Sie sind auf Seite 1von 3

Konstantinopolis (Constantinopolis) (von Bredow, Iris / Makris, Georgios, aus: Der Neue Pauly)

I. Lage

Residenzstadt, 324 n.Chr. von Constantinus [1] d.Gr. an der Stelle von Byzantion gegr. Im Norden vom Goldenen
Horn, im Osten vom Bosporos [1] und im Süden vom Hellespontos begrenzt, war K. nur von einer Landseite her
angreifbar. Durch seine Lage beherrschte K. Handel und Verkehr zw. Europa und Asien, zw. der Ägäis und dem
Schwarzen Meer (Pontos Euxeinos; Herodian. 3,1,5; Pol. 4,38-45).

II. Topographie

Die Stadtplanung folgte nicht dem üblichen kaiserzeitlichen Schema, sondern schuf durch fächerartig angelegte
Haupt- mit einigen Querstraßen größere Flächen zur freien Bebauung [1]. Die wichtigsten Verkehrsadern waren die
beiden Uferstraßen an der Propontis bzw. dem Goldenen Horn und die Mese, die sich, vom Osten vom Augusteion
herführend, in der Stadtmitte gabelte. Seit der Erweiterung des Stadtrings unter Theodosius II. (402-450 n.Chr.) -
jetzt erst ist ein Vergleich mit der Siebenhügelstadt Rom angebracht - war K. in 14 regiones mit 322 vici aufgeteilt.
Eine Beschreibung der Top. und eine Liste der wichtigsten Gebäude in theodosianischer Zeit überl. die Notitia urbis
Constantinopolitanae [2].
Die Innenstadt war durch große Plätze gegliedert: Das Augusteion (s. Lageplan Nr. 5) [2. 232] war ein frei
zugänglicher Bereich an der Mese, in dem die staatliche und kirchliche Macht residierte: Kaiserpalast (Nr. 5b) und
Senatsgebäude (Nr. 5c) im SO (Zos. 3,11,3; Prok. aed. 1,10,5-9; Ioh. Mal. 321,8-12), die Basilika (Nr. 5d) im NW
(Prok. aed. 1,11,12), die Zeuxipposthermen (Nr. 5e) im SW (Ioh. Mal. 321,12f.) und die Hagia Sophia (Nr. 5a) mit
Patriarchensitz im NO. Hier waren zahlreiche Statuen der kaiserlichen Familie aufgestellt [3. 158ff.]. Ab etwa 500
n.Chr. ist hier auch Handelstätigkeit nachgewiesen. Seit dem 7. Jh. verlor das Augusteion immer mehr den Charakter
einer agorá und wurde zum Vorhof der Hagia Sophia [4. 44ff.]. Das Konstantin-Forum (Nr. 8) [2. 234, 236] - dies
war die eigentliche agorá, als Mittelpunkt des städtischen Lebens und Marktplatz schon von Constantinus d.Gr.
konzipiert - erhob sich auf dem zweiten Stadthügel und stellte einen kreisförmigen, von zweistöckigen Arkaden mit
Reiterstatuen eingefaßten und gepflasterten Platz mit zwei Torbauten dar (Zos. 2,30,4). In seiner Mitte erhob sich die
Konstantin-Säule (Nr. 8a) [3. 173ff.], im NW befand sich der Senat, im Süden ein Nymphaion (Nr. 8b), im Osten das
Tribunal (Nr. 8c). Die Gewölbesubstruktion im Sockel der Konstantin-Säule wurde im 9. Jh.n.Chr. evtl. in eine
Kapelle des Hl. Constantinus umgewandelt (Nr. 8d; vgl. [5]). In allen Beschreibungen von Festzügen werden das
Konstantin-Forum und v.a. die Säule und Kapelle des Constantinus als Station erwähnt. Auch war es der Ort, an dem
sich die Einwohner von K. spontan versammelten (z.B. bezeugt für das große Erdbeben vom J. 533: Chr. pasch.
629,10-15).
Das Theodosius-Forum (Nr. 9) [2. 235] im Süden des dritten Stadthügels an der Mese (auch Taurus-Forum gen.)
diente in frühbyz. Zeit als Empfangsort. Erst seit dem 8. Jh. sind auch kommerzielle Funktionen belegt. Das
Arcadius-Forum (auch Xerolophos) gegenüber dem Lykostal an der Mese liegt ebenfalls auf einer Anhöhe. Ob es
nach dem Erdbeben von 740 neu aufgebaut wurde, ist unbekannt. Der Hippodrom (Nr. 6), der bereits von Septimius
Severus (193-211 n.Chr.) gestiftet worden war (Ioh. Mal. 292,12), wurde von Constantinus nach dem Vorbild des
röm. Circus Maximus (Circus C.; Zos. 2,31,1; Ioh. Mal. 321f.; Chr. pasch. 528) für 30000 Zuschauer ausgebaut. Außer
zu Wettkämpfen diente der Hippodrom polit. Zusammenkünften und der Propaganda der “blauen” und “grünen”
Parteien (factiones). K. stand zu Beginn unter einem proconsul, ab 359 unter einem praefectus urbi (éparchos),
dessen Sitz sich ganz in der Nähe des Konstantin-Forums befand. Der Mangel an Bauland wurde durch eine spezielle
Gesetzgebung, die Bauformen, Höhe und Hausabstand u.a. verbindlich vorgab, geregelt. Zur Einsparung von
Grundstücken und zu billiger Unterbringung der armen Bevölkerung gab es fünf- bis sechsstöckige Wohnhäuser.
Wenn die Einwohner von K. auch theoretisch keinen Einfluß auf die Politik des Reiches ausüben konnten, so war
der Druck der beiden Hauptparteien, der “Blauen” und der “Grünen”, auf Stadt- und sogar Reichsverwaltung
manchmal nicht unerheblich. Mit der Vereinigung dieser sonst im Streit liegenden Parteien kam es 532 zum Nika-
Aufstand.
Die Versorgung der riesigen Hauptstadt mit genügend Trinkwasser aus dem Hügelland nordwestl. von K., oft über
große Entfernungen, stellte eine enorme Leistung dar (Wasserversorgung, Wasserleitungen). Constantius [2] II. ließ
eine Fernleitung anlegen und mehrere große Zisternen ausbauen. Kaiser Valens errichtete 363-373 einen Aquädukt,
von dem große Teile h. noch erh. sind; bald danach ließ Theodosius I. (379-395 n.Chr.) ebenfalls einen Aquädukt von
Norden her anlegen. Dennoch mußte der Wasserverbrauch immer wieder durch Erlasse eingeschränkt werden. Dazu
kamen riesige offene Zisternen und überdeckte Wasserbehälter unter öffentlichen und privaten Bauten, die außer zur
Wasserversorgung durch ihre statischen Eigenschaften auch zur Sicherung der Gebäude bei Erdbeben beitrugen (z.B.
Yerebatan Sarayı). Um die Versorgung der Einwohner von K. mit Waren zu gewährleisten, war der Aus- und Neubau
von Häfen sowohl im Goldenen Horn als auch an der Propontis-Küste (Getreidehäfen) erforderlich
(Lebensmittelversorgung, Landwirtschaft). Das Handwerk war hauptsächlich im Manganenviertel und nördl. der
Mese konzentriert. Eine bes. Bed. für die Staatswirtschaft erlangte die Produktion von Seide, nachdem 551 n.Chr.
lebende Seidenraupen heimlich aus China nach K. gebracht worden waren. Außer den großen Kirchen der Stadt
entstanden gegen 380 auch außerhalb der Stadtmauern Klöster und mehrere Kirchen. Im 5. Jh. nahm dann die Zahl
der innerhalb der Stadtmauern liegenden Klöster, v.a. im nicht so dicht bebauten SW und im Lykos-Tal, erheblich zu.
Schon Constantinus d.Gr. konzipierte K. auch als einen kulturellen Mittelpunkt. Immer waren ästhetische Kriterien
als Träger kaiserlicher Ideologie für Stadtplanung und -ausstattung von größter Bed. Dazu gehörten das Aufstellen
unzähliger Denkmäler und Statuen auf den öffentlichen Plätzen, Anlage von Säulenstraßen, Bau und Ausstattung der
öffentlichen Gebäude und Kirchen mit Mosaiken, Wandmalereien, Skulpturen u.a., teilweise durch weltweiten
Kunstraub. In der Basilika neben der 357 gegründeten Bibliothek wurde eine Universität geschaffen, die 425 in das
Capitol verlegt wurde. Sie wurde zum wichtigsten Bildungszentrum sowohl der Stadt als auch des gesamten Reiches.
Hier wurden nicht nur Rechtswiss., Gramm., Rhet. und Philos. gelehrt, sondern auch das klass.-ant. Erbe tradiert.

Bibliographie

1 A. Berger, Die Altstadt von Byzanz in der vorjustinianischen Zeit, in: Poikila Byzantina, Varia 3, 1987, 7-30
2 O. Seeck, Notitia urbis Constantinopolitanae, in: Ders. (Hrsg.), Notitia Dignitatum, 1876 (Ndr. 1962, 1983), 227-
243
3 F.A. Bauer, Stadt, Platz und Denkmal in der Spätant., 1996, 143-268
4 R. Guilland, Ét. de top. de Constantinople byzantine 2, 1969
5 C. Mango, Constantine's Porphyry Column and the Chapel of St. Constantine, in: C. Mango, Stud. on
Constantinople 4, 1993, 103-110.

W. Müller-Wiener, Bildlex. zur Top. Istanbuls, 1977


G. Ostrogorsky, Gesch. des byz. Staates, 1975.

Karten-Lit.:
R. Janin, Constantinople Byzantine, 1964
W. Kleiss, Top.-arch. Plan von Istanbul, 1965
C. Mango, Le développement urbain de Constantinople (IVe-VIIe siècles), 1985
W. Müller-Wiener, Bildlex. zur Top. Istanbuls, 1977.

III. Geschichte
Constantinus beabsichtigte nach seinem Sieg von 324 n.Chr., Byzantion zunächst als Monument auszubauen,
gestaltete es dann jedoch als Hauptstadt, um seine Stellung durch eine repräsentative Neugründung zu untermauern.
Das “heidnisch” geprägte Rom war dazu ungeeignet, behielt jedoch Rang und Privilegien. Ältere Kunstwerke und
Bauteile wurden, wie in der Spätant. üblich, aus allen Reichsteilen in die überdimensioniert konzipierte Stadt
integriert. K. wurde mit Capitolium, Münze, Praetorium, Hippodrom, Fora (Hauptplatz: Augusteion, Forum
Constantini mit noch erh. Säule), Hauptverkehrsachse (miliareum aureum, µίλιον) und Palast ausgestattet. Die
Umbenennung der Stadt in K. erfolgte wahrscheinlich bereits 324, die Einweihung am 11. Mai 330. Das stadtröm.
Vorbild beeinflußte K. eher indirekt über Tetrarchenresidenzen wie Thessalonike und Nikomedeia. Die
Neugründung ging zwar mit dem Ende der Christenverfolgungen einher und hatte von Anf. an christl. Charakter, war
aber dennoch nicht als Versinnbildlichung der neuen Religionspolitik konzipiert. Die bedeutendsten Kirchenbauten
der Stadt waren zwar konstantinische Gründungen, wurden jedoch erst später vollendet: Hagia Eirene (s. Lageplan
Nr. 10), Hagia Sophia (Nr. 5a), die später zum spirituellen Zentrum der orthodoxen Welt wurde, und die 1462 wegen
Baufälligkeit abgerissene Apostelkirche, die Grabstätte der Kaiser.
Das Areal wuchs seit 412 durch den Bau einer neuen, noch h. erh. Landmauer mit 96 Türmen (Nr. 4), von ca. 6 km2
unter Constantinus auf etwa 12 km2. Die Bevölkerung von Stadt und Umland, die im 6. Jh. mehr als eine halbe
Million betrug, ging bis zur Mitte des 8. Jh. zurück, stieg dann wieder und ereichte im 11. Jh. mit über einer halben
Million den Höhepunkt. Um 1300 hatte K. um die 100000, vor der türk. Eroberung (1453) nicht mehr als 40000
Einwohner.
Seit seiner Gründung kontinuierlich Regierungssitz des ungeteilten, dann des Oström. Reiches und seit Theodosius I.
ständige Residenz, blieb K., trotz periodisch wiederkehrender Stadtbrände, Seuchen und Erdbeben, im MA
Großstadt modernen Ausmaßes und Reichshauptstadt, die das Reich polit., wirtschaftlich, rel. und kulturell prägte.
Weder wiederholte Angriffe noch Belagerungen (durch Perser, Avaren, Araber, Bulgaren, Rus') konnte die Mauern
überwinden - bis 1204, als K. durch die Ritter des vierten “Kreuzzugs” unter Führung Venedigs erobert wurde. Die
Zerstörung und gründliche Plünderung erfaßte auch zahlreiche Monumente und bedeutete das Ende von K.s Blüte
und Reichtum. Größere polit. Bed. war der Stadt nach der Regierung Michaels VIII. (bis 1282) nicht mehr
beschieden. Sultan Mehmed II. eroberte nach langer Belagerung K. am 29.5.1453.
Bibliographie

H.-G. Beck, Konstantinopel. Zur Sozialgesch. einer früh-ma. Stadt, in: ByzZ 58, 1965, 11-45
B. Bleckmann, Konstantin der Große, 1996, 109-119
G. Dagron, Naissance d'une capitale, 1974
A. Demandt, Die Spätantike, 1989, 75f.
R. Janin, Constantinople Byzantine, 21964
C. Mango, Le développement urbain de Constantinople, 1985
C. Mango, G. Dagron (Hrsg.), Constantinople and Its Hinterland, 1995
W. Müller-Wiener, Bildlex. zur Top. Istanbuls, 1977
Ders., Die Häfen von Byzantion-Konstantinupolis-Istanbul, 1994
M. Restle, s.v. Konstantinopel, Reallex. zur byz. Kunst 4, 1990, 366-737.

Das könnte Ihnen auch gefallen