41 Ankara Üniversitesi, Ismail Saib Ktb. 1916 (la - 20a).

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Das Problem des öäbir ibņ Hayyãn 267

Tamtam al-Hindï, auf die ich in Kairo in der Talcat-Bibliothek42 ge-


stoßen bin. Auf diesen letzteren finden sich bei öäbir keine Hinweise.
Ganz entgegen der Meinung von Kraus und Ruska ergibt sich ganz klar,
daß man nicht sagen kann: „öäbir und Rāzī haben die gleichen Quellen
benutzt".

Kommen wir nun zu der Tatsache, die Kraus als Stütze gegen die
traditionell angenommene Entstehungszeit des Corpus anführt, nämlich,
daß Rāzī in seinem Kitāb al-Hawāss öäbir nicht als Quelle benutzt, so
zeigt eine gleichzeitige Untersuchung der Quellen beider, daß sie von-
einander völlig verschieden sind, und weist öäbir einer Zeit zu, in der
noch keine direkte Berührung mit der griechischen Kultur bestand, also
ins 2. Jh. Außerdem trennt es ihn von Rāzī und den anderen islamischen
Autoren, die vor Rāzī Bücher über hawäss = „die Eigenschaften der
Dinge" verfaßt haben.
Die Stützen für diese Behauptungen werde ich aus Kraus' eigenen
Studien entnehmen. Kraus sagt: „Es ist eine Tatsache von großer Be-
deutung, daß das Buch öäbirs sich von einem großen Teil der von anderen
islamischen Chemikern über das gleiche Thema geschriebenen Bücher
unterscheidet. Obwohl diese letzteren in Berührung mit der antiken
Literatur standen, stellt öäbirs Werk ein Sammelbecken dar für alle
Arten von literarischer Produktion43. „Obgleich öäbirs Kitāb al-Hawäss
an einigen Stellen mit den antiken Anschauungen übereinstimmt, ist es
doch von der griechischen Literatur verschieden. Sehr wahrscheinlich
stammt es aus orientalischen Quellen. Indem Öäbir sich in seinem
Kitāb al-Hawāss dem Begriff Hila „Grund, Ursache" zuwendet, kritisiert
er nicht nur die Theologen, welche die Existenz der Eigenschaften be-
streiten, sondern auch die Philosophen, besonders Aristoteles, der
leugnet, daß der menschliche Verstand je die Ursachen der Eigenschaften
auffinden könne. Während Rāzī in seinem kleinen Buch über die Eigen-
schaften sagt, die Ursachen, welche die Eigenschaften bestimmen,
seien und blieben uns verborgen, ist öäbir ganz im Gegensatz hierzu
bestrebt, die Ursachen der Eigenschaften ans Licht zu bringen"44.
Abschließend ist zu dem Problem zu sagen: Ich habe versucht zu
zeigen, daß öäbir im 2. Jh. gelebt hat und der Verfasser des Corpus ist.
Es bleiben jedoch noch viele Probleme bezüglich öäbirs Lehre und
Persönlichkeit zu bearbeiten. Vielleicht wird das Ergebnis nicht so sein,
wie ich es mir jetzt vorstelle, vielleicht irre ich mich auch völlig. Aber
nachdem ich Kraus' letzte Studien gelesen und zum Teil die Bücher von
öäbir studiert habe, bin ich davon überzeugt, daß Öäbir b. Hayyän den
42 Tamtam oder Tumtum oder mit anderen Vokalen; in Talcat Bibl.
(Kairo, Dār al-Kutub) Magami1 406.
43 Kraus, Contribution II, 64 - 65. 44 Ebenda II, 94 - 95.

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268 Fuad Sezgin, Das Problem des Öäbir ibņ Hayyãn

Höhepunkt und die Synthese einer Kultur bildet, die sich in den 5 - 6
Jahrhunderten entwickelte, die zwischen dem goldenen Zeitalter der
griechischen Kultur und der Zeit liegen, in der die Muslime wieder be-
gannen, sich ernsthaft mit diesen Problemen zu beschäftigen. Abgesehen
davon, daß öäbir der Begründer der modernen Chemie ist45, ist er auch
derjenige Philosoph des Mittelalters, der in großem Maße an den Er-
klärungen verschiedener physikalischer, metaphysischer, philosophischer
und astronomischer Probleme der griechischen Wissenschaftler Kritik
geübt hat. Sein Einfluß auf die islamische Wissenschaft, die sich in den
folgenden Jahrhunderten mehr mit der Aufnahme und Ausarbeitung der
griechischen Wissenschaft beschäftigte, ist geringer gewesen als der, den
er durch lateinische Übersetzungen gerade auf die abendländische
Wissenschaft ausgeübt hat.
46 Holmyabd in Proceedings of the Roy. Soc. of Medicine, XVI, 1923,
46-57.

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