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Valentin Crastan
Elektrische
Energieversorgung 2
Energie- und Elektrizitätswirtschaft,
Kraftwerktechnik,
alternative Stromerzeugung,
Dynamik, Regelung und Stabilität,
Betriebsplanung und -führung
123
Dr. Valentin Crastan
ch. des Blanchards 18
2533 Evilard
Schweiz
valentin.crastan@bluewin.ch
DOI 10.1007/978-3-540-70882-7
c 2009 Springer-Verlag Berlin Heidelberg
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987654321
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Vorwort
In der nun vorliegenden 2. Auflage des 2004 erschienenen zweiten Bandes ist Kapi-
tel 1 deutlich ausgebaut worden, um den Veränderungen im Bereich der Energiewirt-
schaft und insbesondere den durch den Klimawandel aufgeworfenen Fragestellungen
Rechnung zu tragen.
Außerdem wurde im Rahmen der Ausführungen zur Liberalisierung der Elektrizi-
tätswirtschaft dem Aspekt Risikomanagcmcnt ein größercs Gewicht beigemessen,
wofür ich T. Putzi der Bernischen Kraftwerke AG und Prof. M. Höckel, HTI Biel, zu
Dank verpflichtet bin. Ebenso danke ich Dr. J. Kreusel, ABB, für einige Aktuali-
sierungen zum Thema.
Die Struktur des Bandes ist im Wesentlichen die gleiche geblieben. Ungenauig-
keiten und Fehler wurden ausgemerzt sowie Anpassungen und Aktualisierungen dort
vorgenommen, wo dies notwendig war.
Danken möchte ich ferner Prof. A. Shah, Universität Neuchfitel, für den anregen-
den Gedankenaustausch zum Thema Photovoltaik, Prof. M. Q. Tran, ETH Lausanne,
für die Durchsicht und einige Anregungen zu Kapitel 9 (Kernfusion) und Dr. Ulf
Bosse1 für Bemerkungen zum Thema Brennstoffzellen.
Schließlich sei den Ko-Autoren Dr. R. Apel und 0. Vollmeier, Siemens AG,
gedankt für die Mühe, die Sie sich genommen haben, ihre Kapitel zum Thema Netz-
leittechnik anzupassen und optimal zu koordinieren.
Dem Springer-Verlag danke ich für die gute und effiziente Zusammenarbeit.
Der im Jahr 2000 erschienene Band 1 des nun vorliegenden zweibändigen Werkes „Elektrische
Energieversorgung, behandelt die elektrotechnischen Grundlagen, die Modellierung der
Elemente des Drehstromnetzes. das stationäre und quasistationäre Verhalten symmetrischer
Netze und von Netzen mit Unsymmetrien sowie die Grundlagen der Netzelement-Bemessung,
der Schaltvorgänge und der Schutztechnik.
In Band 2 werden diese vor allem die Energieübertragung und -verteilung betreffenden
Ausfuhrungcn durch die energie- und insbesondere dic clcktrizitätswirtschaftlichcn Aspekte
ergän~t,wozu auch die Kraftwerktechnik und alternative Arten der Stromerzeugung gehören.
Breiten Raum finden ferner die Fragen der Dynamik und Stabilität des Energieversorgungs-
V1 Vorwort
netzes und die mit der Planung und Betriebsführung zusammenhängenden Probleme. Obwohl
gut 60% des Buches von mir stammen und dieses somit Monographie-Charakter hat, sind
wesentliche Beiträge von den auf Seite XXV aufgefuhrten Ko-Autoren geleistet worden, denen
ich meinen herzlichsten Dank ausspreche.
Der aus fünf Teilen und einem Anhang bestehende Band 2 gliedert sich wie folgt:
Teil I widmet sich den energiewirtschafilichen Grundfragen unter Einbezug öhologischer
Aspekte sowie den Grundlagen der Wirtschaftlichkeitsrechnung. Einen breiten Raum nehmen
dann die Fragen der Marktöffnung ein, die durch den Beitrag von Dr. J. Kreusel zur
Funktionsweise liberalisierter Strommärkte wesentlich vertieft und mit den Ausführungen von
Prof. M. Höckel zu den Themen Risikomanagement und Strompreisgestaltung abgerundet
werden.
Teil 11 behandelt die konventionelle auf Wasserkraft sowie auf fossile und nukleare
Brennstoffen basierende Kraftwerktechnik einschl. Modellierung und Dynamik. Die
Ausführungen zu den für die Zukunft wichtigen Kombikraftwerken sind durch einen Beitrag
von M. Kleinen ergänzt. Ein Abschnitt über die ökologisch wichtige Wärmepumpe rundet den
Aspekt Energieumwandlung ab.
Teil 111 betrifft die alternativen Methoden der Stromproduktion, ihre Technik und
Aussichten. Besonderq erwähnt seien die Windkrali, die Photovoltaik, die Kernfusion und die
Brennstoffzelle.
Teil IV setzt sich mit den Fragen der Regelung und Stabilität des Energieversorgungsnetzes
auseinander. Die 2.T. bereits in Band 1 behandelten Modellierungsprobleme werden ergänzt
und vertieft und die heute vorhandenen Werkzeuge zur Simulation komplexer Netze im Beitrag
von Dr. M. Pöller beschrieben. Ausserdcm wcrdcn dic Fragen dcr Nctzrcgclung und dic
Probleme der Polradwinkel- und der Spannungsstabilität eingehend behandelt. Eine Analyse
der Polradwinhel- stabilität in ausgedehnten Netzen (UCTE-Netz) und der Ursachen
entsprechender Polradwinkelpendelungen findet sich im Beitrag von Prof. Dr. H. Weber.
reil V erörtert zuerst das Betriebsoptimierungsproblem Tür das vertikal integrierte
Energieversorgungssystem und geht dann auf die durch die Marktöffnung und den Wettbewerb
sich aufdrängenden Änderungen ein. Der Fall der ßetriebsoptimierung bei ausgehandeltem
Netzzugang wird iin Beitrag von Dr. J. Kreusel vertieft. Eine wesentliche Innovation im
Bereich der Steuerung und Optimierung des Energieversorgungsnetzes stellen die FACTS dar,
deren Eigenschaften und Einsatzmöglichkeiten in dem von Dr. D. Westermann verfassten Kap.
15 eingehend behandelt werden. Da gerade wegen der Marktöfhung auch die Fragen der Leit-
und Informationstechnik an Bedeutung zunehmen, befassen sich zwei Beiträge von Dr. R.
Apel (Kap. 16) und 0 . Vollmeicr (Kap. 17) aus verschiedenen Blickwinkeln mit diesem
Fragenkomplex.
Im Anhang sind in erster Linie physikalisch-mathematische Grundlagen, die für das
vertiefte Verständnis einiger Kapitel notwendig sind, wie thermodynamische und
kernphysikalische Grundlagen oder Grundbegriffe der Dynamik, Regelungstechnik und
Optimierungsrechnung, gegeben. Die Lösungen der Aufgaben und einige Tabellen und
Graphiken finden sich ebenfalls im Anhang.
Für die Durchsicht des Abschnitts Kernfusion und einige nützliche Hinweise bin ich Dr.
Kurt Appert, ETHI,, zu Dank vcrpflichtet, ebenso danke ich Dr. Ulf Bossel für die Durchsicht
des Abschnitts Brennstoffzellen. Den Ko-Autoren möchte ich nochmals für ihre wesentlichen
Beiträge dankcn. Dem Springer-Verlag sei für die stets angenehme und insbesondcre Frau G.
Maas für Ihre engagierte Zusammenarbeit gedankt.
2 Wirtschaftlichkeitsberechnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53
2.1 Investitionsrechnung. Diskontierungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54
2.1.1 Kapitalwertmethode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54
2.1.2 Annuitätsmethode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56
2.2 Kosten der Energie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58
2.2.1 Kosten der elektrischen Energie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58
2.2.2 Spezifische Energiekosten an den Kraftwerksklemmen . . . . . . . . . 59
2.2.3 Spezifische Jahreskosten der Kraftwerke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61
2.2.4 Kosten der elektrischen Energie am Verbraucher . . . . . . . . . . . . . . 61
3 Elektrizitätswirtschaft. Liberalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63
3.1 Verbrauch elektrischer Energie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63
3.1.1 Struktur des Energieverbrauchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64
3.1.2 Schwankungen des Energiebedarfs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64
3.2 Deckung des Elektrizitätsbedarfs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67
3.2.1 Kraftwerkarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .67
Inhaltsverzeichnis 1X
3.2.2 Kraftwerkeinsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68
3.2.2.1 Jahreszeitlicher Einsatz der Kraftwerke . . . . . . . . . . . . . . 68
3.2.2.2 Tageszeitlicher Einsatz der Kraftwerke . . . . . . . . . . . . . . 68
3.2.3 Wasserspeicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70
3.2.4 Energieaustausch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71
3.3 Wasserkraftwerke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72
3.4 Thermische Kraftwerke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74
3.5 Wettbewerb im Elektrizitätssektor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78
3.5.1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78
3.5.2 Grundpfeiler des Wettbewerbs und Probleme . . . . . . . . . . . . . . . . . 78
3.5.2.1 Konkurrenz zwischen Produzenten . . . . . . . . . . . . . . . . . 79
3.5.2.2 Freie Wahl des Energielieferanten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79
3.5.2.3 Natürliches Monopol für Übertragung und Verteilung . . 79
3.5.2.4 Übergangsprobleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79
3.5.3 Reorganisationsmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81
3.5.3.1 Alleinabnehmer-Modell (single buyer) . . . . . . . . . . . . . . . 81
3.5.3.2 Wettbewerb auf der Großhandelsstufe . . . . . . . . . . . . . . . 81
3.5.3.3 Wettbewerb auf Kleinhandelsstufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84
3.5.4 Privatisierung, Regulierung der Monopole . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84
3.5.5 Konsequenzen der Marktöffnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85
3.6 Strompreisgestaltung (Prof . Dipl . Ing . M . Höckel) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86
3.6.1 Verteilung der Selbstkosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86
3.6.1.1 Modelle für die Zuordnung der Leistungskosten . . . . . . . . 88
3.6.1.2 Verteilung der Kosten auf verschiedene Spannungsebenen 92
3.6.2 Stromtarife . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95
3.6.2.1 Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95
3.6.2.2 Tarifniveau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96
3.6.2.3 Tarifstrukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97
3.6.2.4 Beispielrechnung eines Tarifsystems . . . . . . . . . . . . . . . . 98
3.7 Funktionsweise liberalisierter Elektrizitätsmärkte
(Dr . -lng., tlon..Prof. J . Kreusel) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104
3.7.1 Motivation für Liberalisierung und Privatisierung . . . . . . . . . . . . 104
3.7.2 Der Aufbau wettbewerblich organisierter Elektrizitätsmärkte . . . . 108
3.7.2.1 Aufgaben und Rollen im liberalisierten Markt . . . . . . . 109
3.7.2.2 Netzzugangsmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112
3.7.3 Dienstleistungsmarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114
3.7.3.1 Systembetreiber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115
3.7.3.2 Netzbetreiber und Zählerdienstleister . . . . . . . . . . . . . . 118
3.7.4 Wettbewerbsmarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124
3.7.4.1 GroBhandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125
3.7.4.2 Börsenhandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128
3.7.4.3 Energiedienstleister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131
3.7.4.4 Bilanzkreisverantwortliche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138
X Inhaltsverzeichnis
4 Wasserkraftwerke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221
4.1 Hydrologische Planungsgrundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221
4.2 Laufkraftwerke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223
4.2.1 Wasserbewirtschaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224
4.2.2 Ausführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .224
4.2.3 Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226
4.3 Speicherkraftwerke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226
4.3.1 Tages- und Wochenspeicherwerke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226
4.3.2 Jahresspeicherwerke (Saisonspeicherwerke) . . . . . . . . . . . . . . . . . 228
4.3.3 Pumpspeicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232
4.4 Wasserturbinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233
4.4.1 Pelton-Turbine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234
4.4.1.1 Strahldurchmesser und Wassermenge . . . . . . . . . . . . . . 236
4.4.1.2 Optimale Umfangsgeschwindigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . 237
4.4.1.3 Durchmesser, spezifische Drehzahl . . . . . . . . . . . . . . . . 237
Inhaltsverzeichnis XI
8 Brennstoffzelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 405
8.1 AufbauundTypen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 405
8.2 Prinzip und Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 407
8.2.1 Elektrochemische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 407
8.2.2 Lineares Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 409
8.3 Brennstoffzellen für stationäre Anwendungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 410
8.3.1 Phosphorsäure-Brennstoffzelle (PAFC) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 410
8.3.2 Keramik-Brennstoffzelle (SOFC) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 411
8.3.3 Systemtechnik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 412
Inhaltsverzeichnis XV
9 Kernfusion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 413
9.1 Grundlagen des Fusionsprozesses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 413
9.1. I Fusionsreaktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 413
9.1.2 Energieverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 414
9 .2 Der Fusionsreaktor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 415
9.2.1 Prinzip des (d-t)-Fusionsreaktors . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 415
9.2.1.1 Plasmareaktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 417
9.2.1.2 Mantelreaktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 418
9.2.2 Energiebilanz des Plasmas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 418
9.2.3 Das Einschlussproblem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 421
9.2.3.1 Der magnetische Einschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 422
9.2.3.2 Der inertiale Einschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 425
9.3 Stand und Perspektiven der Kernfusion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 425
9.3.1 Internationales Forschungsprogramm Kernfusion . . . . . . . . . . . . 425
9.3.2 Vorzüge der Fusion und technologische Probleme . . . . . . . . . . . 426
15 FACTS-Elemente
(Prof. Dr . -lng . D . Westermann) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 641
1 5.1 Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .641
15.2 Technologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 646
15.2.1 Halbleiterbauelemente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 646
15.2.2.1 Dioden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 647
15.2.2.2 Thyristoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 648
15.2.2.3 Gate Turn-Off Thyristor (GTO) . . . . . . . . . . . . . . . . 649
15.2.2.4 lnsulated Gate Bipolar Transistor (IGBT) . . . . . . . . 650
15.2.2.5 lnsulated Gate Turn-Off Thyristor (IGCT) . . . . . . . 651
15.2.2 Spannungsumrichter, VSC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 652
15.2.3 Steuerverfahren und Eliminierung von Oberwellen . . . . . . . . . 658
15.2.3.1 Grundschwingungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 658
15.2.3.2 Pulsweitenmodulation (PWM) . . . . . . . . . . . . . . . . . 658
15.2.4 Berechnung der Verzerrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 660
15.2.4.1 Spannurigsverzerrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 660
15.2.4.2 Netzseitige Stromverzerrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 660
15.2.4.3 Stromverzerrung im Zwischenkreis . . . . . . . . . . . . . . 661
15.2.5 Schutz- und Leitsystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 663
15.3 Aufbau und stationäres Betriebsverhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 667
15.3.1 Shunt.Elemente, SVC und STATCOM . . . . . . . . . . . . . . . . . . 667
15.3.1.1 Aufbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 667
15.3.1.2 Strom-ISpannungscharakteristik und Vierpolform . . 67 1
15.3.1.3 P-6-Diagramm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 672
15.3.2 Serie-Elemente TCSC und SSSC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 675
15.3.2.1 Aufbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 675
15.3.2.2 Strom-ISpannungscharakteristik und Vierpolform . . 676
1 5.3.2.3 P-6-Diagramm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 679
XX Inhaltsverzeichnis
Teil VI Anhang
Anhang I Thermodynamik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 821
1.1 Grundbegriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .821
I . 1.1 Zustandsgrößen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 821
1.1.2 Thermodynamische Prozesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 822
1.1.3 Erster Hauptsatz, Energiebilan~. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .823
1.1.3.1 Geschlossene Systeme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 823
1.1.3.2 Fließprozesse (offene Systeme) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 824
I .1.4 Entropie, zweiter Hauptsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 826
Abbildung 1.1 veranschaulicht die Struktur der Energiewirtschaft mit den heute
verwendeten und den möglichen zukünftigen Energieträgern. Zu unterscheiden sind
vier Energieumwandlungsstufen: Primarenergie, Sekundarenergie, Endenergie und
Nutzenergie.
Unternehmen, die sich mit der Gewinnung, der Umwandlung und dem Transport
von Energieträgern befassen, bilden den Energiesektor der Wirtschajl. Sie haben die
Aufgabe, dem Verbraucher die Energie in der gewünschten Energieträgerform zur
Verfigung zu stellen (sog. Endenergie). Der Verbraucher wandelt die Endenergie
mittels Nutzprozessen in Nutzenergie um.
1.I.I Energiesektor
Primäre Energieträger sind Energiequellen, die in der Natur vorkommen. Größten-
teils werden sie nicht am Ort ihres Vorkommens verwendet, sondern zuerst gewonnen
(z.B. gefordert), dann transportiert und ggf. in eine andere zweckmäßigere Energie-
form (sekundäre Energieträger) umgewandelt. Kohle und Erdgas werden meistens
lediglich gefordert und zum Verwendungsort transportiert; Erdöl wird dagegen in
Raffinerien zu Heizöl und Benzin umgewandelt; Natururan wird zu Kernbrennstoff
Transport Nutz-
Prozesse
primäre
Energieiräger Egzzger Endenergie
Nutzenergie
(Energie am Wärme
Erdöl
Heizöl Verbraucher) mech. Arbeit
Kohle
Treibstoffe chem. Energie
Erdgas
Elektrizität Licht
Kernbrennstoffe
Wasserkrafl Stadtgas Informations-
Holz, Biomasse Koks und Unterhaltungs-
Müll, Industrieabfälle Fernwärme energie
Umgebungswärme Wasserstoff
Wind
Solarstrahlung
Geothermie
Meeresströmungs-
und Wellenenergie
Fusionsbrennstoffe
1.I.2 Nutzprozesse
Die Endenergie wird von den Energieverbrauchern (Haushalten, Industrie, Dienst-
leistungsbetrieben, Gewerbe, Landwirtschaft, Verkehr) durch Nutzprozesse in Nutz-
energie umgewandelt, hauptsächlich in Wurme, mechanische Arbeit und Licht (Abb.
1.1). Ein kleiner Teil wird in Endprodukten in Form chevliischer Energie gespeichert
(Stahl, Aluminium usw.). Mengenmäßig spielt diese, zumindest in der Schweiz, eine
untergeordnete Rolle. Wenig Gewicht, dies dürfte sich aber in Zukunft etwas ändern,
hat auch die Informations- und Unterhaltungsenergie (für Computer, Freizeitelek-
tronik und Kommunikation) [ I .20].
Nutzprozesse haben sehr unterschiedliche Wirkungsgrade. Während z.B. in einem
elektrischen Heizgerät Elektrizität zu 100% in Wärme umgewandelt wird, können
durchschnittlich nur Ca. 20% der Energie des Benzins in einem heutigen Auto als
1.1 Grundbegriffe, geschichtlicher Rückblick 5
mechanische Arbeit verwertet werden, und eine normale Glühbirne wandelt gar nur
Ca. 5% der elektrischen Energie in Licht um (wobei allerdings die Restenergie,
zumindest im Winter, in Gebäuden als Heizenergie nicht verloren ist). Die Nutz-
Prozesse sind also z.T. mit großen Energieverlusten verbunden; der mittlere Wir-
kungsgrad ist z.B. in der Schweiz 1997 auf 56% geschätzt worden [1.20]. Die
Verbrennung der fossilen Brenn- und Treibstoffe ist außerdem wegen der Gas-
emissionen lokal und glohal (Erzeugung von CO,) in hohem Maße umweltbelastend
(Abschn. 1.7).
Zusammenfassung
Die Struklur der Energiebereitstellung und -nutzung änderte sich während Jahr-
tausenden nur wenig, bis die Erkenntnisse der Naturwissenschaft ab Ende des 18. Jh
das technische Zeitalter einleiteten. Ansätze dazu gab es bereits in der Antike und im
Mittelalter. Aber erst in neuerer Zeit wurden revolutionäre technische Hilfsmittel für
die mechanische Nutzung der Brennstoffwärme erfunden (Dampfmaschine, später
Verbrennungsmotoren). Es gelang, neue (sekundäre) Energieträger wie Stadtgas, und
Elektrizität zu erzeugen und kapillar zu verteilen. Besonders die Elektrii~lutverein-
fachte und forderte die Energienutzung in einem bis dahin kaum gekannten Ausmaße
und ermöglichte zusammen mit der Kohle die industrielle Revolution. Zur Erzeugung
von Elektrizität errang die Wasserkraft in vielen Ländern große Bedeutung. Die
Kohle, zunächst wichtigster primärer Energieträger, wurde nach dem Zweiten Welt-
krieg, also in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, mehr und mehr durch das Erdol
ersetzt, behält aber in vielen Ländern eine vorrangige Stellung für die Elektrizitäts-
produktion. Schließlich gelang es, neue primäre Energiequellen wie Erdgas und
Kernspaltung zu erschließen und zu nutzen.
Die Struktur der Energiewirtschaft wandelte sich im Laufe eines Jahrhunderts
grundlegend. Muskelkraft von Mensch und Tier werden auch heute noch eingesetzt
(Beispiel: das Fahrrad als Transportmittel), doch werden sie als nichtkommerzielle
Energie von den energiewirtschaftlichen Statistiken nicht erfasst. Wind- und Wasser-
kraft werden nur soweit berücksichtigt, als sie zur Produktion von Elektrizität beitra-
gen.
Gravitations-
energie
I
1 1 Kernenergie 1
~ ~ erneuerbar
mit kurzer
I L
erneuerbar
nicht
sehr lange
/ Erdwarme
(geothermische
Energie)
~emknergie
rn
andere erneuerbare
Nimmt man beispielsweise an, der mittlere Energiebedarf von 15 TW im Jahre 2004
nähme bis 2050 linear auf 25 TW zu, ergäbe sich während dieser Zeitspanne ein
kumulierter Energiebedarf von 920 TWa. Es stellt sich die Frage nach den Reserven
und Ressourcen an erschöpflichen Energieträgern, ob und wie diese in der Lage sind,
etwa 85% dieses Bedarfs, also rund 780 TWa zu decken. Diese Menge würde sich
gemäß den IEA-Szenarien (Abb. 1.3) folgendermaßen verteilen: Kohle: 230 TWa,
Erdöl: 280 TWa, Erdgas: 2 10 TWa, Uran: 60 TWa.
Tabelle 1.2. Reserven und Ressourcen fossiler und nuklearer Energieträger. Die
Dauer der Reserven basiert auf die konventionellen Reserven 2006 [BP, BGR] und
auf dem mittleren Verbrauch der Periode 2004-2030 (mittlere Vorhersage IEA).
Quellen: ":[I. I] und [1.8]. ':[I .5]), [1.23], [1.26], [OECDIIAEA]
C C
Uran 39 61 63" 85 98 65
Die Zahlen der Tabelle 1.2 zeigen, dass mittelfristig dank der Kohle keine globale
Knappheit droht. Der kritischste Energieträger ist das Erdöl. Der sogenannte "mid
depletion point" (der dem Fördermaximum folgt und ab welchem eine Produktions-
erhöhung nicht mehr möglich ist) ist das Datum, an welchem die Hälfte der Reserven
bereits verbraucht ist; es wird von den meisten Experten für 2025-2030 erwartet. Ab
diesem Datum ist mit einem starken Anstieg des Preises zu rechnen. Beim Erdgas ist
die Lage ähnlich mit dem Unterschied, dass die Reserven größer sind und der kriti-
sche Punkt erst 2040-2050 erreicht sein wird. Bleibt die Möglichkeit, Kohle in
flüssige und gasförmige Brennstoffe umzuwandeln und der Technologie zur Trennung
und Speicherung (Sequestration) des entstehenden CO,. Die entsprechenden indu-
striellen Verfahren befinden sich aber noch in der Entwicklungs- und Testphase. Die
technischen, ökonomischen und ökologischen Perspektiven sind deshalb noch
ungewiss. Alles in allem scheint es sinnvoll und nachhaltig zu sein, auch aus der Sicht
der Reserven, den weltweiten Verbrauch fossiler Energien schneller zu reduzieren als
es die IEA-Studien vorsehen (s. dazu auch Abschn. 1.7).
Die Uranreserven sind für einen Grenzpreis von 130 $/kg berechnet worden. Die
Grenze ist aber ziemlich elastisch, da die Urankosten den Preis der vom Kernkraft-
werk gelieferten elektrischen Energie nur wenig beeinflussen. Der kritische Punkt
dürfte, wenn die von der IEA vorgesehene bescheidene globale Zunahme der Kern-
kraftwerkleistung eintrifft, relativ spät gegen Ende des Jahrhunderts erreicht sein. Der
Spielraum für eine erhebliche Substitution fossiler Brennstoffe ist aber trotzdem nicht
vorhanden, es sei denn, man fuhrt alternative Konzepte ein (4. Generation: Brüter-
technologie, Hochtemperaturreaktoren und Thorium, s. Abschn. 5.6).
10 1 Energiewirtschafi und Klimawandel
1.2.2.1 Gezeitenenergie
Die Gravitationsenergie steht uns in Form von Gezeitenenergie zur Verfügung. Die
Gezeitenreibung beträgt ca. 2.5 TW (d.h. die Rotationsenergie der Erde wird jedes
Jahr um 2.5 TWa reduziert). Davon werden aber nur 9% als wirtschaftlich nutzbar
eingeschätzt [I .23]. Für eine wirtschaftliche Nutzung muss der Tidenhub mindestens
6 m betragen. Demzufolge spielt die Gezeitenenergie im Zusammenhang mit dem
künftigen Weltenergiebedarf (> 25 TW) kaum eine Rolle. Näheres z.B. in [ I . 151,
[l.l6], [ l . B ] .
1.2.2.3 Solarenergie
Die Solarenergie ist die einzige erneuerbare Energie, die bereits heute in Form von
Wasserkraft und Biomasse einen wesentlichen Beitrag zur Deckung des Welten-
ergiebedarfs leistet (2004 Ca. 2 TWa [ l ,121).
Das Angebot an Solarstrahlung übersteigt um mehr als das 10'000fache den
heutigen Weltenergiebedarf und ist als einziges in der Lage, in der postfossilen Ära
evtl. zusammen mit der Kernfusion die Energiebedürfnisse der Menschheit zu decken.
Die Probleme bei der direkten Nutzung der Solarstrahlung sind wirtschaftlicher Natur
und auf ihre geringe Dichte zurückzuführen.
Wie in Abb 1.4 veranschaulicht, beträgt der Fluss an Solarstrahlung rund 173'000
TW. Von dieser Energie werden 52'000 TW direkt ins Weltall als kurzwellige
Strahlung zurück reflektiert, während 12 1'000 TW von der Erde absorbiert, umge-
wandelt und, da sich die Erde im thermischen Gleichgewicht befindet, schließlich in
Form langwelliger Wärmestrahlung an das Weltall wieder abgegeben.
Solarstrahlung
173'000 TW
direkte
Reflexion
52'000 TW I 1 ~ langwellige Reflexion
(Warmestrahlung)
121'000 TW
Umweltwärme
81'000 TW
Wettermaschine
--
Photosynthese 40 TW
1.2.3.I Wärmepumpe
Die Wärmepumpentechnik ist eine ausgereifte Technik zur Nutzung der Nieder-
temperaturwärme. Sie erlaubt die Anhebung der Temperatur auf Werte, die für
Heizungs- und Warmwasserbereitungszwecke genügen. Als Wärmequellen kommen
Luft, Grundwasser, Oberflächenwasser und das Erdreich in Frage. Die Wärmepumpe
ermöglicht die Nutzung der Umgebungswärme, Abfallwärme und auch geother-
mischer Wärme, wenn die Wärmefassung 100-150 In tief ist.
Sie ist die reifste Technik für Niedertemperaturanwendungen zur Substitution
fossiler Brennstoffe durch Solarwärme und geothermische Wärme. Das Potential an
Umweltwärme ist enorm, wie in Abb. 1.13 gezeigt. Die Verbreitung der Wärmepum-
pe wird vor allem durch billige fossile Brennstoffe behindert. Auch die Tatsache, dass
ca. ein Drittel der produzierten Wärme aus hochwertigen Energieträgern (Elektrizität
oder Gas) gewonnen werden muss, wirkt in Ländern mit hohem Anteil an Elek-
trizitätsproduktion aus fossilen Brennstoffen bremsend. Für Näheres über Wärme-
pumpen s. Abschn. 5.9.
1.2.3.2 Wasserkraft
Das Potential aller Fließgewässer der Welt wird auf ca. 6 TWa geschätzt (mittlere
Leistung), wovon ca. 1-1.5 TWa einer wirtschaftlichen Nutzung zugänglich sind.
[ I .23]. Effektiv genutzt werden (2005) weltweit 0.334 TWa (Hydroelektrizität). Das
Entwicklungspotential liegt vor allein in den Entwicklungsländern, aber auch im
Norden (Grönland, Kanada). Der Beitrag der Wasserkraft zur Deckung des Elek-
1.2 Verfügbarheit der Primärenergie 13
trizitatsbedarfs war 2004 weltweit 1696, in den OECD-Ländern 13% , in der EU-1 5
14%, in Deutschland 4%, in Österreich 59%, in der Schweiz 56% und in Norwegen
99%. Die Nutzung der Wasserkraft wird ausführlich in Kap. 4 behandelt.
1.2.3.4 Biomasse
Definition. Unter Biomasse werden Stoffe organischer Herkunft verstanden, also die
Masse von Lebewesen und organischen Abfallstoffen (unter Ausschluss fossiler
Brennstoffe).
Potential. Die gesamte Biomasse auf der Erde wird auf rund 450 TWa geschätzt
[I ,241 (1 TWa = 3 1.5 EJ), bei einem mittleren Heizwert von rund 3600 kcallkg
(bezogen auf absolut trockene Biomasse). Wichtig ist vor allem der Zuwachs von
rund 60 TWda. Der Umwandlungswirkungsgrad der Solarstrahlung liegt durch-
schnittlich bei 0.14%, ist aber für Wälder und Süßwasser höher (ca 0.5%) und am
höchsten für tropische Wälder (bis 0.8%). Chemisch gesehen besteht die Biomasse
zu 82% aus Polysacchariden (Zellulose und Hemizellulose) und zu 17% aus Lignin
(Holzstoff) [ I . l SI.
Nutzung. Das für die energetische Nutzung technisch verwertbare Potential an
Biomasse in Form von Brenn- und Treibstoffen wird auf rund 6 TW geschätzt. Davon
wären bei einer Weltbevölkerung von 10 Mrd. Menschen rund 2 TW aus Abfallen zu
gewinnen. Biomasse stellt also eine der wichtigen Energiereserven der Menschheit
dar, die etwa 25% des künftigen Bedarfs decken könnte. Die gegenwärtige Nutzung
(zum großen Teil nichtkommerzielle Energie) dürfte (2005) bei 1.6 TW liegen. Die
Verbrennung der Biomasse ist nur dann CO7-neutral, wenn die Wiederaufforstung
gesichert ist.
14 1 Energiewirtschaft und Klimawandel
1.2.3.5 Solarstrahlung
SpeziJisches Angebot an Solarenergie
Werden die ankommenden 121'000 TW (Abb. 1.13) auf die Oberfläche der Erde
gleichmäßig verteilt, erhält man für eine horizontale Fläche:
mittlere Jahresleistung =
12' 'OoTW = 237 wlm2
510. 106 km2
Bezieht man sich nur auf die Tagesstunden (12 statt 24 h), ergibt sich eine doppelte
mittlere Tag-Jahresleistung von 474 W/m2. Diese Zahlen stimmen für eine mittlere
Breite bei klarem Wetter und auf Meereshöhe. Der effektive Mittelwert hängt außer
von der geographischen Breite auch vom Klima ab. In Mitteleuropa (oft bedeckt oder
neblig) ist eher mit der halben mittleren Jahresleistung von 120 W/m2 zu rechnen.
Wird die mittlere Jahresleistung mit 8760 hla multipliziert, erhält man
mittlere Jahresenergie = 237 Wlm2 * 8760 hla = 2076 kWhla m 2 .
Diese Jahresenergie ist in mittleren Breiten aus den erwähnten Gründen nicht er-
reichbar, da dies nur bei ständiger Sonnenscheindauer möglich ist. Der Wcrt wird
überschritten (bis über 2200 kWh/a m2)in Äquatornähe und bei Wüstenklima (Saha-
ra, Arizona, Australien usw.).
Dichte der Solarstrc~hlung(Globalstrahlung)
Der Erdquerschnitt ist Ca. 127-106km2.Außerhalb der Atmosphäre ergibt sich
In der Schweiz rechnet man i.d.R. mit 1000 W/m2. Diese Globalstrahlung enthält
einen direkten und einen diJJsen Anteil (diffuse Himmelstrahlung). Der diffuse
Anteil ist unter mitteleuropäischen Klimaverhältnissen bedeutend (s. auch Abschn.
7.4.7).
Diese Zahlen zeigen einerseits, dass das Potential an Solarstrahlung praktisch
unbegrenzt ist, machen aber andererseits die Schwierigkeiten deutlich, die einer
wirtschaftlichen Nutzung der Solarstrahlung entgegenstehen. Deren wichtigste
Nutzungsarten sind nachfolgend aufgeführt:
Solururcltitektur
Durch ein sonnengerechtes Bauen kann der Bedarf an Heizenergie stark gesenkt
werden. Diese Möglichkeit sollte weit mehr als bisher genutzt und gefordert werden.
Für Näheres sei auf die Spezialliteratur verwiesen sowie auf [I .9], [I. 141.
Fluclrkollektoren
Flachkollektoren sind in der Lage, direkte und diffuse Strahlung zu nutzen. Die
Wärme wird an einen Wärmeträger (i.d.R. Wasser mit Frostschutzmittel) abgegeben.
Hohe Wirkungsgrade werden bei Niedertemperaturanwendungen erreicht (bis 70%
bei Freibaderwärmung, bis 60% bei Warmwasserbereitung, hingegen nur40- 50% bei
Raumheizung), d.h. der Wirkungsgrad hängt stark von der Nutzungstemperatur ab.
Solche Wirkungsgrade gelten allerdings nur bei voller Einstrahlung und sinken
überproportional bei schwächerer Einstrahlung. Für Freibadenvärmung und Warm-
wasserbereitung (vor allem im Sommer) sind heute Kollektoren wirtschaftlich
(Näheres s. [I .9], [I. 151, [I, 141).
Konzentrierende Kollektoren
Mit Parabolspiegeln (Parabolzylinder oder Paraboloide) wird die direkte Strahlung
konzentriert (die diffuse kann nicht genutzt werden). So werden hohe Temperaturen
erreicht, die zur Erzeugung von Prozesswärme und Elektrizität genügen. Die Spiegel
müssen allerdings der Sonne nachgeführt werden. Als Wärmeträger wird meist ein
Spezialöl verwendet. Anwendungsbeispiele sind Solarkochherde für Entwicklungs-
länder, Solarfarmen zur Produktion von industrieller Wärme und von Elektrizität
(solarthermische Kraftwerke) mittels üblichem Dampfprozess [ I . 151, [I .2 I].
Mit Parabolzylindern (Parabolrinnen) werden Temperaturen von 100-400°C
erreicht. Das Wasser wird in einem im Brennpunkt der Parabel liegenden Rohr
erhitzt. Für höhere Temperaturen werden teurere Paraboloide oder Heliostaten
eingesetzt, die sowohl zur Elektrizitätsproduktion als auch zur Durchfuhrung che-
mischer Prozesse [I .24] dienen.
Solurtlr ermisclte Kraflwerke
Zur Produktion von Elektrizität kann man Parabolrinnen, für größere Leistungen
Solarturmanlagen einsetzen: mit Hilfe von Flachspiegeln, die der Sonne zweiachsig
nachgeführt werden (sog. Heliostaten), wird die Strahlung auf die Spitze eines Turms
konzentriert. Hier befindet sich ein Strahlungsempfänger (Receiver), der die Wärme
aufein Arbeitsmedium (z.B. Dampf, Helium, flüssigesNatrium )überträgt. Es werden
Temperaturen zwischen 500 und 1200°C erreicht [ l . 151. Damit können Dampf- oder
Gasturbinen angetrieben werden, die Elektrizität auf konventionelle Art produzieren.
16 1 Energiewirtschaft und Klimawandel
Solarthermische Kraftwerke eignen sich vor allem für Gebiete mit großer Sonnen-
scheindauer und klarem Himmel, da sie die diffuse Strahlung nicht nutzen können.
Verschiedene Pilotanlagen sind weltweit in Betrieb [1.9], [1,21]. Zwei 50 MW
Kraftwerke sind in Spanien im Bau und etwa 300 MW geplant. Wirkungsgrade von
Ca. 15% sind errechnet worden. Die Energiekosten liegen für Anlagen von 100 MW
bei 20 ctIkWh [I .21].
Pltotovoltaik
Die Photovoltaik ermöglicht die direkte Konversion von Solarstrahlung in Elektrizität
mittels Solarzellen. Mit kristallinen Siliziumzellen werden heute kommerzielle
Wirkungsgrade bis 15% erreicht. Es wird erhofft, diesen Wirkungsgrad bis gegen
20% erhöhen zu können. Kristalline Zellen sind immer noch teuer und haben außer-
dem einen schlechten Energie-Erntefaktor, da zu ihrer Fabrikation viel Energie
aufgewendet werden muss. Ihre Technik ist recht fortgeschritten, und die betriebli-
chen Erfahrungen sind gut. Die Fabrikation muss allerdings billiger und der Erntefak-
tor besser werden.
Kommerzielle netzgekoppelte photovoltaische Anlagen von 500 kW Leistung mit
kristallinen Zellen können heute Elektrizität zu einem Preis von rund 60 ctIkWh
produzieren, was etwa einen Faktor 10 über dem heutigen Marktpreis bedeutet.
Demzufolge sind sie nur in einem direkt oder indirekt subventionierten Markt (Ein-
speisevergütungen) absetzbar. Dass ein solcher besteht (2006 erreichte die weltweit
installierte Solarzellen-Leistung etwa 6500 M W [ I . 1 SI), ist dem unbegrenzten
Potential der Photovoltaik und ihren, auf Grund des erwarteten technischen Fort-
schritts, gut beurteilten langfristigen Aussichten sowie dem Ökogedanken (Solar-
strombörse, Ökostrom) zu verdanken. Dieser Markt ist insofern von Bedeutung, als
er einen wichtigen Anreiz für den technologischen Fortschritt darstellt. Es ist an-
zunehmen, dass auch die Massenfabrikation in Zukunft zu einer erheblichen Verbil-
ligung fuhren wird. Für Näheres über Photovoltaik und photovoltaische Kraftwerke
s. Kap. 7.
Globale lnvestitionen
Regionale lnvestitionen
V
Kurzfristige Wirkungen
Mittel-und langfristige Wirkungen
durch Innovation
+ Energieeffizienz
CO,-lntensitat
1.XI Allgemeines
Vor der Betrachtung der energiewirtschaftlichen Lage Europas (Abschn. 1.4), der
Welt (Abschn. I .5) und deren Perspektiven (Abschn. 1.6 und 1.7) sei der Energiebe-
darf der Schweiz, als Beispiel eines stark industrialisierten Landes, analysiert. Dies
erlaubt uns, mit konkreten Zahlen die strukturellen Aspekte der Energienaclifrage zu
veranschaulichen und die Faktoren, welche deren Evolution bestimmen, darzulegen.
7kW 9 M I ~Einwohner
.
---------------
J Kopf
I f . . . . . " " . . *
1 1910 20 30 40 1950 60 70 80 90 2000 Jahr
Abb. 1.6. Entwicklung des Rruttovcrbrauchs der Schweiz seit 1910
(TJ = Tera-Joule = 1 Mrd. kJ) [1.6]
20 1 Energiewirtschaft und Kliinawandel
-
Wasser- erneuerbare
kraft Energie
---
P
chem. Energie
Fernwärme Licht
I<lern- Informationsenergie
birennstoffe
P
Elektrizitat
Erdgas mech.
Arbeit
Treibstoffe
Arbeit
Erdol
Wärme
Erdol- Warme
brennstoffe
feste
Brennstoffe
Die effektive Nutzenergie, die sich durch eine Schätzung der Wirkungsgrade der
Nutzprozesse ergibt, beträgt 2.1 kWiKopf, also rund 55% der eingesetzten End-
energie [I .20].
In Abb. 1.8 ist die Aufteilung der Endenergie nach Nutzenergieart und Ver-
brauchergruppen dargestellt [I .4], [1.20]. Der Haushaltsbere~chbeansprucht den
Löwenanteil (49%) des Warmebedarfs (hauptsächlich in Form von Komfort- und
Kochwärme). Der Rest verteilt sich etwa zu gleichen Teilen aufdie Industrie und die
Verbrauchergruppe Gewerbe + Landwwtschaft + Dlenstlelslungen (der Verkehrs-
anteil ist minimal) Die rnechanl~cheArbelt wird zum überwiegenden Teil (75% )
vom yrrvaten und ofenllrchen Verkehr beansprucht. Die entsprechenden Zahlen für
Deut~chlundfinden sich in [ 1.251.
Warme
, G+L+D
mech.
Arbeit
und
andere
Abb. 1.8. Verwendung der Endenergie in der Schweiz im Jahr 1998: H = Haushalt,
G+L,+D = Gewcrbc+ Landwirtschaft + Dienstleistungen, I = Industrie, C'= Verhehr
In Abb. 1.9 wird ein detailliertes Energieflussdiagramm der Schweiz für das Jahr
2006 gezeigt. Auf der linken Seite ist der gesamte Energieträgereinsatz dargestellt,
von links die einheimischen und von oben die importierten Energieträger (die
Schweiz besitzt praktisch keine einheimischen fossilen oder nuklearen Energieres-
sourcen). Erfasst sind auch die Änderungen der Lagerbestände. Energieumwandlung
findet in Raffinerien, Gas-, Fernheiz-, Fernheizkraft- und Kraftwerken statt. Der
Verbrauch des Energiesektors ist ebenfalls dargestellt. Die rechte Seite gibt über die
Energieträgerzusammensetzung der Endenergie und deren Aufteilung auf die vier
Verbrauchergruppen Auskunft.
Der Vergleich mit 1998 zeigt bezüglich Bruttoenergie eine Zunahme des Erdgases
(von 8,8% auf 9.7%) und eine geringfügige Abnahme des Erdöls (48% statt 49%).
Der Verbrauch an Bruttoenergie nahm um 6.7% und jener der Endenergie um 4.3%
zu. Die Zunahme letzterer verteilt sich folgendermaßen: Verkehr +3. I%, Haushalte
+1.7%, restliche Bereiche (vor allem Industrie und Dienstleistungen) +7.5%.
22 1 Energiewirtschaft und Klimawandel
1.3 Energiebedarf, allgemeine Grundlagen 23
Tabelle 1.3. Endenergieverbrauch pro Kopf in der Schweiz 1970 bis 2006, [I .2]
1 kWh = 3.6 MJ, 1 k W a = 8760 kWh = 31.54 GJ
BIP real (Mrd Fr ) zu Preisen von 1990 - PIB reel (en milliards de francs)
-
O Endenergie Sektoren Wärme Treibstoffe Elektnzltat Verluste Energiesektor
Kohle Erdöl
Kernenergie Hydroelekrizität
Wärme
Kohle
I ri
- Erdgas
Energiesektor
Für internationale Vergleiche ist es interessant, die Emissionen aufdas BIP (Bruttoin-
landprodukt) zu beziehen, bei Berücksichtigung der Kaufkraftparität. Nimmt man als
Bezugsgröße ein BIP von 10'000 $ von 2005 an, erhält man für die Schweiz eine Zahl
von 1.75 t C0,/10'000 $ (oder auch 175 g CO,/$). Diese Zahl charakterisiert besser
als die Emissionen pro Kopf die von einem Land erreichte Nachhaltigkeit der
Energieversorgung angesichts des Klimawandels. Für die weitere Analyse fuhren wir
folgende Beziehungen ein:
t CO, t CO, kW
Cl 1-a,capitaI = k [-I kWa . e I-[ capzta
a = CO, -Ausstoss pro Jahr und capita
k = CO, -Intensität der Bruttoenergie
e = Bruttoenergieverbrauchpro capita
und
kW 10'0OOS I. E [
e I-[ = b [ kWa I
capzta a, capita 10'000$
b = speziJ: Bruttoinlandprodukt (kaujkrafibereinigt)
E = Endenergieintensität der Wirtschaft
1.3 Energiebedarf, allgemeine Grundlagen 27
t CO, (1.3)
mit q [- ] = k .E = CO,- Indikator der Energiewirtschaft
10000$
als Produkt von Wohlstandsindikator h, Energieintensität E und CO,-Intensität k. Um
den spezifischen CO--Ausstoß pro Kopf zu reduzieren, muss der an und für sich
erwünschte Anstieg des Wohlstandsindikators b durch eine erhebliche Reduktion von
Energieintensitut r und CO,-lntensitut k kompensiert werden. Das Produkt dieser
beiden Größen sei als CO2- lndikalor oder Nachhalligkeitsindikator q definiert. Die
entsprechenden Zahlen sind für die Schweiz 2004 in Tabelle 1.4 zusammengefasst.
" -
Endenergie-Sektoren Wärme Treibstoffe Elektrizität Verluste Energiesekt.
Erdöl
Kernenergie Hydroelektrizität
0
..-, , .,- Energiesektor
Kohle Erdgas
Abb. 1.15. CO2-Emissionen für das Szenario der Abb. 1.14. Energiesektor = Produktion
von Elektrizität und Fernwärme + Verluste und Eigenbedarf des Energiesektors.
Bezieht man die Gesamt-Emissionen auf das angenommene BIP (KKP), folgen
Emissionen von 77 g CO2/$ 2005.
Tabelle 1.5. Charakteristische Indikatoren der Schweiz für 2004 und gemäß Szenario 2030,
BIP (KKP) in $2005
1.4 Energieverbrauch in Europa 29
Türkei TK
Portugal P
EU (25-1 5)
Griechenland EL
Spanien ES
Italien I
EU 25
Vereinigtes Königreich UK
Frankreich F
EU 15
Irland IR
Deutschland D
Dänemark DK
Schweiz CH
Osterreich A
Niederlande NL
Belgien B
Schweden S
Notwegen N
Finnland SF
Island IS
Luxemburg L
Abb. 1.16. Endenergie pro Kopf 2004 in Europa (Eurostat); EU-15: Deutschland,
Frankreich, Vereinigtes Königreich, Italien, Belgien, Niederlande, Luxemburg,
Österreich, Irland, Spanien, Portugal, Griechenland, Schweden, Dänemark, Finnland.
EU (25-15): umfasst die 10 EU-Länder: Polen, Ungarn, Tschechische Republik,
Slowakei, Slowenien, Litauen, Lettland, Estland, Zypern, Malta
Italien I
Danemark DK
Osterreich A
Vereinigtes Königreich UK
Griechenland EL
Portugal P
EU 15
Deutschland D
Nonvegen N
Turkei TK
Frankreich F
Niederlanden NL
Luxemburg L
Belgien B
Schweden S
EU (25-15)
Finnland SF
lsland IS .
0 5 10 15 20
Abb. 1.17. Intensität der Endenergie der Länder Europas: BIP entsprechend der
Kaufkraftparität (KKP, Quelle: Eurostat); 5 MJIEuro = I .j8 kWd10'000 Euro zu
vergleichen mit E in kWd10'000 $ (2005) der Tabelle 1.6 (Kurs; Eure/$)
CO2-Emissionen in gl$ BIP ,2004
(Dollar 2005,kaufkraftbereinigt)
Schwel2 I
Schweden . 1
Norwegen = 3
Island 1 3
Frankreich ZZX T
osterreich I I
Italien = =IIIxl
Irland E I
Vereinigtes Königreich
EU-15 Z
Spanien =
Portugal =
Dänemark = I
Niederlanden _I
Deutschland Z T
Belgien = _7
Luxemburg = 1
Finnland = 1
Griechenland I
0 100 200 300 400 500
91s
Abb. 1.18. CO,-Indikator in Gramm pro $ BIP (kaufkrafibereinigt)
1.4 Energieverbrauch in Europa 31
EU-15 2004,100% = E n d e n e r g i e
(Endenergie*Verluste Energiesektor)
7
-
-.
I
m
EndenergieSektoren Warme L ~ a l Veifuite Energiese
Abb. 1.19. Endenergie und Verluste des Energiesektors in der EU-15, 2004
EU-15, C02-Emissionen, Ua,capita
Total 9.4 t/a,captta
Warme tnergiesektor
Kohl, ,
„„, & Erdgas
Abb. 1.20. CO,- Emissionen der EU-15 im Jahr 2004 und ihre Verteilung
32 1 Energiewirtschaft und Klimawandel
Wasserkraft AI ~tlert:
und andere Ande7e Wasserkraft
Erdgas
Wasser
kraft
Erdgas
trdoi
Erdol
Kohle krdol
Kohle
Abb. 1.21. Vergleich des Primärenergieverbrauchs einiger Länder und der Wclt.
„Andere" = Holz und nichtkommerzielle Energieträger [ I .6]
1.5 Weltweiter Energieverbrauch 33
Die Abb. 1.22, 1.23 und 1.24 zeigen die Verteilung des weltweiten Bruttoenergiebe-
darfs (Bruttoinlandverbrauch) und der zwei wichtigsten Beeinflussungsfaktoren:
Bevölkerung und BIP (letzteres bei Berücksichtigung der Kaufkraftparität). Die Abb.
1.25, 1.26, 1.27 und 1.28 veranschaulichen für eine Anzahl Länder oder Länder-
gruppen, den Primärenergieverbrauch pro Kopf, das BIP pro Kopf, die Intensität der
Primärenergieverbrauchs und den CO,-Indikator der Wirtschaft.
Die betrachteten Weltzonen sind:
- EU- 15: Deutschland, Frankreich, Vereinigtes Königreich, Italien, Belgien, Nieder-
lande, Luxemburg, Österreich, Irland, Spanien, Portugal, Griechenland, Schweden,
Dänemark, Finnland.
- OECD-30: EU-1 5, Tschechische Republik, Slowakei, Polen, Ungarn, Schweiz,
Norwegen, Island, Türkei, USA, Canada, Mexiko, Australien, Neuseeland, Japan
und Südkorea.
- Transitions-Länder: Ex-Sowjetunion (ohne baltische Staaten) und Nicht-OECD-
Europa: Litauen, Lettland, Estland, Ex-Jugoslawien, Rumänien, Bulgarien, Alba-
nien, Zypern, Malta.
- China,
- Indien,
- Mittlerer Osten,
- Restliche Länder Asiens und Ozeaniens,
- Lateinamerika (ohne Mexiko),
- Afrika.
34 1 Energiewirtschaft und Klimawandel
Die Datenquellen sind in erster Linie die Berichte der IEA (Internationale Energie
Agentur) und die Eurostat-Tabellen [l .10], [l .I 11, [I. 121, [I .28].
Afrika (5.27%)
Lateinamerika (4.38%) - , -EU-15 (16.90%)
Miltlerer Osten (4.34%) -
Indien (5,1936) -
I
China (14,73%)-
Weltbevölkerung 2004
100 % = 6'350 Millionen
7/
b
Lateinamerika (8,97%)
Mittlerer Osten (2.87%) Ex-SU + Nicht OECD-Eumpa (5,35%)
Rest-Asien+Ozeanien* (15.24%)
'Aaien+Onanian:
ohne China. Indien und OCDE-Mi$I lndien (17,001) 1
Ex-SU= Ex-Sowjeiunion
Lateinamenka (5,96%) 7
Mittlerer Osten (2.45%)-
Rest-Asien+Ozeanien' (7.00%)
7
lndien (5,96%) -
China (13.81%)-
E
Indien
Afnka
Rest-Asien+Ozeanien
Lateinamenka
Nicht OECD-Länder
China
wen
Nicht OECD-Europa E?
Ex-Minlerer
Sowietunion
On C---';i
1
USA
0 62 8 1 04 4 2
kWIKopf
Abb. 1.25. Bruttoenergieverbrauch pro Kopf der Weltzonen und weiterer Länder, 2004
BIP (KKP) pro Kopf, 2004
Tausende v o n Dollar (2005) /Kopf
Afnka 3
Indien 1
Rest-Asien+Ozeanien 1
Nicht OECDLander "7
China 1
Ex-Swqetunion I
MittlererOsten 1
Lateinamenka I
-
Nlcht OECDEumpa 1
Welt
Russland III
OECDLänder ZZ
EU-15 1
Japan -1
USA 3
0 10 20 30 40 50
1000 $la,Kopf
Abb. 1.26. Bruttoinlandprodukt pro Kopf, 2004 (KKP = Kaufkraftparität)
Energie-Intensität, 2004
Bruttoenergie in kWa110000 $
Japan
Laieinamenka
Indien
Rest-Asien+Ozeanien 11
Wen L 2
USA
China -
= 1
1
-
Nicht OECDEumpa F.
NicM OECDLänder
Afnka Z Z
Mtiilerer osien
Ex-Souiatunion IlI
= rriZr7
Russland 1
0 1 2 3 4 5
k W a l l O 0 0 0 $ (2005)
Abb. 1.27. Intensität der Bruttoenergie, 2004 (1 kWa/104$= 2
36 1 Energiewirtschaft und Klimawandel
Lateinamerika I
Indien
Japan
Rest-Asien+Ozeanien
Afrika
EU-15
OECD-Länder
OECD-30 (ohne EU-15)
Welt
USA
Nicht OECD-Länder
Nicht OECD-Europa
China
Mittlerer Osten
Ex-Sowjetunion
Russland
JKernenergie L_ Hydroelektriritat
Abb. 1.29. Verteilung der Endenergie und Verluste des Energiesektors, OECD 2004
1.5 Weltweiter Energieverbrauch 37
3
I
2
- 0
Warme Trcnbstolle Energlesektor
Kohle Erd01 1 Erd!
Abb. 1.30. CO,-Emissionen der Gesamtheit der OECD-Länder, 2004
Die Struktur des Energieverbrauchs ist vergleichbar mit jener der EU- 15 (Abb. 1.19
und 1.20). Aber obwohl der Elektrizitätsanteil etwa gleich groß ist (20%), basiert er
auf Kohle und hat einen geringeren Anteil an erneuerbaren Energien; er fihrt somit
zu größeren Verlusten im Energiesektor und ist in erster Linie f i r die schlechte von
Abb. 1.30 veranschaulichte CO,-Bilanz verantwortlich.
USA
Da die USA etwa 40% der Primärenergie der OECD (und somit etwa 20% des
Weltenergiebedarfs) beanspruchen, ist ihr Verhalten in Zusammenhang mit den vom
Klimawandel gestellten Erfordernissen von erstrangiger Bedeutung. Die Abb. 1.3 1
zeigt die Struktur des Energieverbrauchs und die Abb. 1.32 die entsprechende CO,-
Bilanz. Die CO,-Emissionen pro Kopf sind um 78% höher als der OECD-Durch-
schnitt; Gründe sind: das um 44% höhere BIP (KKP), die um 15% höhere Energie-
intensität und die um 8% höhere CO,-Intensität der Endenergie (s. auch Tabelle 1.8).
Kernenergie Hydroelektrizitat
'0 I
'
2
0 --P --
Warme Energiesektor
Kohle - .. Erdgas
Zu diesem Resultat tragen der Verkehrssektor (mit 40% der Endenergie wichtiger
als der Wärmesektor) und die von der Kohle geprägte Elektrizitätsproduktion bei.
0,8 ----
- --
0,6
0.4
02
0
Warme Treibstoffe Energiesektor
China
Die Struktur der Energiewirtschaft und die damit verbundenen CO,-Emissionen
werden durch die Abb. 1.35 und 1.36 illustriert. Der Bruttoenergiebedarf Chinas
betrug bereits 2004 etwa 15% des Weltbedarfs, bzw. 30% jenes der Nicht-OECD-
Länder.
C h i n a 2004,100 % = E n d e n e r g i e
(Endenergie +Verluste Energiesektor)
I1
1 :
s 40
20
Kernenergie Hydroelekbizii
0.5
0 : Wanne
Kohle
--
Treibstoffe
Erddl Erdgas
EnergieseMor
Der Wärmebedarf beträgt auch hier 70% der Endenergie. Die Verluste des Ener-
giesektors sind extrem hoch und erreichen fast 60% des Endenergiebedarfs. Die
relativ hohen CO,-Emissionen sind dem starken Verbrauch von Kohle zuzuschreiben
(die der Erzeugung von 45% der Wärme und von nahezu 80% der Elektrizität dient).
Transitionsländer
Als Transitionsländer bezeichnet man alle Länder der Ex-Sowjetunion sowie alle
europäischen Länder, die nicht Mitglied der OECD sind. Russland ist das wichtigste
Land dieser Gruppe (42% der Bevölkerung, 55% des BIP und 60% des Energiever-
brauchs). Es ist auch einflussreich wegen seiner großen Energiereserven, vor allem
an Erdgas.
Obwohl die Energiestruktur sehr ähnlich jener der Nicht-OECD-Länder als Ganzes
oder Chinas ist, stellt man den fundamentalen Unterschied fest, dass Erdgas und nicht
Kohle der Hauptenergieträger ist. (Abb. 1.37 und 1.38). Trotzdem ist die Energie-
intensität dieser Ländergruppe extrem hoch (Tabelle 1.8), was nicht nur durch das
kalte Klima, sondern vor allem durch die Desorganisation und Ineffizienz eines
während vieler Jahren zentral gelenkten Systems und durch den viel zu niedrigen
Energiepreis zu erklären ist.
Transitionsländer2004
Endenergie (100%) + Energiesektor
lZO 1
lndurtne
Kohle
I
2
Warme I Treibstoffe
Haushalt. Dienstleishingen.usw.
Erdöl
lerkehr
Erdgas
1 Kernenergie
Hyiroelekinzilat
0.5
Tabelle 1.7. Verbrauch pro Kopf an Endenergie (e) und Rruttoenergie (C,) sowie totale
CO,-Emissionen für Ländergruppen und Länder ( I kW = 0.753 toela)
I USA 1 6,95
OECD-Länder 4,22
Welt 1,54
I Transitionsländer 1 2,68
I China I l,ol
holbedarf der Entwicklungsländer bezüglich BIP (KKP) und folglich auch der
Energiebedarf kann schwerlich nur durch die Abnahme der Energieintensität der
industrialisierten Welt kompensiert werden. Szenarien, welche einen spezifischen
Verbrauch von 2 kW1Kopf propagieren, sind bereits in den 80er-Jahren im Rahmen
der WEC (damals „Weltenergiekonferenz") angesichts der sich bereits damals
abzeichnenden CO,-Problematik gefordert worden [1.6]. Der Weltenergierat pro-
gnostizierte 1996 für 2020 demgegenüber einen Weltenergiebedarf von rund 3
kWlKopf [1.23], was bei der dann zu erwartenden Weltbevölkerung von etwa 7.5
Mrd. Menschen bereits zu diesem Zeitpunkt einem Primärenergiebedarf von 24 TW
entspräche.
Das WEO 2006 der IEA sieht für 2030 zwei Szenarien vor, die bereits im Ab-
schnitt 1.2.1.1 erwähnt wurden. Das Referenz-Szenario, das den gegenwärtigen
Tendenzen entspricht, fuhrt zu einem globalen Energiebedarf von 22 TW oder
2,7 kWIKopf. Das Alternativ-Szenario, welches den politischen Willen erfordert, die
CO,-Emissionen zu begrenzen, fuhrt zum Gesamtbedarf von nahezu 20 TW oder
2.5 kwlcapita (Abb. 1.3). Extrapoliert man dieses Szenario bis 2050 erhält man bei
einer Weltbevölkerung von 9 Milliarden Menschen einen spezifischen Verbrauch von
2.75 kwlcapita und einen Gesamtverbrauch von 25 TW. Diese Zahl ist allerdings
kaum verträglich mit dem Klimaschutz (nähere Analyse im Abschn. 1.7). Wir begin-
nen unsere Untersuchungmit Annahmen über die zwei wichtigsten Faktoren, die den
zukünftigen Weltenergiebedarf beeinflussen: Bevölkerung und BIP (KKP).
darf aufweisen. Demographische Studien sind sich größtenteils einig, dass die
Weltbevölkerung, gemäß Abb. 1.39, bis 2030 auf gut 8 Milliarden und bis 2050 auf
etwa 9 Milliarden Menschen anwachsen wird. Bis 2100 wird eine progressive
Stabilisierung auf etwa 10 - 11 Mrd. Menschen vorausgesagt [I .7]. Die Bevölkerung
der heutigen Industrieländer wird relativ wenig, vor allem durch Einwanderung, die
der Entwicklungsländer sehr stark zunehmen.
Abbildung 1.40 zeigt die gleiche Entwicklung mit einem anderen Zeitmaßstab. Zu
Beginn der Industrialisierung im Jahr 1850 erreichte die gesamte Weltbevölkerung
lediglich 1 Mrd. Menschen. Die Abbildung veranschaulicht die Einmaligkeit unseres
Zeitalters, das vermutlich als das Zeitalter der demographischen Explosion in die
Geschichte eingehen wird.
Milliarden
Menschen
11
-
0 1 : : : : ; : : : ; : : : : L
2000 2050 Jahr
1950
Abb. 1.39. Anstieg der Weltbevölkerung seit 1950 und Prognose,
IL = heutige Industrieländer, EL = Rest der Welt
Abb. 1.40. Zunahme der Weltbevölkerung seit dem Jahre Null unserer
Zeitrechnung und prognostizierte Weiterentwicklung
44 1 Energiewirtschaft und Klimawandel
I Haushalt.Dienstleistungenusw. Ve"-*.
B I Erdöl En
Biornasre, Abfalle
I sonstige erneuerbare Energie
U
Kernenergie Hydmalektrizität
Wärme
Abb. 1.42. CO,-Emissionen der ucCD 2030, gemäß Altenativ-Szenario der IEA
46 1 Energiewirtschaft und Klimawandel
Parallel dazu zeigen die Abb. 1.43 und 1.44die Energiestruktur und die CO,-Emissio-
nen des Rests der Welt (Nicht-OECD-Länder), die man ebenfalls mit jenen von 2004
,,
vergleichen kann (Abb. 1.33 und 1.34).
Nicht-OECD 2030, Alternativ-Szenario
!:I
100 % = Endenergie
- - - - - - --
'0° 1
8 80
f
J
8 20
O
Endensrple. Sektoren Warm0 Treibtoffe Elektrizitat Verluste Energiesektor
Kohle W Erdbl
D
Blomege. Abiälle sonstOe erneuerbare Energie L] Fernwarme
Kernenergie Hydroelektrlzttlt
Kohle , Erdgas
6'000 t
Tabelle 1.12 zeigt aber auch, dass die Steigerung der Effizienz nicht genügt, um die
Klimaschutzziele zu erreichen. Ebenso wichtig ist eine erhebliche Senkung der CO,-
Intensität, die etwa gleichermaßen die OECD-Länder und die Nicht-OECD Länder
betrifft [ I . 171.
Tabelle 1.12. Emissionen pro Kopf a als Produkt des Bruttoenergieverbrauchs pro Kopf e
und der CO2 -Intensität der Bruttoenergie k (1 kWa = 0.753 toe).
Weltweite notwendige Reduktion bis 2030 und 2050
EmissionenIKopf a EnergieverbrauchIKopf e CO,-Intensität k
2004 Welt 4.2 t CO,la,Kopf 2.27 kW/Kopf 1.84 t CO,/kWa
2030 Welt 3.4 t CO,la.Ko~f 2.40 kWlKoof 1.43 t COJkWa
2050 Welt 1 I
1.5 t ~ 0 , 1 a , ~ o ~ f 1
2.50 k ~ / ~ o0.60
~ tf C0,IkWa
jedoch technisch und politisch gut überlegt werden. Die Kernfusion kommt erst für die
zweite Hälfte des Jahrhunderts in Frage.
e) Nutzung aller Möglichkeiten zur Produktion von Elektrizität aus Wasserkraft;
Einschränkung: das Potenzial ist begrenzt.
f) Einsatz von Windenergie: die Technik ist reif und bei günstigen Windverhältnissen
wirtschaftlich. Das Potenzial ist sehr gross.
g) Einsatz von Geothermie und Biomasse. Einschränkungen: geothermische Kraftwer-
ke eignen sich nur für Standorte mit geothermischen Anomalien. Das Potenzial der
Biomasse ist begrenzt. Biomasse sollte deshalb in erster Linie, und soweit ihre
Nutzung ökologisch vertretbar ist, für den Treibstoff- und Wärmebereich reserviert
werden, mit Ausnahme der lokalen Wärmekraftkopplung.
h) Einsatz von Solarthermie und Photovoltaik. Solarthermische Kraftwerke eignen
sich nur für Länder mit niedrigem Anteil an diffusem Licht. Die Photovoltaik ist
vorerst noch durch den hohen Preis behindert, wegen des praktisch unbegrenzten
Potenzials muss jedoch ihre Weiterentwicklung zielstrebig gefordert werden, solange
notwendig auch durch Einspeisevergütungen.
Bemerkungen: Die weltweite Verdopplung des Elektrizitätsbedarfs bis 2030 wird sich
aus verschiedenen nachfolgend aufgeführten Gründen auch mit Steigerung der Effi-
zienz kaum vermeiden lassen. Es ist deshalb fahrlässig nur auf letztere zu setzen, so
unerlässlich diese Steigerung auch ist. Der Einsatz von Erdgas sowie von Kem-
kraftwerken der 3. Generation ist zwar notwendig, ermöglicht aber bestenfalls den
Erhalt ihrer prozentualen Anteile (2005: Erdgas 20%, Kernenergie 15%) jedoch kaum
den Ersatzder Kohle- und Erdölkraftwerke (Anteile40% bzw. 7%). Dasselbe gilt auch
für die Wasserkraft (Anteil 16%). Der Einsatz der restlichen erneuerbaren Energien
f) bis h) ist also unabdingbar und muss sehr stark gesteigert werden (Anteil 2005:
2%!). Die Elektrizität aus Windenergie hat sich weltweit von 2004 bis 2006 bereits
beinahe verdoppelt.
1.7.3.5 Transportbereich
Die Emissionen werden fast ausschliesslich durch den aus Erdöl gewonnenen Treibstoff
verursacht, der im Jahre 2004 weltweit für rund 22% der CO,-Emissionen verant-
wortlich war, mit steigender Tendenz (OECD 2996, Nicht-OECD 15%). Kurzfristig
kann durch die Verbesserung der Effizienz (und damit verbundene Reduktion des CO,-
Ausstosses pro gefahrener km), durch die Hybridtechnik (mit Elektromotor als Se-
kundärmotor) und durch teilweise Substitution von Benzin und Diesel mit Biotreib-
stoffen (wobei bei letzteren ökologische Bedenken sehr angebracht sind und einer
näheren Prüfung bedürfen) der Anstieg in Schranken gehalten werden.
Mittel- und langfristig ist jedoch der Klimaschutz nur durch einen Paradigmawech-
sel möglich. Die Zukunft gehört zwangsläufig der Hybridlösung mit Elektromotor als
Primärantrieb und einem Verbrennungsmotor als Sekundärmodul zur Verbesserung der
Autonomie (soweit als möglich mit Biotreibstoffen betrieben, sofern deren Erzeugung
eine gute C02-Bilanz aufweist und mit der weltweit notwendigen Nahrungsmittel-
produktion verträglich ist). Mindestens 75% der Fahrzeuge haben eine Tagesfahr-
leistung von weniger als 50 km. Die Batterie des Elektromotors kann somit nachts
nachgeladen werden, was zumindest einen weitgehend CO,-freien Stadtverkehr er-
möglicht. Eine ausreichende und möglichst CO,-freie Elektrizitätsproduktion sowie
leistungsfähige Batterien sind Voraussetzung für diese Umstellung, die deswegen,
wenigstens weltweit, nicht unmittelbar bevorsteht. Der Antrieb des Elektromotors mit
einer Brennstoffzelle könnte langfristig ebenfalls einen wichtigen Beitrag leisten; dazu
benötigt man aber aus CO,-freien Energien hergestellten Wasserstoff.
Der Wechsel zwingt sich auch aus rein wirtschaftlichen Überlegungen auf. Der
Treibstoff für einen sehr effizienten Mittelklasswagen mit einem Verbrauch von z.B.
6 1 Benzin pro 100 km (Emissionen ca. 140 g C0,Ikm) kostet heute bei einem Preis von
1.4 Euroll etwa 8.4 Euro1100 km. Der Energieinhalt von 6 1 Benzin ist 52.6 kWh und
ergibt bei einem durchschnittlichen Wirkungsgrad von 20% eine mechanische Antriebs-
leistung (Nutzenergie) von 10.5 kWhIlOO km. Der Preis der mechanischen Antriebs-
energie ist deshalb schon heute mindestens 80 ct1kWh und hat steigende Tendenz. Mit
dem Elektromotor lässt sich samt Batterie und Leistungselektronik ein durchschnitt-
licher Wirkungsgrad von mindestens 65% erreichen, was für dieselbe mechanische
Antriebsenergie von 10.5 kWh zu einem Elektrizitätsverbrauch von höchstens 16
kWhIl00 km fuhrt. Um mit dem Verbrennungsmotor betreffend Energiekosten gleich-
zuziehen, darf also die elektrische Energie ab Steckdose zur Aufladung der Batterie
52 1 Energiewirtschafi und Klimawandel
50 ct1kWh und mehr kosten Der analoge Vergleich mit Dieseltreibstoff fuhrt zu
mindestens 45 ctlkwh. Demzufolge ist schon heute der„Treibstoff' Elektrizität ab Netz
in den meisten Länder deutlich billiger als Benzin oder Diesel, und der Zeitpunkt ist
nicht mehr fern, dass selbst in Kleinanlagen photovoltaisch erzeugte Elektrizität
günstiger sein wird. Selbst wenn man einen Antriebsleistungszuschlag für das grössere
Gewicht des Elektroautos (Batterie) berücksichtigt, ist ein deutlicher Vorteil bei den
Energiekosten zu verzeichnen.
1.7.3.6 Wärmebereich
Die Wärmeanwendungen (ohne Elektrizität) verursachten 2004 weltweit 33% der CO,-
Emissionen. Dies gilt nahezu in gleichem Masse für die OECD-Länder (3 1%) und für
den Rest der Welt (35%).
Eine möglichst emissionsfi-eie Komfortwurme sollte bei entsprechender Förderung
keinen besonderen Schwierigkeiten begegnen. Dazu eignen sich: Solararchitektur und
gute Isolation (Minergie-Standard), Solarkollektoren, Biomasse (Holz), nicht zuletzt
Fernwärme (Wärmekraftkopplung) und (zur Nutzung von Umgebungswärme und
Geothermie) vor allem die Wärmepumpe. Für letztere gilt die Einschränkung, dass
möglichst CO,-freie Elektrizität dazu verwendet werden sollte (in der Schweiz und
Frankreich sind die Bedingungen dazu ideal), was der Bedeutung einer CO2-armenund
ausreichenden Elektrizitätsproduktion eine weitere Dimension hinzufügt. Mit einer
modernen Wärmepumpe werden 25-30% der Heizenergie von der Elektrizität geliefert.
Bei der Prozess~~arme sollte der Anteil an Brennstoffen zugunsten der (möglichst
CO,-freien) Elektrizität verringert und im industriellen Bereich auch durch effizientere
Verfahren und Einsatz von Biomasse vor allem in Form von Abfallen möglichst
emissionsfrei gemacht werden.
Bei der Verwendung von Biomasse sei nochmals betont, dass diese nur dann CO,-
neutral ist, wenn die Abholzung im Gleichgewicht mit dem Zuwachs steht (Erhaltung
der Wälder und insbesondere der Regenwälder).
2 Wirtschaftlichkeitsberechnungen
2.1 .I Kapitalwertmethode
Alle Aufwendungen (auch negative, z.B. Restwerte am Ende der Lebensdauer der
Anlage) werden auf einen gemeinsamen Zeitpunkt, meist den Inhetriebnahmezeit-
punkt der Anlage, bezogen. Ausgaben A„ die k Jahre nach dem Bezugszeitpunkt
anfallen, werden umgerechnet nach der Formel
q = Zinsfaktor,
5 mit ( im einfachsten Fall q = I + i , (2.1)
4 mit i = kalkulatorischer Zins .
Für Ausgaben, die vor der Inbetriebnahme, also während der Bauzeit anfallen, ist k
negativ. Der Zins entspricht i.d.R. dem Realzins (inflationsbereinigter Zins), der für
Eigen- oder Fremdkapital einzusetzen ist. Für Näheres s. z.B. [2. I].
Die Summe aller so umgerechneten Hauptinvestitionen während der Bauzeit plus
evtl. Zusatzinvestitionen während der Nutzungsdauer und Kosten während des
Abbaus (minus Restwert wiederverwendbarer oder veräußerbarer Anlageteile), s.
Abb. 2.1, ergibt den Buuwert der Investitionen B,,,,.:
Die Summe aller über die Nutzungsduuer der Anlage (auch kalkulatorische Lebens-
dauer oder Abschreibungsdauer oder Amortisationsdauer genannt) auf den Bezugs-
zeitpunkt umgerechneten Jahres-Betriebskosten ergibt den Bauwert der Betriehs-
kosten B„,, :
Bbetr =
2 Ak betr
k=l q
-nl 0 n n+p
gesetzt 4, 4
= - - -,
- U+i)
(l+e) (I + e )
Beispiel 2.1
Ein Kraftwerk erfordert eine Bauzeit von 5 Jahren bis Inbetriebnahme und einen
Gesamtaufwand von 68 Mio. C., die sich mit 6.8, 13.6, 27.2, 13.6, 6.8 Mio. € am
Ende der 5 Jahre verteilen.
a) Welcher ist der Bauwert der Investitionen, bei einem Realzins von 4%? Die
Abbaukosten (minus Restwert) seien vernachlässigbar.
b) Vorgesehen ist eine Nutzungsdauer von 30 Jahren, während welcher konstante
Betriebskosten von 3.4 Mio. €/a anfallen. Man bestimme den Kapitalwert der
Anlage.
C) Wie verändert sich der Kapitalwert, wenn z.B. auf Grund einer Brennstoffverteue-
rung die Betriebskosten um I %/a eskalieren?
2.1.2 Annuitätsmethode
Werden die auf den Bezugszeitpunkt umgerechneten Gesamtinvestitionen oder
Anlagekosten A (also A = B„„,)während der Nutzungsdauer linear abgeschrieben
und der Zinsaufwand gemittelt, ergeben sich konstante jährliche Kapitalkosten
ahp A [€Ja] . (2.8)
a„, wird als Annuitätsfaktor oder einfach als Annuitut in % der Anlagekosten
bezeichnet. Da die jährlichen Kosten konstant sind, folgt entsprechend der bereits in
GI. (2.4) verwendeten Summenformel und mit q = (I+ i)
i
[%Ja] .
1 (2.9)
1- -
(1 + i)"
Die Kapitalkosten-Annuität a„„, kann aus dem Zins mit Formel (2.9) berechnet
werden. Eine Schätzung (~nterschätzung!)ergibt sich grob nach der Formel lln +
112 . i (Amortisierung + mittlere Verzinsung ohne Zinseszinsen).
In ähnlicher Weise ergibt sich für die mittleren jahrlichen Betriebskosten
Bbeh [€Ja1 .
Werden diese mittleren Betriebskosten ebenfalls auf die Anlagekosten bezogen, d.h.
in Prozent der Anlagekosten ausgedrückt, so ergibt sich eine Betriebskosten-Annuität
a„,, . Bei Berücksichtigung der GI. (2.7) folgt
woraus
2.1 Investitionsrechnung, Diskontierungsverfahren 57
Beispiel 2.2
Für die Anlage von Beispiel 2.1 sollen die Kapitalkosten-Annuität, die Betriebs-
kosten-Annuität und die totale Annuität sowie die Jahreskosten berechnet werden,
ohne und mit Eskalation der Betriebskosten. Man zeige die Äquivalenz von Kapital-
wert und Annuitätsmethode auf.
Mit der Kapitalwertmethode folgen die Jahreskosten aus K = a„ (B,,„,+ B„,,). Für
die beiden Varianten ergibt sich
Brennstoffkosten
Die Brennstoffkosten können folgendermaßen ausgedrückt werden:
Pumpenergiekosten
Der Einkauf der Pumpenergie verursacht in Pumpspeicherwerken die Kosten
Kv kP
= - [Wo] ,
tlt 17, w~
worin k„ = Einkaufspreis der Pumpenergie in €/kWh
V, = Wirkungsgrad im Turbinierbetrieb
2.2 Kosten der Energie 59
worin U = Übertragungsspannung in kV
R = Widerstand der Leitung in Q
S, = Nennübertragungsleistung in kVA
h,,, = Jahresdauer der Nennverluste in hla
k, = Bewertung der übertragenen Energie in €/kWh.
Mit dem Faktor a„iß kann in den drei Fällen ein über- oder unterproportionales
Ansteigen der realen Brennstoffpreise, der einzukaufenden Pumpenergie, des Ener-
giewertes oder auch eine Änderung der im Laufe der Jahre produzierten Energie
berücksichtigt werden. Ist z.B bei der Berechnung der Brennstoffkosten
bk =bo (1 +eb)k und Wk = Wo (1 +ew)k,
folgt
Aus den Gln. (2.12) und (2.13) folgen fur die energieabhängigen Jahreskosten k,,:
für Brennstoff:
für Pumpenergie:
Abbildung 2.2 zeigt die Abhängigkeit der spezifischen Energiekosten k von der
Benutzungsdauer der installierten Leistung. Spitzenkraftwerke mit z.B. 500-1 000 h/u
Benutzungsdauer produzieren bei gleichen Investitionen wesentlich teurere Energie
als Grundlastkraftwerke mit einer Benutzungsdauer von 6000 und mehr hla.
spezif. Kosten
4 b)
C
GTK ÖKW
PSKW
HKW
,
Abb. 2.3. Typischcr Vcrlauf dcr spezifischen Jahreskosten a) hydraulisclicr und b) ther-
mischer Kraftwerke in Abhängigkeit der Benutzungsdauer: HKW Wasserkraftwerke, PSKCV
Pumpspeicherkraftwerke, GTKGasturbinenkraftwerke (Sir Spitzenbetrieb),~ ~ ~ Ö l k r a f t w e r k e
(oder Kohlekraftwerke), KKW Kernkraftwerke
worin
k mittlere Energiekosten an den Krafiwerkklemmen
W, an die Endverbraucher abgegebene Jahresenergie
% mittlerer Wirkungsgrad WJW der EÜV
A,,, a„ Anlagekosten und Annuität der EÜV einschließlich Netzfuhrung, Unterhalt
und allgemeine Betriebskosten.
Es ist Aufgabe des Betreibers der Übertragungs- und Verteilanlagen, Anlagekosten
und Wirkungsgrad des Energieübertragungs- und -verteilsystems zu optimieren unter
Berücksichtigung aller Betriebsaspekte
aUAU + K,,,, ---> Min.
s. dazu Band 1 , Abschn. 1 1.3, GI. (2.14), und Kap. 14.
Beispiel 2.3
Das Kraftwerk von Beispiel 2.1 habe eine Leistung von 100 MW und eine
Benutzungsdauer von 2000 hla. Die festen Betriebskosten betragen 1.59 Mio €/a.
Man berechne die spezifischen Jahreskosten sowie die Energiekosten des Kraftwerks
im Fall zeitlich konstanter Betriebskosten.
Die Annuität der festen Kosten ist
Die Abschn. 3.1 -3.4 befassen sich mit den klassischen Aspekten, betreffend die
Entwicklung des Verbrauchs und dessen Deckung mit hydraulischen (Kap. 4) und
thermischen Kraftwerken (Kap. 5), die heute den weit größten Teil der Elektrizität
liefern. Andere Methoden der Stromerzeugung werden in Teil 111 behandelt.
Die Elektrizitätswirtschaft befindet sich auf Grund der weltweiten Liberalisierung
in einer Umbruchphase. In den Abschn. 3.5-3.8 werden die sich mit der Einfihrung
des Wettbewerbs stellenden Fragen und deren mögliche Auswirkungen sowie die
Funktionsweise liberalisierter Elektrizitätsmärkte und das damit verbundene Risiko-
management im Detail besprochen.
Landeswrbrauchl
Consomrnation du pays
Centrales E accurnulaf~on
1950 1955 1960 1965 1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000 2005
Abb. 3.1: Entwicklung des Landesverbrauchs an elektrischer Energie in der Schweiz und
dessen Deckung seit 1950 [3.5]
64 3 Elektrizitätswirtschaft, Liberalisierung
zwischen 5000 und 9000 kWh. Die Gründe für die wesentlich höheren Werte der
skandinavischen Länder sind: das strenge Klima, der hohe Anteil der elektrischen
Energie am Energieverbrauch durch Elektroheizung (in Norwegen z.B. 47%, im
Vergleich zu 21% in der Schweiz) und die überdurchschnittlich vertretenen Indu-
striebranchen mit hoher Energieintensität. In der Schweiz sind diese Industrien eher
untervertreten, was z.B. im hohen lmportsaldo an grauer Energie zum Ausdruck
kommt (s. Abschn. 1.3.3).
Auch die Zunahmeraten seit 1980 weisen deutliche Unterschiede auf, von 91%
(Finnland) bis 34% (Schweiz), mit einem EU- 15-Durchschnitt von 60%. Die Zahl für
Deutschland ist niedrig, weil der Verbrauch für 1980 die neuen Bundesländer nicht
einschließt, und deshalb nicht direkt vergleichbar.
Tabelle 3.1. Stromverbrauch (Landesverbrauch) 2003 und Zunahme des Verbrauchs pro
Kopf cinigcr Ländcr Europas [3.5], [3.1 I ]
I DienstleistungenI I Landwirtschaft,Gartenbau I
I
i Industrie. verarbeitendes Gewerbe I
Lsnderverbraurh
Consomnettondu pays
Lauf krzftvierkc
Crntrales au fil dc I'edo
Keriiktdwcikc
Centrales nutlealrei
'
80
a a g
- -
samstag
._ -- - -
,
,
- _,Sonntag Sonntag
60
Abb. 3.4. Verhältnis von Wochenend- und Mittwochverbrauch seit 1960 in der Schweiz
brauchs (im Sommer nur bis Ende der 80er-Jahre), begleitet während der 60er- und
7Oer-Jahre von einer progressiven Venvischung des Unterschieds zwischen Samstag
und Sonntag.
Für die rasche Anpassung der Leistung an die Last (Leistungsregelung der
Kraftwerke) sind die tageszeitlichen Schwankungen des Verbrauchs von Bedeutung.
Abbildung 3.5 zeigt für vier Werktage der Monate März, Juni, September und
Dezember 2006 den typischen Verlauf des Landesverbrauchs und der Belastung
durch Speicherpumpen in der Schweiz. Deutlich erkennbar ist die wesentlich höhere
Belastung im März und Dezember (Spitzenleistung Ca. 9600 MW). In diesen Mona-
ten ist mit einem Importsaldo zu rechnen, während im Sommer die Energiebilanz
immer Exportsaldi aufweist. Der Tagesgang der Ein- und Ausfuhrsaldi ist in Abb. 3.5
ebenfalls zu erkennen.
Ausfuhrüberschuss
Solde exponateur
Verbrauchder
Speichwpumpen
Consommationpour le
pornpage d'accumularion
Einfuhrubcrschurr
Solde imporiateur
Landesverbrauchohne
Verbrauchder
Speicherpurnpen
Consornrnationdu päy
sanr pornpage
Abb. 3.5. Typischer tageszeitlicher Verlauf (dritter Mittwoch des Monats) der
Gesamtbelastung des schweizerischen Netzes sowie Import-IExportsaldi [3.5]
3.2 Deckung des Elektrizitätsbedarfs 67
In Europa treten alle Varianten auf (Abb. 3.6), von der nahezu rein hydraulischen
Produktion Norwegens bis zur weitgehend thermischen Produktion in Deutschland
(4% Wasserkraft, 5% Windenergie). Der Anteil der Kernenergie ist aus Gründen der
unterschiedlichen politischen Akzeptanz sehr verschieden. Er betrug 2006: 78% in
Frankreich, 42% in der Schweiz, 28% in Deutschland, 0% in Italien und Österreich
und 32% im EU-1 5- Durchschnitt.
3.2.2 Kraftwerkeinsatz
Der Einsatz der Kraftwerke erfolgt in einem vertikal integrierten Energieversor-
gungsunternehmen (Abschn. 3.5) nach den klassischen Kriterien der wirtschaftlichen
Betriebsoptimierung (Band 1 , Abschn. 9.6.5). Mittelfristig, d.h. jahreszeitlich, geht
es darum, das örtlich und zeitlich veränderliche Wasserdargebot optimal einzusetzen
und auszugleichen und den Einsatz der thermischen Kraftwerke bzgl. Unterhalt und
Revision zu planen. Kurzfristig, d.h. tageszeitlich, stehen die Fragen der Regelung,
Sicherheit, Brennstoffkosten- und Verlustminimierung im Vordergrund.
Durch die Liberalisierung verschiebt sich die Optik etwas, doch die Grundverfah-
ren bleiben dieselben (zur Vertiefung s. die Absclin. 3.5, 3.7 und Kap. 14).
3.2.2.1 Jahreszeitlicher Einsatz der Kraftwerke
Die bisherigen Verhältnisse in der Schweiz werden in Abb. 3.3 für das Jahr 1997
veranschaulicht. Im Sommer kann durch die Laufkraftwerke etwa die Hälfte des
Landesbedarfs gedeckt werden (das Jahr 1997 lag bzgl. Wasserdargebot nicht weit
vom langjährigen Durchschnitt). Den Rest liefern die Kernkraftwerke, die das ganze
Jahr mit konstanter Leistung fahren, aber in den Sommermonaten alternierend
abgestellt werden, um Brennstoffwechsel und Revisionsarbeiten zu ermöglichen. Die
Speicherkraftwerke dienen dann außer zur Regelung auch als Reserve und dem
Export von Spitzenenergie.
Ganz anders die Situation im Winter. Trotz vollem Einsatz der thermischen
Kraftwerke ist auf Grund des zurückgehenden Laufwasserangebots die volle Produkti-
on aus den Speicherkraftwerken nötig, um den Landesbedarf zu decken.
Wird das energiepolitische Ziel einer irn Wintersemestermoglichst ausgeglichenen
Import-/Exportbilan¿ angestrebt, muss sich der Ausbau der Kraftwerkkapazität nach
den Bedarfs- und Wasserdargebotsprogiiosen für den Winter richten. Iin Rahmen der
europaweiten Liberalisierung könnten im Prinzip energiepolitische Forderungen bzgl.
Selbstversorgungsgrad wegfallen. Aber ökologische Erwägungen, vor allem die CO,-
Emissionen betreffend, raten für die kommenden Jahrzehnte zur Vorsicht.
Technisclze Aspekte
In Laujkraftwerken richtet sich die Leistung nach der verfügbaren Wassermenge, die
innerhalb eines Tages ziemlich konstant bleibt. Die Laufkraftwerke werden dem-
zufolge im unteren Teil des Leistungsdiagramms einen wichtigen Beitrag zur De-
ckung der Grundlast liefern. Eine rasche Regelung der Leistung durch Änderung des
Gefälles (Wasserspiegel), also Speicherung im Stundenbereich, und somit ein gewis-
ser Beitrag zur Mittellast ist möglich. Wasserturbinen eignen sich bestens dazu (s. für
die Schweiz Abb. 3.8). Speicherkruftwerke und PumpspeicherkraJtweerk sind dank
des Speichers, aber auch auf Grund der kurzen Anlaufzeiten und der raschen Regel-
Ki~nveii1ianclI-thcrmt'1ch~
iitid andere Kraftwerke
Ccntralri rhermques
&iiique< rl divrn
barkeit hervorragend zur Deckung der Spitzenlast geeignet. Sie kommen deshalb
zuoberst im Leistungsdiagramm zum Einsatz (Abb. 3.8).
Die verbleibende Lücke, wenn vorhanden, muss durch thermische Kraftwerke
gedeckt werden. Die Regelbarkeit thermischer Anlagen ist sehr unterschiedlich:
Gasturbinen und Dieselkruf~erkekönnen rasch an den Bedarfangepasst und deshalb
auch zur Deckung von Spitzenlast eingesetzt werden. Dampjkrafiwerke und ganz
besonders Kernkrafberke sind träge und werden zur Deckung der Grundlast verwen-
det. Kombikruftwerke (kombinierte Gas-Dampfkraftwerke) eignen sich in idealer
Weise zur Deckung der Mittellast (Näheres in Kap 5).
Wirtsclzaftliclz e Aspekte
Die Benutzungsdauer der installierten Leistung bestimmt in hohem Masse die Wirt-
schaftlichkeit des Kraftwerks. Je größer die Benutzungsdauer, umso weniger fallen
die festen und umso mehr die variablen Kosten ins Gewicht (Abschn. 2.2, Abb. 2.3).
Betrieblich sind die variablen Kosten maßgebend. Von unten nach oben (Abb. 3.7)
werden zuerst die verfugbaren Kraftwerke mit den kleinsten variablen Kosten (im
Wesentlichen Brennstoffkosten) eingesetzt, welche die jeweils erforderlichen tech-
nischen Kriterien (Regulierbarkeit) erfüllen, und erst dann, wenn nötig, die mit den
teueren variablen Kosten: In Deutschland z.B. von unten nach oben i.d.R.: Kernen-
ergie, Braunkohle, Steinkohle, Heizöl, Erdgas, Speicherwasser, Spitzenenergie-
importe, wobei die Reihenfolge, je nach Marktpreis des jeweiligen Energieträgers,
sich auch ändern kann.
3.2.3 Wasserspeicherung
Die große Bedeutung der Speicherkraftwerke zur Deckung der Spitzenlast wurde in
Abschn. 3.2.2 hervorgehoben. Dazu eignen sich Tages-, Wochen- und Jahresspeicher-
werke. Letztere haben gleichzeitig die Aufgabe, den erheblichen Unterschied im
Wasserdargebot alpiner Gewässer zwischen Sommer und Winter auszugleichen.
Erschwcrt wird diesc Aufgabc durch die große Variabilität des Wasserdargebots. Die
Indizes in Abb. 3.9 geben Auskunft (jeweils für das hydrologische Jahr, beginnend
am 1. Oktober) über die globale Erzeugungsmöglichkeit der schweizerischen Wasser-
kraftwerke, relativ zum langjährigen Mittel der letzten 40 Jahre [3.5]. Dazu ist zu
bemerken, dass die Variabilität noch größer ist, wenn monatliche und regionale Werte
betrachtet werden. Eine Tendenz zu feuchteren Jahren als Folge des klimatischen
Wandels ist deutlich zu erkennen. Das totale Speichervermögen der schweizerischen
Jahresspeicher betrug im Jahre 2004 rund 8700 GWh. Den Jahresverlauf des Spei-
cherinhalts zeigt Abb. 3.10 [3.5].
Die zeitlichen und örtlichen Schwankungen des Wasserdargebots, die Entfernung
zwischen Alpenkraftwerken und Verbrauchszentren und die Forderung nach optima-
lem Einsatz der Kraftwerke haben in der Schweiz schon ti-ühzeitig zum Bau eines
Verbundnetzes für den regionalen Ausgleich und den internationalen Energieaus-
tausch geführt.
3.2 Deckung des Blektrizitätsbedarfs 71
3.2.4 Energieaustausch
Der internationale Energieaustausch erfüllt drei Hauptfunktionen (Näheres über die
UCTE und die Aufgaben des übernationalen Übertragungsnetzes ist in Band 1,
Abschn. 1.3 und insbesondere Abschn. 1.3.3 zu finden):
- den Austausch von Energie zwecks Ausgleich des Wasserdargebots (in Zukunft
auch des Wind- und Solarenergiedargebots) und Optimierung des Kraftwerkein-
Satzes nach marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten. Der Energiemarkt war bis
Anfang der 90er-Jahre im Wesentlichen ein Produzenten-Markt mit Monopol-
charakter innerhalb des Produzentenbereichs, ist gegenwärtig aber dabei, im
Rahmen der europaweiten Liberalisierung, zu einem Konsumenten-Markt zu
werden. Über damit verbundene Probleme s. die Abschn. 3.5 bis 3.8.
72 3 Elektrizitätswirtschaft, Liberalisierung
3.3 Wasserkraftwerke
lnfolge von Reibungen in Zu- und Ableitungen wird das in der Turbine nutzbare
Gefalle auf das Nutzgefalle H (m) reduziert:
H = r), Hb, (3.2)
mit = Wirkungsgrad der hydraulischen Anlagen oder hydraulischer Wirkungsgrad
(ist ebenfalls von der Wassermenge abhängig).
Die am Eingang der Turbine effektiv verfügbare hydraulische Leistung P,, ist
P, = P Q g H . (3.3)
Die Energie des Wassers wird in der Turbine in mechanische Leistung umgewandelt,
die als Tuvbinenleistung P, an der Turbinenwelle verfügbar ist
mit 7, = Turbinenwirkungsgrad
Die mechanische Leistung wird schließlich im elektrischen Generator in eleklrische
Leistung umgewandelt. Die Krajherks-Nettoleistz~ngist
Beispiel 3.1
Ein Kraftwerk mit einer Nettoleistung von 100 M W und einem Bruttogefalle von 500
m hat die Wirkungsgrade q,, = 0.92, q, = 0,85 und q, = 0.96. p = 1000 kg/m3, g =
9.8 1 m/s2 ). Man bestimme:
a) die Turbinen- und die hydraulische Leistung,
b) das Nutzgefalle und die nutzbare Wassermenge,
C) den Durchmesser des kreisrunden Zuleitungsstollens, wenn die optimale Wasser-
geschwindigkeit 4 mls beträgt.
d) Wie wird allgemein die spezifische Energie W eines kg Wassers ausgedrückt und
wie groß ist die nutzbare spez. Energie am Eingang der Turbine?
Lösungen:
p = -P,
= lo0 = 122.6 M W ,
h
qr 0.85 0.96
Prinzipiell kann ein thermisches Kraftwerk einen ofenen oder einen geschlossenen
Kreislaujhks Antriebsmittels aufweisen. Die dazu gehörenden Grundschemen zeigen
die Abb. 3.12 und 3.13.
OfjPener Kreislauf (Abb. 3.12)
Beispiele dazu sind Dieselkraftwerke und die meisten Gasturbinenkraftwerke.
Arbeitsmittel sind die Verbrennungsprodukte. Beim Gasturbinenkraftwerk besteht die
Arbeitsmaschine aus Kompressor und Gasturbine. Beim Dieselkraftwerk sind Arbeits-
maschine und Brennkammer im Dieselmotor vereinigt.
Gescltlossener Kreislauf (Abb. 3.13)
Einen geschlossenen Kreislauf weisen alle Dampfkraftwerke auf (fossil, nuklear
solar). Wärmeträger (Kühlmittel) und Arbeitsmittel sind meist identisch; dann entfallt
der Wärmetauscher W,, Brennstoffkammer und Wärmetauscher W?bilden zusammen
den Kessel oder Reaktor. Eine Ausnahme bilden Kernkraftwerke mit Druckwasserre-
aktor, wo als Wärmeträger (Reaktor-Kühlmittel) Druckwasser verwendet wird,
während das Arbeitsmittel Dampf ist. Brennstoffkammer (Brennstoffstäbe) und
Wännetauscher W, bilden zusammen den Reaktor (s. Abschn. 5.6).
Brennstoff
Arbeitsmittel =
B Verbrennungsprodukte
Luft I
C
Abgase
Abb. 3.12. Thermisches Kraftwerk mit oSfeneni Kreislauf'(Prin/ipschaltbild)
B Brennstoffhammer, A Arbeitsmaschine, G Generator, P,, Bruttoleistung, P, Turbinen-
leistung, P KraStwcrkleistung
3.4 Thermische Kraftwerke 75
Verbrennungs-
produkte
I Kühlmittel
4 Arbeitsmittel
Brennstoff
W
G
'I
B W, ""2 T
Abgase AI
Ko
Leistungen
Die Wärmeleistung des Kraftwerks (Bruttoleistung) ist
H D - kW,hl ,
P, = - [ -kcal
- - - kg
860 kg h kcal
worin H = Heizwert (kcallkg) und D = Brennstoffdurchsatz (kglh). Beim thermo-
solaren Kraftwerk wird die von den Heliostaten (Abschn. 1.3.3) aufgenommene
Strahlungsleistung als Bruttoleistung definiert.
Für die Kraftwerk-Nettoleistung folgt allgemein (Abb. 3.14)
P = T)K T)rh T)[ T)e Pb . (3.8)
Die Wirkungsgrade berücksichtigen folgende Verluste (s. dazu auch Anhang I sowie
Abschn. 5.5):
qk: Verluste in Brennkammer und Kessel (Reaktor) bzw. in Spiegelfeld und Recei-
ver sowie im Kreislauf (Wärmetauscher, Leitungen, Kesselpumpe usw.),
q : Wirkungsgrad des idealisierten thermodynamischen Kreisprozesses,
q, : Verluste der Turbine („innererL'Wirkungsgrad, mechanische Verluste),
q, : elektrische Verluste (Generator, Transformator, Eigenbedarf).
Beispiel 3.2
Ein ölthermisches Dampfkraftwerk hat eine Nettoleistung von 300 MW und einen
Gesamtwirkungsgrad q = 35%.
a) Zu berechnen ist der Brennstoffdurchsatz und die pro Jahr benötigte Ölmenge
bei einer Benutzungsdauer der installierten Leistung von 5000 hla. Wie groß ist
die pro Jahr produzierte CO,-Menge? (3.4 kg CO, /kg Erdöl).
b) Wie groß sind die Verluste durch Verbrennung und Wärmeübertragung mit den
Annahmen q, = 0.96, q, = 0.8, qti,= 0.5. Wie groß ist die thermische Eingangs-
leistung der Turbine?
Lösung:
a) Der Heizwert des Erdöls ist 10'000 kcalkg (Abschn. 1.3 ).
Beispiel 3.3
Ein Kernkraftwerk mit einer Nettoleistungvon 300 M W hat den Gesamtwirkungsgrad
q = 30%. Der Kernbrennstoffsei angereichertes Uran mit 3% U„, (Natururan enthält
0.7% U235).Die abgebrannten Brennstäbe enthalten noch 0.6% Uzlr
a) Zu berechnen ist derjährliche Brennstoffverbrauch für eine Benutzungsdauer der
installierten Leistungvon 7000 hla und die Brennstoffladungdes Kraftwerks, mit
der Annahme, dass jedes Jahr ein Drittel der Brennstoffstäbe ersetzt wird.
3.4 Thermische Kraftwerke 77
b) Welches Volumen an abgebrannten Brennstäben fallt jedes Jahr an? Wie groß
ist der Gewichtsanteil an gespaltenem U,;,? (spez. Gewicht des Urans 18.7tim3).
Lösung:
a) Der „HeizwertL'oder Abbrand des Uranbrennstoffs ergibt sich aus der Wärme-
menge, die durch die Spaltung von U„, entsteht. Diese ist 20 Tcal ikg (Tabelle
1.1). Effektiv gespalten werden 3% abzüglich 0.6% = 2.4% des angereicherten
Brennstoffes. Der effektive Abbrand des Kernbrennstoffes ist (in erster Nä-
herung, s. auch Anhang 11.5)
Diese bestehen größtenteils aus U,;, und etwas Plutonium (s. Abschn. 5.6.1). Der
Anteil der hochradioaktiven Spaltprodukte ist
78 3 Elektrizitätswirtschafi, 1,iberalisierun.g
3.5.2.4 Übergangsprobleme
Der Ubergangvom monopolistischen zum wettbewerbsorientierten System erfordert
eine umfassende Restrukturierung und verlangt Zeit. Dabei ergeben sich verschiede-
80 3 Elektrizitätswirtschaft, Liberalisierung
ne Probleme, z.B. was die sog. nicht amortisierbaren oder „gestrandeten8' In-
vestitionen (stranded investments) und die Kostenwahrheit betrifft.
Nicht amortisierbare Investitionen
Die getätigten Investitionen im Kraftwerkbau folgten in der Vergangenheit einer
monopolistischen Sichtweise und waren zudem von politischen Vorgaben, z.B. bzgl.
Selbstversorgungsgrad, geprägt. Ein internationaler Austausch fand zwar statt, doch
war er kaum geeignet, eine Marktintegration zu vollziehen, hatte also mehrtechnische
als marktwirtschaftliche Bedeutung (s. Abschn. 3.2.4 sowie Band 1, Abschn.l.3).
Demzufolge wurden bei lnvestitionsentscheiden oft mittlere Produktionskosten in
Kauf genommen, die unter internationalen Wettbewerbsbedingungen zu hoch sind.
Eine rasche Liberalisierung kann somit zu nichtamor~isierbarenfesten Kosten fuhren.
3.5.3 Reorganisationsmodelle
Je nach Grad der Marktöffnung unterscheidet man folgende Modelle (Idealtypen):
Alleinabnehmer (single buyer)
Wettbewerb auf der Großhandelsstufe (wholesale competition)
Wettbewerb auf Detailhandelsstufe (retail competition).
4 Produktion
Übertragung
Verteilung
Verkauf
Kunden
Abb. 3.15. Alleinabnehmer-Modell (single buyer) 13.221
Übertragung
Verteilung
Verkauf
Produktion
Übertragung
Verteilung
Verkauf
Kunden
Abb. 3.17. Ausgehandelter Netzzugang
84 3 Elektrizitätswirtschaft, Liberalisierung
D Produktion
Übertragung
Verteilung
Verkauf
Kunden
wird dadurch die produktive Ineffizienz der Verteilmonopole deutlich. Eine weitere
Form der Ineffizienz ist die Skalenineffizienz, die unter Marktbedingungen zu einer
Konzentration der (z. B. in der Schweiz) stark zerstückelten Verteilszene fuhren wird.
3.6 Strompreisgestaltung
In der freien Marktwirtschaft bilden sich die Preise von Handelgütern im Allge-
meinen durch das Zusammenspiel zwischen Angebot und Nachfrage. Damit tra-
gen Produktionskosten und Wertschätzung des Käufers gleichermaßen zur Preis-
bildung bei. Mehrere Anbieter ähnlicher oder einander substituierbarer Produkte
setzen sich í einen transparenten Markt vorausgesetzt í gegenseitig einem starken
Konkurrenzdruck aus. Dieser bietet eine optimale Grundlage für die Ausschöp-
fung von Effizienzpotentialen und verhindert ungerechtfertigte Gewinne der Pro-
duzenten an ihren Produkten. Dies bringt nicht nur den einzelnen Kunden Vortei-
le, sondern führt auch gesamtwirtschaftlich zu einer optimalen Verteilung der
Ressourcen.
In Monopolmärkten sind die beschriebenen Mechanismen der Preisbildung be-
hindert. Die Preise orientieren sich bestenfalls an den Produktionskosten und kön-
nen kaum durch den Kunden beeinflusst werden.
Bei der Elektrizitätsübertragung und -verteilung handelt es sich um ein natürli-
ches Monopol, welches schon aufgrund der hohen wirtschaftlichen Bedeutung
(Versorgungsaufgabe) in hohem Masse durch die öffentliche Hand í entweder
durch Mehrheitsbeteiligungen oder durch starke regulatorische Eingriffe í kon-
trolliert wird. Im Zuge der Liberalisierung des Elektrizitätsmarktes wird nun die
Elektrizitätswirtschaft in natürliche und gewachsene Monopole aufgespaltet (s.
auch Abschn. 3.5).
Während weltweit in den Bereichen Produktion und Handel Konkurrenz durch
regulatorische Maßnahmen eingeführt wird, kann das Monopol für Übertragung
und Verteilung von Elektrizität nur schwer gebrochen werden. Die Preisbildung
sollte sich dort an den Kosten orientieren und möglichst verursachergerecht aus-
gestaltet sein. Im Folgenden werden allgemein übliche Verfahren zur Verteilung
der Netzkosten vorgestellt. Anschließend werden die Grundlagen zur Berechnung
von Tarifen behandelt. Die Strompreisgestaltung im Bereich Produktion unterliegt
den üblichen Marktmechanismen, welche im Abschnitt 3.7 behandelt werden.
lelen Netzes oder auch nur von parallelen Leitungstrassen als unwirtschaftlich zu
bezeichnen ist. Folglich ist die kurzfristige Beeinflussbarkeit der Kosten gering.
Die Netzkosten des EW sind als Fixkosten anzusehen, da sie von der transportier-
ten Strommenge kurzfristig unabhängig sind. Würde sich der Stromkonsum im
Versorgungsgebiet rasch verringern, würden die Netzkosten in den nächsten Jah-
ren davon nicht tangiert werden.
Auf der anderen Seite sind erhebliche Kostensprünge bei der Erweiterung der
Kapazitäten zu erwarten. Damit ist dem Schlüssel für die Verteilung der Selbst-
kosten höchste Beachtung zu schenken. Die Aufgabe ist nun, den größten gemein-
samen Nenner der zum Teil gegensätzlichen Anforderungen an das Modell zu
finden. Da diese Optimierungsfrage subjektiver Natur ist, findet man heute in der
Praxis sehr unterschiedliche Verteilschlüssel.
Messung/ Verwaltungskosten
kundenabhängig Abrechnung
Zählerkosten
arbeitsabhängig Übertragungs-
verluste
Energiekosten
Allerdings bestimmen nicht die individuellen Höchstlasten der Kunden die Kos-
ten des EW, sondern die Spitzenlast im Netz. Es ist folglich verursachergerechter,
wenn man die Kosten nach dem Leistungsanteil der jeweiligen Kunden an dieser
Lastspitze im Netz des EW verteilt (Spitzenlastverfahren). Die gleichzeitige Auf-
nahme dieser Leistungswerte bei allen Kunden ist allerdings aufwendig. Zudem ist
es aufgrund der Lenkungswirkung als problematisch anzusehen, wenn man Kos-
tenverteilung von einer einzigen Stunde im Jahr abhängig macht. Will man bei der
Kostenaufteilung nicht eine Stunde, sondern den Lastverlauf mit einer Vielzahl
von Stunden berücksichtigen, ist das sog. Lastverlaufverfahren zu verwenden. Bei
diesem Verfahren werden die Kosten gemäss dem Verlauf der Last zwischen den
Kundengruppen aufgeteilt.
Lastverlaufverfahren
Die Anwendung der beschriebenen Verfahren soll nun an einem einfachen Bei-
spiel aufgezeigt werden (Abb. 3.20). Es sind Netzkosten von 1 € auf zwei Kunden
anhand ihres Lastverlaufes während zwei Stunden aufzuteilen. Während Kunde G
(gleichmäßig) eine mittlere Last in Stunde 1 von 0.5 kW und von 0.25 kW in
Stunde 2 aufweist, benötigt Kunde S (Spitze) nur während Stunde 2 Energie mit
einer mittleren Leistung von 0.75 kW.
1.2
1 Kunde S
Kunde G
0.8
kW
0.6
0.4
0.2
0
Stunde 1 Stunde 2
Kosten
Leistungs- Kosten
Periode (Stunde) /Lb u.
bereich (LB) /Lb
Periode
1 2
[kW] [€] [€]
A 0 - 0.5 0.5 X X 0.25
B 0.5 - 1 0.5 0 X 0.5
Kosten pro Periode [€] 0.25 0.75
Da die Leistung bis 0.5kW (LB A) in beiden Perioden benötigt wird, trägt jede
Periode die Hälfte der Kosten, nämlich 0.25 €. Demgegenüber sind die Kosten des
LB B ausschließlich Periode 2 zuzuordnen. Folglich trägt der Verbrauch in Perio-
de 1 0.25 € und derjenige in Periode 2 0.75 €. Nach diesem dritten Schritt der
Kostenverteilung erhält man den Betrag, welchen der Verbrauch in jeder Periode
zu tragen hat, durch Summation der jeweils relevanten Kosten pro Leistungsbe-
reich.
Im vierten und letzten Schritt werden nun die Periodenkosten den beiden Kun-
den zugeordnet. Dies sind für Kunde S ¾ der Kosten der Periode 2, nämlich 0,56
€. Kunde G hat die gesamten Kosten der Periode 1 sowie ¼ des Aufwandes von
Periode 2, folglich 0,44 €, zu tragen.
Dieses Verfahren basiert auf dem Lastgang der verschiedenen Kunden bzw.
Kundengruppen. Während bei Großkunden der Aufwand zur Messung des indivi-
duellen Lastganges in einem angemessenen Verhältnis zum Umsatz stehen kann,
sollte bei Kleinkunden aufgrund der Unverhältnismäßigkeit von Detailmessungen
auf die Literatur zurückgegriffen werden.
3.6 Strompreisgestaltung 91
Konventionelle Verfahren
Das Lastverlaufverfahren kann als die verursachergerechteste Methode der Um-
lagerung von Leistungskosten bezeichnet werden. Mit dieser „Messlatte“ sollen
die Ergebnisse für die übrigen, einfacheren Verfahren nun bewertet werden (Ta-
belle 3.3).
Kunden S ist demgegenüber dreimal höher. Folglich werden dem Kunden G ¼ der
Kosten angelastet, dies sind 0.25 € . Damit errechnet sich für Kunde S entweder 1
ein sehr tiefer Energiepreis von 0.33 €/kWh (Kunde S: 1 €/kWh) oder ein tiefer
Leistungspreis von 0.5 €/kW (Kunde S: 1 €/kW).
Durch das Spitzenlastverfahren werden dem Kunden S, der die Netzspitzenlast
maßgeblich bestimmt, verglichen mit allen anderen Verfahren, die höchsten Kos-
ten verrechnet. Probleme in der Anwendung wird dieses Verfahren bringen, wenn
der Netzlastverlauf relativ gleichmäßig ist. In diesem Fall können bereits geringe
zeitliche Verschiebungen der Nachfrage erhebliche Veränderungen bei der Kos-
tenverteilung ergeben, wenn sich z.B. die Lastspitze in eine Periode mit einer
anderen Kundenstruktur verschiebt.
G
Übertragungs- netz
TMS: 4
reg. Verteilnetz
<
<
<
VMS: 1
TNSl: 2 TNSr: 1
VNSl: 2 VNSr: 1
1
Mit „entweder oder“ sei darauf hingewiesen, dass die Abrechnung je nach vereinbarter Messgröße
entweder auf der bezogenen Energiemenge basiert, oder auf der bezogenen Leistung.
3.6 Strompreisgestaltung 93
Für die Verteilung der Kosten der oberen Spannungsebenen auf die unterlager-
ten Netzebenen bietet sich das Prinzip der Stufendivisionskalkulation an. In An-
lehnung an den „normalen“ Lastfluss im Netz vom Übertragungsnetz zum Nieder-
spannungsnetz müssen die Kunden in den unteren Spannungsebenen die Kosten
der oberen Netzebenen anteilig nach ihrem Verbrauch mittragen. Gemäß Beispiel
Abb. 3.22 sind nach diesem Prinzip die Kosten des Übertragungsnetzes und des
regionalen Verteilnetzes unter den drei Kunden im Verhältnis ihrer Energiedaten
aufzuteilen. Die Kunden im Mittelspannungsnetz (VMS) und im rechten Feinver-
teilnetz (VNSr) tragen jeweils 1/4 der Kosten, die Kunden im linken Niederspan-
nungsnetz (VNSl) die Hälfte der Kosten der oberen Spannungsebenen mit (Tabel-
le 3.4).
Dieses Prinzip erscheint verursachergerecht und hat sich im Allgemeinen
durchgesetzt. Probleme tauchen allerdings dann auf, wenn die Einspeisungen der
unteren Spannungsebenen einen Einfluss auf den Lastfluss im gesamten Netz
haben.
In Abb. 3.23 ist dargestellt, wie sich der Lastfluss im Netz durch eine Einspei-
sung im linken Verteilnetz verändert. Die Transformierung aus dem Übertra-
gungsnetz nimmt um eine Energieeinheit ab. Vernachlässigt man bei der Kosten-
aufteilung die unteren Einspeisungen, so wird dies das Bruttoprinzip genannt. Die
Kostenverteilung bleibt gegenüber dem vorherigen Fall unverändert. Trägt man
jedoch den Einspeisungen in die unteren Spannungsebenen Rechnung, so ergibt
sich für die Kunden des linken Verteilnetzes eine Entlastung von den Netzkosten.
Dieses Prinzip wird allgemein als Nettoprinzip (Nettoverbrauch = Brutto-
verbrauch – Eigenproduktion) bezeichnet (Tabelle 3.5.).
G
Übertragungs- netz
TMS 3
reg. Verteilnetz
<
<
<
VMS 1
TNSl 1 TNSr 1
Abb. 3.23. Lastfluss zwischen den Netzen mit tiefer Produktion im Niederspannungsnetz
G
Übertragungs- netz
TMS 1
reg. Verteilnetz
<
>
<
VMS 1
TNSl -1 T NSr 1
Abb. 3.24. Lastfluss zwischen den Netzen mit hoher Produktion im Niederspannungsnetz
3.6 Strompreisgestaltung 95
3.6.2 Stromtarife
3.6.2.1 Anforderungen
Die Anforderungen an Stromtarife sind vielschichtig. Die Tarife sollen:
- die Kosten für die Versorgung des Kunden richtig wiederspiegeln Verursa-
chergerechtigkeit,
- als marktwirtschaftliches Steuerinstrument dienen Lenkungswirkung,
- mittel- bis langfristig eine gleichbleibende Struktur aufweisen, damit die Kun-
den gezielte Investitionen in laststeuernde Maßnahmen tätigen können Ver-
lässlichkeit,
- transparent, verständlich und nachvollziehbar sein Kundenfreundlichkeit,
- dem messtechnischen und anwendungsbedingten Aufwand sowie der Größe der
Kunden Rechnung tragen Anwendbarkeit.
Ein Stromtarif kann folglich bestenfalls ein Optimum aus verschiedenen oft
diametralen Anforderungen sein. Ein verursachergerechter Tarif benötigt eine
Fülle von Lastinformationen (z.B. Lastverlauf), welche mit einem entsprechend
hohen Messaufwand nach sich ziehen, was seine Anwendbarkeit einschränkt. Die
Lenkungswirkung eines Tarifes ist eine wichtige Komponente der wirtschaftlichen
Optimierung zwischen Beschaffung und Nachfrage. Die diesbezüglichen Signale
eines Tarifes müssen wohlüberlegt sein, da der Kunde wiederum seinen
Verbrauch an diesen Signalen orientiert. Er erwartet zu Recht langfristig stabile
Tarifstrukturen, also planbare und verlässliche Tarife. Eine für den Kunden trans-
parente Tarifstruktur fördert das Vertrauen der Kunden in seinen Versorger und
trägt zur langfristigen Kundenbindung bei. Der optimale Tarif ist dementspre-
chend gefunden, wenn das in Abb. 3.25 dargestellte Pentagon eine möglichst
grosse Fläche einnimmt.
96 3 Elektrizitätswirtschaft, Liberalisierung
Verursacher-
gerechtigkeit
Kunden-
freund-
lichkeit Verläss-
lichkeit
Anwend- Lenkungs-
barkeit wirkung
3.6.2.2 Tarifniveau
Für das Tarifniveau sind die Spannungsebene des Bezuges und die Kundengrö-
ße, also das Volumen entscheidend. Verglichen mit dem Privatkunden im Nieder-
spannungsnetz bezahlt der Großkunde im regionalen Verteilnetz nur knapp die
Hälfte für die gleiche Energiemenge (Abb. 3.26). Diese beachtliche Preisdifferenz
ist einerseits auf den hohen Aufwand für die Feinverteilung der Elektrizität, wel-
cher dem Mittelspannungskunden nicht angelastet wird, zurückzuführen.
G
Kostenstruktur einer Kilowattstunde Produktion
3-10 ct/kWh
Produktion
Übertragung > 20 kV
Verteilung < 20 kV
ENERGIEFLUSS
Grosskunde Kundenkosten
380/220 - 50 kV
Übertragung
2-3 ct/kWh
Haushaltskunde
3.6.2.3 Tarifstrukturen
Elektrizitätstarife enthalten zwei bis drei Tarifelemente:
- Grundpreis (€/Jahr): Der Grundpreis deckt die kundenabhängigen Kosten ab.
Dies sind im Wesentlichen die Kosten für Messung und Abrechnung bzw.
Rechnungsstellung. Der Grundpreis wird jährlich oder halbjährlich verrechnet.
Bei Großkunden werden auch monatliche Rechnungen mit einem entsprechen-
den Monatsgrundpreis erstellt. Der Grundpreis ist normalerweise für alle Kun-
den einer Kundengruppe gleich groß, allerdings kommen auch Grundpreis-
strukturen zur Anwendung, welche nach Energievolumen gestaffelt sind.
- Energiepreis (€/kWh): Für die Tarifierung mit Energiepreis ist ein Energie-
verbrauchszähler notwendig. Aufwendigere Zähler, z.B. Doppeltarifzähler, las-
sen die Erfassung von verschiedenen Mengen zu, was die Anwendung von
zwei oder mehreren Energiepreisen ermöglicht. Die Energieversorger bieten im
allgemeinen Tarife mit verschiedenen Preisen für Tag- und Nachtenergie bzw.
Wochenendenergie an. Aufgrund des allgemein höheren Verbrauchs im Win-
terhalbjahr, ist darüber hinaus eine Differenzierung zwischen Sommer- und
Winterpreis angezeigt. Damit enthält das Tarifblatt unter Umständen Tarif-
gruppen mehrerer Energiepreise, die sich jeweils auf definierte Perioden bezie-
hen.
- Leistungspreis (€/kW): Wie bereits erläutert, sollte dem Leistungsbedarf eine
große Rolle bei der Verteilung der Netzkosten zukommen, da die Netzhöchst-
last die Netzkosten maßgeblich bestimmt. Dementsprechend wäre generell aus
energiewirtschaftlicher Sicht ein Tarifelement wünschenswert, das auf dem
Leistungsbedarf der einzelnen Kunden basiert. Die Fakturierung nach Leis-
tungsbezug setzt jedoch eine aufwendige Messeinrichtung voraus, so dass ein
Leistungspreistarif nur bei größeren Kunden sinnvoll ist.
Tarife für Normalkunden weisen heute die beiden Tarifelemente Grundpreis und
Energiepreis auf. Beim Energiepreis werden generell zwei Zeitzonen unterschie-
den, nämlich Hochtarif und Niedertarif. Größere Gewerbebetriebe und Industrie-
betriebe erhalten zusätzlich das Tarifelement Leistungspreis, der monatlich oder
halbjährlich erhoben wird. Dieser Tarif wird aufgrund seiner drei Elemente Drei-
gliedtarif genannt. Mit Sondertarifen für abschaltbare Lieferungen ist es möglich
die Lastspitze zu brechen. Die Kunden, welche diese Tarifoption annehmen, ver-
pflichten sich, den Verbrauch nach Maßgabe des Versorgers in Engpassperioden
zu reduzieren, bzw. werden durch das EW vom Netz getrennt. Sie profitieren
allerdings im Allgemeinen von wesentlich günstigeren Energie- bzw. Leistungs-
preisen.
98 3 Elektrizitätswirtschaft, Liberalisierung
100% 100%
80% 80%
60% 60%
40% 40%
20% 20%
0% 0%
0 5 10 15 20 0 5 10 15 20
Tageszeit Tageszeit
Industrie
100%
Winter-Werktag
80%
Sommer-Werktag
60% Winter-Wochenende
40% Sommer-Wochenende
20%
0%
0 5 10 15 20
Tageszeit
auf alle Kunden zu verteilen. Die Kosten des Feinverteilnetzes werden ausschließ-
lich dem Niederspannungskunden angelastet.
45 Winter Sommer Winter Sommer
Werktag Wochenende
40
35
30 Mittelspannung
25
MW
20
15
10
5
Niederspannung
0
Tageslastgang
Total 22
Die Tabelle Abb. 3.22 zeigt die Bandbreite bei der Aufteilung der Fixkosten,
welche sich durch die Anwendung der unterschiedlichen Verfahren ergibt. Für die
Niederspannungskunden bildet das Kriterium Energiemenge die günstigste Vari-
ante, während der Mittelspannungskunde mit der Aufteilung nach Spitzenlastan-
teilen am günstigsten fährt.
Das Ergebnis weist darauf hin, dass der Leistungsbedarf des Mittelspannungs-
kunden gerade während der Netzhöchstlast unterproportional und sein Lastgang
im Vergleich zur Summenlast der Niederspannungskunden gleichmäßiger ist.
Insgesamt erscheint der Einfluss der Verteilmethode relativ gering. Die Bandbreite
der Resultate steigt allerdings mit der Verschiedenartigkeit der Lastprofile der
3.6 Strompreisgestaltung 101
Kunden an. Folglich kommt der Wahl des Verfahrens dann eine hohe Rolle zu,
wenn für vertraglich definierte Lastprofile (Energiebänder, Mittagsspitzen) Netz-
benutzungsgebühren berechnet werden müssen.
Tabelle 3.8. Verteilung der Kosten zwischen den Kunden im (MS) Mittel- und Nieder-
spannungsnetz (NS)
Wendet man das Lastverlaufverfahren an und berücksichtigt man, dass die Nie-
derspannungskunden die gesamten Kosten des Feinverteilnetzes tragen, ergibt sich
die in Tabelle 3.9 dargestellte Verteilung der Fixkosten.
Die Mittelspannungskunden werden insgesamt mit 3.1 Mio. € belastet. Für die
Niederspannungskunden ergibt sich ein Gesamtbetrag in Höhe von 17.9 Mio. €.
Legt man diese Kosten auf die Höchstlast der Kunden um, ergeben sich 322 €/kW
(MS) bzw. 542 €/kW (NS). Bezogen auf die Energiemenge sind dies 6.1 ct/kWh
(MS) bzw. 13.3 ct/kWh (NS). Die bezogenen Werte machen deutlich, dass ein
Niederspannungskunde im Vergleich zu einem Mittelspannungskunden in etwa
mit den doppelten Fixkosten für Netznutzung und Beschaffung rechnen muss.
Tabelle 3.9. Verteilung der Gesamtkosten auf die Kunden im Mittel- und Nie-
derspannungsnetz nach dem Lastverlaufverfahren
102 3 Elektrizitätswirtschaft, Liberalisierung
Die Aufteilung der Selbstkosten nach der gewählten Methode bildet nun die Ba-
sis für die Tarifgestaltung. Die Tarife in Tabelle 3.10 enthalten die Beschaffungs-
kosten sowie die gesamten Netzkosten. Es lassen sich allerdings auch anhand der
detaillierten Grundlagen für jeden Kunden und für jede Netzebene differenzierte
Durchleitungstarife berechnen.
Für den Haushaltskunden und für das Gewerbe wurde ein Zweigliedtarif mit ei-
nem Grundpreis und einem Energiepreis berechnet. Bei den Industriekunden wur-
de aufgrund der höheren Last pro Anschluss eine Leistungsmessung vorgesehen,
wodurch die Anwendung eines Dreigliedtarifes mit einer zusätzlichen Leistungs-
komponente möglich ist.
Niederspannung MS
Haushalt Gew/Dl Industrie Industrie
Grundpreis [€/a] 100 100 300 1000
Leistungspreis [€/kW/a] 0 0 161 54
Energiepreis: Wi/HT [ct/kWh] 21.4 23.4 12.4 6.3
Energiepreis: Wi/NT [ct/kWh] 11.4 11.8 7.2 4.6
Energiepreis: So/HT [ct/kWh] 14.4 15.6 8.9 5.1
Energiepreis: So/NT [ct/kWh] 10.7 11.0 7.0 4.5
2
Bei der Verteilung der Fixkosten auf Energie- und Leistungspreis ist man aus energiewirtschaftlicher
Sicht relativ frei. Die wesentlichen Kriterien sollten die erwünschte Lenkungswirkung des Tarifes
sowie das subjektive Empfinden des Kunden sein.
3
Als Hochtarifzeit (Starklastzeit) wurde der Werktag zwischen 600 und 2200 Uhr definiert. Die Nieder-
tarifzeit (Schwachlastzeit) umfasst die Nachtstunden des Werktages sowie das gesamte Wochenende.
3.6 Strompreisgestaltung 103
Bei der Berechnung des Leistungspreises ist zu berücksichtigen, dass sich die
Kunden innerhalb einer Kundengruppe bereits verschachteln. Dadurch ist die
Höchstlast der Kundengruppe wesentlich geringer als die Summe der Höchstlasten
der einzelnen Kunden. Bei der Berechnung der Höhe des Leistungspreises der
Industriekunden wurde ein Verschachtelungsfaktor von 2 4 angenommen.
Die Resultate in Tabelle 3.10 machen den hohen Niveauunterschied zwischen
den Mittelspannungs- und Niederspannungstarifen deutlich. Die Leistungspreise
liegen um den Faktor 3 auseinander. Die Energiepreise unterscheiden sich im
Durchschnitt innerhalb der gleichen Kundengruppe nur um den Faktor 2, da so-
wohl bei den Niederspannungstarifen als auch bei den Mittelspannungstarifen die
variablen Beschaffungskosten einen gemeinsamen Sockel darstellen. Besonders
auffällig ist die starke Differenzierung der Energiepreise innerhalb einer Kunden-
gruppe. Für Haushaltskunden und Gewerbebetriebe ist der Energiepreis um die
Mittagszeit im Winter mehr als doppelt so hoch wie an einem Wochenende im
Sommer. Beim Leistungspreistarif erscheint die Differenzierung zwischen den
Tarifperioden geringer. Da die Höchstlast des Kunden im Allgemeinen in der
Hochtarifperiode des Winters auftritt, sind die Leistungskosten dieser Periode
anzulasten. Dadurch nimmt die Differenzierung zwischen den Tarifzeiten effektiv
zu.
4
Die Summe der Höchstlasten der einzelnen Kunden entspricht dem Doppelten der Höchstlast der
Kundengruppe.
104 3 Elektrizitätswirtschaft, Liberalisierung
Fast 100 Jahre war die elektrische Energieversorgung weltweit als vertikal inte-
griertes Monopol organisiert, oft auch in staatlicher Hand. Seit Beginn der 90er-
Jahre des 20. Jh. gibt es jedoch, ausgehend von den hoch industrialisierten
Staaten, einen weltweiten Trend, die vertikale Integration aufzubrechen, staat-
liches Eigentum zu privatisieren und wesentliche Teile der Elektrizitätswirtschaft
wettbewerblich zu organisieren. Dieser Abschnitt erläutert die Hintergründe
dieser Entwicklung und beschreibt die Konsequenzen, die sich daraus für die
Akteure in der Elektrizitätswirtschaft ergeben.
Grundlage allen Wirtschaftens ist das Streben nach Gewinn durch den Einsatz von
Leistung und die Wahrnehmung von Chancen bei gleichzeitigem Eingehen der
damit üblicherweise verbundenen Risiken. In praktisch allen Märkten, in denen
Menschen wirtschaftlich zusammenarbeiten, ergibt sich daraus eine Situation, wie
sie sehr allgemein in Abb. 3.29 dargestellt ist. Werden die Marktteilnehmer völlig
unreguliert sich selbst überlassen, haben sie den größtmöglichen betriebswirt-
schaftlichen Freiheitsgrad für die Optimierung ihres Geschäftes. Allerdings kann
es eine Vielzahl gesellschaftlicher Randbedingungen geben, welche es sinnvoll
erscheinen lassen, den theoretisch möglichen Freiraum einzugrenzen. Solche
Randbedingungen können z. B. der Schutz des Einzelnen vor der Übernahme zu
großer Risiken sein, der Schutz anderer Marktteilnehmer vor nicht den
gesellschaftlichen Normen entsprechenden Partnern oder aber auch - im Falle der
Elektrizitätswirtschaft von großer Bedeutung – die Sicherstellung einer
ausreichend zuverlässigen und umweltverträglichen Erbringung der gewünschten
Leistung. Diese Randbedingungen schränken den Spielraum des Einzelnen ein
und werden normalerweise in Form von Gesetzen festgelegt.
Systemgrenze bei
reiner Individual-
optimierung
zulässiger
Lösungsraum für
Marktteilnehmer
volkswirtschaftliche
Forderungen, die den
Optimierungsspielraum
einschränken
Die Elektrizitätswirtschaft hat im Lauf des 20. Jh. sowohl hinsichtlich der
technischen Möglichkeiten, die ihr für Erzeugung, Übertragung und Verteilung
zur Verfügung stehen, als auch in Bezug auf ihre Abnehmer eine enorme Ent-
wicklung durchlaufen. In der ersten Hälfte des Jahrhunderts handelte es sich noch
um eine Energieform, für die man im privaten Alltag nach Anwendungen suchte,
und die vor allem in der Industrie ihren Einzug hielt. Erzeugung, Übertragung und
Verteilung stellten höchste technische Anforderungen und bedeuteten damit auch
ein großes wirtschaftliches Wagnis. Demgegenüber ist die Situation zu Beginn
des 21. Jh. zumindest in den Industrieländern dadurch charakterisiert, dass
elektrische Energie in oft schon industriell gefertigten Standardanlagen in
praktisch jeder beliebigen Größe erzeugt und über eine allgegenwärtige
Infrastruktur verteilt werden kann. Anwendungsseitig hat sich die elektrische
Energie wegen ihrer Vielseitigkeit und des mit ihrer Nutzung verbundenen
Komforts in fast allen Energieanwendungen etabliert.
Zwangsläufig haben sich die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen der Elek-
trizitätswirtschaft im Lauf der Zeit ähnlich stark verändert wie diese Industrie
selbst. Die Gesellschaft hat damit zu jeder Zeit den jeweils aktuellen Besonder-
heiten dieser volkswirtschaftlichen Schlüsselbranche Rechnung getragen. Dabei
haben sich international vier Grundmodelle der Marktorganisation herausgebildet,
die in Tabelle 3.11 zusammengefasst sind. Sie gehen von folgender Grundan-
nahme jeglicher Liberalisierung von Märkten für leitungsgebundene Energie aus:
Auch bei der Versorgung mit elektrischer Energie sollte es, wie bei den meisten
anderen Waren, möglich sein, das Geschäft mit der eigentlichen Ware – hier also
der elektrischen Energie – von der Transportdienstleistung zu trennen und
unterschiedlich zu behandeln.
K K K K K K K K K K K K K K K K
1
Abkürzungen: ESP Energiedienstleister, Erz. Erzeugung, Hand. Großhandel, K Kunden,
ÜNB Übertragungsnetzbetreiber, VNB Verteilnetzbetreiber
3.7 Funktionsweise liberalisierter Elektrizitätsmärkte 107
im Sinne von Abb. 3.29 in für alle Marktteilnehmer gleichermaßen gültige Regeln
mit der gewünschten Lenkungswirkung übersetzt werden.
Die vollständige Öffnung des Energiemarktes für den Wettbewerb stellt der
Endkundenwettbewerb dar. Dabei handelt es sich um die konsequente Weiter-
führung des Großhandelswettbewerbs. Alle Kunden haben das Recht, ihren Ener-
gielieferanten zu wählen. Damit ist der Markt für elektrische Energie mit allen
anderen Warenmärkten gleichgestellt. Das mit einem solchen Ansatz verfolgte
volkswirtschaftliche Ziel ist der möglichst genaue Ausgleich zwischen Angebot
und Nachfrage auf Basis der Preisbereitschaft der Endverbraucher. Im vollständig
offenen Endkundenwettbewerb gibt es keine staatlich garantierten Schutzzonen
mehr zur Sicherstellung z. B. der Versorgungssicherheit über das von den Kunden
wirtschaftlich getragene Maß hinaus. Zumindest in den hoch industrialisierten
Ländern, wie den USA, Großbritannien, Skandinavien und den kontinentaleuro-
päischen Staaten wird dieses Modell als das zukünftig angemessene gesehen. Es
ist allerdings noch nicht erwiesen, dass die Kosten für die durch die Marktöffnung
auf Kleinstkundenniveau stark ansteigende Komplexität volkswirtschaftlich
tatsächlich durch die durch den Wettbewerbsdruck verursachte Effi-
zienzsteigerung in der Elektrizitätswirtschaft überkompensiert werden.
Analysiert man abschließend die vier Grundmodelle des Wettbewerbs, so ist
zunächst festzuhalten, dass die unilateralen Modelle für spezielle Produkte und
Leistungen in allen Märkten benötigt werden. Die Netze als natürliche Monopole
und die Bereitstellung von Regelenergie und Systemdienstleistungen sind die
wichtigsten Beispiele dafür. Darüber hinaus haben alle vier Modelle auch heute
noch ihre Berechtigung für das eigentliche Energiegeschäft. Einerseits gibt es
immer noch Volkswirtschaften, in denen sich Energieversorgung und Industrie im
Aufbau befinden. Dort gibt es gute Gründe für einen Monopol- oder mindestens
einen Alleinabnehmermarkt. Das andere Extrem markieren die Industriestaaten. In
ihnen gibt es einen bekannten, stabilen Markt für elektrische Energie, der relativ
zu den Erzeugungseinheiten sehr groß ist, und eine gut ausgebaute Infrastruktur
für den Transport der Energie. Damit stellt die Teilnahme am Energiemarkt ein
normales unternehmerisches Risiko dar und es gibt keinen Grund mehr für
staatlichen Schutz der Marktteilnehmer. Auch ist angesichts der in den meisten
Industriestaaten vorhandenen Überkapazität in der Erzeugung und der zumindest
technisch verhältnismäßig niedrigen Markteintrittsbarrieren nicht mit Angebots-
knappheit zu rechnen, so dass auch die Forderung nach einer ausreichenden
Versorgung nicht gegen die völlige Marktöffnung spricht.
Märkte haben wird, und weil er inzwischen einige Jahre existiert und wichtige
Erkenntnisse aus der Aufbauzeit bereits Eingang in die Praxis gefunden haben.
Alle Handelsprozesse im Energiemarkt laufen mehr oder weniger lange vor der
eigentlichen Lieferung ab. Handelsgegenstand sind Verträge, welche die Komple-
xität des technischen Systembetriebs im Interesse einer möglichst einfachen und
somit wettbewerbsfördernden Handhabung nur eingeschränkt widerspiegeln.
Damit aus diesen Verträgen eine physikalische Lieferung werden kann, benötigt
man weitere Dienstleistungen. Im Allgemeinen bündelt der Energiedienstleister
diese Leistungen mit der Energie und bietet den Endkunden einen
Komplettversorgungsvertrag an. Deshalb wird hier der Begriff Energiedienst-
leister gegenüber dem ebenfalls gebräuchlichen Lieferanten bevorzugt.
Um aus dem abstrakten Handelsergebnis des Energiemarktes einen physika-
lischen Systembetrieb zu machen und die erbrachten Leistungen später auch ab-
rechnen zu können, werden die Dienstleistungen Systembetrieb, Netzbetrieb,
Netznutzungsmanagement und Messwertbereitstellung benötigt. Der System-
betreiber ermittelt aus den Ergebnissen des Energiemarktes den Kraftwerkseinsatz
und ist verantwortlich für die zuverlässige Versorgung. Die Aufgaben der
Netzbetreiber sind die Planung, der Bau, die Instandhaltung und der Betrieb der
Übertragungs- und Verteilungsnetze. Im Netznutzungsmanagement wird ver-
waltet, welcher Verbraucher zu welcher Zeit mit welchen Marktteilnehmern
Verträge abgeschlossen hat. Dies umfasst vor allem die zuverlässige Abwicklung
von Lieferantenwechseln. Zuletzt stellen die Zählerdienstleister allen Marktteil-
nehmern die von ihnen benötigten Messwerte zur Verfügung.
Tabelle 3.11 fasst abschließend die Marktrollen zusammen und stellt sie den
jeweils benötigten wichtigsten Kompetenzen gegenüber. Es wird deutlich, dass
durch die Liberalisierung Aufgaben entstehen, die zum eigentlichen Thema der
elektrischen Energieversorgung keine direkte Verbindung haben. Dies bedeutet
eine erhebliche Erweiterung der Aufgabenvielfalt in der Elektrizitätswirtschaft.
Erzeugung Übertragung
Besitz der elek-
Kraftwerke Übertragungs- trischen Energie
netzbetreiber Geldfluss
Verkauf Verteilung
System- Energiefluss
betreiber Verteilnetz-
betreiber
Bilanzkreis techn. Prozess
Börse/ Netznutzungs-
Groß- management Dienstleistungsmarkt
Spot-
händler Energiemarkt
markt
Zähler-
Energie- dienstleister
dienstleister Kunde
Finanz- (ESP)
märkte
3.7.2.2 Netzzugangsmodelle
Ein Kernelement jedes wettbewerblich organisierten Marktes für leitungsgebun-
dene Energie ist die Regelung des Netzzugangs. Sowohl der Großhandelswett-
bewerb als auch der Endkundenwettbewerb setzen voraus, dass Lieferanten und
Verbraucher freien Zugang zum Übertragungs- und Verteilungsnetz haben. Da die
Netzdienstleistung i. Allg. als Monopol organisiert ist, ist dieser Zugang üblicher-
weise staatlich überwacht, um sicherzustellen, dass die Forderungen nach
x Transparenz: Die Prozesse und die erhobenen Netzzugangsgebühren müssen
für alle Marktteilnehmer nachvollziehbar sein.
x Offenheit: Das Netz muss für jeden zugelassenen Marktteilnehmer gleicher-
maßen zugänglich sein.
x Diskriminierungsfreiheit: Alle Marktteilnehmer, die Zugang zum Netz wün-
schen, müssen in gleicher Weise behandelt werden.
erfüllt sind. Darüber hinaus wird üblicherweise auch überwacht, ob die Netzzu-
gangsregeln wettbewerbsbehindernd sind. Ein in praktisch jedem Markt vorüber-
gehend diskutiertes Beispiel für ein solches Element ist eine Gebühr, die vom
Netzbetreiber beim Lieferantenwechsel erhoben wird. Eine solche Gebühr wäre
zwar verursachungsgerecht und ließe sich deshalb sogar mit der Forderung nach
Diskriminierungsfreiheit rechtfertigen, stellt aber ein erhebliches Wettbewerbs-
hindernis dar und hat sich deshalb bisher nicht durchgesetzt.
3.7 Funktionsweise liberalisierter Elektrizitätsmärkte 113
Für die vertragliche Regelung des Netzzugangs können zwei Verfahren unter-
schieden werden:
x geregelter Netzzugang (Third Party Access, TPA): Der Netzzugang erfolgt zu
einheitlich geregelten Konditionen, die normalerweise vom Staat oder einer
Regulierungsbehörde festgelegt oder zumindest genehmigt werden.
x verhandelter Netzzugang (Negotiated Third Party Access, NTPA): Der
Netzzugang wird zwischen den Geschäftspartnern individuell ausgehandelt.
NTPA ist in der Reinform nur in Großhandelsmärkten anwendbar, da der Auf-
wand und damit die Transaktionskosten in einem völlig geöffneten Markt viel zu
hoch wären. Allerdings hatte sich in Deutschland vorübergehend eine Zwischen-
form etabliert, die ebenfalls unter NTPA eingeordnet wird: Hier wurde der Netz-
zugang zwischen Verbänden ausgehandelt, welche die Marktteilnehmer reprä-
sentieren. Die dabei, in den sog. Verbändevereinbarungen, festgelegten Regeln
wirkten anschließend faktisch für alle Marktteilnehmer verbindlich.
Auch für die Berechnung des Netznutzungsentgelts haben sich weltweit zwei
grundsätzlich unterschiedliche Ansätze herausgebildet, die häufig sogar nachein-
ander in denselben Märkten angewandt wurden:
x Transaktionsbezogenes Entgelt: Das Netznutzungsentgelt wird in Kenntnis von
Einspeise- und Entnahmepunkt einer einzelnen Transaktion ermittelt. Ein
Beispiel für ein solches transaktionsbezogenes Entgelt findet man in der deut-
schen Verbändevereinbarung I [3.20], die vom Mai 1998 bis zum September
1999 in Kraft war. In ihr ist das Bestreben zu erkennen, den erwarteten
Durchleitungen durch das Netz möglichst verursachungsgerecht Kosten zuzu-
ordnen. Um dennoch eine alltagstaugliche Regelung zu erzielen, werden die in
Anspruch genommenen Spannungsebenen mittels sog. statistischer Grenzent-
fernungen unabhängig von der tatsächlichen Netzsituation ermittelt. Des
Weiteren wurde, um weiträumige Übertragungen adäquat abzubilden, eine
lineare Entfernungsabhängigkeit des Kostenterms für die Nutzung des Hoch-
und Höchstspannungsnetzes vorgesehen. Das Netznutzungsentgelt hat damit
für jede Transaktion prinzipiell die folgende Form:
K Netznutzung K NS ( P,W ) K MS ( P,W ) H (l l grenz , MS ) (3.9)
K 'HS ( P,W ) H (l l grenz , HS ) (l l grenz , HS )
K NS , K MS Kosten für Nieder - und Mittelspannung, K 'HS entfernungs -
bezogene Kosten für Hochspannung, l Luftlinienentfernung zwischen
Einspeisung und Entnahme, l grenz , xx Grenzentfernung, ab der Entgelt
xx angewandt wird, H Einheitssprungfunktion
geführt hat, nach einiger Zeit auf das nachfolgend beschriebene Verfahren des
Netzzugangsentgelts übergegangen. Beispiele für diese zeitliche Abfolge sind
der englische Gasmarkt und der deutsche Elektrizitätsmarkt.
x Netzzugangsentgelt: Beim Netzzugangsverfahren wird das Entgelt ausschließ-
lich aus den Daten eines Marktteilnehmers, also z. B. aus Anschlussleistung,
Anschlussspannung, gelieferter oder entnommener Arbeit und bestellter
Reservekapazität, ermittelt. Damit kann das Netznutzungsentgelt ohne
Kenntnis der von den Marktteilnehmern getätigten Geschäfte bestimmt und
abgerechnet werden. In Deutschland hat mit Inkrafttreten der Verbände-
vereinbarung II [3.21] dieses deutlich praktikablere Verfahren den transak-
tionsbezogenen Ansatz abgelöst. Prinzipiell berechnet sich das Netzzugangs-
entgelt in diesem Verfahren für alle Marktteilnehmer wie folgt:
K Netznutzung ¦ K Spannungsebene ( P,W ) (3.10)
alle genutzten
Spannungs -
ebenen
3.7.3 Dienstleistungsmarkt
3.7.3.1 Systembetreiber
Der Systembetreiber ist die zentrale Stelle im Elektrizitätsmarkt, an der das Ergeb-
nis des kommerziellen Handelsprozesses in einen funktionierenden, technischen
Systembetrieb überführt wird. In den meisten bisher eingeführten Elektrizi-
tätsmärkten gibt es nur einen, zentralen Systembetreiber, der u. U. mehrere Regel-
zonen führt. Diese Zentralität hat ihren Ursprung oft darin, dass vor der Liberali-
sierung bereits eine landesweite Übertragungsnetzgesellschaft existierte, der nach
der Liberalisierung diese neue Aufgabe zusätzlich übertragen wurde. Beispiele
dafür sind die skandinavischen Länder und Großbritannien. Grundsätzlich genügt
es allerdings, einen Systembetreiber pro Regelzone vorzusehen. Diesen Weg ist
man z. B. in Deutschland gegangen, wo es die in Abb. 3.32 dargestellten Regel-
zonen gibt. Zu Beginn der Liberalisierung in Jahr 1998 waren dies noch acht
Unternehmen und Zonen, deren Zahl sich seitdem durch Unternehmensfusionen
auf vier verringert hat.
Die Systembetreiber sind meist aus den Netzleitstellen und Lastverteilern ent-
standen und führen viele Aufgaben dieser Einrichtungen weiter. Trotzdem gibt es
grundlegende Unterschiede, die in Tabelle 3.13 zusammengefasst sind.
In der vorbetrieblichen Phase muss der Systembetreiber den Einsatz von Aus-
gleichsenergie – also der Energie, die im System gebraucht wird, die aber nicht
von den Marktteilnehmern kontraktiert worden ist – sowie die Blindleistungs-
einspeisung planen und Netzsicherheitsrechnungen durchführen. Dies setzt die
Abstimmung mit benachbarten Regelzonen voraus. Damit der Systembetreiber die
Planungsaufgabe bewältigen kann, müssen die Marktteilnehmer ihm ent-
sprechende Informationen zur Verfügung stellen (Abb. 3.33):
x Erzeuger müssen ihre Einspeisefahrpläne sowie Kraftwerksausfälle melden.
RWE
E.ON
EnBW
Vattenfall Europe
1 „Bilanzkreis“ ist der in Deutschland verwendete Begriff für die Einheit, innerhalb derer
ein Unternehmen, der Bilanzkreisverantwortliche, für den Ausgleich von Last und Er-
zeugung zuständig ist. In anderen Ländern werden ähnliche Begriffe, z. B. Bilanzver-
antwortliche, verwendet. Die Funktion dieser Einheiten ist in allen Fällen sehr ähnlich.
3.7 Funktionsweise liberalisierter Elektrizitätsmärkte 117
FP Systemgrenze Regelzone
FP ~ Regelkraftwerk
Mit den nun verfügbaren Informationen kann der Systembetreiber die Netz-
sicherheitsrechnung durchführen und den endgültigen Kraftwerkseinsatz fest-
legen. Dieser orientiert sich zunächst am Ergebnis des Handels, das in Form der
Wunschfahrpläne der Erzeuger vorliegt. Allerdings hat der Systembetreiber in
allen Märkten das Recht, Abweichungen anzuordnen, falls ein stabiler System-
betrieb mit den Vorgaben des Marktes nicht erreichbar ist. Die dadurch gegenüber
der ursprünglichen Situation wirtschaftlich benachteiligten Marktteilnehmer
erhalten in einem solchen Fall einen finanziellen Ausgleich.
In der nachbetrieblichen Phase ist der Systembetreiber dafür verantwortlich,
die tatsächlich in Anspruch genommene Ausgleichsenergie zu ermitteln und den
Bilanzkreisverantwortlichen in Rechnung zu stellen. Diese wiederum teilen diese
Rechnung auf ihre Kunden auf. Darüber hinaus stellt der Systembetreiber den
Kunden des Hoch- und Höchstspannungsnetzes die Messwerte an ihren Über-
gabestellen zur Verfügung. Zumindest in Deutschland ist der Systembetreiber
dagegen nicht generell für die Abrechnung der Übertragungsnetznutzung und der
Systemdienstleistungen zuständig. Diese wird im Rahmen der Netznutzungs-
abrechnung von denjenigen Netzbetreibern durchgeführt, an deren Netze die Ver-
braucher angeschlossen sind.
Systemgrenze Regelzone
M M ~ Regelkraftwerk
Fahrplan-Infrastruktur Abrechnung
externes Fahrplan- Fahrpläne, Preise Zahlungen
Informations- management
netz (z. B. Abrechnung und
Zahlungen Mess-
Internet) Veröffentlichung von Mahnwesen
werte
Marktinformation
Verwaltungssysteme
Fahrpläne Fahrplanbestätigung
oder Korrekturen Bilanzierungs- aktuelle Ergebnisse
Fahrplanwesen ergebnis der Leistungs-
Frequenzregelung
Ausgleichsenergie
x Überkapazität Leitsystem
abfangen Fahrpläne
x Unterkapazität Netzsicherheit
decken
Netzmodell,
Netzengpass- Lastaufteilung Lastaufteilung
management
Marktbilanz, Bestim-
mung der tatsächlichen
Ausgleichsenergie
Da die Aufgaben in Planung und Betrieb der Verteilungsnetze und der Mess-
infrastruktur sich nicht zwischen Monopol und liberalisierten Märkten unterschei-
den, wird an dieser Stelle nicht auf sie eingegangen.
Eine völlig neue Aufgabe ist dagegen die Registrierung der Marktteilnehmer
und der Vertragsbeziehungen. Hierbei handelt es sich um eine für das Funktio-
nieren eines jeden liberalisierten Elektrizitätsmarktes zentrale Aufgabe. Da der
Verteilnetzbetreiber auf Grund seiner Monopolsituation neben den Endverbrau-
chern der einzige Marktteilnehmer ist, der permanent eine Vertragsbeziehung zu
jedem Zählpunkt in seinem Netzgebiet hat, ist er auch der Einzige, der jederzeit
die Frage beantworten kann, wer zu einem Zählpunkt zu welcher Zeit welche
Vertragsbeziehung hat. Diese Information ist die Grundlage der korrekten
Bereitstellung von Verbrauchswerten, die wiederum unabdingbare Voraussetzung
für die Abrechnung aller im Markt erbrachten Leistungen ist. Abb. 3.36 zeigt den
durch die Liberalisierung notwendig werdenden, zusätzlichen Arbeitsprozess
beim Verteilnetzbetreiber.
Der Prozess beginnt mit der Ersterfassung oder Registrierung der Marktteil-
nehmer, die im Gebiet des Verteilnetzbetreibers aktiv sind. Dies sind die End-
verbraucher, evtl. in das Netz einspeisende Erzeuger, die Energiedienstleister, die
Kunden innerhalb des Netzes versorgen, und die von diesen in Anspruch genom-
menen Bilanzverantwortlichen. Ziel der Registrierung ist es, möglichst alle syste-
matischen Fragen, wie z. B. Art des Informationsaustauschs oder Art der Abrech-
nung, frühzeitig und vollständig zu klären, damit die spätere alltägliche Ge-
schäftsabwicklung möglichst automatisch und kostengünstig erfolgen kann.
Im zweiten Schritt, der Durchführung von Lieferantenwechseln, erfolgt die
Zuordnung von Energiedienstleister und Bilanzverantwortlichen zu den Endkun-
den. Der dafür zu durchlaufende Prozess, der von einem Energiedienstleister an-
gestoßen wird, der die Versorgung eines Kunden übernehmen möchte, ist in
Abb. 3.37 dargestellt. Wesentlich ist dabei, dass im Laufe dieses Prozesses ein-
Vorbereitung Rahmenverträge,
Registr. der Marktteilnehmer Netznutzungs- und
(manuell)
Vertragsmanagement -anschlussverträge
deutig und lückenlos geklärt werden muss, wer zu welchem Zeitpunkt die Ver-
tragspartner des Endkunden sind. Bleiben hier Unklarheiten bestehen, führt dies
spätestens bei der Abrechnung zu Einsprüchen und Zahlungsverzögerungen sowie
zur arbeitsintensiven Korrektur der inzwischen an die Marktteilnehmer verteilten
Verbrauchsdaten. All diese Vorgänge erhöhen die Kosten des Verteilnetzbetrei-
bers, sei es, weil mit der Klärung Aufwand verbunden ist, oder auch, weil eine
verzögerte Zahlung des Netznutzungsentgelts Zinsverluste bedeutet. Sie sind aus
seiner Sicht folglich zu vermeiden.
Der dritte wichtige Arbeitsschritt des Verteilnetzbetreibers ist die Bereitstel-
lung von Verbrauchsdaten für alle übrigen Marktteilnehmer, soweit sie diese für
die Erfüllung ihrer Aufgaben benötigen. Dabei ergibt sich in vollständig geöffne-
ten Märkten das Problem der Handhabung von Kleinkunden, bei denen nicht die
Netzanschlussvertrag
Registrierungs- x Anschlussleistung alle Gebäude-
anfrage x Zählertyp
alle im Netz besitzer im Netz
aktiven Prüfung
alle Strom-
Bestätigung oder Netznutzungsvertrag
Aufforderung zur kunden im Netz
x Netznutzungs-
Nachbesserung entgelt
KK Kleinkunden, GK Großkunden
In Gl. (3.13) stellt PKK,Profilfehler(t) den Platzhalter für den noch zu berechnenden,
grundsätzlich anzunehmenden Fehler des synthetischen Profils der Kleinkunden
dar. Da bei Großkunden die tatsächlich gemessenen Werte für das Profil verwen-
det werden, wird dort kein entsprechender Term benötigt.
Das Bilanzrisiko entsteht nun dadurch, dass der Verteilnetzbetreiber den in
seinem Netz tätigen Energiedienstleistern sowohl die synthetisierten Kleinkun-
denprofile als auch später die – ebenfalls synthetisierten – Verbrauchsganglinien
liefert. Für die Differenz zwischen diesen Ganglinien muss der Energiedienst-
leister Ausgleichsenergie kaufen, das Risiko liegt also bei ihm. Parallel meldet
allerdings der Verteilnetzbetreiber seine Summenlastprognose und später die
tatsächliche Summenlast an seinen Bilanzverantwortlichen, den er mindestens für
die Deckung der Netzverluste benötigt. Kommt es nun zu einer Differenz
zwischen dem realen Verbrauch der Kleinkunden und der synthetisierten Ver-
brauchskurve, also dem Term PKK,Profilfehler(t) aus Gl. (3.13), so verbleibt die
Deckung dieser Bilanzabweichung beim Verteilnetzbetreiber, da der Energie-
dienstleister nur die Differenz zwischen Prognose und ihm gemeldetem Verbrauch
deckt. Gleichung (3.14) enthält die Berechnung des Profilfehlers für das
analytische Verfahren.
3.7 Funktionsweise liberalisierter Elektrizitätsmärkte 123
Die gleiche Rechnung für das synthetische Verfahren zeigt Gl. (3.15). Im
Unterschied zum analytischen Verfahren, bei dem sich das Bilanzrisiko des
Netzbetreibers ausschl. und systematisch auf die Netzverluste beschränkt, kann
beim synthetischen Verfahren eine Abweichung entstehen, deren Mittelwert auf
Grund der Energieneutralität beider Verfahren zwar ebenfalls den Wert 0 hat, die
aber wegen des üblicherweise nichtlinearen Preises für Ausgleichsenergie trotz-
dem ein wirtschaftliches Risiko für den Verteilnetzbetreiber darstellt.
PKK , Profilfehler (t ) PKK (t ) PKK , synth. (t ) (3.15)
WKK ,i
mit PKK , synth.,i (t ) PStandardprofil , k (t )
WBezug , k
wobei k der Index des Standardprofils zu Kleinkunden i ist
N KK
folgt PKK , Profilfehler (t ) PKK (t ) ¦ PKK ,synth.,i (t )
i 1
N KK
W
KK ,i
PKK (t ) ¦ PStandardprofil ,k (t ) WBezug ,k
i 1
z0
3.7.4 Wettbewerbsmarkt
3.7.4.1 Großhandel
Akteure im Großhandelsmarkt sind zunächst die Erzeuger, die anstreben, struk-
turelle Besonderheiten ihres Erzeugungsparks durch geeignete Zu- und Verkäufe
zu kompensieren, und sich so ein optimiertes Gesamtportfolio zu beschaffen,
sowie in geringerem Umfang reine Händler, die versuchen, durch geschicktes
Portfolio- und Risikomanagement ein attraktives Angebot aufzubauen. Auf Grund
des dominanten Einflusses der Erzeugung elektrischer Energie auf den
Großhandelsmarkt, ist dieser sehr stark durch die Besonderheiten der Erzeu-
gungsanlagen geprägt. Hauptsächlich sind dies:
x hoher Fixkostenanteil von ca. 30 % bei Gasturbinenkraftwerken und gegen
100 % bei Wasserkraftwerken (vgl. auch Abschn. Fehler! Textmarke nicht
definiert.)
x langfristige Kapitalbindung
x große Abhängigkeit von den Energiepreisen, die jedenfalls beschaffungsseitig
durch eine große Volatilität, also Schwankungsbreite, gekennzeichnet sind, bei
Überangebot auch absatzseitig (s. Abb. 3.39).
Diese schwierigen Randbedingungen existieren selbstverständlich auch in nicht
wettbewerblichen Elektrizitätsmärkten. Unterschiede gibt es im Umgang mit
ihnen. In Märkten ohne Endkundenwettbewerb – also auch in Alleinabnehmer-
märkten, in denen zumindest die Erzeuger im Wettbewerb zueinander stehen –
gibt es die Tendenz, die in den Randbedingungen begründeten Risiken durch
langfristige Festlegungen und Verträge zu reduzieren. So kann beispielsweise
davon ausgegangen werden kann, Investitionen im Normalfall entsprechend der
Planung zu nutzen, auch wenn z. B konkurrierende, attraktivere Technologien auf
den Markt kommen. Die Volatilität auf Beschaffungs- und Absatzseite wird
ebenfalls durch langfristige Verträge begrenzt.
60 90
NordPool
(€/MWh)
50 OPEC
UK Brent Argentinien
(US $/MWh)
40 60
US $/barrel
30
20 30
10
0 0
a 70 75 80 85 90 95 00 05 b 99 00 01 02 03 04 05 06
19 19 19 19 19 19 20 20 Ja
n
Ja
n
Ja
n
Ja
n
Ja
n
Ja
n
Ja
n
Ja
n
Abb. 3.39. Volatile Randbedingungen für den Großhandel: a Rohölpreise von 1970 bis
2005 (Quelle: Mineralölwirtschaftsverband), b Spotpreise am NordPool und der argentini-
schen Börse 1999 bis 2006
126 3 Elektrizitätswirtschaft, Liberalisierung
Volumen
100 % max.
Lieferant B
Lieferant A
0 min.
Zeit Preis Flexibilität Risiko
Lieferant B
Lieferant A
0 min.
Zeit Preis Flexibilität Risiko
Vorstand
Geschäftsstrategie Berichtswesen
Portfolio-Risikomanagement
Nachfrage
Vertriebs-Risikomanagement Handels-Risikomanagement
Transfer-
preis
Tarife Grenzen
Produkte Grenzen Position
Verträge Verträge Position
Account- physischer
Vertrieb Papierhandel
Management Handel
Abb. 3.42. Organisation für die Geschäftsführung im Wettbewerbsmarkt (Quelle: ABB)
128 3 Elektrizitätswirtschaft, Liberalisierung
Werkzeugen, die jederzeit die eigene Position transparent machen und gleichzeitig
mit geeigneten probabilistischen Ansätzen Entscheidungen unterstützen, indem
sie die zu erwartenden Marktszenarien simulieren und anzeigen können, mit
welcher Wahrscheinlichkeit ein Unternehmen in eine kritische Situation kommen
wird. Natürlich kann die Elektrizitätswirtschaft hier an den Erfahrungen anderer
Großhandelsmärkte partizipieren, jedoch hat sich seit Einführung des
Wettbewerbs in der Elektrizitätswirtschaft auch gezeigt, dass die Besonderheiten
der Ware elektrische Energie, speziell die sehr eingeschränkte kurzfristige
Speicherbarkeit, erhebliche Anpassungen an Risikomanagementwerkzeugen aus
anderen Branchen erforderlich machen.
3.7.4.2 Börsenhandel
Eine Gruppe von Marktteilnehmern, die wesentlich dazu beiträgt, dass die Groß-
handelsteilnehmer in kalkulierbarer Weise kurzfristige Chancen wahrnehmen
können, sind Börsen für elektrische Energie. Tabelle 3.11 stellt den bilateralen
OTC-Handel dem Börsenhandel gegenüber. Die wesentlichen Besonderheiten der
Börse sind die Produktstandardisierung, die Anonymisierung der Geschäftspartner
und als Folge dieser Eigenschaften niedrige Transaktionskosten und nicht
vorhandenes Gegenparteirisiko. Alle diese Eigenschaften wirken prinzipiell
liquiditätserhöhend, da sie die Marktteilnahme – speziell auch für kleinere
Marktteilnehmer - vereinfachen. Deshalb können die Marktteilnehmer praktisch
immer davon ausgehen, dass sie Produkte, die sie für ihr Risikomanagement
benötigen, an der Börse erhalten. Dies erleichtert die in Abb. 3.41 gezeigte
Vorgehensweise erheblich.
3.7 Funktionsweise liberalisierter Elektrizitätsmärkte 129
4 Börse 4
Nachfrage/Kauf Angebot/Verkauf
Bestätigung Bestätigung
über erfolgte 1a 1b über erfolgte
Anmeldung Teilnehmer A Teilnehmer B Anmeldung
- Handels- Handelsabschluss - Handels-
abteilung - abteilung -
2
Verantwortungs-
bereich der Börse - Vertriebs-
abteilung - - Erzeugung -
Verantwortungs-
bereich der Fahrplan Bilanz Fahrplan Bilanz
Marktteilnehmer 3 5 3 5
Bilanzkreis- Bilanzkreis-
verantwortlicher verantwortlicher
Systembe- Systembe-
treiber (ÜNB) treiber (ÜNB)
3.7.4.3 Energiedienstleister
Der Energiedienstleister ist der „Motor“ des liberalisierten Marktes, da er das
Hauptprodukt – elektrische Energie – im freien Wettbewerb an Endkunden
vertreibt. Seine Aufgaben umfassen die gezielte Akquisition, die einkaufsseitige
Teilnahme am Großhandel und die Auftragsabwicklung, die insbesondere die
Kommunikation mit Netzbetreibern und Zählerdienstleistern umfasst. In diesem
Abschnitt werden die daraus folgenden Tätigkeiten vorgestellt sowie die Führung
des Geschäfts mit Großkunden im Detail betrachtet.
Der Geschäftsgegenstand des Energiedienstleisters ist der Verkauf von elektri-
scher Energie sowie der zugehörigen Dienstleistungen an Endverbraucher. Dabei
muss er auf Basis seiner eigenen Kosten, die sich im Wesentlichen aus Personal-
132 3 Elektrizitätswirtschaft, Liberalisierung
Kunde
Regelzone 1 Regelzone 2
Verteilnetz 1.1 Verteilnetz 2.1
... ...
ZP 1.1 ... ZP 1.n ZP 2.1 ... ZP 2.n ZP 1.1 ... ZP 1.n ZP 2.1 ... ZP 2.n
überprüft werden muss, ob sie eingetroffen und korrekt sind. Letzteres bedeutet
auch, dass Abrechnungssysteme der Energiedienstleister in der Lage sein
müssen, die Netznutzungsgebühren zu Kontrollzwecken nachzurechnen.
Wie bereits mehrfach erwähnt, ist das Geschäft mit Industrie- und Gewerbe-
kunden besonders komplex. Dazu tragen verschiedene Gründe bei:
x Diese Kunden sind preissensitiv und erwarten individuell gestaltete Verträge.
x Sie schließen verhältnismäßig große Einzelverträge ab und haben damit einen
nennenswerten Einfluss auf die Geschäftssituation des Energiedienstleisters.
x Sie haben z. T. die Möglichkeit, ihre Lastganglinie zu beeinflussen, und er-
warten, dass sie an dadurch ermöglichten Kostensenkungen beteiligt werden.
x Ohne Ausnutzung von Win-Win-Situationen ist eine ausreichende Profitabilität
in diesem Marktsegment praktisch nicht erreichbar.
Diese Punkte machen es erforderlich, verschiedenen Kundengruppen Angebote
zu machen, die hinsichtlich Preis und Flexibilität eine große Bandbreite abdecken,
und die unterschiedlich zur Fixkostendeckung des Energiedienstleisters beitragen.
Letzteres hat zwei Konsequenzen: Es entsteht das Risiko der Fix-
kostenunterdeckung, die eintritt, wenn Produkte mit hohem Deckungsbeitrag
unter Plan verkauft werden. Außerdem beeinflusst nun das Einzelangebot nicht
mehr nur das Geschäftsvolumen des Energiedienstleisters, sondern auch die
Profitabilität, da nicht mehr alle Angebote gleich profitabel ausgelegt sind. Um
diese Risiken im laufenden Geschäft zu kontrollieren, kann z. B. der in Abb. 3.45
gezeigte Strukturierungsansatz verwendet werden.
Zunächst wird die eingekaufte Kapazität in Kontingente aufgeteilt, die durch
ihre Leistungsganglinie Pkont.,i(t) sowie ihren Einkaufspreis kkont.,i(t) beschrieben
sind. Die Ganglinie beschreibt den Zeitverlauf und bewirkt durch ihre absolute
Höhe eine Mengenbegrenzung. Bei der Definition von Kontingenten und Preisen
besteht innerhalb der Randbedingungen gemäß Gl. (3.16) beliebige Freiheit.
3.7 Funktionsweise liberalisierter Elektrizitätsmärkte 135
Energie- FK-Anteil
kontingent 1: Produkt 1
x Kosten Menge aus Kosten für
x Zeitverlauf Kont. 1 für P1 + + + Prod. 1
x Menge
Menge aus
Kont. 2 für P1
Energie-
Energie- kontingent 2
einkauf:
x Kosten FK-Anteil
x Zeitverlauf Produkt 2
Kosten für
x Menge + + + Prod. 2
Menge aus
... Kont. 1 für P2
...
Energie- FK-Anteil
kontingent NKont. Produkt NProd. Kosten für
Menge aus
+ + + Produkt
... NProd.
Kont. i für
PNProd.
Abb. 3.45. Beispiel für die Produktstrukturierung und –kalkulation eines Energie-
dienstleisters
N Kont . ! (3.16)
¦ PKont.,i (t ) PEinkauf , ges. (t ) (Mengenbedingung)
i 1
N Produkt ! (3.17)
¦ k fix,Produkt,i WProdukt ,i K fix ,ges.
i 1
Zuletzt müssen den Produktkosten eine Zielmarge und, sofern die Netznutzung
über den Energiedienstleister abgerechnet werden soll, die Netz- und
12 1
10
0,8
Nachtspeicher
8 Zweischicht
Leistung (MW)
0,6 Bäcker
Profile
Haushalte
6
Nachtspeicher
0,4 Zweischicht
4 Bäcker
Haushalte
0,2
2
0 0
1 5 9 13 17 21
Zeit (h)
16
14
12
10
Leistung (MW)
Nachtspeicher
Zweischicht
8
Bäcker
Haushalte
6
0
1 5 9 13 17 21
Zeit (h)
Simulation
neue Produkte bessere Einkaufs-
konditionen
N N
profitabel?
J
Freigabe und
Vertrieb
3.7.4.4 Bilanzkreisverantwortliche
Die Bilanzkreisverantwortlichen stellen eine eigenständige Marktrolle dar, die
ihre Leistung in einem Endkunden-Wettbewerbsmarkt anbietet. Die Bilanzkreis-
verantwortlichen sind allerdings selbst Kunden in einem Alleinabnehmer- oder
Monopolmarkt, da die physische Realisierung der Ausgleichsenergie letztendlich
vom Systembetreiber vorgenommen wird. Da diese Funktion nur einmal in jeder
Regelzone existiert, kann hier nur ein unilaterales Marktmodell angewendet
werden. Diese Einbettung der Bilanzkreisverantwortlichen in ihr Marktumfeld
verdeutlicht Abb. 3.49.
Die Bilanzkreisverantwortlichen, die an der Schnittstelle zwischen Dienstlei-
stungs- und Wettbewerbsmarkt arbeiten, leiten den Abgleich zwischen den im
Wesentlichen abstrakt und ohne enge Kopplung an die betrieblichen Erfordernisse
des technischen Elektrizitätsversorgungssystems zu Stande gekommenen
Verträgen im Markt und der technischen Realität ein, der anschließend vom
Systembetreiber vervollständigt wird. Außerdem teilen sie die Kosten, die durch
Abweichungen zwischen Planung und tatsächlichem Betrieb entstehen, möglichst
verursachungsgerecht auf die Marktteilnehmer auf. Damit sind sie auch die Stelle
im Markt, die identifizieren kann, wenn Marktteilnehmer ihren vertraglichen
Verpflichtungen nicht nachgekommen sind.
3.7 Funktionsweise liberalisierter Elektrizitätsmärkte 139
Der Zusammenhang gemäß Gl. (3.22) ist der Grund, dass das prinzipielle
Risiko höherer Preise, welches die unilateralen Marktmodelle mit sich bringen, an
Regelkraftwerke (kon-
N ESP1 NKW1
Systembetreiber a traktiert bei Alleinab-
(Regelzonenbetreiber,
FP BKV1 z ¦ FP ESP1,i ¦ FP KWi, nehmermarkt oder
Bilanzkreiskoordinator)
i 1 i 1 Eigentum bei Monopol)
N ESP1 N KW1 a
ISTBKV1 ¦ ISTESP1,i ¦ ISTKWi, Alleinabnehmer- oder
i 1 i 1
Monopolmarkt für
Ausgleichsenergie
BKV 1 BKV 2
Wettbewerbsmarkt für
FPESP1,1 Ausgleichsenergie
ISTESP1,1
Kraftwerk 1.1
ESP 1.1
... ESP 1.N ESP1 a ...
Abb. 3.49. Arbeitsumfeld der Bilanzkreisverantwortlichen
140 3 Elektrizitätswirtschaft, Liberalisierung
15 mehr angemeldet
6 als verkauft
=> niedrig vergütete Ausgleichs-
Sollunterschreitung:
energieeinspeisung
Belastung mit Preis für
14
Ausgleichsenergie (hoch) 5
Sollüberschreitung: Vergütung für
Einspeisung von Ausgleichs-
energie (niedrig)
13 4
betriebsbedingter
Bilanzsaldo (MW)
Eingriff
Leistung (MW)
12 3
tatsächliche
9 0 Einspeisung
Bilanzsaldo
8 -1
1 5 9 13 17 21
Zeit
Information bereits der gemessene Verbrauch. Abb. 3.51 zeigt vier mögliche Fälle
von Abweichungen zwischen Plan und Verbrauch. Zunächst kann der Verbrauch
über dem angemeldeten Fahrplan liegen.
Sofern der Einkauf in diesem Fall dem angemeldeten Verbrauch entspricht,
handelt es sich um eine einfache Inanspruchnahme von Ausgleichsenergie. Liegt
der Einkauf über dem angemeldeten Verbrauch, so wird die
Ausgleichsenergiezahlung mit dem durch den Einkaufsüberschuss getätigten
Angebot der Ausgleichsenergieeinspeisung verrechnet. In Summe bleibt natürlich
Einkauf
7 2 Verbrauchs-
fahrplan
Fahrplanabweichung und Einkaufs- gemessener
überschuß => Einspeisung und Zukauf von Verbrauch
6 1
Ausgleichsenergie, führt zu verminderter Bilanzsaldo
Ausgleichsenergiezahlung
5 0
4 -1
1 5 9 13 17 21
Zeit
es in den Abschn. 3.7.2 bis 3.7.4 vorgestellt wurde, abbilden lassen, unterscheiden
sich die Märkte in einzelnen Details deutlich.
3.7.5.2 Großbritannien
In Großbritannien, dem ältesten Elektrizitätsmarkt Europas, wurde 1990 zunächst
ein an entscheidender Stelle anderer Ansatz als das vorgestellte Marktmodell
gewählt. Kern des Marktes war der sog. Pool, über den alle Transaktionen
abzuwickeln waren. Erzeuger konnten nur an den Pool anbieten, 12 Regional-
verteiler (Regional Electricity Companies, REC) sowie eine mit der Zeit zuneh-
mende Gruppe größerer Kunden konnten direkt vom Pool beziehen. Der Poolpreis
wurde vom jeweils teuersten in der aktuellen Lastsituation noch benötigten
Kraftwerk bestimmt und war für alle zum Einsatz kommenden Kraftwerke gleich.
Damit lag der Poolpreis grundsätzlich über den durchschnittlichen Erzeu-
gungskosten des eingesetzten Kraftwerksparks, was dadurch kompensiert werden
konnte, dass Marktteilnehmer bilateral sog. „Contracts for Differences” abschlos-
sen, in denen sie vom Poolpreis abweichende Konditionen vereinbarten. Kosten
für Systemdienstleistungen wurden von der nationalen Übertragungsnetz-
gesellschaft National Grid Company, die gleichzeitig Systembetreiber war, mit
der Netznutzungsgebühr gedeckt. Ausgleichsenergie im Sinne des vorgestellten,
allgemeinen Marktmodells gab es nicht, da der Pool dafür sorgte, dass unabhängig
von eingegangenen Lieferverpflichtungen ausreichend Erzeuger am Netz waren
und die Last gedeckt wurde. Erzeuger, die zwar angeboten hatten, aber ihre
Lieferzusage nicht einhielten, hatten nur den Umsatzausfall zu verkraften.
Das Poolmodell war verhältnismäßig einfach einzuführen und erfüllte zunächst
auch seinen Zweck. Die Preise für Elektrizität fielen für alle Kunden mit
Ausnahme einiger weniger, sehr großer, die vorher subventioniert wurden, die
Versorgungssicherheit war nie gefährdet und die Produktivität der Erzeuger und
der vom Regulator überwachten Netzbetreiber stieg um bis zu 75 % – im
3.7 Funktionsweise liberalisierter Elektrizitätsmärkte 145
3.7.5.3 Skandinavien
Die skandinavischen Märkte Norwegens, Schwedens und Finnlands waren die
ersten, die vollständig entsprechend dem allgemeinen Marktmodell organisiert
waren. Eine Besonderheit dieser Märkte ist, vor allem in Norwegen und Schwe-
den, ihre große Nord-Süd-Ausdehnung in Verbindung mit einem ausgeprägten
regionalen Ungleichgewicht von Verbrauchsschwerpunkten und Erzeugungs-
standorten. Dies führt dazu, dass auch in diesen Märkten, ähnlich wie in Nord-
amerika, das Übertragungsnetz eine knappe Ressource ist.
Die Methode, mit welcher der Umgang der Marktteilnehmer mit diesem Eng-
pass geregelt wird, ist allerdings grundsätzlich vom amerikanischen ISO-Ansatz
verschieden. In den skandinavischen Märkten gibt es jeweils nur einen Übertra-
gungsnetz- und Systembetreiber, der gleichzeitig Bilanzkoordinator ist. Das Über-
tragungsnetz ist in mehrere Regionen unterteilt, und bei Transporten von einer
Region in die andere wird eine Gebühr erhoben. Diese Gebühr ist rich-
tungsabhängig, d. h., sie belastet wirtschaftlich Transporte aus den Erzeugungs-
schwerpunkten in die Verbrauchszentren. Dadurch sind die Marktteilnehmer an-
gehalten, bevorzugt erzeugungsnah zu verkaufen und die Engpässe im Über-
tragungsnetz so wenig wie möglich in Anspruch zu nehmen. Anders als das
amerikanische System, das sowohl Mengenbegrenzungen als auch Preissteuerung
– denn begrenzte Ressourcen werden im Markt automatisch teurer als unbe-
grenzte – nutzt, setzen die skandinavischen Märkte also ausschl. auf finanzielle
Anreize, um Netzengpässe zu vermeiden.
146 3 Elektrizitätswirtschaft, Liberalisierung
3.7.5.4 Kontinentaleuropa
Eine weitgehende Marktöffnung und die zugehörige Marktorganisation haben auf
dem europäischen Kontinent, also im Übertragungsnetzbereich der UCTE, bis
zum Jahr 2005 die Niederlande, Deutschland und Österreich durchgeführt. Auf
Grund des im Verhältnis zu Verbrauchs- und Erzeugungsschwerpunkten starken
UCTE-Netzes gibt es in keinem dieser Märkte Lenkungsmaßnahmen, um
Netzengpässe zu vermeiden. Damit entsprechen die Märkte praktisch genau dem
allgemeinen Marktmodell. Die einzige Abweichung, allerdings von untergeord-
neter Bedeutung, ist, dass es in Deutschland nicht einen Übertragungsnetz- und
Systembetreiber gibt, sondern vier Unternehmen, die den Systembetrieb jeweils in
ihrer Regelzone führen. Da die Übertragungsnetzbetreiber über die einheitliche
Netznutzungsgebühr jedoch wirtschaftlich als ein Marktteilnehmer auftreten, ist
für die übrigen Marktteilnehmer der einzig wirklich relevante Unterschied zum
allgemeinen Modell, dass die Bilanzkreisverantwortlichen die Regelzonenim- und
-exporte an ihren Regelzonenbetreiber melden müssen und dass der
Bilanzausgleich innerhalb der vier Regelzonen erfolgen muss.
Zur Zeit im UCTE-Bereich noch nicht systematisch gelöst ist die Frage der
Abrechnung und der Handhabung der Netznutzung für internationale Handels-
vorgänge. Zwischen den nationalen Netzen Europas gibt es Engpässe, an denen
die Kapazitätsvergabe heute individuell, häufig über Auktionen geregelt ist.
Verschärft wurde das Problem dadurch, dass auch die Elektrizitätspreise für
Kleinkunden gesetzlich nach oben begrenzt waren, so dass große
3.7 Funktionsweise liberalisierter Elektrizitätsmärkte 149
Energiedienstleister in Konkurs gingen. Dies alles ist aber kein Beispiel für Risi-
ken von Wettbewerbsmärkten, sondern allenfalls für inkonsistente Regulierung.
Im Folgenden werden zwei Gruppen von Auswirkungen detaillierter betrachtet.
Am Beispiel der Marktöffnung in Deutschland werden das Kundenverhalten und
die Entwicklung der Preise für Endkunden und im Großhandelsmarkt diskutiert.
Anschließend werden Beispiele von Übergangseffekten vorgestellt, die nach der
Marktöffnung auftraten, und der Umgang mit ihnen erläutert.
12.000 100
Grundlast
90
Durchschnittspreis (EUR/MWh)
Spitzenlast
10.000
Grundlastpreis 80
Monatsvolumen (GWh).
Spitzenlastpreis
70
8.000
60
6.000 50
40
4.000
30
20
2.000
10
0 0
02 02 02 02 03 03 03 03 04 04 04 04 05 05 05 05 06 06
an pr ul kt an pr ul kt an pr ul kt an pr ul kt an pr
J A J O J A J O J A J O J A J O J A
Abb. 3.52. Entwicklung von Handelsvolumen und Preis an der European Energy
Exchange in Leipzig seit Anfang 2002
40%
Schätzungen Ende 2000 Ende 2001 Deutschland Festnetz
35% (von Anfang 2000): Großbritannien Gas
Schweden 10 % Großbritannien Strom
Deutschland 5 %
30% Norwegen Strom
Schweden Strom
Ende 1999 Ende 1999
Deutschland Strom
25%
Wechselanteil
20%
Ende 2001
15%
Ende 1999
10%
5% Ende 2001
Ende 2002
0%
0 12 24 36 48 60
Wettbewerbsdauer in Monaten
Etwa ein Jahr nach der deutschen Marktöffnung gab es im Sommer 1999 nach
einigen erfolglosen Versuchen neuer Anbieter die ersten Angebote für Haushalts-
kunden, die nicht nur Energie, sondern auch die Netznutzung umfassten und so
für die Endkunden erstmals praktikabel waren.
25,00
max. Senkung:
Großfamilie, -28 %
20,00
15,00
€ ct./kWh
Im Laufe des Jahres 2000 fand auch in diesem Segment, wie bereits beim
Großhandel beobachtet, eine Professionalisierung statt, die den Preisverfall been-
dete. Dies wird an der in Abb. 3.54 gezeigten Preisentwicklung eines sogenannten
neuen Anbieters (NA) seit dem Jahre 2001 deutlich.
152 3 Elektrizitätswirtschaft, Liberalisierung
Insbesondere fällt auf, dass der Tarif seit dem Jahre 2003 regional differenziert
wird. Damit ist es möglich, auf Unterschiede in den Netznutzungsgebühren und
auf die regionale Wettbewerbssituation einzugehen. Allerdings setzt dies auch die
Bereitstellung geeigneter Informationen durch die Netzbetreiber für ein
solchermaßen differenziertes Angebot voraus. Es ist davon auszugehen, dass diese
Bedingung in den Jahren bis 2002 nicht ausreichend erfüllt war, weshalb der neue
Anbieter in dieser Phase mit einem Einheitstarif operiert hat.
Zusammen mit der von der deutschen Bundesregierung 1999 und 2000 ein-
geführten Ökosteuer und der Umlage der Förderung von regenerativen Energie-
quellen und Kraft-Wärme-Kopplung auf alle Elektrizitätskunden hat die zuneh-
mende Professionalisierung der Energiedienstleister dazu geführt, dass die Preis-
senkungen der Jahre 1999 und 2000 für Haushaltskunden seit dem Jahr 2002
praktisch wieder annulliert sind. Außerdem ist zu dieser Zeit der Wettbewerb um
Haushaltskunden fast vollständig zum Erliegen gekommen, da die Anbieter nicht
mehr willens sind, die angesichts des geringen Interesses der Endkunden unver-
hältnismäßig hohen Akquisitionskosten zu tragen. Dies ist im Übrigen eine Ent-
wicklung, die auch aus anderen bekannt ist. Dort findet das Angebot an Haus-
haltskunden praktisch nur noch als Verbundvertrieb mit anderen Produkten im
sog. Cross-Selling statt.
14
12
10
8
€ ct./kWh
0
Netznutzungs-
Erzeugungs-
Bruttomarge
Bruttopreis
Nettopreis
Ökosteuer
MWSt
Konzessions-
Vertriebs-
Deckungs-
kosten
gebühren
beitrag
abgabe
preis
-2
Abb. 3.55. Geschätzte Margen beim Preisniveau eines bundesweit aktiven neuen
Anbieters für Haushaltskundenstrom und Großhandelspreisen des Jahres 1999 bei einem
Verbrauch von 3500 kWh/a (nach [3.9])
3.7 Funktionsweise liberalisierter Elektrizitätsmärkte 153
Abschließend kann nach den bisherigen Erfahrungen gesagt werden, dass die
in den Anfangsphasen der Liberalisierung von Elektrizitätsmärkten durchgängig
erreichten Preissenkungen die Vermutung nahelegen, dass das Ziel der Effizienz-
steigerung durch Liberalisierung tatsächlich erreicht wird. Allerdings folgte in
allen liberalisierten Märkten auf eine Phase deutlicher Preissenkungen am Anfang
ein Wiederanstieg der Preise – für die durchschnittlichen Haushaltskundenpreise
in Deutschland, Großbritannien und Schweden zeigt dies beispielhaft Abb. 3.19.
Auch wenn hinter dieser Preisentwicklung Treiber stehen können, die nichts
mit der Liberalisierung zu tun haben – beispielsweise Steuern und Abgaben oder
die Primärenergiepreise -, stellt sich die Frage, ob die Effizienzgewinne
nachhaltig sind. Speziell im Hinblick auf den Haushaltskundensektor weisen die
insgesamt niedrigen Preissenkungen wie auch die Aufschlüsselung in Abb. 3.55
darauf hin, dass in diesem Sektor der mit Abstand größte Kostenblock die Netz-
nutzungsgebühren sind, die vom direkten Wettbewerbsdruck ausgenommen sind.
In keinem Markt gab es nach der Liberalisierung ernste Probleme bei der
Systemführung. Befürchtungen, die Umstellung der zentralen Betriebsplanung auf
einen marktwirtschaftlich dominierten Prozess gefährde die Versorgungs-
sicherheit, erwiesen sich zumindest im Hinblick auf den Systembetrieb als gegen-
standslos. Allerdings kam es im Jahre 2003 in Nordamerika und verschiedenen
europäischen Staaten zu Großstörungen bisher unbekannten Ausmaßes. Die
bekanntesten sind der Stromausfall im Nordosten der USA am 14. August und der
vollständige Ausfall der italienischen Stromversorgung in der Nacht des 28.
September.
18,0
16,0
14,0 Deutschland
Großbritannien
€ ct./kWh
Schweden
12,0
10,0
8,0 Wettbewerbsbeginn
(nicht Marktöffnung!) im Jahresverbrauch 3.500 kWh
Privatkundenbereich
6,0
97 97 98 98 98 98 99 99 99 99 00 00 00 00 01 01 01 01
p ez rz n p z rz un ep ez rz n p z rz un ep ez
Se D M Ju Se De M J S D M Ju Se De M J S D
3.7.6.2 Übergangseffekte
Neben den in Abschnitt 3.7.6.1 besprochenen Auswirkungen von Privatisierung
und Liberalisierung auf Preise und Kundenverhalten gibt es auch Folgen, die sich
aus der Anpassung der vor der Liberalisierung nicht immer ausschließlich nach
marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten aufgebauten Versorgungssysteme an die
Marktbedingungen ergeben. Diese Übergangseffekte bedeuten meist Härten für
einzelne Marktteilnehmer. Teilweise sind sie politisch unerwünscht und rufen
Gegenmaßnahmen in Form neuer Gesetze hervor. In diesem Abschnitt werden
einige Beispiele solcher Übergangserscheinungen vorgestellt und erläutert, ob und
was man gegen sie unternommen hat.
x „Stranded Investments“: In vielen Märkten sind in der Monopolzeit lang-
fristige Investitionen, die einer strengen, rein marktwirtschaftlichen Überprü-
fung nicht standgehalten hätten, entweder im Vertrauen darauf getätigt worden,
dass ihre Nutzbarkeit sichergestellt sei, oder weil sie politisch erwünscht
waren. Hierzu zählt z. B. der Ersatz der ostdeutschen Braunkohlekraftwerke
nach der Wiedervereinigung, der dazu führte, dass das verantwortliche Unter-
nehmen VEAG im Anschluss außerordentlich hohe Abschreibungen hatte.
Speziell im europäischen Umfeld mit deutlicher Überkapazität in der Erzeu-
gung wäre eine solche Entscheidung unter Wettbewerbsbedingungen sicher
nicht getroffen worden. Die politischen Reaktionen auf solche Situationen sind
unterschiedlich: In den USA sind den betroffenen Unternehmen in einem
Übergangszeitraum die Stranded Investments erstattet worden. Die dazu benö-
tigten Mittel wurden als Aufschlag auf den Strompreis erhoben. Dies führte
dazu, dass viele Kunden in der Übergangszeit höhere Strompreise hatten als
vor der Liberalisierung. Auch in anderen Ländern wird die staatliche
Übernahme der Stranded Investments diskutiert.
In Deutschland wurde, obwohl, wie obiges Beispiel zeigt, das Problem
durchaus existierte, zunächst kein Eingriff vorgesehen. Später wurde den
betroffenen Unternehmen eine beschleunigte Abschreibung zugestanden. Da
dies auch höhere Kosten bedeutete, wurde diese Regelung mit einem befri-
steten Wettbewerbsschutz für das Versorgungsgebiet kombiniert. Deren Ein-
haltung war jedoch unter den Randbedingungen des bereits etablierten Wett-
bewerbs nicht mehr sicherzustellen, so dass sich das Maßnahmenpaket letztlich
als wenig wirksam erwies.
x Ausbau des Kraftwerkparks in Europa: In einem funktionierenden Wettbe-
werbsmarkt stellt sich die Produktionskapazität so ein, dass die am wenigsten
eingesetzten Anlagen mit ihrer Auslastung gerade noch ihre Fixkosten decken
können. Weitere Zubauten finden nur statt, wenn die Einsparung an variablen
Kosten die Neuinvestition rechtfertigt. Im europäischen Erzeugungssektor war
3.7 Funktionsweise liberalisierter Elektrizitätsmärkte 155
die Erzeugung der unterstützten Anlagen verkleinert wird, dass aber kein
Anbieter im Wettbewerbsmarkt benachteiligt wird.
Unterschiede zwischen den beiden Gesetzen gab es in der Dauer der Unter-
stützung: Das ursprüngliche KWK-Gesetz war bis max. Ende 2004 befristet,
die Unterstützung von KWK-Anlagen wurde bis dahin jährlich verringert.
Damit handelte es sich zunächst um ein typisches Gesetz zur Förderung einer
Anpassung, dessen Anlass idealerweise während der Laufzeit entfällt. Das erste
KWK-Gesetz wurde zum 1. April 2002 durch ein neues KWK-Gesetz [3.13]
abgelöst, das im Rahmen des Nationalen Klimaschutzprogramms der
Bundesrepublik Deutschland die weitere, differenzierte Förderung ausgewähl-
ter KWK-Technologien regelte. Dies stellte den Übergang von einem Anpas-
sungsgesetz zu einem Technologiefördergesetz dar.
Das Gesetz zur Förderung erneuerbarer Energien war von vorneherein nicht
zeitlich befristet, und es gibt auch keinen fest vorgeschriebenen Reduk-
tionsmechanismus der Förderung. Statt dessen ist ihre regelmäßige Über-
prüfung und Anpassung an den technischen Fortschritt vorgesehen. Damit
handelt es sich hier um ein typisches Fördergesetz, das eigentlich keinen
liberalisierungsbedingten Übergang steuert.
Für ein Unternehmen bedeutet dies, dass es aus den geltenden und kommenden
Veröffentlichungspflichten nur Minimalanforderungen für sein Risikomanage-
ment ableiten kann. Wichtiger ist, in Abstimmung mit seinen Stakeholdern (Akti-
onäre, Banken, Kunden, Mitarbeitern, etc.) eine angemessene Risikostrategie zu
erstellen und umzusetzen.
Risikomanagement bringt Transparenz in das was wir tun, und hilft dem Mana-
gement und den Mitarbeitern, sich vor unliebsamen Überraschungen zu schützen.
Abb. 3.57. Risikomanagement hilft, die Schere zwischen Anforderung und Fähigkeiten
zur Unternehmenssteuerung zu schließen.
Was Enterprise Risk Management ausmacht, kann am Besten anhand der Definiti-
on der COSO erläutert werden.
Definition von Enterprise Risk Management (ERM) gemäß COSO:
„Ein Prozess beeinflusst vom Vorstand eines Unternehmens, dem Management
sowie dem übrigen Personal, angewandt in der Strategiefestlegung und im ganzen
Unternehmen, designed, um mögliche Ereignisse, die das Unternehmen beeinflus-
sen, zu identifizieren.
Stellt einen Rahmen auf, um Risiken eines Unternehmens so zu managen, dass sie
den definierten Risikoappetit nicht überschreiten, und bietet angemessen Sicher-
heit hinsichtlich der Erreichung der Unternehmens-Ziele.“
ERM ist ein Prozess, d.h. keine Einmalaktion, sondern eine Serie von Handlun-
gen, die in alle wichtigen Steuerungs-, Management-, und operativen Prozesse des
Unternehmens integriert sein sollten. Durch ERM werden Risiken bei der Bewer-
tung strategischer Alternativen über den Planungsprozess, die Kapitalallokation
bis hin zur Produktion berücksichtigt. ERM muss vom Vorstand bis zum Mitarbei-
ter eines Unternehmens gelebt werden. ERM erfordert eine Portfoliobetrachtung
aller Risiken des Unternehmens und sorgt dafür, dass sie im Rahmen des strate-
gisch definierten Risikoappetits bleiben. Gut designed und durchgeführt, hilft
ERM der UL, die Unternehmensziele mit angemessener Sicherheit zu erreichen.
Ein integriertes Risikomanagement liegt vor, wenn sämtliche Risiken in einem
Unternehmen über alle Geschäftsfelder und Risikoarten hinweg konsistent bewer-
tet, unter Berücksichtigung von Korrelationen aggregiert, gemanaged und berich-
tet werden. Integriertes Risikomanagement bedeutet nicht zentralisiertes Risiko-
management. Auch bei einem integrierten Risikomanagement sind die Geschäfts-
felder weiterhin an der Identifikation, Bewertung und dem Management von Risi-
ken beteiligt. Es gibt jedoch eine zentrale Instanz über den Geschäftsfeldern, die
die Daten nutzt, um eine integrierte Perspektive auf die Unternehmensrisiken zu
erzeugen.
Diversifikation
Aufgrund von Korrelationen kann das Gesamtrisiko eines Unternehmens we-
sentlich geringer sein als die Summe seiner Einzelrisiken. Ohne integriertes
Risikomanagement kann zwar jedes Einzelrisiko eines Unternehmens optimal
abgesichert sein, das Gesamtrisiko jedoch nicht. Es besteht die Gefahr, dass
Risikokapital ineffizient eingesetzt wird. Die Quantifizierung der Korrelatio-
nen zwischen verschiedenen Einzelrisiken befindet sich jedoch noch in einem
frühen Stadium.
Relative Risikoeinschätzung
Erst durch die integrierte Sicht auf die Unternehmensrisiken kann ein Unterneh-
men erkennen, welche Risiken besonders wichtig sind, um sich auf deren Mana-
gement zu konzentrieren.
Geschäftsfeldübergreifende Kommunikation
Ein integriertes Risikomanagement legt den Grundstein für ein unternehmensein-
heitliches Verständnis und Management von Risken und Chancen.
Vermeidung von ungewollten Risiken
Handel und Vertrieb arbeiten z.T. mit denselben Gegenparteien. Wird einer Ge-
genpartei im Handel aufgrund einer Bonitätsanalyse ein Maximales Limit x einge-
räumt, so muss sichergestellt werden, dass dieses Limit nicht durch Geschäfte im
Vertrieb überschritten wird. Eine zentrale RM-Instanz kann hier Prozesse aufset-
zen, durch welche die Maximallimite für Einzelkunden auf die Geschäftsfelder
aufgeteilt und getrennt überwacht werden.
Besseres Risikomanagement bei Geschäftsfeld übergreifenden Risiken
Nur eine zentrale RM-Instanz kann Maßnahmen zur Reduktion der Eintrittswahr-
scheinlichkeit und Schadenhöhe von Risiken, die mehrere Geschäftsfelder betref-
fen, koordinieren.
Kostenvorteile durch Abstimmung mit IKS und anderen gesetzlichen/ regulatori-
schen Anforderungen
Ein integrierter Risikomanagement-Ansatz kann gesetzliche Vorschriften sowie
das IKS berücksichtigen und verhindert damit verschiedene Insellösungen mit sich
überschneidenden Aktivitäten.
3.8.2.2. Risikopolitik
Die Risikopolitik ist ein Konzept, in dem die Rahmenbedingungen für ein effi-
zientes Risikomanagement in einem Unternehmen festgelegt werden. Die Risiko-
politik stellt sicher, dass alle Risiken unternehmensweit nach einheitlichen Richt-
linien gemanaged werden. Abhängig vom Unternehmen kann es eine Konzern-
Risikopolitik geben und dann eine je Geschäftsfeld, die die Behandlung aller Risi-
koarten des Geschäftsfeldes regelt, oder eine je Risikoart über alle Geschäftsfelder
hinweg. Auch Mischformen sind denkbar. Über die Konzernrisikopolitik oder
3.8 Risikomanagement in der Elektrizitätswirtschaft 161
1
Vgl. CCRO ERM White Paper 2006, S. 73f.
3.8 Risikomanagement in der Elektrizitätswirtschaft 163
wie IPPs ihr Geschäft betreiben, streben sie stetige, wenig volatile Ergebnisse an,
die mit der hinzugefügten Kraftwerkskapazität wachsen. Die Unternehmensstrate-
gie führt zu einem hohen Risikoappetit für operative Risiken und zu einem gerin-
gen Risikoappetit für Marktpreisrisiken.
Anders sieht es beim Händler mit Produktionsstätte aus. Er versucht durch die
Handelsfunktion seine Kraftwerkskapazität optimal zu veräußern, und unterliegt
dadurch voll den Marktpreisrisiken. Da er seine Kraftwerkskapazität nicht durch-
gehend voll verkauft hat, unterliegt er weniger stark operativen Risiken. Die ge-
fahrene Unternehmensstrategie führt zu volatileren Ergebnissen und zu einem
höheren Risikoappetit für Marktpreisrisiken als beim IPP.
Bestimmung des Risikoappetits
Der Risikoappetit sollte von der UL definiert und vom VR bestätigt werden. Eine
Faustregel für die Festlegung des Risikoappetits (z.B. x% des EK) existiert nicht.
Der Risikoappetit eines Unternehmens sollte über einen kombinierten Top-down/
Bottom-up-Ansatz mit mehreren Iterationen festgelegt werden.
Startpunkt sollte eine Bottom-up-Erhebung der bestehenden Risiken je Geschäfts-
feld sein. Werden alle Risiken je Geschäftsfeld einheitlich über einen Value at
Risk (VaR) bewertet, und unter Berücksichtigung von Korrelationen addiert, er-
gibt sich der aktuelle Risikokapitalbedarf je Geschäftsfeld. Um den VaR des Un-
ternehmens zu erhalten, müssen die Geschäftsfeldrisiken wiederum unter Berück-
sichtigung von Korrelationen addiert werden und ergeben somit den aktuellen
Risikokapitalbedarf des Unternehmens. Da der Risikokapitalbedarf an den Ge-
schäftsfeldstrategien hängt, die i.d.R. nicht kurzfristig änderbar sind, erhält man so
einen ersten Anhaltspunkt für den Risikoappetit des Unternehmens.
In einem zweiten Schritt kann die UL jetzt prüfen, ob ihr der aktuelle Risikoappe-
tit angemessen erscheint. Als Kriterien können dazu die folgenden Fragen dienen:
- Ist die UL bereit im schlimmsten Fall den Verlust des berechneten Risiko-
appetits innerhalb eines Jahres zu akzeptieren? (Wurde das aktuell erforder-
liche Risikokapital über einen VaR mit Einjahres-Horizont und 99% Kon-
fidenz berechnet, dann bedeutet dies, dass der Verlust aus den bestehenden
Risiken innerhalb des nächsten Jahres mit 99% Wahrscheinlichkeit nicht
höher sein wird als der berechnete Betrag)
- Ist das aktuelle Risiko durch Risikokapital gedeckt oder besteht ein Insol-
venzrisiko? (Um das festzustellen, muss das ermittelte Risikokapital der
vorhandenen Liquidität und dem EK gegenübergestellt werden.)
- Steht das Risiko mit den geplanten Ergebnissen (Rendite) in einem ange-
messenen Verhältnis (effiziente Risikoposition: eingegangene Risiken wer-
den durch ausreichend Rendite honoriert)? Hier könnten z.B. risikoadjus-
tierte Performance Masse wie RoVaR oder RAROC als Maßstab herange-
zogen werden. (Der RoVaR = Return on Value at Risk setzt das Ergebnis
ins Verhältnis zum durchschnittlichen VaR, der für die Ergebniserreichung
eingegangen wurde, und der RAROC = Risk Adjusted Return On Capital
164 3 Elektrizitätswirtschaft, Liberalisierung
2
Vgl. CCRO ERM White Paper 2006, S. 70
3.8 Risikomanagement in der Elektrizitätswirtschaft 165
rungsgröße muss unter der Vielzahl der möglichen Kennzahlen ausgewählt wer-
den (RoVaR, RORAC, RAROC, EVA, etc.). In diesem Zusammenhang muss
dann auch geklärt werden, wie mit reinen Cost Centern im Rahmen der Risiko/
Rendite Steuerung verfahren wird. Die Geschäftsfelder können dann den ihnen
zugeordneten Risikoappetit in Abstimmung mit dem Konzern auf die Einzelrisi-
ken verteilen. Dadurch ergeben sich Portfoliolimiten für jede in einem GF auftre-
tende Risikoart. Diese sind dann weiter herunterzubrechen, z.B. in Form eines
Kreditlimits je Gegenpartei für das Kreditrisiko. Auf diesem Weg wird ein kon-
zernweiter Limitbaum aufgebaut. Sorgt das Risikomanagement dafür, dass der
Risikoappetit immer durch Risikokapital gedeckt ist und kein Limit überschritten
wird, ist das Ziel der Existenzsicherung durch Risikomanagement erreicht.
Das Risikokapital sollte als Planungsgröße in die Mittelfristplanung aufgenommen
werden. Das Unternehmen sollte abhängig vom Risikoappetit Top-down eine
Zielgröße für das Unternehmen und die Geschäftsfelder vorgeben, die diese dann
Bottom-up verifizieren müssen. In einer weiteren Ausbaustufe kann neben der
absoluten Zielgröße für das Risikokapital dann auch eine Zielgröße für die erwar-
tete Rendite auf dieses Kapital geplant werden.
Gemäß einer Umfrage des CCRO unter 34 Energieversorgern berücksichtigen
88% der beteiligten Unternehmen eine Risikoappetit-Aussage in ihrem Planungs-
und Risikomanagement-Prozess. 64% der befragten Unternehmen stellen die Risi-
ko-Appetit-Aussage in einem informellen, unstrukturierten Prozess auf. Nur 36%
nutzen einen formalen Ansatz. 3
A) Strategie / Ziele
Bevor man ein Risikomanagementsystem für ein Unternehmen konzipiert, muss
festgelegt werden, welche Ziele das Unternehmen mit Risikomanagement verfol-
gen will. Nachfolgend werden die wesentlichen Ziele aus den genannten Rah-
menwerken sowie aktuellen Veröffentlichungen zum Thema Risikomanagement
vorgestellt.
Risikomanagement zur Einhaltung gesetzlicher Vorschriften
Das Risikomanagement muss so betrieben werden, dass gesetzliche Vorschriften
eingehalten werden. Die Einhaltung von Gesetzen ist eine Nebenbedingung für
Risikomanagement, sie darf nicht das Hauptziel sein. Die gesetzlichen Vorschrif-
ten in der Schweiz beschränken sich auf Veröffentlichungspflichten im Anhang
des Jahresabschlusses und geben nur indirekt Mindeststandards für das Risikoma-
nagement vor. Wichtig ist, ein für alle Stakeholder (Banken, Investoren, Aktionä-
re, Mitarbeiter) des Unternehmens akzeptables Risikomanagement zu implemen-
tieren. Nur so kann ein Kursabschlag nach der Veröffentlichung der Risikomana-
gement-Angaben vermieden werden.
3
Vgl. CCRO White Paper 2006, S. 69
166 3 Elektrizitätswirtschaft, Liberalisierung
4
AS NZS 4360:2004 Handbuch S.3
3.8 Risikomanagement in der Elektrizitätswirtschaft 167
- Keine Steuern,
- Unternehmensleitung und Investoren haben dieselben Informationen,
- Keine Transaktionskosten.
Unter diesen Bedingungen kann ein Investor die Firmenrisiken genauso gut absi-
chern wie die Firma selbst. Der Investor kennt die Risiken genauso gut wie die
Unternehmensleitung und er hat Zugang zu den Absicherungsprodukten. Da es
keine Steuern gibt, macht es auch steuerlich keinen Unterscheid, ob der Investor
oder das Unternehmen Risiken absichert. D.h. ein Investor kann bei perfekten
Kapitalmärkten durch Risikomanagement den gleichen Cash flow erzeugen wie
ein Unternehmen welches Risikomanagement betreibt. Es gibt für Investoren
keinen Grund das Risikomanagement von Unternehmen zu honorieren. Der Sha-
reholder Value einer Firma wird gleich sein, ob sie Risikomanagement betreibt
oder nicht. Bei dieser Argumentation handelt es sich um eine Abwandlung des
Modigliani Miller Theorems (1958).
In perfekten Kapitalmärkten kann Risikomanagement nicht zur Erzeugung von
Shareholder Value beitragen. In der Realität sind die Kapitalmärkte jedoch nicht
perfekt. Risikomanagement kann daher auf einem der drei nachfolgend genannten
Wege Shareholder Value erzeugen:
1. Durch Reduktion der Steuern, die ein Unternehmen oder seine Investoren
zahlen,
2. Durch Reduktion der Transaktionskosten eines Unternehmens (inkl. der
Reorganisationskosten, falls Unternehmen in Schwierigkeiten geraten),
3. In dem es sicher stellt, dass Unternehmen nur Investitionen tätigen, die
ihre Kapitalkosten decken.
Während 1. und 2. durch Kostenersparnisse den Shareholder Value steigern, er-
höht 3. über höhere Rentabilität und Wachstum den Unternehmenswert.
Droht ein Unternehmen in finanzielle Schwierigkeiten zu geraten (z.B. weil uner-
wartete Verluste aus Risiken eingetreten sind), werden häufig geplante Investitio-
nen gestrichen oder verschoben. Mit den frei werdenden Mitteln werden die finan-
ziellen Engpässe überbrückt. Hätten die Investitionen ihre Kapitalkosten gedeckt,
hätten sie den Shareholder Value erhöht. Indem Risikomanagement dafür sorgt,
dass ein Unternehmen immer genug freie Mittel hat, um wertsteigernde Investitio-
nen zu tätigen, erzeugt es Wert.
Wird neben dem Risiko- auch ein systematisches Chancenmanagement durchge-
führt, können mehr wertsteigernde Investitionsmöglichkeiten identifiziert und
durchgeführt werden, die den Unternehmenswert erhöhen.
168 3 Elektrizitätswirtschaft, Liberalisierung
Weniger Überraschungen
Durch vollständige Erhebung und das zielgerichtete Management von Risiken
werden die Auswirkungen und die Eintrittswahrscheinlichkeit von Risiken redu-
ziert, es gibt weniger überraschende Ergebniseffekte. Die Reduktion von Ergeb-
nisschwankungen (37%) sowie die Vermeidung von Kosten durch finanzielle
Schwierigkeiten (36%) 5 wurden in der Deutsche Bank-Umfrage als dritt- und
viertwichtigster Nutzen von Risikomanagement genannt.
Bessere Planungsqualität
Durch Integration von Planungs-/ Prognose und Risikomanagementprozess kön-
nen die Planungsergebnisse direkt durch das Risikomanagement verifiziert wer-
den. Basierend auf den Erkenntnissen der Risikoerhebung können direkt Maß-
nahmen abgeleitet werden, die dafür sorgen, dass die geplanten und kommunizier-
ten Ergebnisse auch erreicht werden. Kosten für diese Maßnahmen können in der
Planung berücksichtigt werden. Der Einfluss der übernommenen Risiken auf die
Planung kann abgeschätzt werden. Das Vorhersagen und Erreichen von Ergebnis-
sen wiederum stärkt das Vertrauen des Kapitalmarktes in das Firmenmanagement.
Schutzfunktion von Risikomanagement
Gutes Risikomanagement bietet Schutz für die Verantwortlichen, für den Fall das
Risiken eintreten. Wurden Risiken bewusst gemanaged, dann erfolgt der Schutz
auf zwei Ebenen. Zum einen werden die Effekte von Risiken ggf. geringer sein als
ohne Risikomanagement, zum anderen können die Verantwortlichen nachweisen,
dass sie bei der Behandlung des Risikos mit ausreichender Sorgfalt vorgegangen
sind.
Besseres Rating
Für Rating-Agenturen, Banken und Energiehändler ist ein professionelles Risiko-
management ein wesentliches Kriterium für die Unternehmensbonität. Wird das
Risikomanagement eines Unternehmens extern als solide beurteilt, kann dies zu
günstigeren Kreditkonditionen bei Banken und höheren Limiten im Energiehandel
führen.
Bessere Corporate Governance
Risikomanagement trägt zu guter Corporate Governance bei, da es der Unterneh-
mensleitung (UL) gewisse Sicherheit gibt, dass die Unternehmensziele innerhalb
eines tolerierbaren Restrisikos erreicht werden. Corporate Governance beschreibt
das System, mit dem Unternehmen geführt und kontrolliert werden. Corporate
Governance fokussiert auf das Verhältnis zwischen VR und UL sowie zwischen
Managern und Aktionären.
5
The Theory and Practice of Corporate Risk Management Policy, Henri Servaes und Peter Tufano,
Deutsche Bank Studie, Februar 2006, S. 24.
170 3 Elektrizitätswirtschaft, Liberalisierung
B) Organisation
Um den beschriebenen ERM Ansatz umzusetzen und zu leben, muss eine Aufbau-
organisation mit klaren Rollen und Verantwortlichkeiten für das Risikomanage-
ment definiert werden:
Chief Risk Officer: Leiter der Abteilung Corporate Risk Management. Verant-
wortlich für die Entwicklung der erforderlichen Risikomanagement-Instrumente,
die Überwachung der Risikomanagement-Prozesse und der Einhaltung der Risi-
kopolitik. Entwickelt die Konzernrisikopolitik und unterstützt Geschäftsfelder bei
der Formulierung eigener Risikopolitiken. Zuständig für die portfoliobasierte
Risikobewertung auf Konzernebene. Muss an eine ausreichend hohe Instanz re-
porten, um seine Governance Funktion ausüben zu können. Gemäß einer CCRO
Studie reporten 50% der CROs an den CFO, 23% an den CEO, 7% an die UL und
20% an andere Stellen. Auch wenn der CRO nicht direkt an die UL reportet, muss
er einen Zugang zur UL haben, da er letztendlich dafür verantwortlich ist, Limit-
verletzungen an die UL zu berichten. Koordiniert Risk Committee-Sitzungen.
Zuständig für Entwicklung und Koordination eines Risikomanagement-Schu-
lungsprogramms.
x Risk Committee: zusammengesetzt aus leitenden Mitarbeitern verschie-
dener Unternehmensbereiche und ggf. Vorständen. Überwacht und steu-
ert die Risikomanagementfunktion sowie das Management wesentlicher
Risiken des Unternehmens. Genehmigt Konzern- und Geschäftsfeld-
Risikopolitiken, Rollen- und Verantwortlichkeiten, Risiko-Appetit und
–Limite, wesentliche Risikominderungsmaßnahmen sowie Performance-
Ziele. Das RC kann auch Ausnahmen von der Risikopolitik genehmigen.
Das RC kommuniziert und diskutiert wesentliche Risikothemen mit der
UL. Je nach Unternehmen gibt es nur ein Konzern- oder Konzern- und
Geschäftsfeld Risk Committees. Gemäß einer Umfrage des CCRO ist der
CFO bei 97% der befragten Energieversorger Mitglied im Risiko-Com-
mittee, 75% der Befragten haben einen Vertreter der Rechtsabteilung im
RC, bei ca. 70% der Befragten sind CRO und die Geschäftsfeld-Leiter
Teil des RC.
x Unternehmensleitung: Da Risikomanagement auch Führungsaufgabe
ist, fällt es in den Verantwortungsbereich der UL. In manchen Unterneh-
men wird die Verantwortung direkt durch die UL wahrgenommen, in an-
deren durch das Prüfungs-Komitee. Die UL ist dafür verantwortlich, dass
geeignete Prozesse zur Identifikation und zum Reporting sowie Konzepte
für das Management der wesentlichen Risiken umgesetzt sind. Die UL
muss letztendlich das Gefühl haben, dass sie alle wesentlichen Risiken
3.8 Risikomanagement in der Elektrizitätswirtschaft 171
C) Abläufe/Prozesse
Risikoerhebung
Der Risikoerhebungsprozess sollte parallel zu den Controlling Prozessen in einem
Unternehmen durchgeführt werden. Über die Mittelfristplanung wird die erwartete
Geschäftsentwicklung der nächsten Jahre geplant und über die Prognosen deren
Erreichung kontrolliert. Wird parallel der Risikoerhebungsprozess durchgeführt,
werden Risiken für die Erreichung der Planung transparent und können in der
Planung berücksichtigt werden. Die Bottom-up Risiko-Identifikation sollte einmal
jährlich zusammen mit der Mittelfristplanung erfolgen. Zu jeder Quartalsprognose
genügt ein Update der bestehenden Risikosituation. Um gemäß der OR Neurege-
lung ab 2008 die Risikobeurteilung zum Jahresabschluss vornehmen zu können,
sollten die wesentlichen für die Beurteilung der Jahresrechnung relevanten Risi-
ken per 31.12. aktualisiert werden.
Aktualisierung Risikoappetit, Limitenstruktur und Risiko/Rendite-Ziele
Einmal pro Jahr, vor der Bottom-up Risikoerhebung parallel zur Mittelfristpla-
nung, sollte ein Unternehmen den definierten Risikoappetit überprüfen. Dazu kann
der gleiche Prozess wie weiter oben beschrieben angewandt werden. Ist der Risi-
koappetit neu festgelegt, sollte er auch direkt über den Limitenbaum heruntergeb-
rochen werden. Sofern vorhanden, können dann auch Risiko/Rendite-Ziele (RO-
RAC) angepasst werden, damit sie in der Planung berücksichtigt werden können.
Ggf. erforderliche EK-Anpassungen zur Risikoabsicherung sollten mit der Anpas-
sung des Risikoappetits diskutiert und in der Planung berücksichtigt werden.
172 3 Elektrizitätswirtschaft, Liberalisierung
3.8.2.3. Risikomanagement-Prozess
Dieser Prozess ist nicht nur der Berufswelt eigen, nein er wird auch oft im Privat-
leben angewandt. Als Beispiel sei die Hochgebirgstour genannt. Das Ziel der
Skitour ist, mit Freunden einen erlebnisreichen Tag zu verbringen und am Abend
wieder gesund zu Hause anzukommen. Im Geschäftsleben ist das Ziel i.d.R. eine
monetäre Größe aus dem Budget.
Der erfolgreichen 'Zielerfüllung' im Zusammenhang mit der Skitour lauern Gefah-
ren.
In einem ersten Schritt werden die Gefahren (Risiken) identifiziert: Die Routen-
wahl hängt maßgeblich von der Lawinensituation ab. Die wesentlichen Einfluss-
faktoren auf das Lawinenrisiko sind Neuschneemenge, Schneeaufbau, Hangaus-
richtung, Hangneigung, Temperaturprognose und Wetterprognose. Schenkt man
der Routenwahl z.B. der Hangausrichtung keine Bedeutung, kann dies fatale Fol-
gen haben. Ein nach Süden ausgerichteter Hang kann an einem sonnigen Tag
bereits vor dem Mittag derart aufweichen, dass sich Nassschneelawinen bilden
können, während zur gleichen Zeit ein Nordhang beste Verhältnisse bietet. In
einem zweiten Schritt wird versucht, qualitativ oder wenn möglich quantitativ jede
Gefahr zu bewerten. Dabei werden die Schadenhöhe und die Eintrittswahrschein-
lichkeit abgeschätzt. Eine Quantifizierung der Risiken ist oftmals schwierig, da
entsprechende Datengrundlagen fehlen. Meistens werden aus historischen Daten
Gesetzmäßigkeiten abgeleitet. Dies können Verteilfunktionen mit ihren charakte-
ristischen Größen, wie Mittelwert und Streuung oder empirische Formeln, mit
welchen die Zusammenhänge zwischen den wesentlichen Einflussfaktoren darge-
stellt werden. Jedes Risiko hat ihre Treiber. Diese Treiber gilt es zu definieren und
in den Griff zu bekommen. Einige der Treiber sind unbeeinflussbar, wiederum
andere können beeinflusst werden. Damit sind wir in der Lage, die Risiken durch
Maßnahmendefinition zu steuern. Der Gefahr unter eine Lawine zu geraten, kann
begegnet werden, indem kurz vor der Tour die Schnee- und Lawinensituation
abgeschätzt wird. Mit dieser Maßnahme kann das Ausmaß, d.h. die Schadenhöhe
zwar nicht beeinflusst aber die Eintrittswahrscheinlichkeit der Gefahr reduziert
werden (ich gehe nur, wenn dies das offizielle Lawinenbulletin zulässt). Den Nut-
zen aus den ersten drei Prozessschritten holen wir erst dann ab, wenn wir die
Maßnahme auch wirklich umsetzen werden. Damit haben wir erreicht, dass wir
den Risikogehalt durch gezielte Maßnahmen reduziert und gleichzeitig die Chan-
cen aufrechterhalten haben. Oder in die Geschäftswelt übertragen, haben wir das
Verhältnis Risiko zu Rendite zu unseren Gunsten beeinflusst!
3.8 Risikomanagement in der Elektrizitätswirtschaft 173
A) Identifikation
Risiko-Definition
Zu Beginn der Risikoidentifikation in einem Unternehmen muss klar sein, wie
Risiko genau definiert ist. Schon hier laufen die Vorstellungen und Ideen in den
berücksichtigten Rahmenwerken und der Praxis weit auseinander. Nachfolgend
einige Beispieldefinitionen:
Risiko-Glossar
Analog der Risikodefinition sollten vor Beginn der Risikoidentifikation alle we-
sentlichen Begriffe für das Risikomanagement eines Unternehmens in einem Risi-
ko-Glossar definiert werden, um einheitlichen Sprachgebrauch und einheitliches
Verständnis sicher zu stellen.
Vollständigkeit
Ziel der Risikoidentifikation ist es, eine möglichst vollständige Liste aller Risiken
des Unternehmens zu erhalten. Risiken, die nicht identifiziert werden, können
auch nicht bewertet, in den Management Prozess überführt und abgesichert wer-
den. Frühestens bei der Bewertung können einzelne Risiken über Wesentlichkeits-
grenzen aus dem weiteren Risikomanagementprozess ausgenommen werden.
Um Vollständigkeit zu erreichen, müssen Risiken, die in der Vergangenheit be-
reits aufgetreten sind (z.B. Zahlungsausfälle), erfasst werden aber auch Risiken,
die in Zukunft erst auftreten können (z.B. Wettbewerberverhalten). Dabei sollten
Risiken, die möglicherweise erst weit in der Zukunft liegen, nicht vergessen wer-
den. Es müssen Risiken aufgrund externer Ereignisse, wie z.B. politische, techni-
sche und wirtschaftliche Entwicklungen sowie interner Ereignisse, wie z.B. Mitar-
beiterfehler, Anlagenausfälle und Prozessfehler erfasst werden. Risiken müssen
erfasst werden, egal, ob sie vom Unternehmen beeinflussbar sind oder nicht.
Auch für Tochtergesellschaften muss eine vollständige Risiko-Identifikation
durchgeführt werden. Töchter mit eigenen Mitarbeitern können ein eigenständiges
Risikomanagement inkl. Risikoabsicherung gemäß der Konzernrisikopolitik auf-
bauen, sollten aber die wesentlichen Risiken gemäß definierter Meldegrenzen an
den Konzern melden, damit dieser eine komplette Übersicht der wesentlichen
Risiken im Konzern erhält.
Techniken zur Risiko/Ereignis-Identifikation
Um zu einer möglichst vollständigen Liste von Risiken/Ereignissen zu kommen,
können verschiedene Techniken angewandt werden. Welche die passendste ist,
hängt von der Komplexität des zu analysierenden Sachverhalts, der verfügbaren
Zeit und Ressourcen, der Unternehmensgröße etc. ab. Wichtig ist, dass die Risiko-
identifikation durch erfahrene Mitarbeiter, die sich im betrachteten Umfeld gut
auskennen, erfolgt. Indem die Risikoidentifikation im Team durchgeführt wird,
können Erfahrungen gebündelt und das Committment zum Ergebnis erhöht wer-
den. Alle an der Risikoidentifikation beteiligten Mitarbeiter sollten vor der Risiko-
174 3 Elektrizitätswirtschaft, Liberalisierung
identifikation eine Einführung in das Risikomanagement und die Begriffe aus dem
Risiko-Glossar erhalten haben.
x Moderierte Workshops und Interviews: Ein Risikomanager moderiert
einen Workshop oder ein Interview, um Ereignisse, die das EBITDA des
Unternehmens in einer bestimmten Abteilung/ einem Geschäftsbereich
beeinflussen, zu identifizieren.
x Prozessanalysen: Ein bestimmter Prozess wird von seinen Input-Fakto-
ren über die einzelnen Arbeitsschritte bis hin zum Output darauf hin ana-
lysiert, welche Ereignisse auftreten können, die die Erreichung der Pro-
zessziele gefährden. Auf einem hohen Aggregationsniveau können diese
Analysen für jeden Prozess durchgeführt werden. Bei Prozessen, bei de-
nen ein Fehler katastrophale Auswirkungen hätte, wie z.B. in einer Nuk-
learanlage, müssen die Analysen sehr detailliert erfolgen und sind extrem
aufwendig. Solch detaillierte Analysen sind in der Pharma-, Öl- und Nuk-
learindustrie unter dem Begriff HAZOP (Hazard & Operability Study)
bekannt. Ähnliche Analysen erfolgen in der Automobilindustrie unter
dem Begriff FMEA (Failure Mode and Effects Analysis) und in der Nah-
rungsmittelindustrie unter HACCP (Hazard Analysis and Critical Control
Points).
x Gefahrenlisten: Gefahrenlisten sind Checklisten zur Unterstützung der
Risikoerkennung. Sie enthalten typische Risiken einzelner Branchen oder
Prozesse. Die ONR 49002-1 enthält im Anhang ein Beispiel für eine rela-
tiv generische Gefahrenliste.
x Analyse historischer Verlustdaten: Hat das Unternehmen z.B. Daten
über die Autounfälle in ihrem Fuhrpark oder die Kunden, die ihre Strom-
rechnung nicht beglichen haben, so können diese auf Risikoursachen ana-
lysiert werden. Z.B. könnte eine Analyse feststellen, dass die meisten Au-
tounfälle von männlichen Aushilfen im Alter von 25-30 Jahren verur-
sacht werden. Daraufhin können dann entsprechende Maßnahmen ergrif-
fen werden.
x Was wäre wenn Analysen: Insbesondere für nur schwer greifbare Risi-
koursachen, wie z.B. strategische Risiken bieten sich ‚was wäre wenn’
Brainstorming Workshops an.
Damit die Risiko-/ Ereignisidentifikation z.B. in einem Workshop nicht in einer
wilden Sammlung ausartet, sollten durch vorbereitende Analysen die wesentlichen
Risikofelder identifiziert werden, um sicherzustellen, dass keine wesentlichen
Risiken vergessen werden. Risikofelder könnten z.B. die Kernprozesse des Unter-
nehmens sein oder Risiken, die die Erreichung der strategischen oder anderer
Unternehmensziele oder den Erhalt eines Wettbewerbsvorteils gefährden.
3.8 Risikomanagement in der Elektrizitätswirtschaft 175
Risikokategorisierung
Neben einem Risiko Glossar ist eine Risikokategorisierung ein gutes Tool, für die
Identifikation und Organisation der Unternehmensrisiken. Eine Risikokategorisie-
rung besteht aus verschiedenen Risikotypen, die anhand einer Hierarchie aufge-
gliedert werden. Die niedrigeren Ebenen der Risikohierarchie dienen der geordne-
ten Sammlung von Einzelrisiken, die dann entlang der Hierarchie zum Unterneh-
mens- oder Konzernrisiko aggregiert werden können. Höhere Hierarchieebenen
können für ein aggregiertes Risikoreporting an das Unternehmensmanagement
oder die UL genutzt werden.
Eine Risikokategorisierung kann aufgebaut werden, indem man eine generische
Risikoliste als Ausgangspunkt nimmt und nicht relevante Risiken streicht und
relevante ergänzt.
Für ein Unternehmen aus der Elektrizitätsbranche wäre eine dreistufige Risikoka-
tegorisierung denkbar. Die Hierarchieebenen könnten bestehen aus der Risikoka-
tegorie, der Risikosubkategorie und den Risiken selbst. Die Risikokategorien und
Subkategorien sollten möglichst sprechend definiert werden, damit schon vom
Namen klar wird, welche Risiken in diese Kategorie gehören. Außerdem sollten
die Kategorien möglichst überschneidungsfrei definiert sein.
Auf Ebene der Risikokategorien könnte ein regelmäßiges UL/VR Reporting auf-
gebaut werden. Die Risikokategorien sollten sich auch in der Struktur des Limi-
tenbaums widerspiegeln. Der Risikoappetit würde dann zunächst auf Geschäfts-
felder aufgeteilt und dann auf die definierten Risikokategorien. Eine Frage bei der
Bestimmung der Kategorien sollte daher auch sein, welche Risikokategorien will
man später je Geschäftsfeld separat reporten. Sind die definierten Risikokatego-
rien mit denen anderer Unternehmen vergleichbar, ist ein Benchmarking der zur
Risikoaggregation erforderlichen Korrelationen mit dem bei anderen Unterneh-
men (insbesondere Banken) möglich.
Risikokategorie wäre dann z.B. das Marktpreisrisiko, Risikosubkategorie darunter
wären Zins-, Währungs- und Kursrisiken und Einzelrisiko zum Kursrisiko wäre
z.B. das Kursrisiko des Stilliegungs- und Entsorgungsfonds.
Folgende Kategorisierung könnte bei einem Unternehmen zum Einsatz kommen:
176 3 Elektrizitätswirtschaft, Liberalisierung
Zum Abschluss der Risiko-Identifikation muss sichergestellt werden, dass sich die
Einzelrisiken nicht überschneiden, und es muss eine Zuordnung zu den Risikoka-
tegorien und Subkategorien erfolgen.
Zeitpunkt und Häufigkeit des Risikoidentifikationsprozesses
Da es bei der Risiko-Identifikation um die Abschätzung zukünftiger Ereignisse
geht, sollte sie parallel zu den Controlling-Prozessen (Planung, Prognose) durch-
geführt werden, bei denen ebenfalls in die Zukunft geschaut wird. Außerdem wird
bei der Planung operationalisiert, wie die Unternehmensziele erreicht werden
sollen. Wenn gleichzeitig die Risiken (und ggf. Chancen), denen das Unternehmen
unterliegt identifiziert/ aktualisiert werden, können z.B. direkt Maßnahmen be-
rücksichtigt werden, um Chancen besser zu nutzen und Risiken zu verringern. Die
Kosten/ Nutzen dieser Maßnahmen können direkt in der Planung/ Prognose be-
rücksichtigt werden. Die Bottom-up Risiko-Identifikation sollte einmal jährlich
zusammen mit der Mittelfristplanung erfolgen. Zu jeder Quartalsprognose genügt
ein Update der bestehenden Risikosituation. Um gemäß der OR-Neuregelung ab
2008 die Risikobeurteilung zum Jahresabschluss vornehmen zu können, sollten
die wesentlichen für die Beurteilung der Jahresrechnung relevanten Risiken per
31.12. aktualisiert werden.
Basis für die Risikobehandlung zu legen. Gemäß CCRO ist die Risikobewertung
der zwischen den verschiedenen Unternehmen am unterschiedlichsten gehandhab-
te Schritt im Rahmen des Risikomanagements.
Um alle Risiken einheitlich und vergleichbar zu bewerten, muss zunächst mög-
lichst genau festgelegt werden, wie die Risiken bewertet werden sollen.
Credible Worst Case Szenario
Wie bereits weiter oben beschrieben, ist ein Risiko eine mit einer Eintrittswahr-
scheinlichkeit und Schadenhöhe bewertete Gefahr. Die Gefahr entsteht durch ein
plötzlich oder allmählich eintretendes Ereignis, welches auf ein Objekt des Unter-
nehmens (Mitarbeiter, Anlage, etc.) einwirkt. Eine bestimmte Gefahr kann in sehr
verschiedenen Szenarien auftreten. Z.B. könnte ein Bearbeitungsfehler im Ener-
giehandel nur eine kleine Korrektur erfordern, ohne großen Schaden anzurichten
(Problem) oder aber einen katastrophalen Verlust erzeugen (Katastrophe). Prob-
leme mit geringer Auswirkung treten tendenziell öfter auf als Fehler mit katastro-
phalen Folgen. Für die Risikobewertung stellt sich die Frage, ob man eher ein
Problem mit geringer Auswirkung aber hoher Häufigkeit, oder den Katastrophen-
fall mit geringer Eintrittswahrscheinlichkeit aber hohem Schaden, oder einen Fall
dazwischen bewerten will.
Die AS/NZS 4360:2004 und die ONR vertreten beide die Auffassung, dass der so
genannte „credible worst case“ bewertet werden sollte, d.h. das schlimmstmögli-
che aber dennoch glaubhaft und vernünftige Szenario. Grund ist, dass diese Ge-
fahren die größte Bedrohung für die Existenz des Unternehmens darstellen und
der Unternehmensleitung bekannt sein sollten.
In manchen Fällen kann es auch angebracht sein, den Problem- und den Katastro-
phenfall einer Gefahr als getrennte Risiken zu behandeln. So könnte z.B. ein sehr
oft auftretendes Problem mit kleinem Schaden über die Zeit genauso folgenschwer
sein wie ein katastrophaler Schaden. Außerdem könnten die Maßnahmen zur Be-
handlung des Problemfalls ganz andere sein als für den katastrophalen Fall. Wich-
tig ist eine konsistente Bewertung und nicht die Schadenhöhe des Katastrophen-
falls mit der Eintrittswahrscheinlichkeit des Problemfalls zu mischen. 6
Soll eine Gefahr, um sie später auf der Risk Map einzutragen und darüber die
Risikobehandlung zu priorisieren, bewertet werden, sollte das Unternehmen den
credible worst case bewerten. Wird neben dem credible worst case noch ein weite-
res Szenario desselben Risikos in der Risk Map eingetragen, so muss dieses Risi-
ko nicht auch für die Risikokapitalabsicherung doppelt erfasst werden.
Brutto/Netto-Risiko
Bruttorisiko ist das Risiko, dem ein Unternehmen ausgesetzt ist ohne jegliche
Aktivität zur Reduktion von Eintrittswahrscheinlichkeit und Schadenhöhe. Netto-
risiko ist das nach allen Risikomanagement-Maßnahmen verbleibende Risiko.
6
Vgl. AS/NZS 4360:2004 Handbuch S. 67 und ONR 49002-1 S. 7 Absatz 4.2.2.2
178 3 Elektrizitätswirtschaft, Liberalisierung
Bei den quantitativen Bewertungen kann man gem. COSO drei Techniken unter-
scheiden:
1. Benchmarking: Einige Unternehmen nutzen Benchmarking, um Ein-
trittswahrscheinlichkeit und Schadenhöhe von branchenüblichen Risiken
zu bewerten.
2. Probabilistische Modelle: Bewerten Eintrittswahrscheinlichkeit und
Schadenhöhe basierend auf historischen Daten oder Simulationen und
projizieren diese auf die Zukunft. Beispiele sind: VaR, EaR und CFaR
Ansätze.
3. Non-Probabilistische Modelle: Quantifizieren die Schadenhöhe auf Ba-
sis subjektiver Annahmen, ohne die Eintrittswahrscheinlichkeit zu quan-
tifizieren. Beispiele sind: Szenario-Analysen, Sensitivitätsmasse und
Stress Tests.
In einem Konzern/ Unternehmen müssen nicht überall die gleichen Bewertungs-
methoden angewandt werden. Die Methode kann der benötigten Genauigkeit oder
den Erfahrungen des Geschäftsfelds angepasst werden. Um ERM betreiben zu
können, sollten die angewandten Methoden aber die Aggregation der Risiken zu
einer Konzernrisikozahl ermöglichen. So könnten z.B. die meisten Risiken über
einen VaR bewertet werden, das Geschäftsrisiko aber über einen EaR Ansatz. EaR
und VaR sind aggregierbar.
Bewertung von Chancen
Chancen werden analog zu Risiken mit Eintrittswahrscheinlichkeit und Auswir-
kung bewertet und auf einer Opportunity Map abgetragen. Rechts oben werden
dann die Opportunities stehen, auf deren Wahrnehmung sich das Unternehmen
konzentrieren sollte. Die übrigen Bewertungstechniken qualitativer und quantitati-
ver Art sollten analog auf Chancen übertragbar sein.
Verwendung beobachtbarer Daten
Unabhängig davon, ob Risiken qualitativ oder quantitativ bewertet werden, sollte
die Bewertung immer unter Berücksichtigung allen verfügbaren Datenmaterials
erfolgen, welches eine objektivere Risikobeurteilung als eine rein subjektive Ein-
schätzung zulässt. Interne Daten, die unternehmensindividuelle Erfahrungen wi-
derspiegeln sind dabei besser als externe. Selbst wenn interne Daten vorliegen,
können externe Daten einen zusätzlichen Anhaltspunkt für die Risikobewertung
liefern. Bevor vergangene Daten dazu verwendet werden Prognosen für die Zu-
kunft zu machen, muss geprüft werden, ob die das Risiko beeinflussenden Fakto-
ren sich ggf. geändert haben. Erst wenn gar keine Daten erhältlich sind, muss
geschätzt werden. Schätzungen können durch Diskussion in der Gruppe validiert
und auf eine breitere Grundlage gestellt werden.
3.8 Risikomanagement in der Elektrizitätswirtschaft 181
Wesentlichkeitsgrenzen
Frühestens im Rahmen der Risikobeurteilung können erste Risiken aus dem weite-
ren Prozess herausgenommen werden. Denkbar wäre, eine Wesentlichkeitsgrenze
einzuführen und z.B. Risiken mit einer Eintrittswahrscheinlichkeit kleiner 1% für
die weiteren Risikomanagement-Schritte außer Acht zu lassen. Mehrere Einzelri-
siken mit Eintrittswahrscheinlichkeiten <1%, die durch Wechselwirkungen eine
Eintrittswahrscheinlichkeit >1% haben können, sollten jedoch wieder berücksich-
tigt werden. Auch Risiken, die einzeln existenzgefährdend werden können (Scha-
den zehrt mehr als 100% des EBITDA oder mehr als 50% des EK auf), sollten
weiterhin berücksichtigt werden. Die derart „aussortierten“ Risiken sollten den-
noch katalogisiert und regelmäßig überprüft werden, um nicht in Vergessenheit zu
geraten.
Dokumentation der Risikobewertung
Das Zustandekommen der Risikobewertung muss gut dokumentiert sein, um spä-
ter z.B. nach Mitarbeiterwechseln nachvollziehbar zu sein. Es sollte dokumentiert
werden, wie hoch das Bruttorisiko ist, welche Risikominderungsmaßnahmen mit
welchem Einfluss berücksichtigt wurden, um auf das Nettorisiko zu kommen,
welche Annahmen insbesondere für Auswirkungen bei Risiken mit immateriellen
Schäden wie Reputation getroffen wurden, welche Primär- und Sekundärschäden
berücksichtigt wurden etc.
Korrelation von Einzelrisiken
Unter Korrelation von Risiken versteht man den Zusammenhang zwischen ver-
schiedenen Risikoursachen. Risikoursachen sind dann korreliert, wenn der Eintritt
von Ereignis A den Eintritt von Ereignis B auslöst oder dessen Eintrittswahr-
scheinlichkeit oder Schadenhöhe beeinflusst.
Korrelationen können über eine Risiko-Treiber-Karte analysiert werden. Hier
werden alle Risiken einer Risikokategorie aufgetragen und die Zusammenhänge
über Pfeile verdeutlicht. Kernfrage ist, verändert das Eintreten eines Events alleine
oder in Zusammenhang mit anderen die Eintrittswahrscheinlichkeit oder Schaden-
höhe eines anderen Events? Ist die Risikotreiber-Karte erstellt, kann man auf die
wichtigsten Events (= die, die sich durch Korrelation in ihrer Wirkung/ Eintritts-
wahrscheinlichkeit verstärken) fokussieren, um sie besser zu verstehen und zu
managen. 7
Die Korrelation wird über eine Zahl zwischen 0 und 1 ausgedrückt. Bedeutet das
Eintreffen von Ereignis A zwingend, dass auch Ereignis B eintritt, so ist die Kor-
relation = 1. Tritt B auf keinen Fall ein, wenn A eintritt, ist die Korrelation = -1.
Sind A und B unabhängig voneinander, ist die Korrelation = 0. Positiv korrelierte
Ereignisse verstärken sich in ihrer Wirkung, während negativ korrelierte Ereignis-
se zu einem Diversifikationseffekt führen.
7
Vgl. ERM FAQ Guide, Protiviti Inc., S. 61
182 3 Elektrizitätswirtschaft, Liberalisierung
Die Berücksichtigung von Korrelationen ist ein wesentlicher Aspekt eines ERM
Ansatzes. Im Vergleich zu den bisher üblichen Insellösungen für einzelne Risiken
in einzelnen Geschäftsfeldern, zeichnet sich ERM dadurch aus, dass alle Risikoar-
ten über die Geschäftsfelder hinweg mit vergleichbaren Messgrößen bewertet,
aggregiert und dann auf Portfolioebene gemanaged werden. Bei der Aggregation
müssen Korrelationen berücksichtigt werden. Nur so werden die Portfolioeffekte,
die zu einer effizienteren Nutzung von Risikokapital führen, ausgenutzt und die
Ausschöpfung des definierten Risikoappetits richtig ermittelt.
Die Quantifizierung von Korrelationen steckt derzeit weltweit noch in den Anfän-
gen. Idealerweise werden Korrelationen auf der Basis historischer Daten über
Regressionsanalysen abgeleitet. Die dazu erforderliche Datenbasis ist in den meis-
ten Unternehmen jedoch nicht vorhanden. Alternativ bleibt nur, die Korrelationen
über subjektive Einschätzung z.B. mit Hilfe der oben erwähnten Risikotreiber-
Karte „abzuschätzen“. Auf diesem Weg ist i.d.R zumindest eine tendenzielle Be-
wertung der Korrelation zwischen zwei Risiken möglich. Tendenziell heißt, man
kann sagen, ob die Korrelation 1,-1 oder 0 ist, beziehungsweise zwischen 0 und 1
oder 0 und -1 liegen müsste. Allein eine derartige Tendenzaussage ist für die Ab-
schätzung von Portfolioeffekten schon sehr hilfreich. Eine Fehleinschätzung kann
aber auch zu einer erheblichen Fehleinschätzung des Portfolioeffekts und damit
der berechneten Risikoposition führen, so dass Korrelationen immer konservativ
bewertet werden sollten. Im konservativsten Fall geht man davon aus, dass alle
Einzelrisiken positiv korreliert sind und addiert sämtliche Einzelrisiken auf. Die-
sen Ansatz sollte man wegen der daraus resultierenden starken Überschätzung des
Risikos nur wählen, wenn keine Abschätzung der Korrelation möglich ist.
Bei der Aggregation von Risiken entlang des Limitenbaums müssen immer wieder
Korrelationen berücksichtigt werden. Die Auswirkung einer Fehleinschätzung
wird umso größer, je weiter oben im Limitenbaum man sich befindet. Insbesonde-
re für die Korrelationen auf höheren Stufen des Limitenbaums sollte daher ver-
sucht werden, externe Benchmarks zu erhalten. So sollte z.B. die Korrelation des
Kredit- und des Marktrisikos im Handel der Korrelation dieser Risiken bei einer
Bank ähnlich sein. Bei dem Vergleich mit Benchmarks ist zu beachten, dass die
Risikokategorie mit der des als Vergleich genutzten Benchmarks identisch ist. Die
Dresdner Bank schätzt die Zusammenhänge ihrer Hauptrisikoarten wie folgt ein 8
(Tabelle 3.21):
8
Quelle: Präsentation an der Uni Köln, Seminar für Allgemeine Bank BWL, Dr. Martin Knippschild,
8.11.2005, S. 22
3.8 Risikomanagement in der Elektrizitätswirtschaft 183
Risiko-Aggregation
Die Aggregation von Einzelrisiken zu einer Konzernrisikozahl ist nur möglich,
wenn alle Einzelrisiken quantifiziert wurden. Erfolgte die Risikobewertung mit
einer VaR, EaR oder CFaR Größe, ist eine Aggregation mathematisch gut mög-
lich.
Risiko-Priorisierung
Nachdem alle Risiken bewertet wurden, muss als nächstes eine Risiko-Priorisie-
rung durchgeführt werden. Kein Unternehmen hat ausreichend Ressourcen, um
alle seine Risiken zu behandeln oder Chancen zu verfolgen. Über die Priorisierung
werden aus der Gesamtheit der Risiken/ Chancen die herausgefiltert, die einer
weiteren Behandlung bedürfen. Wie die Risikopriorisierung erfolgen sollte, hängt
von den Zielen ab, die das Unternehmen mit Risikomanagement verfolgt. Die mit
dem Risikomanagement verfolgten Ziele inkl. Kriterien anhand derer je Risiko
ermittelt werden kann, ob es die Risikotoleranzgrenze überschritten hat, sollten in
der Risikostrategie definiert werden.
Ein weit verbreiteter Ansatz ist, Risiken in drei Klassen zu unterteilen: 9
1. Ein oberes Band, in dem Risiken als inakzeptabel angesehen werden un-
abhängig vom Nutzen, der mit diesen Risiken verbunden ist, und in dem
Risiken reduziert werden müssen, unabhängig von den dabei anfallenden
Kosten.
2. Ein mittleres Band, in dem Kosten und Nutzen von Risiken und Bewälti-
gungs-Maßnahmen abgewogen werden, bevor sie ergriffen werden.
3. Ein unteres Band, in dem Risiken als vernachlässigbar klein angesehen
werden, so dass keine Behandlung erforderlich ist.
9
Vgl. AS/NZS 4360:2004 Handbuch, S. 65
184 3 Elektrizitätswirtschaft, Liberalisierung
gravierend
100%
hoch
25%
moderat
5%
unwesentlich Eintritts-
wahrscheinlich-
5% 20% 50% 100% keit pro Jahr
ich ich ich
nl lte
n
nl nl
ei ei ei
sc
h se h c h
hr sc rs
a hr ah
un
w wa w
hr
se
Abb. 3.58. Risk Map zur Darstellung der Priorisierung der Unternehmensrisiken
3.8 Risikomanagement in der Elektrizitätswirtschaft 185
C) Steuerung / Maßnahmen
Eingangsgröße für diesen Schritt ist eine Liste von priorisierten Risiken, die einer
Behandlung bedürfen. Im Rahmen dieses Schrittes werden dann Behandlungsop-
tionen je Risiko identifiziert und bewertet, Implementierungspläne aufgestellt und
umgesetzt.
Grundsätzlich fallen alle Behandlungsmöglichkeiten für ein Risiko in eine der
folgenden Kategorien:
Vermeiden: Es werden Maßnahmen getroffen, die Aktivitäten, die das Risiko
verursachen, zu unterlassen bzw. gar nicht erst anzufangen. So könnten Risiken
vermieden werden, indem bestimmte Produkte nicht mehr hergestellt werden,
nicht in einen neuen geographischen Markt expandiert wird oder ein Teilkonzern
verkauft wird.
Reduzieren: Es werden Maßnahmen getroffen, die Eintrittswahrscheinlichkeit
und/ oder Schadenhöhe des Risikos bis auf ein für das Unternehmen akzeptables
Maß zu reduzieren. Dazu könnte z.B. die räumliche Trennung von zentraler Leit-
stelle und EDV-Rechenzentrum gehören, um in einem Katastrophenfall nicht
beides zu verlieren (Reduktion Schadenhöhe) oder die Verbesserung von internen
Kontrollaktivitäten, um die Eintrittswahrscheinlichkeit bestimmter Risiken zu
reduzieren.
Teilen: Es werden Maßnahmen getroffen, die Eintrittswahrscheinlichkeit und/
oder Schadenhöhe des Risikos bis auf ein für das Unternehmen akzeptables Maß
zu reduzieren, indem es mit anderen Parteien geteilt oder auf andere Parteien
transferiert wird. Gängige Techniken Risiken zu teilen sind das Abschließen von
Versicherungen oder anderen Verträgen wie z.B. Outsourcing Verträge.
Akzeptieren: Es werden keine Maßnahmen getroffen, um Eintrittswahrschein-
lichkeit und/ oder Schadenhöhe des Risikos zu beeinflussen. Das Akzeptieren
eines Risikos lässt darauf schließen, dass es sich bereits im für das Unternehmen
akzeptablen Rahmen befindet. Ein Risiko zu akzeptieren bedeutet jedoch nicht,
dass es einfach tatenlos hingenommen wird. Stattdessen könnte es sein, dass ein
Unternehmen das Risiko bewusst akzeptiert, weil es einen angemessenen Nutzen
oder Wettbewerbsvorteil bietet, und sich gegen die mögliche Gefahr mit EK/
Liquidität absichert. Ein Risiko könnte auch deshalb akzeptiert werden, weil es ein
anderes Risiko gibt, durch welches es ganz oder teilweise kompensiert wird.
Schließlich könnte das Risiko deshalb akzeptiert werden, weil für dessen Über-
nahme am Markt eine angemessene Risikoprämie erzielbar ist.
Bei der Behandlung von Chancen kann analog vorgegangen werden. Chancen
können aktiv angegangen werden, indem Aktivitäten gestartet werden, um die
Chance zu kreieren oder aufrecht zu erhalten. Eintrittswahrscheinlichkeit und
Schadenhöhe der Chance können erhöht werden, die Chance kann geteilt werden,
etc.
186 3 Elektrizitätswirtschaft, Liberalisierung
D) Überwachung
Im Rahmen des Monitorings wird die Einhaltung aller in den vorherigen Schritten
beschlossenen Maßnahmen überwacht. Dazu gehören z.B.:
- Einhaltung von Limiten
- Veränderungen der Risikoposition
- Absicherung durch Risikokapital
- Einhaltung von Risiko-Rendite Vorgaben
- Fortschritt und Wirksamkeit der Umsetzung von Risikobehandlungsmaß-
nahmen
- Einhaltung von Vorgaben der Risikopolitik
- Etc.
Über das Reporting werden regelmäßig Informationen über die Risikosituation
und die Ergebnisse des Monitorings von der operativen Ebene an das Management
berichtet. Weil z.B. Limite die Grenze zwischen zulässigem und zu behandelndem
Risiko darstellen, ist das Monitoring und Reporting von Limit-Überschreitungen
eine kritische Information vom operativen Geschäft an das Management, welches
letztendlich für das Risikomanagement und die Unternehmensperformance ver-
antwortlich ist. Ohne zeitnahe Informationen kann das Management dieser Ver-
antwortung nicht gerecht werden. Um Konsistenz, Transparenz und Korrektheit
der Daten sicher zu stellen, sollte eine formale Reporting-Struktur mit regelmäßi-
gen Standard Reports aufgesetzt werden. Die Reporting-Struktur wird später als
zentrales Nervensystem dienen, welches alle kritischen Risiko-Informationen an
3.8 Risikomanagement in der Elektrizitätswirtschaft 187
10
Amhofer&Schweizer: „Anleger bezahlen Prämie für risikobewusste Unternehmen“, Artikel aus
Finanz und Wirtschaft Nr. 93; S. 22; 23.11.2005
3.8 Risikomanagement in der Elektrizitätswirtschaft 189
das Risiko dar. Hier ist es wichtig, dass über die Planungsmethoden des Control-
lings ein zuverlässiger Erwartungswert ermittelt wird. Würde der Planwert nicht
mit dem Erwartungswert übereinstimmen, würden die Abweichungen aufgrund
unsauberer Planung als Risiko gemessen. Die Standardabweichung der Normal-
verteilung wird aus der historischen Entwicklung des Positionswertes ermittelt
(auf Basis einer 5-10 Jahres Zeitreihe).
Einzelne GuV Positionen könnten auch von außerordentlichen Ereignissen („er-
eignisorientierte Risiken“) abhängen. Diese Positionen werden dann als Binomial-
verteilung modelliert mit den Zuständen: Risiko tritt ein oder nicht.
Wird dies für jede GuV Position gemacht, dann kann z.B. mit Hilfe des Tools
Crystal Ball ein Simulationsmodell für die GuV aufgebaut werden mit dem Jah-
resüberschuss als Ergebnisgröße. Crystal Ball kann dann in unabhängigen Simula-
tionsläufen viele Geschäftsjahre durchspielen und jeweils die Ausprägungen der
GuV sowie der Zielgröße Jahresüberschuss berechnen. Durch die Simulation wird
eine repräsentative Stichprobe aller möglichen Risiko-Szenarien des Unterneh-
mens bestimmt und ausgewertet. Aus den ermittelten Realisationen der Zielgröße-
Jahresüberschuss ergibt sich eine Wahrscheinlichkeitsverteilung, auf deren Basis
ein Earnings at Risk Wert errechnet werden kann. Bei diesem Earnings at Risk
Wert handelt es sich um die innerhalb einer Periode mit einer bestimmten Konfi-
denz maximale Abweichung des Jahresüberschusses von dem aus der Planung
erwarteten Wert.
Über den gleichen Ansatz kann auch ein Cashflow at Risk Modell (CFaR) aufge-
baut werden, um ein bestimmtes Cashflow Ziel besser zu erreichen und das Liqui-
ditätsrisiko besser zu managen. Da die Berechnung des Cashflows aber schon
wesentlich komplexer ist als die des Jahresüberschusses, ist bereits der Aufbau
eines Pro Forma Modells sehr anspruchsvoll.
Option 1 Option 2
Plan GuV 2008 Pro Forma Modell Risikofaktormodell
• Modellierung der GuV • Modellierung der
Umsatz 1.000
Positionen (z.B. Umsatz) als Risikofaktoren je GuV
+ Sonstige Erträge 250 Zufallsvariable Position als Zufallsvariable
- Materialaufwand 500 • Erwartungswert = Budgetwert (z.B. Preis und Menge statt
• Standardabweichung aus Umsatz)
- Personalaufwand 300
Historie • Erwartungswert = Budgetwert
- Sonstiger Aufwand 100 • Standardabweichung aus
= EBITDA 350 Historie angepasst gemäß
Erwartung
- Abschreibungen 200
+ Finanzergebnis 80
Monte Carlo Simulation &
- A.O. Ergebnis -40 Sensitivitätsanalysen
= Ergebnis vor Steuern 190
Ergebnis:
• Earnings at Risk (EaR) Wert für EBITDA, der die mögliche
Schwankungsbreite aufzeigt
• Schwankungsbreite je GuV Position
• GuV Positionen/ Risikofaktoren mit grösstem Einfluss auf
EBITDA
Vorteile
Der Vorteil dieses Ansatzes besteht darin, dass die Planungsunsicherheit jeder
einzelnen Position, aber insbesondere der Zielgröße Jahresüberschuss, verdeutlicht
wird. Es wird klar, ob wichtige Größen, wie der Umsatz oder der Jahresüber-
schuss, um ein 1% oder um 20% um den Planwert schwanken können. Dabei wird
nicht nur das Risiko, also die mögliche Abweichung vom Planwert nach unten,
sondern auch die Chance den Planwert zu übertreffen, sichtbar gemacht. Über
Sensitivitätsanalysen kann ermittelt werden, welche GuV Positionen den Jahres-
überschuss besonders stark beeinflussen. Durch Analyse der Gründe für die
Schwankungen in diesen Positionen und das Ergreifen entsprechender Maßnah-
men kann das Risiko von Abweichungen des Jahresüberschusses vom angestreb-
ten Planwert reduziert werden. Treten dennoch Abweichungen auf, sind diese
besser erklärbar.
Nachteile
Der Nachteil bei diesem Vorgehen besteht darin, dass die Vergangenheit auf die
Zukunft projiziert wird. Durch die Ableitung der Standardabweichung jeder ein-
zelnen Position aus der Vergangenheit, wird angenommen, dass die Volatilität der
einzelnen Positionen sowie die Korrelation der Einflussfaktoren auf jede Position
auch in Zukunft unverändert bleiben. Hinzu kommt, dass buchhalterische Auf-
wandsbuchungen (z.B. die Erhöhung von Pensionsrückstellungen, Goodwillab-
schreibungen, etc.) den EaR Wert verzerren. Da die Bilanz und GuV Positionen
direkt als Zufallsvariable modelliert werden, werden die Risikotreiber nicht deut-
lich. Umsatzschwankungen können z.B. durch Preis- oder Mengen-Schwankungen
oder eine Kombination von beidem verursacht worden sein. Diese für das Mana-
gement und die Verminderung von Risiken relevante Ursache-Wirkungsbeziehung
wird bei diesem Ansatz nicht deutlich.
11
Vgl. Dr. Werner Gleissner; “Auf nach Monte Carlo”, in RISKNEWS Heft 1/2004, S. 36
3.8 Risikomanagement in der Elektrizitätswirtschaft 193
übliche Weg über das Capital Asset Pricing Modell ist nicht nötig 12 . Außerdem
kann auf diesem Weg jedem Geschäftsfeld ein EK Anteil zugeordnet werden,
ohne eine aufwendige bilanzielle Aufteilung des EK vornehmen zu müssen.
Risikoorientierte Steuerung
Setzt man ein Planungsmodell je Geschäftsfeld auf, kann über eine Risiko-Ren-
dite-Kennzahl risikoorientiert gesteuert werden. Je Geschäftsfeld kann dann z.B.
der erwartete Ertrag gem. Mittelfristplanung dem risikobedingten EK-Bedarf
(Berechnung über die EaR vgl. Punkt 1) gegenüber gestellt werden, um den RO-
RAC (Return on Risk Adjusted Capital) zu berechnen. Der RORAC zeigt auf,
welches Geschäftsfeld eine höhere Rendite auf seine EaR verdient. Bei Geschäfts-
feldern mit schlechterem RORAC können dann Maßnahmen identifiziert werden,
um das Risiko zu senken, oder das Ergebnis (bei konstantem Risiko) zu erhöhen.
Erreichbare Ziele
Aufgrund der anstehenden Marktliberalisierung müssen die Schweizer Unterneh-
men mit stärker schwankenden Ergebnissen rechnen. Mit Hilfe der beschriebenen
Planungsmodelle können die Unsicherheiten in einzelnen Planungspositionen, und
ihr relativer Einfluss auf das Jahresergebnis verdeutlicht werden. Konzentriert
man das Risikomanagement auf die Risiken, die den größten Einfluss auf die
kritischen Plangrößen haben, kann man das angestrebte Jahresergebnis sicherer
erreichen (weniger Überraschungen). Das Erreichen zuvor angekündigter Ergeb-
nisse wird das Vertrauen der Stakeholder in das Unternehmen und sein Manage-
ment erhöhen. Sind die Jahresergebnisse im Zeitablauf steigend geplant, tragen die
Planungsmodelle auch zu einer Shareholder Value Steigerung bei. Dasselbe gilt,
wenn es gelingt, mit Hilfe der Planungsmodelle die Volatilität der Jahresergebnis-
se zu senken oder Kosten durch unerwartet eintretende Risiken zu reduzieren.
Nicht erreichbar ist eine Risikoabsicherung, wie nach dem oben beschriebenen
Vorgehen, der Banken. Beim pro Forma Planungsmodell ergibt sich der EaR
Wert, auf dessen Basis das zur Absicherung nötige EK bemessen wird, ausschließ-
lich auf der Basis vergangenheitsorientierter Schwankungen. Angenommen ein
Unternehmen würde auf der Basis eines solchen Modells ihr EK bemessen, dann
wäre unter der Annahme, dass es in den letzten 5 Jahren nie einen Ausfall gab,
kein Aufwand in der GuV vorgesehen. Damit wäre das gesamte Kreditrisiko nicht
abgesichert. Im fortgeschritteneren Risikofaktormodell könnte das Kreditrisiko
zwar modelliert werden, es besteht aber der Nachteil, dass nicht alle Risiken in ein
solches Modell einbezogen werden können. Selbst wenn die wesentlichen Ein-
flussfaktoren berücksichtigt sind, können die unberücksichtigten in Summe den-
noch existenzgefährdend sein, und wären nicht abgesichert.
Allein durch die beschriebenen Planungsmodelle würden auch die gesetzlichen
Anforderungen nicht eingehalten. Sowohl beim Pro Forma als auch beim Risiko-
faktormodell fehlt die risikoorientierte Sicht. Es kann nicht gesagt werden, wie
12
Vgl. Dr. Werner Gleissner; “Die Aggregation von Risiken im Kontext der Unternehmensplanung“,
Zeitschrift für Controlling & Management Heft 5/2004, S. 356
194 3 Elektrizitätswirtschaft, Liberalisierung
hoch das Kredit- oder das Marktpreisrisiko ist, worüber nach IFRS 7 aber geson-
dert zu berichten ist.
B) Zielerreichung erhöhen
Durch die Verknüpfung von Risiken und Unternehmenszielen können die für die
Zielerreichung wesentlichen Risiken erkannt und gemanaged werden
Alle Rahmenwerke zum Thema Risikomanagement vertreten die Auffassung, dass
Risikomanagement betrieben werden sollte, um die Ziele des Unternehmens mit
angemessener Sicherheit zu erreichen. Diese Idee kommt beim Risikomanagement
von Banken bisher zu kurz. Viele Unternehmen die Risikomanagement betreiben,
haben damit begonnen eine systematische Erhebung und Bewertung ihrer Risiken
durchzuführen. Bei der Frage, welche der Vielzahl an Risiken, die bei einer Risi-
koinventur identifiziert werden vorrangig gemanaged werden sollen, fehlt jedoch
der Maßstab. Zunächst werden die existenzgefährdenden Risiken betrachtet, aber
dann fehlt es an Kriterien zur Priorisierung.
Eine weitergehende Priorisierung der Risikobehandlung kann erfolgen, indem die
Risiken den Unternehmenszielen zugeordnet werden. Die Auswirkung jedes ein-
zelnen Risikos auf die Erreichung des Unternehmensziels muss dann unter Be-
rücksichtigung von Korrelationen quantifiziert werden. Risiken, die die Zielerrei-
chung besonders stark beeinflussen müssen vorrangig gemanaged werden.
Bei der Zuordnung der Risiken zu den Unternehmenszielen sollten zwei Ebenen
von Unternehmenszielen unterschieden werden. Strategische und operative Ziele.
Nachdem ein Unternehmen seine Strategie festgelegt hat, sollte diese operationali-
siert werden. Z.B. kann die Unternehmensstrategie: „Profitables Wachstum“ durch
die strategischen Ziele:
- ‚Überdurchschnittliches Wachstum im Segment Key Accounts’ und
- ‚Überdurchschnittliche Profitabilität im Segment Key Accounts’
operationalisiert werden. Um diese strategischen Ziele zu erreichen, werden die
Kennzahlen:
- ‚Umsatzwachstum im Segment Key Accounts im Vergleich zu den übrigen
Segmenten’ und
- ‚Gewinnwachstum im Segment Key Accounts im Vergleich zu den übrigen
Segmenten’
definiert. Für diese beiden Kennzahlen kann dann ein Planwert für das Budgetjahr
sowie die Folgejahre festgelegt werden, um die Zielerreichung messbar zu ma-
chen.
Risiken beeinflussen den Grad der Zielerreichung gemessen an den o.a. Kennzah-
len. Man kann jetzt den Risikokatalog aus der Risikoinventur durchgehen und alle
Risiken, die diese Kennzahlen beeinflussen, herausfiltern. Der Einfluss der Risi-
ken auf die zugeordneten Kennzahlen muss dann quantifiziert werden. Dies kann
3.8 Risikomanagement in der Elektrizitätswirtschaft 195
z.B. durch die Quantifizierung eines Best, Worst und Expected Case erfolgen. In
einem fortgeschritteneren Verfahren können die Risiken auch als Zufallsvariable
über eine Monte Carlo Simulation modelliert werden. Wirken mehrere Risiken auf
eine Kennzahl, muss die Quantifizierung unter Berücksichtigung von Wechsel-
wirkungen erfolgen.
Erreichbare Ziele
Durch die Zuordnung und Quantifizierung der Risiken zu den strategischen Un-
ternehmenszielen, wird die relative Bedeutung einzelner Risiken für die Zielerrei-
chung klar. Das Risikomanagement kann sich dann auf die für die Zielerreichung
wesentlichen Risiken konzentrieren. Dasselbe Vorgehen kann für die operativen
Ziele z.B. in den Geschäftsfeldern angewandt werden. Durch das gezielte Mana-
gement der für die Zielerreichung wesentlichen Risiken sollten die Unterneh-
mensziele mit größerer Wahrscheinlichkeit erreicht werden. Es sollte weniger
Überraschungen bei der Zielerreichung geben, und die Corporate Governance
wird verbessert.
Der Ansatz berücksichtigt nicht den Aspekt der Risikoabsicherung oder der Ein-
haltung von Gesetzen. Er sollte daher nur als Ergänzung zu einer Risikoabsiche-
rung angesehen werden. Eine Verbesserung der Planungsqualität kann nur indirekt
erreicht werden, indem die für bestimmte Ziele als wesentlich erkannten Risiken
in der Planung besonders berücksichtigt werden (z.B. über Szenarien oder mit
Absicherungskosten). Zu einer Shareholder Value Steigerung trägt der Ansatz nur
bei, wenn es die Unternehmensziele, die man sicherer erreichen will, tun.
C) Chancenmanagement
Durch ein dem Risiko analoges Chancenmanagement können bestehende Ertrags-
potentiale identifiziert und ausgeschöpft werden.
Chancen müssen unterschieden werden in risikoinhärente Chancen und ganz neue
Chancen, die einem Unternehmen neue Geschäftsmöglichkeiten eröffnen.
Risikoinhärente Chancen 13
Definiert man Risiko als die von einem Ereignis oder Umstand bedingte negative
Abweichung von einem unter Unsicherheit geplanten Ziel, dann ist eine Chance
die möglicherweise positive Abweichung aus demselben Ereignis oder Umstand.
Chance und Risiko sind zwei Seiten derselben Medaille. Das Potential für das
Chancenmanagement hängt dann davon ab, wie ambitioniert das Ziel gesetzt wur-
de.
Eingangsgrößen für die Planung eines Unternehmens sind die aus der Strategie
abgeleiteten operativen Ziele sowie eine Anzahl an Planungsprämissen (Strom-
preisentwicklung, Produktionskapazität, Zinsentwicklung, Wechselkurse, etc.).
Basierend auf seinen Handlungsoptionen, plant ein Unternehmen, welche Maß-
13
In Anlehnung an: RMA Standard “Risiko- und Chancenmanagement“; RiskManagement Association
e.V.; 9.2.2006; S.7;13 und 19.
196 3 Elektrizitätswirtschaft, Liberalisierung
14
In Anlehnung an: “Erfolgreiches Chancenmanagement in mittelständischen Unternehmen“, Projekt-
ergebnisbericht der KPMG in Zusammenarbeit mit der Wissenschaftlichen Hochschule für Unterneh-
mensführung (WHU) zum Thema Chancenmanagement.
3.8 Risikomanagement in der Elektrizitätswirtschaft 197
knappung mit hohen Ausgaben für die Strombeschaffung rechnen. Damit ist nicht
gesagt, dass eine marktbasierte Beschaffungspolitik nicht langfristig erfolgreich
sein kann. Es ist vielmehr wichtig, die Risiken zu identifizieren und zu quantifizie-
ren.
Im Zusammenhang mit dem Stromhandel ist zudem das Wechselkursrisiko zu
erwähnen, welches allerdings weniger bei kurzfristigen Verträgen relevant ist,
sondern vor allem bei langfristigen Vereinbarungen zu beachten ist.
Die Unsicherheiten in der Elektrizitätswirtschaft lassen sich in drei Bereiche
einteilen: Elektrizitätsnachfrage, Elektrizitätserzeugung und Elektrizitätsübertra-
gung und -verteilung.
400
350
300
250
Euro/ MWh
200
150
100
50
0
Jun '06 - Mai '07
Abb. 3.63. Entwicklung des Zinssatzes für langfristiges Kapital am Beispiel der Anleihen
der öffentlichen Hand [3.8]
í Zinsentwicklung (Abb. 3.63): Die hohe Kapitalintensität und eine mit der tech-
nischen Nutzungsdauer korrelierende lange Abschreibungsdauer der
Kraftwerke führen zu einem starken Einfluss des Zinssatzes auf die Stro-
merzeugungskosten. Steigende Zinsen können die Konkurrenzfähigkeit
von Kern- bzw. Wasserkraftwerken gegenüber weniger kapitalintensiven
Kraftwerkstypen wie Gasturbinen oder Gaskombi-Kraftwerken negativ be-
einflussen.
3.8 Risikomanagement in der Elektrizitätswirtschaft 201
Das Übertragungs- und Verteilnetz stellt im Prinzip das einzige natürliche Mono-
pol in der Elektrizitätswirtschaft dar. Diesem Umstand wurde und wird bei der
Neugestaltung der Elektrizitätsversorgung Rechnung getragen, indem im liberali-
sierten Markt innerhalb eines Gebiets nur maximal je ein Netzbetreiber pro Über-
tragungsnetz und Verteilnetz zugelassen wird. Netzmonopolisten sind i. Allg. zur
Preistransparenz und Nichtdiskriminierung verpflichtet.
Für die Teilnehmer am Elektrizitätsmarkt stellt das Netz dahingehend ein Risiko
dar, dass es zu Einschränkungen bei der Wahlfreiheit der Vertragspartner auf-
grund fehlender Infrastruktur oder temporärer Beschränkungen der Transportka-
pazitäten kommen kann. Für die Marktteilnehmer ist es i. Allg. sehr schwierig mit
diesem Risiko umzugehen.
202 3 Elektrizitätswirtschaft, Liberalisierung
D) Hohe Unsicherheiten
Risiken ergeben sich durch den Wechsel der Bedingungen für Investitionen. Ein
Preisrisiko basiert auf Preisschwankungen. Es kann sein, dass Güter dann, wenn
sie teuer sind gekauft, und auf der anderen Seite zu tiefen Preisen verkauft werden
müssen. Allerdings stellen Preisschwankungen natürlich nicht nur Risiken dar,
sondern auch Chancen.
Das Maß dafür, wie stark ein Preis in Bezug auf die Frequenz der Variationen
schwankt, wird auch als Volatilität eines Preises bezeichnet. Eine hohe Volatilität
bedeutet, dass der Preis stark schwankt, wohingegen eine tiefe Volatilität auf ge-
ringe Preisschwankungen hinweist.
Die Volatilität des Energiepreises auf dem Nordic Market ist verglichen mit an-
deren Produkten sehr hoch. Abbildung 3.64 zeigt, dass der mittlere Tagespreis
während eines Jahres zwischen 5 und 30 EUR/MWh schwanken kann. Die Ener-
gie wird an den Energiemärkten normalerweise für jede Stunde gehandelt. Die
Variation dieses Systempreises ist in Abb. 3.65 für Mai 2000 dargestellt.
Euro/MWh
30,00
25,00
20,00
15,00
10,00
5,00
0,00
99-01-01
99-01-15
99-01-29
99-02-12
99-02-26
99-03-12
99-03-26
99-04-09
99-04-23
99-05-07
99-05-21
99-06-04
99-06-18
99-07-02
99-07-16
99-07-30
99-08-13
99-08-27
99-09-10
99-09-24
99-10-08
99-10-22
99-11-05
99-11-19
99-12-03
99-12-17
99-12-31
Abb. 3.64. Tägliche Mittelwerte des Systempreises des NordPools während eines Jahres
EURO/MWh
20
© Eltra amba
Sunday
Sunday
Sunday
Sunday
15
10
0
00-05-01 00-05-04 00-05-07 00-05-10 00-05-13 00-05-16 00-05-19 00-05-22 00-05-25 00-05-28 00-05-31
Ist die Preisentwicklung rein zufällig, lässt sich 'P zwischen zwei zukünftigen
Stunden mit der Gauß’schen Normalverteilung berechnen. Es gilt
204 3 Elektrizitätswirtschaft, Liberalisierung
'P ~ N P't , V 't
P Wert der durchschnittlichen Preisvariation zwischen zwei Stunden. Ist
P > 0 , bedeutet dies, dass der Preis kontinuierlich anwächst.
Wie bereits gezeigt, kann der Spotpreis signifikant variieren. Die Volatilität ist
hoch. Will ein Unternehmen Energie in der Zukunft kaufen oder verkaufen, muss
dieser Variabilität Rechnung getragen werden. Will es Energie verkaufen, kann
ein signifikanter Preissturz zu ernsthaften wirtschaftlichen Problemen führen,
wenn es nicht über genügend finanzielle Reserven verfügt.
Eine Möglichkeit mit Risiken umzugehen, ist Streuung von Einzelrisiken. In Abb.
3.66 ist dieser Zusammenhang an einem einfachen Beispiel dargestellt. Ein Unter-
nehmer benötigt für die Realisierung einer innovativen Geschäftsidee finanzielle
Mittel. Da die Lage des Unternehmens allerdings als kritisch eingestuft wird, muss
der Unternehmer den potenziellen Geldgebern eine Rendite von 150% zusichern.
Es ist mit einer Wahrscheinlichkeit von 50% damit zu rechnen, dass das Unter-
nehmen in Konkurs gehen wird. Damit sind die Kapitalrenditen von –100% und
+150% als gleich wahrscheinlich (je 50%) zu bezeichnen.
Stellt das benötigte Kapital für den Geldgeber einen maßgeblichen Teil seines
Vermögens dar, wird dieser sicher von diesem Geschäft absehen. Falls ein Geld-
geber allerdings mehrere ähnlich riskante Geschäfte finanziert, kann sich für ihn
doch eine interessante Position ergeben. Bereits bei acht identischen derartigen
Geschäften steigt die Wahrscheinlichkeit einer Rendite von 25% bereits auf über
25% an. Mit der Anzahl derartiger Geschäfte wird die Wahrscheinlichkeit einer
Rendite von 25% bis gegen 100% ansteigen. Damit verwandeln sich viele unsi-
chere Geschäfte in eine sichere Investition mit hoher Rendite. Sein risikoaverses
Verhalten bezahlt der Unternehmer, der risikobehaftete Projekte über externe
Mittel finanziert, mit einen höheren Zinsaufwand und damit einer entgangenen
Rendite. Dieser höhere Zinssatz wird auch als Risikoprämie bezeichnet.
3.8 Risikomanagement in der Elektrizitätswirtschaft 205
25%
50%
20% 25%
0%
15%
-100% 150%
10%
5%
0%
-100% -69% -38% -6% 25% 56% 88% 119% 150%
Ein standardisierter Weg, das Risikoproblem zu lösen, ist es, die Risiken ver-
traglich abzusichern z.B. mit Finanzderivaten 4 . Diese Maßnahme, Risiken zu
begrenzen, wird Hedging genannt. Über Hedging ergibt sich durch Kontrolle des
Risikolevels ein gewisser Schutz vor großen Verlusten. Die Rollen der beiden
Handelspartner werden als Positionen bezeichnet. Der Käufer sieht sich in einer
Long-Position, sein Gegenüber, der Verkäufer, befindet sich in einer Short-
Position. Ein Long-Hedge ist demzufolge die Risikoabsicherung des Käufers, also
eine Absicherung gegen steigende Preise. Mit einem Short-Hedge sichert sich der
Verkäufer gegen fallende Preise ab. Nachfolgend werden beispielhaft einige
grundlegende derivative Instrumente, wie Forwards, Futures und Optionen behan-
delt.
A) Forwards
Ein Forward ist eine bilaterale Vereinbarung über den Kauf/Verkauf einer Ener-
giemenge während eines definierten Zeitraums in der Zukunft zu einem fixierten
Preis. Für verschiedene zukünftige Perioden, z.B. 1-Monat-Forwards oder 3-
Monats-Forwards, können die Preise natürlich auch unterschiedlich sein.
4
Ein Derivat ist ein Finanzinstrument (Futures, Optionen, usw.), dessen Wert aus dem Warenwert der
Güter abgeleitet (to derive) wird, auf welche das Derivat bezogen ist. Dies können Stromspotpreise,
Ölpreise oder Zinssätze sein. Bei den nachfolgenden Beispielen handelt es sich um Finanzderivate,
deren Bezugswerte die Spotmarktpreise für Elektrizität darstellen.
206 3 Elektrizitätswirtschaft, Liberalisierung
Wahrscheinlichkeit
m zukünftiger Preis
Der erwartete Gewinn durch einen Vertrag muss für beide Parteien immer posi-
tiv erscheinen. Es bestehen folgende Interessen:
x die Einschätzung des zukünftigen Preises ist unterschiedlich
x die Möglichkeiten oder der Wille, Risiken einzugehen, ist bei beiden
Parteien unterschiedlich
x die beiden Akteure verfolgen gegensätzliche Ziele beim Hedging.
3.8 Risikomanagement in der Elektrizitätswirtschaft 207
Preis
Fs
Gewinn für
den Verkäufer
In Abb. 3.69 ist eine typische Forward-Kurve für den NordPool-Markt vom
3.5.2001 dargestellt. Der erste Teil der Kurve stellt die durchschnittlichen Spot-
marktpreise für die ersten vier Monate des Jahres dar. Die eigentlichen Forward-
Daten beginnen mit dem 4.5.2001 und reichen bis Mitte 2004.
90.00
80.00
70.00
60.00
50.00
€/MWh
40.00
30.00
20.00
10.00
0.00
2001.01.01 2001.07.01 2002.01.01 2002.07.01 2003.01.01 2003.07.01 2004.01.01 2004.07.01
Spo t price
Spot-Preis Fo rward
B) Futures
Im Unterschied zum Forward handelt es sich beim Future um einen standardisier-
ten Vertrag, welcher an der Börse gehandelt wird. Damit eröffnet sich dem Future
die höhere Liquidität der Börse. Die bessere Transparenz schlägt sich in einem
besseren Preis nieder.
Nehmen wir an, dass ein Unternehmen in drei Monaten während eines Monats
Energie verkaufen möchte. Um die Preisunsicherheiten abzusichern, erstellt das
Unternehmen ein Short-Hedge-Future. Der festgelegte Preis (FS) entspricht der
aktuellen (t = 0) Prognose des Preises in 3 Monaten. Nehmen wir an, dass etwas in
der Stromversorgung passiert (gute Hydraulizität, Inbetriebnahme neuer Kraft-
werke 5 , sinkende Brennstoffpreise), was den Prognosewert für den Marktpreis
sinken lässt. Einen Monat nach Ausgabe des Futures (t = 1) ist sein Wert also
angestiegen, weil die Energie nach zwei Monaten immer noch zum Preis FS ver-
kauft werden kann. Da es sich beim Future um ein standardisiertes Produkt han-
delt, kann der Vertrag ohne hohen Aufwand an irgendeinen Händler weiterver-
kauft werden. Der Käufer dieses Short-Hedge-Futures übernimmt das Recht in der
bestimmten zukünftigen Periode, Energie zu dem fixierten Preis FS zu verkaufen.
Die Möglichkeit des Weiterverkaufs erhöht den Wert von Futures gegenüber
Forwards. Im Falle eines längerfristigen Ausfalls einer maßgeblichen Einheit im
eigenen Kraftwerkspark kann das Produktionsunternehmen nun das nicht mehr
benötigte Future an der Börse verkaufen.
Optionen
Optionen geben dem Besitzer das Recht, Energie während eines definierten Zeit-
raums zu kaufen oder zu verkaufen, ohne ihn dazu zu verpflichten. Zwei Arten
von Optionen werden unterschieden. Eine Put-Option gibt dem Halter das Recht,
Energie zu einem bestimmten Zeitpunkt 6 zu einem festgelegten Preis 7 zu verkau-
fen. Der Zeichnende der Option ist verpflichtet, zu diesem Preis zu kaufen.
x Eine Call-Option gibt dem Halter das Recht, Energie zu einem bestimm-
ten Zeitpunkt zu einem festgelegten Preis zu kaufen. Der Zeichnende ist
verpflichtet, die Energie zu den festgelegten Konditionen zu verkaufen.
Eine Option kann als Versicherung gegen Preisschwankungen bezeichnet wer-
den. Der Käufer einer Option zahlt eine gewisse Prämie für das Recht, Energie
während der Vertragsdauer zu kaufen oder zu verkaufen.
Betrachten wir einen Stromproduzenten, der Energie zu einem bestimmten
Termin in der Zukunft verkaufen will. Er schätzt die zukünftigen Preise gemäß
Abb. 3.70 ein. Der erwartete Preis ist FS , aber es gibt ein gewisses Risiko, dass
5
Der Einfluss neuer Kraftwerke sollte auf Grund der guten Planbarkeit allerdings in der Preisprognose
bereits berücksichtigt worden sein. Der ungeplante Ausfall einer Erzeugungseinheit auf Grund einer
Panne birgt wesentlich größere Unsicherheiten. Der Wert des Futures steigt also an.
6
„Expiration date“, „exercise date“ oder „maturnity date“
7
„Exercise Price“ oder „strike price“
3.8 Risikomanagement in der Elektrizitätswirtschaft 209
der Preis tiefer als b ist. Der Stromproduzent kann nun eine Put-Option kaufen,
welche ihm das Recht einräumt, die zukünftige Produktion zum Preis b zu verkau-
fen. Er „hedged“ seine Produktion gegen tiefere Preise, und der tiefstmögliche
Preis wird b sein. Er wird die Option nur dann in Anspruch nehmen, wenn der
Marktpreis zum Ausführungsdatum tiefer als b ist. Der Käufer dieser Option wird
einen Profit in Höhe der Prämie machen, wenn der Preis höher als b sein wird. Die
Gewinnkurve ist in Abb. 3.71 dargestellt
Wahrscheinlichkeit
b Fs zukünftiger Preis
Abb. 3.70. Erwarteter Preis FS und Strike-Preis b
Gewinn
Energ ieverkäu fe
ko mbiniertes
Portfolio
b Warenpreis
Options-
p rämie
prämie
Put-Option
Abb. 3.71. Gewinndiagramm für ein Portfolio aus zukünftigen Energieverkäufen und
einer Put-Option
210 3 Elektrizitätswirtschaft, Liberalisierung
Der Gewinn bzw. der negative Verlust aus den Energieverkäufen steigt linear
mit dem zukünftigen Marktpreis an (power sales). Der Gewinn bzw. der Verlust
einer Put-Option ist am größten, wenn die Marktpreise im Keller sind. Die Put-
Option ist natürlich dann nicht rentabel, wenn diese „Versicherung“ nicht in An-
spruch genommen wird, weil die Marktpreise über dem Strike-Preis b liegen. Der
Verlust ist in diesem Fall unabhängig von dem Marktpreis gleich der Optionsprä-
mie. Wird nur die Hälfte (Fall eines kombinierten Portfolio) der Produktion über
eine Put-Option abgesichert, bleibt der Verlust bei tiefen Marktpreisen konstant
und steigt hingegen linear an, wenn der Strike-Preis überschritten wird.
Der Profit aus diesen Verträgen ist maximal bei sehr hohen und sehr tiefen
Marktpreisen (Abb. 3.72), weil er in beiden Fälle die jeweils für ihn günstigste
Option einlöst. Entspricht der Marktpreis ungefähr dem Strike-Preis, ist dies für
den Hedger der ungünstigste Fall. Es entsteht ihm ein Verlust in Höhe der Versi-
cherungsprämie für beide Optionen.
Gewinn
Call-Option
kombiniertes
Portfolio
b
Warenpreis
gesamte
Options-
prämie Put-Option
Abb. 3.72. Gewinn durch das „straddle“ 8 aus Put und Call-Option
Zukünftige Spotpreise gelten als unsicher und können durch ein „Event tree“-
Modell 10 beschrieben werden (Abb. 3.73). Es wird angenommen, dass der Spot-
marktpreis in der ersten Zeitperiode (9 €/MWh) bekannt ist, und dass neun ver-
schiedene Zukunftsszenarien vorhanden sind. Die jeweilige Eintrittswahrschein-
lichkeit der verschiedenen Szenarien kann Tabelle 3.22 entnommen werden. Die
Wahrscheinlichkeiten für jedes Szenario ergibt sich aus dem Produkt der Über-
gangswahrscheinlichkeiten.
8
aus dem Englischen: etwas Doppeltes, Gleichzeitiges
10
Der „event tree“ (Ereignisbaum) ist eine übersichtliche Zusammenstellung aller möglichen Entwick-
lungen.
212 3 Elektrizitätswirtschaft, Liberalisierung
15.0 15.0
0.5
(4) (7)
0.3
0.3 0.2
0.3
10.0 10.0
0.4 0.4
9.0 0 0
(1) (3) (6)
0.3
0.3
0.2 0.3
5.0 5.0
0.5
(2) (5)
Zeitperiode
Time period
1 2 3
Abb. 3.73. Ein „event tree“ für mögliche zukünftige Marktpreise. Jeder Knoten stellt
einen Preis dar, die Pfeile repräsentieren die Übergänge mit den jeweiligen Wahrschein-
lichkeiten. Mit den Zahlen in den Klammern werden die Knoten durchnummeriert.
Wie hoch ist nun der Wert des Vertrags und wann (in welcher Periode) sollte er
eingesetzt werden, wenn sich sein Besitzer „risikoneutral“ 11 verhält ?
Im Weiteren wird angenommen, dass der Preis jeder Zeitperiode bekannt ist,
bevor die Entscheidung gefällt wird. Der Erwartungswert für den Spotpreis in der
zweiten und dritten Zeitperiode ist 10 €/MWh. Wird der Vertrag eingesetzt, ent-
spricht der Grenzwert der Energie genau diesem Spotpreis.
Die gestellten Fragen können über einen Ansatz der dynamischen Programmie-
rung beantwortet werden. Zunächst werden die optimalen Entscheidungen im
letzten Zeitschritt für die Knoten (5), (6) und (7) berechnet. Damit wird die Frage
beantwortet, ob der Vertrag hätte vorher genutzt werden sollen oder nicht. Wird
der Vertrag nicht in der ersten oder zweiten Zeitperiode eingesetzt, muss er unab-
hängig von der Preisentwicklung in der dritten Periode genutzt werden.
3 100 100 10 = 1 0 1
0 0 100 5 0.3 + 1
100 10 0.4 +
100 15 0.3 =
1
11
Risiken werden eingegangen, wenn daraus Chancen resultieren.
214 3 Elektrizitätswirtschaft, Liberalisierung
0 0 0,85 0,3 + 1
1,0 0,4 +
1,15 0,3 =
1
Für die anderen Szenarien kann der Gewinn entsprechend berechnet werden. Die
Ergebnisse sind in Tabelle 3.25 dargestellt. Es ist dabei zu berücksichtigen, dass
z.B. in Szenario 4 der Vertrag in Periode 2 genutzt wird. Ist die Anzahl der Szena-
rien überschaubar, sind die Ergebnisse schnell berechnet. Reale komplexere Fra-
3.8 Risikomanagement in der Elektrizitätswirtschaft 215
0,6
0,5
0,4
Wahrscheinlichkeit
0,3
0,2
0,1
0
-0,6 -0,5 -0,4 -0,3 -0,2 -0,1 0 0,1 0,2 0,3 0,4 0,5 0,6 0,7
Gewinn [Mio €]
Die Darstellung macht deutlich, dass in der risikoneutralen Strategie mit einer
Wahrscheinlichkeit von 15% ein Verlust von 0,4 Mio. € auftreten kann. Ein risi-
koaverser Entscheidungsträger wird diese Wahrscheinlichkeit als zu hohes Risiko
ansehen.
Bei der Berechnung wird angenommen, dass der Vertrag entweder genutzt wird
oder nichts gemacht wird. Für die Risiko-neutrale Strategie ist dies eine richtige
Annahme. Für eine Risiko-averse Strategie trifft dies nicht zu. Nachfolgend wer-
den beide Möglichkeiten aufgezeigt. Allerdings wird nicht die optimale Risiko-
averse Strategie gefunden, da hierfür die Risikoaversion, z.B. mit einer Nutzen-
funktion (Abb. 3.75) quantifiziert werden muss.
Wird der Vertrag in der ersten Zeitperiode genutzt, beträgt der Gewinn 0 €, weil
der Ertrag beim Verkauf dem Aufwand beim Kauf des Vertrags entspricht. Es gibt
also keine Möglichkeit Geld zu verlieren, allerdings auch keine Möglichkeit Ge-
winne zu machen. Das Risiko-averse Verhalten führt zwangsläufig zu einer gerin-
geren Gewinnerwartung (Tabelle 3.26).
Es gibt unendlich viele zusätzliche Risiko-averse Strategien, wenn man z.B. den
flexiblen Vertrag ganz oder teilweise mit Futures „hedged“. Kauft man im Knoten
1 Futures mit einem Volumen von 100 GWh mit Lieferung in Periode 2 und nutzt
man das ganze Volumen (100 GWh) des flexiblen Vertrags ebenfalls in Periode 2,
ist unabhängig von der Preisentwicklung ein Gewinn von 0,1 Mio. € garantiert.
Der gleiche Gewinn ergibt sich natürlich auch, wenn Vertrag und Future in der
dritten Periode genutzt werden.
Die Beispiele zeigen, dass die Risiko-neutrale Strategie die höchsten Gewinne
ergibt, und dass mit Hilfe des Futures-Marktes ein risikofreier Gewinn erzielt
werden kann. Es ist möglich, über die Nutzung des Futures-Marktes einen erwar-
teten Gewinn von 0,205 Mio.€ zu erzielen und dabei noch weniger Risiko einzu-
gehen als bei der risikoneutralen Strategie.
Das Ziel der „Value-at-risk“-Analyse ist, den im schlechtesten Fall zu erwarten-
den Verlust eines gegebenen Portfolios innerhalb eines definierten Zeitraums mit
einer definierten Wahrscheinlichkeit zu beziffern. Der Zeitraum entspricht der
Zeitspanne bis zur Absicherung eines Risikos über den Markt 12 .
Im Gegensatz zum VAR-Wert wird beim PAR-Wert davon ausgegangen, dass der
Vertrag nicht abgesichert werden kann. Damit basiert der PAR-Wert ausschl. auf
dem zukünftigen Gewinn durch das Portfolio. In unserem Beispiel kann der PAR-
Wert für die risikoneutrale Strategie berechnet werden. Der erwartete Gewinn
beträgt 0,205 Mio. €. Die Wahrscheinlichkeit eines Verlusts von 0,4 Mio. € be-
trägt 0,15. Folglich ergibt sich ein PAR-Wert von 0,605 Mio. € mit einer Wahr-
scheinlichkeit von 15%. Auch der PAR-Wert wird normalerweise für eine Sicher-
heit von 95% berechnet.
12
closing an open position
TEIL II Kraftwerktechnik
Energieumwandlung
4 Wasserkraftwerke
worin
A = Einzugsgebiet des Beobachtungspunktes P [km2]
h„ = langjähriges Mittel der Niederschlagshöhe [mmla]
ß = Abflusskoeffizient (<I auf Grund von Verdunstung und Versickerung, ist
von der Natur des Bodens und der Oberfläche z.B. Vegetation abhängig).
Neben den langjährigen Mittelwerten sind auch die Maximalwerte (Nassjahre) sowie
die Minimalwerte (Trockenjahre) und deren Häufigkeit von Interesse.
Messungen an verschiedenen Beobachtungspunkten entlang des Wasserlaufes von
der Quelle bis zur Mündung ergeben das Abflussmengenbild gemäß Abb. 4.1 b.
Ein Teil Q, [m3/a] des in P, verfügbaren Wassers kann gefasst und mit dem
Bruttogefalle (auch Bruttofallhöhe) H, genutzt werden. Das entsprechende Energie-
potential des Kraftwerkes (Bruttoenergiela) ist (s. Abschn. 3.3)
\
\
Höhe
, &Meer
Einzugsgebiet / \
+
Quelle P, P, Mündung
Abb. 4.1. a) Einzugsgebiet, b) Abflussmengenbild eines Flusses
222 4 Wasserkraftwerke
-
( p 1000 kg/mi, Qa[mT/a], = 9.8 1 m/s2,HJm]) also zur Fläche Q, H , proportional.
Mehrere Kraftwerke entlang des Wasserlaufs, z.B. ein Niederdruckkrafiwerk in P,,
sorgen für eine mehr oder weniger vollständige Nutzung des Gewässers, dessen
Potential vom Flächenintegral des Diagramms in Abb. 4.1 b dargestellt ist. In Abb.
4.2 ist ein Beispiel einer nahezu vollständigen Nutzung des Gefälles eines Fluss-
abschnittes gegeben.
Für die Planung des Kraftwerks ist es ferner wichtig, dieseitlichen Schwankungen
des Wasserdargebots innerhalb des Jahres zu kennen. Abbildung 4.3a zeigt das
typische Verhalten alpiner Gewässer (Schneeschmelze) und Abb. 4.3b die langjäh-
rige Dauerlinie (Hallfigkeitskurve) des Wasserdargebots, welche die wichtigste
Planungsgrundlage darstellt.
Der Bau eines hydraulischen Kraftwerks bedeutet einen Eingriff in den natürlichen
sich ständig erneuernden Wasserabfluss. Die wasserwirtschafiliche Planung muss
deshalb der energiewirtschaftlichen übergeordnet werden. Oft sind andere Aspekte
wie Bewässerung, Schifffahrt, Hochwasserregulierung miteinzubeziehen [4.7]. Den
Haufigkeitskurve
Dauer
b
1 0kt 1 Apr 1 0kt 0
4.2 Laufkraftwerke
Laufkraftwerke weisen verschiedene Grundformen auf
Hat der Fluss ein ausreichendes Gefalle, kann das Kraftwerk unmittelbar beim
Stauwehr platziert werden (Abb. 4.4a). Die volle Wassernutmng ist dann möglich.
Die Fallhöhe beträgt i.d.R. wenige Meter.
Etwas mehr Fallhöhe ist möglich, wenn das Wasser einem tieferliegenden Unter-
wasserkanal zugeführt wird (Abb. 4.4b). Eine Restwassermenge im Flussbett ist
aber vorgeschrieben, so dass nicht die volle Wassermenge genutzt werden kann.
Das Gleiche gilt für Kraftwerke am Ende eines Oberwasserkanals (Abb. 4 . 4 ~ ) .
Bei einer größeren Flussschlaufe kann die Fallhöhe erheblich größer werden und
die Wasserzufuhrung gar einen Bergdurchstich verlangen (Abb. 4.4d).
4 b)
Kraftwerk, -scho'thous
Oberwosserkonal
/
Stauwehr
Auf Grund der im Normalfall kleinen Fallhöhe handelt es sich bei den Laufkraftwer-
ken meist um Niederdruckanlagen. Als Turbinen kommen dann Kaplan- (Abb. 4.5)
und Rohrturbinen (Abb. 4.6) in Frage (s. auch Abschn. 4.4). In Sonderfällen mit
größeren Fallhöhen (z.B. bei Wasserfallen, Wasserschnellen und Ausführung nach
Abb. 4.4d) werden auch Francis-Turbinen eingesetzt.
4.2.1 Wasserbewirtschaftung
Genutzt wird der natürliche Wasserzufluss, d.h. die Betriebsführung nimmt i.d.R.
keinen Einfluss auf den zeitlichen Ablauf der Wassernutzung. Manchmal ist eine
Kurzzeitspeicherung (im Stundenbereich, u.a. bei Schwellbetrieb [4.5]) vorgesehen,
und damit ein kleiner Beitrag an die Spitzenenergieproduktion möglich.
4.2.2 Ausführung
Abbildung 4.5 zeigt den Schnitt eines Laufkraftwerks mit Kaplan-Turbine. Um den
Turbinenraum von Ober- und Unterwasser abzudämmen, sind Dammbalken vor-
gesehen, die mit speziellen Kranen in dafür vorgesehene Nuten eingesetzt werden.
Der Rechen verhindert, dass gröbere Teile zur Turbine gelangen. Eine Rechen-
reinigungsmaschine ermöglicht es, den Rechen vom angeschwemmten Material frei-
zuhalten.
Die Ausführung mit Rohrturbine (Abb. 4.6a und 4.6b) ermöglicht eine niedrige
Bauweise, die sich gut mit dem Landschaftschutz verträgt. Die Rohrturbine kann auch
bei sehr kleinem Gefalle verwendet werden. Die Einlaufspirale entfallt, und der
Generator befindet sich in einem wasserdichten Gehäuse. Dank der günstigen Hydro-
dynamik ist der Wirkungsgrad ausgezeichnet.
4.2.3 Auslegung
Wird das Kraftwerk für die Ausbauwassermenge Qa [m3/s] ausgelegt, geht die
schraffierte Fläche in Abb. 4.7 verloren. Die Größe Qawird mit folgender Grenzwert-
Überlegung optimiert: Vergleich der festen Kapital- und Betriebskosten für ein
zusätzliches AQa mit den Einnahmen, welche die entsprechende Mehrenergie er-
bringt. Diese Überlegung ist auch bei Kraftwerkserneuerungen für die Festlegung der
neuen Leistung ausschlaggebend. Man beachte, dass mit den Annahmen von Abb. 4.7
der Mehrertrag an Energie im Sommer anfallt, d.h. dann, wenn in Mitteleuropa eher
ein Energieüberschuss herrscht, der Marktwert der Energie also tief ist (bei rein
thermischer Produktion stimmt dies oft nicht).
verlorenes
Sommer
Wasser
Wasserdargebotslinie
Restwasser
4.3 Speicherkraftwerke
4.3.1 Tages- und Wochenspeicherwerke
Es handelt sich i.d.R. um Flusskraftwerke mit einem höheren Stauziel von mehreren
10 m. Das Oberwasser wird zum Tages- oder gar Wochenspeicher. Als Turbinen
werden Kaplan- oder Francis-Turbinen eingesetzt. Eine besondere Art von Tages-
speichenverken sind die reinen Pumpspeicherwerke (Abschn. 4.3.3).
24h
Abb. 4.8. Einsatz eines Tagespeichenverks
natürliche
Zuflüsse
Speicher-
vermögen
L
I . Apr. 1. Okt. 1. Apr.
Abb. 4.10. Typischer Verlauf des Wasserdargebots und der Wasserverarbeitung in
Jahresspeichenverken
Das Gefalle kann einige 100-2000 m betragen. Zwischen Stollen und Druckleitung
ist ein Wasserschloss vorzusehen. Dieses ist ein Ausgleichsgefaß mit der Aufgabe,
das bei raschem Schluss der Turbine nachströmende Wasser aufzufangen und so
unzulässige Druckstöße zu vermeiden. Das Kraftwerk befindet sich oft in einer
Kaverne (Abb. 4.1 lb).
Die in der Schweiz häufig anzutreffenden Arten von Talsperren sind in Abb. 4.12
schematisch dargestellt. Bei der Gewichtstaumauer reicht das Gewicht der Stau-
mauer aus, um das aufgestaute Wasser zurückzuhalten (Beispiel: Grande Dixence bei
Sion, 285 m hoch). Besonders elegant und materialsparend ist die Bogenstaumauer,
welche die Wasserkräfte durch die gekrümmte Form auf die Talflanken überträgt
(Beispiel: Staumauer Mauvoisin in Val de Bagnes, Höhe 237 m). Eine weitere
Möglichkeit sind Staudämme aus Erde, Lehm, Kies, Sand (Beispiel: Staudamm
Mattmark im Saastal, 120 m hoch).
4.3 Speicherkraftwerke 23 1
Maschmenhaur 6.a
4.3.3 Pumpspeicherung
Mit der Pumpspeicherung wird Wasser aus einem tiefliegenden Auffangbecken in
einen höheren Speichersee hinaufgepumpt. Damit werden zwei Funktionen erfüllt:
- Umwandlung billiger Nacht- oder Sommerenergie in teure Spitzen- und Winter-
energie,
- Auffangen von Überschuss-~aufwasser,das sonst verloren ginge.
Abb. 4.14. a) Reines Punipspeicherwerkmit Gefalle von meist 300- 700 m: OWOberwasser
(oft künstlich ausgebaggert), UWUnterwasser (Fluss oder See), DI, Druckleitung, ZZentrale.
b) gctrenntc hydraulische Maschinen: P Pumpe, T Turbine, MG Motorgenerator, K Kupp-
lung. C) PT Pumpenturbine
4.4 Wasserturbinen
Gemäß Abschn. 3.3 ist die Turbinenleistung
Pt = rl,eQgH [W (4.1)
mit H = Nutzgefalle. Die von der Turbine geleistete spezifische Arbeit (pro kg
Wasser) ist
Pt J
tl, g H [-I .
kg
worin
*. p = Wasserüberdruck
c = mittlere Wassergeschwin-
digkeit
:e2 z = Höhenkoordinate
. TJC :
.........:...Bezugsebene
........
Die potentielle Energie g ( z , - z2) spielt eine zweitrangige Rolle oder ist gar ver-
nachlässigbar. Je nach Bedeutung der beiden Anteile kinetische und Druckenergie
werden Aktions- und Reaktionsturbinen unterschieden:
234 4 Wasserkraftwerke
4.4.1 Pelton-Turbine
Abbildung 4.16 zeigt schematisch eine Anlage mit Pelton-Turbine. Ein Teil des
Bruttogefalles geht als Reibungsverlust H,, in den Zuleitungen verloren. Die Höhen-
differenz H, zwischen Strahlebene und Untenvasserspiegel kann ebenfalls nicht
genutzt werden. Der hydraulische Wirkungsgrad (Abschn. 3.3) ist somit
- Druckleitung
Turbine
Düse
kinetische
Energie
Rad
I mechanische
Energie
0 1 2
Abb. 4.17. Energiediagramm (spezif. Energie) der Pelton-Anlage
Die Energieumwandlung in der Pelton-Turbine (bestehend aus Düse und Rad) sei
anhand der Abb. 4.18 näher erläutert. Das Pelton-Rad hat den Durchmesser D und
dreht mit Drehzahl n. Die Umfanggeschwindigkeit des Rades ist U. Der Wasserstrahl
trifft auf becherformige Schaufeln und gibt seine Energie ab. Die Düsennadel regu-
liert den Strahldurchmesser und somit die Wassennenge und die Leistung der Turbi-
ne. Die Turbine kann auch mehrere Düsen aufweisen. Im Folgenden berechnen wir
die spezifische Energie in den Querschnitten 0, 1 und 2:
0 Düsennadel
Im Strahl ist auch die Druckenergie null. Für die spezifische Energie nach der Düse
(Querschnitt 1) folgt
mit V,, = Düsenwirkungsgrad (ist ein Teil von V,, Richtwert ca. 0.96 ).
Aus GI. (4.7) folgt die Strahlgeschwindigkeit
Die Strahlgeschwindigkeit hängt nur vom Nutzgefälle ab, ist also unabhängig vom
eingestellten Strahldurchmesser d.
Die spezifische Energie unmittelbar nach dem Rad (Querschnitt 2) ist mit der An-
nahme z2 = 0
0 U opt Cl
folgt
Die spezifische Zahl n, wird als Zahlenwert mit n in Ulmin, Q in m3/s und H in m
definiert. Sie charakterisiert geometrisch ähnliche Turbinen. Für gleiche Düsenzahl
und gleiches nc,ist das Verhältnis 4 / D , welches zum Verhältnis Schaufelgröße zu
Raddurchmesser proportional ist, konstant. Für ein mechanisch optimales Pelton- Rad
variiert dieses Verhältnis nur wenig; somit ist das Verhältnis n , / d für Pelton-Turbinen
mehr oder weniger gegeben. Für große Turbinen und fur große Fallhöhen (400-1000
m) kann n , / d = 5-6.5 eingesetzt werden. Für Fallhöhen > 1000 m müssen diese
Werte nach unten (etwa 3-4 für 2000 m) und für kleine Fallhöhen etwas nach oben
korrigiert werden (für Näheres s. [4.3]).
Beispiel 4.2
Man überprüfe obige Zusammenhänge anhand der Pelton-Anlage von Abb. 4.20. Die
Nenndaten sind: P, = 167 MW, Q = 46.12 m3/s, H = 4 13 m, n = 180 Ulmin.
Abb. 4.20. Sechsdüsige Freistrahlturbine New Colgate an1 Yuba River, Kalifomien
(Werkbild Voith), I Lauli-ad, 2 Ringleitung, 3 Düse, 4 Düsennadel, 5 Strahlablenker,
6 Absperrorgan 14.81
Aus den Daten folgen die hydraulische Leistung und der Turbinenwirkungsgrad
Mit den Annahmen q, = 0.96 und k = 0.47 folgt ferner aus den Gln. (4.8) und (4.1 1)
Der maximale Strahldurchmesser beträgt 7.6% des Raddurchmessers oder 33.4 Cm.
Für die Dimensionen von Schaufeln und Düse gelten die Richtwerte: Schaufelabstand
0.9 d,,, Schaufellänge und -breite etwa 3 d,,, Schaufelhöhe 0.3 d„ Düsenöffnung 1.25
d, und Durchmesser des Düsenrohrs 3 d , .
Die spezifische Energie am Turbineneingang ist
N
po = p(gH - ):C = lOOO(4.05 - 0.1 1) = 39.4 - 10' - = 39.4 bar
m2
240 4 Wasserkraftwerke
4.4.2 Reaktionsturbinen
Abbildung4.2 1 zeigt schematisch den Aufbau einer Anlage mit Reaktionsturbine. Das
Wasser gelangt von der Druckleitung zur Einlaufpirale und von hier durch vonvie-
gend radiale Bewegung zur Turbine. Dank dem Diffusor (oder Saugrohr) wird das
gesamte Gefälle bis zum Untenvasserspiegel (UW) genutzt, abzgl. Reibungsverluste
in den Zuleitungen. Der hydraulische Wirkungsgrad ist
Das Wasser strömt von der Einlaufpirale zum Leitrad, welches mit den steuerbaren
Leitschaufeln die Wassermenge zu regeln erlaubt, und von hier zum Laufrad. Ab-
bildung 4.22 zeigt eine Skizze und einen Schnitt des Spiralgehäuses und des Leitrades
einer Francis-Turbine.
Francis- und Kaplan-Turbine unterscheiden sich durch die Form des Laufrades. Die
Francis-Turbine (Abb. 4.23, s. auch Abb. 4.28) hat feste Laufschaufeln. Die propel-
Igehäuse i
Diffusor -
Abb. 4.22. a) Skizze des Spiralgehäuses, b) Schnitt durch die Turbine: I Einlaufspirale, 2
Leitschaufeln, 3 Leitschaufelachse (drehbar),4 Turbinenrad, 5 Turbinenachse
nach [4.10]
4.4 Wasserturbinen 241
lerartige Kaplan-Turbine (Abb. 4.24, s. auch Abb. 4.29) hat Laufschaufeln, deren
Neigungswinkel in Abhängigkeit der Wassermenge verstellt wird, um den Wirkungs-
grad bei Teillast zu verbessern. Als Propeller-Turbine wird die Variante mit festen
Laufschaufeln bezeichnet, die sich nur dann eignet, wenn vorwiegend mit Vollast
gefahren werden kann.
Zur Beschreibung der Energieumwandlung in der Reaktionsturbine sei die spezi-
fische Energie in den Querschnitten 0, 1,2 und 3 betrachtet, wobei als Bezugsebene
fu,die potentielle Energie der Unterwasserspiegel gewählt wird. Im Querschnitt 0 vor
der Einlaufspirale (Abb. 4.21) gilt
a, Einlaufspirale Leitschaufel
verstellbar
+. Diffusor
4.4.2.1 Kavitationserscheinung
Aus GI. (4.20) ergibt sich, daq„ klein ist, ein Unterdruck am Ausgang des Laufrades.
Zu großer Unterdruck hat bei den üblichen Wassertemperaturen Dampfbildung zur
Folge und fiihrt zur Erscheinung der Kavitation:durch implosionsartige Kondensation
der Dampfblasen werden Lärm, Erschütterungen und vor allem im Laufe der Zeit
Korrosion der Schaufeloberfläche erzeugt [4.2]. Wirkungsgrad und Lebensdauer
werden verringert. Der Unterdruck ist umso stärker, je größer die Wassergeschwin-
digkeit e2.Besonders gefährdet sind Räder mit hohen Umlaufgeschwindigkeiten. Die
Kavitationsgefahrdung wird durch eine Kavitationszahl (oder auch Thoma-Zahl)
charakterisiert, die im wesentlichen proportional zu
= Absolutdruck (=p2+ atmosphärischer Druck) und
2 (p,,, -P/,)/(P C:) ist, mitpZabs
p„ = Dampfdruck (temperaturabhängig, für Näheres s. [4.2]).
Die Geometrie der Turbine wird auch für die Reaktionsturbine durch die spezi-
fische Drehzahl n, (GI. 4.13) charakterisiert (s. auch G1. 4.24). Um die Wasser-
geschwindigkeit e, zu begrenzen, darf die spezifische Drehzahl bestimmte Werte in
Abhängigkeit vom Gefalle H nicht überschreiten (s. dazu Abschn. 4.4.2.5).
Um den Unterdruck zu begrenzen, kann nach GI. (4.20) nicht nur C,, sondern auch
z, klein gehalten oder sogar negativ gemacht werden, womit die Turbine tiefer zu
liegen kommt als der Untenvasserspiegel. Diese Maßnahme kann teuer sein, wenn
größere Aushubarbeiten in felsigem Untergrund notwendig werden.
4.4 Wasserturbinen 243
Turbine
Spirale,
Druckleitung Leitap- Rad Diffusor
parat
4.4.2.2 Energiediagramm
Zusammenfassend kann die Energieumwandlung in einer Anlage mit Reaktions-
turbinen durch das Energiediagramm in Abb. 4.25 veranschaulicht werden. Im
Gegensatz zur Pelton-Anlage (Abb. 4.17) besteht die Energie am Laufiadeingang
vorwiegend aus Druckenergie, die direkt in mechanische Energie umgewandelt wird.
Am Laufiadausgang ist die Druckenergie sogar negativ. Der Diffusor ermöglicht, die
verbleibende kinetische Energie (entsprechend C,), und falls z, positiv ist, auch die
potentielle Energie zu rekuperieren, d.h. in Druckenergie zurückzuwandeln.
Durchjlusszahl cp = -
U
Druckzahl
folgt
4.4.2.5 Turbinenauslegung
Sind H und Q„gegebeil, wird zunächst die spezifische Drehzahl entsprechend dem
Nutzgefalle so festgelegt, dass sie im erfahrungsgemäß wirtschaftlich optimalen
Bereich des Diagramms von Abb. 4.27 zu liegen kommt. Innerhalb dieses Bereichs
muss ein Kompromiss zwischen zwei gegensätzlichen Forderungen gefunden werden:
- eine möglichst hohe Drehzahl (und somit auch spezifische Drehzahl) ist aus
wirtschaftlichen Gründen für Turbine und Generator zwar von Vorteil,
- je größer jedoch die Drehzahl gewählt wird, umso größer können die Schäden
durch Kavitation sein.
In Abhängigkeit von n , folgt mit Abb. 4.27 die Druckzahl, aus GI. (4.21) die Um-
fangsgeschwindigkeit und aus GI. (4.23) der Durchmesser des Laufrades. Gleichung
(4.24) liefert die Durchflusszahl für den Nennbetrieb.
Beispiel 4.3
Für die Francis-Turbine von Abb. 4.28 bestimme man die wichtigsten Kenngrößen,
ohne Kenntnis des Muscheldiagramms, und überprüfe die Dimensionen. Die Daten
sind: H = 87.5 m, Q = 284 m3/s, n =138.5 Ulmin, P, = 221 MW, 60 Hz.
Aus den Daten folgen die hydraulische Leistung und der Turbinenwirkungsgrad
Diese Zahl liegt nicht weit von der unteren Grenze des optimalen Bereichs von Abb.
4.27. Wird die Nenn-Durchflusszahl auf 0.3 geschätzt, folgt aus den Gln. (4.24),
(4.21), (4.23)
Abb. 4.28. Vertikaler Maschinensatz mit Francis-Turbine, Paulo Alfonso am Riao Sao
Francisco, Brasilien (Werkbild Voith). I Generator, 2 Spurlager, 3 Leitrad-Servomotor.
4 Führungslager, 5 Regelring, 6 Leitschaufeln, 7 I,aufrad, 8 Traversenring mit Spirale,
9 Diffusor (Saugrohr) [4.8]
4.4 Wasserturbinen 247
was gut mit dem wirklichen Wert (5.57 m) übereinstimmt. Umgekehrt folgt aus dem
wirklichen Durchmesser, da die Durchflusszahl zu D" proportional ist
Beispiel 4.4
Für die Kaplan-Turbine von Abb. 4.29 bestimme man die wichtigsten Kenngrößen,
ohne Kenntnis des Muscheldiagramms, und überprüfe die Dimensionen. Die Daten
sind: H = 38 m, Q = 75 m'ls, n =200 Ulmin, P, = 24.8 MW, 50 Hz.
Aus den Daten folgen die hydraulische Leistung und der Turbinenwirkungsgrad
Diese Zahl liegt am untersten Rand des schraffierten Bereichs von Abb. 4.27. Werden
die Nenn-Durchflusszahl cp, auf 0.25 und a auf 0.4 geschätzt, folgt aus den Gln.
(4.24), (4.2 I), (4.23)
Die Austrittsgeschwindigkeit ist C, = cp, u = 9.2 mls. Daraus lässt sich der Unterdruck
schätzen: für 2 , = 0 und Vernachlässigung der Diffusorverluste folgt aus GI. (4.20)
p, = - 1000 (0.5 . 9.2') = - 0.42 bar.
Radialpumpe langsam 10 - 30
Radialpumpe mittel 30 - 60
Radialpuinpe schnell 60 - 150
Axialpumpe 110- 500
4.4 Wasserturbinen 249
4.4.3 Turbinenwahl
Die Kriterien, die für die Wahl der Turbine bestimmend sind, seien kurz zusammen-
gefasst und anhand einiger Beispiele veranschaulicht. Gegeben sind i.d.R. H und Q.
Zu bestimmen sind der Turbinentyp (spezif. Drehzahl), die Drehzahl (Generatortyp)
und die Dimensionen. Grundsätzlich ist die Drehzahl der Gruppe Turbine-Generator
möglichst hoch zu wählen, da damit Dimensionen und Preis reduziert werden.
Pelton-Turbine. Die spezifische Drehzahl variiert in engen Grenzen und kann nur
durch die Anzahl der Düsen erhöht werden. Damit sind Drehzahl und Polpaarzahl des
Generators praktisch gegeben, es sei denn, es wird ein Getriebe verwendet. Das
Gefalle bestimmt die Strahlgeschwindigkeit und somit die optimale Umfangsge-
schwindigkeit. Damit sind Durchmesser der Turbine und Schaufelgröße im Wesentli-
chen festgelegt.
Reaklionsturbine. Die spezifische Drehzahl ist möglichst groß zu wählen. Sie ist nach
oben durch die Kavitation begrenzt (Abb. 4.25). Für ein bestimmtes Gefalle ist sie
demzufolge in engen Grenzen gegeben. Daraus folgen Drehzahl und Polpaarzahl des
Generators entsprechend der Netzfrequenz. Ist das Muscheldiagramm bekannt, folgt
der optimale Wert von Q und somit der Umfangsgeschwindigkeit u. Damit ist auch
der Durchmesser des Laufrades gegeben.
- Die Sicherheit der Netzeinspeisung erhöht sich bei größerer Gruppenzahl. Dieses
Argument ist allerdings nur bei größeren Leistungen im Vergleich mit der Netzlei-
stung von Bedeutung.
Belastung
b
20 40 60 80 1M) %
Beispiel 4.5
Man bestimme Turbinen- und Generatortyp für 50 Hz und mit der Annahme eines
Maschinenwirkungsgrades von 7, 7%= 0.85 für folgende Gruppen
a) H = 1 0 0 m , P = 3 0 M W
b) H = 1000 m, Q, = 5 m'ls.
a) Entsprechend Abb. 4.25 wird eine Francis-Turbine mit einer charakteristischen
Drehzahl n , von Ca. 70 gewählt. Es folgt
b) Für das Gefalle von 1000 m kommt nur die Pelton-Turbine in Frage. Mit der Wahl:
Anzahl Düsen i = 4, n, = 5 S d 4 = 1 1 folgt
n = n --
4 ~ 0 . 5
mögliche Lösungen
Aufgabe 4.1
Ein Laufkraftwerk wird mit Rohrturbinen ausgerüstet, mit folgenden Daten:
H = 13.57 m, Q = 334.8 m'ls, P, = 41.22 MW, [4.5]. Man bestimme die wichtigsten
Kenngrößen und Hauptdimensionen der Turbine.
4.4.4 Kleinwasserkraftwerke
Aufgabe 4.2
a) Ein Bach liefert dauernd eine nutzbare Wassennenge von mind. 200 11s. Ohne
besondere bauliche Probleme kann ein Nutzgefalle von 10 m installiert werden.
Welche Turbinenvarianten kommen in Frage, und welche sind deren Kenngrößen
und Dimensionen?
b) Welche Turbine kommt in Frage, wenn die nutzbare Wassermenge nur 40 11s
beträgt, dafür das Nutzgefalle auf 50 m erhöht werden kann?
252 4 Wasserkraftwerke
4.5 Dynamik
Zur Untersuchung dynamischer Vorgänge während des normalen oder gestörten
Netzbetriebs, aber auch f i r Planungsstudien, welche die Netzstabilität oder den
Netzwiederaufbau betreffen, sind Modelle notwendig, welche die Dynamik des
Wasserkraftwerks einschl. des hydraulischen Teils korrekt wiedergeben. Beispiels-
weise kann das Drehzahlverhalten von den Charakteristiken der hydraulischen Anlage
mitbestimmt werden. Dynamische Berechnungen des hydraulischen Systems sind
ferner Voraussetzung für die optimale Auslegung des Wasserschlosses und der
Druckleitung (Druckstoßvorgänge, s. Abschn. 4.5.3 und 4.5.5).
Im allgemeinen Fall besteht die Anlage entsprechend Abb. 4.31 aus Speicher,
Druckstollen, Wasserschloss, Druckleitungund Hydrogruppe. Der Speicher ist i.d.R.
sehr groß, und die Höhe des Oberwassers H„ kann f i r dynamische Vorgänge als
konstant betrachtet werden. Für nicht allzu langsame Vorgänge, gilt dies auch f i r die
Höhe H„, des Unterwassers. Das Bruttogefalle ist H, = H„ - H„, .
4.5.1 Druckstollen
Die Energiebilanz (spezifische Energie) lautet
Durch Einführung des Nenngefälles H,, der Nennwassermenge Q, und Teilung der
GI. (4.27) durch gH, erhält man
gesetzt h b = 4
- h =-
Ha h = -Hs q = -Qs , c s = K s - , (4.28)
Hr' H ' " H r i " Qr g Hr
die p. u. Gleichungen des S d l e n s
dqs = hb
T - - ha - hs mit T Ls
= -
Qr
dt gHr
hs = Cs qs.lqsl ,
I ) I I
Cs0 + s Ts
4.5.2 Wasserschloss
Die exakte Darstellung des Wasserschlosses ist recht komplex (s. z.B. [4.6]), doch
kann bei kleinen Schwingungen des Wasserniveaus mit akzeptabler Genauigkeit die
Energie g H, am Ende des Stollens (bzw. am Fußpunkt des Wasserschlosses) als die
Summe der Lageenergie entsprechend dem Niveau des Wassers H ,im Wasserschloss
(Abb. 4.3 1 ) und der kinetischen Energie des Wassers an dessen Basis ausgedrückt
werden, wobei letztere mit guter Näherung als proportional zum Quadrat des Wasser-
flusses im Stollen angenommen werden kann [4.4], [4.6]. Kinetische Energie und
Verluste im Wasserschloss werden vernachlässigt. Somit ist
Ferner gilt
Mit Einführung der p.u. Größen, mit den Bezugsgrößen (J und H,. analog GI. (4.28),
ergeben sich die p.u. Gleichungen
2
ha = h, + kw qs , mitk , , , = ~Qr, -
Hr
qW =
dhw ,
T - mit T = Aw - Hr
dt Qr
und das entsprechende Blockdiagramm (Abb. 4.34). Der Koeffizient k,, kann anhand
theoretischer Überlegungen [4.6] oder besser experimentell durch Identifikation
ermitteltt werden.
Durch Linearisierung der kinetischen Energie folgt
dq, = ha - h - h,
T, - mit T, L,
= ---
e r
dt Ac gHr
hc = C, q,.14,1 ,
oder durch Linearisierung der Verluste
r
dAqc Aha Ah
Tc
Ah, 2 =lqol Aq,
C,
= - -
= C„
Ah,
Aqc .
Das Blockdiagramm der starren Druckleitung ist in Abb. 4.36a, und die durch
Linearisierung erhaltene Übertragungsfunktion in Abb. 4.36b dargestellt. Eingangs-
größe ist der von der Turbine diktierte Wasserfluss y, .
4.5.4.2 Übertragungsfunktion
Aus den Gln. (4.30), (4.34) und (4.36) lässt sich der von Abb. 4.38 dargestellte
linearisierte Zusammenhang zwischen der Nutzenergie Ah und der Wassermenge Ay,
bzw. die Änderung des Bruttogefalles Ah, ermitteln, mit
Die Änderung des Bruttogefalles ist meist null oder sehr langsam, die Funktion G&)
für dynamische Vorgänge also kaum von Bedeutung.
Die Übertragungsfunktion G, (s) beschreibt die Wirkung von Druckstollen und
Wasserschloss. Eine Änderung des Wasserflusses hat gedämpfte Schwingungen zur
Für ein gut gedämpftes Verhalten muss die Zeitkonstante T„ und somit der Quer-
schnitt des Wasserschlosses (GI. (4.33)) genügend groß sein. Die Schwingungsdauer
.
liegt meist im Bereich von 1 0 0 3 0 0 s, während T, die Größenordnung 1 s aufweist.
Für langsame Vorgänge kann die Wirkung der Druckleitung vernachlässigt und
G(s) = G,,($ gesetzt werden.
Umgekehrt kann für Vorgänge im Sekundenbereich (primäre Drehzahlregelung) die
Höhe h„ als konstant angenommen und G(s) = G,(s) gesetzt werden. Durch die
richtige Dimensionierung des Wasserschlosses wird eine Entkopplung zwischen
langsamen und schnellen Vorgängen erzielt.
Die Übertragungsfunktion G,(s) beschreibt die Wirkung der Druckleitung auf die
Nutzenergie h. Sie ist differentieller Natur und wird in Abb. 4.39 veranschaulicht. Bei
hohem Gefalle stellt h praktisch den Druck am unteren Ende der Druckleitung dar.
Eine lineare Abnahme der von den Turbinen verlangten Wassermenge hat einen
Druckstoß zur Folge. Bei schneller Drosselung des Wasserflusses kann der Druck
sehr hohe Werte annehmen. Eine allzu rasche Abnahme des Wasserflusses in der
Druckleitung muss also vermieden werden. Um die Turbinenleistung trotzdem rasch
vermindern zu können (z.B. bei plötzlicher Entlastung), werden bei der Pelton-
Turbine Strahlablenker eingesetzt (Abb. 4.20), während die Schließgeschwindigkeit
der Düsennadel begrenzt wird. Bei den Reaktionsturbinen wird umgekehrt das Leitrad
entsprechend der Last rasch geregelt und der Druck in der Druckleitung durch ein
Druckventil kontrolliert, das ab einer einstellbaren Druckgrenze vor dem Turbinen-
eingang Wasser abzweigt (Abb. 4.3 1).
Ah
max~malerDruck = C„ IAq, I + T, dqc
1 df 1
-
Diese Kraft bewirkt in der Zeit dc, infolge der Elastizität von Wasser und Leitung,
eine Änderung der Wassermenge pro Element L, clx
Bei den Gln. (4.4 1) handelt es sich um Wellengleichungen. Die Druckwellen (Schall-
wellen) pflanzen sich im Wasser mit der Geschwindigkeit a fort, definiert von
Die Größenordnung von a ist 1000 mls. Werden die p.u. Größen sowie die Zeitkon-
stante T, nach GI. (4.35) und die Rohrreibungsverluste eingeführt, erhält man schließ-
lich folgende Differentialgleichungen, worin p, die Leitungscharakteristik von Allievi
und r = L, /U die Laufieit der Druckwellen in der Druckleitung sind [4. I], [4.12].
-
dq, -
- -
T'. ah ,
P -
T,
mit 2eA = -
(2eAI2dt T
Die Gln. (4.43) sind analog zu den Gln. ( 5 . I) der elektrischen Leitung in Band 1, falls
Letztere in p.u. Form gebracht werden. Die analogen Größen sind in Tabelle 4.2
zusammengestellt.
Tabelle 4.2. Analogie zwischen elektrischer Leitung und Druckleitung
(Zr = Nennimpedanz der elektrischen Leitung, Z u ,= Wellenimpedanz für o - W)
clektrischc Leitung Druckleitung
U h
I 9
Zu,I Zr PA
T t
CG 2 ~ A
L I Zr Tc
RIZ, c, 1 q,l oder C„"
" bei Linearisierung der Verluste
Das entsprechende Modell zeigt Abb. 4.40. Ach,und q„, sind Energie und Wasserfluss
am Eingang, h und q, jene am Ausgang der Druckleitung. Die Druckwellendämpfung
wird mit einem Blocke-" berücksichtigt, der dem Block e "'der elektrischen Leitung
entspricht. Für K gilt gemäß Tabelle 4.2
260 4 Wasserkraftwerke
Um ferner die mit den GI. (4.44) nicht korrekt erfassten stationären Verluste ein-
zubeziehen, werden eine entsprechende Korrektur und ein nichtlinearer Block
eingeführt. Das Schema vereinfacht sich, wenn auf die Bildung von q„, verzichtet und
q,, = q, gesetzt wird, d.h die Rückwirkung der Grund- und Oberschwingungskompo-
nenten auf die trägen bergseitigen Anlagen vernachlässigt wird.
Für weitergehende analytische Betrachtungen ist es nützlich, analog der ersten der
Zweitorgleichungen (5.12), Band 1, sinngemäß zu schreiben
oder auch
h = -ha - hc - qc 2eA t d s ,~
cosh sr
wobei die Gleichungen für den verlustlosen Fall geschrieben und die Verluste separat
erfasst werden.
Rationale Näherungen
Ähnlich den Ausführungen in Abschn. 5.6.2, Band 1, kann es von Vorteil sein, die
transzendenten Beziehungen durch rationale Näherungen zu ersetzen. Mit der Ap-
proximation cosh ST = I + sr212, sinh s r = ST,folgt aus GI. (4.46) die Beziehung
T'
ha h (l+s-) + q c s T + h c ,
= (4.48)
2
die das Analogon der verlustlosen elektrisch kurzen Leitung darstellt. Entsprechend
dieser Analogie (Tabelle 4.2) lässt sich das charakteristische Polynom ( I +s r2/2), mit
Einführung der Dämpfung, durch das der GI. (5.96), Band 1, analoge charakter-
istische Polynom
das an Stcllc dcr GI. (4.49) vcrwcndct wcrden kann. In Abb. 4.4 1 ist dann die Laufzeit
r durch T* = r. 2 J Y n zu ersetzen.
Eine bequemere zu Abb. 4.4 1 im Wesentlichen äquivalente Darstellung ergibt sich,
wenn auch die zweite der Gln. (5.12), Band 1, berücksichtigt wird, mit der etwas
gröberen Näherung cosh ST = 1, sinh ST = ST. Die Analogie liefert
Aus den Gln. (4.52) und (4.53) ergibt sich das Modell in Abb. 4.42. Auf die Bildung
von q„, das sich nur durch eine Grundschwingungskomponente von q, unterscheidet,
kann verzichtet werden, da sich diese Komponente kaum aufdas träge Wasserschloss-
Stollen-System auswirkt. Eine ähnliche Darstellung ist in [4.13] zu finden.
Auch in diesem Modell wird die Frequenz der Grundschwingung exakter erfasst,
wenn r durch T* = r . 2J2/n ersetzt wird.
Abb. 4.42. Rationelle Näherung der elastischen Druckleitung
Abbildung 4.43 zeigt die Änderung des Nutzgefalles h bei einer sprungartigen
Änderung des Wasserflusses für die Modelle in den Abb. 4.40 und 4.42.
Abb. 4.43. Antwort von h auf eine sprungartige Änderung von q,. a) Modell Abb.
4.40. b)ModcllAbb.4.42, A y , = 0 . 2 p . u . , h „ = l p . u . , T , = I . 3 s , ~ = 0 . 4 5 s
Werden Aq„, und Aq„, eliminiert, ergibt sich die Übertragungsfunktion der Druck-
leitung mit Berücksichtigung der Elastizität
4.5 Dynamik 263
Die Wirkung von K(s) auf h, (und somit auf G„(s) und G',($) kann wegen der Trägheit
des Wasserschlosses vernachlässigt werden.
4.5.6.2 Nichtlineares Blockschaltbild
Wird in Abb. 4.37 die starre Druckleitung durch das in Abb. 4.42 gegebene Modell
der elastischen Druckleitung ersetzt, folgt Abb. 4.44.
bekannt ist (Abb. 4.26). Die Kurven sind weitgehend unabhängig von der Drehzahl.
Mit A sei der Öffnungsgrad des Regelorganes der Turbine bezeichnet. Für die
analytische Behandlung ist es vorteilhaft, diese beiden Gleichungen nach q und T,
aufzulösen. Aus den Gln. (4.21), (4.22) folgt
264 4 Wasserkraftwerke
wobei K, aus GI. (4.22) oder experimentell aus dem Muscheldiagramm für die
Nenndrehzahl w, in der ((3, H)-Ebene bestimmt werden kann.
Für die Pelton-Turbine (Gln. 4.8,4.9) vereinfacht sich die erste der Gln. (4.58) zu
4.5.7.1 p. U. Gleichungen
Die Turbinenleistung lautet gemäß GI. (4.1)
P , = e Q g H , P,=rl,P,,
und für das Antriebsmoment M, gilt
P, = M, W . (4.61)
Die Drehzahl wird durch die mechanische Gleichung bestimmt, die im einfachsten
Fall die Form annimmt
erhält man aus den Gln. (4.58) und (4.60) bis (4.62) folgendes p.u. Gleichungsystem
4.5 Dynamik 265
Hydrau-
lisches
System
Drehzahlregelung
und das entsprechende Blockdiagramm in Abb. 4.45. Für die Pelton-Turbine verein-
facht sich die erste Gleichung zu
Eine einfachere Darstellung ergibt sich mit der Annahme, der Wirkungsgrad sei nur
von U abhängig oder wenn an Stelle des Wirkungsgrades die Verluste modelliert
werden, wobei i.d.R. diese in Abhängigkeit von der abgegebenen Leistung ausge-
modell
a,
- - I-
Drehzahlregelung
drückt werden. Ein Verlustmodell kann aus der Wirkungsgradkurve für Nenngefalle
und Nenndrehzahl gewonnen werden. Für die Pelton-Turbine gilt dann Abb. 4.46
(ohne Druckregler). Dieses Modell wird oft auch für die Reaktionsturbine verwendet,
es sei jedoch darauf hingewiesen, dass GI. (4.66) für diese Turbine eine recht grobe
Näherung darstellt [4.4].
dAn
Am, - Am = T,,, - .
dt
Die Koeffizienten K , K , lassen sich dem Muscheldiagramm entnehmen. Im Fall der
Pelton-Turbine gilt GI. (4.66) und somit ist K, = 112, K, = 1. Wird der Wirkungsgrad
nur in Abhängigkeit von a ausgedrückt, ist K, = 0. Wird der Wirkungsgrad als
konstant vorausgesetzt, ist auch K, = 0.
Wird hingegen, entsprechend Abb. 4.46, ein Verlustmodell verwendet mit
wobei die drei Koeffizienten je nach Modell aus den Gln. (4.67) oder (4.69) gewon-
nen werden können. Wird schließlich die elektrische Leistung an Stelle des Drehmo-
ments eingeführt
Ap = Am no +An mo , wobei po = P , ~, mo = m, (4.7 1)
folgt das linearisierte Blockdiagrarnm der Hydrogruppe von Abb. 4.47.
Das hydraulische System kann entsprechend Abb. 4.45 durch folgende Gleichung
beschrieben werden
m
Ah = -G@) al(Aql+AgDl)= -G(s)aAq + Ahz , mit a , = -Qir . (4.72)
i=l Qr
AhZstellt die Störgröße dar, die vom Druckregler und von der Änderung der Wasser-
flüsse der anderen von der gleichen Druckleitung gespeisten Turbinen herrührt. Für
schnelle Vorgänge im Sekundenbereich, wie sie bei der primären Drehzahlregelung
vorkommen, ist G(&)= G,($ und wird von G1. (4.56) gegeben.
P, 1 - C , (3.9 Pro 1
mit G,@) = - Ko 7 Gz(4 = - Kh
ao l+C,G(s) ho 1 + C 1 G(s)
und das in Abb. 4.48 dargestellte lineare Blockdiagramm des Wasserkraftwerks, das
sich für regelungstechnische Untersuchungen eignet.
G,($ist die Übertragungsfunktion der Turbine; sie beschreibt die Abhängigkeit der
Turbinenleistung vom Öffnungsgrad.
G,($ beschreibt die Beeinflussung der Turbinenleistung durch Gruppen, die von
derselben Druckleitung gespeist werden.
SI($ ist die Selbstregelungsfunktionder Turbine. Ist sie positiv, fuhrt eine Dreh-
zahlzunahme zu einer Verminderungder Leistung und somit zu einem selbstregelnden
Effekt.
268 4 Wasserkraftwerke
Die Selbstregelungsfunktion reduziert sich dann aufden Koeffizienten K„. Im Fall des
Verlustmodells, oder wenn der Wirkungsgrad nur vom Öffnungsgrad abhängt, ist
K,, = 0 und der Selbstregelungseffekt nicht vorhanden, andernfalls ist K,, = 2 K,.
Wird sogar die Wirkungsgradänderung vernachlässigt, was im Punkt maximalen
Wirkungsgrades exakt stimmt, folgt
Abbildung 4.49 zeigt den typischen Verlauf der Turbinenleistung bei sprungartiger
Änderung des Öffnungsgrades. Bei Berücksichtigung der Elastizität der Druckleitung
überlagern sich gedämpfte Schwingungen (sofern p, < 1) mit einer der GI. (4.38)
entsprechenden Frequenz fo = lI(4-c) = 250lL, Hz (L, in m). Bei schwach belasteter
Turbine ist T, und dementsprechend auch p, = T, 1(2 T) klein.
Abb. 4.49. Zeitverlauf der Turbinenleistung Ap,/p„ bei sprungartiger Zunahme des
Öffnungsgrades Aals,,: I starre Druckleitung, 2 elastische Druckleitung mit Modell Abb.
4.40, 3 elastische Druckleitung mit Modell Abb. 4.42
a) p, = 1.73, b) p, = 0.433
5 Thermische Kraftwerke, Wärmepumpe
5.1 Dampfkraftprozess
Der weitaus größte Teil der elektrischen Energie wird weltweit mit fossil gefiuerten
Krafiwerken erzeugt (66%), wobei als Brennstoffvorwiegend Braun- und Steinkohle
(40%), aber auch Erdöl (7%) und Erdgas (20%) eingesetzt wird. Der meist venvende-
te Kreisprozess ist der Dampfkreisprozess. Darauf basiert auch die Nutzung der
Kernenergie (Kernkraftwerke, weltweit 16% der Elektrizität).
Im Bereich des Nassdampfes (Sattdampf + Wasser) ist der isobare Prozess auch
isotherm (Abb. 5.1). Damit lassen sich im Nassdampfbereich zwischen zwei Isobaren
nahezu Carnot-Kreisprozesse (Anhang I) realisieren. Die maximale Temperatur kann
allerdings keine sehr hohen Werte erreichen, da der kritische Punkt beim Wasser eine
Temperatur 6„von 374OC bei einem Druck von 22 1 bar aufweist.
+s
Abb. 5.1. Zustandsdiagramm des Wasserdampf?
1
B P.. T.
Kesselpurnpe '$ Kondensator
Speisewasserpurnpe(ergänzt Wasserverluste)
Abb. 5.2. Rankine-Kreisprozess
Der Rankine-Prozess wird in der Praxis nicht verwendet, da der Abdampf in der
Turbine zu nass ist. Die Folgen wären: eine Verschlechterung des inneren Wirkungs-
grades auf Grund ungünstiger Strömungseigenschaften und die Erosion der Be-
schaufelung wegen Tropfenschlag. Die Dampfnässe sollte 10- 12% nicht über-
schreiten.
Clausius-Rankine-Kreisprozess
Durch Überhitzung des Dampfes kann die Dampfnässe vermieden und der Wirkungs-
grad erhöht werden (Abb. 5.3). Die Frischdampftemperatur ist durch die thermische
Belastung der Schaufeln begrenzt. Für übliche Werkstoffe liegt sie zwischen 500 und
580°C.
5.1 Dampfkraftprozess 273
Aus dem realen Ts-Diagramm Abb. 5.3b folgt, dass das Druckverhältnis p,/p,
nicht zu groß gewählt werden sollte, um die Abdampfnässe z.9. auf 10% zu be-
grenzen bei vorgegebener Frischdampftemperatur. Damit hält sich aber die mögliche
Wirkungsgradverbesserung in Grenzen.
Für einen Prozess mit OD= 3 11"C, p, = 100 bar, t& = 45"C, p, = 0.1 bar und einer
Frischdampftemperatur 4;= 550°C ist der Camot-Wirkungsgrad 0.46, und es wird
ein thermischer Wirkungsgrad des reversiblen Prozesses V,,, von Ca. 0.4 1 erreicht. Mit
z.B. qK = 0.92, qi = 0.86 und q, = 0.95 folgt ein Kraftwerkswirkungsgrad von q =
0.3 1 (s. Anhang I, GI. 1.30).
Zur Berechnung des Dampfprozesses wird mit Vorteil das Mollier-Diagramm
(Anhang IV) verwendet, das die Enthalpie in Abhängigkeit von der Entropie darstellt.
Die erhaltene Arbeit und die isobar zugeführte Wärme lassen sich als Strecken direkt
ablesen (Anhang I, Gln. I.23,1.26). Wird die kleine Kompressionsarbeit W ,= h,- h,
vernachlässigt ( b m . wird sie im elektrischen Wirkungsgrad berücksichtigt, da die
Pumpen elektrisch angetrieben werden), erhält man
41 = hE - h,
Kondensatpumpe
a f
Abb. Clausius-Rankine-Kreisprozess Prinzipschaltschema,
274 5 Thermische Kraftwerke, Wärmepumpe
Zwischenüberhitzer
F
5.2 Gasturbinenprozess
Die Bedeutung der Gasturbinenkraftwerke nahm in den letzten Jahren stark zu.
Gründe dafür sind die günstigen Investitionskosten, die im Zuge der Liberalisierung
stärker gewichtet werden, und die technologischen Fortschritte, die zu einer beacht-
lichen Erhöhung der Leistungen und Wirkungsgrade führten. Als Brennstoffe werden
Heizöl und Erdgas eingesetzt.
a) Brennstoff b'
T
+
q1
Pi>TB Pi! Tc
C Tc
B
Brennkammer
l/
\ Turbogruppe , P2
D P a TD A q2
Luft Y s
Abgase D
k e v
AsreV = C
P
in-Tc = C in-TL ,
TB TA
und somit
Es folgt
Die Arbeitsleistungen von Turbine und Verdichter folgen aus GI. (1.26)
worin q,r und V," die inneren Wirkungsgrade von Turbine und Verdichter sind. Der
Wirkungsgrad des realen Prozesses ist (Anhang I, Abschn. 1.4)
5.2 Gasturbinenprozess 277
Beispiel 5.1
Man berechne den thermischen Wirkungsgrad des reversiblen Prozesses für
6, = 800°C, 6, = 30°C und 6,' = 450°C. Welcher ist der entsprechende Wir-
kungsgrad des Carnot-Prozesses zwischen T, und T,.?
Welcher ist der mittlere Carnotfaktor und der exergetische Wirkungsgrad?
Welcher ist der Kraftwerkswirkungsgrad mit der Annahme q, = 0.86, q, = 0.97
und q,,, = qlT= 0.90?
Wie groß ist das Druckverhältnis p,/p„ wenn für eine Isentrope allgemein die
Beziehung (1.27) gilt, wobei K, „, = 1.4; wie groß ist die erhaltene spezifische
Arbeit W (C,, = 1 kJ/kg°C)?
Wie verändern sich erhaltene Arbeit und Wirkungsgrad des Kraftwerks, wenn das
Druckverhältnis auf 7 erhöht wird? Man berechne die Abhängigkeit dieser
Größen vom Druckverhältnis für die Eintrittstemperaturen der Turbine von 800,
1000 und 1200°C?
Aus den Gln. (1.19), (1.20) erhält man, da für die Isobare dq, = C,, dT
Der schlechte exergetische Wirkungsgrad des Kreisprozesses ist auf den Verlust
der beträchtlichen Abgaswärme (mit einer Temperatur von 450°C) zurückzufuh-
ren.
Aus GI. (5.9) folgt
278 5 Thermische Krafiwerke, Wärmepumpe
P2 'T~'
q , = cp(Tc - TB) = 607 Kllkg , q, = cp(T, - T,) = 455 Klll;
W = q, - q, = 152 Kllkg
Beim realen Kreisprozess nehmen die Verluste der adiabaten Teilprozesse in Ver-
dichter und Turbine mit zunehmendem Druckverhältnis zu, der innere Wirkungsgrad
7 ,dementsprechend ab. Dieser hängt außerdem von der Verdichter- und Turbinenein-
tritt~tem~eiaturab. Analytisch folgt aus den Gln. (5.8)-(5.1 1)
Der thermische Wirkungsgrad qti,= qth„,7 ,weist ein Maximum bei einem mit der
Turbineneintrittstemperatur zunehmenden Druckverhältnis auf. Das wirtschaftlichste
Druckverhältnis ist kleiner, da die spezifische Arbeit W , wie Abb. 5.6 zeigt, für
deutlich kleinere Werte maximal wird. Aus GI. (5.9) folgt der analytische Ausdruck
fur die spezifische Arbeit W , und durch Multiplikation mit dem Massenstrom
rn' = d r n h die Leistung
P = m'w kg J
[--=W].
s kg
280 5 Thermische Kraftwerke, Wärmepumpe
5.2.2 Rekuperation
Der Wirkungsgrad kann durch Rekuperation der Abgaswärme erheblich erhöht
werden (Abb. 5.7). Die rekuperierbare Wärme ist C,, (TIj-T,). Geschieht dies mit
Wirkungsgrad Y,, reduziert sich der Wärmeaufwand auf
Beispiel 5.2
Wie erhöht sich der Wirkungsgrad des in Beispiel 5.1 betrachteten Prozesses zwi-
schen den Temperaturen 30°C und 800°C bei Rekuperation von 75% der zwischen
6, = 485°C und 6, = 193°C anfallenden Abgaswärme?
Aus GI. (5.15) folgt
Mit einem Wärmetauscher lässt sich der Wirkungsgrad stark steigern, im vorliegen-
den Fall erhöht sich der thermische Wirkungsgrad von 25% auf 39%, der Kraftwerks-
wirkungsgrad somit von 21% auf 33%. In modernen Turbinen mit hohen Heiß-
gastemperaturen wird allerdings die Wirksamkeit der Rekuperation durch den großen
Kühlluftbedarf stark geschmälert [5.6].
a)
Abgase Brennstoff
Pi3 TB
B
Brenn-
kammer
\ Turbogruppe
A D
V
Luft
P2, TD
Abb. 5.7. Offener Gasturbinenprozess mit Rekuperator
5.2 Gasturbinenprozess 28 1
5.2.3 Carnotisierung
Eine weitere Verbesserung kann durch den Zweistufenprozess von Abb. 5.8 erreicht
werden. Nach der ersten Verdichtung auf den Zwischendruck in A' wird die Luft
gekühlt und in einem zweiten Verdichter dann auf den Enddruck p 1 gebracht. Auch
die Expansion erfolgt zweistufig, zuerst in der Hochdruckturbine HT und nach
Wiedererhitzung des Gases (mit einem zweiten Brenner) in der Niederdruckturbine
NT. Der Spielraum für die Rekuperation wird erweitert und der Wirkungsgrad somit
weiter verbessert. Die spezifische Arbeit erhöht sich, aber auch der Investitionsauf-
wand. Theoretisch ließe sich durch noch mehr Stufen (was jedoch i.d.R. unwirt-
schaftlich ist) der Wirkungsgrad des Ericson-Prozesses, der aus zwei Isobaren und
zwei Isothermen besteht und denselben Wirkungsgrad wie der Carnot-Prozess
aufweist, nahezu erreichen. Es wird deshalb beim Zwei- oder Mehrstufenprozess auch
von Carnotisierung gesprochen.
In der in Abb. 5.9 dargestellten Anlage wird die Turbine zweistufig ausgeführt,
nicht aber der Verdichter (Prozess mit sequentieller Verbrennung). Diese Lösung wird
vor allem in Kombikraftwerken eingesetzt.
5.3 Kombiprozesse
Die Gasturbine lässt hohe Turbineneintrittstemperaturen bis 1200°C zu, während die
Dampfturbine eine niedrige Turbinenaustrittstemperaturin der Nähe der Umgebungs-
temperatur erlaubt. Durch Kombination der beiden Prozesse bei Nutzung der Abgas-
wärme der Gasturbine in der nachgeschalteten Dampfturbinenanlage wird ein sehr
hoher Camot-Faktor und zugleich ein hoher exergetischer Wirkungsgrad erreicht und
so die Gesamtnutzung der Brennstoffenergie wesentlich verbessert (Abb. 5.10).
In Abb. 5.1 1 ist eine mögliche Variante eines Dampjkraftwerks dargestellt, in der
die Abgase der vorgeschalteten Gasturbine als Verbrennungsluft (der Sauerstoffgehalt
genügt i.d.R.) und fir die Speisewasservorwärmung verwendet werden. Dadurch wird
nicht nur der thermische, sondem auch der Kesselwirkungsgrad verbessert. Bei dieser
Dampf-
Dampfturbognippe II
Brennstoff -7
HV
Kondensator
Abgase
NV
C
B
Gasturbogruppe
Luft
Lösung ist die Leistung der Dampfturbine deutlich größer als jene der Gasturbine.
Durch die Vorschaltung einer Gasturbine wird außerdem in Dampfkraftwerken die
Regulierbarkeit der Leistung verbessert. Kombianlagen eignen sich deshalb ausge-
zeichnet zur Deckung des Mittellastbereichs (Abschn. 3.2.2).
Der Kombiprozess kann jedoch auch als Variante bzw. Weiterentwicklung des
Gasturbinenprozesses betrachtet werden, in welchem die Rekuperation der Abgas-
wärme nicht im Gasprozess selber, sondern in einer nachgeschalteten Dampfturbine
erfolgt, die zusätzliche Arbeit produziert (Abb. 5.12). Sowohl Arbeit als auch Wir-
kungsgrad werden gegenüber dem einfachen Gasturbinenprozess um ca. 50% erhöht
[5.6]. Abbildung 5.13 zeigt die konkrete Ausführung einer Kombianlage mit sequen-
tieller Verbrennung. Gas- und Dampfturbine treiben hier denselben Generator an. Die
Anlage sieht auch eine Dampfeindüsung (oder Wassereinspritzung) in die erste
Brennkammer vor, um die Leistung vorübergehend zu steigern. Das Dampfein-
düsungsprinzip wird in der STIG-Turbine (Steam Injection Gas Turbine) als Gas-
Dampf-Kombination alternativ zum klassischen Kombiprinzip verwendet [5.9].
Für die Zukunft sind Kombikraftwerke, vor allem als Weiterentwicklung des
Gasturbinenkraftwerks, mit Nutzung der Gasturbinenabwärme in einem Abhitze-
kesse1(GUD-Kraftwerke, Näheres in Abschn. 5.7) dank ihres hohen Wirkungsgrades
O
T T C ST
G
AGV
HRSG LP HP
Comb
Cond
F
besonders interessant und können wesentlich zu einer besseren Nutzung der Primär-
energie beitragen. Da die Leistung der Gasturbine sehr rasch geändert werden kann,
eignen sich diese Anlagen sehr gut für die Regelung der Mittellast oder auch der
Spitzenlast (Abschn. 3.2.2). Über weitere Möglichkeiten, insbesondere in Zusammen-
hang mit der Kohlefeuerung, sei auf Abschn. 5.7 und [5.15] verwiesen.
5.4 Wärme-Kraft-Kopplung
5.4.1 Entnahme-Kondensationsschaltung
Entsprechend Abb. 5.14 wird der Teil inCrderDampfmasse m' an der Entnahmestelle
G ausgekoppelt. Die entsprechende Wärme wird für ein Heizsystem verwendet. Als
Entnahmeverhültnis sei definiert
I
U = -me (5.16)
m1
Mit Bezug auf den Kreisprozess von Abb. 5.14 erhält man f i r Turbinenleistung P,,
ausgekoppelte Wärmeleistung Q, und zugeführte Wärme Q ,
Q, = '
m (hE-hA)
Als Leistungszijfer E der Entnahme-Kondensationsschaltung wird das Verhältnis
zwischen der ausgekoppelten Wärme und der Reduktion der Turbinenleistung
bezeichnet
5.4 Wärme-Kraft-Kopplung 285
5 Überhitzer
5.4.2 Gegendruckanlage
Bei der Gegendruckschaltung ist die Turbinenaustrittstemperatur T, höher als die
Vorlauftemperatur des Heizsystems (Abb. 5.15). Damit reduziert sich der thermische
Wirkungsgrad des Prozesses, aber die volle Kondensationswärme wird genutzt.
Die Hauptbeziehungen ergeben sich aus den Gln. (5.1 7) der Entnahme-Kondensa-
tionsschaltung fir h, = h, und a = 1
worin Q die effektiv genutzte Wärme und 11den Wirkungsgrad der Stromerzeugung
darstellen. Die Gegendruckschaltung ermöglicht keine effiziente Anpassung der
Wärmeauskopplung an verringerte Bedürfhisse ohne proportionale Senkung auch der
Stromproduktion. Bleibt die Stromproduktion konstant, nimmt der Energienutzungs-
grad entsprechend der Reduktion des Nutzwärmewirkungsgrads q, = Q/QH ab.
5.4.3 Gasturbinen
Gasturbinenanlagen eignen sich bestens zur Kraft-Wärme-Kopplung, da die Abwärme
auf hohem Temperaturniveau anfallt. Dies trifft auch für die Gasturbinenanlage mit
Rekuperator oder nachgeschalteter Dampfturbine zu.
Mit Bezugnahme auf den Prozess mit sequentieller Verbrennung von Abb. 5.16 gelten
gemäß Abschn. 5.2 die Hauptbeziehungen (m' .- konst. auf Grund des großen Luft-
Überschusses beim Verbrennungsprozess)
P, = '
m cp [(Tc- Tc/)+ (Tc//- T,) - (T, - T,)]
worin Q = Y , QH die effektiv genutzte Wärme und den Wirkungsgrad der Strom-
erzeugung darstellen.
Durch Kombination mit einer nachgeschalteten Dampfturbine und Nutzung der
Wärme aus den Abgasen und durch Dampfentnahme lassen sich besonders hohe
Energienul~ungsgrade,gepaart mit einer flexiblen Wärmeauskopplung, erreichen. Als
Beispiel zeigt Abb. 5.17 die Energiebilanz einer Kombianlage im 100 MW-Bereich
nach Abb. 5.13 mit einem Energienutzungsgrad bis 85%.
I Brennstoff
Lufi
'1 Abgase
5.4.4 Blockheizkraftwerke
In ähnlicher Weise kann auch bei Diesel- oder Gasmotorkraftwerken Wärme aus den
Abgasen und aus dem Kühlkreislauf gewonnen werden. Die Grundschaltung dazu
zeigt Abb. 5.18. Angeboten werden Einheiten im Leistungsbereich 50 k W 15 MW,
die Energienutzungsgrade von 85% bis 90% aufweisen.
Diesel- oder
Brennstoff Gasmotor
Der Brennstoff und die durch die Rauchgase vorgewärmte Luft werden der Brenn-
kammer zugeführt. Die Rauchgasreinigung (Abgasbehandlung) umfasst u.a. die
Entstickung, Entschwefelungund Entstaubung. Bei Kohlefeuerung ist ein Ascheabmg
notwendig. Für Näheres zu Verbrennungsvorgang,Abgasbehandlung und Technik der
fossil befeuerten Dampferzeuger s. [5.4], [5.15], [5.12].
+ Abgas
Turbine
Rauchgas-
gebläse Abgas- Luft-
behandlung
- vorwärmer
L
(Kessel)
Frischluft-
gebläse
Luft W Kondensator
I J ,
Asche
Abb. 5.19.a Hauptkreisläufe in einem fossil befeuerten Dampfkraftwerk (Prinzip)
290 5 Thermische Kraftwerke, Wärmepumpe
Die Drehzahl ist 3000 oder 1500 Ulmin bei 50 Hz (3600 bzw. 1800 Ulmin bei
60 Hz), s. auch Bd. 1, Abschn. 6.1. Manchmal werden auch höhere Drehzahlen
gewählt, wobei dann die Kopplung zum Generator über ein Getriebe erfolgt.
Im Kondensator wird dem aus der Turbine austretenden feuchten oder gesättigten
Dampf die Kondensationswärme entzogen. Kondensationsdruck Ca,) und -Tempe-
ratur sind über die Dampfdruckkurve aneinander gebunden. In modernen Kraftwerken
werden meist Kondensationsdriicke von 0.04-0.1 bar gewählt (entsprechend Tempe-
raturen von 29-46°C). Die Wahl des Kondensationdruckes beeinflusst stark den
Wirkungsgrad des Kreisprozesses, jedoch auch die Kosten des Kondensators.
Für Näheres zu Technologie und Auslegung von Dampferzeuger, Dampfturbine
und Kondensator s. [5.15].
Die Verluste (s. auch Abschn. 3.2 und 5. I) setzen sich zusammen aus den Kessel-
und Kreislaufverlusten q, (Richtwert 0.88), den Verlusten des idealisierten Kreis-
prozesses qthre,,(Richtwert je nach Ausfihrung 0.45-0.6), den Turbinenverlusten q,
(Richtwert 0.85) und den Verlusten in Generator und Eigenbedarf qe (Richtwert
0.94). Aus den angegebenen Richtwerten resultiert z.B. ein Kraftwerkswirkungsgrad
von 3 1-42%. Die Verlustwärme wird zum kleinen Teil mit dem Rauchgas, sowie
verteilt an verschiedenen Stellen in der Anlage, an die Umgebung abgegeben, zum
größten Teil wird sie als Abwärme an das Kühlwasser des Kondensators übertragen,
welcher über den Kühlwasserkreis diese Wärme an die Umgebung abgibt.
5.5 Fossilgefeuerte Dampfkraftwerke 291
5.5.3 Kühlwasserkreislauf
I Dampf
Kondensator
Wasser
5.5.4 Blockregelung
Dampf- Turbine
erzeuael
_ Generator
Der Vorteil dieser Schaltung ist, dass die Regelung von sich aus stabil ist und auch
Störungen im Kesselbereich automatisch beherrscht. Um schnelle Leistungsanforde-
rungen bedienen zu können, können die Stellventile etwas angedrosselt gefahren
werden (modifizierter Gleitdruck). Dadurch steigt der Dampfdruck im Kessel, und
die eingespeicherte Energie kann dann zur kurzfristig Leistungserhöhung abgerufen
5.5 Fossilgefcuerte Dainpikrafiwerke 295
Blockregelung
I I
' I Kessel I HO RD/*D 6
Frisch- 1
I
- - -- - - - - I
I
I I
I --
Kohlemühle
ondensat
cher
Vorwärmer
5.5.5 Dynamik
Angesichts des Variantenreichtums und der Komplexität der Dampfkraftanlagenwird
nur das prinzipielle Verhalten mit Bezug auf das Referenzschema in Abb. 5.26
beschrieben. Obwohl in einer Dampfturbine mehrere miteinander koordinierte Ventile
aktiv sein können, sei vereinfachend ein einziges äquivalentes Regelventil zwischen
Überhitzer und HD-Turbine angenommen. Die für die Umwandlung verfügbare
thermische Leistung am ÜberhitzerausgangE ist von P, = m> .Ah gegeben, worin m,'
den Massenstrom und Ah den verfugbaren Enthalpiesprung darstellen. Wird davon
ausgegangen, dass die unterlagerten Regelkreise imstande sind, die Temperatur T,?
konstant zu halten, ist der Enthalpiesprung ebenfalls konstant und somit die Leistung
proportional zum Massenstrom. Dieser ist seinerseits proportional zum Öffnungsgrad
a des Ventils, das vom primären Drehzahlregler gesteuert wird (Kap. 1 I).
Verzögerungen des Massenstromes treten durch die Volumina der Dampfkraft-
anlage auf. Betrachten wir das Volumen V zwischen zwei Querschnitten 1 und 2, gilt
Zwischenüberhitzer F
T L
Überhitzer
D/
C H
Kondensator
A'
- -
träger reagieren als die der HD-Turbine. Angesichts des Größenunterschieds zwi-
schen den drei Zeitkonstanten kann in erster Näherung T, 0 oder T, T3 -0 gesetzt
und die Turbinenanlage durch eine Übertragungsfunktion zweiter oder gar erster
Ordnung, wie in Abb. 5.27b angenähert, dargestellt werden.
Zwischen Massenstrom in der HD-Turbine, Frischdampfdruck p, und Öfhungs-
grad a des Ventils besteht die p.u. Beziehung
5.6 Kernkraftwerke
Kernkraftwerke sind im Wesentlichen (in der heutigen Ausfuhrung) Dampfturbinen-
kraftwerke, die mit nuklearem statt fossilem Brennstoff betrieben werden. An Stelle
der Feuerung tritt der Reaktor. Zwischen Reaktor und Turbine kann ein zusätzlicher
Kühlkreis geschaltet werden (s. Abschn. 3.4 und Abb. 5.32a).
Es wird unterschieden zwischen
- Primaranlage: Reaktor + evtl. zusätzlicher Kühlkreis und
- Sekundaranlage: übrige konventionelle Elemente des Dampfkreislaufs (für welche
im Wesentlichen die Ausfuhrungen von Abschn. 5.5 gelten).
5.6.1.1 Uranspaltung
Uran besteht zu 99.3% aus dem Isotop U„, (238 Nukleonen, wovon 92 Protonen und
146 Neutronen) und zu ca. 0.7% aus U„, (mit nur 143 Neutronen), ferner aus gerin-
gen Mengen U211.Nur U23,lässt sich spalten und zwar von langsamen (thermischen)
Neutronen. Die entsprechende Reaktion wird etwas vereinfacht in Abb. 5.29 be-
schrieben: bei der Spaltung entstehen zwei mittelschwere Kerne (z.B. Ba,;, + Kr„),
+ 20 Tcal
.........................................
L
........................
i thermisch : Moderator - schnell ::
..............................................
die eine höhere Bindungsenergie aufweisen und somit stabil sind, und es werden rund
200 MeV freigesetzt. Die Spaltung von 1 kg U„, ergibt so die Energiemenge
Tcal
20 -
kg
- G Wh
24 -
kg
=
MWd
1000 -
kg
(MWd = Megawatttage). Aus der Spaltung des U,,,-Atoms werden außerdem durch-
schnittlich 2-3 Neutronen frei, die eine hohe kinetische Energie aufweisen (schnelle
Neutronen). Teils werden diese Neutronen absorbiert und teils stehen sie für weitere
Spaltungen als sog. Spaltneutronen zur Verfügung. Bleibt durchschnittlich mehr als
I Spaltneutron übrig, nimmt die Anzahl Spaltungen lawinenartig zu, d.h. es entsteht
eine Kettenreaktion mit exponentiell ansteigender Wärmeleistung. Mit weniger als
durchschnittlich 1 Spaltneutron Baut die Reaktion ab. Bei der kontrollierten Reaktion
wird dafür gesorgt, dass gerade 1 Spaltneutron die Reaktion aufrechterhält (Abb.
5.29). Der Reaktor ist dann kritisch, die Leistung ist konstant.
Damit das Spaltneutron jedoch die Reaktion auli-echterhaltenkann, müssen weitere
Bedingungen erfüllt sein. Schnelle Neutronen mit kinetischen Energien im Bereich
leV bis MeV führen viel weniger oft zu einer Spaltung von als thermische
Neutronen mit Energien unter 0.1 eV. Außerdem werden schnelle Neutronen leichter
von U„, -Atomen eingefangen. Dies hat zur Folge, dass z.B. in Natururan, das viel
U„, und wenig U„, enthält, die Reaktion sofort abbricht. Die Reaktion kann nur dann
aufrechterhalten werden, wenn mit Hilfe eines Moderators die Geschwindigkeit der
Neutronen auf thermische Werte herabgesetzt wird. Stoffe, die Neutronen stark
bremsen ohne sie einzufangen, sind H 2 0 und am besten D,O (schweres Wasser) und
Graphit. Nähcrc lnformationcn zur Uranspaltung sind in Anhang 11.6 zu finden.
Diese physikalischen Gegebenheiten führen zum prinzipiellen Aufbau des ther-
mischen Reaktors gemäß Abb. 5.30. Die eine Uranverbindung (UO,) enthaltenden
Brennstoffstabe sind vom Moderator umgeben. Mit den Kontrollstaben, die aus einem
neutronenabsorbierenden Material (z.B. Bor) bestehen und mehr oder weniger tief in
den Reaktor gesenkt werden können, kann der kritische Zustand der Reaktion gewähr-
leistet, d.h. die Leistung des Reaktors reguliert werden. Als Kuhlmittel für den
Wegtransport der entstehenden Wärme werden Flüssigkeiten oder Gase verwendet
(H@, D, 0 , COS,He).
Kontrollstäbe
Brennstoffstäbe
Moderator
Kühlmittel - -
Reaktorgefäß
5.6.1.2 Konversionsvorgänge
Bei jeder Spaltreaktion von (/„,-Kernen werden durchschnittlich etwas mehr als 2
Neutronen erzeugt. Eins davon wird für die Aufiechterhaltung der Reaktion benötigt.
Die übrigen Neutronen werden von Moderator, Kontrollstäben und Brennstoff (ohne
Spaltung) absorbiert oder entweichen aus dem Reaktorkern. Die von C/„, absorbierten
Neutronen können in wenigen Fällen zur schnellen Spaltung von U2;, fuhren (das also
in geringem Masse ebenfalls zur Energie und Neutronenproduktion beiträgt), werden
aber in erster Linie angelagert. Das entstandene U23,wandelt sich, wie von Abb. 5.3 1
veranschaulicht, mit einer Halbwertszeit von 23 min durch Elektronenemission zu
Neptunium 239 (Ordnungszahl 93). Dieses instabile Element zerfallt mit einer
Halbwertszeit von 2.3 Tagen zum langlebigen Isotop Plutonium Pu,,,, das mit ähn-
lichen Eigenschaften wie U,;, spaltbar ist (s. Anhang 11.5) und zur Energieproduktion
beiträgt. Beide Reaktionen entsprechen dem Schema n + p + e (Beta-Strahlung).
Als Konversionsjaktor wird das Verhältnis von neugebildeten Pu„,-Kernen zu
verbrauchten U,,,-Kernen bezeichnet. Je nach Reaktortyp kann er verschiedene Werte
annehmen, ist jedoch in thermischen Reaktoren (Reaktoren, in welchen die Spaltung
durch thermische Neutronen erfolgt) immer klein. Durch die Konversionsvorgänge
wird die Ausnutzung des Natururans nur leicht verbessert.
Die Konversion von UZ3,kann auch von Pu730statt von U,;, ausgelöst werden.
Dann wird ausgehend von Pu, aus U„, neues P u gebildet. Werden Konversions-
faktoren >1 erreicht, wird nicht mehr von Konversion gesprochen, sondern von
Bruten und von Brutjkktor (s. Brutreaktor, Abschn. 5.6.2.4).
................................ -3e-
~..fhe!!?!!?.?!?, .... Moderator ;(.........Sehn_......
.................................
f -0
................................
thermisch i Moderator
i........................
: &.........~chne!',,,,,,.I
Abb. 5.31. Konversionsreaktion
302 5 'I'herniische Kraftwerke. Wärmepumpe
5.6.2 Reaktorkonzepte
Die bis heute gebauten Reaktoren werden nach dem verwendeten Moderator klassifi-
ziert:
- Leichtwasserreaktoren,
- Schwerwasserreaktoren,
- Graphitmoderierte Reaktoren,
- Schnelle Brutreaktoren (ohne Moderator).
Der weitaus größte Teil der weltweit eingesetzten Reaktoren sind Leichtwasserreakto-
ren, die eine große energiewirtschaftliche Bedeutung erlangt haben. Die einzelnen
Reaktortypen werden im Folgenden summarisch beschrieben, für Näheres s. die
einschlägige umfangreiche Fachliteratur.
Abb. 5.32a. Prinzip des Druckwasserrcaktors und typische Dampf- und Druckwasserdatcn
1 Reaktor, 2 Dampfturbine, 3 Generator, 4 Kondensator, 5 Kondensatpumpe,
6 Dampferzeuger, 7 Kühlmittelpumpe
5.6 Kernkraftwerke 303
5.6.4.1 Reaktorsicherheit
Die Primäranlage, welche Reaktor und primären Kühlkreislauf umfasst, wird aus
Sicherheitsgründen in einem separaten, oft kugelformigen Gebäude untergebracht.
Die im Reaktor entstehenden Spaltprodukte werden durch ein gestaffeltes Barrieren-
system von der Umwelt ferngehalten. Eine erste Barriere bilden die druckfesten und
gasdichten Hüllen der Brennelemente. Eine zweite Barriere stellt die ebenfalls
druckfeste Stahlhülle des Reaktors bzw. Primärsystems dar. Schließlich befinden sich
5.6 Kernkrattwerke 307
die Reaktoranlagen im bereits erwähnten aus Stahl und Beton gefertigten Reaktor-
schutzgebäude, welches die dritte Barriere bildet. Durch dieses dreifache Barrieren-
system soll der Schutz gegen innere und äußere Einwirkungen gewährleistet werden.
Als äußere Einwirkungen sind Flugzeugabstürze und Erdbeben zu erwähnen. Als
innere Einwirkung ist neben im Betrieb entstehender radioaktiver Strahlung, die
absorbiert werden muss, auch der bei Störfallen auftretende Druckanstieg bzw.
Wärmestau zu erwähnen, der bei Versagen der mehrfachen Regel- und Abschaltein-
richtungen schlimmstenfalls bis zur Kernschmelze führen kann. Im Normalbetrieb
oder auch bei Störungen wird der Austritt von kontaminierter Luft bzw. Wasser durch
entsprechende Filteranlagen verhindert.
Weiterhin kontrovers und Thema der technischen und politischen Diskussion ist
ferner, ob die Endlagerung der Abfalle nachhaltig sicher und definitiv oder langfristig
kontrolliert sein soll, wobei dann die Überwachung und der Unterhalt der Lagerstätten
über lange Zeit sicherzustellen und jeweils der neuesten Technologie anzupassen
wären.
T Uranerzabbau
Q Natururangewinnung
VERSORGUNG
mtt
Kernbrennstoff
Plutonium
neue Brennelemente
II abgebrannte Brennelemente
ZwischenlageNng
entweder / oder
L Wiederaufarbeitung und
hochradioaklive
d
Abfall-Losung
I Abfallverfestigung
verfestigte
hochradioakbve Abfälle
abgeb;annte
Brennelemente
ENTSORGUNG
des verbrauchten
Kernbrennstoffs
Option Opbon
mit Wiederaufarbeitung ohne Wiederautarbeitung
verursacht, jedoch toleriert wird. Über die Gefahren der radioaktiven Kontamination
s. Abschn. 5.6.6.
Die Kerntechnik verzeichnet außerdem Fortschritte, wobei die (internationalen)
Anstrengungen einerseits in Richtung von Leichtwasserreaktoren mit noch größeren
Sicherheitsmargen gehen (EPR), mit dem Ziel, die Wahrscheinlichkeit eines GAUS
oder Super-GAUS noch mehr zu verringern [5.1 I], aber auch in Richtung eines
sowohl bzgl. der Kernreaktion wie auch der Wärmeabfuhr inhärent sicheren HTR-
Reaktors (China, Japan, Südafrika).
5.6.5.2 Brennstoffkreislauf
Was den BrennstofJkreislauf betrifft (Abschn. 5.6.4), ist in der Vergangenheit be-
sonders in Uranminen und bei der Wiederaufbereitung gesündigt worden. Radioaktive
Kontamination kann durch hohe technische aber auch ethische Standards, welche die
Gebote sozialer und ökologischer Nachhaltigkeit respektieren, durch sorgfältige und
verantwortungsbewusste Schutzmaßnahmen bei Verarbeitung und Transport sowie
internationale Zusammenarbeit vermieden werden. Das Problem ist nicht schwerwie-
gender als jenes anderer Branchen (wie z.B. der Chemie), wo ebenfalls mit gefahr-
lichen Stoffen gearbeitet wird.
5.6.5.3 Abfallbeseitigung
Den Erläuterungen im Abschn. 5.6.4 sei hinzugefügt, dass die Endlagerung schwach-
und mittelaktiver Abfalle von jener hochradioaktiver Abfalle zu unterscheiden ist.
Das erste Problem betrifft nicht nur die Kernreaktoren und muss somit unabhängig
davon, ob die Elektrizität mit Kernkraft produziert wird oder nicht, bewältigt werden.
Die technischen Lösungen liegen vor, und die Politik ist daran, die Fragen der
Umsetzung zu Iösen (s. Abb. 5.34b).
Was die hochradioaktiven Abfalle betrifft, die spezifisch sind für die Kernkraft-
industrie, liegen ebenfalls technische Lösungen vor, die es zu erproben gilt. Das
Problem ist Gegenstand technischer und politischer Auseinandersetzungen und
insofern noch nicht gelöst. Die Mengen an hochradioaktiven Abfallen, die es zu
entsorgen gilt, sind jedoch relativ klein (s. dazu. die Berechnungen in Abschn. 3.4)
und nicht vergleichbar mit dem enormen Anfall an klimaschädigendem CO„ der
durch die Verbrennung fossiler Brenn- und 'l'reibstoffe entsteht. Letzteres Problem
dürfte weit schwieriger zu Iösen sein (s. Abschn. 1.7).
5.6.5.4 Kernwaffenherstellung
Zur Kernwaffenherstellung wird hochangereichertes Uran benötigt. Es wird beturch-
tet, dass das in den abgebrannten Brennstoffstäben in kleinen Mengen vorhandene
Plutonium dazu missbraucht werden könnte. Dies kann nicht ganz ausgeschlossen
werden, obwohl die Entsorgung strengen Kontrollen unterworfen ist und die Rück-
gewinnung kein einfaches technisches Problem darstellt. Andererseits war in der
Vergangenheit die Herstellung von Kernwaffen unabhängig von der friedlichen
Nutzung der Atomenergie möglich, und wird auch in Zukunft allen, die sich Zugang
zu hochangereichertem Uran oder Plutonium aus Kernwaffenarsenalen verschafft
5.6 Kernkraftwerke 3 11
Slackape mle
AC
Exp oilation C\ AssemMages
combuilibles u d s
C i , y i i i lii..aii
ur;>"#
Stockage ,nleimediaire
Abb. 5.3413. Entsorgung und Lagerung nuklearer Abfille hoher, mittlerer und
schwacher Aktivität (Quelle: Nagra)
haben (USA, ehemalige UdSSR und weitere Länder, die über Kernwaffen verfügen)
oder in der Lage sind, eine Anreicherungsanlage zu betreiben, grundsätzlich möglich
sein. Die Gefahren, die davon ausgehen, sind real und werden durch politische
Maßnahmen und entsprechende Überwachung verhindert (Non-Proliferation-Ab-
kommen). Die von der friedlichen Nutzung der Kernenergie in Anlagen mit schwach
angereichertem Uran ausgehenden Gefahren sind vergleichsweise gering (etwas
bedenklicher wären in dieser Hinsicht schnelle Brüter).
~ 1 3 1 - -> 8 Tage
--> 88 Jahre
Ra226 - - > 1620 Jahre
PU 239 - - > 24 V00 Jahre
u~~~- - > 4.5.109 Jahre
3 12 5 'Thermische Kraftwerke, Wärmepumpe
5.6.6.1 Aktivität
Als Aktivität einer radioaktiven Substanz wird die Anzahl Zerfallvorgängels bezeich-
net. Einheiten sind das Becquerel (Bq) und (alt) das Curie (Ci):
5.6.6.2 Strahlendosis
Die Energie der terrestrischen und kosmischen Strahlung kann gemessen werden. Die
pro Masseneinheit absorbierte Strahlungsenergie wird als Energiedosis D bezeichnet.
Einheit ist das Gray (Gy) oder (alt) das Rad (rad):
J
l G y = l - , (1 Gy = 100 vad) . (5.34)
kg
5.6.6.3 Äquivalentdosis
Die biologisch wirksame Strahlendosis wird als Aquivalentdosis bezeichnet. Sie
ergibt sich als Produkt von Energiedosis und Qualitätsfaktor. Der Qualitätsfaktor Q
kennzeichnet die biologische Wirksamkeit der Strahlenart. Er beträgt Q = 1 für Beta-
und Gamma-Strahlung, Q = I0 für Neutronenstrahlung und Q = 20 für Alpha-Strah-
lung. Neutronen- und Alpha-Strahlung haben wesentlich schädigendere Wirkungen
auf das Zellengewebe.
Einheit der Äquivalentdosis ist das Sievert (Sv) oder (alt) das Rem (rem)
D [Gy] - - > D.Q [SV], (lSv=lOOm). (5.35)
Die biologische Wirkung besteht in der Molekülzerstörung, deren Bruchteile che-
misch und biochemisch anders reagieren und die Funktionsfähigkeit der betroffenen
Zelle beeinträchtigen können. Lebewesen besitzen zwar wirksame Reparaturmecha-
nismen (da das Leben im radioaktiven Milieu entstanden ist), doch reichen diese
nicht immer aus, womit sich genetische oder somatische Schäden einstellen können,
letztere unmittelbar (Frühschäden) oder erst nach langer Zeit (Spätschäden). Aus den
Erfahrungen mit der Atombombe sind diesbezüglich viele Einsichten gewonnen
worden.
Bei einmaliger Bestrahlung wird die Schwellendosis, ab welcher beim Menschen
mit Frühschäden zu rechnen ist, mit 200-300 mSv angegeben. Embryonalschäden
können bereits ab einmaligen Bestrahlungen von 100-200 mSv aufh-eten. Eine Dosis
von 3-5 Sv ist mit 50% Wahrscheinlichkeit letal.
Für Spätschäden existiert kein Schwellenwert, sondern es steigt mit zunehmender
Strahlungsmenge lediglich die Wahrscheinlichkeit zu erkranken (z.B. Risiko einer
Krebserkrankung oder eines genetischen Schadens). Wichtig ist hier die kumulierte
Belastung in mSv/a, die mit der natürlichen zu vergleichen ist. Diese weist jedoch,
wie nachfolgend dargelegt, eine große Schwankungsbreite auf.
Die Erdstrahlung ist von Region zu Region je nach Geologie und Bodenbeschaffen-
heit verschieden. Sie ist relativ stark bei Granitfelsen (Alpen) und schwach bei
Sedimentgesteinen (Jura, Mittelland). In der Schweiz schwankt sie zwischen 0.4 und
1.5 mSv/a, im Mittel Ca. 1.2 mSv1a. Es gibt Gegenden in China, Brasilien und dem
indischen Subkontinent, wo 20 mSv1a und noch wesentlich mehr üblich sind, wobei
bis jetzt keine signifikanten Abweichungen bezüglich Krebs, Missbildungen, Frucht-
barkeit usw. festgestellt wurden, was auf die Wirksamkeit der Reparaturmechanismen
hindeutet. Beispiele für die natürliche Belastung in der Schweiz finden sich in Tabelle
5.2.
Tabelle 5.2. Beispiele fur die natürlichc radioaktive Belastung in der Schweiz
Der natürlichen muss die Belastung durch Nahrung und Wohnen hinzugefugt werden.
In Deutschland wird sie als etwa doppelt so groß wie die natürliche, die Ca. 0.8 mSv/a
beträgt, eingeschätzt, was zu einer Gesamtbelastung von 2.4 mSv/a fuhrt. Dazu
kommt die Strahlenbelastung durch medizinische Betreuung, die mit Ca. 1.6 mSvla
angegeben wird [5.17 1, [S. 181. Der Unfall in Tschernobyl von 1986 hat in Deutsch-
land noch im Jahre 1992 zu einer Zusatzbelastung von 0.04 mSv1a geführt.
Für Personen mit beruflichem Strahlenrisiko wird in der Schweiz eine Belastung
von 10-50 mSvIa als Grenze gesetzt, oder kumuliert, von 350 mSv über die gesamte
berufliche Tätigkeit.
5.7 Kraftwerke mit kombiniertem Gas- und Dampfprozess 31 5
5.7.1.1 Allgemeines
Bei einem GUD-Kraftwerk (Gas und Dampf) werden die heißen Gasturbinen-
abgase in einem Abhitzekessel zur Dampferzeugung genutzt. Ist bei einem kon-
ventionellen DampfProzess die Temperatur des Dampfes auf 500-600°C be-
grenzt, so können bei der Gasturbine Eintrittstemperaturen über 1 100" C realisiert
werden. Die 400400°C heißen Abgase werden anschließend in einem Dampf-
Prozess genutzt.
Durch die höheren Prozesstemperaturen lässt sich der Wirkungsgrad bei der
Stromerzeugung im Vergleich zu einem Dampfprozess erheblich auf über 55%
steigern.
3 16 5 'Thermische Krafiwerke , Wärmepumpe
Gasturbinen werden i.d.R. mit den Edelbrennstoffen Erdgas oder leichtes Heizöl
betrieben.
GUD-Kraftwerke eignen sich sehr gut als Mittellast- und Spitzenlastkraftwerke,
da sie vergleichsweise schnell an- und abgefahren werden können und die Leis-
tung der Gasturbine schnell verändert werden kann. Bei günstigen Brenn-
stoffiosten lohnt sich auf Grund des hohen Wirkungsgrads auch der Betrieb im
Grundlastbereich.
Erhebliche Fortschritte in der Gasturbinentechnologie, der hohe Wirkungsgrad
bei der Stromerzeugung, kurze Bauzeiten und im Vergleich zu konventionellen
Kraftwerken geringe Investitionskosten haben zu einer weiten Verbreitung der
GUD-Kraftwerke geführt.
5.7.1.3 Betrieb
Die Dampfturbine wird meist im natürlichen Gleitdruck mit voll geöffneten Stell-
ventilen betrieben, um die Drosselverluste zu minimieren. Die elektrische Leis-
tung der Dampfturbine stellt sich dann entsprechend des Arbeitspunktes der Gas-
turbine ein. Bei Erreichen eines Mindestdruckes wird der Druck vor der
Dampfturbine durch Androsselung der Stellventile begrenzt, um einen weiteren
Druckabfall bei geringerer Dampfproduktion zu vermeiden. Hinsichtlich des Wir-
kungsgrades ist ein Betrieb im natürlichen Gleitdruck auch für eventuell vorhan-
dene Mitteldruck- und Niederdrucksysteme des Abhitzedampferzeugers optimal.
Auf Grund anderer Anforderungen werden diese Systeme häufig auch im Fest-
druckbetrieb gefahren.
Die Blockleistung wird durch Vorgabe eines Gasturbinenleistungssollwertes
eingestellt. Die Dampfiurbinenleistung stellt sich dann entsprechend der Dampf-
produktion ein.
Die Laständerungsgeschwindigkeit der Gasturbine wird dabei begrenzt, um eine
starke thermische Beanspruchung der Gasturbine, des Abhitzedampferzeugers
sowie der Dampfturbine mit einem damit verbundenen Lebensdauerverbrauch zu
vermeiden.
5.7.2 GUD- Kraftwerke mit Zusatzfeuerung im Abhitzekessel
Allgemein sind Abhitzekessel ohne Zusatzfeuerung für GUD-Kraftwerke zur
ausschließlichen Stromerzeugung am besten geeignet, da die Energie auf dem
höchsten Temperatumiveau in den Kreislauf eingeführt wird. Eine Zusatzfeuerung
wird deshalb in solchen Kraftwerken i.d.R. zur Abdeckung des Spitzenlastbedarfs
genutzt. Modeme Gasturbinen mit hohen Turbineneintrittstemperaturen haben
häufig bereits so hohe Austrittstemperaturen, dass der Einsatz einer Zusatzfeue-
mng nicht mehr zweckmäßig ist.
Für GUD-Kraftwerke, die neben der Stromerzeugung für Fernwärme oder Pro-
zessdampfauskopplung genutzt werden, gibt es weitere sinnvolle Einsatzmöglich-
keiten für Zusatzfeuerungen im Abhitzekessel. Beispielsweise kann bei Ausfall
der Gasturbine die Feuerung zusammen mit einem Frischluftgebläse genutzt wer-
den, um die Fernwärmeanlage oder Prozessdampfauskopplung weiter betreiben zu
können.
5.7.3 Verbundkraftwerke
Bei einem Verbundkraftwerk werden ein hinter einer Gasturbine geschalteter
Abhitzedampferzeuger und ein kohlebefeuerter Hauptdampferzeuger Wasser- und
dampfseitig gekoppelt.
Abbildung 5.36 zeigt eine mögliche Schaltung, bei der im hinter die Gasturbine
geschalteten Abhitzekessel Mitteldruckdampf erzeugt und zusätzlich ein Speise-
wasserteilstrom- und ein Kondensatteilstrom erwärmt wird. Für den Abhitzekessel
wird dabei das gleiche Verdampferprinzip wie für den Hauptdampferzeuger ein-
gesetzt.
5.7 Kraftwerke mit kombiniertem Gas- und Dainpfprozess 3 19
wird im Brenner der Gasturbine verbrannt, und die entspannten Abgase werden in
L
Kohle-
Druckvergasung 1
mit nachgeschaltetem
GUD-Pmzeß
(Kombi-Prozeßmit unbefeuertern
Abhilzedampferreuger)
Po,: PDT=1: 1
4 Gasreinlgung
feuemng
mit nachgeschaltetem
GUD-ProzeD
P„:P,=2:1
1 Druck-Kohlen-
staubfeuerung
i!P!Jb&
2 Ascheabscheidung
3 Alkaliahscheidung DENOX
feuerung
r n l druhaufgeladenem
Oampierzeuger im
Wasser-IDampfkreidauf
P,:Pm=1:4
1 Druck-Wirbelschichtfeue~ng
2 Ascheabscheidung
5.8 Kraftwerksleittechnik
Die Kraftwerksleittechnik ist das Binde- und Kontrollglied zwischen den einzel-
nen Systemen eines Kraftwerks. Sie fuhrt Regelungs-, Steuerungs- und Schutz-
funktionen aus und ist das Interface zum Kraftwerksprozess, mit dem das Be-
triebspersonal vom Leitstand das Kraftwerk überwacht und bedient.
Mit der Zeit sind die Aufgaben der Kraftwerksleittechnik gewachsen: Die Au-
tomatisierung von An- und Abfahrvorgängen, die Überwachung von kritischen
Kraftwerkskomponenten sowie eine geeignete lnformationsverarbeitung und
-darstellung sorgen für eine Verbesserung der Anlagenverfugbarkeit und der An-
lagenwirtschaftlichkeit bei gleichzeitiger Entlastung des Betriebspersonals.
5.8.1 Entwicklung
Die Entwicklung der Leittechnik im Kraftwerk wurde durch die steigenden An-
forderungen sowie die zur Verfügung stehende Technologie beeinflusst.
Etwa bis 1950 wurden die Kraftwerkssysteme von dezentralen Steuerstellen ge-
fahren und vor Ort bedient und überwacht. Um Betriebspersonal einzusparen,
wurde die zentrale Blockwarte in den 50er-Jahren eingeführt.
Mit der Blockgröße nahm die Anzahl der Antriebe und Messstellen zu. Ein mo-
derner 800 MW-Kraftwerksblock verfügt beispielsweise über etwa 2500 Regel-
und Stellantriebe, 700 Antriebsmotoren für Gebläse und Pumpen sowie 6500
Messstellen.
Die früher verwendete 220-V-Steuerung hätte mit den zunehmenden Blockgrö-
ßen zu sehr großen Wartenräumen geführt. Deshalb wurde die Kompaktwarten-
technik mit einer 24-V-Steuerebene entwickelt.
Mit den größer werdenden Leistungseinheiten erhöhten sich auch die Anforde-
rungen in Richtung Sicherheit und Verfugbarkeit. Automatische Steuerungen und
Regelungen wurden dazu zunächst aus elektronischen Bausteinsystemen mit fest-
verdrahteter Programmierung aufgebaut. Durch die Weiterentwicklung der Mikro-
elektronik standen in den 1980er-Jahren leistungsfähige programmierbare Mikro-
prozessorsysteme für die verschiedenen Automatisierungsaufgaben zur Verfu-
gung.
Mehrkanalige Schutzsysteme und redundant ausgeführte Leittechniksystem-
komponenten erhöhen die Verfugbarkeit der Leittechnik und des Kraftwerks.
Die Entwicklung leistungsfähiger Rechnersysteme sowie die Erfillung erhöhter
Informationsbedürfnisse über den Betriebszustand und den Betriebsablauf führten
zur Entwicklung von Prozessinformationssystemen, die den Leitstandsfahrer bei
der Betriebsführung unterstützen.
Die konventionelle Wartentechnik mit Bedien- und Meldefeldern wurde durch
die Bildschirmbedienung ersetzt. Die Bildschirmbedienung gestattet eine auf den
jeweiligen Anwendungsfall zugeschnittene Prozessdarstellung und verfugt über
verbesserte Möglichkeiten der Informationsverdichtung und Informationspräsenta-
tion.
5.8 Kraftwerksleittechnik 323
5.8.2 Aufbau
Abbildung 5.40 zeigt den Aufbau eines modernen Leittechniksystems, das die
Teilsysteme Automatisierung, Prozessfuhrung und -information, Projektierung
und Inbetriebnahme sowie Kommunikation (Bussystem) integriert.
Das Automatisierungssystem besteht aus Automatisierungsprozessoren und Ein-
und Ausgabebaugruppen für die Erfassung der Prozesssignale sowie der Ausgabe
von Signalen zur Ansteuerung der Antriebe. Die Automatisierungsprozessoren
verarbeiten die Prozessdaten, fuhren die verschiedenen Steuerungs-, Regelungs-
und Schutzaufgaben aus und geben verdichtete Werte und Meldungen an das
Prozessfuhrungs- und lnformationssystem weiter.
Bedienen und
Beobachten
3 -
Großbild- ---:---
Engineering
Verarbeiten
L Bussystem
Steuern und
Regeln Automatisierungs-
Signalaufbereitung
und Signalausgabe
b Eingabe1
Ausgabe
Prozessoren
Die Bedienbilder stellen den Kraftwerksprozess als ganzes sowie die prozess-
technischen Systeme im einzelnen dar. Dabei werden die aktuellen Messwerte
sowie die Zustände der Aktoren (Motoren, Ventile, Klappen) dargestellt. Der
Leitstandsfahrer bedient die Antriebe sowie die Steuerungen und Regelungen aus
Bedienfenstem, die in den entsprechenden Bedienbildern angezeigt werden.
Das Erreichen von bestimmten Prozesszuständen bzw. die Abweichung vom
Sollzustand wird durch Statusmeldungen und Alarme angezeigt. Die Meldungen
werden dabei zum einen zeitfolgerichtig in einem Meldeprotokoll für die Klärung
der Störungsursache sowie zugeordnet zu den entsprechend der prozesstechni-
schen Zusammenhänge gegliederten Bedienbilder für die Störungsbehebung und
Detailklärung dargestellt.
Zusätzliche Informationen kann der Leitstandsfahrer in Form von Kurvendar-
stellungen, spezieller Protokolle und Berechnungen abrufen. Störungen im Leit-
techniksystem können übersichtlich mit dem Diagnosesystem visualisiert werden.
Die Prozessdaten werden im System archiviert, um sie zur Analyse und Pro-
zessüberwachung auch langfristig nutzen zu können.
Die Projektierung und Inbetriebnahme der kraftwerksspezifischen Automatisie-
rungsfunktionen und Bedienbilder sowie die logische Adressierung der einzelnen
Leittechnikkomponenten erfolgt mit dem Engineeringsystem.
Das Bussystem übernimmt die Kommunikation zwischen den einzelnen Auto-
matisierungsprozessoren und den Verarbeitungseinheiten sowie zwischen den
Verarbeitungseinheiten und den einzelnen Bedienterminals.
Moderne Leitsysteme sind skalierbar aufgebaut, dass heißt die Anzahl der Be-
dienterminals, Server und Automatisierungssysteme richtet sich nach den anlagen-
spezifischen Anforderungen.
5.8.3 Ausblick
Gestiegene Anforderungen hinsichtlich der Verbesserung der Wirtschaftlichkeit
des Kraftwerksbetriebs infolge der Liberalisierung des Strommarktes sowie die
Fortschritte in der Technologie spiegeln sich in der modernen Kraftwerksleittech-
nik.
Für den wirtschaftlich optimalen Betrieb eines Kraftwerksblockes wird eine
Vielzahl von Prozessinformationen aus dem Leittechniksystem benötigt. Funktio-
nen für die wirtschaftliche Betriebsführung und für die wirtschaftliche Prozessfüh-
rung wachsen in integrierten Lösungen zusammen als Teil des Leittechniksystems
oder als Ergänzung zur Kraftwerksleittechnik.
Neue Technologien, wie beispielsweise die WEB-Technologie, ermöglichen es,
auf das Leittechniksystem des Kraftwerkes von einem normalen Büro-PC mit
entsprechender Autorisierung via lnternet oder Telefon-Modem zuzugreifen. Da-
mit eröffnen sich Möglichkeiten von der Femdiagnose bis hin zur Beobachtung
und Bedienung eines Kraftwerkes von einem anderen Ort.
Vermehrt werden „intelligente" Sensoren und Aktoren und Schaltanlagen über
Bussysteme (z. B. Profibus, Ethernet) in die Kraftwerksleittechnik eingebunden.
Damit werden die Diagnosemöglichkeiten in der zentralen Leittechnik verbessert.
5.9 Dic Wärmeoumoe 325
1000
500
"' Anergie
Abb. 5.41. Wärmeinhalt bei Verbrennungstemperaturund Niedertemperatur
Exergie T, = Verbrennungstemperatur
T, = Vorlauftemperatur der Heizung
T, = Umgebungstemperatur
1000
Nutzexergie
500
A B C
Verbrennung +
Wämeabgabe Wärmeübergang durch
an Heizwasser Heizkörper und Außenwände
Abb. 5.42. a) Wärmeinhalt, b) Energiefluss bei der konventionellen Heizung
A Energieinhalt des Brennstoffs, B dem Heizsystem zugeführte Wärme (Nutzenergie),
C Endzustand der Energie (reine Anergie)
5.9 Die Wärme~umve 327
Nutzexergie = o.55
exergetischer Wirkungsgrad
= EIorgieauufand
Nutzenergie
'" - (5.39)
Arbeitszahl der Wdrmepumpe: ß = - 3 .
Arbeit
urngebungsanergie C
>- 54%
82%
Verluste irn
Umgebungs- Wärmepumpenprozess
Wärme
Im Fall der konventionellen Heizung ist der Nutzungsgrad immer < 100% (in Abb.
5.42 z.B. 95%). Im Fall der Wärmepumpe sind hingegen Nutzungsgrade die
wesentlich größer sind als 100% die Regel. Dazu einige Beispiele.
- Die elektrische Antriebsenergie stammt aus einem Wasserkraftwerk, das mit einem
Wirkungsgrad von 85% arbeitet. Aus Abb. 5.43b ergibt sich das Flussdiagramm
von Abb. 5.44 mit einem Nutzungsgrad von Ca. 250%.
54%
Umgebungs- Wärmepumpenprozess
Wärme
Wärme
Nutzwärme
Umgebungs-
Wärme qnutz= (28% + 54%) / 51 % = 160%
12%
30%
Wärmepumpenprozess
Umgebungs-
Wärme rlnUk = 54% 1 30% = 180%
Abb. 5.47. Nutzungsgrad von Wärmepumpe + Kombikraftwerk ohne Wärmenutzung
330 5 Thermische Kraftwerke, Wärmepumpe
U Wärmepumpenprozess
Umgebungs-
Wärme rl„,, = (74% + 54%) /38% = 180%
In beiden Fällen werden theoretisch Nutzungsgrade von 180% erreicht, die sich
jedoch noch leicht reduzieren, da Kombikraftwerk und Wärmepumpe i.d.R. nicht am
selben Ort aufgestellt sind und Netzverluste bei der Übertragung der elektrischen
Energie hinzuzurechnen sind.
Diese Beispiele zeigen, dass zur Verbesserung des Nutzungsgrades der Energie zwei
Vorkehrungen besonders wirksam sind: Die Verbesserung des elektrischen Wir-
kungsgrades der Elektrizitätsproduktion und die Verbesserung der Arbeitszahl der
Wärmepumpe. Zum letzten Punkt s. Abschn. 5.9.2. Weitere Analysen zu diesem
Thema sind z.B. in [5.19] zu finden.
Schlussfolgerungen
Den höchsten Energie-Nutzungsgrad wird mit der Kombination Wasserkraftwerk-
Wärmepumpe (z.B. Kleinwasserkraftwerk-Wärmepumpe)erreicht, die zugleich eine
sehr nachhaltige Lösung darstellt, da CO,-frei.
Die Kombination der Wärmepumpe mit konventionellen thermischen Kraftwerken ist
sinnlos, wenn diese mit fossiler Energie betrieben werden. Im Fall nuklearer Energie
oder von Biomasse ist zwar der Nutzungsgrad nicht höher als der einer konventionel-
len Kesselheizung, aber die produzierte Wärme CO,-frei und der Beitrag zur
Nachhaltigkeit deshalb beträchtlich.
Die Kombination der Wärmepumpe mit Blockheizkraftwerken und vor allem mit
Kombikraftwerken weist Energie-Nutzungsgrade deutlich über 150% auf und bietet
deshalb, auch wenn sie nicht CO,-frei ist, ein erhebliches CO,-Sparpotential (dies
aber nur f i r Länder mit starker Elekirizitätsproduktion aus fossiler Energie). Dies gilt
auch f i r die Kombination mit Brennstofzellen (Kap. 8).
5.9 Die Wärmeouinne 33 1
Verdampfer I
D
- 1
C
- J 1 Kondensator
Drosselventil
Abb. 5.49. Prinzipschaltbild der Kompressionswärmepu~npe
332 5 Thermische Kraftwerke, Wärmepumpe
Verdampfer D -> A
Der Vorgang wird als isobar angenommen (p =P,). Da er sich im Nassdampfbe-reich
des Kältemittels abspielt, ist T = konst. = T,. Aus Anhang I, GI. (1.23) folgt, da W =
0
Ah = h, - h, = , (5.41)
Kompressor A -> B
Der Vorgang wird als reversibel und adiabat angenommen. Damit ist er auch isentrop
(s = konst., q = 0). Aus G1 (1.26) folgt
Ah = h, - h, = W[,, , (5.42)
worin W „ die dem Kältemittel übertragene theoretische Kompressionsarbeit darstellt.
Kondensator B -> C
Der Vorgang sei isobar O, = p , ) und verlustlos. Die Temperatur ist am Anfang T„
nimmt im ersten Teilstück des Kondensators ab und bleibt dann nach Erreichen der
Taulinie konstant (T = T,). Da W = 0, folgt aus G1. (1.23)
A h = hC - h B = - qlth ' (5.43)
worin q„, die theoretisch vom Kältemittel abgegebene Leistung darstellt.
Drosselventil C -> D
Der Vorgang sei adiabat. Da W = 0 und q = 0, folgt aus GI. ( 1.26)
Ah=O, --> h,=hc, (5.44)
der Vorgang ist isoenthalpisch (s. auch Abschn. 1.3.4).
5.9 Die Wärmepumpe 333
Durch Einführung des Kältemittelstroms m folgen aus den spezifischen Energien die
absoluten Leistungen, z.B. Q [kJls] = m [kgls] . q [kJlkg]. Man definiert:
Es folgt, da h„ = h,.
Qith = Qzrh + 'rh . (5.46)
Als Leistungsziffer wird das Verhältnis von Heizleistung zu aufgenommener
Antriebsleistung bezeichnet. Der idealisierte Prozess hat die Leistungsziffer
mit Q 2 = m ( h A - h D * ) , QD=mhD*.
C) Ferner ist zu berücksichtigen, dass sich die elektrische Leistung P„ die vom Netz
bezogen wird, um die mechanischen und elektrischen Verluste des Antriebs
erhöht sowie um den Leistungsbedarf von Hilfsantrieben (z.B.Ventilator für
Verdampfer, bei Lufi als Wärmequelle). Dies kann mit dem mechanischen und
elektrischen Wirkungsgrad Y, bzw. q, berücksichtigt werden:
334 5 Thermische Kraftwerke, Wärmepumpe
d) Ferner besteht die Möglichkeit, durch Unterkühlung des Kältemittels von Cnach
C* vor der Entspannung die Wärmeaufnahme im Verdampfer bzw. Wärme-
abgabe im Kondensator zu erhöhen und so die Leistungsziffer zu ver-bessern.
Der reale Kreisprozess unterscheidet sich vom idealen außerdem noch in einigen
Punkten:
- Auf Grund von Druckverlusten druck- und saugseitig sind die Vorgänge im
Nassdampfbereich nicht exakt isobar.
- Wegen Wärmeaufnahe ist der Vorgang im Drosselventil nicht exakt iso-
enthalpisch.
- Das Kältemittel wird vor der Verdichtung überhitzt (Punkt A in Abb. 5.50b
verschiebt sich leicht nach rechts), damit keine Flüssigkeit angesaugt wird, die
den Verdichter beschädigen könnte.
Kompressor Konc
Verdampfer
m hD* = QD
7
A -
Drosselventil
worin E„* die Leistungsziffer des idealen Prozesses ABC*D* darstellt (h,* = h,*)
Im Anhang Vlll sind die (h, log P)-Diagramme einiger Kältemittel gegeben.
Beispiel 5.3
Eine Wärmepumpe wird mit dem Kältemittel R 407C betrieben (Diagramm in
Anhang VIII). Sie arbeitet zwischen den Temperaturen 0°C und 50°C. Die Wirkungs-
grade sind: q, = 0.8, q, = 0.95, q„ = 0.9, q, = 0.85. Man berechne die Leistungs-
ziffer.
Aus dem (h,log P)-Diagramm folgt ohne Unterkühlung E„* = E„, = 4.63. Aus GI.
(5.5 I ) erhält man
Mit Unterkühlung lässt sich die Leistungsziffer erheblich um bis zu 30% steigern und
somit eine Leistungsziffer bis gegen 3.4 erreichen.
5.9.3 Einsatz
Die Anwendungen der Wärmepumpe sind vielfältig. Neben der Wohnrauniheizung
seien erwähnt: Hallen- und Freischwimmbadheizung (evtl. auch in Kombination mit
Einhalte), Raumklimatisierung und Wärmerückgewinnung (z.B. in größeren
Gebäuden), industrielle Vorgänge, wie Trocknung und Destillation. Grundsätzlich
kann dieselbe Wärmepumpenanlage sowohl als Heiz- als auch als Kühlanlage
funktionieren, z.B. durch Umkehrung des Arbeitsstoffkreislaufs mittels Ventilen.
Im Folgenden beschränken wir uns auf die Besprechung der Wohnraumheizung.
336 5 Thermische Kraftwerke, Wärmepumpe
B) Bivalenter Alternativbetrieb
Da die maximale Leistung nur wenige Tage im Jahr dauert, wird oft ein bivalenter
Betrieb Vorteile bieten. Die WP-Anlage wird dann für die Temperatur 6, dimensio-
niert (d.h. für eine Heizleistung prop. 6, 6,). Unterhalb dieser Temperatur wird die
-
WP abgeschaltet und die Heizung von einem alternativen System übernommen. Wird
dadurch die Leistung z.B. halbiert, werden trotzdem vielleicht noch 70% der
Jahresenergie von der WP-Anlage geliefert (schraffierte Fläche rechts von der Linie
B, Abb. 5.52a).
C) Bivalenter Parallelbetrieb
Die WP-Anlage wird wieder fur die Temperatur 6, dimensioniert, jedoch auch
unterhalb dieser Temperatur betrieben und liefert somit vielleicht 90% der Jahres-
energie (schraffierte Fläche oberhalb der Linie C, Abb. 5.52a). Die Zusatzheizung
wird für die restliche Spitzenleistung dimensioniert.
Für die Berechnung der Jahresenergie wird von der Häufigkeit W der mittleren
Außentemperaturen ausgegangen (Abb. 5.52b). Die Summenhäufigkeit d ist das
Integral der Häufigkeit W . Es gelten die Beziehungen
worin A6, die mittlere Übertemperatur des Heizkörpers beschreibt, deren Verlauf als
logarithmisch angenommen wird
/
/ A
ev 4 3,
KH 9 a
EH = QLW 8760 1 h
[kW- -
"Ca
=
kWh
a C
Abbildung 5.54 zeigt Q',, und 6, sowie die Energie E, als Funktion der Außen-
temperatur 6,. Die Fläche unterhalb der Kurve E,, stellt die Jahresheizenergie dar.
Je niedriger die Vorlauftemperatur 6, ist, desto niedriger wird die Verflüssigungs-
temperatur im Kondensator sein und desto höher also die Leistungszahl der
Wärmepumpe. Niedertemperaturheizungen (Fußbodenheizung, Luftheizung) sind
deshalb besonders vorteilhaft bei Wärmepumpeneinsatz. Die höhere Leistungszahl
wirkt sich auf die Wirtschaftlichkeit doppelt günstig aus: der Verdichter wird kleiner,
und der Exergieaufwand verringert sich.
Bemerkung: Die gefundene Beziehung zwischen Q',,, 6, und 6, ist nur im Mittel und
stationär gültig, weil:
- die Wärmedurchgangszahl K von Wind und Sonneneinstrahlung beeinflusst wird,
also je nach Witterung beträchtlich ändern kann bei gleichbleibender Außen-
temperatur,
- das Wärmespeichervermögen des Gebäudes eine Verzögerung des Wärmebedarfs
gegenüber der Temperaturdifferenz mit sich bringt.
Obige Beziehungen sind für die Bemessung der Heizung normalerweise trotzdem
genügend. Bei Betriebsoptimierungsrechnungen ist hingegen das Speichervermögen
mit Hilfe eines exakteren dynamischen Modells zu berücksichtigen.
Das Potential der Windenergie und die Voraussetzungen fur eine wirtschaftliche
Nutzung wurden bereits in Abschn. 1.2.3 kurz erörtert. Im Folgenden werden die
technischen und wirtschaftlichen Aspekte der Windenergienutzung näher behandelt.
Einem Querschnitt A , durch den pro s die Luftmasse m'mit Dichte p und Geschwin-
digkeit V , hindurchzieht
Die theoretische Windleistung steigt mit der dritten Potenz der Windgeschwindigkeit
an, welche die Wirtschaftlichkeit entsprechend stark mitbestimmt.
Ein weiterer Parameter ist die Luftdichte. Diese beträgt für Trockenluft bei
Normaldruck (1013 mbar) und 0°C: 1.292 kg/m3 . Druck und Temperatureinfluss
lassen sich durch die Beziehung
J
mit R = 287.1 - (6.4)
kg K
erfassen. Zu beachten ist ferner, dass der Druck mit der Höhe nach der barometri-
schen Formel ändert (p, bei 20°C):
h-h,
a T m (6.5)
P =Poe mit a = 29.27 -
K
.
6.1.2 Windgeschwindigkeit
Die Beziehung zwischen Windstärke und Windgeschwindigkeit kann der nachfolgen-
den Tabelle 6.1 entnommen werden.
Jahresmittel der Windgeschwindigkeit, die über 5 rnls liegen, kommen i.d.R. nur
in Küstenregionen oder auf freistehenden Berggipfeln vor. Zu beachten ist jedoch,
dass das Mittel allein, wegen V , ' (GI. 6.3) noch keine direkte Aussage über den
Energieinhalt ermöglicht. Die Windgeschwindigkeit ändert außerdem auf Grund der
Bodenreibung mit der Höhe nach der Formel
v =
- h
(-F, a=O.16 (Meer)
V. ho
. (6.6)
wobei ( a = 0.17..0.2 (Ebene ohne Hindernisse)
Bei Hindernissen kann a wesentlich höhere Werte annehmen. Eine nicht ebene
Topographie kann außerdem starke lokale Unterschiede bewirken und das Höhen-
profil des Windes verändern. Der Standortwahl einer Windenergieanlage kommt
deshalb große Bedeutung zu.
Beispiel 6.1
Man berechne die theoretische Leistung pro m2 Fläche für V , = 4 rnls und 7 mls sowie
die entsprechende theoretische Leistung bei konstantem Wind
a) für 0 m ü. M bei Normaldruck und 20"C,
b) auf 2000 m Höhe beim entsprechendem Druck und 10°C (in % von a)),
C) angenommen, obige Geschwindigkeitswerte gelten für eine Höhe von 10 m über
dem Boden, wie verändert sich in % die Leistung, wenn die Windturbine 20 m
über dem Boden installiert wird? (Boden ohne Hindernisse).
6.1 Die kinetische Energie des Windes 343
1 W
4mls: Po = - 1.205 43 = 38.6 -
m2
e = 1.292 = 1.205-kg ( 2
293 m3 7mls: P,, = 1 1.205 7'
- = 207 W
2 m
b)
6.1.3 Energieangebot
Um das potentielle Windenergieangebot eines Ortes evaluieren zu können, müssen
langjährige Messungen vorliegen bzw. mit Anemometern über längere Zeit Messun-
gen durchgeführt werden. Die Messresultate können in Form einer Dauerlinie (Abb.
6.1) dargestellt werden. Die Dauerlinie gibt an, während wie viel Stunden h, in der
betrachteten Periode eine bestimmte Windgeschwindigkeit V, erreicht oder über-
schritten wird. Aus der Dauerlinie des Windes kann mit GI. (6.1) die Dauerlinie der
theoretischen Leistung und daraus, bei Berücksichtigung dcr Bctriebsgrenzen und des
Wirkungsgrads des Windrads, das effektive Energieangebot ermittelt werden.
Die Erfahrung zeigt, dass die Arbeit mit 10 min Mittelwerten eine gute Grundlage für
die Auslegungder Windanlage bildet. Über den Einfluss der überlagerten Windturbu-
lenzen s. (6.71.
und wird allgemein von Abb. 6.2 dargestellt. Aus Lage- und Streuungsparameter
lassen sich folgende Größen ermitteln
1
mittlere Windgeschwindigkeit V,,, = C r(1+ i )
3
r(1+-I
k (6.9)
Energiefaktor K, = . 9
worin
Zur Berechnung dieses Potentials werden zuerst aus den Messwerten die Parameter
c und k ermittelt. Dazu wird die GI. (6.7) durch doppelte Logarithmierung folgen-
dermaßen geschrieben
und die Messwerte In In (l/S(v)) in Funktion von In V aufgetragen (Abb. 6.3). Liegen
die Messwerte im Bereich S(v) = 1%-70% auf einer Geraden, so ist die Annahme
einer Weibull-Verteilung gerechtfertigt. Die Gerade liefert k als Steigungsmaß und
c als Schnittpunkt mit der Abszisse.
Aus c und k folgen mit Hilfe der Gammafunktion mit GI. (6.9) die mittlere Wind-
geschwindigkeit und der Energiefaktor. Die beiden Größen sind in Anhang V1 in
Funktion von k dargestellt. Die Luftdichte ergibt sich aus Druck und Temperatur (Gln.
(6.4) und (6.5)) und das Windenergiepotential schließlich aus G1. (6.1 1).
Achse horizontal
Auftrieb nutzend
1)
Achse vertikal
Auftrieb nutzend
Widerstand nutzend
Die Widerstands- und Aufh-iebskoeffizienten C,, und C , hängen von der Form (Profil)
und von der Lage der Fläche (Winkel a ) relativ zur Windrichtung ab. Sie können
numerisch berechnet oder durch Versuche, z.B. im Windkanal, ermittelt werden [6.7].
Auf die Fläche wirkt die resultierende Kraft E.
Bewegt sich die Fläche mit der Geschwindigkeit (Abb. 6.6), so tritt in den Gln.
(6.13) die relative Windgeschwindigkeit G an Stelle der absoluten V:
=C-i; (6.14)
Ergibt die resultierende Krafi gr eine positive Komponente $, (Treibkraft) in Rich-
tung der Bewegung, so wird diese Bewegung unterstützt (Abb. 6.6), im umgekehrten
Fall wird sie gebremst.
Die wichtigsten Windradtypen werden in den folgenden Abschnitten besprochen.
Für mehr Details sei auf [6.2], [6.7] und für den Selbstbau von Windturbinen auf [6.5]
verwiesen. Für alle Windradtypen können folgende allgemeine Beziehungen aufge-
stellt werden:
P, ist die theoretische Windleistung gemäß GI. (6.3). Neu eingeführt wurden:
C, = Idealer Leistungsbeiwert des Rades (immer < 1)
q, = Wirkungsgrad des Rades (relativ zum verlustfreien Betrieb)
C,' = qt C, = effektiver Leistungsbeiwert.
C, bestimmt die obere Leistungsgrenze, die aus physikalischen Gründen (auch ohne
Reibungsverluste) nicht überschritten werden kann. Es lässt sich zeigen, dass C, (und
somit auch C,') von der Schnelllaufzeit 3L des Windrades abhängig sind (Abschn.
6.3.2). Für die Schnelllaufzahl gilt
Moderner
2-oder 3-Blatt-
Moderner
ochsen-Rotor
( Oarrieus 1
Schnel!aufzahl h ----
Abb. 6.7. Idealer Leistungsbeiwert verschiedener Rotoren
6.3 Horizontalachsige Windrotoren 349
W - W = -1m v o2 - - 1m v , 2 = - 1m ( v o2 - V ; ) .
O ' 2 2 2
Pro Zeiteinheit strömt die Masse m' = p A V durch das Windrad. Die theoretische
Leistung ist somit
Andererseits folgt nach dem Impulssatz die Kraft als Impulsänderung pro s
Der Maximalwert ist C„„ = 16127 = 0.593 und wird für viv, =213 bzw. V , /V, =I13
erreicht. Zwischen der Geschwindigkeit V und der Drehzahl der Turbine bzw. der
Schnelllaufzahl besteht ein fester Zusammenhang, der von der Flügeldichte
(Völligkeit) und der Projilform des Flügels abhängig ist (s. dazu Tragflügeltheorie,
Abschn. 6.3.2). Die Völligkeit nimmt mit Anzahl und Breite der Flügel zu. Es werden
zwei extreme Ausführungen unterschieden:
Langsamliiufer (Beispiel amerikanische Windturbine, Abb. 6.4). Auf Grund der
großen Flügeldichte wird die optimale Geschwindigkeit V bereits bei kleinen
Drehzahlen erreicht (L„, klein).
Sclznellliiufer (Beispiel 2-Blatt-Läufer, Abb. 6.4). Die Flügeldichte ist klein, die
optimale Geschwindigkeit V erfordert hohe Drehzahlen und präzise Ausführung der
Flügel (L„, groß).
Die von der Turbine gelieferte Leistung ist gemäß GI. (6.15)
I
P = qt CP Po=cpPo. (6.23)
Der Gesamtwirkungsgrad kann fur L„, einen Wert C,]'= 0.45 erreichen (Abb. 6.1 I),
was einem Turbinenwirkungsgrad q, = 0.76 entspricht.
6.3.2 Tragflügeltheorie
Betrachtet wird das Flügelelement dr (Abb. 6.1 Oa), das sich mit Geschwindigkeit Zr
bewegt. Mit der Windgeschwindigkeit v' in Achsrichtung ergibt sich die relative
Windgeschwindigkeit Gr (Abb. 6. lob). Für diese gilt
Gr = C - Ur , mit ur = o r
I
Das Flügelprofil weist einen einstellbaren Lagewinkel 8 relativ zur Normalen zur
Windrichtung auf. Dieser Winkel ist oft eine Funktion von r. Als Anstellwinkel a
wird der Winkel bezeichnet, der das Profil mit der relativen Windgeschwindigkeit
bildet (Abb. 6.1Ob). Somit ist
a =90°-(8 + P). (6.25)
Fa = Auftriebskraft, senkrecht zu Gr
= Widerstandskraft, Richtung Gr
C, und C,, sind vom Profil abhängige, im Windkanal messbare und somit bekannte
Funktionen des Anstellwinkels a.
Für Treibkraft und Normalkraft folgt aus Abb. 6.1Ob
dF, = dFa cos ß - dFw sinß
dF,, = dFa sinß + dFw cos ß
--> =
1
e s, dr W 2, (c0 C O S ~- C , sinß)
dF, -
2
Das durch das Flügelelement dr erzeugte Drehmoment ist somit
1 2
dM = dF, .r
2
e sr r dr W , (ca cosß - cw sinß) .
= - (6.28)
1 2
M = z
/LdM = -
2
z/s, r
L
W, ( c a cosß - C, sinß) dr. (6.29)
Die theoretische Leistung ist schließlich P , = M o , woraus sich der ideale Leistungs-
beiwert in Abhängigkeit von Schnelllaufzahl und Lagewinkel berechnen lässt.
lnsbesondere folgt daraus die optimale Schnelllaufzahl. Den typischen
-. Verlauf für
einen Schnellläufer zeigt die Abb. 6.1 1 .
- 0,2 J
0 5 10 15 20
Schnellaufzahl X -
Abb. 6.1 1. Leistungsbeiweri eines Schnellläufers in Abhängigkeit von Schnelllaufzahl
und Lagcwinkel
6.4 Moderne horizontalachsige Windturbinen 353
Aufgabe 6.1
-
a) Ein horizontaler 3-Blatt-Rotor (h„, 8) soll eine effektive Leistung von 15 kW
abgeben bei der optimalen Windgeschwindigkeit von 6 m/s. Der Wirkungsgrad des
Rades qWtsei 0.72. Man schätze:
- den Radius der Flügel (Annahme p = 1.2 kg/m3)
- die optimale Drehzahl des Rotors
- die spezifische Leistung bezogen auf die Windradfläche
-
C) Gleiche Berechnungen f i r eine amerikanische Windturbine gleicher Leistung,
wenn qo„ = 0.5 und hop, 1.
Nachteile
- Das Drehmoment ist wegen des veränderlichen Anstellwinkels pulsierend (daraus
ergeben sich mechanische Probleme).
- Die geringere Höhe über dem Boden fuhrt zu schwächerem Wind im unteren
Bereich der Rotorblätter, was sich negativ auf den Leistungsbeiwert auswirkt.
- Eine Anfahrhilfe ist notwendig (Motor, Savonius), da der Anstellwinkel nicht
einstellbar ist.
6.5.1.1 Rotorgeometrie
Die Troposkiente wird durch Kreis und Gerade approximiert mit den Daten R, R , und
H (Abb. 6.12). Daraus folgen die Hilfsgrößen:
xo = R-Ro
Y0 = X - Y , - Y q
v0 = x0 + RO cos yo
zo = Ro s h y o , wobei
6.5 Andere Windradtypen 355
y = arctan(--- " 1
/-
r = xo+Ro cosy
(r-xo)
sin6 = --- = cosy .
Ro
Gleichungen der Geraden für z > z, und z <-z,
H12 - Ro sin yo
m =
(4, ROeos Y 0 +
,-P
H12 - IzI
m
(m = Steigungsmaß).
356 6 Windkraftwerke
dA = r d6 sin6 d z . (6.33)
Der Wind begegnet den Flügelprofilen in 1 und 2. Die mittlere Kraft in 1 ergibt sich
aus dem Impulssatz (analog zu Abschn. 6.3.1)
wobei v2 = 2 V „ - V,.
6.5.1.3 Tragflügeltheorie
Das Flügelelement in der Position 1 (Abb. 6.13) sei bzgl. Widerstands- und Auftriebs-
kraft näher betrachtet (Abb. 6.14). Das vertikale Element dz weist gegen die Hori-
zontale die Neigung 6 auf und hat die Fläche
s dz
q =sino
-.
Auf das Flügelelement wirken die Kräfte (GI. 6.13)
gegeben sind (Abb. 6.14). a ist der Winkel, den W , mit der Bewegungsrichtung bildet.
Schnitt AB
r
. .
F, sin 6
3,
Abb. 6.14. Zur Tragflügeltheorie des Darrieus-Rotors
6.5.2 Der Savoniusrotor
Als Beispiel eines vorwiegend nach dem Widerstandsprinzip arbeitenden Lang-
samläurers sei der Savoniusrotor näher betrachtet. Wie die Abb. 6.7 zeigt, werden
damit Leistungsbeiwerte von 0.2 0 . 2 5 erreicht, d.h. bestenfalls 25% der theoreti-
schen Windleistung.
6.5.2.1 Aufbau
Der vertikalachsige Savoniusrotor besteht ursprünglich aus zwei Halbkreiszylindern
gemäß Abb. 6.15a und ist dann ein reiner Widerstandsläufer. Der geteilte Savoniusro-
tor (Abb. 6.15b und 6.1 5c) erreicht auf Grund des Beitrags der ebenfalls wirksamen
Auftriebkräfte einen besseren Leistungsbeiwert.
Abbildung 6.15d zeigt den Strömungsverlauf im geteilten Rotor. Auf Grund
unterschiedlicher Widerstandskoeffizienten ist F2 < F, und gesetzt F = F, - F?, ergibt
sich das Drehmoment M = F.a/2. Durch die Teilung des Rotors wird F gegenüber
dem Fall des ungeteilten Rotors erhöht.
6.5.2.2 Leistungsabgabe
Die Leistung kann von
ausgedrückt werden. Gemäß den Gln. (6.13) und (6.14) folgt für die Krafi
-
Optimal ist h. = ß13 mit cJc = 4127 = 0.148. Für den Rotor Abb. 6.15a ist ß = 2 und
somit L„, = 0.67. In Ausführungen gemäß Abb 6.1% ist eher ß 2.5 -:h„, =: 0.83.
Der Savoniusrotor gehört offensichtlich zur Kategorie der Langsamläufer.
6.5.2.3 Drehmoment
Aus der Leistung folgt
- - M = ( 1 - - a) * M A , mit M A = c q , - D Po ,
P P 2 V,
worin M, das Anlaufmoment (A = 0) darstellt.
Ein Vorteil der Widerstandsläufer ist, dass sie ein großes Anlaufinoment besitzen
und so auch bei schwachem Wind imstande sind, anzulaufen und Elektrizität zu
produzieren.
Aufgabe 6.2
Man dimensioniere einen Savoniusrotor f i r eine Leistung von 300 W bei der optima-
len Windgeschwindigkeit von 6 m/s. Man wähle ß = 2.5, p = 1.2 kg/m3, c Y,= 1.5.
a) Gesucht wird
- Die spezifische Leistung pro m2 bei 6 mls
- Der Durchmesser und die Höhe des Rotors
- Die Nenndrehzahl der Anlage
b) Ab welcher Windgeschwindigkeit V„„ wird Leistung geliefert? Welches ist das
Anlaufmoment bei V„„? Man zeichne die Leistung in Funktion der Windgeschwin-
digkeit V , bei Nenndrehzahl auf.
Kurve c : effektive Windradleistung bei Betrieb mit optimierter Drehzahl. Bei der
minimalen Windgeschwindigkeit V „ beginnt das Kraftwerk, Energie zu liefern.
Zwischen I„, und V „ sorgt eine Drehzahlregelung für optimale Anpassung der
Drehzahl an die Windgeschwindigkeit
womit GI. (6.5 1 ) erfullt ist. Für V > V „ wird die maximal zulässige Leistung P,,,,
erreicht, und eine Leistungsregelung ersetzt die Drehzahlregelung, so dass P = P„.
Die Geschwindigkeit V „ beträgt in modernen Anlagen meist ca. 15 mls. Beim Über-
schreiten der maximal zulässigen Windgeschwindigkeit V„„ wird das Kraftwerk
abgeschaltet (mechanische Sicherheit).
Kurve d : effektive Windradleistung bei Betrieb mit konslanter Drehzahl. Bei der
frei gewählten optimalen Windgeschwindigkeit V„„ wird der maximale Wirkungsgrad
erreicht. Die entsprechende Drehzahl ist ( R = Radius der Windturbine)
Für andere Windgeschwindigkeiten sinkt die Leistung gemäß C', (1). Das Windrad
liefert Energie ab V„„ entsprechend der Schnelllaufzahl 1„„.
Für einen gegebenen Standort mit einer bestimmten Windhäufigkeitsverteilung
erreicht die produzierte Jahresenergie einen Wert, der von der Wahl der optimalen
Windgeschwindigkeit abhängt, wie von Abb. 6.18 veranschaulicht wird. Für einen
bestimmtem Wert von V„„ wird diese Energie maximal. Ob dieser Wert auch ein
wirtschaftliches Optimum darstellt, hängt vom Kostenverlaufin Abhängigkeit von der
gewählten Drehzahl ab (Getriebeinvestitionen, Getriebeverluste, Festigkeit der
Rotorflügel usw.).
Jahresenergie
t--
n
Abb. 6.18. Optimale Windgeschwindigkeit bzw. Drehzahl
6.6.2 Leistungsregelung
Es wird zwischen Anlagen mit Stallregelung (Regelung durch Strömungsabriss) und
Anlagen mit Blattwinkelregelung(Pitch-Regelung)unterschieden [6.3]. In horizontal-
achsigen Rotoren hängt der Leistungsbeiwert bei gegebener Drehzahl nicht nur von
der Windgeschwindigkeit, sondern auch vom Anstellwinkel des Profils (Blattwinkel)
ab, wie in Abb. 6.1 1 veranschaulicht.
In stallgeregelten Anlagen ist der Blattwinkel im ganzen Geschwindigkeitsbereich
bis V„„, fest. Die Leistungsbegrenzung wird durch die Geometrie des Rotorblattes
bewirkt, welche aerodynamisch so gestaltet wird, dass beim Erreichen der Geschwin-
digkeit V „ Turbulenzen entstehen, die zu einem Strömungsabriss (stall) fuhren. Damit
stellt sich ein Leistungsverlauf Ca. nach der Kurve d in Abb. 6.17 ein. Die Stall-
regelung vermeidet den relativ komplizierten Mechanismus zur Blattwinkelregelung.
Ungefähr 213 der installierten Anlagen weisen eine Stallregelung auf [6.10]. Als aktiv
wird die Stallregelung dann bezeichnet, wenn die Rotorblätter mehrere fixe Stel-
lungen aufweisen, die je nach Windgeschwindigkeit gewählt werden.
Mit der Blattwinkelregelung wird entsprechend Abb. 6.11 automatisch der bei
einer bestimmten Windgeschwindigkeit jeweils optimale Anstellwinkel gesucht.
Damit lässt sich mit entsprechendem Aufwand der Leistungsbeiwert bei der gegebe-
nen Drehzahl maximieren. Beim Erreichen der maximal zulässigen Leistung P„, wird
die Leistung konstant gehalten. Der maximal mögliche Leistungsbeiwert entsprechend
Kurve c in Abb. 6.17 kann nur mit veränderlicher Drehzahl erhalten werden.
6.6.3 Netzbetrieb
Die produzierte Elektrizität wird ins Verbundnetz gespeist. Das einfachste und
billigste Schema zeigt Abb. 6.19. Die Windturbine treibt über ein Getriebe einen
Asynchrongenerator an. Die dem Netz gelieferte Leistung ist
Asynchrongeneratoren sind billig und robust, können jedoch ohne Zuschaltung von
6.6 Betrieb und Regelung, Auslegung 363
"0 "I
/I, Netz
Windturbine
Kapazitäten keine Blindleistung liefern. Für größere Leistungen wird deshalb ein
Synchrongenerator vorgezogen. In beiden Fällen gilt
n1 2 n f R
Getviebeübersetzung ü = - =
n P v o o p Aopt
/ Netz
6.6.4 Inselbetrieb
In der Regel verlangt der Verbraucher eine konstante Frequenz und eine konstante
Spannung (Ausnahme: Heizwiderstände). Als Generator eignet sich dann am besten
ein Synchrongenerator, welcher die Regelung der Spannung über die Erregung
ermöglicht (Abschn. 13.1). Ein Asynchrongenerator mit geregelter Kondensatorbatte-
rie ist ebenfalls möglich.
364 6 Windkraftwerke
4
Po
3 1 Gt
n1
- Last
"0
Windturbine f s
€ B
2nm,kT T3
mit NL=2( 1
h
Valenz- Leitungs-
band band
Die effektive Masse m,, des Elektrons weicht wegen der Einwirkung des Potentials des
Festkörpergitters etwas von der Ruhemasse m ab [7.10]. Der Bandabstand A What bei
Halbleitern die Größenordnung 1 eV, bei Isolatoren ist er deutlich größer. Die Fermi-
Kante befindet sich in der Mitte der verbotenen Zone.
Für T = 0 K ist gemäß GI. (7.3) n = 0, d.h. es befinden sich keine Elektronen im
Leitungsband (scharfe Fermi-Kante). Je höher die Temperatur, desto stärker wird die
-
Fermi-Kante verwischt (Abb. 7.2). Bei Raumtemperatur geraten einige wenige
Elektronen ins Leitungsband. Bei 20°C ist 2.B. 4 k T 0.1 eV, und für Silizium mit
A W = I . 12 eV ergibt GI. (7.3) --+ n = 5.7- 109Elektronen/cm3. Beim ersten Blick mag
dies viel erscheinen; Silizium hat aber eine Dichte von 2.33 g/cm3 und ein Atomge-
wicht 28. Somit ist die Atomzahl (Avogadro)
6.1023 2.33 5.1022 Atome Atome gIcm3
28
-
cm
r-
1-
Mol glMol
.
Nur 1 Elektron auf ca. 10" Siliziumatome befindet sich also im Leitungsband.
Dementsprechend ist die Eigenleitung von Silizium bei 20°C sehr klein.
W,
Abb. 7.2. Einfluss der 'l'emperatur auf die Fermi-Dirac-Verteilung
7.1 .I Photoleitung
Fällt Licht auf eine dünne Halbleiterplatte mit Oberfläche A und Dicke d, wird durch
die Absorption von Photonen (Lichtquanten) das Energieniveau von Elektronen
angehoben und, sofern die Photonen eine Energie h f > A W haben, Elektronen vom
Valenzband ins Leitungsband befördert. In direkten Halbleitern [7.2] wie GaAs
genügen Schichten von wenigen pm, um die Strahlung vollständig zu absorbieren. In
indirekten Halbleitern wie kristallines Silizium braucht es dazu hingegen einige
hundert pm (200 pm für 90% Absorption).
Die Elektronen des Leitungsbandes sind im Kristall frei beweglich und bilden den
negativ geladenen Elektronenstrom. Dadurch wird eine Umwandlungvon Strahlungs-
7.1 Physikalische Grundlagen. photovoltaischer Effekt 367
= Photonenfluss [Photonenls]
q = Quantemvirkungsgrad
t = Rekombinationszeit der Elektronen -Löcher -Paare
Die stationäre Lösung dieser Differentialgleichung ist
t Elektronen
n = q @ -
Ad
I .
m3
Aus der Spektralintensität S, der senkrecht auf die Fläche fallenden Strahlung (Abb.
7.3) lässt sich der Photonenfluss berechnen:
s* da [-I W d4
= 3 hf [-
~ h o t WS
-1.
m2 A m2s Phot
Daf = c/h ( C = Lichtgeschwindigkeit), folgt
In GI. (7.6) eingesetzt, kann daraus die Eigenleitfahigkeit des bestrahlten Halbleiters
berechnet werden.
Leitband 7
I Valenzband /L$
Beim Anlegen einer äußeren Spannung U verhält sich ein p-n-Übergang als Diode
(Abb. 7.5a), und es ergibt sich die Kennlinie Abb. 7.5b. Für U < 0 wird die Poten-
tialbarriere verstärkt und die Diffusion rückgängig gemacht. Die Diode sperrt. Die
thermisch erzeugten Elektronen werden abgesaugt und ergeben den Sättigungsstrom
I, in Sperrrichtung [7. I]
Is prop. exp(--)UD . (7.14)
U,
Für U > O wird die Potentialbarriere reduziert, die Diffusion begünstigt, und es fließt
der Strom
U
Id = Is [exp(-) - 11
UT (7.15)
kT
U, = - = thermodynamische Spannung = 25.7 mV bei 25°C .
e
Wird der p-n-Übergang mit Photonen mit hf > A W bestrahlt (Abb. 7.6), springen
Elektronen vom Valenzband ins Leitungsband. Da in der Raumladungszone ein
Potentialgefälle besteht, wandern die Elektronen über die externe elektrische Verbin-
dung zum + Pol (n-Bereich) und die Löcher zum P o l @-Bereich). Damit entsteht ein
dem Diffusionsstrom entgegengesetzter Photostrom. Nur die unmittelbar in der
Grenzschicht entstehenden Elektronen-Löcher-Paare tragen aber zum Photostrom bei,
da die anderen rekombinieren, bevor sie durch das Potentialgefälle getrennt werden
können. Die Strahlung muss also möglichst nahe an die Grenzschicht gebracht werden
(Abb. 7.6). Für Näheres über den Aufbau der Solarzelle s. [7.2], [7.10].
Der entstehende Photostrom I„ ist proportional zur Bestrahlungsstarke. Aus GI.
(7.15) folgt der totale Strom in Leitrichtung der Diode
Die Diodenkennlinie wird um I/],,nach unten gezogen, wie von Abb. 7.7 veranschau-
licht. Im 4. Quadrant arbeitet die Anordnung als Generator (Solarzelle). Der von der
Solarzelle erzeugte Strom ist I = - I * :
Kennlinie der
Solarzelle
Bestrahlungs-
stärke
Abb. 7.7. Entstehung der Solarzellen- Abb. 7.8. Abhängigkeit von Kurz-
Kennlinie durch Bestrahlung des p-n- schlussstrom und Leerlaufspannung der
Übergangs Solarzelle von der Bestrahlungsintensität
Der Kurzschlussstrom ist gleich dem Photostrom und somit proportional zur Bestrah-
lungsstärke, während die Leerlaufspannung in Funktion der Bestrahlung einen loga-
rithmischen Verlauf aufweist (Abb. 7.8). Die Temperatur wirkt sich über U, (GI.
7.15) und I, (GI. 7.14) stark auf die Leerlaufspannung aus und zwar so, dass diese mit
zunehmender Temperatur abnimmt. Steigende Temperatur vermindert so die Leistung
der Solarzelle. Der Kurzschlussstrom wird hingegen nur wenig von der Temperatur
beeinflusst (s. dazu auch Abb. 7.15).
d4q A
= - S,
hc
h dh ,Photonen
s
I-
Die Anzahl Elektronen, die zum Photostrom beitragen, ist auf Grund der Verluste
kleiner
Elektronen
S
I.
Der Wirkungsgrad q, berücksichtigt, dass
- Photonen verloren gehen durch Reflexion, Transmission und Thermalisierung,
- ein Teil der erzeugten Elektron-Loch-Paare rekombinieren, bevor sie durch das
Potentialgefälle getrennt werden.
Es folgt der Photostrom
bzw. die Photostromdichte
-
Wird über das ganze Spektrum integriert, erhält man die Photostromdichte
hdh [ ?AI .
0
m
Die Leistungsdichte der Strahlung ist andererseits
h„„,hängt vom Halbleitermaterial ab. Für Silizium ist 7. B. A W = 1.12 eV, woraus
h„, = 1.1 1 Pm. Für h > Am, ist q, = 0, da die Photonen nicht genügend Energie
aufbringen, um den Bandabstand zu überwinden. Die entsprechende Energie wird
thermalisiert. Es gilt also
0, ,1
/V,
0
s, da = 1q* s, h da ,
0
Die einzelnen Faktoren seien diskutiert: Der erste Faktor ist eine Konstante
-
Bandabstands des Halbleitermaterials. Er nimmt zu bei abnehmendem Bandabstand.
Richtwert für Silizium ist q , 0.75, d.h. rund 25% der Solarenergie liegen im
Wellenbereich über L„„. Mit monochromatischem Licht der Wellenlänge h„, wäre
Tl," I.
Die Wellenlänge h, ist proportional zum Verhältnis zwischen Photonenzahl im
Bereich O.... Am, und entsprechender Strahlungsenergie (Gln. 7.21 und 7.22). Für
3L = ist die Photonenenergie gerade so groß, wie für die Überwindung des
Bandabstands nötig und wird ganz den Elektronen weitergegeben. Für h < h„, ist sie
hingegen zu groß, und die Überschussenergie wird thermalisiert. Die entsprechenden
Verluste können durch den Wirkungsgrad q, crfasst wcrdcn
e
und somit E = - Am ql q2 q3 .
h C
Würde die Solarzelle mit monochromatischem Licht der Wellenlänge h„, bestrahlt,
- -
wäre q, = I . Mit dem Solarspektrum AM 1.5 (Abb. 7.9) ergibt sich fiir monokristalli-
nes Silizium den Richtwert q, 0.66. Somit ist für Silizium q , q2 0.49, d.h 5 1% der
Solarenergie kann auf Grund der spektralen Zusammensetzung des Sonnenlichtes
nicht genutzt werden. Das Produkt q, = q, q, wird deshalb auch spektraler Wirkungs-
grad der Solarzelle genannt.
Der Wirkungsgrad q, ist gemäß den Gln. (7.19) und (7.20) proportional zum Verhält-
nis zwischen Nutzelektronen und Photonen im Bereich O.... km„. Er berücksichtigt
also Photonenverluste und Rekombinationsverluste. Dieser Wirkungsgrad hängt vom
Stand der Solarzellentechnologie ab. Bei Siliziumsolarzellen mit einem Gesamt-
wirkungsgrad von 15% dürfte er einen Wert q, = 0.75 erreichen. Theoretisch liegt
die Grenze bei 1, so dass bei Verbesserung der Technologie mit einer weiteren
Zunahme gerechnet werden kann.
Mit monochromatischem Licht der Wellenlänge Am, und q, = 1 wäre die theore-
tisch maximal erreichbare Stromziffer
374 7 Photovoltaik
l i
AM0 -Spektrum,l35.3 r n ~ c m - ~
Sie ist also umgekehrt proportional zur Bandlückenenergie A W. Für Silizium erhält
man E„„ = 0.89 AIW. Die GI. (7.28) kann schließlich geschrieben werden
Er ist in Abb. 7.1 1 in Funktion der Bandlückenenergie für eine Bestrahlung der
Halbleiter mit AM0 und AM 1.5 und 1000 Wlm2 dargestellt.
Uopt U,
Abb. 7.12. Reelle Kennlinie einer Solarzellc: U,, Leerlaufspannung, I, Kur~schlussstrom,
P Punkt maximaler Leistung (MPP Maximum Power Point), R, Parallelwiderstand,
K, Seriewiderstand, R„ Diodenwiderstand,
Grösse und Einfluss der beiden Widerstände auf die Kennlinie der Solarzelle
lassen sich durch Idealisierung der Diodenkennlinie mit U„ und R, nach Abb. 7.14
ermitteln. Es hat sich als zweckmäßig erwiesen, den Diodenwiderstand als Diffe-
rentialwiderstand beim halben Photostrom zu definieren.
Aus GI. (7.15) folgt für I, >> I , und mit A = Idealitätsfaktor (s. dazu G1. 7.38)
Der Leerlaufiereich der Solarzelle (Diode leitet) lässt sich dann angenähert durch
U = (RD+ Rs)(I,- I)
Spannung in V
Aus dem Ersatzschema Abb. 7.13 folgt durch Hinzufügen einer Parallelkapazität auch
ein dynamisch zutriedenstellendes Simulationsschema für die Solarzelle, das durch
das Gleichungssystem (7.38) beschrieben wird. Die Größen 111,,,I, und U, sind darin
temperaturabhängig, evtl. kann auch die Temperaturabhängigkeit von R, und R,]
berücksichtigt werden. Die Diodenkennlinie wird exakter durch Einführung des
Idealitätsfaktors A beschrieben (i.d.R. A = 1 - 1.5)
7.3.2 Leerlaufspannung
Aus den Gln. (7.18), (7.14) und (7.12) folgt für I„ >> I,
Die Abb. 7.16 zeigt die Leerlaufspannung U, und den Wirkungsgrad q, (auch
Spannungsfaktor genannt) in Funktion der Bandlücke für 25°C und für eine ideale
Solarzelle.
07- 1
r14
06-
-15°C ,
i
T
25°C I l 2 30 U, E„,-
4
05L 65°C
/L
02
O1
10
1
_ LL-
-
I O*
I 1
II
I
iiil
103
P, [ W / m2]
i l i ,
I o4
I i i i l l
105
,
7.3.3 Füllfaktor
Als Fülljuktor Fbezeichnet man das Verhältnis zwischen dem Produkt aus Spannung
und Strom im optimalen Punkt (MPP) und dem Produkt aus Leerlaufspannung und
Kurzschlussstrom:
Wird P durch P'ersetzt (Abb. 7.12), lässt sich aus dem theoretischen Kennlinienver-
lauf mit der für große Einstrahlungen i.d.R. gut erfüllten Annahme
schreiben:
eingeführt, der auch Leckstrome und ohmsche Verluste von Diode und Kontakten
berücksichtigt. Bei guten Siliziummodulen kann mit dem Richtwert q, = 0.75 ge-
rechnet werden. Eine Annäherung an 1 ist theoretisch möglich. Abbildung 7.18 zeigt
den idealisierten Füllfaktor F, (wobei F < F, ) in Funktion der Bandlücke des Halblei-
ters.
7.3.4 Gesamtwirkungsgrad
Der Wirkungsgrad ist als Verhältnis von Leistung im optimalen Punkt P (MPP) und
Strahlungsleistung definiert
Durch Einführung des Füllfaktors GI. (7.40) und Berücksichtigung von GI. (7.37)
sowie des Photostroms GI. (7.32) folgt
Für die Stromziffer gilt nach Abschn. 7.2 und insbesondere GI. (7.30):
E:=Emaxr)lq2q3 .
Werden außerdem die Leerlaufspannung gemäß GI. (7.39) und der Füllfaktor gemäß
GI. (7.43) eingesetzt, erhält man die Fünffaktorenforrnel
'l = ' l l 'l2 'l3 '14 ' l 5 . (7.46)
Mit den angegebenen Richtwerten folgt für Siliziummodule bei 1000 W/m2und 25"C,
q 5 0.75 .0.66.0.75 .0.55 .0.75 = 0.15, was etwa dem Wirkungsgrad guter heutiger
kommerzieller Solarzellen entspricht. Mit den Annahmen q 3= q, = 1 erhält man den
theoretisch maximalen Wirkungsgrad
'l,h = '11 '12 '14 . (7.47)
Abbildung 7.19 zeigt diesen Wirkungsgrad in Funktion der Bandlücke für ver-
schiedene Halbleiter für AMO- und AM 1.5-Sonnenspektrum. Für kristallines Silizium
ergibt sich der theoretisch maximale Wert q„, = 0.28. Im Labor sind Wirkungsgrade
bis Ca. 21% oder gar 23-24% [7.2] erreicht worden.
7.3.6 Solarzellentypen
Erfolgreichste Solarzelle fur Leistungsanwendungen ist bisher eindeutig die Sili.71um-
'
Dünnschichtsolarzellen
Aus diesem Grunde ist man einerseits bestrebt, die Zellendicke der Siliziumzellen auf
Ca. 100 pm (oder weniger) zu reduzieren, um den Materialaufwand zu verringern.
Andererseits versucht man, eigentliche Dünnschichtsolarzellen zur kommerziellen
Reife zu bringen. Eine erste Forschungsrichtung stellen die
- Dünnschichtzellen aus kristallinemSilizium dar, deren Dicke etwa bis 5 pm (z.B.
auf Glas) beträgt und somit, was den Materialeinsatz (und die Kosten) betrifft,
erhebliche Vorteile aufweisen. Um die notwendige Absorption der Strahlung zu
erreichen, wird das Licht mehrfach reflektiert (optical confinement). Für Näheres
s. [7.2] sowie [7.3]
384 7 Photovoltaik
In Abschn. 7.1.1 wurde erwähnt, dass es Halbleiter gibt mit wesentlich größerer
Absorptionskraft als kristallines Silizium. Forschungsanstrengungen haben zur
Entwicklung von verschiedenen Solarzellentypen geführt. Die wichtigsten sind:
- Solarzellen aus amorpltem Silizium: Mit Schichten < 1 pm lassen sich Solarzellen
bauen, die eine weite Verbreitung im kleinen Leistungsbereich (Taschenrechner,
Uhren usw.) gefunden haben. Für größere Leistungen ist der erreichte stabilisierte
Wirkungsgrad ca. 6% für Module sowie max. 13% im Labor. Die Anfangswir-
kungsgrade sind zwar höher, aber senken sich auf die erwähnten Werte wegen der
lichtinduzierten Degradation.
- Solarzellen aus Gallium-Arsenid GaAs: Dieses kristalline Material ermöglicht
eine 90%-Absorption mit 2 pm. Der Bandabstand von 1.42 eV ist ebenfalls sehr
günstig. Mit AM1.5 werden im Labor Wirkungsgrade bis 24.5% erreicht. Einer
Verbreitung dieser Zellen stehen der Preis (vorläufig) und vor allem Umwelt-
aspekte (Giftigkeit von Ga und As) im Wege. Zellen aus GaAs werdenfir Raum-
fahrtsanwendungen und als Konzentratorzellen entwickelt. Mit diesen Zellen
lassen sich höhere Wirkungsgrade erreichen, speziell in der Konfiguration von
Tandem- und Mehrfachzellen (siehe oben). Allerdings sind solche Zellen sehr
teuer.
- Solarzellen aus Cadmium-Tellurid CdTe: Diese Dünnfilmzellen machen heute
sehr viel von sich reden (Laborrekord 16.5 % Module wohl Ca. 6%). Probleme:
Cadmium (giftig), Tellurium (nicht ausrecichend verfügbar). Produktionskosten
minimal [7.17]
- Solarzellen aus Kupfer-Indium-Diselenid CulnSe,: Für diese auch als CIS-
Solarzelle bekannte Anordnung aus polykristallinem Material genügt eine Schicht
von ca. 2 pm, um die Strahlung zu absorbieren. Der etwas ungünstigere Band-
abstand von 1 eV kann durch Hinzufügen von Ga zum In auf optimale 1.4 eV
erhöht werden. Damit wurden im Labor Wirkungsgrade von 18.8% erreicht.
Kommerzielle Module haben allerdings einen Wirkungsgrad von Ca. 9%. Das
Entwicklungspotential wird als gut beurteilt. Ein Nachteil könnte die begrenzte
Verfugbarkeit von Indium sein.
Dünnschichtsolarzellen eignen sich besonders gut f i r Tandernstrukturen. Insbesonde-
re mikromorphe Solarzellen, welche mikrokristalline und amorphe Solarzellen
kombinieren, eröffnen hier neue Perspektiven [7.12], [7.13]. Es werden zur Zeit viele
Produktionsanlagen für mikromorphe Module geplant; kommerzielle Modulwirkungs-
grade sind etwas über 8% (wobei man hofft, bald auf 10% hinaufzukommen). Die
Herstellungskosten und der Materialaufwand sind deutlich geringer als bei den
klassischen kristallinen Siliziumzellen.
7.4 Die Sonne als Energieauelle 385
Vor Ca. 5 Mrd. Jahren entstand an einem bestimmten Punkt der Milchstraße der
Fusionsreaktor Sonne durch lokale Verdichtung der Ur-Gasmasse des Universums
(bestehend aus Ca. 75% H und 25% He), die zur kritischen Temperatur von etwa 12
Mio. K fuhrte. Möglicherweise war eine Supernova-Explosion die Ursache der
Verdichtung. In den vergangenen 5 Mrd. Jahren hat die Strahlungsintensität wahr-
scheinlich um Ca. 25% zugenommen. Noch weitere 5 Mrd. Jahren wird die Sonne in
derselben Art Wasserstoff zu Helium verbrennen, wobei ihre Strahlungsintensität
weiterhin leicht ansteigen wird. Dann wird sie in eine Art Energiekrise geraten und
sich zu einem „Roten Riesen" aufblähen, später kollabieren und als „Weißer Zwerg"
weiterhin leuchten, schließlich langsam ausbrennen und als unsichtbare Kugel ihren
Stern-Lebenslauf beenden.
Heute ist die Sonne eine Gaskugel mit folgenden Daten:
Radius: 696 '000 km (109 X Erde)
-->
Volumen: 1.4 1 2 . 1 0 ~ ~ m
Oberfläche: 6.087. 1018 m (7.48)
Dichte: 1.41 tlm (114 der Erde)
Masse: 2. lo2' t (Erde 6 . 102' t ) .
Die Abstrahlung beträgt total 380.1012TW, auf die Oberfläche bezogen, die eine
Temperatur von 5900 K aufweist, sind dies rund 62 TWlm2.
Die abgestrahlte Energie beträgt 12 .I 03' Jla und der entsprechende Massenverlust
nach der Relation E = m C' ist Am = 133.10" tla. Dabei werden Ca. 20.10" tla
Wasserstoff verbrannt. In 5 Mrd. Jahren sind es ca. 1OZ6 t, was etwa 1 0 15% des
ursprünglichen Vorrats bedeutet.
Die totale Strahlungsleistung auf der Erde lässt sich daraus berechnen, bei Berück-
sichtigung des Erdradius von Ca. 6.38.106 m (einschl. Atmosphäre). Die mittlere
Strahlungsleistung ist
Zwischen Juli und Januar ändert sie sich von 167'000 bis 179'000 TW.
Breitenkreis
Aquator
Bahnebene
Ortsmeridian
Erdachse
Abb. 7.20. Koordinaten des Ortes A auf der Erde (Länge, Breite)
Sonnenbahr
Himmelsä ,
Nadir
Abb. 7.21. Scheinbare Sonnenbewegung, für die Breite <p erhalten durch Projektion der
Ortskoordinaten an das Himmelsgewölbe.
Sonnenstand, gegeben durch Deklination 6 und Stundenwinkel o [7.9]
Zenit
achse
Nadir
Abb. 7.22. Sonnenbahn zur: a) Sommersonnenwende, b) Frühjahrs- und Herbstwende,
C ) Wintersonnenwende. ,CA Sonnenaufgang, SU Sonnenuntergang [7.9]
Die Sonne beschreibt scheinbar eine Kreisbahn um die Himmelsachse. Diese Kreis-
bahn ist um die Deklination 6 (die als Winkel gegeben wird) gegenüber dem Him-
melsäquator verschoben. Die Verschiebung hängt wegen der Neigung der Rotations-
achse der Erde in der Bahnebene von der Jahreszeit ab. Sie schwankt zwischen
-23.45" und+23.45" und ist null bci dcr Frühjahrs- und Herbstwendc (Abb. 7.22). Dic
Deklination kann mit folgender Formel berechnet werden (M, = Tagesindex, begin-
nend mit dem 1. Januar)
der 2. Term ist eine Folge der elliptischen Bahn der Erde und nur f i r 173 < n, < 366
verschieden von null. Im ersten Term setzt man ein:
n, - 79 für Schaltjahre
n, - 79.25
(7.53)
nd - 79.50 ) für die 3 folgenden Jahre .
Die exakte Position der Sonne während des Tages wird durch den Stundenwinkel o
gegeben, vom Himmelsmeridian aus gemessen (relativ zur Südrichtung). Bei genauer
Südrichtung der Sonne ist die Wahre Ortszeit (Sonnenzeit) TS = 12.00 h. Der Stun-
denwinkel (Winkelabweichung von der Südrichtung) ist dann
Man muss ferner berücksichtigen, dass die effektive Ortszeit (Zonenzeit TL) nicht mit
TS übereinstimmt. Die Erde ist in 15 Zonenzeiten eingeteilt. Es gilt allgemein
L-L,
TS = TL + - + ET
15
- -
Winter: TS = L - 1 5 + ET
MEZ + -
15
Sommer: TS = SOZ -
wobei Sommerzeit SOZ = MEZ - 1 .
Der Term ET ist eine Folge der elliptischen Bahn der Erde, deren Sonnenumkreis-
geschwindigkeit gemäß den Keplerschen Gesetzen nicht konstant ist. Mit genügender
Genauigkeit für Solaranwendungen (nicht aber für nautische Anwendungen) kann
man schreiben:
1
Den Verlauf des Korrekturterms ET in Minuten im Verlauf der Jahreszeit zeigt Abb.
Min
1
' Tag
Abb. 7.23. Korrekturterm ET
7.4 Die Sonne als Energiequelle 389
D = D ,sinh.
~ b b7.24.
. Strahlung auf horizontaler Fläche
Für eine geneigte Flache, deren Neigung relativ zur horizontalen durch den Winkel
$ und deren Ausrichtung durch den Azimut a, bestimmt wird (Abb. 7.25), sei der
Grundriss Abb. 7.26amit den Vertikalschnitten Abb. 7.26b und 7 . 2 6 ~
betrachtet. Die
auf die Fläche wirkende senkrechte Strahlungskomponente D ergibt sich folgender-
maßen:
D = X, + X,
mit y, = D, sinh tan$ , y, = D,cosh cos(a - al) - y,
(7.62)
D, sinh
X, = -, X, = Y, s h $ .
COS*
390 7 Photovoltaik
a) Grundriss
B'
Abb. 7.26. Grundriss und Vertikalschnitte zu Abb. 7.25, Bercchnung der auf der
Fläche senkrecht stehenden Komponente von D,
Aus den Gln. (7.62) folgt durch Einsetzen und einige Umformungen
D = D1 [sinh tos* + cos h sin* cos(a - U,)] . (7.63)
Der Spezialfall von GI. (7.61) folgt für $ = 0. Wird die Fläche um eine vertikale
Achse der Sonne nachgefahren, so dass a, = a, folgt D = D, sin (h + q). Wird
schließlich die Fläche auch um eine horizontale Achse entsprechend dem Sonnen-
stand gedreht, so dass $ = 90" - h, folgt D = D, .
7.4 Die Sonne als Energiequelle 391
*
wobei die lntegrationsgrenzen bei flachem Horizont durch o,entsprechend GI.
(7.60) ersetzt werden können, und berücksichtigt GI. (7.58), folgt
Oo
24
W, = D, / (sinq sin6
-0
+ cosq cos6 c o s o ) -
2n
do .
Für den betrachteten Ort und Tag sind cp und 6 konstant, und man erhält schließlich
24
Wd = - D, (sincp sinb o, + cosq cos6 sino,)
n
Abbildung 7.27 zeigt den Jahresgang der Tagesenergie für verschiedene Breiten-
grade und mit der Annahme D,(6) = konst = 1.353 kW/m2. Das Integral über das
Jahr führt in Abhängigkeit von der Breite zu Abb. 7.28.
Abb. 7.27. Jahresgang der Tagesenergie auf einer horizontalen Fläche für verschiedene
Breitengrade (extraterrestrische Einstrahlung 1 353 W/m2)
+ Breite des Ortes
Abb. 7.28. Jahresenergie auf einer horizontalen Fläche ohne Atmosphäre in Funktion der
Breite des Ortes
Geneigte Fläclie
Ist die Fläche nach Süden ausgerichtet (nördliche Hemisphäre) mit Neigung (Abb. +
7.25), ist U, = 0, und es genügt, in GI. (7.66 ) cp durch (cp - $) zu ersetzen. In der
Regel liefert eine andere Orientierung als Südrichtung eine kleinere Tagesenergie. Es
gibt aber auch Fälle, in denen dies nicht zutrifft und eine andere Orientierung sinn-
voll ist: Wirkung von Bergprofilen (U, ergibt sich dann aus GI. 7.58 nicht für h = 0,
sondern aus h„„, entsprechend dem Bergprofil), regelmäßiger Morgennebel, Bewöl-
kung jeweils am Nachmittag, Reflexionswirkungen (Schnee, Gletscher, Wasser),
diffuses Licht usw.
Durch Integration der GI. (7.66) folgt allgemein
24
W, = - D, [(cos* sincp-sin* coscp) sinb o, +
7c (7.67)
+ (cosq coscp + sin* sincp) cosb sinw,)] .
Werden über eine bestimmte Zeitperiode (Monat, Saison, Jahr) Neigung und Orien-
tierung der Fläche nicht geändert, ergibt die Aufsummierung
"d
A
24
= - D,
n
(sincp C sin6 o, + coscp C cosb sino,)
nd nd
mit (
24
B = -~ n o o , cosb sinoo)cosal .
, ( - ~ ~ ~ c p C ~+i sincpC
7c nd nd
7.4 Die Sonne als Energiequellc 393
0 10 20 30 40 50 60 70 80 90
--
-- -) Breite des Ortes
Abb. 7.29. Optimale Ncigung in Funktion der Breite des Ortes, ohne Atmosphäre (während
des Jahres oder des Sommers bzw. Winters unveränderte Neigung)
Die Energie der Periode wird maximiert für dW/d+ = 0, woraus die optimale Nei-
gung folgt
die in Abb. 7.29 in Funktion der Breite des Ortes bei Südausrichtung (nördliche
Halbkugel) dargestellt ist. Sie nimmt zu bis zum Polarkreis, uni dann wieder ab-
zunehmen. Mit Atmosphäre ist die optimale Neigung etwas kleiner, weil für den
diffusen Lichtanteil die horizontale Lage am besten abschneidet.
Sonne
Reflexion 29%
i 100%
Wärmeabstrahlung 71%
30%
Absorption
kann neben der Himmelsstrahlung auch einen Teil Reflexionsstrahlung aus der
Umgebung enthalten. Die Summe von Direktstrahlung und Himmelsstrahlung (bzw.
Diffusstrahlung) wird als Globalstrahlung G bezeichnet.
Nach Abzug der von der Erde reflektierten Strahlung R verbleibt die von der Erde
absorbierte Strahlung, die in Wärme umgewandelt wird. Da sich die Erde im ther-
mischen Gleichgewicht befindet, muss diese Wärme wieder abgegeben werden, was
etwa zu 213 durch Konvektion und Verdunstung und 113 durch Wärmeabstrahlung
(E -A) in die Atmosphäre geschieht. Die Atmosphäre insgesamt strahlt Ca. 7 1% der
Sonnenstrahlung als Wärme in das Weltall ab.
Tabelle 7.1. Direkte Strahlung in der Schweiz in Abhängigkeit von der Höhenlage für
verschiedene Jahreszeiten
extraterrestrisch 1350
4000 m 1158
3000 m 1 1 15
2500 m 1086
2000 m 1047
1500 m 1000
400 m 870
600
-
'E
0 so0
Y
U
-
.m
"
*W
d
C
$, wo
-
C
L
n
3anreszeit
Abb. 7.31. Tages- und jahreszeitliche Verteilung der direkten Sonnenstrahlung auf
Normalfläche fur das schweizerische Mittelland in 400 in ü.M, bei klarem Himmel,
1 kcallh-m2= 1.163 W/m2 (Quelle: MZA Zürich)
396 7 Photovoltaik
mois
Abb. 7.32. Jahreszeitliche Veränderung der Direktstrahlung für verschiedene Stunden des
Tages in 2000 m ü.M, bei klarem Himmel, I kcallh-m2= 1.163 W/m2
(Quelle: Studie Institut Battelle)
Die Abb 7.33 gibt eine Schätzung des in Europa möglichen Energieertrags in
kWh/kWp mit PV-Anlagen, bei optimaler Ausrichtung der Solargeneratoren.
Abb. 7.33. Jährlicher Energieertrag in kWh/kWp bei optimaler Ausrichtung der PV-
Anlage (Quelle: PVGIS European Communities [7.18])
7.5 Systemtechnik
Je nach Energieversorgungsaufgabe werden zwei Arten von PV-Systemen unter-
schieden: lnselsysteme und netzgekoppelte PV-Anlagen. Beide verwenden Solarge-
neratoren, die sich aus Solarmodulen zusammensetzen. Etwa 90% der weltweit
installierten PV-Leistung sind heute netzgekoppelt.
7.5.2 Inselsysteme
Für Inselsysteme kleiner Leistung stellt die PV oft eine wirtschaftliche Lösung dar.
Typische Anwendungen sind Telekommunikationseinrichtungen, isolierte Kühlein-
richtungen, Verkehrs- und Notrufeinrichtungen, Wasserpumpen, Energieversorgung
von Berghütten oder -restaurants, in Entwicklungsländern auch von kleineren Dör-
fern. Den allgemeinen prinzipiellen Aufbau zeigt Abb. 7.34. Für kleine Verbraucher
genügt ein Gleichspannungsausgang, womit auf den relativ teuren Wechselrichter
verzichtet werden kann. Der Akkumulator ermöglicht die Entkopplung des Ver-
brauchs vom Solarenergieangebot.
Im Fall der Wasserpumpe kann dann gepumpt werden, wenn die Sonne scheint,
und somit auf die Batterie und den dazu notwendigen Laderegler verzichtet werden.
Erwähnenswert ist auch die Anwendung fur Solarmobile (Tour de Sol, Schweiz,
World Solar Challenge, Australien, Solarschiff Bielersee).
Oft werden Inselanlagen auch als Hybridanlagen ausgefihrt, z.B. als Kombination
von PV- und Windenergieanlage. Die Produktion der beiden Anlagen ergänzt sich in
Berggebieten gut, da häufig der Wind dann bläst, wenn die Sonne nicht scheint. Bei
größeren Verbrauchern kann auch die Kombination der PV-Anlage mit einem diesel-
oder biogasangetriebenen Generator die optimale Lösung darstellen.
Akkumulator
Als Batterie oder Akkumulator werden bei PV-Anlagen im Inselbetrieb i.d.R. elek-
trochemische Speicher, meist Bleiakkumulatoren verwendet. Für die optimale
Auslegung von Batterie und Regler sind Simulationsrechnungen, welche die lokale
Meteorologie und das Verbraucherverhalten berücksichtigen, notwendig. Der Lade-
regler gewährleistet eine automatische Betriebsfihrung und schützt die Batterie vor
Überladung und Tiefentladung. Näheres in [7.4], [7.5], [7.11].
7.5.4 Wechselrichter
Alle netzgekoppelten Anlagen und die meisten Inselanlagen benötigen einen Wech-
selrichter, der die vom Solargenerator gelieferte Gleichspannung in eine verbrau-
cher- bzw. netzkonforme Wechselspannung umwandelt. Zu diesem Zweck werden
heute fast ausschließlich selbstgeführte, mit Pulsweitenrnodulation (PWM) ge-
steuerte Wechselrichter verwendet (Band 1, Abschn. 7.3.2), die u.a. den Vorteil
aufweisen, einen Strom mit geringem Obenvellengehalt zu erzeugen.
Abbildung 7.36 zeigt selbstgeführte dreiphasige Wechselrichter von 20 ...35 kW
und 50...300 kW mit einer Eingangsspannung von 450....800 V und einem Stromrip-
pel (peak to peak) von max. 4%. Ein Transformator gewährleistet die galvanische
Trennung vom Netz. Der Wirkungsgrad beträgt > 94%.
L
I I I I
Der Wechselrichter bzw. seine Elektronik stellt das Gehirn der PV-Anlage dar. Er
übernimmt alle Steuerungs- und Regelungsfunktionen, insbesondere die Ein- und
Ausschaltung in Abhängigkeit der Bestrahlungsstärke und den optimalen Betrieb im
MPP-Punkt der Solarzellenkennlinie (Abb. 7.15), ferner die Überwachungs-, Melde-
und Schutzaufgaben.
Wechselrichter im Bereich 2 ...6 kW werden meist einphasig und oft ohne galva-
nische Trennung (d.h ohne Trafo) ausgeführt (Abb. 7.37), was dem Wirkungsgrad
zugute kommt (> 97%).
Es besteht ein Trend, auch größere Wechselrichter im Bereich 30-50 kW ohne
Trafo auszuführen.
Um die bei fassadenintegrierten Anlagen nötige Freiheit in der architektonischen
Gestaltung zu erlangen, verfugt jedes Teilsolarfeld oder jeder Generatorstrang über
einen eigenen Wechselrichter, der unabhängig vom Rest der Anlage Strom ins Netz
speist. Detailliertere Angaben über photovoltaische Systeme findet man in [7.4].
Das Modell wird durch die 6 Parameter I„ I„ A l , A2 U, F$, bestimmt, die durch 6
Identifikationsgleichungen ermittelt werden können. Diese lassen sich aus gemesse-
nen Solarmodulkennlinien für 3 verschiedene Einstrahlungswerte (beispielsweise
100%, 20% und 5% Einstrahlung, oder 100%, 70% und 5%, da die 20%-Kennlinie
oft schwer zu messen ist) bestimmen. Diese liefern für Leerlauf (I = 0, U = U,) und
für den optimalen Punkt P (U„, , I„,) (s. Abb. 7.39) die 6 Bedingungen
-
die nach den 6 Parametern aufgelöst werden können. Aus dem Kurzschlussstrom
erhält man den Wert des Photostromes, der in erster Näherung I„, I und exakter,
mit der Annahme I„ 2 I„ 2 0 (iterative Berechnung),
beträgt.
Bei der Festlegung von U, und der Auswertung der Ströme 1,; muss die Temperatur-
abhängigkeit dieser Größen gemäß den Gln. (7.14) und (7.15) berücksichtigt werden.
Eine noch genauere Darstellung erfasst die Abhängigkeit des Shunt-Stromes vom
Verhältnis Diodenspannung zu Breakdown-Spannung [7.7]), das auch ohne Modell
zu ändern, durch einen nichtlinearen, d.h. mit zunehmender Einstrahlung abnehmen-
den äquivalenten Parallelwiderstand dargestellt werden kann. Die Anzahl Parameter
bei Messung von drei Kennlinien erhöht sich dann auf 8.
Zur Identifikation können zusätzlich die Steigungsmasse der Tangenten für die
beiden größeren Einstrahlungen (beispielsweise 100% und 70%) entsprechend den
gemessenen Kennlinien vorgegeben werden. Das Steigungsmaß der Tangente erhält
man durch Berechnung der Ableitung dI/dU aus GI. (7.71). Es folgt
Im Kurzschlusspunkt ist der Diodenwiderstand i.d.R. wesentlich größer als &, und
es ergeben sich die einfachen Identifikationsgleichungen
für i = 1...2 .
't
mit 1 - 41 U,,
~xP(-) + -
4 2
W (-
U, i
1 (7.76)
RdOi 4 UT Alu, A2UT A2 U?"
für i = 1....2
Clo& To W o k p a c e l
Abb. 7.40. Simulink-Modell zur Untersuchung des stationären und dynamischen Verhal-
tens eines Solarmoduls
8 Brennstoffzellen
Mit Brennstoffzellen lassen sich Wasserstoff sowie Erdgas und andere Kohlenwasser-
stoffe (z.B. Benzin, Methanol) oder Biogas elektrochemisch direkt in elektrische
Energie umwandeln. Gegenüber Wärmekraftmaschinen, die den Umweg über die
mechanische Energie nehmen, ergeben sich höhere Wirkungsgrade, und dies ohne
rotierende Teile und entsprechende Lärmemissionen. Bereits fur kleine Leistungen
lassen sich Wirkungsgrade von 5 0 6 0 % erreichen, was mit konventioneller Technik
nur mit Kombianlagen im 10- 100 MW-Bereich möglich ist. Die Umweltbelastung
bei Verwendung von Erdgas ist wegen des höheren Wirkungsgrads und der anders-
artigen Verbrennung (kein Ruß, keine Stickoxide, keine unverbrannten Kohlenwasser-
stoffe) geringer als bei konventionellen thermischen Kraftwerken. Die CO,-Emissio-
nen können durch Erhöhung des Wasserstoffanteils weiter reduziert werden.
Die Technik entwickelt sich weiter, aber hat die Wirtschaftlichkeitsgrenze noch
nicht erreicht. Es ist jedoch absehbar, dass sich ihr im Laufe der nächsten Jahrzehnte
breite Einsatzgebiete für mobile und stationare Anwendungen öffnen werden.
Verbraucher
: Abgase
Brennstoff
I
- I
Flüssige verdampien
Brsnnsioffe
I
80°C BaPC
Erdgas sik
800°C
Erdgas ganz
- 803% 440%
Erdgas
CO-Rest
snibrnen
umwandeln
L I l I
Abb. 8.2. Aufbereitung von Erdgas für die funf Brennstoffzellen-Typen [8. I ]
8.2 Prinzip und Modell 407
Von der Enthalpie Ah kann nur diefreie Enthalpie Ahf (Gibbs-Potential) in elektri-
sche Energie umgewandelt werden [8.4], [8.5]. Diese ist definiert durch
Ah, = Ah - TAs [Wslkg], (8.3)
worin As die spezifische Entropieänderung darstellt (s. Anhang I. 1). Die entsprechen-
de maximale elektrische Energie ist W „ = q, Ah,, wobei:
Der Wirkungsgrad V, berücksichtigt, dass vor allem bei tiefen Temperaturen die mit
Katalysator erzwungene Reaktion über mehrere Schritte verläuft, von denen nur der
erste zur Spannungsbildung beiträgt. Die Leerlaufspannung entspricht somit nicht
dem Gibbs-Potential (bei tiefen Temperaturen, z.B. PEFC-Zelle, ist q, = 0.8).
P„ = E I stellt die innere elektrische Leistung der Zelle dar. Die freie Enthalpie für
die drei wichtigsten Reaktionen (GI. 8.1) ist in Abb. 8.3 dargestellt (berechnet aus
[8.2]). Aus G1. (8.4) lässt sich die EMK E bestimmen
mit n = 2 für H? und CO und n = 8 für CH,. Für die Methan-Reaktion folgt z.B. bei
25"C, E = 1.06 .q, [V], für die H, -Reaktion E = 1.23 . q, [V]. Durch Serieschaltung
von Brennstoffzellen zu einem Brennstoffiellen-Stapel kann die für praktische
Anwendungen notwendige Leerlaufspannung erzielt werden.
Die effektiv an den Elektroden verfügbare Spannung U ist bei Belastung der Zelle
wegen des inneren Spannungsabfalls kleiner als die EMK. Dies hat zur Folge, dass
die effektiv erhaltene elektrische Leistung weiter reduziert wird
mit p,: auf die Kurzschlussleistung bezogene innere elektrische Leistung. Die Kurz-
schlussleistung P, wurde, wie in der Energieversorgungstechnik üblich, als Produkt
von Kurzschlussstrom und Leerlaufspannung definiert. Werden alle Leistungen auf
die Kurzschlussleistung bezogen, folgt für den Gesamtwirkungsgrad q des
Brennstoffzellen-Stapels und die bezogene elektrische Ausgangsleistung p
Abbildung 8.5 zeigt diese beiden Größen in Abhängigkeit von der inneren elektri-
schen Leistungp,. Die maximale Ausgangsleistung wird dann erhalten, wenn P„ =
0.5 P„ dann ist P , = 0.5 P„ = 0.25 P,. Bei dieser Maximalleistung beträgt allerdings
der Wirkungsgrad des Brennstoffzellen-Stapels nur q = 0.5 q, q, u f . Die ökono-
mische Optimierung des Systems fuhrt in der Regel zu einem Auslegungspunkt
entsprechend einer Leistung P„ < 0.5 P,, wobei der Stapel-Wirkungsgrad 50% oder
mehr betragen wird.
4 10 8 Brennstoffiellen
Abb. 8.5. Typischer Verlauf von Leistungen und Wirkungsgrad von Brennstoffzellen:
p, = P„&, = innere Leistung, ph = P,/Pk = Bruttoleistung (chemisch),
p = P,Jt>, = elektr. Ausgangsleistung. q = Wirkungsgrad des Brennstoffzellen-Stapels,
qn= Anlagenwirkungsgrad, A = Auslcgungspunkt (Beispiel, q = 50%. 45%)
4 CO Brennstoffzelle
Luft
Aufbereitung
Brenner
Wärmetauscher
mit H20
H2O-Abscheider
Abgas ¢=-- -
Brennstoffzelle i\ A A Luft~
Lufterhitzer
I ~orreformer A
Wärmetauscher
Abgas
-s
Abb. 8.7. Basissystem einer SOFC-Anlage [8.1]
41 2 8 Brennstoffzellen
Die hohe Temperatur der Abgase erlaubt eine Wärmeauskopplung für die ver-
schiedensten Anwendungen oder den Betrieb der Anlage als Blockheizkraftwerk. Die
SOFC-Brennstoffzelle befindet sich noch in der Entwicklung, bis jetzt sind lediglich
Prototypen bis 100 kW in Betrieb. Obwohl viele technologische Probleme noch zu
lösen sind und die Wirtschaftlichkeitsgrenze noch nicht erreicht ist, dürfte sie wegen
ihrer Einfachheit und hoher Leistungsdichte (heute ca. 6 kW/m2, im Labor bis 19
kW/m2 nachgewiesen) sowie des hohen Wirkungsgrades (Anlagenwirkungsgrad über
50%) eine vielversprechende Zukunft haben.
8.3.3 Systemtechnik
Ähnlich den Photovoltaikanlagen erzeugen Brennstoffzellenanlagen einen Gleich-
strom, der für kleine Anwendungen direkt verwendet und für größere Anwendungen
im Inselbetrieb oder bei Netzkopplung (Abb. 8.8) mittels Wechselrichter in Wechsel-
strom umgewandelt wird. Der Wechselrichter, dem sich ähnliche Probleme wie bei
der Photovoltaik stellen (Abschn. 7.5), bietet die Möglichkeit, innerhalb bestimmter
Grenzen auch die Blindleistungsabgabe- oder -aufnahme zu regulieren.
Neben der bereits erwähnten Anwendung der SOFC-Zelle als Blockheizkraftwerk, die
zu Brennstoffnutzungsgradenvon 80% führen kann, ist auch die Kombination mit der
Mikrogasturbinentechnik interessant. Die heißen Abgase der Brennstoffzelle werden
mit Drücken von 3–4 at fir den Betrieb einer nachgeschalteten Gasturbine genutzt
(Abb. 8.9). Versuchsanlagen bis 1 MW sind geplant.
Luft
a b
Filter
Turbine Verdichter
DC SOFC-
G
AC Aggregat
Strom- Mikrogasturbine
um-
wandler
Abgase
Wärme-
tauscher/
Brennstoff-
Entfernung vorwärmung
Erdgas
9.1 .I Fusionsreaktionen
Die beiden wichtigsten für die Kernfusion in Frage kommenden Kernreaktionen (s.
auch Anhang 11) sind die Folgenden:
-
Darin sind D,2 und T,3schwere Wasserstoffkerne (Isotope, s. Anhang 11). D,2 = H,'
wird Deuterium-Kern oder Deuteron und T,3 H,3Tritium-Kern oder Triton genannt.
Diese und ähnliche Fusions-Reaktionen laufen in den Sternen und insbesondere in
unserer Sonne dank großer Masse unter günstigen Bedingungen ab.
Den grundsätzlichen Verlauf des Wirkungsquerschnitts (s. Anhang 11.5) der beiden
Reaktionen in Abhängigkeit von der relativen kinetischen Energie zeigt Abb. 9.1a.
Die (d,t)-Reaktion ist mit weniger Energieaufivand zu realisieren als die (d,d)-Re-
aktion. Aber auch die erste ist überhaupt erst ab Energien von Ca. 8 keV möglich.
Hohe Energien und somit hohe Temperaturen von etwa 100 Mio. Kelvin sind also
notwendig, um die Fusionsreaktion einzuleiten. Bei diesen hohen Temperaturen sind
Atomkern und Elektronenhülle voneinander abgelöst, und die Materie befindet sich
im Plasmmustand.
Andere denkbare Methoden, wie z.B. das Beschleunigen von Deuteronen mit
Teilchenbeschleuniger und Einschießen auf Tritium fuhren nicht zum Ziel, da die
Wahrscheinlichkeit für eine Fusionsreaktion extrem gering wäre [9.1].
414 9 Kernfusion
o [barn]
a, l a 7
Abb. 9.1. a) Wirkungsquerschnitt der Reaktionen (d,t) und (d,d) in Abhängigkeit der
relativen kinetischen Energie, b) Maxwell-Spektrum der Energie für zwei Temperaturen
9.1.2 Energieverteilung
Ausgangsstoff der Fusionsreaktion ist also ein ionisiertes Wasserstoffgas (Plasma),
bestehend aus Deuteronen, Tritonen und Elektronen. Der Zusammenhang zwischen
Energie und Temperatur sei näher betrachtet. Nach der statistischen Physik gilt für
ein solches Gas die Maxwell- Verteilung
Darin ist k die Boltzmann-Konstante = 8.62.1 0-5eVIK. Der Ausdruck (9.2) stellt die
Wahrscheinlichkeit fur das Auftreten einer Teilchenenergie zwischen E und E + dE
dar. Da die Gesamtwahrscheinlichkeit 1 ist, gilt
0
Abbildung9. l b zeigt die Wahrscheinlichkeit der Energieverteilung, berechnet mit GI.
(9.2) für zwei Werte von kT, nämlich
Statt E kann man auch E, nehmen, da in einem kräftefieien Gas alle Richtungen gleich
wahrscheinlich sind (Richtungsisotropie) und der erste Term von GI. (11.33) in
Anhang 11 deshalb null ist.
Der Vergleich der Abb. 9. l a und 9.1 b zeigt deutlich, dass Temperaturen von
zumindest mehreren I0 Mio, besser 100 Mio. Grad notwendig sind, um die Fusions-
reaktion wirksam einzuleiten und zu erhalten.
Für eine genauere quantitative Formulierung ist die Reaktionsrate von Bedeutung.
Aus Anhang 11, GI. (11.28) folgt für Energien zwischen E, und E, + dE,
Abb. 9.2. Integraler Reaktionsparameter fur die (d,t)- und
in Funktion der Temperatur [9.3]
W7 = p,)
0
vr(Er)p(ErJ? dEr ,
Die Abb. 9.2 zeigt den Reaktionsparameter für die beiden Fusionsreaktionen in
Abhängigkeit von der Plasmatemperatur. Da die (d,t)-Reaktion viel effizienter ist, war
sie das Ziel der bisherigen Anstrengungen der Fusionsforschung.
Brennkammer
Plasma
9.2.1.1 Plasmareaktion
Wenn die dazu notwendige Temperatur erreicht wird, erfolgt die Plasma-Reaktion
D: + T: --F
4
a2 +
1
+ 17.6 MeV . (9.8)
Die bei der Reaktion freiwerdende Energie erscheint als kinetische Energie der
Reaktionsprodukte. Werden diese mit E, und E,, bezeichnet, gilt also
17.6 MeV = E, + En . (9.9)
Die im Plasma erzeugten a-Teilchen werden im Plasmagehalten und abgebremst und
tragen zu dessen Erwärmung bei. Bei den Neutronen handelt es sich um schnelle
(hochenergetische)Neutronen, die aus dem Plasma entweichen. Für die Energieauf-
teilung gilt:
-
E, + En 17.6 MeV = - 1
2
m,v,2 + -1
2
mnvn 2
9.2.1.2 Mantelreaktionen
Das für die Plasmareaktion notwendige Tritium wird im aus Lithium bestehenden
Reaktormantel produziert, nach den Lithium-Reaktionen
7 1 4 3 1
Li3 + n0(,) - - > a, + Tl + noth - 2.5 MeV
~ i :+ n&,) - - F ai + T: + 4.8 MeV
(9.1 1)
n&) = schnelle (rapid) Neutronen ,
mit (
no(,) = langsame (thermische) Neutronen .
Die in der Plasmareaktion G1. (9.8) produzierten und aus dem Plasma entweichenden
hochenergetischen (schnellen) Neutronen werden im Mantel abgebremst. Im Mantel
wird somit Tritium und Wärme produziert.
Tritium ist ein radioaktives Isotop, das mit einer Halbwertszeit von 12.3 Jahren
zerfallt, nach der Reaktion
3
T: --> He, + ß- (9.12)
Die Rohstoffe der Fusionsreaktion Deuterium und Lithium sind nicht radioaktiv und
im Wasser und in der Erdkruste in großen Mengen vorhanden.
P r = K z 3 n 2 m [-I,ke V
cm3s
3 (9.14)
mit K = 3.344 10-l5 [kevo.' K]
S
Kinetische Verlustleistung
r wird als Einschlusszeit bezeichnet. Je größer diese Zeit ist, desto besser ist der
Teilchen-Einschluss im Plasma. d.h. umso kleiner sind die Verluste.
9.2 Der Fusionsreaktor 4 19
Andererseits ist die im Plasma durch die Fusion produzierte Leistung wegen GI. (9.7),
mit der Annahme n , = n, = n12 und gesetzt 17'600 keV = E„ (Gl. 9.8),
. .. .. .. ..... ... ..... ... ..... ... ... .. ... ... .. .. .. ..... ... ..... ... ... .. ... ... ..... ... .. .. .. ..... ... ..... ... ..... ... ..... ... ..
. . . . . . . . .
n z . . . . ... ......... .... ...::.. .. . . .
.... .. .. .. .. .. .. .. .. .. .......
...........
....
.. .. .. .. .. ,;. ...........
...
....
......... . . . . . . . . .
Davon wird der Teil E mit Wirkungsgrad q, zur Aufheizung des Plasmas verwendet.
Der Restanteil ( I - E) ist die Nutzenergie P, .
Da letzten Endes fur den Reaktor vor allem die Relation zwischen der im Plasma
freigesetzten und der zur Aufheizung notwendigen Energie interessiert, wird meistens
an Stelle der Plasmaverstärkung G eher die Plasmaverstärkung
verwendet. Gemäß Blockdiagramm Abb. 9.5 besteht zwischen P, und Pidie Bezie-
hung
PH T ) E V ~( P H + P f ) - - > PH = il EilH P = -1 P (9.2 1 )
1- i l E i l ~ Q f
Somit ist
1
rl&rlH= P . (9.22)
l+Q
- 1 G
- - + 0.2 oder Q =
Q G 1 - 0.2 G
Für C = 2 ist z.B. Q = 3.33 und q E q, = 0.23, und mit der Annahme q, q = 0.33,
die thermodynamisch realisierbar erscheint, ist E = 0.7, d.h. 70% der produzierten
elektrischen Leistung P, müssen fur die Plasmaheizung verwendet werden. Um diese
Energie auf 10% zu reduzieren, müsste Q = 3 1 (bzw. G = 4.3) sein.
Die „breakevenL'-Bedingung G = 1 entspricht Q = 1.25, die Zündbedingung G = 5
entspricht Q = .
Die Forschung hat bis heute die Bedingung G > 1 (oder Q > 1.25) noch nicht reali-
siert. Der JET (Joint European Torus) in Großbritannien hat erst Fusionsenergie im
Ausmaß von ca. 65% der eingesetzten Energie (Q = 0.65) während kurzer Zeit
(wenige Sekunden) erhalten können. Mit dem ITER-Pro-jekt(Internationaler Thermo-
nuklearer Experimentalreaktor) in Cadarache (Frankreich) hofft man den Beweis zu
erbringen, dass die Fusion technisch realisierbar ist. Die „breakevend'-Bedingungsoll
mit einer Plasmaverstärkung Q = 5 bis 10 dauernd überschritten werden.
Bei genügend großem Feld ist r klein und der Einschluss wirksam. Auf Grund der
axialen Komponente werden sich die Teilchen spiralformig in Richtung der Feldachse
bewegen.
Eine zylindrische Plasma-Anordnung ist nahezu, aber nicht zwangsläufig stabil und
hat den Nachteil, dass die Enden offen sind und das Plasma dort ausfließen kann. Eine
toroidale Anordnung, wie sie z. B. im Tokamak verwirklicht wird (Abb. 9.7), kann
dies verhindern; doch die radiale Inhomogenität des Feldes fuhrt zu radialen Plasma-
verlusten, die mit zusätzlichen Maßnahmen verhindert werden müssen.
Tokamak
Die von russischen Wissenschaftlern entwickelte und in den Abb. 9.7 dargestellte
Tokamak- Anordnung ist in verschiedenen Versuchslabors mit Erfolg getestet worden
(z.B. JET) und auch f i r das Projekt ITER (Abb. 9.8) vorgesehen.
Das Hauptfeld wird in einem horizontal liegenden Torus durch die toroidalen
Wicklungen erzeugt. Zur radialen Stabilisierung des Plasmas wird ein vertikales Feld
benötigt, das durch einen Transformator impulsartig erzeugt wird (poloidale
Wicklungen). Dieser induziert im Torus (Sekundärkreis) den poloidalen Strom. Das
Resultat ist ein helikales (verschraubtes) Feld.
In einem Tokamak führt die Verbesserung des Einschlussparameters nr im Wesent-
lichen über größere Maschinen und stärkere Magnetfelder. Im ITER-Projekt sind die
Radien mehr als doppelt so groß wie im JET, und das toroidale Magnetfeld beträgt
etwa das I .6fache [9.4], Abb. 9.8.
Ein Nachteil des Tokamaks ist, dass es sich um eine gepulste Maschine handelt,
d.h., der induzierte stabilisierende Plasmastrom kann nur während einer endlichen
Zeit aufrecht erhalten werden. Man versucht deshalb, einen stationären Betrieb durch
nicht-induktiven Stromtrieb zu erreichen mit Hilfe von Hochfrequenzwellen (Radio-
wellen) oder durch Einschießen von Neutralteilchen ins Plasma .
9.2 Der Fusionsreaktor 423
Magnetischer Kreis
(Eisenkern des Transformators)
Toroidale
Feldwicklungen
- Äußere poloidale
Feldwicklungen
i / (zur ~ l a s m a ~ ~ o r t n u n g
und -Positionierunal
mit Plasmastrorn I
ärkreis des ~ransformatoi
I'uruidalr Feld-Spiilrri
Nb,Sri, 18, keilföniiig -
Poloidalr Feld-Spiilrti
Nb-Ti, 6 -
34 Lnrretteii
Stellarator
Der Stellarator ist eine Maschine, die ohne Plasmastrom eine Stabilisierung erzielt
und somit in der Lage ist, ein kontinuierlich stabiles Plasma zu erzeugen [9.4],[9.5].
Die stabile Magnetfeldstruktur wird im modernen Stellarator durch besonders
geformte, den Torus umschließende Spulen erzielt (Abb. 9.9). Wesentliche Impulse
werden von der sich im Bau befindenden Anlage Wendelstein 7-X erwartet (Greifs-
wald, Deutschland).
Plasmaheizung
Zur Einleitung der Fusionsreaktion muss das eingeschlossene stabile Plasma auf
mindestens mehrere 10 Mio. Grad aufgeheizt werden. Dazu werden neben der
ohrnschen Heizung durch den Plasmastrom verschiedene Systeme verwendet:
Hochfrequenzheimng über einen HF-Generator mit Frequenzen von 20 MHz bis
200 GHz. Im JET werden damit Ca. 40 MW Heizleistung übertragen.
Heizung durch Neutralteilcheninjektion (Deuterium- oder Wasserstoffatome). In
letzterem Fall werden zunächst Jonen mit einem Teilchenbeschleuniger be-
schleunigt und dann in einer Gaswolke neutralisiert (durch Aufnahme von Elek-
tronen), damit sie ungestört in das Magnetfeld eindringen können. Beim Eintreffen
auf das Plasma werden sie wieder ionisiert und geben ihre Energie beim Zu-
sammenstoß mit den Plasmateilchen ab. Damit kann dem Plasma eine Heizlei-
stung von mehreren 10 MW abgegeben werden.
Im ITER-Projekt ist mit HF und Teilcheninjektion insgesamt eine Heizleistung von
100 MW vorgesehen [9.5].
9.2 Der Fusionsreaktor 425
ITER DEMO
Anlagen
14 MeV-Neutronenquelle
Technologie
ITER-relevante Technologie
DEMO-relevante Technologie
Die Analyse des dynamischen Verhaltens und der Stabilität des Energieversor-
gungsnetzes setzt eine wirklichkeitsgetreue Modellierung aller Netzelemente
einschließlich Regelkomponenten voraus. Sowohl zur Lösung spezieller Auf-
gaben wie für das Verständnis der sich abspielenden Vorgänge sind aber zweck-
mäßige Vereinfachungen sinnvoll.
Die in den folgenden Abschnitten 10.1 bis 10.3 behandelten Modelle sind für
Vorgänge mit Frequenzen eindeutig unter 50 Hz geeignet (enthalten also z.B.
keine transformatorischen Terme (t.S.) der Synchronmaschine, und das Netz ist
stationär dargestellt). Sie dienen in erster Linie der Analyse des Spannungs- und
Lastverhaltens sowie der elektromechanischen Pendelungen und zur Stabilitäts-
analyse. Für eine weitergehende Modellierung zwecks Simulation sehr großer
Netze oder Berücksichtigung der elektromagnetischen Ausgleichsvorgänge s.
Abschn. 10.4 und Anhang 111.5.
Das Netz besteht aus Leitungen und Transformatoren (größtenteils passiven
Netzzweigen), aus Kraftwerken und anderen Einspeiseelementen, die an bestimm-
ten Knotenpunkten (Einspeiseknoten) angeschlossen sind, sowie aus aktiven und
passiven Lasten. Ein Knoten oder Netzzweig wird als aktiv bezeichnet, wenn er
mit dynamischen Komponenten beschaltet ist. Leistungsübergabeknoten von und
zu anderen Netzen können wie Lastknoten behandelt werden.
Wichtigstes dynamisches Element ist das Kraftwerk, dessen Blockschema in
Abb. 10.1 dargestellt ist. Die Größen des Kraftwerks sind in p.u. ausgedrückt,
insbesondere der Strom &; und die Spannung E,, in lokaler Parkzeiger- bzw.
Parkvektorform. Als Bczugsgrößen dienen die Generatorspannung U, und die
Generatorleistung S, . Der Block „Netzkopplung" berechnet den Polradwinkel6
(für die exakte Def. und Herleitung s. Kap. 12), wandelt die elektrischen Größen
von lokalen Park- in Netzkoordinaten um und berücksichtigt die Bezugsspannung
U,, der Netzberechnung:
bWdT
hydraulisches
db
5-=n-ns
dt
sinb cosb
-COSO sin0
I = / 1
Die Richtung von Spannung und Strom im Blockdiagramm kann für Vorgänge
mit Frequenz << 50 Hz auch umgekehrt werden, d.h. das Kraftwerk mit Spannung
als Ausgangs- und Strom als Eingangsgröße beschrieben werden.
Die Analyse des hydraulischen bzw. thermischen Systems ist in den Abschn.
4.5 und 5.1 zu finden. Drehzahlregelung und Spannungsregelung einschl. Pendel-
dämpfung sowie mögliche Torsionsschwingungen werden näher in den Kap. 1 1,
12 und 13 besprochen. In den folgenden Abschn. 10.1 bis 10.3 werden unter den
erwähnten Voraussetzungen die wichtigsten Modelle der elektrischen Haupt-
elemente beschrieben: Generator, Last und Netz.
S T ~ , T ; (+
~ ST~) R~ @oOTafRf , (10.4)
4d(s) , mit T~ =
+
=
T o ( l + s T i O )(1 +ST;) + +,oRf
Der Wert von A,(s) wird in formal identischer Weise mit Ersatz der Indizes d, f,
D durch q, Q,, Q, erhalten (s. dazu auch Band 1 , Abschn. 6.7.3).
t epdH
Das in Abb. 10.2 dargestellte Modell erfasst sowohl die transienten als auch die
subtransienten Vorgänge. Obwohl die subtransienten Vorgänge im Sekundenbe-
reich, was die rein elektrische Wirkung betrifft, vernachlässigt werden könnten,
sind sie für die korrekte Erfassung des Dämpfungsmoments notwendig (s. dazu
Band 1, Abschn. 6.6.7.2). Die Mechanikgleichungen lauten dann (mit n = 1)
Abbildung 10.2 zusammen mit G1 (10.5) ergeben die für die Untersuchung von
Vorgängen im Kurzzeitbereich exakteste Darstellung der SM. Dazu äquivalente
Beschreibungen im Zustandsraum finden sich in Band 1, Abschn. 6.7.
Eine in der Literatur oft verwendete Näherung besteht darin, die subtransienten
Vorgänge (bzw. Zeitkonstanten) zu vernachlässigen und die elektrischen Brems-
momente getrennt zu berechnen. Die Anfangs-Polradspannungen werden zu den
transienten Polradspannungen e„ ' und e„ ', und die Übertragungsfunktionen
vereinfachen sich zu
1 1 +ST; 1 +ST:
G(s) = --- I , xd(s) = xd X (s) = Xq -
1 ' 4 I
P
und die Längsachse der SM kann durch Abb. 10.3 modelliert werden
zur Genauigkeit der Näherung s. Band 1, Abschn. 6.4.2, insbesondere GI. (6.67).
10.1 Generatorinodelle und sonstige Einspeisungen 433
Mit Cl. (10.7) Iässt sich Abb. 10.3 durch Abb. 10.4 ersetzen. An Stelle der Pol-
radspannung e„, treten in Abb. 10.4 die Flussverkettung $, der Erregerwicklung
und der Erregerstrom if in Erscheinung. Dies lässt sich bei Vernachlässigung der
Dämpferwirkungen mit den drei Gleichungen (Laplace-Carson)
Die der Flussverkettung $,/(l + o,) entsprechende EMK e, ist nach einer Störung
des Gleichgewichts im ersten Augenblick (s 4 W) gleich zu e„'.
Analog dazu ergeben sich für die q-Achse e, = - qQ,/(I + oQ,)und das Schema
in Abb. 10.5, wobei e, (s -+ m ) = e„'. Im Fall der SM mit lamelliertem Rotor
(Band 1, Abschn. 6.4.2) sind X,' = X, und e„'= 0, womit auch e, = 0.
Entsprechend den Abb. 10.4 und 10.5 reduziert sich das Gleichungssystem
(6.141), Band 1 (SM + Mechanik), zum Folgenden:
434 10 Modellierung und Simulation
worin n lediglich zur Bildung des Polradwinkels benötigt wird und das elektrische
Moment m nicht mehr durch die erste der Gln. (10.5) gegeben, sondern durch
einen in Kap. 12 abgeleiteten Ausdruck zu ersetzen ist. Die SM (einschl. Me-
chanik und Netzkopplung) wird durch die vier Zustandsgrößen n, 6, e , und e,
beschrieben. Ein Blackbox-Schema mit i als Ausgangsgröße zeigt Abb. 10.6.
Im Kurzzeitbereich muss i.d.R die Änderung des Antriebsmoments m„(Primär-
regelung) sowie jene der vom Spannungsregler kontrollierten Steuervariablen U,
mit Dynamik und Begrenzungen berücksichtigt werden.
Netz-
Mech. Netz
Während einer kurzen Zeit nach der Störung (Größenordnung 0.1 s) können e,
und e, wegen der Trägheit der Hauptflussverkettung (Zeitkonstanten T„' und T„'
groß) als konstant und gleich e,J bzw. e,,,' angenommen werden, wodurch die
dritte und vierte der Gln. (10.1 1) entfallen (sogenannte „transiente" Näherung, s.
Kap. 12). Ebenso kann das Antriebsmoment m , als konstant betrachtet werden.
10.1.3.4 Asynchronmaschinen
Dazu s. Abschn. 10.2.2 und Band 1, Abschn. 7.1.
10.2 Lastmodelle
Lasten können durch eine vorgängige Analyse der Verbrauchertypen summarisch
dargestellt werden. Die summarische Darstellung setzt sich aus einem statischen
und einem dynamischen Anteil zusammen.
Kann die Last als Impedanzlast (bzw. Admittanzlast) dargestellt werden, was dem
Spezialfall a = ß =2 entspricht, folgt aus (10.18)
Falls a und ß zwischen 0 und 2 liegen (was meist der Fall ist), kann die Last auch
als Summe aus Konstantadmittanz-, Konstantstrom- und Konstantleistungsanteil
ausgedrückt werden, also die Form
L = Y%
. . Yl + I„ (10.21)
Kleine Änderungen
Für kleine Änderungen kann die GI. (10.17) linearisiert werden, und es folgt
führt.
10.2 Lastmodelle 439
Damit ist der Zusammenhang zwischen u ( U , 6,)und !(I, 0,)gegeben. Bei Vorga-
be von kann aus den Gln. (10.22) und (10.24) 1berechnet werden oder umge-
kehrt.
Das entsprechende Blockdiagramm zeigt Abb. 10.10. Zwischen Frequenz und
Phase besteht der Zusammenhang
m - m, = s T m n
n = f - (oj)
mb = mbo + b n .
Au b +sT, mo
mit K = - .
mo uo K + b + s T m (0f)o
I +st
p=mf
q = f(p) mit GI. (7.35)
- - -t
Abb. 10.12. Leitverhalten des Drehmoments der AM
10.3 Netzdarstellung 44 1
10.3 Netzdarstellung
In diesem Abschnitt werden nur passive Zweige betrachtet. Für dynamische
Zweige (geregelte Transformatoren und FACTS) s. Abschn. 10.1.3 sowie 13.2,
13.3, 14.2.2 und Kap. 15.
Das Netz bestehe also aus n Knoten und aus passiven Zweigen. Dann lässt es
sich durch die komplexe (n xn)-Knotenadmittanzmatrix Y beschreiben (Bd. 1,
Abschn. 9.3).
Bei großenNetzen kann es von Vorteil sein, die Matrixgrösse durch Elimination
aller oder der meisten passiven Lastknoten zu reduzieren, so dass nur noch m (vor
allem dynamisch wirksame) im Folgenden mit a indizierte Knoten übrig bleiben.
Ist die Netzgleichung von
gegeben und mit der Annahme, die passive Last der Knoten 1 lasse sich durch
Admittanzen darstellen, folgt durch Integration der entsprechenden Lastadmit-
tanzmatrix in die Knotenadmittanzmatrix
t=yred<, ~ r e d = ~ a a - ~ a l ~ ~ l l + ~ L l ~(10.30)
~ l ~ ~ e -
Das Netz wird nun durch die reduzierte Knotenadmittanzmatrix Y„, beschrieben.
Eine solche Reduktion ist auch dann angenähert möglich, wenn die Last der
Knoten 1 neben dem Admittanzanteil einen Konstantstrom- und einen Kon-
stantleistungsanteil enthält. Wie in Abschnitt 10.2.1 bereits gezeigt, erhält man
durch Linearisierung der Spannungsabhängigkeit des Konstantleistungsanteils (s.
Cl. 10.18 und als Anwendung Abschn. 12.5.5) eine Netzgleichung der Form
Die Netzgleichung (I 0.3 1) kann direkt verwendet werden, wenn die Ausgangs-
größen der Modelle der (meist) aktiven Knoten Spannungen sind. Werden diese
mit Strom als Ausgangsgrößen modelliert, erhält man durch Inversion der redu-
zierten Knotenadmittanzmatrix
Im Fall kombinierter Verwendung der GI. (10.31) und (10.32) wird das Netz
durch eine hybride Matrix beschrieben.
442 10 Modellierung und Simulation
10.4 Simulationsprogramme
Mit dieser allgemeinen Darstellung lassen sich sowohl symmetrische als auch un-
symmetrische induktive und kapazitive Zweigelemente exakt darstellen.
Die drei Phasen von Spannungen und Strömen stellen einen Vektor im dreidimen-
sionalen Raum dar (Abb. 10.14). Die Koordinaten dieses Raums sind äquivalent zu
den drei Phasen a, b und C. Man spricht somit auch von einem Raumzeiger, der nicht
mit den komplexen Zeitzeigern des stationären, sinusformigen Zustands verwechselt
werden darf. Der Raumzeiger setzt sich aus den Momentanwerten von Spannungen
und Strömen zusammen und ist keineswegs auf sinusformige Größen beschränkt (s.
dazu auch [10.1 I ] und Band 1, Abschn. 2.4.3).
Das abc-Koordinatensystem kann einer Transformation unterzogen werden,
wodurch sich bei geeigneter Wahl des Koordinatensystems im Fall von zyklisch
symmetrischen Betriebsmitteln die Differentialgleichungssysteme entkoppeln.
Die Koordinatentransformation wird im folgenden anhand des induktiven Zweig-
elements erläutert. Für das kapazitive Zweigelement gelten analoge Beziehungen.
Eine geeignete Wahl f i r eine Koordinatentransformation stellt die alpha-beta-null
Transformation dar:
Li = ~ ~ p o & m (10.35)
Damit erfüllt die Raumzeigertransformation eine analoge Funktion wie die Sym-
metrischen Komponenten komplexer Zeitzeiger. Auch spaltet die Raumzeigertrans-
formation, genauso wie die Symmetrischen Komponenten, das Nullsystem, also die
Summe der drei Phasengrößen von den restlichen Komponenten ab (s. dazu auch
Band 1, Abschn. 2.44).
Durch diese Abspaltung ist es rein formal möglich, die alpha-beta Ebene als
komplexe Ebene darzustellen und zu schreiben (Band 1, Abschn. 2.4.5):
Durch Lösen des arithmetischen Teils in (10.51) nach dem Vektor der Knoten-
Spannungen und Einsetzung in das Differentialgleichungssystem in (10.50) ergibt
sich zur dynamischen Beschreibung des Energieversorgungssystems ein reines
Differentialgleichungssystem der Form:
Bei der digitalen Simulation wird dieses Integral zu jedem Zeitschritt numerisch
berechnet. Als Anfangswert für die Lösung zum nächsten Zeitschritt dient der Zu-
standsvektor am letzten Zeitschritt:
452 10 Modellierung und Simulation
Ein explizites Verfahren stützt sich bei der Auswertung des Integrals aus (10.55)
lediglich auf bekannte Werte des Zustandsvektors an vorangegangenen Zeitschritten.
Das einfachste explizite, numerische Integrationsverfahren ist das explizite Euler-
Verfahren. Hier wird der Funktionsverlauf von fO zwischen zwei Zeitschritten durch
seinen Wert am letzten bekannten Zeitschritt t angenähert, wodurch sich folgende
Näherung für das Integral aus (1 0.55) ergibt:
Eine andere Methode, den Zustandsvektor am Zeitpunkt t+h mit erhöhter Genau-
igkeit zu bestimmen besteht darin, zur Approximation der Funktion,fo zum Zeit-
fo
schritt t+h nicht nur den Wert von zum letzten Zeitschritt t zu verwenden, sondern
auch Werte an vorangegangenen Zeitschritten t-h, t-2h, etc. miteinzubeziehen. Es
wird dann von einem Mehrschrittverfahren gesprochen, da hier, im Gegensatz zu den
Einzelschrittverfahren, Werte der Funktion ,f() an mehreren Zeitschritten in die
Lösung eingehen. Gebräuchlich sind hier insbesondere die Verfahren nach Adams-
Bashforth (z.B. [ 10.2 I ] , [ 10.2]),bei denen eine Abschätzung des Zustandsvektors
zum Zeitschritt t+h durch eine Linearkombination aus Werten der Funktion f()an r
vorangegangenen Zeitschritten erfolgt.
Auch das Trapezverfahren ist ein implizites Verfahren, weshalb auch hier in der
Regel nur eine iterative Lösung möglich ist. Wie auch beim Runge-Kutte-Verfahren
zweiter Ordnung, wird beim Trapezverfahren der Wert der Ableitungen zum Zeit-
punkt t+h verwendet, um die Genauigkeit der Lösung zu erhöhen. Während es sich
beim Runge-Kutte Verfahren zweiter Ordnung jedoch nur um einen Schätzwert der
Ableitungen zum Zeitpunkt t+h handelt, wird beim Trapezverfahren der tatsächliche
Wert verwendet.
Die Verfahren nach Gear stellen eine Klasse impliziter Mehrschrittverfahren dar,
fo
bei denen die Funktion jeweils nur zum Zeitpunkt t+h ausgewertet wird:
anwendbar sind. Eine Transformation des DAL-Systems in die explizite Form ist
nicht zwingend notwendig, was oftmals die Suche nach einem Vektor linear un-
abhängiger Zustandsgrößen vermeidet. Dies ist insbesondere bei der Simulation von
Netz-Ausgleichsvorgängen von Interesse, da die Bestimmung des Zustandsvektors
eines vermachten Netzes sehr aufwendig sein kann.
Bei der Lösung impliziter DAL-Systeme entsprechend ( 1 0.63) macht man sich zu
Nutze, dass implizite numerische Integrationsverfahren alternativ auch als numeri-
sche Differentiationsverfahren formuliert werden können. Das Trapezverfahren
lautet als numerisches Differentiationsverfahren:
Werden alle zum Zeitpunkt t+h bekannten Anteile des numerischen Differentiators
zu einem Ausdruck v(t+h), dem sogenannten Vergangenheitswert, zusammengefasst,
so können lineare implizite Verfahren, wie das implizite Eule-Verfahren, das Trapez-
Verfahren oder die Verfahren nach Gear in folgender Form ausgedrückt werden:
~ (+ ht ) = &(t + h ) - Qv(t + h ) ( 1 0.65)
Für das Trapez-Verfahren gilt beispielsweise:
Durch ersetzen der Ableitungen des Zustandsvektors in (10.63) durch (10.65) wird
(10.63) in ein arithmetisches Gleichungssystem überfuhrt und kann zu jedem Zeit-
schritt gelöst werden:
10.4 Simulationsprogramme 455
Für die Berechnung des Vektors der Vergangenheitswerte zum Zeitpunkt t+h gilt für
lineare, implizite Mehrschrittverfahren:
c(t + h) = c<,.?(t)+ ...+ c„X(t- qh) + drG(t) + ...+ 4G(t -rh) (1 0.68)
Durch die Gln. (10.68) und (10.67) wird ein zeitdiskretes Differenzengleichungs-
system definiert, das auf einem Digitalrechner rekursiv gelöst werden kann.
Ob sich die lokalen Abbruchfehler über die Zeit akkumulieren oder kompensieren,
kann dieser Formel jedoch nicht entnommen werden, da sie keine Aussage über den
tatsächlichen Verlauf des globalen Abbruchfehlers machen kann. Dazu ist eine
Untersuchung der Stabilität eines Verfahrens notwendig.
Bei einem stabilen numerischen Lösungsverfahren bleibt der globale Abbruch-
fehler bei der Simulation eines stabilen Systems begrenzt, während er sich bei
Verwendung eines numerisch instabilen Lösungsverfahrens auch bei der Simulation
stabiler Systeme akkumulieren und somit Instabilitäten vortäuschen kann.
10.4.4.1 Genauigkeit
Zur Analyse der Genauigkeit eines numerischen Lösungsverfahrens wird der
Zustandsvektor zum Zeitpunkt t+h in Form einer Tailor-Reihe dargestellt:
Für den lokalen Abbruchfehler nach (10.69) gilt mit (10.73) und (10.71):
Der Abbruchfehler des expliziten Eule-Verfahrens ist nach (10.74) von zweiter
Ordnung in h, was gleichzeitig bedeutet, dass die mit Hilfe des expliziten Eule-
Verfahrens ermittelte Lösung mit der exakten Lösung in erster Ordnung überein-
stimmt, weshalb das explizite Eule-Verfahren als Verfahren erster Ordnung bezeich-
net wird.
Für das implizite Eule-Verfahren gilt nach (1 0.56)
Wird auch hier die numerisch berechnete Lösung in eine Tailor-Reihe um h=O
entwickelt, so fuhrt dies zu folgender Approximation:
10.4 Simulationsprogramme 457
h' ...
i ( t + h ) = 2(t)+hX(t)+h2x(t)+-qt)+ ... (10.76)
2
Der lokale Abbruchfehler des impliziten Eule-Verfahrens lautet damit:
Auch das implizite Eule-Verfahren ist somit ein Verfahren erster Ordnung, allerdings
besitzt dessen lokaler Abbruch-Fehler ein anderes Vorzeichen als der Fehler des
expliziten Eule-Verfahrens.
Das Trapezverfahren ist ein Verfahren zweiter Ordnung (Abbruchfehler ist von
dritter Ordnung), weshalb eine mit dem Trapezverfahren berechnete Lösung bei
gleicher Schrittweite deutlich genauer ist, als eine mit einem Verfahren erster Ord-
nung (Eule-Verfahren) berechnete Lösung.
Auf die Berechnung des lokalen Abbruchfehlers der Verfahren nach Runge-Kutte
wird hier nicht näher eingegangen, sondern auf die einschlägige Literatur zur numeri-
schen Mathematik verwiesen (z.B. [10.2 11, [10.2]).
L,,, = o k j w „ (1 0.80)
Das System ist stabil für o < 0 .
Wird dieses System mit dem expliziten Eule-Verfahren gelöst, so berechnet sich
der Wert der Zustandsvariablen zum Zeitpunkt t+h folgendermaßen:
oder
Die z-Eigenwerte können aus der charakteristischen Gleichung von (10.91) be-
rechnet werden:
(1-s)(l-z+2ho)+h2(02 + w 2 ) = 0 (10.84)
und lauten:
zu, = 1 + & I j w „ (10.85)
und somit:
(1+oh)'+w;h2 < 1
Diese Gleichung beschreibt in einer komplexen Ebene das Innere eines Kreises mit
Mittelpunkt (-1,O) und Radius eins (s. Abb. 10.19).
10.4 Simulationsprogrammc 459
stabil instabil
Aus (10.89) folgt allerdings auch, dass ein reeller, stabiler Eigenwert für
zu negativen reellen Eigenwerten in z fuhrt, was einer Schwingung mit einer Periode
von
T=2h
entspricht.
Diese sogenannte numerischen Schwingungen sind umso schwächer gedämpft, je
größer die Schrittweite ist.
Um die Dämpfung numerischer Schwingungen zu erhöhen, wird häufig ein so-
genannte gedämpftes Trapei-Verfahren angewandt, bei welchem der implizite Anteil
stärker gewichtet wird, als der explizite:
Numerische Integration
.- ..-.--
Idealer Verlauf
Explizites Euler-Verfahren
Impliates Euler-Verfahren . . ..
Trapez-Verfahren
Zeit in s
Verfahren nach Gear bei der Simulation steifer Systeme, da hier selbst bei der
Analyse langsamer Vorgänge keine Modellreduktion notwendig ist, weil schnelle
Bewegungen durch das Integrationsverfahren automatisch geglättet werden. Zur
Vollständigkeit muss allerdings angemerkt werden, dass die Verfahren nach Gear
höherer Ordnung nicht A-stabil sind. Schwach gedämpfte Modi kleiner Frequenz
können durch das numerische Verfahren als instabil wiedergegeben werden.
Wie aus ( 1 0.9 1 ) hervorgeht, verfälscht das Trapezverfahren das Stabilitätsverhalten
nicht. Hier werden genau die Eigenwerte der negativen Halbebene als stabil wiederge-
geben. Dies ist ein wesentlicher Grund für die große Beliebtheit des Trapezverfahrens
bei der Stabilitätsanalyse von Energieversorgungssystemen. Allerdings muss bei der
Wahl der Schrittweite beachtet werden, dass bei zu großen Schrittweiten reelle
Eigenwerte auf schwach gedämpfte, komplexe Eigenwerte abgebildet werden, die
zwar immer noch stabil sind, jedoch Schwingungen aufweisen, die es in Wirklichkeit
nicht gibt. Diese sogenannte numerischen Schwingungen sind typisch für das Tra-
pezverfahren und begrenzen die Größe der Schrittweite. Damit numerische Schwin-
gungen besser gedampft werden, findet bei steifen Systemen häufig eine modifizierte
Form des Trapezverfahrens, das sog. gedämpfte Trapezverfahren nach (10.92)
Anwendung.
10.4.5 Simulationsalgorithmen
0 Lastfluss
Reduziere
Schrittweite h
Ausgabe von
Ergebnissen
Bestimmung des
neuen
Zeitschritts h
zum letzten bekannten Zeitschritt in die Berechnung des Zustandsvektors zum neuen
Zeitschritt eingeht wichtig, dass dieser Ableitungsvektor nach einem Ereignis noch-
mals berechnet wird und nicht auf abgespeicherte Werte der Ableitungen zurück-
gegriffen wird.
Simulationsereignisse können nicht nur vor Start eines Simulationslaufs definiert
werden, sondern auch interaktiv, während der Simulation. Dies ermöglicht es, dass
Simulationsereignisse nicht nur vom Anwender, sondern auch von Modellen ausge-
löst werden können, wie beispielsweise Modelle von Schutzgeräten, die aufgrund
einer Bedingung (z.B. Strom-, Impedanz-, Frequenz oder Spannungskriterium)
einen Schalter öffnen.
Im Anschluss an die numerische Integration, bei welcher der Zustandsvektor zum
neuen Zeitschritt ermittelt wird, müssen sämtliche Ausgabegrößen berechnet und in
einer Datei abgespeichert werden.
Grundsätzlich ist der Zustand eines Systems vollständig durch die Werte der
Zustandsvariablen definiert, weshalb es theoretisch ausreichend wäre, den Zustands-
vektor komplett abzuspeichern und alle abgeleiteten Größen erst später, wenn diese
Größen tatsächlich ausgegeben werden, zu berechnen. Allerdings erfordert diese
Vorgehensweise eine hohe Intelligenz des Ausgabeprozesses und zudem muss dem
Ausgabeprozess das Modell unverändert vorliegen, damit abgeleitete Größen korrekt
ermittelt werden können.
Aufgrund dieser Nachteile verlangen die meisten Simulationsprogramme, dass vor
dem Start einer Simulation diejenigen Variablen vordefiniert werden, die im Lauf der
Simulation abgespeichert und später zur Ausgabe zur Verfugung stehen sollen.
Handelt es sich um einen Algorithmus mit variabler Schrittweite, so wird in der
Regel der lokale Abbruchfehler vorgegeben und die Schrittweite so gewählt, dass
dieser eingehalten wird. Es muss daher mit Hilfe eines geeigneten Verfahrens der
lokale Abbruchfehler des letzten Zeitschritts abgeschätzt werden. War der lokale
Abbruchfehler zu groß, so muss der letzte Schritt mit kleinerer Schrittweite wie-
derholt werden.
Hinsichtlich der Vergrößerung der Schrittweite sind unterschiedliche Strategien
üblich (siehe z.B. [10.22], [10.18]). In jedem Fall muss jedoch berücksicht werden,
ob es sich bei dem angewandten numerischen Integrationsverfahren um ein A-stabi-
les Verfahren handelt oder nicht. Im Fall von A-stabilen Verfahren kann sich die
Schrittweitensteuerung ausschließlich an einer Genauigkeitsbedingung (in der Regel
der lokale Abbruchfehler) orientieren. Im anderen Fall muss zusätzlich auch eine
Stabilitätsbedingung berücksichtigt werden, was eine Abschätzung der Eigenwerte
des Systems erfordert und somit zu einem beträchtlichen zusätzlichen Rechen-
aufwand führt, der unter Umständen den durch die Adaption des Zeitschritts gewon-
nenen Vorteil wieder zunichte macht.
Die beiden bekanntesten Simulationsprogramme, die mit einem variablen Zeit-
schritt arbeiten, DigSlLENT PowerFactory [10.5] und EUROSTAG [10.22], ver-
wenden A-stabile Verfahren oder zumindest die nahezu A-stabilen Gear-Verfahren
und können sich daher bei der Wahl des Zeitschritts ausschließlich am lokalen Ab-
bruchfehler orientieren.
466 10 Modellierung und Simulation
05 I I.i 2 2.5
Hauptfeldstrom
schieden werden, ob eine Nichtlinearität stetig differenzierbar ist oder nicht. Bei-
spiele f i r stetig differenzierbare Nichtlinearitäten sind die bereits erwähnte Winkel-
abhängigkeit des Wirkleistungsflusses, oder auch die Sättigung des Hauptfeldflusses
einer Synchronmaschine, deren prinzipieller Verlauf in Abb. 10.24 dargestellt ist.
Bei der Verwendung impliziter lntegrationsverfahren kann im nichtlinearen Fall
der Zustandsvektor nur iterativ bestimmt werden. Beim Trapezverfahren ist ein
einfaches Einsetzungsverfahren weit verbreitet, wobei der gesuchte Zustandsvektor
durch folgende Iterationsvorschrift bestimmt wird:
Allerdings bleiben bei dieser lteration nicht alle Vorteile eines A-stabilen In-
tegrationsverfahren erhalten. So konvergiert diese Iteration nur, wenn die Schritt-
weite h klein genug gewählt wird. Bei der Analyse von steifen DGL-Systemen muss
10.4 Simulationsprogramrne 467
sich die Schrittweite, ähnlich wie bei expliziten Integrationsverfahren, an den Eigen-
werten des Systems orientieren, damit die lterationsschleife konvergiert.
Ein sehr viel besseres Konvergenzverhalten wird erzielt, wenn man das durch die
Diskretisierung gewonnene, arithmetische Gleichungssystem nach (1 0.67) mit Hilfe
einer Newton-Raphson Iteration löst. Deren Iterationsschritt ist folgendermaßen
definiert:
Abb. 10.25. .,Harte" Begrenzungskennlinie als Beispiel für eine nicht stetig
differenzierbare Nichtlinearität
Während Generatoren, Motoren und Lasten in der Regel mit Hilfe von Stan-
dardmodellen ausreichend genau nachgebildet werden können, ist eine Standardisie-
rung von Regler- oder Krafiwerksmodellen auf Grund der großen Vielfalt unter-
schiedlichster Typen und Designs nur bedingt möglich.
Aus diesem Grund müssen in den meisten Anwendungsfallen Standardmodelle mit
sog. benutzerdefinierten Modellen ergänzt werden. Um dies zu ermöglichen werden
dem Anwender Methoden zur Verfügung gestellt, welche die Nachbildung all-
gemeiner, dynamischer Modelle entweder in Form von impliziten Algebra-Differ-
entialgleichungen gemäß (10.96) oder als explizites Differentialgleichungssystem
gemäß (1 0.97) unterstützen.
Noch einfacher ist die Modellierung dynamischer Systeme dann, wenn ein gra-
fischer Editor zur Verfügung steht, der die Definition dynamischer Modelle in Form
von Blockdiagrammen erlaubt. Neben dem Bedienkomfort ist auch die gute Doku-
mentation der erstellten Modelle ein großer Vorteil der grafischen Modelldefinition.
Wie bereits erwähnt, können sämtliche Spannungen und Ströme des elektrischen
Netzes als bekannt angenommen werden. Konsequenterweise ist damit die Ein-
gangsspannung V durch die Lastflussrechnung gegeben.
Der Ausgang efd des Erregersystems ist mit einer Synchronmaschine verbunden,
deren Wirk- und Blindleistungsverhältnisse in der vorangegangenen Lastfluss-
rechnung berechnet wurden. Eine lnitialisierung des dynamischen Modells der
Synchronmaschine fuhrt anschließend zu einem eindeutigen Wert für die Erreger-
Spannung efd.
Die anderen Eingänge müssen als unbekannt angenommen werden, wobei man bei
genauerer Betrachtung eine Redundanz der Eingänge vpss und vref erkennt. Es wird
nicht möglich sein, eindeutige Werte für beide Eingangsgrößen zu bestimmen,
lediglich die Summe beider Werte kann eindeutig bestimmt werden. Man setzt daher
vpss=O, was aus Sicht des Erregersystems als reine Willkür erscheint, bei genauerer
472 10 Modellierung und Simulation
Kenntnis des Aufbaus eines „Power System Stabilizers" (siehe z.B. [10.14]), dessen
Ausgang der Variablen vpss entspricht, aber zwingend ist.
Des weiteren wird bei der Initialisierung davon ausgegangen, dass sich das Modell
in einem „normalenn Betriebszustand befindet, was bedeutet, dass die Grenzen von
vr nicht erreicht sind und auch die Untererregungsbegrenzung, die durch vuel akti-
viert wird, nicht aktiv ist. Trifft diese Annahme nicht zu, so ist es unter Umständen
nicht möglich, die Zustandsgrößen des Modells so LU bestimmen, dass ein einge-
schwungener Zustand vorliegt.
Aus ( 1 0.99) ergibt sich unter Annahme eines bekannten Werts für efddurch Setzen
der Zeitableitung zu Null der Anfangswert des Signals vv:
Zur Bestimmung der anderen Signale und Zustandsgrößen muss das Signal vr bis
zur Bestimmung der Regelabweichung am Eingang des Modells zurückverfolgt
werden. Die Berechnung des Anfangswerts der Zustandsgröße x a kann nur erfolgen,
wenn der innere Aufbau des Verzögerungsglieds erster Ordnung bekannt ist. Die
Gleichungen dieses Verzögerungsglieds erster Ordnung sind wie folgt implementiert:
Die Zustandsgröße ist somit gleich der Ausgangsgröße, woraus für die Anfangs-
bedingungen folgt:
Einfacher können diese Anfangsbedingungen bestimmt werden, wenn man sich die
einfache Regel zunutze macht, dass eine Übertragungsfunktion im stationären Zu-
stand der Auswertung der Laplace-Transformierten fiir s=O entspricht (z.B. [I 0.231).
Aus dieser einfachen Regel folgt für das Ausgangssignal vf der Stabilisierung:
V J O . Da die Eingangsspannung v durch das Lastflussergebnis gegeben ist, kann der
Sollwert vref des Spannungsreglers nun aus dv berechnet werden:
V , =v + dv (1 0.106)
Der Spannungssollwert ist ungleich der Eingangsspannung, da es sich beim Span-
nungsregler dieses Beispiels um einen Proportional- (P-) Regler handelt, der im
Eingeschwungenen Zustand eine bleibende Abweichung vom Sollwert aufweist (z.B.
[10.23]). Würde es sich um einen Regler mit Integral- (I-) Anteil handeln, so wäre dv
gleich Null.
10.4.8.2 Verallgemeinerung
Dieses Beispiel hat gezeigt, dass bei der Bestimmung von Anfangsbedingungen eines
dynamischen Modells alle Zustandsgrößen und einige Eingangsgrößen berechnet
werden müssen.
Welche Eingangsgrößen von außen gegeben sind und welche durch die Initialisie-
rung des Modells ermittelt werden müssen ist nicht eindeutig festgelegt und muss in
jedem Fall neu entschieden werden.
Um die Berechnung von Anfangsbedingungen automatisieren zu können, ist eine
allgemeine Beschreibung des Problems erforderlich. Die Gleichungen des einge-
schwungenen Zustands eines dynamischen Modells nach (1 0.97) lauten wie folgt:
0 = J'(?, W)
y = g(x,G )
Die Anzahl der Gleichungen, die durch den Funktionsvektor fo gegeben sind
entsprechen der Anzahl der Zustandsgrößen. Bei Ein- und Ausgangsgrößen muss
zwischen solchen Ein- und Ausgangsgrößen unterschieden werden, die von außen,
z.B. durch die Lastflussrechnung oder durch ein anderes Modell, vorgegeben sind
und diejenigen Größen, die durch die Berechnung der Anfangsbedingungen des
betrachteten Modells bestimmt werden müssen. Es erfolgt daher eine Partitionierung
der Ein- und Ausgangsvektoren in einen Teilvektor bekannter Größen (Index b) und
einen Teilvektor unbekannter Größen (Index U):
474 10 Modellierung und Simulation
Mit diesen neuen Vektoren lautet das Gleichungssystem zur Bestimmung von
Anfangsbedingungen:
ö= ~(X.G,,,WJ
- -- (1 0.108)
V, = g, ( X , W,, G,,)
3
3, = g,,(2,G,, Gb)
2
Ist nwu gleich der Anzahl unbekannter Eingangsgrößen und nx gleich der Anzahl
Zustandsgrößen (gleich der Dimension von j), so ist die Anzahl der Unbekannten
dieses Gleichungssystems gleich nwu+nx. Demgegenüber gibt es nx+nyb Glei-
chungen (nyb gleich der Anzahl bekannter Ausgangsgrößen). Damit für dieses
Gleichungssystem eine eindeutige Lösung gefunden werden kann muss die Anzahl
unbekannter Variablen gleich der Anzahl der Gleichungen sein, woraus als notwen-
dige Bedingung für die Eindeutigkeit einer Lösung folgt:
nwu = nyb (1 0.109)
Zur eindeutigen Lösbarkeit des Gleichungssystems nach (10.108) und somit zur
automatischen Bestimmung der Anfangsbedingungen eines dynamischen Modells,
muss die Anzahl unbekannter Eingangsgrößen gleich der Anzahl bekannter Aus-
gangsgrößen sein.
Anhand des Spannungsreglerbeispiels kann die Beziehung (10.109) noch einmal
verifiziert werden:
Die einzige unbekannte Eingangsgröße ist in diesem Beispiel der Spannungssoll-
wert vref: Alle anderen Eingangsgrößen sind entweder durch eine vorangegangene
Lastflussrechnung gegeben oder werden als bekannt angenommen und auf einen
festen Wert gesetzt, wie z.B. vpss (oder besitzen keinen Einfluss wie vuel).
Die einzige Ausgangsvariable des Reglers efd, ist durch die Lastflussrechnung und
die Initialisierung der Synchronmaschine gegeben. Somit steht einer unbekannten
Eingangsgröße eine bekannte Ausgangsgröße gegenüber, (10.109) ist erfüllt, und der
Anfangszustand des Modells kann eindeutig bestimmt werden.
11 Drehzahl- und Frequenzleistungsregelung
III Primärregelung
Elektr. Leistung
Turbine +
Regler System
Aa Apt
Ws) G,@)
Die Größe o, wird als transiente Statik bezeichnet und ist reziprok zum Grenzwert
von R(s) G, (s) für s + W. Wird die durch o, bestimmte Regelgeschwindigkeit so
gewählt, dass mit guter Näherung
GAS) =: GXO) = K (1 1.5)
gesetzt werden kann (im Fall der hydraulischen Kraftwerke muss dazu wo deutlich
kleiner als 11 T, und .X/22 sein, s. Abschn. 4 . 5 3 , folgt die Reglerfunktion
Die praktische Ausführung des Reglers weist f i r Wasserkraftwerke oft eine Über-
tragungsfunktion des Typs
auf, wobei jedoch die kleine Zeitkonstante T2das oben erwähnte Zeitverhalten kaum
beeinflusst.
Beispiel 11.1
Der Drehzahlregler sei für eine Gruppe mit T, = 8 s auszulegen. Verlangt werden
eine Statik von 5% und eine Dämpfung = 0.7.
Durch die Wahl einer Resonanzfrequenz von o,= 0.4 radls folgt aus GI. (1 1.4)
478 1 1 Drehzahl- und Frequenzleistungsregelung
11.I.IWasserturbinen
Als konkretes Beispiel sei das für Wasserturbinen häufig verwendete Schema in
Abb. 11.2 näher betrachtet. Die Soll-Istwert-Differenz wird über einen rückgekop-
pelten Pilotservomotor zum Hauptservomotor geführt, dessen Stellung über die
nichtlineare Ventilcharakteristik den Öffnungsgrad der Turbine steuert. Die Ver-
stärkung 1/T, des Hauptservomotors ist meist nichtlinear, um die Nichtlinearität der
Ventilcharakteristik zu kompensieren. Sowohl Hub als auch Geschwindigkeit des
Hauptservomotors werden begrenzt. Statische Kennlinie und Zeitverhalten der
Regelung werden maßgeblich durch die bleibende und transiente Rückfihrung
bestimmt. Aus dem Schema ergibt sich für die Übertragungsfunktion R(s) =
Aa lA(n„„- n)
1 1 +sTd
R(s) = -
oK o T K T T T K (11.8)
1 +#(Td 2 +%) +s2-(Tp+Td) +,3 p d s p
o o o o
Da die Zeitkonstante T, = T,/K, klein ist, kann durch ihre Vernachlässigung diese
Übertragungsfunktion dritter Ordnung in die Übertragungsfunktion GI. (1 1.7) über-
fuhrt werden, worin, da mit guter Näherung T, = T, K, << T, o, :
T T ot , T , . - T'.
.
'J
t
Mit der Größe y, (Abb. 1 1.2) wird die dem Drehzahlsollwert entsprechende Stellung
des Servomotors vorgegeben. Ist die Phasenmarge der Regelung wegen der ver-
nachlässigten Frequenzabhängigkeit der Funktion G,(s) ungenügend, lässt sich die
Stabilität durch Ergänzung des Faktors l/K mit einem PD-Glied verbessern.
Ventil-
charakteristik
Pilotservomotor
8- -+
Druckregler
Ventil-
charakteristik
Ansprechschwelle VorSpannung
Die Geschwindigkeit, mit welcher der Wasserfluss in der Druckleitung bei Lei-
stungsausfall reduziert wird, muss begrenzt werden, um unzulässige Druckstöße zu
vermeiden (Abschn. 4.5.3, 4.5.5). Dies wird im Fall der Pelton-Turbine mit dem
Strahlablenker erzielt (Abschn. 4.4.1). Bei der Francis-Turbine wird ein Druckregler
dafür sorgen, dass von einer kritischen Geschwindigkeit des Hauptservomotors
(= Stellung des Pilotservomotors) an ein Teil des Wassers über den Druckregler
abgeleitet wird. Ein typisches Schema zeigt Abb. 1 1.3.
11.I.2 Dampfkraftwerk
In Abschn. 5.5.4 wurden zwei typische Betriebsarten der Kesselregelung unter-
schieden, nämlich Festdruckregelung und Gleitdruckregelung. Im Folgenden seien
sie näher betrachtet.
11.1.2.1 Festdruckregelung
Die für die Primärregelung maßgebende Übertragungsfunktion G,(s) des thermischen
Systems in Abb. 11.1 lässt sich aus dem Schema in Abb. 5.24 bestimmen, dessen
Blockschaltbild für kleine Änderungen in Abb. 11.4a und vereinfacht, durch Ein-
führung nachfolgender Funktion G,(s), in Abb. I 1.4b dargestellt ist:
s T, G&)
+
mit G,(s) =
a, + s T, + GK(s)
480 11 Drehzahl- und Frequenzleistungsregelung
worin T, die Zeitkonstante des PT-Kesselreglers und T, die Zeitkonstanten der Wär-
-
meentbindung darstellen. Da die Funktion G,(s) einen integrierenden Anteil auf-
weist, folgt aus GI. (1 1.10) sowohl für s = 0 als auch für s -, G, (s) = 1. Die
Übertragungsfunktion G,(s) weicht lediglich in einem Frequenzbereich von 1 ab, der
auf Grund der Langsamkeit der Kesselregelung wesentlich tiefer liegt als die
Schnittfrequenz des primären Drehzahlregelkreises. Für die Analyse der primären
Drehzahlregelung kann deshalb mit genügender Näherung gesetzt werden
11.1.2.2 Gleitdruckregelung
Die Festdruckregelung erlaubt eine rasche Anpassung der Leistung bei guter Ausnut-
zung des Speichervermögens des Dampferzeugers und ermöglicht zudem auch den
lnsclbctricb dcs Dampfkraftwerks; die Turbinc wird allerdings thermisch stark
beansprucht.
Um dies zu vermeiden, kann die Anlage mit dem naturlichen Gleitdruck betrieben
werden. Das Ventil ist dabei ungeregelt und in jeder Lastsituation voll offen. Frisch-
dampfdruck und Massenstrom sind zueinander proportional. Die Drehzahl-regelung
erfolgt über die Kesselsteuerung durch Anpassung des Massenstromes Am,'. Der
Massenstrom Am,' und somit die Leistung folgen sehr langsam mit der Zeitkon-
stanten T, (Abb. 1 1.6).
Eine schnellere Regelung kann durch Verwendung einer Zwischenlösung erhalten
werden. Im sog. modijizierten Gleitdruckbetrieb wird der Frischdampfdruck ge-
regelt, jedoch nicht konstant gehalten, sondern entsprechend einer mit der Leistung
nachgebenden Gleitdruckkennlinie eingestellt. Das Ventil wird zumindest bei großen
Drehzahlabweichungen geregelt. An Stelle des Blockschaltbilds in Abb. 11.5 tritt
jenes der Abb. 1 1.7. Aus dem Blockschaltbild Abb. 1 1.4a folgt für die Übertragungs-
funktion G„(s)
b..1
AP
bezeichnet wurden. Ferner folgen die Temperaturen immer aus den Gln. (5.9)
a) Brennstoff
PB, T, Pc, T,
C
B
Brennkammer
\ Turbogruppe
D PD,
Luft
V
Abgase
Aus den Massenströmen und den spezifischen Arbeiten folgen schließlich die Lei-
stungen von Turbine und Verdichter und daraus die Antriebsleistung der Gas-turbi-
nengruppe (s. auch GI. 5.13)
I I
P, = m,w,, P, = m,w,, P = PT-P,. (1 1.18)
Die Beziehungen Gln. (5.15)-(5.18) werden vom Blockdiagramm Abb. 11.9 zu-
sammengefasst. Die Wirkungsgrade können durch lineare Funktionen der Drücke
dargestellt werden; für die Identifikation s. [l 1.41. Ebenso lassen sich die Massen-
ströme in Funktion von Druck und Temperatur folgendermaßen darstellen [11.4],
[I 1.51
I
m~ = PA (kVl - kV. TA) ß
worin die Drehzahl n im Normalbetrieb als konstant betrachtet werden kann und ß
die Stellung der Verdichterleitschaufeln beschreibt.
Zusammenfassend und durch Einführung der Brennkammer ergibt sich für die
Gasturbinenanlage die Blockdiagramm-Darstellung von Abb. 1 1.10.
Das Brennkammermodell muss Druck p, und Temperatur T, am Turbineneingang
sowie den Druck p, am Verdichterausgang in Funktion der Eingangsgrößen aus-
drücken. Diese sind die Massenströme von Turbine m,' und Verdichter m,', die
Verdichterausgangstemperatur T, und der Brenstoffmassenstrom m,'. Bei Berücks-
ichtigung der Massen- und Energiebilanzen lässt sich die Brennkammer, entspre-
chend dem Blockdiagramm in Abb. 1 1. I I durch folgende Gleichungen darstellen
3
dt
= K, K, T, (m,1 +mB-m,)
1 1
' pv
Verdichter
Turbine
Verdichter
m',
) pv
wv
Brenn-
i Turbine
E;,)pT
Abb. 11.10. Blockdiagramm der Gasturbinenanlage
V
(14.20) Tz 1 mz'
* (11.24) T,
T"+ (11.21)
Volumen 1
kalt
(17.22)
Drossel Tz , (1 1.23)
Verbren-
nung
T,, ( I 1.25)
Volumen2 Pc
PB
A PB A 1
Abb. 11.1 1. Blockdiagramm der Brennkammer [l 1.41
486 1 1 Drehzahl- und Freauenzleistungsregelun~
und, sofern das Netz stabil ist, den Gleichlauf aller Generatoren wieder erzwingen.
112.1 Primärregelung
Da die Primärregelung deutlich langsamer reagiert als die Synchronisierkräfte
(Schnittfrequenz Ca. 0.1 1 rad/s), kann in erster Näherung ihre Interaktion mit den
-
Das Netz verhält sich nach der Synchronisierung wie ein Netz mit einem einzigen
Generator mit der mittleren Anlaufzeitkonstante T,,,. Daraus lässt sich der mittlere
Drehzahl- oder Frequenzverlauf bei Störungen des Gleichgewichts berechnen. Die
Änderung der Gesamtlast der Generatoren ist
worin AP, die effektive Änderung der Verbraucherlast und AP, die Änderung der
Netzverluste darstellen.
1 1.2 Frequen~regelungiin Inselnetz 487
Nach der Leistung aufgelöst, und für An„„ = 0 (d.h. bei unverändertem Drehzahlsoll-
wert) folgt die stationäre Aufteilung der Last auf die einzelnen Gruppen
und umgekehrt, bei Berücksichtigung der G1. (1 1.27), mit AP„ = APOdie Frequenz-
abweichung entsprechend der Gesamtstatik o des Inselnetzes
n
AP,
',-=-G 4+ M v mit
P,
hn'
1=1 ei = l L P,.,
(-Ti
An Stelle der Statik kann auch die reziproke Leistungszahl der Gruppe K, bzw. des
Netzes K (auch Netzkennzuhl genannt) verwendet werden, definiert durch
welche in MWIHz ausgedrückt wird. Bei progressiver Zunahme der Netzlast kann
eine Gruppe die maximal mögliche Leistung erreichen, womit ihre Statik ab diesem
Moment den Wert U, = bzw. die Leistungszahl den Wert null annimmt. Ihr Beitrag
zur Netz-Leistungszahl entfallt, womit sich die Netzkennzahl verringert (bzw. die
Gesamtstatik vergrößert). Die Frequenz-Leistungskennlinie des Netzes weist des-
halb, wie in Abb. 1 1.12a veranschaulicht, Knicke auf. Sie ist außerdem leistungs-
mäßig begrenzt. Als rotierende Reserve wird die Differenz (P„, - P,) zwischen der
maximalen Leistung der bereitstehenden (rotierenden) Gruppen und der Netzlast
bezeichnet. Es leuchtet ein, dass für einen sicheren Netzbetrieb eine genügende
rotierende Reserve vorhanden sein muss.
Schließlich sei erwähnt, dass wenn die Last frequenzabhängig ist, also einen
Selbstregelungseffekt aufweist, die entsprechende Leistungszahl additiv der Netz-
kennzahl hinzuzufügen ist.
488 11 Drehzahl- und Frequenzleislungsregelung
11.2.2 Sekundärregelung
Die Frequenz entspricht nur fur die Gesamtlast P, = P, der Sollfrequenz. Um die
Sollfrequenz (Nennfrequenz) auch für andere Gesamtlasten P, , P,, P, einzuhalten,
muss die Netzkennlinie parallel verschoben werden (Abb. 1 1.12b). Dies besorgt die
zentrale Sekundarregelung, die, um Interaktionen zu vermeiden, eine Gr6ßenord-
nung langsamer als die Primärregelung arbeitet (0.01 -0.1 radls). Der Sekundärreg-
ler, meist ein Integralregler, misst die Frequenz und steuert mit der Frequenzabwei-
chung Af die Sollwerte der Primärregler der Regelkraftwerke (An„„, bzw. Ap„„).
Der Sekundärregler oder Netzregler bestimmt oft auch (über die Statik bzw. Lei-
stungszahl), welchen Anteil die einzelnen Regelkraftwerke an der Sekundärregelung
haben sollen. Wird z.B. An„„ entsprechend
d.h dem Primärregelungsvorgang, der zum Gleichgewicht GI. (1 1.30) fuhrt, überla-
gert sich ein Sekundärregelungsvorgang, der mit der Zeitkonstanten T, die Frequenz-
abweichung zum Verschwinden bringt.
1 1.3 Frequenzleistungsregelungim Verbund 489
worin P, die momentane Gesamtleistung der Turbinen des Netzes und P„ deren
stationären Anfangszustand (Arbeitspunkt) bedeuten, folgt aus den Gln. (1 1.29) -
(1 1.32)
P,-Pot = - K Af. (1 1.36)
Die Leistungszahl des Netzes oder die Netzkennzahl K drückt die Fähigkeit des
Netzes aus, im Fall einer Frequenzänderung rasch eine entsprechende Leistung zur
Wiederherstellung des Gleichgewichts und somit zur Frequenzhaltung bereitzustel-
len. Die Netzkennzahl ist, von Selbstregelungseffekten abgesehen, die Summe der
Leistungszahlen der Regelkraftwerke.
Die Netzkennzahl des UCPTE-Netzes nahm von 1 9 7 6 1996 von knapp 20'000
MWiHz auf rund 30'000 MW/Hz zu. Durch die Zuschaltung des Centrel-Netzes (s.
Band 1, Abschn. 1.3) erhöhte sich die Netzkennzahl auf rund 40'000 MWIHz. Der
Selbstregelungseffekt der Last ist Ca. mit 25% an der Netzkennzahl beteiligt [l 1 .I].
Zwei unabhängig geführte Netze, die eine programmierte Leistung P„ (Übergabe-
leistung) austauschen (Abb. 11.13a) und deren Netzkennlinien NKl und NK2 in
Abb. I 1.13b dargestellt sind, seien nun betrachtet. Die stationären Leistungen sind
P„ und P„. Tritt in Netz 1 eine Belastungsänderung AP auf, ändert die Netzfrequenz
um Af, und wegen G1. (1 1.36) gilt
4
Netz I Netz 2
Die Belastungsänderung wird teils durch die Kraftwerke des Netzes und teils durch
die des Netzes 2 entsprechend ihren Leistungszahlen kompensiert. Wird einfach-
heitshalber angenommen, die Verbraucherlast in Netz 2 sei frequenzunabhängig
(kein Selbstregelungseffekt), tritt die Leistungsänderung in Netz 2 voll als Änderung
der Übergabeleistung an der Kuppelstelle auf
AP, = - K2 Af = --
K2- AP.
Kl +K2
Diese Abweichung der Übergabeleistung vom vereinbarten Programm ist als vor-
übergehende Unterstützung durch Netz 2 zu verstehen und muss vom Netzregler
(Sekundärregler) von Netz 1 zurückkorrigiert werden. Die Unterstützung ermöglicht
z.B. die rotierende Reserve zu reduzieren. Die Netzregler beider Netze verwenden
als Eingangssignal (Fehlersignal F) die Größe
mit P, = exportierte Leistung. Für Netz 2 ist AP, = AP, , und man erhält aus GI.
(1 1.38)
Richtigerweise reagiert also Netz 2 nicht. Für Netz 1 ist hingegen AP, = - AP,, und
es folgt
AP,
Af-- = Af ( I + -K2) .
K* Kl
Der Sekundärregler von Netz I (PI-Regler) integriert diese Regelabweichung und
bringt sie durch Korrektur der Sollwerte der Primärregler der Regelkraftwerke
innerhalb ca. einer Minute zum Verschwinden. Damit wird Af = 0, und wegen
(1 1.34) wird auch AP, = 0. Die sich ergebende neue Kennlinie NK für Netz 1 ist in
Abb. 1 1.13b eingezeichnet.
Weisen Netz 1 oder 2 weitere Kuppelleitungen mit anderen Netzen auf, be-
teiligen sich alle Netze des Verbundes vorübergehend an der Frequenzhaltung, nur
der Netzregler des von der Laständerung betroffenen Netzes 1 fuhrt jedoch die
Leistungskorrektur aus. Die gleichen Vorgänge spielen sich ab, wenn das Leistungs-
ungleichgewicht statt durch eine Änderung der Verbraucherlast z.B. durch den
Ausfall eines Netzteils oder eines Kraftwerks verursacht wird.
1 1.3 Freauenzleistunrrsreeelunp.im Verbund 491
4 m Tertiär-
Regelkraftwerk
Der Gesamtaufbau der Netzregelung ist in Abb. 1 1 .I4 skizziert. Alle Übergabelei-
stungen an den Kuppelstellen sowie Generatorleistungen werden über Telekommuni-
kation an die zentrale Leitstelle übermittelt. Durch Messung der Frequenzabwei-
chung und Ermittlung der momentanen Leistungszahl (reziprok zur Gesamtstatik)
des Netzes findet hier die Berechnung des Steuersignals Af - APIK für den Se-
kundärregler statt. Bei der Berechnung von K kann auch der Beitrag der Selbst-
regelung durch die Frequenzabhängigkeit der Last berücksichtigt werden [ l 1.31. Der
Sekundärregler integriert dieses Signal (PI-Regler) und erteilt die Stellbefehle für die
Sollwerte der Primärregler der Regelkraftwerke.
Die Leistungsverteilung wird vorprogrammiert und laufend vom übergeordneten
tertiären Rechner ermittelt unter Berücksichtigung von ökonomischen und Sicher-
heitsvorgaben (Kap. 14).
12 Synchronisierung und Polradwinkelstabilität
b) M;,
und das entsprechende Blockschaltbild Abb. 12.lb. Aus den Gleichungen folgt der
Zusammenhang
s 2 ~ ,
k,(s) = 1 +
K12 (1 + ~ T l 2 )
mit (
S=J,J~
4s) = 1 +
(J, +J2)K12 (1 + s T 1 2 )'
der sich für K „ + (womit k, (s) = k(s) = 1 ) auf GI. (6.107), Band 1, reduziert, mit
dem Gesamtträgheitsmoment J = J , + J? . Die Kreisfrequenz der Torsionsschwingun-
gen ist (Annahme M = konstant)
Das Blockschaltbild Abb. 12.1b lässt sich leicht ergänzen für Systeme, die weitere
rotierende Massen, wie z.B. die Erregermaschine oder bei thermischen Kraftwerken
Hochdruck-, Mitteldruck- und Niederdruckturbine, einschließen.
Für das Mehrmassenmodell ist eine Darstellung im Zustandsraum zweckmäßig.
Die Gln. (12.1) lauten für n Massen
/
Oml
mit x1 =
\ Omn
12.1 Synchrongruppe ain starren Netz 495
, mit E = Einheitsmatrix .
AP, ist die mechanische und AP die elektrische Leistung, die sich unterteilt in syn-
chrone Leistung P,' AQ (P,' = synchronisierende Leistung) und asynchrone Leistung
W, d6Idt. Letztere ist proportional zur Drehzahlabweichung, d.h. zum Schlupf, und
wirkt dämpfend. Näheres zur Dynamik der kleinen Schwingungen ist in Abschn. 12.2
zu finden.
ao
Abb. 12.2. Synchronmaschine am starren Netz: elektrische Wirkleistung P in Abhängig-
keit vom Polradwinkel 6 a) Allgemeiner Verlauf für konstante Polradspannung und
Stabilitätsgrenze b) Blockdiagramm für kleine Änderungen (Netzspannung konstant)
(e, = p.u. Polradspannung). Die statische Stabilitätsgrenze (s. dazu auch Band 1,
Abschn. 6.6) erhält man (Abb. 12.2a) für dpIdQ = 0.
Zwischen Spannung und Polradspannung besteht im stationären Zustand die p.u.
Beziehung
12.1 Synchrongruppe am starren Netz 497
An Stelle der synchronen Reaktanzen treten die transienten Reaktanzen, und die
Polradspannung wird durch die zur Rotor-Hauptflussverkettung proportionalen EMK
e ersetzt (deren d-Komponente im betrachteten Fall null ist). Diese EMK ist un-
mittelbar nach der Störung gleich zur transienten Polradspannung e,' (s. dazu auch
Band 1, Abschn. 6.4.1) und ändert dann nach G1. (10. l I) relativ langsam mit der
Zeitkonstanten T„' unter dem Einfluss der Spannungsregelung. Die im Kurzzeit-
hereich wirksame synchrone Leistung folgt aus (GI. 12.9), wenn X, durch X,' und e,
durch e, ersetzt wird. Wird schließlich e, durch den transienten Anfangswert e,'
ersetzt, folgt die transiente synchrone Leistung p, (Band 1, Abschn. 6.6.7.3, GI.
6.127).
Auch die transiente Leistung hat einen qualitativen Verlauf etwa nach Abb. 12.2a,
und p,' = dp,/d6 stellt die transiente synchronisierende Leistung dar. Die transiente
Stabilitätsgrenze ergibt sich für dp,/d6 = 0.
Im allgemeineren Fall mit X,' <X, (SM mit massiven Polen) kann vom Zeigerdia-
gramm (Abb. 12.3) und den entsprechenden Kurzzeit-Gleichungen (1 0.8) ausgegan-
gen werden I.
ud = ed + xqlq = U sin6
I (12.12)
uq = eg - xdid = U cos6 .
Die Abb. 12.4a und 12.4b zeigen den typischen Verlauf der stationären und der
transienten synchronen Leistung (e, = e„', e, = e„') für eine Schenkelpolmaschine mit
lamellierten Polen (X,'= X,, womit e, = 0) und einen Turbogenerator (e, t O), wobei
U = 1 p.u. angenommen und e, und e,' f i r den Belastungszustand (P,, 6,) berechnet
wurden.
Bei Störung des Gleichgewichts in (P,, 6,) wird nach dem raschen Abklingen der
subtransienten Vorgänge die Leistung zunächst dem transienten Verlauf folgen.
4
----.
P S
3-
2-
_ _ ----- --.
--.
-->.,.
L - L 1 -
Pt
starres
Netz
Abb. 12.5. Mit dem starren Netz über die Reaktanz xQ gekoppelte SM
Bei ungeregelter Spannung U ist die Polradspannung e, konstant. Aus dp/doQ= 0 folgt
die Bedingung für den kritischen Polradwinkel:
Wird in G1. (12.14) der kritische Polradwinkel eingesetzt und werden e, und qQ
eliminiert, erhält man die statische Stabilitätsgrenze in der (p, q)-Ebene (s. auch Band
1, G1. 6.104).
500 12 Synchronisierung und Polradwinkelstabilität
Die Stabilitätsgrenze wird stark von der Netzreaktanz beeinflusst, wie das Beispiel
Abb. 12.6a veranschaulicht. Die Fähigkeit der SM, Blindleistung aufzunehmen, wird
durch den Blindleistungsbedarf der Reaktanz xo reduziert. Die Verschlechterung ist
vor allem auf die Reduktion der Spannung U zurückzuführen. Wird nämlich die
Spannung u vorgegeben, ist der Einfluss der Netzreaktanz geringer, wie das Beispiel
in Abb. 12.6b zeigt. Die Stabilitätsgrenzen von Abb. 12.6b lassen sich iterativ
bestimmen mit folgendem Schema
Vorgabe U
GI. (12.14)
COS q
ue=u-
tos (PQ
12.1 Synchrongruppe am starren Netz 501
U), -
X
(3 "Q sh6,
. - - -
2
L
' Q
X
sin(2?jQ)
X d ~ (12.17)
mit X = X d "4,
~
Xd XqQ + X, (X, - xq)
fuhrt. Abbildung 12.7 zeigt für eine feste Netzspannung (uQ= 1 p.u.) den Verlauf der
Leistung der geregelten SM (U = 1 p.u.) entsprechend GI. (12.17), und jener der
ungeregelten SM gemäß G1. (12.12) für drei Werte der Polradspannung.
Die statische Stabilität der spannungsgeregelten SM ist bei Betrieb in den Punkten
A, B oder C deutllch besser als jene der ungeregelten SM: die synchronisierende
Leistung dPIdsQund der Abstand zur Stabilitätsgrenze, die einem Polradwinkel von
weit mehr als 90" entspricht, sind erheblich größer, dies jedoch mit folgenden Ein-
schrankungen:
Die thermische Grenze des Erregerstromes entspricht i.d.R einer Polradspannung
von 2-3 p.u., liegt also zwischen A und B. Vorübergehend können höhere Werte
erreicht werden, doch wird die Polradspannung (besser der Polradfluss, s. Band 1,
Abschn. 6.4.1.1) durch das Erregersystem meist auf e„„ =: 4 p.u. begrenzt. Wird die
Begrenzung wrrksam, also ab Punkt C, wird die Leistung nicht mehr der Kurve P,,,
sondern der Kurve p, folgen. Um zu vermeiden, dass bei wirksamer Begrenzung die
SM aus dem Tritt fallt, muss der Punkt C stabil sein, d.h. diesseits des Scheitelwerts
der Kurve p, für e, = e„„, bleiben. Faktisch heißt das, dass die statischen Stabilitats-
grenzen der Abb. 12.6b auch bei Regelung nlcht uberschrrtten werden konnen.
Abb. 12.9. Stationäre Wirkleistung in Abhängigkeit vom Polradwinkel 15~ für X, = 1.6,
X, = 1. I , uQ = I p.u. Und drei Werte der Netzreaktanz xQ, P, = Leistung der ungeregelten
SM (Polradspannunge, = 4 p.u.), p, = Leistung der geregelten SM ( U = 1 p.u.)
Für andere Werte der Netzspannung uQergeben sich ähnliche Verhältnisse, wobei bei
hoher Netzspannung die Stabilität von Punkt C gefährdeter ist (Abb. 12.8). Dies gilt
auch für ein größeres xQ. Die Wirkung der Netzreaktanz zeigt Abb. 12.9.
Bei Berücksichtigung der Netzreaktanz gilt (Zeigerdiagramm Abb. 12.3 oder Band
1, GI. 6.84)
Aud = Aued - X , Aiq
(12.20)
Auq = AuQq + X , Aid .
In GI. (12.19) eingesetzt und mit der Annahme n, = 1 p.u., folgt
Wird GI. (12.1 8) eingesetzt und nach den Strömen aufgelöst, erhält man
G(s) Au, - Au,
sin2bQ0 C O S ~ ~ ~ ,
mit K(s) = qQo + uQo (- + - 1
xdQ(s) X~Q(S)
Spannung-
Drehzahl-
regelkreis
Beispiel 12.1
Ein Wasserkraftgenerator für 50 Hz mit lamellierten Polen (X,' = X,) hat folgende
Daten (p.u.): X,= 1.36, X, = 0.87,xdf= 0 . 3 1 5 , ~ , " = 0 . 2 1 2 , ~ ~=X,",
" X, = 0.12,
X, = 0.14, T,' = 0.68 s, T," = 0.034 s, T<,'' = T,", T„ = 6.51 s. Man ermittle das
Schwingungs- und Dämpfungsverhalten bei Netzbetrieb mit Netzreaktanz xQ= 0.2
506 12 Synchronisierung und Polradwinkelstabilität
p.u., für Leerlauf und Vollast cos cp = 0.8. Wie wirkt sich die Netzreaktanz auf das
Verhalten aus?
Nach Band 1, Abschn. 6.7.3, folgen die weiteren Daten: T„'=2.99 s, T„"= 0.0496 s,
T„" = 0.1396 s, T„, = 0.12 17 s und damit die Übertragungsfunktionen x,(s), x,(s)
und G(s). gemäß Band 1, Abschn. 6.4.2 (s. auch Abschn. 12.4, GI. 12.54), wobei, da
X,' = X, (lamellierter Rotor) auch Tl" ' = T, '.
Mit Netzreaktanz gilt xdQ(s)= xd(s) + X ( ) , xqQ(s)= X&S)+ X - . Zur Berechnung von
K(s) werden noch die bela~tun~sabhängi~en Daten benötigt. Im Leerlauf ist q„, = 0,
ijQ, = 0, U-, = U , . Bei Vollast cos cp = 0.8 erhält man mit der Annahme U , = 1 P.u. (s.
dazu Band 1, Abschn. 6.6.5 und 6.6.6)
Die Beziehungen (12.25) und (12.26) liefern für Au„ = 0 und bei Vemachlbsigung
des Einflusses von Drehzahl- und Spannungsregler den Zusammenhang
Bode Diagrams
Frequency (rad/sec)
Abb. 12.1 1. Bode-Diagramm der Übertrag~n~sfunktion K(s)l s*T,~T,des
Synchronisicrkreises von Beispiel 12.1, xa = 0.2 p.u., u = 1 p.u., für Leerlauf und Vollast
cos <P = 0.8
Bode Diagrams
f' 'C 1L 0 +?
Frequency (rad/sec)
und es folgt das Blockschaltbild in Abb. 12.13 des Spannungsregelkreises, worin E(s)
den Erregerkreis einschl. Spannungsregler darstellt. Bei reiner Blindbelastung sind
6Q, , ,
= 6 = p = o , und somit ist K,,(s) = 0.
Die Übertragungsfunktion F,,(s) der Synchronmaschine stimmt nur in Abwesenheit
lokaler Lasten und bei Vernachlässigung des Widerstandsanteils der Netzimpedanz.
Für den allgemeineren Fall s. Abschn. 13.1.2.1.
12.2 Dynamik der kleinen Störungen 509
,Synchronisier- A 6 ~
kreis 1
Aus K,(s) (bzw. aus dem Bode-Diagramm von K,(s)ls2T,T,) lässt sich die Wirkung
der Spannungsregelung auf Frequenz und Dämpfung der Synchronisierschwingungen
ermitteln. Stationär ist K,?(O) > K, (0), d.h. die statische synchronisierende Leistung
wird vergrößert, was bereits in Abschn. 12.1.5 hervorgehoben wurde. Die Dämpfung
kann in ungünstigen Fällen hingegen verkleinert oder gar negativ und das System
somit instabil werden [12.7], [12.4]. Um allenfalls diese ungünstige Wirkung zu
kompensieren und überhaupt, um allgemein die statische Netzstabilität zu erhöhen,
werden zur Drehzahländerung proportionale Zusatzsignale in die Spannungsregelung
eingeführt. In diesem Zusammenhang wird von Pendeldämpfungsgerät („power
System stabilizer") (Abb. 12.14) gesprochen.
Ausdruck, der in GI. (1 2.25) eingesetzt, wieder zum Gleichungssystem (12.35) fuhrt,
mit dem Unterschied, dass jetzt K,(s) durch
zu ersetzen ist. Daraus lässt sich die Wirkung des Pendeldämpfungsgeräts auf Fre-
quenz und Dämpfung der Synchronisierschwingungen ermitteln. Die Übertragungs-
funktion D(s) wird meist als zweifaches PD-Element (Anhang 111.6) ausgeführt mit
einem zusätzlichen Differenzierfaktor DT(„wash out"), der sicherstellt, dass stationär
die Drehzahl keinen Einfluss auf den Spannungsregelkreis ausübt. Für die Daten des
Beispiels 12.1, eine Reglerauslegung gemäß Abschn. 13.1.2.2 und eine Pendeldämp-
fungsfunktion DT*(PD)', zeigt Abb. 12.15 die entsprechenden Übertragungsfunktio-
nen des Synchronisierkreises. Die Erhöhung der Phasenreserve weist die stabilisieren-
de Wirkung des Pendeldämpfungsgeräts nach.
Bode Diagrams
.................
................
..................................
...........
...........................
...............
.................................
Frequency (radlsec)
Abb. 12.15. Übertragungsfunktionen des Synchronisierkreises Beispiel 12.1 bei Vollast,
n ohne Spannungsregler, b mit Spannungsregler, C mit Spannungsregler und
Pendeldämpfungsgerät
12.3 Verhalten bei großen Störungen 51 1
Daraus kann für beliebige Störungen des Antriebsmoments oder des nichtlinearen
elektrischen Drehmoments m = f( 6Q,dsQ/dt,...) der Schlupfverlauf in Abhängigkeit
vom Polradwinkel (sog. Trajektorie) berechnet werden
Der Zeitverlauf fiQ(t)folgt aus GI. (12.39) durch Integration von dt = dfiQ T, lo
Ist z.B. m , während des dynamischen Vorgangs konstant und ändert m nach der
Funktion m = m, .sin 6Q(Bewegung des isotropen lamellierten Rotors, ohne Dämp-
fung), ergibt sich aus GI. (12.4 1)
D = 1- Tm
(m'7 6 Q + m1cos6, - c> mit C = m a 6 Q o + m ~ c o i 6 Q
, o
(12.43)
Da in p.u. (mit der Annahme n, = 1) m = p, gilt trunsient wegen GI. (12.1 1) sinn-
gemäß bei Berücksichtigung der Netzreaktanz: m, = U- e , l x d . Die Konstante Chängt
von den Anfangsbedingungen und den Störungsparametern ab.
Abbildung 12.16 zeigt in der Zustandsebene (6, o) die von GI. (12.43) beschriebe-
nen Trajektorien der Polradbewegung. Ausgehend vom Anfangspolradwinkel 6Qo,
sind die Kurven geschlossen, falls C > C,,,, dann ist die Bewegung stabil, obwohl
ungedämpft; sie sind hingegen offen, falls C < C,,,,dann nimmt der Schlupf unbe-
grenzt zu und die SM fallt aus dem Tritt. Aus Cl. (12.43) folgt
Die Maxima und Minima der Trajektorien ergeben sich aus d 0 I d 6 ~= 0, woraus
6, und 6, sind unabhängig vom Anfangswinkel 60,. Für o = 0 ist doldbQ= W, außer
für C = C,,, und 6, = 6,. In diesem Fall folgt aus GI. (12.44), gesetzt 6Q= 6,-86 der
Grenzwert für ~ 60. % ~
Abb. 12.17. a) Zeitverlaurdes Polradwinkels Tur 60„= 3 0 " , rn „ = 1 und rn, = 2 (stabil mit
und ohnc Dämpfung) sowie rn,= 1.5 (instabil), b) cntsprechendc Trajckloricn
Abbildung 12.17 zeigt den Zeitverlauf des Polradwinkels für instabile und stabile
Trajektorien mit und ohne Dämpfung (Simulation mit MatlabISimulink der Gln.
(12.39) mit m = m , sin 6„ ).
Flächenkriterium
Die GI. (12.40) lässt sich auch schreiben
Wp = 1(m, m) doQ
6 ~ o
-
) Wp-Wk=O, (12.47)
W = 1- 0T m 2
2 T*
worin W, die Arbeitsleistung der Drehmomentdifferenz (potentielle Energie) und W,
die kinetische Energie relativ zum Gleichgewichtspunkt bezeichnen. Diese Energien
werden in Abb. 12.18 durch Flächen dargestellt. Ausgehend vom Anfangs-pol-
radwinkel 6„, , erfahrt der Rotor zunächst eine Beschleunigung und weist beim
Passieren des Gleichgewichtspunktes 3 eine kinetische Energie entsprechend der
Beschleunigungsflachel23 auf. In der anschließenden Bremsphase wird der Schlupf
im Punkt 4 dann annulliert, wenn die Bremsflache 345 denselben Wert wie die Fläche
123 aufweist. Ab hier wiederholen sich die Vorgänge mit umgekehrten Vorzeichen.
Ohne Dämpfung pendelt der Polradwinkel zwischen 6„, und 6„, . Mit Dämpfung
nimmt die Amplitude der Pendelungen ab bis der Gleichgewichtspunkt 6„ = 6,
erreicht ist.
Mit den angenommenen Werten von m„ m , und Qo, ist der Vorgang stabil. Wird
der Wert von m , auf 1.5 reduziert, genügt die verfügbare Bremsfläche 365 nicht mehr,
um die Beschleunigungsfläche 123 zu kompensieren, und die SM fallt aus dem Tritt.
Die Stabilitätsbedingung lautet somit Fläche 365 > Fläche 123 oder 6„, < 6,. Mit
Dämpfung ist das asynchrone Moment von m, abzuziehen, womit sich die Fläche 123
5 14 12 Synchronisieiwng und Polradwinkelstabilität
Abb. 12.19. Transientes Verhalten des Polradwinkels bei plötzlicher Änderung des
Antriebsmoments
o =I-Tm
r n a , / n 7
Abb. 12.21. Transientes Verhalten in der (6, m)-Ebene bei Netzkurzschluss (Flächen-
kriterium) a) stabiler Fall tK= 90 ms, b) instabiler Fall tK= 120 ms
12.3 Verhalten bei grossen Störungen 5 17
ho f
starres
Netz
zu erzielen, muss die zugeschaltete Leistung ein Mehrfaches der Nennleistung sein,
was nur kurzzeitig zulässig ist (Abschn. 12.3.2).
Die Kennlinienverschiebungist etwa proportional zur Größe der Netzimpedanz. Sie
ist außerdem um so stärker,je näher sich die Last an der SM befindet. Der Fall wurde
analytisch in [12.4], [12.5] im Detail untersucht.
Kritisch bezüglich Stabilität kann die Ausschaltung einer sich in der Nähe der SM
befindlichen Wirklast im Fall eines weichen Netzes werden. In Abb. 12.25, mit
Netzreaktanz xQ= 0.4 p.u. und xQ, /xQi= 19, ist der Vorgang noch stabil: ausgehend
vom stationären Punkt A, verschiebt sich das synchrone Drehmoment un-mittelbar
nach der Lastabschaltung nach B, um sich dann in C einzupendeln. Der Polradwinkel
wird vergrößert und die Stabilitätist, wie die Anwendung des Flächenkriteriums zeigt,
bei einer noch größeren Abschaltung oder ein noch weicheres Netz gefährdet. Der
Pendelvorgangwird durch das asynchrone Drehmoment (proportional zum Schlupf)
veranschaulicht.
Abb. 12.25. Wirkung der Abschaltung einer sich in der Nähe der SM befindlichen
Wirklast bei weichem Netz, auf die transiente Kennlinie: I Kennlinie vor der Abschaltung,
2 Kennlinie nach der Abschaltung
12.3 Verhalten bei grossen Störungen 5 19
12.3.2 Stabilisierungsmaßnahmen
Die Stabilität ist bei Kurzschlüssen im Netz umso besser gewährleistet, je größer das
transiente Drehmoment der netzgekoppelten SM, und je besser die Dämpfung des
Synchronisiervorgangs sind (s. Abb. 12.20 - 12.22).
Die Dampfung kann durch Zusatzsignale in der Spannungsregelung (Pendel-
dämpfungsgerät) verbessert werden (Abschn. 12.2.2, 12.2.3, Gln. 12.35, 12.38).
Das (synchrone) transiente Drehmoment wird, wenn von der Anisotropie des
Rotors abgesehen wird (d.h. X,' = X,' setzt), im einfachen Fall der Abb. 12.5 ent-
sprechend GI. (12.48) von
U e
ms = I
,in&;
X d ~
Diese ergeben sich aus der Resonanz der Seriekapazität C mit der Längsinduktivität
L (SM + Transformator + Leitungen). Für deren exakte Berechnung müssen sowohl
die SM als auch die Netzverbindung mit den transformatorischen Spannungen
modelliert werden (s. dazu Abschn. 12.4).
Diese subsynchrone Frequenz kann vor allem mit den Torsionsschwingungen
interagieren und diese gefährlich verstärken. Eine diesbezügliche Analyse ist deshalb
zu empfehlen.
Beispiel 12.2
Eine Schenkelpolmaschine mit den Daten: S, = 100 MVA, X, = 1.6 p.u., X , = 1 p.u.,
X,' = 0.35 p.u., X„'= 1 .p.u. wird über die Netzverbindung von Abb. 12.26 mit dem
starren Netz gekoppelt. Die Daten sind r = 1 p.u., X , = 0.14 p.u., X, = 0.06 p.u.,
yL=gL= 0.9 p.u. Der stationäre Zustand ist durch p, = 0.8 p.u., u = 1 p.u., uQ= 1 p.u.
definiert.
522 12 Synchronisierung und Polradwinkelstabilität
a) Man bestimme die statische und die transiente Leistung in Abhängigkeit vom
Polradwinkel.
b) Wie verändern sich die Leistungen, wenn die Reaktanz X, durch Seriekompen-
sation auf 0.06 p.u. reduziert wird?
Die stationäre Berechnung ergibt e, = 1.63 p.u., e,' = 0.973 p.u. Den Leistungsverlauf
nach den Gln. (12.52) und (12.53) zeigt Abb. 12.28.
4 i
JY
- T* Abb 10.2
SM 1,'
Abb. 12.29. SM-Modell mit Übertragungsfunktionen und vorgeschaltetem (t.S.)-Block
12.4 Modellierung für subsynchrone Schwingungen 523
12.4.2 Netzverbindung
Das Gesamtmodell des Kraftwerks zeigt Abb. 12.30. Für die Spannungsregelung sei
auf Abschn. 13.1.2 verwiesen. Für die Netzverbindung genügt, falls nicht motorische
Zwischenlasten vorhanden sind, eine stationäre Darstellung, z.B. entsprechend Abb.
12.26 (die fünf ersten der Gln. 12.52). Die lmpedanzen von Netz und Last sind
allerdings mit t.S. zu modellieren. Im Fall motorischer Last ist die Dynamik ent-
sprechend Abschn. 10.2.2 zu modellieren.
Als einfaches Beispiel sei der Fall einer Netzverbindung, bestehend aus der
Serieschaltung von Netzwiderstand R„ , Netzinduktivität L„ und Seriekapazität C,
behandelt. Dann gilt die Parkzeigerbeziehung (Band 1)
Xc Xc
mit X, = xQ + - , x2=xe--
1 +s2T; 1 +s2Tr2
hydraulisches
thermisches Torsion SM verbindung,
Last
System
F ----
Polar-dq-
Transformation
1% 1
Abb. 12.30. Gesamtmodell des netzgekoppelten Kraftwerks
524 12 Synchronisierung und Polradwinkelstabilität
Bei Vernachlässigung der transformatorischen Terme ist in den Gln. (12.54) oder
(12.55) sT, = 0 zu setzen.
12.4.3 Polar-dq-Transformation
Aus p.u. Netzfrequenz und p.u. Drehzahl folgt der Polradwinkel 6Q (GI. 12.26).
Durch Transformation der Polarkoordinaten (uQ, 6Q) in Park'sche Komponenten
(Zeigerdiagramm Abb. 12.3) erhält man
12.4.5 Mechanik
Im einfachsten Fall gilt
mit X, =
Die erste Gleichung beschreibt mit Parkvektoren den stationären und die zweite den
transienten Zusammenhang zwischen Quellenspannung und Klemmenspannung der
SM. Sind LJ, und 1, aus der Lastflussberechnung bekannt, lassen sich daraus E, und
- ' bestimmen.
E,
Die Dynamik wird durch die mechanischen p.u. Gln. (12.26) beschrieben
wobei die Polradwinkel tjQ, als Winkel zwischen der q-Achse der maschineneigenen
dq-Systeme und einem beliebig festzulegenden, mit synchroner Geschwindigkeit n,
rotierenden Spannungszeiger aufzufassen sind (Abb. 12.32).
- - -
Die Abweichungen der Drehzahlen vom Synchronismus sind gering, und mit guter
Näherung kann an Stelle des Drehmoments auch die Leistung p = m . n m . n, m
(mit der Annahme n, I) verwendet werden. Werden schließlich physikalische
Einheiten eingeführt, lauten die Gleichungen
S.
mit der Trägheitskonstante Mi = Tmi 2 , ( U $ =ur für n,= 1 ) .
Or
Der m-te Generator werde als Bilanz-Generator definiert. Für Stabilitätsbetrachtun-
gen ist es dann sinnvoll die Polradbewegung der anderen Generatoren relativ zur
Bewegung dieses Generators hervorzuheben, durch Definition des relativen Pol-
radwinkels
6 ~ m = 6QI - 6Qm (1 2.63)
Die Gln. (12.62) werden dann zu
12.5.2 Netzdarstellung
Die Last sei durch statische Elemente darstellbar. Das Netz bestehe aus n Knoten,
wovon m Generatorknoten. Durch Anwendung der „direkten Methode" lässt sich mit
Hilfe der geordneten Knotenadmittanzmatrix das Netz durch die Gln. (9.23) des
Abschn. 9.3.2.1 von Band 1 beschreiben (Reihenfolge G, L umgestellt)
12.5 Transiente Analyse von Mehrrnaschinensystemen 527
Darin ist U, der Vektor der Generatorspannungen und U, der Vektor der übrigen
Knotenpunktspannungen (Lastknoten). Bei reiner lmpedanzlast (für den allgemeine-
ren Fall s. Abschn. 12.5.5) lassen sich die Lastfunktionen durch
X<UL)= -ILlULI (12.66)
ausdrücken, und die Impedanzen Y„ in die Diagonalkoeffizienten der Admittanz-
matrix D integrieren, die somit zu D, wird. Das äquivalente System ist „unbelastetL',
und alle (n-m) Lastknoten sind durch Reduktion der Knotenadmittanzmatrix nach
Abschn. 9.3.3, Band 1, eliminierbar. Die Netzgleichungen werden
-
IG =
+
Y LiG, mit Y = A-B.D;'-c
Man beachte, dass bei Vernachlässigung der Anisotropie des Rotors (X, = x, ), der
zweite Term verschwindet.
U, = U sin (6, - 9 )
U, = U cos (6, - 9)
Dieses Gleichungssystem lässt sich nach den Strömen auflösen, die in Funktion von
Quellenspannungen und Netzstruktur ausgedrückt werden können. Man erhält mit
HÜ = E + YÜ X,
(12.76)
H, = Cik X, , für k + i,
worin E = (2x2)-Einheitsmatrix, die Matrixgleichung
oder einfacher
- - i = Y G E mit Y G = ~ - l c
Zur näheren Erläuterung werden nachfolgend die Fälle des Zwei- und Dreima-
schinen-Systems anhand konkreter Zahlenwerte für einfache Netzverbindungen
durchgespielt.
XSI'
(-,F=-
-\
-1 E,'
XSI
Die mit den Beziehungen (12.78) sowie (12.79) erhaltenen Resultate zeigt die Abb.
12.35. Die Resultate der Abb. 12.35b (So = W ) stimmen wie erwartet weitgehend mit
jenen der Abb. 12.28a überein (kleine Unterschiede, auf Grund ohmscher Komponen-
ten der Leitungsimpedanzen). Wird das starre Netz durch eine SM endlicher Leistung
ersetzt, wird die Stabilität verschlechtert, wie die Abb. 12.35~1
deutlich zum Ausdruck
bringt. In Abb. 12.3% sind die stationäre und die transiente Leistung beider Maschi-
nen in Funktion von 6„ bzw. 6„ dargestellt. Für die Interpretation der Leistungen der
SM 2 ist zu beachten, dass 6„ = - 6„.
Abb. 12.39. Beispiel 12.4, Schnitt durch die Leistungsflächen Abb. 12.37 bzw. 12.38
p = stationäre Leistung, p' = transiente Leistung
4, I 4,
4 3 a23
Abb. 12.40. Beispiel 12.4, transiente Kennlinien der SM I und 2 vor (p3 und während
(p,3 des Kurzschlusscs im Knotenpunkt 4
12.5.4 Systeme mit m > 3
Ähnliche Berechnungen können fur Systeme mit mehr als drei Maschinen durch-
geführt werden, wobei die Leistungen als Hyperflächen im m-dimensionalen Raum
erscheinen, die durch entsprechende Schnitte veranschaulicht werden können. Die
praktische Grenze von Berechnungen dieser Art ist bei zunehmendem m durch die
stark zunehmende Rechenzeit gegeben. Werden nicht die Hyperflächen, sondern nur
die bei Stabilitätsanalysen momentan wirksamen Leistungen berechnet (in Mat-
labISimulink, z.B. mit S-functions) steigt der Rechenaufivand weniger dramatisch an.
Die Anzahl Maschinen kann durch Netzreduktion (Modelle mit Teilnetzen, die
jeweils nur eine SM umfassen, Abschn. 12.5.7) begrenzt werden.
Wird die Admittanz I„,wieder in die Diagonalterme der Matrix D integriert, folgt
analog zu GI. (12.67)
12.5 Transiente Analyse von Mehrinaschinensystemen 535
lGi,
ist die komplexe Komponente des m-dimensionalen Vektors I„. Wird sie als
Spaltenvektor geschrieben mit Real- und Imaginärteil, folgt analog zu GI. (12.70)
ersetzt werden.
. . . . .
P,;
.......
I I
0 1 2 3 4 5
-+t (s)
Abb. 12.42. Kurzschluss von Dauer 0.3 s im Knotenpunkt 4 von Beispiel 12.4, Abb.
12.37 a) Trajektorie der SM 1 b) Trajektorie der SM 2 C) transiente Leistungen der SM
1 d) transiente Leistungen der SM 2 e) Drehzahlabweichungsverlauf der drei Maschinen
12.5 Transiente Analyse von Mehrmaschinensystemen 537
=) 0.02
0.01
"-0
a
r, -0.01
(I)
-0 02
delta ,3
d, - delta 23
-1 0 1 2 3 -1 0 1 2 3
delta „ delta 23
Abb. 12.43. Kurzschluss von Dauer 0.3 s im Knotenpunkt 4 von Beispiel 12.4, Abb.
12.36, Berechnung von P (6) mit S-function. Resultate wie in Abb. 12.42, in C) und d)
sind jedoch die momentanen statt die stationären transienten Leistungen dargestellt
Die Abb. 12.42 zeigt die Auswertung des Beispiels 12.4 (Abb. 12.36) für einen
dreipoligen Kurzschluss von 0.3 s Dauer im Knotenpunkt 4. Ergänzende Daten sind
T„ = T„ = 5 s, T,,,, = 8 s. Gezeigt werden die Trajektorien und die Leistungen der
SM 1 und 2 (vergl. auch mit Abb. 12.40) sowie der Verlauf der Drehzahlabwei-
chungen der drei Gruppen.
Wird auf die Ermittlung der stationären Leistungsflächen verzichtet und werden
statt dessen die während des transienten Vorgangs wirkenden momentanen Leistungen
berechnet (z.B. mit MatlabISimulink, S-functions), ergibt sich das in Abb. 12.43
dargestellte Resultat.
538 12 Synchronisierung und Polradwinkelstabilität
12.5.7 Ordnungsreduktion
Im Rahmen der transienten Analyse weisen die Generatoren die Ordnung 2 auf, und
das Netz wird auf die Generatorknoten (allgemeiner: aktive Knoten) reduziert. Eine
weitere Reduktion ist nur durch Zusammenfassung von Gruppen von Generatoren
möglich.
Sollen 1 und unverändert bleiben, folgt aus den ersten Zeilen von (12.87) und
(12.88) die Äquivalenz
IG
Be=BZ, mit P = - ,
- U
die zur elektrischen Interpretation mit idealen Transformatoren in Abb. 12.44 fuhrt.
Damit die eingespeiste Leistung im äquivalenten Knoten e mit der Summenleistung
der Knoten G übereinstimmt, muss gelten
0' ?* = Ue
-G-G
I*
e
--> I =P'&,
e
(1 2.90)
woraus folgt
Netz
I,
Das äquivalente Netz hat konstante Admittanzen, wenn die Ubersetzung der Trans-
formatoren konstant istunabhängig vom Netzzustand. Dann gilt aber
Sind die Spannungsbeträge der Generatoren konstant, entspricht GI. (12.93) der
Kohärenzbedingung 6, - 6, = konst. (die Winkel ändern synchron).
Die Kohärenzbedingung impliziert also (unter der Voraussetzung konstanter
Generatorspannungen) die Konstanz der Transformatorübersetzungen und umgekehrt.
-11-1
'P = 3 (E, I , + ~ ~ l T;)
~ , ~ t
Die elektrische transiente Leistung ist eine nichtlineare Funktion aller Polradwinkel,
nimmt also die allgemeine Form an
I
P, =f(6Ql .-.. GQ,m-l) (12.95)
Deren Ableitung im stationären Betriebspunkt ist die transiente synchronisierende
Leistung. Für zwei verschiedene Generatoren i und j der Generatorgruppe G relativ
zum einem Generator (Knoten) k außerhalb dieser Gruppe, gilt z.B.
540 12 Synchronisierung und Polradwinkelstabilität
Bei Änderung von hQ, ist die transiente Beschleunigung der Polräder für die beiden
Generatoren i und j dann etwa gleich (bei gleicher Dämpfung), wenn
Ist diese Bedingung erfüllt, ist die Kohärenz der beiden Generatoren relativ zum
Knotenpunkt k angenähert gegeben. Ist sie für alle Knotenpunkten k außerhalb der
Gruppe G erfüllt sind die Generatoren absolut kohärent.
Bei Kohärenz können die Generatoren durch den äquivalenten Generator (E,', 6„')
bzw. durch den Parkvektor E,' ersetzt werden. Der äquivalente Polradwinkel wird so
gewählt, dass
C
G
6Qi
6Qe =
M,
, mit M~ =
G
M,, C (12.98)
Die Ableitung des Stromes erhält man aus den Gln. (12.75), (12.76)
-
ar" =
acik
H:-' [-] Üo , mit H,, = [H,]
a6, a 6 ~
12.6 Lineare Analyse von Mehrmaschinensystemen 541
Die Koeffizienten der [X/ d6] Matrix sind lediglich für k +i und k =j oder i = j
verschieden von Null. Sie folgen aus GI. (12.74)
Wird die Last allgemeiner ausgedrückt (Abschn. 12.5.5), muss der rechten Seite der
GI. (12.100) ein zusätzlicher Term entsprechend GI. (12.84) hinzugefügt werden, was
jedoch die nachfolgenden Ausdrücke nur leicht modifiziert.
Für kleine Störungen des Betriebs kann eine lineare Analyse durchgeführt werden.
Die Bewegungsgleichung der Generatorgruppen lautet fur kleine Änderungen wegen
der Gln. (12.63), (12.64)
dAo,
q m -- AP, - M,, dAb
P - -Au, - A q
dt (12.105)
i = 1 .... m .
Die Änderung der elektrischen Leistung folgt für eine Drehzahl- und Spannungs-
geregelte Gruppe (evtl. mit Pendeldämpfungsgerät) aus GI. (12.35), wobei diese jetzt
nicht in p.u. sondern in physikalischen Größen geschrieben wird
AP1 = K&) A6, + Q&) AU, , i = 1 ...... m . (12.106)
Dabei ist folgendes zu beachten:
- In1 Unterschied zu Abschn. 12.2 tritt an Stelle der Netzspannung UQdie Spannung
U des Anschlussknotens des Kraftwerks an das Netz. Bei der Berechnung der
Übertragungsfunktionen des Abschn. 12.2 muss deshalb die Netzreaktanz xQdurch
die Reaktanz bis zum Anschlussknoten ersetzt werden (i.d.R. Reaktanz von
Maschinentransformator und evtl. Leitungsteilstück). Dementsprechend ist der
Winkel 6Qdurch den Winkel 6 der Anschlussspannung zu ersetzen. Gemäß Abb.
12.33 gilt 6Q= 6 + 6 . Für den Bilanzgenerator mit Index m, dessen Anschluss-
punktspannung nun stationär und dynamisch als reelle Referenzachse für das Netz
genommen wird (Band 1, Abschn. 9.6.2), ist 8, = 0 und somit 6 , = 6„, .
542 12 Synchronisicrung und Polradwinkelstabilität
Netz
fuhren.
Die Übertragungsfunktionen G , , G?und G; beschreiben vollständig die Abhängig-
keit der Generatorleistung der drehzahl- und spannungsgeregelten Gruppe (evtl. mit
Pendeldämpfungsgerät) von den Eingangsgrößen AP„ A6, AU und Ao,.
Abbildung 12.46 zeigt den typischen Verlaufder Amplitude der beiden Funktionen
G,(s) und G2(s) für ein Wasserkraftwerk (Beispiel 12.1).G3(s) weist qualitativ einen
ähnlichen Verlauf wie G2(s) auf, und G,(s) ist prop. sqrt{G,(s) G2(s))
5(l . . ... . . , .
, ,, ,
.....,-F.,-
"."". , ,
..
m I ,
,
, , ,
,
, .,, , . ,
. .
.
.I
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0 1 ' , , . < .
a, ! i . . , . , ., . .,. .... .i
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4-4
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'
.
,
.
. ,
. '
...,
,
',,
. .
..,
. .
L---.----..--\ L" d-.--- U LU
1; 1,) :7 i 4 3
Frequency (radlsec)
Abb. 12.46. Typischer Verlauf der Amplitude dcs Frequenzgangs von a) G,(s) und
b) G2(s) für eine spannungsgeregelte Schenkelpolmaschine mit lamellierten
Polen (ohne Pendeldämpfungsgerät), Daten Beispiel 12.1.
544 12 Synchronisierung und Polradwinkelstabilität
Werden die A60, aus GI. (12.108) eliminiert und wird Ao,gemäß (12.107) einge-
führt, erhält man ein Generator-Modell mit Übertragungsfunktionen, das beim
Übergang in den Zustandsraum (mit Matlab s. Anhang 111.1) zu folgendem linearen
Modell führt
M, = C i X , + D , A P a I + D , A 6 , + D , AU,
+ Zil APam+ Zi2APm + Ei3AUm ,
Eine relativ einfache Lösung für das Cesamtsystem folgt mit der Annahme, dass
Spannung und Blindleistung nur einen geringen Einfluss auf die Wirkleistungspende-
lungen haben (Entkopplungshypothese, s. Netzdarstellung G1. 9.79 in Band 1). In C1
(12.1 11) können dann B; und D3 vernachlässigt werden, und die Gln. (12.1 1 I),
(12.1 12) reduzieren sich zu
12.6 Lineare Analyse von Mehrmaschinensystenien 545
12.6.2 Netzreduktion
Die lineare Analyse kleiner Störungen kann im Rahmen der angegebenen Näherungen
im Prinzip auch für sehr große Netze durchgeführt werden. Es istjedoch sinnvoll, um
Aufwand und Rechenzeit einzusparen, je nach Problemstellung zu versuchen, eine
Vereinfachung des Problems durch Reduktion der Größe der Systemmatrizen an-
zustreben. Dazu stehen verschiedene Möglichkeiten zur Verfügung:
Bei Einbezug von Drehzahl- und Spannungsregelung sowie von Pendeldämpfungs-
gerät kann bereits die Ordnung der einzelnen Generatoren sehr hoch sein. Es besteht
die Möglichkeit, die Übertragungsfunktionen in der Ordnung stark zu reduzieren,
ohne das Verhalten im interessierenden Frequenzbereich wesentlich zu verändern
(Abschn. 12.6.3).
Eine weitere Möglichkeit besteht darin, durch Unterteilung in Teilnetze die
Modalreduktion (Anhang 111.4) auf die Zustandsraumdarstellung dieser Teilnetze
anzuwenden, die dann zum Gesamtsystem zusammengefasst werden können, oder
schließlich die Modalreduktion auf das Gesamtsystem anzuwenden.
Bode Diagrams
r- --- ----
V----
I
-------r
Step Response
-,
i
--- -- - -Y
Time (sec )
Frequency (radlsec)
Beispiel 12.5
Das Wasserkraftwerk von Beispiel 12.1 mit einer Spannungsregelung gemäß Abschn.
13.1.2.2 (Beispiel 13.1) weist Übertragungsfunktionen G,(s) und G,(s) beide 46"'
Ordnung (GI. 12.1 13, mit Matlab berechnet), wobei K,(s) die Ordnung 22 aufweist.
Man soll eine Ordnungsreduktion vornehmen, ohne das dynamische Verhalten im
interessierenden Frequenzbereich zu verändern.
Durch Anwendungdes Befehls „minreal (G 1,O.1)" (Matlab, control systems toolbox)
erhält man für G,(s) eine Funktion 4" Ordnung, die, nach einer kleinen proportionalen
Korrektur des statischen Verhaltens weitgehend mit der ursprünglichen Übertragungs-
funktion übereinstimmt, wie die Abb. 12.47 nachweist, durch den Vergleich von
Frequenzgang und Schrittantwort der exakten Funktion und der Näherung.
Auch die Funktion G2(s)lässt sich mit „minreal(G2,0.05)" und proportionale Korrek-
tur des niederfrequentigen Verhaltens auf eine Funktion 4"' Ordnung reduzieren, die
wiederum sehr gut die exakte Übertragungsfunktion nachbildet (Abb. 12.48).
Step Response
Bode Diagrams - - - p - r - - r -
- - - -7---
-- - 1
I
I
f [Hz1
50 02
50 01
-- -100
50 00
--
49 99 -200
49 98
49 97
49 96 -- -400
Deutschland (Grenze zu Polen)
49.95 -
-- -500
ablesen.
12.7 Polradwinkelstabilität und ihre Analyse in der Praxis des Netzbetriebs 549
ergibt sich somit zu 10%, was im Normalbetrieb des UCTE-Netzes gering ist. Die
Ursache für diese schlechte Dämpfung ist darin zu suchen, dass nach der Centrel-
Zuschaltung das westeuropäische Netz eine mehr longitudinale Ost-West-Struktur
angenommen hat, was die Ausbildung einer West-Ost-Pendelung bei erhöhtem
Lastfluss begünstigt.
Abb. 12.50. Übersicht über das heutige UCTE-Netz mit Darstellung eines Fünf-
Maschinen-ErsatzmodeIls zur Beschreibung der Grundmode der Netzpendelungen
In Abb. 12.50 ist f i r die weiteren Erläuterungen ein einfaches Modell des
europäischen Netzes bestehend aus fünf gleichgroßen Erzeuger-verbraucher-
Zentren dargestellt, welches näherungsweise zumindest in der Periodendauer das
gleiche Pendelverhalten wie das reale Netz aufweist. Denkt man sich die Polräder
der Generatoren 1 und 2 kohärent pendelnd gegen die Polräder der Generatoren 4
und 5, so entsteht näherungsweise dasselbe Schwingungsbild wie in Abb. 12.49,
wobei auch hier das Polrad des Generators 3 nahezu in Ruhe bleibt (Schwingungs-
knoten, Linie konstanter Frequenz, Deutschland (Grenze zu Frankreich)). Die
Lastflussrichtung ist hier auch von West nach Ost orientiert.
Netz entziehen können. Diese Regeleinrichtungen sind in der Regel die Generator-
spannungsregelungen, siehe Abschn. 12.2.2.
a ) Torsionsschwinqer
C) aufklinqend
2'
2" . -. . . .
3"
L
d) abklinqend
Im Fall Abb. 12.5 1d dagegen lässt die Hand in Punkt 1 nach und entzieht dem
System Energie. Dadurch reduziert sich das Moment, wodurch die Beschleu-
nigungsfläche kleiner und das System stabilisiert wird.
Wichtig ist in diesem Analogon der Zusammenhang zwischen der Veränderung
der Brems- und Beschleunigungsflächen und der Stabilität, siehe auch
Abschn. 12.3, Abb. 12.18 und Abb. 12.19.
a) Generatorrotor als schwinqunqsfahiqes System
ausdrücken.
Die transiente Polradspannung ep' entspricht hierbei für kleine Drehzahl-
änderungen der Erregerflussverkettung vf. Diese hängt gemäß
von der Erregerspannung uf und der Generatorspannung uq=u.cos6 ab, [12.9]. Mit
der Übertragungsfunktion E(s) der Spannungsregelung gemäß GI. (12.34) folgt
somit für kleine Abweichungen vom Arbeitspunkt:
(12.1 19)
Mit den gängigen Werten xd= 1,2 , x$=0,3 , 60=600 sowie der im transienten
Zeitbereich üblicherweise wirksamen Spannungsreglerverstärkung IE(s)'/=:I0
ergibt sich
Aus diesem Verhältnis ist ersichtlich, dass die transiente Polradspannung ep'-yf
während der Pendelung hauptsächlich von der Spannungsregelung beeinflusst
wird. Damit wird auch die abgegebene transiente Generatorleistung p' nach
GI. (12.1 17) überwiegend durch die Spannungsregelung gesteuert.
Wird das Polrad in Abb. 12.52 nun durch eine Störung ausgelenkt und schwingt
z.B. von Punkt 1 zum Punkt 2, so wird die Generatorklemmenspannung über den
X;-xQ-Spannungsteiler verkleinert und umgekehrt. Die Generatorklemmen-
Spannung schwingt also in Gegenphase zum Generatorpolradwinkel. Dieser
12.7 Polradwinkelstabilität und ihre Analyse in der Praxis des Netzbetriebs 553
1 zum Arbeitspunkt 2.
2. Mit dem vergrößerten Polradwinkel 6Q verringert sich die Generatorklemmen-
Spannung U.
3. Die Spannungsregelung erhöht die transiente Polradspannung ep', um über den
X;-xQ-Spannungsteiler die Klemmenspannung U auszuregeln.
4. Damit wird die p'-60-Kennlinie gemäß GI. (12.1 17) angehoben und das Polrad
((gp'l=const.) zum neuen Arbeitspunkt 3'.
fahrt oberhalb der alten ~'-6~-Kennlinie
5. Durch das Anheben der ~'-6~-Kennliniewird die Beschleunigungsfläche
A I t > A lwodurch auch die Bremsfläche A2'>A2wird.
6. Damit liegt der Arbeitspunkt 3' unterhalb des Arbeitspunkts 3; das Polrad ist
instabil.
In Abb. 12.53 ist zur besseren Veranschaulichung dieses Vorgangs die sich im
instabilen Fall ergebende simulierte P'-iSQ-Trajektorie des Ersatzsystems im
554 12 Svnchronisierung und Polradwinkelstabilität
Die GI. (1 2.120) beschreibt den Verlauf der transienten Polradspannung gp' um den
Mittelpunkt mit dem Radius I& bei Veränderung des Lagewinkels der
Generatorspannung g bei konstanter Amplitude (quasistationäres Verhalten mit
Spannungsregelung).
Die G1. (12.121) beschreibt den Verlauf der Generatorklemmenspannung g um
den Mittelpunkt MI mit dem Radius E, bei Veränderung des Lagewinkels der
transienten Polradspannung gll' bei konstanter Amplitude (transientes Pendel-
verhalten ohne Spannungsregelung).
12.7 Polradwinkelstabilität und ihre Analyse in der Praxis des Netzbetriebs 555
In Abb. 12.54 sind die zugehörigen Ortskurven dieser beiden Spannungen für
6Q=400 und für 6Q=600 dargestellt. Für den quasistationären Fall sind die
Ortskurven durchgezogen und für den transienten Fall gestrichelt dargestellt. Wie
man der Darstellung entnimmt, wächst im quasistationären Fall le,'/ mit
zunehmendem 6Qan, da dieser Spannungszeiger um den Mittelpunkt & dreht.
Im transienten Pendelfall dagegen nimmt lgl mit zunehmendem Winkel 6Q ab,
da dann der Mittelpunkt M, die Ortskurve von g bestimmt. Der Winkel zwischen
der Ortskurve von g im quasistationären und im transienten Fall beträgt in
Abb. 12.54a 1 1". Dieser Winkel ist ein Maß für die Abnahme der Generator-
spannung bei Polradwinkelzunahme und kann als natürliche Verstärkung des
Spannungsreglers angesehen werden.
a) Arbeitspunkt 1: Polradwinkel 40' b) Arbeitspunkt 2: Polradwinkel 60'
C) Polradwinkel-Leistungs-Kennlinien
A
1.o -
(g(=const.
Abb. 12.54. Auswirkung der Erhöhung der Austauschleistung auf die Generatorklemmen-
spannung (kein Verbraucher)
In Abb. 12.54b ist dieses Verhalten für den Arbeitspunkt 6,~,=6O" (höherer
Lastfluss) dargestellt. Hier hat sich der Winkel zwischen den Ortskurven von g auf
15" erhöht; der Spannungsregler wird also bei der gleichen Polradpendelung zu
556 12 Synchronisierung und Polradwinkelstabilität
jedoch noch vorhanden ist, kann sie hier noch dämpfend wirken. Ihr Dämpfungs-
einfluss ist in Abb. 12.55b als Wurzelortskurve bohne fUy Polradwinkel von 0' bis
60" dargestellt, wobei die Spannungsregelung ausgeschaltet ist. Wie Abb. 12.55b
zu entnehmen ist, destabilisiert die Spannungsregelung schon mit der relativ
kleinen transienten Verstärkung IE(s)'l=:10 pu das System vollkommen (Eigenwert
immer in rechter s-Halbebene).
12.7 Polradwinkelstabilität und ihre Analyse in der Praxis des Netzbetriebs 557
Damit wird neben BI selbst auch der Mittelpunkt MI des Ortskurvenradius it,der
Generatorspannung g zu einer komplexen Größe, wodurch sich auch der Orts-
kurvenwinkel ändert. Es sollen folgende Verbraucher angeschlossen werden:
Tabelle 12.1. angeschlossene Verbrauchertypen
Verbrauchertyp Wirkleistung Blindleistung Kond. g Susz. b Eigenwert
induktiv (Starklast, Tag) 1000MW 1000MVAr 0,5pu -0,5pu
ohmsch (kompensiert) 1000 MW OMVAr 0,5pu Opu Loh,,,
kapazitiv (Schwachlast Nacht) 1000 MW -1 000 MVAr 0.5 pu 0,5 pu Lkap
In den Abb. 12.56, 12.57 und 12.58 sind die Veränderungen in den Spannungsorts-
kurven und den Generatorleistungen dargestellt.
a) Arbeitspunkt 1: Polradwinkel 40' b) Arbeitspunkt 2: Polradwinkel 60'
C) Polradwinkel-Leistungs-Kennlinien
Iu_ l = c o n s t . r
Abb. 12.56. Auswirkung der Erhöhung der Austauschleistung auf die Generatorklemmen-
Spannung (ohmsch-induktiver Verbraucher)
558 12 Synchronisierung und Polradwinkelstabilität
Abb. 12.57. Auswirkung der Erhöhung der Austauschleistung auf die Generatorklemmen-
spannung (ohnischer Verbraucher)
C) Polradwinkel-Leistungs-Kennlinien -
Abb. 12.58. Auswirkung der Erhöhung der Austauschleistung auf die Generatorklemmen-
spannung (ohmsch-kapazitiver Verbraucher)
12.7 Polradwinkelstabilität und ihre Analyse in der Praxis des Netzbetriebs 559
Deutlich wird sichtbar, wie der Winkel zwischen der stationären und der tran-
sienten Generatorspannung mit zunehmender Suszeptanz (Blindleitwert) b
zunimmt. Damit wird also die Spannungsänderung mit zunehmender Kapazität bei
gleicher Polradwinkelpendelung größer, wodurch das System stärker destabilisiert
wird.
winkelmd(d)
W
winkel,h( d)
ti-t
winke1kap( d)
m%€i
& ~ i ( d,&.n(d).&p(d)
)
Abb. 12.59a. Winkel zwischen Spannungsortskurven u
L
-0.05 0 0.05 0.1 0.15 0.2 0.25 0.3
d b ),db) , d b o ) ,dh)
Abb. 12.59b. Wurzelortskurven für tiO=OO, 20°, 40" und 60"
In Abb. 12.59a sind die berechneten Ortskurvenwinkel im Bereich 0°16Q1600
aufgetragen. Auch hier ist die Zunahme dieses Winkels mit zunehmender
Suszeptanz b erkennbar. In Abb. 12.59b sind die zugehörigen Wurzelortskurven &,,
h20, h40, b0fur induktive (i), ohmsche (0) und kapazitive (k) Last gerechnet.
Aufgrund des ohmschen Lastanteils gibt der Generator auch bei 6Q=00
Wirkleistung ab, wodurch die transiente Dämpfung cD' wirksam ist. Deshalb ist
das System bei aQ=OOimmer stabil (linke s-Halbebene). Mit zunehmendem Transit
wird das System mit allen Verbrauchertypen instabil, wobei der kapazitive
Verbraucher die größte destabilisierende Wirkung hat. Zudem nimmt die
Dämpfung gegenüber dem Fall ohne Verbraucher stark ab, da der Generator jetzt
mit höherer Leistung betrieben werden muss und damit das synchronisierende
Moment geringer wird. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sich die
Dämpfung in Netzen verschlechtert, wenn die Last im Tagesverlauf kapazitiver
wird.
560 12 Svnchronisierung und Polradwinkelstabilität
Beim Analogon in Abb. 12.50 bilden fünf Generatoren ein longitudinales Netz,
wobei der Lastfluss wie in Abb. 12.49 von West nach Ost orientiert ist.
Nennleistungen, Leitungslängen und Spannungsebene sind hierbei so eingestellt,
dass die in Abb. 12.49 dargestellte Frequenz- und Leistungsschwingung zumindest
in der Periodendauer gut nachgebildet werden kann.
Zeit in s
Abb. 12.60. Verläufe der Polradlagewinkel-Abweichungen 6Qund der Gen.-Spannungen U
Polrad des Generators 3 bleibt nahezu stehen und bildet somit die Linie konstanter
Frequenz (starrer Knoten). Die Spannungsverläufe U dagegen schwingen alle in
Phase, wobei die Abweichungen bei den Generatoren 1 und 5 am kleinsten und bei
Generator 3 am größten sind.
Dieser Effekt beruht auf der Tatsache, dass die Leistungspendelung über die
Leitungen von West nach Ost bis zur Linie konstanter Frequenz mit jedem
weiteren pendelnden Generator zunimmt, wodurch die Spannungsabweichungen
über die Spannungsabfälle der Leitungen ebenfalls zunehmen. Westlich der Linie
konstanter Frequenz nimmt dann mit jedem weiteren Generator der Leistungsfluss
und damit die Spannungsabweichung wieder ab, wodurch das dargestellte
Spannungs-Pendel-Profil entsteht. Eine derartige Abhängigkeit besteht auch im
realen UCTE-Netz.
In Abb. 12.52 wurde gezeigt, dass die Spannungsregler immer dann stark
destabilisierend wirken, wenn der Polradwinkel ZiQ und die Klemmenspannung U in
Gegenphase sind, im anderen Fall müssen sie sogar stabilisierend wirken.
Zudem muss bei der Pendelung sowohl aQals auch U eine Abweichung aufweisen,
damit die Brems- und Beschleunigungsflächen von den Spannungsreglern verän-
dert werden können. Das ist bei den einzelnen Generatoren gemäß folgendem
Muster der Fall:
Tabelle 12.2. Schwingungsverhalten von 6, und U
6, U Phasenlage Pendelanregung
Generator 1 sehr groß sehr klein gegenphasig anregend
Generator 2 groß groß gegenphasig stark anregend
Generator 3 sehr klein sehr groß unbestimmt unbestimmt
Generator 4 groß groß gleichphasig stark dämpfend
Generator 5 sehr groß sehr klein gleichphasig dämpfend
~e(nA ~cneratori
Abb. 12.61. a) Eigenwerte des Fünf-Maschinen-Modells bei Einsatz je eines Sp.-Reglers
b) Dämpfung des Fünf-Maschinen-Modells bei Einsatz je eines Sp.-Reglers
562 12 Svnchronisieruneund Polradwinkelstabilität
Konstanz von Frequenz und Spannung sind wichtige Qualitätsmerkmale des Netzes.
Das Problem der Frequenzhaltung ist in Kap. 1 1 behandelt worden. In einem großen
Verbundnetz ist die Frequenz sehr stabil, da die auftretenden Wirkleistungsstöße
relativ zur Gesamtleistung des Netzes i.d.R. klein sind. Nach Abklingen der Syn-
chronisierschwingungen (Kap. 12) ist die Frequenz im Netz überall gleich.
Die Spannung (Spannungsamplitude oder -effektivwert) kann hingegen lokal, d.h.
von Knotenpunkt zu Knotenpunkt, erhebliche Unterschiede aufweisen, die von den
Eigenschaften des Netzes abhängen und in erster Linie von der Größe der Blindlei-
stungsj7usse bestimmt werden. Blindleistungsstoße, z.B. beim Einschalten größerer
Motoren, verursachen erhebliche Spannungsschwankzrngen, während sich Änderun-
gen der Wirkbelastung weit weniger auswirken. Die Gründe dafür wurden mehrfach
in Band 1 erläutert (s. vor allem die Abschn. 4.6.2, 6.5.1.2, und 9.5.1).
Mit Maßnahmen bei der Netzplanung und im Netzbetrieb wird die Spannung in
allen Lastknotenpunkten des Netzes stationär in einem Bandbereich von im all-
*
gemeinen 5 10% um die gewünschte Sollspannung gehalten, unabhängig vom
Belastungszustand des Netzes. Dies wird mit der Spannungsregelung der Gene-
ratoren, der Transformatoren mit variabler Übersetzung und der Kompensations-
anlagen (Abschn. 13.1- 13.3) und mit einer optimalen räumlichen Verteilung der
Blindleistungseinspeisung (Kap. 14 und 15) erreicht.
Das Problem der ,Ypannungsstubilitat ist in Band 1 in Zusammenhang mit der
Belastbarkeit von Übertragungsleitungen bereits angeschnitten worden (Abschn.
9.5.1). Überschreitet die übertragene Leistung bestimmte Grenzwerte, kann die
Spannung zusammenbrechen, wobei der lokale Blindleistungsbedarf eine entschei-
dende Rolle spielt. Der Spannungskollaps wird bei der üblichen ohmsch-induktiven
Belastung von einem großen, den vorhin erwähnten Bandbereich weit überschreiten-
den Spannungsabfall angekündigt. In der Praxis kann er in schwachen Netzen bei
Versagen der Spannungs-Blindleistungsregelung eintreten, oder wenn als Folge einer
größeren Störung (Ausfall von Kraftwerken oder wichtiger Leitungen) die Leistungs-
einspeisung eines Teilnetzes nicht mehr in der Lage ist, die lokale Nachfrage zu
decken, und wenn das Lastabwurfsystem nicht korrekt funktioniert. In den Abschn.
1 3 . 4 13.6 werden Ursachen und Bedingungen für die Spannungsinstabilität analysiert
und Maßnahmen zu deren Vermeidung erörtert.
564 13 Spannungsregelung und Spannungsstabilität
worin n = p.u. Drehzahl (n = 1). Die Sättigungsfunktion f(@J ist im linearen Teil der
Kennlinie null. Die Erregerspannung U, wird von einer weiteren kleinen Gleichstrom-
maschine oder einem elektronischen Verstärker geliefert.
SM
Abb. 13.2. Erregersystem mit Wechselstromerreger und rotierender Gleichrichter
erster Näherung vernachlässigt werden kann), ermöglicht die statische Erregung eine
schnellere Regelung.
Das entsprechende Blockschaltbild zeigt Abb. 13.4. Die Schleifringe sind mit
dieser Lösung nicht zu vermeiden.
Begrenzungen
Pendeldämpfung *
4
C)
starres Netz
gegeben. Bis zu Ca. 10 s Dauer kann er i.d.R. etwa das vierfache des Leerlauferreger-
Stromes erreichen, was z.B. für die Sicherstellung der Polradwinkelstabilität nützlich
ist (Abschn. 12.1S). Nach Ca. 100 s darf er aber den Nennerregerstrom nur noch um
maximal I0 % übersteigen.
Der Spannungsregelkreis Abb. 13.5b enthält die Übertragungsfunktionen G,(s) der
SM und E(s) von Erregersystem + Spannungsregler, die nachstehend analysiert
werden.
Induktive Belastung
Bei rein induktiver Belastung ist die erste Zeile von GI. (13.6) null, d.h. Au, = 0, Au
= Auq. Aus GI. (13.8 ) folgt, gesetzt r W, 6, = 0,
Diese Übertragungsfunktion gilt nicht nur für kleine, sondern auch für große Span-
nungsänderungen, solange die Sättigung des Hauptflusses nicht wirksam ist.
Bei nicht allzu schnellen Regelungsvorgängen können die subtransienten Zeitkon-
stanten vernachlässigt werden. Dann folgt (s. Band 1, Abschn. 6.4)
Für die lamellierte Schenkelpolmaschine ist xq(s)= X„ und bei Berücksichtigung der
GI. (13.10) erhält man
I
r ( ~ ~ s i n ~ ~ + r c o 1s 6 ~ ) r2~io+xqu~d
Gs@)= I ' mit Tdr= (13.12)
r 2 + x4 xd I +sT& r 2 +xqxd
Für Synchronmaschineri mit massiven Rotoren ist der Faktor 11(I + s T„') durch den
etwas komplizierteren Ausdruck
I
1 +sTor
mit
,
Tor=
I
r Tqocos 6 , + X , T,I sin 6 ,
7
12'
1+s(~d,+~b)+s2~r r cos 6 , + X , sin 60
(13.13)
zu ersetzen, der sich aber frequenzgangmäßig wieder durch eine mittlere Zeitkon-
stante approximieren lässt.
Ein ähnliches Resultat ergibt sich für eine ohmsch-induktive Last. Es kann also
davon ausgegangen werden, dass sich der Synchrongenerator allgemein durch die p.u.
Übertragungsfunktion
darstellen lässt. Die Parameter k, und T, sind von Größe und Art der Last abhängig.
Im Leerlauf ist k, = 1 und T, = T„'.
Beispiel 13.1
Ein Wasserkraftgenerator mit lamellierten Polen hat die Daten X, = 1.36, X, = 0.87
und X,' = 0.3 15 p.u. sowie T„' = 3 s, T,' = 0.68 s. Man bestimme die Übertragungs-
funktion in Abhängigkeit der Belastung.
Die Verstärkung (in p.u.) und die Zeitkonstante der SM betragen
I
Leerlauf: Tdo = 3 s, ks = 1 ,
induktive Volllast: TA=
1 . 3 + 1.36.0.68 = ,
1 + 1.36
ks = -= 0.424
1 + 1.36
ohmsche Volllast: tan6, P
= - -
-- = 0.87 , 6 , = 41
Q Q,+ l/x,
570 13 Spannungsregelung und Spannungsstabilität
I coscp =O ind.
.
:
--.
0.5 1 1.5 2
d Y P-U-
0 38
0 36 - /'
'
coscp =O kap
, coscp =I
034." \
.
032 - ' -'
-,
03 -
, -X
028 - .
026 -
coscp -0 ind
024 -
022 -
n?
Abb. 13.7. b) Verstärkungsfaktor und a) Zeitkonstante der SM von Beispiel 13.1 sowie
C) deren Verhältnis in Abhängigkeit von der Helastungsadmittanz y
Die exakte Auswertung der GI. (1 3.8) mit Matlab liefert für T, und k, in Funktion der
Belastungsadmittanz und des coscp den Verlauf von Abb. 13.7.
Sowohl k, als auch T, ändern beträchtlich in Abhängigkeit der Belastung und des
Leistungsfaktors. Im Inselbetrieb ist y i 1, und das Verhältnis k,/T, bleibt relativ
konstant, nämlich etwa 0.25-0.35. Bei Netzbetrieb nehmen mit starrer werdender
Netzverbindung yQund somit auch y stark zu, die Zeitkonstante T, nähert sich immer
mehr dem Wert T,', während k, gegen null strebt.
13.1.2.2 Reglerauslegung
Bei einer Verstärkung der ErregereinrichtungxSpannungsregler von k, k, = 200
ergibt sich mit den Daten von Beispiel 13.1 im ohmsch-induktiven Inselbetrieb eine
Kreisverstärkung k, = k, k, k, von 100-200 und so eine Regelabweichung von
13.1 Erregersysteme und Spannungsregelung der SM 571
0.5- 1%. Bei rein statischer Erregereinrichtung würde theoretisch eine einfache
Proportionalregelung genügen. Es ergäbe sich die relativ hohe Schnittfrequenz
Die Darstellung der SM mit einer einzigen Zeitkonstante wird allerdings bei dieser
schnellen Regelung ungenau, da dann die subtransienten Zeitkonstanten nicht mehr
vernachlässigbar sind. lnteraktionen mit den Torsionsschwingungen sind möglich.
Eine zu schnelle Regelung hat außerdem zur Folge, dass die Sättigungen (Abb. 13.1,
13.4) auch bei kleinen Störungen wirksam werden. Die Schnelligkeit ist dann illuso-
risch, da die Regelgeschwindigkeit von der Deckenspannung bestimmt wird. In der
Praxis wird eine Regelung vorgezogen, die um Ca. einen Faktor 10 langsamer ist. Für
mögliche lnteraktionen mit den elektromechanischen Schwingungen s. Abschn.
13.1.2.4.
Eine solche Regelung lässt sich mit einem „lag6'-Regler
realisieren (Blockschaltbild Abb. 13.8a), wobei T, meist etwas kleiner als die indukti-
ve Volllastzeitkonstante gewählt wird, z. B. T, = 0.6 T„'. Für Beispiel 13.1 ergäbe
sich T, = 1 s. Die Schnittfrequenz hängt dann (s. Frequenzgang Abb. 13.9) von der
Wahl der Zeitkonstanten T , ab. Bei statischer Erregung ergibt sich für das Beispiel
13.1 für k„ k, = 200 und T, = 20 s, entsprechend Abb. 13.7c, im Inselbetrieb je nach
Belastung der SM o,= 2.5-3.5 radls. Bei rotierender Erregung ist T, > 0, und die
Schnittfrequenz wird leicht reduziert (gestrichelte Linie in Abb. 13.9). Ist die Phasen-
reserve ungenügend (Anhang 111.5), kann ein PD-Anteil hinzugefügt werden, mit
welchem die Dämpfung optimiert wird, und der Regler nimmt folgende „lag-lead-
Form an
Der lag-Anteil kann auch mit einer Differentialrückfuhrung gemäß Abb. 13.8b
realisiert werden, wobei die Äquivalenz gilt: T, = T, (I + k, k,).
Die Einfuhrung einer Blindleistungsstatik verändert nur geringfügig die Kreisver-
stärkung, ist f i r die Reglerauslegung also unwesentlich.
In Systemen mit Gleichstromgenerator wird oft auch die Schaltung Abb. 1 3 . 8 ~
verwendet. Die Übertragungsfunktion von Erregereinrichtung + Regler lautet dann
T , + T, = Te + Td(l + k, k, k,)
mit (
T,T2 = T,T,
Es folgt dasselbe Resultat wie GI. (1 3.17), jedoch mit dem Nachteil, dass Regelabwei-
chung, Schwingungsfrequenz und Dämpfung nicht mehr unabhängig voneinander
gewählt werden können.
1 mit T; T„I Xe - X ,
.
Gs(s) = -- I '
= -
(13.19)
Xc-Xd l+sT&
13.1 Erregersysteme und Spannungsregelung der SM 573
Real Axis
Abb. 13.10. Nyquist-Diagramm von GI. (13.20), Beispiel 13.1, X, = 0.9 p.u.
Sobald X, < X,, wird die Zeitkonstante negativ, und bei der ungeregelten SM tritt
Selbsterregung ein (Band 1, Abschn. 6.5.1.3). Für die geregelte Synchronmaschine
erhält man wegen GI. (1 3.17) die Übertragungsfunktion des aufgeschnittenen Regel-
kreises
Mit den Daten von Beispiel 13.1 und der Reglerauslegung von Abschn. 13.1.2.2 weist
das Nyquist-Diagramm Abb. 13.10 (berechnet mit Matlab, Control System Toolbox)
für eine Belastung X, = 0.9 p.u. < X, die Stabilität des geregelten Systems nach (s.
auch Anhang 111.1).
Es ergibt sich das Blockschaltbild von Abb. 13.1 1a, das auf jenes von Abb. 13.1 1b
reduziert werden kann, mit
574 13 Spannungsregelung und Spannungsstabilität
13.1.2.6 Netzverbindung
Ausgangspunkt f i r die Analyse der Spannungsregelung war Abb. 1 3 . 5 ~mit einer
Belastung der SM bestehend aus Belastungsadmittanz y, und Netzadmittanz yQ.Die
maßgebende Belastung ist y = y, + yo . Diese Größen werden bei Netzkopplung
folgendermaßen durch (rein statische) Netzreduktion erhalten:
Das Netz bestehe aus n Knoten, wovon m Generatorknoten und n-m Lastknoten.
Werden mit I, U, Strom und Spannung des betrachteten Generators, mit I„ U, jene
der übrigen Generatoren und I,, U, jene der Lastknoten (jeweils in einem Vektor
zusammengefasst) bezeichnet, folgt die Beziehung
U„, = Y„ + Y, (13.27)
und es folgt aus der dritten Zeile von (1 3.25)
-
UB = - y-l (13.28)
BBL ('BO U + 'BG G
') +
Wird in die erste Zeile der GI. (13.25) eingesetzt, erhält man
~ = ( Y o o - Y o B ~ ~ ~ L ~ B o ) ~ + ( Y o G - Y o(13.29)
B ~ ~ ~ L ~ B
Das entsprechende Ersatzschema zeigt Abb. 13.13b. Die Sekundärspannung u, sei die
geregelte Spannung. Werden die Netzgleichungen
il = yl (aQI- ul) , i =
-2 y2 (a2- aQ2) (13.33)
üp Bel + C U
U = , C = - 2( 2l + z y l )
mit
-2 ..2
Up + " Y1
(1 3.34)
und fur den Regelkreis das Blockdiagramm in Abb. 13.14. Die Größe K charakter-
isiert die Regelstrecke.
Durch Wahl des lntegralreglers
werden Stellbefehle oder Störungen (letztere verursacht durch eine Änderung von Y,
oder y2)mit der Zeitkonstanten
ausgeglichen. Diese ist bei mechanischer Steuerung recht groß, meist > 10 s. Zu
beachten ist, dass für ü„, = 1 + K < 0 und infolgedessen KR< 0 gewählt werden muss.
Beispiel 13.2
Die Oberspannung eines Transformators mit lnnenreaktanz X, = 0. I p.u. sei über eine
Reaktanz xQ= 0.2 p.u mit dem starren Netz verbunden. Unterspannungsseitig werde
der Transformator mit der Impedanz r + j X belastet. Man berechne die Größe K f i r
verschiedene Belastungen mit der Annahme uQ,= 1.2 p.u. Man überprüfe die Span-
nungsstabilität bei rein induktiver Belastung.
Leerlauf X+.. , c = O , u2 = +
12
U
, für u„=l --F ü0=1.2
1.2 ü
induktive Volllast r = 0 , x = 1 , c = 0.3 , -- , für Ü20 = 1
- ü2+0.3
1.2 ü
ohmsche Volllast r = 1 , x = 0 , c = j 0.3 , u2 =
ü2+j0.3
erreicht (für rein induktive Last). Mit obigen Daten tritt Instabilität bei Volllast
(C= 0.3) erst für ü < 0.55 auf; selbst mit einer Überlast von 50% ist noch dc = 0.67,
man befindet sich also außerhalb des Regelbereichs des Transformators (meist 20 *
%). In einem schwachen Netz mit z.B. xQ= 0.4 und für X, = 0.15 ist hingegen für eine
Überlast von 20% (X= 0.833) C = 0.66 + dc = 0.8 13 ein Spannungskollaps innerhalb
des Regelbereichs + 20 % möglich.
Der Transformator wird als Transfomator mit fester Übersetzung dargestellt und die
Stufenregelung mit den regelbaren Einspeiseströme erfasst. Für diese gilt
Das entsprechende Rechenschema zeigt die Abb. 13.15. Wird die Lastflussberech-
nung mit dem Newton-Raphson-Algorithmus durchgeführt (Band 1, Abschn. 9.6.2),
sind die Einspeiseströme durch Einspeiseleistungen zu ersetzen
As = U Ai*
Aus (13.39) folgt mit llz = Y,.
und werden die Spannungen mit Betrag und Phase und die Admittanz mit Betrag und
Verlustwinkel ausgedrückt (Band 1, GI. 9.78), schließlich
Netz, einschlieRlich
Transformator
( Stufenregelung I
Abb. 13.15. Rechenschema Netz mit Stufentransformator
580 13 Spannungsregelung und Spannungsstabilität
i I
TCR
Abb. 13.16. Spannungsregelung (Kompensation)mit thyristorgeregelten Drosselspulen
(TCR = Thyristor Controlled Reactor)
13.3 Geregelte Kompensationsanlagen 581
'1 U 12
Netz 1 r Netz 2
men werden kann (bei leitenden Thyristoren). Auch die Kapazität C kann steuerbar
gemacht werden, indem sie durch thyristorgeschaltete Kondensatoren (sog. TSC-
Abzweige) ersetzt oder ergänzt wird. Die Anlage wird direkt oder über einen Trans-
formator an die Sammelschiene angeschlossen.
Innerhalb des Regelbereichs und mit der Annahme, die Oberschwingungen seien
durch Filter eliminiert, kann die Anlage durch eine variable Admittanz Y = j B (mit
B = resultierende Suszeptanz) dargestellt werden (Abb. 13.17). Mit den einfachen
Netzgleichungen (I 3.33)gilt in p.u. (d.h. mit BezugaufdieNetznennspannung U, und
die Nennleistung Sr):
i = y u
j = j - 1
- -1 -2
il = y1 (uQ1- u )
i2 = y2 (U-U Q2 ) .
Den Regelkreis zeigt Abb. 13.18. Er ist linear, wenn die nichtlineare Phasenan-
schnittsteuerung mit der Umkehrfunktion kompensiert wird. Die Konstante K be-
schreibt die Regelstrecke. Analog Abschn. 13.4 kann
ausgeglichen werden. Die Größe K ist > 0 und damit ist auch KR > 0 zu wählen.
Mit leistungselektronischen Elementen lässt sich die Regelung sehr schnell machen.
Die rein statische Betrachtung der Netzelementen ist jedoch nur so lange richtig, als
die Schnittfrequenz des Regelkreises o,= KRK << 3 14 (bei 50 Hz). Nähert man sich
diesem Wert, muss für eine korrekte Auslegung des Reglers die LC-Dynamik (trans-
formatorische Spannungen der Netzelemente) mitberücksichtigt werden.
Für andere Regelfunktionen, die für die Polradwinkelstabilisierung eingesetzt
werden können, sei auf Kap. 15 verwiesen.
Beispiel 13.3
Netz 1 werde in Abb. 13.17 durch die Spannung uQ,= 1.05 p.u. und die Reaktanz xQ
= 0.2 p.u charakterisiert. Netz 2 sei ein passives Netz mit Belastung r + j X, somit ist
uQ, = 0. Man berechne die Größe K für verschiedene Belastungen und überprüfe die
Spannungsstabilität.
1 1
Z=JXT, = ,
r +jx
, r =jb
JXQ
uQl ( r + j x )
--> = , mit c=l-bxQ
r C + j(xQ+x C ) (1 3.46)
Mit einem schwachen Netz I wird K variabel und kann sehr klein oder gar negativ
werden. Dann tritt lnstubilitut auf; gemäß GI. (1 3.46) ist für K < 0 auch C < 0 (und
somit b > I1 xQ). Für Stabilität muss gelten
Diese Bedingung ist dann erhllt (auch für X = 0), wenn die Leistung der Kompensa-
tionsanlage deutlich kleiner ist als die Kurzschlussleistung des Netzes (Faktor 1.1 in
Mittel- und Hochspannungsnetzen, s. Band 1, Abschn. 9.2)
1 = y, (u - e ) statt i = y u.
I Netz 1
y1 'QI + y2 'Q2 + yT e
U =
- , s = u y',(e* - u * )
Yi + T* +
(1 3.48)
-->
u (e-U)
4" 9 e = Ws) (Uso, - u )
X~
(q = gelieferte Blindleistung, ist in Phase mit g ). Die Auslegung des Reglers ist
analog zu Abschn. 13.5.1, wobei jetzt.
13.3.3 Seriekompensation
Bei der Seriekompensation wird die Leitungsreaktanz durch die Einschaltung von
Kapazitäten, i.d.R. an beiden Enden der Leitung, manchmal auch in der Mitte oder
an anderer geeigneter Stelle, teilweise kompensiert. Wegen der Resonanz bei Netz-
frequenz kommt eine volle Kompensation nicht in Frage; meistens liegt der Kompen-
sationsgrad bei 30-60 %. Über Wirkung und Berechnung s. auch Band 1, Abschn.
9.5.3.
Die Kondensatoren sind gegen Kurzschlussstrom zu schützen, da dieser eine
Spannung über dem Kondensator erzeugt, welche die Größenordnung der Netz-
spannung annehmen kann, fur die der Kondensator nicht dimensioniert ist. Als Schutz
werden parallel geschaltete Funkenstrecken oder Überspannungsableiter verwendet
(Abb. 13.20a). Zum Thema Überspannungsableiter s. Band 1 , Abschn. 14.6.3.
Eine geregelte Seriekompensation wird mit der Schaltung Abb. 13.20b erzielt.
Durch die Schaltung eines TCR-Abzweigs mit variabler induktiver Admittanz,
parallel zur Kapazität C wird die resultierende Admittanz Y, des Kompensations-
elements kontinuierlich verändert.
Ein weiteres Element ist der ASC oder TCSC (Thyristor Controlled Series Compen-
sator), der vorwiegend zur Lastflusskontrolle und Dämpfung von Leistungspende-
lungen verwendet wird. Nähere Angaben sind in Abschn. 15.3.2 zu finden.
Im Folgenden sei die Anwendung zur Blindleistungs-ISpannungssteuerung näher
betrachtet. Das entsprechende Ersatzschaltbild zeigt Abb. 13.2 1 a.
Als Steuergröße a sei das Verhältnis der Admittanz des induktiven zu jener des
kapazitiven Zweiges definiert. Im Kompensationsbereich variiert die resultierende
kapazitive Admittanzzwischen oC und einem minimalen Wert (Abb. 13.2 1 b). In p.u.
gilt
ys=jb , mit b = w C Z r ( l - a ) = b , ( l - a ) (13.50)
mit a = 0 ..... a„„ < 1. Prinzipiell könnte eine solche Anordnung auch im induktiven
Bereich arbeiten (a > 1) und im Kurzschlussfall den Kurzschlussstrom begrenzen.
Vorläufig istjedoch diese Anwendung im Vergleich zur klassischen Strombegrenzung
mit Drosseln (Band 1, Abschn. 9.2.4) noch unwirtschaftlich.
Besteht z.B. das Netz 2 aus einer Verbindung Y, zum starren Netz und einer
lokalen passiven Last Y, gelten die p.u. Gleichungen
i = y
- (U
-QI - U*)
i = y -2u + Y 2 @ - U Q2 )
" y, ( U , - U 2 ) .
Durch Eliminieren von Strom und Spannung U , ergibt sich
'QI + y2 Ys Y1
, mit
+
U^ =
U2 Y , =
y, = --, , (13.52)
Ys + Y1
woraus z.B. für die Regelung auf eine vorgegebene Spannung u, die für die Regel-
strecke charakteristische Konstante K = dlu,i /da in Abhängigkeit der Belastung
bestimmt werden kann.
E
P = u Q, - sincl
ur
(13.53)
Q = U Q, (-
E
cosa - U) , mit Q, =
uir .
-
ur X
Q, ist eine für die Schaltung charakteristische, zur Netzreaktanz X umgekehrt
proportionale Blindleistung (welche der Kurzschlussleistung der Netzverbindung
entspricht) und U die p.u. Spannung der Last. Werden auch E und die Leistungen in
p.u. ausgedrückt (mit Bezugsgrößen U, und Sr), folgen die Gleichungen
U e'
p =qo-sina , mit qo = - = e 29,
e X
(13.54)
U U
q = qo - (cosa - -).
e e
Durch Eliminierung des Winkels a mit Hilfe der Beziehung sin2 a+cos2 a = I lässt
sich U in Abhängigkeit von p und q ausdrücken
. .:.
. . ..
. . .. . ' .
. . .
. . ... ...
.. ... ..<
.
.. .
.. .. .
. . . .,**'.:.
. . . . . . .
.
. . ... . .. */*.*;, :. ./.....:...
'
.
L
. . .
. . .
.. . p = p, (U)
. ~~ijklastk&t-mf!äche
/~... ./.,: .. . .
. . . .. I
1.:
.". . , . :. .. . . . ..
08
-
U
e o
t :.
0
0
-- --
01 02
P
03
qo
OA 05
Daraus folgt der in Abb. 13.24 dargestellteZusammenhang zwischen U und p. Für die
maximale Wirklast und die entsprechende kritische Spannung erhält man
P
h-
qo
Abb. 13.24. Spannungsverhalten bei konstantem 1,eistungsfaktor
- -
einer Störung Leitungen ausfallen, X größer und das Netz somit weicher wird. Im
Fall der spannungsgeregelten SM (e I , q, = q,) ist z.B. für cos cp = 1, wenn X =
-
0.3 p.u. + q, 3.33 p.u. und P„, = 1.67 p.u.; erhöht sich aber X auf 0.5 p.u., ist
q, 2 p.u und P„„ = I p.u., die Nennleistung also bereits kritisch. Arbeitet die SM
an der thermischen Blindleistungsgrenze, wird q, ebenfalls vermindert. Die
Polradspannung e ist dann zwar Ca. 2.5 p.u., aber X wird um die synchrone Reak-
tanz z.B. um 2 p.u. erhöht, womit q, = 2S71(2 + 0.3) = 2.72 statt 3.33.
- Der Leistungsfaklor der Last. Je induktiver die Last, desto geringer die Span-
nungsstabilität; so ergibt sich für cos cp = 0.7, wieder für X = 0.3, nur noch P„„
0.67 p.u. Ist umgekehrt die Last ohmsch-kapazitiv oder wird der cos cp durch die
-
Kompensationsanlage kapazitiv gehalten, werden die Spannungshaltung und die
Stabilitätsmarge erheblich verbessert (s. Abb. 13.24, Fall cos cp = 0.95 kapaz.).
Dasselbe Verhalten ist bei der Analyse der elektrischen Leitung festgestellt worden
590 13 Spannungsregclung und Spannungsstabilität
Der Ausdruck rechts ergibt sich, weil cos cp = konstant ist. Er drückt, wie in Abschn.
13.4.2 deutlich werden wird, allgemein die statische Stabilitätsbedingung aus. Es ist
leicht einzusehen, dass der Betriebspunkt B, in Abb. 13.24 instabil ist, da sich bei
leichter Abnahme der Spannung ein Wirkleistungs- und somit auch Blindleistungs-
defizit einstellt, das ein weiteres Absinken der Spannung nach sich zieht. Für eine
tiefergehende theoretische Analyse s. [13.5].
13.4.1.3 Verhalten bei reiner lmpedanzlast
Bei reiner lmpedanzlast sind sowohl die Wirklast als auch die Blindlast quadratisch
von der Spannung abhängig (gleichgültig wie die Impedanzen geschaltet sind). Die
Lastkennlinie hat in der Ebene mit konstantem cos cp (WX = konst.) einen ent-
sprechenden Verlauf (Kurve C in Abb. 13.24). Es tritt keine Instabilität auf, da die
Stabilitätsbedingung (13.58) immer, z.B. auch im Punkt C, erfüllt ist. Spannungs-
instabilität ist also vor allem auf motorische Lasten zurückzuführen.
13.4.1.4 Wirkung von Transformatoren mit variabler Übersetzung
Mit Bezug auf das Schema gemäß Abb. 13.25 sei die Reaktanz des Transformators
in die Netzreaktanz integriert, und der ideale Transformator mit p.u.-Übersetzung ü„
werde der Last zugeschlagen. Zwischen der für die Netzstabilität maßgebenden
Spannung U und der Lastspannung U, besteht die Beziehung U = ü„ U,. Für eine Last
s, die aus einem konstanten Anteil und einer Impedanzlast z besteht, gilt
Die entsprechende Lastkennlinie ist für verschiedene Werte von ü„ in Abb. 13.26
eingetragen. Sinkt die Spannung auf Grund einer Störung (die z.B. eine Erhöhung der
Netzreaktanz, d.h. Verkleinerung von q, zur Folge hat), wird der Spannungsregler,
im Bestreben die Lastspannung konstant zu halten, die Übersetzung ü vermindern,
bis die Spannung U, und somit auch die Last wieder stimmen. Der Betriebspunkt
wandert zunächst von 1 nach 2 und beim Eingreifen der Regelung nach 3. Die
Stabilitätsmarge verringert sich.
vor Storung
Upu = I
1 0 95
nach Storung
2 Y
, /I, 0 9
*
/ / *3
i
/
\
/ I 1
Abb. 13.26. Eingreifen der Lastspannungsregelung nach einer Störung iin Netz
Mit der Annahme q, sei unabhängig von U und werde somit von einer vertikalen
Kennlinie (z.B. Kennlinie a) beschrieben, ist bei zunehmender Blindlast ein Gleich-
gewicht oberhalb des Punktes C, mit der Blindleistung q„„ = q, 14 und der Spannung
U„ = e/2 nicht mehr möglich und die Spannung bricht zusammen. Die Spannungs-
absenkung beträgt im kritischen Punkt 50%.
In der Praxis kommt eine von der Spannung unabhängige Blindlast kaum vor.
Meist enthält die Blindlast einen konstanten Anteil und einen quadratisch von der
Spannung abhängigen Anteil, z.B. gemäß Kennlinie b. Die Instabilität tritt dann bei
zunehmender Blindlast nicht in C,, sondern erst in C, auf. Die Punkte I, und I, sind
instabil, da, wie bereits erwähnt, bei leichter Abnahme der Spannung ein Blindlei-
stungsdefizit entsteht, das ein weiteres Absinken der Spannung verursacht. Die
Stabilitätsbedingung lautet somit
Ohne spannungsunabhängige Anteile, z.B. bei Belastung mit einer Reaktanz X„ ist
q, = u' /X, und, wie die gestrichelte Kurve C nachweist, der Betriebspunkt Sc wegen
(13.60) stabil.
Wird die Schaltung Abb. 13.22 nicht induktiv, sondern kapazitiv belastet (q < O),
erhöht sich die Spannung (Punkt D in Abb. 13.27). Der Abstand zur statischen
Stabilitätsgrenze nimmt zwar zu, die nähere dynamische Analyse zeigt jedoch, dass
wegen der Resonanz der inneren Reaktanz der SM mit der Kapazität beim Über-
schreiten einer bestimmten kapazitiven Blindlast doch eine Spannungsinstabilität
auftritt, die zu einer theoretisch unbegrenzten Spannungssteigerung fuhrt (Selbst-
erregung, für Näheres s. Abschn. 13.1.2.3 und Band 1, Abschn. 6.5.1.3).
40
Abb. 13.27. Spannungsverhalten der Schaltung Abb. 13.22 für p,= 0 in Abhängigkeit
von der Blindlast für verschiedene Ulindlastkennlinien
13.4 Statische Spannungsstabilität der SM 593
Wird die Schaltung in Abb. 13.22 mit p = p, vorbelastet, ergibt sich das in Abb.
13.28 dargestellte Spannungsverhalten, wobei vereinfachend angenommen wurde, die
Wirkbelastung sei spannungsunabhängig. In diesem Fall folgen aus der zweiten der
Gln. (13.59) folgende maximale Blindleistung und die entsprechende kritische
Spannung
Der allgemeine Fall mit beliebiger spannungsabhangiger Wirklast lässt sich aus der
zweiten der GI. (1 3.59) berechnen und ist für eine gegebene Wirklast in Abb. 13.29
dargestellt. Mit der eingezeichneten Kennlinie der Blindbelastung sind der Betriebs-
punkt S stabil und der Betriebspunkt I instabil. Allgemein lautet die statische Stabili-
tätsbedingung (Stabilitätsgrenze entsprechend Punkt C)
(U)' - (O,2
J e 90
In der dreidimensionalen (p,q,u)-Darstellung von Abb. 13.23a ergibt sich folgende
geometrische Interpretation: Der Schnitt der Wirklastkennfläche p = pL(u) mit der
Spannungsfläche U = f((p,q) liefert eine Spannungslinie, deren Projektion in der
(q,u)-Ebene identisch ist mit der parabelformigen Kurve von Abb. 13.29. Den
Betriebspunkt (dessen Projektion der Punkt S von Abb. 13.29 ist) ergibt sich als
Schnittpunkt dieser Spannungslinie mit der Blindlastkennfläche q = qL(u).
Abb. 13.28. Spannungsverhalten der Schaltung Abb. 13.22 in Abhängigkeit von der
Blindlast für p, konstant
594 13 Spannungsregelung und Spannungsstabilität
Abbildung 13.30 zeigt die graphische Darstellung in der (q,q,)-Ebene der ersten
dieser Gleichungen für verschiedene Werte der als spannungsunabhängig angenom-
menen Wirkleistung p,. Die maximal zulässige Blindlast wird wieder von GI. (13.61)
gegeben, wobei die kritische Generatorblindleistung q„, = q, 12 unabhängig von p,
ist. Für p = p,(u) ergibt sich durch iterative Lösung dieser zwei Gleichungen ein
ähnliches Resultat.
Im (q,q, ,U)-Raum stellt für p = p, = konstant die erste der Gln. (13.63) eine
vertikale zylindrische Fläche und die zweite eine Spannungsfläche dar. Deren
Schnittlinie sei als Spunnungslinie bezeichnet (Abb. 13.31). Die Projektion der so
erhaltenen Spannungslinie in der (q,u)-Ebene entspricht der Abb. 13.28, während die
Projektion in der (q,q,)-Ebene mit der Darstellung in Abb. 13.30 übereinstimmt. Dies
gilt auch, wenn p = p,(u), wobei dann eine iterative Rechnung erforderlich ist.
13.4 Statische Spannungsstabilität der SM 595
Auch die Stabilitätsbedingung (Cl. 13.60) lässt sich in dieser Darstellung inter-
pretieren und verallgemeinern. Dazu sei in den Gln. (1 3.63) q durch q,(u) ersetzt und
die gleiche Rechnung durchgefiihrt. Das Resultat ist eine zweite Spannungslinie und
entsprechende Projektionen, die in Abb. 13.32 der Abb. 13.3 1 überlagert sind.
Die Projektion in der (q, U )-Ebene ist identisch mit der Abb. 13.29 mit dem
stabilen Punkt S b dem instabilen Punkt I , und dem kritischen Punkt C,. Die ent-
sprechenden Betriebspunkte sind auf der Spannungslinie und in der (q, q,)-Ebene
wiederzufinden. Insbesondere der Punkt C, stellt die Stabilitätsgrenze in der (q, q,)-
Ebene dar. Die Verhältnisse in dieser Ebene sind deutlicher in Abb. 13.33 zu sehen.
Die Stabilitätsbedingung lautet
Manchmal wird diese Bedingung auch dqldq, > 0 geschrieben, was streng genommen
nicht korrekt ist, jedoch keinen Schaden anrichtet, da in der Praxis q, immer mit der
Spannung zunimmt und die Ableitung dqL/dq, negativ ist. Deren Vernachlässigung
kann als zusätzliche Sicherheitsmarge betrachtet werden. Um sie zu berücksichtigen,
kann aus den Gln. (1 3.63) gesetzt q = qL(u)
berechnet werden. Sind die Funktionen p,(u) und qL(u) bekannt, folgt die Ableitung
(dq,ldu) und somit auch daldq, = (dqLldu)l(dqJdu).
13.4 Statische Spannungsstabilität der SM 597
Abb. 13.33. Stabilitätsbedingungin der (q, q ,)-Ebene, q „)q, = 0.1 14 + 0.15 ( ~ie)~
13.4.3.1 Sicherheitsindizes
Um den Abstand von der Stabilitätsgrenze zu charakterisieren, werden verschiedene
Indizes (voltage stability indices, s. auch [I 3.31) verwendet, z.B. mit Bezug auf die
Stabilitätsbedingungen (13.26) und (13.33) oder analog zu o = (P„, - p)/p„,
k, =
(47,- d9) U
- oder k, =-
d9-dgL-
-- 4 oder o4 =-
9--9
(13.66)
du 9 4, d9, 9-
wobei q„, entsprechend GI. (13.61) eingesetzt werden kann.
13.4.3.2 Lastkennlinien
Zur Beurteilung der Stabilitätsreserve muss die Spannungsabhängigkeit der Lastkenn-
linien bekannt sein (s. dazu auch Band 1, Kap. 7). Statische Verbraucher, z.B.
ohmsche Verbraucher und Impedanzen, haben eine quadratische Abhängigkeit von
der Spannung. Bei rotierenden Verbrauchern hängt die Wirkleistung nur transient
quadratisch von der Spannung ab, stationär wird sie vom Belastungsmoment be-
stimmt und ist somit spannungsunabhängig(s. Abschn. 12.4); einen ähnlichen Verlauf
hat die Blindleistung bei der Asynchronmaschine (s. Abschn. 10.2.2 und Band I,
Abschn. 7.1, GI. 7.35). Die summarische Darstellung arbeitet mit Mischmodellen
(z.B. Abschn. 10.2 und Band 1, Abb. 7.17) oder stellt die Blindbelastung durch eine
quadratische Funktion dar, die einen Konstantimpedanz-, einen Konstantstrom-, und
einen Konstantleistunganteil enthält
worin P, die Wirkleistung des Bilanzknotens, P den Vektor der Wirkleistungen aller
anderen Knoten, Q den Vektor der Blindleistungen der Lastknotenpunkte und G;
jenen der Einspeisungen darstellen. Links ist die Länge der Vektoren angegeben.
Durch Auflösung der ersten zwei Zeilen nach 8 und Ü und Einsetzen in die 4.
Zeile folgt
U,
m
= f t ~ , ,CQ,)
I= l
.
i=l
(13.70)
Die beiden Gleichungen sind eine Verallgemeinerung der Gln. (13.63), in welchen
die Blindleistung des einzigen Generators durch die Summe aller Generatorblind-
leistungen ersetzt ist. Damit kann ein zu GI. (13.66) analoger Sicherheitsindex
definiert werden
AQk
k, =
Dabei ist vorausgesetzt worden, dass die Spannungen U, durch die Spannungsrege-
lungen konstant gehalten werden. A, B, C, D sind die Funktionalmatrizen (Jacobi-
Matrizen) der Netzgleichungen.
In der Matrix L, die diese Abhängigkeit ausdrückt, sind nur die Diagonalkoeffizien-
ten, welche die Abhängigkeit der AP, von AU, und der AQ, von AU, ausdrücken,
verschieden von null. Die erste der Beziehungen (13.73) gilt weiterhin, wenn A
durch AL= A + L ersetzt wird
600 13 Spannungsregelung und Spannungsstabilität
Durch Eliminierung der Spannung (Betrag und Winkel) aus den Gln. (1 3.75) folgt
Mit der Annahme, alle Wirkleistungen seien gegeben und lediglich die Blindlast des
jeweils betrachteten Lastknotenpunktes k ändere, folgt aus GI. (1 3.76) die Sensitivität
der Generatorblindleistungen relativ zu den Blindlasten
AQ, = s AQ , (13.77)
worin S eine Teilmatrix von C AL-' darstellt. Aus GI. (13.77) lässt sich mit GI.
(13.71) der Sicherheitsindex aller Lastknoten berechnen:
13.6 Dynamik
Die statische Stabilität ist zwar notwendige Bedingung, jedoch keine Garantie weder
für die Stabilität im Kleinen noch fiir jene im Großem. Instabilität ist grundsätzlich
ein dynamischer Vorgang. Die Stabilität im Kleinen ist nur dann sichergestellt, wenn
alle Eigenwerte der Systemmatrix im betrachteten Betriebspunkt negative Realteile
aufweisen (Anhang 111.2).
13.6 Dvnamik 60 1
13.6.1 Kurzzeitanalyse
Zur Analyse des Kurzzeitbereichs (i.d.R. Sekundenbereich) können die in Kap. 10
angegebenen Modelle und Methoden eingesetzt werden.
Ein rascher Einbruch der Spannung kann z.B. bei Motorlast dann stattfinden, wenn
nach einer plötzlichen Störung kein (statisches) Gleichgewicht mehr möglich ist
(starke Erhöhung der Netzreaktanz) und die Motoren kippen. Dasselbe geschieht,
wenn im Kurzschlussfall (Stabilität im Großen) der Fehler nicht schnell genug
abgeschaltet wird. Eine oszillatorische Instabilität kann bei Motorlast dann auftreten,
trotz statischer Stabilität, wenn die Eigenwerte des Systems „spannungsgeregelte SM
+ Motor" negative Realteile aufweisen [13.5]. Dies kann vermieden werden durch
Kompensationsmaßnahmen, z.B. mittels SVC (Abschn. 13.3, [13.1]).
13.6.2 Langzeitinstabilität
Wie bereits in Abschn. 13.4.1 erwähnt, ist manchmal die Spannungsstabilität im
Kurzzeitbereich gegeben, geht jedoch infolge Regelungsvorgängen im Langzeit-
bereich verloren. Zur Untersuchung können die für den Langzeitbereich gültigen
Modelle nach Abschn. 10.1 und 10.2 eingesetzt werden, welche die im Sekunden-
bereich wirksamen Zeitkonstanten vernachlässigen. Allgemeine Simulationsprogram-
me eignen sich ebenfalls dazu (Abschn. 10.4). Eine eingehende Analyse der Lang-
zeitinstabilität ist in [13.5] zu finden.
Teil V Betriebsplanung und -führung
14 Betriebsplanung
II Mikroökonomische Grundlagen
Die Produktionskosten K der Menge Q eines Gutes setzen sich aus den festen Kosten
A und den variablen Kosten B(Q) zusammen
Beispiel 14.1
a) b)
Kosten Preis
f Unternehmen t Markt
Die Jahreskosten C eines Unternehmens werden durch eine quadratische Funktion der
Produktion Q beschrieben: C = a, + a , Q + a, Q2. Man bestimme die minimale
effiziente Produktionsmenge, die minimalen Durchschnittskosten und den Profit bei
Verkauf zu den Grenzkosten.
14.2 Retriebsoptimierung cines VlEVlJ 607
14.2.1 Netzberechnung
Das Netz wird durch die Netzgleichungen dargestellt
worin und Q die Vektoren der Knoten-Wirk- und Blindleistungen sind, die als
Differenz von Erzeugung und Verbrauch definiert werden (Band 1, Abschn. 9.6.1 ).
Bei vorgegebenen Knotenleistungen werden aus den Gln. (14.4) die Spannungen U
und die Phasenwinkel6 in allen Knoten des Netzes bestimmt. Im Bilanzknoten wird
normalerweise 6 = 0 gesetzt; die Wirkleistung wird nicht vorgegeben, sondern ergibt
sich aus der Berechnung und ist gerade so groß, dass die Wirkleistungsbilanz erfüllt
ist. In den Einspeiseknoten werden meist nicht die Blindleistungen, sondern die
Spannungen vorgegeben.
Begrenzungen aller Art sind zu berücksichtigen (Band 1 Abschn. 9.6.3), so z.B.
neben jener der Einspeiseleistungen auch jene der Spannungen und der Phasenwin-
keldifferenzen 7weier benachbarter Knoten (s. Band 1, Abschn. 9.6.5). Auch kom-
pliziertere Nebenbedingungen (z.B. Strombegrenzungen, Über~etzungsbe~renzun~
variabler Transformatoren, rotierende Reserve) können berücksichtigt werden. Die
Begrenzung der Leistung aufden einzelnen Übertragungsleitungen, mit Rücksicht auf
deren Erwärmung oder aus Stabilitätsgründen, erfolgt vielfach durch die erwähnte
Begrenzung der Phasenwinkeldifferenz des Spannungszeigers zwischen Anfang und
Ende der Leitung.
Zur Lösungdes Gleichungssystems (14.4) sind mehrere Methoden bekannt, z.B. die
iterative Knotenmethode (Gauß-Seidel) und vor allem das Newton-Raphson-Verfah-
ren (Band 1, Abschn. 9.6.2).
Die wichtigsten Zusammenhänge werden im folgenden wieder aufgegriffen und
vertieft.
14.2.1.1 Leistungseinspeisung, Zweigleistung, Verluste
Bei Vorgabe der Netzimpedanzen, die durch ihre Zweigadmittanzen Y„'~)oder
Knotenadmittanzen Y „gegeben sind (Band 1, Abschn. 9.3.1)
flb)
-ik
für kzi
14.2 Betriebsoptimierung eines VIEVU 609
Für die Wirk- und Blindleistung der Netzzweige erhält man, da die Quenvirkverluste
vernachlässigbar sind (G„"" = G„'")),
14.2.1.2 Verlustberechnung
Mit der sehr guten Näherung cos X = 1 - x2/2 (Winkeldifferenz immer klein) wird GI.
(14.10) zu
Der Vektor 6 hat die Dimension ( n 1) und die Matrix T ( n l)x(n- I).
Zur Berechnung des Lastflusses wird die Näherung cos X = 1 und sin X = X verwendet,
wodurch sich die Gln. (14.6) und (14.8) vereinfachen, da C b „ = 0, 6, = 0
Dies bedeutet, dass bei der Berechnung des Leistungsflusses die Verluste vernachläs-
sigt werden. Aus der ersten der Gln. (1 4.15) folgt
worin =Vektor der freien Leistungen, b = ( n 1)x ( n 1)-Matrix und die zweite der
Gln. (14.15) wird
wobei die Gleichung auch für i = 1 (Bezugsknoten) gilt mit der zusätzlichen De-
finition ( b ' ) „= 0. Mit den Gln. (14.14) und (14.16) lassen sich auch die Verluste
in Abhängigkeit von den Knotenleistungen ausdrücken
Mit der exakten Berechnung GI. (14.10) (oder der exakteren Näherung GI. 14.13),
welche den Einfluss der Spannungen und somit auch des Blindleistungsflusses auf die
Verluste berücksichtigt, kann die Genauigkeit des DC-Verfahrens überprüft werden.
Für den AC-Leistungsfluss s. Anhang V und Band 1 Abschn. 9.6.
14.2 Retriebsoptimierung eines VlEVU 61 1
woraus
U, cos AB, = U, + Au, cosq,
U, sinA6, = Ayk sinqik .
Bei reiner Längsregelung ist
Für die übertragenen Leistungen ergibt sich analog G1. (14.8), indem yk durch y„
ersetzt wird, in p.u.
Bei reiner Querregelung (Wirkleistungsregelung) und unter den Annahmen des DC-
Lastflusses, mit ui = U, = U„ = 1, g„(b) << bkb)und (Bi - B, - Ai3;,) klein, folgen die
einfacheren Beziehungen (s. auch Gln. 14.15 und 14.9)
n
Knotenleistung pi = bik fiik ,
k= 1
(b) 8 2
Zweigverluste p, = gik ik
C, = C C Fth(Eth(AtN C @ , ( W
T th
=
T (14.25)
2
mit F,(E,)=a,+a,Eth+a2E,, E,=P,At.
Die Kosten der hydraulischen Leistung (exakte Definition in Abschn. 14.2.4) lassen
sich in Funktion des Wasserverbrauchs W,, ausdrücken, wobei auch hier ein quadrati-
scher Ansatz i.d.R. zulässig ist
C, = C F(E,(A~)) = ? / . ( C FP(E~(A~))
- FPT)
T T (14.26)
mitWh(Eh)= b, + b,Eh + b, E;
(F' = transponierter Vektor von p = [F h]). WT ist der vorgeschriebene Wasserver-
brauch der Periode T, der von der übergeordneten Optimierungsstufe festgelegt wird,
und ph demzufolge die Kostenbewertung einer möglichen Abweichung des Ver-
brauchs der Periode T vom vorgeschriebenen Wert. Die Leistung von Laufkraftwer-
ken ist i.d.R. durch die vorhandene Wassermenge vorgegeben.
Das Optimierungsproblem des hydrothermischen Verbundes lautet für eine vor-
gegebene Last, mit i als allgemeinen Einspeiseknoten (i = th oder h)
C = C + P'. ( C F P ( ~ h ( A t ) WT)
) --'
Min (14.27)
T T T
mit P, = Last in den Lastknoten (P, = LP, = Gesamtlast) und P, Wirkverluste des
Übertragungsnetzes.
Als Steuevvariablen sind neben den unabhängigen Wirkleistungen auch die Blind-
leistungen (oder Spannungen) zu berücksichtigen. Diese haben Einfluss auf die
Betriebskosten über die Wirkverluste P,.
Schließlich sei erwähnt, dass der Vektor P , der vom Speicherbewirtschaftungs-
Programm berechnet wird, über die ganze Periode T konstant ist. Dies hat zur Folge,
dass GI. (14.27) sicher erfüllt ist, wenn jeder Unterabschnitt At optimal ist. Sie kann
also ersetzt werden durch
Schreibt man diese getrennt für die r thermischen und dies hydraulischen Kraftwer-
ken, erhält man
rechnung) aus den GI. (14.32). Mit dem quadratischen Ansatz der Gln. (14.25) und
(14.26) folgt z.B. für die optimalen Energien und Wassermengen
Werden aus W, die Leistungen P, der Wasserkraftwerke berechnet und in die Ener-
giebilanz eingesetzt, folgt der Wert von h.
Bei der praktischen Berechnung wird man z.B. den Wert von h zunächst vorgeben
und daraus anhand der Grenzkostenkurven die Leistungen berechnen und, wenn die
Leistungsbilanz nicht erfiillt ist, 3i. korrigieren bis zur Konvergenz.
Bei Berucksichtigung der Netzverluste verändern sich die Grenzkosten der Kraft-
werke um den Faktor (1 - dPJdP), wobei dieser Verlustfaktor (penalty factor) kleiner
oder größer 1 sein kann, je nach Lage des Kraftwerks. Für die exakte Optimierung des
Lastflusses ist also eine Berechnung der Netzverluste in Abhängigkeit von Wirk- und
Blindleistungseinspeisungen notwendig. Mit dem DC-Leistungsfluss kann dP, IdP
nach (14.18) berechnet werden. Für den Fall des AC- Leistungsflusses mit wirksamen
Begrenzungen s. Anhang V.
Eine okonomische Interpretation des Multiplikators ergibt sich aus folgender
Überlegung. Wird ausgehend von einem optimalen Zustand die Last um
AE, = At AP, geändert (um welche Last sich handelt ist gleichgültig) und ermittelt
die neue optimale Leistungsverteilung, ergibt sich für die Änderung der Gesamtkosten
und durch Einsetzen der Gln. (14.32) und Berücksichtigung der Leistungsbilanz
Die Grenzen der Blindleistungseinspeisung der Kraftwerke sind mit dem Multiplika-
tor y berücksichtigt, derjetzt an Stelle von V tritt und nur dann verschieden von null
ist, wenn Q = Q„, oder Q = Q„, . Da Wassermenge und Produktionskosten un-
abhängig von der Blindleistungseinspeisung sind, bleibt die Bedingung übrig
Für y = 0 (Blindleistung nicht blockiert), werden die Netzverluste minimalisiert. Mit
anderen Worten, die Produktionskostenminimierungschließt eine Blindleistungs-
optimierung nach dem Kriterium der minimalen Netzverluste ein.
Eine Entkopplung von Wirkleistungs- und Blindleistungsoptimierung ergibt sich
dann fast von selbst nach folgendem iterativen Schema, worin die Verlustberechnung
mit dem AC-Leistungsfluss erfolgt.
Wirkleistungsoptimierung
Blindleistungsoptimierung -1 y
Werden die Netzverluste mit dem DC-Verfahren berechnet, bleiben die Blindlei-
stungsflüsse unberücksichtigt und das erzielte Optimum stellt nur eine ersteNäherung
dar. Die Praxis und theoretische Berechnungen zeigen, dass diese Näherung
zufrieden-stellend ist, solange die Netzblindleistungsflüsse frei fließen können, nicht
aber, wenn Spannungs- oder Blindleistungsgrenzen wirksam werden.
Eine zumindest f i r den Momentanbereich algorithrnisch effizientere Lösung des
OPF erhält man, wenn die Netzgleichungen an Stelle der Wirkleistungsbilanz als
Nebenbedingungen eingeführt werden, womit das Netzberechnungsproblem in den
OPF integriert wird [14.1]. Für Näheres s. Anhang V.
(14.39)
P,- < Pi < Pi-,
Pjk< Pik- , 1 .....z
worin z die Anzahl Zweige darstellt. Die Lagrangefunktion lautet (Anhang V)
14.2 Betriebsoptimierung eines VlBVU 61 7
Die Multiplikatoren qIi sind nur an den Leistungsgrenzen verschieden von null. Wir
nehmen an, dass dies für z, Zweige zutrifft. Die Optimalitätsbedingungen lauten
dann
Die Variablen des Problems sind insgesamt (r + s + 1 + z,), nämlich: (r+s) Kraft-
werksleistungen Pi oder die entsprechenden V,,wenn diese an den Grenzen arbeiten,
h und z, Multiplikatoren qjk. Zur Verfbgung stehen die (r + s) Gln. (14.41), die
Energiebilanz und die z, Gleichungen P„ = P„ „„. Im Rahmen der Gleichstrom-
Näherung können diese sowie die Koeffizienten dP„ /dP, aus GI. (14.17) entnommen
werden.
Aus obigen Zahlenwerten erhält man eine Lösung ohne wirksame Begrenzungen
nur für Wasserwerte zwischen ph= 1.62 und 2.02 ctlm3; z.B. f i r ph= 1.87 ct/m3
folgt die optimale Lösung
die mit der Berechnung der Verluste und Verlustfaktoren iteriert werden kann
(angefangen mit a„ = ah= 1 , P, = 0). Diese lassen sich mit den Annahmen des
DC-Lastflusses aus den Gln. (14.18) folgendermaßen berechnen
14.2 Betriebsoptimierung eines VlEVU 619
1
h = - (U, + 2a2 E,)
'th
die durch Iteration mit den Verlustbeziehungen (14.42) Leistungen und Multiplika-
toren (Grenzkosten) liefert. Numerisch folgt:
P„ = 80 M W , P , 7 0 . 4 M W , Pv = 0.419MW
h = 24.8 €IMWh , h , = 24.7€/MWh , V = 24.6 €IMWh .
620 14 Betriebsplanung
Der sich aus den Grenzkosten ergebende Netzertrag von 10.4 £/h entspricht
wiederum genau dem Wert der Netzverluste.
C) Erreicht die Leistung des thermischen Kraftwerks ihre Grenzen, kann dieses wie
ein Laufkraftwerk behandelt werden. Dies trifft dann zu, wenn der Wassenvert p,
des Speicherkraftwerks hoch ist (mit obigen Zahlen z.B. 0.027 £/mi). Die Opti-
mumsbeziehungen werden im verlustlosen Fall
Gleichungen, die nach den Unbekannten E „ , E,, , 3i. und q aufgelöst werden
können. Die Zweigleistungen folgen aus den Beziehungen (1 5.17) (für 6, =0) zu
Für den Wasserwert P, = 1.63 ctlm' erhält man z.B. ohne Netzverluste und Be-
schränkungen die optimale Lösung
Wird die Leistung auf der Verbindung 23 auf 50 MW beschränkt, folgt aus obigen
Beziehungen (immer ohne Verluste)
Als Folge der Beschränkung ergibt sich eine Erhöhung und empfindliche räumli-
che Differenzierung der Grenzkosten. Das Wasserkraftwerk wird wesentlich
stärker betroffen als das thermische Kraftwerk (da näher an den Engpass), weshalb
der Wert seiner Energie relativ sinkt. Das thermische Kraftwerkprofitiert hingegen
von der Beschränkung, und das Netz erhält entsprechend der Grenzkostendiffer-
enzierung einen Betrag von 389 €lh, die als Engpasskosten bezeichnet werden und
als Fonds-Beitrag zur Behebung des Engpasses zu verstehen sind.
Bei Berücksichtigung der Netzverluste erhält man
ap23
a, + 2a2 E, - h a , + q - = 0
apth
E*,, + Eh = EL + P,, At
'23 = '23max .
Diese Gleichungen sind mit den Gln. (14.42) fur Verluste und Verlustfaktoren
sowie mit den Beziehungen (14.43) zu iterieren. Numerisch folgt
> Min
worin W(At) das verarbeitete Wasser im Zeitabschnitt At darstellt, Z(At) das zuflie-
ßende Wasser im selben Zeitabschnitt (aus einer Prognose bekannt) und Sound S, die
Speicherinhalte zu Beginn und am Ende der Periode T. W, ist danach die insgesamt
für die Periode T verfügbare Wassermenge. Als zusätzliche Bedingung gilt weiterhin
die Wirkleistungsbilanz G1. (14.28).
Wird das Lagrange-Verfahren auf die Gln. (1 4.44), (14.35) sowie ( 14.28) ange-
wandt, ergibt sich die mit GI. (14.30) übereinstimmende Formulierung von GI.
(14.46), worin P die Bedeutung eines Lagrange'schen Multiplikators annimmt. Das
Problem wird somit auf das bereits behandelte der optimalen Leistungsverteilung
zurückgeführt. Das spezifische Problem der Speicherbewirtschaftung liegt in der
Bestimmung des Multiplikators P.
Bei der Programmierung wird es von Vorteil sein, Leistungsverteilung und Spei-
cherbewirtschaftung nicht nacheinander, sondern parallel durchzuführen. Dies ist
möglich, da die Kontrolle der Nebenbedingungen (14.45) keinen optimalen, sondern
lediglich einen zulässigen Betriebspunkt fordert. Nach jedem Schritt des Leistungs-
verteilungsprogrammes, der sequentiell alle Unterabschnitte At umfasst, kann also die
Korrektur der Leistungen der hydraulischen Kraftwerke der Nebenbedingung (1 4.45)
untergeordnet, und über den Regelalgorithmus RA der neue Wert von gebildet
werden. Eine Lösung, die das Maximum-Prinzip anwendet, ist z.B. in [14.6] gegeben.
Ein weiteres Problem entsteht durch die Berücksichtigung der Grenzen des
Speicherinhaltes. Der effektive Speicherinhalt S kann laufend aus Wasserzufluss Z
und Wasserverbrauch W gebildet werden. Es sei nun angenommen, wie von Abb.
14.7veranschaulicht, dass in t' die Speicherinhaltsgrenzeerreicht wird. Ab sofort wird
Stillstand
Betrieb
Eine angenäherte Lösung ergibt sich leicht aus obigen Überlegungen. Zunächst
wird eine Leistungsverteilung unter Vernachlässigung der unteren Leistungsgrenzen
der thermischen Gruppen durchgeführt. Für alle Gruppen werden sukzessive die
Zeitintervalle bestimmt, für welche die Leistung den Minimalwert unterschreitet, und
geprüft, mit Hilfe von Diagramm Abb. 14.8 ob Abstellen oder Fahren mit Minimallei-
stung wirtschaftlicher ist. Die Kosten der Ersatzleistung sind leicht zu bestimmen, da
die Differentialkosten in allen Netzknotenpunkten bekannt sind. Die optimale Ver-
teilung der Ersatzleistung auf die Gruppen des Netzes kann durch ein vereinfachtes
Leistungsverteilungsverfahren(s. z.B. den Abschnitt momentane Optimierung) erzielt
werden. Die Abschaltung der Minimalleistung einer Gruppe entspricht nämlich
durchaus f i r die anderen Gruppen einer kleinen Lastzuschaltung.
Eine strenge Lösung des Problems zeigt das Blockdiagramm von Abb. 14.9. Eine
diskrete Steuervariable Y,die nur die Werte 0 und 1 annehmen kann, wird eingeführt.
Falls Y = 0, ist die thermische Gruppe im Zeitabschnitt t abgeschaltet, falls E' =I, ist
sie hingegen in Betrieb. Aus der Leistung P„ werden die variablen Kosten F(P„')
ermittelt und zu diesen die Leerlaufkosten b addiert. Die Summe über alle t seit
Einschaltung der Gruppe wird nun gebildet. Die Addition wird gestoppt, sobald
null wird. Zu den totalen Betriebskosten der Gruppe während der Periode T werden
die Anfahrkosten a(t) addiert. Diese sind eine Funktion der Stillstandsdauer T, die
sich aus der Summation der Zeitabschnitte t seit der letzen Abschaltung, solange 5'
= 0, ergibt. Als Resultat folgen die Kosten der thermischen Gruppe für die Periode
T, die es zu minimieren gilt
Min
Abb. 14.10. Wert p des Wassers in Funktion von der verfügbaren Wassermenge W „für
„,
die Unterabschnitte Ati, Bedingung Ei W = W,
628 14 ßetriebsplanung
14.2.10 Tarifierung
Das VIEVU hat zwar Interesse, seine Betriebskosten zu minimieren und eine Lastver-
teilung nach den Grenzkosten vorzunehmen, die Tarifierung ist jedoch von den
Grenzkosten entkoppelt. Die Tarife werden auf Grund der gesamten Kapital- und
Betriebskosten so festgelegt, dass die Durchschnittskosten gedeckt sind und ein
angemessener Gewinn erwirtschaftet wird. Wegen der Monopolstellung fehlt der
Kosten- und somit Rationalisierungsdruck.
630 14 Betriebsplanung
Bei der Maximierung wurde angenommen, dass die lokalen Marktpreise nicht von der
jeweils gelieferten oder erhaltenen Menge abhängen (keine Marktmacht). Aus
volkswirtschaftlicher Sicht ist, mit der Annahme das Netz weise keine Verluste auf
und verursache keine variablen Kosten, die Nutzenmaximierung dann erreicht, wenn
14.3 Betriebso~timierungbei Wettbewerb 63 1
At (CP, - C P k ) = 0 .
J k
n=
k
-X~E,)
CN,(E,) J
+ ~t ( EP,
J
- Epk)
k
- - , (14.53)
Wegen Gln. (14.49) und (14.50) ist also für alle k und j
mI = m k = A . . (14.55)
Der Multiplikator 3L stellt den Marktpreis der Energie dar (System Marginal Price).
Er ergibt sich als Schnittpunkt der Gesamtnutzenfunktion mit der Gesamtkosten-
funktion entsprechend der mikroökonomischen Theorie des Abschn. 14.1 (Abb. 14.1).
Die Bedingung (14.55) drückt aus, dass das Optimum dann erreicht ist, wenn alle
Marginalkosten gleich sind. Das Resultat ist soweit analog zu jenem des vertikal
integrierten Systems.
Im vertikal integrierten System sind alle Betriebskosten bekannt, und der Marginal-
preis kann problemlos zentral berechnet werden. Dies trifft bei Wettbewerbsbedin-
gungen nicht mehr zu, da verschiedene Akteure mitwirken, und aus praktischer Sicht
stellt sich die Frage, wie ein solches System funktionieren kann.
In der liberalisierten Struktur könnte das Optimum mit folgendem Vorgehen
erreicht werden (Fall des obligatorischen Pools, s. Abschn. 3.5), in der Annahme es
herrschten ideale Marktverhältnisse, d.h., dass weder die einzelnen Produzenten noch
die einzelnen Verbraucher hätten die Möglichkeit das Marktgeschehen zu beein-
flussen, s. dazu [14.3], [14.14], [14.18].
Die Erzeuger offerieren für ihre Kraftwerke Marginalpreis-Leistungskurven (Preis
zunehmend mit der Leistung), welche z.B. im Rahmen der Kurzzeitoptimierung, die
Abschnitte At des folgenden Tages betreffen (z.B. Stunden oder Halbstunden). Diese
Kurven sollten die Kostenstruktur der Erzeuger widerspiegeln. Strategisches Verhal-
ten ist bei idealen Marktverhältnissen nicht lohnend.
Die Verbraucher teilen dem Marktoperator die erwartete Belastung mit. Gewisse
Bedingungen können an den Preis gestellt werden, z.B., dass wenn dieser eine
gegebcnc Grcnze überschreitet die Menge reduziert wird, oder umgekehrt, dass diese
erhöht wird, wenn der Preis unter eine bestimmte Grenze fallt (Leistung abnehmend
mit dem Preis), was der Angabe einer Nachfragekurve geringer Elastizität entspricht.
Aus Angebot- und Nachfragekurven berechnet der Marktoperator den Marktpreis
(Spot-Preis = Schnittpunkt) und teilt diesen den Marktakteuren mit. Die Erzeuger
planen eine entsprechende (optimale) Leistungsverteilung für den folgenden Tag ein.
Die Kraftwerke werden somit entsprechend ihrem „merit order" zugeschaltet.
632 14 Betriebsplanung
Ähnliche Überlegungen können für die momentane Optimierung, welche fur die
tertiäre Netzsteuerung verwendet wird, angestellt werden. Lang- und mittelfristige
Optimierung betreffen vorwiegend die Erzeuger und können von diesen im wesentli-
chen nach den in Abschn. 14.2 dargelegten Methoden nahezu unabhängig erfolgen
(s. dazu auch Abschn. 14.3.3).
die bei Berücksichtigung der Gln. (14.49) und (14.50) zu den Optimalitätsbedingun-
gen fuhrt
effiziente Größe extrem groß wird (in Beispiel 14.1 wird z.B. für a, + 0, Q, 4CO).
Die kurzfristige Marginalkostenbetrachtung erweist sich so als ungeeignet zur
Deckung der mittleren Netzkosten. Sie widerspiegelt die Tatsache, dass es sich beim
Netz um ein natürliches Monopol handelt. Die Netzgebühren sind somit nach den
effektiven Kosten evtl. durch vergleichende Betrachtungen (Benchmarking) durch die
Regulierbehörde festzulegen.
At - - P") = 0
J k (14.60)
P,- ' PI. 5 PJ=. '
Pm < Pm0 '
qABist nur bei wirksamer Beschränkung verschieden von 0. Zur Berechnung der
Ableitungen der Leitungsflüsse mit den Annahmen des DC-Lastflusses liefern die
Gln. (14.17)
634 14 Betriebsplanung
Die Erzeugung ist der Teil des liberalisierten Elektrizitätsmarktes, der durch die
Kombination von großer Kapitalbindung, deshalb langfristigen vertraglichen
Bindungen, neuen Handlungsmöglichkeiten durch größere Marktliquidität und
stark volatilen Randbedingungen sowohl auf der Ein- als auch auf der Verkaufs-
seite am stärksten von der Liberalisierung der Elektrizitätsmärkte betroffen ist.
Dies und auch die Trennung von Erzeugung und Systembetrieb hat Auswirkungen
auf die Betriebsoptimierung, die Thema dieses Abschnitts sind.
14.3 Betriebsoptimierung bei Wettbewerb 635
einzelne Marktteilnehmer so dominant sind, dass sie den Markt bewusst abwei-
chend vom Gesamtoptimum prägen können.
Verantwortungs-
bereiche Teilaufgaben Entscheidungen Merkmale
I
-&Ti=
1
3rennstoffdisposition
lahresspeicherbewirtschaitung
Ineraieaustauschverträae
L
~r. I I Wochensoeicherbewirtschaftuno
3-tergieaustauschgeschäfte
-ahrplanabsprachen
iagesspeicherbewirtcchaftung
mrlaufiger Kraftwerkseinsatz
P-
1 Betriebs-
fühnina
-
. . ..-.
6-11 Energieaustauschgeschäfte und
Fahrplanabsprachen
Einsatz "langsame" Kraftwerke
V Einsatz "schnelle" Kraftwerke Nngs- lie-
<2 Tage Lastaufieilung Fahrpläne nicht ferngesteuerte KV h ~ u - rungs-
I Wirkleistungen ferngesteuerte Km figkeit grad
T
L Kraftwerke 1
Abb. 14.1 1. Planungsaufgaben in der Erzeugung
14.3 Betriebsoptimierung bei Wettbewerb 637
werden können. Jede dieser Stufen liefert Vorgaben fur die nachgelagerten. Alle,
auch die langfristigen Planungsschritte werden zyklisch mit den jeweils gültigen
Daten aktualisiert. Auf Basis der bis dahin angefallenen historischen Daten und
seiner Einschätzung der Zukunft erhält der Erzeuger so zu jedem Zeitpunkt die
bestmögliche Vorhersage fur den Planungszeitraum.
Durch die Liberalisierung werden die Planungsstufen nicht grundsätzlich ver-
ändert. Es ergeben sich aber in einzelnen Schritten zusätzliche Handlungsoptionen
und auch Aufgaben. In Abb. 14.12 sind diese Stellen durch kursiven Text
hervorgehoben. Im einzelnen handelt es sich um folgende Änderungen:
Der erste Schritt in der Planung ist die Festlegung des Revisionsplans. Im
Monopol kann dies in Kenntnis der Energiebezugspreise, der zu erwartenden
Last und unter der für das Monopol mischen Vernachlässigung kurzfristiger
Chancen und Risiken einmalig erfolgen. Der so erstellte Plan wird danach nur
noch in Ausnahmefällen, z. B. infolge von Krafhverksausfällen, geändert. Unter
Wettbewerbsbedingungen ergeben sich zwei gravierende Änderungen:
Einerseits kann der Erzeuger einfacher Kapazität zukaufen, der Preis dafür
ändert sich allerdings mit der Zeit stark. Trotzdem erhöht diese Möglichkeit den
Freiheitsgrad fur die Planung. Andererseits kann er Kapazität, die er für die
Deckung seiner Lieferverpflichtungen nicht benötigt, einfacher verkaufen als in
Monopolmärkten, wobei auch hier gilt, dass der Preis stark variieren kann. Dies
bedeutet eine zusätzliche Chance auf Deckungsbeitrag und Gewinn für den
Erzeuger, für die Revisionsplanung bewirkt es eine Einschränkung des
Lösungsraums. Mathematisch schlagen sich die Änderungen darin nieder, dass
an Stelle der Kostenminimierung im Monopol (G1.14.64) die
Gewinnmaximierung (GI. 14.65) tritt.
4
+ MOD Einsatzrnodifizierung, T<12h, At=15rnin. I
4
Geschäfte, Fahr-
planabsprachen,
DYL dyn. Lastaufteilung, T<2h, ~t=3rnin.l kunfr. Handel,
einiaus Abstimmung mit
aktua- vorläufig, Systembetreiber
lisiertes Tages- Speicher-
einlaus einlaus speicher- bewirtschaflung:
einlaus lang- vor- bewirt- --Wochenspeicher
Wirkleistungen schnell sam läufig schaflunq -Jahresspeicher
geregelt ungeregelt7
7 7 7 777
Kraftwerke neu wegen
Anweisungen erhält. Diese müssen dann an den Betrieb übergeben werden, und
die wirtschaftlichen Auswirkungen der Abweichungen sind zu erfassen und
später mit dem Systembetreiber abzurechnen. Auch wenn solche Abweichungen
die Ausnahme darstellen sollten, bedeutet ihre Möglichkeit, dass die
betriebsnahen Planungsstufen im Wettbewerb logisch grundlegend anders
ablaufen als im vertikal integrierten Energieversorgungsunternehmen.
Tabelle 14.1 fasst abschließend noch einmal die wichtigsten Unterschiede zwi-
schen der Erzeugungsplanung im vertikal integrierten Energieversorgungsunter-
nehmen und unter Wettbewerbsbedingungen zusammen.
15.1 Übersicht
kontinuierlich FACTS-
FACTS-Elemente
Reaktionsverhalten
quasi- Längsregelung
kontinuierlich
Kompensation
1s 1min 1h
Reaktionszeit
Abb. 15.1. Reaktionszeiten und Maßnahmen im Netz
642 15 FACTS-Elemente
a) b)
A pAB B A pAB B
uA ul uB uA ul uB
i jxL i jxL
iq iq
Abb. 15.2. Prinzipielles Modell von FACTS-Elementen in einer Leitung mit selbstge-
führtem Umrichter/Shunt- und Boostertransformatoren (a) und mit Thyristorventilen (b)
15.1 Übersicht 645
(4)
pAB
°
*
= Re® j A B
*
u u u l °½
¾
uA uB
sin-AB ș u B u l
* *
uB . (15.4)
°̄ xL °¿ xL
15.2 Technologie
15.2.1 Halbleiterbauelemente
Innovationen bei FACTS Elementen wurden insbesondere durch die weitreichen-
den Entwicklungen in der Halbleitertechnik erreicht. Die Realisierung von leis-
tungsfähigen Wechselrichtern und somit innovativen Betriebsmitteln für Übertra-
gungssysteme lässt sich auf die Entwicklung abschaltbarer Elemente zurückfüh-
ren. Seit der ersten Entwicklung von Thyristoren durch General Electric im Jahr
1957 wurde nach leistungselektronischen Schaltern gesucht, deren Eigenschaften
unter anderem niedrige Schaltverluste bei hohen Taktfrequenzen und minimale
Durchlassverluste sind.
Der heutige Stand der Technik stellt zwei Technologien zur Anwendung im
Hochleistungsbereich zur Verfügung: Thyristoren und Transistoren. Unter den
Thyristoren wird weiterhin zwischen den klassischen Thyristoren und ein- und
abschaltbaren Elementen bzw. Thyristoren und GTOs (Gate Turn-Off Thyristo-
ren) unterschieden. GTOs sind eine Weiterentwicklung von Thyristoren die sich
durch das Anlegen einer Spannung am Gate abschalten lassen, wobei Thyristoren
nur beim Stromnulldurchgang gelöscht werden können. Seit kurzem gibt es eine
weitere Entwicklung des GTOs, den IGCT (Integrated Gate Commutated Thy-
ristor), der die besten Eigenschaften des Thyristoren – geringe Durchlassverluste –
mit denen des Transistoren – geringe Abschaltverluste – kombiniert (siehe auch
[15.21]). Anderseits hat sich auch der Transistor in vergangenen Jahren erheblich
entwickelt. Die monolithische Integration von MOSFET und BJT Strukturen führ-
te zur Entwicklung des IGBTs (Insulated Gate Bipolar Transistors), der aufgrund
stetiger Weiterentwicklung heute auch für Höchstleistungen eingesetzt wird (vgl.
[15.13]). Mittlerweile ist abzusehen, dass der IGBT und der IGCT die elektroni-
schen Bauelemente sein werden, die vorzugsweise für FACTS und Hochleistungs-
anwendungen zum Einsatz kommen werden. Bereits heute gibt es Anwendungs-
beispiele beider Bauelemente in Systemen für Leistungen über 100 MW.
Der bisherige „Spitzenreiter“ unter den Hochleistungsbauelementen, der GTO,
wird in naher Zukunft an Bedeutung verlieren. Dies allein ist ersichtlich aus der
Tatsache, dass die größten Hersteller von GTOs im vergangenen Jahrzehnt die
Produktion dieser Halbleiter drosselten, so dass heute nur noch die größeren Fir-
men die Produktion weiter betreiben.
Da die wesentlichen Komponenten von FACTS-Elementen leistungselektroni-
sche Schaltungen sind, gibt dieser Abschnitt eine Übersicht über gängige Halblei-
tertypen, leistungselektronische Bauelemente sowie typische Umrichtertechnolo-
gien und Steuerverfahren. In der Technik etablierte Komponenten, wie z.B. Thy-
ristor geschaltete Reaktanzen oder Kapazitäten oder andere netzgeführte leistungs-
elektronische Schaltungen werden hier nicht berücksichtigt. Zu deren Beschrei-
bung wird auf Abschn. 7.3.1 in Bd. 1 verwiesen. Hier liegt der Schwerpunkt auf
selbstgeführten Umrichterschaltungen, die einen Einsatz von abschaltbaren Halb-
leiterelementen erfordern (eine kurze Einleitung dazu ist in Bd. 1, Abschn. 7.3.2
gegeben). Eine qualitative Bewertung verfügbarer Halbleiter zum Einsatz in
FACTS-Elementen kann anhand der Halbleitereffizienz und deren betrieblichen
15.2 Technologie 647
15.2.1.1 Dioden
Obwohl der Einfachste der Halbleiterbausteine, ist dieses zweischichtige Element
zugleich eins der wichtigsten. Fast die Hälfte der aktiven Bauelemente in FACTS-
Elementen sind Dioden.
648 15 FACTS-Elemente
x Diodengleichrichtern,
x Spannungsumrichtern als antiparellele Diode für Halbleiterschalter,
x Gate-Steuerkreisen und als Bestandteile von Schutzbeschaltungen.
Sie sind aus dem Bereich der Elektronik gut bekannt. In Hochleistungsanwendun-
gen unterscheiden sie sich im Aufbau nur unwesentlich von den Ausführungen für
typische Elektronikanwendungen. Zur weiterführenden Information über Aufbau,
Herstellung und Betriebsverhalten sei an dieser Stelle auf die einschlägige Elekt-
ronik-Fachliteratur verwiesen.
15.2.1.2 Thyristoren
Die Stromtragfähigkeit und die hohe Sperrspannung von Thyristoren sind insbe-
sondere unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten bislang von keinem anderen leis-
tungselektronischen Bauelement erreicht worden. Dies ist der Hauptgrund, dass
Thyristoren weiterhin weitverbreitet Einsatz finden; z.B. als schaltbare Elemente
wie in Blindleistungskompensatoren, sowie auch als Schutz für weniger robuste
leistungselektronische Bauteile. Der Thyristor besteht aus vier Schichten und ist
ein Einwegschalter (Abb. 15.4). Er wird durch einen Puls am Gate gezündet und
bleibt in einem leitenden Zustand bis zum nächsten Stromnulldurchgang. Die Ei-
genschaft den Halbleiter abzuschalten ist bei vielen Anwendungen nicht erforder-
lich. Daher kann in diesem Fall ein Halbleiter für höhere Ströme und Spannungen
ausgelegt werden. Im Ersatzschaltbild erscheint der Thyristor als eine Zusammen-
schaltung zweier Transistoren. Beim Anlegen eines Zündpulses am Gate beginnt
der obere npn Transistor zu leiten. Der Strom im npn Transistor stellt den Gate-
strom im pnp Transistor zu Verfügung. Letzterer wird somit auch in einen leiten-
den Zustand gebracht. Ist der Thyristor einmal eingeschaltet, sind die inneren p-
und n-Schichten mit Elektronen und Defektelektronen gesättigt. In diesem Fall
verhält sich der Thyristor wie eine Diode, so dass der vorwärtsleitende Zustand
a) b) c)
Abb. 15.4. Aufbau Thyristor; Struktur (a); Ersatzschaltbild (b); Schaltsymbol (c)
15.2 Technologie 649
erst durch erlöschen des Stromes an der Anode zum sperrenden Zustand führt. Es
wäre natürlich auch möglich, den Thyristor einen Zündpuls am n-Gate einzuschal-
ten. Das n-Gate würde jedoch mehr Strom verbrauchen, dementsprechend wird
das p-Gate zum Ansteuern des Thyristors verwendet.
Die Anwendung von Thyristoren in statischen Kurzschließern ist insbesondere
für Serieelemente von Bedeutung (vgl. die Abschn. 15.3 und 15.7). Diese Elemen-
te werden unter Anwendung eines sogenannten Boostertransformators in Serie zu
einem Übertragungselement geschaltet. Das oftmals hohe Übertragungsverhältnis
des Boostertransformators bewirkt, dass im Fall eines netzseitigen Kurzschlusses
auf der Sekundär- bzw. Umrichterseite des Transformators sehr große Kurz-
schlussströme entstehen. Die für Umrichter eingesetzten IGBTs oder IGCTs sind
ohne Parallelschaltung oftmals nicht in der Lage diese hohen Ströme zu leiten
ohne dabei Schaden zu nehmen. Thyristoren sind robust genug, um diese hohen
Ströme zu führen und dem mechanischen Schutz bzw. Leistungsschaltern somit
die notwendige Auslösungs- und Abschaltzeit zu geben. Diese Kurzschließer oder
„Crowbars“ werden parallel zu der Sekundärwicklung des Transformators ge-
schaltet. Im Fall eines netzseitigen Fehlers bekommen die antiparallel geschalteten
Thyristoren des Kurzschließers einen Zündimpuls und der Strom kommutiert so in
den parallelen Pfad.
a) b) c)
Abb. 15.5. Aufbau eines GTOs; Struktur (a); Ersatzschaltbild (b); Schaltsymbol (c)
650 15 FACTS-Elemente
Während der Zündimpuls zum Einschalten nur einige Prozent des zu leitenden
Stromes für eine Dauer von einigen Ps beträgt, erfolgt der Ausschaltprozess im
Vergleich dazu über einen längeren Zeitraum (vgl. Abb. 15.6). Obwohl die dazu
benötigte Spannung nur etwa 10-20 V beträgt, sind die erzeugten Verluste erheb-
lich, so dass der Energieaufwand zum Ausschalten etwa 10-20 mal größer als der
zum Einschalten erforderliche ist. Es soll zusätzlich darauf hingewiesen werden,
dass die Einschaltenergie eines GTOs im Vergleich zu der eines konventionellen
Thyristors um bis zu 10 mal größer sein kann.
Die Kommutierung des Kathodenstromes führt zu einem Anstieg der Anoden-
spannung. Dieser Spannungsanstieg wird gewöhnlich durch einen Kondensator
begrenzt, weil ansonsten die Koexistenz von Kathodenstroms und Anoden-
spannung zu einer Rückzündung führen könnte. Die gleichzeitig von Null ver-
schiedenen hohen Werte von Strom und Spannung erzeugen Verluste. In Umrich-
teranwendungen wird eine Fraulaufdiode antiparallel zum GTO geschaltet, so dass
der GTO keine Rückwärtssperrspannung führen muss.
A A A
iA
p p p
iG n uD
n n
G p G p G p
i, u [pu]
n n n
iK
K K K
iA
uD
iK
0
I
iG
5 10 15 20
t [Ps]
Leitender Zustand Abschaltprozess Sperrender Zustand
Abb. 15.6. Strom- und Spannungsverläufe beim Ausschaltvorgang eines Gate Turn Off
Thyristors (GTO), (Quelle: ABB)
15.2 Technologie 651
a) b) c)
Abb. 15.7. Struktur und Aufbau eines IGBTs; Struktur (a); Äquivalenter IGBT Kreis b);
Schaltsymbol (c)
652 15 FACTS-Elemente
Abb. 15.8. Struktur (a) und äquivalentes Symbol (b) eines IGCT mit Freilaufdiode
u(t)
ud
0
t
-ud
T1 T2
Grundwelle
a) b) c)
+ +
i
+
ud ud ud
u1
ud ud 2
0 0 0V
u
+ ud
+ u2
ud ud 2
ud ud
i u = u1 - u2
0 0
Abb. 15.10. Der Spannungsumrichter (VSC), hier dargestellt als einphasige Brücke (a)
sowie Übergang der Schaltungstopologie (b) auf Darstellung mit idealen Schaltern (c)
654 15 FACTS-Elemente
u(t)
ud
0
t
-ud
Grundwelle
a) b) c)
ud u(t)
die Halbleiter bestimmt wird, ist es vorteilhaft die zumindest am Ausgang wirk-
same Taktfrequenz, also die vom Netz „gesehene Taktfrequenz“ zu erhöhen. Dies
kann durch versetztes Takten der Umrichter, eine geeignete Anordnung der Wick-
lungen des Kupplungstransformators zur Eliminierung niederfrequenter Harmoni-
scher und damit durch eine höhere virtuelle Taktfrequenz erreicht werden (vgl.
Abb. 15.12).
Werden die Halbleiter mit einer erhöhten Taktfrequenz betrieben, entsteht ne-
ben der Erwärmung als weiterer Nachteil, dass der maximale Modulationsgrad
bzw. die Ausnutzung der Zwischenkreisspannung reduziert wird werden muss.
Jeder Halbleiter braucht eine bestimmte Zeit, um ein- und auszuschalten.
Der Zusammenhang der AC- und DC-seitigen Spannungen wird auch aus der
Tatsache ersichtlich, dass AC-seitige Oberschwingungen auch im DC-Kreis er-
scheinen. Es ist daher erwünscht die Verzerrungen in der Ausgangsspannung so
klein wie möglich und damit weit unterhalb der nach den Richtlinien zulässigen
Grenzen zu halten, da sich DC-seitige Belastungen durch Oberschwingungen auch
negativ auf die Lebensdauer der spannungshaltenden Kondensatoren im Zwi-
schenkreis auswirken.
Im folgenden werden einige der Grundschaltungen der VSC-Technologie vor-
gestellt. Aus diesen Grundschaltungen werden die Bausteine geformt aus denen
Spannungsquellen für hohe Leistungsklassen hergestellt werden. Eine Skalierung
in Bemessungsspannungen, strömen und -leistungen ist beispielsweise durch das
Serie- oder auch Parallelschalten (seltener) der Halbleiterschalter möglich.
Zweipunktschaltungen
Die einfachste Ausführung des Spannungsumrichters ist die Zweipunktschaltung
(Abb. 15.13a). Die Entkopplungsinduktivität zum Anschluss an die Netzspannung
ist durch die Streuinduktivität des Kupplungstransformators gegeben. Der Wech-
selrichterstrom hängt von der Topologie ab. Ist der Wechselrichter in Serie zum
Netz geschaltet, so fließt im Wechselrichter der Nennlaststrom. Im Fall einer Pa-
rallelschaltung entsteht der Strom durch die Differenz zwischen der erzeugten
Wechselrichterspannung und der äußeren Spannung (vom Netz aufgeprägte Span-
nung), welche beispielsweise über der Entkopplungsinduktivität abfällt. Diese
Topologie ist geeignet für kleinere Leistungsklassen, bei der forcierte Luftkühlung
ausreichend ist, um die entstehenden Wärmeverluste abzuleiten. Mit Wasserküh-
lung kann die Nennleistung um ca. 30% erhöht werden. Die Ausgangsspannung
weißt zwei Spannungsniveaus auf.
Die einfache Zweipunktschaltung (Halbbrücke) kann zu einer einphasigen
Brücke oder sog. TWIN-Schaltung verschaltet werden (Abb. 15.13b). Die Ansteu-
erungen der Halbrücken sind dabei um 180° versetzt, wodurch eine Ausgangs-
spannung mit drei Spannungsstufen erreicht wird. Diese Ansteuerung der Halb-
brücken bewirkt eine Verringerung der Harmonischen. Durch eine versetzte An-
steuerung erfolgt außerdem eine virtuelle Erhöhung der Taktfrequenz. D.h. die in
das Netz eingespeiste Spannung verhält sich so, als wäre der erzeugende Umrich-
ter mit der doppelten Taktfrequenz getaktet.
Dreipunktschaltung
656 15 FACTS-Elemente
a)
u(t) [pu]
i
ud
LS
u(t) t [s]
b)
u(t) [pu]
i
ud LS u(t)
t [s]
Eine Alternative zur Zweipunkt TWIN-Schaltung, ist mit dem ungefähr gleichen
Aufwand an Hardwarekomponenten die sog. Dreipunkt-Halbbrücke (Abb.
15.14a). Durch zwei zusätzliche Nullpunkt-Dioden wird ein Null-Schaltniveau
eingeführt. Auf die Ausgangsklemmen können so drei definierte Spannungsni-
veaus geschaltet werden. Der Mittelpunkt der Gleichstromkondensatoren ist geer-
det und durch die zwei Nullpunkt-Dioden mit dem Umrichter verbunden.
Diese Schaltung vereinfacht die Auslegung des Kopplungstransformators, was
für höhere Leistungsklassen sehr wichtig ist. In der Praxis werden oft mehrere
Wechselrichterzweige mit versetztem Taktmuster zu einer Gesamtschaltung zu-
sammengesetzt. Bei Schaltungen mit einer höheren Zahl von versetzt taktenden
Wechselrichterzweigen wird die Ausgangsspannung durch Summation der einzel-
nen Umrichterspannungen über Transformatoren erzielt (vgl. auch Abb. 15.12). Je
mehr Transformatoranschlüsse benötigt werden, desto aufwendiger und teuerer ist
die Transformatorkonstruktion.
15.2 Technologie 657
a)
u(t) [pu]
ud
2
i
LS t [s]
u(t)
ud
2
b)
u(t) [pu]
ud
2
i LS u(t)
t [s]
ud
2
15.2.3.1 Grundschwingungsverfahren
Bei dem Grundschwingungsverfahren wird jeder Brückenzweig bzw. jede Halb-
brücke während je einer Halbperiode auf das positive oder negative Potential im
Zwischenkreis geschaltet. Die entstehenden Spannungen sind gleichspannungsfrei
und weisen gegenüber Nullpotential eine zweistufige und gegenüber dem Stern-
punkt eines Koppeltransformators eine dreistufige Ausgangsspannung auf (vgl.
Abb. 15.15). Bei dieser Betriebsart ist der Scheitelwert der Grundschwingung
4 ud
û (15.5)
S 2
und kann nicht variiert werden. Durch die Sternpunktverbindung der drei Phasen
entfallen Harmonische der dritten Ordnung und die Fourier-Reihe der Phasen-
spannung erhält die Form:
f
4 ud 1
u (t ) ¦ sink Z1t (15.6)
S 2 k 1,5, 7 ,11,13,...
k
Wird nun die Anzahl der Pulse durch den Einsatz einer weiteren dreiphasigen
Brücke verdoppelt und diese anstatt an einer Sternwicklung an eine Dreieckswick-
lung angeschlossen (Abb. 15.16), so heben sich die Oberwellen der Ordnung 5, 7,
17, 19 usw. auf und eine weitere Annäherung zur sinusförmigen Ausgangsspan-
nung wird erreicht. Die niedrige Taktfrequenz dieser Umrichtertopologie eignet
sich sehr gut für Umrichter sehr hoher Leistung. Durch eine Verzögerung der
Zündwinkel kann auch eine Änderung in der Grundschwingungsamplitude und
Phase bewirkt werden. Für den Fall eines Shuntumrichters, bei dem an der Pri-
märwicklung des Kuppeltransformators die gesamte Netzspannung anliegt, ist
diese Schaltung ebenfalls gut geeignet.
a) b)
a) b) uRy
1:1 uRy
iR 1
ud iS 2/3
iT ud 1/3
0
2
LS
-1
iR uRd
R
iS 1
S
iT
T ud 1/3
LS uRd 0
3:1 2
-1
uR = uRy + uRd
2/3+1/3
1/3+1/3
ud 1/3
0
2
-1
Steuersignal
Trägersignal
Schaltfunktion
ergibt das Steuersignal. Durch Verschaltung von zwei Halbrücken setzt sich die
Dreipunktschaltung zusammen.
Die Oberwellen der Spannung sind abhängig von der Taktfrequenz d.h. der
Frequenz des Hilfssteuersignals. Harmonische der Ausgangsspannung erscheinen
in Seitenbändern bei vielfachen der Taktfrequenz. Durch versetzte Trägersignale
können Harmonische um die Geraden der Trägerfrequenz reduziert und so die
Verzerrung verkleinert werden. Durch erhöhte Taktfrequenz und versetzte Träger-
signale kann somit eine erhebliche Reduzierung der Verzerrung erreicht werden.
Dieses Modulationsverfahren wird zur schnellen Online-Einstellung bevorzugt.
15.2.4.1 Spannungsverzerrung
Das Spektrum der umrichtererzeugten Spannung kann durch die FFT (Fast Fou-
rier Transformation) des Signals berechnet werden. Für die Herleitung der FFT
und deren Anwendung ist auf die einschlägige Fachliteratur verwiesen. Das
Grundprinzip der Berechnung der Verzerrung der Ausgangsspannung liegt in der
Zerlegung des Ausgangsspannungsmusters mittels FFT. Die Abweichung der
Ausgangsspannung von einem rein sinusförmigen Verlauf wird als Klirrfaktor
(Engl. Distortion Factor IEC 1000-2-2) bezeichnet und berechnet sich aus dem
Verhältnis des Effektivwertes der Summe der Oberschwingungen zum Effektiv-
wert der Grundschwingung:
N
¦u
n 2
2
n
(15.7)
Klirrfaktor 100%
U1
Die Spannungsverzerrung oder die Größe des Oberschwingungsanteiles bestimmt
die Bauleistung des netzseitigen Filters. Weiterhin werden diese Oberschwingun-
gen auch den Zwischenkreis bzw. die Kondensatoren belasten, so dass eine Redu-
zierung der Oberschwingungen sich vorteilhaft auf die Dimensionierung der Zwi-
schenkreiskondensatoren auswirkt. Der Verzerrungsanteil in der Ausgangsspan-
nung ist abhängig von der Taktfrequenz und der Umrichtertopologie.
a)
Ausgangsstrom
u(t) [pu], des Umrichters Ausgangsspannung
i(t) [pu]
Verzerrungstrom
t [s]
Grundschwingung
der Spannung
b)
Ausgangsstrom des
u(t) [pu], Umrichters x 10 Ausgangsspannung
i(t) [pu]
Verzerrungstrom x 10
t [s]
Grundschwingung
der Spannung
c) Ausgangsstrom des
Umrichters x 10
u(t) [pu],
i(t) [pu]
Verzerrungstrom x 10
t [s]
Grundschwingung
Ausgangsspannung
der Spannung
id
i(t) [pu] 1
0
t [s]
-1
0
t [s]
-1
lung von Rechnerhardware bzw. Computern bietet sich für die Betriebsführung
und Regelung von FACTS-Elementen softwarebasierte System an. An der Hard-
ware bleiben nur wenige Einstellmöglichkeiten.
Als Schutz- und Leitsystem von FACTS-Elementen sind daher Systeme mit
hoher funktionaler Integration und offenen Kommunikationskanälen besonders
geeignet. Die Strategie des offenen Kommunikationssystems spiegelt dabei gängi-
ge standardisierte serielle und parallele Kommunikationsbusse, sowie Formate für
Alarm-, Störungs- und Ereignismeldungen wieder. Eine Realisierungsmöglichkeit
besteht in der Zentralisierung von Hauptsteuereinheiten, die über Busverbindun-
gen andere Komponenten überwacht und steuert. Dabei sind I/O-Module mit die-
ser zentralen Einheit verbunden. Die Module werden in der Regel redundant aus-
gelegt (Abb. 15.20).
In diesen Systemen finden eine Reihe spezieller „Circuit Boards“ zur Realisie-
rung verschiedener Funktionen Einsatz. Dessen Hauptsystem basiert i.d.R. auf
einem unabhängigen offenen Kommunikationsbus. Für umfangreiche und/oder
zeitkritische Berechnungen, Regelungs- und Steuerungsalgorithmen, etc. befinden
sich in dieser Art von Systemen spezielle „Digital Signal Processors“ (DSP), die
auf das Zusammenarbeiten mit den Umrichtern optimiert sind. Hier werden die
übergeordneten Schutz- und Regelungsfunktionen inklusiver Signalverarbeitung
ausgeführt. Die Programmierung erfolgt typischerweise über graphische Oberflä-
chen mit blockorientierter Eingabe. Dabei kann in der Regel bereits auf Funkti-
onsblöcke wie z.B. dq-Transformation oder ganze Schutzalgorithmen zurückge-
griffen werden. Ein spezieller Compiler übersetzt dieses System in den entspre-
chenden hardwareorientierten Code. Moderne Systeme erlauben sogar den Test
der erstellten Schutz- und Regelungssoftware in einem Software- oder Hardware-
simulator, der die in die Entwicklungsumgebung integriert ist. Eine separate Pro-
grammierung eines Simulationsprogrammes oder eines Hardwaremodelles entfällt
Workstation Datenbank-
Bedienpersonal Server
Hochgeschwindig-
keitsbus (z.B. Ethernet)
Redundante Haupt-
steuereinheiten
Elektro-/Optische
Brücke
Optischer Bus
Ein- / Ausgabe
Module
Dieses Kapitel nimmt Bezug auf den Aufbau und die grundsätzliche Wirkungs-
weise der wesentlichen Vertreter der FACTS-Elemente in Shunt- und/oder Serie-
anwendung. Neben einer Darstellung des Aufbaus ist für Geräte mit Thyristorven-
tilen oder -schaltern ein mathematisches Modell in Vierpolform mit einphasigem
Ersatzschaltbild nach [15.10] und [15.20] angegeben. Eine weitergehende Model-
lierung – die insbesondere Effektivwertsimulationen erlaubt – ist Gegenstand von
Abschn. 15.4.
Als Grundlage für die Beschreibung des Betriebsverhaltens wird ausgehend
von dem einphasigen Ersatzschaltbild die Darstellung im Wirkleistungs-Winkel-
Diagramm (P---Diagramm) gewählt. In diesem Diagramm ist die Abhängigkeit
der über ein Netzelement übertragenen Wirkleistung von der Spannungs-Winkel-
differenz zwischen den Anschlusspunkten der Übertragung dargestellt (siehe auch
Abschn. 15.2). Die Grundlage für die Berechnung des sog. P---Diagramms sei der
Vollständigkeit halber an dieser Stelle noch einmal erwähnt:
u1 u2
p1 = p sin - . (15.10)
x
15.3.1.1 Aufbau
Unter dem Oberbegriff Shuntelemente sind alle FACTS-Elemente zusammenge-
fasst, die parallel zu anderen Betriebsmitteln angeschlossen werden (siehe auch
Abschn. 13.3, [15.7], [15.20] und [15.24]). Abb. 15.23 bis Abb. 15.26 zeigen Bei-
spiele für reale Anlagen. Im wesentlichen gibt es zwei FACTS-Elemente, die zur
schnell regelbare Shuntkompensation dienen:
a) 1 2 b) 1 2
iq iq
ul u2 ul u2
Speicher
TCR/TSR TSC
Abb. 15.22. Aufbau von Shuntkompensatoren, Statischer Blindleistungskompensator
(SVC) (a), Statischer Synchronkompensator (STATCOM) (b)
stalliert sein. In diesem Fall kompensiert der induktive Teil des SVC einen Teil
der fixen Kapazität. Der unsymmetrische Aufbau von ist häufiger anzutreffen als
das „symmetrische Design“. Der Grund hierfür liegt in der Tatsache, dass oftmals
für die Kompensation von Industriebetrieben oder ähnlichen Verbrauchern ledig-
lich eine Betriebsrichtung erforderlich ist.
Der Einsatz abschaltbarer Halbleiterelemente (GTO, IGCT, IGBT) ist die
Grundlage für Kompensatoren auf Basis selbstgeführter Umrichter. Sie sind auf
Basis von sog. „Voltage Source Convertern“ realisiert. Wie bereits im voranste-
henden Abschnitt ausgeführt erfolgt die Blindleistungserzeugung nicht über den
Spannungsabfall über kapazitive oder induktive Komponenten. D.h. diese Geräte
können ohne große kapazitive oder induktive Komponenten Blindleistung bereit-
stellen oder aufnehmen (STATCOM, Abb. 15.22 b).
Die Blindleistungsbereitstellung erfolgt ausschließlich durch das Schaltverhal-
ten des Umrichters. Diese Tatsache spiegelt sich auch im Platzbedarf der Anla-
genausführung wider. Da neben den Umrichtern nebst erforderlicher Beschaltung
lediglich einige Filtereinheiten erforderlich sind, ist der Platzbedarf dieser Anla-
gen geringer. Aus diesem Grund sprechen einige Hersteller bei Verwendung von
„Voltage Source Convertern“ auch von der sog. „Light-Technologie“.
Wird zusätzlich der Gleichspannungsteil als Wirkenergiespeicher ausgeführt
(z.B. Batterie), arbeitet der STATCOM als schnell regelbarer Speicher. Unabhän-
gig von der Speicherkomponente ist im Gleichstromkreis zur Spannungshaltung
eine Kapazität erforderlich, deren Betrag unmittelbar von der technologischen
Auslegung der Anlage abhängt. Im symmetrischen Betrieb als reiner Blindleis-
tungskompensator fließt über eine Periode gemittelt außer kleinen harmonischen
Ausgleichsströmen kein Strom durch diese Kapazität.
15.3 Aufbau und stationäres Betriebsverhalten 669
Abb. 15.23. Zweifacher SVC mit je 266 MVAr induktiver und 160 MVAr kapazitiver
Leistung, Argentinien (Quelle: ABB)
Abb. 15.24. Zweifacher SVC mit je 60 MVAr induktiv und 100 MVAr kapazitiver Leis-
tung, 220-kV-Nennspannung, Australien (Quelle: ABB)
670 15 FACTS-Elemente
Abb. 15.25. Sullivan“ STATCOM +/- 100 MVAr Leistung, 161 kV, USA (Quelle:
IEEE)
Abb. 15.26. Blick in die Umrichterhalle des „Sullivan“ STATCOM (Quelle: SIE-
MENS, IEEE)
15.3 Aufbau und stationäres Betriebsverhalten 671
a) b)
ul [pu] ul [pu]
4
4
1 3 1 3
2 2
gig ist, ermöglicht der Einsatz abschaltbarer Leistungshalbleiter eine von der
Spannung unabhängige Bereitstellung von Blindstrom außerhalb der Statikgera-
den (2)-(3). Die Abschaltpunkte (1) und (4) ergeben sich aus den gleichen betrieb-
lichen Randbedingungen.
Die allgemeine Beschreibung von Shuntelementen für die stationäre Netzbe-
rechnung erfolgt durch Vierpolgleichungen einer parallel zu einem Netzzweig
angeschlossenen Suszeptanz, dessen Betrag durch den Schaltzustand der indukti-
ven und kapazitiven Komponenten bestimmt wird. Für die Vierpolmatrix folgt:
ª1 0º
Y = j BSVC « ». (15.11)
¬0 0¼
Beim STATCOM ist im Rahmen der quasistationären Netzberechnung eine Mo-
dellierung als Spannungsquelle mit nachgeschalteter Reaktanz geeignet. Dabei
repräsentiert der Betrag der eingeprägten Spannung den Schnittpunkt der UI-
Kennlinie mit der U-Achse und der Betrag der Reaktanz die Steigung der Statik-
geraden.
Die Blindleistungsgrenzen entsprechen dann ungefähr der maximalen Um-
richterscheinleistung. Eine andere Darstellungsform ist die Nachbildung als
Stromquelle. In diesem Fall ist die Funktionalität der Spannungsregelung durch
Shuntstromeinprägung zu modellieren.
15.3.1.3 P---Diagramm
Entsprechend des technologischen Aufbaus kann der SVC im einphasigen Ersatz-
schaltbild über eine variable Parallelsuszeptanz nachgebildet werden (siehe auch
Abschn. 13.3.1). Zur Verdeutlichung des Betriebsverhaltens sei eine Einspeisung
über eine Leitung in ein starres Netz betrachtet (Abb. 15.28).
Eine Diskussion des Betriebsverhaltens erfolgt anhand der Beschreibung des
Einflusses des SVC auf die Wirkleistungs-Winkel-Charakteristik dieses Übertra-
gungsmodells nach:
u1u2
p1 = p sin- . (15.12)
x1 x2 x1 x2 BSVC
Ausgehend vom Leerlaufbetrieb des SVC (keine Blindleistungseinspeisung) er-
folgt ein „Aufblähen“ oder „Schrumpfen“ der Wirkleistungs-Winkel-Kurve im P-
Abb. 15.28. Ersatzschaltbild einer Anordnung Generator – starres Netz mit SVC, instal-
liert in der Mitte der Leitung sowie äquivalente Impedanzanordnung
15.3 Aufbau und stationäres Betriebsverhalten 673
--Diagramm, ohne dass sich die Nullstellen oder das Maximum der Wirkleis-
tungskurve entlang der Winkelachse verschieben. Der SVC wirkt damit voranging
auf die Anschlussspannungen.
Durch das Anheben oder Absenken des Maximums dieser Kurve kann zusätz-
lich eine leichte Übertragungswinkelreduktion bzw. -vergrößerung erfolgen. Un-
terschiede zu dem in Abschn. 15.1 skizzierten Betriebsverhalten liegen in der An-
steuerung und im Einbauort des SVC.
Eine ähnliche Charakteristik weist das betrachtete Beispielsystem mit SVC
und aktivierter Spannungsregelung auf. Ein Ansteigen der übertragenen Leistung
verursacht durch die Leitungsimpedanzen einen Spannungsabfall über der Lei-
tung, der bei den hier vernachlässigten ohmschen Leitungselementen klein ist.
Arbeitet der SVC im Spannungsregelmodus, kann diese Spannung je nach Be-
triebsbereich des SVC konstant gehalten werden.
Im P---Diagramm, zeigt sich dies durch eine steilere P---Kurve mit gleichzei-
tig verschobenem Maximum. Insbesondere hier wirkt der SVC verbessernd hin-
sichtlich der Stabilitätsgrenze über dieser Leitung (Abb. 15.29). Bei Konstant-
regelung auf 1pu am Anschlusspunkt des SVC ist die Leitung elektrisch gesehen
nur noch halb so lang.
Im Gegensatz zum SVC erfolgt die Modellierung des STATCOM – je nach
Betriebsart – durch eine parallel geschaltete Spannungs- oder Stromquelle. Je nach
Anschlussart des Spannungsumrichters erfolgt der Netzanschluss über eine Ent-
kopplungsdrossel, einen normalen Abspanntransformator oder einen auf die Leis-
tungselektronik abgestimmten Kopplungstransformator (vgl. Abschn. 15.4).
Da normalerweise der STATCOM in einem Stromregelungsmodus betrieben
wird und die Spannungsquellencharakteristik des Umrichters zusammen mit der
p
Konstante SVC-
pmax Klemmenspannung
BSVC > 0
BSVC < 0
- [q]
Abb. 15.29. P- --Diagramm für eine Leitung mit SVC
674 15 FACTS-Elemente
Abb. 15.30. Ersatzschaltbild einer Anordnung Generator – starres Netz mit STATCOM,
installiert in der Mitte der Leitung sowie äquivalente Impedanzanordnung
p
pmax
iq > 0 [0 pu .. 1 pu]
- [q]
Abb. 15.31. P- --Diagramm für eine Leitung mit STATCOM
15.3 Aufbau und stationäres Betriebsverhalten 675
u1 u 2 sin -
p1 = p = K ,
x1 + x 2
§ x1 x 2 i q ·
K = ¨ 1+ ¸,
¨ 2 2 2 2
- ¸
© u1 x2 + u2 x + 2 u1 u 2 x1 x 2 cos
1 ¹
(15.13)
bzw .
§ x iq ·
K= ¨ 1+ ¸;x =x = 1 x
¨ 2 2 2
- ¸ 1 2
2
© u1 + u 2 + 2 u1 u 2 cos ¹
15.3.2.1 Aufbau
Unter dem Oberbegriff Serieelemente werden alle FACTS-Elemente mit Einbau
in Serie zu einem Netzelement zusammengefasst. Die elektrische Wirkung von
Seriekompensationen wird über eine Seriespannungseinkopplung erreicht (siehe
auch Abschn. 13.3 und Bd.1 Abschn. 9.5 sowie [15.6], [15.20] und [15.24]). Ab-
hängig von den betrieblichen Eigenschaften wird allgemein unterschieden zwi-
schen:
TCR TCR
u´l
ul u2 ul u2
Speicher
gängiger Betriebsbereich erreicht werden kann. Bereits der Einsatz von sechs
TCSC Modulen erweitert den Betriebsbereich um nahezu die gesamte Fläche zwi-
schen (3) und (4).
Diese Ausführung einer Seriekompensation wird über eine variable Serieim-
pedanz (j xTCSC)-1 modelliert. Der Betrag der Serieimpedanz ergibt sich aus dem
aktuellen Betriebszustand also einem ausgewählten Punkt in dem oben genannten
Betriebsbereich. Die Einstellung des Betriebspunktes erfolgt durch Verstellung
der Ansteuerungswinkel der Thyristorventile. Als Vierpolmatrix für die stationäre
Netzberechnung folgt
1 ª 1 -1º
Y = « ». (15.14)
j xTCSC ¬-1 1¼
Der SSSC kann für stationäre Berechnung nur in sehr grober Näherung auf gleiche
Weise modelliert werden. In diesem Fall würde der nahezu belastungsunabhängi-
gen Charakteristik der Seriespannungseinkopplung nicht Rechnung getragen.
Mehr empfehlenswert ist eine Modellierung des SSSC über zusätzliche Serie-
spannungen. Eine Umformung der Seriespannungsquelle in Shuntstromquellen ist
ebenfalls möglich und erleichtert die Integration der Gleichungen in die stationäre
Netzberechnung. Zur mathematischen Behandlung dieser Vorgehensweise wird
auf Bd. 1, Abschn. 4.8.2 sowie Abschn. 14.2.2 in diesem Band verwiesen.
678 15 FACTS-Elemente
Abb. 15.34. TCSC, 107 MVAr Blindleistung, 13.27 : bis 39.81 : Regelbereich,
500 kV, Brasilien (Quelle: IEEE)
Abb. 15.35. TCSC, 21.9 :/Phase Nennreaktanz (statisch), 18.25 :/Phase Reaktanz der
Kapazitäten, 1.5 kA Nennstrom, 2.025 kA Überlaststrom (20 min), 2.25 kA Überlaststrom
(10 min), 400 kV, Schweden (Quelle: ABB)
15.3 Aufbau und stationäres Betriebsverhalten 679
15.3.2.3 P---Diagramm
Für das einphasige Ersatzschaltbild für stationäre Berechnungen stellt der TCSC
eine geregelte Längsimpedanz dar. Für das Beispiel eines TCSC in der Netzsitua-
tion „Generator speist über Leitung in starres Netz“ folgt dann mit einem TCSC in
der Mitte der Leitung die Anordnung nach Abb. 15.36. Die veränderliche Impe-
danz des TCSC addiert sich zu den Längsreaktanzen der Leitung, so dass für die
Berechnung des P---Diagramms sofort folgender Ausdruck folgt:
p1 = p = u1 u 2 sin - . (15.15)
x1 + x 2 + x TCSC
Da der TCSC direkt auf die Längsimpedanz der Übertragungsstrecke wirkt, ist der
Einfluss auf die übertragene Leistung erheblich größer als bei den zuvor darge-
stellten Shuntelementen. Mit zunehmender negativer Längsimpedanz nimmt der
Kompensationsgrad der Leitung zu (Abb. 15.38). Wie aus der Leistungsgleichung
zu entnehmen ist, unterliegt die Beziehung zwischen übertragener Leistung und
geregelter Längsimpedanz keinem linearen, sondern einem hyperbolischen Zu-
sammenhang.
Für den SSSC erscheint im Ersatzschaltbild eine geregelte Seriespannungs-
quelle, da dieses Betriebsmittel mit selbstgeführten Umrichtern ausgestattet ist und
somit eine vom Betrag des Leitungsstroms nahezu unabhängige Seriespannung
eingekoppelt werden kann (Abb. 15.37). Da der SSSC in der Regel ohne Energie-
speicher ausgeführt wird, muss die eingeprägte Seriespannung senkrecht auf dem
Leitungsstrom stehen. Anderenfalls würde der SSSC Wirkleistung an das Netz
abgeben bzw. vom Netz aufnehmen. Für die Berechnung des P---Diagramms
ergibt sich in Analogie zum STATCOM der nachstehend angegebene Ausdruck.
Bei Betrachtung des Faktors K fällt die Ähnlichkeit der Wirkung eines SSSC zum
STATCOM auf.
Abb. 15.36. Ersatzschaltbild einer Anordnung Generator – starres Netz mit TCSC, instal-
liert in der Mitte der Leitung sowie äquivalente Impedanzanordnung
Abb. 15.37. Ersatzschaltbild einer Anordnung Generator – starres Netz mit SSSC, instal-
liert in der Mitte der Leitung sowie äquivalente Impedanzanordnung
680 15 FACTS-Elemente
p
pmax
xTCSC < 0
xTCSC > 0
- [q]
Im P---Diagramm zeigt die Beschreibung des SSSC einen zur Kurvenschar des
STATCOM gespiegelten Verlauf auf. In diesem Fall ist die Verzerrung der P---
Kurve im Bereich 0q bis 90q stärker ausgeprägt. Technisch gesehen birgt dies kei-
ne Vorteile für die Leistungsflussregelung in sich (Abb. 15.39).
p
pmax
ul < 0 [-1 pu .. 0 pu]
ul < 0 [0 pu .. 1 pu]
- [q]
Abb. 15.39. P- --Diagramm für eine Leitung mit SSSC
15.3 Aufbau und stationäres Betriebsverhalten 681
u1 u 2 sin -
p1 = p = K
x1 + x 2
§ · (15.16)
ul
K= ¨ 1- ¸
¨ 2 2
- ¸
© u1 + u 2 - 2 u1 u 2 cos ¹
15.3.3.1 Aufbau
Unter dem Oberbegriff parallel-serielle Elemente werden alle Betriebsmittel zu-
sammengefasst, die eine elektrische Komponente sowohl im Shunt- als auch im
Seriezweig aufweisen (vgl. [15.8], [15.9], [15.20] und [15.24] sowie [15.1] und
[15.3]) für die stationäre Modellierung). Wesentliche Betriebsmittel dieser Aus-
führung sind
Bei einem PAR erfolgt die Regelung der Phase des Längsspannungsabfalls durch
die transformatorische Einkopplung einer Zusatzspannung, die durch einen Erre-
gungstransformator mit leistungselektronischen Schaltern erzeugt wird. Das Tei-
lungsverhältnis der Sekundärwindungszahlen und die eingesetzten Thyristorschal-
ter bestimmen die Anzahl der diskreten Schaltstufen. Hinsichtlich der elektrischen
Wirkung ist der PAR mit konventionellen Schrägreglern vergleichbar. Der QBT
weist einen ähnlichen Aufbau auf. Unterschiede zum PAR liegen in den Verschal-
tungsmöglichkeiten der Wicklungen, was im Vergleich zum PAR einen einge-
schränkten Betriebsbereich zur Folge hat.
Als Kombination eines statischen Synchronkompensators und einer statischen
Seriekompensation stellt der UPFC eine grundsätzlich neue Konzeption eines re-
gelbaren Betriebsmittels dar, das neben schrägregelnden auch shuntkompensie-
rende Eigenschaften aufweist. Ähnlich dem PAR und QBT besteht ein UPFC aus
einem Erregungstransformator im Shunt- und einem Zusatztransformator im Se-
riezweig. Beide Transformatoren sind über eine Umrichterschaltung mit Gleich-
stromzwischenkreis gekoppelt. Durch den Gleichstromzwischenkreis wird ein
Wirkleistungsaustausch zwischen Erreger- und Zusatztransformator gewährleistet,
wodurch die Phasenlage des Längsspannungsabfalls geregelt werden kann (Abb.
682 15 FACTS-Elemente
a) ul b) ul
1 i1 2 1 i1 il 2
iq
ul u2 ul u2
K1 K2
15.40 für den Aufbau und Abb. 15.41 sowie Abb. 15.42 als Beispiel einer realen
Anlage).
Der Einsatz abschaltbarer Leistungshalbleiter im Umrichterzweig ermöglicht die
Beeinflussung der Beträge der Quer- und Längsspannung über gleichzeitiges Ein-
speisen von positiver und negativer Blindleistung in den Shunt- und Seriezweig.
Durch diese Eigenschaften ist hauptsächlich die eingekoppelte Seriespannung
nach Betrag und Phase regelbar. In bezug auf eine ausgeglichene Wirkleistungsbi-
lanz des UPFC kann nur die aus dem Shuntzweig entnommene Wirkleistung über
Umrichter K2 in den Längszweig eingespeist werden, da der UPFC normalerweise
ohne zusätzlichen Speicher im Gleichstromkreis ausgeführt wird.
j ș i, j
ª YY q + 12 - 1
ü e º
ü
Y =Yl « l
» ; mit ü = ü e jT i, j . (15.17)
« 1 - j ș i, j 1 »
¬- ü e ¼
Umrichter 1
Umrichter 2
Shunt-
Transformator
Ersatz Shunt-
Transformator
Serie-
Transformator
Abb. 15.41. Prinzipieller Aufbau des ersten UPFC, „Inez Substation“, 160 MVA Shunt-
element, 160-MVA-Serieelement, 138-kV, USA (Quelle: CIGRE)
Yl ü Yl
1 i1 i2 2
u2
ul Yq u1 ü u2
ü
Regelbereich
Schrägregelung
u2
ul
ul
Ortskurve von
i1 ul bei reiner
Längskompensations
il
iq Im
Ortskurve von iq bei
reiner Querkompensation
Re
cken. In diesem Fall kann der eingeprägte Shuntstrom einen derart großen Span-
nungsabfall verursachen, dass die Regelungsaufgabe durch den Serieteil nicht
mehr wahrgenommen werden kann. Da bei Phasenwinkelregeltransformatoren
keine Ströme eingeprägt werden, tritt dieses Problem dort nicht auf.
Aus den komplexen Leistungsgleichungen eines allgemeinen Vierpols folgt
unmittelbar das Steuergesetz für Stellgrößen dieses Modells:
ª p i, j º
Ti, j = Ti - T j - arctan « »,
« q + u2 Y »
¬« i,j j l ¼»
(15.18)
ui u j Y l
ü= .
pi, j + qi, j + u 2j Y l 2
Eine Beeinflussung der Klemmenspannung wird durch geeignete Wahl der Shunt-
admittanz Yq realisiert. Unter Berücksichtigung des Betriebsdiagramms erfolgt die
Formulierung der Stellgrößenbegrenzungen. Einen linearen Zusammenhang zwi-
schen komplexem Übersetzungsverhältnis und komplexem Knotenspannungs-
quotient vorausgesetzt, sorgt die Stellgrößenbeschränkung dafür, dass der kom-
plexe Spannungszeiger ul den durch einen Kreis beschränkten Betriebsbereich
nicht verlässt. Aus den trigonometrischen Zusammenhängen folgt:
ș imin,
,j
max
r arcsin( u l ),
1 ª (15.19)
cos(ș i , j ) r cos 2 (ș i , j ) u l 1º .
2
ü min,max
1 ü 2 «¬ ¼»
15.3.3.3 P---Diagramm
Ein anderer Modellierungsansatz umfasst die Nachbildung der Hauptkomponenten
über Strom- und Spannungsquellen. Dieser Ansatz wird im folgenden zur Analyse
des Betriebsverhaltens angewendet. Im Ersatzschaltbild (Abb. 15.) zur Bestim-
mung des Wirkleistungs-Winkel-Verhaltens erscheinen alle drei Betriebsmittel als
gekoppelte Shuntstrom- und Seriespannungsquelle. Die Unterschiede zwischen
den drei Betriebsmitteln liegen im elektrischen Verhalten dieser Quellen.
Um den Einfluss des Einbauortes, insbesondere beim QBT, näher untersuchen
zu können, ist eine zusätzliche Variable l eingeführt worden. Diese repräsentiert
den Einbauort des FACTS-Elementes auf der Leitung relativ zur Leitungslänge, so
dass gilt:
x1 lx
(15.20)
x2 1 l x
Der hier beschriebene PAR wirkt als idealer Phasenwinkelregler und prägt somit
eine Zusatzspannung ein, die lediglich eine Phasenverschiebung zwischen den
Spannungen am Anfang und Ende dieses Betriebsmittel bewirkt (Abb. 15.45). Da
der PAR auf die Winkeldifferenz wirkt, folgt für die Berechnung des P---Dia-
gramms unmittelbar folgender Ausdruck:
686 15 FACTS-Elemente
p1 = p = u1 u2 sin (- + ș ) (15.21)
x1 + x2
Der Einfluss der Einprägung eines Zusatzwinkels besteht demnach nur in der Ver-
schiebung der P---Kurve entlang der Winkelachse. Mit dieser Eigenschaft eignet
sich der PAR vor allem zur Verringerung der Winkeldifferenz über einer Leitung
und damit zu einer Verbesserung der statischen Stabilität (Abb. 15.46). Außerdem
trägt der PAR mit dieser Eigenschaft zu einer Vergrößerung der maximal über-
tragbaren Wirkleistung bei, wenn die limitierende Größe der maximale Übertra-
gungswinkel ist. Durch Regelung entlang der Leistungsachse ist über die Winkel-
differenz eine unmittelbare Regelung der Wirkleistungsflüsse wie bei jedem kon-
ventionellen Schrägregler gegeben.
An dieser Stelle sei nochmals darauf hingewiesen, dass der von der vom Span-
nungsbetrag nahezu entkoppelte Zusammenhang zwischen Übertragungswinkel
und Wirkleistungsfluss nur in Netzen mit kleinem R/X-Verhältnis Gültigkeit be-
sitzt. In Netzen mit großem R/X-Verhältnis wird bei einer Winkeländerung der
Blindleistungsfluss mitunter in gleicher Größenordnung verändert. Diesem Phä-
nomen ist insbesondere in 16-2/3-Hz-Bahnnetzen Rechnung zu tragen. Aufgrund
der geringeren Betriebsfrequenz liegen oftmals in der Übertragungsebene R/X-
Verhältnisse von nahe eins vor. Bei derartigen Netzverhältnissen führt eine reine
Abb. 15.45a. Ersatzschaltbild einer Anordnung Generator – starres Netz mit PAR, QBT
oder UPFC, installiert bei der Leitungslänge l sowie äquivalente Impedanzanordnung
u11
ul
T
u 22
Abb. 15.45b. Zeigerdiagramm der Spannung am Anfang und Ende des PAR sowie einge-
prägte Zusatzspannung
15.3 Aufbau und stationäres Betriebsverhalten 687
p
T > 0 [0° .. 60°] T > 0 [-60° .. 0°]
pmax
T = 60° T = -60°
- [q ]
Abb. 15.46. P---Diagramm einer Leitung mit PAR
u11
ul
T
u 22
Abb. 15.47. Zeigerdiagramm der Spannung am Anfang und Ende des QBT sowie einge-
koppelte Zusatzspannung senkrecht zur Anfangsspannung
Bei idealem Betrieb bewirkt der UPFC eine Skalierung der Übertragungscharakte-
ristik. Die P---Kurve wird abhängig von der eingekoppelten Längsspannung ska-
liert. Im Vergleich zu den FACTS-Elementen PAR und QBT weist der UPFC die
beste Betriebscharakteristik auf (Abb. 15.51).
15.3 Aufbau und stationäres Betriebsverhalten 689
l=0
T = 60° T = -60°
- [q ]
Abb. 15.48. P---Diagramm einer Leitung mit QBT, eingebaut am speisenden Generator
(l=0)
p
T > 0 [0° .. 60°] T > 0 [-60° .. 0°]
pmax
l = 0.5
T = 60°
T = -60°
- [q ]
Abb. 15.49. P---Diagramm einer Leitung mit QBT, eingebaut in der Mitte der Leitung
(l=0.5)
690 15 FACTS-Elemente
Abb. 15.50. P---Diagramm einer Leitung mit QBT, eingebaut am zu speisenden Netz
(l=1)
p
pmax
ul > 0 [0 pu .. 1 pu]
- [q]
Abb. 15.51. P---Diagramm einer Leitung mit UPFC, eingebaut in der Mitte der Leitung
(l=0.5)
15.3 Aufbau und stationäres Betriebsverhalten 691
z3 3 uz
iL1 i23 i34 iL2
G1 u1 u5 G2
u2 iZ u4
sL1 u3 sZ sL2
Wie groß ist die in den Pfad zwischen Knoten 2 und Knoten 4 kommmutierte
Wirkleistung in Abhängigkeit von der eingekoppelten Seriespannung?
Welches Phasenlage der Seriespannung uz ist erforderlich, damit eine vom
Blindleistungsfluss entkoppelte Wirkleistungsflussregelung vorgenommen
werden kann?
Welchen Einfluss haben unterschiedliche Netzsituationen auf den Berech-
nungsvorgang?
Sind bei Einstellung der gewünschten Leistungsflüsse die Betriebsgrenzen an
allen Netzknoten und Übertragungselementen eingehalten? Für Netzknoten
gilt die Einhaltung des vorgegebenen Spannungsbandes (z.B. 0.9 pu – 1.1 pu).
Bei Übertragungselementen ist auf den maximal zulässigen Strom und Win-
keldifferenz zu achten.
Wirkleistungsabgabe einen Strom in das Netz ein. Dieser Strom verursacht eine
zusätzliche Belastung der angeschlossenen Übertragungselemente, insbesondere
der Leitung zwischen Knoten 2 und Knoten 3. Ein zusätzlicher Spannungsabfall
ist die Folge. Die Spannung an Knoten 3 ist daher mitunter niedriger oder höher
als im Falle der Vernachlässigung des Einflusses des Shuntumrichters. Durch den
zusätzlichen Strom kann die Wirkung der eingekoppelten Seriespannung vermin-
dert werden. Der Shuntumrichter muss bei minimaler Knotenspannung den erfor-
derlichen Stromfluss zur Deckung des Wirkleistungsbedarfes des Serieumrichters
gewährleisten. Die zu installierende Leistung des Shuntumrichters berechnet sich
aus maximalem Shuntstrom und maximaler Knotenspannung. Da diese Größen bei
reinem Wirkleistungsbetrieb i.d.R. nicht gleichzeitig auftreten ist die zu installie-
rende Leistung normalerweise größer als die tatsächlich in den verschiedenen Be-
triebspunkten abgegebene bzw. aufgenommene Leistung. Sie stellt vielmehr eine
Rechengröße zu Charakterisierung des Umrichters dar.
Ausgangspunkt für die Berechnung sind die im folgenden angegebenen Strom-
und Spannungsgleichungen des Modellsystems in Abb. 15.52:
*
s L1 ,
i L1 *
(15.24)
u2
*
s L2 ,
i L2 *
(15.25)
u4
*
s G1 ,
i12 *
(15.26)
u1
i 24 i 12 - i L1 - i 23 , (15.27)
z2 uz ,
i 23 (i 12 - i L1 ) - (15.28)
z2 z3 z2 z3
i 54 - i 24 - i 34 i L 2 , (15.29)
u2 u 1 - i 12 z 2 , (15.30)
u3 u 2 - i 23 z 3 , (15.31)
u4 u 2 - i 24 z 2 , (15.32)
u5 u 4 i 54 z 4 . (15.33)
Damit eine Abschätzung der zu installierenden Leistung möglich ist sollte die tat-
sächlich in Knoten 4 eingespeiste Leistung bekannt sein. Da mit oben genannten
Gleichungen das Modellsystem berechnet werden kann ist hier lediglich die An-
gabe des Leitungsstroms i34 als Funktion der Knotenspannung u3, des Leitungs-
strom i23 und der Seriespannung uz erforderlich.
694 15 FACTS-Elemente
i 34 f u 3; i 23; u z . (15.34)
Dazu ist zunächst der von dem Shuntumrichter eingeprägte Strom zu berechnen da
dieser sich in dem betrachteten Modell dem Leitungsstrom überlagert. Da eine
Zerlegung in Real- und Imaginärteil der Größen erforderlich ist, wird folgende
Konvention eingeführt:
x xW jxB . (15.35)
Mit einem Umrichterwirkungsgrad von U < 1 muss mit dem Shuntumrichter dem
Netz folgende Wirkleistung entnommen werden:
u ZW i 34W u ZBi34B
pSH (15.36)
U
Mit den Knotengleichungen für den Strom und mit der Zerlegung in Polarkoordi-
naten, wie z.B.
iz iz e j iz
. (15.38)
kann der Strom i34 berechnet werden. Damit ist das zu Grunde liegende Modell-
system vollständig beschrieben. Spezielle Fälle des Modellsystems resultieren aus
den unterschiedlichen Netzsituationen, die im folgenden näher diskutiert werden.
u5 u4 . (15.41)
Sind die Kurzschlussleistungen beider Verbundpartner groß, aber nicht unter-
schiedlich, können die die Kurschlussleistung repräsentierenden Impedanzen e-
benfalls vernachlässigt werden. Da die Kurzschlussleistungen gleich groß sind, ist
auch von einer Konstanz der Spannungen u1 und u5 auszugehen. In diesem Fall
ändert sich die Berechnung, da hier von nicht konstanten Spannungen an den Kno-
15.3 Aufbau und stationäres Betriebsverhalten 695
ten 2 und 4 ausgegangen wurde. Ist die Spannung hier als konstant anzunehmen,
muss dies entsprechend im Ansatz berücksichtigt werden.
Dieser Fall tritt i.d.R. dann auf, wenn eine Doppelleitung vorliegt und eine der
Leitungen zwecks gleichmäßiger Auslastung kompensiert wird. Dass eine Netzre-
duktion zu einer identischen Parallelimpedanz führt, ist die Ausnahme.
Ist aufgrund der Kurzschlussleistungsverhältnisse noch zusätzlich von der
Vereinfachung nach Gl. (15.39) auszugehen und wird u1 als eingeprägt angenom-
men vereinfacht sich der Ausdruck zur Berechnung des Leitungsstroms vor dem
Shuntteil des installierten Reglers zu:
1 1 uz
i 23 i 12 - i L1 - (15.43)
2 2 z
Die von Erzeugung G1 abgegebene und über den unteren Zweig übertragene Leis-
tung berechnet sich dann nach:
s 23 u 2 i 23 , (15.44)
1 1 uz
s 23 i12 - i L1 u 2 - u2 , (15.45)
2 2 z
1 1 1 uz
s 23 s G1 - s L1- u2 . (15.46)
2 2 2 z
Aus diesem Zusammenhang ist unmittelbar ableitbar, dass eine maximale Zunah-
me des Leistungsflusses |s23| genau dann erreicht werden kann, wenn die Phase der
Zusatzspannung so eingestellt wird, dass folgender Ausdruck gilt:
* uz
s Base S. (15.52)
z
Ist diese Bedingung erfüllt, lässt sich die Gleichung wie folgt umschreiben:
uz .
s23 e j s23 s Base sBase
(15.53)
2z
Die Betrachtung dieser Netzsituation macht den Einfluss des R/X-Verhältnisses
auf die Auslegung des Serieumrichters deutlich. Zur reinen Wirkleistungsflussre-
gelung muss die eingekoppelte Zusatzspannung eine Phasenlage aufweisen, die
dem Winkel der Leitungsimpedanz entspricht. Bei kleinen R/X-Verhältnissen
(z.B. R/X = 0.1) dominiert der Blindanteil der Netzimpedanz. Der Leitungsstrom
hat idealer Weise einen kleinen Blindanteil. Folglich muss die Seriespannung na-
hezu senkrecht auf dem Leitungsstrom stehen. In diesem Fall erfolgt über den
Serieumrichter nur eine kleine Wirkleistungsabgabe. Die entkoppelte Wirk-/Blind-
leistungsflussregelung erfolgt nahezu ausschließlich über die Einspeisung von
Blindleistung durch den Serieumrichter. Die Dimensionierung des Shuntumrich-
ters fällt entsprechend klein aus.
In Netzen mit großem R/X-Verhältnis (z.B. R/X = 1) und kleinem Blindstrom-
anteil im Leitungsstrom ist für die entkoppelte Wirk-/Blindleistungsflussregelung
die Einspeisung eines größeren Wirkleistungsanteils durch den Serieumrichter
erforderlich. Bei R/X = 1 könnte dann – je nach Leitungsstrom – der Fall auftre-
ten, dass die eingespeiste Wirkleistung in der gleichen Größenordnung liegt, wie
die eingespeiste Blindleistung. Die Dimension des Shuntumrichters ist in diesem
Fall deutlich größer als in Netzen mit kleinen R/X-Verhältnissen.
Dieser Zusammenhang verdeutlicht zusätzlich, dass in Systemen mit kleinen
R/X-Verhältnissen eine konventionelle Seriekompensation zur Wirkleistungsfluss-
15.3 Aufbau und stationäres Betriebsverhalten 697
regelung weniger effektiv ist. Hier würde unerwünschter Weise der Blindleis-
tungsfluss in gleichem Masse wie der Wirkleistungsfluss beeinflusst werden.
uz
s Base
*
. (15.62)
z2 z3
Für den Betrag des Scheinleistungsflusses folgt für diesen Fall dann unmittelbar:
uz
s23 e j s 23 s Base
sBase . (15.63)
z2 z3
s23 uz .
1 (15.64)
sBase z2 z3 sBase
Analog zum vorherigen Fall verdeutlicht die Analyse die starke Abhängigkeit von
Betrag und Phase der einzukoppelnden Zusatzspannung von den Netzverhältnis-
sen. Auch hier gelten die zuvor beschriebenen Zusammenhänge zwischen einzu-
speisender Wirk- bzw. Blindleistung durch den Serieumrichter.
UN = 380 kV,
ZB = 1444
B
SB = 100 MVA,
B (15.65)
Z = (0,03 + j 0,26 ) 100 km / km,
| Z | = 26,17
Für die normierte Leitungsimpedanz gilt dann:
| z | [pu] = 0,018123 (15.66)
Von einer Last am Ende der Doppelleitung wird die Nennleistung (SN = 590MVA)
einer der beiden Leitungen abgenommen. Aus diesen Angaben folgen für einige
Seriespannungsbeträge die Leistungsflüsse über die geregelte Leitung:
1 590 MVA
s 23 2,95 sBase (15.67)
uz 0 2 100 MVA
s 23 uz
1 1 9,35 u z (15.68)
sBase 0,1069
s 23 s 23 s 23
1,467 ; 1,935 ; 2,4 (15.69)
sBase sBase sBase
u z 0 , 05 u z 0,1 u z 0 ,15
15.3 Aufbau und stationäres Betriebsverhalten 699
j 2 X T1 XL
z ges1 = 0.0795 pu (15.73)
ZB 500kV
s 23 s 23
1 2,2 u z ; 1,11 ; (15.76)
sBase sBase
u z 0,05
s 23 s 23
1,22 ; 1,33 . (15.77)
sBase sBase
u z 0,1 u z 0,15
15.3.4.8 Verallgemeinerung
Aus den Modellgleichungen für das hier betrachtete Modell folgt, dass der Betrag
einer Leistungsflussänderung aufgrund einer Regelung über Seriespannungsein-
kopplung nur von der Impedanz in der von der Regelung betroffenen Masche und
der Zusatzspannung abhängt (vgl. Gl. (15.28)). Darüber hinaus erlaubt das Modell
eine Abschätzung der einzukoppelnden Seriespannung. Soll beispielsweise auf
Leitung 2-3 eine Leistungsflussänderung von s = p + j q erreicht werden, muss
die einzukoppelnde Spannung über die Stromänderung in dieser Leitung bestimmt
werden:
700 15 FACTS-Elemente
p j q
*
( s)
i 23 i 23 i 23 i 23 (15.78)
u 2 e j u2
p j q uz
*
i 23 (15.79)
u 2 e j u2 z2 z3
p j q
*
uz z2 z3 (15.80)
u 2 e j u2
Mit diesem zusammengefassten Ergebnis und den zuvor beschriebenen Beispielen
lässt das betrachtete Modellsystem einige Rückschlüsse auf das allgemeine Sys-
temverhalten zu.
Der Betrag der einzukoppelnden Spannung für eine Leistungsflussänderung
hängt nicht vom Belastungszustand ab, sondern voranging von den Impedanzver-
hältnissen im Netz. Der Betrag der einzukoppelnden Spannung für eine Leistungs-
flussänderung hängt zusätzlich von der Spannung der Sammelschiene ab, an der
der Regler angeschlossen ist. Dieser Zusammenhang bedeutet auch, dass mit einer
Shunt–Q-Regelung eines UPFC bei richtigem Einbauort eine Sammelschienen-
Spannungsregelung vorgenommen werden kann, um den Effekt der Querspan-
nungseinkopplung zu vergrößern (konstant zu halten). Dies ist nur an Einbauorten
kleiner Kurzschlussleistung sinnvoll.
Der Betrag der einzukoppelnden Spannung für eine Leistungsflussänderung
hängt von der Leitungslänge der geregelten Leitung (z3) und vom Vermaschungs-
grad, also von der der geregelten Leitung parallel geschalteten Impedanz (z2) ab.
Die Berechnung der Zusatzspannung nach Gl. (15.80) kann nicht angewendet
werden, wenn die Leiter-Erdkapazitäten nicht vernachlässigt werden können, also
z.B. ein Kabelnetz betrachtet wird. Gleichung (15.80) gilt nicht, wenn die "exter-
ne" Impedanz nichtlinear ist, also z.B. mehrere Schrägregler im Netz installiert
sind. Die dabei unsymmetrisch werdende Impedanz z2 kann über eine Impedanz
mit Seriespannungsquelle nachgebildet werden. Alternativ kann auch eine Be-
rechnung mit Kettenmatrizen erfolgen. In diesem Fall ist die Kettenmatrix des
Parallelpfades unsymmetrisch und verhält sich wie ein Gyrator.
Aufgrund der Annahme, dass die von Generator G1 abgegebene Scheinleis-
tung konstant ist, decken sich die Stromänderungen nach Gl. (15.28) nicht genau
mit den Ergebnissen einer konventionellen Leistungsflussberechnung. Aufgrund
der Leistungsflusskommutierung erfolgt auch eine Änderung der Blindflüsse. Der
erhöhte/verminderte Bedarf an Blindleistung wird von beiden Einspeisungen ge-
deckt. Für die grobe Abschätzung der einzukoppelnden Zusatzspannung gilt dann
in erster Abschätzung:
uz
s 0,9 pu . (15.81)
z Masche
Sollte die Spannung an den Sammelschienen (hier 2) kleiner als 0.9 pu werden,
so ist der Faktor 0.9 entsprechend zu korrigieren.
15.4 Modellierung für die Effektivwertsimulation 701
uset il
y x2 yN
GR(uR,uset) F2(y, x3) GU(x2) iq
x3 uq
uR x1 uN
F1(x1) GM(uN)
Abb. 15.54: Modell eines Shuntelementes mit selbstgeführtem Umrichter, modelliert als
Stromquelle
15.4 Modellierung für die Effektivwertsimulation 703
&
> @
x 3 = x3 = u q . (15.84)
Aus der Ausgangsgröße der Betriebsmittelregelung und dem mitgekoppelten
Spannungswinkel wird über F2 der Sollwert des einzuprägenden komplexen Kno-
tenstroms iq bestimmt. Dieser wird – nach Real- und Imaginärteil aufgeteilt –in
den komplexen Netzgleichungen berücksichtigt.
& ª Re{ iq}º
yN = « » . (15.85)
¬ Im{ iq}¼
Zwischengeschaltet ist die Übertragungsfunktion des Umrichters nebst der unter-
lagerten Spannungsregelung, die das Verhalten der Stromquelle erst ermöglicht.
Dieses Verhalten kann im einfachsten Fall als Verzögerungsglied erster Ordnung
mit Zeitkonstanten im Bereich von einigen 10 ms modelliert werden:
& & &
allgemein : G U : x 2 o y N ,
.
& & 1 (15.86)
vereinfacht : G U x 2 = .
1 + TUs
Shuntelemente ohne Energiespeicher, wie der STATCOM, injizieren ausschließ-
lich Blindleistung. In einfachsten Fall stellt F1 als Eingangsgrößen für die eigentli-
che Regelung den Spannungsbetrag am Einsatzort zur Verfügung. Damit folgt
unmittelbar für dieses Funktional:
& ª uq º
ªu R º & § ªu q º · ªuR º
&
«x » = F ¨ » ¸=
1¨ « ¸ « »= «x » (15.87)
¬ 3¼ © ¬ il ¼ ¹ «¬ uq »¼ ¬ 3¼
Bei einfacher Spannungsregelung enthält der Sollwertvektor den Sollwert der
Knotenspannung. Aus dieser wird die Eingangsgröße für das Reglerfunktional ge-
bildet. Die Differenz zwischen dem Spannungsbetrag und dem durch die Span-
nungs-/Blindleistungskoordination im Netz vorgegebenen Referenzwert ist das
Eingangssignal für den Betriebsmittelregler:
&
u set = uq,soll ; ' uq = u q,soll - u R (15.88)
Bei ausführlicher Betrachtung sind im Sollwertvektor alle für die Regelung erfor-
derlichen und von der Betriebsführung veränderlichen Größen zu berücksichtigen.
Darunter fallen insbesondere die Vorgabe der Blindleistungsstatik für den Kom-
pensationsbetrieb sowie allgemeine Anpassungen der Regelungsparameter an
Veränderungen im Energiesystem. Eine einfache Ausführung des Reglers enthält
zwei Glieder mit je proportionalem und integralem Charakter:
& & & i q,soll ( s ) ª KP 1 º
G R (u R , u set ) G R ( s ) = = KN «1 + sT + sT » (15.89)
ǻ uq ( s ) ¬ P I¼
Die Begrenzung der Stellgröße erfolgt über F2. Die Parameter der Begrenzung
ergeben sich aus den Parametern der Stromrichter, insbesondere derer Leistungs-
704 15 FACTS-Elemente
&
ª L iq,soll (s) cos uq + D ( t ) º
F 2 iq,soll , uq = « » = x& 2 ,
« L iq,soll (s) sin u + D ( t ) »¼
¬ q
(15.90)
x min x < x min
°°
mit der Begrenzung : L(x) = ® x x min d x d x max ,
°
°¯ x max x > x max
und der relativen Winkelvorgabe für den Blindleistungskompensationsbetrieb mit
der Winkeleinstellung D(t) = const = S.
Je nach Regelungsstrategie ist es erforderlich die Phase des einzuprägenden
Stroms, dessen Betrag durch die Betriebsmittelregelung als Stellgröße vorgegeben
wird, über den Parameter D in Abhängigkeit von dem Spannungswinkel der Span-
nung uq einzustellen.
Bei einer lokalen Spannungsregelung durch Blindleistungsinjektion ist der
komplexe Knotenstrom orthogonal zu der komplexen Knotenspannung zu bilden.
In der Praxis wird diese Phasenverschiebung über die Stromrichtersteuerung er-
reicht. Bei vollständiger Modellierung des Gleichstromzwischenkreises erfolgt bei
einigen Realisierungen weiterhin über diese Stellgröße eine Regelung der Gleich-
spannung des Zwischenkreiskondensators.
Kleine Abweichungen von der S-Vorgabe des Stromversatzes gegenüber der
Knotenspannung führen zu einem Wirkenergieaustausch zwischen Gleichstrom-
kreis des Kompensators und Netz. Eingespeicherte oder ausgespeicherte Energie
beeinflussen direkt die Zwischenkreisspannung. Abhängig vom verwendeten Be-
zugssystem entfällt der Faktor drei bei der Energieberechnung:
1
WDC
2
2
CDCuDC und pshunt ^ *
Re u q i q , `
T
(15.91)
2
'uDC uDC,0
2
CDC ³0
^ *
`
3 Re u q i q dt .
uset ul
y x2 yN il
GR(uR,uset) F2(y, x3) GU(x2)
x3
x1 uN uq
uR
F1(x1) GM(uN)
Abb. 15.55: Modell eines Serieelementes mit selbstgeführtem Umrichter, modelliert als
Spannungsquelle
15.4 Modellierung für die Effektivwertsimulation 707
Die Ausgangsgröße der Leistungsflussregelung wird als Stellgröße mit dem Win-
kel des Stroms il auf F2 geschaltet, um die einzuprägende komplexe Seriespan-
nung zu bestimmen. Dies erfordert die Bestimmung der Phasendrehung unter Be-
rücksichtigung des Stellbereiches des Umrichters nach Gl. (15.105). Die so be-
rechnete einzukoppelnde komplexe Seriespannung muss unter Berücksichtigung
der elektrischen Wirkung einer Seriekomponente ohne Speichereinheit senkrecht
auf dem Längsstrom il stehen.
Es kann nur Blindleistung abgegeben werden. In der Praxis wird dies bei-
spielsweise durch eine Änderung der Phasenlage des Pulsmusters bei Pulsweiten-
modulation vorgenommen. Dadurch erfolgt über die einzukoppelnde Spannung
ein Energieaustausch zwischen Netz und Umrichterzwischenkreis, um beispiels-
weise die Zwischenkreisspannung zu regeln. Analog zum Shuntelement folgt zur
Beschreibung dieses Vorganges unter Vernachlässigung aller Verluste allgemein
der Zusammenhang in Gl. (15.106).
Je nach Bezugssystem ist hier der Tatsache Rechnung zu tragen, dass Energie
aus einem dreiphasigen Wechselstromsystem in ein Gleichstromsystem übertragen
wird. Das hier angegebene Modell eignet sich grundsätzlich auch zur allgemeinen
Beschreibung von Seriekomponenten mit Energiespeichereinheit. Diese wird mit-
telbar oder unmittelbar an den Zwischenkreis angeschlossen. Anwendungsgebiete
solcher Ausführungen liegen vor allem im Bereich der Verbesserung der Versor-
gungsqualität bezüglich der Kompensation von kurzzeitigen Spannungseinbrü-
chen. Bei dieser Anwendung wird ein Spannungseinbruch im Netz durch die addi-
tiv überlagerte Seriespannung kompensiert, so dass ein angeschlossener Ver-
braucher von einem Netzfehler unberührt bleibt.
& ª L ul ( s ) cos ul,soll + Į(t ) º
F 2 ul,soll , i l = « » ,
«¬ L ul ( s ) sin ul,soll + Į(t ) »¼
(15.99)
xmin x < x min
°°
mit der Begrenzung L( x ) = ® x x min d x d xmax ,
°
¯° x max x > xmax
und der relativen Winkelvorgabe D(t) = const. = S
1
WDC
2
2
CDCuDC und pshunt ^ *
Re u q i q , `
T
(15.100)
2
'uDC uDC,0
2
CDC ³0
^ *
`
3 Re u q i q dt .
ul
uset il1 il2
yN
H(uN, uset) iq = iq1 + iq2
uq1 uq2
uN
Abb. 15.56: Modell eines FACTS-Elementes mit Shunt- und Serieelement mit Regler-
funktional und Netzeinkopplung
15.4 Modellierung für die Effektivwertsimulation 709
(15.109)). Der Eingangsvektor für die eigentliche Regelung umfasst die aktuellen
Wirk- und Blindleistungsflüsse auf der Leitung sowie die Knotenspannung.
ª u q1 º
& & « »
x1 = u N = « il1 ». (15.102)
« »
«¬ il 2 »¼
Die vierte Komponente des Eingangsvektors uR ist ein Signal d, dass der überla-
gerten Dämpfungsregelung zugeführt wird. Im einfachsten Fall kann hier der
Wirkleistungsfluss über das Element gewählt werden. Der eigentliche Regelkreis
besteht aus einer Regelung für die Leistungsflüsse und die Knotenspannung
(Normalregelung) sowie einer überlagerten Komponenten für Dämpfungs-
regelung. Daher folgt für den Vektor der Sollwertvorgaben der Ausdruck in Gl.
(15.110).
^
ª Re u q1 i l1* `º ª p12 º
« » « »
«
^
« Im u q1 i l1
*
` »» « q12
«
»
»
« » « u »
« uq1 » « q1 »
« & » « & »
« » « d &
d » ª uR º
« » « » « »
&
F1 &
x1 = « --- » = « --- » = « --- » . (15.103)
« » « i » « & »
il1 » « l1
« » «¬ x 2 »¼
« » « i »
« il2 » « l2 »
« » « u »
« u q1 » « q1
»
« » « i »
« i l1 » « l1
»
« » « i »¼
«¬ i l2 »¼ ¬ l2
ª G P ( s) 0 0 0º
& « » &
y « 0 GQ ( s) 0 0 » uR
« »
«¬ 0 0 GU ( s ) 0 »¼
(15.105)
ª K D1 º
« » &
« K D2 » > 0 0 0 G D ( s ) @ u R .
« »
«¬ K D3 »¼
Für praktische Implementierungen, beispielsweise in ein blockorientiertes Simula-
tionssystem, ist diese Darstellung aufgrund der erhöhten Anzahl von Zustandsgrö-
ßen ungünstiger:
ª G P ( s) 0 0 K D1 GD ( s )º
& & « » & &
y =y = « 0 GQ ( s) 0 K D 2 GD ( s )» u R = M u R . (15.106)
« »
¬« 0 0 GU ( s) K D 3 GD ( s )¼»
Im einfachsten Fall sind Regler mit proportional integralem Verhalten einzuset-
zen. Für die Übertragungsfunktionen der Regelung der Wirk- und Blindleistungs-
flüsse sowie der Knotenspannung folgt Gl. (15.107).
Zur Dämpfung dynamischer Vorgänge kann eine unterlagerte Dämpfungsrege-
lung eingeführt werden, die durch Modulation der Stellgrößen der Spannungs-,
Wirkleistungs- und Blindleistungsregelung wirkt (siehe Matrix M ). Die einfachste
Ausführung stellt eine Übertragungsfunktion mit gezielter Phasen- und Verstär-
kungsanhebung dar. Daher wird hier eine Kombination von Lead-/Lag-Gliedern
mit vorgeschaltetem Filter eingesetzt, deren Ausgangsgröße e über M und die Ver-
teilungsfaktoren KD1 bis KD3 den anderen Regelkreisen überlagert wird. Als Ein-
gangsgröße dient die zuvor selektierte Größe d. Verfahren zur Parametrierung von
Übertragungsfunktionen dieser Struktur sind das Frequenzkennlinien- und Wur-
uset
y x5
uR GR(uR,uset) F2(x2, x3, y)
yN
x4 x3 GU(x5, x6)
uN x1 x2
GM(uN) F1(x1) F3(x2, x4, y)
x6
H(uN, uset)
y Q (s) KQ K Q2
GQ ( s ) = = + , (15.107)
ǻ q1,2 (s) 1 + sTQ s T Q2
y U (s) K U + K U2 .
GU ( s ) = =
ǻ uq1 (s) 1 + sT U s T U2
e( s ) s (1 + s T D1) (1 + s T D 3) .
GD ( s ) = = K DR (15.108)
d ( s) 1 + s T UW (1 + s T D 2 ) (1 + s T D 4 )
Eine Realisierung der Ausgangsgrößenweiterleitung für die Regelungen basiert
auf der Beeinflussung des Wirleistungsflusses durch den Imaginärteil Seriespan-
nung und der Beeinflussung des Blindleistungsflusses durch den Realteil der Se-
riespannung. Als dritter Freiheitsgrad steht die Regelung des Shuntstroms zur Ver-
fügung. Diese Vorgehensweise korrespondiert mit der in der Praxis eingesetzten
Regelung der d- und q-Komponente der entsprechenden Netzgrößen. Der Aus-
gangsgrößenvektor des Reglers ergibt sich dann zu:
ª Re ^ ul `soll º ª y P ( s ) + e( s ) º
& « » « »
y = « Im ^ ul `soll »= « y Q ( s ) + e( s ) »,
« » « » (15.109)
¬« iq1.soll ¼» « y U ( s ) + e( s ) »
¬ ¼
mit ul,soll = Re ^ ul `soll + j Im ^ ul `soll .
Der Wirkleistungsregler beeinflusst den Imaginärteil, der Blindleistungsregler den
Realteil der Spannung ul,soll, die nach einer Phasendrehung und Begrenzung über
F2 als Zusatzspannung ul in den Seriezweig eingeprägt wird. Aufgrund der längs-
und querregelnden Wirkung ist bei der Phasendrehung sicherzustellen, dass der
Realteil von ul in Phase mit der Spannung uql liegt. Die Begrenzung der einzuprä-
genden Seriespannung hängt von den Konverterleistungen der Umrichter im
Shunt- und Seriezweig ab. Da ul nicht in Phase zu il1 liegt, muss die im Seriezweig
abgegebene Wirkleistung über den Shuntzweig aufgenommen werden. Diese
Wirkleistung berechnet sich nach:
pl = Re ^u l
*
il2 `. (15.110)
712 15 FACTS-Elemente
(15.113)
15.4.4 Modellsynthese
Dem im folgenden beschriebenen Verfahren zur Synthese der FACTS-Element-
Modelle mit den Netzgleichungen liegt das in Abschn. 14.2.2 angegebene Prinzip
der „Netzberechnung mit Spannungseinkopplung“ zugrunde. Für eine über die
hier speziell auf die Anwendung mit FACTS-Elementen konzentrierte hinausge-
hende Beschreibung sei auf Abschn. 14.2.2 verwiesen.
Das dynamische Verhalten des betrachteten Zeitbereichs wird kraftwerksseitig
vorrangig durch die Rotordynamik der installierten Generatoren und deren Rege-
lungseinrichtungen bestimmt. Da die Selbst- und Gegeninduktivitäten des Rotor-
und Statorsystems von der Rotorstellung abhängig und damit zeitvariant sind, er-
folgt eine Berechnung der dynamischen Ausgleichsvorgänge in einem transfor-
714 15 FACTS-Elemente
a) i12 xB xL i21
' iq
u1 ' ul u2
b) i12 xB xL i21
'iq
u1 'u l u2
'il
j ( xB x L )
c) i12 xB xL i21
' i q + 'i l 'il
u1 u2
Da die Serieschaltung aus idealer Spannungsquelle und Impedanz auf das Netz
wie die Einprägung von Knotenströmen am Anfang und Ende dieser Serieschal-
tung wirkt, können eingeprägte Seriespannungen in der Knotenstrombilanz be-
rücksichtigt werden (vgl. Abb. 15.58). Dazu ist eine Koppelmatrix KL erforderlich,
die die reziproken Impedanzen der Serieschaltung enthält. Aufgrund der Einkopp-
lung von Seriespannungen über die Knotenstrombilanzen an den Anschlusspunk-
ten des Betriebsmittels ist die Anzahl der von Null verschiedenen Elemente dieser
716 15 FACTS-Elemente
Koppelmatrix doppelt so groß wie die Anzahl der Seriespannungsquellen. Für die
um zusätzliche Seriespannungen erweiterten Netzgleichungen folgt:
& & &
i = Y L u + K L ul . (15.121)
Die Zusammenfassung der Gleichungen ergibt die um zusätzliche Shuntströme
und Seriespannungen erweiterte Netzgleichungen nach:
ª iG º ª Y GG Y GL º ª uG º ª K GQ º & ª K GL º &
« » =« »« »+« » iq + « » ul
¬ 0 ¼ « Y LG Y LLL » ¬« u L ¼» «¬ K LQ »¼ «¬ K LL ¼» (15.122)
¬ ¼
& & &
= Y Lu + K Q i q + K L u l .
In dieser Darstellung sind die Knotenlasten als Lastadmittanzen berücksichtigt.
Der Stromvektor der linken Seite von Gl. (15.122) enthält ausschließlich die Ge-
neratorströme. Durch Aufspaltung der Knotenadmittanzmatrix und der Koppel-
matrizen in Teilmatrizen folgt eine analytische Beschreibung der Generatorströme
und Knotenspannungen als Funktion der Generatorspannungen und der durch die
regelbaren Betriebsmittel eingeprägten zusätzlichen Knotenströme und Seriespan-
nungen:
& & &
u L = - Y LLL
-1
Y LG u G + K LQ i q + K LL u l ,
& & & & & (15.123)
i G = Y GG u G + Y GL u L + K GQ i q + K GL u l .
Insgesamt ergibt sich mit dieser Beschreibung der Netzgleichungen und den linea-
ren sowie nichtlinearen Differentialgleichungen der Generatoren, der regelbaren
Betriebsmittel und aller Regelungseinrichtungen ein nichtlineares Differential-
gleichungssystem.
15.5 Einsatzortbestimmung
Die Baugröße eines Netzreglers hängt nicht allein von der zu erzielenden Wirkung
im Netz, sondern insbesondere auch vom Einsatzort ab. Für einen wirtschaftlichen
Einsatz von Netzreglern ist daher ein solcher Einsatzort zu bestimmen, an dem die
Wirkung von Regelungseingriffen besonders effektiv ist. Zur Bestimmung der
Einsatzorte von im Netz regelnder Betriebsmittel existieren viele verschiedene
Verfahren. Eine einfache Möglichkeit besteht in der Analyse der Sensitivität einer
zu regelnden Netzgröße gegenüber einem Betriebsmitteleingriff an einem be-
stimmten Einsatzort. Der Einsatzort mit der höchsten Sensitivität ist dann nach
diesem Kriterium optimal. Beispielhaft für alle Netzregler werden hier die folgen-
den Fälle „Shuntelemente am Beispiel der Spannungsregelung und -stabilität“
sowie „Serieelemente am Beispiel der Lastflussregelung und Verlustreduktion“
betrachtet.
15.5 Einsatzortbestimmung 717
15.5.1 Shuntelemente
Aufgrund der üblicherweise schwachen Kopplung zwischen Blindleistungs-
injektion und Wirkleistungsfluss bzw. starken Kopplung zwischen Nettoknoten-
blindleistung und Knotenspannung, ist ein Anwendungsgebiet von Shuntelemen-
ten die Spannungsstützung. Als mathematische Grundlage für die Sensitivitäts-
analyse von Knotenspannungen bezüglich Blindleistungsinjektionen von Shunt-
elementen dienen die Gleichungen zur Bestimmung der Nettoknotenwirk- und -
blindleistung. Alle Variablen gehen normiert in das Gleichungssystem ein. Die
Sensitivitätsanalyse erfolgt anhand einer linearisierten Betrachtung durch partielle
Differentiation nach Winkel und Spannung.
nk
pi = ¦ ui u j yij sin -i - - j - Dij ,
k=1
nk
(15.124)
qi = ¦ ui u j yij cos -i - - j - Dij ,
k=1
Die die Ableitungen enthaltende Jacobi-Matrix J kann überdies als Matrix, beste-
hend aus den vier Untermatrizen JP- JPu, JP- und JQu dargestellt werden:
ª wp wp º
& « & & &
ǻp
ª º « w- w u » ªǻ - º ª J P- J Pu º ªǻ - º ªǻ - º
»
« &»=« » « &»
= « » « & » = J « & ». (15.125)
¬« ǻq ¼» « w q w q » ¬ǻ u ¼ «¬ J Q- J Qu »¼ ¬ ǻ u ¼ ¬ǻ u ¼
¬« w - w u ¼»
Die für die Einsatzortbestimmung erforderliche Beschreibung der Spannungs-
änderungen 'u und Winkeländerungen '- in Abhängigkeit von den Blind-
leistungsänderungen 'q und Wirkleistungsänderungen 'p ist aus der Zerlegung
der inversen Jacobi-Matrix bestimmbar. Hinsichtlich der Sensitivitätsanalyse wer-
den im weiteren nur die Nettoknotenblindleistung betrachtet. Für die Knoten-
spannungsänderungen folgt dann:
718 15 FACTS-Elemente
-1
ª H P - H Q- º ª J P- J Pu º
« » := « »
«¬ H Pu H Qu »¼ «¬ J Q- J Qu »¼ (15.126)
& & & &
'u = H Pu ' p + H Qu ' q | H Qu ' q .
Ein Matrixelement aus Zeile i und Spalte j der durch die Inversion und Zerlegung
bestimmten Matrix HQu repräsentiert in dem betrachteten Arbeitspunkt die Beein-
flussung der Knotenspannung ui durch kompensatorische Maßnahmen in Knoten j.
Die quadratische Norm einer Spalte von HQu liefert ein Maß für den Einfluss einer
Knotenblindleistungsänderung auf die Knotenspannungen. Verringert um die
Standardabweichung dieser Spalte folgt ein Gütevektor xu, dessen Komponenten
qualitativ einen der nk Netzknoten als Einsatzort eines querkompensierenden Be-
triebsmittels bewertet:
nk
x u( i ) = ¦ H Qu ( j, i )
2
-
j=1
(15.127)
2
nk §§ 1 nk ·
·
- 1
nk ¦ ¨ ¨¨ n k
¨ ¦H Qu ( k, i ) ¸¸ H Qu ( j , i ) ¸¸ ; i = 1 nk .
j = 1 ©© k = 1 ¹ ¹
Zusätzlich zu dieser Bewertung ermöglicht diese Darstellung eine sehr einfache
Bewertung des Einflusses eines Shuntelementes auf die Spannungsstabilität. Ein
Kriterium für den Übergang von einem spannungsstabilen auf einen spannungs-
instabilen Arbeitspunkt ist ein Vorzeichenwechsel in der Determinante der Jacobi-
Matrix [15.22]. Im Übergang auf einen spannungsinstabilen Zustand weist die
Determinante der Jacobi-Matrix einen Vorzeichenwechsel auf, da Hauptdiagonal-
elemente der Untermatrix JQu zu Null werden. In einem ersten Schritt wird die
Systemdynamik vernachlässigt. Dann repräsentieren betragsmäßig große Werte
Knoten mit hoher Spannungsstabilität. Zur Beurteilung aller Netzknoten werden
die Hauptdiagonalelemente der Untermatrix JQu auf einen Vektor xs abgebildet.
Dessen Komponenten können Werte aus dem Intervall [0..1] annehmen:
& 1 1 1 T 1
xs ª J Qu(1) , J Qu( 2 ) , ... , J Qu( n ) º min §¨ J Qu( k ) ·¸ . (15.128)
«¬ k »¼ k 1...nk © ¹
Werte von Knoten, an denen diese Werte nahe eins liegen sind damit weniger ge-
fährdet also solche, deren Bewertung nahe null ausfällt. An diesen Knoten wäre
eine Spannungsstützung durch Blindleistungsinjektion stabilitätsfördernd. Allge-
mein reichen die dafür einsetzbaren Technologien von geschalteten Shuntkom-
pensatoren über thyristorgeregelte statische Shuntkompensatoren (SVC) bis hin zu
Shuntkompensatoren auf Basis selbstgeführter Umrichter (STATCOM).
15.5.2 Serieelemente
Der Einsatz von Serieelementen zielt vornehmlich auf die Regelung der Leis-
tungsflüsse über einen Übertragungspfad. Dabei ist vornehmlich eine Beeinflus-
sung der Wirkleistung von Interesse, während die übertragene Blindleistung nach
Möglichkeit nur wenig beeinflusst werden soll. In Übertragungspfaden mit klei-
15.5 Einsatzortbestimmung 719
¦ >(b ) - (b-1) qj @
(b) -1
p pq = b pq pj ¦ b jk - jk = ¦Q pqjk - jk ,
j= 2 k=1 jk=1
(15.131)
wp pq
Q pqjk
w- jk
(b)
bpq >
b 1 pj b1 qj b1 pk b1 qk b jk . @
720 15 FACTS-Elemente
Dabei ist nz = Anzahl Zweige, womit auch der Verteilungsfaktor berechnet ist.
Was die Verluste betrifft, folgt
(b)
nk
(b)
nz g pq 2
nz
pv = ¦g - pq
2
pq =¦ (b)2
p pq = ¦r pq p2pq (15.132)
pq=1 pq=1 b pq pq=1
und schließlich durch Berücksichtigung der obigen Gl., ebenfalls für Änderungen
geschrieben:
nz nz nz
'pv = ¦ 2rpq p pq0 ¦ Q pqjk '- jk ¦D jk '- jk
,
pq=1 jk=1 jk=1
nz
(15.134)
wpv
mit D jk
w- jk ¦r
pq 1
pq 2 p pq 0 Q pqjk . .
max D jk (15.135)
jk 1... n z
Die Verteilungsfaktoren lassen nicht nur eine Bewertung des Einflusses von Se-
rieelementen auf die Netzverluste zu, sondern ermöglichen auch eine Bewertung
der Effektivität dieser Elemente zur Leistungsflussregelung. Da das Maß für die
Beeinflussungsmöglichkeit eines Leistungsflusses in Zweig pq durch einen Rege-
lungseingriff in Zweig ij über einen Verteilungsfaktor Qpqij beschrieben wird, be-
steht die Möglichkeit, die Sensitivität bzgl. der Umlastung unmittelbar aus diesem
Faktor anzugeben.
nz
x pq = ¦g ij Eij Q pqjk (15.136)
ij = 1
> @ >
T
J = ¦ J k = ¦ ³ y i (t ) Q i
@
y (t ) dt . (15.137)
k i=1 0
Dabei ist yi(t) die Impulsantwort des Systems, wenn an der i-ten Maschine eine
Impulsfunktion als Eingangsgröße aufgeschaltet wird und alle anderen Eingangs-
größen zu Null gewählt werden. Dieses Verfahren ist als Ergänzung zu der heute
weit verbreiteten Modalanalyse zu sehen. Bei dieser wird der Ausgangsgrößen-
verlauf nach einer sprungförmigen Anregung betrachtet.
Grundlage des hier angegebenen Verfahrens ist die Aufschaltung einer Impuls-
funktion als Eingangsgröße. Theoretisch spiegelt diese das gesamte Frequenz-
spektrum wider. Daher kann der Einfluss eines Eigenwertes Oi auf das Gütemaß J
unabhängig von der Art der Systemanregung bestimmt werden. Zur Identifikation
kritischer Eigenwerte in bezug auf Leistungspendelungen eigenen sich besonders
impulsförmige Wirkleistungsänderungen an den Generatoren.
Alle Anteile Jk der Eigenbewegung an J können bei einer impulsförmigen Ein-
gangsanregung einzeln bewertet werden. Dies wird hier im Rahmen der Einsatz-
ortbewertung neben der Bestimmung der kritischen Eigenwerte hauptsächlich zur
Bewertung von Regelungseingriffen in bezug auf die Dämpfung von Leistungs-
pendelungen ausgenutzt. Daraus ergeben sich, in Ergänzung zu der bei der Ein-
satzortbestimmung eingesetzten modalen Zustandsdekomposition, die genannten
Informationen.
Nachdem die kritischen Eigenwerte Oi bestimmt sind, liegen die entsprechen-
den Komponenten des Gütemaßes J vor. Wird in eine Leitung des Netzes eine
Seriespannung oder ein Shuntstrom impulsförmig eingeprägt, entsprechen die
korrelierten Komponenten des Gütemaßes dem Dämpfungseinfluss auf die kriti-
schen Eigenwerte.
In bezug auf die in Abschn. 15.4 entwickelten Betriebsmittelmodelle prägen
FACTS-Elemente Shuntströme und Seriespannungen nach Betrag und Phase ein,
wodurch das Gesamtsystem als nichtlineares Differentialgleichungssystem vor-
liegt. In der linearisierten Darstellung muss daher eine betragsmäßige Einkopp-
lung von Zusatzspannungen und -strömen erfolgen. Während bei Shunt- und Se-
rieelementen ein Übergang auf betragsmäßige Ausgangsgrößen keine Einschrän-
kung der Funktionalität bedeutet, muss die Wirkung von Shunt- und Serieelemen-
ten in reine Längs- und Querregelung aufgespalten werden.
Aus der Linearisierung des nichtlinearen Differentialgleichungssystems folgt
das der Einsatzortbestimmung zugrunde liegende Systemmodell. Damit wird der
Einfluss von Regelungsmaßnahmen am Einbauort auf Leistungspendelungen be-
wertet, die bei entsprechender Wahl von Q durch den Verlauf der Rotorbewegun-
gen Zi und die von den Generatoren abgegebenen elektrischen Leistungen pGi be-
schrieben werden. Die Matrix Q ist eine reine Diagonalmatrix:
722 15 FACTS-Elemente
¦ ³ >Z @ dt - ¦
m 2
J Z pq = i (t ) J Zk ,
i=1 0 k z pq
(15.139)
ng f
¦³>p @ dt - ¦
m 2
J PG pq = Gi (t ) J PGk .
i=1 0 k z pq
Dabei geben JZpq und JPGpq den Anteil an der Dämpfung eines kritischen Eigen-
wertes k an, den ein am Einsatzort pq installiertes FACTS-Element erzielen kann.
Die Darstellung über zwei Güteindizes bietet den Vorteil einer differenzierten
Beurteilung der Dämpfungsregelung hinsichtlich der mechanischen und elektri-
schen Beanspruchung des Generator-Turbosatzes. In Bezug auf die Einsatzortbe-
wertung unter Berücksichtigung mehrerer Systemzustände muss aus diesen Güte-
maßen der die Dämpfung charakterisierende Gütevektor komponentenweise be-
stimmt werden:
J Zi + J PGi
x Di =
¦ J Z pq + J PG pq . (15.140)
pq
p
pmax
1
Nach dem Fehler
A2
Vor dem Fehler
p0
Während
A1 des Fehlers
0 G [ q]
G Gk 90 180
Abb. 15.60: Einphasiges Ersatzschaltbild des Modellsystems zur Untersuchung der Rege-
lungsstrategien
Zunächst erfolgt eine allgemeine Betrachtung des Systemverhaltens ohne FACTS-
Elemente. Als Störung sei ein dreiphasiger Kurzschluss an den Generatorklemmen
angenommen. Die Kurzschlussklärung erfolgt mittels Kurzunterbrechung. Zur
Diskussion des Systemverhaltens werden die Wirkleistungsabweichung bzw. die
Änderung des Drehmomentes an der Generatorwelle, die Winkel- und Drehzahl-
abweichung betrachtet. Die zeitlichen Verläufe dieser Größen sind in Abb. 15.61
dargestellt (vgl. auch Abb. 15.62).
1 2 3 4 5
'p
'G
Gmax-G0
Gk-G0
'Z
Abb. 15.61: Zeitliche Verläufe der Wirkleistungs-, Winkel- und Drehzahlabweichung bei
dreiphasigem Fehler mit anschließender Kurzunterbrechung im hier betrachteten Modellsys-
tem
15.6 Verbesserung der transienten Stabilität 725
p
p max
1
3
5
A2
p0
4
A1
2
G [ q]
0 90 180
1 G Gk Gmax
Abb. 15.62: P---Diagramm des betrachteten Modellsystems Trajektorie während der be-
trachteten Störung
Nach Fehlereintritt (1) steigt die Wirkleistungsabweichung im idealisierten Fall
sprungartig an. Da die korrespondierende Energie nicht eingespeist werden kann
ist eine Rotorbeschleunigung die Folge. Gleichzeitig vergrößert sich der Polrad-
winkel. Nach Wiederzuschaltung der Last, also nach Fehlerklärung (2), gibt der
Generator die überschüssige Energie wieder an das Netz ab. Da die Rotordrehzahl
zwar abnimmt, aber immer noch zu groß ist, steigt der Polradwinkel weiter, bis die
Drehzahl wieder den Nennwert erreicht hat (3). Nun verursacht der noch zu große
Polradwinkel eine weitere Energieabgabe des Generators, der weiter gebremst
wird. Die Drehzahlabweichung wird negativ, der Polradwinkel verringert sich und
die eingespeicherte Energie wird vollständig abgegeben (4). Aufgrund der noch
vorherrschender Inkonsistenz zwischen Drehzahl, Polradwinkel und Leistung,
schwingt das System um den Arbeitspunkt vor dem Fehler.
Durch die in diesem Beispiel angenommene natürliche Dämpfung klingt die
Schwingung nach einigen Perioden ab. Zur Veranschaulichung ist die Trajektorie
im P---Diagramm in Abb. 15.62 dargestellt. Hier ist ebenfalls deutlich der erste
Unterschwinger der Wirkleistungsabgabe bis Punkt (3) zu erkennen. Ausserdem
wird deutlich, dass nach Passieren von Punkt (3) eine gedämpfte Schwingung um
den Arbeitspunkt vor der Störung einsetzt. Aus der Betrachtung des zeitlichen
Verlaufes der Zustandsgrößen sowie der Trajektorie im P---Diagramm folgt eine
Unterteilung der dynamischen Vorgänge in drei im folgenden skizzierten signifi-
kante Phasen.
726 15 FACTS-Elemente
Kann die überschüssige Energie im Rotor während Phase 1 nicht abgegeben wer-
den, wird das System instabil, da in diesem Fall der Polradwinkel weiter steigt.
Daher ist diese Phase für den Erhalt der transienten Stabilität besonders wichtig.
Für den Fall der Wahrung der transienten Stabilität gibt die englischsprachige Li-
teratur auch den Begriff der „1st Swing Stability” an. Die „1st Swing Stability“ ist
gegeben, wenn Phase 1 verlassen wird. Maßgeblich für das Verlassen von Phase 1
ist die Bremsfläche A2. Maßnahmen zur Verbesserung der transienten Stabilität
setzen daher an der Vergrößerung der Bremsfläche A2 an.
5 Phase 1
p 6
4
pmax 7
1
Modus 1
Theoretisches
A2 Stabilitätslimit
p0
Modus 3
1 Modus 2
A1
2 3
0 90 180 G [ q]
p Phase 2
10 8
pmax 7
1
Modus 1
Theoretisches
Stabilitätslimit
p0
9
Modus 2
Modus 3
11
0 90 180 G [ q]
15.6.3 Ausführungsbeispiele
Die im vorherigen Abschnitt beschriebene Strategie zur Verbesserung der tran-
sienten Stabilität unterliegt idealisierten Bedingungen. Die spezifischen Betriebs-
mittelcharakteristiken der einzelnen FACTS-Elemente sind nicht berücksichtigt
worden. Nach der hier gemachten Unterteilung des dynamischen Verhaltens in
drei Phasen wurde deutlich, dass insbesondere Phase 1 und Phase 2 einen Einfluss
auf die transiente Stabilität haben.
Während die Regelungsstrategie in Phase 1 und Phase 2 direkt die transiente
Stabilität beeinflusst ist die Zielsetzung für Phase 3, die Dämpfung der Schwin-
gungen um den stationären Arbeitspunkt. Da hierfür eine Vielzahl von Ansätzen
besteht, ist in den Ausführungsbeispielen nur Phase 1 und Phase 2 näher betrach-
tet. Beispiele für weitere Ausführungen finden sich in beispielsweise in [15.2],
[15.14] und [15.16]. Die angewendete Strategie folgt nach dem beschriebenen
Verfahren und basiert auf dem Flächensatz.
p Phase 3
pmax Modus 1
1
14
13 Theoretisches
Stabilitätslimit
p0
15 Modus 2
Modus 3
11
12
0 90 180 G [ q]
p
p max 4
6
p0
1 7
8
2 3
0 90 180 G [ q]
Abb. 15.66: P---Diagramm mit Trajektorie für die beschriebene Regelungsstrategie für
die Betriebsmittel SVC, STATCOM, TCSC, SSSC und UPFC
15.6 Verbesserung der transienten Stabilität 731
15.6.3.2 QBT
Der QBT weist im Vergleich zu den zuletzt betrachteten FACTS-Elementen
grundlegende Unterschiede in der Betriebscharakteristik auf. Überdies ist diese
vom Einbauort dieses FACTS-Elementes abhängig. Das Potential zur Verbesse-
rung der transienten Stabilität ist dann besonders groß, wenn der Einsatz genera-
tornah erfolgt (Abb. 15.67). In diesem Fall ist eine Anhebung der maximal über-
tragbaren Leistung möglich. Dies wirkt sich positiv auf die erzielbare Bremsflä-
chenvergrößerung aus. Auch an anderen, ungünstigeren Einsatzorten leistet der
QBT einen positiven Beitrag zur Verbesserung der transienten Stabilität. Die Ef-
fektivität in diesen Fällen ist allerdings geringer.
Hier steht der generatornahe Einsatz bei den folgenden Betrachtungen im Mit-
telpunkt. Während des Fehlers kann die Trajektorie des Betriebspunktes nicht be-
einflusst werden (Punkt (1) bis (3)). Eine Maximierung der Bremsfläche erfolgt
durch das Abfahren der jeweiligen Maxima der einstellbaren P---Kurven bis
Punkt (6). In diesem Punkt liegt das Maximum der positiven Polradwinkelände-
rung vor. Während der Verringerung des Polradwinkels erfolgt analog zu den zu-
vor beschriebenen Betriebsmitteln ein Umschalten zwischen „minimaler“ und
„maximaler“ Übertragungscharakteristik zur gleichmäßigen Beschleunigungs- und
Bremsenergieaufteilung (Punkte (7) bis (10)). Nach Erreichen von Punkt (10)
muss die Regelung zur Dämpfung der Restschwingung aktiviert werden.
p
4 5 7
p max
6
1 9
p0 8
10
0 2 90 180
G [°]
Abb. 15.67: P---Diagramm mit Trajektorie für die beschriebene Regelungsstrategie für
das Betriebsmittel QBT
732 15 FACTS-Elemente
15.6.3.3 PAR
Im Aufbau zwar ähnlich zum QBT unterscheidet sich der PAR im Betriebsverhal-
ten deutlich von diesem FACTS-Element. Da beim PAR ausschließlich eine
Winkänderung bewirkt werden kann, ist die Einflussnahme auf die Übertragungs-
charakteristik deutlich ausgeprägter. Mit dieser Betriebscharakteristik kann der
PAR prinzipiell mit einer zu der oben beschriebenen ähnlichen Regelungsstragie
betrieben werden (Abb. 15.68). Aufgrund seiner besonderen Betriebscharakteristik
wird hier auf eine zusätzliche Betriebstrategie eingegangen. Bei dieser erfolgt
nach Fehlerklärung in (3) eine Verschiebung der P---Kurve durch den PAR so,
dass im Betriebspunkt (4) nach Fehlerklärung die maximale Wirkleistung abgege-
ben wird.
Während der gesamten Winkelzunahme führt die Regelung des PAR die P---
Kurve nach und ermöglicht damit in diesem Bereich eine maximale Wirkleis-
tungsabgabe. In Punkt (5) ist der maximale durch den PAR eingeprägte Zusatz-
winkel erreicht. Der Arbeitspunkt läuft entlang der P---Kurve bis zum Nulldurch-
gang der Drehzahländerung in (6). Durch das Nachführen der P---Kurve mit dem
größer werdenden Polradwinkel ist die Bremsfläche maximiert. Nach Erreichen
des maximalen Polradwinkels läuft der Arbeitspunkt bis zum Erreichen der statio-
nären Wirkleistungsabgabe in (7). Ohne zusätzliche Bremsenergie abzugeben oder
Beschleunigungsenergie aufzunehmen führt die PAR-Regelung den Arbeitspunkt
entlang der P---Kurve (Punkt (8)). Auf dieser läuft der Betriebspunkt weiter bis
die zwischen (6) und (7) abgegebene Bremsenergie wieder aufgenommen ist. Ab
p 4
p max 5
1
6
8
p0
7
1
2 3
0 90 180 G [ q]
Abb. 15.68: P---Diagramm mit Trajektorie für die beschriebene Regelungsstrategie für
das Betriebsmittel PAR
15.7 Verbesserung der Versorgungsqualität 733
Punkt (10) übernimmt die Dämpfungsregelung die Regelung des PAR, um die
verbleibende Schwingung um den stationären Arbeitspunkt zu dämpfen. Ab-
schliessend sei darauf hingewiesen, dass die für den PAR vorgestellte Strategie
zur Verbesserung der transienten Stabilität nicht auf die Anwendung im Betriebs-
mittel PAR beschränkt ist. Die vorgestellte Methode kann in allen Regelungen von
Betriebsmitteln Anwendung finden, die eine ideale Phasenwinkelregelung erlau-
ben. Dass heisst auch der UPFC kann mit der gleichen Strategie für die Verbesse-
rung der transienten Stabilität betrieben werden.
15.7.1 Störungsursachen
Die in einpolige Erdschlüsse, zweipolige Kurzschlüsse mit und ohne Erdberüh-
rung sowie dreipolige Kurzschlüsse zu unterteilenden Fehlerarten beeinflussen die
Amplitude und Phasenlage der verbraucherseitig wirksamen Anschlussspannung.
Bei ungefähr 80% aller auftretenden Fehler handelt es sich um einpolige Fehler.
Darüber hinaus führen Schalthandlungen, wie beispielsweise das Zu- und Ab-
schalten großer Lasten, zu sprungartigen Last- und damit Spannungsänderungen.
Insbesondere im Zeitbereich von 100 ms bis 1000 ms ist es nahezu unmöglich,
ohne zusätzliche Maßnahmen Spannungseinbrüche zu verhindern.
Nur durch zusätzliche Maßnahmen im Netz oder auf der Verbraucherseite
können sensible Verbraucher (kritische Verbraucher) gegen derartige Störungen
geschützt werden (Abb. 15.69). Maßnahmen auf der Verbraucherseite erfordern
einen Eingriff in den Kundenprozess und bieten nur lokale, auf spezielle Störun-
gen zugeschnittene Abhilfe. Eine die Versorgungsqualität garantierende ursächli-
che Behebung des Problems ermöglichen Maßnahmen im Netz durch Betriebsmit-
tel zur Vergrößerung der Versorgungsqualität (PQ-Geräte, Power-Quality-
Geräte). Durch diese kann – auch bei Netzstörungen – die qualitativ hochwertige
Versorgung kritischer Verbraucher garantiert werden.
Wie stark Störungen am Anschlusspunkt eines Verbrauchers wirksam werden,
hängt von der Entfernung zum Ort der Störungsursache ebenso ab wie von der
Leistungsfähigkeit, dem Vermaschungsgrad und der Ausführung der zwischenge-
schalteten Übertragungsstrecke. Dies gilt insbesondere auch für ein- und mehrpo-
lige Leitungsabschaltung in Folge eines Fehlers, was in Netzen ohne ausreichende
Redundanz zur allpoligen Versorgungsunterbrechung führen kann. Abhilfe bezüg-
lich der Störungsauswirkung auf den kritischen Verbraucher leistet einerseits akti-
ves kompensatorisches Eingreifen. Andererseits besteht die Möglichkeit die Spei-
sung der Last auf einen ungestörten Netzbezirk umzuschalten. Hinsichtlich der
aktiven und von der Netztopologie unabhängigen Störungskompensation bestehen
unterschiedliche Lösungen deren Basis leistungselektronische Komponenten sind.
Ein bereits weit verbreitetes Konzept – vorwiegend zur Flickerkompensation –
stellt der SVC oder STATCOM dar.
Möglichst effektiven Schutz kritischer Verbraucher gegen Versorgungsunter-
brechungen und Spannungsschwankungen bietet allerdings nur die Fehlerkompen-
sation mit einhergehender Wirkleistungseinspeisung. Durch das Einprägen von
Zusatzspannungen in Serie zu einer Leitung zur Spannungskorrektur oder durch
die direkte Übernahme der vollständigen Verbraucherversorgung durch ein PQ-
Gerät können netzseitige Störungen verbraucherseitig nahezu vollständig kom-
pensiert werden. Bei Einsatz selbstgeführter Spannungsumrichter stehen zur
Fehlerbehebung heute grundsätzlich Anlagenkonzepte mit Seriespannungs-
einkopplung und/oder Parallelstromeinkopplung zur Verfügung (Abb. 15.70).
Die hier als Spannungsquellen zur Spannungs- oder Stromregelung eingesetz-
ten Spannungsumrichter sind selbstgeführte Vierquadrantenumrichter mit Gleich-
stromstromkreis (Voltage Source Converter). Der Gleichstromkreis kann mit ei-
nem Energiespeicher verbunden werden (s. Abschn. 15.3). Dieser stellt die zur
Kompensation erforderliche Wirkleistung bereit. Die Anforderungen an die Ant-
wortzeit des PQ-Gerätes und die Überbrückungsdauer der Störung entscheiden
x Batteriespeicher,
x Kondensatorspeicher, Super-Capacitor-Speicher,
x Supraleitender magnetischer Energiespeicher,
x Schwungradspeicher.
UT’ Fehlerhaftes
'UT
Drehstromsystem (F)
UTF
URF 'UR
UR’
Zusatz-
spannungen (') USF
'US
US’
Abb. 15.71: Prinzip der Korrektur eines einphasigen Spannungseinbruches durch Zusatz-
spannungen
15.7 Verbesserung der Versorgungsqualität 737
Abb. 15.72: Prinzipieller Aufbau des DVR zur Korrektur von Spannungsabsenkungen;
mit Abspann- und Lasttransformator
betroffene Verbraucher durch einen spannungssensitiven Produktionsprozess ge-
kennzeichnet. Bereits einphasige Spannungsabsenkungen – hier bereits um einige
10% im ms Bereich – führen aus den genannten Gründen zum Ausfall einer gan-
zen Tagesproduktion.
Der eingesetzte DVR korrigiert einphasige Spannungsabsenkungen bis 50%
und dreiphasige Spannungsabsenkungen bis 38% über einen Zeitraum von
150 ms. Allgemein eignet sich der DVR besonders zur Korrektur von ein-, zwei-
oder dreiphasigen Spannungseinbrüchen bis 75% im Bereich bis zu einer Minute.
Aufgrund der eingesetzten Hardware limitiert lediglich der einzusetzende Energie-
speicher die Anlagengröße.
Die mit Pulsweitenmodulation angesteuerten Spannungsumrichter erzeugen
aus einem Gleichspannungskreis die erforderlichen Zusatzspannungen. Mit der
Anforderung, bereits in wenigen Millisekunden nach Störungseintritt ein symmet-
risches Drehstromsystem auf der Verbraucherseite wiederhergestellt zu haben, ist
das Speichersystem mit Gleichstromkondensatoren ausgeführt. Diese erfüllen die
hohen dynamischen Anforderungen an die Ausspeicherung der Energie. Weisen
allerdings als Nachteil eine relativ geringe Energiedichte auf. In dem genannten
Anwendungsfall mit einer maximalen Kompensationsdauer von 150 ms der ge-
nannten Störung spielt dieser Aspekt eine untergeordnete Rolle.
Im ungestörten Netzbetrieb arbeitet der DVR im verlustoptimalen Bereit-
schaftsbetrieb. Die Unterspannungsseite des Booster-Transformators ist kurzge-
schlossen, so dass auf der Oberspannungsseite nur die durch konstruktive Maß-
nahmen minimierte Streuinduktivität wirksam wird. Die Halbleiterelemente wer-
den so durchgesteuert, dass die sekundärseitigen Anschlüsse des Booster-Trans-
formators auf ein Potential des DC-Kreises geschaltet sind. Nur die dabei durch-
geschalteten Halbleiter verursachen Verluste.
Das Betriebsverhalten zeigt die Effektivität der Spannungskorrektur; bei-
spielsweise bei einer Spannungsabsenkung von 26.7%. Unmittelbar nach dem
Störungseintritt koppelt der DVR eine Zusatzspannung ein. Auf der Verbraucher-
seite bleibt ein symmetrisches Drehstromsystem bestehen (Abb. 15.73).
Bereits 2 ms nach Störungseintritt sind die transienten Ausgleichsvorgänge
aufgrund des Fehlers und der sprungartigen Spannungsinjektion abgeklungen.
738 15 FACTS-Elemente
Abb. 15.73: Strom- und Spannungsmessungen an einem DVR während eines Spannungs-
einbruch (Quelle: ABB)
(DUPS) dar (Abb. 15.74). Der statische Schalter (Solid State Breaker, SSB) dient
der Abtrennung des Versorgungspfades vom gestörten Netz. Dies ermöglicht eine
Kompensation von Spannungsabsenkungen und die Überbrückung vollständiger
Versorgungsausfälle; hier ohne Rückspeisung auf eine mögliche Fehlerstelle. Zu-
sätzlich ist hinsichtlich der zu installierenden Umrichterleistung nur die den Spei-
cher mit dem Netz verbindende Komponente vorzusehen. Dies resultiert im Ver-
gleich zu einer im Versorgungspfad installierten Lösung in geringeren Anlagen-
kosten. Die Hauptkomponenten (vgl. Abb. 15.74) eines DUPS sind
Abb. 15.74: Prinzipieller Aufbau des DUPS zur Korrektur von Versorgungsunterbrechun-
gen mit Abspann- und Lasttransformator
740 15 FACTS-Elemente
Obwohl der Umrichter keine Leistung abgibt, arbeitet das Regelungssystem so, als
würde der DUPS die Last speisen. Unmittelbar nach Fehlererkennung wird der
SSB blockiert und gleichzeitig der Umrichter eingeschaltet. Aufgrund der Strom-
kommutierung vom Versorgungspfad in den Umrichterpfad sowie einiger mögli-
cher Resonanzen zwischen der Last und dem Umrichterkreis entstehen transiente
Schwingungen im Laststrom nur für einige Millisekunden (vgl. Abb. 15.75). Die-
ser Effekt muss bei der Auslegung möglicher Filter hinsichtlich ausreichender
Dämpfung berücksichtigt werden.
Eine typische Anwendung des DUPS ist der Schutz sensitiver Lasten vor
Spannungseinbrüchen und vollständigen Versorgungsunterbrechungen im Leis-
tungsbereich ab weniger MVA. Die Kompensationsdauer und die Größe der Last
bestimmen die Auslegung des Batteriespeichers. Oftmals steht hier die Aufgabe
t Fehler
1
Netzstrom [pu]
0.5
-0.5
-1
0 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 55 60
t [ms]
1
Umrichterstrom [pu]
0.5
-0.5
-1
0 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 55 60
t [ms]
1
Laststrom [pu]
0.5
-0.5
-1
0 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 55 60
t [ms]
Abb. 15.75: Laststromkommutierung vom Netz auf den DUPS bei einer Störung in der
Versorgung (Quelle: ABB)
15.7 Verbesserung der Versorgungsqualität 741
der Überbrückung der Versorgung einer Last bis zum Hochlauf von Notstromver-
sorgungen, z.B. Dieselaggregaten, im Vordergrund. In diesem Fall ist eine Kom-
pensationsdauer im Minutenbereich ausreichend.
Bei Kombination eines DUPS mit einem Dieselaggregat würde die Steuerung des
DUPS den Diesel nach Absinken der Spannung für länger als z.B. 10 Sekunden
anfahren und die Last nach Synchronisation des Diesels von der Batterie auf den
Diesel umverteilen. Der DUPS-Transformator bleibt über die ganze Zeit magneti-
siert, um im Falle einer Störung die kürzest mögliche Reaktionszeit zu erhalten.
Im Normalbetrieb leitet der SSB. Der Transformator sowie ein etwaiges Filter
sind ebenfalls zugeschaltet, sodass grundsätzlich in dieser Anlagenkonfiguration
Blindleistungskompensation betrieben werden kann. In diesem Fall stellt der
DUPS einen STATCOM dar. Wird eine Spannungsabsenkung oder ein -einbruch
außerhalb der 10%-igen Toleranz detektiert, löst der SSB aus und trennt die Last
von der natürlichen Einspeisung ab. Gleichzeitig beginnt der DUPS die Last mit
einer Spannung, die nach Betrag und Phase exakt derer vor Eintreten des Fehlers
entspricht, zu versorgen. Falls 10 Sekunden nach Eintreten des Fehlers die Span-
nung nicht zu 100 % wiedergekehrt ist, werden die Notstromdiesel angefahren,
zur Spannung des Umrichters synchronisiert und anschließend zur Versorgung der
Last zugeschaltet. Die Regelung verfolgt derweil weiterhin die netzseitige Span-
nung, so dass nach der stabilen und anhaltenden Wiederkehr der Netzspannung die
Last wieder auf die Sammelschiene des Mittelspannungsnetzes geschaltet werden
kann. Die Wiederaufladung der Batterien erfolgt unmittelbar nach Hochlauf der
Notstromdiesel.
Grundsätzlich werden für einen DUPS die gleichen Spannungsumrichter wie
bei dem bereits vorgestellten DVR verwendet. Die Regelungs-Hardware ist ver-
glichen mit dem DVR für dieses Betriebsmittel etwas anspruchsvoller, da externe
Geräte wie ein Dieselgenerator und zusätzliche Funktionalität wie Blindleistungs-
kompensation zur Leistungsfaktorkorrektur mit einbezogen werden.
Abb. 15.76: Prinzipieller Aufbau eines SSTS zur Umschaltung zwischen zwei von einan-
der unabhängigen Quellen
Abb. 15.77: Konfiguration eines SSTS zur Umschaltung zwischen zwei verschiedenen
Spannungsebenen zum Schutz eines Industriebetriebes
x die Installation eines DUPS zum vollständigen Schutz der Anlage und
x der Einsatz eines SSTS.
Bei Verfügbarkeit einer alternativen Einspeisung kann die Lösungsvariante mit
schnellem Umschalter aus technischen und wirtschaftlichen Gründen die wir-
kungsvollste Alternative darstellen. In dem hier in Abb. 15.77 dargestellten Bei-
spiel wäre neben der Installation der reinen SSTS-Hardware eine entsprechende
Modifikation des Netzanschlusses erforderlich. Schalter S1 ist im Normalbetrieb
leitend (NC) und Schalter S2 sperrend (NO). Transformator TR2 ist im Normalbe-
trieb zwar unter Spannung aber nicht unter Last. Falls eine Störung im 50-kV-
Netz die Umschaltung der kritischen Last auf die 16-kV-Einspeisung erfordert,
werden auf diese Weise hohe Stoßströme und jegliche Schaltverzögerungen der
Leistungsschalter im Versorgungspfad über Transformator TR2 vermieden.
Nachteilig wirken hier die Leerlaufverluste des Transformators TR2, die ent-
sprechend minimiert werden müssen. Die Aktivierung des SSTS erfolgt durch
Detektion einer Spannungsabsenkung auf der 50-kV-Spannungsebene des Vertei-
744 15 FACTS-Elemente
a) 4
1
uR,S,T(t) [pu]
-1
b)
1
uR,S,T(t) [pu]
-1
15.7.3 Vergleich
Bezüglich des Qualitätskriteriums Verbraucherspannung bestehen die Aufgaben
der PQ-Geräte in der Minderung der auf Verbraucher störend wirkenden Unsym-
metrie sowie in der Unterdrückung kurzzeitiger Versorgungsunterbrechungen. Die
Hauptursache für eine Verschlechterung der Versorgungsqualität sind Spannungs-
unsymmetrie als Folge von unsymmetrischen Fehlern im Übertragungsnetz.
Die grundsätzlich Abhilfe leistenden PQ-Geräte können entweder über eine
Einkopplung einer Seriespannungen in der elektrischen Nähe kritischer Verbrau-
cher oder über eine Umschaltung auf eine nicht gestörte Quelle – entweder ein
galvanisch entkoppeltes Netz oder eine Speichereinrichtung – wirken. Abhängig
von der Netzstruktur und der Spannungssteifheit am Einsatzort muss bezüglich der
Anlagenkonzeption grundsätzlich zwischen PQ-Geräten mit und ohne Energie-
speicher unterschieden werden.
Der DVR – ein Anlagenkonzept mit Speicher – hat seine Leistungsfähigkeit
insbesondere auch an Einsatzorten mit niedrigem Kurzschlussleistungsniveau be-
wiesen. Der DVR ermöglicht unabhängig von der Netzstruktur an allen Einsatzor-
ten eine Verbesserung der Versorgungsqualität. Dazu sind Energiespeicher inner-
halb der Anlage einzusetzen, die gerade im höheren Leistungsbereich einen gro-
ßen Anteil am Gesamtvolumen der Anlage haben.
Eine ebenso wirkungsvolle Abhilfemaßnahme stellt insbesondere in Kombina-
tion mit Notstromaggregaten der DUPS, ebenfalls mit Energiespeicher, dar. Hier
wird für den Zeitraum einer Störung entweder bis Störungsklärung oder bis Hoch-
lauf einer Notstromversorgung die gesamte Last aus einem Speicher gespeist.
Während der Störung besteht keine galvanische Kopplung zwischen Netz und
Last, da ein statischer Schalter die Netzverbindung abschaltet. Auch große Stö-
rungen im Netz haben damit keine Rückwirkung auf die zu schützende Last.
Ist eine von der Haupteinspeisung einer Last galvanisch entkoppelte Speisung
verfügbar, ermöglicht der SSTS einen Schutz sensitiver Lasten gegen Störungen
im Netz. Der SSTS schaltet von einer gestörten Quelle auf eine dann aufgrund der
Entkopplung nicht von der Störung betroffene Quelle um und gewährleistet damit
eine – je nach Ausführung – nahezu kontinuierliche Versorgung der Last.
16 Leit- und Informationstechnik
16.1 Überblick
zess von zentralen Stellen aus zu überwachen und zu steuern. Die Grundfunktio-
nalität der Leittechnik wird auch als SCADA (= Supervisory Control and Data
Acquisition) Funktion bezeichnet und beinhaltet die Überwachung und Steuerung
der Stellglieder eines Energieversorgungsnetzes sowie die Aufzeichnung der aus
dem Netz übertragenen Mess- und Statuswerte.
Mit Hilfe der SCADA Funktionalität kann sich der betriebsführende Bediener
ein Bild über den aktuellen Energieversorgungsprozess machen und bei Bedarf
steuernd in den Prozess eingreifen.
16.1.2 Historie
Die Leit- und Informationstechnik innerhalb der elektrischen Energieversorgung
fand ihre Anfänge in der Automatisierung von Kraftwerken. Primäres Ziel war
dabei eine Verbesserung der Betriebssicherheit, aber schon damals war Personal-
einsparung ein Ziel von Automatisierungsmaßnahmen, wenn auch nur unterge-
ordnet.
Später, mit der zunehmenden Vernetzung der Kraftwerke, wurde die Frequenz-
regelung eine immer wichtigere Aufgabe für die Leittechnik. Um die Energieer-
zeugung und später auch den Energieaustausch mit anderen Unternehmen zu ko-
ordinieren, wurden mittels Leittechnik immer mehr Regelungsaufgaben in zentra-
len Leitwarten konzentriert.
Vor der Einführung des Transistors im Jahr 1947 waren in der Leittechnik
hauptsächlich elektromechanische Schutz- und Kontrollgeräte im Einsatz. Wäh-
rend in den Anfängen die Informationsübertragung mittels Relais- und Impuls-
technik erfolgte, konnten mit Einführung der Elektronik immer leistungsfähigere
Übertragungsstrecken realisiert werden. Ende der 60er Jahre, mit der Einführung
von Prozessrechnern, konnten dann die ersten computergestützten Leistungs-
/Frequenzregelungen realisiert werden.
Mit der wachsenden Leistungsfähigkeit der Computer fing man in den 70er
Jahren damit an, auch die Schaltanlagen der Übertragungsnetze mit Hilfe von
Leittechnik zu überwachen und zu automatisieren. Durch die verstärkte Nachfrage
nach Netzleitsystemen begannen einige Firmen standardisierte Systeme für diese
Anwendungen zu entwickeln. Die damaligen Systeme kann man als die erste Ge-
neration von SCADA-Systemen bezeichnen.
Wegen der noch unzureichenden Graphikmöglichkeiten der Computertermi-
nals dienten die Leitrechner hauptsächlich zur Fernüberwachung von unbemann-
ten Stationen beziehungsweise der Ausführung von betriebsunterstützenden Be-
rechnungen. Die Visualisierung des Netzzustandes und die Steuerung der Schalt-
anlagen erfolgten über große Schalttafeln oder Mosaikwände. Erst mit den zu-
nehmenden Grafikfähigkeiten von Computerbildschirmen erfolgte nach und nach
eine Verlagerung der Betriebsführungsaufgaben auf Bildschirmarbeitsplätze.
Mit der immer weiter wachsenden Rechenleistung wurde es in den 80er Jahren
möglich, den Computer auch für Optimierungsaufgaben einzusetzen. Mit Hilfe
von speziellen Algorithmen, die zuerst als Batchjob, später auch online ausgeführt
wurden, konnte so zum Beispiel der ökonomischste Einsatz von Wasser- und
thermischen Kraftwerken ermittelt werden. Mit Hilfe dieser Programme war es
auch möglich, den Austausch von Energie ökonomisch zu bewerten, eine Grund-
voraussetzung für den späteren Handel mit Energie. Die wachsende Rechnerleis-
16.2 Feld- und Stationstechnik 749
16.1.3 Ausblick
Während sich in der Vergangenheit die Leit- und Informationstechnik darauf be-
schränken konnte den technischen Prozess der Energieversorgung zu überwachen
und zu steuern, spielen heute im Zeitalter des liberalisierten Energiemarktes auch
kommerzielle Aspekte eine Rolle. Da die Übertragung der Energie nicht mehr nur
eine technische Notwendigkeit darstellt, sondern Teil des kommerziellen Prozes-
ses geworden ist, muss die Leit- und Informationstechnik heute auch die für die
kommerzielle Abrechnung notwendigen Informationen sammeln und anderen Sys-
temen zur Verfügung stellen.
Integration und der Datenaustausch zwischen den einzelnen Systemen spielen
in der Weiterentwicklung der Leit- und Informationstechnik in Zukunft eine im-
mer wichtigere Rolle. Nur so lassen sich die immer größer werdenden Datenmen-
gen, die während des liberalisierten Energieversorgungsprozesses anfallen, bewäl-
tigen.
Dabei gewinnt die Leit- und Informationstechnik als Lieferant von quasi Echtzeit-
information eine immer größere Bedeutung, wenn es darum geht im Wettbewerb
zeitnah die richtigen Entscheidungen treffen zu können. Dies beinhaltet auch eine
lokal unabhängige Verfügbarkeit der Informationen (Mobil Computing).
Eine weitere neue Herausforderung an die Leit- und Informationstechnik stellt
die Netzeinbindung regenerativer Energien dar. Unter dem Begriff „Smartgrid“
werden hier Bemühungen zusammengefasst, die Energieversorgung sicherer zu
machen, indem unter anderem Kleinstkraftwerke mittels IT-Technologie zu virtu-
ellen Kraftwerken zusammengefasst werden, um diese dann besser in den Ener-
gieversorgungsprozess zu integrieren.
und Umspannanlagen heute unbemannt sind und von den Netzleitwarten aus fern-
gesteuert werden.
16.2.1.3 IT-Sicherheit
Mit der immer weiter schreitenden IT-Vernetzung und der Einführung von Ether-
net und TCP/IP-basierter Kommunikation zwischen Anlagenkomponenten besteht
16.2 Feld- und Stationstechnik 751
ein immer größerer Bedarf nach IT-Sicherheit. Hierunter versteht man den Schutz
vor unbefugtem Zugriff auf das System über dessen Netzwerkschnittstellen. Aber
auch der Schutz der übertragenen Informationen gegen Mithören oder Verfäl-
schung durch Dritte muss durch entsprechen IT-Sicherheitslösungen gewährleistet
sein.
Hierbei müssen zum einen die einzelnen Komponenten der miteinander kom-
munizierenden Systeme gegen entsprechende Attacken ‚gehärtet’ sein. Zum ande-
ren muss die Kommunikation zwischen den Komponenten geschützt werden. Da-
zu lassen sich Netzwerkverbindungen zwischen räumlich benachbarten Kompo-
nenten durch sogenannte Firewalls nach außen hin abschirmen. Eine Firewall ü-
berwacht die ein- und ausgehende Kommunikation einer von ihre geschützten
Netzwerkinsel und lässt nur die Informationen passieren, die als vertrauenswürdig
eingestuft werden. Da die Kommunikation zwischen räumlich weiter entfernten
Komponenten teilweise auch Netzwerkverbindungen verwenden muss, die sich
nicht abschirmen lassen, wie zum Beispiel öffentliche Netze, wird hier die über-
tragene Information durch Verschlüsselung und Signierung gegen unerwünschten
Zugriff oder Verfälschung geschützt.
16.2.2.1 Stationsbus
Für die Kommunikation zwischen den Automatisierungskomponenten in der Sta-
tionsleittechnik haben sich in der Vergangenheit einige Standards etabliert um
auch Geräte verschiedener Hersteller verbinden zu können. Bei den Kommunika-
tionsprotokollen finden man hier unter anderem die Standards IEC 60870-5-101
bis -104 oder DNP V3.00. Auf Stationsbusebene wird meist Profibus für die
Kommunikation innerhalb der Stationsautomatisierung eingesetzt. Wegen der
hohen Immunität gegenüber elektromagnetischen Störungen (EMI) erfolgt der
Datenaustausch oftmals über Lichtwellenleitertechnologie.
Zur Steuerung der Kommunikation kommen entweder Peer-to-Peer-Protokolle
oder Master-/Slave-Protokolle zum Einsatz. Während Peer-to-Peer-Protokolle
ereignisgetrieben sind, d.h. jedes angeschlossene Gerät darf spontan Meldungen
zum Bus senden, erfolgt die Kommunikationsteuerung beim Master-/Slave-
Protokoll ausschließlich durch den Busverwalter (Master). Dabei werden die Feld-
einheiten (Slaves) zyklisch vom Master abgefragt. Der Busverwalter ist meist auf
dem Kommunikationsprozessor oder im zentralen Stationsrechner implementiert.
752 16 Leit- und Informationstechnik
Netzleitstelle Netzleitstelle
SICAM PAS CC
IEC 60870-5-101 Zeitsignal
IEC 60870-5-104
DNP V3.00
Log.IN1
1100
F1 1530
1530
8888 Log.Out1
>1
1503 2173
Log.IN2 2173
F2
Log.IN3
1530
Ethernet
Netzleitstelle
Zeitsignal
IEC 60870-5-104
Log.IN1
1100
F1 1530
1530
8888 Log.Out1
>1
1503 2173
Log.IN2 2173
F2
Log.IN3
1530
Stationsrechner Lokaler
mit IEC 61850 Bedienplatz
Stationsbus Ethernet TCP/IP mit IEC 61850
16.2.3 Netzschutz
Zum Schutz der Betriebsmittel einer Schaltanlage gegen Fehlbedienungen, Über-
lastungen oder Störungen (z. B. Kurzschluss) sind in einem Stations-Auto-
matisierungssystem vielfältige Schutzfunktionen implementiert.
16.2.3.1 Verriegelung
Mit Hilfe von Verriegelungsfunktionen realisiert man einen Schutz des Netzes
gegen Fehlbedienungen. Dieser Schutz beginnet auf der Feldebene, um zum Bei-
spiel das Einlegen eines Erders bei unter Spannung stehenden Geräten zu verhin-
dern (verriegeln).
Sowohl feldspezifische als auch feldübergreifende Verriegelungen werden mit
Hilfe von Bool’schen Algorithmen in den Feldkontrollern realisiert. Für feldüber-
greifenden Verriegelungen benötigt man auch Stellungsmeldungen von Schaltge-
räten in andere Feldern (z.B. Sammelschienentrenner, Querkupplungen, usw.)
welche dann über den Stationsbus übertragen werden müssen.
Die modernern digitalen Schutzgeräte sind in der Regel direkt mit dem Stations-
bus verbunden, während die Binär- und Analogsignale ältere Schutzgeräte entwe-
der mit der Feldeinheit oder mit einer Erfassungseinheit verdrahtet sind.
16.2.4 Stationsebene
Auf der Stationsebene gibt es einen zentralen Stationsrechner, heute vorzugsweise
als standardisierter Industrie-PC ausgeführt, der gleichzeitig als Bedienplatz und
als Stationsautomatisierungs-Server für die Prozessdatenbank dient.
Die anlagenspezifischen leittechnischen Anwendungen werden durch die An-
wendersoftware des Stations-Automatisierungssystems ausgeführt. Als Plattform
für die Stationsrechner kommen zumeist kleinere SCADA-Systeme zum Einsatz.
Als grundlegende Kommunikationskanäle lösen die Netzwerkschnittstellen
(LAN) immer mehr die serielle Schnittstellen (COM Port) ab. Über diese Kom-
munikationskanäle erfolgt auch die Kommunikation mit einem übergeordneten
Netzleitsystem, wobei gegebenenfalls noch ein Protokollumsetzer dazwischenge-
schaltet sein kann.
Um eine genaue Zeitstempelung im ganzen Stationsautomatisierungssystem zu
erreichen, wird die Rechneruhr oftmals über Funk (DCF-77) oder Satellit (GPS)
auf die absolute Zeit synchronisiert. Des Weiteren werden Drucker für den Aus-
druck von Bildschirminhalten oder für Ereignisaufzeichnung eingesetzt. Für die
Fernwartung des Stations-Automatisierungssystems können Service-Modems in
das System integriert sein.
Das Prozessabbild des zentralen Stationsrechners enthält alle für die Überwa-
chung der Schaltanlage erforderlichen Informationen wie zum Beispiel:
x Die aktuellen Stellungen (EIN, AUS) beziehungsweise Zustände (LO-
KAL- oder FERNSTEUERUNG, BLOCKIERT, SIMULIERT usw.) der
Leistungsschalter, Trenner und Erder.
x Die Position der Trafostufensteller.
x Messwerte wie Spannung, Frequenz, Strom, Wirk- oder Blindleistung.
x Sonstige Meldungen wie Schutzanregung, Schutzauslösung, Wischer-
meldungen, usw.
756 16 Leit- und Informationstechnik
Mit Hilfe dieser Informationen werden die für die Stationsautomatisierung typi-
schen Aufgaben ausgeführt.
16.2.5 Anwendung
Der Hauptzweck eines Stations-Automatisierungssystems ist die zuverlässige und
wirtschaftliche Versorgung der Verbraucher mit elektrischer Energie. Um diesen
Anforderungen gerecht zu werden, muss der Stationsrechner die folgenden Anfor-
derungen erfüllen.
Erzeugung
Oberer eines Ereignisses
Grenzwertlevel 2
Erzeugung
Erzeugung eines Ereignisses
eines Ereignisses
Oberer
Grenzwertlevel 1
= Deadband
Aktualisiert
Dieses Flag ist normalerweise gesetzt. Es wird für Messwerte, Meldungen und
Zählwerte zurückgesetzt, wenn das Objekt, durch ein Problem auf der Übertra-
gungsstrecke oder im Fernwirkgerät, nicht übertragen wurde, oder durch eine
Grenzwertverletzung bei der A/D-Wandlung ungültig wird. Das Flag wird auch
gesetzt, wenn das Objekt nachgeführt wird.
Warnmeldung gesperrt
Dieses Flag wird per Handeingabe für Messwerte und Meldungen gesetzt. Bei
gesetzten Flag ist die Warnmeldeverarbeitung für den entsprechenden Datenpunkt
gesperrt, zum Beispiel um bei Wartungsarbeiten an der Fernwirkanlage nicht
durch Fehlalarme irritiert zu werden.
Befehlssperre
Dieses Flag wird per Handeingabe für steuerbare Geräte oder Objekte gesetzt. Bei
gesetzten Flag ist die Befehlsverarbeitung für den entsprechenden Datenpunkt
gesperrt, zum Beispiel um bei Wartungsarbeiten in der Schaltanlage das dort ar-
beitenden Personal nicht zu gefährden.
Ersatzwert
Das Flag wird durch die Datenverarbeitung für Zählwerte gesetzt, wenn es sich
um einen Ersatzwert handelt (siehe auch Abschnitt Zählwert).
Befehle und Sollwerte
Im Zustand FERNSTEUERUNG werden Steuerbefehle vom übergeordneten
Netzleitsystem überprüft (siehe Abschnitt Verriegelungen) und an das jeweils zu-
ständige Feldgerät weitergeleitet. Bevor das Feldgerät den Befehl ausführt, prüft
es ebenfalls, ob grade ein anderer Befehl ausgeführt wird, ob irgendwelche Ver-
riegelungsbedingungen vorliegen oder ob eine Blockierungsbedingung, zum Bei-
spiel zu niedriger SF6-Gasdruck vom Leistungsschalter, vorliegt. Bei Leistungs-
schaltern muss auch die Freigabe der Synchroncheck-Funktion vorhanden sein.
Nach positiver Prüfung sämtlicher Bedingungen wird der Befehl an den Schalter
ausgegeben.
Im Zustand LOKALSTEUERUNG erfolgt die Bedienereingabe am Bedien-
platz des Stationsrechners. Anschließend erfolgen dieselben Überprüfungen, bevor
der Befehl letztendlich an das angewählte Schaltgerät ausgegeben wird.
Ein Stationsleitsystem umfasst eine Anzahl verschiedenster Möglichkeiten zur
Steuerung von Betriebsmitteln. Dabei kann es sich auch um die Bedienung von
mehreren Objekten und genau definierten Befehlssequenzen handeln. Plausibili-
tätsprüfungen sollen eine möglichst große Sicherheit bei der Anlagensteuerung
gewährleisten. Gängige Befehlsarten die von einem SCADA-System gesteuert
werden können sind:
x Steuerbefehl (ein/aus)
x Höher/Tiefer-Befehl (bei Transformator Stufenstellern)
x Auf/Zu-Befehl (bei Ventilen und Schiebern)
x Sollwertvorgabe
16.2 Feld- und Stationstechnik 761
Steuerbefehl (Ein/Aus-Befehl)
Der Steuerbefehl kennt zwei Alternativen (ein/aus), die den möglichen Zuständen
des Betriebsmittels entsprechen. Man unterscheidet zwei Typen von Befehlen die
sich in Sicherheit und Geschwindigkeit unterscheiden:
x sofortige Ausführung
x Befehle mit Rücküberprüfungs-Charakteristik
Für den Befehl mit sofortiger Ausführung wird ein einzelnes Befehlstelegramm an
das Zielgerät übertragen.
Demgegenüber wird der Befehl mit Rücküberprüfung aufgelöst in zwei einzel-
ne Befehle an das Zielgerät, ein Anwahltelegramm, dass das zu steuernde Objekt
festlegt, gefolgt durch ein Ausführungstelegramm, das gesendet wird, nachdem
die Antwort auf das Anwahltelegramm im Leitsystem empfangen und geprüft
wurde. Die Antwort auf das Anwahltelegramm wird im Leitsystem dahingehend
geprüft, ob es sich um das richtige Gerät und die richtige Hardwareadresse han-
delt, bevor der Ausführungsbefehl geschickt wird.
Nach dem Senden des Ausführungsbefehls wird in beiden Fällen anschließend
die richtige Rückmeldung für das Objekt aus dem Prozess überprüft.
Höher/Tiefer-Befehl
Der Höher/Tiefer-Befehl kennt zwei Alternativen (höher/tiefer), die den mögli-
chen Richtungen entsprechen, in die der Zustand des Betriebsmittels verändert
werden kann. Im Gegensatz zum Steuerbefehl kann bei einem Höher/Tiefer-
Befehl für das vorgesehene Objekt eine beliebige Anzahl von einzelnen Ausfüh-
rungsbefehlen aufeinander folgen.
Die Überwachung eines Höher/Tiefer-Befehl erfolgt analog zu einem Steuer-
befehl.
Auf/Zu-Befehl
Der Auf/Zu-Befehl ist ähnlich dem Höher/Tiefer-Befehl. Allerdings arbeitet er
nicht mit diskreten Stufen sondern stufenlos. Solange der Befehl aktiv ist oder
noch keine Endstellung erreicht ist, ändert das angesprochen Objekt seinen Zu-
stand in die vorgegeben Richtung.
Sollwertvorgaben
Bei einer Sollwertvorgabe wird ein Sollwerttelegramm mit dem eingegebenen
neuen Sollwert an die RTU gesendet. Es können mehrfach Sollwertvorgaben für
dasselbe Objekt durchgeführt werden ohne es für jeden solchen Befehl neu an-
wählen zu müssen.
Schaltprogramme
Schaltprogramme ermöglichen die Steuerung einer Anzahl von Betriebsmitteln
durch vorgegebene Schaltsequenzen. Diese können auch Sicherheitsüberprüfun-
gen und Verzögerungszeiten enthalten. Typische Anwendungsfälle für Schaltpro-
gramme sind:
x Zu- und Abschalten von Kabeln oder Übertragungsleitungen auf eine
Sammelschiene durch eine Schaltsequenz für die Trenner und Leistungs-
schalter im Abgangsfeld.
762 16 Leit- und Informationstechnik
x Sammelschienenwechsel
x EIN/AUS-Befehle für Leistungsschalter (z. B. Lastabwurf oder Wieder-
zuschalten einer Last)
x Verarbeitung einer großen Anzahl von Straßenlaternen morgens und a-
bends
x Steuerung von Objekten
Schaltprogrammfunktion erlaubt es dem Bediener Schaltprogramme mittels einer
Art Makrosprache zu definieren. Für das Erstellen einer vollständigen Sequenz
sind meist noch weitere Funktionen verfügbar:
x Funktionen um den Ablauf zu steuern, wie:
- Warten bis eine bestimmte Meldung ihren Zustand geändert hat,
bevor die Sequenz fortgeführt wird
- Unterbrechen der Sequenz für eine bestimmte Zeit oder bis sie
vom Bediener fortgeführt wird
- Abbruch einer Sequenz
- Bedingte Ausführung: den Zustand einer Meldung oder eines
Messwertes abfragen und die folgende Zeile nur dann ausführen,
wenn die Bedingung zutrifft
x Zuweisung eines Sollwertes für ein Betriebsmittel
x Statusänderung einer Meldung in der Datenbank (wirkt wie eine Nach-
führung)
x Änderung eines Messwertes in der Datenbank (wirkt wie eine Nachfüh-
rung)
x Ausgabe einer Nachricht
x Ausgabe eines Ereignisses in die Ereignisliste und auf den Drucker
Vordefinierten Sequenzen, wie zum Beispiel Sammelschienenwechsel können
dann im Zustand FERNSTEUERUNG auch mittels eines einzigen Befehlstele-
gramms vom übergeordneten Leitsystem aufgerufen werden.
Verriegelungen
Die Verriegelungsfunktion schützt vor unerlaubten Befehlen und Nachführungen.
Für Meldungen können Verriegelungsbedingungen definiert werden, die überprüft
werden bevor ein Betriebsmittel geschaltet wird. Trifft die Bedingung zu, wird der
Befehl oder die Nachführung abgewiesen. Für Test- oder Notsituationen können
die Verriegelungen umgangen werden.
Die Funktion erlaubt die Vorgabe von Einzelbedingungen oder Mehrfachbe-
dingungen, die jedes Mal überprüft werden, wenn ein Befehl oder eine Nachfüh-
rung versucht wird. Verriegelungsbedingungen werden logisch aufgebaut (z. B.
ein bestimmter Leistungsschalter ist geöffnet, ein Gerätestatus ist im Zustand
'ferngemeldet' oder eine Übertragungsleitung ist spannungsführend).
Verriegelungsbedingungen lassen sich zum einen als globale Regeln definie-
ren, zum Beispiel keine Verbindung zwischen spannungsführenden und geerdeten
Netzteilen. Diese topologischen Verriegelungsbedingungen werden mit Hilfe von
Topologieprozessoren überprüft. Weiterhin können spezielle Verriegelungsbedin-
gungen mit Hilfe von Makroprogrammen definiert werden. Die Verriegelungsprü-
fungen können in den folgenden Bereichen angewendet werden:
16.2 Feld- und Stationstechnik 763
x Topologische Bedingungen
x Zustand von Objekten
x Generelle Bedingungen
Ist ein Objekt einer Verriegelungsfunktion zugeordnet, dann wird die Verriege-
lungsprüfung oder die Folge der Verriegelungsprüfungen jedes Mal ausgeführt,
wenn das Objekt angesteuert werden soll. Falls das Ergebnis der Prüfung die ge-
wünschte Bedienhandlung nicht zulässt, wird die Steuerungsanforderung abgebro-
chen und eine Fehlermeldung auf dem Monitor angezeigt. Für Test- oder Notsitua-
tionen kann unter Benutzung der Umgehungsfunktion (Bypass-Funktion) eine
solche abgewiesene Steuerungsanforderung doch ausgeführt werden. Aus Sicher-
heitsgründen wird die Verwendung der Bypass-Funktion vom System in der Er-
eignisliste protokolliert.
16.2.5.2 Ereignis-/Alarmbehandlung
Die Ereignisbehandelung verarbeitet alle Ereignisse die von Schalt- und Schutzge-
räten erzeugt werden und für den Betrieb der Schaltanlage von Bedeutung sind.
Jede Änderung im Prozess oder in der Sekundärtechnik erzeugt ein Ereignis. Die-
se werden möglichst nah am Entstehungsort, das heißt normalerweise in den Feld-
einheiten, mit einem Zeitstempel versehen. Um bei großen Ereignisaufkommen
oder Kommunikationsunterbrechungen sicherzustellen, dass keine Ereignisse ver-
loren gehen, sind alle an der Ereignisverarbeitung beteiligten Komponenten (Feld-
einheit, Datenerfassungseinheit, Kommunikationseinheit) mit einem Ereignisspei-
cher versehen. Die dezentral entdeckten Ereignisse werden an das Stationsleitsys-
tem übertragen, wo sie in Ereignislisten innerhalb der Prozessdatenbank des Stati-
onsrechners abgelegt werden und, falls zutreffend, zu den Aufzeichnungen auf
dem Ereignisdrucker addiert werden, bzw. an das übergeordnete Netzleitsystem
weitergeleitet werden.
Ereignisverarbeitung
Ereignisse werden dann erzeugt, wenn sich der Status einzelner Objekte im Pro-
zess oder auch im Stationsleitsystem selbst verändert. Die Ereignisverarbeitung
eines SCADA-Systems kann, gesteuert durch ein vielseitiges System zur Klassifi-
zierung, eine oder mehrere der folgenden Aktionen einleiten:
x Ausgabe des Ereignisses auf dem Drucker
x Ausgabe des Ereignisses in der Ereignisliste
x Unquittierte und anstehende Warnmeldung
x Akustischer Alarm
x Anstoß von weiteren Funktionen
Sowohl für Messwerte als auch für Meldungen können bei der Ereignisverarbei-
tung meist unterschiedliche Zeitverzögerung definiert werden, normalerweise in
Abhängigkeit vom überwachten Betriebsmitteltyp. So können beispielsweise.
Zeitverzögerungsgruppen für Leistungsschalter oder für antriebsgesteuerte Tren-
ner usw. angegeben werden. Die Verzögerungszeit spezifiziert eine Zeitspanne
zwischen dem Zeitpunkt der Erkennung einer Messwert- oder Meldungsänderung
und dem Zeitpunkt der möglichen Darstellung dieser Zustandsänderung. Nimmt
der Zustand des Messwertes oder der Meldung innerhalb dieser Zeitspanne wieder
764 16 Leit- und Informationstechnik
den ursprünglichen Wert an, so wird keine Darstellung des Ereignisses oder einer
Warnmeldung angestoßen.
Ereignislisten
Eine Ereignisliste ist die historische Aufzeichnung von Ereignissen, die chronolo-
gisch sortiert dargestellt werden, wobei jedes Ereignis einen Zeitstempel und eine
Beschreibung hat. Um den Bediener nicht mit Ereignissen zu überfluten, erfolgt
bei der Darstellung von Ereignislisten eine Filterung auf Ereignisse, die zu einem
bestimmten Teil des Systems, zum Beispiel einer Spannungsebene, gehören. Die-
ser Filter wird automatisch durch den gegenwärtig selektierten Systemteil be-
stimmt und beschränkt den Informationsumfang auf den für den Bediener zu die-
sem Zeitpunkt relevanten Anteil.
Zusätzlich zur automatischen Filterung können auch weitere Reduzierungen
der Ereignisse vom Bediener durch Verwendung der Ereignisauszugsfunktion
erreicht werden. Die Liste kann so eingeschränkt werden, dass sie nur noch Ereig-
nisse einer bestimmten Priorität, eines bestimmten Typs, Ereignisse für ein be-
stimmtes Objekt oder eine Gruppe von Objekten oder einer Kombination dieser
oder anderer Eigenschaften enthält. Als Beispiel. kann so zur Lokalisierung eines
Erdschlusses die Ereignisdarstellung auf alle Meldungen von Erdschlussrelais in
einem bestimmten Zeitraum eingeschränkt werden.
Warnmeldungsverarbeitung
Bestimmte Ereignisse können so definiert werden, dass sie als Warnmeldung
(Alarm) weiterverarbeitet werden. Warnmeldungen müssen explizit quittiert wer-
den und bieten weitreichendere Möglichkeiten zu Darstellung als Ereignisse.
Warnmeldungen werden wie folgt dargestellt:
x Betroffene Objekte werden in einen Zustand „unquittierte Warnmeldung“
und/oder „anstehende Warnmeldung“ gesetzt. In jedem Bild, in dem sie
angezeigt werden, werden die Symbole besonders hervorgehoben.
x Eine Warnmeldungsbedingung erzeugt einen Eintrag in entsprechenden
Warnmeldelisten.
x Das Eintreten einer Warnmeldung kann zu einem akustischen Alarm füh-
ren.
Warnmeldeliste
Die Warnmeldeliste hat die gleiche Struktur wie die Ereignisliste. Während die
Ereignisliste eine kontinuierliche Registrierung aller Ereignisse enthält, geben die
Einträge in der Warnmeldeliste die aktuellen Warnmeldezustände der Objekte in
komprimierter Form wieder. Unquittierte Warnmeldungen können von jedem Be-
dienplatz aus, der über die entsprechende Zuständigkeit bezüglich des zugehörigen
Objektes verfügt, quittiert werden. Wird ein Objekt quittiert, so wird der Eintrag
für dieses Objekt als quittiert gekennzeichnet. Gehört das Objekt zu einer anste-
henden Warnmeldung, so verbleibt der Eintrag in der Warnmeldeliste erkennbar
als quittiert, jedoch im Zustand anstehende Warnmeldung. Im anderen Fall wird
der Eintrag aus der Liste gelöscht.
16.2 Feld- und Stationstechnik 765
16.2.5.3 Visualisierung
Zur Überwachung und Steuerung der kontrollierten Schaltanlage werden durch die
Dateneingabe so genannte Anlagenbilder erstellt. Diese zeigen die Konfiguration
und den dynamischen Status der gesamten Anlage, bzw. von einzelnen Teilsyste-
men. Dabei werden in einer schematischen Darstellung der Anlage die statischen
Informationen zusammen mit dynamischen Objekten dargestellt.
Statische Bildinformation sind zum Beispiel die Anlagentopologie mit Lei-
tungsabgängen, Sammelschienen und Transformatoren, die Namen der Betriebs-
mittel oder Sammelschienenfelder, usw. Die dynamischen Bildobjekte zeigen den
Gerätestatus, numerische Werte für Leistungsfluss, Spannungen und andere
Messwerte, oder auch durch das Stationsleitsystem berechnete Werte, wie zum
Beispiel Summen von Messwerte oder die aus Wirk- und Blindleistung ermittelte
Scheinleistung. Gegebenenfalls wird auch eine dynamische Netzeinfärbung dazu
verwendet, um den Status (spannungsführend, spannungslos, geerdet, usw.) oder
die Spannungsebene, mittels entsprechender Einfärbung der Symbole für Leitun-
gen, Sammelschienen, Transformatoren, usw., zu visualisieren.
Die Überwachung der Betriebsmittel, der Schaltanlage oder des Umspannwer-
kes erfolgt in Regel über diese Anlagenbilder. Durch Anwahl eines Betriebsmit-
tels in einem Anlagenbild und der Auswahl des entsprechenden Bediendialogs
werden die Überwachungs- und Steuerungsfunktionen des Stationsleitsystems
aufgerufen.
Neben den Anlagenbildern gibt es in Stationsleitsystemen noch eine Reihe
weiterer Bildtypen:
x Listenbilder
Listenbilder finden Verwendung zur Präsentation von Ereignis- oder
Warnmeldelisten, aber auch zur Darstellung von tabellarischen Ergebnis-
sen der Applikationen, wie zum Beispiel Archiven.
x Baumdarstellung (Explorer Darstellung)
Neben der Darstellung der Betriebsmittel in den Anlagenbildern können
alle in der Datenbank des Stationsleitsystems befindlichen Datenobjekte
auch in eine Baumdarstellung, ähnlich der Dateistruktur eines PC-
Laufwerkes, dargestellt werden. Die Anordnung der Objekte innerhalb
des Baumes erfolgt automatisch gemäß der bei der Dateneingabe defi-
nierten Anlagenhierarchie. Damit lassen sich auch Datenobjekte anwäh-
len, für die keine Darstellung in einem Anlagenbild gemacht wurde, wie
zum Beispiel Fernwirkgeräte.
x Kurvendarstellung
Mit Hilfe von Kurvendarstellungen lässt sich der Verlauf von dynami-
schen Größen (z.B. Messwerte) in Abhängigkeit von der Zeit darstellen.
Damit lassen sich Entwicklungstendenzen leichter verfolgen.
x Systembilder
Zur Überwachung der Funktionen des Stationsleitsystems selbst, gibt es
eine Reihe von Systembildern, in denen die Komponenten des Leitsys-
tems und ihr jeweiliger Status dargestellt werden.
766 16 Leit- und Informationstechnik
16.2.5.4 Störverlaufsanalyse/Störschriebe
Schutzgeräte werden heutzutage ausschließlich in Digitaltechnik gebaut und
besitzen Analog/Digital Wandler, die ein hochfrequentes Abtasten der Eingangs-
signale ermöglichen. Dadurch lassen sich in die Geräte Störschriebfunktionen
implementieren, die es erlauben, den Signalverlauf vor, während und nach einer
Störung für einen definierten Zeitraum aufzuzeichnen und abzuspeichern. Diese
Störschriebinformationen können dann über den Stationsbus ausgelesen und mit-
tels entsprechender Visualisierungssoftware auf dem Stationsrechner oder auch
auf dem Rechner eines überlagerten Netzleitsystems zur Störverlaufsanalyse dar-
gestellt werden. Als ein herstellerunabhängiges Dateiformat für die Störschriebin-
formationen hat sich des sogenannte COMTRADE Format etabliert.
16.2.5.5 Datenpflege
Systeme zur Schaltanlagenüberwachung benötigen eine große Zahl an statischen
Informationen für die Beschreibung der Systemkonfiguration, der Fernwirkrangie-
rung und der Anlagentopologie. Passend zur Anlagentopologie müssen dann ge-
gebenenfalls auch noch Anlagenbilder für das Bedienerinterface gezeichnet wer-
den. Dabei handelt es sich zum einen um Beschreibungen (Textdaten), zum ande-
ren um graphische Abbildungen der Anlage. Beide Informationstypen müssen
konsistent, leicht zu erfassen und leicht zu aktualisieren sein.
16.3 Phasenwinkelmessungen
In der Vergangenheit konnten nur die Betragswerte der Strom- und Span-
nungsmesswerte aus den Schaltanlagen und Umspannstationen zu einer zentralen
Leitstelle übertragen werden, da es an einem hochgenauen Zeitnormal mangelte.
Mit der Verbreitung der GPS Technologie steht nun ein solches Zeitnormal über-
all auf der Welt zur Verfügung. Damit wird es möglich, neben den Beträgen auch
die Phasenwinkel von Spannung und Strom an räumlich getrennten Orten zu er-
fassen und an ein zentrales System zu übertragen. (siehe Abb. 16.6) Dort können
dann die Phasenwinkelinformationen in Relation gesetzt und ausgewertet werden.
Für die Messung von Synchronzeigern in Elektroenergiesystemen ist mit der IEEE
C37.118 ein weltweiter Standard definiert worden
Satelliten Netzleitwarte
df
V, I, f ,
dt
Kommunikationskanäle
Vektorgrößenmessung von
GPS Signal Spannungen & Strömen mit
hoher Genauigkeit bezüglich
Amplitude, Phasenwinke and
Zeitsynchronization (<1μs)
Phasenwinkel
Messgerät
(PMU)
16.3.1 Messgeräte
Heutige Feldgeräte werden ausschließlich digital aufgebaut und haben schnelle
Analog/Digital-Wandler implementiert. Auf der Basis bestehender Feldgeräte-
plattformen können somit gleichfalls Phasenwinkelmessgeräte, auch Phase Meas-
urement Unit (PMU) genannt, aufgebaut werden. Genügend Rechenleistung sowie
Rechenspeicher und ein Eingangssignal für eine hochgenaue Zeitreferenz voraus-
gesetzt, kann die Phasenwinkelmessfunktion durch entsprechende Firmware reali-
siert werden. Die Ausgabe der gemessen Phasenwinkel erfolgt dann über die
Schnittstelle zum Stationsbus.
768 16 Leit- und Informationstechnik
16.3.2 Anwendungen
Neben einer Verbesserung der State Estimation bezüglich Konvergenz und Ge-
nauigkeit lassen sich mit Hilfe von hochzyklisch (10-100 msec.) erfassten Pha-
senwinkelmesswerten ganz neue Arten der Netzzustandsüberwachung realisieren.
So wie in einem mechanischen Kraftübertragungssystem die Torsion bei den An-
triebswellen eine Information über deren Belastungen gibt, ist es möglich mit der
Phasenwinkelmessung kritisch belastete Stellen im elektrischen Energieübertra-
gungssystem zu lokalisieren.
Darüber hinaus ermöglicht die hochzyklische Abtastung der Phasenwinkel
auch die Erkennung und Überwachung von dynamischen Vorgängen, wie zum
Beispiel Leistungspendelungen. Durch die Überwachung mittels Phasenwinkel-
messung ist es möglich zu kontrollieren, ob solche Vorgänge stabil sind, abklin-
gen oder sich aufschaukeln. Im letzten Fall können dann frühzeitig dämpfende
Gegenmaßnahmen eingeleitet und deren Wirksamkeit überwacht werden.
Die Nutzung der Phasenwinkelmessungen ist noch in den Anfängen, aber erste
Anwendungen zeigen, dass mit dieser neuen Technik die Übertragungssicherheit,
besonders bei hoch ausgelasteten Netzen, verbessert werden kann.
16.4 Fernwirktechnik
16.4.1 Infrastruktur
Unter Fernwirktechnik ist die Übertragung von Daten zwischen den Fernwirkgerä-
ten und dem Netzleitsystem in der Leitwarte zu verstehen (siehe Abb. 16.7). Pro-
zessdaten werden durch Fernwirkgeräte (auch Remote Terminal Units oder RTU)
abgerufen und gesammelt. Über Netzwerkverbindungen, direkte Verbindungen,
wie zum Beispiel Funkverbindungen, Starkstromleitungen (Power Line Carrier),
optische Glasfaserkabel oder auch öffentliche Telefonnetze überträgt die RTU die
Daten an das Netzleitsystem unter Verwendung von genormten Protokollen.
Bei den direkten Verbindungen werden teilweise mit einer Kommunikations-
leitung auch mehrere RTUs mit dem Netzleitsystem verbunden, damit die Anzahl
der benötigten physikalischen Kommunikationsleitungen reduziert wird. Die fol-
genden wesentlichen Konfigurationsalternativen sind möglich:
x Punkt-zu-Punkt Jeweils eine Standleitung zu jeder RTU
x Mehrpunkt-Verbindung Mehrere RTUs in Serie hintereinander
geschaltet.
x Sternkonfiguration Mehrere RTUs mit eigenem Kommuni-
kationskanal verwenden ein gemeinsa-
mes Element, z.B. im Kontrollzentrum.
Diese Konfiguration wird üblicherweise
verwendet, wenn Funkverbindungen
verwendet werden.
Bei den Netzwerkverbindungen kommen in der Regel Wide Area Network
(WAN) Technologien zum Einsatz. Da es sich bei einer Netzwerkverbindung um
eine logische Verbindungen zwischen den Geräten handelt, die gemeinsam ein
Verbindungsmedium benutzen, wird hier hauptsächlich mit Punkt-zu-Punkt Ver-
bindungen gearbeitet.
16.4 Fernwirktechnik 769
16.4.2 Protokolle
Eine wesentliche Grundlage für eine reibungslose Datenerfassung ist die Verwen-
dung von anerkannten internationaler Normen und de-facto Standard-Kommuni-
kationsprotokollen. Dies erleichtert die Integration vorhandener RTUs oder RTUs
anderer Hersteller. Daneben gibt es aber historisch bedingt noch eine Vielzahl
proprietärer Protokolle der einzelnen Hersteller von Fernwirktechnik. Durch ihre
internationale Normung sind heute die Protokolle
x IEC 60870-5-101
x IEC 60870-5-104
x DNP 3
x DNP 3i
weit verbreitet, wobei sich die DNP Protokolle zumeist in den US-geprägten Re-
gionen finden während die IEC Protokolle mehr in den europäischen geprägten
Regionen anzutreffen sind. Während das „DNP 3“ und das „101er“ Protokoll als
Übertragungsweg eine serielle Leitung vorsehen, findet bei „DNP 3i“ und dem
„104er“ Protokoll eine TCP/IP Netzwerkverbindung als Übertragungsmedium
Verwendung.
770 16 Leit- und Informationstechnik
17.1.1 Marktumfeld
Die Deregulierung und Marktöffnung der Stromversorgungsindustrie hat dramati-
sche Veränderungen für die Energiewirtschaft mit sich gebracht. Im Wesentlichen
werden gemäß Abb. 17.1 dabei vor allem vertikal organisierte Energieversorger
neu in Energieerzeuger, Übertragungsnetzbetreiber und Energieverteiler aufgeteilt
und die physische Stromproduktion und -verteilung von der kommerziellen Ener-
gievermarktung separiert.
Die Akteure sind dadurch gezwungen, ihre Position im Markt zu überdenken und
eine eventuelle strategische Neuausrichtung vorzunehmen. Dies betrifft sowohl das
772 17 Netzleittechnik für elektrische Energienetze
Die Auslegung der IT-Lösungen und damit auch der Netzleittechnik ist auch für die
EVU ein entscheidender Faktor für den Erfolg im deregulierten Markt. Praktisch
alle wichtigen Geschäftsprozesse sind heute stark von den IT-basierenden Appli-
kationslösungen und deren Vernetzung abhängig. Die Vernetzung soll hauptsächlich
einen optimalen Arbeitsfluss und damit verbundene Kostensenkungen ermöglichen.
Mit der Marktöffnung ergibt sich auch eine Zunahme der Komplexität im IT-
Bereich, insbesondere bei der Auslegung und Anpassung von Systemkonzepten.
Dabei haben sich auch die Anforderungen an die Netzleittechnik stark verändert.
Die Systeme und Applikationen müssen insbesondere modularer aufgebaut und auf
die Entflechtung von Produktion, Transport, Verteilung und Handel abgestimmt und
funktional ergänzt sein.
Die moderne Netzleittechnik konzentriert sich im Allgemeinen auf die folgenden
Aufgaben:
x Sichere Überwachung und Steuerung der elektrischen Energieversorgung
x Unterstützung einer unterbruchsfreien Energieversorgung
x Optimierung des Netzbetriebes betreffend des Energietransportes und der
-verteilung
x Bereitstellung von echtzeit-orientierten Netzzuständen für weiterführende
Applikationen (Statistik usw.).
Moderne Netzleittechnik ist meistens ein integraler Bestandteil der gesamten IT-
Lösung des Energieversorgers. Daher unterstützt sie auch eine reibungslose Integ-
ration in das IT-Umfeld und trägt so maßgebend an die Verbesserung der Arbeits-
abläufe in den jeweiligen Unternehmen bei.
Kostenorientierte Anforderungen
x Minimale Gesamtkosten des Netzleitsystems über den System-Lebenszyklus
(Totale Eignerkosten für Beschaffung, Implementation, Datenhaltung, System-
haltung, Ausbildung, Integration, Adaption, Migration usw.)
x Kurze Implementierungszeiten für das Netzleitprojekt
x Komplexitätsbewältigende und risikoarme Netzleittechnik-Lösung
x Evolutionäre Adaptionsmöglichkeiten an neue Gegebenheiten (z.B. an neue
Marktregeln, Aufgaben usw.) unter Wiederverwendung bewährter Lösungen
x Unterstützung von internationalen Standards.
Nutzenorientierte Anforderungen
x Breiter Funktionsumfang entsprechend der Netzbetriebsaufgaben
x Flexibilität zum Konfigurieren der "geeignetsten Lösung" für die gewählte
Differenzierung der Unternehmensleistung im Wettbewerb
x Vernetzungs- und Integrationsflexibilität von Applikationen für die optimale
Unterstützung der Produktivität entlang den Wertschöpfungsketten, Abbau von
Überlappungen
17.2 Systemkonzeption für Netzleitsysteme 773
Kommunikations-
z.B. Extranet
Netz
Abgesetzte Arbeitsplätze
oder dezentralisiertes
Andere EVU, Kunden, Partner etc.
Netzleitsystem (Multisite)
17.3 Systemarchitektur
17.3.1 Domänenstruktur
Ein Netzleitsystem ist zweckmäßigerweise gemäß Abb. 17.3 in lose gekoppelten
Domänen oder Ebenen aufgebaut. Damit kann es für die verschiedenen Anwen-
dungsfälle und Gegebenheiten flexibel strukturiert und skaliert werden.
Konfigurations-
Kommunikations-Domäne Management
Konfigurations-
Leitstellen- Fernwirk-Prozessschnittstelle parameter
Kommunikation ICCP front-End
17.3.2.1 Komponentenarchitektur
Die Komponentenarchitektur und das gemeinsame Datenmodell gemäß Abb. 17.4
sind wesentliche Eigenschaften einer zukunfts-orientierten Architektur. Eine Orga-
nisation in Ebenen (Layer) und standardisierten Schnittstellen erlaubt die Kapselung
der Komponenten und eine Modifikation einer Ebene unabhängig von einer ande-
ren.
Ein umfassendes Domänen-Modell modelliert alle Daten in einheitlicher Be-
nutzersicht (Prozess, System, Kommunikation, Arbeitsfluss usw.), um einerseits
Systemkosten tief zu halten und andrerseits Konsistenz aller Informationen effizient
zu gewährleisten. Die Prozessobjekte (Schalter, Leitungen usw.), d.h. die relevanten
Elemente des physischen Netzes, werden auf der Basis des CIM (Common Informa-
tion Model IEC 61970) modelliert. Das standardisierte Komponentenmodell und
eine Komponenten-Interface ermöglicht die Kombination und Interaktion von kom-
patiblen Komponenten verschiedener Hersteller nach einem "Plug and Play"-
Ansatz. Im Weiteren erleichtert die beschriebene Architektur zusätzlich:
Komponenten-Ausführungssystem
und Komponenten-Adapter (z.B. Integrations-Bus)
Internet/
Inter-EVU- Public Komponenten-
Intranet Kommunik. Data IEM Schnittstelle
Programme
Fernwirk-
Netz
Kommunikation
Andere
Systeme
Die Abb. 17.5 zeigt das Basisobjektmodell als das Zentrum (dass die Grundtypen
enthält), das für spezielle Kunden als Kundenobjektmodell (das die projektspezifi-
schen Typen enthält) angepasst werden kann. Während der Dateneingabe oder
durch Datenimport können die Typen im Objektmodell als Objekte im Kundenbe-
triebsmodell instanziert werden. Das Kundenbetriebsmodell enthält alle für das
Kundensystem und das Netz definierten Objekte.
Standard-Objekttypen
Î standardmäßige Auslieferung mit dem Produkt
Î basiert auf CIM-Standard
Î Beispiele: Generator, Transformator, Tarifvertrag, Server
Standard-
Standard- Kundenspezifische Objekttypen
Î abhängig von Branche und Sparte
Objekttypen Î wird erstellt während der Projektabwicklung
Î enthält alle notwendigen Objekttypen (Muster)
Kundenspezifische Î Beispiele: Kundengenerator, Kundentransformator,
adaptierter Vertrag A, konfigurierter Server
Objekttypen
17.4.1 Kommunikation
Prozessdaten- und Inter-EVU-Kommunikation
Prozessdaten von Betriebsmitteln werden entweder direkt aus dem Prozess oder
über andere Leitstellen erfasst oder an diese übermittelt. Das Kommunikations-
Front-End, ein Subsystem in der Kommunikationsdomäne, ist die standardisierte
Schnittstelle für die Anbindung von Fernwirkgeräten (RTUs) und Stationsleitsys-
teme an das Netzleitsystem. Die entsprechenden Kommunikationsmöglichkeiten
und –verfahren sind im Kap. 16.4 aufgeführt.
Das Subsystem „Inter-Control Center Communication Protocol“ (ICCP) für die
Kommunikation zwischen Leitstellen ist das standardisierte Kommunikationsver-
fahren für den Datenaustausch zwischen Leitstellen nach IEC-Norm 870-6 , auch
als TASE2 bekannt, auch unterschiedlicher Hersteller.
17.4.2.1 Grundverarbeitungen
Datenhaltung/-typen
Die Datenhaltung/-typen und die zugehörige Grundverarbeitung für Messwerte,
Meldungen, Zählwerte, Befehle und Sollwertvorgaben sowie Schaltprogramme
und Verriegelungen sind im Stations- und dem Netzleitbereich praktisch identisch.
Entsprechende Details sind bereits im Kap. 16.2.5.1 aufgeführt. Die folgenden
Ausführungen beschränken sich deshalb auf spezifische Netzleitausprägungen.
Qualitätskennungen
Jeder Prozessvariablen sind Qualitätskennungen zugeordnet. Sie beschreiben so-
wohl den qualitativen Zustand eines Wertes als auch die Quelle bzw. Ursache
seiner Zustandsänderung. Eine Qualitätskennung sagt aus, ob der angezeigte Wert
17.4 Domänen- und Funktionsüberblick 779
korrekt und verlässlich ist (gültig oder ungültig). Eine andere Kennung sagt aus,
durch welche Verarbeitung ein Wert erzeugt wurde. Beispielweise durch Übertra-
gung aus dem Prozess, durch Berechnung oder Schätzung. Qualitätskennungen
sind von Bedeutung für gewisse weiterverarbeitende Funktionen und besonders
für Bediener, die diese zusammen mit den Werten auf aktuellen oder archivierten
Darstellungen auf dem Monitor sehen.
Markierungen
Markierungen können Messwerten, Netzelementen oder ganzen Unterstationen
zugeordnet werden. Jede Verwendung einer Markierung (Setzen oder Löschen)
bewirkt einen Eintrag in das Betriebstagebuch. Vordefinierte Markierungen sind:
x Meldungssperre
x Alarmsperre
x Befehlssperre
x Objekt im Test
x Achtung
Notizbucheintrag.
Wertselektion
Die Wertselektion ist eine der ersten Verarbeitungsschritte bei der Übernahme von
Zustandsdaten einzelner Objekte. Diese Zustandsdaten können von Subsystemen
für die Prozesskommunikation kommen, das Ergebnis von Berechnungs- und
Verknüpfungsfunktionen sein oder Ergebnisse anderer Funktionspakete (z.B.
Frequenz-Leistungsregelung) sein. Vorrangiges Ziel der Wertselektion ist es,
SCADA und anderen Funktionspaketen in System immer den aktuellsten und
verlässlichsten Zustand eines Objektes zur Verfügung zu stellen.
Grenzwertüberwachung
Die Grenzwertüberwachung überwacht Analogwerte auf Einhaltung vorgegebener
oberer und unterer Grenzwerte. Überschreitet ein Analogwert diese Grenzwerte
erfolgt eine Alarmierung des Bedieners und ein Eintrag in Alarmlisten und Be-
triebstagebücher.
Weitere Eigenschaften:
x Alarmunterdrückung durch vorgegebene Totzeiten bei Pendeln des Wertes
um eine Grenze
x Unterstützung von zwei oberen und zwei unteren Grenzwerten
x Setzen und Löschen von zugehörigen Qualitätskennungen.
Alarmverarbeitung
Die Alarmverarbeitung bearbeitet das Kommen, Gehen, Quittieren und Archivie-
ren von Alarmen. Blinkende Anzeigen in der zentralen Bedienleiste PAT infor-
mieren den Bediener über auftretende Warn- und Gefahrenzustände oder Abwei-
780 17 Netzleittechnik für elektrische Energienetze
17.4.2.2 Netztopologie
Das Netzleitsystem enthält in seiner Datenbank auch die vollständige Topologie
des beschriebenen Netzes und ist damit Basis aller topologischen Funktionen. Das
Topologiemodell umfasst die statische Topologie des Netzes, notwendige dynami-
sche Schaltzustände und abgeleitete topologische Zustandsinformationen. Ent-
sprechende Verarbeitungen sorgen für ständige Aktualität und Konsistenz des
Modells und umfassen im Einzelnen:
x Unmittelbare und laufende Berücksichtigung von relevanten Datenänderun-
gen über IMM (Information Model Manager) im aktuellen Modell
x Aktualisierung des Topologiemodells und einer gegebenenfalls vorhandenen
Netzgruppentopologie bei dynamischen Zustandsänderungen im Netz für das
Gesamtnetz oder für die von Zustandsänderungen betroffenen Netzgruppen.
Diese Aktualisierung wird auch beim Systemanlauf durchgeführt.
x Laufende Aktualisierung der Topologiedarstellung in der Benutzeroberfläche.
Die Ableitung der statischen Netztopologie-Daten erfolgt bei der Bildkonstruktion
über den Grafikeditor
Topologisches Einfärben
Die Funktion Netzeinfärben (s. Abb. 17.6) steuert die Farbdarstellung von Be-
triebsmitteln und Netzteilen in grafischen Netzbildern. Als Einfärbemodi stehen
zur Verfügung:
x Einfärben nach Spannungsebenen, z.B. 20 KV, 50KV usw.
x Einfärben nach Netzgruppenzugehörigkeit
x Einfärben entsprechend Netzzuständen
x Unter Spannung
x Spannungslos
x Geerdet
x Undefiniert
x Zweiseitig eingespeist.
Dabei werden sowohl Teilnetze als auch Netzgruppen berücksichtigt, die in der
Regel verschieden eingefärbt werden.
17.4.2.3 Bedienerausgaben
Alarmlisten
Alarmlisten (siehe Abb. 17.7) geben eine Übersicht über die aktuellen Ereignisse
und erlauben dem Bediener, die jüngste Vergangenheit zu überblicken. Alarmlis-
ten zeigen Abweichungen vom normalen Netzzustand in der Regel in chronologi-
scher Reihenfolge. In der Alarmliste haben die Bediener die Möglichkeit:
x Filterkriterien einzusetzen
x Einzelquittierungen vorzunehmen
x Seitenweise Sammelquittierungen.
x Zugeordnete Netzbilder aufzurufen.
Für unterschiedliche Bereiche, z.B. für die Energiegiesparten Strom, Gas, Wasser
und Alarmpriorität sind auch unterschiedliche Alarmlisten möglich.
Betriebstagebücher
In Betriebstagebüchern (s. Abb. 17.8) ist das Prozessgeschehen ereignisorientiert
in Klartext chronologisch dargestellt. Für Bereiche sind unterschiedliche Betriebs-
tagebücher möglich. Per Bedienung können interaktive Filter für die Darstellung
definiert und zugeordnet werden. Betriebslisten können als EXCEL-Datei für
weitere Auswertungen dargestellt werden. Testlisten sind eine spezielle Ausprä-
gung der Betriebstagebücher.
782 17 Netzleittechnik für elektrische Energienetze
Reportfunktionen
Der Report-Generator stellt sowohl vordefinierte Protokolle (siehe Beispiel Mess-
wertprotokoll in Abb. 17.9) wie:
x Protokolle des Betriebstagebuches
x Protokolle der Alarmlisten
x Protokolle von Schaltbriefen und Archivauszügen.
als auch Protokolltypen für:
x Archivdaten-, Messwert-, Zählwert-, Meldungsprotokolle
x Protokolle des Daten-Managementsystems
17.4 Domänen- und Funktionsüberblick 783
Zugriffsberechtigungen
Unberechtigte Schalthandlungen oder andere Manipulationen können in einem
Energienetz zu außergewöhnlichen und gefährlichen Zuständen führen. Deshalb
ist ein umfassendes Sicherheitskonzept von großer Wichtigkeit. Es verhindert
unter anderem den unberechtigten Zugriff auf Funktionen und Daten des Systems.
Für die Überprüfung relevante Aspekte sind Zugriffsrechte und Verantwortungs-
bereiche. Zugriffsrechte sind Rechte für Funktionen und Methoden (z.B. Betriebs-
überwachung, Betriebsführung Steuern, Datenänderung, usw.), die mit einer zu-
gehörenden Erlaubnis kombiniert sind. Verantwortungsbereiche kennzeichnen
einen zugeordneten Netzbereich und/oder zugeordnete Netzsparten (z.B Strom,
Gas, Wasser). Komponenten zur Definition und Prüfung von Zugriffs- und Benut-
zerrechten erlauben eine klare Zuordnung von möglichen Bedienhandlungen für
jeden Bediener im jeweiligen Kontext. Jede Bedienhandlung im System wird
dementsprechend überprüft und ggf. abgewiesen. Zugriffs- und Benutzerrechte
werden auch als Filter bei der Generierung von Alarm- und Betriebslisten ver-
wendet.
784 17 Netzleittechnik für elektrische Energienetze
Einzelsteuerung
Der Bediener kann von jedem Bedienplatz, an dem für ihn Steuerfunktionen auto-
risiert sind, auf Netzelemente einwirken, die über Fernwirkgeräte oder Leitstellen-
kopplung an die Leitstelle angebunden sind. Erscheint ein Netzelement in mehre-
ren Darstellungen (Netzbild einer Unterstation, Übersichtsbild oder Tabellendar-
stellung), ist es von jedem autorisierten Bildschirm aus in der gleichen Weise
beeinflussbar. Steuerungen erfordern immer zwei Bedienschritte, um die Sicher-
heit der Bedienermaßnahme zu gewährleisten.
Einzelsteuerung ist unter anderem einsetzbar für:
x Leistungsschalter und Trennschalter
x Transformatorstufenstellungen
x Sollwertvorgabe.
Schaltfolgen-Management
Das Schaltfolgenmanagement in der Netzleitstelle ermöglicht stationsübergreifen-
de Schaltfolgen sowie vorbereitete Schaltabläufe in Verteilnetzen. Eine Schaltfol-
ge speichert die Einzelfunktionen Anwahl, Erstellung, Modifikation, Start, Stopp,
Fortsetzung und Abspeicherung von Schaltfolgen. Schaltfolgenschritte bestehen
aus Einzelsteuerungsbefehlen, Handnachführungen für Zustände und Markierun-
gen/Qualitätskennungen von Betriebsmittel und organisatorischen Schritten (z.B.
Warteschritte, Schaltfolgenabbruch) für umfangreichere Netzänderungen (siehe
auch Kap. 16.2.5). Schaltfolgen können im Echtzeit-Mode (Echtzeit-Kontext) oder
im Simulations-Mode (Simulations-Kontext) ablaufen. Schaltfolgen werden ver-
wendet sowohl für längerfristig geplante Schaltungen als auch für Schaltaktivitä-
ten zur Wiederversorgung im Fehlerfall.
Handnachführungen
Der Benutzer kann blockierte Werte oder nicht aktualisierte Werte manuell über-
schreiben. Auch nicht aus dem Prozess fernübertragbare Werte. Handnachführun-
gen von Betriebsmittelzuständen können auch von Schaltfolgen ausgelöst werden.
Prozesswerte können nur dann manuell nachgeführt werden, wenn für den zuge-
hörenden Datenpunkt eine Meldungssperre gesetzt ist oder eine entsprechende
Qualitätskennung, beispielsweise ungültig, zugeordnet wurde.
Zusätzlich zur Prüfung dieser Regeln und Algorithmen werden bei der Verriege-
lungsprüfung Markierungen und Qualitätskennungen überprüft, auch die Berech-
tigung und Zuständigkeit des Bedieners. Darüber hinaus wird die Ausführung
eines Steuerungsvorganges auf Verträglichkeit mit anderen gerade sich in der
Durchführung befindenden Befehlsgaben in den Prozess überprüft. 1:1 Verriege-
lungen werden über das Dateneingabesystem (Information Model Manager IMM)
beschrieben.
Bei Ansprechen einer Verriegelungsprüfung wird der Bediener über ein spezielles
Bedienfenster alarmiert. Der Bediener kann daraufhin den Steuerungsvorgang
abbrechen oder entriegelt trotzdem durchführen.
Topologische Verriegelungen
Topologische Verriegelungsbedingungen verwenden die im Topologiemodell
beschriebene Netztopologie.
Folgende topologischen Verriegelungsprüfungen sind verfügbar:
x Überprüfung ob ein Trenner unter Last geschaltet werden soll
x Überprüfung ob beim Schließen eines Schalters ein spannungsführender Netz-
teil auf Erde geschaltet werden soll
x Überprüfung ob angrenzende Betriebsmittel vor dem Erden freigeschaltet
wurden.
786 17 Netzleittechnik für elektrische Energienetze
17.4.2.5 Kontext-Management
Leitsysteme für die Energieversorgung arbeiten in unterschiedlichen betrieblichen
Umfeldern mit jeweils speziellen Systemanforderungen (z.B. im Echtzeit- oder
Simulations-Betrieb). Alle dafür notwendigen Applikationen definieren zusam-
men mit dem jeweils erforderlichen Datenmodell für einen zu betrachtenden Zeit-
raum im Netzleitsystem einen dafür bereitgestellten Kontext (Betriebsumgebung,
Szenario). Verschiedene Kontexte (siehe Abb. 17.11) unterscheiden sich unter
anderem durch ihre Datenquellen/Datenmodelle und ihre spezifischen Funktionen
inklusive der zugehörenden Bedienoberfläche (siehe Abb.17.12). Da die verschie-
denen Kontexte logisch voneinander unabhängig sind, beeinflussen Aktualisierun-
gen von Datenpunkten in einem Kontext nicht deren Zustand in einem anderen
Kontext. Alle Kontexte unterstützen die gleichzeitige Benutzung durch mehrere
Bediener. Ein Kontext-Management unterstützt folgende Szenarien:
x Echtzeit-Kontext
Dieser Kontext stellt Bedienumgebung und Datenmodell für den zugeordne-
ten externen Prozess (Netz) zur Verfügung und ermöglicht direkten Zugriff
auf Prozess- und Feldgeräte für deren Überwachung und Steuerung im lau-
fenden On-line-Betrieb. Die Echtzeitmesswerte können dabei von der Mess-
werterfassung der Feldebene, von einer Zustandsschätzung (State Estimation)
oder vom optimierenden Lastfluss (OPF) stammen. Im jeweiligen System
kann nur ein Echtzeit-Kontext aktiv sein.
x Simulations-Kontext
Dieser Kontext ermöglicht Simulationen von betrieblichen Aufgaben auf Ba-
sis realer oder simulierter Prozessdaten. Dieser Kontext wird vorwiegend für
Trainingsaufgaben aber auch für Demonstrationen und für den Test von Funk-
tionen genutzt.
x Mithör-Kontext
Der Mithör-Kontext empfängt wie der Echtzeit-Kontext Daten aus dem Pro-
zess. Allerdings sind in diesem Kontext keine Befehle und Ausgaben in den
Prozess möglich. Der Mithör-Kontext kann für den Datentest im System oder
für die Fehleranalyse verwendet werden.
x Daten-Management-Kontext
Dieser Kontext stellt die Umgebung für Dateneingaben und Datenänderungen
parallel und rückwirkungsfrei zum On-line-System zur Verfügung.
x Trainings-Kontext
Der Trainings-Kontext stellt die Umgebung für ein Operatortraining zur Ver-
fügung (siehe Kap. 16.4.3.6).
17.4.3 Applikationen
Je nach Art des zu überwachenden Netzes unterscheidet man zwischen Transport-
netz- (Energy Management System EMS) oder Verteilnetz-Systemen (Distributi-
on Management System DMS). Im Zuge der Liberalisierung und des damit ver-
bundenen „Unbundling“ von Erzeugung und Übertragung werden neuerdings auch
Leitsysteme zur ausschließlichen zentralen Steuerung von Kraftwerken konzipiert
(Generation Management System GMS).
Bei allen Ausprägungen von Netzleitsystemen bildet die Systemplattform das
oben ausführlicher beschriebene SCADA-System. Auf dieser Basis arbeiten dann
je nach Aufgabenstellung die weiteren Applikationen.
Energieabrechnung
Die Energieabrechnung bietet die Möglichkeit, die Energieerzeugung, den Ener-
gieaustausch und die Lastwerte im Netz in regelmäßigen Abständen im Leitsystem
zu erfassen und in der Datenbank zu speichern. Gespeicherte Energiewerte werden
regelmäßig und spontan bearbeitet, um verschiedene wertorientierte und querver-
bindungs-bezogene Berechnungen anhand verschiedener Zeitintervalle und Tarife
vorzunehmen.
17.4 Domänen- und Funktionsüberblick 789
Wasser-Management
Anwendungsfunktionen des Wasser-Managements überwachen Wasserversor-
gungsnetze getrennt nach Versorgungszonen, erfassen und bilanzieren deren Zu-
und Abflüsse und liefern Daten über eventuelle Leitungsverluste (Lecküberwa-
chung). Dafür erfasste Messwerte (z.B. Pegelstände, Zu- und Abflüsse) werden
einer Minimum und Maximumbetrachtung unterzogen und sind Grundlage für
Archivauswertungen und Trend- sowie Planungsanalysen.
790 17 Netzleittechnik für elektrische Energienetze
ergänzt. Eine Grundlage für diese Funktionen ist ein entsprechendes Netzmodell
mit konsistenten Daten. Fehlerhafte Netzdaten können mit Estimationsalgorith-
men ermittelt und für die Berechnungen ausgeschlossen werden. Fehlende Werte
können ergänzt werden, sodass für den Bediener eine vollständige Lastflusslösung
für sein überwachtes Netz zur Verfügung gestellt werden kann.
Anforderungen an Netzanalysen
x Netzverluste verringern
x Betriebskosten senken
x Abweichungen von Sollwerten korrigieren
x Grenzwertverletzungen ermitteln und beseitigen
x Überlastungen im Netz eliminieren.
Merkmale
x Arbeiten in verschiedenen Betriebsarten (Prozess- und Studienmodus)
x Erzeugen von Ersatznetzen zur Anbindung von Fremdnetzen
x Ermitteln der Netztopologie und Bestimmen des Knoten/Zweig-Modells
x Ermitteln von Knoteneinspeisungen (Erzeugung oder Last)
x Vollständige und konsistente Ermittlung des aktuellen Netzzustandes
x Erkennen von fehlerhaften Mess- und Übertragungseinrichtungen
x Berücksichtigung von Verlusten im Transportnetz (Straffaktoren)
x Ermitteln von Ausfallvarianten, die zu kritischen Netzsituationen führen
x Ermitteln von Steuereingriffen zur Optimierung des Netzzustandes
x Vorgeben von Netzsituationen (Studienmodus), für die Leistungsfluss, Strom
und Spannung berechnet werden.
Applikationspalette
Die heute verfügbaren, breiten Applikations-Paletten ermöglichen umfangreiche
Behandlungen von Netzsicherheits- und Analyseproblemen in Transportnetzen.
Die Analysefunktionen können im Echtzeit- oder auch im Studien-Kontext betrie-
ben werden. Die untenstehende Tabelle gibt einen Überblick zu den Applikatio-
nen:
Echtzeit-Analyse-Funktionen: Studien-Analyse-Funktionen:
x Zustandsschätzung des Netzes
x Netzparameter-Adaption
x Netzsensitivitäts-Analyse
x Sicherheitsanalyse Dito für Studienbetrieb
x Spannungsoptimierung
792 17 Netzleittechnik für elektrische Energienetze
x Operator-Lastfluss
x Optimaler Lastfluss
x Ausfallsvariantenrechnung
x Netzverträgliche Lastaufteilung
x Netzverträglicher optimaler Lastfluss Dito für Studienbetrieb
x Kurzschlussberechnung Dito für Studienbetrieb
17.4.3.6 Trainingssimulator
Auf Grund wachsender Komplexität vorhandener Energienetze nehmen die An-
forderungen an Flexibilität und Leistungsfähigkeit der eingesetzten Netzleitsyste-
me ständig zu. Alte Systeme werden durch neue ersetzt oder der bestehende Funk-
tionsumfang wird deutlich erweitert. N.1
17.4 Domänen- und Funktionsüberblick 793
Netz- Trainingssimulator-
simulator Verwaltungsfunktionen
Fernwirk-
modell Simulationsdaten Leitstellen-
system (Kopie)
Prozessdaten
Komponenten
Der Trainingssimulator gliedert sich gemäß Abb. 17.14 in folgende Teilfunktio-
nen:
x Leitstellenfunktionen (identisch mit dem Leitstellensystem)
x Trainingssimulator-Verwaltungsfunktionen (für den Lehrer)
x Netzsimulator (zur Netzdarstellung)
x Fernwirkmodell (Verbindung Netzsimulator - Leitstellensystem)
794 17 Netzleittechnik für elektrische Energienetze
Merkmale
Durch die wirklichkeitsnahe Simulation des aktuellen Systemverhaltens besitzt der
Trainingssimulator vielfältige Möglichkeiten für Ausbildung und Test, wie
z.B.:N.1
x Training von neuen Bedienern der Netzführung
x Selbsttraining erfahrener Bediener als Test der eigenen Fähigkeiten bzw. zum
Erlernen der Bedienung neuer Anwendungsfunktionen
x Erprobung neuer Funktionen des Netzleitsystems
x Testen von Netzänderungen soweit Netzstruktur, Kraftwerke, Lastverhalten
und Systemdynamik des Netzes betroffen sind
x Testen von strukturellen Änderungen des Energieversorgungssystems, z.B. im
Netz, im Kraftwerkspark, bei den Abnehmern oder in der Systemdynamik
x Studieren vorbeugender, korrigierender und restaurativer Maßnahmen, die im
normalen Netzbetrieb oder in Stresssituationen auftreten können
x Verwendung des Trainingssimulators als Planungswerkzeug für Netzerweite-
rungen.
Leitstellenfunktion
Die diesbezügliche Bedienoberfläche ist zum Netzleitsystem identisch, wodurch
für den Bediener (Schüler) in Funktionalität und Bedienung kein Unterschied
zwischen realer Arbeit am Netz und einer Simulation besteht (in der Ausbildung).
Verwaltung
Dem Lehrer stehen leistungsfähige Funktionen zur Vorbereitung, Durchführung
und Auswertung einer Übung zur Verfügung:
x Netzabbild (aktuelle Kopie, Archivdaten)
x Prozessereignisse, interne Ereignisse können initiiert werden
x Ereignisfolgen und Ereignis-Szenarien können abgefahren werden
x Vorbereitung von Lastprofilen
x Konfiguration der Erzeugermodelle
x Definition von Relais und Relaischarakteristik
x Funktionen für den Übungsablauf (Start, Stopp, Einzelereignisse, usw.)
x Protokollfunktionen (Ergebnis- und Zustandslisten).
Netzsimulator
Bei der Simulation des eigenen Netzes und des Fremdnetzes wird angenommen,
dass alle Erzeuger und motorischen Lasten innerhalb des zusammenhängenden
Netzes mit derselben Frequenz schwingen. Jedes Inselnetz hat seine eigene Fre-
quenz, die nur für diese Insel gültig ist. N.1
Das Modell für dynamische Vorgänge im Netz besteht aus den Komponenten: N.1
x Netzmodell
x Wirkleistungs-/Frequenzmodell
x Spannungsreglermodell
x Schutzmodell
x Wassersystemmodell (wenn Kraftwerkseinsatzplanung vorhanden)
x Leistungs-/Frequenzregelungsmodell für Nachbar-EVU
x Netzmodell.
17.4 Domänen- und Funktionsüberblick 795
Fernwirkmodell
Das Fernwirkmodell verbindet den Netzsimulator mit dem Leitstellensystem. Es
wird damit die Übertragung der Daten simuliert. Dabei können verschiedene Ü-
bertragungsfunktionen festgelegt und verändert werden.
N
17.4.3.7 Prozessdaten-Simulator
17.4.4 Benutzeroberfläche
Ein wichtiger Aspekt für den Betrieb der Netzleitstelle ist eine leicht bedienbare
und für alle Software-Komponenten einheitliche Bedienoberfläche. Neue Leitstel-
len basieren meistens auf den Softwarestandards von MS Windows. Anwender,
die mit Microsoft Windows vertraut sind, werden dadurch in den Bedienungs- und
Administrations-Benutzeroberflächen viele der standardisierten Windows-
Elemente wiederfinden. Besonderes wichtig ist, dass Menüleisten, Schaltflächen,
Arbeitsbereiche, Drop-down-Menüs, Dialogfelder, Fenster usw. wie gewohnt zur
Verfügung stehen und den Erwartungen des Windows-Benutzers gerecht werden.
Die Abb. 17.15 und 17.16 zeigen diese standardisierten Elemente, die in einem
modernen Netzleitsystem zum Einsatz kommen. Sie sind durch Nummern mar-
kiert:
1 2
3 4
rung eines Bildbereiches im Bildfenster kann auch durch Verschieben (Pan) erfol-
gen. Mit einem Decluttering können zudem nicht erwünschte Informationen aus-
geblendet werden. Ein Zoom- und Decluttering-Beispiel für ein Netzbild ist in
Abb. 17.19 gezeigt.
Der direkte Netzbildzugriff wird über das PAT oder in speziell konstruierten Auf-
rufpunkten in Netzbildern ermöglicht, um den Zugriff ohne Auf- und Abwärts-
wandern durch hierarchische Netzbildpfade zu gewährleisten.
Online-Hilfe
Das Hilfe-System ist eine kontextabhängige, integrierte Online-Hilfe für den Be-
nutzer. Sie enthält üblicherweise die dokumentierten Informationen für die Pro-
duktmodule und entspricht der Bedienerdokumentation. Hilfe-Informationen ste-
hen über das Help-Hauptmenü oder über den Aufruf der kontextabhängigen Hilfe
800 17 Netzleittechnik für elektrische Energienetze
Eigenschaften
Zu den Eigenschaften der Bedienungs-Benutzeroberfläche gehören:
x Zentrale Bedienleiste PAT (Power Application Toolbar)
x Dialogbilder für Applikationen
x Kurven- und Trend-Darstellungen
x Kontextsensitive Menüs
x Copy and Paste-Funktion für andere Windows - Produkte und -Tools
x gefilterte Tabellen (mit vom Anwender definierten Filterkriterien)
x gefilterte Ereignislisten (mit vom Anwender definierten Filterkriterien)
x Notizbuchfunktionen
x grafische Netzdarstellungen
x Zusammenfügen von freien Texten mit Bilddarstellungen, Betriebs- und A-
larmlisten und anderen Objekten
x Verwaltung von Benutzerkennungen und Zugriffsberechtigungen/Passwörtern
für die unterschiedlichen Systemfunktionen.
17.5 Bedien- und Anwendungsfunktionen 801
Grafische Darstellungen
Netzbilddarstellungen, wie Abb. 17.22 zeigt, sind das primäre Instrument für die
Überwachung und Steuerung des Netzes.
Kurvendarstellung
Die Kurvendarstellung dient primär zur Darstellung von aktuellen und archivier-
ten Werten in grafischer Form. Mehrere Kurven können in einem Kurvenfenster
dargestellt werden. Die Zusammenstellung des Kurvenfensters bzgl. darzustellen-
der Werte, Zeitbereich, Form usw. wird vom Bediener über einen Dialog definiert.
Einmal erstellte Kurvenfenster können im System gespeichert und wieder aufgeru-
fen werden. Formmöglichkeiten sind in Abb. 17.23 gezeigt.
17.6 Daten-Management
Das Daten-Managementsystem IMM (Informations-Modell-Manger) ist zuständig
für Dateneingabe und -pflege Es ist integraler Bestandteil des Systems und voll-
ständig in die Architektur des On-line-Systems integriert, um den Einfluss der
Datenänderungen auf das Laufzeitsystem so gering wie möglich zu halten. Es wird
sowohl für die Betriebs- als auch die Systemfunktionen eingesetzt, um deren zu-
geordnete Datenmodelle zu erstellen und zu pflegen. Über die Benutzerschnittstel-
17.6 Daten-Management 803
17.6.1 Konfigurations-Management
Systemkonfiguration
Die Konfiguration des Systems basiert auf einer Konfigurationsdatenbank, in der
alle Konfigurationsinformationen für ein Projekt enthalten sind. Eingabe und Pfle-
ge erfolgen über ein Konfigurations-Tool für die gesamte Anlage. Jede einzelne
Konfigurationsinformation braucht nur einmal (und nicht mehrfach) eingegeben
zu werden.
Systemkonfigurierungsdaten beschreiben unter anderem die Systemgröße, Hard-
ware-Konfiguration des Projektes, ausgewählte Produkt-Module, systemweite An-
wendungsoptionen, Speicherzuordnung, Kontextdefinitionen, Benutzerprofile und
Festlegung der grafischen Darstellungsparameter.
Unter jedem dieser Themen findet der Projektingenieur Konfigurationsobjekte, die
entsprechend parametriert werden müssen.
17.6.2.1 Kundenanpassungen
Die Kundenanpassung ist erforderlich, um projektspezifische Funktionsanforde-
rungen zu erfüllen, die in der Standardprodukt-Software nicht realisiert sind. Die
Kundenanpassung besteht aus kundenspezifischen Erweiterungen für die Objekt-
typen und gegebenenfalls der Implementierung bzw. der Ergänzung vorhandener
Applikationen. Darüber hinaus kann die Netzleitstelle dahingehend angepasst
werden, wie die verschiedenen Objekttypen in einer hierarchischen Struktur ange-
ordnet werden sollen. Dadurch können Datenprojektierer wählen, ob sie bei-
spielsweise eine Objektgruppierung wie Spannungsebene oder Abzweig als not-
wendige Objekte in die Hierarchie einbeziehen wollen.
804 17 Netzleittechnik für elektrische Energienetze
17.6.2.2 Dateneingabe
Das Daten-Managementsystem wird benutzt, um die statischen Konfigurationsda-
ten für die Objekte des Energieversorgungsnetzes, die für den Anlagenbetrieb
relevant sind, einzugeben bzw. zu aktualisieren. Die Objektkonfigurationsdaten
legen die Existenz von Objekten fest und bestimmen die Attribute der Objekte
sowie die Beziehungen zwischen ihnen. Sie werden in der Objekt-Domänen-
Datenbank gespeichert. Objektkonfigurationsdaten können direkt eingegeben und
bearbeitet oder von einer externen Quelle übertragen werden. Bei der externen
Quelle kann es sich um eine andere Datenbank oder eine ASCII-Importdatei han-
deln. Die Dateneingabe kann vor, gleichzeitig mit oder nach der Kundenanpas-
sung erfolgen.
17.6.2.3 Validierung
Nach einer Dateneingabe oder Datenänderung stellt die Validierung sicher, dass
das gesamte Datenmodell konsistent ist. Darüber hinaus gewährleistet die Validie-
rung, dass alle anderen erforderlichen Daten im Pflegeumfeld eingegeben sind
(Vollständigkeitsprüfung), bevor die Änderung in das On-line-System übernom-
men wird.
17.6.2.4 Aktivierung
Die Aktivierung überträgt während der Dateneingabe durchgeführte Änderungen
in das On-line-System. Zum Zeitpunkt der Aktivierung werden die in der Pflege-
umgebung enthaltenen Änderungen validiert (sofern das nicht bereits geschehen
ist) und, vorausgesetzt dass keine Validierungsfehler auftreten, die Änderungen in
das Online-System übertragen. Der Aktivierungsvorgang veranlasst außerdem die
Erstellung von Änderungsprotokolldaten für die Prüfung und eventuelle Rückgän-
gigmachung.
Eigenschaften
Die Benutzeroberfläche unterstützt:
x Pflege der statischen Objektkonfigurationsdaten
x Eingabe unvollständiger Daten mit späterer Ergänzung bzw. Berichtigung
x Eingabe und Pflege der grafischen Netzdarstellungen
x interaktive Bearbeitung der Objektkonfigurationsdaten und gleichzeitige
Bearbeitung der Netzdarstellungen
x Prüfung der Korrektheit eingegebener Daten (Validierung) und Prüfung der
internen Übereinstimmung mit bereits eingegebenen Daten (Globale Validie-
rung).
Engineering Explorer
Der Engineering Explorer ermöglicht dem Benutzer die Durchführung aller Kon-
figurations-, Kundenanpassungs- und Dateneingabemaßnahmen für ein Projekt.
Die Benutzeroberfläche ist wie im Microsoft Windows Explorer und anderen
ähnlichen grafischen Bedienoberflächen aufgebaut. Das linke Feld des Fensters in
Abb. 17.27 zeigt die Bezeichnungshierarchie in Form einer Baumstruktur, der
Zugriff zu allen projektierten Objekten des Netzes ermöglicht. Das rechte Feld des
Fensters wird für die Anzeige und Bearbeitung der Eigenschaften der projektierten
Objekte benutzt. Das im rechten Feld verwendete Darstellungsformat kann je nach
der Art der betrachteten Objekte unterschiedlich sein. Ein Benutzer kann mit Hilfe
dieser Ansicht alle Bereichsobjekte erstellen und bearbeiten.
Graphics Designer
Der Graphics Designer ermöglicht die Konstruktion von kundenspezifischen Dar-
stellungen (Stations-, Netzbilder, Objekte etc.) und bietet die Standardfunktionen,
die in effizienten Windows-Grafikprogrammen vorhanden sind. Funktionen wie
die präzise Positionierung, Ausrichtung, Drehung oder Spiegelung, Übertragung
der Eigenschaften von Grafikobjekten sind darin enthalten, ebenso wie die Grup-
pierung, Erstellung von Bibliotheksobjekten sowie der Import bzw. die Einbettung
von extern bearbeiteten Texten und Grafiken in verschiedenen Formaten (z.B.
BMP, WMF etc.) oder die Verwendung von OLE (s. Abb. 17.28).
Objektbibliotheken
Erstellte Objekte können in einer Bibliothek gespeichert werden und stehen dann
sofort für die weitere Verwendung zur Verfügung. Dadurch ist der Benutzer in der
Lage, unternehmens-, technologie- oder sektorspezifische Standards zu entwickeln
und die in der Bibliothek gespeicherten Objekte immer wieder zu verwenden, was
zu einer schnelleren und effizienteren Entwicklung von grafischen Netzbildern
beiträgt. Eine Objektbibliothek (bestehend aus einer globalen Bibliothek und einer
Objektbibliothek) und eine Funktionsbibliothek unterstützen die effiziente Einga-
be. Die Objekte können aus reinen Grafiken bestehen, spezielle Verarbeitungsrou-
tinen beinhalten aber auch Prozessverknüpfungen. Die in der Bibliothek enthalte-
nen Objekte können einfach mit der „Drag and Drop“-Technik in die Projektda-
tenbank eingefügt werden.
Objekte können in der Bibliothek namentlich aufgelistet oder als Ikonen angezeigt
werden. Das fördert die schnellere und leichtere Identifikation der einzelnen Ob-
jekte. Objekte könne darüber hinaus mehrsprachig beschrieben werden. Beim
Umschalten der Benutzeroberfläche ändert das System automatisch alle Namen
der gespeicherten Objekte und Objektgruppen wie auch andere die vom Anwender
definierten Parameter. Die Verwendung dieser Bibliotheken führt zu einer bedeu-
tenden Steigerung der Effizienz der Dateneingabe bei gleichzeitiger erheblicher
Reduzierung der Fehlermöglichkeiten.
17.6 Daten-Management 807
Topologischer Bild-Editor
Müssen Netzbilder topologisch eingefärbt werden, so kann anstelle des Graphics
Designer für die Bildgestaltung ein topologischer Bild-Editor verwendet werden,
mit dem die Netzbilder basierend auf den Objektbibliotheken und topologischen
Regeln am Bildschirm gezeichnet werden. Der Editor überprüft bei der Eingabe
laufend die topologische Korrektheit des eingegebenen Netzes und erlaubt auch
die Zuordnung und eventuelle Ergänzung der technischen Daten zu den einzelnen
grafischen Objekten.
Objekt-Editor
Die primäre Aufgabe bei der Dateneingabe über IMM ist es, das Datenmodell
immer konsistent zum physikalischen Ausbaustand des Prozesses (Netzes) zu
halten. Die Datenmodellpflege im Online-System wird mit dem Objekt-Editor
ausgeführt. Der Objekt-Editor in der Grafik-Benutzeroberfläche ist voll Web-
fähig, so dass er von jedem anderen vernetzten Computer, auf dem ein üblicher
Web-Browser (z.B. Microsoft Internet Explorer) installiert ist, benutzt werden
kann. Ein Bearbeitungsfenster enthält die Bezeichnungshierarchie aller Netzobjek-
te. Die Baumstruktur ordnet alle Objekte in einer logischen Hierarchie ähnlich
einem Dateiverzeichnis, wobei das Aussehen und die Arbeitsweise der Elemente
auf der Grafik-Benutzeroberfläche an den Microsoft-Verzeichnisbaum angegli-
chen ist. In diesem Verzeichnisbaum können neue Objekte erstellt, überflüssige
Objekte gelöscht und vorhandene Objekte angewählt werden. Diese Baumstruktur
zeigt die Objektbezeichnungen in einer hierarchischen Weise, wie sie normaler-
weise in einem Netz verwendet werden, um Objekte im Netz zu kennzeichnen
(z.B. Unterstation A / 110KV / Transformator X). In einem weitern Feld des Dia-
logfensters werden die Zustandsdaten eines Objekts definiert, das über den Ver-
zeichnisbaum erstellt oder angewählt wurde. Die Werte der Objektattribute und
808 17 Netzleittechnik für elektrische Energienetze
Objekttypen-Editor
Die Einfügung neuer oder kundenspezifische Funktionen verlangt normalerweise
die Definition neuer Objekttypen oder die Hinzufügung von Attributen zu vorhan-
denen Objekttypen im Datenmodell. Der Objekttypen-Editor (s. Abb. 17.29) er-
laubt dem Anwender die Erweiterung des Objektmodells und die automatische
Anpassung an bestehende Objekttypen und Attribute. Somit kann die Eingabe
entsprechender Objektdaten unmittelbar nach vorgenommener Modelländerung
beginnen. In diesem Zusammenhang ist zu betonen, dass die Erweiterung der
bestehenden Objekttypen bei voll-ständiger Beibehaltung der vorhandenen Ob-
jektdaten erfolgt. Die Benutzeroberfläche des Objekttypen-Editors entspricht Aus-
sehen und Bedienung dem des Objekt-Editors.
Automatische Bildgenerierung
Der Aufwand für die Erstellung von Netzbildern für große Netze ist in Regel
hoch. Daher können Stationsbilder usw. automatisch auf Basis der im Datenmo-
dell hinterlegten Prozess- und Topologiedaten generiert werden. Diese Funktion
kann einerseits dazu genutzt werden, eine beschriebene Netztopologie auf Fehler
zu prüfen, andererseits aber auch als Grundlage für die Erstellung von grafischen
17.6 Daten-Management 809
Netzdarstellungen verwendet werden. Die Abb. 17.30 und 17.31 zeigen die beiden
Möglichkeiten.
Job-Management
Dateneingaben und Datenänderungen werden über das Job-Management des Da-
ten-Management-Systems mit den folgenden Merkmalen koordiniert und verwal-
tet:
• Zusammengehörende Datenänderungen werden zu einem Job zusammenge-
fasst
• Die Daten eines Jobs werden gemeinsam aktiviert
• Zeitliche Entkopplung von Dateneingabe und Aktivierung der Daten in das
On-line-System ^
• Mehrere Bediener können gleichzeitig Daten eingeben
• Ein Job kann gleichzeitig nur von einem Bediener bearbeitet werden
• Die in einem Job modifizierten Daten sind für Änderungen in anderen Jobs ge-
sperrt
• Datenänderungen sind nur mit dem entsprechenden Zugriffsrecht möglich.
Dadurch können im System mehrere Datenänderungen parallel vorgehalten
werden ohne das On-line-System zu stören.
Reports
Inhalte der Engineering-Kontexte oder des Echtzeit-Kontexts können mit Stan-
dardberichten dokumentiert werden. Objekttypen und Objektbedingungen können
entweder im Daten-Managementsystem angeschaut oder ausgedruckt werden.
Begrenzte Filtermöglichkeiten stehen für die Erstellung spezieller Berichte zur
Verfügung.
17.6.4 Massendatenimport
Netzdaten
Bei vielen Projekten ist es notwendig, das sehr umfangreiche Prozessdatenmodell
von vorhandenen Informationssystemen zu übernehmen, statt alle Daten manuell
neu einzugeben. Dies ist insbesondere im Verteilnetzbereich für Geographische
Informationssysteme (GIS) zutreffend. GIS enthalten im Allgemeinen viele tech-
nische und grafische Daten, die ebenfalls im Netzleitsystem zur Netzführung be-
nötigt werden, z.B. zur Netzdarstellung, Netzberechnung etc. Die Importfunktion
des Daten-Managementsystems führt zu einer größeren Aufwandsreduktion bei
der Dateneingabe und –validierung. Das Importdateiformat basiert z.B. auf XDF-
Dateien (Exchange Data Format) unter Verwendung des Standards Extended Mo-
deling Language (XML). Das XML-Format bietet eine objektorientierte Struktur,
die der Form des Datenmodells entspricht. Infolgedessen wird die Importdatei als
ASCII-Dateidarstellung der Objektdaten angezeigt, die der Darstellung im Objekt-
Editor sehr ähnlich ist.
Das Prozessdatenmodell kann auch in ein fremdes System exportiert werden. Das
Exportformat ist dasselbe wie das Importformat.
17.6 Daten-Management 811
• Interaktiver Grafikdesigner
Datenaustausch
zwischen unterschied- • Topologie-Ableitung
lichen Systemen ver- • Automatische Bildkonstruktion
schiedener Lieferanten • Interaktiver Typeneditor
import/export
Bulk
Abgesetzte
Domain Object Leitstellen
Repository
System &
Prozess-
objekte
Anwendungen
Datenmigration System
Felddaten Archiv Konfiguration
Graphik-Import
Neben dem Import von ASCII-Daten stehen üblicherweise auch Schnittstellen und
Systemdienste für den Import von Grafikdaten in SVG-Format (Scalable Vector
Graphics) zur Verfügung. Diese Dienste sind insbesondere für Kunden für Bedeu-
tung, die bereits über Grafische Informationssysteme verfügen bzw. diese kurz-
oder mittelfristig beschaffen wollen und mit dem Netzleitsystem verbinden wol-
len.
17.7 Systemkonfigurationen
Die Architektur ermöglicht wie in der Abb. 17.33 gezeigt wird eine große Konfi-
gurations-Skalierung sowie die verschiedensten Kombinationen von Servern,
Anwender-Interface (UI)-Clients und peripheren Geräten. Eine kleine Konfigura-
tion „All-in-one“ kann z.B. für das Dateneingabesystem oder eine dezentrale Be-
triebsstelle eingesetzt werden, während eine große Konfiguration in redundanter
Konfiguration, z.B. in einer zentralen Warte, eingesetzt werden kann.
Offene Hardware-Architektur
Ein modernes Netzleitsystem besitzt eine offene Hardware-Architektur, die meh-
rere Ebenen der Geräteverfügbarkeit und eine extrem flexible Skalierbarkeit bie-
tet.
Redundanz
Im Allgemeinen werden verschiedene Strategien angewendet, um den Anforde-
rungen nach Verfügbarkeit gerecht zu werden. Das Ziel dabei ist, die jeweils ge-
forderte Verfügbarkeit zu erreichen und gleichzeitig die Anzahl der verschiedenen
dafür notwendigen Strategien minimal zu halten, um den Installations-, Instand-
haltungs- und Bedienungsaufwand zu senken. Das Ziel einer hohen Verfügbarkeit
ist:
• N-1 Verfügbarkeit
Redundanz im Falle von Gerätefehlern ist durch die Verfügbarkeit zusätzlicher
On-line-Geräte gegeben. Die Ausfallzeit für den betreffenden Anlagenteil wird
17.7 Systemkonfigurationen 813
anhand der Zeitdauer bestimmt, die zur Reparatur des fehlerhaften Gerätes benö-
tigt wird. Diese Art der Verfügbarkeit ist akzeptabel für Benutzeroberflächen-
Einrichtungen und andere periphere unkritische Anlagenteile
Workflow-Automation
• Erstellen/Ändern
• Ausführen
• Überwachen
• Bericht
Unternehmensbus (EIB)
17.9 Systemintegrationskonzepte
Das Netzleitsystem ist Bestandteil einer umfänglichen EVU-Systemlandschaft.
Andere Systeme können je nach Aufgabe mit der Netzleittechnik mehr oder weniger
Interoperabilität und Abhängigkeiten aufweisen. Eine IT-Integration dieser Syste-
me ermöglicht je nach Integrationsgrad (Datenaustausch, gemeinsamen Dateneinga-
be und Applikationsabstimmung) eine wesentliche Verbesserung der Betriebskosten
und Arbeitsabläufe. Bei der Integration und beim gewählten Systemintegrations-
konzept sind vor allem auch die Sicherheits- und Echtzeitbedürfnisse der Netzleit-
technik zu beachten. Die Norm IEC 61970 beinhaltet insbesondere für die Netzleit-
technik eine entsprechende Grundlage. Ein weiterer Schritt auf der Ebene der Un-
ternehmensintegration führt zu einer Service-Oriented Architecture (SOA). Damit
wird die Funktionalität in geteilte, wiederholbare Services strukturiert und mitein-
ander verknüpft. Der dedizierte Service bietet seine Funktionalität durch gut defi-
nierte Interfaces an. Dadurch kann neben der betrieblichen Effizienz auch die Un-
ternehmensflexibilität und die Wiederverwendung von Ressourcen gesteigert wer-
den. In der Abb. 17.35 ist ein Beispiel einer umfassenderer Systemintegration aus
der Verteilnetzführung dargelegt.
17.10 Ausblick
Netzleitstellen sind über die letzten Jahre durch die Marktentflechtung die damit
verbundenen Optimierungsforderungen und den gleichzeitigen Technologiewandel
wesentlich komplexer geworden. Insbesondere gibt es:
x viel mehr Elemente, die miteinander verknüpft und voneinander abhängig sind,
z.B. infolge integrierter IT-Systemlandschaft im EVU
x viele und häufige Interaktionen zwischen den Elementen, z.B. durch intensive
Interaktionen zwischen den Applikationen und den Benutzern
x hohe Vielfalt durch wechselnde Konstellationen, Muster und Zustände der
Elemente, z.B. durch neue Aufgaben, Ersatz von Systemen, Prozess- und Sys-
temrestrukturierung usw.
x zunehmendes ortsunabhängiges Bedienen in Verteilnetzen (mobile computing)
mit entsprechend erhöhten Sicherheitsanforderungen gegen unerwünschte Sys-
temeingriffe
Im IT-Bereich macht sich Komplexität vor allem auch in der Beziehung des Sys-
tems zum Benutzer und in der Heterogenität der Systemteile bemerkbar.
Da die Gesamtkosten komplexer Systeme hoch sind, müssen auch in Zukunft bei
der konzeptionellen Systemauslegung die entsprechenden Regeln zur Komplexitäts-
minderung beachtet werden. Die folgenden, zumeist heuristischen Regeln der Kom-
plexitätstheorie sind dabei von Nutzen:
1.1 Grundbegriffe
1.1.I Zustandsgrößen
Zur Beschreibung des thermodynamischen Zustands der Materie werden folgende 6
Variablen verwendet:
absolute Temperatur T [Kl
thermodynamischer Druck p [Nlm' = Pa = 10-5bar ]
spezifisches Volumen (11Dichte) V = llp [m3kg]
spezifische innere Energie u [Wsikg = Jikg]
spezifische Enthalpie h [Wslkg]
spezifische Entropie s [Wslkg.K]
Die Gln. (1.3) und (1.4) definieren Enthalpie und Entropie; für deren physikalische
Interpretation s. die Abschn. 1.1.3 und 1.1.4. Die Definition (1.4) der Entropie ist
streng genommen nur für quasistationäre Gleichgewichtszustände gültig [A. 101.
Die Gln. (I. 1) und (1.2) sind von der Art des Stoffes abhängig. Für zwei wichtige
Idealfalle gilt:
a) Ideales Gas :
pv=RT (1.Ia)
du = cv(T) dT (1.2a)
aus (1.3) folgt dh = (c,,(T) + R ) dT = $ ( T ) dT (1.3a)
b) Inkompressible Flüssigkeit:
V = v(T) (1.1 b)
du = c ( T ) dT (1.2b)
In beiden Fällen ist die innere Energie nur von der Temperatur abhängig. Reelle
Gase verhalten sich bei niedrigen Drücken (< 20 bar für Luft, Wasserstoff, Stick-
822 Anhang I Thermodynamik
stoff, Erdgas usw.) praktisch wie ideale Gase. C„ stellt die spezifische Wärme bei
konstantem Volumen, C, die spezifische Wärme bei konstantem Druck dar, wobei
C,-C,. = R. Das Verhältnis K = C, /C,wird Isentropenkoeffizient genannt (s. auch
Abschn. 1.3.4). Die Gaskonstante R hängt von der Art des Gases ab. Für Flüssig-
keiten ist praktisch C, = C,, = C.
T, P, V, U, h, s
Abb. 1.1: Zustands- und Prozessgrößen
isobare
,p2 Erwärmung
I isobare isotherme
' 2 Erwärmung Expansion
2 isotherme 2 adiabate
Expansion Expansion
\ '\\ 2
\ adiabate isentrope
isentrope Expansion Expansion
Expansion
>V
Abb. 1.2: Zustandsänderungen in einem Gas, dargestellt in den Ebenen (pv) und (Ts)
(adiabat bedeutet ohne Wärmeaustausch, d.h. q = 0)
I. I Grundbegriffe 823
Gas
überhitzter Dampf
Flüssigkeit
......... Taulinie
._I.
.._.
Abb. 1.3: Verhalten eines Dampfes in der Nähe des Verflüssigungspunktes. Im Nassdampf-
bereich besteht zwischen Druck und Temperatur eine feste Beziehung (Dampfdruckkurve
P = PK))
Abb. 1.4: Geschlossenes System GI. (1.5) ergibt sich aus dem Energier-
824 Anhang I Thermodynamik
haltungsprinzip: Wärme- und Arbeitsmfuhr erhöhen die innere Energie des Stoffes.
GI.(I.6) drückt aus, dass die Kompressions-arbeit W teilweise als
Volumenänderungsarbeit vom Gas aufgenommen wird (negatives Vorzeichen, da
gegen die Druckrichtung), und z.T. sich infolge Reibungsverluste in Wärme um-
wandelt.
Sie setzt sich zusammen aus innerer, kinetischer und potentieller Energie. C ist die
Fließgeschwindigkeit und z die Höhe relativ zu einer Bezugsebene.
Aus der Energiebilanz des offenen Systems folgt die Differenz zwischen
Austritts- und Eintrittsenergie
Der letze Term stellt die Änderung der spezifischen Verschiebearbeit dar. Er erklärt
sich folgendermaßen: die eintretende Stoffmenge Am verdrängt ein Volumen V, Am
mit Druck p, und überträgt dem System die Verschiebearbeit p, . V, Am. Die aus-
tretende gleiche Stoffmenge Am mit Volumen V, und Druckp, entzieht dem System
die Arbeitp, . V, Am. Insgesamt wird also dem System die Arbeit @,.V, - p,.v,) Am
= A0) v).Am entzogen. Gemäß GI. (1.3) lässt sich die Enthalpie als Summe von
innerer Energie u und Verschiebearbeit pv interpretieren.
q
1
Am : Am
4-
$ I \
h >
e1 e
Wärmetauscher Kompressor
Da d@v) = p dv + V dp, folgt aus dem Vergleich mit (1.9) die Kompressionsarbeit
(I. 10)
(I. 1 1)
(I. 13)
Die Entropiezunahme bei Zustandsänderung ist das Verhältnis zwischen der totalen
Wärmezunahme und der absoluten Temperatur. Ist der Prozess adiabat (q = 0)
nimmt die Entropie immer zu, da die Reibungsverluste q,. nur positiv sein können.
Die Entropie eines adiabaten Prozesses kann also niemals abnehmen, bei natürli-
chen adiabaten Prozessen nimmt sie immer zu (zweiter Hauptsatz). Dies hängt
damit zusammen, dass natürliche Prozesse immer Reibungen aufiveisen und somit
irreversibel sind.
Sowohl fiir geschlossene Systeme als auch f i r Fließprozesse lässt sich die Wär-
mezunahme (Wärmezufuhr + Reibungswärme) bequem im (T,s)-Diagramm dar-
stellen (Abb. 1.7)
Abb. 1.7: Darstellung der Wärmezunahme in der (T,s)-Zustandsebene, gültig für ge-
schlossene Systeme und Fließprozesse
1.2 Kreisprozesse 827
1.2 Kreisprozesse
Ein Kreisprozess ist eine Folge von Zustandsänderungen, die schließlich den Stoff
in den ursprünglichen Zustand zurückfiihren. Alle Zustandsgrößen sind nach einem
Kreisprozess unverändert. Die technischen Anwendungen der Thermodynamik
basieren auf Kreisprozesse. Wird der Kreisprozess im Uhrzeigersinn durchlaufen
(Abb. I.8), ergibt sich Arbeit aus Wärme also einen thermischen Motor; wird er im
Gegenuhrzeigersinn durchlaufen, ergibt sich umgekehrt Wärme (oder Kälte) aus
Arbeit also eine Wärmepumpe (oder Kältemaschine). Mit Bezug auf den thermischen
Motor wird definiert: W = erhaltene minus aufgewendete technische Arbeit, q =
zugeführte minus abgeführte Wärme. Da f i r den Kreisprozess Au = Ah = 0, folgt
aus den Gln. (1.5) und (1.12) bei Berücksichtigung obenerwähnter Vorzeichen die
fundamentale Beziehung
Abbildung 1.8 zeigt ihre Interpretation in der (T,s)- und in der @,V)-Ebene.
(I. 15)
Der Camotprozess ist der Prozess mit dem höchsten Wirkungsgradder sich zwischen
den Temperaturen T, und T, realisieren lässt
828 Anhang I Thermodynamik
Beispiel I. 1
Man berechne den Wirkungsgrad einer Carnot-Maschine mit 6, = 300°C und 62
= 30°C.
1.2.2 Exergiebegriff,Wirkungsgrade
Durch Einführung der Umgebungstemperatur T,, , Iässt sich die zugeführte Wärme
f i r den Carnotprozess folgendermaßen schreiben:
ql = ql, + ql, = (Tl-TJAs + TUAs = Bergie + Anergie (I. 16)
Die Wärme besteht aus Exergie und Anergie. Für den Wirkungsgrad folgt
(I. 17)
Der thermische Wirkungsgrad des Carnotprozesses setzt sich zusammen aus dem
Carnotfaktor q, und dem exergetischen Wirkungsgrad qex.
T~-Tu Tu Arbeit -
41 Tl Tl 'l"=~rergie-
(I.m
18)
Da die Temperatur T, nicht tiefer als T,, sein kann, erreicht q„ höchstens den Wert
1, wenn T, = T, Dies bedeutet, dass sich höchstens der Exergieanteil der Wärme in
Arbeit umwandeln Iässt. In der Praxis ist dies nicht vollumf~nglichmöglich, da für
eine wirtschafliche Wärmeabgabe ein bestimmtes Temperaturgefalle (T,- T„ ) not-
wendig ist. Anergie ist mitzuschleppender Ballast.
Beispiel 1.2
Man berechne den Carnotfaktor und den exergetischen Wirkungsgrad von Beispiel
I. 1, wenn die Umgebungstemperatur 10°C beträgt.
Der Exergieanteil der zugeführten Wärme ist 5 1%. Diese Exergie kann mit einem
Wirkungsgrad von 93% genutzt werden.
1. 3 Teilprozesse
Ein Kreisprozess als Ganzes erfolgt in einem geschlossenen System. Er besteht
jedoch aus Teilprozessen, die i.d.R. (offene) Fließprozesse sind. Diese Teilprozesse
lassen sich etwas idealisiert in zwei Kategorien einteilen:
- Wärmeaustausch unter verschiedenen Bedingungen :
konstante Temperatur : isothermer Prozess
konstanter Druck : isobarer Prozess
konstantes Volumen : isochorer Prozess
- Kompression oder Expansion ohne Wärmeaustausch: adiabate Prozesse
i i
T A s = q + q r = pdv = - vdp = -
I I I P2
(1.22)
Die Wärmezuführ q ist von Expansion begleitet und liefert die Arbeit W.Die Enthal-
pie bleibt unverändert. Druckabnahme und Entropiezunahme können mit GI. (1.22)
berechnet werden.
Der isotherme Prozess im Gas hat nur theoretische Bedeutung (Carnotprozess),
da er schwer zu realisieren ist (Abb. I. 10).
Im Nassdampfbereich ist ein isothermer Prozess zugleich ein isobarer (s. weiter
unten) und somit leicht zu realisieren.
Eine isobare Erwärmung hat keine Nutz-Arbeitsleistung zur Folge, nur die Reibungs-
verluste werden gedeckt. Sie erhöht die Enthalpie, die Temperatur und die Entropie
des Gases (Abb. I. 11). Isobare Prozesse sind technisch leicht realisierbar (Gasturbi-
ne, Dieselmotor, Dampfprozesse).
W = q - Ah = -qr
(1.24)
T As = q + qr = Ah = Verdampfungsenthalpie
Die beiden ersten Gleichungen sind auch f i r Flüssigkeit und Nassdampf gültig. Die
Expansion liefert Arbeit auf Kosten der Enthalpie. Druck und Temperatur reduzieren
sich. Die Entropie erhöht sich wegen der inneren Reibung (Abb. I. 13).
Abb. 1.13: 1 + 2 adiabate Expansion, 2' + 1' adiabate Kompression (beide irreversibel)
Der adiabate Prozess ist der wichtigste Prozess zur Erzeugung von mechanischer
Arbeit. Seine Berechnung erfolgt beim Dampfprozess mit Hilfe des Mollier-Dia-
gramms (h,s-Diagramm), der im Anhang V111 gegeben ist.
dT -
C - R-dp = 0 - - > , mit K = JC (1.27)
P T P Tl P1 C"
Isolierung,
Durch den Druckabfall nimmt i.d.R die Temperatur ab (Abb. I. 15). Der reversible
Prozess ist auch nicht näherungsweise quasistatisch, weshalb die Thermodynamik
allein keine Aussagen machen kann [A.IO]. Eine nähere Analyse ist nur mit der
Strömungsmechanik möglich.
Als Beispiel einer allgemeinen Wärmekraftmaschine sei das Schema in Abb. 1.16
betrachtet und das entsprechende (T,s)-Diagramm in Abb. 1.17. Der Kreisprozess
besteht aus vier Teilprozessen AB, BC, CD und DA; als reversibler (idealisierter)
Kreisprozess sei der Kreisprozess mit derselben Wärmezufuhr q , ,nämlich A'B, BC,
CD' und D Y : betrachtet:
AB: Im Kompressor (Pumpe) erfolgt eine adiabate Kompression des Arbeits-
mediums, wobei die Arbeit W, absorbiert wird. Die entsprechende reversible
Kompression ist AB' (praktisch gleichwertig wie A B ) .
BC: Dem Kreisprozess wird die Wärme q , zugeführt (Brennkammer, Kessel,
Reaktor).
CD: In der Turbine (Motor) erfolgt eine adiabate Expansion mit der Arbeits-
leistung W , . Die reversible (verlustlose) adiabate Expansion entspricht CD'.
DA: Dem Kreisprozess wird die Wärmemenge q, entzogen (Kühler, Kondensator).
T Turbine
C Motor
% + Kessel
Brennkammer
., D
Pumpe
Kompressor Kondensator
adiabatische^
Kompression '.-.;,.
..
...
..
,.
...
Wärmezufuhr
jA'
..,,.
.,
.
D'i.
92
.
. .
.. adiabatische
.J-)
wärhaifuhr
.
i
... ...
Expansion
. .
,
,
, . .
P--
s
I I' 2' 2
Abb. 1.17: (T,s)-Diagramm des Kreispro7esses von Abb. 1.16
Die vier Teilprozesse AB, BC, CD, DA der wichtigsten technischen Kreisprozesse
zur Erzielung von Arbeit sind (im idealisierten reversiblen Fall):
- Ottoprozess (Benzinmotoren): Isentrope, Isochore, Isentrope, Isochore,
- Dieselprozess: Isentrope, Isobare, Isentrope, Isochore,
- Joule-Prozess (Gasturbine): Isentrope, Isobare, Isentrope, Isobare,
- Dampfprozess (Dampfturbine): Isentrope, Isobarea, Isentrope, Isobarea
(" = Isobare ist zugleich Isotherme).
Reversibler Kreisprozess zur Erzielung von Wärme (Wärmepumpe) oder Kälte
(Kältemaschine) im Gegenuhrzeigersinn D'CBA'D' (für Näheres s. Abschn. 5.9):
- Dampfprozess: Isentrope, Isobarea, Isenthalpe, Isobarea
Kraftwerkprozesse
Der Wärmeinhalt des Brennstoffes sei q, und die abgegebene elektrische Leistung W ,
= W, -W,,,(Abb. 1.1 6). Für den Kraftwerkswirkungsgrad ergibt sich
Atomhülle
Sie besteht aus Elektronen e- (Ruhemasse m = 0.9109 10-" g). In der Kernphysik
wird auch das Symbol ß-verwendet (Beta-Teilchen). Für die Hülle gilt das Bohr'sche
Schalenmodell und die Quantenmechanik. Letztere ist von großer Bedeutung für die
Chemie und die Halbleiterphysik. Eine wichtige Größe ist die Planck'sche Konstante
h = 6.625 1 0-i4Js.
Atomkern
Der Atomkern besteht aus Nukleonen mit Teilchenradius von 10." Cm:
Protonen p + ( m = 1.672510-'~ g )
(11.1)
Neutronen n ( m = 1.674810-'~ g )
Die Kernkräfte (starke Wechselwirkung, Ca. 1 OOOmal stärker als die elektromagneti-
sche Kraft) halten die Protonen zusammen trotz elektromagnetischer Abstoßung.
Nach heutiger Auffassung bestehen die Nukleonen aus je drei Quarks, die als Urbau-
steine des Universurns gelten.
Symbol eines Atomkerns ist XZA,mit A = Anzahl Nukleonen, Z = Anzahl Proto-
nen. Beispiele:
Wasserstoff H: : Ip +
Helium ~ e ;: 2p + +2n = ai ( a - Teilchen)
Sauerstoff 0i6: 8 p + + 8n
Eisen ~ e z: 2 6 p + + 3 0 n
Uran U? : 92p++238n
Die Neutronen spielen in der Nutzung der Kernenergie eine entscheidende Rolle.
Neutronen haben eine im atomaren Maßstab zwar extrem lange, f i r unsere Begriffe
jedoch relativ kurze Lebensdauer von 1013 s. Sie zerfallen (Theorie des ß - Zerfalls
von Fermi) gemäß
838 Anhang I1 Kernphysikalische Grundlagen
p + : 1.6725 10-24g
ß- : 0.0009 10-24g
0.78MeV : 0.0014 l ~ g -(Massenddekt)
~ ~ (11.5)
....................
n : 1.6748 10-24g .
Im atomaren Bereich werden die Massen i.d.R. nicht in g, sondern in Atommassen-
einheiten U gegeben. Es gilt:
Nach der Äquivalenz E = m c2entspricht die Masse u -> 933 MeV. Die Massen der
drei Elementarteilchen sind:
Bindungsenergie
Im atomaren Bereich gilt das Gesetz der Erhaltung von Masse + Energie (mit der
Äquivalenz E = m C"). Bei der Vereinigung von Nukleonen zu einem Atomkern
treten große Bindungsenergien auf (starke Wechselwirkung), die auf Kosten der
Masse gehen. Die Bindungsenergie AE entspricht dem Massendefekt Am:
Am = Z m p + ( A - 2 ) m, - M [U] ---X AE = 933 Am [MeV]
MeV/Nukleon
9
8 U
7
Spaltung
6
4 Fusion
1 H
0
0 20 40 60 80 100 120 140 160 180 200 220 240
Anzahl Nukleonen
Solche Berechnungen können für alle Atome durchgeführt werden. Es ergibt sich das
Diagramm in Abb. 11.1, welches die Bindungsenergie pro Nukleon in Abhängigkeit
von der Nukleonenzahl darstellt. Die stabilsten Kerne (größte Bindungsenergie =
tieferes Energieniveau) haben eine Nukleonenzahl von ca. 50.
Schwere Kerne sind weniger stabil. Die Spaltung von Uran führt zu stabileren
Kernen, die sich auf einem tieferen Energieniveau befinden, weshalb Energie frei
wird.
Die Fzlsion von Wasserstoffzu Helium liefert viel Energie, da Helium, wie aus
Abb. 11.1 ersichtlich, besonders stabil ist, und in dieser Hinsicht deutlich aus der
Reihe tanzt.
Wie Abb. 11.2a zeigt, befinden sich alle existierende Kombinationen von Protonen
und Neutronen in einem engen Band, wobei die Anzahl Neutronen mindestens so
groß und bei großen Kernen deutlich größer ist als die Zahl der Protonen. Bei
11.2 lsotope
Der stabile Bereich von Abb. 11.2a kann als Grund eines Energietales betrachtet
werden, dessen Schnitt tur Z = konstant Abb. 11.2b ergibt. In diesem Schnitt unter-
scheiden sich die Kerne nur durch die Neutronenzahl. Die entsprechenden Atom-
varianten werden Isotope genannt. lsotope eines Atoms unterscheiden sich zwar
kernphysikalisch durch die Nukleonenzahl, nicht aber chemisch. Eine Isotopen-
trennung ist dank des unterschiedlichen Gewichtes möglich. Wie Abb. 11.2b zeigt,
gibt es stabile und instabile Isotope. Letztere haben zu wenige oder zu viele Neutro-
nen.
Beispiele
Chlor besteht aus
CI:; zu 75%
) im Mittel .
CI: zu 25%
C6I4ist radioaktiv undemittievt ß-Strahlen. Da C,I4 in der Natur vorkommt, wird von
natürlicher Radioaktivitätgesprochen. Die Halbwevtszeit (s. GI. 11.16) ist 5568 Jahre.
In Lebewesen wird C6I4ständig erneuert, so dass sein prozentualer Anteil konstant
bleibt. Nach dem Tod hört die Erneuerung auf, weshalb der Gehalt an C,14 zur
Altersbestirnmung von Fossilien dient (gute Resultate bis Ca. 20'000 Jahre zurück).
Das Isotop C," kann künstlich durch Bestrahlung erzeugt werden (künstliches Isotop)
und ist ebenfalls instabil (radioaktiv). Es zerfallt nach der Reaktion
(Positiver ß-Strahler, ß' = Positronen, entstehen aus p' + Antineutrino -> n + e').
11.3 Radioaktivität 841
11.3 Radioaktivität
Alle Elemente mit Z > 83 sind instabil, also radioaktiv, und zerfallen progressiv bis
stabile Elemente erreicht werden, wie nachfolgend am Beispiel der Uran - Radium -
Kette gezeigt wird.
Die Kette zeigt deutlich, dass die Halbwertszeiten der einzelnen Reaktionen sehr
unterschiedlich sind (von 109Jahren bis min oder gar PS), wobei beim Zerfall a, ß
und y-Strahlen entstehen. Die y-Strahlen sind hochenergetische Photonen im MeV-
Bereich.
Schwere radioaktive Elemente sind in der Erdkruste überall zu finden, und tragen
wesentlich zur naturlichen Radioaktivitat bei.
Für den Zerfall radioaktiver Elemente gilt folgendes Gesetz
N = Anzahl Kerne
= - dt ( A = Zerjiallskonstante .
N
Daraus folgt
hN = - a t + lnN, --> N-
- -
e-kt
No (11.16)
1 1
Zeitkonstante: - Halbwertszeit: T = - ln2 .
A A
Die Anzahl Zerfallsreaktionen pro s wird als Aktivität bezeichnet und in Becquerel
[Bq] angegeben
dt (11.17)
1 nCi = 37 Bq
Alte Einheit ist das Curie [Ci], I Ci = 37 1 0 9 ~ q( 1 Bq = 27pCi
Es sei erwähnt, dass der menschliche Körper eine natürliche Radioaktivität von Ca.
3.10' Bq aufweist. Auf die biologische Wirkung der Radioaktivität wird in Abschn.
5.6.6 eingegangen.
842 Anhang 11 Kernphysikalische Grundlagen
11.4 Kernreaktionen
Dass Kernreaktionen rriöglich sind, ein Eleinerit also in ein anderes umgewandelt
werden kann, wurde erstmals von Rutherford 19 19 an folgender Reaktion nach-
gewiesen
N714+ 4 --> 0;' + H; . (11.18)
Alle Materie des Universums ist durch Fusion von Wasserstoff entstanden. Etwa I0 s
nach dem Urknall (big bang) gab es nur Protonen (Wasserstoffkerne). Wenig später
bildeten sich Heliumkerne. nach der Reaktion
allerdings über die Zwischenstufen H,' und He,3. Erst viel später, iin Laufe der
Sternentwicklung, wurden schwerere Elemente gebildet, z. B Kohlenstoff
Besonders häufig sind im Universum die Elemente mit einer Nukleonenzahl, die ein
Vielfaches von 4 ist, die also aus mehreren Heliumkernen bestehen, z.B
bestehend aus Teilchen mit der Dichte n, , die sich mit der Geschwindigkeit V ,
bewegen, sei betrachtet. Dieser Teilchenfluss treffe auf andersartige stehende Teil-
chen 2. Die Anzahl pro s interagierender Teilchen 2 ist dann
11.5 Wirkungsquerschnitt und Reaktionsrate 843
Teilchen] =
5 ] = 0 [cm2] . (p1 [- 1 1 '
S cm 2 s
o wird mikroskopischer Wirkungsyuevschnitt der Interaktion zwischen Teilchen 1
und 2 genannt. Als Maß für den Wirkungsquerschnitt gilt in der Kerntechnik das
Bewegen sich die Teilchen 2 mit Geschwindigkeit V , , ist die relative Bewegung für
die Reaktionsrate maßgebend:
m, Ul + m2 U2 = ( m 1 + m 2 )U , (11.30)
worin U die Geschwindigkeit des Schwerpunktes beider Masseteilchen darstellt.
Diese Geschwindigkeit bleibt nach dem Zusammenprall der beiden Teilchen un-
verändert, da keine externen Kräfte wirksam sind.
Aus den Gln. (11.28) und (11:30) folgen die Beziehungen
2
2 m1 1
v2 = v2 + V,! + 2v V r -cos y
(m. + m, )2 m, + m ,
Für die kinetische Energie folgt, da sich die Beiträge der letzten Terme aufheben
844 Anhang I I Kernphysikalische Grundlagen
"2
Abb. 11.3: Absolute und relative Geschwindigkeiten
Der erste Term hängt nicht von der relativen Bewegung der Teilchen ab, ist also für
die Interaktion der Teilchen belanglos, womit GI. (11.29) bewiesen ist.
Die möglichen Interaktionen sind:
- Streuung: beide Teilchen bleiben erhalten,
- Einfang: ein Teilchen verschwindet,
- Reaktion: beide Teilchen verschwinden, und es entstehen neue Teilchen.
Pro Spaltreaktion werden rund 205 MeV frei, d.h. pro kg UZJ5:
0 1 2 3 4 5 6
MeV
Abb. 11.5: Energieverteilungder prompten Neutronen
846 Anhang II Kernphysikalische Grundlagen
........................................
.L
PU? + ß-
(11.37)
U,'," + P-.
Stoffe, die durch Neutroneneinfang Spaltstoffe produzieren, werden Brutstoffe
genannt. und Th'3'sind demzufolge Brutstoffe. Brutstoffe lassen sich nur schwer
spalten. Ihre Spalt-Wirkungsquerschnitte sind sehr klein und betragen
O, =
0 barn für thermische Neutronen und bis 1 MeV
(11.38)
a, 0.5 - 1 barn für Energien > 2 MeV .
Tabelle 11.1 zeigt einige Kennzahlen der drei Spaltstoffe für thermische Neutronen:
Spaltstoff of (Jc 0, V 11 ß,
53 1 48 579 2,49 2,287 2.6 10.'
Anhang III Dynamik und Regelungstechnik
Ein lineares System mit Eingangsvektor .- und Ausgangsvektor Y (Abb. 111.1) lässt
sich durch ein System linearer Differentialgleichungen erster Ordnung beschreiben,
welche die Form annehmen
Daraus ergibt sich die Darstellung mit Übertragungsfunktionen von Abb. 111.3 (La-
place-Carson, s. Band 1, Abschn. 6.2.6).
@(s) wird Fundamentalmatrix genannt. Sie bestimmt die Dynamik und kann
folgendermaßen berechnet werden [A. 1 1 ]
Der Nenner (Determinante von S E - A ) stellt das charakteristische Polynom dar und
liefert die Eigenwerte der Syslemmatrix A. Vor allem die Matrix A ist somit für das
dynamische Verhalten des Systems maßgebend.
C(s) ist die Uberlragung~mulrix(Matrix der Übertragungsfuiiktioile~ly, /U, für
X, = 0). Sie lässt sich analytisch aus den Zustandsraummatrizen durch
Das System sys ist durch die Zustandsraummatrizen A, B, C, D gegeben, und daraus
ergibt sich die Übertragungsmatrix g.
Sind umgekehrt die einzelnen Übertragungsfunktionen gk gegeben, kann mit sysk
das Zustandsraummodell pro Eingang, oder durch Bildung der Übertragungsmatrix
g das dieser Übertragungsmatrix entsprechende Zustandsraummodell sys minimalster
Ordnung (vollständig steuerbar und beobachtbar [A.3]) bestimmt werden:
gl = ijf(num1,den)
g2 = ~j(num2,den) sysk = ss(gk) oder
g3 = flnum3, den) ) g = [ g l , g2; g3, g4] - - r sys = ss(g) '
g4 = ijf(num4,den)
111.2 Stabilität 851
111.2 Stabilität
Ein lineares Syslern ist dann asymptotisch stabil, wenn alle Eigenwerte der System-
rnutrix A negative Realteile aufweisen. Sind komplex konjugierte Eigenwerte vor-
handen, ist die Systemantwort oszillierend. Sie ist merklich oszillierend, wenn
wichtige Eigenwerte komplex sind (s. dazu auch Abschn. 111.4).
In einem nichtlinearen System muss zwischen der Stabilitat irn Kleinen, d.h der
Stabilität für kleine Abweichungen um eine Gleichgewichtslage und der Stabilitat irn
GroJen unterschieden werden.
Stabilität im Kleinen
Das nichtlineare System wird um eine stationäre Lösung linearisiert. Die Stabilität im
Kleinen ist für den betrachteten stationären Betrieb dann gewährleistet, wenn das
linearisierte System stabil ist, was durch die Analyse von dessen Systemmatrix
festgestellt werden kann. In diesem Zusammenhang wird auch von statischer Sttabili-
tat (oder Stabilität des stationären Betriebs) gesprochen, obwohl letztere auf Grund
rein statischer Überlegungen ermittelt wird (stationäre Kennlinie). Die statische
Stabilität ist zwar eine notwendige, jedoch keine hinreichende Bedingung für die
Stabilität im Kleinen (z.B. ungenügende Dämpfung ist möglich).
Stabilität im Großen
Die Stabilität für große Störungen einer Gleichgewichtslage ist dann gegeben, wenn
das System eine neue statisch stabile Lage erreicht oder nach Elimination der Stö-
rung in eine statisch stabile Lage zurückkehrt. Die Stabilität im Großen ist keine
Systemeigenschaft, sondern von Art, Größe und Ort der Störung abhängig. Sie kann
durch eine transiente Analyse oder nichtlineare Simulation überprüft werden.
Kurzzeit- und Langzeitstabilität
Instabilitäten (im Kleinen wie im Großen) können sowohl bei Vorgängen auftreten,
die sich im Sekundenbereich abspielen, als auch bei Vorgängen, die minutenlang
dauern. Um sie zu untersuchen, werden verschiedene Modelle verwendet, die im
jeweiligen Frequenzbereich eine realistische Nachbildung der Systemelemente
sicherstellen.
So werden bei der Analyse der Kurzzeitstabilitui langsame Vorgänge vernachläs-
sigt, d.h. die entsprechenden Zustandsvariablen als konstant betrachtet (Beispiele im
Energieversorgungsnetz: Übersetzung von Stelltransformatoren, Flussverkettung von
Synchronmaschinen bei der transienten Analyse).
Umgekehrt werden bei der Analyse der Langzeitstabilität schnelle Vorgänge als
bereits ausgeklungen betrachtet, d.h. die entsprechenden Zeitkonstanten vernachläs-
sigt (Beispiel: Vernachlässigung von subtransienten Effekten, von Synchronisier-
schwingungen bei Drehzahl- und Frequenzregelung oder bei der Analyse der Span-
nungsstabilität, von Motorlastdynamik bei der Spannungsstabilität).
852 Anhang 111 Dynamik und Regelungstechnik
annimmt. mit
mit
A,=A+BG
Bs=BH G = K ( E - D g)-' C
mit ( (1.10)
C s = C + D G H=E+K(E-D~)-'D
Ds=DH
X=MZ,
folgt
dz'
- =AdZ+Bdii
dt
Durch geschickte Wahl der Matrix M wird die Systemmatrix A diagonal. In Matlab
kann dies mit
[M AdI = eig(A) (111.15)
geschehen, ein Befehl, der die Diagonalmatrix Ac,und die Diagonalisierungsmatrix
M (Matrix der Eigenvektoren) liefert. Die Diagonalmatrix enthält die Eigenwerte h,
des Systems. Abbildung 111.4 zeigt das Blockdiagramm des modaltransformierten
Systems. Die Matrix (s E A,) enthält in der Diagonalen die Lösungen oder Modi
-
Dies bedeutet, dass jeder Eingang U, über jeden Modus j mit dem Faktor C„ blkan der
Bildung der Ausgangsgröße y, beteiligt ist. Die Koeffizienten C,und blkder Matrizen
C, und B, sind im allgemeinen komplex.
Die reellen Faktoren k„„ die im wesentlichen vom Verhältnis Ic, b„ I / Id, I abhängen,
ermöglichen zusammen mit der Zeitkonstanten T, bzw. der Eigenfrequenz wo, und
Dämpfung C, eine Bewertung der Wichtigkeit der einzelnen Terme für den Verlauf
der Systemantwort [A.7], [A.12].
111.5 Netzdarstellung für höhere Frequenzen 855
Das aus linearen Elementen bestehende elektrische Netz kann für Vorgänge, die eine
Frequenz eindeutig unter 50 Hz aufweisen, durch die komplexen Knotenadmittanzen
beschrieben werden. Für höhere Frequenzen sei nachstehende Darstellung im Bild-
bereich näher betrachtet.
Induktive Netzzweige
Entsprechend Abb. 111.5 gilt für die Momentanwerte im Zeitbereich
worin u ,eine
~ Spannungsquelle darstellt. Im Bildbereich der Laplace-Transformation
folgt
U - U, = (R+sL)i - LiLo (111.22)
und mit der Laplace-Carson-Transformation (Band 1, Abschn. 6.2.6)
worin i„ der Anfangsstrom darstellt. Diese Gleichung lässt sich auch schreiben
U - U, = Z(s)i + U ,
(111.24)
mit Z(s) = (R + s L ) ; U, = LsiLo .
U , ,drückt darin, die über der Zweigimpedanz liegende Anfangsspannung aus.
Bemerkenswert ist die perfekte Analogie mit der Zweig-Diferenzengleichung nach
[A.8], die sich durch Diskretisierung der Differentialgleichung (111.21) ergibt:
U - us = Z(Q)i + U,,
(111.25)
mit Z(Q) = (R + Q L ) ; U, = LQv, ,
die sich also aus der Laplace-Carson-Beschreibung des Zweiges GI. (111.24) direkt
ableiten lässt, mit Ersatz von
- s durch den von der Schrittweite h abhängigen Parameter Q,
- der Anfangsspannung U , durch den Vergangenheitswert U , bzw. des Anfangs-
Stromes iIl, durch den Vergangenheitswert V,, welche die Spannung bzw. den
Kapazitive Netzzweige
Analog dazu und entsprechend Abb. 111.6 folgt für einen kapazitiven Zweig mit
Stromquelle i,s
erhalten.
111.6 Elementare lineare Regelungstechnik 857
der Zusammenhang
der zum vereinfachten Blockdiagramm mit Einheitsrückfuhrung von Abb. 111.8 fuhrt.
Regelstrecke
Storverhalten
1 !+[Gq
x>oo;p,-pl Regler
A(s)
Stellglied Regelstrecke
-
(Aktor) Stellverhalten
J '
Messumformei
(Sensor)
Regelstrecke
Störverhalten
Regler instrumentierte
Regelstrecke
Als Übertrag~n~sfunktion
des offenen (oder aufgeschnittenen) Regelkreises wird
gegeben. Das Stellverhalten wird einzig von der Übertragungsfunktion C,(s) be-
stimmt. Dies gilt, zumindest bezüglich Eigenwerte, auch für die Dynamik des Stör-
verhaltens.
Hauptaufgabe des Regelungstechnikers ist es also, bei Vorgabe der instrumentierten
Regelstrecke G(s) den Regler R(s) so festzulegen, dass die Übertragungsfunktion
G&s) den Anforderungen an den Regelkreis Genüge leistet. Diese Anforderungen
betreffen die Stabilitut, die Genauigkeit (Regelabweichung) und die Regelgeschwin-
digkeit. Die klassischen Lösungen dieses Synthese-Problems sind
- Analytische Lösung durch Vorgabe des Stellverhaltens
- Synthese im Frequenzbereich
Ist n der Grad des Nenner- und m jener des Zählerpolynoms einer Übertragungs-
iünktion, sei mit PNÜ = n-m der Pol-Nullstellen-Überschuss bezeichnet. Aus
physikalischen Gründen ist der PNÜ einer Übertragungsfunktion nie negativ. Die
Wahl von G,(s) ist im Prinzip frei, unterliegt jedoch für die Realisierbarkeit von R(s)
der Einschränkung, dass der PNÜ von G,(s) mindestens so groß wie der PNÜ von
G(s) sein muss. Ist der PNÜ von G(s) 2, was vielen praktischen Fällen entspricht,
kann eine Stellantwort zweiter Ordnung gewählt werden, z.B
Durch diese Wahl wird die Regelabweichung null, die Schwingungsfrequenz o,(und
damit die Regelgeschwindigkeit) und die Dämpfung können frei den Bedürfnissen
angepasst werden. Für den Regler folgt
beschrieben werden, liefert die GI. (11I .39) den optimalen PID-Regler.
Die Methode unterliegt in der hier gegebenen Form gewissen Einschränkungen; so
eignet sie sich z.B. nicht, wenn die Übertragungsfunktion G(s) instabil ist, oder zwar
stabil ist, jedoch nichtminimales Phasenverhalten, also z.B. die Form
aufweist. Für allgemeinere Verfahren sei auf die einschlägige Literatur verwiesen
(z.B. unter Polvorgabe [A. 1 11).
860 Anhang I11 Dynamik und Regelungstechnik
-. -
m
0
a,
(ß
C
a
Frequenz (radlsec)
Abb. 111.9: Beispiel für den Frequenzgang von G „(s)eines Regelkreises:
Schnittfrequenz 7.1 radls, Phasenreserve 56", Regelabweichung 2%
111.6 Elementare lineare Regelungstechnik 86 1
Die auf dem Bode-Diagramm beruhende Methode unterliegt bzgl. Stabilität der Ein-
schränkung, dass die Funktion G,(s) asymptotisch stabil sein muss (alle Eigenwerte
mit negativem Realteil), was praktisch der meist erfüllten Bedingung entspricht, dass
die Regelstrecke stabil sein muss. Andernfalls ist das allgemeine Nyquist-Kriterium
zu verwenden. Dieses besagt, dass das System dann und nur dann stabil ist [10.3],
wenn die Anzahl Drehungen der Nyquistkontur (Darstellung von G, Cjo) von - bis
+ M ) im Gegenuhrzeigersinn um den Punkt - 1, gleich zur Anzahl instabiler Eigen-
werte ist (= Anzahl Wurzeln mit positivem Realteil).
Die ans Netz gelieferte Blindleistung des Generators ist in p.u. (Bd 1, Abschn.
6.5.1.1)
Mit ähnlichem Vorgehen wie in Abschn. 12.2, durch Einsetzen der Gln. (12.22) und
(12.23), folgen die zu (12.25) analogen Gleichungen
1 1
mit Kb(s) = -
2
1 2
pO - - uQO(- - - sin(26Qo)
x~Q(s> x ~ Q ( s )
>
Aq = KRb(s)A6 + QRb(s)AuQ
Fb(4 W
mit KRb(s) = Kgb(s) + KJs)
1 + F&> E(s)
IV.2 Lineare Analyse des Mehrmaschinensystems
An Stelle der starren Netzspannung tritt in den GI. (IV.3) die Anschlussspannung an
das Netz. Die Spannung UQ ist durch U und hQdurch 6 = 6Q- B zu ersetzen.
Durch Einbezug von GI. (1V.3) wird die GI. (12.1 12) zur folgenden erweitert
und durch Elimination von AaQierhält man neben der GI. (12.1 13) noch folgenden
Zusammenhang
K„(s) -s 2qKRbl(4
mit Glbl(s) = , G&) =
s 2q KR^(^)
+ s 2 ~+ ,KRi(s) (IV.5)
Bei der Umwandlung in den Zustandsraum muss die Beziehung (12.1 15) durch die
Blindleistung ergänzt werden
= AG 2 + BI A P ~+ B2 A 8 + B, AÜ + h AP,,,
dt
AP = CwX + D, A% + D, ~8 + D, A Ü + k7y APm (1V.6)
Netzgleichungen
Werden alle Lasten als statisch betrachtet und durch Admittanzen beschrieben, lauten
die Netzgleichungen nach Elimination aller Lastknoten, in Netzkoordinaten gemäss
den Gln. (12.66) bis (12.68)
Die ins Netz injizierte Wirkleistung erhält man aus Cl. (12.69)
V.l Lagrange-Verfahren
S? = F(x,) - Ek
hk &(X,) - -> Min ,
(V.3)
die zur Lösung fuhrt
Die Gln (V.2) und (V.4) bilden ein System von (n+m) Gleichungen dessen Lösung
die n optimalen Werte für X, und die m Lagrange 'schen Multiplikatoren h, liefert.
Für die exakte mathematische Fundierung s. z.B. [A.9].
!%!P
a~,
aF -
axl
C 1,-aask~ +, V , - v = o , i = 1.....n
(V.7)
V, ( X , - X,) = 0
wobei ( vrm( X , - X I ) = 0 .
lnterpretation von A
Die Bedeutung der Multiplikatoren kann veranschaulicht werden, wenn 2.B. an-
genommen wird, die Funktion Fstelle die Kosten eines zu optimierendenden Systems
dar.
Sind die Nebenbedingungen für die Variablen X,. linear (oder im Betriebspunkt
linearisiert) lassen sie sich in die Form bringen
mitx, als Bezugsvariable. Aus GI. (V.7) folgt, wenn die Begrenzungen nicht wirksam
sind
lnterpretation von V
Ist 2.B. die obere Begrenzung wirksam und somit x, =X„,, folgt aus GI. (V.7)
(V. 10)
Wird die Kapazität X„ um Ax„ vergrößert ergibt sich die Kostenänderung AF,
womit die Größe V„ als Grenzkosten einer Kapazitäterweiterungzu verstehen ist. Sie
kann als Entscheidungsgrundlage verwendet werden zur Beurteilung der Wirt-
schaftlichkeit einer Kapazitätsvergrößerung.
Allgemeinere Begrenzung
Etwas allgemeiner kann die Begrenzung (V.5) durch .
g,(x,)<O, j = l .....q (V.1 I)
ersetzt werden, wodurch die Karusch-Kuhn-Tucker-Formulierung (V.6) zu
übrige Einspeiseknoten -
Lastknoten Pi . C?,.
Die Belastung P,, Q, muss nicht unbedingt konstant sein, sondern kann iterativ dem
Wert anderer Betriebsvariablen, z.B. der Spannung angepasst werden.
Die (2r- I) Steuervariablen werden im Rahmen der LeistungsJlussherechnung
vorgegeben. Die 2n Zustandsvariablen können dann durch Auflösung des nicht-
linearen Gleichungssystems (V. 14) bestimmt werden. Dazu sind mehrere Methoden
bekannt, z.B. die iterative Knotenpunktmethode (Gauß-Seidel), das Newton-Raphson-
Verfahren (Band 1, Abschn. 9.6.2) oder auf der linearen und nichtlinearen Program-
mierung basierende Verfahren.
Das System hat entsprechend der Anzahl Steuervariablen (2r-1) Freiheitsgrade,
welche den Optimierzrngsfreiraum darstellen. Als Steuervariablen können, an Stelle
der Spannungen der Einspeiseknoten, auch die entsprechenden Blindleistungen
genommen werden, die Spannungen werden in diesem Fall zu Zustandsvariablen.
Im allgemeinsten Fall hat die zu optimierende Zielfunktion die Form
Begrenzungen
Durch die Auslegung der Generatorgruppen oder allgemeiner der Einspeisungen, sind
maximale und minimale Leistungswerte vorgegeben. Neben den Gln. (V. 14)
sind also noch folgende Beschränkungen der Zustandsvariablen zu berücksichtigen
(V. 16)
Sind r' Begrenzungen wirksam (r' < 2r), reduziert sich der Optimierungsfreiraum auf
(2r-r'- 1).
Eine weitere Einschränkung ist möglich, wenn auch die Spannungen oder die
Phasendifferenzen aus betrieblichen Gründen (Spannungsqualität, Stabilität) zu
begrenzen sind
U,- < U, < U,-
(V. 1 7)
-Oik < O i - e k < Oik , i,k = 1 ...... n .
Andere Beschränkungen entsprechend der allgemeineren Formulierung (V. 1 1) sind
möglich.
Die Minimierung der Zielfunktion (V. 15) unter den Bedingungen (V. 14), (V. 16) und
(V. 17) fuhrt durch Ableitung der entsprechenden Lagrangefunktion zu den Optimali-
tätsbedingungen
-dF
- CL, + iliM - T), = 0
aQ,
T)im(Qlmln
- Qi) , i = 1,j
(V. 1 8)
dF
--C
au,
ah-dafh
u,
agh
+ C ph au, + E N - E l m
- = 0
~ , h @-,@h - O1h)
M% - @, - eh,) 7 i = j , k
Die Ableitungen vonf und g sind Koeffizienten der Jacobi-Matrix (Band I , Abschn.
9.6.2)
Anhang VI Gamma-Funktion
872 Anhang V1 Gamma-Funktion
Aufgabe 4.1
Wählen wir entsprechend Abb. 4.27 eine charakteristische Drehzahl am oberen Rand
des zulässigen Bereichs von n , = 270, folgt für 50 Hz
~ 0 . 7 5 570.75
n = n - = 270 13.- .86O.' = 104.33 Ulmin
4 ~ 0 . 5 334
Wahl p = 29 , --F n = 103.45 Ulmin , --F nq = 267.7 .
Aufgabe 4.2
Statt Abb. 4.27 gilt fur Kleinturbinen eher folgende obere Grenze (Abb. VII.1) fiir
die noch zulässige spezifische Drehzahl in Abhängigkeit vom Nutzgefalle (zur
Vermeidung der Kavitation, berechnet mit Hilfe von [4.9])
a) Aus den Daten folgt mit q, = 0.8 die Leistung P, = 19.6 kW, ferner
b) Aus den Daten folgt mit q, = 0.8 wieder die Leistung P, = 19.6 kW, ferner
500.75
~ 0 . 7 5
- nq 94.0 Ulmin ,
n = n4 0.04O.~
~ 0 . 5
11) für n = 3000 Ulmin und Francs sei die Annahme cp, = 0.25 getroffen, woraus mit
G1. (4.24) und der weiteren Annahme a = 0, man $ = 3.345 erhält. Ferner folgt
mit GI. (4.2 1) U = 17.1 rnls und schließlich mit GI. (4.23) der Durchmesser D
= 10.9 Cm.
b2) für n = 1500 Ulmin und Pelton sei eine zweidüsige Anlage angenommen, womit
n, IJi = 1 1.3 und mit der Annahme q, = 0.9 folgt gemäß GL(4.8) C , = 29.7 mls.
Damit ist U„, .r 14.8 rnls und D = 18.8 Cm.
Für die Lösungen mit Durchströmturbine sei auf [4.9] verwiesen. Die Lösung mit
3000 Ulmin hat den Nachteil einer sehr hohen Durchgangsdrehzahl.
Aufgabe 6.1
a) Aus GI. (6.15) und Abb. 6.9 erhält man die Leistungen
Aus den Cl. (6.16) und (6.3) folgen optimale Umfangsgeschwindigkeit, Fläche und
Radius der Flügel und optimale Drehzahl
P V: 1.2 63
--> R=8.8m, n „ - -g g48 60 = 327 Ulmin
Die spezifische Leistung ist
b) Wird die Turbine für eine optimale Windgeschwindigkeit von 8 mls dimensio-
niert, was für einen wesentlich besseren Standort sinnvoll sein kann (s. dazu die
Ausführungen in Abschn. 6.14 und Anhang V1 sowie in den Abschn. 6.6 und
6.7), folgt analog
Aufgabe 6.2
Die Lösung erfolgt mit folgendem Matlab-Programm
% Aufgabe 6-2 Savoniusrotor
clear all
v0opt= 6; rho = 1.2; ceta= 1.5; 96 ceta = c%ta
Popt=300; % optimale Leistung 300 W
Po=Popti4*27/1.5; % Optimum für Lainbddbeta = 113 --> cplc = 4127
A=2*Po/rhoiv00ptA3; popt=Popt/A; 9'0
D=sqrt(A); R=D/2; % Annahme H=D
beta = 2.5: l~mdaopt=beta/3;
a=Dibeta; F(D-a)/2:
uopt=vOopt*l.amdaopt;
om=uoptlR; n=60*om/2lpi:
Lamdamax= beta: vomin= om*R/Lamdainax;
MA=ceta*Dlbetd2/vOmin*Po;
vOmax= 15;
vO= v0min:O. 1 :vOmax;
P=vOmin./vO *( l -vOniin IvO) A2*cetd2*A*rho.*v0.A3/1000;
plot(v0,P)
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Literaturverzeichnis 889
Anhang
Q - Simulationssprachcn 469
Qualität - Stabilität der Verfahren 455, 457
- der Spannung 85,475, 563 Solarenergie 7, 11, 12, 155, 223, 373
- der Versorgung 72, 733, 790 Solarstrahlung 4, 1 1 , 14, 25. 67, 394,
413
Solarzelle 16, 370, 376, 3 19
- Ersatzschaltbild 376
Radioaktivität 309, 3 1 1, 841 - Füllfaktor 380
- Aktivität 3 12 -Kennlinie 371,376
- Äquivalentdosis 3 13 - Leerlaufspannung 378
- natürliche 3 13 - Modell 401
- Strahlendosis 3 13 -Typen 383
Raumzciger 445 - Wirkungsgrad 379, 381
Reaktionsturbinen 240 Sonne 385
- Druckzahl 243 - Sonnenbewegung 386
- Durchtlusszahl 243 - Sonnenstand 389
- Energiediagramm 243 - Strahlungsenergie 391, 396
Regelkrafiwerke 116, 139, 475,488, - Strahlungsintensität 385, 389, 394
489,491 - Wirkung der Atmosphäre 393
Reihenkompensation (s. Seriekompensa- Spannungsregelung 430,50 1,508,563
tion) Spannungsregelung der SM 497,501,
Reorganisationsmodelle 81 509, 5 19, 523, 55 1, 564, 566,
Risikomanagement 157 - Blockschaltbild 566, 567
- Hedging 128,205 - Errcgersysteme 564
- Praxis 197 - kapazitive Belastung 572
- Risikopolitik 160 - Netzverbindung 575
- Reglerauslegung 570
- Theorie 158 - Synchronisierkreis 574
- Unsicherheiten 179, 198,201, 202 - Üb~rtragun~sfunktion der SM 567
Rotierende Reserve 72, 487, 490, 608, - Wirkung der Drehzahl 573
626 Spannungsschwankungen 563,580,
643,735
Spannungsstabilität 430, 563, 586, 598,
Saugrohr 224,240,246 718,851
Sehundärenergie 3. 19, 22 - Darstellung mit der
Sehundärregelung 435, 475, 488, 530 Generatorblindlcistung 594
Selbstkosten 86, 92, 98, 100, 102 -Dynamik 600
Selbstregelung 267, 476. 487, 491 - im vermaschten Netz 598
Seriekompensation 442, 5 19, 522, 580, - Lastkennlinien 597
584,641,675,681,712 - Sicherheitsindizes 597
Shuntkompensation 437, 580, 641, 667 - statische 586
Siniulationsprogranime 442,465,493, - (u,p)-Kennlinien 587
664 - (u,q)-Kennlinien 59 1
- Algorithmen 463 Speicherkraftwerke 67, 70, 72, 226
- dynamische Modellierung 468 - Jahresspeicherwerke 228
- Genauigkeit 455 - Tagcs- und Wochenspeicher 226
- Initialisierung 470 - Pumpspeicherung 232
- Nichtlinearitäten 466 Spiralgehäuse 240
- numerische Integration 45 1 Statik 293, 475, 476, 480, 487,491
- transiente 477
Sachverzeichnis 897