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Elektrische Energieversorgung 2

Valentin Crastan

Elektrische
Energieversorgung 2
Energie- und Elektrizitätswirtschaft,
Kraftwerktechnik,
alternative Stromerzeugung,
Dynamik, Regelung und Stabilität,
Betriebsplanung und -führung

2., bearbeitete Auflage

123
Dr. Valentin Crastan
ch. des Blanchards 18
2533 Evilard
Schweiz
valentin.crastan@bluewin.ch

ISBN 978-3-540-70877-3 e-ISBN 978-3-540-70882-7

DOI 10.1007/978-3-540-70882-7

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987654321

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Vorwort

In der nun vorliegenden 2. Auflage des 2004 erschienenen zweiten Bandes ist Kapi-
tel 1 deutlich ausgebaut worden, um den Veränderungen im Bereich der Energiewirt-
schaft und insbesondere den durch den Klimawandel aufgeworfenen Fragestellungen
Rechnung zu tragen.
Außerdem wurde im Rahmen der Ausführungen zur Liberalisierung der Elektrizi-
tätswirtschaft dem Aspekt Risikomanagcmcnt ein größercs Gewicht beigemessen,
wofür ich T. Putzi der Bernischen Kraftwerke AG und Prof. M. Höckel, HTI Biel, zu
Dank verpflichtet bin. Ebenso danke ich Dr. J. Kreusel, ABB, für einige Aktuali-
sierungen zum Thema.
Die Struktur des Bandes ist im Wesentlichen die gleiche geblieben. Ungenauig-
keiten und Fehler wurden ausgemerzt sowie Anpassungen und Aktualisierungen dort
vorgenommen, wo dies notwendig war.
Danken möchte ich ferner Prof. A. Shah, Universität Neuchfitel, für den anregen-
den Gedankenaustausch zum Thema Photovoltaik, Prof. M. Q. Tran, ETH Lausanne,
für die Durchsicht und einige Anregungen zu Kapitel 9 (Kernfusion) und Dr. Ulf
Bosse1 für Bemerkungen zum Thema Brennstoffzellen.
Schließlich sei den Ko-Autoren Dr. R. Apel und 0. Vollmeier, Siemens AG,
gedankt für die Mühe, die Sie sich genommen haben, ihre Kapitel zum Thema Netz-
leittechnik anzupassen und optimal zu koordinieren.
Dem Springer-Verlag danke ich für die gute und effiziente Zusammenarbeit.

Biel, im Juni 2008 V. Crastan

Vorwort zur 1. Auflage

Der im Jahr 2000 erschienene Band 1 des nun vorliegenden zweibändigen Werkes „Elektrische
Energieversorgung, behandelt die elektrotechnischen Grundlagen, die Modellierung der
Elemente des Drehstromnetzes. das stationäre und quasistationäre Verhalten symmetrischer
Netze und von Netzen mit Unsymmetrien sowie die Grundlagen der Netzelement-Bemessung,
der Schaltvorgänge und der Schutztechnik.
In Band 2 werden diese vor allem die Energieübertragung und -verteilung betreffenden
Ausfuhrungcn durch die energie- und insbesondere dic clcktrizitätswirtschaftlichcn Aspekte
ergän~t,wozu auch die Kraftwerktechnik und alternative Arten der Stromerzeugung gehören.
Breiten Raum finden ferner die Fragen der Dynamik und Stabilität des Energieversorgungs-
V1 Vorwort

netzes und die mit der Planung und Betriebsführung zusammenhängenden Probleme. Obwohl
gut 60% des Buches von mir stammen und dieses somit Monographie-Charakter hat, sind
wesentliche Beiträge von den auf Seite XXV aufgefuhrten Ko-Autoren geleistet worden, denen
ich meinen herzlichsten Dank ausspreche.
Der aus fünf Teilen und einem Anhang bestehende Band 2 gliedert sich wie folgt:
Teil I widmet sich den energiewirtschafilichen Grundfragen unter Einbezug öhologischer
Aspekte sowie den Grundlagen der Wirtschaftlichkeitsrechnung. Einen breiten Raum nehmen
dann die Fragen der Marktöffnung ein, die durch den Beitrag von Dr. J. Kreusel zur
Funktionsweise liberalisierter Strommärkte wesentlich vertieft und mit den Ausführungen von
Prof. M. Höckel zu den Themen Risikomanagement und Strompreisgestaltung abgerundet
werden.
Teil 11 behandelt die konventionelle auf Wasserkraft sowie auf fossile und nukleare
Brennstoffen basierende Kraftwerktechnik einschl. Modellierung und Dynamik. Die
Ausführungen zu den für die Zukunft wichtigen Kombikraftwerken sind durch einen Beitrag
von M. Kleinen ergänzt. Ein Abschnitt über die ökologisch wichtige Wärmepumpe rundet den
Aspekt Energieumwandlung ab.
Teil 111 betrifft die alternativen Methoden der Stromproduktion, ihre Technik und
Aussichten. Besonderq erwähnt seien die Windkrali, die Photovoltaik, die Kernfusion und die
Brennstoffzelle.
Teil IV setzt sich mit den Fragen der Regelung und Stabilität des Energieversorgungsnetzes
auseinander. Die 2.T. bereits in Band 1 behandelten Modellierungsprobleme werden ergänzt
und vertieft und die heute vorhandenen Werkzeuge zur Simulation komplexer Netze im Beitrag
von Dr. M. Pöller beschrieben. Ausserdcm wcrdcn dic Fragen dcr Nctzrcgclung und dic
Probleme der Polradwinkel- und der Spannungsstabilität eingehend behandelt. Eine Analyse
der Polradwinhel- stabilität in ausgedehnten Netzen (UCTE-Netz) und der Ursachen
entsprechender Polradwinkelpendelungen findet sich im Beitrag von Prof. Dr. H. Weber.
reil V erörtert zuerst das Betriebsoptimierungsproblem Tür das vertikal integrierte
Energieversorgungssystem und geht dann auf die durch die Marktöffnung und den Wettbewerb
sich aufdrängenden Änderungen ein. Der Fall der ßetriebsoptimierung bei ausgehandeltem
Netzzugang wird iin Beitrag von Dr. J. Kreusel vertieft. Eine wesentliche Innovation im
Bereich der Steuerung und Optimierung des Energieversorgungsnetzes stellen die FACTS dar,
deren Eigenschaften und Einsatzmöglichkeiten in dem von Dr. D. Westermann verfassten Kap.
15 eingehend behandelt werden. Da gerade wegen der Marktöfhung auch die Fragen der Leit-
und Informationstechnik an Bedeutung zunehmen, befassen sich zwei Beiträge von Dr. R.
Apel (Kap. 16) und 0 . Vollmeicr (Kap. 17) aus verschiedenen Blickwinkeln mit diesem
Fragenkomplex.
Im Anhang sind in erster Linie physikalisch-mathematische Grundlagen, die für das
vertiefte Verständnis einiger Kapitel notwendig sind, wie thermodynamische und
kernphysikalische Grundlagen oder Grundbegriffe der Dynamik, Regelungstechnik und
Optimierungsrechnung, gegeben. Die Lösungen der Aufgaben und einige Tabellen und
Graphiken finden sich ebenfalls im Anhang.
Für die Durchsicht des Abschnitts Kernfusion und einige nützliche Hinweise bin ich Dr.
Kurt Appert, ETHI,, zu Dank vcrpflichtet, ebenso danke ich Dr. Ulf Bossel für die Durchsicht
des Abschnitts Brennstoffzellen. Den Ko-Autoren möchte ich nochmals für ihre wesentlichen
Beiträge dankcn. Dem Springer-Verlag sei für die stets angenehme und insbesondcre Frau G.
Maas für Ihre engagierte Zusammenarbeit gedankt.

Biel. im April 2003 V. Crastan


Inhaltsverzeichnis

Teil l Energiewirtschaft. Elektrizitätswirtschaft

I Energiewirtschaft und Klimawandel


1.1 Grundbegriffe. geschichtlicher Rückblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3
1.1.1 Energiesektor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3
1.1.2 Nutzprozesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4
1.1.3 Geschichtlicher Rückblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5
1.1.4 Perspektiven und Probleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6
1.2 Verfugbarkeit der Primärenergie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7
1.2.1 Nicht erneuerbare Energien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8
1.2.1.1 Zukünftige Nachfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8
1.2.1.2 Reserven und Ressourcen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8
1.2.1.3 Ethische Aspekte und Umweltschutz . . . . . . . . . . . . . . . . 10
1.2.2 Erneuerbare Energien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10
1.2.2.1 Gezeitenenergie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10
1.2.2.2 Geothermische Energie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10
1.2.2.3 Solarenergie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11
1.2.3 Potential und Nutzung der wichtigsten Solarenergiearten . . . . . . . . 12
1.2.3.1 Wärmepumpe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12
1.2.3.2 Wasserkraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12
1.2.3.3 Wind- und Meereskraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13
1.2.3.4 Biomasse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13
1.2.3.5 Solarstrahlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14
1.2.4 Ökologische problerne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16
1.2.4.1 Vorwiegend lokale Wirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17
1.2.4.2 Verstärkung des Treibhauseffekts . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17
1.2.4.3 Nachhaltige Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18
1.3 Energiebedarf, allgemeine Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19
1.3.1 Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19
1.3.2 Entwicklung und Aufteilung der Energienachfrage . . . . . . . . . . . . . 19
1.3.3 Faktoren, die den Energiebedarf beeinflussen . . . . . . . . . . . . . . . . . 23
1.3.4 Endenergie und Verluste des Energiesektors . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25
1.3.5 CO,- Emissionen und Indikatoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26
1.3.6 Erwünschtes Szenario tUr die Schweiz 2030 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27
Vl l l lnhaltsverzeichnis

1.4 Energieverbrauch in Europa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29


1.4.1 Endenergieverbrauch pro Kopf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29
1.4.2 Energieintensität und CO,- Emissionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29
1.4.3 Endenergie und Verluste des Energiesektors in der EU-1 5 . . . . . . . 31
1.5 Weltweiter Energieverbrauch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32
1 S.1 Energieverbrauch in der Vergangenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32
1S.2 Energieverbrauch, Bevölkerung und BIP in 2004 . . . . . . . . . . . . . . 33
1 S . 3 Primär- und Endenergie und ihre Verteilung 2004 . . . . . . . . . . . . . 36
1.5.3.1 Gesamtheit der OECD-Länder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36
1S.3.2 Nicht-OECD-Länder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38
1S . 4 Charakteristische Indikatoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41
1.6 Zukünftige Entwicklung des Weltenergiebedarfs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42
1.6.1 Entwicklung der Weltbevölkerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42
1.6.2 Zunahme des BIP (KKP) und Energienachfrage (IEA-Szenarien) . 44
1.7 CO,- Emissionen und Klimaschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45
1.7.1 Weltweite Entwicklung der CO,-Emissionen, IEA-Szenarien . . . . . 45
1.7.2 Weltweites Energie-Indikatoren für 2030, gemäß IEA-Szenario . . 46
1.7.3 Klimaschutz, mittel- und langfristige Massnahmen . . . . . . . . . . . . . 48
1.7.3.1 Spezifischer Energieverbrauch und CO,- Intensität . . . . . 48
1.7.3.2 Länder mit CO,- lastiger Elektrizitätsproduktion . . . . . . . 49
1.7.3.3 Emtefaktor und graue Energie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50
1.7.3.4 Länder mit nahezu CO,- freier Elektrizitätsproduktion . . . 51
1.7.3.5 Transportbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51
1.7.3.6 Wärmebereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52

2 Wirtschaftlichkeitsberechnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53
2.1 Investitionsrechnung. Diskontierungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54
2.1.1 Kapitalwertmethode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54
2.1.2 Annuitätsmethode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56
2.2 Kosten der Energie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58
2.2.1 Kosten der elektrischen Energie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58
2.2.2 Spezifische Energiekosten an den Kraftwerksklemmen . . . . . . . . . 59
2.2.3 Spezifische Jahreskosten der Kraftwerke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61
2.2.4 Kosten der elektrischen Energie am Verbraucher . . . . . . . . . . . . . . 61

3 Elektrizitätswirtschaft. Liberalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63
3.1 Verbrauch elektrischer Energie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63
3.1.1 Struktur des Energieverbrauchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64
3.1.2 Schwankungen des Energiebedarfs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64
3.2 Deckung des Elektrizitätsbedarfs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67
3.2.1 Kraftwerkarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .67
Inhaltsverzeichnis 1X

3.2.2 Kraftwerkeinsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68
3.2.2.1 Jahreszeitlicher Einsatz der Kraftwerke . . . . . . . . . . . . . . 68
3.2.2.2 Tageszeitlicher Einsatz der Kraftwerke . . . . . . . . . . . . . . 68
3.2.3 Wasserspeicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70
3.2.4 Energieaustausch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71
3.3 Wasserkraftwerke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72
3.4 Thermische Kraftwerke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74
3.5 Wettbewerb im Elektrizitätssektor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78
3.5.1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78
3.5.2 Grundpfeiler des Wettbewerbs und Probleme . . . . . . . . . . . . . . . . . 78
3.5.2.1 Konkurrenz zwischen Produzenten . . . . . . . . . . . . . . . . . 79
3.5.2.2 Freie Wahl des Energielieferanten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79
3.5.2.3 Natürliches Monopol für Übertragung und Verteilung . . 79
3.5.2.4 Übergangsprobleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79
3.5.3 Reorganisationsmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81
3.5.3.1 Alleinabnehmer-Modell (single buyer) . . . . . . . . . . . . . . . 81
3.5.3.2 Wettbewerb auf der Großhandelsstufe . . . . . . . . . . . . . . . 81
3.5.3.3 Wettbewerb auf Kleinhandelsstufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84
3.5.4 Privatisierung, Regulierung der Monopole . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84
3.5.5 Konsequenzen der Marktöffnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85
3.6 Strompreisgestaltung (Prof . Dipl . Ing . M . Höckel) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86
3.6.1 Verteilung der Selbstkosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86
3.6.1.1 Modelle für die Zuordnung der Leistungskosten . . . . . . . . 88
3.6.1.2 Verteilung der Kosten auf verschiedene Spannungsebenen 92
3.6.2 Stromtarife . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95
3.6.2.1 Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95
3.6.2.2 Tarifniveau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96
3.6.2.3 Tarifstrukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97
3.6.2.4 Beispielrechnung eines Tarifsystems . . . . . . . . . . . . . . . . 98
3.7 Funktionsweise liberalisierter Elektrizitätsmärkte
(Dr . -lng., tlon..Prof. J . Kreusel) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104
3.7.1 Motivation für Liberalisierung und Privatisierung . . . . . . . . . . . . 104
3.7.2 Der Aufbau wettbewerblich organisierter Elektrizitätsmärkte . . . . 108
3.7.2.1 Aufgaben und Rollen im liberalisierten Markt . . . . . . . 109
3.7.2.2 Netzzugangsmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112
3.7.3 Dienstleistungsmarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114
3.7.3.1 Systembetreiber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115
3.7.3.2 Netzbetreiber und Zählerdienstleister . . . . . . . . . . . . . . 118
3.7.4 Wettbewerbsmarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124
3.7.4.1 GroBhandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125
3.7.4.2 Börsenhandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128
3.7.4.3 Energiedienstleister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131
3.7.4.4 Bilanzkreisverantwortliche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138
X Inhaltsverzeichnis

3.7.5 Besonderheiten internationaler Realisierungen liberalisierter


Elektrizitätsmärkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142
3.7.5.1 Vereinigte Staaten von Amerika . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143
3.7.5.2 Großbritannien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144
3.7.5.3 Skandinavien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145
3.7.5.4 Kontinentaleuropa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146
3.7.5.5 Zusammenfassung internationaler Beispiele . . . . . . . . . 146
3.7.6 Erfahrungen in liberalisierten Märkten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146
3.7.6.1 Auswirkungen der Liberalisierung auf Preise
und Kundenverhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149
3.7.6.2 Übergangseffekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154
3.8 Risikomanagement in der Elektrizitätswirtschaft (Dipl . Ing . Th . Putzi) . . 157
3.8.1 Anforderungen an die Unternehmensführung . . . . . . . . . . . . . . . 157
3.8.2 Enterprise Risk Management (Theorie) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158
3.8.2.1 Nutzen von ERM . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159
3.8.2.2 Risikopolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160
3 .8.2.3 Risikomanagement-Prozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172
3.8.2.4 Weitere mögliche Komponenten eines ERM . . . . . . . . . 188
3.8.3 Enterprise Risk Management (Praxis)
(Prof. Dipl . Ing . M . Höckel) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197
3.8.3.1 Risiken in der Elektrizitätswirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . 197
3.8.3.2 Quantifizierung der Risiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202
3.8.3.3 Instrumente und Produkte des Stromhandels . . . . . . . . . 204
3.8.3.4 Beurteilung von Vertragsoptionen . . . . . . . . . . . . . . . . . 210

Teil II Kraftwerktechnik. Energieumwandlung

4 Wasserkraftwerke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221
4.1 Hydrologische Planungsgrundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221
4.2 Laufkraftwerke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223
4.2.1 Wasserbewirtschaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224
4.2.2 Ausführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .224
4.2.3 Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226
4.3 Speicherkraftwerke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226
4.3.1 Tages- und Wochenspeicherwerke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226
4.3.2 Jahresspeicherwerke (Saisonspeicherwerke) . . . . . . . . . . . . . . . . . 228
4.3.3 Pumpspeicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232
4.4 Wasserturbinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233
4.4.1 Pelton-Turbine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234
4.4.1.1 Strahldurchmesser und Wassermenge . . . . . . . . . . . . . . 236
4.4.1.2 Optimale Umfangsgeschwindigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . 237
4.4.1.3 Durchmesser, spezifische Drehzahl . . . . . . . . . . . . . . . . 237
Inhaltsverzeichnis XI

4.4.2 Reaktionsturbinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240


4.4.2.1 Kavitationserscheinung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242
4.4.2.2 Energiediagramm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243
4.4.2.3 Durchfluss- und Druckzahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243
4.4.2.4 Zusammenhang zwischen n„ cp, und Jr . . . . . . . . . . . . . 244
4.4.2.5 Turbinenauslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245
4.4.2.6 Typen von Reaktionsturbinen und Kreiselpumpen . . . . 248
4.4.3 Turbinenwahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249
4.4.4 Kleinwasserkraftwerke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251
4.5 Dynamik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252
4.5.1 Druckstollen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252
4.5.2 Wasserschloss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254
4.5.3 Starre Druckleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255
4.5.4 Gesamtmodell des hydraulischen Systems . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256
4.5.4.1 Nichtlineares Blockdiagramm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256
4.5.4.2 Übertragungsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256
4.5.5 Elastischer Druckstoß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258
4.5.5.1 Druckleitungsmodelle mit Elastizität . . . . . . . . . . . . . . . 259
4.5.5.2 Übertragungsfunktion der elastischen Druckleitung . . . 262
4.5.6 Gesamtmodell des hydraulischen Systems mit Elastizität . . . . . . . 263
4.5.6.1 Übertragungsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263
4.5.6.2 Nichtlineares Blockschaltbild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263
4.5.7 Wasserturbinen- und Wasserkraftwerk-Modell . . . . . . . . . . . . . . . 263
4.5.7.1 p.u. Gleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264
4.5.7.2 Linearisierung der Turbine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266
4.5.7.3 Übertragungsfunktion der Turbine . . . . . . . . . . . . . . . . . 267

5 Thermische Kraftwerke. Wärmepumpe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271


5.1 Dampfkraftprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271
5.1.1 Rankine-und Clausius-Rankine-Kreisprozess . . . . . . . . . . . . . . . . 271
5.1.2 Zwischenüberhitzung und Speisewasservonvärmung . . . . . . . . . . 274
5.2 Gasturbinenprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275
5.2.1 Einfacher offener Gasturbinenprozess(Joule-Prozess) . . . . . . . . . 275
5.2.1.1 Idealisierter Prozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276
5.2.1.2 Realer Prozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276
5.2.1.3 Wirkungsgrad, Leistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278
5.2.2 Rekuperation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280
5.2.3 Carnotisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281
5.3 Kombiprozesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282
5.4 Wärme-Krafi-Kopplung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284
5.4.1 Entnahme-Kondensationsschaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284
XI1 Inhaltsverzeichnis

5.4.2 Gegendruckanlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286


5.4.3 Gasturbinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287
5.4.4 Blockheizkraftwerke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288
5.4.5 Wärme-Kraft-Kopplung und CO, -Produktion . . . . . . . . . . . . . . . 288
5.5 Fossilgefeuerte Dampfkraftwerke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289
5.5.1 Luft-Brennstoff-RauchgasIAsche-Kreislauf . . . . . . . . . . . . . . . . . 289
5.5.2 Wasser-Dampf.Kreislauf, Verluste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289
5.5.3 Kühlwasserkreislauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291
5.5.4 Blockregelung (Dipl . Ing. H . Kleinen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293
5.5.5 Dynamik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296
5.6 Kernkraftwerke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299
5.6.1 Energiegewinnung durch Kernspaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299
5.6.1.1 Uranspaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299
5.6.1.2 Konversionsvorgänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301
5.6.2 Reaktorkonzepte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302
5.6.2.1 Leichtwasserreaktoren (PWR, BWR, EPR) . . . . . . . . . . . 302
5.6.2.2 Schwerwassereaktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305
5.6.2.3 Graphitmoderierte Reaktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305
5.6.2.4 Schnelle Brutreaktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306
5.6.3 Dampfkreisprozess und Regelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306
5.6.4 Reaktorsicherheit und Brennstoffkreislauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306
5.6.4.1 Reaktorsicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306
5.6.4.2 Brennstoffkreislauf und Entsorgung . . . . . . . . . . . . . . . . 307
5.6.5 Risiken der Kernkraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309
5.6.5.1 Sicherheit des Kraftwerks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309
5.6.5.2 Brennstoffkreislauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310
5.6.5.3 Abfallbeseitigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310
5.6.5.4 Kernwaffenherstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310
5.6.6 Wirkung der Radioaktivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311
5.6.6.1 Aktivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312
5.6.6.2 Strahlendosis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313
5.6.6.3 Äquivalentdosis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313
5.6.6.4 Natürliche Radioaktivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313
5.7 Kraftwerke mit kombiniertem Gas- und Dampfprozess
(Dipl.1ng.H.Kleinen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315
5.7.1 GUD-Kraftwerk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315
5.7.1.1 Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315
5.7.1.2 Technische Ausführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316
5.7.1.3 Betrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .317
5.7.2 GUD-Kraftwerke mit Zusatzfeuerung im Abhitzekessel . . . . . . . 318
5.7.3 Verbundkraftwerke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318
5.7.4 Kombikraftwerk mit atmosphärischem Dampferzeuger . . . . . . . 319
5.7.5 Kraftwerke mit Kohleumwandlung unter Druck . . . . . . . . . . . . . 319
5.7.6 Dynamisches Verhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321
Inhaltsverzeichnis XI11

5.8 Kraftwerksleittechnik (Dipl . lng. H . Kleinen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322


5.8.1 Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322
5.8.2 Aufbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323
5.8.3 Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324
5.9 DieWärmepumpe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325
5.9.1 Energiewirtschaftliche Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325
5.9.1.1 Exergetischer Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325
5.9.1.2 Vergleich der Energie-Nutzungsgrade . . . . . . . . . . . . . . 328
5.9.2 Prinzip und Aufbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331
5.9.2.1 Der idealisierte Kreisprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331
5.9.2.2 Der reale Kreisprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333
5.9.2.3 Leistungsziffer und Arbeitszahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335
5.9.3 Einsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335
5.9.3.1 Verlauf der Außentemperatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336
5.9.3.2 Art und Bemessung der Wärmeverteilungsanlage . . . . . . 337

TEIL III Alternative Stromerzeugung


6 Windkraftwerke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341
6.1 Die kinetische Energie des Windes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341
6.1.1 Theoretische Windleistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341
6.1.2 Windgeschwindigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342
6.1.3 Energieangebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343
6.1.4 Die Weibull-Verteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 344
6.2 Windradtypen und deren Leistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 346
6.3 Horizontalachsige Windrotoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349
6.3.1 Theorie von Betz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349
6.3.2 Tragflügeltheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351
6.4 Modeme horizontalachsige Windturbinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353
6.5 Andere Windradtypen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354
6.5.1 Der Darrieus-Rotor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354
6.5.1.1 Rotorgeometrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354
6.5.1.2 Kräfte auf die Flügelelemente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356
6.5.1.3 Tragflügeltheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357
6.5.2 Der Savoniusrotor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 358
6.5.2.1 Aufbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 358
6.5.2.2 Leistungsabgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 358
6.5.2.3 Drehmoment . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 360
XIV lnhaltsverieichnis

6.6 Betrieb und Regelung. Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 360


6.6.1 Leistung und Betriebsarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 360
6.6.2 Leistungsregelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 362
6.6.3 Netzbetrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 362
6.6.4 lnselbetrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 363
7 Photovoltaik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 365
7.1 Physikalische Grundlagen, photoelektrischer Effekt . . . . . . . . . . . . . . . . 365
7.1.1 Photoleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 366
7.1.2 Der P-N-Übergang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 368
7.2 Photovoltaischer Effekt, Photostrom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369
7.3 Solarzelle, Gesamtwirkungsgrad . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 376
7.3.1 Kennlinie und Ersatzschema . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 376
7.3.2 Leerlaufspannung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 378
7.3.3 Füllfaktor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 380
7.3.4 Gesamtwirkungsgrad . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381
7.3.5 Möglichkeiten zur Wirkungsgradverbesserung . . . . . . . . . . . . . . . 382
7.3.6 Solarzellentypen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 383
7.4 Die Sonne als Energiequelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 385
7.4.1 Extraterrestrische Strahlungsintensität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 385
7.4.2 Scheinbare Sonnenbewegung relativ zur Erde . . . . . . . . . . . . . . . . 386
7.4.3 Berechnung des Sonnenstands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 389
7.4.4 Berechnung der Strahlungsintensität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 389
7.4.5 Strahlungsenergie pro Tag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 391
7.4.6 Wirkung der Atmosphäre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393
7.4.7 Strahlungsintensität mit Atmosphäre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 394
7.5 Systemtechnik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 397
7.5.1 Solarmodule und Solargeneratoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 397
7.5.2 Inselsysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 397
7.5.3 Netzgekoppelte PV-Anlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 398
7.5.4 Wechselrichter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 399
7.5.5 Modellierung der Solarmodule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 401

8 Brennstoffzelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 405
8.1 AufbauundTypen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 405
8.2 Prinzip und Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 407
8.2.1 Elektrochemische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 407
8.2.2 Lineares Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 409
8.3 Brennstoffzellen für stationäre Anwendungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 410
8.3.1 Phosphorsäure-Brennstoffzelle (PAFC) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 410
8.3.2 Keramik-Brennstoffzelle (SOFC) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 411
8.3.3 Systemtechnik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 412
Inhaltsverzeichnis XV

9 Kernfusion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 413
9.1 Grundlagen des Fusionsprozesses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 413
9.1. I Fusionsreaktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 413
9.1.2 Energieverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 414
9 .2 Der Fusionsreaktor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 415
9.2.1 Prinzip des (d-t)-Fusionsreaktors . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 415
9.2.1.1 Plasmareaktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 417
9.2.1.2 Mantelreaktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 418
9.2.2 Energiebilanz des Plasmas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 418
9.2.3 Das Einschlussproblem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 421
9.2.3.1 Der magnetische Einschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 422
9.2.3.2 Der inertiale Einschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 425
9.3 Stand und Perspektiven der Kernfusion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 425
9.3.1 Internationales Forschungsprogramm Kernfusion . . . . . . . . . . . . 425
9.3.2 Vorzüge der Fusion und technologische Probleme . . . . . . . . . . . 426

Teil lV Regelung und Stabilität des


Energieversorgungssystems

10 Modellierung und Simulation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 429


10.1 Generatormodelle und sonstige Einspeisungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 430
10.1.1 Kurzzeitmodelle der SM . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 430
10.1.2 Langzeitmodell der SM . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 435
10.1.3 Sonstige Einspeisungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 436
10.1.3.1 Transformatoren mit Längsregelung . . . . . . . . . . . . . . 436
10.1.3.2 Transformatoren mit Schräg- oder Querregelung . . . . 436
10.1.3.3 Geregelte Kompensationsanlagen . . . . . . . . . . . . . . . . 437
10.1.3.4 Asynchronmaschinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 437
10.2 Lastmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 437
10.2.1 Statische Last . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 437
10.2.2 Dynamische Last . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 439
10.3 Netzdarstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 441
10.4 Simulationsprogramme (Dr. Ing. M . Pöller) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 442
10.4.1 Modellierung des elektrischen Netzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 444
10.4.2 Allgemeines Modell zur Analyse von Stabilitätsproblemen . . . 450
10.4.3 Numerische lntegration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 451
10.4.3.1 Explizite Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 451
10.4.3.2 Implizite Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 453
10.4.3.3 Vergleich der Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 455
XVI lnhaltsverzeichnis

10.4.4 Genauigkeit und Stabilität numerischer lntegrationsverfahren . . 455


10.4.4.1 Genauigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 456
10.4.4.2 Stabilität numerischer lntegrationsverfahren . . . . . . . 457
10.4.5 Simulationsalgorithmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 463
10.4.6 Behandlung von Nichtlinearitäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 466
10.4.7 Dynamische Modellierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 468
10.4.8 Initialisierung (Berechnung von Anfangsbedingungen) . . . . . . 470
10.4.8.1 Beispiel Spannungsregler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 471
10.4.8.2 Verallgemeinerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 473

11 Drehzahl- und Frequenzleistungsregelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 475


11.1 Primärregelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 476
11.1.1 Wasserturbinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 478
11.1.2 Dampfkraftwerk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 479
11.1.2.1 Festdruckregelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 479
11.1.2.2 Gleitdruckregelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 481
11.1.3 Gasturbinen- und Kombikraftwerke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 482
11.2 Frequenzregelung im Inselnetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 486
1 1.2.1 Primärregelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 486
11.2.2 Sekundärregelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 488
1 1.3 Frequenzleistungsregelung im Verbund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 489

12 Synchronisierung und Polradwinkelstabilität . . . . . . . . . . . . . . . 493


12.1 Synchrongruppe am starren Netz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 493
12.1.1 Torsionsschwingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 493
12.1.2 Störungen des Gleichgewichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 495
12.1.2.1 Statische Stabilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 496
12.1.2.2 Stabilität im Kurzzeitbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 497
12.1.3 Wirkung der Netzreaktanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 499
12.1.4 Statische Stabilität der ungeregelten SM . . . . . . . . . . . . . . . . . . 499
12.1.5 Statische Stabilität mit Spannungsregelung . . . . . . . . . . . . . . . . 501
12.1.6 Verhalten im Kurzzeitbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 503
12.2 Dynamik der kleinen Störungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 504
12.2.1 Wirkung der Drehzahlregelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 508
12.2.2 Wirkung der Spannungsregelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 508
12.2.3 Wirkung des Pendeldämpfungsgeräts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 509
12.3 Verhalten bei großen Störungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 511
12.3.1 Transiente Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 514
12.3.1.1 Rasche Änderung des Antriebsmoments . . . . . . . . . . 515
12.3.1.2 Kurzschluss im Netz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 515
12.3.1.3 Zu- und Abschaltung einer Zwischenlast . . . . . . . . . . 517
12.3.2 Stabilisierungsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 519
Inhaltsverzeichnis XViI

12.4 Modellierung bei subsynchronen Schwingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 522


12.4.1 Synchronmaschine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 522
12.4.2 Netzverbindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 523
12.4.3 Polar-dq-Transformation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 524
12.4.4 Mechanik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 524
12.4.5 Hydraulisches oder thermisches System und Drehzahlregelung. 524
12.5 Transiente Analyse von Mehrmaschinensystemen . . . . . . . . . . . . . . . . . 525
12.5.1 Elektrisch statische Darstellung der Generatoren . . . . . . . . . . . 525
12.5.2 Netzdarstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 526
12.5.3 Die elektrische Leistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 527
12.5.3.1 Netzdarstellung in Generatorkoordinaten . . . . . . . . . 528
12.5.3.2 Gesamtsystem in Parkvektordarstellung . . . . . . . . . . 529
12.5.4 Systeme mit m > 3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 534
12.5.5 Spannungsunabhängigkeit der Last . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 534
12.5.6 Stabilität im Großen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 535
12.5.7 Ordnungsreduktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 538
12.5.7.1 Kohärente Generatoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 538
12.5.7.2 Transiente Analyse und Kohärenz . . . . . . . . . . . . . . . 539
12.5.7.3 Berechnung der synchronisierenden Leistung . . . . . . 540
12.6 Lineare Analyse von Mehrmaschinensystemen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 541
12.6.1 Berücksichtigung von Spannung und Leistung . . . . . . . . . . . . . 545
12.6.2 Netzreduktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 546
12.6.3 Ordnungsreduktion der Generatorübertragungsfunktionen . . . . 546
12.7 Polradwinkelstabilität und ihre Analyse in der Praxis des Netzbetriebs
(Prof . Dr.-Ing. H. Weber) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 548
12.7.1 Entstehungsursachen von Polradwinkelpendelungen . . . . . . . . . 549
12.7.2 Einfluss von Leistungstransit auf die Polradwinkelstabilität . . . 554
12.7.3 Einfluss der Verbraucherstruktur auf die Polradwinkelstabil .... 557
12.7.4 Identifizierung destabilisierender Spannungsregler in
Mehrmaschinensysternen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 560

13 Spannungsregelung und Spannungsstabilität . . . . . . . . . . . . . . 563


13.1 Erregersystem und Spannungsregelung der SM . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 564
13.1.1 Erregersysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 564
13.1.1.1 Erregersystem mit Gleichstromgenerator . . . . . . . . . . . 564
13.1.1.2 Erregersystem mit Wechselstromgenerator . . . . . . . . . . 565
13.1.1.3 Statische Erregung (Stromrichtererregung) . . . . . . . . . . 565
13.1.2 Spannungsregelung der Synchronmaschine . . . . . . . . . . . . . . . 566
13.1.2.1 Übertragungsfunktion der Synchronmaschine . . . . . . . . 567
13.1.2.2 Reglerauslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 570
13.1.2.3 Verhalten bei kapazitiver Belastung . . . . . . . . . . . . . . . 572
13.1.2.4 Wirkung der Drehzahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 573
13.1.2.5 Kopplung mit dem Synchronisierkreis . . . . . . . . . . . . . 574
13.1.2.6 Netzverbindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 575
XVIII Inhaltsverzeichnis

13.2 Regelung von Stufentransformatoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 576


13.2.1 Reglerauslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 576
13.2.2 Lastflussberechnungmit Regeltransformator . . . . . . . . . . . . . . 578
13.3 Geregelte Kompensationsanlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 580
13.3.1 Parallelkompensation mit SVC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 580
13.3.2 Statischer Konverter (STATCON) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 583
13.3.3 Seriekompensation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 584
13.4 Statische Spannungsstabilität einer SM . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 586
13.4.1 (u,p)-Kennlinien bei konstantem Leistungsfaktor . . . . . . . . . . 587
13.4.1.1 Spannungsunabhängige Wirklast . . . . . . . . . . . . . . . 589
13.4.1.2 Wirklast mit spannungsabhängigem Lastanteil . . . . 590
13.4.1.3 Verhalten bei reiner lmpedanzlast . . . . . . . . . . . . . . 590
13.4.1.4 Wirkung von Transf. mit variabler Übersetzung . . . 590
13.4.2 (u,q )-Kennlinien bei vorgegebener Wirklast . . . . . . . . . . . . . . 591
13.4.3 Darstellung mit der Generatorblindleistung . . . . . . . . . . . . . . . 594
13.4.3.1 Sicherheitsindizes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 597
13.4.3.2 Lastkennlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 597
13.5 Statische Spannungsstabilität im vermaschten Netz . . . . . . . . . . . . . . . . 598
13.6 Dynamik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 600
1 3.6.1 Kurzzeitanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 601
13.6.2 Langzeitinstabilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 601

Teil V Betriebsplanung und -führung


14 Betriebsplanung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 605
14.1 Mikroökonomische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 605
14.2 Betriebsoptimierung der vertikal integrierten Energieversorgung . . . . 607
14.2.1 Netzberechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 608
14.2.1.1 Leistungseinspeisung. Zweigleistung. Verluste . . . . 608
14.2.1.2 Verlustberechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 609
14.2.1.3 DC-Leistungsfluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 610
14.2.2 Netzberechnung mit Spannungseinkopplung . . . . . . . . . . . . . 611
14.2.3 Optimaler Leistungsfluss (OPF) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 612
14.2.3.1 Wirkleistungsoptimierung mit Verlustfunktion . . . . 613
14.2.3.2 Berücksichtigung der Blindleistungen . . . . . . . . . . . 615
14.2.3.3 Begrenzung der Leistungsflüsse der Leitungen . . . . 616
14.2.3.4 Beispiel einer momentanen Optimierungsrechnung 61 7
14.2.4 Optimale Speicherbewirtschaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 622
14.2.5 Einsatzplan der thermischen Gruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 624
14.2.6 Die langfristige Optimierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 626
14.2.7 Die mittelfristige Optimierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 628
14.2.8 Die Kurzzeit-Optimierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 628
Inhaltsverzeichnis XIX

14.2.9 Momentane Optimierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 629


14.2.10 Tarifierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 629
14.3 Betriebsoptimierung bei Wettbewerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 630
14.3.1 Mathematische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 630
14.3.1.1 Verlustloses Netz ohne Kapazitätsbeschränkungen . 630
14.3.1.2 Berücksichtigung von Netzverlusten, Netzkosten
und Generator-Leistungsbegre~lzungen. . . . . . . . . . 632
14.3.1.3 Optimalitätsbedingungen bei Engpässen . . . . . . . . . 633
14.3.2 Pool-Lösung und ausgehandelter Netzzugang . . . . . . . . . . . . . 634
14.3.3 Betriebsoptimierung bei ausgehandeltem Netzzugang
(Dr . -1ng. J . Kreusel) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 634
14.3.3.1 Konsequenzen der Liberalisierung für Erzeugurigs-
planung und Systembetriebsfuhrung . . . . . . . . . . . 635
14.3.3.2 Auswirkungen auf den Planungsprozess und die
eingesetzten Werkzeuge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 636

15 FACTS-Elemente
(Prof. Dr . -lng . D . Westermann) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 641
1 5.1 Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .641
15.2 Technologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 646
15.2.1 Halbleiterbauelemente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 646
15.2.2.1 Dioden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 647
15.2.2.2 Thyristoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 648
15.2.2.3 Gate Turn-Off Thyristor (GTO) . . . . . . . . . . . . . . . . 649
15.2.2.4 lnsulated Gate Bipolar Transistor (IGBT) . . . . . . . . 650
15.2.2.5 lnsulated Gate Turn-Off Thyristor (IGCT) . . . . . . . 651
15.2.2 Spannungsumrichter, VSC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 652
15.2.3 Steuerverfahren und Eliminierung von Oberwellen . . . . . . . . . 658
15.2.3.1 Grundschwingungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 658
15.2.3.2 Pulsweitenmodulation (PWM) . . . . . . . . . . . . . . . . . 658
15.2.4 Berechnung der Verzerrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 660
15.2.4.1 Spannurigsverzerrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 660
15.2.4.2 Netzseitige Stromverzerrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 660
15.2.4.3 Stromverzerrung im Zwischenkreis . . . . . . . . . . . . . . 661
15.2.5 Schutz- und Leitsystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 663
15.3 Aufbau und stationäres Betriebsverhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 667
15.3.1 Shunt.Elemente, SVC und STATCOM . . . . . . . . . . . . . . . . . . 667
15.3.1.1 Aufbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 667
15.3.1.2 Strom-ISpannungscharakteristik und Vierpolform . . 67 1
15.3.1.3 P-6-Diagramm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 672
15.3.2 Serie-Elemente TCSC und SSSC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 675
15.3.2.1 Aufbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 675
15.3.2.2 Strom-ISpannungscharakteristik und Vierpolform . . 676
1 5.3.2.3 P-6-Diagramm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 679
XX Inhaltsverzeichnis

15.3.3 Parallel-serielle Elemente PAR und UPFC . . . . . . . . . . . . . . . 681


1 5.3.3.1 Aufbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 681
15.3.3.2 Strom-ISpannungscharakteristik und Vierpolform . . 682
15.3.3.3 P-%Diagramm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 685
15.3.4 Anwendung im Netz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 691
15.3.4.1 Abschätzung der Dimensionierung . . . . . . . . . . . . . 691
15.3.4.2 Analytische Lösung des Modellsystems . . . . . . . . . . 692
15.3.4.3 Verbundkupplung - große Kurzschlussleistungen . . 694
15.3.4.4 Identische Leitungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 695
15.3.4.5 Unterschiedliche Leitungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 697
15.3.4.6 Leistungsflussregelung auf 380 kV-Doppelleitung . 698
15.3.4.7 Regelung mit unterschiedlichen Spannungsebenen . 699
15.3.4.8 Verallgemeinerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 699
15.4 Modellierung f h Effektivwertsimulationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 701
15.4.1 Shuntelemente, STATCOM . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 701
15.4.2 Serieelemente, SSSC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 705
15.4.3 Parallel-Serielle-Elemente, UPFC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 708
15.4.4 Modellsynthese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 713
15.5 Einsatzortbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 716
1 5.5.1 Shuntelemente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 717
15.5.2 Serieelemente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 718
15.5.3 Dynamische Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 721
15.6 Verbesserung der transienten Stabilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 722
15.6.1 Allgemeine Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 723
15.6.2 Allgemeiner Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 726
15.6.3 Ausfuhrungsbeispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 729
15.6.3.1 SVC, STATCOM, TCSC. SSSC und UPFC . . . . . . 730
15.6.3.2 QBT . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 731
15.6.3.3 PAR 732
15.7 Verbesserung der Versorgungsqualität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 733
15.7.1 Störungsursachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 734
15.7.2 FACTS zur Verbesserung der Versorgungsqualität . . . . . . . . . 736
15.7.2.1 Dynamic Voltage Restorer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 736
15.7.2.2 Dynamic Uninterruptible Power Supply . . . . . . . . . 738
15.7.2.3 Solid State Transfer Switch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 741
15.7.3 Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 745

16 Leit- und Informationstechnik


(Dr..lng. R. Apel) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .747
16.1 Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .747
16.1 .1 Aufgabe der Leit- und lnformationstechnik . . . . . . . . . . . . . . . 747
. .
16.1.2 Historie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 748
16.1.3 Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 749
Inhaltsverzeichnis XXI

16.2 Feld- und Stationsleittechnik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .749


16.2.1 Plattform & Systemarchitektur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 750
16.2.1.1 Horizontale Integration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 750
16.2.1.2 Vertikale lntegration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 750
16.2.1.3 IT-Sicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 750
16.2.2 Prozess- und Feldbusebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .751
16.2.2.1 Stationsbus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .751
16.2.2.2 1EC 61850 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .752
16.2.3 Netzschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .753
16.2.3.1 Verriegelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .753
16.2.3.2 Synchrocheck (Synchronisationsüberprüfung) . . . . . 753
16.2.3.3 Allgemeine Schutzfunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . 754
16.2.3.4 Adaptiver Schutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 755
16.2.4 Stationsebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .755
16.2.5 Anwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .756
16.2.5.1 Datentypen und Verarbeitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 756
16.2.5.2 Ereignis-IAlarmbehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 763
16.2.5.3 Visualisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 765
16.2.5.4 StörverlaufsanalyseiStörschriebe . . . . . . . . . . . . . . . 766
16.2.5.5 Datenpflege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 766
16.3 Phasenwinkelmessungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .767
16.3.1 Messgeräte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .767
16.3.2 Anwendungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .768
16.4. Fernwirktechnik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .768
16.4.1. Infrastruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .768
16.4.2. Protokolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .769
16.4.2.1 Der neue globale Standard IEC 61850 . . . . . . . . . . . 770

17 Netzleittechnik für elektrische Energienetze


(Dipl..Ing. 0. Vollmeier) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .771
17.1 Marktumfeld. Anforderungen an die Netzleittechnik . . . . . . . . . . . . . . . 771
17.1.1 Marktumfeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .771
17.1.2 Prinzipielle Anforderungen an ein Netzleitsystem . . . . . . . . . . 772
17.2 Systemkonzeption für Netzleitsysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 773
17.3 Systemarchitektur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 774
17.3.1 Domänenstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 774
17.3.2 Komponentenarchitektur und Datenmodelle . . . . . . . . . . . . . . 775
17.3.2.1 Komponentenarchitektur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .775
17.3.2.2 Struktur des Datenmodells . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 776
17.4 Domänen- und Funktionsüberblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 777
17.4.1 Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .778
XXII Inhaltsverzeichnis

17.4.2 Echtzeitverarbeitung (SCADA) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 778


17.4.2.1 Grundverarbeitungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 778
17.4.2.2 Netztopologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 780
17.4.2.3 Bedienerausgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 781
17.4.2.4 Steuern und Bedienen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 783
17.4.2.5 Kontext-Management . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 786
17.4.3 Applikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 788
17.4.3.1 Archivierung und Energieabrechnung . . . . . . . . . . . 788
17.4.3.2 Nachfrage- und Multi-Energie-Management . . . . . . 789
17.4.3.3 Verteilnetzfuhrung (Distribution Management
System DMS) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 790
17.4.3.4 Transportnetzführung (Energy Management
System EMS) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 790
17.4.3.5 Erzeugungs-Management (Generation Management
System GMS) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 792
17.4.3.6 Trainingssimulator . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 792
17.4.3.7 Prozessdaten-Simulator . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 795
17.4.4 Benutzeroberfläche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 795
17.4.4.1 Web-fähige Benutzeroberfläche . . . . . . . . . . . . . . . . 796
17.4.4.2 Navigation über Pull-Down-Menüs . . . . . . . . . . . . . 798
17.4.4.3 Navigation über Pop-Up-Menüs . . . . . . . . . . . . . . . . 799
17.5 Bedien- und Anwendungsfunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 800
17.6 Daten-Management . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 802
17.6.1 Konfigurations-Management . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 803
17.6.2 Phasen der Dateneingabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 803
17.6.2.1 Kundenanpassungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 803
17.6.2.2 Dateneingabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 804
17.6.2.3 Validierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 804
17.6.2.4 Aktivierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 804
17.6.3 Benutzeroberfläche des Daten-Managementsystems . . . . . . . . . 805
17.6.4 Massendatenimport . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 810
17.6.5 Standards und Technologien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 811
17.7 Systemkonfigurationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 812
17.8 SystemübergreifenderWorkflow . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 814
17.9 Systemintegrationskonzepte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 816
17.10 Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 817
Inhaltsverzeichnis XXllI

Teil VI Anhang
Anhang I Thermodynamik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 821
1.1 Grundbegriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .821
I . 1.1 Zustandsgrößen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 821
1.1.2 Thermodynamische Prozesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 822
1.1.3 Erster Hauptsatz, Energiebilan~. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .823
1.1.3.1 Geschlossene Systeme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 823
1.1.3.2 Fließprozesse (offene Systeme) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 824
I .1.4 Entropie, zweiter Hauptsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 826

1.2 Kreisprozesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 827


.
1.2.1 Kreisprozess von Carnot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .827
1.2.2 Exergiebegriff. Wirkungsgrade . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 828
1.2.3 Allgemeiner Kreisprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 829
1.3 Teilprozesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .830
1.3.1 Isothermer Prozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .830
1.3.2 Isobarer Prozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .831
1.3.3 Isochorer Prozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .831
1.3.4 Adiabate Prozesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .832
1.3.4.1 Isentroper Prozess (reversible Adiabate) . . . . . . . . . . 833
1.3.4.2 Isoenthalper Prozess (adiabate Drosselung) . . . . . . . . . . 833
1.3.5 Polytrope Zustandsänderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 834
1.4 Technische Kreisprozesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .834

Anhang II Kernphysikalische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 837


11.1 Aufbau des Atoms und Bindungsenergie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 837
11.2 Isotope . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .840
11.3 Radioaktivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 841
11.4 Kernreaktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .842
11.5 Wirkungsquerschnitt und Reaktionsrate . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .842
11.6 Die Kernspaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .844
11.6.1 Die Spaltung von U2" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .844
11.6.2 Spalt- und Brutstoffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .846

Anhang III Dynamik und Regelungstechnik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 849


111.1 Darstellung linearer Systeme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .849
..
111.2 Stabilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .851
111.3 Kopplung linearer Systeme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .852
XXIV Inhaltsverzeichnis

111.4 Modale Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 853


111.4.1 Modale Zerlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 853
111.4.2 Modale Reduktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 854
111.5 Netzdarstellung für höhere Frequenzen ......................... 855
111.6 Elementare lineare Regelungstechnik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 857
111.6.1 Vorgabe des Stellverhaltens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 858
111.6.2 Synthese im Frequenzbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 860

Anhang IV Berechnung der Blindleistungen im Rahmen der


linearen Analyse von Mehrmaschinensystemen . . . . . 863
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 863
IV .1 Blindleistungsabgabe der Generatoren
IV.2 Lineare Analyse des Mehrrnaschinensystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 864

Anhang V Optimierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 867


V.l Lagrange-Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 867
V.2 Optimaler Leistungsfluss (OPF) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 869
Anhang VI Gamma-Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 871

Anhang VII Lösung der Aufgaben ............................ 873

Anhang Vlll Mollier.Diagramme. Kältemittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 877


TEIL I Energiewirtschaft,
Elektrizitätswirtschaft
1 Energiewirtschaft und Klimawandel

1 . Grundbegriffe, geschichtlicher Rückblick

Abbildung 1.1 veranschaulicht die Struktur der Energiewirtschaft mit den heute
verwendeten und den möglichen zukünftigen Energieträgern. Zu unterscheiden sind
vier Energieumwandlungsstufen: Primarenergie, Sekundarenergie, Endenergie und
Nutzenergie.
Unternehmen, die sich mit der Gewinnung, der Umwandlung und dem Transport
von Energieträgern befassen, bilden den Energiesektor der Wirtschajl. Sie haben die
Aufgabe, dem Verbraucher die Energie in der gewünschten Energieträgerform zur
Verfigung zu stellen (sog. Endenergie). Der Verbraucher wandelt die Endenergie
mittels Nutzprozessen in Nutzenergie um.

1.I.I Energiesektor
Primäre Energieträger sind Energiequellen, die in der Natur vorkommen. Größten-
teils werden sie nicht am Ort ihres Vorkommens verwendet, sondern zuerst gewonnen
(z.B. gefordert), dann transportiert und ggf. in eine andere zweckmäßigere Energie-
form (sekundäre Energieträger) umgewandelt. Kohle und Erdgas werden meistens
lediglich gefordert und zum Verwendungsort transportiert; Erdöl wird dagegen in
Raffinerien zu Heizöl und Benzin umgewandelt; Natururan wird zu Kernbrennstoff

Transport Nutz-
Prozesse

primäre
Energieiräger Egzzger Endenergie
Nutzenergie

(Energie am Wärme
Erdöl
Heizöl Verbraucher) mech. Arbeit
Kohle
Treibstoffe chem. Energie
Erdgas
Elektrizität Licht
Kernbrennstoffe
Wasserkrafl Stadtgas Informations-
Holz, Biomasse Koks und Unterhaltungs-
Müll, Industrieabfälle Fernwärme energie
Umgebungswärme Wasserstoff
Wind
Solarstrahlung
Geothermie
Meeresströmungs-
und Wellenenergie
Fusionsbrennstoffe

Abb. 1.1. Energieformen, Energieumwandlungsstufen


4 1 Energiewirtschaft und Klimawandel

umgewandelt; Wasserkraft, Windkraft, Kernbrennstoffe und Müll erzeugen in


Kraftwerken Elektrizität. Einige wenige Energieträger, wie z.B. Solarstrahlung und
Umgebungswärme, können direkt am Ort ihres Auftretens als Wärme oder zur
Erzeugung von Elektrizität genutzt werden.
Neben den bereits erwähnten und wichtigsten rekunduren Energletragern wie
Heizöl, Benzin und Elektrizität, ist in Abb. 1.1 auch Wasserstoff als ein in Zukunft
möglicherweise bedeutender sekundärer Energieträger aufgeführt (Näheres in Kap.8).
G'ewrnnung, C/m~~and/ung und Tran~portsind mit Kosten, Verlusten und Um-
weltbelastung verbunden.
Forderung und Transport belasten unter normalen Umständen und professioneller
Handhabung die Umwelt nur wenig, können aber bei Kriegshandlungen und Unfällen
mit fossilen und nuklearen Brennstoffen zu schwersten Umweltbelastungen fuhren.
Als Beispiele seien erwähnt: Tankerunfalle, Sabotage und Brände von Förderanlagen
sowie von Öl- und Erdgas-Pipelines, Unfalle beim Transport radioaktiver Brenn-
elemente.
Bei der IJmwandlung ist vor allem die ständige Umweltbelastung durch die Ver-
brennung fossrler Brennstoffe schwerwiegend (Verbrennungsprodukte, klimaschädi-
gendes CO,). Weitere punktuelle Quellen der Umweltbelastung können Unfalle in
Kernkraftwerken, Öltankanlagen und Raffinerien sein.
Ferner ist die Umwandlung der Wärmeenergie fossiler und nuklearer Brennstoffe
in mechanische bzw. elektrische Energie aus thermodynamischen Gründen mit hohen
Abwarmeverlusten verbunden (Abschn. 5.1 - 5.3). Mit entsprechenden Investitionen
ist es möglich, diese Wärme teilweise zu nutzen (Wärmekraftkopplung, Abschn. 5.4).
Als Endenergre oder Endverbrauch bezeichnet man die dem Verbraucher zur
Verfugung stehende Energie. Natm~aleEnergrestalrstlken beziehen sich in der Regel
aufden Endverbrauch undloder Primärenergie bzw. Bruttoverbrauch (Def. s. Abschn.
1.3.2). Entsprechende Zahlen unterscheiden sich erheblich auf Grund der bei der
Umwandlung und beim Transport entstehenden Verluste, zu denen auch der Eigenver-
brauch des Energiesektors gerechnet wird. Die Um~vandlung~sverluste sind sehr hoch
Tran~portverhteergeben sich in erster Linie bei der Übertragung und Verteilung der
elektrischen Energie, in der Schweiz z.B. mit einem Gesamtwirkungsgrad von 93%,
wobei der größte Teil der Verluste im Verteilnetz entsteht.

1.I.2 Nutzprozesse
Die Endenergie wird von den Energieverbrauchern (Haushalten, Industrie, Dienst-
leistungsbetrieben, Gewerbe, Landwirtschaft, Verkehr) durch Nutzprozesse in Nutz-
energie umgewandelt, hauptsächlich in Wurme, mechanische Arbeit und Licht (Abb.
1.1). Ein kleiner Teil wird in Endprodukten in Form chevliischer Energie gespeichert
(Stahl, Aluminium usw.). Mengenmäßig spielt diese, zumindest in der Schweiz, eine
untergeordnete Rolle. Wenig Gewicht, dies dürfte sich aber in Zukunft etwas ändern,
hat auch die Informations- und Unterhaltungsenergie (für Computer, Freizeitelek-
tronik und Kommunikation) [ I .20].
Nutzprozesse haben sehr unterschiedliche Wirkungsgrade. Während z.B. in einem
elektrischen Heizgerät Elektrizität zu 100% in Wärme umgewandelt wird, können
durchschnittlich nur Ca. 20% der Energie des Benzins in einem heutigen Auto als
1.1 Grundbegriffe, geschichtlicher Rückblick 5

mechanische Arbeit verwertet werden, und eine normale Glühbirne wandelt gar nur
Ca. 5% der elektrischen Energie in Licht um (wobei allerdings die Restenergie,
zumindest im Winter, in Gebäuden als Heizenergie nicht verloren ist). Die Nutz-
Prozesse sind also z.T. mit großen Energieverlusten verbunden; der mittlere Wir-
kungsgrad ist z.B. in der Schweiz 1997 auf 56% geschätzt worden [1.20]. Die
Verbrennung der fossilen Brenn- und Treibstoffe ist außerdem wegen der Gas-
emissionen lokal und glohal (Erzeugung von CO,) in hohem Maße umweltbelastend
(Abschn. 1.7).

1.1.3 Geschichtlicher Rückblick


Die Verwendungszwecke der Endenergie haben sich seit den Anfangen der Mensch-
heitsgeschichte nur wenig und langsam verändert. Lediglich die Auswahl von Energie-
trägern ist viel größer, und die Techniken der Energieumwandlung und -nutzung sind
vielfältiger, effizienter und bequemer geworden.
Mechanische Arbeit
Heute wie früher wird mechanische Arbeit für die Beschaffung und Erzeugung von
Gütern und die Erbringung von Dienstleistungen sowie den Transport von Gütern und
Personen verwendet. Menschliche und tierische Muskelarbeit waren in fast allen
frühen Gemeinschaften, bereits für die Jäger- und Sammlervölker und noch ausgepräg-
ter für die Ackerbauern, die Voraussetzung für das Überleben. Stadtzivilisationen
konnten im Altertum nur dank der Sklavenarbeit bestehen und sich weiterentwickeln.
Im Laufe der Zeit gelang es, durch zahlreiche mechanische Erfindungen wie Rad und
Hebel später mechanische Maschinen aller Art, die Muskelkraft wirksamer ein-
zusetzen und die Produktivität zu erhöhen, ebenso die Naturkräfte Wasser und Wind
nutzbar zu machen (Wasser- und Windrad, Segelschiffahrt), d.h. neue Energiequellen
zu erschließen. Viel später, erst im Laufe des 18. Jh., begann man Muskelarbeit durch
leistungsfähigere Dampfmaschinen zu ersetzen. Ab Ende des 19. Jh erlaubten Elektro-
motoren die Produktivität stark zu steigern und im 20. Jh. Verbrennungsmotoren die
Mobilität sehr stark zu erhöhen.
Wärme und Licht
Heute wie früher dienen Warme und Licht dem Schutz vor Kälte, der Ernährung, der
Erhöhung der Sicherheit, der Verbesserung der Arbeitsbedingungen, dem Wohlbefin-
den des Menschen und damit der Entfaltung kultureller Tätigkeiten. Energiequellen
waren zunächst Holz, Pflanzenabfalle und getrockneter Dung. Heißwasserquellen
wurden schon im Altertum genutzt. Kohle kam erst Ende des 17. Jh. und nur zögernd
dazu, Erdöl, Erdgas und Elektrizität wurden erst im 20. Jh. in großem Umfang für die
Wärineerzeugung eingesetzt.
Wärme meist hoher Temperatur wurde ferner für die Produktion von Gütern
eingesetzt (Metalle, Tonwaren, Schmuck- und Kunstgegenstände). In diesem Zu-
sammenhang spricht man heute von industrieller und gewerblicher Prozess~~arme (im
Gegensatz zur Koch- und Komfortwarme).
6 1 Energiewirtschaft und Klimawandel

Zusammenfassung
Die Struklur der Energiebereitstellung und -nutzung änderte sich während Jahr-
tausenden nur wenig, bis die Erkenntnisse der Naturwissenschaft ab Ende des 18. Jh
das technische Zeitalter einleiteten. Ansätze dazu gab es bereits in der Antike und im
Mittelalter. Aber erst in neuerer Zeit wurden revolutionäre technische Hilfsmittel für
die mechanische Nutzung der Brennstoffwärme erfunden (Dampfmaschine, später
Verbrennungsmotoren). Es gelang, neue (sekundäre) Energieträger wie Stadtgas, und
Elektrizität zu erzeugen und kapillar zu verteilen. Besonders die Elektrii~lutverein-
fachte und forderte die Energienutzung in einem bis dahin kaum gekannten Ausmaße
und ermöglichte zusammen mit der Kohle die industrielle Revolution. Zur Erzeugung
von Elektrizität errang die Wasserkraft in vielen Ländern große Bedeutung. Die
Kohle, zunächst wichtigster primärer Energieträger, wurde nach dem Zweiten Welt-
krieg, also in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, mehr und mehr durch das Erdol
ersetzt, behält aber in vielen Ländern eine vorrangige Stellung für die Elektrizitäts-
produktion. Schließlich gelang es, neue primäre Energiequellen wie Erdgas und
Kernspaltung zu erschließen und zu nutzen.
Die Struktur der Energiewirtschaft wandelte sich im Laufe eines Jahrhunderts
grundlegend. Muskelkraft von Mensch und Tier werden auch heute noch eingesetzt
(Beispiel: das Fahrrad als Transportmittel), doch werden sie als nichtkommerzielle
Energie von den energiewirtschaftlichen Statistiken nicht erfasst. Wind- und Wasser-
kraft werden nur soweit berücksichtigt, als sie zur Produktion von Elektrizität beitra-
gen.

1.I.4 Perspektiven und Probleme


Der zivilisatorische Prozess des 20. Jh. wäre ohne billige Energie wesentlich
langsamer vor sich gegangen. Der Energieeinsatz der lndustriegesellschaften stieg im
Laufe dieses Jahrhunderts auf mehr als das Zehnfache. Er befreite den Menschen von
der Last schwerer körperlicher Arbeit und trug entscheidend zu einem bis dahin
unvorstellbaren Massenwohlstand bei. Obwohl dieser Prozess vorerst nur einen Teil
der Welt erfasst, wurden damit die Grundlagen für eine weltumfassende Verbesserung
der materiellen Lebensbedingungen gelegt.
Wesentliches Element dieses Fortschritts war zunächst die Mechanisierung der
körperlichen Arbeit, später deren Ersatz durch die Automatisierung. Damit verbunden
sind eine rasche Änderung der sozialen Strukturen und eine fortschreitende Intellek-
tualisierung der Arbeit im allgemeinen. Die dadurch entstehenden sozialen Probleme
stellen eine Herausforderung für die sozioökonomische Ordnung auch der entwickel-
ten Welt dar und lassen sich nicht allein durch eine oft unbedachte Globalisierung
lösen. Weitere Schattenseiten dieser Entwicklung traten in den letzten Jahrzehnten
durch die Uberbeun~~ruchung und Verg@ng der Biosphäre und durch die Be-
drohung der Klimustabilität zu Tage.
Im Rahmen der politischen Forderung nach sozialer undökologischer Nachhallig-
keit wird versucht, dies zu korrigieren. Der Beitrag der Energiewirtschaft besteht in
der Verwirklichung einer die Umwelt so wenig als möglich belastenden Energie-
bereitstellung und einer urnweltvertrüglichen Energienutzung (Abschn. 1.6 und 1.7).
Von großer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang die ralionelle Nutzung der
Energie, d.h. die Verbesserung der Wirkungsgrade aller Prozesse.
1.2 Verfügbarkeit der Primärenergie 7

1.2 Verfügbarkeit der Primärenergie


Alle in Abb. 1. I aufgeführten primären Energieträger können letztlich auf die zwei
im Universum auftretenden Hauptformen, Gravitations- und Kernenergie, zurück-
geführt werden, wie in Abb. 1.2 dargestellt, wobei die zweite die viel wichtigere ist.
Die primären Energieträger lassen sich in zwei große Klassen einteilen, die im
Folgenden besprochen werden:
- nicht erneuerbare Energien: fossile und nukleare Energieträger,
- erneuerbare Energien: Gezeitenenergie, geothermische Energie und
vor allem direkte und indirekte Solarenergie.
Tabelle 1.I zeigt die Energieinhalte wichtiger Energieträger. Da in der Literatur
verschiedene Einheiten verwendet werden, sind Umrechnungsfaktoren angegeben.
Tabelle 1.1. Energieinhalte von Energieträgern (mittlere Werte [ I .3])
und Umrechnungsfaktoren

Erdöl 1 0 000 kcalikg


Stcinhohlc 6 700 kcallkg
Braunkohle 4 800 kcallkg
Holz 3 600 kcallkg
Kehricht 2'840 kcalikg
Erdgas 8 660 kcalini'
Gas aus Kohle und
Erdöl (Stadtgas) 4 200 kcal/ni3
Uran 235 20 Tcalikg

Gravitations-
energie

I
1 1 Kernenergie 1

~ ~ erneuerbar

mit kurzer
I L
erneuerbar
nicht

sehr lange
/ Erdwarme
(geothermische
Energie)

Zeit- Zeit- Zeit-


verzogerung verzogerung verzogerung

Solar- Umgebungs- fossile


Strahlung warme Energietrager
Wasserkraft (Kohle, Erdol,
Biomasse Erdgas)
(u.a Holz. orga-
nische Abfalle)
Wind. Wellen
Meeresstromunger

Abb. 1.2. Ursprung der verfugbaren Primärenergiearten


8 1 Energiewirtschaft und Klimawandel

1.2.1 Nicht erneuerbare Energien


1.2.1.1 Zukünftige Nachfrage
Kohle, Erdöl, Erdgas und Spaltstoffe (Uran, Thorium) sind nicht erneuerbare Ener-
gien. Der Fusionsprozess konnte noch nicht realisiert werden (Kap. 9). Im Jahre 2004
stammten Ca. 87% des Primärenergiebedarfs aus nicht erneuerbaren Energien.
Entsprechend den IEA-Szenarien (IEA = Internationale Energie Agentur) wird dieser
Anteil bis 2030 nur gerinfügig zurückgehen: auf 86% gemäß Referenz-Szenario und
auf 84% gemäß Alternativ-Szenario (Abb. 1.3, mehr Details in Abschnitt 1.5)
Primärenergiebedarf ,weltweit
1 TW = 753 Mtoela

~emknergie
rn
andere erneuerbare

2004 2030. IEA Rehreiu 20iH). IEA AIknativ


Kohle

Abb. 1.3. Weltenergiebedarf (Primärenergie)2004 und 2030, gemäß Referenz- und


Alternativszenario der IEA [ I . 101

Nimmt man beispielsweise an, der mittlere Energiebedarf von 15 TW im Jahre 2004
nähme bis 2050 linear auf 25 TW zu, ergäbe sich während dieser Zeitspanne ein
kumulierter Energiebedarf von 920 TWa. Es stellt sich die Frage nach den Reserven
und Ressourcen an erschöpflichen Energieträgern, ob und wie diese in der Lage sind,
etwa 85% dieses Bedarfs, also rund 780 TWa zu decken. Diese Menge würde sich
gemäß den IEA-Szenarien (Abb. 1.3) folgendermaßen verteilen: Kohle: 230 TWa,
Erdöl: 280 TWa, Erdgas: 2 10 TWa, Uran: 60 TWa.

1.2.1.2 Reserven und Ressourcen


Als Reserven werden nachweisbare Vorkommen bezeichnet, die mittels heutiger
Technologien zu heutigen Marktpreisen genutzt werden können. Ressourcen sind
Vorkommen, die nachgewiesen, aber derzeit nicht wirtschaftlich gewinnbar sind, oder
solche, die vermutet und „wahrscheinlich in Zukunft entdeckt undloder mit künftig
entwickelten Technologien genutzt und zu Preisen, die dann üblich sind, verkauft
werden" [I .22]. Die Größe der Reserven und Ressourcen wird laufend nach oben
revidiert, wobei je nach Statistikverfasser Unterschiede in der Beurteilung fest-
zustellen sind (Tabelle 1.2). Ressourcen nehmen zu durch Forschung und Prospekti-
on, die zu einer besseren Kenntnis unseres Planeten fuhren. Ressourcen werden zu
Reserven, wenn neue wirtschaftlich abbaubare Lagerstätten entdeckt werden, jedoch
auch durch Technologiefortschritte oder höhere Marktpreise.
1.2 Vcrrugbarkeit der Primärenergie 9

Tabelle 1.2. Reserven und Ressourcen fossiler und nuklearer Energieträger. Die
Dauer der Reserven basiert auf die konventionellen Reserven 2006 [BP, BGR] und
auf dem mittleren Verbrauch der Periode 2004-2030 (mittlere Vorhersage IEA).
Quellen: ":[I. I] und [1.8]. ':[I .5]), [1.23], [1.26], [OECDIIAEA]
C C

Reicrveii Reser- Keservcn Reserven Res- Reich-


1980 ' ven 1998 ' 1997 " 2006" sour- weite
cen i n Jahre
[IWa] 1990' 1996"
[TWal 2006 d der Re-
ITwa] LTWa] serven
[TWal konv

Crdol honvent 1 18 181 1 85"1203b 2 16 109 36


Erdol unkonv 19 68 1 80b 88 332

Erdgas konv. 89 142 170"/ 161' 219 250 48


Erdgas unkonv. 4' 1852

Kohle 647 1005 878" 842'1676 8101 135

Uran 39 61 63" 85 98 65

Die Zahlen der Tabelle 1.2 zeigen, dass mittelfristig dank der Kohle keine globale
Knappheit droht. Der kritischste Energieträger ist das Erdöl. Der sogenannte "mid
depletion point" (der dem Fördermaximum folgt und ab welchem eine Produktions-
erhöhung nicht mehr möglich ist) ist das Datum, an welchem die Hälfte der Reserven
bereits verbraucht ist; es wird von den meisten Experten für 2025-2030 erwartet. Ab
diesem Datum ist mit einem starken Anstieg des Preises zu rechnen. Beim Erdgas ist
die Lage ähnlich mit dem Unterschied, dass die Reserven größer sind und der kriti-
sche Punkt erst 2040-2050 erreicht sein wird. Bleibt die Möglichkeit, Kohle in
flüssige und gasförmige Brennstoffe umzuwandeln und der Technologie zur Trennung
und Speicherung (Sequestration) des entstehenden CO,. Die entsprechenden indu-
striellen Verfahren befinden sich aber noch in der Entwicklungs- und Testphase. Die
technischen, ökonomischen und ökologischen Perspektiven sind deshalb noch
ungewiss. Alles in allem scheint es sinnvoll und nachhaltig zu sein, auch aus der Sicht
der Reserven, den weltweiten Verbrauch fossiler Energien schneller zu reduzieren als
es die IEA-Studien vorsehen (s. dazu auch Abschn. 1.7).
Die Uranreserven sind für einen Grenzpreis von 130 $/kg berechnet worden. Die
Grenze ist aber ziemlich elastisch, da die Urankosten den Preis der vom Kernkraft-
werk gelieferten elektrischen Energie nur wenig beeinflussen. Der kritische Punkt
dürfte, wenn die von der IEA vorgesehene bescheidene globale Zunahme der Kern-
kraftwerkleistung eintrifft, relativ spät gegen Ende des Jahrhunderts erreicht sein. Der
Spielraum für eine erhebliche Substitution fossiler Brennstoffe ist aber trotzdem nicht
vorhanden, es sei denn, man fuhrt alternative Konzepte ein (4. Generation: Brüter-
technologie, Hochtemperaturreaktoren und Thorium, s. Abschn. 5.6).
10 1 Energiewirtschafi und Klimawandel

1.2.1.3 Etlzisclze Aspekte und Umweltsclzutz


Die Frage nach der Geschwindigkeit, mit der diese Reserven abgebaut werden dürfen,
lässt sich aus rein ökonomischer Sicht gut beantworten (Hotelling-Regel und weitcrc
Aspekte, s. z.B. [I 31). Dazu kommen ethische Erwägungen und Umweltaspekte:
- Aus ethischer Sicht muss gefragt werden, ob es zulässig ist, diesen Energievorrat
der Menschheit, aufden spätere Generationen angewiesen sein könnten (Notvorrat,
Rohstoffe) innerhalb von zwei oder drei Jahrhunderten radikal abzubauen. Dieser
Aspekt ist insofern zu relativieren, als wir heute nicht wissen, ob überhaupt spätere
Generationen auf diese Energie angewiesen sein werden oder nicht. Ist aber diese
Haltung wirklich verantwortungsvoll?
- Die schädlichen Auswirkungen der CO2-Emissionenauf das Klima, durch wissen-
schaftliche Studien (z.B. IPCC) erhärtet, rechtfertigen eine politische Intervention
auf globaler Ebene, um den CO2-Ausstoß drastisch zu reduzieren (Abschn. 1.7).
Aus heutiger Sicht ist es vor allem der zweite Aspekt, der dringend nahelegt, die
ökonomische Betrachtungsweise durch Internalisierung der externen Kosten auch
zukünftiger Klimaschäden zu korrigieren.

1.2.2 Erneuerbare Energien


Erneuerbare Energien (Abb. 1.4) sind naturliche Energiestrome bestimmter Größe,
die mit Einsatztechnischer Mittel und mit einem bestimmten ökonomischen Aufwand
angezapf werden können. Die meisten Energien sind nicht überall, sondern nur an
günstigen Orten verfügbar bzw. wirtschaftlich ausbeutbar. Die einzelnen Energien
werden bzgl. ihrer Verfugbarkeit im Folgenden besprochen.

1.2.2.1 Gezeitenenergie
Die Gravitationsenergie steht uns in Form von Gezeitenenergie zur Verfügung. Die
Gezeitenreibung beträgt ca. 2.5 TW (d.h. die Rotationsenergie der Erde wird jedes
Jahr um 2.5 TWa reduziert). Davon werden aber nur 9% als wirtschaftlich nutzbar
eingeschätzt [I .23]. Für eine wirtschaftliche Nutzung muss der Tidenhub mindestens
6 m betragen. Demzufolge spielt die Gezeitenenergie im Zusammenhang mit dem
künftigen Weltenergiebedarf (> 25 TW) kaum eine Rolle. Näheres z.B. in [ I . 151,
[l.l6], [ l . B ] .

1.2.2.2 Geothermische Energie


Der mittlere natürlichc Wärmcfluss ist sehr klein (ca. 0.06 WIm2). Er stammt zu 30%
aus der Restwärme des Erdkerns und zu 70% aus dem Zerfall radioaktiver Isotope in
der Erdkruste. Der thermische Gradient ist im Mittel 1 "C alle 30 m. Es sind also vor
allem die geothermischen Anomalien (Vulkanismus, Geyser), die wirtschaftlich
genutzt werden können. Im Jahr 2005 war weltweit eine Leistung von Ca. 28 GW
installiert, wovon 17 GW thermisch (wichtigste Länder: China, USA, Schweden,
Island) und 9 GW elektrisch (wichtigste Länder: USA, Philippinen, Indonesien,
Mexico, Italien), mit einer Jahresproduktion (mittlere Leistung) von 6.6 bzw. 6.5 GW.
Es handelt sich fast ausschließlich um hydrothermale Nutzung (heiße Quellen). In
Zukunft könnte auch das Hot-Dty-Rock-Verfahren [ I . 141, [I .24] an Bedeutung
gewinnen.
1.2 Vcrlugbarkeit der Primärenereie 11

Bei der geothermischen Energie handelt es sich um eine erneuerbare Energie,


allerdings über relativ lange Zeiträume (Jahrzehnte bis Jahrhunderte), so dass auch
kurz- bis mittelfristig nutzbare Ressourcen angegeben werden. Die hydrothermalen
Ressourcen an Hochenthalpie-Vorkommen, > 150"C, die zur Stromproduktion
genutzt werden können, betragen Ca. 30 TWa, und die Niederenthalpie-Vorkommen
für die Wärmenutzung etwa 3200 TWa. Was davon als Reserven bezeichnet werden
kann, lässt sich aus heutiger Sicht nicht quantifizieren [I S I . Vermutlich kann die
installierte Leistung weltweit total bis auf 2 TW installierte Leistung gesteigert
werden (ca. das 100fache des heutigen Wertes), was etwa 5 - 10 % der in Zukunft
weltweit benötigten Energie decken würde. Dieser Anteil könnte aber dank der
Wärmepumpe bedeutend größer sein. In einigen Ländern ist der Beitrag der geother-
mischen Energie sehr wichtig.

1.2.2.3 Solarenergie
Die Solarenergie ist die einzige erneuerbare Energie, die bereits heute in Form von
Wasserkraft und Biomasse einen wesentlichen Beitrag zur Deckung des Welten-
ergiebedarfs leistet (2004 Ca. 2 TWa [ l ,121).
Das Angebot an Solarstrahlung übersteigt um mehr als das 10'000fache den
heutigen Weltenergiebedarf und ist als einziges in der Lage, in der postfossilen Ära
evtl. zusammen mit der Kernfusion die Energiebedürfnisse der Menschheit zu decken.
Die Probleme bei der direkten Nutzung der Solarstrahlung sind wirtschaftlicher Natur
und auf ihre geringe Dichte zurückzuführen.
Wie in Abb 1.4 veranschaulicht, beträgt der Fluss an Solarstrahlung rund 173'000
TW. Von dieser Energie werden 52'000 TW direkt ins Weltall als kurzwellige
Strahlung zurück reflektiert, während 12 1'000 TW von der Erde absorbiert, umge-
wandelt und, da sich die Erde im thermischen Gleichgewicht befindet, schließlich in
Form langwelliger Wärmestrahlung an das Weltall wieder abgegeben.

Solarstrahlung
173'000 TW
direkte
Reflexion
52'000 TW I 1 ~ langwellige Reflexion
(Warmestrahlung)
121'000 TW

Umweltwärme
81'000 TW

Wettermaschine
--

Wind, Wellen 400 TW


7

Photosynthese 40 TW

Abb. 1.4. Solarenergiebilanz der Erde


12 1 Energiewirtschaft und Klimawandel

Die absorbierte Strahlung wird zu etwa zwei Drittel als Niedertemperaturwurme


in Luft, Wasser und Erde gespeichert und kann als solche z.B. mit Wärmepumpen
genutzt werden.
Das restliche Drittel hält die Wettermaschine durch die Wasserverdunstung sowie
Druck- und Teinperaturunterschiede in Gang; die Energie tritt auf als potentielle
Energie (Wassergehalt der Wolken, Fließgewässer und Gletscher) und als kinetische
Energie (Winde, Meeresströmungen, Wellen).
Nur ein Bruchteil von ca. 40 TW wird durch die Photosynthese absorbiert, welche
Biomasse erzeugt und das Leben auf der Erde ermöglicht.
Auf Grund ihrer Bedeutung sei das Potential und die Nutzung der Solarenergie
näher besprochen.

1.2.3 Potential und Nutzung der wichtigsten Solarenergiearten


Es wird unterschieden zwischen:
der indirekten (verzögerten) Nutzung von
- Umgebungswärme (vor allem mit der Wärmepumpe)
- Wasserkraft (mit Wasserkraftwerken)
- Wind-, Wellenkraft und Meeresströmungen (vor allem mit Windkraftwerken)
- Biomasse (Holz, Pflanzen, organische Abfalle) und

der direkten (unverzögerten) Nutzung von


- Solarstrahlung (Solararchitektur, Kollektoren, Photovoltaik).

1.2.3.I Wärmepumpe
Die Wärmepumpentechnik ist eine ausgereifte Technik zur Nutzung der Nieder-
temperaturwärme. Sie erlaubt die Anhebung der Temperatur auf Werte, die für
Heizungs- und Warmwasserbereitungszwecke genügen. Als Wärmequellen kommen
Luft, Grundwasser, Oberflächenwasser und das Erdreich in Frage. Die Wärmepumpe
ermöglicht die Nutzung der Umgebungswärme, Abfallwärme und auch geother-
mischer Wärme, wenn die Wärmefassung 100-150 In tief ist.
Sie ist die reifste Technik für Niedertemperaturanwendungen zur Substitution
fossiler Brennstoffe durch Solarwärme und geothermische Wärme. Das Potential an
Umweltwärme ist enorm, wie in Abb. 1.13 gezeigt. Die Verbreitung der Wärmepum-
pe wird vor allem durch billige fossile Brennstoffe behindert. Auch die Tatsache, dass
ca. ein Drittel der produzierten Wärme aus hochwertigen Energieträgern (Elektrizität
oder Gas) gewonnen werden muss, wirkt in Ländern mit hohem Anteil an Elek-
trizitätsproduktion aus fossilen Brennstoffen bremsend. Für Näheres über Wärme-
pumpen s. Abschn. 5.9.

1.2.3.2 Wasserkraft
Das Potential aller Fließgewässer der Welt wird auf ca. 6 TWa geschätzt (mittlere
Leistung), wovon ca. 1-1.5 TWa einer wirtschaftlichen Nutzung zugänglich sind.
[ I .23]. Effektiv genutzt werden (2005) weltweit 0.334 TWa (Hydroelektrizität). Das
Entwicklungspotential liegt vor allein in den Entwicklungsländern, aber auch im
Norden (Grönland, Kanada). Der Beitrag der Wasserkraft zur Deckung des Elek-
1.2 Verfügbarheit der Primärenergie 13

trizitatsbedarfs war 2004 weltweit 1696, in den OECD-Ländern 13% , in der EU-1 5
14%, in Deutschland 4%, in Österreich 59%, in der Schweiz 56% und in Norwegen
99%. Die Nutzung der Wasserkraft wird ausführlich in Kap. 4 behandelt.

1.2.3.3 Wind- und Meereskraft


Die Nutzung der Windkraft ist in einigen Ländern mit günstigen Windverhältnissen
sehr fortgeschritten (Deutschland, Spanien, USA, Dänemark) und die entsprechende
Technik ausgereift. Die Wirtschaftlichkeit hängt von der Intensität und Regelmäßig-
keit des Windangebots ab. Mittlere Windgeschwindigkeiten von mind. 5-6 mls sind
dazu notwendig. Diese sind vor allem in Küstenregionen und einigen Bergregionen
anzutreffen. Nimmt man an, dass weltweit 2-3%0der Wind- und Wellenenergie (400
TWa nach Abb. 1.4) wirtschaftlich genutzt werden kann, erhält man 1 TWa; wahr-
scheinlich kann man mehr nutzen. 1996 betrug die installierte Windkraftwerks-
Leistung weltweit 6 GW [I .23], konnte aber bis 2001 auf 20 GW gesteigert werden
[1.27] und erreichte Ende 2005 59 GW (was einer Zuwachsrate von 30%/a ent-
spricht). In 2006 hat inan bereits eine Leistung von 75 GW erreicht (wovon 20 GW
in Deutschland), was einer Energie von etwa 12 GWa entspricht (Nutzungsfaktor
0.16). Die "Offshore" Installationen (Windenergienutzung im Meer) haben einen
deutlich besseren Nutzungsfaktor). In Dänemark ist es vorgesehen, bis 2030 die
Hälfte der elektrischen Energie von 3.6 GWa mit Windenergie zu decken, vor allem
mit Offshore. In Frankreich rechnet man mit 23 GWa Windenergie in 2040. Über die
Technik der Windenergienutzung zur Erzeugung elektrischer Energie steht Näheres
in Kap. 6.
Über mögliche Nutzung der Wellen und Meeresströmungen s. [I .29].

1.2.3.4 Biomasse
Definition. Unter Biomasse werden Stoffe organischer Herkunft verstanden, also die
Masse von Lebewesen und organischen Abfallstoffen (unter Ausschluss fossiler
Brennstoffe).
Potential. Die gesamte Biomasse auf der Erde wird auf rund 450 TWa geschätzt
[I ,241 (1 TWa = 3 1.5 EJ), bei einem mittleren Heizwert von rund 3600 kcallkg
(bezogen auf absolut trockene Biomasse). Wichtig ist vor allem der Zuwachs von
rund 60 TWda. Der Umwandlungswirkungsgrad der Solarstrahlung liegt durch-
schnittlich bei 0.14%, ist aber für Wälder und Süßwasser höher (ca 0.5%) und am
höchsten für tropische Wälder (bis 0.8%). Chemisch gesehen besteht die Biomasse
zu 82% aus Polysacchariden (Zellulose und Hemizellulose) und zu 17% aus Lignin
(Holzstoff) [ I . l SI.
Nutzung. Das für die energetische Nutzung technisch verwertbare Potential an
Biomasse in Form von Brenn- und Treibstoffen wird auf rund 6 TW geschätzt. Davon
wären bei einer Weltbevölkerung von 10 Mrd. Menschen rund 2 TW aus Abfallen zu
gewinnen. Biomasse stellt also eine der wichtigen Energiereserven der Menschheit
dar, die etwa 25% des künftigen Bedarfs decken könnte. Die gegenwärtige Nutzung
(zum großen Teil nichtkommerzielle Energie) dürfte (2005) bei 1.6 TW liegen. Die
Verbrennung der Biomasse ist nur dann CO7-neutral, wenn die Wiederaufforstung
gesichert ist.
14 1 Energiewirtschaft und Klimawandel

Teclztzisclze Verfaliren Zur Nutzung (Näheres z.B. in [1.15], [1.24]:


- Physikalische Biokonversion: Dazu gehört die Verdichtung zu Biobrennstoffen
(Torf, Stroh, Holzabfalle + Briketts) und dic Extraktion von Ölen (Raps, speziel-
le Ölpflanzen + Dieseltreibstoft). Werden Ölpflanzen in großem Ausmaß kulti-
viert, muss vor der Gefahr von Monokulturen statt Artenvielfalt gewarnt werden.
- Thermochemische Biokonversion: Insbesondere erwähnt seien die direkte
Verbrennung (vor allem von Holz) offen oder in Öfen, die Vevgasung/Verflus-
sigung mittels Pyrolyse, d.h. die thermische Zersetzung hochmolekularer Stoffe
(auch von Altstoffen, z.B. Müll, Altreifen, Kunststoffen usw.) zu kleinmolekularen,
und die Melhanolsynthese (zur Treibstofferzeugung).
- Biologische Biokonversion: Es handelt sich um Niedertemperaturverfahren mit
Hilfe von Mikroorganismen (Gärverfahren). Dazu gehören die Biogasgewinnung
und die Erzeugung von Alhanolaus zuckerhaltigen Pflanzen (Zuckerrohr), das z.B.
in Brasilien in großem Ausmaß zur Treibstofferzeugung eingesetzt wird.

1.2.3.5 Solarstrahlung
SpeziJisches Angebot an Solarenergie
Werden die ankommenden 121'000 TW (Abb. 1.13) auf die Oberfläche der Erde
gleichmäßig verteilt, erhält man für eine horizontale Fläche:

mittlere Jahresleistung =
12' 'OoTW = 237 wlm2
510. 106 km2
Bezieht man sich nur auf die Tagesstunden (12 statt 24 h), ergibt sich eine doppelte
mittlere Tag-Jahresleistung von 474 W/m2. Diese Zahlen stimmen für eine mittlere
Breite bei klarem Wetter und auf Meereshöhe. Der effektive Mittelwert hängt außer
von der geographischen Breite auch vom Klima ab. In Mitteleuropa (oft bedeckt oder
neblig) ist eher mit der halben mittleren Jahresleistung von 120 W/m2 zu rechnen.
Wird die mittlere Jahresleistung mit 8760 hla multipliziert, erhält man
mittlere Jahresenergie = 237 Wlm2 * 8760 hla = 2076 kWhla m 2 .
Diese Jahresenergie ist in mittleren Breiten aus den erwähnten Gründen nicht er-
reichbar, da dies nur bei ständiger Sonnenscheindauer möglich ist. Der Wcrt wird
überschritten (bis über 2200 kWh/a m2)in Äquatornähe und bei Wüstenklima (Saha-
ra, Arizona, Australien usw.).
Dichte der Solarstrc~hlung(Globalstrahlung)
Der Erdquerschnitt ist Ca. 127-106km2.Außerhalb der Atmosphäre ergibt sich

Extraterrestrische Struhlungsdichte = 173L)00 = 1360 wlm2 .


127. 106 km2
Diese Größe wird auch als Solurkonstunte bezeichnet. An der Erdoberfläche (Mee-
reshöhe) ist die Strahlungsdichte (ohne Reflexionen!) auf einer zur Strahlung senk-
rechten Flache:

Strahlungsdichte auf Meereshöhe = 121 '00 TW = 950 wlm2 .


127. 106 km
1.2 Verfuebarheit der Primärenereic 15

In der Schweiz rechnet man i.d.R. mit 1000 W/m2. Diese Globalstrahlung enthält
einen direkten und einen diJJsen Anteil (diffuse Himmelstrahlung). Der diffuse
Anteil ist unter mitteleuropäischen Klimaverhältnissen bedeutend (s. auch Abschn.
7.4.7).
Diese Zahlen zeigen einerseits, dass das Potential an Solarstrahlung praktisch
unbegrenzt ist, machen aber andererseits die Schwierigkeiten deutlich, die einer
wirtschaftlichen Nutzung der Solarstrahlung entgegenstehen. Deren wichtigste
Nutzungsarten sind nachfolgend aufgeführt:
Solururcltitektur
Durch ein sonnengerechtes Bauen kann der Bedarf an Heizenergie stark gesenkt
werden. Diese Möglichkeit sollte weit mehr als bisher genutzt und gefordert werden.
Für Näheres sei auf die Spezialliteratur verwiesen sowie auf [I .9], [I. 141.
Fluclrkollektoren
Flachkollektoren sind in der Lage, direkte und diffuse Strahlung zu nutzen. Die
Wärme wird an einen Wärmeträger (i.d.R. Wasser mit Frostschutzmittel) abgegeben.
Hohe Wirkungsgrade werden bei Niedertemperaturanwendungen erreicht (bis 70%
bei Freibaderwärmung, bis 60% bei Warmwasserbereitung, hingegen nur40- 50% bei
Raumheizung), d.h. der Wirkungsgrad hängt stark von der Nutzungstemperatur ab.
Solche Wirkungsgrade gelten allerdings nur bei voller Einstrahlung und sinken
überproportional bei schwächerer Einstrahlung. Für Freibadenvärmung und Warm-
wasserbereitung (vor allem im Sommer) sind heute Kollektoren wirtschaftlich
(Näheres s. [I .9], [I. 151, [I, 141).
Konzentrierende Kollektoren
Mit Parabolspiegeln (Parabolzylinder oder Paraboloide) wird die direkte Strahlung
konzentriert (die diffuse kann nicht genutzt werden). So werden hohe Temperaturen
erreicht, die zur Erzeugung von Prozesswärme und Elektrizität genügen. Die Spiegel
müssen allerdings der Sonne nachgeführt werden. Als Wärmeträger wird meist ein
Spezialöl verwendet. Anwendungsbeispiele sind Solarkochherde für Entwicklungs-
länder, Solarfarmen zur Produktion von industrieller Wärme und von Elektrizität
(solarthermische Kraftwerke) mittels üblichem Dampfprozess [ I . 151, [I .2 I].
Mit Parabolzylindern (Parabolrinnen) werden Temperaturen von 100-400°C
erreicht. Das Wasser wird in einem im Brennpunkt der Parabel liegenden Rohr
erhitzt. Für höhere Temperaturen werden teurere Paraboloide oder Heliostaten
eingesetzt, die sowohl zur Elektrizitätsproduktion als auch zur Durchfuhrung che-
mischer Prozesse [I .24] dienen.
Solurtlr ermisclte Kraflwerke
Zur Produktion von Elektrizität kann man Parabolrinnen, für größere Leistungen
Solarturmanlagen einsetzen: mit Hilfe von Flachspiegeln, die der Sonne zweiachsig
nachgeführt werden (sog. Heliostaten), wird die Strahlung auf die Spitze eines Turms
konzentriert. Hier befindet sich ein Strahlungsempfänger (Receiver), der die Wärme
aufein Arbeitsmedium (z.B. Dampf, Helium, flüssigesNatrium )überträgt. Es werden
Temperaturen zwischen 500 und 1200°C erreicht [ l . 151. Damit können Dampf- oder
Gasturbinen angetrieben werden, die Elektrizität auf konventionelle Art produzieren.
16 1 Energiewirtschaft und Klimawandel

Solarthermische Kraftwerke eignen sich vor allem für Gebiete mit großer Sonnen-
scheindauer und klarem Himmel, da sie die diffuse Strahlung nicht nutzen können.
Verschiedene Pilotanlagen sind weltweit in Betrieb [1.9], [1,21]. Zwei 50 MW
Kraftwerke sind in Spanien im Bau und etwa 300 MW geplant. Wirkungsgrade von
Ca. 15% sind errechnet worden. Die Energiekosten liegen für Anlagen von 100 MW
bei 20 ctIkWh [I .21].
Pltotovoltaik
Die Photovoltaik ermöglicht die direkte Konversion von Solarstrahlung in Elektrizität
mittels Solarzellen. Mit kristallinen Siliziumzellen werden heute kommerzielle
Wirkungsgrade bis 15% erreicht. Es wird erhofft, diesen Wirkungsgrad bis gegen
20% erhöhen zu können. Kristalline Zellen sind immer noch teuer und haben außer-
dem einen schlechten Energie-Erntefaktor, da zu ihrer Fabrikation viel Energie
aufgewendet werden muss. Ihre Technik ist recht fortgeschritten, und die betriebli-
chen Erfahrungen sind gut. Die Fabrikation muss allerdings billiger und der Erntefak-
tor besser werden.
Kommerzielle netzgekoppelte photovoltaische Anlagen von 500 kW Leistung mit
kristallinen Zellen können heute Elektrizität zu einem Preis von rund 60 ctIkWh
produzieren, was etwa einen Faktor 10 über dem heutigen Marktpreis bedeutet.
Demzufolge sind sie nur in einem direkt oder indirekt subventionierten Markt (Ein-
speisevergütungen) absetzbar. Dass ein solcher besteht (2006 erreichte die weltweit
installierte Solarzellen-Leistung etwa 6500 M W [ I . 1 SI), ist dem unbegrenzten
Potential der Photovoltaik und ihren, auf Grund des erwarteten technischen Fort-
schritts, gut beurteilten langfristigen Aussichten sowie dem Ökogedanken (Solar-
strombörse, Ökostrom) zu verdanken. Dieser Markt ist insofern von Bedeutung, als
er einen wichtigen Anreiz für den technologischen Fortschritt darstellt. Es ist an-
zunehmen, dass auch die Massenfabrikation in Zukunft zu einer erheblichen Verbil-
ligung fuhren wird. Für Näheres über Photovoltaik und photovoltaische Kraftwerke
s. Kap. 7.

1.2.4 Ökologische Probleme


Die Energiewirtschaft zählt zusammen mit der Chemie und der Agrarwirtschaft zu
den Hauptverantwortlichen für die Belastung der Biosphäre mit Schadstoffen.
Energiebereitstellungund -nutzung führen zur Verunreinigungder Atmosphare durch
Emissionen aus der Verbrennung fossiler Brenn- und Treibstoffe und von Biomasse
sowie durch Erdgasverluste. Nicht vernachlässigbar ist die Belastung des Meeres
durch Tankerunfalle Haupteminionen cind
- Kohlenoxide (CO,, CO)
- Stickstoffoxide
- Schwefelverbindungen
- Methan
- Ozon.
1.2 Verftugbarkeit der Primärenergie 17

1.2.4.1 Vorwiegend lokale Wirkungen


Stickoxide, Schwefelverbindungen, CO und troposphärisches Ozon haben vorwiegend
regionale Auswirkungen auf Gesundheit, pflanzliche Ökosysteme und Kulturgüter,
werden aber teilweise durch Winde auch über größere Distanzen verfrachtet. Die
schädlichen Auswirkungen wurden in den letzten Jahrzehnten in fortschrittlichen
Ländern durch Entschwefelungs- und Entstickungsmassnahmen sowie Katalysatoren
wirksam bekämpft.
Anderer Natur ist die stratosphärische Ozonzerstörung (Ozonloch), die in erster
Linie durch die Emission von Fluorkohlenwasserstoffe (FCKW) verursacht wird, und
nur am Rande mit der Energienutzung gekoppelt ist (Näheres s. z.B. [1.24]).

1.2.4.2 Verstärkung des Treibhauseffektes


Weit schwerwiegender für das Klima sind die Folgen der sogenannten Treihhausgas-
Emissionen. Darüber existiert eine umfangreiche Literatur. Eine gute Zusammenfas-
sung bietet der vierte IPCC-Bericht (Intergovernmental Panel on Climate Change)
von 2006-2007 [ I . 131, wobei auch andere Forschungen und Berichte dessen Erkennt-
nisse stützen. Der Bericht kommt zum Schluss, noch eindringlicher als frühere
Berichte, dass die beobachtbare Erderwärmung mit größter Wahrscheinlichkeit
menschengemacht ist. Wichtigstes Treibhausgas ist CO„ das zu 77% zur Verstärkung
des Treibhauseffekts beiträgt. Weitere Beiträge werden von Methan (1 S%), FCKW
(1 %), und N,O (7%) geliefert. Die CO,-Konzentration in der Atmosphäre ist 380 ppm
(parts per million), d.h. um 36% höher als die vorindustrielle (280 ppm, praktisch
unverändert während der letzten 10'000 Jahre). Sie nimmt jährlich um 1.5-2 ppm zu.
Simulationen für das Jahr 2100 ergeben, bei Annahme einer Verdoppelung der
vorindustriellen Konzentration, je nach Szenario eine Erhöhung der mittleren Tempe-
ratur von 2 bis 6°C (wobei mit einer Wahrscheinlichkeit von 66% eine Erhöhung
zwischen 2.4 und 4.1 "C zu erwarten ist). Ferner könnte sich der Meeresspiegel um
Ca. 50 cm erhöhen und die Anzahl und Intensität von Extremereignissen zunehmen.
Die bestehenden Unsicherheiten könnten sich zwar positiv, aber auch, z.B. als
Konsequenz nichtlinearer Rückkoppelungen, wesentlich negativer auswirken. Eine
mittlere Temperaturerhöhung um 2" entspricht für die mittleren Breiten einer Verla-
gerung der Isothermen um Ca. 350 km nach Norden bzw. einer Höhenverlagerung von
Ca. 350 m, wobei sich sehr große, regionale Unterschiede ergeben können.
Noch wesentlich dramatischer könnten die Folgen bei einem Kippen des K1~rna.v
sein. Eine Ablenkung oder Verlangsamung oder gar langfristig ein Aussetzen des
Golfstroms hätten z.B. katastrophale Folgen für Westeuropa.
Die Konsequenzen dieser erdgeschichtlich gesehen extrem raschen Klimaänderung
bedeuten zweifellos einen zusätzlichen Stress für die bereits stark geschädigten
Ökosysteme (Artensterben, Wälder). Die Verteilung der Wasservorkommen und die
Landwirtschaftsproduktivität könnten weltweit ungünstig verändert, und die sozio-
ökonomischen Systeme zusätzlich gestresst werden, wobei vor allem jene Regionen
leiden würden, die schwach sind und sich nicht oder zu wenig schnell an die ver-
änderten Bedingungen anpassen können. Obwohl es auch Gewinner geben kann, ist
die globale Bilanz sehr negativ.
18 1 Energiewirtschaft und Klimawandel

1.2.4.3 Nachhaltige Entwicklung


Der Begriff Nachhaltigkeit nahm vor allem durch den Bericht der Brundtland-
Kommission iin Jahr 1987 politische Konturen an, wo die nachhaltige Entwicklung
definiert wird als eine „die den gegenwärtigen Bedarf zu decken vermag, ohne
gleichzeitig späteren Generationen die Möglichkeit zur Deckung des ihren zu
verbauen", und ein Wachstum forderte, das soziale und ökologische Aspekte räumlich
und zeitlich in die ökonomische Betrachtung integriert.
Es geht somit um die Optimierung der Entwicklung im Dreieck Ökonomie-
~esellschaft-Ökologieund um globale und intertemporale Solidarität. Schwierig-
keiten bereitet der Umsetzung dieses Zieles vor allem die Tatsache, dass ökono-
misches, aber auch sozialpolitisches Denken zu oft kurz- bis mittelfristig ist, während
die ökologischen Anforderungen besonders im Zusammenhang mit der Klima-
problematik eine langfristige Optimierung erfordern.
Der vorhergehende Abschnitt hat die Notwendigkeit hervorgehoben, die Treib-
hausgasemissionen weltweit energisch zu senken, vor allem die CO,-Emissionen. Die
Kosten dieser energetischen Transformation sind ziemlich hoch, aber noch höher
wären die Kosten des Laissez-faire. Es geht nicht nur um die (rein egoistische)
Anpassung an die Folgen der Klimaerwärmung, sondern vor allem darum, die
Klimaerwärmung zu bremsen, sie im Rahmen des Möglichen zu dämpfen und somit
die enormen Ausgaben tUr die infrastruktiirelle und soziale Anpassung zu vermeiden,
die mehr als linear mit der mittleren Temperaturerhöhung anwachsen würden.
Politische Initiativen, welche die Internalisierung der heutigen und zukünftigen
externen Kosten, ein mit der Marktwirtschaft gut vereinbares Rezept, zum Ziele haben
sind notwendig. Zur Bekämpfung der globalen Umweltschäden ist es theoretisch
richtig, Kapital und Wissen dort einzusetzen, wo der größte Beitrag zur Verbesserung
der Energieeffizienz und zur Reduktion der CO,-Intensität maximal ist (z.B. mit dem
Handel mit Emissionszertifikaten). Fehlende Rahinenbedingungen, welche die
Marktkräfte sozio-ökologisch richtig leiten, und politische Differenzen erschweren
jedoch allzu oft die internationale Kooperation für die Umsetzung dieses an sich
sinnvollen Postulats. Manchmal dient obiges Argument mehr als Alibi, um regional
nichts zu tun. Beide Anstrengungen, die globale und die lokale (Abb. 1.5) sind
notwendig. Die Regionalisierung ist zwar kurzfristig gesehen bzgl. des globalen
Kapitaleinsatzes suboptimal, fordert allerdings die regionale lnnovationskraft im
Umweltbereich, deren Ausstrahlung sich mittel- und langfristig auch global auszahlen
dürfte (für energiewirtschaftliche Maßnahmen s. Abschn. 1.7).

Globale lnvestitionen
Regionale lnvestitionen
V
Kurzfristige Wirkungen
Mittel-und langfristige Wirkungen
durch Innovation

+ Energieeffizienz
CO,-lntensitat

Abb. 1.5. Nachhaltige Investitionen


1.3 Energiebedarf, allgemeine Grundlagen 19

I.3 Energiebedarf, allgemeine Grundlagen

1.XI Allgemeines
Vor der Betrachtung der energiewirtschaftlichen Lage Europas (Abschn. 1.4), der
Welt (Abschn. I .5) und deren Perspektiven (Abschn. 1.6 und 1.7) sei der Energiebe-
darf der Schweiz, als Beispiel eines stark industrialisierten Landes, analysiert. Dies
erlaubt uns, mit konkreten Zahlen die strukturellen Aspekte der Energienaclifrage zu
veranschaulichen und die Faktoren, welche deren Evolution bestimmen, darzulegen.

1.3.2 Entwicklung und Aufteilung der Energienachfrage


Durch die Industrialisierung stieg der Energiebedarf stark an. Abbildung 1.6 zeigt die
Entwicklung des Bruttoenergiebedarfs der Schweiz seit 19 10. Mit Bruttoenergie wird
der jährliche Verbrauch an einheimischen primären Energieträgern plus die Import-
Export-Differenz an Primär- und Sekundärenergieträgern bezeichnet. Dieser Energie-
bedarf hat sich von 19 10 bis 2000 rund verzehnfacht. Da sich die Bevölkerung in der
gleichen Zeitspanne gut verdoppelte, stieg der Pro-Kopf-Verbrauch ungefähr auf das
Fünffache. Die Anstiegsrate lag durchschnittlich bei knapp 2% bis zum Zweiten
Weltkrieg, stieg während der Hochkonjunktur-jahre 1950 - 1973 auf7%, um sich nach
der Erdölkrise von 1973 wieder auf ca. 2% einzupendeln (logarithmischen Maßstab
beachten). Deutlich sind im Diagramm die auf Weltkriege und Wirtschaftskrise der
20er Jahre zurückzufuhrenden Einbrüche zu sehen.
Abbildung 1.7 zeigt den Energieeinsatz der Schweiz im Jahr 1998. Pro Einwohner
beträgt er rund 5.1 kW (Energieeinsatz = Bruttoenergie + Elektrizitätsexporte, letztere
ca. 2 1'000 TJ in 1998). Im Jahre 19 10 lag der Bruttoverbrauch bei ca. I kWIE). Die

7kW 9 M I ~Einwohner
.
---------------
J Kopf

I f . . . . . " " . . *
1 1910 20 30 40 1950 60 70 80 90 2000 Jahr
Abb. 1.6. Entwicklung des Rruttovcrbrauchs der Schweiz seit 1910
(TJ = Tera-Joule = 1 Mrd. kJ) [1.6]
20 1 Energiewirtschaft und Kliinawandel

-
Wasser- erneuerbare
kraft Energie
---
P

chem. Energie
Fernwärme Licht
I<lern- Informationsenergie
birennstoffe
P
Elektrizitat
Erdgas mech.
Arbeit

Treibstoffe
Arbeit
Erdol
Wärme
Erdol- Warme
brennstoffe

feste
Brennstoffe

Energieeinsatz Endenergie Nutzenergie


5.1 kW/E 3.8 kWlE 2.1 kW/E
Abb. 1.7. End- und Nut~energieverbrauch
der Schweiz 1998. [ I .4], [1.20]

Angabe in kW entspricht der Leistung, die durchschnittlich von jedem Einwohner


beansprucht wird:
1 kW = 1 kWala = 8760 kWhla = 3 1.5 GJla = 0.75 toela = 1.12 tcela.
(toe: tons oil equivalents, tce: tons coal equivalents)
Jeder Schweizerbetrieb also 1998, bildlich gesprochen, ständig einen Ofen von 5.1
kW. Von dieser Energie entfielen nur noch 49% auf das Erdöl. Im Jahre 1973, bei
Eintreten der Ölkrise, waren es 74% [1.3]. Die Erdölanteile sind im wesentlichen von
Erdgas, Abfallenergie und der mit Kernkraft produzierten Elektrizität übernommen
worden. Die Primärenergien Wasserkraft und Kernbrennstoffwärme werden durch
konventionelle mittlere Wirkungsgrade aus der produzierten Elektrizität zurückge-
rechnet (die Wasserkraft mit SO%, die Kernbrennstoffe mit 33%). Die verschiedenen
Brennstoffe werden auf Grund konventioneller Heizwerte, die etwa den mittleren
Werten entsprechen, aufaddiert (Erdölprodukte: ca. 10'000 kcalkg = 4 1.9 MJ/kg, für
eine differenziertere Betrachtung s. [I 31, Erdgas 9600 kcal/m3 = 36.3 MJ/m3,
Steinkohle 6700 kcallkg = 28.1 MJIkg, Braunkohle 4800 kcallkg = 20.1 MJIkg, Holz:
3600 kcallkg = 15 MJlkg, Kehrichtverbrennung 2800 kcallkg = 1 1.9 MJlkg usw.).
Nach Abzug der Umwandlungs- und Transportverluste, des Saldos der Elektri-
zitätsexporte und des Eigenverbrauchs des Energiesektors erreichten Ca. 3.8 kW als
Endenergie effektiv den Verbraucher (Abb. 1.7). Deren Aufteilung auf die haupt-
sächlich sekundären Energieträger und die Nutzenergieformen zeigen die entspre-
chenden Balken. Nahezu die gesamte Energie wird letztlich dazu genutzt, Wärme
oder mechanische Arbeit zu produzieren.
1.3 Energiebedarf, allgemeine Grundlagen 21

Die effektive Nutzenergie, die sich durch eine Schätzung der Wirkungsgrade der
Nutzprozesse ergibt, beträgt 2.1 kWiKopf, also rund 55% der eingesetzten End-
energie [I .20].
In Abb. 1.8 ist die Aufteilung der Endenergie nach Nutzenergieart und Ver-
brauchergruppen dargestellt [I .4], [1.20]. Der Haushaltsbere~chbeansprucht den
Löwenanteil (49%) des Warmebedarfs (hauptsächlich in Form von Komfort- und
Kochwärme). Der Rest verteilt sich etwa zu gleichen Teilen aufdie Industrie und die
Verbrauchergruppe Gewerbe + Landwwtschaft + Dlenstlelslungen (der Verkehrs-
anteil ist minimal) Die rnechanl~cheArbelt wird zum überwiegenden Teil (75% )
vom yrrvaten und ofenllrchen Verkehr beansprucht. Die entsprechenden Zahlen für
Deut~chlundfinden sich in [ 1.251.

Warme
, G+L+D

mech.
Arbeit
und
andere

Abb. 1.8. Verwendung der Endenergie in der Schweiz im Jahr 1998: H = Haushalt,
G+L,+D = Gewcrbc+ Landwirtschaft + Dienstleistungen, I = Industrie, C'= Verhehr

In Abb. 1.9 wird ein detailliertes Energieflussdiagramm der Schweiz für das Jahr
2006 gezeigt. Auf der linken Seite ist der gesamte Energieträgereinsatz dargestellt,
von links die einheimischen und von oben die importierten Energieträger (die
Schweiz besitzt praktisch keine einheimischen fossilen oder nuklearen Energieres-
sourcen). Erfasst sind auch die Änderungen der Lagerbestände. Energieumwandlung
findet in Raffinerien, Gas-, Fernheiz-, Fernheizkraft- und Kraftwerken statt. Der
Verbrauch des Energiesektors ist ebenfalls dargestellt. Die rechte Seite gibt über die
Energieträgerzusammensetzung der Endenergie und deren Aufteilung auf die vier
Verbrauchergruppen Auskunft.
Der Vergleich mit 1998 zeigt bezüglich Bruttoenergie eine Zunahme des Erdgases
(von 8,8% auf 9.7%) und eine geringfügige Abnahme des Erdöls (48% statt 49%).
Der Verbrauch an Bruttoenergie nahm um 6.7% und jener der Endenergie um 4.3%
zu. Die Zunahme letzterer verteilt sich folgendermaßen: Verkehr +3. I%, Haushalte
+1.7%, restliche Bereiche (vor allem Industrie und Dienstleistungen) +7.5%.
22 1 Energiewirtschaft und Klimawandel
1.3 Energiebedarf, allgemeine Grundlagen 23

1.3.3 Faktoren, die den Endenergiebedarf beeinflussen


Abbildung 1.10 veranschaulicht f i r die Schweiz die Entwicklung der Endenergie von
1970 bis 2006 und der Faktoren, die sie beeinflussen. Diese Faktoren sind: die
Wohnbevölkerung, das BIP (Bruttoinlandprodukt) und die Heizgradtage [I .2]. Die
Wetterlage wirkt nur kurzfristig. Für die langfristige Entwicklung sind die demogra-
phische Entwicklung und das BIP maßgebend. Die Tabelle 1.3 zeigt die Entwicklung
des Endenergieverbrauchs pro Kopf in GJ/a,Kopf und kW/Kopf.

Abb. 1.10. Beeinflussungsfaktoren des Endenergieverbrauchs, Schweiz 1970 - 2006,


Quelle: [I .2]

Tabelle 1.3. Endenergieverbrauch pro Kopf in der Schweiz 1970 bis 2006, [I .2]
1 kWh = 3.6 MJ, 1 k W a = 8760 kWh = 31.54 GJ

Endenergie- Bevölkerung GJ/a,Kopf kW/Kopf


verbrauch TJ/a Mio.

1970 586 050 6,267 93,5 2,96


1980 697 110 6,385 109,2 3,46
1990 798 510 6,796 1 17,5 3,72
2000 859 190 7,209 1 19,2 3,78
2006 888 330 7,557 1 17,6 3,73
24 1 Energiewirtschaft und Klimawandel

Abbildung 1.1 1 zeigt den Zusammenhang zwischen Endenergieverbrauch und


Bruttoinlandprodukt für die Schweiz. Die beiden Indikatoren haben sich seit 1950
parallel entwickelt. Dass die Ausweitung der Güterproduktion und die Zunahme der
Dienstleistungen zusammen mit den erhöhten Komfortansprüchen den Energiebedarf
erhöhen, ist qualitativ einleuchtend. Um die Entwicklung zu quantifizieren und den
Ländervergleich zu ermöglichen, führt man die beiden Indikatoren Energieintensität
und Energieelastizität ein.
Als Energieintensitatwird das Verhältnis Endenergieverbrauch zu realem Bruttoin-
landprodukt bezeichnet. In der Schweiz ist die Energieintensität nach einem absoluten
Minimum um 1945 [I .8] von ca. 2 MJ/Fr im Jahre 1950 auf 2.6 MJ/Fr im Jahr 1975
gestiegen (BIP real, Preise von 1990). In den letzten 25 Jahren ist sie nahezu konstant
geblieben (1975 -1985 Ca. 2.6 MJIFr, 1995 und 1997 etwa 2.5 MJ/Fr, d.h 4.3
MJ/üS$(Kurs 1995)), im Unterschied zur Abnahme in den meisten anderen europäi-
schen Ländern, was vor allem auf ihr bereits 1950 - 1970 im Vergleich auffallend
tiefes Niveau zurückzuführen ist (1996: USA: 14.2 MJ/$, D: 7.2 MJ/$, A: 6.7 MJ/$,
F: 8.3 MJ/$, UK: 8.2 MJ/$, I: 6.0 MJ/$, Japan: 6.7 MJ/$, Welt: 14.8 MJ/$ [1.23]).
Der Unterschied zu den anderen Ländern ist weniger groß, wenn man die Kauf-
kraftparität und die graue Energie berücksichtigt (s. auch Abschn. 1.5).
Das Verhältnis der Zuwachsraten von Endenergieverbrauch und Bruttoinland-
produkt bezeichnet man als Energieelastizität. Diese betrug in der Schweiz für die
Periode 1965- 1985 etwa 2.9 MJ/Fr. Von 1985 bis 2004 ist, bereinigt von Klimaein-
flüssen, eine Reduktion auf Ca. 2.1 MJ/Fr feststellbar, was auf eine verbesserte
Effizienz des Energieeinsatzes hindeutet. Die für die Jahre 1987- 1990 sowie 1996-
2006 in Abb. 1.1 1 deutlich sichtbare Abflachung ist z.T. auf besonders milde Winter
zurückzuführen.
\ ) l b P X 4 '

BIP real (Mrd Fr ) zu Preisen von 1990 - PIB reel (en milliards de francs)

Abb. 1.1 1. Endenergieverbrauch der Schweiz in Abhängigkeit des realen Bruttoinland-


produkts [1.2]
1.3 Energiebedarf, allgemeine Grundlagen 25

1.3.4 Endenergie und Verluste des Energiesektors


Für die weiteren Betrachtungen zur Nachhaltigkeit ist es sinnvoll, drei Einsatzgebiete
der Endenergie zu unterscheiden:
Komfort- und Prozesswärme, die vorwiegend mit fossilen Brennstoffen und z. T.
auch aus erneuerbaren Energien (Geothermie, Biomasse, Solarstrahlung, Umwelt-
wärme) gewonnen wird. Die Wärme aus Elektrizität wird ausgeklammert.
Treibstoffe (vorwiegend fossil, etwas Biomasse).
Elektrizität (alle Anwendungen, Wärme inbegriffen).
Abbildung 1.12 zeigt für die Schweiz die Bedeutung der drei Bereiche in Prozent der
Endenergie fur das Jahr 2004 (Wärme 45%, Treibstoffe 32%, Elektrizität 23% ). Die
drei Bereiche werden nach verwendetem Primärenergieträger detailliert.
Der Balken der Endenergie (100%) macht außerdem die Aufleilung auf die drei
Verbrauchssektoren Industrie, Verkehr und übrige (Haushalt + Dienstleistungen +
Landwirtschaft) deutlich.
Schließlich werden die Verluste des Energiesektors dargestellt, die den Wärme-
verlusten der Kraftwerke (in der Schweiz also praktisch der Kernkraftwerke) und dem
Eigenverbrauch des Energiesektors zuzuschreiben sind. Die Darstellung dieser
Verluste entspricht der Statistik der IEA (International Energy Agency), wo nicht die
Wasserkraft (wie in den Abb. 1.7 und 1.9), sondern die Hydroelektrizität erfasst wird.
Für die Schweiz ergeben sich Verluste ~01128%der Endenergie. Der Bruttoverbrauch
der Schweiz beträgt somit 128% der Endenergie.

Schweiz 2004,100 % = Endenergie


(Endenergie +Verluste Energiesektor)

-
O Endenergie Sektoren Wärme Treibstoffe Elektnzltat Verluste Energiesektor

Industrie Haushalt, Dienstlungen

Kohle Erdöl

Biomasse +Abfälle andere emeuerbare 0 Fernwärme

Kernenergie Hydroelekrizität

Abb. 1.12. Energieverbrauch der Schweiz in 2004, in Prozent der Endenergie.


100% = 877 290 TJ = 20.9 Mtoe = 243 TWh. Die Endenergie setzt sich zusammen aus
a) Wärme (ohne Elektrizität), b) Treibstoffen und C) Elektrizität. Die Bruttoenergie erhält
man durch Hinzufügen der Verluste des Energiesektors
26 1 Energiewirtschaft und Klimawandel

1.3.5 CO,- Emissionen und Indikatoren


Die CO,-Emissionen, die bei der Verbrennung fossiler Brennstoffe entstehen, sind
f i r die Schweiz und das Jahr 2004 in Abb. 1.13 dargestellt. Sie betragen insgesamt
5.8 t/a,Kopf und werden fast vollständig vom Bedarf an Wärme und Treibstoffen
verursacht; sie verteilen sich etwa gleichmäßig mit rund 3 t/a,Kopf auf die zwei
Bereiche. Der Energiesektor (Produktion von Elektrizität und Fernwärme) trägt nur
minim zu den Emissionen bei, da die Elektrizität zu 95% aus Wasserkraft und
Kernenergie erzeugt wird ( ~ b b 1.12).
:

Schweiz 2004, CO2-Emissionen, Ua,cap


Total : 6.2 tla,capita

Wärme
Kohle
I ri
- Erdgas
Energiesektor

Abb. 1.13. Verteilung der CO,-Emissionen in t/a,capita, Schweiz 2004

Für internationale Vergleiche ist es interessant, die Emissionen aufdas BIP (Bruttoin-
landprodukt) zu beziehen, bei Berücksichtigung der Kaufkraftparität. Nimmt man als
Bezugsgröße ein BIP von 10'000 $ von 2005 an, erhält man für die Schweiz eine Zahl
von 1.75 t C0,/10'000 $ (oder auch 175 g CO,/$). Diese Zahl charakterisiert besser
als die Emissionen pro Kopf die von einem Land erreichte Nachhaltigkeit der
Energieversorgung angesichts des Klimawandels. Für die weitere Analyse fuhren wir
folgende Beziehungen ein:
t CO, t CO, kW
Cl 1-a,capitaI = k [-I kWa . e I-[ capzta
a = CO, -Ausstoss pro Jahr und capita
k = CO, -Intensität der Bruttoenergie
e = Bruttoenergieverbrauchpro capita

und

kW 10'0OOS I. E [
e I-[ = b [ kWa I
capzta a, capita 10'000$
b = speziJ: Bruttoinlandprodukt (kaujkrafibereinigt)
E = Endenergieintensität der Wirtschaft
1.3 Energiebedarf, allgemeine Grundlagen 27

Die spezifischen C02-Emissionen lassen sich dann folgendermaßen ausdrücken

t CO, (1.3)
mit q [- ] = k .E = CO,- Indikator der Energiewirtschaft
10000$
als Produkt von Wohlstandsindikator h, Energieintensität E und CO,-Intensität k. Um
den spezifischen CO--Ausstoß pro Kopf zu reduzieren, muss der an und für sich
erwünschte Anstieg des Wohlstandsindikators b durch eine erhebliche Reduktion von
Energieintensitut r und CO,-lntensitut k kompensiert werden. Das Produkt dieser
beiden Größen sei als CO2- lndikalor oder Nachhalligkeitsindikator q definiert. Die
entsprechenden Zahlen sind für die Schweiz 2004 in Tabelle 1.4 zusammengefasst.

Tabelle 1.4. Indikatoren der Schweiz für das Jahr 2004


Dollar 2005, 1 kWa = 8760 kWh = 0,753 toe = 3 1 540 MJ

1.3.6 Erwünschtes Szenario für die Schweiz 2030


Ein mögliches und erwünschtes Szenario des schweizerischen Energieverbrauchs für
das Jahr 2030 zeigt die Abb. 1.14. Angenommen ist eine Stabilisierung des End-
energieverbrauchs relativ zu 2004. Der Anteil der Elektrizität nimmt von 23% auf
33% zu. Das Szenario sieht einen Ausbau der Kernenergie (+35% vor allem durch
den Ersatz bestehender Kernkraftwerke) und eine bedeutende Förderung der erneuer-
baren Energien vor. Der Anteil der Biomasse und der übrigen erneuerbaren Energien
zur Wärmeproduktion würde von 13 TWh in 2004 auf 34 TWh ansteigen (+ 161%,
d.h 3.8%la: mit Wärmepumpen, Solarenergie, Biomasse) und zur Produktion von
Elektrizität von 2.1 TWh auf 9.7 TWh zunehmen (+362%, d.h. 6.l%/a: Biomasse,
Kleinwasserkraft, Photovoltaik und Windenergie). Der Anteil der neuen erneuerbaren
Energien (ohne Groß-Wasserkraft) würde in der Endenergie von 6% in 2004 auf 18%
in 2030 zunehmen.
Die entsprechenden CO,-Emissionen werden von Abb. 1.15 veranschaulicht. Sie
nehmen deutlich ab, in t/a,Kopf, relativ zu 2004, wobei die Reduktion im Wesentli-
chen dem Wännebereich zu verdanken ist.
Bei Annahme eines relativ zum EU-1 5-Durchschnitt (gemäß IEA, s. Abschn. 1.4)
leicht höheren BIP (KKP), erhält man die Tabelle 1.5. Die Emissionen in tla sind um
36% niedriger als 2004, trotz der leichten Zunahme der Wohnbevölkerung. Die
Zunahme des BIP wird durch die empfindliche Abnahme der Energieintensitat und
der CO,-lntensltat k ausgeglichen. Letzteres Resultat wird durch strukturelle Ver-
besserungen im Wärmebereich erreicht. Eine stärkere Verminderung des CO,-
Ind~kators TI, (Nachhaltigkeitsindikators der Energiewirtschaft) kann nur durch
zusätzliche Anstrengungen im Mobilitätsbereich erzielt werden.
28 1 Energiewirtschaft und Klimawandel

Schweiz 2030,100% = Endenergie


(Endenergie+ Energiesektor)

" -
Endenergie-Sektoren Wärme Treibstoffe Elektrizität Verluste Energiesekt.

lndustne Haushalt,Dienstleistungen usw

Erdöl

Biomasse + Abfälle erneuebare Energie

Kernenergie Hydroelektrizität

Abb. 1.14. Mögliches Szenario des Energiebedarfs der Schweiz 2030

Schweiz 2030, CO2-Emissionen,tla,Kopf


(Totale Emissionen 3.7 tia.Kopf)

0
..-, , .,- Energiesektor
Kohle Erdgas

Abb. 1.15. CO2-Emissionen für das Szenario der Abb. 1.14. Energiesektor = Produktion
von Elektrizität und Fernwärme + Verluste und Eigenbedarf des Energiesektors.
Bezieht man die Gesamt-Emissionen auf das angenommene BIP (KKP), folgen
Emissionen von 77 g CO2/$ 2005.

Tabelle 1.5. Charakteristische Indikatoren der Schweiz für 2004 und gemäß Szenario 2030,
BIP (KKP) in $2005
1.4 Energieverbrauch in Europa 29

I.4 Energieverbrauch in Europa


1.4.1 Endenergieverbrauch pro Kopf
Der Endenergieverbrauch pro Kopf hängt einerseits vom Stand der Entwicklung der
Wirtschaft (gemessen durch das BIPIcapita) und andererseits von der Effizienz des
Energieeinsatzes ab (gemessen durch die Energieintensität). Der Verbrauch wird
natürlich auch durch das Klima beeinflusst und ist von den Besonderheiten der
Wirtschaft des betrachteten Landes abhängig. Die Abb. 1.16 zeigt den Endenergiever-
brauch pro Kopf 2004 für eine Reihe von europäischen Ländern [I .28].
Man stellt erhebliche Unterschiede fest. Südeuropäische Länder verbrauchen
weniger Energie als die skandinavischen Länder, was klimatisch bedingt ist und in
einigen Fällen auch auf die schwächere wirtschaftliche Entwicklung zurückzuführen
ist. Der hohe Wert in Island hat mit der starken Nutzung der (die Umwelt nicht
belastenden) Geothermie zu tun und jener von Luxemburg mit der Bedeutung der
Schwerindustrie dieses kleinen Landes (graue Energie wird hier exportiert und nicht
wie in der Schweiz importiert, s. auch Abschn. 1S.1).

Endenergie pro Kopf 2004


kwlcapita

Türkei TK
Portugal P
EU (25-1 5)
Griechenland EL
Spanien ES
Italien I
EU 25
Vereinigtes Königreich UK
Frankreich F
EU 15
Irland IR
Deutschland D
Dänemark DK
Schweiz CH
Osterreich A
Niederlande NL
Belgien B
Schweden S
Notwegen N
Finnland SF
Island IS
Luxemburg L

Abb. 1.16. Endenergie pro Kopf 2004 in Europa (Eurostat); EU-15: Deutschland,
Frankreich, Vereinigtes Königreich, Italien, Belgien, Niederlande, Luxemburg,
Österreich, Irland, Spanien, Portugal, Griechenland, Schweden, Dänemark, Finnland.
EU (25-15): umfasst die 10 EU-Länder: Polen, Ungarn, Tschechische Republik,
Slowakei, Slowenien, Litauen, Lettland, Estland, Zypern, Malta

1A.2 Energieintensität und CO,-Emissionen


Ein hohes Bruttoinlandprodukt bringt einen hohen Energieverbrauch mit sich. Auch
hier spielen die klimatischen Verhältnisse eine Rolle und benachteiligen die skandina-
vischen Länder. Die erreichte Energieeffizienz der Wirtschaft wird durch die End-
30 1 Energiewirtschaft und Klimawandel

energieintensität charakterisiert und ist in Abb. 1.17 dargestellt. Multipliziert man


diese mit der CO2-Intensitätder Endenergie, erhält man den CO2-Emissionsindikator
der Wirtschaft (Nachhaltigkeitsindikator, Abb. 1.18). Man stellt fest, dass 5 Länder
einen CO,-Indikator unter 250 g CO2/$ aufweisen. Es sind dies die Länder, deren
Elektrizitätsproduktion vorwiegend CO2-frei ist: die Schweiz und Schweden mit
einem Mix aus Wasserkraft und Kernenergie, Norwegen mit reiner Wasserkraft,
Island mit einem Mix aus Wasserkraft und Geothermie und Frankreich mit vorwie-
gend Kernenergie. Die anderen Länder der EU-15 liegen zwischen 300 und 500 g
CO2/$. Die restlichen Länder der EU-25 weisen einen Durchschnitt (im Diagramm
nicht eingetragen) von gar 600 g CO2/$ auf.
Endenergieintensitätin 2004
MJ 1 Euro PIB (KKP)

Italien I
Danemark DK
Osterreich A
Vereinigtes Königreich UK
Griechenland EL
Portugal P
EU 15

Deutschland D
Nonvegen N
Turkei TK
Frankreich F
Niederlanden NL
Luxemburg L
Belgien B
Schweden S
EU (25-15)
Finnland SF
lsland IS .

0 5 10 15 20
Abb. 1.17. Intensität der Endenergie der Länder Europas: BIP entsprechend der
Kaufkraftparität (KKP, Quelle: Eurostat); 5 MJIEuro = I .j8 kWd10'000 Euro zu
vergleichen mit E in kWd10'000 $ (2005) der Tabelle 1.6 (Kurs; Eure/$)
CO2-Emissionen in gl$ BIP ,2004
(Dollar 2005,kaufkraftbereinigt)

Schwel2 I
Schweden . 1
Norwegen = 3
Island 1 3
Frankreich ZZX T
osterreich I I
Italien = =IIIxl
Irland E I
Vereinigtes Königreich
EU-15 Z
Spanien =
Portugal =
Dänemark = I
Niederlanden _I
Deutschland Z T
Belgien = _7
Luxemburg = 1
Finnland = 1
Griechenland I
0 100 200 300 400 500
91s
Abb. 1.18. CO,-Indikator in Gramm pro $ BIP (kaufkrafibereinigt)
1.4 Energieverbrauch in Europa 31

1.4.3 Endenergie und Verluste des Energiesektors in der EU-15

Die EU-1 5 umfasst die wirtschaftlich stärksten Länder Europas. Bevölkerungsmäßig


stellen sie ein Drittel der Bevölkerung der OECD. Ihr Energieverbrauch und die damit
verbundenen CO2-Emissionen werden durch die Abb. 1.19 und 1.20 veranschaulicht,
und die charakteristischen Indikatoren in Tabelle 1.6 mit jenen der Schweiz vergli-
chen. Der Hauptunterschied gegenüber den entsprechenden Diagrammen für die
Schweiz (Abb. 1.12 und 1.13) liegt im Energiesektor. Die Elektrizitätsproduktion
vieler EU-Länder beruht mehrheitlich auf fossilen Energien (z. B. in Deutschland,
Italien, Großbritannien, Benelux und Dänemark), und dementsprechend hoch ist der
CO2-Ausstoß (9.4 t/a,capita gegen 5.8 t/a,capita in der Schweiz). Innerhalb der EU- 15
stellt man allerdings große Unterschiede fest. So weisen Frankreich und Schweden
eine ähnliche Struktur wie die Schweiz auf dank ihrer ebenfalls auf Wasserkraft und
Kernenergie basierenden Elektrizitätserzeugung. Außerhalb der EU gilt dasselbe für
Norwegen (reine Wasserkraft).
Tabelle 1.6. Indikatoren der Schweiz und der EU-15 für 2004. Die Energie in kWa ent-
spricht dem Bruttoinlandverbrauch; q = k . E, a = q . b

EU-15 2004,100% = E n d e n e r g i e
(Endenergie*Verluste Energiesektor)

7
-
-.
I

m
EndenergieSektoren Warme L ~ a l Veifuite Energiese

lndustne 0 Haushan Dienstlestungenusw Verkehr -


Kohle Erd61

B~omasseAbfalle erneuerbare Energien [? Fernwärme


Kernenergie Hydroeiektnrnat

Abb. 1.19. Endenergie und Verluste des Energiesektors in der EU-15, 2004
EU-15, C02-Emissionen, Ua,capita
Total 9.4 t/a,captta

Warme tnergiesektor

Kohl, ,
„„, & Erdgas

Abb. 1.20. CO,- Emissionen der EU-15 im Jahr 2004 und ihre Verteilung
32 1 Energiewirtschaft und Klimawandel

I.5 Weltweiter Energieverbrauch


1.5.1 Energieverbrauch in der Vergangenheit
Abbildung 1.2 1 vergleicht f i r AnfangIMitte der 80er-Jahre den Primärenergieeinsatz
der Schweiz und dessen Aufteilung auf die Energieträger mit demjenigen von zwei
weiteren Ländern (Bundesrepublik Deutschland und Ägypten) und der Welt als
Ganzes [I .6]. Die Dicke des Balkens entspricht der Größe des Pro-Kopf Energiever-
brauchs.
Der Pro-Kopf-Energiebedarf hängt in erster Linie vom wirtschaftlichen Entwick-
lungsstand eines Landes ab, wird jedoch auch von den strukturellen Besonderheiten
der Wirtschaft sowie vom Klima beeinflusst. Nach der offiziellen Statistik hat die
Schweiz trotz höherem Bruttosozialprodukt pro Einwohner einen etwas niedrigeren
spezifischen Verbrauch als Deutschland. Zu beachten ist allerdings, dass die Statistik
die sog. graue Energie nicht erfasst. Darunter wird der Saldo des Energieaufwands
für die Herstellung importierter minus exportierter Güter oder die Erbringung ent-
sprechender Dienstleistungen verstanden. Dieser Importsaldo wurde für die Schweiz
auf23% der Bruttoenergie geschätzt [I .22]. Ein gegenteiliges Beispiel ist Luxemburg,
das einen beträchtlichen Exportsaldo aufweist. Für große Länder ist die graue Energie
in der Regel nicht von allzu großer Bedeutung.
Als Beispiel eines Entwicklungslands ist in Abb. 1.21 Ägypten angeführt. Der
Pro-Kopf- Verbrauch lag 1980 bei Ca. einem Achtel des Verbrauchs der entwickelten
westeuropäischen Länder. Der Nutzungsgrad dieser Energie (Nutzenergie) ist außer-
dem kleiner. Nicht zu vernachlässigen sind die nichtkommerziellen Energieträger, die
in Entwicklungsländern noch einen großen Teil des Energiebedarfs decken. Sie
umfassen nichtkommerzielle Biomasse, wie Holz, pflanzliche Abfalle, getrockneter
Dung usw.

SR3 1982 Ao1,oten 1900 Welt 1980

Wasserkraft AI ~tlert:
und andere Ande7e Wasserkraft

Erdgas
Wasser
kraft
Erdgas
trdoi
Erdol

Kohle krdol

Kohle

Abb. 1.21. Vergleich des Primärenergieverbrauchs einiger Länder und der Wclt.
„Andere" = Holz und nichtkommerzielle Energieträger [ I .6]
1.5 Weltweiter Energieverbrauch 33

Weltweit lag der spezifische Primärenergieverbrauch einschl. der nichtkommerziel-


len Energien Ende Jahrhundert immer noch bei 2.2 kW1Kopf (dank dem Zusammen-
bruch der Sowjetunion). In Ägypten hat er sich von 0.65 auf 0.95 kW1Kopf erhöht.
Aber es besteht noch eine Kluft zwischen Industrie- und Entwicklungsländern.
Während Erstere gut 6 kWlKopf beanspruchen, müssen sich Letztere mit durch-
schnittlich rund 1.4 kWIKopf begnügen.
Der Homo Sapiens benötigte vor der Nutzbarmachung des Feuers eine mittlere
Energiemenge von durchschnittlich 100 W, die er mit der Nahrung zu sich nahm. Mit
der Nutzung des Feuers erhöhte sich die konsumierte Energiemenge auf ca. 250 W.
Ein sesshafter Bauer, der mit Hilfe von Tieren und primitiven Geräten Feldarbeit
verrichtet, beansprucht bereits eine Energie in der Größenordnung von 0.5 kW, wobei
das Klima diese Zahl erheblich beeinflusst. In der Schweiz betrug 19 10 der Pro-Kopf-
Energieverbrauch an kommerzieller Energie 1 kW [1.6]. Durch den Mechanisierungs-
und Industrialisierungsprozess, die erhöhte Mobilität und die gesteigerten Komfort-
ansprüche steigerte sich der spezifische Energieverbrauch progressiv bis auf die
heutigen Werte: Ca. 10 kW Primärenergie in den USA und Kanada, rund 4.7 kW
Bruttoenergie ohne und 5.7 kW mit der grauen Energie in der Schweiz, was etwa dem
westeuropäischen Durchschnitt entspricht und nicht weit vom OECD-Durchschnitt
liegt.

1.5.2 Energieverbrauch, Bevölkerung und BIP in 2004

Die Abb. 1.22, 1.23 und 1.24 zeigen die Verteilung des weltweiten Bruttoenergiebe-
darfs (Bruttoinlandverbrauch) und der zwei wichtigsten Beeinflussungsfaktoren:
Bevölkerung und BIP (letzteres bei Berücksichtigung der Kaufkraftparität). Die Abb.
1.25, 1.26, 1.27 und 1.28 veranschaulichen für eine Anzahl Länder oder Länder-
gruppen, den Primärenergieverbrauch pro Kopf, das BIP pro Kopf, die Intensität der
Primärenergieverbrauchs und den CO,-Indikator der Wirtschaft.
Die betrachteten Weltzonen sind:
- EU- 15: Deutschland, Frankreich, Vereinigtes Königreich, Italien, Belgien, Nieder-
lande, Luxemburg, Österreich, Irland, Spanien, Portugal, Griechenland, Schweden,
Dänemark, Finnland.
- OECD-30: EU-1 5, Tschechische Republik, Slowakei, Polen, Ungarn, Schweiz,
Norwegen, Island, Türkei, USA, Canada, Mexiko, Australien, Neuseeland, Japan
und Südkorea.
- Transitions-Länder: Ex-Sowjetunion (ohne baltische Staaten) und Nicht-OECD-
Europa: Litauen, Lettland, Estland, Ex-Jugoslawien, Rumänien, Bulgarien, Alba-
nien, Zypern, Malta.
- China,
- Indien,
- Mittlerer Osten,
- Restliche Länder Asiens und Ozeaniens,
- Lateinamerika (ohne Mexiko),
- Afrika.
34 1 Energiewirtschaft und Klimawandel

Die Datenquellen sind in erster Linie die Berichte der IEA (Internationale Energie
Agentur) und die Eurostat-Tabellen [l .10], [l .I 11, [I. 121, [I .28].

Bruttoenergieverbrauchder Welt 2004


100 % = 14.3 TW (1 TW = 753 Mtoela)

Afrika (5.27%)
Lateinamerika (4.38%) - , -EU-15 (16.90%)
Miltlerer Osten (4.34%) -
Indien (5,1936) -

I
China (14,73%)-

Ex-SU + Nicht OECD-Europa (9,7606)-


& -
OECD-30 (ohne EU-15) (32.93%)

Abb. 1.22. Weltweite Verteilung des Bruttoenergiebedarfs 2004

Weltbevölkerung 2004
100 % = 6'350 Millionen

7/

b
Lateinamerika (8,97%)
Mittlerer Osten (2.87%) Ex-SU + Nicht OECD-Eumpa (5,35%)

Rest-Asien+Ozeanien* (15.24%)

'Aaien+Onanian:
ohne China. Indien und OCDE-Mi$I lndien (17,001) 1
Ex-SU= Ex-Sowjeiunion

Abb. 1.23. Weltbevölkerung 2004

BIP (KKP) 2004 (Dollars 2005)


100 % = 58'000 Milliarden $ la

Lateinamenka (5,96%) 7
Mittlerer Osten (2.45%)-
Rest-Asien+Ozeanien' (7.00%)
7
lndien (5,96%) -
China (13.81%)-

Ex-SU + Nicht OECD-Europa (4,59%)- - OECD-30 (ohne EU-15) (37.14%)

Abb. 1.24. Weltweite Verteilung des Bruttoinlandproduktes (kaufkraftbereinigt), 2004


1.5 Weltweiter Energieverbrauch 35
Bruttoenergie pro Kopf 2004
kW1Kopf (1 kW1Kopf = 0.753 toe/a,Kopf)

E
Indien
Afnka
Rest-Asien+Ozeanien
Lateinamenka
Nicht OECD-Länder
China

wen
Nicht OECD-Europa E?
Ex-Minlerer
Sowietunion
On C---';i
1
USA

0 62 8 1 04 4 2
kWIKopf
Abb. 1.25. Bruttoenergieverbrauch pro Kopf der Weltzonen und weiterer Länder, 2004
BIP (KKP) pro Kopf, 2004
Tausende v o n Dollar (2005) /Kopf

Afnka 3
Indien 1
Rest-Asien+Ozeanien 1
Nicht OECDLander "7
China 1
Ex-Swqetunion I
MittlererOsten 1
Lateinamenka I

-
Nlcht OECDEumpa 1
Welt
Russland III
OECDLänder ZZ
EU-15 1
Japan -1
USA 3

0 10 20 30 40 50
1000 $la,Kopf
Abb. 1.26. Bruttoinlandprodukt pro Kopf, 2004 (KKP = Kaufkraftparität)
Energie-Intensität, 2004
Bruttoenergie in kWa110000 $

Japan
Laieinamenka
Indien

Rest-Asien+Ozeanien 11
Wen L 2
USA
China -
= 1
1

-
Nicht OECDEumpa F.

NicM OECDLänder
Afnka Z Z
Mtiilerer osien
Ex-Souiatunion IlI
= rriZr7

Russland 1

0 1 2 3 4 5
k W a l l O 0 0 0 $ (2005)
Abb. 1.27. Intensität der Bruttoenergie, 2004 (1 kWa/104$= 2
36 1 Energiewirtschaft und Klimawandel

COZ-Emissionen in 2004, gl$


(Dollar 2005)

Lateinamerika I
Indien
Japan
Rest-Asien+Ozeanien
Afrika
EU-15
OECD-Länder
OECD-30 (ohne EU-15)
Welt
USA
Nicht OECD-Länder
Nicht OECD-Europa
China
Mittlerer Osten
Ex-Sowjetunion
Russland

Abb. 1.28. Nachhaltigkeitsindikator in Gramm CO, pro $ BIP


(kaufkraftbereinigt)
1.5.3 Primär- und Endenergie und ihre Verteilung 2004
Angesichts des Grabens, der bezüglich BIPIKopf die OECD-Länder vom Rest der
Welt trennt (s. Abb. 1.26), ist es sinnvoll, die OECD-Welt und die Nicht-OECD-Welt
getrennt zu analysieren. Außer der bereits analysierten UE-15 sind innerhalb dieser
Gruppen weitere Länder besonders wichtig und interessant, wie die USA, China und
die Transitions-Länder, weshalb wir sie ebenfalls unter die Lupe nehmen.
1.5.3.1 Gesamtheit der OECD-Länder
Die OECD-Länder entsprechen etwa 18% der Weltbevölkerung (Abb. 1.23) und
verbrauchen rund die Hälfte der Primärenergie (Abb. 1.22). Die Abb. 1.29 ver-
anschaulicht die energetische Struktur des OECD-Raums für das Jahr 2004 und die
Abb. 1.30 die entsprechenden CO,-Emissionen.

OECD 2004,100% = Endenergie


(Endenergie+ Verlusie Energiesekior)
---.
. ..- .- PP-

Endenergie. Sektoren Warme Treibstoffe ~lrkliltk~ verluste Energiesekror

Industrie Haushalt Dienstleistungen usw

Kohle [-i Erd61 I f

Biomasse Abfalle rneuerbare Energie ]C Fernwarme

JKernenergie L_ Hydroelektriritat

Abb. 1.29. Verteilung der Endenergie und Verluste des Energiesektors, OECD 2004
1.5 Weltweiter Energieverbrauch 37

OECD 2004, CO2-Emissionen, ffa,capita


Total : 11.5 Va,capita

3
I
2

- 0
Warme Trcnbstolle Energlesektor
Kohle Erd01 1 Erd!
Abb. 1.30. CO,-Emissionen der Gesamtheit der OECD-Länder, 2004

Die Struktur des Energieverbrauchs ist vergleichbar mit jener der EU- 15 (Abb. 1.19
und 1.20). Aber obwohl der Elektrizitätsanteil etwa gleich groß ist (20%), basiert er
auf Kohle und hat einen geringeren Anteil an erneuerbaren Energien; er fihrt somit
zu größeren Verlusten im Energiesektor und ist in erster Linie f i r die schlechte von
Abb. 1.30 veranschaulichte CO,-Bilanz verantwortlich.
USA
Da die USA etwa 40% der Primärenergie der OECD (und somit etwa 20% des
Weltenergiebedarfs) beanspruchen, ist ihr Verhalten in Zusammenhang mit den vom
Klimawandel gestellten Erfordernissen von erstrangiger Bedeutung. Die Abb. 1.3 1
zeigt die Struktur des Energieverbrauchs und die Abb. 1.32 die entsprechende CO,-
Bilanz. Die CO,-Emissionen pro Kopf sind um 78% höher als der OECD-Durch-
schnitt; Gründe sind: das um 44% höhere BIP (KKP), die um 15% höhere Energie-
intensität und die um 8% höhere CO,-Intensität der Endenergie (s. auch Tabelle 1.8).

USA 2004, 100 % Endenergie


(Endenergie + Verluste Energiesektor)

Endenergie. Sektoren W Trelbotoffe Elektnzltdt Verluste Energiesektor

W lndustrle Haushalt. Dienstleistungen. usw 1 Verkehr

Kohle Erdöl I Erdgas

Biomasse. Abfalle sonstige erneurbare Energien Fernwarme

Kernenergie Hydroelektrizitat

Abb. 1.31. Endenergiestruktur und Verluste des Energiesektors, USA 2004


38 1 Energiewirtschaft und Klimawandel

USA 2004, CO2-Emissionen, Ua,capita


Totale Emissionen : 2 0 , 6 tla.Kopf

'0 I

'
2

0 --P --
Warme Energiesektor

Kohle - .. Erdgas

Abb. 1.32. Verteilung der C02-Emissio~i~ri,


USA 2004

Zu diesem Resultat tragen der Verkehrssektor (mit 40% der Endenergie wichtiger
als der Wärmesektor) und die von der Kohle geprägte Elektrizitätsproduktion bei.

1.5.3.2 Nicht- OECD-Länder


Die Nicht-OECD-Länder mit einer Bevölkerung (2004) von 5.2 Milliarden verbrau-
chen etwa gleich viel Energie wie die OECD-Länder (I .2 Milliarden). Die Energie-
struktur ist völlig anders, wie die Abb. 1.33 und 1.34 veranschaulichen.
Fast 70% der Endenergie wird von Wärmeanwendungen beansprucht. Die ent-
sprechenden CO2-Emissionen(Abb. 1.34)sind verhältnismäßig klein dank des starken
Anteils der Biomasse. Dies wird sich in Zukunft vermutlich ungünstig ändern.
Dasselbe gilt f i r die Treibstoffe, da die Mobilität einem starken Wachstum
unterworfen ist.
Der Energiesektor ist kohlelastig und extrem ineffizient und verantwortlich für die
Hälfte der CO2-Emissionen,dies obwohl die Elektrizität lediglich 13% der Endener-
gie ausmacht.

Nicht-OECD 2004,100 % = Endenergie


(Endenergle +Verluste Energiesekior)

Endenergie. Sektoren Wärme Treibstoffe 1 Verluste Energlesektol

Industrie 7 Haushalt. Dienstleistungen,usw


I
Kohle
1 Erdal

Biomasse.Abfalle 1 sonstige erneurbare Energien [7 Fe!


Kernenergie 'oelektrifiht

Abb. 1.33. Energiestruktur der Gesamtheit der Nicht-OECD-Länder, 2004


1.5 Weltweiter Energieverbrauch 39

Nicht-OECD 2004, C02-Emissionen


Total 2.5 t/a.capita
1.4 1I

0,8 ----
- --
0,6
0.4
02
0
Warme Treibstoffe Energiesektor

Kohle Erdol 1 Erdgas

Abb. 1.34. CO,-Emissionen der Nicht- OECD-Länaer

China
Die Struktur der Energiewirtschaft und die damit verbundenen CO,-Emissionen
werden durch die Abb. 1.35 und 1.36 illustriert. Der Bruttoenergiebedarf Chinas
betrug bereits 2004 etwa 15% des Weltbedarfs, bzw. 30% jenes der Nicht-OECD-
Länder.
C h i n a 2004,100 % = E n d e n e r g i e
(Endenergie +Verluste Energiesektor)

I1
1 :
s 40

20

O Endenergle. Cekioren Warme ~ r e ~ f f e EleMnntat V e m e Energiesektor

W Haushat, Dierdehngen, W. Verkehr

Kohle Erdöl Erdgas

Biomasse. Abfalle sonstige emeurbare Energien 0 Femane

Kernenergie Hydroelekbizii

Abb. 1.35. Struktur der chinesischen Energiewirtschaft, 2004

China 2004, CO2-Emissionen, tia,capita


Totale Emissionen ' 3.67 tia.hab

0.5
0 : Wanne

Kohle
--

Treibstoffe

Erddl Erdgas
EnergieseMor

Abb. 1.36. Verteilung der CO,-Emissionen, China 2004


40 1 Ener~iewirtschafi
und Klimawandel

Der Wärmebedarf beträgt auch hier 70% der Endenergie. Die Verluste des Ener-
giesektors sind extrem hoch und erreichen fast 60% des Endenergiebedarfs. Die
relativ hohen CO,-Emissionen sind dem starken Verbrauch von Kohle zuzuschreiben
(die der Erzeugung von 45% der Wärme und von nahezu 80% der Elektrizität dient).

Transitionsländer
Als Transitionsländer bezeichnet man alle Länder der Ex-Sowjetunion sowie alle
europäischen Länder, die nicht Mitglied der OECD sind. Russland ist das wichtigste
Land dieser Gruppe (42% der Bevölkerung, 55% des BIP und 60% des Energiever-
brauchs). Es ist auch einflussreich wegen seiner großen Energiereserven, vor allem
an Erdgas.
Obwohl die Energiestruktur sehr ähnlich jener der Nicht-OECD-Länder als Ganzes
oder Chinas ist, stellt man den fundamentalen Unterschied fest, dass Erdgas und nicht
Kohle der Hauptenergieträger ist. (Abb. 1.37 und 1.38). Trotzdem ist die Energie-
intensität dieser Ländergruppe extrem hoch (Tabelle 1.8), was nicht nur durch das
kalte Klima, sondern vor allem durch die Desorganisation und Ineffizienz eines
während vieler Jahren zentral gelenkten Systems und durch den viel zu niedrigen
Energiepreis zu erklären ist.
Transitionsländer2004
Endenergie (100%) + Energiesektor

lZO 1

lndurtne

Kohle
I
2
Warme I Treibstoffe

Haushalt. Dienstleishingen.usw.

Erdöl
lerkehr

Erdgas

1Biomasse.Abfalle sansüge erneurbare Energien Fernwarme

1 Kernenergie
Hyiroelekinzilat

Abb. 1.37. Energiestruktur der Transitionsländer2004

Transitionsländ. 2004, COP-Emissionen


Totale Emissionen: 6.7 Va,Kopf
3.5

0.5

Wärme ..... 2 Energiesektor

Kohle charbon Erdol

Abb. 1.38. Verteilung der CO,-Emissionen der Transitionsländer 2004


1.5 Weltweiter Energieverbrauch 41

1.5.3.3 Charakteristische Indikatoren

Die wichtigsten energiewirtschaftlichen Indikatoren, entsprechend den in Abschn.


1.3.5 gegebenen Definitionen, werden für alle analysierten Ländergruppen oder
Länder und für die Welt als Ganzes in den Tabellen 1.7 und 1.8 zusammengefasst
und verglichen.

Tabelle 1.7. Verbrauch pro Kopf an Endenergie (e) und Rruttoenergie (C,) sowie totale
CO,-Emissionen für Ländergruppen und Länder ( I kW = 0.753 toela)

I USA 1 6,95
OECD-Länder 4,22
Welt 1,54

I Transitionsländer 1 2,68
I China I l,ol

Tabelle 1.8. Weltweite charakteristische Energic-Indikatoren 2004 ;


b = BIP (KKP)) pro Kopf, C = Intensität der Bruttoenergic. k = CO2-Intensität der Brutto-
energie; a = q . b = COJhissionen pro Kopf; q = = k . r = CO,-Indikator (Nachhaltig-
keitsindikator, Klima) : 1 t C0,/104$ = 100 g COz/$

I USA 1 4,04 1 2,53

I weit 1 0,91 1 2,48

I Transitionsländer 1 0,49 1 5,29

I China 1 0,66 1 2,42


42 1 Energiewirtschaft und Klimawandel

1.6 Zukünftige Entwicklung des Weltenergiebedarfs


Prognosen auf diesem Gebiet sind, wie die Vergangenheit zeigt, schwierig und selbst
unter Einsatz raffinierter ökonometrischer Mittel oft irreführend [I 31. Hingegen
lassen sich, ausgehend von der gut abschätzbaren Entwicklung der Bevölkerung und
mit bestimmten Annahmen über die weitere Entwicklung der Wirtschaft und der
Energieintensität der einzelnen Weltregionen, Szenarien berechnen, die ein Gesamt-
bild möglicher Entwicklungen des Weltenergiebedarfs ergeben. Diese Szenarien sind
Optionen, welche die Gesellschaft mit den Mitteln der Energiepolitik wählen kann
unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Randbedin-
gungen.
Stellen wir zunächct einige einfache Betrachtungen an. An der Jahrtausendwende
war der Weltenergieverbrauch (Primärenergie) 2.2 kWlKopf . 6 Mrd. Menschen =
13 TW. Während der letzten 20 Jahre des letzten Jahrhunderts blieb der spezifische
Verbrauch nahezu stabil um 2.2 kWlKopf, wobei diese Konstanz vor allem dem
Zusammenbruch im Jahre 1989 der ehemaligen Sowjetunion zu verdanken ist. Im Jahr
2004 erreichte der Weltenergiebedarf, gemäß IEA (WEO, World Energy Outlook
2006), 2.26 kW/Kopf bei einer Weltbevölkerung von 6,35 Milliarden Menschen, also
14,3 TW (Abb. 1.22 und 1.23).
In der Zukunft wird es nicht einfach sein, einen Wert von 2-2.5 kW1Kopf zu halten
oder gar auf 2 kW/Kopf zu reduzieren ( 2000 W-G~ic'ellschuft").Der starke Nach-
"

holbedarf der Entwicklungsländer bezüglich BIP (KKP) und folglich auch der
Energiebedarf kann schwerlich nur durch die Abnahme der Energieintensität der
industrialisierten Welt kompensiert werden. Szenarien, welche einen spezifischen
Verbrauch von 2 kW1Kopf propagieren, sind bereits in den 80er-Jahren im Rahmen
der WEC (damals „Weltenergiekonferenz") angesichts der sich bereits damals
abzeichnenden CO,-Problematik gefordert worden [1.6]. Der Weltenergierat pro-
gnostizierte 1996 für 2020 demgegenüber einen Weltenergiebedarf von rund 3
kWlKopf [1.23], was bei der dann zu erwartenden Weltbevölkerung von etwa 7.5
Mrd. Menschen bereits zu diesem Zeitpunkt einem Primärenergiebedarf von 24 TW
entspräche.
Das WEO 2006 der IEA sieht für 2030 zwei Szenarien vor, die bereits im Ab-
schnitt 1.2.1.1 erwähnt wurden. Das Referenz-Szenario, das den gegenwärtigen
Tendenzen entspricht, fuhrt zu einem globalen Energiebedarf von 22 TW oder
2,7 kWIKopf. Das Alternativ-Szenario, welches den politischen Willen erfordert, die
CO,-Emissionen zu begrenzen, fuhrt zum Gesamtbedarf von nahezu 20 TW oder
2.5 kwlcapita (Abb. 1.3). Extrapoliert man dieses Szenario bis 2050 erhält man bei
einer Weltbevölkerung von 9 Milliarden Menschen einen spezifischen Verbrauch von
2.75 kwlcapita und einen Gesamtverbrauch von 25 TW. Diese Zahl ist allerdings
kaum verträglich mit dem Klimaschutz (nähere Analyse im Abschn. 1.7). Wir begin-
nen unsere Untersuchungmit Annahmen über die zwei wichtigsten Faktoren, die den
zukünftigen Weltenergiebedarf beeinflussen: Bevölkerung und BIP (KKP).

1.6.1 Entwicklung der Weltbevölkerung


Zur Jahrtausendwende betrug die Weltbevölkerung rund 6 Mrd. Menschen. Gegen-
über 1960 bedeutet dies eine Verdoppelung. Davon sind Ca. 1.5-2 Mrd. Menschen
materiell privilegiert, während die restlichen 4-4.5 Mrd. einen enormen Nachholbe-
1.6 Zukünftige Entwicklung des weltweiten Energiebedarfs 43

darf aufweisen. Demographische Studien sind sich größtenteils einig, dass die
Weltbevölkerung, gemäß Abb. 1.39, bis 2030 auf gut 8 Milliarden und bis 2050 auf
etwa 9 Milliarden Menschen anwachsen wird. Bis 2100 wird eine progressive
Stabilisierung auf etwa 10 - 11 Mrd. Menschen vorausgesagt [I .7]. Die Bevölkerung
der heutigen Industrieländer wird relativ wenig, vor allem durch Einwanderung, die
der Entwicklungsländer sehr stark zunehmen.
Abbildung 1.40 zeigt die gleiche Entwicklung mit einem anderen Zeitmaßstab. Zu
Beginn der Industrialisierung im Jahr 1850 erreichte die gesamte Weltbevölkerung
lediglich 1 Mrd. Menschen. Die Abbildung veranschaulicht die Einmaligkeit unseres
Zeitalters, das vermutlich als das Zeitalter der demographischen Explosion in die
Geschichte eingehen wird.
Milliarden
Menschen

11

-
0 1 : : : : ; : : : ; : : : : L
2000 2050 Jahr
1950
Abb. 1.39. Anstieg der Weltbevölkerung seit 1950 und Prognose,
IL = heutige Industrieländer, EL = Rest der Welt

Abb. 1.40. Zunahme der Weltbevölkerung seit dem Jahre Null unserer
Zeitrechnung und prognostizierte Weiterentwicklung
44 1 Energiewirtschaft und Klimawandel

1.6.2 Zunahme des BIP (KKP) und Energienachfrage (IEA-Szenarien)


Tabelle 1.9 vergleicht für das Jahr 2030 fur die Schweiz, die OECD, die Nicht-
OECD-Länder und die Welt als Ganzes, das B1P pro Kopf b (kaufkraftbereinigt, in
$2005), die Intensität E des Bruttoinlandenergiebedarfs und den daraus resultieren-
den pro Kopf-Verbrauch an End- und Bruttoenergie e, bzw. e , . Die Zahlen basieren
(von der Schweiz abgesehen) auf den IEA-Studien. Die zwei Szenarien, Referenz und
Alternativ, gehen vom gleichen BIP aus; sie nehmen also an, dass die gewählte
Energiepolitik keinen nennenswerten Einfluss auf die wirtschaftliche Entwicklung
haben wird.
Tabelle 1.9. Vergleich von BIP (KKP) b, Bruttoenergieintensität E und End- und Brutto-
energieverbrauch pro Kopfe, bzw. e„ für 2030 gemäß IEA-Szenarien

Schweiz 1 4,81 1 0,92

OECD Refer. 4,47 1,54


I I

OECD Altern. 1 4,47 1 1,43

Welt Refer. 1,71 1,58


I I

Welt Altern. 1 1,71 1 1,42

Nicht-OECD Ref. 1,19 1,59

Nicht-OECD Alt.. 1,19 1,42

Die beiden IEA-Szenarien setzen eine bedeutende Abnahme der Energieintensitat


voraus, überall auf der Welt (leicht stärker im Alternativ-Szenario) relativ zu 2004.
In den OECD-Ländern nimmt das BIP im Mittel um 60% zu und die Energie-
intensität um den Faktor 0.7 ab, was zu einer Zunahme des Endenergieverbrauchs pro
Kopf im Mittel um 12% fuhrt (Referenz: + 16%, Alternativ: + 7%).
Im Rest der Welt (Nicht-OECD-Länder) ist die mittlere Zunahme des BIP 143%
und die Energieintensität reduziert sich um den Faktor 0.52. Der Endenergiebedarf
pro Kopf nimmt dann im Mittel um 26% zu (Referenz +33%, Alternativ + I 8%).
Weltweit ergibt sich eine Zunahme des BIPIKopfvon 88% und eine Abnahme der
Energieintensität mit Faktor 0.6. Die Endenergie nimmt im Mittel um 14% zu (Refe-
renz +20%, Alternativ +8%)
Das Verhältnis von Bruttoenergie (Primärenergie) zu Endenergie, welches ein Maß
für den Verlustanteil des Energiesektors darstellt, würde gemäß IEA-Studien nur
wenig ändern: Verbesserung von 1.45 auf 1.42 fur die OECD-Länder, Verschlechte-
rung von 1.46 auf 1.50 für den Rest der Welt. Weltweit ergäbe sich eine nur geringe
Verschiebung, und die Verluste des Energiesektors blieben somit bei knapp 50% der
Endenergie.
1.7 CO,-Emissionen und Klimaschutz 45

I.7 CO,-Emissionen und Klimaschutz


1.i.l Weltweite Entwicklung der CO,-Emissionen, IEA-Szenarien
Als erster Anhaltspunkt unserer Analyse dient das Alternativ-Szenario der IEA; das
Referenz-Szenario der IEA berücksichtigt bei weitem nicht die dem Klimaschutz
entsprechenden Randbedingungen.
Abb. 1.41 veranschaulicht die von der IEA vorgesehene Struktur der Energiewirt-
schafi der OECD-Länder fur 2030 und Abb. 1.42 die entsprechenden CO,-Emissio-
nen. Struktur und Emissionen können mit jenen des Jahres 2004 der Abb. 1.29 und
1.30 verglichen werden (ermittelt aus [ l .10])

OECD 2030 Alternativ-Szenario IEA


(100 % = Endenergie)

I Haushalt.Dienstleistungenusw. Ve"-*.

B I Erdöl En

Biornasre, Abfalle
I sonstige erneuerbare Energie
U

Kernenergie Hydmalektrizität

Abb. 1.41. Struktur der Energiewirtschafi der OECD gemäß Alternativ-Szenario


der IEA für 2030.

OECD 2030 Alternativ,C02-Emissionen


Totale Emissionen : 10,6 Va,Kopf

Wärme

Abb. 1.42. CO,-Emissionen der ucCD 2030, gemäß Altenativ-Szenario der IEA
46 1 Energiewirtschaft und Klimawandel

Parallel dazu zeigen die Abb. 1.43 und 1.44die Energiestruktur und die CO,-Emissio-
nen des Rests der Welt (Nicht-OECD-Länder), die man ebenfalls mit jenen von 2004

,,
vergleichen kann (Abb. 1.33 und 1.34).
Nicht-OECD 2030, Alternativ-Szenario

!:I
100 % = Endenergie
- - - - - - --

'0° 1
8 80
f

J
8 20

O
Endensrple. Sektoren Warm0 Treibtoffe Elektrizitat Verluste Energiesektor

~ndusirie Haushalt Dienstleistungen usw Verkehr

Kohle W Erdbl
D
Blomege. Abiälle sonstOe erneuerbare Energie L] Fernwarme

Kernenergie Hydroelektrlzttlt

Abb. 1.43. Alternativ-Szenario der IEA für die Nicht-OECD-Länder ,2030

Nicht-OECD 2030, Alternativ, CO2-Emiss


Totale Emissionen : 3.0 Ua,hab

Kohle , Erdgas

Abb. 1.44. CO,-Emissionen der Nicht-OECD-Lander, 2030, Alternativ-Szenario

1.7.2 Weltweite Energie-Indikatoren für 2030, Konsequenzen


In Tabelle 1.10 sind die charakteristischen Indikatoren für 2004 und Wr 2030 gemäß
Alternativ-Szenario der IEA zusammengefasst (fir die Schweiz s. auch Abschn. 1.3).
Zunächst sei festgestellt, dass selbst mit dem Alternativ-Szenario die globalen CO,-
Emissionen von 27'000 Mt in 2004 auf 34'000 Mt in 2030, d.h um 26%, zunehmen.
Dies entspricht nicht den Zielsetzungen des Klimaschutzes, die nicht eine Erhöhung,
sondern eine Stabilisierung dieser Emissionen bis 2030 verlangen. Da die Weltbevöl-
kerung in der gleichen Zeitspanne gemäß den Voraussagen um etwa 27% zunimmt,
bleiben die spezifischen Emissionen auf a = 4.2 t/a,capita etwa konstant. Es ergibt
sich zwar eine Reduktion des weltweiten CO, -Indikators 7 (und somit eine Ver-
besserung der Nachhaltigkeit), die aber lediglich die Zunahme des BIPIKopf aus-
gleicht.
1.7 CO,-Emissionen und Kliinaschutr 47

Tabelle 1.10. Charakteristische Indikatoren gemäß Statistihen und Alternativ-Szenario der


IEA für 2030 (berechnet ab [ l . 101) und Vergleich mit der Schweiz ;
b = BIP (KKP) pro Einwohner in $2005, E = Energieintensität (Bruttoenergie),
k = COz-Intensität der Bruttoenergie, V = CO,-Indikator der Wirtschafi , E = COz -Emissio-
nen pro Kopf; s. auch Abschn. 1.2.5, (31. (1.3)

Der CO?-Indikator (Maß der Nachhaltigkeit) nimmt weltweit in diesem Szenario


relativ zu 2004 um den Faktor 0.55 ab, Er ändert also von = 4.55 in 2004 auf
7 = 2.48 in 2030; diese Verbesserung wird erzielt durch:
- die Verminderung der Energieiniensitat (Bruttoenergie) um den Faktor 0.57 dank
dem technologischen und organisatorischen Fortschritt,
- die Verminderung der CO,-Intensitat um den Faktor 0.94 durch eine (zu geringe)
Wandlung der Struktur des Energiesystems.
Der Mangel an Symmetrie zwischen den beiden Faktoren ist frappant. Um einen Wert
des CO2-Indikators zu erhalten, der die globalen CO,-Emissionen relativ zu 2004
stabilisieren würde, müsste auch die CO,-Intensität um etwa denselben Faktor wie
jener der Energieintensität vermindert werden.
Ist eine Reduktion dieser Größenordnung mit adäquaten technischen Mitteln und
politischem Willen möglich, ohne die Entwicklung der Weltwirtschaft entsprechend
den Voraussagen zu beeinträchtigen? Die Antwort muss ja sein, und wir zeigen im
folgenden Abschnitt die dazu unerlässlichen und durchaus möglichen Maßnahmen auf.
Die Alternative ist die Klimakatastrophe, mit sozialen und politischen Rückwirkungen,
die unweigerlich die wirtschaftliche Entwicklung bremsen würde undderen volkswirt-
schaftlichen Gesamtkosten um einiges höher sein könnten als die vielleicht radikalen
aber notwendigen energiewirtschaflichen Maßnahmen zu deren Vermeidung. Eine von
manchen Kreisen vorgeschlagene reine Anpassungsstrategie ist leichtfertig und
unverantwortlich.
48 1 Energiewirtschaft und Klimawandel

1.7.3 Klimaschutz, mittel- und langfristige Maßnahmen


Verschiedene klimatologische Studien [ I . 131, [ I . 191 zeigen, dass es für den Klima-
schutz notwendig ist, die Erhöhung der mittleren Temperatur der Erde, relativ zur
vorindustriellen Zeit, auf 2°C zu begrenzen. Um dieses Ziel zu erreichen, ist es wie
schon erwähnt notwendig, die CO, -Emissionen bis 2030 zu stabilisieren (relativ zu
2004) und bis 2050 zu halbieren. (Tabelle 1. I 1, [I. 101).
Wichtigste Maßnahme für die meisten OECD- und auch Nicht-OECD-Länder ist
die Reduktion des CO,-Ausstoßes des Energiesektors, welcher weltweit 45% der
Gesamtemissionen ausmacht (OECD 40%, Nicht-OECD 50%) und in erster Linie die
Elektrizitätserzeugung betrifft. Eine Ausnahme bilden einige europäische Länder
(Frankreich, Norwegen, Island, Schweden, Schweiz) sowie die meisten Länder Mittel-
und Südamerikas mit einer nahezu CO,-freien Elektrizitätserzeugung. Ihr CO,-Ausstoß
lag bereits 2004 bei oder unter 250 g CO,/$ (Abb. 1.18 und 1.28). Bei Erhaltung
dieses Vorteils können sich die Anstrengungen dieser Länder auf den Wärme- und
Treibstoffsektor konzentrieren.
Tabelle 1.1 1. Zulässige CO,-Emissionen in 2030 und 2050 eines Klimaschutz-Szenarios und
entsprechende Emissionen pro Kopf und pro $ BIP. Weltweite Ausgangslage in 2004. Das BIP
(KKP) ist in $2005 gegeben: fur 2004 und 2003 gemäfJ IEA-Szenario
I Bevölkerung I C ' ( J>-EmissionenI EmissionenlKopf a IEmissionen/$
2004 Welt 6.35 Mrd 26'400 t 4.2 t C0,IKopf
2030 Welt 8.1 Mrd 27'500 t 3.4 t C0,IKopf
2050 Welt 9 Mrd 13'200 t 1.5t CO,/Kopf

6'000 t

2004 Nicht-OECD 5.19 Mrd 13'000 t 2.5 t COJKopf

1.7.3.1 Spezifischer Energieverbrauch und CO,-Intensität


Der CO,-Ausstoß pro Kopf und Jahr a lässt sich als Produkt von spezifischem Ener-
gieverbrauch e und CO,-Intensität der Bruttoenergie k ausdrücken (Tabelle 1.12). Der
gegenwärtige Bruttoverbrauch liegt weltweit bei etwa 2.3 kW/Kopf, wobei zwischen
OECD- und Nicht-OECD-Ländern ein Faktor 4 bis 5 besteht. Soll der globale Wert
2.5 kW/Kopf nicht übersteigen, ist eine energische Senkung des spezifischen Wertes
der OECD-Länder notwendig (2004: 6,14 kWIKopf), um den unvermeidlichen
Anstieg desjenigen der Nicht-OECD-Länder (1.38 kW/Kopf) zu kompensieren, der
in erster Linie mit der erwarteten starken Zunahme des Bruttoinlandprodukts dieses
Teils der Welt einhergehen wird. Wesentliche Maßnahme ist die Erhöhung der
Energieeffizienz (Reduktion der Energieintensität) in den Industrieländern, gleich-
zeitig aber auch die Weitergabe der die Effizienz steigernden Technologien an die
Entwicklungs- und Schwellenländer.
1.7 CO,-Emissionen und Klimaschutz 49

Tabelle 1.12 zeigt aber auch, dass die Steigerung der Effizienz nicht genügt, um die
Klimaschutzziele zu erreichen. Ebenso wichtig ist eine erhebliche Senkung der CO,-
Intensität, die etwa gleichermaßen die OECD-Länder und die Nicht-OECD Länder
betrifft [ I . 171.
Tabelle 1.12. Emissionen pro Kopf a als Produkt des Bruttoenergieverbrauchs pro Kopf e
und der CO2 -Intensität der Bruttoenergie k (1 kWa = 0.753 toe).
Weltweite notwendige Reduktion bis 2030 und 2050
EmissionenIKopf a EnergieverbrauchIKopf e CO,-Intensität k
2004 Welt 4.2 t CO,la,Kopf 2.27 kW/Kopf 1.84 t CO,/kWa
2030 Welt 3.4 t CO,la.Ko~f 2.40 kWlKoof 1.43 t COJkWa
2050 Welt 1 I
1.5 t ~ 0 , 1 a , ~ o ~ f 1
2.50 k ~ / ~ o0.60
~ tf C0,IkWa

2004 OECD 11.5 t CO,la,Kopf 6.14 kW/Kopf 1.88 t C0,IkWa


2004 USA 20.6 t CO,la,Kopf 10.20 kW/Kopf 2.02 t C0,IkWa
2004 EU-15 9.4 t CO,la,Kopf 5.29 kW1Kopf 1.78 t CO,/kWa
2004 Schweiz 5,8 t CO,la,Kopf 4.74 kW/Kopf 1.22 t C0,IkWa
2004 Nicht-OECD 2.5 t CO,Ia,Kopf 1.38 kWlKopf 1.84 t C0,IkWa
2004 China 3.7 t CO,la,Kopf 1.60 kW/Kopf 1.84 t C0,lkWa

1.7.3.2 Länder mit CO,-lastiger Elektrizitätsproduktion


Wichtigste Länder dieser Gruppe sind die USA, China und in Europa Deutschland,
Grossbritannien und Italien. Ihre Elektrizitätsproduktion ist im wesentlichen von der
Kohle (China) bzw. stark von Kohle undloder Erdöl abhängig. Eine möglichst rasche
Abkehr von Kohle und Erdöl, oder zumindest von ihrer heutigen Verwendungsart, ist
unerlassliche Grundvoraussetzung fur einen wirksamen Klimaschutz. Die OECD-
Länder sollten dies bei entsprechendem politischen Willen aus eigener Kraft erreichen
können, die übrigen Länder vermutlich nur mit internationaler Hilfe. Erschwerend
kommt dazu, dass sich der Elektrizitätsbedarfbis 2030 weltweit etwa verdoppeln wird.

Die möglichen Maßnahmen und Substitutionen sind:


a) Starke Reduktion der Verluste des Energiesektors durch deutliche Erhöhung der
Energienutzungsgrade im Bereich thermischer Kraftwerke (Wärmekraftkopplung,
Kombiprozesse).
b) CO,-Einfang und Sequestrierung bei Kohle- und Erdölkraftwerken; wichtige
Einschränkung: die Technik ist noch nicht reif, vermutlich auch teuer und muss
bezüglich Umweltverträglichkeit noch ernsthaft geprüft werden.
C) Einsatz von Erdgaskraftwerken, Ersatz von Kohle und Erdöl durch Erdgas: die
CO,-Emissionen reduzieren sich gegenüber der Kohle auf etwa 55% (gegenüber dem
Erdöl auf ca. 75%); Einschränkung: die Erdgasreserven sind weltweit begrenzt.
d) Einsatz von Kernenergie: die Kraftwerke sind frei von CO,-Emissionen; Ein-
schränkungen: die Reserven an Uran sind bei Einsatz von Reaktoren der3. Generation
ebenfalls begrenzt. Der Einsatz von Reaktoren der 4. Generation ist möglich, muss
50 1 Energiewirtschaft lind Klimawandel

jedoch technisch und politisch gut überlegt werden. Die Kernfusion kommt erst für die
zweite Hälfte des Jahrhunderts in Frage.
e) Nutzung aller Möglichkeiten zur Produktion von Elektrizität aus Wasserkraft;
Einschränkung: das Potenzial ist begrenzt.
f) Einsatz von Windenergie: die Technik ist reif und bei günstigen Windverhältnissen
wirtschaftlich. Das Potenzial ist sehr gross.
g) Einsatz von Geothermie und Biomasse. Einschränkungen: geothermische Kraftwer-
ke eignen sich nur für Standorte mit geothermischen Anomalien. Das Potenzial der
Biomasse ist begrenzt. Biomasse sollte deshalb in erster Linie, und soweit ihre
Nutzung ökologisch vertretbar ist, für den Treibstoff- und Wärmebereich reserviert
werden, mit Ausnahme der lokalen Wärmekraftkopplung.
h) Einsatz von Solarthermie und Photovoltaik. Solarthermische Kraftwerke eignen
sich nur für Länder mit niedrigem Anteil an diffusem Licht. Die Photovoltaik ist
vorerst noch durch den hohen Preis behindert, wegen des praktisch unbegrenzten
Potenzials muss jedoch ihre Weiterentwicklung zielstrebig gefordert werden, solange
notwendig auch durch Einspeisevergütungen.
Bemerkungen: Die weltweite Verdopplung des Elektrizitätsbedarfs bis 2030 wird sich
aus verschiedenen nachfolgend aufgeführten Gründen auch mit Steigerung der Effi-
zienz kaum vermeiden lassen. Es ist deshalb fahrlässig nur auf letztere zu setzen, so
unerlässlich diese Steigerung auch ist. Der Einsatz von Erdgas sowie von Kem-
kraftwerken der 3. Generation ist zwar notwendig, ermöglicht aber bestenfalls den
Erhalt ihrer prozentualen Anteile (2005: Erdgas 20%, Kernenergie 15%) jedoch kaum
den Ersatzder Kohle- und Erdölkraftwerke (Anteile40% bzw. 7%). Dasselbe gilt auch
für die Wasserkraft (Anteil 16%). Der Einsatz der restlichen erneuerbaren Energien
f) bis h) ist also unabdingbar und muss sehr stark gesteigert werden (Anteil 2005:
2%!). Die Elektrizität aus Windenergie hat sich weltweit von 2004 bis 2006 bereits
beinahe verdoppelt.

1.7.3.3 Erntefaktor und graue Energie


Oft werden diese Aspekte in die CO,-Bilanz einbezogen, was einige CO,-freie Ener-
gien schlechter aussehen lässt. Im Hinblick auf die mittel- und langfristigen Klima-
schutzziele ist dies jedoch aus folgenden Gründen nicht vertretbar:
Erntefaktor: Ein schlechter Erntefaktor hat zwar einen negativen Einfluss auf die
Energiebilanz (und somit aufdie Wirtschaftlichkeit), aber nicht aufden mittelfristigen
Klimaschutz, sofern die zur Herstellung und für den Transport benötigten Energien
ebenfalls CO,-frei sind, was das mittel- und langfristige Ziel ohnehin sein muss.
Graue Etzergie: Wenn die zur Herstellung von lmportprodukten verwendete Energie
mehr CO,-Emissionen verursacht als die fur die Produktion exportierter Güter, wird
die CO,-Bilanz eines Landes theoretisch verschlechtert. Es ist jedoch nicht sinnvoll,
dies in der Nachhaltigkeitsbilanz zu berücksichtigen. Jedes Land ist letztlich für die
zur Produktion seiner Güter verwendete Energie verantwortlich und sollte mit eigenen
Anstrengungen oder im Rahmen internationaler Abkommen bzw. mit Hilfe des
Emissionshandels die nötigen Maßnahmen für den Klimaschutz treffen.
1.7 CO,-Emissionen und Klimaschutz 51

I .7.3.4 Länder mit nahezu CO,-freier Elektrizitätsproduktion


Diese Länder haben den grossen Vorteil, das wichtigste Emissionsproblem bereits
gelöst zu haben. Die Schweiz und Schweden mit einem Mix aus Wasserkraft und
Kernenergie, Norwegen mit Wasserkraft, Island mit Wasserkraft und Geothermie,
Frankreich vorwiegend mit Kernenergie und Lateinamerika vorwiegend mit Wasser-
kraft. Erste Priorität hat natürlich die Erhaltung der erreichten CO,-Freiheit im Elek-
trizitätsbereich, was nur durch die Massnahmen d) bis h) zu erzielen ist. Diese Länder
besitzen dann die Grundvoraussetzung und können somit wegbereitend sein für die
Entwicklung und Anwendung neuer Techniken zur Einschränkung der Emissionen in
den Bereichen Transport und Wärme. Die beiden Bereiche seien im Folgenden analy-
siert.

1.7.3.5 Transportbereich
Die Emissionen werden fast ausschliesslich durch den aus Erdöl gewonnenen Treibstoff
verursacht, der im Jahre 2004 weltweit für rund 22% der CO,-Emissionen verant-
wortlich war, mit steigender Tendenz (OECD 2996, Nicht-OECD 15%). Kurzfristig
kann durch die Verbesserung der Effizienz (und damit verbundene Reduktion des CO,-
Ausstosses pro gefahrener km), durch die Hybridtechnik (mit Elektromotor als Se-
kundärmotor) und durch teilweise Substitution von Benzin und Diesel mit Biotreib-
stoffen (wobei bei letzteren ökologische Bedenken sehr angebracht sind und einer
näheren Prüfung bedürfen) der Anstieg in Schranken gehalten werden.
Mittel- und langfristig ist jedoch der Klimaschutz nur durch einen Paradigmawech-
sel möglich. Die Zukunft gehört zwangsläufig der Hybridlösung mit Elektromotor als
Primärantrieb und einem Verbrennungsmotor als Sekundärmodul zur Verbesserung der
Autonomie (soweit als möglich mit Biotreibstoffen betrieben, sofern deren Erzeugung
eine gute C02-Bilanz aufweist und mit der weltweit notwendigen Nahrungsmittel-
produktion verträglich ist). Mindestens 75% der Fahrzeuge haben eine Tagesfahr-
leistung von weniger als 50 km. Die Batterie des Elektromotors kann somit nachts
nachgeladen werden, was zumindest einen weitgehend CO,-freien Stadtverkehr er-
möglicht. Eine ausreichende und möglichst CO,-freie Elektrizitätsproduktion sowie
leistungsfähige Batterien sind Voraussetzung für diese Umstellung, die deswegen,
wenigstens weltweit, nicht unmittelbar bevorsteht. Der Antrieb des Elektromotors mit
einer Brennstoffzelle könnte langfristig ebenfalls einen wichtigen Beitrag leisten; dazu
benötigt man aber aus CO,-freien Energien hergestellten Wasserstoff.
Der Wechsel zwingt sich auch aus rein wirtschaftlichen Überlegungen auf. Der
Treibstoff für einen sehr effizienten Mittelklasswagen mit einem Verbrauch von z.B.
6 1 Benzin pro 100 km (Emissionen ca. 140 g C0,Ikm) kostet heute bei einem Preis von
1.4 Euroll etwa 8.4 Euro1100 km. Der Energieinhalt von 6 1 Benzin ist 52.6 kWh und
ergibt bei einem durchschnittlichen Wirkungsgrad von 20% eine mechanische Antriebs-
leistung (Nutzenergie) von 10.5 kWhIlOO km. Der Preis der mechanischen Antriebs-
energie ist deshalb schon heute mindestens 80 ct1kWh und hat steigende Tendenz. Mit
dem Elektromotor lässt sich samt Batterie und Leistungselektronik ein durchschnitt-
licher Wirkungsgrad von mindestens 65% erreichen, was für dieselbe mechanische
Antriebsenergie von 10.5 kWh zu einem Elektrizitätsverbrauch von höchstens 16
kWhIl00 km fuhrt. Um mit dem Verbrennungsmotor betreffend Energiekosten gleich-
zuziehen, darf also die elektrische Energie ab Steckdose zur Aufladung der Batterie
52 1 Energiewirtschafi und Klimawandel

50 ct1kWh und mehr kosten Der analoge Vergleich mit Dieseltreibstoff fuhrt zu
mindestens 45 ctlkwh. Demzufolge ist schon heute der„Treibstoff' Elektrizität ab Netz
in den meisten Länder deutlich billiger als Benzin oder Diesel, und der Zeitpunkt ist
nicht mehr fern, dass selbst in Kleinanlagen photovoltaisch erzeugte Elektrizität
günstiger sein wird. Selbst wenn man einen Antriebsleistungszuschlag für das grössere
Gewicht des Elektroautos (Batterie) berücksichtigt, ist ein deutlicher Vorteil bei den
Energiekosten zu verzeichnen.

1.7.3.6 Wärmebereich
Die Wärmeanwendungen (ohne Elektrizität) verursachten 2004 weltweit 33% der CO,-
Emissionen. Dies gilt nahezu in gleichem Masse für die OECD-Länder (3 1%) und für
den Rest der Welt (35%).
Eine möglichst emissionsfi-eie Komfortwurme sollte bei entsprechender Förderung
keinen besonderen Schwierigkeiten begegnen. Dazu eignen sich: Solararchitektur und
gute Isolation (Minergie-Standard), Solarkollektoren, Biomasse (Holz), nicht zuletzt
Fernwärme (Wärmekraftkopplung) und (zur Nutzung von Umgebungswärme und
Geothermie) vor allem die Wärmepumpe. Für letztere gilt die Einschränkung, dass
möglichst CO,-freie Elektrizität dazu verwendet werden sollte (in der Schweiz und
Frankreich sind die Bedingungen dazu ideal), was der Bedeutung einer CO2-armenund
ausreichenden Elektrizitätsproduktion eine weitere Dimension hinzufügt. Mit einer
modernen Wärmepumpe werden 25-30% der Heizenergie von der Elektrizität geliefert.
Bei der Prozess~~arme sollte der Anteil an Brennstoffen zugunsten der (möglichst
CO,-freien) Elektrizität verringert und im industriellen Bereich auch durch effizientere
Verfahren und Einsatz von Biomasse vor allem in Form von Abfallen möglichst
emissionsfrei gemacht werden.
Bei der Verwendung von Biomasse sei nochmals betont, dass diese nur dann CO,-
neutral ist, wenn die Abholzung im Gleichgewicht mit dem Zuwachs steht (Erhaltung
der Wälder und insbesondere der Regenwälder).
2 Wirtschaftlichkeitsberechnungen

Planung und Betrieb energiewirtschaftlicher Anlagen erfordern umfangreiche Ana-


lysen technischer und wirtschaftlicher Art. Die Analysen umfassen u.a. Energie-,
Rohstoff-, Abwärme- und Ökobilanzen [2.3]. Bei der Planung sind auch politische
Aspekte zu berücksichtigen, wie Fragen der Akzeptanz. Allgemeine Gesichtspunkte
für die Behandlung energietechnischer Probleme sind in [2.2] zu finden. Für die
Einbettung in die allgemeinen Grundlagen wirtschaftlichen Handelns bei Wettbewerb
sei auch auf die Abschn. 3.6 und 3.7 verwiesen. Folgende technisch-wirtschaftliche
Aspekte seien hier erwähnt:
- Inve.~titionsvorhahensind wirtschaftlich zu untermauern. Wichtige Entscheidungs-
grundlage dazu bildet die lnvestitionsrechnung, Hauptthema des Abschn. 2.1. Sie
bewertetjährlich anfallende Kapital- und Betriebskosten oder Erlöse verschiedener
Ausführungsvarianten.
- Die einzelnen Anlageteile wie auch die Anlage als ganzes sind im Rahmen der
Planung in technisch-ökonomischer und in Zukunft vermehrt in technisch-
ökonomisch-ökologischer Hinsicht zu optimieren. Bei der technisch-ökonomischen
Optimierung geht es oft um die Suche nach dem optimalen Wirkungsgrad, da mit
zunehmendem Investitionsaufwand die Verluste reduziert und somit der Wirkungs-
grad verbessert werden kann. Ein Beispiel solcher Rechnungen ist in Band 1,
Abschn. 1 1.3, gegeben worden.
- Beim Betrieb der Energieversorgungsanlagen sind Kosten- und Ertragsberech-
nungen durchzuführen, um den Einsatz der Anlagen möglichst wirtschaftlich zu
gestalten und nötigenfalls Verbesserungen anzubringen. Es wird dann von Be-
triehsoptimierung gesprochen, dazu Näheres in Kap. 14.
Anlagen der Energiewirtschaft sind meist langlebig und haben eine Bauzeit, die sich
über mehrere Jahre erstrecken kann. Für den wirtschaftlichen Vergleich sind Diskon-
tierungsve$zhren anzuwenden, wie die Kapilalwert- und Annuitatsmethode. Sie
werden im Folgenden als rein kostenorientierte Verfahren eingeführt, können aber in
derselben Weise auf Erlöse angewandt werden. Beide auch als dynamisch bezeichnete
Methoden beruhen auf dem Prinzip, Investitionen und Betriebsaufwendungen (oder
Erlöse), die zu verschiedenen Zeitpunkten anfallen und deshalb verschieden zu
bewerten sind, auf einen gemeinsamen Bezugszeitpunkt umzurechnen und dann zu
addieren (Abschn. 2.1).
In der Elektrizitätswirtschaft ist die klassische lnvestitionsrechnung weitgehend
kostenorientiert, dazu s. Abschn. 2.2. lm Zuge der Liberalisierung treten immer mehr
erlösorientierte, auf den Markt ausgerichtete Verfahren in den Vordergrund. Auf diese
Zusammenhänge wird in Kap. 3 eingegangen. Für die Strompreisgestaltung (stark
beeinflusst durch das natürliche Monopol Netz) s. insbesondere Abschn. 3.6.
54 2 Wirtschaftlichkeitsberechnungen

2.1 lnvestitionsrechnung, Diskontierungsverfahren

2.1 .I Kapitalwertmethode

Alle Aufwendungen (auch negative, z.B. Restwerte am Ende der Lebensdauer der
Anlage) werden auf einen gemeinsamen Zeitpunkt, meist den Inhetriebnahmezeit-
punkt der Anlage, bezogen. Ausgaben A„ die k Jahre nach dem Bezugszeitpunkt
anfallen, werden umgerechnet nach der Formel
q = Zinsfaktor,
5 mit ( im einfachsten Fall q = I + i , (2.1)
4 mit i = kalkulatorischer Zins .
Für Ausgaben, die vor der Inbetriebnahme, also während der Bauzeit anfallen, ist k
negativ. Der Zins entspricht i.d.R. dem Realzins (inflationsbereinigter Zins), der für
Eigen- oder Fremdkapital einzusetzen ist. Für Näheres s. z.B. [2. I].
Die Summe aller so umgerechneten Hauptinvestitionen während der Bauzeit plus
evtl. Zusatzinvestitionen während der Nutzungsdauer und Kosten während des
Abbaus (minus Restwert wiederverwendbarer oder veräußerbarer Anlageteile), s.
Abb. 2.1, ergibt den Buuwert der Investitionen B,,,,.:

Die Summe aller über die Nutzungsduuer der Anlage (auch kalkulatorische Lebens-
dauer oder Abschreibungsdauer oder Amortisationsdauer genannt) auf den Bezugs-
zeitpunkt umgerechneten Jahres-Betriebskosten ergibt den Bauwert der Betriehs-
kosten B„,, :

Bbetr =
2 Ak betr

k=l q

Falls A„„, = konst. = A„ folgt entsprechend der Summenformel einer geometrischen


Reihe

worin A, die zum lnbetriebnahmezeitpunkt berechneten jährlichen Ausgaben darstellt.


Um Änderungen der Realbetriebskosten während der Nutzungsdauer zu berück-
sichtigen, können die jährlichen Betriebskosten durch die Rekursionsformel

Bau Nutmngsdauer Abbau

-nl 0 n n+p

Abb. 2.1. Investitions- und Betriebskostenzeitplan, Jahr 0 = lnbetriebnahmejahr


2.1 lnvestitionsrechnung, Diskontierungsverlahrcn 55

Ak = Ak-, (1 + e ) = Ao (I + e)k mit e = Eskalationsrate (2.5)

beschrieben werden. Aus GI. (2.3) folgt,

gesetzt 4, 4
= - - -,
- U+i)
(l+e) (I + e )

und somit analog GI. (2.4)

ß wird Abzinsun~aklovgenannt.Sind die jährlichen Aufwendungen konstant, erhält


man den Spezialfall e = 0, und es folgt q , = q = (1 + i).
Nach der Kapitalwertmethode bildet dertotale Bauwert (B,,,, + B„„) aller Aufwen-
dungen, auch Kapitalwert genannt, das Kriterium für die Kostenbewertung ver-
schiedener Varianten.

Beispiel 2.1
Ein Kraftwerk erfordert eine Bauzeit von 5 Jahren bis Inbetriebnahme und einen
Gesamtaufwand von 68 Mio. C., die sich mit 6.8, 13.6, 27.2, 13.6, 6.8 Mio. € am
Ende der 5 Jahre verteilen.
a) Welcher ist der Bauwert der Investitionen, bei einem Realzins von 4%? Die
Abbaukosten (minus Restwert) seien vernachlässigbar.
b) Vorgesehen ist eine Nutzungsdauer von 30 Jahren, während welcher konstante
Betriebskosten von 3.4 Mio. €/a anfallen. Man bestimme den Kapitalwert der
Anlage.
C) Wie verändert sich der Kapitalwert, wenn z.B. auf Grund einer Brennstoffverteue-
rung die Betriebskosten um I %/a eskalieren?

6.8 13.6 + - 27.2 + - 13'6 6.8 73.6 M o . € .


B,," = -+ - + =
1 .04-4 1 .04-3 1 .0K2 1 .O4-'
56 2 Wirtschaftlichkeitsberechnungen

Kapitalwert = 73.62 + 58.79 = 132.4 Mio.€

Kapitalwert = 73.6 + 66.9 = 140.5 Mio. €

2.1.2 Annuitätsmethode
Werden die auf den Bezugszeitpunkt umgerechneten Gesamtinvestitionen oder
Anlagekosten A (also A = B„„,)während der Nutzungsdauer linear abgeschrieben
und der Zinsaufwand gemittelt, ergeben sich konstante jährliche Kapitalkosten
ahp A [€Ja] . (2.8)
a„, wird als Annuitätsfaktor oder einfach als Annuitut in % der Anlagekosten
bezeichnet. Da die jährlichen Kosten konstant sind, folgt entsprechend der bereits in
GI. (2.4) verwendeten Summenformel und mit q = (I+ i)

i
[%Ja] .
1 (2.9)
1- -
(1 + i)"

Die Kapitalkosten-Annuität a„„, kann aus dem Zins mit Formel (2.9) berechnet
werden. Eine Schätzung (~nterschätzung!)ergibt sich grob nach der Formel lln +
112 . i (Amortisierung + mittlere Verzinsung ohne Zinseszinsen).
In ähnlicher Weise ergibt sich für die mittleren jahrlichen Betriebskosten
Bbeh [€Ja1 .
Werden diese mittleren Betriebskosten ebenfalls auf die Anlagekosten bezogen, d.h.
in Prozent der Anlagekosten ausgedrückt, so ergibt sich eine Betriebskosten-Annuität
a„,, . Bei Berücksichtigung der GI. (2.7) folgt

woraus
2.1 Investitionsrechnung, Diskontierungsverfahren 57

Falls e = 0 (d.h. keine Eskalation der Betriebskosten), ist ß = a„ (Abzinsungsfaktor


= Annuitätsfaktor) und somit a„,, = AJA.
Die totalen Jahreskosten K lassen sich nach der Annuitätsmethode mit der einfachen
Formel berechnen
K = aA [%Ja-€=€la], mit a = a„+ ab,*. (2.1 1)
Die Gesamtjahreskosten werden als Kriterium für den Vergleich der Investitions-
varianten genommen. Da a A = ab, (B,,,, + B„,,), fuhren Kapitalwertmethode und
Annuitätsmethode zum selben Ergebnis.

Beispiel 2.2
Für die Anlage von Beispiel 2.1 sollen die Kapitalkosten-Annuität, die Betriebs-
kosten-Annuität und die totale Annuität sowie die Jahreskosten berechnet werden,
ohne und mit Eskalation der Betriebskosten. Man zeige die Äquivalenz von Kapital-
wert und Annuitätsmethode auf.

Mit konstanten Betriebskosten ist ß = ab und es folgt

Jahreskosten K = 73.6 . 0.0104 = 7.65 Mio.€la .


Mit Betriebskosten-Eskalation von l%/a folgt hingegen, da ß + ab,

Jahreskosten K = 73.6 . 0.01 104 = 8.13 Mio.€la .

Mit der Kapitalwertmethode folgen die Jahreskosten aus K = a„ (B,,„,+ B„,,). Für
die beiden Varianten ergibt sich

K = 0.05783 132.4 = 7.65 Mio.€la bzw.


K = 0.05783 140.5 = 8.13 Mio.€la ,

womit die Äquivalenz bestätigt wird.


2.2 Kosten der Energie

Die für Bereitstellung, Umwandlung, Übertragung und Verteilung der Energie


entstehenden Kosten setzen sich zusammen aus:
- jesten Jahreskosten für die Amortisierung (Abschreibung) und Verzinsung des
investierten Kapitals sowie für die festen Betriebskosten, wie Personal, Versiche-
rungen, Steuern, Entsorgung, Reparaturen, leistungsabhängige Verluste. Reparatur-
und Entsorgungskosten können energieabhängige Anteile enthalten, die jedoch
i.d.R. pauschal berücksichtigt werden. Diefesten Kosten (auch Fixkosten genannt)
können außerdem in leistungsabhängige (d.h von der Dimensionierung der
Netzlemente abhängige) und leistungsunahhängige Kosten unterteilt werden (s.
dazu z.B. Abschn. 2.3).
- energieabhängigen oder variablen Jahreskosten für Brennstoffe und andere
Hilfsstoffe, eingekaufte Energie und energieabhängige Verluste.
Als Beispiel werden nachfolgend die Kosten der elektrischen Energie abgeleitet.

2.2.1 Kosten der elektrischen Energie


Dietesten Jahreskosten werden nach der Annuitätsmethode gemäß Abschn. 2.1.2,
aber mit a = ab, + a„„ „, berechnet. a„„„, erfasst nur die festen Betriebskosten.
„„„„
Die variablen Jahreskosten könnten durch Einführung von ab<,,, ebenfalls in
Prozent der Anlagekosten in (2.1 1) integriert werden, es ist jedoch sinnvoller, sie in
Abhängigkeit der produzierten oder transportierten Jahresenergie auszudrücken. In
thermischen Kraftwerken entstehen variable Jahreskosten K, für den Brennstoff, in
Pumpspeicherwerken für die eingekaufte Pumpenergie. Bei Übertragungsleitungen
treten variable Verlustkosten auf. Diese drei Fälle werden näher analysiert:

Brennstoffkosten
Die Brennstoffkosten können folgendermaßen ausgedrückt werden:

worin b - Brennstoffpreis in €/kg


H = Heizwert in kcaltkg (Umrechnungsfaktor 860 kcallkwh)
'7 = Kraftwerkwirkungsgrad
W = produzierte Jahresenergie in kWhta.

Pumpenergiekosten
Der Einkauf der Pumpenergie verursacht in Pumpspeicherwerken die Kosten

Kv kP
= - [Wo] ,
tlt 17, w~
worin k„ = Einkaufspreis der Pumpenergie in €/kWh
V, = Wirkungsgrad im Turbinierbetrieb
2.2 Kosten der Energie 59

V/, = Wirkungsgrad im Pumpbetrieb


W = produzierte Jahresenergie in kWhla.

Kosten durclt Leitungsverluste


Für die Jahresverlustkosten einer Leitung kann geschrieben werden (Band I, Abschn.
I 1.3)

worin U = Übertragungsspannung in kV
R = Widerstand der Leitung in Q
S, = Nennübertragungsleistung in kVA
h,,, = Jahresdauer der Nennverluste in hla
k, = Bewertung der übertragenen Energie in €/kWh.

Mit dem Faktor a„iß kann in den drei Fällen ein über- oder unterproportionales
Ansteigen der realen Brennstoffpreise, der einzukaufenden Pumpenergie, des Ener-
giewertes oder auch eine Änderung der im Laufe der Jahre produzierten Energie
berücksichtigt werden. Ist z.B bei der Berechnung der Brennstoffkosten
bk =bo (1 +eb)k und Wk = Wo (1 +ew)k,
folgt

Die einzusetzende totale Eskalationsrate ist e = e, + e„,+ e, e,,

Jahreskosten der elektrischen Energie


Die Jahveskosten der elektrischen Energie lassen sich statt mit GI. (2.1 1) durch
folgende Summe der festen und variablen Kosten ausdrücken

worin zusammenfassend: A = Anlagekosten, a = ab, + a„„„, und K,. = variable


Kosten gemäß Gln. (2.12)-(2.14) darstellen.

2.2.2 Spezifische Energiekosten an den Kraftwerksklemmen


Werden die Jahreskosten (2.15) durch die produzierte Energie Wgeteilt, erhält man
die spezifischen Energiekosten an den Kruftwevksklemmen:

mit k,. = K,. /W = spezifische energieabhängige Jahreskosten des Kraftwerks in


€/kWh.
60 2 Wirtschaftlichkeitsberechnungen

Durch Einführung der installierten Leistung P und Definition der Benutzungsdauer


h der installierten Leistung in h/u und der spezijischen Anlugekosten a (€lkW) folgt

Aus den Gln. (2.12) und (2.13) folgen fur die energieabhängigen Jahreskosten k,,:
für Brennstoff:

für Pumpenergie:

Abbildung 2.2 zeigt die Abhängigkeit der spezifischen Energiekosten k von der
Benutzungsdauer der installierten Leistung. Spitzenkraftwerke mit z.B. 500-1 000 h/u
Benutzungsdauer produzieren bei gleichen Investitionen wesentlich teurere Energie
als Grundlastkraftwerke mit einer Benutzungsdauer von 6000 und mehr hla.

spezif. Kosten

Abb. 2.2. Spe7ifische Energiekosten k (£/kWh) und spc~ifischeJahrcskosten c in


Abhängigkeit der Benutzungsdauer der inctallierten Leictung h (lila)
2.2 Kostcn der Energie 61

2.2.3 Spezifische Jahreskosten der Kraftwerke


Interessant sind auch die spezzfischen.Jahreskosten C der Kraftwerke bezogen auf die
installierte Krafiwerkleistung P (i.d.R. Generatorleistung). Man erhält

Den grundsätzlichen Verlauf von c in Funktion der Benutzungsdauer h zeigt ebenfalls


Abb. 2.2. Die spezifischen Jahreskosten C eignen sich dank der Linearität sehr gut für
den Variantenvergleich, wie Abb. 2.3 für verschiedene Kraftwerktypen veranschau-
licht. Daraus geht klar hervor, dass die von der Einsatzari abhängige Benutzungsdauer
die Wirtschaftlichkeit eines Kraftwerkkonzeptes maßgebend beeinflusst (für Näheres
s. Kap. 3 und 14).

4 b)
C

GTK ÖKW
PSKW

HKW
,

Abb. 2.3. Typischcr Vcrlauf dcr spezifischen Jahreskosten a) hydraulisclicr und b) ther-
mischer Kraftwerke in Abhängigkeit der Benutzungsdauer: HKW Wasserkraftwerke, PSKCV
Pumpspeicherkraftwerke, GTKGasturbinenkraftwerke (Sir Spitzenbetrieb),~ ~ ~ Ö l k r a f t w e r k e
(oder Kohlekraftwerke), KKW Kernkraftwerke

2.2.4 Kosten der elektrischen Energie am Verbraucher


Zu den Kraftwerkkosten kommen die Jahreskosten der Energieübertragung und
-verteilung (EÜv) sowie der Netzführung. Insgesamt ergeben sich aus den vorher-
gehenden Betrachtungen folgende globale Energiekosten am Endverbraucher:

worin
k mittlere Energiekosten an den Krafiwerkklemmen
W, an die Endverbraucher abgegebene Jahresenergie
% mittlerer Wirkungsgrad WJW der EÜV
A,,, a„ Anlagekosten und Annuität der EÜV einschließlich Netzfuhrung, Unterhalt
und allgemeine Betriebskosten.
Es ist Aufgabe des Betreibers der Übertragungs- und Verteilanlagen, Anlagekosten
und Wirkungsgrad des Energieübertragungs- und -verteilsystems zu optimieren unter
Berücksichtigung aller Betriebsaspekte
aUAU + K,,,, ---> Min.
s. dazu Band 1 , Abschn. 1 1.3, GI. (2.14), und Kap. 14.

Beispiel 2.3
Das Kraftwerk von Beispiel 2.1 habe eine Leistung von 100 MW und eine
Benutzungsdauer von 2000 hla. Die festen Betriebskosten betragen 1.59 Mio €/a.
Man berechne die spezifischen Jahreskosten sowie die Energiekosten des Kraftwerks
im Fall zeitlich konstanter Betriebskosten.
Die Annuität der festen Kosten ist

und die spezifischen Investitionen

Die variablen Betriebskosten sind absolut und spezifisch

Für die spezifischen Jahreskosten folgt

und für die Energiekosten


3 Elektrizitätswirtschaft, Liberalisierung

Die Abschn. 3.1 -3.4 befassen sich mit den klassischen Aspekten, betreffend die
Entwicklung des Verbrauchs und dessen Deckung mit hydraulischen (Kap. 4) und
thermischen Kraftwerken (Kap. 5), die heute den weit größten Teil der Elektrizität
liefern. Andere Methoden der Stromerzeugung werden in Teil 111 behandelt.
Die Elektrizitätswirtschaft befindet sich auf Grund der weltweiten Liberalisierung
in einer Umbruchphase. In den Abschn. 3.5-3.8 werden die sich mit der Einfihrung
des Wettbewerbs stellenden Fragen und deren mögliche Auswirkungen sowie die
Funktionsweise liberalisierter Elektrizitätsmärkte und das damit verbundene Risiko-
management im Detail besprochen.

3.1 Verbrauch elektrischer Energie


Der Verbrauch an elektrischer Energie hat in den letzten 50 Jahren in allen Indu-
strieländem stark zugenommen. In der Schweiz betrug der Endverbrauch im Jahre
2006 rund 56'782 GWh oder 7646 kWh/Kopf. Werden zum Endverbrauch die
Netzverluste addiert, so ergibt sich der Landesverbrauch, dessen Zunahme seit 1950
in Abb. 3.1 dargestellt wird. Die Stagnation zu Beginn der 90er Jahre war die
kumulierte Folge wirtschaftlicher Rezession und relativ milder Winter. Die Netz-
verluste machen rund 7% des Landesverbrauchs aus. Für die analoge Entwicklung in
Deutschland s. z.B. [3.18], [3.10].
Tabelle 3.1 zeigt den europaweiten Stand 2005 und die Entwicklung seit 1980. Mit
Ausnahme von Skandinavien liegen alle Länder im Pro-Kopf-Landesverbrauch

Landeswrbrauchl
Consomrnation du pays

Centrales E accurnulaf~on

Cennales au fil de I'eau

1950 1955 1960 1965 1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000 2005

Abb. 3.1: Entwicklung des Landesverbrauchs an elektrischer Energie in der Schweiz und
dessen Deckung seit 1950 [3.5]
64 3 Elektrizitätswirtschaft, Liberalisierung

zwischen 5000 und 9000 kWh. Die Gründe für die wesentlich höheren Werte der
skandinavischen Länder sind: das strenge Klima, der hohe Anteil der elektrischen
Energie am Energieverbrauch durch Elektroheizung (in Norwegen z.B. 47%, im
Vergleich zu 21% in der Schweiz) und die überdurchschnittlich vertretenen Indu-
striebranchen mit hoher Energieintensität. In der Schweiz sind diese Industrien eher
untervertreten, was z.B. im hohen lmportsaldo an grauer Energie zum Ausdruck
kommt (s. Abschn. 1.3.3).
Auch die Zunahmeraten seit 1980 weisen deutliche Unterschiede auf, von 91%
(Finnland) bis 34% (Schweiz), mit einem EU- 15-Durchschnitt von 60%. Die Zahl für
Deutschland ist niedrig, weil der Verbrauch für 1980 die neuen Bundesländer nicht
einschließt, und deshalb nicht direkt vergleichbar.

Tabelle 3.1. Stromverbrauch (Landesverbrauch) 2003 und Zunahme des Verbrauchs pro
Kopf cinigcr Ländcr Europas [3.5], [3.1 I ]

Land Verbrauch Einwohner VerbrauchIKopf Zunahme W]


[GWh] in 1000 [hWh] 1980-2003
Nonvegen 125' 908
Schweden 147' 332
Finnland 85' 006
Schweiz 61' 637
Belgien 86' 739
Frankreich 482' 027
Österreich 63' 263
Deutschland 535' 585
Niederlande 114'302
Großbritannien 386' 827
Italien 327'616
EU- 1 5 2'639'217
* 1980: nur alte Buiidesländcr

3.1. I Struktur des Energieverbrauchs


Die Aufteilung des Stromverbrauchs nach Kundenkategorien am Beispiel der
Schweiz zeigt Abb. 3.2. In den letzten 20 Jahren haben sich vor allem der Haushalts-
(1984: 28.7%) und der Dienstleistungsbereich (1 984: 23.2%) auf Kosten der anderen
Bereiche ausgeweitet. Für Deutschland s. [3.10].

3.1.2 Schwankungen des Energiebedarfs


Da Energie im Netz nicht gespeichert werden kann, muss die Energieerzeugung
ständig dem Energiebedarfangepasst werden. Für die kurz- und mittelfristige Planung
des Kraftwerkeinsatzes ist es notwendig, die Schwankungen des Energiebedarfs zu
kennen. Dessen typisches Verhalten sei am Beispiel der Schweiz aufgezeigt.
3.1 Verbrauch elektrischer Energie 65

I DienstleistungenI I Landwirtschaft,Gartenbau I

I
i Industrie. verarbeitendes Gewerbe I

Abb. 3.2. Stromverbrauch der Schweiz in 2006 nach Kundenkategorien


Es wird unterschieden zwischen saisonalen, wochenendbedingten und tageszeitlichen
Verbrauchsschwankungen. Im Winter ist im Jahresvergleich der Verbrauch, wie in
Abb. 3.3 dargestellt, aus klimatischen Gründen, aber auch weil die Hauptferienzeiit
in den Sommer fallt, deutlich höher. Relativ zum Jahresmittelwert betrugen die max.
Abweichungen der monatlichen Mittelwerte im Jahr 2006 +18% und - 12%. Der
Klimawandel könnte diese Tendenzen reduzieren oder gar umkehren. Im Jahr 1997
waren die Abweichungen ausgeprägter, wie von Abb. 3.3 veranschaulicht.
Am Wochenenderuht teilweise die wirtschaftliche Aktivität, und die entsprechendie
Reduktion des Verbrauchs hat sich seit 1960 gemäß Abb. 3.4 eniwickelt. Die Prozent-
zahlen stellen das Verhältnis zwischen Wochenend- und Mittwochverbrauch dar. Mzn
beachte die auch soziologisch interessante steigende Tendenz des Wochenendverr-

Lsnderverbraurh
Consomnettondu pays

Lauf krzftvierkc
Crntrales au fil dc I'edo

Keriiktdwcikc
Centrales nutlealrei

Konvenriotisll-ther~nirthcund andere Xrakvierke


U J I 1 I I 1 1 Centrdler itieir~iiilueicldsiqucs rl diwm
, F U A IM J I L: 5 n N o

Abb. 3.3. Saisonale Schwankungen des monatlichen Landesverbrauchs in der Schweiz im


Jahr 1997 und dessen Deckung [3.4]
66 3 Elektrizitätswirtschaft, Liberalisierung

'
80
a a g
- -
samstag
._ -- - -
,
,
- _,Sonntag Sonntag
60

Abb. 3.4. Verhältnis von Wochenend- und Mittwochverbrauch seit 1960 in der Schweiz

brauchs (im Sommer nur bis Ende der 80er-Jahre), begleitet während der 60er- und
7Oer-Jahre von einer progressiven Venvischung des Unterschieds zwischen Samstag
und Sonntag.
Für die rasche Anpassung der Leistung an die Last (Leistungsregelung der
Kraftwerke) sind die tageszeitlichen Schwankungen des Verbrauchs von Bedeutung.
Abbildung 3.5 zeigt für vier Werktage der Monate März, Juni, September und
Dezember 2006 den typischen Verlauf des Landesverbrauchs und der Belastung
durch Speicherpumpen in der Schweiz. Deutlich erkennbar ist die wesentlich höhere
Belastung im März und Dezember (Spitzenleistung Ca. 9600 MW). In diesen Mona-
ten ist mit einem Importsaldo zu rechnen, während im Sommer die Energiebilanz
immer Exportsaldi aufweist. Der Tagesgang der Ein- und Ausfuhrsaldi ist in Abb. 3.5
ebenfalls zu erkennen.

Verbrauch. Emfuhr. Ausfuhr


Consommation, imporiatton,
exportation

Ausfuhrüberschuss
Solde exponateur

Verbrauchder
Speichwpumpen
Consommationpour le
pornpage d'accumularion

Einfuhrubcrschurr
Solde imporiateur

Landesverbrauchohne
Verbrauchder
Speicherpurnpen
Consornrnationdu päy
sanr pornpage

Abb. 3.5. Typischer tageszeitlicher Verlauf (dritter Mittwoch des Monats) der
Gesamtbelastung des schweizerischen Netzes sowie Import-IExportsaldi [3.5]
3.2 Deckung des Elektrizitätsbedarfs 67

3.2 Deckung des Elektrizitätsbedarfs


3.2.1 Kraftwerkarten
Elektrizität wird weltweit fast ausschl. ausfossilen und nuklearen Brennstoffen sowie
Wasserkraft erzeugt. Die restlichen Energieträger, wie Geothermie, Biomasse,
Gezeiten, Wind und Solarstrahlung, tragen vorläufig nur wenig zur Elektrizitäts-
produktion bei (2004: Ca. 2%). Die Szenarien der IEA (Referenz- und Altemativ-
Szenario, Kap. 1) sehen f i r 2030 Beiträge von 7% bzw. 10%. Im Klimaschutz-
szenario des Autors sind es 2 1% (Abschn. 1.7).
Bei den Wasserkraftwerken wird unterschieden zwischen:
- Laufkraftwerken
- Speicherkraftwerken mit Tages-, Wochen-, Jahres- und Mehrjahresspeicherung.
Als besondere Art von Speicherkraftwerken sind die Pumpspeicherwerke zu
erwähnen;
(Näheres in Abschn. 3.3 und Kap. 4).
Die thermischen Kraftwerke werden unterteilt in:
- Dampfkraftwerke (mit fossilen und nuklearen Brennstoffen)
- Gasturbinenkraftwerke
- Dieselkraftwerke;
(Näheres in Abschn. 3.4 und Kap. 5).
Den Anteil der verschiedenen Kraftwerktypen an der Deckung des Elektrizitäts-
bedarfs der Schweiz und dessen Entwicklung seit 1950 zeigt Abb. 3.1. Die Elek-
trizitätserzeugung beruhte bis in die 60-erJahre einzig auf der Wasserkraft. Erst im
Laufe der 70er Jahre kam durch den Einsatz der Kernenergie ein bedeutender Anteil
an thermischen Kraftwerken dazu.

Wasserkraft C?Kernkraft Kona.-therm.K r a h c r k e divers^


Production Production Prodiiction therm. classique Divers
hydraulique nutleaire
Abb. 3.6. Erzeugungsstruktur einiger europäischer Länder 2006 [3.5]
68 3 Blektrizit%tswirtschaIt. Liberalisierung

In Europa treten alle Varianten auf (Abb. 3.6), von der nahezu rein hydraulischen
Produktion Norwegens bis zur weitgehend thermischen Produktion in Deutschland
(4% Wasserkraft, 5% Windenergie). Der Anteil der Kernenergie ist aus Gründen der
unterschiedlichen politischen Akzeptanz sehr verschieden. Er betrug 2006: 78% in
Frankreich, 42% in der Schweiz, 28% in Deutschland, 0% in Italien und Österreich
und 32% im EU-1 5- Durchschnitt.

3.2.2 Kraftwerkeinsatz
Der Einsatz der Kraftwerke erfolgt in einem vertikal integrierten Energieversor-
gungsunternehmen (Abschn. 3.5) nach den klassischen Kriterien der wirtschaftlichen
Betriebsoptimierung (Band 1 , Abschn. 9.6.5). Mittelfristig, d.h. jahreszeitlich, geht
es darum, das örtlich und zeitlich veränderliche Wasserdargebot optimal einzusetzen
und auszugleichen und den Einsatz der thermischen Kraftwerke bzgl. Unterhalt und
Revision zu planen. Kurzfristig, d.h. tageszeitlich, stehen die Fragen der Regelung,
Sicherheit, Brennstoffkosten- und Verlustminimierung im Vordergrund.
Durch die Liberalisierung verschiebt sich die Optik etwas, doch die Grundverfah-
ren bleiben dieselben (zur Vertiefung s. die Absclin. 3.5, 3.7 und Kap. 14).
3.2.2.1 Jahreszeitlicher Einsatz der Kraftwerke
Die bisherigen Verhältnisse in der Schweiz werden in Abb. 3.3 für das Jahr 1997
veranschaulicht. Im Sommer kann durch die Laufkraftwerke etwa die Hälfte des
Landesbedarfs gedeckt werden (das Jahr 1997 lag bzgl. Wasserdargebot nicht weit
vom langjährigen Durchschnitt). Den Rest liefern die Kernkraftwerke, die das ganze
Jahr mit konstanter Leistung fahren, aber in den Sommermonaten alternierend
abgestellt werden, um Brennstoffwechsel und Revisionsarbeiten zu ermöglichen. Die
Speicherkraftwerke dienen dann außer zur Regelung auch als Reserve und dem
Export von Spitzenenergie.
Ganz anders die Situation im Winter. Trotz vollem Einsatz der thermischen
Kraftwerke ist auf Grund des zurückgehenden Laufwasserangebots die volle Produkti-
on aus den Speicherkraftwerken nötig, um den Landesbedarf zu decken.
Wird das energiepolitische Ziel einer irn Wintersemestermoglichst ausgeglichenen
Import-/Exportbilan¿ angestrebt, muss sich der Ausbau der Kraftwerkkapazität nach
den Bedarfs- und Wasserdargebotsprogiiosen für den Winter richten. Iin Rahmen der
europaweiten Liberalisierung könnten im Prinzip energiepolitische Forderungen bzgl.
Selbstversorgungsgrad wegfallen. Aber ökologische Erwägungen, vor allem die CO,-
Emissionen betreffend, raten für die kommenden Jahrzehnte zur Vorsicht.

3.2.2.2 Tageszeitlicher Einsatz der Kraftwerke


Den prinzipiellen Einsatz der Kraftwerke zur Deckung des täglichen Energiebedarfs
zeigt Abb. 3.7. Betrieblich werden je nach Größe der Tagesbenutzungsdauer h
Grundlast-, Mittellast- und Spitzenlastkraftwerke unterschieden. Nachfolgend
aufgeführte technische und wirtschaftliche Gesichtspunkte sind maßgebend.
3.2 Deckung des Elektrizitätsbedarfs 69

Abb. 3.7. a) Tagesleistungsdiagrarnm b) Tagesdauerlinie I Grundlastkraftwerk


2 Mittellastkraftwerk 3 Spitzenlastkraftwerk

Technisclze Aspekte
In Laujkraftwerken richtet sich die Leistung nach der verfügbaren Wassermenge, die
innerhalb eines Tages ziemlich konstant bleibt. Die Laufkraftwerke werden dem-
zufolge im unteren Teil des Leistungsdiagramms einen wichtigen Beitrag zur De-
ckung der Grundlast liefern. Eine rasche Regelung der Leistung durch Änderung des
Gefälles (Wasserspiegel), also Speicherung im Stundenbereich, und somit ein gewis-
ser Beitrag zur Mittellast ist möglich. Wasserturbinen eignen sich bestens dazu (s. für
die Schweiz Abb. 3.8). Speicherkruftwerke und PumpspeicherkraJtweerk sind dank
des Speichers, aber auch auf Grund der kurzen Anlaufzeiten und der raschen Regel-

Ki~nveii1ianclI-thcrmt'1ch~
iitid andere Kraftwerke
Ccntralri rhermques
&iiique< rl divrn

Abb. 3.8. Typischer tageszeitlicher Verlauf der Energieerzeugung schweizerischer Kraft-


werke nach [3.5]
70 3 Elektrizitätswirtschaft, Liberalisierung

barkeit hervorragend zur Deckung der Spitzenlast geeignet. Sie kommen deshalb
zuoberst im Leistungsdiagramm zum Einsatz (Abb. 3.8).
Die verbleibende Lücke, wenn vorhanden, muss durch thermische Kraftwerke
gedeckt werden. Die Regelbarkeit thermischer Anlagen ist sehr unterschiedlich:
Gasturbinen und Dieselkruf~erkekönnen rasch an den Bedarfangepasst und deshalb
auch zur Deckung von Spitzenlast eingesetzt werden. Dampjkrafiwerke und ganz
besonders Kernkrafberke sind träge und werden zur Deckung der Grundlast verwen-
det. Kombikruftwerke (kombinierte Gas-Dampfkraftwerke) eignen sich in idealer
Weise zur Deckung der Mittellast (Näheres in Kap 5).
Wirtsclzaftliclz e Aspekte
Die Benutzungsdauer der installierten Leistung bestimmt in hohem Masse die Wirt-
schaftlichkeit des Kraftwerks. Je größer die Benutzungsdauer, umso weniger fallen
die festen und umso mehr die variablen Kosten ins Gewicht (Abschn. 2.2, Abb. 2.3).
Betrieblich sind die variablen Kosten maßgebend. Von unten nach oben (Abb. 3.7)
werden zuerst die verfugbaren Kraftwerke mit den kleinsten variablen Kosten (im
Wesentlichen Brennstoffkosten) eingesetzt, welche die jeweils erforderlichen tech-
nischen Kriterien (Regulierbarkeit) erfüllen, und erst dann, wenn nötig, die mit den
teueren variablen Kosten: In Deutschland z.B. von unten nach oben i.d.R.: Kernen-
ergie, Braunkohle, Steinkohle, Heizöl, Erdgas, Speicherwasser, Spitzenenergie-
importe, wobei die Reihenfolge, je nach Marktpreis des jeweiligen Energieträgers,
sich auch ändern kann.

3.2.3 Wasserspeicherung
Die große Bedeutung der Speicherkraftwerke zur Deckung der Spitzenlast wurde in
Abschn. 3.2.2 hervorgehoben. Dazu eignen sich Tages-, Wochen- und Jahresspeicher-
werke. Letztere haben gleichzeitig die Aufgabe, den erheblichen Unterschied im
Wasserdargebot alpiner Gewässer zwischen Sommer und Winter auszugleichen.
Erschwcrt wird diesc Aufgabc durch die große Variabilität des Wasserdargebots. Die
Indizes in Abb. 3.9 geben Auskunft (jeweils für das hydrologische Jahr, beginnend
am 1. Oktober) über die globale Erzeugungsmöglichkeit der schweizerischen Wasser-
kraftwerke, relativ zum langjährigen Mittel der letzten 40 Jahre [3.5]. Dazu ist zu
bemerken, dass die Variabilität noch größer ist, wenn monatliche und regionale Werte
betrachtet werden. Eine Tendenz zu feuchteren Jahren als Folge des klimatischen
Wandels ist deutlich zu erkennen. Das totale Speichervermögen der schweizerischen
Jahresspeicher betrug im Jahre 2004 rund 8700 GWh. Den Jahresverlauf des Spei-
cherinhalts zeigt Abb. 3.10 [3.5].
Die zeitlichen und örtlichen Schwankungen des Wasserdargebots, die Entfernung
zwischen Alpenkraftwerken und Verbrauchszentren und die Forderung nach optima-
lem Einsatz der Kraftwerke haben in der Schweiz schon ti-ühzeitig zum Bau eines
Verbundnetzes für den regionalen Ausgleich und den internationalen Energieaus-
tausch geführt.
3.2 Deckung des Blektrizitätsbedarfs 71

Abb. 3.9. Indizes der Er~eugungsmöglichkeitschweizerischer Wasserkraftwerke

Abb. 3.10. Vcrlaui des Speichcrinhalts schweizerischer Jahrcsspeicher 200512006 sowie


Schwankungsbreite seit 1972173, 100% entspricht 8540 GWh [3.5]

3.2.4 Energieaustausch
Der internationale Energieaustausch erfüllt drei Hauptfunktionen (Näheres über die
UCTE und die Aufgaben des übernationalen Übertragungsnetzes ist in Band 1,
Abschn. 1.3 und insbesondere Abschn. 1.3.3 zu finden):
- den Austausch von Energie zwecks Ausgleich des Wasserdargebots (in Zukunft
auch des Wind- und Solarenergiedargebots) und Optimierung des Kraftwerkein-
Satzes nach marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten. Der Energiemarkt war bis
Anfang der 90er-Jahre im Wesentlichen ein Produzenten-Markt mit Monopol-
charakter innerhalb des Produzentenbereichs, ist gegenwärtig aber dabei, im
Rahmen der europaweiten Liberalisierung, zu einem Konsumenten-Markt zu
werden. Über damit verbundene Probleme s. die Abschn. 3.5 bis 3.8.
72 3 Elektrizitätswirtschaft, Liberalisierung

- den momentanen Austausch von Energie zwecks Regelung der Frequenz im


gesamten europäischen Verbund. Die damit erreichte große Konstanz der Frequenz
sichert eine hohe Qualität der Energieversorgung.
- den befristeten Ausgleich im Störungsfall (Unterstützung bei vorübergehendem
Ausfall von Anlagen). Die ausgetauschte Energie wird nach Behebung des Stö-
rungsfalls vom Betroffenen entsprechend dem Programm zurückerstattet. Diese
prompte Unterstützung ermöglicht die Reduktion der rotierenden Reserve und
somit der Betriebskosten. Unter rotierender Reserve werden Turbinensätze ver-
standen, die im normalen Betrieb leer mitrotieren, um bei einer allfälligen Störung
durch sofortiges Eingreifen die Störungsauswirkungen zu begrenzen.

3.3 Wasserkraftwerke

Für alle Wasserkraftwerke, ob Lauf- oder Speicherkraftwerke, kann das Prinzip-


schema in Abb. 3.1 1 zu Grunde gelegt werden. Durch dic Stauung des Wassers bildet
sich eine Fallhöhe oder ein Bruttogefalle H, (m) zwischen einem oberen (Oberwasser)
und einem unteren Becken (Unterwasser). Das Bruttogefalle variiert etwas in Abhän-
gigkeit der Wassermenge. DasNenn-Bruttogefalle bezieht sich i.d.R. aufdie maximal
nutzbare Wassermenge Q (m'ls), fur welche die Anlage dimensioniert ist. Die
Rohleistung oder Bruttoleistung P, des Kraftwerks ist dann

lnfolge von Reibungen in Zu- und Ableitungen wird das in der Turbine nutzbare
Gefalle auf das Nutzgefalle H (m) reduziert:
H = r), Hb, (3.2)
mit = Wirkungsgrad der hydraulischen Anlagen oder hydraulischer Wirkungsgrad
(ist ebenfalls von der Wassermenge abhängig).
Die am Eingang der Turbine effektiv verfügbare hydraulische Leistung P,, ist
P, = P Q g H . (3.3)

Abb. 3.1 1. Grundschema eines Wasserkraftwerks: O W Oberwasser, UW Unterwasser,


H, Bruttogefalle, L) Ausbauwasscrmenge, T Turbine, G Generator
3.3 Wasserkrafwerke 73

Die Energie des Wassers wird in der Turbine in mechanische Leistung umgewandelt,
die als Tuvbinenleistung P, an der Turbinenwelle verfügbar ist

mit 7, = Turbinenwirkungsgrad
Die mechanische Leistung wird schließlich im elektrischen Generator in eleklrische
Leistung umgewandelt. Die Krajherks-Nettoleistz~ngist

mit qe = Wirkungsgrad des elektrischen Teils (Generator, Transformator, Eigenbe-


darf der Kraftwerksanlagen).

Beispiel 3.1
Ein Kraftwerk mit einer Nettoleistung von 100 M W und einem Bruttogefalle von 500
m hat die Wirkungsgrade q,, = 0.92, q, = 0,85 und q, = 0.96. p = 1000 kg/m3, g =
9.8 1 m/s2 ). Man bestimme:
a) die Turbinen- und die hydraulische Leistung,
b) das Nutzgefalle und die nutzbare Wassermenge,
C) den Durchmesser des kreisrunden Zuleitungsstollens, wenn die optimale Wasser-
geschwindigkeit 4 mls beträgt.
d) Wie wird allgemein die spezifische Energie W eines kg Wassers ausgedrückt und
wie groß ist die nutzbare spez. Energie am Eingang der Turbine?
Lösungen:

p = -P,
= lo0 = 122.6 M W ,
h
qr 0.85 0.96

Die Verlustkosten durch Reibung nehmen mit der Wassergeschwindigkeit etwa


quadratisch zu, die Investitionskosten für den Stollen auf Grund des abnehmen-
den Durchmessers ab. Die Optimierung der totalen Kosten ergibt die optimale
Geschwindigkeit.
74 3 Elektrizitätswirtschaft, Liberalisierung

d) Da (p Q) die Wassermasse in kgls darstellt, wird die spezifische Energie des


Wassers mit Hilfe der GI. (3.3) von ( g H) ausgedrückt:

Die nutzbare spezifische Energie am Eingang der Turbine ist

3.4 Thermische Kraftwerke

Prinzipiell kann ein thermisches Kraftwerk einen ofenen oder einen geschlossenen
Kreislaujhks Antriebsmittels aufweisen. Die dazu gehörenden Grundschemen zeigen
die Abb. 3.12 und 3.13.
OfjPener Kreislauf (Abb. 3.12)
Beispiele dazu sind Dieselkraftwerke und die meisten Gasturbinenkraftwerke.
Arbeitsmittel sind die Verbrennungsprodukte. Beim Gasturbinenkraftwerk besteht die
Arbeitsmaschine aus Kompressor und Gasturbine. Beim Dieselkraftwerk sind Arbeits-
maschine und Brennkammer im Dieselmotor vereinigt.
Gescltlossener Kreislauf (Abb. 3.13)
Einen geschlossenen Kreislauf weisen alle Dampfkraftwerke auf (fossil, nuklear
solar). Wärmeträger (Kühlmittel) und Arbeitsmittel sind meist identisch; dann entfallt
der Wärmetauscher W,, Brennstoffkammer und Wärmetauscher W?bilden zusammen
den Kessel oder Reaktor. Eine Ausnahme bilden Kernkraftwerke mit Druckwasserre-
aktor, wo als Wärmeträger (Reaktor-Kühlmittel) Druckwasser verwendet wird,
während das Arbeitsmittel Dampf ist. Brennstoffkammer (Brennstoffstäbe) und
Wännetauscher W, bilden zusammen den Reaktor (s. Abschn. 5.6).

Brennstoff
Arbeitsmittel =
B Verbrennungsprodukte

Luft I
C
Abgase
Abb. 3.12. Thermisches Kraftwerk mit oSfeneni Kreislauf'(Prin/ipschaltbild)
B Brennstoffhammer, A Arbeitsmaschine, G Generator, P,, Bruttoleistung, P, Turbinen-
leistung, P KraStwcrkleistung
3.4 Thermische Kraftwerke 75

Verbrennungs-
produkte
I Kühlmittel
4 Arbeitsmittel
Brennstoff
W
G
'I
B W, ""2 T
Abgase AI
Ko

Abb. 3.13. Thermisches Kraftwerk mit geschlossenem Kreislauf (Prinipschaltbild):


B Brennstoffkammer (oder Reaktor), T Turbine, G Generator, W Wärmetauscher,
K Kondensator (Kühler), Ko Kompressor (Pumpe), P,, Bruttoleistung, P, Turbinenleistung,
P Kraftwerkleistung

Leistungen
Die Wärmeleistung des Kraftwerks (Bruttoleistung) ist

H D - kW,hl ,
P, = - [ -kcal
- - - kg
860 kg h kcal
worin H = Heizwert (kcallkg) und D = Brennstoffdurchsatz (kglh). Beim thermo-
solaren Kraftwerk wird die von den Heliostaten (Abschn. 1.3.3) aufgenommene
Strahlungsleistung als Bruttoleistung definiert.
Für die Kraftwerk-Nettoleistung folgt allgemein (Abb. 3.14)
P = T)K T)rh T)[ T)e Pb . (3.8)
Die Wirkungsgrade berücksichtigen folgende Verluste (s. dazu auch Anhang I sowie
Abschn. 5.5):
qk: Verluste in Brennkammer und Kessel (Reaktor) bzw. in Spiegelfeld und Recei-
ver sowie im Kreislauf (Wärmetauscher, Leitungen, Kesselpumpe usw.),
q : Wirkungsgrad des idealisierten thermodynamischen Kreisprozesses,
q, : Verluste der Turbine („innererL'Wirkungsgrad, mechanische Verluste),
q, : elektrische Verluste (Generator, Transformator, Eigenbedarf).

Abb. 3.14. Leistungen und Vcrluste im thermischen Kraftwerk


76 3 Elektrizitätswirtschafi, Liberalisierung

Beispiel 3.2
Ein ölthermisches Dampfkraftwerk hat eine Nettoleistung von 300 MW und einen
Gesamtwirkungsgrad q = 35%.
a) Zu berechnen ist der Brennstoffdurchsatz und die pro Jahr benötigte Ölmenge
bei einer Benutzungsdauer der installierten Leistung von 5000 hla. Wie groß ist
die pro Jahr produzierte CO,-Menge? (3.4 kg CO, /kg Erdöl).
b) Wie groß sind die Verluste durch Verbrennung und Wärmeübertragung mit den
Annahmen q, = 0.96, q, = 0.8, qti,= 0.5. Wie groß ist die thermische Eingangs-
leistung der Turbine?
Lösung:
a) Der Heizwert des Erdöls ist 10'000 kcalkg (Abschn. 1.3 ).

Ölmenge pro Jahr = 13.7.5000 = 67 1500 tla


CO,-Menge pro Jahr = 3.4.67 300 = 229 300 tla .

b) Mit Bezug auf Abb. 3.13 gilt:

Beispiel 3.3
Ein Kernkraftwerk mit einer Nettoleistungvon 300 M W hat den Gesamtwirkungsgrad
q = 30%. Der Kernbrennstoffsei angereichertes Uran mit 3% U„, (Natururan enthält
0.7% U235).Die abgebrannten Brennstäbe enthalten noch 0.6% Uzlr
a) Zu berechnen ist derjährliche Brennstoffverbrauch für eine Benutzungsdauer der
installierten Leistungvon 7000 hla und die Brennstoffladungdes Kraftwerks, mit
der Annahme, dass jedes Jahr ein Drittel der Brennstoffstäbe ersetzt wird.
3.4 Thermische Kraftwerke 77

b) Welches Volumen an abgebrannten Brennstäben fallt jedes Jahr an? Wie groß
ist der Gewichtsanteil an gespaltenem U,;,? (spez. Gewicht des Urans 18.7tim3).

Lösung:
a) Der „HeizwertL'oder Abbrand des Uranbrennstoffs ergibt sich aus der Wärme-
menge, die durch die Spaltung von U„, entsteht. Diese ist 20 Tcal ikg (Tabelle
1.1). Effektiv gespalten werden 3% abzüglich 0.6% = 2.4% des angereicherten
Brennstoffes. Der effektive Abbrand des Kernbrennstoffes ist (in erster Nä-
herung, s. auch Anhang 11.5)

Tcal mth MWd


0.024.20 = 0.48 - 560 -= 23 '300 -.
kg kg t
Es ist üblich, den Abbrand in MW-Tagit anzugeben. Aus (3.7) folgt

Bvennstofierbrauch: 1.79.7000 = 12.5 tla

Der jährliche Ersatz eines Drittels der Brennstoffladung ist notwendig, um im


Reaktor einen mittleren Anreicherungsgrad zu gewährleisten, der die Spaltre-
aktion noch aufrecht erhält (Abschn. 5.6.1).

b) Das Volumen der abgebrannten Stäbe ist

Diese bestehen größtenteils aus U,;, und etwas Plutonium (s. Abschn. 5.6.1). Der
Anteil der hochradioaktiven Spaltprodukte ist
78 3 Elektrizitätswirtschafi, 1,iberalisierun.g

3.5 Wettbewerb im Elektrizitätssektor


3.5.1 Einführung
Bis in die späten 80er-Jahre waren nahezu alle Unternehmen der elektrischen Ener-
gieversorgung auf nationaler oder regionaler Ebene sowohl für die Produktion
undloder Einkauf als auch für die Übertragung undloder Verteilung der elektrischen
Energie verantwortlich (vertikale Integration) und monopolisierten somit Absatz und
Handel. Seitdem befindet sich die Elektrizitätswirtschaft weltweit in einem radikalen
Wandlungsprozess. Fast alle Länder des OECD-Raums haben eine Liberalisierung
des Elektrizitätsmarktes eingeleitet.
Neben unbestrittenen organisatorischen Vorteilen weist das vertikal integrierte
Energieversorgungsunternehmen wie alle Monopole wesentliche Nachteile auf, u.a.
den fehlenden Konkurrenzdruck bei lnvestitionsentscheiden, der zu Fehlinvestitionen
führen kann, und die Ineffizienz der Verwaltung als Folge der Tatsache, dass alle
Kosten problemlos dem Konsumenten über höhere Tarife aufgebürdet werden
können.
Aus marktwirtschaftlicher Sicht ist nur das Netz (Elektrizitätsübertragung und
-verteilung) als sog. naturliches Monopolzurechtfertigen, da die Erstellung paralleler
Netze i.d.R. unwirtschaftlich wäre, nicht aber ein Monopol der Produktion und des
Handels mit Elektrizität. (In der Ökonomie spricht man von einem nalürlichen
Monopol, wenn ein einziges Unternehmen die Marktnachfrage zu tieferen Kosten
befriedigen kann, als es zwei oder mehrere Unternehmen könnten).
Pionierländer einer mit Wettbewerb verbundenen Restrukturierung des Elek-
trizitätssektors, die sich in den 90erJahren auch weltweit durchzusetzen begann,
waren neben Chile, das bereits 1978 eine Liberalisierung einleitete (Näheres in [3.3]),
Großbritannien, Norwegen, Australien, Neuseeland und einige USA-Staaten. Breiten
Eingang fand der Wettbewerb in Südamerika (dem Beispiel Chile folgten Argenti-
nien, Bolivien, Peru und Kolumbien) sowie in Skandinavien (Schweden und Finn-
land). In der EU wurde 1996 eine stufenweise Liberalisierung beschlossen und ab
1999 begonnen diese umzusetzen, wobei in der Wahl des Modells Freiheiten zu-
gestanden wurden. In anderen Ländern, darunter der Schweiz, stehen Liberalisie-
rungsmodelle gegenwärtig noch zur Diskussion.
Durch den Wettbewerb hoffte man, globale wirtschaftliche Vorteile und Effizienz-
gewinne (und damit Preisreduktionen) zu erzielen. Bis jetzt sind diese allerdings nur
selten erreicht worden oder dem Kleinverbraucher nicht zugute gekommen. Im
Gegentei I, die Preise sind meistens gestiegen, vor allem, wenn die Liberalisierung von
einer Privatisierung begleitet wurde (s. auch Abschn. 3.7). Liberalisierung fuhrt nicht
grundsätzlich zu niedrigen, sondern, in einem funktionierenden Markt, zu wett-
bewerbsfahigen Preisen. Dazu ist auch zu erwähnen, dass die Umweltprobleme
allgemein zu einer Verteuerung der Energie fuhren müssen.

3.5.2 Grundpfeiler des Wettbewerbs und Probleme


Wir gehen hier davon aus, dass Produktion und Handel dem Wettbewerb zu unter-
stellen sind. Hauptelemente der Liberalisierung sind somit:
- die Schaffung von Bedingungen fur echte Konkurrenz zwischen Produzenten,
- die Einführung der freien Wahl des Energielieferanten durch die Verbraucher;
3.5 Wettbewerb im Elektrizitätssektor 79

- Übertragung und Verteilung verbleiben als natürliche Monopole und sind zu


regulieren und für ihre Leistung angemessen zu entschädigen. Die Netzbetreiber
müssen denfreien Netzzugang für alle Marktteilnehmer gewährleisten und haben
die Aufgabe, das Netz technisch-wirtschaftlich optimal zu fihren und wenn nötig
auszubauen.

3.5.2.1 Konkurrenz zwischen Produzenten


Ideal wäre eine horizontale Entj7echtungder Produktion aufGroßhandelsstufe in eine
genügende Anzahl unabhängiger Produzenten, um oligopolistisches Verhalten zu
vermeiden, zur Sicherstellung echter Konkurrenz und Verhinderung von Marktmacht
und wettbewerbsschädigender Quersubventionen, sowie eine vertikale Entflechtung
(unbundling) von Produktion und ÜbertragungIVerteilung, um Absatzmonopole und
jegliche Diskriminierung bei der Nutzung des Netzes zu verhindern.
In der Praxis weist die Konkurrenz zwischen Produzenten verschiedene Liberalisie-
rungsgrade auf. Sie geht vom einfachen Ausbau der Handelsbeziehungen zwischen
Monopolisten (Power Purchase Agreements (PPAs), Power Pools) mit dem Ziel, die
Effizienz des Kraftwerkeinsatzes und der Kraftwerkinvestitionen zu verbessern [3.3],
über den freien Netzzugang (Third Party Access) ohne genügende horizontale und
vertikale Entflechtung bis zur völligen Entflechtung mit Gründung einer juristisch
oder buchhalterisch unabhängigen Netzgesellschaft.
Konkurrenz zwischen Produzenten ist also in vielen Strommarkt-Liberalisierungen
ein teilweise noch ungelöstes Problem und bedarf der Regelung.

3.5.2.2 Freie Wahl des Energielieferanten


Diese bildet den Hauptantrieb des Wettbewerbs und kann nur die Großhandelsstufe
oder zur Effizienzverbesserung des Verteilungssektors auch die Kleinhandelsstufe
betreffen. Hauptelement ist derfreie Zugangzum Netz, der von den Übertragung- und
Verteilnetzen allen Verbrauchern und Produzenten gewährt werden muss, mit der
einzigen Einschränkung, dass die physikalischen Übertragungsgrenzen des Netzes zu
respektieren sind. Der Stromhandel zwischen Verbrauchern und Produzenten sowie
Zwischenhändlern kann durch bilaterale Verträge undloder eine Börse (Pool, Power
Exchange) geschehen.

3.5.2.3 Natürliches Monopol für Übertragung und Verteilung


Wesentlich ist die Bildung unabhängiger nationaler oderregionaler Gesellschaften für
den Betrieb der Ubertragungs- und Verteilungsnetze. Diese sind für die nichtdis-
kriminierende Führung der Netze verantwortlich und müssen letztere wenn nötig
ausbauen. Die Kompetenzen der Übertragungsnetzgesellschaftensind je nach gewähl-
tem Marktmodell verschieden und können bis zur Wahl der einzusetzenden Gener-
atorgruppen gehen. Für Details zur Vergütung s. Abschn. 3.5.4.

3.5.2.4 Übergangsprobleme
Der Ubergangvom monopolistischen zum wettbewerbsorientierten System erfordert
eine umfassende Restrukturierung und verlangt Zeit. Dabei ergeben sich verschiede-
80 3 Elektrizitätswirtschaft, Liberalisierung

ne Probleme, z.B. was die sog. nicht amortisierbaren oder „gestrandeten8' In-
vestitionen (stranded investments) und die Kostenwahrheit betrifft.
Nicht amortisierbare Investitionen
Die getätigten Investitionen im Kraftwerkbau folgten in der Vergangenheit einer
monopolistischen Sichtweise und waren zudem von politischen Vorgaben, z.B. bzgl.
Selbstversorgungsgrad, geprägt. Ein internationaler Austausch fand zwar statt, doch
war er kaum geeignet, eine Marktintegration zu vollziehen, hatte also mehrtechnische
als marktwirtschaftliche Bedeutung (s. Abschn. 3.2.4 sowie Band 1, Abschn.l.3).
Demzufolge wurden bei lnvestitionsentscheiden oft mittlere Produktionskosten in
Kauf genommen, die unter internationalen Wettbewerbsbedingungen zu hoch sind.
Eine rasche Liberalisierung kann somit zu nichtamor~isierbarenfesten Kosten fuhren.

Subventionierung und externe Kosten der Stromerzeugung


Einer raschen Liberalisierung der Produktion stehen nicht nur ökonomische Erwägun-
gen entgegen, sondern auch solche ökologischer Natur, vor allem was die CO,-
Emissionen betrifft, solange die entsprechenden externen Kosten nicht internalisiert
werden.
Externe Kosten entstehen bei der Stromerzeugung vor allem durch die Schadstoff-
emissionen fossil-thermischer Kraftwerke, aber auch durch die Risiken der Kernkraft
und die Beeinträchtigung von Natur und Wasserhaushalt durch große Wasserkraft-
werke.
Subventionen werden aus sozialpolitischen (z.B. für Kohleforderung) oder umwelt-
politischen Gründen vergeben (Ausgleich der Quersubventionierung fossiler Werke,
die durch die fehlende Internalisierung gegenwärtiger und zukünftiger externer Kos-
ten entsteht).
Mit der Liberalisierung sollte es prinzipiell dem Markt überlassen werden, die
volkswirtschaftlich effizienteste Lösung zu suchen durch Eliminierung aller wett-
bewerbsverzerrenden Faktoren und Wiederherstellung der Kostenwahrheit. Dies
bedingt aber die gleichzeitige Streichung von Subventionen und korrekte Internalisie-
rung der externen Kosten.
In der Schweiz wird das Problem der externen Kosten die zukünftige Entwicklung
erheblich beeinflussen. Der Strombedarf wird zu mehr als 95% durch die relativ
wenig umweltbelastenden Wasserkraftwerke und die im internationalen Vergleich als
sicher eingestuften Kernkraftwerke gedeckt. Ohne Internalisierung der externen
Kosten fossiler Energien kann davon ausgegangen werden, dass wegen der Zunahme
des Elektrizitätsbedarfs fossile Kraftwerke gebaut oder Strom aus mehrheitlich
umweltbelastenden fossilen Kraftwerken importiert werden wird. Die Kostenvorteile
auf der Effizienzseite würden dann durch (lokale und globale) Nachteile auf der
Umwelt- und Gesundheitsseite zunichte gemacht werden. Unter diesen Umständen
müssten Stromimporte je nach Herkunft, die aber oft schwer zu eruieren ist, oder
gemäß Import-Mix belastet werden, was das Marktgeschehen komplizieren würde.
Das Problem besteht auch für andere europäische Länder und muss durch interna-
tionale Zusammenarbeit und durch Lenkungsabgaben (z.B. CO,-Taxen, CO,-Kontin-
gente und Emissionshandel) gelöst werden. Der Einführung eines gänzlich freien
Marktes sind damit Grenzen gesetzt.
3.5 Wettbewerb im Elektrizitätssektor 81

3.5.3 Reorganisationsmodelle
Je nach Grad der Marktöffnung unterscheidet man folgende Modelle (Idealtypen):
Alleinabnehmer (single buyer)
Wettbewerb auf der Großhandelsstufe (wholesale competition)
Wettbewerb auf Detailhandelsstufe (retail competition).

3.5.3.1 Alleinabnehmer-Modell (single buyer)


Jedes Land oder Region wird von einem Alleinabnehmer bedient, der das Monopol
über Übertragung, Verteilung und Verkauf (Abb. 3.15, Lösung A) innehat. Durch die
vertikale Trennung von Erzeugung und Übertragung wird ein durch den Allein-
abnehmer organisierter Wettbewerb auf der Produktionsstufe angestrebt. Verteilung
und Verkauf können abgespalten werden und von unterlagerten Monopolisten
teilweise oder ganz betreut werden. (Lösungen B und C), die aber keinen Netzzugang
erhalten. Netzzugang haben nur die Kraftwerke, wobei der Großhandelsmarkt
Kraftwerke und Alleinabnehmer betrifft. Die vorhin erwähnten Bedingungen für eine
Liberalisierung sind in diesem Modell nur teilweise erfüllt. Weitere Verzerrungen
entstehen, wenn dem single buyer (SB) die Möglichkeit gelassen wird, eigene Kraft-
werke zu betreiben. So können durch Quersubventionierung unabhängige Produzen-
ten diskriminiert werden. Ein solches System kann als erste Stufe einer Liberalisie-
rung betrachtet werden, in welcher immer mehr Produzenten verselbstständigt werden
und progressiv zuerst große und dann immer kleinere Konsumenten (und Vertei Iwer-
ke) den Markzutritt erhalten. Andererseits lässt ein SB-Modell mit progressiver
Erweiterung der Zugangsberechtigten dem bisherigen Monopolisten (und durch die
Abschließung von langfristigen Verträgen auch den unabhängigen Erzeugern) mehr
Zeit, sich der neuen Situation anzupassen, „gestrandete" Investitionen zu amortisieren
und ökologische Randbedingungen einzuhalten.
A B C

4 Produktion

Übertragung

Verteilung

Verkauf

Kunden
Abb. 3.15. Alleinabnehmer-Modell (single buyer) 13.221

3.5.3.2 Wettbewerb auf der Großhandelsstufe


Wesentlich höher ist der Grad der Liberalisierung, wenn alle am Übertragungsnetz
angeschlossenen Teilnehmer, also auch die Verteiler und Großverbraucher freien
Zugang zum Netz erhalten und mit den Erzeugern ihrer Wahl Verträge abschließen
bzw. am Spotrnarkt (Börse) Strom einkaufen können. Die Organisation des Groß-
handelsmarktes kann zwei Formen aufweisen, die im Folgenden besprochen werden:
- das Pool-Modell mit allgemeinem Zugang zum Übertragungsnetz
- das Modell mit (meist bilateral) ausgehandeltem Netzzugang, wobei in der Praxis
auch Mischformen auftreten.
In beiden Fällen können die Verteiler ihre Gebietsmonopole behalten.
In jedem Fall muss der Betrieb des Übertragungsnetzes als Monopol staatlich
reguliert werden, damit die nötige Offenheit und Transparenz des Marktes gewähr-
leistet und das Netz f i r seine Leistung angemessen vergütet wird. Das Ziel ist eine
volkswirtschaftlich effiziente Elektrizitätswirtschaft, bei Berücksichtigung sozialer
und ökologischer Aspekte.
Pool-Modelle
Das Übertragungsnetz wird von einem unabhängigen und neutralen System-Betreiber
(independent System Operator ISO) betrieben (Abb. 3.16). Die Organisation des Pools
(Börse) weist zwei Formen auf
- In der ersten obligatorischen Form (mandatory pool) sind alle Produzenten
verpflichtet, dem verantwortlichen und unabhängigen Systembetreiber Offerten
zu unterbreiten, der auf Grund der erwarteten Nachfrage eine volkswirtschaftlich
optimale Lastverteilung, z.B. für den nächsten Tag vornimmt (Kap. 14). Der
Marktpreis ergibt sich aus dem Schnittpunkt der Offerten der konkurrierenden
Erzeuger und der Verbrauchernachfrage (bzw. der Nachfrage-Preiskurven, die
Elastizität der Nachfrage ist aber i.d.R. klein). Typische Vertreter dieser Pool-
Form sind England-Wales bis Frühjahr 2001, Kalifornien in der Anfangsphase,
Australien und Spanien. Das System setzt eine genügende horizontale Ent-
flechtung der Produktion voraus .
- In der zweiten auf Freiwilligkeit basierenden Form (voluntary pool) ist die
Teinahme am Pool nicht obligatorisch. Die entsprechenden Stromeinspeisungen
bzw. Stromentnahmen werden als gegeben vorausgesetzt. Die Lastoptimierung
betrifft nur den Spotmarktanteil. Die Lastverteilung beim freiwilligen Pool
entspricht kurzfristig auf Grund der vertraglich festgelegten Vorgaben nicht
unbedingt dem volkswirtschaftlichen Optimum (s. dazu Kap. 14). Der Pool gibt
jedoch Preissignale für die bilateralen Verträge, und es ist anzunehmen, dass sich
diese mittelfristig auf das Optimum einpendeln. Typische Beispiele sind der
PJM-Pool (Pennsylvania-New-Jersey-Maryland)und der Nordpool (Skandina-
vien).

Übertragung

Verteilung

Verkauf

Abb. 3.16. Pool-Modell


3.5 Wettbewerb im Elektrizitätssektor 83

Ökonomischer Vorteil des Poolsystems ist, dass die Netzbenutzungspreise knoten-


spezifisch (Anschlusspunkttarife) aufGrund der Marginalkosten bei Berücksichtigung
von Netzverlusten und Kapazitätsgrenzen festgelegt werden können, was eine
effiziente Allokation der Netzkapazitäten ermöglicht (Kap. 14), wobei dies umso
mehr der Fall ist, je größer der Pool-Anteil an der übertragenen Energie ist, was beim
obligatorischen Pool am besten erfüllt ist. Ein Nachteil des obligatorischen Pools ist,
wegen des großen Spotmarkt-Anteils, die mangelhafte mittelfristige Planung, die aber
durch einen Terminmarkt zur Risikoabsicherung (Abschn. 3.8) ergänzt werden kann.
Ein Regulierungsmarkt, der den großen Erzeugern und Verbrauchern vorbehalten ist,
ermöglicht außerdem den Handel mit Reservekapazitäten .
Wesentliche Voraussetzung für das gute Funktionieren des Pool-Systems ist echte
Konkurrenz auf der Erzeugerseite, d.h. eine genügende Anzahl unabhängiger Produ-
zenten, die strategisches Verhalten uninteressant erscheinen lässt, d.h. die Verhin-
derung von Marktmacht und Kartellabsprachen.
Ausgeltandelter Netzzugang
Beim Modell mit ausgehandeltem Netzzugang ist der Großhandelsmarkt ebenfalls
allen Verbrauchern offen. Die Lastverteilung wird vom Netzbetreiber auf Grund der
meist bilateral ausgehandelten Verträge durchgeführt. Davon wird nur dann abgewi-
chen, wenn die Sicherheit des Netzbetriebs tangiert wird. Der Netzbetreiber organi-
siert bestenfalls den Regulierungsmarkt (Echtzeitmarkt). Die Funktionen Netzbetrieb
und Regulierung (Bilanzierung) können allerdings auch getrennt sein (s. Abschn. 3.7).
Ein Spotmarkt kann zwar vorhanden sein, ist aber im Unterschied zur Pool-Lösung
vom Netzbetrieb entkoppelt und wird nicht für die Regulierung und die optimale
Lastverteilung verwendet. Dementsprechend werden die Netzbenutzungstarife nicht
auf Grund der Grenzkosten, sondern als distanzunabhängige BriefmarkentariJi. oder
distanzahhangig festgelegt. Dies hat den Nachteil, dass die Allokation der Netz-
kapazität weniger effizient ist.
Die Abbildung 3.1 7 zeigt im Detail die möglichen Organisationsformen. Eine
vertikale Trennung von Erzeugung, Übertragung und Verteilung ist nicht unbedingt
verlangt (Lösungen A und B), allerdings mit dem Nachteil, dass die Netzbetreiber
ihre Konkurrenten benachteiligen können. Dies kann mit Lösung C ausgeschlossen
werden. Die radikalste Entflechtung ist die Gründung einer unabhängigen Netzge-
sellschaft. Eine Variante ist die buchhaltungs- und managementmäßige Trennung, die
aber Anreize zur Diskriminierung nicht ganz ausschaltet.

Produktion

Übertragung

Verteilung

Verkauf

Kunden
Abb. 3.17. Ausgehandelter Netzzugang
84 3 Elektrizitätswirtschaft, Liberalisierung

3.5.3.3 Wettbewerb auf Kleinhandelsstufe


Im Unterschied zum besprochenen Modell mit Wettbewerb nur auf der Großhandels-
stufe werden nun auch Verteilung und Verkauf entflochten, und somit können auch
Kleinverbraucher ihren Stromlieferanten über einen unabhängigen Verkäufer frei
wählen (z. B. f i r den Fall der Abb. 3.17c, folgt Abb. 3.18).
Der Übergang vom Wettbewerb auf Großhandelsstufe zum Wettbewerb auf
Kleinhandelsstufe kann progressiv geschehen, indem immer kleinere Verbraucher den
Marktzutritt erhalten. Für die Effizienz der Elektrizitätsversorgung ist der rasche
Übergang zum Wettbewerb aufKleinhandelsstufe von großer Bedeutung, da ca. 50 %
der Gesamtkosten des Elektrizitätssektors auf die Verteilstufe entfallen [3.22].

D Produktion

Übertragung

Verteilung

Verkauf

Kunden

Abb. 3.18. Wettbewerb auf Detailhandelsstufe

3.5.4 Privatisierung, Regulierung der Monopole


Liberalisieren heißt Konkurrenz einfuhren und nicht privatisieren. Parallel zur
Liberalisierung von Produktion und Handel findet dennoch dort, wo die Elektrizitäts-
wirtschaft zentralisiert und verstaatlicht ist, i.d.R. auch eine Privatisierung statt
(Beispiel Großbritannien); nicht unbedingt notwendig ist diese hingegen dort, wo die
Elektrizitätswirtschaft bereits dezentral organisiert ist (Beispiel Norwegen).
Ein wichtiger Aspekt der Regulierung der Netzmonopole ist die Festlegung der
Netzbenutzungsgebühren. Im Fall des Übertragungsnetzes kann die Vergütung
teilweise auf Grund der Grenzkosten (Anschlusspunkttarife) festgelegt werden (s.
dazu auch Kap. 14). Diese erfassen allerdings nur den Normalbetrieb des Netzes
(Investitionen und Verluste), nicht aber die Mehraufwendungen, die z.B. fur die (n- 1)-
Sicherheit oder die Regulierung des Netzes notwendig sind, weshalb zusätzliche
Vergütungen notwendig werden. Die Gesamtaufwendungen für das Übertragungsnetz
(3801220 kV-Netz) sind jedoch relativ gering, liegen z.B. für die Schweiz gemäß
Entwurfdes VSE 1999(Verband Schweizerischer Elektrizitätsuntemehmen) unter 0.7
ctikWh (nach neuester Schätzung liegen sie allerdings deutlich über 1 ctlkWh).
Wesentlich höher liegen die Aufwendungen für die Verteilnetze (0.7-5 ctIkWh,
nach neuer Schätzung eher bis I0 ct/kWh) je nach Spannungsstufe. Die Vergütung der
Verteilnetzdienstleistung erfolgt i.d.R. durch distanzunabhängige Brieharkentarife.
Die Methoden zu deren Festlegung sind z.T. noch umstritten. Man unterscheidet
kostenorientierte und anreizorientierte Regulierungsmaßnahmen. Untersuchungen
zeigen deutliche Vorteile der anreizorientierten Regulierung auf, vor allem der
vergleichenden Leistungsbeurteilung (yardstick competition) [3.22]. Insbesondere
3.5 Wettbewerb im Elektrizitätssektor 85

wird dadurch die produktive Ineffizienz der Verteilmonopole deutlich. Eine weitere
Form der Ineffizienz ist die Skalenineffizienz, die unter Marktbedingungen zu einer
Konzentration der (z. B. in der Schweiz) stark zerstückelten Verteilszene fuhren wird.

3.5.5 Konsequenzen der Marktöffnung


Da es nur noch eine Frage der Zeit ist, bis sich die Marktöffnung überall durchsetzen
wird, seien deren Konsequenzen nochmals zusammengefasst. Als positiv ist, bei einer
richtig durchgeführten Liberalisierung, die durch den entstehenden Kostendruck
ausgelöste größere Effizienz auf allen Stufen zu werten. Zu erwarten sind:
- Volkswirtschaftlich bessere Investitionsentscheide im Kraftwerkbau, voraus-
gesetzt es besteht echte Konkurrenz zwischen Produzenten und die politisch
festzulegenden ökologischen Rahinenbedingungen stimmen.
- Eine Rationalisierung im Bereich der Energieübertragung und Verteilung, die mit
Zusammenschlüssen und Fusionen einhergehen (vor allem dort, wo wie in der
Schweiz die Szene stark zerstückelt ist), und trotz Auftreten neuer Marktakteure
zu einem empfindlichen Personalabbau führen wird.
Die durch die Wettbewerbsbedingungen eingeleitete Restrukturierung der Energie-
Versorgung ist aber auch von negatzven Aspekten begleitet, die im Rahmen eines
Lernprozesses teils durch technische, aber auch durch regulatorische und politische
Maßnahmen zu neutralisieren sind.
So könnte die Versorgungssicherheit darunter leiden, dass alle Anlagen stärker an
ihren Grenzen betrieben werden und durch den Personalabbau Know How verloren
geht. Um dies zu vermeiden, sind sowohl bei der Planung als auch beim Betrieb die
Sicherheitsaspekte durch Softwaremittel zur Modellierung des Netzverhaltens (z.B.
Kurzzeitlastflussprognosen [3.1]) und durch On-line-Monitoring vermehrt zu analy-
sieren und zu überwachen, und die Sicherheit ist angemessen wirtschaftlich zu
bewerten bzw. Ausfalle sind zu pönalisieren.
Das gleiche gilt auch für die Spannungsqualltat, was u.a. durch Vereinheitlichung
der Normen und Verbesserung der Messtechnik überwacht werden muss.
Erneuerbare Energietrager sind benachteiligt, wenn die umweltbelastenden
fossilen Brennstoffe bzw. deren externe Kosten nicht in die volkswirtschaftliche
Rechnung einbezogen werden. Da die Umweltschäden größtenteils globalen Ur-
sprungs sind, dürfte dies Zeit beanspruchen und internationale politische Probleme
einschließen (Beispiel: die Ratifizierung des Kyoto-Protokolls). Erneuerbare Energien
sind unterdessen angemessen zu unterstützen und zu fordern.
Der Markt denkt meist kurzfristig, weshalb langfrislige Investitionen (z.B. Wasser-
kraftwerke und Kernkraftwerke) gegenüber kurzfristigeren (Gasturbinen) in der
Entscheidungsfindung benachteiligt werden. Man scheut langfristige Risiken, obwohl
aus volkswirtschaftlicher Sicht, bei Berücksichtigung der ökologischen Randbedin-
gungen, der optimale Investitions-Zeithorizont eher mittel- bis langfristig sein sollte.
In der Übergangszeit, in welcher es zum Markt „zugelassene" Kunden gibt (vor
allem Großkunden) und vom Monopolist „gefangeneL'Kunden (vor allem Klein-
kunden), gilt es, Letztere durch Regulierungsmassnahmen zu schützen.
Die soziale Funktion der Energieversorgung („service public") muss schließlich
durch eine entsprechende politisch zu erarbeitende Reglementierung, welche vor
allem die Energieverteilung und deren Kosten betrifft, gewährleistet werden.
86 3 Elektrizitätswirtschaft, Liberalisierung

3.6 Strompreisgestaltung

In der freien Marktwirtschaft bilden sich die Preise von Handelgütern im Allge-
meinen durch das Zusammenspiel zwischen Angebot und Nachfrage. Damit tra-
gen Produktionskosten und Wertschätzung des Käufers gleichermaßen zur Preis-
bildung bei. Mehrere Anbieter ähnlicher oder einander substituierbarer Produkte
setzen sich í einen transparenten Markt vorausgesetzt í gegenseitig einem starken
Konkurrenzdruck aus. Dieser bietet eine optimale Grundlage für die Ausschöp-
fung von Effizienzpotentialen und verhindert ungerechtfertigte Gewinne der Pro-
duzenten an ihren Produkten. Dies bringt nicht nur den einzelnen Kunden Vortei-
le, sondern führt auch gesamtwirtschaftlich zu einer optimalen Verteilung der
Ressourcen.
In Monopolmärkten sind die beschriebenen Mechanismen der Preisbildung be-
hindert. Die Preise orientieren sich bestenfalls an den Produktionskosten und kön-
nen kaum durch den Kunden beeinflusst werden.
Bei der Elektrizitätsübertragung und -verteilung handelt es sich um ein natürli-
ches Monopol, welches schon aufgrund der hohen wirtschaftlichen Bedeutung
(Versorgungsaufgabe) in hohem Masse durch die öffentliche Hand í entweder
durch Mehrheitsbeteiligungen oder durch starke regulatorische Eingriffe í kon-
trolliert wird. Im Zuge der Liberalisierung des Elektrizitätsmarktes wird nun die
Elektrizitätswirtschaft in natürliche und gewachsene Monopole aufgespaltet (s.
auch Abschn. 3.5).
Während weltweit in den Bereichen Produktion und Handel Konkurrenz durch
regulatorische Maßnahmen eingeführt wird, kann das Monopol für Übertragung
und Verteilung von Elektrizität nur schwer gebrochen werden. Die Preisbildung
sollte sich dort an den Kosten orientieren und möglichst verursachergerecht aus-
gestaltet sein. Im Folgenden werden allgemein übliche Verfahren zur Verteilung
der Netzkosten vorgestellt. Anschließend werden die Grundlagen zur Berechnung
von Tarifen behandelt. Die Strompreisgestaltung im Bereich Produktion unterliegt
den üblichen Marktmechanismen, welche im Abschnitt 3.7 behandelt werden.

3.6.1 Verteilung der Selbstkosten

Die Herstellkosten für das Produkt elektrische Energie weisen


- energieabhängige (€/kWh) Ÿ Brennstoffkosten, ohmsche Verluste,
- leistungsabhängige (€/kW) Ÿ Auslegung der Betriebsmittel,
- von Energie und Leistung unabhängige Komponenten (€/Kunde) Ÿ
Verrechnung
auf, wie übrigens auch bei den meisten anderen Wirtschaftsgütern (Abb. 3.19).
Die Besonderheit der Herstellkosten für elektrische Energie ist die Langfristigkeit
der Investitionen in die Produktionsmittel. Bei Freileitungen rechnet man mit
Abschreibungsdauern von 40í50 Jahren. Betrachtet man zudem die Beschaf-
fungskosten der einzelnen Betriebsmittel, so sind hohe Grundkosten und aber nur
geringe leistungsabhängige Kosten zu verzeichnen, sodass der Aufbau eines paral-
3.6 Strompreisgestaltung 87

lelen Netzes oder auch nur von parallelen Leitungstrassen als unwirtschaftlich zu
bezeichnen ist. Folglich ist die kurzfristige Beeinflussbarkeit der Kosten gering.
Die Netzkosten des EW sind als Fixkosten anzusehen, da sie von der transportier-
ten Strommenge kurzfristig unabhängig sind. Würde sich der Stromkonsum im
Versorgungsgebiet rasch verringern, würden die Netzkosten in den nächsten Jah-
ren davon nicht tangiert werden.
Auf der anderen Seite sind erhebliche Kostensprünge bei der Erweiterung der
Kapazitäten zu erwarten. Damit ist dem Schlüssel für die Verteilung der Selbst-
kosten höchste Beachtung zu schenken. Die Aufgabe ist nun, den größten gemein-
samen Nenner der zum Teil gegensätzlichen Anforderungen an das Modell zu
finden. Da diese Optimierungsfrage subjektiver Natur ist, findet man heute in der
Praxis sehr unterschiedliche Verteilschlüssel.

Kostentypen Einfluss Kostenarten


Kapitalkosten Netz
Dimensionierung
leistungsabhängig der Betriebsmittel
Betriebskosten Netz

Messung/ Verwaltungskosten
kundenabhängig Abrechnung

Zählerkosten
arbeitsabhängig Übertragungs-
verluste
Energiekosten

Abb. 3.19. Beeinflussung der Kostenarten durch die drei Kostentypen

Aus diesen Grundlagen lassen sich folgende Anforderungen an die Kostenzu-


ordnungsverfahren ableiten:
- Mögliche Zuteilungskriterien: Energie, Leistung, Anschluss
- Die aktuellen Kosten bilden die Basis
- Zukünftige Engpässe sowie Ausbaukosten sollten einbezogen werden.
Während die Zuordnung energie- und kundenabhängiger Kosten relativ einfach
ist, benötigt man für die verursachergerechte Verteilung der leistungsabhängigen
Kosten sehr detaillierte Kundeninformationen.
88 3 Elektrizitätswirtschaft, Liberalisierung

3.6.1.1 Modelle für die Zuordnung der Leistungskosten


Für die Verteilung der Fixkosten auf die einzelnen Kunden existieren mehrere
Verfahren. Im Wesentlichen gilt das Prinzip: Je gerechter das Verfahren, desto
komplizierter seine Anwendung (Tabelle 3.2).
Eine triviale Lösung ist eine gleichmäßige Verteilung auf alle Netzbenutzer (li-
neares Verfahren). Diese Methode ist gerechtfertigt, wenn das vorhandene System
stark überdimensioniert ist oder die Ausbaukosten marginal sind. In diesem Fall
wäre es schon aus volkswirtschaftlicher Sicht unsinnig, eine stärkere Netznutzung
zu pönalisieren. Allerdings sind Netze, welche diese Voraussetzungen erfüllen,
sehr selten, sodass dieser Methode eine nur geringe Bedeutung zukommt.

Tabelle 3.2. Kriterien zur Beurteilung der verschiedenen Verfahren

Verfahren Energie- Höchst- Spitzen- Last-


Kriterien linear menge last last verlauf
transparent ++ + o - --
Datenaufwand ++ + o - --
Berechnungsaufwand o o o o --
Verursachergerechtigkeit -- - o + ++
Lenkungswirkung -- - o o ++

Eine weitere einfache Methode ist das Energiemengenverfahren. Der Hauptvor-


teil der Aufteilung nach Energieverbrauch ist die gute Verfügbarkeit der notwen-
digen Daten, nämlich der Energiemenge pro Betrachtungsperiode. Das Energie-
mengenverfahren wird allerdings der zeitlichen Verteilung der Elektrizitätsnach-
frage nicht gerecht. Jeder Netznutzer wird gleich belastet, unabhängig vom zeitli-
chen Verlauf seiner Elektritätsnachfrage, dem Lastgang. Damit ist das Verfahren
weder verursachergerecht noch werden Anreize zur Verlagerung der Nachfrage
geschaffen. Ein Kunde, welcher Bandenergie bezieht, wird genau gleich belastet
wie ein Kunde, dessen Verbrauch sich auf wenige Stunden am Tag konzentriert,
obwohl dessen Versorgung tendenziell höhere Leistungskosten verursacht.
Diesem Umstand trägt das Höchstlastverfahren Rechnung. Bei diesem Verfah-
ren werden die Leistungskosten nach der individuellen Höchstlast der Kunden
verteilt. Der Datenbeschaffungsaufwand ist etwas höher, da für die Anwendung
dieses Verfahrens die Maximalleistung der einzelnen Kunden bekannt sein muss.
Der Kunde bekommt Anreize, seinen Leistungsbedarf zu egalisieren. Die gerings-
ten Kosten entstehen ihm für den Bezug eines Energiebandes.
3.6 Strompreisgestaltung 89

Allerdings bestimmen nicht die individuellen Höchstlasten der Kunden die Kos-
ten des EW, sondern die Spitzenlast im Netz. Es ist folglich verursachergerechter,
wenn man die Kosten nach dem Leistungsanteil der jeweiligen Kunden an dieser
Lastspitze im Netz des EW verteilt (Spitzenlastverfahren). Die gleichzeitige Auf-
nahme dieser Leistungswerte bei allen Kunden ist allerdings aufwendig. Zudem ist
es aufgrund der Lenkungswirkung als problematisch anzusehen, wenn man Kos-
tenverteilung von einer einzigen Stunde im Jahr abhängig macht. Will man bei der
Kostenaufteilung nicht eine Stunde, sondern den Lastverlauf mit einer Vielzahl
von Stunden berücksichtigen, ist das sog. Lastverlaufverfahren zu verwenden. Bei
diesem Verfahren werden die Kosten gemäss dem Verlauf der Last zwischen den
Kundengruppen aufgeteilt.

Lastverlaufverfahren
Die Anwendung der beschriebenen Verfahren soll nun an einem einfachen Bei-
spiel aufgezeigt werden (Abb. 3.20). Es sind Netzkosten von 1 € auf zwei Kunden
anhand ihres Lastverlaufes während zwei Stunden aufzuteilen. Während Kunde G
(gleichmäßig) eine mittlere Last in Stunde 1 von 0.5 kW und von 0.25 kW in
Stunde 2 aufweist, benötigt Kunde S (Spitze) nur während Stunde 2 Energie mit
einer mittleren Leistung von 0.75 kW.

1.2

1 Kunde S
Kunde G
0.8
kW

0.6

0.4

0.2

0
Stunde 1 Stunde 2

Abb. 3.20. Energie- und Leistungsdaten der Kunden

Beim Lastverlaufsverfahren werden die Kosten in einem vierstufigen Verfahren


zugeordnet. Zunächst sind sinnvolle Leistungsbereiche (LB) zu definieren. Ihre
Anzahl richtet sich nach dem Lastverlauf und der Anzahl Kundengruppen. Je
ungleichmäßiger der Lastgang und je größer die Anzahl der zu unterscheidenden
Kundengruppen, umso detaillierter muss der Bereich zwischen Höchstlast und
Minimallast unterteilt werden. In unserem Beispiel mit zwei unterschiedlichen
Stundenleistungen ist es ausreichend, mit zwei LB (0í0.5kW und 0.5í1kW) zu
arbeiten. Da der Rechenaufwand mit der Anzahl Leistungsbereiche ansteigt, sollte
man so wenige LB wie möglich definieren.
90 3 Elektrizitätswirtschaft, Liberalisierung

In einem zweiten Schritt werden anschließend die Kosten der Leistungsbereiche


auf die Perioden aufgeteilt (Abb. 3.21). Es bietet sich hierbei eine lineare Vertei-
lung an. Berücksichtigt man allerdings den Umstand, dass bei den Netzkosten
Skaleneffekte oder spezifische Kostensprünge in Abhängigkeit der Leistung auf-
treten können, ist aus energiewirtschaftlicher Sicht auch eine degressive Vertei-
lung der Kosten von Basis- zu Spitzenlast vertretbar. In unserem Beispiel wurde
der Euro linear auf die beiden LB verteilt.

Kosten
Leistungs- Kosten
Periode (Stunde) /Lb u.
bereich (LB) /Lb
Periode
1 2
[kW] [€] [€]
A 0 - 0.5 0.5 X X 0.25
B 0.5 - 1 0.5 0 X 0.5
Kosten pro Periode [€] 0.25 0.75

Kosten pro Kunde [€] 1 2 Summe


Kunde G 0.25 0.19 0.44
Kunde S 0 0.56 0.56

Abb. 3.21. Lastverlaufverfahren

Da die Leistung bis 0.5kW (LB A) in beiden Perioden benötigt wird, trägt jede
Periode die Hälfte der Kosten, nämlich 0.25 €. Demgegenüber sind die Kosten des
LB B ausschließlich Periode 2 zuzuordnen. Folglich trägt der Verbrauch in Perio-
de 1 0.25 € und derjenige in Periode 2 0.75 €. Nach diesem dritten Schritt der
Kostenverteilung erhält man den Betrag, welchen der Verbrauch in jeder Periode
zu tragen hat, durch Summation der jeweils relevanten Kosten pro Leistungsbe-
reich.
Im vierten und letzten Schritt werden nun die Periodenkosten den beiden Kun-
den zugeordnet. Dies sind für Kunde S ¾ der Kosten der Periode 2, nämlich 0,56
€. Kunde G hat die gesamten Kosten der Periode 1 sowie ¼ des Aufwandes von
Periode 2, folglich 0,44 €, zu tragen.
Dieses Verfahren basiert auf dem Lastgang der verschiedenen Kunden bzw.
Kundengruppen. Während bei Großkunden der Aufwand zur Messung des indivi-
duellen Lastganges in einem angemessenen Verhältnis zum Umsatz stehen kann,
sollte bei Kleinkunden aufgrund der Unverhältnismäßigkeit von Detailmessungen
auf die Literatur zurückgegriffen werden.
3.6 Strompreisgestaltung 91

Konventionelle Verfahren
Das Lastverlaufverfahren kann als die verursachergerechteste Methode der Um-
lagerung von Leistungskosten bezeichnet werden. Mit dieser „Messlatte“ sollen
die Ergebnisse für die übrigen, einfacheren Verfahren nun bewertet werden (Ta-
belle 3.3).

Tabelle 3.3. Kostenaufteilung gemäß den herkömmlichen Verfahren

Verfahren Kunde G Kunde S


€ €/kWh €/kW € €/kWh €/kW
Energiemenge 0.5 0.67 1 0.5 0.67 0.67
Höchstlast 0.4 0.53 0.8 0.6 0.8 0.8
Spitzenlast 0.25 0.33 0.5 0.75 1 1
Lastverlauf 0.44 0.58 0.88 0.56 0.75 0.75

Das Energiemengenverfahren berücksichtigt den Zeitpunkt des Auftretens der


Last nicht, wodurch Stark- und Schwachlastverbrauch gleich hoch belastet wer-
den. Da beide Kunden den gleichen Energiebedarf von 0.75 kWh haben werden,
werden beim Energiemengenverfahren jedem Kunden die Hälfte der Kosten,
0.5 €, in Rechnung gestellt. Damit entstehen beiden Kosten von je 0.67 €/kWh.
Bezogen auf die maximale Leistung, ergibt sich allerdings für Kunde G mit 1
€/kW ein wesentlich höherer Leistungspreis als für Kunde S, der aufgrund seiner
höheren Leistung 0.67 €/kW errechnet. Es wir deutlich, dass mit diesem Verfahren
der eigentlichen Kostenverursachung nur wenig Rechnung getragen wird. Es ist
das einzige Verfahren, welches dem Kunden G gegenüber dem Lastverlaufverfah-
ren höhere Kosten anlastet.
Beim Höchstlastverfahren bestimmt die individuelle Höchstlast der Kunden die
Leistungsaufteilung. Kunde A hat seinen maximalen Leistungsbedarf von 0.5 kW
in Stunde 1, demgegenüber benötigt Kunde B maximal 0.75 kW, allerdings in
Stunde 2. Folglich ist dem Kunden A weniger, nur 2/5 der Kosten entsprechend
0.4 € anzulasten. Beide Kunden kommen natürlich auf den gleichen Leistungs-
preis. Der Energiepreis ist allerdings mit 0.8 €/kWh für Kunde B etwas höher. Das
Höchstlastverfahren bringt für die Standard-Lastgänge ähnliche Resultate wie das
Lastverlaufverfahren. Das Verfahren ist weniger tauglich, wenn einzelne Kunden
bewusst Stromanwendungen von Starklastzeiten in Schwachlastperioden ver-
schieben und sich dadurch aufgrund von Kumulationen ein hoher Leistungsbedarf
ergibt.
Beim Spitzenlastverfahren wird die Zusammensetzung der Leistung zur Spit-
zenlastzeit des Versorgers ausgewertet. Dies ist in unserem Beispiel die Stunde 2.
Kunde G belastet zu diesem Zeitpunkt das Netz mit 0.25 kW, die Leistung des
92 3 Elektrizitätswirtschaft, Liberalisierung

Kunden S ist demgegenüber dreimal höher. Folglich werden dem Kunden G ¼ der
Kosten angelastet, dies sind 0.25 € . Damit errechnet sich für Kunde S entweder 1
ein sehr tiefer Energiepreis von 0.33 €/kWh (Kunde S: 1 €/kWh) oder ein tiefer
Leistungspreis von 0.5 €/kW (Kunde S: 1 €/kW).
Durch das Spitzenlastverfahren werden dem Kunden S, der die Netzspitzenlast
maßgeblich bestimmt, verglichen mit allen anderen Verfahren, die höchsten Kos-
ten verrechnet. Probleme in der Anwendung wird dieses Verfahren bringen, wenn
der Netzlastverlauf relativ gleichmäßig ist. In diesem Fall können bereits geringe
zeitliche Verschiebungen der Nachfrage erhebliche Veränderungen bei der Kos-
tenverteilung ergeben, wenn sich z.B. die Lastspitze in eine Periode mit einer
anderen Kundenstruktur verschiebt.

3.6.1.2 Verteilung der Kosten auf verschiedene Spannungsebenen


Die Selbstkosten der Versorgungsunternehmen liegen im Allgemeinen sehr dif-
ferenziert vor. Mittels der besprochenen Verfahren lassen sich diese Selbstkosten
innerhalb einer Spannungsebene zwischen den Kunden dieser Spannungsebene
verursachergerecht verteilen. Für die Versorgung der Kunden im Feinverteilnetz
werden allerdings nicht nur die Infrastruktur des Niederspannungsnetzes, sondern
auch die Elemente des Mittel- und Hochspannungsnetzes benötigt.

G
Übertragungs- netz

TMS: 4

reg. Verteilnetz
<
<

<

VMS: 1
TNSl: 2 TNSr: 1

links Feinverteilnetz rechts

VNSl: 2 VNSr: 1

Abb. 3.22. Lastfluss zwischen den Netzen ohne Produktion im Niederspannungsnetz

1
Mit „entweder oder“ sei darauf hingewiesen, dass die Abrechnung je nach vereinbarter Messgröße
entweder auf der bezogenen Energiemenge basiert, oder auf der bezogenen Leistung.
3.6 Strompreisgestaltung 93

Für die Verteilung der Kosten der oberen Spannungsebenen auf die unterlager-
ten Netzebenen bietet sich das Prinzip der Stufendivisionskalkulation an. In An-
lehnung an den „normalen“ Lastfluss im Netz vom Übertragungsnetz zum Nieder-
spannungsnetz müssen die Kunden in den unteren Spannungsebenen die Kosten
der oberen Netzebenen anteilig nach ihrem Verbrauch mittragen. Gemäß Beispiel
Abb. 3.22 sind nach diesem Prinzip die Kosten des Übertragungsnetzes und des
regionalen Verteilnetzes unter den drei Kunden im Verhältnis ihrer Energiedaten
aufzuteilen. Die Kunden im Mittelspannungsnetz (VMS) und im rechten Feinver-
teilnetz (VNSr) tragen jeweils 1/4 der Kosten, die Kunden im linken Niederspan-
nungsnetz (VNSl) die Hälfte der Kosten der oberen Spannungsebenen mit (Tabel-
le 3.4).
Dieses Prinzip erscheint verursachergerecht und hat sich im Allgemeinen
durchgesetzt. Probleme tauchen allerdings dann auf, wenn die Einspeisungen der
unteren Spannungsebenen einen Einfluss auf den Lastfluss im gesamten Netz
haben.

Tabelle 3.4. Verteilung der Kosten nach Beispiel Abb.3.22

VMS VNSl VNSr


Übertragung+Verteilung [€] 12 3 6 3
Feinverteilnetz links [€] 8 8
Feinverteilnetz rechts [€] 6 6
Total 26 3 14 9

In Abb. 3.23 ist dargestellt, wie sich der Lastfluss im Netz durch eine Einspei-
sung im linken Verteilnetz verändert. Die Transformierung aus dem Übertra-
gungsnetz nimmt um eine Energieeinheit ab. Vernachlässigt man bei der Kosten-
aufteilung die unteren Einspeisungen, so wird dies das Bruttoprinzip genannt. Die
Kostenverteilung bleibt gegenüber dem vorherigen Fall unverändert. Trägt man
jedoch den Einspeisungen in die unteren Spannungsebenen Rechnung, so ergibt
sich für die Kunden des linken Verteilnetzes eine Entlastung von den Netzkosten.
Dieses Prinzip wird allgemein als Nettoprinzip (Nettoverbrauch = Brutto-
verbrauch – Eigenproduktion) bezeichnet (Tabelle 3.5.).

Tabelle 3.5. Verteilung der Kosten nach Beispiel Abb.3.23

VMS VNSl VNSr


Übertragung+Verteilung [€] 12 4 4 4
Feinverteilnetz links [€] 8 8
Feinverteilnetz rechts [€] 6 6
Total 26 4 12 10
94 3 Elektrizitätswirtschaft, Liberalisierung

G
Übertragungs- netz

TMS 3

reg. Verteilnetz

<
<

<
VMS 1
TNSl 1 TNSr 1

links Feinverteilnetz rechts

GNS 1 VNSl 2 VNSr 1


G

Abb. 3.23. Lastfluss zwischen den Netzen mit tiefer Produktion im Niederspannungsnetz

Würde die Produktion in einem Netzbereich der unteren Spannungsebenen den


Verbrauch übersteigen, so wäre die Frage zu diskutieren, inwieweit die Netzkos-
ten des Niederspannungsnetzes auch von den Kunden der übergeordneten Netz-
ebenen zu tragen wären (Abb. 3.24).

G
Übertragungs- netz

TMS 1

reg. Verteilnetz
<
>

<

VMS 1
TNSl -1 T NSr 1

links Feinverteilnetz rechts

GNS 3 VNSl 2 VNSr 1


G

Abb. 3.24. Lastfluss zwischen den Netzen mit hoher Produktion im Niederspannungsnetz
3.6 Strompreisgestaltung 95

Bei den geschilderten Beispielen wurde das Verteilkriterium „Energieeinheiten“


nicht näher umschrieben. Es bleibt die Frage im Raum stehen, welche
Verbrauchsdaten für die Aufteilung der Kosten relevant sind. Für die Berechnun-
gen können natürlich die bereits beschriebenen Verfahren, bzw. eine Kombination
dieser Verfahren angewendet werden. Der Verband Schweizerischer Elektrizi-
tätswerke (VSE) empfiehlt beispielsweise, einen Teil der Kosten nach der indivi-
duellen Höchstlast und den anderen Teil nach der Jahresenergiemenge zu vertei-
len. Die Wahl des Verfahrens erfolgt also nach den individuellen Gegebenheiten.
Allerdings kann das Verfahren bereits durch den Gesetzgeber vorgeschrieben
werden, da man sich bei dieser Fragestellung im regulierten Bereich des liberali-
sierten Marktes befindet.

3.6.2 Stromtarife

3.6.2.1 Anforderungen
Die Anforderungen an Stromtarife sind vielschichtig. Die Tarife sollen:
- die Kosten für die Versorgung des Kunden richtig wiederspiegeln Ÿ Verursa-
chergerechtigkeit,
- als marktwirtschaftliches Steuerinstrument dienen Ÿ Lenkungswirkung,
- mittel- bis langfristig eine gleichbleibende Struktur aufweisen, damit die Kun-
den gezielte Investitionen in laststeuernde Maßnahmen tätigen können Ÿ Ver-
lässlichkeit,
- transparent, verständlich und nachvollziehbar sein Ÿ Kundenfreundlichkeit,
- dem messtechnischen und anwendungsbedingten Aufwand sowie der Größe der
Kunden Rechnung tragen Ÿ Anwendbarkeit.
Ein Stromtarif kann folglich bestenfalls ein Optimum aus verschiedenen oft
diametralen Anforderungen sein. Ein verursachergerechter Tarif benötigt eine
Fülle von Lastinformationen (z.B. Lastverlauf), welche mit einem entsprechend
hohen Messaufwand nach sich ziehen, was seine Anwendbarkeit einschränkt. Die
Lenkungswirkung eines Tarifes ist eine wichtige Komponente der wirtschaftlichen
Optimierung zwischen Beschaffung und Nachfrage. Die diesbezüglichen Signale
eines Tarifes müssen wohlüberlegt sein, da der Kunde wiederum seinen
Verbrauch an diesen Signalen orientiert. Er erwartet zu Recht langfristig stabile
Tarifstrukturen, also planbare und verlässliche Tarife. Eine für den Kunden trans-
parente Tarifstruktur fördert das Vertrauen der Kunden in seinen Versorger und
trägt zur langfristigen Kundenbindung bei. Der optimale Tarif ist dementspre-
chend gefunden, wenn das in Abb. 3.25 dargestellte Pentagon eine möglichst
grosse Fläche einnimmt.
96 3 Elektrizitätswirtschaft, Liberalisierung

Verursacher-
gerechtigkeit

Kunden-
freund-
lichkeit Verläss-
lichkeit

Anwend- Lenkungs-
barkeit wirkung

Abb. 3.25. Spannungsfeld der Tarifgestaltung

3.6.2.2 Tarifniveau
Für das Tarifniveau sind die Spannungsebene des Bezuges und die Kundengrö-
ße, also das Volumen entscheidend. Verglichen mit dem Privatkunden im Nieder-
spannungsnetz bezahlt der Großkunde im regionalen Verteilnetz nur knapp die
Hälfte für die gleiche Energiemenge (Abb. 3.26). Diese beachtliche Preisdifferenz
ist einerseits auf den hohen Aufwand für die Feinverteilung der Elektrizität, wel-
cher dem Mittelspannungskunden nicht angelastet wird, zurückzuführen.

G
Kostenstruktur einer Kilowattstunde Produktion
3-10 ct/kWh
Produktion
Übertragung > 20 kV
Verteilung < 20 kV
ENERGIEFLUSS

Grosskunde Kundenkosten
380/220 - 50 kV

Übertragung
2-3 ct/kWh
Haushaltskunde

0% 20% 40% 60% 80% 100%


20 - 0.4 kV

bezogen auf den Endverkaufspreis des Verteilung


Haushaltskunden ~ 5 ct/kWh

Abb. 3.26. Kostenstruktur der Stromversorgung

Andererseits steigt die Bedeutung der kundenabhängigen Kosten für Messung


und Rechnungsstellung, welche weitgehend unabhängig von der bezogenen Ener-
giemenge sind, mit abnehmendem Volumen an.
3.6 Strompreisgestaltung 97

3.6.2.3 Tarifstrukturen
Elektrizitätstarife enthalten zwei bis drei Tarifelemente:
- Grundpreis (€/Jahr): Der Grundpreis deckt die kundenabhängigen Kosten ab.
Dies sind im Wesentlichen die Kosten für Messung und Abrechnung bzw.
Rechnungsstellung. Der Grundpreis wird jährlich oder halbjährlich verrechnet.
Bei Großkunden werden auch monatliche Rechnungen mit einem entsprechen-
den Monatsgrundpreis erstellt. Der Grundpreis ist normalerweise für alle Kun-
den einer Kundengruppe gleich groß, allerdings kommen auch Grundpreis-
strukturen zur Anwendung, welche nach Energievolumen gestaffelt sind.
- Energiepreis (€/kWh): Für die Tarifierung mit Energiepreis ist ein Energie-
verbrauchszähler notwendig. Aufwendigere Zähler, z.B. Doppeltarifzähler, las-
sen die Erfassung von verschiedenen Mengen zu, was die Anwendung von
zwei oder mehreren Energiepreisen ermöglicht. Die Energieversorger bieten im
allgemeinen Tarife mit verschiedenen Preisen für Tag- und Nachtenergie bzw.
Wochenendenergie an. Aufgrund des allgemein höheren Verbrauchs im Win-
terhalbjahr, ist darüber hinaus eine Differenzierung zwischen Sommer- und
Winterpreis angezeigt. Damit enthält das Tarifblatt unter Umständen Tarif-
gruppen mehrerer Energiepreise, die sich jeweils auf definierte Perioden bezie-
hen.
- Leistungspreis (€/kW): Wie bereits erläutert, sollte dem Leistungsbedarf eine
große Rolle bei der Verteilung der Netzkosten zukommen, da die Netzhöchst-
last die Netzkosten maßgeblich bestimmt. Dementsprechend wäre generell aus
energiewirtschaftlicher Sicht ein Tarifelement wünschenswert, das auf dem
Leistungsbedarf der einzelnen Kunden basiert. Die Fakturierung nach Leis-
tungsbezug setzt jedoch eine aufwendige Messeinrichtung voraus, so dass ein
Leistungspreistarif nur bei größeren Kunden sinnvoll ist.
Tarife für Normalkunden weisen heute die beiden Tarifelemente Grundpreis und
Energiepreis auf. Beim Energiepreis werden generell zwei Zeitzonen unterschie-
den, nämlich Hochtarif und Niedertarif. Größere Gewerbebetriebe und Industrie-
betriebe erhalten zusätzlich das Tarifelement Leistungspreis, der monatlich oder
halbjährlich erhoben wird. Dieser Tarif wird aufgrund seiner drei Elemente Drei-
gliedtarif genannt. Mit Sondertarifen für abschaltbare Lieferungen ist es möglich
die Lastspitze zu brechen. Die Kunden, welche diese Tarifoption annehmen, ver-
pflichten sich, den Verbrauch nach Maßgabe des Versorgers in Engpassperioden
zu reduzieren, bzw. werden durch das EW vom Netz getrennt. Sie profitieren
allerdings im Allgemeinen von wesentlich günstigeren Energie- bzw. Leistungs-
preisen.
98 3 Elektrizitätswirtschaft, Liberalisierung

3.6.2.4 Beispielrechnung eines Tarifsystems


In diesem Abschnitt soll exemplarisch das Vorgehen bei der Erarbeitung eines
Tarifsystems mit Hilfe der beschriebenen Grundlagen erläutert werden.
Es werden dabei keine regulatorischen Zwänge berücksichtigt, d.h. dieses Bei-
spiel eines Stadtwerkes wird aus der Sicht eines vertikal integrierten Unterneh-
mens behandelt. In den in Europa weitgehend liberalisierten Stromversorgungs-
systemen wird zumindest rechnerisches Unbundling empfohlen bzw. vorgeschrie-
ben. In diesem Falle sind in den Inputdaten die eigenen Netzkosten der höheren
Netzebenen durch die entsprechenden Netznutzungsentgelte zu ersetzen. Die Be-
rechnungsschritte und damit die Resultate bleiben unverändert. Je nach den regu-
latorischen Vorgaben sind länderspezifische Aufteilungsschlüssel für die Kosten
zu berücksichtigen und die Entgelte nach Netzebenen und Beschaffung getrennt
auszuweisen.
Folgender Ablauf ist faktisch vorgegeben:
- Strukturierung der Selbstkosten des EW gemäss der Betriebsbuchhaltung nach
Netzebene und Kundengruppe,
- Definition des Verteilmodells für die Fixkosten,
- Verteilung der Selbstkosten auf die Abgabeniveaus,
- Berechnung der Durchleitungskosten pro Kundengruppe,
- Berechnung der Tarife pro Kundengruppe.

Zusammenstellung der Inputdaten


Das Modell-Stadtwerk macht mit rund 20‘000 Kunden einen Jahresumsatz von
knapp 200 GWh (Tabelle 3.6), wobei der Hauptteil der Energie im Niederspan-
nungsnetz abgegeben wird. Es ist demnach zwischen drei Kundengruppen und
zwei verschiedenen Netzanschlussniveaus, für welche jeweils eigene Durchlei-
tungsgebühren und Tarife zu berechnen sind, zu unterscheiden.

Tabelle 3.6. Kunden des Modell-Stadtwerks


Mittelspannung Niederspannung Total
Energie/ Energie/
Anzahl Kunde Energie/a Anzahl Kunde Energie/a Energie/a
MWh GWh MWh GWh GWh
Haushalt 20000 3 60 60
Industrie 10 5000 50 50 500 25 75
Gewerbe/Dienstl. 1000 50 50 50
Total 50 135 185

Für jede Kundengruppe wurde ein Standard-Lastgang definiert. Um die Über-


sichtlichkeit zu erhöhen, basieren die Berechnungen nur auf vier verschiedenen
Tagesganglinien je Kunde. Es wurden je zwei typische Lastgänge an einem Werk-
tag und am Wochenende für das Sommerhalbjahr und das Winterhalbjahr verwen-
det (Abb. 3.27), stellvertretend für die 365 Tagesganglinien im Jahr. Für die
Summe aller Kunden ergibt sich eine Lastspitze im Feinverteilnetz (Niederspan-
3.6 Strompreisgestaltung 99

nung) von 39.5 MW und im Übertragungsnetz (Mittel- und Hochspannung) von


68.1 MW (Abb. 3.28).
Für das Modell-Stadtwerk ergibt sich, abgeleitet aus typischen Kennzahlen, ein
finanzieller Gesamtaufwand von 22 Mio. €/a (Tabelle 3.7), auf welchen die nach-
folgenden Rechnungen basieren. Für die Beschaffung wurden Kosten von 4 Mio.
€ in Form von Fixkosten und von 6 Mio. € entsprechend 3.2 c/kWh in Form von
variablen Kosten angesetzt. Die Netzkosten variieren zwischen 71 €/kW im Hoch-
spannungsnetz und 272 €/kW im aufwendigeren Feinverteilnetz.
Haushalte Gewerbe/Dienstleistungen

100% 100%

80% 80%

60% 60%

40% 40%

20% 20%

0% 0%
0 5 10 15 20 0 5 10 15 20
Tageszeit Tageszeit

Industrie

100%

Winter-Werktag
80%
Sommer-Werktag

60% Winter-Wochenende

40% Sommer-Wochenende

20%

0%
0 5 10 15 20
Tageszeit

Abb. 3.27. Lastganglinien der 3 Kundengruppen

Während die Energiekosten energieproportional (ct/kWh) verteilt werden, muss


für die Aufteilung der Fixkosten ein Verteilschlüssel (siehe Abschnitt 2.3.1.) ver-
wendet werden. Da das Modell-EW keine Kunden direkt ab dem Übertragungs-
netz versorgt, sind gemäß den Überlegungen zum Stufendivisionsverfahren die
Fixkosten der Energiebeschaffung sowie diejenigen der beiden oberen Netzebenen
100 3 Elektrizitätswirtschaft, Liberalisierung

auf alle Kunden zu verteilen. Die Kosten des Feinverteilnetzes werden ausschließ-
lich dem Niederspannungskunden angelastet.
45 Winter Sommer Winter Sommer
Werktag Wochenende
40

35

30 Mittelspannung
25
MW

20

15

10

5
Niederspannung
0
Tageslastgang

Abb. 3.28. Lastverlauf im Mittel- und Niederspannungsnetz

Tabelle 3.7. Selbstkosten des Modell-Stadtwerks


GWh ct/kWh MW €/kW
Beschaffung
Fixkosten 4 [Mio.€] 185 2.2 42 94
variable Kosten 6 [Mio.€] 185 3.2 42 142
Netze
Übertragungsnetz (HS) 3 [Mio.€] 185 1.6 42 71
Grobverteilnetz (MS) 5 [Mio.€] 185 2.7 42 118
Feinverteilnetz (NS) 9 [Mio.€] 135 6.7 33 272

Total 22

Die Tabelle Abb. 3.22 zeigt die Bandbreite bei der Aufteilung der Fixkosten,
welche sich durch die Anwendung der unterschiedlichen Verfahren ergibt. Für die
Niederspannungskunden bildet das Kriterium Energiemenge die günstigste Vari-
ante, während der Mittelspannungskunde mit der Aufteilung nach Spitzenlastan-
teilen am günstigsten fährt.
Das Ergebnis weist darauf hin, dass der Leistungsbedarf des Mittelspannungs-
kunden gerade während der Netzhöchstlast unterproportional und sein Lastgang
im Vergleich zur Summenlast der Niederspannungskunden gleichmäßiger ist.
Insgesamt erscheint der Einfluss der Verteilmethode relativ gering. Die Bandbreite
der Resultate steigt allerdings mit der Verschiedenartigkeit der Lastprofile der
3.6 Strompreisgestaltung 101

Kunden an. Folglich kommt der Wahl des Verfahrens dann eine hohe Rolle zu,
wenn für vertraglich definierte Lastprofile (Energiebänder, Mittagsspitzen) Netz-
benutzungsgebühren berechnet werden müssen.

Tabelle 3.8. Verteilung der Kosten zwischen den Kunden im (MS) Mittel- und Nieder-
spannungsnetz (NS)

Aufteilung der Fixkosten MS NS


HS, MS und Beschaffung [%] [%]
Energiemengenverfahren 27 73
Höchstlastverfahren 24 76
Spitzenlastverfahren 22 78
Lastverlaufverfahren 26 74

Wendet man das Lastverlaufverfahren an und berücksichtigt man, dass die Nie-
derspannungskunden die gesamten Kosten des Feinverteilnetzes tragen, ergibt sich
die in Tabelle 3.9 dargestellte Verteilung der Fixkosten.

Die Mittelspannungskunden werden insgesamt mit 3.1 Mio. € belastet. Für die
Niederspannungskunden ergibt sich ein Gesamtbetrag in Höhe von 17.9 Mio. €.
Legt man diese Kosten auf die Höchstlast der Kunden um, ergeben sich 322 €/kW
(MS) bzw. 542 €/kW (NS). Bezogen auf die Energiemenge sind dies 6.1 ct/kWh
(MS) bzw. 13.3 ct/kWh (NS). Die bezogenen Werte machen deutlich, dass ein
Niederspannungskunde im Vergleich zu einem Mittelspannungskunden in etwa
mit den doppelten Fixkosten für Netznutzung und Beschaffung rechnen muss.

Tabelle 3.9. Verteilung der Gesamtkosten auf die Kunden im Mittel- und Nie-
derspannungsnetz nach dem Lastverlaufverfahren
102 3 Elektrizitätswirtschaft, Liberalisierung

Die Aufteilung der Selbstkosten nach der gewählten Methode bildet nun die Ba-
sis für die Tarifgestaltung. Die Tarife in Tabelle 3.10 enthalten die Beschaffungs-
kosten sowie die gesamten Netzkosten. Es lassen sich allerdings auch anhand der
detaillierten Grundlagen für jeden Kunden und für jede Netzebene differenzierte
Durchleitungstarife berechnen.
Für den Haushaltskunden und für das Gewerbe wurde ein Zweigliedtarif mit ei-
nem Grundpreis und einem Energiepreis berechnet. Bei den Industriekunden wur-
de aufgrund der höheren Last pro Anschluss eine Leistungsmessung vorgesehen,
wodurch die Anwendung eines Dreigliedtarifes mit einer zusätzlichen Leistungs-
komponente möglich ist.

Tabelle 3.10. Tarife auf Basis des Lastverlaufverfahrens

Niederspannung MS
Haushalt Gew/Dl Industrie Industrie
Grundpreis [€/a] 100 100 300 1000
Leistungspreis [€/kW/a] 0 0 161 54
Energiepreis: Wi/HT [ct/kWh] 21.4 23.4 12.4 6.3
Energiepreis: Wi/NT [ct/kWh] 11.4 11.8 7.2 4.6
Energiepreis: So/HT [ct/kWh] 14.4 15.6 8.9 5.1
Energiepreis: So/NT [ct/kWh] 10.7 11.0 7.0 4.5

Die kundenabhängigen Kosten für Energiemessung und Energieabrechnung füh-


ren direkt zum jeweiligen Grundpreis je Kundengruppe. Im Energiepreis sind die
variablen Beschaffungskosten und die Fixkosten zusammengefasst. Beim Leis-
tungspreistarif wurde allerdings nur die Hälfte 2 der Fixkosten in den Energiepreis
eingerechnet. Die andere Hälfte wird über den Leistungspreis verrechnet. Das
Tarifsystem enthält für alle Kunden vier Energiepreise. Es wurde zwischen Stark-
und Schwachlastzeiten 3 des Tages bzw. der Woche unterschieden, wobei zusätz-
lich dem saisonalen Lastverlauf durch differenzierte Winter- und Sommerpreise
Rechnung getragen wurde. Die jeweilige Differenzierung wurde ebenfalls über
das Lastverlaufverfahren ermittelt.

2
Bei der Verteilung der Fixkosten auf Energie- und Leistungspreis ist man aus energiewirtschaftlicher
Sicht relativ frei. Die wesentlichen Kriterien sollten die erwünschte Lenkungswirkung des Tarifes
sowie das subjektive Empfinden des Kunden sein.
3
Als Hochtarifzeit (Starklastzeit) wurde der Werktag zwischen 600 und 2200 Uhr definiert. Die Nieder-
tarifzeit (Schwachlastzeit) umfasst die Nachtstunden des Werktages sowie das gesamte Wochenende.
3.6 Strompreisgestaltung 103

Bei der Berechnung des Leistungspreises ist zu berücksichtigen, dass sich die
Kunden innerhalb einer Kundengruppe bereits verschachteln. Dadurch ist die
Höchstlast der Kundengruppe wesentlich geringer als die Summe der Höchstlasten
der einzelnen Kunden. Bei der Berechnung der Höhe des Leistungspreises der
Industriekunden wurde ein Verschachtelungsfaktor von 2 4 angenommen.
Die Resultate in Tabelle 3.10 machen den hohen Niveauunterschied zwischen
den Mittelspannungs- und Niederspannungstarifen deutlich. Die Leistungspreise
liegen um den Faktor 3 auseinander. Die Energiepreise unterscheiden sich im
Durchschnitt innerhalb der gleichen Kundengruppe nur um den Faktor 2, da so-
wohl bei den Niederspannungstarifen als auch bei den Mittelspannungstarifen die
variablen Beschaffungskosten einen gemeinsamen Sockel darstellen. Besonders
auffällig ist die starke Differenzierung der Energiepreise innerhalb einer Kunden-
gruppe. Für Haushaltskunden und Gewerbebetriebe ist der Energiepreis um die
Mittagszeit im Winter mehr als doppelt so hoch wie an einem Wochenende im
Sommer. Beim Leistungspreistarif erscheint die Differenzierung zwischen den
Tarifperioden geringer. Da die Höchstlast des Kunden im Allgemeinen in der
Hochtarifperiode des Winters auftritt, sind die Leistungskosten dieser Periode
anzulasten. Dadurch nimmt die Differenzierung zwischen den Tarifzeiten effektiv
zu.

4
Die Summe der Höchstlasten der einzelnen Kunden entspricht dem Doppelten der Höchstlast der
Kundengruppe.
104 3 Elektrizitätswirtschaft, Liberalisierung

3.7 Funktionsweise liberalisierter Elektrizitätsmärkte

Fast 100 Jahre war die elektrische Energieversorgung weltweit als vertikal inte-
griertes Monopol organisiert, oft auch in staatlicher Hand. Seit Beginn der 90er-
Jahre des 20. Jh. gibt es jedoch, ausgehend von den hoch industrialisierten
Staaten, einen weltweiten Trend, die vertikale Integration aufzubrechen, staat-
liches Eigentum zu privatisieren und wesentliche Teile der Elektrizitätswirtschaft
wettbewerblich zu organisieren. Dieser Abschnitt erläutert die Hintergründe
dieser Entwicklung und beschreibt die Konsequenzen, die sich daraus für die
Akteure in der Elektrizitätswirtschaft ergeben.

3.7.1 Motivation für Privatisierung und Liberalisierung

Grundlage allen Wirtschaftens ist das Streben nach Gewinn durch den Einsatz von
Leistung und die Wahrnehmung von Chancen bei gleichzeitigem Eingehen der
damit üblicherweise verbundenen Risiken. In praktisch allen Märkten, in denen
Menschen wirtschaftlich zusammenarbeiten, ergibt sich daraus eine Situation, wie
sie sehr allgemein in Abb. 3.29 dargestellt ist. Werden die Marktteilnehmer völlig
unreguliert sich selbst überlassen, haben sie den größtmöglichen betriebswirt-
schaftlichen Freiheitsgrad für die Optimierung ihres Geschäftes. Allerdings kann
es eine Vielzahl gesellschaftlicher Randbedingungen geben, welche es sinnvoll
erscheinen lassen, den theoretisch möglichen Freiraum einzugrenzen. Solche
Randbedingungen können z. B. der Schutz des Einzelnen vor der Übernahme zu
großer Risiken sein, der Schutz anderer Marktteilnehmer vor nicht den
gesellschaftlichen Normen entsprechenden Partnern oder aber auch - im Falle der
Elektrizitätswirtschaft von großer Bedeutung – die Sicherstellung einer
ausreichend zuverlässigen und umweltverträglichen Erbringung der gewünschten
Leistung. Diese Randbedingungen schränken den Spielraum des Einzelnen ein
und werden normalerweise in Form von Gesetzen festgelegt.

Systemgrenze bei
reiner Individual-
optimierung

zulässiger
Lösungsraum für
Marktteilnehmer

volkswirtschaftliche
Forderungen, die den
Optimierungsspielraum
einschränken

Abb. 3.29. Einschränkung des Lösungsraums individuellen Wirtschaftens durch gesell-


schaftliche Randbedingungen
3.7 Funktionsweise liberalisierter Elektrizitätsmärkte 105

Die Elektrizitätswirtschaft hat im Lauf des 20. Jh. sowohl hinsichtlich der
technischen Möglichkeiten, die ihr für Erzeugung, Übertragung und Verteilung
zur Verfügung stehen, als auch in Bezug auf ihre Abnehmer eine enorme Ent-
wicklung durchlaufen. In der ersten Hälfte des Jahrhunderts handelte es sich noch
um eine Energieform, für die man im privaten Alltag nach Anwendungen suchte,
und die vor allem in der Industrie ihren Einzug hielt. Erzeugung, Übertragung und
Verteilung stellten höchste technische Anforderungen und bedeuteten damit auch
ein großes wirtschaftliches Wagnis. Demgegenüber ist die Situation zu Beginn
des 21. Jh. zumindest in den Industrieländern dadurch charakterisiert, dass
elektrische Energie in oft schon industriell gefertigten Standardanlagen in
praktisch jeder beliebigen Größe erzeugt und über eine allgegenwärtige
Infrastruktur verteilt werden kann. Anwendungsseitig hat sich die elektrische
Energie wegen ihrer Vielseitigkeit und des mit ihrer Nutzung verbundenen
Komforts in fast allen Energieanwendungen etabliert.
Zwangsläufig haben sich die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen der Elek-
trizitätswirtschaft im Lauf der Zeit ähnlich stark verändert wie diese Industrie
selbst. Die Gesellschaft hat damit zu jeder Zeit den jeweils aktuellen Besonder-
heiten dieser volkswirtschaftlichen Schlüsselbranche Rechnung getragen. Dabei
haben sich international vier Grundmodelle der Marktorganisation herausgebildet,
die in Tabelle 3.11 zusammengefasst sind. Sie gehen von folgender Grundan-
nahme jeglicher Liberalisierung von Märkten für leitungsgebundene Energie aus:

Auch bei der Versorgung mit elektrischer Energie sollte es, wie bei den meisten
anderen Waren, möglich sein, das Geschäft mit der eigentlichen Ware – hier also
der elektrischen Energie – von der Transportdienstleistung zu trennen und
unterschiedlich zu behandeln.

Die beiden Geschäftsgegenstände unterscheiden sich bei den leitungsgebun-


denen Energieträgern, zu denen die elektrische Energie gehört, wesentlich. Wäh-
rend die Transportinfrastruktur sehr aufwendig, orts- und in der Verteilung sogar
verbrauchergebunden ist, ist die Energie heute mit normalem unternehmerischem
Risiko erzeugbar und unter Voraussetzung eines entsprechend stabilen
Systembetriebs auch von allen Anbietern in gleicher Qualität lieferbar. Damit
unterscheidet sich das Geschäft mit der Energie kaum noch von anderen, wett-
bewerblich organisierten Märkten, während bei der Infrastrukturdienstleistung
konkurrierende Systeme volkswirtschaftlich ineffizient wären und wohl auch
kaum gesellschaftliche Akzeptanz fänden. Grundidee der Einführung von Wett-
bewerbselementen in die Elektrizitätswirtschaft, wie sie seit den 90er-Jahren
weltweit beobachtet wird, ist deshalb die getrennte Behandlung des Handels mit
Energie und der Transportdienstleistung. Tabelle 3.11 bezieht sich ausschl. auf
den Handel und Vertrieb elektrischer Energie und nicht auf ihren Transport. Dass
in den Strukturbildern trotzdem Übertragungs- und Verteilnetzbetreiber
aufgeführt sind, ist darauf zurückzuführen, dass in diesen Fällen vertikal
integrierte Unternehmen sowohl im Energie- als auch im Netzsektor tätig sind.
106 3 Elektrizitätswirtschaft, Liberalisierung

Tabelle 3.11. Grundlegende Marktmodelle für leitungsgebundene Energie

Marktmodell Monopol Allein- Großhandels- Endkunden-


abnehmer wettbewerb wettbewerb
Definition Monopol Wettbewerb zwischen Erzeugern
auf jeder Ebene mit Allein- Verteiler und alle Kunden
abnehmer Großkunden haben Erzeuger-
haben Er- wahl
zeugerwahl
Struktur 1 Erz. Erz. Erz. Erz. Erz. Erz. Erz. Erz. Erz. Erz. Erz. Erz. Erz. Erz. Erz. Erz.

ÜNB Alleinabnehmer Hand. Hand. Hand. Hand. Hand. Hand.

VNB VNB VNB VNB VNB VNB ESP ESP ESP

K K K K K K K K K K K K K K K K

Modelltyp unilateral unilateral multilateral multilateral


Wettbewerb bei nein ja ja ja
Erzeugung?
Haben Verteiler nein nein ja ja
die Wahl?
Haben Endkunden nein nein nein ja
die Wahl?
Erforderlicher keine Erzeuger ja, im Großhandel volle Entflech-
Entflechtungsgrad Entflechtung nicht auf Ver- ja, nicht auf tung bis zum
braucherseite Verteilebene Endkunden
Netzzugang Drit- nein nein ja ja
ter erforderlich?

Das über Erzeugung und Verteilung ausgedehnte, somit vertikal integrierte,


staatlich überwachte Monopol, in dem sich kein Marktteilnehmer seine Partner
aussuchen kann, war die Konsequenz daraus, dass die zuverlässige und flächen-
deckende Versorgung als gesellschaftliche Aufgabe und als Unterstützung der von
elektrischer Energie abhängigen Industrien gesehen wurde. Diese Sicht fand ihren
Niederschlag z. B. im deutschen Energiewirtschaftsgesetz von 1935 [3.15], in
dem die privatwirtschaftliche Organisation der deutschen Energiewirtschaft in
Gebietsmonopolen festgeschrieben wurde und das gleichzeitig zur wirtschaftlich
effizienten und zuverlässigen Versorgung verpflichtete. Das Monopol bot ausrei-
chend Schutz der Investoren vor den erheblichen technischen und wirtschaftlichen
Risiken der Aufbauzeit, und ermöglichte so den schnellen Aufbau überregionaler,
vermaschter Übertragungsnetze, die wiederum Voraussetzung für die Einführung
großer Kraftwerksblöcke und die Nutzung der damit verbundenen
Kostendegression waren. Außerdem ist es wegen der vertikalen Integration über
die gesamte Wertschöpfungskette das organisatorisch einfachste der vier Markt-
modelle, in dem weder eine Entflechtung noch ein Netzzugang Dritter benötigt

1
Abkürzungen: ESP Energiedienstleister, Erz. Erzeugung, Hand. Großhandel, K Kunden,
ÜNB Übertragungsnetzbetreiber, VNB Verteilnetzbetreiber
3.7 Funktionsweise liberalisierter Elektrizitätsmärkte 107

wird. Zuletzt erlaubt das Monopol verhältnismäßig einfach direkte politische


Eingriffe in die geschützte Branche im öffentlichen Interesse. Beispiele dafür fin-
den sich praktisch in allen Ländern der Welt. Sie reichen von der Erschließung
strukturschwacher Regionen über die Förderung heimischer Primärenergiequellen
bis hin zum Umweltschutz. Das Monopol ist auch heute noch sinnvoll, wo ein
Ausbau der Elektrizitätswirtschaft über das sich aus unternehmerischer Abwägung
von Risiken und Chancen ergebende Maß hinaus gewünscht ist. Diese Situation
findet man z. B. in Entwicklungsländern, wo dieser Aufbau eine notwendige
Vorleistung für die gewünschte Industrialisierung darstellt.
Eine Zwischenform zwischen Monopol und Wettbewerbsmärkten, in denen
Kunden ihre Lieferanten auswählen, stellt der Alleinabnehmermarkt dar. In die-
sem Modell kauft ein Versorger pro Versorgungsgebiet von mehreren Erzeugern,
die somit untereinander im Wettbewerb stehen. Im Unterschied zum Monopol
erschließt dieses Marktmodell durch den Wettbewerb zwischen den Erzeugern
bereits ein wichtiges Kostensenkungspotenzial, ohne die Komplexität des Marktes
wesentlich zu erhöhen. Auf der anderen Seite bleiben grundsätzliche Charak-
teristika des Monopols erhalten: Da die Verbraucher praktisch keinen Druck auf
die Anbieter ausüben können, gibt es weiterhin eine Tendenz zu langfristigen,
risikoarmen Verträgen und zentralen Planungsvorgängen an Stelle unternehme-
rischer Entscheidungsprozesse. Die im Alleinabnehmermodell inhärent angelegte
Risikobegrenzung für die Marktteilnehmer lässt es immer dann attraktiv sein,
wenn Kapital für den schnellen Aufbau von Erzeugungskapazität angezogen
werden soll, z. B. in schnell wachsenden Volkswirtschaften.
Eine Gemeinsamkeit der beiden bisher besprochenen Marktmodelle ist die Exi-
stenz einer zentralen Instanz, die das gesamte Marktgeschehen koordiniert.
Deshalb werden sie in Tabelle 3.11 als unilaterale Modelle bezeichnet. Wegen
dieser Eigenschaft sind ausschließlich sie für Produkte oder Leistungen geeignet,
die nur von einem einzelnen Marktteilnehmer angeboten werden können. Das
wichtigste Beispiel dafür sind die Regelenergie und die Systemdienstleistungen.
Das erste Modell, in dem die Endverbraucher Wahlfreiheit haben, ist der
Großhandelswettbewerb. Große Verbraucher und die Verteilnetzbetreiber als Re-
präsentanten der Kleinverbraucher können ihre Lieferanten wählen. Weil Ver-
braucher und Erzeuger hier erstmals direkt in Geschäftsbeziehung zueinander
treten, entsteht eine multilaterale Marktstruktur, die einen Netzzugang Dritter
erfordert. Diese Struktur erhöht, wie nachfolgend gezeigt wird, deutlich die Kom-
plexität und führt zu erheblichen Administrations- und Transaktionskosten.
Komplexität und damit zusätzliche Kosten können über die Größe der Kunden-
gruppe mit Lieferantenwahlfreiheit und über die zulässige Mindestvertragsdauer
begrenzt werden. Infolge der Wahlfreiheit nennenswerter Verbrauchergruppen
nimmt das Risiko der Erzeuger zu, im Falle falscher Entscheidungen oder uner-
warteter Marktentwicklungen getätigte Investitionen nicht mehr refinanzieren zu
können. Gleichzeitig lassen sich die daraus entstehenden Risikokosten nicht an
die Endverbraucher weitergeben, so dass die Margen der Erzeuger schon deshalb
im Vergleich zum Alleinabnehmermarkt sinken. Im Gegensatz zu Monopol- und
Alleinabnehmermarkt ist eine direkte politische Einflussnahme auf einzelne
Unternehmen im Wettbewerbsmarkt nicht mehr möglich. Politische Ziele müssen
108 3 Elektrizitätswirtschaft, Liberalisierung

im Sinne von Abb. 3.29 in für alle Marktteilnehmer gleichermaßen gültige Regeln
mit der gewünschten Lenkungswirkung übersetzt werden.
Die vollständige Öffnung des Energiemarktes für den Wettbewerb stellt der
Endkundenwettbewerb dar. Dabei handelt es sich um die konsequente Weiter-
führung des Großhandelswettbewerbs. Alle Kunden haben das Recht, ihren Ener-
gielieferanten zu wählen. Damit ist der Markt für elektrische Energie mit allen
anderen Warenmärkten gleichgestellt. Das mit einem solchen Ansatz verfolgte
volkswirtschaftliche Ziel ist der möglichst genaue Ausgleich zwischen Angebot
und Nachfrage auf Basis der Preisbereitschaft der Endverbraucher. Im vollständig
offenen Endkundenwettbewerb gibt es keine staatlich garantierten Schutzzonen
mehr zur Sicherstellung z. B. der Versorgungssicherheit über das von den Kunden
wirtschaftlich getragene Maß hinaus. Zumindest in den hoch industrialisierten
Ländern, wie den USA, Großbritannien, Skandinavien und den kontinentaleuro-
päischen Staaten wird dieses Modell als das zukünftig angemessene gesehen. Es
ist allerdings noch nicht erwiesen, dass die Kosten für die durch die Marktöffnung
auf Kleinstkundenniveau stark ansteigende Komplexität volkswirtschaftlich
tatsächlich durch die durch den Wettbewerbsdruck verursachte Effi-
zienzsteigerung in der Elektrizitätswirtschaft überkompensiert werden.
Analysiert man abschließend die vier Grundmodelle des Wettbewerbs, so ist
zunächst festzuhalten, dass die unilateralen Modelle für spezielle Produkte und
Leistungen in allen Märkten benötigt werden. Die Netze als natürliche Monopole
und die Bereitstellung von Regelenergie und Systemdienstleistungen sind die
wichtigsten Beispiele dafür. Darüber hinaus haben alle vier Modelle auch heute
noch ihre Berechtigung für das eigentliche Energiegeschäft. Einerseits gibt es
immer noch Volkswirtschaften, in denen sich Energieversorgung und Industrie im
Aufbau befinden. Dort gibt es gute Gründe für einen Monopol- oder mindestens
einen Alleinabnehmermarkt. Das andere Extrem markieren die Industriestaaten. In
ihnen gibt es einen bekannten, stabilen Markt für elektrische Energie, der relativ
zu den Erzeugungseinheiten sehr groß ist, und eine gut ausgebaute Infrastruktur
für den Transport der Energie. Damit stellt die Teilnahme am Energiemarkt ein
normales unternehmerisches Risiko dar und es gibt keinen Grund mehr für
staatlichen Schutz der Marktteilnehmer. Auch ist angesichts der in den meisten
Industriestaaten vorhandenen Überkapazität in der Erzeugung und der zumindest
technisch verhältnismäßig niedrigen Markteintrittsbarrieren nicht mit Angebots-
knappheit zu rechnen, so dass auch die Forderung nach einer ausreichenden
Versorgung nicht gegen die völlige Marktöffnung spricht.

3.7.2 Der Aufbau wettbewerblich organisierter Elektrizitätsmärkte

In diesem und den folgenden Abschnitten wird die Arbeitsweise wettbewerblich


organisierter Elektrizitätsmärkte und der wichtigsten Teilnehmer an ihnen
beschrieben. Dabei wird, soweit möglich, eine allgemeine Darstellung angestrebt.
Wann immer jedoch Beispiele für die tatsächliche Realisierung vorgestellt wer-
den, wird bevorzugt auf den deutschen Markt zurückgegriffen, da dieser auf
Grund seiner Größe in Europa sicherlich einen starken Einfluss auf nachfolgende
3.7 Funktionsweise liberalisierter Elektrizitätsmärkte 109

Märkte haben wird, und weil er inzwischen einige Jahre existiert und wichtige
Erkenntnisse aus der Aufbauzeit bereits Eingang in die Praxis gefunden haben.

3.7.2.1 Aufgaben und Rollen im liberalisierten Markt


Um das Funktionieren eines Marktes möglichst gut zu verstehen, empfiehlt es
sich, die kleinstmöglichen wirtschaftlichen Einheiten in ihm zu identifizieren, die
als eigenständiges Geschäft betrieben werden können und zur Lösung der
Aufgaben im Markt beitragen. Im Folgenden werden solche Einheiten als Markt-
rollen bezeichnet. Es ergibt sich damit die folgende Begriffsabgrenzung:
x Aufgaben sind die kleinste Betrachtungseinheit innerhalb des Marktes. Die
Gesamtaufgabe des Elektrizitätsmarktes, die wirtschaftlich effiziente und aus-
reichend zuverlässige Versorgung aller Verbraucher mit elektrischer Energie,
kann in eine Vielzahl von Einzelaufgaben unterteilt werden. Erst wenn alle
diese Aufgaben erfüllt sind, wird der Markt funktionieren und seine überge-
ordnete Aufgabe erfüllen. Beispiele für Aufgaben sind die Systembetriebs-
führung oder die Bereitstellung von Verbrauchsdaten als Basis für die Abrech-
nung. Auch wenn Letztere nicht technisch motiviert ist, ihre Nichterfüllung
also die technische Funktion des Versorgungssystems nicht gefährdet, ist sie
wesentlich für das Funktionieren des Marktes, da ohne Abrechnung die meisten
Marktteilnehmer ihr Geschäft nicht aufrecht erhalten können.
x Die Zusammenfassung von Aufgaben und ihrer Lösung zu alleine lebens-
fähigen wirtschaftlichen Einheiten führt zu den sog. Rollen. Eine Rolle kann
identisch mit einem Unternehmen, also einem Marktteilnehmer sein, muss es
aber nicht. Normalerweise decken zu Beginn einer Liberalisierung die alten,
vormals vertikal integrierten Unternehmen viele Rollen gleichzeitig ab. Eine
Marktrolle zeichnet sich dadurch aus, dass sie wirtschaftlich eigenständig ope-
rieren kann, und dass sie ein ausgeprägtes, eigenes Kompetenzprofil hat.
Beispiele für Marktrollen sind der Systembetreiber, der den Betrieb des
Versorgungssystems sicherstellt, oder die Zählerdienstleister, die den übrigen
Marktteilnehmern die Verbrauchsdaten zur Verfügung stellen.
x Die im Markt tätigen Unternehmen werden als Marktteilnehmer bezeichnet.
Marktteilnehmer decken mit ihrer Tätigkeit mindestens eine Marktrolle ab,
können aber auch mehrere Rollen zusammenfassen.
Bevor Wettbewerbselemente in der Elektrizitätswirtschaft eingeführt wurden und
die dazu notwendige Trennung zwischen Energiegeschäft und Transportdienst-
leistung, das sog. „Unbundling“, vollzogen wurde, waren die Marktrollen sehr
stark an die technische Struktur des Versorgungssystems angelehnt. Dies ver-
deutlicht Abb. 3.30 am Beispiel der deutschen Elektrizitätswirtschaft. Die dar-
gestellte Zusammenarbeit der Marktteilnehmer in Verbänden belegt, dass die
Marktteilnehmer sich bei der Partnersuche im Wesentlichen an der höchsten von
ihnen betriebenen Spannungsebene orientierten. Die Spezialisierung und damit in
gewisser Weise Bildung von Marktrollen fand also im Hinblick auf die Struktur
des Versorgungsgebietes statt und nicht danach, ob ein Unternehmen z. B. als
Erzeuger oder Endverteiler tätig war oder nicht.
110 3 Elektrizitätswirtschaft, Liberalisierung

Ausland eigene oder vertrag-


80 % ~ lich verpflichtete Industrieeinspeisung
Kraftwerke
x% ~ Einspeisung aus öffent-
Verbundunternehmen licher Versorgung mit
(DVG) prozentualer Aufteilung

10 % ~ Unternehmen der öffentlichen


Stromversorgung (VDEW)
Regionalunternehmen 10 % Verbände:
(ARE) VDEW: Verband der Elektrizitätswirtschaft
~ DVG: Deutsche Verbundgesellschaft
ARE: Arbeitsgemeinschaft regionaler
Energieversorger
Kommunalunternehmen VKU: Verband kommunaler Unternehmen
(VKU)
40 % 30 % 30 % Aufteilung der Entnahme
Verbraucher
(Tarif- und Sondervertragskunden)

Abb. 3.30. Versorgungsstruktur und Verbände der Elektrizitätswirtschaft in Deutsch-


land vor der Liberalisierung (nach [3.16])

Im liberalisierten Markt ergibt sich eine viel stärkere Differenzierung der


Marktrollen, hauptsächlich auf Grund der Trennung von Energiegeschäft und
Transportdienstleistung sowie des durch den Wettbewerb verursachten Kosten-
drucks. Abb. 3.31 zeigt die Marktrollen, die sich typischerweise in Märkten mit
Großhandels- oder Endkundenwettbewerb bilden. Zunächst gibt es unverändert
die technischen Rollen Erzeugung, Übertragung und Verteilung. Direkt benach-
bart finden sich bereits neue Aufgaben, welche die Brücken zum kommerziellen
Teil des Marktes darstellen. Insgesamt belegt die Abbildung bereits deutlich die
durch die Liberalisierung wachsende Komplexität eines Elektrizitätsmarktes, denn
zwischen allen Marktteilnehmern, die Produkte und Leistungen austauschen,
müssen Verträge abgeschlossen werden. Da außerdem die meisten Ge-
schäftsbeziehungen jederzeit aufgelöst und neue geschlossen werden können, ist
sowohl die Menge der Geschäftsbeziehungen als auch ihre zeitliche Dynamik sehr
viel größer als im Monopolmarkt.
Betrachtet man zunächst den wettbewerblich organisierten Energiemarkt, so
findet man dort Erzeuger, Großhändler, Börsen, Energiedienstleister und Bilanz-
verantwortliche. Erzeuger verkaufen ihre Kapazität im Großhandelsmarkt und
bestimmen damit den späteren Kraftwerkseinsatz. Im Großhandelsmarkt können
Energiekontingente – auch unter Einbeziehung von Strombörsen – mehrfach den
Besitzer wechseln, bevor sie über Energiedienstleister (Energy Service Provider,
ESP, auch Lieferanten) an den Endverbraucher verkauft werden.
Eine weitere wichtige Rolle im Energiemarkt ist der sog. Bilanzkreis. Elek-
trische Energie ist ein rein optionales Produkt, d. h. ihre Lieferung hängt voll-
ständig von der Inanspruchnahme zum Erzeugungszeitpunkt ab. Deshalb muss
grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass es Abweichungen zwischen den
gehandelten Mengen und der tatsächlichen Lieferung gibt. Die Bilanzkreise bieten
den dazu benötigten Ausgleich an und setzen gleichzeitig ökonomische Anreize,
die Abweichungen im Interesse einer wirtschaftlich effizienten Kraftwerkseinsatz-
planung so klein wie möglich zu halten.
3.7 Funktionsweise liberalisierter Elektrizitätsmärkte 111

Alle Handelsprozesse im Energiemarkt laufen mehr oder weniger lange vor der
eigentlichen Lieferung ab. Handelsgegenstand sind Verträge, welche die Komple-
xität des technischen Systembetriebs im Interesse einer möglichst einfachen und
somit wettbewerbsfördernden Handhabung nur eingeschränkt widerspiegeln.
Damit aus diesen Verträgen eine physikalische Lieferung werden kann, benötigt
man weitere Dienstleistungen. Im Allgemeinen bündelt der Energiedienstleister
diese Leistungen mit der Energie und bietet den Endkunden einen
Komplettversorgungsvertrag an. Deshalb wird hier der Begriff Energiedienst-
leister gegenüber dem ebenfalls gebräuchlichen Lieferanten bevorzugt.
Um aus dem abstrakten Handelsergebnis des Energiemarktes einen physika-
lischen Systembetrieb zu machen und die erbrachten Leistungen später auch ab-
rechnen zu können, werden die Dienstleistungen Systembetrieb, Netzbetrieb,
Netznutzungsmanagement und Messwertbereitstellung benötigt. Der System-
betreiber ermittelt aus den Ergebnissen des Energiemarktes den Kraftwerkseinsatz
und ist verantwortlich für die zuverlässige Versorgung. Die Aufgaben der
Netzbetreiber sind die Planung, der Bau, die Instandhaltung und der Betrieb der
Übertragungs- und Verteilungsnetze. Im Netznutzungsmanagement wird ver-
waltet, welcher Verbraucher zu welcher Zeit mit welchen Marktteilnehmern
Verträge abgeschlossen hat. Dies umfasst vor allem die zuverlässige Abwicklung
von Lieferantenwechseln. Zuletzt stellen die Zählerdienstleister allen Marktteil-
nehmern die von ihnen benötigten Messwerte zur Verfügung.
Tabelle 3.11 fasst abschließend die Marktrollen zusammen und stellt sie den
jeweils benötigten wichtigsten Kompetenzen gegenüber. Es wird deutlich, dass
durch die Liberalisierung Aufgaben entstehen, die zum eigentlichen Thema der
elektrischen Energieversorgung keine direkte Verbindung haben. Dies bedeutet
eine erhebliche Erweiterung der Aufgabenvielfalt in der Elektrizitätswirtschaft.

Erzeugung Übertragung
Besitz der elek-
Kraftwerke Übertragungs- trischen Energie
netzbetreiber Geldfluss
Verkauf Verteilung
System- Energiefluss
betreiber Verteilnetz-
betreiber
Bilanzkreis techn. Prozess
Börse/ Netznutzungs-
Groß- management Dienstleistungsmarkt
Spot-
händler Energiemarkt
markt
Zähler-
Energie- dienstleister
dienstleister Kunde
Finanz- (ESP)
märkte

Abb. 3.31. Rollen in liberalisierten Elektrizitätsmärkten


112 3 Elektrizitätswirtschaft, Liberalisierung

Tabelle 3.12. Rollen im liberalisierten Elektrizitätsmarkt und zugehörige Kompetenzen

Rolle Geschäftsgegenstand Kernkompetenzen


System- sicherer und zuverlässiger Be- Betriebsführung elektrischer Energie-
betreiber trieb des Versorgungssystems versorgungssysteme, marktinterner
Informationsaustausch
Netzbetreiber Übertragungs- und Netzplanung, Netzbetriebsführung,
Verteilungsinfrastruktur Betriebsmittelmanagement
Erzeuger Erzeugung elektrischer Kraftwerksplanung, Kraftwerksbetrieb,
Energie Großhandel (Verkauf)
Großhändler Verkauf von Eigenerzeugung, Großhandel (Ein- und Verkauf),
Portfoliooptimierung am Risikomanagement
Großhandelsmarkt
Energie- Verkauf von elektrischer Ener- Einkauf (Großhandel), Vertrieb,
dienstleister gie und der benötigten Dienst- Abwicklungseffizienz
(ESP) leistungen an Endverbraucher
Bilanzkreis Reduktion des Bedarfs an Einkauf (Großhandel), Lastprognose,
Ausgleichsenergie durch marktinterner Informationsaustausch
Verbraucherbündelung
Netznutzungs- Erfassung aller Vertrags- marktinterner Informationsaustausch,
management beziehungen im Markt Abwicklungseffizienz
Zählerdienst- Bereitstellen von marktinterner Informationsaustausch,
leister Verbrauchsdaten Abwicklungseffizienz

3.7.2.2 Netzzugangsmodelle
Ein Kernelement jedes wettbewerblich organisierten Marktes für leitungsgebun-
dene Energie ist die Regelung des Netzzugangs. Sowohl der Großhandelswett-
bewerb als auch der Endkundenwettbewerb setzen voraus, dass Lieferanten und
Verbraucher freien Zugang zum Übertragungs- und Verteilungsnetz haben. Da die
Netzdienstleistung i. Allg. als Monopol organisiert ist, ist dieser Zugang üblicher-
weise staatlich überwacht, um sicherzustellen, dass die Forderungen nach
x Transparenz: Die Prozesse und die erhobenen Netzzugangsgebühren müssen
für alle Marktteilnehmer nachvollziehbar sein.
x Offenheit: Das Netz muss für jeden zugelassenen Marktteilnehmer gleicher-
maßen zugänglich sein.
x Diskriminierungsfreiheit: Alle Marktteilnehmer, die Zugang zum Netz wün-
schen, müssen in gleicher Weise behandelt werden.
erfüllt sind. Darüber hinaus wird üblicherweise auch überwacht, ob die Netzzu-
gangsregeln wettbewerbsbehindernd sind. Ein in praktisch jedem Markt vorüber-
gehend diskutiertes Beispiel für ein solches Element ist eine Gebühr, die vom
Netzbetreiber beim Lieferantenwechsel erhoben wird. Eine solche Gebühr wäre
zwar verursachungsgerecht und ließe sich deshalb sogar mit der Forderung nach
Diskriminierungsfreiheit rechtfertigen, stellt aber ein erhebliches Wettbewerbs-
hindernis dar und hat sich deshalb bisher nicht durchgesetzt.
3.7 Funktionsweise liberalisierter Elektrizitätsmärkte 113

Für die vertragliche Regelung des Netzzugangs können zwei Verfahren unter-
schieden werden:
x geregelter Netzzugang (Third Party Access, TPA): Der Netzzugang erfolgt zu
einheitlich geregelten Konditionen, die normalerweise vom Staat oder einer
Regulierungsbehörde festgelegt oder zumindest genehmigt werden.
x verhandelter Netzzugang (Negotiated Third Party Access, NTPA): Der
Netzzugang wird zwischen den Geschäftspartnern individuell ausgehandelt.
NTPA ist in der Reinform nur in Großhandelsmärkten anwendbar, da der Auf-
wand und damit die Transaktionskosten in einem völlig geöffneten Markt viel zu
hoch wären. Allerdings hatte sich in Deutschland vorübergehend eine Zwischen-
form etabliert, die ebenfalls unter NTPA eingeordnet wird: Hier wurde der Netz-
zugang zwischen Verbänden ausgehandelt, welche die Marktteilnehmer reprä-
sentieren. Die dabei, in den sog. Verbändevereinbarungen, festgelegten Regeln
wirkten anschließend faktisch für alle Marktteilnehmer verbindlich.
Auch für die Berechnung des Netznutzungsentgelts haben sich weltweit zwei
grundsätzlich unterschiedliche Ansätze herausgebildet, die häufig sogar nachein-
ander in denselben Märkten angewandt wurden:
x Transaktionsbezogenes Entgelt: Das Netznutzungsentgelt wird in Kenntnis von
Einspeise- und Entnahmepunkt einer einzelnen Transaktion ermittelt. Ein
Beispiel für ein solches transaktionsbezogenes Entgelt findet man in der deut-
schen Verbändevereinbarung I [3.20], die vom Mai 1998 bis zum September
1999 in Kraft war. In ihr ist das Bestreben zu erkennen, den erwarteten
Durchleitungen durch das Netz möglichst verursachungsgerecht Kosten zuzu-
ordnen. Um dennoch eine alltagstaugliche Regelung zu erzielen, werden die in
Anspruch genommenen Spannungsebenen mittels sog. statistischer Grenzent-
fernungen unabhängig von der tatsächlichen Netzsituation ermittelt. Des
Weiteren wurde, um weiträumige Übertragungen adäquat abzubilden, eine
lineare Entfernungsabhängigkeit des Kostenterms für die Nutzung des Hoch-
und Höchstspannungsnetzes vorgesehen. Das Netznutzungsentgelt hat damit
für jede Transaktion prinzipiell die folgende Form:
K Netznutzung K NS ( P,W )  K MS ( P,W ) ˜ H (l  l grenz , MS ) (3.9)
 K 'HS ( P,W ) ˜ H (l  l grenz , HS ) ˜ (l  l grenz , HS )
K NS , K MS Kosten für Nieder - und Mittelspannung, K 'HS entfernungs -
bezogene Kosten für Hochspannung, l Luftlinienentfernung zwischen
Einspeisung und Entnahme, l grenz , xx Grenzentfernung, ab der Entgelt
xx angewandt wird, H Einheitssprungfunktion

Transaktionsbezogene Entgeltmodelle werden mit wachsender Transaktions-


zahl grundsätzlich problematisch. Die Ursache liegt darin, dass in einem
laufenden Geschäft mit arbeitsteiligem Einkauf von vielen Erzeugern und
Verkauf an viele Kunden die einzelne Transaktion gar nicht mehr identifiziert
werden kann. Deshalb ist man in allen Märkten, in denen man zunächst, sicher
auch in Erwartung nur weniger Netznutzungsvorgänge, ein solches Modell ein-
114 3 Elektrizitätswirtschaft, Liberalisierung

geführt hat, nach einiger Zeit auf das nachfolgend beschriebene Verfahren des
Netzzugangsentgelts übergegangen. Beispiele für diese zeitliche Abfolge sind
der englische Gasmarkt und der deutsche Elektrizitätsmarkt.
x Netzzugangsentgelt: Beim Netzzugangsverfahren wird das Entgelt ausschließ-
lich aus den Daten eines Marktteilnehmers, also z. B. aus Anschlussleistung,
Anschlussspannung, gelieferter oder entnommener Arbeit und bestellter
Reservekapazität, ermittelt. Damit kann das Netznutzungsentgelt ohne
Kenntnis der von den Marktteilnehmern getätigten Geschäfte bestimmt und
abgerechnet werden. In Deutschland hat mit Inkrafttreten der Verbände-
vereinbarung II [3.21] dieses deutlich praktikablere Verfahren den transak-
tionsbezogenen Ansatz abgelöst. Prinzipiell berechnet sich das Netzzugangs-
entgelt in diesem Verfahren für alle Marktteilnehmer wie folgt:
K Netznutzung ¦ K Spannungsebene ( P,W ) (3.10)
alle genutzten
Spannungs -
ebenen

Dies bedeutet, dass jeder an das Netz angeschlossene Marktteilnehmer die


Netznutzungsgebühr für das Höchstspannungsnetz trägt, und abhängig davon,
in welcher Spannungsebene er angeschlossen ist, weitere Kostenterme für
unterlagerte Spannungsebenen hinzukommen.
Der Vollständigkeit halber sei darauf hingewiesen, dass in der Detailausgestaltung
der Netznutzungsentgelte eine sehr große Vielfalt herrscht. Insbesondere die
Abrechnung der Systemdienstleistungen, wie z. B. Frequenzregelung und
Reservevorhaltung, wird in einigen Märkten als eigenständiger Teil der Netznut-
zungsgebühr vorgenommen, in anderen dagegen pauschal in die Netznutzungs-
gebühr einbezogen. In Deutschland sind mit dem Netznutzungsentgelt eine Unter-
stützung dezentraler Einspeisung sowie die gesamte Abwicklung der Förderung
regenerativer Energiequellen und der Kraft-Wärme-Kopplung verknüpft. Auf
diese Details wird aber hier nicht mehr weiter eingegangen.

3.7.3 Dienstleistungsmarkt

Der normalerweise in Gebietsmonopolen organisierte Dienstleistungsmarkt stellt


den Marktteilnehmern die Dienste zur Verfügung, die zur Durchführung des
Geschäfts mit elektrischer Energie erforderlich sind. Dieser Teilmarkt umfasst
sowohl die technische Infrastruktur für Transport und Verteilung der Energie als
auch die informationstechnische Festlegung und Realisierung des umfangreichen
Informationsaustauschs zwischen allen Marktteilnehmern. Letzteres bedeutet,
dass im Dienstleistungsmarkt die meisten Marktregeln in praktische Anwen-
dungen umgesetzt werden, weshalb das Verständnis der dort angesiedelten Rollen
i. Allg. einen guten Einstieg in einen Elektrizitätsmarkt bietet.
3.7 Funktionsweise liberalisierter Elektrizitätsmärkte 115

3.7.3.1 Systembetreiber
Der Systembetreiber ist die zentrale Stelle im Elektrizitätsmarkt, an der das Ergeb-
nis des kommerziellen Handelsprozesses in einen funktionierenden, technischen
Systembetrieb überführt wird. In den meisten bisher eingeführten Elektrizi-
tätsmärkten gibt es nur einen, zentralen Systembetreiber, der u. U. mehrere Regel-
zonen führt. Diese Zentralität hat ihren Ursprung oft darin, dass vor der Liberali-
sierung bereits eine landesweite Übertragungsnetzgesellschaft existierte, der nach
der Liberalisierung diese neue Aufgabe zusätzlich übertragen wurde. Beispiele
dafür sind die skandinavischen Länder und Großbritannien. Grundsätzlich genügt
es allerdings, einen Systembetreiber pro Regelzone vorzusehen. Diesen Weg ist
man z. B. in Deutschland gegangen, wo es die in Abb. 3.32 dargestellten Regel-
zonen gibt. Zu Beginn der Liberalisierung in Jahr 1998 waren dies noch acht
Unternehmen und Zonen, deren Zahl sich seitdem durch Unternehmensfusionen
auf vier verringert hat.
Die Systembetreiber sind meist aus den Netzleitstellen und Lastverteilern ent-
standen und führen viele Aufgaben dieser Einrichtungen weiter. Trotzdem gibt es
grundlegende Unterschiede, die in Tabelle 3.13 zusammengefasst sind.
In der vorbetrieblichen Phase muss der Systembetreiber den Einsatz von Aus-
gleichsenergie – also der Energie, die im System gebraucht wird, die aber nicht
von den Marktteilnehmern kontraktiert worden ist – sowie die Blindleistungs-
einspeisung planen und Netzsicherheitsrechnungen durchführen. Dies setzt die
Abstimmung mit benachbarten Regelzonen voraus. Damit der Systembetreiber die
Planungsaufgabe bewältigen kann, müssen die Marktteilnehmer ihm ent-
sprechende Informationen zur Verfügung stellen (Abb. 3.33):
x Erzeuger müssen ihre Einspeisefahrpläne sowie Kraftwerksausfälle melden.

RWE
E.ON
EnBW
Vattenfall Europe

Abb. 3.32. Regelzonen und Übertragungsnetzeigentümer in Deutschland


116 3 Elektrizitätswirtschaft, Liberalisierung

x Nutzer des Hochspannungsnetzes, also Verteilnetzbetreiber und Großkunden,


müssen ebenfalls Ausfälle angeben.
x Bilanzkreisverantwortliche (BKV) 1 müssen mitteilen, was sie über die Regel-
zonengrenze importieren oder exportieren sowie welche Ausgleichsenergie sie
in Anspruch nehmen wollen.

Tabelle 3.13. Aufgaben des Systembetreibers im Monopol und im Wettbewerbsmarkt

Aufgaben- Monopol Liberalisierter Markt


gebiet (Netzleitstelle/Lastverteiler) (Systembetreiber)
Vorbetriebliche Aufgaben
Betriebs- lang- und kurzfristige Kraftwerks- Kraftwerke teilen dem System-
planung einsatzplanung betreiber die Einspeisefahrpläne mit
Lastaufteilung
Engpass- integraler Bestandteil des nachträglicher, ggf. iterative An-
manage- Planungsprozesses passung, falls Marktergebnis zu
ment technisch kritischer Situation führt
Betriebs- Spannungs- und Frequenzregelung als Spannungs- und Frequenzregelung
führung Teil des Top-down-Planungsprozesses mit kontraktierten Regelkraftwerken
Nachbe- keine Notwendigkeit Bilanzierung
triebliche Bereitstellung von Messwerten
Aufgaben
Abrechnung von Ausgleichsenergie
und Regelung

Mit diesen Angaben sowie der dem Systembetreiber bekannten Gebietslastpro-


gnose kann der Regelzonensaldo berechnet werden, der die Grundlage für die
Planung der Ausgleichsenergie bildet:
PRegelzonensaldo ¦ Punabh.KW  PLastprognose  ¦ PBKV  Exportsaldo (3.11)

In Gl. (3.11) geht im Übrigen der Ausgleichsenergiefahrplan der Bilanzkreis-


verantwortlichen nicht ein, da jede geplante Deckung von Ausgleichsenergie
durch die Bilanzkreisverantwortlichen entweder aus Kraftwerken innerhalb der
Regelzone oder aus einem Import oder Export über die Regelzonengrenze stammt.
Beides ist in Gl. (3.11) bereits erfasst.

1 „Bilanzkreis“ ist der in Deutschland verwendete Begriff für die Einheit, innerhalb derer
ein Unternehmen, der Bilanzkreisverantwortliche, für den Ausgleich von Last und Er-
zeugung zuständig ist. In anderen Ländern werden ähnliche Begriffe, z. B. Bilanzver-
antwortliche, verwendet. Die Funktion dieser Einheiten ist in allen Fällen sehr ähnlich.
3.7 Funktionsweise liberalisierter Elektrizitätsmärkte 117

FP Systemgrenze Regelzone
FP ~ Regelkraftwerk

BKV FP ~ FP ~ Kraftwerk eines unabh. Erzeugers


~ FP Übergabedaten:
~ FP
VNB FP FP: Fahrplan
leer: keine Übergabe
VNB FP ~ Datenaustausch mit Systembetreiber
Datenaustausch mit Bilanzkreis
~ FP ESP FP
BKV Bilanzkreisverantwortlicher
BKV FP
FP VNB Verteilnetzbetreiber
FP Abn. Abnehmer am Hochspannungsnetz

Abb. 3.33. Vorbetrieblicher Datenaustausch mit dem Systembetreiber

Mit den nun verfügbaren Informationen kann der Systembetreiber die Netz-
sicherheitsrechnung durchführen und den endgültigen Kraftwerkseinsatz fest-
legen. Dieser orientiert sich zunächst am Ergebnis des Handels, das in Form der
Wunschfahrpläne der Erzeuger vorliegt. Allerdings hat der Systembetreiber in
allen Märkten das Recht, Abweichungen anzuordnen, falls ein stabiler System-
betrieb mit den Vorgaben des Marktes nicht erreichbar ist. Die dadurch gegenüber
der ursprünglichen Situation wirtschaftlich benachteiligten Marktteilnehmer
erhalten in einem solchen Fall einen finanziellen Ausgleich.
In der nachbetrieblichen Phase ist der Systembetreiber dafür verantwortlich,
die tatsächlich in Anspruch genommene Ausgleichsenergie zu ermitteln und den
Bilanzkreisverantwortlichen in Rechnung zu stellen. Diese wiederum teilen diese
Rechnung auf ihre Kunden auf. Darüber hinaus stellt der Systembetreiber den
Kunden des Hoch- und Höchstspannungsnetzes die Messwerte an ihren Über-
gabestellen zur Verfügung. Zumindest in Deutschland ist der Systembetreiber
dagegen nicht generell für die Abrechnung der Übertragungsnetznutzung und der
Systemdienstleistungen zuständig. Diese wird im Rahmen der Netznutzungs-
abrechnung von denjenigen Netzbetreibern durchgeführt, an deren Netze die Ver-
braucher angeschlossen sind.

Systemgrenze Regelzone
M M ~ Regelkraftwerk

~ Kraftwerk eines unabh. Erzeugers


BKV BZ ~ FP
~ M M Übergabedaten:
M: Messwerte
~ M
VNB M BZ: berechnete Zeitreihe (auf
Basis von Messwerten
VNB M
~ M
Datenaustausch mit Systembetreiber
Datenaustausch mit Bilanzkreis
~ M ESP BZ
BKV Bilanzkreisverantwortlicher
BKV BZ
M VNB Verteilnetzbetreiber
M HINWEIS: Die Bilanzierung von Verbrauchern und Abn. Abnehmer am Hochspannungsnetz
Erzeugern erfolgt durch die Bilanzkreise. Deshalb gibt
es keinen nachbetrieblichen Datenaustausch dieser
Marktteilnehmer mit dem Systembetreiber.

Abb. 3.34. Nachbetrieblicher Datenaustausch mit dem Systembetreiber


118 3 Elektrizitätswirtschaft, Liberalisierung

Fahrplan-Infrastruktur Abrechnung
externes Fahrplan- Fahrpläne, Preise Zahlungen
Informations- management
netz (z. B. Abrechnung und
Zahlungen Mess-
Internet) Veröffentlichung von Mahnwesen
werte
Marktinformation
Verwaltungssysteme
Fahrpläne Fahrplanbestätigung
oder Korrekturen Bilanzierungs- aktuelle Ergebnisse
Fahrplanwesen ergebnis der Leistungs-
Frequenzregelung
Ausgleichsenergie
x Überkapazität Leitsystem
abfangen Fahrpläne
x Unterkapazität Netzsicherheit
decken
Netzmodell,
Netzengpass- Lastaufteilung Lastaufteilung
management
Marktbilanz, Bestim-
mung der tatsächlichen
Ausgleichsenergie

Abb. 3.35. Prinzipieller Aufbau eines Systembetreibers (Quelle: ABB)

In Erfüllung seiner nachbetrieblichen Aufgaben übermittelt der Systembetrei-


ber, wie in Abb. 3.34 gezeigt, die Übergabemessungen der Kraftwerke und der an
das Hoch- und Höchstspannungsnetz angeschlossenen Verbraucher an die jewei-
ligen Bilanzkreisverantwortlichen. Außerdem ermittelt er aus den ihm vorbe-
trieblich bekannt gegebenen Saldenfahrplänen der Bilanzkreise und der tatsäch-
lichen Inanspruchnahme von Ausgleichsenergie die Kostenaufteilung und rechnet
diese Leistung mit den Bilanzkreisverantwortlichen ab:
Pist ,BKV  PFP ,BKV (3.12)
K Ausgleich ,BKV K Ausgleich ,ges. ˜
¦ Pist ,BKV  PFP ,BKV
alle BKV

Zum Abschluss zeigt Abb. 3.35 den prinzipiellen systemtechnischen Aufbau


eines Systembetreibers. Um die weiterhin vorhandene Leitstellenfunktionalität
sind zahlreiche neue Funktionen entstanden: Im Einzelnen handelt es sich um die
Schnittstelle zu anderen Marktteilnehmern, um die vorbetriebliche Fahrplan-
auswertung und um die nachbetriebliche Bilanzierung und Abrechnung.

3.7.3.2 Netzbetreiber und Zählerdienstleister


Netzbetreiber und oft auch Zählerdienstleister sind im liberalisierten Markt regu-
lierte Monopolfunktionen. Ihr Geschäftsergebnis hängt von der zuverlässigen,
zeitnahen Abrechnung der Dienstleistungen Netznutzung und Zählerdatenbe-
reitstellung und einer effektiven Kostenkontrolle ab. Ihre Haupttätigkeiten sind:
x Planung, Bau, Betrieb und Instandhaltung der Übertragungs- und Verteilungs-
netze, wobei Betrieb nicht den Systembetrieb (Kraftwerkseinsatz, Systemrege-
lung) beinhaltet, da dies Aufgabe des Systembetreibers ist
x Planung, Bau, Betrieb und Instandhaltung der Messinfrastruktur
x Registrierung der Marktteilnehmer und ihrer Vertragsbeziehungen
x Bereitstellung von Messwerten an alle berechtigten Marktteilnehmer.
3.7 Funktionsweise liberalisierter Elektrizitätsmärkte 119

Da die Aufgaben in Planung und Betrieb der Verteilungsnetze und der Mess-
infrastruktur sich nicht zwischen Monopol und liberalisierten Märkten unterschei-
den, wird an dieser Stelle nicht auf sie eingegangen.
Eine völlig neue Aufgabe ist dagegen die Registrierung der Marktteilnehmer
und der Vertragsbeziehungen. Hierbei handelt es sich um eine für das Funktio-
nieren eines jeden liberalisierten Elektrizitätsmarktes zentrale Aufgabe. Da der
Verteilnetzbetreiber auf Grund seiner Monopolsituation neben den Endverbrau-
chern der einzige Marktteilnehmer ist, der permanent eine Vertragsbeziehung zu
jedem Zählpunkt in seinem Netzgebiet hat, ist er auch der Einzige, der jederzeit
die Frage beantworten kann, wer zu einem Zählpunkt zu welcher Zeit welche
Vertragsbeziehung hat. Diese Information ist die Grundlage der korrekten
Bereitstellung von Verbrauchswerten, die wiederum unabdingbare Voraussetzung
für die Abrechnung aller im Markt erbrachten Leistungen ist. Abb. 3.36 zeigt den
durch die Liberalisierung notwendig werdenden, zusätzlichen Arbeitsprozess
beim Verteilnetzbetreiber.
Der Prozess beginnt mit der Ersterfassung oder Registrierung der Marktteil-
nehmer, die im Gebiet des Verteilnetzbetreibers aktiv sind. Dies sind die End-
verbraucher, evtl. in das Netz einspeisende Erzeuger, die Energiedienstleister, die
Kunden innerhalb des Netzes versorgen, und die von diesen in Anspruch genom-
menen Bilanzverantwortlichen. Ziel der Registrierung ist es, möglichst alle syste-
matischen Fragen, wie z. B. Art des Informationsaustauschs oder Art der Abrech-
nung, frühzeitig und vollständig zu klären, damit die spätere alltägliche Ge-
schäftsabwicklung möglichst automatisch und kostengünstig erfolgen kann.
Im zweiten Schritt, der Durchführung von Lieferantenwechseln, erfolgt die
Zuordnung von Energiedienstleister und Bilanzverantwortlichen zu den Endkun-
den. Der dafür zu durchlaufende Prozess, der von einem Energiedienstleister an-
gestoßen wird, der die Versorgung eines Kunden übernehmen möchte, ist in
Abb. 3.37 dargestellt. Wesentlich ist dabei, dass im Laufe dieses Prozesses ein-

Vorbereitung Rahmenverträge,
Registr. der Marktteilnehmer Netznutzungs- und
(manuell)
Vertragsmanagement -anschlussverträge

Registr. der Lieferantenwechsel


Verwalt. d. Zuordnungsmatrix je Zählpunkt
Betrieb Vertragsausführung
automatisierte
Arbeitsabläufe einzelne und aggre-
Zählerdatenmanagement gierte Zählerdaten
Nachbe- Zählerdatenerfassung/-verarbeitung
reitung / Bilanzierung
Analyse
Berechnung abgeleiteter Zeitreihen
Abrechnung vertragskonsistent
abrechnungsrelevante Daten: Netznutzung
und weitere Dienstleistungen

Abb. 3.36. Arbeitsprozess des Verteilnetzbetreibers und Zählerdienstleisters


120 3 Elektrizitätswirtschaft, Liberalisierung

deutig und lückenlos geklärt werden muss, wer zu welchem Zeitpunkt die Ver-
tragspartner des Endkunden sind. Bleiben hier Unklarheiten bestehen, führt dies
spätestens bei der Abrechnung zu Einsprüchen und Zahlungsverzögerungen sowie
zur arbeitsintensiven Korrektur der inzwischen an die Marktteilnehmer verteilten
Verbrauchsdaten. All diese Vorgänge erhöhen die Kosten des Verteilnetzbetrei-
bers, sei es, weil mit der Klärung Aufwand verbunden ist, oder auch, weil eine
verzögerte Zahlung des Netznutzungsentgelts Zinsverluste bedeutet. Sie sind aus
seiner Sicht folglich zu vermeiden.
Der dritte wichtige Arbeitsschritt des Verteilnetzbetreibers ist die Bereitstel-
lung von Verbrauchsdaten für alle übrigen Marktteilnehmer, soweit sie diese für
die Erfüllung ihrer Aufgaben benötigen. Dabei ergibt sich in vollständig geöffne-
ten Märkten das Problem der Handhabung von Kleinkunden, bei denen nicht die

ESP/BKV VNB/ÜNB Netzkunden


(Wettbewerbsmarkt) (Dienstleistungsmarkt)

Netzanschlussvertrag
Registrierungs- x Anschlussleistung alle Gebäude-
anfrage x Zählertyp
alle im Netz besitzer im Netz
aktiven Prüfung
alle Strom-
Bestätigung oder Netznutzungsvertrag
Aufforderung zur kunden im Netz
x Netznutzungs-
Nachbesserung entgelt

Anfrage auf Über-


nahme der Versor-
gung von Kunde 1
x Kundendaten
x zuständiger BKV
x Zeitpunkt Prüfung auf
ESPneu formale
Richtigkeit
Korrektur
begründete
Rückweisung
ESPneu OK?
N
J

ESPalt Information Kunde 1


Klärung
Rückweisung
ESPneu Einspruch?
J
N

Vollzug des Wechsels


ESP: Energiedienstleister x Zählerablesung
BKV: Bilanzkreisverantwortlicher x Endstand an ESPalt
VNB: Verteilnetzbetreiber x automatischen Informations-
ÜNB: Übertragungsnetzbetreiber
austausch neu konfigurieren

Abb. 3.37. Registrierungs- und Lieferantenwechselprozess beim Verteilnetzbetreiber


3.7 Funktionsweise liberalisierter Elektrizitätsmärkte 121

Verbrauchsganglinie im marktüblichen Zeitraster gemessen wird, sondern nur die


verbrauchte Energie. Der gesamte Informationsaustausch zu Prognose und
Verbrauch findet auf der Basis von Zeitreihen statt, da nur so sichergestellt wer-
den kann, dass der Systembetreiber den Betrieb des elektrischen Versorgungs-
systems ausreichend genau planen kann. Dies bedeutet, dass auch die Verbrauchs-
information der Kleinkunden sowohl in der Prognose als auch bei der späteren
Verbrauchserfassung möglichst gut auf die Zeitreihendarstellung erweitert werden
muss. Die in einigen Märkten zunächst diskutierte und von einzelnen
Marktteilnehmern geforderte Ausstattung auch der Kleinkunden mit fernausles-
baren Profilzählern hat sich bisher aus Kostengründen nicht durchgesetzt.
Stattdessen werden synthetische Profile verwendet, die so skaliert werden, dass
die Energie der resultierenden Leistungskurve dem gemessenen Wert entspricht.
Für die Profilermittlung haben sich zwei Verfahren herausgebildet:
x Beim synthetischen Verfahren werden kundengruppenspezifische, synthetische
Standardlastprofile als Basis für die synthetische Prognose- oder Verbrauchs-
ganglinie verwendet.
x Beim analytischen Verfahren werden alle Kleinkunden durch ein Profil reprä-
sentiert, das aus der Summenganglinie dieser Verbrauchergruppe ermittelt
wird. Diese Summenganglinie (einschl. der Netzverluste) lässt sich aus den als
Zeitreihen verfügbaren Messungen an den Netzübergabestellen, evtl. Einspei-
sungen und den mit Profilzählern ausgestatteten Großkunden berechnen.
Obwohl beide Verfahren auf Grund der Skalierung auf die tatsächlich gemessene
Energie zur energetisch korrekten Handhabung der Kleinkunden führen, unter-
scheiden sie sich in Komplexität und Verteilung des Bilanzrisikos. Um diesen
Unterschied zu erläutern, sei zunächst der Vorhersage- und Bilanzierungsprozess
beschrieben, wie er in Abb. 3.38 dargestellt ist. Grundsätzlich gibt es zwei Wege,
über welche die Lastvorhersage und die Verbrauchsdaten zum Systembetreiber
gelangen: einmal ausgehend vom einzelnen Kunden über die Energiedienstleister
und Bilanzkreise aggregiert und einmal für das gesamte Verteilnetz und dessen
Bilanzkreisverantwortlichen direkt. Der zweite, integrale Weg baut dabei für die
Vorhersage auf historischen und für den tatsächlichen Verbrauch auf den aktuel-
len Messwerten der Übergabezähler auf, also auf gemessenen Zeitreihen. Dem-
gegenüber muss die einzelkundenbasierte Aggregierung des ersten Weges für die
Kleinkunden synthetische Profilen verwenden. Eine Abweichung der Form dieser
synthetischen Zeitreihen vom tatsächlichen Lastverlauf fällt beim Systembetreiber
als Differenz zwischen den Ergebnissen der beiden Informationswege auf. Sie
umfasst jedenfalls die Verluste im Verteilnetz und kann zusätzlich einen
Profilfehler enthalten. Die daraus resultierenden Kosten für Ausgleichsenergie
werden vom Systembetreiber an den Verteilnetzbetreiber abgerechnet, stellen für
diesen also ein zusätzliches Risiko dar.
122 3 Elektrizitätswirtschaft, Liberalisierung

Bilanzkreis- Gesamtbilanzausgleich Übertragungsnetz-


verantwortlicher betreiber (Bilanz-
des ESP kreiskoordinator)

x Fahrpläne für Groß- und Kleinkunden


x Ist-Werte Großkunden Gesamtbilanz-
x synthetisierte Werte Kleinkunden ausgleich

Energie- Verteilnetz- Bilanzkreis-


dienstleister betreiber verantwortlicher
(ESP) (VNB) des VNB

x Ist-Werte Großkunden verbleibende Fahrplanabweichungen:


Informationsfluß: x synthetisierte Werte x Netzverluste
individuell Kleinkunden, erfüllen die x Abweichungen synthetisierter
Aufgabe von Ist-Werten Ganglinien von realen Verläufen
aggregiert

Abb. 3.38. Weitergabe der Bilanzinformationen für Groß- und Kleinkunden

Das gesamte Bilanzrisiko des Verteilnetzbetreibers, das demnach aus Netzver-


lusten und einem eventuellen Profilfehler besteht, kann gemäß Gl. (3.13) berech-
net werden.
PBilanz ,VNB (t ) PImport ,VNB (t )  PErz.,VNB (t ) (3.13)
 PGK (t )  PKK (t )  PKK , Profilfehler (t )
PEinspeisung (t )  PLast (t )  PKK , Profilfehler (t )
PVerlust ,VNB (t )  PKK , Profilfehler (t )

KK Kleinkunden, GK Großkunden

In Gl. (3.13) stellt PKK,Profilfehler(t) den Platzhalter für den noch zu berechnenden,
grundsätzlich anzunehmenden Fehler des synthetischen Profils der Kleinkunden
dar. Da bei Großkunden die tatsächlich gemessenen Werte für das Profil verwen-
det werden, wird dort kein entsprechender Term benötigt.
Das Bilanzrisiko entsteht nun dadurch, dass der Verteilnetzbetreiber den in
seinem Netz tätigen Energiedienstleistern sowohl die synthetisierten Kleinkun-
denprofile als auch später die – ebenfalls synthetisierten – Verbrauchsganglinien
liefert. Für die Differenz zwischen diesen Ganglinien muss der Energiedienst-
leister Ausgleichsenergie kaufen, das Risiko liegt also bei ihm. Parallel meldet
allerdings der Verteilnetzbetreiber seine Summenlastprognose und später die
tatsächliche Summenlast an seinen Bilanzverantwortlichen, den er mindestens für
die Deckung der Netzverluste benötigt. Kommt es nun zu einer Differenz
zwischen dem realen Verbrauch der Kleinkunden und der synthetisierten Ver-
brauchskurve, also dem Term PKK,Profilfehler(t) aus Gl. (3.13), so verbleibt die
Deckung dieser Bilanzabweichung beim Verteilnetzbetreiber, da der Energie-
dienstleister nur die Differenz zwischen Prognose und ihm gemeldetem Verbrauch
deckt. Gleichung (3.14) enthält die Berechnung des Profilfehlers für das
analytische Verfahren.
3.7 Funktionsweise liberalisierter Elektrizitätsmärkte 123

PKK , Profilfehler (t ) PKK (t )  PKK , synth. (t ) (3.14)


N GK
mit PKK (t ) PEinspeisung (t )  ¦ PGK ,i (t )  PVerlust ,VNB (t )
i 1
WKK ,i
PKK , synth.,i (t ) PKK (t ) ˜
WKK , ges.
N KK
folgt PKK , Profilfehler (t ) PKK (t )  ¦ PKK ,synth.,i (t )
i 1
N KK
¦WKK ,i
PKK (t ) ˜ (1  i 1 )
WKK , ges.
0

Die gleiche Rechnung für das synthetische Verfahren zeigt Gl. (3.15). Im
Unterschied zum analytischen Verfahren, bei dem sich das Bilanzrisiko des
Netzbetreibers ausschl. und systematisch auf die Netzverluste beschränkt, kann
beim synthetischen Verfahren eine Abweichung entstehen, deren Mittelwert auf
Grund der Energieneutralität beider Verfahren zwar ebenfalls den Wert 0 hat, die
aber wegen des üblicherweise nichtlinearen Preises für Ausgleichsenergie trotz-
dem ein wirtschaftliches Risiko für den Verteilnetzbetreiber darstellt.
PKK , Profilfehler (t ) PKK (t )  PKK , synth. (t ) (3.15)
WKK ,i
mit PKK , synth.,i (t ) PStandardprofil , k (t ) ˜
WBezug , k
wobei k der Index des Standardprofils zu Kleinkunden i ist
N KK
folgt PKK , Profilfehler (t ) PKK (t )  ¦ PKK ,synth.,i (t )
i 1
N KK
W
KK ,i
PKK (t )  ¦ PStandardprofil ,k (t ) ˜ WBezug ,k
i 1
z0

Vergleicht man nach diesen Überlegungen die beiden Verfahren, so kommt


man zu folgenden Schlussfolgerungen:
x Das analytische Verfahren entspricht inhaltlich der Vorgehensweise bei Groß-
kunden. Die Energiedienstleister erhalten zunächst aus der Historie abgeleitete
Prognoseprofile und später Verbrauchswerte, die genau dem Verbrauch des
Kollektivs entsprechen, also praktisch eine Zeitreihenmessung über alle Klein-
kunden darstellen. Für den Netzbetreiber entsteht bei Anwendung dieses
Verfahrens prinzipiell kein Bilanzrisiko. Nachteilig ist allerdings der im Ver-
gleich zum synthetischen Verfahren höhere Mess- und Verarbeitungsaufwand.
Aus Sicht des Energiedienstleisters hat das Verfahren den Nachteil, dass es
keine Differenzierung nach Kundengruppen zulässt und somit eine Mischkal-
124 3 Elektrizitätswirtschaft, Liberalisierung

kulation, bei der gezielt Kundengruppen mit attraktiven Verbrauchscharakte-


ristika angesprochen werden, nicht unterstützt.
x Das synthetische Verfahren ist einfacher zu realisieren und erlaubt eine bessere
Prognose und Kalkulation bei den Energiedienstleistern. Es verursacht
allerdings ein zusätzliches Bilanzrisiko beim Verteilnetzbetreiber, weshalb es
zu Beginn einer Marktöffnung oft kritisch gesehen wird. Wird allerdings
berücksichtigt, dass die synthetischen Profilbibliotheken in guter Marktkennt-
nis erstellt sein sollten und einem laufenden Verbesserungsprozess unterliegen,
kann davon ausgegangen werden, dass der Profilfehler klein sein wird. Dies in
Verbindung mit der einfachen Realisierbarkeit wird voraussichtlich dazu
führen, dass das analytische Verfahren keinen Bestand haben wird.
Nachdem die Verbrauchswerte aufbereitet und den Marktteilnehmern übermittelt
worden sind, folgt als letzter Arbeitsschritt des Verteilnetzbetreibers und Zähler-
dienstleisters die Abrechnung der Netznutzung sowie die Weiterleitung der dabei
erhaltenen Einnahmen für vorgelagerte Netze an deren Betreiber.
Abschließend sei noch auf die Frage eingegangen, warum die Synthese von
Lastvorhersage und Verbrauchsdaten für Kleinkunden in vertikal integrierten
Monopolmärkten nicht erforderlich ist. Grundsätzlich besteht auch in solchen
Energieversorgungssystemen die Notwendigkeit, dem Systembetreiber eine Last-
prognose für die Planung des Kraftwerksbetriebs zur Verfügung zu stellen. Auch
Abweichungen von der Vorhersage sollen verursachungsgerecht den Verteilungs-
unternehmen zugeordnet werden. Da allerdings im vertikal integrierten Unter-
nehmen die Verteilnetzgrenze genau das Kollektiv aller Kunden umfasst, reicht
der integrale Vorhersage- und Bilanzierungsweg aus Abb. 3.38 aus, eine einzel-
kundenbasierte Aggregierung der Zeitreihen ist nicht erforderlich. Damit entfällt
auch die Notwendigkeit der Synthese kundenscharfer Einzelzeitreihen.

3.7.4 Wettbewerbsmarkt

Der Dienstleistungsmarkt ist durch die weiterhin gegebenen Gebietsmonopole


charakterisiert. Der zugängliche Markt ist somit vollständig bekannt, so dass
sowohl Risiken als auch Chancen des Geschäfts gering sind. Insbesondere ist eine
Geschäftsausweitung durch die Monopolsituation praktisch ausgeschlossen.
Deshalb beschränkt sich die Geschäftsoptimierung im Wesentlichen auf interne
Effizienzsteigerung. Demgegenüber gibt es im Wettbewerbsmarkt praktisch keine
Beschränkungen, das Geschäftsvolumen zu vergrößern, allerdings auch keinen
Schutz vor Wettbewerbern, die in angestammte Territorien Anderer vordringen.
Deshalb müssen die Teilnehmer am Wettbewerbsmarkt alle üblichen Werkzeuge
zum Umgang mit den Chancen und Risiken eines freien Marktes beherrschen und
anwenden, um ihre optimale Marktposition zu finden.
Im Folgenden werden die wesentlichen Teile des Wettbewerbsmarkt, der
Großhandel, die Börsen, die Energiedienstleister und die Bilanzkreisverantwort-
lichen, vorgestellt und ihre charakteristischen Aufgaben diskutiert.
3.7 Funktionsweise liberalisierter Elektrizitätsmärkte 125

3.7.4.1 Großhandel
Akteure im Großhandelsmarkt sind zunächst die Erzeuger, die anstreben, struk-
turelle Besonderheiten ihres Erzeugungsparks durch geeignete Zu- und Verkäufe
zu kompensieren, und sich so ein optimiertes Gesamtportfolio zu beschaffen,
sowie in geringerem Umfang reine Händler, die versuchen, durch geschicktes
Portfolio- und Risikomanagement ein attraktives Angebot aufzubauen. Auf Grund
des dominanten Einflusses der Erzeugung elektrischer Energie auf den
Großhandelsmarkt, ist dieser sehr stark durch die Besonderheiten der Erzeu-
gungsanlagen geprägt. Hauptsächlich sind dies:
x hoher Fixkostenanteil von ca. 30 % bei Gasturbinenkraftwerken und gegen
100 % bei Wasserkraftwerken (vgl. auch Abschn. Fehler! Textmarke nicht
definiert.)
x langfristige Kapitalbindung
x große Abhängigkeit von den Energiepreisen, die jedenfalls beschaffungsseitig
durch eine große Volatilität, also Schwankungsbreite, gekennzeichnet sind, bei
Überangebot auch absatzseitig (s. Abb. 3.39).
Diese schwierigen Randbedingungen existieren selbstverständlich auch in nicht
wettbewerblichen Elektrizitätsmärkten. Unterschiede gibt es im Umgang mit
ihnen. In Märkten ohne Endkundenwettbewerb – also auch in Alleinabnehmer-
märkten, in denen zumindest die Erzeuger im Wettbewerb zueinander stehen –
gibt es die Tendenz, die in den Randbedingungen begründeten Risiken durch
langfristige Festlegungen und Verträge zu reduzieren. So kann beispielsweise
davon ausgegangen werden kann, Investitionen im Normalfall entsprechend der
Planung zu nutzen, auch wenn z. B konkurrierende, attraktivere Technologien auf
den Markt kommen. Die Volatilität auf Beschaffungs- und Absatzseite wird
ebenfalls durch langfristige Verträge begrenzt.

60 90
NordPool
(€/MWh)
50 OPEC
UK Brent Argentinien
(US $/MWh)
40 60
US $/barrel

30

20 30

10

0 0

a 70 75 80 85 90 95 00 05 b 99 00 01 02 03 04 05 06
19 19 19 19 19 19 20 20 Ja
n
Ja
n
Ja
n
Ja
n
Ja
n
Ja
n
Ja
n
Ja
n

Abb. 3.39. Volatile Randbedingungen für den Großhandel: a Rohölpreise von 1970 bis
2005 (Quelle: Mineralölwirtschaftsverband), b Spotpreise am NordPool und der argentini-
schen Börse 1999 bis 2006
126 3 Elektrizitätswirtschaft, Liberalisierung

Die langfristige Absicherung hat zur Folge, dass kritische Geschäftssituationen


auf Grund kurzfristiger Ereignisse weitgehend ausgeschlossen werden können.
Sie führt aber auch dazu, dass kurzfristige Optimierungschancen nicht
wahrgenommen werden können. Alles in allem ist die Konsequenz, dass die
Großhandelspreise einen Risikozuschlag enthalten, der in Märkten ohne End-
kundenwettbewerb an die Endverbraucher weitergegeben werden kann. In Märk-
ten mit Endkundenwettbewerb führt dagegen der Wettbewerbsdruck in Verbin-
dung mit der Tatsache, dass es immer Anbieter geben wird, die kurzfristige
Chancen nutzen und dadurch in der Lage sind, attraktivere Preise anzubieten,
dazu, dass die Endverbraucher diese Risikokosten nicht mehr übernehmen. Damit
entsteht für die im Großhandel tätigen Unternehmen der Zwang, alle, also auch
kurzfristige, Optimierungsmöglichkeiten zu nutzen, wozu sie den Anteil
langfristiger Bindungen reduzieren und damit ihr Risiko erhöhen müssen. Die
Abb. 3.40 und 3.41 verdeutlichen den Unterschied: Während das Bestreben des
Händlers in Abb. 3.40 ist, möglichst früh und möglichst weit in die Zukunft
seinen gesamten Bedarf zu decken, lässt der Händler in Abb. 3.41 in der mittleren
und fernen Zukunft bewusst eine zunehmend große Position offen, um kurz-
fristige, attraktive Angebote wahrnehmen zu können. Er kann darüber hinaus ent-

Volumen
100 % max.

Lieferant B

Lieferant A

0 min.
Zeit Preis Flexibilität Risiko

Abb. 3.40. Großhandel bei Beschränkung auf bilateralen Handel [3.19]

Einsatzbereich mit ohne


Volumen Börsenprodukte Absicherung Absicherung
100 % max.
C D
C

Lieferant B

Lieferant A

0 min.
Zeit Preis Flexibilität Risiko

Abb. 3.41. Großhandel mit Absicherung über Börsenprodukte [3.19]


3.7 Funktionsweise liberalisierter Elektrizitätsmärkte 127

scheiden, ob er einen Teil der offenen Positionen mit Börsenprodukten absichern


will, womit er genau einstellen kann, welche Flexibilität und welches Risiko er für
welchen Zeitpunkt eingeht.
Die richtige Balance zwischen der Absicherung und dem Offenbleiben für
kurzfristige Chancen und damit immer auch dem Eingehen von Risiken ist die
zentrale unternehmerische Aufgabe von Teilnehmern am Energiemarkt – und
zwar sowohl auf der Beschaffungs- und Handelsseite als auch auf der Absatzseite,
also beim Energiedienstleister. Abb. 3.42 zeigt, wie diese Aufgabe die
Organisation eines Unternehmens prägt, das sowohl als Großhändler als auch als
Energiedienstleister tätig ist. Im Großhandel sind zwei Hauptaufgabengebiete zu
unterscheiden: einerseits die Betriebsplanung und -führung der Erzeugung und
andererseits die Handelstätigkeit mit anderen Marktteilnehmern in bilateralen
Geschäften oder an Energiebörsen. Natürlich beeinflussen die beiden Auf-
gabenbereiche sich stark. An dieser Stelle wird nun vor allem auf den zweiten
Teil, die reine Handelstätigkeit, eingegangen, der Einfluss des Wettbewerbs auf
die Kraftwerksbetriebsführung wird dagegen in Abschnitt 14.3 behandelt.
Abb. 3.42 verdeutlicht die Prozesse und die hinterlegte Organisation, um die
Möglichkeiten, die das Marktumfeld bietet, vollständig und kontrolliert zu nutzen.
Dazu gehört einerseits die Vertriebsseite, auf der durch geeignete Kundenwahl die
Position eines Unternehmens maßgeblich beeinflusst wird. Darauf wird in einem
späteren Abschnitt noch detaillierter eingegangen. Andererseits zählen dazu auf
der Handelsseite der physikalische Handel – hierunter fällt auch die geeignete
Einbeziehung evtl. vorhandener Eigenerzeugungskapazität – und der Handel mit
Derivaten, sowohl an Energiebörsen als auch an energieunabhängigen
Finanzmärkten, sofern er dort sinnvoll ist. Tabelle 3.11 zeigt beispielhaft einige
wichtige Risiken und mögliche Gegenmaßnahmen. Dabei wird deutlich, dass jede
Risikobekämpfung gleichzeitig die Chancen auf Verbesserung der eigenen
Position reduziert. Deshalb liegt der Schlüssel zum Erfolg in diesem Markt in

Vorstand

Geschäftsstrategie Berichtswesen

Portfolio-Risikomanagement

Vertriebsstrategie Auftrags- Handels-


bestand strategie Risikobestand

Nachfrage
Vertriebs-Risikomanagement Handels-Risikomanagement
Transfer-
preis
Tarife Grenzen
Produkte Grenzen Position
Verträge Verträge Position

Account- physischer
Vertrieb Papierhandel
Management Handel
Abb. 3.42. Organisation für die Geschäftsführung im Wettbewerbsmarkt (Quelle: ABB)
128 3 Elektrizitätswirtschaft, Liberalisierung

Werkzeugen, die jederzeit die eigene Position transparent machen und gleichzeitig
mit geeigneten probabilistischen Ansätzen Entscheidungen unterstützen, indem
sie die zu erwartenden Marktszenarien simulieren und anzeigen können, mit
welcher Wahrscheinlichkeit ein Unternehmen in eine kritische Situation kommen
wird. Natürlich kann die Elektrizitätswirtschaft hier an den Erfahrungen anderer
Großhandelsmärkte partizipieren, jedoch hat sich seit Einführung des
Wettbewerbs in der Elektrizitätswirtschaft auch gezeigt, dass die Besonderheiten
der Ware elektrische Energie, speziell die sehr eingeschränkte kurzfristige
Speicherbarkeit, erhebliche Anpassungen an Risikomanagementwerkzeugen aus
anderen Branchen erforderlich machen.

Tabelle 3.14. Beispiele für Risiken und Gegenmaßnahmen im Großhandelsmarkt

Risiko Gegenmaßnahmen Nachteil


lange Kapitalbindung langfristige schlechtes Preisniveau
bei Investitionen Abnahmeverträge (Risikoabschlag)
kurzfristigere Verzicht auf Chancen langfristig
Investitionen attraktiver Technologien
Primärenergie- langfristige höheres Preisniveau
preisschwankungen Bezugsverträge (Risikozuschlag)
Hedging, Absicherung beschränkt kurzfristigen Handlungs-
mit Börsenprodukten spielraum und damit Chancen
Strompreis- langfristige niedrigeres Preisniveau
schwankungen Lieferverträge (Risikoabschlag)
Hedging wie oben
Kraftwerksausfall Reserveverträge zusätzliche Kosten

3.7.4.2 Börsenhandel
Eine Gruppe von Marktteilnehmern, die wesentlich dazu beiträgt, dass die Groß-
handelsteilnehmer in kalkulierbarer Weise kurzfristige Chancen wahrnehmen
können, sind Börsen für elektrische Energie. Tabelle 3.11 stellt den bilateralen
OTC-Handel dem Börsenhandel gegenüber. Die wesentlichen Besonderheiten der
Börse sind die Produktstandardisierung, die Anonymisierung der Geschäftspartner
und als Folge dieser Eigenschaften niedrige Transaktionskosten und nicht
vorhandenes Gegenparteirisiko. Alle diese Eigenschaften wirken prinzipiell
liquiditätserhöhend, da sie die Marktteilnahme – speziell auch für kleinere
Marktteilnehmer - vereinfachen. Deshalb können die Marktteilnehmer praktisch
immer davon ausgehen, dass sie Produkte, die sie für ihr Risikomanagement
benötigen, an der Börse erhalten. Dies erleichtert die in Abb. 3.41 gezeigte
Vorgehensweise erheblich.
3.7 Funktionsweise liberalisierter Elektrizitätsmärkte 129

Tabelle 3.15. Vergleich zwischen Börse und OTC-Handel [3.19]

Börse OTC (over the counter)


Preistransparenz vollständig nur teilweise
Kontrahenten-/Kreditrisiko übernimmt Börse verbleibt bei Käufer/Verkäufer
Positionsmanagement Glattstellung durch Gegen- Glattstellung nur durch indivi-
geschäft möglich duelle Absprache möglich
Konditionen standardisiert individuell
Ÿ hohe Liquidität Ÿ geringe Liquidität
Transaktionskosten niedrig hoch

An Börsen können unterschiedliche Produkte gehandelt werden, die jeweilige


Ausstattung hängt vom Marktumfeld ab. Die wichtigsten Beispiele sind:
x Futures ohne physikalische Lieferung: Hierbei werden lediglich Preiszusagen
für künftige Energielieferungen gehandelt. Händler können die Zusage kaufen,
dass sie für eine bestimmte Energiemenge unabhängig vom Marktpreis einen
bestimmten Preis zahlen müssen. Dies ist eine wichtige Hilfe beim Risiko-
management und hat den gerade in der Aufbauphase neuer Märkte wichtigen
Vorteil, sehr einfach einführbar zu sein, da die Börse sich in diesem Fall nicht
um die Abwicklung der physikalischen Lieferung zu kümmern braucht.
x Futures mit physikalischer Lieferung: Dies sind Termingeschäfte mit tat-
sächlicher Lieferung, definiert durch Lieferzeitpunkt, -ort und -menge.
x Spothandel: Hierbei werden Kontingente zur kurzfristigen Lieferung, typi-
scherweise für den nächsten Tag oder noch kurzfristiger, gehandelt.
x Regelleistungsmarkt: Auch Regelleistung kann an Börsen gehandelt werden,
wobei streng genommen kein wirkliches Börsengeschehen stattfindet, da der
Systembetreiber üblicherweise Alleinabnehmer für Regelleistung ist. Da der
tatsächliche Regelleistungsbedarf erst kurzfristig vom Systembetreiber erkannt
wird, handelt es sich bei Regelleistungsmärkten um Märkte mit sehr kurz-
fristigem Charakter. Da außerdem die Nachfragekurve praktisch senkrecht
verläuft – der Systembetreiber muss seinen Bedarf unabhängig vom Preis
decken –, haben diese Märkte häufig eine sehr hohe Preisvolatilität.
Die Arbeitsweise von Elektrizitätsbörsen und die Anwendung ihrer Produkte
werden im Folgenden anhand zweier Beispiele verdeutlicht.
Im ersten Beispiel (Abb. 3.43) wird erläutert, wie ein Börsengeschäft mit einer
physikalischen Lieferung von Teilnehmer B an Teilnehmer A erfolgt, wobei in
diesem Fall die Börse keine Verantwortung für die korrekte Abwicklung des
Geschäfts gegenüber Bilanzkreisverantwortlichen und Systembetreiber über-
nimmt. Das könnte grundsätzlich auch anders sein, denn je kurzfristiger ein Markt
ist, desto eher wird die Börse die Abwicklung übernehmen.
Der Prozess beginnt mit den Kaufaufträgen (1a/b), welche die Handelsteil-
nehmer A und B an die Börse erteilen. Nach Handelsschluss (2), also nach dem
letzten Handelstag eines Produkts, werden die Handelsteilnehmer eindeutig zuge-
ordnet, Liefer- und Bezugsorte werden beiderseitig bekannt gegeben. Nun muss
die Anmeldung der Netznutzung (3) durch die Marktteilnehmer (Erzeuger und
130 3 Elektrizitätswirtschaft, Liberalisierung

ESP) bei den Netzbetreibern erfolgen. Außerdem müssen die Marktteilnehmer


Bilanzverträge abschließen. Die Marktteilnehmer tragen die Verantwortung für
die ordnungsgemäße Handhabung. Über die Anmeldung der Netznutzung erhält
die Börse von den Handelsteilnehmern eine Lieferbestätigung (4). Damit gilt die
Lieferung per definitionem als erfüllt, und die aus dem Börsenkontrakt resul-
tierenden Zahlungsströme werden automatisch nach Ende der zum gehandelten
Produkt gehörenden Lieferperiode ausgelöst. Nach Zahlungseingang erfolgt die
Freigabe hinterlegter Sicherheiten. Der letzte Schritt ist die Abrechnung von
Abweichungen (5). Abweichungen zwischen dem Börsenprodukt und dem tat-
sächlichen Geschehen werden zwischen den Übertragungsnetzbetreibern, den
Bilanzkreisverantwortlichen und den Erzeugern bzw. Energiedienstleistern
abgerechnet. Die Börse ist nicht in diesen Schritt eingebunden.
Das zweite Beispiel befasst sich mit der Absicherung einer offenen Position
mittels eines Terminkontrakts, der physikalisch über den Spotmarkt und damit
unter Nutzung desselben Verfahrens wie im ersten Beispiel abgewickelt wird: Ein
Energiedienstleister habe in der Zukunft ungedeckten Bedarf, für den er noch
keinen Lieferanten gefunden hat, den er aber aus Risikoerwägungen nicht offen
lassen möchte. Er erwirbt deshalb die passende Menge eines Terminkontrakts, der
ihm garantiert, dass er zum gewünschten Zeitpunkt einen festen Preis von
19 EUR/MWh zahlt. Liegt der Spotpreis nun zum Zeitpunkt der Lieferung z. B.
bei 15 EUR/MWh, so nützt dies dem Energiedienstleister nichts, denn er erhält
zwar seine Spotlieferung, muss aber seinem Partner für dessen Lieferung an den
Spotmarkt den Ausgleich zwischen dem vereinbarten Preis und dem aktuellen
Spotpreis zahlen Für ihn liegt der Preis des physikalischen Vertrags also unver-
ändert bei den ursprünglich gezahlten 19 EUR/MWh. Liegt der Spotpreis dagegen
z. B. bei 25 EUR/MWh, so wird der Energiedienstleister wiederum effektiv für
19 EUR/MWh einkaufen, die Absicherung greift also. Das Beispiel zeigt, dass die
Risikominderung für den Energiedienstleister zwangsläufig auch die Chance eines
niedrigen Marktpreises reduziert und zum Verkäufer des Terminkontraktes
verlagert – allerdings nur, sofern der wiederum nicht eine langfristige Abnahme-

4 Börse 4
Nachfrage/Kauf Angebot/Verkauf
Bestätigung Bestätigung
über erfolgte 1a 1b über erfolgte
Anmeldung Teilnehmer A Teilnehmer B Anmeldung
- Handels- Handelsabschluss - Handels-
abteilung - abteilung -
2
Verantwortungs-
bereich der Börse - Vertriebs-
abteilung - - Erzeugung -
Verantwortungs-
bereich der Fahrplan Bilanz Fahrplan Bilanz
Marktteilnehmer 3 5 3 5
Bilanzkreis- Bilanzkreis-
verantwortlicher verantwortlicher

Systembe- Systembe-
treiber (ÜNB) treiber (ÜNB)

Abb. 3.43. Beispiel eines Handelsprozesses an einer Elektrizitätsbörse (nach [3.19])


3.7 Funktionsweise liberalisierter Elektrizitätsmärkte 131

verpflichtung hat, sondern wirklich vom Marktpreis profitieren kann.


Zum Abschluss zeigt Tabelle 3.11 eine beispielhafte Auflistung wichtiger
Börsen, die sich zwischen dem Beginn der Liberalisierung und dem Jahr 2006
etabliert haben. Es fällt auf, dass im kontinentaleuropäischen Elektrizitätsmarkt in
kurzer Zeit vier Börsen eröffnet wurden. Dies wird allgemein als Ausdruck einer
Experimentierphase zu Beginn der Marktöffnung angesehen, der eine Kon-
solidierung folgen wird. Die im Jahr 2002 vollzogene Fusion der Strombörsen in
Frankfurt am Main und Leipzig zur European Energy Exchange in Leipzig dürfte
ein erster Schritt in diese Richtung gewesen sein.

Tabelle 3.16. Beispiele für Elektrizitätsbörsen (Stand 2006)

Name Land geöffnet Produkte


seit (-bis)
NordPool Norwegen, Schweden, 1993 physikalischer Spotmarkt,
Finnland, Dänemark Terminkontrakte, Optionen
California Power Kalifornien (USA) 1998-2001 physikalischer Spotmarkt,
Exchange am 09.03.2001 Gläubiger-
schutz beantragt
Amsterdam Power Niederlande, 1999 physikalischer Spotmarkt für
Exchange (APX) Deutschland Standardprodukte und
Ausgleichsenergie
Leipzig Power Deutschland 1999-2001 physikalischer Spotmarkt,
Exchange (LPX) Terminkontrakte (ab 2001)
European Energy Deutschland 2000-2001 physikalischer Spotmarkt,
Exchange (EEX), Terminkontrakte
Frankfurt
Powernext Frankreich 2001 physikalischer Spotmarkt,
Terminkontrakte, CO2-
Emissionszertifikate
European Energy Deutschland 2002 physikalischer Spotmarkt,
Exchange (EEX), Terminkontrakte, Clearing
Leipzig für OTC-Handel, CO2-
Emissionszertifikate

3.7.4.3 Energiedienstleister
Der Energiedienstleister ist der „Motor“ des liberalisierten Marktes, da er das
Hauptprodukt – elektrische Energie – im freien Wettbewerb an Endkunden
vertreibt. Seine Aufgaben umfassen die gezielte Akquisition, die einkaufsseitige
Teilnahme am Großhandel und die Auftragsabwicklung, die insbesondere die
Kommunikation mit Netzbetreibern und Zählerdienstleistern umfasst. In diesem
Abschnitt werden die daraus folgenden Tätigkeiten vorgestellt sowie die Führung
des Geschäfts mit Großkunden im Detail betrachtet.
Der Geschäftsgegenstand des Energiedienstleisters ist der Verkauf von elektri-
scher Energie sowie der zugehörigen Dienstleistungen an Endverbraucher. Dabei
muss er auf Basis seiner eigenen Kosten, die sich im Wesentlichen aus Personal-
132 3 Elektrizitätswirtschaft, Liberalisierung

kosten und bereits eingegangenen Abnahmeverpflichtungen im Großhandelsmarkt


zusammensetzen, Umsatz und Profit sicherstellen. Bereits im Abschnitt zum
Großhandelsmarkt wurde mit Abb. 3.42 dargestellt, wie Handel und Vertrieb
organisatorisch zusammenarbeiten, um das „stochastische“ Risiko des Marktes zu
kontrollieren. Hier wird nun diskutiert, wie der Energiedienstleister das sog.
„deterministische Risiko“ beherrscht, das sich daraus ergibt, dass bei Ver-
tragsabschluss eine Vielzahl von Informationen berücksichtigt werden müssen,
um beurteilen zu können, ob ein Geschäft profitabel ist. Dies ist sehr wichtig, da
die Margen im Energiegeschäft auf Grund der Austauschbarkeit der Ware
elektrische Energie sehr gering sind, so dass schon einzelne Fehlentscheidungen
die Position eines Unternehmens nachteilig beeinflussen können.
Der Geschäftsprozess des Energiedienstleisters beginnt mit der Planung, wel-
che Kundengruppen zur Erzielung einer kostengünstig deckbaren Ganglinien-
charakteristik angesprochen werden sollen, und welches Verkaufsvolumen zur
Deckung der eigenen Kosten benötigt wird. Eine wichtige Planungsentscheidung
ist die Aufteilung des Volumens auf die beiden grundsätzlich verschiedenen Seg-
mente Gewerbe- und Industriekunden sowie Kleinkunden:
x Gewerbe- und Industriekunden: Diese Kundengruppe zeichnet sich übli-
cherweise durch einen professionellen Einkauf aus, der maßgeschneiderte Pro-
duktangebote erwartet. Die Preisbereitschaft ist niedrig, der Einfluss des einzel-
nen Vertragsabschlusses auf die wirtschaftliche Gesamtsituation des Energie-
dienstleisters kann erheblich sein. Auf Grund der verhältnismäßig großen
Volumina der Verträge sind die relativen Zuschläge für Vertrieb, Marketing
und Abwicklung gering, allerdings gibt das Geschäft wegen des starken Preis-
drucks an dieser Stelle auch nicht viel her. Gewerbe- und Industriekunden
werden üblicherweise persönlich in individuellen Kontakten betreut. Da die
Vertragsangebote kundenspezifisch sind, muss die Profitabilität pro Vertrag im
Moment des Abschlusses sichergestellt werden. Wie dies erreicht werden kann,
wird im weiteren Verlauf detailliert dargestellt.
x Kleinkunden sind normalerweise weniger professionell im Einkauf. Dies führt
zu vergleichsweise höherer Preisbereitschaft, deren positiver Effekt allerdings
durch die auf Grund der geringen Volumina pro Vertrag höheren relativen
Vertriebs-, Marketing- und Abwicklungszuschläge größtenteils aufgezehrt
wird. Die große Kundenzahl führt dazu, dass der Einzelvertrag wenig Einfluss
auf die wirtschaftliche Situation des Energiedienstleisters hat. An Stelle der
individuellen vertrieblichen Betreuung treten systematische Kontakte, z. B. in
Form von Werbekampagnen. In diesem Marktsegment sind auch keine indivi-
duellen Vertragsangebote üblich. Statt dessen werden Standardprodukte
angeboten, deren Profitabilität in der Planung überprüft wird.
Für beide Kundengruppen ist die Lastprognose von großer Bedeutung für die
Profitabilität des Energiedienstleisters. Nur eine gute Prognose stellt sicher, dass
der Energiedienstleister wenig teure Ausgleichsenergie in Anspruch nehmen
muss. Eine schlechte Lastprognose kann dagegen ein an sich profitables Kunden-
portfolio defizitär werden lassen. Bei den Industrie- und Gewerbekunden werden
als Basis bevorzugt historische Verbrauchsdaten – wenn möglich gemessene
Zeitreihen – verwendet, bei den Kleinkunden ebenfalls historische Energiewerte,
3.7 Funktionsweise liberalisierter Elektrizitätsmärkte 133

die mit dem vom Verteilnetzbetreiber festgelegten Profil zu Zeitreihen expandiert


werden. Gerade im durch niedrige Margen charakterisierten Industrie- und
Gewerbekundensegment wird in fortgeschritteneren Elektrizitätsmärkten die
Bereitstellung aussagekräftiger historischer Verbrauchsdaten häufig zur Voraus-
setzung für ein Angebot gemacht.
Nach Geschäftsplanung und Akquisition, die aus den genannten Gründen in
den beiden Marktsegmenten mit unterschiedlichen Produkten und Verfahren
erfolgt, schließen sich die segmentübergreifenden Schritte Abwicklung und
Abrechnung an.
x In der Abwicklung muss zunächst der Netzzugang für alle gewonnenen Kunden
beantragt werden – es handelt sich dabei um die andere Seite des Prozesses, der
aus Sicht des Verteilnetzbetreibers in Abb. 3.37 dargestellt ist. Wie Abb. 3.44
zu entnehmen ist, kann dieser Schritt bedeuten, dass der Energiedienstleister
mit sehr vielen Verteilnetzbetreibern in Kontakt treten muss, da ein Kunde im
aufwendigsten Fall Standorte in jedem Verteilnetz des Marktes haben kann – in
Deutschland wären dies z. B. rund 900. Während der Netzzugang nur bei
Neukunden beantragt werden muss, werden im Rahmen der Abwicklung
regelmäßig die Summenfahrpläne aller Kunden in einem Bilanzkreis an dessen
Betreiber geschickt. Diese sind Basis für die spätere Abrechnung der
Ausgleichsenergie. Einen Sonderfall stellen Kunden mit Mehrfachversorgung
dar, also Kunden, die von verschiedenen Energiedienstleistern
Fahrplanlieferungen und von einem die offene Restversorgung erhalten. Bei
ihnen muss der Energiedienstleister zuletzt auch noch dem Verteilnetzbetreiber
den Fahrplan der von ihm gelieferten Leistung schicken, damit dieser später
aus der Verbrauchsmessung den offenen Teil berechnen kann.
x In der Abrechnung müssen die Anteile für die Energie, die Ausgleichsenergie,
die Netznutzung und die Zählerdienstleistung zu einer Gesamtrechnung zusam-
mengefügt werden. Tabelle 3.11 zeigt die verschiedenen Kostenterme, die beim
Energiedienstleister entstehen. Eine Besonderheit, welche die Abrechnung im
liberalisierten Markt von der vertikal integrierter Unternehmen prinzipiell
unterscheidet, ist die Tatsache, dass grundsätzlich Rechnungsbestandteile
existieren, die von außen kommen, bei denen also vor Rechnungslegung

Kunde

Regelzone 1 Regelzone 2
Verteilnetz 1.1 Verteilnetz 2.1

Standort 1.1 Standort 1.2 Standort 2.1 Standort 2.2

... ...
ZP 1.1 ... ZP 1.n ZP 2.1 ... ZP 2.n ZP 1.1 ... ZP 1.n ZP 2.1 ... ZP 2.n

Abb. 3.44. Allgemeine Kundenstruktur des Energiedienstleisters


134 3 Elektrizitätswirtschaft, Liberalisierung

überprüft werden muss, ob sie eingetroffen und korrekt sind. Letzteres bedeutet
auch, dass Abrechnungssysteme der Energiedienstleister in der Lage sein
müssen, die Netznutzungsgebühren zu Kontrollzwecken nachzurechnen.

Tabelle 3.17. Kostenstruktur des Energiedienstleisters

Gegenstand Quelle Kostentyp Anzahl Kostenterme


Energie Einkauf/Großhandel variabel 1 pro Kunde
Ausgleichsenergie Bilanzkreis(e) variabel 1 pro Regelzone und Kunde
Netznutzung Netzbetreiber variabel 1 pro Verteilnetz und Kunde
Zählerdienstleistung Netzbetreiber fix (pro 1 pro Verteilnetz und Kunde
Zählpunkt)
Energiedienstleister Energiedienstleister fix 1 pro Kunde
(eigene Kosten)

Wie bereits mehrfach erwähnt, ist das Geschäft mit Industrie- und Gewerbe-
kunden besonders komplex. Dazu tragen verschiedene Gründe bei:
x Diese Kunden sind preissensitiv und erwarten individuell gestaltete Verträge.
x Sie schließen verhältnismäßig große Einzelverträge ab und haben damit einen
nennenswerten Einfluss auf die Geschäftssituation des Energiedienstleisters.
x Sie haben z. T. die Möglichkeit, ihre Lastganglinie zu beeinflussen, und er-
warten, dass sie an dadurch ermöglichten Kostensenkungen beteiligt werden.
x Ohne Ausnutzung von Win-Win-Situationen ist eine ausreichende Profitabilität
in diesem Marktsegment praktisch nicht erreichbar.
Diese Punkte machen es erforderlich, verschiedenen Kundengruppen Angebote
zu machen, die hinsichtlich Preis und Flexibilität eine große Bandbreite abdecken,
und die unterschiedlich zur Fixkostendeckung des Energiedienstleisters beitragen.
Letzteres hat zwei Konsequenzen: Es entsteht das Risiko der Fix-
kostenunterdeckung, die eintritt, wenn Produkte mit hohem Deckungsbeitrag
unter Plan verkauft werden. Außerdem beeinflusst nun das Einzelangebot nicht
mehr nur das Geschäftsvolumen des Energiedienstleisters, sondern auch die
Profitabilität, da nicht mehr alle Angebote gleich profitabel ausgelegt sind. Um
diese Risiken im laufenden Geschäft zu kontrollieren, kann z. B. der in Abb. 3.45
gezeigte Strukturierungsansatz verwendet werden.
Zunächst wird die eingekaufte Kapazität in Kontingente aufgeteilt, die durch
ihre Leistungsganglinie Pkont.,i(t) sowie ihren Einkaufspreis kkont.,i(t) beschrieben
sind. Die Ganglinie beschreibt den Zeitverlauf und bewirkt durch ihre absolute
Höhe eine Mengenbegrenzung. Bei der Definition von Kontingenten und Preisen
besteht innerhalb der Randbedingungen gemäß Gl. (3.16) beliebige Freiheit.
3.7 Funktionsweise liberalisierter Elektrizitätsmärkte 135

Strukt. des Einkaufsergebnisses Strukturierung des Verkaufsprozesses


Netz- und Zielmargen
System- pro
eigene Fixkosten FK
kosten Produkt

Energie- FK-Anteil
kontingent 1: Produkt 1
x Kosten Menge aus Kosten für
x Zeitverlauf Kont. 1 für P1 + + + Prod. 1
x Menge
Menge aus
Kont. 2 für P1
Energie-
Energie- kontingent 2
einkauf:
x Kosten FK-Anteil
x Zeitverlauf Produkt 2
Kosten für
x Menge + + + Prod. 2
Menge aus
... Kont. 1 für P2

...
Energie- FK-Anteil
kontingent NKont. Produkt NProd. Kosten für
Menge aus
+ + + Produkt
... NProd.
Kont. i für
PNProd.

Abb. 3.45. Beispiel für die Produktstrukturierung und –kalkulation eines Energie-
dienstleisters

N Kont . ! (3.16)
¦ PKont.,i (t ) PEinkauf , ges. (t ) (Mengenbedingung)
i 1

N Kont . Tkont ., i / 't !


¦ ¦ kKont.,i ( j ˜ 't ) ˜ PKont.,i ( j ˜ 't ) K Einkauf , ges. (Preisbedingung)
i =1 j 1

Die Preisganglinien kkont.,i(t) müssen keine realen Einkaufskosten widerspiegeln


und Pkont.,i(t) braucht keine echte Einkaufsganglinie zu repräsentieren. Ihre
Gestaltung ist der erste Schritt auf dem Weg zum Angebot attraktiver und profi-
tabler Produkte. Beispiele für solche Kontingente sind ein Grundlastkontingent
oder Strom aus erneuerbaren Quellen, bei dem der Energiedienstleister nach-
weisen können möchte, dass er nicht mehr verkauft als er eingekauft hat. Auch
Ausgleichsenergie kann durch ein Kontingent repräsentiert werden. Die Abb. 3.46
und 3.47 zeigen zwei Kontingentmischungen auf Basis derselben
Kundengruppen. Offensichtlich wird der Energiedienstleister den Bezug für die
Versorgung gemäß Abb. 3.46 zu günstigeren Konditionen realisieren können.
Im nächsten Schritt des Prozesses gemäß Abb. 3.45 werden die Kontingente
auf Produkte aufgeteilt. Beispielsweise kann ein Wasserkraftkontingent zu einem
bestimmten Anteil in ein Mischprodukt eingehen, und der Rest als reine Wasser-
kraft vermarktet werden. Des Weiteren müssen die Produkte zur Fixkosten-
deckung des Energiedienstleisters beitragen, wobei es möglich ist, die Produkte
unterschiedlich stark zu belasten. Für die Fixkostenverteilung gilt unter der
Voraussetzung einer rein arbeitsbezogenen Umlage folgende Nebenbedingung:
136 3 Elektrizitätswirtschaft, Liberalisierung

N Produkt ! (3.17)
¦ k fix,Produkt,i ˜ WProdukt ,i K fix ,ges.
i 1

Zuletzt müssen den Produktkosten eine Zielmarge und, sofern die Netznutzung
über den Energiedienstleister abgerechnet werden soll, die Netz- und

12 1

10
0,8
Nachtspeicher
8 Zweischicht
Leistung (MW)

0,6 Bäcker

Profile
Haushalte
6
Nachtspeicher
0,4 Zweischicht
4 Bäcker
Haushalte
0,2
2

0 0
1 5 9 13 17 21
Zeit (h)

Abb. 3.46. Beispiel einer guten Kontingentmischung

16

14

12

10
Leistung (MW)

Nachtspeicher
Zweischicht
8
Bäcker
Haushalte
6

0
1 5 9 13 17 21
Zeit (h)

Abb. 3.47. Beispiel einer ungünstigen Kontingentmischung


„Zweischicht“ = Gewerbe- und Industriebetriebe mit Zweischicht-Betrieb
3.7 Funktionsweise liberalisierter Elektrizitätsmärkte 137

Dienstleistungskosten zugeschlagen werden. Damit ist der Zielverkaufspreis


ermittelt. Da die Netz- und Dienstleistungskosten wegen der Diskriminierungs-
freiheit für alle in einem Verteilnetz aktiven Energiedienstleister gleich sein
müssen, ist es nicht sinnvoll, diese Terme noch produktweise zu differenzieren.
Nach dieser Strukturierung der eingekauften Energie und ihrer Produktifizie-
rung kann nun im Verkaufsprozess die Profitabilität jedes Einzelvertrags verfolgt
werden. Produkte bestehen gemäß den vorangegangenen Überlegungen aus:
x einem Tarif pProdukt(t,P,W), der von der Zeit, der Leistung und der gelieferten
Energie abhängen kann
x den von ihnen in Anspruch genommen Anteilen AProdukt,Kont. an den Einkaufs-
kontingenten – darüber ergibt sich die Mengensteuerung der Produkte
x den Fix-, Netz und Dienstleistungskosten.
Mit diesen Informationen kann die Profitabilität GV eines Angebots der Dauer
TV zur Lastprognose PV(t) mit der Energie WV berechnet werden:
TV / 't § N Kont . · (3.18)
GV ¦ ¨ p Produkt (t j , PV (t j ), WV ) 
¨ ¦ AProdukt ,Kont .,i ˜ k Kont .,i (t j )¸¸ ˜ PV (t j )
j 1 © i 1 ¹
N Netz ,Vertrag TV / 't
 ¦ K Netz,i  k fix ,Produkt ˜ ¦ PV (t j )
i 1 j 1
mit: t j j ˜ 't

Dabei ist anzustreben, dass die Verkäufe die Energiekontingente möglichst


genau aufbrauchen, da andernfalls Bedarf an Ausgleichsenergie entsteht:
N Produkt NVertrag,i ! (3.19)
¦ ¦ Ai,j,Kont. ˜ PV , j (t ) PKont . (t )
i 1 j=1

Die Mischkalkulation ist bei Erfüllung folgender Bedingungen profitabel:


GV t Gmin. für alle Verträge (3.20)
N Produkt NVertrag,i
¦ ¦ Ai, j,Kont. ˜ PV , j (t ) o PKont. (t ) für alle Kontingente
i 1 j=1

Die bisherige Betrachtung kontrolliert zwar den sehr komplexen Mischkalkula-


tionsprozess, ist allerdings so diskutiert worden, als ob die Planung top-down
durchgeführt und im Markt umgesetzt werden könne. Die Realität ist dagegen
dynamisch und führt zu ständig neuen Randbedingungen für den Vertriebspro-
zess. Der im Großhandelsmarkt agierende Einkauf hat offene Positionen und
schließt sie, neue Kontingente werden eingeführt, Produkte sind ausverkauft oder
unverkäuflich usw. Um damit umzugehen, muss der beschriebene Planungs- und
Simulationsprozess in eine regelmäßig durchlaufene Kontrollschleife integriert
werden, die es erlaubt, den komplexen Vertriebsprozess zielführend zu steuern.
Dies verdeutlicht Abb. 3.48. Der Prozess beginnt mit der Erstellung eines Ge-
schäftsplans entsprechend der bisher vorgestellten Systematik. Mit diesem Plan
138 3 Elektrizitätswirtschaft, Liberalisierung

Produkt- Geschäfts- weitere Kosten Energie-


definitionen bestand (Netz, System, einkauf
ESP,...)

Simulation
neue Produkte bessere Einkaufs-
konditionen
N N
profitabel?

J
Freigabe und
Vertrieb

Abb. 3.48. Einbettung der Kalkulationssystematik in die Vertriebssteuerung

werden zur Risikobewertung Szenarien simuliert, die z. B. verschiedene Preis-


entwicklungen oder den Wegfall einzelner Kundensegmente beinhalten. Hat sich
der Plan als ausreichend robust erwiesen, werden die erstellten Produkte zum
Verkauf freigegeben, andernfalls müssen neue Produkte entworfen oder die
Einkaufskonditionen verbessert werden. Nachdem die Produkte eine Zeit lang
verkauft worden sind und sich ein Auftragsbestand gebildet hat, wird der Prozess
unter Berücksichtigung des Bestands erneut durchlaufen, wobei die Produkte
sowohl in ihren Tarifen als auch in ihren Mengen angepasst werden können.

3.7.4.4 Bilanzkreisverantwortliche
Die Bilanzkreisverantwortlichen stellen eine eigenständige Marktrolle dar, die
ihre Leistung in einem Endkunden-Wettbewerbsmarkt anbietet. Die Bilanzkreis-
verantwortlichen sind allerdings selbst Kunden in einem Alleinabnehmer- oder
Monopolmarkt, da die physische Realisierung der Ausgleichsenergie letztendlich
vom Systembetreiber vorgenommen wird. Da diese Funktion nur einmal in jeder
Regelzone existiert, kann hier nur ein unilaterales Marktmodell angewendet
werden. Diese Einbettung der Bilanzkreisverantwortlichen in ihr Marktumfeld
verdeutlicht Abb. 3.49.
Die Bilanzkreisverantwortlichen, die an der Schnittstelle zwischen Dienstlei-
stungs- und Wettbewerbsmarkt arbeiten, leiten den Abgleich zwischen den im
Wesentlichen abstrakt und ohne enge Kopplung an die betrieblichen Erfordernisse
des technischen Elektrizitätsversorgungssystems zu Stande gekommenen
Verträgen im Markt und der technischen Realität ein, der anschließend vom
Systembetreiber vervollständigt wird. Außerdem teilen sie die Kosten, die durch
Abweichungen zwischen Planung und tatsächlichem Betrieb entstehen, möglichst
verursachungsgerecht auf die Marktteilnehmer auf. Damit sind sie auch die Stelle
im Markt, die identifizieren kann, wenn Marktteilnehmer ihren vertraglichen
Verpflichtungen nicht nachgekommen sind.
3.7 Funktionsweise liberalisierter Elektrizitätsmärkte 139

Der Geschäftsgegenstand der Bilanzkreisverantwortlichen ist die Minimierung


des Ausgleichsenergiebedarfs. Ihr Profit rührt daher, dass, wie in Gl. (3.22) aus-
gedrückt, die von ihnen insgesamt bezogene Ausgleichsenergie geringer sein kann
als die Summe des Ausgleichsenergiebedarfs ihrer Kunden, der Energie-
dienstleister und Erzeuger, und sie auch entsprechend verbesserte Fahrpläne an-
melden. Wie in Gl. (3.21) ersichtlich, erhalten die Bilanzkreisverantwortlichen zur
Ausführung ihrer Aufgabe von den Energiedienstleistern und Händlern jeweils
die Summenfahrpläne des Verkaufs an andere Marktteilnehmer sowie des
Einkaufs von anderen Marktteilnehmern mit Angabe der Marktteilnehmer und
deren Bilanzkreisen. Damit können sie sowohl die benötigte Ausgleichsenergie
als auch den Austausch mit anderen Bilanzkreisen berechnen und außerdem
prüfen, ob die Angaben von Käufern und Verkäufern konsistent sind.
N ESP (3.21)
FPBKV z ¦ FPESP ,Einkauf ,i  FPESP ,Verkauf ,i
i 1
N KW

 ¦ FPKW ,Erzeugung ,i  FPKW ,Verkauf ,i
i 1

Die Bilanzkreisverantwortlichen sind auf gute Marktkenntnis und auf mög-


lichst große Kollektive von betreuten Erzeugern und vor allem Endverbrauchern
angewiesen, um eine gute statistische Durchmischung und daraus folgend eine
geringe Streuung des Ausgleichsenergiebedarfs zu erzielen. Sind diese Voraus-
setzungen erfüllt, ist davon auszugehen, dass gilt:
! N ESP N KW (3.22)
K Ausgleich, BKV Min  ¦ K Ausgleich, ESP,i  ¦ K Ausgleich, KW ,i
i 1 i 1

K Ausgleich Kosten für Ausgleichsenergie

Der Zusammenhang gemäß Gl. (3.22) ist der Grund, dass das prinzipielle
Risiko höherer Preise, welches die unilateralen Marktmodelle mit sich bringen, an

Regelkraftwerke (kon-
N ESP1 NKW1
Systembetreiber a traktiert bei Alleinab-
(Regelzonenbetreiber,
FP BKV1 z ¦ FP ESP1,i  ¦ FP KWi, nehmermarkt oder
Bilanzkreiskoordinator)
i 1 i 1 Eigentum bei Monopol)
N ESP1 N KW1 a
ISTBKV1 ¦ ISTESP1,i  ¦ ISTKWi, Alleinabnehmer- oder
i 1 i 1
Monopolmarkt für
Ausgleichsenergie
BKV 1 BKV 2
Wettbewerbsmarkt für
FPESP1,1 Ausgleichsenergie
ISTESP1,1
Kraftwerk 1.1

ESP 1.1
... ESP 1.N ESP1 a ...
Abb. 3.49. Arbeitsumfeld der Bilanzkreisverantwortlichen
140 3 Elektrizitätswirtschaft, Liberalisierung

dieser Stelle des Marktes akzeptiert werden kann: Da die Bilanzkreisverantwort-


lichen aus ihrem Geschäftsgegenstand heraus das Bestreben und außerdem auch
die Möglichkeit haben, das Aufkommen an Ausgleichsenergie und damit den
Bezug aus dem Alleinabnehmermarkt zu minimieren – idealerweise zu Null –,
spielt das Preisniveau im Alleinabnehmermarkt nur eine untergeordnete Rolle. Im
Übrigen ist genau das ja auch die erwünschte Lenkungswirkung, um die
Ergebnisse der kommerziellen Marktprozesse möglichst nah an einen technisch
auch realisierbaren Zustand heranzuführen.
Obwohl die Bilanzkreisverantwortung prinzipiell ein eigenständiger Geschäfts-
gegenstand ist, wird sie von vielen großen Energiedienstleistern mit abgedeckt.
Diese brauchen für ihr Angebot ohnehin einen Bilanzkreisverantwortlichen.
Außerdem besitzen sie mit dem Energieeinkauf bereits eine wichtige Funktion,
die ein Bilanzkreisverantwortlicher ebenfalls benötigt. Zuletzt betreuen sie wegen
ihrer Größe bereits in ihrem Kundenkreis ein ausreichend großes
Verbraucherkollektiv, um die Bilanzkreisverantwortung mit vertretbar kleinem
Risiko wahrnehmen zu können.
Die Auswertung der dem Bilanzkreisverantwortlichen vorliegenden Informa-
tionen und die nachbetriebliche Weiterverrechnung unterscheiden zwischen Er-
zeugern und Energiedienstleistern, da bei den Erzeugern betrieblich bedingte
Eingriffe des Systembetreibers zu berücksichtigen sind, die es auf der Abnahme-
seite nicht geben kann. Abb. 3.50 zeigt zunächst exemplarisch, welche Fälle bei
der Bilanzierung eines Erzeugers beachtet werden müssen.
Der Bilanzkreisverantwortliche erhält von allen Erzeugern die Fahrpläne ihres
Verkaufs und ihrer geplanten Einspeisung. Diese müssen nicht identisch sein,
denn die Erzeuger können mit der Differenz, dem Bilanzsaldo in Abb. 3.50, zum
Ausdruck bringen, dass sie Ausgleichsenergie einspeisen oder in Anspruch neh-
men wollen. Dies kann gerade bei Erzeugern aus betrieblichen Gründen sinnvoll
sein, obwohl die Konditionen für An- und Verkauf von Ausgleichsenergie norma-
lerweise nicht attraktiv sind. Der Bilanzkreisverantwortliche meldet diese Infor-
mation in geeignet aggregierter Form dem Systembetreiber. Dieser kann nun den
Kraftwerken von ihrem Wunsch abweichende Vorgabefahrpläne mitteilen, sofern
dies für den zuverlässigen Systembetrieb erforderlich ist. Der tatsächliche Kraft-
werksbetrieb kann nun, auch wenn dies nicht erwünscht ist, wiederum von dieser
Vorgabe abweichen. Die dabei entstehenden Sollabweichungen werden
grundsätzlich mit den Konditionen für Ausgleichsenergie behandelt. Eine
Ausnahme stellt die Reaktion eines Kraftwerks z. B. auf einen Erzeugungsausfall
dar. Sie führt i. d. R. auch zu einer Sollabweichung, wird aber, da es sich um eine
systemstützende Maßnahme handelt, individuell behandelt.
Die entsprechenden Informationen und ihre Behandlung für die Verbrauchs-
seite zeigt Abb. 3.51. Auch hier stehen am Anfang die Fahrpläne für Verbrauch
und Einkauf, aus denen der Bilanzsaldo, also die geplante Inanspruchnahme von
Ausgleichsenergie, berechnet werden kann. Einen korrigierenden Eingriff des
Systembetreibers kann es auf der Verbrauchsseite nicht geben – die einzige Mög-
lichkeit dafür wäre die Verweigerung des Netzzugangs wegen veröffentlichter
Engpässe, aber dieser Schritt wäre ggf. bereits bei der Anmeldung der Netz-
nutzung beim Verteilnetzbetreiber erfolgt. Somit ist die nächste zu verarbeitende
3.7 Funktionsweise liberalisierter Elektrizitätsmärkte 141

15 mehr angemeldet
6 als verkauft
=> niedrig vergütete Ausgleichs-
Sollunterschreitung:
energieeinspeisung
Belastung mit Preis für
14
Ausgleichsenergie (hoch) 5
Sollüberschreitung: Vergütung für
Einspeisung von Ausgleichs-
energie (niedrig)
13 4
betriebsbedingter

Bilanzsaldo (MW)
Eingriff
Leistung (MW)

12 3

weniger angemeldet als verkauft Verkauf


11 => geplante, teure Inanspruchnahme von 2
Ausgleichsenergie gemeldeter Fahrplan
aller KW
10 1 Vorgabefahrplan

tatsächliche
9 0 Einspeisung
Bilanzsaldo
8 -1
1 5 9 13 17 21
Zeit

Abb. 3.50. Bilanzierung eines Erzeugers

Information bereits der gemessene Verbrauch. Abb. 3.51 zeigt vier mögliche Fälle
von Abweichungen zwischen Plan und Verbrauch. Zunächst kann der Verbrauch
über dem angemeldeten Fahrplan liegen.
Sofern der Einkauf in diesem Fall dem angemeldeten Verbrauch entspricht,
handelt es sich um eine einfache Inanspruchnahme von Ausgleichsenergie. Liegt
der Einkauf über dem angemeldeten Verbrauch, so wird die
Ausgleichsenergiezahlung mit dem durch den Einkaufsüberschuss getätigten
Angebot der Ausgleichsenergieeinspeisung verrechnet. In Summe bleibt natürlich

10 Fahrplanabweichung => Vergütung für5


zuviel eingekauft Ausgleichsenergie (normalerweise niedrig),
=> Vergütung für Einspei- Zahlung der Fahrplanlieferung an Erzeuger
sung von Ausgleichsener-
9 4
gie, Zahlung an Erzeuger Fahrplanabweichung
=> Zukauf von offene
Ausgleichsenergie Versorgung
8 3 Fahrplan-
verträge
Bilanzsaldo (MW)
Leistung (MW)

Einkauf

7 2 Verbrauchs-
fahrplan
Fahrplanabweichung und Einkaufs- gemessener
überschuß => Einspeisung und Zukauf von Verbrauch
6 1
Ausgleichsenergie, führt zu verminderter Bilanzsaldo
Ausgleichsenergiezahlung

5 0

4 -1
1 5 9 13 17 21
Zeit

Abb. 3.51. Bilanzierung eines Energiedienstleisters (ESP)


142 3 Elektrizitätswirtschaft, Liberalisierung

trotzdem eine, allerdings gegenüber dem ersten Fall verringerte, Zusatzzahlung


bestehen. Liegt der Verbrauch unter Fahrplan und Einkauf, wird die Abweichung
als Einspeisung von Ausgleichsenergie behandelt. Dies gilt auch, wenn schon der
Verbrauchsfahrplan unter dem Einkaufsfahrplan lag und dies vom tatsächlichen
Verbrauch bestätigt wird.
Die beiden Betrachtungen zeigen, dass der Abgleich zwischen Planung und tat-
sächlichem Geschehen getrennt nach Erzeugung und Verbrauch durchgeführt
wird. Die einzelne Transaktion ist in diesem Verfahren nicht identifizierbar.

3.7.5 Besonderheiten internationaler Realisierungen liberalisierter


Elektrizitätsmärkte

Dieser Abschnitt soll einen kurzen Überblick über wichtige internationale


Liberalisierungsbeispiele geben. Dabei wird einerseits gezeigt, wie entsprechend
Abschnitt 3.7.1 verschiedene gesellschaftliche Zielsetzungen zu Unterschieden in
Privatisierung und Liberalisierung führen. Andererseits wird auf Besonderheiten
in den Marktrollen eingegangen, die sich aus speziellen Gegebenheiten der
jeweiligen Märkte ergeben haben. Tabelle 3.11 zeigt zunächst charakteristische
internationale Beispiele für die Öffnung von Elektrizitätsmärkten.
In der europäischen Union und in den USA überwiegt das Interesse, den
Stromverbrauchern, vor allem in der Wirtschaft, elektrische Energie zu günstigen
Preisen zu bieten. Deshalb ist in allen Ländern dieser Gruppe das Endziel ein
weitgehender, in allen entsprechenden Beispielen der Tabelle 3.1 sogar vollstän-
diger, Endkundenwettbewerb. Unterschiede finden sich praktisch nur in der Ein-
führungsgeschwindigkeit und in einer evtl. vorgelagerten Privatisierung, wie sie
z: B. in Großbritannien stattgefunden hat. Die Tabelle zeigt auch, dass vor allem
die Länder den Endkundenwettbewerb stufenweise über einen längeren Zeitraum
eingeführt haben, die früh mit der Liberalisierung begonnen haben. Inzwischen
gibt es zahlreiche Erfahrungen mit liberalisierten Elektrizitätsmärkten, so dass der
Lernzeitraum bei Marktöffnung verkürzt werden kann.
In Lateinamerika war die Motivation der in den 80er- und 90er-Jahren vorge-
nommenen Marktöffnung eine andere. Hier wollte sich der Staat aus der als inef-
fizient geltenden Elektrizitätswirtschaft so weit wie möglich zurückziehen und
gleichzeitig privates Kapital anziehen, um die Elektrizitätsversorgung zu ver-
bessern. Deshalb wurden die Unternehmen privatisiert und Großhandelswett-
bewerb eingeführt. Voller Endkundenwettbewerb ist in keinem lateinamerikani-
schen Land vor 2010 geplant. Das eigentliche Ziel der Marktöffnung ist bereits
erreicht, denn in allen Ländern waren Kostensenkungen und somit Effizienz-
steigerungen – sowohl technische als auch personelle – zu verzeichnen, und
ausländische Investoren haben sich im gewünschten Maß engagiert.
Neben den offensichtlich unterschiedlichen Öffnungsgraden gibt es auch in
Märkten mit Endkundenwettbewerb Unterschiede in der Realisierung der einzel-
nen Marktrollen, die ihre Ursachen meist in landesspezifischen Besonderheiten
haben. Obwohl sich die im Folgenden diskutierten Beispiele USA, Großbritan-
nien, Skandinavien und Kontinentaleuropa auf das allgemeine Marktmodell, wie
3.7 Funktionsweise liberalisierter Elektrizitätsmärkte 143

es in den Abschn. 3.7.2 bis 3.7.4 vorgestellt wurde, abbilden lassen, unterscheiden
sich die Märkte in einzelnen Details deutlich.

Tabelle 3.18. Internationale Beispiele für Privatisierung und Liberalisierung

Land Umfang von Marktöffnung Kommentar


Privatisierung und Beginn Ende
Liberalisierung
Europäische Einstieg über Groß- 1997 2007 nationale Umsetzung bis
Union (EU) handelswettbewerb, 1999, minimale, vorge-
übergehend in End- schriebene Marktöffnung,
kundenwettbewerb am Ende 83 %
Großbritannien zunächst Privatisie- 1990 1999 1990 Großhandelswettbe-
rung der weitgehend werb für Kunden >1 MW,
staatlichen Elektrizi- 1994 >100 kW, 1999 End-
tätswirtschaft, an- kundenwettbewerb; bis
schließend wie EU Anfang 2001 Pool-System
Skandinavien wie Europäische
 Norwegen Union, aber teilweise 1992 1998
 Finnland früher und 1996 1998
 Schweden unabhängig davon 1996 1999
 Dänemark 1998 2002
Deutschland Endkunden- 1998 1998 erster Markt mit direktem
wettbewerb Übergang auf Endkunden-
wettbewerb; 2005: Novelle
des Energiewirtschaftsge-
setzes entspr. EU-Beschleu-
nigungsrichtlinie (Nov. ‘02)
USA bundesweiter Groß- 1996 2005
handelswettbewerb
Endkundenwett- sehr unterschiedlicher Stand,
bewerb unter Hoheit Vorreiter sind Kalifornien,
der Bundesstaaten New York, Massachusetts,
New Hampshire
Südamerika Privatisierung und 1982 erhebliche Kostenreduktion
(Chile, Argenti- Großhandelswett- (Chile) und somit Effizienzsteige-
nien, Peru, Bo- bewerb bis 1996 rung in der Erzeugung,
livien, Kolum- (Brasi- ausländisches Kapital in
bien, Brasilien, lien, Ve- starkem Maße angezogen
Venezuela) nezuela)

3.7.5.1 Vereinigte Staaten von Amerika


Typisch für die amerikanischen Elektrizitätsmärkte sind die sog. Unabhängigen
Systembetreiber (Independent System Operator ISO). Sie heißen unabhängig, weil
sie im Gegensatz zur europäischen Praxis nicht mit dem Übertragungsnetzbetrieb
144 3 Elektrizitätswirtschaft, Liberalisierung

zusammengefasst sind. Die Hauptursache dafür ist, dass im Unterschied zur


Situation in Europa, wo fast überall ein relativ zur Lastverteilung stark
ausgebautes Übertragungsnetz existiert, die Übertragungsnetze in Nordamerika
wegen der großen Fläche des Kontinents verhältnismäßig schwach sind und eine
Vielzahl von Engpässen aufweisen. Hinzu kommt, dass es – ebenfalls im
Unterschied zumindest zu Kontinentaleuropa – kein amerikaweites, galvanisch
gekoppeltes Übertragungsnetz gibt. Um nun Marktanreize möglichst auch beim
weiteren Ausbau der knappen Ressource Übertragungsnetz zu nutzen, ist das
Übertragungsnetz wettbewerblich organisiert. Mehrere Gesellschaften bieten
Leitungen an, die an Engpässen für Transporte auch explizit gebucht werden
müssen. Es ist damit prinzipiell auch möglich, dass parallele, konkurrierende Lei-
tungen unterschiedlicher Netzbetreiber gebaut und angeboten werden.
Im Übrigen entsprechen die nordamerikanischen Strommärkte, abhängig vom
in den Bundesstaaten sehr unterschiedlichen Marktöffnungsgrad, dem allgemei-
nen Marktmodell, d. h., es gibt national operierende Erzeuger und Großhändler
sowie in den einzelnen Märkten Energiedienstleister, Bilanzverantwortliche und
Verteilnetzbetreiber. Letztere treten dabei in Abhängigkeit von der Gesetzgebung
des jeweiligen Bundesstaats und teilweise sogar von kommunalen Festlegungen
häufig gleichzeitig als Alleinabnehmer für die Versorgung der Kleinkunden auf.

3.7.5.2 Großbritannien
In Großbritannien, dem ältesten Elektrizitätsmarkt Europas, wurde 1990 zunächst
ein an entscheidender Stelle anderer Ansatz als das vorgestellte Marktmodell
gewählt. Kern des Marktes war der sog. Pool, über den alle Transaktionen
abzuwickeln waren. Erzeuger konnten nur an den Pool anbieten, 12 Regional-
verteiler (Regional Electricity Companies, REC) sowie eine mit der Zeit zuneh-
mende Gruppe größerer Kunden konnten direkt vom Pool beziehen. Der Poolpreis
wurde vom jeweils teuersten in der aktuellen Lastsituation noch benötigten
Kraftwerk bestimmt und war für alle zum Einsatz kommenden Kraftwerke gleich.
Damit lag der Poolpreis grundsätzlich über den durchschnittlichen Erzeu-
gungskosten des eingesetzten Kraftwerksparks, was dadurch kompensiert werden
konnte, dass Marktteilnehmer bilateral sog. „Contracts for Differences” abschlos-
sen, in denen sie vom Poolpreis abweichende Konditionen vereinbarten. Kosten
für Systemdienstleistungen wurden von der nationalen Übertragungsnetz-
gesellschaft National Grid Company, die gleichzeitig Systembetreiber war, mit
der Netznutzungsgebühr gedeckt. Ausgleichsenergie im Sinne des vorgestellten,
allgemeinen Marktmodells gab es nicht, da der Pool dafür sorgte, dass unabhängig
von eingegangenen Lieferverpflichtungen ausreichend Erzeuger am Netz waren
und die Last gedeckt wurde. Erzeuger, die zwar angeboten hatten, aber ihre
Lieferzusage nicht einhielten, hatten nur den Umsatzausfall zu verkraften.
Das Poolmodell war verhältnismäßig einfach einzuführen und erfüllte zunächst
auch seinen Zweck. Die Preise für Elektrizität fielen für alle Kunden mit
Ausnahme einiger weniger, sehr großer, die vorher subventioniert wurden, die
Versorgungssicherheit war nie gefährdet und die Produktivität der Erzeuger und
der vom Regulator überwachten Netzbetreiber stieg um bis zu 75 % – im
3.7 Funktionsweise liberalisierter Elektrizitätsmärkte 145

Wesentlichen durch Personalabbau. Ausländische Investitionen in die privati-


sierten Regionalverteiler belegten, dass trotz des Kostendrucks eine wirtschaftlich
interessante Industrie geschaffen worden war. Es gab allerdings auch uner-
wünschte Effekte. Zu Beginn missbrauchten große Erzeuger ihre Marktmacht zur
Beeinflussung des Preises am in seiner Wirkung sehr transparenten Pool. Über die
gesamte Zeit des Poolmodells war die Volatilität des Poolpreises sehr hoch – die
monatlichen Preise konnten bis zu einem Faktor 6 schwanken –, und die Markt-
teilnehmer verwendeten viel Energie darauf, Lücken im Regelwerk des mit Pool
und NGC stark regulierten Marktes zu finden und auszunutzen.
Aus diesem Grund wurde 1998 beschlossen, den Pool durch das sog. New
Electricity Trading Agreement (NETA) abzulösen. NETA trat 2001 in Kraft und
entspricht dem allgemeinen Marktmodell mit der NGC als System- und Übertra-
gungsnetzbetreiber und Bilanzkoordinator sowie Märkten für physischen und
finanziellen Handel und Ausgleichsenergie. Durch die Einführung des Produkts
Ausgleichsenergie gibt es erstmals im britischen Markt eine Pönalisierung der
Nichterfüllung vertraglicher Verpflichtungen. Insgesamt wurde erwartet, dass der
Ersatz des regulierenden Pools durch Märkte dazu führt, dass die Marktteilnehmer
sich verstärkt um die Entwicklung ihrer Geschäftsposition kümmern, statt Lücken
im Regulierungsregelwerk zu suchen und für sich auszunutzen.

3.7.5.3 Skandinavien
Die skandinavischen Märkte Norwegens, Schwedens und Finnlands waren die
ersten, die vollständig entsprechend dem allgemeinen Marktmodell organisiert
waren. Eine Besonderheit dieser Märkte ist, vor allem in Norwegen und Schwe-
den, ihre große Nord-Süd-Ausdehnung in Verbindung mit einem ausgeprägten
regionalen Ungleichgewicht von Verbrauchsschwerpunkten und Erzeugungs-
standorten. Dies führt dazu, dass auch in diesen Märkten, ähnlich wie in Nord-
amerika, das Übertragungsnetz eine knappe Ressource ist.
Die Methode, mit welcher der Umgang der Marktteilnehmer mit diesem Eng-
pass geregelt wird, ist allerdings grundsätzlich vom amerikanischen ISO-Ansatz
verschieden. In den skandinavischen Märkten gibt es jeweils nur einen Übertra-
gungsnetz- und Systembetreiber, der gleichzeitig Bilanzkoordinator ist. Das Über-
tragungsnetz ist in mehrere Regionen unterteilt, und bei Transporten von einer
Region in die andere wird eine Gebühr erhoben. Diese Gebühr ist rich-
tungsabhängig, d. h., sie belastet wirtschaftlich Transporte aus den Erzeugungs-
schwerpunkten in die Verbrauchszentren. Dadurch sind die Marktteilnehmer an-
gehalten, bevorzugt erzeugungsnah zu verkaufen und die Engpässe im Über-
tragungsnetz so wenig wie möglich in Anspruch zu nehmen. Anders als das
amerikanische System, das sowohl Mengenbegrenzungen als auch Preissteuerung
– denn begrenzte Ressourcen werden im Markt automatisch teurer als unbe-
grenzte – nutzt, setzen die skandinavischen Märkte also ausschl. auf finanzielle
Anreize, um Netzengpässe zu vermeiden.
146 3 Elektrizitätswirtschaft, Liberalisierung

3.7.5.4 Kontinentaleuropa
Eine weitgehende Marktöffnung und die zugehörige Marktorganisation haben auf
dem europäischen Kontinent, also im Übertragungsnetzbereich der UCTE, bis
zum Jahr 2005 die Niederlande, Deutschland und Österreich durchgeführt. Auf
Grund des im Verhältnis zu Verbrauchs- und Erzeugungsschwerpunkten starken
UCTE-Netzes gibt es in keinem dieser Märkte Lenkungsmaßnahmen, um
Netzengpässe zu vermeiden. Damit entsprechen die Märkte praktisch genau dem
allgemeinen Marktmodell. Die einzige Abweichung, allerdings von untergeord-
neter Bedeutung, ist, dass es in Deutschland nicht einen Übertragungsnetz- und
Systembetreiber gibt, sondern vier Unternehmen, die den Systembetrieb jeweils in
ihrer Regelzone führen. Da die Übertragungsnetzbetreiber über die einheitliche
Netznutzungsgebühr jedoch wirtschaftlich als ein Marktteilnehmer auftreten, ist
für die übrigen Marktteilnehmer der einzig wirklich relevante Unterschied zum
allgemeinen Modell, dass die Bilanzkreisverantwortlichen die Regelzonenim- und
-exporte an ihren Regelzonenbetreiber melden müssen und dass der
Bilanzausgleich innerhalb der vier Regelzonen erfolgen muss.
Zur Zeit im UCTE-Bereich noch nicht systematisch gelöst ist die Frage der
Abrechnung und der Handhabung der Netznutzung für internationale Handels-
vorgänge. Zwischen den nationalen Netzen Europas gibt es Engpässe, an denen
die Kapazitätsvergabe heute individuell, häufig über Auktionen geregelt ist.

3.7.5.5 Zusammenfassung internationaler Beispiele


Zum Abschluss des Abschnitts über wichtige internationale Liberalisierungsbei-
spiele fasst Tabelle 3.20 die wesentlichen Charakteristika der Märkte zusammen.
Es wird deutlich, dass nach gut zehn Jahren Erfahrung mit liberalisierten Elek-
trizitätsmärkten ein hohes Maß an Übereinstimmung zwischen den verschiedenen
Märkten besteht. Die verbleibenden Unterschiede sind praktisch alle mit den
besonderen Gegebenheiten der jeweiligen Länder zu erklären.

3.7.6 Erfahrungen in liberalisierten Märkten

Privatisierung und Liberalisierung der Elektrizitätsversorgung sind seit Beginn der


90er-Jahre in vielen Märkten vorangetrieben worden. In diesem letzten Abschnitt
zum Wettbewerb im Elektrizitätssektor werden die Folgen der Liberalisierung in
beispielhaften Ländern diskutiert. Tabelle 3.21 fasst qualitativ Beispiele der
Konsequenzen von Liberalisierung in den Marktrollen zusammen. Mit Ausnahme
der Reduktion der durchschnittlichen Preise direkt nach Marktöffnung und des
Anwachsens der Ausgaben für Informationstechnik gibt es praktisch keine
einheitlichen Folgen der Marktöffnung, da das Geschehen in starkem Maße von
der Ausgangssituation in den Märkten und dem Regelwerk abhängt.
3.7 Funktionsweise liberalisierter Elektrizitätsmärkte 147

Tabelle 3.19. Zusammenfassung internationaler Liberalisierungsbeispiele (grau unterlegt:


Übereinstimmung mit dem allgemeinen Marktmodell)

Rolle Kalifornien Großbritannien Skandinavien Deutschland


Pool NETA
Erzeugung Großhandels- Pool, bilate- Großhandels- Großhandels- Großhandels-
markt rale Verträge markt markt markt
Zentrale staatl. und Pool Börse Börse in Leip-
Märkte priv., Märkte (NordPool zig, Termin-
für Termin- und EL-EX und Spotmarkt;
und Spotge- in Finnland), Regelenergie-
schäfte, Aus- Termin- und märkte der
gleichs- Spotmarkt Systembetr.
energie
System- Unabh. Sy- National National Statnet, Fin- 4 Übertr.-Netz-
betrieb stembetr. Grid Grid Grid, Sven- betreiber mit
(ISO) Company Company ska Kraftnät Regelzonen
Bilanz- wie vor (entfällt) wie vor wie vor wie vor
koord.
Über- viele Einzel- National National wie vor 4 Netzbetreiber
tragungs- anbieter, Grid Grid treten als ein
netz reguliert Company Company Anbieter auf
Vertei- Monopol Monopol Monopol Monopol Monopol
lungsnetz
Aus- ISO als (entfällt) National Endkunden- Endkunden-
gleichs- Alleinabneh- Grid wettb. mit wettb. mit
energie mer, Balance Company, hinterlager- hinterlagertem
Responsibles Alleinab- tem Allein- Alleinabn.-
im Wettbew. nehmer abn.-Markt Markt
Endkun- uneingeschr. uneinge- uneinge- uneinge- uneinge-
denwett- möglich seit schränkt seit schränkt seit schränkt seit schränkt von
bewerb 1997, kom- 1999 1999 1999 Anfang an
munale Ent- (1998)
scheidung

Am deutlichsten wird dies in der Stromverteilung: In Ländern mit schlechtem


Netzzustand vor der Liberalisierung, führte die Einführung eines Regulators, der
im Monopolmarkt auch die Dienstleistungsqualität überwacht, in mehreren Län-
dern zu Investitionen vor allem im Verteilungsnetz, während die Investitions-
tätigkeit in Ländern mit (unwirtschaftlich) hohem Zuverlässigkeitsniveau prak-
tisch zum Erliegen kam. Sogar bei der Entwicklung der Preise gibt es erhebliche
Unterschiede bis hin zum Preisanstieg für einzelne Kundengruppen – nur die
integrale Preissenkung in der Anfangsphase allen Märkten gemeinsam
Die einzige Auswirkung in Tabelle 3.20, die nicht allein aus der Ausgangs-
situation und den Marktmechanismen erklärbar ist, ist das Entstehen des kalifor-
nischen Versorgungsengpasses in den Jahren 2000 und 2001. Er ist hauptsächlich
darauf zurückzuführen, dass in Kalifornien, trotz schon zu Beginn der Libe-
148 3 Elektrizitätswirtschaft, Liberalisierung

ralisierung knapper Erzeugungskapazität, nicht in ausreichendem Maße Neubau-


ten zugelassen wurden. Dies in Verbindung mit einer künstlichen Verknappung
der Importmöglichkeiten durch Begrenzung der Großhandelspreise auf zwar
hohem, aber während des Entstehens des Engpasses dennoch niedrigerem Niveau
als in den Nachbarstaaten führte zunächst zum Anstieg der Großhandelspreise bis
zu den festgelegten Grenzwerten und anschließend zur Verknappung elektrischer
Energie.

Tabelle 3.20. Beispiele für Auswirkungen der Liberalisierung von Elektrizitätsmärkten

Wirkungs- Voraussetzung Auswirkung Beispiele Anmerkungen


bereich
Erzeugung Monostruktur im Investitionen zur Groß- Großhandels-
Erzeugungsmix Verbesserung des britannien preisniveau muss
Primärenergiemix Investitionen
(Risikostreuung) zulassen
zu geringe Investitionen zwecks Süd- Alleinabnehmer-
Erzeugungs- Kapazitätsanpassung amerika oder Großhan-
kapazität delsmärkte
keine Investitionen, Kalifornien Endkundenwett-
Preisanstieg, Versor- 2001 bewerb, zu stark
gungsengpässe regulierter Markt
Überkapazität Erliegen der Deutsch-
bei voller Investitionstätigkeit land
Marktöffnung
Fragmentierung Marktkonsolidierung, Deutsch-
Fusionen land
Übertragung, Zuverlässigkeit Investitionen wegen Groß-
Verteilung unter Regula- Aufsicht durch britannien,
torforderung Regulator USA
hohe Zuver- Minimierung der Deutsch-
lässigkeit Investitionstätigkeit land
Informations- starker Ausbau
technik
Großhandels- Anfangsphase starke Senkung, oft Fehlende
preise nahe variabler Kosten Werkzeuge
wenn Markt Erholung, angemes- Professiona-
funktioniert sene lisierung
Fixkostendeckung
Endkunden- stärkere kann zu Erhö-
preise Marktkonformität, hungen und Sen-
weniger Quer- kungen führen
subventionierung

Verschärft wurde das Problem dadurch, dass auch die Elektrizitätspreise für
Kleinkunden gesetzlich nach oben begrenzt waren, so dass große
3.7 Funktionsweise liberalisierter Elektrizitätsmärkte 149

Energiedienstleister in Konkurs gingen. Dies alles ist aber kein Beispiel für Risi-
ken von Wettbewerbsmärkten, sondern allenfalls für inkonsistente Regulierung.
Im Folgenden werden zwei Gruppen von Auswirkungen detaillierter betrachtet.
Am Beispiel der Marktöffnung in Deutschland werden das Kundenverhalten und
die Entwicklung der Preise für Endkunden und im Großhandelsmarkt diskutiert.
Anschließend werden Beispiele von Übergangseffekten vorgestellt, die nach der
Marktöffnung auftraten, und der Umgang mit ihnen erläutert.

3.7.6.1 Auswirkungen der Liberalisierung auf Preise und Kunden-


verhalten
Am schnellsten reagiert der Großhandelsmarkt auf die Liberalisierung, da er
meist, zumindest für eine geschlossene Gruppe von Teilnehmern, bereits vor der
Marktöffnung existierte, und er außerdem wegen der vergleichsweise großen und
wenigen Transaktionsvolumina auch keine besonders aufwendige Marktinfra-
struktur benötigt. Abb. 3.52 zeigt die Entwicklung von Handelsvolumen und
Preisen an der European Energy Exchange in Leipzig seit Anfang des Jahres
2002. Zu dieser Zeit hatte der deutsche Elektrizitätsmarkt die häufig nach einer
Marktöffnung zu beobachtende erste Phase bereits abgeschlossen, in der ohne ge-
eignete Werkzeuge und Informationen versucht wird, Marktanteile unter Inkauf-
nahme niedriger Preise zu halten. Dennoch war der Großhandelspreis Anfang
2002 noch recht niedrig. Erst in den Jahren 2003 und 2004 stiegen die Preise auf
ein Niveau, das auch Neuinvestitionen im Kraftwerkssektor rechtfertigte. Der
weitere Preisanstieg im Jahre 2005 wir allgemein auf die Einbeziehung der Preise
für die zu dieser Zeit neu eingeführten CO2-Emissionszertifikate zurückgeführt.
Uneinheitlich ist die Annahme der Möglichkeiten des liberalisierten Marktes
durch die Endkunden. Abb. 3.53 zeigt die Entwicklung der Wechselraten bei
Haushaltskunden in verschiedenen liberalisierten Märkten. Deutlich fällt auf, dass
die Wahlfreiheit in der Telekommunikation wesentlich stärker genutzt wird als bei
den leitungsgebundenen Energien. Ein Grund dafür ist sicherlich die einfache
Handhabung im Call-by-Call-Verfahren, für das es in der Elektrizitätswirtschaft
kein Analogon gibt. Das Interesse an der Wahl des Elektrizitätslieferanten ist
insgesamt niedrig. Selbst die nicht sehr hohen Vorhersagen für den Wechselstand
am Ende des Jahres 2000 in Deutschland und Schweden wurden nicht erreicht.
Die höheren Raten sowohl im Gas- als auch im Elektrizitätsmarkt Großbritanniens
lassen auf eine grundsätzlich andere Haltung der Haushaltskunden zu ihren
Versorgern schließen als in Deutschland und Skandinavien, wo, bedingt durch das
sehr starke kommunale Engagement in der Versorgung, eine hohe Loyalität zu
den Versorgungsunternehmen besteht. Nicht übersehen werden darf außerdem,
dass zusätzlich zu den in Abb. 3.53 gezeigten „echten“ Wechseln ein erheblicher
Teil der Haushaltskunden bei ihrem alten Lieferanten günstigere Verträge gewählt
haben, was effektiv die Zahl der Kunden erhöht, welche die Möglichkeiten der
Liberalisierung genutzt haben.
150 3 Elektrizitätswirtschaft, Liberalisierung

12.000 100
Grundlast
90

Durchschnittspreis (EUR/MWh)
Spitzenlast
10.000
Grundlastpreis 80
Monatsvolumen (GWh).

Spitzenlastpreis
70
8.000
60
6.000 50
40
4.000
30
20
2.000
10
0 0

02 02 02 02 03 03 03 03 04 04 04 04 05 05 05 05 06 06
an pr ul kt an pr ul kt an pr ul kt an pr ul kt an pr
J A J O J A J O J A J O J A J O J A
Abb. 3.52. Entwicklung von Handelsvolumen und Preis an der European Energy
Exchange in Leipzig seit Anfang 2002

Trotz der geringen Wechselraten im Haushaltskundenbereich sind deshalb die


Preisänderungen auch in diesem Segment erheblich. Verbraucherseitig verlief
z. B. die Zeit nach der Marktöffnung in Deutschland folgendermaßen: Gewerbe-
und Industriekunden haben sofort Gebrauch von ihrer Wahlfreiheit gemacht - die
ausgehandelten Preise lagen bis zu 40 % unter den vor der Marktöffnung gültigen.
Grundsätzlich wurden nur noch Verträge mit kurzer Laufzeit abgeschlossen, die
zwischenzeitlich oft monatlich neu verhandelt wurden. In diesem Segment war
der Markt nach der Öffnung von den Kunden getrieben.

40%
Schätzungen Ende 2000 Ende 2001 Deutschland Festnetz
35% (von Anfang 2000): Großbritannien Gas
Schweden 10 % Großbritannien Strom
Deutschland 5 %
30% Norwegen Strom
Schweden Strom
Ende 1999 Ende 1999
Deutschland Strom
25%
Wechselanteil

20%

Ende 2001
15%
Ende 1999

10%

5% Ende 2001
Ende 2002
0%
0 12 24 36 48 60
Wettbewerbsdauer in Monaten

Abb. 3.53. 19Wechselanteil bei Haushaltskunden in verschiedenen Märkten [3.9]


3.7 Funktionsweise liberalisierter Elektrizitätsmärkte 151

Etwa ein Jahr nach der deutschen Marktöffnung gab es im Sommer 1999 nach
einigen erfolglosen Versuchen neuer Anbieter die ersten Angebote für Haushalts-
kunden, die nicht nur Energie, sondern auch die Netznutzung umfassten und so
für die Endkunden erstmals praktikabel waren.

Das Angebot 19/19 (DM 19 monatliche Grundgebühr und DM 0,19/kWh


verbrauchsabhängiger Preis) des ersten bundesweit aktiven Anbieters lag im
Durchschnitt 23 % unter den bis dahin gültigen Preisen (Abb. 3.54). Es war selbst
beim damaligen, sehr niedrigen Großhandelspreis kaum kostendeckend (Abb.
3.55). Trotzdem blieb die Wechselbereitschaft gering. Bis Mai 2000 hatten nur
etwa 200.000 Kunden das Angebot angenommen, bis zum Ende des Jahres 2000
waren es nach weiterer intensiver Werbung rund 800.000. Ein Grund dafür war
sicherlich, dass viele lokale Anbieter auf die Angebote der bundesweit agierenden
Unternehmen mit Preissenkungen reagierten und so den Wechselanreiz
reduzierten. Alles in allem ist festzuhalten, dass der Haushaltskundenmarkt im
Gegensatz zum Gewerbe- und Industriekundenmarkt praktisch ausschl. von den
Anbietern getrieben ist.

25,00
max. Senkung:
Großfamilie, -28 %

20,00

15,00
€ ct./kWh

EVU, Single-Haushalt (1600 kWh/a)


EVU, Durchschnittshaushalt (3500 kWh/a)

10,00 EVU, großer Familienhaushalt (6000 kWh/a)


NA, Single (1600 kWh/a), Region 1
NA, Single (1600 kWh/a), Region 2
NA, Durchschnitt (3500 kWh/a), Region 1
5,00
NA, Durchschnitt (3500 kWh/a), Region 2
NA, Großfamilie (6000 kWh/a), Region 1
NA, Großfamilie (6000 kWh/a), Region 2
0,00
1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006

Abb. 3.54. Entwicklung der Strompreise für Haushaltskunden in Deutschland [3.9]

Im Laufe des Jahres 2000 fand auch in diesem Segment, wie bereits beim
Großhandel beobachtet, eine Professionalisierung statt, die den Preisverfall been-
dete. Dies wird an der in Abb. 3.54 gezeigten Preisentwicklung eines sogenannten
neuen Anbieters (NA) seit dem Jahre 2001 deutlich.
152 3 Elektrizitätswirtschaft, Liberalisierung

Insbesondere fällt auf, dass der Tarif seit dem Jahre 2003 regional differenziert
wird. Damit ist es möglich, auf Unterschiede in den Netznutzungsgebühren und
auf die regionale Wettbewerbssituation einzugehen. Allerdings setzt dies auch die
Bereitstellung geeigneter Informationen durch die Netzbetreiber für ein
solchermaßen differenziertes Angebot voraus. Es ist davon auszugehen, dass diese
Bedingung in den Jahren bis 2002 nicht ausreichend erfüllt war, weshalb der neue
Anbieter in dieser Phase mit einem Einheitstarif operiert hat.
Zusammen mit der von der deutschen Bundesregierung 1999 und 2000 ein-
geführten Ökosteuer und der Umlage der Förderung von regenerativen Energie-
quellen und Kraft-Wärme-Kopplung auf alle Elektrizitätskunden hat die zuneh-
mende Professionalisierung der Energiedienstleister dazu geführt, dass die Preis-
senkungen der Jahre 1999 und 2000 für Haushaltskunden seit dem Jahr 2002
praktisch wieder annulliert sind. Außerdem ist zu dieser Zeit der Wettbewerb um
Haushaltskunden fast vollständig zum Erliegen gekommen, da die Anbieter nicht
mehr willens sind, die angesichts des geringen Interesses der Endkunden unver-
hältnismäßig hohen Akquisitionskosten zu tragen. Dies ist im Übrigen eine Ent-
wicklung, die auch aus anderen bekannt ist. Dort findet das Angebot an Haus-
haltskunden praktisch nur noch als Verbundvertrieb mit anderen Produkten im
sog. Cross-Selling statt.

14

12

10

8
€ ct./kWh

0
Netznutzungs-
Erzeugungs-

Bruttomarge
Bruttopreis

Nettopreis
Ökosteuer
MWSt

Konzessions-

Vertriebs-

Deckungs-
kosten
gebühren

beitrag
abgabe

preis

-2

Abb. 3.55. Geschätzte Margen beim Preisniveau eines bundesweit aktiven neuen
Anbieters für Haushaltskundenstrom und Großhandelspreisen des Jahres 1999 bei einem
Verbrauch von 3500 kWh/a (nach [3.9])
3.7 Funktionsweise liberalisierter Elektrizitätsmärkte 153

Abschließend kann nach den bisherigen Erfahrungen gesagt werden, dass die
in den Anfangsphasen der Liberalisierung von Elektrizitätsmärkten durchgängig
erreichten Preissenkungen die Vermutung nahelegen, dass das Ziel der Effizienz-
steigerung durch Liberalisierung tatsächlich erreicht wird. Allerdings folgte in
allen liberalisierten Märkten auf eine Phase deutlicher Preissenkungen am Anfang
ein Wiederanstieg der Preise – für die durchschnittlichen Haushaltskundenpreise
in Deutschland, Großbritannien und Schweden zeigt dies beispielhaft Abb. 3.19.
Auch wenn hinter dieser Preisentwicklung Treiber stehen können, die nichts
mit der Liberalisierung zu tun haben – beispielsweise Steuern und Abgaben oder
die Primärenergiepreise -, stellt sich die Frage, ob die Effizienzgewinne
nachhaltig sind. Speziell im Hinblick auf den Haushaltskundensektor weisen die
insgesamt niedrigen Preissenkungen wie auch die Aufschlüsselung in Abb. 3.55
darauf hin, dass in diesem Sektor der mit Abstand größte Kostenblock die Netz-
nutzungsgebühren sind, die vom direkten Wettbewerbsdruck ausgenommen sind.
In keinem Markt gab es nach der Liberalisierung ernste Probleme bei der
Systemführung. Befürchtungen, die Umstellung der zentralen Betriebsplanung auf
einen marktwirtschaftlich dominierten Prozess gefährde die Versorgungs-
sicherheit, erwiesen sich zumindest im Hinblick auf den Systembetrieb als gegen-
standslos. Allerdings kam es im Jahre 2003 in Nordamerika und verschiedenen
europäischen Staaten zu Großstörungen bisher unbekannten Ausmaßes. Die
bekanntesten sind der Stromausfall im Nordosten der USA am 14. August und der
vollständige Ausfall der italienischen Stromversorgung in der Nacht des 28.
September.

18,0

16,0

14,0 Deutschland
Großbritannien
€ ct./kWh

Schweden
12,0

10,0

8,0 Wettbewerbsbeginn
(nicht Marktöffnung!) im Jahresverbrauch 3.500 kWh
Privatkundenbereich
6,0

97 97 98 98 98 98 99 99 99 99 00 00 00 00 01 01 01 01
p ez rz n p z rz un ep ez rz n p z rz un ep ez
Se D M Ju Se De M J S D M Ju Se De M J S D

Abb. 3.56. Entwicklung der durchschnittlichen Preise in Deutschland, Schweden und


Großbritannien nach Einsetzen des Wettbewerbs im Haushaltskundensektor
154 3 Elektrizitätswirtschaft, Liberalisierung

Die anschließend durchgeführten Analysen belegten neben einer Vielzahl


individueller Ursachen die Notwendigkeit leistungsfähigerer Informationssysteme
für die Systembetreiber in liberalisierten Märkten und warfen die Frage auf, wie
langfristig der angemessene Ausbau der Übertragungsnetze in liberalisierten
Märkten sichergestellt werden kann.

3.7.6.2 Übergangseffekte
Neben den in Abschnitt 3.7.6.1 besprochenen Auswirkungen von Privatisierung
und Liberalisierung auf Preise und Kundenverhalten gibt es auch Folgen, die sich
aus der Anpassung der vor der Liberalisierung nicht immer ausschließlich nach
marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten aufgebauten Versorgungssysteme an die
Marktbedingungen ergeben. Diese Übergangseffekte bedeuten meist Härten für
einzelne Marktteilnehmer. Teilweise sind sie politisch unerwünscht und rufen
Gegenmaßnahmen in Form neuer Gesetze hervor. In diesem Abschnitt werden
einige Beispiele solcher Übergangserscheinungen vorgestellt und erläutert, ob und
was man gegen sie unternommen hat.
x „Stranded Investments“: In vielen Märkten sind in der Monopolzeit lang-
fristige Investitionen, die einer strengen, rein marktwirtschaftlichen Überprü-
fung nicht standgehalten hätten, entweder im Vertrauen darauf getätigt worden,
dass ihre Nutzbarkeit sichergestellt sei, oder weil sie politisch erwünscht
waren. Hierzu zählt z. B. der Ersatz der ostdeutschen Braunkohlekraftwerke
nach der Wiedervereinigung, der dazu führte, dass das verantwortliche Unter-
nehmen VEAG im Anschluss außerordentlich hohe Abschreibungen hatte.
Speziell im europäischen Umfeld mit deutlicher Überkapazität in der Erzeu-
gung wäre eine solche Entscheidung unter Wettbewerbsbedingungen sicher
nicht getroffen worden. Die politischen Reaktionen auf solche Situationen sind
unterschiedlich: In den USA sind den betroffenen Unternehmen in einem
Übergangszeitraum die Stranded Investments erstattet worden. Die dazu benö-
tigten Mittel wurden als Aufschlag auf den Strompreis erhoben. Dies führte
dazu, dass viele Kunden in der Übergangszeit höhere Strompreise hatten als
vor der Liberalisierung. Auch in anderen Ländern wird die staatliche
Übernahme der Stranded Investments diskutiert.
In Deutschland wurde, obwohl, wie obiges Beispiel zeigt, das Problem
durchaus existierte, zunächst kein Eingriff vorgesehen. Später wurde den
betroffenen Unternehmen eine beschleunigte Abschreibung zugestanden. Da
dies auch höhere Kosten bedeutete, wurde diese Regelung mit einem befri-
steten Wettbewerbsschutz für das Versorgungsgebiet kombiniert. Deren Ein-
haltung war jedoch unter den Randbedingungen des bereits etablierten Wett-
bewerbs nicht mehr sicherzustellen, so dass sich das Maßnahmenpaket letztlich
als wenig wirksam erwies.
x Ausbau des Kraftwerkparks in Europa: In einem funktionierenden Wettbe-
werbsmarkt stellt sich die Produktionskapazität so ein, dass die am wenigsten
eingesetzten Anlagen mit ihrer Auslastung gerade noch ihre Fixkosten decken
können. Weitere Zubauten finden nur statt, wenn die Einsparung an variablen
Kosten die Neuinvestition rechtfertigt. Im europäischen Erzeugungssektor war
3.7 Funktionsweise liberalisierter Elektrizitätsmärkte 155

allerdings unter Monopolbedingungen eine deutlich höhere Kapazität installiert


worden als demnach zu rechtfertigen gewesen wäre – teilweise aus nationalen
Sicherheitserwägungen, teilweise, weil Anlagen, die eigentlich nicht mehr
wettbewerbsfähig waren, nicht stillgelegt wurden. Nach der Marktöffnung
bedeutete dies, dass es eine marktprägende Anzahl alter, vollständig
abgeschriebener Anlagen gab, die zwecks wenigstens partieller Deckung ihrer
Fixkosten nahe an ihren Grenzkosten angeboten haben. Damit ließen sie keinen
Raum für Investitionen in neue, modernere Anlagen. Untersuchungen aus der
Zeit der Marktöffnung kamen zu dem Ergebnis, dass es rund 10 Jahre dauern
würde, bis durch Stillegungen das eingangs beschriebene Gleichgewicht
erreicht werde und an sich normale Modernisierungsinvestitionen wieder
finanzierbar sein würden [3.17]. Dieser Vorgang ist ein normaler An-
passungsprozess, der beim Übergang zu einem Wettbewerbsmarkt erforderlich
ist. Die Preisentwicklung an den europäischen Großhandelsmärkten für elek-
trische Energie seit dem Jahre 2003 (s. Abb. 3.18) hat im übrigen zur Folge
gehabt, dass die Erneuerung des Kraftwerksparks deutlich früher begonnen hat,
als zu Beginn der Liberalisierung erwartet.
x Förderung von Kraft-Wärme-Kopplung und regenerativen Energien in
Deutschland: Spätestens seit der Ölkrise in den 70er-Jahren ist in Deutschland
der Ausbau der Kraft-Wärme-Kopplung politisch stark vorangetrieben worden.
Dabei sind mitunter auch Anlagen gebaut worden, die einer wirtschaftlichen
Überprüfung unter den heutigen Wettbewerbsbedingungen nicht standhalten.
Kraft-Wärme-Kopplung stand auf der Wärmeseite auch schon vor der
Liberalisierung des Elektrizitätsmarkts im Wettbewerb, der preisbestimmend
für die Wärmeabgabe war. Der Strompreis konnte im Monopolmarkt dazu
genutzt werden, die Gesamtwirtschaftlichkeit sicherzustellen. Diese
Möglichkeit besteht im liberalisierten Markt nur noch, falls der so erzielte
Strompreis wettbewerbsfähig ist. Dies war zwar grundsätzlich möglich, traf
aber nicht bei allen gebauten Anlagen zu. Noch schwieriger war die Situation
bei Windkraft- und Solarenergieanlagen, die zur Monopolzeit dadurch unter-
stützt wurden, dass die Versorgungsunternehmen zur Abnahme der erzeugten
Energie auf Kostenbasis verpflichtet waren – eine Vorgehensweise, die
einzelne Unternehmen stark belastete und sich somit nicht mit dem in Wett-
bewerbsmärkten unerlässlichen Grundsatz der Diskriminierungsfreiheit ver-
trägt. Für beide Fälle hatte der deutsche Gesetzgeber in der Novellierung des
Energiewirtschaftsgesetzes von 1998 keine Vorkehrungen getroffen, weshalb
betroffene Erzeugungsanlagen nach der Marktöffnung erhebliche wirtschaft-
liche Probleme hatten. Als Gegenmaßnahme traten Anfang 2000 Gesetze zur
Förderung von Kraft-Wärme-Kopplung (KWK-Gesetz) [3.14] und erneuer-
baren Energiequellen (EEG) [3.12] in Kraft.
Beide Gesetze schreiben vor, dass die Netzbetreiber Strom aus Kraft-
Wärme-Kopplung und erneuerbaren Energien abnehmen müssen – und zwar
alle, unabhängig davon, ob es in ihrem Netz überhaupt Einspeisung gibt. Die
bundesweite Erzeugung aus den unterstützten Anlagen wird so auf alle Netze
verteilt, die entstehenden Kosten über die Netznutzungsgebühr an die End-
kunden weitergegeben. Praktisch bedeutet dies, dass der Wettbewerbsmarkt um
156 3 Elektrizitätswirtschaft, Liberalisierung

die Erzeugung der unterstützten Anlagen verkleinert wird, dass aber kein
Anbieter im Wettbewerbsmarkt benachteiligt wird.
Unterschiede zwischen den beiden Gesetzen gab es in der Dauer der Unter-
stützung: Das ursprüngliche KWK-Gesetz war bis max. Ende 2004 befristet,
die Unterstützung von KWK-Anlagen wurde bis dahin jährlich verringert.
Damit handelte es sich zunächst um ein typisches Gesetz zur Förderung einer
Anpassung, dessen Anlass idealerweise während der Laufzeit entfällt. Das erste
KWK-Gesetz wurde zum 1. April 2002 durch ein neues KWK-Gesetz [3.13]
abgelöst, das im Rahmen des Nationalen Klimaschutzprogramms der
Bundesrepublik Deutschland die weitere, differenzierte Förderung ausgewähl-
ter KWK-Technologien regelte. Dies stellte den Übergang von einem Anpas-
sungsgesetz zu einem Technologiefördergesetz dar.
Das Gesetz zur Förderung erneuerbarer Energien war von vorneherein nicht
zeitlich befristet, und es gibt auch keinen fest vorgeschriebenen Reduk-
tionsmechanismus der Förderung. Statt dessen ist ihre regelmäßige Über-
prüfung und Anpassung an den technischen Fortschritt vorgesehen. Damit
handelt es sich hier um ein typisches Fördergesetz, das eigentlich keinen
liberalisierungsbedingten Übergang steuert.

Die Beispiele haben verdeutlicht, welche Arten von Übergangseffekten nach


Liberalisierungen auftreten und wie damit umgegangen wird. Da die Übergangs-
effekte grundsätzlich sehr marktspezifisch sind, gibt es viele weitere Beispiele.
Allen gemeinsam ist, dass die Gegenmaßnahmen oft reaktiv sind, weil nicht alle
unerwünschten Entwicklungen vorhergesehen werden können. Deshalb ist jede
Liberalisierung in ihren ersten Jahren auch mit starker Re-Regulierung verbunden.
In diesem Prozess werden politische Ziele, die unter Monopolbedingungen
verhältnismäßig einfach vorgegeben werden konnten, in marktverträgliche Regeln
„übersetzt“.
3.8 Risikomanagement in der Elektrizitätswirtschaft 157

3.8 Risikomanagement in der Elektrizitätswirtschaft

Das Risikomanagement hat die Aufgabe, die wirtschaftlichen Tätigkeiten des


Unternehmens mit der Risikobereitschaft des bzw. der Eigentümer in Einklang zu
bringen. Ein umfassendes Risikomanagement bedingt, dass neben der operativen
Tätigkeit auch die Unternehmensstrategie und deren Umsetzung einbezogen wer-
den. Die Umsetzung erfolgt i.d.R. über Projekte.
Vor diesem Hintergrund wurde der aktuelle Stand (April 07) von Wissenschaft
und Praxis des Konzernrisikomanagements analysiert und in diesem Kapitel zu-
sammengefasst, wobei bei der Erstellung ausschließlich die geltenden gesetzlichen
Regelungen in der Schweiz berücksichtigt wurden. Die praktischen Beispiele
basieren auf den Arbeiten der Cigré-Task Force 38-05-12 [3.7].
Für den Aufbau des Risikomanagements, drängt sich die folgende Reihenfolge
auf:
1. Definition und Umsetzung des Risikomanagement-Prozesses. Er garantiert,
dass die Risiken identifiziert, bewertet, gesteuert und überwacht werden.
Dieser Prozess kann sowohl für die operative Tätigkeit, die Unternehmens-
strategie und für die Projekte angewendet werden.
2. Absicherung der aggregierten Unternehmensrisiken mit Risikokapital und
risikoorientierte Ertragssteuerung von operativen Einheiten. Dabei wird
i.d.R. der Bezug auf ein Geschäftsjahr gemacht.
3. Definition und Umsetzung von weiteren Themen des Risikomanagements,
wie Erhöhung der Planungssicherheit, Erhöhung des Zielerreichungsgrades
und das Chancenmanagement

3.8.1. Anforderung an die Unternehmensführung

Aktuell sind keine gesetzlichen Regelungen bekannt, die der Elektrizitätswirt-


schaft vorschreiben, dass sie ein Risikomanagement zu betreiben hat bzw. wie
dieses ausgestaltet sein muss. Geprüft wurden insbesondere das Schweizer Obliga-
tionenrecht, SWISS GAAP FER , SWX Richtlinien und IAS/IFRS. Es gibt jedoch
eine gültige (SWX RLCG) und zwei in 2007 (IFRS 7) und 2008 (OR) gültig wer-
dende Veröffentlichungsvorschriften, wonach die Unternehmen im Anhang zum
Jahresabschluss Angaben zu ihrer Risikoposition machen müssen. Gleichzeitig
müssen sie angeben, wie mit diesen Risiken umgegangen wird.
Die Idee dahinter ist, dass Risikomanagement immer individuell auf die Gege-
benheiten eines Unternehmens zugeschnitten sein muss. Es kann nicht durch all-
gemein gültige Gesetze geregelt werden. Durch die Veröffentlichungsvorschriften
soll über den Markt Druck auf die Unternehmen ausgeübt werden, ein für alle
Stakeholder des Unternehmens angemessenes Risikomanagement einzuführen.
Wenn Unternehmen relevanten Risiken unterliegen, jedoch angeben, dass diese
nicht gemanaged werden, sollen Banken, Investoren und Aktionäre auf ein geeig-
netes Risikomanagement hinwirken.
158 3 Elektrizitätswirtschaft, Liberalisierung

Für ein Unternehmen bedeutet dies, dass es aus den geltenden und kommenden
Veröffentlichungspflichten nur Minimalanforderungen für sein Risikomanage-
ment ableiten kann. Wichtiger ist, in Abstimmung mit seinen Stakeholdern (Akti-
onäre, Banken, Kunden, Mitarbeitern, etc.) eine angemessene Risikostrategie zu
erstellen und umzusetzen.
Risikomanagement bringt Transparenz in das was wir tun, und hilft dem Mana-
gement und den Mitarbeitern, sich vor unliebsamen Überraschungen zu schützen.

• Steigende Komplexität und


Komplexität Wettbewerbsintensität
(Technologie und Marktöffnung)
ng
ru
eue • Höhere Anforderungen an Transparenz und
t
ss
en Kontrollsystem (nationale Gesetzgebung,
m
eh Bankenaufsicht)
rn
n te
U • Zunehmende Wertorientierung
an (Kapitalrentabilität, Shareholder-Value-
n
ge
un ng Orientierung)
e r eru
rd s steu
fo en
An hm • Wachsende Kapitalmarktorientierung
rne
r Unte (Rating)
it zu
igke
Fäh • Rechnungslegungssdandards (IAS, IFRS)
Zeit • Steuerrechtliche Implikationen
(Transfer Pricing, internationale Tätigkeiten)

Abb. 3.57. Risikomanagement hilft, die Schere zwischen Anforderung und Fähigkeiten
zur Unternehmenssteuerung zu schließen.

3.8.2. Enterprise Risk Management (Theorie)

Bei Energieversorgern entwickelt sich Risikomanagement traditionell zunächst in


Form von Insellösungen in einzelnen Geschäftsfeldern und für einzelne Risikoar-
ten. Das Marktpreis- und Kreditrisiko im Handel werden meist als erstes gemana-
ged. Ähnliche Risiken in anderen Geschäftsbereichen werden jedoch entweder gar
nicht oder über andere Ansätze/Methoden gemanaged. Es erfolgt keine Aggrega-
tion der Risiken und damit kein portfolioorientiertes Managen der Gesamtrisiko-
situation eines Unternehmens.
Der aktuelle Trend im Risikomanagement geht zu so genannten Enterprise Risk
Management-Ansätzen. Dabei werden alle Risiken eines Unternehmens, egal
welcher Risikoart und aus welchem Geschäftsfeld, erfasst, einheitlich bewertet,
unter Berücksichtigung von Portfolioeffekten aggregiert und ganzheitlich gema-
naged.
Im Jahre 2004 hat “The Committee of Sponsoring Organizations of the Treadway
Commission” (COSO) ein Enterprise Risk Management Framework heraus gege-
ben. Die COSO ist eine private Kommission, die das Ziel verfolgt die Qualität des
Finanzreportings durch ethisches Verhalten im Geschäftsleben, effektive interne
Kontrollen und Corporate Governance zu verbessern.
3.8 Risikomanagement in der Elektrizitätswirtschaft 159

Was Enterprise Risk Management ausmacht, kann am Besten anhand der Definiti-
on der COSO erläutert werden.
Definition von Enterprise Risk Management (ERM) gemäß COSO:
„Ein Prozess beeinflusst vom Vorstand eines Unternehmens, dem Management
sowie dem übrigen Personal, angewandt in der Strategiefestlegung und im ganzen
Unternehmen, designed, um mögliche Ereignisse, die das Unternehmen beeinflus-
sen, zu identifizieren.
Stellt einen Rahmen auf, um Risiken eines Unternehmens so zu managen, dass sie
den definierten Risikoappetit nicht überschreiten, und bietet angemessen Sicher-
heit hinsichtlich der Erreichung der Unternehmens-Ziele.“
ERM ist ein Prozess, d.h. keine Einmalaktion, sondern eine Serie von Handlun-
gen, die in alle wichtigen Steuerungs-, Management-, und operativen Prozesse des
Unternehmens integriert sein sollten. Durch ERM werden Risiken bei der Bewer-
tung strategischer Alternativen über den Planungsprozess, die Kapitalallokation
bis hin zur Produktion berücksichtigt. ERM muss vom Vorstand bis zum Mitarbei-
ter eines Unternehmens gelebt werden. ERM erfordert eine Portfoliobetrachtung
aller Risiken des Unternehmens und sorgt dafür, dass sie im Rahmen des strate-
gisch definierten Risikoappetits bleiben. Gut designed und durchgeführt, hilft
ERM der UL, die Unternehmensziele mit angemessener Sicherheit zu erreichen.
Ein integriertes Risikomanagement liegt vor, wenn sämtliche Risiken in einem
Unternehmen über alle Geschäftsfelder und Risikoarten hinweg konsistent bewer-
tet, unter Berücksichtigung von Korrelationen aggregiert, gemanaged und berich-
tet werden. Integriertes Risikomanagement bedeutet nicht zentralisiertes Risiko-
management. Auch bei einem integrierten Risikomanagement sind die Geschäfts-
felder weiterhin an der Identifikation, Bewertung und dem Management von Risi-
ken beteiligt. Es gibt jedoch eine zentrale Instanz über den Geschäftsfeldern, die
die Daten nutzt, um eine integrierte Perspektive auf die Unternehmensrisiken zu
erzeugen.

3.8.2.1. Nutzen von ERM

Integriertes Risikomanagement bietet gegenüber einem auf Insellösungen für


einzelne Risikoarten oder Geschäftsfelder basierenden Risikomanagement folgen-
de Vorteile:
Ausnutzung von Portfolioeffekten
Netting
Wenn ein Geschäftsfeld eine long Position von 1 TWh hat und ein anderes 1
TWh short ist, dann entstehen unnötige Absicherungskosten, wenn beide Ge-
schäftsfelder ihre Risiken getrennt absichern. Bei einem integrierten Risiko-
management werden diese Risiken konsolidiert und nur das verbleibende Risi-
ko (in diesem Fall: 0) abgesichert.
160 3 Elektrizitätswirtschaft, Liberalisierung

Diversifikation
Aufgrund von Korrelationen kann das Gesamtrisiko eines Unternehmens we-
sentlich geringer sein als die Summe seiner Einzelrisiken. Ohne integriertes
Risikomanagement kann zwar jedes Einzelrisiko eines Unternehmens optimal
abgesichert sein, das Gesamtrisiko jedoch nicht. Es besteht die Gefahr, dass
Risikokapital ineffizient eingesetzt wird. Die Quantifizierung der Korrelatio-
nen zwischen verschiedenen Einzelrisiken befindet sich jedoch noch in einem
frühen Stadium.
Relative Risikoeinschätzung
Erst durch die integrierte Sicht auf die Unternehmensrisiken kann ein Unterneh-
men erkennen, welche Risiken besonders wichtig sind, um sich auf deren Mana-
gement zu konzentrieren.
Geschäftsfeldübergreifende Kommunikation
Ein integriertes Risikomanagement legt den Grundstein für ein unternehmensein-
heitliches Verständnis und Management von Risken und Chancen.
Vermeidung von ungewollten Risiken
Handel und Vertrieb arbeiten z.T. mit denselben Gegenparteien. Wird einer Ge-
genpartei im Handel aufgrund einer Bonitätsanalyse ein Maximales Limit x einge-
räumt, so muss sichergestellt werden, dass dieses Limit nicht durch Geschäfte im
Vertrieb überschritten wird. Eine zentrale RM-Instanz kann hier Prozesse aufset-
zen, durch welche die Maximallimite für Einzelkunden auf die Geschäftsfelder
aufgeteilt und getrennt überwacht werden.
Besseres Risikomanagement bei Geschäftsfeld übergreifenden Risiken
Nur eine zentrale RM-Instanz kann Maßnahmen zur Reduktion der Eintrittswahr-
scheinlichkeit und Schadenhöhe von Risiken, die mehrere Geschäftsfelder betref-
fen, koordinieren.
Kostenvorteile durch Abstimmung mit IKS und anderen gesetzlichen/ regulatori-
schen Anforderungen
Ein integrierter Risikomanagement-Ansatz kann gesetzliche Vorschriften sowie
das IKS berücksichtigen und verhindert damit verschiedene Insellösungen mit sich
überschneidenden Aktivitäten.

3.8.2.2. Risikopolitik
Die Risikopolitik ist ein Konzept, in dem die Rahmenbedingungen für ein effi-
zientes Risikomanagement in einem Unternehmen festgelegt werden. Die Risiko-
politik stellt sicher, dass alle Risiken unternehmensweit nach einheitlichen Richt-
linien gemanaged werden. Abhängig vom Unternehmen kann es eine Konzern-
Risikopolitik geben und dann eine je Geschäftsfeld, die die Behandlung aller Risi-
koarten des Geschäftsfeldes regelt, oder eine je Risikoart über alle Geschäftsfelder
hinweg. Auch Mischformen sind denkbar. Über die Konzernrisikopolitik oder
3.8 Risikomanagement in der Elektrizitätswirtschaft 161

über die Koordination durch das Konzernrisikomanagement muss jedoch sicher-


gestellt werden, dass gleichartige Risiken konzernweit einheitlich gemanaged
werden.
Die Risikopolitik beschreibt z.B.:
- Den Prozess für die Festlegung des Risikoappetits
- Den quantifizierten Risikoappetit
- Die aus dem Risikoappetit abgeleitete Limitstruktur (Limitenbaum)
- Die Organisationsstruktur des Risikomanagements inkl. Rollen und Verant-
wortlichkeiten
- Den Prozess zur/ zum Risikoidentifikation, Risikobewertung, Risikoaggre-
gation, Risikomanagement, Risikoüberwachung, Risikoreporting
Durch die Dokumentation der Limitenstruktur delegiert die Risikopolitik die Au-
torität Risiken einzugehen auf die einzelnen Organisationsstufen, was eine ihrer
wichtigsten Aufgaben ist.
Da der Risikoappetit und die Ableitung der Limitstruktur eher zu den Rahmenbe-
dingungen des Risikomanagements zählen, werden sie nachfolgend beschrieben.
Die Risiko Governance-Struktur und die Elemente des Risikomanagement-
Prozesses werden weiter unten in eigenen Kapiteln beschrieben.
Risiko-Appetit & Risiko-Tragfähigkeit
Die reale Welt ist eine Welt von Risiken. Jede Aktivität ist mit Risiken verbun-
den. Risiken können durch den bewussten Umgang mit ihnen zwar reduziert wer-
den, es gibt allerdings keine 100%ige Sicherheit, dass ein gesetztes Ziel erreicht
wird.
Der Mensch verhält sich normalerweise risikoscheu. Dieses risikoaverse Verhal-
ten hatte im Überlebenskampf der früheren Generationen eine große Bedeutung
und blieb durch die natürliche Auslese erhalten. Im heutigen Wirtschaftsgesche-
hen lässt sich die Risikoaversion durch die niedrige Rendite bei sehr sicheren
Anlagen erkennen. Zum Beispiel wird das Risiko einer Geldanlage über die Boni-
tät oder das Rating des Schuldners eingeschätzt. Der Geldgeber verzichtet an-
scheinend gerne auf einige Renditeprozente, wenn das Rating des Schuldners hoch
ist.
Risikoaverse Unternehmen gehen Risiken ein, um Rendite zu erwirtschaften und
den Unternehmenswert zu steigern. Risiko-Tragfähigkeit ist die Menge an Risiko,
die ein Unternehmen maximal eingehen kann ohne in Existenzgefahr zu geraten.
Sie ist begrenzt durch das Eigenkapital und die Liquidität, die zur Deckung von
Verlusten aus eintretenden Risiken vorhanden ist.
Zum Eigenkapital (EK) zählen dabei i.d.R. das gezeichnete Kapital, die Kapital-
und Gewinnreserven sowie der Jahresgewinn. Zur Liquidität können alle Aktiva
gezählt werden, die innerhalb einer bestimmten Frist liquidierbar sind. Die Frist
sollte so gewählt werden, dass die Zeit bis zu der genügend neues EK (Kapitaler-
162 3 Elektrizitätswirtschaft, Liberalisierung

höhung) oder Fremdkapital (Anleihenemission) beschafft werden kann überbrückt


wird (z.B. 6 Monate bis ein Jahr). Zusätzlich sollte auf die Fristen geachtet werden
nach denen die Liquidität zur Verfügung steht. Zwar ist nicht damit zu rechnen,
dass alle Risiken an einem Tag eintreten, der Ausfall einer großen Gegenpartei
kann jedoch auch kurzfristig zu größerem Kapitalbedarf führen. Zur verfügbaren
Liquidität zählen z.B.: kurzfristige Festgelder, unausgenutzte Kreditlinien, kurz-
fristig einräumbare neue Kreditlinien, das Working Capital (Forderungen aus
Lieferungen und Leistungen – Verbindlichkeiten LuL + Kassenbestand), der Cash
flow. Bei Banken wird das zur Risikoabsicherung benötigte Kapital als ökonomi-
sches Kapital bezeichnet. Im Folgenden wird der Begriff Risikokapital für die zur
Risikoabsicherung benötigte Liquidität und das EK verwendet.
Risiko-Appetit ist die Menge an Risiko, die ein Unternehmen im Streben nach
Rendite bereit ist einzugehen. Der Risikoappetit sollte nie größer als die Risiko-
tragfähigkeit sein, da das Unternehmen ansonsten einer Konkursgefahr ausgesetzt
ist. Eintretende Risiken könnten nicht durch vorhandene Liquidität und/ oder EK
gedeckt werden und das Unternehmen wird Illiquide oder überschuldet und muss
Konkurs anmelden.
Der Risikoappetit ist eng mit der Unternehmensstrategie verbunden. Er muss zu
der durch die Strategie angestrebten Rendite passen. Passt der Risikoappetit nicht
zur Strategie kann es sein, dass ein Unternehmen zu wenig Risiken eingeht, um
seine strategischen Ziele zu erreichen oder umgekehrt unnötig hohe Risiken ak-
zeptiert. Oft gibt es mehrere Strategien, um geplante Wachstums- und Renditezie-
le eines Unternehmens zu erreichen. Der definierte Risikoappetit kann dann im
Strategiefindungsprozess helfen eine Strategie auszuwählen, die die Unterneh-
mensziele innerhalb des gewünschten Risikoappetits erreicht.
Umgekehrt können sich aus der Unternehmensstrategie Aspekte des Risikoappe-
tits sowie der Risikostrategie ergeben.
Beispiel 1 :
Betrachtet man einen Independent Power Producer (IPP) und einen Energie Händ-
ler mit Produktionsstätte so lassen sich aus den unterschiedlichen Unternehmens-
strategien Rückschlüsse auf den Risikoappetit ziehen. Beide Unternehmen unter-
liegen auf der Beschaffungsseite dem Marktpreisrisiko für Brennstoffe und auf der
Absatzseite dem Marktpreisrisiko des Strompreises. Außerdem unterliegen beide
operativen Risiken, die zu einem Ausfall ihres Kraftwerks führen können.
IPPs sichern ihr Marktpreisrisiko i.d.R. durch langfristige Bezugs- und Absatzver-
träge weitestgehend ab. Die Marge, die sie aus Ihren Absatzverträgen erzielen
können hängt i.d.R. davon ab, dass ihre Kraftwerke die vereinbarten Verfügbar-
keiten und Effizienzgrade erreichen. Ein unerwarteter Kraftwerksausfall würde zu
einem Margenverlust führen. Aus der Unternehmensstrategie eines IPP lassen sich
Aussagen für seine Risikostrategie und den Risikoappetit ableiten. Durch die Art

1
Vgl. CCRO ERM White Paper 2006, S. 73f.
3.8 Risikomanagement in der Elektrizitätswirtschaft 163

wie IPPs ihr Geschäft betreiben, streben sie stetige, wenig volatile Ergebnisse an,
die mit der hinzugefügten Kraftwerkskapazität wachsen. Die Unternehmensstrate-
gie führt zu einem hohen Risikoappetit für operative Risiken und zu einem gerin-
gen Risikoappetit für Marktpreisrisiken.
Anders sieht es beim Händler mit Produktionsstätte aus. Er versucht durch die
Handelsfunktion seine Kraftwerkskapazität optimal zu veräußern, und unterliegt
dadurch voll den Marktpreisrisiken. Da er seine Kraftwerkskapazität nicht durch-
gehend voll verkauft hat, unterliegt er weniger stark operativen Risiken. Die ge-
fahrene Unternehmensstrategie führt zu volatileren Ergebnissen und zu einem
höheren Risikoappetit für Marktpreisrisiken als beim IPP.
Bestimmung des Risikoappetits
Der Risikoappetit sollte von der UL definiert und vom VR bestätigt werden. Eine
Faustregel für die Festlegung des Risikoappetits (z.B. x% des EK) existiert nicht.
Der Risikoappetit eines Unternehmens sollte über einen kombinierten Top-down/
Bottom-up-Ansatz mit mehreren Iterationen festgelegt werden.
Startpunkt sollte eine Bottom-up-Erhebung der bestehenden Risiken je Geschäfts-
feld sein. Werden alle Risiken je Geschäftsfeld einheitlich über einen Value at
Risk (VaR) bewertet, und unter Berücksichtigung von Korrelationen addiert, er-
gibt sich der aktuelle Risikokapitalbedarf je Geschäftsfeld. Um den VaR des Un-
ternehmens zu erhalten, müssen die Geschäftsfeldrisiken wiederum unter Berück-
sichtigung von Korrelationen addiert werden und ergeben somit den aktuellen
Risikokapitalbedarf des Unternehmens. Da der Risikokapitalbedarf an den Ge-
schäftsfeldstrategien hängt, die i.d.R. nicht kurzfristig änderbar sind, erhält man so
einen ersten Anhaltspunkt für den Risikoappetit des Unternehmens.
In einem zweiten Schritt kann die UL jetzt prüfen, ob ihr der aktuelle Risikoappe-
tit angemessen erscheint. Als Kriterien können dazu die folgenden Fragen dienen:
- Ist die UL bereit im schlimmsten Fall den Verlust des berechneten Risiko-
appetits innerhalb eines Jahres zu akzeptieren? (Wurde das aktuell erforder-
liche Risikokapital über einen VaR mit Einjahres-Horizont und 99% Kon-
fidenz berechnet, dann bedeutet dies, dass der Verlust aus den bestehenden
Risiken innerhalb des nächsten Jahres mit 99% Wahrscheinlichkeit nicht
höher sein wird als der berechnete Betrag)
- Ist das aktuelle Risiko durch Risikokapital gedeckt oder besteht ein Insol-
venzrisiko? (Um das festzustellen, muss das ermittelte Risikokapital der
vorhandenen Liquidität und dem EK gegenübergestellt werden.)
- Steht das Risiko mit den geplanten Ergebnissen (Rendite) in einem ange-
messenen Verhältnis (effiziente Risikoposition: eingegangene Risiken wer-
den durch ausreichend Rendite honoriert)? Hier könnten z.B. risikoadjus-
tierte Performance Masse wie RoVaR oder RAROC als Maßstab herange-
zogen werden. (Der RoVaR = Return on Value at Risk setzt das Ergebnis
ins Verhältnis zum durchschnittlichen VaR, der für die Ergebniserreichung
eingegangen wurde, und der RAROC = Risk Adjusted Return On Capital
164 3 Elektrizitätswirtschaft, Liberalisierung

korrigiert das Ergebnis um die Risikoabsicherungskosten, die durch das


Vorhalten von EK entstehen, und bezieht diesen Wert auf das EK).
- Entspricht das ermittelte Risiko/Rendite-Verhältnis den Erwartungen der
externen Stakeholder, wie z.B. den Aktionären, dem Kanton, Regulierer,
Banken etc.? Dies kann nur in Gesprächen mit diesen Stakeholdern heraus-
gefunden werden.
- Fühlen sich Management und Mitarbeiter mit den bestehenden Risiken
wohl? Kann das Unternehmen mit den identifizierten Risiken umgehen. Ist
die Risikokultur entsprechend ausgeprägt, haben die Mitarbeiter und das
Management die nötigen Informationen und das erforderliche Know how?
Nach diesem Schritt besteht zumindest ein Bewusstsein dafür, ob der aktuelle
Risikokapitalbedarf akzeptabel, zu hoch oder zu niedrig ist. Wenn der Risikokapi-
talbedarf größer als das aktuell vorhandene Kapital ist, müssen Maßnahmen defi-
niert werden, um möglichst schnell aus der potentiellen Insolvenzgefahr zu kom-
men (Risiken reduzieren oder Kapital/ Liquidität erhöhen). Dazu wird am Besten
ein kurzfristiger Ziel-Risiko-Appetit definiert, den es zu erreichen gilt. Darüber
hinaus kann ein mittel- und langfristig angestrebter Risiko-Appetit festgelegt wer-
den.
Wird die Risikoauslastung als VaR gemessen, sollte der Risikoappetit ebenfalls
als VaR mit demselben Zeithorizont und Konfidenzintervall festgelegt werden.
Banken verwenden den Einjahres-VaR mit einem am gewünschten Zielrating
ausgerichteten Konfidenzintervall. Dieser Ansatz kann für die Elektrizitätsbranche
übernommen werden. Gemäß einer Umfrage des CCRO unter 34 Energieversor-
gern dominiert als Messgröße für den Risikoappetit der VaR (71% der befragten
Unternehmen, die einen Risikoappetit definieren, verwenden dazu den VaR) 2 .
Ist der Unternehmens-Risikoappetit festgelegt, muss er auf die Geschäftsfelder
heruntergebrochen werden. Dies sollte wiederum über den bereits beschriebenen
Top-down/Bottom-up-Ansatz erfolgen. Wurde die Bottom-up-Risikoerhebung für
den Konzernrisiko-Appetit je Geschäftsfeld vorgenommen, ist der Risikokapital-
bedarf je GF bereits bekannt. Konzern- und Geschäftsfeld-Leitung müssen dann
gemeinsam beurteilen, ob der GF-Risikokapitalbedarf angemessen ist, und wie er
sich entwickeln soll. Abhängig davon wie sich der Konzernrisikoappetit entwi-
ckeln soll, müssen die Geschäftsfelder ihren Beitrag leisten.
Der Risikoappetit bestimmt den Bedarf an Risikokapital. Das Risikokapital wie-
derum ist die Basis für die Risiko/ Rendite orientierte Steuerung bei Banken.
Wenn ein Unternehmen dieses Steuerungskonzept einsetzen möchte, wird emp-
fohlen, den Risikoappetit zunächst auf die Geschäftsfelder herunterzubrechen
(anstatt auf die Risikoarten: Markt, Kredit, etc.). Je Geschäftsfeld gibt es buchhal-
terische Ergebnisdaten, die für die Risiko/Rendite-Steuerung zum benötigten Risi-
kokapital ins Verhältnis gesetzt werden können. Die letztlich eingesetzte Steue-

2
Vgl. CCRO ERM White Paper 2006, S. 70
3.8 Risikomanagement in der Elektrizitätswirtschaft 165

rungsgröße muss unter der Vielzahl der möglichen Kennzahlen ausgewählt wer-
den (RoVaR, RORAC, RAROC, EVA, etc.). In diesem Zusammenhang muss
dann auch geklärt werden, wie mit reinen Cost Centern im Rahmen der Risiko/
Rendite Steuerung verfahren wird. Die Geschäftsfelder können dann den ihnen
zugeordneten Risikoappetit in Abstimmung mit dem Konzern auf die Einzelrisi-
ken verteilen. Dadurch ergeben sich Portfoliolimiten für jede in einem GF auftre-
tende Risikoart. Diese sind dann weiter herunterzubrechen, z.B. in Form eines
Kreditlimits je Gegenpartei für das Kreditrisiko. Auf diesem Weg wird ein kon-
zernweiter Limitbaum aufgebaut. Sorgt das Risikomanagement dafür, dass der
Risikoappetit immer durch Risikokapital gedeckt ist und kein Limit überschritten
wird, ist das Ziel der Existenzsicherung durch Risikomanagement erreicht.
Das Risikokapital sollte als Planungsgröße in die Mittelfristplanung aufgenommen
werden. Das Unternehmen sollte abhängig vom Risikoappetit Top-down eine
Zielgröße für das Unternehmen und die Geschäftsfelder vorgeben, die diese dann
Bottom-up verifizieren müssen. In einer weiteren Ausbaustufe kann neben der
absoluten Zielgröße für das Risikokapital dann auch eine Zielgröße für die erwar-
tete Rendite auf dieses Kapital geplant werden.
Gemäß einer Umfrage des CCRO unter 34 Energieversorgern berücksichtigen
88% der beteiligten Unternehmen eine Risikoappetit-Aussage in ihrem Planungs-
und Risikomanagement-Prozess. 64% der befragten Unternehmen stellen die Risi-
ko-Appetit-Aussage in einem informellen, unstrukturierten Prozess auf. Nur 36%
nutzen einen formalen Ansatz. 3

A) Strategie / Ziele
Bevor man ein Risikomanagementsystem für ein Unternehmen konzipiert, muss
festgelegt werden, welche Ziele das Unternehmen mit Risikomanagement verfol-
gen will. Nachfolgend werden die wesentlichen Ziele aus den genannten Rah-
menwerken sowie aktuellen Veröffentlichungen zum Thema Risikomanagement
vorgestellt.
Risikomanagement zur Einhaltung gesetzlicher Vorschriften
Das Risikomanagement muss so betrieben werden, dass gesetzliche Vorschriften
eingehalten werden. Die Einhaltung von Gesetzen ist eine Nebenbedingung für
Risikomanagement, sie darf nicht das Hauptziel sein. Die gesetzlichen Vorschrif-
ten in der Schweiz beschränken sich auf Veröffentlichungspflichten im Anhang
des Jahresabschlusses und geben nur indirekt Mindeststandards für das Risikoma-
nagement vor. Wichtig ist, ein für alle Stakeholder (Banken, Investoren, Aktionä-
re, Mitarbeiter) des Unternehmens akzeptables Risikomanagement zu implemen-
tieren. Nur so kann ein Kursabschlag nach der Veröffentlichung der Risikomana-
gement-Angaben vermieden werden.

3
Vgl. CCRO White Paper 2006, S. 69
166 3 Elektrizitätswirtschaft, Liberalisierung

Risikomanagement zur Existenzsicherung


Interessanterweise wird das Betreiben von Risikomanagement zur Existenzsiche-
rung eines Unternehmens in keinem der berücksichtigten Rahmenwerke themati-
siert. Es wird lediglich implizit davon gesprochen, z.B. indem eine effiziente Risi-
kokapitalposition als Vorteil von gutem Risikomanagement angesehen wird. Dies
erstaunt, da der Absicherungsaspekt einer der zentralen Treiber für die Entwick-
lung des Risikomanagements bei Banken gem. Basel I und II ist. In Anbetracht
der anstehenden Marktliberalisierung in der Schweiz und den damit zu erwarten-
den höheren Ergebnisvolatilitäten, sollte sich ein Unternehmen die Risikoabsiche-
rung als ein Minimalziel für ihr Risikomanagement setzen. Dabei ist wichtig, dass
die Absicherung effizient erfolgt. Das zur Absicherung benötigte EK bzw. die
Liquidität sind knapp, und die Hinterlegung von EK zur Risikoabsicherung er-
zeugt keine Rendite sondern Opportunitätskosten.
Risikomanagement zur Erreichung der Unternehmensziele mit angemessener
Sicherheit
Weitgehender Konsens besteht in allen Rahmenwerken darüber, dass das wesent-
liche Ziel von Risikomanagement darin besteht, die Ziele des Unternehmens mit
angemessener Sicherheit zu erreichen. So wird Risiko z.B. definiert als: „Mög-
lichkeit für ein Ereignis, welches die Zielerreichung eines Unternehmens beein-
flusst (positiv oder negativ)“4 . Risikomanagement bestünde dann darin, potentielle
Abweichungen vom Geplanten/Angestrebten zu identifizieren, die Chancen zu
maximieren, Verluste zu minimieren, und dadurch bessere Entscheidungen und
Ergebnisse zu ermöglichen.
Das Gegenteil von Risikomanagement wäre riskantes Management und geprägt
durch Entscheidungen, die nicht alle Fakten berücksichtigen. Ein derartiges Ma-
nagement könnte nur zufällig die angestrebten Ziele erreichen und würde sogar
die Existenz des Unternehmens gefährden. Risikomanagement ist also aus be-
triebswirtschaftlicher Sicht ein Muss.
Shareholder Value
Da viele börsennotierte Unternehmen als primäres Unternehmensziel die Steige-
rung des Shareholder Value haben, stellt sich die Frage, inwiefern Risikomanage-
ment zur Erreichung dieses Ziels beiträgt.
Um die Wirkung von Risikomanagement auf den Shareholder Value zu verdeutli-
chen, muss zunächst aufgezeigt werden, wann es keine Wirkung gibt. Dies ist bei
perfekten Kapitalmärkten der Fall. D.h. wenn unter anderem folgende Bedingun-
gen erfüllt sind:

4
AS NZS 4360:2004 Handbuch S.3
3.8 Risikomanagement in der Elektrizitätswirtschaft 167

- Keine Steuern,
- Unternehmensleitung und Investoren haben dieselben Informationen,
- Keine Transaktionskosten.
Unter diesen Bedingungen kann ein Investor die Firmenrisiken genauso gut absi-
chern wie die Firma selbst. Der Investor kennt die Risiken genauso gut wie die
Unternehmensleitung und er hat Zugang zu den Absicherungsprodukten. Da es
keine Steuern gibt, macht es auch steuerlich keinen Unterscheid, ob der Investor
oder das Unternehmen Risiken absichert. D.h. ein Investor kann bei perfekten
Kapitalmärkten durch Risikomanagement den gleichen Cash flow erzeugen wie
ein Unternehmen welches Risikomanagement betreibt. Es gibt für Investoren
keinen Grund das Risikomanagement von Unternehmen zu honorieren. Der Sha-
reholder Value einer Firma wird gleich sein, ob sie Risikomanagement betreibt
oder nicht. Bei dieser Argumentation handelt es sich um eine Abwandlung des
Modigliani Miller Theorems (1958).
In perfekten Kapitalmärkten kann Risikomanagement nicht zur Erzeugung von
Shareholder Value beitragen. In der Realität sind die Kapitalmärkte jedoch nicht
perfekt. Risikomanagement kann daher auf einem der drei nachfolgend genannten
Wege Shareholder Value erzeugen:
1. Durch Reduktion der Steuern, die ein Unternehmen oder seine Investoren
zahlen,
2. Durch Reduktion der Transaktionskosten eines Unternehmens (inkl. der
Reorganisationskosten, falls Unternehmen in Schwierigkeiten geraten),
3. In dem es sicher stellt, dass Unternehmen nur Investitionen tätigen, die
ihre Kapitalkosten decken.
Während 1. und 2. durch Kostenersparnisse den Shareholder Value steigern, er-
höht 3. über höhere Rentabilität und Wachstum den Unternehmenswert.
Droht ein Unternehmen in finanzielle Schwierigkeiten zu geraten (z.B. weil uner-
wartete Verluste aus Risiken eingetreten sind), werden häufig geplante Investitio-
nen gestrichen oder verschoben. Mit den frei werdenden Mitteln werden die finan-
ziellen Engpässe überbrückt. Hätten die Investitionen ihre Kapitalkosten gedeckt,
hätten sie den Shareholder Value erhöht. Indem Risikomanagement dafür sorgt,
dass ein Unternehmen immer genug freie Mittel hat, um wertsteigernde Investitio-
nen zu tätigen, erzeugt es Wert.
Wird neben dem Risiko- auch ein systematisches Chancenmanagement durchge-
führt, können mehr wertsteigernde Investitionsmöglichkeiten identifiziert und
durchgeführt werden, die den Unternehmenswert erhöhen.
168 3 Elektrizitätswirtschaft, Liberalisierung

Reduktion der Ergebnis-/Cash flow-Volatilität durch Risikomanagement


Ein häufig genanntes Ziel von Risikomanagement ist die Volatilität der Unter-
nehmensergebnisse oder Cashflows zu reduzieren. Die Idee dahinter ist, dass
Unternehmen mit stark schwankendem Cashflows vom Markt als riskant erachtet
werden, weshalb Investoren für die Überlassung von EK eine höhere Risikoprä-
mie verlangen. Volatilere Cashflows führen also zu höheren EK-Kosten und sen-
ken darüber den Shareholder Value. Gelingt es durch Risikomanagement die Vo-
latilität der Cashflows zu reduzieren, müssten die EK Kosten sinken und der Sha-
reholder Value steigen.
Voraussetzung für diesen Effekt ist, dass Unternehmen es schaffen ein Risikoma-
nagement aufzubauen, welches tatsächlich die Cashflow-Volatilität reduziert und
dies dem Markt auch glaubhaft kommunizieren können. Nur wenn Investoren an
den kausalen Zusammenhang zwischen Risikomanagement und geringerer Cash-
flow-Volatilität glauben, werden sie bereit sein auf die Risikoprämie zu verzich-
ten.
Die Reduktion der Cashflow-Volatilität sollte nicht das primäre Ziel von Risiko-
management sein. Es kann als zusätzliches Ziel aufgenommen werden, wenn das
Risikomanagement unternehmensintern soweit ausgebaut wurde, dass es tatsäch-
lich nachweislich die Cashflows stabilisiert. Erst dann kann durch die Kommuni-
kation dieses Vorgehens am Kapitalmarkt der gewünschte Effekt realisiert wer-
den.
Weitere Vorteile/ mögliche Ziele von Risikomanagement
Bessere Entscheidungen (bei Investitionen und Strategie)
Bei einer Mitte 2005 durchgeführten Umfrage der Deutschen Bank zur Bedeutung
von Risikomanagement im Finanzbereich unter mehr als 330 CFOs aus verschie-
denen Ländern und Branchen wurde als wesentlicher Nutzen von Risiko-
management die Verbesserung von unternehmensweiten Entscheidungen genannt
(63% der Befragten nannten dies als wesentlichen Nutzen von Risikomanage-
ment). Unternehmen gehen Risiken ein, um Erträge zu erwirtschaften, und ein gut
funktionierendes Risikomanagement verbessert die Fähigkeit des Unternehmens
Entscheidungen so zu treffen, dass für die eingegangenen Risiken eine angemes-
sene Rendite erzielt wird. Auf diese Weise hilft Risikomanagement den Unter-
nehmenserfolg zu steigern und Wettbewerbsvorteile aufzubauen.
Besserer Ruf bei den Stakeholdern
Ein gutes Risikomanagement kann nach außen kommuniziert werden und stärkt
das Vertrauen von Aktionären, Regulier und Mitarbeitern in die Fähigkeiten der
Unternehmensleitung. Dieser Aspekt wurde in der Deutschen Bank-Umfrage als
zweitwichtigster Nutzen von Risikomanagement genannt (43%).
3.8 Risikomanagement in der Elektrizitätswirtschaft 169

Weniger Überraschungen
Durch vollständige Erhebung und das zielgerichtete Management von Risiken
werden die Auswirkungen und die Eintrittswahrscheinlichkeit von Risiken redu-
ziert, es gibt weniger überraschende Ergebniseffekte. Die Reduktion von Ergeb-
nisschwankungen (37%) sowie die Vermeidung von Kosten durch finanzielle
Schwierigkeiten (36%) 5 wurden in der Deutsche Bank-Umfrage als dritt- und
viertwichtigster Nutzen von Risikomanagement genannt.
Bessere Planungsqualität
Durch Integration von Planungs-/ Prognose und Risikomanagementprozess kön-
nen die Planungsergebnisse direkt durch das Risikomanagement verifiziert wer-
den. Basierend auf den Erkenntnissen der Risikoerhebung können direkt Maß-
nahmen abgeleitet werden, die dafür sorgen, dass die geplanten und kommunizier-
ten Ergebnisse auch erreicht werden. Kosten für diese Maßnahmen können in der
Planung berücksichtigt werden. Der Einfluss der übernommenen Risiken auf die
Planung kann abgeschätzt werden. Das Vorhersagen und Erreichen von Ergebnis-
sen wiederum stärkt das Vertrauen des Kapitalmarktes in das Firmenmanagement.
Schutzfunktion von Risikomanagement
Gutes Risikomanagement bietet Schutz für die Verantwortlichen, für den Fall das
Risiken eintreten. Wurden Risiken bewusst gemanaged, dann erfolgt der Schutz
auf zwei Ebenen. Zum einen werden die Effekte von Risiken ggf. geringer sein als
ohne Risikomanagement, zum anderen können die Verantwortlichen nachweisen,
dass sie bei der Behandlung des Risikos mit ausreichender Sorgfalt vorgegangen
sind.
Besseres Rating
Für Rating-Agenturen, Banken und Energiehändler ist ein professionelles Risiko-
management ein wesentliches Kriterium für die Unternehmensbonität. Wird das
Risikomanagement eines Unternehmens extern als solide beurteilt, kann dies zu
günstigeren Kreditkonditionen bei Banken und höheren Limiten im Energiehandel
führen.
Bessere Corporate Governance
Risikomanagement trägt zu guter Corporate Governance bei, da es der Unterneh-
mensleitung (UL) gewisse Sicherheit gibt, dass die Unternehmensziele innerhalb
eines tolerierbaren Restrisikos erreicht werden. Corporate Governance beschreibt
das System, mit dem Unternehmen geführt und kontrolliert werden. Corporate
Governance fokussiert auf das Verhältnis zwischen VR und UL sowie zwischen
Managern und Aktionären.

5
The Theory and Practice of Corporate Risk Management Policy, Henri Servaes und Peter Tufano,
Deutsche Bank Studie, Februar 2006, S. 24.
170 3 Elektrizitätswirtschaft, Liberalisierung

Verbesserter Umgang mit Risiken


Risikomanagement hilft Unternehmen, für jedes Risiko die richtige Behandlung
zu wählen (akzeptieren, teilen, überwälzen oder vermeiden).

B) Organisation
Um den beschriebenen ERM Ansatz umzusetzen und zu leben, muss eine Aufbau-
organisation mit klaren Rollen und Verantwortlichkeiten für das Risikomanage-
ment definiert werden:
Chief Risk Officer: Leiter der Abteilung Corporate Risk Management. Verant-
wortlich für die Entwicklung der erforderlichen Risikomanagement-Instrumente,
die Überwachung der Risikomanagement-Prozesse und der Einhaltung der Risi-
kopolitik. Entwickelt die Konzernrisikopolitik und unterstützt Geschäftsfelder bei
der Formulierung eigener Risikopolitiken. Zuständig für die portfoliobasierte
Risikobewertung auf Konzernebene. Muss an eine ausreichend hohe Instanz re-
porten, um seine Governance Funktion ausüben zu können. Gemäß einer CCRO
Studie reporten 50% der CROs an den CFO, 23% an den CEO, 7% an die UL und
20% an andere Stellen. Auch wenn der CRO nicht direkt an die UL reportet, muss
er einen Zugang zur UL haben, da er letztendlich dafür verantwortlich ist, Limit-
verletzungen an die UL zu berichten. Koordiniert Risk Committee-Sitzungen.
Zuständig für Entwicklung und Koordination eines Risikomanagement-Schu-
lungsprogramms.
x Risk Committee: zusammengesetzt aus leitenden Mitarbeitern verschie-
dener Unternehmensbereiche und ggf. Vorständen. Überwacht und steu-
ert die Risikomanagementfunktion sowie das Management wesentlicher
Risiken des Unternehmens. Genehmigt Konzern- und Geschäftsfeld-
Risikopolitiken, Rollen- und Verantwortlichkeiten, Risiko-Appetit und
–Limite, wesentliche Risikominderungsmaßnahmen sowie Performance-
Ziele. Das RC kann auch Ausnahmen von der Risikopolitik genehmigen.
Das RC kommuniziert und diskutiert wesentliche Risikothemen mit der
UL. Je nach Unternehmen gibt es nur ein Konzern- oder Konzern- und
Geschäftsfeld Risk Committees. Gemäß einer Umfrage des CCRO ist der
CFO bei 97% der befragten Energieversorger Mitglied im Risiko-Com-
mittee, 75% der Befragten haben einen Vertreter der Rechtsabteilung im
RC, bei ca. 70% der Befragten sind CRO und die Geschäftsfeld-Leiter
Teil des RC.
x Unternehmensleitung: Da Risikomanagement auch Führungsaufgabe
ist, fällt es in den Verantwortungsbereich der UL. In manchen Unterneh-
men wird die Verantwortung direkt durch die UL wahrgenommen, in an-
deren durch das Prüfungs-Komitee. Die UL ist dafür verantwortlich, dass
geeignete Prozesse zur Identifikation und zum Reporting sowie Konzepte
für das Management der wesentlichen Risiken umgesetzt sind. Die UL
muss letztendlich das Gefühl haben, dass sie alle wesentlichen Risiken
3.8 Risikomanagement in der Elektrizitätswirtschaft 171

der Organisation mit ihren möglichen Auswirkungen auf die Unterneh-


mens-Performance sowie die ergriffenen Maßnahmen kennt.
x Verwaltungsrat: Die Verantwortung für die Durchführung eines Risi-
komanagements liegt beim VR, er muss dessen Wirksamkeit und Qualität
(ggf. mit Hilfe der internen Revision) prüfen.
x Fachorganisation: besteht aus allen für das Risikomanagement verant-
wortlichen Mitarbeitern.
x Geschäftsfelder/ Tochtergesellschaften: Die Geschäftsfelder sollten GF
spezifische Risikopolitiken entwickeln und Prozesse implementieren. Sie
müssen Mitarbeiter benennen, in deren Stellenbeschreibung die Aufga-
ben und Verantwortlichkeiten für das Risikomanagement beschrieben
sind. Zu den Risikomanagement-Aufgaben der Geschäftsfelder gehört,
die GF-Risiken zu identifizieren, zu bewerten, zu berichten und Risiko-
minderungsmaßnahmen umzusetzen, um Risiken in den vorgegebenen
Limiten zu halten. Je Risiko sollte es einen Verantwortlichen geben, der
die fortlaufende Überwachung und alle damit verbundenen Aufgaben
wahrnimmt (Bewertung, Minderungsmaßnahmen, Dokumentation, Re-
porting, etc.)

C) Abläufe/Prozesse
Risikoerhebung
Der Risikoerhebungsprozess sollte parallel zu den Controlling Prozessen in einem
Unternehmen durchgeführt werden. Über die Mittelfristplanung wird die erwartete
Geschäftsentwicklung der nächsten Jahre geplant und über die Prognosen deren
Erreichung kontrolliert. Wird parallel der Risikoerhebungsprozess durchgeführt,
werden Risiken für die Erreichung der Planung transparent und können in der
Planung berücksichtigt werden. Die Bottom-up Risiko-Identifikation sollte einmal
jährlich zusammen mit der Mittelfristplanung erfolgen. Zu jeder Quartalsprognose
genügt ein Update der bestehenden Risikosituation. Um gemäß der OR Neurege-
lung ab 2008 die Risikobeurteilung zum Jahresabschluss vornehmen zu können,
sollten die wesentlichen für die Beurteilung der Jahresrechnung relevanten Risi-
ken per 31.12. aktualisiert werden.
Aktualisierung Risikoappetit, Limitenstruktur und Risiko/Rendite-Ziele
Einmal pro Jahr, vor der Bottom-up Risikoerhebung parallel zur Mittelfristpla-
nung, sollte ein Unternehmen den definierten Risikoappetit überprüfen. Dazu kann
der gleiche Prozess wie weiter oben beschrieben angewandt werden. Ist der Risi-
koappetit neu festgelegt, sollte er auch direkt über den Limitenbaum heruntergeb-
rochen werden. Sofern vorhanden, können dann auch Risiko/Rendite-Ziele (RO-
RAC) angepasst werden, damit sie in der Planung berücksichtigt werden können.
Ggf. erforderliche EK-Anpassungen zur Risikoabsicherung sollten mit der Anpas-
sung des Risikoappetits diskutiert und in der Planung berücksichtigt werden.
172 3 Elektrizitätswirtschaft, Liberalisierung

Limitüberwachung & Risikoabsicherung


Die Überwachung der Limiteinhaltung muss fortlaufend in einer dem Risiko an-
gemessenen Frequenz erfolgen. Limitverletzungen müssen unverzüglich erkannt,
gemeldet und behandelt werden. Neben den Limiten muss auch die Deckung der
Konzernrisikoposition durch Liquidität überwacht werden.

3.8.2.3. Risikomanagement-Prozess
Dieser Prozess ist nicht nur der Berufswelt eigen, nein er wird auch oft im Privat-
leben angewandt. Als Beispiel sei die Hochgebirgstour genannt. Das Ziel der
Skitour ist, mit Freunden einen erlebnisreichen Tag zu verbringen und am Abend
wieder gesund zu Hause anzukommen. Im Geschäftsleben ist das Ziel i.d.R. eine
monetäre Größe aus dem Budget.
Der erfolgreichen 'Zielerfüllung' im Zusammenhang mit der Skitour lauern Gefah-
ren.
In einem ersten Schritt werden die Gefahren (Risiken) identifiziert: Die Routen-
wahl hängt maßgeblich von der Lawinensituation ab. Die wesentlichen Einfluss-
faktoren auf das Lawinenrisiko sind Neuschneemenge, Schneeaufbau, Hangaus-
richtung, Hangneigung, Temperaturprognose und Wetterprognose. Schenkt man
der Routenwahl z.B. der Hangausrichtung keine Bedeutung, kann dies fatale Fol-
gen haben. Ein nach Süden ausgerichteter Hang kann an einem sonnigen Tag
bereits vor dem Mittag derart aufweichen, dass sich Nassschneelawinen bilden
können, während zur gleichen Zeit ein Nordhang beste Verhältnisse bietet. In
einem zweiten Schritt wird versucht, qualitativ oder wenn möglich quantitativ jede
Gefahr zu bewerten. Dabei werden die Schadenhöhe und die Eintrittswahrschein-
lichkeit abgeschätzt. Eine Quantifizierung der Risiken ist oftmals schwierig, da
entsprechende Datengrundlagen fehlen. Meistens werden aus historischen Daten
Gesetzmäßigkeiten abgeleitet. Dies können Verteilfunktionen mit ihren charakte-
ristischen Größen, wie Mittelwert und Streuung oder empirische Formeln, mit
welchen die Zusammenhänge zwischen den wesentlichen Einflussfaktoren darge-
stellt werden. Jedes Risiko hat ihre Treiber. Diese Treiber gilt es zu definieren und
in den Griff zu bekommen. Einige der Treiber sind unbeeinflussbar, wiederum
andere können beeinflusst werden. Damit sind wir in der Lage, die Risiken durch
Maßnahmendefinition zu steuern. Der Gefahr unter eine Lawine zu geraten, kann
begegnet werden, indem kurz vor der Tour die Schnee- und Lawinensituation
abgeschätzt wird. Mit dieser Maßnahme kann das Ausmaß, d.h. die Schadenhöhe
zwar nicht beeinflusst aber die Eintrittswahrscheinlichkeit der Gefahr reduziert
werden (ich gehe nur, wenn dies das offizielle Lawinenbulletin zulässt). Den Nut-
zen aus den ersten drei Prozessschritten holen wir erst dann ab, wenn wir die
Maßnahme auch wirklich umsetzen werden. Damit haben wir erreicht, dass wir
den Risikogehalt durch gezielte Maßnahmen reduziert und gleichzeitig die Chan-
cen aufrechterhalten haben. Oder in die Geschäftswelt übertragen, haben wir das
Verhältnis Risiko zu Rendite zu unseren Gunsten beeinflusst!
3.8 Risikomanagement in der Elektrizitätswirtschaft 173

A) Identifikation
Risiko-Definition
Zu Beginn der Risikoidentifikation in einem Unternehmen muss klar sein, wie
Risiko genau definiert ist. Schon hier laufen die Vorstellungen und Ideen in den
berücksichtigten Rahmenwerken und der Praxis weit auseinander. Nachfolgend
einige Beispieldefinitionen:
Risiko-Glossar
Analog der Risikodefinition sollten vor Beginn der Risikoidentifikation alle we-
sentlichen Begriffe für das Risikomanagement eines Unternehmens in einem Risi-
ko-Glossar definiert werden, um einheitlichen Sprachgebrauch und einheitliches
Verständnis sicher zu stellen.
Vollständigkeit
Ziel der Risikoidentifikation ist es, eine möglichst vollständige Liste aller Risiken
des Unternehmens zu erhalten. Risiken, die nicht identifiziert werden, können
auch nicht bewertet, in den Management Prozess überführt und abgesichert wer-
den. Frühestens bei der Bewertung können einzelne Risiken über Wesentlichkeits-
grenzen aus dem weiteren Risikomanagementprozess ausgenommen werden.
Um Vollständigkeit zu erreichen, müssen Risiken, die in der Vergangenheit be-
reits aufgetreten sind (z.B. Zahlungsausfälle), erfasst werden aber auch Risiken,
die in Zukunft erst auftreten können (z.B. Wettbewerberverhalten). Dabei sollten
Risiken, die möglicherweise erst weit in der Zukunft liegen, nicht vergessen wer-
den. Es müssen Risiken aufgrund externer Ereignisse, wie z.B. politische, techni-
sche und wirtschaftliche Entwicklungen sowie interner Ereignisse, wie z.B. Mitar-
beiterfehler, Anlagenausfälle und Prozessfehler erfasst werden. Risiken müssen
erfasst werden, egal, ob sie vom Unternehmen beeinflussbar sind oder nicht.
Auch für Tochtergesellschaften muss eine vollständige Risiko-Identifikation
durchgeführt werden. Töchter mit eigenen Mitarbeitern können ein eigenständiges
Risikomanagement inkl. Risikoabsicherung gemäß der Konzernrisikopolitik auf-
bauen, sollten aber die wesentlichen Risiken gemäß definierter Meldegrenzen an
den Konzern melden, damit dieser eine komplette Übersicht der wesentlichen
Risiken im Konzern erhält.
Techniken zur Risiko/Ereignis-Identifikation
Um zu einer möglichst vollständigen Liste von Risiken/Ereignissen zu kommen,
können verschiedene Techniken angewandt werden. Welche die passendste ist,
hängt von der Komplexität des zu analysierenden Sachverhalts, der verfügbaren
Zeit und Ressourcen, der Unternehmensgröße etc. ab. Wichtig ist, dass die Risiko-
identifikation durch erfahrene Mitarbeiter, die sich im betrachteten Umfeld gut
auskennen, erfolgt. Indem die Risikoidentifikation im Team durchgeführt wird,
können Erfahrungen gebündelt und das Committment zum Ergebnis erhöht wer-
den. Alle an der Risikoidentifikation beteiligten Mitarbeiter sollten vor der Risiko-
174 3 Elektrizitätswirtschaft, Liberalisierung

identifikation eine Einführung in das Risikomanagement und die Begriffe aus dem
Risiko-Glossar erhalten haben.
x Moderierte Workshops und Interviews: Ein Risikomanager moderiert
einen Workshop oder ein Interview, um Ereignisse, die das EBITDA des
Unternehmens in einer bestimmten Abteilung/ einem Geschäftsbereich
beeinflussen, zu identifizieren.
x Prozessanalysen: Ein bestimmter Prozess wird von seinen Input-Fakto-
ren über die einzelnen Arbeitsschritte bis hin zum Output darauf hin ana-
lysiert, welche Ereignisse auftreten können, die die Erreichung der Pro-
zessziele gefährden. Auf einem hohen Aggregationsniveau können diese
Analysen für jeden Prozess durchgeführt werden. Bei Prozessen, bei de-
nen ein Fehler katastrophale Auswirkungen hätte, wie z.B. in einer Nuk-
learanlage, müssen die Analysen sehr detailliert erfolgen und sind extrem
aufwendig. Solch detaillierte Analysen sind in der Pharma-, Öl- und Nuk-
learindustrie unter dem Begriff HAZOP (Hazard & Operability Study)
bekannt. Ähnliche Analysen erfolgen in der Automobilindustrie unter
dem Begriff FMEA (Failure Mode and Effects Analysis) und in der Nah-
rungsmittelindustrie unter HACCP (Hazard Analysis and Critical Control
Points).
x Gefahrenlisten: Gefahrenlisten sind Checklisten zur Unterstützung der
Risikoerkennung. Sie enthalten typische Risiken einzelner Branchen oder
Prozesse. Die ONR 49002-1 enthält im Anhang ein Beispiel für eine rela-
tiv generische Gefahrenliste.
x Analyse historischer Verlustdaten: Hat das Unternehmen z.B. Daten
über die Autounfälle in ihrem Fuhrpark oder die Kunden, die ihre Strom-
rechnung nicht beglichen haben, so können diese auf Risikoursachen ana-
lysiert werden. Z.B. könnte eine Analyse feststellen, dass die meisten Au-
tounfälle von männlichen Aushilfen im Alter von 25-30 Jahren verur-
sacht werden. Daraufhin können dann entsprechende Maßnahmen ergrif-
fen werden.
x Was wäre wenn Analysen: Insbesondere für nur schwer greifbare Risi-
koursachen, wie z.B. strategische Risiken bieten sich ‚was wäre wenn’
Brainstorming Workshops an.
Damit die Risiko-/ Ereignisidentifikation z.B. in einem Workshop nicht in einer
wilden Sammlung ausartet, sollten durch vorbereitende Analysen die wesentlichen
Risikofelder identifiziert werden, um sicherzustellen, dass keine wesentlichen
Risiken vergessen werden. Risikofelder könnten z.B. die Kernprozesse des Unter-
nehmens sein oder Risiken, die die Erreichung der strategischen oder anderer
Unternehmensziele oder den Erhalt eines Wettbewerbsvorteils gefährden.
3.8 Risikomanagement in der Elektrizitätswirtschaft 175

Risikokategorisierung
Neben einem Risiko Glossar ist eine Risikokategorisierung ein gutes Tool, für die
Identifikation und Organisation der Unternehmensrisiken. Eine Risikokategorisie-
rung besteht aus verschiedenen Risikotypen, die anhand einer Hierarchie aufge-
gliedert werden. Die niedrigeren Ebenen der Risikohierarchie dienen der geordne-
ten Sammlung von Einzelrisiken, die dann entlang der Hierarchie zum Unterneh-
mens- oder Konzernrisiko aggregiert werden können. Höhere Hierarchieebenen
können für ein aggregiertes Risikoreporting an das Unternehmensmanagement
oder die UL genutzt werden.
Eine Risikokategorisierung kann aufgebaut werden, indem man eine generische
Risikoliste als Ausgangspunkt nimmt und nicht relevante Risiken streicht und
relevante ergänzt.
Für ein Unternehmen aus der Elektrizitätsbranche wäre eine dreistufige Risikoka-
tegorisierung denkbar. Die Hierarchieebenen könnten bestehen aus der Risikoka-
tegorie, der Risikosubkategorie und den Risiken selbst. Die Risikokategorien und
Subkategorien sollten möglichst sprechend definiert werden, damit schon vom
Namen klar wird, welche Risiken in diese Kategorie gehören. Außerdem sollten
die Kategorien möglichst überschneidungsfrei definiert sein.
Auf Ebene der Risikokategorien könnte ein regelmäßiges UL/VR Reporting auf-
gebaut werden. Die Risikokategorien sollten sich auch in der Struktur des Limi-
tenbaums widerspiegeln. Der Risikoappetit würde dann zunächst auf Geschäfts-
felder aufgeteilt und dann auf die definierten Risikokategorien. Eine Frage bei der
Bestimmung der Kategorien sollte daher auch sein, welche Risikokategorien will
man später je Geschäftsfeld separat reporten. Sind die definierten Risikokatego-
rien mit denen anderer Unternehmen vergleichbar, ist ein Benchmarking der zur
Risikoaggregation erforderlichen Korrelationen mit dem bei anderen Unterneh-
men (insbesondere Banken) möglich.
Risikokategorie wäre dann z.B. das Marktpreisrisiko, Risikosubkategorie darunter
wären Zins-, Währungs- und Kursrisiken und Einzelrisiko zum Kursrisiko wäre
z.B. das Kursrisiko des Stilliegungs- und Entsorgungsfonds.
Folgende Kategorisierung könnte bei einem Unternehmen zum Einsatz kommen:
176 3 Elektrizitätswirtschaft, Liberalisierung

Zum Abschluss der Risiko-Identifikation muss sichergestellt werden, dass sich die
Einzelrisiken nicht überschneiden, und es muss eine Zuordnung zu den Risikoka-
tegorien und Subkategorien erfolgen.
Zeitpunkt und Häufigkeit des Risikoidentifikationsprozesses
Da es bei der Risiko-Identifikation um die Abschätzung zukünftiger Ereignisse
geht, sollte sie parallel zu den Controlling-Prozessen (Planung, Prognose) durch-
geführt werden, bei denen ebenfalls in die Zukunft geschaut wird. Außerdem wird
bei der Planung operationalisiert, wie die Unternehmensziele erreicht werden
sollen. Wenn gleichzeitig die Risiken (und ggf. Chancen), denen das Unternehmen
unterliegt identifiziert/ aktualisiert werden, können z.B. direkt Maßnahmen be-
rücksichtigt werden, um Chancen besser zu nutzen und Risiken zu verringern. Die
Kosten/ Nutzen dieser Maßnahmen können direkt in der Planung/ Prognose be-
rücksichtigt werden. Die Bottom-up Risiko-Identifikation sollte einmal jährlich
zusammen mit der Mittelfristplanung erfolgen. Zu jeder Quartalsprognose genügt
ein Update der bestehenden Risikosituation. Um gemäß der OR-Neuregelung ab
2008 die Risikobeurteilung zum Jahresabschluss vornehmen zu können, sollten
die wesentlichen für die Beurteilung der Jahresrechnung relevanten Risiken per
31.12. aktualisiert werden.

B) Bewertung und Aggregation


Nachdem alle Risiken vollständig identifiziert wurden, hat die Risikobewertung
das Ziel, die möglichen Auswirkungen der Risiken abzuschätzen und darüber die
3.8 Risikomanagement in der Elektrizitätswirtschaft 177

Basis für die Risikobehandlung zu legen. Gemäß CCRO ist die Risikobewertung
der zwischen den verschiedenen Unternehmen am unterschiedlichsten gehandhab-
te Schritt im Rahmen des Risikomanagements.
Um alle Risiken einheitlich und vergleichbar zu bewerten, muss zunächst mög-
lichst genau festgelegt werden, wie die Risiken bewertet werden sollen.
Credible Worst Case Szenario
Wie bereits weiter oben beschrieben, ist ein Risiko eine mit einer Eintrittswahr-
scheinlichkeit und Schadenhöhe bewertete Gefahr. Die Gefahr entsteht durch ein
plötzlich oder allmählich eintretendes Ereignis, welches auf ein Objekt des Unter-
nehmens (Mitarbeiter, Anlage, etc.) einwirkt. Eine bestimmte Gefahr kann in sehr
verschiedenen Szenarien auftreten. Z.B. könnte ein Bearbeitungsfehler im Ener-
giehandel nur eine kleine Korrektur erfordern, ohne großen Schaden anzurichten
(Problem) oder aber einen katastrophalen Verlust erzeugen (Katastrophe). Prob-
leme mit geringer Auswirkung treten tendenziell öfter auf als Fehler mit katastro-
phalen Folgen. Für die Risikobewertung stellt sich die Frage, ob man eher ein
Problem mit geringer Auswirkung aber hoher Häufigkeit, oder den Katastrophen-
fall mit geringer Eintrittswahrscheinlichkeit aber hohem Schaden, oder einen Fall
dazwischen bewerten will.
Die AS/NZS 4360:2004 und die ONR vertreten beide die Auffassung, dass der so
genannte „credible worst case“ bewertet werden sollte, d.h. das schlimmstmögli-
che aber dennoch glaubhaft und vernünftige Szenario. Grund ist, dass diese Ge-
fahren die größte Bedrohung für die Existenz des Unternehmens darstellen und
der Unternehmensleitung bekannt sein sollten.
In manchen Fällen kann es auch angebracht sein, den Problem- und den Katastro-
phenfall einer Gefahr als getrennte Risiken zu behandeln. So könnte z.B. ein sehr
oft auftretendes Problem mit kleinem Schaden über die Zeit genauso folgenschwer
sein wie ein katastrophaler Schaden. Außerdem könnten die Maßnahmen zur Be-
handlung des Problemfalls ganz andere sein als für den katastrophalen Fall. Wich-
tig ist eine konsistente Bewertung und nicht die Schadenhöhe des Katastrophen-
falls mit der Eintrittswahrscheinlichkeit des Problemfalls zu mischen. 6
Soll eine Gefahr, um sie später auf der Risk Map einzutragen und darüber die
Risikobehandlung zu priorisieren, bewertet werden, sollte das Unternehmen den
credible worst case bewerten. Wird neben dem credible worst case noch ein weite-
res Szenario desselben Risikos in der Risk Map eingetragen, so muss dieses Risi-
ko nicht auch für die Risikokapitalabsicherung doppelt erfasst werden.
Brutto/Netto-Risiko
Bruttorisiko ist das Risiko, dem ein Unternehmen ausgesetzt ist ohne jegliche
Aktivität zur Reduktion von Eintrittswahrscheinlichkeit und Schadenhöhe. Netto-
risiko ist das nach allen Risikomanagement-Maßnahmen verbleibende Risiko.

6
Vgl. AS/NZS 4360:2004 Handbuch S. 67 und ONR 49002-1 S. 7 Absatz 4.2.2.2
178 3 Elektrizitätswirtschaft, Liberalisierung

Obwohl viele Unternehmen aus Vereinfachungs-/ Aufwandsgründen nur das Net-


torisiko bewerten, sollte zunächst das Bruttorisiko bewertet werden. Nur durch
Bewertung der Bruttorisiken kann sichergestellt werden, dass keine wesentlichen
Risiken übersehen werden, weil alle an der Risikobewertung Beteiligten von der
Effektivität der getroffenen Risikomanagement-Maßnahmen überzeugt sind. Au-
ßerdem wird nur bei einer Brutto- und Nettobewertung sichergestellt, dass auch
die Wirksamkeit der getroffenen Maßnahmen noch einmal überprüft wird.
Erwartete/ Unerwartete Gefahren/ Risiken
Nur unerwartet eintretende Gefahren sollten als Risiko bewertet werden. Gefah-
ren, deren Eintritt erwartet wird und die bereits in der Unternehmensplanung be-
rücksichtigt sind, stellen definitionsgemäß kein Risiko mehr dar. Hat ein Unter-
nehmen z.B. im langjährigen Durchschnitt 2% Ausfälle auf ihre Forderungen
gegen Privatkunden, so sollte mindestens der gleiche Ausfall im Ergebnis der
Planung des aktuellen Jahres berücksichtigt sein. Nur darüber hinaus gehende
Ausfälle würden ein Risiko darstellen, das erfasst und gemanaged werden muss.
Auch eine Risikoabsicherung durch Risikokapital ist nur für nicht geplante Gefah-
ren erforderlich.
Primär-/ Sekundäreffekt
Primär- und Sekundäreffekt eines Risikos beziehen sich nur auf die Schadenhöhe
des Risikos. Der Primäreffekt ist der unmittelbare Schaden, der durch Eintritt
eines unerwarteten Ereignisses entsteht (z.B. Reparaturkosten an einer ausgefalle-
nen Turbine). Der Sekundäreffekt ist der mittelbare oder Folge-Schaden aus dem
Ereignis (z.B. Verlust aus dem durch den Turbinenschaden resultierenden Produk-
tionsausfall). Bei der Bewertung der Schadenhöhe eines Risikos müssen immer
Primär- und Sekundär-Effekte berücksichtigt werden.
Zeithorizont
Um alle Risiken einheitlich und vergleichbar zu bewerten, muss die Bewertung
auf den gleichen Zeithorizont bezogen sein. Üblicherweise wird als Zeithorizont
mit einem Jahr gearbeitet. Grund dafür ist, dass mindestens einmal pro Jahr eine
bottom-up Erhebung der Risikosituation erfolgen sollte und dass ein Jahr ungefähr
die erforderliche Zeit für die Umsetzung größerer Risikomanagement-Maßnahmen
oder die Beschaffung von zusätzlichem EK ist. Wichtig ist, dass jede Dimension
der Bewertung, also z.B. Eintrittswahrscheinlichkeit UND Schadenhöhe, für den
gleichen Zeithorizont bewertet werden.
Wenn die bottom-up Risikoerhebung parallel zum Mittelfristplanungsprozess
erfolgt, sollte das Bezugsjahr dem Budgetjahr entsprechen.
Bewertungseinheit
Ebenfalls aus Gründen der Vergleichbarkeit sollten alle Risiken gegenüber einer
einheitlichen Bezugsgröße bewertet werden.
Grundsätzlich muss die Bewertungseinheit in Abhängigkeit der Ziele des Risiko-
managements gewählt werden.
3.8 Risikomanagement in der Elektrizitätswirtschaft 179

Quantitative/ Qualitative Bewertungstechniken


Die Bewertung von Risiken kann qualitativ, semi-quantitativ oder quantitativ
erfolgen, wobei Komplexität und Kosten von der qualitativen zur quantitativen
Bewertung ansteigen. Welchen Bewertungsansatz man wählt, hängt von den Zie-
len ab, die man mit Risikomanagement verfolgt, sowie den verfügbaren Ressour-
cen.
Bei einer qualitativen Bewertung werden Eintrittswahrscheinlichkeit und Auswir-
kung eines Risikos verbal beschrieben, statt numerisch bestimmt. Mit Hilfe verba-
ler Formulierungen können Klassen definiert werden, die eine Einordnung der
Risiken auf einer Risk Map zulassen. Z.B. könnten die Klassen: „unbedeutend“,
„gering“, „spürbar“, kritisch“, „katastrophal“ für eine Einordnung der Risiken
nach der Stärke ihrer Auswirkungen dienen. Qualitative Bewertungen können
eingesetzt werden, wo:
x nicht ausreichend Informationen für eine quantitative Bewertung vorhan-
den sind,
x diese Art der Bewertung ausreicht, um die Ziele des Risikomanagements
zu erreichen,
x das vermeintliche Ausmaß des Risikos den Aufwand einer Quantifizie-
rung nicht rechtfertigt
Um Konsens über Eintrittswahrscheinlichkeit und Schadenhöhe bei qualitativer
Risikobewertung zu erhalten, können dieselben Techniken wie bei der Risikoiden-
tifikation angewandt werden: z.B. moderierte Workshops.
Bei einer semi-quantitativen Bewertung werden den qualitativ definierten Risiko-
klassen Werte zugeordnet. Ziel ist ein verbessertes Ranking der Risiken zu ermög-
lichen, ohne den Aufwand für eine Quantifizierung investieren zu müssen. Da die
den Klassen zugeordneten Werte keinen exakten Bezug zur Eintrittswahrschein-
lichkeit und Schadenhöhe der Risiken haben, können die Faktoren nicht kombi-
niert werden, um daraus eine Risikobewertung abzuleiten. Die den Risikoklassen
zugeordneten Werte spiegeln ggf. die Relationen zwischen einzelnen Risiken nicht
korrekt wider, was zu falschen Rückschlüssen führen kann. Man muss also darauf
achten, die Ergebnisse einer semi-quantitativen Bewertung nicht genauer zu inter-
pretieren als die verbale Skala zulässt. Aus diesen Gründen warnen die AS/NZS
4360:2004 vor dem Einsatz semi-quantitativer Bewertungstechniken.
Bei einer quantitativen Bewertung werden sowohl Schadenhöhe als auch Ein-
trittswahrscheinlichkeit numerisch bestimmt. Quantitative Bewertungen erlauben
eine bessere Risikoanalyse, weil z.B. die Relationen zwischen Risiken besser
eingeschätzt werden können. Die Qualität einer quantitativen Bewertung hängt
stark von den zu Grunde gelegten Annahmen, Daten und Modellen ab. Daraus
möglicherweise resultierende Unsicherheiten und Variabilitäten in der Risikobe-
wertung müssen in der Risikoanalyse beachtet und klar kommuniziert werden.
180 3 Elektrizitätswirtschaft, Liberalisierung

Bei den quantitativen Bewertungen kann man gem. COSO drei Techniken unter-
scheiden:
1. Benchmarking: Einige Unternehmen nutzen Benchmarking, um Ein-
trittswahrscheinlichkeit und Schadenhöhe von branchenüblichen Risiken
zu bewerten.
2. Probabilistische Modelle: Bewerten Eintrittswahrscheinlichkeit und
Schadenhöhe basierend auf historischen Daten oder Simulationen und
projizieren diese auf die Zukunft. Beispiele sind: VaR, EaR und CFaR
Ansätze.
3. Non-Probabilistische Modelle: Quantifizieren die Schadenhöhe auf Ba-
sis subjektiver Annahmen, ohne die Eintrittswahrscheinlichkeit zu quan-
tifizieren. Beispiele sind: Szenario-Analysen, Sensitivitätsmasse und
Stress Tests.
In einem Konzern/ Unternehmen müssen nicht überall die gleichen Bewertungs-
methoden angewandt werden. Die Methode kann der benötigten Genauigkeit oder
den Erfahrungen des Geschäftsfelds angepasst werden. Um ERM betreiben zu
können, sollten die angewandten Methoden aber die Aggregation der Risiken zu
einer Konzernrisikozahl ermöglichen. So könnten z.B. die meisten Risiken über
einen VaR bewertet werden, das Geschäftsrisiko aber über einen EaR Ansatz. EaR
und VaR sind aggregierbar.
Bewertung von Chancen
Chancen werden analog zu Risiken mit Eintrittswahrscheinlichkeit und Auswir-
kung bewertet und auf einer Opportunity Map abgetragen. Rechts oben werden
dann die Opportunities stehen, auf deren Wahrnehmung sich das Unternehmen
konzentrieren sollte. Die übrigen Bewertungstechniken qualitativer und quantitati-
ver Art sollten analog auf Chancen übertragbar sein.
Verwendung beobachtbarer Daten
Unabhängig davon, ob Risiken qualitativ oder quantitativ bewertet werden, sollte
die Bewertung immer unter Berücksichtigung allen verfügbaren Datenmaterials
erfolgen, welches eine objektivere Risikobeurteilung als eine rein subjektive Ein-
schätzung zulässt. Interne Daten, die unternehmensindividuelle Erfahrungen wi-
derspiegeln sind dabei besser als externe. Selbst wenn interne Daten vorliegen,
können externe Daten einen zusätzlichen Anhaltspunkt für die Risikobewertung
liefern. Bevor vergangene Daten dazu verwendet werden Prognosen für die Zu-
kunft zu machen, muss geprüft werden, ob die das Risiko beeinflussenden Fakto-
ren sich ggf. geändert haben. Erst wenn gar keine Daten erhältlich sind, muss
geschätzt werden. Schätzungen können durch Diskussion in der Gruppe validiert
und auf eine breitere Grundlage gestellt werden.
3.8 Risikomanagement in der Elektrizitätswirtschaft 181

Wesentlichkeitsgrenzen
Frühestens im Rahmen der Risikobeurteilung können erste Risiken aus dem weite-
ren Prozess herausgenommen werden. Denkbar wäre, eine Wesentlichkeitsgrenze
einzuführen und z.B. Risiken mit einer Eintrittswahrscheinlichkeit kleiner 1% für
die weiteren Risikomanagement-Schritte außer Acht zu lassen. Mehrere Einzelri-
siken mit Eintrittswahrscheinlichkeiten <1%, die durch Wechselwirkungen eine
Eintrittswahrscheinlichkeit >1% haben können, sollten jedoch wieder berücksich-
tigt werden. Auch Risiken, die einzeln existenzgefährdend werden können (Scha-
den zehrt mehr als 100% des EBITDA oder mehr als 50% des EK auf), sollten
weiterhin berücksichtigt werden. Die derart „aussortierten“ Risiken sollten den-
noch katalogisiert und regelmäßig überprüft werden, um nicht in Vergessenheit zu
geraten.
Dokumentation der Risikobewertung
Das Zustandekommen der Risikobewertung muss gut dokumentiert sein, um spä-
ter z.B. nach Mitarbeiterwechseln nachvollziehbar zu sein. Es sollte dokumentiert
werden, wie hoch das Bruttorisiko ist, welche Risikominderungsmaßnahmen mit
welchem Einfluss berücksichtigt wurden, um auf das Nettorisiko zu kommen,
welche Annahmen insbesondere für Auswirkungen bei Risiken mit immateriellen
Schäden wie Reputation getroffen wurden, welche Primär- und Sekundärschäden
berücksichtigt wurden etc.
Korrelation von Einzelrisiken
Unter Korrelation von Risiken versteht man den Zusammenhang zwischen ver-
schiedenen Risikoursachen. Risikoursachen sind dann korreliert, wenn der Eintritt
von Ereignis A den Eintritt von Ereignis B auslöst oder dessen Eintrittswahr-
scheinlichkeit oder Schadenhöhe beeinflusst.
Korrelationen können über eine Risiko-Treiber-Karte analysiert werden. Hier
werden alle Risiken einer Risikokategorie aufgetragen und die Zusammenhänge
über Pfeile verdeutlicht. Kernfrage ist, verändert das Eintreten eines Events alleine
oder in Zusammenhang mit anderen die Eintrittswahrscheinlichkeit oder Schaden-
höhe eines anderen Events? Ist die Risikotreiber-Karte erstellt, kann man auf die
wichtigsten Events (= die, die sich durch Korrelation in ihrer Wirkung/ Eintritts-
wahrscheinlichkeit verstärken) fokussieren, um sie besser zu verstehen und zu
managen. 7
Die Korrelation wird über eine Zahl zwischen 0 und 1 ausgedrückt. Bedeutet das
Eintreffen von Ereignis A zwingend, dass auch Ereignis B eintritt, so ist die Kor-
relation = 1. Tritt B auf keinen Fall ein, wenn A eintritt, ist die Korrelation = -1.
Sind A und B unabhängig voneinander, ist die Korrelation = 0. Positiv korrelierte
Ereignisse verstärken sich in ihrer Wirkung, während negativ korrelierte Ereignis-
se zu einem Diversifikationseffekt führen.

7
Vgl. ERM FAQ Guide, Protiviti Inc., S. 61
182 3 Elektrizitätswirtschaft, Liberalisierung

Die Berücksichtigung von Korrelationen ist ein wesentlicher Aspekt eines ERM
Ansatzes. Im Vergleich zu den bisher üblichen Insellösungen für einzelne Risiken
in einzelnen Geschäftsfeldern, zeichnet sich ERM dadurch aus, dass alle Risikoar-
ten über die Geschäftsfelder hinweg mit vergleichbaren Messgrößen bewertet,
aggregiert und dann auf Portfolioebene gemanaged werden. Bei der Aggregation
müssen Korrelationen berücksichtigt werden. Nur so werden die Portfolioeffekte,
die zu einer effizienteren Nutzung von Risikokapital führen, ausgenutzt und die
Ausschöpfung des definierten Risikoappetits richtig ermittelt.
Die Quantifizierung von Korrelationen steckt derzeit weltweit noch in den Anfän-
gen. Idealerweise werden Korrelationen auf der Basis historischer Daten über
Regressionsanalysen abgeleitet. Die dazu erforderliche Datenbasis ist in den meis-
ten Unternehmen jedoch nicht vorhanden. Alternativ bleibt nur, die Korrelationen
über subjektive Einschätzung z.B. mit Hilfe der oben erwähnten Risikotreiber-
Karte „abzuschätzen“. Auf diesem Weg ist i.d.R zumindest eine tendenzielle Be-
wertung der Korrelation zwischen zwei Risiken möglich. Tendenziell heißt, man
kann sagen, ob die Korrelation 1,-1 oder 0 ist, beziehungsweise zwischen 0 und 1
oder 0 und -1 liegen müsste. Allein eine derartige Tendenzaussage ist für die Ab-
schätzung von Portfolioeffekten schon sehr hilfreich. Eine Fehleinschätzung kann
aber auch zu einer erheblichen Fehleinschätzung des Portfolioeffekts und damit
der berechneten Risikoposition führen, so dass Korrelationen immer konservativ
bewertet werden sollten. Im konservativsten Fall geht man davon aus, dass alle
Einzelrisiken positiv korreliert sind und addiert sämtliche Einzelrisiken auf. Die-
sen Ansatz sollte man wegen der daraus resultierenden starken Überschätzung des
Risikos nur wählen, wenn keine Abschätzung der Korrelation möglich ist.
Bei der Aggregation von Risiken entlang des Limitenbaums müssen immer wieder
Korrelationen berücksichtigt werden. Die Auswirkung einer Fehleinschätzung
wird umso größer, je weiter oben im Limitenbaum man sich befindet. Insbesonde-
re für die Korrelationen auf höheren Stufen des Limitenbaums sollte daher ver-
sucht werden, externe Benchmarks zu erhalten. So sollte z.B. die Korrelation des
Kredit- und des Marktrisikos im Handel der Korrelation dieser Risiken bei einer
Bank ähnlich sein. Bei dem Vergleich mit Benchmarks ist zu beachten, dass die
Risikokategorie mit der des als Vergleich genutzten Benchmarks identisch ist. Die
Dresdner Bank schätzt die Zusammenhänge ihrer Hauptrisikoarten wie folgt ein 8
(Tabelle 3.21):

8
Quelle: Präsentation an der Uni Köln, Seminar für Allgemeine Bank BWL, Dr. Martin Knippschild,
8.11.2005, S. 22
3.8 Risikomanagement in der Elektrizitätswirtschaft 183

Tabelle 3.21. Qualitative Korrelationen zwischen den Risikokategorien.

Kreditrisiko MarktrisikoGeschäftsrisiko Operatives


Risiko
Kreditrisiko 100% Hoch Mittel Niedrig

Marktrisiko Hoch 100% Mittel niedrig

Geschäftsrisiko Mittel Mittel 100% mittel


Operatives Risi- Niedrig Niedrig Mittel 100%
ko

Risiko-Aggregation
Die Aggregation von Einzelrisiken zu einer Konzernrisikozahl ist nur möglich,
wenn alle Einzelrisiken quantifiziert wurden. Erfolgte die Risikobewertung mit
einer VaR, EaR oder CFaR Größe, ist eine Aggregation mathematisch gut mög-
lich.

Risiko-Priorisierung
Nachdem alle Risiken bewertet wurden, muss als nächstes eine Risiko-Priorisie-
rung durchgeführt werden. Kein Unternehmen hat ausreichend Ressourcen, um
alle seine Risiken zu behandeln oder Chancen zu verfolgen. Über die Priorisierung
werden aus der Gesamtheit der Risiken/ Chancen die herausgefiltert, die einer
weiteren Behandlung bedürfen. Wie die Risikopriorisierung erfolgen sollte, hängt
von den Zielen ab, die das Unternehmen mit Risikomanagement verfolgt. Die mit
dem Risikomanagement verfolgten Ziele inkl. Kriterien anhand derer je Risiko
ermittelt werden kann, ob es die Risikotoleranzgrenze überschritten hat, sollten in
der Risikostrategie definiert werden.
Ein weit verbreiteter Ansatz ist, Risiken in drei Klassen zu unterteilen: 9
1. Ein oberes Band, in dem Risiken als inakzeptabel angesehen werden un-
abhängig vom Nutzen, der mit diesen Risiken verbunden ist, und in dem
Risiken reduziert werden müssen, unabhängig von den dabei anfallenden
Kosten.
2. Ein mittleres Band, in dem Kosten und Nutzen von Risiken und Bewälti-
gungs-Maßnahmen abgewogen werden, bevor sie ergriffen werden.
3. Ein unteres Band, in dem Risiken als vernachlässigbar klein angesehen
werden, so dass keine Behandlung erforderlich ist.

9
Vgl. AS/NZS 4360:2004 Handbuch, S. 65
184 3 Elektrizitätswirtschaft, Liberalisierung

Setzt das Unternehmen Risikomanagement zur sichereren Erreichung der Unter-


nehmensziele ein, müssen die Risiken, die den größten Einfluss auf die Unter-
nehmensziele haben als erstes behandelt werden. In der Risikostrategie sollten
Grenzwerte definiert werden, ab denen ein Risiko auf jeden Fall behandelt werden
muss bzw. ab denen es akzeptabel ist. Ist ein Unternehmensziel z.B. die Errei-
chung von 10% Marktanteil im fremden Versorgungsgebiet, so könnte ein Risiko,
was dieses Ziel um 5% gefährdet, als auf jeden Fall zu behandeln definiert wer-
den, ein Risiko mit 0,1% Gefährdungspotential könnte dagegen als akzeptabel
definiert werden.
Besteht das Ziel von Risikomanagement darin, die Risiken mit dem größten Ver-
lust-/Existenzgefährdungspotential für das Unternehmen zu identifizieren (wie
z.B. bei den meisten Unternehmen in Deutschland, die Risikomanagement nach
dem KONTraG betreiben), müssen die Risiken mit der größten Eintrittswahr-
scheinlichkeit und Schadenhöhe herausgefiltert werden. Das am weitesten verbrei-
tete Werkzeug für diese Art der Risikopriorisierung ist die Risk Map. Sie besteht
aus einem Koordinatensystem, an dessen Achsen Eintrittswahrscheinlichkeit und
Schadenhöhe aus der Risikobewertung abgetragen werden. Je Unternehmen wer-
den Eintrittswahrscheinlichkeit und Schadenhöhe in unterschiedlich viele qualita-
tiv oder quantitativ beschriebene Klassen unterteilt. Aus der Anzahl der Klassen
ergeben sich dann Felder auf der Risk Map, über die die Risikopriorisierung er-
folgt. Abbildung 3.58 zeigt beispielhaft einen Aufbau von einer Risk Map.

Höhe in Bezug auf


Existenzgefährdung Schadenhöhe [Mio CHF]

gravierend
100%

hoch
25%
moderat
5%
unwesentlich Eintritts-
wahrscheinlich-
5% 20% 50% 100% keit pro Jahr
ich ich ich
nl lte
n
nl nl
ei ei ei
sc
h se h c h
hr sc rs
a hr ah
un
w wa w
hr
se

Abb. 3.58. Risk Map zur Darstellung der Priorisierung der Unternehmensrisiken
3.8 Risikomanagement in der Elektrizitätswirtschaft 185

C) Steuerung / Maßnahmen
Eingangsgröße für diesen Schritt ist eine Liste von priorisierten Risiken, die einer
Behandlung bedürfen. Im Rahmen dieses Schrittes werden dann Behandlungsop-
tionen je Risiko identifiziert und bewertet, Implementierungspläne aufgestellt und
umgesetzt.
Grundsätzlich fallen alle Behandlungsmöglichkeiten für ein Risiko in eine der
folgenden Kategorien:
Vermeiden: Es werden Maßnahmen getroffen, die Aktivitäten, die das Risiko
verursachen, zu unterlassen bzw. gar nicht erst anzufangen. So könnten Risiken
vermieden werden, indem bestimmte Produkte nicht mehr hergestellt werden,
nicht in einen neuen geographischen Markt expandiert wird oder ein Teilkonzern
verkauft wird.
Reduzieren: Es werden Maßnahmen getroffen, die Eintrittswahrscheinlichkeit
und/ oder Schadenhöhe des Risikos bis auf ein für das Unternehmen akzeptables
Maß zu reduzieren. Dazu könnte z.B. die räumliche Trennung von zentraler Leit-
stelle und EDV-Rechenzentrum gehören, um in einem Katastrophenfall nicht
beides zu verlieren (Reduktion Schadenhöhe) oder die Verbesserung von internen
Kontrollaktivitäten, um die Eintrittswahrscheinlichkeit bestimmter Risiken zu
reduzieren.
Teilen: Es werden Maßnahmen getroffen, die Eintrittswahrscheinlichkeit und/
oder Schadenhöhe des Risikos bis auf ein für das Unternehmen akzeptables Maß
zu reduzieren, indem es mit anderen Parteien geteilt oder auf andere Parteien
transferiert wird. Gängige Techniken Risiken zu teilen sind das Abschließen von
Versicherungen oder anderen Verträgen wie z.B. Outsourcing Verträge.
Akzeptieren: Es werden keine Maßnahmen getroffen, um Eintrittswahrschein-
lichkeit und/ oder Schadenhöhe des Risikos zu beeinflussen. Das Akzeptieren
eines Risikos lässt darauf schließen, dass es sich bereits im für das Unternehmen
akzeptablen Rahmen befindet. Ein Risiko zu akzeptieren bedeutet jedoch nicht,
dass es einfach tatenlos hingenommen wird. Stattdessen könnte es sein, dass ein
Unternehmen das Risiko bewusst akzeptiert, weil es einen angemessenen Nutzen
oder Wettbewerbsvorteil bietet, und sich gegen die mögliche Gefahr mit EK/
Liquidität absichert. Ein Risiko könnte auch deshalb akzeptiert werden, weil es ein
anderes Risiko gibt, durch welches es ganz oder teilweise kompensiert wird.
Schließlich könnte das Risiko deshalb akzeptiert werden, weil für dessen Über-
nahme am Markt eine angemessene Risikoprämie erzielbar ist.
Bei der Behandlung von Chancen kann analog vorgegangen werden. Chancen
können aktiv angegangen werden, indem Aktivitäten gestartet werden, um die
Chance zu kreieren oder aufrecht zu erhalten. Eintrittswahrscheinlichkeit und
Schadenhöhe der Chance können erhöht werden, die Chance kann geteilt werden,
etc.
186 3 Elektrizitätswirtschaft, Liberalisierung

Identifikation von Risikobehandlungsmaßnahmen


Bevor nach Risikobehandlungsmaßnahmen gesucht wird, sollte ein Unternehmen
sich überlegen, ob das betrachtete Risiko überhaupt eingegangen werden soll oder
nicht. Akzeptabel sind Risiken, die mit dem Kerngeschäft des Unternehmens
einhergehen und aus denen es sein Erfolgspotential bzw. seine Wettbewerbsvortei-
le zieht, die messbar und managebar sind und die einen ausreichenden Nutzen
bringen. Wenn z.B. mit einer Geschäftsaktivität bedeutende Risiken verbunden
sind, die nicht managebar sind, muss das Unternehmen überlegen, ob es diese
Aktivität fortführen will. Nicht wünschenswert sind Risiken, die nichts mit dem
Kerngeschäft zu tun haben, keinen ausreichenden Nutzen bringen oder nicht
messbar und managebar sind. Diese Risiken gilt es zu vermeiden oder zu teilen.
Indem Randrisiken übertragen werden, kann mehr Risikokapital für den eigentli-
chen Geschäftszweck eingesetzt werden.
Entschließt sich das Unternehmen ein Risiko nicht zu vermeiden, müssen Behand-
lungsoptionen identifiziert und bewertet werden. Dabei sollte zunächst geprüft
werden, ob es bekannte weit verbreitete Behandlungsoptionen für das betrachtete
Risiko gibt und ob diese auch für die eigene Situation geeignet sind.

D) Überwachung
Im Rahmen des Monitorings wird die Einhaltung aller in den vorherigen Schritten
beschlossenen Maßnahmen überwacht. Dazu gehören z.B.:
- Einhaltung von Limiten
- Veränderungen der Risikoposition
- Absicherung durch Risikokapital
- Einhaltung von Risiko-Rendite Vorgaben
- Fortschritt und Wirksamkeit der Umsetzung von Risikobehandlungsmaß-
nahmen
- Einhaltung von Vorgaben der Risikopolitik
- Etc.
Über das Reporting werden regelmäßig Informationen über die Risikosituation
und die Ergebnisse des Monitorings von der operativen Ebene an das Management
berichtet. Weil z.B. Limite die Grenze zwischen zulässigem und zu behandelndem
Risiko darstellen, ist das Monitoring und Reporting von Limit-Überschreitungen
eine kritische Information vom operativen Geschäft an das Management, welches
letztendlich für das Risikomanagement und die Unternehmensperformance ver-
antwortlich ist. Ohne zeitnahe Informationen kann das Management dieser Ver-
antwortung nicht gerecht werden. Um Konsistenz, Transparenz und Korrektheit
der Daten sicher zu stellen, sollte eine formale Reporting-Struktur mit regelmäßi-
gen Standard Reports aufgesetzt werden. Die Reporting-Struktur wird später als
zentrales Nervensystem dienen, welches alle kritischen Risiko-Informationen an
3.8 Risikomanagement in der Elektrizitätswirtschaft 187

alle interessierten Parteien liefert. Die Reporting-Struktur sollte so aufgesetzt


werden, dass die gleichen Informationen an zwei unabhängige Instanzen gehen,
um eine Art vier Augen-Prinzip und Validierung der aus den Risikoinformationen
gezogenen Schlüsse sicher zu stellen.
Monitoring und Reporting spielen auch eine kritische Rolle bei der Schaffung
einer risikobewussten Unternehmenskultur, da sie permanent an Limite und die
Risikotoleranz des Unternehmens erinnern. Monitoring und Reporting betonen die
Verantwortung für die Einhaltung der Risikopolitik und den damit einhergehenden
Limiten.
Folgende Übersicht zeigt beispielhaft, welche Reports wie oft an welche Empfän-
ger gehen könnten:
188 3 Elektrizitätswirtschaft, Liberalisierung

Post Event Analyse


Wenn ein Risiko eingetreten ist, sollte analysiert werden, ob es bekannt war, kor-
rekt eingeschätzt wurde, die Kontrollmechanismen wie gewollt funktioniert haben,
etc. Solche Informationen könnten auch in einer Event Datenbank gesammelt
werden und später für Analysen oder die Einschätzung von Eintrittswahrschein-
lichkeit und Schadenhöhe anderer Risiken genutzt werden.

3.8.2.4. Weitere mögliche Komponenten eines Enterprise Risk Mana-


gements

A) Erhöhung der Planungssicherheit


Der Aufbau eines Planungsmodells macht die Planungssicherheit sowie die we-
sentlichen das EBITDA beeinflussenden Risikofaktoren transparent.
Im heutzutage zunehmend unsicherer werdenden Marktumfeld (z.B. durch die
anstehende Marktliberalisierung in der Schweiz) wird es für Aktiengesellschaften
immer wichtiger, dem Kapitalmarkt zu demonstrieren, dass das Unternehmen
seine Finanzen im Griff hat und ihm die Risiken transparent sind, die die ange-
kündigte Unternehmensentwicklung beeinträchtigen könnten. Für Aktiengesell-
schaften, die Ergebnisprognosen veröffentlichen, ist es sehr wichtig diese auch zu
erreichen. Spätestens bei der zweiten Verfehlung einer Ergebnisprognose (egal, ob
nach oben oder unten), die nicht sehr gut begründet werden kann, muss ein Unter-
nehmen mit massiven Kursabschlägen rechnen. Gemäß einer Studie von
Ernst&Young unter 137 institutionellen Anlegern aus 16 Ländern können Unter-
nehmen mit einem guten Risikomanagement hingegen mit einer Kursprämie rech-
nen 10 .
Die im Folgenden beschriebenen Earnings at Risk Ansätze helfen dem Manage-
ment, den in der Planung angestrebten Jahresüberschuss mit größerer Sicherheit
zu erreichen, können aber auch zu einem ganzheitlichen Risikomanagement-
Ansatz ausgebaut werden.
Pro Forma Modell der stochastischen Planung
Basis dieses Ansatzes ist ein Planungsmodell des Unternehmens, bestehend aus
den Positionen der Plan-Bilanz und Plan-GuV (GuV = Gewinn- und Verlustrech-
nung). Im einfachsten Fall werden die Positionen z.B. der Plan GuV als Zufallsva-
riable modelliert. Da auf eine einzelne GuV Position eine Vielzahl von Einfluss-
faktoren einwirken, die sich kaum trennen lassen („verteilungsorientierte Risi-
ken“) werden sie als Normalverteilung modelliert. Nach dem „Zentralen Grenz-
wertsatz“ aus der Statistik konvergiert die Summe vieler Einzeleinflüsse gegen
eine Normalverteilung. Als Erwartungswert der Normalverteilung wird der über
das übliche Controlling-Instrumentarium abgeleitete Planwert der Position ver-
wendet. Nur die Abweichungen von diesem Planwert (= Erwartungswert) stellen

10
Amhofer&Schweizer: „Anleger bezahlen Prämie für risikobewusste Unternehmen“, Artikel aus
Finanz und Wirtschaft Nr. 93; S. 22; 23.11.2005
3.8 Risikomanagement in der Elektrizitätswirtschaft 189

das Risiko dar. Hier ist es wichtig, dass über die Planungsmethoden des Control-
lings ein zuverlässiger Erwartungswert ermittelt wird. Würde der Planwert nicht
mit dem Erwartungswert übereinstimmen, würden die Abweichungen aufgrund
unsauberer Planung als Risiko gemessen. Die Standardabweichung der Normal-
verteilung wird aus der historischen Entwicklung des Positionswertes ermittelt
(auf Basis einer 5-10 Jahres Zeitreihe).
Einzelne GuV Positionen könnten auch von außerordentlichen Ereignissen („er-
eignisorientierte Risiken“) abhängen. Diese Positionen werden dann als Binomial-
verteilung modelliert mit den Zuständen: Risiko tritt ein oder nicht.
Wird dies für jede GuV Position gemacht, dann kann z.B. mit Hilfe des Tools
Crystal Ball ein Simulationsmodell für die GuV aufgebaut werden mit dem Jah-
resüberschuss als Ergebnisgröße. Crystal Ball kann dann in unabhängigen Simula-
tionsläufen viele Geschäftsjahre durchspielen und jeweils die Ausprägungen der
GuV sowie der Zielgröße Jahresüberschuss berechnen. Durch die Simulation wird
eine repräsentative Stichprobe aller möglichen Risiko-Szenarien des Unterneh-
mens bestimmt und ausgewertet. Aus den ermittelten Realisationen der Zielgröße-
Jahresüberschuss ergibt sich eine Wahrscheinlichkeitsverteilung, auf deren Basis
ein Earnings at Risk Wert errechnet werden kann. Bei diesem Earnings at Risk
Wert handelt es sich um die innerhalb einer Periode mit einer bestimmten Konfi-
denz maximale Abweichung des Jahresüberschusses von dem aus der Planung
erwarteten Wert.
Über den gleichen Ansatz kann auch ein Cashflow at Risk Modell (CFaR) aufge-
baut werden, um ein bestimmtes Cashflow Ziel besser zu erreichen und das Liqui-
ditätsrisiko besser zu managen. Da die Berechnung des Cashflows aber schon
wesentlich komplexer ist als die des Jahresüberschusses, ist bereits der Aufbau
eines Pro Forma Modells sehr anspruchsvoll.

Option 1 Option 2
Plan GuV 2008 Pro Forma Modell Risikofaktormodell
• Modellierung der GuV • Modellierung der
Umsatz 1.000
Positionen (z.B. Umsatz) als Risikofaktoren je GuV
+ Sonstige Erträge 250 Zufallsvariable Position als Zufallsvariable
- Materialaufwand 500 • Erwartungswert = Budgetwert (z.B. Preis und Menge statt
• Standardabweichung aus Umsatz)
- Personalaufwand 300
Historie • Erwartungswert = Budgetwert
- Sonstiger Aufwand 100 • Standardabweichung aus
= EBITDA 350 Historie angepasst gemäß
Erwartung
- Abschreibungen 200
+ Finanzergebnis 80
Monte Carlo Simulation &
- A.O. Ergebnis -40 Sensitivitätsanalysen
= Ergebnis vor Steuern 190

Ergebnis:
• Earnings at Risk (EaR) Wert für EBITDA, der die mögliche
Schwankungsbreite aufzeigt
• Schwankungsbreite je GuV Position
• GuV Positionen/ Risikofaktoren mit grösstem Einfluss auf
EBITDA

Abb. 3.59. Modelloptionen zum Sichtbarmachen der Schwankungsbreite des Jahresergeb-


nisses.
190 3 Elektrizitätswirtschaft, Liberalisierung

Vorteile
Der Vorteil dieses Ansatzes besteht darin, dass die Planungsunsicherheit jeder
einzelnen Position, aber insbesondere der Zielgröße Jahresüberschuss, verdeutlicht
wird. Es wird klar, ob wichtige Größen, wie der Umsatz oder der Jahresüber-
schuss, um ein 1% oder um 20% um den Planwert schwanken können. Dabei wird
nicht nur das Risiko, also die mögliche Abweichung vom Planwert nach unten,
sondern auch die Chance den Planwert zu übertreffen, sichtbar gemacht. Über
Sensitivitätsanalysen kann ermittelt werden, welche GuV Positionen den Jahres-
überschuss besonders stark beeinflussen. Durch Analyse der Gründe für die
Schwankungen in diesen Positionen und das Ergreifen entsprechender Maßnah-
men kann das Risiko von Abweichungen des Jahresüberschusses vom angestreb-
ten Planwert reduziert werden. Treten dennoch Abweichungen auf, sind diese
besser erklärbar.
Nachteile
Der Nachteil bei diesem Vorgehen besteht darin, dass die Vergangenheit auf die
Zukunft projiziert wird. Durch die Ableitung der Standardabweichung jeder ein-
zelnen Position aus der Vergangenheit, wird angenommen, dass die Volatilität der
einzelnen Positionen sowie die Korrelation der Einflussfaktoren auf jede Position
auch in Zukunft unverändert bleiben. Hinzu kommt, dass buchhalterische Auf-
wandsbuchungen (z.B. die Erhöhung von Pensionsrückstellungen, Goodwillab-
schreibungen, etc.) den EaR Wert verzerren. Da die Bilanz und GuV Positionen
direkt als Zufallsvariable modelliert werden, werden die Risikotreiber nicht deut-
lich. Umsatzschwankungen können z.B. durch Preis- oder Mengen-Schwankungen
oder eine Kombination von beidem verursacht worden sein. Diese für das Mana-
gement und die Verminderung von Risiken relevante Ursache-Wirkungsbeziehung
wird bei diesem Ansatz nicht deutlich.

Abb. 3.60. Modellierung der Margentreiber


3.8 Risikomanagement in der Elektrizitätswirtschaft 191

Kausales Risikofaktormodell der stochastischen Planung


Ein Teil dieser Nachteile kann durch eine weitere Detaillierung des Planungsmo-
dells behoben werden. Dazu werden nicht mehr die Bilanz- und GuV Positionen,
sondern die diese Positionen beeinflussenden Risikofaktoren als Zufallsvariable
modelliert. Es würde also nicht mehr der Umsatz direkt, sondern Preis und Menge
mit ihren Einflussfaktoren modelliert. Bei der Identifikation der relevanten Risiko-
faktoren dient das Risikoinventar aus der regelmäßigen Risikoerhebung als
Grundlage.
Vorteile
Die einzelnen Bilanz- und GuV Positionen können wesentlich detaillierter model-
liert werden. Durch den Aufbau des Modells wird sehr klar, welche Risikofakto-
ren auf welche Positionen wirken, und die Korrelationen dieser Wirkung können
berücksichtigt werden. Bei der Modellierung können in der Zukunft erwartete
Veränderungen historischer Einflussgrößen explizit berücksichtigt werden, so dass
es weniger vergangenheitsorientiert ist. Sensitivitätsanalysen können nun auf
Basis einzelner Risikofaktoren durchgeführt werden und zeigen noch deutlicher,
was den Jahresüberschuss wie stark beeinflusst. Neue Risikofaktoren können
jederzeit in das Modell integriert werden.
Die detailliertere Verdeutlichung von Ursache-Wirkungs-Beziehungen und die
realitätsnähere Abbildung zukünftiger Erwartungen verdeutlichen dem Manage-
ment, auf welche Risiken es sich konzentrieren muss, um den geplanten Jahres-
überschuss sicherer zu erreichen. Der ermittelte EaR Wert auf Konzernebene ist
ein Anhaltspunkt für die Gesamtrisikoposition des Unternehmens.
Nachteile
Den genannten Vorteilen stehen allerdings auch zusätzliche Herausforderungen
gegenüber. In einem so genannten Risikofaktormodell können nur die wichtigsten
Risiken, denen ein Unternehmen unterliegt, modelliert werden. Eine exakte Ab-
bildung der Realität unter Berücksichtigung aller Risikofaktoren ist nicht möglich.
Bei der Interpretation muss bedacht werden, welche Risiken berücksichtigt wur-
den und welche nicht.
Das Modellergebnis kann nur so gut sein wie sein Input. Falsche Berücksichtigung
von Risikofaktoren, falsche Annahmen bezüglich Volatilität, Wahrscheinlich-
keitsverteilungen, Korrelationen, etc. führen zu falschen Analyseergebnissen.
Der ermittelte EaR Wert basiert auf normalen Marktbedingungen. Ähnlich wie bei
VaR Werten muss er Stresstests unterzogen werden, um die Auswirkungen von
unerwarteten Veränderungen in den Risikofaktoren und deren Auswirkung auf das
Ergebnis zu überprüfen.
192 3 Elektrizitätswirtschaft, Liberalisierung

Erweiterung zu einem ganzheitlichen Risikomanagement-Ansatz


Mit Hilfe der beschriebenen Planungsmodelle kann ein ganzheitliches Risikoma-
nagement aufgebaut werden. Im Einzelnen können über das Planungsmodell fol-
gende Aspekte des Risikomanagements realisiert werden:
x Bestimmung des zur Risikoabsicherung erforderlichen Eigenkapitals.
x Überprüfung des eigenen Ratings.
x Bestimmung der Kapitalkosten des Unternehmens.
x Risikoorientierte Steuerung.
Bestimmung des zur Risikoabsicherung erforderlichen Eigenkapitals
Basierend auf der durch das Planungsmodell ermittelten Verteilungsfunktion für
den Jahresüberschuss, kann der Verlust ermittelt werden, den das Unternehmen
unter Beachtung der modellierten Risiken, z.B. mit 95% Wahrscheinlichkeit, im
Budgetjahr maximal erleiden muss. Dieser Verlust sollte durch Eigenkapital und
Liquidität gedeckt sein.
Überprüfung des eigenen Ratings
Die Ausfallwahrscheinlichkeit eines Unternehmens ergibt sich aus dem Wert: 1-
Konfidenzintervall aus der EaR Berechnung. Hat ein Unternehmen genug Eigen-
kapital, um den in einem Jahr mit 99% Wahrscheinlichkeit maximalen eintreten-
den Verlust abzudecken, sollte es ein A Rating haben. Kommt die Hausbank zu
einer anderen Einschätzung, kann dies kritisch hinterfragt werden.
Bestimmung der Kapitalkosten des Unternehmens
Über das Planungsmodell könnten die Eigenkapitalkosten des Unternehmens oder
einzelner Teile abgeleitet werden. Als Formel zur Bestimmung des Kapitalkosten-
satzes bietet sich die Berechnung der WACC (Weighted Average Cost of Capital)
an:
WACC = Kosten EK * EK/GK + Kosten FK * FK/GK
Mit EK = Eigenkapital; FK = Fremdkapital; GK = Gesamtkapital = EK+FK
Der EK Bedarf ergibt sich aus dem zur Risikoabsicherung benötigten EK (zur
Berechnung vgl. Punkt 1). Es wird angenommen, dass nur risikotragendes EK eine
Risikoprämie verdient. Der Eigenkapitalkostensatz basiert auf einer Opportuni-
tätskostenüberlegung. D.h. welche Rendite wäre langfristig für das benötigte EK
in einer Alternativanlage erzielbar, wenn man eine bestimmte Ausfallwahrschein-
lichkeit unterstellt? 11
Auf diesem Weg kann eine Mindestrendite (=WACC) ermittelt werden, die die
Investitionen des Unternehmens erbringen müssen, um Wert zu erzeugen. Der

11
Vgl. Dr. Werner Gleissner; “Auf nach Monte Carlo”, in RISKNEWS Heft 1/2004, S. 36
3.8 Risikomanagement in der Elektrizitätswirtschaft 193

übliche Weg über das Capital Asset Pricing Modell ist nicht nötig 12 . Außerdem
kann auf diesem Weg jedem Geschäftsfeld ein EK Anteil zugeordnet werden,
ohne eine aufwendige bilanzielle Aufteilung des EK vornehmen zu müssen.
Risikoorientierte Steuerung
Setzt man ein Planungsmodell je Geschäftsfeld auf, kann über eine Risiko-Ren-
dite-Kennzahl risikoorientiert gesteuert werden. Je Geschäftsfeld kann dann z.B.
der erwartete Ertrag gem. Mittelfristplanung dem risikobedingten EK-Bedarf
(Berechnung über die EaR vgl. Punkt 1) gegenüber gestellt werden, um den RO-
RAC (Return on Risk Adjusted Capital) zu berechnen. Der RORAC zeigt auf,
welches Geschäftsfeld eine höhere Rendite auf seine EaR verdient. Bei Geschäfts-
feldern mit schlechterem RORAC können dann Maßnahmen identifiziert werden,
um das Risiko zu senken, oder das Ergebnis (bei konstantem Risiko) zu erhöhen.
Erreichbare Ziele
Aufgrund der anstehenden Marktliberalisierung müssen die Schweizer Unterneh-
men mit stärker schwankenden Ergebnissen rechnen. Mit Hilfe der beschriebenen
Planungsmodelle können die Unsicherheiten in einzelnen Planungspositionen, und
ihr relativer Einfluss auf das Jahresergebnis verdeutlicht werden. Konzentriert
man das Risikomanagement auf die Risiken, die den größten Einfluss auf die
kritischen Plangrößen haben, kann man das angestrebte Jahresergebnis sicherer
erreichen (weniger Überraschungen). Das Erreichen zuvor angekündigter Ergeb-
nisse wird das Vertrauen der Stakeholder in das Unternehmen und sein Manage-
ment erhöhen. Sind die Jahresergebnisse im Zeitablauf steigend geplant, tragen die
Planungsmodelle auch zu einer Shareholder Value Steigerung bei. Dasselbe gilt,
wenn es gelingt, mit Hilfe der Planungsmodelle die Volatilität der Jahresergebnis-
se zu senken oder Kosten durch unerwartet eintretende Risiken zu reduzieren.
Nicht erreichbar ist eine Risikoabsicherung, wie nach dem oben beschriebenen
Vorgehen, der Banken. Beim pro Forma Planungsmodell ergibt sich der EaR
Wert, auf dessen Basis das zur Absicherung nötige EK bemessen wird, ausschließ-
lich auf der Basis vergangenheitsorientierter Schwankungen. Angenommen ein
Unternehmen würde auf der Basis eines solchen Modells ihr EK bemessen, dann
wäre unter der Annahme, dass es in den letzten 5 Jahren nie einen Ausfall gab,
kein Aufwand in der GuV vorgesehen. Damit wäre das gesamte Kreditrisiko nicht
abgesichert. Im fortgeschritteneren Risikofaktormodell könnte das Kreditrisiko
zwar modelliert werden, es besteht aber der Nachteil, dass nicht alle Risiken in ein
solches Modell einbezogen werden können. Selbst wenn die wesentlichen Ein-
flussfaktoren berücksichtigt sind, können die unberücksichtigten in Summe den-
noch existenzgefährdend sein, und wären nicht abgesichert.
Allein durch die beschriebenen Planungsmodelle würden auch die gesetzlichen
Anforderungen nicht eingehalten. Sowohl beim Pro Forma als auch beim Risiko-
faktormodell fehlt die risikoorientierte Sicht. Es kann nicht gesagt werden, wie

12
Vgl. Dr. Werner Gleissner; “Die Aggregation von Risiken im Kontext der Unternehmensplanung“,
Zeitschrift für Controlling & Management Heft 5/2004, S. 356
194 3 Elektrizitätswirtschaft, Liberalisierung

hoch das Kredit- oder das Marktpreisrisiko ist, worüber nach IFRS 7 aber geson-
dert zu berichten ist.

B) Zielerreichung erhöhen
Durch die Verknüpfung von Risiken und Unternehmenszielen können die für die
Zielerreichung wesentlichen Risiken erkannt und gemanaged werden
Alle Rahmenwerke zum Thema Risikomanagement vertreten die Auffassung, dass
Risikomanagement betrieben werden sollte, um die Ziele des Unternehmens mit
angemessener Sicherheit zu erreichen. Diese Idee kommt beim Risikomanagement
von Banken bisher zu kurz. Viele Unternehmen die Risikomanagement betreiben,
haben damit begonnen eine systematische Erhebung und Bewertung ihrer Risiken
durchzuführen. Bei der Frage, welche der Vielzahl an Risiken, die bei einer Risi-
koinventur identifiziert werden vorrangig gemanaged werden sollen, fehlt jedoch
der Maßstab. Zunächst werden die existenzgefährdenden Risiken betrachtet, aber
dann fehlt es an Kriterien zur Priorisierung.
Eine weitergehende Priorisierung der Risikobehandlung kann erfolgen, indem die
Risiken den Unternehmenszielen zugeordnet werden. Die Auswirkung jedes ein-
zelnen Risikos auf die Erreichung des Unternehmensziels muss dann unter Be-
rücksichtigung von Korrelationen quantifiziert werden. Risiken, die die Zielerrei-
chung besonders stark beeinflussen müssen vorrangig gemanaged werden.
Bei der Zuordnung der Risiken zu den Unternehmenszielen sollten zwei Ebenen
von Unternehmenszielen unterschieden werden. Strategische und operative Ziele.
Nachdem ein Unternehmen seine Strategie festgelegt hat, sollte diese operationali-
siert werden. Z.B. kann die Unternehmensstrategie: „Profitables Wachstum“ durch
die strategischen Ziele:
- ‚Überdurchschnittliches Wachstum im Segment Key Accounts’ und
- ‚Überdurchschnittliche Profitabilität im Segment Key Accounts’
operationalisiert werden. Um diese strategischen Ziele zu erreichen, werden die
Kennzahlen:
- ‚Umsatzwachstum im Segment Key Accounts im Vergleich zu den übrigen
Segmenten’ und
- ‚Gewinnwachstum im Segment Key Accounts im Vergleich zu den übrigen
Segmenten’
definiert. Für diese beiden Kennzahlen kann dann ein Planwert für das Budgetjahr
sowie die Folgejahre festgelegt werden, um die Zielerreichung messbar zu ma-
chen.
Risiken beeinflussen den Grad der Zielerreichung gemessen an den o.a. Kennzah-
len. Man kann jetzt den Risikokatalog aus der Risikoinventur durchgehen und alle
Risiken, die diese Kennzahlen beeinflussen, herausfiltern. Der Einfluss der Risi-
ken auf die zugeordneten Kennzahlen muss dann quantifiziert werden. Dies kann
3.8 Risikomanagement in der Elektrizitätswirtschaft 195

z.B. durch die Quantifizierung eines Best, Worst und Expected Case erfolgen. In
einem fortgeschritteneren Verfahren können die Risiken auch als Zufallsvariable
über eine Monte Carlo Simulation modelliert werden. Wirken mehrere Risiken auf
eine Kennzahl, muss die Quantifizierung unter Berücksichtigung von Wechsel-
wirkungen erfolgen.
Erreichbare Ziele
Durch die Zuordnung und Quantifizierung der Risiken zu den strategischen Un-
ternehmenszielen, wird die relative Bedeutung einzelner Risiken für die Zielerrei-
chung klar. Das Risikomanagement kann sich dann auf die für die Zielerreichung
wesentlichen Risiken konzentrieren. Dasselbe Vorgehen kann für die operativen
Ziele z.B. in den Geschäftsfeldern angewandt werden. Durch das gezielte Mana-
gement der für die Zielerreichung wesentlichen Risiken sollten die Unterneh-
mensziele mit größerer Wahrscheinlichkeit erreicht werden. Es sollte weniger
Überraschungen bei der Zielerreichung geben, und die Corporate Governance
wird verbessert.
Der Ansatz berücksichtigt nicht den Aspekt der Risikoabsicherung oder der Ein-
haltung von Gesetzen. Er sollte daher nur als Ergänzung zu einer Risikoabsiche-
rung angesehen werden. Eine Verbesserung der Planungsqualität kann nur indirekt
erreicht werden, indem die für bestimmte Ziele als wesentlich erkannten Risiken
in der Planung besonders berücksichtigt werden (z.B. über Szenarien oder mit
Absicherungskosten). Zu einer Shareholder Value Steigerung trägt der Ansatz nur
bei, wenn es die Unternehmensziele, die man sicherer erreichen will, tun.

C) Chancenmanagement
Durch ein dem Risiko analoges Chancenmanagement können bestehende Ertrags-
potentiale identifiziert und ausgeschöpft werden.
Chancen müssen unterschieden werden in risikoinhärente Chancen und ganz neue
Chancen, die einem Unternehmen neue Geschäftsmöglichkeiten eröffnen.
Risikoinhärente Chancen 13
Definiert man Risiko als die von einem Ereignis oder Umstand bedingte negative
Abweichung von einem unter Unsicherheit geplanten Ziel, dann ist eine Chance
die möglicherweise positive Abweichung aus demselben Ereignis oder Umstand.
Chance und Risiko sind zwei Seiten derselben Medaille. Das Potential für das
Chancenmanagement hängt dann davon ab, wie ambitioniert das Ziel gesetzt wur-
de.
Eingangsgrößen für die Planung eines Unternehmens sind die aus der Strategie
abgeleiteten operativen Ziele sowie eine Anzahl an Planungsprämissen (Strom-
preisentwicklung, Produktionskapazität, Zinsentwicklung, Wechselkurse, etc.).
Basierend auf seinen Handlungsoptionen, plant ein Unternehmen, welche Maß-

13
In Anlehnung an: RMA Standard “Risiko- und Chancenmanagement“; RiskManagement Association
e.V.; 9.2.2006; S.7;13 und 19.
196 3 Elektrizitätswirtschaft, Liberalisierung

nahmen es unter Berücksichtigung der Planungsprämissen ergreifen muss, um die


vorgegebenen Ziele zu erreichen. Sind die Ziele so hoch gesteckt, dass das Unter-
nehmen sie unter Beachtung der Planungsprämissen und unter Ausnutzung aller
Handlungsoptionen nur im best möglichen Fall erreichen kann, dann bestehen
keine Chancen mehr, sondern nur noch das Risiko das Ziel zu verfehlen.
Sind die Ziele weniger ambitioniert gesetzt, besteht Raum für eine Übererfüllung.
Nur in diesem Fall bestehen Ansatzpunkte für ein Chancenmanagement. Aufgrund
der Wechselwirkung mit dem Risiko birgt jede Chancenergreifung wieder höhere
Risiken. Analog zum Risikomanagement können die in der Planung nicht berück-
sichtigten Chancenpotentiale erfasst und bewertet werden (Eintrittswahrschein-
lichkeit und Chancenhöhe). Je Chance bieten sich dann die folgenden vier Hand-
lungsoptionen:
1. Chance belassen: Die Chance wird nicht ergriffen, dafür aber auch das
damit verbundene Risiko nicht eingegangen.
2. Chance ergreifen: Die Chance wird ergriffen, dafür erhöht sich aber
auch das Risiko.
3. Chance vergrößern: Durch flankierende Maßnahmen zur Chancener-
greifung können Chancen vergrößert, zieht evtl. auch eine Erhöhung des
Risikopotentials nach sich.
4. Chance teilen: Kann ein Unternehmen allein eine Chance nicht wahr-
nehmen (z.B. aufgrund fehlender Marktmacht), so gibt es die Möglich-
keit die Chance gemeinsam mit einem Dritten Unternehmen wahrzuneh-
men. Damit verbunden ist meist auch eine Aufteilung der Kosten und Ri-
siken, die mit der Chance zusammenhängen.
Chancen im Sinne von neuen Geschäftsmöglichkeiten 14
Chancenmanagement in diesem Sinne befasst sich mit den internen und externen
Potentialen zum nachhaltigen Auf- und Ausbau eines Unternehmens, zum Erhalt
und der Stärkung seiner Wettbewerbsvorteile.
Ein derartiges Chancenmanagement wird i.d.R im Rahmen der Strategie und In-
novationsentwicklung durchgeführt. Es kann in folgenden Schritten ablaufen:
x Chancenstrategie: Mit Hilfe der Chancenstrategie wird festgelegt, welche
Kriterien für das Chancenmanagement angesetzt werden.
x Chancenidentifikation: Die Chancenidentifikation umfasst alle Maßnah-
men zur möglichst vollständigen Erfassung der vorhandenen Chancenpo-
tenziale.

14
In Anlehnung an: “Erfolgreiches Chancenmanagement in mittelständischen Unternehmen“, Projekt-
ergebnisbericht der KPMG in Zusammenarbeit mit der Wissenschaftlichen Hochschule für Unterneh-
mensführung (WHU) zum Thema Chancenmanagement.
3.8 Risikomanagement in der Elektrizitätswirtschaft 197

x Chancenanalyse: In der Chancenanalyse werden die notwendigen Informa-


tionen gesammelt und Chancen priorisiert.
x Chancenbewertung: Während der Chancenbewertung erfolgt die quantita-
tive und qualitative Beurteilung des Chancenpotenzials.
x Chancenumsetzung: Aufbauend auf den Ergebnissen der Chancenbewer-
tung, werden einzelne Potenziale genutzt und damit die Umsetzung vorbe-
reitet und durchgeführt.
x Chancencontrolling: Im abschließenden Schritt erfolgt ein regelmäßiges
Chancencontrolling, das die jeweils aktuelle Chancensituation systematisch
evaluiert und einen Abgleich der Chancensituation mit den Vorgaben aus
der Chancenstrategie vornimmt.
Erreichbare Ziele
Ein explizites Management der risikoinhärenten Chancen macht diese Chancen
überhaupt erst transparent. Das hilft z.B. im Planungsprozess, das Ambitionsni-
veau der gesetzten Ziele und die Planungssicherheit einzuschätzen und so die
Planungsqualität zu verbessern. Erst wenn die Chancen mit Eintrittswahrschein-
lichkeit und Ausmaß erhoben werden kann diskutiert werden warum z.B. in der
Planung keine bessere Chancenauswertung und damit höhere Zielerreichung ange-
setzt wurde. Bisher nicht wahrgenommene Chancen könnten nun erkannt und
ausgenutzt werden, was zu einer Steigerung des Shareholder Value beitragen
kann.
Ein Chancenmanagement im Rahmen der Strategie- und Innovationsentwicklung
ist für ein Unternehmen überlebenswichtig und sollte daher proaktiv betrieben
werden.

3.8.3 Enterprise Risk Management (Praxis)

3.8.3.1 Risiken in der Elektrizitätswirtschaft


Betrachtet man die Spotmarktpreise für Elektrizität, so wird eine hohe Volatilität
des Handelsguts Elektrizität und damit die große wirtschaftliche Bedeutung des
Risikomanagements deutlich. Dies sei beispielhaft am Verlauf des Swiss Electrici-
ty Price Index (kurz SWEP) erläutert. Der SWEP ist ein Abbild des täglichen
Spotmarktes. Auf diesem Markt werden Geschäfte mit sehr kurzen Fristen abge-
wickelt. Sie werden i. d. R. stündlich für den nächsten Tag abgeschlossen.
Über einen weiten Zeitraum liegt der Preis für Tagesenergie auf dem Spotmarkt
gemäß Abb. 3.61 um 50 €/MWh. Waren jedoch Stromversorger im Juli 2006
darauf angewiesen Elektrizität über den Spotmarkt zu beschaffen, musste zeitwei-
se mehr als 300 €/MWh bezahlt werden. Ein Stromversorger, der sich in einem
hohen Maße über den Spotmarkt eindeckt, muss also in Phasen der Angebotsver-
198 3 Elektrizitätswirtschaft, Liberalisierung

knappung mit hohen Ausgaben für die Strombeschaffung rechnen. Damit ist nicht
gesagt, dass eine marktbasierte Beschaffungspolitik nicht langfristig erfolgreich
sein kann. Es ist vielmehr wichtig, die Risiken zu identifizieren und zu quantifizie-
ren.
Im Zusammenhang mit dem Stromhandel ist zudem das Wechselkursrisiko zu
erwähnen, welches allerdings weniger bei kurzfristigen Verträgen relevant ist,
sondern vor allem bei langfristigen Vereinbarungen zu beachten ist.
Die Unsicherheiten in der Elektrizitätswirtschaft lassen sich in drei Bereiche
einteilen: Elektrizitätsnachfrage, Elektrizitätserzeugung und Elektrizitätsübertra-
gung und -verteilung.

400

350

300

250
Euro/ MWh

200

150

100

50

0
Jun '06 - Mai '07

Abb. 3.61. Verlauf des SWEP im Jahr 2006/07 in CHF/MWh [3.2]

A) Risiken bei der Elektrizitätserzeugung

í Primärenergiepreisentwicklung: In Abhängigkeit vom Produktionspark können


die Primärenergiepreise einen erheblichen Einfluss auf die Erzeugungskos-
ten des Kraftwerksparks haben. Von den Engpasszeiten abgesehen, richten
sich die Spotmarktpreise nach den Grenzkosten des Erzeugungsparks. Da-
mit kann die Preisentwicklung einzelner Primärenergieträger den Spot-
marktpreis erheblich beeinflussen. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass
größere Schwankungen vor allem bei Erdöl und Erdgas auftreten (Abb.
3.62).
3.8 Risikomanagement in der Elektrizitätswirtschaft 199

í Variation der Produktion aus Wasserkraft: Da die Produktion der hydraulischen


Kraftwerke direkt mit den Niederschlägen im Einzugsgebiet korreliert,
kann die Momentanleistung der Wasserkraftwerke von Tag zu Tag
schwanken. Der Einfluss der Niederschläge lässt sich durch Investitionen
in Stauanlagen verringern. In Mitteleuropa beschränkt man sich dabei auf
eine saisonale Speicherung, wodurch die jährlichen Schwankungen der
Hydraulizität nicht aufgefangen werden können (s. Gesamtenergiestatistik
Schweiz [3.6]). Wird angenommen, dass die Abschreibungen der Investiti-
onen linear konstant gehalten werden, steigen die Stromerzeugungskosten
invers proportional zur Hydraulizität an. Wasserkraftwerke in den skandi-
navischen Ländern sind auf Mehrjahresspeicherung ausgelegt. Ende der
90er Jahre führte eine langjährige Trockenperiode zu erheblichen Produk-
tionseinbußen und zu einem starken Anstieg der Preise für Elektrizität.

Abb. 3.62. Entwicklung der Primärenergiepreise am Beispiel des Großhandelsindex


Schweiz [3.6]
í Anlagenverfügbarkeit: Ungeplante Kraftwerksausfälle führen allgemein zu hö-
heren Produktionskosten, da teurere Kraftwerke zur Deckung der Last ein-
gesetzt werden müssen. Ungeplante Ausfälle größerer Einheiten während
der Höchstlast sind verantwortlich für plötzliche Preispeaks auf dem Spot-
markt.
200 3 Elektrizitätswirtschaft, Liberalisierung

í Hohe Kapitalintensität: Im Verlauf eines Tages werden erhebliche Preisunter-


schiede sichtbar. Große Preisschwankungen sind typisch für Handelsgüter,
welche nicht oder nur unter hohem finanziellem Aufwand gespeichert wer-
den können. Um die Stabilität des Netzes nicht zu gefährden, muss eine
ausreichende Produktionsreserve vorhanden sein. Die installierte Leistung
beträgt derzeit in der UCTE knapp 400 GW. Bei einer Jahreserzeugung
von rund 1500 TWh werden die Kraftwerke im Durchschnitt nur zur Hälfte
ausgenutzt. Die daraus resultierende hohe Kapitalintensität zieht hohe Fix-
kosten nach sich und verringert die Flexibilität des Unternehmens.
í Lange Nutzungsdauer: Anlagen der Elektrizitätswirtschaft weisen technische
Nutzungsdauern von z. T. über 50 Jahren auf. Die Güte der Prognose der
Rentabilität für Zeiträume von 50 Jahren ist naturgemäß bescheiden, da die
gesamtwirtschaftlichen und technologischen Einflussfaktoren auf diese
Rentabilität mit hohen Unsicherheiten behaftet sind.

Abb. 3.63. Entwicklung des Zinssatzes für langfristiges Kapital am Beispiel der Anleihen
der öffentlichen Hand [3.8]

í Zinsentwicklung (Abb. 3.63): Die hohe Kapitalintensität und eine mit der tech-
nischen Nutzungsdauer korrelierende lange Abschreibungsdauer der
Kraftwerke führen zu einem starken Einfluss des Zinssatzes auf die Stro-
merzeugungskosten. Steigende Zinsen können die Konkurrenzfähigkeit
von Kern- bzw. Wasserkraftwerken gegenüber weniger kapitalintensiven
Kraftwerkstypen wie Gasturbinen oder Gaskombi-Kraftwerken negativ be-
einflussen.
3.8 Risikomanagement in der Elektrizitätswirtschaft 201

B) Unsicherheiten bei der Elektrizitätsnachfrage

í Langfristige Entwicklung des Elektrizitätsbedarfs: Wird dem Bruttoinlandspro-


dukt der Energiebedarf der Staaten gegenübergestellt, so lässt sich eine
starke Korrelation zwischen beiden feststellen (s. z.B. Abschn. 1.3.3) . Die
Stromnachfrage wird somit direkt von der konjunkturellen Entwicklung
bestimmt, wobei ein zusätzlicher Einfluss durch die Substitution anderer
Energieträger durch Elektrizität bzw. die Substitution von elektrischer
Energie zu berücksichtigen ist. Ein Einbruch der Konjunktur ist für die
Elektrizitätswirtschaft doppelt kritisch, da zum einen die spezifischen Kos-
ten steigen í den Fixkosten steht ein verminderter Absatz gegenüber í und
andererseits die Erlössituation auf Grund der wirtschaftlichen Notlage der
Kunden schwieriger wird.

í Regionale und lokale Veränderungen: Anlagen der Elektrizitätsversorgung


können als Immobilien bezeichnet werden, da eine Deplacierung, von we-
nigen Fällen wie z. B. Transformatoren abgesehen, wirtschaftlich nicht att-
raktiv oder eine Umnutzung nicht möglich ist. Regionale Veränderungen
bei Gewerbe und Industrie können somit den Ertragswert der Anlagen ne-
gativ beeinflussen.

í Veränderung des Lastgangs: Die Zusammensetzung des Kraftwerksparks aus


Grund-, Mittel- und Spitzenlastkraftwerken richtet sich nach dem zeitlichen
Verlauf der Stromnachfrage. Zur Deckung eines ungleichmäßigen Last-
gangs wird ein höherer Anteil an Spitzenlastkraftwerken benötigt.
Vergleichmäßigt sich der Lastgang, erreichen Spitzen- und Mittellastkraft-
werke eine höhere Volllaststundenzahl. Dies ist wirtschaftlich suboptimal,
und die Gesamtkosten der Stromversorgung steigen gegenüber dem opti-
mierten Konkurrenten an.

C) Elektrizitätsübertragung und –verteilung

Das Übertragungs- und Verteilnetz stellt im Prinzip das einzige natürliche Mono-
pol in der Elektrizitätswirtschaft dar. Diesem Umstand wurde und wird bei der
Neugestaltung der Elektrizitätsversorgung Rechnung getragen, indem im liberali-
sierten Markt innerhalb eines Gebiets nur maximal je ein Netzbetreiber pro Über-
tragungsnetz und Verteilnetz zugelassen wird. Netzmonopolisten sind i. Allg. zur
Preistransparenz und Nichtdiskriminierung verpflichtet.
Für die Teilnehmer am Elektrizitätsmarkt stellt das Netz dahingehend ein Risiko
dar, dass es zu Einschränkungen bei der Wahlfreiheit der Vertragspartner auf-
grund fehlender Infrastruktur oder temporärer Beschränkungen der Transportka-
pazitäten kommen kann. Für die Marktteilnehmer ist es i. Allg. sehr schwierig mit
diesem Risiko umzugehen.
202 3 Elektrizitätswirtschaft, Liberalisierung

D) Hohe Unsicherheiten

Die folgenden Erkenntnisse bestimmen den Unterschied der Elektrizität zu ande-


ren Handelgütern und machen den Einsatz des Risikomanagements zu einer be-
sondern Herausforderung:
x hohe Volatilität der Elektrizitätspreise
x Beschränkungen durch die Übertragungswege
x geringe Preiselastizität bei der Nachfrage
x die Rolle der zusätzlichen Dienstleistungen (ancillary services) wie z.B.
Frequenzregelung, Spannungshaltung, Reservebereitstellung.

3.8.3.2. Quantifizierung der Risiken

Risiken ergeben sich durch den Wechsel der Bedingungen für Investitionen. Ein
Preisrisiko basiert auf Preisschwankungen. Es kann sein, dass Güter dann, wenn
sie teuer sind gekauft, und auf der anderen Seite zu tiefen Preisen verkauft werden
müssen. Allerdings stellen Preisschwankungen natürlich nicht nur Risiken dar,
sondern auch Chancen.
Das Maß dafür, wie stark ein Preis in Bezug auf die Frequenz der Variationen
schwankt, wird auch als Volatilität eines Preises bezeichnet. Eine hohe Volatilität
bedeutet, dass der Preis stark schwankt, wohingegen eine tiefe Volatilität auf ge-
ringe Preisschwankungen hinweist.
Die Volatilität des Energiepreises auf dem Nordic Market ist verglichen mit an-
deren Produkten sehr hoch. Abbildung 3.64 zeigt, dass der mittlere Tagespreis
während eines Jahres zwischen 5 und 30 EUR/MWh schwanken kann. Die Ener-
gie wird an den Energiemärkten normalerweise für jede Stunde gehandelt. Die
Variation dieses Systempreises ist in Abb. 3.65 für Mai 2000 dargestellt.

Die Preisentwicklung von Energieträgern unterliegt einer Reihe von Einfluss-


faktoren, deren kausale Zusammenhänge nicht bekannt sind. Es hat sich deshalb in
der Finanzwirtschaft als zweckmäßig erwiesen, diese Kursverläufe mathematisch
in Form von stochastischen Prozessen zu beschreiben. Die Volatilität lässt sich
nun folgendermaßen bestimmen:
Wir betrachten die zwei Zeitpunkte t1 und t2 . Das Zeitintervall dazwischen be-
zeichnen wir mit 't:
't t2  t1
Wir bezeichnen die zu dieser Leistung gehörenden Preise mit P(t1) und P(t2). Die
Preisänderung 'P zwischen diesen Zeitpunkten ergibt sich aus
'P P ( t 2 )  P ( t1 )
3.8 Risikomanagement in der Elektrizitätswirtschaft 203

Euro/MWh
30,00

25,00

20,00

15,00

10,00

5,00

0,00
99-01-01

99-01-15

99-01-29

99-02-12

99-02-26

99-03-12

99-03-26

99-04-09

99-04-23

99-05-07

99-05-21

99-06-04

99-06-18

99-07-02

99-07-16

99-07-30

99-08-13

99-08-27

99-09-10

99-09-24

99-10-08

99-10-22

99-11-05

99-11-19

99-12-03

99-12-17

99-12-31
Abb. 3.64. Tägliche Mittelwerte des Systempreises des NordPools während eines Jahres

EURO/MWh
20
© Eltra amba
Sunday

Sunday

Sunday

Sunday

15

10

0
00-05-01 00-05-04 00-05-07 00-05-10 00-05-13 00-05-16 00-05-19 00-05-22 00-05-25 00-05-28 00-05-31

Abb. 3.65. NordPool-Systempreis während des Monats Mai 2000

Ist die Preisentwicklung rein zufällig, lässt sich 'P zwischen zwei zukünftigen
Stunden mit der Gauß’schen Normalverteilung berechnen. Es gilt
204 3 Elektrizitätswirtschaft, Liberalisierung


'P ~ N P't , V 't
P Wert der durchschnittlichen Preisvariation zwischen zwei Stunden. Ist
P > 0 , bedeutet dies, dass der Preis kontinuierlich anwächst.

V 't Standardabweichung der Preisveränderung zwischen zwei Punkten.


Ist V 't hoch, werden häufig große Preisänderungen zwischen zwei auf-
einanderfolgenden Zeitpunkten festgestellt.
VVolatilität des Preises
Diese Art der Modellierung einer Preisentwicklung, bei welcher P und V als kon-
stante Parameter auftreten und 'P gleichverteilt und unabhängig ist (Brown’sche
Bewegung), wird Wiener Prozess genannt.

3.8.3.3 Instrumente und Produkte des Stromhandels

Wie bereits gezeigt, kann der Spotpreis signifikant variieren. Die Volatilität ist
hoch. Will ein Unternehmen Energie in der Zukunft kaufen oder verkaufen, muss
dieser Variabilität Rechnung getragen werden. Will es Energie verkaufen, kann
ein signifikanter Preissturz zu ernsthaften wirtschaftlichen Problemen führen,
wenn es nicht über genügend finanzielle Reserven verfügt.
Eine Möglichkeit mit Risiken umzugehen, ist Streuung von Einzelrisiken. In Abb.
3.66 ist dieser Zusammenhang an einem einfachen Beispiel dargestellt. Ein Unter-
nehmer benötigt für die Realisierung einer innovativen Geschäftsidee finanzielle
Mittel. Da die Lage des Unternehmens allerdings als kritisch eingestuft wird, muss
der Unternehmer den potenziellen Geldgebern eine Rendite von 150% zusichern.
Es ist mit einer Wahrscheinlichkeit von 50% damit zu rechnen, dass das Unter-
nehmen in Konkurs gehen wird. Damit sind die Kapitalrenditen von –100% und
+150% als gleich wahrscheinlich (je 50%) zu bezeichnen.
Stellt das benötigte Kapital für den Geldgeber einen maßgeblichen Teil seines
Vermögens dar, wird dieser sicher von diesem Geschäft absehen. Falls ein Geld-
geber allerdings mehrere ähnlich riskante Geschäfte finanziert, kann sich für ihn
doch eine interessante Position ergeben. Bereits bei acht identischen derartigen
Geschäften steigt die Wahrscheinlichkeit einer Rendite von 25% bereits auf über
25% an. Mit der Anzahl derartiger Geschäfte wird die Wahrscheinlichkeit einer
Rendite von 25% bis gegen 100% ansteigen. Damit verwandeln sich viele unsi-
chere Geschäfte in eine sichere Investition mit hoher Rendite. Sein risikoaverses
Verhalten bezahlt der Unternehmer, der risikobehaftete Projekte über externe
Mittel finanziert, mit einen höheren Zinsaufwand und damit einer entgangenen
Rendite. Dieser höhere Zinssatz wird auch als Risikoprämie bezeichnet.
3.8 Risikomanagement in der Elektrizitätswirtschaft 205

Renditewahrscheinlichkeit bei einem bzw 8 „gleichwertigen“


Investitionen
30%
75%

25%
50%

20% 25%

0%
15%
-100% 150%

10%

5%

0%
-100% -69% -38% -6% 25% 56% 88% 119% 150%

Abb. 3.66. Streuung in Abhängigkeit der Anzahl unabhängiger Kunden

Ein standardisierter Weg, das Risikoproblem zu lösen, ist es, die Risiken ver-
traglich abzusichern z.B. mit Finanzderivaten 4 . Diese Maßnahme, Risiken zu
begrenzen, wird Hedging genannt. Über Hedging ergibt sich durch Kontrolle des
Risikolevels ein gewisser Schutz vor großen Verlusten. Die Rollen der beiden
Handelspartner werden als Positionen bezeichnet. Der Käufer sieht sich in einer
Long-Position, sein Gegenüber, der Verkäufer, befindet sich in einer Short-
Position. Ein Long-Hedge ist demzufolge die Risikoabsicherung des Käufers, also
eine Absicherung gegen steigende Preise. Mit einem Short-Hedge sichert sich der
Verkäufer gegen fallende Preise ab. Nachfolgend werden beispielhaft einige
grundlegende derivative Instrumente, wie Forwards, Futures und Optionen behan-
delt.

A) Forwards

Ein Forward ist eine bilaterale Vereinbarung über den Kauf/Verkauf einer Ener-
giemenge während eines definierten Zeitraums in der Zukunft zu einem fixierten
Preis. Für verschiedene zukünftige Perioden, z.B. 1-Monat-Forwards oder 3-
Monats-Forwards, können die Preise natürlich auch unterschiedlich sein.

4
Ein Derivat ist ein Finanzinstrument (Futures, Optionen, usw.), dessen Wert aus dem Warenwert der
Güter abgeleitet (to derive) wird, auf welche das Derivat bezogen ist. Dies können Stromspotpreise,
Ölpreise oder Zinssätze sein. Bei den nachfolgenden Beispielen handelt es sich um Finanzderivate,
deren Bezugswerte die Spotmarktpreise für Elektrizität darstellen.
206 3 Elektrizitätswirtschaft, Liberalisierung

Betrachten wir ein Unternehmen, welches während eines definierten Zeitraums


in der Zukunft Energie verkaufen will, also eine Short-Position einnimmt. Als
wesentliche Information über den zukünftigen Preis nutzt das Unternehmen eine
Abschätzung der Wahrscheinlichkeiten unterschiedlicher Preise. Diese Informati-
on liegt normalerweise in Form einer Dichtefunktion der Wahrscheinlichkeiten
von Energiepreisen für jede Stunde in der Zukunft vor (Abb. 3.67). Der Energie-
preis mit der höchsten Wahrscheinlichkeit ist der Erwartungswert m. Allerdings
können mit einer geringeren Wahrscheinlichkeit höhere oder tiefere Preise erzielt
werden. In einem Forward-Kontrakt wird nun ein zukünftiger Preis FS fixiert.
Der Partner in diesem Forward, üblicherweise ein reines Finanzunternehmen,
übernimmt das Risiko. Steigt in der zukünftigen Periode der Marktpreis über den
Vertragspreis, kann das Finanzunternehmen einen entsprechenden Gewinn aus
diesem Vertrag machen. Dies ist der Fall, wenn das Finanzunternehmen dieses
Risiko nicht weiter absichert. Im Normalfall wird allerdings das Risiko durch
ähnliche Verträge auf der Abgabeseite weitgehend abgefedert. Ist der Vertrags-
partner des Verkäufers direkt ein Versorgungsunternehmen, kann dieses seiner-
seits seine Beschaffungsrisiken durch diesen Forward minimieren (Abb.3.68).

Wahrscheinlichkeit

m zukünftiger Preis

Abb. 3.67. Erwarteter Preis

Der erwartete Gewinn durch einen Vertrag muss für beide Parteien immer posi-
tiv erscheinen. Es bestehen folgende Interessen:
x die Einschätzung des zukünftigen Preises ist unterschiedlich
x die Möglichkeiten oder der Wille, Risiken einzugehen, ist bei beiden
Parteien unterschiedlich
x die beiden Akteure verfolgen gegensätzliche Ziele beim Hedging.
3.8 Risikomanagement in der Elektrizitätswirtschaft 207

Preis

Fixpreis während Gewinn für


der aktiven Periode den Käufer

Fs

Gewinn für
den Verkäufer

Zeit der Preisfixierung aktive Periode

Abb. 3.68. Ergebnis für einen Forward-Kontrakt

In Abb. 3.69 ist eine typische Forward-Kurve für den NordPool-Markt vom
3.5.2001 dargestellt. Der erste Teil der Kurve stellt die durchschnittlichen Spot-
marktpreise für die ersten vier Monate des Jahres dar. Die eigentlichen Forward-
Daten beginnen mit dem 4.5.2001 und reichen bis Mitte 2004.

90.00

80.00

70.00

60.00

50.00
€/MWh

40.00

30.00

20.00

10.00

0.00
2001.01.01 2001.07.01 2002.01.01 2002.07.01 2003.01.01 2003.07.01 2004.01.01 2004.07.01

Spo t price
Spot-Preis Fo rward

Abb. 3.69. Forward-Kurve für Elektrizität im NordPool am 3.5.2001


208 3 Elektrizitätswirtschaft, Liberalisierung

B) Futures
Im Unterschied zum Forward handelt es sich beim Future um einen standardisier-
ten Vertrag, welcher an der Börse gehandelt wird. Damit eröffnet sich dem Future
die höhere Liquidität der Börse. Die bessere Transparenz schlägt sich in einem
besseren Preis nieder.
Nehmen wir an, dass ein Unternehmen in drei Monaten während eines Monats
Energie verkaufen möchte. Um die Preisunsicherheiten abzusichern, erstellt das
Unternehmen ein Short-Hedge-Future. Der festgelegte Preis (FS) entspricht der
aktuellen (t = 0) Prognose des Preises in 3 Monaten. Nehmen wir an, dass etwas in
der Stromversorgung passiert (gute Hydraulizität, Inbetriebnahme neuer Kraft-
werke 5 , sinkende Brennstoffpreise), was den Prognosewert für den Marktpreis
sinken lässt. Einen Monat nach Ausgabe des Futures (t = 1) ist sein Wert also
angestiegen, weil die Energie nach zwei Monaten immer noch zum Preis FS ver-
kauft werden kann. Da es sich beim Future um ein standardisiertes Produkt han-
delt, kann der Vertrag ohne hohen Aufwand an irgendeinen Händler weiterver-
kauft werden. Der Käufer dieses Short-Hedge-Futures übernimmt das Recht in der
bestimmten zukünftigen Periode, Energie zu dem fixierten Preis FS zu verkaufen.
Die Möglichkeit des Weiterverkaufs erhöht den Wert von Futures gegenüber
Forwards. Im Falle eines längerfristigen Ausfalls einer maßgeblichen Einheit im
eigenen Kraftwerkspark kann das Produktionsunternehmen nun das nicht mehr
benötigte Future an der Börse verkaufen.

Optionen
Optionen geben dem Besitzer das Recht, Energie während eines definierten Zeit-
raums zu kaufen oder zu verkaufen, ohne ihn dazu zu verpflichten. Zwei Arten
von Optionen werden unterschieden. Eine Put-Option gibt dem Halter das Recht,
Energie zu einem bestimmten Zeitpunkt 6 zu einem festgelegten Preis 7 zu verkau-
fen. Der Zeichnende der Option ist verpflichtet, zu diesem Preis zu kaufen.
x Eine Call-Option gibt dem Halter das Recht, Energie zu einem bestimm-
ten Zeitpunkt zu einem festgelegten Preis zu kaufen. Der Zeichnende ist
verpflichtet, die Energie zu den festgelegten Konditionen zu verkaufen.
Eine Option kann als Versicherung gegen Preisschwankungen bezeichnet wer-
den. Der Käufer einer Option zahlt eine gewisse Prämie für das Recht, Energie
während der Vertragsdauer zu kaufen oder zu verkaufen.
Betrachten wir einen Stromproduzenten, der Energie zu einem bestimmten
Termin in der Zukunft verkaufen will. Er schätzt die zukünftigen Preise gemäß
Abb. 3.70 ein. Der erwartete Preis ist FS , aber es gibt ein gewisses Risiko, dass

5
Der Einfluss neuer Kraftwerke sollte auf Grund der guten Planbarkeit allerdings in der Preisprognose
bereits berücksichtigt worden sein. Der ungeplante Ausfall einer Erzeugungseinheit auf Grund einer
Panne birgt wesentlich größere Unsicherheiten. Der Wert des Futures steigt also an.
6
„Expiration date“, „exercise date“ oder „maturnity date“
7
„Exercise Price“ oder „strike price“
3.8 Risikomanagement in der Elektrizitätswirtschaft 209

der Preis tiefer als b ist. Der Stromproduzent kann nun eine Put-Option kaufen,
welche ihm das Recht einräumt, die zukünftige Produktion zum Preis b zu verkau-
fen. Er „hedged“ seine Produktion gegen tiefere Preise, und der tiefstmögliche
Preis wird b sein. Er wird die Option nur dann in Anspruch nehmen, wenn der
Marktpreis zum Ausführungsdatum tiefer als b ist. Der Käufer dieser Option wird
einen Profit in Höhe der Prämie machen, wenn der Preis höher als b sein wird. Die
Gewinnkurve ist in Abb. 3.71 dargestellt

Wahrscheinlichkeit

b Fs zukünftiger Preis
Abb. 3.70. Erwarteter Preis FS und Strike-Preis b

Gewinn
Energ ieverkäu fe

ko mbiniertes
Portfolio

b Warenpreis
Options-
p rämie
prämie

Put-Option

Abb. 3.71. Gewinndiagramm für ein Portfolio aus zukünftigen Energieverkäufen und
einer Put-Option
210 3 Elektrizitätswirtschaft, Liberalisierung

Der Gewinn bzw. der negative Verlust aus den Energieverkäufen steigt linear
mit dem zukünftigen Marktpreis an (power sales). Der Gewinn bzw. der Verlust
einer Put-Option ist am größten, wenn die Marktpreise im Keller sind. Die Put-
Option ist natürlich dann nicht rentabel, wenn diese „Versicherung“ nicht in An-
spruch genommen wird, weil die Marktpreise über dem Strike-Preis b liegen. Der
Verlust ist in diesem Fall unabhängig von dem Marktpreis gleich der Optionsprä-
mie. Wird nur die Hälfte (Fall eines kombinierten Portfolio) der Produktion über
eine Put-Option abgesichert, bleibt der Verlust bei tiefen Marktpreisen konstant
und steigt hingegen linear an, wenn der Strike-Preis überschritten wird.

Es wird zwischen drei Optionstypen unterschieden:


x European Option – eine Option, welche ausschl. an einem Termin ausge-
führt werden kann.
x Asian Option – der Gewinn hängt vom Durchschnittspreis während einer
definierten Periode des Produkts ab, auf welches die Option bezogen ist.
x American Option – eine Option, welche jederzeit während ihrer Gültig-
keitsdauer ausgeführt werden kann.
Betrachtet wird ein Energieunternehmen, welches sowohl Produktionsressour-
cen als auch Lieferverpflichtungen besitzt. Beide Produkte sind bzgl. der Menge
mit Unsicherheiten behaftet, so dass das Unternehmen gezwungen sein kann,
Energie auf dem Markt zu verkaufen (hohe Zuflüsse zu den Wasserkraftwerken)
oder zu kaufen (hohe Nachfrage). Um sich gegen zu hohe Preise (in der Situation
des Käufers) und zu tiefe Preise (Situation des Verkäufers) abzusichern, kann das
Unternehmen je eine Call- und eine Put-Option mit dem gleichen Strike-Preis
sowie der gleichen Laufzeit abschließen.

Der Profit aus diesen Verträgen ist maximal bei sehr hohen und sehr tiefen
Marktpreisen (Abb. 3.72), weil er in beiden Fälle die jeweils für ihn günstigste
Option einlöst. Entspricht der Marktpreis ungefähr dem Strike-Preis, ist dies für
den Hedger der ungünstigste Fall. Es entsteht ihm ein Verlust in Höhe der Versi-
cherungsprämie für beide Optionen.

3.8.3.4. Beurteilung von Vertragsoptionen

Verschiedene Methoden des Risikomanagements werden hier an einem einfachen


Beispiel vorgestellt.
Es wird angenommen, dass das Portfolio am Anfang nur aus einem flexiblen
Vertrag besteht. Aufgabe des Risikomanagements ist es nun aufzuzeigen, wie
dieser Vertrag eingesetzt werden sollte und wie die Risiken dieses Vertrags durch
Kombination mit Derivaten (hier: Futures) „gehedged“ werden können.
3.8 Risikomanagement in der Elektrizitätswirtschaft 211

Gewinn
Call-Option

kombiniertes
Portfolio

b
Warenpreis

gesamte
Options-
prämie Put-Option

Abb. 3.72. Gewinn durch das „straddle“ 8 aus Put und Call-Option

Der Vertrag soll folgende Modalitäten enthalten:


x ein Energievolumen von 100 GWh
x die gesamte Menge kann verteilt oder nur in einer Periode bezogen wer-
den
x der Vertrag umfasst eine Laufzeit von drei Zeitperioden
x der Kaufpreis beträgt 9 €/MWh.
Zur Vereinfachung wird auf eine Diskontierung zukünftiger Geldflüsse verzich-
tet. Darüber hinaus werden Handelsbeschränkungen auf Grund etwaiger Übertra-
gungsgrenzen des Systems nicht thematisiert.

A) Modellierung des Spot-Preises

Zukünftige Spotpreise gelten als unsicher und können durch ein „Event tree“-
Modell 10 beschrieben werden (Abb. 3.73). Es wird angenommen, dass der Spot-
marktpreis in der ersten Zeitperiode (9 €/MWh) bekannt ist, und dass neun ver-
schiedene Zukunftsszenarien vorhanden sind. Die jeweilige Eintrittswahrschein-
lichkeit der verschiedenen Szenarien kann Tabelle 3.22 entnommen werden. Die
Wahrscheinlichkeiten für jedes Szenario ergibt sich aus dem Produkt der Über-
gangswahrscheinlichkeiten.

8
aus dem Englischen: etwas Doppeltes, Gleichzeitiges
10
Der „event tree“ (Ereignisbaum) ist eine übersichtliche Zusammenstellung aller möglichen Entwick-
lungen.
212 3 Elektrizitätswirtschaft, Liberalisierung

15.0 15.0
0.5
(4) (7)
0.3

0.3 0.2

0.3
10.0 10.0
0.4 0.4
9.0 0 0
(1) (3) (6)
0.3

0.3
0.2 0.3

5.0 5.0
0.5

(2) (5)

Zeitperiode
Time period

1 2 3

Abb. 3.73. Ein „event tree“ für mögliche zukünftige Marktpreise. Jeder Knoten stellt
einen Preis dar, die Pfeile repräsentieren die Übergänge mit den jeweiligen Wahrschein-
lichkeiten. Mit den Zahlen in den Klammern werden die Knoten durchnummeriert.

Tabelle 3.22. Szenarien möglicher Preisentwicklungen und deren Eintretenswahrschein-


lichkeiten
Szenario Preis in Preis in Preis in Wahrschein-
Periode 1 Periode 2 Periode 3 lichkeit
(€/MWh) (€/MWh) (€/MWh)
1 9 5 5 0,15
2 9 5 10 0,09
3 9 5 15 0,06
4 9 10 5 0,12
5 9 10 10 0,16
6 9 10 15 0,12
7 9 15 5 0,06
8 9 15 10 0,09
9 9 15 15 0,15
Erwartungswert 9 10 10 1
3.8 Risikomanagement in der Elektrizitätswirtschaft 213

B) Risiko-neutrale Evaluation des flexiblen Vertrags

Wie hoch ist nun der Wert des Vertrags und wann (in welcher Periode) sollte er
eingesetzt werden, wenn sich sein Besitzer „risikoneutral“ 11 verhält ?
Im Weiteren wird angenommen, dass der Preis jeder Zeitperiode bekannt ist,
bevor die Entscheidung gefällt wird. Der Erwartungswert für den Spotpreis in der
zweiten und dritten Zeitperiode ist 10 €/MWh. Wird der Vertrag eingesetzt, ent-
spricht der Grenzwert der Energie genau diesem Spotpreis.
Die gestellten Fragen können über einen Ansatz der dynamischen Programmie-
rung beantwortet werden. Zunächst werden die optimalen Entscheidungen im
letzten Zeitschritt für die Knoten (5), (6) und (7) berechnet. Damit wird die Frage
beantwortet, ob der Vertrag hätte vorher genutzt werden sollen oder nicht. Wird
der Vertrag nicht in der ersten oder zweiten Zeitperiode eingesetzt, muss er unab-
hängig von der Preisentwicklung in der dritten Periode genutzt werden.

Tabelle 3.23. Mögliche Entscheidungen in Periode 2

Knoten- Nutzung Einnahmen Erwarteter zu- Einkommen


nummer künftiger Wert in beiden
[GWh] [Mio.€]
Perioden
[Mio.€]

2 100 100 ˜ 5,0 = 0,5 0 0,5


0 0 100˜ 5 ˜ 0,5 + 0,85
100 ˜ 10 ˜ 0,3 +
100 ˜ 15 ˜ 0,2 =
0,85

3 100 100 ˜ 10 = 1 0 1
0 0 100 ˜ 5 ˜ 0.3 + 1
100 ˜ 10 ˜ 0.4 +
100 ˜ 15 ˜ 0.3 =
1

4 100 100 ˜ 15 = 1.5 0 1,5


0 0 100 ˜ 15 ˜ 0,5 + 1,15
100 ˜ 10 ˜ 0,3 +
100 ˜ 5 ˜ 0,2 =
1,15

11
Risiken werden eingegangen, wenn daraus Chancen resultieren.
214 3 Elektrizitätswirtschaft, Liberalisierung

Tabelle 3.23 zeigt die Auswirkungen verschiedener Entscheidungen aller Knoten


in Periode 2 auf. Daraus lassen sich folgende Schlüsse ziehen:
x Knoten 2: nicht in Periode 2 nutzen
x Knoten 3: es spielt keine Rolle, ob der Vertrag in Periode 2 oder 3 einge-
setzt wird
x Knoten 4: der Vertrag sollte in Periode 2 genutzt werden.
Die entsprechende Rechnung für die erste Periode zeigt Tabelle 3.24. Es wird
deutlich, dass der Vertrag nicht in Periode 1 genutzt werden sollte, da sein Erwar-
tungswert in der Zukunft 1,105 Mio. € beträgt. Dieser Wert ergäbe sich übrigens
auch, wenn der Preis in der ersten Periode 10 €/MWh betragen würde.
Der Gewinn ergibt sich aus der Summe der Einnahmen abzüglich des Kaufprei-
ses am Anfang. Der Gewinn für die optimale Strategie kann nun aus allen Zu-
kunftsszenarien berechnet werden.
Preisszenario 1: Die optimale Strategie sagt, dass der Vertrag in der dritten Peri-
ode genutzt werden soll.
Gewinn: 5 €/MWh ˜ 100 GWh - 9 €/MWh ˜ 100 GWh = -0,4 Mio.€
5 ˜ 100 entspricht den Einnahmen aus dem Energieverkauf auf dem Spotmarkt in
Periode 3 und 9 ˜ 100 entspricht den Kosten des Vertrags.
Preisszenario 2: Die optimale Strategie besagt, dass der Vertrag in der dritten
Periode genutzt werden soll.
Gewinn: 10 €/MWh ˜ 100 GWh - 9 €/MWh ˜ 100 GWh = 0,1 Mio.€

Tabelle 3.24. Entscheidungen in Periode 1

Knoten- Nutzung Einnahmen Erwarteter Erwarteter


nummer zukünftiger Wert des
[GWh] [Mio.€]
Wert Vertrags
[Mio.€] [Mio.€]

1 100 100 ˜ 9,0 = 0 0,9


0,9

0 0 0,85 ˜ 0,3 + 1
1,0 ˜ 0,4 +
1,15 ˜ 0,3 =
1

Für die anderen Szenarien kann der Gewinn entsprechend berechnet werden. Die
Ergebnisse sind in Tabelle 3.25 dargestellt. Es ist dabei zu berücksichtigen, dass
z.B. in Szenario 4 der Vertrag in Periode 2 genutzt wird. Ist die Anzahl der Szena-
rien überschaubar, sind die Ergebnisse schnell berechnet. Reale komplexere Fra-
3.8 Risikomanagement in der Elektrizitätswirtschaft 215

gestellungen lassen sich mit kommerziellen SoftwareíTools, in welche diese


Methodik bereits einprogrammiert ist, lösen.
Die Ergebnisse nach Tabelle 3.25 können weiter zusammengefasst werden, was
zu einer Darstellung gemäß Abb. 3.74 führt.

Tabelle 3.25. Gewinne und deren Eintrittswahrscheinlichkeiten


Szenarionummer Wahrscheinlichkeit Profit [Mio.€]
1 0,15 -0,4
2 0,09 0,1
3 0,06 0,6
4 0,12 0,1
5 0,16 0,1
6 0,12 0,1
7 0,06 0,6
8 0,09 0,6
9 0,15 0,6
Erwarteter Gewinn 1,0 0,205

0,6

0,5

0,4
Wahrscheinlichkeit

0,3

0,2

0,1

0
-0,6 -0,5 -0,4 -0,3 -0,2 -0,1 0 0,1 0,2 0,3 0,4 0,5 0,6 0,7

Gewinn [Mio €]

Abb. 3.74. Wahrscheinlichkeitsverteilung für die risikoneutrale Strategie


216 3 Elektrizitätswirtschaft, Liberalisierung

Die Darstellung macht deutlich, dass in der risikoneutralen Strategie mit einer
Wahrscheinlichkeit von 15% ein Verlust von 0,4 Mio. € auftreten kann. Ein risi-
koaverser Entscheidungsträger wird diese Wahrscheinlichkeit als zu hohes Risiko
ansehen.

C) Eine einfache Risiko-averse Strategie

Bei der Berechnung wird angenommen, dass der Vertrag entweder genutzt wird
oder nichts gemacht wird. Für die Risiko-neutrale Strategie ist dies eine richtige
Annahme. Für eine Risiko-averse Strategie trifft dies nicht zu. Nachfolgend wer-
den beide Möglichkeiten aufgezeigt. Allerdings wird nicht die optimale Risiko-
averse Strategie gefunden, da hierfür die Risikoaversion, z.B. mit einer Nutzen-
funktion (Abb. 3.75) quantifiziert werden muss.
Wird der Vertrag in der ersten Zeitperiode genutzt, beträgt der Gewinn 0 €, weil
der Ertrag beim Verkauf dem Aufwand beim Kauf des Vertrags entspricht. Es gibt
also keine Möglichkeit Geld zu verlieren, allerdings auch keine Möglichkeit Ge-
winne zu machen. Das Risiko-averse Verhalten führt zwangsläufig zu einer gerin-
geren Gewinnerwartung (Tabelle 3.26).

Tabelle 3.26. Vergleich zwischen Risiko-averser und Risiko-neutraler Strategie

Strategie Erwarteter Gewinn Wahrscheinlichkeit von


[Mio.€] Verlusten

Optimale Risiko-neutrale 0.205 0.15 (-0.40)


Strategie
Nutzen des Vertrages in der 0.0 0.0
ersten Periode

Werden zusätzliche Transaktionskosten im Futuresmarkt gegenüber dem Spot-


markt vernachlässigt, so lassen sich die knotenbezogenen Preise für Futures nach
Tabelle 3.27 zusammenstellen.

Tabelle 3.27. Preise (€/MWh) im Futures-Markt


Knotennummer Zeitperiode
2 3
1 10,0 10,0
2 - 8,5
3 - 10,0
4 - 11,5
3.8 Risikomanagement in der Elektrizitätswirtschaft 217

Es gibt unendlich viele zusätzliche Risiko-averse Strategien, wenn man z.B. den
flexiblen Vertrag ganz oder teilweise mit Futures „hedged“. Kauft man im Knoten
1 Futures mit einem Volumen von 100 GWh mit Lieferung in Periode 2 und nutzt
man das ganze Volumen (100 GWh) des flexiblen Vertrags ebenfalls in Periode 2,
ist unabhängig von der Preisentwicklung ein Gewinn von 0,1 Mio. € garantiert.
Der gleiche Gewinn ergibt sich natürlich auch, wenn Vertrag und Future in der
dritten Periode genutzt werden.
Die Beispiele zeigen, dass die Risiko-neutrale Strategie die höchsten Gewinne
ergibt, und dass mit Hilfe des Futures-Marktes ein risikofreier Gewinn erzielt
werden kann. Es ist möglich, über die Nutzung des Futures-Marktes einen erwar-
teten Gewinn von 0,205 Mio.€ zu erzielen und dabei noch weniger Risiko einzu-
gehen als bei der risikoneutralen Strategie.
Das Ziel der „Value-at-risk“-Analyse ist, den im schlechtesten Fall zu erwarten-
den Verlust eines gegebenen Portfolios innerhalb eines definierten Zeitraums mit
einer definierten Wahrscheinlichkeit zu beziffern. Der Zeitraum entspricht der
Zeitspanne bis zur Absicherung eines Risikos über den Markt 12 .

Ohne Berücksichtigung des Futures-Markts führt das Beispiel zu einem VAR


für die erste Zeitperiode in der Höhe von 0,205 Mio. € (inkl. der Anfangskosten).
Der erwartete Wert des Portfolios für eine optimal risikoneutrale Strategie in Kno-
ten 2 – welcher den schlechtesten Fall angibt – beträgt -0.05 Mio. €. Damit ergibt
sich ein maximaler Verlust von 0.255 Mio. €. Das Preismodell gibt eine Wahr-
scheinlichkeit dieses Verlusts von 0.3 an. Daraus resultiert ein VAR-Wert dieses
Portfolios von 0,255 Mio. € mit einer Sicherheit von 70%. Mit anderen Worten –
die Wahrscheinlichkeit liegt bei 30%, dass der Verlust aus dem Portfolio größer
oder gleich 0,255 Mio. € in der ersten Periode beträgt.
Normalerweise wird der VAR-Wert für eine Sicherheit von 95% berechnet. In
unserem Beispiel mit wenigen Szenarien ist dies natürlich nicht möglich.

Im Gegensatz zum VAR-Wert wird beim PAR-Wert davon ausgegangen, dass der
Vertrag nicht abgesichert werden kann. Damit basiert der PAR-Wert ausschl. auf
dem zukünftigen Gewinn durch das Portfolio. In unserem Beispiel kann der PAR-
Wert für die risikoneutrale Strategie berechnet werden. Der erwartete Gewinn
beträgt 0,205 Mio. €. Die Wahrscheinlichkeit eines Verlusts von 0,4 Mio. € be-
trägt 0,15. Folglich ergibt sich ein PAR-Wert von 0,605 Mio. € mit einer Wahr-
scheinlichkeit von 15%. Auch der PAR-Wert wird normalerweise für eine Sicher-
heit von 95% berechnet.

12
closing an open position
TEIL II Kraftwerktechnik
Energieumwandlung
4 Wasserkraftwerke

4.1 Hydrologische Planungsgrundlagen

Abbildung4.1 azeigt das Einzugsgebiet des Beobachtungspunktes P eines Flusslaufs.


Über die jährliche Wassermenge liegen i.d.R. langjährige Messungen vor, die eine
statistische Beurteilung der oberirdischen Abflussverhältnisse erlauben. Sind keine
Wassermengen-Messwerte vorhanden, wohl aber solche über die Niederschlags-
mengen, kann für Vorstudien die mittlere jährliche Abflussmenge Q„, mit folgender
Formel geschätzt werden:

worin
A = Einzugsgebiet des Beobachtungspunktes P [km2]
h„ = langjähriges Mittel der Niederschlagshöhe [mmla]
ß = Abflusskoeffizient (<I auf Grund von Verdunstung und Versickerung, ist
von der Natur des Bodens und der Oberfläche z.B. Vegetation abhängig).
Neben den langjährigen Mittelwerten sind auch die Maximalwerte (Nassjahre) sowie
die Minimalwerte (Trockenjahre) und deren Häufigkeit von Interesse.
Messungen an verschiedenen Beobachtungspunkten entlang des Wasserlaufes von
der Quelle bis zur Mündung ergeben das Abflussmengenbild gemäß Abb. 4.1 b.
Ein Teil Q, [m3/a] des in P, verfügbaren Wassers kann gefasst und mit dem
Bruttogefalle (auch Bruttofallhöhe) H, genutzt werden. Das entsprechende Energie-
potential des Kraftwerkes (Bruttoenergiela) ist (s. Abschn. 3.3)

\
\

Höhe
, &Meer
Einzugsgebiet / \
+
Quelle P, P, Mündung
Abb. 4.1. a) Einzugsgebiet, b) Abflussmengenbild eines Flusses
222 4 Wasserkraftwerke

-
( p 1000 kg/mi, Qa[mT/a], = 9.8 1 m/s2,HJm]) also zur Fläche Q, H , proportional.
Mehrere Kraftwerke entlang des Wasserlaufs, z.B. ein Niederdruckkrafiwerk in P,,
sorgen für eine mehr oder weniger vollständige Nutzung des Gewässers, dessen
Potential vom Flächenintegral des Diagramms in Abb. 4.1 b dargestellt ist. In Abb.
4.2 ist ein Beispiel einer nahezu vollständigen Nutzung des Gefälles eines Fluss-
abschnittes gegeben.

Abb. 4.2. Kraftwerkskette am Rhein zwischen Rodensee und Basel 14.81

Für die Planung des Kraftwerks ist es ferner wichtig, dieseitlichen Schwankungen
des Wasserdargebots innerhalb des Jahres zu kennen. Abbildung 4.3a zeigt das
typische Verhalten alpiner Gewässer (Schneeschmelze) und Abb. 4.3b die langjäh-
rige Dauerlinie (Hallfigkeitskurve) des Wasserdargebots, welche die wichtigste
Planungsgrundlage darstellt.
Der Bau eines hydraulischen Kraftwerks bedeutet einen Eingriff in den natürlichen
sich ständig erneuernden Wasserabfluss. Die wasserwirtschafiliche Planung muss
deshalb der energiewirtschaftlichen übergeordnet werden. Oft sind andere Aspekte
wie Bewässerung, Schifffahrt, Hochwasserregulierung miteinzubeziehen [4.7]. Den

Haufigkeitskurve

Dauer
b
1 0kt 1 Apr 1 0kt 0

Abb. 4.3. a) Typischer jährlicher Wassermengenverlauf eines alpinen Gewässers.


b) Jahresdauerlinie des Wasserdargebots
4.2 Laufkraftwerke 223

Erfordernissen des Umweltschutzes ist im weitesten Sinn Rechnung zu tragen (Trink-


und Grundwasser, Fauna, Flora, Landschaftschutz). Dabei ist aber nicht zu vergessen,
dass Wasserkraft eine saubere, ökologisch wertvolle Solarenergie darstellt, die
umweltschädigendere Primärenergien zu substituieren erlaubt.
Wasserkraftwerke lassen sich aus energiewirtschaftlicher Sicht in drei Hauptkatego-
rien einteilen, die im Folgenden besprochen werden:
- Laufkraftwerke, d.h. Kraftwerke ohne Wasserspeicherung,
- Speicherkraftwerke mit Tages- und Wochenspeicherung,
- Speicherkraftwerke mit Jahres- und Mehrjahresspeicherung.

4.2 Laufkraftwerke
Laufkraftwerke weisen verschiedene Grundformen auf
Hat der Fluss ein ausreichendes Gefalle, kann das Kraftwerk unmittelbar beim
Stauwehr platziert werden (Abb. 4.4a). Die volle Wassernutmng ist dann möglich.
Die Fallhöhe beträgt i.d.R. wenige Meter.
Etwas mehr Fallhöhe ist möglich, wenn das Wasser einem tieferliegenden Unter-
wasserkanal zugeführt wird (Abb. 4.4b). Eine Restwassermenge im Flussbett ist
aber vorgeschrieben, so dass nicht die volle Wassermenge genutzt werden kann.
Das Gleiche gilt für Kraftwerke am Ende eines Oberwasserkanals (Abb. 4 . 4 ~ ) .
Bei einer größeren Flussschlaufe kann die Fallhöhe erheblich größer werden und
die Wasserzufuhrung gar einen Bergdurchstich verlangen (Abb. 4.4d).

4 b)
Kraftwerk, -scho'thous

Oberwosserkonal

/
Stauwehr

Abb. 4.4. Arten von Laufkraftwerken: a) Kraftwerk direkt am Stauwehr, OW = Ober-


wasser, UW= Unterwasser, b) Laufkraftwerk mit Unterwasserkanal, c) Laufkraftwerk mit
Obcrwasserkanal, d) LautkraftwerkinitOberwasserzufuhrungdurch Stollen und Rohrleitun-
gen [4.8]
224 4 Wasserkraftwerke

Auf Grund der im Normalfall kleinen Fallhöhe handelt es sich bei den Laufkraftwer-
ken meist um Niederdruckanlagen. Als Turbinen kommen dann Kaplan- (Abb. 4.5)
und Rohrturbinen (Abb. 4.6) in Frage (s. auch Abschn. 4.4). In Sonderfällen mit
größeren Fallhöhen (z.B. bei Wasserfallen, Wasserschnellen und Ausführung nach
Abb. 4.4d) werden auch Francis-Turbinen eingesetzt.

4.2.1 Wasserbewirtschaftung
Genutzt wird der natürliche Wasserzufluss, d.h. die Betriebsführung nimmt i.d.R.
keinen Einfluss auf den zeitlichen Ablauf der Wassernutzung. Manchmal ist eine
Kurzzeitspeicherung (im Stundenbereich, u.a. bei Schwellbetrieb [4.5]) vorgesehen,
und damit ein kleiner Beitrag an die Spitzenenergieproduktion möglich.

4.2.2 Ausführung
Abbildung 4.5 zeigt den Schnitt eines Laufkraftwerks mit Kaplan-Turbine. Um den
Turbinenraum von Ober- und Unterwasser abzudämmen, sind Dammbalken vor-
gesehen, die mit speziellen Kranen in dafür vorgesehene Nuten eingesetzt werden.
Der Rechen verhindert, dass gröbere Teile zur Turbine gelangen. Eine Rechen-
reinigungsmaschine ermöglicht es, den Rechen vom angeschwemmten Material frei-
zuhalten.
Die Ausführung mit Rohrturbine (Abb. 4.6a und 4.6b) ermöglicht eine niedrige
Bauweise, die sich gut mit dem Landschaftschutz verträgt. Die Rohrturbine kann auch
bei sehr kleinem Gefalle verwendet werden. Die Einlaufspirale entfallt, und der
Generator befindet sich in einem wasserdichten Gehäuse. Dank der günstigen Hydro-
dynamik ist der Wirkungsgrad ausgezeichnet.

Abb. 4.5. Laufwasserkraftwcrk mit Kaplan-Turbine: I Oberwasser, 2 Unterwasser (Saug-


rohr), 3 Rechen, 4 Einlaufspirale, 5 Stützschaufeln, 6 Laufschaufeln, 7 Laufrad, 8 Laufrad-
schaufeln, YTurbinenwelle, 10 Generator, I 1 Maschinenhaus. 12 Rechenreinigungsmaschine.
13 Geschwemmselrinnc, 14 Zangengreifer, 15 Dainmbalken, 16 Nuten, 17 Krane [4.10]
4.2 Laufkraftwerke 225

Abb. 4.6a. Laufkraftwerk mit Rohrturbine: I Oberwasser, 2 Unterwasser, 3 Rechen,


4 Leitschaufeln, 5 Laufrad, 6 Laufradschaufeln, 7 Turbinenwelle, 8 Generator, 9 Gehäuse,
I0 Sockel, I 1 Einstiegsschächte, 12 Maschinensaal, 13 Rechenreinigungsmaschine,
I4 Geschwemmselrinne, 15 Zangengreifer, 16 Dammbalken, 17 Nuten, 18 Krane [4.10]

Abb. 4.6b. Niederdruck-Laufkraftwerk: I Wehranlage, 2 Wehrschütze, 3 Tosbecken,


4 Wehrhöcker, 5 Maschinenhaus, 6 Montageschacht, 7 Generatorgehäuse, 8 Zustiegs-
schächte, 9 Turbinenlaufrad, 10 Leitschaufeln, I 1 Leitapparat, I2 Generator, 13 Kühler,
14 Kabelgang, 15 Rechen, 16 Rechenreinigungsmaschine, 17 Dammbalken, 18 Turbi-
nenauslauf, 19 Kommando- und Schaltgebäude, 20 Werkstatt- und Garagengebäude,
21 Fischtreppe, 22 Bootstreppe, 23 FreiluftschaItanlage bzw. Energieabtransport 14.1 11
226 4 Wasserkraftwerke

4.2.3 Auslegung
Wird das Kraftwerk für die Ausbauwassermenge Qa [m3/s] ausgelegt, geht die
schraffierte Fläche in Abb. 4.7 verloren. Die Größe Qawird mit folgender Grenzwert-
Überlegung optimiert: Vergleich der festen Kapital- und Betriebskosten für ein
zusätzliches AQa mit den Einnahmen, welche die entsprechende Mehrenergie er-
bringt. Diese Überlegung ist auch bei Kraftwerkserneuerungen für die Festlegung der
neuen Leistung ausschlaggebend. Man beachte, dass mit den Annahmen von Abb. 4.7
der Mehrertrag an Energie im Sommer anfallt, d.h. dann, wenn in Mitteleuropa eher
ein Energieüberschuss herrscht, der Marktwert der Energie also tief ist (bei rein
thermischer Produktion stimmt dies oft nicht).

verlorenes
Sommer
Wasser

Wasserdargebotslinie

Restwasser

1. Okt. 1. Apr. 1. Okt


Abb. 4.7. Wahl der Ausbauwassermenge. Restwasser notwendig, falls Ausführung mit
Unter- oder Obenvasserkanal

4.3 Speicherkraftwerke
4.3.1 Tages- und Wochenspeicherwerke
Es handelt sich i.d.R. um Flusskraftwerke mit einem höheren Stauziel von mehreren
10 m. Das Oberwasser wird zum Tages- oder gar Wochenspeicher. Als Turbinen
werden Kaplan- oder Francis-Turbinen eingesetzt. Eine besondere Art von Tages-
speichenverken sind die reinen Pumpspeicherwerke (Abschn. 4.3.3).

Einsatz und Auslegung


Die Ausbauwassermenge Qawird auf Grund ähnlicher Überlegungen wie in Abschn.
4.2 festgelegt (Abb. 4.7). Da aber wertvollere Spitzenenergie produziert wird, lohnt
sich i.d.R. ein größeres Qa . Solange Qa , z.B. für ein Tagesspeichenverk, die am
betrachteten Tag verfligbare Wassermenge Q, übersteigt (Abb. 4.8), kann die Ener-
gieproduktion auf die Spitzenstundenkonzentriert werden. Als Tages-Konzentrations-
faktor kann die Größe
4.3 Speicherkraftwerke 227

24h
Abb. 4.8. Einsatz eines Tagespeichenverks

genommen werden, worin V„ = Tagesspeichervermögen. Dieser Faktor ändert sich


im Laufe des Jahres. Der Wert der Energie steigt mit dem Konzentrationsfaktor. Ist
diese Abhängigkeit bekannt, lässt sich der erzielbare Jahreserlös berechnen, mit den
Jahreskosten vergleichen und somit Speichervermögen und Ausbauwassermenge
optimieren.
Für Wochenspeichenverkekönnen ähnliche Überlegungen angestellt werden. Den
typischen Verlauf des Nutzinhalts eines Wochenspeichers zeigt Abb. 4.9. Der
Speicher wird nachts und am Wochenende aufgefüllt, die Entleerung findet in
Spitzenstunden vor allem werktags statt.

Abb. 4.9. Typischer Verlauf des Nutzinhalts eines Wochenspeichers


Beispiel 4.1
Das Kraftwerk Schiffenen an der Saane hat eine installierte Leistung von 73.2 MW
und eine mittlere jährliche Produktion von 136 GWh. Der Gesamhvirkungsgrad ist
0.85. Der Nutzinhalt des Sees beträgt 35 Mio. m3 und die Seeoberfläche misst
4.25 km2.Die max. Fallhöhe beträgt 48.2 m. Man berechne folgende charakteristische
Zahlen:
228 4 Wasserkraftwerke

a) das Speichervermögen, b) die theoretische Entleerungszeit bei voller Leistung, C)


die theoretische Anzahl Zyklen pro Jahr, d) die Benutzungsdauer der installierten
Leistung. Um welche Art von Kraftwerk und von Speicher handelt es sich?
Schwankung des Obenvasserspiegels

Das mittlere Gefalle beträgt somit Ca. 44 m.


Speichewermögen = p Vmax g Hm

theor. Entleerungsdauer = 3570 MWh = 48.8 h


73.2 MW
136'000 MWh 38
theor. Anzahl Zyklen =
3570 MWhlZyklus

Benutzungsdauer = 136'000 MWhla = 1857 hla


73.2 MW

Offensichtlich handelt es sich um ein Wochenspeicherkraftwerk zur Produktion von


Spitzenenergie.

4.3.2 Jahresspeicherwerke (Saisonspeicherwerke)


Alpine Gewässer fuhren im Sommer wesentlich mehr Wasser als im Winter. Es ist
naheliegend, diese Wassennengen (sog. Saisonwasser) mit Hilfe von Jahresspeichern
aufzufangen. Da in der Schweiz im Winter i.d.R. weniger Lauiasser zur Verfugung
steht, wird ein beträchtlicher Teil der Elektrizität aus Saisonwasser produziert.
Dementsprechend verläuft in alpinen Jahresspeicherkraftwerken die Wasser-Ver-
arbeitungskurve entgegengesetzt zur Dargebotskurve (natürliche Zuflüsse), wie Abb.
4.10 zeigt. Das Speichervolumen wird durch die Größe des Einzugsgebiets sowie
durch die topographischen Verhältnisse bestimmt. Gewisse gesetzlich festgelegte
Wassermengen müssen auch im Sommer talabwärts fließen können.
Der Energieinhalt des gespeicherten Wassers ist umso höher, je größer die Fall-
höhe, mit der es genutzt wird, gewählt werden kann. Jahresspeichenverke im Hoch-
gebirge sind deshalb wirtschaftlich, weil sich große Energiemengen mit relativ wenig
Wasser produzieren lassen.
Größere Speichervolumen an Flüssen sind in der Schweiz auf Grund der großen
Bevölkerungsdichte und aus Landschaftschutzgründen nicht möglich. Weltweit
hingegen sind in verschiedenen Fällen Flüsse zu großen Seen mit Jahres- oder gar
Mehrjahresspeicherung aufgestaut worden.
4.3 Speicherkraftwerke 229

natürliche
Zuflüsse

Speicher-
vermögen

L
I . Apr. 1. Okt. 1. Apr.
Abb. 4.10. Typischer Verlauf des Wasserdargebots und der Wasserverarbeitung in
Jahresspeichenverken

Die wesentlichen Elemente eines alpinen Jahresspeicherkraftwerkszeigt Abb. 4.1 1a.


Das im Stausee gespeicherte Wasser wird mit einem nahezu horizontalen Druck-
stollen oft über viele Kilometer bis an eine geeignete Stelle transportiert, wo es mit
einer steilen Druckleitung (oder Druckschacht) zum Kraftwerk gefuhrt wird.

Abb. 4.1 1a. Hauptelemente eines Jahresspeicherkrafiwerks: I Wasserfassungen, 2 Zulei-


tungsstollen, 3 Stausee, 4 Staumauer, 5 Überlauf, 6 Grundablass, 7 Einlauf, 8 Druckstollen,
9 Wasserschloss, 10 Druckschacht (oder Druckleitung), I I Schieberkammer, 12 Maschinenka-
verne (oder Zentrale), 13 Unterwasserstollen, 14 Zufahrtsstollen, 15 Schalt- und evtl. Tranfor-
mierungsstation nach [4.11]
230 4 Wasserkraftwerke

Abb. 4.1 1b. Kavernenkraftwerk mit Pelton-Turbinen: I Verteilleitung, 2 Kugelschieber,


3 Turbinengehäuse, 4 Ringleitung, 5 Einlaufdüse, 6 Strahlablenker, 7 Pelton-Turbine,
8 Turbinenwelle, 9 Lager, 10 Generatonvelle, I I Generator-Rotor, 12 Generatorstator,
1 3 Kühler, 14 Erregermaschine, 15 Schalttafel, 16Transformator, 1 7 Kran, 18Kabelstollen,
19 zum Untenvasserstollen, Quelle: [4.1 I ]

Das Gefalle kann einige 100-2000 m betragen. Zwischen Stollen und Druckleitung
ist ein Wasserschloss vorzusehen. Dieses ist ein Ausgleichsgefaß mit der Aufgabe,
das bei raschem Schluss der Turbine nachströmende Wasser aufzufangen und so
unzulässige Druckstöße zu vermeiden. Das Kraftwerk befindet sich oft in einer
Kaverne (Abb. 4.1 lb).
Die in der Schweiz häufig anzutreffenden Arten von Talsperren sind in Abb. 4.12
schematisch dargestellt. Bei der Gewichtstaumauer reicht das Gewicht der Stau-
mauer aus, um das aufgestaute Wasser zurückzuhalten (Beispiel: Grande Dixence bei
Sion, 285 m hoch). Besonders elegant und materialsparend ist die Bogenstaumauer,
welche die Wasserkräfte durch die gekrümmte Form auf die Talflanken überträgt
(Beispiel: Staumauer Mauvoisin in Val de Bagnes, Höhe 237 m). Eine weitere
Möglichkeit sind Staudämme aus Erde, Lehm, Kies, Sand (Beispiel: Staudamm
Mattmark im Saastal, 120 m hoch).
4.3 Speicherkraftwerke 23 1

Abb. 4.12. Typen von Talsperren: a) Gewichtstaumauer, b) Bogenstaumauer,


C) Staudamm nach [4.11]

Für die erwähnten Fallhöhen werden Francis- und Pelton-Turbinen eingesetzt


(Näheres in Abschn. 4.3). Die große Fallhöhe kann häufig nur mit Hilfe mehrstufiger
Anlagen genutzt werden. Ein Beispiel fur eine dreistufige Anlage ist in Abb. 4.13
dargestellt: insgesamt beträgt die Fallhöhe 1258m, die einzelnen Stufen sind 524,32 1
und 413 m hoch, mit einer Leistung von insgesamt 645 MW. Das oberste Kraftwerk
Ferrera ermöglicht auch das Hinaufpumpen des Laufwassers eines Seitentales (s.
Abschn. 4.3.3).

Maschmenhaur 6.a

Baienburg Moschinenhaur Silr


.'.~~cnn*,v :"T:I.JXW

Abb. 4.13. Mehrstufige Anlage: Kraftwerke Hinterrhein (Kt. Graubünden)


232 4 Wasserkraftwerke

4.3.3 Pumpspeicherung
Mit der Pumpspeicherung wird Wasser aus einem tiefliegenden Auffangbecken in
einen höheren Speichersee hinaufgepumpt. Damit werden zwei Funktionen erfüllt:
- Umwandlung billiger Nacht- oder Sommerenergie in teure Spitzen- und Winter-
energie,
- Auffangen von Überschuss-~aufwasser,das sonst verloren ginge.

Abb. 4.14. a) Reines Punipspeicherwerkmit Gefalle von meist 300- 700 m: OWOberwasser
(oft künstlich ausgebaggert), UWUnterwasser (Fluss oder See), DI, Druckleitung, ZZentrale.
b) gctrenntc hydraulische Maschinen: P Pumpe, T Turbine, MG Motorgenerator, K Kupp-
lung. C) PT Pumpenturbine

Es wird zwischen Umwälzwerken und Saisonpumpspeicherung unterschieden:


Umwälzwerke haben eine kurzfristige Speicherung, meistens Tagesspeicherung, für
die Umwandlung von Nacht- in Tagesenergie. Oft werden sie als reine Pumpspeicher-
werke ausgeführt, ohne natürliche Zuflüsse; dann ist die turbinierte Wassermenge
gleich groß wie die Pumpwassermenge. Das obere Becken ist in diesem Fall meist
künstlich ausgebaggert (Abb. 4.14a). In anderen Anlagen findet man Pumpspeicher-
sätze, kombiniert mit normalen Turbosätzen mit natürlichem Zufluss.
Die Saison-Pumpspeickerung dient der Umwandlung von Sommer-Laufwasser-
energie in Winterenergie. Das Laufwasser wird in einen höher gelegenen Saisonspei-
cher gepumpt. Die Saisonpumpspeicherung erfolgt normalerweise zusätzlich zur
Turbinierung natürlicher Zuflüsse (Beispiel Abb. 4.13).
Für die Pumpspeichersätze gibt es zwei Ausführungsmöglichkeiten:
- Lösung mit getrennten hydraulischen Maschinen. Bei Turbinenbetrieb ist die
Pumpe ausgekuppelt, bei Pumpbetrieb läuft die Turbine leer mit (Abb. 4.14b).
- Lösung mit Pumpenturbine: ist bzgl. der Investitionen oft günstiger, hat aber einen
schlechteren Wirkungsgrad. Die Pumpenturbine Iäufi bei Wasserzufuhr als Turbine
und bei Umkehrung des Drehsinns als Pumpe (Abb. 4.14~).
4.4 Wasserturbinen 233

4.4 Wasserturbinen
Gemäß Abschn. 3.3 ist die Turbinenleistung
Pt = rl,eQgH [W (4.1)
mit H = Nutzgefalle. Die von der Turbine geleistete spezifische Arbeit (pro kg
Wasser) ist
Pt J
tl, g H [-I .
kg

g H stellt das spezifische Nutzpotential dar. In einem beliebigen Querschnitt einer


Wasserströmurig (Abb. 4.15) kann die spezifische Energie folgendermaßen ausge-
drückt werden (Anhang 1.1, GI. 1.9):

worin

*. p = Wasserüberdruck
c = mittlere Wassergeschwin-
digkeit
:e2 z = Höhenkoordinate
. TJC :

.........:...Bezugsebene
........

Abb. 4.15. Wasserströniungsenergie

Die Stromungsenergie e setzt sich zusammen aus Druckenergie, kinetischer Energie


und potentieller Energie.
Mit Bezug auf Abb. 4.15 seien e, und e, die Energien der Querschnitte 1 und 2.
Die Strömung leiste zwischen 1 und 2 Arbeit in einer Turbine. Die von der Turbine
gelieferte mechanische Energie ist gemäß Energieerhaltungsprinzip
Wt = el - e2 - 4, , (4.4)
worin q, = Reibungsverluste. Wird GI. (4.3) in (4.4) eingesetzt, folgt die Bernouilli-
Gleichung der Strömungsmechanik

Die potentielle Energie g ( z , - z2) spielt eine zweitrangige Rolle oder ist gar ver-
nachlässigbar. Je nach Bedeutung der beiden Anteile kinetische und Druckenergie
werden Aktions- und Reaktionsturbinen unterschieden:
234 4 Wasserkraftwerke

Aktionsturbinen (z.B. Pelton-Turbine). Es handelt sich um Freistrahlturbinen, wo der


Druck gleich zum atmosphärischen ist und p, = p, = 0. In diesen Turbinen wird
kinetische in mechanische Energie umgewandelt, somit

Reaktionsturbinen (z.B. Francis- und Kaplan-Turbine). In diesen Turbinen besteht


eine Druckdifferenz (U, - p2), und es wird sowohl Druckenergie als auch kinetische
Energie in mechanische Energie transformiert. Mit dem Reaktionsgrad r wird der
Anteil der im Laufrad umgewandelten Druckenergie im Verhältnis zur insgesamt
verfügbaren (= g H) bezeichnet. Der Reaktionsgrad liegt zwischen 0.3 und 0.8.

4.4.1 Pelton-Turbine
Abbildung 4.16 zeigt schematisch eine Anlage mit Pelton-Turbine. Ein Teil des
Bruttogefalles geht als Reibungsverlust H,, in den Zuleitungen verloren. Die Höhen-
differenz H, zwischen Strahlebene und Untenvasserspiegel kann ebenfalls nicht
genutzt werden. Der hydraulische Wirkungsgrad (Abschn. 3.3) ist somit

Die Energieumwandlung 1 kg Wassers auf seinem Weg vom Obenvasserspiegel zur


Turbine wird vom Energiediagramm Abb. 4.17 veranschaulicht. Beim Abstieg zum
Eingang der Druckleitung wird ein Teil der potentiellen Energie g H, in Druck-
energie und dort z.T. auch in kinetische Energie transformiert. In der Druckleitung
wird die potentielle Energie bis auf H, progressiv zu Druckenergie. Die vor der Düse
verfigbare Druckenergie wird in der Düse (Abb. 4.18) in kinetische Energie des
Wasserstrahles umgewandelt.

Abb. 4.16. a) Anlage mit Pelton-Turbine, b) Pelton-Rad


4.4 Wasserturbinen 235

- Druckleitung
Turbine
Düse

kinetische
Energie
Rad

I mechanische
Energie

0 1 2
Abb. 4.17. Energiediagramm (spezif. Energie) der Pelton-Anlage

Die Energieumwandlung in der Pelton-Turbine (bestehend aus Düse und Rad) sei
anhand der Abb. 4.18 näher erläutert. Das Pelton-Rad hat den Durchmesser D und
dreht mit Drehzahl n. Die Umfanggeschwindigkeit des Rades ist U. Der Wasserstrahl
trifft auf becherformige Schaufeln und gibt seine Energie ab. Die Düsennadel regu-
liert den Strahldurchmesser und somit die Wassennenge und die Leistung der Turbi-
ne. Die Turbine kann auch mehrere Düsen aufweisen. Im Folgenden berechnen wir
die spezifische Energie in den Querschnitten 0, 1 und 2:

0 Düsennadel

Abb. 4.18. Pelton-Turbine


Wird die Strahlebene als Referenzebene gewählt, ist die potentielle Energie in
dieser Ebene null. Der Ausdruck für die spezifische Energie vor der Düse (Quer-
schnitt 0) lautet

Im Strahl ist auch die Druckenergie null. Für die spezifische Energie nach der Düse
(Querschnitt 1) folgt

mit V,, = Düsenwirkungsgrad (ist ein Teil von V,, Richtwert ca. 0.96 ).
Aus GI. (4.7) folgt die Strahlgeschwindigkeit

Die Strahlgeschwindigkeit hängt nur vom Nutzgefälle ab, ist also unabhängig vom
eingestellten Strahldurchmesser d.
Die spezifische Energie unmittelbar nach dem Rad (Querschnitt 2) ist mit der An-
nahme z2 = 0

wobei für optimal geformte Schaufeln C? << C , .


Die spezifische Arbeit und der Wirkungsgrad der Turbine sind

mit y,. = Reibungsverluste in Düse und Rad

4.4.1.1 Strahldurchmesser und Wassermenge


Es besteht der Zusammenhang

Q = i- n d 2 7 i = Anzahl Düsen . (4.9)


Der maximale Strahldurchmesser entsprechend der Ausbauwassermenge Q„ist somit
4.4 Wasserturbinen 237

4.4.1.2 Optimale Umfangsgeschwindigkeit


Der Zusammenhang zwischen Wirkungsgrad der Turbine und Umfangsgeschwindig-
keit des Rades für eine gegebene Wassermenge zeigt Abb. 4.19. Bei blockiertem Rad
findet keine Leistungsübertragung statt. Ist die Radgeschwindigkeit gleich zur
Strahlgeschwindigkeit, ist die Leistung ebenfalls null, da keine Kraftübertragung
möglich ist (Impuls = 0). Der Wirkungsgrad des Rades wird etwa bei der halben
Strahlgeschwindigkeit einen Höchstwert aufweisen. Die optimale Umfangsgeschwin-
digkeit ist somit
uopr = k c l , mit k c a . 0 . 5 . (4.11)

Daraus folgt die Beziehung zwischen Durchmesser und Synchrondrehzahl n (Ulmin):

0 U opt Cl

Abb. 4.19. Leistungsausbeute in Abhängigkeit der Umfangsgeschwindigkeit

4.4.1.3 Durchmesser, spezifische Drehzahl


Zur Bestimmung des Durchmessers ist ein weiterer Zusammenhang zwischen Durch-
messer und Drehzahl notwendig. Um diesen zu finden, sei das Verhältnis zwischen
maximalem Strahldurchmesser und Raddurchmesser berechnet. Aus den Beziehungen
(4.10) und (4.12) erhält man

und schließlich durch Einführung der spezzjkchen Drehzahl


238 4 Wasserkrailwerke

und der Konstanten

folgt

Die spezifische Zahl n, wird als Zahlenwert mit n in Ulmin, Q in m3/s und H in m
definiert. Sie charakterisiert geometrisch ähnliche Turbinen. Für gleiche Düsenzahl
und gleiches nc,ist das Verhältnis 4 / D , welches zum Verhältnis Schaufelgröße zu
Raddurchmesser proportional ist, konstant. Für ein mechanisch optimales Pelton- Rad
variiert dieses Verhältnis nur wenig; somit ist das Verhältnis n , / d für Pelton-Turbinen
mehr oder weniger gegeben. Für große Turbinen und fur große Fallhöhen (400-1000
m) kann n , / d = 5-6.5 eingesetzt werden. Für Fallhöhen > 1000 m müssen diese
Werte nach unten (etwa 3-4 für 2000 m) und für kleine Fallhöhen etwas nach oben
korrigiert werden (für Näheres s. [4.3]).

Beispiel 4.2
Man überprüfe obige Zusammenhänge anhand der Pelton-Anlage von Abb. 4.20. Die
Nenndaten sind: P, = 167 MW, Q = 46.12 m3/s, H = 4 13 m, n = 180 Ulmin.

Abb. 4.20. Sechsdüsige Freistrahlturbine New Colgate an1 Yuba River, Kalifomien
(Werkbild Voith), I Lauli-ad, 2 Ringleitung, 3 Düse, 4 Düsennadel, 5 Strahlablenker,
6 Absperrorgan 14.81
Aus den Daten folgen die hydraulische Leistung und der Turbinenwirkungsgrad

Aus GI. (4.13) erhält man

Mit den Annahmen q, = 0.96 und k = 0.47 folgt ferner aus den Gln. (4.8) und (4.1 1)

C, = J0.96.2.9,81.413 = 88.2 mls , uopf = 0.47.88.2 = 41.5 mls

und schließlich fur den Raddurchmesser aus GI. (4.12)

was gut mit den wirklichen Raddimensionen (4.35 m) übereinstimmt.


Für die Schaufelgröße ist der maximale Strahldurchmesser maßgebend. Aus den
Gln. (4.14) und (4.15) folgt

Der maximale Strahldurchmesser beträgt 7.6% des Raddurchmessers oder 33.4 Cm.
Für die Dimensionen von Schaufeln und Düse gelten die Richtwerte: Schaufelabstand
0.9 d,,, Schaufellänge und -breite etwa 3 d,,, Schaufelhöhe 0.3 d„ Düsenöffnung 1.25
d, und Durchmesser des Düsenrohrs 3 d , .
Die spezifische Energie am Turbineneingang ist

Wird der Druckleitungsdurchmesser am Turbineneingang auf d = 2 m geschätzt, folgt

Aus GI. (4.6 ) folgt der Überdruck am Turbineneingang

N
po = p(gH - ):C = lOOO(4.05 - 0.1 1) = 39.4 - 10' - = 39.4 bar
m2
240 4 Wasserkraftwerke

4.4.2 Reaktionsturbinen
Abbildung4.2 1 zeigt schematisch den Aufbau einer Anlage mit Reaktionsturbine. Das
Wasser gelangt von der Druckleitung zur Einlaufpirale und von hier durch vonvie-
gend radiale Bewegung zur Turbine. Dank dem Diffusor (oder Saugrohr) wird das
gesamte Gefälle bis zum Untenvasserspiegel (UW) genutzt, abzgl. Reibungsverluste
in den Zuleitungen. Der hydraulische Wirkungsgrad ist

Das Wasser strömt von der Einlaufpirale zum Leitrad, welches mit den steuerbaren
Leitschaufeln die Wassermenge zu regeln erlaubt, und von hier zum Laufrad. Ab-
bildung 4.22 zeigt eine Skizze und einen Schnitt des Spiralgehäuses und des Leitrades
einer Francis-Turbine.
Francis- und Kaplan-Turbine unterscheiden sich durch die Form des Laufrades. Die
Francis-Turbine (Abb. 4.23, s. auch Abb. 4.28) hat feste Laufschaufeln. Die propel-

Igehäuse i

Diffusor -

Abb. 4.21. Anlage mit Reaktionsturbine

Abb. 4.22. a) Skizze des Spiralgehäuses, b) Schnitt durch die Turbine: I Einlaufspirale, 2
Leitschaufeln, 3 Leitschaufelachse (drehbar),4 Turbinenrad, 5 Turbinenachse
nach [4.10]
4.4 Wasserturbinen 241

Einlaufspirale , ..*. .,. -

Abb. 4.23. a) Schematische Darstellung der Francis-Turbine, b) Francis-Rad

lerartige Kaplan-Turbine (Abb. 4.24, s. auch Abb. 4.29) hat Laufschaufeln, deren
Neigungswinkel in Abhängigkeit der Wassermenge verstellt wird, um den Wirkungs-
grad bei Teillast zu verbessern. Als Propeller-Turbine wird die Variante mit festen
Laufschaufeln bezeichnet, die sich nur dann eignet, wenn vorwiegend mit Vollast
gefahren werden kann.
Zur Beschreibung der Energieumwandlung in der Reaktionsturbine sei die spezi-
fische Energie in den Querschnitten 0, 1,2 und 3 betrachtet, wobei als Bezugsebene
fu,die potentielle Energie der Unterwasserspiegel gewählt wird. Im Querschnitt 0 vor
der Einlaufspirale (Abb. 4.21) gilt

Die spezifische Energie im Querschnitt 1, unmittelbar nach dem Leitrad ist

qSI,berücksichtigt die Verluste in Einlaufspirale und Leitrad.

a, Einlaufspirale Leitschaufel

verstellbar

+. Diffusor

Abb. 4.24. a) Schematische Darstellung der Kaplan-Turbine, b) Kaplan-Rad


Die spezifische Energie im Querschnitt 3 (Unterwasserspiegel) ist
e3 = 0, (4.17)
da hier auch die Wassergeschwindigkeit und der Überdruck null sind.
Im Diffusor geht durch Reibung etwas Energie verloren. Für die spezifische Energie
im Querschnitt 2, unmittelbar nach dem Laufrad, gilt

wenn mit q„ die Reibungsverluste im Diffusor bezeichnet werden.


Aus den Gln. (4.16) und (4.1 8) folgt, übereinstimmend mit den Gln. (4.4), (4.5), die
an der Turbinenwelle verfügbare spezifische. Energie

worin q,. = Reibungsverluste im Laufrad.


Aus GI. (4.1 8) folgt ferner

4.4.2.1 Kavitationserscheinung
Aus GI. (4.20) ergibt sich, daq„ klein ist, ein Unterdruck am Ausgang des Laufrades.
Zu großer Unterdruck hat bei den üblichen Wassertemperaturen Dampfbildung zur
Folge und fiihrt zur Erscheinung der Kavitation:durch implosionsartige Kondensation
der Dampfblasen werden Lärm, Erschütterungen und vor allem im Laufe der Zeit
Korrosion der Schaufeloberfläche erzeugt [4.2]. Wirkungsgrad und Lebensdauer
werden verringert. Der Unterdruck ist umso stärker, je größer die Wassergeschwin-
digkeit e2.Besonders gefährdet sind Räder mit hohen Umlaufgeschwindigkeiten. Die
Kavitationsgefahrdung wird durch eine Kavitationszahl (oder auch Thoma-Zahl)
charakterisiert, die im wesentlichen proportional zu
= Absolutdruck (=p2+ atmosphärischer Druck) und
2 (p,,, -P/,)/(P C:) ist, mitpZabs
p„ = Dampfdruck (temperaturabhängig, für Näheres s. [4.2]).
Die Geometrie der Turbine wird auch für die Reaktionsturbine durch die spezi-
fische Drehzahl n, (GI. 4.13) charakterisiert (s. auch G1. 4.24). Um die Wasser-
geschwindigkeit e, zu begrenzen, darf die spezifische Drehzahl bestimmte Werte in
Abhängigkeit vom Gefalle H nicht überschreiten (s. dazu Abschn. 4.4.2.5).
Um den Unterdruck zu begrenzen, kann nach GI. (4.20) nicht nur C,, sondern auch
z, klein gehalten oder sogar negativ gemacht werden, womit die Turbine tiefer zu
liegen kommt als der Untenvasserspiegel. Diese Maßnahme kann teuer sein, wenn
größere Aushubarbeiten in felsigem Untergrund notwendig werden.
4.4 Wasserturbinen 243
Turbine
Spirale,
Druckleitung Leitap- Rad Diffusor
parat

Abb. 4.25. Energiediagramm (spezif. Energie) einer Reaktionsturbinenanlage

4.4.2.2 Energiediagramm
Zusammenfassend kann die Energieumwandlung in einer Anlage mit Reaktions-
turbinen durch das Energiediagramm in Abb. 4.25 veranschaulicht werden. Im
Gegensatz zur Pelton-Anlage (Abb. 4.17) besteht die Energie am Laufiadeingang
vorwiegend aus Druckenergie, die direkt in mechanische Energie umgewandelt wird.
Am Laufiadausgang ist die Druckenergie sogar negativ. Der Diffusor ermöglicht, die
verbleibende kinetische Energie (entsprechend C,), und falls z, positiv ist, auch die
potentielle Energie zu rekuperieren, d.h. in Druckenergie zurückzuwandeln.

4.4.2.3 Durchfluss- und Druckzahl


Neben der spezifischen Drehzahl G1. (4.13) werden f i r die Reaktionsturbine weitere
charakteristische Zahlen eingeführt, nämlich die Durchjlusszahl und die Druckzahl

Durchjlusszahl cp = -
U

Druckzahl

Die Durchflusszahl wird als Verhältnis von Wassergeschwindigkeit beim Austritts-


querschitt 2 und Umfangsgeschwindigkeit u des Rades im selben Querschnitt de-
finiert. Mit Bezug auf den Austrittsquerschnitt 2 folgt
TCD2 nD2 D.
Q = ~ ~ - ( l - a ~ ) = q u - ( 1 - ~ 1 ~ ) , wobei a = L. (4.22)
4 4 D
Mit dem Faktor a wird berücksichtigt, dass bei der Kaplan-Turbine (Abb. 4.24) der
Ausgangsquerschnitt durch den Propellerkörper (mit Durchmesser D,) reduziert wird.
Bei der Francis-Turbine kann dieser Effekt in erster Näherung vernachlässigt werden
(Richtwert Kaplan: a = 0.4, Francis: a = 0).
Für eine gegebene Turbine ist die DurchJlusszahl gemäß GI. (4.22) proportional zur
momentanen Wassermenge. Um einen bei Volllast optimalen Wirkungsgrad zu
erhalten (optimale Umfangsgeschwindigkeit), hat die DurchflusszahI einen bestimm-
ten Nennwert T,. Bei steigender spezifischer Drehzahl liegt dieser Wert bei 0 . 4 0 . 2 5
für Francis- und 0.2-0.35 f i r Kaplan-Turbinen.
Für eine Turbine mit gegebener spezifischer Drehzahl lässt sich das sog. Muschel-
diagramm in der (T, $)-Ebene angeben (Abb. 4.26), mit den Kurven konstanten
Wirkungsgrades und konstanter Leitradstellung (Öffnungsgrad).
Die Druckzahl hängt nur vom Nutzgefalle ab, hat deshalb im stationären Betrieb
einen unabhängig von der Leistung praktisch konstanten Wert, der dem maximalen
Wirkungsgrad entspricht. Aus der Druckzahl folgt mit GI. (4.21) die optimale
Umfangsgeschwindigkeit.

4.4.2.4 Zusammenhang zwischen n„ paund qu


Mit GI. (4.2 1) kann H in Abhängigkeit von $ ausgedrückt werden. Werden H und Q',
(nach GI. (4.22)) in den Ausdruck (4.13) der spezifischen Drehzahl eingesetzt und
wird berücksichtigt, dass

folgt

Abb. 4.26. Muscheldiagramm einer Francis-Turbine, 0 Nennpunkt nach 14.41


4.4 Wasserturbinen 245

4.4.2.5 Turbinenauslegung
Sind H und Q„gegebeil, wird zunächst die spezifische Drehzahl entsprechend dem
Nutzgefalle so festgelegt, dass sie im erfahrungsgemäß wirtschaftlich optimalen
Bereich des Diagramms von Abb. 4.27 zu liegen kommt. Innerhalb dieses Bereichs
muss ein Kompromiss zwischen zwei gegensätzlichen Forderungen gefunden werden:
- eine möglichst hohe Drehzahl (und somit auch spezifische Drehzahl) ist aus
wirtschaftlichen Gründen für Turbine und Generator zwar von Vorteil,
- je größer jedoch die Drehzahl gewählt wird, umso größer können die Schäden
durch Kavitation sein.
In Abhängigkeit von n , folgt mit Abb. 4.27 die Druckzahl, aus GI. (4.21) die Um-
fangsgeschwindigkeit und aus GI. (4.23) der Durchmesser des Laufrades. Gleichung
(4.24) liefert die Durchflusszahl für den Nennbetrieb.

0 20 L0 60 B0 100 150 200 250 rnin-' 300


spezifische Drehzahl n,
Abb. 4.27. Beziehung zwischen spe~ilischerDrehzahl undNut~gclallc.SchraTfiertc i- 'läche
= erfahrungsgemäß optimaler Bereich nach 14.81
246 4 Wasserkraftwerke

Beispiel 4.3
Für die Francis-Turbine von Abb. 4.28 bestimme man die wichtigsten Kenngrößen,
ohne Kenntnis des Muscheldiagramms, und überprüfe die Dimensionen. Die Daten
sind: H = 87.5 m, Q = 284 m3/s, n =138.5 Ulmin, P, = 221 MW, 60 Hz.
Aus den Daten folgen die hydraulische Leistung und der Turbinenwirkungsgrad

Aus G1. (4.13) erhält man

Diese Zahl liegt nicht weit von der unteren Grenze des optimalen Bereichs von Abb.
4.27. Wird die Nenn-Durchflusszahl auf 0.3 geschätzt, folgt aus den Gln. (4.24),
(4.21), (4.23)

Abb. 4.28. Vertikaler Maschinensatz mit Francis-Turbine, Paulo Alfonso am Riao Sao
Francisco, Brasilien (Werkbild Voith). I Generator, 2 Spurlager, 3 Leitrad-Servomotor.
4 Führungslager, 5 Regelring, 6 Leitschaufeln, 7 I,aufrad, 8 Traversenring mit Spirale,
9 Diffusor (Saugrohr) [4.8]
4.4 Wasserturbinen 247

was gut mit dem wirklichen Wert (5.57 m) übereinstimmt. Umgekehrt folgt aus dem
wirklichen Durchmesser, da die Durchflusszahl zu D" proportional ist

Werden die im günstigen Sinne wirkenden Verluste im Diffusor vernachlässigt und


wird z2 = 0 angenommen, folgt aus GI. (4.20) ein Unterdruck von 0.67 bar. Zur
Reduktion des Unterdrucks wird die Turbine tiefer gelegt. Fürz, = - 4 m folgt z.B. p,
= - 0.28 bar (für Näheres bezgl. Kavitation und zulässigen Unterdruck s. z.B. [4.2]).

Beispiel 4.4
Für die Kaplan-Turbine von Abb. 4.29 bestimme man die wichtigsten Kenngrößen,
ohne Kenntnis des Muscheldiagramms, und überprüfe die Dimensionen. Die Daten
sind: H = 38 m, Q = 75 m'ls, n =200 Ulmin, P, = 24.8 MW, 50 Hz.
Aus den Daten folgen die hydraulische Leistung und der Turbinenwirkungsgrad

Abb. 4.29. Vertikale Kaplan-Turbine Rosshaupten am Lech (Werkbild Voith), 1 Laufrad-


Servomotor, 2 Verstellspindel, 3 oberes Führungslager, 4 Spurlager, 5 Leitradservomotor,
6 Wellendichtung, 7 unteres Führungslager, 8 Leitschaufel, 9 Laufrad mit verstellbaren
Laufschaufeln, 10 Diffusor (Saugrohr) [4.8]
248 4 Wasserkraftwerke

Aus GI. (4.13) erhält man

Diese Zahl liegt am untersten Rand des schraffierten Bereichs von Abb. 4.27. Werden
die Nenn-Durchflusszahl cp, auf 0.25 und a auf 0.4 geschätzt, folgt aus den Gln.
(4.24), (4.2 I), (4.23)

Die Austrittsgeschwindigkeit ist C, = cp, u = 9.2 mls. Daraus lässt sich der Unterdruck
schätzen: für 2 , = 0 und Vernachlässigung der Diffusorverluste folgt aus GI. (4.20)
p, = - 1000 (0.5 . 9.2') = - 0.42 bar.

4.4.2.6 Typen von Reaktionsturbinen und Kreiselpumpen


Eine Reaktionsturbine wird durch Umkehren der Drehrichtung zur Kreiselpumpe. Wie
Tabelle 4.1 zeigt, kann die charakteristische Drehzahl und somit die Geometrie von
Reaktionsturbinen und Kreiselpumpen stark variieren (für die Turbinen s. auch Abb.
4.25). Zu unterscheiden sind Langsamlaufer (kleines n„ geeignet für H groß und Q
klein, mit stark gekrümmten Schaufeln), Mittelläufer und Schnellläufer (großes n„
geeignet für H klein und Q groß, mit schwach gekrümmten Schaufeln). Dabei ist zu
beachten, dass sich die Bezeichnungen langsam und schnell auf n , und nicht auf die
effektive Drehzahl beziehen.

Tabelle 4.1. Spe~itischeDrehzahl von Reaktionsturbinen und Kreiselpumpen


n,,
Francis langsam
Francis mittel
Francis schnell
Kaplan (Propeller) 90 300
-

Radialpumpe langsam 10 - 30
Radialpumpe mittel 30 - 60
Radialpuinpe schnell 60 - 150
Axialpumpe 110- 500
4.4 Wasserturbinen 249

Die Strömungsrichtung ist bei Francis-Turbinen und Radialpumpen radial-axial,


bei Kaplan-Turbinen und Axialpumpen rein axial. Pumpen werden oft mehrflutig
(Aufspaltung der Wassermenge auf mehrere Räder) und mehrstufig (Aufspaltung des
Druckes auf mehrere Räder) ausgefiihrt (Analogie zu Parallel- und Serieschaltung in
der Elektrotechnik). Die in Abschn. 4.3.3 erwähnte Pumpenturbine ist eine Kompro-
missmaschine, die zwar einen schlechteren Wirkungsgrad aufweist, aber zu güns-
tigeren Anlagekosten führt.

4.4.3 Turbinenwahl
Die Kriterien, die für die Wahl der Turbine bestimmend sind, seien kurz zusammen-
gefasst und anhand einiger Beispiele veranschaulicht. Gegeben sind i.d.R. H und Q.
Zu bestimmen sind der Turbinentyp (spezif. Drehzahl), die Drehzahl (Generatortyp)
und die Dimensionen. Grundsätzlich ist die Drehzahl der Gruppe Turbine-Generator
möglichst hoch zu wählen, da damit Dimensionen und Preis reduziert werden.
Pelton-Turbine. Die spezifische Drehzahl variiert in engen Grenzen und kann nur
durch die Anzahl der Düsen erhöht werden. Damit sind Drehzahl und Polpaarzahl des
Generators praktisch gegeben, es sei denn, es wird ein Getriebe verwendet. Das
Gefalle bestimmt die Strahlgeschwindigkeit und somit die optimale Umfangsge-
schwindigkeit. Damit sind Durchmesser der Turbine und Schaufelgröße im Wesentli-
chen festgelegt.
Reaklionsturbine. Die spezifische Drehzahl ist möglichst groß zu wählen. Sie ist nach
oben durch die Kavitation begrenzt (Abb. 4.25). Für ein bestimmtes Gefalle ist sie
demzufolge in engen Grenzen gegeben. Daraus folgen Drehzahl und Polpaarzahl des
Generators entsprechend der Netzfrequenz. Ist das Muscheldiagramm bekannt, folgt
der optimale Wert von Q und somit der Umfangsgeschwindigkeit u. Damit ist auch
der Durchmesser des Laufrades gegeben.

Anzahl der Gruppen


Die Leistung des Wasserkraftwerks wird von hydrologischen und topographischen
Gegebenheiten und von Wirtschaftlichkeitsüberlegungen bestimmt. Für eine optimale
Wahl der Anzuhl der Gruppen des Kraftwerks, d.h. optimale Aufteilung der Leistung,
sind folgende Argumente ausschlaggebend:
- Wird die Leistung auf mehrere Gruppen aufgeteilt, nehmen die Dimensionen der
Anlage und damit die Investitionen normalerweise zu. Zu beachten ist, dass die
Maschinen selbst nicht unbedingt teurer werden, da sie bei Verkleinerung der
Wassermenge hochtouriger werden.
- Diesem Nachteil höherer Investitionen steht aber der Vorteil gegenüber, dass bei
Teillast ein besserer Wirkungsgrad durch Abschaltung einiger Gruppen und eine
bessere Auslastung der restlichen erzielt wird. Dies wirkt sich vor allem bei
Turbinen mit festen Laufschaufeln aus, die einen schlechten Wirkungsgrad bei
Teillast aufweisen (Francis- und Propeller-Turbine, Abb. 4.30). Die Verlustbe-
rechnung kann durch Simulation der vorgesehenen Betriebsweise des Kraftwerks
durchgeführt werden.
250 4 Wasserkraftwerke

- Die Sicherheit der Netzeinspeisung erhöht sich bei größerer Gruppenzahl. Dieses
Argument ist allerdings nur bei größeren Leistungen im Vergleich mit der Netzlei-
stung von Bedeutung.

Belastung
b
20 40 60 80 1M) %

Abb. 4.30. Typischer Verlauf des Turbinenwirkungsgrads


n Pelton, b Francis, c Kaplan, d Propeller

Beispiel 4.5
Man bestimme Turbinen- und Generatortyp für 50 Hz und mit der Annahme eines
Maschinenwirkungsgrades von 7, 7%= 0.85 für folgende Gruppen
a) H = 1 0 0 m , P = 3 0 M W
b) H = 1000 m, Q, = 5 m'ls.
a) Entsprechend Abb. 4.25 wird eine Francis-Turbine mit einer charakteristischen
Drehzahl n , von Ca. 70 gewählt. Es folgt

Um die Größenordnung der Dimensionen abzuschätzen, sei, da kein Muscheldia-


gramm vorhanden, die Annahme cp, = 0.32 getroffen, woraus mit GI. (4.24)
$ = 1.35, mit GI. (4.21) u = 38.1 mls und schließlich mit GI. (4.23) der
Durchmesser D = 1.94 m folgt. Eine Änderung von cp, wirkt sich reziprok mit der
dritten Wurzel, d.h. relativ wenig aus; so ergäbe die Wahl cp, = 0.25 einen Durch-
messer D = 2.1 1 m.
4.4 Wasserturbinen 25 1

b) Für das Gefalle von 1000 m kommt nur die Pelton-Turbine in Frage. Mit der Wahl:
Anzahl Düsen i = 4, n, = 5 S d 4 = 1 1 folgt

n = n --
4 ~ 0 . 5

mögliche Lösungen

Weitere Lösungen sind durch Änderung der Düsenanzahl möglich.


Die Strahlgeschwindigkeit ist C , = 137 mls (mit 77, = 0.96).
Die Lösung mit n = 1000 Ulmin ergibt u =. 68 mls und D =. 1.3 m.

Aufgabe 4.1
Ein Laufkraftwerk wird mit Rohrturbinen ausgerüstet, mit folgenden Daten:
H = 13.57 m, Q = 334.8 m'ls, P, = 41.22 MW, [4.5]. Man bestimme die wichtigsten
Kenngrößen und Hauptdimensionen der Turbine.

4.4.4 Kleinwasserkraftwerke

Die vollständige Nutzung des Wasserkraftpotentials erfordert, dort wo sich Möglich-


keiten bieten, oft in Zusammenhang mit der Trinkwasserversorgung, auch den Bau
von Kleinanlagen (in der Schweiz meist < 300 kW). Dazu bestehen auch Förder-
Programme. Die Berechnungsgrundlagen sind im Wesentlichen die gleichen wie für
Großanlagen. Dazu folgende Beispiele, s. auch [4.9].

Aufgabe 4.2
a) Ein Bach liefert dauernd eine nutzbare Wassennenge von mind. 200 11s. Ohne
besondere bauliche Probleme kann ein Nutzgefalle von 10 m installiert werden.
Welche Turbinenvarianten kommen in Frage, und welche sind deren Kenngrößen
und Dimensionen?
b) Welche Turbine kommt in Frage, wenn die nutzbare Wassermenge nur 40 11s
beträgt, dafür das Nutzgefalle auf 50 m erhöht werden kann?
252 4 Wasserkraftwerke

4.5 Dynamik
Zur Untersuchung dynamischer Vorgänge während des normalen oder gestörten
Netzbetriebs, aber auch f i r Planungsstudien, welche die Netzstabilität oder den
Netzwiederaufbau betreffen, sind Modelle notwendig, welche die Dynamik des
Wasserkraftwerks einschl. des hydraulischen Teils korrekt wiedergeben. Beispiels-
weise kann das Drehzahlverhalten von den Charakteristiken der hydraulischen Anlage
mitbestimmt werden. Dynamische Berechnungen des hydraulischen Systems sind
ferner Voraussetzung für die optimale Auslegung des Wasserschlosses und der
Druckleitung (Druckstoßvorgänge, s. Abschn. 4.5.3 und 4.5.5).
Im allgemeinen Fall besteht die Anlage entsprechend Abb. 4.31 aus Speicher,
Druckstollen, Wasserschloss, Druckleitungund Hydrogruppe. Der Speicher ist i.d.R.
sehr groß, und die Höhe des Oberwassers H„ kann f i r dynamische Vorgänge als
konstant betrachtet werden. Für nicht allzu langsame Vorgänge, gilt dies auch f i r die
Höhe H„, des Unterwassers. Das Bruttogefalle ist H, = H„ - H„, .

4.5.1 Druckstollen
Die Energiebilanz (spezifische Energie) lautet

V, = mittlere ~asser~eschwind&keit (4.25)


mit ( Ha = Nutzgefdlle um Ende des Stollens
H, = Verlusthöhe im Stollen .
Die linke Seite stellt die Beschleunigungsenergie der Wassermassen dar (J F dw = Jm
dv/dt ak = m dv/dt L). Für die Verluste im Stollen gilt mit guter Näherung
gH,=K,Q;lQ,l, mit Q s = v s A s . (4.26)
Wird in G1. (4.25) v ,durch
~ Q, ersetzt, folgt

Abb. 4.31. Wasserkraftanlage: G Generator, T Turbine, Q Wasserfluss, A Querschnitt,


L Länge, Indizes: s Druckstollen , W Wasserschloss, c Druckleitung, D Druckregler
4.5 Dvnamik 253

Durch Einführung des Nenngefälles H,, der Nennwassermenge Q, und Teilung der
GI. (4.27) durch gH, erhält man

gesetzt h b = 4
- h =-
Ha h = -Hs q = -Qs , c s = K s - , (4.28)
Hr' H ' " H r i " Qr g Hr
die p. u. Gleichungen des S d l e n s

dqs = hb
T - - ha - hs mit T Ls
= -
Qr
dt gHr
hs = Cs qs.lqsl ,

und das entsprechende Blockschaltbild Abb. 4.32.

I ) I I

Abb. 4.32. Ilruckstollenmodell

Durch Linearisierung der Verlustgleichung folgt das lineare Modell

mit dem Blockschaltbild bzw. der Übertragungsfunktion von Abb. 4.33.

Cs0 + s Ts

Abb. 4.33. Lineares Stollenmodell


254 4 Wasserkraftwerke

4.5.2 Wasserschloss
Die exakte Darstellung des Wasserschlosses ist recht komplex (s. z.B. [4.6]), doch
kann bei kleinen Schwingungen des Wasserniveaus mit akzeptabler Genauigkeit die
Energie g H, am Ende des Stollens (bzw. am Fußpunkt des Wasserschlosses) als die
Summe der Lageenergie entsprechend dem Niveau des Wassers H ,im Wasserschloss
(Abb. 4.3 1 ) und der kinetischen Energie des Wassers an dessen Basis ausgedrückt
werden, wobei letztere mit guter Näherung als proportional zum Quadrat des Wasser-
flusses im Stollen angenommen werden kann [4.4], [4.6]. Kinetische Energie und
Verluste im Wasserschloss werden vernachlässigt. Somit ist

Ferner gilt

Mit Einführung der p.u. Größen, mit den Bezugsgrößen (J und H,. analog GI. (4.28),
ergeben sich die p.u. Gleichungen
2
ha = h, + kw qs , mitk , , , = ~Qr, -
Hr
qW =
dhw ,
T - mit T = Aw - Hr
dt Qr

und das entsprechende Blockdiagramm (Abb. 4.34). Der Koeffizient k,, kann anhand
theoretischer Überlegungen [4.6] oder besser experimentell durch Identifikation
ermitteltt werden.
Durch Linearisierung der kinetischen Energie folgt

und das lineare Modell in Abb. 4.35, wobei stationär q„ = q„ = qo.

Abb. 4.34. Modell des Wasserschlosses


4.5 Dvnamik 255

Abb. 4.35. Linearisiertes Modell des Wasserschlosses

4.5.3 Starre Druckleitung


Mit der Annahme das Wasser sei inkompressibel und die Druckleitung starr, ist das
Druckleitungsmodell identisch zujenem des Druckstollens (der elastische Druckstoss
wird in Abschn. 4.5.5 behandelt). Wird das Nutzgefalle mit H bezeichnet, gilt
sinngemäß an Stelle der GI. (4.29)

dq, = ha - h - h,
T, - mit T, L,
= ---
e r
dt Ac gHr
hc = C, q,.14,1 ,
oder durch Linearisierung der Verluste

r
dAqc Aha Ah
Tc
Ah, 2 =lqol Aq,
C,
= - -

= C„
Ah,
Aqc .
Das Blockdiagramm der starren Druckleitung ist in Abb. 4.36a, und die durch
Linearisierung erhaltene Übertragungsfunktion in Abb. 4.36b dargestellt. Eingangs-
größe ist der von der Turbine diktierte Wasserfluss y, .

Abb. 4.36. a) Modell der starren Druckleitung,


256 4 Wasserkraftwerke

4.5.4 Gesamtmodell des hydraulischen Systems

4.5.4.1 Nichtlineares Blockdiagramm


Durch Zusammensetzen der Abb. 4.32,4.34 und 4.36 folgt das nichtlineare Block-
diagramm des hydraulischen Systems gemäß Abb. 4.37

Abb. 4.37. Nichtlineares Modell des hydraulischen Systems

4.5.4.2 Übertragungsfunktion
Aus den Gln. (4.30), (4.34) und (4.36) lässt sich der von Abb. 4.38 dargestellte
linearisierte Zusammenhang zwischen der Nutzenergie Ah und der Wassermenge Ay,
bzw. die Änderung des Bruttogefalles Ah, ermitteln, mit

Die Änderung des Bruttogefalles ist meist null oder sehr langsam, die Funktion G&)
für dynamische Vorgänge also kaum von Bedeutung.
Die Übertragungsfunktion G, (s) beschreibt die Wirkung von Druckstollen und
Wasserschloss. Eine Änderung des Wasserflusses hat gedämpfte Schwingungen zur

Abb. 4.38. Übertragungsfunktion der hydraulischen Anlage


Folge mit folgenden Eigenschaften

Für ein gut gedämpftes Verhalten muss die Zeitkonstante T„ und somit der Quer-
schnitt des Wasserschlosses (GI. (4.33)) genügend groß sein. Die Schwingungsdauer

.
liegt meist im Bereich von 1 0 0 3 0 0 s, während T, die Größenordnung 1 s aufweist.
Für langsame Vorgänge kann die Wirkung der Druckleitung vernachlässigt und
G(s) = G,,($ gesetzt werden.
Umgekehrt kann für Vorgänge im Sekundenbereich (primäre Drehzahlregelung) die
Höhe h„ als konstant angenommen und G(s) = G,(s) gesetzt werden. Durch die
richtige Dimensionierung des Wasserschlosses wird eine Entkopplung zwischen
langsamen und schnellen Vorgängen erzielt.
Die Übertragungsfunktion G,(s) beschreibt die Wirkung der Druckleitung auf die
Nutzenergie h. Sie ist differentieller Natur und wird in Abb. 4.39 veranschaulicht. Bei
hohem Gefalle stellt h praktisch den Druck am unteren Ende der Druckleitung dar.
Eine lineare Abnahme der von den Turbinen verlangten Wassermenge hat einen
Druckstoß zur Folge. Bei schneller Drosselung des Wasserflusses kann der Druck
sehr hohe Werte annehmen. Eine allzu rasche Abnahme des Wasserflusses in der
Druckleitung muss also vermieden werden. Um die Turbinenleistung trotzdem rasch
vermindern zu können (z.B. bei plötzlicher Entlastung), werden bei der Pelton-
Turbine Strahlablenker eingesetzt (Abb. 4.20), während die Schließgeschwindigkeit
der Düsennadel begrenzt wird. Bei den Reaktionsturbinen wird umgekehrt das Leitrad
entsprechend der Last rasch geregelt und der Druck in der Druckleitung durch ein
Druckventil kontrolliert, das ab einer einstellbaren Druckgrenze vor dem Turbinen-
eingang Wasser abzweigt (Abb. 4.3 1).

integraler DruckstoJ = T /Ay, 1


:/--::

Ah
max~malerDruck = C„ IAq, I + T, dqc
1 df 1
-

Abb. 4.39. Druckstoß


258 4 Wasserkraftwerke

Die bisherige Beschreibung der Druckleitung vernachlässigt die Kompressibilitat


des Wassers und die Elastizitut der Druckleitungswande (insgesamt kurz mit Elastizi-
tät bezeichnet). Dadurch werden die Druckverhältnisse ungenau wiedergegeben. In
Abschn. 4.5.5 wird die Elastizität mitberücksichtigt.

4.5.5 Elastischer Druckstoß


Für Anlagen mit hohem Gefalle muss die Elastizität auch deswegen berkksichtigt
werden, weil sie die Stabilisierung der Drehzahlregelung erschwert. Dies trifft i.allg.
ab einem Gefalle von Ca. 100 m zu.
In einem beliebigen kurzen Abschnitt der zunächst als verlustlos angenommenen
Druckleitung, im Abstand X L, vom Leitungsanfang, wirkt die Beschleunigungs-
energie bzw. Beschleunigungskraft

Diese Kraft bewirkt in der Zeit dc, infolge der Elastizität von Wasser und Leitung,
eine Änderung der Wassermenge pro Element L, clx

worin E die Elastizitätskonstante des Wassers, E das Elastizitätsmodul des Leitungs-


materials, D und dDurchmesser und Dicke der Leitung sind. Aus den Gln. (4.39) und
(4.40) folgt

Bei den Gln. (4.4 1) handelt es sich um Wellengleichungen. Die Druckwellen (Schall-
wellen) pflanzen sich im Wasser mit der Geschwindigkeit a fort, definiert von

Die Größenordnung von a ist 1000 mls. Werden die p.u. Größen sowie die Zeitkon-
stante T, nach GI. (4.35) und die Rohrreibungsverluste eingeführt, erhält man schließ-
lich folgende Differentialgleichungen, worin p, die Leitungscharakteristik von Allievi
und r = L, /U die Laufieit der Druckwellen in der Druckleitung sind [4. I], [4.12].
-
dq, -
- -
T'. ah ,
P -
T,
mit 2eA = -
(2eAI2dt T

Die Gln. (4.43) sind analog zu den Gln. ( 5 . I) der elektrischen Leitung in Band 1, falls
Letztere in p.u. Form gebracht werden. Die analogen Größen sind in Tabelle 4.2
zusammengestellt.
Tabelle 4.2. Analogie zwischen elektrischer Leitung und Druckleitung
(Zr = Nennimpedanz der elektrischen Leitung, Z u ,= Wellenimpedanz für o - W)
clektrischc Leitung Druckleitung
U h
I 9
Zu,I Zr PA
T t

CG 2 ~ A

L I Zr Tc
RIZ, c, 1 q,l oder C„"
" bei Linearisierung der Verluste

4.5.5.1 Druckleitungsmodelle mit Elastizität


Druck wellenmodell
Ein Modell der Druckwellenvorgänge ergibt sich mit oben erwähnter Analogie direkt
aus den Gln. (5.86), Band 1, der verzerrungsfreien elektrischen Leitung, die sinn-
gemäß umgeschrieben lauten (mit linearisierten Verlusten)

Das entsprechende Modell zeigt Abb. 4.40. Ach,und q„, sind Energie und Wasserfluss
am Eingang, h und q, jene am Ausgang der Druckleitung. Die Druckwellendämpfung
wird mit einem Blocke-" berücksichtigt, der dem Block e "'der elektrischen Leitung
entspricht. Für K gilt gemäß Tabelle 4.2
260 4 Wasserkraftwerke

Abb. 4.40. Modell der elastischen Druckleitung

Um ferner die mit den GI. (4.44) nicht korrekt erfassten stationären Verluste ein-
zubeziehen, werden eine entsprechende Korrektur und ein nichtlinearer Block
eingeführt. Das Schema vereinfacht sich, wenn auf die Bildung von q„, verzichtet und
q,, = q, gesetzt wird, d.h die Rückwirkung der Grund- und Oberschwingungskompo-
nenten auf die trägen bergseitigen Anlagen vernachlässigt wird.
Für weitergehende analytische Betrachtungen ist es nützlich, analog der ersten der
Zweitorgleichungen (5.12), Band 1, sinngemäß zu schreiben

ha = h cosh sr + qc 2eA sinh sr + hc , (4.46)

oder auch

h = -ha - hc - qc 2eA t d s ,~
cosh sr
wobei die Gleichungen für den verlustlosen Fall geschrieben und die Verluste separat
erfasst werden.

Rationale Näherungen
Ähnlich den Ausführungen in Abschn. 5.6.2, Band 1, kann es von Vorteil sein, die
transzendenten Beziehungen durch rationale Näherungen zu ersetzen. Mit der Ap-
proximation cosh ST = I + sr212, sinh s r = ST,folgt aus GI. (4.46) die Beziehung
T'
ha h (l+s-) + q c s T + h c ,
= (4.48)
2
die das Analogon der verlustlosen elektrisch kurzen Leitung darstellt. Entsprechend
dieser Analogie (Tabelle 4.2) lässt sich das charakteristische Polynom ( I +s r2/2), mit
Einführung der Dämpfung, durch das der GI. (5.96), Band 1, analoge charakter-
istische Polynom

ersetzen. Durch Umformung folgt aus GI. (4.48)


Abb. 4.41. Der elektrisch kurzen Leitung entsprechende rationelleNäherungder elastischen
Druckleitung

und bei Berücksichtigung, dass 2 p, = T, /T, das entsprechende Blockschaltbild in


Abb. 4.41. In dieser Darstellung wird q„, = q, gesetzt.
Die Grundschwingung wird exakter erfasst durch die modale Reduktion analog GI.
(5.954, Band 1 , mit dem charakteristischen Polynom

das an Stcllc dcr GI. (4.49) vcrwcndct wcrden kann. In Abb. 4.4 1 ist dann die Laufzeit
r durch T* = r. 2 J Y n zu ersetzen.
Eine bequemere zu Abb. 4.4 1 im Wesentlichen äquivalente Darstellung ergibt sich,
wenn auch die zweite der Gln. (5.12), Band 1, berücksichtigt wird, mit der etwas
gröberen Näherung cosh ST = 1, sinh ST = ST. Die Analogie liefert

Durch Berücksichtigung dieser Beziehung folgt aus GI. (4.50)


ha = h + s T qcm + hc

Aus den Gln. (4.52) und (4.53) ergibt sich das Modell in Abb. 4.42. Auf die Bildung
von q„, das sich nur durch eine Grundschwingungskomponente von q, unterscheidet,
kann verzichtet werden, da sich diese Komponente kaum aufdas träge Wasserschloss-
Stollen-System auswirkt. Eine ähnliche Darstellung ist in [4.13] zu finden.
Auch in diesem Modell wird die Frequenz der Grundschwingung exakter erfasst,
wenn r durch T* = r . 2J2/n ersetzt wird.
Abb. 4.42. Rationelle Näherung der elastischen Druckleitung
Abbildung 4.43 zeigt die Änderung des Nutzgefalles h bei einer sprungartigen
Änderung des Wasserflusses für die Modelle in den Abb. 4.40 und 4.42.

Abb. 4.43. Antwort von h auf eine sprungartige Änderung von q,. a) Modell Abb.
4.40. b)ModcllAbb.4.42, A y , = 0 . 2 p . u . , h „ = l p . u . , T , = I . 3 s , ~ = 0 . 4 5 s

4.5.5.2 Übertragungsfunktion der elastischen Druckleitung


Durch Linearisierung der Beziehungen (4.52) und (4.53) und mit T* statt r folgt
ST*'
Ag, = - Ah + Ag,
Tc
Aha = Ah + s T Agcm + cCoAg, (4.54)

Werden Aq„, und Aq„, eliminiert, ergibt sich die Übertragungsfunktion der Druck-
leitung mit Berücksichtigung der Elastizität
4.5 Dynamik 263

4.5.6 Gesamtmodell des hydraulischen Systems mit Elastizität


4.5.6.1 Übertragungsfunktion
Das Blockschaltbild der Abb. 4.38 ist weiterhin gültig, wobei für G,($ folgender
Ausdruck einzusetzen ist

Die Wirkung von K(s) auf h, (und somit auf G„(s) und G',($) kann wegen der Trägheit
des Wasserschlosses vernachlässigt werden.
4.5.6.2 Nichtlineares Blockschaltbild
Wird in Abb. 4.37 die starre Druckleitung durch das in Abb. 4.42 gegebene Modell
der elastischen Druckleitung ersetzt, folgt Abb. 4.44.

Abb. 4.44. Nichtlineares Gesamtmodell des hydraulischen Teils

4.5.7 Wasserturbinen- und Wasserkraftwerk-Modell


Das Verhalten der Turbine ist stationär bestimmt, wenn das Muscheldiagramm in der
(q, $)-Ebene mit den beiden Kurvenscharen

bekannt ist (Abb. 4.26). Die Kurven sind weitgehend unabhängig von der Drehzahl.
Mit A sei der Öffnungsgrad des Regelorganes der Turbine bezeichnet. Für die
analytische Behandlung ist es vorteilhaft, diese beiden Gleichungen nach q und T,
aufzulösen. Aus den Gln. (4.21), (4.22) folgt
264 4 Wasserkraftwerke

wobei K, aus GI. (4.22) oder experimentell aus dem Muscheldiagramm für die
Nenndrehzahl w, in der ((3, H)-Ebene bestimmt werden kann.
Für die Pelton-Turbine (Gln. 4.8,4.9) vereinfacht sich die erste der Gln. (4.58) zu

4.5.7.1 p. U. Gleichungen
Die Turbinenleistung lautet gemäß GI. (4.1)
P , = e Q g H , P,=rl,P,,
und für das Antriebsmoment M, gilt
P, = M, W . (4.61)
Die Drehzahl wird durch die mechanische Gleichung bestimmt, die im einfachsten
Fall die Form annimmt

Darin ist M das Belastungsmoment und J d a s Trägheitsmoment der Generatorgruppe.


Mit der Annahme, die Druckleitung speise m Turbinen und der Einführung folgender
Bezugs- oder Nenngrößen
m
Druckleitung: Hr , Qr = Q,
r=l
Turbine: Qir , Nenndrehzahl wir , Nenmuirkungsgrad q,, ,
Pir = qire Qir gHr = Mir oir (4.63)
PeZton- Turbine: Qir = K,Air
2 2
Reaktionsturbine: Qir = Koi mir ( P ( I ) , ~ , A,~ ~mit
) = 8gHrl(Di W;$

sowie folgender p.u. Größen

erhält man aus den Gln. (4.58) und (4.60) bis (4.62) folgendes p.u. Gleichungsystem
4.5 Dynamik 265

Hydrau-
lisches
System

Drehzahlregelung

Abb. 4.45. Nichllincares Blockdiagramm des Wasserkraftwerks

und das entsprechende Blockdiagramm in Abb. 4.45. Für die Pelton-Turbine verein-
facht sich die erste Gleichung zu

Eine einfachere Darstellung ergibt sich mit der Annahme, der Wirkungsgrad sei nur
von U abhängig oder wenn an Stelle des Wirkungsgrades die Verluste modelliert
werden, wobei i.d.R. diese in Abhängigkeit von der abgegebenen Leistung ausge-

2*L( C)+ qD' [Gireg~er 1


Hydrau-
lisches
System

modell

a,
- - I-
Drehzahlregelung

Abb. 4.46. Vereinfachtes Blockdiagramm des Wasserkraftwerks


266 4 Wasserkraftwerke

drückt werden. Ein Verlustmodell kann aus der Wirkungsgradkurve für Nenngefalle
und Nenndrehzahl gewonnen werden. Für die Pelton-Turbine gilt dann Abb. 4.46
(ohne Druckregler). Dieses Modell wird oft auch für die Reaktionsturbine verwendet,
es sei jedoch darauf hingewiesen, dass GI. (4.66) für diese Turbine eine recht grobe
Näherung darstellt [4.4].

4.5.7.2 Linearisierung der Turbine


Lassen wir der Übersichtlichkeit wegen den Index i weg, so liefert die Linearisierung
der GI. (4.65) im Arbeitspunkt (Index 0)

dAn
Am, - Am = T,,, - .
dt
Die Koeffizienten K , K , lassen sich dem Muscheldiagramm entnehmen. Im Fall der
Pelton-Turbine gilt GI. (4.66) und somit ist K, = 112, K, = 1. Wird der Wirkungsgrad
nur in Abhängigkeit von a ausgedrückt, ist K, = 0. Wird der Wirkungsgrad als
konstant vorausgesetzt, ist auch K, = 0.
Wird hingegen, entsprechend Abb. 4.46, ein Verlustmodell verwendet mit

ist die Gleichung der Turbinenleistung durch die folgende zu ersetzen


9 = K 5 ( 1 + K , ) -Ah + K5(1 - 2 K 1 ) An
- + K 5 K 2Au
-
Pro ho n~ a~
1
mit Ks =
Pro (1 +-)4'"
-
Ph0 dpt
Gleich welche Annahmen getroffen werden, gilt allgemein

wobei die drei Koeffizienten je nach Modell aus den Gln. (4.67) oder (4.69) gewon-
nen werden können. Wird schließlich die elektrische Leistung an Stelle des Drehmo-
ments eingeführt
Ap = Am no +An mo , wobei po = P , ~, mo = m, (4.7 1)
folgt das linearisierte Blockdiagrarnm der Hydrogruppe von Abb. 4.47.
Das hydraulische System kann entsprechend Abb. 4.45 durch folgende Gleichung
beschrieben werden
m
Ah = -G@) al(Aql+AgDl)= -G(s)aAq + Ahz , mit a , = -Qir . (4.72)
i=l Qr
AhZstellt die Störgröße dar, die vom Druckregler und von der Änderung der Wasser-
flüsse der anderen von der gleichen Druckleitung gespeisten Turbinen herrührt. Für
schnelle Vorgänge im Sekundenbereich, wie sie bei der primären Drehzahlregelung
vorkommen, ist G(&)= G,($ und wird von G1. (4.56) gegeben.

4.5.7.3 Übertragungsfunktion der Turbine


Wird die erste der Gln. (4.67) in (4.72) und dann (4.72) (bzw. Ah) in (4.70) einge-
setzt, erhält man
Ap, = G,@) Au + GZ(s)AhZ - SJs) An

P, 1 - C , (3.9 Pro 1
mit G,@) = - Ko 7 Gz(4 = - Kh
ao l+C,G(s) ho 1 + C 1 G(s)

und das in Abb. 4.48 dargestellte lineare Blockdiagramm des Wasserkraftwerks, das
sich für regelungstechnische Untersuchungen eignet.
G,($ist die Übertragungsfunktion der Turbine; sie beschreibt die Abhängigkeit der
Turbinenleistung vom Öffnungsgrad.
G,($ beschreibt die Beeinflussung der Turbinenleistung durch Gruppen, die von
derselben Druckleitung gespeist werden.
SI($ ist die Selbstregelungsfunktionder Turbine. Ist sie positiv, fuhrt eine Dreh-
zahlzunahme zu einer Verminderungder Leistung und somit zu einem selbstregelnden
Effekt.
268 4 Wasserkraftwerke

Abb. 4.47. Linearisiertes Blockdiagramm der Hydrogruppe

Mit dem Verlustmodell gilt exakt

Mit der oft verwendeten f i r ~ e l t o n - ~ u r b i n eexakten,


n aber für Reaktionsturbinen
meist ungenügenden Näherung der GI. (4.66), gilt

Die Selbstregelungsfunktion reduziert sich dann aufden Koeffizienten K„. Im Fall des
Verlustmodells, oder wenn der Wirkungsgrad nur vom Öffnungsgrad abhängt, ist
K,, = 0 und der Selbstregelungseffekt nicht vorhanden, andernfalls ist K,, = 2 K,.
Wird sogar die Wirkungsgradänderung vernachlässigt, was im Punkt maximalen
Wirkungsgrades exakt stimmt, folgt

Abb. 4.48. Linearisiertes Blockdiagramin des Wasserkraftwerks


Werden G($ = G&) entsprechend GI. (4.56) eingesetzt, Elastizität und Verluste der
Druckleitung vernachlässigt und die vom Belastungsgrad abhängige wirksame
Zeitkonstante T, eingefihrt, folgt

Abbildung 4.49 zeigt den typischen Verlauf der Turbinenleistung bei sprungartiger
Änderung des Öffnungsgrades. Bei Berücksichtigung der Elastizität der Druckleitung
überlagern sich gedämpfte Schwingungen (sofern p, < 1) mit einer der GI. (4.38)
entsprechenden Frequenz fo = lI(4-c) = 250lL, Hz (L, in m). Bei schwach belasteter
Turbine ist T, und dementsprechend auch p, = T, 1(2 T) klein.

Abb. 4.49. Zeitverlauf der Turbinenleistung Ap,/p„ bei sprungartiger Zunahme des
Öffnungsgrades Aals,,: I starre Druckleitung, 2 elastische Druckleitung mit Modell Abb.
4.40, 3 elastische Druckleitung mit Modell Abb. 4.42
a) p, = 1.73, b) p, = 0.433
5 Thermische Kraftwerke, Wärmepumpe

Ausgehend von den thermodynamischen und energiewirtschaftlichen Grundlagen


(Anhang I und Kap. 3), werden im Folgenden die Prozesse der wichtigsten ther-
mischen Kraftwerke (fossil und nuklear) sowie deren Aufbau und Modellierung
dargelegt. Für die Technologie s. auch [5.15], [5.4] sowie 15.81. Auf Grund der
Bedeutung der Wärmepumpe für eine nachhaltige Wärmenutzung (s. Kap. l), evtl.
in Verbindung mit der Wärmekraftkopplung und den Kombikraftwerken, wird dieser
Prozess ebenfalls analysiert und modelliert (Abschn. 5.9).

5.1 Dampfkraftprozess
Der weitaus größte Teil der elektrischen Energie wird weltweit mit fossil gefiuerten
Krafiwerken erzeugt (66%), wobei als Brennstoffvorwiegend Braun- und Steinkohle
(40%), aber auch Erdöl (7%) und Erdgas (20%) eingesetzt wird. Der meist venvende-
te Kreisprozess ist der Dampfkreisprozess. Darauf basiert auch die Nutzung der
Kernenergie (Kernkraftwerke, weltweit 16% der Elektrizität).
Im Bereich des Nassdampfes (Sattdampf + Wasser) ist der isobare Prozess auch
isotherm (Abb. 5.1). Damit lassen sich im Nassdampfbereich zwischen zwei Isobaren
nahezu Carnot-Kreisprozesse (Anhang I) realisieren. Die maximale Temperatur kann
allerdings keine sehr hohen Werte erreichen, da der kritische Punkt beim Wasser eine
Temperatur 6„von 374OC bei einem Druck von 22 1 bar aufweist.

+s
Abb. 5.1. Zustandsdiagramm des Wasserdampf?

5.1.I Rankine- und Clausius-Rankine-Kreisprozess


Einfachster Kreisprozess ist der Rankine-Prozess. Der Kreisprozess besteht aus
folgenden Teilprozessen (Abb. 5.2):
272 5 Thermische Kraftwerke, Wärmepumpe

1
B P.. T.
Kesselpurnpe '$ Kondensator

Speisewasserpurnpe(ergänzt Wasserverluste)
Abb. 5.2. Rankine-Kreisprozess

A'B: adiabate Kompression des Wassers auf Kesseldruck (Kesselpumpe)


BC: isobare Erwärmung im Kessel bis zur Verdampfungstemperatur
CD: Verdampfungsvorgang (Kessel)
DE: adiabate Expansion in der Turbine (mit Ausgangstemperatur entspre-
chend dem Kondensatordruck)
EA: Kondensation durch Kühlung im Kondensator
AA ': Kompression auf 1 atm mit Kondensatpumpe (Vakuumpumpe).
Der erreichbare Wirkungsgrad des idealisierten Prozesses ist 2.B. mit den Daten
= 325°C --->p, = 120 bar
OA= 25 "C --->p, = 0.03 bar

Der Rankine-Prozess wird in der Praxis nicht verwendet, da der Abdampf in der
Turbine zu nass ist. Die Folgen wären: eine Verschlechterung des inneren Wirkungs-
grades auf Grund ungünstiger Strömungseigenschaften und die Erosion der Be-
schaufelung wegen Tropfenschlag. Die Dampfnässe sollte 10- 12% nicht über-
schreiten.

Clausius-Rankine-Kreisprozess
Durch Überhitzung des Dampfes kann die Dampfnässe vermieden und der Wirkungs-
grad erhöht werden (Abb. 5.3). Die Frischdampftemperatur ist durch die thermische
Belastung der Schaufeln begrenzt. Für übliche Werkstoffe liegt sie zwischen 500 und
580°C.
5.1 Dampfkraftprozess 273

Aus dem realen Ts-Diagramm Abb. 5.3b folgt, dass das Druckverhältnis p,/p,
nicht zu groß gewählt werden sollte, um die Abdampfnässe z.9. auf 10% zu be-
grenzen bei vorgegebener Frischdampftemperatur. Damit hält sich aber die mögliche
Wirkungsgradverbesserung in Grenzen.
Für einen Prozess mit OD= 3 11"C, p, = 100 bar, t& = 45"C, p, = 0.1 bar und einer
Frischdampftemperatur 4;= 550°C ist der Camot-Wirkungsgrad 0.46, und es wird
ein thermischer Wirkungsgrad des reversiblen Prozesses V,,, von Ca. 0.4 1 erreicht. Mit
z.B. qK = 0.92, qi = 0.86 und q, = 0.95 folgt ein Kraftwerkswirkungsgrad von q =
0.3 1 (s. Anhang I, GI. 1.30).
Zur Berechnung des Dampfprozesses wird mit Vorteil das Mollier-Diagramm
(Anhang IV) verwendet, das die Enthalpie in Abhängigkeit von der Entropie darstellt.
Die erhaltene Arbeit und die isobar zugeführte Wärme lassen sich als Strecken direkt
ablesen (Anhang I, Gln. I.23,1.26). Wird die kleine Kompressionsarbeit W ,= h,- h,
vernachlässigt ( b m . wird sie im elektrischen Wirkungsgrad berücksichtigt, da die
Pumpen elektrisch angetrieben werden), erhält man

41 = hE - h,

woraus sich der thermische Wirkungsgrad ergibt

Kondensatpumpe

a f
Abb. Clausius-Rankine-Kreisprozess Prinzipschaltschema,
274 5 Thermische Kraftwerke, Wärmepumpe

5.1.2 Zwischenüberhitzung und Speisewasservorwärmung


Eine Verbesserung des Wirkungsgrades kann durch zweifache Dampfüberhitzung
(Abb. 5.4) erreicht werden. Nach der ersten Überhitzung wird der Dampf in der
Hochdruckturbine entspannt, dann nochmals überhitzt (Zwischenüberhitzung)und zur
weiteren Entspannung in die Niederdruckhirbine gefihrt. Der Überhitzer kann sowohl
in den Kessel integriert sein (Erwärmung durch Rauchgase) als auch sich ausserhalb
des Kessels befinden (die Wärme stammt dann aus dem Frischdampf, übliche Lösung
in Kernkraftwerken). Die Wirkungsgraderhöhung ist in erster Linie eine Folge des
größeren Druckverhältnisses p,/p„ das bei gleichbleibender Dampfnässe von z.B.
10% am Niederdruckturbinenausgang erreicht werden kann. Mehr als zwei Überhit-
Zungen sind nicht üblich, da der zusätzliche Wirkungsgradgewinn nicht genügt, um
den größeren apparativen Aufwand wirtschaftlich wettzumachen.
Eine weitere Maßnahme zur Wirkungsgradverbesserung ist die Vorwärmung des
Kondensats (Abb. 5.4). Dazu wird der Teil a des teilweise entspannten Dampfes (der
also bereits Arbeit geleistet hat) angezapft und dessen Kondensationswärme fiir die
Wasservonvärmung genutzt. Die vom Kreisprozess gelieferte Arbeit verringert sich

Zwischenüberhitzer
F

Abb. 5.4. Prinzipschaltbild des Dampfkreisprozesses mit Zwischenüberhitzung und


Regenerativvonvärmung, NV Niederdruckvonv&rmer,HV Hochdruckvorwärmer
etwas, doch die exergetisch wertvollere Brennstoffeinsparung fuhrt zu einem ins-
gesamt höheren Wirkungsgrad. Diese sog. Regenerutivvorwürmung wird in modernen
Kraftwerken mehrfach durchgeführt, wobei sowohl Dampf aus der Hochdruck- als
auch aus der Niederdruckturbine angezapft wird. Im Fall des Kreisprozesses der Abb.
5.4 ergibt sich aus dem Mollierdiagramm der thermische Wirkungsgrad

Mit diesen Maßnahmen können moderne Dampfkraftwerke thermische Wirkungs-


grade des reversiblen Prozesses bis 60% und Gesamtwirkungsgrade bis 45% errei-
chen.

5.2 Gasturbinenprozess

Die Bedeutung der Gasturbinenkraftwerke nahm in den letzten Jahren stark zu.
Gründe dafür sind die günstigen Investitionskosten, die im Zuge der Liberalisierung
stärker gewichtet werden, und die technologischen Fortschritte, die zu einer beacht-
lichen Erhöhung der Leistungen und Wirkungsgrade führten. Als Brennstoffe werden
Heizöl und Erdgas eingesetzt.

5.2.1 Einfacher offener Gasturbinenprozess (Joule-Prozess)


Abbildung 5.5 zeigt Schema und (T,s)-Diagramm eines oflenen Gusturhinenprozesses
zwischen Umgebungstemperatur T, und maximaler Temperatur T,..
AB (AB?: adiabate Kompression der Luft auf den Enddruck p, , die Luft erhitzt
sich auf die Temperatur T, bzw. T,:
BC (B'C): isobare Erwärmung bis auf Temp. T,. durch Brennstoffverbrennung,
CD (CD?: adiabate Expansion in der Turbine (Arbeitsleistung),
DA(D'A): isobare Abkühlung der Abgase auf Umgebungstemperatur T, (bei
offenem Prozess ausserhalb der technischen Einrichtungen).

a) Brennstoff b'
T
+
q1
Pi>TB Pi! Tc
C Tc
B
Brennkammer
l/

\ Turbogruppe , P2
D P a TD A q2

Luft Y s
Abgase D
k e v

Abb. 5.5. Offener Gasturbinenprozess a) Prozessschema, b) Ts-Diagramm des Prozes-


ses: (ABCD) = realer Prozess, (AB'CD') = idealer (reversibler) Prozess
276 5 Thermische Kraftwerke, Wärmepumpe

5.2.1.1 Idealisierter Prozess


Für die isobaren Prozesse gilt gemäß Anhang I, GI. (1.23)

AsreV = C
P
in-Tc = C in-TL ,
TB TA
und somit

Y„ = S(T~-TB) q r = C, &TA> - (5.5)

Es folgt

5.2.1.2 Realer Prozess


Für die isobaren Prozesse gilt gemäß Anhang I, GI. (1.23)

As, = C in-Tc , As, = C in-T, , As, > Asl , (5.7)


TB TA
ferner

Die Arbeitsleistungen von Turbine und Verdichter folgen aus GI. (1.26)

worin q,r und V," die inneren Wirkungsgrade von Turbine und Verdichter sind. Der
Wirkungsgrad des realen Prozesses ist (Anhang I, Abschn. 1.4)
5.2 Gasturbinenprozess 277

Beispiel 5.1
Man berechne den thermischen Wirkungsgrad des reversiblen Prozesses für
6, = 800°C, 6, = 30°C und 6,' = 450°C. Welcher ist der entsprechende Wir-
kungsgrad des Carnot-Prozesses zwischen T, und T,.?
Welcher ist der mittlere Carnotfaktor und der exergetische Wirkungsgrad?
Welcher ist der Kraftwerkswirkungsgrad mit der Annahme q, = 0.86, q, = 0.97
und q,,, = qlT= 0.90?
Wie groß ist das Druckverhältnis p,/p„ wenn für eine Isentrope allgemein die
Beziehung (1.27) gilt, wobei K, „, = 1.4; wie groß ist die erhaltene spezifische
Arbeit W (C,, = 1 kJ/kg°C)?
Wie verändern sich erhaltene Arbeit und Wirkungsgrad des Kraftwerks, wenn das
Druckverhältnis auf 7 erhöht wird? Man berechne die Abhängigkeit dieser
Größen vom Druckverhältnis für die Eintrittstemperaturen der Turbine von 800,
1000 und 1200°C?

Da T = 6 + 273, folgt aus den Gln. (5.4), (5.6) und (1.15)

Aus den Gln. (1.19), (1.20) erhält man, da für die Isobare dq, = C,, dT

Der schlechte exergetische Wirkungsgrad des Kreisprozesses ist auf den Verlust
der beträchtlichen Abgaswärme (mit einer Temperatur von 450°C) zurückzufuh-
ren.
Aus GI. (5.9) folgt
278 5 Thermische Krafiwerke, Wärmepumpe

und aus G1 (5.10) ergibt sich

d) Aus den Gln. (I.27), (5.8) und (5.9) ergibt sich

P2 'T~'
q , = cp(Tc - TB) = 607 Kllkg , q, = cp(T, - T,) = 455 Klll;

W = q, - q, = 152 Kllkg

e) Wieder aus Anhang I, GI. (1.27) folgt für ein Druckverhältnis 7

Wird der Rechengang in Funktion des Druckverhältnisses und für verschiedene


Werte der Turbineneintrittstemperatur wiederholt, ergeben sich die in Abb. 5.6
dargestellten Abhängigkeiten. In Wirklichkeit sind die Wirkungsgrade aufGrund
der Druckverluste noch etwas kleiner (s. [5.8]).

5.2.1.3 Wirkungsgrad, Leistung


Der Wirkungsgrad qhWv des idealen Prozesses hängt nur vom Druckverhältnis ab.
Analytisch erhält man aus den Gln. (5.6) und (1.27)
--
0 5 10 15 20 25 30 35 40
Druckverhältnis
Abb. 5.6.Wirkungsgrade und spezifische Arbeit eines offenen Gasturbinenprozesses in
Abhängigkeit vom Druckverhältnis fur verschiedene Turbineneintrittstemperaturen
0, = 30°C, ac = 800, 1000, 1200°C, qv= qr = 0.9

Beim realen Kreisprozess nehmen die Verluste der adiabaten Teilprozesse in Ver-
dichter und Turbine mit zunehmendem Druckverhältnis zu, der innere Wirkungsgrad
7 ,dementsprechend ab. Dieser hängt außerdem von der Verdichter- und Turbinenein-
tritt~tem~eiaturab. Analytisch folgt aus den Gln. (5.8)-(5.1 1)

Der thermische Wirkungsgrad qti,= qth„,7 ,weist ein Maximum bei einem mit der
Turbineneintrittstemperatur zunehmenden Druckverhältnis auf. Das wirtschaftlichste
Druckverhältnis ist kleiner, da die spezifische Arbeit W , wie Abb. 5.6 zeigt, für
deutlich kleinere Werte maximal wird. Aus GI. (5.9) folgt der analytische Ausdruck
fur die spezifische Arbeit W , und durch Multiplikation mit dem Massenstrom
rn' = d r n h die Leistung

P = m'w kg J
[--=W].
s kg
280 5 Thermische Kraftwerke, Wärmepumpe

5.2.2 Rekuperation
Der Wirkungsgrad kann durch Rekuperation der Abgaswärme erheblich erhöht
werden (Abb. 5.7). Die rekuperierbare Wärme ist C,, (TIj-T,). Geschieht dies mit
Wirkungsgrad Y,, reduziert sich der Wärmeaufwand auf

Aus GI. (5.10) ergibt sich der Prozess-Wirkungsgrad mit Rekuperation

Beispiel 5.2
Wie erhöht sich der Wirkungsgrad des in Beispiel 5.1 betrachteten Prozesses zwi-
schen den Temperaturen 30°C und 800°C bei Rekuperation von 75% der zwischen
6, = 485°C und 6, = 193°C anfallenden Abgaswärme?
Aus GI. (5.15) folgt

Mit einem Wärmetauscher lässt sich der Wirkungsgrad stark steigern, im vorliegen-
den Fall erhöht sich der thermische Wirkungsgrad von 25% auf 39%, der Kraftwerks-
wirkungsgrad somit von 21% auf 33%. In modernen Turbinen mit hohen Heiß-
gastemperaturen wird allerdings die Wirksamkeit der Rekuperation durch den großen
Kühlluftbedarf stark geschmälert [5.6].

a)
Abgase Brennstoff

Pi3 TB
B
Brenn-
kammer

\ Turbogruppe
A D
V
Luft
P2, TD
Abb. 5.7. Offener Gasturbinenprozess mit Rekuperator
5.2 Gasturbinenprozess 28 1

5.2.3 Carnotisierung
Eine weitere Verbesserung kann durch den Zweistufenprozess von Abb. 5.8 erreicht
werden. Nach der ersten Verdichtung auf den Zwischendruck in A' wird die Luft
gekühlt und in einem zweiten Verdichter dann auf den Enddruck p 1 gebracht. Auch
die Expansion erfolgt zweistufig, zuerst in der Hochdruckturbine HT und nach
Wiedererhitzung des Gases (mit einem zweiten Brenner) in der Niederdruckturbine
NT. Der Spielraum für die Rekuperation wird erweitert und der Wirkungsgrad somit
weiter verbessert. Die spezifische Arbeit erhöht sich, aber auch der Investitionsauf-
wand. Theoretisch ließe sich durch noch mehr Stufen (was jedoch i.d.R. unwirt-
schaftlich ist) der Wirkungsgrad des Ericson-Prozesses, der aus zwei Isobaren und
zwei Isothermen besteht und denselben Wirkungsgrad wie der Carnot-Prozess
aufweist, nahezu erreichen. Es wird deshalb beim Zwei- oder Mehrstufenprozess auch
von Carnotisierung gesprochen.
In der in Abb. 5.9 dargestellten Anlage wird die Turbine zweistufig ausgeführt,
nicht aber der Verdichter (Prozess mit sequentieller Verbrennung). Diese Lösung wird
vor allem in Kombikraftwerken eingesetzt.

Abb. 5.8. Offener Zweistufen-Gasturbinenprozess

Abb. 5.9. Schnitt der Gasturbine GT24/Gt26 mit sequentieller Verbrennung


1 Verdichter, 2 Hochdruckturbine, 3 Niederdruckturbine, 4 SEV-Brennkammer, 5 Brenn-
stoffinjektor, 6 EV-Brennkammer, 7 EV-Brenner, 8 Konvektionskühlung der Verkleidung,
9 Mischzone, 10 Wirbelerzeuger, 11 Effusionsgekühlter SEV-Brenner (Quelle: ALSTOM)
282 5 Thermische Kraftwerke, Wärmepumpe

5.3 Kombiprozesse
Die Gasturbine lässt hohe Turbineneintrittstemperaturen bis 1200°C zu, während die
Dampfturbine eine niedrige Turbinenaustrittstemperaturin der Nähe der Umgebungs-
temperatur erlaubt. Durch Kombination der beiden Prozesse bei Nutzung der Abgas-
wärme der Gasturbine in der nachgeschalteten Dampfturbinenanlage wird ein sehr
hoher Camot-Faktor und zugleich ein hoher exergetischer Wirkungsgrad erreicht und
so die Gesamtnutzung der Brennstoffenergie wesentlich verbessert (Abb. 5.10).
In Abb. 5.1 1 ist eine mögliche Variante eines Dampjkraftwerks dargestellt, in der
die Abgase der vorgeschalteten Gasturbine als Verbrennungsluft (der Sauerstoffgehalt
genügt i.d.R.) und fir die Speisewasservorwärmung verwendet werden. Dadurch wird
nicht nur der thermische, sondem auch der Kesselwirkungsgrad verbessert. Bei dieser

Abb. 5.10. T,s Diagramm des Kombiprozesses

Dampf-
Dampfturbognippe II
Brennstoff -7
HV
Kondensator
Abgase
NV
C
B

Gasturbogruppe

Luft

Abb. 5.11. Prinzipschaltbild des Dampfkraftwerks mit vorgeschalteter Gasturbine


5.3 Kombiprozesse 283

Lösung ist die Leistung der Dampfturbine deutlich größer als jene der Gasturbine.
Durch die Vorschaltung einer Gasturbine wird außerdem in Dampfkraftwerken die
Regulierbarkeit der Leistung verbessert. Kombianlagen eignen sich deshalb ausge-
zeichnet zur Deckung des Mittellastbereichs (Abschn. 3.2.2).
Der Kombiprozess kann jedoch auch als Variante bzw. Weiterentwicklung des
Gasturbinenprozesses betrachtet werden, in welchem die Rekuperation der Abgas-
wärme nicht im Gasprozess selber, sondern in einer nachgeschalteten Dampfturbine
erfolgt, die zusätzliche Arbeit produziert (Abb. 5.12). Sowohl Arbeit als auch Wir-
kungsgrad werden gegenüber dem einfachen Gasturbinenprozess um ca. 50% erhöht
[5.6]. Abbildung 5.13 zeigt die konkrete Ausführung einer Kombianlage mit sequen-
tieller Verbrennung. Gas- und Dampfturbine treiben hier denselben Generator an. Die
Anlage sieht auch eine Dampfeindüsung (oder Wassereinspritzung) in die erste
Brennkammer vor, um die Leistung vorübergehend zu steigern. Das Dampfein-
düsungsprinzip wird in der STIG-Turbine (Steam Injection Gas Turbine) als Gas-
Dampf-Kombination alternativ zum klassischen Kombiprinzip verwendet [5.9].
Für die Zukunft sind Kombikraftwerke, vor allem als Weiterentwicklung des
Gasturbinenkraftwerks, mit Nutzung der Gasturbinenabwärme in einem Abhitze-
kesse1(GUD-Kraftwerke, Näheres in Abschn. 5.7) dank ihres hohen Wirkungsgrades

Abb. 5.12. Prinzipschaltbild der Gasturbine mit nachgeschalteter Dampfturbinenanlage

O
T T C ST

G
AGV

HRSG LP HP
Comb
Cond
F

Abb. 5.13. ThermodynamischesSchema einer Kombianlagemit sequentieller


Verbrennung und Dampfeindüsung , Erdgasfeuerung [5.6]
284 5 Thermische Kraftwerke. Wärmevumve

besonders interessant und können wesentlich zu einer besseren Nutzung der Primär-
energie beitragen. Da die Leistung der Gasturbine sehr rasch geändert werden kann,
eignen sich diese Anlagen sehr gut für die Regelung der Mittellast oder auch der
Spitzenlast (Abschn. 3.2.2). Über weitere Möglichkeiten, insbesondere in Zusammen-
hang mit der Kohlefeuerung, sei auf Abschn. 5.7 und [5.15] verwiesen.

5.4 Wärme-Kraft-Kopplung

Der Wirkungsgrad der Stromerzeugung aus fossilen Brennstoffen in thermischen


Kraftwerken ist im Laufe der Zeit stark gestiegen und erreicht heute mit Erdgas-
betriebenen Kombikraftwerken nahezu 60%. Trotzdem gehen noch über 40% der
Energie als Abwärme verloren. Bei der Wärme-Kraft-Kopplung (WKK) wird neben
elektrischer Energie auch Nutzwärme produziert und damit der Energienutzungsgrad
weiter erhöht. Im Fall der Dampfturbine kann dies auf zwei Arten geschehen:
- Durch Dampfentnahme (wie bei der Speisewasservorwärmung).
- Durch Erhöhung des Kondensationsdruckes (Gegendruckanluge).
Varianten und Kombinationen dieser beiden Grundschaltungen sind möglich.
Im Fall der Gasturbine mit oder ohne Rekuperator bzw. nachgeschalteter Dampf-
turbine wird die Nutzwärme aus den Abgasen, bei zweifacher Verdichtung auch aus
dem Kühler (Abb. 5.8) gewonnen.
Schließlich werden für kleine Leistungen auch Dieselanlagen als sog. Block-
kraftwerke oder TOTEM(Tota1 Energy Module) eingesetzt, wobei wiederum Wärme
aus den Abgasen oder dem Kühlkreislauf des Motors entnommen wird.

5.4.1 Entnahme-Kondensationsschaltung
Entsprechend Abb. 5.14 wird der Teil inCrderDampfmasse m' an der Entnahmestelle
G ausgekoppelt. Die entsprechende Wärme wird für ein Heizsystem verwendet. Als
Entnahmeverhültnis sei definiert
I
U = -me (5.16)
m1
Mit Bezug auf den Kreisprozess von Abb. 5.14 erhält man f i r Turbinenleistung P,,
ausgekoppelte Wärmeleistung Q, und zugeführte Wärme Q ,

Q, = '
m (hE-hA)
Als Leistungszijfer E der Entnahme-Kondensationsschaltung wird das Verhältnis
zwischen der ausgekoppelten Wärme und der Reduktion der Turbinenleistung
bezeichnet
5.4 Wärme-Kraft-Kopplung 285

Die Leistungsziffer ist unabhängig vom Entnahmeverhältnis.Wird die Leistungsziffer


vorgegeben (meist r = 7- 10), lässt sich aus G1. (5.18) die Entnahmeenthalpie h, und
so der Entnahmedruck bestimmen. Mit den genannten Werten von r wird bei maxima-
ler Wärmeauskopplung die elektrische Leistung um weniger als 10% reduziert.
Die Strom-Wärme-Kennziffer, welche das Verhältnis zwischen elektrischer
Leistung und ausgekoppelter Wärmeleistung angibt, ist

Die Entnahme-Kondensationsschaltung ermöglicht eine Jlexible Anpassung der


Wärmeauskopplung an die Bedürfnisse. Bei voller Dampfentnahme ( a = 1) erhält
man die minimale Strom-Wärme-Kennziffer

Der Energienutzungsgrad ist

worin Q = q, Q, die Nutzwärmeleistung, Q, den Wärmeinhalt des Brennstoffs und


q den Wirkungsgrad des Kraftwerks ohne Dampfentnahme darstellen. Der Nutzungs-
grad steigt mit zunehmender Wärmeauskopplung von q fur den Prozess ohne Wärme-
auskopplung ( a = 0, o = bis zum maximalen Wert ( a =1, o = o,,) entsprechend
W)

5 Überhitzer

Abb. 5.14. Wärme-Kraft-Kopplung durch Dampfentnahme, P, = Turbinenleistung,


Q = qHQH= Nutzwärmeleistung, T,, = Vorlauftemperatur des Heizsystems
286 5 Thermische Kraftwerke, Wärmepumpe

5.4.2 Gegendruckanlage
Bei der Gegendruckschaltung ist die Turbinenaustrittstemperatur T, höher als die
Vorlauftemperatur des Heizsystems (Abb. 5.15). Damit reduziert sich der thermische
Wirkungsgrad des Prozesses, aber die volle Kondensationswärme wird genutzt.
Die Hauptbeziehungen ergeben sich aus den Gln. (5.1 7) der Entnahme-Kondensa-
tionsschaltung fir h, = h, und a = 1

Die Strom- Wärme-Kennzzffer ist starr gegeben und gleich zu

Für den Energienutzungsgrad folgt

worin Q die effektiv genutzte Wärme und 11den Wirkungsgrad der Stromerzeugung
darstellen. Die Gegendruckschaltung ermöglicht keine effiziente Anpassung der
Wärmeauskopplung an verringerte Bedürfhisse ohne proportionale Senkung auch der
Stromproduktion. Bleibt die Stromproduktion konstant, nimmt der Energienutzungs-
grad entsprechend der Reduktion des Nutzwärmewirkungsgrads q, = Q/QH ab.

Abb. 5.15. Wärme-Kraft-Kopplung bei Gegendruckschaltung, P, = Turbinenleistung,


QH= Kondensationswärmeleistung, Q = qHQH= Nutzwärmeleistung, T, = Vorlauf-
temperatur des Heizsystems
5.4 Wärme-Kraft-Kooolune 287

5.4.3 Gasturbinen
Gasturbinenanlagen eignen sich bestens zur Kraft-Wärme-Kopplung, da die Abwärme
auf hohem Temperaturniveau anfallt. Dies trifft auch für die Gasturbinenanlage mit
Rekuperator oder nachgeschalteter Dampfturbine zu.
Mit Bezugnahme auf den Prozess mit sequentieller Verbrennung von Abb. 5.16 gelten
gemäß Abschn. 5.2 die Hauptbeziehungen (m' .- konst. auf Grund des großen Luft-
Überschusses beim Verbrennungsprozess)

P, = '
m cp [(Tc- Tc/)+ (Tc//- T,) - (T, - T,)]

Für die Strom-Wärme-Kennziffer folgt

und für den Energienutzungsgrad

worin Q = Y , QH die effektiv genutzte Wärme und den Wirkungsgrad der Strom-
erzeugung darstellen.
Durch Kombination mit einer nachgeschalteten Dampfturbine und Nutzung der
Wärme aus den Abgasen und durch Dampfentnahme lassen sich besonders hohe
Energienul~ungsgrade,gepaart mit einer flexiblen Wärmeauskopplung, erreichen. Als
Beispiel zeigt Abb. 5.17 die Energiebilanz einer Kombianlage im 100 MW-Bereich
nach Abb. 5.13 mit einem Energienutzungsgrad bis 85%.

I Brennstoff

Lufi
'1 Abgase

Abb. 5.16. Gasturbine mit sequentieller Verbrennung und Kraft-Wärme-Kopplung


288 5 Thermische Kraftwerke, Wärmepumpe

Abb. 5.17. Energiebilanz einer Kombianlage mit Wärme-Kraft-Kopplung (Gasturbine


mit sequentieller Verbrennung und nachgeschalteter Dampfturbine) in Funktion der
Dampfentnahme [5.6]

5.4.4 Blockheizkraftwerke
In ähnlicher Weise kann auch bei Diesel- oder Gasmotorkraftwerken Wärme aus den
Abgasen und aus dem Kühlkreislauf gewonnen werden. Die Grundschaltung dazu
zeigt Abb. 5.18. Angeboten werden Einheiten im Leistungsbereich 50 k W 15 MW,
die Energienutzungsgrade von 85% bis 90% aufweisen.

Diesel- oder
Brennstoff Gasmotor

Abb. 5.18. Blockheizkraftwerk

5.4.5 Wärme-Kraft-Kopplung und CO,-Produktion


In Ländern mit Produktion elektrischer Energie vorwiegend aus fossilen Brenn-
stoffen (wie z.B. Deutschland) ermöglicht die Wärme-Kraft-Kopplung einen we-
sentlich rationelleren Einsatz der fossilen Brennstoffe und trägt somit zur Entschär-
fung der CO,-Problematik (verstärkter Treibhauseffekt) bei.
Dort, wo wie in der Schweiz die elektrische Energie fast nur mit Wasser- und
Kernkraft erzeugt wird, stellt sich die Frage, ob der verbreitete Einsatz der Wärme-
Kraft-Kopplung nicht zu einem verstärkten Verbrauch von fossilen Brennstoffen und
damit zum gegenteiligen Effekt fuhrt, es sei denn, man verwende Biomasse. Wesent-
lich besser sieht die CO,-Bilanz aus, wenn die Wärme-Kraft-Kopplung mit der
Wärmepumpentechnik kombiniert wird (Abschn. 5.9).
5.5 Fossilgefeuerte Dampfkraftwerke 289

5.5 Fossilgefeuerte Dampfkraftwerke

Es werden 3 Hauptkreisläufe unterschieden, veranschaulicht in den Abb. 5.19a und


5.19b, wobei die zwei letzten auch in Kernkraftwerken auftreten:
- Luft-Brennstoff-RauchgasIAsche-Kreislauf,
- Wasser-Dampf-Kreislauf,
- Kühlwasserkreislauf.

Der Brennstoff und die durch die Rauchgase vorgewärmte Luft werden der Brenn-
kammer zugeführt. Die Rauchgasreinigung (Abgasbehandlung) umfasst u.a. die
Entstickung, Entschwefelungund Entstaubung. Bei Kohlefeuerung ist ein Ascheabmg
notwendig. Für Näheres zu Verbrennungsvorgang,Abgasbehandlung und Technik der
fossil befeuerten Dampferzeuger s. [5.4], [5.15], [5.12].

5.5.2 Wasser-Dampf-Kreislauf, Verluste


Die Thermodynamik des Wasser-Dampf-Kreislaufs ist in Abschn. 5.1 beschrieben
worden. Hauptelemente sind der Kessel einschl. Überhitzer und Zwischenüberhitzer,
die Turbine, der Kondensator sowie die Speisewasservonvärmer.
Die Dimensionierung des Dampferzeugers (Kessel) erfolgt auf Grund des Ver-
dampfungsdrucks @,) und der benötigten Dampfinenge. Für letztere gilt als grober
Richtwert Ca. 3 t/h,MWe, die exakten Werte können aus den Prozessdaten (Mollier-
Diagramm) und Wirkungsgrad q, berechnet werden.
Die Dampfturbine ist eine Strömungsmaschine, welche die Enthalpiedifferenz
zwischen Eingangs- und Ausgangsquerschnitt in mechanische Energie umwandelt.

+ Abgas
Turbine

Rauchgas-
gebläse Abgas- Luft-
behandlung
- vorwärmer
L

(Kessel)
Frischluft-
gebläse
Luft W Kondensator

I J ,

Brennstoff Wasser Kühlkreislauf

Asche
Abb. 5.19.a Hauptkreisläufe in einem fossil befeuerten Dampfkraftwerk (Prinzip)
290 5 Thermische Kraftwerke, Wärmepumpe

Abb. 5.19b. Dampfturbine: 1 Frischdampfleitung, 2 Abschluss- und Regelventil, 3 Hoch-


druck-Turbine, 4 Wasserabscheider/Zwischenüberhitzer, 5 Dampfleitung, 6 Niederdruck-
Turbine, 7 Leitschaufeln, 8 Rotorschaufeln, 9 Kondensator, 10 Tragplatte, 11 Schwingungs-
dämpfer [5.16]

Die Drehzahl ist 3000 oder 1500 Ulmin bei 50 Hz (3600 bzw. 1800 Ulmin bei
60 Hz), s. auch Bd. 1, Abschn. 6.1. Manchmal werden auch höhere Drehzahlen
gewählt, wobei dann die Kopplung zum Generator über ein Getriebe erfolgt.
Im Kondensator wird dem aus der Turbine austretenden feuchten oder gesättigten
Dampf die Kondensationswärme entzogen. Kondensationsdruck Ca,) und -Tempe-
ratur sind über die Dampfdruckkurve aneinander gebunden. In modernen Kraftwerken
werden meist Kondensationsdriicke von 0.04-0.1 bar gewählt (entsprechend Tempe-
raturen von 29-46°C). Die Wahl des Kondensationdruckes beeinflusst stark den
Wirkungsgrad des Kreisprozesses, jedoch auch die Kosten des Kondensators.
Für Näheres zu Technologie und Auslegung von Dampferzeuger, Dampfturbine
und Kondensator s. [5.15].
Die Verluste (s. auch Abschn. 3.2 und 5. I) setzen sich zusammen aus den Kessel-
und Kreislaufverlusten q, (Richtwert 0.88), den Verlusten des idealisierten Kreis-
prozesses qthre,,(Richtwert je nach Ausfihrung 0.45-0.6), den Turbinenverlusten q,
(Richtwert 0.85) und den Verlusten in Generator und Eigenbedarf qe (Richtwert
0.94). Aus den angegebenen Richtwerten resultiert z.B. ein Kraftwerkswirkungsgrad
von 3 1-42%. Die Verlustwärme wird zum kleinen Teil mit dem Rauchgas, sowie
verteilt an verschiedenen Stellen in der Anlage, an die Umgebung abgegeben, zum
größten Teil wird sie als Abwärme an das Kühlwasser des Kondensators übertragen,
welcher über den Kühlwasserkreis diese Wärme an die Umgebung abgibt.
5.5 Fossilgefeuerte Dampfkraftwerke 291

5.5.3 Kühlwasserkreislauf

Wasser Ca. 25°C


Kondensator
Kühlwasser (Fluss, See)
15 m3/s 15°C
Wasser
0.05 bar, 33°C
Abb. 5.20. Prinzip der Frischwasserkühlung. Mögliche Verhältnisse für 900 tlh Dampf

Es werden Frischwasserkühlung und Turmkühlung unterschieden. Das Prinzip der


Frischwasserkühlung zeigt Abb. 5.20. Das Kühlwasser wird einem Fluss oder See
entnommen, und das erwärmte Wasser wieder in das Gewässer zurückgeführt. Die
notwendige Kühlwassermenge entspricht dem 50-70fachen des Dampfgewichts,
wenn eine Kühlwassererwärmung von Ca. 10°C zugelassen wird. Beispielsweise für
ein 300 MW-Kraftwerk mit Ca. 900 t/h Dampf werden 54'000 m3/h oder 15 m3/s
Kühlwasser benötigt. Da die Flusstemperatur aus ökologischen Gründen nur geringfü-
gig ansteigen darf (der Sauerstoffgehalt sinkt mit zunehmender Temperatur), braucht
es selbst für diese relativ kleinen Wassermengen große Flüsse (der Rhein bei Schaff-
hausen hat z.B. einen Durchsatz von rund 180 m3/s). Deshalb wird meist, besonders
wenn an einem Fluss mehrere Kraftwerke betrieben werden, auf die Turmkühlung
ausgewichen. Die heute verwendete Standardlösung ist die Nassturmküh1ung.Das
Prinzip der Nassturmkühlung zeigen die Abb. 5.21a und 5.21b. Das aufgewärmte
Wasser wird im Gegenstrom zu der im Kühlturm aufsteigenden Luft verrieselt und
verdunstet zum Teil. Dadurch wird Wärme entzogen, und das abgekühlte Wasser
kann rezykliert werden. Die Wasserverluste betragen lediglich 2-3% der benötigten
Kühlwassermenge. Der Luftstrom ergibt sich aus dem Naturzug und kann durch
Ventilatoren verstärkt werden.
Störend sind die Dampfschwaden oberhalb des Turmes, vor allem für nahgelegene
Siedlungen. Alternativen, die diesen Nachteil nicht aufweisen, sind Trocken- oder

Ersatz der Wasserverluste

I Dampf

Kondensator

Wasser

Abb. 5.21a. Prinzip des Nasskühlturmes


292 5 Thermische Kraftwerke, Wärmepumpe

Hybridkühltürme, die aber bei gleichen Dimensionen eine geringere Kühlleistung


erbringen. Für Näheres über das Kühlsystem sowie die Berechnung und Leistung von
Nass- und Trockenkühltürmen s. [5.4], [5.12], [5.15].

Abb. 5.21b. Kühlturm: I Schale, 2 Stützen, 3 Becken, 4 Wasser-Zulaufleitungen (vom


Kondensator), 5 Verteilkanäle, 6 Verteilrinnen, 7 Sprühdüsen mit Prallteller, 8 Rieselplatten,
9 Tropfenfänger, 10 Kühlwasseraustritt (zum Kondensator) 15.161
5.5 Fossilgefeuerte Dampfkraftwerke 293

5.5.4 Blockregelung

Die von den Kraftwerksblöcken in das elektrische Verbundnetz eingespeiste Leistung


muss der von den Verbrauchern entnommenen Leistung entsprechen. Dies erfolgt zum
einen über die schnelle Primärfrequenzregelung, bei der die beteiligten Kraftwerke
die Leistung proportional zur Abweichung von der Sollfrequenz steigern oder
absenken, um die Netzfrequenz zu stützen. Der Lastverteiler gibt zum anderen für die
einzelnen Kraftwerke Leistungssollwerte vor, so dass die Netzfrequenz wieder auf
den gewünschten Sollwert gefahren wird (Sekundärfrequenzregelung).
Die Blockregelung eines Kraftwerkes regelt dabei den Leistungssollwert ein, der
mit einer vorgegebenen Laständerungsgeschwindigkeit (MWImin) entsprechend des
voraussichtlichen Leistungsbedarfs des Netzes variiert wird. Kurzfristige Änderungen
der dem elektrischen Netz entnommenen Leistung werden durch die Primärfrequenz-
regelung ausgeregelt. Entsprechend der eingestellten Statik (MWIHz) steigert bzw.
senkt jedes an der Frequenzstütze beteiligte Kraftwerk die eingespeiste elektrische
Leistung proportional zur Abweichung der Netzfrequenz von der Sollfrequenz.
Näheres zu Primär- und Sekundärfrequenzregelung ist in Bd. I, Abschn. 6.5.2 und
Kap. I I , zu finden.
Abbildung 5.22 zeigt prinzipiell die Energiez~mwandlungin einem Dampfkraft-
werk. Die aus der Primärenergie gewonnene thermische Energie im Wasser-dampf
muss in einem Gleichgewicht zur elektrischen Energie unter Berücksichtigung der
Energieumwandlungsverluste stehen. Der Dampfdruck im Kessel fallt dabei, wenn
mehr elektrische Leistung abgenommen wird, als mit dem eingespeisten Brennstoff
erzeugt werden kann.
Die Blockregelung ist die übergeordnete Lastregelung, welche die Blockleistung
entsprechend der Netzanforderungen regelt und dabei das Zusammenspiel zwischen
Dampferzeuger und Turbosatz eines Kraftwerksblocks unter Berücksichtigung des
dynamischen Verhaltens des Kraftwerksblocks sowie der zulässigen Belastung der
Kraftwerkskomponenten koordiniert.
Dabei kann die elektrische Leistung schnell mit den Stellventilen der Dampf-
turbine verändert werden, wohingegen Feuerung und Dampferzeugung träge sind.
Weiterhin kann das Speicherverhalten des Kessels genutzt werden, um kurzzeitige
Laständerungen der Turbine zu bedienen.

Dampf- Turbine
erzeuael
_ Generator

Primärenergie Thermische Elektrische


Brennstoff Energie
Dampf)

Abb. 5.22. Energieumwandlung im Dampfkraftwerk


294 5 Thermische Kraftwerke, Wärmepumpe

Prinzipiell können zwei Blockregelungskonzepte unterschieden werden [5.10].


Im ersten Fall (Festdruckregelung) regelt die Dampfturbine die elektrische
Leistung mit Hilfe der Stellventile, der Kessel regelt über die Feuerung den Dampf-
druck, um das Gleichgewicht zwischen der elektrischen Leistung und der dazu
entsprechenden Dampfproduktion herzustellen. Der Kessel „folgt" der Turbinenlei-
stung, wie in Abb. 5.23 schematisch dargestellt.
Diese Vorgehensweise erlaubt die Ausnutzung des Kesselspeichers, um damit
schnelle Laständerungen zu realisieren. Kann jedoch der Kessel der gewünschten
Lasterhöhung nicht folgen, so sinkt der Dampfdruck ab. Um eine unzulässige Dru-
ckabsenkung z.B. durch Störungen im Dampferzeuger zu vermeiden, greift bei
Unterschreitung des minimalen Dampfdrucks eine zusätzliche Begrenzungsregelung
auf die Stellventile der Dampfturbine.
Zur Verbesserung der Dynamik der Kesseldruckregelung werden Laständerungen
als Vorsteuerung auf die Brennstoffiegelung aufgeschaltet. Dieses Regelkonzept
erlaubt eine schnelle und exakte Regelung der elektrischen Leistung und erfordert
Aufwand, um eine schnelle und gleichzeitig ruhige Brennstoffregelung zu erzielen.

Abb. 5.23. Prinzip der Blockregelung: ..Kessel folgt" oder Festdruckregelung

Im zweiten Fall (Gleitdruckregelung) regelt der Kessel die elektrische Leistung,


der Dampfdruck wird durch die Dampfturbine geregelt. Bei diesem Konzept folgt die
Turbine den Laständerungen des Kessels, wie in Abb. 5.24 schematisch dargestellt.

Abb. 5.24. Prinzip Blockregelung: „Turbine folgt" oder Gleitdruckregelung

Der Vorteil dieser Schaltung ist, dass die Regelung von sich aus stabil ist und auch
Störungen im Kesselbereich automatisch beherrscht. Um schnelle Leistungsanforde-
rungen bedienen zu können, können die Stellventile etwas angedrosselt gefahren
werden (modifizierter Gleitdruck). Dadurch steigt der Dampfdruck im Kessel, und
die eingespeicherte Energie kann dann zur kurzfristig Leistungserhöhung abgerufen
5.5 Fossilgefcuerte Dainpikrafiwerke 295

werden, ehe die Dampfproduktion den geänderten Anforderungen angepasst wird.


Eine kurzzeitige Leistungssteigerung kann ebenfalls durch das Kondensatstau-
verfahren erzielt werden. Beim Kondensatstau wird die Dampfzufuhr zu den Nieder-
druckvorwärmern kurzzeitig reduziert, was eine Erhöhung der elektrischen Leistung
der Dampfturbine zur Folge hat. Dabei wird entsprechend die Kondensatforderung
zurückgefahren, um ein Absinken der Speisewasserbehältertemperatur zu vermeiden.
Entsprechend der Kapazität des Speisewasserbehälters sowie des Kaltkondensatspei-
chers ist es damit möglich, nahezu rückwirkungsfrei für eine begrenzte Zeit die
Leistung zu variieren, ehe die Dampfproduktion den geänderten Anforderungen
angepasst ist.
Abbildung 5.25 zeigt schematisch die wesentlichen Eingriffstellen einer Block-
regelung mit integriertem Kondensatstauverfahren. Aus der geforderten Leistung wird
der erforderliche Brennstofffluss ermittelt. Entsprechend des Brennstoffflusses muss
die Verbrennungslufi für eine vollständige Verbrennung sowie der Speisewasserfluss
angepasst an die Dampfproduktion eingestellt werden. Schnelle dynamische Lastän-
derungen werden durch die im Geradeausbetrieb leicht angedrosselten Turbinenstell-
ventile und die Anzapfklappen für die Niederdruckvonvärmer erzielt, bis der Brenns-
tofffluss wieder der elektrischen Leistung entspricht.

Blockregelung
I I
' I Kessel I HO RD/*D 6
Frisch- 1
I
- - -- - - - - I
I
I I

I --

Kohlemühle
ondensat
cher
Vorwärmer

Blockregelung mit integriertem Kondensatstau

Abb. 5.25. Blockregelung mit integriertem Kondensatstau

Neben Blockkraftwerken, die ausschließlich zur Erzeugung elektrischer Energie


dienen, gibt es Kraftwerke, bei denen neben elektrischer Energie auch Prozesswärme
bereitgestellt wird (s. Abschn. 5.4). Die Prozessdampf- oder Prozesswärmeauskopp-
lung kann je nach Anlagenkonfiguration als Störgröße in der Blockregelung für die
elektrische Leistung berücksichtigt werden, so dass diese Kraftwerke sich an der
Primär- und Sekundärreglung des elektrischen Netzes beteiligen können. Bei vielen
lndustriekrafiwerken tritt jedoch der Fall auf, bei dem die ausgekoppelte Prozess-
wärme die eigentliche Hauptregelaufgabe ist, und die elektrische Leistung sich
entsprechend der geforderten Prozesswärme einstellt.
296 5 Thermische Kraftwerke, Wärmevumpe

5.5.5 Dynamik
Angesichts des Variantenreichtums und der Komplexität der Dampfkraftanlagenwird
nur das prinzipielle Verhalten mit Bezug auf das Referenzschema in Abb. 5.26
beschrieben. Obwohl in einer Dampfturbine mehrere miteinander koordinierte Ventile
aktiv sein können, sei vereinfachend ein einziges äquivalentes Regelventil zwischen
Überhitzer und HD-Turbine angenommen. Die für die Umwandlung verfügbare
thermische Leistung am ÜberhitzerausgangE ist von P, = m> .Ah gegeben, worin m,'
den Massenstrom und Ah den verfugbaren Enthalpiesprung darstellen. Wird davon
ausgegangen, dass die unterlagerten Regelkreise imstande sind, die Temperatur T,?
konstant zu halten, ist der Enthalpiesprung ebenfalls konstant und somit die Leistung
proportional zum Massenstrom. Dieser ist seinerseits proportional zum Öffnungsgrad
a des Ventils, das vom primären Drehzahlregler gesteuert wird (Kap. 1 I).
Verzögerungen des Massenstromes treten durch die Volumina der Dampfkraft-
anlage auf. Betrachten wir das Volumen V zwischen zwei Querschnitten 1 und 2, gilt

worin p die Massendichte darstellt. Wird ferner angenommen, der Ausgangsmassen-


strom sei proportional zum Druck, folgt der Massenstrom m,'dem Massenstrom m,'

Zwischenüberhitzer F
T L

Überhitzer
D/

C H
Kondensator
A'

Abb. 5.26. Prinzipschaltbild eines Dampfkraftwerks mit dreistufiger Turbine, Zwischen-


Überhitzung und Regenerativvonvärmung,
mit der Zeitkonstanten T, welche die Trägheit der Dampfmasse charakterisiert. In der
betrachteten Anlage wird die größte Verzögerung vom Zwischenuherhit-er ver-
ursacht, dessen Zeitkonstante T, die Größenordnung 10 s aufweist. Weitere Verzöge-
rungen erster Ordnung sind zwischen Ventil und HD-Turbine (Richtwert T, = 0.3 s)
sowie zwischen MD- und ND-Turbine (Richtwert T, = 0.5 s) einzuführen.
Die Beziehung zwischen der mechanischen p.u. Leistungp, und dem p.u. Massen-
strom m, ' kann durch Blockschaltbild Abb. 5.27a beschrieben werden. Die Koeffi-
zienten a, ß, y berücksichtigen die Anteile der drei Turbinenstufen an der Gesamt-
leistung (womit a + ß + y = 1). Stationäre Leistungsverluste können durch die
Konstante K, berücksichtigt werden. Abbildung 5.27a fuhrt zu einer Übertragungs-
funktion dritter Ordnung. Aus den genannten Richtwerten geht hervor, dass die
Leistungen der MD- und ND-Turbine wegen der Zwischenüberhitzung wesentlich

- -
träger reagieren als die der HD-Turbine. Angesichts des Größenunterschieds zwi-
schen den drei Zeitkonstanten kann in erster Näherung T, 0 oder T, T3 -0 gesetzt
und die Turbinenanlage durch eine Übertragungsfunktion zweiter oder gar erster
Ordnung, wie in Abb. 5.27b angenähert, dargestellt werden.
Zwischen Massenstrom in der HD-Turbine, Frischdampfdruck p, und Öfhungs-
grad a des Ventils besteht die p.u. Beziehung

Abb. 5.27. ijbertragungsfunktion der Dampfiurbinenanlage


a) Allgemeines Schema dritter Ordnung, b) Näherung erster Ordnung
298 5 Thermische Kraftwerke, Wärmepumpe

Eine Zunahme des Ventilquerschnitts Au fuhrt unmittelbar zu einer Zunahme des


Massenstroms und somit zu einer verzögerten Erhöhung der Turbinenleistung
entsprechend Abb. 5.27. Die Änderung des Massenstroms verursacht andererseits
eine Dichte- und somit auch eine Druckabnahme im Dampferzeuger, die durch die
Kesselregelung kompensiert werden muss. Diese Druckabnahme kann durch die p.u.
Gleichung

beschrieben werden, worin m, 'den im Dampfkessel erzeugten Massenstrom darstellt.


Die Zeitkonstante T, kann je nach Kesselart zwischen mehreren 10 s und einigen 100
s liegen. Die Kesselregelung, die den Massenstrom in, ' steuert, umfasst mehrere
Regelkreise, welche Brennstoff-, Frischluft- und Speisewassermfuhr kontrollieren.
Sie kann z.B. die Aufgabe haben, den Frischdampfdruck auf dem gewünschten
Sollwert zu halten; in diesem Fall wird von Festdruckregelung gesprochen. Bei der
Gleitdruckregelung wird sie hingegen direkt von der Drehzahl oder Leistung kon-
trolliert (s Abschn. 5.5.4).
Abbildung 5.28 gibt ein Dynamikschema des Dampfkraftwerks, worin die Turbine
durch ein System erster Ordnung (Abb. 5.27b) und der Kessel durch die Über-
tragungsfunktion G, (s) dargestellt werden; letztere umfasst sowohl die durch die
Wärmeentbindung verursachten Verzögerungen als auch die Übertragungsfunktion
des Kesselreglers (oft ein PI-Regler).

Abb. 5.28. Dynamisches Blockschaltbild des Dampfkraftwerks


p, Frischdampfdruck,p, Turbinenleistung,p elektrische Leistung
5.6 Kernkraftwerke 299

5.6 Kernkraftwerke
Kernkraftwerke sind im Wesentlichen (in der heutigen Ausfuhrung) Dampfturbinen-
kraftwerke, die mit nuklearem statt fossilem Brennstoff betrieben werden. An Stelle
der Feuerung tritt der Reaktor. Zwischen Reaktor und Turbine kann ein zusätzlicher
Kühlkreis geschaltet werden (s. Abschn. 3.4 und Abb. 5.32a).
Es wird unterschieden zwischen
- Primaranlage: Reaktor + evtl. zusätzlicher Kühlkreis und
- Sekundaranlage: übrige konventionelle Elemente des Dampfkreislaufs (für welche
im Wesentlichen die Ausfuhrungen von Abschn. 5.5 gelten).

5.6.1 Energiegewinnung durch Kernspaltung


Kernenergie kann auf zwei Arten freiwerden (s. dazu auch Anhang 11):
- Durch Fusion von leichten Atomkernen, d.h. von den Wasserstoffisotopen Deute-
rium und Tritium zu Helium. Die industrielle Anwendung steht noch in weiter
Feme (Näheres in Kap. 9).
- Durch Spaltung von schweren Atomkernen, wie Uran, Thorium und Plutonium zu
mittelschweren Kernen. Die gegenwärtige industrielle Gewinnung von Kernenergie
beruht auf der Spaltungsreaktion von Uran. Thorium kann in Hochtemperaturreak-
toren verwendet werden. Plutonium entsteht als Nebenprodukt der Uranspaltung.
Für den Einsatz in schnellen Brutreaktoren muss es zuerst erbrütet werden
(Abschn. 5.6.2).

5.6.1.1 Uranspaltung
Uran besteht zu 99.3% aus dem Isotop U„, (238 Nukleonen, wovon 92 Protonen und
146 Neutronen) und zu ca. 0.7% aus U„, (mit nur 143 Neutronen), ferner aus gerin-
gen Mengen U211.Nur U23,lässt sich spalten und zwar von langsamen (thermischen)
Neutronen. Die entsprechende Reaktion wird etwas vereinfacht in Abb. 5.29 be-
schrieben: bei der Spaltung entstehen zwei mittelschwere Kerne (z.B. Ba,;, + Kr„),

+ 20 Tcal

.........................................
L

........................
i thermisch : Moderator - schnell ::
..............................................

Abb. 5.29. Uranspaltung: n Neutronen, S Spaltprodukte


300 5 Thermische Kraftwerke, Wärmepumpe

die eine höhere Bindungsenergie aufweisen und somit stabil sind, und es werden rund
200 MeV freigesetzt. Die Spaltung von 1 kg U„, ergibt so die Energiemenge

Tcal
20 -
kg
- G Wh
24 -
kg
=
MWd
1000 -
kg
(MWd = Megawatttage). Aus der Spaltung des U,,,-Atoms werden außerdem durch-
schnittlich 2-3 Neutronen frei, die eine hohe kinetische Energie aufweisen (schnelle
Neutronen). Teils werden diese Neutronen absorbiert und teils stehen sie für weitere
Spaltungen als sog. Spaltneutronen zur Verfügung. Bleibt durchschnittlich mehr als
I Spaltneutron übrig, nimmt die Anzahl Spaltungen lawinenartig zu, d.h. es entsteht
eine Kettenreaktion mit exponentiell ansteigender Wärmeleistung. Mit weniger als
durchschnittlich 1 Spaltneutron Baut die Reaktion ab. Bei der kontrollierten Reaktion
wird dafür gesorgt, dass gerade 1 Spaltneutron die Reaktion aufrechterhält (Abb.
5.29). Der Reaktor ist dann kritisch, die Leistung ist konstant.
Damit das Spaltneutron jedoch die Reaktion auli-echterhaltenkann, müssen weitere
Bedingungen erfüllt sein. Schnelle Neutronen mit kinetischen Energien im Bereich
leV bis MeV führen viel weniger oft zu einer Spaltung von als thermische
Neutronen mit Energien unter 0.1 eV. Außerdem werden schnelle Neutronen leichter
von U„, -Atomen eingefangen. Dies hat zur Folge, dass z.B. in Natururan, das viel
U„, und wenig U„, enthält, die Reaktion sofort abbricht. Die Reaktion kann nur dann
aufrechterhalten werden, wenn mit Hilfe eines Moderators die Geschwindigkeit der
Neutronen auf thermische Werte herabgesetzt wird. Stoffe, die Neutronen stark
bremsen ohne sie einzufangen, sind H 2 0 und am besten D,O (schweres Wasser) und
Graphit. Nähcrc lnformationcn zur Uranspaltung sind in Anhang 11.6 zu finden.
Diese physikalischen Gegebenheiten führen zum prinzipiellen Aufbau des ther-
mischen Reaktors gemäß Abb. 5.30. Die eine Uranverbindung (UO,) enthaltenden
Brennstoffstabe sind vom Moderator umgeben. Mit den Kontrollstaben, die aus einem
neutronenabsorbierenden Material (z.B. Bor) bestehen und mehr oder weniger tief in
den Reaktor gesenkt werden können, kann der kritische Zustand der Reaktion gewähr-
leistet, d.h. die Leistung des Reaktors reguliert werden. Als Kuhlmittel für den
Wegtransport der entstehenden Wärme werden Flüssigkeiten oder Gase verwendet
(H@, D, 0 , COS,He).

Kontrollstäbe

Brennstoffstäbe

Moderator
Kühlmittel - -
Reaktorgefäß

Abb. 5.30. Prinzipieller Aufbau des thcrrnischen Reaktors


5.6 Kernkraftwerke 301

5.6.1.2 Konversionsvorgänge
Bei jeder Spaltreaktion von (/„,-Kernen werden durchschnittlich etwas mehr als 2
Neutronen erzeugt. Eins davon wird für die Aufiechterhaltung der Reaktion benötigt.
Die übrigen Neutronen werden von Moderator, Kontrollstäben und Brennstoff (ohne
Spaltung) absorbiert oder entweichen aus dem Reaktorkern. Die von C/„, absorbierten
Neutronen können in wenigen Fällen zur schnellen Spaltung von U2;, fuhren (das also
in geringem Masse ebenfalls zur Energie und Neutronenproduktion beiträgt), werden
aber in erster Linie angelagert. Das entstandene U23,wandelt sich, wie von Abb. 5.3 1
veranschaulicht, mit einer Halbwertszeit von 23 min durch Elektronenemission zu
Neptunium 239 (Ordnungszahl 93). Dieses instabile Element zerfallt mit einer
Halbwertszeit von 2.3 Tagen zum langlebigen Isotop Plutonium Pu,,,, das mit ähn-
lichen Eigenschaften wie U,;, spaltbar ist (s. Anhang 11.5) und zur Energieproduktion
beiträgt. Beide Reaktionen entsprechen dem Schema n + p + e (Beta-Strahlung).
Als Konversionsjaktor wird das Verhältnis von neugebildeten Pu„,-Kernen zu
verbrauchten U,,,-Kernen bezeichnet. Je nach Reaktortyp kann er verschiedene Werte
annehmen, ist jedoch in thermischen Reaktoren (Reaktoren, in welchen die Spaltung
durch thermische Neutronen erfolgt) immer klein. Durch die Konversionsvorgänge
wird die Ausnutzung des Natururans nur leicht verbessert.
Die Konversion von UZ3,kann auch von Pu730statt von U,;, ausgelöst werden.
Dann wird ausgehend von Pu, aus U„, neues P u gebildet. Werden Konversions-
faktoren >1 erreicht, wird nicht mehr von Konversion gesprochen, sondern von
Bruten und von Brutjkktor (s. Brutreaktor, Abschn. 5.6.2.4).

................................ -3e-
~..fhe!!?!!?.?!?, .... Moderator ;(.........Sehn_......
.................................

f -0

................................
thermisch i Moderator
i........................
: &.........~chne!',,,,,,.I
Abb. 5.31. Konversionsreaktion
302 5 'I'herniische Kraftwerke. Wärmepumpe

5.6.2 Reaktorkonzepte
Die bis heute gebauten Reaktoren werden nach dem verwendeten Moderator klassifi-
ziert:
- Leichtwasserreaktoren,
- Schwerwasserreaktoren,
- Graphitmoderierte Reaktoren,
- Schnelle Brutreaktoren (ohne Moderator).
Der weitaus größte Teil der weltweit eingesetzten Reaktoren sind Leichtwasserreakto-
ren, die eine große energiewirtschaftliche Bedeutung erlangt haben. Die einzelnen
Reaktortypen werden im Folgenden summarisch beschrieben, für Näheres s. die
einschlägige umfangreiche Fachliteratur.

5.6.2.1 Leichtwasserreaktoren (P WR, B WR, EPR)


Normales (leichtes) Wasser ist zwar ein guter, jedoch kein hervorragender Moderator.
Mit Natururan als Brennstoff (enthält nur 0.7% ) kann deshalb der kritische
Zustand der Reaktion nicht erreicht werden. Dazu wird angereichertes Uran benötigt
mit einem Anreicherungsgrad(Gehalt an von meist 3-3.5%. Zur Anreicherung
wird das als UO, verfügbare Natururan zunächst in das gasförmige Uranhexafluorid
UF, umgewandelt. Dieses wird dann durch Zentrifugation, bei Ausnutzung des
Gewichtsunterschieds zwischen U,;, und U„, , in angereicherte und abgereicherte
Komponente getrennt.
Ein großer Vorteil der Leichtwasserreaktoren ist, dass Moderator und Kühlmittel
identisch sind, nämlich H#. Der Aufbau wird damit sehr einfach, und das Problem
des Wärmetransports lässt sich verhältnismäßig leicht lösen.
Die erreichbare Dampfeintrittstemperatur der Turbinen ist für alle Leichtwasserre-
aktoren deutlich kleiner als bei fossil gefeuerten Anlagen. Dementsprechend liegt der
erreichbare Kraftwerkswirkungsgrad in der Regel tiefer, Ca. bei 33%.

Abb. 5.32a. Prinzip des Druckwasserrcaktors und typische Dampf- und Druckwasserdatcn
1 Reaktor, 2 Dampfturbine, 3 Generator, 4 Kondensator, 5 Kondensatpumpe,
6 Dampferzeuger, 7 Kühlmittelpumpe
5.6 Kernkraftwerke 303

Leichtwasserreaktoren werden als Druckwasser- (PWR, Pressure Water Reactor))


und Siedewasserreaktoren (BWR, Boiling Water Reactor) gebaut. Beim Druck-
wasserreaktor wird die Wärme durch das unter Druck stehende Primär-Kühlwasser
zu einem separaten Dampferzeuger geführt. Den prinzipiellen, etwas vereinfachten
Aufbau des Kraftwerks mit typischen Dampfdaten zeigt die Abb. 5.32a. Der detail-
lierte Aufbau eines Druckwasserreaktor-Kraftwerks ist in Abb. 5.32b dargestellt.

Abb. 5.32b. Druckwasserreaktor-Kraftwerk:1 Reaktorgebäude, 2 Sicherheitsbehälter (Stahl-


hülle), 3 Abluftkamin, 4 Reaktordruckgefäß, 5 Brennelemente, 6 Steuerstäbe, 7 Hauptkühl-
mittelpumpe, 8 Dampferzeuger, 9 Druckhalter, 10 Flutbehälter, I I Brennelement-Lager-
becken, 12 Brennelement-Lademaschine, 13 Frischdampfleitung, 14 Sicherheitsventile,
15 Maschinenhaus, 16 Schnellschluss- und Regelventile, 17 Hochdruckturbine, 18 Wasser-
abscheider-Zwischenüberhitzer, 19 Dampfleitung, 20 Dampfumleitungssystem, 21 Nieder-
druckturbine, 22 Generator, 23 Erreger, 24 Transformator, 25 Speisewasserbehälter, 26 Vor-
wärmer, 27 Speisewasserleitung, 28 Kondensator, 29 Kühlwasserleitung (Kühlkreislauf),
30 Zwischenlager für radioaktive Abfalle (unterirdisch) [5.16]
304 5 Thermische Kraftwerke, Wärmepumpe

Der Druckwasserreaktor erlebt gegenwärtig einen Aufschwung als EPR (European


Pressurised Reactor, französisch-deutsch finanziert). Ein erster Reaktor dieses Typs
ist in Finnland im Bau (Leistung 1600 MW) ein zweiter in Frankreich (Abb. 5.32~).
Diese Reaktoren der sogenannten 3. Generation haben deutlich bessere Eigenschaften
bezüglich Sicherheit. Auch der Wirkungsgrad soll besser sein und bei 36% liegen.

Abb. 5.32~. Schema des im Bau befindlichen EPR-Kraftwerks in Finnland (Areva);


I Reaktor, 2 Reaktorkühlpumpen, 3 Dampfkessel, 4 Zwischenüberhitzer, 5 Turbine,
6 Generator, 7 Schaltanlage, 8 Kondensator, 9 Wasservorwärmer, 10 Kondensatpumpe,
I I Kühlwasserkreislauf, 12 Kühlwasserpumpen, 13 Kühlwassersystem, 14 Kühlturm

Beim Siedewasserreaktor geschieht die Dampfproduktion im Reaktor selbst. Der


Aufbau des Kraftwerks und typische Dampfdaten sind in Abb 5.33 dargestellt.

Abb. 5.33. Prinzip des Siedewasserreaktors und typische Dampfdaten


I Reaktor, 2 Dampfturbine, 3 Generator, 4 Kondensator, 5 Kondensatpumpe
5.6 Kernkraftwerke 305

5.6.2.2 Schwerwasserreaktor (S WR)


Im Schwerwasserreaktor wird D 2 0(Schwerwasser) statt normales Wasser für Mode-
ration und Kühlung verwendet. Die Brennelemente befinden sich in Druckröhren, die
einzeln gekühlt werden. Das aufgewärmte Schwerwasser transportiert die Wärme zum
Dampferzeuger (wie im Druckwasserreaktor Abb. 5.32). Da schweres Wasser ein
ausgezeichneter Moderator ist, kann als Brennstoff Natururun verwendet werden, was
den Hauptvorteil dieses Reaktortyps ausmacht (keine Anreicherung notwendig). SWR
wurden in Kanada zur industriellen Reife entwickelt und werden dort und in Indien
eingesetzt. Der erreichbare Kraftwerkswirkungsgrad liegt bei 32%.

5.6.2.3 Graphitmoderierte Reaktoren


Verschiedene Typen graphitmoderierter Reaktoren sind im Laufe der Zeit entwickelt
und eingesetzt worden.
Im RBMK-Reaktor, der in der ehemaligen UdSSR entwickelt wurde und in den
Nachfolgeländern noch betrieben wird, befinden sich die Brennelementen ebenfalls
in Druckröhren, in denen H,O fließt (Kühlmittel). Die Druckröhren sind in einem
Graphitblock untergebracht. Als Moderator wirken H 2 0 und vor allem Graphit. Die
erreichbaren Dampftemperaturen sind vergleichbar mit denjenigen der Leicht- und
Schwerwasserreaktoren. Nach dem Unfall in Tschernobyl ist der Ausbau dieser
Reaktorlinie eingestellt worden.
Im AGR-Reaktor (advanced gas cooled reactor), der in Großbritannien entwickelt
und weiter eingesetzt wird, befinden sich die Brennelemente mit Stahlhülle direkt im
Graphit. Gekühlt wird mit CO,. Die eingesetzten Werkstoffe erlauben es, Temperatu-
ren von 550" zu erreichen und somit Dampf$rozesse mit Überhitzung zu realisieren.
Damit steigt der Kraftwerkswirkungsgrad auf rund 40%.
Da Graphit ein besserer Moderator ist als Leichtwasser, werden in beiden Reaktor-
typen (RBMK und AGR) Brenstoffelemente mit einer etwas kleineren Anreicherung
von Ca. 2% eingesetzt.
Im Hochtemperaturreaktor (HTR) werden als Brennstoffhüllmaterial Graphit und
Silizium verwendet und als Kühlmittel Helium eingesetzt (Kernforschungsanlage
Jülich, Deutschland, 70er-Jahre). Damit lassen sich Kühlmitteltemperaturen von
700-950°C erreichen, die den Betrieb sowohl von Dampfkreisläufen mit Überhitzung
als auch von Gasturbinen bzw. Kombianlagen ermöglichen. Dementsprechend können
die Kraftwerkswirkungsgrade 40-48% erreichen [5. 1 I]. Der Brennstoff muss eine
relativ hohe Anreicherung von > 8% aufweisen. Trotz der großen Vorteile dieser
Reaktorlinie, auch was die passive Sicherheit (inhärente Betriebssicherheit) betrifft,
ist die Entwicklung zur industriellen Reife i n Deutschland zur Zeit blockiert. Die
Entwicklung dieser Reaktorlinie, welche zu den Reaktoren der sogenannten
4. Generation gehört, wird vor allem in China, Japan und Südafrika weiterverfolgt.
Sie erlaubt auch Thorium (auf der Erde etwa drei mal häufiger als Uran vorhanden)
als Brennstoff m verwenden.
306 5 Thermische Kraftwerke, Wärmepumpe

5.6.2.4 Schnelle Brutreaktoren


Beim schnellen Brutreaktor steht der von Abb. 5.3 1 beschriebene Konversionsprozess
mit einem Konversionsfaktor > 1 (Brutfaktor) im Mittelpunkt. Er wird allerdings nicht
von thermischen, sondern von schnellen Neutronen ausgelöst, weshalb ein Moderator
nicht notwendig ist. Da schnelle Neutronen jedoch weniger Spaltneutronen als
thermische produzieren, ist eine relativ hohe Anreicherung notwendig. Plutonium
verhält sich in dieser Hinsicht wesentlich besser als Uran, weshalb der Reaktorkern
typischerweise aus einer inneren Spaltzone mit 80% Natururan und 20% Pu sowie
einer äußeren Brutzone mit U„, besteht. Als Kühlmittel wird flüssiges Natrium
eingesetzt auf Grund seiner nichtmoderierenden Eigenschaften.
Das Interesse der Brutreaktoren liegt in der weit besseren Ausnutzung des Urans,
die in thermischen Reaktoren bei Ca. 1% liegt, während in Brutreaktoren auf das 30
bis 50-fache gesteigert werden kann. Sie könnte deshalb das Problem der begrenzten
Uranreserven lösen. Die Entwicklung stagniert als Folge der mit dieser Reaktorlinie
verbundenen Risiken und damit fehlenden Akzeptanz (s. dazu auch Abschn. 5.6.5).

5.6.3 Dampfkreisprozess und Regelung


Das Kernkraftwerk unterscheidet sich vom normalen fossilen Dampfkraftwerk
lediglich dadurch, dass der Reaktor an Stelle der Feuerung bzw. des Kessels tritt. Der
Dampfkreisprozess von Leichtwasserreaktoren ist gekennzeichnet durch schwache
Überhitzung und Zwischenüberhitzung auf Temperaturen, die nur wenig die Ver-
dampfungstemperatur überschreiten. Dementsprechend ist, wie bereits erwähnt, der
Wirkungsgrad kleiner als jener fossilgefeuerter Anlagen. Die Zwischenüberhitzung
ist in erster Linie dazu da, die Dampfnässe in den Turbinen zu verhindern.
Kernkraftwerke werden als Grundlastkraftwerke eingesetzt, fahren also mit
konstanter Leistung und nehmen an der Frequenz-Leistungsregelung des Netzes (s.
Kap. 11) nicht Teil. Grundsätzlich gilt für die Dynamik des Kernkraftwerks das
Blockschaltbild Abb. 5.28, wobei an Stelle der Kesselregelung die Reaktorregelung
tritt. Für Näheres über Reaktordynamik und Reaktorregelung s. z.B. [5.14], [5.10].

5.6.4 Reaktorsicherheit und Brennstoffkreislauf


Die bei der Kernspaltung entstehende Strahlung und die radioaktiven Spaltprodukte
müssen von der Umwelt ferngehalten werden, wofür entsprechende Sicherheits- und
Entsorgungskonzepte aufzustellen sind. Dies betrifft das Kernkraftwerk selber und
alle am Brennstoffkreislauf beteiligten Anlagen [5.13].

5.6.4.1 Reaktorsicherheit
Die Primäranlage, welche Reaktor und primären Kühlkreislauf umfasst, wird aus
Sicherheitsgründen in einem separaten, oft kugelformigen Gebäude untergebracht.
Die im Reaktor entstehenden Spaltprodukte werden durch ein gestaffeltes Barrieren-
system von der Umwelt ferngehalten. Eine erste Barriere bilden die druckfesten und
gasdichten Hüllen der Brennelemente. Eine zweite Barriere stellt die ebenfalls
druckfeste Stahlhülle des Reaktors bzw. Primärsystems dar. Schließlich befinden sich
5.6 Kernkrattwerke 307

die Reaktoranlagen im bereits erwähnten aus Stahl und Beton gefertigten Reaktor-
schutzgebäude, welches die dritte Barriere bildet. Durch dieses dreifache Barrieren-
system soll der Schutz gegen innere und äußere Einwirkungen gewährleistet werden.
Als äußere Einwirkungen sind Flugzeugabstürze und Erdbeben zu erwähnen. Als
innere Einwirkung ist neben im Betrieb entstehender radioaktiver Strahlung, die
absorbiert werden muss, auch der bei Störfallen auftretende Druckanstieg bzw.
Wärmestau zu erwähnen, der bei Versagen der mehrfachen Regel- und Abschaltein-
richtungen schlimmstenfalls bis zur Kernschmelze führen kann. Im Normalbetrieb
oder auch bei Störungen wird der Austritt von kontaminierter Luft bzw. Wasser durch
entsprechende Filteranlagen verhindert.

5.6.4.2 Brennstoffkreislauf und Entsorgung


In Abb. 5.34a sind die mit der Versorgung und Entsorgung von Brennstoff verbunde-
nen Arbeitsschritte schematisch dargestellt.
Die Versorgung umfasst den Abbau von Uranerz, die Natururangewinnung und
schließlich die für den Betrieb von Leichtwasserreaktoren notwendige Urananreiche-
rung mit anschl. Brennstoffherstellung.
Nach der Nutzung im KKW werden die abgebrannten Brennelemente zunächst für
ca. 1 Jahr im Reaktorgebäude in Wasser zwischengelagert und gekühlt, bis die
Nachwärme abgeklungen ist, und anschl. der Wiederaufbereitung zugeführt oder für
die Endlagerung vorbereitet
Ist keine Wiederaufbereitung vorgesehen, werden die abgebrannten Brennelemente
zentral für längere Zeit zwischengelagert und schließlich konditioniert. Die Konditio-
nierung umfasst die Verglasung und den Einschluss der Abfalle in Stahlbehälter. Als
Endlagerstätten sind dichte und für Gase und Flüssigkeiten undurchlässige Kavernen
vorgesehen (z.B. Salzstöcke).
Bei der Wiederautbereitung wird wiederverwendbares Material, wie Uran und
Plutonium getrennt und wieder der Anreicherung bzw. Brennstoffherstellung zu-
geführt. Nichtverwendbare Abfalle werden konditioniert und endgelagert.
Schwach- und mittelaktive Abfalle aus dem Kraftwerkbetrieb werden zusammen
mit jenen aus Medizin, Forschung und Industrie ebenfalls konditioniert (mit anderen
Verfahren) und schließlich in dazu geeigneten Endlagern untergebracht.
Die Wiederaufbereitung hat den Vorteil, dass weniger Natururan benötigt wird,
und erlaubt die Verwertung des Plutoniums, was die Menge der hochradioaktiven
Abfalle (ca. um den Faktor 5) reduziert. Andererseits erhöht sich aber die Menge der
schwach- und mittelaktiven Abfalle durch den Wiederaufbereitungsvorgangerheblich.

Da die technische Zivilisation radioaktive Abfalle produziert (nicht nur in Kern-


kraftwerken), ist es imperativ, diese sicher zu entsorgen. Praktische Probleme ergeben
sich in demokratischen, föderalistisch organisierten Ländern durch die zunächst meist
fehlende regionale Akzeptanz der Endlager, die durch mühsame Aufklärungsarbeit
oder Zentralisierung der Kompetenzen auf politischem Wege erreicht werden muss.
308 5 Thermische Kraftwerke, Wärmepumpe

Weiterhin kontrovers und Thema der technischen und politischen Diskussion ist
ferner, ob die Endlagerung der Abfalle nachhaltig sicher und definitiv oder langfristig
kontrolliert sein soll, wobei dann die Überwachung und der Unterhalt der Lagerstätten
über lange Zeit sicherzustellen und jeweils der neuesten Technologie anzupassen
wären.

T Uranerzabbau

Q Natururangewinnung
VERSORGUNG
mtt
Kernbrennstoff

Plutonium

neue Brennelemente

wiederverwendbarer Strom- und


Brennstott Warmeproduktion

II abgebrannte Brennelemente

ZwischenlageNng

entweder / oder

L Wiederaufarbeitung und

hochradioaklive
d
Abfall-Losung

I Abfallverfestigung

verfestigte
hochradioakbve Abfälle
abgeb;annte
Brennelemente
ENTSORGUNG
des verbrauchten
Kernbrennstoffs

C I 5 Endlagemng +----I Endlagemng

Option Opbon
mit Wiederaufarbeitung ohne Wiederautarbeitung

Abb. 5.34a. Brennstoffkreislauf von Kernkraftwerken mit Leichtwasserreaktoren und damit


verbundene Arbeitsschritte. Die Entsorgungswegc der schwach- und mittelaktiven Abfallc
sind nicht eingezeichnet [5.13]
5.6 Kernkraftwerke 309

5.6.5 Risiken der Kernkraft


Wie auch andere Prozesse unserer technischen Zivilisation, ist die Kernkraft mit
Risiken verbunden. Diese hängen vorn Entwicklungsstarid einer Technik ab; deren
Bewertung wird letztlich entscheiden, ob die Kernkraft in Zukunft weiterhin einen
wichtigen Platz in der Energieversorgung einnehmen wird oder nicht. Zu erwähnen
ist in diesem Zusammenhang: setzt sich die Brutreaktortechnik nicht durch, wird die
Kernenergie aus Spaltstoffen auf Grund beschränkter Uran- und Thoriumreserven nur
eine (zwar wichtige) Übergang~ener~ie bleiben und sehr wahrscheinlich höchstens im
21. Jh. eine wesentliche Rolle spielen.
Vier Faktoren spielen in der Risikodiskussion die Hauptrolle:
- Die Sicherheit beim Betrieb der Kernkraftwerke.
- Die mögliche Umweltkontamination durch den Brennstoffkreislauf.
- Die sichere Lagerung der radioaktiven Abfalle.
- Die Frage der möglichen Verwendung von Spaltmaterial, insbesondere Plutoni-
um zur Waffenherstellung.

5.6.5.1 Sicherheit des Kraftwerks


Die bei Planung und Bau getroffenen Sicherheitsmaßnahmen sind im Abschn. 5.6.4
dargelegt worden (s. auch [5.17]). Moderne Kernkraftwerke, die gemäß westlichem
Standard ausgeführt sind, bieten größte Sicherheit, wie der jahrelange Betrieb der
über 430 weltweit installierten und Energie produzierenden Kraftwerke beweist mit
einer Erfahrung von mehr als 10'000 Mannjahren. Der zusätzliche Radioaktivitäts-
pegel bei Normalbetrieb in der Umgebung eines Kernkraftwerks liegt weit unterhalb
jenem der natürlichen Radioaktivität.
Im Fall eines GAUS (größter anzunehmender Unfall) sind die Folgen für Mensch
und Umwelt nicht spürbar, wenn die Schutzeinrichtungen korrekt funktionieren, da
diese dafür vorgesehen sind, Auswirkungen eines solchen Unfalls nach Außen zu
vermeiden. Dazu gehört für einen nach westlichem Standard gebauten Reaktor auch
das Schmelzen des Reaktorkerns (einziger Unfall diese Art ist Harrisburg 1979, ohne
Konsequenzen für die Umwelt).
Tritt eine Kontamination der Umwelt auf (wie in Tschernobyl 1986) wird von
einem Super-GAU gesprochen. Der Unfall in Tschernobyl ist spezifisch für die dort
verwendete Bauart und in Leichtwasserreaktoren nicht möglich, außerdem verursacht
durch unzulängliche Sicherheitsvorkehrungen.
Im Falle eines Super-GAUS wie in Tschernobyl tritt ein großer Schaden für die
Umwelt und die Menschen auf, den es unter allen Umständen zu vermeiden gilt. In
Reaktoren hohen Standards ist ein solcher Unfall äußerst unwahrscheinlich, dessen
Wahrscheinlichkeit kann jedoch nicht auf Null herabgesetzt werden. Ob ein solcher
Schaden bzw. Risiko zumutbar (und versicherbar) ist oder nicht, ist Gegenstand der
gesellschaftspolitischen Diskussion (Frage der Beurteilung eines mit sehr kleiner
Wahrscheinlichkeit eintretenden Restrisikos mit großen Folgen). Der ökologische
Nutzen der Kernenergie angesichts der Klimaproblematik muss dabei berücksichtigt
werden und der mögliche Schaden in Relation zu jenem gesetzt werden, der durch
andere technischen Einrichtungen (z.B. Straßen- und Flugverkehr, Chemie) jährlich
3 10 5 Thermische Kraftwerke, Wärmepumpe

verursacht, jedoch toleriert wird. Über die Gefahren der radioaktiven Kontamination
s. Abschn. 5.6.6.
Die Kerntechnik verzeichnet außerdem Fortschritte, wobei die (internationalen)
Anstrengungen einerseits in Richtung von Leichtwasserreaktoren mit noch größeren
Sicherheitsmargen gehen (EPR), mit dem Ziel, die Wahrscheinlichkeit eines GAUS
oder Super-GAUS noch mehr zu verringern [5.1 I], aber auch in Richtung eines
sowohl bzgl. der Kernreaktion wie auch der Wärmeabfuhr inhärent sicheren HTR-
Reaktors (China, Japan, Südafrika).

5.6.5.2 Brennstoffkreislauf
Was den BrennstofJkreislauf betrifft (Abschn. 5.6.4), ist in der Vergangenheit be-
sonders in Uranminen und bei der Wiederaufbereitung gesündigt worden. Radioaktive
Kontamination kann durch hohe technische aber auch ethische Standards, welche die
Gebote sozialer und ökologischer Nachhaltigkeit respektieren, durch sorgfältige und
verantwortungsbewusste Schutzmaßnahmen bei Verarbeitung und Transport sowie
internationale Zusammenarbeit vermieden werden. Das Problem ist nicht schwerwie-
gender als jenes anderer Branchen (wie z.B. der Chemie), wo ebenfalls mit gefahr-
lichen Stoffen gearbeitet wird.

5.6.5.3 Abfallbeseitigung
Den Erläuterungen im Abschn. 5.6.4 sei hinzugefügt, dass die Endlagerung schwach-
und mittelaktiver Abfalle von jener hochradioaktiver Abfalle zu unterscheiden ist.
Das erste Problem betrifft nicht nur die Kernreaktoren und muss somit unabhängig
davon, ob die Elektrizität mit Kernkraft produziert wird oder nicht, bewältigt werden.
Die technischen Lösungen liegen vor, und die Politik ist daran, die Fragen der
Umsetzung zu Iösen (s. Abb. 5.34b).
Was die hochradioaktiven Abfalle betrifft, die spezifisch sind für die Kernkraft-
industrie, liegen ebenfalls technische Lösungen vor, die es zu erproben gilt. Das
Problem ist Gegenstand technischer und politischer Auseinandersetzungen und
insofern noch nicht gelöst. Die Mengen an hochradioaktiven Abfallen, die es zu
entsorgen gilt, sind jedoch relativ klein (s. dazu. die Berechnungen in Abschn. 3.4)
und nicht vergleichbar mit dem enormen Anfall an klimaschädigendem CO„ der
durch die Verbrennung fossiler Brenn- und 'l'reibstoffe entsteht. Letzteres Problem
dürfte weit schwieriger zu Iösen sein (s. Abschn. 1.7).

5.6.5.4 Kernwaffenherstellung
Zur Kernwaffenherstellung wird hochangereichertes Uran benötigt. Es wird beturch-
tet, dass das in den abgebrannten Brennstoffstäben in kleinen Mengen vorhandene
Plutonium dazu missbraucht werden könnte. Dies kann nicht ganz ausgeschlossen
werden, obwohl die Entsorgung strengen Kontrollen unterworfen ist und die Rück-
gewinnung kein einfaches technisches Problem darstellt. Andererseits war in der
Vergangenheit die Herstellung von Kernwaffen unabhängig von der friedlichen
Nutzung der Atomenergie möglich, und wird auch in Zukunft allen, die sich Zugang
zu hochangereichertem Uran oder Plutonium aus Kernwaffenarsenalen verschafft
5.6 Kernkraftwerke 3 11

Gestion des dechets nucleaires

Slackape mle
AC
Exp oilation C\ AssemMages
combuilibles u d s

C i , y i i i lii..aii
ur;>"#
Stockage ,nleimediaire

Abb. 5.3413. Entsorgung und Lagerung nuklearer Abfille hoher, mittlerer und
schwacher Aktivität (Quelle: Nagra)

haben (USA, ehemalige UdSSR und weitere Länder, die über Kernwaffen verfügen)
oder in der Lage sind, eine Anreicherungsanlage zu betreiben, grundsätzlich möglich
sein. Die Gefahren, die davon ausgehen, sind real und werden durch politische
Maßnahmen und entsprechende Überwachung verhindert (Non-Proliferation-Ab-
kommen). Die von der friedlichen Nutzung der Kernenergie in Anlagen mit schwach
angereichertem Uran ausgehenden Gefahren sind vergleichsweise gering (etwas
bedenklicher wären in dieser Hinsicht schnelle Brüter).

5.6.6 Wirkung der Radioaktivität


Wir beschränken uns hier auf einige summarische Angaben. Zur Vertiefung s. [5.17],
[5,18]. Radioaktivität wird durch den Zerfall von instabilen Isotopen hervorgerufen
(s. dazu auch Anhang 11.3). Diese emittieren vor allem a-, P-, und y-Strahlen. Die
Halbwertszeit der Isotopen kann sehr unterschiedlich sein. Beispiele:

~ 1 3 1 - -> 8 Tage
--> 88 Jahre
Ra226 - - > 1620 Jahre
PU 239 - - > 24 V00 Jahre
u~~~- - > 4.5.109 Jahre
3 12 5 'Thermische Kraftwerke, Wärmepumpe

Die Strahlen haben eine unterschiedliche Durchdringungskrafi:


acStrahlen: Sie dringen nicht tief ein, wenige cm Lufi, die Bekleidung oder ein Blatt
Papier genügt, um sie aufzuhalten. Treffen sie auf unbekleidete Körperteile, ist nur
die Haut betroffen. lhre biologische Wirksamkeit ist allerdings auf Grund der relativ
hohen Energie Ca. 20mal stärker als jene der P-Strahlen. lhre Energie liegt meist bei
5 MeV.
ßstraltlen: Die Energie der Elektronen hat einen häufigsten Wert von 0.5 MeV, kann
jedoch auch max. 1.7 MeV erreichen. Um ihre Intensität auf 37% zu reduzieren
(definiert die Reichweite oder Eindringtiefe, exponentieller Verlauf), sind einige cm
Wasser oder einige mm Aluminium notwendig. Im Körpergewebe dringt die Strah-
lung im erwähnten Energiebereich ca. 2- 10 mm tief ein [5.17].
y-Straltlerz: Diese hochenergetische elektromagnetische Strahlung (Frequenzbereich
3. 10'8-6. 10'' HZ)hat eine Energie von 0.0 1-20 MeV. lhre Reichweite in cm (Reduk-
tion auf 37%) wird in Tabelle 5.1 umschrieben. Sie zeigt, die Gefährlichkeit der
Gamma-Strahlung, die selbst durch einige cm dicke Bleischichten nicht vollständig
abgeschirmt werden kann.

Tabelle 5.1. Reichweite von Gamma-Strahlung [cm]

Wasser Aluminium Beton Blei

O I MeV 63 2.3 2 6 0,O 18

I0 MeV 45.5 15.5 18.6 1.77

5.6.6.1 Aktivität
Als Aktivität einer radioaktiven Substanz wird die Anzahl Zerfallvorgängels bezeich-
net. Einheiten sind das Becquerel (Bq) und (alt) das Curie (Ci):

1 Ci entspricht der Aktivität von 1 g Radium.


Radioaktivität ist in der Natur auf Grund der in der Erdkruste enthaltenen radio-
aktiven Isotopen, aber auch als Folge der aus dem Kosmos eintreffenden Strahlung
überall anwesend. Es wird von naturlicher Radioaktivitat gesprochen. Alle Lebewe-
sen sind radioaktiv; der Mensch weist durch Nahrungsaufnahme, Trinkwasser und
Atemluft eine durchschnittliche Radioaktivität von 130 Bqlkg auf (5.171. Baumateria-
lien, wie Beton, Ziegel, Granit können mehrere 100 Bqlkg aufweisen. Holz hat
demgegenüber i.d.R. einen sehr niedrigen Pegel. Die Lufi weist vor allem wegen des
aus dem Erdinnern entweichenden radioaktiven Edelgases Radon eine Aktivität von
ca. 14 Bq/m3 auf, in Wohnungen erhöht sich dieser Wert wegen des radioaktiven
Mauerwerks im Mittel auf 50 Bqlm' .
5.6 Kernkraftwerke 3 13

5.6.6.2 Strahlendosis
Die Energie der terrestrischen und kosmischen Strahlung kann gemessen werden. Die
pro Masseneinheit absorbierte Strahlungsenergie wird als Energiedosis D bezeichnet.
Einheit ist das Gray (Gy) oder (alt) das Rad (rad):

J
l G y = l - , (1 Gy = 100 vad) . (5.34)
kg

5.6.6.3 Äquivalentdosis
Die biologisch wirksame Strahlendosis wird als Aquivalentdosis bezeichnet. Sie
ergibt sich als Produkt von Energiedosis und Qualitätsfaktor. Der Qualitätsfaktor Q
kennzeichnet die biologische Wirksamkeit der Strahlenart. Er beträgt Q = 1 für Beta-
und Gamma-Strahlung, Q = I0 für Neutronenstrahlung und Q = 20 für Alpha-Strah-
lung. Neutronen- und Alpha-Strahlung haben wesentlich schädigendere Wirkungen
auf das Zellengewebe.
Einheit der Äquivalentdosis ist das Sievert (Sv) oder (alt) das Rem (rem)
D [Gy] - - > D.Q [SV], (lSv=lOOm). (5.35)
Die biologische Wirkung besteht in der Molekülzerstörung, deren Bruchteile che-
misch und biochemisch anders reagieren und die Funktionsfähigkeit der betroffenen
Zelle beeinträchtigen können. Lebewesen besitzen zwar wirksame Reparaturmecha-
nismen (da das Leben im radioaktiven Milieu entstanden ist), doch reichen diese
nicht immer aus, womit sich genetische oder somatische Schäden einstellen können,
letztere unmittelbar (Frühschäden) oder erst nach langer Zeit (Spätschäden). Aus den
Erfahrungen mit der Atombombe sind diesbezüglich viele Einsichten gewonnen
worden.
Bei einmaliger Bestrahlung wird die Schwellendosis, ab welcher beim Menschen
mit Frühschäden zu rechnen ist, mit 200-300 mSv angegeben. Embryonalschäden
können bereits ab einmaligen Bestrahlungen von 100-200 mSv aufh-eten. Eine Dosis
von 3-5 Sv ist mit 50% Wahrscheinlichkeit letal.
Für Spätschäden existiert kein Schwellenwert, sondern es steigt mit zunehmender
Strahlungsmenge lediglich die Wahrscheinlichkeit zu erkranken (z.B. Risiko einer
Krebserkrankung oder eines genetischen Schadens). Wichtig ist hier die kumulierte
Belastung in mSv/a, die mit der natürlichen zu vergleichen ist. Diese weist jedoch,
wie nachfolgend dargelegt, eine große Schwankungsbreite auf.

5.6.6.4 Natürliche Radioaktivität


Setzt sich zusammen aus kosmischer Strahlung und Erdstrahlung. Die kosmische
Strahlung ist zeitlich konstant (außer bei großen Sonneneruptionen) und hängt stark
von der Höhenlage ab. Die Jahresbelastung ist
3 14 5 Thermische Krafiwerke, Wärmepumpe

0 m Ü.M.: 0.30 mSvla


400 m Ü.M.: 0.36 mSvla
800 m. Ü.M.: 0.45 mSvla
2000 m. Ü.M.: 0.80 mSvla (5.36)
4000-5000 m. Ü.M.: 2 mSvla (MontBlanc - F 0.00023 mSvlh)
8000-9000 m. Ü.M. : 15 mSvla (Everest - > 0.0017 mSvlh)
12000 m. Ü.M.: 40 mSvla (Flugzeug - F 0.0045 mSvlh) .

Die Erdstrahlung ist von Region zu Region je nach Geologie und Bodenbeschaffen-
heit verschieden. Sie ist relativ stark bei Granitfelsen (Alpen) und schwach bei
Sedimentgesteinen (Jura, Mittelland). In der Schweiz schwankt sie zwischen 0.4 und
1.5 mSv/a, im Mittel Ca. 1.2 mSv1a. Es gibt Gegenden in China, Brasilien und dem
indischen Subkontinent, wo 20 mSv1a und noch wesentlich mehr üblich sind, wobei
bis jetzt keine signifikanten Abweichungen bezüglich Krebs, Missbildungen, Frucht-
barkeit usw. festgestellt wurden, was auf die Wirksamkeit der Reparaturmechanismen
hindeutet. Beispiele für die natürliche Belastung in der Schweiz finden sich in Tabelle
5.2.

Tabelle 5.2. Beispiele fur die natürlichc radioaktive Belastung in der Schweiz

kosmisch terrestrisch Total (mSv/a)

Biel 0.37 0.39 0,76

Genf 0,35 0.89 1,24

St. Moritz 0,74 1,1 1,84

Der natürlichen muss die Belastung durch Nahrung und Wohnen hinzugefugt werden.
In Deutschland wird sie als etwa doppelt so groß wie die natürliche, die Ca. 0.8 mSv/a
beträgt, eingeschätzt, was zu einer Gesamtbelastung von 2.4 mSv/a fuhrt. Dazu
kommt die Strahlenbelastung durch medizinische Betreuung, die mit Ca. 1.6 mSvla
angegeben wird [5.17 1, [S. 181. Der Unfall in Tschernobyl von 1986 hat in Deutsch-
land noch im Jahre 1992 zu einer Zusatzbelastung von 0.04 mSv1a geführt.
Für Personen mit beruflichem Strahlenrisiko wird in der Schweiz eine Belastung
von 10-50 mSvIa als Grenze gesetzt, oder kumuliert, von 350 mSv über die gesamte
berufliche Tätigkeit.
5.7 Kraftwerke mit kombiniertem Gas- und Dampfprozess 31 5

5.7 Kraftwerke mit kombiniertem Gas- und


Dampfprozess

Durch die Kombination des Dampfprozesses mit Gasturbinen im offenen Prozess


ist es möglich, den Wirkungsgrad bei der Stromerzeugung im Vergleich zu Gas-
turbinenkraftwerken oder Dampfturbinenkraftwerken zu steigern. Für die Kombi-
nation von Gas- und Dampfturbinenprozessen gibt es verschiedene Möglichkeiten:
CUD-Kraftwerk (Gas- und Dampfiurbinen). Die im Abgas der Gasturbinen ent-
haltene Wärme wird zur Dampferzeugung in einem Abhikekessel genutn. Der
erzeugte Dampf treibt eine Dampfturbine an.
Verbundkraftwerk. Der hinter der Gasturbine geschaltete Abhitzedampferzeuger
und der kohlebefeuerte Dampferzeuger sind nur Wasser- und dampfseitig gekop-
pelt.
Kombiprozess mit naclzgescltaltetem atmosphärisclzem Dampferzeuger. Die
sauerstoffreichen Abgase der Gasturbine dienen als Verbrennungsluft für den
kohlebefeuerten Dampferzeuger eines Dampfkraftwerkblocks.
Kombiprozesse mit Koltleumwandlung unter Druck. Statt der Edelbrennstoffe
Erdgas und Heizöl wird Kohle als Brennstoff in einem Kombiprozess genutzt.
Dazu werden die heißen Abgase unter Druck verbrannter Kohle in einer Gastur-
bine entspannt, und mit den entspannten Abgasen wird Dampf zum Antrieb einer
Dampfturbine erzeugt.
Weiterhin kann der GUD-Prozess mit einer Kohledruckvergasungsanlage kom-
biniert werden. Das in der Kohledruckvergasungsanlage gewonnene Kohlegas
wird im Brenner einer Gasturbine verbrannt. Hinter die Gasturbine ist ein Abhitze-
dampferzeuger wie beim GUD-Kraftwerk geschaltet.

5.7.1.1 Allgemeines
Bei einem GUD-Kraftwerk (Gas und Dampf) werden die heißen Gasturbinen-
abgase in einem Abhitzekessel zur Dampferzeugung genutzt. Ist bei einem kon-
ventionellen DampfProzess die Temperatur des Dampfes auf 500-600°C be-
grenzt, so können bei der Gasturbine Eintrittstemperaturen über 1 100" C realisiert
werden. Die 400400°C heißen Abgase werden anschließend in einem Dampf-
Prozess genutzt.
Durch die höheren Prozesstemperaturen lässt sich der Wirkungsgrad bei der
Stromerzeugung im Vergleich zu einem Dampfprozess erheblich auf über 55%
steigern.
3 16 5 'Thermische Krafiwerke , Wärmepumpe

Gasturbinen werden i.d.R. mit den Edelbrennstoffen Erdgas oder leichtes Heizöl
betrieben.
GUD-Kraftwerke eignen sich sehr gut als Mittellast- und Spitzenlastkraftwerke,
da sie vergleichsweise schnell an- und abgefahren werden können und die Leis-
tung der Gasturbine schnell verändert werden kann. Bei günstigen Brenn-
stoffiosten lohnt sich auf Grund des hohen Wirkungsgrads auch der Betrieb im
Grundlastbereich.
Erhebliche Fortschritte in der Gasturbinentechnologie, der hohe Wirkungsgrad
bei der Stromerzeugung, kurze Bauzeiten und im Vergleich zu konventionellen
Kraftwerken geringe Investitionskosten haben zu einer weiten Verbreitung der
GUD-Kraftwerke geführt.

5.7.1.2 Technische Ausführung


Gasturbinen für GUD-Kraftwerke sind häufig mit einer Leitschaufelverstellung
für die ersten Schaufelreihen am Verdichtereintritt ausgestattet, um den Massen-
strom durch die Turbine zu variieren. Die Gasturbine wird zunächst mit reduzier-
tem Massenstrom betrieben, bis die zulässige Turbineneintrittstemperatur erreicht
ist. Bei einer weiteren Leistungssteigerung werden durch Veränderung des Mas-
senstroms die Eintrittstemperatur und damit auch die Austrittstemperatur konstant
gehalten. Dadurch wird bereits im Teillastgebiet ein hoher Wirkungsgrad des
nachgeschalteten Dampfprozesses erzielt.
Der Abhitzekessel wird meist mit mehreren Druckstufen ausgeführt. Damit
können die Temperaturdifferenzen zwischen der Abgastemperatur und der Tempe-
ratur im WasserIDampfkreislauf verringert werden, was eine Wirkungsgradver-
besserung bei der Stromerzeugung zur Folge hat. Durch eine Zwischenüber-
hitzung ist eine weitere Verbesserung des Wirkungsgrades des Dampfprozesses
möglich [5.2].
Abhitzekessel werden meist als Trommelkessel im Natur- oder Zwangumlauf
ausgeführt. Bei einer weiteren Steigerung der Eintritts- und Austrittstemperatur
der Gasturbine und den damit verbundenen überkritischen Zuständen ist der Ein-
satz eines Dampferzeugers mit Zwangdurchlauf erforderlich.
Bei einem GUD-Kraftwerk liefert die Gasturbine etwa 213 und die Dampfturbi-
ne entsprechend etwa 113 der elektrischen Leistung. Die Gasturbine und die
Dampfturbine sind häufig jeweils mit eincm cigcncn Generator ausgestattet
(„Mehrwellenanordnung"). Die Gasturbine und die Dampfturbine können auch
einen gemeinsamen Generator antreiben („Einwellenanordnung") [5.2]. Eine
Kupplung zwischen dem Generator und der Dampfturbine erlaubt dann, die bei-
den Maschinen nacheinander anzufahren, und kompensiert axiale Wellendehnun-
gen aufgrund von Temperaturänderungen der Turbinenwellen.
Abbildung 5.35 zeigt ein GUD-Kraftwerk mit drei Druckstufen und einfacher
Zwischenüberhitzung.
5.7 Kraftwerke mit kombiniertem Gas- und Dampfprozess 317

5.7.1.3 Betrieb
Die Dampfturbine wird meist im natürlichen Gleitdruck mit voll geöffneten Stell-
ventilen betrieben, um die Drosselverluste zu minimieren. Die elektrische Leis-
tung der Dampfturbine stellt sich dann entsprechend des Arbeitspunktes der Gas-
turbine ein. Bei Erreichen eines Mindestdruckes wird der Druck vor der
Dampfturbine durch Androsselung der Stellventile begrenzt, um einen weiteren
Druckabfall bei geringerer Dampfproduktion zu vermeiden. Hinsichtlich des Wir-
kungsgrades ist ein Betrieb im natürlichen Gleitdruck auch für eventuell vorhan-
dene Mitteldruck- und Niederdrucksysteme des Abhitzedampferzeugers optimal.
Auf Grund anderer Anforderungen werden diese Systeme häufig auch im Fest-
druckbetrieb gefahren.
Die Blockleistung wird durch Vorgabe eines Gasturbinenleistungssollwertes
eingestellt. Die Dampfiurbinenleistung stellt sich dann entsprechend der Dampf-
produktion ein.
Die Laständerungsgeschwindigkeit der Gasturbine wird dabei begrenzt, um eine
starke thermische Beanspruchung der Gasturbine, des Abhitzedampferzeugers
sowie der Dampfturbine mit einem damit verbundenen Lebensdauerverbrauch zu
vermeiden.
5.7.2 GUD- Kraftwerke mit Zusatzfeuerung im Abhitzekessel
Allgemein sind Abhitzekessel ohne Zusatzfeuerung für GUD-Kraftwerke zur
ausschließlichen Stromerzeugung am besten geeignet, da die Energie auf dem
höchsten Temperatumiveau in den Kreislauf eingeführt wird. Eine Zusatzfeuerung
wird deshalb in solchen Kraftwerken i.d.R. zur Abdeckung des Spitzenlastbedarfs
genutzt. Modeme Gasturbinen mit hohen Turbineneintrittstemperaturen haben
häufig bereits so hohe Austrittstemperaturen, dass der Einsatz einer Zusatzfeue-
mng nicht mehr zweckmäßig ist.
Für GUD-Kraftwerke, die neben der Stromerzeugung für Fernwärme oder Pro-
zessdampfauskopplung genutzt werden, gibt es weitere sinnvolle Einsatzmöglich-
keiten für Zusatzfeuerungen im Abhitzekessel. Beispielsweise kann bei Ausfall
der Gasturbine die Feuerung zusammen mit einem Frischluftgebläse genutzt wer-
den, um die Fernwärmeanlage oder Prozessdampfauskopplung weiter betreiben zu
können.

5.7.3 Verbundkraftwerke
Bei einem Verbundkraftwerk werden ein hinter einer Gasturbine geschalteter
Abhitzedampferzeuger und ein kohlebefeuerter Hauptdampferzeuger Wasser- und
dampfseitig gekoppelt.
Abbildung 5.36 zeigt eine mögliche Schaltung, bei der im hinter die Gasturbine
geschalteten Abhitzekessel Mitteldruckdampf erzeugt und zusätzlich ein Speise-
wasserteilstrom- und ein Kondensatteilstrom erwärmt wird. Für den Abhitzekessel
wird dabei das gleiche Verdampferprinzip wie für den Hauptdampferzeuger ein-
gesetzt.
5.7 Kraftwerke mit kombiniertem Gas- und Dainpfprozess 3 19

Der Kraftwerksblock kann mit hohem Wirkungsgrad auch ohne Gasturbine


betrieben werden. Beim gleichzeitigen Betrieb mit der Gasturbine wird der Ge-
samtwirkungsgrad des Kraftwerks verbessert. Allerdings müssen dazu Edelbrenn-
stoffe wie Erdgas oder Heizöl in der Gasturbine verfeuert werden.
Das Verhältnis von Gasturbinen- zu Dampfturbinenleistung ist etwa I zu 4.

5.7.4 Kombikraftwerk mit nachgeschaltetem atmosphärischem


Dampferzeuger
Kombikraftwerke mit nachgeschaltetem steinkohlebefeuertem Dampferzeuger
wurden verschiedentlich realisiert (Beispiel in Abb. 5.37). Für die Verbrennung
der Steinkohle mit üblichem Gehalt an flüchtigen Brennstoffen wird ein Gemisch
aus dem Abgas der Gasturbine und zusätzlicher Frischluft verwendet, um einen
ausreichenden Sauerstoffgehalt in der Verbrennungsluft zu erzielen [ S S ] .
Die Restabkühlung der Rauchgase erfolgt durch Speisewasservorwärmung, da
kein rauchgasbeheizter Luftvorwärmer benötigt wird.
Das Verhältnis von Gasturbinen- zu Dampfturbinenleistung beträgt 1 zu 4. Die
Gasturbine muss dabei entsprechend der Dampferzeugerleistung gefahren werden.

Abb. 5.37. Kombikraftwerk mit kohlebefeuertem Dampferzeuger nach 15.31

5.7.5 Kraftwerke mit Kohleumwandlung unter Druck


Statt der Edelbrennstoffe Erdgas und Heizöl kann auch Kohle als Brennstoff für
einen Gasturbinenprozess verwendet werden.
Abbildung 5.38 zeigt eine Übersicht über Kohleumwandlungsverfahren und
deren Einbindung in Kombiprozesse.
Bei der Kohledruckvergasung wird die Kohle unter Druck vergast. Die dabei
entstehende Abwärme wird zur Dampferzeugung genutzt und in den Damptkreis-
lauf des nachgeschalteten GUD-Prozesses eingespeist. Das gereinigte Kohlegas
320 5 Thermische Kraftwerke. Wärmepumpe

wird im Brenner der Gasturbine verbrannt, und die entspannten Abgase werden in
L

einem nachgeschalteten Abhitzedampferzeuger verwertet.


Bei gleichen Gasturbineneintrittstemperaturen wie bei erdgasbefeuerten GUD-
Kraftwerken ergeben sich Wirkungsgradverluste von rund 7-8%, bedingt durch
den erhöhten Eigenbedarf und die Umwandlungsverluste 15.11.
Die heißen Abgase der Druck-Kohlenstaubfeuerung werden in einer Gasturbine
entspannt. Die entspannten Rauchgase werden dann in einem Abhitzedampferzeu-
ger genutzt. Dieses Konzept bietet durch die direkte Nutzung der Kohlerauchgase
ein hohes Wirkungsgradpotential. Allerdings stellt die Reinigung der Rauchgase
für den Gasturbinenbetrieb das wesentliche Entwicklungsproblem dar, so dass ein
Erfolg dieses Konzeptes noch nicht abzusehen ist [5.3].
Bei der Druckwirbelschichtfeuerung wird Kohle in einem druckaufgeladenen
Dampferzeuger verbrannt. Die heißen Rauchgase werden in einer Gasturbine
entspannt; die entspannten Rauchgase dienen dann zur Kondensat- und Speise-
wasservorwärmung.

Kohle-
Druckvergasung 1
mit nachgeschaltetem
GUD-Pmzeß
(Kombi-Prozeßmit unbefeuertern
Abhilzedampferreuger)
Po,: PDT=1: 1

4 Gasreinlgung

feuemng

mit nachgeschaltetem
GUD-ProzeD
P„:P,=2:1

1 Druck-Kohlen-
staubfeuerung
i!P!Jb&
2 Ascheabscheidung
3 Alkaliahscheidung DENOX

feuerung

r n l druhaufgeladenem
Oampierzeuger im
Wasser-IDampfkreidauf
P,:Pm=1:4

1 Druck-Wirbelschichtfeue~ng
2 Ascheabscheidung

Abb. 5.38. Kohleumwandlungsverlahrcn und deren Einbindung in Kombi-Prozesse


nach [5.3]
5.7 Kraftwerkc mit kombiniertem Gas- und Damnfnrozess 32 1

5.7.6 Dynamisches Verhalten


Bei Kombiprozessen tragen sowohl die Gas- als auch die Dampfturbosätze zur
elektrischen Energieerzeugung bei. Als Beispiel sei die Blockregelung für ein GUD-
Kraftwerk mit zwei Gasturbinen und einer Dampfturbine aufgeführt. Hier wird die
elektrische Leistung des Kraftwerksblockes durch die Gasturbinen geregelt. Die
Dampfturbinenleistung stellt sich dabei entsprechend des Wärmeeintrags der Gas-
turbinen in die Abhitzekessel ein. Schnelle Laständerungen zur Primärfrequenz-
regelung werden dabei durch die Gasturbinen realisiert (Abb. 5.39).
Das prinzipielle Verhalten einer Gasturbine wird in Abschn. 1 1.1.3 beschrieben.
Der Zusammenhang zwischen der Wellenleistung der Gasturbine und des zugeführ-
ten Brennstoffmassenstroms kann dynamisch durch eine relativ kleine Zeitkonstante
in der Größenordnung von Ca. 2 s angenommen werden. Entsprechend der Leistung
der Gasturbine und der Umgebungsbedingungen stellen sich der Abgasmassenstrom
und die Austrittstemperatur der Gasturbine und damit der Wärmeeintrag in den
Abhitzedampferzeuger ein.
Im oberen Lastbereich wird die Austrittstemperatur der Gasturbine konstant
geregelt. Damit erfolgt eine Leistungsänderung der Gasturbine grundsätzlich durch
eine Veränderung des Massenstroms mit Hilfe der Verdichterleitschaufelverstellung.
Wird die Dampfturbine im natürlichen Gleitdruck oder im Festdruckbetrieb
gefahren, kann näherungsweise angenommen werden, dass die Dampfturbinen-
leistung sich im stationären Zustand proportional zur Gasturbinenleistung einstellt.
Änderungen der Gasturbinenleistung wirken sich mit einer Zeitverzögerung im
Minutenbereich auf die Dampfturbinenleistung aus.
Verfügt der Abhitzedampferzeuger über mehrere Druckstufen, so ergibt sich
durch die rauchgasseitige Kopplung der Systeme eine Abhängigkeit. Druck- oder
Dampfmassenstromänderungen im Hochdrucksystem beeinflussen z.B. das Verhal-
ten der anderen Druckstufen.

Abb. 5.39. Blockrcgclung cincs GUD-Kraftwerks


322 5 Thermische Kraftwerke, Wärmepumpe

5.8 Kraftwerksleittechnik

Die Kraftwerksleittechnik ist das Binde- und Kontrollglied zwischen den einzel-
nen Systemen eines Kraftwerks. Sie fuhrt Regelungs-, Steuerungs- und Schutz-
funktionen aus und ist das Interface zum Kraftwerksprozess, mit dem das Be-
triebspersonal vom Leitstand das Kraftwerk überwacht und bedient.
Mit der Zeit sind die Aufgaben der Kraftwerksleittechnik gewachsen: Die Au-
tomatisierung von An- und Abfahrvorgängen, die Überwachung von kritischen
Kraftwerkskomponenten sowie eine geeignete lnformationsverarbeitung und
-darstellung sorgen für eine Verbesserung der Anlagenverfugbarkeit und der An-
lagenwirtschaftlichkeit bei gleichzeitiger Entlastung des Betriebspersonals.

5.8.1 Entwicklung
Die Entwicklung der Leittechnik im Kraftwerk wurde durch die steigenden An-
forderungen sowie die zur Verfügung stehende Technologie beeinflusst.
Etwa bis 1950 wurden die Kraftwerkssysteme von dezentralen Steuerstellen ge-
fahren und vor Ort bedient und überwacht. Um Betriebspersonal einzusparen,
wurde die zentrale Blockwarte in den 50er-Jahren eingeführt.
Mit der Blockgröße nahm die Anzahl der Antriebe und Messstellen zu. Ein mo-
derner 800 MW-Kraftwerksblock verfügt beispielsweise über etwa 2500 Regel-
und Stellantriebe, 700 Antriebsmotoren für Gebläse und Pumpen sowie 6500
Messstellen.
Die früher verwendete 220-V-Steuerung hätte mit den zunehmenden Blockgrö-
ßen zu sehr großen Wartenräumen geführt. Deshalb wurde die Kompaktwarten-
technik mit einer 24-V-Steuerebene entwickelt.
Mit den größer werdenden Leistungseinheiten erhöhten sich auch die Anforde-
rungen in Richtung Sicherheit und Verfugbarkeit. Automatische Steuerungen und
Regelungen wurden dazu zunächst aus elektronischen Bausteinsystemen mit fest-
verdrahteter Programmierung aufgebaut. Durch die Weiterentwicklung der Mikro-
elektronik standen in den 1980er-Jahren leistungsfähige programmierbare Mikro-
prozessorsysteme für die verschiedenen Automatisierungsaufgaben zur Verfu-
gung.
Mehrkanalige Schutzsysteme und redundant ausgeführte Leittechniksystem-
komponenten erhöhen die Verfugbarkeit der Leittechnik und des Kraftwerks.
Die Entwicklung leistungsfähiger Rechnersysteme sowie die Erfillung erhöhter
Informationsbedürfnisse über den Betriebszustand und den Betriebsablauf führten
zur Entwicklung von Prozessinformationssystemen, die den Leitstandsfahrer bei
der Betriebsführung unterstützen.
Die konventionelle Wartentechnik mit Bedien- und Meldefeldern wurde durch
die Bildschirmbedienung ersetzt. Die Bildschirmbedienung gestattet eine auf den
jeweiligen Anwendungsfall zugeschnittene Prozessdarstellung und verfugt über
verbesserte Möglichkeiten der Informationsverdichtung und Informationspräsenta-
tion.
5.8 Kraftwerksleittechnik 323

Die Prozessfuhrung moderner Kraftwerksblöcke übernehmen heute wenige Leit-


standsfahrer. Dabei leitet der Leitstandsfahrer die automatisierten Anfahr- und
Abfahrvorgänge über automatische Programme ein. Handeingriffe sind nur bei
Störungen notwendig, die nicht durch automatische Funktionen abgefangen wer-
den. Hierbei wird der Leitstandsfahrer durch eine automatische Bedienerführung
unterstützt.

5.8.2 Aufbau
Abbildung 5.40 zeigt den Aufbau eines modernen Leittechniksystems, das die
Teilsysteme Automatisierung, Prozessfuhrung und -information, Projektierung
und Inbetriebnahme sowie Kommunikation (Bussystem) integriert.
Das Automatisierungssystem besteht aus Automatisierungsprozessoren und Ein-
und Ausgabebaugruppen für die Erfassung der Prozesssignale sowie der Ausgabe
von Signalen zur Ansteuerung der Antriebe. Die Automatisierungsprozessoren
verarbeiten die Prozessdaten, fuhren die verschiedenen Steuerungs-, Regelungs-
und Schutzaufgaben aus und geben verdichtete Werte und Meldungen an das
Prozessfuhrungs- und lnformationssystem weiter.

Bedienen und
Beobachten
3 -
Großbild- ---:---
Engineering

Verarbeiten
L Bussystem
Steuern und
Regeln Automatisierungs-

Signalaufbereitung
und Signalausgabe
b Eingabe1
Ausgabe
Prozessoren

Abb. 5.40. Aufbau eines modernen Leittechniksystems


Das Prozessfuhrungs- und lnformationssystem ist die Schnittstelle zwischen
dem Leitstandsfahrer und dem Kraftwerksprozess. Es besteht aus Verarbeitungs-
einheiten (Server) sowie Ein- und Ausgabeeinheiten (Operating Terminals).
Der Leitstandsfahrer erhält die Informationen aus Informations- und Bedien-
bildern, die speziell für das Überwachen, Eingreifen und Klären auf prozesstech-
nischer, anlagentechnischer und leittechnischer Ebene aufbereitet sind. Die Infor-
mation erfolgt hierarchisch von einer verdichteten Übersichtsdarstellung bis hin
zu Detaildarstellungen.
324 5 Thermische Kraftwerke, Wärmepumpe

Die Bedienbilder stellen den Kraftwerksprozess als ganzes sowie die prozess-
technischen Systeme im einzelnen dar. Dabei werden die aktuellen Messwerte
sowie die Zustände der Aktoren (Motoren, Ventile, Klappen) dargestellt. Der
Leitstandsfahrer bedient die Antriebe sowie die Steuerungen und Regelungen aus
Bedienfenstem, die in den entsprechenden Bedienbildern angezeigt werden.
Das Erreichen von bestimmten Prozesszuständen bzw. die Abweichung vom
Sollzustand wird durch Statusmeldungen und Alarme angezeigt. Die Meldungen
werden dabei zum einen zeitfolgerichtig in einem Meldeprotokoll für die Klärung
der Störungsursache sowie zugeordnet zu den entsprechend der prozesstechni-
schen Zusammenhänge gegliederten Bedienbilder für die Störungsbehebung und
Detailklärung dargestellt.
Zusätzliche Informationen kann der Leitstandsfahrer in Form von Kurvendar-
stellungen, spezieller Protokolle und Berechnungen abrufen. Störungen im Leit-
techniksystem können übersichtlich mit dem Diagnosesystem visualisiert werden.
Die Prozessdaten werden im System archiviert, um sie zur Analyse und Pro-
zessüberwachung auch langfristig nutzen zu können.
Die Projektierung und Inbetriebnahme der kraftwerksspezifischen Automatisie-
rungsfunktionen und Bedienbilder sowie die logische Adressierung der einzelnen
Leittechnikkomponenten erfolgt mit dem Engineeringsystem.
Das Bussystem übernimmt die Kommunikation zwischen den einzelnen Auto-
matisierungsprozessoren und den Verarbeitungseinheiten sowie zwischen den
Verarbeitungseinheiten und den einzelnen Bedienterminals.
Moderne Leitsysteme sind skalierbar aufgebaut, dass heißt die Anzahl der Be-
dienterminals, Server und Automatisierungssysteme richtet sich nach den anlagen-
spezifischen Anforderungen.

5.8.3 Ausblick
Gestiegene Anforderungen hinsichtlich der Verbesserung der Wirtschaftlichkeit
des Kraftwerksbetriebs infolge der Liberalisierung des Strommarktes sowie die
Fortschritte in der Technologie spiegeln sich in der modernen Kraftwerksleittech-
nik.
Für den wirtschaftlich optimalen Betrieb eines Kraftwerksblockes wird eine
Vielzahl von Prozessinformationen aus dem Leittechniksystem benötigt. Funktio-
nen für die wirtschaftliche Betriebsführung und für die wirtschaftliche Prozessfüh-
rung wachsen in integrierten Lösungen zusammen als Teil des Leittechniksystems
oder als Ergänzung zur Kraftwerksleittechnik.
Neue Technologien, wie beispielsweise die WEB-Technologie, ermöglichen es,
auf das Leittechniksystem des Kraftwerkes von einem normalen Büro-PC mit
entsprechender Autorisierung via lnternet oder Telefon-Modem zuzugreifen. Da-
mit eröffnen sich Möglichkeiten von der Femdiagnose bis hin zur Beobachtung
und Bedienung eines Kraftwerkes von einem anderen Ort.
Vermehrt werden „intelligente" Sensoren und Aktoren und Schaltanlagen über
Bussysteme (z. B. Profibus, Ethernet) in die Kraftwerksleittechnik eingebunden.
Damit werden die Diagnosemöglichkeiten in der zentralen Leittechnik verbessert.
5.9 Dic Wärmeoumoe 325

5.9 Die Wärmepumpe


Seit Ca. 140 Jahren sind technische Verfahren bekannt, Wärme mitttels Arbeit von
einem niedrigen auf ein höheres Temperaturniveau „hochzupumpen". Die Kälte-
maschine verwendet diese Verfahren seit langem: sie entzieht dem zu kühlenden
Objekt Wärme und pumpt diese auf eine leicht über der Umgebungstemperatur
liegende Temperatur hoch. Analog dazu entzieht die Wärmepumpe der Umgebung
Wärme und bringt sie auf eine für Heizungszwecke notwendige Temperatur.
Die Kältemaschine setzte sich rasch durch, da keine anderen Verfahren zur
Verfügung standen. Die Wärmepumpe als Heizsystem hingegen konnte mit der
konventionellen Heizung nicht konkurrieren. Pionieranlagen wurden zwar in den
30er-Jahren. vor allem in den USA und während des zweiten Weltkrieges wegen der
Kohleknappheit in der Schweizgebaut. Nach dem Krieg geriet aber die Wärmepumpe
wegen des einsetzenden Ö l - ~ o o m beinahe
s in Vergessenheit. Nur in den USA erlebte
sie in den 50er- und 6OerJahren eine Renaissance als Ganzjahres-Klimatisierungs-
gerät (ca. 300'000 bestehende Anlagen im Jahre 1963).
Als Folge der Erdölkrise von 1973 erwachte in der zweiten Hälfte der 70er-Jahre
das Interesse für die Wärmepumpe überall wieder, und diese begann sich progressiv
als alternatives Heizsystem durchzusetzen. In der Schweiz werden heute rund 3% der
Komfortwärme durch Wärmepumpen geliefert, die Zuwachsraten liegen bei 10%/a
und Ca. 50% der Neubauten werden mit Wärmepumpenheizungen ausgerüstet. Die
Gründe für diesen Boom werden im Folgenden erörtert.

5.9.1 Energiewirtschaftliche Bedeutung


Sowohl vom exergetischen Standpunkt aus, als auch was den energetischen Nut-
zungsgrad betrifft, besitzt die Wärmepumpe gegenüber anderen Heizverfahren
eindeutige Vorteile. Bezüglich Nachhaltigkeit ist sie bei weitem die beste Heizung.
Gegen ihren Einsatz sprachen bis jetzt die relativ hohen lnstallationskosten im
Vergleich mit einer Heizkesselanlage und die billigen fossilen Brennstoffe. Letzter
Nachteil dürfte in Zukunft immer mehr schwinden.

5.9.1.1 Exergetischer Vergleich


Die Wärmeenergie eines Mediums wird durch folgende Beziehung ausgedrückt
Q=c,mT [U
C,,, = mittlere spezifische Wärme [kJlkg,K]
m = Masse [kg]
T = absolute Temperatur [K] .
Die Wärmeenergie wird im (C„,m, T)-Diagramm durch ein Rechteck dargestellt (Abb.
5.4 1 ), worin bei Eintrag der Umgebungstemperatur Exergie- und Anergieanteile (Def.
in Anhang I, Abschn. 1.2.2) deutlich ersichtlich sind. Die Exergieanteile bei
326 5 Thermische Kraftwerke, Wärmepumpe

1000

500

"' Anergie
Abb. 5.41. Wärmeinhalt bei Verbrennungstemperaturund Niedertemperatur

Verbrennungstemperatur und bei Niedrigtemperaturanwendungen unterscheiden sich


sehr stark. Es lässt sich ferner erkennen, dass bei niedriger Temperatur eine größere
Masse oder eine größere spezifische Wärme notwendig ist, um die gleiche Wärme-
menge zu speichern.
In einer konventionellen Heizung (Abb. 5.42a) wird beim Übergang von A nach B
der große Exergieanteil des Brennstoffs nutzlos vernichtet. Die Verwendung von
Brennstoffen (die einen hohen potentiellen Exergieinhalt aufweisen) zur Produktion
von Niedertemperatunvärme ist thermodynamisch gesehen sehr verschwenderisch.
Fossile Brennstoffe sollten fur die Hochtemperaturanwendungen (industrielle Pro-
zesswärme) oder Erzeugung von Arbeit (Kraftwerke, Verbrennungsmotoren) reser-
viert werden.

Exergie T, = Verbrennungstemperatur
T, = Vorlauftemperatur der Heizung
T, = Umgebungstemperatur
1000
Nutzexergie
500

A B C

Verbrennung +
Wämeabgabe Wärmeübergang durch
an Heizwasser Heizkörper und Außenwände
Abb. 5.42. a) Wärmeinhalt, b) Energiefluss bei der konventionellen Heizung
A Energieinhalt des Brennstoffs, B dem Heizsystem zugeführte Wärme (Nutzenergie),
C Endzustand der Energie (reine Anergie)
5.9 Die Wärme~umve 327

Werden beispielsweise folgende Werte angenommen: T, = 1300 K, T,,= 340 K und


T „ = 280 K sowie einen Umwandlungswirkungsgrad bei Verbrennung und Wärme-
abgabe von q = 0.95, ergibt sich folgender exergetischer Wirkungsgrad:

s. dazu auch die Darstellung mit Energieflussdiagramm in Abb. 5.42b.


Ganz anders die Wärmepumpenheizung. Die analoge Darstellung in Abb. 5.43a zeigt,
dass nur jene Exergie in Form von Arbeit aufgewendet wird, die tatsächlich zur
Erreichung der Heimngsvorlauftemperatur notwendig ist. Die Anergie wird von der
Umgebung geliefert. Mit Bezug auf Abb. 5.43b ergeben sich z.B. folgende
charakteristische, thermodynamisch gesehen wesentlich günstigeren Kennzahlen

Nutzexergie = o.55
exergetischer Wirkungsgrad
= EIorgieauufand
Nutzenergie
'" - (5.39)
Arbeitszahl der Wdrmepumpe: ß = - 3 .
Arbeit

a) T, = Vorlauftemperatur der Heizung


T, = Umgebungsternperatur
Exergieaufwand
= Arbeit
400 - .. Nutzexergie
T"
300 - ...... ............ ........................-........................
+
200.-
Verluste ..
100.-

urngebungsanergie C

>- 54%

82%
Verluste irn
Umgebungs- Wärmepumpenprozess
Wärme

Abb. 5.43. a) Wärmerechteck, b) Energiefluss der Wärmepumpenheizung


328 5 Thermische Kraftwerke, Wärmepumpe

5.9.'1.2 Vergleich der Energie-Nutzungsgrade


Um den Energie-Nutzungsgrad zu beurteilen, müssen Annahmen über den Ursprung
des für den Betrieb der Wärmepumpe nötigen Arbeitsaufivands getroffen werden. Der
Nutzungsgrad ist definiert als

Im Fall der konventionellen Heizung ist der Nutzungsgrad immer < 100% (in Abb.
5.42 z.B. 95%). Im Fall der Wärmepumpe sind hingegen Nutzungsgrade die
wesentlich größer sind als 100% die Regel. Dazu einige Beispiele.
- Die elektrische Antriebsenergie stammt aus einem Wasserkraftwerk, das mit einem
Wirkungsgrad von 85% arbeitet. Aus Abb. 5.43b ergibt sich das Flussdiagramm
von Abb. 5.44 mit einem Nutzungsgrad von Ca. 250%.

54%

Umgebungs- Wärmepumpenprozess
Wärme

Abb. 5.44. Nutzungsgrad der Wärmepumpenheizung mit Energie aus Wasserkraft

- Die Antriebsenergie stammt aus einem thermischen Kraftwerk mit einem


Wirkungsgrad von 35%. Es folgt Abb. 5.45 mit einem Nutzungsgrad von 105%.
Werden noch die Übertragungsverluste im Netz berücksichtigt , ergibt sich kein
nennenswerter Vorteil gegenüber der Kesselheizung.

Wärme

Abb. 5.45. Nutzungsgrad mit Energie aus thermischem Kraftwerk


5.9 Die Wärmeoum~e 329

- Die Wärmepumpe wird zusammen mit einer Wärme-Kraft-Kopplungsanlage


betrieben. Interessant ist vor allem der Fall des Stromgleichgewichts, bei dem die
WKK-Anlage genau so viel Strom erzeugt, wie zum Antrieb der Wärmepumpe
notwendig ist. Angenommen die WKK-Anlage oder das Blockheizkraftwerk weise
einen Gesamtwirkungsgrad von 90% auf und erzeuge dabei 35% elektrischen
Strom, ergibt sich die in Abb. 5.46 dargestellte Situation mit einem Nutzungsgrad
von 160%.

Nutzwärme

Umgebungs-
Wärme qnutz= (28% + 54%) / 51 % = 160%

Abb. 5.46. Nutzungsgrad von Wärmepumpe + WKK-Anlage im Stromgleichgewicht

- An Stelle der WKK-Anlage kann auch ein Kombikraftwerk eingesetzt werden. Da


dieses einen wesentlich höheren elektrischen Wirkungsgrad von z. B. 60% ohne
und 48% mit Wärmenutzung (s. Abschn. 5.4.3) aufweist, folgen für die beiden
Fälle die Nutzungsgrade der Abb. 5.47 und 5.48.

12%

30%

Wärmepumpenprozess
Umgebungs-
Wärme rlnUk = 54% 1 30% = 180%
Abb. 5.47. Nutzungsgrad von Wärmepumpe + Kombikraftwerk ohne Wärmenutzung
330 5 Thermische Kraftwerke, Wärmepumpe

U Wärmepumpenprozess
Umgebungs-
Wärme rl„,, = (74% + 54%) /38% = 180%

Abb. 5.48: Nutzungsgrad von Wärmepumpe + Kombikraftwerk mit Wärmenutzung über


ein Fernwärmenetz

In beiden Fällen werden theoretisch Nutzungsgrade von 180% erreicht, die sich
jedoch noch leicht reduzieren, da Kombikraftwerk und Wärmepumpe i.d.R. nicht am
selben Ort aufgestellt sind und Netzverluste bei der Übertragung der elektrischen
Energie hinzuzurechnen sind.
Diese Beispiele zeigen, dass zur Verbesserung des Nutzungsgrades der Energie zwei
Vorkehrungen besonders wirksam sind: Die Verbesserung des elektrischen Wir-
kungsgrades der Elektrizitätsproduktion und die Verbesserung der Arbeitszahl der
Wärmepumpe. Zum letzten Punkt s. Abschn. 5.9.2. Weitere Analysen zu diesem
Thema sind z.B. in [5.19] zu finden.

Schlussfolgerungen
Den höchsten Energie-Nutzungsgrad wird mit der Kombination Wasserkraftwerk-
Wärmepumpe (z.B. Kleinwasserkraftwerk-Wärmepumpe)erreicht, die zugleich eine
sehr nachhaltige Lösung darstellt, da CO,-frei.
Die Kombination der Wärmepumpe mit konventionellen thermischen Kraftwerken ist
sinnlos, wenn diese mit fossiler Energie betrieben werden. Im Fall nuklearer Energie
oder von Biomasse ist zwar der Nutzungsgrad nicht höher als der einer konventionel-
len Kesselheizung, aber die produzierte Wärme CO,-frei und der Beitrag zur
Nachhaltigkeit deshalb beträchtlich.
Die Kombination der Wärmepumpe mit Blockheizkraftwerken und vor allem mit
Kombikraftwerken weist Energie-Nutzungsgrade deutlich über 150% auf und bietet
deshalb, auch wenn sie nicht CO,-frei ist, ein erhebliches CO,-Sparpotential (dies
aber nur f i r Länder mit starker Elekirizitätsproduktion aus fossiler Energie). Dies gilt
auch f i r die Kombination mit Brennstofzellen (Kap. 8).
5.9 Die Wärmeouinne 33 1

Die Analyse erlaubt, aus energiewirtschaftlich-ökologischer Sicht folgende Thesen


aufzustellen:
- Kesselheizungen (mit Oel oder Gas befeuert) sollten soweit als möglich durch die
Wärmepumpen ersetzt werden. Deren Elektrizitätsbedarf soll, wenn nötig, durch
Kombikraftwerke oder Blockheizkraftwerke im Stromgleichgewicht gedeckt
werden.
- Eine Stromproduktion der Kombikraftwerke jenseits des Wärmepumpenbedarfs
kann zur Deckung steigender Stromnachfrage in Ländern mit Elektrizitäts-
produktion überwiegend aus fossilen Brennstoffen durchaus sinnvoll sein, nicht
aber als Ersatz von Strom nuklearer Herkunft.

5.9.2 Prinzip und Aufbau


Eine Kompressionswärmepumpe (wir beschränken uns hier auf diese Variante)
besteht im einfachsten Falle aus vier Grundelementen, wie in Abb. 5.49 dargestellt.
Die von der Umgebung (Wärmequelle) aufgenommene Wärmemenge Q, lässt im
Verdampjer das vorwiegend flüssig eintretende Kaltemittel verdampfen. Der trockene
Dampf wird im Kompressor mit dem Arbeitsaufwand Wauf einen höheren Druck und
eine höhere Temperatur gebracht. Die Summe beider Energien (Q, +W), abzüglich
die Verluste, wird im Kondensator dem Heizungssystem übertragen (Wärmemenge
Q,). Das Kältemittel kondensiert dabei auf hohem Druck- und Temperaturniveau.
Durch ein Drosselventil wird schließlich das Kältemittel entspannt und dem
Verdampfer wieder zugeführt [5.7].

5.9.2.1 Der idealisierte Kreisprozess


Berechnungen basieren aufdem in Abb. 5.50 dargestellten idealisierten Kreisprozess.
Abweichungen werden mit entsprechenden Wirkungsgraden berücksichtigt. Es ist
üblich, den Kreisprozess in der (h, log p)-Ebene darzustellen. Die idealisierten
Vorgänge in den vier Grundelementen seien kurz betrachtet.

Verdampfer I
D
- 1

C
- J 1 Kondensator
Drosselventil
Abb. 5.49. Prinzipschaltbild der Kompressionswärmepu~npe
332 5 Thermische Kraftwerke, Wärmepumpe

Abb. 5.50. Kreisprozess der Kompressionswärmcpumpe


a) in der (X, T)-Ebene, h) in der (h, 1ogp)-Ebene
ABCD = idealisierter Kreisprozess, AB*C*D* = realer Kreisprozess

Verdampfer D -> A
Der Vorgang wird als isobar angenommen (p =P,). Da er sich im Nassdampfbe-reich
des Kältemittels abspielt, ist T = konst. = T,. Aus Anhang I, GI. (1.23) folgt, da W =
0
Ah = h, - h, = , (5.41)

worin q„, die vom Kältemittel aufgenommene spezifische Wärmeleistung darstellt.

Kompressor A -> B
Der Vorgang wird als reversibel und adiabat angenommen. Damit ist er auch isentrop
(s = konst., q = 0). Aus G1 (1.26) folgt
Ah = h, - h, = W[,, , (5.42)
worin W „ die dem Kältemittel übertragene theoretische Kompressionsarbeit darstellt.

Kondensator B -> C
Der Vorgang sei isobar O, = p , ) und verlustlos. Die Temperatur ist am Anfang T„
nimmt im ersten Teilstück des Kondensators ab und bleibt dann nach Erreichen der
Taulinie konstant (T = T,). Da W = 0, folgt aus G1. (1.23)
A h = hC - h B = - qlth ' (5.43)
worin q„, die theoretisch vom Kältemittel abgegebene Leistung darstellt.

Drosselventil C -> D
Der Vorgang sei adiabat. Da W = 0 und q = 0, folgt aus GI. ( 1.26)
Ah=O, --> h,=hc, (5.44)
der Vorgang ist isoenthalpisch (s. auch Abschn. 1.3.4).
5.9 Die Wärmepumpe 333

Durch Einführung des Kältemittelstroms m folgen aus den spezifischen Energien die
absoluten Leistungen, z.B. Q [kJls] = m [kgls] . q [kJlkg]. Man definiert:

Kälteleistung: Qzlh = m q2rh = m (hA-hD)


theoret. Antriebsleistung: Prh = m wa = m (hB- hA) . (5.45)
theoret. Heizleistung Qith = m qM = m (hB-hc)

Es folgt, da h„ = h,.
Qith = Qzrh + 'rh . (5.46)
Als Leistungsziffer wird das Verhältnis von Heizleistung zu aufgenommener
Antriebsleistung bezeichnet. Der idealisierte Prozess hat die Leistungsziffer

5.9.2.2 Der reale Kreisprozess


Die wichtigsten Abweichungen vom idealisierten Kreisprozess können folgenderma-
ßen berücksichtigt werden:
a) Der Kompressionsvorgang ist nicht reversibel. Die aufzuwendende Arbeit ist auf
Grund der Reibungsverluste größer:

P = -P , , q i = isentroper Wirkungsgrad (5.48)


qi
Die Reibungsverluste erhöhen auch die verfügbare Heizenergie. Insbesondere ist
zu beachten, dass die effektive maximale Temperatur T,* wesentlich über der
theoretischen T, liegt, wie aus Abb. 5.50a deutlich zu sehen ist.
b) Die Vorgänge sind nicht adiabat. Es entstehen also Wärmeverluste, vor allem
dort, wo die Temperatur hoch ist, d.h. im Kompressor, im Kondensator und in
den Zuleitungen zum Kondensator. Es ergibt sich das Flussdiagramm Abb. 5.5 1.
Diese Verluste werden mit dem thermometrischen Wirkungsgrad q, berücks-
ichtigt. Die effektive Heizleistung ist somit

mit Q 2 = m ( h A - h D * ) , QD=mhD*.

C) Ferner ist zu berücksichtigen, dass sich die elektrische Leistung P„ die vom Netz
bezogen wird, um die mechanischen und elektrischen Verluste des Antriebs
erhöht sowie um den Leistungsbedarf von Hilfsantrieben (z.B.Ventilator für
Verdampfer, bei Lufi als Wärmequelle). Dies kann mit dem mechanischen und
elektrischen Wirkungsgrad Y, bzw. q, berücksichtigt werden:
334 5 Thermische Kraftwerke, Wärmepumpe

d) Ferner besteht die Möglichkeit, durch Unterkühlung des Kältemittels von Cnach
C* vor der Entspannung die Wärmeaufnahme im Verdampfer bzw. Wärme-
abgabe im Kondensator zu erhöhen und so die Leistungsziffer zu ver-bessern.
Der reale Kreisprozess unterscheidet sich vom idealen außerdem noch in einigen
Punkten:
- Auf Grund von Druckverlusten druck- und saugseitig sind die Vorgänge im
Nassdampfbereich nicht exakt isobar.
- Wegen Wärmeaufnahe ist der Vorgang im Drosselventil nicht exakt iso-
enthalpisch.
- Das Kältemittel wird vor der Verdichtung überhitzt (Punkt A in Abb. 5.50b
verschiebt sich leicht nach rechts), damit keine Flüssigkeit angesaugt wird, die
den Verdichter beschädigen könnte.

Kompressor Konc

Verdampfer
m hD* = QD
7

A -
Drosselventil

Abb. 5.51. Leistungsflussdiagrarnm der Wärmepumpe, Anergie und Exergie


Pv = (1 - i i m i i e ) P u Qvcp + Qwd = <Qi + Qd(1 - iidfii~
5.9.2.3 Leistungsziffer und Arbeitszahl
Aus den Gln. (5.45)-(5.50) folgt für die Leistungsziffer des realen Prozesses

worin E„* die Leistungsziffer des idealen Prozesses ABC*D* darstellt (h,* = h,*)

Im Anhang Vlll sind die (h, log P)-Diagramme einiger Kältemittel gegeben.

Die Leistungsziffeer entspricht dem Verhältnis zwischen Heizleistung und Antriebs-


leistung in einem bestimmten Betriebszustand; sie hängt von den Betriebsbedingun-
gen und insbesondere von den Momentanwerten der Temperaluren ab. Die
Arbeitszahl ist die entsprechende Integralgröße. Sie stellt das Verhältnis von
Heizenergie zur eingesetzten Antriebsenergie (in der Regel elektrische Energie)
während einer bestimmten Betriebszeit dar (z. B. als Jahresarbeitszahl) und
charakterisiert somit besser die energetische Effizienz der Wärmepumpenanlage.

Beispiel 5.3
Eine Wärmepumpe wird mit dem Kältemittel R 407C betrieben (Diagramm in
Anhang VIII). Sie arbeitet zwischen den Temperaturen 0°C und 50°C. Die Wirkungs-
grade sind: q, = 0.8, q, = 0.95, q„ = 0.9, q, = 0.85. Man berechne die Leistungs-
ziffer.
Aus dem (h,log P)-Diagramm folgt ohne Unterkühlung E„* = E„, = 4.63. Aus GI.
(5.5 I ) erhält man

Mit Unterkühlung lässt sich die Leistungsziffer erheblich um bis zu 30% steigern und
somit eine Leistungsziffer bis gegen 3.4 erreichen.

5.9.3 Einsatz
Die Anwendungen der Wärmepumpe sind vielfältig. Neben der Wohnrauniheizung
seien erwähnt: Hallen- und Freischwimmbadheizung (evtl. auch in Kombination mit
Einhalte), Raumklimatisierung und Wärmerückgewinnung (z.B. in größeren
Gebäuden), industrielle Vorgänge, wie Trocknung und Destillation. Grundsätzlich
kann dieselbe Wärmepumpenanlage sowohl als Heiz- als auch als Kühlanlage
funktionieren, z.B. durch Umkehrung des Arbeitsstoffkreislaufs mittels Ventilen.
Im Folgenden beschränken wir uns auf die Besprechung der Wohnraumheizung.
336 5 Thermische Kraftwerke, Wärmepumpe

Die Kenngrößen und die Wirtschaftlichkeit der Wärmepumpenheizung werden in


erster Linie von folgenden Faktoren bestimmt:
- Klimatische Verhältnisse.
- Art und Bemessung der Wärmeverteilungsanlage.
- Art der Wärmequelle.
- Betriebsweise der Wärmepumpe.
Im Folgenden sei nur auf die klimatische Verhältnisse und die Bemessung der
Wärmeverteilungsanlage näher eingegangen und für die anderen Aspekte auf die
umfangreiche einschlägige Fachliteratur verwiesen.
5.9.3.1 Verlauf der Außentemperatur
Ausgangspunkt eines jeden Heizungsprojekts ist die Kenntnis des Verlaufs der
Außentemperaturen. Im allgemeinen wird von der Jahresdauerlinie (Summenhäufig-
keit) der mittleren Tagestemperaturen ausgegangen (Abb. 5.52).
Da die notwendige Heizleistung proportional zur Differenz (6, 6,) zwischen der
-

gewünschten Innentemperatur 6, und der Außentemperatur 6, ist, ergibt die


schraffierte Fläche von Abb. 5.52a die Jahres-Heizenergie. Die Möglichkeiten fur den
Betrieb der Wärmepumpe können aus diesem Diagramm herausgelesen werden:
A) Monovalenter Betrieb
Die Wärmepumpenanlage (WP-Anlage) wird für die maximale Heizleistung (prop.
6, 6„,i,,) ausgelegt.
-

B) Bivalenter Alternativbetrieb
Da die maximale Leistung nur wenige Tage im Jahr dauert, wird oft ein bivalenter
Betrieb Vorteile bieten. Die WP-Anlage wird dann für die Temperatur 6, dimensio-
niert (d.h. für eine Heizleistung prop. 6, 6,). Unterhalb dieser Temperatur wird die
-

WP abgeschaltet und die Heizung von einem alternativen System übernommen. Wird

Abb. 5.52. a) Dauerlinie, b) Häufigkeit der mittleren Tagestemperaturen


5.9 Die Wärmepumpe 337

dadurch die Leistung z.B. halbiert, werden trotzdem vielleicht noch 70% der
Jahresenergie von der WP-Anlage geliefert (schraffierte Fläche rechts von der Linie
B, Abb. 5.52a).
C) Bivalenter Parallelbetrieb
Die WP-Anlage wird wieder fur die Temperatur 6, dimensioniert, jedoch auch
unterhalb dieser Temperatur betrieben und liefert somit vielleicht 90% der Jahres-
energie (schraffierte Fläche oberhalb der Linie C, Abb. 5.52a). Die Zusatzheizung
wird für die restliche Spitzenleistung dimensioniert.
Für die Berechnung der Jahresenergie wird von der Häufigkeit W der mittleren
Außentemperaturen ausgegangen (Abb. 5.52b). Die Summenhäufigkeit d ist das
Integral der Häufigkeit W . Es gelten die Beziehungen

5.9.3.2 Art und Bemessung der Wärmeverteilungsanlage


Die Wärmeverteilung kann als einfacher Wärmetauscher betrachtet werden (Abb.
5.53). Der Heizwärmebedarf ist

Der Wärmeaustausch der Heizkörper ist stationär

worin A6, die mittlere Übertemperatur des Heizkörpers beschreibt, deren Verlauf als
logarithmisch angenommen wird

/
/ A

ev 4 3,
KH 9 a

C=> QYH C=> QSH


Aoa
8, Si
Raumtemperatur i'
+
Abb. 5.53. Schema der Wärmeverteilung, 8" Vorlauftemperatur, fiR Rücklauftemperatur,
Innentemperatur, 8" Aussentemperatur, A Oberfläche, K Wärmedämmung des
Gebäudes, A, Austauschfläche, K, Wärmedurchgangszahlder Heizkörper
338 5 Thermische Kraftwerke. Wärme~unme

Für das Heizwasser mit Wasserfluss m', gilt schließlich


I
Q; = mH ,C AOH . (5.58)
Ausgehend von den bekannten Größen 6, und 6,, lassen sich aus den Gln. (5.55)
-(5.58) der Reihe nach Qh, A6,, A6,, A6, und somit 6, und 6, bestimmen.
Die Jahresenergie pro Grad Celsius kann mit der Häufigkeit W (Abb. 5.52) berechnet
werden

EH = QLW 8760 1 h
[kW- -
"Ca
=
kWh
a C
Abbildung 5.54 zeigt Q',, und 6, sowie die Energie E, als Funktion der Außen-
temperatur 6,. Die Fläche unterhalb der Kurve E,, stellt die Jahresheizenergie dar.
Je niedriger die Vorlauftemperatur 6, ist, desto niedriger wird die Verflüssigungs-
temperatur im Kondensator sein und desto höher also die Leistungszahl der
Wärmepumpe. Niedertemperaturheizungen (Fußbodenheizung, Luftheizung) sind
deshalb besonders vorteilhaft bei Wärmepumpeneinsatz. Die höhere Leistungszahl
wirkt sich auf die Wirtschaftlichkeit doppelt günstig aus: der Verdichter wird kleiner,
und der Exergieaufwand verringert sich.
Bemerkung: Die gefundene Beziehung zwischen Q',,, 6, und 6, ist nur im Mittel und
stationär gültig, weil:
- die Wärmedurchgangszahl K von Wind und Sonneneinstrahlung beeinflusst wird,
also je nach Witterung beträchtlich ändern kann bei gleichbleibender Außen-
temperatur,
- das Wärmespeichervermögen des Gebäudes eine Verzögerung des Wärmebedarfs
gegenüber der Temperaturdifferenz mit sich bringt.
Obige Beziehungen sind für die Bemessung der Heizung normalerweise trotzdem
genügend. Bei Betriebsoptimierungsrechnungen ist hingegen das Speichervermögen
mit Hilfe eines exakteren dynamischen Modells zu berücksichtigen.

Abb. 5.54. Wärmeleistungsbedarf, Vorlauftemperatur und Jahresenergiebedarf in


Abhängigkeit von der Außentemperatur
TEIL III Alternative
Stromerzeugung

Dieser Teil behandelt in vier Kapiteln folgende Energietechniken: Windenergie


(Kap.6), Photovoltaik (Kap. 7), Brennstoffzellen (Kap. 8) und Kernfusion (Kap. 9).
Diese Energietechniken könnten im Laufe dieses Jahrhunderts die Energiewirtschaft
revolutionieren.
Wird die Wasserkraft ausgeklammert (Anteil 16%), werden heute weltweit nur Ca.
2% der Elektrizität aus erneuerbaren Energien erzeugt (Abschn. 3.2). In Zukunft
dürften aus den in Abschn. 1.6 und 1.7 erwähnten Gründen neben Biomasse und
Abfallverwertung Windenergie und Photovoltaik einen wesentlich größeren Anteil
beisteuern, weshalb die entsprechenden Techniken in den Kap. 6 und 7 näher
besprochen werden. Als Einführung dazu dient Abschn 1.2, dessen Kenntnis hier
vorausgesetzt wird. Vor allem die Windenergie weist in den letzten Jahren weltweit
und besonders in Europa sehr starke Zuwachsraten auf, da sie bei guten Windverhält-
nissen wirtschaftlich mit konventionellen Energien konkurrieren kann.
Die solarthermische Elektrizitätsproduktion, die abgesehen von Flachspiegel-
anlagen (Heliostaten) und Strahlungsempfängern (Abschn 1.2.3.5) eine im Wesentli-
chen konventionelle thermische Kraftwerktechnik darstellt, hat vor allem in den
Mittelmeer- und nordafiikanischen Ländern (um nur die europanahen zu nennen) eine
vielversprechende Zukunft.
Eine weitere interessante Technik stellen die Aufiindkraftwerke dar [6.2].Die von
Solarkollektoren erhitzte Luft wird in ein hohes Kamin geleitet. Die starken Aufwinde
treiben eine Windturbine an. Es handelt sich also um ein Windkraftwerk, das von
einem mit Hilfe von Solarenergie künstlich erzeugten Wind angetrieben wird. Eine
Protoiypanlage ist in Australien für 2010 geplant, wobei die Turmhöhe 1000 m
erreichen soll.
Ebenso wird die Möglichkeit geprüft Wellenenergie und Meeresstromungsenergie
nutzbar zu machen, z. B. in Kombination mit Gezeitenkraftwerken und Offshore-
Windenergieanlagen. Die Technik der Nutzung der Meeresströmungsenergie ist
ähnlich derjenigen der Windenergienutzung [6.9], [6.11].
Brennstoffiellen erlauben aus Erdgas und Wasserstoff, Elektrizität mit höheren
Wirkungsgraden zu erzeugen als konventionelle Kombianlagen. Neben ihrer
vorrangigen Bedeutung für mobile Anwendungen könnten sie mittel- und langfristig
auch für die Elektrizitätsproduktion bedeutend werden (Kap. 8).
Der kommerzielle Einsatz der Kernfusion sollte schließlich in der zweiten Hälfte
des begonnenen Jahrhunderts möglich werden. Der Stand der Forschung auf diesem
Gebiet und deren Aussichten werden in Kap. 9 besprochen.
6 Wind kraftwerke

Das Potential der Windenergie und die Voraussetzungen fur eine wirtschaftliche
Nutzung wurden bereits in Abschn. 1.2.3 kurz erörtert. Im Folgenden werden die
technischen und wirtschaftlichen Aspekte der Windenergienutzung näher behandelt.

6.1 Die kinetische Energie des Windes


6.1 .ITheoretische Windleistung
Eine Luftmasse m, die sich mit der Geschwindigkeit V , bewegt, enthält die kinetische
Energie
1 2
- m V, [kg ( q 2 = J] . (6.1)
2 S

Einem Querschnitt A , durch den pro s die Luftmasse m'mit Dichte p und Geschwin-
digkeit V , hindurchzieht

kann folgende theoretische Windleistung zugeordnet werden

Die theoretische Windleistung steigt mit der dritten Potenz der Windgeschwindigkeit
an, welche die Wirtschaftlichkeit entsprechend stark mitbestimmt.
Ein weiterer Parameter ist die Luftdichte. Diese beträgt für Trockenluft bei
Normaldruck (1013 mbar) und 0°C: 1.292 kg/m3 . Druck und Temperatureinfluss
lassen sich durch die Beziehung

J
mit R = 287.1 - (6.4)
kg K

erfassen. Zu beachten ist ferner, dass der Druck mit der Höhe nach der barometri-
schen Formel ändert (p, bei 20°C):
h-h,
a T m (6.5)
P =Poe mit a = 29.27 -
K
.
6.1.2 Windgeschwindigkeit
Die Beziehung zwischen Windstärke und Windgeschwindigkeit kann der nachfolgen-
den Tabelle 6.1 entnommen werden.
Jahresmittel der Windgeschwindigkeit, die über 5 rnls liegen, kommen i.d.R. nur
in Küstenregionen oder auf freistehenden Berggipfeln vor. Zu beachten ist jedoch,
dass das Mittel allein, wegen V , ' (GI. 6.3) noch keine direkte Aussage über den
Energieinhalt ermöglicht. Die Windgeschwindigkeit ändert außerdem auf Grund der
Bodenreibung mit der Höhe nach der Formel
v =
- h
(-F, a=O.16 (Meer)
V. ho
. (6.6)
wobei ( a = 0.17..0.2 (Ebene ohne Hindernisse)
Bei Hindernissen kann a wesentlich höhere Werte annehmen. Eine nicht ebene
Topographie kann außerdem starke lokale Unterschiede bewirken und das Höhen-
profil des Windes verändern. Der Standortwahl einer Windenergieanlage kommt
deshalb große Bedeutung zu.
Beispiel 6.1

Tabelle 6.1. Windstärke und Windgeschwindigkeit [6.4]

Windstärke Windgeschwindigkeit Wirkung des Winds


nach Beaufort
m/s Knoten
0 still 0 ... 0,2 o... 1 Rauch steht senkrecht
1 sehr leicht O,3... 1,5 l... 3 Rauch steht schräg
2 leicht l,6 ... 3,3 4... 7 Luftzug eben fühlbar
3 schwach 3,4... 5,4 8...11 Blattbewegung an Bäumen
4 mäßig 5,5... 7,9 12... 15 Zweigbewegung an Bäumen
5 irisch 8 ...lO,7 I6 ...21 Astbewegung an Bäumen
6 stark 10,s...13,s 22 ...27 Heulen des Winds
7 slcif l3,9 ...l7,l 28 ...33 Baumbewegung, überstürzende Wellen
8 stürmisch 17,2...2O,7 34 ...40 Stämme biegcn sich, Gchen schwcr
9 Sturm 20,8.. .24,4 41.. .47 Dachziegel fallen
10 schwerer Sturm 24,5 ...28,4 48 ...55 Bäume fallen um
11 orkanartiger Stuirm 28,s.. .32,6 56...63 zerstörende Wirkung schwerer Art
12 Orkan 32,7...36,9 64 ...71 Mauern stürzen um, allg. Verwüstung

Man berechne die theoretische Leistung pro m2 Fläche für V , = 4 rnls und 7 mls sowie
die entsprechende theoretische Leistung bei konstantem Wind
a) für 0 m ü. M bei Normaldruck und 20"C,
b) auf 2000 m Höhe beim entsprechendem Druck und 10°C (in % von a)),
C) angenommen, obige Geschwindigkeitswerte gelten für eine Höhe von 10 m über
dem Boden, wie verändert sich in % die Leistung, wenn die Windturbine 20 m
über dem Boden installiert wird? (Boden ohne Hindernisse).
6.1 Die kinetische Energie des Windes 343

1 W
4mls: Po = - 1.205 43 = 38.6 -
m2
e = 1.292 = 1.205-kg ( 2
293 m3 7mls: P,, = 1 1.205 7'
- = 207 W
2 m
b)

Die Leistung wird um nahezu 19% reduziert.

Die Leistung erhöht sich um 42-52% !

6.1.3 Energieangebot
Um das potentielle Windenergieangebot eines Ortes evaluieren zu können, müssen
langjährige Messungen vorliegen bzw. mit Anemometern über längere Zeit Messun-
gen durchgeführt werden. Die Messresultate können in Form einer Dauerlinie (Abb.
6.1) dargestellt werden. Die Dauerlinie gibt an, während wie viel Stunden h, in der
betrachteten Periode eine bestimmte Windgeschwindigkeit V, erreicht oder über-
schritten wird. Aus der Dauerlinie des Windes kann mit GI. (6.1) die Dauerlinie der
theoretischen Leistung und daraus, bei Berücksichtigung dcr Bctriebsgrenzen und des
Wirkungsgrads des Windrads, das effektive Energieangebot ermittelt werden.
Die Erfahrung zeigt, dass die Arbeit mit 10 min Mittelwerten eine gute Grundlage für
die Auslegungder Windanlage bildet. Über den Einfluss der überlagerten Windturbu-
lenzen s. (6.71.

Abb. 6.1. Dauerlinie des Windes (10 min Mittelwerte)


6.1-4 Die Weibull-Verteilung
Die Analyse von Windstatistiken hat gezeigt, dass in sehr vielen Fällen die Windver-
teilung mit genügender Näherung durch die Weibull-Verteilung beschrieben werden
kann. Diese ist durch folgende Summenhäufigkeit (Dauerlinie) definiert

Die Verteilung ist somit durch zwei Parameter gegeben:


C : Lageparameter (proportional zur mittleren Geschwindigkeit)
k: Streuungsparameter
Die Windhäufigkeit ergibt sich durch Ableitung der Summenhäufigkeit

und wird allgemein von Abb. 6.2 dargestellt. Aus Lage- und Streuungsparameter
lassen sich folgende Größen ermitteln
1
mittlere Windgeschwindigkeit V,,, = C r(1+ i )
3
r(1+-I
k (6.9)
Energiefaktor K, = . 9

Abb. 6.2. Weibull-Windhäufigkeit


6.1 Die kinetische Energie des Windes 345

worin

die im Anhang V1 ausgewertete Gammafunktion darstellt.


Der Energiefaktor K,: gibt das Verhältnis zwischen Windenergieangebot bei
variabler und Angebot bei konstanter mittlerer Windgeschwindigkeit. Das theoreti-
sche Windenergiepotential eines Ortes ist dann

Zur Berechnung dieses Potentials werden zuerst aus den Messwerten die Parameter
c und k ermittelt. Dazu wird die GI. (6.7) durch doppelte Logarithmierung folgen-
dermaßen geschrieben

und die Messwerte In In (l/S(v)) in Funktion von In V aufgetragen (Abb. 6.3). Liegen
die Messwerte im Bereich S(v) = 1%-70% auf einer Geraden, so ist die Annahme
einer Weibull-Verteilung gerechtfertigt. Die Gerade liefert k als Steigungsmaß und
c als Schnittpunkt mit der Abszisse.
Aus c und k folgen mit Hilfe der Gammafunktion mit GI. (6.9) die mittlere Wind-
geschwindigkeit und der Energiefaktor. Die beiden Größen sind in Anhang V1 in
Funktion von k dargestellt. Die Luftdichte ergibt sich aus Druck und Temperatur (Gln.
(6.4) und (6.5)) und das Windenergiepotential schließlich aus G1. (6.1 1).

Abb. 6.3. Windmesswerte und deren Auswertung


346 6 Windkrafiwerke

6.2 Windradtypen und ihre Leistung


Abbildung 6.4 zeigt die wichtigsten Windradtypen. Es wird unterschieden zwischen
Windräder, die vorwiegend nach dem Widerstandsprinzip (Widerstandsläufer) und
solche, die vorwiegend nach dem AuJ2riebsprinzip arbeiten.
Jede Fläche A, die dem Wind ausgesetzt wird, erfahrt eine Krafi F,,, in Wind-
richtung (Abb. 6.5) und eine Kraft F„ senkrecht dazu

Achse horizontal
Auftrieb nutzend

1)

Achse vertikal
Auftrieb nutzend

Widerstand nutzend

Abb. 6.4. Windradtypen: a) La Cour Windmühle, b) amerikanische Windturbine,


C) 2x5- Blatt-Rotor, d) 3-Blatt-Rotor, e) 2-Blatt-Rotor, f) l -Blatt-Rotor.
g) 3-Blatt-Darrieus, h) A-Darrieus, i) H-Darrieus, k) Halb abgeschirmter
Widerstandrotor, 1) Schalenkreuz, m) Savoniusrotor (gestrichelt: geteilter Rotor)
6.2 Windradtypen und ihre Leistung 347

Abb. 6.5. Widerstands- und Auftriebskraft

Die Widerstands- und Aufh-iebskoeffizienten C,, und C , hängen von der Form (Profil)
und von der Lage der Fläche (Winkel a ) relativ zur Windrichtung ab. Sie können
numerisch berechnet oder durch Versuche, z.B. im Windkanal, ermittelt werden [6.7].
Auf die Fläche wirkt die resultierende Kraft E.
Bewegt sich die Fläche mit der Geschwindigkeit (Abb. 6.6), so tritt in den Gln.
(6.13) die relative Windgeschwindigkeit G an Stelle der absoluten V:
=C-i; (6.14)
Ergibt die resultierende Krafi gr eine positive Komponente $, (Treibkraft) in Rich-
tung der Bewegung, so wird diese Bewegung unterstützt (Abb. 6.6), im umgekehrten
Fall wird sie gebremst.
Die wichtigsten Windradtypen werden in den folgenden Abschnitten besprochen.
Für mehr Details sei auf [6.2], [6.7] und für den Selbstbau von Windturbinen auf [6.5]
verwiesen. Für alle Windradtypen können folgende allgemeine Beziehungen aufge-
stellt werden:

Theoretische Leistung des Windrads: P,,, = cp P,,


I (6.1 5 )
Efektive Leistung: P = q, P,,, = q , cp Po = cp Po

Abb. 6.6. Kräfte bei bewegtem Windrad


348 6 Windkraftwerke

P, ist die theoretische Windleistung gemäß GI. (6.3). Neu eingeführt wurden:
C, = Idealer Leistungsbeiwert des Rades (immer < 1)
q, = Wirkungsgrad des Rades (relativ zum verlustfreien Betrieb)
C,' = qt C, = effektiver Leistungsbeiwert.

C, bestimmt die obere Leistungsgrenze, die aus physikalischen Gründen (auch ohne
Reibungsverluste) nicht überschritten werden kann. Es lässt sich zeigen, dass C, (und
somit auch C,') von der Schnelllaufzeit 3L des Windrades abhängig sind (Abschn.
6.3.2). Für die Schnelllaufzahl gilt

worin U die Umfangsgeschwindigkeit des Rades und V, die absolute Windgeschwin-


digkeit vor dem Rad darstellt. In Abb. 6.7 sind die idealen Leistungsbeiwerte einiger
Windräder dargestellt. Für alle Windräder weist cp ein Maximum auf für eine
bestimmte (optimale) Schnelllaufzahl L„, . Für den optimalen Betrieb müsste also die
Geschwindigkeit des Windrades der Windgeschwindigkeit angepasst werden. Aus
Kostengründen wird oft darauf verzichtet, in modernen Anlagen jedoch wird dank
billig werdender Leistungselektronik dies mehr und mehr angestrebt (s. Abschn, 6.3).
Entsprechend der optimalen Schnelllaufzahl werden die Windräder in Langsamläufer
und Schnellläufer klassiert. Zur letzten Kategorie gehören die Darrieus-Rotoren und
die horizontalachsigen 1 - 3-Blatt-Rotoren. In der Praxis haben sich die horizontalach-
sigen Rotoren durchgesetzt und machen weltweit den weitaus größten Teil aller
Windturbinen aus.

Moderner
2-oder 3-Blatt-
Moderner

ochsen-Rotor
( Oarrieus 1

Schnel!aufzahl h ----
Abb. 6.7. Idealer Leistungsbeiwert verschiedener Rotoren
6.3 Horizontalachsige Windrotoren 349

6.3 Horizontalachsige Windrotoren


6.3.1 Theorie von Betz
Mit Bezug auf Abb. 6.8 sei die Windmasse m betrachtet, die durch den Windradquer-
schnitt A hindurchströmt. Die Windgeschwindigkeit vor dem Rad sei V,. Durch das
Rad wird der Wind abgebremst, so dass die Windgeschwindigkeit hinter dem Rad nur
noch V, < V, beträgt. Im Windradquerschniii selber sei die Windgeschwindigkeit V.
Bei Annahme idealer, verlustloser Verhältnisse wird die Differenz der kinetischen
Energien (W, - W , ) voll in mechanische Energie umgewandelt und erscheint als
theoretische Leistung P„ an der Turbinenwelle:

W - W = -1m v o2 - - 1m v , 2 = - 1m ( v o2 - V ; ) .
O ' 2 2 2
Pro Zeiteinheit strömt die Masse m' = p A V durch das Windrad. Die theoretische
Leistung ist somit

Andererseits folgt nach dem Impulssatz die Kraft als Impulsänderung pro s

Die vom Wind geleistete Arbeit ist demnach

Der Vergleich der Gln. (6.17) und (6.18) liefert

Aus GI. (6.18) folgt fiir die Leistung

Abb. 6.8. Horizontalachsige Windturbine, Theorie von Betz


und für den idealen Leistungsbeiwert

Wird V, durch V ersetzt (GI. 6.19) gilt auch (Abb. 6.9)

Der Maximalwert ist C„„ = 16127 = 0.593 und wird für viv, =213 bzw. V , /V, =I13
erreicht. Zwischen der Geschwindigkeit V und der Drehzahl der Turbine bzw. der
Schnelllaufzahl besteht ein fester Zusammenhang, der von der Flügeldichte
(Völligkeit) und der Projilform des Flügels abhängig ist (s. dazu Tragflügeltheorie,
Abschn. 6.3.2). Die Völligkeit nimmt mit Anzahl und Breite der Flügel zu. Es werden
zwei extreme Ausführungen unterschieden:
Langsamliiufer (Beispiel amerikanische Windturbine, Abb. 6.4). Auf Grund der
großen Flügeldichte wird die optimale Geschwindigkeit V bereits bei kleinen
Drehzahlen erreicht (L„, klein).
Sclznellliiufer (Beispiel 2-Blatt-Läufer, Abb. 6.4). Die Flügeldichte ist klein, die
optimale Geschwindigkeit V erfordert hohe Drehzahlen und präzise Ausführung der
Flügel (L„, groß).
Die von der Turbine gelieferte Leistung ist gemäß GI. (6.15)
I
P = qt CP Po=cpPo. (6.23)
Der Gesamtwirkungsgrad kann fur L„, einen Wert C,]'= 0.45 erreichen (Abb. 6.1 I),
was einem Turbinenwirkungsgrad q, = 0.76 entspricht.

Abb. 6.9. Verlauf des idealen Leistungsbeiwerts horizontalachsiger Windturbinen


6.3 Horizontalachsige Windrotoren 35 1

6.3.2 Tragflügeltheorie
Betrachtet wird das Flügelelement dr (Abb. 6.1 Oa), das sich mit Geschwindigkeit Zr
bewegt. Mit der Windgeschwindigkeit v' in Achsrichtung ergibt sich die relative
Windgeschwindigkeit Gr (Abb. 6. lob). Für diese gilt

Gr = C - Ur , mit ur = o r
I

Das Flügelprofil weist einen einstellbaren Lagewinkel 8 relativ zur Normalen zur
Windrichtung auf. Dieser Winkel ist oft eine Funktion von r. Als Anstellwinkel a
wird der Winkel bezeichnet, der das Profil mit der relativen Windgeschwindigkeit
bildet (Abb. 6.1Ob). Somit ist
a =90°-(8 + P). (6.25)

Die am Flügelelement wirksamen Kräfte sind (Abb. 6. lob)

Fa = Auftriebskraft, senkrecht zu Gr

= Widerstandskraft, Richtung Gr

F,, = resultierende Kraft Fa + Fw


= Treibkraft, Richtung Zr

F,, = Normalkraft, senkrecht zu ür

Abb. 6.10. Geschwindigkeiten und Kräfte eines Flügelelements


Für die Fläche dA = s,.dr des Flügelelements gilt gemäß den Gln. (6.13)

C, und C,, sind vom Profil abhängige, im Windkanal messbare und somit bekannte
Funktionen des Anstellwinkels a.
Für Treibkraft und Normalkraft folgt aus Abb. 6.1Ob
dF, = dFa cos ß - dFw sinß
dF,, = dFa sinß + dFw cos ß
--> =
1
e s, dr W 2, (c0 C O S ~- C , sinß)
dF, -
2
Das durch das Flügelelement dr erzeugte Drehmoment ist somit
1 2
dM = dF, .r
2
e sr r dr W , (ca cosß - cw sinß) .
= - (6.28)

Ist L die Anzahl Flügel, folgt fiir das Gesamtmoment

1 2
M = z
/LdM = -
2
z/s, r
L
W, ( c a cosß - C, sinß) dr. (6.29)

Die theoretische Leistung ist schließlich P , = M o , woraus sich der ideale Leistungs-
beiwert in Abhängigkeit von Schnelllaufzahl und Lagewinkel berechnen lässt.
lnsbesondere folgt daraus die optimale Schnelllaufzahl. Den typischen
-. Verlauf für
einen Schnellläufer zeigt die Abb. 6.1 1 .

- 0,2 J
0 5 10 15 20
Schnellaufzahl X -
Abb. 6.1 1. Leistungsbeiweri eines Schnellläufers in Abhängigkeit von Schnelllaufzahl
und Lagcwinkel
6.4 Moderne horizontalachsige Windturbinen 353

Aufgabe 6.1
-
a) Ein horizontaler 3-Blatt-Rotor (h„, 8) soll eine effektive Leistung von 15 kW
abgeben bei der optimalen Windgeschwindigkeit von 6 m/s. Der Wirkungsgrad des
Rades qWtsei 0.72. Man schätze:
- den Radius der Flügel (Annahme p = 1.2 kg/m3)
- die optimale Drehzahl des Rotors
- die spezifische Leistung bezogen auf die Windradfläche

b) Man wiederhole die Berechnung mit V„„ = 8 m/s.

-
C) Gleiche Berechnungen f i r eine amerikanische Windturbine gleicher Leistung,
wenn qo„ = 0.5 und hop, 1.

6.4 Moderne horizontalachsigeWindturbinen


Der weitaus größte Teil moderner Windkraftwerke setzt horizontalachsige Schnell-
läufer mit 3 Rotorblättern ein. Eine gerade Zahl von Rotorblättern weist in Bezug auf
die dynamische Stabilität Nachteile auf, und die (billigere) Lösung mit einem einzigen
Rotorblatt ist aus Gründen der dynamischen Balance mechanisch ebenfalls ungünstig.
Die Investitionskosten großer Anlagen (Leistung der MW-Klasse bis 5 M W) liegen
heute bei ca. 860 €/kW. Bei einer mittleren Windgeschwindigkeit von 6 m/s und einer
Nenngeschwindigkeit von 15 mls (entsprechend P„, = Nennleistung) ergibt sich aus
den Gln. (6.3) und (6.1 1) bei Annahme eines Energiefaktors von 0.7 (Anhang 111) und
eines mittleren Leistungsbeiwerts von 0.45, eine Jahresbenutzungsdauer von 1767 hla.
Mit 8% Annuität folgen Energiekosten von 3.9 ct1kWh (Abschn. 2.2.2). Diese Kosten
berücksichtigen nicht die Auslagen für den Betrieb und den Transport der Energie.
Windenergie ist eine Grundlastenergie wie jene von hydraulischen Laufkraftwerken,
aber deutlich unregelmäßiger; sie muss infolgedessen durch eine andere rasch regel-
bare Energie ausgeglichen werden, die von Wasserspeicherkraftwerken oder Gastur-
binenkraftwerken geliefert wird, oder lokal verwendet bzw. gespeichert werden.
Eine größere Turrnhöhe ermöglicht dank stärkerem Wind eine bessere Energieaus-
beute, erhöht jedoch die Kosten. Die optimale Höhe entspricht i.d.R. etwa 1 bis 1.5
Mal dem Durchmesser des Rotors.
In Meeresnähe sind vor allem große Wind-Parks verbreitet, bestehend aus einer
Vielzahl von Windturbinen. Die Abstände der Turbinen in Windrichtung müssen Ca.
5 - 9 Rotordurchmesser betragen, quer zur Windrichtung genügen 3 - 5 Rotordurch-
messer. Für Näheres s. [6.8], [6.10].
Im Gebirge sind die Anforderungen an Messungen und Modellierung in der
Planungsphase besonders hoch [6.6].
Für die Zukunft sind große Offshore-Anlugen (im Meer verankerte Anlagen)
geplant. Damit fallen einerseits die bei Küstenlagen oft schwerwiegenden ästhetischen
Probleme weg; andererseits erhöht sich das energetische Potenzial erheblich. Die mit
der Verankerung (Schwimmsysteme) verbundenen Probleme werden gegenwärtig
untersucht. Eine Kopplungmit Meeresstromungskraftwerken (s. Einleitungdes Teils
111) ist durchaus denkbar [6.9], [6.11 1.
354 6 Windkraftwerke

6.5 Andere Windradtypen


Wir behandeln zwei Windradtypen mit Vertikalachse; der erste, der Darrieus-Rotor,
gehört zur Kategorie der Schnellläufer und arbeitet nach dem Auftriebsprinzip; der
zweite, der Savoniusrotor, ist ein Langsamläufer und arbeitet nach dem Widerstands-
prinzip (Abb. 6.4 und 6.7).
6.5.1 Der Darrieus-Rotor
Dieser Rotor wurde in den zwanziger Jahren vom Franzosen Darrieus erfunden. Zum
praktischen Einsatz gelangte erjedoch erst ab ca. 1970. Seitdem sind Rotoren bis ca.
1 MW gebaut worden. Der Rotor besteht i.d.R. aus zwei oder drei Flügeln, die an
ihren Enden an einer mitrotierenden vertikalen Achse befestigt sind (Abb. 6.4g).
Ließe man ein Seil an Stelle der Flügel mitrotieren, nähme es die Form einer Tro-
poskienten (Springseilkurve) an. Wird dem Flügel eine solche Form gegeben, treten
nur Zugkräfte auf, was mechanisch ideal ist. Praktisch wird die Troposkiente durch
Kreisbogen und Gerade angenähert. Die Tragflügelprofile sind i.d.R. symmetrisch.
Gegenüber dem Rotor mit horizontaler Achse weist der Darrieus-Rotor folgende
Vor- und Nachteile auf
Vorteile
- Ist windrichtungsunabhängig. Damit ist kein Mechanismus zur Windnachfuhrung
notwendig, keine Ausrichtaggregate wie Windfahnen, Hilfsrotoren oder Stell-
motoren nötig.
- Die Energieanlage mit Getriebe, Generator und Steuerung befindet sich am Boden.
Es sind somit keine aufwendigen Turmkonstruktionen notwendig, und die Wartung
ist einfacher.

Nachteile
- Das Drehmoment ist wegen des veränderlichen Anstellwinkels pulsierend (daraus
ergeben sich mechanische Probleme).
- Die geringere Höhe über dem Boden fuhrt zu schwächerem Wind im unteren
Bereich der Rotorblätter, was sich negativ auf den Leistungsbeiwert auswirkt.
- Eine Anfahrhilfe ist notwendig (Motor, Savonius), da der Anstellwinkel nicht
einstellbar ist.

6.5.1.1 Rotorgeometrie
Die Troposkiente wird durch Kreis und Gerade approximiert mit den Daten R, R , und
H (Abb. 6.12). Daraus folgen die Hilfsgrößen:

xo = R-Ro
Y0 = X - Y , - Y q
v0 = x0 + RO cos yo
zo = Ro s h y o , wobei
6.5 Andere Windradtypen 355

Abb. 6.12. Geometrie des Darrieus-Rotors

Werden mit ( Y , z, B ) die allgemeinen Koordinaten eines Flügelelements bezeichnet,


ergeben sich daraus folgende Gleichungen für Kreis und Gerade (mit zals Parameter):

Kreisgleichungen fir z , < z < z,

y = arctan(--- " 1
/-
r = xo+Ro cosy
(r-xo)
sin6 = --- = cosy .
Ro
Gleichungen der Geraden für z > z, und z <-z,
H12 - Ro sin yo
m =
(4, ROeos Y 0 +

,-P
H12 - IzI
m

(m = Steigungsmaß).
356 6 Windkraftwerke

6.5.1.2 Kräfte auf die Flügelelemente


Für die elementare Windröhre (Abb. 6.13) gilt

dA = r d6 sin6 d z . (6.33)
Der Wind begegnet den Flügelprofilen in 1 und 2. Die mittlere Kraft in 1 ergibt sich
aus dem Impulssatz (analog zu Abschn. 6.3.1)

Gesetzt nach GI. (6.19) V , = 2 V„ - V, , folgt

d2Flm= dm 2 (vo - vel)


mit (6.35)
d m l = 2 ~ r d 6 s i n O a ! z v , ~.
Diese Kraft wirkt auf das rotierende Flügelelement nur kurzzeitig (während des
Winkels d6). Wird mit dF, die wirklich auf das Profilelement wirkende Kraft be-
zeichnet, erhält man den Zusammenhang

worin N = Anzahl Flügel.

Abb. 6.13. Kräfte auf dem Darrieus-Flügel


Aus den Gln. (6.35) und (6.36) folgt

Dieselbe Überlegung für die Stellung 2 führt zu

wobei v2 = 2 V „ - V,.

6.5.1.3 Tragflügeltheorie
Das Flügelelement in der Position 1 (Abb. 6.13) sei bzgl. Widerstands- und Auftriebs-
kraft näher betrachtet (Abb. 6.14). Das vertikale Element dz weist gegen die Hori-
zontale die Neigung 6 auf und hat die Fläche

s dz
q =sino
-.
Auf das Flügelelement wirken die Kräfte (GI. 6.13)

worin W , die relative Windgeschwindigkeit darstellt, deren Komponenten gegen die


Bewegungsrichtung u und normal zum Flügel von
W , cosa = U + V,, cosa
W , sina = V, sinb sino

gegeben sind (Abb. 6.14). a ist der Winkel, den W , mit der Bewegungsrichtung bildet.

Schnitt AB

r
. .
F, sin 6
3,
Abb. 6.14. Zur Tragflügeltheorie des Darrieus-Rotors
6.5.2 Der Savoniusrotor
Als Beispiel eines vorwiegend nach dem Widerstandsprinzip arbeitenden Lang-
samläurers sei der Savoniusrotor näher betrachtet. Wie die Abb. 6.7 zeigt, werden
damit Leistungsbeiwerte von 0.2 0 . 2 5 erreicht, d.h. bestenfalls 25% der theoreti-
schen Windleistung.

6.5.2.1 Aufbau
Der vertikalachsige Savoniusrotor besteht ursprünglich aus zwei Halbkreiszylindern
gemäß Abb. 6.15a und ist dann ein reiner Widerstandsläufer. Der geteilte Savoniusro-
tor (Abb. 6.15b und 6.1 5c) erreicht auf Grund des Beitrags der ebenfalls wirksamen
Auftriebkräfte einen besseren Leistungsbeiwert.
Abbildung 6.15d zeigt den Strömungsverlauf im geteilten Rotor. Auf Grund
unterschiedlicher Widerstandskoeffizienten ist F2 < F, und gesetzt F = F, - F?, ergibt
sich das Drehmoment M = F.a/2. Durch die Teilung des Rotors wird F gegenüber
dem Fall des ungeteilten Rotors erhöht.

6.5.2.2 Leistungsabgabe
Die Leistung kann von

ausgedrückt werden. Gemäß den Gln. (6.13) und (6.14) folgt für die Krafi

Abb. 6.15. Savoniusrotor a) reiner Widerstandsläufer, b) und C) verbesserte Varianten


mit Widerstand und Auftrieb (geteilter Savonius), d) Strömungsverlauf für Rotor C)
6.5 Andcre Windradtvnen 359

worin A = D H, mit H = wirksame Höhe des Rotors. Im Fall des Widerstandsläufers


Abb. 6.15a ist c = C,, , mit C,, = 2.3 für die konkave und c„ = 1.2 für die konvexe Seite
[6.4],was insgesamt C , = I . 1 ergibt.
Für die theoretische Leistung folgt

und für den idealen Leistungsbeiwert ergibt sich

Das Geschwindigkeitsverhältnis V&, kann mit Hilfe des Geometriefaktors ß in


Abhängigkeit der Schnelllaufzahl ausgedrückt werden

Somit folgt (Abb. 6.16)

-
Optimal ist h. = ß13 mit cJc = 4127 = 0.148. Für den Rotor Abb. 6.15a ist ß = 2 und
somit L„, = 0.67. In Ausführungen gemäß Abb 6.1% ist eher ß 2.5 -:h„, =: 0.83.
Der Savoniusrotor gehört offensichtlich zur Kategorie der Langsamläufer.

Abb. 6.16. Idealer 1,eistungsbeiwert des Savonizsrotors


360 6 Windkraftwerke

Die effektive Leistung ist

Bei guter Ausführung erreicht c Y,Ca. den Wert 1.5.

6.5.2.3 Drehmoment
Aus der Leistung folgt

- - M = ( 1 - - a) * M A , mit M A = c q , - D Po ,
P P 2 V,
worin M, das Anlaufmoment (A = 0) darstellt.
Ein Vorteil der Widerstandsläufer ist, dass sie ein großes Anlaufinoment besitzen
und so auch bei schwachem Wind imstande sind, anzulaufen und Elektrizität zu
produzieren.

Aufgabe 6.2
Man dimensioniere einen Savoniusrotor f i r eine Leistung von 300 W bei der optima-
len Windgeschwindigkeit von 6 m/s. Man wähle ß = 2.5, p = 1.2 kg/m3, c Y,= 1.5.
a) Gesucht wird
- Die spezifische Leistung pro m2 bei 6 mls
- Der Durchmesser und die Höhe des Rotors
- Die Nenndrehzahl der Anlage
b) Ab welcher Windgeschwindigkeit V„„ wird Leistung geliefert? Welches ist das
Anlaufmoment bei V„„? Man zeichne die Leistung in Funktion der Windgeschwin-
digkeit V , bei Nenndrehzahl auf.

6.6 Betrieb und Regelung, Auslegung


6.6.1 Leistung und Betriebsarten
Abbildung 6.17 zeigt die von einem gegebenen Windrad mit Windradfläche A
tatsächlich produzierte Leistung in Abhängigkeit von der Windgeschwindigkeit:
Kurve a : theoretische Windleistung

Kurve b : Windradleistung bei maximalem Wirkungsgrad


6.6 Betrieb und Regelung, Auslegung 361

Abb. 6.17. Leistung des Windkraftwerks: a theoretische Windleistung, b Windrad-


leistung bei maximalem Wirkungsgrad, C effektive Leistung bei optimierter Drehzahl,
d effektive Leistung bei konstanter Drehzahl

Kurve c : effektive Windradleistung bei Betrieb mit optimierter Drehzahl. Bei der
minimalen Windgeschwindigkeit V „ beginnt das Kraftwerk, Energie zu liefern.
Zwischen I„, und V „ sorgt eine Drehzahlregelung für optimale Anpassung der
Drehzahl an die Windgeschwindigkeit

womit GI. (6.5 1 ) erfullt ist. Für V > V „ wird die maximal zulässige Leistung P,,,,
erreicht, und eine Leistungsregelung ersetzt die Drehzahlregelung, so dass P = P„.
Die Geschwindigkeit V „ beträgt in modernen Anlagen meist ca. 15 mls. Beim Über-
schreiten der maximal zulässigen Windgeschwindigkeit V„„ wird das Kraftwerk
abgeschaltet (mechanische Sicherheit).

Kurve d : effektive Windradleistung bei Betrieb mit konslanter Drehzahl. Bei der
frei gewählten optimalen Windgeschwindigkeit V„„ wird der maximale Wirkungsgrad
erreicht. Die entsprechende Drehzahl ist ( R = Radius der Windturbine)

Für andere Windgeschwindigkeiten sinkt die Leistung gemäß C', (1). Das Windrad
liefert Energie ab V„„ entsprechend der Schnelllaufzahl 1„„.
Für einen gegebenen Standort mit einer bestimmten Windhäufigkeitsverteilung
erreicht die produzierte Jahresenergie einen Wert, der von der Wahl der optimalen
Windgeschwindigkeit abhängt, wie von Abb. 6.18 veranschaulicht wird. Für einen
bestimmtem Wert von V„„ wird diese Energie maximal. Ob dieser Wert auch ein
wirtschaftliches Optimum darstellt, hängt vom Kostenverlaufin Abhängigkeit von der
gewählten Drehzahl ab (Getriebeinvestitionen, Getriebeverluste, Festigkeit der
Rotorflügel usw.).

Jahresenergie

t--
n
Abb. 6.18. Optimale Windgeschwindigkeit bzw. Drehzahl

6.6.2 Leistungsregelung
Es wird zwischen Anlagen mit Stallregelung (Regelung durch Strömungsabriss) und
Anlagen mit Blattwinkelregelung(Pitch-Regelung)unterschieden [6.3]. In horizontal-
achsigen Rotoren hängt der Leistungsbeiwert bei gegebener Drehzahl nicht nur von
der Windgeschwindigkeit, sondern auch vom Anstellwinkel des Profils (Blattwinkel)
ab, wie in Abb. 6.1 1 veranschaulicht.
In stallgeregelten Anlagen ist der Blattwinkel im ganzen Geschwindigkeitsbereich
bis V„„, fest. Die Leistungsbegrenzung wird durch die Geometrie des Rotorblattes
bewirkt, welche aerodynamisch so gestaltet wird, dass beim Erreichen der Geschwin-
digkeit V „ Turbulenzen entstehen, die zu einem Strömungsabriss (stall) fuhren. Damit
stellt sich ein Leistungsverlauf Ca. nach der Kurve d in Abb. 6.17 ein. Die Stall-
regelung vermeidet den relativ komplizierten Mechanismus zur Blattwinkelregelung.
Ungefähr 213 der installierten Anlagen weisen eine Stallregelung auf [6.10]. Als aktiv
wird die Stallregelung dann bezeichnet, wenn die Rotorblätter mehrere fixe Stel-
lungen aufweisen, die je nach Windgeschwindigkeit gewählt werden.
Mit der Blattwinkelregelung wird entsprechend Abb. 6.11 automatisch der bei
einer bestimmten Windgeschwindigkeit jeweils optimale Anstellwinkel gesucht.
Damit lässt sich mit entsprechendem Aufwand der Leistungsbeiwert bei der gegebe-
nen Drehzahl maximieren. Beim Erreichen der maximal zulässigen Leistung P„, wird
die Leistung konstant gehalten. Der maximal mögliche Leistungsbeiwert entsprechend
Kurve c in Abb. 6.17 kann nur mit veränderlicher Drehzahl erhalten werden.

6.6.3 Netzbetrieb
Die produzierte Elektrizität wird ins Verbundnetz gespeist. Das einfachste und
billigste Schema zeigt Abb. 6.19. Die Windturbine treibt über ein Getriebe einen
Asynchrongenerator an. Die dem Netz gelieferte Leistung ist

Asynchrongeneratoren sind billig und robust, können jedoch ohne Zuschaltung von
6.6 Betrieb und Regelung, Auslegung 363

"0 "I
/I, Netz
Windturbine

Abb. 6.19. Einfachstes Windenergieaggregat Gt Getriebe, G Generator

Kapazitäten keine Blindleistung liefern. Für größere Leistungen wird deshalb ein
Synchrongenerator vorgezogen. In beiden Fällen gilt

n1 2 n f R
Getviebeübersetzung ü = - =
n P v o o p Aopt

Die gelieferte Leistung entspricht in beiden Fällen im wesentlichen der Kurve d in


Abb. 6.17, da die Drehzahl konstant ist (von der Netzfrequenz diktiert).
Ein Leistungsverlauf nach Kurve C in Abb. 6.17 ist möglich, erfordert jedoch den
Einsatz eines Frequenzumrichters z.B. nach Abb. 6.20. Durch Steuerung der Fre-
quenzübersetzung wird die Drehzahl optimal gehalten. Die größere Energieausbeute
muss durch höhere Investitionen erkauft werden. Zu beachten ist außerdem, dass der
Energiegewinn auf Grund des höheren mittleren Wirkungsgrades des Windrades
durch die Verluste im Umrichter (schlechterer elektrischer Wirkungsgrad) etwas
reduziert wird.
Neben der in Abb. 6.20 dargestellten Lösung werden auch Lösungen mit rotorge-
wickelter Asynchronmaschine angeboten, in welcher der Umrichter die Frequenz des
Rotorstromes verändert. Die dazu benötigte Umrichterleistung ist erheblich kleiner
[6.1].

/ Netz

Abb. 6.20. Windenergieaggrcgat mit optiinicrtcr Drcli~ahl Gt Getriebe , G Generator, C l


Umrichter, R Drehzahlregler

6.6.4 Inselbetrieb
In der Regel verlangt der Verbraucher eine konstante Frequenz und eine konstante
Spannung (Ausnahme: Heizwiderstände). Als Generator eignet sich dann am besten
ein Synchrongenerator, welcher die Regelung der Spannung über die Erregung
ermöglicht (Abschn. 13.1). Ein Asynchrongenerator mit geregelter Kondensatorbatte-
rie ist ebenfalls möglich.
364 6 Windkraftwerke

4
Po

3 1 Gt
n1
- Last
"0

Windturbine f s
€ B

Abb. 6.21. Windenergieaggregat irn Inselbetricb: Gt Getriebe, G Generator, R Regler, S


Speicher (Schwungrad,Pumpspeicherung, Akkumulator),B Ballastwiderstand (Kläranlage.
Spcichcrhcizung)

Da das Windenergieangebot sehr variabel ist, müssen zur Frequenzregelung Speicher-


möglichkeiten undloder Ballastwiderstände vorgesehen werden (Abb. 6.21).
Die Drehzahl ändert nach der Gleichung

Den Verlauf des Antriebsmoments M in Abhängigkeit von Drehzahl und Wind-


geschwindigkeit zeigt Abb. 6.22 (n, = synchrone Drehzahl). Das Belastungsmoment
M, muss entsprechend angepasst werden. Dessen Verlauf hängt von der Natur der
Last und von der Spannungs-Frequenz-Kennlinie ab. Ein Betrieb mit optimierter
Drehzahl ist mit Umrichter ebenfalls möglich.

Abb. 6.22. Drehmomentverlauf einer Windturbine M = f(n.v„)


7 Photovoltaik

7.1 Physikalische Grundlagen, photoelektrischer Effekt


Das Verhalten von Halbleitern und Isolatoren lässt sich durch das Energiebandermo-
dell gut erklären [7.1], [7.10]. Für die photoelektrischen Effekte spielen lediglich das
Valenzband mit oberer Energiekante W, und das Leitungsband mit unterer Energie-
kante W, eine Rolle (Abb. 7. la). Die beiden Bänder sind durch eine Bandlücke A W
= W, -W, getrennt, die z.B. beim Silizium 1.12 eV beträgt. Die Zustandsdichte Z(W)
der Elektronenenergie W innerhalb der Bänder wird von einer Parabel beschrieben.
Entsprechend dem Exklusionsprinzip von Pauli ergibt sich die Auftretenswahr-
scheinlichkeit eines Energiezustands durch Multiplikation mit der Fermi-Dirac-
Statistik (Abb. 7. lb):

worin W,. = Fermi-Energie und

k = Boltzmann-Konstante = 8.62.10-' = 1.30805 - I O - ' ~ L . (7.7')


K K
Wird über das Leitungsband integriert, folgt die Elektronendichte [7.1], [7.2]

2nm,kT T3
mit NL=2( 1
h

Valenz- Leitungs-
band band

Abb. 7.1. Bändermodell des Halbleiters a) Dichte möglicher Energiezustände innerhalb


des Valenz- und Leitungsbandes, A W = Bandabstand (verbotene Zone), b) Fermi-Dirac-
Statistik für die Auttretenswahrscheinlichkeit eines Energiezustands
und
h = PlanckSches Wirkungsquantum = 6.6256. 10-34JS
(7.4)
m = Masse des Elektrons = 0.9109. 10-27g .

Die effektive Masse m,, des Elektrons weicht wegen der Einwirkung des Potentials des
Festkörpergitters etwas von der Ruhemasse m ab [7.10]. Der Bandabstand A What bei
Halbleitern die Größenordnung 1 eV, bei Isolatoren ist er deutlich größer. Die Fermi-
Kante befindet sich in der Mitte der verbotenen Zone.
Für T = 0 K ist gemäß GI. (7.3) n = 0, d.h. es befinden sich keine Elektronen im
Leitungsband (scharfe Fermi-Kante). Je höher die Temperatur, desto stärker wird die

-
Fermi-Kante verwischt (Abb. 7.2). Bei Raumtemperatur geraten einige wenige
Elektronen ins Leitungsband. Bei 20°C ist 2.B. 4 k T 0.1 eV, und für Silizium mit
A W = I . 12 eV ergibt GI. (7.3) --+ n = 5.7- 109Elektronen/cm3. Beim ersten Blick mag
dies viel erscheinen; Silizium hat aber eine Dichte von 2.33 g/cm3 und ein Atomge-
wicht 28. Somit ist die Atomzahl (Avogadro)
6.1023 2.33 5.1022 Atome Atome gIcm3
28
-

cm
r-
1-
Mol glMol
.
Nur 1 Elektron auf ca. 10" Siliziumatome befindet sich also im Leitungsband.
Dementsprechend ist die Eigenleitung von Silizium bei 20°C sehr klein.

W,
Abb. 7.2. Einfluss der 'l'emperatur auf die Fermi-Dirac-Verteilung

7.1 .I Photoleitung
Fällt Licht auf eine dünne Halbleiterplatte mit Oberfläche A und Dicke d, wird durch
die Absorption von Photonen (Lichtquanten) das Energieniveau von Elektronen
angehoben und, sofern die Photonen eine Energie h f > A W haben, Elektronen vom
Valenzband ins Leitungsband befördert. In direkten Halbleitern [7.2] wie GaAs
genügen Schichten von wenigen pm, um die Strahlung vollständig zu absorbieren. In
indirekten Halbleitern wie kristallines Silizium braucht es dazu hingegen einige
hundert pm (200 pm für 90% Absorption).
Die Elektronen des Leitungsbandes sind im Kristall frei beweglich und bilden den
negativ geladenen Elektronenstrom. Dadurch wird eine Umwandlungvon Strahlungs-
7.1 Physikalische Grundlagen. photovoltaischer Effekt 367

energie in elektrische Energie möglich (photoelektrischer Effekt). Die im Valenzband


verbleibenden Lücken (Löcher) sind durch Nachrücken von Nachbarelektronen
ebenso beweglich und bilden den positiven Strom. Der Vermehrung von Leitungs-
bandelektronen durch die Bestrahlung wirkt die Rekombination von Elektronen mit
Löchern entgegen, so dass sich ein Gleichgewichtszustand einstellt. Die Anzahl
Elektronen im Leitungsband nimmt nach dem Gesetz zu
dn -
- 1 n
- q 0 - - - , worin
dt Ad t

= Photonenfluss [Photonenls]
q = Quantemvirkungsgrad
t = Rekombinationszeit der Elektronen -Löcher -Paare
Die stationäre Lösung dieser Differentialgleichung ist
t Elektronen
n = q @ -
Ad
I .
m3
Aus der Spektralintensität S, der senkrecht auf die Fläche fallenden Strahlung (Abb.
7.3) lässt sich der Photonenfluss berechnen:

s* da [-I W d4
= 3 hf [-
~ h o t WS
-1.
m2 A m2s Phot
Daf = c/h ( C = Lichtgeschwindigkeit), folgt

Haben Photonen der Wellenlänge h einen Wirkungsgrad q,, so gilt


Ca

In GI. (7.6) eingesetzt, kann daraus die Eigenleitfahigkeit des bestrahlten Halbleiters
berechnet werden.

Abb. 7.3. Verlauf der Spektralintensität der Sonnenstrahlung


368 7 Photovoltaik

7.1.2 Der P-N-Übergang


Durch den Einbau von Fremdatomen (Dotierung) kann die Leitfähigkeit des Halblei-
ters beeinflusst werden. Es wird dann von Slor~lellenleilunggesprochen.
Ist die Valenzelektronenzahl der Fremdatome größer als jene des Halbleitermate-
rials (z.B. finfwertiges Ph in vierwertigem Si), können sich im Kristall die über-
schüssigen Elektronen von der Störstelle lösen und erhöhen die Leitfähigkeit des
Halbleiters. Die Fremdatome werden in diesem Fall als Donatoren bezeichnet. Der
so dotierte Halbleiter weist eine n-Leztfahigkeit auf. Die Elektronen sind Majoritäts-
träger, die Löcher Minoritätsträger.
Besitzen umgekehrt die Fremdatome weniger Valenzelektronen (z.B. dreiwertiges
Bor), wird von Akzeptoren und vonp-Leitfahlgkelt gesprochen, da jetzt die Anzahl
der Löcher vermehrt wird. Die Löcher sind Majoritätsträger und die Elektronen
Minoritätsträger.
Wird ein p-n-Übergang gebildet nach Abb. 7.4a, ergibt sich zunächst wegen der
unterschiedlichen Konzentration der Ladungsträger eine Dijfuslon der Majoritats-
trager, d.h. der Elektronen von n nach p und der Löcher von p nach n. In der Grenz-
schicht bleiben die nun ionisierten Donatoren und Akzeptoren zurück und bilden eine
Potentialbarriere, die den Diffusionsstrom stoppt. Es entsteht die Diffusionsspannung
ULj(Abb. 7.4c), die den Wert annimmt (für Näheres s. [7.2], [7.8], [7.10]):

Leitband 7
I Valenzband /L$

Abb. 7.4. a) p-n-Übergang, b) Energiebänderschema, c) Potentialverlauf


7.2 Photovoltaischer Effekt. Photostrom 369

n, = Dichte der n-Majoritätsträger


np = Dichte der p-Minoritätsträger
e = Ladung des Elektrons = 1.6021. 10-l9 As .
Energetisch ergibt sich eine Absenkung der Bänder auf der n-Seite um e U,), und es
gilt (Abb. 7.4b)
e U D = A W - 6,, - $, (7.1 1)
worin 6, und 6, die Abstände von Leitungs- und Valenzband vom Fermi-Niveau
bedeuten. Mit zunehmender Dotierung werden diese Abstände immer kleiner, und bei
starker Dotierung ist

Für die Dicke der Raumladungszone gilt [7.2]

worin n„ und n, die Dichten von Donatoren und Akzeptoren sind.

7.2 Photovoltaischer Effekt, Photostrom

Beim Anlegen einer äußeren Spannung U verhält sich ein p-n-Übergang als Diode
(Abb. 7.5a), und es ergibt sich die Kennlinie Abb. 7.5b. Für U < 0 wird die Poten-
tialbarriere verstärkt und die Diffusion rückgängig gemacht. Die Diode sperrt. Die
thermisch erzeugten Elektronen werden abgesaugt und ergeben den Sättigungsstrom
I, in Sperrrichtung [7. I]
Is prop. exp(--)UD . (7.14)
U,

Abb. 7.5. p-n-Übergang als Diode


370 7 Photovoltaik

Für U > O wird die Potentialbarriere reduziert, die Diffusion begünstigt, und es fließt
der Strom
U
Id = Is [exp(-) - 11
UT (7.15)
kT
U, = - = thermodynamische Spannung = 25.7 mV bei 25°C .
e
Wird der p-n-Übergang mit Photonen mit hf > A W bestrahlt (Abb. 7.6), springen
Elektronen vom Valenzband ins Leitungsband. Da in der Raumladungszone ein
Potentialgefälle besteht, wandern die Elektronen über die externe elektrische Verbin-
dung zum + Pol (n-Bereich) und die Löcher zum P o l @-Bereich). Damit entsteht ein
dem Diffusionsstrom entgegengesetzter Photostrom. Nur die unmittelbar in der
Grenzschicht entstehenden Elektronen-Löcher-Paare tragen aber zum Photostrom bei,
da die anderen rekombinieren, bevor sie durch das Potentialgefälle getrennt werden
können. Die Strahlung muss also möglichst nahe an die Grenzschicht gebracht werden
(Abb. 7.6). Für Näheres über den Aufbau der Solarzelle s. [7.2], [7.10].
Der entstehende Photostrom I„ ist proportional zur Bestrahlungsstarke. Aus GI.
(7.15) folgt der totale Strom in Leitrichtung der Diode

Die Diodenkennlinie wird um I/],,nach unten gezogen, wie von Abb. 7.7 veranschau-
licht. Im 4. Quadrant arbeitet die Anordnung als Generator (Solarzelle). Der von der
Solarzelle erzeugte Strom ist I = - I * :

Wird die Solarzelle kurzgeschlossen (U = 0), ist im Idealfall


I = I , = Iph ' (7.17)

Im Leerlauf'(I = 0) ergibt sich aus GI. (7.16)

Abb. 7.6. Bestrahlte Solarzelle


7.2 Photovoltaischer Effekt, Photostrom 371

Kennlinie der
Solarzelle

Bestrahlungs-
stärke

Abb. 7.7. Entstehung der Solarzellen- Abb. 7.8. Abhängigkeit von Kurz-
Kennlinie durch Bestrahlung des p-n- schlussstrom und Leerlaufspannung der
Übergangs Solarzelle von der Bestrahlungsintensität

Der Kurzschlussstrom ist gleich dem Photostrom und somit proportional zur Bestrah-
lungsstärke, während die Leerlaufspannung in Funktion der Bestrahlung einen loga-
rithmischen Verlauf aufweist (Abb. 7.8). Die Temperatur wirkt sich über U, (GI.
7.15) und I, (GI. 7.14) stark auf die Leerlaufspannung aus und zwar so, dass diese mit
zunehmender Temperatur abnimmt. Steigende Temperatur vermindert so die Leistung
der Solarzelle. Der Kurzschlussstrom wird hingegen nur wenig von der Temperatur
beeinflusst (s. dazu auch Abb. 7.15).

Berechnung des Photostroms


Für eine Spektralintensität S,nach Abb. 7.3 und gemäß GI. (7.8) ist der Photonenfluss
für Wellenlängen zwischen h und h+ dh

d4q A
= - S,
hc
h dh ,Photonen
s
I-
Die Anzahl Elektronen, die zum Photostrom beitragen, ist auf Grund der Verluste
kleiner
Elektronen
S
I.
Der Wirkungsgrad q, berücksichtigt, dass
- Photonen verloren gehen durch Reflexion, Transmission und Thermalisierung,
- ein Teil der erzeugten Elektron-Loch-Paare rekombinieren, bevor sie durch das
Potentialgefälle getrennt werden.
Es folgt der Photostrom
bzw. die Photostromdichte

-
Wird über das ganze Spektrum integriert, erhält man die Photostromdichte

hdh [ ?AI .
0
m
Die Leistungsdichte der Strahlung ist andererseits

Als Stromiffer der Solarzelle sei definiert

Eine Überwindung der Bandlücke A W ist nur für Strahlung mit

möglich. Die Strahlung ist also nur dann wirksam, wenn

h„„,hängt vom Halbleitermaterial ab. Für Silizium ist 7. B. A W = 1.12 eV, woraus
h„, = 1.1 1 Pm. Für h > Am, ist q, = 0, da die Photonen nicht genügend Energie
aufbringen, um den Bandabstand zu überwinden. Die entsprechende Energie wird
thermalisiert. Es gilt also
0, ,1

/V,
0
s, da = 1q* s, h da ,
0

und die Stromziffer kann auch folgendermaßen ausgedrückt werden


7.2 Photovoltaischer Effekt, Photostrom 3 73

oder kürzer geschrieben

Die einzelnen Faktoren seien diskutiert: Der erste Faktor ist eine Konstante

Der Wirkungsgrad q, berücksichtigt die Verluste f i r h > An,„ (Thermalisierung der


entsprechenden Photonenenergie). Er ist eine Funktion des Sonnenspektrums und des

-
Bandabstands des Halbleitermaterials. Er nimmt zu bei abnehmendem Bandabstand.
Richtwert für Silizium ist q , 0.75, d.h. rund 25% der Solarenergie liegen im
Wellenbereich über L„„. Mit monochromatischem Licht der Wellenlänge h„, wäre
Tl," I.
Die Wellenlänge h, ist proportional zum Verhältnis zwischen Photonenzahl im
Bereich O.... Am, und entsprechender Strahlungsenergie (Gln. 7.21 und 7.22). Für
3L = ist die Photonenenergie gerade so groß, wie für die Überwindung des
Bandabstands nötig und wird ganz den Elektronen weitergegeben. Für h < h„, ist sie
hingegen zu groß, und die Überschussenergie wird thermalisiert. Die entsprechenden
Verluste können durch den Wirkungsgrad q, crfasst wcrdcn

e
und somit E = - Am ql q2 q3 .
h C
Würde die Solarzelle mit monochromatischem Licht der Wellenlänge h„, bestrahlt,

- -
wäre q, = I . Mit dem Solarspektrum AM 1.5 (Abb. 7.9) ergibt sich fiir monokristalli-
nes Silizium den Richtwert q, 0.66. Somit ist für Silizium q , q2 0.49, d.h 5 1% der
Solarenergie kann auf Grund der spektralen Zusammensetzung des Sonnenlichtes
nicht genutzt werden. Das Produkt q, = q, q, wird deshalb auch spektraler Wirkungs-
grad der Solarzelle genannt.
Der Wirkungsgrad q, ist gemäß den Gln. (7.19) und (7.20) proportional zum Verhält-
nis zwischen Nutzelektronen und Photonen im Bereich O.... km„. Er berücksichtigt
also Photonenverluste und Rekombinationsverluste. Dieser Wirkungsgrad hängt vom
Stand der Solarzellentechnologie ab. Bei Siliziumsolarzellen mit einem Gesamt-
wirkungsgrad von 15% dürfte er einen Wert q, = 0.75 erreichen. Theoretisch liegt
die Grenze bei 1, so dass bei Verbesserung der Technologie mit einer weiteren
Zunahme gerechnet werden kann.
Mit monochromatischem Licht der Wellenlänge Am, und q, = 1 wäre die theore-
tisch maximal erreichbare Stromziffer
374 7 Photovoltaik

l i
AM0 -Spektrum,l35.3 r n ~ c m - ~

Schwarzkörperstrahlung. 5762 K, 135.3 r n ~ c m - ~

M 2 -Spektrum, mit molekularer Abcorptior

0.2 0.8 1.4 2.0 2.6


Wellenlänge / Nm
Abb. 7.9. Spektrale Strahlungsverteilung des Sonnenlichts
AMO: Strahlencharakteristik außerhalb der Erdatmosphäre
AM2: Strahlencharakteristik mit Atmosphäre ( 2 x Atniospliärendicke am Äquator, mit
Sonne im Zenith und 0 m Ü.M.) [7.10]
Die Berechnungen beziehen sich meist auf AM1.5 ( 1 . 5 ~Atmosphärendicke)

Sie ist also umgekehrt proportional zur Bandlückenenergie A W. Für Silizium erhält
man E„„ = 0.89 AIW. Die GI. (7.28) kann schließlich geschrieben werden

Mit den erwähnten Richtzahlen folgt z.B. für kristallines Silizium

Aus der Stromziffer folgen Photostromdichte und Photostrom der Solarzelle:


A
Jph= E PS [-I und Iph = E PsA [Al
m2
PS = Strahlungsleistung [Wlm 2 ]
A = aktive Halbleitetfläche [m 2 ]
Da q3theoretisch bis 1 erhöht werden kann, ist die obere Grenze der Stromziffer für
Silizium bei Bestrahlung mit dem AM 1 .S-Sonnenspektrum E„ =: 0.44 AIW.
Abbildung 7.10 zeigt die maximal mögliche Stromdichte ( Y, = I) mit AM0 und
AM 1 .S-Spektrum und P, = 1000 Wlm' in Abhängigkeit der Bandlückenenergie der
Halbleiter:
J- = Eth . PS = E- qs . PS . (7.33)
7.2 Photovoltaischer Effekt, Photostrom 375

0.5 1 1.5 2 2.5


Bandlückenenergie in eV
Abb. 7.10. Maximale Stromdichte in Funktion der Bandlücke (qi =I). [7.4]

Der spektrale Wirkungsgrad ergibt sich aus Cl. (7.33) zu

Er ist in Abb. 7.1 1 in Funktion der Bandlückenenergie für eine Bestrahlung der
Halbleiter mit AM0 und AM 1.5 und 1000 Wlm2 dargestellt.

0.5 1 1.5 2 2.5


Bandlückenenergie in eV

Abb. 7.11. Spektraler Wirkungsgrad in Funktion der Bandlücke [7.4]


376 7 Photovoltaik

7.3 Solarzelle, Gesamtwirkungsgrad


7.3.1 Kennlinie und Ersatzschema
Die Kennlinie der Solarzelle und deren Genesis sind in Abb. 7.7 dargestellt worden.
Abbildung 7.12 zeigt den typischen Verlaufeiner reellen (gemessenen) Kennlinie für
eine bestimmte Strahlungsintensität mit den wichtigsten Kennwerten. Die maximale
Leistung wird im Punkt P erreicht. Die Solarzelle sollte also möglichst in diesem
Punkt (MPP) betrieben werden durch Anpassung des Lastwiderstands.
Der Kennlinienverlauf lässt sich mit dem Ersatzschema Abb. 7.13, das im Folgen-
den analysiert wird, qualitativ gut beschreiben. Exaktere Modelle werden in Abschn.
7.5.5 besprochen.
Der zur Bestrahlungsintensität proportionale Photostrom wird durch eine Strom-
quelle simuliert. Die Differenz aus Photostrom und Diodenstrom ist gemäß GI. (7.16)
theoretisch der Nutzstrom der Solarzelle. Das Ersatzschema berücksichtigt noch, dass
Leckströme nicht vermieden werden können (Parallelwiderstand R,J und dass ohm-
sche Verluste an Übergangsstellen und in den Kontakten auftreten (Seriewiderstand
RJ.

Uopt U,
Abb. 7.12. Reelle Kennlinie einer Solarzellc: U,, Leerlaufspannung, I, Kur~schlussstrom,
P Punkt maximaler Leistung (MPP Maximum Power Point), R, Parallelwiderstand,
K, Seriewiderstand, R„ Diodenwiderstand,

Abb. 7.13. Ersatzschaltbild der Solarzelle (Eindiodenmodell)


7.3 Solarzelle, Gesamtwirkungsgrad 377

Abb. 7.14. Diodenkennlinie und ihre Idealisierung

Grösse und Einfluss der beiden Widerstände auf die Kennlinie der Solarzelle
lassen sich durch Idealisierung der Diodenkennlinie mit U„ und R, nach Abb. 7.14
ermitteln. Es hat sich als zweckmäßig erwiesen, den Diodenwiderstand als Diffe-
rentialwiderstand beim halben Photostrom zu definieren.
Aus GI. (7.15) folgt für I, >> I , und mit A = Idealitätsfaktor (s. dazu G1. 7.38)

Der Leerlaufiereich der Solarzelle (Diode leitet) lässt sich dann angenähert durch

darstellen. Die entsprechende Widerstandsgerade ist in Abb. 7.12 eingezeichnet.


Für den Kurzschlussbereich der Solarzelle (Diode sperrt) folgt mit der idealisierten
Kennlinie, da U, < U„ und I, = 0

U = (RD+ Rs)(I,- I)

Die entsprechende Widerstandsgerade ist ebenfalls in Abb. 7.12 eingetragen. Die


beiden Widerstandsgeraden schneiden sich in P'. Die Werte R, und R,, können aus der
experimentell ermittelten Kennlinie berechnet werden.
Den typischen Verlauf der Kennlinien einer Siliziumzelle in Abhängigkeit von
Strahlungsintensität und Temperatur zeigt Abb. 7.15. Bemerkenswert für die Steue-
rung der Solarzelle ist, dass die optimale Spannung (MPP) relativ wenig von der
Einstrahlung und der optimale Strom wenig von der Temperatur abhängt.
378 7 Photovoltaik

Spannung in V

Abb. 7.15. Typische Strom-Spannungs-Kennlinien einer Silizium-Solartelle in


Abhängigkeit von der Bestrahlung und der Temperatur 17.61

Aus dem Ersatzschema Abb. 7.13 folgt durch Hinzufügen einer Parallelkapazität auch
ein dynamisch zutriedenstellendes Simulationsschema für die Solarzelle, das durch
das Gleichungssystem (7.38) beschrieben wird. Die Größen 111,,,I, und U, sind darin
temperaturabhängig, evtl. kann auch die Temperaturabhängigkeit von R, und R,]
berücksichtigt werden. Die Diodenkennlinie wird exakter durch Einführung des
Idealitätsfaktors A beschrieben (i.d.R. A = 1 - 1.5)

7.3.2 Leerlaufspannung
Aus den Gln. (7.18), (7.14) und (7.12) folgt für I„ >> I,

U, = U, In(l + i-)= U, In(-)IPh


5 5
I, = Ks(Z) exp(--)
u~ AW
mit UD = -
UT e
7.3 Solarzelle, Gesamtwirkungsgrad 379

Die Abb. 7.16 zeigt die Leerlaufspannung U, und den Wirkungsgrad q, (auch
Spannungsfaktor genannt) in Funktion der Bandlücke für 25°C und für eine ideale
Solarzelle.

0.5 1 1.5 2 2.5


Bandlückenenergie in eV

Abb. 7.16. Leerlaufspannung und Wirkungrad q, (Spannungsfaktor )


einer idealen Solarzelle in Funktion der Bandlücke für 2S°C, [7.4]
Die Leerlaufspannung U, kann theoretisch maximal den Wert der Diffusionsspannung
erreichen, welcher bei starker Dotierung dem Bandabstand entspricht gemäß GI.
(7.12). In Wirklichkeit ist für eine reelle Zelle oder Modul die Leerlaufspannung
etwas niedriger. Der Wirkungsgrad q, ist stark von Bestrahlungsintensität und
Temperatur abhängig. Mit den Annahmen (7.14) und (7.18) folgt fur Silizium (mit
E„, =. 0.89 AIW) die in Abb. 7.17 dargestellte Abhängigkeit. Bei einer Einstrahlung
von 1000 W/m2 und einer Temperatur von 25°C ist ein Wirkungsgrad q, = 0.54
angenommen worden (Uo= 0.6 V entsprechend Abb. 7.15).

07- 1
r14
06-
-15°C ,
i
T
25°C I l 2 30 U, E„,-
4
05L 65°C

/L
02
O1
10
1
_ LL-

-
I O*
I 1
II

I
iiil

103
P, [ W / m2]
i l i ,

Abb. 7.1 7. Abhängigkeit von q, (Leerlaufspannung)von Strahlungsintensität und


l I

I o4
I i i i l l

105
,

1 emperatur (kristallines Silizium) für ein Solarmodul.


380 7 Photovoltaik

Eine Konzentration der Strahlung um den Faktor 100 (Konzentratorzellen [7.2])


würde eine Zunahme des Wirkungsgrades um rund 20% (relativ) bedeuten, vor-
ausgesetzt die Zellentemperatur bleibt die gleiche. Eine Temperaturerhöhung lässt,
wie bereits erwähnt, die Leerlaufspannung sinken und reduziert dementsprechend den
Wirkungsgrad um ca 0.3% (relativ) pro "C.

7.3.3 Füllfaktor

Als Fülljuktor Fbezeichnet man das Verhältnis zwischen dem Produkt aus Spannung
und Strom im optimalen Punkt (MPP) und dem Produkt aus Leerlaufspannung und
Kurzschlussstrom:

Wird P durch P'ersetzt (Abb. 7.12), lässt sich aus dem theoretischen Kennlinienver-
lauf mit der für große Einstrahlungen i.d.R. gut erfüllten Annahme

schreiben:

Schließlich sei der Teilwirkungsgrad

eingeführt, der auch Leckstrome und ohmsche Verluste von Diode und Kontakten
berücksichtigt. Bei guten Siliziummodulen kann mit dem Richtwert q, = 0.75 ge-
rechnet werden. Eine Annäherung an 1 ist theoretisch möglich. Abbildung 7.18 zeigt
den idealisierten Füllfaktor F, (wobei F < F, ) in Funktion der Bandlücke des Halblei-
ters.

0.5 1 1.S 2 2.5


Bandlückenenergie in eti

Abb. 7.18. Idealisierter Füllfaktor verschiedener Halbleiter, [7.4]


7.3 Solarzelle. Gesamtwirkuneserad 381

7.3.4 Gesamtwirkungsgrad
Der Wirkungsgrad ist als Verhältnis von Leistung im optimalen Punkt P (MPP) und
Strahlungsleistung definiert

Durch Einführung des Füllfaktors GI. (7.40) und Berücksichtigung von GI. (7.37)
sowie des Photostroms GI. (7.32) folgt

Für die Stromziffer gilt nach Abschn. 7.2 und insbesondere GI. (7.30):
E:=Emaxr)lq2q3 .
Werden außerdem die Leerlaufspannung gemäß GI. (7.39) und der Füllfaktor gemäß
GI. (7.43) eingesetzt, erhält man die Fünffaktorenforrnel
'l = ' l l 'l2 'l3 '14 ' l 5 . (7.46)
Mit den angegebenen Richtwerten folgt für Siliziummodule bei 1000 W/m2und 25"C,
q 5 0.75 .0.66.0.75 .0.55 .0.75 = 0.15, was etwa dem Wirkungsgrad guter heutiger
kommerzieller Solarzellen entspricht. Mit den Annahmen q 3= q, = 1 erhält man den
theoretisch maximalen Wirkungsgrad
'l,h = '11 '12 '14 . (7.47)
Abbildung 7.19 zeigt diesen Wirkungsgrad in Funktion der Bandlücke für ver-
schiedene Halbleiter für AMO- und AM 1.5-Sonnenspektrum. Für kristallines Silizium
ergibt sich der theoretisch maximale Wert q„, = 0.28. Im Labor sind Wirkungsgrade
bis Ca. 21% oder gar 23-24% [7.2] erreicht worden.

0.5 1 1.5 2 2.5


Bandlückenenergie in eV

Abb. 7.19. Theoretisch maximaler Wirkungsgrad von Solarzellen, 17.41


382 7 Photovoltaik

7.3.5 Möglichkeiten zur Wirkungsgradverbesserung


Eine Erhöhung des Wirkungsgrades ist aus wirtschaftlicher Sicht von großer Be-
deutung, da sie die notwendige Fläche verkleinert und so die Kosten der Photo-
voltaik-Anlage erheblich senkt. Sie darf also auch etwas (allerdings nicht zu viel)
kosten. Der vorhin definierte theoretisch maximale Wirkungsgrad
%h = q1 q 2 q 4
Iässt sich nicht überschreiten, mit noch tragbarem wirtschaftlichen Aufwand auch
kaum erreichen. Für kristallines Silizium bei 1000 W/m2 und 25°C beträgt er wie
erwähnt etwa 0.28. Um sich diesem Wert zu nähern, müssen die Wirkungsgrade q,
und q5, deren Produkt heute für kommerzielle Module Ca. 0.56 beträgt, weiter
verbessert werden. Dazu sind in erster Linic die elektrischen Verluste durch Re-
kombination und ohmsche Widerstande (eine gute Analyse dazu gibt [7.2]), aber auch
die Leckverluste zu reduzieren. Zur Verschlechterung des Wirkungrades q, tragen
auch optische Verluste (Photonenverluste) im Bereich A. = 0 ....Am, bei. Durch
Antireflexschichten und Texturierung der Oberfläche (Pyramidisierung der Silizium-
oberfläche) wird die Reflexion möglichst reduziert und durch Lichtstreuung (an der
texturierten Oberfläche) sowie Spiegelung an der Rückseite der Solarzelle die
Absorption verbessert [7.2], [7.4].
Es stellt sich ferner die Frage nach den Möglichkeiten, den recht niedrigen theoreti-
schen Wirkungsgrad qti,= q , q2q4 von Ca. 28% zu erhöhen.
Straltlungskonzentration
Der Wirkungsgrad q, Iässt sich durch Konzentration der Strahlung verbessern (Abb.
7.17). Theoretisch nimmt dieser Wirkungsgrad logarithmisch mit der Strahlungs-
leistung zu, um dann bei sehr starker Konzentration abgeflacht gegen 1 zu streben.
Mit hundertfacher Konzentration steigt zwar, z.B. bei 25"C, q, von 0.54 auf ca. 0.65,
wobei jedoch nur die direkte Strahlung genutzt werden kann (Abschn. 1.2.3.5); diese
Technik ist deshalb nur für Standorte mit niedrigem Diffuslichtanteil sinnvoll. Mit
Linsen- und Spiegelkonzentratoren lassen sich Konzentrationsfaktoren bis über 1000
erreichen.
Die Verbesserung des Gesamtwirkungsgrades der Solarzelle ist allerdings meist
weniger gut als erwartet, aus folgendem Grund: wie aus Abb. 7.1 7 ebenfalls ersicht-
lich, tritt die Verbesserung nur dann ein, wenn die Temperatur konstant bleibt. Da die
Konzentration der Energie eine größere Erwärmung nach sich zieht, müsste eine
kostenverursachende Kühlung vorgesehen werden. In diesem Zusammenhang sei
vermerkt, dass sich die Temperaturerhöhung nicht nur auf den Wirkungsgrad q4,
sondern auch auf q, (Temperaturabhängigkeit von R,J negativ auswirkt.
Diese Schwierigkeit sowie auch die mit der Nachführung und der Konzentration
verbundenen Mehrkosten, trotz Verminderung der aktiven Fläche, haben dazu
geführt, dass sich die Kopplung von fokussierenden Spiegeleinrichtungen mit konven-
tionellen Siliziumzellen bis heute nicht durchsetzen konnte. Ein Ausweg könnten
spezielle Konzentratorzellen, die als Punktkontaktzellen ausgeführt werden, darstellen
[7.5],[7.10].
7.3 Solarzelle, Gesamtwirkungsgrad 383

Verbesserung der Nutzung des Solarspektrums


Das Produkt q, q, ist durch die Spektralverteilung der wirksamen Strahlung und das
Halbleitermaterial bestimmt. Mit AM 1.5 (1.5 Atmosphärenlängen, vgl. mit Abb. 7.9)
beträgt es für kristallines Silizium Ca. 0.75 .0.66 = 0.49. Andere Halbleiter sind auch
nicht besser (Abb. 7.1 1). Eine wesentliche Verbesserung kann nur mit Tandem- oder
Mehrfachzellen erreicht werden. Darunter wird die Kombination verschiedener
Halbleiter verstanden, wobei jeder Halbleiter möglichst den Teil des Spektrums
absorbiert, dessen Wellenlängen unmittelbar unterhalb des eigenen h„, liegt (für
h = h„, ist q, q, = I). Praktisch ergeben sich Schwierigkeiten mit der Wahl der
Schaltung. Im allgemein wird die einfache Serieschaltung eingesetzt, sie hat allerdings
den Nachteil, dass hier die schlechteste Solarzelle den Strom bestimmt. Bei Parallel-
schaltung ergeben sich Probleme mit der Kontaktierung sowie den notwendigen
transparenten Zwischenschichten. So oder so erfordern Tandemzellen eine kom-
plexere Technologie, die einen erheblichen Mehraufwand impliziert [7.2]. Dement-
sprechend ist dieser Technik, obwohl aussichtsreich, bis jetzt kein großer kommer-
zieller Erfolg beschieden, außer bei Raumfahrtzellen, wo damit Wirkungsgrade über
30% erreicht werden und durchaus üblich sind. Tandemzellen werden auch bei
Dünnfilmzellen eingesetzt (siehe Abschnitt 7.3.6). Näheres über Tandem- und
Tripelzellen z.B. in [7.4], [7.15], [7.16].

7.3.6 Solarzellentypen
Erfolgreichste Solarzelle fur Leistungsanwendungen ist bisher eindeutig die Sili.71um-
'

zelle auf mono- oderpolykristalliner Basis. Praktisch alle photovoltaischen Anlagen


basieren heute auf dieser Technologie, die dementsprechend gut entwickelt ist, auch
wenn für Netzanwendungen um einen Faktor 5 zu teuer. Die Wirkungsgrade der
kommerziell erhältlichen Module liegen heute im Bereich 12 % bis 18%. (Labor-
rekord für eine einzelne Solarzelle 24.7%). Ein wesentliches Handicap dieser
Technik ist, dass mehr als 50% der Kosten auf die Solarzelle selbst entfallen, nicht
zuletzt wegen des großen Materialaufwandes (Zellendicke von 200 pm für 90%-
Absorption).

Dünnschichtsolarzellen
Aus diesem Grunde ist man einerseits bestrebt, die Zellendicke der Siliziumzellen auf
Ca. 100 pm (oder weniger) zu reduzieren, um den Materialaufwand zu verringern.
Andererseits versucht man, eigentliche Dünnschichtsolarzellen zur kommerziellen
Reife zu bringen. Eine erste Forschungsrichtung stellen die
- Dünnschichtzellen aus kristallinemSilizium dar, deren Dicke etwa bis 5 pm (z.B.
auf Glas) beträgt und somit, was den Materialeinsatz (und die Kosten) betrifft,
erhebliche Vorteile aufweisen. Um die notwendige Absorption der Strahlung zu
erreichen, wird das Licht mehrfach reflektiert (optical confinement). Für Näheres
s. [7.2] sowie [7.3]
384 7 Photovoltaik

In Abschn. 7.1.1 wurde erwähnt, dass es Halbleiter gibt mit wesentlich größerer
Absorptionskraft als kristallines Silizium. Forschungsanstrengungen haben zur
Entwicklung von verschiedenen Solarzellentypen geführt. Die wichtigsten sind:
- Solarzellen aus amorpltem Silizium: Mit Schichten < 1 pm lassen sich Solarzellen
bauen, die eine weite Verbreitung im kleinen Leistungsbereich (Taschenrechner,
Uhren usw.) gefunden haben. Für größere Leistungen ist der erreichte stabilisierte
Wirkungsgrad ca. 6% für Module sowie max. 13% im Labor. Die Anfangswir-
kungsgrade sind zwar höher, aber senken sich auf die erwähnten Werte wegen der
lichtinduzierten Degradation.
- Solarzellen aus Gallium-Arsenid GaAs: Dieses kristalline Material ermöglicht
eine 90%-Absorption mit 2 pm. Der Bandabstand von 1.42 eV ist ebenfalls sehr
günstig. Mit AM1.5 werden im Labor Wirkungsgrade bis 24.5% erreicht. Einer
Verbreitung dieser Zellen stehen der Preis (vorläufig) und vor allem Umwelt-
aspekte (Giftigkeit von Ga und As) im Wege. Zellen aus GaAs werdenfir Raum-
fahrtsanwendungen und als Konzentratorzellen entwickelt. Mit diesen Zellen
lassen sich höhere Wirkungsgrade erreichen, speziell in der Konfiguration von
Tandem- und Mehrfachzellen (siehe oben). Allerdings sind solche Zellen sehr
teuer.
- Solarzellen aus Cadmium-Tellurid CdTe: Diese Dünnfilmzellen machen heute
sehr viel von sich reden (Laborrekord 16.5 % Module wohl Ca. 6%). Probleme:
Cadmium (giftig), Tellurium (nicht ausrecichend verfügbar). Produktionskosten
minimal [7.17]
- Solarzellen aus Kupfer-Indium-Diselenid CulnSe,: Für diese auch als CIS-
Solarzelle bekannte Anordnung aus polykristallinem Material genügt eine Schicht
von ca. 2 pm, um die Strahlung zu absorbieren. Der etwas ungünstigere Band-
abstand von 1 eV kann durch Hinzufügen von Ga zum In auf optimale 1.4 eV
erhöht werden. Damit wurden im Labor Wirkungsgrade von 18.8% erreicht.
Kommerzielle Module haben allerdings einen Wirkungsgrad von Ca. 9%. Das
Entwicklungspotential wird als gut beurteilt. Ein Nachteil könnte die begrenzte
Verfugbarkeit von Indium sein.
Dünnschichtsolarzellen eignen sich besonders gut f i r Tandernstrukturen. Insbesonde-
re mikromorphe Solarzellen, welche mikrokristalline und amorphe Solarzellen
kombinieren, eröffnen hier neue Perspektiven [7.12], [7.13]. Es werden zur Zeit viele
Produktionsanlagen für mikromorphe Module geplant; kommerzielle Modulwirkungs-
grade sind etwas über 8% (wobei man hofft, bald auf 10% hinaufzukommen). Die
Herstellungskosten und der Materialaufwand sind deutlich geringer als bei den
klassischen kristallinen Siliziumzellen.
7.4 Die Sonne als Energieauelle 385

7.4 Die Sonne als Energiequelle

Vor Ca. 5 Mrd. Jahren entstand an einem bestimmten Punkt der Milchstraße der
Fusionsreaktor Sonne durch lokale Verdichtung der Ur-Gasmasse des Universums
(bestehend aus Ca. 75% H und 25% He), die zur kritischen Temperatur von etwa 12
Mio. K fuhrte. Möglicherweise war eine Supernova-Explosion die Ursache der
Verdichtung. In den vergangenen 5 Mrd. Jahren hat die Strahlungsintensität wahr-
scheinlich um Ca. 25% zugenommen. Noch weitere 5 Mrd. Jahren wird die Sonne in
derselben Art Wasserstoff zu Helium verbrennen, wobei ihre Strahlungsintensität
weiterhin leicht ansteigen wird. Dann wird sie in eine Art Energiekrise geraten und
sich zu einem „Roten Riesen" aufblähen, später kollabieren und als „Weißer Zwerg"
weiterhin leuchten, schließlich langsam ausbrennen und als unsichtbare Kugel ihren
Stern-Lebenslauf beenden.
Heute ist die Sonne eine Gaskugel mit folgenden Daten:
Radius: 696 '000 km (109 X Erde)
-->
Volumen: 1.4 1 2 . 1 0 ~ ~ m
Oberfläche: 6.087. 1018 m (7.48)
Dichte: 1.41 tlm (114 der Erde)
Masse: 2. lo2' t (Erde 6 . 102' t ) .
Die Abstrahlung beträgt total 380.1012TW, auf die Oberfläche bezogen, die eine
Temperatur von 5900 K aufweist, sind dies rund 62 TWlm2.
Die abgestrahlte Energie beträgt 12 .I 03' Jla und der entsprechende Massenverlust
nach der Relation E = m C' ist Am = 133.10" tla. Dabei werden Ca. 20.10" tla
Wasserstoff verbrannt. In 5 Mrd. Jahren sind es ca. 1OZ6 t, was etwa 1 0 15% des
ursprünglichen Vorrats bedeutet.

7.4.1 Extraterrestrische Strahlungsintensität


Die Erde kreist um die Sonne in einer leicht elliptischen Bahn. Der Abstand Erde-
Sonne beträgt
dm = 152. 106 km : Anfang Juli
dn, = 147. 106 km : Anfang Januar (7.49)
d,,, = 149.5.1o6 km : Anfang AprillOktober .
Daraus lässt sich die mittlere extraterrestrische Strahlungsintensitüt (d.h außerhalb
der Atmosphäre, aber in Erdnähe) berechnen:
W
D,, = 380 1°14 = 1353 - = Solarkonstante
4 n d; m2
minimaler Wert Anfang Juli : 13 10 Wlm
maximaler Wert Anfang Januar : 1400 Wlm .
3 86 7 Photovoltaik

Die totale Strahlungsleistung auf der Erde lässt sich daraus berechnen, bei Berück-
sichtigung des Erdradius von Ca. 6.38.106 m (einschl. Atmosphäre). Die mittlere
Strahlungsleistung ist

Zwischen Juli und Januar ändert sie sich von 167'000 bis 179'000 TW.

7.4.2 Scheinbare Sonnenbewegung relativ zur Erde


Abbildung 7.20 zeigt das Erdkoordinatensystem (Länge und Breite) und die Nei-
gung der Rotationsachse der Erde um 23.45" gegenüber der Bahnebene. Durch
Projektion an das Himmelsgewölbe erhält man das sog. ~immels-Äquatorsystemfür
den betrachteten Ort (Abb. 7.21). Wegen der Kleinheit des Erdradius befindet sich
der Ort A praktisch im Mittelpunkt des Systems. Die Richtung der Himmelsachse
wird von der Breite des Ortes bestimmt. Am Äquator ist die Himmelsachse horizon-
tal, an den Polen stimmt sie mit der Nadir-Zenit-Achse überein.

Breitenkreis

Aquator

Bahnebene
Ortsmeridian

Erdachse

Abb. 7.20. Koordinaten des Ortes A auf der Erde (Länge, Breite)

Sonnenbahr

Himmelsä ,

Nadir

Abb. 7.21. Scheinbare Sonnenbewegung, für die Breite <p erhalten durch Projektion der
Ortskoordinaten an das Himmelsgewölbe.
Sonnenstand, gegeben durch Deklination 6 und Stundenwinkel o [7.9]
Zenit

achse
Nadir
Abb. 7.22. Sonnenbahn zur: a) Sommersonnenwende, b) Frühjahrs- und Herbstwende,
C ) Wintersonnenwende. ,CA Sonnenaufgang, SU Sonnenuntergang [7.9]

Die Sonne beschreibt scheinbar eine Kreisbahn um die Himmelsachse. Diese Kreis-
bahn ist um die Deklination 6 (die als Winkel gegeben wird) gegenüber dem Him-
melsäquator verschoben. Die Verschiebung hängt wegen der Neigung der Rotations-
achse der Erde in der Bahnebene von der Jahreszeit ab. Sie schwankt zwischen
-23.45" und+23.45" und ist null bci dcr Frühjahrs- und Herbstwendc (Abb. 7.22). Dic
Deklination kann mit folgender Formel berechnet werden (M, = Tagesindex, begin-
nend mit dem 1. Januar)

der 2. Term ist eine Folge der elliptischen Bahn der Erde und nur f i r 173 < n, < 366
verschieden von null. Im ersten Term setzt man ein:
n, - 79 für Schaltjahre
n, - 79.25
(7.53)
nd - 79.50 ) für die 3 folgenden Jahre .

Die exakte Position der Sonne während des Tages wird durch den Stundenwinkel o
gegeben, vom Himmelsmeridian aus gemessen (relativ zur Südrichtung). Bei genauer
Südrichtung der Sonne ist die Wahre Ortszeit (Sonnenzeit) TS = 12.00 h. Der Stun-
denwinkel (Winkelabweichung von der Südrichtung) ist dann

o = (TS - 12).15 . (7.54)


388 7 Photovoltaik

Man muss ferner berücksichtigen, dass die effektive Ortszeit (Zonenzeit TL) nicht mit
TS übereinstimmt. Die Erde ist in 15 Zonenzeiten eingeteilt. Es gilt allgemein

L-L,
TS = TL + - + ET
15
- -

L = Lange des Ortes ( L > 0 - - > östlicheLunge) (7.55)


L, = Lange des Normalzeitortes Cfür den TS = TL - ET)
ET = Korrekturterm, s. GI.(7.57) .

Für die westeuropäische oder Greenwich-Zeit (England, Portugal) ist L, = Oe


(Greenwich- oder Nullmeridian, London).
Für die mitteleuropäische Zeit = MEZ, gültig für die meisten Länder Europas, ist
L, = 15", für die osteuropäische Zeit oder Moskauer-Zeit ist L, = 30" usw. Für die
Schweiz und die meisten Länder Europas gilt also

Winter: TS = L - 1 5 + ET
MEZ + -
15
Sommer: TS = SOZ -
wobei Sommerzeit SOZ = MEZ - 1 .
Der Term ET ist eine Folge der elliptischen Bahn der Erde, deren Sonnenumkreis-
geschwindigkeit gemäß den Keplerschen Gesetzen nicht konstant ist. Mit genügender
Genauigkeit für Solaranwendungen (nicht aber für nautische Anwendungen) kann
man schreiben:
1

ET [h] = a, cos(kN) + bk sin(kN)


k= 1
360 nd (nd = laufende Tag-Nr)
mit N = -
365.25

Den Verlauf des Korrekturterms ET in Minuten im Verlauf der Jahreszeit zeigt Abb.

Min

1
' Tag
Abb. 7.23. Korrekturterm ET
7.4 Die Sonne als Energiequelle 389

7.4.3 Berechnung des Sonnenstands


Der Sonnenstand wird definiert durch den Hohenwinkel h (über dem Horizont) oder
den Zenitwinkel z = 90" - h und den Azimut a (Abweichung von der Südrichtung).
Mit Hilfe von Sätzen aus der sphärischen Trigonometrie (Sinus- und Cosinussatz)
folgt für das sphärische Dreieck Nordpol-Zenit- Sonnenstand (cp >O für die nördliche
Halbkugel)
sinh = cosz = sincp sin6 + coscp cos6 coso (7.58)
coss sino
sina =
cos h
sincp sinh - sin6
cosa =
cos h coscp
Die Gln. (7.59) müssen beide wegen der Doppeldeutigkeit erfüllt sein.
Für den theoretischen Sonnenaufgang bzw. - untergang (bei flachem Horizont) folgt
h = 0 --> sinq sin6 = -coscp cos6 coso
coso, = - tancp tanb
sin 6
cosaO = - -.
cos cp
7.4.4 Berechnung der Strahlungsintensität
Die extraterrestrische Strahlungsintensität D, schwankt entsprechend GI. (7.50) um
gut 3% um den mittleren Wert und kann als Funktion der Deklination ausgedrückt
werden. Wird mit D, die effektiv eintreffende Strahlung bezeichnet, erhält man für
die Strahlungintensität auf einer horizontalen Fläche gemäß Abb. 7.24

D = D ,sinh.

~ b b7.24.
. Strahlung auf horizontaler Fläche

Für eine geneigte Flache, deren Neigung relativ zur horizontalen durch den Winkel
$ und deren Ausrichtung durch den Azimut a, bestimmt wird (Abb. 7.25), sei der
Grundriss Abb. 7.26amit den Vertikalschnitten Abb. 7.26b und 7 . 2 6 ~
betrachtet. Die
auf die Fläche wirkende senkrechte Strahlungskomponente D ergibt sich folgender-
maßen:
D = X, + X,
mit y, = D, sinh tan$ , y, = D,cosh cos(a - al) - y,
(7.62)
D, sinh
X, = -, X, = Y, s h $ .
COS*
390 7 Photovoltaik

Abb. 7.25. Geneigte Fläche in beliebiger Richtung

a) Grundriss
B'

b) Vertikalschnitt AA' C) Vertikalschnitt BB'

Abb. 7.26. Grundriss und Vertikalschnitte zu Abb. 7.25, Bercchnung der auf der
Fläche senkrecht stehenden Komponente von D,
Aus den Gln. (7.62) folgt durch Einsetzen und einige Umformungen
D = D1 [sinh tos* + cos h sin* cos(a - U,)] . (7.63)
Der Spezialfall von GI. (7.61) folgt für $ = 0. Wird die Fläche um eine vertikale
Achse der Sonne nachgefahren, so dass a, = a, folgt D = D, sin (h + q). Wird
schließlich die Fläche auch um eine horizontale Achse entsprechend dem Sonnen-
stand gedreht, so dass $ = 90" - h, folgt D = D, .
7.4 Die Sonne als Energiequelle 391

7.4.5 Strahlungsenergie pro Tag


Die Strahlungsdichte D, ist während des Tages wegen der Wirkung der Atmosphäre
und des Wellers nicht konstant und die effektive Tages-Strahlungsenergie dern-
zufolge einer Berechnung kaum zugänglich und nur experimentell und statistisch
erfassbar. Als oberster Richtwert kann, gesetzt D, = D,, die extraterrestrische Tages-
summe (Einstrahlung ohne Atmosphäre) angegeben werden:
Horizontale Fläche
SU su
W, =
/
SA
Ddt =
/
D, sinh dt .
SA
Wird die Zeit durch den Stundenwinkel nach GI. (7.54) ersetzt

*
wobei die lntegrationsgrenzen bei flachem Horizont durch o,entsprechend GI.
(7.60) ersetzt werden können, und berücksichtigt GI. (7.58), folgt
Oo
24
W, = D, / (sinq sin6
-0
+ cosq cos6 c o s o ) -
2n
do .

Für den betrachteten Ort und Tag sind cp und 6 konstant, und man erhält schließlich

24
Wd = - D, (sincp sinb o, + cosq cos6 sino,)
n
Abbildung 7.27 zeigt den Jahresgang der Tagesenergie für verschiedene Breiten-
grade und mit der Annahme D,(6) = konst = 1.353 kW/m2. Das Integral über das
Jahr führt in Abhängigkeit von der Breite zu Abb. 7.28.

Abb. 7.27. Jahresgang der Tagesenergie auf einer horizontalen Fläche für verschiedene
Breitengrade (extraterrestrische Einstrahlung 1 353 W/m2)
+ Breite des Ortes

Abb. 7.28. Jahresenergie auf einer horizontalen Fläche ohne Atmosphäre in Funktion der
Breite des Ortes

Geneigte Fläclie
Ist die Fläche nach Süden ausgerichtet (nördliche Hemisphäre) mit Neigung (Abb. +
7.25), ist U, = 0, und es genügt, in GI. (7.66 ) cp durch (cp - $) zu ersetzen. In der
Regel liefert eine andere Orientierung als Südrichtung eine kleinere Tagesenergie. Es
gibt aber auch Fälle, in denen dies nicht zutrifft und eine andere Orientierung sinn-
voll ist: Wirkung von Bergprofilen (U, ergibt sich dann aus GI. 7.58 nicht für h = 0,
sondern aus h„„, entsprechend dem Bergprofil), regelmäßiger Morgennebel, Bewöl-
kung jeweils am Nachmittag, Reflexionswirkungen (Schnee, Gletscher, Wasser),
diffuses Licht usw.
Durch Integration der GI. (7.66) folgt allgemein
24
W, = - D, [(cos* sincp-sin* coscp) sinb o, +
7c (7.67)
+ (cosq coscp + sin* sincp) cosb sinw,)] .
Werden über eine bestimmte Zeitperiode (Monat, Saison, Jahr) Neigung und Orien-
tierung der Fläche nicht geändert, ergibt die Aufsummierung

"d

einen Ausdruck der Form

A
24
= - D,
n
(sincp C sin6 o, + coscp C cosb sino,)
nd nd
mit (
24
B = -~ n o o , cosb sinoo)cosal .
, ( - ~ ~ ~ c p C ~+i sincpC
7c nd nd
7.4 Die Sonne als Energiequellc 393

0 10 20 30 40 50 60 70 80 90
--
-- -) Breite des Ortes

Abb. 7.29. Optimale Ncigung in Funktion der Breite des Ortes, ohne Atmosphäre (während
des Jahres oder des Sommers bzw. Winters unveränderte Neigung)

Die Energie der Periode wird maximiert für dW/d+ = 0, woraus die optimale Nei-
gung folgt

die in Abb. 7.29 in Funktion der Breite des Ortes bei Südausrichtung (nördliche
Halbkugel) dargestellt ist. Sie nimmt zu bis zum Polarkreis, uni dann wieder ab-
zunehmen. Mit Atmosphäre ist die optimale Neigung etwas kleiner, weil für den
diffusen Lichtanteil die horizontale Lage am besten abschneidet.

7.4.6 Wirkung der Atmosphäre


Werden die bisherigen Berechnungen auf geostationäre Satelliten angewandt, liefern
sie exakte Resultate (der Wert des Höhenwinkels bei SA und S U ist allerdings nicht
null, sondern leicht negativ und abhängig von der Satellitenhöhe).
Für Anlagen auf der Erde ist die Wirkung der Atmosphäre zu berücksichtigen, die
nur experimentell erfasst werden kann. Die Atmosphäre verursacht Reflexion,
Streuung und Absorption der Sonnenstrahlung. Vor allem die Absorption in 20-30
km Höhe durch das Ozon und in tieferen Schichten durch Hi 0 und CO, bewirkt
nicht nur eine Abnahme der Strahlungsintensität, sondern auch eine Veränderung des
Spektrums (s. auch Abb. 7.9). Die Verteilung der Sonnenstrahlung in der Atmosphä-
re kann mit Hilfe des Schemas in Abb. 7.30 näher erklärt werden.
Die eintreffende kurzwellige Strahlung So wird z.T. von der Atmosphäre absorbiert
und dabei in langwellige Wärmestrahlung umgewandelt. Ein weiterer Teil wird von
Luft und Wolken direkt ins Weltall zurückgestrahlt oder gestreut. Was übrig bleibt,
trifft als direkte Strahlung S auf die Erde. Die gestreute Strahlung erreicht ebenfalls
als Himmelsstrahlung H die Erde. Die auf der Erde gemessene d@use Strahlung
394 7 Photovoltaik

Sonne
Reflexion 29%
i 100%

Wärmeabstrahlung 71%

30%

Absorption

Abb. 7.30. Auftcilung der einfallenden Solarstrahlung durch Reflexion, Streuung


und Absorption sowie Wärmeabstrahlung (Zahlen entsprechen Erddurchschnitt)

kann neben der Himmelsstrahlung auch einen Teil Reflexionsstrahlung aus der
Umgebung enthalten. Die Summe von Direktstrahlung und Himmelsstrahlung (bzw.
Diffusstrahlung) wird als Globalstrahlung G bezeichnet.
Nach Abzug der von der Erde reflektierten Strahlung R verbleibt die von der Erde
absorbierte Strahlung, die in Wärme umgewandelt wird. Da sich die Erde im ther-
mischen Gleichgewicht befindet, muss diese Wärme wieder abgegeben werden, was
etwa zu 213 durch Konvektion und Verdunstung und 113 durch Wärmeabstrahlung
(E -A) in die Atmosphäre geschieht. Die Atmosphäre insgesamt strahlt Ca. 7 1% der
Sonnenstrahlung als Wärme in das Weltall ab.

7.4.7 Strahlungsintensität mit Atmosphäre


Die Strahlungsintensität kann durch Messung von Globalstrahlung und Direkt-
strahlung erfasst werden [7.8]. Für die Schweiz liegen Messungen der direkten
Strahlung bei klarem Himmel für verschiedene Höhenlagen vor (Abb. 7.3 1 und 7.32)
sowie über die Globalstrahlung für einzelne Stationen.
Bei maximaler Strahlungsintensität (TS = 12, Abschn. 7.4.2) gelten für die direkte
Struhlung die Richtzahlen von Tabelle 7.1 (auf einer zur Strahlung normalen Flä-
che).
Die max. Globalstrahlung im schweizerischen Mittelland hat einen typischen Wert
bei wolkenlosem Himmel von 1000 W/m2, wovon bei klarblauem Himmel etwa 10%
diffus sind. An einem dunstigen Sommernachmittag beträgt der Diffusanteil bis 50%.
An einem trüben Wintertag kann die Globalstrahlung lediglich 5 0 100 W/m2 errei-
chen (1 00% diffus).
7.4 Die Sonne als Energiequelle 395

Tabelle 7.1. Direkte Strahlung in der Schweiz in Abhängigkeit von der Höhenlage für
verschiedene Jahreszeiten

Direkte Strahlung Ende März. An- Juni Dezember


um 12.00 h fang April W/m2 Wlm' W/m2

extraterrestrisch 1350

4000 m 1158

3000 m 1 1 15

2500 m 1086

2000 m 1047

1500 m 1000

400 m 870

600

-
'E
0 so0
Y
U

-
.m
"
*W

d
C
$, wo
-
C
L
n

3anreszeit

Abb. 7.31. Tages- und jahreszeitliche Verteilung der direkten Sonnenstrahlung auf
Normalfläche fur das schweizerische Mittelland in 400 in ü.M, bei klarem Himmel,
1 kcallh-m2= 1.163 W/m2 (Quelle: MZA Zürich)
396 7 Photovoltaik

mois

Abb. 7.32. Jahreszeitliche Veränderung der Direktstrahlung für verschiedene Stunden des
Tages in 2000 m ü.M, bei klarem Himmel, I kcallh-m2= 1.163 W/m2
(Quelle: Studie Institut Battelle)

Die Abb 7.33 gibt eine Schätzung des in Europa möglichen Energieertrags in
kWh/kWp mit PV-Anlagen, bei optimaler Ausrichtung der Solargeneratoren.

Photovoltaic Solar Electricitv pntential in European Countries

Abb. 7.33. Jährlicher Energieertrag in kWh/kWp bei optimaler Ausrichtung der PV-
Anlage (Quelle: PVGIS European Communities [7.18])
7.5 Systemtechnik
Je nach Energieversorgungsaufgabe werden zwei Arten von PV-Systemen unter-
schieden: lnselsysteme und netzgekoppelte PV-Anlagen. Beide verwenden Solarge-
neratoren, die sich aus Solarmodulen zusammensetzen. Etwa 90% der weltweit
installierten PV-Leistung sind heute netzgekoppelt.

7.5.1 Solarmodule und Solargeneratoren


Solarmodule
Durch Serieschaltung (in seltenen Fällen auch Parallelschaltung) der derzeit üblichen
Solarzellen von häufig 2-4 W Leistung (bei 1000 W/m2)ergeben sich Solarmodule,
die eine Leistung von 50-200 W aufweisen. Das meist verwendete Modul für
kristallines Silizium besteht aus 36 seriegeschalteten Zellen. Um die Überhitzung
von möglicherweise verschatteten Solarzellen zu verhindern, wird jede Solarzelle
oder zumindest eine Anzahl von Solarzellen mit einer Diode (Bypassdiode) über-
brückt.
Solargeneratoren
Durch Serie- und Parallelschaltung von Solarmodulen können Solargeneratoren mit
der gewünschten Leistung und Spannung hergestellt wcrden.
Die Serieschaltung ergibt einen Strang (oder englisch Stving), der mit Bypass-
dioden und Strangsicherungen gegen Rückströme geschützt wird. Durch die Serie-
schaltung wird die gewünschte Systemspannung erreicht.
Die Parallelschaltung von Strängen ermöglicht die Erhöhung des Stromes und
somit Erreichung der gewünschten Leistung des Solargenerators.
Näheres über Aufbau und Herstellung von Solarmodulen und Solargeneratoren
sowie über die durch Serie- und Parallelschaltung entstehenden Probleme und
insbesondere die durch Teilbeschattung entstehenden Leistungsverluste ist z.B. in
[7.4] zu finden

7.5.2 Inselsysteme
Für Inselsysteme kleiner Leistung stellt die PV oft eine wirtschaftliche Lösung dar.
Typische Anwendungen sind Telekommunikationseinrichtungen, isolierte Kühlein-
richtungen, Verkehrs- und Notrufeinrichtungen, Wasserpumpen, Energieversorgung
von Berghütten oder -restaurants, in Entwicklungsländern auch von kleineren Dör-
fern. Den allgemeinen prinzipiellen Aufbau zeigt Abb. 7.34. Für kleine Verbraucher
genügt ein Gleichspannungsausgang, womit auf den relativ teuren Wechselrichter
verzichtet werden kann. Der Akkumulator ermöglicht die Entkopplung des Ver-
brauchs vom Solarenergieangebot.

Solar- Laderegler Batterie Wechselrichter Verbraucher


generator

Abb. 7.34. Prin~ipiellerAufbau eines lnselsystems


398 7 Photovoltaik

Im Fall der Wasserpumpe kann dann gepumpt werden, wenn die Sonne scheint,
und somit auf die Batterie und den dazu notwendigen Laderegler verzichtet werden.
Erwähnenswert ist auch die Anwendung fur Solarmobile (Tour de Sol, Schweiz,
World Solar Challenge, Australien, Solarschiff Bielersee).
Oft werden Inselanlagen auch als Hybridanlagen ausgefihrt, z.B. als Kombination
von PV- und Windenergieanlage. Die Produktion der beiden Anlagen ergänzt sich in
Berggebieten gut, da häufig der Wind dann bläst, wenn die Sonne nicht scheint. Bei
größeren Verbrauchern kann auch die Kombination der PV-Anlage mit einem diesel-
oder biogasangetriebenen Generator die optimale Lösung darstellen.

Akkumulator
Als Batterie oder Akkumulator werden bei PV-Anlagen im Inselbetrieb i.d.R. elek-
trochemische Speicher, meist Bleiakkumulatoren verwendet. Für die optimale
Auslegung von Batterie und Regler sind Simulationsrechnungen, welche die lokale
Meteorologie und das Verbraucherverhalten berücksichtigen, notwendig. Der Lade-
regler gewährleistet eine automatische Betriebsfihrung und schützt die Batterie vor
Überladung und Tiefentladung. Näheres in [7.4], [7.5], [7.11].

7.5.3 Netzgekoppelte PV-Anlagen


Netzgekoppelte Anlagen benötigen keine Speichervorrichtung, da die Ausgleichs-
funktion vom Netz übernommen wird, und weisen deshalb einen relativ einfachen
Aufbau auf (Abb. 7.35). Sie stehen aber in Konkurrenz mit konventionellen Kraft-
werken und bedürfen vorderhand, auf Grund mangelnder Wirtschaftlichkeit, der
öffentlichen Förderung (kostendeckende Einspeisevergütung). Diese kann durch ihr
langfristiges Potential begründet und solange gerechtfertigt werden, als fossile
Brennstoffe nicht nach dem Verursacherprinzip entsprechend ihren externen Kosten
(insbesondere Klimaschäden) belastet werden.
Weltweit befindet sich die Photovoltaik in einer Expansionsphase mit einer Steige-
rungsrate in den letzten Jahren von 20-40%/a, die in den entwickelten Industrielän-
dem größtenteils durch die netzgekoppelten Anlagen getragen wird und den na-
tionalen Förderprogrammen zu verdanken ist. Die installierte PV-Leistung betrug
2007 weltweit etwa 8000 MWp (Megawatt-peak). Dem verschärften Wettbewerb,
als Folge der Liberalisierung im Stromsektor, wird außerdem mit Marketingstrate-
gien entgegenzutreten versucht, die das in vielen Ländern wache Umweltbewusstsein
ansprechen (Börsen fur Solarstrom oder Ökostrom).
Möglichkeiten zu einer progressiven Kostensenkung bieten die Fortschritte in der
Solarzellentechnologie, die Integration der Solarzellen in Gebäude mit entsprechen-
der Kostenabwälmng und die durch die Produktionsausweitung einhergehende
Rationalisierung der gesamten Prozesskette zur Herstellung der Solaranlagen.

Solar- Wechselrichter Netz


generator
Abb. 7.35. Prinzipieller Aufbau einer netzgekoppelten PV-Anlage
7.5 Systemtechnik 399

7.5.4 Wechselrichter
Alle netzgekoppelten Anlagen und die meisten Inselanlagen benötigen einen Wech-
selrichter, der die vom Solargenerator gelieferte Gleichspannung in eine verbrau-
cher- bzw. netzkonforme Wechselspannung umwandelt. Zu diesem Zweck werden
heute fast ausschließlich selbstgeführte, mit Pulsweitenrnodulation (PWM) ge-
steuerte Wechselrichter verwendet (Band 1, Abschn. 7.3.2), die u.a. den Vorteil
aufweisen, einen Strom mit geringem Obenvellengehalt zu erzeugen.
Abbildung 7.36 zeigt selbstgeführte dreiphasige Wechselrichter von 20 ...35 kW
und 50...300 kW mit einer Eingangsspannung von 450....800 V und einem Stromrip-
pel (peak to peak) von max. 4%. Ein Transformator gewährleistet die galvanische
Trennung vom Netz. Der Wirkungsgrad beträgt > 94%.

L
I I I I

Abb. 7.36. Dreiphasige Wechselrichter für 20-35 kW und 50- 300 kW


( Quelle: Sputnik Engineering AG, Biel, Schweiz, [7.14])
400 7 Photovoltaik

Der Wechselrichter bzw. seine Elektronik stellt das Gehirn der PV-Anlage dar. Er
übernimmt alle Steuerungs- und Regelungsfunktionen, insbesondere die Ein- und
Ausschaltung in Abhängigkeit der Bestrahlungsstärke und den optimalen Betrieb im
MPP-Punkt der Solarzellenkennlinie (Abb. 7.15), ferner die Überwachungs-, Melde-
und Schutzaufgaben.
Wechselrichter im Bereich 2 ...6 kW werden meist einphasig und oft ohne galva-
nische Trennung (d.h ohne Trafo) ausgeführt (Abb. 7.37), was dem Wirkungsgrad
zugute kommt (> 97%).
Es besteht ein Trend, auch größere Wechselrichter im Bereich 30-50 kW ohne
Trafo auszuführen.
Um die bei fassadenintegrierten Anlagen nötige Freiheit in der architektonischen
Gestaltung zu erlangen, verfugt jedes Teilsolarfeld oder jeder Generatorstrang über
einen eigenen Wechselrichter, der unabhängig vom Rest der Anlage Strom ins Netz
speist. Detailliertere Angaben über photovoltaische Systeme findet man in [7.4].

Abb. 7.37. Einphasiger Wechselrichter ohne galvanische Trennung (ohne Transformator)


flir 2- 6 kW; Schaltschema des 6 kW-Wechselrichters
(Sputnik Engineering AG, Biel, Schweiz, [7.14])
7.5.5 Modellierung der Solarmodule
Das in Abschn. 7.3 gegebene Solarzellenmodell (Eindiodenmodell) eignet sich gut
für grundsätzliche Betrachtungen oder zur Nachbildung der Solarzelle für einen
engen Betriebsbereich. Das Modell wird durch die 4 Parameter I,, A, U,,R, be-
stimmt. Für die Identifikation benötigt man 4 Gleichungen, z. B. die Leerlauf- und
Optimumsbedingung für zwei verschiedene, relativ nahe liegende Einstrahlungen.
Für eine exaktere Nachbildung des Verhaltens realer Solarmodule bei veränderli-
cher Einstrahlung ist das in Abb. 7.38 gegebene Zweidiodenmodell, das stationär
durch folgendes Gleichungssystem beschrieben wird, wesentlich besser:

Das Modell wird durch die 6 Parameter I„ I„ A l , A2 U, F$, bestimmt, die durch 6
Identifikationsgleichungen ermittelt werden können. Diese lassen sich aus gemesse-
nen Solarmodulkennlinien für 3 verschiedene Einstrahlungswerte (beispielsweise
100%, 20% und 5% Einstrahlung, oder 100%, 70% und 5%, da die 20%-Kennlinie
oft schwer zu messen ist) bestimmen. Diese liefern für Leerlauf (I = 0, U = U,) und
für den optimalen Punkt P (U„, , I„,) (s. Abb. 7.39) die 6 Bedingungen

-
die nach den 6 Parametern aufgelöst werden können. Aus dem Kurzschlussstrom
erhält man den Wert des Photostromes, der in erster Näherung I„, I und exakter,
mit der Annahme I„ 2 I„ 2 0 (iterative Berechnung),

Abb. 7.38. Ersatzschaltbild der Solarzelle (Zweidiodenmodell)


402 7 Photovoltaik

beträgt.
Bei der Festlegung von U, und der Auswertung der Ströme 1,; muss die Temperatur-
abhängigkeit dieser Größen gemäß den Gln. (7.14) und (7.15) berücksichtigt werden.
Eine noch genauere Darstellung erfasst die Abhängigkeit des Shunt-Stromes vom
Verhältnis Diodenspannung zu Breakdown-Spannung [7.7]), das auch ohne Modell
zu ändern, durch einen nichtlinearen, d.h. mit zunehmender Einstrahlung abnehmen-
den äquivalenten Parallelwiderstand dargestellt werden kann. Die Anzahl Parameter
bei Messung von drei Kennlinien erhöht sich dann auf 8.
Zur Identifikation können zusätzlich die Steigungsmasse der Tangenten für die
beiden größeren Einstrahlungen (beispielsweise 100% und 70%) entsprechend den
gemessenen Kennlinien vorgegeben werden. Das Steigungsmaß der Tangente erhält
man durch Berechnung der Ableitung dI/dU aus GI. (7.71). Es folgt

Im Kurzschlusspunkt ist der Diodenwiderstand i.d.R. wesentlich größer als &, und
es ergeben sich die einfachen Identifikationsgleichungen

für i = 1...2 .
't

Abb. 7.39. Reelle Kennlinie einer Solarzelle (bzw. Solarmoduls): U, Leerlaufspannung,


I, Kurzschlussstrom, P Punkt maximaler Leistung (MPP Maximum Power Point)
Statt dessen, oder in einem weiteren Schritt auch zusätzlich, könnten die Steigungs-
masse im Leerlaufpunkt zur Identifikation herbeigezogen werden. Aus GI. (7.74)
erhält man

mit 1 - 41 U,,
~xP(-) + -
4 2
W (-
U, i
1 (7.76)
RdOi 4 UT Alu, A2UT A2 U?"

für i = 1....2

Dies ermöglicht, eine Abhängigkeit des Seriewiderstandes von der Einstrahlung


einzuführen, d.h eine Darstellung des Solarmoduls mit 10 Parametern. Ein Simulink-
Modell zur Generierung der Solarmodulkennlinie und Untersuchung obiger Ansätze
zeigt die Abb. 7.40.

lntl Step Fcn2


.1 Belastung
2 Kennlinie

Clo& To W o k p a c e l

Abb. 7.40. Simulink-Modell zur Untersuchung des stationären und dynamischen Verhal-
tens eines Solarmoduls
8 Brennstoffzellen

Mit Brennstoffzellen lassen sich Wasserstoff sowie Erdgas und andere Kohlenwasser-
stoffe (z.B. Benzin, Methanol) oder Biogas elektrochemisch direkt in elektrische
Energie umwandeln. Gegenüber Wärmekraftmaschinen, die den Umweg über die
mechanische Energie nehmen, ergeben sich höhere Wirkungsgrade, und dies ohne
rotierende Teile und entsprechende Lärmemissionen. Bereits fur kleine Leistungen
lassen sich Wirkungsgrade von 5 0 6 0 % erreichen, was mit konventioneller Technik
nur mit Kombianlagen im 10- 100 MW-Bereich möglich ist. Die Umweltbelastung
bei Verwendung von Erdgas ist wegen des höheren Wirkungsgrads und der anders-
artigen Verbrennung (kein Ruß, keine Stickoxide, keine unverbrannten Kohlenwasser-
stoffe) geringer als bei konventionellen thermischen Kraftwerken. Die CO,-Emissio-
nen können durch Erhöhung des Wasserstoffanteils weiter reduziert werden.
Die Technik entwickelt sich weiter, aber hat die Wirtschaftlichkeitsgrenze noch
nicht erreicht. Es ist jedoch absehbar, dass sich ihr im Laufe der nächsten Jahrzehnte
breite Einsatzgebiete für mobile und stationare Anwendungen öffnen werden.

8.1 Aufbau und Typen


Den grundsätzlichen Aufbau einer Brennstoffzelle zeigt Abb. 8.1. Sie besteht wie eine
Batterie aus Anode, Kathode und Elektrolyt. Die poröse Anode wird vom Brenngas
(H„ CO, CH, ), die Kathode von Lufi durchströmt. Der Elektrolyt ist gasdicht, lässt
also eine unmittelbare Verbindung von Brennstoff und Sauerstoff nicht zu. Durch
Ionen werden die Elektronen von der Kathode K zur Anode A transportiert, wobei die
Ionenart vom verwendeten Elektrolyt abhängt.
Fünfßrennstoffzellen-Familien sind bekannt und befinden sich in Entwicklung. Sie
unterscheiden sich in erster Linie durch den Elektrolyt. Nach absteigender Zellen-
temperatur geordnet, sind dies:

Verbraucher
: Abgase
Brennstoff

I
- I

Abb. 8.1. Autbau der Brennstoffzelle


Keramik-Zelle (SOFC Solid Oxide Fuel Cell), - 800°C:Als Elektrolyt wird eine
keramische Schicht aus Zirkonoxid verwendet. Der Luftsauerstoffwird kathoden-
seitig durch Aufnahme von zwei Elektronen zu 0 ' ionisiert, kann somit als Ion
den Elektrolyt durchdringen, wird auf der Anodenseite durch Elektronenabgabe
wieder neutralisiert und leitet die Oxidationsreaktion ein. Die Zelle kann auch
direkt mit Erdgas, Propan oder Biogas betrieben werden.
Karbonat-Zelle(MCFC Molten Carbonate Fuel Cell), 650°C:Als Elektrolyt wird
eine Karbonatschmelze (meist Lythium- und Kaliumkarbonat) verwendet. Als Ion
dient das Karbonat-Ion CO,,-. Für dessen Neubildung wird die Luft mit CO,
angereichert. Auf der Anodenseite zerfallt es durch Elektronenabgabe in CO,
und Sauerstoff, welcher den Brennstoff oxidiert. Als Brennstoffe können Was-
serstoff und CO verwendet werden.
Phosphorsaure-Zelle (PAFC Phosphor Acid Fuel Cell), 200°C: Als Elektrolyt
wird verdünnte Phosphorsäure verwendet. Brennstoff ist Wasserstoff, der aufder
Anodenseite sein Elektron abgibt und als Wasserstoffion H' den Elektrolyt
durchquert, auf der Kathodenseite ein Elektron wieder aufnimmt und vom
Luftsauerstoff oxidiert wird. Die Luft darf kein CO enthalten.
Kunststof-Zelle (PEFC Polymer Electrolyte Fuel Cell), 80°C:Als Elektrolyt wird
eine Kunststofffolie verwendet, die sich wie eine Säure verhält. Als Ion dient
wiederum das Wasserstoffion H' (Vorgänge wie PAFC).
Alkali-Zelle (AFC Alkaline Fuel Cell), 70°C: Als Elektrolyt wird verdünnte

OH- entstanden aus der Reaktion H,O + 0 -


Kalilauge verwendet. Den Elektronentransport übernehmen die Hydroxylionen
2 O H . Die Oxidationsreaktion
erfolgt auf der Anodenseite mit reinem Wasserstoff. Die Luft darf kein CO,
enthalten.
Alle funf Brenstoffzellentypen können mit Erdgas betrieben werden, wobei alle,
außer der SOFC und der MCFC, dieses zuerst in Wasserstoff oder Wasserstoff + CO
umwandeln müssen. Diese Umwandlung ist sehr aufwendig (auch was den Platzbedarf
betrifft, bis 60% des Bauvolumens). Eine gute Übersicht dazu gibt Abb. 8.2.

Flüssige verdampien
Brsnnsioffe

I
80°C BaPC

Erdgas sik
800°C

Erdgas ganz
- 803% 440%

Erdgas
CO-Rest
snibrnen
umwandeln
L I l I

803% 650°C 2m4C 80Y: 70%

Abb. 8.2. Aufbereitung von Erdgas für die funf Brennstoffzellen-Typen [8. I ]
8.2 Prinzip und Modell 407

Den AFC-Familien werden heute nur begrenzte Zukunftsaussichten eingeräumt


[&I]. Die PEFC ist für mobile Anwendungen von Interesse und wird vor allem von
der Autoindustrie weiterentwickelt. Neben den fünf erwähnten Familien wäre noch
die Direkt-Methanol-Brennstoffzelle DMFC zu erwähnen, die direkt (ohne Reformer)
mit Methanol betrieben werden kann (Arbeitstemperatur ähnlich wie PEFC). Ihre
Aussichten sind noch ungewiss.
Für sfationare Energieanwendungen sind vor allem die PAFC, die MCFC und die
SOFC prädestiniert. Die Phosphorsaure-Brennstoffielle ist am weitesten entwickelt,
bereits heute kommerziell verfügbar (z.B. 200 kW PC25C von ONSI) und für
bestimmte Applikationen wirtschaftlich. Die Keramik-Brennstoffielle befindet sich
noch in der Entwicklung, besitzt jedoch das größte Entwicklungspotential. Im
Abschn. 8.3 werden diese beiden Brennstoffzellen näher betrachtet.

8.2 Prinzip und Modell


8.2.1 Elektrochemische Grundlagen
Für die Energieumwandlung wichtigste chemische Reaktionen sind
H, + 0 . 5 0 , ---
CO + 0 . 5 0 , --- H,O
CO,
CH4 + 2 0 , +-- CO, + 2H,O
Die damit verbundene spezifische Enthalpieänderung Ah beträgt bei Normaldruck für
H, : 120 MJ/kg, für CO: 10 MJIkg und für CH, : 50 MJlkg. Die Temperatur wirkt sich
nur geringfügig auf diese Werte aus (leichte Zunahme bei H?, für Näheres s. [8.2],
Standard enthalpy change). Bei einem Massenfluss von m kgls ist die verfügbare
chemische Leistung

Von der Enthalpie Ah kann nur diefreie Enthalpie Ahf (Gibbs-Potential) in elektri-
sche Energie umgewandelt werden [8.4], [8.5]. Diese ist definiert durch
Ah, = Ah - TAs [Wslkg], (8.3)
worin As die spezifische Entropieänderung darstellt (s. Anhang I. 1). Die entsprechen-
de maximale elektrische Energie ist W „ = q, Ah,, wobei:

mit F = Faradaysche Konstante = 9.6485. lo4 [Aslmoi] (8.4)


M = Mol-Masse [kglkmoi]
n = Anzahl ausgetauschte Elektronen (Wertigkeit)
E = EMK (Leerlaufpannung) [U
m = MassenJuss [kgls] .
408 8 Brennstoffzellen

Abb. 8.3. Freie Enthalpie Ah, in Abhängigkeit von der Temperatur

Der Wirkungsgrad V, berücksichtigt, dass vor allem bei tiefen Temperaturen die mit
Katalysator erzwungene Reaktion über mehrere Schritte verläuft, von denen nur der
erste zur Spannungsbildung beiträgt. Die Leerlaufspannung entspricht somit nicht
dem Gibbs-Potential (bei tiefen Temperaturen, z.B. PEFC-Zelle, ist q, = 0.8).

P„ = E I stellt die innere elektrische Leistung der Zelle dar. Die freie Enthalpie für
die drei wichtigsten Reaktionen (GI. 8.1) ist in Abb. 8.3 dargestellt (berechnet aus
[8.2]). Aus G1. (8.4) lässt sich die EMK E bestimmen

mit n = 2 für H? und CO und n = 8 für CH,. Für die Methan-Reaktion folgt z.B. bei
25"C, E = 1.06 .q, [V], für die H, -Reaktion E = 1.23 . q, [V]. Durch Serieschaltung
von Brennstoffzellen zu einem Brennstoffiellen-Stapel kann die für praktische
Anwendungen notwendige Leerlaufspannung erzielt werden.
Die effektiv an den Elektroden verfügbare Spannung U ist bei Belastung der Zelle
wegen des inneren Spannungsabfalls kleiner als die EMK. Dies hat zur Folge, dass
die effektiv erhaltene elektrische Leistung weiter reduziert wird

mit qo = theoretischer Leerlauf-Wirkungsgrad, q, = Spannungs-Wirkungsgrad. In


Abb. 8.4 ist der theoretische Leerlauf-Wirkungsgrad in Abhängigkeit der Zellen-
temperatur für die drei Reaktionen Gln. (8. I ) dargestellt [8.2]. Auffallend ist der gute
Wirkungsgrad der Methan-Reaktion. Wird schließlich berücksichtigt, dass der
Brennstoff nicht zu 100 % genutzt wird, d. h. dass die effektiv umgewandelte che-
mische Leistung P„, = U, P, kleiner ist als die gelieferte chemische Rruttoleistung P,
mit U,= Brennstoff-Nutzungsgrad (fuel utilization factor < I), folgt
8.2 Prinzio und Modell 409

Abb. 8.4. Theoretischer Wirkungsgrad in Abhängigkeit von der Temperatur

8.2.2 Lineares Modell


Wird in erster Näherung angenommen, der innere Widerstand der Zelle sei un-
abhängig vom Strom, gilt
E - R I RI
'lu =
E ='-E-
Wird der Strom durch die Leistung ersetzt, folgt aus den Gln. (8.4)-(8.6) der Span-
nungs- Wirkungsgrad

mit p,: auf die Kurzschlussleistung bezogene innere elektrische Leistung. Die Kurz-
schlussleistung P, wurde, wie in der Energieversorgungstechnik üblich, als Produkt
von Kurzschlussstrom und Leerlaufspannung definiert. Werden alle Leistungen auf
die Kurzschlussleistung bezogen, folgt für den Gesamtwirkungsgrad q des
Brennstoffzellen-Stapels und die bezogene elektrische Ausgangsleistung p

Abbildung 8.5 zeigt diese beiden Größen in Abhängigkeit von der inneren elektri-
schen Leistungp,. Die maximale Ausgangsleistung wird dann erhalten, wenn P„ =
0.5 P„ dann ist P , = 0.5 P„ = 0.25 P,. Bei dieser Maximalleistung beträgt allerdings
der Wirkungsgrad des Brennstoffzellen-Stapels nur q = 0.5 q, q, u f . Die ökono-
mische Optimierung des Systems fuhrt in der Regel zu einem Auslegungspunkt
entsprechend einer Leistung P„ < 0.5 P,, wobei der Stapel-Wirkungsgrad 50% oder
mehr betragen wird.
4 10 8 Brennstoffiellen

Abb. 8.5. Typischer Verlauf von Leistungen und Wirkungsgrad von Brennstoffzellen:
p, = P„&, = innere Leistung, ph = P,/Pk = Bruttoleistung (chemisch),
p = P,Jt>, = elektr. Ausgangsleistung. q = Wirkungsgrad des Brennstoffzellen-Stapels,
qn= Anlagenwirkungsgrad, A = Auslcgungspunkt (Beispiel, q = 50%. 45%)

Für kleinere Belastungen steigt theoretisch der Wirkungsgrad der Brennstoffzelle


an, d.h. die Brennstoffzelle hat prinzipiell ein gutes Teillastverhalten. Bei zu klein
werdender Last wirkt sich allerdings der Energiebedarf der Hilfseinrichtungen, wie
Pumpen, Gebläse, Steuerung usw., der praktisch unabhängig von der Belastung ist,
ungünstig aus, wie der in Abb. 8.5 gestrichelt eingezeichnete zu erwartende Anlagen-
wirkungsgrad q, zeigt.

8.3 Brennstoffzellen für stationäre Anwendungen

8.3.1 Phosphorsäure-Brennstoffzelle (PAFC)


Den Grundaufbau einer PAFC-Anlage zeigt Abb. 8.6. Da die Zelle ein H,-reiches
Gasgemisch verlangt (ohne CO), muss dieses im Reformer mit Wasserdampf aus
Erdgas gewonnen werden. Die Reform-Reaktion liefert H, und CO. In zwei folgen-
den Stufen wird das CO zu CO, oxidiert und dieses teilweise ausgeschieden. Der
Wasserstoffwird an der Anode ionisiert und durchquert als H -Ion den Elektrolyt, um
schließlich an der Kathode zu Wasser oxidiert zu werden. Abgas ist Wasserdampf
und CO,.
Die Zellentemperatur beträgt 200°C. Die heute erreichbare Leistungsdichte ist 1.3
kW/m2 und dürfte bis etwa 2 kW/m2 gesteigert werden können. Die PAFC-Brenn-
stoffzelle ist die am weitesten entwickelte und erprobte Technik. Kommerziell werden
Anlagen ab 1 kW angeboten. Die größte bis heute gebaute Anlage hat eine Leistung
von 1 1 MW (Japan). Für kleine Anlagen wird Wasserstoff als Brennstoff eingesetzt,
8.3 Stationäre Anwendungen 411

4 CO Brennstoffzelle
Luft

Aufbereitung

Brenner

Wärmetauscher
mit H20
H2O-Abscheider
Abgas ¢=-- -

Abb. 8.6. Basissystem einer PAFC-Anlage [8. I ]

da die aufwendige Erdgasumwandlung erst für Leistungen über 100 kW wirtschaftlich


wird. Die Investitionen liegen für eine 200 kW-Anlage bei 3300 £/kW, die Betriebs-
rechnung sieht aber dank der hohen Benutzungsdauer von mehr als 8000 hla günstig
aus.

8.3.2 Keramik-Brennstoffzelle (SOFC)


Vom Aufbau her stellt die SOFC-Zelle das einfachste Konzept dar (Abb. 8.7). Dank
der hohen Betriebstemperatur von 800°C kann das Erdgas (oder andere Kohlen-
wasserstoffe) direkt an der Anode in wasserstoff und Kohlenmonoxid umgewandelt
werden. Zur Beschleunigung der Reaktionen wird es teilweise im Vorreformer
aufbereitet. Der kathodenseitig ionisierte Sauerstoff 02-
durchdringt den aus Zirkon-
oxid bestehende Elektrolyt und oxidiert anodenseitig die Brennstoffe.

Brennstoffzelle i\ A A Luft~
Lufterhitzer

I ~orreformer A

Wärmetauscher

Abgas
-s
Abb. 8.7. Basissystem einer SOFC-Anlage [8.1]
41 2 8 Brennstoffzellen

Die hohe Temperatur der Abgase erlaubt eine Wärmeauskopplung für die ver-
schiedensten Anwendungen oder den Betrieb der Anlage als Blockheizkraftwerk. Die
SOFC-Brennstoffzelle befindet sich noch in der Entwicklung, bis jetzt sind lediglich
Prototypen bis 100 kW in Betrieb. Obwohl viele technologische Probleme noch zu
lösen sind und die Wirtschaftlichkeitsgrenze noch nicht erreicht ist, dürfte sie wegen
ihrer Einfachheit und hoher Leistungsdichte (heute ca. 6 kW/m2, im Labor bis 19
kW/m2 nachgewiesen) sowie des hohen Wirkungsgrades (Anlagenwirkungsgrad über
50%) eine vielversprechende Zukunft haben.

8.3.3 Systemtechnik
Ähnlich den Photovoltaikanlagen erzeugen Brennstoffzellenanlagen einen Gleich-
strom, der für kleine Anwendungen direkt verwendet und für größere Anwendungen
im Inselbetrieb oder bei Netzkopplung (Abb. 8.8) mittels Wechselrichter in Wechsel-
strom umgewandelt wird. Der Wechselrichter, dem sich ähnliche Probleme wie bei
der Photovoltaik stellen (Abschn. 7.5), bietet die Möglichkeit, innerhalb bestimmter
Grenzen auch die Blindleistungsabgabe- oder -aufnahme zu regulieren.
Neben der bereits erwähnten Anwendung der SOFC-Zelle als Blockheizkraftwerk, die
zu Brennstoffnutzungsgradenvon 80% führen kann, ist auch die Kombination mit der
Mikrogasturbinentechnik interessant. Die heißen Abgase der Brennstoffzelle werden
mit Drücken von 3–4 at fir den Betrieb einer nachgeschalteten Gasturbine genutzt
(Abb. 8.9). Versuchsanlagen bis 1 MW sind geplant.

Abb. 8.8. Prinzipieller Aufbau einer netzgekoppelten Brennstoffzellenanlage

Luft
a b
Filter

Turbine Verdichter
DC SOFC-
G
AC Aggregat
Strom- Mikrogasturbine
um-
wandler
Abgase
Wärme-
tauscher/
Brennstoff-
Entfernung vorwärmung
Erdgas

Abb. 8.9. Hybridsystem SOFC-Mikrogasturbine


(mit freundlicher Genehmigung Siemens Westinghouse, [8.3])
9 Kernfusion

Seit den fünfziger Jahren werden Forschungsanstrengungen unternommen, durch


kontrollierte Verschmelzung von Wasserstoffkernen zu Helium Energie zu gewinnen.
Obwohl große Fortschritte erzielt worden sind, ist die technische Realisierung noch
in weiter Ferne, weshalb die wirtschaftliche Tragbarkeit der Kernfusion heute schwer
zu beurteilen ist. Die internationale Gemeinschaft versucht dennoch, die Option
Fusion für die Zukunft offen zu halten. Deren Bedeutung in Zusammenhang mit der
in Kap. 1 dargelegten Klimaproblematik ist offensichtlich. Zusammen mit der Solar-
strahlung ist die Kernfusion langfristig die einzige Energiequelle mit praktisch
unbegrenztem Potential. Es ist jedoch kaum damit zu rechnen, dass vor Mitte des 2 1.
Jh. die Fusion eine für die Energiewirtschaft nennenswerte Rolle spielen wird.
Für ein vertieftes Verständnis des Fusionsprozesses und der dazu notwendigen
Technik werden im Folgenden einige Grundlagen gegeben.

9.1 Grundlagen des Fusionsprozesses

9.1 .I Fusionsreaktionen
Die beiden wichtigsten für die Kernfusion in Frage kommenden Kernreaktionen (s.
auch Anhang 11) sind die Folgenden:

(d,t): D: + T: - - > ~e~~ + n,' + 17.6 M e V


(9.1)
(d,d): 2D12 + 20: - - % He,3 + T: + H; + n,' + 7.2 M e V .

-
Darin sind D,2 und T,3schwere Wasserstoffkerne (Isotope, s. Anhang 11). D,2 = H,'
wird Deuterium-Kern oder Deuteron und T,3 H,3Tritium-Kern oder Triton genannt.
Diese und ähnliche Fusions-Reaktionen laufen in den Sternen und insbesondere in
unserer Sonne dank großer Masse unter günstigen Bedingungen ab.
Den grundsätzlichen Verlauf des Wirkungsquerschnitts (s. Anhang 11.5) der beiden
Reaktionen in Abhängigkeit von der relativen kinetischen Energie zeigt Abb. 9.1a.
Die (d,t)-Reaktion ist mit weniger Energieaufivand zu realisieren als die (d,d)-Re-
aktion. Aber auch die erste ist überhaupt erst ab Energien von Ca. 8 keV möglich.
Hohe Energien und somit hohe Temperaturen von etwa 100 Mio. Kelvin sind also
notwendig, um die Fusionsreaktion einzuleiten. Bei diesen hohen Temperaturen sind
Atomkern und Elektronenhülle voneinander abgelöst, und die Materie befindet sich
im Plasmmustand.
Andere denkbare Methoden, wie z.B. das Beschleunigen von Deuteronen mit
Teilchenbeschleuniger und Einschießen auf Tritium fuhren nicht zum Ziel, da die
Wahrscheinlichkeit für eine Fusionsreaktion extrem gering wäre [9.1].
414 9 Kernfusion

o [barn]
a, l a 7

Abb. 9.1. a) Wirkungsquerschnitt der Reaktionen (d,t) und (d,d) in Abhängigkeit der
relativen kinetischen Energie, b) Maxwell-Spektrum der Energie für zwei Temperaturen

9.1.2 Energieverteilung
Ausgangsstoff der Fusionsreaktion ist also ein ionisiertes Wasserstoffgas (Plasma),
bestehend aus Deuteronen, Tritonen und Elektronen. Der Zusammenhang zwischen
Energie und Temperatur sei näher betrachtet. Nach der statistischen Physik gilt für
ein solches Gas die Maxwell- Verteilung

Darin ist k die Boltzmann-Konstante = 8.62.1 0-5eVIK. Der Ausdruck (9.2) stellt die
Wahrscheinlichkeit fur das Auftreten einer Teilchenenergie zwischen E und E + dE
dar. Da die Gesamtwahrscheinlichkeit 1 ist, gilt

0
Abbildung9. l b zeigt die Wahrscheinlichkeit der Energieverteilung, berechnet mit GI.
(9.2) für zwei Werte von kT, nämlich

Statt E kann man auch E, nehmen, da in einem kräftefieien Gas alle Richtungen gleich
wahrscheinlich sind (Richtungsisotropie) und der erste Term von GI. (11.33) in
Anhang 11 deshalb null ist.
Der Vergleich der Abb. 9. l a und 9.1 b zeigt deutlich, dass Temperaturen von
zumindest mehreren I0 Mio, besser 100 Mio. Grad notwendig sind, um die Fusions-
reaktion wirksam einzuleiten und zu erhalten.
Für eine genauere quantitative Formulierung ist die Reaktionsrate von Bedeutung.
Aus Anhang 11, GI. (11.28) folgt für Energien zwischen E, und E, + dE,
Abb. 9.2. Integraler Reaktionsparameter fur die (d,t)- und
in Funktion der Temperatur [9.3]

Wird der integrale Reaktionsparameter $(T) eingeführt

W7 = p,)
0
vr(Er)p(ErJ? dEr ,

erhält man die Gesamt-Reaktionsrate

Die Abb. 9.2 zeigt den Reaktionsparameter für die beiden Fusionsreaktionen in
Abhängigkeit von der Plasmatemperatur. Da die (d,t)-Reaktion viel effizienter ist, war
sie das Ziel der bisherigen Anstrengungen der Fusionsforschung.

9.2 Der Fusionsreaktor


9.2.1 Prinzip des (d,t )-Fusionsreaktors
Die (d,t)-Reaktion ist zwar wie erwähnt effizienter als die (d,d)-Reaktion, hat aber
einen gewichtigen Nachteil: sie benötigt Tritium. Dieses ist in der Natur sehr selten.
Im Wasser besteht das Verhältnis H :D : T = 1 : 1.6 10-4: 10-18, d.h. 1 m3 Wasser
enthält 160 cm' D, 0, aber nur 1 pm3 T, 0. Tritium muss also im Reaktor selbst
„erbrütet" werden.
Reaktormantel

Brennkammer

Plasma

Abb. 9.3a. Prinzipieller Aufbau des (d,t)-Fusionsreaktors


Die Abbildung 9.3a zeigt den schematischen Aufbau eines Fusionsreaktors. Das im
Mantel (auch Blanket genannt) erbrütete Tritium (s. Abschn. 9.2.1.2) wird zusammen
mit Deuterium in die Brennkammer injiziert. In der Brennkammer befindet sich also
ein (d,t)-Plasma. Dieses wird durch Plasmaeinschluss zusammengehalten und
thermisch isoliert (Abschn. 9.2.3). Es ist dies eine der schwierigen Aufgaben der
Fusionsforschung. Nach der Fusion muss das Fusionsprodukt Helium aus der Brenn-
kammer entfernt werden. Die Hauptelemente und den möglichen Aufbau eines
FusionskraRwerks zeigen die Abb. 9.3b und 9 . 3 ~ .

Abb. 9.3b. Hauptbestandteile eines FusionskraRwerks [9.2]


9.2 Der Fusionsreaktor 41 7

Abb. 9 . 3 ~ . Mirglicher Aufbau eines Fusionskraftwerks [9.4]

9.2.1.1 Plasmareaktion
Wenn die dazu notwendige Temperatur erreicht wird, erfolgt die Plasma-Reaktion
D: + T: --F
4
a2 +
1
+ 17.6 MeV . (9.8)
Die bei der Reaktion freiwerdende Energie erscheint als kinetische Energie der
Reaktionsprodukte. Werden diese mit E, und E,, bezeichnet, gilt also
17.6 MeV = E, + En . (9.9)
Die im Plasma erzeugten a-Teilchen werden im Plasmagehalten und abgebremst und
tragen zu dessen Erwärmung bei. Bei den Neutronen handelt es sich um schnelle
(hochenergetische)Neutronen, die aus dem Plasma entweichen. Für die Energieauf-
teilung gilt:
-
E, + En 17.6 MeV = - 1
2
m,v,2 + -1
2
mnvn 2

m,?, + mngn = 0 --F m,v, = mnvn (Impulssatz)


m, = 4 mn --F vn = 4 V ,
(9.10)
1
E, = - 17.6 = 3.5 MeV
5
4
E,, = - 17.6 = 14.1 MeV.
5
Nur 20% der durch Fusion erzeugten Energie tragen also zur Plasmaenvärmung bei.
418 9 Kernfusion

9.2.1.2 Mantelreaktionen
Das für die Plasmareaktion notwendige Tritium wird im aus Lithium bestehenden
Reaktormantel produziert, nach den Lithium-Reaktionen
7 1 4 3 1
Li3 + n0(,) - - > a, + Tl + noth - 2.5 MeV
~ i :+ n&,) - - F ai + T: + 4.8 MeV
(9.1 1)
n&) = schnelle (rapid) Neutronen ,
mit (
no(,) = langsame (thermische) Neutronen .
Die in der Plasmareaktion G1. (9.8) produzierten und aus dem Plasma entweichenden
hochenergetischen (schnellen) Neutronen werden im Mantel abgebremst. Im Mantel
wird somit Tritium und Wärme produziert.
Tritium ist ein radioaktives Isotop, das mit einer Halbwertszeit von 12.3 Jahren
zerfallt, nach der Reaktion
3
T: --> He, + ß- (9.12)
Die Rohstoffe der Fusionsreaktion Deuterium und Lithium sind nicht radioaktiv und
im Wasser und in der Erdkruste in großen Mengen vorhanden.

9.2.2 Energiebilanz des Plasmas


Für die Erhaltung der Plasmareaktion ist die Energiebilanz des Plasmas maßgebend.
Bei thermischem Gleichgewicht gilt für das Plasma

worin P, = zugefuhrte Leistung, P, = abgestrahlte Leistung und P, = kineiische


Verlustleistung entsprechend der kinetischen Energie der aus dem Plasma entwei-
chenden Teilchen.
Wird mit n die Dichte der Plasmakerne, mit Zdie mittlere Protonenzahl pro Kern
bezeichnet (bei reinem Wasserstoffplasma wäre Z = 1, bei Verschmutzung, z. B.
durch Erosion der Wände durch Wärme und Neutronenbestrahlung, steigt diese Zahl
jedoch an), kann folgender Zusammenhang geschrieben werden [9.3]:
Abgestrahlte Leistung

P r = K z 3 n 2 m [-I,ke V
cm3s
3 (9.14)
mit K = 3.344 10-l5 [kevo.' K]
S
Kinetische Verlustleistung

r wird als Einschlusszeit bezeichnet. Je größer diese Zeit ist, desto besser ist der
Teilchen-Einschluss im Plasma. d.h. umso kleiner sind die Verluste.
9.2 Der Fusionsreaktor 4 19

Die für das Gleichgewicht notwendige Leistungsinjektion ist somit

Andererseits ist die im Plasma durch die Fusion produzierte Leistung wegen GI. (9.7),
mit der Annahme n , = n, = n12 und gesetzt 17'600 keV = E„ (Gl. 9.8),

Es lässt sich dann die Plusma-Leistungsvers/ürkung definieren


n
- EQ
= 5 = 4 (9.18)
1 3
K Z n~2 JkT
+ - n (Z+l) - k T
T 2
Durch Auflösung dieser Gleichung nach dem sog. Einschlussparameter n T folgt

Bei vorgegebener Leistungsverstärkung gibt es also für jede Temperatur T ein


notwendiges Produkt n t zur Erhaltung der Fusionsreaktion. Die gegenwärtige
Forschung versucht, durch progressive Erhöhung der Plasmatemperatur und des
Einschlussparameters die Reaktion möglichst ohne externe Energiezufuhr zu realisie-
ren und die kritische Zündgrenze zu erreichen.
Die Abbildung 9.4 zeigt den mit G1. (9.19) berechneten Einschlussparameter in
Abhängigkeit von kTfür die (d,t)-Reaktion, für drei Werte der Leistungsverstärkung,
mit den Annahmen Z = 1 (optimistisch), E„ = 17.6 MeV und $ gemäß Abb. 19.2. Die
Kurven haben folgende Bedeutung:
C = 1: Pf = P,. Dieser Punkt wird als „breakeven" bezeichnet. Die Fusionsenergie
deckt gerade die Verluste. Da aber etwa 415 der Fusionsenergie aus dem
Plasma entweichen (Neutronen, GI. 9. 10), ist eine Erhaltung der Reaktion
nur mit externer Energiezufuhr möglich.
C = 5: P, = 5 P,, theoretische Zündbedingung. Die Energie der a-Teilchen beträgt
nach GI. (9.10) genau 115 der Fusionsenergie. Sofern diese Energie voll-
umfänglich im Plasma bleibt (perfekter Einschluss), ist eine Erhaltung der
Reaktion ohne externen Kreislauf möglich; die Reaklion erhalt sich selbst.
Dies ist das eigentliche Endziel der Fusionsforschung.
Für Werte von G zwischen 1 und 5 ist die Erhaltung der Reaktion nur durch die
Heizung des Plasmas mit einer Autheizleistung P, möglich. Die Energiebilanz des
Kraftwerks ist in Abb. 9.5 dargestellt. Zur Autheizleistung P, addiert sich im Reaktor
die Fusionsleistung P,. Die Gesamtleistung (P, + P,) wird mit dem thermodyna-
mischen Wirkungsgrad q in elektrische Energie umgewandelt.
1oi6L.. .......
........ .........................................................
. ,.
...........
.B., - 1 . . . X . ................J.... . \ . C ..........J

. .. .. .. ..... ... ..... ... ..... ... ... .. ... ... .. .. .. ..... ... ..... ... ... .. ... ... ..... ... .. .. .. ..... ... ..... ... ..... ... ..... ... ..

. . . . . . . . .
n z . . . . ... ......... .... ...::.. .. . . .
.... .. .. .. .. .. .. .. .. .. .......
...........

....

.. .. .. .. .. ,;. ...........
...
....

......... . . . . . . . . .

IOO 10' 102 103


-+ kT [keV]

Abb. 9.4. (d,t)-Reaktion: notwendiger Einschlussparameter, um eine bestimmte


Leistungsverstärkung zu erzielen, in Abhängigkeit von der Temperatur

Davon wird der Teil E mit Wirkungsgrad q, zur Aufheizung des Plasmas verwendet.
Der Restanteil ( I - E) ist die Nutzenergie P, .
Da letzten Endes fur den Reaktor vor allem die Relation zwischen der im Plasma
freigesetzten und der zur Aufheizung notwendigen Energie interessiert, wird meistens
an Stelle der Plasmaverstärkung G eher die Plasmaverstärkung

verwendet. Gemäß Blockdiagramm Abb. 9.5 besteht zwischen P, und Pidie Bezie-
hung
PH T ) E V ~( P H + P f ) - - > PH = il EilH P = -1 P (9.2 1 )
1- i l E i l ~ Q f

Abb. 9.5. Energiebilanz des Fusionskrafiwerks


9.2 Der Fusionsreaktor 42 1

Somit ist

1
rl&rlH= P . (9.22)
l+Q

Die dem Plasma zugefhhrte Leistung ist andererseits (bestenfalls)


1
PI = P, + 0.2Pf - - > P, = Pf (- - 0.2) .
P, (1 - 0.2G) = (9.23)
G
Aus den Gln. (9.21) und (9.23) folgt der Zusammenhang

- 1 G
- - + 0.2 oder Q =
Q G 1 - 0.2 G

Für C = 2 ist z.B. Q = 3.33 und q E q, = 0.23, und mit der Annahme q, q = 0.33,
die thermodynamisch realisierbar erscheint, ist E = 0.7, d.h. 70% der produzierten
elektrischen Leistung P, müssen fur die Plasmaheizung verwendet werden. Um diese
Energie auf 10% zu reduzieren, müsste Q = 3 1 (bzw. G = 4.3) sein.
Die „breakevenL'-Bedingung G = 1 entspricht Q = 1.25, die Zündbedingung G = 5
entspricht Q = .
Die Forschung hat bis heute die Bedingung G > 1 (oder Q > 1.25) noch nicht reali-
siert. Der JET (Joint European Torus) in Großbritannien hat erst Fusionsenergie im
Ausmaß von ca. 65% der eingesetzten Energie (Q = 0.65) während kurzer Zeit
(wenige Sekunden) erhalten können. Mit dem ITER-Pro-jekt(Internationaler Thermo-
nuklearer Experimentalreaktor) in Cadarache (Frankreich) hofft man den Beweis zu
erbringen, dass die Fusion technisch realisierbar ist. Die „breakevend'-Bedingungsoll
mit einer Plasmaverstärkung Q = 5 bis 10 dauernd überschritten werden.

Das ITER-Projekt folgt der europäisch-japanisch-russischen Linie des magneti-


schen Einschlusses (Tokamak, s. Abschn. 9.2.3), die auch von den USA unterstützt
wird. Letztere verfolgen neben dieser Linie auch die Variante des inertialen Ein-
schlusses mittels Laser weiter. Dem ITER-Projekt haben sich 2003 China und
Südkorea und 2005 auch Indien angeschlossen. Die Bauarbeiten sollen 2009 begin-
nen und 201 5 abgeschlossen sein.

9.2.3 Das Einschlussproblem


Der wirksame Einschluss der positiv geladenen Plasmateilchen (&Teilchen) ist
fundamental für das Erreichen der kritischen Fusionstemperatur. Zwei Methoden sind
bisher angewandt worden
- der magnetische Einschluss,
- der inertiale Einschluss.
422 9 Kernfusion

9.2.3.1 Der magnetische Einschluss


Die elektrisch geladenen Plasmateilchen (Ionen und Elektronen) bewegen sich in
einem magnetischen Feld B mit einer Geschwindigkeit V, die relativ zur Feldrichtung
in axiale und radiale Komponente zerlegt werden kann (Abb. 9.6). Die radiale
Komponente fuhrt wegen der zentripetal wirkenden Lorentz-Kraft F (Band 1, Abschn.
2.5.9) zu einer Kreisbewegung gemäß

Bei genügend großem Feld ist r klein und der Einschluss wirksam. Auf Grund der
axialen Komponente werden sich die Teilchen spiralformig in Richtung der Feldachse
bewegen.

Abb. 9.6. Lorentz-Kraft und Teilchenbewegung im magnetischen Feld

Eine zylindrische Plasma-Anordnung ist nahezu, aber nicht zwangsläufig stabil und
hat den Nachteil, dass die Enden offen sind und das Plasma dort ausfließen kann. Eine
toroidale Anordnung, wie sie z. B. im Tokamak verwirklicht wird (Abb. 9.7), kann
dies verhindern; doch die radiale Inhomogenität des Feldes fuhrt zu radialen Plasma-
verlusten, die mit zusätzlichen Maßnahmen verhindert werden müssen.
Tokamak
Die von russischen Wissenschaftlern entwickelte und in den Abb. 9.7 dargestellte
Tokamak- Anordnung ist in verschiedenen Versuchslabors mit Erfolg getestet worden
(z.B. JET) und auch f i r das Projekt ITER (Abb. 9.8) vorgesehen.
Das Hauptfeld wird in einem horizontal liegenden Torus durch die toroidalen
Wicklungen erzeugt. Zur radialen Stabilisierung des Plasmas wird ein vertikales Feld
benötigt, das durch einen Transformator impulsartig erzeugt wird (poloidale
Wicklungen). Dieser induziert im Torus (Sekundärkreis) den poloidalen Strom. Das
Resultat ist ein helikales (verschraubtes) Feld.
In einem Tokamak führt die Verbesserung des Einschlussparameters nr im Wesent-
lichen über größere Maschinen und stärkere Magnetfelder. Im ITER-Projekt sind die
Radien mehr als doppelt so groß wie im JET, und das toroidale Magnetfeld beträgt
etwa das I .6fache [9.4], Abb. 9.8.
Ein Nachteil des Tokamaks ist, dass es sich um eine gepulste Maschine handelt,
d.h., der induzierte stabilisierende Plasmastrom kann nur während einer endlichen
Zeit aufrecht erhalten werden. Man versucht deshalb, einen stationären Betrieb durch
nicht-induktiven Stromtrieb zu erreichen mit Hilfe von Hochfrequenzwellen (Radio-
wellen) oder durch Einschießen von Neutralteilchen ins Plasma .
9.2 Der Fusionsreaktor 423

Magnetischer Kreis
(Eisenkern des Transformators)

Innere poloidale Feldwicklungen


/ (Primärkreis des Transformatorsl

Toroidale
Feldwicklungen

- Äußere poloidale
Feldwicklungen

i / (zur ~ l a s m a ~ ~ o r t n u n g
und -Positionierunal

mit Plasmastrorn I
ärkreis des ~ransformatoi

Resultierendes helikales Magnetfeld


(übertrieben groß gezeichnet)

Abb. 9.7. Prinzipieller Aufbau des Tokamak-Reaktors [9.1]

Zentrales Blariket \Iodril


Solenoid
Nb,Sii, 6 ,
X10d11le

I'uruidalr Feld-Spiilrri
Nb,Sri, 18, keilföniiig -
Poloidalr Feld-Spiilrti
Nb-Ti, 6 -

34 Lnrretteii

Abb. 9.8. Tokamak des ITER-Projektes [9.6]


424 9 Kernfusion

Stellarator
Der Stellarator ist eine Maschine, die ohne Plasmastrom eine Stabilisierung erzielt
und somit in der Lage ist, ein kontinuierlich stabiles Plasma zu erzeugen [9.4],[9.5].
Die stabile Magnetfeldstruktur wird im modernen Stellarator durch besonders
geformte, den Torus umschließende Spulen erzielt (Abb. 9.9). Wesentliche Impulse
werden von der sich im Bau befindenden Anlage Wendelstein 7-X erwartet (Greifs-
wald, Deutschland).

Abb. 9.9. Plasma und Magnetspulen des Stellarators 19.41

Plasmaheizung
Zur Einleitung der Fusionsreaktion muss das eingeschlossene stabile Plasma auf
mindestens mehrere 10 Mio. Grad aufgeheizt werden. Dazu werden neben der
ohrnschen Heizung durch den Plasmastrom verschiedene Systeme verwendet:
Hochfrequenzheimng über einen HF-Generator mit Frequenzen von 20 MHz bis
200 GHz. Im JET werden damit Ca. 40 MW Heizleistung übertragen.
Heizung durch Neutralteilcheninjektion (Deuterium- oder Wasserstoffatome). In
letzterem Fall werden zunächst Jonen mit einem Teilchenbeschleuniger be-
schleunigt und dann in einer Gaswolke neutralisiert (durch Aufnahme von Elek-
tronen), damit sie ungestört in das Magnetfeld eindringen können. Beim Eintreffen
auf das Plasma werden sie wieder ionisiert und geben ihre Energie beim Zu-
sammenstoß mit den Plasmateilchen ab. Damit kann dem Plasma eine Heizlei-
stung von mehreren 10 MW abgegeben werden.
Im ITER-Projekt ist mit HF und Teilcheninjektion insgesamt eine Heizleistung von
100 MW vorgesehen [9.5].
9.2 Der Fusionsreaktor 425

9.2.3.2 Der inertiale Einschluss


Beim inertialen oder Trägheits-Einschluss werden kleine (d,t)-Plasma-Kügelchen
(Durchmesser Ca. 1 mm) durch Laserstrahlen oder Teilchenbündel von allen Seiten
impulsartig bombardiert. Durch die Erhitzung verdampft die äußere Schicht und
erzeugt eine nach innen gerichtete Druckwelle (tausendfache Dichte des Wassers wird
erreicht), welche in der Mitte der Kügelchen die zur Fusion der ersten Kerne (Zün-
dung) notwendige Temperatur von einigen 10 Mio. Grad erreicht. Die freigesetzte
Energie heizt das Kügelchen weiter auf, so dass der gesamte Brennstoff fusioniert
[9.5].
Modellberechnungen zeigen, dass r = r/v,mit r = Kugelradius, V, = Schallgeschwin-
digkeit im komprimierten Plasma. Die Fusion sollte eingeleitet werden bei Werten
von r = 10-9s und n = 1023-1OZ4~ m (+' ~n r = 1014- 10" , S. Abb. 9.4) [9.3].

9.3 Stand und Perspektiven der Kernfusion

9.3.1 Internationales Forschungsprogramm Kernfusion

Nach Abschluss der Testphase des ITER-Experimentalreaktors sollen die Ent-


scheidungen über die Ausgestaltung des ersten Demonstrationskraftwerks DEMO
gefallt werden. Dessen Inbetriebnahme sollte aus heutiger Sicht etwa 2030 bis 2035
möglich sein. Ziel der Demonstrationsanlage wäre es, den kommerziellen Einsatz von
Fusionskraftwerken fur die zweite Hälfte des Jahrhunderts vorzubereiten (Abb. 9.10).
Plasmaphysik

Tokamak-Physik Strom- Kommerzielle


erzeugung Fusionskraftwerke
Konzeptverbesserung, Stellarator
Entscheidung

ITER DEMO
Anlagen

14 MeV-Neutronenquelle
Technologie

ITER-relevante Technologie

DEMO-relevante Technologie

2005 2015 2025 2035 2045 2050

Abb. 9.10. Forschungsprogramm Kernfusion (Quelle: [ 9.41])


426 9 Kernfusion

9.3.2 Vorzüge der Fusion und technologische Probleme

Der Fusionsreaktor hat gegenüber dem Spaltreaktor wichtige Vorteile:


- Er bildet keine langlebigen Spaltprodukte -> das Entsorgungsproblem ist viel
leichter zu lösen.
- Im Reaktor gibt es kein Brennstoffinventar, das komplizierte Kontrollsysteme
bedingt, sondern der Brennstoff wird in kleinen Mengen laufend von außen
injiziert. Der Fusionsprozess kann nicht außer Kontrolle geraten (keine Kettenre-
aktion) und kann jederzeit leicht abgestellt werden, d.h er ist inhärent sicher.
- Pro Gewichtseinheit des Brennstoffs wird (relativ zu Uran 235) mehr als drei
Mal mehr Energie erzeugt.
Die technologischen Probleme, die es zu bewältigen gilt, sind aber sehr groß, und es
ist im heutigen Zeitpunkt schwer zu sagen, ob sie gegenüber der extensiven Nutzung
der Solarenergie wirtschaftlichere Lösungen erlauben werden. Die beiden Techniken
ergänzen sich aber ausgezeichnet, da die Fusionskraftwerke Bandenergie produzieren.
Mit Bezug auf den Tokamak-Reaktor seien die wichtigsten Probleme erwähnt:
Die Wand der Brennkammer ist einer großen thermischen Belastung ausgesetzt,
wird außerdem durch hochenergetische Neutronen beschossen, was die mecha-
nischen Eigenschaften des Materials verändert. Viel Forschungsarbeit ist hier
noch zu leisten.
Die Wärmeabfuhr (Nutzwärme), die z.B. mit flüssigem Lithium möglich wäre,
vermutlich besser aber mit einer festen Li-Verbindung (Granulat) oder mit dem
Eutektikum LiPb realisiert werden könnte, stellt ebenfalls Materialprobleme.
Wird die (d,t)-Reaktion verwendet, stellen die Tritiumgewinnung im Reaktor-
mantel und der damit verbundene Brennstoffkreislauf Radioaktivitäts- und
Sicherheitsprobleme.
Zur Erzeugung der hohen Magnetfelder mit geringen Verlusten sind Supraleiter-
spulen notwendig.
TEIL IV Regelung und Stabilität des
Energieversorgungsnetzes
10 Modellierung und Simulation

Die Analyse des dynamischen Verhaltens und der Stabilität des Energieversor-
gungsnetzes setzt eine wirklichkeitsgetreue Modellierung aller Netzelemente
einschließlich Regelkomponenten voraus. Sowohl zur Lösung spezieller Auf-
gaben wie für das Verständnis der sich abspielenden Vorgänge sind aber zweck-
mäßige Vereinfachungen sinnvoll.
Die in den folgenden Abschnitten 10.1 bis 10.3 behandelten Modelle sind für
Vorgänge mit Frequenzen eindeutig unter 50 Hz geeignet (enthalten also z.B.
keine transformatorischen Terme (t.S.) der Synchronmaschine, und das Netz ist
stationär dargestellt). Sie dienen in erster Linie der Analyse des Spannungs- und
Lastverhaltens sowie der elektromechanischen Pendelungen und zur Stabilitäts-
analyse. Für eine weitergehende Modellierung zwecks Simulation sehr großer
Netze oder Berücksichtigung der elektromagnetischen Ausgleichsvorgänge s.
Abschn. 10.4 und Anhang 111.5.
Das Netz besteht aus Leitungen und Transformatoren (größtenteils passiven
Netzzweigen), aus Kraftwerken und anderen Einspeiseelementen, die an bestimm-
ten Knotenpunkten (Einspeiseknoten) angeschlossen sind, sowie aus aktiven und
passiven Lasten. Ein Knoten oder Netzzweig wird als aktiv bezeichnet, wenn er
mit dynamischen Komponenten beschaltet ist. Leistungsübergabeknoten von und
zu anderen Netzen können wie Lastknoten behandelt werden.
Wichtigstes dynamisches Element ist das Kraftwerk, dessen Blockschema in
Abb. 10.1 dargestellt ist. Die Größen des Kraftwerks sind in p.u. ausgedrückt,
insbesondere der Strom &; und die Spannung E,, in lokaler Parkzeiger- bzw.
Parkvektorform. Als Bczugsgrößen dienen die Generatorspannung U, und die
Generatorleistung S, . Der Block „Netzkopplung" berechnet den Polradwinkel6
(für die exakte Def. und Herleitung s. Kap. 12), wandelt die elektrischen Größen
von lokalen Park- in Netzkoordinaten um und berücksichtigt die Bezugsspannung
U,, der Netzberechnung:

bWdT
hydraulisches

Abb. 10.1. Gesamtmodell des netzgekoppelten Kraftwerks


430 10 Modellieriing lind Simulation

db
5-=n-ns
dt
sinb cosb
-COSO sin0
I = / 1
Die Richtung von Spannung und Strom im Blockdiagramm kann für Vorgänge
mit Frequenz << 50 Hz auch umgekehrt werden, d.h. das Kraftwerk mit Spannung
als Ausgangs- und Strom als Eingangsgröße beschrieben werden.
Die Analyse des hydraulischen bzw. thermischen Systems ist in den Abschn.
4.5 und 5.1 zu finden. Drehzahlregelung und Spannungsregelung einschl. Pendel-
dämpfung sowie mögliche Torsionsschwingungen werden näher in den Kap. 1 1,
12 und 13 besprochen. In den folgenden Abschn. 10.1 bis 10.3 werden unter den
erwähnten Voraussetzungen die wichtigsten Modelle der elektrischen Haupt-
elemente beschrieben: Generator, Last und Netz.

1 0 . Generatormodelle und sonstige Einspeisungen

Die Grundlagen der Synchronmaschine (SM) sind in Band 1, [10.4] dargelegt


worden. Das zu wählende Modell hängt von der Aufgabenstellung und ins-
besondere von der Frequenz der zu untersuchenden dynamischen Vorgängen ab.
Ein allgemeines Modell 2. Ordnung mit transformatorischen Spannungen (t.S.),
das auch Vorgänge im Bereich von 10 Hz und darüber korrekt erfasst, ist in Band
1, Abschn. 6.7, als Zustandsraummodell (Abb. 6.72) gegeben worden; die dazu
notwendigen Parameter können entsprechend Abschn. 6.7.3 bestimmt werden.
Zur Analyse elektromechanischer Pendelungen oder der Spannungsstabilität ist
i.d.R. die Berücksichtigung der t.S. nicht notwendig, und der Generator kann
dann mit drei physikalisch leicht interpretierbaren Übertrag~n~sfunktionen
beschrieben werden. Im Folgenden sei vor allem dieser Ansatz näher betrachtet.
Für den allgemeinen Zusammenhang zwischen der Beschreibung mit Über-
tragungsfunktionen und der Zustandsraumdarstellung s. auch Anhang 111.

10.1.I Kurzzeitmodelle der SM


Der Kurzzeitbereich umfasst Vorgänge, die sich im Laufe einiger Sekunden ab-
spielen. Die Drehzahl kann dann (zur Beschreibung der SM) als konstant an-
genommen werden. Die Synchronmaschine wird bei Vernachlässigung von
Statorwiderstand, transformatorischen Spannungen und Drehzahleinfluss (n = 1)
elektrisch durch das in Abb. 10.2 gegebene Modell (Grundlagen in Band 1,
Abschn. 6.4) dargestellt. Die Übertragungsfunktionen der SM sind (Modell 2.
Ordnung)
10.1 Generatormodelle und sonstige Einspeisungen 43 1

Die Inverse der Reaktanzen lassen sich auch schreiben

Die Anfangs-Polradspannungen e„ (s = m ) und e„ (s = m ) stellen punktuelle


Werte unmittelbar nach der Störung dar, erfassen also die Anfangsbedingungen.
Für die Funktion A, (s) der Längsachse folgt aus Band I , Abschn. 6.4.2, GI.
(6.561,

S T ~ , T ; (+
~ ST~) R~ @oOTafRf , (10.4)
4d(s) , mit T~ =
+

=
T o ( l + s T i O )(1 +ST;) + +,oRf

Der Wert von A,(s) wird in formal identischer Weise mit Ersatz der Indizes d, f,
D durch q, Q,, Q, erhalten (s. dazu auch Band 1 , Abschn. 6.7.3).

t epdH

Abb. 10.2. Modell der Synchronmaschine.


432 10 Modellierung und Simulation

Das in Abb. 10.2 dargestellte Modell erfasst sowohl die transienten als auch die
subtransienten Vorgänge. Obwohl die subtransienten Vorgänge im Sekundenbe-
reich, was die rein elektrische Wirkung betrifft, vernachlässigt werden könnten,
sind sie für die korrekte Erfassung des Dämpfungsmoments notwendig (s. dazu
Band 1, Abschn. 6.6.7.2). Die Mechanikgleichungen lauten dann (mit n = 1)

Abbildung 10.2 zusammen mit G1 (10.5) ergeben die für die Untersuchung von
Vorgängen im Kurzzeitbereich exakteste Darstellung der SM. Dazu äquivalente
Beschreibungen im Zustandsraum finden sich in Band 1, Abschn. 6.7.
Eine in der Literatur oft verwendete Näherung besteht darin, die subtransienten
Vorgänge (bzw. Zeitkonstanten) zu vernachlässigen und die elektrischen Brems-
momente getrennt zu berechnen. Die Anfangs-Polradspannungen werden zu den
transienten Polradspannungen e„ ' und e„ ', und die Übertragungsfunktionen
vereinfachen sich zu

1 1 +ST; 1 +ST:
G(s) = --- I , xd(s) = xd X (s) = Xq -
1 ' 4 I
P

1 +sTd0 1 +sT„ 1 +sTq0

und die Längsachse der SM kann durch Abb. 10.3 modelliert werden

Abb. 10.3. Modell der Längsachse der Synchronmaschine ohne Subtransienten

Der Längsoperator kann auch geschrieben werden

zur Genauigkeit der Näherung s. Band 1, Abschn. 6.4.2, insbesondere GI. (6.67).
10.1 Generatorinodelle und sonstige Einspeisungen 433

Mit Cl. (10.7) Iässt sich Abb. 10.3 durch Abb. 10.4 ersetzen. An Stelle der Pol-
radspannung e„, treten in Abb. 10.4 die Flussverkettung $, der Erregerwicklung
und der Erregerstrom if in Erscheinung. Dies lässt sich bei Vernachlässigung der
Dämpferwirkungen mit den drei Gleichungen (Laplace-Carson)

aus dem Gleichungssystem (6.141), Band 1, auch direkt nachweisen:

Durch Elimination von i, erhält man

wobei im Rahmen der erwähnten Approximation

Abb. 10.4. Modell der Längsachse der Synchronmaschine

Die der Flussverkettung $,/(l + o,) entsprechende EMK e, ist nach einer Störung
des Gleichgewichts im ersten Augenblick (s 4 W) gleich zu e„'.
Analog dazu ergeben sich für die q-Achse e, = - qQ,/(I + oQ,)und das Schema
in Abb. 10.5, wobei e, (s -+ m ) = e„'. Im Fall der SM mit lamelliertem Rotor
(Band 1, Abschn. 6.4.2) sind X,' = X, und e„'= 0, womit auch e, = 0.

Entsprechend den Abb. 10.4 und 10.5 reduziert sich das Gleichungssystem
(6.141), Band 1 (SM + Mechanik), zum Folgenden:
434 10 Modellierung und Simulation

Abb. 10.5. Modell der Querachse der Synchronmaschine

worin n lediglich zur Bildung des Polradwinkels benötigt wird und das elektrische
Moment m nicht mehr durch die erste der Gln. (10.5) gegeben, sondern durch
einen in Kap. 12 abgeleiteten Ausdruck zu ersetzen ist. Die SM (einschl. Me-
chanik und Netzkopplung) wird durch die vier Zustandsgrößen n, 6, e , und e,
beschrieben. Ein Blackbox-Schema mit i als Ausgangsgröße zeigt Abb. 10.6.
Im Kurzzeitbereich muss i.d.R die Änderung des Antriebsmoments m„(Primär-
regelung) sowie jene der vom Spannungsregler kontrollierten Steuervariablen U,
mit Dynamik und Begrenzungen berücksichtigt werden.

Netz-
Mech. Netz

Abb. 10.6. Blackbox-Schema für den Kurzzeitbereich


10.1 Generatormodelle und sonstige Einspeisungen 435

Während einer kurzen Zeit nach der Störung (Größenordnung 0.1 s) können e,
und e, wegen der Trägheit der Hauptflussverkettung (Zeitkonstanten T„' und T„'
groß) als konstant und gleich e,J bzw. e,,,' angenommen werden, wodurch die
dritte und vierte der Gln. (10.1 1) entfallen (sogenannte „transiente" Näherung, s.
Kap. 12). Ebenso kann das Antriebsmoment m , als konstant betrachtet werden.

10.1.2 Langzeitmodell der SM


Der Langzeitbereich betrifft Vorgänge, die minutenlang dauern. Der Drehzahl-
einfluss muss berücksichtigt werden, die subtransienten und meist auch die
transienten Vorgänge können aber als abgeklungen gelten, die SM also stationär
mit vorgegebenem Spannungsmodul (entsprechend dem Sollwert) modelliert
werden. Die Gleichungen der SM sind

Das entsprechende Blackbox-Schema zeigt Abb. 10.7. Erreicht die Erreger-


Spannung ihre Grenzen, wird uf konstant gehalten und somit U, freigegeben. Der
Spannungswert u = U„„ kann dann nicht mehr eingehalten werden.
Da im Langzeitbereich i, = U,, übersteigt der Erregerstrom für uf = U„„ (meist
etwa 4 p.u.) den thermisch zulässigen Wert (meist 2 - 3 p.u.). Demzufolge muss
entweder uf„, in Abhängigkeit von der Dauer der Überlast zurückgenommen oder
eine entsprechende Begrenzungsschaltung für den Erregerstrom if vorgesehen
werden (s. dazu auch Abschn. 13.1.2).
Das Antriebsmoment m , ist im Langzeitbereich nicht konstant und eine Model-
lierung von Primär- und Sekundärregelung deshalb notwendig (Kap. l l ) .

Abb. 10.7. Blackbox-Schema für den Langzeitbereich


436 10 Modellierung und Simulation

10.1.3 Sonstige Einspeisungen


Neben den Kraftwerksknoten sind weitere Einspeiseknoten im Netz dynamisch
aktiv, nämlich Knoten mit gcrcgcltcr Blindlcistungseinspeisung (z.B. SVC,
STATCOM) sowie weitere FACTS-Elemente und Transformatoren mit Längs-
undloder Querregelung (dynamisch aktive Zweige). Im Folgenden werden letztere
sowie SVC und STATCOM-Modelle kurz besprochen. Näheres und Weiteres ist
in den Abschn. 13.2 und 13.3 und über UPFC im Abschn. 14.2.2 und Kap. 1.5 zu
finden.

10.1.3.1 Transformatoren mit Längsregelung


Entsprechend der p.u. Darstellung des Transformators in Band 1, Abschn. 4.8.2,
gilt

Dem normalen Transformator mit fester Nennübersetzung überlagert sich das


Modell in Abb. 10.8. Für die Regelung s. Abschn. 13.2. Mit den bei Netzbe-
rechnungen üblichen Stromvorzeichen und Vernachlässigung des Magnetisie-
rungsstromes ist y l i = y22= 1- und y i 2= = l lz.
-

Abb. 10.8. Modell des geregelten Transformators

10.1.3.2 Transformatoren mit Schräg- oder Querregelung


Wie in Band 1, Abschn. 4.9.4.2, dargelegt, besteht der einzige Unterschied zur
Längsregelung formell darin, dass die Übersetzungsabweichung komplex ist. Das
Schema Abb. 10.8 ist weiterhin gültig. Für die Stromeinspeisung gilt an Stelle von
G1. (10.14) bei Vernachlässigung des Magnetisierungsstromes folgender Zu-
sammenhang
Mit der Schrägregelung wird auch die Wirkleistungsübertragung beeinflusst. Dazu
Näheres in Band 1, Abschn. 4.9.4.2, und in Zusammenhang mit FACTS in Kap. 15.
10.1.3.3 Geregelte Kompensationsanlagen
Entsprechend Abschn. 13.3 ergibt sich für die Parallelkompensation mittels SVC
und STATCOM das Modell in Abb. 10.9 mit den Gleichungen

I = y u mit y steuevbar , SVC


,
i = y (U - e ) mit e steuerbar , STATCOM . (10.16)

Abb. 10.9. Modell der geregelten Kompensationsanlage

10.1.3.4 Asynchronmaschinen
Dazu s. Abschn. 10.2.2 und Band 1, Abschn. 7.1.

10.2 Lastmodelle
Lasten können durch eine vorgängige Analyse der Verbrauchertypen summarisch
dargestellt werden. Die summarische Darstellung setzt sich aus einem statischen
und einem dynamischen Anteil zusammen.

10.2.1 Statische Last


Der statische Anteil kann, was die Spannungs- und Frequenzabhängigkeit betrifft,
als Exponentiallast beschrieben werden (Band I, GI. 7.41)

Im Kurzzeitbereich wird die Frequenzabhängigkeit i.d.R. vernachlässigt, und es


folgt das nichtlineare Modell
438 10 Modellierung und Simulation

Kann die Last als Impedanzlast (bzw. Admittanzlast) dargestellt werden, was dem
Spezialfall a = ß =2 entspricht, folgt aus (10.18)

Falls a und ß zwischen 0 und 2 liegen (was meist der Fall ist), kann die Last auch
als Summe aus Konstantadmittanz-, Konstantstrom- und Konstantleistungsanteil
ausgedrückt werden, also die Form

annehmen. Der entsprechende Laststrom ist

Durch Linearisierung der Spannungsabhängigkeit des Konstantleistungsanteils


kann schließlich dieser Strom angenähert auch

L = Y%
. . Yl + I„ (10.21)

geschrieben werden (Näheres und Anwendung in Abschn. 12.5.5).

Kleine Änderungen
Für kleine Änderungen kann die GI. (10.17) linearisiert werden, und es folgt

Zwischen Leistung, Spannung und Strom besteht die Beziehung


P +j Q = e'"u I e-"~ mit 6, =Ou-(p , (10.23)
die durch Linearisierung zu

führt.
10.2 Lastmodelle 439

Damit ist der Zusammenhang zwischen u ( U , 6,)und !(I, 0,)gegeben. Bei Vorga-
be von kann aus den Gln. (10.22) und (10.24) 1berechnet werden oder umge-
kehrt.
Das entsprechende Blockdiagramm zeigt Abb. 10.10. Zwischen Frequenz und
Phase besteht der Zusammenhang

s. dazu auch Band 1, GI. (7.37).

Abb. 10.10. Spannungs- und frequenzabhängiges Exponentiallastmodell


fur kleine Änderungen

10.2.2 Dynamische Lasten


Wichtigste dynamische Last ist die Motorlast. Für Leistungsanwendungen wird
vor allem der Asynchronmotor eingesetzt, dessen exakte Modellierung in Band
1, Abb. 7.1 I, gegeben ist. Für Vorgänge im Kurzzeitbereich (Sekundenbereich)
kann das einfachere nichtlineare Modell in Band 1, Gln. (7.35) bis (7.37), einge-
setzt werden. Das entsprechende Blockdiagramm, das den Motorstrom in Abhän-
gigkeit von der Spannung liefert, ist in Abb. 10.1 1 dargestellt. Die Gln. (7.35) und
(7.36) in Band 1 liefern

m - m, = s T m n
n = f - (oj)
mb = mbo + b n .

Für gewisse Verbraucher (Pumpen) kann eine quadratische Abhängigkeit des


Belastungsmoments von der Drehzahl realistischer sein.
Für kleine Spannungsänderungen folgt aus den Gln. (10.26) durch Elimination
von n und (oj), wobei allgemeiner h = dm, /an,
440 10 Modellierung und Simulation

Au b +sT, mo
mit K = - .
mo uo K + b + s T m (0f)o

Abbildung 10.12 zeigt das entsprechende Zeitverhalten. Bei Spannungseinbruch


sinkt zunächst das Drehmoment proportional zum Quadrat der Spannung, um dann
mit der Zeitkonstanten T nahezu den ursprünglichen von der mechanischen Last
diktierten Wert wieder zu erreichen. Für die Blindleistung ergibt sich ein ähnli-
cher Verlauf. Der Motor verhält sich demnach im ersten Moment wie eine Impe-
danz und stationär wie eine Konstantleistungslast. Da K die Größenordnung
10- 100 aufweist, beträgt T einige 10 ms bis einige 100 ms. Eine Motorlast kann
deshalb oft bereits im Kurzzeitbereich als Konstantleistungslast betrachtet wer-
den.

I +st
p=mf
q = f(p) mit GI. (7.35)

Abb. 10.11. Modell der motorischen Last

Im Langzeitbereich ist die Wirkung thermostatisch kontrollierter Wirklasten zu


berücksichtigen [10.24], [1 0.141. Die Lasten weisen zwar eine quadratische
Abhängigkeit von der Spannung auf. Die thermostatische Regelung wird aber mit
einer Zeitkonstanten im Minutenbereich die ursprüngliche Wirklast wiederher-
stellen, womit sich ein der Abb. 10.12 ähnlicher Wirklastverlauf ergibt.

- - -t
Abb. 10.12. Leitverhalten des Drehmoments der AM
10.3 Netzdarstellung 44 1

10.3 Netzdarstellung
In diesem Abschnitt werden nur passive Zweige betrachtet. Für dynamische
Zweige (geregelte Transformatoren und FACTS) s. Abschn. 10.1.3 sowie 13.2,
13.3, 14.2.2 und Kap. 15.
Das Netz bestehe also aus n Knoten und aus passiven Zweigen. Dann lässt es
sich durch die komplexe (n xn)-Knotenadmittanzmatrix Y beschreiben (Bd. 1,
Abschn. 9.3).
Bei großenNetzen kann es von Vorteil sein, die Matrixgrösse durch Elimination
aller oder der meisten passiven Lastknoten zu reduzieren, so dass nur noch m (vor
allem dynamisch wirksame) im Folgenden mit a indizierte Knoten übrig bleiben.
Ist die Netzgleichung von

gegeben und mit der Annahme, die passive Last der Knoten 1 lasse sich durch
Admittanzen darstellen, folgt durch Integration der entsprechenden Lastadmit-
tanzmatrix in die Knotenadmittanzmatrix

und schließlich durch Elimination von U,

t=yred<, ~ r e d = ~ a a - ~ a l ~ ~ l l + ~ L l ~(10.30)
~ l ~ ~ e -

Das Netz wird nun durch die reduzierte Knotenadmittanzmatrix Y„, beschrieben.
Eine solche Reduktion ist auch dann angenähert möglich, wenn die Last der
Knoten 1 neben dem Admittanzanteil einen Konstantstrom- und einen Kon-
stantleistungsanteil enthält. Wie in Abschnitt 10.2.1 bereits gezeigt, erhält man
durch Linearisierung der Spannungsabhängigkeit des Konstantleistungsanteils (s.
Cl. 10.18 und als Anwendung Abschn. 12.5.5) eine Netzgleichung der Form

Die Netzgleichung (I 0.3 1) kann direkt verwendet werden, wenn die Ausgangs-
größen der Modelle der (meist) aktiven Knoten Spannungen sind. Werden diese
mit Strom als Ausgangsgrößen modelliert, erhält man durch Inversion der redu-
zierten Knotenadmittanzmatrix

Im Fall kombinierter Verwendung der GI. (10.31) und (10.32) wird das Netz
durch eine hybride Matrix beschrieben.
442 10 Modellierung und Simulation

10.4 Simulationsprogramme

Ausgleichsvorgänge in Energieversorgungssystemen laufen aufgrund der hohen


Komplexität dieser Systeme in Zeitbereichen stark unterschiedlicher Größenordnung
ab. Diese Zeitbereiche gehen vom Bereich einiger Mikrosekunden (Wanderwellen-
vorgänge auf Leitungen) bis hin zum Stundenbereich (Langzeitverhalten von Kraft-
werken). Mit Hinsicht auf die digitale Simulation muss dabei insbesondere zwischen
Ausgleichsvorgängen im elektrischen Netz und Vorgängen des elektromecha-
nischen Teilsystems unterschieden werden.
Ausgleichsvorgänge des elektrischen Netzes, die häufig auch netztransiente Vor-
gänge, oder elektromagnetische Ausgleichsvorgänge genannt werden, sind auf
Umladevorgänge zwischen den Energiespeichern des Netzes, also den Netz-Indukti-
vitäten und -Kapazitäten zurückzuführen. Hierzu gehören beispielsweise Schaltüber-
Spannungen, alle Arten von Einschaltströmen oder das Phänomen der Ferro-Reso-
nanz, das durch Wechselwirkungen zwischen oftmals nichtlinearen Transformator-
Hauptfeldinduktivitäten und den Kapazitäten des elektrischen Netzes hervorgerufen
wird.
Auch extrem schnelle Ausgleichsvorgänge, wie z.B. Blitzüberspannungen, bei
welchen lange Leitungen nicht mehr durch Ersatzschaltbilder mit konzentrierten
Parametern, sondern durch Modelle mit verteilten Parametern nachgebildet werden,
gehören zu den Netzausgleichsvorgängen [I 0.151, [I 0.161, Band 1, Abschn. 5.6.
Elektromechanische Ausgleichsvorgänge hingegen sind auf Umladevorgänge
zwischen mechanischen Energiespeichern, den Läuferflüssen elektrischer Maschi-
nen, sowie den Energiespeichern von Turbinen, Kraftwerken und Regeleinrichtungen
zurückzuführen. Da diese Energiespeicher deutlich größer sind als die Energiespei-
cher des elektrischen Netzes, laufen elektromechanische Ausgleichsvorgänge in
weitaus größeren Zeitbereichen ab.
Auf Grund der starken Zeitunterschiede von elektromagnetischen und elektro-
mechanischen Ausgleichsvorgängen können diese in vielen Anwendungsfallen
entkoppelt betrachtet und analysiert werden:
Das elektrische Netz wirkt auf elektromechanische Ausgleichsvorgänge in erster
Linie durch seine stationären Gleichungen zurück. Andererseits kann bei der Analyse
von Netzausgleichsvorgängen die Änderung von Zustandsgrößen des elektromecha-
nischen Systems oftmals vernachlässigt werden, was zu der bekannten Darstellung
des Generators als äquivalente Spannungsquelle mit subtransienter Reaktanz fiihrt.
Die Entkopplung der Teilsysteme, die hier rein anschaulich begründet wurde, kann
systematisch mit Hilfe der Singular Perturbation Methode hergeleitet werden (z.B.
[10.3]).
Eine Sonderrolle spielen jedoch subsynchrone Vorgänge. Bei subsynchronen
Vorgängen handelt es sich um Wechselwirkungen zwischen Energiespeichem des
elektrischen Netzes (z.B. Kabelkapazitäten oder Reihenkompensationen) mit mecha-
nischen Energiespeichem (z.B. Generatorwelle). Damit können subsynchrone Vor-
gänge weder den Netzausgleichsvorgängen noch den elektromechanischen Vorgän-
gen eindeutig zugeteilt werden, weshalb sie spezielle Beachtung finden müssen (z.B.
10.4 Simulationsprogramme 443

[10.1] (s. dazu auch Abschn. 12.4).


Auch innerhalb der beiden Klassen von Ausgleichsvorgängen, den Netzausgleichs-
vorgängen und den elektromechanischen Vorgängen, kann wiederum eine Einteilung
Zeitbereiche unterschiedlicher Größenordnung vorgenommen werden. So erstreckt
sich der Zeitbereich von Netzausgleichsvorgängen von einigen Mikrosekunden
(Wanderwellenvorgänge) bis hin zu mehreren hundert Millisekunden (abklingende
Gleichanteile von Kurzschlussströmen). Der Zeitbereich von elektromechanischen
Ausgleichsvorgängen geht von einigen hundert Millisekunden (Spannungsregelung)
bis hin zum Minuten- oder Stundenbereich (Sekundärregelung, Langzeitverhalten
von Kraftwerken).
Differentialgleichungssysteme zur Beschreibung von Energieversorgungssystemen
sind somit grundsätzlich steif, was eine effiziente Simulation über einen großen
Zeitbereich schwierig macht. Zur Lösung dieses Problems gibt es zwei Ansätze:
I. Elimination schneller Anteile durch Modellreduktion.
2. Anwendung von numerischen Lösungsverfahren mit automatischer Schritt-
weitenanpassung zur effizienten Analyse mehrerer Zeitbereiche.
Heutzutage verfugbare Standardprogramme zur Simulation von Ausgleichsvorgän-
gen in Energieversorgungssystemen können grob in Programme zur Analyse elektro-
mechanischer Ausgleichsvorgänge (Stabilitätsprogramme) und Programme zur
Berechnung elektromagnetischer Ausgleichsvorgänge (EMT-Programme) eingeteilt
werden.
Reine Stabilitätsprogramme, wie z.B. PSSIE [10.20] oder EUROSTAG [10.22]
wenden ein stationäres Netzmodell an und sind damit in der Lage, elektromecha-
nische Ausgleichsvorgänge effizient zu analysieren. EUROSTAG arbeitet zudem mit
einer automatischen Schrittweitenanpassung, was eine effiziente Analyse des ge-
samten Bereichs elektromechanischer Ausgleichsvorgänge, vom Kurzzeit- bis zum
Langzeitbereich, möglich macht. Aufgrund des stationären Netzmodells ist es mit
diesen Programmen aber nicht möglich, Netzausgleichsvorgänge zu berechnen.
Programme, die auf elektromagnetische Ausgleichsvorgänge spezialisiert sind, wie
beispielsweise EMTP [I 0.61, [10.7] oder EMTDC [10.19], können grundsätzlich
auch Stabilitätsprobleme lösen, also auch elektromechanische Ausgleichsvorgänge
analysieren, sind bei diesen Anwendungen aber nicht effizient, da aufgrund des
detaillierten Netzmodells stets mit einer sehr kleinen Schrittweite gerechnet werden
muss.
Die Programmsysteme NETOMAC [ I 0.121, [10.13] und DIGSILENT PowerFac-
tory [10.5] erlauben es, sowohl Netzausgleichsvorgänge, als auch elektromecha-
nische Ausgleichsvorgänge effizient zu analysieren, da sie sowohl ein detailliertes,
als auch ein stationäres Netzmodell unterstützen. DigSILENT PowerFactory inte-
griert dabei einen Algorithmus mit variabler Schrittweite, ähnlich dem von EUROS-
TAG, der aber sowohl auf Simulationen mit detailliertem also auch auf Simulationen
mit stationärem Netzmodell angewandt werden kann. Damit ist möglich, nahezu den
gesamten Bereich von Ausgleichsvorgängen in Energieversorgungssystemen effi-
zient zu analysieren [10.18].
444 10 Modcllierung und Simulation

Des weiteren unterscheiden sich Standardprogramme zur Simulation von Aus-


gleichsvorgängen in Energieversorgungssystemen im Wesentlichen durch die Ge-
schwindigkeit und die Robustheit des numerischen Lösungsverfahrens (s. die
Abschn. 10.4.3 - 10.4.7), in der Genauigkeit und im Umfang der Modellbibliotheken,
sowie in den Möglichkeiten, eigene Modelle zu erstellen (s. die Abschnitte 10.4.8
und 10.4.9). Nicht zuletzt spielen natürlich auch die Einfachheit der Bedienung
sowie die Möglichkeiten zur grafischen Aufbereitung der Ergebnisse eine nicht zu
vernachlässigende Rolle.

10.4.1 Modellierung des elektrischen Netzes


Die Modellierung des elektrischen Netzes kann in unterschiedlichen Koordinaten-
systemen und mit unterschiedlicher Genauigkeit erfolgen. Ausgehend vom Diffe-
rentialgleichungssystem eines dreiphasigen, induktiven und eines dreiphasigen,
kapazitiven Zweigelements wird im Folgenden die Transformation in unterschiedli-
che Koordinatensysteme, sowie der Übergang auf das stationäre Netzmodell syste-
matisch erläutert.
Ein dreiphasiger, induktiver Zweig gemäß Abb. 10.13 kann durch ein implizites
Differentialgleichungssystem gemäß ( 1 0.33) beschrieben werden.

Abb. 10.13. Dreiphasiges induktives Zweigelement


10.4 Simulationsprogramme 445

Für ein dreiphasiges kapazitives Zweigelement gilt analog:

Mit dieser allgemeinen Darstellung lassen sich sowohl symmetrische als auch un-
symmetrische induktive und kapazitive Zweigelemente exakt darstellen.
Die drei Phasen von Spannungen und Strömen stellen einen Vektor im dreidimen-
sionalen Raum dar (Abb. 10.14). Die Koordinaten dieses Raums sind äquivalent zu
den drei Phasen a, b und C. Man spricht somit auch von einem Raumzeiger, der nicht
mit den komplexen Zeitzeigern des stationären, sinusformigen Zustands verwechselt
werden darf. Der Raumzeiger setzt sich aus den Momentanwerten von Spannungen
und Strömen zusammen und ist keineswegs auf sinusformige Größen beschränkt (s.
dazu auch [10.1 I ] und Band 1, Abschn. 2.4.3).
Das abc-Koordinatensystem kann einer Transformation unterzogen werden,
wodurch sich bei geeigneter Wahl des Koordinatensystems im Fall von zyklisch
symmetrischen Betriebsmitteln die Differentialgleichungssysteme entkoppeln.
Die Koordinatentransformation wird im folgenden anhand des induktiven Zweig-
elements erläutert. Für das kapazitive Zweigelement gelten analoge Beziehungen.
Eine geeignete Wahl f i r eine Koordinatentransformation stellt die alpha-beta-null
Transformation dar:
Li = ~ ~ p o & m (10.35)

Abb. 10.14. Strom-Raumzeiger

Die Transformationsmatrix des alpha-beta-null-Systems ist zeitunabhängig und


lautet(1nverse der in Band 1, Abschn. 2.4.5, GI. (2.42) gegebenen Transformations-
matrix):
446 10 Modellierung und Simulation

Für die Vektor-Gleichungen des induktiven Zweigelements gilt nun:

Die Induktivitätsmatrix wird folgendermaßen berechnet (R analog):

LaßO = TaßOLabcTiiO (10.38)

Durch die Transformation zerfallt das Differentialgleichungssystem eines zyklisch


symmetrischen Betriebsmittels in drei ungekoppelte Differentialgleichungen (siehe
Abb. 10.15), was einer reinen Diagonalmatrix fur L und R entspricht:

Abb. 10.15. induktiver Zweig in alpha-beta-null Koordinakn

lm Fall von vollständig symmetrischen Betriebsmitteln gilt außerdem L, = Lp.


10.4 Simulationsprogramme 447

Damit erfüllt die Raumzeigertransformation eine analoge Funktion wie die Sym-
metrischen Komponenten komplexer Zeitzeiger. Auch spaltet die Raumzeigertrans-
formation, genauso wie die Symmetrischen Komponenten, das Nullsystem, also die
Summe der drei Phasengrößen von den restlichen Komponenten ab (s. dazu auch
Band 1, Abschn. 2.44).
Durch diese Abspaltung ist es rein formal möglich, die alpha-beta Ebene als
komplexe Ebene darzustellen und zu schreiben (Band 1, Abschn. 2.4.5):

Die komplexe Schreibweise erlaubt eine wesentlich einfachere Darstellung der


Bctricbsmittclglcichungcn, was anhand der komplexen Raumzeigergleichung eines
symmetrischen, induktiven Betriebsmittels ersichtlich wird:

Im eingeschwungenen Zustand eines symmetrischen Netzes läuft der alpha-beta


Zeiger mit konstanter Winkelgeschwindigkeit in der alpha-beta-Ebene um (Abb.
10.16).
Es besteht nun die Möglichkeit, das ruhende alpha-beta Koordinatensystem einer
Transformation in ein mit Nennfrequenz umlaufendes Koordinaten zu unterziehen (s.
Abb. 10.17 und auch Band 1, Abschn. 2.4.6).

Der komplexe Transformationsvektor lautet folgendermaßen:


t = e-lcJ''
-4 (10.43)

Der Vorteil des umlaufenden dq-Koordinatensystems besteht darin, dass alle


Spannungen und Ströme im eingeschwungenen Zustand eines symmetrischen Netzes
konstante Werte annehmen.

Abb. 10.16. Raumzeiger im stationären, symmetrischen Zustand


448 10 Modellierung und Simulation

Abb. 10.17. Umlaufendes Koordinatensystem

Die Gleichung des symmetrischen, induktiven Betriebsmittels in dq-Koordinaten


ergibt sich durch eine Transformation von (10.41) in dq-Koordinaten:

Nach Auswertung des Differentialoperators dieser Gleichung und Multiplikation mit


dem inversen Transformationsvektor resultiert folgende Formel:

Die Induktivität und der Widerstand sind dabei in beiden Koordinatensystemen


gleich.
Entspricht die Transformationsfrequenz der Nennfrequenz, so werden durch den
Übergang auf ein umlaufendes Koordinatensystem die Ableitungen von Strömen und
Spannungen im eingeschwungenen Zustand eines symmetrischen Netzes zu 0.
Werden die Ableitungsoperatoren in den dq-Gleichungen der Netzzweige ver-
nachlässigt, so ergeben sich rein stationäre Netzgleichungen. Der dabei verursachte
Fehler ist im Fall von niederfrequenten Vorgängen klein und steigt mit wachsender
Frequenz an. Allerdings muss auch der Begriff der Frequenz mit Vorsicht behandelt
werden, da die Transformation in ein umlaufendes Koordinatensystem eine Fre-
quenzverschiebung mit sich bringt, wie die folgende Betrachtung zeigen wird.
Ein stationärer und oberschwingungsfreier, aber beliebig unsymmetrischer Strom
kann als Überlagerung einer Mitsystem-, einer Gegensystem- und einer Nullsystem-
komponente beschrieben werden (s. Abb. 10.18):
10.4 Simulationsprogramme 449

Der zugehörige alpha-beta Raumzeiger lautet:

Das Mitsystem erscheint im alpha-beta Koordinatensystem als ein in positiver


Richtung umlaufender Zeiger, während das Gegensystem einen in negativer Richtung
umlaufenden Zeiger darstellt. Die einzelnen Komponenten enthalten jedoch nach wie
vor ausschließlich Anteile einer Frequenz (s. dazu auch Band 1, Abschn. 2.44).
Wird nun eine weitere Transformation in ein umlaufendes d-q-Koordinatensystem
durchgeführt, so ergeben sich folgende Komponenten:

Im d-q Koordinatensystem wird jede Frequenzkomponente in zwei Komponenten


aufgespalten: ein Anteil enthält die Differenz aus Signalfiequenz und Transforma-
tionsfrequenz, der zweite Anteil enthält die Summe aus beiden Frequenzen. Der
Differenzanteil entspricht dabei der Mitsystemkomponente, der Summenanteil der
Gegensystemkomponente des Ausgangssignals.
Eine einfache Vernachlässigung der Ableitungsoperatoren in (10.45) fuhrt daher
zu einer guten Näherung für symmetrische Anteile in Nähe der Transformations-
frequenz, vernachlässigt aber gänzlich die Gegensystemanteile. Tm Fall von symme-
trischen Vorgängen ist dies weiter nicht relevant, werden aber auch unsymmetrische
Fehler simuliert, so muss im Fall einer quasistationären Netzmodellierung das
Gegensystem und auch das Nullsystem analog zur stationären Kurzschlussrechnung
durch stationäre Gleichungen beschrieben werden.
Alle hier dargestellten Koordinatensysteme besitzen Vor- und Nachteile. Je nach
Anwendung muss entschieden werden, in welchem Koordinatensystem die Netzmo-
dellierung erfolgen soll.

Abb. 10.18. Mit- und Gegensystemkomponentenim Raumzeiger


450 10 Modellierung und Simulation

Eine Modellierung in d-q Koordinaten bietet grundsätzlich den Vorteil, dass


stationäre, symmetrische Spannungen und Ströme im d-q Koordinatensystem einen
konstanten Verlauf annehmen. Bei der digitalen Simulation ist dies insofern ein Vor-
teil als dass sich der numerische Abbruchfehler minimiert und die Schrittweite nach
Abklingen schneller Anteile stark erhöht werden kann.
Im Fall unsymmetrischer Netze, oder im Fall von oberschwingungsbehafteten
Strömen und Spannungen schwindet dieser Vorteil gänzlich, weshalb hier eine
Modellierung in originalen abc Koordinaten vorzuziehen ist.
Für die Untersuchung elektromechanischer Ausgleichsvorgänge, also der klassi-
schen Stabilitätsrechnung, kann in den allermeisten Fällen das stationäre Netzmodell
verwendet werden, da hier nur das Grundschwingungsverhalten des elektrischen
Netzes eingeht.
Die Analyse subsynchroner Vorgänge kann allerdings nicht mit dieser Näherung
durchgeführt werden, da es hier auf die Wechselwirkung zwischen Netz- und mecha-
nischen Vorgängen ankommt. Da diese Analyse unter Annahme eines symmetrischen
Netzmodells durchgefihrt werden kann, bietet sich hier die Darstellung in einem
umlaufenden d-q Koordinatensystem an.
Für schnellere Netz-Ausgleichsvorgänge müssen Netz-Unsymmetrien berücks-
ichtigt werden, weshalb die Transformation in ein umlaufendes Koordinatensystem
hier keinen Vorteil bringt und in der Regel das "natürliche" abc-Koordinatensystem
Anwendung findet.

10.4.2 Allgemeines Modell zur Analyse von Stabilitätsproblemen

Wie in Abschn. 10.4.1 beschrieben wurde, liefert bei Stabilitätsuntersuchungen ein


rein stationäres Netzmodell i.d.R. ausreichend genaue Ergebnisse. Die in der Netzbe-
rechnung übliche Form der Netzdarstellung ist das Knotenadmittanzsystem nach
Abschn. 10.3.
-i, = Y,;, (1 0.49)
Im Knotenadmittanzsystem werden sämtliche Betriebsmittel in Form von äquivalen-
ten Stromquellen dargestellt. Äquivalente Spannungsquellen können durch Umfor-
mung in äquivalente Stromquellen beschrieben werden. Da diese Umformung bei
idealen Spannungsquellen (Innenwiderstand gleich Null) nicht möglich ist, muss
stets ein minimaler Innenwiderstand angenommen werden, was i.d.R. möglich ist, bei
sehr kleinen Widerständen jedoch zu numerischen Problemen fuhren kann.
Eine Erweiterung des Knotenadmittanzsystems stellen Hybrid-Gleichungssysterne
dar [10.8], [I 0.171, die auch ideale Spannungsquellen beschreiben können und somit
derartige numerische Probleme vermeiden (s. auch Abschn. 10.3).
Das dynamische Verhalten elektrischer Maschinen, dynamischer Lasten, Regelein-
richtungen, Turbinen, Kraftwerke, etc. werden durch nichtlineare Differentialglei-
chungssysteme erster Ordnung nachgebildet.
Die Verknüpfung von Netz- und dynamischen Gleichungen erfolgt mit Hilfe von
äquivalenten Stromeinspeisungen, die von den Zustandsgrößen der dynamischen
Modelle abhängen.

Das gesamte, bei der Analyse von Stabilitätsproblemen zu lösende Algebro-Differ-


entialgleichungssystem besitzt somit folgende Form:

Durch Lösen des arithmetischen Teils in (10.51) nach dem Vektor der Knoten-
Spannungen und Einsetzung in das Differentialgleichungssystem in (10.50) ergibt
sich zur dynamischen Beschreibung des Energieversorgungssystems ein reines
Differentialgleichungssystem der Form:

Dieses Gleichungssystem wird bei der praktischen Implementierung jedoch nie in


dieser Art aufgestellt und lässt sich meistens aufgrund der Nichtlinearitäten in der
Funktion g() aus (10.5 1) auch nicht aufstellen, sondern wird stets in der Algebro-
Differentialgleichungsform nach (10.52) behandelt.

10.4.3 Numerische lntegration

Das Energieversorgungssystem ist ein zeitkontinuierliches System, das auf einem


zeitdiskreten System, einem Digitalrechner, modelliert wird. Ein zeitdiskretes System
bietet jedoch keine Möglichkeit einen Ableitungsoperator oder eine lntegration ideal
darzustellen. Es ist daher erforderlich, den Ableitungs- oder Integrationsoperator aus
(1 0.52) numerisch anzunähern.
Numerische Verfahren zur Lösung von Differentialgleichungssystemen lassen sich
in explizite und implizite Verfahren einteilen.

10.4.3.I Explizite Verfahren


Explizite numerische Integrationsverfahren gehen immer von einer Lösung des
Differentialgleichungssystems durch Integration aus.
I

Bei der digitalen Simulation wird dieses Integral zu jedem Zeitschritt numerisch
berechnet. Als Anfangswert für die Lösung zum nächsten Zeitschritt dient der Zu-
standsvektor am letzten Zeitschritt:
452 10 Modellierung und Simulation

Ein explizites Verfahren stützt sich bei der Auswertung des Integrals aus (10.55)
lediglich auf bekannte Werte des Zustandsvektors an vorangegangenen Zeitschritten.
Das einfachste explizite, numerische Integrationsverfahren ist das explizite Euler-
Verfahren. Hier wird der Funktionsverlauf von fO zwischen zwei Zeitschritten durch
seinen Wert am letzten bekannten Zeitschritt t angenähert, wodurch sich folgende
Näherung für das Integral aus (1 0.55) ergibt:

X(t + h) = X(t) + hf(X(t),t) (10.56)


Aus dieser Formel kann der Zustandsvektor zum Zeitschritt t+h auf einfache Weise
bestimmt werden.
Eine Erhöhung der Genauigkeit wird erzielt, indem die Funktion f()zwischen den
Zeitschritten t und t+h nicht nur einmal, sondern mehrmals ausgewertet wird, was zu
den Verfahren nach Runge-Kutta (z.B. [ 10.2 I], [I 0.21) fuhrt.
Das Runge-Kutta-Verfahren, zweiter Ordnung lautet:

Der Koeffizientenvektor k, in (10.57) entspricht einem nach dem expliziten Euler-


Verfahren ermittelten Schätzwert. Mit Hilfe des Koeffizienten k, erfolgt eine Schät-
zung der Ableitung zum Zeitpunkt t+h. Der Wert des Zustandsvektors zum Zeitpunkt
t+h wird anschließend aus dem Mittelwert der beiden Schätzwerte bestimmt.
Weit verbreitet ist insbesondere das Runge-Kutte-Verfahren vierter Ordnung, das
folgendermaßen definiert ist:

Eine Variante des Runge-Kutte-Verfahrens vierter Ordnung stellt das Verfahren


nach Runge-Kutte-Gill dar, das z.B. in [10.16] oder [10.14] beschrieben wird. Dieses
Verfahren ist insbesondere über längere Simulationszeitbereiche stabiler als das
klassische Runge-Kutte Verfahren, da es eine Rundungsfehlerkompensation enthält.
10.4 Simulationsprogramme 453

Eine andere Methode, den Zustandsvektor am Zeitpunkt t+h mit erhöhter Genau-
igkeit zu bestimmen besteht darin, zur Approximation der Funktion,fo zum Zeit-
fo
schritt t+h nicht nur den Wert von zum letzten Zeitschritt t zu verwenden, sondern
auch Werte an vorangegangenen Zeitschritten t-h, t-2h, etc. miteinzubeziehen. Es
wird dann von einem Mehrschrittverfahren gesprochen, da hier, im Gegensatz zu den
Einzelschrittverfahren, Werte der Funktion ,f() an mehreren Zeitschritten in die
Lösung eingehen. Gebräuchlich sind hier insbesondere die Verfahren nach Adams-
Bashforth (z.B. [ 10.2 I ] , [ 10.2]),bei denen eine Abschätzung des Zustandsvektors
zum Zeitschritt t+h durch eine Linearkombination aus Werten der Funktion f()an r
vorangegangenen Zeitschritten erfolgt.

Bei der digitalen Simulation sind allerdings Einzelschrittverfahren deutlich beliebter


als Mehrschrittverfahren, da sie eine Abspeicherung des Zustandsvektors an lediglich
einem vorangegangenen Zeitschritt erfordern und somit einfacher zu implementieren
sind.

10.4.3.2 Implizite Verfahren


Im Gegensatz zu den numerischen Approximationen expliziter Integrationsverfahren,
wird bei impliziten Verfahren auch der Wert von,fo zum gesuchten Zeitschritt t+h
verwendet. Das einfachste implizite numerische Integrationsverfahren ist das im-
fo
plizite Eule-Verfahren. Hier wird der Verlauf von zwischen t und t+h durch den
fo
Wert von zum Zeitschritt t+h angenähert:
i ( t + h ) = i ( t )+ h f ( i ( t + h),t + h ) (10.60)
Zur Bestimmung des Zustandsvektors zum Zeitschritt t+h muss diese Formel nach
x(t+h) gelöst werden, was im Fall von nichtlinearen Differentialgleichungssystemen
nur iterativ möglich ist.
Das am weitesten verbreitete Verfahren ist das Trapezverfahren, welches folgen-
dermaßen definiert ist:

Auch das Trapezverfahren ist ein implizites Verfahren, weshalb auch hier in der
Regel nur eine iterative Lösung möglich ist. Wie auch beim Runge-Kutte-Verfahren
zweiter Ordnung, wird beim Trapezverfahren der Wert der Ableitungen zum Zeit-
punkt t+h verwendet, um die Genauigkeit der Lösung zu erhöhen. Während es sich
beim Runge-Kutte Verfahren zweiter Ordnung jedoch nur um einen Schätzwert der
Ableitungen zum Zeitpunkt t+h handelt, wird beim Trapezverfahren der tatsächliche
Wert verwendet.
Die Verfahren nach Gear stellen eine Klasse impliziter Mehrschrittverfahren dar,
fo
bei denen die Funktion jeweils nur zum Zeitpunkt t+h ausgewertet wird:

?(t + h ) + u , i ( l ) + ...+a , i ( f - q h ) = h?(X(t + h ) ,t ) ( 1 0.62)


454 10 Modellierunz und Simulation

Die Verfahren nach Gear besitzen ausgezeichnete Stabilitätseigenschaften und


kommen immer dann zum Einsatz, wenn es darum geht, langsame Vorgänge in
einem System, das auch sehr große Eigenwerte besitzt zu analysieren.
Bei der Simulation von Ausgleichsvorgängen in Energieversorgungssystemen trifft
dies insbesondere bei der Analyse von Langzeitvorgängen zu [10.22],aber vermehrt
auch bei der Simulation von leistungselektronischen Elementen, wie FACTS (s. Kap.
19,doppelt gespeiste Asynchronmaschinen usw.
Auch wenn die numerische Lösung von DAL-Systemen mit impliziten Verfahren
auf den ersten Blick aufwendiger erscheint als die Lösung mit expliziten Verfahren,
sind sie aufgrund ihrer besseren Stabilitätseigenschaften bei der Implementierung
von Simulationsalgorithmen sehr beliebt. Neben den besseren Stabilitätseigen-
schaften bieten implizite Verfahren auch den Vorteil, dass sie direkt auf implizite
DAL-Systeme der Form

anwendbar sind. Eine Transformation des DAL-Systems in die explizite Form ist
nicht zwingend notwendig, was oftmals die Suche nach einem Vektor linear un-
abhängiger Zustandsgrößen vermeidet. Dies ist insbesondere bei der Simulation von
Netz-Ausgleichsvorgängen von Interesse, da die Bestimmung des Zustandsvektors
eines vermachten Netzes sehr aufwendig sein kann.
Bei der Lösung impliziter DAL-Systeme entsprechend ( 1 0.63) macht man sich zu
Nutze, dass implizite numerische Integrationsverfahren alternativ auch als numeri-
sche Differentiationsverfahren formuliert werden können. Das Trapezverfahren
lautet als numerisches Differentiationsverfahren:

Werden alle zum Zeitpunkt t+h bekannten Anteile des numerischen Differentiators
zu einem Ausdruck v(t+h), dem sogenannten Vergangenheitswert, zusammengefasst,
so können lineare implizite Verfahren, wie das implizite Eule-Verfahren, das Trapez-
Verfahren oder die Verfahren nach Gear in folgender Form ausgedrückt werden:
~ (+ ht ) = &(t + h ) - Qv(t + h ) ( 1 0.65)
Für das Trapez-Verfahren gilt beispielsweise:

Durch ersetzen der Ableitungen des Zustandsvektors in (10.63) durch (10.65) wird
(10.63) in ein arithmetisches Gleichungssystem überfuhrt und kann zu jedem Zeit-
schritt gelöst werden:
10.4 Simulationsprogramme 455

Für die Berechnung des Vektors der Vergangenheitswerte zum Zeitpunkt t+h gilt für
lineare, implizite Mehrschrittverfahren:

c(t + h) = c<,.?(t)+ ...+ c„X(t- qh) + drG(t) + ...+ 4G(t -rh) (1 0.68)

Durch die Gln. (10.68) und (10.67) wird ein zeitdiskretes Differenzengleichungs-
system definiert, das auf einem Digitalrechner rekursiv gelöst werden kann.

10.4.3.3 Vergleich der Verfahren


Beim Vergleich der beiden Ansätze, Diskretisierung mit impliziten Mehrschritt-
verJahren und numerische Integration mit expliziten Verfahren können bei beiden
Lösungsmethoden folgende Vor- und Nachteile festgestellt werden:
- Die numerische Integration mit expliziten numerischen lntegrationsverfahren (2.B.
Runge-Kutte) benötigt im allgemeinen weniger Rechenzeit pro Zeitschritt, da hier
keine Gleichungssysteme gelöst werden müssen, was insbesondere im nichtlinea-
ren Fall, wo diese Gleichungssysteme iterativ gelöst werden müssen, einen hohen
Rechenaufwand bedeutet. Allerdings muss aus Stabilitätsgründen die Schrittweite
stets sehr klein bleiben, wie in Abschn. 10.4.4 gezeigt wird.
- Bei der Lösung mit impliziten Verfahren kann aufgrund der besseren Stabilitäts-
eigenschaften die Schrittweite nach Abklingen schneller Ausgleichsvorgänge
wesentlich erhöht werden, weshalb diese Verfahren insbesondere bei Simulationen
über einen größeren Zeitbereich Vorteile aufweisen, wo sowohl schnelle Vorgän-
ge, wie beispielsweise Spannungsregelung oder Polradpendelung, als auch lang-
samere Vorgänge, wie 2.B. Primär- und Sekundärregelvorgänge erfasst werden
sollen. Die höhere Rechenzeit pro Zeitschritt wird dann durch eine größere
Schrittweite und somit durch eine geringere Zahl berechneter Zeitschritte wett-
gemacht.

10.4.4 Genauigkeit und Stabilität numerischer Integrationsverfahren


Die Genauigkeit und Stabilität numerischer lntegrationsverfahren sind zwei un-
terschiedliche Aspekte, die getrennt voneinander untersucht werden müssen. Es mag
auf den ersten Blick überraschen, dass wenig genaue Verfahren u.U. sogar die besten
Stabilitätseigenschaften besitzen.
Unter Genauigkeit eines Verfahrens wird die Qualität der numerischen Approxi-
mation von (10.55) bei gegebener Schrittweite h verstanden. Dabei spielt insbeson-
dere der lokale Abbruchfehler eine wesentliche Rolle. Der lokale Abbruchfehler
beschreibt die Differenz aus numerisch bestimmter und exakter Lösung von (10.55)
bei Ausführung eines einzigen Zeitschritts.
&,(I + h ) = i ( t + h)-x(t + h ) ( 1 0.69)
Der Wert X(t + h) bezeichnet dabei die numerisch bestimmte Lösung.
456 10 Modellierung und Simulation

Der globale Abbruchfehler beschreibt die Abweichung der numerisch bestimmten


Lösung eines Anfangswertproblems von der exakten Lösung zu einem beliebigen
Zeitpunkt. Der globale Abbruchfehler berücksichtigt eine mögliche Akkumulation
der lokalen Abbruchfehler im Laufe einer Simulation.

Ob sich die lokalen Abbruchfehler über die Zeit akkumulieren oder kompensieren,
kann dieser Formel jedoch nicht entnommen werden, da sie keine Aussage über den
tatsächlichen Verlauf des globalen Abbruchfehlers machen kann. Dazu ist eine
Untersuchung der Stabilität eines Verfahrens notwendig.
Bei einem stabilen numerischen Lösungsverfahren bleibt der globale Abbruch-
fehler bei der Simulation eines stabilen Systems begrenzt, während er sich bei
Verwendung eines numerisch instabilen Lösungsverfahrens auch bei der Simulation
stabiler Systeme akkumulieren und somit Instabilitäten vortäuschen kann.

10.4.4.1 Genauigkeit
Zur Analyse der Genauigkeit eines numerischen Lösungsverfahrens wird der
Zustandsvektor zum Zeitpunkt t+h in Form einer Tailor-Reihe dargestellt:

Bei Anwendung des expliziten Eule-Verfahrens, wird der Zustandsvektor zum


Zeitpunkt t+h nach (10.56) berechnet:
i ( t + h) = 2(t) + hj+(t),t)
Damit gilt auch:

Für den lokalen Abbruchfehler nach (10.69) gilt mit (10.73) und (10.71):

Der Abbruchfehler des expliziten Eule-Verfahrens ist nach (10.74) von zweiter
Ordnung in h, was gleichzeitig bedeutet, dass die mit Hilfe des expliziten Eule-
Verfahrens ermittelte Lösung mit der exakten Lösung in erster Ordnung überein-
stimmt, weshalb das explizite Eule-Verfahren als Verfahren erster Ordnung bezeich-
net wird.
Für das implizite Eule-Verfahren gilt nach (1 0.56)

Wird auch hier die numerisch berechnete Lösung in eine Tailor-Reihe um h=O
entwickelt, so fuhrt dies zu folgender Approximation:
10.4 Simulationsprogramme 457

h' ...
i ( t + h ) = 2(t)+hX(t)+h2x(t)+-qt)+ ... (10.76)
2
Der lokale Abbruchfehler des impliziten Eule-Verfahrens lautet damit:

Auch das implizite Eule-Verfahren ist somit ein Verfahren erster Ordnung, allerdings
besitzt dessen lokaler Abbruch-Fehler ein anderes Vorzeichen als der Fehler des
expliziten Eule-Verfahrens.

Wird der Mittelwert aus explizitem und implizitem Eule-Verfahren genommen, so


kompensieren sich die lokalen Abbruchfehler, was zu einer Erhöhung der Genau-
igkeit fuhrt. Das sich ergebende Verfahren, ist das Trapez-Verfahren nach (10.61).
Da das Trapez-Verfahren den Mittelwert aus implizitem und explizitem Eule-
Verfahren darstellt, kann auch der lokale Abbruchfehler aus dem Mittelwert der
beiden Abbruchfehler berechnet werden:

Das Trapezverfahren ist ein Verfahren zweiter Ordnung (Abbruchfehler ist von
dritter Ordnung), weshalb eine mit dem Trapezverfahren berechnete Lösung bei
gleicher Schrittweite deutlich genauer ist, als eine mit einem Verfahren erster Ord-
nung (Eule-Verfahren) berechnete Lösung.
Auf die Berechnung des lokalen Abbruchfehlers der Verfahren nach Runge-Kutte
wird hier nicht näher eingegangen, sondern auf die einschlägige Literatur zur numeri-
schen Mathematik verwiesen (z.B. [10.2 11, [10.2]).

10.4.4.2 Stabilität numerischer lntegrationsverfahren


Wie schon zu Beginn dieses Abschnitts erwähnt, sagt der lokale Abbruchfehler
noch nichts über die Stabilitätseigenschaften eines numerischen Integrationsverfah-
rens aus. Eine Lösung wird als stabil bezeichnet, wenn der globale Abbruchfehler
auch bei einer unendlichen Simulationsdauer begrenzt bleibt, was bedeutet, dass die
lokalen Abbruchfehler sich nicht akkumulieren dürfen. Im allgemeinen hängt die
Stabilität einer numerischen Lösung von den Eigenwerten des zu simulierenden
Systems und der Simulationsschrittweite h ab. Ein numerisches Integrationsverfahren
wird als absolut (oder A-)stabil bezeichnet, wenn die numerische Lösung eines
stabilen Systems ebenfalls stabil ist, unabhängig davon, ob das System besonders
große oder kleine Eigenwerte besitzt.
Die Bedeutung der numerischen Stabilität auf die Untersuchung der Systems-
tabilität kann am besten durch die Analyse einer Schwingungsgleichung mit unter-
schiedlichen numerischen lntegrationsverfahren veranschaulicht werden.
458 10 Modellierung und Simulation

Dieses DAL-System entspricht der linearisierten Schwingungsgleichung eines Ein-


Maschinenproblems und besitzt ein Paar konjugiert komplexe Eigenwerte:

L,,, = o k j w „ (1 0.80)
Das System ist stabil für o < 0 .
Wird dieses System mit dem expliziten Eule-Verfahren gelöst, so berechnet sich
der Wert der Zustandsvariablen zum Zeitpunkt t+h folgendermaßen:

Die numerische Lösung beschreibt ein lineares, zeitdiskretes Differenzengleichungs-


System dessen Stabilitätseigenschaften mit Hilfe der z-Transformation (siehe z.B.
[10.23]) untersucht werden können:

oder

Die z-Eigenwerte können aus der charakteristischen Gleichung von (10.91) be-
rechnet werden:
(1-s)(l-z+2ho)+h2(02 + w 2 ) = 0 (10.84)
und lauten:
zu, = 1 + & I j w „ (10.85)

Als Voraussetzung für eine stabile Lösung muss gelten

und somit:
(1+oh)'+w;h2 < 1
Diese Gleichung beschreibt in einer komplexen Ebene das Innere eines Kreises mit
Mittelpunkt (-1,O) und Radius eins (s. Abb. 10.19).
10.4 Simulationsprogrammc 459

Abb. 10.19. Stabilitätsbereich des expliziten Eule-Verfahrens

Analog kann bei den anderen numerischen Integrationsverfahren vorgegangen


werden. Für das implizite Eule-Verfahren gilt als Stabilitätsbedingung:
(ho-1)' + hw,,> 1 (10.88)
Diese Gleichung beschreibt das Äußere eines Kreises mit Mittelpunkt (1,0) und
Radius 1 (s. ~ b b 10.20).
.

Abb. 10.20. Stabilitätsbereich des impliziten Eule-Verfahrens


460 10 Modellierung und Simulation

Beim Trapezverfahren gilt folgende Beziehung zwischen den originalen Eigen-


werten und den z-Eigenwerten des zugehörigen, zeitdiskreten Systems:

Als Stabilitätsbedingung gilt:

woraus als Stabilitätskriterium schließlich folgt:


o<O (10.91)
Ein mit dem Trapezverfahren diskretisiertes System ist somit genau dann stabil, wenn
das ursprüngliche System stabil ist (s. Abb. 10.2 1).

stabil instabil

Abb. 10.21. Stabilitätsbereiche des Trapez-Verfahrens


10.4 Simulationsprogramme 46 1

Aus (10.89) folgt allerdings auch, dass ein reeller, stabiler Eigenwert für

zu negativen reellen Eigenwerten in z fuhrt, was einer Schwingung mit einer Periode
von
T=2h

entspricht.
Diese sogenannte numerischen Schwingungen sind umso schwächer gedämpft, je
größer die Schrittweite ist.
Um die Dämpfung numerischer Schwingungen zu erhöhen, wird häufig ein so-
genannte gedämpftes Trapei-Verfahren angewandt, bei welchem der implizite Anteil
stärker gewichtet wird, als der explizite:

Durch eine geeignete Wahl von a , beschreibt (10.92)das implizite Eulerverfahren,


das Trapezverfahren und auch das explizite Eulerverfahren:
a = 0 : Implizites Eulerverfahren
a = 1 : Trapezverfahren
a = 2 : Explizites Eulerverfahren
Der Bereich 0 < a < 1 entspricht dem gedämpften Trapez- Verfahren.
Abbildung 10.22 veranschaulicht das prinzipielle Stabilitätsverhalten der drei
besprochenen numerischen Integrationsverfahren anhand einer ungedämpften Schwin-
gungsgleichung der Form
S=w
W = -0,:S
mit den Anfangsbedingungen:
S(0) = 0
4 0 ) = Sm, U"
Die exakte Lösung f i r den Verlauf des Winkels lautet:
S ( t ) = Sn,„ sin(w,t)
Während die mit dem Trapezverfahren ermittelte Lösung von der exakten kaum zu
unterscheiden ist und insbesondere ebenfalls ungedämpft ist, weist die mit dem
impliziten Eule-Verfahren ermittelte Lösung eine zu große Dämpfung auf während
die mit dem expliziten Eule-Verfahren berechnete Lösung instabil ist.
462 10 Modellierun~und Simulation

Auch wenn hier nur drei numerische Integrationsverfahren behandelt wurden,


erkennt man anhand dieser Untersuchung das grundsätzliche Stabilitätsverhalten der
gebräuchlichen numerischen lntegrationsmethoden.

Numerische Integration

.- ..-.--
Idealer Verlauf
Explizites Euler-Verfahren
Impliates Euler-Verfahren . . ..
Trapez-Verfahren

Zeit in s

Abb. 10.22. Stabilitätsverhalten numerischer Integrationsverfahren

Bei den expliziten numerischen Integrationsverfahren, wie z.B. dem expliziten


Eule-Verfahren oder den Runge-Kutta-Verfahren, hängt die Stabilität der numerisch
bestimmten Lösung immer von den Eigenwerten des Systems und der Schrittweite ab.
Dies bedeutet, dass auch ein stabiles System als instabil erscheinen kann, wenn die
Schrittweite zu groß gewählt wird. Die Wahl der Schrittweite muss sich hier immer
an den Eigenwerten des Systems orientieren, auch wenn die Genauigkeitsbedingung
nach Abklingen schneller Anteile eine größere Schrittweite erlauben würde. Dies ist
insbesondere bei steifen Differentialgleichungssystemen, bei welchen Eigenwerte in
stark unterschiedlichen Größenordnungen liegen ein entscheidender Nachteil, ins-
besondere wenn es darum geht, langsame Eigenbewegungen solcher Systeme zu
analysieren. Es ist dann unumgänglich, das Modell entsprechend zu reduzieren um
nicht extrem lange Rechenzeiten in Kauf zu nehmen.

Das Stabilitätsverhalten des impliziten Eule-Verfahrens ist repräsentativ für die


Verfahren von Gear. Hier wird ein instabiler Bereich in der komplexen Ebene
eingegrenzt. Für alle Eigenwerte außerhalb dieses Bereichs ist die Lösung stabil.
Allerdings werden unter Umständen, wenn die Schrittweite zu groß gewählt wird,
auch instabile Eigenbewegungen in der Simulation als stabil wiedergeben. Es besteht
bei diesen Verfahren also die Gefahr, dass ein stabiles Verhalten "vorgetäuscht" wird.
Deshalb wird auch oft die Meinung vertreten, dass explizite Verfahren "ehrlicher"
sind, da man hier sicher sein kann, dass das wirkliche System stabil ist, sobald die
numerisch ermittelte Lösung einen stabilen Verlauf aufweist. Sehr beliebt sind die
10.4 Simulationsprogramme 463

Verfahren nach Gear bei der Simulation steifer Systeme, da hier selbst bei der
Analyse langsamer Vorgänge keine Modellreduktion notwendig ist, weil schnelle
Bewegungen durch das Integrationsverfahren automatisch geglättet werden. Zur
Vollständigkeit muss allerdings angemerkt werden, dass die Verfahren nach Gear
höherer Ordnung nicht A-stabil sind. Schwach gedämpfte Modi kleiner Frequenz
können durch das numerische Verfahren als instabil wiedergegeben werden.
Wie aus ( 1 0.9 1 ) hervorgeht, verfälscht das Trapezverfahren das Stabilitätsverhalten
nicht. Hier werden genau die Eigenwerte der negativen Halbebene als stabil wiederge-
geben. Dies ist ein wesentlicher Grund für die große Beliebtheit des Trapezverfahrens
bei der Stabilitätsanalyse von Energieversorgungssystemen. Allerdings muss bei der
Wahl der Schrittweite beachtet werden, dass bei zu großen Schrittweiten reelle
Eigenwerte auf schwach gedämpfte, komplexe Eigenwerte abgebildet werden, die
zwar immer noch stabil sind, jedoch Schwingungen aufweisen, die es in Wirklichkeit
nicht gibt. Diese sogenannte numerischen Schwingungen sind typisch für das Tra-
pezverfahren und begrenzen die Größe der Schrittweite. Damit numerische Schwin-
gungen besser gedampft werden, findet bei steifen Systemen häufig eine modifizierte
Form des Trapezverfahrens, das sog. gedämpfte Trapezverfahren nach (10.92)
Anwendung.

10.4.5 Simulationsalgorithmen

Im Kern eines jeden rekursiven Simulationsalgorithmus steht die Integrationsschleife,


in der ausgehend vom Zustandsvektor des vorherigen Zeitschritts ein neuer, zum
aktuellen Zeitpunkt gültiger Zustandsvektor berechnet wird (s. Abb. 10.23).
Dieser Schritt erfolgt bei Anwendung impliziter numerischer Integrationsverfahren
in der Regel iterativ, da hier unbekannte Größen auch auf der rechten Seite der
Berechnungsformel auftreten.
Bei expliziten Verfahren ist die Anzahl der Rechenschritte zur Bestimmung der
Lösung zum nächsten Zeitschritt fest, weshalb bei expliziten Verfahren die Rechen-
zeit pro Zeitschritt nahezu konstant ist, was insbesondere bei Echtzeitanwendungen
von Vorteil ist.
Gestartet wird die Simulation mit Anfangswerten, die auf Basis einer vorangegange-
nen Lastflussrechnung ermittelt werden und garantieren sollen, dass das System von
Anfang an in einem stationären Zustand ist. Auf die Besonderheiten der Berechnung
von Anfangsbedingungen wird in Abschn. 10.4.9 gesondert eingegangen.
Bevor der Zustandsvektor des neuen Zeitschritts berechnet wird, muss der Ereignis-
Stack abgearbeitet werden, auf dem sich Simulationsereignisse, wie z.B. die De-
finition eines Kurzschlusses, ein Schaltvorgang oder einfach die Änderung eines
Modellparameters befinden.
464 10 Modellierung und Simulation

0 Lastfluss

Reduziere
Schrittweite h

Ausgabe von
Ergebnissen

Bestimmung des
neuen
Zeitschritts h

Abb. 10.23. Typischer Ablauf eines Sirnulationsprogramins

Da Simulationsereignisse zu sprunghaften Änderungen in den Ableitungen der


Zustandsvariablen fuhren können (nur die Zustandsgrößen selbst müssen stetig
sein), ist es bei numerischen Integrationsmethoden, bei denen der Ableitungsvektor
10.4 Simulationsprogramme 465

zum letzten bekannten Zeitschritt in die Berechnung des Zustandsvektors zum neuen
Zeitschritt eingeht wichtig, dass dieser Ableitungsvektor nach einem Ereignis noch-
mals berechnet wird und nicht auf abgespeicherte Werte der Ableitungen zurück-
gegriffen wird.
Simulationsereignisse können nicht nur vor Start eines Simulationslaufs definiert
werden, sondern auch interaktiv, während der Simulation. Dies ermöglicht es, dass
Simulationsereignisse nicht nur vom Anwender, sondern auch von Modellen ausge-
löst werden können, wie beispielsweise Modelle von Schutzgeräten, die aufgrund
einer Bedingung (z.B. Strom-, Impedanz-, Frequenz oder Spannungskriterium)
einen Schalter öffnen.
Im Anschluss an die numerische Integration, bei welcher der Zustandsvektor zum
neuen Zeitschritt ermittelt wird, müssen sämtliche Ausgabegrößen berechnet und in
einer Datei abgespeichert werden.
Grundsätzlich ist der Zustand eines Systems vollständig durch die Werte der
Zustandsvariablen definiert, weshalb es theoretisch ausreichend wäre, den Zustands-
vektor komplett abzuspeichern und alle abgeleiteten Größen erst später, wenn diese
Größen tatsächlich ausgegeben werden, zu berechnen. Allerdings erfordert diese
Vorgehensweise eine hohe Intelligenz des Ausgabeprozesses und zudem muss dem
Ausgabeprozess das Modell unverändert vorliegen, damit abgeleitete Größen korrekt
ermittelt werden können.
Aufgrund dieser Nachteile verlangen die meisten Simulationsprogramme, dass vor
dem Start einer Simulation diejenigen Variablen vordefiniert werden, die im Lauf der
Simulation abgespeichert und später zur Ausgabe zur Verfugung stehen sollen.
Handelt es sich um einen Algorithmus mit variabler Schrittweite, so wird in der
Regel der lokale Abbruchfehler vorgegeben und die Schrittweite so gewählt, dass
dieser eingehalten wird. Es muss daher mit Hilfe eines geeigneten Verfahrens der
lokale Abbruchfehler des letzten Zeitschritts abgeschätzt werden. War der lokale
Abbruchfehler zu groß, so muss der letzte Schritt mit kleinerer Schrittweite wie-
derholt werden.
Hinsichtlich der Vergrößerung der Schrittweite sind unterschiedliche Strategien
üblich (siehe z.B. [10.22], [10.18]). In jedem Fall muss jedoch berücksicht werden,
ob es sich bei dem angewandten numerischen Integrationsverfahren um ein A-stabi-
les Verfahren handelt oder nicht. Im Fall von A-stabilen Verfahren kann sich die
Schrittweitensteuerung ausschließlich an einer Genauigkeitsbedingung (in der Regel
der lokale Abbruchfehler) orientieren. Im anderen Fall muss zusätzlich auch eine
Stabilitätsbedingung berücksichtigt werden, was eine Abschätzung der Eigenwerte
des Systems erfordert und somit zu einem beträchtlichen zusätzlichen Rechen-
aufwand führt, der unter Umständen den durch die Adaption des Zeitschritts gewon-
nenen Vorteil wieder zunichte macht.
Die beiden bekanntesten Simulationsprogramme, die mit einem variablen Zeit-
schritt arbeiten, DigSlLENT PowerFactory [10.5] und EUROSTAG [10.22], ver-
wenden A-stabile Verfahren oder zumindest die nahezu A-stabilen Gear-Verfahren
und können sich daher bei der Wahl des Zeitschritts ausschließlich am lokalen Ab-
bruchfehler orientieren.
466 10 Modellierung und Simulation

10.4.6 Behandlung von Nichtlinearitäten

Selbst das einfachste Modell zur Stabilitätsanalyse in Energieversorgungssystemen


ist wegen der Winkelabhängigkeit des Wirkleistungsflusses nichtlinear. Bei der
Stabilitätsberechnung müssen daher grundsätzlich nichtlineare Differentialglei-
chungssysteme gelöst werden. Bei der numerischen Lösung sollte jedoch unter-

05 I I.i 2 2.5

Hauptfeldstrom

Abb. 10.24. Hauptfeldsättigung einer Synchronmaschine als Beispiel für eine


stetig differenzierbare Nichtlinearität

schieden werden, ob eine Nichtlinearität stetig differenzierbar ist oder nicht. Bei-
spiele f i r stetig differenzierbare Nichtlinearitäten sind die bereits erwähnte Winkel-
abhängigkeit des Wirkleistungsflusses, oder auch die Sättigung des Hauptfeldflusses
einer Synchronmaschine, deren prinzipieller Verlauf in Abb. 10.24 dargestellt ist.
Bei der Verwendung impliziter lntegrationsverfahren kann im nichtlinearen Fall
der Zustandsvektor nur iterativ bestimmt werden. Beim Trapezverfahren ist ein
einfaches Einsetzungsverfahren weit verbreitet, wobei der gesuchte Zustandsvektor
durch folgende Iterationsvorschrift bestimmt wird:

?'"(t +h)= ~ ( t+h(j(i(r),t)+


) f ( i v ( t+ h),t + h))
2
Die Konvergenz des Verfahrens kann beschleunigt werden, indem die lteration mit
einem geeigneten Prädiktionsverfahren gestartet wird. Als Prädiktionsverfahren sind
prinzipiell sämtliche expliziten Integrationsverfahren geeignet.

Allerdings bleiben bei dieser lteration nicht alle Vorteile eines A-stabilen In-
tegrationsverfahren erhalten. So konvergiert diese Iteration nur, wenn die Schritt-
weite h klein genug gewählt wird. Bei der Analyse von steifen DGL-Systemen muss
10.4 Simulationsprogramrne 467

sich die Schrittweite, ähnlich wie bei expliziten Integrationsverfahren, an den Eigen-
werten des Systems orientieren, damit die lterationsschleife konvergiert.
Ein sehr viel besseres Konvergenzverhalten wird erzielt, wenn man das durch die
Diskretisierung gewonnene, arithmetische Gleichungssystem nach (1 0.67) mit Hilfe
einer Newton-Raphson Iteration löst. Deren Iterationsschritt ist folgendermaßen
definiert:

Die zugehörige Jacobi-Matrix lautet:

Das Newton-Raphson-Verfahren konvergiert um ein Vielfaches schneller als das


einfache Einsetzungsverfahren. Auch können sehr große Schrittweiten gewählt
werden, unabhängig von den Eigenwerten des DGL-Systems, weshalb mit diesem
Verfahren auch steife DGL-Systeme effizient berechnet werden können. Allerdings
erfordert jeder einzelne Newton-Raphson Iterationsschritt einen deutlich höheren
Rechenaufwand als ein Iterationsschritt des Einsetzungsverfahrens, da die Jacobi-
Matrix zu jedem Iterationsschritt aufgebaut und invertiert werden muss. Dieser
Nachteil kann allerdings dadurch reduziert werden, dass man die Jacobi-Matrix nicht
in jedem Iterationsschritt erneuert, sondern über einen gewissen Zeitbereich hinweg
Ungenauigkeiten der Jacobi-Matrix in Kauf nimmt, die sich ja nur auf die Kon-
vergenzgeschwindigkeit, nicht aber auf das Endergebnis auswirken. Bei relativ
schwach ausgeprägten Nichtlinearitäten muss die Jacobi Matrix in diesem Fall nur
sehr selten erneuert werden.
Harte Begrenzungen von Stellgrößen in Reglermodellen stellen hingegen Nicht-
linearitäten dar, die an der Übergangsstelle zum begrenzenden Verhalten nicht stetig
differenzierbar sind (siehe Abb. 10.25).
Derartige Nichtlinearitäten müssen mit Hilfe von Simulationsereignissen nach-
gebildet werden. Jedem Modell werden dabei diskrete Zustände zugeordnet. Im Fall
des Begrenzers nach Abb. 10.24 wären dies die beiden Zustände „begrenztm und
„nicht begrenzt". Bei der Berechnung des Zustandsvektors zum nächsten Zeitschritt
wird zunächst angenommen, dass das Modell sich im gleichen diskreten Zustand
befindet, wie zum zuletzt berechneten Zeitschritt. Im Anschluss an die Berechnung
des Zustandsvektors zum neuen Zeitschritt wird jedes Modell auf eventuelle Zu-
standswechsel überprüft. Falls ein solcher Zustandswechsel erkannt wurde, wird
dieser durchgefihrt und der gleiche Zeitschritt im neuen Zustand noch einmal ge-
rechnet.
468 10 Modellierung und Simulation

Abb. 10.25. .,Harte" Begrenzungskennlinie als Beispiel für eine nicht stetig
differenzierbare Nichtlinearität

Da Zustandswechsel in der Regel zwischen zwei ganze Zeitschritte fallen, wird


nicht nur überprüft, ob ein diskreter Zustandswechsel erfolgt ist, sondern auch
abgeschätzt, zu welchem Zeitpunkt zwischen den letzten beiden Zeitschritten dies
geschah. Anschließend werden alle Zustandsgrößen auf diesen Zeitpunkt interpoliert
und die Simulation von dort neu gestartet.
Zu beachten ist dabei auch, dass diskrete Zustandswechsel zu Diskontinuitäten in
den Zeit-Ableitungen der Zustandsvariablen fuhren können, weshalb im Anschluss
an den Zustandswechsel der Ableitungsvektor nochmals berechnet werden muss.
Bei den Verfahren nach Gear (einschließlich dem impliziten Euler-Verfahren) ist
dies nicht notwendig, da hier der Ableitungsvektor zum letzten Zeitschriti in die
Berechnung des Zustandsvektors zum neuen Zeitschritt nicht eingeht. Insbesondere
bei Simulationsprogrammen zur Berechnung elektromagnetischer Ausgleichsvorgän-
ge, wie z.B. [10.5], [10.19], ist die Umschaltung auf das implizite Euler-Verfahren
bei gleichzeitiger Schrittweitenreduktion daher eine beliebte Methode zur Umgehung
der Berechnung des Ableitungsvektors im Anschluss an einen diskreten Zustands-
wechsel.

10.4.7 Dynamische Modellierung


Standardsoftware zur Stabilitätssimulation wird üblicherweise bereits mit einer
umfangreichen Modellbibliothek ausgeliefert. Diese Standard-Modellbibliotheken
umfassen Generatormodelle, Asynchronmaschinenmodelle, Modelle für dynamische
Lasten, aber auch Standardmodelle Mr Spannungsregelsysteme (z.B. nach [10.9])
Turbinen und Drehzahlregler.
10.4 Simulationsprogramme 469

Während Generatoren, Motoren und Lasten in der Regel mit Hilfe von Stan-
dardmodellen ausreichend genau nachgebildet werden können, ist eine Standardisie-
rung von Regler- oder Krafiwerksmodellen auf Grund der großen Vielfalt unter-
schiedlichster Typen und Designs nur bedingt möglich.
Aus diesem Grund müssen in den meisten Anwendungsfallen Standardmodelle mit
sog. benutzerdefinierten Modellen ergänzt werden. Um dies zu ermöglichen werden
dem Anwender Methoden zur Verfügung gestellt, welche die Nachbildung all-
gemeiner, dynamischer Modelle entweder in Form von impliziten Algebra-Differ-
entialgleichungen gemäß (10.96) oder als explizites Differentialgleichungssystem
gemäß (1 0.97) unterstützen.

Die hierbei vorkommenden Vektoren sind wie folgt definiert:


X : Vektor der Zustandsgrößen
W : Vektor der Eingangsgrößen
7 : Vektor der Ausgangsgrößen
Die Definition eigener Modelle nach (1 0.96) oder (10.97) wird dem Anwender
durch unterschiedliche Hilfsmittel ermöglicht:
Einige Programme erlauben beispielsweise die Einbindung von FORTRAN- oder
C-ähnlichen Codesegmenten, die den Ableitungsvektor und den Ausgangsvektor zu
jedem Zeitschritt definieren.
Weitaus einfacher ist die dynamische Modellierung aber mit Hilfe sog. Simula-
tionssprachen, die grundsätzlich den Funktionsumfang einer Standard-Programmier-
sprache bieten, darüber hinaus aber auch spezielle Operatoren und Funktionen
unterstützen, welche die Beschreibung dynamischer Modelle wesentlich erleichtern.
Die standardisierte Simulationssprache VHDL-AMS [10.10] umfasst eine komplette
Sprach-Definition zur Modellierung zeitkontinuierlicher Systeme als Algebra-Differ-
entialgleichungssysteme nach (10.96). VHDL-AMS ist jedoch hauptsächlich im
Bereich der Simulation elektronischer Schaltungen verbreitet, da es sich bei VHDL
ursprünglich um eine Simulationssprache zur Definition ereignisgesteuerter Systeme,
insbesondere zur Modellierung hochintegrierter, digitaler Schaltkreise gehandelt hat.
Die dynamische Simulationssprache DSL, die in DigSILENT PowerFactory [10.5]
zur Modellierung dynamischer Systeme verwendet wird, basiert auf der Zustands-
raumdarstellung nach (10.97).
Im Gegensatz zu einer reinen Programmiersprache gehören bei Simulations-
sprachen Operatoren und Funktionen zur Beschreibung von Zeitableitungen oder
Diskontinuitäten zum Sprachumfang. Des weiteren stehen Kommandos zur In-
itialisierung der Modelle zur Verfügung.
470 10 Modellierung und Simulation

Noch einfacher ist die Modellierung dynamischer Systeme dann, wenn ein gra-
fischer Editor zur Verfügung steht, der die Definition dynamischer Modelle in Form
von Blockdiagrammen erlaubt. Neben dem Bedienkomfort ist auch die gute Doku-
mentation der erstellten Modelle ein großer Vorteil der grafischen Modelldefinition.

Als wesentlicher Nachteil der grafischen Modellierung im Vergleich zu einer


direkten Codierung wird oftmals die geringere Flexibilität genannt, die sich aus der
begrenzten Anzahl von verschaltbaren Standardelementen, wie z.B. „lntegriererm,
„Verzögerung erster Ordnung", etc. ergibt.
Dieser Nachteil wird vermieden, wenn der Anwender die Möglichkeit besitzt, auch
diese kleinsten Einheiten selbst zu definieren. In DlGSlLENT PowerFactory [10.5]
beispielsweise wird die Simulationssprache DSL lediglich dazu verwendet, kleinste
Grundbausteine zu definieren, die dann grafisch zu größeren Einheiten verschaltet
werden können. Ein derartiger „Baukastenm bietet den Komfort einer grafischen
Modellierung und die Flexibilität einer direkten Codierung und kann somit als ideal
angesehen werden.

10.4.8 lnitialisierung (Berechnung von Anfangsbedingungen)


Damit ein Simulationslauf aus einem stationären Zustand gestartet werden kann, ist
es notwendig, korrekte Anfangswerte für die Zustandsgrößen sämtlicher Modelle zu
berechnen.
Ein eingeschwungener Zustand ist dadurch charakterisiert, dass keine Änderungen
in den Zustandsgrößen auftreten, was bedeutet, dass alle Ableitungen von Zustands-
größen gleich Null sein müssen. Die Aufgabe der lnitialisierung ist es daher, aus
gegebenen Strömen und Spannungen des Netzes die Zustandsgrößen aller Modelle
so zu bestimmen, dass gilt:
Ö = ,?(X, W) (10.98)
Betrachtet man das Blockschaltbild eines Modells (wie z.B. Abb. 10.26), so ist die
Bedingung (10.98) äquivalent zur Aussage, dass der Eingang jedes lntegrierers
gleich Null sein muss.
Diese Bedingung ist die Grundlage der Bestimmung von Anfangsbedingungen
eines Reglermodells.
Bei einfachen Regler- oder Kraftwerksmodellen können die Gleichungen der
Anfangsbedingungen direkt formuliert werden. Bei komplizierten Modellen hin-
gegen können Anfangsbedingungen jedoch oftmals nur iterativ bestimmt werden,
was automatische Berechnungsmethoden zur lnitialisierung notwendig macht, wie sie
beispielsweise in [10.5] implementiert sind.
Tm Folgenden wird zuerst die direkte lnitialisierung eines Spannungsreglermodells
beschrieben. Im Anschluss daran werden die dabei gewonnenen Erkenntnisse verall-
gemeinert und derart formuliert, dass eine automatische Berechnung der Anfangs-
bedingungen eines beliebigen Modells möglich wird.
10.4 Simulationsprogramme 47 1

10.4.8.1 Beispiel Spannungsregler


Abbildung 10.26 zeigt ein Spannungsreglermodel I gemäß IEEE Typ DC 1A [I 0.141.
Es handelt sich dabei um eine feldgeregelte Gleichstrom-Erregermaschine mit
kontinuierlich arbeitendem Spannungsregler. Die Erregermaschine wird durch
folgendes Differentialgleichungssystem nachgebildet (s. dazu auch Abschn. 13.1):

Die Sättigung der Erregermaschine wird durch eine Exponentialfunktion approxi-


miert:
S , (xefd) = ~e (10.100)
Um die Anfangswerte für das Erregersystem nach Abb. 10.26 ermitteln zu können,
muss zuerst geklärt werden, welche Größen aufgrund der vorangegangenen Last-
flussrechnung gegeben sind und welche Größen gesucht werden.

Abb. 10.26. Errcgersystcm IEEE Typ DCl A

Wie bereits erwähnt, können sämtliche Spannungen und Ströme des elektrischen
Netzes als bekannt angenommen werden. Konsequenterweise ist damit die Ein-
gangsspannung V durch die Lastflussrechnung gegeben.
Der Ausgang efd des Erregersystems ist mit einer Synchronmaschine verbunden,
deren Wirk- und Blindleistungsverhältnisse in der vorangegangenen Lastfluss-
rechnung berechnet wurden. Eine lnitialisierung des dynamischen Modells der
Synchronmaschine fuhrt anschließend zu einem eindeutigen Wert für die Erreger-
Spannung efd.
Die anderen Eingänge müssen als unbekannt angenommen werden, wobei man bei
genauerer Betrachtung eine Redundanz der Eingänge vpss und vref erkennt. Es wird
nicht möglich sein, eindeutige Werte für beide Eingangsgrößen zu bestimmen,
lediglich die Summe beider Werte kann eindeutig bestimmt werden. Man setzt daher
vpss=O, was aus Sicht des Erregersystems als reine Willkür erscheint, bei genauerer
472 10 Modellierung und Simulation

Kenntnis des Aufbaus eines „Power System Stabilizers" (siehe z.B. [10.14]), dessen
Ausgang der Variablen vpss entspricht, aber zwingend ist.

Des weiteren wird bei der Initialisierung davon ausgegangen, dass sich das Modell
in einem „normalenn Betriebszustand befindet, was bedeutet, dass die Grenzen von
vr nicht erreicht sind und auch die Untererregungsbegrenzung, die durch vuel akti-
viert wird, nicht aktiv ist. Trifft diese Annahme nicht zu, so ist es unter Umständen
nicht möglich, die Zustandsgrößen des Modells so LU bestimmen, dass ein einge-
schwungener Zustand vorliegt.
Aus ( 1 0.99) ergibt sich unter Annahme eines bekannten Werts für efddurch Setzen
der Zeitableitung zu Null der Anfangswert des Signals vv:

Zur Bestimmung der anderen Signale und Zustandsgrößen muss das Signal vr bis
zur Bestimmung der Regelabweichung am Eingang des Modells zurückverfolgt
werden. Die Berechnung des Anfangswerts der Zustandsgröße x a kann nur erfolgen,
wenn der innere Aufbau des Verzögerungsglieds erster Ordnung bekannt ist. Die
Gleichungen dieses Verzögerungsglieds erster Ordnung sind wie folgt implementiert:

Die Zustandsgröße ist somit gleich der Ausgangsgröße, woraus für die Anfangs-
bedingungen folgt:

Der Block „HVgateX,überträgt das größere seiner beiden Eingangssignale an den


Ausgang des Blocks, womit der Einfluss des Eingangssignals vuel definiert ist. Bei
der Bestimmung der Anfangsbedingungen ist das Eingangssignal vuel in der Regel
das kleinere der beiden Eingangssignale von „HVgaten, da angenommen wird, dass
die Untererregungsbegrenzung bei der lnitialisierung noch nicht aktiv ist. Man kann
somit v a direkt dazu verwenden, die Zustandsgröße xb, sowie das Signal dv zu
initialisieren. Die Zustandsgleichung des „Lead-Lagn-Blocks erster Ordnung lautet:
10.4 Simulationsprogramme 473

Hieraus folgt für die Anfangsbedingungen von xb und dv:

Einfacher können diese Anfangsbedingungen bestimmt werden, wenn man sich die
einfache Regel zunutze macht, dass eine Übertragungsfunktion im stationären Zu-
stand der Auswertung der Laplace-Transformierten fiir s=O entspricht (z.B. [I 0.231).
Aus dieser einfachen Regel folgt für das Ausgangssignal vf der Stabilisierung:
V J O . Da die Eingangsspannung v durch das Lastflussergebnis gegeben ist, kann der
Sollwert vref des Spannungsreglers nun aus dv berechnet werden:
V , =v + dv (1 0.106)
Der Spannungssollwert ist ungleich der Eingangsspannung, da es sich beim Span-
nungsregler dieses Beispiels um einen Proportional- (P-) Regler handelt, der im
Eingeschwungenen Zustand eine bleibende Abweichung vom Sollwert aufweist (z.B.
[10.23]). Würde es sich um einen Regler mit Integral- (I-) Anteil handeln, so wäre dv
gleich Null.

10.4.8.2 Verallgemeinerung
Dieses Beispiel hat gezeigt, dass bei der Bestimmung von Anfangsbedingungen eines
dynamischen Modells alle Zustandsgrößen und einige Eingangsgrößen berechnet
werden müssen.
Welche Eingangsgrößen von außen gegeben sind und welche durch die Initialisie-
rung des Modells ermittelt werden müssen ist nicht eindeutig festgelegt und muss in
jedem Fall neu entschieden werden.
Um die Berechnung von Anfangsbedingungen automatisieren zu können, ist eine
allgemeine Beschreibung des Problems erforderlich. Die Gleichungen des einge-
schwungenen Zustands eines dynamischen Modells nach (1 0.97) lauten wie folgt:
0 = J'(?, W)
y = g(x,G )
Die Anzahl der Gleichungen, die durch den Funktionsvektor fo gegeben sind
entsprechen der Anzahl der Zustandsgrößen. Bei Ein- und Ausgangsgrößen muss
zwischen solchen Ein- und Ausgangsgrößen unterschieden werden, die von außen,
z.B. durch die Lastflussrechnung oder durch ein anderes Modell, vorgegeben sind
und diejenigen Größen, die durch die Berechnung der Anfangsbedingungen des
betrachteten Modells bestimmt werden müssen. Es erfolgt daher eine Partitionierung
der Ein- und Ausgangsvektoren in einen Teilvektor bekannter Größen (Index b) und
einen Teilvektor unbekannter Größen (Index U):
474 10 Modellierung und Simulation

Mit diesen neuen Vektoren lautet das Gleichungssystem zur Bestimmung von
Anfangsbedingungen:
ö= ~(X.G,,,WJ
- -- (1 0.108)
V, = g, ( X , W,, G,,)
3

3, = g,,(2,G,, Gb)
2

Ist nwu gleich der Anzahl unbekannter Eingangsgrößen und nx gleich der Anzahl
Zustandsgrößen (gleich der Dimension von j), so ist die Anzahl der Unbekannten
dieses Gleichungssystems gleich nwu+nx. Demgegenüber gibt es nx+nyb Glei-
chungen (nyb gleich der Anzahl bekannter Ausgangsgrößen). Damit für dieses
Gleichungssystem eine eindeutige Lösung gefunden werden kann muss die Anzahl
unbekannter Variablen gleich der Anzahl der Gleichungen sein, woraus als notwen-
dige Bedingung für die Eindeutigkeit einer Lösung folgt:
nwu = nyb (1 0.109)

Zur eindeutigen Lösbarkeit des Gleichungssystems nach (10.108) und somit zur
automatischen Bestimmung der Anfangsbedingungen eines dynamischen Modells,
muss die Anzahl unbekannter Eingangsgrößen gleich der Anzahl bekannter Aus-
gangsgrößen sein.
Anhand des Spannungsreglerbeispiels kann die Beziehung (10.109) noch einmal
verifiziert werden:
Die einzige unbekannte Eingangsgröße ist in diesem Beispiel der Spannungssoll-
wert vref: Alle anderen Eingangsgrößen sind entweder durch eine vorangegangene
Lastflussrechnung gegeben oder werden als bekannt angenommen und auf einen
festen Wert gesetzt, wie z.B. vpss (oder besitzen keinen Einfluss wie vuel).
Die einzige Ausgangsvariable des Reglers efd, ist durch die Lastflussrechnung und
die Initialisierung der Synchronmaschine gegeben. Somit steht einer unbekannten
Eingangsgröße eine bekannte Ausgangsgröße gegenüber, (10.109) ist erfüllt, und der
Anfangszustand des Modells kann eindeutig bestimmt werden.
11 Drehzahl- und Frequenzleistungsregelung

Hauptmerkmale einer technisch guten elektrischen Energieversorgung sind die


Zuverlassigkeit des Netzbetriebs und die Qualitat der Spannung, d.h. die Einhaltung
aller Spannungsmerkmale, wie Frequenz, Amplitude, Form und Symmetrie.
Die Zuverlässigkeit des Netzbetriebs wird in Kap. 14 angesprochen. Allgemeines
zu Form und Symmetrie sowie Einhaltung der Spannungsamplitude ist in Band 1,
Abschn. 7.4, und in Kap. 13 zu finden. In diesem Kapitel befassen wir uns mit dem
Teilproblem Konstanthaltung der Frequenz (auf 50 Hz in Europa und den meisten
Ländern, 6 0 Hz in USA und Brasilien).
Frequenzabweichungen treten durch ständig wechselnde Verbraucherlast oder
wegen Störungen auf und müssen durch die rasche automatische Anpassung der von
den Turbinen gelieferten Leistung korrigiert werden. Dies geschieht im Rahmen der
Netzregelung. Eine Einführung zu diesem Thema wurde bereits in Band 1, Abschn.
6.5 und insbesondere Abschn. 6.5.2 gegeben; sie wird hier als bekannt vorausgesetzt.
Die wichtigsten Ergebnisse werden nachstehend kurz zusammengefasst und in den
folgenden Abschnitten vertieft:
- lnselbetrieb mit einem einzigen Generator: Ist die einfachste Netzkonfiguration.
Die Frequenzhaltung reduziert sich auf das Konstanthalten der Drehzahl der
Generatorgruppe (Primärregelung = primäre Drehzahlregelung) mit Statik o = 0
(astatische Regelung oder Integralregelung).
- Inselbetrieb mit mehreren Generatoren oder Kraftwerken (Inselnetz): Es tritt das
zusätzliche Problem auf, Last bzw. Regelaufwand auf die Kraftwerke zu verteilen.
Nicht alle Kraftwerke beteiligen sich gleichermaßen an der momentanen Primar-
regelung. Wir haben unterschieden zwischen Regelkraftwerken, deren Drehzahl-
Wirkleistungskennlinie eine kleine Statik von z.B. o = 5% aufweist, und Kraftwer-
ke, die mit großer Statik oder konstanter Leistung ( o = W) fahren. Je kleiner die
Statik, desto stärker reagiert das Kraftwerk auf eine Drehzahlabweichung, d.h. es
beteiligt sich stärker an der Frequenzhaltung. Um eine gleichmäßige Verteilung
der Last auf die Regelkrafhverke bzw. Generatorgruppen des Regelkraftwerks zu
erreichen, darf deren Statik jedoch nicht zu klein sein und muss minimal einige
Prozenten aufweisen. Die gewünschte Frequenzhaltung im Promillebereich kann
also nur durch eine übergeordnete lokale oder zentrale Sekundarregelung erzielt
werden, welche die Sollwerte der Primärregelung steuert. Die Leistungen der sich
an der momentanen Regelung nicht beteiligenden Kraftwerke, aber auch die
Arbeitspunkte (mittlere Leistung) der Regelkraftwerke werden schließlich durch
eine Tertiarregelung festgelegt, die auf Wirtschaftlichkeits- und Sicherheits-
Überlegungen gründet (Abb. 1 1.14, Kap. 14).
476 1 1 Drehzahl- und Frequenzleistungsregelung

- Netzverbund: Sind mehrere Netze in einem Verbund zusammengeschlossen, ist


jedes Netz mit einer eigenen zentralen Sekundurregelung ausgerüstet, die nicht
nur die Frequenzhaltung, sondern auch die Einhalturig des programmierten Lei-
stungsaustauschs mit den Nachbarnetzen sicherstellt (Frequenzleistungsregelung,
Abschn. 1 1.3).

III Primärregelung

Der linearisierte Drehzahlregelkreis kann, bei Vernachlässigung kleiner Neben-


wirkungen, durch Abb. 11.1 beschrieben werden. Diese Nebenwirkungen, wie
Selbstregelungseffekte und die Kopplung von Hydrogruppen, die von einer
gemeinsamen Druckleitung gespeist werden (Abschn. 4.5.7, Abb. 4.48), beein-
flussen nur unwesentlich die Auslegung der Drehzahlregelung. Sie lassen sich, wenn
nötig, mit einem Simulationsmodell erfassen.
Der primäre Drehzahlregler einschl. leistungsverstärkender Servomotor, dar-
gestellt durch die Übertragungsfunktion R(s), steuert den Öffnungsgrad a der Turbi-
ne und somit deren Leistung. Die Übertragungsfunktion G,(s) wurde für ein hydrau-
lisches System in Abschn. 4.5.7 abgeleitet. Für das thermische System s. die
Abschn. 5.5.4, 5.7.4 und 1 1.1.2, 1 1.1.3. Aus Abb. 1 1.1 folgt der Zusammenhang

Stationär gilt die Beziehung


1
Ap = Ap, = R(0) G,@) (Ansoll - An) = - (Ansoll -
0

welche die statische Drehzahl- Wirkleistungskennlinie der Primärregelung darstellt.


Die Größe o = 1l(R(0) G, (0)) wird als bleibende Statik oder kurz Stalik bezeichnet.
Die Regelungstheorie (Anhang 111.5) erlaubt, die Form, die das Produkt R(s) G,(s)
haben muss, um das gewünschte Verhalten des Regelkreises zu erreichen, vor-
zuschreiben. Für eine Stellantwort zweiter Ordnung nimmt die Übertragungsfunktion
G, (s) des geschlossenen Regelkreises folgende Form an:

Elektr. Leistung
Turbine +
Regler System
Aa Apt
Ws) G,@)

Abb. 11.1. Primäre Drehzahlregelung (p.u. Darstellung)


worin o, die Resonanzfrequenz (praktisch gleich zur Schnittfrequenz des offenen
Regelkreises), C die Dämpfung und oO2 T, die Anfangssteilheit der Stellantwort
darstellen. Aus GI. (1 1.3) folgt die Lösung

Die Größe o, wird als transiente Statik bezeichnet und ist reziprok zum Grenzwert
von R(s) G, (s) für s + W. Wird die durch o, bestimmte Regelgeschwindigkeit so
gewählt, dass mit guter Näherung
GAS) =: GXO) = K (1 1.5)
gesetzt werden kann (im Fall der hydraulischen Kraftwerke muss dazu wo deutlich
kleiner als 11 T, und .X/22 sein, s. Abschn. 4 . 5 3 , folgt die Reglerfunktion

Die praktische Ausführung des Reglers weist f i r Wasserkraftwerke oft eine Über-
tragungsfunktion des Typs

auf, wobei jedoch die kleine Zeitkonstante T2das oben erwähnte Zeitverhalten kaum
beeinflusst.

Beispiel 11.1
Der Drehzahlregler sei für eine Gruppe mit T, = 8 s auszulegen. Verlangt werden
eine Statik von 5% und eine Dämpfung = 0.7.
Durch die Wahl einer Resonanzfrequenz von o,= 0.4 radls folgt aus GI. (1 1.4)
478 1 1 Drehzahl- und Frequenzleistungsregelung

11.I.IWasserturbinen
Als konkretes Beispiel sei das für Wasserturbinen häufig verwendete Schema in
Abb. 11.2 näher betrachtet. Die Soll-Istwert-Differenz wird über einen rückgekop-
pelten Pilotservomotor zum Hauptservomotor geführt, dessen Stellung über die
nichtlineare Ventilcharakteristik den Öffnungsgrad der Turbine steuert. Die Ver-
stärkung 1/T, des Hauptservomotors ist meist nichtlinear, um die Nichtlinearität der
Ventilcharakteristik zu kompensieren. Sowohl Hub als auch Geschwindigkeit des
Hauptservomotors werden begrenzt. Statische Kennlinie und Zeitverhalten der
Regelung werden maßgeblich durch die bleibende und transiente Rückfihrung
bestimmt. Aus dem Schema ergibt sich für die Übertragungsfunktion R(s) =
Aa lA(n„„- n)

1 1 +sTd
R(s) = -
oK o T K T T T K (11.8)
1 +#(Td 2 +%) +s2-(Tp+Td) +,3 p d s p
o o o o

Da die Zeitkonstante T, = T,/K, klein ist, kann durch ihre Vernachlässigung diese
Übertragungsfunktion dritter Ordnung in die Übertragungsfunktion GI. (1 1.7) über-
fuhrt werden, worin, da mit guter Näherung T, = T, K, << T, o, :

T T ot , T , . - T'.
.
'J
t

Mit der Größe y, (Abb. 1 1.2) wird die dem Drehzahlsollwert entsprechende Stellung
des Servomotors vorgegeben. Ist die Phasenmarge der Regelung wegen der ver-
nachlässigten Frequenzabhängigkeit der Funktion G,(s) ungenügend, lässt sich die
Stabilität durch Ergänzung des Faktors l/K mit einem PD-Glied verbessern.

Ventil-
charakteristik

Abb. 11.2. Drehzahlregler einer Wasserturbine


1 1.1 Primärregelung 479

Pilotservomotor

8- -+

Druckregler
Ventil-
charakteristik
Ansprechschwelle VorSpannung

Abb. 11.3. Druckregelkreis einer Francis-Turbine

Die Geschwindigkeit, mit welcher der Wasserfluss in der Druckleitung bei Lei-
stungsausfall reduziert wird, muss begrenzt werden, um unzulässige Druckstöße zu
vermeiden (Abschn. 4.5.3, 4.5.5). Dies wird im Fall der Pelton-Turbine mit dem
Strahlablenker erzielt (Abschn. 4.4.1). Bei der Francis-Turbine wird ein Druckregler
dafür sorgen, dass von einer kritischen Geschwindigkeit des Hauptservomotors
(= Stellung des Pilotservomotors) an ein Teil des Wassers über den Druckregler
abgeleitet wird. Ein typisches Schema zeigt Abb. 1 1.3.

11.I.2 Dampfkraftwerk
In Abschn. 5.5.4 wurden zwei typische Betriebsarten der Kesselregelung unter-
schieden, nämlich Festdruckregelung und Gleitdruckregelung. Im Folgenden seien
sie näher betrachtet.

11.1.2.1 Festdruckregelung
Die für die Primärregelung maßgebende Übertragungsfunktion G,(s) des thermischen
Systems in Abb. 11.1 lässt sich aus dem Schema in Abb. 5.24 bestimmen, dessen
Blockschaltbild für kleine Änderungen in Abb. 11.4a und vereinfacht, durch Ein-
führung nachfolgender Funktion G,(s), in Abb. I 1.4b dargestellt ist:

s T, G&)
+
mit G,(s) =
a, + s T, + GK(s)
480 11 Drehzahl- und Frequenzleistungsregelung

Abb. 11.4. Blockschaltbild des Dampfkraftwerks bei Festdruckregelung (Ap„„, = 0)


Die Übertragungsfunktion G,(s) des Kessels nimmt oft die Form an

worin T, die Zeitkonstante des PT-Kesselreglers und T, die Zeitkonstanten der Wär-

-
meentbindung darstellen. Da die Funktion G,(s) einen integrierenden Anteil auf-
weist, folgt aus GI. (1 1.10) sowohl für s = 0 als auch für s -, G, (s) = 1. Die
Übertragungsfunktion G,(s) weicht lediglich in einem Frequenzbereich von 1 ab, der
auf Grund der Langsamkeit der Kesselregelung wesentlich tiefer liegt als die
Schnittfrequenz des primären Drehzahlregelkreises. Für die Analyse der primären
Drehzahlregelung kann deshalb mit genügender Näherung gesetzt werden

d.h. der Frischdampfdruck p, kann als konstant angenommen werden.


Der Bedingung (1 1.4) für eine optimale Stellantwort würde ein Proportionalregler
R(s) = K r , mit K, = l/(o p„ K,) Genüge leisten, wobei i.d.R die weitere Bedingung
o, = d(1-ß) zu einer genügenden Stabilität führen dürfte. Notfalls kann diese durch
einen PD-Regler verbessert werden.
Im Grenzfall K, = 0, d.h. o = -, wird eine reine Leistungsregelung erzielt. In der
Praxis ist es zumindest bei großer Statik von Vorteil, die Drehzahl-Leistungskenn-
linie mit Hilfe eines PI-Leistungsreglers einzustellen, etwa nach Schema in Abb.
1 1.5. Der Leistungssollwert wird mit der Drehzahlabweichung über den Faktor 110
korrigiert, der die Statik beliebig einzustellen erlaubt. Als Leistungs-Istwert wird die
leicht messbare Generator-Wirkleistung genommen.
I 1.1 Primärregelung 48 1

Abb. 11.5. Primäre Drehzahlregelung bei Festdruck (p.u. Darstellung)

11.1.2.2 Gleitdruckregelung
Die Festdruckregelung erlaubt eine rasche Anpassung der Leistung bei guter Ausnut-
zung des Speichervermögens des Dampferzeugers und ermöglicht zudem auch den
lnsclbctricb dcs Dampfkraftwerks; die Turbinc wird allerdings thermisch stark
beansprucht.
Um dies zu vermeiden, kann die Anlage mit dem naturlichen Gleitdruck betrieben
werden. Das Ventil ist dabei ungeregelt und in jeder Lastsituation voll offen. Frisch-
dampfdruck und Massenstrom sind zueinander proportional. Die Drehzahl-regelung
erfolgt über die Kesselsteuerung durch Anpassung des Massenstromes Am,'. Der
Massenstrom Am,' und somit die Leistung folgen sehr langsam mit der Zeitkon-
stanten T, (Abb. 1 1.6).
Eine schnellere Regelung kann durch Verwendung einer Zwischenlösung erhalten
werden. Im sog. modijizierten Gleitdruckbetrieb wird der Frischdampfdruck ge-
regelt, jedoch nicht konstant gehalten, sondern entsprechend einer mit der Leistung
nachgebenden Gleitdruckkennlinie eingestellt. Das Ventil wird zumindest bei großen
Drehzahlabweichungen geregelt. An Stelle des Blockschaltbilds in Abb. 11.5 tritt
jenes der Abb. 1 1.7. Aus dem Blockschaltbild Abb. 1 1.4a folgt für die Übertragungs-
funktion G„(s)

b..1
AP

Abb. 11.6. Regelstrecke bei natürlichem Gleichdruckbetrieb (p.u. Darstellung)


482 1 1 Drehzahl- und Frequenzleistungsregelung

Abb. 11.7. Primäre Drehzahlregelung bei modifiziertem Gleitdruck


G = Gleitdruckkennlinie (p.u.-Darstellung)

.3 Gasturbinen- und Kombikraftwerke


I 1.I
Bei einem GUD-Kraftwerk erfolgt die Primärregelung zunächst durch die Gasturbi-
ne. Die Wellenleistung der Gasturbine folgt sehr rasch dem Brennstoffmassenstrom
mit einer Zeitkonstanten von Ca. 2 s (s. dazu auch Abschn. 5.7.6). Die Übertragungs-
funktion G,(s) der Turbine kann also in erster Näherung durch einen Term erster
Ordnung dargestellt werden. lm oberen I .astbereich wird die Austrittstemperatur der
Gasturbine konstant gehalten, und die Leistungsänderung erfolgt durch die Ver-
änderung des Massenstromes über die VerdichterleitschaufeIversteIlung (Vorleitre-
gelung) [11.2]. Näheres über die Dynamik der Gasturbine ist in [ I 1S I , [11.4] und
insbesondere über die Anfahrvorgänge in [l 1.21 zu finden. Ein nichtlineares Modell,
basierend auf [l 1.41, ist nachstehend gegeben.
Die Dampfturbinenleistung stellt sich entsprechend dem Wärmeeintrag der Gas-
turbine ein. Ziel der Regelung ist es, die Gasturbinenabwärme optimal zu nutzen.
Grundsätzlich verhält sich die Dampfturbine wie in Abschn. 1 1.1.2 dargestellt, wobei
die Besonderheiten des Abhitzekessels, der an Stelle des Feuerungskessels tritt, zu
beachten sind (eine eingehende Beschreibung ist in [l 1.21 zu finden). Stationär wird
sich die Dampfturbinenleistung Ca. proportional zur Gasturbinenleistung verändern.
Dynamisch wird die Anpassung im Gleitdruckbetrieb mit einer Zeitverzögerung im
Minutenbereich geschehen. Wird die Dampfturbine jedoch mit leicht angedrosselten
Stellventilen betrieben (modifizierter Gleitdruck), kann das Speicherverhalten der
Dampfsysteme zur schnellen Leistungsreserve herangezogen werden. Die zusätzlich
entnommene Leistung muss dabei mit der gleichzeitig erfolgten Änderung der
Gasturbinenleistung korrespondieren.
Modellierung der Gasturbinenanlage
Die adiabaten Vorgänge in Verdichter und Gasturbine lassen sich nach Anhang I, GI.
(1.27) durch

darstellen. Die temperaturabhängige Größe C, wird dabei gemittelt.


Mit Bezug auf Abb. 1 1.8 und unter Berücksichtigung der Beziehungen (5.9) folgen
die spezifischen Arbeiten von Verdichter und Turbine

worin einfachheitshalber die vom Druckverhältnis abhängigen Ausdrücke analog GI.


(5.1 1) mit

bezeichnet wurden. Ferner folgen die Temperaturen immer aus den Gln. (5.9)

a) Brennstoff

PB, T, Pc, T,
C
B
Brennkammer

\ Turbogruppe
D PD,

Luft
V
Abgase

Abb. 11.8. a) Gasturbinenanlage b) Ts-Diagramm des Prozesses: (ABCD) = realer


Prozess, (AA'CD') = idealer (reversibler) Prozess
484 1 1 Drehzahl- und Frequenzleistuugsregelung

Aus den Massenströmen und den spezifischen Arbeiten folgen schließlich die Lei-
stungen von Turbine und Verdichter und daraus die Antriebsleistung der Gas-turbi-
nengruppe (s. auch GI. 5.13)
I I
P, = m,w,, P, = m,w,, P = PT-P,. (1 1.18)
Die Beziehungen Gln. (5.15)-(5.18) werden vom Blockdiagramm Abb. 11.9 zu-
sammengefasst. Die Wirkungsgrade können durch lineare Funktionen der Drücke
dargestellt werden; für die Identifikation s. [l 1.41. Ebenso lassen sich die Massen-
ströme in Funktion von Druck und Temperatur folgendermaßen darstellen [11.4],
[I 1.51
I
m~ = PA (kVl - kV. TA) ß

worin die Drehzahl n im Normalbetrieb als konstant betrachtet werden kann und ß
die Stellung der Verdichterleitschaufeln beschreibt.
Zusammenfassend und durch Einführung der Brennkammer ergibt sich für die
Gasturbinenanlage die Blockdiagramm-Darstellung von Abb. 1 1.10.
Das Brennkammermodell muss Druck p, und Temperatur T, am Turbineneingang
sowie den Druck p, am Verdichterausgang in Funktion der Eingangsgrößen aus-
drücken. Diese sind die Massenströme von Turbine m,' und Verdichter m,', die
Verdichterausgangstemperatur T, und der Brenstoffmassenstrom m,'. Bei Berücks-
ichtigung der Massen- und Energiebilanzen lässt sich die Brennkammer, entspre-
chend dem Blockdiagramm in Abb. 1 1. I I durch folgende Gleichungen darstellen

3
dt
= K, K, T, (m,1 +mB-m,)
1 1

Neu darin sind folgende Variablen: m,' Luft-Massenstrom, T, Lufttemperatur, T„


Brennkammeraustrittstemperatur, a = m,'/m,' Brennstoff-Luft-Verhältnis. Ferner ist
h, der untere Heizwert, h, der Enthalpie-Offset (von Luft und Brennstoff) und q, der
Brennkammenvirkungsgrad
11.1 Primärregelung 485

' pv

Verdichter

Turbine

Abb. 11.9. Blockdiagramm von Verdichter und Gasturbine

Verdichter
m',
) pv
wv
Brenn-

i Turbine

E;,)pT
Abb. 11.10. Blockdiagramm der Gasturbinenanlage

V
(14.20) Tz 1 mz'
* (11.24) T,
T"+ (11.21)
Volumen 1
kalt
(17.22)
Drossel Tz , (1 1.23)
Verbren-
nung
T,, ( I 1.25)
Volumen2 Pc
PB
A PB A 1
Abb. 11.1 1. Blockdiagramm der Brennkammer [l 1.41
486 1 1 Drehzahl- und Freauenzleistungsregelun~

11.2 Frequenzregelung im lnselnetz


In einem lnselnetz mit verschiedenen Kraftwerken oder Synchrongruppen laufen
stationär alle Generatoren mit der gleichen, der Netzfrequenz entsprechenden (syn-
chronen) Drehzahl. Bei einer plötzlichen Änderung der Verbraucherlast an irgend-
einer Stelle des Netzes ergibt sich eine Neuverteilung der Ströme, insbesondere auch
der Generatorströme. Die unterschiedliche Änderung der Generatorbelastung fuhrt
zu Abweichungen in der Drehzahl der einzelnen Synchrongruppen. Damit werden
synchronisierende Kräfte wirksam (Band 1 , Abschn. 6.6), die mit einer Schwin-
gungsfrequenz von meist 1 10 radls ('je nach Größe des Netzes, s. auch Kap. 12)
-

und, sofern das Netz stabil ist, den Gleichlauf aller Generatoren wieder erzwingen.

112.1 Primärregelung
Da die Primärregelung deutlich langsamer reagiert als die Synchronisierkräfte
(Schnittfrequenz Ca. 0.1 1 rad/s), kann in erster Näherung ihre Interaktion mit den
-

Synchronisiervorgängen vernachlässigt werden (Näheres dazu in Kap. 12). Für die


folgenden Betrachtungen nehmen wir also an, dass alle Synchrongruppen bereits
wiedersynchronisiert sind, d.h. eine Drehzahl aufweisen, die der momentanen Netz-
frequenz entspricht. Für eine beliebige Gruppe gilt dann in p.u.

oder in physikalischen Einheiten (P„ = Nennleistung)


AP, APi 1 da.
-'=T
mr
-1- df
.
'n P, ur dt mr fr dt
Wird über alle n Synchrongruppen des Inselnetzes summiert, folgt

Das Netz verhält sich nach der Synchronisierung wie ein Netz mit einem einzigen
Generator mit der mittleren Anlaufzeitkonstante T,,,. Daraus lässt sich der mittlere
Drehzahl- oder Frequenzverlauf bei Störungen des Gleichgewichts berechnen. Die
Änderung der Gesamtlast der Generatoren ist

worin AP, die effektive Änderung der Verbraucherlast und AP, die Änderung der
Netzverluste darstellen.
1 1.2 Frequen~regelungiin Inselnetz 487

Nach dem Einschwingen der primären Drehzahlregelung (typische Schnittfrequenzen


sind 0.1 1 radls) gilt f i r jede Gruppe die stationäre Kennlinie GI. (1 1.2), die durch
-

Einführung der Frequenz in Hz und der Leistung in MW lautet

Nach der Leistung aufgelöst, und für An„„ = 0 (d.h. bei unverändertem Drehzahlsoll-
wert) folgt die stationäre Aufteilung der Last auf die einzelnen Gruppen

und umgekehrt, bei Berücksichtigung der G1. (1 1.27), mit AP„ = APOdie Frequenz-
abweichung entsprechend der Gesamtstatik o des Inselnetzes
n

AP,
',-=-G 4+ M v mit
P,
hn'
1=1 ei = l L P,.,
(-Ti

Jede Regelgruppe übernimmt demzufolge die Leistung


AP, APL+APv

An Stelle der Statik kann auch die reziproke Leistungszahl der Gruppe K, bzw. des
Netzes K (auch Netzkennzuhl genannt) verwendet werden, definiert durch

welche in MWIHz ausgedrückt wird. Bei progressiver Zunahme der Netzlast kann
eine Gruppe die maximal mögliche Leistung erreichen, womit ihre Statik ab diesem
Moment den Wert U, = bzw. die Leistungszahl den Wert null annimmt. Ihr Beitrag
zur Netz-Leistungszahl entfallt, womit sich die Netzkennzahl verringert (bzw. die
Gesamtstatik vergrößert). Die Frequenz-Leistungskennlinie des Netzes weist des-
halb, wie in Abb. 1 1.12a veranschaulicht, Knicke auf. Sie ist außerdem leistungs-
mäßig begrenzt. Als rotierende Reserve wird die Differenz (P„, - P,) zwischen der
maximalen Leistung der bereitstehenden (rotierenden) Gruppen und der Netzlast
bezeichnet. Es leuchtet ein, dass für einen sicheren Netzbetrieb eine genügende
rotierende Reserve vorhanden sein muss.
Schließlich sei erwähnt, dass wenn die Last frequenzabhängig ist, also einen
Selbstregelungseffekt aufweist, die entsprechende Leistungszahl additiv der Netz-
kennzahl hinzuzufügen ist.
488 11 Drehzahl- und Frequenzleislungsregelung

Abb. 11.12. Frequenz-Leistungskennlinie des lnselnetzes mit variabler Gesamtstatik o und


maximaler rotierender Leistung

11.2.2 Sekundärregelung
Die Frequenz entspricht nur fur die Gesamtlast P, = P, der Sollfrequenz. Um die
Sollfrequenz (Nennfrequenz) auch für andere Gesamtlasten P, , P,, P, einzuhalten,
muss die Netzkennlinie parallel verschoben werden (Abb. 1 1.12b). Dies besorgt die
zentrale Sekundarregelung, die, um Interaktionen zu vermeiden, eine Gr6ßenord-
nung langsamer als die Primärregelung arbeitet (0.01 -0.1 radls). Der Sekundärreg-
ler, meist ein Integralregler, misst die Frequenz und steuert mit der Frequenzabwei-
chung Af die Sollwerte der Primärregler der Regelkraftwerke (An„„, bzw. Ap„„).
Der Sekundärregler oder Netzregler bestimmt oft auch (über die Statik bzw. Lei-
stungszahl), welchen Anteil die einzelnen Regelkraftwerke an der Sekundärregelung
haben sollen. Wird z.B. An„„ entsprechend

verändert, wobei die Integrationszeit T, der Sekundärregelung meist die Größen-


ordnung Minute aufweist, folgt durch Einsetzen in GI. (1 1.28) der Frequenzverlauf

d.h dem Primärregelungsvorgang, der zum Gleichgewicht GI. (1 1.30) fuhrt, überla-
gert sich ein Sekundärregelungsvorgang, der mit der Zeitkonstanten T, die Frequenz-
abweichung zum Verschwinden bringt.
1 1.3 Frequenzleistungsregelungim Verbund 489

11.3 Frequenzleistungsregelung im Verbund

Mit den Definitionen

worin P, die momentane Gesamtleistung der Turbinen des Netzes und P„ deren
stationären Anfangszustand (Arbeitspunkt) bedeuten, folgt aus den Gln. (1 1.29) -
(1 1.32)
P,-Pot = - K Af. (1 1.36)

Die Leistungszahl des Netzes oder die Netzkennzahl K drückt die Fähigkeit des
Netzes aus, im Fall einer Frequenzänderung rasch eine entsprechende Leistung zur
Wiederherstellung des Gleichgewichts und somit zur Frequenzhaltung bereitzustel-
len. Die Netzkennzahl ist, von Selbstregelungseffekten abgesehen, die Summe der
Leistungszahlen der Regelkraftwerke.
Die Netzkennzahl des UCPTE-Netzes nahm von 1 9 7 6 1996 von knapp 20'000
MWiHz auf rund 30'000 MW/Hz zu. Durch die Zuschaltung des Centrel-Netzes (s.
Band 1, Abschn. 1.3) erhöhte sich die Netzkennzahl auf rund 40'000 MWIHz. Der
Selbstregelungseffekt der Last ist Ca. mit 25% an der Netzkennzahl beteiligt [l 1 .I].
Zwei unabhängig geführte Netze, die eine programmierte Leistung P„ (Übergabe-
leistung) austauschen (Abb. 11.13a) und deren Netzkennlinien NKl und NK2 in
Abb. I 1.13b dargestellt sind, seien nun betrachtet. Die stationären Leistungen sind
P„ und P„. Tritt in Netz 1 eine Belastungsänderung AP auf, ändert die Netzfrequenz
um Af, und wegen G1. (1 1.36) gilt

4
Netz I Netz 2

T' Netz1 1 Netz 2

Abb. 11.13. Sekundärregelung im Nct~verbund,NKI Netzkennlinie Netz 1, NK2 Netz-


kennlinie Netz 2, N t i Netzkennlinie Netz 1 nach Eingreifen der Sekundärregelung
490 1 1 Drehzahl- und Frequenzleistungsregelung

Die Belastungsänderung wird teils durch die Kraftwerke des Netzes und teils durch
die des Netzes 2 entsprechend ihren Leistungszahlen kompensiert. Wird einfach-
heitshalber angenommen, die Verbraucherlast in Netz 2 sei frequenzunabhängig
(kein Selbstregelungseffekt), tritt die Leistungsänderung in Netz 2 voll als Änderung
der Übergabeleistung an der Kuppelstelle auf

AP, = - K2 Af = --
K2- AP.
Kl +K2
Diese Abweichung der Übergabeleistung vom vereinbarten Programm ist als vor-
übergehende Unterstützung durch Netz 2 zu verstehen und muss vom Netzregler
(Sekundärregler) von Netz 1 zurückkorrigiert werden. Die Unterstützung ermöglicht
z.B. die rotierende Reserve zu reduzieren. Die Netzregler beider Netze verwenden
als Eingangssignal (Fehlersignal F) die Größe

mit P, = exportierte Leistung. Für Netz 2 ist AP, = AP, , und man erhält aus GI.
(1 1.38)

Richtigerweise reagiert also Netz 2 nicht. Für Netz 1 ist hingegen AP, = - AP,, und
es folgt
AP,
Af-- = Af ( I + -K2) .
K* Kl
Der Sekundärregler von Netz I (PI-Regler) integriert diese Regelabweichung und
bringt sie durch Korrektur der Sollwerte der Primärregler der Regelkraftwerke
innerhalb ca. einer Minute zum Verschwinden. Damit wird Af = 0, und wegen
(1 1.34) wird auch AP, = 0. Die sich ergebende neue Kennlinie NK für Netz 1 ist in
Abb. 1 1.13b eingezeichnet.
Weisen Netz 1 oder 2 weitere Kuppelleitungen mit anderen Netzen auf, be-
teiligen sich alle Netze des Verbundes vorübergehend an der Frequenzhaltung, nur
der Netzregler des von der Laständerung betroffenen Netzes 1 fuhrt jedoch die
Leistungskorrektur aus. Die gleichen Vorgänge spielen sich ab, wenn das Leistungs-
ungleichgewicht statt durch eine Änderung der Verbraucherlast z.B. durch den
Ausfall eines Netzteils oder eines Kraftwerks verursacht wird.
1 1.3 Freauenzleistunrrsreeelunp.im Verbund 491

4 m Tertiär-

Regelkraftwerk

Abb. 11.14. Gesamtaufbau der Netzregelung

Der Gesamtaufbau der Netzregelung ist in Abb. 1 1 .I4 skizziert. Alle Übergabelei-
stungen an den Kuppelstellen sowie Generatorleistungen werden über Telekommuni-
kation an die zentrale Leitstelle übermittelt. Durch Messung der Frequenzabwei-
chung und Ermittlung der momentanen Leistungszahl (reziprok zur Gesamtstatik)
des Netzes findet hier die Berechnung des Steuersignals Af - APIK für den Se-
kundärregler statt. Bei der Berechnung von K kann auch der Beitrag der Selbst-
regelung durch die Frequenzabhängigkeit der Last berücksichtigt werden [ l 1.31. Der
Sekundärregler integriert dieses Signal (PI-Regler) und erteilt die Stellbefehle für die
Sollwerte der Primärregler der Regelkraftwerke.
Die Leistungsverteilung wird vorprogrammiert und laufend vom übergeordneten
tertiären Rechner ermittelt unter Berücksichtigung von ökonomischen und Sicher-
heitsvorgaben (Kap. 14).
12 Synchronisierung und Polradwinkelstabilität

Kapitel 1 1 behandelt die Frage der Frequenzabweichungen und der Frequenzregelung


unter der Annahme, die Synchronisiervorgänge seien unter Wahrung der Stabilität
des Netzes erfolgreich abgeschlossen. Es bleibt zu klären, welche Bedingungen erfüllt
sein müssen, damit dies tatsächlich auch eintritt.
Die Dynamik eines komplexen Gebildes wie das Verbundnetz kann nur durch
Simulationsprogramme exakt berechnet werden. Für das Verständnis der sich ab-
spielenden Vorgänge istjedoch eine Schematisierung von Vorteil. In Band 1, Abschn.
6.6, wurde das Problem der Synchronisierung und Stabilität einer Synchrongruppe,
die mit einem starken Netz gekoppelt ist, behandelt (Grenzfall des unendlich starken
oder starren Netzes). Dieses Schema beschreibt einerseits angenähert das Verhalten
eines in ein starkes Verbundnetz einspeisenden Kraftwerks, dient andererseits auch
als Einstieg in die allgemeine Problematik der Netzstabilität. Zunächst wird deshalb
dieser Ansatz wieder aufgegriffen und vertieft (Abschn. 12.1- 12.4) und danach das
Mehrmaschinensystem behandelt (Abschn. 12.5- 12.7).

12.1 Synchrongruppe am starren Netz


12.1.ITorsionsschwingungen
Sollen auch die Torsionsvorgänge zwischen Turbine und Generator berücksichtigt
werden (wenn nicht s. Abschn. 12.1.2), kann (z.B. für ein Wasserkraftwerk) das
Zweimassen-Schema in Abb. 12.1~1zugrunde gelegt werden. Darin sind M, das
Antriebsmoment und M das Belastungsmoment der Gruppe, K„ die Torsionssteifig-
keit, Km, der Dämpfungskoeffizient der mechanischen Schwingungen und W„, 6, die
mechanische Kreisfrequenz und der Positionswinkel der rotierenden Massen. Es
folgen die Gleichungen im Bildbereich (s. dazu auch Band 1, Abschn. 6.6.7.1):

b) M;,

Abb. 12.1. Gruppenwelle bei Berücksichtigung der Torsion a) Mechanisches Modell


b) Blockschaltbild mit K12(s)= K12+ s Koi2= Kiz ( 1 + s Ti2)
494 12 Synchronisierung und Polradwinkelstabilität

und das entsprechende Blockschaltbild Abb. 12.lb. Aus den Gleichungen folgt der
Zusammenhang

s 2 ~ ,
k,(s) = 1 +
K12 (1 + ~ T l 2 )
mit (
S=J,J~
4s) = 1 +
(J, +J2)K12 (1 + s T 1 2 )'

der sich für K „ + (womit k, (s) = k(s) = 1 ) auf GI. (6.107), Band 1, reduziert, mit
dem Gesamtträgheitsmoment J = J , + J? . Die Kreisfrequenz der Torsionsschwingun-
gen ist (Annahme M = konstant)

Das Blockschaltbild Abb. 12.1b lässt sich leicht ergänzen für Systeme, die weitere
rotierende Massen, wie z.B. die Erregermaschine oder bei thermischen Kraftwerken
Hochdruck-, Mitteldruck- und Niederdruckturbine, einschließen.
Für das Mehrmassenmodell ist eine Darstellung im Zustandsraum zweckmäßig.
Die Gln. (12.1) lauten für n Massen

~ i tMol = 0 , 0 , Mn=- M , M, .. Mn_, = Antriebsmomente

Für die Zustandsraumgleichungen

/
Oml

mit x1 =

\ Omn
12.1 Synchrongruppe ain starren Netz 495

erhält man 2.B. für n = 4

, mit E = Einheitsmatrix .

Die auftretenden Eigenfrequenzen, die durch Auswertung der Systemmatrix A


erhalten werden (Anhang 111), liegen i.d.R. zwischen 5 Hz und einige 10 Hz und
interferieren wenig mit den deutlich langsameren elektromechanischen Synchronisier-
pendelungen (meist 1-2 Hz). Für die folgenden Betrachtungen sei der Einfluss der
Torsionselastizität vernachlässigt; Weiteres, insbesondere in Zusammenhang mit
subsynchronen Schwingungen, ist in den Abschn. 12.3.2 und 12.4 zu finden.

12.1.2 Störungen des Gleichgewichts


Die statische Abhängigkeit der elektrischen Leistung vom Polradwinkel ist nichtlinear
und wird qualitativ von Abb. 12.2a dargestellt. Dynamisch gilt für kleine Änderungen
durch Linearisierung und bei Vernachlässigung des Statorwiderstandes Blockschalt-
bild Abb. 12.2b (Band 1, Abschn. 6.6.7.2). Die von K(s) A6 ausgedrückte Leistungs-
änderung ist frequenzabhängig, wobei K(s) gemäß Band 1, GI. (6.1 17), für einen
gegebenen Betriebspunkt (Index 0) von
gegeben ist. Die Frequenzabhängigkeit von K(s) ist durch den Frequenzverlauf von
l/X,(s) und l/X,(s) bestimmt, dazu s. G1. (10.3). Ist die Schwingungsfrequenz V
bekannt (s. Band 1, GI. 6.1 12), lässt sich schreiben
KGV) = ~ ~ (+ vj v ) K ~ V =) P,' + j v W, , (12.7)
und die Polradbewegung lautet entsprechend Band 1 , GI. (6.1 10) und (6.125)

AP, ist die mechanische und AP die elektrische Leistung, die sich unterteilt in syn-
chrone Leistung P,' AQ (P,' = synchronisierende Leistung) und asynchrone Leistung
W, d6Idt. Letztere ist proportional zur Drehzahlabweichung, d.h. zum Schlupf, und
wirkt dämpfend. Näheres zur Dynamik der kleinen Schwingungen ist in Abschn. 12.2
zu finden.

ao
Abb. 12.2. Synchronmaschine am starren Netz: elektrische Wirkleistung P in Abhängig-
keit vom Polradwinkel 6 a) Allgemeiner Verlauf für konstante Polradspannung und
Stabilitätsgrenze b) Blockdiagramm für kleine Änderungen (Netzspannung konstant)

12.1.2.1 Statische Stabilität


Grundlagen zum Stabilitätsbegrzf sind in Anhang 111, Abschn. 111.2 zu finden. Die
stationäre Abhängigkeit der elektrischen Leistung vom Polradwinkel ist in Band I,
Abschn. 6.6.4, hergeleitet worden (GI. 6.99). In p.u. lautet diese Beziehung

(e, = p.u. Polradspannung). Die statische Stabilitätsgrenze (s. dazu auch Band 1,
Abschn. 6.6) erhält man (Abb. 12.2a) für dpIdQ = 0.
Zwischen Spannung und Polradspannung besteht im stationären Zustand die p.u.
Beziehung
12.1 Synchrongruppe am starren Netz 497

12.1.2.2 Stabilität im Kurzzeitbereich


Für die SM mit lamellierten Polen (X,' = X,) sind die Gln. (12.10) im Kurzzeitbereich
gemäß Abschn. 10.1, Gln. (1 0.1 I), durch die folgenden zu ersetzen

An Stelle der synchronen Reaktanzen treten die transienten Reaktanzen, und die
Polradspannung wird durch die zur Rotor-Hauptflussverkettung proportionalen EMK
e ersetzt (deren d-Komponente im betrachteten Fall null ist). Diese EMK ist un-
mittelbar nach der Störung gleich zur transienten Polradspannung e,' (s. dazu auch
Band 1, Abschn. 6.4.1) und ändert dann nach G1. (10. l I) relativ langsam mit der
Zeitkonstanten T„' unter dem Einfluss der Spannungsregelung. Die im Kurzzeit-
hereich wirksame synchrone Leistung folgt aus (GI. 12.9), wenn X, durch X,' und e,
durch e, ersetzt wird. Wird schließlich e, durch den transienten Anfangswert e,'
ersetzt, folgt die transiente synchrone Leistung p, (Band 1, Abschn. 6.6.7.3, GI.
6.127).
Auch die transiente Leistung hat einen qualitativen Verlauf etwa nach Abb. 12.2a,
und p,' = dp,/d6 stellt die transiente synchronisierende Leistung dar. Die transiente
Stabilitätsgrenze ergibt sich für dp,/d6 = 0.
Im allgemeineren Fall mit X,' <X, (SM mit massiven Polen) kann vom Zeigerdia-
gramm (Abb. 12.3) und den entsprechenden Kurzzeit-Gleichungen (1 0.8) ausgegan-
gen werden I.
ud = ed + xqlq = U sin6
I (12.12)
uq = eg - xdid = U cos6 .

Abb. 12.3. Stationäres und Kurzzeit-Zeigerdiagramm der Synchronmaschine


498 12 Synchronisierung und Polradwinkelstabilität

Nach den Strömen aufgelöst und in die Leistungsgleichung p = U, i, + U, i, (Band 1,


GI 6.80) eingesetzt, folgt

Die Abb. 12.4a und 12.4b zeigen den typischen Verlauf der stationären und der
transienten synchronen Leistung (e, = e„', e, = e„') für eine Schenkelpolmaschine mit
lamellierten Polen (X,'= X,, womit e, = 0) und einen Turbogenerator (e, t O), wobei
U = 1 p.u. angenommen und e, und e,' f i r den Belastungszustand (P,, 6,) berechnet
wurden.
Bei Störung des Gleichgewichts in (P,, 6,) wird nach dem raschen Abklingen der
subtransienten Vorgänge die Leistung zunächst dem transienten Verlauf folgen.

4
----.
P S

3-

2-
_ _ ----- --.
--.
-->.,.

L - L 1 -

0 20 40 60 80 100 120 140 160 180


---> 6
Abb. 12.4. Stationäre und transiente Leistung der SM am starren Netz
a) Schenkelpolmaschine mit lamellierten Polen b) Turbogenerator
12.1.3 Wirkung der Netzreaktanz
Ist die SM über eine Reaktanz XQ(Q) (Transformator, Leitung, Kurzschlussreaktanz
des Netzes) mit dem starren Netz verbunden (Abb. 12.5), können alle hergeleiteten
Beziehungen mit den in Band 1, Abschn. 6.6.6, G1. (6.106) angegebenen Substitutio-
nen weiter verwendet werden. An Stelle der Spannung U tritt die Spannung uQ,zu den
p.u. Reaktanzender SM muss xQ= XQ/Zr hinzugefügt werden + xdQ= X, + xQ, xqQ=
X, + XQ USW.,und 6 ist durch 6~ zu ersetzen. Wieder kann Bezug auf Zeigerdiagramm
12.3 genommen werden.

Pt

starres
Netz

Abb. 12.5. Mit dem starren Netz über die Reaktanz xQ gekoppelte SM

12.1.4 Statische Stabilität der ungeregelten SM


Für Wirk- und Blindleistung der SM gilt (GI. 12.9 und Band 1, Gln. 6.99)
U e 1 2 X d ~ - X qsi(1(26Q)
~
P = - P sinb + - U
X d ~ 2
2
QG 2
U e
4~ = - P c0sbQ - -
U~ eos20Q - - U~ sh2b (12.14)
X d ~ X q ~

Bei ungeregelter Spannung U ist die Polradspannung e, konstant. Aus dp/doQ= 0 folgt
die Bedingung für den kritischen Polradwinkel:

Wird in G1. (12.14) der kritische Polradwinkel eingesetzt und werden e, und qQ
eliminiert, erhält man die statische Stabilitätsgrenze in der (p, q)-Ebene (s. auch Band
1, G1. 6.104).
500 12 Synchronisierung und Polradwinkelstabilität

Abb. 12.6. Statische Stabilitätsgrenzen der ungeregelten SM am starren Netz fur


verschiedene Werte der Netzreaktanz, X, = 1.6 p.u., X, = 1 . I p.u.
a) uo = 1 p.u., u variabel b) u = I.p.u., uo variabel

Numerisch wird nach folgendem Schema vorgegangen:

GI. (12.13) GI. (12.12)

Die Stabilitätsgrenze wird stark von der Netzreaktanz beeinflusst, wie das Beispiel
Abb. 12.6a veranschaulicht. Die Fähigkeit der SM, Blindleistung aufzunehmen, wird
durch den Blindleistungsbedarf der Reaktanz xo reduziert. Die Verschlechterung ist
vor allem auf die Reduktion der Spannung U zurückzuführen. Wird nämlich die
Spannung u vorgegeben, ist der Einfluss der Netzreaktanz geringer, wie das Beispiel
in Abb. 12.6b zeigt. Die Stabilitätsgrenzen von Abb. 12.6b lassen sich iterativ
bestimmen mit folgendem Schema
Vorgabe U
GI. (12.14)

mit den zusätzlichen Bedingungen

COS q
ue=u-
tos (PQ
12.1 Synchrongruppe am starren Netz 501

Um Missverständnissen vorzubeugen, sei vermerkt, dass in beiden Fällen der Abb.


12.6 der kritische Polradwinkel der Cl. (12.15) entspricht (e, = konstant, d.h. un-
geregelte SM, auch wenn U konstant ist). Im Abschn. 12.1.5 wird hingegen e, variiert
(geregelte SM) und uQkonstant gehalten..

12.1.5 Statische Stabilität mit Spannungsregelung


Der Zusammenhang zwischen Wirkleistung und Polradwinkel lässt sich durch
Einführung der Park'schen Komponenten mit den folgenden aus dem Zeigerdiagramm
Abb. 12.3 leicht ableitbaren Beziehungen bestimmen

Werden i,, i,, U,, U , eliminiert, folgt die Polradspannung e,

die in GI. (12.14) eingesetzt, zu

U), -
X
(3 "Q sh6,
. - - -
2
L
' Q

X
sin(2?jQ)
X d ~ (12.17)
mit X = X d "4,
~
Xd XqQ + X, (X, - xq)

Abb. 12.7. Stationäre Wirkleistung in Abhängigkeit vom Polradwinkel 6Qfur X, = 1.6,


X, = 1.1, xQ= 0.3 und uQ= 1 p.u. p, = Leistung der ungeregelten SM (Polradspannung
e, = konst., Punkt C entspricht e„„), p , = Leistung der geregelten SM ( U = 1)
502 12 Svnchronisierun~rund Polradwinkelstabilität

fuhrt. Abbildung 12.7 zeigt für eine feste Netzspannung (uQ= 1 p.u.) den Verlauf der
Leistung der geregelten SM (U = 1 p.u.) entsprechend GI. (12.17), und jener der
ungeregelten SM gemäß G1. (12.12) für drei Werte der Polradspannung.
Die statische Stabilität der spannungsgeregelten SM ist bei Betrieb in den Punkten
A, B oder C deutllch besser als jene der ungeregelten SM: die synchronisierende
Leistung dPIdsQund der Abstand zur Stabilitätsgrenze, die einem Polradwinkel von
weit mehr als 90" entspricht, sind erheblich größer, dies jedoch mit folgenden Ein-
schrankungen:
Die thermische Grenze des Erregerstromes entspricht i.d.R einer Polradspannung
von 2-3 p.u., liegt also zwischen A und B. Vorübergehend können höhere Werte
erreicht werden, doch wird die Polradspannung (besser der Polradfluss, s. Band 1,
Abschn. 6.4.1.1) durch das Erregersystem meist auf e„„ =: 4 p.u. begrenzt. Wird die
Begrenzung wrrksam, also ab Punkt C, wird die Leistung nicht mehr der Kurve P,,,
sondern der Kurve p, folgen. Um zu vermeiden, dass bei wirksamer Begrenzung die
SM aus dem Tritt fallt, muss der Punkt C stabil sein, d.h. diesseits des Scheitelwerts
der Kurve p, für e, = e„„, bleiben. Faktisch heißt das, dass die statischen Stabilitats-
grenzen der Abb. 12.6b auch bei Regelung nlcht uberschrrtten werden konnen.

Abb. 12.8. Stationäre Wirkleistung in Abhängigkeit vom Polradwinkel 6Qfür X, = 1.6,


X, = 1.1, xQ= 0.3 und Netzspannung uQ= 0.8 und 1.2 p.u., p, = Leistung der ungere-
gelten SM (Polradspannunge = konst.), p, Leistung der geregelten SM (u = 1 )
12.1 Synchrongruppe am starren Netz 503

Abb. 12.9. Stationäre Wirkleistung in Abhängigkeit vom Polradwinkel 15~ für X, = 1.6,
X, = 1. I , uQ = I p.u. Und drei Werte der Netzreaktanz xQ, P, = Leistung der ungeregelten
SM (Polradspannunge, = 4 p.u.), p, = Leistung der geregelten SM ( U = 1 p.u.)
Für andere Werte der Netzspannung uQergeben sich ähnliche Verhältnisse, wobei bei
hoher Netzspannung die Stabilität von Punkt C gefährdeter ist (Abb. 12.8). Dies gilt
auch für ein größeres xQ. Die Wirkung der Netzreaktanz zeigt Abb. 12.9.

12.1.6 Verhalten im Kurzzeitbereich


Bei Störung des Gleichgewichts in (P„ 6,) wird die synchrone Leistung, wie bereits
erwähnt, zunächst dem „transienten" Verlauf folgen. Bei Netzkopplung über die
Reaktanz xQsind die GI. (12.1 1 ) und Abb. 12.4 weiterhin gültig, wenn Spannungen,
Reaktanzen und Polradwinkel durch die mit Q indizierten Werte ersetzt werden. Für
die detaillierte transiente Analyse s. Abschn. 12.3 sowie [12.3], [12.6], [12.8].
Während der „transientenL' Phase bleibt die der Rotor-Flussverkettung propor-
tionale EMK e = [e, , eq] konstant und gleich zur transienten Polradspannung
e,' = [e„', e„']. Anschließend wird e entsprechend den Gln. (10.1 1) mit der Zeit-
konstanten T„ ' ändern und sich der neuen Gleichgewichtslage anpassen. Dement-
sprechend ändert die synchrone Leistung progressiv vom transienten zum neuen
stationären Wert. Wir können zwei Fälle unterscheiden:
- Ungeregelte SM: die Erregerspannung ist konstant, und die EMK e nimmt z.B. bei
Kurzschlüssen im Netz langsam ab. Die transiente Näherung liefert deshalb eher
zu optimistische Resultate.
- Geregelte SM: die Erregerspannung U, ändert zwar sehr rasch, unmittelbar nach
der Störung verhält sich jedoch die SM auf Grund der Trägheit der Rotor-Fluss-
verkettung zunächst wie die ungeregelte Maschine. Mit zunehmender Dauer wird
e im Sinne der Aufiechterhaltung der Spannung verändert, z.B. im Kurzschlussfall
e, entsprechend der Deckenspannung von u,progressiv vergrößert, was sich günstig
auf die synchronisierenden Kräfte auswirkt. Zu beachten ist jedoch, dass sich die
Dynamik des Spannungsregelkreises u.U. negativ auf die Dämpfung auswirken
kann (s. dazu auch Abschn. 12.2.2).
504 12 Synchronisierung und Polradwinkelstabilität

12.2 Dynamik der kleinen Störungen


Die Grundgleichungen der SM lauten nach Band 1, GI. (6.62), Abb. 6.37 in p.u.
A$d = - X&) Aid + G @ ) Auf
A$q = - xq(s) Aiq . (12.18)
Die SM werde ohne transformatorische Spannungen (t.S.) und Statonviderstand
modelliert. Zwischen Statorfluss und Spannung besteht dann die Beziehung

Bei Berücksichtigung der Netzreaktanz gilt (Zeigerdiagramm Abb. 12.3 oder Band
1, GI. 6.84)
Aud = Aued - X , Aiq
(12.20)
Auq = AuQq + X , Aid .
In GI. (12.19) eingesetzt und mit der Annahme n, = 1 p.u., folgt

Wird GI. (12.1 8) eingesetzt und nach den Strömen aufgelöst, erhält man
G(s) Au, - Au,

Dabei sind die von der Drehzahlabweichung abhängige Terme A n . $o vernachlässigt


worden, da diese bei Berücksichtigung der t.S. kompensiert werden (s. dazu Band 1,
Abschn. 6.6.7.2).
Die Änderung der Netzspannungskomponenten wird in Abhängigkeit von der
Modul- und Polradwinkeländerung ausgedrückt

Die Drehmomentabweichung folgt durch Linearisierung der Drehmomentbeziehung


Band 1 , Abschn. 6.7.1.4, GI. (6.138) zu
Am = iqO + Aiq $dO - A$q idO - Aid $qO . (12.24)
Bei Berücksichtigung der Gln. (12.18), (12.19), (12.22) und (12.23) kann schließlich
die Drehmomentabweichung in Funktion von A6„, Au- und der Regelgröße Au,
ausgedrückt werden
12.2 Dynamik der kleinen Störungen 505

Am = K(s) A6Q + Q(s) Au, + F(s) Auf

sin2bQ0 C O S ~ ~ ~ ,
mit K(s) = qQo + uQo (- + - 1
xdQ(s) X~Q(S)

Werden die mechanischen Gleichungen und die Netzkopplung berücksichtigt


dn
ma-m = Tm -
dt
) Am,- Am = Tm s An = Tm Tr s 2 AtiC! (1 2.26)
n-n T L 2
(mit T, = llo,), folgt das Blockdiagramm Abb. 12 10, welches die Dynamik der
kleinen Storungen der SM um Netz vollständig beschreibt. Ist die Wirkleistung null
(Leerlauf, Kompensator), ist auch 6Q,= 0, und somit F(s) = 0, Synchronisier- und
Spannungsregelkreis sind dann entkoppelt. Störgröße ist die Netzspannung uQ,deren
plötzliche Änderung (z.B. bei Kurzschlüssen im Netz oder Lastzu- bzw. -abschaltun-
gen) der Hauptanlass von Leistungspendelungen darstellt. Steuergrößen sind das
Antriebsmoment in,, das vom Drehzalilregelkreis, und die Erregerspannutig U,, die
vom Spannungsregelkreis kontrolliert werden.

Spannung-

Drehzahl-
regelkreis

Abb. 12.10. Synchronisierkreis der SM für n, = konst.

Beispiel 12.1
Ein Wasserkraftgenerator für 50 Hz mit lamellierten Polen (X,' = X,) hat folgende
Daten (p.u.): X,= 1.36, X, = 0.87,xdf= 0 . 3 1 5 , ~ , " = 0 . 2 1 2 , ~ ~=X,",
" X, = 0.12,
X, = 0.14, T,' = 0.68 s, T," = 0.034 s, T<,'' = T,", T„ = 6.51 s. Man ermittle das
Schwingungs- und Dämpfungsverhalten bei Netzbetrieb mit Netzreaktanz xQ= 0.2
506 12 Synchronisierung und Polradwinkelstabilität

p.u., für Leerlauf und Vollast cos cp = 0.8. Wie wirkt sich die Netzreaktanz auf das
Verhalten aus?
Nach Band 1, Abschn. 6.7.3, folgen die weiteren Daten: T„'=2.99 s, T„"= 0.0496 s,
T„" = 0.1396 s, T„, = 0.12 17 s und damit die Übertragungsfunktionen x,(s), x,(s)
und G(s). gemäß Band 1, Abschn. 6.4.2 (s. auch Abschn. 12.4, GI. 12.54), wobei, da
X,' = X, (lamellierter Rotor) auch Tl" ' = T, '.
Mit Netzreaktanz gilt xdQ(s)= xd(s) + X ( ) , xqQ(s)= X&S)+ X - . Zur Berechnung von
K(s) werden noch die bela~tun~sabhängi~en Daten benötigt. Im Leerlauf ist q„, = 0,
ijQ, = 0, U-, = U , . Bei Vollast cos cp = 0.8 erhält man mit der Annahme U , = 1 P.u. (s.
dazu Band 1, Abschn. 6.6.5 und 6.6.6)

Die Beziehungen (12.25) und (12.26) liefern für Au„ = 0 und bei Vemachlbsigung
des Einflusses von Drehzahl- und Spannungsregler den Zusammenhang

Der Nenner stellt die charakteristische Gleichung des Synchronisierkreises dar.


Einfacher lässt sich das Verhalten aus derübertragungsfunktion des aufgeschnittenen
Synchronisierkreises (Abb. 12.10)

ableiten, dessen Bode-Diagramm in Abb. 12.1 1 dargestellt ist. Die Schnittfiequenz


liefert mit guter Näherung die Schwingungsfrequenz und die Phasenreserve die
Dämpfung (Anhang 111.6). Mit obigen Zahlen ergibt sich eine Schnittfrequenzvon Ca.
8 radls und eine Phasenreserve von 25" im Leerlauf und von 13" bei Vollast.
Wird die Netzreaktanz zwischen 0 und 0.4 verändert, erhält man bei Vollast das
Resultat in Abb. 12.12. Mit zunehmender Netzreaktanz verringert sich die Schwin-
gungsfrequenz etwas, und die Dämpfung nimmt deutlich ab.
Für s + 0 liefert die Ubertragungsfunktion K(s) die statische synchronisierende
Leistung, da dann m„ = rn = p. Es gilt also

und die statische Stabilitätsgrenze folgt aus der Bedingung


12.2 Dynamik der kleinen Störungen 507

Bode Diagrams

Frequency (rad/sec)
Abb. 12.1 1. Bode-Diagramm der Übertrag~n~sfunktion K(s)l s*T,~T,des
Synchronisicrkreises von Beispiel 12.1, xa = 0.2 p.u., u = 1 p.u., für Leerlauf und Vollast
cos <P = 0.8

Bode Diagrams

f' 'C 1L 0 +?

Frequency (rad/sec)

Abb. 12.12. Bode-Diagramm der Übertragungsfunktion K(s)i s21',,Tr des


Synchronisierkreises von Beispiel 12.1, Vollast, xa veränderlich, u = 1 p.u.
508 12 Svnchronisierung und Polradwinkelstabilität

12.2.1 Wirkung der Drehzahlregelung


Die Schnittfiequenz des Drehzahlregelkreises ist i.d.R. deutlich kleiner als jene des
Synchronisierkreises und der Einfluss der Drehzahlregelung somit gering. Um deren
Wirkung zu überprüfen, kann aus Abschn. I 1.1, Abb. 1 1 . l , die Beziehung ermittelt
werden
Ama = Ap, = - R(s) G,@) An = - R(s) G,(s) s T A6, ,
die dazu führt, dass im Synchronisierkreis K(s) durch
K&) = K(s) + sTr R(s) GAS) (12.3 1)
zu ersetzen ist. Das Bode-Diagramm von (c(s)l s2T,T, liefert die gewünschte Informa-
tion.

12.2.2 Wirkung der Spannungsregelung


Der Zusammenhang zwischen SM-Spannung U, Netzspannung uQ Polradwinkel oQ
und Strombelastung folgt aus den Beziehungen (12.20) und (12.23), die zusammen
mit
2 2
U2 =
ud + uq - - > AU = Aud sinO0 + Auq c 0 s 6 ~ (12.32)
und gesetzt 6Q0 - 60 = ßo
zur Gleichung fuhren
Au = AuQ cosßo - A6, uQo sinßo + X, (Aid C ~ ~Aiq
O S - sin6,)
Werden die Ströme gemäß G1 (12.22) eingesetzt, folgt

Au = - KU(s)A6Q + Q,,(s) Au, + F ( s ) AU,.


mit

und es folgt das Blockschaltbild in Abb. 12.13 des Spannungsregelkreises, worin E(s)
den Erregerkreis einschl. Spannungsregler darstellt. Bei reiner Blindbelastung sind
6Q, , ,
= 6 = p = o , und somit ist K,,(s) = 0.
Die Übertragungsfunktion F,,(s) der Synchronmaschine stimmt nur in Abwesenheit
lokaler Lasten und bei Vernachlässigung des Widerstandsanteils der Netzimpedanz.
Für den allgemeineren Fall s. Abschn. 13.1.2.1.
12.2 Dynamik der kleinen Störungen 509

,Synchronisier- A 6 ~
kreis 1

Abb. 12.13. Spannungsregelkreis der SM


Die Wirkung der Spannungsregelung auf die Synchronisierung kann, gesetzt
Au, = -E(s) Au , (12.34)
aus den Gln. (12.25) und (12.31) durch Elimination von Au und Auf berechnet
werden

Am = KR@)A6, + QR(s) Au,

mit KR@) = Kg(s) + KU@) F(s)


1 +F&) E(s)

Aus K,(s) (bzw. aus dem Bode-Diagramm von K,(s)ls2T,T,) lässt sich die Wirkung
der Spannungsregelung auf Frequenz und Dämpfung der Synchronisierschwingungen
ermitteln. Stationär ist K,?(O) > K, (0), d.h. die statische synchronisierende Leistung
wird vergrößert, was bereits in Abschn. 12.1.5 hervorgehoben wurde. Die Dämpfung
kann in ungünstigen Fällen hingegen verkleinert oder gar negativ und das System
somit instabil werden [12.7], [12.4]. Um allenfalls diese ungünstige Wirkung zu
kompensieren und überhaupt, um allgemein die statische Netzstabilität zu erhöhen,
werden zur Drehzahländerung proportionale Zusatzsignale in die Spannungsregelung
eingeführt. In diesem Zusammenhang wird von Pendeldämpfungsgerät („power
System stabilizer") (Abb. 12.14) gesprochen.

12.2.3 Wirkung des Pendeldämpfungsgeräts


Ist D(s) die Übertragungsfunktion des Pendeldämpfungsgeräts, folgt aus Abb. 12.14
an Stelle der GI. (12.34) die Beziehung

Wird damit Au in G1.(12.33) eliminiert, folgt fur Auf


5 10 12 Svnchronisierun~und Polradwinkelstabilität

Abb. 12.14. Spannungsregelkreisder SM mit Pendcldämpfungsgerät D(s)

Ausdruck, der in GI. (1 2.25) eingesetzt, wieder zum Gleichungssystem (12.35) fuhrt,
mit dem Unterschied, dass jetzt K,(s) durch

zu ersetzen ist. Daraus lässt sich die Wirkung des Pendeldämpfungsgeräts auf Fre-
quenz und Dämpfung der Synchronisierschwingungen ermitteln. Die Übertragungs-
funktion D(s) wird meist als zweifaches PD-Element (Anhang 111.6) ausgeführt mit
einem zusätzlichen Differenzierfaktor DT(„wash out"), der sicherstellt, dass stationär
die Drehzahl keinen Einfluss auf den Spannungsregelkreis ausübt. Für die Daten des
Beispiels 12.1, eine Reglerauslegung gemäß Abschn. 13.1.2.2 und eine Pendeldämp-
fungsfunktion DT*(PD)', zeigt Abb. 12.15 die entsprechenden Übertragungsfunktio-
nen des Synchronisierkreises. Die Erhöhung der Phasenreserve weist die stabilisieren-
de Wirkung des Pendeldämpfungsgeräts nach.

Bode Diagrams

.................
................
..................................

...........
...........................
...............

.................................

Frequency (radlsec)
Abb. 12.15. Übertragungsfunktionen des Synchronisierkreises Beispiel 12.1 bei Vollast,
n ohne Spannungsregler, b mit Spannungsregler, C mit Spannungsregler und
Pendeldämpfungsgerät
12.3 Verhalten bei großen Störungen 51 1

12.3 Verhalten bei großen Störungen


Durch EinfGhrung des Schlupfes o = (n - n,) folgt aus der Mechanik-Gleichung
(12.26) mit n, = konst.

Durch Integration, ausgehend vom Gleichgewichtspunkt (m, = m,, 6Qo),folgt

Daraus kann für beliebige Störungen des Antriebsmoments oder des nichtlinearen
elektrischen Drehmoments m = f( 6Q,dsQ/dt,...) der Schlupfverlauf in Abhängigkeit
vom Polradwinkel (sog. Trajektorie) berechnet werden

Der Zeitverlauf fiQ(t)folgt aus GI. (12.39) durch Integration von dt = dfiQ T, lo

Ist z.B. m , während des dynamischen Vorgangs konstant und ändert m nach der
Funktion m = m, .sin 6Q(Bewegung des isotropen lamellierten Rotors, ohne Dämp-
fung), ergibt sich aus GI. (12.4 1)

D = 1- Tm
(m'7 6 Q + m1cos6, - c> mit C = m a 6 Q o + m ~ c o i 6 Q
, o
(12.43)

Da in p.u. (mit der Annahme n, = 1) m = p, gilt trunsient wegen GI. (12.1 1) sinn-
gemäß bei Berücksichtigung der Netzreaktanz: m, = U- e , l x d . Die Konstante Chängt
von den Anfangsbedingungen und den Störungsparametern ab.
Abbildung 12.16 zeigt in der Zustandsebene (6, o) die von GI. (12.43) beschriebe-
nen Trajektorien der Polradbewegung. Ausgehend vom Anfangspolradwinkel 6Qo,
sind die Kurven geschlossen, falls C > C,,,, dann ist die Bewegung stabil, obwohl
ungedämpft; sie sind hingegen offen, falls C < C,,,,dann nimmt der Schlupf unbe-
grenzt zu und die SM fallt aus dem Tritt. Aus Cl. (12.43) folgt

Die Maxima und Minima der Trajektorien ergeben sich aus d 0 I d 6 ~= 0, woraus

Stabilitätsgvenze für C m = maom + m l c o s 6 ,

6, und 6, sind unabhängig vom Anfangswinkel 60,. Für o = 0 ist doldbQ= W, außer
für C = C,,, und 6, = 6,. In diesem Fall folgt aus GI. (12.44), gesetzt 6Q= 6,-86 der
Grenzwert für ~ 60. % ~

Abb. 12.16. Darstellung der Polradbewegung im Zustandsraum (hO,0)gemäß


GI. (12.41) für m, = I und rn, = 2, Anfangspolradwinkel bO,,als Parameter
12.3 Verhalten bei großen Störungen 5 13

Abb. 12.17. a) Zeitverlaurdes Polradwinkels Tur 60„= 3 0 " , rn „ = 1 und rn, = 2 (stabil mit
und ohnc Dämpfung) sowie rn,= 1.5 (instabil), b) cntsprechendc Trajckloricn

Abbildung 12.17 zeigt den Zeitverlauf des Polradwinkels für instabile und stabile
Trajektorien mit und ohne Dämpfung (Simulation mit MatlabISimulink der Gln.
(12.39) mit m = m , sin 6„ ).

Flächenkriterium
Die GI. (12.40) lässt sich auch schreiben

Wp = 1(m, m) doQ
6 ~ o
-
) Wp-Wk=O, (12.47)
W = 1- 0T m 2
2 T*
worin W, die Arbeitsleistung der Drehmomentdifferenz (potentielle Energie) und W,
die kinetische Energie relativ zum Gleichgewichtspunkt bezeichnen. Diese Energien
werden in Abb. 12.18 durch Flächen dargestellt. Ausgehend vom Anfangs-pol-
radwinkel 6„, , erfahrt der Rotor zunächst eine Beschleunigung und weist beim
Passieren des Gleichgewichtspunktes 3 eine kinetische Energie entsprechend der
Beschleunigungsflachel23 auf. In der anschließenden Bremsphase wird der Schlupf
im Punkt 4 dann annulliert, wenn die Bremsflache 345 denselben Wert wie die Fläche
123 aufweist. Ab hier wiederholen sich die Vorgänge mit umgekehrten Vorzeichen.
Ohne Dämpfung pendelt der Polradwinkel zwischen 6„, und 6„, . Mit Dämpfung
nimmt die Amplitude der Pendelungen ab bis der Gleichgewichtspunkt 6„ = 6,
erreicht ist.
Mit den angenommenen Werten von m„ m , und Qo, ist der Vorgang stabil. Wird
der Wert von m , auf 1.5 reduziert, genügt die verfügbare Bremsfläche 365 nicht mehr,
um die Beschleunigungsfläche 123 zu kompensieren, und die SM fallt aus dem Tritt.
Die Stabilitätsbedingung lautet somit Fläche 365 > Fläche 123 oder 6„, < 6,. Mit
Dämpfung ist das asynchrone Moment von m, abzuziehen, womit sich die Fläche 123
5 14 12 Synchronisieiwng und Polradwinkelstabilität

Abb. 12.18. Flächenkriterium


reduziert und die Stabilität verbessert wird. Die Simulation zeigt, dass mit der
Dämpfung von Abb. 12.17 Instabilität erst fur m, = 1.1 auftritt.

12.3.1 Transiente Analyse


Allgemein setzt sich die Leistung oder exakter das elektrische Drehmoment m aus
synchronem und asynchronem Anteil zusammen, wobei anschließend an Störungen
das synchrone Drehmoment m, in erster Näherung dem transienten Drehmoment
gleichgesetzt werden kann. Wegen GI. (12.1 I), sinngemäss angewandt, folgt

wobei zunächst e, = e, 'und e, = eN '. Störungen des Gleichgewichts werden durch


Änderung des Antriebsmoments oder Veränderungen im Netz verursacht. Um das
Verständnis zu vertiefen, seien drei einfache Fälle näher analysiert:
- Rasche Änderung des Antriebsmoments,
- Kurzschluss im Netz,
- Zu- und Abschaltung einer Zwischenlast.
12.3 Verhalten bei großen Störungen 515

12.3.1.1 Rasche Änderung des Antriebsmoments


Das Antriebsmoment ändere plötzlich seinen Wert von m„ auf m,. Die Vorgänge
werden in Abb. 12.19 veranschaulicht und sind analog zu denen der Abb. 12.16 und
12.17. Das Flächenkriterium ist fur den Fall ohne Dämpfung eingezeichnet. Bei
Berücksichtigung der Dämpfung sind die fur das Stabilitätskriterium maßgebenden
Flächen das Integral der Differenz der spiralformigen Kurve (m, - m„,) und m,.

Abb. 12.19. Transientes Verhalten des Polradwinkels bei plötzlicher Änderung des
Antriebsmoments

12.3.1.2 Kurzschluss im Netz


Während der Kurzschlussdauer t, bricht die Spannung U„ zusammen. Im schlimm-
sten Fall ist die Netzspannung und somit auch das elektrische Drehmoment m null.
Aus GI. (12.41) folgt durch Integration mit der Annahme m, konstant (Vernachlässi-
gung der Wirkung der Drehzahlregelung) die Kurzschlusstrajektorie

o =I-Tm
r n a , / n 7

und durch Integration der GI. (12.42)


516 12 Synchronisierung und Polradwinkelstabilität

Der Synchronlauf bleibt erhalten, eine erfolgreiche Abschaltung des Kurzschlusses


vorausgesetzt (Kurzunterbrechung, Band 1, Abschn. 14.2.5), wenn im Zeitpunkt t,
die Kurzschlusstrajektorie den Stabilitätsbereich nicht verlassen hat (Punkt A in Abb.
12.20) oder wenn sie unter der Wirkung der Dämpfung in diesen wieder eindringt
(Punkt B,). Die SM fallt aus dem Tritt, wenn t, einen kritischen Wert überschreitet
(Punkte B, und C).
Die Interpretation in der (6, m)-Ebene und das Zeitverhalten von Polradwinkel und
Drehzahl bei stabilem und instabilem Verhalten zeigen die Abb. 12.21 und 12.22.

Abb. 12.20. Trajektorien bei Netzkurzschlüssen verschiedener Dauer

Abb. 12.21. Transientes Verhalten in der (6, m)-Ebene bei Netzkurzschluss (Flächen-
kriterium) a) stabiler Fall tK= 90 ms, b) instabiler Fall tK= 120 ms
12.3 Verhalten bei grossen Störungen 5 17

Abb. 12.22. Zeitverhalten von Polradwinkel und Schlupf bei Netzkurzschluss im


stabilen und instabilen Fall

12.3.1.3 Zu- und Abschaltung einer Zwischenlast


Die untersuchte Schaltung ist in Abb. 12.23 dargestellt. Die Simulation (s. dazu auch
Abschn. 12.3.2) ergibt fur die Zuschaltung einer Impedanzlast von 80% der Turboge-
neratornennlast, mit Netzimpedanzen xQ„= X = 0.1 p.u., die in Abb. 12.24a und
Q?
12.24b wiedergegebene Verschiebung der transienten Charakteristik. Der zugrunde-
liegende stationäre Zustand entspricht einer Generatorleistung p = 0.2 p.u. Bei reiner
Wirklast verschiebt sich die Kennlinie leicht nach oben links, bei rein induktiver Last
(B < 0 ) leicht nach unten b m . fiir kapazitive Last nach oben. Um bei relativ starren
Netzen mit parallelen Impedanzen eine stabilisierende Wirkung

ho f

starres
Netz

Abb. 12.23. Netzverbindung mit Zwischenlast


5 18 12 Synchronisierung und Polradwinkelstabilität

Abb. 12.24. Verschiebung der transienten Kennlinie bei Lasteinschaltung Y, = G + j B,


xQ= 0.2 p.u., xQ, = xQ, a) rein ohmsche Last b) rein induktive oder kapazitive Last

zu erzielen, muss die zugeschaltete Leistung ein Mehrfaches der Nennleistung sein,
was nur kurzzeitig zulässig ist (Abschn. 12.3.2).
Die Kennlinienverschiebungist etwa proportional zur Größe der Netzimpedanz. Sie
ist außerdem um so stärker,je näher sich die Last an der SM befindet. Der Fall wurde
analytisch in [12.4], [12.5] im Detail untersucht.
Kritisch bezüglich Stabilität kann die Ausschaltung einer sich in der Nähe der SM
befindlichen Wirklast im Fall eines weichen Netzes werden. In Abb. 12.25, mit
Netzreaktanz xQ= 0.4 p.u. und xQ, /xQi= 19, ist der Vorgang noch stabil: ausgehend
vom stationären Punkt A, verschiebt sich das synchrone Drehmoment un-mittelbar
nach der Lastabschaltung nach B, um sich dann in C einzupendeln. Der Polradwinkel
wird vergrößert und die Stabilitätist, wie die Anwendung des Flächenkriteriums zeigt,
bei einer noch größeren Abschaltung oder ein noch weicheres Netz gefährdet. Der
Pendelvorgangwird durch das asynchrone Drehmoment (proportional zum Schlupf)
veranschaulicht.

Abb. 12.25. Wirkung der Abschaltung einer sich in der Nähe der SM befindlichen
Wirklast bei weichem Netz, auf die transiente Kennlinie: I Kennlinie vor der Abschaltung,
2 Kennlinie nach der Abschaltung
12.3 Verhalten bei grossen Störungen 5 19

12.3.2 Stabilisierungsmaßnahmen
Die Stabilität ist bei Kurzschlüssen im Netz umso besser gewährleistet, je größer das
transiente Drehmoment der netzgekoppelten SM, und je besser die Dämpfung des
Synchronisiervorgangs sind (s. Abb. 12.20 - 12.22).
Die Dampfung kann durch Zusatzsignale in der Spannungsregelung (Pendel-
dämpfungsgerät) verbessert werden (Abschn. 12.2.2, 12.2.3, Gln. 12.35, 12.38).
Das (synchrone) transiente Drehmoment wird, wenn von der Anisotropie des
Rotors abgesehen wird (d.h. X,' = X,' setzt), im einfachen Fall der Abb. 12.5 ent-
sprechend GI. (12.48) von
U e
ms = I
,in&;
X d ~

gegeben (6Q' = aQ+ a, gemäß Zeigerdiagramm Abb. 12.3).


Die Amplitude des Drehmoments, und somit, wegen des Flächenkriteriums, auch
die Stabilität, können verbessert werden durch
- Verkleinerung der Reaktanz X,; durch Seriekompensation. Die stabilisierende
Wirkung der Seriekompensation wurde bereits in Band 1, Abschn. 9.5 aus anderer
Sicht hervorgehoben.
- Vorübergehende Erhöhung der transienten EMK e, durch Forcierung der Erre-
gung (s. auch Polradwinkelbegrenzung, Band 1 , Abschn. 6.6.2.5) (nur verzögert
wirksam), was zu einer Erhohung der SM-Spannung fuhrt oder, was gleich wirkt,
durch Verminderung der Ubersetzung des Maschinentransformators.
Weitere Maßnahmen sind das vorübergehende Ein- oder Ausschalten von Paral-
lelimpedanzen sowie der Einsatz von Transformatoren mit Querregelung oder
entsprechender FACTS-Geräte.
Um die Wirkung all dieser Maßnahmen zu untersuchen, sei von der allgemeineren
Netzverbindung Abb. 12.26 ausgegangen, die mit Parkvektoren von folgendem p.u.
Gleichungssystem beschrieben wird
520 12 Synchronisierung und Polradwinkelstabilität

Abb. 12.26. Netzverbindungsmodell zur Berücksichtigung von Parallel- und Serie-


kompensation sowie Transformator mit Längs- und Querregelung oder entsprechender
FACTS-Geräte (e', X,' = transiente Grössen).
Die Reaktanz X, schließt die Transformatorreaktanz ein. Von der Reaktanz X, oder X,
ist die Reaktanz X, der evtl. Seriekompensation abzuziehen. Längs- und Querwerte
sind nur für die SM-Reaktanzen X, und X,' verschieden. Bei Vorgabe von uQund e,'
ergeben sich die transienten Lösungen (E = Einheitsmatrix, n, = 1)

mit X,= E+x;(x;'+Y~), X;=TX:T+X,


4 (12.53)
ii = F[x;'(Ü, - üQ) + Y, 31 )
t -
m, s p , = ül * i l .
ül = 0', -
Die Komponenten von uQfolgen aus uQd= uQsin a Q ,%, = uQcos a Q ,und e,' kann
vorgängig mit einer stationären Berechnung (Vorgabe der Leistung) berechnet
werden.
Die Abb. 12.27 zeigt zwei Beispiele. Die vorübergehende Zuschaltung eines
Wirkwiderstandes („Bremswiderstand', engl. „braking resistor") in der Nähe der SM
unmittelbar nach Klärung des Kurzschlusses hat durch die Anhebung der Charakter-
istik einen stabilisierenden Effekt, wie der Vergleich der Bremsflächen in Abb.
12.27anachweist. Eine ähnliche Wirkung erzielen über Leistungselektronik gekoppel-
te supraleitende Spulen, mit dem Vorteil, dass die Energie rekuperierbar ist.
Stabilitätsverbessernd wirkt auch die Einfihrung einer Querspannung durch Quer-

Abb. 12.27. Transiente Drehmomentkennlinie a) Wirkung eines Bremswiderstandes in


der Nähe der SM b) Wirkung einer Querspannung (Transformator mit Querregelung,
ß = 30" oder FACTS-Gerät)
12.3 Verhalten bei grossen Störungen 521

transformatoren oder entsprechende FACTS-Geräte, wie die Abb. 12.27b veranschau-


licht. Die Verschiebung nach rechts vergrößert deutlich die Stabilitätsreserve. Bei
kleinen Polradwinkeln kann auch eine Verschiebung der Kennlinie nach links vorteil-
haft sein.
Die Wirkung von Queradmittanzen normaler Leistung ist i.d.R. bescheiden, wie die
Abb. 12.24 zeigt. Wird jedoch die Änderung einer zu Kompensationszwecken
vorgesehenen parallelen Admittanz G +j B über leistungselektronische Einrichtungen
(FACTS) mit der Drehzahlabweichung vorzeichenrichtig kontinuierlich moduliert,
kann damit eine Verbesserung der Dämpfung des Synchronisiervorgangs erzielt
werden [ I 2.41.
Eine weitere Eingriffsmöglichkeit bietet die Drehzahlregelung, über welche in
thermischen Kraftwerken im Kurzschlussfall während der Kurzschlussdauer eine
rasche vorübergehende Verminderung der Antriebsleistung eingeleitet werden kann
(„fast valving", s. dazu auch Abschn. 1 1.1.2). Damit lässt sich z.B. mit Bezug auf
Abb. 12.2 1 b die Beschleunigungsfläche vermindern und die Stabilität zumindest bei
guter Dämpfung erhalten.
Ein solcher Eingriff ist in hydraulischen Kraftwerken auf Grund der Druckstoss-
gefahr nicht möglich. Sind jedoch z.B. zwei gleiche Gruppen parallelgeschaltet, kann
im Kurzschlussfall, einer der beiden Generatoren synchron mit der Abschaltung des
Kurzschlusses vom Netz genommen werden („generator tripping"). Dadurch halbiert
sich die Antriebsleistung, während sich die transiente Kennlinie zwar etwas, wegen
der Erhöhung der Netzreaktanz, jedoch nicht im gleichen Masse verschiebt. Dies hat
zur Folge, dass die zur Verfügung stehende Bremsfläche und somit die Stabilitäts-
marge erhöht werden.
Subsynchroneschwingungen: Die Seriekompensation mit einer Kapazität kann zu
subsynchronen Schwingungen Ca. der Kreisfrequenz (U, IIJLC) fuhren [12.7].
-

Diese ergeben sich aus der Resonanz der Seriekapazität C mit der Längsinduktivität
L (SM + Transformator + Leitungen). Für deren exakte Berechnung müssen sowohl
die SM als auch die Netzverbindung mit den transformatorischen Spannungen
modelliert werden (s. dazu Abschn. 12.4).
Diese subsynchrone Frequenz kann vor allem mit den Torsionsschwingungen
interagieren und diese gefährlich verstärken. Eine diesbezügliche Analyse ist deshalb
zu empfehlen.

Beispiel 12.2
Eine Schenkelpolmaschine mit den Daten: S, = 100 MVA, X, = 1.6 p.u., X , = 1 p.u.,
X,' = 0.35 p.u., X„'= 1 .p.u. wird über die Netzverbindung von Abb. 12.26 mit dem
starren Netz gekoppelt. Die Daten sind r = 1 p.u., X , = 0.14 p.u., X, = 0.06 p.u.,
yL=gL= 0.9 p.u. Der stationäre Zustand ist durch p, = 0.8 p.u., u = 1 p.u., uQ= 1 p.u.
definiert.
522 12 Synchronisierung und Polradwinkelstabilität

Abb. 12.28. Resultate der Berechnung Beispiel 12.2 a) ohne b) mit


Seriekornpensation

a) Man bestimme die statische und die transiente Leistung in Abhängigkeit vom
Polradwinkel.
b) Wie verändern sich die Leistungen, wenn die Reaktanz X, durch Seriekompen-
sation auf 0.06 p.u. reduziert wird?
Die stationäre Berechnung ergibt e, = 1.63 p.u., e,' = 0.973 p.u. Den Leistungsverlauf
nach den Gln. (12.52) und (12.53) zeigt Abb. 12.28.

12.4 Modellierung mit subsynchronen Schwingungen


12.4.1 Synchronmaschine
Subsynchrone Schwingungen können bei Seriekompensation (Abschn. 12.3.2) auf-
treten, wobei die Interaktion mit den Torsionsschwingungen zu überprüfen ist. Auf
Grund der relativ hohen Frequenzen müssen die transformatorischen Spannungen
(t.S.) berücksichtigt werden. Als Modell kann jenes der Abb. 6.72 in Band 1 genom-
men werden (für die Parameterberechnung s. Band 1, Abschn. 6.7.3.) oder ein
Übertragungsfunktionen-~odellmit Strom als Ausgangsgröße gemäß Abb. 10.2
(modifiziert mit j$ an Stelle von U und $, statt e, ) und vorgeschaltetem (t.S.)-Block,
wie in Abb. 12.29 dargestellt.

4 i
JY
- T* Abb 10.2
SM 1,'
Abb. 12.29. SM-Modell mit Übertragungsfunktionen und vorgeschaltetem (t.S.)-Block
12.4 Modellierung für subsynchrone Schwingungen 523

12.4.2 Netzverbindung
Das Gesamtmodell des Kraftwerks zeigt Abb. 12.30. Für die Spannungsregelung sei
auf Abschn. 13.1.2 verwiesen. Für die Netzverbindung genügt, falls nicht motorische
Zwischenlasten vorhanden sind, eine stationäre Darstellung, z.B. entsprechend Abb.
12.26 (die fünf ersten der Gln. 12.52). Die lmpedanzen von Netz und Last sind
allerdings mit t.S. zu modellieren. Im Fall motorischer Last ist die Dynamik ent-
sprechend Abschn. 10.2.2 zu modellieren.
Als einfaches Beispiel sei der Fall einer Netzverbindung, bestehend aus der
Serieschaltung von Netzwiderstand R„ , Netzinduktivität L„ und Seriekapazität C,
behandelt. Dann gilt die Parkzeigerbeziehung (Band 1)

Mit den Bezugsgrößen U , , Zr = U>/S, folgen die p.u. Beziehungen

In Parkvektorform geschrieben, lautet dieser Zusammenhang

Xc Xc
mit X, = xQ + - , x2=xe--
1 +s2T; 1 +s2Tr2

hydraulisches
thermisches Torsion SM verbindung,
Last
System
F ----

Polar-dq-
Transformation
1% 1
Abb. 12.30. Gesamtmodell des netzgekoppelten Kraftwerks
524 12 Synchronisierung und Polradwinkelstabilität

Bei Vernachlässigung der transformatorischen Terme ist in den Gln. (12.54) oder
(12.55) sT, = 0 zu setzen.

12.4.3 Polar-dq-Transformation
Aus p.u. Netzfrequenz und p.u. Drehzahl folgt der Polradwinkel 6Q (GI. 12.26).
Durch Transformation der Polarkoordinaten (uQ, 6Q) in Park'sche Komponenten
(Zeigerdiagramm Abb. 12.3) erhält man

12.4.5 Mechanik
Im einfachsten Fall gilt

Bei Einbezug der Torsionsschwingungen kommt an Stelle dieser Gleichung folgende


allgemeinere p.u. Gleichung im Zustandsraum (entsprechend Abschn. 12.1.1)

mit X, =

wobei wegen der p.u.-Darstellung in Ab A, und B folgende Größen zu ersetzen sind:


J durch T,, K, durch k,/Tr und K durch k, mit p = Polpaarzahl, M„ = Bezugs-
drehmoment

12.4.6 Hydraulisches oder thermisches System und Drehzahlregelung


Für das hydraulische System sei aufAbschn. 4.5 und fiir das thermische System sowie
die Drehzahlregelung auf die Abschn. 5.5.4, 5.5.5 und 1 1.1 verwiesen.
12.5 Transiente Analyse von Mehrmaschinensystemen 525

12.5 Transiente Analyse von Mehrmaschinensystemen


Die exakte Untersuchung der Dynamik von Mehrmaschinensystemen kann mit einer
nichtlinearen Modellierung und Simulation des Systems durchgeführt werden (Kap.
10). Für kleine Störungen genügt eine lineare Analyse, dazu s. Abschn, 12.6.
Während einer kurzen Zeit nach der Störung befinden sich die Synchronmaschinen
im transienten Zustand, und eine entsprechende vereinfachte transiente Analyse ist
möglich. Im Folgenden wird diese Methode näher dargelegt.
Ausgegangen sei vom Netz mit m Generatoren der Abb. 12.3 1. Für eine bekannte
Netzstruktur und Lastsituation lassen sich durch eine Lastflussberechnung der
stationärezustand desNetzes und damit alle Spannungen, Ströme und Leistungen vor
der Störung ermitteln (Band 1, Abschn. 9.3, 9.6). Insbesondere sind dann auch die
transienten Quellenspannungen aller Generatoren bekannt, die den Ausgangspunkt für
die transiente Analyse des Systems darstellen..

12.5.1 Elektrisch statische Darstellung der Generatoren


Im Rahmen der transienten Analyse werden die Generatoren elektrisch durch ein
statisches Modell beschrieben. Die Dynamik betrifft lediglich den mechanischen Teil.
Physikalisch lässt sich diese Näherung durch die große Trägheit des Polradflusses der
SM begründen. Die Resultate sind jedoch nur für Vorgänge kurzer Dauer zuverlässig.
Der i-te Generator ist elektrisch durch folgende Gleichungen bestimmt:

Die erste Gleichung beschreibt mit Parkvektoren den stationären und die zweite den
transienten Zusammenhang zwischen Quellenspannung und Klemmenspannung der
SM. Sind LJ, und 1, aus der Lastflussberechnung bekannt, lassen sich daraus E, und
- ' bestimmen.
E,

Abb. 12.31. Netz mit m Generatorgruppen, elektrisch stationärc Darstellung


526 12 Synchronisierung und Polradwinkelstabilität

Die Dynamik wird durch die mechanischen p.u. Gln. (12.26) beschrieben

wobei die Polradwinkel tjQ, als Winkel zwischen der q-Achse der maschineneigenen
dq-Systeme und einem beliebig festzulegenden, mit synchroner Geschwindigkeit n,
rotierenden Spannungszeiger aufzufassen sind (Abb. 12.32).

- - -
Die Abweichungen der Drehzahlen vom Synchronismus sind gering, und mit guter
Näherung kann an Stelle des Drehmoments auch die Leistung p = m . n m . n, m
(mit der Annahme n, I) verwendet werden. Werden schließlich physikalische
Einheiten eingeführt, lauten die Gleichungen

S.
mit der Trägheitskonstante Mi = Tmi 2 , ( U $ =ur für n,= 1 ) .
Or
Der m-te Generator werde als Bilanz-Generator definiert. Für Stabilitätsbetrachtun-
gen ist es dann sinnvoll die Polradbewegung der anderen Generatoren relativ zur
Bewegung dieses Generators hervorzuheben, durch Definition des relativen Pol-
radwinkels
6 ~ m = 6QI - 6Qm (1 2.63)
Die Gln. (12.62) werden dann zu

12.5.2 Netzdarstellung
Die Last sei durch statische Elemente darstellbar. Das Netz bestehe aus n Knoten,
wovon m Generatorknoten. Durch Anwendung der „direkten Methode" lässt sich mit
Hilfe der geordneten Knotenadmittanzmatrix das Netz durch die Gln. (9.23) des
Abschn. 9.3.2.1 von Band 1 beschreiben (Reihenfolge G, L umgestellt)
12.5 Transiente Analyse von Mehrrnaschinensystemen 527

Darin ist U, der Vektor der Generatorspannungen und U, der Vektor der übrigen
Knotenpunktspannungen (Lastknoten). Bei reiner lmpedanzlast (für den allgemeine-
ren Fall s. Abschn. 12.5.5) lassen sich die Lastfunktionen durch
X<UL)= -ILlULI (12.66)
ausdrücken, und die Impedanzen Y„ in die Diagonalkoeffizienten der Admittanz-
matrix D integrieren, die somit zu D, wird. Das äquivalente System ist „unbelastetL',
und alle (n-m) Lastknoten sind durch Reduktion der Knotenadmittanzmatrix nach
Abschn. 9.3.3, Band 1, eliminierbar. Die Netzgleichungen werden
-
IG =
+
Y LiG, mit Y = A-B.D;'-c

12.5.3 Die elektrische Leistung


Die Referenzsysteme für Generator- und Netzgrößen wurden in Band 1 , Abschn. 6.9,
eingeführt und werden in Abb. 12.32 nochmals veranschaulicht. Die Wirkleistungdes
Generators kann im Referenzsystem des Generators durch

ausgedrückt werden. Wird GI. (12.60) eingesetzt, folgt stationär

Man beachte, dass bei Vernachlässigung der Anisotropie des Rotors (X, = x, ), der
zweite Term verschwindet.

U, = U sin (6, - 9 )
U, = U cos (6, - 9)

I, = I sin (6, - 9,)


I, = I cos (6, - 9,)

Abb. 12.32. Referenzsysteme für SM (d,q) und Netz (Re,lm)


528 12 Synchronisierung und Polradwinkelstabilität

Die Netzgleichungen (12.67) sind im Referenzsystem des Netzes ausgedrückt.


Werden Strom und Spannungen durch ihre Real- und Imaginärkomponenten dar-
gestellt, erhält man

oder mit Spaltenvektoren geschrieben, lautet dieser Ausdruck

Die Transformation Maschinen- zu Netzkoordinaten ergibt sich leicht aus den


Gleichungen in Abb. 12.32 mit U, = U cos 8, U,,, = U sin 6 und analog für I zu

Ü = T 0, = T , mit T = 1 sinljQ cosGQ


1.
-cosGQ sit16~
(12.7)

Für die orthogonale Transformationsmatrix T gilt

12.5.3. I Netzdarstellung in Cetzeratorkoordinaten


Mit Hilfe dieser Transformation kann die Netzgleichung (12.70) in Generator-
koordinaten (mit Parkvektoren) ausgedrückt werden

Die Auswertung des Ausdrucks T, ' Y„ T, ergibt

6, = 6QI - 6, = aim - Gkm


(R = Rotationsmatrix).
12.5 Transiente Analyse von Mehrmaschinensystemen 529

12.5.3.2 Cesumtsystem in Parkvektordarstellung


Wird U, entsprechend G1. (12.60) und die GI. (12.74) in GI. (12.73) eingesetzt, folgt

Dieses Gleichungssystem lässt sich nach den Strömen auflösen, die in Funktion von
Quellenspannungen und Netzstruktur ausgedrückt werden können. Man erhält mit
HÜ = E + YÜ X,
(12.76)
H, = Cik X, , für k + i,
worin E = (2x2)-Einheitsmatrix, die Matrixgleichung

oder einfacher

- - i = Y G E mit Y G = ~ - l c

C , H und Y, sind (2mx2m)-Matrizen. Y, ist die reduzierte Knotenpunktadmittanz-


matrix in Generatorkoordinaten. Für Generatorstrom und Generatorleistung folgen
schließlich durch Einbezug der GI. (12.69) die Parkvektorgleichungen

Dieser fundamentale Zusammenhang drückt Generatorstrom und Generatorleistung


in Abhängigkeit von allen Quellenspannungen und Knotenpunktadmittanzen aus,
wobei diese ihrerseits Funktionen der Polradwinkeldifferenzen 6„ oder wegen GI.
(12.74) auch der Polradwinkel aQ,oder der (m-I) Variablen 6„ sind .
Der Zusammenhang wird vom Blockdiagramm in Abb. 12.33 veranschaulicht. Das
Gleichungssystem (12.78) fur den stationären Zustand mit m Gleichungen und (m-I)
unbekannten Polradwinkeln ist nicht überbestimmt, da die Leistung P„ des Bilanz-
knotens die Wirkleistungsbilanz erfullen muss. P, wird von P„, über die Frequenzlei-
stungsregelung automatisch so gesteuert, dass stationär o,= Sollfrequenz = W,.
Werden in allen Gleichungen die stationären Werte E und X, der SM durch die
transienten Werte E' und X, ' ersetzt, ergeben sich der transiente Strom und die
transiente Leistung
530 12 Synchronisierung und Polradwinkelstabilität

Daten: Netzstruktur, E. X,. E'. X, ---> Pi = f( oIm .... %I, ) 1


Abb. 12.33. Blockdiagramm des Mehrmaschincnsystems,
FLR = Frequenzleistungsregelung (Sekundärregelung)

Zur näheren Erläuterung werden nachfolgend die Fälle des Zwei- und Dreima-
schinen-Systems anhand konkreter Zahlenwerte für einfache Netzverbindungen
durchgespielt.

Beispiel 12.3: Zwei-Maschinen-System


a) Für das Zwei-Maschinen-System der Abb. 12.34 sind der Verlauf der
statischen und transienten Leistung zu bestimmem. Die Daten der SM 1 sind
mit jenen des Beispiels 12.2 (Abschn. 12.3) identisch, ebenso der stationäre
Zustand. Auch die Daten des Netzes seien die gleichen, es werde jedoch
auch die ohmsche Komponente der Leitungsimpedanzen berücksichtigt .
Somit gilt in p.u. der SM: zl = 0.04 + j 0.14, 22 = 0.02 + j 0.06. Für den
Turbogenerator SM 2 gilt: Sr?= 500 MVA, xd = 2 p.u., X, = 1.95 p.u., X,'
= 0.3 P.u., X,' = 0.35 p.u.

b) Man vergleiche die Resultate mit dem Fall S„ = (starres Netz)

XSI'

(-,F=-
-\

-1 E,'
XSI

Abb. 12.34. Zwe-Maschinen-System zu Beispiel 12.3


12.5 Transiente Analyse von Mehrmaschinensysteinen 53 1

Abb. 12.35. Resultate der Berechnung Beispiel 12.3 a) SM 2 : 500 MVA b) SM 2:

Die mit den Beziehungen (12.78) sowie (12.79) erhaltenen Resultate zeigt die Abb.
12.35. Die Resultate der Abb. 12.35b (So = W ) stimmen wie erwartet weitgehend mit
jenen der Abb. 12.28a überein (kleine Unterschiede, auf Grund ohmscher Komponen-
ten der Leitungsimpedanzen). Wird das starre Netz durch eine SM endlicher Leistung
ersetzt, wird die Stabilität verschlechtert, wie die Abb. 12.35~1
deutlich zum Ausdruck
bringt. In Abb. 12.3% sind die stationäre und die transiente Leistung beider Maschi-
nen in Funktion von 6„ bzw. 6„ dargestellt. Für die Interpretation der Leistungen der
SM 2 ist zu beachten, dass 6„ = - 6„.

Beispiel 12.4: Drei-Maschinen-System


Abbildung 12.36 zeigt das der Berechnung zugrundeliegendes Schema.

Abb. 12.36. Schema zu Beispiel 12.4


532 12 Synchronisierung und Polradwinkelstabilität

Die Daten sind:


SM 1: S, = 100 MVA, X, = 1.6 p.u., X, = 0.8 p.u., X,' = 0.35 p.u., X,' = 0.8 p.u.
SM 2: Sr= 200 MVA, X, = 1.9 p.u., X, = 1.85 p.u., X,' = 0.25 p.u., X,' = 0.3 p.u.
SM 3: Sr= 500 MVA, X, = 2 p.u., X, = 1.95 p.u., X,' = 0.3 p.u., X,' = 0.35 p.u.
Last: Y, = 0.0063- j 0.003 l/Q,
Zweigimpedanzen in p.u. der SM 1:
L12: 0.02 + j 0.08, L13: 0.04 + j 0.14, L14: 0.015 + j 0.06
L23: 0.04 + j 0.14, L24: 0.015 + j 0.06
L34: 0.02 +j 0.09
Leitungskapazitäten (in Knoten konzentriert):
Ycl = 0.0007, Yc2 = 0.0007, Yc3 = 0.0009, Yc4 = 0.0005 I/Q.

Abb. 12.37. Beispiel 12.4 a) stationäre b) transiente Leistungsfläche von SM1 in


Funktion der beiden Polradwinkel relativ zum Bilanzgenerator.

Abb. 12.38. Beispiel 12.4 a) stationäre b) transiente Leistungsfläche von SM2 in


Funktion der beiden Polradwinkel relativ zum Bilanzgenerator.
12.5 Transiente Analyse von Mehrmaschinensystemen 533

Die Lastflussberechnung wird mit SM 3 als Bilanzgenerator und den Vorgaben:


P1 = 8 0 M W , P 2 = 150MW, ul = I, u 2 = l.Ol,undu3 = 1 p.u.,durchgefiihrt.
Man erhält P3 = 56.5 MW, Q l = 3.1 MVAr, Q2 = 35.7 MVAr, Q3 = - 16.3 MVAr,
6„, = 18.7", 6,;, = 33.2".
Die Abb. 12.37 und 12.38 zeigen die mit den Gln. (12.73), (12.82) und (12.83)
berechneten stationären und transienten Leistungsflächen der SM I und SM 2 in
Abhängigkeit von den beiden Polradwinkeln 6„ und 6„. In Abb. 12.39 ist ein ver-
tikaler Schnitt durch die Leistungsflächen für beide Maschinen gegeben, der die
stationäre und transiente Leistung in Funktion des eigenen Polradwinkels in rad
darstellt. Stationär arbeitet SM 2 nicht weit von der statischen Stabilitätsgrenze.
Die Kennlinien können für beliebige Netzzustände ermittelt werden. So zeigt Abb.
12.40 die transienten Kennlinien beider Generatoren SM 1 und SM 2 vor und wäh-
rend eines satten Kurzschlusses im Knotenpunkt 4 des Netzes Abb. 12.36. Da der
Kurzschluss in diesem Fall generatorfern ist, wird die Stabilität erst bei einer Dauer
des Kurzschlusses von mehr als 0.5 s kritisch (s. dazu auch Abschn. 12.3.1).

Abb. 12.39. Beispiel 12.4, Schnitt durch die Leistungsflächen Abb. 12.37 bzw. 12.38
p = stationäre Leistung, p' = transiente Leistung

4, I 4,

4 3 a23

Abb. 12.40. Beispiel 12.4, transiente Kennlinien der SM I und 2 vor (p3 und während
(p,3 des Kurzschlusscs im Knotenpunkt 4
12.5.4 Systeme mit m > 3
Ähnliche Berechnungen können fur Systeme mit mehr als drei Maschinen durch-
geführt werden, wobei die Leistungen als Hyperflächen im m-dimensionalen Raum
erscheinen, die durch entsprechende Schnitte veranschaulicht werden können. Die
praktische Grenze von Berechnungen dieser Art ist bei zunehmendem m durch die
stark zunehmende Rechenzeit gegeben. Werden nicht die Hyperflächen, sondern nur
die bei Stabilitätsanalysen momentan wirksamen Leistungen berechnet (in Mat-
labISimulink, z.B. mit S-functions) steigt der Rechenaufivand weniger dramatisch an.
Die Anzahl Maschinen kann durch Netzreduktion (Modelle mit Teilnetzen, die
jeweils nur eine SM umfassen, Abschn. 12.5.7) begrenzt werden.

12.5.5 Spannungsunabhängigkeit der Last


Die Last ist bisher als Impedanzlast dargestellt worden, was eine quadratische
Abhängigkeit der Leistung von der Spannung impliziert. Motorische Lasten beispiels-
weise sind jedoch, was die Wirkleistung betrifft, nach kurzer Zeit nahezu spannungs-
unabhängig (s. Abschn. 12.4). Um diesen Effekt zu berücksichtigen, kann der quadra-
tische Ansatz

verwendet werden, der einen Konstantleistung-, einen Konstantstrom- und einen


lmpedanzlastanteil enthält. Der entsprechende Laststrom ist

Um die Berechnung der transienten Leistung ohne zusätzliche rechenzeitaufwendige


Iterationen durchzuführen, kann der erste Term auf der rechten Seite im stationären
Betriebspunkt linearisiert werden, wodurch der spannungsunabhängige Lastanteil
durch einen Konstantstrom und eine negative Admittanz näherungsweise erfasst wird.
Man erhält aus GI. (12.80) für einen beliebigen Lastknoten

An Stelle der GI. (12.66) tritt die Gleichung

Wird die Admittanz I„,wieder in die Diagonalterme der Matrix D integriert, folgt
analog zu GI. (12.67)
12.5 Transiente Analyse von Mehrinaschinensystemen 535

lGi,
ist die komplexe Komponente des m-dimensionalen Vektors I„. Wird sie als
Spaltenvektor geschrieben mit Real- und Imaginärteil, folgt analog zu GI. (12.70)

und in den GI. (12.75) muss schließlich lediglich

C, I?, durch Cik + fGIO


k= 1 k= 1

ersetzt werden.

12.5.6 Stabilität im Großen


Sind durch die vorangehende Berechnung die transienten Leistungen P,' (6„ ....
6,.,,) für den gewünschten Zustand bekannt, kann aus GI. (12.64) durch Aufspaltung
von P, in transiente und asynchrone Leistung die ( m 1)-dimensionale Zustandsglei-
chung geschrieben werden

worin M die Diagonalmatrix der Trägheitskonstanten, K, jene der Dämpfungs-


koeffizienten und P' den Vektor der transienten Leistungen darstellt. Für die Be-
rechnung von K, s. Abschn. 12.2; wesentlich kann der Einfluss von Spannungs-
regelung und Pendeldämpfungsgerät sein. Für den Bilanzgenerator gilt ferner die
Gleichung

Abb. 12.41. Blockdiagramm zu den Gleichungssystemen ( 1 2.85), ( 12.86)


und es ergibt sich das in Abb. 12.41 dargestellte Rechenschema, das z.B. mit Matlab
ausgewertet werden kann und die Polradbewegungen aller Generatoren liefert.

. . . . .
P,;

.......

I I

0 1 2 3 4 5
-+t (s)
Abb. 12.42. Kurzschluss von Dauer 0.3 s im Knotenpunkt 4 von Beispiel 12.4, Abb.
12.37 a) Trajektorie der SM 1 b) Trajektorie der SM 2 C) transiente Leistungen der SM
1 d) transiente Leistungen der SM 2 e) Drehzahlabweichungsverlauf der drei Maschinen
12.5 Transiente Analyse von Mehrmaschinensystemen 537

=) 0.02

0.01

"-0
a
r, -0.01
(I)

-0 02

delta ,3

d, - delta 23

-1 0 1 2 3 -1 0 1 2 3
delta „ delta 23

Abb. 12.43. Kurzschluss von Dauer 0.3 s im Knotenpunkt 4 von Beispiel 12.4, Abb.
12.36, Berechnung von P (6) mit S-function. Resultate wie in Abb. 12.42, in C) und d)
sind jedoch die momentanen statt die stationären transienten Leistungen dargestellt

Die Abb. 12.42 zeigt die Auswertung des Beispiels 12.4 (Abb. 12.36) für einen
dreipoligen Kurzschluss von 0.3 s Dauer im Knotenpunkt 4. Ergänzende Daten sind
T„ = T„ = 5 s, T,,,, = 8 s. Gezeigt werden die Trajektorien und die Leistungen der
SM 1 und 2 (vergl. auch mit Abb. 12.40) sowie der Verlauf der Drehzahlabwei-
chungen der drei Gruppen.
Wird auf die Ermittlung der stationären Leistungsflächen verzichtet und werden
statt dessen die während des transienten Vorgangs wirkenden momentanen Leistungen
berechnet (z.B. mit MatlabISimulink, S-functions), ergibt sich das in Abb. 12.43
dargestellte Resultat.
538 12 Synchronisierung und Polradwinkelstabilität

12.5.7 Ordnungsreduktion
Im Rahmen der transienten Analyse weisen die Generatoren die Ordnung 2 auf, und
das Netz wird auf die Generatorknoten (allgemeiner: aktive Knoten) reduziert. Eine
weitere Reduktion ist nur durch Zusammenfassung von Gruppen von Generatoren
möglich.

12.5.7.1 Kohärente Generatoren


Generatoren eines Teilnetzes werden als koharent bezeichnet, wenn sie sich synchron
(oder nahezu synchron) bewegen, und somit die Polradwinkeldifferenz als null oder
klein angenommen werden kann. Dann lassen sie sich, wie im Folgenden gezeigt
wird, zu einem einzigen Generator zusammenfassen
Dazu fuhren wir zunächst eine Netzreduktion nach Zhukov (1 964) durch, [12.4],
[ I 2.11). Ausgehend von den Netzgleichungen

worin die Vektoren der zusammenzufassenden Generatorknoten mit G indiziert sind,


wird eine äquivalente Netzgleichung eingeführt, welche die Knoten G durch einen
einzigen Knoten e ersetzt

Sollen 1 und unverändert bleiben, folgt aus den ersten Zeilen von (12.87) und
(12.88) die Äquivalenz

IG
Be=BZ, mit P = - ,
- U
die zur elektrischen Interpretation mit idealen Transformatoren in Abb. 12.44 fuhrt.
Damit die eingespeiste Leistung im äquivalenten Knoten e mit der Summenleistung
der Knoten G übereinstimmt, muss gelten
0' ?* = Ue
-G-G
I*
e
--> I =P'&,
e
(1 2.90)
woraus folgt

und schließlich Ce = Z*'C


de = 3*' D Z.
12.5 Transiente Analyse von Mehrmaschinensystemen 539

Netz
I,

Abb. 12.44. Netzreduktion nach Zhukov Ide Mello

Das äquivalente Netz hat konstante Admittanzen, wenn die Ubersetzung der Trans-
formatoren konstant istunabhängig vom Netzzustand. Dann gilt aber

Sind die Spannungsbeträge der Generatoren konstant, entspricht GI. (12.93) der
Kohärenzbedingung 6, - 6, = konst. (die Winkel ändern synchron).
Die Kohärenzbedingung impliziert also (unter der Voraussetzung konstanter
Generatorspannungen) die Konstanz der Transformatorübersetzungen und umgekehrt.

12.5.7.2 Transiente Analyse und Kohärenz


Im transienten Zustand sind die Generatoren durch die konstante transiente Spannung
E,' und den transienten Polradwinkel 6,,' gegeben (Abb. 12.3). In den Gln. (12.87)
bis (12.93) tritt an Stelle der Spannung U die Spannung E' und an Stelle des Winkels
6 der Winkel Zu beachten ist, dass Aool = A6, (Abb. 12.3).
Nach Abschn. 12.5.3 bestehen nach Elimination der Lastknoten zwischen den
Generatorströmen und -Spannungen im Generator-Referenzsystem die transienten
Beziehungen (Last als Impedanzlast)

-11-1
'P = 3 (E, I , + ~ ~ l T;)
~ , ~ t

Die elektrische transiente Leistung ist eine nichtlineare Funktion aller Polradwinkel,
nimmt also die allgemeine Form an
I
P, =f(6Ql .-.. GQ,m-l) (12.95)
Deren Ableitung im stationären Betriebspunkt ist die transiente synchronisierende
Leistung. Für zwei verschiedene Generatoren i und j der Generatorgruppe G relativ
zum einem Generator (Knoten) k außerhalb dieser Gruppe, gilt z.B.
540 12 Synchronisierung und Polradwinkelstabilität

Bei Änderung von hQ, ist die transiente Beschleunigung der Polräder für die beiden
Generatoren i und j dann etwa gleich (bei gleicher Dämpfung), wenn

Ist diese Bedingung erfüllt, ist die Kohärenz der beiden Generatoren relativ zum
Knotenpunkt k angenähert gegeben. Ist sie für alle Knotenpunkten k außerhalb der
Gruppe G erfüllt sind die Generatoren absolut kohärent.
Bei Kohärenz können die Generatoren durch den äquivalenten Generator (E,', 6„')
bzw. durch den Parkvektor E,' ersetzt werden. Der äquivalente Polradwinkel wird so
gewählt, dass

C
G
6Qi

6Qe =
M,
, mit M~ =
G
M,, C (12.98)

(M = Trägheitsmoment). Die Ersatzgruppe weist die mechanische Leistung P,,,, = C


P,,,, auf.

12.5.7.3 Berechnung der synchronisierenden Leistung


Aus GI. (12.94) folgt

Die Ableitung des Stromes erhält man aus den Gln. (12.75), (12.76)

bei Berücksichtigung der Gln. (12.60) und (12.76) zu


a?:
+
nz
C ciko
k+i,l
X; -
d6,
= 2 ac,
-
d6,
E:

Ausdruck, der sich in Matrixform nach der Stromableitung auflösen lässt

-
ar" =
acik
H:-' [-] Üo , mit H,, = [H,]
a6, a 6 ~
12.6 Lineare Analyse von Mehrmaschinensystemen 541

Analog dazu erhält man


t
, mit H„ = [H:] . (12.103)
d6,

Die Koeffizienten der [X/ d6] Matrix sind lediglich für k +i und k =j oder i = j
verschieden von Null. Sie folgen aus GI. (12.74)

Wird die Last allgemeiner ausgedrückt (Abschn. 12.5.5), muss der rechten Seite der
GI. (12.100) ein zusätzlicher Term entsprechend GI. (12.84) hinzugefügt werden, was
jedoch die nachfolgenden Ausdrücke nur leicht modifiziert.

12.6 Lineare Analyse von Mehrmaschinensystemen

Für kleine Störungen des Betriebs kann eine lineare Analyse durchgeführt werden.
Die Bewegungsgleichung der Generatorgruppen lautet fur kleine Änderungen wegen
der Gln. (12.63), (12.64)
dAo,
q m -- AP, - M,, dAb
P - -Au, - A q
dt (12.105)
i = 1 .... m .
Die Änderung der elektrischen Leistung folgt für eine Drehzahl- und Spannungs-
geregelte Gruppe (evtl. mit Pendeldämpfungsgerät) aus GI. (12.35), wobei diese jetzt
nicht in p.u. sondern in physikalischen Größen geschrieben wird
AP1 = K&) A6, + Q&) AU, , i = 1 ...... m . (12.106)
Dabei ist folgendes zu beachten:
- In1 Unterschied zu Abschn. 12.2 tritt an Stelle der Netzspannung UQdie Spannung
U des Anschlussknotens des Kraftwerks an das Netz. Bei der Berechnung der
Übertragungsfunktionen des Abschn. 12.2 muss deshalb die Netzreaktanz xQdurch
die Reaktanz bis zum Anschlussknoten ersetzt werden (i.d.R. Reaktanz von
Maschinentransformator und evtl. Leitungsteilstück). Dementsprechend ist der
Winkel 6Qdurch den Winkel 6 der Anschlussspannung zu ersetzen. Gemäß Abb.
12.33 gilt 6Q= 6 + 6 . Für den Bilanzgenerator mit Index m, dessen Anschluss-
punktspannung nun stationär und dynamisch als reelle Referenzachse für das Netz
genommen wird (Band 1, Abschn. 9.6.2), ist 8, = 0 und somit 6 , = 6„, .
542 12 Synchronisicrung und Polradwinkelstabilität

Netz

Abb. 12.45. ßlockdiagramm zu Gleichungssystem (1 2.1 Os),(12.1M)

- Die in Abschn. 12.2.2 in p.u. berechneten Übertragungsfunktionen sind mit den


Bezugsgrößen zu multiplizieren, und zwar mit Sr für K,(s) und mit S, /U„ f i r
Q, (s), worin S, die Nennleistung der Gruppe oder des Kraftwerks und U, die
Bezugsspannung des Netzes darstellt.

DenGln. (12.105), (1 2.106) entsprichtdas Blockschema Abb. 12.45. Bilanzgenerator


und die restlichen ( m 1 ) Generatorgruppen sind gesondert dargestellt. Die Größen
der letzteren sind in Vektoren zusammengefasst. Ebenso werden die Übertragungs-
funktionen zu einer (diagonalen) Übertragungsmatrix zusammengefasst. Im Bild-
bereich erhält man

Die Frequenzleistungsregelung (FLR) sorgt durch Steuerung der Antriebsleistungen


dafür, dass stationär o,gleich o,gehalten wird (womit stationär Ao, = 0).
12.6 Lineare Analyse von Mehrmaschinensystemen 543

Jede der ( m I)-Generatorgruppen wird durch folgende Gleichungen beschrieben

[s Mi + K&)] Abel = APOI + KRI(s)ASl - Q,(s) AU1- s MI Ams


(12.108)
AP, = KRi(s)AbQi - KJs) ASi + QRi(s)AU, ,

die durch Elimination von AijQ, zu

AP, = G&) APai - G&) AS1 + G&) AUi - Gi4(s) Am,

fuhren.
Die Übertragungsfunktionen G , , G?und G; beschreiben vollständig die Abhängig-
keit der Generatorleistung der drehzahl- und spannungsgeregelten Gruppe (evtl. mit
Pendeldämpfungsgerät) von den Eingangsgrößen AP„ A6, AU und Ao,.
Abbildung 12.46 zeigt den typischen Verlaufder Amplitude der beiden Funktionen
G,(s) und G2(s) für ein Wasserkraftwerk (Beispiel 12.1).G3(s) weist qualitativ einen
ähnlichen Verlauf wie G2(s) auf, und G,(s) ist prop. sqrt{G,(s) G2(s))

5(l . . ... . . , .
, ,, ,
.....,-F.,-
"."". , ,
..
m I ,

,
, , ,
,
, .,, , . ,
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...,
,
',,

. .
..,
. .
L---.----..--\ L" d-.--- U LU

1; 1,) :7 i 4 3
Frequency (radlsec)
Abb. 12.46. Typischer Verlauf der Amplitude dcs Frequenzgangs von a) G,(s) und
b) G2(s) für eine spannungsgeregelte Schenkelpolmaschine mit lamellierten
Polen (ohne Pendeldämpfungsgerät), Daten Beispiel 12.1.
544 12 Synchronisierung und Polradwinkelstabilität

Werden die A60, aus GI. (12.108) eliminiert und wird Ao,gemäß (12.107) einge-
führt, erhält man ein Generator-Modell mit Übertragungsfunktionen, das beim
Übergang in den Zustandsraum (mit Matlab s. Anhang 111.1) zu folgendem linearen
Modell führt

M, = C i X , + D , A P a I + D , A 6 , + D , AU,
+ Zil APam+ Zi2APm + Ei3AUm ,

Die vektorielle Zusammenfassung aller Generatoren zum Teilsystem „Generatoren"


liefert gemäß Anhang 111.3

worin die Zustandsraummatrizen Block-Diagonalmatrizen sind; dabei hat sind AU,


in AÜ und AP„ in ~ C i n t e ~ r i eworden
rt (womit diese Vektoren die Dimension m
erhalten).
Das Teilsystem „NetzL' kann durch die linearisierte, auf die Generatorknoten
reduzierte Netzgleichung (Jacobi-Matrizen, Band 1, Abschn. 9.6.2) der Dimension
2 m 1 (ohne Bilanzgeneratonvirkleistung), erfasst werden

Eine relativ einfache Lösung für das Cesamtsystem folgt mit der Annahme, dass
Spannung und Blindleistung nur einen geringen Einfluss auf die Wirkleistungspende-
lungen haben (Entkopplungshypothese, s. Netzdarstellung G1. 9.79 in Band 1). In C1
(12.1 11) können dann B; und D3 vernachlässigt werden, und die Gln. (12.1 1 I),
(12.1 12) reduzieren sich zu
12.6 Lineare Analyse von Mehrmaschinensystenien 545

Die Zusammenlegung des Teilmodells „Generatoren" mit dem Teilmodell


„Netz"entspricht genau den Ausfihrungen in Anhang 111.3, wobei

Daraus lassen sich die Zustandsraummatrizen des Gesamtsystems berechnen. Die


Systemmatrix A, (Anhang 111.3) liefert die Eigenwerte.

12.6.1 Berücksichtigung von Spannung und Blindleistung


Um auch den Einfluss von Spannung und Blindleistung zu berücksichtigen, ist GI.
(12.1 13) durch die folgende zu ersetzen

und an Stelle der GI. (12.1 14) tritt

Der Ausgangsvektor der Generatoren muss die Blindleistung enthalten, welche


ähnlich zur Wirkleistung (analog Abschn. 12.2.2) in Funktion von A6Q, A 6 und AU
berechnet werden kann. Die entsprechende Ableitung ist im Anhang IV zu finden.
546 12 Synchronisierung und Polradwinkelstabilität

12.6.2 Netzreduktion
Die lineare Analyse kleiner Störungen kann im Rahmen der angegebenen Näherungen
im Prinzip auch für sehr große Netze durchgeführt werden. Es istjedoch sinnvoll, um
Aufwand und Rechenzeit einzusparen, je nach Problemstellung zu versuchen, eine
Vereinfachung des Problems durch Reduktion der Größe der Systemmatrizen an-
zustreben. Dazu stehen verschiedene Möglichkeiten zur Verfügung:
Bei Einbezug von Drehzahl- und Spannungsregelung sowie von Pendeldämpfungs-
gerät kann bereits die Ordnung der einzelnen Generatoren sehr hoch sein. Es besteht
die Möglichkeit, die Übertragungsfunktionen in der Ordnung stark zu reduzieren,
ohne das Verhalten im interessierenden Frequenzbereich wesentlich zu verändern
(Abschn. 12.6.3).
Eine weitere Möglichkeit besteht darin, durch Unterteilung in Teilnetze die
Modalreduktion (Anhang 111.4) auf die Zustandsraumdarstellung dieser Teilnetze
anzuwenden, die dann zum Gesamtsystem zusammengefasst werden können, oder
schließlich die Modalreduktion auf das Gesamtsystem anzuwenden.

12.6.3 Ordnungsreduktion der Generatorübertragungsfunktionen


Die Reduktion der Ordnung der Generator-Übertrag~n~sfunktionen
sei an einem
Beispiel erläutert.

Bode Diagrams

r- --- ----
V----
I
-------r
Step Response
-,

i
--- -- - -Y

Time (sec )
Frequency (radlsec)

Abb. 12.47. Bodc-Diagramm und Schrittantwort der Üb~rtra~ungsfunktion G,(s) des


Wasserkrafiwerks Beispiel 12.1 mit Spannungsregelung gemäss Abschn. 13.1.2,
: exakt (System der Ordnung 46), X : reduziert (System der Ordnung 4)
12.6 Lineare Analyse von Mehrmaschinensysteinen 547

Beispiel 12.5
Das Wasserkraftwerk von Beispiel 12.1 mit einer Spannungsregelung gemäß Abschn.
13.1.2.2 (Beispiel 13.1) weist Übertragungsfunktionen G,(s) und G,(s) beide 46"'
Ordnung (GI. 12.1 13, mit Matlab berechnet), wobei K,(s) die Ordnung 22 aufweist.
Man soll eine Ordnungsreduktion vornehmen, ohne das dynamische Verhalten im
interessierenden Frequenzbereich zu verändern.
Durch Anwendungdes Befehls „minreal (G 1,O.1)" (Matlab, control systems toolbox)
erhält man für G,(s) eine Funktion 4" Ordnung, die, nach einer kleinen proportionalen
Korrektur des statischen Verhaltens weitgehend mit der ursprünglichen Übertragungs-
funktion übereinstimmt, wie die Abb. 12.47 nachweist, durch den Vergleich von
Frequenzgang und Schrittantwort der exakten Funktion und der Näherung.

Auch die Funktion G2(s)lässt sich mit „minreal(G2,0.05)" und proportionale Korrek-
tur des niederfrequentigen Verhaltens auf eine Funktion 4"' Ordnung reduzieren, die
wiederum sehr gut die exakte Übertragungsfunktion nachbildet (Abb. 12.48).

Step Response
Bode Diagrams - - - p - r - - r -
- - - -7---
-- - 1
I
I

Abb. 12.48. Bode-Diagramm und Schrittantwort der Übertragungsfunktion G,(s) des


Wasserkraftwerks Beispiel 12.1 mit Spannungsregelung gemäss Abschn. 13.1.2,
-: exakt (System der Ordnung 46), X:reduziert (System der Ordnung 4)
548 12 Svnchronisierun~und Polradwinkelstabilität

12.7 Polradwinkelstabilität und ihre Analyse in der


Praxis des Netzbetriebs
Nach der Zuschaltung des Centrel-Systems (Netze der Länder Polen, Tschechische
und Slowakische Republik sowie Ungarn) zum westeuropäischen UCPTE-System
(heute UCTE-System) treten bei höheren Ost-West- oder West-Ost-Lastflüssen
stehende oder gar aufklingende Frequenz- und Leistungsschwingungen auf, welche
ihre Ursache in schwach gedämpften oder instabilen Polradwinkelpendelungen der
Generatoren haben.

f [Hz1
50 02

50 01
-- -100

50 00

--
49 99 -200

49 98

49 97

49 96 -- -400
Deutschland (Grenze zu Polen)

49.95 -
-- -500

Poeutschland- rankr reich


(Eine 380-kV-Leitung)
49.937 C -600
33 35 37 39 41 43 45 47
Zeit [sec]

Abb. 12.49. Frequenz- und Leistungspendelungen nach Ausfall eines Kraftwerks in


Spanien, 900 MW, 17.01.1997, 1:38 Uhr

In Abb. 12.49 ist exemplarisch eine solche schwach gedämpfte Schwingung


dargestellt, welche durch den Ausfall eines spanischen 900-MW-Kraftwerks
hervorgerufen wurde. Dargestellt sind die Frequenzen ausgesuchter Netzknoten
sowie die Kuppelleistung einer 380-kV-Leitung zwischen Frankreich und
Deutschland. Die Periodendauer der Schwingung beträgt ~ ~ = 2 7 1 . 0 - ~ = 3 , 7 ~ ,
o = 1,7s '. Die Grund-Lastflussrichtung war dabei von West nach Ost orientiert.
Der Realteil des Eigenwertes (Dämpfung) dieser West-Ost-Schwingungs-
grundmode des UCPTE-Systems lässt sich aus zwei aufeinander folgenden
Amplituden Al und A2 näherungsweise zu

ablesen.
12.7 Polradwinkelstabilität und ihre Analyse in der Praxis des Netzbetriebs 549

Die bezogene Dämpfung

ergibt sich somit zu 10%, was im Normalbetrieb des UCTE-Netzes gering ist. Die
Ursache für diese schlechte Dämpfung ist darin zu suchen, dass nach der Centrel-
Zuschaltung das westeuropäische Netz eine mehr longitudinale Ost-West-Struktur
angenommen hat, was die Ausbildung einer West-Ost-Pendelung bei erhöhtem
Lastfluss begünstigt.

Abb. 12.50. Übersicht über das heutige UCTE-Netz mit Darstellung eines Fünf-
Maschinen-ErsatzmodeIls zur Beschreibung der Grundmode der Netzpendelungen

In Abb. 12.50 ist f i r die weiteren Erläuterungen ein einfaches Modell des
europäischen Netzes bestehend aus fünf gleichgroßen Erzeuger-verbraucher-
Zentren dargestellt, welches näherungsweise zumindest in der Periodendauer das
gleiche Pendelverhalten wie das reale Netz aufweist. Denkt man sich die Polräder
der Generatoren 1 und 2 kohärent pendelnd gegen die Polräder der Generatoren 4
und 5, so entsteht näherungsweise dasselbe Schwingungsbild wie in Abb. 12.49,
wobei auch hier das Polrad des Generators 3 nahezu in Ruhe bleibt (Schwingungs-
knoten, Linie konstanter Frequenz, Deutschland (Grenze zu Frankreich)). Die
Lastflussrichtung ist hier auch von West nach Ost orientiert.

12.7.1 Entstehungsursachen von Polradwinkelpendelungen

Damit Polradwinkelpendelungen ungedämpft oder gar aufklingend verlaufen


können, bedarf es eines oder mehrerer Netzelemente (Regeleinrichtungen in
Verbindung mit Antriebsturbinen), welche dem System kontinuierlich mehr
Pendelenergie zufuhren als die natürlichen und künstlichen Dämpfungselemente
(Dämpferwicklungen, Asynchronmaschinen sowie Pendeldämpfungsgeräte) dem
550 12 Svnchronisierung und Polradwinkelstabilität

Netz entziehen können. Diese Regeleinrichtungen sind in der Regel die Generator-
spannungsregelungen, siehe Abschn. 12.2.2.
a ) Torsionsschwinqer

C) aufklinqend

2'

2" . -. . . .
3"
L
d) abklinqend

Abb. 12.51. Entstehungsursachen auf- und abklingender Pendelungen dargestellt anhand


eines Torsionsschwingers

In Abb. 12.5 1 ist dieser Zusammenhang anhand eines mechanischen Drehstab-


Masse (Scheibe)-Analogons vereinfacht erläutert:
Bleibt die Hand „ Hin Ruhe, so schwingt die Scheibe nach einer Auslenkung zum
Punkt 1 ungedämpfi gemäß Abb. 12.51b. Die Brems- und Beschleunigungs-
flächen (Brems- und Beschleunigungsarbeit), welche von der Momenten-Winkel-
Kennlinie gebildet werden, sind gleich groß und konstant. lm aufklingenden Fall
Abb. 1 2 . 5 1 ~möge der Stab zunächst ebenfalls ungedämpfi schwingen; in Punkt 1
jedoch verdreht die Hand den Stab zusätzlich um den Winkel 6Hund bringt somit
mehr Energie in das System. Damit wird das Moment und damit die neue
Beschleunigungsfläche größer. Wiederholt die Hand in Punkt 2' diesen Vorgang in
die andere Richtung, so schwingt die Scheibe auf und ist instabil.
12.7 Polradwinkelstabilitätund ihre Analyse in der Praxis des Netzbetriebs 551

Im Fall Abb. 12.5 1d dagegen lässt die Hand in Punkt 1 nach und entzieht dem
System Energie. Dadurch reduziert sich das Moment, wodurch die Beschleu-
nigungsfläche kleiner und das System stabilisiert wird.
Wichtig ist in diesem Analogon der Zusammenhang zwischen der Veränderung
der Brems- und Beschleunigungsflächen und der Stabilität, siehe auch
Abschn. 12.3, Abb. 12.18 und Abb. 12.19.
a) Generatorrotor als schwinqunqsfahiqes System

b) Ersatzschaltbild eines C) Keine Spannunqs- d) Mit Spannunqsreqelunq,


Generators am starren Netz reqelunq, Fall a Fall b

Abb. 12.52. Darstellung der destabilisierenden Wirkung der Generatorspannungsregel~mg

In Abb. 12.52 ist dieser Zusammenhang auf ein elektrisches Ersatzsystem


übertragen, bei welchem ein Generator über eine Leitung auf ein starres Netz
speist, Ersatzschaltung siehe Abb. 12.52b [12.1 I]. Dieses Ersatzsystem könnte z.B.
552 12 Svnchronisierun~und Polradwinkelstabilität

bezüglich der langsamen Ost-West-Grundmode des UCTE-Netzes eine Netzseite


bis zur Linie konstanter Frequenz repräsentieren, wobei diese Linie selbst durch
das starre Netz nachgebildet werden kann.
In Abb. 12.52a ist der Generatorrotor im Arbeitspunkt 1 dargestellt, bei
welchem er um den Polradwinkel SQ aus der Leerlaufstellung ausgelenkt ist. Die
Generatorklemmenspannung U bestimmt sich aus der transienten Polradspannung
ep' und der festen Spannung UQ über den Spannungsteiler der Reaktanzen X; und
XQ. Bei Polradpendelungen muss als treibende Generatorspannung die transiente
Polradspannung betrachtet werden, da die Flussverkettungen der Dämpfer-
wicklungen in diesem Zeitbereich bereits subtransient eingeschwungen und somit
quasistationär sind. Betrachtet man die Synchronmaschine gemäß Abschn. 12.2
unter Vernachlässigung der transformatorischen Spannungen (t. S.) und des Stator-
widerstandes, so lässt sich die abgegebene transiente Wirkleistung p' unter der
vereinfachenden Annahme xdf=x,,in Analogie zu GI. (12.48) gemäß

ausdrücken.
Die transiente Polradspannung ep' entspricht hierbei für kleine Drehzahl-
änderungen der Erregerflussverkettung vf. Diese hängt gemäß

von der Erregerspannung uf und der Generatorspannung uq=u.cos6 ab, [12.9]. Mit
der Übertragungsfunktion E(s) der Spannungsregelung gemäß GI. (12.34) folgt
somit für kleine Abweichungen vom Arbeitspunkt:

(12.1 19)

Mit den gängigen Werten xd= 1,2 , x$=0,3 , 60=600 sowie der im transienten
Zeitbereich üblicherweise wirksamen Spannungsreglerverstärkung IE(s)'/=:I0
ergibt sich

2.1E(s)'l=2,5 und -.X'J - x d cos 6, = 0.38.


X'/ Xd

Aus diesem Verhältnis ist ersichtlich, dass die transiente Polradspannung ep'-yf
während der Pendelung hauptsächlich von der Spannungsregelung beeinflusst
wird. Damit wird auch die abgegebene transiente Generatorleistung p' nach
GI. (12.1 17) überwiegend durch die Spannungsregelung gesteuert.
Wird das Polrad in Abb. 12.52 nun durch eine Störung ausgelenkt und schwingt
z.B. von Punkt 1 zum Punkt 2, so wird die Generatorklemmenspannung über den
X;-xQ-Spannungsteiler verkleinert und umgekehrt. Die Generatorklemmen-
Spannung schwingt also in Gegenphase zum Generatorpolradwinkel. Dieser
12.7 Polradwinkelstabilität und ihre Analyse in der Praxis des Netzbetriebs 553

Sachverhalt ist auch in Abb. 1 2 . 5 2 ~dargestellt, in welchem zusätzlich noch die


sich bezüglich der ~'-6~-Kennlinie ergebenden Brems- und Beschleunigungs-
flächen bei der Pendelung ohne Spannungsregelung (Fall a) angegeben sind.
Der Einfluss der Dämpferwicklungen ist hier der Einfachheit halber mit xd' = xd"
und X, = X," vernachlässigt, weswegen in Abb. 1 2 . 5 2 ~eine ungedämpfte Schwin-
gung dargestellt ist. Die Turbinenleistung p, und damit das Turbinenmoment m,
können deshalb als konstant bleibend betrachtet werden und nicht als durch das
asynchrone Dämpfungsmoment gemäß Abb. 12.19 modifiziert.
Wird die Spannungsregelung eingeschaltet (Fall b), so ergeben sich - in
Analogie zum mechanischen Stab-Masse-Analogon - die Verhältnisse wie in
Abb. 12.52d dargestellt:
I . Das Generatorpolrad schwingt nach einer Anregung - z. B. vom Arbeitspunkt
-

1 zum Arbeitspunkt 2.
2. Mit dem vergrößerten Polradwinkel 6Q verringert sich die Generatorklemmen-
Spannung U.
3. Die Spannungsregelung erhöht die transiente Polradspannung ep', um über den
X;-xQ-Spannungsteiler die Klemmenspannung U auszuregeln.
4. Damit wird die p'-60-Kennlinie gemäß GI. (12.1 17) angehoben und das Polrad
((gp'l=const.) zum neuen Arbeitspunkt 3'.
fahrt oberhalb der alten ~'-6~-Kennlinie
5. Durch das Anheben der ~'-6~-Kennliniewird die Beschleunigungsfläche
A I t > A lwodurch auch die Bremsfläche A2'>A2wird.
6. Damit liegt der Arbeitspunkt 3' unterhalb des Arbeitspunkts 3; das Polrad ist
instabil.

Abb. 12.53. Darstellung der instabilen p'-6Q-Trajektorie bciin Generatorarbeitspunkt


60=600

In Abb. 12.53 ist zur besseren Veranschaulichung dieses Vorgangs die sich im
instabilen Fall ergebende simulierte P'-iSQ-Trajektorie des Ersatzsystems im
554 12 Svnchronisierung und Polradwinkelstabilität

Arbeitspunkt & = 6 0 ° dargestellt. Zusätzlich ist auch die p'-6Q-Kennlinie für


lgp'l=const. im Arbeitspunkt liQ=400 eingetragen. Wie der Abbildung zu
entnehmen ist, verläuft die Trajektorie im Gegenuhrzeigersinn zwischen den P'-6Q-
Kennlinien für lgp'/=const. und lgl=const. Es ist deutlich erkennbar, wie der
Spannungsregler versucht die Trajektorie stets auf die Kennlinie für lgl=const. zu
legen, wodurch er das System durch Veränderung der Brems- und Beschleu-
nigungsflächen destabilisiert.

12.7.2 Einfluss von Leistungstransit auf die Polradwinkelstabilität

Um den Einfluss unterschiedlicher Leistungstransite auf die Polradwinkelstabilität


darstellen zu können, wird das Ersatzsystem in Abb. 12.52b so betrieben, dass sich
der Polradwinkel 6~ einmal zu 40" und einmal zu 60" einstellt. Für diese Polrad-
winke1 können dann die gp'-, g-Zeigerdiagramme des Systems für die beiden
Grenzfalle
a) lgi =const., quasistationäres Verhalten mit Spannungsregelung
b) lep'l=const., transientes Pendelverhalten ohne Spannungsregelung
dargestellt werden.
Aus Abb. 12.52b folgt unmittelbar aus den Kirchhoffschen Gesetzen

Durch Umformung erhält man

Die GI. (1 2.120) beschreibt den Verlauf der transienten Polradspannung gp' um den
Mittelpunkt mit dem Radius I& bei Veränderung des Lagewinkels der
Generatorspannung g bei konstanter Amplitude (quasistationäres Verhalten mit
Spannungsregelung).
Die G1. (12.121) beschreibt den Verlauf der Generatorklemmenspannung g um
den Mittelpunkt MI mit dem Radius E, bei Veränderung des Lagewinkels der
transienten Polradspannung gll' bei konstanter Amplitude (transientes Pendel-
verhalten ohne Spannungsregelung).
12.7 Polradwinkelstabilität und ihre Analyse in der Praxis des Netzbetriebs 555

In Abb. 12.54 sind die zugehörigen Ortskurven dieser beiden Spannungen für
6Q=400 und für 6Q=600 dargestellt. Für den quasistationären Fall sind die
Ortskurven durchgezogen und für den transienten Fall gestrichelt dargestellt. Wie
man der Darstellung entnimmt, wächst im quasistationären Fall le,'/ mit
zunehmendem 6Qan, da dieser Spannungszeiger um den Mittelpunkt & dreht.
Im transienten Pendelfall dagegen nimmt lgl mit zunehmendem Winkel 6Q ab,
da dann der Mittelpunkt M, die Ortskurve von g bestimmt. Der Winkel zwischen
der Ortskurve von g im quasistationären und im transienten Fall beträgt in
Abb. 12.54a 1 1". Dieser Winkel ist ein Maß für die Abnahme der Generator-
spannung bei Polradwinkelzunahme und kann als natürliche Verstärkung des
Spannungsreglers angesehen werden.
a) Arbeitspunkt 1: Polradwinkel 40' b) Arbeitspunkt 2: Polradwinkel 60'

C) Polradwinkel-Leistungs-Kennlinien
A
1.o -
(g(=const.

Abb. 12.54. Auswirkung der Erhöhung der Austauschleistung auf die Generatorklemmen-
spannung (kein Verbraucher)

In Abb. 12.54b ist dieses Verhalten für den Arbeitspunkt 6,~,=6O" (höherer
Lastfluss) dargestellt. Hier hat sich der Winkel zwischen den Ortskurven von g auf
15" erhöht; der Spannungsregler wird also bei der gleichen Polradpendelung zu
556 12 Synchronisierung und Polradwinkelstabilität

größeren Gegenreaktionen veranlasst und wird somit das System stärker


destabilisieren. Dieser Sachverhalt kann gemäß Abb. 12.54~ auch aus den
Schnittpunkten der ~'-6~-Kennlinien für den quasistationären und den Pendelfall
f i r die beiden Arbeitspunkte 6Q1=400und 6Q2;600 abgelesen werden; im zweiten
Arbeitspunkt schneiden sich die Kennlinien steiler.
In Abb. 12.55a ist ausgehend von GI. (12.121) der berechnete Ortskurvenwinkel
als Funktion des Polradwinkels 6Q von 0" bis 60" zusammenhängend dargestellt.
Aus dieser Abbildung ist deutlich die Zunahme der Spannungsabweichung bei
zunehmendem Polradwinkel 6Qzu erkennen. In Abb. 12.55b sind dazu die mit dem
Programmsystem DigSilent berechneten Eigenwerte des Ersatzsystems in
Abb. 12.52b dargestellt. Wie der Abbildung zu entnehmen ist, verringert sich die
Systemdämpfung o= Re(Lit) mit Spannungsregelung bei gleichzeitig abnehmender
Pendelfrequenz w = Im(Li,) beträchtlich. Beim Polradwinkel 0" ist auch die
Dämpfung Null, da das System ohne Dämpferwicklungen betrieben wird (xdl=xd'',
xq=xqf'),womit

Abb. 12.55. a) Winkel zwischen Spannungsortskurven b) Wurzelortskurven des Ersatz-


systems

der subtransiente Dämpfungsanteil cD"nach [12.2]

entfallt. Da die transiente Dämpfung cD'der Erregerwicklung

jedoch noch vorhanden ist, kann sie hier noch dämpfend wirken. Ihr Dämpfungs-
einfluss ist in Abb. 12.55b als Wurzelortskurve bohne fUy Polradwinkel von 0' bis
60" dargestellt, wobei die Spannungsregelung ausgeschaltet ist. Wie Abb. 12.55b
zu entnehmen ist, destabilisiert die Spannungsregelung schon mit der relativ
kleinen transienten Verstärkung IE(s)'l=:10 pu das System vollkommen (Eigenwert
immer in rechter s-Halbebene).
12.7 Polradwinkelstabilität und ihre Analyse in der Praxis des Netzbetriebs 557

12.7.3 Einfluss der Verbraucherstruktur auf die Polradwinkelstabilität

Um auch den Einfluss unterschiedlicher Verbraucherstrukturen auf die Polrad-


winkelstabilität darstellen zu können, wird an der Generatorklemme Abb. 12.52b
eine Admittanz yv=g+j'b gegen die Neutrale eingefügt. Aus den Kirchhoffschen
Gesetzen folgt dann für den in GI. (12.120) definierten Faktor a

Damit wird neben BI selbst auch der Mittelpunkt MI des Ortskurvenradius it,der
Generatorspannung g zu einer komplexen Größe, wodurch sich auch der Orts-
kurvenwinkel ändert. Es sollen folgende Verbraucher angeschlossen werden:
Tabelle 12.1. angeschlossene Verbrauchertypen
Verbrauchertyp Wirkleistung Blindleistung Kond. g Susz. b Eigenwert
induktiv (Starklast, Tag) 1000MW 1000MVAr 0,5pu -0,5pu
ohmsch (kompensiert) 1000 MW OMVAr 0,5pu Opu Loh,,,
kapazitiv (Schwachlast Nacht) 1000 MW -1 000 MVAr 0.5 pu 0,5 pu Lkap

In den Abb. 12.56, 12.57 und 12.58 sind die Veränderungen in den Spannungsorts-
kurven und den Generatorleistungen dargestellt.
a) Arbeitspunkt 1: Polradwinkel 40' b) Arbeitspunkt 2: Polradwinkel 60'

C) Polradwinkel-Leistungs-Kennlinien
Iu_ l = c o n s t . r

Abb. 12.56. Auswirkung der Erhöhung der Austauschleistung auf die Generatorklemmen-
Spannung (ohmsch-induktiver Verbraucher)
558 12 Synchronisierung und Polradwinkelstabilität

a) Arbeitspunkt 1: Polradwinkel 40' b) Arbeitspunkt 2: Polradwinkel 60'

Abb. 12.57. Auswirkung der Erhöhung der Austauschleistung auf die Generatorklemmen-
spannung (ohnischer Verbraucher)

a) Arbeitspunkt 1: Polradwinkel 40' b) Arbeitspunkt 2: Polradwinkel 60'

C) Polradwinkel-Leistungs-Kennlinien -

Abb. 12.58. Auswirkung der Erhöhung der Austauschleistung auf die Generatorklemmen-
spannung (ohmsch-kapazitiver Verbraucher)
12.7 Polradwinkelstabilität und ihre Analyse in der Praxis des Netzbetriebs 559

Deutlich wird sichtbar, wie der Winkel zwischen der stationären und der tran-
sienten Generatorspannung mit zunehmender Suszeptanz (Blindleitwert) b
zunimmt. Damit wird also die Spannungsänderung mit zunehmender Kapazität bei
gleicher Polradwinkelpendelung größer, wodurch das System stärker destabilisiert
wird.

winkelmd(d)
W
winkel,h( d)
ti-t
winke1kap( d)
m%€i

& ~ i ( d,&.n(d).&p(d)
)
Abb. 12.59a. Winkel zwischen Spannungsortskurven u

L
-0.05 0 0.05 0.1 0.15 0.2 0.25 0.3
d b ),db) , d b o ) ,dh)
Abb. 12.59b. Wurzelortskurven für tiO=OO, 20°, 40" und 60"
In Abb. 12.59a sind die berechneten Ortskurvenwinkel im Bereich 0°16Q1600
aufgetragen. Auch hier ist die Zunahme dieses Winkels mit zunehmender
Suszeptanz b erkennbar. In Abb. 12.59b sind die zugehörigen Wurzelortskurven &,,
h20, h40, b0fur induktive (i), ohmsche (0) und kapazitive (k) Last gerechnet.
Aufgrund des ohmschen Lastanteils gibt der Generator auch bei 6Q=00
Wirkleistung ab, wodurch die transiente Dämpfung cD' wirksam ist. Deshalb ist
das System bei aQ=OOimmer stabil (linke s-Halbebene). Mit zunehmendem Transit
wird das System mit allen Verbrauchertypen instabil, wobei der kapazitive
Verbraucher die größte destabilisierende Wirkung hat. Zudem nimmt die
Dämpfung gegenüber dem Fall ohne Verbraucher stark ab, da der Generator jetzt
mit höherer Leistung betrieben werden muss und damit das synchronisierende
Moment geringer wird. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sich die
Dämpfung in Netzen verschlechtert, wenn die Last im Tagesverlauf kapazitiver
wird.
560 12 Svnchronisierung und Polradwinkelstabilität

12.7.4 Identifizierung destabilisierender Spannungsregler in


Mehrmaschinensystemen

Beim Analogon in Abb. 12.50 bilden fünf Generatoren ein longitudinales Netz,
wobei der Lastfluss wie in Abb. 12.49 von West nach Ost orientiert ist.
Nennleistungen, Leitungslängen und Spannungsebene sind hierbei so eingestellt,
dass die in Abb. 12.49 dargestellte Frequenz- und Leistungsschwingung zumindest
in der Periodendauer gut nachgebildet werden kann.

Zeit in s
Abb. 12.60. Verläufe der Polradlagewinkel-Abweichungen 6Qund der Gen.-Spannungen U

Werden die Generatoren (Gen.) durch Momentenstöße so angeregt, dass die


langsame Ost-West-Mode hervortritt, so ergeben sich die in Abb. 12.60
dargestellten Verläufe der Polradwinkel ZiQ und Gen.-Spannungen U. Die
Generatoren 1 und 2 pendeln in Gegenphase zu den Generatoren 4 und 5, das
12.7 Polradwinkelstabilität und ihre Analyse in der Praxis des Netzbetriebs 561

Polrad des Generators 3 bleibt nahezu stehen und bildet somit die Linie konstanter
Frequenz (starrer Knoten). Die Spannungsverläufe U dagegen schwingen alle in
Phase, wobei die Abweichungen bei den Generatoren 1 und 5 am kleinsten und bei
Generator 3 am größten sind.
Dieser Effekt beruht auf der Tatsache, dass die Leistungspendelung über die
Leitungen von West nach Ost bis zur Linie konstanter Frequenz mit jedem
weiteren pendelnden Generator zunimmt, wodurch die Spannungsabweichungen
über die Spannungsabfälle der Leitungen ebenfalls zunehmen. Westlich der Linie
konstanter Frequenz nimmt dann mit jedem weiteren Generator der Leistungsfluss
und damit die Spannungsabweichung wieder ab, wodurch das dargestellte
Spannungs-Pendel-Profil entsteht. Eine derartige Abhängigkeit besteht auch im
realen UCTE-Netz.
In Abb. 12.52 wurde gezeigt, dass die Spannungsregler immer dann stark
destabilisierend wirken, wenn der Polradwinkel ZiQ und die Klemmenspannung U in
Gegenphase sind, im anderen Fall müssen sie sogar stabilisierend wirken.
Zudem muss bei der Pendelung sowohl aQals auch U eine Abweichung aufweisen,
damit die Brems- und Beschleunigungsflächen von den Spannungsreglern verän-
dert werden können. Das ist bei den einzelnen Generatoren gemäß folgendem
Muster der Fall:
Tabelle 12.2. Schwingungsverhalten von 6, und U

6, U Phasenlage Pendelanregung
Generator 1 sehr groß sehr klein gegenphasig anregend
Generator 2 groß groß gegenphasig stark anregend
Generator 3 sehr klein sehr groß unbestimmt unbestimmt
Generator 4 groß groß gleichphasig stark dämpfend
Generator 5 sehr groß sehr klein gleichphasig dämpfend

Durch die Gegenphasigkeit bei den Generatoren 1 und 2 destabilisieren diese


das System, wobei Generator 2 am stärksten wirken muss. Bei den Generatoren 4
und 5 hingegen schwingen Polrad und Spannung in Phase; wodurch diese
Spannungsregler (Sp.-regler) sogar dämpfend wirken müssen. Bei Generator 3 ist
keine klare Aussage möglich, da er genau auf der Schwingungslinie liegt.

~e(nA ~cneratori
Abb. 12.61. a) Eigenwerte des Fünf-Maschinen-Modells bei Einsatz je eines Sp.-Reglers
b) Dämpfung des Fünf-Maschinen-Modells bei Einsatz je eines Sp.-Reglers
562 12 Svnchronisieruneund Polradwinkelstabilität

In Abb. 12.61 sind die Wurzelorte des Fünf-Maschinen-Systems sowie deren


Realteile (Dämpfung) für die fünf Fälle dargestellt, dass je nur in einem Generator
ein Spannungsregler in Betrieb genommen wird und die restlichen Generatoren
ungeregelt seien. Wie den Abbildungen zu entnehmen ist, wirken die Generatoren
1 bis 3 destabilisierend, wobei der Generator 2 das System am stärksten
destabilisiert. Die Generatoren 4 und 5 dagegen wirken stark stabilisierend, was die
Aussagen in Tab. 12.2 bestätigt. In Abb. 12.61b ist zudem noch die Dämpfung
ohne Spannungsregler gestrichelt eingetragen.
Häufig werden sogenannte Partizipations-Faktoren zur Auffindung der
pendelanfachenden Generatoren herangezogen. Diese entsprechen jedoch lediglich
dem Amplitudenverhältnis der in Abb. 12.60 gezeigten Polradwinkelpendelungen.
Ausgehend von diesen Faktoren würde man zum falschen Schluss kommen, dass
die Maschinen 1 und 5 das Netz am stärksten destabilisieren, da sie am stärksten
pendeln. Erst die oben gezeigte zusätzliche Analyse der Spannungen lässt die
Detektion von Maschine 2 als stark pendelanfachender Maschine zu. Dieses
Vorgehen kann regelungstechnisch algorithmisch durch sogenannte Wesentlich-
keitsmasse ausgedrückt werden, was in [12.10] am Beispiel einer aufgetretenen
instabilen Netzpendelung im UCPTE-Netz dargestellt ist.
13 Spannungsregelung und Spannungsstabilität

Konstanz von Frequenz und Spannung sind wichtige Qualitätsmerkmale des Netzes.
Das Problem der Frequenzhaltung ist in Kap. 1 1 behandelt worden. In einem großen
Verbundnetz ist die Frequenz sehr stabil, da die auftretenden Wirkleistungsstöße
relativ zur Gesamtleistung des Netzes i.d.R. klein sind. Nach Abklingen der Syn-
chronisierschwingungen (Kap. 12) ist die Frequenz im Netz überall gleich.
Die Spannung (Spannungsamplitude oder -effektivwert) kann hingegen lokal, d.h.
von Knotenpunkt zu Knotenpunkt, erhebliche Unterschiede aufweisen, die von den
Eigenschaften des Netzes abhängen und in erster Linie von der Größe der Blindlei-
stungsj7usse bestimmt werden. Blindleistungsstoße, z.B. beim Einschalten größerer
Motoren, verursachen erhebliche Spannungsschwankzrngen, während sich Änderun-
gen der Wirkbelastung weit weniger auswirken. Die Gründe dafür wurden mehrfach
in Band 1 erläutert (s. vor allem die Abschn. 4.6.2, 6.5.1.2, und 9.5.1).
Mit Maßnahmen bei der Netzplanung und im Netzbetrieb wird die Spannung in
allen Lastknotenpunkten des Netzes stationär in einem Bandbereich von im all-
*
gemeinen 5 10% um die gewünschte Sollspannung gehalten, unabhängig vom
Belastungszustand des Netzes. Dies wird mit der Spannungsregelung der Gene-
ratoren, der Transformatoren mit variabler Übersetzung und der Kompensations-
anlagen (Abschn. 13.1- 13.3) und mit einer optimalen räumlichen Verteilung der
Blindleistungseinspeisung (Kap. 14 und 15) erreicht.
Das Problem der ,Ypannungsstubilitat ist in Band 1 in Zusammenhang mit der
Belastbarkeit von Übertragungsleitungen bereits angeschnitten worden (Abschn.
9.5.1). Überschreitet die übertragene Leistung bestimmte Grenzwerte, kann die
Spannung zusammenbrechen, wobei der lokale Blindleistungsbedarf eine entschei-
dende Rolle spielt. Der Spannungskollaps wird bei der üblichen ohmsch-induktiven
Belastung von einem großen, den vorhin erwähnten Bandbereich weit überschreiten-
den Spannungsabfall angekündigt. In der Praxis kann er in schwachen Netzen bei
Versagen der Spannungs-Blindleistungsregelung eintreten, oder wenn als Folge einer
größeren Störung (Ausfall von Kraftwerken oder wichtiger Leitungen) die Leistungs-
einspeisung eines Teilnetzes nicht mehr in der Lage ist, die lokale Nachfrage zu
decken, und wenn das Lastabwurfsystem nicht korrekt funktioniert. In den Abschn.
1 3 . 4 13.6 werden Ursachen und Bedingungen für die Spannungsinstabilität analysiert
und Maßnahmen zu deren Vermeidung erörtert.
564 13 Spannungsregelung und Spannungsstabilität

13.1 Erregersysteme und Spannungsregelung der SM


13.1 .I Erregersysteme
Die Gleichstrom-Erregerleistung großer Synchronmaschinen beträgt bei Vollast
höchstens einige Promille der SM-Leistung. Das Erregersystem kann auf vielfältige
Weise realisiert werden. In älteren Kraftwerken wird die Erregung von einem Gleich-
stromgenerator geliefert, der auf der Generatorwelle montiert ist. Dank den Fort-
schritten der Leistungselektronik wird in neueren Anlagen der Gleichstrom aus-
schließlich durch Gleichrichtung eines Wechselstromes erzeugt, wobei zwischen
rotierenden und rein statischen Einrichtungen unterschieden wird.

13.1.1.1 Erregersystem mit Gleichstromgenerator


Den Aufbau der Erregereinrichtung zeigt die Abb. 13. la. Der i.d.R. fremderregte und
kompensierte Gleichstromgenerator wird von der Turbine angetrieben und weist
demzufolge eine nahezu konstante Drehzahl auf. Solange sich die Sättigung nicht
bemerkbar macht, ist seine Spannung U, proportional zum Strom I, in der Erreger-
wicklung und wird über Kollektor und Schleifringe auf das Feld der SM übertragen.
Die Gleichstrommaschine kann durch folgende Beziehungen beschrieben werden

worin n = p.u. Drehzahl (n = 1). Die Sättigungsfunktion f(@J ist im linearen Teil der
Kennlinie null. Die Erregerspannung U, wird von einer weiteren kleinen Gleichstrom-
maschine oder einem elektronischen Verstärker geliefert.

Abb. 13.1. Erregersystem mit Gleichstromgenerator a) Schaltbild, S =Schleifringe


b) Blockschaltbild, T, = L, / R, = ungesättigte Zeithonstante der Erregerwichlung, K, = K T,
13.1 Erregersysteme und Spannungsregelung der SM 565

Das Blockschaltbild der Erregereinrichtung gemäß Gln. (13.1) einschließlich Be-


grenzungen (Sättigung, Deckenspannung des Verstärkers) zeigt Abb. 13.l b. Die
(ungesättigte) Zeitkonstante der Erregermaschine liegt meist bei 0.5 - 1 s.

13.1.1.2 Erregersystem mit Wechselstromgenerator


An Stelle der Gleichstrommaschine kann ein Wechselstromerreger verwendet werden,
dessen Drehstrom über Gleichrichter der Feldwicklung der SM zugefuhrt wird (Abb.
13.2). Beim Wechselstromerreger handelt es sich um eine kleine Synchronmaschine,
die vorteilhaft für eine Frequenz von Ca. 500 Hz ausgelegt wird. Entgegen der
üblichen Ausfihrung von SM ist die Feldwicklung statisch, während die Haupt-
wicklung rotiert und mit den ebenfalls rotierenden Gleichrichtern in Drehstrom-
brückenschaltung (Band 1, Abschn. 7.3) eine konstruktive Einheit bildet. Dies erlaubt,
die Schleifringe zu vermeiden. In diesem Zusammenhangwird auch von bürstenlosem
Erregersystem gesprochen. Da der Wechselstromerreger dynamisch ebenfalls durch
eine Zeitkonstante beschrieben werden kann (s. dazu Abschn. 13.1.2. l), ist das
Blockschaltbild Abb. 13.1b auch für diese Anordnung gültig.

SM
Abb. 13.2. Erregersystem mit Wechselstromerreger und rotierender Gleichrichter

13.1.1.3 Statische Erregung (Stromrichtererregung)


Die entsprechende Anordnung zeigt Abb. 13.3. Die Erregung der SM wird über
steuerbare Leistungshalbleiter (i.d.R. Thyristoren) kontrolliert, die von einer fremden
Spannungsquelle oder von der Spannung der Synchronmaschine selbst gespeist
werden. Um in letzterem Fall auch bei Kurzschluss die Erregung aufrechtzuerhalten,
kann der Strornrichterspeisung mit einem Stromtransformator ein stromabhängiger
Anteil hinzugefügt werden (Compoundierung). Da die Erregerzeitkonstante wegfallt
(bzw. sie reduziert sich auf eine kleine Verzögerung, Band 1, Abschn. 7.3, die in

Abb. 13.3. Statisches Erregersystem (Stromrichtererregung ) mit Fremdspeisung


undloder Speisung ab Klemmen der Synchronmaschine
566 13 Spannungsregelung und Spannungsstabilität

Abb. 13.4. Blockschaltbild des statischen Erregersystems von Abb. 13.3

erster Näherung vernachlässigt werden kann), ermöglicht die statische Erregung eine
schnellere Regelung.
Das entsprechende Blockschaltbild zeigt Abb. 13.4. Die Schleifringe sind mit
dieser Lösung nicht zu vermeiden.

13.1.2 Spannungsregelung der Synchronmaschine


Die Anlage ist in Abb. 13.5a schematisch dargestellt. Neben dem eigentlichen
Spannungsregler sind meist auch Pendeldämpfungsgerät (Abschn. 12.2) und Be-
grenzer vorhanden. Die Begrenzungen betreffen, wie in Band l, Abschn. 6.6.3 und
Abb. 6.65 erläutert, den Statorstrom, den Feldstrom (Rotorstrom) und den Pol-
radwinkel (bzw. die kapazitive Blindleistung). In Zusamrnenhangmit der Spannungs-
stabilität ist vor allem die Begrenzung des Feldstromes von Bedeutung. Sein Grenz-
wert wird in Abhängigkeit von der Überlastdauer durch eine entsprechende Kennlinie

Begrenzungen
Pendeldämpfung *
4

C)

starres Netz

Abb. 13.5. Spannungsregelung der SM a) Blockschaltbild der Spannungsregelung


b) Übertragungsfunktionen des Spannungsregelkreises C) Ersatzschaltbild der Belastung
13.1 Erregersysteme und Spannungsregelung der SM 567

gegeben. Bis zu Ca. 10 s Dauer kann er i.d.R. etwa das vierfache des Leerlauferreger-
Stromes erreichen, was z.B. für die Sicherstellung der Polradwinkelstabilität nützlich
ist (Abschn. 12.1S). Nach Ca. 100 s darf er aber den Nennerregerstrom nur noch um
maximal I0 % übersteigen.
Der Spannungsregelkreis Abb. 13.5b enthält die Übertragungsfunktionen G,(s) der
SM und E(s) von Erregersystem + Spannungsregler, die nachstehend analysiert
werden.

13.1.2.7 Übertragungsfunktion der Synchronmaschine


Die Übertragungsfunktion der Synchronmaschine wird wesentlich von deren Bela-
stung bestimmt. Entsprechend Abb. 1 3 . 5 sei
~ die SM mit der Admittanz y, belastet
und über die Admittanz yo mit dem starren Netz gekoppelt. Je starrer die Netz-
verbindung, desto größer ist yo. Im lnselbetrieb ist yo = 0.
Für den Laststrom gilt in p.u. die stationäre Beziehung
i = y L U + yQ ((U-U
Q
) = ( Y , + ) !Q ) U -)! U
Q -Q
. (1 3.2)
Wird yL+ yo = y = g + j b gesetzt und die Änderungen um eine Gleichgewichtslage
bei vorgegebenem go betrachtet, lässt sich der Zusammenhang zwischen Spannung
und Strom fur Frequenzen << 50 Hz folgendermaßen durch Parkzeiger beschreiben
A(i,+ji,) = ( g + j b ) A(u,+juq) . (13.3)
Die SM wird in p.u. durch das Blockdiagramm Abb. 13.6 dargestellt (Band 1,
Abschn. 6.4). Aus dieser Abbildung und GI. (13.3) ergibt sich bei Linearisierung des
Drehzahleinflusses folgender Zusammenhang zwischen Parkvektoren

Abb. 13.6. Rlockschaltbild der SM in p.u. (ohne t.S., Annahme Statorwiderstand r = 0)


568 13 Spannungsregelung und Spannungsstabilität

oder kompakter geschrieben und mit der Annahme n,, =I

Aii = G(s) Auf - X&) ~7 + iio An


(13.5)
A; = y Aii .
Durch Elimination des Stromes folgt der Zusammenhang
Aü = ( E + xs(s) ( G @ ) Auf + üo An) (13.6)
(mit E = Einheitsmatrix). Durch Einsetzen der Reaktanzmatrix x,(s) der SM und der
Admittanzmatrix y, und gesetzt b = llx, g = Ilr, sowie durch Linearisierung der
-

Beziehung u2 = u: + U: (s. auch GI. 12.32),


Au = Au, sinoo + Au, cosbo , (13.7)
worin 6, den Polradwinkel bei der betrachteten Last darstellt, folgt

Induktive Belastung
Bei rein induktiver Belastung ist die erste Zeile von GI. (13.6) null, d.h. Au, = 0, Au
= Auq. Aus GI. (13.8 ) folgt, gesetzt r W, 6, = 0,

Diese Übertragungsfunktion gilt nicht nur für kleine, sondern auch für große Span-
nungsänderungen, solange die Sättigung des Hauptflusses nicht wirksam ist.
Bei nicht allzu schnellen Regelungsvorgängen können die subtransienten Zeitkon-
stanten vernachlässigt werden. Dann folgt (s. Band 1, Abschn. 6.4)

Rein oltmsche Last


Bei rein ohmscher Last (X W ) ergibt sich aus (1 3.8)

r (rcos oo+xq(s) sinoo)


Gs(4 = .
r * + xds)x,(s)
13.1 Erregersysteine und Spannungsregelung der SM 569

Für die lamellierte Schenkelpolmaschine ist xq(s)= X„ und bei Berücksichtigung der
GI. (13.10) erhält man
I
r ( ~ ~ s i n ~ ~ + r c o 1s 6 ~ ) r2~io+xqu~d
Gs@)= I ' mit Tdr= (13.12)
r 2 + x4 xd I +sT& r 2 +xqxd

Für Synchronmaschineri mit massiven Rotoren ist der Faktor 11(I + s T„') durch den
etwas komplizierteren Ausdruck
I
1 +sTor
mit
,
Tor=
I
r Tqocos 6 , + X , T,I sin 6 ,
7
12'
1+s(~d,+~b)+s2~r r cos 6 , + X , sin 60
(13.13)

zu ersetzen, der sich aber frequenzgangmäßig wieder durch eine mittlere Zeitkon-
stante approximieren lässt.
Ein ähnliches Resultat ergibt sich für eine ohmsch-induktive Last. Es kann also
davon ausgegangen werden, dass sich der Synchrongenerator allgemein durch die p.u.
Übertragungsfunktion

darstellen lässt. Die Parameter k, und T, sind von Größe und Art der Last abhängig.
Im Leerlauf ist k, = 1 und T, = T„'.

Beispiel 13.1
Ein Wasserkraftgenerator mit lamellierten Polen hat die Daten X, = 1.36, X, = 0.87
und X,' = 0.3 15 p.u. sowie T„' = 3 s, T,' = 0.68 s. Man bestimme die Übertragungs-
funktion in Abhängigkeit der Belastung.
Die Verstärkung (in p.u.) und die Zeitkonstante der SM betragen
I
Leerlauf: Tdo = 3 s, ks = 1 ,
induktive Volllast: TA=
1 . 3 + 1.36.0.68 = ,
1 + 1.36
ks = -= 0.424
1 + 1.36
ohmsche Volllast: tan6, P
= - -
-- = 0.87 , 6 , = 41
Q Q,+ l/x,
570 13 Spannungsregelung und Spannungsstabilität

I coscp =O ind.
.
:
--.

0.5 1 1.5 2
d Y P-U-

0 38

0 36 - /'
'
coscp =O kap

, coscp =I
034." \

.
032 - ' -'
-,
03 -
, -X

028 - .
026 -
coscp -0 ind
024 -

022 -

n?

Abb. 13.7. b) Verstärkungsfaktor und a) Zeitkonstante der SM von Beispiel 13.1 sowie
C) deren Verhältnis in Abhängigkeit von der Helastungsadmittanz y

Die exakte Auswertung der GI. (1 3.8) mit Matlab liefert für T, und k, in Funktion der
Belastungsadmittanz und des coscp den Verlauf von Abb. 13.7.
Sowohl k, als auch T, ändern beträchtlich in Abhängigkeit der Belastung und des
Leistungsfaktors. Im Inselbetrieb ist y i 1, und das Verhältnis k,/T, bleibt relativ
konstant, nämlich etwa 0.25-0.35. Bei Netzbetrieb nehmen mit starrer werdender
Netzverbindung yQund somit auch y stark zu, die Zeitkonstante T, nähert sich immer
mehr dem Wert T,', während k, gegen null strebt.

13.1.2.2 Reglerauslegung
Bei einer Verstärkung der ErregereinrichtungxSpannungsregler von k, k, = 200
ergibt sich mit den Daten von Beispiel 13.1 im ohmsch-induktiven Inselbetrieb eine
Kreisverstärkung k, = k, k, k, von 100-200 und so eine Regelabweichung von
13.1 Erregersysteme und Spannungsregelung der SM 571

0.5- 1%. Bei rein statischer Erregereinrichtung würde theoretisch eine einfache
Proportionalregelung genügen. Es ergäbe sich die relativ hohe Schnittfrequenz

Die Darstellung der SM mit einer einzigen Zeitkonstante wird allerdings bei dieser
schnellen Regelung ungenau, da dann die subtransienten Zeitkonstanten nicht mehr
vernachlässigbar sind. lnteraktionen mit den Torsionsschwingungen sind möglich.
Eine zu schnelle Regelung hat außerdem zur Folge, dass die Sättigungen (Abb. 13.1,
13.4) auch bei kleinen Störungen wirksam werden. Die Schnelligkeit ist dann illuso-
risch, da die Regelgeschwindigkeit von der Deckenspannung bestimmt wird. In der
Praxis wird eine Regelung vorgezogen, die um Ca. einen Faktor 10 langsamer ist. Für
mögliche lnteraktionen mit den elektromechanischen Schwingungen s. Abschn.
13.1.2.4.
Eine solche Regelung lässt sich mit einem „lag6'-Regler

realisieren (Blockschaltbild Abb. 13.8a), wobei T, meist etwas kleiner als die indukti-
ve Volllastzeitkonstante gewählt wird, z. B. T, = 0.6 T„'. Für Beispiel 13.1 ergäbe
sich T, = 1 s. Die Schnittfrequenz hängt dann (s. Frequenzgang Abb. 13.9) von der
Wahl der Zeitkonstanten T , ab. Bei statischer Erregung ergibt sich für das Beispiel
13.1 für k„ k, = 200 und T, = 20 s, entsprechend Abb. 13.7c, im Inselbetrieb je nach
Belastung der SM o,= 2.5-3.5 radls. Bei rotierender Erregung ist T, > 0, und die
Schnittfrequenz wird leicht reduziert (gestrichelte Linie in Abb. 13.9). Ist die Phasen-
reserve ungenügend (Anhang 111.5), kann ein PD-Anteil hinzugefügt werden, mit

Abb. 13.8. Realisierung des Spannungsreglers, KR K, = k, k, U)U„ K,= k, U)lJ„,


572 13 Spannungsregelung und Spannungsstabilität

welchem die Dämpfung optimiert wird, und der Regler nimmt folgende „lag-lead-
Form an

Der lag-Anteil kann auch mit einer Differentialrückfuhrung gemäß Abb. 13.8b
realisiert werden, wobei die Äquivalenz gilt: T, = T, (I + k, k,).
Die Einfuhrung einer Blindleistungsstatik verändert nur geringfügig die Kreisver-
stärkung, ist f i r die Reglerauslegung also unwesentlich.
In Systemen mit Gleichstromgenerator wird oft auch die Schaltung Abb. 1 3 . 8 ~
verwendet. Die Übertragungsfunktion von Erregereinrichtung + Regler lautet dann

T , + T, = Te + Td(l + k, k, k,)
mit (
T,T2 = T,T,

Es folgt dasselbe Resultat wie GI. (1 3.17), jedoch mit dem Nachteil, dass Regelabwei-
chung, Schwingungsfrequenz und Dämpfung nicht mehr unabhängig voneinander
gewählt werden können.

Abb. 13.9. Frequenxgang (Amplitude)der Übertragungsfunktion des aufgeschnittenen


Regelkreises (Anhang 111.5)

13.1.2.3 Verhalten bei kapazitiver Belastung


Bei rein kapazitiver Belastung ist X = X , , und die Übertragungsfunktion der SM
nimmt wegen G1. (1 3.10) die Form an

1 mit T; T„I Xe - X ,
.
Gs(s) = -- I '
= -
(13.19)
Xc-Xd l+sT&
13.1 Erregersysteme und Spannungsregelung der SM 573

Real Axis
Abb. 13.10. Nyquist-Diagramm von GI. (13.20), Beispiel 13.1, X, = 0.9 p.u.

Sobald X, < X,, wird die Zeitkonstante negativ, und bei der ungeregelten SM tritt
Selbsterregung ein (Band 1, Abschn. 6.5.1.3). Für die geregelte Synchronmaschine
erhält man wegen GI. (1 3.17) die Übertragungsfunktion des aufgeschnittenen Regel-
kreises

Mit den Daten von Beispiel 13.1 und der Reglerauslegung von Abschn. 13.1.2.2 weist
das Nyquist-Diagramm Abb. 13.10 (berechnet mit Matlab, Control System Toolbox)
für eine Belastung X, = 0.9 p.u. < X, die Stabilität des geregelten Systems nach (s.
auch Anhang 111.1).

13.1.2.4 Wirkung der Drehzahl


Aus GI. (13.6) folgt analog zu GI. (13.8)

Den Zusammenhang zwischen Drehzahl und elektrischer Leistung einschließlich


primärer Drehzahlregler (dessen Übertragungsfunktion hier mit R,(s) bezeichnet wird)
liefert Abb. 1 1.1. Gilt für die elektrische Leistung (Last) der Ansatz p = k u ", erhält
man

Es ergibt sich das Blockschaltbild von Abb. 13.1 1a, das auf jenes von Abb. 13.1 1b
reduziert werden kann, mit
574 13 Spannungsregelung und Spannungsstabilität

Abb. 13.11. Wirkung des Drehzahlregelhreises auf die Spannungsregelung

Da i.d.R. der Drehzahlregelkreis deutlich langsamer als der Spannungsregelkreis


arbeitet, ist der Einfluss der Übertragungsfunktion K„(s) nur für sehr langsame
Spannungsänderungen (niedrige Frequenzen) spürbar.

13.1.2.5 Kopplung mit dem Synchronisierkreis


In Abschn. 12.1.4 wurde die Beeinflussung der Synchronisierschwingungen durch den
Spannungsregelkreis anhand der Abb. 12.10- 12.12 veranschaulicht. Durch die
Anwesenheit eines Pendeldämpfungsgeräts, welches die Polradwinkelstabilität ver-
bessert, wird die Kopplung von Synchronisier- und Spannungsregelkreis verstärkt.
Dementsprechend wirkt der Synchronisierkreis aufden Spannungsregelkreis zurück
und beeinflusst dessen Verhalten. Aus den erwähnten Abbildungen folgt das Block-
diagramm in Abb. 13.12a, mit welchem diese Beeinflussung untersucht werden kann.
Es kann auf das Blockdiagramm gemäß Abb. 13.12b reduziert werden mit

Die Funktion K,(s) modifiziert in Anwesenheit des Pendeldämpfungsgeräts das


Verhalten des Erregersystems, während K2(s) die Regelstrecke beeinflusst.
Die Übertragungsfunktionen F(s), K(s), D(s), K,(s) sind in Abschn. 12.2 beschrie-
ben.
Abb. 13.12. Wirkung des Synchronisierkreises auf die Spannungsregelung

13.1.2.6 Netzverbindung
Ausgangspunkt f i r die Analyse der Spannungsregelung war Abb. 1 3 . 5 ~mit einer
Belastung der SM bestehend aus Belastungsadmittanz y, und Netzadmittanz yQ.Die
maßgebende Belastung ist y = y, + yo . Diese Größen werden bei Netzkopplung
folgendermaßen durch (rein statische) Netzreduktion erhalten:
Das Netz bestehe aus n Knoten, wovon m Generatorknoten und n-m Lastknoten.
Werden mit I, U, Strom und Spannung des betrachteten Generators, mit I„ U, jene
der übrigen Generatoren und I,, U, jene der Lastknoten (jeweils in einem Vektor
zusammengefasst) bezeichnet, folgt die Beziehung

worin Y„ Knotenpunktadmittanz-Teilmatrizen darstellen. Wird die Netzbelastung


durch
576 13 Spannungsregelung und Spannungsstabilität

dargestellt, lässt sich Y, in die Diagonalterme von Yßß integrieren

U„, = Y„ + Y, (13.27)
und es folgt aus der dritten Zeile von (1 3.25)
-
UB = - y-l (13.28)
BBL ('BO U + 'BG G
') +

Wird in die erste Zeile der GI. (13.25) eingesetzt, erhält man

~ = ( Y o o - Y o B ~ ~ ~ L ~ B o ) ~ + ( Y o G - Y o(13.29)
B ~ ~ ~ L ~ B

und mit der vereinfachenden Annahme


,y ,J%,
U ~ t Q > (13.30)
die stationär gut erfüllt ist, da die Generatorspannungen konstant gehalten werden,
folgt schließlich aus dem Vergleich mit GI. (13.2)

Die letzte Näherung ergibt sich, da die 6„ klein sind.

13.2 Regelung von Stufentransformatoren


13.2.1 Reglerauslegung
Mit Bezug auf das Schema in Abb. 13.13a und auf die stationären Transformatorma-
trizen in Band 1, Abschn. 4.5.1 (bei Vernachlässigung des Magnetisierungsstromes),
lautet der p.u. Zusammenhang (mit der Annahme Primärseite = Oberspannungsseite)
in der H-Matrixform (Band 1, Abb. 4.19):

Das entsprechende Ersatzschema zeigt Abb. 13.13b. Die Sekundärspannung u, sei die
geregelte Spannung. Werden die Netzgleichungen

il = yl (aQI- ul) , i =
-2 y2 (a2- aQ2) (13.33)

eingeführt und die Ströme und U, eliminiert, erhält man


13.2 Regelung von Stufentransformatoren 577

Abb. 13.13. Regelung des Stufentransformators

üp Bel + C U
U = , C = - 2( 2l + z y l )
mit
-2 ..2
Up + " Y1
(1 3.34)
und fur den Regelkreis das Blockdiagramm in Abb. 13.14. Die Größe K charakter-
isiert die Regelstrecke.
Durch Wahl des lntegralreglers

werden Stellbefehle oder Störungen (letztere verursacht durch eine Änderung von Y,
oder y2)mit der Zeitkonstanten

ausgeglichen. Diese ist bei mechanischer Steuerung recht groß, meist > 10 s. Zu
beachten ist, dass für ü„, = 1 + K < 0 und infolgedessen KR< 0 gewählt werden muss.

Beispiel 13.2
Die Oberspannung eines Transformators mit lnnenreaktanz X, = 0. I p.u. sei über eine
Reaktanz xQ= 0.2 p.u mit dem starren Netz verbunden. Unterspannungsseitig werde
der Transformator mit der Impedanz r + j X belastet. Man berechne die Größe K f i r

Abb. 13.14. Regelkreis des Stufentransformators


578 13 Spannungsregelung und Spannungsstabilität

verschiedene Belastungen mit der Annahme uQ,= 1.2 p.u. Man überprüfe die Span-
nungsstabilität bei rein induktiver Belastung.

Leerlauf X+.. , c = O , u2 = +
12
U
, für u„=l --F ü0=1.2

1.2 ü
induktive Volllast r = 0 , x = 1 , c = 0.3 , -- , für Ü20 = 1
- ü2+0.3

1.2 ü
ohmsche Volllast r = 1 , x = 0 , c = j 0.3 , u2 =
ü2+j0.3

Die Stabilitätsgrenze des Regelkreises wird für

erreicht (für rein induktive Last). Mit obigen Daten tritt Instabilität bei Volllast
(C= 0.3) erst für ü < 0.55 auf; selbst mit einer Überlast von 50% ist noch dc = 0.67,
man befindet sich also außerhalb des Regelbereichs des Transformators (meist 20 *
%). In einem schwachen Netz mit z.B. xQ= 0.4 und für X, = 0.15 ist hingegen für eine
Überlast von 20% (X= 0.833) C = 0.66 + dc = 0.8 13 ein Spannungskollaps innerhalb
des Regelbereichs + 20 % möglich.

13.2.2 Lastflussberechnung mit Regeltransformator


Für die Simulation des Transformators sei von der Darstellung in Band 1, Abschn.
4.8.2, Abb. 4.30 ausgegangen. Mit der Näherung ß =: 0 (Band 1 , GI. 4. 13) lautet die
Transfonnatonnatrix in Y-Form (wenn auch i, das Einspeisestrom-Vorzeichen
aufweist, wie dies bei Lastflussberechnungen üblich ist) und üPu= ü„, + Aü„
13.2 Regelung von Slukntransformatoren 579

Der Transformator wird als Transfomator mit fester Übersetzung dargestellt und die
Stufenregelung mit den regelbaren Einspeiseströme erfasst. Für diese gilt

Das entsprechende Rechenschema zeigt die Abb. 13.15. Wird die Lastflussberech-
nung mit dem Newton-Raphson-Algorithmus durchgeführt (Band 1, Abschn. 9.6.2),
sind die Einspeiseströme durch Einspeiseleistungen zu ersetzen
As = U Ai*
Aus (13.39) folgt mit llz = Y,.

und werden die Spannungen mit Betrag und Phase und die Admittanz mit Betrag und
Verlustwinkel ausgedrückt (Band 1, GI. 9.78), schließlich

Ap, = - A üP ui y12U, sin(6, - O2 - a12)


Ag, = -AüP'uiy12u2 C O S ( O ~ - ~ , - O ~ ~ ~ )
Ap, = -AüP u2y12U, sin(02-01 -a12)
2
+ A üP (2üOP+ AÜP')uZ sin(-a12)
Ag2 = -AüPu2y12u1 C O S ( O ~ - Q ~ - C ~ , ~ )
2
+ A üP'(2üOP'+ AÜP)u2 COS(-alZ) .

Bei der Durchführung der Lastflussberechnung wird die geregelte Spannung U,


vorgegeben, der Iterationsschritt liefert U , ,6,,6, und Aq„ woraus mit der vierten der
Gln. ( 1 3.41) die Korrektur der Transformatorübersetzung Aü„ berechnet und an-
schließend mit den ersten drei der Gln. (13.41) die Leistungsinjektion für den
nächsten lterationsschritt ermittelt wird.
In dynamischen Berechnungen und Simulationen (s. Kap. 10) wird die Spannung U,
nicht fest vorgegeben, sondern die Regelschlaufe Abb. 13.14 integriert, wobei in
jedem lterationsschritt die Lastflussberechnungan Stelle derNetzgleichungen ( 1 3.33)
tritt.

Netz, einschlieRlich
Transformator

( Stufenregelung I
Abb. 13.15. Rechenschema Netz mit Stufentransformator
580 13 Spannungsregelung und Spannungsstabilität

13.3 Geregelte Kompensationsanlagen

Spannungsprofil und Spannungsschwankungen sind eng mit den Blindleistungsflüssen


im Netz gekoppelt. Für eine gute Spannungshaltung (und damit auch Sicherstellung
der Spannungsstabilität) genügt es i.d.R. nicht, die Blindleistung allein von den
Generatoren regeln zu lassen; es werden zusätzlich Kompensationsanlagen eingesetzt
und optimal im Netz verteilt und betrieben (fiir optimale Lastflussverteilung s. Kap.
14). Große Blindleistungsflüsse verschlechtern nicht nur das Spannungsprofil,
sondern verursachen Verluste und vermindern so auch direkt die Wirtschaftlichkeit
des Netzbetriebs.
Im lokalen und regionalen Verteilnetz wird der Blindleistungsbedarf vorwiegend
durch die Lasten bestimmt. Zweckmäßig ist dann eine Kompensation mittels Parallel-
kondensatoren, die je nach Bedarf stufenweise zu- und abgeschaltet werden mit dem
Ziel, die Spannungshaltung zu verbessern und die Verteilverluste zu reduzieren. Die
Schaltung der Kondensatorstufen kann elektromechanisch (Relais) oder mit leistungs-
elektronischen Mitteln geschehen. Seriekompensation wird nur im Sonderfall einge-
setzt (Näheres in Band 1, Abschn. 9.5.3.3).
Im Hoch- und Höchstspannungsnetz wird versucht, den Blindleistungsfluss durch
optimale Koordination der Generatoren und Kompensationsanlagen zu minimieren.
Je nach Zeitpunkt kann insgesamt eine Blindleistungseinspeisung (bei Spitzenbela-
stung im Netz) oder eine Blindleistungsaufnahme (bei schwacher Last, z.B. in der
Nacht) notwendig sein. Als Kompensationsanlagen werden Synchronkompensatoren
(Band 1, Abschn. 6.6.2.3) und leistungselektronisch geregelte rein statische Anlagen
eingesetzt, die nachstehend näher erläutert werden (zu deren Wirkung und Einsatz-
bereich s. auch Band 1, Abschn. 9.5.3, Vertiefung bezüglich FACTS in Kap. 15).

13.3.1 Parallelkompensation mit SVC


Die SVC-Anlage (Static Var Compensator), besteht aus thyrktorgeregelten Drosseln
(TCR) mit dazu parallel geschalteten Kondensatoren (Abb. 13.16). Die Thyristor-
Steuerung (Zündwinkelsteuerung) ergibt im linearen Flussbereich der Drosseln eine
praktisch lineare Strom-Spannungscharakteristik, deren Neigung vom Steuenvinkel
abhängt. Die Anlage kann so dimensioniert werden, dass sowohl Blindleistung
abgegeben (bei sperrenden oder teilweise sperrenden Thyristoren) als auch aufgenom-

i I

TCR
Abb. 13.16. Spannungsregelung (Kompensation)mit thyristorgeregelten Drosselspulen
(TCR = Thyristor Controlled Reactor)
13.3 Geregelte Kompensationsanlagen 581

'1 U 12
Netz 1 r Netz 2

Abb. 13.17. Regelung der Kompensationsanlage

men werden kann (bei leitenden Thyristoren). Auch die Kapazität C kann steuerbar
gemacht werden, indem sie durch thyristorgeschaltete Kondensatoren (sog. TSC-
Abzweige) ersetzt oder ergänzt wird. Die Anlage wird direkt oder über einen Trans-
formator an die Sammelschiene angeschlossen.
Innerhalb des Regelbereichs und mit der Annahme, die Oberschwingungen seien
durch Filter eliminiert, kann die Anlage durch eine variable Admittanz Y = j B (mit
B = resultierende Suszeptanz) dargestellt werden (Abb. 13.17). Mit den einfachen
Netzgleichungen (I 3.33)gilt in p.u. (d.h. mit BezugaufdieNetznennspannung U, und
die Nennleistung Sr):
i = y u
j = j - 1
- -1 -2
il = y1 (uQ1- u )
i2 = y2 (U-U Q2 ) .

Werden die Ströme eliminiert, folgt für Spannung und Leistungsaufnahme

Den Regelkreis zeigt Abb. 13.18. Er ist linear, wenn die nichtlineare Phasenan-
schnittsteuerung mit der Umkehrfunktion kompensiert wird. Die Konstante K be-
schreibt die Regelstrecke. Analog Abschn. 13.4 kann

gewählt werden, womit Störungen des Gleichgewichts mit der Zeitkonstanten

Abb. 13.18. Regelkreis der Kompensationsanlage


582 13 Spannungsregelung und Spannungsstabilität

ausgeglichen werden. Die Größe K ist > 0 und damit ist auch KR > 0 zu wählen.
Mit leistungselektronischen Elementen lässt sich die Regelung sehr schnell machen.
Die rein statische Betrachtung der Netzelementen ist jedoch nur so lange richtig, als
die Schnittfrequenz des Regelkreises o,= KRK << 3 14 (bei 50 Hz). Nähert man sich
diesem Wert, muss für eine korrekte Auslegung des Reglers die LC-Dynamik (trans-
formatorische Spannungen der Netzelemente) mitberücksichtigt werden.
Für andere Regelfunktionen, die für die Polradwinkelstabilisierung eingesetzt
werden können, sei auf Kap. 15 verwiesen.

Beispiel 13.3
Netz 1 werde in Abb. 13.17 durch die Spannung uQ,= 1.05 p.u. und die Reaktanz xQ
= 0.2 p.u charakterisiert. Netz 2 sei ein passives Netz mit Belastung r + j X, somit ist
uQ, = 0. Man berechne die Größe K für verschiedene Belastungen und überprüfe die
Spannungsstabilität.
1 1
Z=JXT, = ,
r +jx
, r =jb
JXQ
uQl ( r + j x )
--> = , mit c=l-bxQ
r C + j(xQ+x C ) (1 3.46)

Leerlauf x -+ , u = - , für [ U [ =1 --r C = 1.05


C

nduktive Volllast r = O , x = l , u = ---,


U ~ l für lul=l --X c=0.85
XQ + C
- --> b = 0.75 , K = 0.20

,hmsche Volllast r = l , x = O , = -, U ~ lfür lul=l --F c=1.0(


2
Xe + c2
- --> b = 0 , K=0.19.
Die Größe K hängt für ein starkes Netz 1(xQklein) wenig von den Belastungsverhält-
nissen ab und ist dann angenähert gegeben von
13.3 Geregelte Kompensationsanlagen 583

Mit einem schwachen Netz I wird K variabel und kann sehr klein oder gar negativ
werden. Dann tritt lnstubilitut auf; gemäß GI. (1 3.46) ist für K < 0 auch C < 0 (und
somit b > I1 xQ). Für Stabilität muss gelten

Diese Bedingung ist dann erhllt (auch für X = 0), wenn die Leistung der Kompensa-
tionsanlage deutlich kleiner ist als die Kurzschlussleistung des Netzes (Faktor 1.1 in
Mittel- und Hochspannungsnetzen, s. Band 1, Abschn. 9.2)

13.3.2 Statische Konverter (STATCOM)


Neben den seit vielen Jahren eingesetzten SVC-Anlagen werden (in Zukunft ver-
mehrt) leistungselektronische Geräte eingesetzt, die abschaltbare Elemente enthalten
(GTO, IGBT, IGCT) und so die Realisierung von selbstgefuhrten Kompensations-
anlagen ermöglichen (für das Prinzip s. Band 1, Abschn. 7.3.2 sowie Abschn. 15.2).
An konventionellen Elementen werden nur noch Kondensatoren zur Glättung benö-
tigt. Der leistungselektronische Aufwand ist zwar wesentlich größer, doch insgesamt
kann das Anlagengewicht um einen Faktor 3 - 5 reduziert werden.
Die Abb. 13.19 zeigt den Aufbau. Der Stromrichter erzeugt eine dreiphasige
Wechselspannung E, die in Phase ist mit der Netzspannung U. Ist E > U, fließt über
die Transformatoradmittanz Y, = 11 j X, in der angegebenen Stromrichtung ein
kapazitiver Blindstrom, d.h es wird dem Netz eine Blindleistung geliefert. Ist die
Spannung kleiner als die Netzspannung, wird hingegen eine Blindleistung aufgenom-
men. Die Gleichungen (13.42) können übernommen werden, jedoch mit

1 = y, (u - e ) statt i = y u.

I Netz 1

Abb. 13.19. a) Statischer Kompensator, S selbstgeführter Stromrichter. TTransformator,


C Glättungskondensator b) Ersatzschaltbild
584 13 Spannungsregelung und Spannungsstabilität

Dementsprechend ist die GI. (13.43) durch die folgende zu ersetzen

y1 'QI + y2 'Q2 + yT e
U =
- , s = u y',(e* - u * )
Yi + T* +
(1 3.48)
-->
u (e-U)
4" 9 e = Ws) (Uso, - u )
X~
(q = gelieferte Blindleistung, ist in Phase mit g ). Die Auslegung des Reglers ist
analog zu Abschn. 13.5.1, wobei jetzt.

Für eine eingehendere Analyse s. Abschn. 15.4.1.

13.3.3 Seriekompensation
Bei der Seriekompensation wird die Leitungsreaktanz durch die Einschaltung von
Kapazitäten, i.d.R. an beiden Enden der Leitung, manchmal auch in der Mitte oder
an anderer geeigneter Stelle, teilweise kompensiert. Wegen der Resonanz bei Netz-
frequenz kommt eine volle Kompensation nicht in Frage; meistens liegt der Kompen-
sationsgrad bei 30-60 %. Über Wirkung und Berechnung s. auch Band 1, Abschn.
9.5.3.
Die Kondensatoren sind gegen Kurzschlussstrom zu schützen, da dieser eine
Spannung über dem Kondensator erzeugt, welche die Größenordnung der Netz-
spannung annehmen kann, fur die der Kondensator nicht dimensioniert ist. Als Schutz
werden parallel geschaltete Funkenstrecken oder Überspannungsableiter verwendet
(Abb. 13.20a). Zum Thema Überspannungsableiter s. Band 1 , Abschn. 14.6.3.
Eine geregelte Seriekompensation wird mit der Schaltung Abb. 13.20b erzielt.
Durch die Schaltung eines TCR-Abzweigs mit variabler induktiver Admittanz,
parallel zur Kapazität C wird die resultierende Admittanz Y, des Kompensations-
elements kontinuierlich verändert.

Abb. 13.20. a) Klassische Seriekompensation mit Schalter und Überspannungsschutz


b) ASC (Advanced Series Compensator): Seriekompensation mit TCR -Element
13.3 Geregelte Kompensationsanlagen 585

Ein weiteres Element ist der ASC oder TCSC (Thyristor Controlled Series Compen-
sator), der vorwiegend zur Lastflusskontrolle und Dämpfung von Leistungspende-
lungen verwendet wird. Nähere Angaben sind in Abschn. 15.3.2 zu finden.
Im Folgenden sei die Anwendung zur Blindleistungs-ISpannungssteuerung näher
betrachtet. Das entsprechende Ersatzschaltbild zeigt Abb. 13.2 1 a.
Als Steuergröße a sei das Verhältnis der Admittanz des induktiven zu jener des
kapazitiven Zweiges definiert. Im Kompensationsbereich variiert die resultierende
kapazitive Admittanzzwischen oC und einem minimalen Wert (Abb. 13.2 1 b). In p.u.
gilt
ys=jb , mit b = w C Z r ( l - a ) = b , ( l - a ) (13.50)
mit a = 0 ..... a„„ < 1. Prinzipiell könnte eine solche Anordnung auch im induktiven
Bereich arbeiten (a > 1) und im Kurzschlussfall den Kurzschlussstrom begrenzen.
Vorläufig istjedoch diese Anwendung im Vergleich zur klassischen Strombegrenzung
mit Drosseln (Band 1, Abschn. 9.2.4) noch unwirtschaftlich.
Besteht z.B. das Netz 2 aus einer Verbindung Y, zum starren Netz und einer
lokalen passiven Last Y, gelten die p.u. Gleichungen
i = y
- (U
-QI - U*)
i = y -2u + Y 2 @ - U Q2 )
" y, ( U , - U 2 ) .
Durch Eliminieren von Strom und Spannung U , ergibt sich

'QI + y2 Ys Y1
, mit
+

U^ =
U2 Y , =
y, = --, , (13.52)
Ys + Y1
woraus z.B. für die Regelung auf eine vorgegebene Spannung u, die für die Regel-
strecke charakteristische Konstante K = dlu,i /da in Abhängigkeit der Belastung
bestimmt werden kann.

Abb. 13.21. Regelung der Seriekompensationsanlage


Steuergröße a = Verhältnis von induktiver zu kapazitiver Admittanz
586 13 Spannungsregelung und Spannungsstabilität

13.4 Statische Spannungsstabilität der SM


Die statische Stabilität ist eine notwendige Bedingung für die Stabilität im Kleinen
wie im Großen (Anhang III.2), weshalb wir zunächst diese untersuchen am Fall einer
Synchronmaschine (SM) im Inselbetrieb, die über eine Netzreaktanz einen Last-
knoten speist. Die gewonnenen Einsichten werden dann auf den allgemeineren Fall
des vermaschten Netzes übertragen.
Kurzzeit-Spannungsinstabilitäten lassen sich bei Motorlast nicht ausschließen und
sind i.d.R. mit der Polradwinkelinstabilität gekoppelt. Sie lassen sich mit denselben
Methoden, die in den Kap. 10 und 12 angewandt wurden, untersuchen (s. dazu auch
Abschn. 13.6). Manchmal ist die Spannungsstabilität im Kurzzeitbereich gegeben,
geht jedoch infolge Regelungsvorgängen im Langzeitbereich verloren.
Zur Analyse der statischen Stabilität gehen wir von der in Abb. 13.22 dargestellten
Schaltung und dem entsprechenden Zeigerdiagramm aus. Stationär sind zwei Fälle
zu unterscheiden.
Ist die SM ungeregelt oder die Regelung unwirksam, z.B. wenn sich die SM an
ihren Leistungsgrenzen befindet, stellt die Quellenspannung E die vom Erreger-
strom abhängige Polradspannung (also E = E,) und der Winkel a den Polradwin-
kel relativ zur betrachteten Lastknotenspannung dar. Die Netzreaktanz X schließt
die synchrone Reaktanz der SM sowie Transformator- und Leitungsreaktanzen ein.
Bei wirksamer Spannungsregelung ist stationär die Spannung E betragsmäßig
ebenfalls konstant. Dann gilt E = U„ (mit U„ = Leerlaufspannung der SM), und
die der Blindstrom-Statik entsprechende kleine Reaktanz X, tritt an Stelle der
synchronen Reaktanz. Auf die Erfassung der Widerstände kann auf der Höchst-
und Hochspannungsebene, die vor allem für die Spannungsstabilität von Bedeu-
tung sind, in erster Näherung verzichtet werden.
Der Zusammenhang zwischen der Quellenspannung E, der Lastknotenspannung U
und den abgegebenen Leistungen P und Q ist formal identisch zum Fall der Vollpol-
SM am starren Netz (Band I, Abschn. 6.6.2, 6.6.2.4). Man erhält:

Abb. 13.22. Von einer Synchronmaschine über eine Netzreaktanz


abgcgcbcnc Leistung, Schema und Zcigcrdiagramm
13.4 Statische Spannungsstabilität der SM 587

E
P = u Q, - sincl
ur
(13.53)
Q = U Q, (-
E
cosa - U) , mit Q, =
uir .
-
ur X
Q, ist eine für die Schaltung charakteristische, zur Netzreaktanz X umgekehrt
proportionale Blindleistung (welche der Kurzschlussleistung der Netzverbindung
entspricht) und U die p.u. Spannung der Last. Werden auch E und die Leistungen in
p.u. ausgedrückt (mit Bezugsgrößen U, und Sr), folgen die Gleichungen
U e'
p =qo-sina , mit qo = - = e 29,
e X
(13.54)
U U
q = qo - (cosa - -).
e e
Durch Eliminierung des Winkels a mit Hilfe der Beziehung sin2 a+cos2 a = I lässt
sich U in Abhängigkeit von p und q ausdrücken

Die entsprechende SpannungsJluche für ohmsch-induktive Last (q 0) zeigt die Abb.


13.23a. Auffallend ist die wesentlich stärkere Abhängigkeit der Spannung von der
Blindlast als von der Wirklast, was durch die Abb. 13.23b und 1 3 . 2 3 hervorgehoben
~
wird. Deutlich wird ebenso, dass die Spannung zusammenbrechen kann, wenn die
Wirklast oder die Blindlast oder eine Kombination von beiden eine bestimmte Grenze
überschreitet. Die Bedingungen dazu werden im folgenden genauer unter die Lupe
genommen durch Schneiden der Spannungsfläche mit der vertikalen Ebene für cos
cp = konst. oder der Fläche, die der Lastkennlinie p = p,(u) entspricht.

13.4.1 (U, P)-Kennlinien bei konstantem Leistungsfaktor


Weist die Last einen von der Spannung unabhängigen konstanten Leistungsfaktor auf
oder sorgt eine Kompensationsanlage für konstanten cos cp, befindet man sich in
einer vertikalen durch den Ursprung des Koordinatensystems gehenden Ebene der
Abb. 13.23a. Dann kann in der GI. (13.55) q = p tan cp eingesetzt werden, und man
erhält
588 13 Spannungsregelung und Spannungsstabilität

. .:.
. . ..
. . .. . ' .
. . .
. . ... ...
.. ... ..<
.
.. .
.. .. .
. . . .,**'.:.
. . . . . . .
.
. . ... . .. */*.*;, :. ./.....:...
'
.
L
. . .
. . .
.. . p = p, (U)
. ~~ijklastk&t-mf!äche
/~... ./.,: .. . .
. . . .. I
1.:
.". . , . :. .. . . . ..

08
-
U
e o

t :.
0
0

-- --
01 02
P
03

qo
OA 05

Abb. 13.23. a) Spannungsfläche U = f (p, q) der Schaltung Abb. 13.22


b) Ansicht aus der q-Richtung C ) Ansicht aus der p-Richtung
0 01 02 03
q
qo
04 05

Daraus folgt der in Abb. 13.24 dargestellteZusammenhang zwischen U und p. Für die
maximale Wirklast und die entsprechende kritische Spannung erhält man

Das Stabilitätsverhalten wird von der Spannungsabhängigkeit der Wirkbelastung


beeinflusst. Zuerst sei der ungünstigste Fall einer spannungsunabhängigen Wirklast
betrachtet.
13.4 Statische Spannungsstabilität der SM 589

P
h-
qo
Abb. 13.24. Spannungsverhalten bei konstantem 1,eistungsfaktor

13.4.1.1 Spannungsunabhängige Wirklast


Ist die Wirklast p, unabhängig von der Spannung, wird die Lastkennlinie von einer
Vertikalen dargestellt (gestrichelte Linie a), und es stellt sich z.B. für cos cp = 1 der
Betriebspunkt A ein. Dieser Fall tritt in der Praxis bei motorischer Last auf, wenn der
cos cp von einer Kompensationsanlage konstant gehalten wird. Überschreitet die
Wirklast die maximale Leistung P„, , bricht die Spannung zusammen. Gemäß GI.
(1 3.57) ist für cos cp = 1 die kritische Spannung eIJ2 = 0.71 e, der Spannungskollaps
also statisch bei einer Spannungsabsenkung von knapp 30% zu erwarten.
Die Spannungsstabilitut wird von den folgenden zwei Faktoren beeinflusst:
- Die Große von q, . Für cos cp = 1 ist z.B. P„„ = 0.5 q, . Je größer q, = e2q, , d.h.
bei spannungsgeregelter SM (e = I ) je kleiner X oder steifer das Netz, desto
besser ist die Stabilität. Instabilität kann also z.B. dann auftreten, wenn als Folge

- -
einer Störung Leitungen ausfallen, X größer und das Netz somit weicher wird. Im
Fall der spannungsgeregelten SM (e I , q, = q,) ist z.B. für cos cp = 1, wenn X =

-
0.3 p.u. + q, 3.33 p.u. und P„, = 1.67 p.u.; erhöht sich aber X auf 0.5 p.u., ist
q, 2 p.u und P„„ = I p.u., die Nennleistung also bereits kritisch. Arbeitet die SM
an der thermischen Blindleistungsgrenze, wird q, ebenfalls vermindert. Die
Polradspannung e ist dann zwar Ca. 2.5 p.u., aber X wird um die synchrone Reak-
tanz z.B. um 2 p.u. erhöht, womit q, = 2S71(2 + 0.3) = 2.72 statt 3.33.
- Der Leistungsfaklor der Last. Je induktiver die Last, desto geringer die Span-
nungsstabilität; so ergibt sich für cos cp = 0.7, wieder für X = 0.3, nur noch P„„
0.67 p.u. Ist umgekehrt die Last ohmsch-kapazitiv oder wird der cos cp durch die
-
Kompensationsanlage kapazitiv gehalten, werden die Spannungshaltung und die
Stabilitätsmarge erheblich verbessert (s. Abb. 13.24, Fall cos cp = 0.95 kapaz.).
Dasselbe Verhalten ist bei der Analyse der elektrischen Leitung festgestellt worden
590 13 Spannungsregclung und Spannungsstabilität

(Band 1, Abschn. 9.5.1). Optimale Kompensation ist für die Spannungsstabilität


des Netzes von erstrangiger Bedeutung. Die Sicherheit kann durch eine sekundäre
Blindleistungsregelung pro Teilnetz, die dafür sorgt, dass die Spannung in einem
zentralen Knotenpunkt des Teilnetzes das notwendige Niveau einhält, erheblich
verbessert werden [I 3.31.
13.4.1.2 Wirklast mit spannungsabhängigem Lastanteil
Bei den üblichen Mischlasten enthält die Wirklastkennlinie einen vertikalen Anteil
(motorische Lasten) und einen mit der Spannung zunehmenden Anteil (s. Band 1,
Kap. 7). Letzterer würde im Fall ohmscher Widerstände quadratisch zunehmen. Als
Beispiel ist in Abb. 13.24 die Kennlinie b eingetragen. Die kritische Spannung ist
dann etwas kleiner als der von (13.57) gegebene Wert. Der Betrieb ist stabil (z. B.
in B,), solange

Der Ausdruck rechts ergibt sich, weil cos cp = konstant ist. Er drückt, wie in Abschn.
13.4.2 deutlich werden wird, allgemein die statische Stabilitätsbedingung aus. Es ist
leicht einzusehen, dass der Betriebspunkt B, in Abb. 13.24 instabil ist, da sich bei
leichter Abnahme der Spannung ein Wirkleistungs- und somit auch Blindleistungs-
defizit einstellt, das ein weiteres Absinken der Spannung nach sich zieht. Für eine
tiefergehende theoretische Analyse s. [13.5].
13.4.1.3 Verhalten bei reiner lmpedanzlast
Bei reiner lmpedanzlast sind sowohl die Wirklast als auch die Blindlast quadratisch
von der Spannung abhängig (gleichgültig wie die Impedanzen geschaltet sind). Die
Lastkennlinie hat in der Ebene mit konstantem cos cp (WX = konst.) einen ent-
sprechenden Verlauf (Kurve C in Abb. 13.24). Es tritt keine Instabilität auf, da die
Stabilitätsbedingung (13.58) immer, z.B. auch im Punkt C, erfüllt ist. Spannungs-
instabilität ist also vor allem auf motorische Lasten zurückzuführen.
13.4.1.4 Wirkung von Transformatoren mit variabler Übersetzung
Mit Bezug auf das Schema gemäß Abb. 13.25 sei die Reaktanz des Transformators
in die Netzreaktanz integriert, und der ideale Transformator mit p.u.-Übersetzung ü„
werde der Last zugeschlagen. Zwischen der für die Netzstabilität maßgebenden
Spannung U und der Lastspannung U, besteht die Beziehung U = ü„ U,. Für eine Last
s, die aus einem konstanten Anteil und einer Impedanzlast z besteht, gilt

Abb. 13.25. lnselbetrieb mit rcgclbarcm Transformator


13.4 Statische Spannungsstabilität der SM 59 1

Die entsprechende Lastkennlinie ist für verschiedene Werte von ü„ in Abb. 13.26
eingetragen. Sinkt die Spannung auf Grund einer Störung (die z.B. eine Erhöhung der
Netzreaktanz, d.h. Verkleinerung von q, zur Folge hat), wird der Spannungsregler,
im Bestreben die Lastspannung konstant zu halten, die Übersetzung ü vermindern,
bis die Spannung U, und somit auch die Last wieder stimmen. Der Betriebspunkt
wandert zunächst von 1 nach 2 und beim Eingreifen der Regelung nach 3. Die
Stabilitätsmarge verringert sich.

vor Storung
Upu = I
1 0 95
nach Storung
2 Y
, /I, 0 9
*
/ / *3
i
/
\

/ I 1

Abb. 13.26. Eingreifen der Lastspannungsregelung nach einer Störung iin Netz

13.4.2 (U, q)-Kennlinien bei vorgegebener Wirklast


Ist die Kennlinie der Wirklast bekannt, gilt p = p,(u), und die Spannung U kann mit
GI. (13.55) in Abhängigkeit von p, und q, oder q in Abhängigkeit von U dargestellt
werden: man erhält GI. (13.59). Für reine Blindlast (Grenzfall p, = 0) folgt Abb.
13.27, die im folgenden analysiert wird. Ausgehend vom Leerlaufpunkl mit U = e,
verschiebt sich der Betriebspunkt bei zunehmender induktiver Belastung auf der
Parabel, z.B. in S„ wobei der Spannungsabfall Au auftritt.
592 13 Spannungsregelung und Spannungsstabilität

Mit der Annahme q, sei unabhängig von U und werde somit von einer vertikalen
Kennlinie (z.B. Kennlinie a) beschrieben, ist bei zunehmender Blindlast ein Gleich-
gewicht oberhalb des Punktes C, mit der Blindleistung q„„ = q, 14 und der Spannung
U„ = e/2 nicht mehr möglich und die Spannung bricht zusammen. Die Spannungs-
absenkung beträgt im kritischen Punkt 50%.
In der Praxis kommt eine von der Spannung unabhängige Blindlast kaum vor.
Meist enthält die Blindlast einen konstanten Anteil und einen quadratisch von der
Spannung abhängigen Anteil, z.B. gemäß Kennlinie b. Die Instabilität tritt dann bei
zunehmender Blindlast nicht in C,, sondern erst in C, auf. Die Punkte I, und I, sind
instabil, da, wie bereits erwähnt, bei leichter Abnahme der Spannung ein Blindlei-
stungsdefizit entsteht, das ein weiteres Absinken der Spannung verursacht. Die
Stabilitätsbedingung lautet somit

Ohne spannungsunabhängige Anteile, z.B. bei Belastung mit einer Reaktanz X„ ist
q, = u' /X, und, wie die gestrichelte Kurve C nachweist, der Betriebspunkt Sc wegen
(13.60) stabil.
Wird die Schaltung Abb. 13.22 nicht induktiv, sondern kapazitiv belastet (q < O),
erhöht sich die Spannung (Punkt D in Abb. 13.27). Der Abstand zur statischen
Stabilitätsgrenze nimmt zwar zu, die nähere dynamische Analyse zeigt jedoch, dass
wegen der Resonanz der inneren Reaktanz der SM mit der Kapazität beim Über-
schreiten einer bestimmten kapazitiven Blindlast doch eine Spannungsinstabilität
auftritt, die zu einer theoretisch unbegrenzten Spannungssteigerung fuhrt (Selbst-
erregung, für Näheres s. Abschn. 13.1.2.3 und Band 1, Abschn. 6.5.1.3).

0 0.05 0.1 0.15 0.2 0.25 0.3 0.35 0.4


+ 4
--

40
Abb. 13.27. Spannungsverhalten der Schaltung Abb. 13.22 für p,= 0 in Abhängigkeit
von der Blindlast für verschiedene Ulindlastkennlinien
13.4 Statische Spannungsstabilität der SM 593

Wird die Schaltung in Abb. 13.22 mit p = p, vorbelastet, ergibt sich das in Abb.
13.28 dargestellte Spannungsverhalten, wobei vereinfachend angenommen wurde, die
Wirkbelastung sei spannungsunabhängig. In diesem Fall folgen aus der zweiten der
Gln. (13.59) folgende maximale Blindleistung und die entsprechende kritische
Spannung

Der allgemeine Fall mit beliebiger spannungsabhangiger Wirklast lässt sich aus der
zweiten der GI. (1 3.59) berechnen und ist für eine gegebene Wirklast in Abb. 13.29
dargestellt. Mit der eingezeichneten Kennlinie der Blindbelastung sind der Betriebs-
punkt S stabil und der Betriebspunkt I instabil. Allgemein lautet die statische Stabili-
tätsbedingung (Stabilitätsgrenze entsprechend Punkt C)

(U)' - (O,2
J e 90
In der dreidimensionalen (p,q,u)-Darstellung von Abb. 13.23a ergibt sich folgende
geometrische Interpretation: Der Schnitt der Wirklastkennfläche p = pL(u) mit der
Spannungsfläche U = f((p,q) liefert eine Spannungslinie, deren Projektion in der
(q,u)-Ebene identisch ist mit der parabelformigen Kurve von Abb. 13.29. Den
Betriebspunkt (dessen Projektion der Punkt S von Abb. 13.29 ist) ergibt sich als
Schnittpunkt dieser Spannungslinie mit der Blindlastkennfläche q = qL(u).

Abb. 13.28. Spannungsverhalten der Schaltung Abb. 13.22 in Abhängigkeit von der
Blindlast für p, konstant
594 13 Spannungsregelung und Spannungsstabilität

Abb. 13.29. Fall mit spannungsabhängigcr Wirk- und Blindlast


S stabiler Betriebspunkt, I instabiler Betriebspunkt. C Stabilitätsgrenze

13.4.3 Darstellung mit der Generatorblindleistung


Interessant ist auch der Zusammenhang zwischen der Blindleistung an den Generator-
klemmen und der Blindleistung im Lastpunkt. Er erlaubt eine alternative, für die
Erweiterung auf den Fall des vernaschten Netzes wichtige Formulierung der Stabili-
tätsbedingungen. Aus Abb. 13.22 erhält man
Q, = Q + 3 x 1 2 , ( Q ~ + P ~ ) = ~ (EQ~ ~I +~ P, ~ ) = ~ u ~ I ~ .
Werden die p.u. Größen eingeführt und der Strom eliminiert, folgt mit q, = e2 lx

Abbildung 13.30 zeigt die graphische Darstellung in der (q,q,)-Ebene der ersten
dieser Gleichungen für verschiedene Werte der als spannungsunabhängig angenom-
menen Wirkleistung p,. Die maximal zulässige Blindlast wird wieder von GI. (13.61)
gegeben, wobei die kritische Generatorblindleistung q„, = q, 12 unabhängig von p,
ist. Für p = p,(u) ergibt sich durch iterative Lösung dieser zwei Gleichungen ein
ähnliches Resultat.
Im (q,q, ,U)-Raum stellt für p = p, = konstant die erste der Gln. (13.63) eine
vertikale zylindrische Fläche und die zweite eine Spannungsfläche dar. Deren
Schnittlinie sei als Spunnungslinie bezeichnet (Abb. 13.31). Die Projektion der so
erhaltenen Spannungslinie in der (q,u)-Ebene entspricht der Abb. 13.28, während die
Projektion in der (q,q,)-Ebene mit der Darstellung in Abb. 13.30 übereinstimmt. Dies
gilt auch, wenn p = p,(u), wobei dann eine iterative Rechnung erforderlich ist.
13.4 Statische Spannungsstabilität der SM 595

Abb. 13.30. Generatorblindleistungq „ in Abhängigkeit von der Blindlast q für


verschiedene Werte der spannungsunabhängigen Wirklast p,

Auch die Stabilitätsbedingung (Cl. 13.60) lässt sich in dieser Darstellung inter-
pretieren und verallgemeinern. Dazu sei in den Gln. (1 3.63) q durch q,(u) ersetzt und
die gleiche Rechnung durchgefiihrt. Das Resultat ist eine zweite Spannungslinie und
entsprechende Projektionen, die in Abb. 13.32 der Abb. 13.3 1 überlagert sind.

Abb. 13.31. Spannungsverlauf in Abhängigkeit der Generator- und Lastknotenblind-


leistung für eine gegebene Wirklast
596 13 Spannungsregelung und Spannungsstabilität

Abb. 13.32. Spannungsverlauf in Abhängigkeit der Generator- und L,astpunktblind-


leistung q bzw. Blindlast q, (U)für eine gegebene Wirklast.

Die Projektion in der (q, U )-Ebene ist identisch mit der Abb. 13.29 mit dem
stabilen Punkt S b dem instabilen Punkt I , und dem kritischen Punkt C,. Die ent-
sprechenden Betriebspunkte sind auf der Spannungslinie und in der (q, q,)-Ebene
wiederzufinden. Insbesondere der Punkt C, stellt die Stabilitätsgrenze in der (q, q,)-
Ebene dar. Die Verhältnisse in dieser Ebene sind deutlicher in Abb. 13.33 zu sehen.
Die Stabilitätsbedingung lautet

Manchmal wird diese Bedingung auch dqldq, > 0 geschrieben, was streng genommen
nicht korrekt ist, jedoch keinen Schaden anrichtet, da in der Praxis q, immer mit der
Spannung zunimmt und die Ableitung dqL/dq, negativ ist. Deren Vernachlässigung
kann als zusätzliche Sicherheitsmarge betrachtet werden. Um sie zu berücksichtigen,
kann aus den Gln. (1 3.63) gesetzt q = qL(u)

berechnet werden. Sind die Funktionen p,(u) und qL(u) bekannt, folgt die Ableitung
(dq,ldu) und somit auch daldq, = (dqLldu)l(dqJdu).
13.4 Statische Spannungsstabilität der SM 597

Abb. 13.33. Stabilitätsbedingungin der (q, q ,)-Ebene, q „)q, = 0.1 14 + 0.15 ( ~ie)~

13.4.3.1 Sicherheitsindizes
Um den Abstand von der Stabilitätsgrenze zu charakterisieren, werden verschiedene
Indizes (voltage stability indices, s. auch [I 3.31) verwendet, z.B. mit Bezug auf die
Stabilitätsbedingungen (13.26) und (13.33) oder analog zu o = (P„, - p)/p„,

k, =
(47,- d9) U
- oder k, =-
d9-dgL-
-- 4 oder o4 =-
9--9
(13.66)
du 9 4, d9, 9-
wobei q„, entsprechend GI. (13.61) eingesetzt werden kann.

13.4.3.2 Lastkennlinien
Zur Beurteilung der Stabilitätsreserve muss die Spannungsabhängigkeit der Lastkenn-
linien bekannt sein (s. dazu auch Band 1, Kap. 7). Statische Verbraucher, z.B.
ohmsche Verbraucher und Impedanzen, haben eine quadratische Abhängigkeit von
der Spannung. Bei rotierenden Verbrauchern hängt die Wirkleistung nur transient
quadratisch von der Spannung ab, stationär wird sie vom Belastungsmoment be-
stimmt und ist somit spannungsunabhängig(s. Abschn. 12.4); einen ähnlichen Verlauf
hat die Blindleistung bei der Asynchronmaschine (s. Abschn. 10.2.2 und Band I,
Abschn. 7.1, GI. 7.35). Die summarische Darstellung arbeitet mit Mischmodellen
(z.B. Abschn. 10.2 und Band 1, Abb. 7.17) oder stellt die Blindbelastung durch eine
quadratische Funktion dar, die einen Konstantimpedanz-, einen Konstantstrom-, und
einen Konstantleistunganteil enthält

Allgemeines zum Thema Spannungsstabilität ist auch in [13.2], [13.4]) zu finden.


598 13 Spannungsregelung und Spannungsstabilität

13.5 Statische Spannungsstabilität im vermaschten Netz


Sind m Generatoren in einem Netz mit n Knoten wirksam, nimmt die Netzgleichung
folgende Form an (Band I , Abschn. 9.6)

worin P, die Wirkleistung des Bilanzknotens, P den Vektor der Wirkleistungen aller
anderen Knoten, Q den Vektor der Blindleistungen der Lastknotenpunkte und G;
jenen der Einspeisungen darstellen. Links ist die Länge der Vektoren angegeben.
Durch Auflösung der ersten zwei Zeilen nach 8 und Ü und Einsetzen in die 4.
Zeile folgt

Mit der Annahme, alle Wirkleistungen


- P seien gegeben, ebenso die Generator-
spannungenU(; sowie alle Blindlasten außer die des betrachteten Lastknotens k,
folgt m m

QG =f(Qk) --F CeGi= ~ < Q , > - - F Q, =~(CQ,)


U, =ftQ,) --.
i=l

U,
m
= f t ~ , ,CQ,)
I= l
.
i=l
(13.70)

Die beiden Gleichungen sind eine Verallgemeinerung der Gln. (13.63), in welchen
die Blindleistung des einzigen Generators durch die Summe aller Generatorblind-
leistungen ersetzt ist. Damit kann ein zu GI. (13.66) analoger Sicherheitsindex
definiert werden
AQk
k, =

Um ihn zu berechnen, kann für kleine Änderungen die Netzgleichung um einen


stationären durch eine Lastflussberechnung ermittelten Netzzustand linearisiert
werden. Es folgt
13.5 Spannungsstabilität im vermaschten Netz 599

Dabei ist vorausgesetzt worden, dass die Spannungen U, durch die Spannungsrege-
lungen konstant gehalten werden. A, B, C, D sind die Funktionalmatrizen (Jacobi-
Matrizen) der Netzgleichungen.

Etwas einfacher geschrieben, lautet dieser Zusammenhang

Die Auflösung der Lastflussgleichungen wird normalerweise mit der Annahme


durchgeführt, die Last sei spannungsunabhängig. Für alle vorgegebenen Lasten gilt
dann AP = 0, AQ = 0. Bei Spannungsabhängigkeit der Last gilt hingegen

In der Matrix L, die diese Abhängigkeit ausdrückt, sind nur die Diagonalkoeffizien-
ten, welche die Abhängigkeit der AP, von AU, und der AQ, von AU, ausdrücken,
verschieden von null. Die erste der Beziehungen (13.73) gilt weiterhin, wenn A
durch AL= A + L ersetzt wird
600 13 Spannungsregelung und Spannungsstabilität

Durch Eliminierung der Spannung (Betrag und Winkel) aus den Gln. (1 3.75) folgt

Mit der Annahme, alle Wirkleistungen seien gegeben und lediglich die Blindlast des
jeweils betrachteten Lastknotenpunktes k ändere, folgt aus GI. (1 3.76) die Sensitivität
der Generatorblindleistungen relativ zu den Blindlasten

AQ, = s AQ , (13.77)
worin S eine Teilmatrix von C AL-' darstellt. Aus GI. (13.77) lässt sich mit GI.
(13.71) der Sicherheitsindex aller Lastknoten berechnen:

Das negative Vorzeichen berücksichtigt, dass im Lastflussprogramm üblicherweise


die Einspeiseleistungen positiv sind und für die Last somit AQ, = -AQ.
Die Sicherheitsindizes können im Rahmen einer Echtzeit-Lastflussberechnung
dauernd überwacht werden. Von der Belastung muss dann die Spannungsabhängig-
keit bekannt sein, z.B. durch ein Polynom dargestellt und evtl. laufend neu identifi-
ziert werden.
Eine weitere Möglichkeit besteht darin, die Sicherheitsindizes, ausgehend von einer
gegebenen Lastsituation, schrittweise für progressiv zunehmende Last zu berechnen.
Die Steilheit der Lastkennlinie und damit die Matrix L wird bei jedem Schritt neu
ermittelt. Damit können die in weichen Netzen vorkommenden kritischen Lastsitua-
tionen im voraus erkannt werden.

13.6 Dynamik

Die statische Stabilität ist zwar notwendige Bedingung, jedoch keine Garantie weder
für die Stabilität im Kleinen noch fiir jene im Großem. Instabilität ist grundsätzlich
ein dynamischer Vorgang. Die Stabilität im Kleinen ist nur dann sichergestellt, wenn
alle Eigenwerte der Systemmatrix im betrachteten Betriebspunkt negative Realteile
aufweisen (Anhang 111.2).
13.6 Dvnamik 60 1

13.6.1 Kurzzeitanalyse
Zur Analyse des Kurzzeitbereichs (i.d.R. Sekundenbereich) können die in Kap. 10
angegebenen Modelle und Methoden eingesetzt werden.
Ein rascher Einbruch der Spannung kann z.B. bei Motorlast dann stattfinden, wenn
nach einer plötzlichen Störung kein (statisches) Gleichgewicht mehr möglich ist
(starke Erhöhung der Netzreaktanz) und die Motoren kippen. Dasselbe geschieht,
wenn im Kurzschlussfall (Stabilität im Großen) der Fehler nicht schnell genug
abgeschaltet wird. Eine oszillatorische Instabilität kann bei Motorlast dann auftreten,
trotz statischer Stabilität, wenn die Eigenwerte des Systems „spannungsgeregelte SM
+ Motor" negative Realteile aufweisen [13.5]. Dies kann vermieden werden durch
Kompensationsmaßnahmen, z.B. mittels SVC (Abschn. 13.3, [13.1]).

13.6.2 Langzeitinstabilität
Wie bereits in Abschn. 13.4.1 erwähnt, ist manchmal die Spannungsstabilität im
Kurzzeitbereich gegeben, geht jedoch infolge Regelungsvorgängen im Langzeit-
bereich verloren. Zur Untersuchung können die für den Langzeitbereich gültigen
Modelle nach Abschn. 10.1 und 10.2 eingesetzt werden, welche die im Sekunden-
bereich wirksamen Zeitkonstanten vernachlässigen. Allgemeine Simulationsprogram-
me eignen sich ebenfalls dazu (Abschn. 10.4). Eine eingehende Analyse der Lang-
zeitinstabilität ist in [13.5] zu finden.
Teil V Betriebsplanung und -führung
14 Betriebsplanung

Methoden zur Lösung der Betriebsführungs- und Planungsprobleme eines vertikal


integrierten Energieversorgungszlntenehmens (VIEVU) sind seit Jahrzehnten be-
kannt [l4.l l l , [14.7], [14.13], [14.15], [14.9],(usw., s. dazuauch [14.2], [l4.l]), und
werden im folgenden zuerst zusammenfassend dargelegt und dann aus der Sicht der
liberalisierten Energieversorgung ergänzt. Dies setzt die Kenntnis der elementaren
mikroökonomischen Grundgesetze voraus, weshalb ein diese erklärender Abschnitt
vorangestellt wird.
Das Planungsproblem lässt sich in Betriebsplanung bei vorgegebenen Netz- und
Krafhverkskapazitäten und Kapazitutsenueiterungsplanungunterteilen. Im folgenden
befassen wir uns vor allem mit dem Betriebsoptimierungssproblem, dessen Lösung
aber auch wichtige Entscheidungsgrundlagen für die Erweiterung des Netzes liefert.

II Mikroökonomische Grundlagen
Die Produktionskosten K der Menge Q eines Gutes setzen sich aus den festen Kosten
A und den variablen Kosten B(Q) zusammen

Betriebswirtschaftlich sind vor allem die Durchschnittskosten k und die Marginal-


kosten oder Grenzkosten m von Bedeutung, definiert durch

Ist die Kostenkurve konvex, existiert eine minimale effiziente Produktionsmenge Q„


bei welcher die Durchschnittskosten minimal werden. Durch Ableitung der ersten der
beiden Gln. (14.2) erhält man

Bei der Produktionsmenge Q, stimmen die Grenzkosten m, mit den minimalen


Durchschnittskosten km, überein (Abb. 14. la). Um die Kosten zu decken und einen
Gewinn zu erwirtschaften und zu maximieren, sind für das Unternehmen zwei
Bedingungen zu erfüllen:
- Der Marktpreis muss über den minimalen Durchschnittskosten liegen.
- Die Produktion ist auszuweiten (über die minimale effiziente Größe hinaus), bis
die Grenzkosten mit dem Marktpreis übereinstimmen.
Ein Konkurrenzmarkt kann sich dort herausbilden, wo die Nachfrage wesentlich
größer ist als die minimale effiziente Produktionsmenge der einzelnen Unternehmen.
Die Angebotskurve ergibt sich dann als Summe der Produktionsmengen der Unter-
nehmen in Abhängigkeit von den Grenzkosten xQ(m) und der Marktpreis als Schnitt-
punkt (Gleichgewichtspunkt) dieser Kurve mit der Nachfragekurve (Abb. 14.1b)
Ist eine Branche rentabel, weitet sich, nicht zuletzt auch durch das Auftreten neuer
Marktakteure, deren Produktion aus, und die Angebotskurve verschiebt sich nach
rechts. Dadurch reduziert sich bei gleicher Nachfkagekurve der Marktpreis. Die
Konkurrenzsituation hat zur Folge, dass sich theoretisch und langfristig ein Gleich-
gewicht bei der minimalen effizienten Produktionsmenge einstellt. Da aber nicht alle
Unternehmen die gleichen minimalen Durchschnittskosten aufweisen, werden in der
Praxis die unrentablen Unternehmen vom Markt verschwinden und nur die rentablen
(mit den kleinsten minimalen Produktionskosten) sich behaupten können.
Im Fall der Elektrizität spielt der Faktor Zeit eine erhebliche Rolle, da die Gesamt-
nachfrage, aber auch das Angebot erheblich schwanken können (Tagmacht, Win-
terlsommer). Nicht alle Unternehmen sind flexibel in Ihrem Angebot. Gewisse
Unternehmen sind darauf spezialisiert, nur in Spitzenzeiten bei hohem Marktpreis zu
liefern.

Beispiel 14.1

a) b)
Kosten Preis

f Unternehmen t Markt

Abb. 14.1. a) Durchschnittskosten k und Marginalkosten rn des Unternehmens


b) Marktpreis als Schnittpunkt von Angebots- und Nachfragekurve

Die Jahreskosten C eines Unternehmens werden durch eine quadratische Funktion der
Produktion Q beschrieben: C = a, + a , Q + a, Q2. Man bestimme die minimale
effiziente Produktionsmenge, die minimalen Durchschnittskosten und den Profit bei
Verkauf zu den Grenzkosten.
14.2 Retriebsoptimierung cines VlEVlJ 607

14.2 Betriebsoptimierung eines vertikal integrierten


Energieversorgungsunternehmens
Das vertikal integrierte Unternehmen besitzt und betreibt ein Energieversorgungs-
System, bestehend aus thermischen und hydraulischen Kraftwerken sowie aus dem
Übertragungsnetz. Die Betriebsoptimierung setzt sich in ihrer einfachsten Form zum
Ziel, die Kosten der Energieproduktion eines Zeitabschnittes T durch optimale
Steuerung der Leistungen der einzelnen Kraftwerke zu minimieren.
Die Produktionskosten setzen sich aus einem Grundanteil und einem energie-
abhängigen Anteil zusammen. Die Grundkosten sind bedingt durch Aufwendungen
für Amortisierung, Zinsen, Personalkosten, Unterhalt usw. und laufen unabhängig von
der jeweiligen Produktion auf (s. auch Abschn. 2.2). Die energieabhängigen Kosten
steigen bei einem thermischen Kraftwerkpark mit der erzeugten Leistung nach einer
nichtlinearen stufenartigen Kurve an, können jedoch im Mittel durch eine etwas mehr
als linear monoton ansteigende Kurve approximiert werden. Bei hydraulischen
Krajtwerken sind die Kosten praktisch energieunabhängig.
Von den Produktionskosten spielen für die kurzfristige optimale Betriebsführung
(bei gegebenen Kapazitäten) nur die variablen d.h. von der produzierten Energie
abhangigen (energieabhangigen) Kosten der thermischen Kraftwerke eine Rolle. Der
Energieaustausch mit benachbarten Netzen kann, wenn die Austauschenergie Frei-
heitsgrade besitzt, d.h. die Leistung nicht ständig vorgegeben ist, ebenfalls in die
Optimierung einbezogen werden. Kostenfunktionen der Austauschenergie sind dann
zu spezifizieren und können wie jene der Kraftwerke behandelt werden.
Der Bedarf an Wirk- und Blindleistung sei fur die betrachtete Periode T und für die
einzelnen Netzknotenpunkte bekannt oder als Erwartungswert darstellbar. Die
entsprechenden Belastungskurven werden für die numerische Behandlung des
Problems diskretisiert, d.h. durch treppenförmige Diagramme mit Treppenstufen der
Dauer At ersetzt. Das Optimierungsproblem lässt sich dann auf 4 Grundprobleme,
d.h. schließlich auf 4 Gruppen von Rechenalgorithmen rcduzieren:
- Netzberechnung (Leistungsflussberechnung)
- Optimale Leistungsverteilung (OPF = optimal power flow)
- Optimale Speicherbewirtschaftung
- Optimaler Einsatzplan dcr thcrmischen Gruppen (unit commitment)
In bezug auf die Größe der Optimierungsperiode werden verschiedene Stufen unter-
schieden:
a) Langfristige (Jahres- und Mehrjahres-) Optimierung
b) Mittelfristige Optimierung (Woche, Monat)
C) Kurzzeitoptimierung (Tag)
d) Momentane Optimierung
Die Stufe d) wird on-line erfolgen und dient als tertiäre Steuerung der Führung der
Frequenzleistungsregelung (Kap. 11). Alle Optimierungsstufen können durch Einsatz
einer oder mehrerer der vier erwähnten Gruppen von Rechenalgorithmen gelöst
werden. Wir setzen uns deshalb zuerst mit den 4 Grundproblemen auseinander, um
608 14 Betriebsolanune

dann in den folgenden Abschnitten die einzelnen Optimierungsstufen näher zu


betrachten.

14.2.1 Netzberechnung
Das Netz wird durch die Netzgleichungen dargestellt

worin und Q die Vektoren der Knoten-Wirk- und Blindleistungen sind, die als
Differenz von Erzeugung und Verbrauch definiert werden (Band 1, Abschn. 9.6.1 ).
Bei vorgegebenen Knotenleistungen werden aus den Gln. (14.4) die Spannungen U
und die Phasenwinkel6 in allen Knoten des Netzes bestimmt. Im Bilanzknoten wird
normalerweise 6 = 0 gesetzt; die Wirkleistung wird nicht vorgegeben, sondern ergibt
sich aus der Berechnung und ist gerade so groß, dass die Wirkleistungsbilanz erfüllt
ist. In den Einspeiseknoten werden meist nicht die Blindleistungen, sondern die
Spannungen vorgegeben.
Begrenzungen aller Art sind zu berücksichtigen (Band 1 Abschn. 9.6.3), so z.B.
neben jener der Einspeiseleistungen auch jene der Spannungen und der Phasenwin-
keldifferenzen 7weier benachbarter Knoten (s. Band 1, Abschn. 9.6.5). Auch kom-
pliziertere Nebenbedingungen (z.B. Strombegrenzungen, Über~etzungsbe~renzun~
variabler Transformatoren, rotierende Reserve) können berücksichtigt werden. Die
Begrenzung der Leistung aufden einzelnen Übertragungsleitungen, mit Rücksicht auf
deren Erwärmung oder aus Stabilitätsgründen, erfolgt vielfach durch die erwähnte
Begrenzung der Phasenwinkeldifferenz des Spannungszeigers zwischen Anfang und
Ende der Leitung.
Zur Lösungdes Gleichungssystems (14.4) sind mehrere Methoden bekannt, z.B. die
iterative Knotenmethode (Gauß-Seidel) und vor allem das Newton-Raphson-Verfah-
ren (Band 1, Abschn. 9.6.2).
Die wichtigsten Zusammenhänge werden im folgenden wieder aufgegriffen und
vertieft.
14.2.1.1 Leistungseinspeisung, Zweigleistung, Verluste
Bei Vorgabe der Netzimpedanzen, die durch ihre Zweigadmittanzen Y„'~)oder
Knotenadmittanzen Y „gegeben sind (Band 1, Abschn. 9.3.1)

flb)
-ik
für kzi
14.2 Betriebsoptimierung eines VIEVU 609

ergeben sich folgendeNetzgleichungen, welche die in den Knoten injizierten Leistun-


gen ausdrücken (Band 1, Abschn. 9.6.1)

Für die in den Zweigen fließenden Leistungen gilt

Die Admittanz Y„(") berücksichtigt die Hälfte der Zweigqueradmittanz. Durch


Einsetzen von Strom und Admittanz folgt

Für die Wirk- und Blindleistung der Netzzweige erhält man, da die Quenvirkverluste
vernachlässigbar sind (G„"" = G„'")),

Die Zweig-Wirkverluste folgen aus der ersten der (14.8)


pvrk = pik + pki = 3 G$) [ U: + U: - 2 U,ukcos(6,- B,)] . (14.9)
Statt durch Aufsummierung der Zweigverluste nach GI. (14.9) können die Gesamt-
verluste auch direkt aus den Einspeiseleistungen bestimmt werden (Band 1, GI. 9.94)

14.2.1.2 Verlustberechnung
Mit der sehr guten Näherung cos X = 1 - x2/2 (Winkeldifferenz immer klein) wird GI.
(14.10) zu

Werden folgende Koeffizienten eingeführt


erhält man aus GI. (14.1 l), bei Berücksichtigung, dass für den Bilanzknoten 1 -> 6,
=0

Der Vektor 6 hat die Dimension ( n 1) und die Matrix T ( n l)x(n- I).

Im Rahmen der Gleichstrom-Näherung (DC-power,flow) wird U , = U, = U gesetzt.


Der erste Term von G1. (14.13) wird null und T = U2 G (wobei G jetzt die Dimension
( n I)x(n- I) aufweist ). Es folgt in p.u. (Bezugsgrößen Sr = 3 Ur2Y,, U = 1)

Zur Berechnung des Lastflusses wird die Näherung cos X = 1 und sin X = X verwendet,
wodurch sich die Gln. (14.6) und (14.8) vereinfachen, da C b „ = 0, 6, = 0

Dies bedeutet, dass bei der Berechnung des Leistungsflusses die Verluste vernachläs-
sigt werden. Aus der ersten der Gln. (1 4.15) folgt

worin =Vektor der freien Leistungen, b = ( n 1)x ( n 1)-Matrix und die zweite der
Gln. (14.15) wird

wobei die Gleichung auch für i = 1 (Bezugsknoten) gilt mit der zusätzlichen De-
finition ( b ' ) „= 0. Mit den Gln. (14.14) und (14.16) lassen sich auch die Verluste
in Abhängigkeit von den Knotenleistungen ausdrücken

P,= p ' h p ' , mit h = ( b - ' ) ' g b - ' . (14.18)

Mit der exakten Berechnung GI. (14.10) (oder der exakteren Näherung GI. 14.13),
welche den Einfluss der Spannungen und somit auch des Blindleistungsflusses auf die
Verluste berücksichtigt, kann die Genauigkeit des DC-Verfahrens überprüft werden.
Für den AC-Leistungsfluss s. Anhang V und Band 1 Abschn. 9.6.
14.2 Retriebsoptimierung eines VlEVU 61 1

14.2.2 Netzberechnung mit Spannungseinkopplung


Mit dem Einsatz von FACTS-Geräten (Näheres in Kap. 15) wird es möglich, durch
Einkoppeln einer Spannung AU„ in eine Leitung, auf den Blind- oder Wirkleistungs-
fluss Einfluss zu nehmen. Mit Bezug auf Abb. 14.2 gelten in p.u.

woraus
U, cos AB, = U, + Au, cosq,
U, sinA6, = Ayk sinqik .
Bei reiner Längsregelung ist

bei reiner Querregelung hingegen

oder auch, da A6,, klein ist ,

Für die übertragenen Leistungen ergibt sich analog G1. (14.8), indem yk durch y„
ersetzt wird, in p.u.

Abb. 14.2. Wirkung eines UPFC-Geräts


6 12 14 Betriebsplanung

Bei reiner Querregelung (Wirkleistungsregelung) und unter den Annahmen des DC-
Lastflusses, mit ui = U, = U„ = 1, g„(b) << bkb)und (Bi - B, - Ai3;,) klein, folgen die
einfacheren Beziehungen (s. auch Gln. 14.15 und 14.9)

n
Knotenleistung pi = bik fiik ,
k= 1
(b) 8 2
Zweigverluste p, = gik ik

b, = Imaginärteil der Knotenadmittanz


g f ) + jb$) = Zweigadmittanz .
wobei zwischen Knotenleistung und Zweigleistung die Beziehung (14.17) gilt.
In Zusammenhang mit dem OPF (Abschn. 14.2.3) ist es von Vorteil, die Span-
nungseinkopplung durch eine äquivalente Stromeinkopplung gemäß Ersatzschema
Abb. 14.3azu ersetzen, bzw. durch Strom- oder Leistungsinjektionen, die als zusätzli-
che Freiheitsgrade eingeführt werden (Abb. 14.3b).

Abb. 14.3. Zu Abb. 14.2 äquivalente Schemata (in p.u.)

14.2.3 Optimaler Leistungsfluss (OPF)


Ein ökonomisch optimaler Betriebszustand wird, ausgehend von einem durch die
Netzberechnung ermittelten kongruenten Zustand, durch Änderung der Wirk- und
Blindleistungen der Kraftwerke, Einstellungen von Regeltransformatoren und
FACTS-Geräte (entsprechend den vorhandenen Freiheitsgraden, s. auch Band 1,
Abschn. 9.6.5) erreicht, in der Weise, dass die energieabhängigen Produktionskosten
der betrachteten Periode T minimal werden. Zur Optimierung werden meist auf der
linearen und nichtlinearen Programmierung basierende Verfahren verwendet [ I 4. I],
[14.12]. Für eine allgemeine Formulierung des OPF-Problems s. auch Anhang V.
14.2 Betriebsoptimierung eines VlEVU 613

14.2.3.1 Wirkleistungsoptimierungmit Verlustfunktion


Die Produktionskosten setzen sich zusammen aus den Kosten C„, der thermischen
fiafn~erkeund den Kosten C,, der hydraulischen k r a f ~ e r k eDie
. Kosten der ther-
mischen Kraftwerke (im wesentlichen Brennstoffkosten), kumuliert über die Zeit T
= 1 At, werden meist mit genügender Näherung durch einen quadratischen Ansatz in
Funktion der produzierten Energie E„, dargestellt

C, = C C Fth(Eth(AtN C @ , ( W
T th
=
T (14.25)
2
mit F,(E,)=a,+a,Eth+a2E,, E,=P,At.
Die Kosten der hydraulischen Leistung (exakte Definition in Abschn. 14.2.4) lassen
sich in Funktion des Wasserverbrauchs W,, ausdrücken, wobei auch hier ein quadrati-
scher Ansatz i.d.R. zulässig ist
C, = C F(E,(A~)) = ? / . ( C FP(E~(A~))
- FPT)
T T (14.26)
mitWh(Eh)= b, + b,Eh + b, E;
(F' = transponierter Vektor von p = [F h]). WT ist der vorgeschriebene Wasserver-
brauch der Periode T, der von der übergeordneten Optimierungsstufe festgelegt wird,
und ph demzufolge die Kostenbewertung einer möglichen Abweichung des Ver-
brauchs der Periode T vom vorgeschriebenen Wert. Die Leistung von Laufkraftwer-
ken ist i.d.R. durch die vorhandene Wassermenge vorgegeben.
Das Optimierungsproblem des hydrothermischen Verbundes lautet für eine vor-
gegebene Last, mit i als allgemeinen Einspeiseknoten (i = th oder h)

C = C + P'. ( C F P ( ~ h ( A t ) WT)
) --'
Min (14.27)
T T T

Da die Wirkleistungen die Wirkleistungsbilanz erfüllen müssen, ist eine entsprechen-


de Nebenbedingung einzuführen, ferner ist zu berücksichtigen, dass die Leistungen
eine obere und eine untere Grenze aufweisen. Für alle At gilt

mit P, = Last in den Lastknoten (P, = LP, = Gesamtlast) und P, Wirkverluste des
Übertragungsnetzes.
Als Steuevvariablen sind neben den unabhängigen Wirkleistungen auch die Blind-
leistungen (oder Spannungen) zu berücksichtigen. Diese haben Einfluss auf die
Betriebskosten über die Wirkverluste P,.
Schließlich sei erwähnt, dass der Vektor P , der vom Speicherbewirtschaftungs-
Programm berechnet wird, über die ganze Periode T konstant ist. Dies hat zur Folge,
dass GI. (14.27) sicher erfüllt ist, wenn jeder Unterabschnitt At optimal ist. Sie kann
also ersetzt werden durch

F(E,,(A~))+ P'. w(E,(A~)) - - > Min , (14.29)


6 14 14 Betriebsplanung

und das Leistungsverteilungsproblem nach Vorgabe von P unabhängig für die


einzelnen Zeitabschnitte At gelöst werden.
Die Anwendung des Lagrangeverfahrens (s. Anhang V) fuhrt somit zur Lagrange-
funktion

mit h, v m a x , V,,,,,, = Lagrange'sche Multiplikatoren. Die Multiplikatoren V„, , V„„


(immer 20) sind i. 0, nur wenn eine der Begrenzungen wirksam wird. Sie treten dann
an Stelle der Differentialkosten, die unbestimmt sind (Abb. 14.4).
Die Optimumsbedingung für eine beliebige Ciirkleistungseinspeisung P, lautet
allgemein (Energie E, = P, . At), gesetzt V = V„, - V,,,,,

Schreibt man diese getrennt für die r thermischen und dies hydraulischen Kraftwer-
ken, erhält man

Sind alle Kostenfunktionen und Wasserverbrauchskurven sowie Wasserwerte be-


kannt, kann dieses System von (r + s ) Gleichungen zusammen mit der Leistungs-
bilanz und die wirksamen Begrenzungen in GI. (14.28) nach den ebenso vielen
Unbekannten P„,, P,,, A, V aufgelöst werden.
In einem Netz ohne Verluste bzw. bei Vernachlassigung der Netzverluste und ohne
wirksame Begrenzungen wären die optimalen Grenzkosten aller Generatoren gleich
zu h. Die optimale Leistungsverteilung folgt dann unmittelbar (d.h ohne Netzbe-

Abb. 14.4. Differentialkosten des Kraftwerks in Abhängigkeit von der 1,eistung


14.2 Betriebsovtimierun~eines VlEVU 61 5

rechnung) aus den GI. (14.32). Mit dem quadratischen Ansatz der Gln. (14.25) und
(14.26) folgt z.B. für die optimalen Energien und Wassermengen

Werden aus W, die Leistungen P, der Wasserkraftwerke berechnet und in die Ener-
giebilanz eingesetzt, folgt der Wert von h.
Bei der praktischen Berechnung wird man z.B. den Wert von h zunächst vorgeben
und daraus anhand der Grenzkostenkurven die Leistungen berechnen und, wenn die
Leistungsbilanz nicht erfiillt ist, 3i. korrigieren bis zur Konvergenz.
Bei Berucksichtigung der Netzverluste verändern sich die Grenzkosten der Kraft-
werke um den Faktor (1 - dPJdP), wobei dieser Verlustfaktor (penalty factor) kleiner
oder größer 1 sein kann, je nach Lage des Kraftwerks. Für die exakte Optimierung des
Lastflusses ist also eine Berechnung der Netzverluste in Abhängigkeit von Wirk- und
Blindleistungseinspeisungen notwendig. Mit dem DC-Leistungsfluss kann dP, IdP
nach (14.18) berechnet werden. Für den Fall des AC- Leistungsflusses mit wirksamen
Begrenzungen s. Anhang V.
Eine okonomische Interpretation des Multiplikators ergibt sich aus folgender
Überlegung. Wird ausgehend von einem optimalen Zustand die Last um
AE, = At AP, geändert (um welche Last sich handelt ist gleichgültig) und ermittelt
die neue optimale Leistungsverteilung, ergibt sich für die Änderung der Gesamtkosten

und durch Einsetzen der Gln. (14.32) und Berücksichtigung der Leistungsbilanz

h beschreibt somit die Marginalkosten des Gesamtverbrauchs des Netzes.

14..2.3.2 Berücksichtigung der Blindleistungen


Relativ zu den Blindleistungseinspeisungen lautet die Lagrange'sche Optimalitäts-
bedingung zur Minimierung der Produktionskosten (Ableitung von GI. 14.30)

Die Grenzen der Blindleistungseinspeisung der Kraftwerke sind mit dem Multiplika-
tor y berücksichtigt, derjetzt an Stelle von V tritt und nur dann verschieden von null
ist, wenn Q = Q„, oder Q = Q„, . Da Wassermenge und Produktionskosten un-
abhängig von der Blindleistungseinspeisung sind, bleibt die Bedingung übrig
Für y = 0 (Blindleistung nicht blockiert), werden die Netzverluste minimalisiert. Mit
anderen Worten, die Produktionskostenminimierungschließt eine Blindleistungs-
optimierung nach dem Kriterium der minimalen Netzverluste ein.
Eine Entkopplung von Wirkleistungs- und Blindleistungsoptimierung ergibt sich
dann fast von selbst nach folgendem iterativen Schema, worin die Verlustberechnung
mit dem AC-Leistungsfluss erfolgt.

Wirkleistungsoptimierung

Blindleistungsoptimierung -1 y

Werden die Netzverluste mit dem DC-Verfahren berechnet, bleiben die Blindlei-
stungsflüsse unberücksichtigt und das erzielte Optimum stellt nur eine ersteNäherung
dar. Die Praxis und theoretische Berechnungen zeigen, dass diese Näherung
zufrieden-stellend ist, solange die Netzblindleistungsflüsse frei fließen können, nicht
aber, wenn Spannungs- oder Blindleistungsgrenzen wirksam werden.
Eine zumindest f i r den Momentanbereich algorithrnisch effizientere Lösung des
OPF erhält man, wenn die Netzgleichungen an Stelle der Wirkleistungsbilanz als
Nebenbedingungen eingeführt werden, womit das Netzberechnungsproblem in den
OPF integriert wird [14.1]. Für Näheres s. Anhang V.

14.2.3.3 Begrenzung der Leistungsflüsse der Leitungen


Das Optimum wird erreicht, wenn
F ( E , ( A ~ ) )= F(&(A~)) + P ' w ( E ~ ( A ~ -) -)> Min (14.38)
mit den Nebenbedingungen (Gleichstromlastfluss)

(14.39)
P,- < Pi < Pi-,
Pjk< Pik- , 1 .....z
worin z die Anzahl Zweige darstellt. Die Lagrangefunktion lautet (Anhang V)
14.2 Betriebsoptimierung eines VlBVU 61 7

Die Multiplikatoren qIi sind nur an den Leistungsgrenzen verschieden von null. Wir
nehmen an, dass dies für z, Zweige zutrifft. Die Optimalitätsbedingungen lauten
dann

Die Variablen des Problems sind insgesamt (r + s + 1 + z,), nämlich: (r+s) Kraft-
werksleistungen Pi oder die entsprechenden V,,wenn diese an den Grenzen arbeiten,
h und z, Multiplikatoren qjk. Zur Verfbgung stehen die (r + s) Gln. (14.41), die
Energiebilanz und die z, Gleichungen P„ = P„ „„. Im Rahmen der Gleichstrom-
Näherung können diese sowie die Koeffizienten dP„ /dP, aus GI. (14.17) entnommen
werden.

14.2.3.4 Beispiel einer momentanen Optimierungsrechnung


Beispiel 14.2
Für das Netz der Abb. 14.5, bestehend aus 3 Knoten mit
- einem thermischen Kraftwerk in Knoten 1 von 100 MW, mit Kosten gemäß GI.
(14.25) mit a , = 20 €/MWh, a,= 3.33 ct/(MWh)',
- einem hydraulischen Kraftwerk in Knoten 2,
- einer Last von 150 MW in Knoten 3,
- Leitungen 220 kV: Verbindung 12 = 50 km, 23 = 60 km, 13 = 20 km, R' = 0.05
Qlkm, X'= 0.3 Rlkm (Querwerte vernachlässigbar),
sind die optimale Leistungsverteilung und die Marginalkosten zu bestimmen, mit und
ohne Netzverlusten, wenn
a) das Wasserkraftwerkein Speicherkraftwerk ist, mit einer installierten Leistungvon
100 MW und gemäß Cl. (14.26): b, = 1200 m3/MWh, b, = 1.2 m3/(MWh)2,
b) das Wasserkraftwerk ein Laufkraftwerk ist, mit aktueller Leistung 80 MW,
b, = 40'000 m3/MWh, b, = 20m3/(MWh)2,
C) im Fall des Speicherkraftwerks, bei hohem Wassenvert, das thermische Kraftwerk
an der oberen Grenze arbeitet,
d) das Wasserkraftwerk ein Speicherkraftwerk ist und die Leistungsübertragung auf
der Verbindung 23 auf 50 MW begrenzt wird.
Der Wasserwert p sei aus der übergeordneten Optimierung bekannt. Man verwende
den DC Lastfluss.

Abb. 14.5. Netz von Beispiel 14.2


6 18 14 Betriebsplanung

a) Die Optimalitätsbeziehungen lauten bei Vernachlässigung der Netzverluste und


falls keines der Kraftwerke an den Leistungsgrenzen arbeitet (also ohne wirksame
Begrenzungen)

woraus sich die Lösung ergibt

Aus obigen Zahlenwerten erhält man eine Lösung ohne wirksame Begrenzungen
nur für Wasserwerte zwischen ph= 1.62 und 2.02 ctlm3; z.B. f i r ph= 1.87 ct/m3
folgt die optimale Lösung

Bei Berücksichtigung der Netzverluste und durch Einführung der Verlustfaktoren


(penalty factors) a = (1 dP,ldP) lauten die Optimalitätsbedingungen
-

mit der Lösung


bl a1 +
b2 (EL+ P vAt)
2 ph -
P,--<
- ah ah
Eth

die mit der Berechnung der Verluste und Verlustfaktoren iteriert werden kann
(angefangen mit a„ = ah= 1 , P, = 0). Diese lassen sich mit den Annahmen des
DC-Lastflusses aus den Gln. (14.18) folgendermaßen berechnen
14.2 Betriebsoptimierung eines VlEVU 619

Man erhält (wenn 6, = 0 angenommen wird, A = Grenzkosten im Lastknoten)


Pv 0.390 M W ,
= a , = 0.996 , ah = 0.994
- - > E, = 82.9 MWh , Eh = 67.5 MWh
A. = 25.63 €lMWh, h, = 25.52 €IMWh, hh = 25.47 €lMWh .

Aus der Grenzkostendifferenz zwischen abgegebener und aufgenommener Energie


P„ - A, P,,)von 10 £Ai, welcher genau dem
ergibt sich ein Netzertrag (AP, - L,,,
Verlustwert entspricht.

b) Ist das Wasserkraftwerk ein Laufivasserkraftwerk mit vorgegebener Leistung, tritt


v#O an Stelle der undefinierten Marginalkosten und die Optimumsbeziehungen
lauten ohne Netzverluste

mit der Lösung


Eth = EL - EhO
V = h = al + 2a2 E , .
V stellt den Marginalwert der Energie des Laufkraftwerks dar. Numerisch lautet die
Lösung
Eho = 80 MW , E, = 70 MW , V = h = 24.7 €lMWh .
Werden die Netzverluste berücksichtigt, lauten die Optimumsbedingungen

mit der Lösung

1
h = - (U, + 2a2 E,)
'th

die durch Iteration mit den Verlustbeziehungen (14.42) Leistungen und Multiplika-
toren (Grenzkosten) liefert. Numerisch folgt:

P„ = 80 M W , P , 7 0 . 4 M W , Pv = 0.419MW
h = 24.8 €IMWh , h , = 24.7€/MWh , V = 24.6 €IMWh .
620 14 Betriebsplanung

Der sich aus den Grenzkosten ergebende Netzertrag von 10.4 £/h entspricht
wiederum genau dem Wert der Netzverluste.
C) Erreicht die Leistung des thermischen Kraftwerks ihre Grenzen, kann dieses wie
ein Laufkraftwerk behandelt werden. Dies trifft dann zu, wenn der Wassenvert p,
des Speicherkraftwerks hoch ist (mit obigen Zahlen z.B. 0.027 £/mi). Die Opti-
mumsbeziehungen werden im verlustlosen Fall

mit den Lösungen

Numerisch erhält man


P,=lOOMw, P, = 50MW, V = h = 35.6elMWh.
Bei Berücksichtigung der Netzverluste folgt

mit den Lösungen

und numerisch folgt


P,, = 0.366 M , PIh = 100 M W , Ph = 50.4 MW
h = 35.8 €IMWh , h , = 35.7 €IMWh , k., = 35.7 €IMWh
Der Netzertrag von 13.1 £/h entspricht exakt dem Wert der Netzverluste.
d) Die Optimumsbedingungen ohne Berücksichtigung der Netzverluste lauten bei
Leistungsbeschränkung auf der Verbindung 23
14.2 Betriebsoptimierung eines VlEVU 621

Gleichungen, die nach den Unbekannten E „ , E,, , 3i. und q aufgelöst werden
können. Die Zweigleistungen folgen aus den Beziehungen (1 5.17) (für 6, =0) zu

Für den Wasserwert P, = 1.63 ctlm' erhält man z.B. ohne Netzverluste und Be-
schränkungen die optimale Lösung

Wird die Leistung auf der Verbindung 23 auf 50 MW beschränkt, folgt aus obigen
Beziehungen (immer ohne Verluste)

Als Folge der Beschränkung ergibt sich eine Erhöhung und empfindliche räumli-
che Differenzierung der Grenzkosten. Das Wasserkraftwerk wird wesentlich
stärker betroffen als das thermische Kraftwerk (da näher an den Engpass), weshalb
der Wert seiner Energie relativ sinkt. Das thermische Kraftwerkprofitiert hingegen
von der Beschränkung, und das Netz erhält entsprechend der Grenzkostendiffer-
enzierung einen Betrag von 389 €lh, die als Engpasskosten bezeichnet werden und
als Fonds-Beitrag zur Behebung des Engpasses zu verstehen sind.
Bei Berücksichtigung der Netzverluste erhält man

ap23
a, + 2a2 E, - h a , + q - = 0
apth

E*,, + Eh = EL + P,, At
'23 = '23max .

Diese Gleichungen sind mit den Gln. (14.42) fur Verluste und Verlustfaktoren
sowie mit den Beziehungen (14.43) zu iterieren. Numerisch folgt

P, = 80.6 M W , P, = 69.8 M W , PV = 0.394 M W , P„ = 50 MW


h = 2 6 . 7 € I M W h , h , = 25.4€lMWh, h, =22.3€IMWh
q = 7.8 €IMWh , dP231dlPth = 0.154 , dP„ldlPh = 0.539 .
Der Netzertrag ist 402.6 eh, wovon 392.1 €/h Engpasskosten sind und 10.5 £/h
zur Deckung der Verluste benötigt werden. Von den Engpasskosten von 392.1 £/h
können 294.9 Wh dem Wasserkraftwerk und 97.2 €/h dem thermischen Kraftwerk
zugeordnet werden. Solange sie nicht zur Behebung des Engpasses verwendet
werden, können entsprechende finanzielle Anrechte abgeleitet werden.

14.2.4 Optimale Speicherbewirtschaftung


Die einem Speicher während der Periode T zufließende Wassermenge soll unter
Ausnutzung der Speicherkapazität so auf die einzelnen Abschnitte At der Periode
aufgeteilt werden, dass die Produktionskosten im Netz minimal werden. Das Problem
lautet

> Min

mit den Nebenbedingungen

worin W(At) das verarbeitete Wasser im Zeitabschnitt At darstellt, Z(At) das zuflie-
ßende Wasser im selben Zeitabschnitt (aus einer Prognose bekannt) und Sound S, die
Speicherinhalte zu Beginn und am Ende der Periode T. W, ist danach die insgesamt
für die Periode T verfügbare Wassermenge. Als zusätzliche Bedingung gilt weiterhin
die Wirkleistungsbilanz G1. (14.28).
Wird das Lagrange-Verfahren auf die Gln. (1 4.44), (14.35) sowie ( 14.28) ange-
wandt, ergibt sich die mit GI. (14.30) übereinstimmende Formulierung von GI.
(14.46), worin P die Bedeutung eines Lagrange'schen Multiplikators annimmt. Das
Problem wird somit auf das bereits behandelte der optimalen Leistungsverteilung
zurückgeführt. Das spezifische Problem der Speicherbewirtschaftung liegt in der
Bestimmung des Multiplikators P.

ee = F(Z,(A~)) + P'.( W ( E ~ ( A ~ ) )W,)-


(14.46)
- A A ~ ( C P , - P ~ - P) , -, v ~ A ~ ( P ~ ~ - P , ) + v ~ A ~ ( P ~ - P , ~ ) ,
Ein mögliches Lösungsverfahren wird prinzipiell von Bild 14.6 veranschaulicht
[14.5]. P kann zunächst vorgegeben werden, wonach eine erste Leistungsverteilung
entsprechend Abschn. 14.2.3, z.B. ohne Berücksichtigung der Netzverluste, vor-
genommen wird. Aus den Leistungen ph der hydraulischen Kraftwerke wird die
Wassermenge W auf Grund der Wasserverbrauchskurve berechnet. Die Summe über
die Periode T wird einen Wasserverbrauch ergeben, der vom vorgeschriebenen
abweicht. Auf Grund dieser Abweichung wird der Wasserwert um AP korrigiert und
eine neue Leistungsverteilung vorgenommen usw. Wird nämlich zu viel Wasser
verbraucht, so heißt dies, dass der Wasserwert zu niedrig angesetzt wurde, wird
umgekehrt zu wenig Wasser verbraucht, ist dieses zu teuer gewesen.
14.2 Betriebsoptimierung eines VIEVU 623

Abb. 14.6. Optimale Speicherbewirtschafiung,


RA = Regelalgorithmus, LV = Lastverteilungsprogramm

Bei der Programmierung wird es von Vorteil sein, Leistungsverteilung und Spei-
cherbewirtschaftung nicht nacheinander, sondern parallel durchzuführen. Dies ist
möglich, da die Kontrolle der Nebenbedingungen (14.45) keinen optimalen, sondern
lediglich einen zulässigen Betriebspunkt fordert. Nach jedem Schritt des Leistungs-
verteilungsprogrammes, der sequentiell alle Unterabschnitte At umfasst, kann also die
Korrektur der Leistungen der hydraulischen Kraftwerke der Nebenbedingung (1 4.45)
untergeordnet, und über den Regelalgorithmus RA der neue Wert von gebildet
werden. Eine Lösung, die das Maximum-Prinzip anwendet, ist z.B. in [14.6] gegeben.
Ein weiteres Problem entsteht durch die Berücksichtigung der Grenzen des
Speicherinhaltes. Der effektive Speicherinhalt S kann laufend aus Wasserzufluss Z
und Wasserverbrauch W gebildet werden. Es sei nun angenommen, wie von Abb.
14.7veranschaulicht, dass in t' die Speicherinhaltsgrenzeerreicht wird. Ab sofort wird

Abb. 14.7. Speicherinhalt in Funktion der Zeit und Speicherinhaltsgrenzen


der Wasserverbrauch gleich dem Wasserzufluss gesetzt, die Leistung also in Abhän-
gigkeit des Wasserzuflusses begrenzt. In tuändert das Vorzeichen der vom Leistungs-
verteilungsprogramm verlangten Korrektur AP,, , und die Begrenzung wird unwirk-
sam..
Als Variante sei folgendes Vorgehen beschrieben. Bei jedem Leistungsverteilungs-
schritt, der wie gesagt sequentiell die Berechnung aller Unterabschnitte At umfasst,
werden t' und t" bestimmt, wobei von t' - t" das Speicherkraftwerk wie ein Lauf-
kraftwerk behandelt wird. Die Zeitabschnitte 0-t' und tW-Twerden nun im Speicher-
bewirtschaftungsprogramm getrennt optimiert, indem nicht mehr dieNebenbedingung
(1 4.45), sondern folgende Nebenbedingungen erfüllt werden:

14.2. 5 Einsatzplan der thermischen Gruppen


Die Wirkleistung der Wasserkraftwerke kann i.d.R. kontinuierlich bis null geregelt
werden. In den thermischen Kraftwerken hingegen darf eine gewisse Mindestleistung
(technisches Minimum) nicht unterschritten werden, oder die Gruppen sind ab-
zustellen. Dieses Minimum kann f i r ein gutes Funktionieren des Kessels bei Dampf-
anlagen oder der Feuerung bei Gasturbinen sowie der Hilfsbetriebe Ca. 10-30 % der
Nennleistung betragen. Für den Entscheid „mit Minimalleistung fahren" oder „ab-
stellen" spielen wirtschaftliche und sicherheitstechnische Aspekte eine Rolle. Betrach-
ten wir zunächst die wirtschaftliche Seite des Problems. Wird eine Gruppe, die nach
einem Wochenprogramm in einem bestimmten Zeitintervall r mit Minimalleistung zu
fahren hätte, abgestellt, muss eine entsprechende „Ersatzleistung" von anderen
Gruppen geliefert werden. Auf der einen Seite werden also die Betriebskosten der
betrachteten Gruppe, die sich aus einem festen (Leerlauf-) Anteil und einem energie-
abhängigen Teil zusammensetzen, während der Zeit t eingespart. Diese Einsparung
muss allerdings um die Wiederanfahrkosten der Gruppe, die von der Stillstandsdauer
t abhängig sind, gekürzt werden. Aufder anderen Seite müssen für die Ersatzleistung,
die auf die übrigen Gruppen des Netzes optimal verteilt werden kann, Zusatz-Produk-
tionskosten bezahlt werden. Die Abschaltung der Gruppe wird offensichtlich nur dann
Vorteile bringen, wenn diese Kosten der Ersatzleistung die Einsparungen nicht
aufwiegen. Rein intuitiv leuchtet ein, dass die Chancen für die Wirtschaftlichkeit der
Abschaltung zunehmen, je länger die Stillstandsdauer t ist, da die Anfahrkosten an
Gewicht verlieren. Für jede thermische Gruppe kann bei minimaler Leistung eine
kritische Stillstandsdauer ermittelt werden, in Abhängigkeit von den mittleren Kosten
der Ersatzleistung F,,,. Das entsprechende Diagramm zeigt Abb. 14.8
14.2 Betriebsoptimierung eines VlEVU 625

Stillstand

Betrieb

Abb. 14.8. Kritische Stilstandsdauer z einer thermischen Gruppe in Abhängigkeit


von den mittleren Kosten der Ersatzleistung

Eine angenäherte Lösung ergibt sich leicht aus obigen Überlegungen. Zunächst
wird eine Leistungsverteilung unter Vernachlässigung der unteren Leistungsgrenzen
der thermischen Gruppen durchgeführt. Für alle Gruppen werden sukzessive die
Zeitintervalle bestimmt, für welche die Leistung den Minimalwert unterschreitet, und
geprüft, mit Hilfe von Diagramm Abb. 14.8 ob Abstellen oder Fahren mit Minimallei-
stung wirtschaftlicher ist. Die Kosten der Ersatzleistung sind leicht zu bestimmen, da
die Differentialkosten in allen Netzknotenpunkten bekannt sind. Die optimale Ver-
teilung der Ersatzleistung auf die Gruppen des Netzes kann durch ein vereinfachtes
Leistungsverteilungsverfahren(s. z.B. den Abschnitt momentane Optimierung) erzielt
werden. Die Abschaltung der Minimalleistung einer Gruppe entspricht nämlich
durchaus f i r die anderen Gruppen einer kleinen Lastzuschaltung.
Eine strenge Lösung des Problems zeigt das Blockdiagramm von Abb. 14.9. Eine
diskrete Steuervariable Y,die nur die Werte 0 und 1 annehmen kann, wird eingeführt.
Falls Y = 0, ist die thermische Gruppe im Zeitabschnitt t abgeschaltet, falls E' =I, ist
sie hingegen in Betrieb. Aus der Leistung P„ werden die variablen Kosten F(P„')
ermittelt und zu diesen die Leerlaufkosten b addiert. Die Summe über alle t seit
Einschaltung der Gruppe wird nun gebildet. Die Addition wird gestoppt, sobald
null wird. Zu den totalen Betriebskosten der Gruppe während der Periode T werden
die Anfahrkosten a(t) addiert. Diese sind eine Funktion der Stillstandsdauer T, die
sich aus der Summation der Zeitabschnitte t seit der letzen Abschaltung, solange 5'
= 0, ergibt. Als Resultat folgen die Kosten der thermischen Gruppe für die Periode
T, die es zu minimieren gilt

~,(5',J',h) --> Min .


th
Das Optimierungsproblem kann mit den Verfahren der nichtlinearen ganzzahligen
Programmierung gelöst werden (z.B. branch and bound Methode [14.8]). Diese fuhrt
schell zum Ziel, wenn bereits eine gute, wenn auch nicht optimale Lösung des
Problems bekannt ist.
626 14 Betriebsplanung

Min

Abb. 14.9. Betriebskosten einer thermischen Gruppe

Der sicherheitstechnische Aspekt betrifft die Forderung nach einer genügenden


rotierenden Reserve (Abschn. 1 1.2.1 und Anhang V), sofern diese nicht allein durch
die Speicherkraftwerke gedeckt werden kann. Diese sollte bei Ausfall irgendeines
Kraftwerks im Netz den Leistungsbedarf noch decken, ohne dass die Übertragungs-
leitungen zu stark beansprucht werden (Regionalisierung der Reserve). Die ent-
sprechenden Nebenbedingungen können im Programmierungsproblem berücksichtigt
werden.
Ein weiteres Problem, das im Rahmen des Einsatzplanes der thermischen Gruppen
zu lösen ist, betrifft die Frage der Speicherung des Brennstoffs. Dieser verursacht
Einkaufskosten, die zeitlich und örtlich variieren. Die Minimierung dieser Ausgaben
bei Berücksichtigung der Speichergrenzen führt zu weiteren Bedingungen, welche zu
einer Korrektur der Leistungsverteilung thermischer Kraftwerke führt [I 4.161.
Das Problem kann auch als Teilproblem einer dynamischen Leistungsverteilung
thermischer Kraftwerke betrachtet werden, welche die Optimierung bei variabler Last
und unter Berücksichtigung der Änderungsgeschwindigkeit der thermischen Größen
und deren Grenzen sucht [ 14.171.

14.2.6 Die langfristige Optimierung


Als langfristige Optimierung wird normalerweise die Minimierung der Betriebskosten
über ein Jahr bezeichnet. Als OptimierungsunterabschnitteAT werden zweckmäßiger-
weise der Monat oder noch besser die Woche gewählt. In einem hydrothermischen
Verbund mit vorwiegend hydraulischer Produktion wird das Hauptproblem die
Verteilung der zur Verfügung stehenden (prognostizierten) Wassermenge auf die
einzelnen Abschnitte AT sein; bei vorwiegend thermischer Produktion stehen die
Probleme des Einsatzes der thermischen Gruppen, die mit den Wartungs- und Repara-
turplänen kompatibel sind, im Vordergrund. Weitere Randbedingungen, wie Strom-
lieferungsverträge mit anderen Netzen und zeitabhängige Primärenergiebezugsver-
träge, können ebenfalls in die Optimierung einbezogen werden.
Eine erste grobe Rechnung kann folgendermaßen durchgeführt werden. Die
prognostizierten Belastungskurven des Netzes werden so diskretisiert, dass die Dauer
der Treppenstufen gleich AT ist. Es wird also z.B. mit mittleren wöchentlichen
14.2 Betriebsoptimierung eines VIEVU 627

Leistungen gerechnet. Wasserkraftwerke mit Tages- oder Wochenspeicherungwerden


dann wie Laufkraftwerke behandelt, d.h. die Leistung wird entsprechend dem pro-
gnostizierten mittleren wöchentlichen Wasserdargebot festgelegt. Die Leistungsver-
teilung wird ohne Berücksichtigung der Netzverluste vorgenommen, wodurch keine
Iterationen notwendig sind (s. Beispiel 14.2). Das Speicherbewirtschaftungspro-
gramm liefert die Bewertung des Saisonspeicherwassers und dessen Verteilung WAT
auf die Unterabschnitte.
Um die Ergebnisse zu verbessern, kann die prognostizierte Belastung der Unter-
abschnitteAT durch eine Dauerlinie statt durch die mittlere Leistung gegeben werden.
Diese Dauerlinie wird ihrerseits durch Treppenstufen ersetzt. Die effektiven Lei-
stungsverhältnisse sind nun wesentlich besser dargestellt. Ausgehend von den bereits
berechneten zur VerfUgung stehenden Wassermengen der Saisonspeicher,kann eine
genauere Leistungsverteilung für die Unterabschnitte AT vorgenommen werden. Da
die von der Dauerlinie erfassten Leistungsschwankungen in erster Linie Tages-
schwankungen sind, müssen Nebenbedingungen auch für die Wasserkraftwerke mit
Wochenspeichern und Tagesspeichern berücksichtigt werden. Diese Berechnung wird
für verschiedene Werte von W„ durchgeführt und ermittelt so für jeden Unter-
abschnitt die optimalen Differentialkosten dF/dW„ in Abhängigkeit von W„ (Abb.
14.10). Diese Differentialkosten stellennichts anderes als den Bewertungsfaktor des
Saisonspeicherwassers dar, der für alle Unterabschnitte denselben Wert haben muss.
Aus der letzten Forderung lassen sich die Wassermengen so bestimmen, dass E W„
=W,.
Ziel der Jahresoptimierungist, wie schon erwähnt, einerseits die optimale Bewirt-
schaftung der Saisonspeicher,andererseits die Erstellung von groben Fahrplänen für
die thermischen Maschinen. Das Wasserdargebot, aber auch die Netzbelastung
können in einer Jahresvorschau als Erwartungswerte dargestelltwerden. Ebenso kann
das Ausfallverhalten thermischer Blöcke bei Berücksichtigung der Primärenergiebe-
mgsverträge eine stochastischeAnalyse erfordern. Stochastische Verfahren treten in
den letzten Jahren immer stärker in den Vordergrund ([14.19], s. auch Abb. 14.1 1).
Die einfache Methode, die Resultate dadurch zu verbessern, dass die deterministische
Jahresoptimierung in regelmäßigen Abständen (z.B. alle Monate oder alle 14 Tage)
auf Grund der neuesten Daten und Prognosen wiederholt wird, verbessert zwar die
Qualität der Planung für den verbleibenden Planungszeitraum holt aber verpasste
Chancen nicht zurück..

Abb. 14.10. Wert p des Wassers in Funktion von der verfügbaren Wassermenge W „für
„,
die Unterabschnitte Ati, Bedingung Ei W = W,
628 14 ßetriebsplanung

14.2.7 Die mittelfristige Optimierung


Nachdem die Verfügbarkeit der thermischen Maschinen, die wöchentlichen Fremd-
stromverpflichtungen und die wöchentlich zur Verfügung stehenden Wassermengen
der Saisonspeicher festgelegt worden sind, kann eine feinere Optimierung der bevor-
stehenden Woche vorgenommen werden. Damit wird bezweckt
a) die optimale Bewirtschaftung des zur Verfügung stehenden Wassers,
b) die Festlegung der Einsatzpläne der thermischen Gruppen.
Zu Punkt a) sei erwähnt, dass e r die Wochen- und Tagesspeicher die Berücks-
ichtigung der Speicherinhaltsgrenzen wichtig ist. Hauptziel der Speicherbewirt-
schaftung ist, die für die einzelnen Tage der Woche zur Verfügung stehenden optima-
len Wassermengen festzulegen. Punkt b) kann nach den in Abschn. 14.2.5 dargelegten
Verfahren behandelt werden.
Die Treppenstufen der Belastungsdiagramme werden eine oder mehrere Stunden
umfassen. Eine feinere Unterteilung kann wird im Rahmen der Kurzzeitoptimierung
vorgenommen. Die Netzverluste werden normalerweise erfasst, jedoch ohne Blindlei-
stungsoptimierung, d.h. mit DC-Lastfluss. Die Detailprognose des Wasserdargebots
und der Einsatz thermischer Gruppen kann auch mittelfristig noch unsicher sein. Dies
hat zur Folge, dass dann auch die Wochenoptimierung, je nach Fall und Situation,
entweder stochastisch oder mehrmals pro Woche auf Grund der neuesten Daten
wiederholt wird, um möglichst sichere Eingabedaten für die 'l'agesoptimierung zu
erhalten.

14.2.8 Die Kurzzeit-Optimierung


Die Kurzzeit-Optimierung erstreckt sich normalerweise über 24 h. Das Betriebs-
Programm wird für den folgenden Tag festgelegt, wobei die voraussichtliche Last so
auf die einzelnen Kraftwerke verteilt wird, dass die Produktionskosten minimal
werden und in den Wasserkraftwerken eine vorgegebene Wassermenge verbraucht
wird. Eventuell sind die Einsatzpläne der thermischen Gruppen zu verbessern, vor
allem dann, wenn die Unterabschnitte der mittelfristigen Optimierung mehrere
Stunden umfassen. Die für den folgenden Tag vorausgesagten Belastungen in den
einzelnen Netzknotenpunkten sind in Form eines treppenformigen Diagrammes
gegeben, mit Treppenstufen von I h oder 112 h.
Im Unterschied zur mittelfristigen Optimierung ist es hier von Vorteil, eine genaue
Netzberechnung durchzuführen bei Berücksichtigung der optimalen Blindleistungs-
verteilung. Die Blindleistungen haben Einfluss auf die Betriebskosten über die
Wirkverluste im Netz und sind deshalb in die Optimierung einzubeziehen, vor allem
wenn ihre Grenzen oder Spannungsbegrenzungen wirksam werden. Die untere
Blindleistungsgrenze ist z.B. verschieden fiir Schenkelpolmaschinen und Turbogener-
atoren. Es lässt sich ferner zeigen, dass die Trennung in Blind- und Wirkleistungs-
optimierung streng richtig ist, solange keine Begrenzung der Spannungsbeträge
undloder der übertragenen Leistungen vorliegt. Werden diese Begrenzungen wirksam,
ist die Aufteilung nicht mehr vollkommen zulässig. Der optimale Betriebspunkt wird
jedoch mit guter Näherung erreicht, und der geringere Rechenaufwand kann trotzdem
dieses Vorgehen rechtfertigen.
14.2 Betriebsoptimierung eines VIEVU 629

14.2.9 Momentane Optimierung


Die wirkliche Netzbelastung wird weder momentan noch im Mittel der Zeitabschnitte
At exakt mit den Voraussagen für die Tagesoptimierung übereinstimmen. Der
Leistungssollwert für die Frequenzleistungsregelung (Abschn. 1 1.3) kann also nicht
direkt dem Kurzzeitoptimierungsprogramm entnommen werden. Dessen Resultat
muss korrigiert werden entsprechend der momentanen Situation. Werden nur einige
Kraftwerke für diese Aufgabe beigezogen, riskiert man vom wirtschaftlichen Opti-
mum abzuweichen. Die beste Lösung ist die on-line-Leistungskorrektur mit Hilfe
eines momentanen Optimierungsprogramms. Im folgenden werden einige Verfahren
dazu beschrieben.
Die Wirkverluste werden nach einem ersten Verfahren näherungsweise als quadra-
tische Funktion der Wirkleistungen ausgedrückt (DC-Lastfluss). Die Wirkleistungs-
optimierung lässt sich dann mit einem Verfahren der nichtlinearen Programmierung
(NLP) lösen (Anhang V, [14. I]). Die Blindleistungsoptimierung kann getrennt, als
Wirkverlustminimierung, ebenfalls mit der NLP gelöst werden.
Eine weitere klassische Methode ist die Minimierung der Lagrangefunktion, die
auf die Gln. (14.27) und (14.28) anzuwenden ist (s. Anhang V). Die differentiellen
Wirkverluste werden exakt mit Hilfe der Funktionalmatrix des Netzes ermittelt und
erlauben die Berechnung des Gradienten der Lagrangefunktion im Betriebspunkt. Mit
einer Gradientenmethode können daraufhin die Leistungen korrigiert werden, bis das
Optimum erreicht ist.
Praktisch gleichwertig mit letztem Verfahren ist es, die Netzgleichungen (14.4) an
Stelle der Wirkleistungsbilanz (14.28) als Nebenbedingungen einzuführen. Der
Gradient der Lagrangefunktion ergibt sich dann direkt mit Hilfe der Funktionalmatrix
des Netzes.
Ohne wesentlich am Verfahren zu ändern, lassen sich mit Hilfe des Karush-Kuhn-
Tucker Theorems ([14. I], Anhang V) auch Leistungs- und andere Begrenzungen
einführen.

14.2.10 Tarifierung
Das VIEVU hat zwar Interesse, seine Betriebskosten zu minimieren und eine Lastver-
teilung nach den Grenzkosten vorzunehmen, die Tarifierung ist jedoch von den
Grenzkosten entkoppelt. Die Tarife werden auf Grund der gesamten Kapital- und
Betriebskosten so festgelegt, dass die Durchschnittskosten gedeckt sind und ein
angemessener Gewinn erwirtschaftet wird. Wegen der Monopolstellung fehlt der
Kosten- und somit Rationalisierungsdruck.
630 14 Betriebsplanung

14.3 Betriebsoptimierung bei Wettbewerb


14.3.1 Mathematische Grundlagen
Im vertikal integrierten System ohne Kapazitätsbeschränkungen wird bei Vernachläs-
sigung der Netzverluste das Kostenoptimum dann erreicht, wenn alle Generatoren die
gleichen Grenzkosten A. aufweisen (Abschn. 14.2). Bei Berücksichtigung der Netz-
verluste trifft dies nicht mehr exakt zu. Bei Kapazitätsbeschränkungen tritt eine
räumliche Differenzierung der Grenzkosten auf.
In diesem Abschnitt werden die Optimierungsbedingungen fur ein dem Wettbewerb
unterstelltes System ohne und mit Kapazitätsbeschränkungen besprochen. Wir setzen
eine radikale Liberalisierung und einen idealen Wettbewerb voraus (s. dazu Abschn.
3.5). Einzelne Kraftwerke oder Kraftwerksgruppen werden als unabhängige Produ-
zenten betrachtet, die in Konkurrenz zueinander eine Gewinnmaximierung anstreben.
Die Verbraucher haben die Möglichkeit, ihre Energie bei einem beliebigen Produzen-
ten durch bilaterale Verträge oder an der Strombörse zu kaufen. Das Netz stellt eine
neutrale Instanz dar, die verpflichtet ist, die vertraglich vereinbarten oder an der
Strombörse gehandelten Energieflüsse im Rahmen des technisch Möglichen unter
Wahrung der Netzsicherheit optimal zu übertragen. Kontrovers ist, ob der Netz-
betreiber auch als Marktoperator agieren soll, mit dem Ziel kurzfristig den
größtmöglichen volkswirtschaftlichen Nutzen des Gesamtsystems zu erzielen, oder
ob er sich auf die vorerwähnten Aufgaben zu beschränken hat.

14.3.1.1 Verlustloses Netz ohne Kapazitätsbeschränkungen


Die mittlere Leistung des Produzenten j in1 Zeitabschnitt At sei P,, die Energie somit
E, = P, At, seine Produktionskosten K, (E, ) und der Marktpreis am betreffenden
Knotenpunkt m, [£IMWh]. Zur Profitmaximierung des Produzenten im Zeitabschnitt
At muss gelten

Der Verbraucher k bezieht im selben Zeitabschnitt At die mittlere Leistung P, zum


Preis m,, wobei sein Nutzen (Nachfrage) durch die Funktion N, (E,) darstellbar ist.
Konkret kann dieser Nutzen die Form eines Leistungs-Preisangebots annehmen. Die
Nutzenmaximierung ist erreicht, wenn

Bei der Maximierung wurde angenommen, dass die lokalen Marktpreise nicht von der
jeweils gelieferten oder erhaltenen Menge abhängen (keine Marktmacht). Aus
volkswirtschaftlicher Sicht ist, mit der Annahme das Netz weise keine Verluste auf
und verursache keine variablen Kosten, die Nutzenmaximierung dann erreicht, wenn
14.3 Betriebso~timierungbei Wettbewerb 63 1

mit der Nebenbedingung für die Energie

At (CP, - C P k ) = 0 .
J k

Die Lagrange-Funktion ist

n=
k
-X~E,)
CN,(E,) J
+ ~t ( EP,
J
- Epk)
k
- - , (14.53)

und führt zu den Optimalitätsbedingungen

Wegen Gln. (14.49) und (14.50) ist also für alle k und j
mI = m k = A . . (14.55)
Der Multiplikator 3L stellt den Marktpreis der Energie dar (System Marginal Price).
Er ergibt sich als Schnittpunkt der Gesamtnutzenfunktion mit der Gesamtkosten-
funktion entsprechend der mikroökonomischen Theorie des Abschn. 14.1 (Abb. 14.1).
Die Bedingung (14.55) drückt aus, dass das Optimum dann erreicht ist, wenn alle
Marginalkosten gleich sind. Das Resultat ist soweit analog zu jenem des vertikal
integrierten Systems.
Im vertikal integrierten System sind alle Betriebskosten bekannt, und der Marginal-
preis kann problemlos zentral berechnet werden. Dies trifft bei Wettbewerbsbedin-
gungen nicht mehr zu, da verschiedene Akteure mitwirken, und aus praktischer Sicht
stellt sich die Frage, wie ein solches System funktionieren kann.
In der liberalisierten Struktur könnte das Optimum mit folgendem Vorgehen
erreicht werden (Fall des obligatorischen Pools, s. Abschn. 3.5), in der Annahme es
herrschten ideale Marktverhältnisse, d.h., dass weder die einzelnen Produzenten noch
die einzelnen Verbraucher hätten die Möglichkeit das Marktgeschehen zu beein-
flussen, s. dazu [14.3], [14.14], [14.18].
Die Erzeuger offerieren für ihre Kraftwerke Marginalpreis-Leistungskurven (Preis
zunehmend mit der Leistung), welche z.B. im Rahmen der Kurzzeitoptimierung, die
Abschnitte At des folgenden Tages betreffen (z.B. Stunden oder Halbstunden). Diese
Kurven sollten die Kostenstruktur der Erzeuger widerspiegeln. Strategisches Verhal-
ten ist bei idealen Marktverhältnissen nicht lohnend.
Die Verbraucher teilen dem Marktoperator die erwartete Belastung mit. Gewisse
Bedingungen können an den Preis gestellt werden, z.B., dass wenn dieser eine
gegebcnc Grcnze überschreitet die Menge reduziert wird, oder umgekehrt, dass diese
erhöht wird, wenn der Preis unter eine bestimmte Grenze fallt (Leistung abnehmend
mit dem Preis), was der Angabe einer Nachfragekurve geringer Elastizität entspricht.
Aus Angebot- und Nachfragekurven berechnet der Marktoperator den Marktpreis
(Spot-Preis = Schnittpunkt) und teilt diesen den Marktakteuren mit. Die Erzeuger
planen eine entsprechende (optimale) Leistungsverteilung für den folgenden Tag ein.
Die Kraftwerke werden somit entsprechend ihrem „merit order" zugeschaltet.
632 14 Betriebsplanung

Ähnliche Überlegungen können für die momentane Optimierung, welche fur die
tertiäre Netzsteuerung verwendet wird, angestellt werden. Lang- und mittelfristige
Optimierung betreffen vorwiegend die Erzeuger und können von diesen im wesentli-
chen nach den in Abschn. 14.2 dargelegten Methoden nahezu unabhängig erfolgen
(s. dazu auch Abschn. 14.3.3).

14.3.1.2 Berücksichtigung von Netzverlusten, Netzkosten und


Generator-Leistungsbegrenzungen
Werden die Netzverluste P, und die Netzkosten R sowie die Begrenzungen der
Krafiwerksleistungen berücksichtigt, treten an Stelle der Gln. (14.5 1 )und (14.52) die
Beziehungen

PJ - . < P, < P,, ,

mit der Lagrange-Funktion

= Ck N ~ ( EJ ~ ) - ~ K , ( E+, L) -~tR( (CJ E


P , -, C, E
P , -~P ), ,
k
)
(14.57)
- vlmaxAt (P,, - P,) - vjminAt (P, - P,-) ,- --> Mm. ,

die bei Berücksichtigung der Gln. (14.49) und (14.50) zu den Optimalitätsbedingun-
gen fuhrt

worin mit a, bzw. ab wiederum die Verlustfaktoren (penalty factors) bezeichnet


wurden und V, = V, „, V, „„. Bei wirksamer Leistungsbegrenzung wird m, durch V,
-

ersetzt. Man erhält:

Die Differenz der Marginalkosten zwischen Verbraucher und Erzeuger stellen


entsprechend der mikroökonomischen Theorie die durch Verluste und andere Netz-
faktoren (z. B. energieabhängiger Unterhalt) oder Begrenzung der Generatorleistung
entstehenden Netz-Grenzkosten dar. Zur Netzfinanzierung reichen sie nur dann, wenn
die vom Netz transportierte Energie mindestens die minimale effiziente Größe
erreicht (für welche die Grenzkosten die mittleren Kosten gerade noch decken, Abb.
14.1). Netzkosten sind aber weitgehend Festkosten (dRldE -O), womit die minimale
14.3 Betriebsovtimierun~bei Wettbewerb 633

effiziente Größe extrem groß wird (in Beispiel 14.1 wird z.B. für a, + 0, Q, 4CO).
Die kurzfristige Marginalkostenbetrachtung erweist sich so als ungeeignet zur
Deckung der mittleren Netzkosten. Sie widerspiegelt die Tatsache, dass es sich beim
Netz um ein natürliches Monopol handelt. Die Netzgebühren sind somit nach den
effektiven Kosten evtl. durch vergleichende Betrachtungen (Benchmarking) durch die
Regulierbehörde festzulegen.

14.3.1.3 Optimalitätsbedingungen bei Engpässen


Für ein Netz mit Beschränkungen der Leitungsflüsse tritt an Stelle der GI. (14.56)
folgende Formulierung des Optimums

CNk(Ek) - C q E J ) - R(EJ>Ek) - - > Mm


fi
(EP, C P,
I

At - - P") = 0
J k (14.60)
P,- ' PI. 5 PJ=. '
Pm < Pm0 '

worin P„ die Leistung einer beliebigen Leitungsverbindung darstellt. Es folgt dann


die Lagrange-Funktion

die zu den Optimalitätsbedingungen fuhrt

qABist nur bei wirksamer Beschränkung verschieden von 0. Zur Berechnung der
Ableitungen der Leitungsflüsse mit den Annahmen des DC-Lastflusses liefern die
Gln. (14.17)
634 14 Betriebsplanung

Ein Engpass führt zu einer räumlichen Differenzierung der Grenzkosten und


damit zu einer erheblichen Erhöhung des für die Vergütung des Netzes zu
Verfügung stehenden Betrags. Diese Engpasskosten können als Fonds betrachtet
werden für die Behebung des Engpasses. Sie können ökonomisch korrekt
anteilmäßig den einzelnen Kraftwerken zugeordnet werden, wie in Beispiel 14.2
(Abschn. 14.2) gezeigt wurde. Die Marginalkosten ermöglichen so eine
ökonomisch sinnvolle Allokation der Netzkapazitäten bzw. sorgen für die für
Netzerweiterungen notwendigen Anreize.

14.3.2 Pool-Lösung und ausgehandelter Netzzugang


Die oben dargelegte mathematische Optimierung mit Verrechnung zu Grenzkosten
liefert ein volkswirtschaftlich korrektes Resultat für das Liberalisierungsmodell mit
obligatorischem Pool (Abschn. 3.5). Betont sei nochmals (s. auch Abschn.
3.5.3.2), dass dies allerdings nur dann zutrifft, wenn echte Konkurrenz auf der
Erzeugerseite besteht, Marktmacht also durch Aufbrechen dominierender Erzeuger
in mehrere Einheiten vermieden wird (negatives Beispiel: altes System in
Großbritannien).
Beimfreiwilligen Pool werden ein Teil der Leistungen durch die Erzeuger auf
Grund ihrer internen „OptimierungG',die sich in den bilateralen Verträgen nie-
derschlägt, festgelegt. Lediglich die Menge-Preis-Offerten der sich am Pool betei-
ligenden Erzeuger werden durch den Netzbetreiber optimiert und die Kraftwerke
nach dem „merit order" zugeschaltet. Signale entsprechend den Marginalkosten
gehen aber an alle Erzeuger, die ihre Strategie anpassen können. Im Fall idealer
Marktverhältnisse (ohne Marktmacht seitens einzelner Produzenten) ist anzu-
nehmen, dass sich die bilateralen Verträge progressiv auf dem Optimum einpen-
deln [14.10].
Bei ausgehandeltem Netzzugang (Abschn. 3.5) hat der Netzbetreiber keine
Möglichkeit, auf eine Optimierung hinzuwirken. Diese muss außerhalb des Netz-
betriebs durch marktwirtschaftliche Verhandlungen zustande kommen. Dazu s.
Abschn. 14.3.3. Ob mit diesem System eine zufriedenstellende volkswirtschaft-
liche Optimierung erreicht werden kann, ohne ein vom Netzbetreiber unterhaltener
oder mit dem Netzbetreiber verbundener Spotmarkt, welcher die zur kurzfristigen
Optimierung notwendigen Signale aussendet, ist noch offen und wird selbst von
sehr liberal gesinnten Ökonomen bezweifelt [14.4].

14.3.3 Betriebsoptimierung bei ausgehandeltem Netzzugang

Die Erzeugung ist der Teil des liberalisierten Elektrizitätsmarktes, der durch die
Kombination von großer Kapitalbindung, deshalb langfristigen vertraglichen
Bindungen, neuen Handlungsmöglichkeiten durch größere Marktliquidität und
stark volatilen Randbedingungen sowohl auf der Ein- als auch auf der Verkaufs-
seite am stärksten von der Liberalisierung der Elektrizitätsmärkte betroffen ist.
Dies und auch die Trennung von Erzeugung und Systembetrieb hat Auswirkungen
auf die Betriebsoptimierung, die Thema dieses Abschnitts sind.
14.3 Betriebsoptimierung bei Wettbewerb 635

14.3.3.1 Konsequenzen der Liberalisierung für Erzeugungsplanung


und Systembetriebsführung
Im vertikal integrierten Versorgungsunternehmen sind Netz- und kurzfristige
Erzeugungsbetriebsfiihrung wegen ihrer Prägung durch die Anforderungen des
Systembetriebs meist eng benachbart, oft sogar in einer Hand. Die gesamte Pla-
nung von den langfristigen Aufgaben bis hin zur Momentanoptimierung erfolgt
systemweit zentral in einem Top-Down-Ansatz, wie er in Abschn. 14.2 erläutert
ist. Eventuelle Einspeisungen Dritter sowie Bezugsverträge werden als Neben-
bedingungen oder zusätzliche Optimierungsfreiräume in die Planung des für die
jeweilige Regelzone verantwortlichen Monopolunternehmens einbezogen.
Diese unternehmerische Einheit von Systembetrieb und Erzeugungsplanung
existiert im liberalisierten Markt, wie bereits in Abschn. 3.7 erläutert, nicht mehr.
In einer Regelzone, dem Wirkungsbereich eines Systembetreibers, können mehrere
Erzeuger tätig sein, die alle f i r sich getrennt optimieren und deren Kraft-
werkseinsatz nicht mehr nur von der Kostenstruktur der Kraftwerke und der
Lastsituation abhängt, sondern auch vom Erfolg der Anbieter auf dem
Großhandelsmarkt. In Märkten mit ausgehandeltem Netzzugang muss der
Systembetreiber im Normalfall die Ergebnisse des Handelsprozesses und der
unternehmensinternen Optimierungen der Erzeuger in Form der Einspeise-
fahrpläne der Kraftwerke entgegennehmen und darf sie nur verändern, wenn dies
im Interesse eines stabilen Systembetriebs erforderlich ist.
Als Konsequenz gibt es keine Stelle im System mehr, die eine Gesamtopti-
mierung betreiben kann. Jeder Marktteilnehmer handelt für sich betriebswirt-
schaftlich und optimiert sein I'eilsystem, und zwar unter Einbeziehung aller
Kompetenzen, die zum Bestehen im Wettbewerb erforderlich sind. Dies bedeutet,
dass prinzipiell durch die Teiloptimierung in Teilsystemen das Gesamtoptimum
verfehlt werden kann, selbst wenn alle am Handelsprozess beteiligten Akteure
optimal arbeiten. Hinzu kommt noch das Risiko, dass genau letzteres nicht erfüllt
ist, dass also z. B. eine Handelsabteilung die Erzeugungskapazität ihres Unter-
nehmens nicht verkauft, obwohl sie wirtschaftlich attraktiv wäre.
Allerdings wird dieses Risiko der Suboptimalität aus zwei Gründen in Kauf
genommen: Zunächst werden vom Wettbewerb und dem damit verbundenen Ko-
stendruck in den Unternehmen Rationalisierungen und Kostensenkungen erwartet,
die eine theoretisch vorhandene Abweichung vom systemweiten Gesamtoptimum
überkompensieren. Darüber hinaus bewirken ideal funktionierende Märkte durch
Schaffung entsprechender finanzieller Anreize eine Koordination der Optimierung
in den Teilsystemen, die dem Gesamtoptimum mindestens sehr nahe kommt. Sogar
langfristige, integrale Nebenbedingungen, wie sie z. B. bei der Bewirtschaftung
von Jahresspeichern entstehen, können in funktionierenden Märkten mit
Ergebnissen gehandhabt werden, die kaum von denen einer mathematischen
Optimierung abweichen. Dies setzt allerdings voraus, dass es den Markt-
teilnehmern gelingt, geeignete Angebote zu formulieren, so dass sich die übrigen
Marktteilnehmer in ihrer Optimierung darauf einstellen können, und dass nicht
636 14 Betriebsplanung

einzelne Marktteilnehmer so dominant sind, dass sie den Markt bewusst abwei-
chend vom Gesamtoptimum prägen können.

14.3.3.2 Auswirkungen auf den Planungsprozess und die


eingesetzten Werkzeuge
Grundsätzlich ändert die Liberalisierung nichts an der Struktur des Planungspro-
zesses eines Erzeugers, wie er in Abschn. 14.2 erläutert wurde und in Abb. 14.1 1
zusammenfassend dargestellt ist. Die Planung beginnt mit Entscheidungen über
den langfristigen Energieeinsatz und die Revisionstermine der Kraftwerke. Diese
Festlegungen erfordern einen langen Betrachtungszeitraum und eine entsprechend
lange Vorlaufzeit. Dadurch unterliegen sie erheblicher Unsicherheit, der
üblichenveise durch eine stochastische Modellierung Rechnung getragen wird. Die
Bedeutung einer angemessenen Berücksichtigung der Stochastik des
Erzeugerumfelds nimmt in der Liberalisierung zu. In Monopolmärkten genügt es
meist, die Stochastik des Ausfalls von Kraftwerken und in Systemen mit hohem
Teil dargebotsabhängiger Erzeugung, vor allem Wasser- und Windkraft, noch die
des Primärenergiedargebots nachzubilden. Im liberalisierten Umfeld kommen
jedenfalls die stärker schwankenden Preise sowohl fiir Primärenergie auf der
Einkaufseite als auch f i r elekirische Energie auf der Verkaufseite hinzu.
Mit abnehmender zeitlicher Distanz zum Betrieb muss die Detaillierungsge-
nauigkeit zunehmen. Gleichzeit verliert eine stochastische Modellierung, die
Mittelwerte oder Verteilungen von Ergebnissen liefert, an Bedeutung. Die kurz-
fristige Betriebsplanung ist auf genaue Ergebnisse für den Systemzustand ange-
wiesen, den sie umsetzen muss. Ändern sich die Randbedingungen, muss die Pla-
nung aktualisiert werden. Abbildung 14.12 zeigt, wie die Planungsaufgaben aus
Abb. 14.11 nach Festlegung des Revisionsplans in einzelne Planungsstufen zerlegt

Verantwortungs-
bereiche Teilaufgaben Entscheidungen Merkmale
I
-&Ti=
1
3rennstoffdisposition
lahresspeicherbewirtschaitung
Ineraieaustauschverträae
L

~r. I I Wochensoeicherbewirtschaftuno
3-tergieaustauschgeschäfte
-ahrplanabsprachen
iagesspeicherbewirtcchaftung
mrlaufiger Kraftwerkseinsatz
P-

1 Betriebs-
fühnina
-
. . ..-.
6-11 Energieaustauschgeschäfte und
Fahrplanabsprachen
Einsatz "langsame" Kraftwerke
V Einsatz "schnelle" Kraftwerke Nngs- lie-
<2 Tage Lastaufieilung Fahrpläne nicht ferngesteuerte KV h ~ u - rungs-
I Wirkleistungen ferngesteuerte Km figkeit grad
T

L Kraftwerke 1
Abb. 14.1 1. Planungsaufgaben in der Erzeugung
14.3 Betriebsoptimierung bei Wettbewerb 637

werden können. Jede dieser Stufen liefert Vorgaben fur die nachgelagerten. Alle,
auch die langfristigen Planungsschritte werden zyklisch mit den jeweils gültigen
Daten aktualisiert. Auf Basis der bis dahin angefallenen historischen Daten und
seiner Einschätzung der Zukunft erhält der Erzeuger so zu jedem Zeitpunkt die
bestmögliche Vorhersage fur den Planungszeitraum.
Durch die Liberalisierung werden die Planungsstufen nicht grundsätzlich ver-
ändert. Es ergeben sich aber in einzelnen Schritten zusätzliche Handlungsoptionen
und auch Aufgaben. In Abb. 14.12 sind diese Stellen durch kursiven Text
hervorgehoben. Im einzelnen handelt es sich um folgende Änderungen:
Der erste Schritt in der Planung ist die Festlegung des Revisionsplans. Im
Monopol kann dies in Kenntnis der Energiebezugspreise, der zu erwartenden
Last und unter der für das Monopol mischen Vernachlässigung kurzfristiger
Chancen und Risiken einmalig erfolgen. Der so erstellte Plan wird danach nur
noch in Ausnahmefällen, z. B. infolge von Krafhverksausfällen, geändert. Unter
Wettbewerbsbedingungen ergeben sich zwei gravierende Änderungen:
Einerseits kann der Erzeuger einfacher Kapazität zukaufen, der Preis dafür
ändert sich allerdings mit der Zeit stark. Trotzdem erhöht diese Möglichkeit den
Freiheitsgrad fur die Planung. Andererseits kann er Kapazität, die er für die
Deckung seiner Lieferverpflichtungen nicht benötigt, einfacher verkaufen als in
Monopolmärkten, wobei auch hier gilt, dass der Preis stark variieren kann. Dies
bedeutet eine zusätzliche Chance auf Deckungsbeitrag und Gewinn für den
Erzeuger, für die Revisionsplanung bewirkt es eine Einschränkung des
Lösungsraums. Mathematisch schlagen sich die Änderungen darin nieder, dass
an Stelle der Kostenminimierung im Monopol (G1.14.64) die
Gewinnmaximierung (GI. 14.65) tritt.

Jahreseinsatz~lanuna.T=5rn...5a. At=lh oder l d J


Brennstoff-
Wocheneinsatzplanung, T=2w...3w, Atz1h
. I - disposition
MTEP Mehrtageseinsatzp I Vertrage (Brenn-
+
HTEP Tageseinsatzplanun! 4
stoff, langfristiger
bilateraler Handel)
W

4
+ MOD Einsatzrnodifizierung, T<12h, At=15rnin. I
4
Geschäfte, Fahr-
planabsprachen,
DYL dyn. Lastaufteilung, T<2h, ~t=3rnin.l kunfr. Handel,
einiaus Abstimmung mit
aktua- vorläufig, Systembetreiber
lisiertes Tages- Speicher-
einlaus einlaus speicher- bewirtschaflung:
einlaus lang- vor- bewirt- --Wochenspeicher
Wirkleistungen schnell sam läufig schaflunq -Jahresspeicher
geregelt ungeregelt7
7 7 7 777
Kraftwerke neu wegen

Abb. 14.12. Planungsstufen für den Betrieb eines Erzeugungsparks


638 14 Betriebsplanung

Zielfunktion unter Monopolbedingungen:


Er:., Kra/iwcrkc + Hezug Min (14.64)
Zielfunktion unter Wettbewerbsbedingungen:

G ,efeno~gen+ E(,r~hondel - Krofhwrke - Hcz~rg Max (14.65)


G Gewinn, EI refenlngen Einnahmen aus eigcnen Licferverptlichtungcn,
GroRhandelseinnahmen (inkl.Börse),KKrofnyerke
E~;rtlBhun<lel Kosten
eigener Kraftwerke, KLlezllXKosten aus Großhandelsbezug(inkl.Börse)

Die wichtigsten Nebenbedingungen sind dabei in beiden Fällen gleich:


I ) P t 5P r l x (Wahrscheinlichkeit nicht zeitgerechter Lieferung) (14.66)
2.) Wlj a Wlj,„, (nicht zeitgerecht gelieferte Energie)
3.) alle geforderten Revisionen durchgeführt
Eine weitere, für die einsetzbaren mathematischen Verfahren wesentliche Än-
derung ist, dass KReZzri:in GI. 14.64 als bekannt und fest angenommen werden
kann, also deterministisch modellierbar ist, während praktisch alle Größen in
G1. 14.65, mindestens aber KHrs,,g und E~;ro,L~hondi.l,
stochastischer Natur sind.
In der langfristigen Planung wird im Monopol, wie bereits in Abschn. 3.7.4
diskutiert, eine möglichst vollständige Abdeckung der künftigen Versorgungs-
aufgabe angestrebt. Meist wird eine risikoarme Strategie ohne offene Positionen
verfolgt. Unter Wettbewerbsbedingungen bleiben üblicherweise in der Zukunft
Positionen offen. In der Planung muss davon ausgegangen werden, dass diese
zum Teil aus kurzfristigen Märkten mit hoher Preisvolatilität gedeckt werden.
Dies hat zur Folge, dass der Anteil stochastischer Eingangsgrößen, der in der
Modellierung für die langfristige Energieeinsatzplanung berücksichtigt werden
muss, zunimmt (vgl. z. B. [14.19]). Außerdem gilt auch hier der prinzipielle
Unterschied, dass unter Wettbewerbsbedingungen der Ertrag bei unsicheren
Preisen maximiert werden muss (vgl. Gln. 14.64 und 14.65).
Auch die Tageseinsatzoptimierung muss die im Wettbewerbsmarkt größeren
Möglichkeiten kurzfristiger Handelsgeschäfte berücksichtigen. Dies erfolgt
allerdings bereits nicht mehr stochastisch, da hier bereits zwar noch vorläufige,
aber dennoch prinzipiell anwendbare Ergebnisse für den tatsächlichen Betrieb
erstellt werden. Damit sind die Änderungen in dieser Planungsstufe weniger
gravierend als in den vorangegangcncn.
Der letzte grundlegende Unterschied zwischen vertikal integriertem Unter-
nehmen und Erzeuger im Wettbewerb findet sich in Einsatzmodifizierung,
Lastaufteilung und Leistungs-Frequenz-Regelung. Während im vertikal inte-
grierten Unternehmen diese Planungsstufen gleichzeitig Erzeugungsoptimierung
und Systembetrieb darstellen, liefern sie im Wettbewerbsmarkt nur einen
Beitrag zum Systembetrieb. Der Erzeuger meldet seine Planung beim System-
betreiber an, muss aber damit rechnen, dass er von seiner Planung abweichende
14.3 Betriebsoptimierungbei Wettbewerb 639

Anweisungen erhält. Diese müssen dann an den Betrieb übergeben werden, und
die wirtschaftlichen Auswirkungen der Abweichungen sind zu erfassen und
später mit dem Systembetreiber abzurechnen. Auch wenn solche Abweichungen
die Ausnahme darstellen sollten, bedeutet ihre Möglichkeit, dass die
betriebsnahen Planungsstufen im Wettbewerb logisch grundlegend anders
ablaufen als im vertikal integrierten Energieversorgungsunternehmen.
Tabelle 14.1 fasst abschließend noch einmal die wichtigsten Unterschiede zwi-
schen der Erzeugungsplanung im vertikal integrierten Energieversorgungsunter-
nehmen und unter Wettbewerbsbedingungen zusammen.

Tabelle 14.1. Erzeugungsplanungunter Monopol- und unter Wettbewerbsbedingungen

Aufgabe Monopol- oder Wettbewerbsmarkt


Alleinabnehmermarkt
generell Kostenminimierung (gilt nur für Ertragsmaximierung
Monopol, da garantierte Marge)
Ausbau- lange Kapitalbindung unproble- lange Kapitalbindung bedeutet
planung matisch, da Risikokosten weiter- Risiko, muss durch höhere
gegeben werden Rendite kompensiert werden
Kevisions- selten (nie) geändert, wenn, meist Optimierungsvariable in1 kurz-
planung infolge von Störungen fristigen Geschäft, wird häutiger
überarbeitet
langfristige einzige Eingangsgröße: Primär- zusätzliche Handlungsmöglich-
Energie- energie- und langfristige Sekun- keiten: Börsenprodukte, ver-
einsatz- därenergiebezugsverträge größerte kurzfristige Märkte
planung Vollversorgungsplanung damit höheres Gewicht der kurz-
(normalerweise keine offenen fristigen Optimierung
Positionen) dazu offene Positionen nötig
hohe Planungssicherheit höheres Risiko, aber auch größere
Flexibilität
kurzfristige begrenzter Einfluss von durch transparente, efliziente
Einsatz- Spothandel Märkte zunehmende Hand-
planung lungsmöglichkeiten
müssen informationstechnisch
unterstützt werden (z. B. schnelle
Entscheidung über Anfahrkosten)
Lastauf- in einer Hand, vorwärtsgerichtete iterative Abstimmung mit
teilung, P-f- Optimierung Systembetreiber
Regelung
15 FACTS-Elemente

15.1 Übersicht

Mit der kommerziellen Verfügbarkeit leistungselektronischer Komponenten hoher


Bemessungsleistung ist deren Anwendung in Anlagen für die Hoch- und Höchst-
spannungsseite der elektrischen Energieübertragung in unterschiedlichen System-
ausführungen forciert worden. Im Zusammenhang damit entstand das Konzept der
Flexible AC Transmission System (FACTS). In diesen Übertragungssystemen
sind leistungselektronische und andere statisch regelbare Betriebsmittel installiert
(FACTS-Elemente), um die Steuerbarkeit und damit Anpassungsfähigkeit zu ver-
größern ([15.11], [15.12] und [15.24]). Der Einsatz von FACTS-Elementen er-
möglicht eine stärkere Auslastung bestehender Energieübertragungssysteme –
erreichbar ohne platzintensive Zubaumaßnahmen – durch anpassungsfähige Leis-
tungsflussregelung, Vergrößerung der übertragbaren Leistung und schnelle Beein-
flussung des Spannungsprofils.
Der Vorteil von FACTS-Elementen liegt in einer erweiterten Steuerbarkeit von
Energieübertragungssystemen durch Shuntkompensation, Seriekompensation und
Schrägregelung. Elektrisch wirken diese Elemente über schnelle Strom-, Span-
nungs- und Impedanzregelung. Leistungselektronik ermöglicht sehr kurze Ant-
wortzeiten, die deutlich unterhalb einer Sekunde liegen können (Abb. 15.1).
Abhängig von der topologischen Struktur eines Energieübertragungssystems erge-
ben sich für FACTS-Elemente unterschiedliche Einsatzmotivationen. Diese sind
gekoppelt mit der Forderung nach der Einhaltung stationärer Betriebsgrenzen so-
wie Wahrung der Stabilität.
Grundsätzlich sind longitudinale Netze und Netze mit vermaschter Struktur, zu
denen auch das europäische Verbundsystem zählt, zu unterscheiden. Während bei

kontinuierlich FACTS-
FACTS-Elemente
Reaktionsverhalten

quasi- Längsregelung
kontinuierlich
Kompensation

diskret Topologie Schrägregelung

1s 1min 1h
Reaktionszeit
Abb. 15.1. Reaktionszeiten und Maßnahmen im Netz
642 15 FACTS-Elemente

longitudinalen Systemen ein Lastschwerpunkt von einem Erzeugungsschwerpunkt


über eine Übertragungsleitung versorgt wird, bestehen in einem vermaschten Sys-
tem viele Kopplungen zwischen einzelnen Versorgungsgebieten. In Bezug auf die
in Bd. 1 in Abschn. 9.1 vorgestellten Netzstrukturen gehören longitudinale Syste-
me auch zu der Klasse der vermaschten Netze. Aufgrund ihres besonderen Verhal-
tens werden sie hier dennoch separat als eigene Klasse erwähnt.
Stationäre Betriebsgrenzen sind im wesentlichen durch den maximalen Über-
tragungswinkel, die Spannungsbandhaltung und die thermische Belastbarkeit von
Betriebsmitteln definiert (s. dazu Bd. 1, Abschn. 9.5.4). Die Phasenwinkeldiffe-
renz zwischen den Anschlusspunkten eines Betriebsmittels hängt von der Be-
triebsmittelbelastung und den elektrischen Parametern ab. Der maximale Übertra-
gungswinkel folgt aus der Forderung nach Wahrung des Synchronismus. Thermi-
sche Grenzen ergeben sich aus den maximal zulässigen Betriebstemperaturen. Die
Einhaltung von Spannungsbändern verhindert Betriebsmittelschädigungen bei
Überspannung und die Gefahr eines Spannungskollapses bei Unterspannung.
Durch vermehrten Energiehandel entstehen – besonders durch ein erhöhtes
Maß an Durchleitungen – Kreisflüsse, die die maximale Übertragungskapazität
begrenzen. Die Einhaltung von thermischen Betriebsmittelgrenzen und Span-
nungsbändern, die Unterbindung von Kreisflüssen und die Gewährleistung eines
ausgeglichenen Kurzschlussleistungsniveaus sind stationäre Randbedingungen des
Netzbetriebes. Deren Einhaltung wird heute durch Spannungsregelung im Rahmen
der Spannungs-/Blindleistungskoordination und durch topologische Anpassungen
im Netz realisiert. Dabei reduzieren sich die Eingriffsmöglichkeiten auf Verän-
derungen der Stufenstellungen längsregelbarer Transformatoren und Kompen-
sationseinrichtungen, die Verstellung der Erregung der Generatoren, die Verände-
rung der Wirkleistungseinspeisungen sowie korrektive Schaltmaßnahmen.
Stabilitätsgrenzen in Energieübertragungsystemen ergeben sich aus der stati-
schen Stabilität, der transienten Stabilität und der Spannungsstabilität sowie durch
subsynchrone Resonanzerscheinungen (s. Kap. 12 und 13). Die Stabilitätseigen-
schaften von Energieübertragungsystemen sind maßgeblich durch die dynami-
schen Systemeigenschaften bestimmt. Da lange Übertragungsleitungen einerseits
und schwache Verbundkupplungen andererseits die Stabilität eines Energieüber-
tragungssystems negativ beeinflussen, kommt in longitudinalen Netzen und
schwach gekoppelten Verbundsystemen der Einhaltung von Stabilitätsgrenzen
eine besonders große Bedeutung zu.
Neben einer geeigneten Auslegung von Übertragungseinrichtungen beeinflus-
sen die Regelungseinrichtungen des Generator-/Turbinensatzes und der im Netz
installierten Betriebsmittel die statische und transiente Stabilität. Eine Möglich-
keit, die entstehenden Beschränkungen des Betriebsbereiches zu vermindern, be-
steht in der Verbesserung der Systemdämpfung. Die seit vielen Jahren angewen-
deten dämpfungsverstärkenden Maßnahmen am Turbosatz (Power System Stabili-
zer, PSS) sind in der Lage, auftretende Leistungspendelungen wirksam zu dämp-
fen (s. dazu Abschn. 12.2.3).
In Netzen mit longitudinaler Struktur mit langen Verbundleitungen – z.B. das
kanadische Netz – und schwach vermaschten Verbundsystemen entstehen betrieb-
liche Engpässe bei der Wahrung des stabilen Netzbetriebes. Vornehmlich stationä-
15.1 Übersicht 643

re Randbedingungen beschränken in longitudinalen Netzen mit kurzen Verbund-


leitungen sowie stark vermaschten Verbundsystemen den Netzbetrieb.
In beiden Fällen ist die Installation zusätzlich regelbarer Betriebsmittel im Netz
eine wirtschaftliche Alternative zu dem häufig langwierigen Zubau von Übertra-
gungsleitung. Neben den bereits seit Jahrzehnten bekannten schaltbaren und stuf-
baren Netzelementen bieten heute die FACTS-Elemente zusätzliche Freiheits-
grade im Netzbetrieb. Der bislang verbreitetste Typ von FACTS-Element ist der
als Shuntelement arbeitende Blindleistungskompensator mit Thyristorventilen
(Static Var Compensator, SVC) oder selbstgeführtem Umrichter (Static Synchro-
nous Compensator, STATCOM). Shuntkompensatoren werden vorwiegend einge-
setzt, um (s. auch Abschn. 13.3 sowie Band 1, Abschn. 9.5.3, sowie [15.12])
x unerwünschte Blindflüsse und damit die Netzverluste zu verringern,
x vertraglich festgelegte Übergabeleistungen bei ausgeglichener Blindleistungs-
bilanz einzuhalten,
x Stromrichteranlagen - zum Beispiel große Antriebe in Industrienetzen, Hoch-
spannungsgleichstromübertragungen - direkt zu kompensieren,
x die statische und transiente Stabilität zu verbessern.
Im Vergleich zu Kompensationseinrichtungen mit mechanischen Stufenstellern
ermöglicht die schnelle Regelbarkeit die Einhaltung von engen Blindleistungs-
und Spannungsgrenzen. Als leistungselektronische Weiterentwicklung konventio-
neller Blindleistungskompensatoren stellen diese FACTS-Elemente aufgrund ge-
ringerer Anlagen- und Betriebskosten eine wirtschaftliche Alternative zu rotieren-
den Kompensatoren dar.
Die nächste Generation der festen oder mechanisch geschalteten Seriekompen-
sation sind die als Serieelemente installierten Geräte auf Basis von Thyristor-
ventilen oder selbstgeführten Umrichtern. Seriekompensatoren werden vorwie-
gend eingesetzt, um (s. auch Band 1, Abschn. 9.5.3, sowie [15.12])
x Längsspannungsabfälle über Leitungen nach Betrag und Phase zu verringern,
x Spannungsschwankungen innerhalb vorgegebener Grenzen bei Übertragungs-
leistungsänderungen zu verringern,
x die Systemdämpfung zu vergrößern,
x Kurzschlusströme in Netzen oder Stationen, in denen die Kurzschlussleistung
zulässige Werte übersteigt, zu begrenzen,
x Kreisflüsse zu vermeiden.
Zusätzlich zu den als Shuntelement oder Serieelement ausgeführten Gerätetypen
existieren welche mit Shunt- und Serieanteil. Diese ermöglichen Schrägregelung
und damit eine entkoppelte Regelung der Wirk- und Blindleistungsflüsse auf ei-
nem Übertragungselement. Dieses Regelverhalten ist von den in Band 1, Abschn.
4.9.4 bereits beschriebenen Schrägreglern bekannt. Sie sind Spezialausführungen
stufbarer Transformatoren.
Da die Änderungszeit einer Stufenstellung durch mechanische Stufenschalter
im Minutenbereich liegt und die Anzahl der Stufenschaltungen aufgrund der Le-
bensdaueranforderungen an den Stellantrieb begrenzt ist, wird beim leistungs-
elektronischen Schrägregler das mechanische Schaltwerk durch Thyristorschal-
644 15 FACTS-Elemente

tungen ersetzt. Damit wird eine Antwortzeit im Millisekundenbereich und eine


nahezu verschleißfreie Stufung gewährleistet. Spezielle Ausführungen schräg-
regelnder FACTS-Elemente weisen zusätzlich kompensierende Eigenschaften auf.
Ein Beispiel für die Realisierung eines solchen Betriebsmittels ist der universale
Leistungsflussregler (Unified Power Flow Controller, UPFC).
Allgemein lassen sich die Eingriffsmöglichkeiten durch FACTS-Elemente an
einer einfachen geregelten Leitung veranschaulichen (siehe Abb. 15.2). Die elek-
trische Wirkung der FACTS-Elemente sei über eine Stromquelle im Shuntzweig
und eine Spannungsquelle im Seriezweig der Leitung beschrieben. Dadurch sind
die Amplitude und Phase der Spannung beliebig einstellbar, während die Phase
des Stromes bei frei wählbarer Amplitude um S/2 versetzt zur Klemmenspannung
vorliegt. Die elektrischen Größen liegen in bezogener Form vor. Ohne Regelungs-
eingriffe beschreibt Gl. (15.1) den Wirkleistungsfluss zwischen den Systemen:
uA u B
(1)
pAB = sin -AB ; -AB -A  -B . (15.1)
xL
Bei einer Seriekompensation wird über die Spannungsquelle eine zum Leitungs-
strom um S/2 phasenverschobene Längsspannung eingekoppelt. Abhängig von
dem Kompensationsgrad der Leitung (K=1: vollständige Kompensation, K=0:
keine Kompensation) erfolgt eine Vergrößerung der übertragbaren Wirkleistung:
uA uB
(2)
pAB = sin -AB . (15.2)
x L 1  K
Bei ausschließlicher Shuntkompensation ist der Betrag der im Längszweig einge-
koppelten Spannung gleich Null. Die kompensierende Wirkung wird durch den
Shuntstrom bestimmt, der orthogonal zur Knotenspannung einzuspeisen ist. Da
die übertragene Wirkleistung nach Gl. (15.3) von dem Realteil der zusätzlich ein-
gespeisten Scheinleistung abhängt, eignen sich Shuntelemente nur zur mittelbaren
Wirkleistungsflussregelung.
uA uB
(3)
pAB =
xL
^
sin -AB  Re u A i q
*
` (1)
pAB . (15.3)

a) b)

A pAB B A pAB B

uA ul uB uA ul uB
i jxL i jxL

iq iq

Abb. 15.2. Prinzipielles Modell von FACTS-Elementen in einer Leitung mit selbstge-
führtem Umrichter/Shunt- und Boostertransformatoren (a) und mit Thyristorventilen (b)
15.1 Übersicht 645

Schrägregelnde Elemente bewirken eine Entkopplung der übertragenen Wirk-


leistung von der Spannungswinkeldifferenz. Durch Einprägen einer zusätzlichen
Spannung wird der wirksame Längsspannungsabfall nach Betrag und Phase ver-
ändert. Mit dieser Beeinflussung folgt für die übertragene Wirkleistung mit dem
elektrisch wirksamen Zusatzwinkel:

(4)
pAB
­°
*
= Re® j A B
*

u u  u l °½
¾
uA uB
sin -AB  ș š u B  u l
* *
uB . (15.4)
°̄ xL °¿ xL

Die betrieblichen Potentiale regelbarer Betriebsmittel veranschaulicht die Wirk-


leistungs-Winkel-Charakteristik (Abb. 15.3) der in Abb. 15.2 dargestellten Netz-
situation.
Die über die Verbundleitung maximal übertragbare Leistung (1), (3) ist durch
die maximale Winkeldifferenz der Spannungen an Anfangs- und Endknoten be-
stimmt. Seriekompensation bewirkt eine Verringerung der elektrischen Entfernung
und damit bei konstanter Wirkleistungsübertragung eine Verringerung der Win-
keldifferenz zwischen den Anschlussknoten. Zusätzlich steigt die maximal über-
tragbare Wirkleistung.
Die Einkopplung eines Zusatzwinkels in den Längszweig durch Schrägrege-
lung bewirkt eine Verschiebung der P---Kurve um den Betrag des eingekoppelten
Zusatzwinkels T 4 . Damit verbunden ist eine relative Abnahme der Winkeldiffe-
renz zwischen Anfangs- und Endpunkt der Leitung. Beide Maßnahmen wirken
stabilitätsverbessernd.

Abb. 15.3. Wirkleistungs-Winkel-Charakteristik (P---Diagramm) der Übertragungs-


strecke
646 15 FACTS-Elemente

15.2 Technologie

15.2.1 Halbleiterbauelemente
Innovationen bei FACTS Elementen wurden insbesondere durch die weitreichen-
den Entwicklungen in der Halbleitertechnik erreicht. Die Realisierung von leis-
tungsfähigen Wechselrichtern und somit innovativen Betriebsmitteln für Übertra-
gungssysteme lässt sich auf die Entwicklung abschaltbarer Elemente zurückfüh-
ren. Seit der ersten Entwicklung von Thyristoren durch General Electric im Jahr
1957 wurde nach leistungselektronischen Schaltern gesucht, deren Eigenschaften
unter anderem niedrige Schaltverluste bei hohen Taktfrequenzen und minimale
Durchlassverluste sind.
Der heutige Stand der Technik stellt zwei Technologien zur Anwendung im
Hochleistungsbereich zur Verfügung: Thyristoren und Transistoren. Unter den
Thyristoren wird weiterhin zwischen den klassischen Thyristoren und ein- und
abschaltbaren Elementen bzw. Thyristoren und GTOs (Gate Turn-Off Thyristo-
ren) unterschieden. GTOs sind eine Weiterentwicklung von Thyristoren die sich
durch das Anlegen einer Spannung am Gate abschalten lassen, wobei Thyristoren
nur beim Stromnulldurchgang gelöscht werden können. Seit kurzem gibt es eine
weitere Entwicklung des GTOs, den IGCT (Integrated Gate Commutated Thy-
ristor), der die besten Eigenschaften des Thyristoren – geringe Durchlassverluste –
mit denen des Transistoren – geringe Abschaltverluste – kombiniert (siehe auch
[15.21]). Anderseits hat sich auch der Transistor in vergangenen Jahren erheblich
entwickelt. Die monolithische Integration von MOSFET und BJT Strukturen führ-
te zur Entwicklung des IGBTs (Insulated Gate Bipolar Transistors), der aufgrund
stetiger Weiterentwicklung heute auch für Höchstleistungen eingesetzt wird (vgl.
[15.13]). Mittlerweile ist abzusehen, dass der IGBT und der IGCT die elektroni-
schen Bauelemente sein werden, die vorzugsweise für FACTS und Hochleistungs-
anwendungen zum Einsatz kommen werden. Bereits heute gibt es Anwendungs-
beispiele beider Bauelemente in Systemen für Leistungen über 100 MW.
Der bisherige „Spitzenreiter“ unter den Hochleistungsbauelementen, der GTO,
wird in naher Zukunft an Bedeutung verlieren. Dies allein ist ersichtlich aus der
Tatsache, dass die größten Hersteller von GTOs im vergangenen Jahrzehnt die
Produktion dieser Halbleiter drosselten, so dass heute nur noch die größeren Fir-
men die Produktion weiter betreiben.
Da die wesentlichen Komponenten von FACTS-Elementen leistungselektroni-
sche Schaltungen sind, gibt dieser Abschnitt eine Übersicht über gängige Halblei-
tertypen, leistungselektronische Bauelemente sowie typische Umrichtertechnolo-
gien und Steuerverfahren. In der Technik etablierte Komponenten, wie z.B. Thy-
ristor geschaltete Reaktanzen oder Kapazitäten oder andere netzgeführte leistungs-
elektronische Schaltungen werden hier nicht berücksichtigt. Zu deren Beschrei-
bung wird auf Abschn. 7.3.1 in Bd. 1 verwiesen. Hier liegt der Schwerpunkt auf
selbstgeführten Umrichterschaltungen, die einen Einsatz von abschaltbaren Halb-
leiterelementen erfordern (eine kurze Einleitung dazu ist in Bd. 1, Abschn. 7.3.2
gegeben). Eine qualitative Bewertung verfügbarer Halbleiter zum Einsatz in
FACTS-Elementen kann anhand der Halbleitereffizienz und deren betrieblichen
15.2 Technologie 647

Verhaltens durchgeführt werden. Hersteller leistungselektronischer Einrichtungen


konzentrieren sich meistens auf bestimmte Halbleitertechnologien und optimieren
deren Einsatz gemäß den gegebenen Betriebsbedingungen. Anderseits lassen Spe-
zialanwendungen manchmal keine Möglichkeit zur freien Wahl aufgrund beson-
derer technischer Randbedingungen. So werden beispielsweise konventionelle
Thyristoren, deren hohe Stromleitfähigkeit und Sperrspannungen von kaum einem
anderen Halbleiterelement erreicht werden, weiterhin für Höchstleistungsanwen-
dungen wie z. B. Hochspannungsgleichstromübertragung (HGÜ) bevorzugt.
Wo eine hohe Taktfrequenz bei hohen Leistungen erforderlich ist, sind IGCTs
und IGBTs im Einsatz. Die Eigenschaften von Halbleitern können qualitativ durch
einige wenige Eigenschaften z.B. Verluste und maximal zulässiger Strom- und
Spannungsanstieg beschrieben werden.
Der Vorwärtsspannungsabfall eines Halbleiters ist maßgebend für die Verluste
des Halbeleiters im leitenden Zustand. Diese Verluste müssen möglichst schnell
abgeführt werden und stellen somit hohe Anforderungen an die eingesetzte Küh-
lung. Während des Einschaltvorgangs steigt die Amplitude des vorwärtsleitenden
Stroms, ehe die Vorwärtsspannung fällt d.h. während des Abschaltens steigt die
Vorwärtsspannung bevor der Strom abnimmt. Die in diesem Fall gleichzeitig ho-
hen Werte von Strom und Spannung bedeuten, dass hohe Verluste innerhalb des
Halbleiters erzeugt werden; insbesondere bei hohen Schaltfrequenzen. Hohe Takt-
frequenzen bedeuten, dass die Anzahl der Schaltvorgänge maßgebend für die ab-
zuführenden Verluste der Halbleiter sind.
Der Übergang von einem leitenden zu einem sperrenden Zustand bedingt
einen, von der Taktfrequenz abhängigen, Spannungsanstieg du/dt, während der
Übergang vom sperrenden in den leitenden Zustand einen gewissen Stromanstieg
di/dt erfordert. Weiterhin sind einige der Halbleiterelemente z.B. Dioden und
GTOs in den maximalen Werten von du/dt und di/dt begrenzt.
Im Fall von GTOs muss eine gleichmäßige Verteilung des Stromes über dem
Halbleiter vorhanden sein. Bei einem zu großen Stromanstieg kann die homogene
Verteilung nicht mehr garantiert werden und der GTO könnte durch die hohe
Stromdichte in einzelnen Teilen des Halbleiters zerstört werden. Zur Begrenzung
von Strom- und Spannungsanstieg werden spezielle Beschaltungen bzw. „Snub-
bers“ eingesetzt. Diese Beschaltungen sind aus passiven Bauelementen zusam-
mengesetzt und erzeugen ebenfalls Verluste.
Da die Beschaltungen meist außerhalb des Halbleitergehäuses plaziert werden,
tragen die Beschaltungsverluste nicht zu denen des Halbleiters bei und müssen bei
der Auslegung der Kühlung nicht berücksichtigt werden. Die Beschaltungsverlus-
te dürfen allerdings nicht vernachlässigt werden, wenn der Wirkungsgrad des Ge-
samtsystems berechnet wird.

15.2.1.1 Dioden
Obwohl der Einfachste der Halbleiterbausteine, ist dieses zweischichtige Element
zugleich eins der wichtigsten. Fast die Hälfte der aktiven Bauelemente in FACTS-
Elementen sind Dioden.
648 15 FACTS-Elemente

Dioden finden Einsatz in

x Diodengleichrichtern,
x Spannungsumrichtern als antiparellele Diode für Halbleiterschalter,
x Gate-Steuerkreisen und als Bestandteile von Schutzbeschaltungen.

Sie sind aus dem Bereich der Elektronik gut bekannt. In Hochleistungsanwendun-
gen unterscheiden sie sich im Aufbau nur unwesentlich von den Ausführungen für
typische Elektronikanwendungen. Zur weiterführenden Information über Aufbau,
Herstellung und Betriebsverhalten sei an dieser Stelle auf die einschlägige Elekt-
ronik-Fachliteratur verwiesen.

15.2.1.2 Thyristoren
Die Stromtragfähigkeit und die hohe Sperrspannung von Thyristoren sind insbe-
sondere unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten bislang von keinem anderen leis-
tungselektronischen Bauelement erreicht worden. Dies ist der Hauptgrund, dass
Thyristoren weiterhin weitverbreitet Einsatz finden; z.B. als schaltbare Elemente
wie in Blindleistungskompensatoren, sowie auch als Schutz für weniger robuste
leistungselektronische Bauteile. Der Thyristor besteht aus vier Schichten und ist
ein Einwegschalter (Abb. 15.4). Er wird durch einen Puls am Gate gezündet und
bleibt in einem leitenden Zustand bis zum nächsten Stromnulldurchgang. Die Ei-
genschaft den Halbleiter abzuschalten ist bei vielen Anwendungen nicht erforder-
lich. Daher kann in diesem Fall ein Halbleiter für höhere Ströme und Spannungen
ausgelegt werden. Im Ersatzschaltbild erscheint der Thyristor als eine Zusammen-
schaltung zweier Transistoren. Beim Anlegen eines Zündpulses am Gate beginnt
der obere npn Transistor zu leiten. Der Strom im npn Transistor stellt den Gate-
strom im pnp Transistor zu Verfügung. Letzterer wird somit auch in einen leiten-
den Zustand gebracht. Ist der Thyristor einmal eingeschaltet, sind die inneren p-
und n-Schichten mit Elektronen und Defektelektronen gesättigt. In diesem Fall
verhält sich der Thyristor wie eine Diode, so dass der vorwärtsleitende Zustand

a) b) c)

Abb. 15.4. Aufbau Thyristor; Struktur (a); Ersatzschaltbild (b); Schaltsymbol (c)
15.2 Technologie 649

erst durch erlöschen des Stromes an der Anode zum sperrenden Zustand führt. Es
wäre natürlich auch möglich, den Thyristor einen Zündpuls am n-Gate einzuschal-
ten. Das n-Gate würde jedoch mehr Strom verbrauchen, dementsprechend wird
das p-Gate zum Ansteuern des Thyristors verwendet.
Die Anwendung von Thyristoren in statischen Kurzschließern ist insbesondere
für Serieelemente von Bedeutung (vgl. die Abschn. 15.3 und 15.7). Diese Elemen-
te werden unter Anwendung eines sogenannten Boostertransformators in Serie zu
einem Übertragungselement geschaltet. Das oftmals hohe Übertragungsverhältnis
des Boostertransformators bewirkt, dass im Fall eines netzseitigen Kurzschlusses
auf der Sekundär- bzw. Umrichterseite des Transformators sehr große Kurz-
schlussströme entstehen. Die für Umrichter eingesetzten IGBTs oder IGCTs sind
ohne Parallelschaltung oftmals nicht in der Lage diese hohen Ströme zu leiten
ohne dabei Schaden zu nehmen. Thyristoren sind robust genug, um diese hohen
Ströme zu führen und dem mechanischen Schutz bzw. Leistungsschaltern somit
die notwendige Auslösungs- und Abschaltzeit zu geben. Diese Kurzschließer oder
„Crowbars“ werden parallel zu der Sekundärwicklung des Transformators ge-
schaltet. Im Fall eines netzseitigen Fehlers bekommen die antiparallel geschalteten
Thyristoren des Kurzschließers einen Zündimpuls und der Strom kommutiert so in
den parallelen Pfad.

15.2.1.3 Gate Turn-Off Thyristor (GTO)


Im vorwärtsleitenden Zustand gleicht der GTO dem Thyristor. Die vierschichtige
Struktur des Thyristors ist beibehalten. Eine zusätzliche Dotierung bewirkt, dass
der GTO ausschaltbar ist (vgl. Abb. 15.5).
Falls ein genügend großer Strom von der Kathode zum Gate kommutiert (um
die Anzahl der Ladungsträger in der Kathode bzw. Emitter des pnp Transistoren
zu reduzieren) verlässt der npn Transistor seinen selbstregenerierenden Zustand.
Mit dem oberen npn Transistor im sperrenden Zustand ist am Gate des unteren
pnp Transistors kein Signal mehr. Dieser schaltet dann ebenfalls aus.

a) b) c)

Abb. 15.5. Aufbau eines GTOs; Struktur (a); Ersatzschaltbild (b); Schaltsymbol (c)
650 15 FACTS-Elemente

Während der Zündimpuls zum Einschalten nur einige Prozent des zu leitenden
Stromes für eine Dauer von einigen Ps beträgt, erfolgt der Ausschaltprozess im
Vergleich dazu über einen längeren Zeitraum (vgl. Abb. 15.6). Obwohl die dazu
benötigte Spannung nur etwa 10-20 V beträgt, sind die erzeugten Verluste erheb-
lich, so dass der Energieaufwand zum Ausschalten etwa 10-20 mal größer als der
zum Einschalten erforderliche ist. Es soll zusätzlich darauf hingewiesen werden,
dass die Einschaltenergie eines GTOs im Vergleich zu der eines konventionellen
Thyristors um bis zu 10 mal größer sein kann.
Die Kommutierung des Kathodenstromes führt zu einem Anstieg der Anoden-
spannung. Dieser Spannungsanstieg wird gewöhnlich durch einen Kondensator
begrenzt, weil ansonsten die Koexistenz von Kathodenstroms und Anoden-
spannung zu einer Rückzündung führen könnte. Die gleichzeitig von Null ver-
schiedenen hohen Werte von Strom und Spannung erzeugen Verluste. In Umrich-
teranwendungen wird eine Fraulaufdiode antiparallel zum GTO geschaltet, so dass
der GTO keine Rückwärtssperrspannung führen muss.

15.2.1.4 Insulated Gate Bipolar Transistor (IGBT)


Der IGBT kombiniert einige der Vorteile des „Metal Oxide Field Effect Transis-
tors“ (MOSFET), des „Bipolar Junction Transistors“ (BJT) und des GTO. Der

A A A
iA
p p p
iG n uD
n n
G p G p G p
i, u [pu]
n n n
iK
K K K

iA
uD
iK

0
I
iG
5 10 15 20
t [Ps]
Leitender Zustand Abschaltprozess Sperrender Zustand

Abb. 15.6. Strom- und Spannungsverläufe beim Ausschaltvorgang eines Gate Turn Off
Thyristors (GTO), (Quelle: ABB)
15.2 Technologie 651

IGBT kann als ein Halbleiterbauelement mit Vierschichtenstruktur mit einem


MOS-Gate betrachtet werden (Abb. 15.7).
Die einfache MOSFET-Struktur des Gates bedeutet, dass der IGBT durch das
Anlegen einer Spannung einschaltet und durch das Anlegen eines Nullpotenziales
zum Sperren gebracht wird. Dies ermöglicht eine sehr einfache Ansteuerung. An-
derseits entsteht durch das schnelle Schalten des sogenannten Drain-Stromes der
MOSFET Struktur und des etwas langsameren Emitterstromes des pnp Transistors
ein sog. „Current Tailing“ Phenomen. Current Tailing ist das Abklingen des Emit-
terstroms durch Rekombination d.h den Abbau von Minoritätsträgern. Dieser Ef-
fekt kann durch Dotierung reduziert werden, bewirkt aber auch einen Anstieg des
Einschaltwiderstandes.
Die komplizierte MOSFET Struktur führt zu kleineren Chips; die Oberfläche
eines IGBT ist ca. 1 cm2. Diese werden kombiniert durch Parallelschaltung, Ver-
drahtung und Verpackung in größere IGBT Module, die dann in Umrichtern ein-
gesetzt werden. Aufgrund der kleinen Ein- und Ausschaltzeiten ist der IGBT be-
sonders für den Einsatz in selbstgeführten Umrichtern geeignet. Dies gilt insbe-
sondere für den Betrieb mit Pulsweitenmodulation aufgrund der hohen möglichen
Taktfrequenzen bei IGBTs.
Der IGBT eignet sich auch für Hochleistungsanwendungen. Reale Anlagen mit
IGBT-Umrichter und mehreren hundert MW Leistung sind in Planung und Be-
trieb. Trotz seiner Limitierung durch z.B. einen hohen Vorwärtsspannungsabfall
und dementsprechenden Verlusten, ist ein starker Anstieg der Anzahl von IGBT
Anwendungen auch im Hochleistungsbereich zu erwarten.

15.2.1.5 Integrated Gate Turn-Off Thyristor (IGCT)


Der IGCT wurde ursprünglich als verbesserter leistungselektronischer Schalter für
Hoch- und Mittelspannungsanwendungen entwickelt. Motivation dafür waren die
Begrenzungen des GTOs (nur kleine Taktfrequenzen sowie relativ lange Schalt-
dauern) und IGBTs (ursprünglich nur kleine Leistungen und Spannungen, hohe
Durchlassverluste ohne separate Transistorbeschaltung). Der IGCT sollte die Vor-

a) b) c)

Abb. 15.7. Struktur und Aufbau eines IGBTs; Struktur (a); Äquivalenter IGBT Kreis b);
Schaltsymbol (c)
652 15 FACTS-Elemente

Abb. 15.8. Struktur (a) und äquivalentes Symbol (b) eines IGCT mit Freilaufdiode

teile von GTO (hohe Stromtragfähigkeit) und IGBT (hohe Schaltfrequenzen) in


einer leistungselektronischen Komponente vereinen. Die Struktur des IGCT ist
gleich der des GTOs, jedoch kann der IGCT zugleich eine monolithisch integrierte
Diode d.h. Freilaufdiode aufweisen (Abb. 15.8). Das schnelle Schaltverhalten lässt
sich auf die minimale Induktivität im Schaltkreis zurückführen. Sie erlaubt eine
sehr schnelle Kommutierung des Kathodenstroms zum Gate (z.B. 3kA/Ps bei ei-
nem 3-kA-IGCT, mit Kommutierungsdauer von ca. 1 Ps). Entsprechend schaltet
der IGCT so schnell ab, dass er nicht in den verlustbehafteten Übergangsbereich
zwischen leitendem Thyristor und sperrendem Transistor kommt.

15.2.2 Spannungsumrichter, VSC


Die Grundstruktur der VSC (Engl. für Voltage Source Converter für Spannung-
sumrichter bzw. selbstgeführter Umrichter) kann über eine Anordnung leistungs-
elektronischer Schalter dargestellt werden (Abb. 15.10). Diese Schaltanordnung
ist an eine Gleichspannungsquelle so angeschlossen, dass je nach Schaltzustand
des Schalters entweder das positive oder das negative Potential auf den Ausgang
geschaltet wird. Im einfachsten Fall dient ein Kondensator als Gleichspannungs-
quelle (Abb. 15.9). Diese Schaltungen sind aus der Antriebstechnik bekannt, wer-
den aber erst in den letzten Jahren in der Energieversorgung eingesetzt.
Bei der einfachsten Schaltungsausführung existieren für die Umrichterschal-
tung nach Abb. 15.10 gemessen an der Ausgangsspannung drei verschiedene
Schaltzustände: 0V, +ud und -ud an den Ausgangsklemmen (Abb. 15.9). Durch
entsprechende Änderung des Schaltzustandes über der Zeit wird so eine Wech-
selspannung erzeugt. Bei dem hier gezeigten einfachsten Fall der Wechselspan-
nungserzeugung ist der Oberwellengehalt relativ groß.

Durch spezielle Steuerverfahren (z.B. Pulsweitenmodulation, Abb. 15.11)


kann der Anteil der Harmonischen deutlich reduziert werden. Bei der Umrichter-
15.2 Technologie 653

ud u(t) ud u(t) ud u(t)

u(t)

ud

0
t

-ud

T1 T2
Grundwelle

Abb. 15.9. Mögliche Ausgangsspannungen beim Zweipunktumrichter und Verdeutlichung


des Prinzips der Wechselspannungserzeugung

optimierung, Spezifikation des Schaltverhaltens und bei der entsprechenden Aus-


legung der Hardware sind diesbezüglich Kompromisse erforderlich.

Aufgrund der erhöhten Verluste im Silizium ist es nicht möglich, gleichzeitig


hohe Taktfrequenzen für einen niedrigen Oberwellengehalt der erzeugten Span-

a) b) c)

+ +
i
+

ud ud ud
u1
ud ud 2
0 0 0V
u

+ ud
+ u2
ud ud 2
ud ud
i u = u1 - u2
0 0

Abb. 15.10. Der Spannungsumrichter (VSC), hier dargestellt als einphasige Brücke (a)
sowie Übergang der Schaltungstopologie (b) auf Darstellung mit idealen Schaltern (c)
654 15 FACTS-Elemente

nung und die erforderlichen hohen Leistungen in einem einzelnen Umrichter zu


realisieren.
Im Dauerbetrieb würde bei zu hohen Verlusten die maximale Temperatur der
Sperrschicht dauerhaft überschritten und der Halbleiter somit beschädigt oder zer-
stört. Durch ausreichende Kühlung könnten die Wärmeverluste zwar abgeführt
werden, der Wirkungsgrad hingegen ist entsprechend niedrig.
Da die Verluste nichtlinear zur Taktfrequenz und den zu schaltenden Nenn-
strömen steigen, wird der Betrieb mit hohen Schaltfrequenzen unwirtschaftlich.
Daher wird auf verschiedene Schaltungsanordnungen wie z.B. die Serieschaltung
mehrerer VSC mit versetzter Ausgangsspannung der einzelnen Umrichter zurück-
gegriffen. Der somit erzielte geringere Anteil an Oberschwingungen reduziert
gleichzeitig die Leistung des erforderlichen netzseitigen Filters (vgl. Abb. 15.12).
Weil die Taktfrequenz hauptsächlich durch die Temperaturanforderungen an

u(t)

ud

0
t

-ud

Grundwelle

Abb. 15.11. Vereinfachte Darstellung eines Pulsmusters bei Pulsweitenmodulation

a) b) c)

ud u(t)

Abb. 15.12. Mögliche Umrichterdarstellung als Schaltsymbol (a), Serieschaltung mit


Transformator und gemeinsamem Zwischenkreis (b) sowie Serieschaltung mit getrennten
Zwischenkreisen ohne galvanische Entkopplung auf der Wechselstromseite (c)
15.2 Technologie 655

die Halbleiter bestimmt wird, ist es vorteilhaft die zumindest am Ausgang wirk-
same Taktfrequenz, also die vom Netz „gesehene Taktfrequenz“ zu erhöhen. Dies
kann durch versetztes Takten der Umrichter, eine geeignete Anordnung der Wick-
lungen des Kupplungstransformators zur Eliminierung niederfrequenter Harmoni-
scher und damit durch eine höhere virtuelle Taktfrequenz erreicht werden (vgl.
Abb. 15.12).
Werden die Halbleiter mit einer erhöhten Taktfrequenz betrieben, entsteht ne-
ben der Erwärmung als weiterer Nachteil, dass der maximale Modulationsgrad
bzw. die Ausnutzung der Zwischenkreisspannung reduziert wird werden muss.
Jeder Halbleiter braucht eine bestimmte Zeit, um ein- und auszuschalten.
Der Zusammenhang der AC- und DC-seitigen Spannungen wird auch aus der
Tatsache ersichtlich, dass AC-seitige Oberschwingungen auch im DC-Kreis er-
scheinen. Es ist daher erwünscht die Verzerrungen in der Ausgangsspannung so
klein wie möglich und damit weit unterhalb der nach den Richtlinien zulässigen
Grenzen zu halten, da sich DC-seitige Belastungen durch Oberschwingungen auch
negativ auf die Lebensdauer der spannungshaltenden Kondensatoren im Zwi-
schenkreis auswirken.
Im folgenden werden einige der Grundschaltungen der VSC-Technologie vor-
gestellt. Aus diesen Grundschaltungen werden die Bausteine geformt aus denen
Spannungsquellen für hohe Leistungsklassen hergestellt werden. Eine Skalierung
in Bemessungsspannungen, strömen und -leistungen ist beispielsweise durch das
Serie- oder auch Parallelschalten (seltener) der Halbleiterschalter möglich.

Zweipunktschaltungen
Die einfachste Ausführung des Spannungsumrichters ist die Zweipunktschaltung
(Abb. 15.13a). Die Entkopplungsinduktivität zum Anschluss an die Netzspannung
ist durch die Streuinduktivität des Kupplungstransformators gegeben. Der Wech-
selrichterstrom hängt von der Topologie ab. Ist der Wechselrichter in Serie zum
Netz geschaltet, so fließt im Wechselrichter der Nennlaststrom. Im Fall einer Pa-
rallelschaltung entsteht der Strom durch die Differenz zwischen der erzeugten
Wechselrichterspannung und der äußeren Spannung (vom Netz aufgeprägte Span-
nung), welche beispielsweise über der Entkopplungsinduktivität abfällt. Diese
Topologie ist geeignet für kleinere Leistungsklassen, bei der forcierte Luftkühlung
ausreichend ist, um die entstehenden Wärmeverluste abzuleiten. Mit Wasserküh-
lung kann die Nennleistung um ca. 30% erhöht werden. Die Ausgangsspannung
weißt zwei Spannungsniveaus auf.
Die einfache Zweipunktschaltung (Halbbrücke) kann zu einer einphasigen
Brücke oder sog. TWIN-Schaltung verschaltet werden (Abb. 15.13b). Die Ansteu-
erungen der Halbrücken sind dabei um 180° versetzt, wodurch eine Ausgangs-
spannung mit drei Spannungsstufen erreicht wird. Diese Ansteuerung der Halb-
brücken bewirkt eine Verringerung der Harmonischen. Durch eine versetzte An-
steuerung erfolgt außerdem eine virtuelle Erhöhung der Taktfrequenz. D.h. die in
das Netz eingespeiste Spannung verhält sich so, als wäre der erzeugende Umrich-
ter mit der doppelten Taktfrequenz getaktet.
Dreipunktschaltung
656 15 FACTS-Elemente

a)
u(t) [pu]

i
ud
LS
u(t) t [s]

b)

u(t) [pu]

i
ud LS u(t)

t [s]

Abb. 15.13. Zweipunktschaltung – Halbbrücke (a) und TWIN-Schaltung (b); Schaltungs-


topologie sowie Beispiel für ein Pulsmuster bei einer Taktfrequenz von fT = 450 Hz

Eine Alternative zur Zweipunkt TWIN-Schaltung, ist mit dem ungefähr gleichen
Aufwand an Hardwarekomponenten die sog. Dreipunkt-Halbbrücke (Abb.
15.14a). Durch zwei zusätzliche Nullpunkt-Dioden wird ein Null-Schaltniveau
eingeführt. Auf die Ausgangsklemmen können so drei definierte Spannungsni-
veaus geschaltet werden. Der Mittelpunkt der Gleichstromkondensatoren ist geer-
det und durch die zwei Nullpunkt-Dioden mit dem Umrichter verbunden.
Diese Schaltung vereinfacht die Auslegung des Kopplungstransformators, was
für höhere Leistungsklassen sehr wichtig ist. In der Praxis werden oft mehrere
Wechselrichterzweige mit versetztem Taktmuster zu einer Gesamtschaltung zu-
sammengesetzt. Bei Schaltungen mit einer höheren Zahl von versetzt taktenden
Wechselrichterzweigen wird die Ausgangsspannung durch Summation der einzel-
nen Umrichterspannungen über Transformatoren erzielt (vgl. auch Abb. 15.12). Je
mehr Transformatoranschlüsse benötigt werden, desto aufwendiger und teuerer ist
die Transformatorkonstruktion.
15.2 Technologie 657

Durch Zusammensetzung von zwei Dreipunkt Halbbrücken entsteht die Dreipunkt


TWIN-Schaltung (Abb. 15.14b). Die somit erzeugte Ausgangsspannung hat fünf
einstellbare Spannungsniveaus. Sie erzeugt deutlich weniger Oberschwingungen.
Die Hilfssteuerspannungen der einzelnen Zweige sind um je 90 Grad versetzt. Die
Trägerfrequenzseitebänder erscheinen bei vierfachen Trägerfrequenzen, was wie-
derum dazu führt, dass die resultierende Taktfrequenz das vierfache der eigentli-
chen Taktfrequenz ist. Für das Netz wirkt die Schaltung also wie eine einfache
Umrichterschaltung, die mit der vierfachen Taktfrequenz betrieben wird.
Dieser Effekt wird bei mehreren in Serie geschalteten Umrichtern ausgenutzt.
Für die Aussendung von Harmonischen vorteilhaft, ist die hohe resultierende
Taktfrequenz des Gesamtsystems. Die Taktung der einzelnen Umrichter erfolgt
dabei mit einer entsprechend niedrigeren Taktfrequenz, was vorteilhaft für die
Verluste des Gesamtsystems ist.

a)
u(t) [pu]

ud
2

i
LS t [s]
u(t)

ud
2

b)
u(t) [pu]

ud
2

i LS u(t)
t [s]

ud
2

Abb. 15.14. Dreipunktschaltung – Halbbrücke (a) und TWIN-Schaltung (b); Schaltungs-


topologie sowie Beispiel für ein Pulsmuster bei einer Taktfrequenz von fT = 450 Hz
658 15 FACTS-Elemente

15.2.3 Steuerverfahren und Eliminierung von Oberwellen

15.2.3.1 Grundschwingungsverfahren
Bei dem Grundschwingungsverfahren wird jeder Brückenzweig bzw. jede Halb-
brücke während je einer Halbperiode auf das positive oder negative Potential im
Zwischenkreis geschaltet. Die entstehenden Spannungen sind gleichspannungsfrei
und weisen gegenüber Nullpotential eine zweistufige und gegenüber dem Stern-
punkt eines Koppeltransformators eine dreistufige Ausgangsspannung auf (vgl.
Abb. 15.15). Bei dieser Betriebsart ist der Scheitelwert der Grundschwingung

4 ud
û (15.5)
S 2

und kann nicht variiert werden. Durch die Sternpunktverbindung der drei Phasen
entfallen Harmonische der dritten Ordnung und die Fourier-Reihe der Phasen-
spannung erhält die Form:
f
4 ud 1
u (t ) ¦ sin k Z1t (15.6)
S 2 k 1,5, 7 ,11,13,...
k

Wird nun die Anzahl der Pulse durch den Einsatz einer weiteren dreiphasigen
Brücke verdoppelt und diese anstatt an einer Sternwicklung an eine Dreieckswick-
lung angeschlossen (Abb. 15.16), so heben sich die Oberwellen der Ordnung 5, 7,
17, 19 usw. auf und eine weitere Annäherung zur sinusförmigen Ausgangsspan-
nung wird erreicht. Die niedrige Taktfrequenz dieser Umrichtertopologie eignet
sich sehr gut für Umrichter sehr hoher Leistung. Durch eine Verzögerung der
Zündwinkel kann auch eine Änderung in der Grundschwingungsamplitude und
Phase bewirkt werden. Für den Fall eines Shuntumrichters, bei dem an der Pri-
märwicklung des Kuppeltransformators die gesamte Netzspannung anliegt, ist
diese Schaltung ebenfalls gut geeignet.

15.2.3.2 Pulsweitenmodulation (PWM)


Die Spannungsverläufe der mittels Pulsweitenmodulation (PWM) generierten
Spannungen wurden bereits im vorstehenden Abschnitt vorgestellt. Das Funkti-
onsprinzip ist einfach und findet heute Einsatz in einer Vielzahl von Anwendun-

a) b)

ud u(t) [pu] uR0


2
uR uR
iR
iS
iT
LS t [s]
ud
uR0
2

Abb. 15.15. Grundschwingungsverfahren am Beispiel einer dreiphasigen Brückenschal-


tung; Schaltungstopologie (a) und Ausgangsspannung(b)
15.2 Technologie 659

a) b) uRy
1:1 uRy
iR 1
ud iS 2/3
iT ud 1/3
0
2
LS
-1

iR uRd
R
iS 1
S
iT
T ud 1/—3

LS uRd 0
—3:1 2

-1
uR = uRy + uRd

2/3+1/—3
1/3+1/—3
ud 1/3
0
2

-1

Abb. 15.16. Grundschwingungsverfahren am Beispiel einer dreiphasigen Brückenschal-


tung mit Aufschaltung der Umrichterausgänge auf eine Stern-Dreiecks-Wicklung; Schal-
tungstopologie (a) und Ausgangsspannung(b)

gen. Anhand der Zweipunkt-Halbrücke wird das Funktionsprinzip vorgestellt. Die


gewünschte sinusförmige Spannung bzw. das Steuersignal wird normiert und mit
einem dreieckigen Trägersignal verglichen. Ist das Steuersignal größer als das
Trägersignal so nimmt die erzeugte Schaltfunktion den Wert +1 an und andern-
falls den Wert –1 (Abb. 15.17). Ist das Schaltsignal +1 so leitet der Halbleiter, im
anderen Fall sperrt er. Die Frequenz des Trägersignals ist ein vielfaches der
Grundfrequenz. Somit ergibt sich ein synchrones Modulationsverfahren dessen
Ausgangssignal nur ganzzahlige Harmonische enthält.
Bei Betrachtung der Fourier-Reihe der durch die Umrichter erzeugten Span-
nung stellt sich heraus, dass die Grundschwingung der Umrichterausgangsspan-
nung dem eigentlichen Steuersignal in Amplitude und Phasenlage gleicht. Die
Division der Grundschwingung durch die Amplitude der Zwischenkreisspannung

Steuersignal

Trägersignal

Schaltfunktion

Abb. 15.17. Prinzip der Gewinnung der Schaltfunktion bei Pulsweitenmodulation


660 15 FACTS-Elemente

ergibt das Steuersignal. Durch Verschaltung von zwei Halbrücken setzt sich die
Dreipunktschaltung zusammen.
Die Oberwellen der Spannung sind abhängig von der Taktfrequenz d.h. der
Frequenz des Hilfssteuersignals. Harmonische der Ausgangsspannung erscheinen
in Seitenbändern bei vielfachen der Taktfrequenz. Durch versetzte Trägersignale
können Harmonische um die Geraden der Trägerfrequenz reduziert und so die
Verzerrung verkleinert werden. Durch erhöhte Taktfrequenz und versetzte Träger-
signale kann somit eine erhebliche Reduzierung der Verzerrung erreicht werden.
Dieses Modulationsverfahren wird zur schnellen Online-Einstellung bevorzugt.

15.2.4 Berechnung der Verzerrung

15.2.4.1 Spannungsverzerrung
Das Spektrum der umrichtererzeugten Spannung kann durch die FFT (Fast Fou-
rier Transformation) des Signals berechnet werden. Für die Herleitung der FFT
und deren Anwendung ist auf die einschlägige Fachliteratur verwiesen. Das
Grundprinzip der Berechnung der Verzerrung der Ausgangsspannung liegt in der
Zerlegung des Ausgangsspannungsmusters mittels FFT. Die Abweichung der
Ausgangsspannung von einem rein sinusförmigen Verlauf wird als Klirrfaktor
(Engl. Distortion Factor IEC 1000-2-2) bezeichnet und berechnet sich aus dem
Verhältnis des Effektivwertes der Summe der Oberschwingungen zum Effektiv-
wert der Grundschwingung:
N

¦u
n 2
2
n
(15.7)
Klirrfaktor ˜ 100%
U1
Die Spannungsverzerrung oder die Größe des Oberschwingungsanteiles bestimmt
die Bauleistung des netzseitigen Filters. Weiterhin werden diese Oberschwingun-
gen auch den Zwischenkreis bzw. die Kondensatoren belasten, so dass eine Redu-
zierung der Oberschwingungen sich vorteilhaft auf die Dimensionierung der Zwi-
schenkreiskondensatoren auswirkt. Der Verzerrungsanteil in der Ausgangsspan-
nung ist abhängig von der Taktfrequenz und der Umrichtertopologie.

15.2.4.2 Netzseitige Stromverzerrung


Der Ausgangsstrom lässt sich in die Grundschwingung und den Verzerrungsanteil
aufspalten. Die Grundschwingung ist der eigentliche Nutzanteil, während der Ver-
zerrungsanteil alle Frequenzen neben der Grundschwingung umfasst. Der Verlauf
und die Kennwerte des Verzerrungsanteils stellen wesentliche Vergleichskriterien
für die Steuerverfahren dar. Der Verzerrungsanteil hängt stark von der Taktfre-
quenz, der Ausnutzung der Gleichspannung sowie von der Streuinduktivität des
Kopplungstransformators ab. Mit steigender Frequenz fällt die Amplitude der
Verzerrungsströme. Die Amplitude des Stromes ist umgekehrt proportional zur
Taktfrequenz (vorteilhaft bzgl. Leistungsspektrum der Verzerrung). Es ist zu be-
rücksichtigen, dass mit steigender Taktfrequenz die Umrichterverluste steigen und
so strenge Anforderungen an die Umrichterkühlung gestellt werden müssen. Die
15.2 Technologie 661

vom Umrichter erzeugte Stromverzerrung besteht aus Oberschwingungen mit Fre-


quenzen ähnlich derer des Spannungsspektrums. Bei Betrachtung der Netzspan-
nung uN, der umrichtererzeugten Spannung uB und des Spannungsabfalls uL über
B

der Streuinduktivität L des Kopplungstransformators wird ersichtlich, dass allein


die Oberschwingungen der Umrichterspannung zur Stromverzerrung beitragen:
1
ios (uN (t )  uB (t )  uL (t ))dt
L³ (15.8)
1
³ uB ,OS (t ) dt
L
Dass Stromoberschwingungen aus dem Integral der Spannungsoberschwingungen
berechnet werden, wird auch aus der Änderung im Gradienten des Stromverlaufes
ersichtlich (Abb. 15.18). Im Fall einer positiven Spannung ergibt sich ein positiver
Gradient, während bei einer negativen Spannung ein negativer Gradient entsteht.
Die Amplitude der Harmonischen fällt im umgekehrten Verhältnis zur Taktfre-
quenz, so dass die Leistung des Signals mit steigender Taktfrequenz in der Grund-
schwingung konzentriert wird. Die Auswirkung von verschiedenen Topologien
und steigender Taktfrequenz ist in Abb. 15.18 dargestellt.
Der netzseitige Wechselstrom besteht aus einer 50-Hz-Komponente (bei 50-
Hz-Netzen), d.h. für seriegeschaltete Elemente ist dies der Laststrom und die um-
richtererzeugten Oberwellen. Diese Oberwellen erscheinen in Frequenzbändern
zentriert auf den Vielfachen der Taktfrequenz, abhängig von der Verschaltung der
Umrichter. Die Amplitude der Oberwellen und deren Lage im Spektrum ist eine
gute Vorgabe zur Abschätzung der Verzerrung. Dies gilt auch für die Toleranz-
bänder bzw. Hüllkurven der Verzerrung. Die Toleranzbänder markieren die ma-
ximalen Abweichungen vom sinusförmigen Verlauf. Aus der Breite des Toleranz-
bandes lässt sich auf die Höhe des Klirrfaktors schließen.

15.2.4.3 Stromverzerrung im Zwischenkreis


Um die Zwischenkreiskondensatoren genau abstimmen zu können, muss die Ver-
zerrung im Zwischenkreisstrom bekannt sein. Die Oberwellen im Zwischenkreis-
strom (id) verursachen eine Welligkeit in der Zwischenkreis-Gleichspannung die
sich nachteilig auf die Kondensatoren auswirken kann, falls diese nicht entspre-
chend dimensioniert sind. Der Zwischenkreisstrom besteht aus einer Gleichkom-
ponente id,GL, die die mit dem Zwischenkreis ausgetauschte Wirkleistung (p = ud
id,GL) widerspiegelt und einem Pulsationsanteil id,n=1 und/oder id,n=2 aufweist. Die-
ser pulsiert abhängig von der Umrichtertopologie mit einfacher oder zweifacher
Grundfrequenz. Die dritte Komponente stellt einen durch Ein- und Ausschalten
der Umrichter verursachten Verzerrungsanteil id,VZ dar.
id id ,GL  id ,VZ  idv 2
(15.9)
S (t ) i L (t )  id ,VZ (t )
S(t) ist die Schaltfunktion des Umrichters, dargestellt durch die Ausgangsspan-
nung die das Produkt der Zwischenkreisspannung und der Schaltfunktion ist, d.h.
S(t)˜ud. Der Verzerrungsanteil auf der Wechselspannungsseite des Umrichters
überlagert sich auf den Zwischenkreis.
662 15 FACTS-Elemente

a)
Ausgangsstrom
u(t) [pu], des Umrichters Ausgangsspannung
i(t) [pu]

Verzerrungstrom

t [s]
Grundschwingung
der Spannung

b)
Ausgangsstrom des
u(t) [pu], Umrichters x 10 Ausgangsspannung
i(t) [pu]

Verzerrungstrom x 10

t [s]
Grundschwingung
der Spannung

c) Ausgangsstrom des
Umrichters x 10
u(t) [pu],
i(t) [pu]

Verzerrungstrom x 10

t [s]
Grundschwingung
Ausgangsspannung
der Spannung

Abb. 15.18. Stromverzerrung bei einem Zweipunktumrichter, fT = 350 Hz (a), einem


Zweipunktumrichter, fT = 1050 Hz (b) und einem Dreipunktumrichter, fT = 350 Hz (c),
Streuinduktivität jeweils 5%
15.2 Technologie 663

Im Fall einer Halbbrücke existiert noch eine zusätzliches 50-Hz-Komponente d.h.


ein 50-Hz-Pulsationsanteil, der durch ungleiche Belastung der DC-Anschlüsse
entsteht, während die zusätzliche 100-Hz-Schwingungen d.h. der 100-Hz-Pul-
sationsanteil aufgrund der Leistungsschwankungen auf der Wechselspannungssei-
te entstehen. Dies gilt insbesondere für unsymmetrischen Betrieb der Umrichter.
Die Welligkeit des Gleichstroms ist im Fall eines dreiphasigen Betriebes nicht so
groß wie in Abb. 15.19 dargestellt.
Aufgrund der hier betrachteten parallelen Verschaltung der Umrichter heben
sich einige Oberwellen auf. Dies gilt insbesondere für die dreifachen Harmoni-
schen. Im symmetrischen Betrieb wird die Welligkeit des Zwischenkreisstromes
durch das Entfallen der dreifachen Oberwellen (d.h. n = 3, 9, 15, ...) weiter geglät-
tet. Weiterhin entsteht keine 100-Hz-Komponente die im einphasigen Betrieb er-
scheint.

15.2.5 Schutz- und Leitsystem


Ein wesentlicher Bestandteil der Funktionalität und Betriebsweise eines FACTS-
Elementes ist die verfügbare Schutz- und Leittechnik. Ein zusätzlich in das Netz
eingebundenes FACTS-Element muss konform mit den Schutzfunktionen des
Gesamtsystems arbeiten und darf in keinem Fall zu einer negativen Beeinflussung
der bereits installierten Betriebsmittel führen. Mit der ständigen Weiterentwick-

id
i(t) [pu] 1
0
t [s]
-1

i(t) [pu] id,GL


1
0
id,n=2 t [s]
-1

i(t) [pu] 1 id,vz

0
t [s]
-1

0 0.005 0.01 0.015 0.02

Abb. 15.19. Zwischenkreisstromkomponente – Gleichstrom, Pulsationsanteil und Verzer-


rungsstrom bei einer Schaltfrequenz von fT = 350 Hz, einem cos I = 0.85 und einer Gleich-
spannungsausnutzung von 0.8 basierend auf einem Scheitwert des Wechselstroms von 1 pu.
664 15 FACTS-Elemente

lung von Rechnerhardware bzw. Computern bietet sich für die Betriebsführung
und Regelung von FACTS-Elementen softwarebasierte System an. An der Hard-
ware bleiben nur wenige Einstellmöglichkeiten.
Als Schutz- und Leitsystem von FACTS-Elementen sind daher Systeme mit
hoher funktionaler Integration und offenen Kommunikationskanälen besonders
geeignet. Die Strategie des offenen Kommunikationssystems spiegelt dabei gängi-
ge standardisierte serielle und parallele Kommunikationsbusse, sowie Formate für
Alarm-, Störungs- und Ereignismeldungen wieder. Eine Realisierungsmöglichkeit
besteht in der Zentralisierung von Hauptsteuereinheiten, die über Busverbindun-
gen andere Komponenten überwacht und steuert. Dabei sind I/O-Module mit die-
ser zentralen Einheit verbunden. Die Module werden in der Regel redundant aus-
gelegt (Abb. 15.20).
In diesen Systemen finden eine Reihe spezieller „Circuit Boards“ zur Realisie-
rung verschiedener Funktionen Einsatz. Dessen Hauptsystem basiert i.d.R. auf
einem unabhängigen offenen Kommunikationsbus. Für umfangreiche und/oder
zeitkritische Berechnungen, Regelungs- und Steuerungsalgorithmen, etc. befinden
sich in dieser Art von Systemen spezielle „Digital Signal Processors“ (DSP), die
auf das Zusammenarbeiten mit den Umrichtern optimiert sind. Hier werden die
übergeordneten Schutz- und Regelungsfunktionen inklusiver Signalverarbeitung
ausgeführt. Die Programmierung erfolgt typischerweise über graphische Oberflä-
chen mit blockorientierter Eingabe. Dabei kann in der Regel bereits auf Funkti-
onsblöcke wie z.B. dq-Transformation oder ganze Schutzalgorithmen zurückge-
griffen werden. Ein spezieller Compiler übersetzt dieses System in den entspre-
chenden hardwareorientierten Code. Moderne Systeme erlauben sogar den Test
der erstellten Schutz- und Regelungssoftware in einem Software- oder Hardware-
simulator, der die in die Entwicklungsumgebung integriert ist. Eine separate Pro-
grammierung eines Simulationsprogrammes oder eines Hardwaremodelles entfällt

Workstation Datenbank-
Bedienpersonal Server

Hochgeschwindig-
keitsbus (z.B. Ethernet)

Redundante Haupt-
steuereinheiten

Elektro-/Optische
Brücke

Optischer Bus

Ein- / Ausgabe
Module

Abb. 15.20. Mögliche Struktur eines Schutz- / Leitsystem eines FACTS-Elements


15.2 Technologie 665

damit. Effiziente Werkzeuge zur Realisierung von Schutz- und Steuerungsfunkti-


onen sind für FACTS-Geräte überaus wichtig. Die angewandte Leistungselektro-
nik ist effizienter und schneller als ihre mechanischen Gegenstücke, reagiert aber
auch durchaus sensibel auf Störungen. Im Falle von nahen netzseitigen Kurz-
schlüssen müssen die Umrichter besonders geschützt werden.
Um die notwendigen schnellen Schutzfunktionen zu realisieren, ist daher eine
dezentralisierte Steuerung unbedingt erforderlich. Die Basisstruktur des MMI
(Man Machine Interface) eines FACTS Elementes integriert eine Vielzahl von
Funktionen, unterer anderem auch einen Transienten-Rekorder, GPS-Schnittstelle
zur exakten Synchronisation und dezentralen Regelung nach [15.5], Schnittstellen
zu fremden RTU (Remote Terminal Unit) Anschlüssen usw. (Abb. 15.21). „Stati-
on Monitoring & Control“ (SCM) besteht hauptsächlich aus den drei Elementen:
der OWS (Operator Work Station), der DPI (Decentralised Process Interface) und
dem Server, der als Datenbank zur Speicherung aller vom Controller erzeugten
Events dient. Kommunikation zwischen den Elementen geschieht über das LAN
(Local Area Network) mit TCP/IP Protokoll unterstützten Standardverfahren. An-
ders als konventionelle RTUs, wo Ein- und Ausgangssignale verdrahtet sind, ba-
siert das DPI vollständig auf Software. Eine graphische Schnittstelle dient zur

Abb. 15.21. Mögliche dezentrale leittechnische Struktur eines FACTS-Elementes


666 15 FACTS-Elemente

direkten Kommunikation zwischen der Regelung des FACTS-Elementes und der


SCM. Die OWS umfasst alle notwendigen Werkzeuge zur Konfiguration und Be-
dienung. Weiterhin kann hier die Nachfehleranalyse anhand der vom Störschreiber
aufgezeichneten und auf dem Server gespeicherten Ereignisse durchgeführt wer-
den.
Die OWS müssen nicht Vorort platziert sein. Mit einer Erweiterung des LAN
durch ein WAN (Wide Area Network) kann die Stationierung der OWS beliebig
gestaltet werden. Eine Verbindung mit einer OWS kann auch über ein Modem
hergestellt werden. Diese Funktion wird üblicherweise bei Wartungen und ande-
ren Gelegenheiten eingesetzt, wo eine Fernverbindung mit dem SCM erfordert ist.
Kommunikation mit der Leitwarte oder einem Remote SCADA und dem SCM
System des FACTS-Elementes wird über eine LAN-Übergangseinheit (GWS)
hergestellt. Über diese Verbindung erreichen die zentral erzeugten Signale das
SCM des FACTS-Elementes. Weiterhin übermittelt das SCM System über das
Gateway die in der Leitwarte erforderlichen Signale. Eine Schnittstelle zu fremden
RTUs ist auch berücksichtigt. Anhand konventioneller I/O Schnittstellen kann
eine fernliegendes SCADA System Zugriff zu allen Überwachungssignalen des
FACTS-Elementes haben und gleichzeitig auch Befehle von letzterem empfangen.
Diese Option ermöglicht unter anderem auch die Kommunikation zwischen meh-
reren FACTS-Elementen im gleichen Netz. Im besonderen Fall der FACTS-
Element-Regelung ist zusätzlich ein erweiterter Regelungsansatz zu wählen, um
eine gegenseitige negative Beeinflussung auszuschließen.
Ansätze hierzu kommen auf dem Bereich der autonomen Regelungstheorie,
wie z.B. erstmals in [15.23] erwähnt. Wie beispielsweise in [15.18] näher ausge-
führt besteht der Kern dieser Systemarchitektur in einer Mischung aus zentraler
Koordination der im Netz installierten FACTS-Elemente in einem zeitunkritischen
Zeitraster. Aus dieser Analyse ergeben sich Regelungsparameter und Regelkreis-
strukturen, die dezentral verfügbar gemacht werden und im Falle einer Störung
zum Tragen können. Unter Anwendung dieser Technologie kann eine gegenseitige
negative Beeinflussung der Geräte ausgeschlossen werden.
In der Verallgemeinerung kann die Regelungsarchitektur in drei unterschiedli-
che Bereiche untergliedert werden:

x Umrichterregelung – Ansteuerung der Spannungsumrichter. Diese Regelung


gewährleistet die Bereitstellung der gewünschten Ausgangsspannungen und
Ausgangsströme sowie den Schutz der Anlage.
x Anlagenregelung – Regelung des FACTS-Elementes hinsichtlich der ge-
wünschten Beeinflussung der Netzparameter (z.B. Pendeldämpfung, Leis-
tungsflussregelung, Spannungsregelung, etc.)
x Koordinationsregelung – Sicherstellung des koordinierten Betriebes mehrerer
FACTS-Elemente im Netz sowie Vermeidung gegenseitiger Beeinflussung
von FACTS-Elementen, oder FACTS-Elemente mit anderen Regelungsein-
richtungen wie z.B. Spannungsregler, PSS, Leistungs-Frequenz-Regelung.
15.3 Aufbau und stationäres Betriebsverhalten 667

15.3 Aufbau und stationäres Betriebsverhalten

Dieses Kapitel nimmt Bezug auf den Aufbau und die grundsätzliche Wirkungs-
weise der wesentlichen Vertreter der FACTS-Elemente in Shunt- und/oder Serie-
anwendung. Neben einer Darstellung des Aufbaus ist für Geräte mit Thyristorven-
tilen oder -schaltern ein mathematisches Modell in Vierpolform mit einphasigem
Ersatzschaltbild nach [15.10] und [15.20] angegeben. Eine weitergehende Model-
lierung – die insbesondere Effektivwertsimulationen erlaubt – ist Gegenstand von
Abschn. 15.4.
Als Grundlage für die Beschreibung des Betriebsverhaltens wird ausgehend
von dem einphasigen Ersatzschaltbild die Darstellung im Wirkleistungs-Winkel-
Diagramm (P---Diagramm) gewählt. In diesem Diagramm ist die Abhängigkeit
der über ein Netzelement übertragenen Wirkleistung von der Spannungs-Winkel-
differenz zwischen den Anschlusspunkten der Übertragung dargestellt (siehe auch
Abschn. 15.2). Die Grundlage für die Berechnung des sog. P---Diagramms sei der
Vollständigkeit halber an dieser Stelle noch einmal erwähnt:
u1 u2
p1 = p sin - . (15.10)
x

15.3.1 Shuntelemente – SVC und STATCOM

15.3.1.1 Aufbau
Unter dem Oberbegriff Shuntelemente sind alle FACTS-Elemente zusammenge-
fasst, die parallel zu anderen Betriebsmitteln angeschlossen werden (siehe auch
Abschn. 13.3, [15.7], [15.20] und [15.24]). Abb. 15.23 bis Abb. 15.26 zeigen Bei-
spiele für reale Anlagen. Im wesentlichen gibt es zwei FACTS-Elemente, die zur
schnell regelbare Shuntkompensation dienen:

x Statischer Blindleistungskompensator (Static Var Compensator, SVC),


x Statischer Synchronkompensator (Static Synchronous Compensator, STAT-
COM).

Grundsätzlich besteht ein SVC aus thyristorgeschalteten Kondensatoren (Thy-


ristor Switched Capacitor, TSC) und thyristorgeregelten oder -geschalteten Dros-
selbänken (Thyristor Controlled / Switched Reactors, TCR/TSR) (Abb. 15.22 a).
Durch eine koordinierte Steuerung der TCR- und TSC-Zweige wird eine kontinu-
ierliche Variation der Blindleistungsabgabe und -aufnahme erreicht. Da die Thy-
ristorbrücken die Anschlussspannung bestimmen, ist in der Regel ein Transforma-
tor zum Netzanschluss erforderlich. Typischerweise wird dieser so ausgeführt,
dass die von den sekundärseitig angeschlossenen Thyristorventilen erzeugten
Harmonischen sich gegenseitig auslöschen.
Bei realen Anlagen ist dies durch spezielle Wicklungsanordnungen realisiert.
Zusätzlich kann parallel zu den in Abb. 15.22 a dargestellten Komponenten eine
nicht gesteuerte Kapazität zur unsymmetrischen Betriebsbereichserweiterung in-
668 15 FACTS-Elemente

a) 1 2 b) 1 2
iq iq

ul u2 ul u2

Speicher

TCR/TSR TSC
Abb. 15.22. Aufbau von Shuntkompensatoren, Statischer Blindleistungskompensator
(SVC) (a), Statischer Synchronkompensator (STATCOM) (b)

stalliert sein. In diesem Fall kompensiert der induktive Teil des SVC einen Teil
der fixen Kapazität. Der unsymmetrische Aufbau von ist häufiger anzutreffen als
das „symmetrische Design“. Der Grund hierfür liegt in der Tatsache, dass oftmals
für die Kompensation von Industriebetrieben oder ähnlichen Verbrauchern ledig-
lich eine Betriebsrichtung erforderlich ist.
Der Einsatz abschaltbarer Halbleiterelemente (GTO, IGCT, IGBT) ist die
Grundlage für Kompensatoren auf Basis selbstgeführter Umrichter. Sie sind auf
Basis von sog. „Voltage Source Convertern“ realisiert. Wie bereits im voranste-
henden Abschnitt ausgeführt erfolgt die Blindleistungserzeugung nicht über den
Spannungsabfall über kapazitive oder induktive Komponenten. D.h. diese Geräte
können ohne große kapazitive oder induktive Komponenten Blindleistung bereit-
stellen oder aufnehmen (STATCOM, Abb. 15.22 b).
Die Blindleistungsbereitstellung erfolgt ausschließlich durch das Schaltverhal-
ten des Umrichters. Diese Tatsache spiegelt sich auch im Platzbedarf der Anla-
genausführung wider. Da neben den Umrichtern nebst erforderlicher Beschaltung
lediglich einige Filtereinheiten erforderlich sind, ist der Platzbedarf dieser Anla-
gen geringer. Aus diesem Grund sprechen einige Hersteller bei Verwendung von
„Voltage Source Convertern“ auch von der sog. „Light-Technologie“.
Wird zusätzlich der Gleichspannungsteil als Wirkenergiespeicher ausgeführt
(z.B. Batterie), arbeitet der STATCOM als schnell regelbarer Speicher. Unabhän-
gig von der Speicherkomponente ist im Gleichstromkreis zur Spannungshaltung
eine Kapazität erforderlich, deren Betrag unmittelbar von der technologischen
Auslegung der Anlage abhängt. Im symmetrischen Betrieb als reiner Blindleis-
tungskompensator fließt über eine Periode gemittelt außer kleinen harmonischen
Ausgleichsströmen kein Strom durch diese Kapazität.
15.3 Aufbau und stationäres Betriebsverhalten 669

Abb. 15.23. Zweifacher SVC mit je 266 MVAr induktiver und 160 MVAr kapazitiver
Leistung, Argentinien (Quelle: ABB)

Abb. 15.24. Zweifacher SVC mit je 60 MVAr induktiv und 100 MVAr kapazitiver Leis-
tung, 220-kV-Nennspannung, Australien (Quelle: ABB)
670 15 FACTS-Elemente

Abb. 15.25. Sullivan“ STATCOM +/- 100 MVAr Leistung, 161 kV, USA (Quelle:
IEEE)

Abb. 15.26. Blick in die Umrichterhalle des „Sullivan“ STATCOM (Quelle: SIE-
MENS, IEEE)
15.3 Aufbau und stationäres Betriebsverhalten 671

15.3.1.2 Strom-/Spannungscharakteristik und Vierpolform


Die sich nachteilig auf das Verhalten eines SVC bei niedrigen Klemmenspannun-
gen auswirkende quadratische Spannungsabhängigkeit der Blindleistungsabgabe
wird bei einem STATCOM durch das Betriebsverhalten der selbstgeführten Um-
richter vermieden. Hier wird nicht durch geschaltete kapazitive und induktive
Komponenten (wie beim SVC), sondern auch durch die Modulation der Klem-
menspannung eine Blindleistungsabgabe erzielt. Der Vergleich der Strom-
/Spannungscharakteristiken (UI-Diagramm) von SVC und STATCOM verdeut-
licht die betrieblichen Unterschiede (Abb. 15.27).
Zwischen den Betriebspunkten (2) und (3) sind die TCR Komponenten des
SVC geregelt. Die einstellbare Steigung der Statikgerade bestimmt den Grad der
durch die Injektion eines Blindstromes erwirkten Knotenspannungsbeeinflussung.
Die TSC Komponenten werden zu- oder abgeschaltet, wenn die Regelung der
TCR Komponenten die betrieblichen Grenzen erreicht. In Betriebspunkt (2) sind
alle TSC Komponenten ein- und TCR Komponenten abgeschaltet. Der SVC gibt
kapazitiven Bemessungsblindstrom ab. Dieser Punkt entspricht im allgemeinen
einer Blindstromabgabe von 1 pu bei einer Knotenspannung von 0,95 pu. Unter-
halb von Betriebspunkt (2) verhält sich der SVC wie ein kapazitives Shuntelement
bis bei Erreichen von Betriebspunkt (1) die TSC Komponenten abgeschaltet wer-
den. In Betriebspunkt (3) sind die TCR Komponenten vollständig ein- und alle
TSC ausgeschaltet, wodurch induktiver Bemessungsblindstrom abgegeben wird.
Analog zum Verhalten bei geringer Spannung unterhalb von Betriebspunkt (2)
sind alle reaktiven Komponenten mit maximalem Betrag eingeschaltet bis in Be-
triebspunkt (4) zur Vermeidung thermischer Überlastungen eine Abschaltung er-
folgt. Gemessen an der betrieblichen Charakteristik im UI-Diagramm stellt der
STATCOM eine Erweiterung der SVC Funktionalität dar. Während beim SVC
außerhalb der Statikgeraden die Blindstrombereitstellung stark spannungsabhän-

a) b)
ul [pu] ul [pu]
4
4

1 3 1 3

2 2

kapazitiv induktiv 1 kapazitiv induktiv


iq [pu] iq [pu]

Abb. 15.27. Spannungs-/Stromcharakteristik von Shuntkompensatoren, SVC (a) und


STATCOM (b)
672 15 FACTS-Elemente

gig ist, ermöglicht der Einsatz abschaltbarer Leistungshalbleiter eine von der
Spannung unabhängige Bereitstellung von Blindstrom außerhalb der Statikgera-
den (2)-(3). Die Abschaltpunkte (1) und (4) ergeben sich aus den gleichen betrieb-
lichen Randbedingungen.
Die allgemeine Beschreibung von Shuntelementen für die stationäre Netzbe-
rechnung erfolgt durch Vierpolgleichungen einer parallel zu einem Netzzweig
angeschlossenen Suszeptanz, dessen Betrag durch den Schaltzustand der indukti-
ven und kapazitiven Komponenten bestimmt wird. Für die Vierpolmatrix folgt:
ª1 0º
Y = j BSVC « ». (15.11)
¬0 0¼
Beim STATCOM ist im Rahmen der quasistationären Netzberechnung eine Mo-
dellierung als Spannungsquelle mit nachgeschalteter Reaktanz geeignet. Dabei
repräsentiert der Betrag der eingeprägten Spannung den Schnittpunkt der UI-
Kennlinie mit der U-Achse und der Betrag der Reaktanz die Steigung der Statik-
geraden.
Die Blindleistungsgrenzen entsprechen dann ungefähr der maximalen Um-
richterscheinleistung. Eine andere Darstellungsform ist die Nachbildung als
Stromquelle. In diesem Fall ist die Funktionalität der Spannungsregelung durch
Shuntstromeinprägung zu modellieren.

15.3.1.3 P---Diagramm
Entsprechend des technologischen Aufbaus kann der SVC im einphasigen Ersatz-
schaltbild über eine variable Parallelsuszeptanz nachgebildet werden (siehe auch
Abschn. 13.3.1). Zur Verdeutlichung des Betriebsverhaltens sei eine Einspeisung
über eine Leitung in ein starres Netz betrachtet (Abb. 15.28).
Eine Diskussion des Betriebsverhaltens erfolgt anhand der Beschreibung des
Einflusses des SVC auf die Wirkleistungs-Winkel-Charakteristik dieses Übertra-
gungsmodells nach:
u1u2
p1 = p sin - . (15.12)
x1  x2  x1 x2 BSVC
Ausgehend vom Leerlaufbetrieb des SVC (keine Blindleistungseinspeisung) er-
folgt ein „Aufblähen“ oder „Schrumpfen“ der Wirkleistungs-Winkel-Kurve im P-

Abb. 15.28. Ersatzschaltbild einer Anordnung Generator – starres Netz mit SVC, instal-
liert in der Mitte der Leitung sowie äquivalente Impedanzanordnung
15.3 Aufbau und stationäres Betriebsverhalten 673

--Diagramm, ohne dass sich die Nullstellen oder das Maximum der Wirkleis-
tungskurve entlang der Winkelachse verschieben. Der SVC wirkt damit voranging
auf die Anschlussspannungen.
Durch das Anheben oder Absenken des Maximums dieser Kurve kann zusätz-
lich eine leichte Übertragungswinkelreduktion bzw. -vergrößerung erfolgen. Un-
terschiede zu dem in Abschn. 15.1 skizzierten Betriebsverhalten liegen in der An-
steuerung und im Einbauort des SVC.
Eine ähnliche Charakteristik weist das betrachtete Beispielsystem mit SVC
und aktivierter Spannungsregelung auf. Ein Ansteigen der übertragenen Leistung
verursacht durch die Leitungsimpedanzen einen Spannungsabfall über der Lei-
tung, der bei den hier vernachlässigten ohmschen Leitungselementen klein ist.
Arbeitet der SVC im Spannungsregelmodus, kann diese Spannung je nach Be-
triebsbereich des SVC konstant gehalten werden.
Im P---Diagramm, zeigt sich dies durch eine steilere P---Kurve mit gleichzei-
tig verschobenem Maximum. Insbesondere hier wirkt der SVC verbessernd hin-
sichtlich der Stabilitätsgrenze über dieser Leitung (Abb. 15.29). Bei Konstant-
regelung auf 1pu am Anschlusspunkt des SVC ist die Leitung elektrisch gesehen
nur noch halb so lang.
Im Gegensatz zum SVC erfolgt die Modellierung des STATCOM – je nach
Betriebsart – durch eine parallel geschaltete Spannungs- oder Stromquelle. Je nach
Anschlussart des Spannungsumrichters erfolgt der Netzanschluss über eine Ent-
kopplungsdrossel, einen normalen Abspanntransformator oder einen auf die Leis-
tungselektronik abgestimmten Kopplungstransformator (vgl. Abschn. 15.4).
Da normalerweise der STATCOM in einem Stromregelungsmodus betrieben
wird und die Spannungsquellencharakteristik des Umrichters zusammen mit der

p
Konstante SVC-
pmax Klemmenspannung

BSVC > 0

BSVC < 0

- [q]
Abb. 15.29. P- --Diagramm für eine Leitung mit SVC
674 15 FACTS-Elemente

Kopplungsinduktivität bei entsprechender Regelung eine Stromquellencharakteris-


tik aufweist, folgt für die Darstellung im einphasigen Ersatzschaltbild eine parallel
anzuordnende Stromquelle (Abb. 15.30). In diesem Fall erfolgt über eine Variati-
on der Ausgangsspannung des Umrichters eine Regelung des in das Netz einge-
speisten Stroms über die Kopplungsreaktanz bzw. über den Kopplungstransforma-
tor.
Die Betrachtung des P---Diagramms verdeutlicht die Unterschiede zum SVC.
Aus der Lösung der Strom- und Spannungsgleichungen des hier zugrunde liegen-
den Ersatzschaltbildes folgt für die Berechnung der P---Kurve Gl. (15.13). Die
graphische Darstellung zeigt, dass durch die Shuntstrom-Einprägung eine deutli-
che Verzerrung der P---Kurve bezüglich der maximal übertragbaren Leistung und
des korrespondierenden Übertragungswinkels entsteht (Abb. 15.31). Insbesondere
bei einer großen Shuntstrom-Einspeisung tritt dieser Effekt verstärkt auf. In die-
sem Fall könnte prinzipiell sogar eine Leistungsflussumkehr erreicht werden,
wenn iq >> -1 gewählt wird.

Abb. 15.30. Ersatzschaltbild einer Anordnung Generator – starres Netz mit STATCOM,
installiert in der Mitte der Leitung sowie äquivalente Impedanzanordnung

p
pmax
iq > 0 [0 pu .. 1 pu]

iq < 0 [-1 pu .. 0 pu]

- [q]
Abb. 15.31. P- --Diagramm für eine Leitung mit STATCOM
15.3 Aufbau und stationäres Betriebsverhalten 675

u1 u 2 sin -
p1 = p = K ,
x1 + x 2
§ x1 x 2 i q ·
K = ¨ 1+ ¸,
¨ 2 2 2 2
- ¸
© u1 x2 + u2 x + 2 u1 u 2 x1 x 2 cos
1 ¹
(15.13)
bzw .
§ x iq ·
K= ¨ 1+ ¸;x =x = 1 x
¨ 2 2 2
- ¸ 1 2
2
© u1 + u 2 + 2 u1 u 2 cos ¹

Die dazu erforderliche Umrichterleistung dürfte wirtschaftlich nicht bereitgestellt


werden können. Durch den größeren Einfluss auf den Übertragungswinkel erlaubt
der STATCOM im Vergleich zum SVC einen größeren Beitrag zur Steigerung der
übertragbaren Leistung bei gleichem Übertragungswinkel.

15.3.2 Serieelemente – TCSC und SSSC

15.3.2.1 Aufbau
Unter dem Oberbegriff Serieelemente werden alle FACTS-Elemente mit Einbau
in Serie zu einem Netzelement zusammengefasst. Die elektrische Wirkung von
Seriekompensationen wird über eine Seriespannungseinkopplung erreicht (siehe
auch Abschn. 13.3 und Bd.1 Abschn. 9.5 sowie [15.6], [15.20] und [15.24]). Ab-
hängig von den betrieblichen Eigenschaften wird allgemein unterschieden zwi-
schen:

x Thyristorgeregelte Seriekompensation (Thyristor Controlled Series Compen-


sator, TCSC),
x Thyristorgeregelte Seriereaktanz (Thyristor Controlled Series Reactor, TCSR),
x Thyristorgeschaltete Seriekompensation (Thyristor Switched Series Compen-
sator, TSSC),
x Statischer Seriekompensator (Solid State Series Compensator, SSSC, auch
Advanced Series Compensation, ASC).

Unterschiede in den Ausführungen von Seriekompensationen liegen in der Bereit-


stellung dieser Spannung durch transformatorische Seriespannungseinkopplung
oder Modulation der elektrischen Länge einer Übertragungsleitung durch Beein-
flussung der Längsreaktanz mit Thyristorventilen.
Der SSSC entspricht im Aufbau einem in Serie geschalteten STATCOM. Thy-
ristorgeschaltete Seriekompensationen gleichen in ihrer Funktionalität Seriekom-
pensationen mit mechanischen Schaltvorrichtungen. Deren kompensatorische
Wirkung wiederum gleicht derer des TCSC. Aus diesem Grund wird hier nur der
TCSC näher betrachtet. Abb. 15.34 und Abb. 15.35 zeigen Beispiele für reale An-
lagen. Der TCSC besteht aus mehreren in Serie geschalteten Modulen, die als Pa-
rallelschaltung aus TCR und Kapazität ausgeführt sind und eine kapazitive sowie
induktive Kompensation ermöglichen (Abb. 15.32). Ein zusätzlicher parallel an-
676 15 FACTS-Elemente

geordneter Varistor verhindert eine Komponentenbeschädigung durch Überspan-


nung, dient also als Schutzeinrichtung.

15.3.2.2 Strom-/Spannungscharakteristik und Vierpolform


Das Betriebsverhalten eines TCSC kann anhand der Strom-/Spannungscharak-
teristik eines der in Serie geschalteten Module analysiert werden. Die quantitative
Beschränkung des in Abb. 15.33 dargestellten Betriebsbereiches der von dem
Längsstrom il abhängigen Seriespannung ul’ ergibt sich aus der Auslegung der
Anlage.
Qualitativ wird der kapazitive Betriebsbereich bei kleinen Leitungsströmen
durch die maximale Zündzeitverstellung der Thyristoransteuerung (2) beschränkt.
Die kapazitive Wirkung kann bis zur maximalen Längsspannungsinjektion (1)
variiert werden. Bei weiterer Vergrößerung des Stroms bestimmen die fest instal-
lierten Kapazitäten das Betriebsverhalten (3).
Durch den maximalen Zündverzug (6), den bei großen Längsströmen erreich-
ten maximalen Thyristorstrom (7) und den thermischen Betriebsgrenzen der Thy-
ristoreinheiten (5) ist die untere Grenze des induktiven Betriebes bestimmt.
Die induktive Wirkung des TCSC kann kontinuierlich durch Zuschalten der
Induktivitäten bis zur vollständigen Durchschaltung der Thyristoren (4) vergrößert
werden. Technologische Randbedingungen in bezug auf die thermische Belastbar-
keit des Betriebsmittels grenzen zusätzlich den dauerhaft möglichen Betriebsbe-
reich ein. Der Betrieb von TCSC zur Pendeldämpfung und Lastflusssteuerung
erfordert Seriespannungseinkopplung, die außerhalb des dargestellten Betriebsbe-
reiches liegen. Da aber gerade hier ein großes Einsatzpotential liegt, wird ein
TCSC unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten als Reihenschaltung mehrerer
TCSC Module ausgeführt. Durch unterschiedliche Ansteuerung kann eine Ver-
schiebung des Betriebsbereiches eines Moduls in Richtung der Spannungsachse
erfolgen. Die Ansteuerung der einzelnen Module erfolgt dabei so, dass ein durch-
a) b)
ul
1 2 1 i1 2
il

TCR TCR
u´l
ul u2 ul u2

Speicher

Abb. 15.32. Prinzipieller Aufbau von Seriekompensatoren, Thyristorgeregelte Seriekom-


pensation (TCSC) (a) und Statischer Synchronkompensator (SSSC) bzw. ASC (b)
15.3 Aufbau und stationäres Betriebsverhalten 677

Abb. 15.33. Strom- / Spannungscharakteristik eines TCSC Moduls

gängiger Betriebsbereich erreicht werden kann. Bereits der Einsatz von sechs
TCSC Modulen erweitert den Betriebsbereich um nahezu die gesamte Fläche zwi-
schen (3) und (4).
Diese Ausführung einer Seriekompensation wird über eine variable Serieim-
pedanz (j xTCSC)-1 modelliert. Der Betrag der Serieimpedanz ergibt sich aus dem
aktuellen Betriebszustand also einem ausgewählten Punkt in dem oben genannten
Betriebsbereich. Die Einstellung des Betriebspunktes erfolgt durch Verstellung
der Ansteuerungswinkel der Thyristorventile. Als Vierpolmatrix für die stationäre
Netzberechnung folgt

1 ª 1 -1º
Y = « ». (15.14)
j xTCSC ¬-1 1¼

Der SSSC kann für stationäre Berechnung nur in sehr grober Näherung auf gleiche
Weise modelliert werden. In diesem Fall würde der nahezu belastungsunabhängi-
gen Charakteristik der Seriespannungseinkopplung nicht Rechnung getragen.
Mehr empfehlenswert ist eine Modellierung des SSSC über zusätzliche Serie-
spannungen. Eine Umformung der Seriespannungsquelle in Shuntstromquellen ist
ebenfalls möglich und erleichtert die Integration der Gleichungen in die stationäre
Netzberechnung. Zur mathematischen Behandlung dieser Vorgehensweise wird
auf Bd. 1, Abschn. 4.8.2 sowie Abschn. 14.2.2 in diesem Band verwiesen.
678 15 FACTS-Elemente

Abb. 15.34. TCSC, 107 MVAr Blindleistung, 13.27 : bis 39.81 : Regelbereich,
500 kV, Brasilien (Quelle: IEEE)

Abb. 15.35. TCSC, 21.9 :/Phase Nennreaktanz (statisch), 18.25 :/Phase Reaktanz der
Kapazitäten, 1.5 kA Nennstrom, 2.025 kA Überlaststrom (20 min), 2.25 kA Überlaststrom
(10 min), 400 kV, Schweden (Quelle: ABB)
15.3 Aufbau und stationäres Betriebsverhalten 679

15.3.2.3 P---Diagramm
Für das einphasige Ersatzschaltbild für stationäre Berechnungen stellt der TCSC
eine geregelte Längsimpedanz dar. Für das Beispiel eines TCSC in der Netzsitua-
tion „Generator speist über Leitung in starres Netz“ folgt dann mit einem TCSC in
der Mitte der Leitung die Anordnung nach Abb. 15.36. Die veränderliche Impe-
danz des TCSC addiert sich zu den Längsreaktanzen der Leitung, so dass für die
Berechnung des P---Diagramms sofort folgender Ausdruck folgt:

p1 = p = u1 u 2 sin - . (15.15)
x1 + x 2 + x TCSC
Da der TCSC direkt auf die Längsimpedanz der Übertragungsstrecke wirkt, ist der
Einfluss auf die übertragene Leistung erheblich größer als bei den zuvor darge-
stellten Shuntelementen. Mit zunehmender negativer Längsimpedanz nimmt der
Kompensationsgrad der Leitung zu (Abb. 15.38). Wie aus der Leistungsgleichung
zu entnehmen ist, unterliegt die Beziehung zwischen übertragener Leistung und
geregelter Längsimpedanz keinem linearen, sondern einem hyperbolischen Zu-
sammenhang.
Für den SSSC erscheint im Ersatzschaltbild eine geregelte Seriespannungs-
quelle, da dieses Betriebsmittel mit selbstgeführten Umrichtern ausgestattet ist und
somit eine vom Betrag des Leitungsstroms nahezu unabhängige Seriespannung
eingekoppelt werden kann (Abb. 15.37). Da der SSSC in der Regel ohne Energie-
speicher ausgeführt wird, muss die eingeprägte Seriespannung senkrecht auf dem
Leitungsstrom stehen. Anderenfalls würde der SSSC Wirkleistung an das Netz
abgeben bzw. vom Netz aufnehmen. Für die Berechnung des P---Diagramms
ergibt sich in Analogie zum STATCOM der nachstehend angegebene Ausdruck.
Bei Betrachtung des Faktors K fällt die Ähnlichkeit der Wirkung eines SSSC zum
STATCOM auf.

Abb. 15.36. Ersatzschaltbild einer Anordnung Generator – starres Netz mit TCSC, instal-
liert in der Mitte der Leitung sowie äquivalente Impedanzanordnung

Abb. 15.37. Ersatzschaltbild einer Anordnung Generator – starres Netz mit SSSC, instal-
liert in der Mitte der Leitung sowie äquivalente Impedanzanordnung
680 15 FACTS-Elemente

p
pmax
xTCSC < 0

xTCSC > 0

- [q]

Abb. 15.38. P---Diagramm für eine Leitung mit TCSC

Im P---Diagramm zeigt die Beschreibung des SSSC einen zur Kurvenschar des
STATCOM gespiegelten Verlauf auf. In diesem Fall ist die Verzerrung der P---
Kurve im Bereich 0q bis 90q stärker ausgeprägt. Technisch gesehen birgt dies kei-
ne Vorteile für die Leistungsflussregelung in sich (Abb. 15.39).

p
pmax
ul < 0 [-1 pu .. 0 pu]

ul < 0 [0 pu .. 1 pu]

- [q]
Abb. 15.39. P- --Diagramm für eine Leitung mit SSSC
15.3 Aufbau und stationäres Betriebsverhalten 681

u1 u 2 sin -
p1 = p = K
x1 + x 2
§ · (15.16)
ul
K= ¨ 1- ¸
¨ 2 2
- ¸
© u1 + u 2 - 2 u1 u 2 cos ¹

Im Vergleich zum TCSC ist das Verhältnis zwischen eingeprägter Seriespannung


und korrespondierender Leistungsflussänderung nahezu linear, so dass sich diese
Geräte insbesondere zum Einsatz auf kurzen Leitungen eignen. Dieses Einsatzpo-
tential entsteht beispielsweise dann, wenn in vermaschten Netzen mit kleiner
durchschnittlicher Stromkreislänge lokale Übertragungsengpässe entstehen.

15.3.3 Parallel-serielle Elemente – PAR und UPFC

15.3.3.1 Aufbau
Unter dem Oberbegriff parallel-serielle Elemente werden alle Betriebsmittel zu-
sammengefasst, die eine elektrische Komponente sowohl im Shunt- als auch im
Seriezweig aufweisen (vgl. [15.8], [15.9], [15.20] und [15.24] sowie [15.1] und
[15.3]) für die stationäre Modellierung). Wesentliche Betriebsmittel dieser Aus-
führung sind

x der Phasenwinkelregler (Phase Angle Regulator, PAR),


x des spezielle Phasenwinkelregler (Quadrature Boosting Transformer, QBT),
x der universale Lastflussregler (Unified Power Flow Controller, UPFC).

Bei einem PAR erfolgt die Regelung der Phase des Längsspannungsabfalls durch
die transformatorische Einkopplung einer Zusatzspannung, die durch einen Erre-
gungstransformator mit leistungselektronischen Schaltern erzeugt wird. Das Tei-
lungsverhältnis der Sekundärwindungszahlen und die eingesetzten Thyristorschal-
ter bestimmen die Anzahl der diskreten Schaltstufen. Hinsichtlich der elektrischen
Wirkung ist der PAR mit konventionellen Schrägreglern vergleichbar. Der QBT
weist einen ähnlichen Aufbau auf. Unterschiede zum PAR liegen in den Verschal-
tungsmöglichkeiten der Wicklungen, was im Vergleich zum PAR einen einge-
schränkten Betriebsbereich zur Folge hat.
Als Kombination eines statischen Synchronkompensators und einer statischen
Seriekompensation stellt der UPFC eine grundsätzlich neue Konzeption eines re-
gelbaren Betriebsmittels dar, das neben schrägregelnden auch shuntkompensie-
rende Eigenschaften aufweist. Ähnlich dem PAR und QBT besteht ein UPFC aus
einem Erregungstransformator im Shunt- und einem Zusatztransformator im Se-
riezweig. Beide Transformatoren sind über eine Umrichterschaltung mit Gleich-
stromzwischenkreis gekoppelt. Durch den Gleichstromzwischenkreis wird ein
Wirkleistungsaustausch zwischen Erreger- und Zusatztransformator gewährleistet,
wodurch die Phasenlage des Längsspannungsabfalls geregelt werden kann (Abb.
682 15 FACTS-Elemente

a) ul b) ul
1 i1 2 1 i1 il 2
iq

ul u2 ul u2

K1 K2

Abb. 15.40. Aufbau parallel-serieller Komponenten Phasenwinkelregler (a) und Universa-


ler Lastflussregler (b)

15.40 für den Aufbau und Abb. 15.41 sowie Abb. 15.42 als Beispiel einer realen
Anlage).
Der Einsatz abschaltbarer Leistungshalbleiter im Umrichterzweig ermöglicht die
Beeinflussung der Beträge der Quer- und Längsspannung über gleichzeitiges Ein-
speisen von positiver und negativer Blindleistung in den Shunt- und Seriezweig.
Durch diese Eigenschaften ist hauptsächlich die eingekoppelte Seriespannung
nach Betrag und Phase regelbar. In bezug auf eine ausgeglichene Wirkleistungsbi-
lanz des UPFC kann nur die aus dem Shuntzweig entnommene Wirkleistung über
Umrichter K2 in den Längszweig eingespeist werden, da der UPFC normalerweise
ohne zusätzlichen Speicher im Gleichstromkreis ausgeführt wird.

15.3.3.2 Strom-/ Spannungscharakteristik und Vierpolform


Der Umrichter K1 ermöglicht unabhängig von der Wirkleistungsaufnahme eine
Beeinflussung des Blindstroms iq im Shuntzweig, wodurch der UPFC zusätzlich
als Shuntkompensator wirkt. Eine entkoppelte Regelung der elektrischen Größen
iq und ul ermöglicht somit gleichzeitige shuntkompensierende und schrägregelnde
beziehungsweise seriekompensierende Eigenschaften des UPFC (Abb. 15.44).
Aufgrund der kompensierenden und schrägregelnden Eigenschaften ist ein An-
satz für das quasistationäre UPFC Modell eine Kombination aus gesteuerten Quel-
len und einer regelbaren Admittanz (Abb. 15.43). Weitere, hier nicht weiter be-
trachtete, Ansätze verfolgen für die Lastflussrechnung eine Modellierung über
Strom- und Spannungsquellen. Diese Ansätze weisen eine höhere Genauigkeit
auf, erfordern aber eine Anpassung der Lastflussalgorithmen.
Zur Berücksichtigung der Eigenschaft, die Blindstromabgabe des Shuntzwei-
ges ohne Spannungsabhängigkeit zu regeln, ist in der quasistationären Netzbe-
rechnung zusätzlich ein Anschluss als spannungsgeregelter Knoten zu modellie-
ren. Unter weiterer Berücksichtigung der regelbaren Shuntadmittanz Yq ergibt sich
für die quasistationäre Beschreibung eine unsymmetrische Vierpolmatrix
Gl. (15.17). Wird die Shuntadmittanz identisch Null gesetzt, entspricht diese Gl.
der unsymmetrischen Vierpolmatrix eines PAR.
15.3 Aufbau und stationäres Betriebsverhalten 683

j ș i, j
ª YY q + 12 - 1
ü e º
ü
Y =Yl « l
» ; mit ü = ü e jT i, j . (15.17)
« 1 - j ș i, j 1 »
¬- ü e ¼

Umrichter 1

Umrichter 2

Shunt-
Transformator
Ersatz Shunt-
Transformator
Serie-
Transformator

Abb. 15.41. Prinzipieller Aufbau des ersten UPFC, „Inez Substation“, 160 MVA Shunt-
element, 160-MVA-Serieelement, 138-kV, USA (Quelle: CIGRE)

Abb. 15.42. Außenansicht des „Inez Substation“ UPFC (Quelle: IEEE)


684 15 FACTS-Elemente

Yl ü Yl
1 i1 i2 2

u2
ul Yq u1 ü u2
ü

Abb. 15.43. Quasistationäres Modell eines Leistungsflussreglers

Die Modellbeschreibung in Vierpolform aus der Kombination eines shuntkompen-


sierenden und schrägregelnden Betriebsmittels bietet gegenüber Modellierungen
als gesteuerte Quellen im Serie- und Shuntzweig den Vorteil, dass das Modell
unmittelbar in der stationären Netzberechnung berücksichtigt werden kann. Dar-
über hinaus tritt hier das bestehende Problem der verbotenen Betriebsbereiche für
Stellgrößen im Modellsystem nicht auf (vgl. [15.17]).
Diese verbotenen Bereiche entstehen, weil es bei einem Betriebsmittel auf-
grund der Wirkleistungsbilanz nicht möglich ist, den komplexen Längsspannungs-
zeiger beliebig einzuprägen. Durch die Modellierung über gesteuerte Quellen im
Serie- und Shuntzweig wird diese Schwierigkeit implizit berücksichtigt, da sich
die komplexe Längsspannung betriebspunkt- und stellgrößenabhängig einstellt.
Die Grenzen dieses Modells liegen bei der Betrachtung von extremen Netzver-
hältnissen, bei denen der UPFC über den Shuntteil einen großen Wirkstrom aus
dem Netz entnimmt, um etwa die Wirkleistungsabgabe durch den Serieteil zu de-

Regelbereich
Schrägregelung
u2
ul

ul
Ortskurve von
i1 ul bei reiner
Längskompensations
il
iq Im
Ortskurve von iq bei
reiner Querkompensation
Re

Abb. 15.44. Betriebsdiagramm UPFC


15.3 Aufbau und stationäres Betriebsverhalten 685

cken. In diesem Fall kann der eingeprägte Shuntstrom einen derart großen Span-
nungsabfall verursachen, dass die Regelungsaufgabe durch den Serieteil nicht
mehr wahrgenommen werden kann. Da bei Phasenwinkelregeltransformatoren
keine Ströme eingeprägt werden, tritt dieses Problem dort nicht auf.
Aus den komplexen Leistungsgleichungen eines allgemeinen Vierpols folgt
unmittelbar das Steuergesetz für Stellgrößen dieses Modells:
ª p i, j º
Ti, j = Ti - T j - arctan « »,
« q + u2 Y »
¬« i,j j l ¼»
(15.18)
ui u j Y l
ü= .

pi, j + qi, j + u 2j Y l 2

Eine Beeinflussung der Klemmenspannung wird durch geeignete Wahl der Shunt-
admittanz Yq realisiert. Unter Berücksichtigung des Betriebsdiagramms erfolgt die
Formulierung der Stellgrößenbegrenzungen. Einen linearen Zusammenhang zwi-
schen komplexem Übersetzungsverhältnis und komplexem Knotenspannungs-
quotient vorausgesetzt, sorgt die Stellgrößenbeschränkung dafür, dass der kom-
plexe Spannungszeiger ul den durch einen Kreis beschränkten Betriebsbereich
nicht verlässt. Aus den trigonometrischen Zusammenhängen folgt:
ș imin,
,j
max
r arcsin( u l ),

1 ª (15.19)
cos(ș i , j ) r cos 2 (ș i , j )  u l  1º .
2
ü min,max
1  ü 2 «¬ ¼»

15.3.3.3 P---Diagramm
Ein anderer Modellierungsansatz umfasst die Nachbildung der Hauptkomponenten
über Strom- und Spannungsquellen. Dieser Ansatz wird im folgenden zur Analyse
des Betriebsverhaltens angewendet. Im Ersatzschaltbild (Abb. 15.) zur Bestim-
mung des Wirkleistungs-Winkel-Verhaltens erscheinen alle drei Betriebsmittel als
gekoppelte Shuntstrom- und Seriespannungsquelle. Die Unterschiede zwischen
den drei Betriebsmitteln liegen im elektrischen Verhalten dieser Quellen.
Um den Einfluss des Einbauortes, insbesondere beim QBT, näher untersuchen
zu können, ist eine zusätzliche Variable l eingeführt worden. Diese repräsentiert
den Einbauort des FACTS-Elementes auf der Leitung relativ zur Leitungslänge, so
dass gilt:
x1 lx
(15.20)
x2 1  l x
Der hier beschriebene PAR wirkt als idealer Phasenwinkelregler und prägt somit
eine Zusatzspannung ein, die lediglich eine Phasenverschiebung zwischen den
Spannungen am Anfang und Ende dieses Betriebsmittel bewirkt (Abb. 15.45). Da
der PAR auf die Winkeldifferenz wirkt, folgt für die Berechnung des P---Dia-
gramms unmittelbar folgender Ausdruck:
686 15 FACTS-Elemente

p1 = p = u1 u2 sin (- + ș ) (15.21)
x1 + x2
Der Einfluss der Einprägung eines Zusatzwinkels besteht demnach nur in der Ver-
schiebung der P---Kurve entlang der Winkelachse. Mit dieser Eigenschaft eignet
sich der PAR vor allem zur Verringerung der Winkeldifferenz über einer Leitung
und damit zu einer Verbesserung der statischen Stabilität (Abb. 15.46). Außerdem
trägt der PAR mit dieser Eigenschaft zu einer Vergrößerung der maximal über-
tragbaren Wirkleistung bei, wenn die limitierende Größe der maximale Übertra-
gungswinkel ist. Durch Regelung entlang der Leistungsachse ist über die Winkel-
differenz eine unmittelbare Regelung der Wirkleistungsflüsse wie bei jedem kon-
ventionellen Schrägregler gegeben.
An dieser Stelle sei nochmals darauf hingewiesen, dass der von der vom Span-
nungsbetrag nahezu entkoppelte Zusammenhang zwischen Übertragungswinkel
und Wirkleistungsfluss nur in Netzen mit kleinem R/X-Verhältnis Gültigkeit be-
sitzt. In Netzen mit großem R/X-Verhältnis wird bei einer Winkeländerung der
Blindleistungsfluss mitunter in gleicher Größenordnung verändert. Diesem Phä-
nomen ist insbesondere in 16-2/3-Hz-Bahnnetzen Rechnung zu tragen. Aufgrund
der geringeren Betriebsfrequenz liegen oftmals in der Übertragungsebene R/X-
Verhältnisse von nahe eins vor. Bei derartigen Netzverhältnissen führt eine reine

Abb. 15.45a. Ersatzschaltbild einer Anordnung Generator – starres Netz mit PAR, QBT
oder UPFC, installiert bei der Leitungslänge l sowie äquivalente Impedanzanordnung

u11

ul
T

u 22

Abb. 15.45b. Zeigerdiagramm der Spannung am Anfang und Ende des PAR sowie einge-
prägte Zusatzspannung
15.3 Aufbau und stationäres Betriebsverhalten 687

p
T > 0 [0° .. 60°] T > 0 [-60° .. 0°]
pmax

T = 60° T = -60°

- [q ]
Abb. 15.46. P---Diagramm einer Leitung mit PAR

Phasenwinkelregelung nicht nur zur Verschieben der Wirkleistungsflüsse. Blind-


leistungsflüsse werden in nahezu gleichem Masse geändert. Bei R/X-Verhält-
nissen nahe eins ist eine Entkopplung zwischen Blindleistung und Übertragungs-
winkel bzw. Wirkleistung und Spannungsdifferenz nicht mehr gegeben. Eine ent-
koppelte Wirk-/Blindleistungsregelung erfordert in diesem Fall die Einkopplung
einer Spannung, die nicht nur den Übertragungswinkel sondern auch die Span-
nungsdifferenz zwischen den Anschlusspunkten beeinflusst.
Der QBT ist ein reiner Querregler. Die eingekoppelte Zusatzspannung steht
senkrecht auf der Spannung am Anfang des Betriebsmittels (Abb. 15.47). Dadurch
erfolgt nicht nur eine Phasendrehung dieses Spannungsvektors, sondern auch eine
kleine Betragsveränderung, so dass die Blindleistungsflüsse bei diesem Regelein-
griff ebenfalls mit beeinflusst werden. Die Bereitstellung einer Zusatzspannung
senkrecht zur Anschlussspannung bedeutet technologisch einen geringeren Auf-
wand, so dass der QBT je nach Netzverhältnissen eine wirtschaftliche Alternative
zum PAR darstellt.
Für die Berechnung der P---Charakteristik des QBT ergibt sich nach Auflösen
der Strom-, Spannungs- und Leistungsgleichungen folgender Ausdruck:

u1u 2 sin -  T cos T


p1 p
x1  x 2 cos 2 T
(15.22)
u1u 2 sin -  T cos T
cos 2 T  lx 1  cos 2 T

Diese Darstellung verdeutlicht die Abhängigkeit des Betriebsverhaltens des QBT


vom Einbauort. Ist der QBT direkt am speisenden Generator eingebaut, ist bei
688 15 FACTS-Elemente

u11

ul
T
u 22

Abb. 15.47. Zeigerdiagramm der Spannung am Anfang und Ende des QBT sowie einge-
koppelte Zusatzspannung senkrecht zur Anfangsspannung

extremen Zusatzwinkeln eine starke Überhöhung der maximal übertragbaren Leis-


tung die Folge (Abb. 15.48).
Bei einem Einbau in der Mitte der Leitung tritt diese Überhöhung nicht mehr
auf. Die Umhüllende der Kurvenschar zeigt einen annähernd sinusförmigen Ver-
lauf, so dass an diesem Einbauort der QBT zu einer nahezu idealen Vergrößerung
des Betriebsbereiches beitragen könnte (Abb. 15.49). Abhängig von der übertra-
genen Leistung wäre hier eine kontinuierliche Anpassung des Winkels der Zusatz-
spannung erforderlich.
Am wenigsten effektiv arbeitet der QBT direkt am starren Netz. Dies ist
gleichzusetzen mit einer starren Spannungsquelle ohne Impedanz, ähnelt also
Einsatzorten mit sehr großer Kurzschlussleistung. Der Einfluss des QBT auf die
Übertragungscharakteristik ist hier am wenigsten ausgeprägt (Abb. 15.50). Selbst
große Zusatzwinkel führen nur zu einer vergleichsweise geringen Beeinflussung
der Wirkleistung. Bzgl. Des Betriebsverhaltens erweist sich als besonders ungüns-
tig die starke Verringerung der maximal übertragbare Leistung bei Variation des
Zusatzwinkels in positive und auch negative Richtung.
Der UPFC verfügt über weitaus mehr Freiheitsgrade in der Regelung. Bei ko-
ordiniertem Einsatz von Shuntstromquelle und Seriespannungsquelle werden die
Übertragungsparameter nahezu unabhängig von der aktuellen Leitungsbelastung
geregelt. Dieses Verhalten spiegelt sich in der mathematischen Beschreibung der
P---Charakteristik wider:
u1u2 u2 ul
p1 sin -  (15.23)
x1  x 2 x1  x 2

Bei idealem Betrieb bewirkt der UPFC eine Skalierung der Übertragungscharakte-
ristik. Die P---Kurve wird abhängig von der eingekoppelten Längsspannung ska-
liert. Im Vergleich zu den FACTS-Elementen PAR und QBT weist der UPFC die
beste Betriebscharakteristik auf (Abb. 15.51).
15.3 Aufbau und stationäres Betriebsverhalten 689

p T > 0 [0° .. 60°] T > 0 [-60° .. 0°]


pmax

l=0

T = 60° T = -60°

- [q ]

Abb. 15.48. P---Diagramm einer Leitung mit QBT, eingebaut am speisenden Generator
(l=0)

p
T > 0 [0° .. 60°] T > 0 [-60° .. 0°]
pmax

l = 0.5

T = 60°
T = -60°

- [q ]

Abb. 15.49. P---Diagramm einer Leitung mit QBT, eingebaut in der Mitte der Leitung
(l=0.5)
690 15 FACTS-Elemente

Abb. 15.50. P---Diagramm einer Leitung mit QBT, eingebaut am zu speisenden Netz
(l=1)

p
pmax
ul > 0 [0 pu .. 1 pu]

ul < 0 [-1 pu .. 0 pu]

- [q]

Abb. 15.51. P---Diagramm einer Leitung mit UPFC, eingebaut in der Mitte der Leitung
(l=0.5)
15.3 Aufbau und stationäres Betriebsverhalten 691

15.3.4 Anwendung im Netz

15.3.4.1 Abschätzung der Dimensionierung


Die Dimensionierung von FACTS-Elementen hinsichtlich der zur bemessenden
Leistung hängt stark von der Netzumgebung ab. Für eine erste Abschätzung der
Baugröße reicht hingegen eine grobe Abschätzung im Rahmen eines einfachen
Modells aus. Die Aufgabe der Leistungsflussregelung bezieht sich auf die Rege-
lung eines Stromes in einer Übertragungsleitung – hier durch Einspeisung einer
Seriespannung. Die Größe der Seriespannung und das Maximum des zu regelnden
Stromes geben Auskunft über die ungefähre Baugröße der zu installierenden Ein-
richtungen.
Wird in der Anwendung zur Leistungsflussregelung von einem UPFC ausge-
gangen besteht die erste Abschätzung der Baugröße in der Dimensionierung von
Shunt- und Serieumrichter; beide in erster Näherung als Strom- bzw. Spannungs-
quelle modellierbar (vgl. Abb. 15.52 sowie [15.19]). Die hier angegebenen Ab-
schätzungen dienen der groben Festlegung der Baugröße. Sie bezieht sich auf den
ersten Schritt der Anlagenauslegung. Nach Festlegung der Umrichterleistungen
sind detaillierte Berechnungen erforderlich, die sich voranging auf die leistungs-
elektronische Topologie beziehen. Dies schließt unter anderem eine Auslegung
der magnetischen Kreise für die Netzankopplung, die Festlegung und Optimierung
des Steuerverfahrens sowie wie die Dimensionierung des Geräteschutzes ein. Da
für diese Schritte wesentlich detaillierte Modelle mit Abbildung des leistungselek-
tronischen Systems mit Momentanwertsimulation erforderlich sind, kann hier
nicht darauf eingegangen werden. Dieser Abschnitt zielt vielmehr auf den ersten
Schritt der Dimensionierung unter Fragestellung, wie viel Leistung über ein Serie-
element eines UPFC eingespeist werden muss, damit ein bestimmter Betrag von
Leistungsfluss geregelt werden kann.
Die durch den Serieumrichter eingespeiste Spannung, multipliziert mit dem
maximalen Leitungsstrom, ergibt die ungefähre Bauleistung des Serieumrichters.
Die für die Regelung erforderliche Einspeisung von Wirkleistung wird durch den
Shuntumrichter gedeckt, ebenso wie die Verluste der leistungselektronischen und
anderen Komponenten. So kann aus der Abschätzung der einzuspeisenden Serie-
spannung und dem erforderlichen Regelungsbereich sowohl die Shunt- als auch
sG1 sG5
2 z2 4
i24
1 z1 i54 z4 5
i12

z3 3 uz
iL1 i23 i34 iL2
G1 u1 u5 G2
u2 iZ u4
sL1 u3 sZ sL2

Abb. 15.52. Einphasiges Ersatzschaltbild des betrachteten Modellsystems


692 15 FACTS-Elemente

die Serieumrichterleistung abgeschätzt werden. Ist zusätzlich zur Leistungsfluss-


regelung eine Regelung der Sammelschienenspannung durch Blindleistungsein-
speisung erforderlich, muss dies entsprechend berücksichtigt werden. Der Schwer-
punkt dieses Abschnittes liegt auf der analytischen Herleitung eines Gleichungs-
systems zur ersten Abschätzung der zu installierenden Umrichterleistung bei ei-
nem UPFC, der ausschl. zur Leistungsflussregelung eingesetzt wird.
Die Größe des durch eine Seriespannungseinspeisung geregelten Leistungs-
flusses über eine Leitung hängt vom Betrag der eingekoppelten Spannung und von
den Impedanzverhältnissen im Netz ab. Wird im ersten Schritt die Nichtlinearität
der Netzimpedanzen (z.B. durch Schrägregler oder hysteresegeregelte Kompensa-
tionen) vernachlässigt, kann jede Netzsituation auf zwei Einspeisungen mit Dop-
pelleitung, von der eine geregelt ist, reduziert werden (vgl. Abb. 15.52). Dieses
Modellsystem stellt die Grundlage der analytischen Betrachtungen dar. Bei dieser
erfolgt zunächst eine allgemeine Beschreibung des Systems über Strom- und
Spannungsgleichungen. Im zweiten Schritt erfolgt eine Diskussion des erhaltenen
Modells vor dem Hintergrund unterschiedlicher Systemrandbedingungen. Zwei
Beispiele verdeutlichen die Anwendung der Gleichungen.

15.3.4.2 Analytische Lösung des Modellsystems


Die analytische Lösung erfolgt unter der Annahme, dass die durch Generator G1
eingespeiste Leistung sG1 konstant ist und die Spannung am entsprechenden Kno-
tenpunkt ebenfalls auf einen konstanten Wert u1 geregelt wird. Ebenfalls als be-
kannt angenommen sei die eingekoppelte Seriespannung uz. Es wird davon ausge-
gangen, dass die am Knoten 3 abgenommene Leistung sz ausschließlich zur De-
ckung des Wirkleistungsbedarfes der Seriespannungsquelle sowie der Deckung
der Geräteverluste entnommen wird. Die Berechnung orientiert sich an der Herlei-
tung von Gleichungen zur Diskussion und Untersuchung der folgenden Fragestel-
lungen und Randbedingungen:

Wie groß ist die in den Pfad zwischen Knoten 2 und Knoten 4 kommmutierte
Wirkleistung in Abhängigkeit von der eingekoppelten Seriespannung?
Welches Phasenlage der Seriespannung uz ist erforderlich, damit eine vom
Blindleistungsfluss entkoppelte Wirkleistungsflussregelung vorgenommen
werden kann?
Welchen Einfluss haben unterschiedliche Netzsituationen auf den Berech-
nungsvorgang?
Sind bei Einstellung der gewünschten Leistungsflüsse die Betriebsgrenzen an
allen Netzknoten und Übertragungselementen eingehalten? Für Netzknoten
gilt die Einhaltung des vorgegebenen Spannungsbandes (z.B. 0.9 pu – 1.1 pu).
Bei Übertragungselementen ist auf den maximal zulässigen Strom und Win-
keldifferenz zu achten.

In der Berechnung muss zusätzlich einigen technischen Sachverhalten implizit


Rechnung getragen werden. Durch die eingeprägte Zusatzspannung uz erfolgt eine
Wirkleistungsabgabe and das Netz. Diese Wirkleistungsabgabe ist durch den
Shuntumrichter zu decken. Der Shuntumrichter prägt daher zur Deckung der
15.3 Aufbau und stationäres Betriebsverhalten 693

Wirkleistungsabgabe einen Strom in das Netz ein. Dieser Strom verursacht eine
zusätzliche Belastung der angeschlossenen Übertragungselemente, insbesondere
der Leitung zwischen Knoten 2 und Knoten 3. Ein zusätzlicher Spannungsabfall
ist die Folge. Die Spannung an Knoten 3 ist daher mitunter niedriger oder höher
als im Falle der Vernachlässigung des Einflusses des Shuntumrichters. Durch den
zusätzlichen Strom kann die Wirkung der eingekoppelten Seriespannung vermin-
dert werden. Der Shuntumrichter muss bei minimaler Knotenspannung den erfor-
derlichen Stromfluss zur Deckung des Wirkleistungsbedarfes des Serieumrichters
gewährleisten. Die zu installierende Leistung des Shuntumrichters berechnet sich
aus maximalem Shuntstrom und maximaler Knotenspannung. Da diese Größen bei
reinem Wirkleistungsbetrieb i.d.R. nicht gleichzeitig auftreten ist die zu installie-
rende Leistung normalerweise größer als die tatsächlich in den verschiedenen Be-
triebspunkten abgegebene bzw. aufgenommene Leistung. Sie stellt vielmehr eine
Rechengröße zu Charakterisierung des Umrichters dar.
Ausgangspunkt für die Berechnung sind die im folgenden angegebenen Strom-
und Spannungsgleichungen des Modellsystems in Abb. 15.52:
*
s L1 ,
i L1 *
(15.24)
u2
*
s L2 ,
i L2 *
(15.25)
u4
*
s G1 ,
i12 *
(15.26)
u1
i 24 i 12 - i L1 - i 23 , (15.27)

z2 uz ,
i 23 (i 12 - i L1 ) - (15.28)
z2  z3 z2  z3

i 54 - i 24 - i 34  i L 2 , (15.29)

u2 u 1 - i 12 z 2 , (15.30)

u3 u 2 - i 23 z 3 , (15.31)

u4 u 2 - i 24 z 2 , (15.32)

u5 u 4  i 54 z 4 . (15.33)
Damit eine Abschätzung der zu installierenden Leistung möglich ist sollte die tat-
sächlich in Knoten 4 eingespeiste Leistung bekannt sein. Da mit oben genannten
Gleichungen das Modellsystem berechnet werden kann ist hier lediglich die An-
gabe des Leitungsstroms i34 als Funktion der Knotenspannung u3, des Leitungs-
strom i23 und der Seriespannung uz erforderlich.
694 15 FACTS-Elemente

i 34 f u 3; i 23; u z . (15.34)
Dazu ist zunächst der von dem Shuntumrichter eingeprägte Strom zu berechnen da
dieser sich in dem betrachteten Modell dem Leitungsstrom überlagert. Da eine
Zerlegung in Real- und Imaginärteil der Größen erforderlich ist, wird folgende
Konvention eingeführt:
x xW jxB . (15.35)
Mit einem Umrichterwirkungsgrad von U < 1 muss mit dem Shuntumrichter dem
Netz folgende Wirkleistung entnommen werden:
u ZW i 34W u ZBi34B
pSH (15.36)
U

Unter Berücksichtigung der Spannung am Anschlusspunkt des Shuntumrichters


ergibt sich für den Shuntstrom i z :
uZW i34W uZB i34 B
iz . (15.37)
u
*
U 3

Mit den Knotengleichungen für den Strom und mit der Zerlegung in Polarkoordi-
naten, wie z.B.

iz iz e j iz
. (15.38)

kann der Strom i34 berechnet werden. Damit ist das zu Grunde liegende Modell-
system vollständig beschrieben. Spezielle Fälle des Modellsystems resultieren aus
den unterschiedlichen Netzsituationen, die im folgenden näher diskutiert werden.

15.3.4.3 Verbundkupplung - große Kurzschlussleistungen


Sind die Kurzschlussleistungen beider Verbundpartner (G1 und G2) groß, aber
doch unterschiedlich, können die die Kurschlussleistung repräsentierenden Impe-
danzen vernachlässigt werden:
z1 0 ; z4 0 . (15.39)
An der grundsätzlichen Berechnung des Modells ändert sich nichts; lediglich die
Spannungen an den Sammelschienen 2 und 4 entsprechen denen der die Ersatz-
netze repräsentierenden Spannungsquellen:
u2 u1 . (15.40)

u5 u4 . (15.41)
Sind die Kurzschlussleistungen beider Verbundpartner groß, aber nicht unter-
schiedlich, können die die Kurschlussleistung repräsentierenden Impedanzen e-
benfalls vernachlässigt werden. Da die Kurzschlussleistungen gleich groß sind, ist
auch von einer Konstanz der Spannungen u1 und u5 auszugehen. In diesem Fall
ändert sich die Berechnung, da hier von nicht konstanten Spannungen an den Kno-
15.3 Aufbau und stationäres Betriebsverhalten 695

ten 2 und 4 ausgegangen wurde. Ist die Spannung hier als konstant anzunehmen,
muss dies entsprechend im Ansatz berücksichtigt werden.

15.3.4.4 Identische Leitungen


Im Fall identischer Übertragungsleitung sind die Impedanzen ebenfalls gleich:
z2 z3 z (15.42)

Dieser Fall tritt i.d.R. dann auf, wenn eine Doppelleitung vorliegt und eine der
Leitungen zwecks gleichmäßiger Auslastung kompensiert wird. Dass eine Netzre-
duktion zu einer identischen Parallelimpedanz führt, ist die Ausnahme.
Ist aufgrund der Kurzschlussleistungsverhältnisse noch zusätzlich von der
Vereinfachung nach Gl. (15.39) auszugehen und wird u1 als eingeprägt angenom-
men vereinfacht sich der Ausdruck zur Berechnung des Leitungsstroms vor dem
Shuntteil des installierten Reglers zu:
1 1 uz
i 23 i 12 - i L1 - (15.43)
2 2 z
Die von Erzeugung G1 abgegebene und über den unteren Zweig übertragene Leis-
tung berechnet sich dann nach:

s 23 u 2 i 23 , (15.44)

1 1 uz
s 23 i12 - i L1 u 2 - u2 , (15.45)
2 2 z

1 1 1 uz
s 23 s G1 - s L1- u2 . (15.46)
2 2 2 z

Wird zusätzlich die Spannung an Knoten 2 als Referenzspannung definiert:


! 0 0
u2 1 pu e j 0 UB ej0 , (15.47)
vereinfacht sich die Berechnung des Leistungsflusses über die geregelte Leitung
zusätzlich zu:
1 1 uz
s 23 s12 - (15.48)
2 2 z
Darüber hinaus folgt aus diesem Zusammenhang eine Bedingung für die Phasen-
lage der eingeprägte Zusatzspannung uz für entkoppelte Wirk- und Blindleistungs-
regelung. Die Phasenlage der Zusatzspannung muss dem Winkel der Leitungsim-
pedanz z (hier: z = z1 + z2) entsprechen. Nur dann wird der Realteil der übertrage-
nen Leistung, also Re {s23} = p23 und damit die übertragene Wirkleistung unab-
hängig von der übertragenen Blindleistung beeinflusst. Ist die Phasenlage der ein-
gekoppelte Spannung dazu um /2 versetzt, wird nur die übertragene Blindleis-
tung, also Im {s23} = q23 verändert.
696 15 FACTS-Elemente

Genauere Auskunft über die Sensitivität der übertragenen Scheinleistung bezüg-


lich einer Änderung der Zusatzspannung liefert folgende Sensitivitätsbetrachtung:
(0)
1 e j / uz

w s 23
' uz  ' uz . (15.49)
w uz u z u (0)
2 z
z

Unter Berücksichtigung der Grundbelastung (= Belastung ohne Regelungseingrif-


fe, Index „Base“) folgt für die Verschiebung der Leistungsflüsse:
1 *
s12 s Base .

s 23 (15.50)
uz2 0

Für die Leistungsflüsse in Abhängigkeit von der Zusatzspannung bei konstanter


Knotenspannung an Knoten 2 folgt dann:
* 1 uz .
s 23 s Base - (15.51)
2 z u2 1 pu

Aus diesem Zusammenhang ist unmittelbar ableitbar, dass eine maximale Zunah-
me des Leistungsflusses |s23| genau dann erreicht werden kann, wenn die Phase der
Zusatzspannung so eingestellt wird, dass folgender Ausdruck gilt:
* uz
‘ s Base ‘  S. (15.52)
z
Ist diese Bedingung erfüllt, lässt sich die Gleichung wie folgt umschreiben:
uz .
s23 e j ‘ s23 ‘ s Base sBase 

(15.53)
2z
Die Betrachtung dieser Netzsituation macht den Einfluss des R/X-Verhältnisses
auf die Auslegung des Serieumrichters deutlich. Zur reinen Wirkleistungsflussre-
gelung muss die eingekoppelte Zusatzspannung eine Phasenlage aufweisen, die
dem Winkel der Leitungsimpedanz entspricht. Bei kleinen R/X-Verhältnissen
(z.B. R/X = 0.1) dominiert der Blindanteil der Netzimpedanz. Der Leitungsstrom
hat idealer Weise einen kleinen Blindanteil. Folglich muss die Seriespannung na-
hezu senkrecht auf dem Leitungsstrom stehen. In diesem Fall erfolgt über den
Serieumrichter nur eine kleine Wirkleistungsabgabe. Die entkoppelte Wirk-/Blind-
leistungsflussregelung erfolgt nahezu ausschließlich über die Einspeisung von
Blindleistung durch den Serieumrichter. Die Dimensionierung des Shuntumrich-
ters fällt entsprechend klein aus.
In Netzen mit großem R/X-Verhältnis (z.B. R/X = 1) und kleinem Blindstrom-
anteil im Leitungsstrom ist für die entkoppelte Wirk-/Blindleistungsflussregelung
die Einspeisung eines größeren Wirkleistungsanteils durch den Serieumrichter
erforderlich. Bei R/X = 1 könnte dann – je nach Leitungsstrom – der Fall auftre-
ten, dass die eingespeiste Wirkleistung in der gleichen Größenordnung liegt, wie
die eingespeiste Blindleistung. Die Dimension des Shuntumrichters ist in diesem
Fall deutlich größer als in Netzen mit kleinen R/X-Verhältnissen.
Dieser Zusammenhang verdeutlicht zusätzlich, dass in Systemen mit kleinen
R/X-Verhältnissen eine konventionelle Seriekompensation zur Wirkleistungsfluss-
15.3 Aufbau und stationäres Betriebsverhalten 697

regelung weniger effektiv ist. Hier würde unerwünschter Weise der Blindleis-
tungsfluss in gleichem Masse wie der Wirkleistungsfluss beeinflusst werden.

15.3.4.5 Unterschiedliche Leitungen


Unter Annahme hoher Kurzschlussleistungen gilt hier ebenfalls:
z1 0 ; z4 0 . (15.54)
Darüber hinaus sei angenommen, dass nur die Spannung an Knoten 1 bzw. 2 ein-
geprägte Referenzspannung (1 pu; 0°) sei und die Leitungen unterschiedliche Im-
pedanzen haben:
z2 z3 . (15.55)
Mit der zentralen Stromgleichung nach Gl. (15.28)
z2 uz
i 23 i12 - i L1 - , (15.56)
z2 z3 z2 z3
und unter Verwendung des Ausdrucks für die Berechnung der Scheinleistung über
die geregelte Leitung folgt:
z2 uz
s 23 s G1 s L1 - . (15.57)
z2 z3 z2 z3
Unter der Annahme, dass das R/X-Verhältnis sehr klein ist
Re z 2 Im z 2 sowie Re z 3 Im z 3 , (15.58)
folgt für den Scheinleistungsfluss:
z2 uz
s 23 s G1 s L1 - ,
z2 z3 j z2 j z3 (15.59)
mit z2 z 2 und z3
z3 .
Unter Berücksichtigung der Grundbelastung der Leitung
z2
s Base s G1 s L1 ,
*
s23 (15.60)
uz 0 z2 z3
kann der Leistungsfluss über die Leitung in Abhängigkeit von der Zusatzspannung
und der Grundbelastung angegeben werden:
uz
s 23 s Base -
*
. (15.61)
j z2 j z3
Analog zu dem zuvor betrachteten Fall ergibt sich auch hier eine maximale Ände-
rung der Leistungsflüsse, wenn die Phasenlage der Zusatzspannung in einem be-
stimmten Verhältnis zur übertragenen Wirk- und Blindleistung steht und die R-
sowie X-Anteile der Leitungsreaktanzen Berücksichtigung finden:
698 15 FACTS-Elemente

uz
s Base
*
. (15.62)
z2 z3
Für den Betrag des Scheinleistungsflusses folgt für diesen Fall dann unmittelbar:
uz
s23 e j s 23 s Base
sBase . (15.63)
z2 z3

s23 uz .
1 (15.64)
sBase z2 z3 sBase
Analog zum vorherigen Fall verdeutlicht die Analyse die starke Abhängigkeit von
Betrag und Phase der einzukoppelnden Zusatzspannung von den Netzverhältnis-
sen. Auch hier gelten die zuvor beschriebenen Zusammenhänge zwischen einzu-
speisender Wirk- bzw. Blindleistung durch den Serieumrichter.

15.3.4.6 Leistungsflussregelung auf einer 380-kV-Doppelleitung


Für dieses Beispiel sei eine Doppelleitung mit den folgenden technischen Parame-
tern angenommen:

Abb. 15.53. Doppelleitung

UN = 380 kV,
ZB = 1444
B

SB = 100 MVA,
B (15.65)
Z = (0,03 + j 0,26 ) 100 km / km,
| Z | = 26,17
Für die normierte Leitungsimpedanz gilt dann:
| z | [pu] = 0,018123 (15.66)
Von einer Last am Ende der Doppelleitung wird die Nennleistung (SN = 590MVA)
einer der beiden Leitungen abgenommen. Aus diesen Angaben folgen für einige
Seriespannungsbeträge die Leistungsflüsse über die geregelte Leitung:
1 590 MVA
s 23 2,95 sBase (15.67)
uz 0 2 100 MVA

s 23 uz
1 1 9,35 u z (15.68)
sBase 0,1069

s 23 s 23 s 23
1,467 ; 1,935 ; 2,4 (15.69)
sBase sBase sBase
u z 0 , 05 u z 0,1 u z 0 ,15
15.3 Aufbau und stationäres Betriebsverhalten 699

15.3.4.7 Regelung mit unterschiedlichen Spannungsebenen


Eine häufige Motivation für den Einsatz leistungsflussregelnder Betriebsmittel ist
die Kommutierung eines Leistungsflusses auf einen Pfad geringerer Verluste. Die-
ser Fall liegt vor, wenn Leitungen unterschiedlicher Nennspannungen parallel be-
trieben werden und stellt die Grundlage dieses Beispiels dar. Bei der untersuchten
Netzsituation sind zwei Leitungen mit den Nennspannungen 380 kV und 500 kV
parallel geschaltet. Am Ende dieses Netzausschnittes wird eine Leistung von
570 MVA abgenommen. Die für die Umspannung auf 500 kV erforderlichen
Transformatoren werden durch ihre Streureaktanz repräsentiert. Mit den techni-
schen Parametern
U N = 500 kV; Z B = 2500 ; S B = 100 MVA. (15.70)

Für die Tansformatorreaktanzen und Leitungen sei angenommen:


U N2
X T1 uk = 87.87 = X T2 (15.71)
SN

X L = ( 0.022 + j 0.23 ) 100 km/km = ( 2.2 + j 23 ) (15.72)

j 2 X T1 XL
z ges1 = 0.0795 pu (15.73)
ZB 500kV

z ges2 0.018123 pu 380kV


0.01047 pu 500kV
(15.74)
Für die Leistungsflüsse folgt dann für verschiedene Arbeitspunkte:
s Base 5.0367 pu (15.75)

s 23 s 23
1 2,2 u z ; 1,11 ; (15.76)
sBase sBase
u z 0,05

s 23 s 23
1,22 ; 1,33 . (15.77)
sBase sBase
u z 0,1 u z 0,15

15.3.4.8 Verallgemeinerung
Aus den Modellgleichungen für das hier betrachtete Modell folgt, dass der Betrag
einer Leistungsflussänderung aufgrund einer Regelung über Seriespannungsein-
kopplung nur von der Impedanz in der von der Regelung betroffenen Masche und
der Zusatzspannung abhängt (vgl. Gl. (15.28)). Darüber hinaus erlaubt das Modell
eine Abschätzung der einzukoppelnden Seriespannung. Soll beispielsweise auf
Leitung 2-3 eine Leistungsflussänderung von s = p + j q erreicht werden, muss
die einzukoppelnde Spannung über die Stromänderung in dieser Leitung bestimmt
werden:
700 15 FACTS-Elemente

p j q
*
( s)
i 23 i 23 i 23 i 23 (15.78)
u 2 e j u2

p j q uz
*
i 23 (15.79)
u 2 e j u2 z2 z3

p j q
*
uz z2 z3 (15.80)
u 2 e j u2
Mit diesem zusammengefassten Ergebnis und den zuvor beschriebenen Beispielen
lässt das betrachtete Modellsystem einige Rückschlüsse auf das allgemeine Sys-
temverhalten zu.
Der Betrag der einzukoppelnden Spannung für eine Leistungsflussänderung
hängt nicht vom Belastungszustand ab, sondern voranging von den Impedanzver-
hältnissen im Netz. Der Betrag der einzukoppelnden Spannung für eine Leistungs-
flussänderung hängt zusätzlich von der Spannung der Sammelschiene ab, an der
der Regler angeschlossen ist. Dieser Zusammenhang bedeutet auch, dass mit einer
Shunt–Q-Regelung eines UPFC bei richtigem Einbauort eine Sammelschienen-
Spannungsregelung vorgenommen werden kann, um den Effekt der Querspan-
nungseinkopplung zu vergrößern (konstant zu halten). Dies ist nur an Einbauorten
kleiner Kurzschlussleistung sinnvoll.
Der Betrag der einzukoppelnden Spannung für eine Leistungsflussänderung
hängt von der Leitungslänge der geregelten Leitung (z3) und vom Vermaschungs-
grad, also von der der geregelten Leitung parallel geschalteten Impedanz (z2) ab.
Die Berechnung der Zusatzspannung nach Gl. (15.80) kann nicht angewendet
werden, wenn die Leiter-Erdkapazitäten nicht vernachlässigt werden können, also
z.B. ein Kabelnetz betrachtet wird. Gleichung (15.80) gilt nicht, wenn die "exter-
ne" Impedanz nichtlinear ist, also z.B. mehrere Schrägregler im Netz installiert
sind. Die dabei unsymmetrisch werdende Impedanz z2 kann über eine Impedanz
mit Seriespannungsquelle nachgebildet werden. Alternativ kann auch eine Be-
rechnung mit Kettenmatrizen erfolgen. In diesem Fall ist die Kettenmatrix des
Parallelpfades unsymmetrisch und verhält sich wie ein Gyrator.
Aufgrund der Annahme, dass die von Generator G1 abgegebene Scheinleis-
tung konstant ist, decken sich die Stromänderungen nach Gl. (15.28) nicht genau
mit den Ergebnissen einer konventionellen Leistungsflussberechnung. Aufgrund
der Leistungsflusskommutierung erfolgt auch eine Änderung der Blindflüsse. Der
erhöhte/verminderte Bedarf an Blindleistung wird von beiden Einspeisungen ge-
deckt. Für die grobe Abschätzung der einzukoppelnden Zusatzspannung gilt dann
in erster Abschätzung:
uz
s 0,9 pu . (15.81)
z Masche
Sollte die Spannung an den Sammelschienen (hier 2) kleiner als 0.9 pu werden,
so ist der Faktor 0.9 entsprechend zu korrigieren.
15.4 Modellierung für die Effektivwertsimulation 701

15.4 Modellierung für die Effektivwertsimulation

Die Beschreibung des dynamischen Verhaltens erfolgt über algebraische Glei-


chungen sowie lineare und nichtlineare Differentialgleichungen. Die den Kurz-
und Mittelzeitbereich beeinflussende Betriebsmitteldynamik wird stark von dem
eingesetzten Regelungssystem (Betriebsmittelregelung) bestimmt. Dessen Ausfüh-
rung variiert von Anwendung zu Anwendung. Aus diesem Grund wird hier eine
allgemeine Struktur der Regelungssysteme und Systemmodelle angegeben. Dabei
wird besonderer Wert auf die Koordination der Variablen gelegt, um eine mög-
lichst gute Abbildung der Realität zu erzielen.
Die Modellierung umfasst alle Betriebsmittel, die Shunt- und/oder Seriekom-
ponenten aufweisen. Abgeleitet werden die Modellgleichungen von den FACTS-
Elementen mit selbstgeführten Umrichtern, also Spannungsumrichtern. Stellver-
tretend für diese Technologie sind der Static Synchronous Compensator (STAT-
COM) als Shuntelement, der Static Synchronous Series Compensator (SSSC) und
der Unified Power Flow Controller (UPFC) als Betriebsmittel mit Shunt- und
Seriekomponente. Basis der hier beschriebenen Modellierung ist die Ansteuerung
von Serie- und Shuntspannungs- und -stromquellen. Die modellhafte Eigenschaft
der Strom- bzw. Spannunsgquelle folgt aus dem Verhalten der selbstgeführten
Umrichter. Gleichzeitig kann bei leichten Veränderungen in der Modellstruktur
auch das Verhalten thyristorgeschalteter Elemente nachgebildet werden. Die hier-
zu erforderlichen Änderungen beziehen sich auf das Spannung- und Stromverhal-
ten der Quellen, da Elemente wie z.B. SVC und TCSC auf Basis von Impe-
danzänderungen arbeiten. Weiterhin sind Änderungen an den Begrenzungsfunkti-
onen vorzunehmen, da die Betriebsbereichsbeschränkung selbstgeführter Umrich-
ter sich von der fremdgeführter Einheiten unterscheidet. Da das Verhalten dieser
Betriebsmittel bereits in Abschn. 9.5.3 sowie Ansätze zur Modellbildung und Re-
gelung in Abschn. 13.3.1 und 13.3.3 angegeben sind, wird an dieser Stelle auf eine
ausführliche Betrachtung dieser FACTS-Elemente verzichtet.
Alle hier vorgestellten Ansätze basieren auf einer komplexen Darstellung der
Netzgrößen. In der praktischen Realisierung stehen diese natürlich nicht zur Ver-
fügung, sondern müssen durch eine entsprechende Messdatenaufbereitung gewon-
nen werden. Üblicherweise erfolgt dazu eine RST-DE-dq Transformation. Deren
Ergebnis sind Netzgrößen als stehende Zeiger in komplexer Darstellung. Dieser
Schritt wird hier der Einfachheit halber ausgelassen. Die Berechnungen beziehen
sich dennoch auf komplexe Netzgrößen, deren Bereitstellung durch eine Mess-
wertverarbeitung vorausgesetzt wird.

15.4.1 Shuntelemente – STATCOM


Selbstgeführte Umrichter verhalten sich elektrisch wie nahezu ideale Spannungs-
quellen. Bei entsprechender Regelung der Ausgangsspannung ist ein Betrieb als
Stromquelle in einer Shuntanwendung ebenfalls möglich. Das Modell umfasst
dementsprechend eine den Betriebsgrenzen des Umrichters entsprechende
Shuntspannungsquelle in Serie zu einer Streureaktanz des Netzanschlusstransfor-
mators oder in Serie zu der Entkopplungsdrossel im Falle eines transformatorlosen
702 15 FACTS-Elemente

Netzanschlusses. Die Eigenschaft des spannungsgeregelten Netzknotens ist dann


die Folge der Variation des in den Knoten eingespeisten Blindstroms. Dieser wird
durch Regelung der vom Stromrichter erzeugten Ausgangsspannung gegenüber
der Knotenspannung geregelt. Die Spannungsregelung am Anschlussknoten er-
folgt also durch die Variation des eingespeisten Blindstroms. Dieser verursacht an
den Netzreaktanzen einen Spannungsabfall, der zu dem durch den Leitungsstrom
verursachten Längsspannungsabfall mit- oder gegenläufig ist.
Physikalisch speist der Umrichter Blindleistung zur Deckung der durch den
Energietransport erforderlichen Blindleistung ins Netz und hebt auf diese Weise
das Spannungsniveau in der Umgebung um den Anschlussort an (s. dazu auch Ab-
schn. 13.3.2). Aufgrund dieses Zusammenhanges wirkt die gesamte Anordnung
wie eine geregelte Stromquelle und wird daher auch als solche in der nachstehend
angegebenen Modellierung betrachtet (Abb. 15.54). Der Eingangsgrößenvektor
für den Regelkreis wird aus den Netzgrößen ermittelt und an das Modell der
Messeinrichtung übergeben. Diese mitunter nichtlineare Übertragungsfunktion
beschreibt das Verhalten der Messwertaufbereitung für den Regelkreis. Bei der
Effektivwertsimulation hat diese Komponente einen unwesentlichen Einfluss und
wird vernachlässigt:
& & & &
G M ( u N ) = E ; x1 = u N ,
&
mit uN : Eingangsgrößenvektor und (15.82)
& &
GM ( u N ) : Reglerfunktional.

Das Funktional F1 bildet die aufbereiteten Messgrößen auf die Eingangsgrößen


des Betriebsmittelreglers mit der Übertragungsfunktion GR ab. Hier sind die
Messgrößen Längsstrom i1 und Knotenspannung uq erforderlich:
& ªuq º
x1 = « » . (15.83)
¬ il ¼
Außerdem wird in diesem Modell der für die phasenrichtige Einkopplung des
Knotenstromes erforderliche Spannungswinkel abgleitet:

uset il
y x2 yN
GR(uR,uset) F2(y, x3) GU(x2) iq
x3 uq
uR x1 uN
F1(x1) GM(uN)

Abb. 15.54: Modell eines Shuntelementes mit selbstgeführtem Umrichter, modelliert als
Stromquelle
15.4 Modellierung für die Effektivwertsimulation 703

&
> @
x 3 = x3 = ‘ u q . (15.84)
Aus der Ausgangsgröße der Betriebsmittelregelung und dem mitgekoppelten
Spannungswinkel wird über F2 der Sollwert des einzuprägenden komplexen Kno-
tenstroms iq bestimmt. Dieser wird – nach Real- und Imaginärteil aufgeteilt –in
den komplexen Netzgleichungen berücksichtigt.
& ª Re{ iq}º
yN = « » . (15.85)
¬ Im{ iq}¼
Zwischengeschaltet ist die Übertragungsfunktion des Umrichters nebst der unter-
lagerten Spannungsregelung, die das Verhalten der Stromquelle erst ermöglicht.
Dieses Verhalten kann im einfachsten Fall als Verzögerungsglied erster Ordnung
mit Zeitkonstanten im Bereich von einigen 10 ms modelliert werden:
& & &
allgemein : G U : x 2 o y N ,
.
& & 1 (15.86)
vereinfacht : G U x 2 = .
1 + TUs
Shuntelemente ohne Energiespeicher, wie der STATCOM, injizieren ausschließ-
lich Blindleistung. In einfachsten Fall stellt F1 als Eingangsgrößen für die eigentli-
che Regelung den Spannungsbetrag am Einsatzort zur Verfügung. Damit folgt
unmittelbar für dieses Funktional:
& ª uq º
ªu R º & § ªu q º · ªuR º
&
«x » = F ¨ » ¸=
1¨ « ¸ « »= «x » (15.87)
¬ 3¼ © ¬ il ¼ ¹ «¬ ‘ uq »¼ ¬ 3¼
Bei einfacher Spannungsregelung enthält der Sollwertvektor den Sollwert der
Knotenspannung. Aus dieser wird die Eingangsgröße für das Reglerfunktional ge-
bildet. Die Differenz zwischen dem Spannungsbetrag und dem durch die Span-
nungs-/Blindleistungskoordination im Netz vorgegebenen Referenzwert ist das
Eingangssignal für den Betriebsmittelregler:
&
u set = uq,soll ; ' uq = u q,soll - u R (15.88)
Bei ausführlicher Betrachtung sind im Sollwertvektor alle für die Regelung erfor-
derlichen und von der Betriebsführung veränderlichen Größen zu berücksichtigen.
Darunter fallen insbesondere die Vorgabe der Blindleistungsstatik für den Kom-
pensationsbetrieb sowie allgemeine Anpassungen der Regelungsparameter an
Veränderungen im Energiesystem. Eine einfache Ausführung des Reglers enthält
zwei Glieder mit je proportionalem und integralem Charakter:
& & & i q,soll ( s ) ª KP 1 º
G R (u R , u set ) œ G R ( s ) = = KN «1 + sT + sT » (15.89)
ǻ uq ( s ) ¬ P I¼

Die Begrenzung der Stellgröße erfolgt über F2. Die Parameter der Begrenzung
ergeben sich aus den Parametern der Stromrichter, insbesondere derer Leistungs-
704 15 FACTS-Elemente

charakteristik. Für den hier angegebenen Fall der Blindleistungskompensation zur


Knotenspannungsregelung folgt:

&
ª L iq,soll (s) cos ‘ uq + D ( t ) º
F 2 iq,soll , ‘ uq = « » = x& 2 ,
« L iq,soll (s) sin ‘ u + D ( t ) »¼
¬ q

(15.90)
­ x min  x < x min
°°
mit der Begrenzung : L(x) = ® x  x min d x d x max ,
°
°¯ x max  x > x max
und der relativen Winkelvorgabe für den Blindleistungskompensationsbetrieb mit
der Winkeleinstellung D(t) = const = S.
Je nach Regelungsstrategie ist es erforderlich die Phase des einzuprägenden
Stroms, dessen Betrag durch die Betriebsmittelregelung als Stellgröße vorgegeben
wird, über den Parameter D in Abhängigkeit von dem Spannungswinkel der Span-
nung uq einzustellen.
Bei einer lokalen Spannungsregelung durch Blindleistungsinjektion ist der
komplexe Knotenstrom orthogonal zu der komplexen Knotenspannung zu bilden.
In der Praxis wird diese Phasenverschiebung über die Stromrichtersteuerung er-
reicht. Bei vollständiger Modellierung des Gleichstromzwischenkreises erfolgt bei
einigen Realisierungen weiterhin über diese Stellgröße eine Regelung der Gleich-
spannung des Zwischenkreiskondensators.
Kleine Abweichungen von der S-Vorgabe des Stromversatzes gegenüber der
Knotenspannung führen zu einem Wirkenergieaustausch zwischen Gleichstrom-
kreis des Kompensators und Netz. Eingespeicherte oder ausgespeicherte Energie
beeinflussen direkt die Zwischenkreisspannung. Abhängig vom verwendeten Be-
zugssystem entfällt der Faktor drei bei der Energieberechnung:
1
WDC
2
2
CDCuDC und pshunt ^ *
Re u q i q , `
T
(15.91)
2
'uDC uDC,0
2

CDC ³0
^ *
`
3 Re u q i q dt .

Dieser Zusammenhang stellt eine Vereinfachung dar. Umrichterverluste und ande-


re Energiesenken sind nicht berücksichtigt. Über eine zeitlich veränderliche Pha-
senverschiebung zwischen uq und iq erlaubt dieses Modell auch die Beschreibung
von Energiespeichern, die über selbstgeführte Umrichter an das Netz angeschlos-
sen sind. In diesem Fall ist neben einer Berücksichtigung der Energiebilanz der
Speichereinheit – abhängig von der aus- bzw. eingespeicherten Wirkenergie – der
Phasenwinkel des eingeprägten Knotenstromes relativ zur Knotenspannung zu
verändern. Das Speichermanagement ist ebenfalls in den Funktionen entsprechend
zu berücksichtigen.
15.4 Modellierung für die Effektivwertsimulation 705

15.4.2 Serieelemente – SSSC


Die Modellstruktur des Serieelementes mit selbstgeführtem Stromrichter ist ähn-
lich derer des Shuntelementes. Der Unterschied besteht in der Ausgangsgrößen-
einkopplung in das Netz. Die Ausgangsspannung des Gerätes wird hier direkt über
eine Seriespannungsquelle in das Netz eingekoppelt. Die Ausführung als Serie-
kompensator (SSSC) speist über die Seriespannungsquelle Blindleistung in das
Netz. Da die dazu einzukoppelnde Spannung senkrecht zum Leitungsstrom stehen
sollte, erwirkt diese Spannungseinkopplung eine Phasenverschiebung zwischen
den Spannungen am Anfang und Ende der betrachteten Übertragungsstrecke; dies
insbesondere dann, wenn ein R/X Verhältnis nahe null vorliegt. Bei realen Aus-
führungen erfolgt die Zusatzspannungseinkopplung mittels Booster-Trans-
formator. Dessen Streureaktanz liegt in Serie zum Strompfad und addiert sich zu
den Reaktanzen der Übertragungsleitung oder des Kabels.
Der Einfachheit halber ist diese Streureaktanz hier nicht berücksichtigt; sollte
aber zumindest in den Netzgleichungen Berücksichtigung finden. Bei zukünftigen
Ausführungen ist aufgrund der kontinuierlich steigenden Leistungsfähigkeit der
eingesetzten Halbleiterbauelemente bezüglich Sperrspannung und Abschaltstrom
mit einer transformatorlosen Lösung zu rechnen (siehe dazu auch [15.4]). In die-
sem Fall entfällt die Modellierung der Streureaktanzen.
Eine allgemeinere Modellierung über eine zeitvariante Seriespannungsquelle
bietet den Vorteil, dass sich alle Serieelemente auf diese Weise beschreiben las-
sen. Die konstruktiv bedingten Unterschiede hinsichtlich Betriebsbereich und
Schaltverhalten werden in der Ansteuerung der Seriespannungsquelle berücksich-
tigt. Hinsichtlich der Integration in die Netzgleichungen bietet diese Modellstruk-
tur den Vorteil einer für alle Serieelemente einheitlichen Vorgehensweise.
Analog zu dem für die Shuntelemente eingeführten Modell wird der Eingangs-
größenvektor aus den Netzgrößen ermittelt und an das Modell der Messeinrich-
tung übergeben. Diese ebenfalls im allgemeinen Fall als nichtlinear anzunehmen-
de Übertragungsfunktion GM beschreibt das Verhalten der Messwertaufbereitung
für den Regelkreis. Bei der Effektivwertsimulation hat diese Komponente eben-
falls einen unwesentlichen Einfluss und wird vernachlässigt:
& & & &
G M (u N ) = E ; x1 = u N . (15.92)
Analog zum Modell des Shuntelementes bildet das Funktional F1 die aufbereiteten
Messgrößen auf die Eingangsgrößen des Betriebsmittelreglers (Übertragungsfunk-
tion GR) ab. Hier sind die Messgrößen Längsstrom il und Knotenspannung uq er-
forderlich (Abb. 15.55). Eine Leistungsflussregelung bedingt die in Gl. (15.99)
dargestellten Eingangsgrößen.
& ªu q º
x1 = « » . (15.93)
¬ il ¼
Für die phasenrichtige Einkopplung der Zusatzspannung muss aus dem Eingangs-
vektor der Winkel des Leitungsstroms abgeleitet werden:
&
x 3 = x3 = > ‘ i l @ (15.94)
706 15 FACTS-Elemente

Bei einem reinen Blindleistungskompensationsbetrieb des SSSC (kein Speicher)


ist eine Seriespannung senkrecht zum Leitungsstrom bereitzustellen. Dies kommt
bei der Ausgangsgrößenbestimmung zum tragen. Aus der Ausgangsgröße der Be-
triebsmittelregelung und dem mitgekoppelten Stromwinkel wird über F2 der Soll-
wert der einzuprägenden Seriespannung ul bestimmt. Nach Real- und Imaginärteil
aufgeteilt findet diese Spannung in den Netzgleichungen Berücksichtigung:
& ª Re^u l ` º .
yN = « » (15.95)
¬« Im^u l ` ¼»
Zwischengeschaltet ist die Übertragungsfunktion des Umrichters nebst der zuge-
hörigen Schutz- und Regelungssysteme. Zu deren Modellierung wird auf
Gl. (15.92) verwiesen. Serieelemente wie der SSSC injizieren ausschließlich
Blindleistung. Ein wesentlicher Anwendungsfall ist die Regelung der Wirkleis-
tungsflüsse auf einer Leitung. In einfachsten Fall stellt F1 daher neben dem Win-
kel des Leitungsstroms die den Wirkleistungsfluss auf der Leitung als Eingangs-
größe für die eigentliche Regelung zur Verfügung:
&
^*
`
ªu R º & § ªu q º · ª Re uq i l uq º ª pij º ªu R º
« & » = F 1 ¨¨ « » ¸¸ = « »=« » = « ». (15.96)
x
¬« 3¼» © ¬ i l ¼ «
¹ ¬ ‘ il » « ‘ i » «
¬ x »
¼
¼ ¬ l ¼ 3

Bei einfacher Leistungsflussregelung enthält der Sollwertvektor den Sollwert des


gewünschten Leistungsflusses. Hieraus wird die Eingangsgröße für das Regler-
funktional gebildet. Die Differenz zwischen dem aktuellen Leistungsfluss und
dem Referenzwert ist das Eingangssignal für den Betriebsmittelregler:
&
u set = pij,soll ; ' pij = pij,soll - u R . (15.97)
Auch hier sind im Sollwertvektor alle für die Regelung erforderlichen und verän-
derlichen Größen zu berücksichtigen. Eine einfache Ausführung des Reglers ent-
hält zwei Glieder mit je proportionalem und integralem Charakter:
& & & ul,soll ( s) 1 º
= KN « KP +
ª
G R (u R ,u set ) œ G R ( s) = » (15.98)
' pij ( s ) ¬ 1 + s TP s TI ¼

uset ul
y x2 yN il
GR(uR,uset) F2(y, x3) GU(x2)

x3
x1 uN uq
uR
F1(x1) GM(uN)

Abb. 15.55: Modell eines Serieelementes mit selbstgeführtem Umrichter, modelliert als
Spannungsquelle
15.4 Modellierung für die Effektivwertsimulation 707

Die Ausgangsgröße der Leistungsflussregelung wird als Stellgröße mit dem Win-
kel des Stroms il auf F2 geschaltet, um die einzuprägende komplexe Seriespan-
nung zu bestimmen. Dies erfordert die Bestimmung der Phasendrehung unter Be-
rücksichtigung des Stellbereiches des Umrichters nach Gl. (15.105). Die so be-
rechnete einzukoppelnde komplexe Seriespannung muss unter Berücksichtigung
der elektrischen Wirkung einer Seriekomponente ohne Speichereinheit senkrecht
auf dem Längsstrom il stehen.
Es kann nur Blindleistung abgegeben werden. In der Praxis wird dies bei-
spielsweise durch eine Änderung der Phasenlage des Pulsmusters bei Pulsweiten-
modulation vorgenommen. Dadurch erfolgt über die einzukoppelnde Spannung
ein Energieaustausch zwischen Netz und Umrichterzwischenkreis, um beispiels-
weise die Zwischenkreisspannung zu regeln. Analog zum Shuntelement folgt zur
Beschreibung dieses Vorganges unter Vernachlässigung aller Verluste allgemein
der Zusammenhang in Gl. (15.106).
Je nach Bezugssystem ist hier der Tatsache Rechnung zu tragen, dass Energie
aus einem dreiphasigen Wechselstromsystem in ein Gleichstromsystem übertragen
wird. Das hier angegebene Modell eignet sich grundsätzlich auch zur allgemeinen
Beschreibung von Seriekomponenten mit Energiespeichereinheit. Diese wird mit-
telbar oder unmittelbar an den Zwischenkreis angeschlossen. Anwendungsgebiete
solcher Ausführungen liegen vor allem im Bereich der Verbesserung der Versor-
gungsqualität bezüglich der Kompensation von kurzzeitigen Spannungseinbrü-
chen. Bei dieser Anwendung wird ein Spannungseinbruch im Netz durch die addi-
tiv überlagerte Seriespannung kompensiert, so dass ein angeschlossener Ver-
braucher von einem Netzfehler unberührt bleibt.
& ª L ul ( s ) cos ‘ ul,soll + Į(t ) º
F 2 ul,soll , ‘i l = « » ,
«¬ L ul ( s ) sin ‘ ul,soll + Į(t ) »¼

(15.99)
­ xmin  x < x min
°°
mit der Begrenzung L( x ) = ® x  x min d x d xmax ,
°
¯° x max  x > xmax
und der relativen Winkelvorgabe D(t) = const. = S

1
WDC
2
2
CDCuDC und pshunt ^ *
Re u q i q , `
T
(15.100)
2
'uDC uDC,0
2

CDC ³0
^ *
`
3 Re u q i q dt .

Typischerweise werden Speicher in der genannten Anwendung als Kondensator-


speicher ausgeführt, da die bereitzustellenden Energiemengen verhältnismäßig
klein und Antwortzeiten im ms Bereich erforderlich sind. Typische Kompensati-
onszeiten für diese Anwendung liegen im Bereich einiger 100 ms (s. auch Abschn.
15.7). Ist über einen längeren Zeitraum eine vom Winkel des Leitungsstroms un-
708 15 FACTS-Elemente

abhängige Spannungseinkopplung erforderlich, wird der Gleichstromkreis durch


einen Shuntumrichter gespeist. Dieses Anlagenkonzept findet wiederum in der
Hoch- und Höchstspannungsebene für universelle Leistungsflussregelung (UPFC)
Anwendung.

15.4.3 Parallel-Serielle-Elemente - UPFC


Das Gerätekonzept des UPFC entsteht durch die Zusammenschaltung des Shunte-
lementes STATCOM und des Serieelementes SSSC auf der Gleichstromseite.
Diese Zusammenschaltung ermöglicht einen Wirkleistungstransfer durch den
Gleichstromzwischenkreis. Wirkleistung kann über das Shuntelement aus dem
Netz entnommen und über das Serieelement wieder an das Netz abgegeben wer-
den - und umgekehrt. Dies erhöht die Freiheitsgrade des Betriebes erheblich, da
entweder die Phasenlage der Seriespannung oder die des Shuntstroms unabhängig
von den Netzgrößen gewählt werden. Das Modell ergibt sich aus der Zusammen-
schaltung der Modelle für Shunt- und Serieelemente nach Abb. 15.56 und Abb.
15.57. Entkoppelt vom Reglerfunktional wird durch die Funktionale F1-3 die Auf-
bereitung der Messwerte für die Regelkreise und die phasenrichtige Einkopplung
der Ausgangsgrößen sichergestellt. Bei der Anwendung dieses Betriebsmittelmo-
dells müssen lediglich die Reglerübertragungsfunktionen spezifiziert werden; die
Modellstruktur bleibt davon unbeeinflusst. Hinsichtlich der Messwertaufbereitung
und der Aufschaltung der Ausgangsgrößen auf das Netz unterscheidet sich das
UPFC-Modell nicht von dem Shunt- und Serieelement-Modell. Wie bei Shunt-
und Serieelement ergibt sich unter Vernachlässigung des Einflusses der Mess-
wertaufbereitung:
& & & &
G M (u N ) = E ; x1 = u N . (15.101)
Da der UPFC neben einer entkoppelten Wirk- und Blindleistungsregelung auf der
Leitung auch die Möglichkeit der Spannungsregelung durch den Shuntumrichter
bietet, wird der Eingangsvektor nach Gl. (15.108) gewählt. Über das Funktional
F1 erfolgt die Berechnung der Eingangssignale für die Regler sowie der Signale
für die Ausgangsgrößenbestimmung aus den verfügbaren Messgrößen (vgl. Gl.

ul
uset il1 il2
yN
H(uN, uset) iq = iq1 + iq2

uq1 uq2
uN

Abb. 15.56: Modell eines FACTS-Elementes mit Shunt- und Serieelement mit Regler-
funktional und Netzeinkopplung
15.4 Modellierung für die Effektivwertsimulation 709

(15.109)). Der Eingangsvektor für die eigentliche Regelung umfasst die aktuellen
Wirk- und Blindleistungsflüsse auf der Leitung sowie die Knotenspannung.
ª u q1 º
& & « »
x1 = u N = « il1 ». (15.102)
« »
«¬ il 2 »¼
Die vierte Komponente des Eingangsvektors uR ist ein Signal d, dass der überla-
gerten Dämpfungsregelung zugeführt wird. Im einfachsten Fall kann hier der
Wirkleistungsfluss über das Element gewählt werden. Der eigentliche Regelkreis
besteht aus einer Regelung für die Leistungsflüsse und die Knotenspannung
(Normalregelung) sowie einer überlagerten Komponenten für Dämpfungs-
regelung. Daher folgt für den Vektor der Sollwertvorgaben der Ausdruck in Gl.
(15.110).
^
ª Re u q1 i l1* `º ª p12 º
« » « »
«
^
« Im u q1 i l1
*
` »» « q12
«
»
»
« » « u »
« uq1 » « q1 »
« & » « & »
« » « d &
d » ª uR º
« » « » « »
&
F1 &
x1 = « --- » = « --- » = « --- » . (15.103)
« » « i » « & »
il1 » « l1
« » «¬ x 2 »¼
« » « i »
« il2 » « l2 »
« » « ‘u »
« ‘u q1 » « q1
»
« » « ‘i »
« ‘i l1 » « l1
»
« » « ‘i »¼
«¬ ‘i l2 »¼ ¬ l2

ª ' p12 º ª p12 ,soll - p12 º


& « » « »
& ».
u set = u set = « ' q12 » = « q12 ,soll - q12 (15.104)
« » « »
«¬ ' uq1 »¼ «¬ uq1,soll - uq1 »¼
Unter Berücksichtigung der Definition des Eingangsvektors kann die Normalrege-
lung über eine Matrix mit den Reglerübertragungsfunktionen in der Hauptdiago-
nale dargestellt werden. Eine zweite Komponente sorgt für die Überlagerung des
Dämpfungssignals, das mit Faktoren gewichtet zu den Normalregelungs-Signalen
addiert wird (Gl. (15.105)). Eine Zusammenfassung der beiden Ausdrücke ermög-
licht eine kompaktere Darstellung mit einer Regelungsmatrix M.
710 15 FACTS-Elemente

ª G P ( s) 0 0 0º
& « » &
y « 0 GQ ( s) 0 0 » uR
« »
«¬ 0 0 GU ( s ) 0 »¼
(15.105)
ª K D1 º
« » &
 « K D2 » > 0 0 0 G D ( s ) @ u R .
« »
«¬ K D3 »¼
Für praktische Implementierungen, beispielsweise in ein blockorientiertes Simula-
tionssystem, ist diese Darstellung aufgrund der erhöhten Anzahl von Zustandsgrö-
ßen ungünstiger:
ª G P ( s) 0 0 K D1 GD ( s )º
& & « » & &
y =y = « 0 GQ ( s) 0 K D 2 GD ( s )» u R = M u R . (15.106)
« »
¬« 0 0 GU ( s) K D 3 GD ( s )¼»
Im einfachsten Fall sind Regler mit proportional integralem Verhalten einzuset-
zen. Für die Übertragungsfunktionen der Regelung der Wirk- und Blindleistungs-
flüsse sowie der Knotenspannung folgt Gl. (15.107).
Zur Dämpfung dynamischer Vorgänge kann eine unterlagerte Dämpfungsrege-
lung eingeführt werden, die durch Modulation der Stellgrößen der Spannungs-,
Wirkleistungs- und Blindleistungsregelung wirkt (siehe Matrix M ). Die einfachste
Ausführung stellt eine Übertragungsfunktion mit gezielter Phasen- und Verstär-
kungsanhebung dar. Daher wird hier eine Kombination von Lead-/Lag-Gliedern
mit vorgeschaltetem Filter eingesetzt, deren Ausgangsgröße e über M und die Ver-
teilungsfaktoren KD1 bis KD3 den anderen Regelkreisen überlagert wird. Als Ein-
gangsgröße dient die zuvor selektierte Größe d. Verfahren zur Parametrierung von
Übertragungsfunktionen dieser Struktur sind das Frequenzkennlinien- und Wur-

uset
y x5
uR GR(uR,uset) F2(x2, x3, y)
yN
x4 x3 GU(x5, x6)
uN x1 x2
GM(uN) F1(x1) F3(x2, x4, y)
x6

H(uN, uset)

Abb. 15.57: Modell der Regelung eines UPFC – Hauptkomponenten


15.4 Modellierung für die Effektivwertsimulation 711

zelortverfahren. Bei der Anwendung des Frequenzkennlinienverfahrens werden


die Zeitkonstanten und Verstärkungsfaktoren so eingestellt, dass der Dämpfungs-
regler die Phasenverschiebung zwischen Einkopplung der Stellgröße und dem
Generator-Turbosatz kompensiert. Das Wurzelortsverfahren ermöglicht eine Ana-
lyse der mit der Schwingungsbewegung korrespondierenden Eigenwerte.
y P (s) K P + K P2 ,
GP ( s ) = =
ǻ p1,2 (s) 1 + sT P s T P2

y Q (s) KQ K Q2
GQ ( s ) = = + , (15.107)
ǻ q1,2 (s) 1 + sTQ s T Q2

y U (s) K U + K U2 .
GU ( s ) = =
ǻ uq1 (s) 1 + sT U s T U2

e( s ) s (1 + s T D1) (1 + s T D 3) .
GD ( s ) = = K DR (15.108)
d ( s) 1 + s T UW (1 + s T D 2 ) (1 + s T D 4 )
Eine Realisierung der Ausgangsgrößenweiterleitung für die Regelungen basiert
auf der Beeinflussung des Wirleistungsflusses durch den Imaginärteil Seriespan-
nung und der Beeinflussung des Blindleistungsflusses durch den Realteil der Se-
riespannung. Als dritter Freiheitsgrad steht die Regelung des Shuntstroms zur Ver-
fügung. Diese Vorgehensweise korrespondiert mit der in der Praxis eingesetzten
Regelung der d- und q-Komponente der entsprechenden Netzgrößen. Der Aus-
gangsgrößenvektor des Reglers ergibt sich dann zu:
ª Re ^ ul `soll º ª y P ( s ) + e( s ) º
& « » « »
y = « Im ^ ul `soll »= « y Q ( s ) + e( s ) »,
« » « » (15.109)
¬« iq1.soll ¼» « y U ( s ) + e( s ) »
¬ ¼
mit ul,soll = Re ^ ul `soll + j Im ^ ul `soll .
Der Wirkleistungsregler beeinflusst den Imaginärteil, der Blindleistungsregler den
Realteil der Spannung ul,soll, die nach einer Phasendrehung und Begrenzung über
F2 als Zusatzspannung ul in den Seriezweig eingeprägt wird. Aufgrund der längs-
und querregelnden Wirkung ist bei der Phasendrehung sicherzustellen, dass der
Realteil von ul in Phase mit der Spannung uql liegt. Die Begrenzung der einzuprä-
genden Seriespannung hängt von den Konverterleistungen der Umrichter im
Shunt- und Seriezweig ab. Da ul nicht in Phase zu il1 liegt, muss die im Seriezweig
abgegebene Wirkleistung über den Shuntzweig aufgenommen werden. Diese
Wirkleistung berechnet sich nach:
pl = Re ^u l
*
il2 `. (15.110)
712 15 FACTS-Elemente

Die maximal im Shuntzweig abgebbare Scheinleistung ist durch die maximale


Umrichterleistung sq,max gegeben. Daher muss bei einer Blindleistungsinjektion
über iq1 die Wirkleistungsabgabe folgender Randbedingung genügen:
pl u1 il2 cos ‘ uq1+‘ ul - ‘ il2
2 2 (15.111)
d sq,max - ( uq1 iq1 ) = pl,max .
Diese Randbedingung kann durch die Begrenzung des Betrages und der Phase von
ul erfüllt werden. Die Einhaltung dieser Randbedingung durch eine Begrenzung
des Betrages von ul schränkt sowohl die längs- als auch die querregelnde Wirkung
ein, obwohl aufgrund der maximalen Konverterleistung im Seriezweig s1,max nur
eine Scheinleistungsbegrenzung besteht. Wird obige Gleichung durch eine Pha-
senbegrenzung erfüllt, kann auch bei Erreichen der maximalen Scheinleistungsab-
gabe im Seriezweig auf jeden Fall die Ortskurve der Seriekompensation abgefah-
ren werden. Dies wäre bei einer Betragsbegrenzung nicht möglich. Unter Einbe-
zug dieser Randbedingungen ergibt sich F2 zu Gl. (15.118). Aufgrund der maxi-
malen Konverterleistung im Seriezweig müssen sowohl Betrag als auch Phase
begrenzt werden. Für die Phasenbegrenzung ergibt sich Gl. (15.119).
ª
^
« Re L B L P u l,solle
j‘ u q1
`º»
ª Re ^u l ` º « »
& & & & & « » « »
F 2 x 2 , x 2 , y = x 5 = « Im ^u l ` ^ j‘ u
» = « Im L B L P u l,solle q1 ` ». (15.112)
« » « »
«¬ iq2,soll »¼ «
«
^
Re u1 i12
*
` »
»
¬ uq1 ¼

(15.113)

Die Betragsbegrenzung kann wie folgt beschrieben werden:


­ x  sl,max
° x d
° i l2
LB ( x ) = ® . (15.114)
° sl,max j‘ x  sl,max
° e x >
¯ il 2 il2
Der Spannungsregelkreis regelt den Betrag des einzuprägenden Shuntstroms iq1.
Die Phase dieses Stromes hängt von der Phasenlage der Eingangsspannung uq1 ab,
da hier ohne Wirkenergiespeicher durch eine Phasenverschiebung von ʌ/2 eine
15.4 Modellierung für die Effektivwertsimulation 713

reine Blindleistungsabgabe gewährleistet sein muss. Die dazu erforderliche Pha-


sendrehung erfolgt über F3 mit D S/2:

& & & & & ª


Re ^L iBq q,soll `º
F 3 ( x 2 , x 4 , y ) = x6 = « » ,
«¬ Im ^L iBq q,soll `»¼
(15.115)
mit i q,soll = iq1,soll cos ‘ uq1 + Į + i q2,soll cos ‘ uq1
+ j i q1,soll sin ‘u q1 + Į + iq2,soll sin ‘ uq1 .
Die hier erforderliche Betragsbegrenzung ist durch die maximale Konverterleis-
tung im Shuntzweig sq,max bestimmt:
­ x  sq,max
° x d
° u q1
LBq ( x ) = ® (15.116)
° sq,max j ‘x  sq,max
° e x>
¯ u q1 u q1
Für die Schnittstellenvektoren zwischen den Funktionalen für die Ausgangsgrö-
ßenaufbereitung gilt bei dieser Ausführung:
& &
x3 = > @ ; x 4 = > iq2,soll @ (15.117)
Bei der Berechnung der Ausgangsgrößen ist sicherzustellen, dass zunächst beide
Shuntstrom-Vorgaben vorliegen. In diesem Fall ist nach Berechnung der Aus-
gangsgrößen des Reglerfunktionals zunächst über F2 die Sollwertvorgabe iq,2,soll zu
berechnen. Erst dann ist eine richtige Berechnung der gesamten Shuntstrom-
Vorgabe über F3 gewährleistet. Wie bereits beim Shunt- und Serieelement be-
schrieben, ist die gesamte Modellierung des Umrichterteils für den hier betrachte-
ten Zeitbereich auf ein Verzögerungsglied erster Ordnung reduziert worden. Für
die Modellierung dieser Komponente wird auf die bereits angebenden Gleichun-
gen verwiesen.

15.4.4 Modellsynthese
Dem im folgenden beschriebenen Verfahren zur Synthese der FACTS-Element-
Modelle mit den Netzgleichungen liegt das in Abschn. 14.2.2 angegebene Prinzip
der „Netzberechnung mit Spannungseinkopplung“ zugrunde. Für eine über die
hier speziell auf die Anwendung mit FACTS-Elementen konzentrierte hinausge-
hende Beschreibung sei auf Abschn. 14.2.2 verwiesen.
Das dynamische Verhalten des betrachteten Zeitbereichs wird kraftwerksseitig
vorrangig durch die Rotordynamik der installierten Generatoren und deren Rege-
lungseinrichtungen bestimmt. Da die Selbst- und Gegeninduktivitäten des Rotor-
und Statorsystems von der Rotorstellung abhängig und damit zeitvariant sind, er-
folgt eine Berechnung der dynamischen Ausgleichsvorgänge in einem transfor-
714 15 FACTS-Elemente

mierten Bezugssystem. Die dazu beispielsweise eingesetzte Parktransformation


ermöglicht eine Beschreibung der Rotordifferentialgleichungen als lineares Diffe-
rentialgleichungssystem mit konstanten Koeffizienten. Dabei werden die Real-
und Imaginärteile der dreiphasigen Statorgrößen in Abhängigkeit von der Rotor-
stellung auf ein orthogonales Rotorbezugssystem (dq-System) transformiert. Die
Eingangsgrößen des resultierenden Differentialgleichungssystems sind die Aus-
gangsgrößen der Regelkreise des Generator-Turbinensatzes und der Komponen-
tenmodelle sowie die Statorströme. Als Ausgangsgröße folgt für jede Achse des
Rotorbezugssystems eine zeitvariante Spannung, aus der durch Anwendung der
inversen Parktransformation und der algebraischen Statorspannungsgleichungen
die Generatorklemmenspannungen im Netzbezugssystem zu berechnen sind (für
näheres s. Abschn. 10.1).
Aufgrund der algebraischen Formulierung der Statorgleichungen im Kurz- und
Mittelzeitbereich muss das Netz, über das die Rückkopplung der Statorspannun-
gen auf die Statorströme erfolgt, ebenfalls über algebraische Gleichungen be-
schrieben werden. Dazu werden die algebraischen Netzgleichungen so umgestellt,
dass die ersten Komponenten des Knotenstromvektors die komplexen Stator-
ströme iG des Netzbezugssystems enthalten (s. dazu auch Abschn. 10.3). Die wei-
teren Komponenten dieses Vektors repräsentieren die Nettoknotenströme an den
Lastknoten iL. In dieser Anordnung wird die Knotenadmittanzmatrix in vier Un-
termatrizen zerlegt:
& &
ª i G º ª Y GG Y GL º ª u G º & &
« & »=« » « & » = i =Y u . (15.118)
«¬ i L »¼ «¬ Y LG Y LL »¼ «¬ u L »¼
Knotenlasten werden über Lastadmittanzen in der Knotenadmittanzmatrix berück-
sichtigt, weil dadurch eine exaktere Modellierung als bei konstanten Knotenlasten
oder Lasten linearer Spannungsabhängigkeit erreicht wird. Der Lastadmittanzvek-
tor yL findet ausschließlich in der Teilmatrix YLL Berücksichtigung:
& & ª iG º
» .
L
Y LL := Y LL + diag ( y L ) => i = « (15.119)
¬ 0 ¼
Der Knotenstromvektor wird identisch Null und damit eine analytische Lösung
der Netzgleichungen ermöglicht. Während der dynamischen Simulation muss kei-
ne iterative Netzberechnung durchgeführt werden. Um diesen Vorteil auch bei
einem Systemmodell mit FACTS-Elementen ausnutzen zu können, erfolgt hier die
Modellsynthese anhand von Erweiterungen der Gl. (15.118) und (15.119).
Während kraftwerksnah eingesetzte regelbare Betriebsmittel mit Eigendyna-
mik über eine Einkopplung an den Einspeisungspunkten in die Netzgleichungen
integriert werden können, erfordert die Berücksichtigung von nicht kraftwerksnah
angeordneten Betriebsmitteln eine Erweiterung der Netzgleichungen mit den von
regelbaren Betriebsmitteln eingeprägten komplexen Shuntströmen und Seriespan-
nungen. Damit reduziert sich das Problem der Integration von Modellen von
Shunt- und/oder Serieelementen in die Netzgleichungen auf die Integration von
zusätzlichen Spannungs- und Stromquellen.
15.4 Modellierung für die Effektivwertsimulation 715

Eingeprägte Shuntströme (iq) beeinflussen unmittelbar die Knotenstrombilanz,


so dass Shuntstromquellen in den Netzgleichungen durch Addition berücksichtigt
werden können. Da die Anzahl zusätzlicher Knotenströme nicht der Anzahl der
Netzknoten entsprechen muss, erfordert die Berücksichtigung in den Netzglei-
chungen eine Koppelmatrix KQ. Die Anzahl der von Null verschiedenen Elemente
dieser Matrix entspricht der Anzahl der Shuntstromquellen. Der Betrag eines je-
den Elementes ist eins. Für die um zusätzliche Knotenströme erweiterten Netz-
gleichungen gilt:
(15.120)
Eingeprägte Seriespannungen ul sind ohne Transformation auf elektrische Äquiva-
lente in den knotenorientierten Netzgleichungen nicht zu berücksichtigen. Daher
wird die Wirkung der Spannungsquellen auf in Serie geschaltete Impedanzen be-
trachtet.

a) i12 xB xL i21
' iq
u1 ' ul u2

b) i12 xB xL i21
'iq
u1 'u l u2
'il
j ( xB  x L )

c) i12 xB xL i21
' i q + 'i l 'il
u1 u2

Abb. 15.58: Schritte zur Umwandlung einer Seriespannungsquelle in zwei Shuntstrom-


quellen, Ausgangssituation (a), Umformung mit Stromquelle (b) und resultierendes Modell
(c)

Da die Serieschaltung aus idealer Spannungsquelle und Impedanz auf das Netz
wie die Einprägung von Knotenströmen am Anfang und Ende dieser Serieschal-
tung wirkt, können eingeprägte Seriespannungen in der Knotenstrombilanz be-
rücksichtigt werden (vgl. Abb. 15.58). Dazu ist eine Koppelmatrix KL erforderlich,
die die reziproken Impedanzen der Serieschaltung enthält. Aufgrund der Einkopp-
lung von Seriespannungen über die Knotenstrombilanzen an den Anschlusspunk-
ten des Betriebsmittels ist die Anzahl der von Null verschiedenen Elemente dieser
716 15 FACTS-Elemente

Koppelmatrix doppelt so groß wie die Anzahl der Seriespannungsquellen. Für die
um zusätzliche Seriespannungen erweiterten Netzgleichungen folgt:
& & &
i = Y L u + K L ul . (15.121)
Die Zusammenfassung der Gleichungen ergibt die um zusätzliche Shuntströme
und Seriespannungen erweiterte Netzgleichungen nach:
ª iG º ª Y GG Y GL º ª uG º ª K GQ º & ª K GL º &
« » =« »« »+« » iq + « » ul
¬ 0 ¼ « Y LG Y LLL » ¬« u L ¼» «¬ K LQ »¼ «¬ K LL ¼» (15.122)
¬ ¼
& & &
= Y Lu + K Q i q + K L u l .
In dieser Darstellung sind die Knotenlasten als Lastadmittanzen berücksichtigt.
Der Stromvektor der linken Seite von Gl. (15.122) enthält ausschließlich die Ge-
neratorströme. Durch Aufspaltung der Knotenadmittanzmatrix und der Koppel-
matrizen in Teilmatrizen folgt eine analytische Beschreibung der Generatorströme
und Knotenspannungen als Funktion der Generatorspannungen und der durch die
regelbaren Betriebsmittel eingeprägten zusätzlichen Knotenströme und Seriespan-
nungen:
& & &

u L = - Y LLL
-1

Y LG u G + K LQ i q + K LL u l ,
& & & & & (15.123)
i G = Y GG u G + Y GL u L + K GQ i q + K GL u l .
Insgesamt ergibt sich mit dieser Beschreibung der Netzgleichungen und den linea-
ren sowie nichtlinearen Differentialgleichungen der Generatoren, der regelbaren
Betriebsmittel und aller Regelungseinrichtungen ein nichtlineares Differential-
gleichungssystem.

15.5 Einsatzortbestimmung

Die Baugröße eines Netzreglers hängt nicht allein von der zu erzielenden Wirkung
im Netz, sondern insbesondere auch vom Einsatzort ab. Für einen wirtschaftlichen
Einsatz von Netzreglern ist daher ein solcher Einsatzort zu bestimmen, an dem die
Wirkung von Regelungseingriffen besonders effektiv ist. Zur Bestimmung der
Einsatzorte von im Netz regelnder Betriebsmittel existieren viele verschiedene
Verfahren. Eine einfache Möglichkeit besteht in der Analyse der Sensitivität einer
zu regelnden Netzgröße gegenüber einem Betriebsmitteleingriff an einem be-
stimmten Einsatzort. Der Einsatzort mit der höchsten Sensitivität ist dann nach
diesem Kriterium optimal. Beispielhaft für alle Netzregler werden hier die folgen-
den Fälle „Shuntelemente am Beispiel der Spannungsregelung und -stabilität“
sowie „Serieelemente am Beispiel der Lastflussregelung und Verlustreduktion“
betrachtet.
15.5 Einsatzortbestimmung 717

Die Vorgehensweise stützt sich auf linerarisierte Leistungsflussgleichungen. Bei


Netzreglern, die sowohl Shunt- als auch Serieelement-Charakter aufweisen (wie
z.B. der UPFC) ist eine Kombination der hier vorgestellten Verfahren möglich.
Alle vorgestellten Methoden beruhen auf einer Knoten-Zweig-Darstellung des
Netzes. Die Verfahren liefern je einen Vektor, der – je nach Shunt- oder Seriean-
wendung – ein alle Knoten- bzw. Zweigelemente klassifizierendes Gütemaß ent-
hält, so dass der im Sinne des angewandten Kriteriums optimale Einsatzort direkt
entnehmbar ist. Da wirtschaftliche Kriterien, wie Expansionskosten von Unter-
stationen, nur schwer in die mathematische Analyse integrierbar sind, stellt das
Ergebnis der Sensitivitätsanalyse die rein systemtechnische Dimension der Einsat-
zortbestimmung dar. In der praktischen Anwendung sind eben diese Faktoren wei-
tergehend zu betrachten.

15.5.1 Shuntelemente
Aufgrund der üblicherweise schwachen Kopplung zwischen Blindleistungs-
injektion und Wirkleistungsfluss bzw. starken Kopplung zwischen Nettoknoten-
blindleistung und Knotenspannung, ist ein Anwendungsgebiet von Shuntelemen-
ten die Spannungsstützung. Als mathematische Grundlage für die Sensitivitäts-
analyse von Knotenspannungen bezüglich Blindleistungsinjektionen von Shunt-
elementen dienen die Gleichungen zur Bestimmung der Nettoknotenwirk- und -
blindleistung. Alle Variablen gehen normiert in das Gleichungssystem ein. Die
Sensitivitätsanalyse erfolgt anhand einer linearisierten Betrachtung durch partielle
Differentiation nach Winkel und Spannung.
nk
pi = ¦ ui u j yij sin -i - - j - Dij ,
k=1

nk
(15.124)
qi = ¦ ui u j yij cos -i - - j - Dij ,
k=1

mit y ij = yij e j S / 2 - Dij .

Die die Ableitungen enthaltende Jacobi-Matrix J kann überdies als Matrix, beste-
hend aus den vier Untermatrizen JP- JPu, JP- und JQu dargestellt werden:
ª wp wp º
& « & & &
ǻp
ª º « w- w u » ªǻ - º ª J P- J Pu º ªǻ - º ªǻ - º
»
« &»=« » « &»
= « » « & » = J « & ». (15.125)
¬« ǻq ¼» « w q w q » ¬ǻ u ¼ «¬ J Q- J Qu »¼ ¬ ǻ u ¼ ¬ǻ u ¼
¬« w - w u ¼»
Die für die Einsatzortbestimmung erforderliche Beschreibung der Spannungs-
änderungen 'u und Winkeländerungen '- in Abhängigkeit von den Blind-
leistungsänderungen 'q und Wirkleistungsänderungen 'p ist aus der Zerlegung
der inversen Jacobi-Matrix bestimmbar. Hinsichtlich der Sensitivitätsanalyse wer-
den im weiteren nur die Nettoknotenblindleistung betrachtet. Für die Knoten-
spannungsänderungen folgt dann:
718 15 FACTS-Elemente

-1
ª H P - H Q- º ª J P- J Pu º
« » := « »
«¬ H Pu H Qu »¼ «¬ J Q- J Qu »¼ (15.126)
& & & &
Ÿ 'u = H Pu ' p + H Qu ' q | H Qu ' q .
Ein Matrixelement aus Zeile i und Spalte j der durch die Inversion und Zerlegung
bestimmten Matrix HQu repräsentiert in dem betrachteten Arbeitspunkt die Beein-
flussung der Knotenspannung ui durch kompensatorische Maßnahmen in Knoten j.
Die quadratische Norm einer Spalte von HQu liefert ein Maß für den Einfluss einer
Knotenblindleistungsänderung auf die Knotenspannungen. Verringert um die
Standardabweichung dieser Spalte folgt ein Gütevektor xu, dessen Komponenten
qualitativ einen der nk Netzknoten als Einsatzort eines querkompensierenden Be-
triebsmittels bewertet:
nk

x u( i ) = ¦ H Qu ( j, i )

2
-
j=1

(15.127)
2
nk §§ 1 nk ·
·
- 1
nk ¦ ¨ ¨¨ n k
¨ ¦H Qu ( k, i ) ¸¸  H Qu ( j , i ) ¸¸ ; i = 1  nk .
j = 1 ©© k = 1 ¹ ¹
Zusätzlich zu dieser Bewertung ermöglicht diese Darstellung eine sehr einfache
Bewertung des Einflusses eines Shuntelementes auf die Spannungsstabilität. Ein
Kriterium für den Übergang von einem spannungsstabilen auf einen spannungs-
instabilen Arbeitspunkt ist ein Vorzeichenwechsel in der Determinante der Jacobi-
Matrix [15.22]. Im Übergang auf einen spannungsinstabilen Zustand weist die
Determinante der Jacobi-Matrix einen Vorzeichenwechsel auf, da Hauptdiagonal-
elemente der Untermatrix JQu zu Null werden. In einem ersten Schritt wird die
Systemdynamik vernachlässigt. Dann repräsentieren betragsmäßig große Werte
Knoten mit hoher Spannungsstabilität. Zur Beurteilung aller Netzknoten werden
die Hauptdiagonalelemente der Untermatrix JQu auf einen Vektor xs abgebildet.
Dessen Komponenten können Werte aus dem Intervall [0..1] annehmen:
& 1 1 1 T 1
xs ª J Qu(1) , J Qu( 2 ) , ... , J Qu( n ) º min §¨ J Qu( k ) ·¸ . (15.128)
«¬ k »¼  k 1...nk © ¹
Werte von Knoten, an denen diese Werte nahe eins liegen sind damit weniger ge-
fährdet also solche, deren Bewertung nahe null ausfällt. An diesen Knoten wäre
eine Spannungsstützung durch Blindleistungsinjektion stabilitätsfördernd. Allge-
mein reichen die dafür einsetzbaren Technologien von geschalteten Shuntkom-
pensatoren über thyristorgeregelte statische Shuntkompensatoren (SVC) bis hin zu
Shuntkompensatoren auf Basis selbstgeführter Umrichter (STATCOM).

15.5.2 Serieelemente
Der Einsatz von Serieelementen zielt vornehmlich auf die Regelung der Leis-
tungsflüsse über einen Übertragungspfad. Dabei ist vornehmlich eine Beeinflus-
sung der Wirkleistung von Interesse, während die übertragene Blindleistung nach
Möglichkeit nur wenig beeinflusst werden soll. In Übertragungspfaden mit klei-
15.5 Einsatzortbestimmung 719

nem R/X-Verhältnis kann diese Entkopplung durch Seriekompensation nahezu


vollständig erreicht werden. Solche physikalischen Verhältnisse liegen i.d.R. bei
Freileitungen im 50-Hz- oder 60-Hz-Netz vor. Bei kleinen R/X-Verhältnissen ist
die übertragene Wirkleistung neben den physikalischen Parametern der Leitung
maßgeblich durch die Winkeldifferenz zwischen Anfang und Ende der Übertra-
gungsstrecke bestimmt. Leistungsflussregelung wird hier also durch eine mittelba-
re oder unmittelbare Regelung des Übertragungswinkels realisiert.
Während die mittelbare Winkelregelung über Betriebsmittel mit Seriespan-
nungseinkopplung erfolgt, wirken Seriekompensatoren mit „Reaktanzkompensati-
on“ nur mittelbar auf den Übertragungswinkel. Der Übertragungswinkel ist in
beiden Fällen Ausgangspunkt für eine Sensitivitätsanalyse zur Bestimmung der
optimalen Einsatzorte hinsichtlich Verlustreduktion und Leistungsflussregelung.
Ausgehend vom DC-Leistungsfluss (vgl. Abschn. 14.2.1 und 14.2.2) in p.u. und
für u = 1 gilt:
nk
Knotenleistung pi ¦b
k 1
ik -ik , -ik -i  -k

Zweigleistung pik bik(b ) -ik


(15.129)
Zweigverluste pvik g ik(b ) -ik2

mit bik = Im {} der Knotenadmittanz

g ik(b )  jbik(b ) = Zweigadmittanz


Wie in Abschn. 14.2.1 beschrieben, gilt folgende Beziehung zwischen Zweigleist-
ung und Knotenleistung bei Berücksichtigung der Leistungsbilanz:
n
pik = b(b) -1
-1

ik ¦ ( b )ij - ( b )kj p j , ik = 1 .. n .
j=2

mit (b-1)1j = (b-1)j1 = (b-1)11 = 0 (15.130)


b = (n-1)x(n-1)-Matrix der Knotenadmittanzen
1 = Bezugsknoten
pj = frei festlegbare Leistungen
Davon ausgehend lässt sich leicht die Abhängigkeit der Leistung im Zweig pq von
der Einführung eines Zusatzwinkels im Zweig jk ableiten:
n n nz

¦ >(b ) - (b-1) qj @
(b) -1
p pq = b pq pj ¦ b jk - jk = ¦Q pqjk - jk ,
j= 2 k=1 jk=1
(15.131)
wp pq
Q pqjk
w- jk
(b)
bpq >
b 1 pj  b1 qj  b1 pk  b1 qk b jk . @
720 15 FACTS-Elemente

Dabei ist nz = Anzahl Zweige, womit auch der Verteilungsfaktor berechnet ist.
Was die Verluste betrifft, folgt
(b)
nk
(b)
nz g pq 2
nz
pv = ¦g - pq
2
pq =¦ (b)2
p pq = ¦r pq p2pq (15.132)
pq=1 pq=1 b pq pq=1

und für kleine Änderungen durch Linearisierung


nz
' pv = ¦ 2r pq p pq 0 ' p pq , (15.133)
pq=1

und schließlich durch Berücksichtigung der obigen Gl., ebenfalls für Änderungen
geschrieben:
nz nz nz
'pv = ¦ 2rpq p pq0 ¦ Q pqjk '- jk ¦D jk '- jk
,
pq=1 jk=1 jk=1
nz
(15.134)
wpv
mit D jk
w- jk ¦r
pq 1
pq 2 p pq 0 Q pqjk . .

In einem Gütevektor zusammengefasst repräsentieren diese Sensitivitäten eine ge-


schlossene Zweigbewertung bezüglich der Effektivität eines Serieelementes in
einem Zweig hinsichtlich der Reduktion von Netzverlusten. Bei Einsatzorten ho-
her Eignung liegt der Betrag der Vektorkomponente nahe eins. Weniger geeignete
Einsatzorte sind durch kleine Beträge gekennzeichnet.
& 1
xX >D 1, D2, ... , Dnz @
T

max D jk (15.135)
 jk 1... n z

Die Verteilungsfaktoren lassen nicht nur eine Bewertung des Einflusses von Se-
rieelementen auf die Netzverluste zu, sondern ermöglichen auch eine Bewertung
der Effektivität dieser Elemente zur Leistungsflussregelung. Da das Maß für die
Beeinflussungsmöglichkeit eines Leistungsflusses in Zweig pq durch einen Rege-
lungseingriff in Zweig ij über einen Verteilungsfaktor Qpqij beschrieben wird, be-
steht die Möglichkeit, die Sensitivität bzgl. der Umlastung unmittelbar aus diesem
Faktor anzugeben.
nz
x pq = ¦g ij Eij Q pqjk (15.136)
ij = 1

Bei dieser Darstellung handelt es sich um eine inkrementelle Betrachtungsweise.


Zur Berücksichtigung typischer Vorbelastungen einer Leitung muss zur Bestim-
mung der Sensitivität xpq jeder betrachtete Verteilungsfaktor entsprechend typi-
scher Belastungsgrade Eij und Signifikanz dieser Belastungsgrade gij gewichtet
werden. Der Betrag dieser Faktoren ist von der Struktur des betrachteten Systems
abhängig und kann nicht allgemein angegeben werden.
15.5 Einsatzortbestimmung 721

15.5.3 Dynamische Betrachtung


Ausgehend von der linearisierten Darstellung des dynamischen Systemmodells ist
die Analyse des Einflusses von FACTS-Elementen, auf die mit den Leistungspen-
delungen korrelierten kritischen Eigenwerte. Kritischen Eigenwerte sind Eigen-
werte, die bei einer impulsförmigen Anregung den größten Beitrag zu einem quad-
ratischen Gütemaß nach Gl. 15.137 liefern.
ng f

> @ >
T
J = ¦ J k = ¦ ³ y i (t ) Q i
@
y (t ) dt . (15.137)
 k i=1 0

Dabei ist yi(t) die Impulsantwort des Systems, wenn an der i-ten Maschine eine
Impulsfunktion als Eingangsgröße aufgeschaltet wird und alle anderen Eingangs-
größen zu Null gewählt werden. Dieses Verfahren ist als Ergänzung zu der heute
weit verbreiteten Modalanalyse zu sehen. Bei dieser wird der Ausgangsgrößen-
verlauf nach einer sprungförmigen Anregung betrachtet.
Grundlage des hier angegebenen Verfahrens ist die Aufschaltung einer Impuls-
funktion als Eingangsgröße. Theoretisch spiegelt diese das gesamte Frequenz-
spektrum wider. Daher kann der Einfluss eines Eigenwertes Oi auf das Gütemaß J
unabhängig von der Art der Systemanregung bestimmt werden. Zur Identifikation
kritischer Eigenwerte in bezug auf Leistungspendelungen eigenen sich besonders
impulsförmige Wirkleistungsänderungen an den Generatoren.
Alle Anteile Jk der Eigenbewegung an J können bei einer impulsförmigen Ein-
gangsanregung einzeln bewertet werden. Dies wird hier im Rahmen der Einsatz-
ortbewertung neben der Bestimmung der kritischen Eigenwerte hauptsächlich zur
Bewertung von Regelungseingriffen in bezug auf die Dämpfung von Leistungs-
pendelungen ausgenutzt. Daraus ergeben sich, in Ergänzung zu der bei der Ein-
satzortbestimmung eingesetzten modalen Zustandsdekomposition, die genannten
Informationen.
Nachdem die kritischen Eigenwerte Oi bestimmt sind, liegen die entsprechen-
den Komponenten des Gütemaßes J vor. Wird in eine Leitung des Netzes eine
Seriespannung oder ein Shuntstrom impulsförmig eingeprägt, entsprechen die
korrelierten Komponenten des Gütemaßes dem Dämpfungseinfluss auf die kriti-
schen Eigenwerte.
In bezug auf die in Abschn. 15.4 entwickelten Betriebsmittelmodelle prägen
FACTS-Elemente Shuntströme und Seriespannungen nach Betrag und Phase ein,
wodurch das Gesamtsystem als nichtlineares Differentialgleichungssystem vor-
liegt. In der linearisierten Darstellung muss daher eine betragsmäßige Einkopp-
lung von Zusatzspannungen und -strömen erfolgen. Während bei Shunt- und Se-
rieelementen ein Übergang auf betragsmäßige Ausgangsgrößen keine Einschrän-
kung der Funktionalität bedeutet, muss die Wirkung von Shunt- und Serieelemen-
ten in reine Längs- und Querregelung aufgespalten werden.
Aus der Linearisierung des nichtlinearen Differentialgleichungssystems folgt
das der Einsatzortbestimmung zugrunde liegende Systemmodell. Damit wird der
Einfluss von Regelungsmaßnahmen am Einbauort auf Leistungspendelungen be-
wertet, die bei entsprechender Wahl von Q durch den Verlauf der Rotorbewegun-
gen Zi und die von den Generatoren abgegebenen elektrischen Leistungen pGi be-
schrieben werden. Die Matrix Q ist eine reine Diagonalmatrix:
722 15 FACTS-Elemente

Q = diag ( [ qi,i ]T ) ; qi,i = 1 › 0 . (15.138)


Anhand der Ausgangsgrößenanordnung im Ausgangsvektor werden die Elemente
der Matrix Q so gewählt, dass sich folgende Gütemaße für die Rotorfrequenzen
und elektrischen Leistungen ergeben:
ng f

¦ ³ >Z @ dt - ¦
m 2
J Z pq = i (t ) J Zk ,
i=1 0  k z pq
(15.139)
ng f

¦³>p @ dt - ¦
m 2
J PG pq = Gi (t ) J PGk .
i=1 0  k z pq

Dabei geben JZpq und JPGpq den Anteil an der Dämpfung eines kritischen Eigen-
wertes k an, den ein am Einsatzort pq installiertes FACTS-Element erzielen kann.
Die Darstellung über zwei Güteindizes bietet den Vorteil einer differenzierten
Beurteilung der Dämpfungsregelung hinsichtlich der mechanischen und elektri-
schen Beanspruchung des Generator-Turbosatzes. In Bezug auf die Einsatzortbe-
wertung unter Berücksichtigung mehrerer Systemzustände muss aus diesen Güte-
maßen der die Dämpfung charakterisierende Gütevektor komponentenweise be-
stimmt werden:
J Zi + J PGi
x Di =
¦ J Z pq + J PG pq . (15.140)
 pq

15.6 Verbesserung der transienten Stabilität

Nach Vorstellung der allgemeinen Struktur von FACTS-Elementen und Gütekri-


terien zur Einsatzortplanung liegt der Schwerpunkt dieses Unterkapitels in der
Beschreibung möglicher Ansätze zur Verbesserung der transienten Stabilität (sie-
he auch Abschn. 12.3). Die Dämpfungsregelung, wie in Abschn. 15.4 erwähnt, ist
dabei nur ein Aspekt in diesem Zusammenhang. Da hierfür die verschiedensten
Ansätze existieren wird an dieser Stelle darauf nicht näher eingegangen.
Der Schwerpunkt orientiert sich voranging auf bereits an vielen Stellen be-
schriebenen Strategien zur Stabilitätsverbesserung (siehe auch Abschn. 12.3.2).
Die im folgenden skizzierten Mechanismen sollen in erster Linie das Verständnis
für den eigentlichen Regelungsvorgang vergrößern. Sie geben Auskunft darüber,
wie durch zusätzliche Eingriffe die transiente Stabilität verbessert werden kann.
15.6 Verbesserung der transienten Stabilität 723

15.6.1 Allgemeine Betrachtung


Ein Ansatz zur transienten Stabilitätsuntersuchung geht von der Energieerhaltung
aus. Tritt im Übertragungsnetz ein Fehler auf und verringert sich als Folge für die
Dauer des Fehlers die Last an einem Generator, wird die nicht an das Netz abgeb-
bare elektrischer Energie in Rotationsenergie gespeichert. Als Folge vergrößert
sich die Drehzahl des Rotors und damit ebenso der Polradwinkel. Nach Fehlerklä-
rung muss die so gespeicherte Energie wieder an das Netz abgegeben werden, um
den Rotor auf die Nenndrehzahl abzubremsen. Die von der Leistungs-Winkel-
Trajektorie im P---Diagramm umschlossenen Flächen können als Maß für die
Stabilität herangezogen werden (Abb. 15.59). Das Stabilitätskriterium nach dem
sogenannten Flächensatz (siehe auch Abschn. 12.3 sowie [15.15]) besagt, dass die
Stabilität bei dieser Störung gewahrt bleibt, wenn die Fläche A1 kleiner als die
Fläche A2 ist. Die Fläche A1 wird als Beschleunigungsfläche, die Fläche A2 als
Bremsfläche bezeichnet. Anschaulich repräsentiert A1 die während der Beschleu-
nigungsphase eingespeicherte Energie während A2 die Energiemenge repräsen-
tiert, die in das Netz wieder eingespeist wird, ohne das der Synchronismus verlo-
ren geht. Für die weitere Betrachtung sei dieser Flächensatz zu Grunde gelegt. Die
Regelungsstrategie von FACTS-Elementen für die Verbesserung der transienten
Stabilität baut also auf diesem Zusammenhang auf. Neben diesem Stabilitätskrite-
rium soll an erster Stelle gezeigt werden, dass die transienten Vorgänge in ver-
schiedene Phasen unterteilt werden können. Als Basis für die folgenden Betrach-
tungen wird ein einfaches Übertragungssystem mit einem über eine Leitung in ein
starres Netz einspeisenden Synchrongenerator betrachtet. In der Mitte der Leitung
sei ein FACTS-Element eingebaut (Abb. 15.60).

p
pmax
1
Nach dem Fehler

A2
Vor dem Fehler
p0
Während
A1 des Fehlers

0 G [ q]
G Gk 90 180

Abb. 15.59: P---Diagramm eines Synchrongenerators am starren Netz mit Beschleuni-


gungsfläche und Bremsfläche zur Verdeutlichung des Flächensatzes
724 15 FACTS-Elemente

Abb. 15.60: Einphasiges Ersatzschaltbild des Modellsystems zur Untersuchung der Rege-
lungsstrategien
Zunächst erfolgt eine allgemeine Betrachtung des Systemverhaltens ohne FACTS-
Elemente. Als Störung sei ein dreiphasiger Kurzschluss an den Generatorklemmen
angenommen. Die Kurzschlussklärung erfolgt mittels Kurzunterbrechung. Zur
Diskussion des Systemverhaltens werden die Wirkleistungsabweichung bzw. die
Änderung des Drehmomentes an der Generatorwelle, die Winkel- und Drehzahl-
abweichung betrachtet. Die zeitlichen Verläufe dieser Größen sind in Abb. 15.61
dargestellt (vgl. auch Abb. 15.62).

1 2 3 4 5
'p

'G
Gmax-G0
Gk-G0

'Z

Phase 1 Phase 2 Phase 3

Abb. 15.61: Zeitliche Verläufe der Wirkleistungs-, Winkel- und Drehzahlabweichung bei
dreiphasigem Fehler mit anschließender Kurzunterbrechung im hier betrachteten Modellsys-
tem
15.6 Verbesserung der transienten Stabilität 725

p
p max
1

3
5

A2
p0

4
A1
2

G [ q]
0 90 180

1 G Gk Gmax

Abb. 15.62: P---Diagramm des betrachteten Modellsystems Trajektorie während der be-
trachteten Störung
Nach Fehlereintritt (1) steigt die Wirkleistungsabweichung im idealisierten Fall
sprungartig an. Da die korrespondierende Energie nicht eingespeist werden kann
ist eine Rotorbeschleunigung die Folge. Gleichzeitig vergrößert sich der Polrad-
winkel. Nach Wiederzuschaltung der Last, also nach Fehlerklärung (2), gibt der
Generator die überschüssige Energie wieder an das Netz ab. Da die Rotordrehzahl
zwar abnimmt, aber immer noch zu groß ist, steigt der Polradwinkel weiter, bis die
Drehzahl wieder den Nennwert erreicht hat (3). Nun verursacht der noch zu große
Polradwinkel eine weitere Energieabgabe des Generators, der weiter gebremst
wird. Die Drehzahlabweichung wird negativ, der Polradwinkel verringert sich und
die eingespeicherte Energie wird vollständig abgegeben (4). Aufgrund der noch
vorherrschender Inkonsistenz zwischen Drehzahl, Polradwinkel und Leistung,
schwingt das System um den Arbeitspunkt vor dem Fehler.
Durch die in diesem Beispiel angenommene natürliche Dämpfung klingt die
Schwingung nach einigen Perioden ab. Zur Veranschaulichung ist die Trajektorie
im P---Diagramm in Abb. 15.62 dargestellt. Hier ist ebenfalls deutlich der erste
Unterschwinger der Wirkleistungsabgabe bis Punkt (3) zu erkennen. Ausserdem
wird deutlich, dass nach Passieren von Punkt (3) eine gedämpfte Schwingung um
den Arbeitspunkt vor der Störung einsetzt. Aus der Betrachtung des zeitlichen
Verlaufes der Zustandsgrößen sowie der Trajektorie im P---Diagramm folgt eine
Unterteilung der dynamischen Vorgänge in drei im folgenden skizzierten signifi-
kante Phasen.
726 15 FACTS-Elemente

x Phase 1: Beschleunigungsphase, beginnt mit Fehlereintritt und endet mit


dem ersten Nulldurchgang der Drehzahlabweichung nach Feh-
lereintritt
x Phase 2: Bremsphase, beginnt beim ersten Erreichen des maximalen Pol-
radwinkels und endet mit dem ersten Erreichen der vor dem
Fehler eingespeisten Wirkleistung nach Fehlereintritt.
x Phase 3: Beginnt nach dem ersten Erreichen der vor dem Fehler einge-
speisten Wirkleistung und dauert bis zum vollständigen Abklin-
gen der Schwingung um den Arbeitspunkt vor Eintritt des Feh-
lers.

Kann die überschüssige Energie im Rotor während Phase 1 nicht abgegeben wer-
den, wird das System instabil, da in diesem Fall der Polradwinkel weiter steigt.
Daher ist diese Phase für den Erhalt der transienten Stabilität besonders wichtig.
Für den Fall der Wahrung der transienten Stabilität gibt die englischsprachige Li-
teratur auch den Begriff der „1st Swing Stability” an. Die „1st Swing Stability“ ist
gegeben, wenn Phase 1 verlassen wird. Maßgeblich für das Verlassen von Phase 1
ist die Bremsfläche A2. Maßnahmen zur Verbesserung der transienten Stabilität
setzen daher an der Vergrößerung der Bremsfläche A2 an.

15.6.2 Allgemeiner Ansatz


Eine Verbesserung der Stabilität setzt bei Veränderung der Übertragungscharak-
teristik zwecks Vergrößerung der Bremsfläche (A2) für die Generatoren an. Je
nach Eingriffsmöglichkeiten der verschiedenen FACTS-Elemente sollte das über-
geordnete Ziel der Dämpfungsregelung die Maximierung dieser Bremsfläche sein.
Die Größe der Beeinflussung der Übertragungscharakteristik ist durch die Bemes-
sungsgrößen der FACTS-Elemente begrenzt. Dies ist bei der Auslegung der Gerä-
te zu berücksichtigen, um eine Verbesserung der transienten Stabilität zu erzielen.
Obwohl die in den vorangestellten Abschnitten beschriebenen FACTS-Elemente
sich mitunter grundsätzlich in Aufbau und Funktionsweise unterscheiden, gibt es
Gemeinsamkeiten im Betrieb, da die gleichen Zustandsgrößen im Netz beeinflusst
werden (siehe auch Modellansatz in Abschn. 15.4). Die übergeordneten Ziele der
Dämpfungsregelung sind gleich. Hauptziel ist die Wahrung der transienten Stabili-
tät. Weiterhin soll der erste Überschwinger (Phase 1) des Rotors sowie die
Schwingung zurück zum Arbeitspunkt (Phase 2) minimiert werden. Die dann auf-
tretenden Schwingungen (Phase 3) sind möglichst effektiv zu dämpfen.
Zunächst unabhängig von den FACTS-Element-Ausführungen folgt daraus ei-
ne allgemeine Regelungsstrategie; hier diskutiert anhand des Übertragungsmodells
aus Abschn. 15.6.1. Dazu sei zunächst ein FACTS-Element angenommen, dass
die Übertragungscharakteristik beeinflussen kann und die drei in Abb. 15.63 skiz-
zierten Betriebsmodi aufweist, d.h. drei P---Kurven einstellen kann. Modus 2
entspricht dem System ohne Regelung. Ausgehend vom stationären Arbeitspunkt
(1) läuft der Arbeitspunkt während des Fehlers über (2) zu (3). Die Regelung des
FACTS-Elementes ist hier in Modus 2. Nach Wiederzuschaltung der Leitung ist
eine möglichst große Bremsfläche zu erzielen. Daher erfolgt eine Umschaltung
15.6 Verbesserung der transienten Stabilität 727

auf die Übertragungscharakteristik nach Modus 1. Die Beschleunigungsfläche A2


wird dann maximal, wenn die während der Phase 1 abgegebene Wirkleistung e-
benfalls maximal wird. Mit weiter steigendem Polradwinkel schaltet der Be-
triebsmittelregler bei Erreichen von (5) auf Modus 2 und in (6) auf Modus 3 um.
Mit Erreichen von (7) endet Phase 1. Punkt (7) repräsentiert den ersten Nulldurch-
gang der Drehzahlabweichung bzw. den maximalen Polradwinkel während dieses
dynamischen Vorgangs.
In Phase 2 schwingt der Rotor in die entgegengesetzte Richtung (negative
Drehzahlabweichung). Einerseits ist durch die Regelung weiterhin der Energie-
überschuss abzubauen. Dies spricht für einen Weiterbetrieb in Modus 3, da hier
die größte Leistungsabgabe vorliegt. Andererseits führt eine zu starke Bremsung
des Rotors zu einer größeren Schwingungsamplitude bei der Schwingung um den
Arbeitspunkt vor Fehlereintritt.
Das Ziel der Regelung in Phase 2 ist daher, die noch existierende Drehzahlab-
weichung auszuregeln und die Schwingungsamplitude für Phase 3 möglichst klein
zu halten. Der Arbeitspunkt wandert dann zunächst auf der P---Kurve für Modus
3 zurück (Abb. 15.64). Nahe dem Nulldurchgang der Wirkleistungsabweichung
erfolgt in (8) eine Umschaltung auf Modus 1 (Punkt (9)). Vor hier aus gilt es die
Regelung so einzustellen, dass bei Erreichen des minimalen Winkels (also des
ersten Unterschwingers der Winkelabweichung im Zeitverlauf) der Rotor nicht
unnötig gebremst oder beschleunigt wird. Daher läuft der Betriebspunkt zunächst
in den Bremsbereich hinein. Um die abgegebene Bremsenergie zu verringern,
schaltet der Regler in (10) auf Modus 3 um. Hier findet bei dem immer noch gro-

5 Phase 1
p 6
4
pmax 7
1
Modus 1

Theoretisches
A2 Stabilitätslimit
p0

Modus 3
1 Modus 2

A1

2 3

0 90 180 G [ q]

Abb. 15.63: P---Diagramm mit Trajektorie für Phase 1


728 15 FACTS-Elemente

p Phase 2
10 8
pmax 7
1
Modus 1

Theoretisches
Stabilitätslimit
p0
9
Modus 2
Modus 3
11

0 90 180 G [ q]

Abb. 15.64: P---Diagramm mit Trajektorie für Phase 2


ßen Polradwinkel die geringste Leistungsabgabe für den folgenden Verlauf statt.
In Modus 3 verbleibt der Regler bis zum Erreichen des minimalen Polradwinkels
in (11). Ab hier startet die Dämpfungsregelung für die verbleibende Schwingung
um den Arbeitspunkt vor Fehlereintritt.
Phase 3 repräsentiert hauptsächlich die verbleibende Schwingung um den Ar-
beitspunkt im ungestörten Betrieb. Die verschiedenen Verfahren zur Dämpfung
dieser Schwingung sind hier nicht angegeben. Dennoch sei in dem hier idealisier-
ten Fall auf die theoretische Möglichkeit hingewiesen, den stationären Arbeits-
punkt direkt anzufahren (Abb. 15.65). Nach Erreichen von (11) nimmt der Pol-
radwinkel aufgrund der in diesem Punkt zuwenig abgegebenen Generatorleistung
zu; der Rotor wird erneut beschleunigt. Da mathematisch die zeitliche Ableitung
der Winkeländerung die Drehzahlabhängigkeit ergibt, liegt bei einem Extremwert
der Winkeländerung in Punkt (11) der Nulldurchgang des Zeitverlaufs der Dreh-
zahlabweichung vor (der gleiche Zusammenhang gilt auch für Punkt (7) in Phase
1). Nach Verlassen von Betriebspunkt (11) bei leicht positiver Drehzahlabwei-
chung und immer noch zu kleinem Polradwinkel ist die erneute Beschleunigung
des Rotors durch ein Umschalten auf (13) in Modus 1 zu bremsen. Dabei ist der
Umschaltpunkt (12) so zu wählen das in Punkt (14) die Drehzahlabweichung zu
null geworden ist. Punkt (14) repräsentiert überdies einen Arbeitspunkt mit dem
Polradwinkel vor Eintritt der Störung. Durch eine Umschaltung auf Modus 2 wird
automatisch die Wirkleistungsabgabe vor Störungseintritt wieder eingestellt. Die
dynamischen Vorgänge sind dann bei Erreichen von (15) vollständig gedämpft. In
Zusammenfassung folgt für die Regelungsstrategie in den einzelnen Phasen:
15.6 Verbesserung der transienten Stabilität 729

x Phase 1: Bremsfläche während der ersten Schwingung maximieren


x Phase 2: Möglichst ausgeglichene Beschleunigungs- und Bremsenergie-
bilanz während der Verringerung des Polradwinkels
x Phase 3: Dämpfung der verbleibenden Schwingung um den stationären
Arbeitspunkt

15.6.3 Ausführungsbeispiele
Die im vorherigen Abschnitt beschriebene Strategie zur Verbesserung der tran-
sienten Stabilität unterliegt idealisierten Bedingungen. Die spezifischen Betriebs-
mittelcharakteristiken der einzelnen FACTS-Elemente sind nicht berücksichtigt
worden. Nach der hier gemachten Unterteilung des dynamischen Verhaltens in
drei Phasen wurde deutlich, dass insbesondere Phase 1 und Phase 2 einen Einfluss
auf die transiente Stabilität haben.
Während die Regelungsstrategie in Phase 1 und Phase 2 direkt die transiente
Stabilität beeinflusst ist die Zielsetzung für Phase 3, die Dämpfung der Schwin-
gungen um den stationären Arbeitspunkt. Da hierfür eine Vielzahl von Ansätzen
besteht, ist in den Ausführungsbeispielen nur Phase 1 und Phase 2 näher betrach-
tet. Beispiele für weitere Ausführungen finden sich in beispielsweise in [15.2],
[15.14] und [15.16]. Die angewendete Strategie folgt nach dem beschriebenen
Verfahren und basiert auf dem Flächensatz.

p Phase 3
pmax Modus 1

1
14

13 Theoretisches
Stabilitätslimit
p0

15 Modus 2
Modus 3

11
12

0 90 180 G [ q]

Abb. 15.65: P---Diagramm mit Trajektorie für Phase 3


730 15 FACTS-Elemente

15.6.3.1 SVC, STATCOM, TCSC, SSSC und UPFC


Wichtig für die Ableitung einer spezifischen Regelstrategie für Phase 1 und Phase
2 ist die Beinflussungsmöglichkeit eines FACTS-Elementes bezüglich der P---
Charakteristik einer Übertragungsstrecke. Vor diesem Hintergrund weisen die
Betriebsmittel SVC, STATCOM, TCSC, SSSC und UPFC als wesentliche Vertre-
ter der Shunt- und/oder Serieelemente, ein ähnliches Betriebsverhalten auf (Abb.
15.66). Alle diese FACTS-Elemente erlauben in einem Bereich um G = 90° ein
Absenken oder Anheben der P---Kurve. Wie gezeigt, ist gerade dieser Bereich für
eine Regelungsstrategie von besonderem Interesse.
Bis zur Fehlerklärung in (3) besteht keine Einflussmöglichkeit durch FACTS-
Elemente. Während der ersten Schwingung in Phase 1 gilt es die Bremsfläche zu
maximieren. Dies wird durch die Einstellung – mit den jeweils zur Verfügung
stehenden Steuergrößen – der P---Kurve mit der größten maximalen Übertra-
gungsleistung erreicht (Punkt (4)). Nach Nulldurchgang der Drehzahlabweichung
in (5) erfolgt zwecks gleichmäßiger Aufteilung der Brems- und Beschleunigungs-
energie die Umschaltung auf die P---Kurve mit der kleinsten maximalen Übertra-
gungsleistung (7). Auf dieser Kurve läuft der Betriebspunkt bis zum Erreichen des
zweiten Nulldurchgangs der Drehzahlabweichung in (8). Dort setzt die hier nicht
näher betrachtete Dämpfungsregelung ein. Zur näheren Beschreibung der korres-
pondierenden Stellgrößen der einzelnen FACTS-Elemente sei auf Abschn. 15.4
verwiesen.

p
p max 4
6

p0

1 7
8

2 3

0 90 180 G [ q]

Abb. 15.66: P---Diagramm mit Trajektorie für die beschriebene Regelungsstrategie für
die Betriebsmittel SVC, STATCOM, TCSC, SSSC und UPFC
15.6 Verbesserung der transienten Stabilität 731

15.6.3.2 QBT
Der QBT weist im Vergleich zu den zuletzt betrachteten FACTS-Elementen
grundlegende Unterschiede in der Betriebscharakteristik auf. Überdies ist diese
vom Einbauort dieses FACTS-Elementes abhängig. Das Potential zur Verbesse-
rung der transienten Stabilität ist dann besonders groß, wenn der Einsatz genera-
tornah erfolgt (Abb. 15.67). In diesem Fall ist eine Anhebung der maximal über-
tragbaren Leistung möglich. Dies wirkt sich positiv auf die erzielbare Bremsflä-
chenvergrößerung aus. Auch an anderen, ungünstigeren Einsatzorten leistet der
QBT einen positiven Beitrag zur Verbesserung der transienten Stabilität. Die Ef-
fektivität in diesen Fällen ist allerdings geringer.
Hier steht der generatornahe Einsatz bei den folgenden Betrachtungen im Mit-
telpunkt. Während des Fehlers kann die Trajektorie des Betriebspunktes nicht be-
einflusst werden (Punkt (1) bis (3)). Eine Maximierung der Bremsfläche erfolgt
durch das Abfahren der jeweiligen Maxima der einstellbaren P---Kurven bis
Punkt (6). In diesem Punkt liegt das Maximum der positiven Polradwinkelände-
rung vor. Während der Verringerung des Polradwinkels erfolgt analog zu den zu-
vor beschriebenen Betriebsmitteln ein Umschalten zwischen „minimaler“ und
„maximaler“ Übertragungscharakteristik zur gleichmäßigen Beschleunigungs- und
Bremsenergieaufteilung (Punkte (7) bis (10)). Nach Erreichen von Punkt (10)
muss die Regelung zur Dämpfung der Restschwingung aktiviert werden.

p
4 5 7
p max
6

1 9

p0 8

10

0 2 90 180
G [°]
Abb. 15.67: P---Diagramm mit Trajektorie für die beschriebene Regelungsstrategie für
das Betriebsmittel QBT
732 15 FACTS-Elemente

15.6.3.3 PAR
Im Aufbau zwar ähnlich zum QBT unterscheidet sich der PAR im Betriebsverhal-
ten deutlich von diesem FACTS-Element. Da beim PAR ausschließlich eine
Winkänderung bewirkt werden kann, ist die Einflussnahme auf die Übertragungs-
charakteristik deutlich ausgeprägter. Mit dieser Betriebscharakteristik kann der
PAR prinzipiell mit einer zu der oben beschriebenen ähnlichen Regelungsstragie
betrieben werden (Abb. 15.68). Aufgrund seiner besonderen Betriebscharakteristik
wird hier auf eine zusätzliche Betriebstrategie eingegangen. Bei dieser erfolgt
nach Fehlerklärung in (3) eine Verschiebung der P---Kurve durch den PAR so,
dass im Betriebspunkt (4) nach Fehlerklärung die maximale Wirkleistung abgege-
ben wird.
Während der gesamten Winkelzunahme führt die Regelung des PAR die P---
Kurve nach und ermöglicht damit in diesem Bereich eine maximale Wirkleis-
tungsabgabe. In Punkt (5) ist der maximale durch den PAR eingeprägte Zusatz-
winkel erreicht. Der Arbeitspunkt läuft entlang der P---Kurve bis zum Nulldurch-
gang der Drehzahländerung in (6). Durch das Nachführen der P---Kurve mit dem
größer werdenden Polradwinkel ist die Bremsfläche maximiert. Nach Erreichen
des maximalen Polradwinkels läuft der Arbeitspunkt bis zum Erreichen der statio-
nären Wirkleistungsabgabe in (7). Ohne zusätzliche Bremsenergie abzugeben oder
Beschleunigungsenergie aufzunehmen führt die PAR-Regelung den Arbeitspunkt
entlang der P---Kurve (Punkt (8)). Auf dieser läuft der Betriebspunkt weiter bis
die zwischen (6) und (7) abgegebene Bremsenergie wieder aufgenommen ist. Ab

p 4
p max 5

1
6
8

p0
7
1

2 3

0 90 180 G [ q]

Abb. 15.68: P---Diagramm mit Trajektorie für die beschriebene Regelungsstrategie für
das Betriebsmittel PAR
15.7 Verbesserung der Versorgungsqualität 733

Punkt (10) übernimmt die Dämpfungsregelung die Regelung des PAR, um die
verbleibende Schwingung um den stationären Arbeitspunkt zu dämpfen. Ab-
schliessend sei darauf hingewiesen, dass die für den PAR vorgestellte Strategie
zur Verbesserung der transienten Stabilität nicht auf die Anwendung im Betriebs-
mittel PAR beschränkt ist. Die vorgestellte Methode kann in allen Regelungen von
Betriebsmitteln Anwendung finden, die eine ideale Phasenwinkelregelung erlau-
ben. Dass heisst auch der UPFC kann mit der gleichen Strategie für die Verbesse-
rung der transienten Stabilität betrieben werden.

15.7 Verbesserung der Versorgungsqualität

Veränderte Randbedingungen in der elektrischen Energieversorgung, haben auch


einen Einfluss auf die Qualität der beim Verbraucher zur Verfügung gestellten
elektrischen Energie. Gründe hierfür sind die Einflüsse der Marktöffnung sowie
die stetig wachsenden Anforderungen an die Versorgungssicherheit. Während
netzseitig die effektivere Nutzung vorhandener Übertragungseinrichtungen im
Vordergrund steht, ist verbraucherseitig in zunehmendem Maße eine qualitativ
hochwertige Energieversorgung zu gewährleisten. Die Qualitätsmerkmale der
Versorgung beziehen sich neben einer möglichst genauen Frequenzhaltung ver-
mehrt auf die Gewährleistung konstanter Spannungen bei gleichzeitig konti-
nuierlichem Energieangebot. Die technische Quantifizierung der Versorgungs-
qualität erfolgt im wesentlichen anhand folgender Kriterien:

x Einhaltung der Sinusform; keine Oberschwingungen,


x Konstante Frequenz; Einhaltung des Nennwertes,
x Symmetrie des Drehstromsystems; drei um 120° verschobene Spannungen,
x Konstanter Effektivwert; Einhaltung der Netznennspannung über der Zeit,
x Spannungsstarrheit; Beibehaltung der Netzspannung bei Laständerungen,
x Zuverlässigkeit; Bereitstellung der Energie in der gewünschten Menge zu je-
dem Zeitpunkt.

Versorgungsqualität ist nach IEC (1000-2-2/4) und CENELEC (EN50160) als


eine physikalische Eigenschaft der Versorgung mit elektrischer Energie derart
definiert, dass im Normalbetrieb ein technischer Prozess weder gestört noch un-
terbrochen werden darf. Eine exakte Definition der physikalisch meßbaren Stör-
größen und eine darauf aufbauende Festlegung von Grenzwerten ist Gegenstand
intensiver Normungsaktivitäten. Zu den heute gravierendsten, die Versorgungs-
qualität mindernden Störungen, zählen Spannungseinbrüche und kurzzeitige Ver-
sorgungsunterbrechungen. Insbesondere hochgradig automatisierte Herstellungs-
und Fertigungsprozesse reagieren auf temporäre Änderungen im Betrag und in der
Phase der Versorgungsspannung besonders sensibel. Bereits Spannungsabsenkun-
gen im Millisekundenbereich können zum Ausfall ganzer Produktionsstraßen und
damit zu einem wirtschaftlichen Schaden im Bereich mehrerer Tagesproduktions-
werte sowie einer Schädigung der Produktionsmittel führen.
734 15 FACTS-Elemente

Typische hiervon betroffene Industriezweige sind die Papierindustrie, die Halblei-


terindustrie und die Chemieindustrie. Auch bei einer maximal sicher ausgelegten
Energieversorgung sind diese Störungen nicht auszuschließen, da der räumlich
ausgedehnte Prozess der Energieversorgung atmosphärischen Einflüssen ebenso
ausgesetzt ist wie nicht vorhersehbarem Komponentenversagen. FACTS-Element-
Technologie ist Anwendungen in diesem Problemfeld ebenfalls geeignet. Dieser
Abschnitt gibt in Anlehnung an [15.25] und [15.26] einen Überblick über einige
auf dieser Technologie basierenden Geräteausführungen für die Verbesserung der
Versorgungsqualität.

15.7.1 Störungsursachen
Die in einpolige Erdschlüsse, zweipolige Kurzschlüsse mit und ohne Erdberüh-
rung sowie dreipolige Kurzschlüsse zu unterteilenden Fehlerarten beeinflussen die
Amplitude und Phasenlage der verbraucherseitig wirksamen Anschlussspannung.
Bei ungefähr 80% aller auftretenden Fehler handelt es sich um einpolige Fehler.
Darüber hinaus führen Schalthandlungen, wie beispielsweise das Zu- und Ab-
schalten großer Lasten, zu sprungartigen Last- und damit Spannungsänderungen.
Insbesondere im Zeitbereich von 100 ms bis 1000 ms ist es nahezu unmöglich,
ohne zusätzliche Maßnahmen Spannungseinbrüche zu verhindern.
Nur durch zusätzliche Maßnahmen im Netz oder auf der Verbraucherseite
können sensible Verbraucher (kritische Verbraucher) gegen derartige Störungen
geschützt werden (Abb. 15.69). Maßnahmen auf der Verbraucherseite erfordern
einen Eingriff in den Kundenprozess und bieten nur lokale, auf spezielle Störun-
gen zugeschnittene Abhilfe. Eine die Versorgungsqualität garantierende ursächli-
che Behebung des Problems ermöglichen Maßnahmen im Netz durch Betriebsmit-
tel zur Vergrößerung der Versorgungsqualität (PQ-Geräte, Power-Quality-

Abb. 15.69: Typische Versorgungssituation


15.7 Verbesserung der Versorgungsqualität 735

Geräte). Durch diese kann – auch bei Netzstörungen – die qualitativ hochwertige
Versorgung kritischer Verbraucher garantiert werden.
Wie stark Störungen am Anschlusspunkt eines Verbrauchers wirksam werden,
hängt von der Entfernung zum Ort der Störungsursache ebenso ab wie von der
Leistungsfähigkeit, dem Vermaschungsgrad und der Ausführung der zwischenge-
schalteten Übertragungsstrecke. Dies gilt insbesondere auch für ein- und mehrpo-
lige Leitungsabschaltung in Folge eines Fehlers, was in Netzen ohne ausreichende
Redundanz zur allpoligen Versorgungsunterbrechung führen kann. Abhilfe bezüg-
lich der Störungsauswirkung auf den kritischen Verbraucher leistet einerseits akti-
ves kompensatorisches Eingreifen. Andererseits besteht die Möglichkeit die Spei-
sung der Last auf einen ungestörten Netzbezirk umzuschalten. Hinsichtlich der
aktiven und von der Netztopologie unabhängigen Störungskompensation bestehen
unterschiedliche Lösungen deren Basis leistungselektronische Komponenten sind.
Ein bereits weit verbreitetes Konzept – vorwiegend zur Flickerkompensation –
stellt der SVC oder STATCOM dar.
Möglichst effektiven Schutz kritischer Verbraucher gegen Versorgungsunter-
brechungen und Spannungsschwankungen bietet allerdings nur die Fehlerkompen-
sation mit einhergehender Wirkleistungseinspeisung. Durch das Einprägen von
Zusatzspannungen in Serie zu einer Leitung zur Spannungskorrektur oder durch
die direkte Übernahme der vollständigen Verbraucherversorgung durch ein PQ-
Gerät können netzseitige Störungen verbraucherseitig nahezu vollständig kom-
pensiert werden. Bei Einsatz selbstgeführter Spannungsumrichter stehen zur
Fehlerbehebung heute grundsätzlich Anlagenkonzepte mit Seriespannungs-
einkopplung und/oder Parallelstromeinkopplung zur Verfügung (Abb. 15.70).
Die hier als Spannungsquellen zur Spannungs- oder Stromregelung eingesetz-
ten Spannungsumrichter sind selbstgeführte Vierquadrantenumrichter mit Gleich-
stromstromkreis (Voltage Source Converter). Der Gleichstromkreis kann mit ei-
nem Energiespeicher verbunden werden (s. Abschn. 15.3). Dieser stellt die zur
Kompensation erforderliche Wirkleistung bereit. Die Anforderungen an die Ant-
wortzeit des PQ-Gerätes und die Überbrückungsdauer der Störung entscheiden

Übertra- Strom- Spannungs- Verbraucher


gungsnetz injektion einkopplung (-netz)

Abb. 15.70: Grundsätzliche Eingriffsmöglichkeiten zur Verbesserung der Versorgungs-


qualität
736 15 FACTS-Elemente

über die Wahl der Technologie für die Speichereinheit im Zwischenkreis.


Als Speichereinheiten für PQ-Geräte stehen heute prinzipiell zur Verfügung:

x Batteriespeicher,
x Kondensatorspeicher, Super-Capacitor-Speicher,
x Supraleitender magnetischer Energiespeicher,
x Schwungradspeicher.

15.7.2 FACTS-Elemente zur Verbesserung der Versorgungsqualität

15.7.2.1 Dynamic Voltage Restorer


Der Dynamic Voltage Restorer (DVR) koppelt in Serie zu einer Übertragungslei-
tung eine Zusatzspannung ein und kompensiert auf diese Weise ein-, zwei-, und
dreipolige Spannungsabsenkungen im Netz, so dass die Versorgung eines ange-
schlossenen Verbrauchers zu jedem Zeitpunkt über ein symmetrisches Drehstrom-
system mit konstantem Effektivwert gewährleistet ist. Unmittelbar nach Detektion
eines Spannungseinbruches erfolgt die phasen- und betragsmäßig richtige Ein-
kopplung einer Zusatzspannung über den Boostertransformator (vgl. Abb. 15.71).
Aufgrund der von der Phasenlage des Leitungsstromes unabhängigen Einkopp-
lung der Zusatzspannung erfolgt die Abgabe von Wirkleistung an das Netz. Die
dabei einzuspeisende Energie wird über einen Energiespeicher bereitgestellt (Abb.
15.72). In einer typischen Anwendung, in dem zur Verbesserung der Versorgungs-
qualität das DVR-Konzept eingesetzt wird, ist der durch Spannungsabsenkungen

UT’ Fehlerhaftes
'UT
Drehstromsystem (F)

UTF

URF 'UR
UR’

Zusatz-
spannungen (') USF

'US
US’

Abb. 15.71: Prinzip der Korrektur eines einphasigen Spannungseinbruches durch Zusatz-
spannungen
15.7 Verbesserung der Versorgungsqualität 737

Abb. 15.72: Prinzipieller Aufbau des DVR zur Korrektur von Spannungsabsenkungen;
mit Abspann- und Lasttransformator
betroffene Verbraucher durch einen spannungssensitiven Produktionsprozess ge-
kennzeichnet. Bereits einphasige Spannungsabsenkungen – hier bereits um einige
10% im ms Bereich – führen aus den genannten Gründen zum Ausfall einer gan-
zen Tagesproduktion.
Der eingesetzte DVR korrigiert einphasige Spannungsabsenkungen bis 50%
und dreiphasige Spannungsabsenkungen bis 38% über einen Zeitraum von
150 ms. Allgemein eignet sich der DVR besonders zur Korrektur von ein-, zwei-
oder dreiphasigen Spannungseinbrüchen bis 75% im Bereich bis zu einer Minute.
Aufgrund der eingesetzten Hardware limitiert lediglich der einzusetzende Energie-
speicher die Anlagengröße.
Die mit Pulsweitenmodulation angesteuerten Spannungsumrichter erzeugen
aus einem Gleichspannungskreis die erforderlichen Zusatzspannungen. Mit der
Anforderung, bereits in wenigen Millisekunden nach Störungseintritt ein symmet-
risches Drehstromsystem auf der Verbraucherseite wiederhergestellt zu haben, ist
das Speichersystem mit Gleichstromkondensatoren ausgeführt. Diese erfüllen die
hohen dynamischen Anforderungen an die Ausspeicherung der Energie. Weisen
allerdings als Nachteil eine relativ geringe Energiedichte auf. In dem genannten
Anwendungsfall mit einer maximalen Kompensationsdauer von 150 ms der ge-
nannten Störung spielt dieser Aspekt eine untergeordnete Rolle.
Im ungestörten Netzbetrieb arbeitet der DVR im verlustoptimalen Bereit-
schaftsbetrieb. Die Unterspannungsseite des Booster-Transformators ist kurzge-
schlossen, so dass auf der Oberspannungsseite nur die durch konstruktive Maß-
nahmen minimierte Streuinduktivität wirksam wird. Die Halbleiterelemente wer-
den so durchgesteuert, dass die sekundärseitigen Anschlüsse des Booster-Trans-
formators auf ein Potential des DC-Kreises geschaltet sind. Nur die dabei durch-
geschalteten Halbleiter verursachen Verluste.
Das Betriebsverhalten zeigt die Effektivität der Spannungskorrektur; bei-
spielsweise bei einer Spannungsabsenkung von 26.7%. Unmittelbar nach dem
Störungseintritt koppelt der DVR eine Zusatzspannung ein. Auf der Verbraucher-
seite bleibt ein symmetrisches Drehstromsystem bestehen (Abb. 15.73).
Bereits 2 ms nach Störungseintritt sind die transienten Ausgleichsvorgänge
aufgrund des Fehlers und der sprungartigen Spannungsinjektion abgeklungen.
738 15 FACTS-Elemente

Abb. 15.73: Strom- und Spannungsmessungen an einem DVR während eines Spannungs-
einbruch (Quelle: ABB)

Eine Spannungsabsenkung im Spannungsmaximum einer Phase stellt im Ver-


gleich zu einer Störung im Spannungsnulldurchgang die größte Systemanregung
dar. Unabhängig vom Zeitpunkt des Störungseintrittes bestehen die transienten
Ausgleichsvorgänge nach Fehlereintritt und -klärung nicht länger als 3 ms.

15.7.2.2 Dynamic Uninterruptible Power Supply


Aus dem Bereich kleiner sensitiver Lasten ist das Konzept der unterbrechungsfrei-
en Stromversorgung (Uninterruptible Power Supply, UPS) bekannt (Abb. 15.74).
Bei dieser Art des Schutzes sensitiver Lasten gegen Versorgungsunterbrechung
und Schwankungen in der Versorgungsspannung wird die Last aus einem in den
Versorgungspfad geschalteten Gleichstromkreis gespeist. Zur Überbrückung von
Versorgungsunterbrechungen am Netzanschluss speist eine Batterie in den Gleich-
stromkreis die zur Versorgung der Last erforderliche Energie ein. Bei diesem
Konzept arbeiteten aufgrund der Platzierung im Versorgungspfad die leistungs-
elektronischen Komponenten kontinuierlich; unabhängig vom Zustand der Netz-
einspeisung. Die dadurch bedingten Verluste wirken sich beim konventionellen
UPS nachteilig auf die Wirtschaftlichkeit des Gesamtsystems aus.
Bei einer parallel zur schützenden Last angeschlossenen Speichereinheit, die
nur dann Energie an die Last abgibt, wenn eine Störung in der netzseitigen Ver-
sorgung vorliegt, treten die nachteiligen Betriebsverluste nicht auf. Die Kombina-
tion einer parallel zum Netz angeschlossenen Speichereinheit mit einem statischen
Schalter zur Netzabtrennung, stellt das Grundkonzept des Dynamischen UPS
15.7 Verbesserung der Versorgungsqualität 739

(DUPS) dar (Abb. 15.74). Der statische Schalter (Solid State Breaker, SSB) dient
der Abtrennung des Versorgungspfades vom gestörten Netz. Dies ermöglicht eine
Kompensation von Spannungsabsenkungen und die Überbrückung vollständiger
Versorgungsausfälle; hier ohne Rückspeisung auf eine mögliche Fehlerstelle. Zu-
sätzlich ist hinsichtlich der zu installierenden Umrichterleistung nur die den Spei-
cher mit dem Netz verbindende Komponente vorzusehen. Dies resultiert im Ver-
gleich zu einer im Versorgungspfad installierten Lösung in geringeren Anlagen-
kosten. Die Hauptkomponenten (vgl. Abb. 15.74) eines DUPS sind

x der schnelle statische Lastschalter,


x der parallel zum Netz angeschlossene Spannungsumrichter und
x der Energiespeicher; typischerweise als Batteriespeicher ausgeführt.

Die Schlüsselfunktion in diesem Konzept ist die Realisierung einer schnellen


Kommutierung des Laststroms vom netzseitigen Versorgungspfad in den vom
Umrichter gespeisten Pfad. Je schneller die Kommutierung erfolgt, desto geringer
ist der Einfluss der Netzstörung auf die Last, so dass hier eine kontinuierliche Ver-
sorgung gewährleistet ist (Abb. 15.75).
Die im Transformator vorhandene Energie wird von einem parallel zum SSB
angeordneten MO-Überspannungsableiter aufgenommen. Bei einer reinen Strom-
unterbrechungszeit des SSB von 250 Ps beträgt die Zeit für die vollständige Ab-
trennung durch diesen Schalter weniger als 2 ms, einschließlich Steuerung.
Während des Bereitschaftsmodus treten ausschließlich die Verluste des Strom-
richtertransformators sowie vernachlässigbar kleine Filterverluste auf. Die durch
den SSB verursachten Leitungsverluste sind messtechnisch kaum erfassbar und
ebenfalls vernachlässigbar klein. Um eine möglichst schnelle Regelung zu erhal-
ten ist die grundlegende Regelungsarchitektur – ähnlich der des DVR – ohne
Rückkopplung ausgelegt. Während des Bereitschaftsmodus wird die Umrichter-
ausgangsspannung kontinuierlich der Lastspannung nachgeführt. Eingangssignale
sind im wesentlichen die Spannungen am Anschlusspunkt sowie die Lastströme.

Abb. 15.74: Prinzipieller Aufbau des DUPS zur Korrektur von Versorgungsunterbrechun-
gen mit Abspann- und Lasttransformator
740 15 FACTS-Elemente

Obwohl der Umrichter keine Leistung abgibt, arbeitet das Regelungssystem so, als
würde der DUPS die Last speisen. Unmittelbar nach Fehlererkennung wird der
SSB blockiert und gleichzeitig der Umrichter eingeschaltet. Aufgrund der Strom-
kommutierung vom Versorgungspfad in den Umrichterpfad sowie einiger mögli-
cher Resonanzen zwischen der Last und dem Umrichterkreis entstehen transiente
Schwingungen im Laststrom nur für einige Millisekunden (vgl. Abb. 15.75). Die-
ser Effekt muss bei der Auslegung möglicher Filter hinsichtlich ausreichender
Dämpfung berücksichtigt werden.
Eine typische Anwendung des DUPS ist der Schutz sensitiver Lasten vor
Spannungseinbrüchen und vollständigen Versorgungsunterbrechungen im Leis-
tungsbereich ab weniger MVA. Die Kompensationsdauer und die Größe der Last
bestimmen die Auslegung des Batteriespeichers. Oftmals steht hier die Aufgabe

t Fehler

1
Netzstrom [pu]

0.5

-0.5

-1
0 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 55 60
t [ms]
1
Umrichterstrom [pu]

0.5

-0.5

-1
0 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 55 60
t [ms]
1
Laststrom [pu]

0.5

-0.5

-1
0 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 55 60
t [ms]

Abb. 15.75: Laststromkommutierung vom Netz auf den DUPS bei einer Störung in der
Versorgung (Quelle: ABB)
15.7 Verbesserung der Versorgungsqualität 741

der Überbrückung der Versorgung einer Last bis zum Hochlauf von Notstromver-
sorgungen, z.B. Dieselaggregaten, im Vordergrund. In diesem Fall ist eine Kom-
pensationsdauer im Minutenbereich ausreichend.
Bei Kombination eines DUPS mit einem Dieselaggregat würde die Steuerung des
DUPS den Diesel nach Absinken der Spannung für länger als z.B. 10 Sekunden
anfahren und die Last nach Synchronisation des Diesels von der Batterie auf den
Diesel umverteilen. Der DUPS-Transformator bleibt über die ganze Zeit magneti-
siert, um im Falle einer Störung die kürzest mögliche Reaktionszeit zu erhalten.
Im Normalbetrieb leitet der SSB. Der Transformator sowie ein etwaiges Filter
sind ebenfalls zugeschaltet, sodass grundsätzlich in dieser Anlagenkonfiguration
Blindleistungskompensation betrieben werden kann. In diesem Fall stellt der
DUPS einen STATCOM dar. Wird eine Spannungsabsenkung oder ein -einbruch
außerhalb der 10%-igen Toleranz detektiert, löst der SSB aus und trennt die Last
von der natürlichen Einspeisung ab. Gleichzeitig beginnt der DUPS die Last mit
einer Spannung, die nach Betrag und Phase exakt derer vor Eintreten des Fehlers
entspricht, zu versorgen. Falls 10 Sekunden nach Eintreten des Fehlers die Span-
nung nicht zu 100 % wiedergekehrt ist, werden die Notstromdiesel angefahren,
zur Spannung des Umrichters synchronisiert und anschließend zur Versorgung der
Last zugeschaltet. Die Regelung verfolgt derweil weiterhin die netzseitige Span-
nung, so dass nach der stabilen und anhaltenden Wiederkehr der Netzspannung die
Last wieder auf die Sammelschiene des Mittelspannungsnetzes geschaltet werden
kann. Die Wiederaufladung der Batterien erfolgt unmittelbar nach Hochlauf der
Notstromdiesel.
Grundsätzlich werden für einen DUPS die gleichen Spannungsumrichter wie
bei dem bereits vorgestellten DVR verwendet. Die Regelungs-Hardware ist ver-
glichen mit dem DVR für dieses Betriebsmittel etwas anspruchsvoller, da externe
Geräte wie ein Dieselgenerator und zusätzliche Funktionalität wie Blindleistungs-
kompensation zur Leistungsfaktorkorrektur mit einbezogen werden.

15.7.2.3 Solid State Transfer Switch


Der Solid State Transfer Switch (SSTS) ist ein Hochgeschwindigkeitsschalter, der
die Umschaltung elektrischer Lasten von einer bevorzugten zu einer anderen, al-
ternativen Spannungsversorgung innerhalb weniger Millisekunden ermöglicht und
damit eine Störung von sensitiven Lasten fernhält (Abb. 15.76).
Die Grundvoraussetzung für die Installation eines SSTS zum Schutz einer sen-
sitiven Last gegen Netzstörungen ist die Verfügbarkeit zweier, nahezu voneinan-
der entkoppelter Einspeisungen (vgl. Abb. 15.76, Quelle 1 und Quelle 2). Im all-
gemein liegt dieser Fall bei galvanisch voneinander getrennten Netzbezirken vor.
Während des Umschaltens – bei offenem Übergang des SSTS – unterbricht einer
der Schalter die Spannungsversorgung einen kurzen Augenblick bevor die alterna-
tive Quelle zugeschaltet wird. Vorteilhaft gegenüber einem geschlossenen Über-
gang ist bei dieser Umschaltung, dass niemals beide Spannungsquellen gleichzei-
tig auf die Last speisen. Die Überkreuzschaltung entkoppelter Spannungsquellen
ist oftmals aus betrieblichen Gründen nicht möglich. Der SSTS kann aus zwei 3-
Phasen Thyristorschaltern bestehen. Die Thyristorschalter können entweder mit
konventionellen Thyristoren oder mit abschaltbaren Thyristoren (z.B. IGCT) aus-
742 15 FACTS-Elemente

Abb. 15.76: Prinzipieller Aufbau eines SSTS zur Umschaltung zwischen zwei von einan-
der unabhängigen Quellen

gerüstet sein. Im eingeschalteten Modus wirkt der Thyristorschalter als niederoh-


mige den Laststrom tragende Verbindung; ausgeschaltet stellt er eine nahezu un-
endliche Impedanz dar. Die Grundkonfiguration besteht aus antiparallel angeord-
neten Thyristorgruppen beidseits der möglichen Quellen. Messtechnische Einrich-
tungen verfolgen kontinuierlich die Netzspannungen. Unmittelbar nach Detektion
eines Spannungsabfalls (unterhalb eines Referenzwertes) an den Klemmen der
bevorzugten Quelle stoppt der Regler die Zündimpulse zum „eingeschalteten“
Thyristorschalter und gibt unter Wahrung der Verriegelungsbedingungen Zünd-
impulse an den durchzuschaltenden Thyristorschalter. Der Transfer von der be-
vorzugen zur alternativen Quelle ist schnell genug, so dass selbst empfindlichste
Lasten in ihrem Betrieb nicht gestört werden.
In einem Beispiel ist ein industrieller Verbraucher auf einer Spannungsebene
von 16 kV über eine Stichleitung an das vermaschte 50-kV-Mittelspannungsnetz
angeschlossen (vgl. Abb. 15.77). Tritt ein Fehler im 50-kV-Netz innerhalb des
Schutzbereiches des Distanzschutzes auf, sind Kurzunterbrechungen das bevor-
zugte Mittel zur Fehlerklärung. Die durch die Kurzunterbrechung verursachte
kurzzeitige Spannungsabsenkung beeinflusst die Steuerungs- und Produktionspro-
zesse des Industriebetriebes derart, dass die Produktion unterbrochen und damit
sämtliche Produktionsmittel gereinigt werden müssen bevor ein Wiederhochfah-
ren des Prozess möglich wird. Im allgemeinen kommen zur Lösung eines derarti-
gen Problems vier verschiedene Varianten in Betracht:

x Die Errichtung einer zweiten Versorgungsleitung,


x die Installation mehrerer UPS an den Orten mit sensitiven Lasten,
15.7 Verbesserung der Versorgungsqualität 743

Abb. 15.77: Konfiguration eines SSTS zur Umschaltung zwischen zwei verschiedenen
Spannungsebenen zum Schutz eines Industriebetriebes

x die Installation eines DUPS zum vollständigen Schutz der Anlage und
x der Einsatz eines SSTS.
Bei Verfügbarkeit einer alternativen Einspeisung kann die Lösungsvariante mit
schnellem Umschalter aus technischen und wirtschaftlichen Gründen die wir-
kungsvollste Alternative darstellen. In dem hier in Abb. 15.77 dargestellten Bei-
spiel wäre neben der Installation der reinen SSTS-Hardware eine entsprechende
Modifikation des Netzanschlusses erforderlich. Schalter S1 ist im Normalbetrieb
leitend (NC) und Schalter S2 sperrend (NO). Transformator TR2 ist im Normalbe-
trieb zwar unter Spannung aber nicht unter Last. Falls eine Störung im 50-kV-
Netz die Umschaltung der kritischen Last auf die 16-kV-Einspeisung erfordert,
werden auf diese Weise hohe Stoßströme und jegliche Schaltverzögerungen der
Leistungsschalter im Versorgungspfad über Transformator TR2 vermieden.
Nachteilig wirken hier die Leerlaufverluste des Transformators TR2, die ent-
sprechend minimiert werden müssen. Die Aktivierung des SSTS erfolgt durch
Detektion einer Spannungsabsenkung auf der 50-kV-Spannungsebene des Vertei-
744 15 FACTS-Elemente

lungsnetzes. Zusätzlich wird eine fortlaufende Diagnose des Thyristorstatus – of-


fen oder kurzgeschlossen – sowie der Gerätetemperatur durchgeführt. Bei Detek-
tion eines Ventilfehlers erfolgt eine sichere Überführung des Systems in den By-
pass-Modus. Insgesamt müssen folgende Randbedingungen eingehalten werden:

x Die Umschaltung zur alternativen Spannungsquelle wird stattfinden, wenn das


Spannungsniveau auf der 50-kV-Seite für eine der drei Phasen unter einen Re-
ferenzwert (z.B. von 80% der Spannung vor Eintritt der Störung) absinkt.
x Vermeidung eines Lasttransfers während eines Kurzschlusses auf der Unter-
spannungsseite. Der SSTS ist so ausgelegt, dass er einen Kurzschlussstrom so
lange tragen kann, bis die bestehenden Sicherheitseinrichtungen reagiert haben
und der SSTS in den Bypass-Mode schaltet.
x Vermeidung des Umschaltens, wenn die Spannung der alternativen Quelle
auch außerhalb der gesetzten Toleranzen liegt. Die Versorgung erfolgt dann
weiterhin über die bevorzugte Quelle.

a) 4

1
uR,S,T(t) [pu]

-1

0 0,01 0,02 0,03 0,04 0,05 0,06 0,07


t [s]

b)

1
uR,S,T(t) [pu]

-1

0 0,01 0,02 0,03 0,04 0,05 0,06 0,07


t [s]

Abb. 15.78: Lastspannungen während eine 90%-Spannungseinbruches bei einem SSTS ;


mit konventionellen Thyristoren (a); mit abschaltbaren Thyristoren (b)
15.7 Verbesserung der Versorgungsqualität 745

Der grundlegende Unterschied zwischen den verschiedenen Ausführungen von


SSTS liegt im Einsatz der Thyristortechnologie; hier entweder mit konventionel-
len oder mit abschaltbaren Thyristoren ausführbar (vgl. Abb. 15.78). Der wesent-
liche Unterschied zwischen diesen beiden Technologien liegt in der erreichbaren
Umschaltzeit. Während konventionelle Thyristoren erst bei Nulldurchgang ab-
schalten können, ermöglichen abschaltbare Thyristoren eine erzwungene Stromun-
terbrechung. Letztere wirkt sich positiv auf die erreichbare Umschaltzeit aus (vgl.
Abb. 15.78).
Um eine optimale Lösung für ein spezifisches Qualitätsproblem zu finden, ste-
hen grundsätzlich beide Ausführungsformen zur Verfügung. Je nach Eigenschaf-
ten der zu schützenden Last ist zu bewerten, welche der beiden eine optimale Lö-
sung erlaubt.

15.7.3 Vergleich
Bezüglich des Qualitätskriteriums Verbraucherspannung bestehen die Aufgaben
der PQ-Geräte in der Minderung der auf Verbraucher störend wirkenden Unsym-
metrie sowie in der Unterdrückung kurzzeitiger Versorgungsunterbrechungen. Die
Hauptursache für eine Verschlechterung der Versorgungsqualität sind Spannungs-
unsymmetrie als Folge von unsymmetrischen Fehlern im Übertragungsnetz.
Die grundsätzlich Abhilfe leistenden PQ-Geräte können entweder über eine
Einkopplung einer Seriespannungen in der elektrischen Nähe kritischer Verbrau-
cher oder über eine Umschaltung auf eine nicht gestörte Quelle – entweder ein
galvanisch entkoppeltes Netz oder eine Speichereinrichtung – wirken. Abhängig
von der Netzstruktur und der Spannungssteifheit am Einsatzort muss bezüglich der
Anlagenkonzeption grundsätzlich zwischen PQ-Geräten mit und ohne Energie-
speicher unterschieden werden.
Der DVR – ein Anlagenkonzept mit Speicher – hat seine Leistungsfähigkeit
insbesondere auch an Einsatzorten mit niedrigem Kurzschlussleistungsniveau be-
wiesen. Der DVR ermöglicht unabhängig von der Netzstruktur an allen Einsatzor-
ten eine Verbesserung der Versorgungsqualität. Dazu sind Energiespeicher inner-
halb der Anlage einzusetzen, die gerade im höheren Leistungsbereich einen gro-
ßen Anteil am Gesamtvolumen der Anlage haben.
Eine ebenso wirkungsvolle Abhilfemaßnahme stellt insbesondere in Kombina-
tion mit Notstromaggregaten der DUPS, ebenfalls mit Energiespeicher, dar. Hier
wird für den Zeitraum einer Störung entweder bis Störungsklärung oder bis Hoch-
lauf einer Notstromversorgung die gesamte Last aus einem Speicher gespeist.
Während der Störung besteht keine galvanische Kopplung zwischen Netz und
Last, da ein statischer Schalter die Netzverbindung abschaltet. Auch große Stö-
rungen im Netz haben damit keine Rückwirkung auf die zu schützende Last.
Ist eine von der Haupteinspeisung einer Last galvanisch entkoppelte Speisung
verfügbar, ermöglicht der SSTS einen Schutz sensitiver Lasten gegen Störungen
im Netz. Der SSTS schaltet von einer gestörten Quelle auf eine dann aufgrund der
Entkopplung nicht von der Störung betroffene Quelle um und gewährleistet damit
eine – je nach Ausführung – nahezu kontinuierliche Versorgung der Last.
16 Leit- und Informationstechnik

16.1 Überblick

Abb. 16.1. Leit- und Informationstechnik im Überblick


Zur Gewährleistung einer sichern und zuverlässigen Versorgung mit elektrischer
Energie bedarf es, neben den primären Bestandteilen des Energieversorgungsnet-
zes, auch der sogenannte Sekundärtechnik, um den Energieversorgungsprozess
überwachen und steuern zu können. Die dafür benötigte Leit- und Informations-
technik erstreckt sich von der Feldebene innerhalb der Schaltanlagen und Um-
spannwerke über die Stationsleittechnik bis zur Netzleitebene und die daran an-
grenzende Integration mit der EVU-weiten IT-Welt. In Abb. 16.1 sind die einzel-
nen Ebenen der Leit- und Informationstechnik dargestellt. In diesem Kapitel wird
im Folgenden näher auf die unteren zwei Ebenen (Felderfassung, Lokalsteuerung
& Automation sowie Kommunikation) eingegangen. Die oberen Ebenen (Netz-
überwachung und –betrieb SCADA, Höherwertiger Netzbetrieb sowie Geschäfts-
prozesse) werden dann im Kapitel 17 „Leittechnik für elektrische Energienetze“
behandelt.

16.1.1 Aufgabe der Leit- und Informationstechnik


Die bedarfsgerechte Versorgung von Verbrauchern mit elektrischer Energie stellt
einen höchst komplexen Prozess dar, dessen einzelne Prozesskomponenten zudem
noch räumlich weit verteilt sein können. Die Leittechnik dient dazu, diesen Pro-
748 16 Leit- und Informationstechnik

zess von zentralen Stellen aus zu überwachen und zu steuern. Die Grundfunktio-
nalität der Leittechnik wird auch als SCADA (= Supervisory Control and Data
Acquisition) Funktion bezeichnet und beinhaltet die Überwachung und Steuerung
der Stellglieder eines Energieversorgungsnetzes sowie die Aufzeichnung der aus
dem Netz übertragenen Mess- und Statuswerte.
Mit Hilfe der SCADA Funktionalität kann sich der betriebsführende Bediener
ein Bild über den aktuellen Energieversorgungsprozess machen und bei Bedarf
steuernd in den Prozess eingreifen.

16.1.2 Historie
Die Leit- und Informationstechnik innerhalb der elektrischen Energieversorgung
fand ihre Anfänge in der Automatisierung von Kraftwerken. Primäres Ziel war
dabei eine Verbesserung der Betriebssicherheit, aber schon damals war Personal-
einsparung ein Ziel von Automatisierungsmaßnahmen, wenn auch nur unterge-
ordnet.
Später, mit der zunehmenden Vernetzung der Kraftwerke, wurde die Frequenz-
regelung eine immer wichtigere Aufgabe für die Leittechnik. Um die Energieer-
zeugung und später auch den Energieaustausch mit anderen Unternehmen zu ko-
ordinieren, wurden mittels Leittechnik immer mehr Regelungsaufgaben in zentra-
len Leitwarten konzentriert.
Vor der Einführung des Transistors im Jahr 1947 waren in der Leittechnik
hauptsächlich elektromechanische Schutz- und Kontrollgeräte im Einsatz. Wäh-
rend in den Anfängen die Informationsübertragung mittels Relais- und Impuls-
technik erfolgte, konnten mit Einführung der Elektronik immer leistungsfähigere
Übertragungsstrecken realisiert werden. Ende der 60er Jahre, mit der Einführung
von Prozessrechnern, konnten dann die ersten computergestützten Leistungs-
/Frequenzregelungen realisiert werden.
Mit der wachsenden Leistungsfähigkeit der Computer fing man in den 70er
Jahren damit an, auch die Schaltanlagen der Übertragungsnetze mit Hilfe von
Leittechnik zu überwachen und zu automatisieren. Durch die verstärkte Nachfrage
nach Netzleitsystemen begannen einige Firmen standardisierte Systeme für diese
Anwendungen zu entwickeln. Die damaligen Systeme kann man als die erste Ge-
neration von SCADA-Systemen bezeichnen.
Wegen der noch unzureichenden Graphikmöglichkeiten der Computertermi-
nals dienten die Leitrechner hauptsächlich zur Fernüberwachung von unbemann-
ten Stationen beziehungsweise der Ausführung von betriebsunterstützenden Be-
rechnungen. Die Visualisierung des Netzzustandes und die Steuerung der Schalt-
anlagen erfolgten über große Schalttafeln oder Mosaikwände. Erst mit den zu-
nehmenden Grafikfähigkeiten von Computerbildschirmen erfolgte nach und nach
eine Verlagerung der Betriebsführungsaufgaben auf Bildschirmarbeitsplätze.
Mit der immer weiter wachsenden Rechenleistung wurde es in den 80er Jahren
möglich, den Computer auch für Optimierungsaufgaben einzusetzen. Mit Hilfe
von speziellen Algorithmen, die zuerst als Batchjob, später auch online ausgeführt
wurden, konnte so zum Beispiel der ökonomischste Einsatz von Wasser- und
thermischen Kraftwerken ermittelt werden. Mit Hilfe dieser Programme war es
auch möglich, den Austausch von Energie ökonomisch zu bewerten, eine Grund-
voraussetzung für den späteren Handel mit Energie. Die wachsende Rechnerleis-
16.2 Feld- und Stationstechnik 749

tung wurde aber auch dazu verwendet, um die Mensch-Maschine-Kommunikation


in Richtung mehr Benutzerfreundlichkeit weiterzuentwickeln.
In den 90er Jahren begann man schließlich die bisher nur in den Übertra-
gungsnetzen angewandte Leittechnik auch auf den Bereich der Verteilnetze aus-
zudehnen. Neben der ausschließlichen Netzüberwachung wurden im Zuge der
Verteilnetzautomatisierung auch zusätzliche Funktionen wie Arbeits- oder Materi-
alverwaltung in die Leitsysteme integriert.
Darüber hinaus entwickelte sich die Leit- und Informationstechnik von einer
eigenständigen, isolierten Infrastruktur hin zu einer in die EVU IT-Welt integrier-
ten Lösung.

16.1.3 Ausblick
Während sich in der Vergangenheit die Leit- und Informationstechnik darauf be-
schränken konnte den technischen Prozess der Energieversorgung zu überwachen
und zu steuern, spielen heute im Zeitalter des liberalisierten Energiemarktes auch
kommerzielle Aspekte eine Rolle. Da die Übertragung der Energie nicht mehr nur
eine technische Notwendigkeit darstellt, sondern Teil des kommerziellen Prozes-
ses geworden ist, muss die Leit- und Informationstechnik heute auch die für die
kommerzielle Abrechnung notwendigen Informationen sammeln und anderen Sys-
temen zur Verfügung stellen.
Integration und der Datenaustausch zwischen den einzelnen Systemen spielen
in der Weiterentwicklung der Leit- und Informationstechnik in Zukunft eine im-
mer wichtigere Rolle. Nur so lassen sich die immer größer werdenden Datenmen-
gen, die während des liberalisierten Energieversorgungsprozesses anfallen, bewäl-
tigen.
Dabei gewinnt die Leit- und Informationstechnik als Lieferant von quasi Echtzeit-
information eine immer größere Bedeutung, wenn es darum geht im Wettbewerb
zeitnah die richtigen Entscheidungen treffen zu können. Dies beinhaltet auch eine
lokal unabhängige Verfügbarkeit der Informationen (Mobil Computing).
Eine weitere neue Herausforderung an die Leit- und Informationstechnik stellt
die Netzeinbindung regenerativer Energien dar. Unter dem Begriff „Smartgrid“
werden hier Bemühungen zusammengefasst, die Energieversorgung sicherer zu
machen, indem unter anderem Kleinstkraftwerke mittels IT-Technologie zu virtu-
ellen Kraftwerken zusammengefasst werden, um diese dann besser in den Ener-
gieversorgungsprozess zu integrieren.

16.2 Feld- und Stationsleittechnik


Die unterste Ebene der Energie Automatisierung bildet die sogenannte Feld- und
Stationsleittechnik. Die Automatisierungskomponenten dieser Ebenen bilden zum
einen die Schnittstelle (Wandler) zwischen der Primärtechnik und der Leittechnik.
Darüber hinaus übernehmen sie die prozessnahen Aufgaben wie den Schutz der
Netzbetriebmittel vor Beschädigung durch Überlast oder Störungen wie Kurz-
schluss oder ähnliches. Zum anderen werden auch schon gewisse Automatisie-
rungsaufgaben übernommen, sowie die Kommunikation mit der übergeordneten
Netzleitsystemebene abgewickelt. Die Feld- und Stationsleittechnik ist heutzutage
darauf ausgelegt ohne ständige Bedienerpräsenz auszukommen, so dass Schalt-
750 16 Leit- und Informationstechnik

und Umspannanlagen heute unbemannt sind und von den Netzleitwarten aus fern-
gesteuert werden.

16.2.1 Plattform & Systemarchitektur


Bei der Steuerung und dem Schutz des Energieversorgungsnetzes gilt es eine
Menge von Informationen zu verarbeiten und weiterzuleiten. Da die Feld- und
Stationsleittechnik auf der Basis von verteilten Komponenten bzw. Systemen auf-
gebaut ist, bedarf es einer Plattform- beziehungsweise Systemarchitektur die die-
sen Informationsaustausch unterstützt und dabei eine größtmögliche Hersteller-
unabhängigkeit gewährleistet. Dabei lassen sich die Anforderungen an Integration
in zwei Hauptrichtungen gliedern.

16.2.1.1 Horizontale Integration


Unter der horizontalen Integration versteht man die Verschmelzung der Funktio-
nen Schutz, Steuerung und Überwachung zu einem einzigen System. Synergien,
welche aus einer horizontalen Integration erwachsen sind, sind zum einen die
Harmonisierung der Bedienerschnittstellen (= Mensch/Maschine-Kommunikation
MMK) für Schutz, Steuerung und Überwachung auf Stations- respektive Feldebe-
ne. Auf diese Weise wird eine Vereinfachung bei Planung, Betrieb und Wartung
erreicht. Zum anderen eröffnen die Synergien zwischen Schutz und Steuerung
zusätzlich neue Möglichkeiten, wie zum Beispiel adaptiver Schutz, welche bereits
in der Planungsstufe die Möglichkeiten für einen wirtschaftlichen Betrieb schaf-
fen.

16.2.1.2 Vertikale Integration


Mit vertikaler Integration wird die Durchgängigkeit eines Systems von der Primär-
technik bis hin zur Netzleitebene bezeichnet. Dabei umfasst die Integration so-
wohl Befehle als auch jede andere Art von relevanter Information.
Durch die vertikale Integration besteht auf allen Ebenen Zugriff auf Messwert-
und Zustandsinformation. Die Mehrfachnutzung von Information führt zu Einspa-
rungen an Hardwarebauteilen und Verkabelungsaufwand. Neben dem Informati-
onszugriff stehen auch allen Bedienungsebenen die Überwachungs- und Steue-
rungsmöglichkeit zur Verfügung. Damit lässt sich die Automatisierung flexibel an
die vorhandenen Betriebsabläufe anpassen. Die umfassende Selbstüberwachung
bei der digitalen Leittechnik bietet zudem eine erhöhte Verfügbarkeit und verrin-
gert die Betriebskosten und die Notwendigkeit der vorbeugenden Wartung.
Bei Stations-Automatisierungssystemen handelt es sich heute meist um offene
Systeme, die auch Integration von Fremdgeräten über geeignete Schnittstellen
gestatten. Auf Stationsebene lassen sich Daten und Informationen nach dem E-
thernet TCP/IP Protokoll über das lokale Rechnernetzwerk, auch Local Area Net-
work (LAN) genannt, mit allen Geräten und Systemen austauschen, die dieser
Norm entsprechen.

16.2.1.3 IT-Sicherheit
Mit der immer weiter schreitenden IT-Vernetzung und der Einführung von Ether-
net und TCP/IP-basierter Kommunikation zwischen Anlagenkomponenten besteht
16.2 Feld- und Stationstechnik 751

ein immer größerer Bedarf nach IT-Sicherheit. Hierunter versteht man den Schutz
vor unbefugtem Zugriff auf das System über dessen Netzwerkschnittstellen. Aber
auch der Schutz der übertragenen Informationen gegen Mithören oder Verfäl-
schung durch Dritte muss durch entsprechen IT-Sicherheitslösungen gewährleistet
sein.
Hierbei müssen zum einen die einzelnen Komponenten der miteinander kom-
munizierenden Systeme gegen entsprechende Attacken ‚gehärtet’ sein. Zum ande-
ren muss die Kommunikation zwischen den Komponenten geschützt werden. Da-
zu lassen sich Netzwerkverbindungen zwischen räumlich benachbarten Kompo-
nenten durch sogenannte Firewalls nach außen hin abschirmen. Eine Firewall ü-
berwacht die ein- und ausgehende Kommunikation einer von ihre geschützten
Netzwerkinsel und lässt nur die Informationen passieren, die als vertrauenswürdig
eingestuft werden. Da die Kommunikation zwischen räumlich weiter entfernten
Komponenten teilweise auch Netzwerkverbindungen verwenden muss, die sich
nicht abschirmen lassen, wie zum Beispiel öffentliche Netze, wird hier die über-
tragene Information durch Verschlüsselung und Signierung gegen unerwünschten
Zugriff oder Verfälschung geschützt.

16.2.2 Prozess- und Feldbusebene


Feldeinheiten stellen die Verbindung zum Prozess her und verhindern durch die
galvanische Trennung der Ein- und Ausgänge sowie durch geeignete Abschir-
mung die Übertragung von elektromagnetischen Störungen. Fortgeschrittene Pro-
zessschnittstellen verbinden den Prozess durch dezentrale Ein- und Ausgänge oder
nicht-konventionelle Sensoren und Aktoren. Während in der Vergangenheit die
Feldeinheiten noch über Sternkoppler an den Stationsbus angeschlossen waren,
werden diese heute meist direkt mit dem Stationsbus gekoppelt, welcher basierend
auf Ethernet und TCP/IP implementiert ist. Dabei hat sich wegen der Immunität
gegen Störeinstrahlung Lichtwellenleitertechnik in Form von Glasfaseringen
weitgehend etabliert.

16.2.2.1 Stationsbus
Für die Kommunikation zwischen den Automatisierungskomponenten in der Sta-
tionsleittechnik haben sich in der Vergangenheit einige Standards etabliert um
auch Geräte verschiedener Hersteller verbinden zu können. Bei den Kommunika-
tionsprotokollen finden man hier unter anderem die Standards IEC 60870-5-101
bis -104 oder DNP V3.00. Auf Stationsbusebene wird meist Profibus für die
Kommunikation innerhalb der Stationsautomatisierung eingesetzt. Wegen der
hohen Immunität gegenüber elektromagnetischen Störungen (EMI) erfolgt der
Datenaustausch oftmals über Lichtwellenleitertechnologie.
Zur Steuerung der Kommunikation kommen entweder Peer-to-Peer-Protokolle
oder Master-/Slave-Protokolle zum Einsatz. Während Peer-to-Peer-Protokolle
ereignisgetrieben sind, d.h. jedes angeschlossene Gerät darf spontan Meldungen
zum Bus senden, erfolgt die Kommunikationsteuerung beim Master-/Slave-
Protokoll ausschließlich durch den Busverwalter (Master). Dabei werden die Feld-
einheiten (Slaves) zyklisch vom Master abgefragt. Der Busverwalter ist meist auf
dem Kommunikationsprozessor oder im zentralen Stationsrechner implementiert.
752 16 Leit- und Informationstechnik

Netzleitstelle Netzleitstelle

SICAM PAS CC
IEC 60870-5-101 Zeitsignal
IEC 60870-5-104
DNP V3.00

Log.IN1
1100
F1 1530
1530
8888 Log.Out1
>1
1503 2173
Log.IN2 2173
F2
Log.IN3
1530

Ethernet

IEC 60870-5-101/DNP V3.00

Profibus FMS/IEC 60870-5-103

Abb. 16.2. Typische Automationsanlage mit den Hauptkomponenten und Kommunika-


tionseinrichtungen
Mit dem steigenden Einsatz intelligenter Geräte stieg der Bedarf an leistungsfähi-
ger Kommunikation und Vernetzung immer mehr. Damit einhergehend stiegen
aber auch die Forderungen nach einem durchgängigen Engineering und Manage-
ment der Systeme.

16.2.2.2 IEC 61850


Um diesen Anforderungen Rechnung zu tragen, begann die Internationalen Elekt-
rischen Kommission, kurz IEC, Anfang der 90er Jahre eine neue Normenreihe für
Leit- und Schutztechnik in Schaltanlagen zu entwickeln. Dabei stellte diese neue
IEC 61850 ein Novum dar, da sie statt wie bisher nicht nur Teilaspekte der Kom-
munikation, sondern das gesamte System, inklusive Engineering, Betrieb und
Begriffsvereinheitlichung behandelte. Die daraus resultierenden Definitionen in-
nerhalb der Normenreihe IEC 61850 decken einheitlich die Kommunikation zwi-
schen den Bereichen Prozess (Wandler, Schalter), Feldebene (Schutz, Steuerung)
und Stationsleittechnik (Bedienplatz, Fernwirkankopplung) ab.
Dabei werden bei der Kommunikation nicht nur die Übertragung der Signale
definiert, sondern auch deren Bedeutung, zum Beispiel durch eindeutige Namen
oder die physikalische Einheiten.
Dazu definiert die IEC 61850 nicht nur die Kommunikationsprotokolle son-
dern ein komplettes Datenmodel für die Beschreibung der Systemkomponenten.
Dies erlaubt eine Selbstbeschreibung der Information, so dass sie für alle die
Norm unterstützenden Geräte direkt nutzbar wird und es keiner Informationsum-
setzer mehr bedarf. Somit können alle intelligenten Geräte einer Schaltanlage di-
rekt an den Stationsbus angeschlossen werden. Dies erlaubt die gemeinsame Nut-
zung von Wandlerdaten von verschieden Geräten, aber auch beliebige Peer-to-
16.2 Feld- und Stationstechnik 753

Peer Kommunikation zur Implementierung verschiedenster Steuerung- und


Schutzlösungen.

Netzleitstelle

Zeitsignal
IEC 60870-5-104

Log.IN1
1100
F1 1530
1530
8888 Log.Out1
>1
1503 2173
Log.IN2 2173
F2
Log.IN3
1530

Stationsrechner Lokaler
mit IEC 61850 Bedienplatz
Stationsbus Ethernet TCP/IP mit IEC 61850

Schutzgeräte RTUs mit Controller


mit IEC 61850 IEC 61850 mit IEC 61850

Abb. 16.3. Stationsautomation basierend auf dem Standard IEC 61850

16.2.3 Netzschutz
Zum Schutz der Betriebsmittel einer Schaltanlage gegen Fehlbedienungen, Über-
lastungen oder Störungen (z. B. Kurzschluss) sind in einem Stations-Auto-
matisierungssystem vielfältige Schutzfunktionen implementiert.

16.2.3.1 Verriegelung
Mit Hilfe von Verriegelungsfunktionen realisiert man einen Schutz des Netzes
gegen Fehlbedienungen. Dieser Schutz beginnet auf der Feldebene, um zum Bei-
spiel das Einlegen eines Erders bei unter Spannung stehenden Geräten zu verhin-
dern (verriegeln).
Sowohl feldspezifische als auch feldübergreifende Verriegelungen werden mit
Hilfe von Bool’schen Algorithmen in den Feldkontrollern realisiert. Für feldüber-
greifenden Verriegelungen benötigt man auch Stellungsmeldungen von Schaltge-
räten in andere Feldern (z.B. Sammelschienentrenner, Querkupplungen, usw.)
welche dann über den Stationsbus übertragen werden müssen.

16.2.3.2 Synchrocheck (Synchronisationsüberprüfung)


Die Synchrocheckfunktion gehört zu den Aufgaben der Feldeinheiten und gibt den
Schließbefehl von der Warte oder der automatischen Wiedereinschaltfunktion frei,
sofern die Spannungs-, Phasenwinkel- und Frequenzdifferenzen über den Leis-
tungsschalter in den zulässigen Toleranzen liegen.
754 16 Leit- und Informationstechnik

16.2.3.3 Allgemeine Schutzfunktionen


In Stations-Automatisierungssystemen kann je nach Stationsauslegung eine Viel-
zahl von unterschiedlichen Schutzgeräten zum Einsatz kommen.
x Generatorschutz:
Der Generatorschutz setzt sich aus mehreren Teilsystemen zusammen,
die den Generator vor unzulässigen Betriebsbedingungen schützen sollen.
Neben Überlast, sind auch Unter- beziehungsweise Überfrequenz,
Schieflast oder Rückleistung, Betriebszustände die es zu vermeiden gilt.
Weiterhin werden auch die Wicklungen des Generatorständers, bezie-
hungsweise Rotors auf Erd- oder Kurzschlüsse überwacht. Meist umfasst
der Generatorschutz auch die Überwachung des zugehörigen Maschinen-
transformators.
x Leitungsschutz:
Der Leitungsschutz wird auch als Feldschutz bezeichnet und überwacht
die von einem Sammelschienenfeld abgehende Leitung beziehungsweise
das abgehende Kabel. Der Leitungs- oder Feldschutz beinhaltet Kurz-
schlussüberwachung für das angeschlossene Betriebsmittel sowie die
Synchronüberwachung für den zugehörigen Leistungsschalter. Je nach
der Länge der überwachten Leitung werden für die Kurzschlussüberwa-
chung zwei verschiedene Verfahren angewendet. Bei kurzen Leitungen
erfolgt die Überwachung durch Differentialschutz, dabei werden die Sig-
nale des Schutzes vom anderen Ende der Leitung mittels Glasfaserkabel
übertragen. Bei längeren Leitungen erfolgt die Überwachung meist nach
dem Distanzschutzverfahren, bei dem aus dem Quotienten von Spannung
und Strom die Eingangsimpedanz der Leitung ermittelt wird. Im Falle ei-
nes Kurzschlusses auf der Leitung unterschreitet diese Impedanz einen
Grenzwert, woraufhin der Schutz die Leitung automatisch abschaltet.
x Sammelschienenschutz:
Der Sammelschienenschutz dient dem Kurzschlussschutz und ist meist
als Differentialschutz ausgeführt. Dabei wird die Summe der Feldströme
aller an die Sammelschiene angeschlossen Abgangsfelder überwacht.
Weicht diese Summe von Null ab, so werden an alle Abgangsfelder Aus-
schaltbefehle gesendet und so die Sammelschiene von Netz getrennt. In
Netzen mit isoliertem Sternpunkt beinhaltet der Sammelschienenschutz
meist auch noch eine Isolationsüberwachung, um Erdschlüsse erkennen
zu können.
x Transformatorschutz
Der Transformatorschutz dient ähnlich wie der Generatorschutz dazu,
den Transformator vor unerlaubten Betriebsbedingungen zu schützen.
Neben Überlast werden ölgekühlte Transformatoren auch auf zu hohe
Drücke im Kühlkreislauf überwacht (Buchholtzschutz). Der Grund für
einen Druckanstieg im Transformator ist meist ein Windungsschluss, der
zu einer starken lokalen Erwärmung führt. Die Kurzschlussüberwachung
des Transformators erfolgt in der Regel nach dem Differentialschutzprin-
zip.
16.2 Feld- und Stationstechnik 755

Die modernern digitalen Schutzgeräte sind in der Regel direkt mit dem Stations-
bus verbunden, während die Binär- und Analogsignale ältere Schutzgeräte entwe-
der mit der Feldeinheit oder mit einer Erfassungseinheit verdrahtet sind.

16.2.3.4 Adaptiver Schutz


Durch die horizontale Integration moderner Stations-Automatisierungssysteme
lassen sich heute auch adaptive Schutzkonzepte realisieren. Zum Beispiel erhalten
Schutzgeräte vom Stationsbus Informationen über die Zustände der Schaltgeräte
und über Betriebsarten. Aufgrund dieser Informationen lassen sich von program-
mierbaren Logiken gesteuerte Schutzfunktionen aktivieren bzw. sperren und
Schutzeinstellungen im Rahmen von automatischen Abläufen an eine neue Netz-
konfiguration anpassen. Beispiele solcher Anpassungen sind:
x Aktivieren/Sperren von Schutzfunktionen in Abhängigkeit der Netzer-
dung.
x Anpassung der Distanzschutzeinstellungen bei Umgehungsschienenbe-
trieb.
x Aktivieren/Sperren von zugeordneten Schutzfunktionen bei Maschinen,
die als Generator und Motor betrieben werden.

16.2.4 Stationsebene
Auf der Stationsebene gibt es einen zentralen Stationsrechner, heute vorzugsweise
als standardisierter Industrie-PC ausgeführt, der gleichzeitig als Bedienplatz und
als Stationsautomatisierungs-Server für die Prozessdatenbank dient.
Die anlagenspezifischen leittechnischen Anwendungen werden durch die An-
wendersoftware des Stations-Automatisierungssystems ausgeführt. Als Plattform
für die Stationsrechner kommen zumeist kleinere SCADA-Systeme zum Einsatz.
Als grundlegende Kommunikationskanäle lösen die Netzwerkschnittstellen
(LAN) immer mehr die serielle Schnittstellen (COM Port) ab. Über diese Kom-
munikationskanäle erfolgt auch die Kommunikation mit einem übergeordneten
Netzleitsystem, wobei gegebenenfalls noch ein Protokollumsetzer dazwischenge-
schaltet sein kann.
Um eine genaue Zeitstempelung im ganzen Stationsautomatisierungssystem zu
erreichen, wird die Rechneruhr oftmals über Funk (DCF-77) oder Satellit (GPS)
auf die absolute Zeit synchronisiert. Des Weiteren werden Drucker für den Aus-
druck von Bildschirminhalten oder für Ereignisaufzeichnung eingesetzt. Für die
Fernwartung des Stations-Automatisierungssystems können Service-Modems in
das System integriert sein.
Das Prozessabbild des zentralen Stationsrechners enthält alle für die Überwa-
chung der Schaltanlage erforderlichen Informationen wie zum Beispiel:
x Die aktuellen Stellungen (EIN, AUS) beziehungsweise Zustände (LO-
KAL- oder FERNSTEUERUNG, BLOCKIERT, SIMULIERT usw.) der
Leistungsschalter, Trenner und Erder.
x Die Position der Trafostufensteller.
x Messwerte wie Spannung, Frequenz, Strom, Wirk- oder Blindleistung.
x Sonstige Meldungen wie Schutzanregung, Schutzauslösung, Wischer-
meldungen, usw.
756 16 Leit- und Informationstechnik

Mit Hilfe dieser Informationen werden die für die Stationsautomatisierung typi-
schen Aufgaben ausgeführt.

16.2.5 Anwendung
Der Hauptzweck eines Stations-Automatisierungssystems ist die zuverlässige und
wirtschaftliche Versorgung der Verbraucher mit elektrischer Energie. Um diesen
Anforderungen gerecht zu werden, muss der Stationsrechner die folgenden Anfor-
derungen erfüllen.

16.2.5.1 Datentypen und Verarbeitung


Die Datenverarbeitung beinhaltet die Erfassung und Speicherung der Daten die
von den Wandlern und Feldgeräten übermittelt werden sowie deren Weiterverar-
beitung durch die Applikationen des Stationsleitsystems bzw. die Weiterleitung an
ein überlagertes Netzleitsystem. Von diesem empfangene Befehle müssen dahin-
gehend auf ihre Gültigkeit überprüft und an die jeweiligen Aktoren ausgegeben
werden.
Die Datenverarbeitung eines SCADA-Systems behandelt die folgenden Basis-
Datentypen:
x Messwerte
x Meldungen
x Zähler (für Marken, Ereignisübersichtsverarbeitung, etc.)
x Status-Flags (Merkmale)
x Ersatzwerte
x Befehle
x Sollwerte
Darüber hinaus können in einem SCADA-System auch noch andere anwendungs-
abhängige Datentypen existieren.
Messwerte
Die Feldgeräte für Steuerung und Schutz sind mit den Hauptstrom- und Haupt-
spannungswandlern verbunden. Aus diesen Messwerten werden die Wirk- und
Blindleistung sowie die Frequenz abgeleitet. Zur Erfassung anderer Messwerte
wie Temperaturen, Drücke, etc. unterstützen Stations-Automatisierungssysteme
zumeist auch Eingänge für mA- und V-Messwerte sowie Pt-Widerstande für die
Temperaturmessung.
Die Messwerte werden zyklisch von der erfassenden Einheit an den zentralen
Stationsrechner übertragen, um dort aufgezeichnet und weiterverarbeitet zu wer-
den. Zu Verringerung des Datenaufkommens werden teilweise auch nur die
Messwerte übertragen, die eine einstellbare Messwertänderung seit der letzten
Übertragung überschritten haben.
Jeder Messwert (Analogwert) wird vom SCADA-System vorrangig vor dem
Abspeichern in der Systemdatenbank verarbeitet. Diese Verarbeitung umfasst:
x Umwandlung in technische Einheiten
x Grenzwertüberprüfung
x Nullbereichsverarbeitung
x Gradientenüberwachung
16.2 Feld- und Stationstechnik 757

Umwandlung in technische Einheiten


Für analoge Messwerttypen werden die binäre Darstellung von der Datenerfas-
sung in technische Einheiten (kV, MW, MVar, etc.) umgewandelt. Dies geschieht
entweder durch lineare Umrechnung (y = ax + b) oder durch einen nichtlinearen
Umwandlungsalgorithmus.
Für digitale Messwerttypen wird die binäre Darstellung des Werts vom
SCADA System umgerechnet/dekodiert. Typische Formate zur Kodierung digita-
ler Messwerte sind zum Beispiel:
x 16 Bit 2er Komplement
x 12 Bit 2er Komplement
x 5 Bit Gray code mit Paritätsbit
Einen Sonderfall stellen die Positionsmesswerte von Transformatorstufenstellern
dar. Wegen des kleinen Wertebereichumfangs werden diese Messwerte teilweise
auch als BCD (= Binary-Coded Decimal) codierte Zahlenwerte übertragen.
Grenzwertüberprüfung
Um den Nennmessbereich zu bestimmen werden die Betriebsgrenzen der Mess-
werte (Wandlergrenzen) herangezogen.
Zusätzlich können jedem Messwert weitere Grenzwertpaare zugeordnet wer-
den. Diese Grenzen können, gemäß den betrieblichen Erfordernissen, frei gewählt
werden. Typischerweise werden diese Grenzwerte dazu benutzt, um Warn- oder
Alarmzustände des überwachten Werts zu bestimmen.
Wird eine Grenzwertverletzung erkannt, so wird das zugehörige Status-Flag
bezüglich des jeweilig über- oder unterschrittenen Grenzwertes für das Objekt
gesetzt. Der Messwert wird gespeichert und die Ereignis-/Alarmbehandlung wird
entsprechend der vorgegebenen Einstellungen angestoßen.

Erzeugung
Oberer eines Ereignisses
Grenzwertlevel 2
Erzeugung
Erzeugung eines Ereignisses
eines Ereignisses
Oberer
Grenzwertlevel 1

= Deadband

Abb. 16.4 Grenzwertüberwachung


Um zu verhindern, dass Messwerte, die im Bereich eines Grenzwertes
schwanken, ständige Alarme auslösen, kann für jeden Messwert ein Unempfind-
lichkeitsbereich (= Deadband) definiert werden. Die Grenzwertverletzung wird
sofort erkannt, wenn der Messwert die Grenze über-/unterschreitet. Um jedoch
758 16 Leit- und Informationstechnik

wieder in den Normalbereich zurückzukommen, muss der Wert die Grenze in


Richtung Normalbereich zusätzlich um den Betrag des Unempfindlichkeitsbe-
reichs überschreiten. Abb. 16.4 veranschaulicht dies.
Nullbereichsverarbeitung
Die Nullbereichsverarbeitung sorgt für einen definierten Zustand, wenn der
Messwert im Bereich des Nullwertes liegt. Dazu wird ein Unempfindlichkeitsbe-
reich um den Nullpunkt verwendet. Falls ein Messwert innerhalb dieses Unemp-
findlichkeitsbereichs liegt, so wird sein Wert auf Null gesetzt. Der Übergang eines
Messwertes in/aus dem Nullbereich kann dazu verwendet werden, ein Zustands-
merkmal zu setzten oder eine Berechnung anzustoßen.
Gradientenüberwachung
Für Messwerte kann auch ein Gradient vorgegeben werde. Für diese Punkte wird
der Gradient als absolute Steigung aus den letzten 'n' Werten berechnet. Bei Über-
oder Unterschreiten eines Grenzwertes für den Gradienten wird ebenfalls die Er-
eignis-/Alarmbehandlung entsprechend der vorgegebenen Einstellungen angesto-
ßen.
Meldungen
Meldungen (Binärwerte) werden von SCADA System zur Abspeicherung von
Zustands- oder Statusinformationen verwendet. Eindeutige Zustände werden mit
nur einem Bit codiert (JA/NEIN), für Zustände bei denen auch Zwischenwerte
auftreten können, werden zwei Bit (Doppelmeldung) zur Informationsübertragung
verwendet. Ein Beispiel für Doppelbit-Meldungen sind die Statusmeldungen von
Schaltgeräten. Hier gibt es zwischen OFFEN und GESCHLOSSEN aus mechani-
schen Gründen noch einen Zwischenzustand (Störstellung) der durch das zusätzli-
che Bit übertragen werden kann. Eine Zustandsänderung kann für jede fernüber-
tragene Meldung erkannt werden, indem der empfangene Status mit dem in der
Datenbank gespeicherten Status verglichen wird.
Doppelmeldungen, die einen Übergangszustand (0/0 oder 1/1) haben, benöti-
gen eine zusätzliche zeitliche Überwachung. Dies ist notwendig, um den Über-
gangszustand von einer Störstellung unterscheiden zu können. Die Ereignisverar-
beitung wird erst nach einer längeren Verzögerungszeit angestoßen.
Zählwerte
Impulse, die sich auf einen bestimmten Wert, meist einen Leistungswert, bezie-
hen, werden mit den Digitaleingängen eines Fernwirkgeräts (RTU) verbunden.
Die Impulse werden dann von dem Fernwirkgerät gezählt.
Die Zählwerttelegramme werden periodisch zum Ende jeder Erfassungsperio-
de, zum Beispiel stündlich, an die Applikationsserver übertragen. Diese Übertra-
gung wird Abrechnungsablesung genannt. Zusätzlich können Übertragungen zwi-
schen den Erfassungsperioden, zum Beispiel 5-minütlich, erfolgen. Dies wird zwi-
schenzeitliche Erfassung genannt und für Trendzwecke innerhalb der Erfassungs-
periode verwendet.
Mit jeder Übertragung des Impulszählers werden das letzte Inkrement, der ak-
tuelle Zählwert und der letzte Stundenwert in der Echtzeitdatenbank gespeichert.
Die Verarbeitung von Impulszählern umfasst:
16.2 Feld- und Stationstechnik 759

x Umwandlung in technische Einheiten


x Grenzwert- und Plausibilitätsüberprüfung
x Überprüfung auf Vollständigkeit
Die Impulse für Zählwerte werden in den Fernwirkgeräten aufaddiert. Diese wer-
den vom SCADA-System, durch Multiplikation der in der letzten Periode regist-
rierten Impulse mit einem Skalierungsfaktor, in Leistungswerte umgerechnet.
Wenn ein Zählwert empfangen wird, erfolgt eine Überprüfung. Betriebsgren-
zen und Plausibilitätsgrenzen werden herangezogen, um einen normalen Wertebe-
reich für Zählwerte zu definieren. Liegt der übertragene Wert außerhalb dieser
Grenzwerte, so wird der Zähler in der Datenbank als ungültig markiert. Durch die
Verletzung einer Grenze wird das zugehörige Flag für die Grenzwertverletzung
für das Objekt gesetzt und die Ereignis-/Alarmbehandlung entsprechend der vor-
gegebenen Einstellungen angestoßen.
Da Zählwerte in der Regel für kommerzielle Abrechnungszwecke verwendet
werden, ist es notwendig nach jedem Zyklus (Hauptwert oder Zwischenwert) alle
Zählwerte auf Vollständigkeit zu überprüfen. Falls ein Telegramm fehlt, wird das
zugehörige Status-Flag für das Objekt gesetzt und die Ereignis-/Alarmbehandlung
wird entsprechend der vorgegebenen Einstellungen angestoßen.
Falls ein Telegramm fehlt, besteht in der Regel die Möglichkeit einen Ersatz-
wert zu berechnen, um eine vollständige Aufzeichnung zu gewährleisten. Dabei
gibt es verschiedene Arten die Ersatzwerte abzuleiten:
x Verwendung des Alternativwertes
x Verwendung eines Messwertes
x Verwendung eines manuell eingegebenen Wertes
x Fortführung des letzten Inkrements
x Inkrement auf Null setzen
Um Zählwerte zu kennzeichnen, die aus der erfolgreichen Berechnung eines Er-
satzwertes stammen, wird ein entsprechendes Status-Flag gesetzt.
Zustandsmerkmale (Status-Flags)
Zustandsmerkmale existieren für Messwerte, Meldungen und Zählwerte. Sie ge-
ben Aufschluss über die Qualität der Daten und andere betrieblichen Einschrän-
kungen. Einige dieser Merkmale werden automatisch durch die Datenerfassung
und Datenverarbeitung gesetzt. Andere werden explizit durch Nachführung einge-
geben. Im Folgenden eine Auswahl von typischen Zustandsmerkmalen:
Nachgeführt
Dieses Flag wird für ferngemeldete Messwerte, Meldungen und Zählwerte gesetzt,
die vom Bediener nachgeführt wurden. Für nicht ferngemeldete Objekte, deren
Eingabe nur händisch erfolgen kann, wird es nicht gesetzt.
Datenerfassung blockiert
Dieses Flag wird für Messwerte, Meldungen und Zählwerte per Handeingabe ge-
setzt. Es wird automatisch gesetzt, wenn eine Nachführung für das betreffende
Objekt durchgeführt wurde.
760 16 Leit- und Informationstechnik

Aktualisiert
Dieses Flag ist normalerweise gesetzt. Es wird für Messwerte, Meldungen und
Zählwerte zurückgesetzt, wenn das Objekt, durch ein Problem auf der Übertra-
gungsstrecke oder im Fernwirkgerät, nicht übertragen wurde, oder durch eine
Grenzwertverletzung bei der A/D-Wandlung ungültig wird. Das Flag wird auch
gesetzt, wenn das Objekt nachgeführt wird.
Warnmeldung gesperrt
Dieses Flag wird per Handeingabe für Messwerte und Meldungen gesetzt. Bei
gesetzten Flag ist die Warnmeldeverarbeitung für den entsprechenden Datenpunkt
gesperrt, zum Beispiel um bei Wartungsarbeiten an der Fernwirkanlage nicht
durch Fehlalarme irritiert zu werden.
Befehlssperre
Dieses Flag wird per Handeingabe für steuerbare Geräte oder Objekte gesetzt. Bei
gesetzten Flag ist die Befehlsverarbeitung für den entsprechenden Datenpunkt
gesperrt, zum Beispiel um bei Wartungsarbeiten in der Schaltanlage das dort ar-
beitenden Personal nicht zu gefährden.
Ersatzwert
Das Flag wird durch die Datenverarbeitung für Zählwerte gesetzt, wenn es sich
um einen Ersatzwert handelt (siehe auch Abschnitt Zählwert).
Befehle und Sollwerte
Im Zustand FERNSTEUERUNG werden Steuerbefehle vom übergeordneten
Netzleitsystem überprüft (siehe Abschnitt Verriegelungen) und an das jeweils zu-
ständige Feldgerät weitergeleitet. Bevor das Feldgerät den Befehl ausführt, prüft
es ebenfalls, ob grade ein anderer Befehl ausgeführt wird, ob irgendwelche Ver-
riegelungsbedingungen vorliegen oder ob eine Blockierungsbedingung, zum Bei-
spiel zu niedriger SF6-Gasdruck vom Leistungsschalter, vorliegt. Bei Leistungs-
schaltern muss auch die Freigabe der Synchroncheck-Funktion vorhanden sein.
Nach positiver Prüfung sämtlicher Bedingungen wird der Befehl an den Schalter
ausgegeben.
Im Zustand LOKALSTEUERUNG erfolgt die Bedienereingabe am Bedien-
platz des Stationsrechners. Anschließend erfolgen dieselben Überprüfungen, bevor
der Befehl letztendlich an das angewählte Schaltgerät ausgegeben wird.
Ein Stationsleitsystem umfasst eine Anzahl verschiedenster Möglichkeiten zur
Steuerung von Betriebsmitteln. Dabei kann es sich auch um die Bedienung von
mehreren Objekten und genau definierten Befehlssequenzen handeln. Plausibili-
tätsprüfungen sollen eine möglichst große Sicherheit bei der Anlagensteuerung
gewährleisten. Gängige Befehlsarten die von einem SCADA-System gesteuert
werden können sind:
x Steuerbefehl (ein/aus)
x Höher/Tiefer-Befehl (bei Transformator Stufenstellern)
x Auf/Zu-Befehl (bei Ventilen und Schiebern)
x Sollwertvorgabe
16.2 Feld- und Stationstechnik 761

Steuerbefehl (Ein/Aus-Befehl)
Der Steuerbefehl kennt zwei Alternativen (ein/aus), die den möglichen Zuständen
des Betriebsmittels entsprechen. Man unterscheidet zwei Typen von Befehlen die
sich in Sicherheit und Geschwindigkeit unterscheiden:
x sofortige Ausführung
x Befehle mit Rücküberprüfungs-Charakteristik
Für den Befehl mit sofortiger Ausführung wird ein einzelnes Befehlstelegramm an
das Zielgerät übertragen.
Demgegenüber wird der Befehl mit Rücküberprüfung aufgelöst in zwei einzel-
ne Befehle an das Zielgerät, ein Anwahltelegramm, dass das zu steuernde Objekt
festlegt, gefolgt durch ein Ausführungstelegramm, das gesendet wird, nachdem
die Antwort auf das Anwahltelegramm im Leitsystem empfangen und geprüft
wurde. Die Antwort auf das Anwahltelegramm wird im Leitsystem dahingehend
geprüft, ob es sich um das richtige Gerät und die richtige Hardwareadresse han-
delt, bevor der Ausführungsbefehl geschickt wird.
Nach dem Senden des Ausführungsbefehls wird in beiden Fällen anschließend
die richtige Rückmeldung für das Objekt aus dem Prozess überprüft.
Höher/Tiefer-Befehl
Der Höher/Tiefer-Befehl kennt zwei Alternativen (höher/tiefer), die den mögli-
chen Richtungen entsprechen, in die der Zustand des Betriebsmittels verändert
werden kann. Im Gegensatz zum Steuerbefehl kann bei einem Höher/Tiefer-
Befehl für das vorgesehene Objekt eine beliebige Anzahl von einzelnen Ausfüh-
rungsbefehlen aufeinander folgen.
Die Überwachung eines Höher/Tiefer-Befehl erfolgt analog zu einem Steuer-
befehl.
Auf/Zu-Befehl
Der Auf/Zu-Befehl ist ähnlich dem Höher/Tiefer-Befehl. Allerdings arbeitet er
nicht mit diskreten Stufen sondern stufenlos. Solange der Befehl aktiv ist oder
noch keine Endstellung erreicht ist, ändert das angesprochen Objekt seinen Zu-
stand in die vorgegeben Richtung.
Sollwertvorgaben
Bei einer Sollwertvorgabe wird ein Sollwerttelegramm mit dem eingegebenen
neuen Sollwert an die RTU gesendet. Es können mehrfach Sollwertvorgaben für
dasselbe Objekt durchgeführt werden ohne es für jeden solchen Befehl neu an-
wählen zu müssen.
Schaltprogramme
Schaltprogramme ermöglichen die Steuerung einer Anzahl von Betriebsmitteln
durch vorgegebene Schaltsequenzen. Diese können auch Sicherheitsüberprüfun-
gen und Verzögerungszeiten enthalten. Typische Anwendungsfälle für Schaltpro-
gramme sind:
x Zu- und Abschalten von Kabeln oder Übertragungsleitungen auf eine
Sammelschiene durch eine Schaltsequenz für die Trenner und Leistungs-
schalter im Abgangsfeld.
762 16 Leit- und Informationstechnik

x Sammelschienenwechsel
x EIN/AUS-Befehle für Leistungsschalter (z. B. Lastabwurf oder Wieder-
zuschalten einer Last)
x Verarbeitung einer großen Anzahl von Straßenlaternen morgens und a-
bends
x Steuerung von Objekten
Schaltprogrammfunktion erlaubt es dem Bediener Schaltprogramme mittels einer
Art Makrosprache zu definieren. Für das Erstellen einer vollständigen Sequenz
sind meist noch weitere Funktionen verfügbar:
x Funktionen um den Ablauf zu steuern, wie:
- Warten bis eine bestimmte Meldung ihren Zustand geändert hat,
bevor die Sequenz fortgeführt wird
- Unterbrechen der Sequenz für eine bestimmte Zeit oder bis sie
vom Bediener fortgeführt wird
- Abbruch einer Sequenz
- Bedingte Ausführung: den Zustand einer Meldung oder eines
Messwertes abfragen und die folgende Zeile nur dann ausführen,
wenn die Bedingung zutrifft
x Zuweisung eines Sollwertes für ein Betriebsmittel
x Statusänderung einer Meldung in der Datenbank (wirkt wie eine Nach-
führung)
x Änderung eines Messwertes in der Datenbank (wirkt wie eine Nachfüh-
rung)
x Ausgabe einer Nachricht
x Ausgabe eines Ereignisses in die Ereignisliste und auf den Drucker
Vordefinierten Sequenzen, wie zum Beispiel Sammelschienenwechsel können
dann im Zustand FERNSTEUERUNG auch mittels eines einzigen Befehlstele-
gramms vom übergeordneten Leitsystem aufgerufen werden.
Verriegelungen
Die Verriegelungsfunktion schützt vor unerlaubten Befehlen und Nachführungen.
Für Meldungen können Verriegelungsbedingungen definiert werden, die überprüft
werden bevor ein Betriebsmittel geschaltet wird. Trifft die Bedingung zu, wird der
Befehl oder die Nachführung abgewiesen. Für Test- oder Notsituationen können
die Verriegelungen umgangen werden.
Die Funktion erlaubt die Vorgabe von Einzelbedingungen oder Mehrfachbe-
dingungen, die jedes Mal überprüft werden, wenn ein Befehl oder eine Nachfüh-
rung versucht wird. Verriegelungsbedingungen werden logisch aufgebaut (z. B.
ein bestimmter Leistungsschalter ist geöffnet, ein Gerätestatus ist im Zustand
'ferngemeldet' oder eine Übertragungsleitung ist spannungsführend).
Verriegelungsbedingungen lassen sich zum einen als globale Regeln definie-
ren, zum Beispiel keine Verbindung zwischen spannungsführenden und geerdeten
Netzteilen. Diese topologischen Verriegelungsbedingungen werden mit Hilfe von
Topologieprozessoren überprüft. Weiterhin können spezielle Verriegelungsbedin-
gungen mit Hilfe von Makroprogrammen definiert werden. Die Verriegelungsprü-
fungen können in den folgenden Bereichen angewendet werden:
16.2 Feld- und Stationstechnik 763

x Topologische Bedingungen
x Zustand von Objekten
x Generelle Bedingungen
Ist ein Objekt einer Verriegelungsfunktion zugeordnet, dann wird die Verriege-
lungsprüfung oder die Folge der Verriegelungsprüfungen jedes Mal ausgeführt,
wenn das Objekt angesteuert werden soll. Falls das Ergebnis der Prüfung die ge-
wünschte Bedienhandlung nicht zulässt, wird die Steuerungsanforderung abgebro-
chen und eine Fehlermeldung auf dem Monitor angezeigt. Für Test- oder Notsitua-
tionen kann unter Benutzung der Umgehungsfunktion (Bypass-Funktion) eine
solche abgewiesene Steuerungsanforderung doch ausgeführt werden. Aus Sicher-
heitsgründen wird die Verwendung der Bypass-Funktion vom System in der Er-
eignisliste protokolliert.

16.2.5.2 Ereignis-/Alarmbehandlung
Die Ereignisbehandelung verarbeitet alle Ereignisse die von Schalt- und Schutzge-
räten erzeugt werden und für den Betrieb der Schaltanlage von Bedeutung sind.
Jede Änderung im Prozess oder in der Sekundärtechnik erzeugt ein Ereignis. Die-
se werden möglichst nah am Entstehungsort, das heißt normalerweise in den Feld-
einheiten, mit einem Zeitstempel versehen. Um bei großen Ereignisaufkommen
oder Kommunikationsunterbrechungen sicherzustellen, dass keine Ereignisse ver-
loren gehen, sind alle an der Ereignisverarbeitung beteiligten Komponenten (Feld-
einheit, Datenerfassungseinheit, Kommunikationseinheit) mit einem Ereignisspei-
cher versehen. Die dezentral entdeckten Ereignisse werden an das Stationsleitsys-
tem übertragen, wo sie in Ereignislisten innerhalb der Prozessdatenbank des Stati-
onsrechners abgelegt werden und, falls zutreffend, zu den Aufzeichnungen auf
dem Ereignisdrucker addiert werden, bzw. an das übergeordnete Netzleitsystem
weitergeleitet werden.
Ereignisverarbeitung
Ereignisse werden dann erzeugt, wenn sich der Status einzelner Objekte im Pro-
zess oder auch im Stationsleitsystem selbst verändert. Die Ereignisverarbeitung
eines SCADA-Systems kann, gesteuert durch ein vielseitiges System zur Klassifi-
zierung, eine oder mehrere der folgenden Aktionen einleiten:
x Ausgabe des Ereignisses auf dem Drucker
x Ausgabe des Ereignisses in der Ereignisliste
x Unquittierte und anstehende Warnmeldung
x Akustischer Alarm
x Anstoß von weiteren Funktionen
Sowohl für Messwerte als auch für Meldungen können bei der Ereignisverarbei-
tung meist unterschiedliche Zeitverzögerung definiert werden, normalerweise in
Abhängigkeit vom überwachten Betriebsmitteltyp. So können beispielsweise.
Zeitverzögerungsgruppen für Leistungsschalter oder für antriebsgesteuerte Tren-
ner usw. angegeben werden. Die Verzögerungszeit spezifiziert eine Zeitspanne
zwischen dem Zeitpunkt der Erkennung einer Messwert- oder Meldungsänderung
und dem Zeitpunkt der möglichen Darstellung dieser Zustandsänderung. Nimmt
der Zustand des Messwertes oder der Meldung innerhalb dieser Zeitspanne wieder
764 16 Leit- und Informationstechnik

den ursprünglichen Wert an, so wird keine Darstellung des Ereignisses oder einer
Warnmeldung angestoßen.
Ereignislisten
Eine Ereignisliste ist die historische Aufzeichnung von Ereignissen, die chronolo-
gisch sortiert dargestellt werden, wobei jedes Ereignis einen Zeitstempel und eine
Beschreibung hat. Um den Bediener nicht mit Ereignissen zu überfluten, erfolgt
bei der Darstellung von Ereignislisten eine Filterung auf Ereignisse, die zu einem
bestimmten Teil des Systems, zum Beispiel einer Spannungsebene, gehören. Die-
ser Filter wird automatisch durch den gegenwärtig selektierten Systemteil be-
stimmt und beschränkt den Informationsumfang auf den für den Bediener zu die-
sem Zeitpunkt relevanten Anteil.
Zusätzlich zur automatischen Filterung können auch weitere Reduzierungen
der Ereignisse vom Bediener durch Verwendung der Ereignisauszugsfunktion
erreicht werden. Die Liste kann so eingeschränkt werden, dass sie nur noch Ereig-
nisse einer bestimmten Priorität, eines bestimmten Typs, Ereignisse für ein be-
stimmtes Objekt oder eine Gruppe von Objekten oder einer Kombination dieser
oder anderer Eigenschaften enthält. Als Beispiel. kann so zur Lokalisierung eines
Erdschlusses die Ereignisdarstellung auf alle Meldungen von Erdschlussrelais in
einem bestimmten Zeitraum eingeschränkt werden.
Warnmeldungsverarbeitung
Bestimmte Ereignisse können so definiert werden, dass sie als Warnmeldung
(Alarm) weiterverarbeitet werden. Warnmeldungen müssen explizit quittiert wer-
den und bieten weitreichendere Möglichkeiten zu Darstellung als Ereignisse.
Warnmeldungen werden wie folgt dargestellt:
x Betroffene Objekte werden in einen Zustand „unquittierte Warnmeldung“
und/oder „anstehende Warnmeldung“ gesetzt. In jedem Bild, in dem sie
angezeigt werden, werden die Symbole besonders hervorgehoben.
x Eine Warnmeldungsbedingung erzeugt einen Eintrag in entsprechenden
Warnmeldelisten.
x Das Eintreten einer Warnmeldung kann zu einem akustischen Alarm füh-
ren.
Warnmeldeliste
Die Warnmeldeliste hat die gleiche Struktur wie die Ereignisliste. Während die
Ereignisliste eine kontinuierliche Registrierung aller Ereignisse enthält, geben die
Einträge in der Warnmeldeliste die aktuellen Warnmeldezustände der Objekte in
komprimierter Form wieder. Unquittierte Warnmeldungen können von jedem Be-
dienplatz aus, der über die entsprechende Zuständigkeit bezüglich des zugehörigen
Objektes verfügt, quittiert werden. Wird ein Objekt quittiert, so wird der Eintrag
für dieses Objekt als quittiert gekennzeichnet. Gehört das Objekt zu einer anste-
henden Warnmeldung, so verbleibt der Eintrag in der Warnmeldeliste erkennbar
als quittiert, jedoch im Zustand anstehende Warnmeldung. Im anderen Fall wird
der Eintrag aus der Liste gelöscht.
16.2 Feld- und Stationstechnik 765

16.2.5.3 Visualisierung
Zur Überwachung und Steuerung der kontrollierten Schaltanlage werden durch die
Dateneingabe so genannte Anlagenbilder erstellt. Diese zeigen die Konfiguration
und den dynamischen Status der gesamten Anlage, bzw. von einzelnen Teilsyste-
men. Dabei werden in einer schematischen Darstellung der Anlage die statischen
Informationen zusammen mit dynamischen Objekten dargestellt.
Statische Bildinformation sind zum Beispiel die Anlagentopologie mit Lei-
tungsabgängen, Sammelschienen und Transformatoren, die Namen der Betriebs-
mittel oder Sammelschienenfelder, usw. Die dynamischen Bildobjekte zeigen den
Gerätestatus, numerische Werte für Leistungsfluss, Spannungen und andere
Messwerte, oder auch durch das Stationsleitsystem berechnete Werte, wie zum
Beispiel Summen von Messwerte oder die aus Wirk- und Blindleistung ermittelte
Scheinleistung. Gegebenenfalls wird auch eine dynamische Netzeinfärbung dazu
verwendet, um den Status (spannungsführend, spannungslos, geerdet, usw.) oder
die Spannungsebene, mittels entsprechender Einfärbung der Symbole für Leitun-
gen, Sammelschienen, Transformatoren, usw., zu visualisieren.
Die Überwachung der Betriebsmittel, der Schaltanlage oder des Umspannwer-
kes erfolgt in Regel über diese Anlagenbilder. Durch Anwahl eines Betriebsmit-
tels in einem Anlagenbild und der Auswahl des entsprechenden Bediendialogs
werden die Überwachungs- und Steuerungsfunktionen des Stationsleitsystems
aufgerufen.
Neben den Anlagenbildern gibt es in Stationsleitsystemen noch eine Reihe
weiterer Bildtypen:
x Listenbilder
Listenbilder finden Verwendung zur Präsentation von Ereignis- oder
Warnmeldelisten, aber auch zur Darstellung von tabellarischen Ergebnis-
sen der Applikationen, wie zum Beispiel Archiven.
x Baumdarstellung (Explorer Darstellung)
Neben der Darstellung der Betriebsmittel in den Anlagenbildern können
alle in der Datenbank des Stationsleitsystems befindlichen Datenobjekte
auch in eine Baumdarstellung, ähnlich der Dateistruktur eines PC-
Laufwerkes, dargestellt werden. Die Anordnung der Objekte innerhalb
des Baumes erfolgt automatisch gemäß der bei der Dateneingabe defi-
nierten Anlagenhierarchie. Damit lassen sich auch Datenobjekte anwäh-
len, für die keine Darstellung in einem Anlagenbild gemacht wurde, wie
zum Beispiel Fernwirkgeräte.
x Kurvendarstellung
Mit Hilfe von Kurvendarstellungen lässt sich der Verlauf von dynami-
schen Größen (z.B. Messwerte) in Abhängigkeit von der Zeit darstellen.
Damit lassen sich Entwicklungstendenzen leichter verfolgen.
x Systembilder
Zur Überwachung der Funktionen des Stationsleitsystems selbst, gibt es
eine Reihe von Systembildern, in denen die Komponenten des Leitsys-
tems und ihr jeweiliger Status dargestellt werden.
766 16 Leit- und Informationstechnik

16.2.5.4 Störverlaufsanalyse/Störschriebe
Schutzgeräte werden heutzutage ausschließlich in Digitaltechnik gebaut und
besitzen Analog/Digital Wandler, die ein hochfrequentes Abtasten der Eingangs-
signale ermöglichen. Dadurch lassen sich in die Geräte Störschriebfunktionen
implementieren, die es erlauben, den Signalverlauf vor, während und nach einer
Störung für einen definierten Zeitraum aufzuzeichnen und abzuspeichern. Diese
Störschriebinformationen können dann über den Stationsbus ausgelesen und mit-
tels entsprechender Visualisierungssoftware auf dem Stationsrechner oder auch
auf dem Rechner eines überlagerten Netzleitsystems zur Störverlaufsanalyse dar-
gestellt werden. Als ein herstellerunabhängiges Dateiformat für die Störschriebin-
formationen hat sich des sogenannte COMTRADE Format etabliert.

16.2.5.5 Datenpflege
Systeme zur Schaltanlagenüberwachung benötigen eine große Zahl an statischen
Informationen für die Beschreibung der Systemkonfiguration, der Fernwirkrangie-
rung und der Anlagentopologie. Passend zur Anlagentopologie müssen dann ge-
gebenenfalls auch noch Anlagenbilder für das Bedienerinterface gezeichnet wer-
den. Dabei handelt es sich zum einen um Beschreibungen (Textdaten), zum ande-
ren um graphische Abbildungen der Anlage. Beide Informationstypen müssen
konsistent, leicht zu erfassen und leicht zu aktualisieren sein.

Abb. 16.5. Typisches Applikationsfenster für Systemkonfiguration und Datenpflege


Die Eingabe der Daten des Stationsleitsystems erfolgt meist zuerst in einer ei-
genständigen Datenpflegeapplikation, die den Dateneingeber durch verschiedene,
teilweise auch aufgabenbezogen, gefilterte Darstellung der Daten (Topologie,
Kommunikation, Konfiguration, usw.) bei der Dateneingabe unterstützen. Mit
Hilfe von Vorlagen lassen sich immer wiederkehrende Datenkonstellationen
schnell und einfach erfassen.
Mit der Einführung der IEC 61850 lassen sich viele Informationen auch impor-
tieren, wenn diese bei der Konfiguration einer anderen Komponente, zum Beispiel
eines Schutzgerät, schon einmal für ein anderes Gerät eingegeben und in der von
16.3 Phasenwinkelmessungen 767

der IEC 61850 definierten Substation Configuration Language (SCL) expor-


tiert worden sind.

16.3 Phasenwinkelmessungen
In der Vergangenheit konnten nur die Betragswerte der Strom- und Span-
nungsmesswerte aus den Schaltanlagen und Umspannstationen zu einer zentralen
Leitstelle übertragen werden, da es an einem hochgenauen Zeitnormal mangelte.
Mit der Verbreitung der GPS Technologie steht nun ein solches Zeitnormal über-
all auf der Welt zur Verfügung. Damit wird es möglich, neben den Beträgen auch
die Phasenwinkel von Spannung und Strom an räumlich getrennten Orten zu er-
fassen und an ein zentrales System zu übertragen. (siehe Abb. 16.6) Dort können
dann die Phasenwinkelinformationen in Relation gesetzt und ausgewertet werden.
Für die Messung von Synchronzeigern in Elektroenergiesystemen ist mit der IEEE
C37.118 ein weltweiter Standard definiert worden

Satelliten Netzleitwarte

df
V, I, f ,
dt

Kommunikationskanäle
Vektorgrößenmessung von
GPS Signal Spannungen & Strömen mit
hoher Genauigkeit bezüglich
Amplitude, Phasenwinke and
Zeitsynchronization (<1μs)
Phasenwinkel
Messgerät
(PMU)

Abb. 16.6. Verteilte Phasenwinkelmessung in einem Energieversorgungsnetz

16.3.1 Messgeräte
Heutige Feldgeräte werden ausschließlich digital aufgebaut und haben schnelle
Analog/Digital-Wandler implementiert. Auf der Basis bestehender Feldgeräte-
plattformen können somit gleichfalls Phasenwinkelmessgeräte, auch Phase Meas-
urement Unit (PMU) genannt, aufgebaut werden. Genügend Rechenleistung sowie
Rechenspeicher und ein Eingangssignal für eine hochgenaue Zeitreferenz voraus-
gesetzt, kann die Phasenwinkelmessfunktion durch entsprechende Firmware reali-
siert werden. Die Ausgabe der gemessen Phasenwinkel erfolgt dann über die
Schnittstelle zum Stationsbus.
768 16 Leit- und Informationstechnik

16.3.2 Anwendungen
Neben einer Verbesserung der State Estimation bezüglich Konvergenz und Ge-
nauigkeit lassen sich mit Hilfe von hochzyklisch (10-100 msec.) erfassten Pha-
senwinkelmesswerten ganz neue Arten der Netzzustandsüberwachung realisieren.
So wie in einem mechanischen Kraftübertragungssystem die Torsion bei den An-
triebswellen eine Information über deren Belastungen gibt, ist es möglich mit der
Phasenwinkelmessung kritisch belastete Stellen im elektrischen Energieübertra-
gungssystem zu lokalisieren.
Darüber hinaus ermöglicht die hochzyklische Abtastung der Phasenwinkel
auch die Erkennung und Überwachung von dynamischen Vorgängen, wie zum
Beispiel Leistungspendelungen. Durch die Überwachung mittels Phasenwinkel-
messung ist es möglich zu kontrollieren, ob solche Vorgänge stabil sind, abklin-
gen oder sich aufschaukeln. Im letzten Fall können dann frühzeitig dämpfende
Gegenmaßnahmen eingeleitet und deren Wirksamkeit überwacht werden.
Die Nutzung der Phasenwinkelmessungen ist noch in den Anfängen, aber erste
Anwendungen zeigen, dass mit dieser neuen Technik die Übertragungssicherheit,
besonders bei hoch ausgelasteten Netzen, verbessert werden kann.

16.4 Fernwirktechnik
16.4.1 Infrastruktur
Unter Fernwirktechnik ist die Übertragung von Daten zwischen den Fernwirkgerä-
ten und dem Netzleitsystem in der Leitwarte zu verstehen (siehe Abb. 16.7). Pro-
zessdaten werden durch Fernwirkgeräte (auch Remote Terminal Units oder RTU)
abgerufen und gesammelt. Über Netzwerkverbindungen, direkte Verbindungen,
wie zum Beispiel Funkverbindungen, Starkstromleitungen (Power Line Carrier),
optische Glasfaserkabel oder auch öffentliche Telefonnetze überträgt die RTU die
Daten an das Netzleitsystem unter Verwendung von genormten Protokollen.
Bei den direkten Verbindungen werden teilweise mit einer Kommunikations-
leitung auch mehrere RTUs mit dem Netzleitsystem verbunden, damit die Anzahl
der benötigten physikalischen Kommunikationsleitungen reduziert wird. Die fol-
genden wesentlichen Konfigurationsalternativen sind möglich:
x Punkt-zu-Punkt Jeweils eine Standleitung zu jeder RTU
x Mehrpunkt-Verbindung Mehrere RTUs in Serie hintereinander
geschaltet.
x Sternkonfiguration Mehrere RTUs mit eigenem Kommuni-
kationskanal verwenden ein gemeinsa-
mes Element, z.B. im Kontrollzentrum.
Diese Konfiguration wird üblicherweise
verwendet, wenn Funkverbindungen
verwendet werden.
Bei den Netzwerkverbindungen kommen in der Regel Wide Area Network
(WAN) Technologien zum Einsatz. Da es sich bei einer Netzwerkverbindung um
eine logische Verbindungen zwischen den Geräten handelt, die gemeinsam ein
Verbindungsmedium benutzen, wird hier hauptsächlich mit Punkt-zu-Punkt Ver-
bindungen gearbeitet.
16.4 Fernwirktechnik 769

Direkt vom Netzleitsystem aus initiierte Wählverbindungen können nur im


Punkt-zu-Punkt Betrieb arbeiten, da vom Leitsystem aus pro Modem immer nur
eine Gegenstelle angewählt werden kann.

Abb. 16.7. Kommunikation zwischen Schaltanlagen und Netzleitsystem

16.4.2 Protokolle
Eine wesentliche Grundlage für eine reibungslose Datenerfassung ist die Verwen-
dung von anerkannten internationaler Normen und de-facto Standard-Kommuni-
kationsprotokollen. Dies erleichtert die Integration vorhandener RTUs oder RTUs
anderer Hersteller. Daneben gibt es aber historisch bedingt noch eine Vielzahl
proprietärer Protokolle der einzelnen Hersteller von Fernwirktechnik. Durch ihre
internationale Normung sind heute die Protokolle
x IEC 60870-5-101
x IEC 60870-5-104
x DNP 3
x DNP 3i
weit verbreitet, wobei sich die DNP Protokolle zumeist in den US-geprägten Re-
gionen finden während die IEC Protokolle mehr in den europäischen geprägten
Regionen anzutreffen sind. Während das „DNP 3“ und das „101er“ Protokoll als
Übertragungsweg eine serielle Leitung vorsehen, findet bei „DNP 3i“ und dem
„104er“ Protokoll eine TCP/IP Netzwerkverbindung als Übertragungsmedium
Verwendung.
770 16 Leit- und Informationstechnik

16.4.2.1 Der neue globale Standard IEC 61850


In den letzten Jahren ist es gelungen mit dem neuesten Protokoll IEC 61850 einen
neuen Standard in der Stationsleittechnik zu definieren und weltweit einzuführen.
Das in der IEC 61850 definierte Kommunikationsprotokoll lässt sich prinzipiell
auch zur Kommunikation zwischen Stations- und Netzleitebenen einsetzten.
Da aber die IEC 61850 nicht nur ein Kommunikations- sondern auch ein Da-
tenmodell definiert, bedarf es einer Anpassung der Datenmodelle auf Stations-
und Leitsystemebene um alle Vorteile der neuen Norm ausnutzen zu können.
Auf der Netzleitsystemebene hat sich in der Vergangenheit mit dem Standard
IEC 61970, auch Common Information Model (CIM) genannt, ein Datenmodel-
standard entwickelt, der auf die Belange von Netzleitsystemapplikationen und
deren Datenaustausch hin konzipiert ist (siehe auch Kap. 17). Um einen Austausch
der Konfigurationsdaten zwischen Stations- und Netzleitebene zu vereinfachen,
laufen hier aktuell in den Normungsgremien Harmonisierungsaktivitäten zwischen
der IEC 61850 und der IEC 61970, die eine entsprechende Abbildungsdefinition
zwischen den beiden Datenmodelstandards definiert soll. Mit dieser Harmonisie-
rung kann dann ein noch besserer vertikale Integration in der Energieautomatisie-
rung realisiert werden.
17 Netzleittechnik für elektrische Energienetze

17.1 Marktumfeld, Anforderungen an die Netzleittechnik

17.1.1 Marktumfeld
Die Deregulierung und Marktöffnung der Stromversorgungsindustrie hat dramati-
sche Veränderungen für die Energiewirtschaft mit sich gebracht. Im Wesentlichen
werden gemäß Abb. 17.1 dabei vor allem vertikal organisierte Energieversorger
neu in Energieerzeuger, Übertragungsnetzbetreiber und Energieverteiler aufgeteilt
und die physische Stromproduktion und -verteilung von der kommerziellen Ener-
gievermarktung separiert.

Abb. 17.1. Strukturänderung bei den Energieversorgern

Dieser Wandel führt bei den Energieversorgungsunternehmen (EVU) im Wesentli-


chen zu:
x Intensivem Wettbewerb und damit zu vermehrtem Kostendruck
x Restrukturierungen, z.B. bezüglich dem Netzbetrieb und Energiehandel
x Allianzen, z.B. in Form von kooperierenden Marktakteuren, sowie Akquisitio-
nen und Fusionen
x Stärkere Kundenausrichtung zwecks Kundenerhalt oder -ausbau

Die Akteure sind dadurch gezwungen, ihre Position im Markt zu überdenken und
eine eventuelle strategische Neuausrichtung vorzunehmen. Dies betrifft sowohl das
772 17 Netzleittechnik für elektrische Energienetze

EVU als auch die Zulieferer von Informationstechnologie (IT)-basierenden Lösun-


gen, z.B. den Netzleit-, Fernzähl-, Kommunikations-Lieferanten usw.

Die Auslegung der IT-Lösungen und damit auch der Netzleittechnik ist auch für die
EVU ein entscheidender Faktor für den Erfolg im deregulierten Markt. Praktisch
alle wichtigen Geschäftsprozesse sind heute stark von den IT-basierenden Appli-
kationslösungen und deren Vernetzung abhängig. Die Vernetzung soll hauptsächlich
einen optimalen Arbeitsfluss und damit verbundene Kostensenkungen ermöglichen.
Mit der Marktöffnung ergibt sich auch eine Zunahme der Komplexität im IT-
Bereich, insbesondere bei der Auslegung und Anpassung von Systemkonzepten.
Dabei haben sich auch die Anforderungen an die Netzleittechnik stark verändert.
Die Systeme und Applikationen müssen insbesondere modularer aufgebaut und auf
die Entflechtung von Produktion, Transport, Verteilung und Handel abgestimmt und
funktional ergänzt sein.
Die moderne Netzleittechnik konzentriert sich im Allgemeinen auf die folgenden
Aufgaben:
x Sichere Überwachung und Steuerung der elektrischen Energieversorgung
x Unterstützung einer unterbruchsfreien Energieversorgung
x Optimierung des Netzbetriebes betreffend des Energietransportes und der
-verteilung
x Bereitstellung von echtzeit-orientierten Netzzuständen für weiterführende
Applikationen (Statistik usw.).
Moderne Netzleittechnik ist meistens ein integraler Bestandteil der gesamten IT-
Lösung des Energieversorgers. Daher unterstützt sie auch eine reibungslose Integ-
ration in das IT-Umfeld und trägt so maßgebend an die Verbesserung der Arbeits-
abläufe in den jeweiligen Unternehmen bei.

17.1.2 Prinzipielle Anforderungen an ein Netzleitsystem


Für die Netzleittechnik im liberalisierten Marktumfeld und insbesondere auch im
Übergang zur Liberalisierung sind die folgenden Anforderungen von Wichtigkeit.

Kostenorientierte Anforderungen
x Minimale Gesamtkosten des Netzleitsystems über den System-Lebenszyklus
(Totale Eignerkosten für Beschaffung, Implementation, Datenhaltung, System-
haltung, Ausbildung, Integration, Adaption, Migration usw.)
x Kurze Implementierungszeiten für das Netzleitprojekt
x Komplexitätsbewältigende und risikoarme Netzleittechnik-Lösung
x Evolutionäre Adaptionsmöglichkeiten an neue Gegebenheiten (z.B. an neue
Marktregeln, Aufgaben usw.) unter Wiederverwendung bewährter Lösungen
x Unterstützung von internationalen Standards.

Nutzenorientierte Anforderungen
x Breiter Funktionsumfang entsprechend der Netzbetriebsaufgaben
x Flexibilität zum Konfigurieren der "geeignetsten Lösung" für die gewählte
Differenzierung der Unternehmensleistung im Wettbewerb
x Vernetzungs- und Integrationsflexibilität von Applikationen für die optimale
Unterstützung der Produktivität entlang den Wertschöpfungsketten, Abbau von
Überlappungen
17.2 Systemkonzeption für Netzleitsysteme 773

x Kommunikationsflexibilität nach innen und außen zur Fokussierung der Unter-


nehmensleistung auf die Kunden und den Markt, insbesondere auch Web-
Fähigkeit des Systems
x Rasche Umsetzung strategischer Geschäftsziele mittels der Netzleittechnik-
Lösung.

17.2 Systemkonzeption für Netzleitsysteme


Auf einem hohen Abstraktionsniveau basiert ein modernes Netzleit-Systemkonzept
auf einem Knotenmodell, in dem der modulare, verteilbare Systemknoten „Netzleit-
stelle“ als Bestandteil der IT-Welt in einem EVU behandelt wird (s. Abb. 17.2).
Internationalen Standards, insbesondere jene der IEC (International Electrotechnical
Commission), sowie de-facto Standards und entsprechenden Basistechnologien
erlauben leistungsfähige Netzleittechnik-Lösungen aufzubauen.

Mit dem Netzleitsystem werden bei EVU-Betreibern zumeist Echtzeit-Informa-


tionen aus dem Netz erfasst und darauf basierend das Energieversorgungsnetz opti-
mal überwacht und gesteuert. Zusätzlich erlaubt es auf effiziente Art mit den übri-
gen IT-basierenden Applikationen des EVU’s integrierend zusammenzuarbeiten.
Die wichtigsten Elemente des Netzleitsystems sind Objektdaten und damit verbun-
dene Applikationen und Services.

Die Konzeptarchitektur basiert im Wesentlichen auf Komponenten (Bausteinen),


einem zugehörigen gemeinsamen Informationsmodell und einer Infrastruktur (Bus-
system usw.) zum Betrieb der Komponenten. Eine oder mehrere Komponenten
bilden eine Applikation, beispielsweise eine Netzoptimierung oder eine Service-
Applikation. Je nach Aufgabenstellung können Applikationen, z.B. entsprechend
der Entflechtung in einem deregulierten Markt, zu einem System zusammengefasst
werden. Das Konzept unterstützt auch Integrationsschnittstellen zu anderen Syste-
men, beispielsweise einem Fernzählsystem. Eine unterschiedliche Applikationsbün-
delung erlaubt eine flexible Konfigurierung des Systems für einen EVU-Typ, z.B.
einen Energieproduzenten, Verteilnetz-, Übertragungsnetzbetreiber usw.
Das Netzleitsystem kann sowohl zentralisiert als auch dezentralisiert strukturiert
sein (Multisite). Es kann über standardisierte, lose Kopplungsmechanismen, bei-
spielsweise XML, TCP/IP, mit anderen Systemen kommunizieren (verteilte Intelli-
genz) und bildet somit einen Netzknoten in einer vernetzten Systemwelt des EVU.
Aus Leistungs- und Effizienzgründen sind innerhalb eines Applikationsbündels
jedoch auch engere Kopplungen der Applikationen und Komponenten möglich.
Innerhalb des EVU kann das System auch via standardisierte Gateways über einen
Unternehmensbus (z.B. Enterprise Information Bus) kommunizieren. Die Vernet-
zung mit der EVU-Außenwelt (andere EVUs, Kunden, Partner usw.) erfolgt über
standardisierte Kommunikationsverfahren wie ICCP (Inter-Control Center Commu-
nication Protocol), Internet usw.
Der Systemknoten „Netzleitsystem“ kann für außenliegende Systemknoten (z.B. ein
Energiebilanzsystem oder CRM-System (Customer Relation Management) Dienst-
leistungen zugunsten des Benutzers erbringen (z.B. Übernahme und Darstellung von
Energiebilanz-Zuständen auf einem Netzführungsbild).
774 17 Netzleittechnik für elektrische Energienetze

Der Systemknoten „Netzleitsystem“ oder auch darin enthaltene Applikations-


Komponenten bieten die notwendigen Schnittstellen für eine Einbettung in ein Inte-
grationsumfeld. Applikations-Komponenten sind wieder verwendbar. Damit wird
eine evolutionäre Systemadaption unterstützt. Umgekehrt erlaubt das Komponenten-
Konzept in der Netzleittechnik auch die Verwendung resp. Integration von Applika-
tionskomponenten Dritter, um die bestgeeignetste Lösung zu konfigurieren. Die
Unterstützung der Prinzipien einer „best-of-class“-Konfiguration erfolgt durch ein
entsprechend leistungsfähiges und flexibles System- und Datenkonfigurations-
Werkzeug. Weitere Details zur Integration im EVU- Gesamtbereich siehe Abschnitt
17.9 Systemintegrationskonzepte.

Internet Clients oder


mobile Arbeitsplätze
Web
EVU xxx
Z.B. Fernzähl- System
Netzleitsystem mit Netz-Datenmodell mit Fernzähl-Datenmodell
Datenmodell-
Adapter
IEM

Andere Systeme im EVU


IEM
Unternehmensbus (EIB)

Kommunikations-
z.B. Extranet
Netz

Abgesetzte Arbeitsplätze
oder dezentralisiertes
Andere EVU, Kunden, Partner etc.
Netzleitsystem (Multisite)

Abb. 17.2. Überblick zum Konzept und zur Architektur

17.3 Systemarchitektur
17.3.1 Domänenstruktur
Ein Netzleitsystem ist zweckmäßigerweise gemäß Abb. 17.3 in lose gekoppelten
Domänen oder Ebenen aufgebaut. Damit kann es für die verschiedenen Anwen-
dungsfälle und Gegebenheiten flexibel strukturiert und skaliert werden.

Im Weiteren wird dadurch auch eine große Integrations- und Restrukturierungsfle-


xibilität erreicht, die insbesondere bei der Entflechtung in liberalisierten Märkten
wirtschaftliche Anpassungen innerhalb des System-Lebenszyklus erlaubt.
Jede Domäne läuft unabhängig und ist mit anderen Domänen über gut definierte
Schnittstellen verbunden. Die Hardware-Ressourcen können pro Domäne ent-
sprechend der Belastung und der Systemverfügbarkeit konfiguriert werden. Die
Skalierung ermöglicht kleine bis größte Systemkonfigurationen.
17.3 Systemarchitektur 775

Darstellungs –Domäne Daten- Basis-


Echtzeit- Anwendungs- Datenmanagement- Management- system
Bedienoberflache Bedienoberfläche Bedienoberflache Domäne
Objekteditor
(Webfähig)
Anwendungs-Domäne
Nachfrage- Verteilnetz- Erzeugungs- Archiv-
Management führung Management Funktionen
& CIM-basierende System-
Multi-Energie Transportnetz- Training & Planung &
Objekt- dienste
Optimierung führung Simulation Studien
bibliothek

Echtzeit- Domäne Grafikdesigner Kontext-


Management
SCADA- Schaltfolgen-
Funktionalität Management

Ereignisverwaltung (Data Distribution Server) Grafikbilder

Konfigurations-
Kommunikations-Domäne Management
Konfigurations-
Leitstellen- Fernwirk-Prozessschnittstelle parameter
Kommunikation ICCP front-End

Abb. 17.3. Struktur & Funktionsüberblick des Netzleitsystems

17.3.2 Komponenten-Architektur und Datenmodelle

17.3.2.1 Komponentenarchitektur
Die Komponentenarchitektur und das gemeinsame Datenmodell gemäß Abb. 17.4
sind wesentliche Eigenschaften einer zukunfts-orientierten Architektur. Eine Orga-
nisation in Ebenen (Layer) und standardisierten Schnittstellen erlaubt die Kapselung
der Komponenten und eine Modifikation einer Ebene unabhängig von einer ande-
ren.
Ein umfassendes Domänen-Modell modelliert alle Daten in einheitlicher Be-
nutzersicht (Prozess, System, Kommunikation, Arbeitsfluss usw.), um einerseits
Systemkosten tief zu halten und andrerseits Konsistenz aller Informationen effizient
zu gewährleisten. Die Prozessobjekte (Schalter, Leitungen usw.), d.h. die relevanten
Elemente des physischen Netzes, werden auf der Basis des CIM (Common Informa-
tion Model IEC 61970) modelliert. Das standardisierte Komponentenmodell und
eine Komponenten-Interface ermöglicht die Kombination und Interaktion von kom-
patiblen Komponenten verschiedener Hersteller nach einem "Plug and Play"-
Ansatz. Im Weiteren erleichtert die beschriebene Architektur zusätzlich:

x den effizienten Zugriff auf die Knoten-Daten (Data Warehouse-Nutzung),


x die spezifische Programmentwicklung mittels Applikations-Programmierungs-
Interfaces (API),
x die inkrementelle Erweiterung des Systems durch neue Applikationen,
776 17 Netzleittechnik für elektrische Energienetze

x die Produktevolution ohne bestehende Schnittstellen zu verändern und


x das Einbinden von nicht kompatiblen Applikationen oder Systemen.

Engineering- Echtzeit & Datenbank- Applikationen Training Bestehende


System Automation Server 1-n Systeme

Programme Programme CIM-Server Programme Programme Bestehendes


System

Public Public Public Public Public


Adapter
Data Data Data Data Data

Komponenten-Ausführungssystem
und Komponenten-Adapter (z.B. Integrations-Bus)

Internet/
Inter-EVU- Public Komponenten-
Intranet Kommunik. Data IEM Schnittstelle
Programme
Fernwirk-
Netz
Kommunikation

Andere
Systeme

Abb. 17.4. Überblick zur Komponentenarchitektur und den wichtigsten Komponenten


eines Netzleitsystems

17.3.2.2 Struktur des Datenmodells


Das Objektmodell für die Prozessdaten basiert auf dem Common Information
Model (CIM). Das Modell kann für eine große Zahl Anwendungsfällen verwendet
werden kann, ohne eine spezielle Anpassung vornehmen zu müssen. Alle Objekt-
typen sind im Domänenobjektmodell gespeichert. Es liefert eine Logikstruktur,
mit der ein externer Benutzer auf Objektdaten zugreifen und mit den Anwendun-
gen über Anwenderprogrammierschnittstellen, z.B. auf SQL-Basis (Sequential
Query Language), einwirken kann. Der vollständige Satz von Objekttypen bildet
das Domänenobjektmodell des Netzleitsystems. Es beinhaltet alle Objektdaten, die
Instandsetzungs- und Betriebsanwender darstellen können, und auch alle Befehle,
die Betriebsanwender ausführen können.
Das Objektmodell ist in einem Format strukturiert, das aus Sicht des Anwenders
sinnvoll und unabhängig von der tatsächlichen physikalischen Implementierung
der Datenspeicher und der ausführbaren Software ist. Ein einzelnes Objektmodell
deckt SCADA-Anwendungen (Supervisory Control and Data Acquisition) und
ausgewählte allgemeine Anwendungen ab. Das Domänenobjektmodell beschreibt
Informationen im Hinblick auf:

• Objekttypen (wie Klassen oder Grundelemente)


• Attribute
• Verknüpfungen (wie die Zusammenhänge zwischen Objekten)
• Methoden (wie Befehle oder Operationen, die der Benutzer oder die Client-
Anwendung an einem Objekt ausführen kann).
17.4 Domänen- und Funktionsüberblick 777

Die Objekte umfassen:


• Netzelemente (Betriebsmittel)
• Organisation der Netzelemente in logischen Gruppen wie Unterstationen
• Topologische Anschlussmöglichkeiten der Netzelemente
• Physikalische Geräte des Computer-Systems
• Konfiguration der externen Kommunikations- und Datenerfassungsgeräte
• Verarbeitungsregeln für die Messung dynamischer physikalischer Werte wie
Spannung und Leistung
• Modelle des dynamischen Systemverhaltens wie Lastmuster oder Lastvertei-
lungsfaktoren
• Darstellung der Netzelemente in grafischen Bildern.

Die Abb. 17.5 zeigt das Basisobjektmodell als das Zentrum (dass die Grundtypen
enthält), das für spezielle Kunden als Kundenobjektmodell (das die projektspezifi-
schen Typen enthält) angepasst werden kann. Während der Dateneingabe oder
durch Datenimport können die Typen im Objektmodell als Objekte im Kundenbe-
triebsmodell instanziert werden. Das Kundenbetriebsmodell enthält alle für das
Kundensystem und das Netz definierten Objekte.

„ Standard-Objekttypen
Î standardmäßige Auslieferung mit dem Produkt
Î basiert auf CIM-Standard
Î Beispiele: Generator, Transformator, Tarifvertrag, Server

Standard-
Standard- „ Kundenspezifische Objekttypen
Î abhängig von Branche und Sparte
Objekttypen Î wird erstellt während der Projektabwicklung
Î enthält alle notwendigen Objekttypen (Muster)
Kundenspezifische Î Beispiele: Kundengenerator, Kundentransformator,
adaptierter Vertrag A, konfigurierter Server
Objekttypen

Kundendefinierte Objekte „ Kundendefinierte Objekte (Instanzen)


Î werden vom Anwender in der Dateneingabephase
(Instanzen) eingegeben und beschreiben seinen Prozess (Netze,
Kraftwerke, usw.)
Î enthält alle notwendigen Objekttypen (Muster) und
alle darauf aufbauenden Datenpunkte (Instanzen)
Î wird vom Anwender weitergepflegt
Î Beispiele: Kundengenerator West-A,
Kundentransformator XY
Vertrag 23 nach Vertragsmuster A
Î sind in die Systemverwaltung und -sicherung integriert

Abb. 17.5. Struktur des Datenmodells

17.4 Domänen- und Funktionsüberblick


Im Folgenden sind die Funktionen und wichtigste Unterfunktionen der Domänen-
ebenen kurz beschrieben.
778 17 Netzleittechnik für elektrische Energienetze

17.4.1 Kommunikation
Prozessdaten- und Inter-EVU-Kommunikation
Prozessdaten von Betriebsmitteln werden entweder direkt aus dem Prozess oder
über andere Leitstellen erfasst oder an diese übermittelt. Das Kommunikations-
Front-End, ein Subsystem in der Kommunikationsdomäne, ist die standardisierte
Schnittstelle für die Anbindung von Fernwirkgeräten (RTUs) und Stationsleitsys-
teme an das Netzleitsystem. Die entsprechenden Kommunikationsmöglichkeiten
und –verfahren sind im Kap. 16.4 aufgeführt.
Das Subsystem „Inter-Control Center Communication Protocol“ (ICCP) für die
Kommunikation zwischen Leitstellen ist das standardisierte Kommunikationsver-
fahren für den Datenaustausch zwischen Leitstellen nach IEC-Norm 870-6 , auch
als TASE2 bekannt, auch unterschiedlicher Hersteller.

Kommunikation mittels Internet und Intranet


Das Netzleitsystem ist, wie oben ausgeführt wurde, häufig Teil eines internen und
externen Rechnernetzwerkes. Dies erlaubt den Zugriff auf das System über das
Internet, um z.B. in der Nacht auch eine Bedienung von Pikett-Personal oder mo-
bilem Personal zu ermöglichen. Im Weiteren sind über ein breitbandiges Intranet
Zugriffe von Büroarbeitsplätzen oder über ein Extranet auch von dezentralen Ar-
beitsplätzen möglich. Die Kommunikation nach außen ist über entsprechende
Sicherheitsmechanismen vor unerlaubten Zugriffen geschützt.

17.4.2 Echtzeitverarbeitung (SCADA)


SCADA-Funktionen (Supervisory Control and Data Acquisition)
SCADA-Anwendungen sind Grundfunktionen des Netzleitsystems und ermögli-
chen die Überwachung und Steuerung des Energienetzes. Die vom Prozess gelie-
ferten Daten werden in der SCADA-Domäne bearbeitet, Änderungen überwacht,
an andere Subsysteme verteilt und in der operationalen Datenbank (Echtzeit-
Datenbank) gespeichert. Ebenso werden Datenberechnungen, Datenkombinatio-
nen und spezielle Verarbeitungen besonderer Datentypen, Alarmierungen usw.
durchgeführt.

17.4.2.1 Grundverarbeitungen
Datenhaltung/-typen
Die Datenhaltung/-typen und die zugehörige Grundverarbeitung für Messwerte,
Meldungen, Zählwerte, Befehle und Sollwertvorgaben sowie Schaltprogramme
und Verriegelungen sind im Stations- und dem Netzleitbereich praktisch identisch.
Entsprechende Details sind bereits im Kap. 16.2.5.1 aufgeführt. Die folgenden
Ausführungen beschränken sich deshalb auf spezifische Netzleitausprägungen.

Qualitätskennungen
Jeder Prozessvariablen sind Qualitätskennungen zugeordnet. Sie beschreiben so-
wohl den qualitativen Zustand eines Wertes als auch die Quelle bzw. Ursache
seiner Zustandsänderung. Eine Qualitätskennung sagt aus, ob der angezeigte Wert
17.4 Domänen- und Funktionsüberblick 779

korrekt und verlässlich ist (gültig oder ungültig). Eine andere Kennung sagt aus,
durch welche Verarbeitung ein Wert erzeugt wurde. Beispielweise durch Übertra-
gung aus dem Prozess, durch Berechnung oder Schätzung. Qualitätskennungen
sind von Bedeutung für gewisse weiterverarbeitende Funktionen und besonders
für Bediener, die diese zusammen mit den Werten auf aktuellen oder archivierten
Darstellungen auf dem Monitor sehen.

Berechnungs- und Verknüpfungsfunktionen


Rechen- und Verknüpfungsfunktionen werden ausgelöst bei Wertänderung oder
Änderung der Qualitätskennungen zugeordneter Datenpunkte. Die Ergebnisse
dieser Operationen werden in der operationalen Datenbank gespeichert und gege-
benenfalls anderen Anwendungen zur Verfügung gestellt.

Markierungen
Markierungen können Messwerten, Netzelementen oder ganzen Unterstationen
zugeordnet werden. Jede Verwendung einer Markierung (Setzen oder Löschen)
bewirkt einen Eintrag in das Betriebstagebuch. Vordefinierte Markierungen sind:
x Meldungssperre
x Alarmsperre
x Befehlssperre
x Objekt im Test
x Achtung
Notizbucheintrag.

Wertselektion
Die Wertselektion ist eine der ersten Verarbeitungsschritte bei der Übernahme von
Zustandsdaten einzelner Objekte. Diese Zustandsdaten können von Subsystemen
für die Prozesskommunikation kommen, das Ergebnis von Berechnungs- und
Verknüpfungsfunktionen sein oder Ergebnisse anderer Funktionspakete (z.B.
Frequenz-Leistungsregelung) sein. Vorrangiges Ziel der Wertselektion ist es,
SCADA und anderen Funktionspaketen in System immer den aktuellsten und
verlässlichsten Zustand eines Objektes zur Verfügung zu stellen.

Grenzwertüberwachung
Die Grenzwertüberwachung überwacht Analogwerte auf Einhaltung vorgegebener
oberer und unterer Grenzwerte. Überschreitet ein Analogwert diese Grenzwerte
erfolgt eine Alarmierung des Bedieners und ein Eintrag in Alarmlisten und Be-
triebstagebücher.
Weitere Eigenschaften:
x Alarmunterdrückung durch vorgegebene Totzeiten bei Pendeln des Wertes
um eine Grenze
x Unterstützung von zwei oberen und zwei unteren Grenzwerten
x Setzen und Löschen von zugehörigen Qualitätskennungen.

Alarmverarbeitung
Die Alarmverarbeitung bearbeitet das Kommen, Gehen, Quittieren und Archivie-
ren von Alarmen. Blinkende Anzeigen in der zentralen Bedienleiste PAT infor-
mieren den Bediener über auftretende Warn- und Gefahrenzustände oder Abwei-
780 17 Netzleittechnik für elektrische Energienetze

chungen vom Normalzustand im unterlagerten Prozess (Netz). Zughörige Alarm-


quittierung kann aus grafischen Bildern, Listen oder Tabellen erfolgen. Alarmen
werden unterschiedliche Prioritäten zugeordnet:
x Kritisch (Priorität 1)
x Unkritisch (Priorität 2)
x Betriebsmeldung (keine Alarmierung).

17.4.2.2 Netztopologie
Das Netzleitsystem enthält in seiner Datenbank auch die vollständige Topologie
des beschriebenen Netzes und ist damit Basis aller topologischen Funktionen. Das
Topologiemodell umfasst die statische Topologie des Netzes, notwendige dynami-
sche Schaltzustände und abgeleitete topologische Zustandsinformationen. Ent-
sprechende Verarbeitungen sorgen für ständige Aktualität und Konsistenz des
Modells und umfassen im Einzelnen:
x Unmittelbare und laufende Berücksichtigung von relevanten Datenänderun-
gen über IMM (Information Model Manager) im aktuellen Modell
x Aktualisierung des Topologiemodells und einer gegebenenfalls vorhandenen
Netzgruppentopologie bei dynamischen Zustandsänderungen im Netz für das
Gesamtnetz oder für die von Zustandsänderungen betroffenen Netzgruppen.
Diese Aktualisierung wird auch beim Systemanlauf durchgeführt.
x Laufende Aktualisierung der Topologiedarstellung in der Benutzeroberfläche.
Die Ableitung der statischen Netztopologie-Daten erfolgt bei der Bildkonstruktion
über den Grafikeditor

Topologisches Einfärben
Die Funktion Netzeinfärben (s. Abb. 17.6) steuert die Farbdarstellung von Be-
triebsmitteln und Netzteilen in grafischen Netzbildern. Als Einfärbemodi stehen
zur Verfügung:
x Einfärben nach Spannungsebenen, z.B. 20 KV, 50KV usw.
x Einfärben nach Netzgruppenzugehörigkeit
x Einfärben entsprechend Netzzuständen
x Unter Spannung
x Spannungslos
x Geerdet
x Undefiniert
x Zweiseitig eingespeist.
Dabei werden sowohl Teilnetze als auch Netzgruppen berücksichtigt, die in der
Regel verschieden eingefärbt werden.

Bestimmung von Netzgruppen


Die Netzgruppenbestimmung unterstützt das Netzeinfärben, das Teilnetze und
Netzgruppen unterscheidet. Teilnetze werden in der Regel verschieden eingefärbt.
Ein elektrisches Teilnetz kann durch netztrennende Betriebsmittel, meistens
Transformatoren, in Netzgruppen unterteilt werden. Verschieden Netzgruppen
(z.B. Spannungsebenen) werden unterschiedlich eingefärbt.
17.4 Domänen- und Funktionsüberblick 781

Abb. 17.6. Dynamisches Einfärben (Tracing)

17.4.2.3 Bedienerausgaben
Alarmlisten
Alarmlisten (siehe Abb. 17.7) geben eine Übersicht über die aktuellen Ereignisse
und erlauben dem Bediener, die jüngste Vergangenheit zu überblicken. Alarmlis-
ten zeigen Abweichungen vom normalen Netzzustand in der Regel in chronologi-
scher Reihenfolge. In der Alarmliste haben die Bediener die Möglichkeit:
x Filterkriterien einzusetzen
x Einzelquittierungen vorzunehmen
x Seitenweise Sammelquittierungen.
x Zugeordnete Netzbilder aufzurufen.
Für unterschiedliche Bereiche, z.B. für die Energiegiesparten Strom, Gas, Wasser
und Alarmpriorität sind auch unterschiedliche Alarmlisten möglich.

Zusätzlich steht eine Warnzustandsübersicht zur Verfügung, die eine grafische


Übersicht anstehender Alarme, sortiert nach Alarmklassen, gibt.

Betriebstagebücher
In Betriebstagebüchern (s. Abb. 17.8) ist das Prozessgeschehen ereignisorientiert
in Klartext chronologisch dargestellt. Für Bereiche sind unterschiedliche Betriebs-
tagebücher möglich. Per Bedienung können interaktive Filter für die Darstellung
definiert und zugeordnet werden. Betriebslisten können als EXCEL-Datei für
weitere Auswertungen dargestellt werden. Testlisten sind eine spezielle Ausprä-
gung der Betriebstagebücher.
782 17 Netzleittechnik für elektrische Energienetze

Abb. 17.7. Beispielhafte Alarmliste für einen E-Bereich

Abb. 17.8. Betriebstagebuch

Reportfunktionen
Der Report-Generator stellt sowohl vordefinierte Protokolle (siehe Beispiel Mess-
wertprotokoll in Abb. 17.9) wie:
x Protokolle des Betriebstagebuches
x Protokolle der Alarmlisten
x Protokolle von Schaltbriefen und Archivauszügen.
als auch Protokolltypen für:
x Archivdaten-, Messwert-, Zählwert-, Meldungsprotokolle
x Protokolle des Daten-Managementsystems
17.4 Domänen- und Funktionsüberblick 783

zur Verfügung. Durch Auswahl von Tabellenelementen (Datenattributen) und


Filterdefinitionen per Mausklick wird ein individuelles Protokoll mit signifikan-
tem Namen konfiguriert. Ergebnisse von Protokollabfragen werden in MS EX-
CEL-Format abgelegt und dargestellt. Layout (Überschriften, Firmenlogo, Fonts,
Farben usw.) sind über das Layout des zugrundeliegenden EXCEL-Blattes festge-
legt. Für eventuelle weitere Bearbeitungen und Auswertungen des Protokolls ste-
hen die vielfältigen EXCEL-Funktionen zur Verfügung.

Abb. 17.9. Messwertprotokoll

17.4.2.4 Steuern und Bedienen

Zugriffsberechtigungen
Unberechtigte Schalthandlungen oder andere Manipulationen können in einem
Energienetz zu außergewöhnlichen und gefährlichen Zuständen führen. Deshalb
ist ein umfassendes Sicherheitskonzept von großer Wichtigkeit. Es verhindert
unter anderem den unberechtigten Zugriff auf Funktionen und Daten des Systems.
Für die Überprüfung relevante Aspekte sind Zugriffsrechte und Verantwortungs-
bereiche. Zugriffsrechte sind Rechte für Funktionen und Methoden (z.B. Betriebs-
überwachung, Betriebsführung Steuern, Datenänderung, usw.), die mit einer zu-
gehörenden Erlaubnis kombiniert sind. Verantwortungsbereiche kennzeichnen
einen zugeordneten Netzbereich und/oder zugeordnete Netzsparten (z.B Strom,
Gas, Wasser). Komponenten zur Definition und Prüfung von Zugriffs- und Benut-
zerrechten erlauben eine klare Zuordnung von möglichen Bedienhandlungen für
jeden Bediener im jeweiligen Kontext. Jede Bedienhandlung im System wird
dementsprechend überprüft und ggf. abgewiesen. Zugriffs- und Benutzerrechte
werden auch als Filter bei der Generierung von Alarm- und Betriebslisten ver-
wendet.
784 17 Netzleittechnik für elektrische Energienetze

Einzelsteuerung
Der Bediener kann von jedem Bedienplatz, an dem für ihn Steuerfunktionen auto-
risiert sind, auf Netzelemente einwirken, die über Fernwirkgeräte oder Leitstellen-
kopplung an die Leitstelle angebunden sind. Erscheint ein Netzelement in mehre-
ren Darstellungen (Netzbild einer Unterstation, Übersichtsbild oder Tabellendar-
stellung), ist es von jedem autorisierten Bildschirm aus in der gleichen Weise
beeinflussbar. Steuerungen erfordern immer zwei Bedienschritte, um die Sicher-
heit der Bedienermaßnahme zu gewährleisten.
Einzelsteuerung ist unter anderem einsetzbar für:
x Leistungsschalter und Trennschalter
x Transformatorstufenstellungen
x Sollwertvorgabe.

Schaltfolgen-Management
Das Schaltfolgenmanagement in der Netzleitstelle ermöglicht stationsübergreifen-
de Schaltfolgen sowie vorbereitete Schaltabläufe in Verteilnetzen. Eine Schaltfol-
ge speichert die Einzelfunktionen Anwahl, Erstellung, Modifikation, Start, Stopp,
Fortsetzung und Abspeicherung von Schaltfolgen. Schaltfolgenschritte bestehen
aus Einzelsteuerungsbefehlen, Handnachführungen für Zustände und Markierun-
gen/Qualitätskennungen von Betriebsmittel und organisatorischen Schritten (z.B.
Warteschritte, Schaltfolgenabbruch) für umfangreichere Netzänderungen (siehe
auch Kap. 16.2.5). Schaltfolgen können im Echtzeit-Mode (Echtzeit-Kontext) oder
im Simulations-Mode (Simulations-Kontext) ablaufen. Schaltfolgen werden ver-
wendet sowohl für längerfristig geplante Schaltungen als auch für Schaltaktivitä-
ten zur Wiederversorgung im Fehlerfall.

Abb. 17.10. Schaltfolgendarstellung mit Einzelschritten

Das Schaltfolgen-Management wird außerdem verwendet für die:


x Vorbereitung, Simulation und Ausführung von Schaltungen zur Fehlerbehe-
bung
x Eingrenzung/Freischaltung von Netzfehlern
x Wiederversorgung von Netzteilen nach Störungen.

Das Schaltfolge-Management stellt Verwaltungsfunktionen durch Übersichtsdar-


stellungen gemäß Abb. 17.10 und einfach zu verwendende Einzelmenüs zur Ver-
17.4 Domänen- und Funktionsüberblick 785

fügung. Weitere Funktionen erlauben die zusätzliche Verwendung von Kommen-


tartexten und Netzbildern innerhalb einer Schaltfolge. Die Erstellung von Schalt-
folgen durch Aufzeichnung von Schaltfunktionen im Simulationsmode (Simulati-
ons-Kontext) oder manueller Anpassung von Schaltfolgenmustern ist ebenfalls
möglich

Handnachführungen
Der Benutzer kann blockierte Werte oder nicht aktualisierte Werte manuell über-
schreiben. Auch nicht aus dem Prozess fernübertragbare Werte. Handnachführun-
gen von Betriebsmittelzuständen können auch von Schaltfolgen ausgelöst werden.
Prozesswerte können nur dann manuell nachgeführt werden, wenn für den zuge-
hörenden Datenpunkt eine Meldungssperre gesetzt ist oder eine entsprechende
Qualitätskennung, beispielsweise ungültig, zugeordnet wurde.

Prüfung von Verriegelungs-Bedingungen


Zur Vermeidung von unbeabsichtigten Fehlschaltungen und zur Vermeidung von
Personen- und Sachschäden bei Steuerungsvorgängen werden alle damit verbun-
denen Befehle vor der eigentlichen Befehlsausgabe in den Prozess auf die Einhal-
tung zugeordneter Verriegelungsbedingungen überprüft.
Verriegelungsbedingungen sind entweder als 1:1 Verriegelungen in Form von Re-
gelbeschreibungen in Entscheidungstabellen hinterlegt oder als topologische Ver-
riegelungen (siehe unten), die durch zugeordnete topologische Algorithmen imp-
lementiert sind.

Zusätzlich zur Prüfung dieser Regeln und Algorithmen werden bei der Verriege-
lungsprüfung Markierungen und Qualitätskennungen überprüft, auch die Berech-
tigung und Zuständigkeit des Bedieners. Darüber hinaus wird die Ausführung
eines Steuerungsvorganges auf Verträglichkeit mit anderen gerade sich in der
Durchführung befindenden Befehlsgaben in den Prozess überprüft. 1:1 Verriege-
lungen werden über das Dateneingabesystem (Information Model Manager IMM)
beschrieben.
Bei Ansprechen einer Verriegelungsprüfung wird der Bediener über ein spezielles
Bedienfenster alarmiert. Der Bediener kann daraufhin den Steuerungsvorgang
abbrechen oder entriegelt trotzdem durchführen.

Topologische Verriegelungen
Topologische Verriegelungsbedingungen verwenden die im Topologiemodell
beschriebene Netztopologie.
Folgende topologischen Verriegelungsprüfungen sind verfügbar:
x Überprüfung ob ein Trenner unter Last geschaltet werden soll
x Überprüfung ob beim Schließen eines Schalters ein spannungsführender Netz-
teil auf Erde geschaltet werden soll
x Überprüfung ob angrenzende Betriebsmittel vor dem Erden freigeschaltet
wurden.
786 17 Netzleittechnik für elektrische Energienetze

17.4.2.5 Kontext-Management
Leitsysteme für die Energieversorgung arbeiten in unterschiedlichen betrieblichen
Umfeldern mit jeweils speziellen Systemanforderungen (z.B. im Echtzeit- oder
Simulations-Betrieb). Alle dafür notwendigen Applikationen definieren zusam-
men mit dem jeweils erforderlichen Datenmodell für einen zu betrachtenden Zeit-
raum im Netzleitsystem einen dafür bereitgestellten Kontext (Betriebsumgebung,
Szenario). Verschiedene Kontexte (siehe Abb. 17.11) unterscheiden sich unter
anderem durch ihre Datenquellen/Datenmodelle und ihre spezifischen Funktionen
inklusive der zugehörenden Bedienoberfläche (siehe Abb.17.12). Da die verschie-
denen Kontexte logisch voneinander unabhängig sind, beeinflussen Aktualisierun-
gen von Datenpunkten in einem Kontext nicht deren Zustand in einem anderen
Kontext. Alle Kontexte unterstützen die gleichzeitige Benutzung durch mehrere
Bediener. Ein Kontext-Management unterstützt folgende Szenarien:

x Echtzeit-Kontext
Dieser Kontext stellt Bedienumgebung und Datenmodell für den zugeordne-
ten externen Prozess (Netz) zur Verfügung und ermöglicht direkten Zugriff
auf Prozess- und Feldgeräte für deren Überwachung und Steuerung im lau-
fenden On-line-Betrieb. Die Echtzeitmesswerte können dabei von der Mess-
werterfassung der Feldebene, von einer Zustandsschätzung (State Estimation)
oder vom optimierenden Lastfluss (OPF) stammen. Im jeweiligen System
kann nur ein Echtzeit-Kontext aktiv sein.

Abb. 17.11. Kontext-Management


17.4 Domänen- und Funktionsüberblick 787

x Zustandsschätzungs-Kontext (State Estimation-Kontext)


Dieser Kontext enthält den vom State Estimator bereinigten, konsistenten Da-
tensatz (Messwerte) der aufgrund des Netzmodells bestimmt wird.

x Simulations-Kontext
Dieser Kontext ermöglicht Simulationen von betrieblichen Aufgaben auf Ba-
sis realer oder simulierter Prozessdaten. Dieser Kontext wird vorwiegend für
Trainingsaufgaben aber auch für Demonstrationen und für den Test von Funk-
tionen genutzt.

x Mithör-Kontext
Der Mithör-Kontext empfängt wie der Echtzeit-Kontext Daten aus dem Pro-
zess. Allerdings sind in diesem Kontext keine Befehle und Ausgaben in den
Prozess möglich. Der Mithör-Kontext kann für den Datentest im System oder
für die Fehleranalyse verwendet werden.

x Studien- oder Planungs-Kontex


Der Studien- und Planungs-Kontext wird vorwiegend für die Bearbeitung his-
torischer Szenarien oder für technische Studien auf Basis historischer, aktuel-
ler oder zukünftiger Datenmodelle eingesetzt.

x Daten-Management-Kontext
Dieser Kontext stellt die Umgebung für Dateneingaben und Datenänderungen
parallel und rückwirkungsfrei zum On-line-System zur Verfügung.

x Trainings-Kontext
Der Trainings-Kontext stellt die Umgebung für ein Operatortraining zur Ver-
fügung (siehe Kap. 16.4.3.6).

Abb. 17.12. Unterschiedlich Darstellung con Echtzeit- und Simulations- Kontext


788 17 Netzleittechnik für elektrische Energienetze

17.4.3 Applikationen
Je nach Art des zu überwachenden Netzes unterscheidet man zwischen Transport-
netz- (Energy Management System EMS) oder Verteilnetz-Systemen (Distributi-
on Management System DMS). Im Zuge der Liberalisierung und des damit ver-
bundenen „Unbundling“ von Erzeugung und Übertragung werden neuerdings auch
Leitsysteme zur ausschließlichen zentralen Steuerung von Kraftwerken konzipiert
(Generation Management System GMS).
Bei allen Ausprägungen von Netzleitsystemen bildet die Systemplattform das
oben ausführlicher beschriebene SCADA-System. Auf dieser Basis arbeiten dann
je nach Aufgabenstellung die weiteren Applikationen.

Applikation EMS DMS GMS


Archivierung und Energieabrechnung x x x
Nachfrage- und Multi-Energie-Management x
Verteilnetzführung x
Lastprognose x x (x)
Transportnetzführung x
Netzanalyse (State Estimation, Lastfluss etc.) x (x) (x)
Automatic Generation Control (AGC) (x) - x
Kraftwerkseinsatzplanung (x) - x
Laststeuerung (x) x (x)
Erd-/Kurzschlusssuche (x) x -
Trouble Call Management - x -
Störungsmanagement - x -
Crewmanagement - x -

Tab. 1: Typische Netzleitstellen-Applikationen und ihr Anwendungsgebiet

Im folgenden werden die typischen Applikationen in ihrem Betriebskontext kurz


aufgeführt. Je nach Anwender-Aufgabenstellung können die Applikation ver-
schieden gebündelt eingesetzt sein.

17.4.3.1 Archivierung und Energieabrechnung

Historische Informationsspeicherung und -verarbeitung


Prozessdaten können für zukünftige Weiterverwendung in Archiven gespeichert
und zu einem späteren Zeitpunkt in Anwender-Displays oder Berichten ausgege-
ben oder von Anwendungen zur weiteren Bearbeitung abgefragt werden.

Energieabrechnung
Die Energieabrechnung bietet die Möglichkeit, die Energieerzeugung, den Ener-
gieaustausch und die Lastwerte im Netz in regelmäßigen Abständen im Leitsystem
zu erfassen und in der Datenbank zu speichern. Gespeicherte Energiewerte werden
regelmäßig und spontan bearbeitet, um verschiedene wertorientierte und querver-
bindungs-bezogene Berechnungen anhand verschiedener Zeitintervalle und Tarife
vorzunehmen.
17.4 Domänen- und Funktionsüberblick 789

17.4.3.2 Nachfrage- und Multi-Energie-Management


Lastmanagement und Lastoptimierung für Elektrizitäts- und Gasnetze
Verteiler haben häufig Multi-Energie-Netzführung in einer Leitstelle, d.h. für
Elektrizitäts-, Gas- und Wassernetze. Die Hauptaufgabe des Nachfrage-
Managements ist die Überwachung und Regulierung des Energieaustausches im
Verteilnetz Elektrizität/Gas unter Verwendung einer zweifachen Optimierungs-
strategie:
x Maximale Ausnutzung bestehender Verträge über Energiebezug und -
austausch
x Vermeidung der Verletzungen vertraglich vereinbarter Grenzwerte des Ener-
giebezugs und -austausches.

Diese doppelte Optimierungsstrategie wird unter anderem durch On-line-


Funktionen wie Lastabwurf, Erhöhung der eigenen Energieerzeugung oder Span-
nungsabsenkung bzw. Druckmanagement und Speichereinsatz realisiert. Abb.
17.13 zeigt die Bedieneroberfläche für ein Lastmanagement.

Abb. 17.13. Beispiel einer Trenddarstellung beim Lastmanagement

Wasser-Management
Anwendungsfunktionen des Wasser-Managements überwachen Wasserversor-
gungsnetze getrennt nach Versorgungszonen, erfassen und bilanzieren deren Zu-
und Abflüsse und liefern Daten über eventuelle Leitungsverluste (Lecküberwa-
chung). Dafür erfasste Messwerte (z.B. Pegelstände, Zu- und Abflüsse) werden
einer Minimum und Maximumbetrachtung unterzogen und sind Grundlage für
Archivauswertungen und Trend- sowie Planungsanalysen.
790 17 Netzleittechnik für elektrische Energienetze

17.4.3.3 Verteilnetzführung (Distribution Management System DMS)


Diese spezifischen Funktionen für die Führung und den Betrieb von Verteilnetzen
unterstützen deren Betriebsführung und liefern einen maßgebenden Beitrag zur
Versorgungsqualität und kosteneffektivem Betrieb. Verteilnetz-Applikationen sind
speziell für die Betriebsführung von Verteilnetzen zugeschnitten und berück-
sichtigen insbesondere deren im Vergleich zu Transportnetzen besonderen Struk-
turmerkmale wie große Netze, hohe Netzdichte in urbanen Regionen, vorwiegen-
de Radialnetze, beschränkte Anzahl Messwerte und wenig übertragene Schaltstel-
lungen. Dadurch ergeben sich gegenüber dem Transportnetzbetrieb auch entspre-
chende Einschränkungen beim Einsatz von Netzberechnung, -optimierungen und -
analysen. Für Verteilnetze gibt es spezielle Netzberechnungsverfahren und
-grundlagen. Dabei werden Lasten z.B. über Lastprofile definiert und/oder Mess-
werte über statistische Verfahren bereitgestellt, sodass z.B. mit betriebsunterstüt-
zenden Lastflussrechnungen die Auswirkung einer Schalthandlung vor der eigent-
lichen Aktivierung kontrolliert werden kann. Weitere unterstützende Funktionen
wie topologiebasierende Fehlerortung, Fehlerabschaltung/Fehlerisolierung opti-
male Wiederherstellung der Versorgung erhöhen deutlich die Versorgungsqualität
und reduzieren den Aufwand für die Behebung von Netzfehlern in hohem Maße.
Mit Applikationen und Methoden zur Verlustminimierung kann das Verteilnetz
zudem kostensparend betrieben werden.
Spezielle Programme erlauben die Vorbereitung und automatische oder halbauto-
matische Durchführung von geplanten Schalthandlungen im Netz. Da wie bereits
erwähnt wurde in Verteilnetzen im Allgemeinen wenig Schaltstellen ferngesteuert
sind, ist ein entsprechendes Störungs- und Ausfallmanagement in Kombination
mit Applikationen für Rufzentralen und Arbeitseinsatzmanagement für das Feld-
personal notwendig, um eine rasche und effiziente Behandlung von größeren Stör-
fällen oder Netzumschaltungen zu ermöglichen.
Verteilnetze in urbanen Regionen Europas sind zumeist verkabelt. Zur statischen
Netzdokumentation und –planung werden in EVUs üblicherweise Geographische
Informationssysteme (GIS) und für das Anlagen-Management so genannte Asset
Management-Systeme eingesetzt. Diese Systeme enthalten für den Netzleitbetrieb
ergänzende und gemeinsame Daten (Netztopologie, Leitungsdaten, Unterhaltsin-
formationen usw.), Durch eine Integration des Netzleitsystems mit diesen Syste-
men können stärkere Betriebs- und Informationssynergien geschöpft werden. So
können z.B. an einem Arbeitsplatz bei einer Netzstörung die aktuelle Netzsituation
des Netzleitsystemes mit raum- und netzobjektbezogenen Informationen darge-
stellt und in entstörenden Arbeitsflüssen eingebunden werden.

17.4.3.4 Transportnetzführung (Energy Management System EMS)


Transport- oder Übertragungsnetze sind vermascht. Sie weisen gegenüber Verteil-
netzen eine geringere Anzahl von Betriebsmitteln auf. Entsprechend den enormen
Energieflüssen und des großen Gefährdungspotentials bei Netzstörungen hat die
Netzsicherheit einen sehr hohen Stellenwert. Zur Überwachung, Steuerung und
Optimierung ist das Netz deshalb auch üblicherweise mittels der Netzleittechnik
vollständig fernsteuerbar und alle relevanten Netzinformationen (Messwerte,
Schalterstellungen usw.) sind fernübertragen. Die SCADA-Funktionalität ist meis-
tens mit höherwertigen Funktionen zur Netzanalyse, -sicherheit und -optimierung
17.4 Domänen- und Funktionsüberblick 791

ergänzt. Eine Grundlage für diese Funktionen ist ein entsprechendes Netzmodell
mit konsistenten Daten. Fehlerhafte Netzdaten können mit Estimationsalgorith-
men ermittelt und für die Berechnungen ausgeschlossen werden. Fehlende Werte
können ergänzt werden, sodass für den Bediener eine vollständige Lastflusslösung
für sein überwachtes Netz zur Verfügung gestellt werden kann.

Netzanalyse und -sicherheit


Die Netzanalyse- und Netzsicherheits-Applikationen unterstützen den Bediener
bei der schnellen und umfassenden Beurteilung des aktuellen Netzzustandes. Da-
mit wird die Betriebssicherheit wesentlich erhöht und eine wirtschaftliche Be-
triebsführung gewährleistet. M.1
Durch Simulation von Netzsituationen können optimale Steuerungsmöglichkeiten
ermittelt werden. Dabei werden unterschiedliche Zielsetzungen und sich ändernde
Randbedingungen berücksichtigt.

Anforderungen an Netzanalysen
x Netzverluste verringern
x Betriebskosten senken
x Abweichungen von Sollwerten korrigieren
x Grenzwertverletzungen ermitteln und beseitigen
x Überlastungen im Netz eliminieren.

Merkmale
x Arbeiten in verschiedenen Betriebsarten (Prozess- und Studienmodus)
x Erzeugen von Ersatznetzen zur Anbindung von Fremdnetzen
x Ermitteln der Netztopologie und Bestimmen des Knoten/Zweig-Modells
x Ermitteln von Knoteneinspeisungen (Erzeugung oder Last)
x Vollständige und konsistente Ermittlung des aktuellen Netzzustandes
x Erkennen von fehlerhaften Mess- und Übertragungseinrichtungen
x Berücksichtigung von Verlusten im Transportnetz (Straffaktoren)
x Ermitteln von Ausfallvarianten, die zu kritischen Netzsituationen führen
x Ermitteln von Steuereingriffen zur Optimierung des Netzzustandes
x Vorgeben von Netzsituationen (Studienmodus), für die Leistungsfluss, Strom
und Spannung berechnet werden.

Applikationspalette
Die heute verfügbaren, breiten Applikations-Paletten ermöglichen umfangreiche
Behandlungen von Netzsicherheits- und Analyseproblemen in Transportnetzen.
Die Analysefunktionen können im Echtzeit- oder auch im Studien-Kontext betrie-
ben werden. Die untenstehende Tabelle gibt einen Überblick zu den Applikatio-
nen:

Echtzeit-Analyse-Funktionen: Studien-Analyse-Funktionen:
x Zustandsschätzung des Netzes
x Netzparameter-Adaption
x Netzsensitivitäts-Analyse
x Sicherheitsanalyse Dito für Studienbetrieb
x Spannungsoptimierung
792 17 Netzleittechnik für elektrische Energienetze

x Operator-Lastfluss
x Optimaler Lastfluss
x Ausfallsvariantenrechnung
x Netzverträgliche Lastaufteilung
x Netzverträglicher optimaler Lastfluss Dito für Studienbetrieb
x Kurzschlussberechnung Dito für Studienbetrieb

Transaktions-Management und Lastvorhersagen


Das Transaktions-Management unterstützt das Management von Energietransakti-
onen, während Kurzzeit- und Langzeit-Lastvorhersagen vor allem die Energiepla-
nung und Energieoptimierung unterstützen.

17.4.3.5 Erzeugungs-Management (Generation Mgmt. System GMS)


Im liberalisierten Markt sind die Energieerzeuger vollständig dem Wettbewerb
ausgesetzt und daher gezwungen ihre Leistung in einem optimalen Verhältnis
zwischen Kosten und Qualität anzubieten. Die entsprechenden Aufgaben gehen
von der langfristigen Erzeugungs- oder Beschaffungsplanung bis hin zur Steue-
rung, Überwachung und Optimierung der Energieerzeugung. Die eingesetzte Sys-
temtechnik basiert auf einer SCADA-Funktionalität zur Überwachung und Steue-
rung der Erzeugung und der damit verbundenen Energieanlagen. Diese Grund-
funktionalität wird mit übergeordneten Applikationen für die Planung, Regelung,
Automatisierung und Optimierung ergänzt.
Die Applikation für das Erzeugungs-Management umfassen:
x Planung und Überwachung der eigenen Energieerzeugung, langfristige und
kurzfristige Kraftwerkseinsatzplanung, Optimierung verschiedener Erzeu-
gungstypen (Thermische Kraftwerke, Wasserkraftwerke, Kombiblöcke usw.)
x Erstellung von Bezugsprognosen
x Laufende Ermittlung und Überwachung der Produktionskosten und Preisindi-
zes
x Hydro-thermische Koordinierung
x Energiehandel mit den damit verbundenen zusätzlichen Dienstleistungen
x Einhaltung der Verträge für Energielieferung und Energiebezug
x Leistungs-Frequenz-Regelung mit vereinbarten Bandbreiten und wirtschaftli-
che Lastaufteilung
x Vorgabe von Fahrplänen und Sollwerten für Kraftwerke
x Überwachung der Erzeugung, inklusive der Reserveleistung
x Energieabrechnung
x Kostenoptimierte Energieerzeugung bei gleichzeitiger Gewährleistung von
hoher Qualität der gelieferten Energie.

17.4.3.6 Trainingssimulator
Auf Grund wachsender Komplexität vorhandener Energienetze nehmen die An-
forderungen an Flexibilität und Leistungsfähigkeit der eingesetzten Netzleitsyste-
me ständig zu. Alte Systeme werden durch neue ersetzt oder der bestehende Funk-
tionsumfang wird deutlich erweitert. N.1
17.4 Domänen- und Funktionsüberblick 793

Damit wachsen auch die Anforderungen an das Bedienpersonal. Über leistungsfä-


hige Trainingssimulatoren kann die notwendige, umfangreiche Ausbildung pra-
xisorientiert und gleichzeitig kostengünstig durchgeführt werden.

Einsatzgebiete für Trainingssimulatoren


x Einarbeiten des Bedienpersonals in das Leitsystem und in das aktuell vorhan-
dene Netz (Prozess)
x Schulungen des erfahrenen Personals bei Ergänzung neuer Funktionen
x Training des Personals in der Bewältigung von Stresssituationen
x Analysieren von Störfällen (Szenarien nachstellen)
x Testen von Netzerweiterungen (Simulation).

Um Personal qualifiziert ausbilden zu können, sind Trainingssimulatoren notwen-


dig, mit denen das Netzverhalten anhand vorgegebener Szenarien genau simuliert
werden kann. Der Trainingssimulator basiert auf den leistungsfähigen Netzanaly-
severfahren und Berechnungsmethoden der anderen Applikationen des Netzleit-
systems. Das Netzverhalten lässt sich damit umfassend darstellen. Dieser Trai-
ningssimulator stellt die Umgebung für den Bediener (Schüler) zur Verfügung,
genauso aber auch eine eigene Umgebung für den Lehrer damit dieser den Prozess
beeinflussen kann und so den Schüler zu Reaktionen zwingen.

Netz- Trainingssimulator-
simulator Verwaltungsfunktionen

Fernwirk-
modell Simulationsdaten Leitstellen-
system (Kopie)
Prozessdaten

Abb. 17.14. Prinzipdarstellung Trainingssimulator

Komponenten
Der Trainingssimulator gliedert sich gemäß Abb. 17.14 in folgende Teilfunktio-
nen:
x Leitstellenfunktionen (identisch mit dem Leitstellensystem)
x Trainingssimulator-Verwaltungsfunktionen (für den Lehrer)
x Netzsimulator (zur Netzdarstellung)
x Fernwirkmodell (Verbindung Netzsimulator - Leitstellensystem)
794 17 Netzleittechnik für elektrische Energienetze

Merkmale
Durch die wirklichkeitsnahe Simulation des aktuellen Systemverhaltens besitzt der
Trainingssimulator vielfältige Möglichkeiten für Ausbildung und Test, wie
z.B.:N.1
x Training von neuen Bedienern der Netzführung
x Selbsttraining erfahrener Bediener als Test der eigenen Fähigkeiten bzw. zum
Erlernen der Bedienung neuer Anwendungsfunktionen
x Erprobung neuer Funktionen des Netzleitsystems
x Testen von Netzänderungen soweit Netzstruktur, Kraftwerke, Lastverhalten
und Systemdynamik des Netzes betroffen sind
x Testen von strukturellen Änderungen des Energieversorgungssystems, z.B. im
Netz, im Kraftwerkspark, bei den Abnehmern oder in der Systemdynamik
x Studieren vorbeugender, korrigierender und restaurativer Maßnahmen, die im
normalen Netzbetrieb oder in Stresssituationen auftreten können
x Verwendung des Trainingssimulators als Planungswerkzeug für Netzerweite-
rungen.

Leitstellenfunktion
Die diesbezügliche Bedienoberfläche ist zum Netzleitsystem identisch, wodurch
für den Bediener (Schüler) in Funktionalität und Bedienung kein Unterschied
zwischen realer Arbeit am Netz und einer Simulation besteht (in der Ausbildung).

Verwaltung
Dem Lehrer stehen leistungsfähige Funktionen zur Vorbereitung, Durchführung
und Auswertung einer Übung zur Verfügung:
x Netzabbild (aktuelle Kopie, Archivdaten)
x Prozessereignisse, interne Ereignisse können initiiert werden
x Ereignisfolgen und Ereignis-Szenarien können abgefahren werden
x Vorbereitung von Lastprofilen
x Konfiguration der Erzeugermodelle
x Definition von Relais und Relaischarakteristik
x Funktionen für den Übungsablauf (Start, Stopp, Einzelereignisse, usw.)
x Protokollfunktionen (Ergebnis- und Zustandslisten).

Netzsimulator
Bei der Simulation des eigenen Netzes und des Fremdnetzes wird angenommen,
dass alle Erzeuger und motorischen Lasten innerhalb des zusammenhängenden
Netzes mit derselben Frequenz schwingen. Jedes Inselnetz hat seine eigene Fre-
quenz, die nur für diese Insel gültig ist. N.1
Das Modell für dynamische Vorgänge im Netz besteht aus den Komponenten: N.1
x Netzmodell
x Wirkleistungs-/Frequenzmodell
x Spannungsreglermodell
x Schutzmodell
x Wassersystemmodell (wenn Kraftwerkseinsatzplanung vorhanden)
x Leistungs-/Frequenzregelungsmodell für Nachbar-EVU
x Netzmodell.
17.4 Domänen- und Funktionsüberblick 795

Fernwirkmodell
Das Fernwirkmodell verbindet den Netzsimulator mit dem Leitstellensystem. Es
wird damit die Übertragung der Daten simuliert. Dabei können verschiedene Ü-
bertragungsfunktionen festgelegt und verändert werden.
N
17.4.3.7 Prozessdaten-Simulator

Ein integriertes Werkzeug zur Änderung und Simulation von Prozesszuständen


(Prozessdaten-Simulator) ermöglicht die Simulation von Prozess-Zuständen im
jeweiligen Kontext. Beabsichtigte Datenänderungen werden im Dialog vom Be-
nutzer eingegeben und aktiviert.

17.4.4 Benutzeroberfläche
Ein wichtiger Aspekt für den Betrieb der Netzleitstelle ist eine leicht bedienbare
und für alle Software-Komponenten einheitliche Bedienoberfläche. Neue Leitstel-
len basieren meistens auf den Softwarestandards von MS Windows. Anwender,
die mit Microsoft Windows vertraut sind, werden dadurch in den Bedienungs- und
Administrations-Benutzeroberflächen viele der standardisierten Windows-
Elemente wiederfinden. Besonderes wichtig ist, dass Menüleisten, Schaltflächen,
Arbeitsbereiche, Drop-down-Menüs, Dialogfelder, Fenster usw. wie gewohnt zur
Verfügung stehen und den Erwartungen des Windows-Benutzers gerecht werden.
Die Abb. 17.15 und 17.16 zeigen diese standardisierten Elemente, die in einem
modernen Netzleitsystem zum Einsatz kommen. Sie sind durch Nummern mar-
kiert:

1. Bedienleiste (Power Application Toolbar PAT): Sie erlaubt schnellen Zugriff


auf wichtige Anwendungen, auf Darstellungen und Alarmlisten. Zusätzlich
signalisiert sie dem Bediener wichtige Warn- und Gefahrenzustände im Netz.
2. Titelleiste: Sie befindet sich häufig am oberen Rand des Fensters und zeigt
den Fensternamen, Programm-Ikone und die Schaltflächen zum Minimieren,
Maximieren und Schließen des Fensters.
3. Bezeichnungshierarchie in Baumstruktur: Sie zeigt in hierarchischer Dar-
stellung die Bezeichnungen von Prozess-Objekten und -Objekttypen im Sys-
tem wie beispielsweise Umspannwerke, Abzweigfelder, Kraftwerke oder ande-
re Objekte
4. Arbeitsbereich: Der rechte Teil des Fensters kann, abhängig von der Selektion
von Elementen der Baumstruktur, leer sein oder interaktive Bedienelemente
der Bedien- oder Systemfunktionen enthalten. Ein rechter Mausklick auf diese
Elemente führt in der Regel zur Darstellung eines Popup- Menüs, das weitere
diesem Element zugeordnete Bedienmöglichkeiten aufzeigt (kontext-sensitive
und objektorientierte Bedienerführung).
796 17 Netzleittechnik für elektrische Energienetze

17.4.4.1 Web-fähige Benutzeroberfläche


Ein wichtiger Schritt in Richtung auf eine einheitliche und konsistente Erschei-
nungsform und Bedienungsphilosophie verlangt, dass alle Komponenten des gra-
fischen Bedienplatzes unter einem marktgängigen Web-Browser laufen. Dies
erleichtert zudem auch eine mobile Bedienung (s. Abb. 17.17). Insbesondere die
Endanwender sowohl des IMM- als auch der Prozess- und Systembedienungs-
schnittstelle profitieren von einer Anwenderschnittstelle, deren Anzeige-Layout,
Farbgestaltung, Bedienerführung, akustische Signalisierung usw. für alle Applika-
tionen wie z.B. gleichartig ist. Die wichtigsten Vorzüge von Benutzeroberflächen
mit einheitlicher Erscheinung und Bedienung sind u.a.:

x effiziente Produktnutzung über alle Komponenten


x geringer Lernaufwand
x reduzierter Dokumentationsbedarf (z.B. bei Benutzerhandbüchern und pro-
grammierten Unterweisungen).

1 2

Abb. 17.15. Standard-Windows-Elemente mit grafischer Darstellung


17.4 Domänen- und Funktionsüberblick 797

3 4

Abb. 17.16. Standard-Windows-Elemente mit alphanumerischer Darstellung

Abb. 17.17. Mobile Bedienung

Navigation über Navigationsfenster, Zooming, Panning und Decluttering


Rasche und effiziente Zugriffe auf interessierende Netzgebiete in großen weltko-
ordinaten-basierenden Netzbildern werden auf Verlangen des Bedieners durch ein
kleines Navigationsfenster gemäß Abb. 17.18 unterstützt. Systeme bieten für die
Darstellungen im Weltkoordinaten-System ein leistungsfähiges Zoom von der
Übersichtsdarstellung bis zur Detailsicht eines Netzobjektes an. Die Positionie-
798 17 Netzleittechnik für elektrische Energienetze

rung eines Bildbereiches im Bildfenster kann auch durch Verschieben (Pan) erfol-
gen. Mit einem Decluttering können zudem nicht erwünschte Informationen aus-
geblendet werden. Ein Zoom- und Decluttering-Beispiel für ein Netzbild ist in
Abb. 17.19 gezeigt.

Abb. 17.18. Navigationsfenster (rechts oben)

Abb. 17.19. Zooming und Decluttering

Der direkte Netzbildzugriff wird über das PAT oder in speziell konstruierten Auf-
rufpunkten in Netzbildern ermöglicht, um den Zugriff ohne Auf- und Abwärts-
wandern durch hierarchische Netzbildpfade zu gewährleisten.

17.4.4.2 Navigation über Pull-Down-Menüs


Die Abb. 17.20 zeigt ein Beispiel für den Bediener-Zugriff auf Module von Pla-
nungsfunktionen über Pull-down-Untermenüs.
17.4 Domänen- und Funktionsüberblick 799

Abb. 17.20. Navigation mit Pull-Down-Menü

17.4.4.3 Navigation über Pop-Up Menüs


Pop-Up-Menüs sind funktionsspezifisch und zeigen die im Zusammenhang mit
der angewählten Position stehenden Optionen. Beispielsweise erscheint auf der
linken Bildschirmseite des Daten-Managementsystems IMM eine Liste der vor-
handenen Unterstationen und Anlagenobjekte in Baumstruktur (Bezeichnungshie-
rarchie). Bei Anwahl eines Objekts daraus werden die zugehörigen Daten (aktuel-
ler Zustand oder Wert) im Arbeitsbereich angezeigt. Ebenso können grafische
Darstellungen von Objekten damit in Zusammenhang stehende Popup-Menüs
besitzen.
Abb. 17.21 zeigt ein objekt-spezifisches Pop-Up-Menü für einen Leistungsschal-
ter, der in einem Unterstationsbild dargestellt wird.

Abb. 17.21. Beispiel zu Pop-Up-Menü zu einem Objekt

Online-Hilfe
Das Hilfe-System ist eine kontextabhängige, integrierte Online-Hilfe für den Be-
nutzer. Sie enthält üblicherweise die dokumentierten Informationen für die Pro-
duktmodule und entspricht der Bedienerdokumentation. Hilfe-Informationen ste-
hen über das Help-Hauptmenü oder über den Aufruf der kontextabhängigen Hilfe
800 17 Netzleittechnik für elektrische Energienetze

zur Verfügung. Informationen über das angewählte Thema erscheinen in einem


weiteren Bildfenster. Hauptmenü-Registerkarten unterteilen die Themen und stel-
len sie als Inhaltsliste oder als Index dar. Die Suche über Begriffe wird ebenfalls
unterstützt.

17.5 Bedien- und Anwendungsfunktionen


Die Bedien- und Benutzeroberfläche bietet Anwendern die für sie notwendigen
Funktionen, um mit dem System zu kommunizieren. Dazu gehören Eingaben,
Befehle an Applikationen (um Objekte zu betrachten, zu verändern und auszufüh-
ren) sowie die Präsentation von Systemzustandsinformationen und Applikations-
ergebnissen.

Abb. 17.22. Grafische On-line-Darstellung mit Kontextmenü

Eigenschaften
Zu den Eigenschaften der Bedienungs-Benutzeroberfläche gehören:
x Zentrale Bedienleiste PAT (Power Application Toolbar)
x Dialogbilder für Applikationen
x Kurven- und Trend-Darstellungen
x Kontextsensitive Menüs
x Copy and Paste-Funktion für andere Windows - Produkte und -Tools
x gefilterte Tabellen (mit vom Anwender definierten Filterkriterien)
x gefilterte Ereignislisten (mit vom Anwender definierten Filterkriterien)
x Notizbuchfunktionen
x grafische Netzdarstellungen
x Zusammenfügen von freien Texten mit Bilddarstellungen, Betriebs- und A-
larmlisten und anderen Objekten
x Verwaltung von Benutzerkennungen und Zugriffsberechtigungen/Passwörtern
für die unterschiedlichen Systemfunktionen.
17.5 Bedien- und Anwendungsfunktionen 801

Grafische Darstellungen
Netzbilddarstellungen, wie Abb. 17.22 zeigt, sind das primäre Instrument für die
Überwachung und Steuerung des Netzes.

Kurvendarstellung
Die Kurvendarstellung dient primär zur Darstellung von aktuellen und archivier-
ten Werten in grafischer Form. Mehrere Kurven können in einem Kurvenfenster
dargestellt werden. Die Zusammenstellung des Kurvenfensters bzgl. darzustellen-
der Werte, Zeitbereich, Form usw. wird vom Bediener über einen Dialog definiert.
Einmal erstellte Kurvenfenster können im System gespeichert und wieder aufgeru-
fen werden. Formmöglichkeiten sind in Abb. 17.23 gezeigt.

Eigenschaften einer Kurvenausgabe


x Kurventypen: Werteverlauf als Funktion der Zeit x(t) oder Wert als Funktion
eines anderen Wertes x(y) zum Zeitpunkt t
x Grafische Darstellung: Liniengrafik, Balkengrafik, Tortengrafik
x Quellen: Trendkurven, Mitschreiben aktueller Werte, Archivwerte
x Ereignisgrafiken: Darstellung binärer Werte als Kurve
x Zeitachsen: Für die Darstellung der Kurven bei Anwahl kann eine feste Zeit
vorgegeben werden, ansonsten werden sie in der aktuellen Zeit dargestellt.
Automatisches Verschieben bei Überschreitung des aktuell angezeigten Dar-
stellungszeitraumes. Die Zeitachsen von Kurven können gegeneinander ver-
schoben sein. Damit kann zum Beispiel der Tagesverlauf eines Wertes mit
dem Verlauf eines Vergleichstages dargestellt werden
x Werteachsen Skalierung: Automatisch, Absolut, Kurvenpunkte innerhalb
vorgegebener Minimum-/Maximumwerte
x Einblenden eines Zeit- und Wertegitters im Hintergrund
x Digitale Anzeige: Durch Stellen des Mauszeigers auf einen Kurvenpunkt
werden der Kurvenwert und die Archivzeit dargestellt
x Verschieben des Darstellungszeitraums über Scrollbar
x Zoomen
x Drucken des Kurvenfensters (Bildschirmkopie).

Abb. 17.23. Beispiele für Kurvendarstellungen

Listen- und Tabellendarstellungen


Die Abb. 17.24 zeigt eine typische Listendarstellung:
802 17 Netzleittechnik für elektrische Energienetze

Abb. 17.24. Listendarstellung (Betriebstagebuch)

Zentrale Bedienleiste PAT (Power Application Toolbar)


Die zentrale Bedienleiste PAT (Abb. 17.25) ermöglicht den schnellen und siche-
ren Zugriff auf Darstellungen, Anwendungen und Alarminformationen in einer für
den Benutzer vorkonfigurierten Form. Die mit den Schaltflächen verbundenen
Pull-Down-Menüs ordnen Funktionen in betriebliche und anwendungsorientierte
Funktionspakete. Die Vorbesetzung/Parametrierung des PAT spiegelt die dem
jeweiligen Be-nutzer zugeordneten betrieblichen Aufgaben wieder (beispielsweise
Netzüberwachung und Steuerung oder Überwachung und Führung von Kraftwer-
ken).

Abb. 17.25. Funktionsdarstellung und -aktivierung über PAT

17.6 Daten-Management
Das Daten-Managementsystem IMM (Informations-Modell-Manger) ist zuständig
für Dateneingabe und -pflege Es ist integraler Bestandteil des Systems und voll-
ständig in die Architektur des On-line-Systems integriert, um den Einfluss der
Datenänderungen auf das Laufzeitsystem so gering wie möglich zu halten. Es wird
sowohl für die Betriebs- als auch die Systemfunktionen eingesetzt, um deren zu-
geordnete Datenmodelle zu erstellen und zu pflegen. Über die Benutzerschnittstel-
17.6 Daten-Management 803

le des IMM werden sowohl Grunddaten und Konfigurationsdaten des Netzleit-


systems als auch das Datenmodell des zugeordneten Prozesses beschrieben und
gepflegt. Zu weiteren Funktionen des IMM gehören Überwachungsmaßnahmen,
Verwaltung der Lizenzschlüssel, Funktionen zur Erhaltung der Systemsicherheit
und Systemabsicherung durch ein Backup.

17.6.1 Konfigurations-Management

Das Netzleitsystem verfügt über eine Projektierungs-Datenbank, in der alle Konfi-


gurationsinformationen für Anwendungen, Kontexte und Hardware enthalten sind.
Die Datenbank wird unter Verwendung von Werkzeugen gepflegt, die Teil des
Datenmanagementsystems sind. Während des Betriebes müssen die Anwen-
dungsprogramme Zugang zu bestimmten Teilen der Konfigurationsinformation
haben, die das Laufzeitverhalten beeinflussen. Das Konfigurations-Management
stellt dafür eine Schnittstelle zur Verfügung.

17.6.2 Phasen der Dateneingabe

Die Projektimplementierung erfolgt im Wesentlichen in den drei Phasen: System-


Konfiguration, Kundenanpassung und Dateneingabe. Während die Konfigurati-
ons- und Anpassungsarbeiten vorwiegend zu Beginn eines Projektes durchgeführt
werden, erstrecken sich die Dateneingabe- und Datenänderungsaktivitäten über
die gesamte Lebenszeit des Projektes (siehe Abb. 17.26).

Systemkonfiguration
Die Konfiguration des Systems basiert auf einer Konfigurationsdatenbank, in der
alle Konfigurationsinformationen für ein Projekt enthalten sind. Eingabe und Pfle-
ge erfolgen über ein Konfigurations-Tool für die gesamte Anlage. Jede einzelne
Konfigurationsinformation braucht nur einmal (und nicht mehrfach) eingegeben
zu werden.
Systemkonfigurierungsdaten beschreiben unter anderem die Systemgröße, Hard-
ware-Konfiguration des Projektes, ausgewählte Produkt-Module, systemweite An-
wendungsoptionen, Speicherzuordnung, Kontextdefinitionen, Benutzerprofile und
Festlegung der grafischen Darstellungsparameter.
Unter jedem dieser Themen findet der Projektingenieur Konfigurationsobjekte, die
entsprechend parametriert werden müssen.

17.6.2.1 Kundenanpassungen
Die Kundenanpassung ist erforderlich, um projektspezifische Funktionsanforde-
rungen zu erfüllen, die in der Standardprodukt-Software nicht realisiert sind. Die
Kundenanpassung besteht aus kundenspezifischen Erweiterungen für die Objekt-
typen und gegebenenfalls der Implementierung bzw. der Ergänzung vorhandener
Applikationen. Darüber hinaus kann die Netzleitstelle dahingehend angepasst
werden, wie die verschiedenen Objekttypen in einer hierarchischen Struktur ange-
ordnet werden sollen. Dadurch können Datenprojektierer wählen, ob sie bei-
spielsweise eine Objektgruppierung wie Spannungsebene oder Abzweig als not-
wendige Objekte in die Hierarchie einbeziehen wollen.
804 17 Netzleittechnik für elektrische Energienetze

17.6.2.2 Dateneingabe
Das Daten-Managementsystem wird benutzt, um die statischen Konfigurationsda-
ten für die Objekte des Energieversorgungsnetzes, die für den Anlagenbetrieb
relevant sind, einzugeben bzw. zu aktualisieren. Die Objektkonfigurationsdaten
legen die Existenz von Objekten fest und bestimmen die Attribute der Objekte
sowie die Beziehungen zwischen ihnen. Sie werden in der Objekt-Domänen-
Datenbank gespeichert. Objektkonfigurationsdaten können direkt eingegeben und
bearbeitet oder von einer externen Quelle übertragen werden. Bei der externen
Quelle kann es sich um eine andere Datenbank oder eine ASCII-Importdatei han-
deln. Die Dateneingabe kann vor, gleichzeitig mit oder nach der Kundenanpas-
sung erfolgen.

17.6.2.3 Validierung
Nach einer Dateneingabe oder Datenänderung stellt die Validierung sicher, dass
das gesamte Datenmodell konsistent ist. Darüber hinaus gewährleistet die Validie-
rung, dass alle anderen erforderlichen Daten im Pflegeumfeld eingegeben sind
(Vollständigkeitsprüfung), bevor die Änderung in das On-line-System übernom-
men wird.

17.6.2.4 Aktivierung
Die Aktivierung überträgt während der Dateneingabe durchgeführte Änderungen
in das On-line-System. Zum Zeitpunkt der Aktivierung werden die in der Pflege-
umgebung enthaltenen Änderungen validiert (sofern das nicht bereits geschehen
ist) und, vorausgesetzt dass keine Validierungsfehler auftreten, die Änderungen in
das Online-System übertragen. Der Aktivierungsvorgang veranlasst außerdem die
Erstellung von Änderungsprotokolldaten für die Prüfung und eventuelle Rückgän-
gigmachung.

Abb. 17.26. Ablauf einer Datenänderung


17.6 Daten-Management 805

17.6.3 Benutzeroberfläche des Daten-Managementsystems

Die Benutzeroberfläche des Daten-Managementsystems ist als grafische Bedien-


oberfläche auf Web-Basis in die allgemeine Benutzerschnittstelle integriert.

Eigenschaften
Die Benutzeroberfläche unterstützt:
x Pflege der statischen Objektkonfigurationsdaten
x Eingabe unvollständiger Daten mit späterer Ergänzung bzw. Berichtigung
x Eingabe und Pflege der grafischen Netzdarstellungen
x interaktive Bearbeitung der Objektkonfigurationsdaten und gleichzeitige
Bearbeitung der Netzdarstellungen
x Prüfung der Korrektheit eingegebener Daten (Validierung) und Prüfung der
internen Übereinstimmung mit bereits eingegebenen Daten (Globale Validie-
rung).

Engineering Explorer
Der Engineering Explorer ermöglicht dem Benutzer die Durchführung aller Kon-
figurations-, Kundenanpassungs- und Dateneingabemaßnahmen für ein Projekt.
Die Benutzeroberfläche ist wie im Microsoft Windows Explorer und anderen
ähnlichen grafischen Bedienoberflächen aufgebaut. Das linke Feld des Fensters in
Abb. 17.27 zeigt die Bezeichnungshierarchie in Form einer Baumstruktur, der
Zugriff zu allen projektierten Objekten des Netzes ermöglicht. Das rechte Feld des
Fensters wird für die Anzeige und Bearbeitung der Eigenschaften der projektierten
Objekte benutzt. Das im rechten Feld verwendete Darstellungsformat kann je nach
der Art der betrachteten Objekte unterschiedlich sein. Ein Benutzer kann mit Hilfe
dieser Ansicht alle Bereichsobjekte erstellen und bearbeiten.

Abb. 17.27. Engineering Explorer mit links Baumstruktur, rechts Objekteigenschaften


806 17 Netzleittechnik für elektrische Energienetze

Konsistente grafische Darstellungen


Das Daten-Management-System sorgt dafür, dass die interne Übereinstimmung
zwischen den Bildern und dem Objektdaten-Modells gewährleistet ist. Das Erstel-
len neuer Objekte und die Bearbeitung ihrer Eigenschaften können sowohl direkt
in der grafischen Darstellung als auch in der Eigenschaften-Ansicht vorgenommen
werden. In der grafischen Darstellung werden die Objekteigenschaften in Popup-
Fenstern bearbeitet, anstatt im Tabellenformat.

Entscheidungslogik für graphische Darstellungen


Die Informationsdarstellung in Netzbildern ist durch eine Entscheidungslogik
definiert. Für jedes Objekt und entsprechenden Attribute können die Dar-
stellungsregeln abhängig vom Objektzustand definiert werden. Ein Schalter kann
z.B. abhängig vom Schaltzustand, der Zustandsqualität und verschiedenen Mar-
kierungen dargestellt sein.

Graphics Designer
Der Graphics Designer ermöglicht die Konstruktion von kundenspezifischen Dar-
stellungen (Stations-, Netzbilder, Objekte etc.) und bietet die Standardfunktionen,
die in effizienten Windows-Grafikprogrammen vorhanden sind. Funktionen wie
die präzise Positionierung, Ausrichtung, Drehung oder Spiegelung, Übertragung
der Eigenschaften von Grafikobjekten sind darin enthalten, ebenso wie die Grup-
pierung, Erstellung von Bibliotheksobjekten sowie der Import bzw. die Einbettung
von extern bearbeiteten Texten und Grafiken in verschiedenen Formaten (z.B.
BMP, WMF etc.) oder die Verwendung von OLE (s. Abb. 17.28).

Objektbibliotheken
Erstellte Objekte können in einer Bibliothek gespeichert werden und stehen dann
sofort für die weitere Verwendung zur Verfügung. Dadurch ist der Benutzer in der
Lage, unternehmens-, technologie- oder sektorspezifische Standards zu entwickeln
und die in der Bibliothek gespeicherten Objekte immer wieder zu verwenden, was
zu einer schnelleren und effizienteren Entwicklung von grafischen Netzbildern
beiträgt. Eine Objektbibliothek (bestehend aus einer globalen Bibliothek und einer
Objektbibliothek) und eine Funktionsbibliothek unterstützen die effiziente Einga-
be. Die Objekte können aus reinen Grafiken bestehen, spezielle Verarbeitungsrou-
tinen beinhalten aber auch Prozessverknüpfungen. Die in der Bibliothek enthalte-
nen Objekte können einfach mit der „Drag and Drop“-Technik in die Projektda-
tenbank eingefügt werden.
Objekte können in der Bibliothek namentlich aufgelistet oder als Ikonen angezeigt
werden. Das fördert die schnellere und leichtere Identifikation der einzelnen Ob-
jekte. Objekte könne darüber hinaus mehrsprachig beschrieben werden. Beim
Umschalten der Benutzeroberfläche ändert das System automatisch alle Namen
der gespeicherten Objekte und Objektgruppen wie auch andere die vom Anwender
definierten Parameter. Die Verwendung dieser Bibliotheken führt zu einer bedeu-
tenden Steigerung der Effizienz der Dateneingabe bei gleichzeitiger erheblicher
Reduzierung der Fehlermöglichkeiten.
17.6 Daten-Management 807

Abb. 17.28. Bildkonstruktion unterstützt durch Objektbibliothek

Topologischer Bild-Editor
Müssen Netzbilder topologisch eingefärbt werden, so kann anstelle des Graphics
Designer für die Bildgestaltung ein topologischer Bild-Editor verwendet werden,
mit dem die Netzbilder basierend auf den Objektbibliotheken und topologischen
Regeln am Bildschirm gezeichnet werden. Der Editor überprüft bei der Eingabe
laufend die topologische Korrektheit des eingegebenen Netzes und erlaubt auch
die Zuordnung und eventuelle Ergänzung der technischen Daten zu den einzelnen
grafischen Objekten.

Objekt-Editor
Die primäre Aufgabe bei der Dateneingabe über IMM ist es, das Datenmodell
immer konsistent zum physikalischen Ausbaustand des Prozesses (Netzes) zu
halten. Die Datenmodellpflege im Online-System wird mit dem Objekt-Editor
ausgeführt. Der Objekt-Editor in der Grafik-Benutzeroberfläche ist voll Web-
fähig, so dass er von jedem anderen vernetzten Computer, auf dem ein üblicher
Web-Browser (z.B. Microsoft Internet Explorer) installiert ist, benutzt werden
kann. Ein Bearbeitungsfenster enthält die Bezeichnungshierarchie aller Netzobjek-
te. Die Baumstruktur ordnet alle Objekte in einer logischen Hierarchie ähnlich
einem Dateiverzeichnis, wobei das Aussehen und die Arbeitsweise der Elemente
auf der Grafik-Benutzeroberfläche an den Microsoft-Verzeichnisbaum angegli-
chen ist. In diesem Verzeichnisbaum können neue Objekte erstellt, überflüssige
Objekte gelöscht und vorhandene Objekte angewählt werden. Diese Baumstruktur
zeigt die Objektbezeichnungen in einer hierarchischen Weise, wie sie normaler-
weise in einem Netz verwendet werden, um Objekte im Netz zu kennzeichnen
(z.B. Unterstation A / 110KV / Transformator X). In einem weitern Feld des Dia-
logfensters werden die Zustandsdaten eines Objekts definiert, das über den Ver-
zeichnisbaum erstellt oder angewählt wurde. Die Werte der Objektattribute und
808 17 Netzleittechnik für elektrische Energienetze

ihre Zusammenhänge mit anderen Objekten werden in Form von Eigenschafts-


Indexkarten angezeigt und bearbeitet. Die Attributwerte und Zusammenhänge
beschreiben gemeinsam alle statischen Informationen über die Datenobjekte, die
für die Applikations-Software benötigt werden. Für Datenobjekte gibt es vorgefer-
tigte und wieder verwendbare Muster, in denen die angewählten Attributwerte
bereits eingetragen sind. Der Anwender kann den erforderlichen Zeitaufwand und
die Fehlermöglichkeiten bei der Dateneingabe wesentlich dadurch verringern, dass
neue Objekte einfach mit Hilfe der vorhandenen Muster erstellt.

Abb. 17.29. Objekttypen-Editor

Objekttypen-Editor
Die Einfügung neuer oder kundenspezifische Funktionen verlangt normalerweise
die Definition neuer Objekttypen oder die Hinzufügung von Attributen zu vorhan-
denen Objekttypen im Datenmodell. Der Objekttypen-Editor (s. Abb. 17.29) er-
laubt dem Anwender die Erweiterung des Objektmodells und die automatische
Anpassung an bestehende Objekttypen und Attribute. Somit kann die Eingabe
entsprechender Objektdaten unmittelbar nach vorgenommener Modelländerung
beginnen. In diesem Zusammenhang ist zu betonen, dass die Erweiterung der
bestehenden Objekttypen bei voll-ständiger Beibehaltung der vorhandenen Ob-
jektdaten erfolgt. Die Benutzeroberfläche des Objekttypen-Editors entspricht Aus-
sehen und Bedienung dem des Objekt-Editors.

Automatische Bildgenerierung
Der Aufwand für die Erstellung von Netzbildern für große Netze ist in Regel
hoch. Daher können Stationsbilder usw. automatisch auf Basis der im Datenmo-
dell hinterlegten Prozess- und Topologiedaten generiert werden. Diese Funktion
kann einerseits dazu genutzt werden, eine beschriebene Netztopologie auf Fehler
zu prüfen, andererseits aber auch als Grundlage für die Erstellung von grafischen
17.6 Daten-Management 809

Netzdarstellungen verwendet werden. Die Abb. 17.30 und 17.31 zeigen die beiden
Möglichkeiten.

Abb. 17.30. Beispiel eines grafisch editierten Unterstationsbildes

Abb. 17.31. Beispiel eines automatisch generierten Stationsbilde


810 17 Netzleittechnik für elektrische Energienetze

Job-Management
Dateneingaben und Datenänderungen werden über das Job-Management des Da-
ten-Management-Systems mit den folgenden Merkmalen koordiniert und verwal-
tet:
• Zusammengehörende Datenänderungen werden zu einem Job zusammenge-
fasst
• Die Daten eines Jobs werden gemeinsam aktiviert
• Zeitliche Entkopplung von Dateneingabe und Aktivierung der Daten in das
On-line-System ^
• Mehrere Bediener können gleichzeitig Daten eingeben
• Ein Job kann gleichzeitig nur von einem Bediener bearbeitet werden
• Die in einem Job modifizierten Daten sind für Änderungen in anderen Jobs ge-
sperrt
• Datenänderungen sind nur mit dem entsprechenden Zugriffsrecht möglich.
Dadurch können im System mehrere Datenänderungen parallel vorgehalten
werden ohne das On-line-System zu stören.

Reports
Inhalte der Engineering-Kontexte oder des Echtzeit-Kontexts können mit Stan-
dardberichten dokumentiert werden. Objekttypen und Objektbedingungen können
entweder im Daten-Managementsystem angeschaut oder ausgedruckt werden.
Begrenzte Filtermöglichkeiten stehen für die Erstellung spezieller Berichte zur
Verfügung.

17.6.4 Massendatenimport

Netzdaten
Bei vielen Projekten ist es notwendig, das sehr umfangreiche Prozessdatenmodell
von vorhandenen Informationssystemen zu übernehmen, statt alle Daten manuell
neu einzugeben. Dies ist insbesondere im Verteilnetzbereich für Geographische
Informationssysteme (GIS) zutreffend. GIS enthalten im Allgemeinen viele tech-
nische und grafische Daten, die ebenfalls im Netzleitsystem zur Netzführung be-
nötigt werden, z.B. zur Netzdarstellung, Netzberechnung etc. Die Importfunktion
des Daten-Managementsystems führt zu einer größeren Aufwandsreduktion bei
der Dateneingabe und –validierung. Das Importdateiformat basiert z.B. auf XDF-
Dateien (Exchange Data Format) unter Verwendung des Standards Extended Mo-
deling Language (XML). Das XML-Format bietet eine objektorientierte Struktur,
die der Form des Datenmodells entspricht. Infolgedessen wird die Importdatei als
ASCII-Dateidarstellung der Objektdaten angezeigt, die der Darstellung im Objekt-
Editor sehr ähnlich ist.
Das Prozessdatenmodell kann auch in ein fremdes System exportiert werden. Das
Exportformat ist dasselbe wie das Importformat.
17.6 Daten-Management 811

Zusätzlich zu den Objektdaten unterstützt das Daten-Managementsystem auch den


Import und Export von Objekttypinformationen. Der Anwender kann diese Im-
portfunktion benutzen, um Objekttypen zu erweitern, statt z.B. das Modell unmit-
telbar über den Objekttypen-Editor zu bearbeiten. Damit können Modeller-
weiterungen über ein Quelldaten-Verwaltungssystem in einer koordinierten An
wendungsentwicklungsumgebung definiert und gepflegt werden. Diese Funktiona-
lität ist in Abb. 17.32 dargestellt.

• Interaktiver Grafikdesigner
Datenaustausch
zwischen unterschied- • Topologie-Ableitung
lichen Systemen ver- • Automatische Bildkonstruktion
schiedener Lieferanten • Interaktiver Typeneditor
import/export
Bulk

Abgesetzte
Domain Object Leitstellen
Repository

System &
Prozess-
objekte

Anwendungen

Datenmigration System
Felddaten Archiv Konfiguration

Abb. 17.32. Massendatenimport in den Information Model Manager

Graphik-Import
Neben dem Import von ASCII-Daten stehen üblicherweise auch Schnittstellen und
Systemdienste für den Import von Grafikdaten in SVG-Format (Scalable Vector
Graphics) zur Verfügung. Diese Dienste sind insbesondere für Kunden für Bedeu-
tung, die bereits über Grafische Informationssysteme verfügen bzw. diese kurz-
oder mittelfristig beschaffen wollen und mit dem Netzleitsystem verbinden wol-
len.

17.6.5 Standards und Technologien


Standards
In der Netzleittechnik kommen häufig Microsoft-Technologien und verwandte
Standards eine Schlüsselrolle zu. Übliche Standards sind:
• Betriebssystem MS Windows
• Verwendung standardisierter Hardware von Industrie-PCs
• Einsatz von Cluster-Systemen für hohe Verfügbarkeit und wählbare Redun-
dan
• Server-Verbindungen auf der Basis von Standard-LANs und der Verwen-
dung von Standardprotokollen
812 17 Netzleittechnik für elektrische Energienetze

• offene Schnittstellenstandards auf der Basis der Komponententechnologie,


einschließlich:
x OPC-UA (Open Process Control for Unified Architecture)
x ActiveX-Komponententechnologien, die in allen Bausteinen des Sys-
tems Verwendung finden
x XML-Formate für den Export/Import von Daten
• ODBC- (Open Database Connectivity), OLE- (Object Linking and Embed-
ding)
• Anbindung von Microsoft-Tools über OLE (beispielsweise Anbindung von
EXCEL-Tabellenformaten)
• Relationale Datenbank mit offenen Schnittstellen
• Verfügbarkeit der normierten und international standardisierten Protokolle
IEC 60870-5, IEC 60870-6, IEC 61850, IEC-GID etc..

17.7 Systemkonfigurationen

Die Architektur ermöglicht wie in der Abb. 17.33 gezeigt wird eine große Konfi-
gurations-Skalierung sowie die verschiedensten Kombinationen von Servern,
Anwender-Interface (UI)-Clients und peripheren Geräten. Eine kleine Konfigura-
tion „All-in-one“ kann z.B. für das Dateneingabesystem oder eine dezentrale Be-
triebsstelle eingesetzt werden, während eine große Konfiguration in redundanter
Konfiguration, z.B. in einer zentralen Warte, eingesetzt werden kann.

Offene Hardware-Architektur
Ein modernes Netzleitsystem besitzt eine offene Hardware-Architektur, die meh-
rere Ebenen der Geräteverfügbarkeit und eine extrem flexible Skalierbarkeit bie-
tet.

Redundanz
Im Allgemeinen werden verschiedene Strategien angewendet, um den Anforde-
rungen nach Verfügbarkeit gerecht zu werden. Das Ziel dabei ist, die jeweils ge-
forderte Verfügbarkeit zu erreichen und gleichzeitig die Anzahl der verschiedenen
dafür notwendigen Strategien minimal zu halten, um den Installations-, Instand-
haltungs- und Bedienungsaufwand zu senken. Das Ziel einer hohen Verfügbarkeit
ist:

x Kein Verlust an wichtigen Daten, die für kritische Betriebsfunktionen benö-


tigt werden
x Minimierung der Zeitspannen, in denen für den Betrieb kritische Funktionen
nicht zur Verfügung stehen, damit keine erhebliche Einschränkung der Leis-
tungsfähigkeit einsetzt.

Die Forderungen werden mit folgenden Maßnahmen erreicht:

• N-1 Verfügbarkeit
Redundanz im Falle von Gerätefehlern ist durch die Verfügbarkeit zusätzlicher
On-line-Geräte gegeben. Die Ausfallzeit für den betreffenden Anlagenteil wird
17.7 Systemkonfigurationen 813

anhand der Zeitdauer bestimmt, die zur Reparatur des fehlerhaften Gerätes benö-
tigt wird. Diese Art der Verfügbarkeit ist akzeptabel für Benutzeroberflächen-
Einrichtungen und andere periphere unkritische Anlagenteile

• Hohe Verfügbarkeit, ”Standard” Cluster-Technologie


Ein Cluster ist ein paralleles oder dezentrales System, das aus einer Anzahl
miteinander verbundener Computer besteht, die als einzelne vereinheitlichte
Computer-Ressource benutzt werden. Diese Cluster-Technologie bietet Aus-
fallbehebungszeiten für Bedienstationen von wenigen Sekunden. Diese Zeit-
spanne ist akzeptabel, weil:
x die Wahrscheinlichkeit des Auftretens solcher Störungen sehr gering ist,
x ein Funktionsausfall für eine kurze Zeit tolerierbar ist,
x kein Datenverlust eintritt.

• Sofortige Verfügbarkeit, hochredundanter Server


Bei hochsensiblen Prozessen läuft immer einen Backup-Prozess parallel, der
im Fehlerfalle den Betrieb sofort, d.h. ohne Unterbruch oder Datenverlust ü-
bernimmt. Diese sofortige Verfügbarkeit ist z.B. bei kritischen Funktionen wie
SCADA und automatische Frequenz-Leistungsregelung gegeben.

Abb. 17.33. Typische Konfigurationen und Konfigurations-Skalierung


814 17 Netzleittechnik für elektrische Energienetze

Skalierbarkeit der Systemkonfiguration


Ein modernes Netzleitsystem ist in hohem Maße skalierbar, was grundsätzlich
dadurch erzielt wird, dass Hardware-Komponenten hinzugenommen werden (ent-
weder durch mehr CPUs bzw. Speicherkapazität an einer Einzelmaschine oder
durch Einbeziehung zusätzlicher Computer). Die Skalierbarkeit erfüllt die zuneh-
menden Forderungen des Marktes nach:
x größeren Datenmodellen
x mehr dynamischen Daten (mehr Messwerte, schnellere Kommunikationswege)
x mehr Funktionalität (kontinuierlich steigende Benutzererwartungen)
x besseres Ansprechverhalten (geringste Wartezeiten)

Im Weiteren kann bei Bedarf ein so genanntes Not-System, z.B. in „All-in-one“-


Ausführung, ergänzt werden, um in Notfällen (Feuer etc.) einen minimalen Netz-
betrieb von einem anderen Standort zu ermöglichen.

17.8 Systemübergreifender Workflow


In jedem Energieversorgungsunternehmen gibt es eine Vielzahl von unterschiedli-
chen Arbeitsabläufen, die zum Teil systemübergreifend sind, d.h. neben der Netz-
leittechnik auch andere Systeme betreffen. Die Optimierung von wichtigen Ar-
beitsabläufen verlangt daher eine IT-Integration (siehe Kap. 17.9) der beteiligten
Systeme. Das Resultat dieser Optimierung ist ein Satz von Muster-Arbeitsabläufen
(Anwendungsfälle oder Use Cases). Diese dienen als Arbeitsvorlage resp. Ar-
beitsvorschrift und werden z.B. in einem Qualitätshandbuch hinterlegt.
Bei einem reellen Arbeitsauftrag (Job) wird ein Muster-Arbeitsablauf mit den
dazugehörigen Daten versehen (Arbeiter, Zeit, Netzteile usw.). In einem EVU
laufen üblicherweise viele Jobs unterschiedlichster Kategorien parallel ab. Jeder
Job besteht aus einem Anfang, verschiedenen Aktionen, und einem Abschluss.
Die Verwaltung der Jobs kann manuell oder mit Werkzeugen (Job Management)
erfolgen. Ein Job kann aus einer oder mehreren Applikationen bestehen die wie-
derum in einem oder mehreren Systemknoten ablaufen. Abb. 17.34 zeigt den
Werdegang ausgehend von den Geschäftsstrategien und -prozessen über Muster-
Arbeitsabläufe zu den Jobs.
Es zeigt ebenfalls den Zusammenhang zwischen den Aktivitäten eines Jobs und
den einzelnen Applikationen in verschiedenen Systemknoten. Das Beispiel zeigt
andeutungsweise den Arbeitsablauf Durchleitung mit den Hauptaktivitäten Ein-
kauf, Netzführung und Abrechnung.
Für die Erstellung, Durchführung und Überwachung vom Arbeitsfluss (Workflow)
gibt es heute Werkzeuge (Workflow-Automation). Einige Anwendungen von
17.8 Systemübergreifender Workflow 815

Workflow-Automation existieren auf dem Gebiet der Dokumentationsverwaltung.


Auf dem Gebiet der Netzführung existieren proprietäre Ansätze und Lösungen.
Der Nutzen der Workflow-Automation liegt darin, dass die Muster-Arbeitsabläufe
mit den gelebten Abläufen übereinstimmen und somit die Qualitätssicherung der
Realität entspricht. Um den genannten Nutzen zu realisieren, werden bereits
Workflow-Automationswerkzeug eingesetzt, die folgenden Bedingungen zu erfül-
len müssen:
x Einfaches und effizientes Erstellen und Modifizieren von Muster-Arbeits-
abläufen (um den sich ändernden Geschäftsstrategien und -prozessen rasch
folgen zu können)

Geschäftsstrategien Job “n”


& -Prozesse Job “Wartung Transformer T2”
Job “Störung Schwandstrasse”
Job “Durchleitung Händler x”
Use Case “n”
Use Case “Störung”
Use Case “Durchleitung”

Workflow-Automation
• Erstellen/Ändern
• Ausführen
• Überwachen
• Bericht

Einkauf Netzführung Abrechnung

Unternehmensbus (EIB)

Abb. 17.34. Überblick zum Workflow

x Übernahme von Muster-Arbeitsabläufen für einen reellen Ablauf (Job)


x Effiziente Anpassung eines Jobs falls erforderlich
x Ausführen und Überwachen von Jobs mit adäquaten Statusanzeigen
x Automatisches Erstellen von Berichten der durchgeführten Aktionen
x Effizientes Einbinden von Applikationen in verschiedenen Systemknoten.

Die oben geschilderte Netzleitarchitektur und die vorhandenen Integrations-


Schnittstellen sind eine gute Ausgangsbasis für übergreifende Arbeitsablauf-
Optimierungen.
816 17 Netzleittechnik für elektrische Energienetze

17.9 Systemintegrationskonzepte
Das Netzleitsystem ist Bestandteil einer umfänglichen EVU-Systemlandschaft.
Andere Systeme können je nach Aufgabe mit der Netzleittechnik mehr oder weniger
Interoperabilität und Abhängigkeiten aufweisen. Eine IT-Integration dieser Syste-
me ermöglicht je nach Integrationsgrad (Datenaustausch, gemeinsamen Dateneinga-
be und Applikationsabstimmung) eine wesentliche Verbesserung der Betriebskosten
und Arbeitsabläufe. Bei der Integration und beim gewählten Systemintegrations-
konzept sind vor allem auch die Sicherheits- und Echtzeitbedürfnisse der Netzleit-
technik zu beachten. Die Norm IEC 61970 beinhaltet insbesondere für die Netzleit-
technik eine entsprechende Grundlage. Ein weiterer Schritt auf der Ebene der Un-
ternehmensintegration führt zu einer Service-Oriented Architecture (SOA). Damit
wird die Funktionalität in geteilte, wiederholbare Services strukturiert und mitein-
ander verknüpft. Der dedizierte Service bietet seine Funktionalität durch gut defi-
nierte Interfaces an. Dadurch kann neben der betrieblichen Effizienz auch die Un-
ternehmensflexibilität und die Wiederverwendung von Ressourcen gesteigert wer-
den. In der Abb. 17.35 ist ein Beispiel einer umfassenderer Systemintegration aus
der Verteilnetzführung dargelegt.

Abb. 17.35. Beispiel eines Systemintegrationskonzeptes im Verteilnetzbereich


17.10 Ausblick 817

17.10 Ausblick
Netzleitstellen sind über die letzten Jahre durch die Marktentflechtung die damit
verbundenen Optimierungsforderungen und den gleichzeitigen Technologiewandel
wesentlich komplexer geworden. Insbesondere gibt es:
x viel mehr Elemente, die miteinander verknüpft und voneinander abhängig sind,
z.B. infolge integrierter IT-Systemlandschaft im EVU
x viele und häufige Interaktionen zwischen den Elementen, z.B. durch intensive
Interaktionen zwischen den Applikationen und den Benutzern
x hohe Vielfalt durch wechselnde Konstellationen, Muster und Zustände der
Elemente, z.B. durch neue Aufgaben, Ersatz von Systemen, Prozess- und Sys-
temrestrukturierung usw.
x zunehmendes ortsunabhängiges Bedienen in Verteilnetzen (mobile computing)
mit entsprechend erhöhten Sicherheitsanforderungen gegen unerwünschte Sys-
temeingriffe

Im IT-Bereich macht sich Komplexität vor allem auch in der Beziehung des Sys-
tems zum Benutzer und in der Heterogenität der Systemteile bemerkbar.

Da die Gesamtkosten komplexer Systeme hoch sind, müssen auch in Zukunft bei
der konzeptionellen Systemauslegung die entsprechenden Regeln zur Komplexitäts-
minderung beachtet werden. Die folgenden, zumeist heuristischen Regeln der Kom-
plexitätstheorie sind dabei von Nutzen:

x Verteilen der Intelligenz, z.B. in Form von sich regelnden Unterstrukturen


(Subsysteme)
x Modellaufbau in Schichten mit "Lenkung von unten", z.B. wie das Kommuni-
kations-Schichtenmodell (OSI, Open System Interconnection)
x Inkrementelles Wachstum über funktional robuste Komponenten, z.B. gemäß
IEC-Komponentenmodell
x Lose Kopplung mit wenig Abhängigkeiten zwischen Systemen/Elementen
x Nicht Alles auf dem Gleichen aufbauen
x Sicherheitsstrukturen aufbauen
x Fehlerfreundlichkeit, z.B. Lösungskapselung mittels objekt-orientierter Pro-
grammierung und "intelligenten" Kopplungsverfahren
x Einsatz von verbreiteten Standards, um positive Rückkopplungen auf die eige-
ne Systemkonzeption zu nutzen
x Ausbalancieren mehrfacher Ziele, z.B. Stabilität und Wandel, tiefe Komplexi-
tät und hohe Systemintegration/-funktionalität, lose Kopplung und minimale
Datenredundanz usw.
ANHANG
Anhang I Thermodynamik

1.1 Grundbegriffe
1.1.I Zustandsgrößen
Zur Beschreibung des thermodynamischen Zustands der Materie werden folgende 6
Variablen verwendet:
absolute Temperatur T [Kl
thermodynamischer Druck p [Nlm' = Pa = 10-5bar ]
spezifisches Volumen (11Dichte) V = llp [m3kg]
spezifische innere Energie u [Wsikg = Jikg]
spezifische Enthalpie h [Wslkg]
spezifische Entropie s [Wslkg.K]

Zwei Größen genügen um den thermodynamischen Zustand zu definieren. Die sechs


Variablen sind deshalb durch 4 Gleichungen verknüpft [A. I], [A.2]:

V = V@, T) thermische Zustandsgleichung (1.1)


u = u (p, T ) kalorische Zustandsgleichung (1.2)
h = u +p V Definition Enthalpie (1.3)
T ds = du + p dv Definition Entropie (1.4)

Die Gln. (1.3) und (1.4) definieren Enthalpie und Entropie; für deren physikalische
Interpretation s. die Abschn. 1.1.3 und 1.1.4. Die Definition (1.4) der Entropie ist
streng genommen nur für quasistationäre Gleichgewichtszustände gültig [A. 101.
Die Gln. (I. 1) und (1.2) sind von der Art des Stoffes abhängig. Für zwei wichtige
Idealfalle gilt:
a) Ideales Gas :

pv=RT (1.Ia)
du = cv(T) dT (1.2a)
aus (1.3) folgt dh = (c,,(T) + R ) dT = $ ( T ) dT (1.3a)

b) Inkompressible Flüssigkeit:

V = v(T) (1.1 b)
du = c ( T ) dT (1.2b)
In beiden Fällen ist die innere Energie nur von der Temperatur abhängig. Reelle
Gase verhalten sich bei niedrigen Drücken (< 20 bar für Luft, Wasserstoff, Stick-
822 Anhang I Thermodynamik

stoff, Erdgas usw.) praktisch wie ideale Gase. C„ stellt die spezifische Wärme bei
konstantem Volumen, C, die spezifische Wärme bei konstantem Druck dar, wobei
C,-C,. = R. Das Verhältnis K = C, /C,wird Isentropenkoeffizient genannt (s. auch
Abschn. 1.3.4). Die Gaskonstante R hängt von der Art des Gases ab. Für Flüssig-
keiten ist praktisch C, = C,, = C.

1.1.2 Thermodynamische Prozesse


Der Zustand des Stoffes, z.B. des Gases im Zylinder Abb. 1.1, kann durch zwei der
sechs Variablen als Punkt in der Zustandsebene (Abb. 1.2) dargestellt werden.
Verwendet werden Darstellungen in der @,V)-, (T,s)-, (h,s)- oder (p,h)-Ebene.
Ein thermodynamischer Prozess ist ein Vorgang, der einen Stoff von einem

T, P, V, U, h, s
Abb. 1.1: Zustands- und Prozessgrößen

Zustand 1 in einen Zustand 2 überführt (Kurve von 1 nach 2 in der Zustandsebene


Abb. 1.2). Die Zustandsänderung kann durch Wärmezufuhr oder -abfuhr (Erwär-
mung oder Kühlung) undloder durch Kompression oder Expansion (mit Arbeit-
saustausch verbunden) erreicht werden.
Wärmeaustausch und Arbeit sind keine Zustandsgrößen sondern Prozessgrößen.
Wir unterscheiden:
q = spezifische Wärmezuführ [Jkg]
W = spezifische Arbeitzufuhr [Jkg] abzüglich äußere (Kolben-) Reibung (als
systemextem betrachtet)
q , = spezifische Wärme [Jlkg], die durch innere (Gas-) Reibung entsteht
Die wichtigsten Prozesse in einem Gas sind in Abb. 1.2 dargestellt.

isobare
,p2 Erwärmung

I isobare isotherme
' 2 Erwärmung Expansion

2 isotherme 2 adiabate
Expansion Expansion
\ '\\ 2
\ adiabate isentrope
isentrope Expansion Expansion
Expansion
>V
Abb. 1.2: Zustandsänderungen in einem Gas, dargestellt in den Ebenen (pv) und (Ts)
(adiabat bedeutet ohne Wärmeaustausch, d.h. q = 0)
I. I Grundbegriffe 823

T;.'-- Tkr Isobare


p = konst.

Gas
überhitzter Dampf

Flüssigkeit

......... Taulinie

._I.
.._.

Abb. 1.3: Verhalten eines Dampfes in der Nähe des Verflüssigungspunktes. Im Nassdampf-
bereich besteht zwischen Druck und Temperatur eine feste Beziehung (Dampfdruckkurve
P = PK))

Von großer praktischer Bedeutung sind die Zustandsänderungen in einem Dampf


(Abb. 1.3). Beim Erhitzen der Flüssigkeit unter konstantem Druck beginnt im Siede-
punkt 1 die Verdampfung, wobei unter Zufuhr der Verdampfungswärme die Tempe-
ratur konstant bleibt. In 2 ist die Verdampfung abgeschlossen, und die Temperatur
des Dampfes nimmt wieder zu (überhitzter Dampf). Im Nassdampf-bereich stimmen
Isobare und Isotherme überein. Oberhalb des kritischen Druckes p, , welcher der
kritischen Temperatur T, entspricht, geht die Flüssigkeit ohne Verdampfung in den
gasförmigen Zustand über.

1.1.3 Erster Hauptsatz, Energiebilanz

1.1.3.1 Geschlossene Systeme


Ein geschlossenes System ist ein für die Materie undurchlässiges System. Es enthält
also stets die selbe Stoffmenge. Mit Bezug auf Abb. 1.4 gelten für den Übergang von
Zustand 1 nach 2 folgende Energiebilanzgleichungen:
I . Hauptsatz für geschlossene Systeme:
Au = q +

Abb. 1.4: Geschlossenes System GI. (1.5) ergibt sich aus dem Energier-
824 Anhang I Thermodynamik

haltungsprinzip: Wärme- und Arbeitsmfuhr erhöhen die innere Energie des Stoffes.
GI.(I.6) drückt aus, dass die Kompressions-arbeit W teilweise als
Volumenänderungsarbeit vom Gas aufgenommen wird (negatives Vorzeichen, da
gegen die Druckrichtung), und z.T. sich infolge Reibungsverluste in Wärme um-
wandelt.

1.1.3.2 Fließprozesse (offene Systeme)


Zur Veranschaulichung eines Fließprozesses sei die Reihenschaltung eines Wärme-
tauschers und eines Kompressors betrachtet (Abb. 1.5). Die spezifische Energie der
Stoffmenge Am, die sich vom Eintritt- zum Austrittsquerschnitt bewegt, ist in einem
beliebigen Querschnitt

Sie setzt sich zusammen aus innerer, kinetischer und potentieller Energie. C ist die
Fließgeschwindigkeit und z die Höhe relativ zu einer Bezugsebene.
Aus der Energiebilanz des offenen Systems folgt die Differenz zwischen
Austritts- und Eintrittsenergie

Der letze Term stellt die Änderung der spezifischen Verschiebearbeit dar. Er erklärt
sich folgendermaßen: die eintretende Stoffmenge Am verdrängt ein Volumen V, Am
mit Druck p, und überträgt dem System die Verschiebearbeit p, . V, Am. Die aus-
tretende gleiche Stoffmenge Am mit Volumen V, und Druckp, entzieht dem System
die Arbeitp, . V, Am. Insgesamt wird also dem System die Arbeit @,.V, - p,.v,) Am
= A0) v).Am entzogen. Gemäß GI. (1.3) lässt sich die Enthalpie als Summe von
innerer Energie u und Verschiebearbeit pv interpretieren.

q
1
Am : Am
4-
$ I \
h >
e1 e
Wärmetauscher Kompressor

Abb. 1.5: Fließprozess


I. 1 Grundbegriffe 825

Aus Gln. (I.3), (1.7) und (1.8) folgt

Der I. Haupsatz lautet somit für FlieJprozesse


1 2 2
Ah + -(c2-cl) + g(z2-zl) = q + W
2 (1.9)
Der Vergleich mit G1. (1.5) zeigt, dass bei Fließprozessen die Summe aus Enthalpie,
kinetischer und potentieller Energie an Stelle der inneren Energie tritt. Da bei gasför-
migen Medien i.d.R. kinetische und potentielle Energie vernachlässigbar klein sind,
genügt es meist Au durch Ah zu ersetzen.
Der in Kap. 4 behandelte Fall einer Wasserströmung ist ein Spezialfall von GI.
(1.9). Der Wärmeaustausch wird vernachlässigt und die innere Energie U ist konstant
(da nur temperaturabhängig, GI. I.2b). Die Dichte ist ebenfalls konstant und somit
die Enthalpiedifferenz Ah = A(p V)= (p,-p,)lp. Die GI. (1.9) wird zur GI. (4.5) von
D. Bernoulli.
Für die innere Energie der Masse Am (als geschlossenes System) gelten weiterhin
die Gln. (I.5), (1.6). Wird in GI. (1.3) eingesetzt, erhält man

Da d@v) = p dv + V dp, folgt aus dem Vergleich mit (1.9) die Kompressionsarbeit

(I. 10)

Abbildung 1.6 zeigt die Interpretation der Volumen- bzw. Druckänderungsarbeit in


der (p V)-Ebenefür geschlossene Systeme (Gl. I.6), und für Fließprozesse (GI. 1.10).

Abb. 1.6: a) Volumenänderungsarbeit für geschlossene Systeme, b) Druckänderungs-


arbeit für Fließprozesse
826 Anhang I Thermodynamik

1.1.4 Entropie, zweiter Hauptsatz


Sowohl für geschlossene Systeme als auch fir Fließprozesse lässt sich die innere
Energie durch

(I. 1 1)

ausdrücken. Mit den Gln. (1.3) und (1.4) folgt:

Es ergibt sich folgende Interpretation der Entropie

(I. 13)

Die Entropiezunahme bei Zustandsänderung ist das Verhältnis zwischen der totalen
Wärmezunahme und der absoluten Temperatur. Ist der Prozess adiabat (q = 0)
nimmt die Entropie immer zu, da die Reibungsverluste q,. nur positiv sein können.
Die Entropie eines adiabaten Prozesses kann also niemals abnehmen, bei natürli-
chen adiabaten Prozessen nimmt sie immer zu (zweiter Hauptsatz). Dies hängt
damit zusammen, dass natürliche Prozesse immer Reibungen aufiveisen und somit
irreversibel sind.
Sowohl fiir geschlossene Systeme als auch f i r Fließprozesse lässt sich die Wär-
mezunahme (Wärmezufuhr + Reibungswärme) bequem im (T,s)-Diagramm dar-
stellen (Abb. 1.7)

Abb. 1.7: Darstellung der Wärmezunahme in der (T,s)-Zustandsebene, gültig für ge-
schlossene Systeme und Fließprozesse
1.2 Kreisprozesse 827

1.2 Kreisprozesse
Ein Kreisprozess ist eine Folge von Zustandsänderungen, die schließlich den Stoff
in den ursprünglichen Zustand zurückfiihren. Alle Zustandsgrößen sind nach einem
Kreisprozess unverändert. Die technischen Anwendungen der Thermodynamik
basieren auf Kreisprozesse. Wird der Kreisprozess im Uhrzeigersinn durchlaufen
(Abb. I.8), ergibt sich Arbeit aus Wärme also einen thermischen Motor; wird er im
Gegenuhrzeigersinn durchlaufen, ergibt sich umgekehrt Wärme (oder Kälte) aus
Arbeit also eine Wärmepumpe (oder Kältemaschine). Mit Bezug auf den thermischen
Motor wird definiert: W = erhaltene minus aufgewendete technische Arbeit, q =
zugeführte minus abgeführte Wärme. Da f i r den Kreisprozess Au = Ah = 0, folgt
aus den Gln. (1.5) und (1.12) bei Berücksichtigung obenerwähnter Vorzeichen die
fundamentale Beziehung

Abbildung 1.8 zeigt ihre Interpretation in der (T,s)- und in der @,V)-Ebene.

Abb. 1.8: Interpretation in der (T,s)- und @,V)-Ebenevon GI. (1.14)

1.2.1 Kreisprozess von Carnot


Der reversible (verlustlose) Kreisprozess von Carnot (Abb. 1.9) besteht aus zwei
Isentropen und zwei Isothermen. Aus GI. (1.14) folgt die Energiebilanz W = q:
Die erhaltene Arbeit ist:
W = ql - q2 = (Tl - Tz) As
Als thermischen Wirkungsgrad wird das Verhältnis von erhaltener Arbeit zu zu-
geführter Wärme bezeichnet

(I. 15)

Der Camotprozess ist der Prozess mit dem höchsten Wirkungsgradder sich zwischen
den Temperaturen T, und T, realisieren lässt
828 Anhang I Thermodynamik

Abb. 1.9: Camotprozess (Motor): AB reversible adiabate Kompression, BC ideale


isotherme Kompression (mit Wärmezufuhr q,), CD reversible adiabate Expansion,
DA ideale isotherme Expansion (mit Wärmeabfuhr q,).
Wärmebilanz: q = q,-q,, Wärmezufuhr: q, = T, As, Wärmeabfuhr: q, = T, As

Beispiel I. 1
Man berechne den Wirkungsgrad einer Carnot-Maschine mit 6, = 300°C und 62
= 30°C.

Aus G1 (I. 15) folgt (mit T = 6 + 273)

1.2.2 Exergiebegriff,Wirkungsgrade

Durch Einführung der Umgebungstemperatur T,, , Iässt sich die zugeführte Wärme
f i r den Carnotprozess folgendermaßen schreiben:
ql = ql, + ql, = (Tl-TJAs + TUAs = Bergie + Anergie (I. 16)

Die Wärme besteht aus Exergie und Anergie. Für den Wirkungsgrad folgt

(I. 17)

Der thermische Wirkungsgrad des Carnotprozesses setzt sich zusammen aus dem
Carnotfaktor q, und dem exergetischen Wirkungsgrad qex.

T~-Tu Tu Arbeit -
41 Tl Tl 'l"=~rergie-
(I.m
18)

Da die Temperatur T, nicht tiefer als T,, sein kann, erreicht q„ höchstens den Wert
1, wenn T, = T, Dies bedeutet, dass sich höchstens der Exergieanteil der Wärme in
Arbeit umwandeln Iässt. In der Praxis ist dies nicht vollumf~nglichmöglich, da für
eine wirtschafliche Wärmeabgabe ein bestimmtes Temperaturgefalle (T,- T„ ) not-
wendig ist. Anergie ist mitzuschleppender Ballast.
Beispiel 1.2
Man berechne den Carnotfaktor und den exergetischen Wirkungsgrad von Beispiel
I. 1, wenn die Umgebungstemperatur 10°C beträgt.

Der Exergieanteil der zugeführten Wärme ist 5 1%. Diese Exergie kann mit einem
Wirkungsgrad von 93% genutzt werden.

1.2.3 Allgemeiner Kreisprozess


Für einen beliebigen Kreisprozess mit Wärmezufuhr q, bei variabler Temperatur T
ist der Exergieanteil

Der thermische Wirkungsgrad eines Kreisprozesses lässt sich demnach allgemein


schreiben

Der mittlere Carnotfaktor qm hängt vom Temperaturniveau der Warmezufuhr ab


und charakterisiert den Kreisprozess. Bei gegebener maximaler Temperatur kann er
höchstens den Wert q, des Carnot-Kreisprozesses erreichen (GI. 1.1 8).
Der exergetische Wirkungsgrad charakterisiert die Gute einer Warmekraft-
maschine besser als der thermische (oder energetische) Wirkungsgrad. Die exergeti-
schen Verluste haben zwei Ursachen:

Der exergetische Wirkungsgrad des reversiblen Prozesses qe„„ berücksichtigt, dass


die Abwärme q, noch einen Exergieanteil q,„ enthält, da T2 > T „ , der in wertloser
Umgebungsanergie umgewandelt wird. Wäre die Wärmeabgabetemperatur durch-
wegs T, = T „ , würden diese Verluste nicht auftreten. Wie oben bereits erwähnt, ist
dies jedoch nicht vereinbar mit einer wirtschaftlichen Wärmeabgabe.
Der innere Wirkungsgrad q, rührt von den Irreversibilitäten (Reibungen) des
Prozesses her. In einem reversiblen Prozess, wie der vorher besprochene Camot-
Prozess, bleibt die Anergie unverändert (also q„„ = q„„), damit ist W = q,-q, =
q,„-qZex,und q, = 1). Mit Reibung nimmt hingegen die Anergie zu (d.h. q„„ > q„„)
und somit ist W = (q, q , ) < (q„,-q,„).
830 Anhang I Thermodynamik

1. 3 Teilprozesse
Ein Kreisprozess als Ganzes erfolgt in einem geschlossenen System. Er besteht
jedoch aus Teilprozessen, die i.d.R. (offene) Fließprozesse sind. Diese Teilprozesse
lassen sich etwas idealisiert in zwei Kategorien einteilen:
- Wärmeaustausch unter verschiedenen Bedingungen :
konstante Temperatur : isothermer Prozess
konstanter Druck : isobarer Prozess
konstantes Volumen : isochorer Prozess
- Kompression oder Expansion ohne Wärmeaustausch: adiabate Prozesse

1.3.1 Isothermer Prozess


Im idealen Gas ist Au = 0, da die innere Energie nur von der Temperatur abhängt.
Ferner gilt pv = RT und somit Ah = A(pv) = R AT = 0. Mit Bezug auf den motori-
schen Prozess und bei Vernachlässigung der kinetischen und potentiellen Energie
folgt aus den Gln. (1.9) und (1.12):

i i
T A s = q + q r = pdv = - vdp = -
I I I P2
(1.22)

Die Wärmezuführ q ist von Expansion begleitet und liefert die Arbeit W.Die Enthal-
pie bleibt unverändert. Druckabnahme und Entropiezunahme können mit GI. (1.22)
berechnet werden.
Der isotherme Prozess im Gas hat nur theoretische Bedeutung (Carnotprozess),
da er schwer zu realisieren ist (Abb. I. 10).
Im Nassdampfbereich ist ein isothermer Prozess zugleich ein isobarer (s. weiter
unten) und somit leicht zu realisieren.

Abb. 1.10: Isothermer Prozess: 1 - 2 isotherme Expansion, 2 - 1 isotherme Kompression


1.3.2 Isobarer Prozess
Im idealen Gas ist Au = C,, AT (C,,= mittlerer Wert, da temperaturabhängig). Da
ACpv) = p Av = R AT, folgt Ah = (C,,+ R) AT = C, AT. Die Gln.(1.9) und (1.12)
liefern
W = q - Ah = -qr
2

Eine isobare Erwärmung hat keine Nutz-Arbeitsleistung zur Folge, nur die Reibungs-
verluste werden gedeckt. Sie erhöht die Enthalpie, die Temperatur und die Entropie
des Gases (Abb. I. 11). Isobare Prozesse sind technisch leicht realisierbar (Gasturbi-
ne, Dieselmotor, Dampfprozesse).

Abb. 1-11: 1 -+ 2 isobare Erwärmung, 2 -+ 1 isobare Abkühlung

Im Nassdampfbereich ist der isobare Prozess zugleich isotherm. Es folgt

W = q - Ah = -qr
(1.24)
T As = q + qr = Ah = Verdampfungsenthalpie

1.3.3 Isochorer Prozess


Im idealen Gas ist Au = C,, AT. Da ACpv) = V Ap = R AT, folgt wieder Ah = C,? AT.
Aus den Gln. (1.9) und (I. 12) erhält man (Abb. I. 12)

AS = C, In- T2 = C,, In-P2


Tl P1
832 Anhang I Thermodynamik

Abb. 1.12: 1 - 2 isochore Erwärmung, 2 - 1 isochore Abkühlung


Die Wärmezufuhr erhöht Enthalpie, Druck, Temperatur und Entropie des Gases. Ein
Arbeitsaustausch entsteht im Fließprozess durch die Verschiebearbeit, hat jedoch
keine technische Bedeutung. Isochore Prozesse kommen im Otto- und Dieselmotor
vor.
Beim Dampfprozess ist die Erwärmung der Flüssigkeit im Wesentlichen ein
isochorer Prozess. Die Gln. (1.25) sind auch f i r diesen Fall gültig.

1.3.4 Adiabate Prozesse


Im idealen Gas ist Au = C,, AT, A b v ) = R AT, Ah = cp AT. Da q = 0 und pv = RT
folgt aus den Gln. (1.9) und (I. 12)

Die beiden ersten Gleichungen sind auch f i r Flüssigkeit und Nassdampf gültig. Die
Expansion liefert Arbeit auf Kosten der Enthalpie. Druck und Temperatur reduzieren
sich. Die Entropie erhöht sich wegen der inneren Reibung (Abb. I. 13).

Abb. 1.13: 1 + 2 adiabate Expansion, 2' + 1' adiabate Kompression (beide irreversibel)
Der adiabate Prozess ist der wichtigste Prozess zur Erzeugung von mechanischer
Arbeit. Seine Berechnung erfolgt beim Dampfprozess mit Hilfe des Mollier-Dia-
gramms (h,s-Diagramm), der im Anhang V111 gegeben ist.

1.3.4.1 lsentroper Prozess (reversible Adiabate)


Ist wichtig als theoretischer Grenzfall (reversibler Kreisprozess). Für q,. = 0 ist
As = 0. Aus der dritten der Gln.(I.26) folgt fiir ein ideales Gas

dT -
C - R-dp = 0 - - > , mit K = JC (1.27)
P T P Tl P1 C"

1.3.4.2 lsoenthalper Prozess (adiabate Drosselung)


Ein adiabater Fließprozess (q = 0) ohne äußere Arbeitsleistung (W = 0) ist nach G1.
(1.9) isoenthalp, d.h. Ah = 0, sofern die Geschwindigkeits- und Höhendifferenz
vernachlässigt wird, also C, = C, und z, = z, . Bei der adiabaten Drosselung
(Druckabfall durch ein Ventil, Abb. 1.14) entstehen Verluste durch Wirbel womit
'
4,. 0.

Isolierung,

Abb. 1.14: Adiabate Drosselung eines Fluids

Durch den Druckabfall nimmt i.d.R die Temperatur ab (Abb. I. 15). Der reversible
Prozess ist auch nicht näherungsweise quasistatisch, weshalb die Thermodynamik
allein keine Aussagen machen kann [A.IO]. Eine nähere Analyse ist nur mit der
Strömungsmechanik möglich.

Abb. 1.15: Isoenthalpe Expansion (nicht umkehrbar)


834 Anhang I 'Thermodynamik

1.3.5 Polytrope Zustandsänderung


Alle bisher betrachteten reversiblen Teilprozesse lassen sich durch die Gleichung
pv " = konst (1.28)
zusammenfassen. In der Tat gilt

Isotherme p v = konst --> n = 1


Isobare p=konst --> n=O
Isochore v=konst --> n = - (1.29)
Isoentrope pvK=konst --X n = ~ .
Die von GI. (1.28) definierte Zustandsänderung wird Polytrope und der Exponent n
Polytropenexponent genannt. Mit der Polytropen lassen sich auch Zustandsänderun-
gen beschreiben, die zwischen den bisher behandelten liegen. Beziehungen, die für
den isentropen Prozess (reversible Adiabate) gültig sind, z.B. GI. (1.27), lassen sich
durch Ersatz des Isentropenkoeffizienten K durch den Polytropenexponent n direkt
übernehmen.

1.4 Technische Kreisprozesse

Als Beispiel einer allgemeinen Wärmekraftmaschine sei das Schema in Abb. 1.16
betrachtet und das entsprechende (T,s)-Diagramm in Abb. 1.17. Der Kreisprozess
besteht aus vier Teilprozessen AB, BC, CD und DA; als reversibler (idealisierter)
Kreisprozess sei der Kreisprozess mit derselben Wärmezufuhr q , ,nämlich A'B, BC,
CD' und D Y : betrachtet:
AB: Im Kompressor (Pumpe) erfolgt eine adiabate Kompression des Arbeits-
mediums, wobei die Arbeit W, absorbiert wird. Die entsprechende reversible
Kompression ist AB' (praktisch gleichwertig wie A B ) .
BC: Dem Kreisprozess wird die Wärme q , zugeführt (Brennkammer, Kessel,
Reaktor).
CD: In der Turbine (Motor) erfolgt eine adiabate Expansion mit der Arbeits-
leistung W , . Die reversible (verlustlose) adiabate Expansion entspricht CD'.
DA: Dem Kreisprozess wird die Wärmemenge q, entzogen (Kühler, Kondensator).

T Turbine
C Motor
% + Kessel
Brennkammer

., D

Pumpe
Kompressor Kondensator

Abb. 1.16. Allgemeine Wärmekraftmaschine


T

adiabatische^
Kompression '.-.;,.
..

...
..
,.
...
Wärmezufuhr

jA'

..,,.
.,
.
D'i.

92
.
. .
.. adiabatische

.J-)

wärhaifuhr
.
i
... ...
Expansion

. .
,
,
, . .
P--

s
I I' 2' 2
Abb. 1.17: (T,s)-Diagramm des Kreispro7esses von Abb. 1.16

Die vier Teilprozesse AB, BC, CD, DA der wichtigsten technischen Kreisprozesse
zur Erzielung von Arbeit sind (im idealisierten reversiblen Fall):
- Ottoprozess (Benzinmotoren): Isentrope, Isochore, Isentrope, Isochore,
- Dieselprozess: Isentrope, Isobare, Isentrope, Isochore,
- Joule-Prozess (Gasturbine): Isentrope, Isobare, Isentrope, Isobare,
- Dampfprozess (Dampfturbine): Isentrope, Isobarea, Isentrope, Isobarea
(" = Isobare ist zugleich Isotherme).
Reversibler Kreisprozess zur Erzielung von Wärme (Wärmepumpe) oder Kälte
(Kältemaschine) im Gegenuhrzeigersinn D'CBA'D' (für Näheres s. Abschn. 5.9):
- Dampfprozess: Isentrope, Isobarea, Isenthalpe, Isobarea

Kraftwerkprozesse
Der Wärmeinhalt des Brennstoffes sei q, und die abgegebene elektrische Leistung W ,
= W, -W,,,(Abb. 1.1 6). Für den Kraftwerkswirkungsgrad ergibt sich

Die vier Wirkungsgrade berücksichtigen:


- die Wärmeverluste bei der Verbrennung und die Wärmeübertragung q, = q,lq„
- die Verluste des idealisierten Kreisprozesses qthlev - ~ ~ „ ~ , ,) l q ,
= W„,Iq, = (wlre,
= (A'BCDIA')l(l 'BC2') gemäß Abb. 1.8,
- die Verluste der Kompression und Expansion q , = wIw„, = (W,-w,)/(w„, -W/ ),
= (h, hll- h,+h,)l(h, - h,], - h,+h,.) gemäß GI. (1.26),
-

- die Verluste der elektrischen Maschinen q, = (qs w,-~,,/q,,,)l(w,-~~J


mit q, =
Wirkungsgrad des Generators und V,,,= Wirkungsgrad des Kompressormotors.
Der thermische Wirkungsgrad qth= wlq, = qth„, q, ist (ABCDA)I(lABCD2).
(Näheres zu den Kraftwerkprozessen in Kap. 5).
Anhang ll Kernphysikalische Grundlagen

11.1 Aufbau des Atoms und Bindungsenergie


Das Atom besteht aus Kern + Hülle. Der Atomradius hat die Größenordnung 1 0-'cm
der Kernradius l O - ' - 10.'' Cm. Der Atomkern ist positiv, die Hülle negativ geladen
(Elektronenwolke). Die Gesamtladung des Atoms ist Null, es sei denn das Atom sei
ionisiert, womit es zum + oder - Ion wird.

Atomhülle
Sie besteht aus Elektronen e- (Ruhemasse m = 0.9109 10-" g). In der Kernphysik
wird auch das Symbol ß-verwendet (Beta-Teilchen). Für die Hülle gilt das Bohr'sche
Schalenmodell und die Quantenmechanik. Letztere ist von großer Bedeutung für die
Chemie und die Halbleiterphysik. Eine wichtige Größe ist die Planck'sche Konstante
h = 6.625 1 0-i4Js.

Atomkern
Der Atomkern besteht aus Nukleonen mit Teilchenradius von 10." Cm:
Protonen p + ( m = 1.672510-'~ g )
(11.1)
Neutronen n ( m = 1.674810-'~ g )
Die Kernkräfte (starke Wechselwirkung, Ca. 1 OOOmal stärker als die elektromagneti-
sche Kraft) halten die Protonen zusammen trotz elektromagnetischer Abstoßung.
Nach heutiger Auffassung bestehen die Nukleonen aus je drei Quarks, die als Urbau-
steine des Universurns gelten.
Symbol eines Atomkerns ist XZA,mit A = Anzahl Nukleonen, Z = Anzahl Proto-
nen. Beispiele:

Wasserstoff H: : Ip +
Helium ~ e ;: 2p + +2n = ai ( a - Teilchen)
Sauerstoff 0i6: 8 p + + 8n
Eisen ~ e z: 2 6 p + + 3 0 n
Uran U? : 92p++238n
Die Neutronen spielen in der Nutzung der Kernenergie eine entscheidende Rolle.
Neutronen haben eine im atomaren Maßstab zwar extrem lange, f i r unsere Begriffe
jedoch relativ kurze Lebensdauer von 1013 s. Sie zerfallen (Theorie des ß - Zerfalls
von Fermi) gemäß
838 Anhang I1 Kernphysikalische Grundlagen

n - - > p' + ß- + Antineutrino . (1 1.3)


Das Antineutrino hat eine Ruhemasse =: 0. Elektron und Antineutrino haben zu-
sammen eine Energie von 0.78 MeV, wobei:
1 MeV = 106 . 1.6 10-19~s. 1 V = 1.6 10-13 J . (I I .4)
Wird nach der Einstein'schen Äquivalenz E = m C' die zu dieser Energie äquivalente
Masse berücksichtigt, ergibt sich die Massenbilanz:

p + : 1.6725 10-24g
ß- : 0.0009 10-24g
0.78MeV : 0.0014 l ~ g -(Massenddekt)
~ ~ (11.5)
....................

n : 1.6748 10-24g .
Im atomaren Bereich werden die Massen i.d.R. nicht in g, sondern in Atommassen-
einheiten U gegeben. Es gilt:

Nach der Äquivalenz E = m c2entspricht die Masse u -> 933 MeV. Die Massen der
drei Elementarteilchen sind:

Bindungsenergie
Im atomaren Bereich gilt das Gesetz der Erhaltung von Masse + Energie (mit der
Äquivalenz E = m C"). Bei der Vereinigung von Nukleonen zu einem Atomkern
treten große Bindungsenergien auf (starke Wechselwirkung), die auf Kosten der
Masse gehen. Die Bindungsenergie AE entspricht dem Massendefekt Am:
Am = Z m p + ( A - 2 ) m, - M [U] ---X AE = 933 Am [MeV]

A = Anzahl Nukleonen (11.8)


mit ( Z = Anzahl Protonen
M = Kernmasse ( = Atommasse abzüglich Elektvonen)
Beispiel Kohlenstoffatom C,", mit Z = 6, A = 12, M = 12 U :
Am = 0.095652 u - - - X AE = 89.24 MeV
Bindungsenergie pro Nukleon : 7.44 MeV
11.1 Aufbau des A@is und Bifldurigsen~rg& 839

MeV/Nukleon
9

8 U

7
Spaltung
6

4 Fusion

1 H

0
0 20 40 60 80 100 120 140 160 180 200 220 240
Anzahl Nukleonen

Abb. 11.1: Bindungsenergie irn Atomkern [A.6]

Solche Berechnungen können für alle Atome durchgeführt werden. Es ergibt sich das
Diagramm in Abb. 11.1, welches die Bindungsenergie pro Nukleon in Abhängigkeit
von der Nukleonenzahl darstellt. Die stabilsten Kerne (größte Bindungsenergie =
tieferes Energieniveau) haben eine Nukleonenzahl von ca. 50.
Schwere Kerne sind weniger stabil. Die Spaltung von Uran führt zu stabileren
Kernen, die sich auf einem tieferen Energieniveau befinden, weshalb Energie frei
wird.
Die Fzlsion von Wasserstoffzu Helium liefert viel Energie, da Helium, wie aus
Abb. 11.1 ersichtlich, besonders stabil ist, und in dieser Hinsicht deutlich aus der
Reihe tanzt.
Wie Abb. 11.2a zeigt, befinden sich alle existierende Kombinationen von Protonen
und Neutronen in einem engen Band, wobei die Anzahl Neutronen mindestens so
groß und bei großen Kernen deutlich größer ist als die Zahl der Protonen. Bei

Abb. 11.2: a) Stabile Kombinationen von Protonen und Neutronen. b) Bindungsenergie


(Energieniveau) der Isotope eines Elementes. Z = Protonenzahl, A = Nukleoncnzahl
840 Anhang I1 Kernphysikalische Grundlagen

zunehmender Protonenzahl ist der stabile Bereich bei Z = 83 begrenzt. Wismut (Z =


83) ist das letzte Element mit einem stabilen (nicht zerfallenden) Kern (BigjZo9
).

11.2 lsotope
Der stabile Bereich von Abb. 11.2a kann als Grund eines Energietales betrachtet
werden, dessen Schnitt tur Z = konstant Abb. 11.2b ergibt. In diesem Schnitt unter-
scheiden sich die Kerne nur durch die Neutronenzahl. Die entsprechenden Atom-
varianten werden Isotope genannt. lsotope eines Atoms unterscheiden sich zwar
kernphysikalisch durch die Nukleonenzahl, nicht aber chemisch. Eine Isotopen-
trennung ist dank des unterschiedlichen Gewichtes möglich. Wie Abb. 11.2b zeigt,
gibt es stabile und instabile Isotope. Letztere haben zu wenige oder zu viele Neutro-
nen.
Beispiele
Chlor besteht aus

CI:; zu 75%
) im Mittel .
CI: zu 25%

Beide lsotope sind stabil.


Kohlens@'ist stabil als C,I2. In der Natur existiert auch das instabile lsotop C,I4. Es
zerfallt zwar nach der Reaktion
cj4 ---5568a--> N : ~+ ß- , (11.12)
doch wird es ständig aus Stickstoff neu gebildet durch Einwirkung der kosmischen
Strahlung nach der Reaktion

C6I4ist radioaktiv undemittievt ß-Strahlen. Da C,I4 in der Natur vorkommt, wird von
natürlicher Radioaktivitätgesprochen. Die Halbwevtszeit (s. GI. 11.16) ist 5568 Jahre.
In Lebewesen wird C6I4ständig erneuert, so dass sein prozentualer Anteil konstant
bleibt. Nach dem Tod hört die Erneuerung auf, weshalb der Gehalt an C,14 zur
Altersbestirnmung von Fossilien dient (gute Resultate bis Ca. 20'000 Jahre zurück).
Das Isotop C," kann künstlich durch Bestrahlung erzeugt werden (künstliches Isotop)
und ist ebenfalls instabil (radioaktiv). Es zerfallt nach der Reaktion

(Positiver ß-Strahler, ß' = Positronen, entstehen aus p' + Antineutrino -> n + e').
11.3 Radioaktivität 841

11.3 Radioaktivität
Alle Elemente mit Z > 83 sind instabil, also radioaktiv, und zerfallen progressiv bis
stabile Elemente erreicht werden, wie nachfolgend am Beispiel der Uran - Radium -
Kette gezeigt wird.

Die Kette zeigt deutlich, dass die Halbwertszeiten der einzelnen Reaktionen sehr
unterschiedlich sind (von 109Jahren bis min oder gar PS), wobei beim Zerfall a, ß
und y-Strahlen entstehen. Die y-Strahlen sind hochenergetische Photonen im MeV-
Bereich.
Schwere radioaktive Elemente sind in der Erdkruste überall zu finden, und tragen
wesentlich zur naturlichen Radioaktivitat bei.
Für den Zerfall radioaktiver Elemente gilt folgendes Gesetz
N = Anzahl Kerne
= - dt ( A = Zerjiallskonstante .
N
Daraus folgt

hN = - a t + lnN, --> N-
- -
e-kt

No (11.16)
1 1
Zeitkonstante: - Halbwertszeit: T = - ln2 .
A A
Die Anzahl Zerfallsreaktionen pro s wird als Aktivität bezeichnet und in Becquerel
[Bq] angegeben

dt (11.17)
1 nCi = 37 Bq
Alte Einheit ist das Curie [Ci], I Ci = 37 1 0 9 ~ q( 1 Bq = 27pCi
Es sei erwähnt, dass der menschliche Körper eine natürliche Radioaktivität von Ca.
3.10' Bq aufweist. Auf die biologische Wirkung der Radioaktivität wird in Abschn.
5.6.6 eingegangen.
842 Anhang 11 Kernphysikalische Grundlagen

11.4 Kernreaktionen

Dass Kernreaktionen rriöglich sind, ein Eleinerit also in ein anderes umgewandelt
werden kann, wurde erstmals von Rutherford 19 19 an folgender Reaktion nach-
gewiesen
N714+ 4 --> 0;' + H; . (11.18)

An folgender Reaktion hat Chadwick 1923 die Neutronen entdeckt

Joliot-Curie entdeckten 1934 die künstliche Radioaktivität durch folgende Reaktion

Alle Materie des Universums ist durch Fusion von Wasserstoff entstanden. Etwa I0 s
nach dem Urknall (big bang) gab es nur Protonen (Wasserstoffkerne). Wenig später
bildeten sich Heliumkerne. nach der Reaktion

4 H; --> He; + 2 ß' + Energie , (11.21)

allerdings über die Zwischenstufen H,' und He,3. Erst viel später, iin Laufe der
Sternentwicklung, wurden schwerere Elemente gebildet, z. B Kohlenstoff

3 He; --> C,'* + Energie . (11.22)

Besonders häufig sind im Universum die Elemente mit einer Nukleonenzahl, die ein
Vielfaches von 4 ist, die also aus mehreren Heliumkernen bestehen, z.B

11.5 Wirkungsquerschnitt und Reaktionsrate


Die Wahrscheinlichkeit, mit der Teilchen miteinander reagieren, kann mit Hilfe des
Begriffs des Wirkungsquerschnitts beschrieben werden. Der Teilchenfluss
Teilchen cm
e, [ cm .s
1=n1[
cm
I . vi [-I
S

bestehend aus Teilchen mit der Dichte n, , die sich mit der Geschwindigkeit V ,
bewegen, sei betrachtet. Dieser Teilchenfluss treffe auf andersartige stehende Teil-
chen 2. Die Anzahl pro s interagierender Teilchen 2 ist dann
11.5 Wirkungsquerschnitt und Reaktionsrate 843

Teilchen] =
5 ] = 0 [cm2] . (p1 [- 1 1 '
S cm 2 s
o wird mikroskopischer Wirkungsyuevschnitt der Interaktion zwischen Teilchen 1
und 2 genannt. Als Maß für den Wirkungsquerschnitt gilt in der Kerntechnik das

barn = l ~ cm2 - . ~ ~ (11.26)


Für Teilchen 2 mit der Dichte n, wird die Reaktionsvate definiert

Bewegen sich die Teilchen 2 mit Geschwindigkeit V , , ist die relative Bewegung für
die Reaktionsrate maßgebend:

%=Ul -U2, vr= 1 31 - - > R = o n l n 2 v r . (11.28)


Der Wirkungsquerschnitt hängt von der Natur der beiden Teilchen, jedoch auch von
der Größe der relativen kinetischen Energie E, ab. Es gilt also
1 m1 m2 2
o = f(Er) mit Er = - -V r
2 m, +m2
Der Ausdruck für E, lässt sich folgendermaßen begründen: nach dem Impulssatz gilt

m, Ul + m2 U2 = ( m 1 + m 2 )U , (11.30)
worin U die Geschwindigkeit des Schwerpunktes beider Masseteilchen darstellt.
Diese Geschwindigkeit bleibt nach dem Zusammenprall der beiden Teilchen un-
verändert, da keine externen Kräfte wirksam sind.
Aus den Gln. (11.28) und (11:30) folgen die Beziehungen

Durch Quadrieren erhält man nach dem Kosinussatz (Abb. 11.3)

2
2 m1 1
v2 = v2 + V,! + 2v V r -cos y
(m. + m, )2 m, + m ,
Für die kinetische Energie folgt, da sich die Beiträge der letzten Terme aufheben
844 Anhang I I Kernphysikalische Grundlagen

"2
Abb. 11.3: Absolute und relative Geschwindigkeiten

Der erste Term hängt nicht von der relativen Bewegung der Teilchen ab, ist also für
die Interaktion der Teilchen belanglos, womit GI. (11.29) bewiesen ist.
Die möglichen Interaktionen sind:
- Streuung: beide Teilchen bleiben erhalten,
- Einfang: ein Teilchen verschwindet,
- Reaktion: beide Teilchen verschwinden, und es entstehen neue Teilchen.

11.6 Die Kernspaltung

11.6.1 Die Spaltung von


Natururan besteht aus 99.3% UZT8und 0.7% U2'5. Das Isotop U2'5 ist der wichtigste
Spaltstqfl Dessen Spaltung erfolgt durch Beschuss mit Neutronen. Der Spalt- Wir-
kungsquerschnitt (s. Abschn. 11.5) ist am größten für kleine, sog. „thermischeG'
Energien. Er beträgt:
of 1 600 barn für thermische Neutronen (0.0025 eV = 20 "C)
o 7 barn für 1 keV (11.34)
oj = 2 barn für 1 MeV (schnelle Neutronen) .
Nur langsame Neutronen sind also in der Lage, U2'5 effizient zu spalten. Die Spaltung
erfolgt nach der Reaktion
1
+n,,&) - - 2~ + V n,(,) + 207 M e V , (11.35)
worin X = Spaltprodukte, deren Wahrscheinlichkeitsverteilung Maxima bei einer
Nukleonenzahl von Ca. 94 bzw. 140 aufweist (z.B. Strontium 94 + Xenon 140), wie
von Abb. 11.4 veranschaulicht. Durchschnittlich entstehen pro Spaltreaktion V = 2.42
schnelle Neutronen.
Dieprompten, d.h. unmittelbar aus der Spaltung hervorgehenden Neutronen haben
eine Energieverteilung nach Abb. 11.5. Ihre mittlere Energie beträgt Ca. 2 MeV. Die
Spaltprodukte X sind i.d.R radioaktiv, zerfallen weiter und produzieren ebenfalls
Neutronen, sog. verzogerte Neutronen, mit einer mittleren Energie von 0.4 MeV. Es
handelt sich also ebenfalls um schnelle Neutronen. Der Anteil verzögerte Neutronen
an der Neutronenerzeugung V beträgt Ca. ß, = 6.5%0.
11.6 Die Kernspaltung X45

W IW iin 120 ija 14 isa

Abb. 11.4: Wahrscheinlichkeitsverteilung der Spaltprodukte: Y = Anzahl Atome mit


Nukleonenzahl A für 100 Spaltungen lA.61

Da für die Spaltreaktion thermische Neutronen benötigt werden, die Spaltreaktion


selber jedoch nur schnelle Neutronen produziert, kann sich die Kettenreaktion in
einem Reaktor nur dann halten, wenn die schnellen Neutronen verlangsamt werden.
Dies geschieht mit einem Moderator (Abb. 11.6)

Pro Spaltreaktion werden rund 205 MeV frei, d.h. pro kg UZJ5:

Spaltungen X 1.6.10-l6 il XP- 1 Mol


23
205 MeV ~ 6 . 1 0
Spaltung Mol MeV 0.235 kg
il Tcal (11.36)
= 83.7 lo9 -= 20-
kg~235 kg~235

0 1 2 3 4 5 6
MeV
Abb. 11.5: Energieverteilungder prompten Neutronen
846 Anhang II Kernphysikalische Grundlagen

Tcal Ikg U„,

........................................
.L

i...!hermisch ....i Moderator &..............@


!Z!!..........

Abb. 11.6: Uranspaltung, n = Neutronen, X = Spaltprodukte. Beste Moderatoren sind:


Graphit, Schweres Wasser D,O. H,O

11.6.2 Spalt- und Brutstoffe


Neben UZ3'sind zwei weitere Spaltstoffe bekannt, nämlich die Isotopen U2" und Puz3'
(Plutonium). Deren Spaltung verläuft sehr ähnlich wie die Spaltung von U'35, sowohl
bezüglich produzierter Energie als auch Anzahl schneller Neutronen. U2" und Pu2"
kommen aber in der Natur nicht vor. Sie werden künstlich hergestellt mit folgenden
Reaktionen

PU? + ß-
(11.37)

U,'," + P-.
Stoffe, die durch Neutroneneinfang Spaltstoffe produzieren, werden Brutstoffe
genannt. und Th'3'sind demzufolge Brutstoffe. Brutstoffe lassen sich nur schwer
spalten. Ihre Spalt-Wirkungsquerschnitte sind sehr klein und betragen

O, =
0 barn für thermische Neutronen und bis 1 MeV
(11.38)
a, 0.5 - 1 barn für Energien > 2 MeV .

In einem Spaltstoffatom werden durch die Spaltreaktion V Neutronen erzeugt. Ist N,


die Dichte der Spaltstoffatome [Teilchen/cm3]und 4 die Neutronen-Flussdichte, so
ist die Spaltrate nach Cl. (11.27)
11.6 Die Kernspaltung 847

Gleichzeitig werden jedoch auch Neutronen eingefangen (ohne Spaltung) entspre-


chend einem Einfangquerschnitt o,. Die Einfangrate ist

Da der Absorptionsquerschnitt U, = U, + U, ist, folgt


Neutronenproduktionsrate: V Rf = V of N I (P
(11.41)
Ne~tronenabsorptiomrate: Ra = oa NI (P = (of+oc)N, (P .
Das Verhältnis von Produktion zu Absorption wird Multiplikationsfaktor des Spalt-
stoffs genannt

Tabelle 11.1 zeigt einige Kennzahlen der drei Spaltstoffe für thermische Neutronen:

Tabelle 11.1 : Wirkungsquerschnitte fur thermischeNeutronen (o in barn) sowieNeutronen-


produktion V. Multiplikationsfahtor und Anteil ver~ögerterNeutronen ß, der drei Spalt-
stoffe

Spaltstoff of (Jc 0, V 11 ß,
53 1 48 579 2,49 2,287 2.6 10.'
Anhang III Dynamik und Regelungstechnik

111.1 Darstellung linearer Systeme

Ein lineares System mit Eingangsvektor .- und Ausgangsvektor Y (Abb. 111.1) lässt
sich durch ein System linearer Differentialgleichungen erster Ordnung beschreiben,
welche die Form annehmen

Abb. 111.1 : Lineares System

worin X der Vektor der Zustandsgrößen und A, B, C, D die Zustandsraummatrizen


darstellen. Die stationäre Lösung ist

Dynamisch entspricht Gleichungssystem (111.1) dem Blockschaltbild Abb. 111.2. Aus


der ersten der Gln. (111. I) ergibt sich durch Laplace-Transformation im Bildbereich

mit 20 Anfangsbedingungen und E Einheitsmatrix.

Abb. 111.2: Blochschaltbild des linearen Systems im Lustandsraum


850 Anhang I11 Dynamik und Regelungstechnik

Abb. 111.3. Darstellung des linearen Systems mit Üb~rtra~un~sfunktionen

Der Ausgangsvektor ist

Daraus ergibt sich die Darstellung mit Übertragungsfunktionen von Abb. 111.3 (La-
place-Carson, s. Band 1, Abschn. 6.2.6).
@(s) wird Fundamentalmatrix genannt. Sie bestimmt die Dynamik und kann
folgendermaßen berechnet werden [A. 1 1 ]

Der Nenner (Determinante von S E - A ) stellt das charakteristische Polynom dar und
liefert die Eigenwerte der Syslemmatrix A. Vor allem die Matrix A ist somit für das
dynamische Verhalten des Systems maßgebend.
C(s) ist die Uberlragung~mulrix(Matrix der Übertragungsfuiiktioile~ly, /U, für
X, = 0). Sie lässt sich analytisch aus den Zustandsraummatrizen durch

bestimmen. Den Übergang von der Zustandsraumdarstellung zur äquivalenten Dar-


stellung mit Übertragungsfunktionen erhält man z.B. in Matlab (Control System
Toolbox) mit dem Befehl

Das System sys ist durch die Zustandsraummatrizen A, B, C, D gegeben, und daraus
ergibt sich die Übertragungsmatrix g.
Sind umgekehrt die einzelnen Übertragungsfunktionen gk gegeben, kann mit sysk
das Zustandsraummodell pro Eingang, oder durch Bildung der Übertragungsmatrix
g das dieser Übertragungsmatrix entsprechende Zustandsraummodell sys minimalster
Ordnung (vollständig steuerbar und beobachtbar [A.3]) bestimmt werden:

gl = ijf(num1,den)
g2 = ~j(num2,den) sysk = ss(gk) oder
g3 = flnum3, den) ) g = [ g l , g2; g3, g4] - - r sys = ss(g) '

g4 = ijf(num4,den)
111.2 Stabilität 851

111.2 Stabilität
Ein lineares Syslern ist dann asymptotisch stabil, wenn alle Eigenwerte der System-
rnutrix A negative Realteile aufweisen. Sind komplex konjugierte Eigenwerte vor-
handen, ist die Systemantwort oszillierend. Sie ist merklich oszillierend, wenn
wichtige Eigenwerte komplex sind (s. dazu auch Abschn. 111.4).
In einem nichtlinearen System muss zwischen der Stabilitat irn Kleinen, d.h der
Stabilität für kleine Abweichungen um eine Gleichgewichtslage und der Stabilitat irn
GroJen unterschieden werden.
Stabilität im Kleinen
Das nichtlineare System wird um eine stationäre Lösung linearisiert. Die Stabilität im
Kleinen ist für den betrachteten stationären Betrieb dann gewährleistet, wenn das
linearisierte System stabil ist, was durch die Analyse von dessen Systemmatrix
festgestellt werden kann. In diesem Zusammenhang wird auch von statischer Sttabili-
tat (oder Stabilität des stationären Betriebs) gesprochen, obwohl letztere auf Grund
rein statischer Überlegungen ermittelt wird (stationäre Kennlinie). Die statische
Stabilität ist zwar eine notwendige, jedoch keine hinreichende Bedingung für die
Stabilität im Kleinen (z.B. ungenügende Dämpfung ist möglich).
Stabilität im Großen
Die Stabilität für große Störungen einer Gleichgewichtslage ist dann gegeben, wenn
das System eine neue statisch stabile Lage erreicht oder nach Elimination der Stö-
rung in eine statisch stabile Lage zurückkehrt. Die Stabilität im Großen ist keine
Systemeigenschaft, sondern von Art, Größe und Ort der Störung abhängig. Sie kann
durch eine transiente Analyse oder nichtlineare Simulation überprüft werden.
Kurzzeit- und Langzeitstabilität
Instabilitäten (im Kleinen wie im Großen) können sowohl bei Vorgängen auftreten,
die sich im Sekundenbereich abspielen, als auch bei Vorgängen, die minutenlang
dauern. Um sie zu untersuchen, werden verschiedene Modelle verwendet, die im
jeweiligen Frequenzbereich eine realistische Nachbildung der Systemelemente
sicherstellen.
So werden bei der Analyse der Kurzzeitstabilitui langsame Vorgänge vernachläs-
sigt, d.h. die entsprechenden Zustandsvariablen als konstant betrachtet (Beispiele im
Energieversorgungsnetz: Übersetzung von Stelltransformatoren, Flussverkettung von
Synchronmaschinen bei der transienten Analyse).
Umgekehrt werden bei der Analyse der Langzeitstabilität schnelle Vorgänge als
bereits ausgeklungen betrachtet, d.h. die entsprechenden Zeitkonstanten vernachläs-
sigt (Beispiel: Vernachlässigung von subtransienten Effekten, von Synchronisier-
schwingungen bei Drehzahl- und Frequenzregelung oder bei der Analyse der Span-
nungsstabilität, von Motorlastdynamik bei der Spannungsstabilität).
852 Anhang 111 Dynamik und Regelungstechnik

111.3 Kopplung linearer Teilsysteme


Besteht das betrachtete Gesamtsystem aus n Teilsystemen, die gemäß GI. (111.1)
folgendermaßen beschrieben werden

können die Gleichungen zu einem resultierenden System zusammengefasst werden,


welches wieder die Form

annimmt. mit

Die resultierenden Zustandsraummatrizen A, B, C, D sind Block-Diagonalmatrizen.


Die Eingänge eines beliebigen Teilsystems seien von den Ausgängen anderer
Teilsysteme über eine Kopplungsmatrix K abhängig
U = Us + K y ' , (111.8)
worin in üs lediglich die Gesamtsystem-Eingangsgrößen verschieden von null sind.
Wird 2 aus den Gln. (111.6) und (111.8) eliminiert, folgen die Beziehungen
dx'
- = A, X + Bs iis
dt

mit
A,=A+BG
Bs=BH G = K ( E - D g)-' C
mit ( (1.10)
C s = C + D G H=E+K(E-D~)-'D
Ds=DH

( E = Einheitsmatrix), die das dynamische Verhalten des Gesamtsystems vollständig


beschreiben. Die Systemmatrix A , liefert die entsprechenden Eigenwerte.
111.4 Modalc Analvse 853

111.4 Modale Analyse

111.4.1 Modale Zerlegung


Wird in GI. (111.1) der Zustandsvektor x' durch den Zustandvektor Z ersetzt

X=MZ,
folgt

das vereinfacht wieder durch

dz'
- =AdZ+Bdii
dt

beschrieben werden kann, mit

Durch geschickte Wahl der Matrix M wird die Systemmatrix A diagonal. In Matlab
kann dies mit
[M AdI = eig(A) (111.15)
geschehen, ein Befehl, der die Diagonalmatrix Ac,und die Diagonalisierungsmatrix
M (Matrix der Eigenvektoren) liefert. Die Diagonalmatrix enthält die Eigenwerte h,
des Systems. Abbildung 111.4 zeigt das Blockdiagramm des modaltransformierten
Systems. Die Matrix (s E A,) enthält in der Diagonalen die Lösungen oder Modi
-

(s - h,), und GI. (111.13) lässt sich im Bildbereich schreiben

Abb. 111.4 : Blockdiagramm des modaltransformierten Systems


854 Anhang I11 Dynamik und Regelungstechnik

Dies bedeutet, dass jeder Eingang U, über jeden Modus j mit dem Faktor C„ blkan der
Bildung der Ausgangsgröße y, beteiligt ist. Die Koeffizienten C,und blkder Matrizen
C, und B, sind im allgemeinen komplex.

111.4.2 Modale Reduktion


Die modale Reduktion besteht nun darin, das System in der Ordnung dadurch zu
reduzieren, dass nur wichtige Modi berücksichtigt werden. Dazu ist eine Bewertung
der Modi notwendig. Reelle Eigenwerte ergeben aperiodische und die Zusammen-
fassung komplex konjugierter Eigenwerte oszillierende Teilbewegungen.
Jeder reelle Eigenwert ergibt gemäss G1. (111.16) folgenden Beitrag zu y,

Die entsprechende Antwort auf einen Einheitssprung von U, lautet

Jeder komplex-konjugierte Eigenwert liefert den Beitrag


S
kIJkl
. - + kyk2
a, + aJ*
Ayrik = uk ( ) mit ~ , = ~ A , ~C , . =
1 +2C. - +
S
-
s
--
2 ISI
J 2 (111.19)
("01 UOj

Die entsprechende Sprungantwort ist

Die reellen Faktoren k„„ die im wesentlichen vom Verhältnis Ic, b„ I / Id, I abhängen,
ermöglichen zusammen mit der Zeitkonstanten T, bzw. der Eigenfrequenz wo, und
Dämpfung C, eine Bewertung der Wichtigkeit der einzelnen Terme für den Verlauf
der Systemantwort [A.7], [A.12].
111.5 Netzdarstellung für höhere Frequenzen 855

111.5 Netzdarstellung für höhere Frequenzen

Das aus linearen Elementen bestehende elektrische Netz kann für Vorgänge, die eine
Frequenz eindeutig unter 50 Hz aufweisen, durch die komplexen Knotenadmittanzen
beschrieben werden. Für höhere Frequenzen sei nachstehende Darstellung im Bild-
bereich näher betrachtet.

Induktive Netzzweige
Entsprechend Abb. 111.5 gilt für die Momentanwerte im Zeitbereich

worin u ,eine
~ Spannungsquelle darstellt. Im Bildbereich der Laplace-Transformation
folgt
U - U, = (R+sL)i - LiLo (111.22)
und mit der Laplace-Carson-Transformation (Band 1, Abschn. 6.2.6)

worin i„ der Anfangsstrom darstellt. Diese Gleichung lässt sich auch schreiben
U - U, = Z(s)i + U ,
(111.24)
mit Z(s) = (R + s L ) ; U, = LsiLo .
U , ,drückt darin, die über der Zweigimpedanz liegende Anfangsspannung aus.
Bemerkenswert ist die perfekte Analogie mit der Zweig-Diferenzengleichung nach
[A.8], die sich durch Diskretisierung der Differentialgleichung (111.21) ergibt:
U - us = Z(Q)i + U,,
(111.25)
mit Z(Q) = (R + Q L ) ; U, = LQv, ,
die sich also aus der Laplace-Carson-Beschreibung des Zweiges GI. (111.24) direkt
ableiten lässt, mit Ersatz von
- s durch den von der Schrittweite h abhängigen Parameter Q,
- der Anfangsspannung U , durch den Vergangenheitswert U , bzw. des Anfangs-
Stromes iIl, durch den Vergangenheitswert V,, welche die Spannung bzw. den

Abb. 111.5: Induktiver Netzzweig mit Spannungsquelle


856 Anhang I11 Dynamik und Regelungstechnik

Strom des vorherigen Rechenschritts darstellen.


Q und U „ sind vom Diskretisierungsverfahren abhängig. Für die Trapezregel gilt z.B
lA.81

0 - und V, (r + h) = 2 i(t) + V, (r) . (111.26)


h'

Kapazitive Netzzweige
Analog dazu und entsprechend Abb. 111.6 folgt für einen kapazitiven Zweig mit
Stromquelle i,s

und die Laplace-Carson-Transformierte


i - i, = (G+sC)u - Csu, , (111.28)

die auch in der Form


i - i, = Y(s)U + i ,
mit Y(s) = ( G + s C ) ; i, =Csu,.

geschrieben werden kann. Die Diskretisierung der Differentialgleichung fuhrt


andererseits zur analogen Zweig-Differenzengleichung [A.8]
i - i, = Y@) u + iv
(111.30)
mit Y(6a) = ( G + Q C ) ; i V = C 6 a v , ,

Abb. 111.6: Kapazitiver Netzzwcig mit Stromquelle

Insgesamt lassen sich also die Zweig-Differenzengleichungen aus der Beschreibung


mit der Laplace-Carson-Transformation Gln. (111.24) und (111.29) mit den Sub-
stitutionen

erhalten.
111.6 Elementare lineare Regelungstechnik 857

111.6 Elementare lineare Regelungstechnik

Abbildung 111.7 zeigt das Blockschema eines einfachen einschleifigen linearen


Regelkreises. Es enthält neben der Regelstrecke den Sensor, den Aktor zur Lei-
stungsverstärkung und den Regler. Die Regelstrecke ist durch zwei das Stell- und
Störverhalten beschreibende Übertragungsfunktionen gegeben.
Aus dem Blockschema folgt durch Einführung des auf die Regelgröße bezogenen
(fiktiven) Sollwertes y, und der Übertragungsfunktion G(s) der instrunientierten
Regelstrecke

der Zusammenhang

der zum vereinfachten Blockdiagramm mit Einheitsrückfuhrung von Abb. 111.8 fuhrt.

Regelstrecke
Storverhalten

1 !+[Gq
x>oo;p,-pl Regler
A(s)
Stellglied Regelstrecke
-

(Aktor) Stellverhalten

J '
Messumformei
(Sensor)

y = Regelgrösse (geregelte Grosse)


z = Störgrösse
U = Stellgrosse
X= Istwert
xs = Sollwert
Ax = Regelabweichung

Abb. 111.7: Grundelemente des einschleifigen Regelkreises


858 Anhang I11 Dynamik und Kegelungstechriik

Regelstrecke
Störverhalten

Regler instrumentierte
Regelstrecke

Abb. 111.8: Vereinfachtes Blockschaltbild des lincaren Regelkreises

Als Übertrag~n~sfunktion
des offenen (oder aufgeschnittenen) Regelkreises wird

G (s) = R(s) G(s .


k
bezeichnet. Das Stell- und ~t8rverhaltendes egelkreises wird dann durch
(111.34)

gegeben. Das Stellverhalten wird einzig von der Übertragungsfunktion C,(s) be-
stimmt. Dies gilt, zumindest bezüglich Eigenwerte, auch für die Dynamik des Stör-
verhaltens.
Hauptaufgabe des Regelungstechnikers ist es also, bei Vorgabe der instrumentierten
Regelstrecke G(s) den Regler R(s) so festzulegen, dass die Übertragungsfunktion
G&s) den Anforderungen an den Regelkreis Genüge leistet. Diese Anforderungen
betreffen die Stabilitut, die Genauigkeit (Regelabweichung) und die Regelgeschwin-
digkeit. Die klassischen Lösungen dieses Synthese-Problems sind
- Analytische Lösung durch Vorgabe des Stellverhaltens
- Synthese im Frequenzbereich

111.6.1 Vorgabe des Stellverhaltens


Wird die Übertragungsfunktion G,(s) des geschlossenen Regelkreises vorgegeben

kann nach R(s) aufgelöst werden. Es folgt


111.6 Elementare lineare k ~ e i u n ~ s t e c h n i k 859

Ist n der Grad des Nenner- und m jener des Zählerpolynoms einer Übertragungs-
iünktion, sei mit PNÜ = n-m der Pol-Nullstellen-Überschuss bezeichnet. Aus
physikalischen Gründen ist der PNÜ einer Übertragungsfunktion nie negativ. Die
Wahl von G,(s) ist im Prinzip frei, unterliegt jedoch für die Realisierbarkeit von R(s)
der Einschränkung, dass der PNÜ von G,(s) mindestens so groß wie der PNÜ von
G(s) sein muss. Ist der PNÜ von G(s) 2, was vielen praktischen Fällen entspricht,
kann eine Stellantwort zweiter Ordnung gewählt werden, z.B

Durch diese Wahl wird die Regelabweichung null, die Schwingungsfrequenz o,(und
damit die Regelgeschwindigkeit) und die Dämpfung können frei den Bedürfnissen
angepasst werden. Für den Regler folgt

Kann die Regelstrecke z. B. durch die Übertragungsfunktion

beschrieben werden, liefert die GI. (11I .39) den optimalen PID-Regler.
Die Methode unterliegt in der hier gegebenen Form gewissen Einschränkungen; so
eignet sie sich z.B. nicht, wenn die Übertragungsfunktion G(s) instabil ist, oder zwar
stabil ist, jedoch nichtminimales Phasenverhalten, also z.B. die Form

aufweist. Für allgemeinere Verfahren sei auf die einschlägige Literatur verwiesen
(z.B. unter Polvorgabe [A. 1 11).
860 Anhang I11 Dynamik und Regelungstechnik

111.6.2 Synthese im Frequenzbereich


Diese Methode besteht darin, den Frequenzgang der Übertragungsfunktion des
aufgeschnittenen Regelkreises G, (s) zu optimieren.
Ausgangspunkt ist der Amplituden- und Phasengang (Bode-Diagramm) der in-
strumentierten Regelstrecke G(s). Durch die Einführung geeigneter Korrekturglieder
R(s) (z.B. PI, PD, PID-Glieder usw., s. Zusammenstellung in Abb. III.IO), wird der
gewünschte Frequenzgang von G,(s) erzielt. Die Eigenschaften des Regelkreises
können aus dem Frequenzgang von G,(s) herausgelesen werden (Abb. 111.9):
Die Regelgeschwindigkeit wird im Wesentlichen von der Schnittfrequenz o,
(Frequenz für Amplitude = 1, d.h. 0 dB) bestimmt, die in erster Näherung der
dominanten Schwingungsfrequenz entspricht.
Die (asymptotische ) Stabilitat ist dann sichergestellt, wenn bei der Schnitt-
frequenz die Phase größer ist als 180". Eine gute Dampfung ist gewährleistet,
-

wenn die Phasenveserve Acp (Abstand zu - 180")bei der Schnittfrequenz i. Allg.


etwa 40-70" aufweist. Gleichzeitig sollte die Verstavkungsreserve (vertikaler
Verschiebungsfaktor des Amplitudengangs, welcher die Stabilität nicht kompro-
mittiert) mindestens 0.5-2 (+ 6 dB) betragen.
Die Regelabweichung in %wird von 1 4 1 + K,) gegeben, worin K, die Amplitude
(Absolutwert, nicht dB!) für o + 0 darstellt.

-. -
m
0
a,

C
a

Frequenz (radlsec)
Abb. 111.9: Beispiel für den Frequenzgang von G „(s)eines Regelkreises:
Schnittfrequenz 7.1 radls, Phasenreserve 56", Regelabweichung 2%
111.6 Elementare lineare Regelungstechnik 86 1

Die auf dem Bode-Diagramm beruhende Methode unterliegt bzgl. Stabilität der Ein-
schränkung, dass die Funktion G,(s) asymptotisch stabil sein muss (alle Eigenwerte
mit negativem Realteil), was praktisch der meist erfüllten Bedingung entspricht, dass
die Regelstrecke stabil sein muss. Andernfalls ist das allgemeine Nyquist-Kriterium
zu verwenden. Dieses besagt, dass das System dann und nur dann stabil ist [10.3],
wenn die Anzahl Drehungen der Nyquistkontur (Darstellung von G, Cjo) von - bis
+ M ) im Gegenuhrzeigersinn um den Punkt - 1, gleich zur Anzahl instabiler Eigen-
werte ist (= Anzahl Wurzeln mit positivem Realteil).

Abb. 111.10: Übcrtragungslunktionen und Frequenzgang üblicher Regler


Anhang IV Berechnung der Blindleistungen im
Rahmen der linearen Analyse von Mehrmaschinen-
systemen

IV.l Blindleistungsabgabe der Generatoren

Die ans Netz gelieferte Blindleistung des Generators ist in p.u. (Bd 1, Abschn.
6.5.1.1)

Durch Linearisierung folgt

Mit ähnlichem Vorgehen wie in Abschn. 12.2, durch Einsetzen der Gln. (12.22) und
(12.23), folgen die zu (12.25) analogen Gleichungen

1 1
mit Kb(s) = -
2
1 2
pO - - uQO(- - - sin(26Qo)
x~Q(s> x ~ Q ( s )
>

Durch Einbezug von Spannungsregelung und Pendeldämpfungsgerät erhält man in


formal identischer Weise die zu GI. (12.35) analogen Beziehungen

Aq = KRb(s)A6 + QRb(s)AuQ

Fb(4 W
mit KRb(s) = Kgb(s) + KJs)
1 + F&> E(s)
IV.2 Lineare Analyse des Mehrmaschinensystems
An Stelle der starren Netzspannung tritt in den GI. (IV.3) die Anschlussspannung an
das Netz. Die Spannung UQ ist durch U und hQdurch 6 = 6Q- B zu ersetzen.
Durch Einbezug von GI. (1V.3) wird die GI. (12.1 12) zur folgenden erweitert

und durch Elimination von AaQierhält man neben der GI. (12.1 13) noch folgenden
Zusammenhang

K„(s) -s 2qKRbl(4
mit Glbl(s) = , G&) =
s 2q KR^(^)
+ s 2 ~+ ,KRi(s) (IV.5)

Bei der Umwandlung in den Zustandsraum muss die Beziehung (12.1 15) durch die
Blindleistung ergänzt werden

= AG 2 + BI A P ~+ B2 A 8 + B, AÜ + h AP,,,
dt
AP = CwX + D, A% + D, ~8 + D, A Ü + k7y APm (1V.6)

AQ = Cb X + Dbl APO + Db2 AB + Db3 AÜ + kb APm ,


und an Stelle der GI. (12.117) tritt
1V.2 Lineare Analyse des Mehrmaschinensystems 865

Netzgleichungen

Werden alle Lasten als statisch betrachtet und durch Admittanzen beschrieben, lauten
die Netzgleichungen nach Elimination aller Lastknoten, in Netzkoordinaten gemäss
den Gln. (12.66) bis (12.68)

Die Umwandlung in Generatorkoordinaten entsprechend der Umformung Gln.


(12.73) bis (12.76) fuhrt zur Parkvektorgleichung

Die ins Netz injizierte Wirkleistung erhält man aus Cl. (12.69)

Pi = 3 ÜI'fi , (IV. 10)

die durch Linearisierung zu

führt. Die Linearisierung der Stromgleichung (12.105) liefert andererseits


Anhang V Optimierung

V.l Lagrange-Verfahren

Lagrangefunktion ohne Begrenzungen

Gesucht ist das Minimum (Optimum) einer Zielfunktion von n Variablen


F(x,) --> Min , i = 1 ..... n , (V. 1 )
mit den m Nebenbedingungen
fk(x,) = 0 k = 1 .....m. (v.2)
Das Minimum existiert und ist ein globales Minimum, wenn die Funktion F konvex
ist. Es wird durch Minimierung der Lagrangefunktion erhalten

S? = F(x,) - Ek
hk &(X,) - -> Min ,
(V.3)
die zur Lösung fuhrt

Die Gln (V.2) und (V.4) bilden ein System von (n+m) Gleichungen dessen Lösung
die n optimalen Werte für X, und die m Lagrange 'schen Multiplikatoren h, liefert.
Für die exakte mathematische Fundierung s. z.B. [A.9].

Berücksichtigung von Begrenzungen


Sind die Variablen X , Begrenzungen unterworfen des Typs
X, < X . 5 XiM (V.5)
lässt sich nach Karush-Kuhn-Tucker [A.4], [AS], die Lagrangefunktion folgenderma-
ßen erweitern
= F(xl) - hJk(xi) + - x i ) ] - - F Min .
[viM(xi-xiM) + vim(xim
k 1 W.6)
Die Variablen V„ und V,,,, sind immer positiv und nur dann verschieden von Null,
wenn die Begrenzungen wirksam sind. Es folgen die Optimalitätsbedingungen (V.7),
die zusammen mit GI. (V.2) und (V.5) wiederum die optimalen Werte von X , , den
Multiplikator h und bei wirksamer Begrenzung auch V,,,,, oder V,,, liefern.
868 Anhane V Ovtimierune

!%!P
a~,
aF -
axl
C 1,-aask~ +, V , - v = o , i = 1.....n
(V.7)
V, ( X , - X,) = 0
wobei ( vrm( X , - X I ) = 0 .

lnterpretation von A
Die Bedeutung der Multiplikatoren kann veranschaulicht werden, wenn 2.B. an-
genommen wird, die Funktion Fstelle die Kosten eines zu optimierendenden Systems
dar.
Sind die Nebenbedingungen für die Variablen X,. linear (oder im Betriebspunkt
linearisiert) lassen sie sich in die Form bringen

mitx, als Bezugsvariable. Aus GI. (V.7) folgt, wenn die Begrenzungen nicht wirksam
sind

Der Lagrange'sche Multiplikator h drückt die Grenzkosten der Bezugsvariablex, aus.


Die Grenzkosten der anderen Variablen sind über Faktoren a, proportional zu h. Ist
eine der Begrenzungen wirksam tritt V, = V,„„ - V,„„ an Stelle von dFldx, .

lnterpretation von V

Ist 2.B. die obere Begrenzung wirksam und somit x, =X„,, folgt aus GI. (V.7)

(V. 10)

Wird die Kapazität X„ um Ax„ vergrößert ergibt sich die Kostenänderung AF,
womit die Größe V„ als Grenzkosten einer Kapazitäterweiterungzu verstehen ist. Sie
kann als Entscheidungsgrundlage verwendet werden zur Beurteilung der Wirt-
schaftlichkeit einer Kapazitätsvergrößerung.

Allgemeinere Begrenzung
Etwas allgemeiner kann die Begrenzung (V.5) durch .
g,(x,)<O, j = l .....q (V.1 I)
ersetzt werden, wodurch die Karusch-Kuhn-Tucker-Formulierung (V.6) zu

Min (V. 12)


V.2 Ontimaler Leislun~slluss(OI'F) X69

wird, und die Optimalitätsbedingungen (V.7) zu

2%- aF - C ~ aLf , ~ - + CagjV . 0-,-


axi axi a~, , J axi
-
i = 1..... n
(V. 13)
wobei V, g,(x,) = 0 , j = 1.....q .

V.2 Optimaler Leistungsfluss (OPF)

Bei gegebener Netzkonfiguration gelten folgendeNetzgleichungen, welche die in den


Knoten injizierten Wirk- und Blindleistungen ausdrücken

P, = fi(6,Ü) , Q, = g, (6,Ü) , Bilanzknoten


P, = 6(6,Ü) , Q, = g-, (6,Ü) , fieie Einspeiseknoten (V. 14)
Pk = &@,U) , Qk = gk(6,U) , Lastknoten
mit J = I . ( 1 k = 1 .... s. Die Anzahl Gleichungen ist insgesamt 2(r+s) = 2n, mit
n = Anzahl Knoten, r = Anzahl Einspeiseknoten, s = Anzahl Lastknoten.
Die 4n Variablen F, Q, 6, Ü können bei bekanntem Lastzustand und in Abwesen-
heit von Begrenzungen folgendermaßen klassiert werden:

Bekannte Steuer- Zustands-


Größen variablen variablen

übrige Einspeiseknoten -
Lastknoten Pi . C?,.
Die Belastung P,, Q, muss nicht unbedingt konstant sein, sondern kann iterativ dem
Wert anderer Betriebsvariablen, z.B. der Spannung angepasst werden.
Die (2r- I) Steuervariablen werden im Rahmen der LeistungsJlussherechnung
vorgegeben. Die 2n Zustandsvariablen können dann durch Auflösung des nicht-
linearen Gleichungssystems (V. 14) bestimmt werden. Dazu sind mehrere Methoden
bekannt, z.B. die iterative Knotenpunktmethode (Gauß-Seidel), das Newton-Raphson-
Verfahren (Band 1, Abschn. 9.6.2) oder auf der linearen und nichtlinearen Program-
mierung basierende Verfahren.
Das System hat entsprechend der Anzahl Steuervariablen (2r-1) Freiheitsgrade,
welche den Optimierzrngsfreiraum darstellen. Als Steuervariablen können, an Stelle
der Spannungen der Einspeiseknoten, auch die entsprechenden Blindleistungen
genommen werden, die Spannungen werden in diesem Fall zu Zustandsvariablen.
Im allgemeinsten Fall hat die zu optimierende Zielfunktion die Form

mit den Nebenbedingungen (V. 14).


870 Anhang V Ontimierune

Begrenzungen
Durch die Auslegung der Generatorgruppen oder allgemeiner der Einspeisungen, sind
maximale und minimale Leistungswerte vorgegeben. Neben den Gln. (V. 14)
sind also noch folgende Beschränkungen der Zustandsvariablen zu berücksichtigen

(V. 16)

Sind r' Begrenzungen wirksam (r' < 2r), reduziert sich der Optimierungsfreiraum auf
(2r-r'- 1).
Eine weitere Einschränkung ist möglich, wenn auch die Spannungen oder die
Phasendifferenzen aus betrieblichen Gründen (Spannungsqualität, Stabilität) zu
begrenzen sind
U,- < U, < U,-
(V. 1 7)
-Oik < O i - e k < Oik , i,k = 1 ...... n .
Andere Beschränkungen entsprechend der allgemeineren Formulierung (V. 1 1) sind
möglich.

Allgemeine Formulierung der Optimalitätsbedingungen

Die Minimierung der Zielfunktion (V. 15) unter den Bedingungen (V. 14), (V. 16) und
(V. 17) fuhrt durch Ableitung der entsprechenden Lagrangefunktion zu den Optimali-
tätsbedingungen

-dF
- CL, + iliM - T), = 0
aQ,
T)im(Qlmln
- Qi) , i = 1,j
(V. 1 8)
dF
--C
au,
ah-dafh
u,
agh
+ C ph au, + E N - E l m
- = 0

~ , h @-,@h - O1h)
M% - @, - eh,) 7 i = j , k
Die Ableitungen vonf und g sind Koeffizienten der Jacobi-Matrix (Band I , Abschn.
9.6.2)
Anhang VI Gamma-Funktion
872 Anhang V1 Gamma-Funktion

Abb. VI.1: Gamma-Funktion

Abb. V1.2 : Relative mittlere Windgescliwiridigkeit in Funktion des Streuungsparairieters


bei Weibullverteilung

Abb. V1.3: Energiefaktor in Funktion des Streuungsparameters bei Weibullverteilung


Anhang VII Lösung der Aufgaben

Aufgabe 4.1
Wählen wir entsprechend Abb. 4.27 eine charakteristische Drehzahl am oberen Rand
des zulässigen Bereichs von n , = 270, folgt für 50 Hz
~ 0 . 7 5 570.75
n = n - = 270 13.- .86O.' = 104.33 Ulmin
4 ~ 0 . 5 334
Wahl p = 29 , --F n = 103.45 Ulmin , --F nq = 267.7 .

Um die Größenordnung der Dimensionen abzuschätzen, sei, da kein Muscheldia-


gramm vorhanden, die Annahme cp, = 0.35 getroffen, woraus mit GI. (4.24) und der
weiteren Annahme a = 0.4, man = 0.2185 erhält. Ferner folgt mit GI. (4.2 1 ) U =
34.9 mls und schließlich mit GI. (4.23) der Durchmesser D = 6.39 m. Die effektive
Dimension dieser (realisierten) Rohrturbine ist D = 6.00 m [4.5].

Aufgabe 4.2
Statt Abb. 4.27 gilt fur Kleinturbinen eher folgende obere Grenze (Abb. VII.1) fiir
die noch zulässige spezifische Drehzahl in Abhängigkeit vom Nutzgefalle (zur
Vermeidung der Kavitation, berechnet mit Hilfe von [4.9])

Abb. VII.1: Beziehung zwischen Nutzgefalle und spezifische Drehzahl für


Kleinturbinen
874 Anhang V11

a) Aus den Daten folgt mit q, = 0.8 die Leistung P, = 19.6 kW, ferner

mögliche Lösungen (s. obiges Diagramm)


p = 2 , - - > n = 1500 Umin, - - > nq = 119.3, Francis, Kaplan
p = 3 , - - > n = 1000 Ulmin, - - > nq = 78.7, Francis
Um die Größenordnung der Dimensionen abzuschätzen, sei, da kein Muscheldia-
gramm vorhanden,
a l ) f i r n = 1500 Ulmin und Kaplan die Annahme cp, = 0.3 getroffen, woraus mit GI.
(4.24) und der weiteren Annahme a = 0.4, man $ = 0.579 erhält. Ferner folgt
mit GI. (4.2 1) u = 18.4 rnls und schließlich mit GI. (4.23) der Durchmesser D
= 23.4 Cm.
a2) tu,n = 1500 Ulmin und Francs die Annahme cp, = 0.35 getroffen, woraus mit
GI. (4.24) und der weiteren Annahme a = 0, man $ = 0.721 erhält. Ferner folgt
mit GI. (4.21) u = 16.5 mls und schließlich mit GI. (4.23) der Durchmesser D
= 21.0 Cm.
a3 für n = 1000 Ulmin und Francs die Annahme cp, = 0.35 getroffen, woraus mit
GI. (4.24) und der weiteren Annahme a = 0, man $ = 1.256 erhält. Ferner folgt
mit GI. (4.21) u = 12.5 mls und schließlich mit GI. (4.23) der Durchmesser D
= 23.9 Cm.

b) Aus den Daten folgt mit q, = 0.8 wieder die Leistung P, = 19.6 kW, ferner
500.75
~ 0 . 7 5
- nq 94.0 Ulmin ,
n = n4 0.04O.~
~ 0 . 5

mögliche Lösungen (s. obiges Diagramm)


p = 1 , --> n = 3000 U/&, - - > n, = 31.9, Francis, Durchström
p = 2 , --F n = 1500 U/& , - - > nq = 15.96, Durchström, Pelton

11) für n = 3000 Ulmin und Francs sei die Annahme cp, = 0.25 getroffen, woraus mit
G1. (4.24) und der weiteren Annahme a = 0, man $ = 3.345 erhält. Ferner folgt
mit GI. (4.2 1) U = 17.1 rnls und schließlich mit GI. (4.23) der Durchmesser D
= 10.9 Cm.
b2) für n = 1500 Ulmin und Pelton sei eine zweidüsige Anlage angenommen, womit
n, IJi = 1 1.3 und mit der Annahme q, = 0.9 folgt gemäß GL(4.8) C , = 29.7 mls.
Damit ist U„, .r 14.8 rnls und D = 18.8 Cm.

Für die Lösungen mit Durchströmturbine sei auf [4.9] verwiesen. Die Lösung mit
3000 Ulmin hat den Nachteil einer sehr hohen Durchgangsdrehzahl.
Aufgabe 6.1

a) Aus GI. (6.15) und Abb. 6.9 erhält man die Leistungen

Aus den Cl. (6.16) und (6.3) folgen optimale Umfangsgeschwindigkeit, Fläche und
Radius der Flügel und optimale Drehzahl

A = -- 2 31.5 103 = 241 m2


U„, = Aopt vopt = 8 . 6 = 48 mls, -

P V: 1.2 63
--> R=8.8m, n „ - -g g48 60 = 327 Ulmin
Die spezifische Leistung ist

b) Wird die Turbine für eine optimale Windgeschwindigkeit von 8 mls dimensio-
niert, was für einen wesentlich besseren Standort sinnvoll sein kann (s. dazu die
Ausführungen in Abschn. 6.14 und Anhang V1 sowie in den Abschn. 6.6 und
6.7), folgt analog

U„, = hop,vop, = 8 . 8= 64 mls, A = - -- 2 31.5 103 = 102.5


3
P "0
1.2 83

C) Für die amerikanische Windturbine folgt analog


876 Anhang V11

Aufgabe 6.2
Die Lösung erfolgt mit folgendem Matlab-Programm
% Aufgabe 6-2 Savoniusrotor
clear all
v0opt= 6; rho = 1.2; ceta= 1.5; 96 ceta = c%ta
Popt=300; % optimale Leistung 300 W
Po=Popti4*27/1.5; % Optimum für Lainbddbeta = 113 --> cplc = 4127
A=2*Po/rhoiv00ptA3; popt=Popt/A; 9'0
D=sqrt(A); R=D/2; % Annahme H=D
beta = 2.5: l~mdaopt=beta/3;
a=Dibeta; F(D-a)/2:
uopt=vOopt*l.amdaopt;
om=uoptlR; n=60*om/2lpi:
Lamdamax= beta: vomin= om*R/Lamdainax;
MA=ceta*Dlbetd2/vOmin*Po;
vOmax= 15;
vO= v0min:O. 1 :vOmax;
P=vOmin./vO *( l -vOniin IvO) A2*cetd2*A*rho.*v0.A3/1000;
plot(v0,P)
axis([0,16,0,4])

Die Resultate sind


a) A = 1 0 . 4 m 2 - > p = 2 8 . 8 Wlm', D = H = 3 . 2 3 m, r = 0 . 9 7 m, n = 2 9 . 6 Ulmin.
b) V„„, = 2 mls, 3L = Anlax= ß = 2.5, MA = 6 5 4 N m .
Den Verlauf d e r Leistung in Funktion d e r Windgeschwindigkeit bei konstanter
Drehzahl zeigt die Abb. V11.2

Abb. V11.2: Savoniusrolor: Leistung in Abhängigkeit von der Windgeschwindigkeit


Anhang Vlll Mollier-Diagramm, Kältemittel
878 Anhang VIII
Mollier-Diagramm, Kältemittel 879
880 Anhang VIII
Literaturverzeichnis

Kap. I
[I .I] BP-Amoco-Statistical Rewiew 1998, www.bparnoco.com (1999)
[ I .2] Bundesamt für Energie: Schweizerische Gesamtenergiestatistik 2006, Sonderdruck,
Bern (2007)
[1.3] Bundesamt für Energie: Schweizerische Gesamtenergiestatistik 2000, Bulletin
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Wettingen (2000)
890 Literaturvcr~eichnis

Anhang

Baehr H.D.: Thermodynamik. Springer, Berlin, Heidelbcrg, New York (1996)


Dietzel F.: Technische Wärmelehre. Vogel Buchverlag, Würzburg (1987)
Geering H P . : Regelungstechnik. Springer, Bcrlin. Heidclbcrg, New York (1994)
Karush W.: Minima of fonctions of several variables with inequalities as side condi-
tions. Masters Thesis, University of Chicago (1 939)
Kuhn H. W., Tucker A. W.: Non-linear programming. Proc. 2nd Berkeley Symposium
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Ligou J.: Installations nuclkaires. Presses polytechniques romandes, Lausanne (1982)
Litz L.: Reduktion der Ordnung linearer Zustandsmodelle mittels linearer Verfahren.
Hochschulverlag Stuttgart ( 1979)
Pöller M.: Analyse von Ausgleichsvorgängen in Elektroenergiesystemen unter
besonderer Berücksichtigung des Multiple-Time-Scale-Verhaltens. Fortschritt-Bericht
VDI 211299, VDI-Verlag,Düsseldorf (2001)
Rockafellar R.T.: Basis issues in Lagrangian optiinization, [14.2] ( 1993)
Schade H.: Kontinuumstheorie strömender Medien. Springer, Berlin, Heidelbcrg,
New York (1970)
Unbehauen H.: Regelungstechnik 11. Vieweg, ,Braunschweig (1989)
Weber H.: Dynamische Netzreduktion zur Modalanalyse von Frequenz- und Lei-
stungspendelungen in ausgedehnten elektr. Energieübertragungsnetzen. Diss. Univ.
Stuttgart (I 990)
Sachverzeichnis

Retriebsoptimierung eines VIEVU 609


Absclireibungsdauer 54, 86, 200 - Einsatzplan thermischer Gruppen
Amortisationsdauer 54 624
Anlagekosten 56, 60 - Kurrzeit-Optimierung 628
Annuität 56 - langfristige Optimierung 626
Aufgaben - mittelfristige Optimierung 628
- Kap. 4 25 1 - momentane Optimierung 61 7, 629
- Kap. 6 353,360
- Netzberechnung 608
Ausgehandelter Netzzugang 83,634 - optimaler Leistungsfluss 6 12
- optimale Speicherbewirtschaftung
- eingesetzte Werkzeuge 636
- Erzeugungsplanung 635, 639 622
- Planungsprozess 636
- Tarificrung 629
- Systembetriebsfuhrung 635
Betriebsplanung 605
- mikroökonomische Grundlagen 605
- Optimierungs eines VIEVU 607
- Optimierung bei Wettbewerb 630
Bandabstand 365 Blockregelung 293
Bändermodell 365 Biomasse 13, 25, 32
Bandlücke 365, 375 Boltzmann 365, 4 14
Bauwert 54 Brennstoffkosten 58, 70, 86, 61 3
Beispiele Brennstoffzellen 405
- Kap. 2 55,57,62 - Aufbau und Typen 405
- Kap. 3 73,76,98 - elektrochemische Grundlagen 407
- Kap. 4 227,238,246,247,250 - lineares Modell 409
- Kap. 5 277,280,335 - Prinzip und Modell 407
- Kap. 6 342 - stationäre Anwendungen 41 0
- Kap. 1 1 477 Bruttoenergie 19. 25, 33, 35, 41, 44
- Kap. 12 505,521,530,53 1,547 Uruttoinlandprodukt 23, 24. 34, 35.48
- Kap. 13 569,577,582
-Kap. I4 606,617
Benutzungadauer 60, 68,70, 353
Betriebskosten 54, 56 CO, -Emissionen 10, 18, 26, 29, 3 1,
Retriebsoptimierung 68, 605, 607 4 1,45, 47, 49, 5 1, 80
- bei Wettbewerb 630
- ausgehandelter Netzzugang 634
- mathematische Grundlagen 630 Dampfhraftprorcss 27 1
- Netz mit Engpässen 633 - Speisewasservorwärmung 274
- Netz mit Leistungsbegrenzungen - Zwischenüberhitzung 274
632 Dampfkraftwerke 67, 74,275,289
- Netz mit Verlusten 632 - Blockregelung 293
- Pool-Lösung 634 - Dampfturbine 282, 289
- verlustloses Netz 630
892 Sachverzeichnis

- Dynamik 296 - Reorganisationsmodelle 8 1


- Kondensator 272,289,290 - Risikomanagement 157
- Kühlturm 29 1, 292, 304 - Wettbewerb 78, 81, 84, 124
- Kühlwasserkreislauf 291 Einlaufspirale 224, 240
- Luft-Rauchgas-Kreislauf 289 Endenergie 3, 4, 20, 25, 29, 3 1. 36, 41
- Verluste 289 Endenergieverbrauch 23, 41
- Wasser-Dampf-Kreislauf 289 Energie 3
Dienstleistungsmarkt 1 14 - graue 24,29,32
- Netzbetreiber 118 - Pro-Kopf-Verbrauch 19, 32, 44
- Systembetreibcr 1 15 - Weltbedarf 32, 42
Diffusor 240 - Weltregionen-Verbrauch 34
Diskontierungsverfahren 54 Energieaustausch 7 1,607, 636, 748
- Annuitätsmethode 56 Energiebedarf 8, 19, 23, 32, 42
- Kapitalwertmethode 54 Energieelastizität 24
Drehzahlregelung 257, 430, 175,508 Energiefluss 22
Druckleitung 229, 252, 255 Energieformen 3, 20
- elastische 258, 260 Energiekante 365
- Modelle 259 Energieindikatoren 26, 3 1, 4 1.47
- starre 255 Energieintensität 24, 27, 29, 42, 47
Druckregelhreis 479 Energiekosten 58
DrucLstollen 229, 252 - spczilische 59
Druchstoß 255 - am Verbraucher 6 1
Druchventil 257 Energiesektor 3, 20, 25, 26, 31, 36, 38.
Druckzahl 243 48,49
Durchflusszahl 243 Encrgicträger 3, 7, 19
Dynamik der kleinen Störungen 504 - Energieinhalte 7
- Wirkung der Drehzahlregelung 508 - erneuerbare 10
- Wirkung der Spannungsregelung - nicht erneuerbare 8
508 Erregersysteme der SM 564
- Pendeldämpfung 509 - Gleichstromgenerator 564
- statische Erregung 565
- Wechselstrorngenerator 565
Elektrizitätserzcugung 67
- Erzeugungsstruktur 67
- Kraftwerkarten 67 FACTS 436,454,519,611,641
- Kraftwerkeinsatz 69 - Dimensionierung 691
Elektrizitätsmarkt 63, 78. 86, 104 - Binsatzortbestimmung 7 16
- Aufbau 108 - Modellierung 70 1
- Auswirkungen 149 - Modellsystem 692
- Erfahrungen 146 - PAR und UPFC 681
- Motivation 104 - Schutz- und Leitsystem 663
- Rollen 109 - Steuerverfahren 658
Elektrizitätsverbrauch 63 - SVC un S I ATCOM 667
- Schwankungen 64,66 - TCSC und SSSC 675
- Struktur 64 - Technologie 646
-Zunahme 64 - Versorgungsqualität 733
Elektrizitätswirtschaft 63 - Verzerrung 660
- freier Netzzugang 79, 93 - VSC 652
- Konkurrenz 79 FACTS-Modellierung 701
- Privatisierung 84 - SSSC 705
- STATCOM 701 - Energiebilanz 4 18
- Synthese 7 13 - Fusionsreaktionen 4 13
- UPFC 708 - Fusionsreaktor 4 15
Fermi-Energie 365 - Mantelreaktionen 41 8
Festdruckregelung 294, 298, 479 - Plasmareaktion 41 7
Fläclieukriteriuiri 5 1 3 ff, 5 19 - Reaktionsparanieter 4 15
Frequenzleistungsregelung 475, 489, - Vorzüge und Probleme 426
530,607,629 Kernkraftwerke 299
- Netzkennzahl 487,489 - Brennstoffkreislauf 306, 308. 426
Frequenzregelung 486 - Brcnnstoffstäbe 74, 300, 3 10
- Inselnetz 486 - Entsorgung 307
- Netzverbund 489 - Fusionskraftwerk 356
- Primärregelung 293, 321,486, - graphitmoderierte Reaktoren 305
- Sekundärregelung 293,488 - Kontrollstäbe 300
Fusionsreaktor 41 5 - Konversionsvorgänge 301
-Tokamak 422 - Leichtwasserreaktoren 302
- Stellarator 424 - Moderator 300
- Radioaktivität 3 1 1
- Reaktorsicherheit 306, 309
Gasturbinenkraftwerke 61, 67, 74, 125, - Risiken 309
275,315 - schnelle l3rutreaktoren 306
Gasturbinenprozess 275, 283, 3 19 - Schwerwasserreaktor 305
- Carnotisierung 28 1 - Uranspaltung 299
- idealisierter 276 Kettenreaktion 300
- realer 276 Klimaproblematik 17. 45
- Rekuperation 280 - CO, -Ausstoss 26, 29, 45, 48
- Wirkungsgrad 278 - Klimaschutz 48
Geothermie 25, 29, 50, 67 - Vcrineidungsstrategien 49. 5 1
Geothermische Energie 7, 10 Knotenadmittanzmatrix 441
Gezeitenenergie 7, 10 Kohärente Generatoren 538
Gleitdruckregelung 294, 298, 479, 481 Kollektoren 15
Kombikraftwerke 70, 28 1, 284, 31.5
- dynamisches Verhalten 321
- GUD-Kraf'twerke 3 15,3 18
Heizwerte 20 - Verbundkraftwerke 3 18
Kombiprozesse 49, 282. 3 15
Kompensationsanlagen 437, 564, 580
Informationstechnik 146, 747 - Seriekompensation 5 19, 584, 641
Investitionsrechnung 54 - SVC 580,667,730
- Sl'A'I.COM 436,583,667,701, 730
Konkurrenz 79,84,605,630
Konversionsfaktor 301, 306
Jahreskosten 57, 61, 606 Kosten 58, 86
- des Brennstoffs 58
- der Energie 58
Kapitalkosten 56, 87, 167, I92 - energieabhängige 58
Kavitation 242 - externe 10, 18, 80
Kernfusion 11, 50, 339, 413 - feste 58, 80
- Einschlussparameter 420 - Jahreskosten 57, 58, 61,
- Einschlussproblem 421 - leistungsabhängige 58, 86
894 Sachverzeichnis

- der Leitungsverluste 59 - Funktionen 800


- Netzkosten 86, 97, 632 - Historie 748
- nichtamortisierbare 80 - Integration 750
- der l'umpenergie 58 - Kraftwerksleittechnik 322
- spezifische 59, 61 - Marktumfeld 771
- variable 58, 78 - MMI 665
- Verteilung der 92 - SCADA 778
Kraft-Wärme-Koppl. (s. Wärme-Kraft) - Schutzfunktioncn 754
Kraftwerke - Simulator 792, 795
- Aufwindkraftwerke 339 - Stationsleittcchnik 749
- Dieselkraftwerke 67, 74 - Systemarchitektur 750
- fossilgefeuerte Dampfkraftw. 289 - Systenikonzeption 773
- Gasturbinenkraftwerke 61, 67. 74, - Transportnetzfuhrung 790
125,275,3 15,482 - Verteilnetzfuhrung 790
- geothermische 50 - Workflow 8 14
- Kcrnkraftwerke 27, 50, 61, 74, 299 Leitungsband 365
- Kombikraftwerke 70, 27 1, 28 1, 284, Liberalisierung 63, 78, 84, 104, 635
3 19,330,482 Lineare Analyse von Mehrmaschinensys-
- Laufkraftwerke 67,223 tenien 54 1, 864
- Leittechnik 265 - Ordnungsreduktion 538
- solarthermische 15, 50
- Speicherhraftwerke 67, 70,226
- thermische Kraftwerke 70, 74, 271 Marginalkostcn 83, 605, 615, 634
- Wasserkraftwerke 221 Marktmacht 79, 83, 145, 196
- Windkraftwerke 12, 341
Marktmodelle 106, 140
Kreisprozesse 827
Marktöffnung 8 1, 108, 13 1, 143
- Clausius-Rankine 27 1
- Joule-Prozess 275, 835 - Konsequenzen 85
Meeresströmungsenergie 13, 339
- Ranhine 271 Mehrmaschinensysteme 525
Kühlturm 291, 304
- Analyse in der Praxis 548
Kur~schlusstrajektorie 5 15
- lineare Analyse 541
- transiente Analyse 525
- Drei-Maschinen-Modell 53 1
Lastflussberechnung (s. Netzberechnung) - Fünf-Maschinen-Modell 549
Lastverlauf 88, 9 1, 100 - Zwci-Maschinen-Modell 530
Lastverlaufverfahren 89, 10 1 Modellierung 429
Laufhraftwerke 67,223 - Asynchronmaschine 437
- Ausfuhrung 224 - Dampfkraftwerk 296,479
- Auslegung 226 - Einspeisungen 436
Laufrad 224,240 - Gasturbine 482
Leistungsflussberechnung (s. Netzber.) - Kompensationsanlage 437
Leistungsfrequenzregelung - Lastmodelle 437
(s. Frequenzleistungsrcgelung) - Netzdarstellung 44 1, 444
Leistungskosten 88 - netzgekoppeltes Kraftwerk 429
Leitrad 240 - subsynchrone Schwingungen 522
Leittechnik 685, 771 - Synchronmaschine 430
- Daten- Management 802 - Transformator 436
- Domänen 774 - Wasserkraftwerk 256,263
- Erzeugungsmanagement 792
- Fernwirktechnik 768
Sachverzeichnis 895

Modellierung mit subsynchronen Photoleitung 366


Schwingungen 522 Photovoltaischer Effekt 369
- Mechanik 524 Photovoltaik 16, 27, 50, 365
- Synchronmaschine 522 - Inselsystcme 397
- Netzverbindung 523 - Modellierung 401
Monopole 78, 84, 86 - netzgekoppelte Anlagen 398
- Gebietsmonopole 82, 106, 1 14, 124 - Photostroni 369
- natürliche 79, I08 - physikalische Grundlagen 365
- Regulierung der 84 - p-n-Übergang 368
- Solarzelle 376
- Sonne als Energiequelle 385
Nachhaltigkeit 6, 18, 25 - Stromziffer 372
Nachhhaltigkeitsindikator 27, 30, 36, 50 - Systemtechnik 397
Netzberechnung 608 - Wechselrichter 399
- DC-Leistung~fluss 6 10 Planck'sches Wirkungsquantum 366,
- Knotenadmittanzen 608 837
- Leistungseinspeisung 608
Polradwinkelstabilität am starren Netz
- mit Spannungseinkopplung 61 1 493
- optimaler Leistungsfluss 61 2 - Einfluss von Leistungstransit 492
- Verlustberechnung 609 - große Störungen 5 1 1
Netzkosten 86, 97, 632 - kleine Störungen 504
Netzleitsysteme (s. Leittechnik) - im Kurzzeitbereich 497, 503
Netzleittechnik (s. Leittechnik) - mit Spannungsregelung 501
Netzregler, -regelung 475, 488, 490. 716
- Polradwinkelpendelungeri 548
Netzzugang 7 9 , s 1, 106, 1 12,634 - Stabilisierungsmassnahmen 5 19
Nutzenergie 3, 20, 32, 5 1 - statische Stabilität 496, 499, 501
Nutzprozcsse 4 - Störungen des Gleichgewichts 495
Nutzungsdauer 54,60 - transiente Analyse 5 14
Nutzungsgrad 49, 284, 325,328, 408 - Wirkung der Netzreaktanz 499
- Wirkung einer Zwischenlast 5 17
Polradwinkclstabilität in1 Mehrmaschi-
nensystem (s. Mehrmaschinensystem)
Ökologische Probleme 16 Primärenergie 3, 7, 8
Optimaler 1,eistungsfluss 612, 869 - Pro-Kopf-Verbrauch 19, 32, 44
- Begrenrungen der Leistungstlüsse - Reserven und Ressourcen 8, 9, 40
616 - Verfugbarkeit 7
- t3eispiel 61 7 Priniärregelung 434.475, 476, 486
- Berücksichtigung der Blindleistungen - Dampfkrallwerk 479
615 - Gasturbinen und Kombianlagen 482
- Wirkleistungsoptimierung mit Ver- - Leistungszahl 487. 491
lustfunktion 6 12 - Netzkennzahl 487.489
- Wasserturbinen 478
Privatisierung 78, 84, 104, 143
Parallelkonipensation (s. Shuntkompen- Pulsweitenmodulation 399, 65 1, 658
sation) Pumpenergiekosten 58
Peltonturbine 230, 234 Pumpspeicherung 232, 364
- Energiediagramm 235
- Raddurchmesser 237
- Strahldurchmesser 236
- Umfangsgeschwindigkeit 237
896 Sachverzeichnis

Q - Simulationssprachcn 469
Qualität - Stabilität der Verfahren 455, 457
- der Spannung 85,475, 563 Solarenergie 7, 11, 12, 155, 223, 373
- der Versorgung 72, 733, 790 Solarstrahlung 4, 1 1 , 14, 25. 67, 394,
413
Solarzelle 16, 370, 376, 3 19
- Ersatzschaltbild 376
Radioaktivität 309, 3 1 1, 841 - Füllfaktor 380
- Aktivität 3 12 -Kennlinie 371,376
- Äquivalentdosis 3 13 - Leerlaufspannung 378
- natürliche 3 13 - Modell 401
- Strahlendosis 3 13 -Typen 383
Raumzciger 445 - Wirkungsgrad 379, 381
Reaktionsturbinen 240 Sonne 385
- Druckzahl 243 - Sonnenbewegung 386
- Durchtlusszahl 243 - Sonnenstand 389
- Energiediagramm 243 - Strahlungsenergie 391, 396
Regelkrafiwerke 116, 139, 475,488, - Strahlungsintensität 385, 389, 394
489,491 - Wirkung der Atmosphäre 393
Reihenkompensation (s. Seriekompensa- Spannungsregelung 430,50 1,508,563
tion) Spannungsregelung der SM 497,501,
Reorganisationsmodelle 81 509, 5 19, 523, 55 1, 564, 566,
Risikomanagement 157 - Blockschaltbild 566, 567
- Hedging 128,205 - Errcgersysteme 564
- Praxis 197 - kapazitive Belastung 572
- Risikopolitik 160 - Netzverbindung 575
- Reglerauslegung 570
- Theorie 158 - Synchronisierkreis 574
- Unsicherheiten 179, 198,201, 202 - Üb~rtragun~sfunktion der SM 567
Rotierende Reserve 72, 487, 490, 608, - Wirkung der Drehzahl 573
626 Spannungsschwankungen 563,580,
643,735
Spannungsstabilität 430, 563, 586, 598,
Saugrohr 224,240,246 718,851
Sehundärenergie 3. 19, 22 - Darstellung mit der
Sehundärregelung 435, 475, 488, 530 Generatorblindlcistung 594
Selbstkosten 86, 92, 98, 100, 102 -Dynamik 600
Selbstregelung 267, 476. 487, 491 - im vermaschten Netz 598
Seriekompensation 442, 5 19, 522, 580, - Lastkennlinien 597
584,641,675,681,712 - Sicherheitsindizes 597
Shuntkompensation 437, 580, 641, 667 - statische 586
Siniulationsprogranime 442,465,493, - (u,p)-Kennlinien 587
664 - (u,q)-Kennlinien 59 1
- Algorithmen 463 Speicherkraftwerke 67, 70, 72, 226
- dynamische Modellierung 468 - Jahresspeicherwerke 228
- Genauigkeit 455 - Tagcs- und Wochenspeicher 226
- Initialisierung 470 - Pumpspeicherung 232
- Nichtlinearitäten 466 Spiralgehäuse 240
- numerische Integration 45 1 Statik 293, 475, 476, 480, 487,491
- transiente 477
Sachverzeichnis 897

Staumauer 229, 23 1 - Stabilität im Grossen 535


Stellarator 424 - Zwei-Maschinen-System 530
Strahlablenker 230, 238, 257,479 Transiente Stabilität 497, 642, 722
Stromerzeugung 283 Treibhauseffekt 17. 288
Strompreisgestaltung 86
Stromtarife 95
Stromverbrauch 64, 142
UCTE 7 1, 146,200,548,552,56 1
Stufentransformatoren
Uranspaltung 299, 846
- Reglerauslegung 576
- Lastflussberechnung 578
Subventionierung 80, 148
Synchronisierung 486, 493, 509 Valenzband 365,370
Synchronmaschine 430, 496, 522, 567 Versorgungsqualität 707, 733, 745, 790
- Kurzzeitmodelle 430 - Dynamic Voltage Restorer 736
- Langzeitmodell 435 - SSTS 741
- Uninterruptible Power Supply 738
Volatilität 125, 145, 168, 190, 197, 202
Tarifniveau 96
Tarifstrukturen 97
Tertiärregelung 475, 491 Wärme-Kraft-Kopplung 4, 49, 272, 52,
Thermische Kraftwerke 74,27 1 284,329
- Dampfkraftprozess 27 1 - Blockhei~kraftwerke 288
- Gasturbinenprozess 275 - Entnahme-Kondensationsschaltung
- geschlossener Kreislauf 74 284
- Kombikraftwerhe 3 15 - Gasturbinen 287
- Kombiprozesse 282 - Gegendrucbanlage 286
- Leistungen 75 Warmepumpe 1 1, 12, 27, 52, 325
- offener Kreislauf 74 - Arbeitszahl 330, 335
- ~olarthermische 15, 50 - Einsatz 335
- Wärme-Kratt-Kopplung 284 - exergetischer Vergleich 325
- Wirkungsgrade 75 - Kreisprozess 331, 333
Thermodynamik 4 , 7 5 , 2 7 1,289, 821 - 1,cistungs~iffer 335
Tokamak-Reaktor 422,423,426 - Nutzungsgrad 328
Torsionsschwingungen 430, 493, 52 1, - Prinzip und Aufbau 33 1
524,571 Wasserkraft 4, 11, 12, 20, 25, 27, 30, 50
Trajektorie 5 1 1, 5 15, 536, 553, 723 Wasserdargebot 68, 70,7l, 222, 229.
Transiente Analyse von Mehrmaschinen- 627,628
Systemen 525, 560 Wasscrkraftwerke 6 1, 72, 85, 1 25, 199,
- Bilanz-Generator 532, 535, 541 210, 221,251
- Darstellung der Generatoren 525 - Bruttogefalle 72
- Drei-Maschinen-System 53 1 -Dynamik 252
- elektrische Leistung 527 - Gesamtmodell 256,263
- Kohärenz 538,539 - Laufhraftwerke 223
- Net~darstellung 526, 528 - Nutzgefalle 72
- Ordnungsreduktion 538 - Planungsgrundlagen 22 1
- Parkvektordarstellung 529 - Pumpspeicherung 232
- Referenzsysteme 527 - Speicherkraftwerke 226
- Spannungsunabhängigkeit der Last - Wassermenge 72, 222
534 - Wirkungsgrade 73
Wasserschloss 229, 252, 254, 256, 263
898 Sachverzeichnis

Wasserturbinen 69, 233, 263. 478 Z


- Aktionsturbinen 234 Zinsfaktor 54
- Auslegung 245
- Francis-Turbine 240. 241. 246 Zuverlässigkeit 148,475, 733
- Kaplan-Turbine 240, 241, 247
- Kavitation 242
- Muscheldiagramm 244
- Pelton-Turbine 234, 235,
- Propellerturbine 241
- Reaktionsturbinen 234, 240,248
- Regelung 478
- spezifische Drehzahl 237, 244
- Strömungsenergie 233
Wasserspeicherung 70
Wechselrichter 397, 399, 412, 646, 655
Wellenkraft, -energie 12, 13, 283, 339
Weltbevölkerung 13, 34, 36, 42, 43, 46
Wettbewerb 63, 78, 106, 108, 124. 630
- Bilanzkreisverantwortliche 138
- Rörsenhandel I28
- Energiedienstleister 13 1
- freie Wahl des Lieferanten 79
- Grosshandcl 81,88, 125, 143
- Kleinhhandel 84, 88, 143
- Konkurrenz 79
- Poolmodelle 82
- Übergangsprobleme 79, 154
Windkraft 4, 13, 155, 341, 636
Windkraftwerke 341
- Betrieb und Regelung 360
- Darrieus-Rotor 354
- horizontalachsige Windrotoren 349
- horizontalachsige Windturbinen 353
- Inselbetrieb 363
- Leistungsbeiwert 350, 352
- Leistungsregelung 362
- Netzbetrieb 362
- Savoniusrotor 358
- Theorie von Betz 349
- Weibull-Verteilung 344
- Windgeschwindigkeit 342, 344
- Windleistung 346
- Windradleistung 347
- Windradtypen 346
Wind-Parks 353
Wirtschaftlichkeit 13, 53, 61, 70, 155,
335,34 1,398,405,580,624,868

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