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Handbuch Brücken
Gerhard Mehlhorn (Hrsg.)
Handbuch
Brücken
Entwerfen, Konstruieren, Berechnen,
Bauen und Erhalten
123
Professor Dr.-Ing. Dr.-Ing. E. h. Gerhard Mehlhorn
Eichholzweg 7
34132 Kassel
Deutschland
gu.mehlhorn@t-online.de
Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Über-
setzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung,
der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverar-
beitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung
dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen
Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in
der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen
unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes.
Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk be-
rechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der
Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann
benutzt werden dürften.
Das große Interesse an der 2007 erschienenen ersten Auflage des Buchs rechtfertigt die
zweite Auflage nach nur drei Jahren. Dabei wurden die aktualisierten Fassungen der DIN-
Fachberichte, die Ausgaben des DIN-FB 100, 2005 und der DIN-FBe 101-104, 2009 eben-
so wie verschiedene aktualisierte Regelwerke berücksichtigt. Das Buch entspricht hin-
sichtlich der Regelwerke damit dem Stand vom Sommer 2009.
Neben der gründlichen Überarbeitung der ersten Auflage des Buchs wird im aktuali-
sierten Kap. 1 zusätzlich auf die neuere Entwicklung der Verwendung von Ultra-Hoch-
leistungsbeton (Ultra High Performance Concrete – UHPC) im Brückenbau eingegangen.
Des Weiteren ist im Kap. 1 ein neuer Abschnitt Gestaltung von Brücken, Wettbewerbe,
Brückenbaupreise aufgenommen worden. Als Autor dieses Abschnitts konnte Herr Minis
terialrat Dipl.-Ing. Joachim Naumann, Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadt-
entwicklung, Referat S 18, Bonn, gewonnen werden. In den Jahren 2006 und 2008 wurden,
unter der Schirmherrschaft der Bundesverkehrsministeriums für Verkehr, Bau und Stad-
tentwicklung, Berlin, vom Verband Beratender Ingenieure (VBI), Berlin, und von der
Bundesingenieurkammer, Berlin, ausgelobte Brückenbaupreise vergeben. Über die von
den Preisrichterkollegien ausgewählten, für die Preisvergaben nominierten und ausge-
zeichneten Brücken wird in Abschn. 1.6.8 von den maßgeblichen Entwurfsverfassern
berichtet. Ihnen sei dafür gedankt.
In Kap. 11 wurden zwei neue Abschnitte, nämlich Schäden an Stahl- und Verbundbrü-
cken, verfasst von Francesco Aigner, und Kontinuierliche, rechnergestützte Dauerüber
wachung, verfasst von Eva-Maria Eichinger-Vill und Johann Kollegger, aufgenommen.
Das zuletzt genannt Thema wird häufig auch Monitoring genannt.
Zur Zielstellung, zum Inhalt und zur Einteilung des Buches wird auf das Vorwort zur
ersten Auflage verwiesen. Vom Vorgenannten abgesehen hat sich daran nichts geändert.
Die im Buch enthaltenen Zahlenbeispiele wurden aber entsprechend dem aktualisierten
Stand der Regelwerke überarbeitet.
Den Rezensenten zur ersten Auflage des Buchs und für die Zuschriften, genannt seien
hier insbesondere Frau Dr.-Ing. Doris Greiner-Mai, Schriftleiterin der Bautechnik, Herr
Dipl.-Ing. Erich Fiedler, Kleinmachnow, mein Bruder, Prof. Dr.-Ing. Dieter-Jürgen Mehl-
horn, Kiel, und Herr Dipl.-Ing. Eberhard Pelke, Hessisches Landesamt für Straßen- und
Verkehrswesen, Wiesbaden, danke ich ganz herzlich für ihre Hinweise.
Dem Herausgeber obliegt die traurige Bekanntgabe, dass einer der maßgeblichen Au-
toren des Buchs, Herr Prof. Dipl.-Ing. Dr.-Ing. Günter Ramberger im Februar 2009 gestor-
ben ist. Günter Ramberger wird den Autoren des Buchs und mir stets in bester Erinnerung
bleiben. Er war ein besonders angesehener, erfolgreicher und liebenswerter Kollege,
Hochschullehrer und Ingenieur. Mit ihm und Herrn Professor Kollegger habe ich 1999
anlässlich meiner Gastprofessur an der Technischen Universität Wien die Grundkonzep-
tion des Buchs und die Auswahl der Autoren für die einzelnen Kapitel vorbesprochen.
VI Vorwort
Wir beklagen auch den unerwarteten Tod von Herrn Dipl.-Ing. Peter Ruse, der im
August 2009 gestorben ist. Auch er wird den Autoren des Buchs und mir stets in bester
Erinnerung bleiben. Er war maßgeblich an der Ausarbeitung des zweiten Kapitels be-
teiligt.
Den Autorinnen und Autoren des Buchs, den Kollegen von le-tex publishing services
GmbH Leipzig, hier sei Herr Patrick Waltemate genannt, und vor allem dem Springer-
Verlag, hier besonders Herrn Dipl.-Ing. Thomas Lehnert und Frau Sigrid Cuneus, beide
Berlin, und Frau Cornelia Kinsky, Heidelberg, sei dafür gedankt, dass das Buch in der
vorliegenden Fassung erscheinen kann. Möge es von den Lesern wiederum gut aufgenom-
men werden und Anregungen zur Gestaltung guter Brücken geben.
Schließlich danke ich ganz besonders meiner lieben Frau Ursel für ihre stets wertvolle,
ideelle und aktive Unterstützung und für das Verständnis, dass ich viel Zeit in die Entste-
hung des Buchs verwendet habe.
Das Buch soll dem mit dem Bau von Brücken befassten Bauingenieur und der Bauinge
nieurin in weitestgehendem Umfang einen Überblick über das erforderliche Grund- und
Fachwissen für das Entwerfen, Konstruieren, Berechnen, Bauen und Erhalten von Brü-
cken nach heutigem Kenntnisstand geben. Auch für Studierende des Bauingenieurwesens
soll es ein Lehrbuch zum Brückenbau sein und einen Überblick über mögliche Problem-
lösungen geben, und es mag auch als Ergänzung zu den an den Universitäten und Fach-
hochschulen gebotenen Vorlesungen, Übungen, Studien- und Diplomarbeiten dienen.
Einige Kapitel dürften auch für am Brückenbau und seiner Entwicklung Interessierte, die
nicht Bauingenieure sind, lehrreich sein.
Dabei ist es die Überzeugung des Herausgebers, der Autorinnen und der Autoren des
Buchs, dass die Probleme des Brückenbaus nicht vorrangig materialspezifisch sind. Sie
sind bei Verwendung verschiedener Materialien in mehrfacher Hinsicht die gleichen,
wenn sich auch bezüglich der konstruktiven Ausbildung, insbesondere der Detaillösungen,
der Fertigung im Werk und der Herstellung vor Ort, also auf der Baustelle, bei der Ver-
wendung verschiedener Materialien durchaus unterschiedliche Problemlösungen erge-
ben. Natürlich gibt es materialspezifisch auch bei den Berechnungen und Bemessungen
der Brücken teilweise unterschiedliche Vorgehensweisen.
Um Ingenieure, die sich im Brückenbau vielfach als Ingenieurbaukünstler erwiesen
haben, aus der Anonymität herauszuholen, wird in diesem Buch auch darauf Wert gelegt,
wenn bekannt, die für Entwürfe und den Bau der Brücken verantwortlichen Ingenieure,
beteiligte Architekten sowie Baufirmen und Unternehmen zu nennen.
Das Buch ist in dreizehn Kapitel unterteilt. Im ersten Kapitel wird ein Überblick über
die Entwicklung des Brückenbaus vom Altertum bis zum modernen Brückenbau gegeben.
Es ist uns ein Anliegen, auf die ausgezeichneten Brücken der vergangenen Jahrhunderte,
ja Jahrtausende, zurückzublicken und von den Ingenieuren, die diese Bauwerke entwarfen
und bauten, zu lernen und uns zu bemühen, auf deren grundlegenden Ideen aufbauend
den modernen Brückenbau mit den heute vielfältig besseren Möglichkeiten laufend wei-
terzuentwickeln und ganz neue Lösungen zu finden.
Im zweiten Kapitel wird auf die verschiedenen Aufgaben, vom Entwurf bis zur Erhal-
tung und Ertüchtigung der Brücken, der in den Bauverwaltungen, Ingenieurbüros, Un-
ternehmungen und Baufirmen im Brückenbau tätigen Ingenieure eingegangen.
Im dritten Kapitel wird das Entwerfen der Brücken, das für den Bau, die Kosten,
das Erscheinungsbild mit ihrer Einbindung in die Umwelt und die Dauerhaftigkeit
der Brücken von ausschlaggebender Bedeutung ist, behandelt. Es wird dabei zunächst
auf die zu beachtenden Grundlagen und die Ziele des Entwerfens eingegangen. An
schließend werden im Abschnitt 3.8 von zwölf eingeladenen Ingenieuren beispielhaft die
von ihnen gewählten Entwurfskonzepte für ausgewählte, besonders gelungene Brücken
erläutert.
VIII Vorwort
In den Kapiteln 4 und 5 werden die Querschnittsgestaltungen und die Systeme der
Haupttragwerke der Überbauten behandelt. Diese sind sowohl vom System und der Funk-
tion als auch vom für den Bau der Brücke verwendeten Werkstoff abhängig und dement-
sprechend unterschiedlich. Auch in diesen Kapiteln werden verschiedene Entwicklungen
des Brückenbaus aufgezeigt.
Im sechsten Kapitel wird die Lagerung der Brücken, die die Überbauten mit den Un-
terbauten verbindet, erläutert. Es wird dabei unter anderem sowohl auf die Aufgaben der
Lagerung (einschließlich der Erdbebenisolation), die Wahl der Lagerung, Grundsätzliches
zur Ermittlung der Kräfte und Bewegungen, die Lagerwiderstände als auch auf Mes-
sungen von Lagerkräften und Bewegungen und auf Besonderheiten beim Einbau von
Lagern eingegangen. Im darauf folgenden siebten Kapitel werden die Unterbauten (Grün-
dungen, Widerlager und Pfeiler) und die mit den Unterbauten zusammenhängenden
Fragen behandelt.
Im achten Kapitel wird Grundlegendes zur Berechnung sowohl der Über- als auch der
Unterbauten der Brücken ausgeführt und an zahlreichen Beispielen die Berechnungen
verschiedener, ausgewählter Probleme, wie sie bei Brücken aus Stahl, Beton und im Ver-
bundbau auftreten, erläutert. Auch Berechnungsbeispiele von Unterbauten sind enthalten.
Auf spezielle Probleme des Brückenbaus, wie Temperatur-, Schwingungs- und Erdbeben-
beanspruchung, wird ebenfalls eingegangen.
Bereits beim Entwerfen, aber auch bei der konstruktiven Bearbeitung ist es unabding-
bar, den Bau der Brücke, d. h. den Herstellungsvorgang im Werk und auf der Baustelle, zu
berücksichtigen, weshalb den für den Brückenbau besonders wichtigen Herstellungs- und
Ausführungsmethoden im neunten Kapitel breiter Raum geschenkt wird.
Im zehnten Kapitel werden die Brückenausrüstungen erläutert, also die Fahrbahnaus-
bildung und Dichtung, die verschiedenen Arten der Lager, die Fahrbahnübergänge,
Schutzeinrichtungen, Kappen, Geländer, die Brückenentwässerung, die Beleuchtung, die
Unterbringung der Versorgungsleitungen und schließlich die Lärmschutzanlagen.
Zu den wichtigsten Aufgaben im heutigen Brückenbau zählen bereits heute die Über-
wachung, Bewertung, Beurteilung, Erhaltung und Brückeninstandsetzung sowie in Ein-
zelfällen die Ertüchtigung der bestehenden Brücken, und sie werden zunehmend noch
größere Bedeutung erlangen. Auf diese Problematik wird deshalb in den abschließenden
drei Kapiteln 11 bis 13 ausführlich eingegangen. Wichtig ist dabei, den nötigen Umfang
und die Zeitabstände der erforderlichen Bauwerksüberprüfungen festzulegen und deren
einheitliche Qualität zu formulieren. Der weiteren Entwicklung von zerstörungsfreien
Prüfverfahren kommt dabei eine große Bedeutung zu. Dabei sind Ergebnisse von gemes-
senen Formänderungen mit den vorausberechneten Werten zu vergleichen, um qualita-
tive und quantitative Aussagen über den Bauwerkszustand geben zu können.
Auch wenn der Herausgeber dieses Buches von Anfang an und während der Entste-
hung der einzelnen Kapitel stets bemüht war, die Inhalte aufeinander abzustimmen und
diese aus seiner Sicht zum Teil zu beeinflussen, liegt die Verantwortung für die Inhalte der
verschiedenen Kapitel und Abschnitte bei den jeweiligen Autorinnen und Autoren. Das
Buch ist über einen Zeitraum von sieben Jahren erarbeitet worden. Deshalb entsprechen
die in den verschiedenen Texten angegebenen Versionen der Regelwerke den Zeitpunkten
der Fertigstellungen der einzelnen Kapitel und Abschnitte. Die Regelwerke befinden sich
in laufender Fortschreibung, so dass sich manche Regelwerke bereits in einigen Details
geändert haben können und auch in Zukunft laufend den neueren Erkenntnissen ange-
passt werden. Es ist deshalb notwendig, bei den konstruktiven Durchbildungen und Be-
Vorwort IX
rechnungen der Brücken stets die dem aktuellen Stand der Technik entsprechenden Re-
gelwerke zu beachten.
Den Autorinnen und Autoren des Buchs, den Kollegen, die zum Abschnitt 3.8 bei
getragen haben, allen, die Bilder zur Verfügung gestellt haben, den Herren Reinhold
Schöberl, Peter Grumbach und Gerhard Hopfenmüller von der Fotosatz-Service Köhler
GmbH und vor allem dem Springer-Verlag, hier besonders Herrn Dipl.-Ing. Thomas
Lehnert und Frau Sigrid Cuneus, sei dafür gedankt, dass das Buch in der vorliegenden
Fassung erscheinen kann. Möge es von den Lesern gut aufgenommen werden und An
regungen zur Gestaltung guter Brücken geben.
Abschließend danke ich ganz besonders meiner lieben Frau Ursel für ihre stets wert-
volle, ideelle und aktive Unterstützung während meines gesamten Berufslebens und auch
für das Verständnis, dass ich, sicher aus ihrer Sicht über viele Jahre zu viel Zeit in die
Entstehung des Buchs verwendet habe.
Ministerialrat Dipl.-Ing.
Joachim Naumann
Bundesministerium für Verkehr,
Bau und Stadtentwicklung
Referat S 18
Bonn
1 Brückenbau auf dem Weg vom Altertum
zum modernen Brückenbau
Gerhard Mehlhorn und Masaaki Hoshino
Bild 1.1-1 Salginatobel
brücke (Foto aus dem
Jahr 1978)
Landschaft gefügt, sondern sie ist auch ein hier in verschiedenen Kapiteln, insbeson-
hervorragendes Zeugnis der Ingenieurbau- dere im Kapitel 3, auf Entwurfs- und Ge-
kunst (s. auch Abschnitt 1.4.4, Bilder 1.4-44 staltungsprobleme eingegangen, siehe auch
bis -46 und Abschnitt 3.7, Bild 3-2). Abschnitt 1.6.
Diese wenigen Hinweise zur besonde-
ren Verantwortung des Ingenieurs vor den
ästhetischen Gefühlen der Mitmenschen 1.2 Brücken im Altertum
und der Gestaltung der Umwelt mögen ge-
nügen. In [Bonatz/Leonhardt, 1960] ist eine 1.2.1 Brücken in China
Zusammenstellung sehr gut gestalteter
Brücken enthalten. Dieses Buch von Bo- China gehört zu den ältesten Kulturen der
natz/Leonhardt, das Buch von Max Bill Geschichte. Zu den ersten technischen Bau-
über Maillart [Bill, 1969], die Bücher [Brüh- werken gehören einfache Brücken. Als Vor-
wiler/Menn, 2003], [Billington, 1979], [Bil- bilder dienten sicher ein zufällig über einen
lington, 1990], [fib, 2000] [Holgate, 1997], Bach gestürzter Baumstamm und eine ein
[Leonhardt, 1982], [Pauser, 2002] und die Gewässer überbrückende Steinplatte. Ge-
Kataloge zu Ausstellungen über die Bauten naue Kenntnis über die Anfänge der Ent-
von Robert Maillart [Marti/Honegger, wicklung des Brückenbaus haben wir nicht.
1996], die Bauten von Christian Menn Glücklicherweise gibt uns aber das wert-
[Vogel/Marti, 1997] sowie die Bauten von volle Buch [Mao Yisheng, 1986], einen um-
Jörg Schlaich und Rudolf Bergermann fangreichen Überblick über alte Brücken in
[Bögle et al., 2003] werden jedem Brücken- China. Daraus wissen wir, dass die erste
bau-Ingenieur und am Brückenbau Interes- Brücke, deren Existenz anhand der antiken
sierten zur Lektüre empfohlen. Auch auf Literaturquellen als gesichert betrachtet
das Buch von Dr.-Ing. Kunio Hoshino, ei- werden kann, die Schiffsbrücke (von Ufer
nes japanischen Kollegen, zum Problem zu Ufer nebeneinander verankerte Boote,
der Gestaltung von Brücken [Hoshino, die über einen Bretterbelag verbunden
1972] wird hingewiesen. Das Buch, aus ja- wurden) über den Fluss Wei, einem Neben-
panischer Sicht geschrieben, ist für den um fluss des Gelben Flusses, war. Im Shijing,
Gestaltungsprobleme ringenden Ingenieur dem zwischen 780 und 476 v. Chr. geschrie-
lesenswert. Selbstverständlich wird auch benem Gedichtbuch, findet sich eine Ode,
1.2 Brücken im Altertum 3
nach der der Gründer der Zhou-Dynastie und Han-Zeit (221–207 v. Chr. und 205 v.
bereits 1134 v. Chr. diese Brücke dort bau- bis 220 n. Chr.) gab es in der damaligen
en ließ, um seine Braut zu empfangen. In Hauptstadt Xianyang drei berühmte Holz-
einer anderen Literaturquelle steht, dass balkenbrücken über den Fluss Wei, näm-
541 v. Chr. ein im Quin-Königreich leben- lich die östliche Weibrücke, die mittlere
der vermögender Mann eine provisorische Weibrücke und die westliche Weibrücke.
Schiffsbrücke über den Gelben Fluss be- Die zwischen 305 und 251 v. Chr. (das ge-
nutzt hat, um, aus Angst um seinen Kopf, naue Jahr des Baus der Brücke ist nicht be-
vor seinem Neffen zu flüchten. kannt) von Prinz Zhao Xiang in Auftrag
Die erste über eine längere Zeit beste- gegebene und von Quin errichtete mittlere
hende, verbürgte große Schiffsbrücke über Weibrücke mit 68 Öffnungen war die ältes-
den Gelben Fluss war die 257 v. Chr. unter te und größte der drei Brücken. Ihre Länge
dem Herrscher Zhao Xiang Wang von Quin betrug 524 m und ihre Breite 13,8 m.
errichtete Pujin Brücke, die in Liedern und Mit dem Bau von Schifffahrtskanälen im
Hymnen verschiedener Epochen besungen Osten Chinas im ersten Jahrhundert n. Chr.
und auch noch 840 von dem japanischen wurden dort mehrere Holzbrücken gebaut.
Mönch Ennin erwähnt wurde. Es kann Genaueres darüber wissen wir nicht. In
deshalb angenommen werden, dass sie Reiseberichten wurden aber häufig große
mindestens ca. 1000 Jahre bestanden hat. Holzbrücken bewundernd erwähnt. Mehr-
Danach wurden mehrere Schiffsbrücken fach wurde die Brücke bei Sian genannt,
über den Gelben Fluss gebaut. Die erste von der bekannt ist, dass sie eine Holzbal-
Schiffsbrücke über den Fluss Changjiang kenbrücke auf Pfeilern aus Stein war. Die
(Yangtse), die Jiangguan (Huya)-Brücke, Pfeiler standen auf einer Steinplatte und am
wurde im Jahre 35 n. Chr. errichtet. Bei Pfeilerkopf war ebenfalls eine Steinplatte
allen großen Schiffsbrücken wurden Mate- angeordnet, die einen auskragenden Holz-
rialien für Reparaturzwecke (Holz, Anker, balken trug, auf dem die Holzträger des
Taue und sogar Ersatzschiffe) vorgehalten. Brückenüberbaus auflagen. Die bei zuvor
Bewegliche Brückenteile wurden ausge- errichteten Brücken verwendeten Holz-
fahren, damit Schiffe die Stelle, an der sich pfeiler waren im Wasser stehend im Über-
die Brücke befand, passieren konnten. gangsbereich vom Wasser zur Luft im Lau-
Im antiken China gab es schon eine Viel- fe der Zeit dem Verfaulen ausgesetzt. Ihre
falt von Brückentypen. Dazu zählen die Lebensdauer war deshalb sehr begrenzt.
Holzbalkenbrücken. Im von Li Daoyuan Die Pfeiler aus Stein hatten natürlich eine
(496–527) geschriebenen Geografiebuch bedeutend längere Lebensdauer.
Shuijingzhu ist eine auf 30 Holzpfeilern Auch Holzkragträgerbrücken gab es
(Durchmesser der Pfeiler: 1,25 m) gelagerte schon früh in den südlichen und westlichen
Holzbalkenbrücke erwähnt, die zwischen Teilen Chinas, wo Holz reichlich vorhan-
557–531 v. Chr. über den Fluss Fenshui in den war und wegen der tiefen Täler und des
der Provinz Shanxi gebaut wurde. Im Shiji, gewaltigen Hochwassers Brückenpfeiler
das von Sima Qian um 91 v. Chr. geschrie- nur schwer im Fluss errichtet werden konn-
ben wurde, ist eine Geschichte über einen ten. Es ist zu vermuten, dass bereits im
Mann enthalten, der sich um 450 v. Chr. 2. Jahrhundert Holzkragträgerbrücken ge-
unter einer Brücke versteckte, um den Tod baut wurden. Im Shuijingzhu ist eine Brü-
seines Herrn zu rächen. Die Brücke mit der cke aus dem 4. Jahrhundert an der Grenze
Gesamtlänge von 135 m und der Breite von zwischen Gansu und Xinjiang Weiwuer er-
19,2 m hatte mehrere Öffnungen und über- wähnt. Ihre Länge betrug 48 m. Sie bestand
spannte den Fluss Fenshui. In der Quin- aus den aus beiden Ufern vorkragenden
4 1 Brückenbau auf dem Weg vom Altertum zum modernen Brückenbau
Holzbalken, die in drei Schichten überei- -balken nebeneinander auf Pfeiler gelegt
nander gesetzt und auf Steinwiderlagern und bilden mit diesen und den Auflager-
verankert wurden. Das Prinzip der Holz- steinen an den Ufern eines Flusses das Brü-
kragträgerbrücken (Bild 1.2-1) ist, dass an ckentragwerk. Bei längeren Brücken über
beiden Ufern bis zur Höhe des häufig auf- mehrere Felder bestehen die Flusspfeiler
tretenden Wasserstands Steinwiderlager aus behauenen Steinen, die übereinander
errichtet werden. Darauf werden jeweils geschichtet werden, oder die Pfeiler beste-
nebeneinander liegende, miteinander ver- hen jeweils aus einem vertikal im Flussbett
bundene Rundhölzer oder Holzbalken so aufgestellten Steinbalken. Auf die Peiler
gelegt, dass sie über die Widerlager zum und Widerlager werden die Steinplatten
Wasser hin etwas auskragen. Auf die Hölzer aufgelegt. Der Vorteil der Steinplattenbrü-
wird eine Schicht Steine aufgelegt, um sie cken gegenüber Holzbrücken liegt in der
zu beschweren. Danach folgen sukzessive längeren Haltbarkeit, die den höheren Auf-
mehrere dieser mit Steinen beschwerten, wand beim Bau rechtfertigte. Was den Auf-
etwas über die darunter befindlichen Holz- wand betrifft, muss bedacht werden, dass es
lagen auskragender Hölzer, bis die verblei- ja die uns heute zur Verfügung stehenden
bende Öffnung mit einem Holzträger über- modernen Hebezeuge für den Transport
brückt werden konnte. Über breite Flüsse und die Montage der schweren Steine
wurden nach diesem Prinzip auch Brücken noch nicht gab. Die älteste Überlieferung
über mehrere Felder gebaut, wobei man bei über eine vermutliche Steinplattenbrücke
den Flusspfeilern nach beiden Seiten aus- stammt aus einer Ode etwa aus dem Jahr
kragende Holzkragträger nach dem eben 1000 v. Chr. Danach soll eine 900 m lange
beschriebenen Prinzip herstellte und die Steinbrücke über den Min-Fluss etwa 1040
dann verbleibenden Öffnungen über v. Chr. vorhanden gewesen sein. Sie exis-
brückte. tiert heute nicht mehr. Um das Prinzip der
Zur Vielfalt der in China charakteri- Steinplattenbrücken zu veranschaulichen
stischen Brückentypen zählen die Stein- ist im Bild 1.2-2 die heute noch benutzte
plattenbrücken [Wölfel, W., 1999]. In ihrer Anping-Brücke, die im 12. Jahrhundert ge-
einfachsten Form zur Überbrückung eines baut wurde, gezeigt.
Bachs bestehen sie nur aus einer einzelnen Im alten China erfolgte der Warenver-
Steinplatte, die an den beiden Ufern auf kehr vorwiegend auf Wasserstraßen. Zur
Auflagersteinen aufliegt, oder es werden Querung der Wasserstraßen durch Fuß-
mehrere Meter lange Steinplatten oder gänger wurden Steinbogenbrücken haupt-
Bild 1.2-2 Anping-Brücke
(Bild aus [Wölfel, W., 1999])
sächlich mit einem Bogen und steilen Ram- Erde und Schotter. Die Außenwände und
pen gebaut. Die Bogenspannweiten betru- die Zwischenfüllung der Rampen bilden
gen bis zu 9 m. Die etwas konkav zuge- einen zusammenwirkenden Verbundkör-
schnittenen schlanken Steine des Gewölbes per, was durch aus den Außenwänden aus-
wurden ohne Mörtel auf einem Lehrgerüst kragende Bindersteine, die als Verzahnung
versetzt und ihre gegenseitigen Verschie- tief in die Zwischenfüllung einbinden, ge-
bungen durch eiserne Verbindungsdübel währleistet ist. Charakteristisch für die frü-
auf unschädliche, sehr kleine Relativver- hen chinesischen Steinbogenbrücken, de-
schiebungen begrenzt. Die Gewölbedicke ren Entstehung ja nicht viel später als die
beträgt nur etwa 1/40 bis 1/30 der Bogen- der römischen Steinbogenbrücken begann,
spannweite (die tragenden Gewölbe der sind (Bild 1.2-3):
römischen Steinbogenbrücken, die ja auch
• das verhältnismäßig schlanke Gewölbe,
größere Belastungen aus dem Fahrverkehr
das häufig nur aus einer Steinlage be-
mit Wagen unterworfen waren, sollten da-
steht,
gegen mindesten 1/10 der Bogenspannwei-
• vertikale Steinplatten auf beiden Seiten
te betragen). Auf beiden Seiten des Bogens
des Bogens,
innerhalb des Blocksteinmauerwerks sind
• kräftige Brückenrampen auf beiden Sei-
vertikale Steinplatten (im Bild 1.2-3 gut zu
ten der Brücke mit Ansichtsflächen aus
erkennen) angeordnet. Die vertikalen
Blocksteinmauerwerk.
Steinplatten trennen das tragende Gewölbe
vom Rampenbereich, leiten einen Teil der Es ist davon auszugehen, dass Steinbogen-
Lasten des Bogens in die Gründung und brücken bereits spätestens zum Ende der
stützen den Bogen horizontal gegen die Östlichen Han-Zeit (25–220) vorhanden
schweren Rampen ab. Die Rampen beste- waren, weil für die halbkreisförmige Bo-
hen aus beidseitigen Außenwänden aus genkonstruktion die damals für Grabge-
Blocksteinen mit dazwischen eingefüllter wölbe üblichen Ziegel aus gebrannter Erde
6 1 Brückenbau auf dem Weg vom Altertum zum modernen Brückenbau
Bild 1.2-3 Charakteristikum der frühen chinesischen Steinbogenbrücken (Bild aus [Wölfel, W.,
1999]), Gründung im Schnitt dargestellt
verwendet wurden. Die erste in der Litera- gesamt sehr ähnlich. Erste dieser Steinbo-
tur erwähnte chinesische Steinbogenbrücke genbrücken mit mehreren Feldern sollen
war die Luren Brücke aus dem Jahr 282 in schon in den ersten Jahrhunderten n. Chr.
Luoyang, die nach fünfmonatiger Bauzeit am Gelben Fluss in der Provinzhauptstadt
von 75000 Arbeitern gebaut wurde. Seit der Luoyang und ihrer Umgebung gebaut wor-
Jin-Zeit (265–420) verbreitete sich der Bau den sein. Der japanische Mönch Ennin be-
von Steinbogenbrücken vor allem im nörd- richtet 840, dass die vielen Brücken in Chi-
lichen China. Neben den genannten Stein- na bereits damals ständig gewartet wurden,
bogenbrücken mit einem Bogen und steilen sehr gepflegt wirkten und regem Verkehr
Rampen als Fußgängerbrücken gab es im ausgesetzt waren. Die 806 als Steinbogen-
Alten China auch schon Steinbrücken mit brücke gebaute Baodai Brücke bei Suzhou
halbkreisförmigen dickeren Gewölben, oft in der Provinz Jiangsu mit 53 Bogen und
mit mehreren Bogen. Sie wurden für Fluss- einer Gesamtlänge von 317 m (Bild 1.2-4)
querungen durch Fahrverkehr mit im Ver- quert den Fluss Dai-Dai und dient noch
gleich zum Fußgängerverkehr größeren heute dem Verkehr. Damit auch größere
Lasten gebaut, bei breiteren Flüssen mit Schiffe unter der Brücke durchfahren kön-
mehreren Bogen. Die Gewölbesteine hat- nen, befinden sich in der Mitte des Flusses
ten, wie die römischen Steinbogenbrücken, drei Bogen mit größeren Bogendurchmes-
radialen Fugenschnitt. Sie waren den römi- sern. Die Perfektion ihrer Konstruktion
schen Steinbrücken (s. Abschnitt 1.2.3) ins- und Ausführung setzt eine lange Entwick-
Bild 1.2-4 Baodai Brücke bei Suzhou (Bild aus [Wölfel, W., 1999])
1.2 Brücken im Altertum 7
lungszeit voraus, weshalb sie bestimmt Xiache ist die weltweit erste Segment
nicht der Prototyp dieses Brückensystems bogenbrücke (der Ponte Vecchio in Florenz,
sein kann. Es ist deshalb wahrscheinlich, die erste Segmentbogenbrücke in Europa,
dass es schon viele Vorgängerbrücken über wurde erst im 14. Jahrhundert gebaut) und
den Gelben Fluss gab. zugleich die älteste erhaltene durchbro-
Die im 11. bis 19. Jahr der Regierungs- chene Steinbogenbrücke [Ding, 1993]. Ihre
zeit Kaihuan aus der Sui Dynastie (581– Spannweite beträgt 37 m, der Radius des
618), Ende des sechsten Jahrhunderts von Bogens 27,7 m, die Pfeilhöhe 7,23 m und
Li Chun entworfene und gebaute Anji Brü- die veränderliche Dicke des Bogens bis zu
cke (Bilder 1.2-5 und -6) über den Fluss 1,03 m, die Fahrbahn ist ungefähr 10 m
Bild 1.2-7 Hänge
brücke in Nepal (Bild aus
[Wölfel, W., 1999])
1.2 Brücken im Altertum 9
Bild 1.2-8 An-Lan
Brücke (Bild aus [Ding,
1993])
Bild 1.2-10 Griechische Steinplattenbrücke aus dem 4. Jahrhundert v. Chr., Brücke in Assos an der
Westküste Kleinasiens (Bild aus [Wölfel, W., 1997])
1.2 Brücken im Altertum 11
Bild 1.2-11 Von Koldewey freigelegte Pfeiler (Draufsicht) der um 600 V. Chr. gebauten Euphrat
Brücke in Babylon (Bild aus [Wölfel, W., 1997])
tet, ist nicht bekannt. Möglicherweise war querten. Mandroklos ließ von dieser Brü-
das große Endfeld wegen der Schifffahrt cke ein Bild anfertigen, das er der Göttin
erforderlich und wurde mit einer aus Hera als Weihgabe stiftete. Der Perserkönig
fahrbaren Schiffsbrücke überbrückt. Zur Xerxes ließ 480 v. Chr. eine Schiffsbrücke
Errichtung der Strompfeiler wurde der über den Hellespont errichten. Weil die
Euphrat in einen extra dafür gegrabenen Brücke kurz nach ihrer Fertigstellung durch
Kanal umgeleitet, um die Pfeiler in trocke- einen Sturm zerstört wurde, ließ er die Brü-
nen Baugruben herstellen zu können. Die ckeningenieure enthaupten. Er beauftragte
an der Auflagerung des Überbaus 9 m danach den Astronom Harpalos mit dem
breiten und 21 m langen und nach unten Bau einer neuen Brücke. Harpalos und sei-
konisch zunehmenden sechs Pfeiler mit ne Brückeningenieure wussten, was ihnen
11,8 m Breite und 23,8 m Länge verengten drohen würde, wenn es ihnen nicht gelang,
den Durchfluss des Euphrats beträchtlich eine sichere, den stärksten Stürmen wider-
und erzeugten durch den Pfeilerstau bei stehende Brücke zu bauen. Es wurden 674
Hochwasser die Gefahr der Pfeilerunter- Galeeren in einer Doppelreihe angeordnet
spülung. Die Brücke ist aber nicht einge- und verankert. In jede Richtung gab es eine
stürzt, sondern sie wurde wegen der Fluss- Fahrbahn. Zur festen Verbindung der Schif-
verlegung des Euphrat nicht mehr benötigt, fe wurden über jede der Galeerenreihen
sie hatte also ihren Zweck verloren. Die zwei Hanfseile und zusätzliche Papyrusseile
Pfeiler waren in vielen Jahrhunderten durch gelegt. Quer über die Seile wurden dicht
Sandstürme begraben und somit konser- nebeneinander Holzplanken gelegt und
viert worden. Von Archäologen freigelegt, befestigt. Auf diese Holzplanken wurden
gibt sie uns eine Vorstellung dieser bedeu- Zweige und Äste aufgelegt und diese mit
tenden Brücke der Antike. Erde abgedeckt. Über diese Brücke sollen
Herodot berichtete über persische 150 000 persische Krieger, [Jurecka,1979]
Schiffsbrücken über den Bosporus [Wölfel, nennt sogar 700 000 Krieger, den Bosporus
W., 1999]. Der Ingenieur Mandroklos er- überschritten haben.
richtete im Auftrag von Dareios I. 493 v. In den persischen Großreichen sind
Chr. eine aus zahlreichen nebeneinander zahlreiche Steinbrücken gebaut worden,
liegenden, seitlich verankerten Schiffen ge- deren Existenz durch Aufzeichnungen be-
bildete Brücke mit einem Holzüberbau, legt ist [Wölfel, W., 1999]. Als besonders
über die zahlreiche Krieger, [Jurecka,1979] unter Dareios (522–484 v. Chr.) der Stra-
nennt 600 000 Krieger, den Bosporus über- ßenbau forciert wurde, sind bereits viele
12 1 Brückenbau auf dem Weg vom Altertum zum modernen Brückenbau
Steinbrücken gebaut worden. Diese alten bauern dieses bedeutende Bauwerk der
steinernen Flussbrücken wiesen schon Antike. Der Bau erfolgte in den aufein
damals eine persische Besonderheit auf. anderfolgenden Bauphasen I und II, s.
Die Brücke wurde mit einem Staudamm Bild 1.2-12.
kombiniert, wobei das durch den Damm In der Bauphase I wurde zunächst der
gestaute Wasser in Kanälen den Feldfluren Umleitungskanal ausgeschachtet und der
zur Bewässerung zugeleitet wurde. Diese Bogen des Karun durch die Herstellung
kombinierten Staudammbrücken, in der des im Bild 1.2-12a mit A bezeichneten
Literatur auch Brückenbauwehre genannt, Fangedamms trocken gelegt, bei B war be-
wurden auch in späteren Jahrhunderten reits ein zur Wasserregulierung dienendes
bei fast allen Flussbrücken Persiens als Wehr vorhanden, um Bewässerungswasser
persische Brückenbauweise, zum Teil bis in den Dariun-Kanal zu leiten. Dieses bei
in die Neuzeit angewendet und weiterent- B vorhandene Wehr wurde deshalb zum
wickelt. Fangedamm in entgegengesetzter Richtung
Nach der Zeitwende wurden von den umgebaut. Das Wasser des Karun fließt
persischen Brückenbauern Steinbogenbrü- nun durch den Umleitungskanal. Im tro-
cken römischen Typs (im Abschnitt 1.2.3 cken gelegten Bogen des Karun wurde
beschrieben) übernommen und weiterent- das im Bild 1.12-12a mit C bezeichnete
wickelte Staudammbrücken mit römischen Verteilerwehr Bend-e-Mizam hergestellt
Bogen gebaut, wobei die Perser aber den und dadurch der Abfluss des Gärgär-
Halbkreisbogen am Scheitel in eine flache Kanals ausgebaut. Der Gärgär-Kanal
Spitze übergehen ließen, was als charakte- mündet 50 km flussabwärts zurück in den
ristisch für persische Bogenbrücken gilt. Karun.
Die bedeutendste Staudammbrücke ist die In der Bauphase II wurde der Fange-
im 3. Jahrhundert n. Chr. über den Karun damm A wieder entfernt und der Fange-
bei Schuschtar errichtete, die viele Jahrhun- damm D (s. Bild 1.2-12b) gebaut. Dadurch
derte überdauerte und an den noch heute war der Umleitungskanal gesperrt. Der
vorhandenen Ruinen die römische Bau- Fangedamm B wurde wieder als Wehr in
technik deutlich erkennbar ist [Wölfel, W., Fließrichtung des Flusses rückgebaut. Das
1999]. Schapur I. (241–272) wollte die im Wasser des Karun wurde nun vollständig
3. Jahrhundert bedeutenden Städte Ktesi- in den Gärgär-Kanal umgeleitet. Damit
phon und Pasargadeh durch eine Straße war der Karun flussabwärts des Fange-
verbinden. Dazu mussten die Flüsse Kark- damms B trocken gelegt. Die Staudamm-
heh, Dez und Karun überbrückt werden. brücke konnte nun im Trockenen gebaut
Als erste wurde die Staudammbrücke über werden.
den Karun bei Schuschtar gebaut. Aus den Der 500 m lange und 15 m breite, massi-
vorhandenen Ruinen lässt sich der römi- ve Wehrkörper, der auf Sandsteinschichten
sche Einfluss der Bauweise erkennen. Da gegründet ist und gleichzeitig als Bankett
Schapur I. ein römisches Heer besiegt und für die Pfeiler der Bogenbrücke dient, wur-
etwa 70 000 Kriegsgefangene gemacht de aus Beton und Steinen ausgeführt. Er ist
hatte, ist anzunehmen, dass sich unter den mit behauenen Quadersteinen verkleidet,
Gefangenen auch römische Pioniere und die durch Eisenklammern verbunden sind.
Ingenieure befanden, die wahrscheinlich Auf dem Wehrkörper wurde eine 3,5 m
am Entwurf und Bau der bedeutendsten breite Bogenbrücke mit 40 Bogen ausge-
Staudammbrücke Schuschtar beteiligt wa- führt (Bilder 1.2-13 und -14). Die 9 m lan-
ren. Die persischen Wasserbauer schufen gen und 6 m hohen Pfeiler mit gegenseiti-
zusammen mit den römischen Brücken- gen Abständen von 13 m bis 14 m sind 6 m
1.2 Brücken im Altertum 13
a b
Bild 1.2-12 Baufolge der Staudammbrücke bei Schuschtar, a) Bauphase I, b) Bauphase II (Bild aus
[Wölfel, W., 1999])
Bild 1.2-14 Bauwerksruine der Staudammbrücke bei Schuschtar (Bild aus [Wölfel, W., 1999])
14 1 Brückenbau auf dem Weg vom Altertum zum modernen Brückenbau
dick, damit sie dem Strömungsdruck bei werden. Über die massiven Pfeiler wurde
höheren Wasserständen standhalten. Bei nun zunächst der Überbau aus Holz errich-
Hochwasser über dem Stauspiegel fließt tet. Der Holzüberbau kam nicht mit dem
Wasser über die Wehrkrone durch die Wasser und Boden in Kontakt, hatte des-
B ogenbrücke ab. Die Bogenbrücke, die halb eine längere Lebensdauer und konnte
über mehrere Jahrhunderte dem Verkehr einfach ausgebessert werden. Genannt sei
diente, wurde mehrfach ausgebessert und hier nur der im 7. Jahrhundert v. Chr. ge-
schließlich dem Verfall preisgegeben. Die baute Pons Sublicius, eine Holzbrücke auf
noch vorhandenen Bogen und Pfeiler Pfeilern aus Stein, dem damals einzigen fes-
zeugen vom hohen Stand der antiken ten Übergang zur Tiberinsel in Rom. Die
Baukunst. Der noch völlig intakte Wehr- Brücke wurde 62 v. Chr. bei der Verteidi-
körper dient heute noch dem Bewässe- gung Roms gegen die Etrusker zerstört, er-
rungssystem. neut, diesmal als Steinbrücke, gebaut, fiel
aber bereits 23 v. Chr. einem Hochwasser
zum Opfer. Es dauerte danach 163 Jahre bis
1.2.3 Römische Brückenbaukunst eine neue Steingewölbe-Brücke die Tiber
ufer an dieser Stelle wieder verband. Diese
Die ersten Brücken der Römer waren na- Brücke überlebte bis in die Neuzeit und
türlich Holzbrücken, wie überall in der An- wurde 1877 durch einen gusseisernen
tike. Holz stand fast überall zur Verfügung Überbau ersetzt.
oder ließ sich leicht beschaffen. Ein Vorteil Stabbogenförmig angeordnete Holz-
der Holzbrücken im Vergleich zu den ge- sprengwerke, die sich zwischen Steinpfei-
wölbten Steinbrücken ist, dass sie bei Hoch- lern spannen, wurden von den Römern in
wasser den Abflussquerschnitt nicht so gra- den folgenden Jahrhunderten, vor allem in
vierend einengen wie die Steinbrücken. Das ihren Kolonien, verwendet. Dabei wurden
Bearbeiten des Holzes und das Rammen mit übereinander parallel angeordneten
von Holzpfählen war bereits im 1. Jahrtau- Mehrfachsprengwerken Spannweiten bis
send v. Chr. möglich. [Vitruv, 1796] be- 30 m erreicht. Die im ersten Jahrhundert,
schrieb schon ca. 30 v. Chr. ausführlich im etwa 30 m oberhalb der heutigen Theodor-
9. Kapitel des 2. Buches die verschiedenen Heuss-Brücke zwischen Mainz und Kastell
Hölzer, ihre Eigenschaften und ihre Vor- auf einem Holzpfahlrost (Bild 1.2-15),
und Nachteile bei der Verwendung als Steinpfeilern und mit einem Holzüberbau
Bauholz. Die Römer imprägnierten bereits als Sprengwerk gebaute römische Rhein-
das Bauholz mit Ölen und Harzen, und sie brücke ist ein bemerkenswertes Beispiel
wussten auch Qualitäten nach dem Anwen- dafür (Bild 1.2-16) und auch die Rhein
dungszweck zu unterscheiden und speziell brücke bei Köln (4. Jahrhundert) ist zu
für Unterwasser-Pfahlgründungen Hölzer nennen [Deinhard, 1964]. Die im Bild
mit besonderer Lebensdauer wie Eiche und 1.2-15 gezeigte Holzpfahlrost-Gründung
Esche auszuwählen. Trotzdem war die der Römerbrücke zwischen Mainz und
verhältnismäßig geringe Lebensdauer des Kastell wurde etwa 1880 zur Verbesserung
Holzes der größte Nachteil der Holzbrü- der Schifffahrt beseitigt und vorüber
cken, insbesondere faulten die im Wasser gehend im Innenhof des kurfürstlichen
und Boden stehenden Pfähle. Schlosses aufgestellt, wovon das Foto
Nach der Entwicklung des im Wasser stammt. Schließlich ist vor allem wegen der
erhärtenden Betons von den Römern konn- bemerkenswert kurzen Bauzeit von nur
ten die Fundamente und Pfeiler der Brü- zehn Tagen (einschließlich Holzbeschaf-
cken massiv aus Stein und Beton hergestellt fung) noch die 350 m lange „Römerbrücke“
1.2 Brücken im Altertum 15
Bild 1.2-15 Pfahlgrün
dung der Mainzer Brücke,
Foto vom Bild aus dem
Landesmuseum Mainz.
Caesars über den Rhein bei Neuwied (Bild brücke bei Neuwied gibt Caesar in seinen
1.2-17), die als Behelfsholzbrücke aus Büchern „De bello Gallico“.
hölzernen Streckbalken mit querliegenden Im Bild 1.2-19 wird noch die sehr be-
Belaghölzern bestand, wobei die Streckbal- merkenswerte von Apollodorus unter Tra-
ken auf gespreizten Jochen auflagen und jan ca. 105 erbaute Donaubrücke bei Turnu
diese miteinander verbunden haben Severin in Rumänien, die einen auf steiner-
[Heinzerling, 1871], zu nennen. Eine Be- nen Pfeilern gestützten Holzüberbau als
schreibung vom Bau der hölzernen Rhein- Sprengwerk hatte, gezeigt. Die von Apollo-
16 1 Brückenbau auf dem Weg vom Altertum zum modernen Brückenbau
Bild 1.2-23 Engelsbrücke
in Rom
heute aber nur als Kopien auf der Brücke traut war. Ihm oblag auch die Pflege der
stehen, hat Bernini persönlich geschaffen. Brücken. Die Bezeichnung Pontifex ging
Die Originale dieser beiden Engelsfiguren nach der Anerkennung des Christentums
befinden sich in der Kirche Sant’ Andrea als Staatsreligion auf den Papst über. Noch
delle Fratte. heute ist der Papst der „Pontifex Maximus“,
Es sei noch erwähnt, dass die Kunst des der „größte Brückenbauer“ zwischen Gott
Brückenbaus bei den Römern in sehr ho- und den Menschen.
hem Ansehen stand, was dadurch belegt ist, Die mit 59 Bogen und mit 792 m wohl
dass sie zunächst dem obersten Priester, längste römische Brücke befindet sich in
dem „Pontifex“ (Brückenmacher) anver- Merida in der Provinz Badajoz im Südwes-
ten Spaniens. Sie ist 8 m breit, 12 m und
hoch und überquert seit dem Ende des
1. Jhrh. den Guadiana. Sie wurde mehrfach
repariert und bildet auch heute noch eine
wichtige Verkehrsverbindung von und nach
Westen.
Zur Versorgung der römischen Städte
mit Wasser aus Gebirgsquellen oder Ober-
flächenwasser bauten die Römer Freispie-
gelgefälle-Wasserleitungen und überbrück-
ten Täler oder andere Bodenunebenheiten
mit Aquädukten, das sind ein- oder mehr-
stöckige Bogenkonstruktionen zur Über-
führung der Freispiegel-Wasserleitungen
mit ca. 0,2% bis 0,5% natürlichem Gefälle.
Die erste römische Wasserleitung ist die be-
reits 312 v. Chr. von Appius Claudius er-
baute Aqua Appia, die das Wasser auf ei-
nem 16,5 km langem Weg von den Albaner
Bergen in die Stadt Rom führte.
Einer der bemerkenswerten der erhalte-
nen römischen Aquädukte ist der dreistö-
Bild 1.2-24 Pont du Gard bei Nimes (Foto: ckige, von Marcus Vispanius Agrippa er-
Mareike Wagner) baute Pont du Gard bei Nimes (Bild 1.2-24).
20
Tabelle 1.2-1 Auswahl von Bogenbrücken und Aquädukten der Römer
Ort Name Brücke Erbaut Anzahl Größte Länge Schlankheit: Bei Aquäduk- Bemerkungen Literatur
oder der Bogen- des Verhältnis ten: Anzahl
Aquädukt Bogen spannweite Bau- von Bogen der Bogen-
oder lichte werks dicke zu stockwerke,
Weite Spannweite Höhe bis in m
Rom Pons Brücke 142 Die Brücke über den Tiber [Wölfel,
Aemilius, v. Chr. wurde 1229 durch Hochwasser W., 1997]
heute zerstört, wieder aufgebaut und
Ponte 1289 durch eine Hochwasserka-
Rotto (die tastrophe erneut zerstört. Auf
zerstörte einen Wiederaufbau wurde nun
Brücke) verzichtet. Heute ist nur noch
ein Bogen erhalten, der Die 179
v. Chr. gebaute Vorgängerbrü-
cke war eine Holzbrücke auf
Steinpfeilern.
Bei Marcia Aquädukt ca. 140 5,95 m 10,4 km Überbrückt das Tal des Deglio [Wölfel,
Rom v. Chr. Archi und ist Teil der 91km lan- W., 1997]
gen Wasserleitung Aqua Marcia
Bei Tepula Aquädukt ca. 125 9,2 km 2–3 [Wölfel,
Rom v. Chr. W., 1997]
Rom Pons Brücke 104 7 23,7 m Die Anfang des 3. Jhrh. v. Chr. [Zucker,
Milvius v. Chr. erbaute Vorgängerbrücke ist 1921],
wahrscheinlich die erste von [Jurecka,
Römern gebaute Steinbrücke 1979]
gewesen. Zwei der vier mittleren
Bogen der 104 v. Chr. gebauten
zweiten. Brücke sind noch in der
Originalbausubstanz erhalten.
1 Brückenbau auf dem Weg vom Altertum zum modernen Brückenbau
Bei Ponte del Brücke Ca. 90 Pfeiler zum Teil etruskischen [Jurecka,
Vulci/ Diavolo v. Chr. Ursprungs 1979],
Italien [Lamp-
recht,
1996]
Rom Pons Brücke 62 2 20 m Der Pons Fabricius ist die älteste [Zucker,
Fabricius v. Chr. erhaltene Brücke in Rom. Etwa 1921],
1.2 Brücken im Altertum
W., 1997]
W., 1997]
[Zucker,
[Wölfel,
274 m
16
Brücke
Römer
Brücke
brücke
alters genannt:
• die im 9. Jahrhundert von den Mauren
manca
• die vermutlich 1135 bis 1146 erbaute Toledo, die Hauptstadt der Region Kasti
Donaubrücke in Regensburg, Bild 1.3-2, lien-La Mancha, eine der ältesten Städte
die noch heute im Wesentlichen den und ehemals Hauptstadt des Königreichs
zwar ausgebesserten, ungeänderten Be- und zugleich, auch heute noch, kirchliches
stand aufweist Zentrum von Spanien, wird vom schlucht-
• die berühmte 1176 bis 1209 mit artigen Tal des Tajo in einer Schleife um-
19 Bogen gebaute Alte London Bridge, flossen. Nähert man sich der aus der Land-
die ca. 100 Jahre später beidseitig dicht schaft heraus ragenden Stadt, erkennt man
mit mehrstöckigen Häuserreihen be- den Zugang zur Stadt Toledo über die Brü-
setzt wurde. Sie wurde 1832 abge cken und die an den Enden der Brücken
rissen angeordneten Türme erst, wenn man sich
• die aus den Jahren 1173 bis 1222 stam- bereits in der Nähe der Ufer des Tajo befin-
mende Augustus-Brücke in Dresden, die det. Aus dem Mittelalter überspannen zwei
mehrmals zerstört und ersetzt wurde, Brücken, die Puente de Alcántara und die
von Pöppelmann 1727–1731 umgebaut, Puente de San Martín, den Tajo. Die mehr-
Bild 1.3-3, und an deren Stelle schließ- mals umgebaute Puente de Alcantára ist
lich 1907/1910 eine Betonbrücke, Bild die ältere der beiden Brücken. Von den
1.3-4, errichtet wurde Mauren gebaut, stammt sie aus der zwei
• die Ende des 12. Jahrhunderts erbaute ten Hälfte des 9. Jahrhunderts. Vermutlich
Rhone-Brücke in Avignon mit 21 Seg- war sie während des Mittelalters zeitweise
mentbogen (Bild 1.3-5), von denen aber der einzige Zugang zur Stadt. Die Brücke
nur noch vier erhalten sind, mit im Mit- (Bild 1.3-1) wurde im 15. Jahrhundert
tel 33 m Öffnungsweite und 13 m Pfeil- im Mudéjar-Stil (Baustil in Spanien des
höhe 12.–15. Jahrhunderts, eine Verbindung
• die Krämerbrücke in Erfurt (als Stein- von maurischen und gotischen Formen)
Bogenbrücke 1325 fertig gestellt), Bild erneuert. Im gotischen Turm auf der
1.3-6 Seite zur Stadt, im 13. Jahrhundert ge
• die in Segmentbogen mit rund 30 m Öff- baut, befindet sich ein Doppeltor durch das
nungsweite und 6 m Stich gewölbte Brü- der Zugang zur Stadt erfolgt. Das am an
cke über den Arno (Ponte Vecchio, Bild deren Brückenende befindliche Tor im
1.3-8) in Florenz (Mitte des 14. Jahrhun- Barockstil wurde erst im 18. Jahrhundert
derts) errichtet.
Bild 1.3-1 Alcántara
Brücke über den Tajo in
Toledo
1.3 Brücken im Mittelalter 25
Bereits Karl der Große ließ etwa 100 m Hochwasserkatastrophen über bisher fast
stromabwärts von der heutigen, der Steiner- neun Jahrhunderte standhielten. Zum
nen Brücke, über die Donau in Regensburg Oberstrom gerichtet haben die Brücken-
eine Schiffsbrücke an diesem nördlichsten pfeiler keilförmige Eisbrecher-Vorköpfe.
Punkt der Donau errichten. Die heute noch Zum Unterstrom befinden sich niedrigere,
bestehende im 12. Jahrhundert gebaute auch im Grundriss kleinere Vorköpfe. Der
Steinerne Brücke im Zuge einer Gemein- durch die breiten Pfeiler der Brücke verur-
destraße ist die in Deutschland am besten sachte Wasserrückstau wurde früher für
erhaltene Brücke des Mittelalters. Sie wurde den Antrieb von Unterstrom befindlichen
wahrscheinlich von 1135 bis 1146 gebaut Mühlen genutzt, und die Brücke war damit
und war damals der einzige feste Donauüber eine nachweisbare frühe Wasserkraftanla-
gang zwischen Ulm und Wien. Regensburg ge. Heute sind von den 16 Bogen nur noch
zählte damals zu den bedeutendsten Han- 14 sichtbar, je einer ist an der Seite der
delsstädten. Die Brücke überquert den süd- Innenstadt in der Auffahrt zum Brückentor
lichen und nördlichen Arm der Donau in und auf der Gegenseite verbaut. Der Grund-
einem Zug und damit auch die beiden riss ist leicht geschwungen. Die Abwei-
dazwischen liegenden Inseln. Sie hatte 16 chung der Brückenachse von der Geraden
halbkreisförmige Bogen mit von 10,2 m auf wurde wahrscheinlich zur Ausrichtung der
16,7 m zur Mitte zunehmenden Spannwei- Fundamente gegen die Strömungsrichtung
ten und entsprechend anwachsenden Bo- der Donau gewählt. Im Aufriss ist die Brü-
genstichen. Die Bogen sind im Scheitel cke von beiden Seiten zur Mitte des sechs-
etwa 90 cm dick. Die Brücke war ursprüng- ten sichtbaren Bogens um ca. 5 m leicht
lich etwa 330 m lang, wovon insgesamt etwa ansteigend. Auf der Seite zur Innenstadt
30% auf die 5,8 m bis 7,6 m breiten Pfeiler befinden sich ein Brückenturm und eine
entfallen. Die Fahrbahnbreite auf der Brü- Hofanlage. Im 15. Jahrhundert wurde die
cke beträgt heute etwa 8 m. Die Pfeiler mit Brücke zweimal durch Hochwasser und im
Sandstein-Quadern außen, im Innern mit 16. Jahrhundert die Eisbrecher vor den
vergossenem Bruchsteinmauerwerk ausge- Brückenpfeilern durch schweren Eisgang
füllt bilden eine geschlossene Masse, die beschädigt. Im 30-jährigen Krieg wurden
den an der Donau häufig auftretenden zur Verteidigung während der schwedi-
schen Belagerung 1633 ein Brückenbogen Brücken. In der ersten Hälfte des 16. Jahr-
abgebrochen, der erst Ende des 18. Jahr- hunderts wurde der Holzbrückenteil durch
hunderts wiederhergestellt wurde. In der einen Steinbogen mit einer Zugbrücke er-
Zwischenzeit war das fehlende Brückenfeld setzt und mehrere Bogen wurden zuge-
durch eine Zugbrücke geschlossen gewe- schüttet. Nach Bildern in [Löffler, 1956]
sen. Im April 1945 sprengten deutsche Sol- hatte die Brücke nun nur noch 20 Felder.
daten je zwei Bogen auf beiden Seiten der Trotz umfangreicher Ausbesserungsarbei-
Donau. Die Brücke wurde bis 1967 wieder ten entstanden im Laufe der Jahrhunderte
instandgesetzt und ist heute etwa 310 m solche Schäden, dass die Brücke baufällig
lang. Nach dem Dom ist die Steinerne Brü- wurde. Der sächsische Kurfürst August der
cke, die ein beeindruckender Zugang zur Starke beauftragte seinen Oberlandbau-
Innenstadt ist, das bedeutendste Wahrzei- meister Matthias Daniel Pöppelmann mit
chen Regensburgs und zugleich das älteste. dem Umbau der Brücke. Der Umbau er-
Bereits Ende des 11. Jahrhunderts be- folgte 1727–1731. Die Brücke wurde ver-
fand sich an der Stelle der heutigen Augus- breitert, was durch Ansatz seitlicher Krag-
tusbrücke an der bedeutenden Handels- steine geschah. Die Pfeilerköpfe, die zuvor
straße vom Westen nach Osten als Elbüber- nur bis zu den Kämpfern gingen, wurden
gang in Dresden eine Holzbrücke, die den bis zur Fahrbahn hochgemauert, wodurch
bis dahin regen Fährverkehr ersetzte [Löff- große Austritte auf der Brücke entstanden,
ler, 1956]. Am Brückenkopf wurde in der die mit Ruhebänken ausgestattet wurden.
Folge das Kastell (später zum Schloss er- Auf die Austritte wurden 48 schmiedeeiser-
weitert) des Markgrafen mit dem Haus- ne Laternen gesetzt, die nachts leuchteten
mannsturm gebaut. Die Brücke reichte bis und die Schönheit der Brücke auch bei
an die Außenmauer des Kastells, durch das Dunkelheit wahrnehmen ließen. Die Zug-
die Handelsstraße nach Osten verlief. An brücke wurde beseitigt. An der Altstädter
der Mauerpforte entstand später das Geor- Seite wurden Felder zugeschüttet, um für
gentor. Die Hauptansicht des Schlosses lag den Bau der Hofkirche Platz zu gewinnen.
damit von Anbeginn an der Elbe und der Die Brücke, Bild 1.3-3, hatte nun noch
Brücke zugewandt. Man kann sagen, dass 17 Bogen. Anfang des 20. Jahrhunderts er-
sich die Stadt Dresden von der Lage der wies sich die enge Pfeilerstellung und die
Brücke her entwickelte. Im 12. Jahrhundert geringe Höhe für die zunehmende Elb-
wurde die Holzbrücke durch Hochwasser schifffahrt als hinderlich. Deshalb wurde
und Eisschollen zerstört. Im darauf folgen- sie durch eine 1907–1910 gebaute mit Sand-
den Jahr wurde mit der Wiedererrichtung steinquadern verkleidete Betonbogenbrü-
einer Holzbrücke mit Pfeilern und der cke ersetzt. Es ist hervorzuheben, dass sich
Gründung aus Stein an der gleichen Stelle die Erbauer der neuen Augustusbrücke, mit
begonnen. Nach Unterbrechung des Baus den Baustoffen und den Erfordernissen
wurde von 1173 bis 1222 die Brücke kom- des Schiff- und Straßenverkehrs des be
plett als Stein-Bogenbrücke gebaut. Auch ginnenden 20. Jahrhundert, in ihrer Schön-
sie musste im 14. Jahrhundert ersetzt wer- heit an die historische, zuletzt von Pöppel-
den. Diese Brücke hatte nach Bildern aus mann gestaltete besonders schöne Brücke,
dem Jahre 1570 [Löffler, 1956] 23 Bogen. angelehnt haben. Die neue Brücke hat 9 Bo-
Eins der mittleren Brückenfelder war aus gen mit ca. 18 m bis ca. 39 m lichter Weite,
Holz, um es bei der Verteidigung Dresdens die als Korbbogen ausgebildet sind, und sie
jederzeit schnell abbrennen zu können. Die ist knapp 330 m lang. Die Brücke wurde
Brücke galt im 14. Jahrhundert als eine der durch die Luftangriffe auf Dresden im Fe-
schönsten, bedeutendsten und längsten bruar 1945 und durch Sprengungen von
1.3 Brücken im Mittelalter 27
Bild 1.3-3 Augustusbrücke in Dresden (Foto vom Bild Bernardo Belottos, gen. Canaletto, Gemäl-
degalerie Alter Meister in Dresden)
deutschen Soldaten im Mai 1945 zum Teil lange Stein-Bogenbrücke über die Rhone in
zerstört und 1947/1949 wieder in dem Avignon, von der heute von ehemals 21 Bo-
Stand von 1910 aufgebaut und dient noch gen noch vier erhalten sind, hatte flache,
dem heutigen Verkehr. Inzwischen ist auch schlanke Bogen mit 33 m lichter Bogenwei-
die Frauenkirche im archäologischem Wie- te bei 13 m Bogenstich und etwa 8m breite
deraufbau vollendet und dadurch wieder Pfeiler, in denen sich nach dem Vorbild der
das herrliche Stadtbild von Dresden ent- Römerbrücken Durchflussöffnungen be-
standen (Bild 1.3-4). finden. Auf einem Pfeiler befindet sich eine
Die Ende des 12. Jahrhunderts von Saint Kapelle. Mit etwa 900 m Gesamtlänge war
Bénezet vom Orden der Brückenbrüder- die Brücke in Avignon lange die längste
schaft Frères pontiffes, gebaute etwa 900 m Brücke Europas. Der in Avignon von 1378
Bild 1.3-5 Erhaltener Teil der Ende des 12. Jahrhunderts erbauten Rhone-Brücke in Avignon
(Foto: Friedegart Wagner)
bis 1394 als Gegenpapst residierende Kle- durchfahrten wurden bis 1325 fertiggestellt
mens VII. ließ zu seiner Sicherheit mehrere [Vockrodt/Sander, 1989] und [Vockrodt et
Bogen zerstören, weitere Bogen stürzten im al., 2003]. Von den beiden Kirchen an den
17. Jahrhundert durch Hochwasser und Brückenköpfen ist die östliche, die Ägi-
starken Eisgang ein, so dass heute nur noch dienkirche, noch heute vorhanden, die
vier Bogen erhalten sind (Bild 1.3-5) und westliche wurde im 19. Jahrhundert abge-
Zeugnis vom Brückenbau des Mittelalters brochen. Die etwa 80 m lange Brücke hatte
ablegen. Die Brücke wurde sehr vielen sechs ca. 19 m breite Gewölbe aus Sandstein
Menschen wenigstens namentlich durch mit bis zu 7,8 m lichten Weiten. Einschließ-
das Lied Sur le Pont d’Avignon l’on danse lich der beiderseitigen je 20 m langen Ram-
tous en rond bekannt. pen betrug die Gesamtlänge des mit Häu-
Während des Mittelalters entwickelte sern bebauten Brückenzugs etwa 120 m.
sich Erfurt zu einer bedeutenden Handels- Auf der Brücke wurden für Krämer kleine
stadt. Die West- Ostverbindung des Mittel- Häuschen mit Läden gebaut. Auf der im
alters von Paris bis nach Kiew, die Via Re- Vergleich zur ehemaligen Holzbrücke brei-
gia, führte in Erfurt über Furten durch die teren Steinbrücke war auch leichter Fuhr-
Gera. Vermutlich wurde an der Stelle, wo verkehr möglich. Sperriger und schwerer
sich heute die Krämerbrücke befindet, be- Fuhrverkehr war nicht zugelassen und auch
reits um 1000 eine Holzbrücke gebaut, auf gar nicht möglich. In den Pfeilern, die mit
der wahrscheinlich auch damals bereits Breiten zwischen 3 m und 6,5 m unter-
von Krämern Geschäfte betrieben wurden. schiedlich breit sind, befinden sich Keller-
Häufige Brandschäden veranlassten die gewölbe. Von den sechs Gewölben waren
Stadtherren Ende des 13. Jahrhunderts die nur fünf Durchflussöffnungen. Das äußere
Holzbrücke durch eine steinerne Gewölbe- westliche Gewölbe war von Anfang an eine
brücke zu ersetzen. Diese Steinbrücke und Landöffnung, die zur Unterfahrung der
die darauf stehenden Fachwerkhäuser so- Brücke für schwere Fuhrwerke diente, um
wie die an den beiden Brückenköpfen ur- zur nördlich der Brücke befindlichen Furt
sprünglich vorhandenen Kirchen mit Tor- zu gelangen. Beim großen Brand 1472 in
1.3 Brücken im Mittelalter 29
Erfurt brannten auch Häuschen und Läden ab 1954 wieder aufgebaut wurden. Außer-
auf der Steinbrücke ab. Den Krämern wur- dem erfolgten anschließend weitere Rekon-
den danach auf der Brücke Wohnhäuser struktionen an den Hochbauten der Brü-
gebaut. Dafür musste die Brücke verbreitert ckenbebauung. Ab 1985 erfolgte dann eine
werden, was durch beiderseitigen Anbau umfassende Instandsetzung der Brücke mit
von Pfeilervorlagen mit dazwischen liegen- der Wiederherstellung der Tragfähigkeit.
den Holsprengwerken erfolgte, wodurch Dabei wurde insbesondere auf die weitest-
die Auskragung der Fachwerkhäuser über gehende Erhaltung der vorhandenen Bau-
die Gewölbebreiten hinaus möglich wurde. substanz in ihrer ursprünglichen Form und
Anfang des 18. Jahrhunderts siedelten sich bei der Ausführung der Rekonstruktionsar-
auf der Krämerbrücke Handwerker an. We- beiten darauf geachtet, dass die sichtbaren
gen Schäden an den Gewölben wurde die Brückenflächen den mittelalterlichen Cha-
Brücke 1816 für schweren Lastverkehr ge- rakter erhalten oder wieder herstellen.
sperrt. 1855 brannten fünf Häuser auf der Selbstverständlich wurden in den Berei-
Brücke ab. Der Brand und der schlechte chen der sichtbaren Teile nur traditionelle
Zustand der Brücke, die vermutlich Jahr- Baumaterialien verwendet. Beton und Stahl
hunderte lang nicht instandgehalten wurde wurde nur bei inneren, nicht sichtbaren
(am äußeren westlichen Gewölbe weist eine Teilen der Brücke verwendet. Eine ausführ-
im Gewölbescheitel angebrachte Jahreszahl liche Beschreibung über die vorgenomme-
1676 auf eine Gewölbeausbesserung hin), nen Arbeiten wird in [Vockrodt/Sander,
veranlassten die Regierung ein Wieder 1989] gegeben. 1986 war die Instandset-
aufbauverbot auszusprechen. Ende des zung der Brücke abgeschlossen. Die Krä-
19. Jahrhunderts wurde sogar überlegt, merbrücke in Erfurt (Bilder 1.3-6 und –7)
die Brücke abzubrechen. Glücklicherweise ist wegen ihrer historischen Funktion im
scheiterten diese Überlegungen, weil dafür Mittelalter und wegen ihrer interessanten
kein Geld zur Verfügung stand. In der Folge Baugestaltung ein zur deutschen Geschich-
wurde zunächst nur die Instandhaltung der te zählendes bedeutendes Ingenieurbau-
auf dem Brückenzug befindlichen Hoch- werk.
bauten vorgenommen. In den letzten Kriegs 1335 bis 1345 wurde von Taddeo Gaddi,
tagen des 2. Weltkriegs wurden 1945 durch ein Schüler Giottos, wahrscheinlich die er-
Artilleriebeschuss drei Häuser zerstört, die ste Segmentbogenbrücke in Europa mit
Bild 1.3-6 Krämerbrücke
in Erfurt (Foto von
MR Dr.-Ing. e.h. Dipl.-Ing.
Friedrich Standfuß)
30 1 Brückenbau auf dem Weg vom Altertum zum modernen Brückenbau
Bild 1.3-9 Karlsbrücke
in Prag
stellt wurden. Die Brückenköpfe werden mus, der die wissenschaftlich-geistige Be-
durch Tortürme abgeschlossen, der beson- wegung in Europa bedeutet. Mit der Aus-
ders schöne Turm auf der Seite der Altstadt bildung neuer, an der Antike orientierter
wurde noch von Peter Parler gebaut. Die Kulturinhalte und -formen seit dem 15.
Karlsbrücke wurde einige Mal durch Hoch- Jahrhundert und mit der Loslösung aus der
wasser beschädigt und musste mehrmals mittelalterlichen Eingebundenheit in der
instandgesetzt werden. kirchlichen und feudalen Ordnung, ging
Auch die im Abschnitt 1.2.1 bereits ge- eine gesellschaftliche Umstrukturierung
nannte 591–599 erbaute Anji Brücke, eine einher, die neben Adel und Klerus das Bür-
durchbrochene Stein-Bogenbrücke in Chi- gertum zum Bildungsträger werden ließ
na (Bilder 1.2-5 und -6) sei hier erwähnt. und das Aufblühen von Kunst und Kultur
bewirkte. Naturgemäß bedeutet der Eintritt
der Renaissance für den Brückenbau nicht
1.4 Brücken von der Renaissance dieselbe Umwälzung und grundlegende Er-
bis zur Gegenwart neuerung wie innerhalb der sonstigen Ar-
chitektur. Mittelalterliche und Brückenfor-
1.4.1 Steinbrücken men der Renaissance sind nicht deutlich
voneinander zu trennen. Lediglich die Bau-
Das Geburtsland der Renaissance ist Italien. ten der frühen italienischen Renaissance
Die Renaissance begann im 15. Jahrhun- bevorzugten bewusst wieder das Halbkreis-
dert mit der Lösung der selbstbewussten bogenmotiv der Antike. Im späteren Ver-
Stadtrepubliken Nord- und Mittelitaliens lauf kann mit dem Fortschreiten der Zeit
von der feudalen und kirchlichen Ordnung ein allmähliches Schlankerwerden der Pfei-
des Mittelalters. Sie führte damit zu einer ler und eine allmähliche Streckung der Bo-
grundlegenden gesellschaftlichen Um- gen festgestellt werden. Die Verwendung
strukturierung und war damit ein bedeu- des Korbbogens und die Bevorzugung el-
tender Umbruch in der Geschichte. Sie ist liptischer Bogen bei geringerem Bogenstich
Bindeglied zwischen dem Mittelalter und wird zumindest ab der zweiten Hälfte des
der Neuzeit, gleichzeitig die geistige und 17. Jahrhunderts üblich. Das charakteristi-
kulturelle Wurzel für unsere Zeit und rich- sche Motiv der römischen Steinbrücken,
tungsweisend für die europäische Entwick- die Archivolte, wird bei Renaissancebrü-
lung. Die weltliche Ausprägung der Persön- cken mit Vorliebe wiederholt. Der Ponte
lichkeit des Menschen ist das wichtigste Santa Trinità in Florence (Bild 1.4-1), 1570
Merkmal der Renaissance. Der umfassende von Bartolommeo Ammannati gebaut, ist
Kultur- und Epochebegriff der Renaissance eine sehr elegant gestaltete Brücke mit drei
steht in Wechselbeziehung zum Humanis- Bogen und betont vorspringenden Pfeilern,
32 1 Brückenbau auf dem Weg vom Altertum zum modernen Brückenbau
vielleicht ist sie die schönste Brücke der hunderts errichtet worden sein und wurde
Hochrenaissance überhaupt. Sie hat sehr im 15. Jahrhundert mit Läden überbaut. Sie
flache Bogen mit lichten Weiten von 26 m musste regelmäßig repariert werden und
bis 29 m, deren untere Laibungen die For- wurde schließlich abgerissen. Die von da
men von Ellipsen haben. Sie ist auch auf Ponte 1588 bis 1592 an der schmalsten Stel-
dem Bild 1.3-8, hinter dem Ponte Vecchio le des Canale Grande als Steinbrücke ge-
zu sehen. baute Rialto Brücke (Bild 1.4-2) hat als Fuß-
Das Verkehrsnetz in Venedig wird in be- gängerbrücke stark ansteigende Rampen
sonderem Maße durch Kanäle und darüber mit langgezogenen Stufen. Die untere Lai-
führende Brücken bestimmt. Venedig hat bung besteht aus einem kreissegmentför-
etwa 400 Brücken. Sie wurden früher vor- migen Marmorbogen mit etwa 7 m Pfeil
zugsweise aus Holz gebaut. Sie mussten re- höhe und einer lichten Weite von etwa
gelmäßig erneuert werden, weil sie natür- 28 m, sodass gerade Schiffe hindurchfahren
lich nicht besonders dauerhaft waren. Auch können. Die Breite der Brücke beträgt 22 m
an der Stelle der Vielen bekannten und auf- und die Brücke hat drei Gehwege mit zwei
fallenden, das Stadtbild von Venedig mit- dazwischen angeordneten, geschlossenen
prägende, von Antonio da Ponte gebauten Reihen mit Verkaufsständen, die im Be-
Rialto Brücke über den Canale Grande, reich des Scheitels der Brücke durch einen
stand früher eine Holzbrücke. Die Holz- Torbogen unterbrochen sind. Die Grün-
brücke soll in der ersten Hälfte des 13. Jahr- dung der treppenförmig abgestuften Fun-
1.4 Brücken von der Renaissance bis zur Gegenwart 33
Bild 1.4-3 Sternbrücke
in Weimar
damente der Widerlager erfolgte auf Pfahl- Goethepark. Die Brücke dient heute aus-
rosten, weil der Baugrund aus Schwemm- schließlich dem Fußgängerverkehr. Die
sand besteht. Die beiden Pfahlroste unter Gestaltung der Brücke in Verbindung mit
den Widerlagern sollen aus je etwa 6000 dem Goethepark und dem Schloss hat eine
dicht gerammten Pfählen bestehen. besondere städtebauliche Qualität.
Nach dem 30-jährigen Krieg wurde in Ebenfalls eine Brücke mit besonderer
Weimar von 1651 bis 1652 die Sternbrücke das Städtebild prägender Qualität ist die
(Bild 1.4-3) über die Ilm im Zusammen- nach einem Entwurf von Karl Friedrich
hang mit dem Bau des Stadtschlosses von Schinkel von 1822 bis 1824 gebaute und in
Johann Moritz Richter im Auftrag des Her- ihrer Gestaltung des äußeren Erscheinungs-
zogs Wilhelm IV. gebaut. Sie hatte ur- bilds erhaltene Schlossbrücke über die
sprünglich nur drei Bogen aus Kalkstein Spree in Berlin, deren Sandstein-Bogen der
mit lichten Weiten von etwa 11 m bis etwa Seitenfelder und wegen der Schifffahrt auf-
14 m. Die Bogen sind etwa 80 cm dick. In klappbare hölzerne Mittelöffnung ab 1912
den etwa 5 m breiten Pfeilern befinden sich bis 1938 nacheinander durch Stahlbeton-
nach römischem Vorbild ovale Öffnungen. bogen ersetzt wurden. Die Sichtflächen der
Die vierte Öffnung am östlichen Ende der Stahlbetonbogen der in der ersten Hälfte
Brücke, die den Leutragraben überbrückt, des 20. Jahrhunderts umgebauten Brücke
wurde später gebaut. Das ehemalige Brü- wurden mit Sandstein verkleidet, sodass
ckenende und die Stelle des angebauten äußerlich die Gestaltung der auf Schinkel
vierten Bogens erkennt man deutlich durch zurückgehenden Schlossbrücke erhalten
die erhaltenen Sandstein-Torpfeiler und die blieb. Bombenangriffe und die Kämpfe
Fuge zwischen der ursprünglichen Brücke 1945 in Berlin führten zu schweren Schä-
und der Ergänzung um den vierten Bogen den an der Schlossbrücke. Sie wurde wieder
mit reichlich 5 m lichter Weite. Das jetzige unter Erhaltung der auf Schinkel zurückge-
Geländer wurde nach einem Entwurf von henden Gestaltung 1950/1951 und zuletzt
Clemens Wenzeslaus Coudray gefertigt 1995/1997 als Stahlbeton-Bogenbrücke mit
und stammt aus der ersten Hälfte des 19. Verkleidung der Sichtflächen aus Sandstein
Jahrhunderts. Am östlichen Ende der ur- restauriert (Bild 1.4-4). Auf der Brücke ste-
sprünglichen Brücke ist ein Treppenauf- hen auf jeder Seite vier, insgesamt also acht,
gang angeordnet, der durch die dort be- Skulpturengruppen aus weißem Carrara-
findliche Pfeileröffnung auf die Brücke marmor im klassizistischen Stil, die auf
führt. Von der Brücke kommt man über Entwürfe von Schinkel zurückgehen und
diese Treppe und Böschungsrampen in den durch den Befreiungskrieg 1818 beeinflusst
34 1 Brückenbau auf dem Weg vom Altertum zum modernen Brückenbau
Bild 1.4-4 Schlossbrücke
in Berlin
diesen Pfeiler entfallen zu lassen und zwi- Bogen und Pfeilerabständen führte zu einer
schen den beiden benachbarten Pfeilern in deutlichen Verbesserung der gestalterischen
der zweiten und vierten Etage die dadurch Qualität der Göltzschtalbrücke (Bilder 1.4-5
entstehenden größeren Öffnungen mit und 1.6-6). Sie ist 574 m lang und die Bahn-
weitgespannten Bogen zu überbrücken. In strecke liegt 78 m über dem Tal und der
der zweiten Etage wollte er einen Spannbo- Göltzsch. Die Konstruktion besteht aus
gen, in der vierten Etage einen Tragbogen Pfeilern und Bogen. Die Pfeiler der Regel-
anordnen. Die benachbarten Pfeilerabstän- felder (kleine Bogen) stehen in den drei un-
de und Bogenspannweiten wurden ver- teren Etagen gegenüber den Außenflächen
kleinert. Schubert stimmte diesem Vor- der Bogen vor, nur in der oberen Etage be-
schlag grundsätzlich zu, schlug aber unter finden sich die Außenflächen der Pfeiler
Bezugnahme auf seine von ihm entwickelte und Bogen in einer Ebene. Die Pfeilerdicken
Gewölbetheorie vor, nur einen Bogen und betragen am Sockel maximal 22,7 m und
diesen als elliptisch überhöhten Tragbogen nahmen von unten mit Etagenabsätzen und
auszuführen. Diesem Vorschlag wider- Pfeileranläufen 1 : 48 nach oben auf 7,93 m
sprach Wilke, sodass zur Beseitigung der ab. Bei den Feldern mit den großen Bogen
Meinungsdifferenzen wieder unabhängige und den Koppelpfeilern befinden sich be-
Gutachter bestellt wurden, die die neuen tont stärker hervorstehende Pfeiler, deren
Lösungen grundsätzlich unterstützten und Breiten nach oben zu abnehmend von un-
die von Wilke vorgeschlagene Überbrü- ten bis zur Bahnstrecke reichen. Bis zu den
ckung der größeren Öffnungen mit zwei Bogenwiderlagern der ersten Etage beste-
Bogen, jedoch in der von Schubert vorge- hen die Pfeiler aus Naturstein, darüber im
schlagenen elliptisch überhöhten Bogen- Wesentlichen aus im Kreuzverband erstell-
form empfahlen. Diesem Vorschlag folgten tem Ziegelmauerwerk. Die tragenden Bo-
Schubert und Wilke. Seitlich der großen gen der jeweils obersten Etage bestehen je-
Bogenfelder wurden auf beiden Seiten ge- doch wegen der intensiveren Erschütte-
koppelte Pfeiler mit kleineren Bogen ange- rungen und Feuchteeinwirkung aus Natur-
ordnet, und die Brücke wurde schließlich so stein. Die Bogen der unteren drei Etagen
ausgeführt. Diese durch die Baugrundver- sind in der Querrichtung geteilt (Bild 1.4-6).
hältnisse erzwungene Abänderung vom ur- Beim größten Bogen (oberer Mittelbogen)
sprünglichem Entwurf mit lauter gleichen betragen die lichte Weite 30,9 m und die
Bild 1.4-6 Göltzschtal
brücke, Schrägsicht
1.4 Brücken von der Renaissance bis zur Gegenwart 37
ßig preiswert gebaut werden können, be- Die Platten gewährleisten auch die Schei-
dürfen sie aber sorgfältiger und kosten- benwirkung zur Horizontalaussteifung der
trächtiger Unterhaltung, was die Nachhal- Brücke, weshalb ein Windverband in der
tigkeit dieser Bauweise relativiert. Im Laufe Plattenebene nicht notwendig ist.
der Zeit hat der Holzbrückenbau deshalb Viele interessante ältere Brücken sind
an Bedeutung verloren. Trotzdem sind heute nicht mehr erhalten. Die noch erhal-
Holzbrücken insbesondere als Behelfsbrü- tenen stehen häufig unter Denkmalschutz.
cken und als Fußgängerbrücken auch heute In ihrer einfachsten Form bestehen die
noch üblich. In den USA werden schon seit Holzbrücken für kleine Spannweiten aus
ca. 30 Jahren Untersuchungen über einen Vollwand-Balken-Brücken, die auf hölzer-
verbesserten Holzschutz an freibewitterten nen oder steinernen Widerlagern und bei
Tragwerksteilen aus Holz vorgenommen mehreren Feldern der Brücke zusätzlich
und Brückenfahrbahnen aus verleimten auf Pfeilern aufliegen. Bei etwas größeren
Brettschichtpanelen entwickelt [Werren, Spannweiten haben sich Spreng-, Hänge-
1969]. Insbesondere in der Steiermark sind werke und unterspannte Balken für den
in den letzten Jahren verschiedene moder- Holzbrückenbau herausgebildet, die auch
ne Holzbrücken gebaut worden [Pischl, als Kombination beider zu Hängespreng-
1999]. An der Technischen Universität Graz werken entwickelt wurden. Für größere
werden von Gerhard Schickhofer in Zu- Spannweiten werden bevorzugt Fachwerk-,
sammenarbeit mit seinem Schweizer Kolle- Bogen-, Hänge- und Spannbandbrücken
gen Andrea Bernasconi Untersuchungen gebaut. Die Brücken werden als Deck-,
zu Holz-Fahrbahnplatten vorgenommen, Trogbrücken oder vor allem zum Witte-
die eine interessante Entwicklung für den rungsschutz als geschlossene Brücken er-
Holzbrückenbau versprechen. Zur Herstel- richtet. Brücken werden auch als Stahl-
lung der Fahrbahnplatten werden Holzla- Holz- und Beton-Holz-Verbundbrücken
mellen oder Holzwerkstofflamellen vertikal gebaut. Im Abschnitt 4.2.4 wird kurz auf die
angeordnet und durch Vernagelung, Ver- verschiedenen Varianten eingegangen, wo-
schraubung oder Verklebung mit oder ohne rauf verwiesen wird. Hier soll, wegen ihrer
Vorspannung oder alternativ nur durch Bedeutung für den Holzbrückenbau nur
Vorspannung zu einer Platte verbunden. noch die im Zusammenhang mit dem Be-
Wegen der verfügbaren Längen der Hölzer ginn des Eisenbahnbrückenbaus und der
sind in der Längsrichtung Stöße der Holz- verstärkten Erschließung Nordamerikas
teile nötig, die in der Regel mit versetzten erfolgte Entwicklung des Holzbrückenbaus
Stumpfstößen (Reduktion der rechneri- in den USA im 19. Jahrhundert gestreift
schen Tragfähigkeit im Vergleich zur unge- werden. Auch diese hat vorwiegend histori-
schwächten Holzplatte ist dabei erforder- sche Bedeutung.
lich) oder Keilzinkstößen erfolgen. Bei der Wegen der Trassierungsanforderungen
sogenannten QS-Platte wird die Erzeugung der Eisenbahnstrecken mit den geringen
der Plattenwirkung nur durch Vorspan- zulässigen Steigungen der Trassen und in
nung erreicht, was die wirtschaftlichste Art den USA zusätzlich mit der forcierten Er-
der Herstellung der Platte ist. Hierbei wer- schließung großer und von den bereits
den die Bretter oder Bohlen hochkant ne- dichter besiedelten Teilen weit entfernter
beneinander gestellt und mit Spanngliedern Gebiete war beim Bau der Eisenbahnen im
in Querrichtung zusammengespannt, wo- 19. Jahrhundert der Bau vieler Brücken
durch Relativverschiebungen zwischen den notwendig, die in möglichst kurzer Zeit zu
Lamellen auf unbedeutende Werte begrenzt bauen waren. Wälder und damit Holz als
werden und die Plattenwirkung entsteht. Baumaterial waren vor Ort in den betroffe-
1.4 Brücken von der Renaissance bis zur Gegenwart 39
nen Gebieten reichlich vorhanden und da- an den Bogen angehängt war. Zur Korrek-
mit schnell und preiswert zu beschaffen. tur der Höhenlage der Fahrbahn hatten die
Wegen der häufig zu überbrückenden wei- mittleren Hänger an ihren Enden Schraub-
ten Täler und breiten Flüsse wurden viele gewinde und Muttern mit Kontermuttern.
interessante Konstruktionen gebaut. Als Um der Brücke die nötige Steifigkeit zu ver-
Beispiel ist die von Burr konstruierte und in leihen, ordnete Burr zusätzliche Streben an.
der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts ge- Dadurch unterschied sich die Brücke von
baute Bogenbrücke mit angehängter Fahr- ihren europäischen Vorbildern. Die Brücke
bahn mit fünf Öffnungen mit 49 m bis 61 m diente zunächst ungefähr 40 Jahre dem
Spannweite über den Delaware bei Trenton Straßenverkehr und wurde im Zuge des
in New Jersey im Bild 1.4-8 gezeigt [Cul- Baus der Eisenbahn von New Jersey nach
mann, 1851]. Die Pfeilhöhen der tragenden Pennsylvania ohne Konstruktionsverstär-
Bogen betragen etwa 1/10 der Bogenspan- kung für den Eisenbahnverkehr umgerüs-
nweite. Die Querschnitte der Bogen waren tet.
Rechteckquerschnitte mit Abmessungen Bei Washington wurde die im Bild 1.4-9
von 40 cm × 94 cm, die aus übereinander dargestellte etwa 1,6 km lange Straßenbrü-
gelegten Bohlen gebildet wurden. Die cke über den Potomac mit lichten Weiten
Kämpfer der Bogen befanden sich direkt von 36,6 m gebaut, deren Farbahn etwa
unter der Fahrbahnebene, die über Hänger 7,6 m breit war. Die beiden Fachwerk-
Bild 1.4-8 In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts gebaute Holz-Bogenbrücke über den Dela-
ware bei Trenton in New Jersey, Bild nach [Culmann, 1851]
Bild 1.4-9 Holz-Fachwerk-Straßenbrücke über den Potomac bei Washington, Bild nach [Culmann,
1851]
40 1 Brückenbau auf dem Weg vom Altertum zum modernen Brückenbau
Bild 1.4-11 Als Fachwerkträger nach dem System von Howe in Connecticut gebaute Eisenbahn-
brücke über den Chikapoe (Bild nach [Culmann, 1851])
1.4 Brücken von der Renaissance bis zur Gegenwart 41
zogen werden. Das Verkeilen muss so stark wichtige Voraussetzung für den Bau insbe-
sein, dass die Diagonalen unter der Vor- sondere von Stahlbrücken war deshalb,
spannung und den äußeren Einwirkungen dass gut ausgebildete Ingenieure zur Verfü-
stets auf Druck beansprucht bleiben, damit gung standen, um ausreichend sichere Bau-
sie sich nicht lockern. Die Träger müssen werke mit sparsamen Verbrauch des teuren
regelmäßig kontrolliert werden und gege- Baustoffs zu konstruieren und zu bauen. Bis
benenfalls müssen die Keile wieder ange- dahin wurden Brücken ja hauptsächlich
keilt werden. Die Tragwirkung des Systems unter Berücksichtigung überlieferter Er-
von Howe entspricht prinzipiell der des fahrungen gebaut.
Systems nach Long. Beim System nach Eisen in größeren Mengen herzustellen
Howe, das in Europa von den beiden Sys gelang etwa 1735 in Coalbrookdale in Eng-
temen bekanntere, werden aber die Verti- land. Dieses im Hochofen unter Verwen-
kalen durch eiserne Rundstangen ersetzt, dung von Steinkohle-Koks erschmolzene
die vorgespannt werden. Dadurch sind die Eisen enthielt viel Kohlenstoff und die da
einzelnen Konstruktionsteile einfacher ge- raus hergestellten Gusseisen hatten ausge-
staltet, und die beim Long-Träger aufwen- prägt niedrige Zähigkeitseigenschaften und
digen passgenauen Zimmermannsarbeiten konnten vor allem auf Druck und nur sehr
nicht im selben Maße erforderlich. gering auf Zug und Biegung beansprucht
In Connecticut war eine Eisenbahnbrü- werden. Die erste Eisenbrücke, die guss
cke über den Chikapoe als Fachwerkträger eiserne bogenförmige Brücke (Bild 1.4-12),
mit 54 m Spannweite nach dem System wurde in Coalbrookdale über den Severn
Howe gebaut worden (Bild 1.4-11). Auch 1776–1779 von Abraham Darby gebaut. Sie
der Horizontalverband der Brücke war als hat etwa 31 m Spannweite. Sie ist noch heu-
Träger nach dem System Howe ausgeführt te erhalten und wird als Fußgängerbrücke
worden. benutzt. Sie wurde als erstes Bauwerk von
der ASCE in die Liste der International His-
toric Civil Engineering Landmarks aufge-
1.4.3 Eisen- und Stahlbrücken nommen. In unmittelbarer Nähe der Brü-
cke ist die nach der Brücke genannte Stadt
1.4.3.1 Bogen-, Balken- und Rahmenbrücken Iron Bridge entstanden.
In den folgenden Jahrzehnten wurden in
Vergleichsweise zum Bau von Steinbrücken England zahlreiche gusseiserne Brücken
wurde mit dem Bau von Eisen- und Stahl- mit bogenartigen Formen gebaut und guss-
brücken erst vor einer verhältnismäßig kur- eiserne Brücken sogar bis nach Nordameri-
zen Zeit begonnen. Um Brücken aus Eisen ka verschifft. In Niederschlesien wurde be-
oder Stahl bauen zu können mussten zu- reits 1794 eine kleiner Steg ähnlicher Bauart
nächst zwei wichtige Voraussetzungen er- gegossen und 1796 als Straßenbrücke mit
füllt sein. Die wichtigste war natürlich, dass 13 m Spannweite bei Lazany (Laasan) in der
die technologischen Voraussetzungen ge- Nähe von Swidnica (Schweidnitz) über die
schaffen werden mussten, um Eisen und Stregomka (Striegauer Wasser) errichtet.
Stahl in der erforderlichen Menge und Güte Sie ist die erste eiserne Brücke auf dem
zur Verwendung als Baustoff zu erzeugen. europäischen Kontinent [Mehrtens, 1900].
Eisen und Stahl sind als Baustoff verhältnis- Die Gussteile wurden im Königlichen Ei-
mäßig teuer. Mit ihnen musste deshalb von senhüttenwerk in Malpane hergestellt.
Anfang an bei der Konstruktion von Brü- Ein verkleinertes Abbild der Brücke über
cken und anderen Bauwerken sparsam den Severn in Coalbrookdale mit 8 m
umgegangen werden. Die zweite genauso Spannweite (Bild 1.4-13) wurde etwa 1800
42 1 Brückenbau auf dem Weg vom Altertum zum modernen Brückenbau
Bild 1.4-12 Brücke
über den Severn in Coal
brookdale (Foto von
Prof. Dr.-Ing. Wieland
Ramm)
Bild 1.4-13 Wörlitzer
Brücke, verkleinertes
Abbild der Brücke über
den Severn in Coalbrook
dale
im Wörlitzer Park nachgebaut. Der Wörlit- von Palladio), Stein und Eisen, die dem Be-
zer Park in der Nähe von Dessau wurde in sucher in pädagogischer Absicht die zur
der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts un- damaligen Zeit verschiedenen Möglichkei-
ter der Regentschaft Leopolds III. Friedrich ten und die geschichtliche Entwicklung des
Franz von Anhalt-Dessau angelegt und Brückenbaus vermitteln sollen. Alle Brü-
später erweitert. Er wurde 2000 von der cken sind in gutem Zustand und als Fuß-
UNESCO in die Welterbeliste aufgenom- gängerbrücken nutzbar.
men. Im Park mit einer größeren Wasser- Die zweite o. g. Voraussetzung für den
fläche und vielen darin angelegten Kanälen Bau von Eisen- und Stahlbrücken war die
befinden sich neben dem verkleinerten Ausbildung fähiger Ingenieure in Ingeni-
Abbild der Brücke über den Severn in eur-Hochschulen. Die ersten Universitäts-
Coalbrookdale mehrere kleine Brücken aus gründungen erfolgten schon im Mittelalter,
Holz (z. B. eine Brücke nach dem Vorbild im 11. und 12. Jahrhundert. Nachdem in
1.4 Brücken von der Renaissance bis zur Gegenwart 43
den Universitäten zunächst die Wissen- raus schließlich Polytechnische Schulen die
schaften vor allem auf der Theologie, den sogenannten Polytechnika. Nachdem be-
Rechtswissenschaften, der Philosophie, der reits 1691 in Frankreich das Festungsbau-
Medizin und den Künsten beruhten, wur- Ingenieurkorps entstanden war, wurde
den in den folgenden Jahrhunderten auch 1716 die erste Ingenieurvereinigung ge-
die modernen Sprachen, die Mathematik gründet, das Corps des Ponts et Chaussees.
und die Naturwissenschaften einbezogen Das Corps war mit der Durchsetzung der
[Cardini/Beoni-Brocchieri, 1991]. Die Verkehrspolitik des Königreichs Frankreich
letztgenannten wurden zu wichtigen wis- beauftragt. 1744 folgte die Gründung des
senschaftlichen Grundlagen für die In Büros der Pariser Technischen Zeichner.
genieurwissenschaften, die zunächst aber Um die Arbeit des Corps durch qualifizier-
noch keine Rolle an den Universitäten te Mitarbeiter weiter zu verbessern, wurde
spielten. Aufbauend auf bereits im Alter- 1747 Jean-Rodolphe Perronet, der selbst
tum formulierten Gesetzen der Mechanik, Ingenieur des Corps des Ponts et Chaussees
wie dem Hebelgesetz, dem Auftriebsgesetz war, zum Leiter des Büros der Technischen
eines Körpers in einer Flüssigkeit, der Zeichner berufen. Er wurde eingesetzt, um
Schwerpunktslage eines Körpers, der Wir- die Anleitung und Überwachung der Geo-
kungsweise des Flaschenzugs und der kine- graphen und Zeichner von Landkarten und
matischen Kenntnisse entstand in der Re- Stadtplänen zu übernehmen, sie mit den
naissance, beginnend mit Galileo Galileis Wissenschaften und notwendigen Kennt-
Hauptwerk Discorse e Dimonstratione Ma- nissen vertraut zu machen, damit sie die
tematiche, die Wissenschaft von der Me- Funktionen im Straßen- und Brückenbau-
chanik in moderner Betrachtung. Wesent- korps kompetent ausüben können. Diese
liche weitere Beiträge lieferten Johannes Verordnung wird als Gründungsurkunde
Kepler mit der Formulierung der kinema der École des Ponts et Chaussées angesehen
tischen Gesetze der Planetenbewegungen, [Chatzis, 1998]. Von Brückenbauingenieu-
Christian Huygens mit seinen Arbeiten zu ren wurden Ende des 18. Jahrhunderts die
den Schwingungen von Pendeln. Darauf Ausbildungsprinzipien der Schule in Frage
aufbauend entwickelte Isaac Newton in gestellt. Dabei ging es vor allem um den
seinem 1867 erschienenem fundamentalen wissenschaftlichen Gehalt der Ausbildung.
Werk Philosophiae Naturalis Principa Die Diskussion führte 1794 zur Gründung
Mathematica die Grundprinzipien der der École Centrale des Travaux Publics, die
Mechanik, zu denen insbesondere das Gra- im darauffolgenden Jahr den Namen École
vitationsgesetz und der Impulssatz gehö- polytechnique erhielt. Die École polytechni-
ren. Aber auch die gleichzeitig von Gott- que vermittelte nun den zukünftigen Inge-
fried Wilhelm Leibniz und Isaac Newton nieuren eine allgemeine wissenschaftliche
entwickelte Infinitesimalrechnung, eine für Grundausbildung. Erst nach erfolgreichem
die mathematische Behandlung mechani- Abschluss der École polytechnique konn-
scher Probleme wichtige Grundlage, ist hier ten dann die Absolventen ihre fachspezifi-
zu nennen. Weitere wichtige Beiträge, auf sche Ausbildung an der École des Ponts et
denen aufbauend später die ingenieurwis- Chaussées fortsetzen [Chatzis, 1998]. An
senschaftlichen Grundlagen entwickelt der École polytechnique lehrten in der ers-
werden, leisteten insbesondere die Brüder ten Hälfte des 19. Jahrhunderts einige der
Bernoulli, Hooke und Euler. Ab dem 18. bedeutendsten Wissenschaftler der ingeni-
Jahrhundert entwickelten sich aus Mittel-, eurwissenschaftlichen Grundlagen der da-
Gewerbe-, Zeichenschulen und Akademi- maligen Zeit, unter anderen Lagrange,
en Technische Bildungsanstalten und da Poisson und Cauchy. Für die École des
44 1 Brückenbau auf dem Weg vom Altertum zum modernen Brückenbau
Ponts et Chaussées war besonders das Wir- der hintereinander als Einfeldbalken ange-
ken Naviers von Bedeutung. Insbesondere ordnet sind. Die Deck- und Bodenplatten
sein Beitrag zur Technischen Mechanik der wurden doppelwandig ausgeführt. Jeder
Balken, seine Beiträge zur Elastizitätstheo- Kasten war für den Betrieb einer Bahnstre-
rie, Materialfestigkeit und zu den Fließbe- cke vorgesehen, die Eisenbahnen fuhren im
wegungen sind auch heute noch von grund- Innern der Kästen. Eine solche Konstruk
legender Bedeutung. Als Vorbild für die tion war bis dahin beispiellos. Erfahrungen
Technischen Hochschulen und Universitä- mit der Verwendung von schmiedbarem
ten, zumindest für Kontinentaleuropa, gel- Eisen im Brückenbau gab es noch nicht.
ten die bereits 1747 gegründete École des Nur die Schiffsbauer hatten damals Erfah-
Ponts et Chaussées, die 1804 eine neue Or- rungen mit der Verwendung von schmied-
ganisationsstruktur erhielt, zusammen mit barem Eisen für weitgespannte Konstrukti-
der 1794 eingerichteten École polytechni- onen. Die Überlegung war, wenn die eiser-
que. Damit war die o. g. zweite wichtige Vo- nen Dampfboote den Beanspruchungen der
raussetzung geschaffen, dass die Bauingeni- See und der Dampfmaschinen mit ihren
eure die erforderlichen wissenschaftlichen Stößen gewachsen sind, muss das Eisen
Grundlagen für den Entwurf und den Bau auch für den Bau von Brücken geeignet
moderner Brücken vermittelt bekamen. sein. Mit der Verwendung von Gusseisen
Wie bereits ausgeführt begann mit dem für Eisenbahnbrücken mit der stoßartigen
Bau der Eisenbahnen um 1825 ein großer Belastung hatte man schon schlechte Erfah-
Aufschwung des modernen Stahlbrücken- rungen gemacht. Stephenson wollte zu-
baus. Inzwischen war die technologische nächst die Kastenträger an einer Hänge-
Entwicklung bei der Eisenherstellung so konstruktion aufhängen, kam dann aber
weit fortgeschritten, dass nach dem Pud- zur Überzeugung, dass die Kastenträger al-
delverfahren schmiedbares Eisen, das so lein ausreichend tragfähig sind. Offene Fra-
genannte Schweißeisen, hergestellt werden gen sollten durch Versuche geklärt werden.
konnte. Ab dem Beginn des 19. Jahrhun- Es wurden zunächst Versuche zur Klärung
derts konnten auch bereits industriemäßig des Verhaltens des Schmiedeeisens und der
Stab- und Formeisen hergestellt werden. Bleche durchgeführt. Professor Eaton
Damit war der Weg frei, eiserne Balkenbrü- Hodgkinson schlug vor, zusätzliche Versu-
cken zu bauen. Der Stahlbrückenbau ver- che an einem Modellkasten im Maßstab 1: 6
drängte nun mit seinen Vorteilen, insbe- durchzuführen, was Stephenson aufgriff
sondere mit dem geringeren Gewicht der und die Versuche von dem Fabrikanten
Konstruktion und den daraus folgenden William Fairbirn, dem langjährigen Part-
Gründungskosten, aber auch wegen der ge- ner seines Vaters George Stephenson, des
ringeren Bauzeiten sukzessive die Natur- berühmten Eisenbahn- und Lokomotiven-
steinbrücken. Die erste weitgespannte ei- bauers, durchführen ließ. Die Versuchser-
serne Balkenbrücke war die von Robert gebnisse führten zu der Überzeugung, dass
Stephenson von 1846 bis 1850 gebaute Bri- sowohl das schmiedbare Eisen geeignet ist
tanniabrücke über die Menaistraße [Wer- als auch dazu, dass die unversteiften Kas
ner, 1969], die in den beiden mittleren Fel- tenträger allein ohne Hängekonstruktion
dern die größten Spannweiten mit 140 m ausreichend tragfähig sind. Es wurden
hatte. Die Brücke bestand aus zwei getrenn- trotzdem pylonenartige gemauerte Pfeiler
ten und parallel geführten, aus schmiedeei- über die Kastenträger nach oben geführt,
sernen Blechen und Winkeln zusammen- um erforderlichenfalls die Balkenbrücke an
gesetzten vollwandigen Kastenträgern als Kabeln aufhängen zu können. Die Brücke
Nietkonstruktion, die jeweils über vier Fel- war bis 1970 unter Verkehr. Nach einem
1.4 Brücken von der Renaissance bis zur Gegenwart 45
Brandschaden wurde sie rückgebaut und Zu den wenigen Ingenieuren, die damals
durch Fachwerk-Bogenbrücken ersetzt diese Gabe hatten, zählte Carl Lentze, der
[Ramm, 2004]. Erbauer der ältesten weitgespannten Bal-
Die Hüttenwerke betrieben um die Mitte kenbrücke auf dem europäischen Konti-
des 19. Jahrhunderts große Anstrengungen, nent, der Dirschauer Weichselbrücke. Mit
um im flüssigen Zustand erzeugten Stahl, der fortlaufenden Entwicklung der Techni-
den sogenannten Flussstahl, als Massen- schen Hochschulen verbesserte sich die Si-
produkt herzustellen, was durch Erfin- tuation. Neben der Vermittlung guter theo-
dungen 1855 von Sir Henry Bessemer (Bes- retischer Kenntnisse wird an den Techni-
semer-Prozess), 1864 von Pierre Émile schen Hochschulen und Universitäten, an
Martin (Siemens-Martin-Verfahren, Stahl- der Baupraxis orientiert, großer Wert da
erzeugung in dem von den Brüdern August rauf gelegt, dass den Studierenden rechtzei-
Friedrich und Carl Wilhelm Siemens ent- tig vermittelt wird, dass die Berechnung des
wickelten Regenerativofen) und 1879 von Bauwerks kein Selbstzweck ist, sondern
Sidney Gilchrist Thomas (Thomas-Verfah- eine wichtige Voraussetzung für eine gute
ren, Windfrischverfahren zur Herabset- Konstruktion mit dem eigentlichen Zweck
zung des Phosphorgehalts durch Einblasen unserer Arbeit, das Bauwerk zu errichten.
von Luft in die am Boden mit basischem Die heute noch zum Teil erhaltene Alte
Futter ausgekleidete Thomasbirne) gelang. Weichselbrücke Dirschau wurde im Zuge
Damit waren alle Voraussetzungen geschaf- des Baus der preußischen Ostbahn der
fen, um die vielen für den Eisenbahnbau Strecke Berlin-Königsberg als engmaschige
erforderlichen Stahlbrücken bauen zu kön- Gitterbalkenbrücke 1850–1857 über die
nen, beim Bau der Eisenbahntrassen waren Wisla (Weichsel) bei Tczew (Dirschau),
ja wegen der nur sehr geringen zulässigen etwa 30 km südsüdöstlich von Gdansk
Steigungen deutlich mehr Brücken erfor- (Danzig) errichtet (Wieland Ramm ist zu
derlich als bei den bis dahin vorhanden verdanken, dass diese Brücke uns heute
Verkehrswegen. wieder stärker in Erinnerung gebracht wur-
Beim Beginn des Eisenbahnbrücken- de). Als Randbedingung für den Brücken-
baus gab es nur wenige Ingenieure, denen bau war zu beachten, dass der Durchfluss-
der Konstruktions-Entwurf von eisernen querschnitt des Überflutungsgeländes bei
und stählernen Eisenbahnbrücken, ihr Bau Hochwasserführung der Weichsel und des
und ihre Unterhaltung zugetraut wurde. jährlichen Eisgangs möglichst wenig einge-
Deshalb begannen die Eisenbahnverwal- schränkt wird. Der mit dem Bau der Weich-
tungen Ingenieure an sich zu binden, denen selbrücke Dirschau und auch der in der
sie diese Aufgaben übertragen konnten. selben Baumaßnahme zu bauenden Brücke
Ausreichend dazu war nicht nur das theo- über die Nogat bei Marienburg beauftragte
retische Verständnis des Kraftflusses in ei- Carl Lentze beabsichtigte deshalb zunächst
ner Baukonstruktion, sondern ganz beson- die Dirschauer Brücke als Ketten-Hänge-
ders das erforderliche Verständnis für die brücke über fünf Felder mit je 158 m
Umsetzung in die konstruktive Durchbil- Spannweite zu bauen. Nach einer Studien-
dung einschließlich aller Details. Nur wer reise nach England mit Besichtigung der
die Theorie beherrscht und sie in eine gute Britanniabrücke, entschied er sich, die
Konstruktion umsetzt ist der wahre Bau- Dirschauer Brücke als Balkenbrücke zu
künstler [Mehrtens, 1900]. Dies gilt nicht bauen [Mehrtens, 1900]. Er wählte drei
nur für das 19. Jahrhundert, sondern ist hintereinander angeordnete Durchlaufträ-
auch heute und in der Zukunft von heraus- ger über jeweils zwei Felder mit je 131 m
ragender Bedeutung für den Ingenieurbau. Spannweite [Ramm, 2004]. Im Gegensatz
46 1 Brückenbau auf dem Weg vom Altertum zum modernen Brückenbau
zur Britanniabrücke, die mit Vollwand- die Ausbildung des Balkens als engmaschi-
Blechwänden und -gurten als geschlossener ger Gitterträger die angreifende Windlast
Kastenträger ausgeführt wurde (s. o.), setzte geringer sei als bei einem Vollwandträger.
Lentze den torsionssteifen Hohlquerschnitt Wir wissen heute, dass dies nicht zutrifft.
aus 12 m hohen Gitterwänden (Bild 1.4-14) Die konstruktive Durchbildung und die
mit gegliederten Ober- und Untergurten, statische Berechnung erfolgte im Wesentli-
die durch engmaschige, sich unter 45° kreu- chen durch den Schweizer Ingenieur Ru-
zenden Diagonalen mit innen und außen dolph Eduard Schinz, der seine Ingenieur-
vertikal angeordneten Eisenwinkel sowie ausbildung in Paris an der École polytech-
zwei oberen Windverbänden und einem nique und der École des Ponts et Chaussées
unteren Windverband zusammen. Die Ab- erhalten hatte. Weil Lentze aber noch Zwei-
stände der vertikal zur Versteifung ange- fel hatte, ob die Tragfähigkeit des Überbaus
ordneten Winkel nehmen entsprechend tatsächlich wie berechnet gegeben sei, wur-
des Querkraftverlaufs zu den Auflagern hin de anfangs erwogen einen Probeträger im
ab. Lentze hatte die Vorstellung, dass durch Maßstab 1:1 im Werk in Dirschau hinsicht-
Bild 1.4-14 Gitterwände
der Alten Weichselbrücke
Dirschau (Foto: Prof. Dr.
Ing. Wieland Ramm)
Bild 1.4-15 Heutiger
Zustand (Ausschnitt) der
Alten Weichselbrücke
Dirschau (Foto: Prof. Dr.
Ing. Wieland Ramm)
1.4 Brücken von der Renaissance bis zur Gegenwart 47
lich seines Tragverhaltens zu prüfen [Mehr- Viadukte Neuvial und Rouzat der westlich
tens, 1900]. Ramm hat sehr ausführlich das von Vichy gelegenen Eisenbahnstrecke
Wissen über die Konstruktion, den Bau Commentry-Gannat der Orléans-Eisen-
und das Schicksal der Weichselbrücke bahngesellschaft (beide Brücken bestehen
Dirschau erarbeitet und das Ergebnis in ei- aus Stahl-Fachwerkträgern mit gekreuzten
nem lesenswerten Beitrag veröffentlicht Diagonalen zwischen vertikalen Pfosten für
[Ramm, 2004]. In dem von ihm herausge- den Überbau und Fachwerkstützen mit
gebenem Buch sind noch mehrere Beiträge vertikalen mit Beton gefüllten Gusseisen-
anderer Autoren enthalten, die das heutige rohren in den vier Ecken, die durch Ver-
Wissen über die Dirschauer Weichselbrü- bände ausgesteift sind), die 1877 fertigge
cke abrunden. stellte Maria Pia Stahlbogenbrücke über
Gustave Alexandre Eiffels Ururgroßva- den Duoro bei Porto mit 160 m Spannweite,
ter stammte aus Marmagen in der Eifel und die 1880-1884 gebaute Garabit-Eisenbahn-
lebte seit 1710 in Frankreich. Seinen für brücke und die 1883 gebaute Straßenbrü-
Franzosen unaussprechlichen Familienna- cke von Cubzac über die Dordogne.
men Bönickhausen ersetzte er durch Eiffel. Im Zuge des Baus der Eisenbahnstrecke
Gustave Alexandre Eiffel wurde 1832 in Di- Beziers-Marvejols-Neussargues war die tie-
jon geboren. Nach Beendigung seiner Inge- fe Schlucht über den Truyère zu überque-
nieurausbildung mit Spezialisierung auf ren. Léon Boyer, der 1878 die örtlichen
Chemie 1855 an der École Centrale des Vermessungsarbeiten vornahm, schlug vor,
Arts et Manufactures in Paris trat er zu- die Schlucht mit einer Bogenbrücke zu
nächst in die Firma von Charles Nepveu überbrücken. Als Bild schwebte ihm die
ein, wodurch er früh mit dem Bau von Ei- von Eiffel entworfene und gebaute Maria
senbahnbrücken vertraut wurde [Bonet, Pia Stahlbogenbrücke über den Duoro bei
2003]. Eiffel verdankte es Charles Nepveu, Porto vor. Diese Brücke wurde von Ingeni-
dass er in das bedeutendste Eisenbahnun- euren der damaligen Zeit bewundert und
ternehmen Frankreichs jener Zeit wechseln hat die Bekanntheit Eiffels und den Auf-
konnte und dort angestellt wurde. Ihm schwung seiner Firma in besonderem Maße
wurde der Bau der Saint Jean Brücke über gefördert. Sein Ansehen und seine Erfah-
die Garrone in Bordeaux übertragen, die rung und die seiner Firma führten dazu,
von 1857 bis 1860 gebaut wurde. Statt die dass Gustave Alexandre Eiffel in freier Ver-
Brücke wie üblich als Vollwandbalken aus- gabe ohne Wettbewerb 1879 den Auftrag
zuführen, baute Eiffel den Überbau als erhielt, die Garabit-Brücke (Bild 1.4-16) zu
leichte Fachwerkkonstruktion, die Kon- bauen [Stiglat, 1997]. Die Garabit-Brücke
struktionsart, die er fortan bei allen seinen ist die bedeutendste Brücke, die Eiffel ge-
Brücken und anderen Ingenieurkonstruk baut hat und zählt zweifelsfrei auch zu den
tionen bevorzugte. Er wechselte als Kon- bedeutendsten Brücken des 19. Jahrhun-
struktionschef in das Ingenieurbüro Pau- derts. Die konstruktive Durchbildung und
vels & Cie. Im Alter von 34 Jahren gründete die statische Berechnung der Brücke führte
Gustave Alexandre Eiffel 1866 seine eigene Maurice Koechlin, ein Schweizer Ingenieur,
Stahlbaufirma in Paris. Er entwarf, kon- Schüler Karl Culmanns, aus. Die Baulei-
struierte und baute zahlreiche Brücken und tung hatten de Boissanger und Robaglia,
andere Stahlbauwerke. Von Letzteren seien für den Bauherrn war u. a. Léon Boyer zu-
nur das Traggerüst der Freiheitsstatue in ständig und Emile Nouguier oblag die Lei-
New York und der Eiffelturm in Paris ge- tung des gesamten Bauablaufs und der
nannt. Zu den von Eiffel gebauten Brücken Montage. Auf der Baustelle waren zeitweise
zählen u. a. die beiden 1867–1869 gebauten bis zu 500 Arbeiter tätig. Die Bauarbeiten
48 1 Brückenbau auf dem Weg vom Altertum zum modernen Brückenbau
Bild 1.4-16 Garabit-
Brücke (Foto: Dr.-Ing.
Klaus Stiglat)
begannen im Januar 1880 mit der Herstel- Das Dorf Cubzac, nördlich von Bor-
lung der Widerlager und der Fundamente deaux gelegen, ist durch eine Landstraße
der Pfeiler. Der erste Pfeiler (die Pfeiler mit Bordeaux verbunden. Dabei ist die
wurden als Fachwerkkonstruktionen aus- Dordogne auf einer Brücke zu überqueren.
geführt) wurde im August 1882 errichtet. Ursprünglich erfolgte dies auf einer aus
Die vormontierten Fachwerkträger der dem Jahr 1837 stammenden Hängebrücke
Überbauten wurden von beiden Seiten von über mehrere Felder, die Ende des 19. Jahr-
den Widerlagern aus eingeschoben. Der hunderts durch eine neue Brücke ersetzt
Beginn der Bogenmontage war im Juni werden musste. Mit ihren Pfeilern aus
1883. Der Bogen wurde in zwei Teilen im Gusseisen, der Länge des Bauwerks und der
zurückgehängten Freivorbau hergestellt. großen Höhe über dem Wasser gehörte die
Die Rückhängeseile liefen über die Köpfe Hängebrücke zu den großartigsten Brücken
der über den Kämpfern befindlichen Pfeiler ihrer Zeit [Stiglat, 1997]. Im Vergleich zu
zu den Widerlagern und wurden dort ver- Mauerwerkspfeilern haben die gusseiser-
ankert. Der Scheitelschluss erfolgte im nen Pfeiler bedeutend geringere Eigenlas-
April 1884. Nachdem der Bogen, dessen ten, was besonders auch bei den Grün-
Spannweite 165 m beträgt, hergestellt war, dungsarbeiten zu Kostenersparnissen ge-
wurden die beiden Fachwerkträger des führt hatte. Ch. de Sansac, Ingenieur bei
Überbaus miteinander und mit dem sichel- Ponts et Chaussées, entwarf zunächst den
artigen Fachwerk-Zweigelenkbogen im Umbau der Hängebrücke. Um Kosten zu
Scheitel kraftschlüssig verbunden. Nach sparen und die Bauarbeiten zu beschleuni-
der Fertigstellung der Eisenbahnstrecke gen, wollte er die gusseisernen Pfeiler der
1888 erfolgten Belastungsversuche der Brü- alten Brücke unbedingt erhalten [Bonet,
cke. Unter der Belastung durch 22 Waggons 2003]. 1897 erhielt dann Eiffel den Auftrag
mit je 15 t Gewicht und einer 75 t wiegen- für den Umbau der Brücke, also die Aus-
den Lokomotive als ruhende Last hatte der führung des neuen Überbaus. Der Überbau
Bogen nur eine vertikale Verschiebung von mit acht Feldern wurde als geschlossenes
6 mm. Bei der dynamischen Belastung bei Stahlfachwerk ausgeführt. Nach der Mon-
Überfahren der Brücke mit Geschwindig- tage der jeweils drei vom Widerlager aus
keiten bis 55 km/h betrug die vertikale Ver- gesehen ersten Felder wurden die beiden
schiebung des Bogenscheitels etwa 4 mm Mittelöffnungen, die je etwa 73 m Spann-
[Stiglat, 1997]. weite haben, ohne Montagegerüst von bei-
1.4 Brücken von der Renaissance bis zur Gegenwart 49
Bild 1.4-17 Straßenbrü-
cke bei Cubzac über die
Dordogne (Foto: Dr.-Ing.
Klaus Stiglat)
den Seiten zum mittleren Pfeiler im Frei- spruchten Diagonalen außen beidseitig der
vorbau hergestellt. Nach der erfolgten mit Bindeblechen verbundenen auf Druck
Montage jeweils eines Vorbauabschnitts beanspruchten Diagonalen angeordnet
wurde der nächste montiert, wobei beim (Bild 1.4-18). Eiffel nahm für sich in An-
Anschluss des nun montierten Teils jeweils spruch, die Freivorbauweise in Frankreich
die berechneten und tatsächlich eingetrete- eingeführt zu haben. Die Verbindung der
nen Durchbiegungen kontrolliert und so von der abgebrochenen Hängebrücke aus
gesteuert wurden, dass nach der Fertigstel- dem Jahr 1837 verbliebenen gusseisernen
lung des kompletten Überbaus der Brücke Stützen mit dem aus dem Jahr 1897 stam-
dieser sich in der vorgegebenen Solllage be- menden Fachwerk-Überbau wirkt wider-
fand. Die vorhandenen gusseisernen Pfeiler sprüchlich. Eiffel empfand die durchbro-
wurden beim Umbau durch Kreuzverbän- chenen Gusseisenstützen von ganz und gar
de ausgesteift (Bild 1.4-17). Bei dem ge- eigentümlichem Aussehen.
schlossenem Fachwerk des Überbaus sind Die Talbrücke über die Wupper bei
die zweiteilig ausgebildeten auf Zug bean- Müngsten im Bergischen Land wurde im
Zuge des damaligen Neubaus der zweiglei-
sigen Eisenbahnstrecke Remscheid-Solin-
gen von der Königlichen Eisenbahndirekti-
on Elberfeld in Zusammenarbeit mit der
Preußischen Eisenbahn-Verwaltung ab
1889 geplant [Berg, 1997]. Für die Brücke
wurden drei Varianten in Erwägung gezo-
gen, eine Gerüst-(Fachwerkbalken), eine
Ausleger- und eine Bogenbrücke. Vier grö-
ßere deutsche Brückenbau-Firmen wurden
1891 von der Königlichen Eisenbahndirek-
tion Elberfeld gebeten, Entwürfe auszuar-
beiten und Kostenangebote abzugeben. Die
Unternehmen durften dabei frei aus den
vorgenannten Varianten wählen. Für die
Gerüst- und die Auslegerbrücke gab es Vor-
Bild 1.4-18 Geschlossenes Fachwerk der Stra- gaben, von denen nur in geringem Maße
ßenbrücke bei Cubzac über die Dordogne (Foto: abgewichen werden durfte. Für die Entwür-
Dr.-Ing. Klaus Stiglat) fe der Bogenbrücke gab es kaum Vorgaben.
50 1 Brückenbau auf dem Weg vom Altertum zum modernen Brückenbau
breite beträgt am Scheitel 5 m und an den Main in den Rhein mündet) bei gleichzei-
Kämpfern etwa 25,7 m; die Neigung der Sei- tiger Gründung der Süddeutschen Brücken-
ten außen beträgt 1:7. Alle Ständer des bau A.-G., München. Die Süddeutsche Brü-
Fachwerkbogens sind durch Querriegel und ckenbau A.-G. wurde 1884 aufgelöst, und
Andreaskreuze (Fachwerk-Querscheiben) die Werkstätten wurden als Brückenbau-
verbunden, der Windverband des Bogens Anstalt Gustavsburg dem Stammwerk der
ist im Untergurt angeordnet [Mehrtens, Maschinenbau-Gesellschaft Nürnberg als
1900], weil der Untergurt breiter und damit Zweigwerk angegliedert. Später vereinigten
steifer ist als der Obergurt. Die Vorteile des sich die Vereinigte Maschinenfabrik Augs-
felsigen Baugrunds konnten durch die Kon- burg und die Maschinenbau-Gesellschaft
struktion des eingespannten Fachwerk Nürnberg zur Maschinenfabrik Augsburg-
bogens ausgenutzt werden. Der angebotene, Nürnberg AG (M.A.N.).
an den Kämpfern eingespannte Bogen ist Die die Fachwerkträger der seitlichen
damit konstruktiv völlig anders als der bei Felder stützenden vierstieligen räumlichen
der neun Jahre zuvor fertiggestellten Gara- Fachwerkstützen einschließlich der beiden
bit-Brücke mit dem sichelförmigen Bogen ebenfalls vierstieligen räumlichen Fach-
(165 m Bogenspannweite, Bogenstich 52 m, werkstützen über den Widerlagern des Bo-
Gurtmittelabstände des Bogens sowohl am gens wurden zuerst montiert. Alle diese
Scheitel als auch am Kämpfer: 4 m) entwor- Fachwerkstützen sind in Brückenlängsrich-
fen worden, was sich vor allem für die Mon- tung 15 m breit. In Querrichtung sind die
tage, die kein Montagegerüst erforderte, Stützen wie der Bogen 1:7 gegen die Lot-
vorteilhaft ist. Alle Lager der seitlichen rechte geneigt und haben oben einen Quer-
räumlichen Fachwerkstützen und des Bo- abstand von 5 m. Auf die Fachwerkträger
gens sind im Mauerwerk der Gründung wurden Drehkrane mit einer Ausladung
verankert, wobei die Verankerungen vorge- von 10 m aufgebracht, von denen gleichzei-
spannt sind. Die Maschinenbau-Actien- tig der Bogen im freien Vorbau, die über
Gesellschaft Nürnberg erhielt den Auftrag, dem Bogen befindlichen Fachwerkstützen
die Brücke nach ihrem Vorschlag zu bauen, als Pendelscheiben und die Fachwerkträger
wobei der Auftrag um die Erd- und Grün- über dem Bogen montiert wurden. Die Ein-
dungsarbeiten sowie die Herstellung des spannung des Bogens an den Kämpfern
Mauerwerks erweitert wurde, damit der hatte, wie bereits erwähnt, den Vorteil, dass
Bau der Brücke in einer Hand lag. die Montage des Bogens ohne Gerüst erfol-
1894 wurde mit dem Bau begonnen. Die gen konnte. Außerdem weisen bekanntlich
Eisenbauarbeiten, verwendet wurde Fluss- eingespannte Bogen im Vergleich zu Zwei-
eisen, und die Vormontage wurden in der oder Dreigelenkbogen eine günstigere Ma-
Brückenbau-Anstalt Gustavsburg der Ma- terialverteilung auf, die größeren Eisen-
schinenbau-Actien-Gesellschaft Nürnberg querschnitte sind an den Kämpfern erfor-
ausgeführt. Die Brückenbau-Anstalt Gus derlich und zum Scheitel verringern sich
tavsburg wurde 1860 anlässlich des Baus der die Querschnitte und damit die Mengen
Eisenbahnbrücke über den Rhein in Mainz des Flusseisens. Der Bogen wurde, wie der
als Zweigwerk der Maschinenfabrik und Bogen der 1888 fertiggestellten Garabit-
Eisengießerei Klett & Comp., Nürnberg, Brücke, mit Rückverhängung im freien
eingerichtet und danach beibehalten [Berg, Vorbau hergestellt. Während der Montage
1997]. Die Firma Klett & Comp. firmierte waren vorübergehend Gelenke an den
ab 1873 als Maschinenbau-Actien-Gesell- Kämpfern vorhanden, wodurch Verfor-
schaft Nürnberg mit den Werkstätten in mungs- und Neigungskorrekturen im Bau-
Gustavsburg (an der Mainspitze an der der zustand ermöglicht wurden.
52 1 Brückenbau auf dem Weg vom Altertum zum modernen Brückenbau
wurde. Seit 1977 ist der Mittelteil der Stre- über drei Felder errichteten Brücke über
cke als Museumsbahn betriebsbereit und den St. Lorenz-Strom in Quebec/Kanada
diesem Umstand ist es zu verdanken, dass mit der Spannweite des mittleren Felds von
die Brücken uns als Zeugen der technischen 549 m übertroffen wurde. Allerdings gelang
Entwicklung insbesondere des Eisenbaus bei dieser Brücke erst der dritte Versuch ih-
von Ende des 19. Jahrhunderts erhalten res Baus. Bereits 1907 beim ersten Versuch
sind. des Baus der Brücke knickten beim Bau
Eine der weltweit bekanntesten Brücken Untergurtstäbe aus und führten zum Total
überhaupt ist die Eisenbahnbrücke über einsturz einer Brückenhälfte [Scheer, 2000].
den Firth of Forth bei Queensferry in Nach der Verbesserung des konstruktiven
Schottland. Die Brücke wurde von John Entwurfs und dem zweiten Bau der Brücke
Fowler und Benjamin Baker als Fachwerk- stürzte der Einhängeträger beim Einheben
Gerberträger über vier Felder mit den in den Fluss. Erst danach konnte die Brücke
größten Spannweiten der Mittelfelder von 1917 fertiggestellt werden.
etwa 521 m entworfen und von 1883 bis Zu den landschaftlich schönsten Punk-
1890 gebaut. Das System der Brücke ist im ten Dresdens zählt der scharfe Bogen der
Bild 1.4-23 dargestellt. Die gewaltigen Aus- Elbe mit der anmutigen Geländeform des
legerträger wurden beim Bau jeweils von Elbhangs bei Loschwitz. Auf der linken Elb-
den 44 m und 79 m breiten Stahlfachwerk- seite liegt Blasewitz und auf der rechten
Pfeilern aus nach beiden Seiten vorgebaut. Loschwitz, die bis 1893 nur mit Fährbetrieb
Nach der Fertigstellung der Auslegerträger verbunden waren. Seit 1874 bemühten sich
wurden in den Mittelöffnungen an deren Bürger und die damals noch selbstständi-
Kragarmenden Einhängeträger aufgelegt, gen Gemeinden Loschwitz und Blasewitz
die mit Schiffen angeliefert und vom Was- mit Eingaben an das Königlich Sächsische
ser aus montiert wurden. Über die über Finanzministerium um Genehmigung zum
107 m gespannten Einhängeträger werden Bau einer Brücke über die Elbe zwischen
die Auslegeträger miteinander verbunden. Loschwitz und Blasewitz [Helas et al.,
Die Gurte der mächtigen Auslegerträger 1995].
wurden aus Blechen zu rohrförmigen Fach- Claus Koepcke, von 1869 bis 1872
werkstäben als genietete Konstruktion zu- Professor für Eisenbahn-, Wasser- und
sammengesetzt. Die äußeren scheiben Brückenbau und Vorstand der Ingenieur-
artigen Fachwerkwände sind zur Erhöhung abteilung am Polytechnikum in Dresden,
der Stabilität zu den Auflagern hin nach war zu dieser Zeit Technischer Referent am
außen gespreizt. Nach ihrer Fertigstellung Königlich Sächsischen Finanzministerium.
war die Firth of Forth Brücke lange Zeit mit Ihm war das gesamte Eisenbahnwesen un-
521,24 m Spannweite die am weitesten ge- terstellt. Schon 1861, im Alter von 30 Jah-
spannte Brücke bis sie 1917 mit dem Bau ren, damals war er mit dem Bau des Hafens
der ebenfalls als Fachwerk-Gerberträger und der Hafenbahn in Geestemünde be-
1.4 Brücken von der Renaissance bis zur Gegenwart 55
Bild 1.4-24 Loschwitzer
Elbebrücke in Dresden
wurde das System aber weich und damit O-Busse und Straßenbahnen in Schritt
resonanzgefährdet. Um diese Wirkung zum geschwindigkeit für Fahrzeuge über 3 t
Teil auszugleichen, ordnete Koepcke soge- gesperrt, seit 1985 auch für den Straßen-
nannte Brückenbremsen am Mittelgelenk bahnverkehr. Danach wurden Instand
der Brücke und an den Pfeilern jeweils zwi- setzungsarbeiten vorgenommen, u. a. wur-
schen den Untergurten der Seitenfelder den die Federgelenke in Brückenmitte
und des Mittelfelds an. Die Brückenbrem- durch den Einbau von Spanngliedern ver-
sen bestehen jeweils aus sich fingerartig stärkt. Die Brücke ist unter den ausge
übergreifenden Stahlplatten, die von den wiesenen Nutzungseinschränkungen ver-
beiden Gurten ausgehend die Lücke am Ge- kehrstüchtig, wenn auch dem heutigen
lenkpunkt überbrücken, und aus neun Verkehrsaufkommen kaum gewachsen.
Schrauben mit Durchmessern von 35 mm, Wer sie im Berufsverkehr mit dem Auto
die in Langlöchern angeordnet sind. Durch benutzt braucht Geduld. Busse, Lastwagen
die Vorspannung dieser Schrauben wird und Autos stehen mehr als sie fahren und
zwischen den Platten Reibung erzeugt. Die das bereits bei der Anfahrt schon weit vor
Reibungskräfte verstärken die Dämpfung der Brücke.
der Brücke, sind aber zu gering, um bei Im Vergleich zu der Schönheit eleganter
Verformungen unter Last oder bei Tempe- Hängebrücken wirkt die Loschwitzer Brü-
raturänderungen zu Zwängungen zu füh- cke insgesamt nicht elegant, was durch die
ren. Der schräg zu den Hauptträgern ange- ästhetisch störende Versteifung des Mittel-
ordnete Trägerrost (die Querträger der gelenks durch aufgelegte Träger verstärkt
Fahrbahntafel sind unter 45° zur Brücken- wird. Die Brücke ist aber keineswegs plump,
achse angeordnet [Beyer, 1956], dort S. 625) im Gegenteil. Die Brücke unterstreicht die
sollte verhindern, dass beide Hauptträger schöne Landschaft des Elbbogens mit den
gleiche Schwingungen ausführen, und da- Dresdner Ortsteilen Loschwitz und Blase-
mit ebenfalls zur Dämpfung beitragen; witz. Von ausreichender Ferne wirken ihre
gleichzeitig dienen sie als unterer Windver- Linien klar, von der Nähe wie ein Gewirr
band. Nach Koepckes Aussagen verhinder- von Streben. Am schönsten wirkt sie, wenn
ten die angeführten Maßnahmen Resonanz man mit dem Elbdampfer vom Elbsand-
erscheinungen bei im Gleichschritt mar- steingebirge nach Dresden fährt. Man spürt
schierenden Kolonnen. Der heutige schwe- bei ihrem Anblick und dem der nördlichen
re Verkehr verursachte aber störende Elbhänge und südlich gelegenen Elbwiesen,
Schwingungen der Brücke. dass man das Elbsandsteingebirge, Pirna
1930 bis 1934 wurde die Brücke unter und Pillnitz hinter sich gelassen hat und in
der Leitung von Regierungsbaurat Dr. Kirs- Dresden angekommen ist. Die Brücke ist
ten und Professor Kurt Beyer verbreitert damit ein das Stadtbild prägendes Wahrzei-
und verstärkt. Koepcke hatte bereits beim chen Dresdens.
Bau der Brücke vorgesehen, dass die Brücke Die Spree hatte für die Gründung Berlins
verbreitert werden kann, sodass die Verle- und die frühere wirtschaftliche Entwick-
gung der Gehwege nach außen sehr einfach lung eine herausragende Bedeutung. Der
möglich war. Fluss in der Innenstadt, ehemals Verkehrs-
Im zweiten Weltkrieg durchschlugen weg, Warenumschlagplatz und Antrieb für
drei Bomben die Brückenfahrbahn und Mühlen hat diese Bedeutung heute verlo-
hinterließen erhebliche Zerstörungen. Die ren. Hauptsächlich Touristen- und Aus-
Brücke war Ende des 2. Weltkriegs für flugsboote zur Betrachtung der historischen
Brückensprengungen vorbereitet. Diese und modernen Sehenswürdigkeiten Berlins
wurden glücklicherweise verhindert. Ab unter anderer Perspektive vom Wasser aus
1956 war die Brücke mit Ausnahme der nutzen heute die Spree. Insbesondere beim
58 1 Brückenbau auf dem Weg vom Altertum zum modernen Brückenbau
Bild 1.4-26 Jungfern
brücke über den Kupfer-
graben in Berlin
Umfahren der Spreeinsel auf der Spree und Bogen aus Sandstein und dem beweglichen
vor allem durch den Spree- und den daran Durchlass in der Mitte wurde ursprünglich
anschließenden Kupfergrabenkanal unter 1798 als Zug-Klappbrücke nach hollän-
der Gertraudenbrücke und der Jungfern- dischen Vorbildern gebaut, und sie wurde
brücke (Bild 1.4-26) hindurch mit der fol- Ende des 20. Jahrhunderts wieder instand-
genden Durchfahrt unter der Schlossbrücke gesetzt. Der mittlere Durchlass hat beweg-
(Bild 1.4-4), vorbei am Schlossplatz und liche Klappen, die ursprünglich aus Holz
Lustgarten mit dem Blick nach rechts auf bestanden, heute aber aus Stahlträgern mit
den Dom und links dem Zeughaus sowie Bohlenbelägen bestehen. Sie konnten mit
schließlich mit der Museumsinsel mit den Rollen, eisernen Ketten und Gegengewich-
auch von außen eindrucksvollen Museen ten bewegt werden. Die Jungfernbrücke ist
am nördlichen Ende wird deutlich, dass die als historisches Beispiel solcher Brücken er-
Spree als Fluss in der Innenstadt die Stadt halten, die es früher Lastkähnen mit Segeln
Berlin und ihr Stadtbild ganz besonders ge- ermöglichte durch die städtischen Wasser-
prägt hat. Die Jungfernbrücke mit zwei straßen zu fahren.
Bild 1.4-27 Weiden
dammer Brücke in Berlin
1.4 Brücken von der Renaissance bis zur Gegenwart 59
Die Überquerung der Spree in der Fried- rhythmische Zunahme der Spannweiten
richstraße in Berlin erfolgt über die Weiden- zur Flussmitte und die vorgesetzten Pfeiler
dammer Brücke, Bild 1.4-27. Die Brücke als aus rotem Sandstein wirkt die Brücke sehr
Durchlaufträger mit veränderlicher Träger- harmonisch (Bild 1.4-28).
höhe über drei Felder mit Spannweiten von Zur Verbindung von Wiesbaden und
16,3 m – 38,5 m – 15,5 m wurde zunächst Mainz wurde 1961/62 die insgesamt 1180 m
von 1895 bis 1897 gebaut, mit dem U-Bahn- lange Schiersteiner Straßenbrücke über den
bau 1914 abgebaut und 1922 mit verbreiter- Rhein gebaut. Der Rhein ist an dieser Stelle
ter Fahrbahn und veränderter Gründung durch die Rettbergsaue in zwei Arme ge-
der Flusspfeiler wieder aufgebaut. Die Brü- teilt. Die beiden Strombrücken wurden als
cke sollte repräsentativ sein, weshalb Kunst- Stahl-Vollwandträger mit zweistegigen offe-
handwerker mit der Gestaltung der schmie- nen Querschnitten mit veränderlicher Trä-
deeisernen Brückengeländer und der neo gerhöhe jeweils über drei Felder durchlau-
barocken Laternenmasten beauftragt wur- fend und mit orthotroper Fahrbahnplatte
den. Nach Reparaturen in den 70er-Jahren ausgeführt. Die orthotrope Platte wird
wurde die Brücke umfassend saniert. durch in Längs- und Querrichtung ange-
Zwischen Mainz und dem rechtsrheini- ordnete Fachwerkträger unterstützt. Die
schen Vorort Castell, heute als Mainz-Kas- größte Spannweite der größeren der beiden
tel zu Wiesbaden gehörig, wurde bereits Strombrücken über den rechten Arm des
1883/85 eine Stahlbrücke über den Rhein Rheins beträgt 205 m (Bild 1.4-29) und die
gebaut. Die Brücke wurde über fünf Felder der kleineren 170 m. Diese Bauweise ist für
mit Spannweiten von 87 m – 99 m – 103 m die damalige Zeit typisch für Brücken dieser
– 99 m – 87 m als Fachwerk-Zweigelenk Spannweiten. Die Vorlandbrücken und der
bogen, in Querrichtung mit jeweils vier pa- zwischen den Strombrücken liegende Teil
rallelen Bogen, mit aufgeständerter Fahr- des Brückenzugs sind von den Strombrü-
bahn und einer Nutzbreite von 13,8 m er- cken getrennt und als Vollwandträger mit
richtet. 1931/33 wurde sie durch je zwei Stahlverbundplatten ausgeführt worden.
weitere parallele Bogen ergänzt und erhielt Jörg Schlaich hat einige Brücken als nur
damit eine Nutzbreite von 18,8 m. Im Krieg an einem Rand aufgehängte oder gestützte
wurde sie 1945 zerstört und 1949/50 in der Kreisringträger entworfen. Entwurfsgrund-
Form von 1933 wiederaufgebaut. Durch die lage ist dabei, die Erkenntnis aus der Me-
Bild 1.4-28 Theodor-
Heuss-Brücke über den
Rhein zwischen Mainz
und Mainz-Kastel
60 1 Brückenbau auf dem Weg vom Altertum zum modernen Brückenbau
chanik, dass der im Grundriss kreisförmig Stelle des derzeitigen Lehrter Bahnhofs der
gekrümmte Träger und auch die entspre- neue Hauptbahnhof gebaut. Die oberir-
chende Kreissegmentplatte in Längsrich- dische Ost-West-Trasse der Schnell- und
tung nur entweder am inneren oder äuße- Eisenbahn mit insgesamt sechs Gleisen
ren seitlichen Rand gestützt werden muss. führt über den Humboldthafen. Dafür wur-
Über die erste von ihm auf dieser Grundla- den 1997/99 je zwei zweigleisige und ein-
ge entworfenen Brücke, die Fußgängerbrü- gleisige horizontal gekrümmte Brücken als
cke Kehlheim über den Main-Donau-Ka- Stahlrohr-Stabbogen als vertikale Doppel-
nal, berichtet er in diesem Buch selbst, Ab- bogen und mit oberen Betonplattenbalken
schnitt 3.8.2. Bei der 1997 gebauten Fuß- ausgeführt [Schlaich/Schober, 1999-2]. Die
gängerbrücke über den Rhein-Herne-Kanal Brücken folgen der sich stetig aufweiten-
in Oberhausen (Bilder 1.4-30 und -31) er- den Gleisführung. Die Stabbogen aus dick-
folgt im Gegensatz zur Fußgängerbrücke wandigen Rohren verlaufen zwischen den
Kehlheim, die am inneren Rand aufgehängt Widerlagern und den Anschlüssen in den
ist, die Unterstützung durch einen als Betonplattenbalken in vertikalen Ebenen
Raumkurve geformten Bogen mit 77 m (s. Abschnitt 1.6.8.7). Die größte Spann-
Spannweite auf dem Einzelstützen und V- weite beträgt 60 m. Die Verbindung der
Stützen den Gehweg mittig unterstützen Stabbogen mit den Betonplattenbalken er-
[Bögle et al., 2003]. folgt optisch besonders ansprechend durch
In Berlin wurde nach Entwürfen der Ar- Einbindung der Bogen in die Betonplatten-
chitekten von Gerkan, Marg und Partner an balken, wobei das Stahlrohr aber nicht im
Isambard Kingdom Brunel aus dem Jahr Suspension Bridges – A Century of Pro-
1864 usw. gress der John A. Roebling’ Sons Company,
In Frankreich und der Schweiz wurden Trenton/New Jersey Bezug genommen.
überwiegend Drahtseile für die Kabel ver- Johann August Röbling wurde 1806 in
wendet. Diese Technik hatte man schon Mühlhausen in Thüringen, geboren. Nach
1816 sowohl in England als auch in Ameri- Abschluss seiner Schulbildung, zunächst
ka für kleine Hängebrücken angewendet. am Gymnasium in Mühlheim und an-
Die Brüder Séguin (Marc und Camille schließend am Privat-Pädagogium in Er-
Séguin) und Louis Joseph Vicat sind als die furt, begann der 17-Jährige Röbling das
zur Entwicklung der Drahtseilbrücken in Studium am damaligen Königlich Poly-
Frankreich Maßgebenden zu nennen. Die technischem Institut Berlin. Er studierte
berühmteste Drahtseilbrücke in dieser Zeit Tief- und Brückenbau, Hydraulik und
war die von M. J. Joseph Chaley, einem Deichbau, Maschinenbau und Architektur.
französischen Ingenieur, hergestellte Brü- Sein Lieblingsfach war Brückenbau, das er
cke über die Saane in Fribourg in der bei Dietleyn studierte. Dietleyn machte sei-
Schweiz mit der lichten Weite von 273 m ne Studenten mit der damals neuen Brü-
aus dem Jahr 1835. Obwohl das Luftspinn- cken-Konstruktionsform der Hängebrücke
verfahren für die Montage der Kabel schon bekannt. Er erläuterte u. a. fünf kleinere
bekannt war und von Louis Joseph Vicat Hängebrücken, die gerade in England ge-
stark gefördert wurde, verwendete Chaley baut worden waren, bei denen die Fahr-
beim Grand-Pont über die Saane in Fri- bahn an Ketten aus gelenkig miteinander
bourg das herkömmliche Montageverfah- verbundenen Stäben aufgehängt war. Diet-
ren mit vorfabrizierten Paralleldrahtseilen. leyn wies darauf hin, dass zwei dieser Ket-
In Frankreich scheint damals eine Euphorie ten-Hängebrücken nach kurzer Zeit bei
für Kabelbrücken geherrscht zu haben, von Wind eingestürzt waren. Auch über die von
1830 bis 1850 sollen dort mehr als 200 Ka- Finley 1796 gebaute erste Ketten-Hänge-
belbrücken gebaut worden sein. Der Man- brücke moderner Konstruktionsform über
gel an genügender Steifigkeit verursachte den Jacobs Creek bei Greeburgh in Penn-
jedoch einige Einstürze von Brücken dieser sylvania und über die 1816 gebaute und im
Bauart, wie das Unglück der Basse-Chaîne selben Jahr bereits unter der Belastung aus
Brücke über den Fluss Maine bei Angers in Eis und Schnee eingestürzte Messingdraht-
Frankreich im Jahre 1850, wobei 226 von seil-Hängebrücke über die Wasserfälle des
487 auf der Brücke marschierende Soldaten Schuylkill in Philadelphia erfuhr Johann
ums Leben gekommen sind. Wegen solcher August Röbling schon während seines Stu-
Einstürze wuchsen in Europa Zweifel an diums von Dietleyn. Er war fasziniert von
der Sicherheit der Kabelbrücken so stark, dem neuen Konstruktionssystem für Brü-
dass danach zunächst nur wenige Brücken cken und wurde sich auch gleich früh der
dieser Bauart gebaut wurden. Gefahren bewusst, die durch mangelhafte
Eine wegweisende Bedeutung für den Entwürfe entstehen können. Er war zwar
Bau moderner Hängebrücken kommt Jo- von Hängebrücken begeistert, hatte aber
hann August Röbling zu. Deshalb wird in noch nie eine gesehen. Während seines Stu-
Würdigung seiner besonderen Verdienste diums hörte er 1824, dass in Bamberg über
auf ihn, seine Entwicklung und seinen Bei- die Regnitz gerade die erste Ketten-Hänge-
trag zum modernen Großbrückenbau be- brücke als Fußgängerbrücke in Deutsch-
sonders eingegangen. Dabei wird auf die land gebaut wird. Er fuhr nach Bamberg,
Bücher von David Bernard Steinman machte eine sorgfältige Studie über die Brü-
[Steinman, 1957] und David P. Billington cke, analysierte die Konstruktion bis zur
[Billington, 1985] sowie die Ausarbeitung Ermittlung des benötigten Materials. Er
1.4 Brücken von der Renaissance bis zur Gegenwart 63
Bild 1.4-32 Ehemalige
Kettenhängebrücke
in Bamberg (Foto: Hans
Möller, Urheberrecht:
Stadtarchiv Bamberg)
fasste alles zu einem Bericht zusammen vertraut. Diese dienten zur Verbindung von
und reichte diesen als seine Ingenieur-Ab- Wasserwegen an den Stellen, an denen die
schlussarbeit ein. Seine Begeisterung für Kanäle durch Gebirgszüge unterbrochen
den Entwurf, die Konstruktion und den waren. Gleise wurden an den Hängen des
Bau von Hängebrücken wurde er nie mehr dazwischen liegenden Bergs hinauf und hi-
los. Die Ketten-Hängebrücke wurde 1825 nunter geführt. Die auf schiefen Ebenen
fertiggestellt, bestand bis 1880 im Original- fahrenden Bergbahnen hatten beträchtli-
zustand, wurde durch einen Neubau in che Steigungen. Die Kanalkähne wurden
Bamberg (Bild 1.4-32) erneuert und dann zerlegt und auf Loren verladen, die Fracht
im Krieg zerstört. und die Reisenden in von auf dem höchsten
Das Studium schloss Johann August zu überbrückendem Punkt befindlichen
Röbling im Alter von 20 Jahren als Zivilin- Dampfmaschinen mit endlosen Hanfseilen
genieur ab, wie früher der Bauingenieur, auf einem Doppelgleis auf den Berg hoch-
heute noch so in Österreich, genannt wurde gezogen und auf der anderen Seite (ein Wa-
(engl.: Civil Engineer). Es ist schade, dass gen wurde hochgezogen, ein Wagen als
die frühere Bezeichnung nicht im ganzen Gegengewicht fuhr hinunter) bis an den
deutschen Sprachraum beibehalten wurde. nächsten Kanal wieder heruntergelassen.
Sie trifft die Berufsbezeichnung und die Dort wurden die Kanalkähne wieder zu-
Vielseitigkeit des Berufs treffender als die sammengebaut und die Fracht verladen.
heute übliche. 1831 wanderte Röbling nach Die Hanfseile scheuerten ständig durch,
Amerika aus. Er engagierte sich zunächst was häufig ohne Vorwarnung geschah.
mit dem Aufbau der Siedlung Saxonburg Wenn ein Hanfseil riss, zerschellten die
(zunächst Germania genannt) in Pennsyl- Wagen mit der Ladung. Weil die teuren
vania für die mit ihm Ausgewanderten und Hanfseile selbst dann, wenn kein Unglück
betätigte sich deshalb in der Landwirtschaft, eintrat, in kurzen Zeitabständen ersetzt
als Landwirt war Röbling aber nicht beson- werden mussten, verursachte dies laufend
ders erfolgreich. hohe Kosten. Röbling kam zur Erkenntnis,
Nach sechs Jahren kehrte er in den Inge- dass es besser sei die Hanfseile durch Draht-
nieurberuf zurück. Er wurde technischer seile zu ersetzen. Er erinnerte sich, dass in
Assistent für die Kanalisierung des Kanal- Sachsen bereits Drahtseile durch Zusam-
netzes im Staat Pennsylvania. Dabei wurde mendrehen von Drähten hergestellt wor-
er mit dem Betrieb von Seilschienenbahnen den sind. Er war entschlossen dies auch zu
64 1 Brückenbau auf dem Weg vom Altertum zum modernen Brückenbau
tun. Diese Idee war die Geburtsstunde für gen entstanden. Er entwickelte deshalb das
den Aufbau der Drahtseil-Industrie, die auf Ideen von Henry Vicat aufbauende Ka-
den Großbrückenbau revolutionierte und bel-Luftspinnverfahren. Jeder Draht wird
auch für vielfältige andere Einsatzmöglich- dabei einzeln mit einer rollenden Vorrich-
keiten wegweisend war. Er stellte 1841 auf tung über die Pylone gezogen und in der
seinem Hof in Saxonburg sein erstes Draht- Luft in seiner erforderlichen Form aufge-
seil her und beantragte ein Patent über Ver- hängt Die aufeinander folgenden Drähte
fahren zu Anfertigung von Drahtseilen, das werden in der gleichen Länge mit dem glei-
ihm 1842 gewährt wurde. Bei der ersten chen Stich der Durchhängung aufgehängt
Versuchsvorführung auf einer der Gefäll- und erhalten damit zwangsläufig alle die
strecken des Pennsylvania Kanals wurde er gleiche Spannung. Danach wird eine be-
Opfer einer Sabotage. Jemand schnitt das stimmte Anzahl von Drähten zu einem Ka-
Drahtseil an, so dass es bei der Vorführung belstrang gebündelt und schließlich werden
riss. Nach der Ausbesserung der beschädig- die Stränge zu einem kompakten Kabel zu-
ten Stelle, tat das Drahtseil bei härtester sammengepresst. Das fertige Kabel wird
Beanspruchung lange seinen Dienst, es mit weichem ausgeglühtem Draht dicht
wurde ein voller Erfolg Röblings. Alle Seil- umwickelt (umsponnen) und außen mit
schienenbahnen wurden danach mit Draht- einem Farbanstrich versehen. Dadurch
seilen ausgerüstet. Vor allem die Gefahren wurde ein dichter Luftabschluss geschaffen
der Transporte über die Berge wurden ver- und das Eindringen von Feuchtigkeit in das
ringert, aber auch die Kosten wurden ge- Kabel verhindert. Das weiter entwickelte
senkt. Der große Bedarf an Drahtseilen, die Verfahren ist bis heute bei allen großen
auch in Bergwerken zur Förderung sowohl amerikanischen Hängebrücken angewen-
in senkrechten Schächten als auch im det worden. Gut vorbereitet, war er nun
Schrägbau, für Drahtseilbahnen und Bag- entschlossen sich um den Bau von Hänge-
ger sowie in der Schifffahrt eingesetzt wur- brücken zu bewerben. Bereits 1841, also
den, führte zum Aufbau seiner Firma zur gleichzeitig mit der Herstellung seines ers-
Herstellung von Drahtseilen, die er zu- ten Drahtseils, hat er die für die Entwick-
nächst in Saxonburg gründete und die lung des modernen Hängebrückenbaus
schnell und beständig wuchs. Sie wurde erste, grundlegende Arbeit [Roebling, 1841]
deshalb 1849 nach Trenton verlegt, und sie über den Bau von Hängebrücken veröffent-
besteht noch heute als John A. Roebling’ licht.
Sons Company Trenton, New Jersey. Er be- Im Winter 1843/44 wurde eine Kanal-
antragte ein weiteres Patent für Kabel mit brücke des Pennsylvania-Kanals über den
parallel angeordneten Drähten, das ihm Allegheny in Pittsburgh durch Eis stark be-
auch erteilt wurde. Durch die Entwicklung schädigt und sollte durch einen Neubau
des Drahtseils wuchs bei ihm die Überzeu- ersetzt werden. Johann August Röbling
gung, dass mit dem Draht die Lösung für schlug den Bau einer Kanal-Hängebrücke
den Bau von Brücken mit großen Stützwei- vor und erhielt den Auftrag, die Kanal
ten gefunden worden war. Bei den zu dieser brücke in einer Frist von neun Monaten zu
Zeit bisher in Europa gebauten Drahtseil- bauen, was Röbling fristgerecht als Ingeni-
Hängebrücken legte man die einzelnen Ka- eur-Unternehmer erfüllte. Die Brücke hatte
bel entlang des Ufers aus, transportierte sie sieben Öffnungen mit je 49 m Stützweite.
so zur Brücke und hängte sie über die Pylo- Die beiden Drahtkabel hatten Durchmes-
ne. Röbling erkannte, dass bei dieser Her- ser von 18 cm und liefen ungestoßen girlan-
stellung die Verkrümmungen der einzelnen denförmig über die ganze Länge der Brücke
Kabel nicht so eingerichtet werden konn- durch. An ihnen wurde der Holztrog konti-
ten, dass in allen Drähten gleiche Spannun- nuierlich über Hänger aufgehängt. Zum
1.4 Brücken von der Renaissance bis zur Gegenwart 65
ersten Mal in der Geschichte des Brücken- nen verband. Die Anordnung der Kabel
baus wurden große Kabel für eine Hänge- war einzigartig. Zwei Kabel waren durch
brücke in ihrer endgültigen Lage an Ort Drahtseilaufhängungen unmittelbar mit
und Stelle hergestellt. der oberen Brückentafel verbunden, die
In den folgenden Jahren baute Röbling beiden anderen mit der unteren Brückenta-
weitere Kanalbrücken und die sehr leichte fel. Zur Versteifung und Erhöhung der
Monongahela-Brücke in Pittsburgh, bei der Windstabilität sowie zur Aufnahme eines
er zur Versteifung und Erhöhung der Wind- Teils der Belastung ordnete Röbling wieder,
stabilität erstmals zusätzliche Schrägkabel wie bei der Monongahela-Brücke, Schräg-
anordnete, die von den Köpfen der Pylone kabel an, die büschelartig (Definition nach
zu den hölzernen Versteifungsträgern lie- Feige s. Bild 5.2.1-35) von den Pylonen zu
fen. Bis 1850 hatte Johann August Röbling den beiden Fahrbahnen liefen. Die Brücke
in sechs Jahren sechs Hängebrücken, fünf wurde im März 1855 fertig gestellt. Die
Kanalbrücken und eine Straßenbrücke, die Brücke trug trotz ständig anwachsendem
Monongahela-Brücke in Pittsburgh, ge- Gewicht der Züge und Lokomotiven die
baut. Lasten von ihrer Inbetriebnahme 1855 bis
1847 wurde der Bau einer kombinierten 1897, also über 42 Jahre. Wegen des zuneh-
Eisenbahn- und Straßenbrücke über den menden Eisenbahnverkehrs, des im Ver-
Niagara etwa 3 km unterhalb der bekann- gleich zu ihrer Fertigstellung auf das Drei-
ten Wasserfälle ausgeschrieben. Johann fache angewachsenen Belastungsgewichts
August Röbling bewarb sich um den Auf- und des zusätzlichen Erfordernisses der
trag, den Zuschlag erhielt aber nicht er, Aufnahme von Straßenbahnen wurde die
sondern Charles Ellet, der aber nur bis zur Brücke 1897 abgebrochen und durch eine
Fertigstellung einer 2,30 m breiten Behelfs- breitere Konstruktion als Stahlbogenbrü-
brücke im Juli 1848 für die Arbeiter und cke ersetzt, die für größere Belastungen
den Transport von Material für die eigent- ausgelegt ist.
lichen Bauarbeiten kam. Die Behelfsbrücke 1857 erhielt Johann August Röbling den
wurde zunächst zehn Monate als Fußgän- Auftrag, in Pittsburgh eine weitere Hänge-
gerbrücke und nach einigen Verstärkungen brücke über den Allegheny zu bauen, die
einige Jahre auch für den Verkehr von leich- eine 40 Jahre alte, überdachte Brücke erset-
ten Fahrzeugen zur Überquerung des Nia- zen sollte. Beim Bau dieser Brücke wurde
gara genutzt. Für den Verkehr auf der für ihn ein Traum wahr. Sein ältester Sohn
schwankenden Brücke stand nur eine Fahr- Washington Roebling, der von 1854 bis
bahn zur Verfügung. Schließlich wurde sie 1857 am Polytechnischen Institut von
abgebrochen. Rensselaer in Troy/New York sein Ingeni-
Johann August Röbling erhielt nun 1851 eurstudium absolviert und einige Zeit in
den Auftrag zum Bau der kombinierten der Trentoner Fabrik gearbeitet hatte, kam
Eisenbahn- und Straßenbrücke über den 1858 zu ihm nach Pittsburgh und arbeitete
Niagara. Die Niagara-Brücke wurde als mit ihm zusammen beim Bau dieser Brü-
Hängebrücke mit 247,5 m Stützweite mit cke, die 1860 fertiggestellt war.
vier Kabeln mit 25,4 cm Durchmesser aus Bereits seit 1839 war der Bau einer Brü-
schmiedeeisernem Draht als zweigeschos- cke über den Ohio von Covington nach
sige Brücke gebaut. Das Eisenbahngleis lag Cincinnati im Gespräch. Johann August
auf der oberen und die Straße auf der unte- Röbling hatte sich bereits seit 1846 damit
ren Brückenebene. Die Niagara-Brücke war beschäftigt und für die Brücke über den
die erste Hängebrücke mit voll wirksamen Ohio von Covington nach Cincinnati Pläne
5,5 m hohem Versteifungsträger, der als ausgearbeitet, die 1856 zum Auftrag die
Fachwerkträger die beiden Fahrbahnebe- Brücke zu bauen geführt hatten. Nach dem
66 1 Brückenbau auf dem Weg vom Altertum zum modernen Brückenbau
Beginn der Gründungsarbeiten für die bei- inzwischen schwereren Verkehrs 1896/1897
den Pylone wurden die Bauarbeiten zu- durch Ergänzung von zwei weiteren Kabel
nächst wegen Geldmangels eingestellt. We- mit 25,4 cm Durchmesser verstärkt werden
gen des Ausbruchs des Bürgerkriegs 1860 musste.
wurden die Arbeiten ganz gestoppt und erst Gut vorbereitet und erfahren bewarben
1863 wieder aufgenommen. Die Brücke sich Vater Johann August und Sohn Was-
über den Ohio von Covington nach Cincin- hington Roebling um den Entwurf und den
nati hat eine Spannweite von 322 m. Es war Bau der Brücke in New York über den East
bis dahin die größte Spannweite einer Brü- River zur Verbindung von Manhattan nach
cke. Die Hängekabel haben 32 cm Durch- Brooklyn. Der Bau der Brooklyn Brücke
messer und waren die Kabel mit dem größ- sollte sich zu einer tragischen Geschichte
ten Durchmesser bis dahin. Zunächst entwickeln. Bereits 1857 hatte Johann Au-
musste eine leichte Arbeitsbrücke gebaut gust Röbling in einem Brief dem New Yor-
werden. Das Ende des Drahtseils mit ker Bürgermeister die Möglichkeit der
63 mm Durchmesser als Doppelseil wurde Überbrückung des East Rivers als durch-
von den Verankerungs-Widerlagern auf führbar erklärt. 1865 arbeitete er Pläne für
der Seite von Cincinnati über den Pylon auf den Bau der Brücke aus, die er Vertretern
der Seite von Cincinnati gezogen, der Rest der Brooklyner Bürgerschaft vorlegte. Im
auf einen Kahn verladen und über den Dezember 1866 trafen Henry C. Murphy,
Ohio, auf den Grund des Flusses abgesenkt, William C. Kingsley und Alexander Mc Cue
zum gegenüber liegenden Ufer in Coving- die zielführenden Vorbereitungen dafür,
ton geschleppt. Mit einem dampfbetrie- dass die Gesetzgebende Versammlung des
benen Flaschenzug wurde das Doppelseil Staats New York im April 1867 den Be-
aus dem Wasser zum Kopf des Pylons auf schluss fasste, dass die Brooklyn Brücke
der Seite von Covington und in seinen er- gebaut werden soll. Einen Monat später
forderlichen Durchhang zwischen den bei- wurde die New Yorker Brückengesellschaft
den Pylonen nach oben gezogen und an als Körperschaft öffentlichen Rechts zur Er-
den Kabelverankerungs-Widerlagern kraft- richtung und Unterhaltung der Brücke über
schlüssig arretiert. Auf die Drahtseile wur- den East River zwischen den Städten New
den Holzquerbalken und darauf in Längs- York und Brooklyn gegründet. Mit dem
richtung Bodenbretter aufgelegt. Von dieser Entwurf und dem Bau der Brücke wurde
Arbeitsbühne konnten die weiteren Arbei- Johann August Röbling beauftragt. Sein
ten, vor allem das Spinnen der Kabel für Sohn Washington Roebling, der von An-
die Hängebrücke, vorgenommen werden. fang an am Entwurf der Brooklyn Brücke
Die Hängebrücke selbst erhielt wieder zur beteiligt war, fuhr daraufhin nach Europa,
Versteifung und Erhöhung der Windstabi- um sich auf den neuesten Stand des Wis-
lität Schrägkabel, die strahlenförmig von sens über verschiedene Probleme des Inge-
den Pylonen zum Versteifungsträger liefen. nieurbaus und insbesondere über Druck-
Als neues Konstruktionselement kamen je luftverfahren zur Absenkung der Caissons
zwei Paar in entgegengesetzter Richtung zur Herstellung von Fundamenten zu brin-
laufende Schrägkabel hinzu, die die Hänge- gen. Johann August Röbling bestimmte in-
kabel aussteifen. Ab 1865 bis zur Fertigstel- zwischen mit dem Vergleich verschiedener
lung der Brücke im Jahr 1867 unterstützte Linienführungen der Straßen mit ihren
Washington Roebling als Stellvertretender Rampenneigungen und der Verkehrsmög-
Chefingenieur seinen Vater bei der Fertig- lichkeiten die Lage der Brücke, stellte die
stellung des Baus der Brücke, die noch heu- Planungsunterlagen einschließlich der not-
te ihren Zweck erfüllt, allerdings wegen des wendigen Vermessungsarbeiten bis zum
1.4 Brücken von der Renaissance bis zur Gegenwart 67
September 1867 fertig und veranschlagte mussten amputiert werden. Nach zwei Wo-
die Kosten für den Bau der Brücke, die mit chen voller Schmerzen starb Johann August
486,3 m Spannweite der Haupt- und je Röbling, der geniale Ingenieur des 19. Jahr-
284,4 m der beiden Seitenöffnungen als hunderts, an den Folgen des Unfalls. Im
technisches Meisterwerk des 19. Jahrhun- August 1869 wurde der 32-jährige Wash
derts und als Markstein in die Geschichte ington Roebling, der ja durch seine Mitar-
der Brückenbaukunst eingehen sollte. Röb- beit von Beginn an bestens mit dem Ent-
ling schlug innovativ vor, für die Hängeka- wurf, der Konstruktion und dem Bau der
bel erstmals kaltgezogenen Stahldraht an- Brücke vertraut war, zum Chefingenieur als
statt Eisendraht zu verwenden. Die Brook Nachfolger seines Vaters bestellt.
lyn Brücke war bahnbrechend für mehrere Für die Gründungen der neugotisch wir-
folgende Hängebrücken mit Spannweiten kenden Pylone aus Granit wurden Druck-
zwischen 400 und 600 m, wobei bei den luft-Senkkästen, damals ein neues Verfah-
nachfolgenden Brücken die erforderlichen ren für Gründungen in tiefem Wasser, ver-
Tragfähigkeiten wegen des zunehmenden wendet. Der Pylon auf der Brooklyner Seite
Verkehrs anwuchsen. Röblings Plan für den wurde in einer Tiefe von etwa 12 m, der auf
Bau der Brücke wurde vom Planungs- und der New Yorker Seite in einer Tiefe von
Vermessungsausschuss angenommen. Von etwa 24 m gegründet. Der obere Abschluss
namhaften Ingenieuren wurden aber Zwei- des zuerst ausgeführten, hölzernen, unten
fel geäußert, ob der Bau der weitgespannten offenen Senkkastens auf der Brooklyner
Brücke ausführbar sei. Zwei Kommissio- Seite war eine 4,5 m dicke aus Holzbalken
nen, eine der Beratenden Ingenieure und zusammen gesetzte Platte (beim Senkkas-
eine von Militär-Ingenieuren, befassten ten auf der New Yorker Seite war die Holz-
sich intensiv mit der Frage, besichtigten platte sogar 6,7 m dick). Die gezimmerten
u. a. die von Röbling bereits gebauten Hän- Holzwände waren oben 2,7 m dick und lie-
gebrücken über den Niagara und über den fen nach unten spitz zu einer Schneide zu,
Ohio zwischen Covington und Cincinnati. die aus einem abgerundeten und durch Ble-
Beide Kommissionen bestätigten schließ- che gepanzertem eisernen Gussstück als
lich im Mai und Juni 1869 in ihren Berich- Schuh bestand. Über den ganzen Caisson
ten die Durchführbarkeit des Baus der wurde ein fugenloses Zinkblech gelegt. Der
Brooklyn Brücke nach Röblings Plänen. Senkkasten wurde am Ufer auf Hellingen
Der Widerstand der Fachkreise war besei- gebaut und zur Gründungsstelle einge-
tigt und der Bau der Brücke über den East schwommen und abgesenkt. Die Aus-
River konnte endlich beginnen. schachtungsarbeiten im Caisson erfolgten
Aber welche Tragik sollte auf Johann in drei achtstündigen Schichten. Die Arbei-
August Röbling und seinen Sohn zukom- ter arbeiteten jeweils acht Stunden im Cais-
men. Bei abschließenden Vermessungsar- son. Die Arbeitsbedingungen im Caisson
beiten im Sommer 1869 übersah Johann waren aus heutiger Sicht unzumutbar. Bei
August Röbling, der bei der genauen Lage- Petroleumlicht mussten Morast, Treibsand
bestimmung des Pylons auf der Brooklyner und eine Unmenge Fels entfernt werden,
Seite auf den Dalben einer Fähranlegestelle zeitweise wurde sogar Dynamit zum Spren-
stand und in seine Arbeit vertieft war, ein gen von Fels eingesetzt. Die mit einem zu
einfahrendes Fährschiff. Das Schiff krachte langem Aufenthalt in komprimierter Luft
mit voller Wucht gegen den Fender, das verbundenen Gefahren (Caisson- oder
Fendergerüst drückte gegen den Pfosten Taucherkrankheit) waren damals noch un-
und Röblings Fuß wurde eingeklemmt und bekannt. Beim Absenken des Caissons für
zerquetscht. Die Zehen des rechten Fußes die Gründung des Pylons auf der Brook
68 1 Brückenbau auf dem Weg vom Altertum zum modernen Brückenbau
lyner Seite mit Luftüberdrücken bis 1,6 atü den Bau der Brücke erforderlichen Gebiete
traten, sieht man von vorübergehenden der Mathematik, das Verhalten von Kabel-
Wirkungen auf die Trommelfelle beim Ein- konstruktionen, das Materialverhalten und
und Ausschleusen ab, kaum Probleme bei Brückenvorschriften. Sie ließ sich von ih-
gesunden Arbeitern auf. Dies änderte sich rem Mann dessen Gedanken erläutern und
beim Senkkasten für die Gründung des Py- machte sich mit der Sprache der Ingenieure
lons auf der New Yorker Seite. Als hier der vertraut. Täglich ging sie zur Brückenbau-
Luftüberdruck über 1,7 atü anwuchs wur- stelle, um die fortlaufenden Arbeiten zu
den die Verbleibzeiten im Caisson sukzes- kontrollieren und die Anweisungen ihres
sive verringert, bis auf zwei Stunden bei Manns den Ingenieuren auf der Baustelle
Erreichen der Gründungstiefe mit 2,5 atü zu überbringen. Als kurz vor der Vollen-
Überdruck. Trotz zusätzlich getroffener dung des Baus der Brooklyn Brücke 1882
umfänglicher Vorbeugungsmaßnahmen Zweifel geäußert wurden, dass Washington
litt ein großer Teil der Arbeiter unter den Roebling wegen seines Gesundheitszu-
Folgen der Auswirkungen des Aufenthalts stands die Stelle des Chefingenieurs weiter-
in der komprimierten Luft. 110 Arbeiter hin ausfüllen könne (man beachte, dass
bedurften ärztlicher Behandlung, drei Ar- Roebling bereits seit zehn Jahren gelähmt
beiter starben. und trotzdem weiterhin als Chefingenieur
Weil er sich des Risikos der Arbeit im tätig war!), hielt Frau Emily Warren Roeb-
Druckluftkasten bewusst war und wusste, ling vor der Amerikanischen Gesellschaft
dass jeder geringfügige Fehler verhängnis- der Zivilingenieure (ASCE) ein so über
voll werden konnte, war Washington Roeb- zeugendes Plädoyer, dass die Ablösung
ling selbst stets im Caisson, wenn es kritisch ihres Mannes als Chefingenieur verworfen
wurde. Er war mehr Stunden im Druckluft- wurde.
kasten als jeder Andere. Im Sommer 1872 Auf den ausbetonierten Caissons erho-
wurde er nahezu bewusstlos aus dem Cais- ben sich 1876 die mehr als 106 m hohen,
son gebracht, sein Tod wurde stündlich er- fertig gestellten Pylone aus Granit, die die
wartet. Er erholte sich nach einigen Tagen, Hängekabel tragen. Die Widerlager zur
brach dann aber wieder zusammen. Er Verankerung der Kabel waren ebenfalls fer-
blieb unter Schmerzen zeitlebens gelähmt, tig. Die Vorbereitungen für das Spinnen der
im Alter von 35 Jahren war er ein Opfer der Kabel liefen an. Im Prinzip erfolgte die Ka-
Caisson-Krankheit. Er war aber fest ent- belherstellung wie bei der Brücke über den
schlossen, trotzdem den Bau der Brücke als Ohio von Covington nach Cincinnati. Nur
Chefingenieur zu vollenden. Er saß zu Hau- wenige örtlich bedingte Änderungen wur-
se mit direktem Blick vom Fenster auf die den vorgenommen. Statt zwei, wie bei der
Brückenbaustelle. Weil er fürchtete, nicht Ohio-Brücke, waren bei der Brooklyn Brü-
mehr lange zu leben, schrieb, zeichnete er cke vier Kabel erforderlich. Diese hatten
fieberhaft und arbeitete bis ins Einzelne ge- auch größere Querschnitte (39,4 cm Durch-
hende Anweisungen für den Bau der Pylo- messer) als bei der Ohio-Brücke, und sie
ne, das Spinnen der Hängekabel und die waren erstmals bei einer Hängebrücke aus
Aufhängung des Stahldecks einschließlich verzinktem Stahldraht. Wie bereits zuvor
schwieriger und besonderer Montagevor- bei den Brücken über den Niagara und über
gänge aus. Er dirigierte mit einem Fernglas den Ohio wurden zusätzliche Schrägkabel
bewaffnet vom Fenster seines Hauses die angeordnet, die von den Köpfen der Pylone
Baustelle. Seine Frau, Emily Warren Roeb- büschelartig angeordnet zum Versteifungs-
ling, unterstützte ihn mit großem Einsatz. träger gespannt sind. Vor dem Beginn des
Sie studierte unter seiner Anleitung die für Spinnens der Kabel für die Hängebrücke
1.4 Brücken von der Renaissance bis zur Gegenwart 69
mussten Behelfskabel für die Montage der ner Promenade für Fußgänger, die längs in
endlosen Zugseile zum Spinnen der Kabel der Brückenmitte oberhalb der Ebenen der
und die erforderliche Arbeitsbühne von Fahrspuren angeordnet ist, ist noch heute
Ufer zu Ufer gespannt werden. Außerdem voll im Betrieb. David Bernard Steinman
wurden zwei Kabel als gegenläufig ge- erweiterte und ertüchtigte von 1944 bis
krümmte Umkehrkabel zwischen den bei- 1954 die Brücke für den heutigen Verkehr.
den Pylonen gespannt, die verhinderten, Dabei wurden der Bahnverkehr eingestellt
dass die leichten temporären Kabel und die und die Gleise für die Straßenbahnen ent-
Arbeitsbühne vom Wind emporgehoben fernt. Die Brücke (Bild 1.4-33) hat jetzt
wurden. Das Spinnen der Kabel war im Ok- sechs Fahrspuren für den Kraftfahrzeug-
tober 1878 beendet. Alle Stränge der Kabel verkehr und weiterhin die oberhalb der
wurden mit Pressen genau zylindrisch zu- Ebenen der Fahrspuren angeordnete Pro-
sammengezogen und die Kabel mit einem menade für Fußgänger.
ununterbrochenem Draht umwickelt, wo- Nachdem Wilhelm Ritter bereits 1883
bei der Wickeldraht durch eine rotierende seine Theorie zur Berechnung von Hänge-
Maschine auf Zug so vorgespannt wurde, brücken unter Berücksichtigung der Kabel
dass die Reibung zwischen den Drähten so dehnungen [Ritter, 1883] veröffentlichte,
groß wurde, dass es unmöglich war einen stellte Joseph Melan 1888 sein auf der Lö-
Kabeldraht aus dem Bündel heraus zu zie- sung der Differentialgleichung basierendes
hen. Danach wurde der Versteifungsträger analytisches Verfahren „Theorie der eiser-
über die Hänger an die Hängekabel gehängt nen Bogenbrücken und Hängebrücken“
und danach die Schrägkabel eingebaut. Die vor [Melan, 1888]. Darin präsentiert er
Brücke wurde im Mai 1883, nachdem auch eine auf der Deformation des Tragwerks
die Brückenauffahrten fertiggestellt waren, beruhende grundlegende Berechnungs
in Anwesenheit des Präsidenten der Verei- methode, die den Entwurf großer Hänge-
nigten Staaten Chester Arthur und vieler brücken wesentlich beeinflusst hat. Diese
Persönlichkeiten eröffnet. Die Brooklyn- Berechnungsmethode wurde erstmals von
brücke, ursprünglich mit vier Spuren für Leon Solomon Moisseiff beim Entwurf der
Pferdefuhrwerke, zwei Gleisen für die Stra- 1901 bis 1909 gebauten Manhattan-Brücke
ßenbahn (stattdessen von 1898 bis 1944: je in New York (auf Bild 1.4-33 im Hinter-
zwei Gleise für Straßenbahn und O-Busse grund), die eine Spannweite von 448 m
und zwei Spuren für Autoverkehr) und ei- Spannweite hat, angewendet und in die
Bild 1.4-33 Brooklyn
Brücke in New York
(Foto: Giesela Schmitz)
70 1 Brückenbau auf dem Weg vom Altertum zum modernen Brückenbau
Praxis eingeführt. Die Theorie wurde 1912 war Ammann Mitarbeiter im Ingeni-
später u. a. von Stephen P. Timoshenko, eurbüro von F. C. Kunz und C. C. Schneider
Leon Solomon Moisseiff, David Bernard in Philadelphia. Hier verfasste er u. a. einen
Steinman und Kurt Klöppel/ Kuo Hao Lie Entwurf für den Wiederaufbau der Que-
verbessert und erweitert. bec-Brücke. 1912 wurde er Mitarbeiter im
Ein weiterer wichtiger Markstein für den Ingenieurbüro von Gustav Lindenthal in
Bau von Hängebrücken wurde von Othmar New York. Er wurde mit dem Entwurf
Hermann Ammann gesetzt, weshalb auch der Hell Gate Brücke und den beim Bau
seine Entwicklung kurz gestreift wird. Hier- auftretenden technischen Fragen betraut.
bei wird auf [Stüssi, 1974] Bezug genom- Die Hell Gate Brücke ist eine Fachwerk-
men. Othmar Hermann Ammann wurde Zweigelenkbogenbrücke mit einer Spann-
am 26. März 1879 in Feuerthalen im Kanton weite von 298 m für Eisenbahnverkehr mit
Schaffhausen geboren. Als er sechs Jahre alt vier Gleisen. Zum Zeitpunkt ihres Baus
war, übersiedelte die Familie Ammann nach war sie die am weitesten gespannte Bo
Kilchberg am Züricher See. Hier wuchs er genbrücke. Als Mitarbeiter von Gustav
auf. Er besuchte zunächst die Volksschule in Lindenthal war Ammann auch mit dem
Kilchberg und anschließend in Zürich die Entwurf für eine Hängebrücke über den
Industrieschule (technische Abteilung der Hudson in New York befasst. Dieser Ent-
Kantonsschule). Nach Abschluss seiner wurf in der Höhe der 57. Straße erwies sich
Schulbildung begann Ammann 1897 das als zu teuer und wurde nicht zur Ausfüh-
Studium des Bauingenieurwesens an der rung beauftragt.
Eidgenössischen Technischen Hochschule 1923 machte sich Othmar Hermann
in Zürich, das er 1902 mit dem Erwerb des Ammann selbstständig, er wollte einen ei-
Diploms abschloss. Sein wichtigster Lehrer genen Entwurf für eine Brücke über den
während seines Studiums war Wilhelm Rit- Hudson ausarbeiten. Im Dezember 1923
ter, der Baustatik und Brückenbau lehrte. übergab er dem Gouverneur von New Jer-
Nach zwei Jahren Ingenieurpraxis in einer sey George S. Silzer eine Ausarbeitung zum
Stahlbaufirma in Brugg und in einer Beton- Bedarf einer Querung des Hudson mit ei-
baufirma in Frankfurt/Main wanderte er ner Brücke im oberen Teil Manhattans.
1904 nach Amerika aus. Gouverneur Silzer leitet den Bericht nach
Othmar Hermann Ammann arbeitete Prüfung innerhalb von drei Tagen befür-
dort zunächst im Ingenieurbüro von Joseph wortend an die für New York zuständige
Mayer in New York, wo er an Entwürfen Port of New York Authority weiter. Der Be-
von mehreren stählernen Eisenbahnbrü- darf wurde von Ammann mit der zu er-
cken beteiligt war. Vor allem, um prakti wartenden raschen Zunahme des Verkehrs
sche Erfahrungen mit Ausführungen von mit Motorfahrzeugen begründet. Die ra-
Stahlbrücken zu gewinnen, wurde er von sche Zunahme des Verkehrs sicherte die
1905 bis 1909 Mitarbeiter der Pennsylvania solide Finanzierung. Die geplante Brücke
Steel Corporation. Hier war er zuerst Kon- im oberen Teil Manhattans in der Höhe der
strukteur und dann Assistent des Chefinge- 179. Straße und dem nördlichen Teil New
nieurs der Firma F. C. Kunz. Zu seinen Auf- Jerseys bei Fort Lee musste nach seiner
gaben zählten u. a. der Bau der Qeensboro Auffassung nicht für den Eisenbahnver-
Brücke in New York und die Unterstützung kehr, sondern sollte zunächst nur für den
seines Chefs bei der Ausarbeitung des Un- Straßenverkehr gebaut werden, weshalb
tersuchungsberichts zur Klärung der Ursa- sie verhältnismäßig leicht und mit relativ
chen für den im Abschnitt 1.4.3.1 erwähn- geringen Kosten errichtet werden könne.
ten Einsturz der Quebec Brücke über den Die Brücke sollte zunächst sechs Fahr
St.-Lorenz-Strom in Kanada. Von 1909 bis spuren für Fahrzeuge, auf beiden Seiten
1.4 Brücken von der Renaissance bis zur Gegenwart 71
etwa 3 m breite Gehwege haben und für tet werden, wie z. B. die Verhältnisse der
später die Möglichkeit offen lassen, dass Spannweite zum Durchhang der Kabel so-
die Anzahl der Fahrspuren auf acht erwei- wie zu den Höhen und Breiten des Verstei-
tert und in einer darunter anzuordnenden fungsträgers, die Querschnittsform des
Ebene vier Spuren für Schnellbahn- oder Versteifungsträgers (insbesondere Biege-
Kraftfahrzeugverkehr angeordnet werden steifigkeiten und Torsionssteifigkeit, Lage
können. des Drillruhepunkts, Windschlüpfigkeit),
Die ersten Aufträge für den Bau der Brü- der Horizontalverbände bei Fachwerk-Ver-
cke wurden 1927 erteilt. Die Brücke wurde steifungsträgern oder Versteifungsträgern
1931 fertig gestellt und George Washington mit offenen Querschnitten, die Höhen der
Brücke genannt. Die George Washington Eigenlasten der Kabel und des Verstei-
Brücke in New York (Bild 1.4-34) ist mit fungsträgers, das Verhältnis der auftreten-
1067 m Spannweite eine Hängebrücke mit den Windlast zur Eigenlast und die Eigen-
einem Versteifungsträger sehr geringer frequenzen der Konstruktion. Ammann
Steifigkeit. An der konstruktiven Durchbil- hatte sich vor dem Bau der George Wash
dung und der Berechnung der Brücke war ington Brücke mit diesen Problemen sehr
Leon Solomon Moisseiff, der die bereits ge- gründlich befasst. 1960 wurde, wie von
nannte Manhattan Brücke in New York ge- Ammann vorgesehen, die untere Ebene zur
baut hatte, beratend beteiligt. Die George Ergänzung weiterer vier Spuren für Kraft-
Washington Brücke war die erste Brücke fahrzeugverkehr eingebaut, wodurch die
mit einer Spannweite über 1000 m und war Steifigkeit des Versteifungsträgers als ge-
bis zum Bau der von Joseph Baermann schlossener Fachwerkkasten deutlich er-
Strauss und Charles Alton Ellis und mit höht wurde. Immerhin hat die Brücke bis
Unterstützung durch Leon Solomon Mois- dahin fast dreißig Jahre ohne besondere
seiff entworfenen Golden Gate Brücke über Schwingungsprobleme mit dem Verstei-
die San Francisco Bucht (Bild 1.4-35), die fungsträger geringer Steifigkeit Ammanns
1937 mit 1280 m Spannweite fertiggestellt Auffassung bestätigt.
wurde, die am weitesten gespannte Brücke Danach war Othmar Hermann Ammann
und die bis dahin Einzige, die eine Spann- von 1933 bis 1939 Chefingenieur der Tribo-
weite über 1000 m hatte. Beim Bau von rough Bridge Authority, die Brücken in New
Hängebrücken mit geringer Steifigkeit des York finanzieren, bauen, unterhalten und
Versteifungsträgers, wie bei der George betreiben sollte. Während dieser Zeit baute
Washington Brücke im ersten Ausbau im er u. a. die Triborough Brücke (Hängebrü-
Jahr 1931, manche sprechen von einer cke mit 421 m Spannweite) und die Bronx-
Hängebrücke ohne Versteifungsträger, z. B. Whitestone Brücke (Hängebrücke mit
[Stüssi 1974], sollte unbedingt die Gesamt- 701 m Spannweite). Bei der Bronx-White
konzeption der Struktur der Brücke beach- stone Brücke zeigten sich bei mittleren Wind
Bild 1.4-36 Verrazano-Narrows-Brücke
1.4 Brücken von der Renaissance bis zur Gegenwart 73
fast alle Brückeningenieure der damaligen • die Brücke über den Rhein in Kleve-
Zeit hatten keine genauen Kenntnisse über Emmerich, Deutschland (1966, 500 m),
die aerodynamischen Wirkungen des • der Ponte 25 de Abril über den Tejo in
Winds, obwohl ähnliche Einstürze wie bei Lissabon, Portugal (1966, 1013 m),
der bereits erwähnten Hängebrücke für die • die Tsingma Brücke in Hongkong (1997,
Werft in Brighton schon früher beim Publi- 1337 m),
kum für Aufregung gesorgt hatten. Dieser • sechs von zehn Hängebrücken zwischen
Zwischenfall des Einsturzes der Tacoma Honshu und Shikoku einschließlich der
Brücke veranlasste die Brückeningenieure Akashi Kaikyo Brücke in Japan (1998,
ausführliche Forschungen zur Windstabili- 1991 m Spannweite der Mittelöffnung,
tät der Hängebrücken durchzuführen, die Bild 1.4-37, derzeit die Brücke mit der
überwiegend durch Windkanalversuche größten Spannweite).
experimentell erfolgten. In Amerika, zuerst
Für die Kabelmontage der oben genannten
auch in Europa und später in Japan, wollte
Hängebrücken in Amerika und Europa
man mit der Verwendung von steifen Fach-
wurde das Luftspinnverfahren verwendet,
werkträgern dieser Problematik begegnen.
während für die Hängebrücken in Japan
Als Beispiele dafür seien einige exempla-
Montageverfahren mit vorfabrizierten Pa
risch genannt:
ralleldrahtseilen bevorzugt wurden.
• die zweite Tacoma Narrows Brücke (im Mittlerweile wurde in Europa ein ande-
Jahr 1950, 853 m Spannweite), res, neues Konzept hinsichtlich der aero
• die Brücke über die Makinac Straße im dynamischen Stabilität der Hängebrücken
Staat Michigan (1958, 1158 m), eingeführt. Die grundliegende Idee des
• die Verrazano Narrows Brücke über die Konzepts, die von Fritz Leonhardt aus dem
New York Bucht (1964, 1298 m, damals Jahr 1953 stammt [Leonhardt, 1982], s. dort
die Brücke mit der größten Spannweite), S. 290/291, ist, windschlüpfige Kastenträger
• die Tancerville Brücke über die Seine in mit aeroflügelähnlichem Querschnitt (an-
Frankreich (1958, 608 m), statt Fachwerkträger) als Versteifungsträger
• die Firth of Forth Straßenbrücke in zu verwenden, um die Windeinwirkung
Schottland (1964, 1006 m), weitestgehend zu dämpfen. Nachdem meh-
Bild 1.4-37 Akashi-
Kaikyo-Brücke (Bild von
Kawasaki Heavy Indus-
tries, Ltd.)
74 1 Brückenbau auf dem Weg vom Altertum zum modernen Brückenbau
Erste Eisen-
Bild 1.4-39 ������������
betonbrücke in Chazelet
aus dem Jahr 1875 (Foto:
Dr.-Ing. Klaus Stiglat)
Bild 1.4-40 Brückenge-
länder der Eisenbeton-
�����������
brücke in Chazelet (Foto:
Dr.-Ing. Klaus Stiglat)
Lambot aus dem Jahre 1855 gibt, gilt, zu- entwickelte in Verbindung mit von der Fir-
mindest in Deutschland, der französische ma Wayss und Freytag & Heidschuch in
Gärtner Joseph Monier, dessen Patente, Berlin durchgeführten Versuchen an Plat-
u. a. auch für bewehrte Betonbrücken, aus ten und Gewölben erste sehr vereinfachte
den Jahren 1867–1881 stammen, als der theoretische Grundlagen zur Berechnung
Begründer der Stahlbetonbauweise. Er bewehrter Betonkonstruktionen. Die in der
erkannte aber wohl als erster die Ent Anfangszeit der Anwendung des Stahlbe-
wicklungsmöglichkeiten dieser Bauweise. tons bedeutendsten Beiträge zur Klärung
Er baute auch 1875 die erste noch heute des Tragverhaltens des bewehrten Betons
bestehende Eisenbetonbrücke der Erde, und zur Anwendung der Bauweise stam-
Bild 1.4-39, mit etwa 16,5 m Spannweite men von Francois Hennebique, Friedrich
und 4 m Breite in einem Park über den das Ignaz von Emperger und Emil Mörsch.
dortige Schloss umgebenden Wallgraben Hennebiques wesentlicher Beitrag ist die
in Chazelet nahe Saint-Benoit-du-Sault in monolithische Herstellung des Plattenbal-
Westfrankreich. Das Brückengeländer kens mit dem durch Bügel und aufgeboge-
(Bild 1.4-40) besteht aus Beton, der Ast- ner Bewehrung gewährleisteten Zusam-
werk nachgeformt ist [Stiglat, 1997]. menwirken von Steg und Druckplatte. Hen-
Die Anwendung bewehrten Betons für nebique entwarf auch die erste bewehrte
die Errichtung von Bauwerken fand in Eu Betonbrücke mit größerer Spannweite, die
ropa schnell Verbreitung. Matthias Koenen sehr schlanke Risorgimento-Brücke in Rom,
1.4 Brücken von der Renaissance bis zur Gegenwart 77
die 1911 mit 100 m lichter Weite als Zellen- auch die Betonschalung und den Frischbe-
bauwerk mit einem Kastenquerschnitt mit ton allein trugen, weshalb das Lehrgerüst
inneren Längs- und Querscheiben gebaut entbehrlich war. Nach dem Verfahren von
wurde und damit die erste Stahlbetonbrü- Joseph Melan, der sog. Melan-Bauweise,
cke mit über 100 m Spannweite ist. Von wurden von 1896 bis 1900 die ersten Brü-
Emperger und Mörsch führten zahlreiche cken über den Kansas bei Topeka mit 38 m
experimentelle Untersuchungen aus und Spannweite, über die Steyr in Steyr mit 42 m
entwickelten damit das Verständnis für die Spannweite und über die Werra in Meinin-
neue Bauweise. Durch Umsetzung der Er- gen mit 40 m Spannweite gebaut. Vor allem
kenntnisse in die theoretischen Grundlagen in Nordamerika wurden in der ersten Hälf-
der Eisenbetonbauweise und wegen ihrer te des 20. Jahrhunderts mehrere Brücken
Wirtschaftlichkeit setzte sich die Bauweise mit Spannweiten bis zu etwa 120 m gebaut.
schnell durch. Vor allem Mörsch prägte die In Deutschland wurde 1929 auch die heute
Bauweise durch die von ihm entwickelte noch bestehende Echelsbacher Brücke über
Fachwerkanalogie zur Berechnung und die Ammer (etwa 75 km südwestlich von
konstruktiven Durchbildung des bewehrten München) mit 130 m Spannweite nach der
Betons mit der Zuordnung der Zugkräfte an Melan Bauweise gebaut. Das Bauverfahren
die Bewehrung und der Druckkräfte an den ist heute in Europa und Amerika wegen der
Beton. Er fasste die durch Theorie und Ver- hohen Stahlpreise nicht mehr üblich. In Ja-
such gewonnen Erkenntnisse in dem 1902 pan aber wurden kürzlich die Mittelbe-
von der Firma Wayss & Freytag herausgege- reiche bei weitgespannten Bogenbrücken
benem Buch Der Eisenbetonbau, seine An- nach der Melan-Bauweise hergestellt, nach-
wendung und Theorie, zusammen. Mörsch, dem zuvor von den Kämpfern aus die
der 1872 in Reutlingen geboren wurde, an Randbereiche der Bogen im Freivorbau
der Technischen Hochschule Stuttgart Bau- hergestellt worden waren. In China wurde
ingenieurwesen studierte, lange Zeit Leiter 1997 die Wan Xian-Autobahnbrücke über
des Technischen Büros der Firma Wayss & den Yangtze, die mit 420 m Spannweite zur
Freytag und später Professor an der Techni- Zeit die am weitesten gespannte Beton-
schen Hochschule Stuttgart war, entwarf Bogenbrücke ist, fertiggestellt. Sie wurde in
u. a. die mit zwei hintereinander liegenden Anlehnung an die Melan-Bauweise errich-
Dreigelenkbogen mit je 70 m Spannweite tet. Der Betonbogen besteht aus einem
und 12,5 m Pfeilhöhe, 1903/1904 gebaute dreizelligem Betonkasten, der mit einem
Stahlbeton-Bogenbrücke über die Isar in sich selbst und im Betonierzustand die
München-Grünwald und die als einge- Schalung und den Beton tragendem Fach-
spannten Bogen mit 79 m Spannweite und werk-Stahlverbundskelett bewehrt ist. Die
26,5 m Pfeilhöhe, 1908 gebaute Gmünder- aus je fünf Stahlrohren mit 402 mm Außen-
tobelbrücke über die Sitter bei Teufen im durchmesser und 16 mm Wanddicke beste-
Kanton Appenzell. henden Ober- und Untergurte des
Joseph Melan, geboren 1853 in Prag, Stahlverbundskeletts sind mit Beton C60
entwickelte Ende des 19. Jahrhunderts ein gefüllt und im Endzustand die Hauptlängs-
Bauverfahren zum Bau von bewehrten Be- bewehrung des 16 m breiten Stahlbetonbo-
tonbogenbrücken ohne Lehrgerüst. Dabei gens mit 7 m Konstruktionshöhe, s. [Ewert,
bestand die Bewehrung nicht aus Beton- 1997 und 1999a], [Ding/Yongfu, 2001].
stählen, sondern aus steifen, genieteten, Zu den bedeutendsten Bauingenieuren
sich selbsttragenden Stahl-Fachwerkträ- des Beton-Brückenbaus Anfang des 20. Jahr
gern, die im Freivorbau errichtet wurden hunderts zählte Robert Maillart, der 1872 in
und so bemessen waren, dass sie zunächst Bern geboren wurde und am Eidgenös
78 1 Brückenbau auf dem Weg vom Altertum zum modernen Brückenbau
sischen Polytechnikum in Zürich Bauinge- Brücke über den Rhein bei Tavanasa in
nieurwesen studiert hatte. Ihm verdanken Graubünden, Bild 1.4-41. Das System der
wir die feingliedrige, besonders kühne und Brücke ist als Dreigelenkbogen einzuord-
auf die Schnittgrößenverläufe optimierte nen. Die Spannweite beträgt 51,25 m und
Gestaltung der Betonbrücken, wobei er die der Bogenstich 5,7 m (l/f = 9). In den biege-
Konstruktionen so gestaltete, dass sich alle beanspruchten Bereichen nahe den Mitten
Teile an der Abtragung der Lasten beteilig- zwischen den Kämpfer- und Scheitelgelen-
ten. Er verstand es dabei stets mit seinen ken (Viertelpunkte des Dreigelenkbogens)
sparsamen Tragwerksformen eine gute Ge- tritt unter konzentrierten Lasten die größte
staltung seiner Brücken zu erreichen. Bei Biegebeanspruchung auf, hat der einzellige
vielen seiner Bauwerke war er sowohl, Ent- kastenförmige Bogen eine verhältnismä-
wurfsverfasser, Konstrukteur und ausfüh- ßige große Konstruktionshöhe und damit
render Bauunternehmer. Für den Erfolg einen großen Querschnittswiderstand. An
Robert Maillarts als Ingenieur war die Ver- den Kämpfern und im Scheitel ist der Bogen
bindung guten theoretischen Verständnis- dagegen dünn. Zu den Kämpfern werden
ses mit der Erfahrung in der Praxis wichtig, die Stege des kastenförmigen Bogens ausge-
wobei im Wechselspiel neue Erkenntnisse schnitten, wodurch eine Trennung in den
und Lösungen entstehen. Die über Jahr- als Bogen weitergeführten Untergurt und
zehnte ausgeübte Tätigkeit als verantwort- den ∩-förmigen Obergurt als Fahrbahnträ-
licher Ingenieur für Entwurf, Konstruktion ger erfolgt. Dadurch wird die Bogen-Längs-
und Bauausführung tätig gewesen zu sein kraft direkt zum Kämpfer geleitet. An den
war mit entscheidend für die Erfolge dieses Kämpfern sind vor den Widerlagern jeweils
genialen Bauingenieurs. Besonders zu nen- Betonscheiben angeordnet, die den Bogen
nen sind die von ihm konzipierten Dreige- mit dem ∩-förmigen Fahrbahnträger ver-
lenkbogen, die am Kämpfer und Scheitel zu binden. Der Bau der Brücke erfolgte auf ei-
dünnen Platten auslaufen und in den biege- nem Lehrgerüst. Dabei wurde zunächst nur
beanspruchten Bereichen ∩-förmige oder die untere Platte betoniert. Erst nach der
Kastenquerschnitte mit verhältnismäßig Erhärtung des Betons der Platte wurden die
hohen Stegen haben, die sogenannten Mail- Stege und die Fahrbahnplatte betoniert. Das
lartbogen. Der Prototyp dieser innovativen Lehrgerüst musste deshalb nur die untere
Konstruktionsform, man kann die Brücke Platte allein tragen, während zur Aufnahme
als sein erstes Meisterwerk bezeichnen, ist der Lasten aus dem Steg und der Fahrbahn-
die von ihm konzipierte und 1905 gebaute platte das Lehrgerüst und die durch das
Querschnitt
Querschnitt Kastenträger
Kastenträger Scheitelgelenk
Scheitelgelenk
mit Betonblock
mit Betonblock
bündig
bündig
zur Fahrbahnplatte
zur Fahrbahnplatte
im Viertelspunkt:
im Viertelspunkt: Plattenbalken
Plattenbalken
Kämpferlinie
Kämpferlinie
Vertikale
Vertikale
Betonscheibe,
Betonscheibe,
die die
die die
Fahrbahnplatte
Fahrbahnplatte
mit dem
mit dem
BogenBogen
verbindet
verbindet
Bild 1.4-41 Längs- und Querschnitt der Brücke über den Rhein bei Tavanasa (Bild nach ���������
[��������
Billing-
ton, 1990])
1.4 Brücken von der Renaissance bis zur Gegenwart 79
Lehrgerüst ausgesteifte untere Platte zusam- sich auch je ein horizontaler Riss gebildet.
menwirkten. Dies führte zu deutlichen Kos- Alle Risse traten an dem von der Sonne am
tensenkungen gegenüber herkömmlichen meisten beschienenen Steg auf. Die Bean-
Dimensionierungen des Lehrgerüsts für die spruchungen der Stege infolge der Einwir-
komplette Eigenlast der Brücke. Diese kos- kungen aus äußeren Lasten waren gering
tengünstige Herstellung wurde bei allen fol- und konnten nicht die Ursache für die Riss-
genden Brücken nach dem System Maillart bildung sein, zumal die Risse vertikal ge-
so beibehalten, was sich vor allem beim Bau richtet waren. Die Risse mussten also aus
von Brücken in schwierigem Gelände z. B. Zwangsbeanspruchungen entstanden sein.
bei der Salginatobelbrücke, besonders kos Bei der Austrocknung, dem Schwinden,
tengünstig auswirkte. Leider ist die Tavanasa- tritt eine Volumenverminderung des Be-
Brücke 1927 durch eine Lawine und damit tons ein und der Beton verkürzt sich zwän-
verbunden auf die Brücke stürzende Fels- gungsfrei, wenn er daran nicht gehindert
brocken zertrümmert worden und heute wird. Der von der Sonne beschienene Steg
nicht mehr erhalten. der Brücke trocknet schneller aus als die
Wie ist Maillart zu dem bei der Tava- Fahrbahnplatte und diese etwas schneller
nasa-Brücke erstmals angewendeten Sys- als die direkt über dem Inn befindliche
tem gekommen? Bereits bei der zweiten untere Bogenlaibung, die auch noch durch
von ihm entworfenen Betonbrücke, der den Fluss etwas gekühlt und befeuchtet
1901 gebauten Brücke über den Inn in Zuoz wird. Deshalb würden sich bei unbehinder-
im Engadin hat Maillart als System einen ter Verformungsmöglichkeit der Steg mehr
zweizelligen kastenförmigen Dreigelenk- verkürzen als die Fahrbahnplatte und diese
bogen mit einer Spannweite von 38,25 m etwas mehr als die Bodenplatte (s. Bild
und einem Bogenstich von 3,6 m (l/f = 10,6) 1.4-43). An der weniger beschienen Seite
gewählt, Bild 1.4-42. Bei der Brücke in Zuoz der Brücke treten zwar prinzipiell die glei-
wurde aber zunächst der kastenförmige chen Phänomene auf, aber weniger stark.
Querschnitt vom Scheitel bis zu den Kämp- Da die einzelnen Teile verformungs- und
fern durchgehend beibehalten, was auch kraftschlüssig verbunden sind, entstehen
bei seiner dritten, 1904 gebauten Brücke Zwangsbeanspruchungen, im Steg Zug-
mit zwei Brückenbogen mit je 35 m Spann- und in der Fahrbahn- und in der Boden-
weite, der Thur-Brücke bei Billwil im Kan- platte Druckbeanspruchungen, was zu
ton St. Gallen beibehalten wurde. Etwa zwei Rissbildungen im Steg geführt hat. Maillart
Jahre nach der Fertigstellung der Innbrücke zog nun nach der Klärung der Ursache der
in Zuoz zeigten sich in den Stegen nahe den entstandenen Risse die Folgerung, dass es
beiden Kämpfern vertikale Risse. In der am sinnvollsten wäre in den Kämpferberei-
Nähe des einen Kämpfers waren drei Risse chen die Stege entfallen zu lassen, weil sie
und nahe dem anderen Kämpfer ein Riss. dort zur Abtragung der Kräfte nicht benö-
In der Nähe von beiden Kämpfern hatte tigt werden. Andere hätten vielleicht ver-
Bild 1.4-42 Längsschnitt der Brücke über den Inn in Zuoz (Bild nach [Billington, 1990])
80 1 Brückenbau auf dem Weg vom Altertum zum modernen Brückenbau
sucht der Rissbildung durch einen höheren deshalb hier nur 3,5 m breit. Wie die Tava-
Bewehrungsgehalt und der Wahl kleinerer nasa-Brücke ist das System der Salginato-
Bewehrungsdurchmesser im Steg zu begeg- bel-Brücke (Bilder 1.1-1, 1.4-44 bis 1.4-46)
nen und wären damit sicher gescheitert, ein Dreigelenkbogen, allerdings mit der
denn durch Anordnung von mehr Beweh- deutlich größeren Spannweite von 90 m.
rung und der Wahl kleinerer Bewehrungs- Die Pfeilhöhe ist etwa 13 m, das Pfeil
durchmesser können Risse nicht verhin- verhältnis also ungefähr 6,9. Fahrbahn
dert, sondern bekanntlich nur die Rissbrei- und Bogen sind mit den geringen Kon-
ten auf kleinere Werte begrenzt werden. struktionshöhen im Scheitel und an den
Die bedeutendste Brücke der von Maill- Kämpfern und den betont größeren Kon-
art entworfenen Brücken dieses Typs ist die struktionshöhen in den beiden Viertel-
Salginatobelbrücke bei Schiers im Prätti- punkten des Bogens zu einer technisch
gau. In das kleine Bergdorf Schuders ge- und ästhetisch optimalen Lösung ent
langt man von Schiers auf einer schmalen wickelt worden. An den Kämpfern ist der
Straße, auf der man die 80 m tiefe Schlucht Querschnitt rechteckig. Er geht zum
des Salginabachs auf der 1929/1930 gebau- Scheitel zunächst in einen nach oben offe-
ten Brücke überquert. Auf der Brücke wird nen U-Querschnitt mit zunehmender
die Straße nur einspurig geführt und ist Höhe und im Bereich des Viertelpunkts
132,3 m
A – –A
4,00
13 m
A–A 90 m
3,5 m
Bild 1.4-44 Salginatobelbrücke, Schnitte
1.4 Brücken von der Renaissance bis zur Gegenwart 81
in den Kastenquerschnitt (s. Schnitt A-A auf dem Bogen stehenden Stützen sind
im Bild 1.4-44) über. Die Gelenke an den I-förmig.
Kämpfern und im Scheitel sind als Beton- Eugène Freyssinet baute 1908/1912 drei
Federgelenke mit sich kreuzender Be Bogenbrücken über den Allier, die sich
wehrung ausgebildet. Der Fahrbahnträger sowohl in allen wesentlichen Abmessungen
ist ein zweistegiger Plattenbalken. Die als auch im Bauverfahren gleichen, die Brü-
den Plattenbalken unterstützenden und cken bei Le Veudre, bei Boutiron und bei
Chatel de Neuvre. Die Brücken bestanden
aus je sehr flachen Dreigelenkbogen mit
Spannweiten von 68 m – 72,5 m – 68 m und
Pfeilhöhen der beiden seitlichen kleineren
Bogen von 4,6 m und des etwas größeren
Mittelbogens von 5,2 m. Die Verhältnisse
der Spannweiten zu den Pfeilhöhen betra-
gen damit etwa 15 und 14, was extrem ist.
Die Aufständerung der Fahrbahn erfolgt
über Dreieckfachwerke, die mit den stei-
genden und fallenden Diagonalen und der
Verbindung mit der Fahrbahn zur Beulsta-
bilität des Bogens beiträgt. Bei diesen Brü-
cken wurde das Ausrüsten der Bogen mit
der Abhebung des Bogens vom Gerüst erst-
mals durch Erzeugung von Druckkräften
mittels Pressen im Scheitelgelenk angewen-
det, wodurch gleichzeitig die elastischen
Durchbiegungen des Bogens aus Eigenlast
minimiert wurden. In den der Fertigstel-
lung folgenden zwei Jahren senkten sich aus
Kriechverformungen die Scheitel um 10 cm
bis 13 cm. Mit in die Fugen am Scheitelge-
Bild 1.4-46 Salginatobelbrücke, Sicht schräg lenk eingesetzten Pressen und damit er-
von unten
82 1 Brückenbau auf dem Weg vom Altertum zum modernen Brückenbau
zeugten Druckkräften konnten die Bogen 1.4-47) und ist begrenzt für Fahrzeugver-
wieder in ihre Solllage angehoben werden. kehr bis 3,5 t zugelassen.
Danach wurden die Fugen ausbetoniert. Über den Elorn zwischen Brest und
Für Freyssinet war die beim Bau der drei Plougastel wurde nach einem Entwurf von
Betonbogenbrücken über den Allier gewon Freyssinet 1926/1929 die Brücke Albert
nene Erkenntnis wichtig, dass der Beton Louppe (Bild 1.4-48) mit drei Bogen mit je
unter dauernd wirkenden Druckspannun- 186 m Spannweite und 38 m Pfeilhöhe ge-
gen kriecht, was für die spätere Entwick- baut. Das Verhältnis Spannweite zu Pfeil-
lung des Spannbetons von Bedeutung war. höhe ist damit etwas unter 5. Die Bogen
Um das Abheben des Bogens von der Scha- sind dreizellige Stahlbeton-Kästen. Über
lung und dem Gerüst beim Ausrüsten zu den Bogen befindet sich der zweigeschossi-
überprüfen ließ Freyssinet anlässlich des ge Fahrbahnträger als durchbrochener Kas-
Baus der drei Betonbogenbrücken einen tenträger. Die obere Ebene nimmt den Stra-
Dreigelenkbogen als Probekörper mit 50 m ßenverkehr auf. Die untere Ebene war für
Spannweite und 2 m Pfeilhöhe herstellen, den Eisenbahnverkehr vorgesehen, die je-
wobei die beiden Widerlager mit einem doch nie genutzt wurde. Beim Bau der Brü-
vorgespannten Zuggurt aus vorgespannten, cke wurde für die drei Bogen nur ein Lehr-
kaltgezogenen Drähten ∅ 8 mm mit Span- gerüst eingesetzt, das eingeschwommen
nungen nahe an der Fließgrenze verbunden und jeweils an vorbetonierten Kämpfern
wurden. Die vorgespannten Drähte wurden der Betonbogen hochgezogen und veran-
mit in einer Ankerplatte angeordneten Kei- kert wurde.
len verankert. Diese erstmalige Anwendung Ein wichtiger Schritt für die Entwick-
der Vorspannung im Betonbrückenbau an lung des Betonbrückenbaus war die Mög-
einem Probekörper gilt als der erste Mei- lichkeit den Beton vorzuspannen. Eugène
lenstein der späteren Entwicklung des Freyssinet, der 1879 in Objat (Corrèze) ge-
Spannbeton-Brückenbaus [Grote/Marrey, boren wurde, an der École polytechnique
2000]. Die zuerst gebaute Brücke bei Le und der École des ponts et chaussées in
Veudre wurde 1940 zerstört, die bei Chatel Paris Bauingenieurwesen studierte, in ver-
de Neuvre wurde von deutschen Truppen schiedenen Stellen beim Staat und in Bau-
1944 gesprengt. Nur die zweite der Brü- firmen leitend tätig war, ist wohl am ehesten
cken, die 1910/1911 bei Boutiron in der als Vater des vorgespannten Betons, des so-
Nähe von Vichy gebaute, besteht noch (Bild genannten Spannbetons, zu nennen, auch
Bild 1.4-47 Brücke über den Allier bei Boutiron (Foto: Dr.-Ing. Klaus Stiglat)
1.4 Brücken von der Renaissance bis zur Gegenwart 83
wenn erste Ideen den Beton vorzuspannen ([Grote/Marrey, 2000] nennen dafür einen
schon vor ihm bestanden. Er hatte aber als von Karl Mautner entworfenen Spannbe-
Erster klar erkannt, dass die Spannstähle tonbinder für eine Halle mit 55m Spann-
hohe Festigkeit haben und die Stahlspan- weite, der Spannbetonbinder für die Halle
nungen aus Vorspannung hoch sein müs- wurde wegen fehlender Referenzen nicht
sen, weil die Spannstahlspannung als Folge ausgeführt, was der Anlass für den Modell-
des Kriechens und Schwindens des Betons versuch gewesen sein soll.). Die Spann
im Laufe der Zeit abnimmt. Seine Ideen ha- stähle ∅ 5 mm wurden mit Betonklötzchen
ben zu einer Revolution in der Baukunst verankert. Auch die Bügel waren entspre-
geführt, weil die Spannweiten bei vorge- chend Freyssinets Auffassung vom Spann-
spannten Betonbrücken gegenüber denen beton in gleicher Weise vorgespannt. An
ohne Vorspannung mindestens verdrei- diesen Modellträgern wurden zunächst in
facht, die Schlankheiten verdoppelt und die Frankfurt umfangreiche Versuche zum
Gewichte und Kosten deutlich verringert Tragverhalten des Spannbetonträgers vor-
werden konnten. Bereits 1908 spannte genommen, die dann in Stuttgart ([Grote/
Freyssinet erstmalig einen Beton-Probe- Marrey, 2000] nennen dafür Dresden) wie-
körper vor, s. o., was der erste Meilenstein derholt wurden. Durch diese Versuche ge-
der späteren Entwicklung des Spannbeton- wannen sowohl Freyssinet als auch deut-
Brückenbaus ist [Grote/Marrey, 2000]. Er sche Bauingenieure die Bestätigung, dass
entwickelte das Freyssinet-Spannverfahren die Vorspannung für die Baupraxis anwen-
mit hochfesten Drähten und Keilveranke- dungsreif ist. Das Ergebnis der Versuche
rungen. Er war der Verfechter der vollen wurde von Freyssinet in die Praxis umge-
Vorspannung, was sich aus heutiger Sicht setzt, indem er um 1936 die ersten für ein
aber als Irrweg herausgestellt hat. Die Fir- Bauwerk eingesetzten vorgespannte Balken
ma Wayss & Freytag, sie war seit 1934 Li- beim Bau der über 20 m weit gespannten
zenznehmer von Freyssinet, stellte 1933 Bedienungsstege eines Wehrs in Oued-
([Grote/Marrey, 2000] nennen dafür das Fodda in Algerien einsetzte. Die ersten vor-
Jahr 1936) nach Entwürfen von Freyssinet gespannten Brücken baute Freyssinet 1941
in Frankfurt einen für eine Spannbetonbrü- als Plattenbrücken mit 12 m und 20 m
cke mit 60 m Spannweite möglichen Ver- Spannweite. Im selben Jahr begann er mit
suchsbalken im Modellmaßstab 1 : 3 her den Entwurfsarbeiten für die Marnebrücke
84 1 Brückenbau auf dem Weg vom Altertum zum modernen Brückenbau
in Lucancy mit 54 m Spannweite, die aber sinet beim Entwurf baute die Firma Wayss
auf Befehl der deutschen Besatzungsbehör- & Freytag bereits 1938 die erste Spann
de damals nicht gebaut werden durfte betonbrücke mit Verbund. Diese Brücke
[Freyssinet, 1949]. Erst nach dem Krieg (Bild 1.4-51), eine Feldwegüberführung
konnte diese Brücke 1945 von der Firma über die Autobahn A2 bei Oelde im
Campenon-Bernard gebaut werden. Es Münsterland, mit vier vorgespannten
folgten 1947 bis 1952 fünf weitere Brücken Fertigteil-Längsträgern mit I-Querschnitt,
über die Marne bei Esbly mit einigen Ver-
besserungen nach dem gleichen Prinzip,
die wieder von der Firma Campenon-Ber-
nard gebaut wurden. Die Brücken mit Eckteil im erstes Trägerstück
Kabelzug folgt
Spannweiten von 74 m bis 80 m wurden aus
vorgefertigten Teilen hergestellt. Alle Fer-
tigteile für alle fünf Brücken wurden in ei-
ner temporären Fertigteilwerk nahe Esbly
gefertigt. Die von den fünf Brücken zuerst Eckteile und erste
gebaute Brücke, die Marnebrücke Esbly mit Trägerstücke montiert
74 m Spannweite, ist im Längs- und Quer-
schnitt im Bild 1.4-49 dargestellt. Die Zwei-
Mittelstücke im
gelenk-Rahmenbrücken mit fünfzelligen Kabelzug
Kastenquerschnitten wurden aus sechs Fer-
tigteilträgern gebildet. Diese Träger werden
aus ca. 2 m langen im Werk gefertigten Fer-
tigteilen zum Ufer der Marne transportiert
und dort mit Hilfsspanngliedern zu größe-
ren Trägerstücken zusammengespannt. Die
Trägerstücke wurden auf dem Wasser zur
Einbaustelle transportiert und mit Kabel-
kranen am Ort montiert und zusammenge-
Spannglieder unten und oben einbauen
spannt. Der Montagevorgang ist selbster-
klärend aus dem Bild 1.4-50 zu ersehen. Bild 1.4-50 Montage der Marnebrücke Esbly,
Unter maßgeblicher Mitwirkung von Freys- Bild nach [Mörsch, 1958]
1.4 Brücken von der Renaissance bis zur Gegenwart 85
die in gegenseitigen Abständen von 1,4 m Tätigkeit bei Dyckerhoff & Widmann be-
verlegt sind. Die Trägerhöhe dieser Träger fasste er sich u. a. mit der Vorspannung von
ist nicht konstant, sondern veränderlich. Betonbauten. Die Vorspannung ohne Ver-
Sie beträgt am Auflager 1,46 m und in Brü- bund bei Brücken wandte er erstmals
ckenmitte 1,60 m. Der Trägeruntergurt ver- 1927/28 beim Bau der Bogenbrücke über die
läuft waagerecht, während der Obergurt Saale in Alsleben an [Dischinger, 1949-2],
dem Ausrundungsbogen der Feldweg die aber nicht als Spannbetonbrücke, wie
überführung folgt. Die Spannweite der wir sie heute verstehen, zu bezeichnen ist.
Brücke beträgt 33 m. Auf den Längsträgern Auch der Entwurf der ersten gebauten vor-
ist eine 6,4 m breite, am Ort betonierte, be- gespannten Brücke überhaupt, die 1935/37
wehrte Betonfahrbahnplatte angeordnet. gebaute Brücke in Aue, stammt von
Die Quertragwirkung wird durch vier am Dischinger.
Ort betonierte, 25 cm breite, bewehrte Be- Ulrich Finsterwalder wurde 1897 in
tonquerträger, deren obere Bewehrung sich München geboren und war nach seinem
in der Fahrbahnplatte befindet, während Studium des Bauingenieurwesens an der
die untere Bewehrung durch die Längsträ- Technischen Hochschule in München wäh-
ger durchgesteckt wurden, zusätzlich zu der rend seines gesamten Berufslebens bei
der Fahrbahnplatte gewährleistet [Mörsch, Dyckerhoff & Widmann tätig. Von ihm
1943]. stammt der erste bekannt gewordene Ent-
Für die Anwendung des vorgespannten wurf einer vorgespannten Betonbalken
Betons im Brückenbau haben neben Freys- brücke überhaupt, der aus dem Jahr 1930
sinet noch Franz Dischinger, Ulrich Fin- stammende Entwurf für den Bau der Drei-
sterwalder und Fritz Leonhardt als Pioniere rosenbrücke in Basel [Finsterwalder, 1965].
dieser Bauweise besondere Bedeutung. Der Entwurf für eine ohne Verbund vorge-
Dischinger wurde 1887 in Heidelberg gebo- spannte Brücke über drei Felder mit Spann-
ren und war nach Abschluss des Studiums weiten von 52,5 m – 105,8 m – 52,5 m
des Bauingenieurwesens an der Tech- (Bild 5.2.1-6) mit einem Gelenk in Feld
nischen Hochschule Karlsruhe im Tech- mitte des Innenfelds wies schon damals
nischen Büro der Firma Dyckerhoff & Wid- wesentliche Merkmale der späteren Kon-
mann tätig bevor er als Professor für struktionssysteme der Anfangszeit des
Massivbau an der Technischen Universität Freivorbaus auf. Der Entwurf wurde aller-
Berlin berufen wurde. Während seiner dings nicht ausgeführt. Vermutlich war die
86 1 Brückenbau auf dem Weg vom Altertum zum modernen Brückenbau
Zeit für die vorgeschlagene Lösung noch hat sich für die weitere Entwicklung im
nicht reif. Finsterwalder entwickelte das Betonbau als richtig erwiesen.
Dywidag-Spannverfahren mit Spannstäh- Fritz Leonhardt wurde 1909 in Stuttgart
len mit Gewindeverankerungen mit aufge- geboren und vertiefte nach seinem Studium
rollten Gewinden und Muttern, später mit des Bauingenieurwesens an der Tech-
Gewindestählen, und er führte im Beton- nischen Hochschule Stuttgart seine Kennt-
bau den Freivorbau von Brücken ein, das nisse während eines Semesters als Aus-
auf dem im Stahlbau schon lange bewährten tauschstudent an der Purdue University in
Bauverfahren beruht. Auch die bereits West-Lafayette in Indiana/USA. Nach sei-
1930/31 in Brasilien über den Rio Peixe ner Rückkehr aus den USA war er bei der
(Bild 5.2.1-3) errichtete Stahlbetonbrücke Obersten Bauleitung der Reichsautobahn,
wurde zuvor schon als nicht vorgespannte als Beratender Ingenieur und bei der Orga-
Betonbrücke im Freivorbau errichtet. nisation Todt tätig. Nach dem Studium des
Nachdem bereits ab 1948 bei Wettbewer- 1941 von Freyssinet in der Zeitschrift Tra-
ben Sondervorschläge mit Ausführungen vaux veröffentlichten Beitrags Une Révolu-
von Freivorbaubrücken eingereicht wur- tion dans l’ Art de Bâtir (Eine Revolution in
den, die aber nicht beauftragt wurden, wur- der Baukunst), wodurch er mit Freyssinets
de 1950 nach Finsterwalders Entwurf als Ideen zum Spannbeton vertraut wurde, traf
erste im freien Vorbau errichtete Spann er Freyssinet 1943 in Paris. Nach dem Krieg
betonbrücke, die Brücke über die Lahn in machte er sich als Beratender Ingenieur
Balduinstein (Bilder 1.4-52 und 5.2.1-12) in selbstständig und gründete mit Wolfhart
der Nähe von Limburg, von Dyckerhoff & Andrä das Büro Leonhardt und Andrä, das
Widmann gebaut. Finsterwalder war auch vielseitig im Konstruktiven Ingenieurbau
der Wegbereiter der beschränkten Vor- tätig war und ist und jetzt als Leonhardt,
spannung, wobei die Vorspannung nur so Andrä und Partner firmiert. Mit Willy Baur
hoch gewählt wird, dass für häufige Einwir- entwickelte er das Spannverfahren BAUR-
kungen die Zugfestigkeit des Betons nicht LEONHARDT zur Vorspannung von Brü-
erreicht oder nur wenig überschritten wird, cken mit konzentrierten Spanngliedern
damit die Rissbreiten im Beton auf geringe und zur Vorspannung mit kleineren Spann-
Werte begrenzt werden. Dieser Gedanke gliedern das Spannverfahren LEOBA. Au-
kragenden Träger ist dem Verlauf der nach brücke als einzelliger Kastenträger über-
dem Zustand I ermittelten Hauptzugspan- spannt als Durchlaufträger über drei Felder
nungstrajektorien angepasst und entspre- den Rhein mit Spannweiten von 101,85 m,
chend dem Biegemomentenverlauf abge- 114,20 m und 105,55 m. Es wurden also
stuft. Die meisten Spannstähle werden in keine Gelenke in den Feldmitten angeord-
den Stegen geführt (Bild 1.4-56) und damit net. Die Pfeilerachsen und Widerlager-
zur Schubsicherung herangezogen. Aus standorte orientieren sich an der bestehen-
den Bildern 1.4-53 und -54 ist der Bauzu- den Brücke (s. Bild 2.2-1). Die Vorspannung
stand eines fertiggestellten auskragenden des Überbaus der Strombrücke erfolgte in
Trägers und die heutige Brücke ersichtlich. Mischbauweise (interne und externe Vor-
Die Nibelungenbrücke hat in allen drei spannung). Die Querrichtung ist schlaff
Feldern in den Feldmitten Gelenke, die zur bewehrt.
Querkraftübertragung dienen. Dadurch Die Herstellung der Strombrücke er-
sind im Laufe der Zeit unstetige Durchbie- folgte im Freivorbau von den zwei Strom-
gungen im Bereich der Gelenke aufgetreten, pfeilern aus symmetrisch nach jeweils bei-
die korrigiert werden mussten. Im Bild den Seiten. Die Randfelder konnten so aber
5.2.1-34 wird am Beispiel der Moselbrücke nur bis zu einer Länge von 60 m ausgeführt
Thörnich eine Ausbildung der früher und werden. Die Herstellung der uferseitigen
auch heute noch mitunter üblichen Gelenk Überbauhälften der Strombrücke erfolgte
ausbildungen zur Übertragung der Quer- deshalb als seilverspannter Freivorbau über
kräfte gezeigt. Auf die Problematik der Ge- Hilfspylone, die im Bauzustand auf den zwi-
lenkanordnung an Stellen größerer Durch- schen der Strombrücke und den Vorland-
biegungen mit wegen der Gelenke entspre- brücken befindlichen Trennpfeilern stan-
chenden Knicken infolge der zeitabhängi- den. Die Hilfspylone wurden mit Litzen zu
gen Neigungsänderungsdifferenzen wird den zuvor fertiggestellten Überbauten der
im Abschnitt 5.2.1 eingegangen. Vorlandbrücken zurückgespannt.
Die Nibelungenbrücke ist heute insbe- 1962/1965 wurde bei Bendorf in der
sondere in Verkehrs-Spitzenstunden über- Nähe von Koblenz die Bendorfer-Brücke
lastet. Deshalb wurde von 2005 bis 2008 über den Rhein (Bilder 1.4-55 und 5.2.1-14)
eine zweite Rheinbrücke gebaut. Die neue gebaut [Finsterwalder/Schambeck, 1965],
Brücke steht in einem Abstand der Brü- eine im Freivorbau errichtete Autobahn-
ckenachsen von 30 m neben der bestehen- brücke mit einer größten Spannweite
den Brücke. Der Überbau der neuen Strom- von 208 m für die Mittelöffnung, die zur
1.4 Brücken von der Renaissance bis zur Gegenwart 89
Bild 1.4-55 Bendorfer-Brücke
Nibelungenbrücke Worms
57,10 57,10
Rheinbrücke Bendorf
104,00 71,00
Zeit ihrer Fertigstellung die mit Abstand am brücken nach diesem Bauverfahren ausge-
weitesten gespannte Beton-Balkenbrücke führt. Besonders viele solcher Brücken, zum
war. An Hand des Bilds 1.4-56 wird gezeigt, Teil auch in modifizierter Form, wurden in
dass die Bewehrungsführung sich von dem Japan und Skandinavien gebaut, darunter
der Nibelungenbrücke unterscheidet. Wäh- die Hamana-Brücke in Japan (Bild 1.4-57)
rend bei der 1951/53 gebauten Nibelungen- mit 240 m Spannweite und die mit 301 m
brücke die Längsbewehrung zum überwie- Spannweite zur Zeit am weitesten gespannte
genden Teil als Schubbewehrung in die Betonbalkenbrücke, die Stolma Brücke in
Stege gezogen und dort bauabschnittsweise Norwegen (Bild 9.1.3-14). Im Abschnitt
verankert wurde, wurden bei der etwa 10 9.1.3 wird auf Freivorbaubrücken ausführ-
Jahre später gebauten Bendorfer-Brücke die lich eingegangen.
Vorspann-Längsbewehrung und die vorge- Bei Betonbrücken mittlerer Spannweiten
spannte Schubbewehrung getrennt. wurden zur wirtschaftlichen Herstellung
Nach den wirtschaftlich für große Spann- der Brücken zahlreiche Verfahren mit um-
weiten erfolgreichen Ausführungen der im setzbaren und verschiebbaren Gerüstträgern
freien Vorbau vorgespannten Brücken wur- entwickelt. Dazu wird in erster Linie auf den
den weltweit sehr viele vorgespannte Beton- Abschnitt 9.1.2, aber auch auf den Ab-
90 1 Brückenbau auf dem Weg vom Altertum zum modernen Brückenbau
schnitt 5.2.1, insbesondere die Bilder 5.2.1- auch besonders wirtschaftlich ist. Ausführ-
20 bis -24, verwiesen. Im Abschnitt 5.2.1 lich wird auf die Herstellung der Brücken
werden auch die mit diesem Herstellungs- im Taktschieben im Abschnitt 9.1.4 einge
verfahren verbundenen Probleme mit der gangen.
Vorspannung der Spannglieder an Fugen in
Bauabschnittsgrenzen erörtert.
Das von Fritz Leonhardt und Willy Baur 1.4.5 Moderne Schrägkabelbrücken
entwickelte Taktschiebe-Verfahren vereini-
gt zur Herstellung monolithischer Trag- Die grundlegende Konzeption der Schräg-
werke die Vorteile der werkmäßigen Ferti- kabelbrücken ist nicht neu und wurde schon
gung in einer Feldfabrik mit denen der bei einigen Brücken im 18. und 19. Jahr-
Ortbetonbauweise in idealer Weise. Die hundert angewendet. In Japan wurde 1873
Fertigungsanlage bietet Witterungsschutz, sogar eine auf dem Pfeiler drehbare Schräg-
es herrschen praktisch Arbeitsbedingungen kabelbrücke, die Aji-Fluss-Brücke bei Osa-
wie in einer Fabrik. Die sich ständig wie- ka (Bild 1.4-58), errichtet, die man damals
derholenden Arbeitsgänge senken den Magnetnadelbrücke nannte [Japan Ass.,
Zeitaufwand für die einzelnen Arbeitsgän- 1984]. Johann August Röbling ordnete bei
ge. Es zählt zu den erfolgreichsten Bauver- seinen Hängebrücken bereits zusätzliche
fahren zur Herstellung von Betonbrücken, Schrägkabel an. Dischinger griff diese Kon-
weil es neben den erwähnten Vorteilen struktionsidee wieder auf und entwickelte
sie weiter [Dischinger, 1949-1]. Er wies da- einer Arbeitsgemeinschaft unter der tech-
rauf hin, dass Röbling in Ergänzung zu den nischen Federführung der Hein, Lehmann
vertikalen Hängern nach der Montage zur AG gebaute Theodor-Heuss-Brücke in Düs
Erhöhung der Steifigkeit der Brücke durch seldorf. Es folgten die Severinsbrücke in
Winden angespannte Schrägkabel in seine Köln (1959, 302 m), die Norderelbe-Brücke
Hängebrücken eingebaut hat. Weil Röbling in Hamburg (1963, 172 m), die Rheinbrü-
damals zur Vorspannung der Schrägkabel cke in Leverkusen (1965, 280 m), die Rhein-
nur Winden verwenden konnte, war die Ka- brücke in Maxau (1966, 175 m), die Rhein-
belvorspannung nur mäßig. Auch die zuläs- kniebrücke in Düsseldorf (1969, 319 m)
sigen Spannungen waren damals nur ver- und die Rheinbrücke in Duisburg (1970,
hältnismäßig niedrig. Die Schrägkabel wa- 350 m). Die gemeinsamen Merkmale der
ren deshalb nur bedingt wirksam (Kabel- genannten ersten Schrägkabelbrücken in
durchhang, ideeller Elastizitätsmodul der Deutschland sind die Ausführungen so-
Kabel), was einer der Gründe der notwen- wohl der Pylone als auch der Träger als
digen Instandsetzung der Brooklyn-Brücke Stahlkonstruktionen, die Anwendung der
war, die 1944 bis 1954 von David Bernard orthotropen Platte als Stahlleichtfahrbahn
Steinman bei gleichzeitiger Ertüchtigung und die Anordnung der wenigen dicken
der Brücke vorgenommenen worden war. vollverschlossenen Kabel mit großen Ab-
Röbling und Dischinger können als die gei- ständen. Nach dieser Bauweise wurden un-
stigen Wegbereiter des modernen Schräg- ter anderem auch die Onomichi Brücke in
kabelbrücken-Systems gelten. Hiroshima, Japan (1968, 215 m), die Erskin
Die beiden Brücken, die das Tor für die Brücke in Glasgow, England (1971, 305 m),
rasche Entwicklung der modernen Schräg- die Donaubrücke in Bratislava, CSSR
kabelbrücken mit großen Spannweiten ge- (1972, 303 m) und die Donaubrücke in
öffnet haben, sind die Strömsundbrücke in Linz, Österreich (1972, 215 m) gebaut.
Schweden mit 182 m Spannweite mit bü- Die für den Bau moderner Schrägkabel-
schelartiger Anordnung der Kabel (Defini- brücken als einer der Marksteine zu nen-
tion nach Feige s. Bild 5.2.1-34) von je zwei nende Theodor-Heuss-Brücke in Düssel-
Kabeln von den beiden Pylonköpfen nach dorf (Bild 1.4-59) mit 15 m Fahrbahnbreite
jeder Seite, die 1955 von der DEMAG ist zwischen den Geländern 26,6 m breit
Duisburg gebaut wurde und die in den Jah- und zur Längsachse symmetrisch. Sie hat
ren 1955 bis 1957 nach dem Entwurf von zwei kastenförmige 1,6 m breite Hauptträ-
Helmut Homberg mit harfenartiger Kabel ger mit konstanter Konstruktionshöhe von
anordnung (Definition nach Feige s. Bild 3,4 m, in denen die jeweils drei zueinander
5.2.1-34) und mit 260 m Spannweite von parallelen Schrägkabel zur Aufhängung der
Bild 1.4-60 Düsseldorfer Brückenfamilie (Bild von der Stadt Düsseldorf zur Verfügung gestellt)
Bild 1.4-63 Schräg
kabelbrücke der Farbwerke
Hoechst in Frankfurt (Bild:
DYWIDAG-Archiv)
brücke Mannheim-Ludwigshafen und der Rom, Italien (1967, 145 m), die Mainbrücke
Tatara Brücke sind aus Beton. der Farbwerke Hoechst in Frankfurt
Obwohl beim Bau der oben genannten [Schambeck, 1973] (1972, 148 m, Bilder
Rheinbrücke in Mannheim-Ludwigshafen 1.4-63 und -64, s. auch Bild 5.2.1-39), die
statt vollverschlossener Seile Paralleldraht- Tielse-Brücke in Tiel, Niederlande (1975,
bündel mit plastischem Wrapping zur Aus- 267 m, s. Bild 5.2.1-38), die Brotonne-
führung kamen, blieb in Deutschland diese Brücke in Le Havre, Frankreich (1977,
Kabelbauweise eher eine Ausnahme. Dage- 320 m), die Pasco-Kennewick-Brücke in
gen wurden in Japan nach der Fertigstel- Amerika (1978, 299 m), die von Menn ent-
lung der Toyosato-Brücke in Osaka (1970, worfene Ganterbrücke bei Brig, Schweiz
216 m) Paralleldrahtbündel zur Standard- (1980, 174 m, Bild 1.4-65), die Barrios de
kabelbauweise, zuerst vom plastischen Luna Brücke in Leon, Spanien (1984,
Wrapping und später vom Umhüllungsrohr 440 m), die Parana-Brücke in Posadas-En-
aus Polyäthylen (PE) umgeben. Zur Zeit carnacion, Argentinien-Paraguay (1984,
findet auch in anderen Ländern diese 330 m), die Skarnsundet-Brücke in Norwe-
Kabelbauweise mit PE Schutzrohren viele
Anwendungsbeispiele.
1962 wurde von R. Morandi eine Spann-
betonschrägkabelbrücke über den Mara-
caibo See in Venezuela (s. Bild 5.2.1-36),
deren größte Spannweite 235 m beträgt, er-
richtet. Von ihm wurden weitere Spannbe-
tonschrägkabelbrücken entworfen, z. B. die
Polcevera-Brücke in Genua, Italien (1966,
208 m) und die Wadi el Kuf Brücke in
El Beida in Libyen (1971, 202 m, s. Bild
5.2.1-37). Neben diesen Brücken von
Morandi existieren viele andere Spannbe- Bild 1.4-64 Pylonkopf der Schrägkabelbrücke
tonschrägkabelbrücken. Nur einige davon der Farbwerke Hoechst in Frankfurt (Bild: Dywi
seien genannt: die Magliana-Brücke in dag-Archiv)
1.4 Brücken von der Renaissance bis zur Gegenwart 95
Bild 1.4-65 Ganterbrücke
bei Brig, Schweiz
gen (1991, 530 m) und die Changjiang- (1995, 381 m), die Zweite Severn-Brücke in
Brücke in Chongging, China (1996, 444 m). England (1996, 456 m), die Tingkau-Brücke
In Japan gibt es ebenfalls zahlreiche in Hongkong, China (1998, 475 m), die
Spannbetonschrägkabelbrücken. Seohae-Brücke in Korea (2000, 470 m), die
Die Kombination der Baustoffe Stahl zweite Changjiang-Brücke in Nanjing,
und Beton mit der wirtschaftlichen Auf- China (2001, 628 m).
nahme von Druckbeanspruchungen durch In den letzten Jahren wurden in China
den Beton zur Verbundbauweise bietet viele große Schrägkabelbrücken gebaut,
ideale Vorteile dieser Bauweise für Schräg- insgesamt etwa 16 Schrägkabelbrücken mit
kabelbrücken. Es ist erstaunlich, dass, ob- Spannweiten über 500 m. Die größte
wohl die Verbundbauweise schon unter Schrägkabelbrücke in China ist die Sutong-
anderem beim Bau der Büchenauer Brücke Brücke über den Changjiang in der Provinz
in Bruchsal, Deutschland (1956, 56 m), der Jiangsu (Bilder 1.4-66 und -67). Die Spann-
Sitka- Hafenbrücke in Alaska, Amerika weite der Mittelöffnung beträgt 1088 m. Sie
(1972, 137 m) und der Yamato Brücke in ist damit vor der Tatara-Brücke in Japan
Osaka, Japan (1974, 83 m), angewendet mit der Spannweite der Mittelöffnung von
worden war, erst 1986 eine große Brücke in 890 m, der bis dahin größten Spannweite
dieser Bauweise mit dem Bau der Alex- einer Schrägkabelbrücke, die Schrägkabel-
Fraser-Brücke in Vancouver, Kanada, mit
465 m Spannweite gebaut, wurde. Die Pylo-
ne der Brücke bestehen aus Beton. In der
Folgezeit breitete sich diese Bauweise sehr
rasch in verschiedenen Ländern außer in
Japan aus. Im Folgenden werden nur einige
Brücken genannt: die Zweite Hooghly-Brü-
cke in Kalkutta, Indien (im Jahr 1992, 457
m Spannweite), die Mezcala-Brücke in Me-
xiko (1993, 312 m), die Yangpu-Brücke in
Shanghai, China (1993, 602 m), die Fred
Hartman Brücke bei Baytown, America Bild 1.4-66 Sutong-Brücke, Seeansicht
96 1 Brückenbau auf dem Weg vom Altertum zum modernen Brückenbau
daten auch die bei quasi statischer Über- die den Entwurfsingenieuren als Vorbilder
fahrt eines Belastungsfahrzeugs gemes- dienen können. In manchen Fällen ist es
senen Einflusslinien für die Neigungen der ratsam bei der Gestaltung Architekten zu-
Brücke. zuziehen. Dabei muss aber klar sein, dass
Im Abschnitt 11.7 wird auf die kontinu- ein guter Entwurf nur in echter Zusam-
ierliche Dauerüberwachung im Allgemei- menarbeit im Dialog, und das von Anfang
nen eingegangen, worauf hier verwiesen an, entstehen wird. An den im Abschnitt
wird. 1.4 gezeigten Brücken haben an einigen
Architekten mit den entwerfenden Inge
nieuren zusammengearbeitet. An den Brü-
1.5.2 Bemerkungen zur Gestaltung cken der Düsseldorfer Brückenfamilie (Bild
von Brücken 1.4-60) war dies Friedrich Tamms, bei den
Rheinbrücken in Worms und bei Bendorf
Bereits im Abschnitt 1.1 wurde ausgeführt, ist Gerd Lohmer zu nennen.
dass Brücken häufig an markanten Stellen Auf den folgenden Abschnitt 1.6 wird
unserer Städte und Verkehrswege stehen. verwiesen.
Es ist wichtig die Brücken nachhaltig zu Beispielhaft seien hier subjektiv ausge-
bauen. Darunter verstehen wir nicht nur wählte, wie wir meinen, gut gestaltete Brü-
die optimierten Baukosten bezogen auf die cken gezeigt.
Lebenszeit der Brücke, sondern auch ihre Zunächst ist die 1960 bis 1962 nach dem
Bedeutung für das Wohlempfinden der Entwurf des Bauingenieurs Hermann Bay
Menschen. Der Ingenieur muss sich stets und des Architekten Wilhelm Tiedje von
seiner Verantwortung bei der Gestaltung den Firmen Wayss & Freitag und Karl Küb-
und der harmonischen Einfügung der Brü- ler gebaute Glemstalbrücke in Schwieber-
cken in ihre Umgebung, sei es in der Stadt dingen, Bild 1.5-2, als ausgesprochenes
oder in der Landschaft, und ihre Wirkung Kunstwerk des Ingenieurbaus erwähnens-
auf die Menschen bewusst sein. Manchmal wert. Die Brücke besteht aus einem über
sind die Differenzkosten einer gut gestal- 114 m gespannten, kastenförmigen Beton-
teten Brücke zu den Kosten einer soge- bogen und dem darüber befindlichen
nannten billigen Lösung gering. Dann sollte durchlaufenden Beton-Kastenträger, der
stets die Entscheidung getroffen werden, im Scheitelbereich des Bogens durch diesen
die gut gestaltete Brücke zu bauen. Damit
keine Missverständnisse aufkommen, es ist
nicht gemeint, dass eine schöne Brücke
nicht preiswert ist. Im Gegenteil, eine wohl
gestaltete Brücke benötigt kein dekoratives
Beiwerk. Nur was für das Bauwerk erfor-
derlich ist, soll die Brücke haben. Dabei
sind klare Formen, die den Kraftfluss er-
kennen lassen besonders wichtig. Nur so
wird Ingenieurbaukunst erreicht. Robert
Maillart hat uns mit seinen Brücken ge-
zeigt, dass gerade sparsames Bauen zu gu-
ten Lösungen führen kann. Ihm als Vorbild
nachzueifern ist eine dankbare Aufgabe für
jeden Ingenieur. Die im Abschnitt 3.8 ent-
haltenen Brücken sind durchweg Beispiele, Bild 1.5-2 Glemstalbrücke in Schwieberdingen
100 1 Brückenbau auf dem Weg vom Altertum zum modernen Brückenbau
und durch schlanke Pendelstützen gestützt schnittsform erhalten bleibt und unterstüt-
wird. Der Bogen und der Kastenträger zen die wechselseitige Überleitung der
durchdringen sich im mittleren Drittel der Schnittgrößen zwischen Bogen und
Bogenbrücke. Der Bogen wird deshalb Kastenträger.
durch den Kastenträger nur in diesem Be- Eine gestalterisch sehr interessante Brü-
reich belastet. Die Bogenform folgt entspre- cke ist die von Schlaich, Bergermann und
chend der vertikalen Belastung (im mittle- Partner entworfene Fußgängerbrücke Prag-
ren Drittel aus dem Kastenträger und der sattel II in Stuttgart, Bild 1.5-3. Die 30 cm
Eigenlast des Bogens, im äußeren Drittel dicke, oder soll man besser dünne sagen,
nur aus der Eigenlast des Bogens) etwa der stark geneigte, durchlaufende Betonplatte
Stützlinie unter Eigenlast, die sich etwas an lagert auf verzweigten Stahlrohren aus ver-
ein Sprengwerk angenähert ergibt. Von der tikalen Stützen, die sich im oberen Bereich
Brückenmitte aus stehen die beiden ersten baumartig in vier Äste teilen. Sie werden
Pfeiler auf den Kämpferfundamenten. Der deshalb als Baumstützen bezeichnet. Trotz
Bogen spreizt sich zur Erhöhung der Quer- vieler Stützen wird der Durchblick kaum
steifigkeit zu den Kämpfern hin auf. In beeinträchtigt. Alle Teile sind an der Lastab-
Längsrichtung hat der Kastenträger seinen tragung beteiligt, auf kein Teil kann ver-
Festpunkt am Bogenscheitel, und der Kas zichtet werden, keins ist dekorativ. Die Brü-
tenträger läuft fugenlos zu den Widerlagern cke erfüllt damit das stets anzustrebende
durch, wo die Horizontalverschiebungen Ziel, dass nichts hinzu gefügt werden soll,
aus den Temperaturausdehnungen gewähr- was nicht notwendig ist. Die Knoten- und
leistet sind. Die den Kastenträger in den Anschlusspunkte an die Betonplatte und
Hangbereichen unterstützenden schlanken die Fundamente sind Gussteile. Die Brücke
Pendelstützen folgen fast zwängungsfrei ist filigran und wirkt fast als würde sie
den Bewegungen des Kastenträgers. In schweben. Durch die knallig rote Farbe
Längs- und Querrichtung wirkt der Bogen wirkt die Brücke zudem eigenständig und
wie ein Rahmen, dessen Schwerachsen hebt sich deutlich von der Umgebung ab
weitgehend der Stützlinie unter Eigenlast ohne störend zu wirken.
folgen. Beim Zusammenschluss der Bo- 1966/1967 wurde die Gehwegbrücke
genfüße und dem Anschluss an den Über- über die Einfahrt des Schiersteiner Rhein-
bau sind Querscheiben im Bogen einge- hafens in Wiesbaden nach einem Entwurf
baut. Sie gewährleisten, dass die Quer- von Finsterwalder mit architektonischer
Bild 1.5-3 Fußgängerbrücke Pragsattel II in Stuttgart (Bild von Schlaich, Bergermann und Partner)
1.5 Aktuelle
Bemerkungen
Entwicklungen,
zur Gestaltung
Bemerkungen
vonzur
Brücken
GestaltungvonBrückenundzubesonderenBedeutungen 101
Beratung von Gerd Lohmer und der tech- gens im Bauzustand als Kragträger im
nischen Bearbeitung von Rudolf Ohlig und freien Vorbau. Die Bogenwirkung stellte
Klaus Alsen von Dyckerhoff & Widmann sich mit dem Schließen des Scheitels und
gebaut. Die vorgespannte Zweigelenk-Bo- der Absenkung der Hilfsjoche ein.
genbrücke aus Leichtbeton unter Verwen- Wegen der Höhenverhältnisse der Stra-
dung von Weißzement mit einer Spannwei- ßen am Donaukanal in Wien im Bereich
te von 96,4 m und einer Pfeilhöhe von 12 m der Rossauer Brücke war die Konstruk
ist eine sehr elegante Brücke (Bild 1.5-4). tionshöhe der über 54,4 m gespannten,
Im Scheitelbereich ist der Bogen so schlank, schräg gestützten Rossauer Brücke extrem
dass er sich fast wie ein Dreigelenkbogen begrenzt, dass nur eine vorgespannte Be-
verhält. Der 1,5 m hohe T-Querschnitt im ton-Platten/Plattenbalken-Konstruktion
Scheitel hat eine 3 m breite Platte mit einem mit einer spinnenartigen Stützung alle vor-
1,5 m breiten Steg. Zur Abtragung der gegebenen Randbedingungen, die auch die
Windkräfte verändert sich der Querschnitt Unterbringung der offen zu führenden Ver-
des Bogens, indem sich im Steg seitlich ein sorgungsleitungen beinhaltete, erfüllte. Die
unterer Flansch ausbildet, dessen Breite auf von Alfred Pauser entworfene und den Fir-
3 m am Kämpfer anwächst. Als Brückenab- men Universale und Porr gebaute sehr
gänge sind Rampen als Dreiecke ausgebil- schlanke 1,3 m dicke Platten/Plattenbalken-
det, die rucksackartig an den Bogen gehängt Konstruktion der Rossauer Brücke, Bild
sind und als Gegengewichte und Zugglie- 1.5-5, wirkt durch die biegesteifen Verbin-
der zur Reduzierung des Horizontalschubs dungen mit der in vier Streben aufgelösten
wirken. Die Rampen und der Teil des Bo- Stützungskonstruktion rahmenartig zu-
gens vom Kämpfer bis zum Abschluss des sammen. In den Randfeldern und über die
Bogen-Rampen-Dreiecks wurden auf ei- Stützkonstruktionen hinaus zum Innenfeld
nem Lehrgerüst mit Hilfsjochen jeweils in besteht der Überbau aus einer Vollplatte,
10 m Entfernung von den Kämpfern herge- die in der Längsachse zur Unterbringung
stellt. Um den Schiffsverkehr während des der Versorgungsleitungen unten streifen-
gesamten Bauvorgang aufrecht zu erhalten, förmig ausgespart und in den Bereichen der
erfolgte der Bau des Mittelbereichs des Bo- Stützungen in Querrichtung vorgespannt
Bild 1.5-4 Brücke über die Ausfahrt aus dem Schiersteiner Rheinhafen in Wiesbaden
102 1 Brückenbau auf dem Weg vom Altertum zum modernen Brückenbau
Bild 1.5-5 Stützkonstruktion der Rossauerbrücke über den Donaukanal in Wien (Bild von Prof.
Dr. techn. Alfred Pauser)
ist. Der mittlere Bereich des Innenfelds Bogen oder ein Seil gewählt wird. Bei ent-
wurde unter Verwendung von acht vorge- sprechender Form des Bogens wird dieser
fertigten Spannbetonträgern, zur Reduzie- hauptsächlich auf Druck beansprucht.
rung der Eigenlast mit Hohlquerschnitten, Beim Seil erhält man anstatt der Druck-
und einer Ortbetonplatte, die biege- und eine Zugbeanspruchung. Hängekonstruk
schubfest mit den Fertigteilträgern, der Voll- tionen haben noch den weiteren Vorteil,
platte und über diese mit der Stützkonstruk- dass sich unter zunehmender Belastung
tion verbunden ist, hergestellt. Die Rahmen- wegen der Formänderungen des Systems
wirkung der zusammengesetzten Konstruk- die Biegebeanspruchung vermindert. Die
tion wird durch die ortspezifisch notwendige größten Spannweiten wurden bisher mit
Schrägstellung der spinnenartigen Stützung etwa 2000 m Spannweite bei Hängebrücken
verstärkt, was sich günstig auf die Verkleine- erreicht, s. o. Fallen die bei Hängebrücken
rung der Feld-Biegemomente auswirkt. wesentlichsten Konstruktionsteile – die
Auch die als Folge der ungünstigen Stützwei- Tragkabel und der Versteifungsträger – zu-
tenverhältnisse entstehenden abhebenden sammen, erhält man das auf einer Idee von
Auflagerkräfte an den Brückenenden wer- Ulrich Finsterwalder beruhende und von
den durch die Rahmenwirkung abgemin- ihm so genannte Spannband als System des
dert. Die ortspezifisch bedingte aufgelöste, Betonbrückenbaus. Finsterwalder schlug
interessante Stützung und das konsequent erstmalig 1958 anlässlich des Brückenwett-
entwickelte Tragwerk der Brücke beein- bewerbs der Brücke in Istanbul über den
druckt die auf dem Vorkai flanierenden Bosporus den Bau einer Spannbandbrücke
Menschen mit dem Blick auf die Untersicht mit freier Spannbandlänge von 190 m vor;
der Brücke, was in der Dunkelheit durch sie wurde nicht nach Finsterwalders Vor-
eine Effektbeleuchtung verstärkt wird. schlag gebaut. Das System der vorgeschla-
Das sparsamste Bauen wird erreicht, genen Brücke ist im Bild 1.5-6 dargestellt.
wenn man die Lasten durch Konstruktio- Ein zweiter Entwurf Finsterwalders aus
nen abträgt, die nur durch Längskräfte be- dem Jahr 1961 für den Bau der Zoobrücke
ansprucht werden. Dies erreicht man da- in Köln mit 166 m freier Spannbandlänge
durch, dass z. B. für die Konstruktion ein wurde ebenfalls nicht ausgeführt.
1.5 Aktuelle
Bemerkungen
Entwicklungen,
zur Gestaltung
Bemerkungen
vonzur
Brücken
GestaltungvonBrückenundzubesonderenBedeutungen 103
Die ersten Spannbandbrücken wurden cke. Insbesondere aus dem Bild 1.5-9 ist die
später in der Schweiz und in Japan gebaut. schöne Einbindung mit dem Übergang in
Erst 1969/1970 wurde in Freiburg/Breisgau das Freizeitgelände gut zu sehen. Im
ein Entwurf Finsterwalders realisiert. Das Abschnitt 5.7 wird ausführlich auf Spann-
System dieser Brücke ist aus dem Bild 1.5-7 bandbrücken eingegangen.
ersichtlich. Die Bilder 1.5-8 und -9 zeigen Im Zuge der Ostumfahrung Stuttgart-
die Eleganz der Freiburger Spannbandbrü- Vaihingens befindet sich direkt zwischen
Bild 1.5-6 Finsterwalders Vorschlag für den Bau der Bosporus-Brücke als Spannband
Bild 1.5-9 Spannband-
brücke im Freiburg, Blick
vom Turm des Münsters
zwei Tunneln die 151 m lange, horizontal den anschließenden Tunneln fest verbun-
gekrümmte Nesenbachtalbrücke mit Spann- den, ausgeführt wurde, wurde die üblicher-
weiten zwischen 8,25 m und 49,5 m. Die Be- weise störendste Lärmquelle der Fahrbahn-
tonfahrbahnplatte wird von einem Raum übergänge ganz ausgeschaltet. Die Rezeptur
fachwerk aus Stahlrohren aus baumartig des Betons der Fahrbahnplatte und die Be-
gespreizten Stützen, mit dem sie monoli- wehrung wurden optimiert, damit die auf-
thisch zu einem Verbundtragwerk verbun- tretenden Rissbreiten auf 0,3 mm begrenzt
den ist, gestützt, Bilder 1.5-10 und -11. Die werden. Die Brücke wurde 1997/1999 nach
Rohrknoten sind aus Stahlguss. Der Tunnel- einem Entwurf von Schlaich, Bergermann
querschnitt wird oben optisch durch einen und Partner von den Firmen Wolff & Müller,
über der Fahrbahn und unterhalb des Geh- Stuttgart und Stahlbau Illingen gebaut.
und Radwegs über die ganze Brücke dem
Lärmschutz dienenden durchgehenden
Deckel weitergeführt. Wegen der Lage des 1.5.3 Brücken mit besonderer Bedeutung
Geh- und Radwegs über der Fahrbahn mit
dem Lärmschutzdeckel müssen die Fußgän- Brücken haben in der Vergangenheit mit-
ger und Radfahrer nicht unnötig größere unter schicksalhafte und symbolische Be-
Höhenunterschiede überwinden und Geh- deutung gehabt. Auf die historische Bedeu-
und Radweg sind frei von Lärm, Abgasen tung des Ponte Mulvius wurde bereits im
und Spritzwasser. Seitlich überspannen Abschnitt 1.2.2 hingewiesen.
Stahlrohrbogen die Fahrbahn. Die Stahl- Als am 1. September 1939 Deutschland
rohrbogen tragen Lärmschutzlamellen, die Polen überfiel und damit den 2. Weltkrieg
je nach der Bebauung hang- oder talseitig auslöste, wurden wesentliche Teile der
angeordnet sind. Weil die Brücke monoli- Alten Weichselbrücke bei Dirschau (s. Ab-
thisch fugenlos und ohne Lager, auch mit schnitt 1.4-3) und auch der späteren da
1.5 Aktuelle
Bemerkungen
Entwicklungen,
zur Gestaltung
Bemerkungen
vonzur
Brücken
GestaltungvonBrückenundzubesonderenBedeutungen 105
Bild 1.5-12 Beleuchtete Nesenbachtalbrücke in der Dunkelheit, Bild von Schlaich, Bergermann
und Partner
neben gebauten zweiten Brücke als Vertei- sprengt. Nach dem Ende des Kriegs baute
digungsmaßnahme von der polnischen der Polnische Staat die beiden Brücken un-
Armee gesprengt. Von der Alten Weichsel ter Beibehaltung der vorhandenen Teile
brücke wurden drei Felder zerstört und drei wieder auf, wobei die fehlenden Teile durch
blieben erhalten. Die drei verbliebenen Neubauten und an anderen Stellen demon-
Felder der Brücke sind heute ein bedeu- tierten Überbauten ersetzt wurden. Im De-
tendes Zeugnis aus den Anfängen des zember 1947 konnte zunächst der einglei-
Eisenbahnbrückenbaus (Bild 1.4-15). Vom sige Eisenbahnverkehr wieder über die
ASCE wurde der verbliebene Teil der Alten Brücke erfolgen. Schließlich konnte sowohl
Weichselbrücke bei Dirschau 2004 in die der zweigleisige Eisenbahnverkehr als auch
Liste der International Historic Civil Engi- der Straßenverkehr gewährleistet werden.
neering Landmarks aufgenommen. Die Als 1973 in der Nähe von Zeulenroda in
sich im Kampf um die vorbereiteten Zünd- Ostthüringen eine stählerne Kastenbrücke
stellen zur Sprengung der Brücke zu Beginn über sechs Felder mit Spannweiten der
des 2. Weltkriegs entwickelnden Kämpfe Endfelder von je 55 m und der Innenfelder
waren möglicherweise die ersten Kampf- von je 63 m für eine Landstraße über einen
handlungen des 2. Weltkriegs. Die bei ih- späteren Stausee im Freivorbau errichtet
rem Bau Mitte des 19. Jahrhunderts als wurde, ereignete sich beim Bau der Brücke
technisches Meisterwerk der Brückenbau- am 13. August, dem 12. Jahrestag des Baus
kunst gepriesene Brücke erlangte damit der Mauer in Berlin, ein tragischer Bau
1939 eine traurige historische Bedeutung. unfall. Während der Montage versagte das
Deutsche Pioniere errichteten eine Behelfs- auf zentrischen Druck beanspruchte Boden-
brücke über die Weichsel, die dann durch blech. Der ins zweite Feld������������������
schon 31,5 m aus-
eine neue zweigleisige Eisenbahnbrücke er- kragende Brückenteil knickte ab, stürzte auf
setzt wurde. Die zerstörten Teile der Alten den Talgrund und riss Arbeiter und Geräte
Weichselbrücke wurden während des mit sich. Vier Menschen verloren ihr Leben,
Kriegs nicht ersetzt. Zum Ende des Kriegs etliche wurden zum Teil schwer verletzt, und
wurde die Eisenbahnbrücke beim Rückzug es entstand ein hoher Sachschaden. Nach
der deutschen Soldaten von diesen ge- dem damaligen Stand des Stahlbrückenbaus
1.5 Aktuelle
Bemerkungen
Entwicklungen,
zur Gestaltung
Bemerkungen
vonzur
Brücken
GestaltungvonBrückenundzubesonderenBedeutungen 107
handelte es sich um ein innovatives Vor stellt. An die beim Unfall ums Leben ge-
haben. In den fünf voraus laufenden Jahren kommenen wird mit einem Gedenkstein
hatte es in den demokratischen Staaten meh- erinnert, Bild 1.5-14.
rere ähnliche Schadensfälle (Donaubrücke Eine weitere politische Bedeutung hat
Wien, Cleddaubrücke in Milford-Haven in die Glienicker Brücke in Berlin, Bild 1.5-15.
Wales, Westgate-Brücke in Melbourne und Während der Teilung Deutschlands wurden
Rheinbrücke Koblenz) gegeben, von denen politische Gefangene zwischen Ost und
man als Folge des von der herrschenden West an der Glienicker Brücke ausgetauscht.
Partei in Ostdeutschland verhinderten In- Dies hat die Brücke weltberühmt gemacht.
formationszugangs (die vorangegangenen
Schadensfälle lösten im Westen Tagungen
zum Thema, Forschungen und Regelwerks
anpassungen aus) nur unzureichende Kennt-
nis hatte [Ekardt, 1998].
An dieser Stelle soll nicht auf die Scha-
densursachen eingegangen werden. Dazu
wird auf [Ekardt, 1998] und [Scheer, 2000]
verwiesen. Weil der Bauunfall sich aber ge-
rade an einem 13. August ereignete, wurde
vom Ministerium für Staatssicherheit und
der DDR-Justiz zunächst unterstellt, dass es
sich um Sabotage handelte. Später wurde
von den Institutionen der Bauunfall als
Fahrlässigkeit technikverliebter Intelligenz-
ler auf Kosten der Werktätigen gesehen.
Objektiv ist der Unfall auf die damals plan-
mäßig zu geringe Sicherheit im Montage-
zustand und eine Fehleinschätzung der
Tragfähigkeit des Untergurts des Kasten
trägers zurückzuführen. Die Brücke, Bild Bild 1.5-14 Gedenkstein an der Stauseebrücke
1.5-13, wurde nach dem Unfall fertigge Zeulenroda
108 1 Brückenbau auf dem Weg vom Altertum zum modernen Brückenbau
Bild 1.5-15 Glienicker
Brücke in Berlin
Bild 1.6-1 Steinerne
Brücke Regensburg
1.6 Gestaltung von Brücken, Wettbewerbe, Brückenbaupreise 109
Bild 1.6-3 Strelasundquerung
durchaus mit dem ebenfalls als Weltkultur- nieurbaukunst, die Stadt- und Regional-
erbe anerkannten Stadtbild harmonieren planung, den Denkmalschutz, die Land-
kann und gleichzeitig der Region neue Im- schaftsarchitektur und die Kunst am Bau.
pulse gibt (Bild 1.6-3). Brücken und Welt- Baukultur ist unteilbar – es gehören alle
kulturerbe sind also ganz offensichtlich Teile der gebauten Umwelt hierzu und je-
kein Gegensatz, wenn der gute Wille für der Beteiligte trägt Verantwortung für sei-
eine optimale Lösung bei allen Beteiligten nen Bereich.
vorhanden ist. Die Ingenieurbauwerke sind die gestal-
terisch dominierenden Teile der Verkehrs-
wege, denn Brücken, Tunnel, Stützwände
1.6.2 Baukultur und Lärmschutzwände fallen in der Regel
Bei dem Stichwort „Baukultur“ fallen den allein durch ihre Abmessung besonders in
meisten Bürgerinnen und Bürgern zu- das Blickfeld der Verkehrsteilnehmer und
nächst nur Beispiele aus dem Hochbau ein, bilden oftmals exponierte Landmarken ei-
wie z. B. Wohngebäude, Kirchen, Theater, ner Strecke. Sie sind ein wesentlicher Teil
Museen, Burgen und Schlösser, die allein unseres täglichen Umfelds und damit auch
durch ihre Funktion und ihre Größe be- wichtiger Teil der Baukultur unseres
sonders auffallen und oftmals durch eine Landes. Keiner kann sich deren gestalte-
repräsentative Bauweise beeindrucken. rischer Wirkung entziehen, auch wenn dies
Aber Baukultur ist selbstverständlich we- oftmals bewusst nicht so empfunden wird.
sentlich mehr, denn Baukultur repräsen- Für den öffentlichen Bauherrn, der für Pla-
tiert den gebauten Ausdruck der kultu- nung, Bau und Erhaltung von Straßen zu-
rellen, wirtschaftlichen und politischen ständig ist, ergibt sich hieraus eine große
Verfassung einer Gesellschaft. Sie be- Verantwortung sowohl in technischer und
schränkt sich nicht nur auf Architektur, gestalterischer, aber auch in sozialer und
sondern umfasst gleichermaßen die Inge- gesellschaftlicher Hinsicht.
1.6 Gestaltung von Brücken, Wettbewerbe, Brückenbaupreise 111
Dass sich die Bürgerinnen und Bürger Innovationspotenzial. Hier gilt es zu-
durchaus sehr für die Leistungen der Inge- nächst die vorhandenen Erfahrungen zu
nieure und insbesondere für Brücken inte- sammeln und im Sinne von best practice
ressieren, hat u. a. die Ausstellung „Stra- weiterzugeben, sowie Möglichkeiten zu
ßenbrücken – Ingenieur Bau Kunst in weiteren Anreizen für Innovationen z. B.
Deutschland“ gezeigt, die im Jahr 2001 als durch Wettbewerbe aufzuzeigen.
Beitrag zur Initiative Architektur und Bau- • Kulturelles Erbe wahren sowie vorhan-
kultur vom Bundesverkehrsministerium dene Ressourcen im Bestand nutzen und
gemeinsam mit der Bundesingenieurkam- weiterentwickeln. Nach einer langen
mer organisiert wurde und bei ihrer Wan- Phase des Neubaus und Ausbaus stehen
derschaft durch fast alle Bundesländer rund künftig die Pflege, Erhaltung und Erneu-
400.000 Besucher angezogen hat. Neben erung des Baubestands immer mehr im
vielen historischen Brücken, die noch heu- Blickfeld. Hierbei ergeben sich teilweise
te vor allem im städtischen Umfeld als kul- völlig neue Aufgaben, die auch in bau-
turelles Erbe zu bewundern sind, wurden in kultureller Hinsicht von großer Be
der Ausstellung auch viele Beispiele des deutung sind.
modernen Brückenbaus vorgestellt, die sich • Die internationale Wettbewerbsfähig-
aufgrund der technischen Weiterentwick- keit deutscher Architekten, Planer und
lung vor allem durch eine große Palette un- Ingenieure stärken. In einem zusam-
terschiedlicher Konstruktionen, Formen menwachsenden Europa und einer zu-
und Bauweisen auszeichnen. nehmenden Globalisierung gilt es, sich
rechtzeitig auf die neuen Rahmenbedin-
gungen einzustellen. Mit der Initiative
soll daher auch der Export von Archi-
1.6.3 Initiative Baukultur und Stiftung
tekten- und Ingenieurleistungen entwi-
Baukultur
ckelt und gefördert werden.
Wesentliches Anliegen der Initiative Archi- Ergänzend zur Initiative Architektur und
tektur und Baukultur war und ist es, unter Baukultur hat die Bundesregierung vor eini-
den Beteiligten des Planens und Bauens gen Jahren ein Gesetz zur Einrichtung einer
eine breite Diskussion über Erwartungen Stiftung Baukultur eingebracht, um die Akti-
und Anforderungen an Baukultur anzusto- vitäten und den Dialog zu verstetigen. Nach
ßen. Zu Beginn der Initiative wurden hier- Verabschiedung des Gesetzes durch den
zu mehrere Themenfelder konkretisiert: Deutschen Bundestag fand im Oktober 2007
in Potsdam die Gründungsversammlung der
• Zukunftsgerechte Planungs- und Archi-
Stiftung statt, sodass inzwischen mit der Ar-
tekturqualität sichern. Hierbei geht es
beit begonnen werden konnte.
vor allem um die Frage, inwieweit die
Ziele der Stiftung sind die folgenden An-
Formen und Inhalte des Planungs- und
liegen:
Baumanagements aufgrund des demo-
grafischen, technologischen und wirt- • Fortführung des im Rahmen der Initia-
schaftlichen Wandels angepasst oder tive Architektur und Baukultur angesto-
neu definiert werden müssen. ßenen bundesweiten öffentlichen Dia-
• Das Potenzial von Architektur und Bau- logs über Baukultur.
kultur für Innovationen und Weiterent- • Zusammenarbeit mit den im baukultu-
wicklungen nutzen. Die Bauwirtschaft rellen Bereich vorhandenen regionalen,
ist nach wie vor einer der größten Inves nationalen und internationalen Ak-
titionsbereiche mit einem erheblichen teuren.
112 1 Brückenbau auf dem Weg vom Altertum zum modernen Brückenbau
ativität und Ideenreichtum zu nutzen gilt zelnen Bauteile von Brücken sind natürlich
[Naumann, 2002]. weitere Anforderungen zu beachten, die
Konstruktion und Gestaltung einer Brü- u. U. die Gestaltungsspielräume einschrän-
cke hängen in erster Linie vom Ort ab, an ken können. So steht es selbstverständlich
dem ein Weg, eine Straße, eine Bahnlinie, außer Frage, dass die Anforderungen an die
ein Fluss oder ein Tal überbrückt werden Standsicherheit und die Verkehrssicherheit
soll. Baugrundsituation, Geländeform und der Bauwerke immer gewährleistet sein
Standortumgebung sind somit wesentliche müssen und durch besondere Gestaltungs-
Parameter, die in die ersten Entwurfsüber- ideen hierbei keine Einschränkungen hin-
legungen einfließen müssen. In jedem Ein- genommen werden können. Da Verkehrs-
zelfall dann eine technisch, wirtschaftlich bauwerke fast ausschließlich aus öffent-
und gestalterisch ausgewogene Lösung zu lichen Mitteln finanziert werden, besteht
finden, ist die eigentliche „Kunst“ der Inge- außerdem für die Baulastträger eine hohe
nieure, für die neben einem fundierten Verantwortung, hiermit sparsam und wirt-
Fachwissen ein hohes Maß an Kreativität schaftlich umzugehen. Dies kann eine we-
und Vorstellungsvermögen erforderlich ist sentliche Restriktion hinsichtlich der Um-
(Bild 1.6-5). Die Entwurfsphase ist somit setzung mancher gestalterischer Ideen sein.
auch die interessanteste Phase während der Sie muss aber realistischerweise als wich-
Entstehung einer Brücke, bei der die Inge- tiges Primat anerkannt und bei der Ent-
nieure die Wahl zwischen einer großen wurfsbearbeitung berücksichtigt werden.
Anzahl verschiedener Baumaterialien, Bauwerke, die allein aus gestalterischen
Konstruktionen und Bauverfahren haben. Gründen erheblich mehr kosten als andere
Neben den sehr wichtigen Anforde- mögliche technische Lösungen, sind in der
rungen an die Ästhetik der Konstruktion Regel nicht akzeptabel, es sei denn, dass
und die gestalterische Ausbildung der ein- eine besonders exponierte Lage oder ein
114 1 Brückenbau auf dem Weg vom Altertum zum modernen Brückenbau
städtebaulich sehr schwieriges Umfeld dies die Bearbeitung von Einzelbauwerken als
rechtfertigen. Im Sinne einer strukturellen auch auf die Gestaltung längerer Straßen-
Architektur werden teure Lösungen aber in abschnitte. Hierzu erarbeiten Ingenieure
der Regel auch den Grundsätzen einer gu- und Architekten zunächst ein Gestaltungs-
ten Gestaltung widersprechen, denn dies handbuch, mit dem abgestimmt auf Histo-
deutet eher auf unnötigen gestalterischen rie, Landschaft und Bebauung die wesent-
Ballast, statisch und konstruktiv ungeeig- lichen Gestaltungselemente für die Bau-
nete Konstruktionen oder übersteigertes werke sowie Empfehlungen für die Auswahl
Geltungsbedürfnis des Entwerfers hin. von Materialien, Farben und Formen zu-
Brücken unterliegen in der Regel hohen sammengestellt werden. Sie dienen dann
Verkehrs- und Umweltbelastungen. Hier als Grundlage und Richtschnur für die Be-
fordern die Nutzer mit Recht robuste und arbeitung der einzelnen Bauwerke der Stre-
dauerhafte Bauwerke, denn jeder Eingriff in cke. Die Freiheit des Tragwerkplaners zur
den Verkehr durch Instandsetzungen und Wahl der geeigneten Konstruktionen bleibt
sonstige Arbeiten verursachen u. U. einen dabei weiterhin bestehen, der Architekt
enormen volkswirtschaftlichen Schaden in steht aber während der gesamten Entwurfs
Form von Stau-, Betriebs- und Unfall phase beratend zur Seite.
kosten. Auch für die Betreiber ist dies, ins- Auch bei Eisenbahnbrücken, für deren
besondere im Hinblick auf die weitere Entwurf bisher aufgrund der besonderen
starke Zunahme des Verkehrs, ein wesent- Anforderungen aus dem Eisenbahnbetrieb
liches Kriterium. Gestalterische und inno- eine relativ starre Rahmenplanung vorge-
vative Ideen haben hier ihre Grenzen, wenn geben war, hat sich nach heftiger Kritik an
sie zu Risiken während der Nutzungsdauer der Gestaltung einiger Brücken bei den
der Bauwerke führen. Pilotprojekte zur Neubaustrecken bei der Deutschen Bahn
technischen Weiterentwicklung im Brü- AG ein Umdenken vollzogen. Größere Brü-
ckenbau sind jedoch in Einzelfällen durch- ckenbauwerke sind danach künftig einem
aus vertretbar. Bereits beim Entwurf der Brückenbeirat vorzulegen, der direkt dem
Brücken sind außerdem die Anforderungen Vorstand der DB AG untersteht und ein
für eine unkomplizierte Durchführung von wichtiges Mitspracherecht bei der Gestal-
Bauwerksprüfungen sowie von später not- tung der Brücken hat. In einem neuen Leit-
wendigen Wartungs- und Erhaltungsar- faden „Gestaltung von Eisenbahnbrücken“
beiten zu beachten. [Mehdorn/Schwinn, 2009] sind außerdem
Die Aufgabe des Ingenieurs besteht da- viele Hinweise für eine gute Gestaltung ge-
rin, beim Entwurfsprozess alle Anfor geben und zahlreiche Alternativlösungen
derungen im ausgewogenen Verhältnis zu- zur herkömmlichen Rahmenplanung auf-
einander zu berücksichtigen. Ziel muss es gezeigt.
sein, ein statisch und konstruktiv einwand-
freies Tragwerk zu entwerfen, bei dem
Wirtschaftlichkeit und Ästhetik optimal 1.6.5 Planungswettbewerbe im Brückenbau
ausbalanciert und auch die anderen Anfor-
derungen so gut wie möglich erfüllt sind! Eine wichtige Möglichkeit, kreative oder
Sehr positiv für die Gestaltung von innovative Ideen für Brücken zu fördern
Ingenieurbauwerken hat sich im Straßen- und die Leistungen der Bauingenieure und
bau in den vergangenen Jahren die verstär- Architekten stärker in der Öffentlichkeit
kte Zusammenarbeit der Ingenieure mit darzustellen, ist die Durchführung von Pla-
Architekten während der Entwurfsphase nungswettbewerben, die im Brückenbau
ausgewirkt. Diese bezieht sich sowohl auf im Gegensatz zum Hochbau bisher nur in
1.6 Gestaltung von Brücken, Wettbewerbe, Brückenbaupreise 115
Diese Vorgehensweise hat sich bewährt. fe dem Preisgericht, bestehend aus Fach-
Grundlage für die Durchführung der Wett preisrichtern, die Fachleute des Bauwesens
bewerbe waren hierbei bisher die „Grund- und des konstruktiven Ingenieurbaus sein
sätze und Richtlinien für Wettbewerbe der sollen, und den Sachpreisrichtern, die auf-
Raumordnung, des Städtebaus und des grund regionaler oder anderer Bezüge ei-
Bauwesens (GRW 95)“ [Richtlinien Raum- nen entsprechenden Sachverstand für die
planung, 2003], die im Jahr 2009 durch die Baumaßnahme haben, vorgelegt werden.
„Richtlinien für Planungswettbewerbe Vor allem bei Straßenbrücken sowie
(RPW 2008)“ [Richtlinien Planungswett- Fuß- und Radwegen wurden in den letzten
bewerbe, 2008] abgelöst wurden. Jahren eine ganze Reihe von Wettbewerben
Nach § 1 der RPW 2008 sollen Wettbe- durchgeführt. Im Bereich der Bundesfern-
werbe darauf abzielen, alternative Ideen straßen waren dies u. a.
und optimierte Konzepte für die Lösung
• Saalebrücke Jena Göschwitz im Zuge der
von Planungsaufgaben und den geeigneten
BAB A 4 mit dem Entwurf einer neuen
Auftragnehmer für die weitere Planung zu
Brücke neben einem denkmalge-
finden. Sie können auch auf die Lösung
schützten steinernen Bogenbauwerk
konzeptioneller Aufgaben zielen. Wettbe-
(Bild 1.6-14).
werbe sollen insbesondere dazu dienen, die
• Saalebrücke Salzmünde im Zuge der
Qualität des Planens, Bauens und der Um-
BAB A 143 als Neubau mit teilweiser
welt zu fördern und einen wichtigen Bei-
Lärmschutzeinhausung (Bild 1.6-7).
trag zur Baukultur zu leisten.
• Talbrücke St. Kilian im Zuge der
Als Bewertungskriterien sind in der Re-
BAB A 73 bei Schleusingen als Neubau
gel bei Brücken die folgenden Aspekte in
mit einer Stahlfachwerkskonstruktion.
die Ausschreibung aufzunehmen:
• Waschmühltalbrücke im Zuge der
• Gestaltung und Einbindung in die Land- BAB A 6 bei Kaiserslautern mit dem
schaft Entwurf einer neuen Brücke neben
• Baukosten, Wirtschaftlichkeit einem denkmalgeschützten steinernen
• Umweltverträglichkeit Bogenbauwerk (Bild 1.6-8).
• Robustheit, Dauerhaftigkeit, Gebrauchs • Talbrücke Gottleuba im Zuge der B 172
tauglichkeit und Nachhaltigkeit bei Pirna als Neubau über ein großes Tal.
• Realisierbarkeit, Bauverfahren, Bauzeit • Rheinbrücke Wiesbaden-Schierstein im
• Statisch-konstruktive Konzeption Zuge der BAB A 643 als Ersatzneubau
• Innovation. mit Verbreiterung.
• Lahntalbrücke Limburg im Zuge der
Die eingereichten Entwürfe werden einer
BAB A 3 ebenfalls als Ersatzneubau mit
Vorprüfung unterzogen, bevor die Entwür-
Verbreiterung.
Bild 1.6-7 Saalebrü-
cke Salzmünde (Visua-
lisierung)
1.6 Gestaltung von Brücken, Wettbewerbe, Brückenbaupreise 117
Bild 1.6-9 Elbebrücke
Wittenberge (Visualisie-
rung)
stimmtes Bauwerk, sondern mehr um das • einer Schrifttafel für das Bauwerk
Profil und Lebenswerk eines bekannten • einer besonderen Präsentation des Bau-
Bauingenieurs. Der Ingenieurbau-Preis da- werks.
gegen umfasst die ganze Breite des Wirkens
Die Preisverleihung erfolgt im Rahmen
der Bauingenieure. Es werden Bauwerke
eines feierlichen Festaktes mit begleitender
ausgezeichnet, die in den zurückliegenden
Öffentlichkeitsarbeit und Beteiligung der
fünf Jahren verwirklicht wurden und eine
Medien. Der Deutsche Brückenbaupreis
innovative Leistung aufweisen. Hierbei
wird alle zwei Jahre vergeben, die ersten
kann es sich um eine Brücke, Halle, einen
Preisverleihungen fanden am 13. März
Tunnel oder auch andere Bauwerke han-
2006 und am 10. März 2008 jeweils in Dres-
deln. Es kann jedoch auch eine intelligente
den statt.
Instandsetzungsmaßnahme oder ein inno-
Ausgelobt wurden zwei Kategorien von
vativer Bauablauf sein.
Brücken:
Der Deutsche Brückenbaupreis hat sich
sehr schnell in der Gruppe der reinen Bau- • Kategorie A: Straßen- und Eisenbahn-
ingenieurpreise etabliert und sich ganz be- brücken
wusst auf diesen speziellen aber sehr wich- • Kategorie B: Fuß- und Radwegbrücken
tigen Leistungsbereich der Ingenieure be- sowie Versorgungsbrücken.
schränkt. Einbezogen sind hierbei alle Brü-
Teilnahmeberechtigt sind alle Bauingeni-
cken, also sowohl Eisenbahn- und sonstige
eure, die an verantwortlicher Stelle zum Ge-
Bahnbrücken als auch Straßenbrücken,
lingen einer Brücke in Deutschland beige-
Rad- und Fußwegbrücken sowie als Son-
tragen haben. Eingereicht werden können
derform auch Leitungs- oder Versorgungs-
Brückenbauwerke, deren Fertigstellung
brücken.
nicht länger als fünf bzw. zwei Jahre zurück-
Der Deutsche Brückenbaupreis soll für
liegt und bei denen die Arbeiten am Bau-
herausragende Leistungen von Bauingeni-
werk zum Stichtag des Einsendeschlusses
euren im Brückenbau vergeben werden.
bereits abgeschlossen sind. Die Ingenieur-
Die ausgezeichnete Leistung kann auf un-
leistung kann ein Neubau, eine grundle-
terschiedlichen Gebieten erbracht werden.
gende Instandsetzung oder eine Umbau-
So kann eine gute Systemwahl und deren
bzw. Erweiterungsmaßnahme sein. Von den
Umsetzung, eine gute Gestaltung und An-
Teilnehmern am Wettbewerb sind jeweils
passung des Bauwerks an den umgebenden
folgende Unterlagen einzureichen:
Standort, eine neue Technologie, eine res-
sourcen- und kostensparende Lösung oder • Teilnahmebogen A mit Angaben zum
auch interessante und innovative Erhal- Bauwerk und den Beteiligten
tungsmaßnahmen, der Einsatz von neuen • Teilnahmebogen B mit einem Fragenka-
Baustoffen oder Bauverfahren maßgeblich talog zum Bauwerk
für den Preis werden. • Erläuterungsbericht (max. 2 Seiten)
Ausgezeichnet wird jeweils das Bauwerk, • 5 Fotos des Bauwerks und der wesent-
den Preis erhalten der oder die Ingenieure, lichen Teile
die den wesentlichen Anteil an der heraus- • maximal 5 Konstruktionszeichnungen.
ragenden Ingenieurleistung haben. Der
Als Bewertungskriterien gelten gemäß Aus-
Deutsche Brückenbaupreis ist ein ideeller
schreibung folgende Beurteilungskriterien:
Preis und besteht aus:
• Gestaltung
• einer Urkunde für den oder die Preisträ-
• Konstruktion
ger
• Funktion
• einer Preisskulptur
120 1 Brückenbau auf dem Weg vom Altertum zum modernen Brückenbau
Bild 1.6-11 Talbrücke
Wilde Gera
122 1 Brückenbau auf dem Weg vom Altertum zum modernen Brückenbau
Bild 1.6-12 Eisenbahn
brücke über die Donau
bei Ingolstadt
1.6 Gestaltung von Brücken, Wettbewerbe, Brückenbaupreise 123
Bild 1.6-13 Luckenberger
Brücke in Brandenburg an
der Havel
124 1 Brückenbau auf dem Weg vom Altertum zum modernen Brückenbau
Bild 1.6-14 La-Ferté-Steg
in Stuttgart, Haldenrain-
straße
durch ihre Neigung die Tragwirkung beto- bach und die Staatsstraße S 194 in einer
nen. Hierbei genügt ein einziges Tragseil, maximalen Höhe von 13 m. Die Brücke
was die Konstruktion besonders leicht und wurde so geplant, dass keinerlei Baumbe-
filigran wirken lässt. stand gefällt werden musste. Die 117 m lan-
ge und 2,50 m breite Brücke besteht aus
Fazit: 15 Brückenfeldern mit einer Länge von 7 m
Die Brücke über die Gahlensche Straße ist und einem Feld mit einer Stützweite von
die erste doppelt gekrümmte, einseitig ge- 12 m über der Staatsstraße S 194.
stützte Hängebrücke überhaupt. Sie liefert Als Parkbrücke für Fußgänger sollte sie
einen ganz neuen Ansatz zur Weiterent- möglichst aus einheimischem Holz gebaut
wicklung gekrümmter Brücken. Das Trag- werden und sich gestalterisch als organisch
verhalten und die Funktion der Trag mit dem Garten verwobenes Bauwerk har-
elemente sind trotz ihrer Komplexität gut monisch einfügen. Der Entwurf geht auf
ablesbar. Das Bauwerk ist frei von jedem die bewegte Geländesituation ein, schlän-
Zierrat und beeindruckt durch seine ele- gelt sich mit gleichmäßigen Radien durch
gante Konstruktion. Als bewusster Gegen- das mit Laubhölzern besetzte Tal.
satz zu seiner Umgebung setzt es Maßstäbe
für die zukünftige Entwicklung in diesem Fazit:
Stadtgebiet. Die Holzbrücke für Fußgänger zeigt sich als
graziles, durchlaufendes Holzband mit ele-
Holzbrücke über die Freiberger Straße im ganter Trassierung und bietet außerge-
Forstbotanischen Garten Tharandt wöhnliche Ausblicke auf die in Augenhöhe
(Bild 1.6-16) liegenden Baumkronen. Neu und innovativ
Maßgebliche Entwurfsverfasser: Kathrin an diesem gelungenen Bauwerk ist die in
Gädeke, André Dreßler, Dipl.-Ing. Uwe sich verbundene Brettschicht-Konstruktion
Fischer. aus Einzelelementen mit versteckten Ver-
Die Brücke verbindet den alten und neu- bindungen. So entstand ein gestalterisch
en Teil des forstbotanischen Gartens in und ökologisch bemerkenswertes Bauwerk
Tharandt, sie überquert dabei den Zeisig- mit hoher Nachhaltigkeit.
126 1 Brückenbau auf dem Weg vom Altertum zum modernen Brückenbau
Bild 1.6-16 Holzbrücke
über die Freiberger Straße
im Forstbotanischen Garten
Tharandt
Bild 1.6-17 Humboldt
hafenbrücke am Haupt-
bahnhof Berlin
Die Humboldthafenbrücke, an einer zahlt gemacht und werden auch bei ande-
städtebaulich herausragenden Stelle der ren Brücken eingesetzt.
neuen Mitte Berlins gelegen, ist ein Meilen-
stein des modernen Eisenbahnbrücken- Fazit:
baus. Sie ist integraler Bestandteil des an- Mit der Brücke wurde eine hochkomplexe
schließenden Hauptbahnhofes und über- Bauaufgabe exzellent gelöst und bei der Bahn
spannt den Humboldthafen mit sechs Glei- einer neuen Generation von Bauwerken der
sen. Dabei bewegt sich das Bauwerk mit Weg geebnet. In Verbindung mit dem neuen
seiner außergewöhnlich filigranen Gestalt Hauptbahnhof bildet die neue Brücke ein ge-
konstruktionstechnisch an der Grenze des lungenes Ensemble mitten in Berlin.
Machbaren. Die gegenüber herkömmlichen
Lösungen mit Betonstützen und Stahlüber- Neubau der Saalebrücke Jena-Göschwitz
bau umgekehrte Konstruktion eröffnet im Zuge der BAB A 4 bei Jena (Bild 1.6-18)
auch ästhetisch neue Wege. Maßgeblicher Entwurfsverfasser: Dipl.-Ing.
In punkto Innovationen, die wegwei- Thomas Kleb
send für die weitere Entwicklung des Eisen- Der Neubau der Saalebrücke Jena-
bahnbrückenbaus sein werden, ist der Bau- Göschwitz ist die gelungene Übertragung
herr Deutsche Bahn AG hier geradezu über des denkmalgeschützten Bogenmotivs des
sich hinausgewachsen. Hervorzuheben ist Bestandsbauwerks in das moderne Materi-
der erstmalige Einsatz von Stahlgussknoten al Spannbeton. Die besondere Ingenieur-
dieser Dimension, die sich als technische aufgabe, in dichtem Abstand zu der vor-
Alternative zu den bisher üblichen ge- handenen Bogenbrücke mit 17 proportio-
schweißten Knoten bei der Humboldtha- nal zur Talhöhe ansteigenden Steinbögen
fenbrücke bestens bewähren. Bei diesem aus der Reichsautobahnzeit ein zweites
technisch sehr innovativen Bauwerk an ex- Bauwerk zu errichten, wurde sehr gut ge-
ponierter Stelle steht die Wirtschaftlichkeit löst. Neu- und Bestandsbau bilden in der
allerdings nicht im Vordergrund. Aber die reizvollen Flussauenlandschaft des Saale-
zunächst hohen Entwicklungskosten der tals ein harmonisches Ensemble.
Stahlgussknoten haben sich inzwischen be- Die neue Saalebrücke ist ein herausra-
128 1 Brückenbau auf dem Weg vom Altertum zum modernen Brückenbau
Bild 1.6-18 Saalebrücke
Jena-Göschwitz
Bild 1.6-19 Lautrups-
bachtalbrücke in Flensburg
gendes Beispiel für das Bauen im Bestand. genen Scheiben und flacher Fahrbahnplatte
Sie ist einer der wenigen gelungenen Ver- mit dem Bestand in einem variations-
suche, Alt und Neu zu verbinden. Dazu reichen Spiel von Kurvenüberschneidungen
nimmt die in einem Wettbewerb gefundene und Durchblicken.
Lösung zwar die alte Form der historischen
Brücke auf, setzt diese aber in ein andersar- Fazit:
tiges Tragwerk entsprechend moderner Mit der neuen Saalebrücke wurde die Vor-
Konstruktionstechnik um. Wesentliches gabe, Form und Charakter der vorhandenen
Gestaltungselement sind die bogenförmig Brücke aufzugreifen, perfekt gelöst. Die er-
aufgelösten Pfeilerscheiben, die am Kopf zielte Ensemblewirkung aus Neu und Alt
durch zwei Zugbänder kaum sichtbar un- hat Vorbildfunktion für die Verbindung von
tereinander verbunden sind. Durch die Denkmalschutz und heutiger Baukunst.
Spreizung der Pfeilerscheiben am Stützen-
kopf sind die Stützweiten deutlich verrin- Lautrupsbachtalbrücke im Zuge der
gert. Dadurch war ein relativ schlanker Osttangente in Flensburg (Bild 1.6-19)
Überbauquerschnitt als Spannbetonplat- Maßgebliche Entwurfsverfasser: Arbeitsge-
tenbalken möglich. So korrespondiert die meinschaft Dipl.-Ing. Wigand Grawe, Ar-
relativ massive Konstruktion von gebo- chitekt Olaf Düvel.
1.6 Gestaltung von Brücken, Wettbewerbe, Brückenbaupreise 129
Die Lautrupsbachtalbrücke ist ein Bau- burg erfüllt die komplexen Anforderungen,
werk aus einem Guss und besticht zunächst die sich aus den besonderen Umweltbedin-
durch die elegante Ausformung der durch- gungen ergeben. Die konstruktiven und ge-
gehenden Krümmung. Im Bauwerk ver- stalterischen Lösungen haben trotz der Nähe
schmelzen Brücke und Schallschutz zu einer Wohnsiedlung und der zu beachten-
einem Ganzen. Die dabei durch die Ober- den Naturschutzaspekte eine hervorragende
flächenstruktur der Schallschutzwände und Akzeptanz der Brücke bewirkt.
ihren Abschluss durch eine glatte Glasplat-
te erzielte futuristisch anmutende Leicht- Kategorie B Fuß- und Radwegbrücken
bauwirkung ist umso lobenswerter, als die
ästhetische Gestaltung von Brücken mit Dreiländerbrücke über den Rhein zwi-
Lärmschutzwänden nach wie vor als pro- schen Weil am Rhein (D) und Huningue
blematisch gilt. Neben dem Lärmschutz (F) (Bild 1.6-20)
über den gesamten Brückenzug hinweg war Maßgebliche Entwurfsverfasser: Arbeitsge-
es vor allem wichtig, den für das Mikrokli- meinschaft Dipl.-Ing. Dietmar Feichtinger/
ma der Stadt Flensburg wichtigen Kalt- Dipl.-Ing. Wolfgang Strobl.
luftströmen nur einen geringen Widerstand Die Fußgängerbrücke über den Rhein
zu bieten. besticht zunächst durch eine Rekordspann-
Der vorgespannte Plattenquerschnitt weite von 230 m. Durch die geringe Höhe
des Überbaus der Lautrupsbachtalbrücke des Bogenstichs wirkt das Bauwerk ange-
ist entsprechend der Lage der Brücke in messen und niemals aufdringlich. Ermög
einem Bogen asymmetrisch geformt. Dies licht wird dies durch die beweglichen Wi
ist statisch-konstruktiv günstig und ergibt derlager – eine außergewöhnlich innovative
auch die prägende aerodynamische Form, Lösung, durch die die extreme Spannweite
die nach oben in die gekrümmten Lärm- der Brücke ohne Dämpfer bewältigt wird.
schutzwände fortgesetzt wird. Innovativ ist Durch die Einspannung der Bogenenden in
auch die Kombination mit einer interes- die aufgelösten Widerlager setzt das Bau
santen Beleuchtungslösung, die Blendef- werk leichtfüßig auf den ufernah im Wasser
fekte vermeidet. befindlichen Fundamentpfeilern auf.
Das Brückendeck ist eine asymmetrisch
Fazit: ausgebildete orthotrope Platte, die gleich-
Die Brücke im Verlauf einer vierspurigen zeitig als Zugband wirkt. Zusammen mit
Umgehungsstraße über einen empfindlichen dem Bogen ergibt das Brückendeck eine
Landschafts- und Siedlungsraum bei Flens- hinsichtlich Wind- und Fußgängerbelas
Bild 1.6-20 Dreiländer-
brücke über den Rhein
zwischen Weil am Rhein
(D) und Huningue (F)
130 1 Brückenbau auf dem Weg vom Altertum zum modernen Brückenbau
tungen schwingungsarme Lösung. Der mit Steil- und Flachufer. Auf der flachen
Verzicht auf Flusspfeiler vereinfachte den Seite, dem Ufer von Wernstein, wurden die
Bauablauf. Maßnahmen gegen Schiffsan- Tragkabel in zwei niedrigen Dreiecksschei-
prall waren dadurch überflüssig. ben verankert.
Die frei gespannte Hängebrücke mit ih-
Fazit: rem einseitigen Pylon ist extrem schlank
Die Dreiländerbrücke versinnbildlicht den und leicht. Sie erreicht durch die Schmal-
Brückenschlag zwischen Deutschland, heit des Steiges über die große Distanz von
Frankreich und der nahen Schweiz. Sie be- 144 m eine faszinierende Eleganz. Diese
geistert durch die perfekte Logik ihrer Kon- Grazie resultiert auch aus der geschickten
struktion, die zu einem ästhetisch perfekten Art der Vorspannung durch zwei Unter-
Ingenieurbauwerk geführt hat. Dieses spannseile, die sie in horizontaler und ver-
Grenzbauwerk ist schon jetzt Symbol des tikaler Richtung gegen Verformungen und
modernen Brückenbaus und hat sich rasch Schwingungen stabilisieren. Das ermög
zu einem beliebten Anziehungspunkt ent- licht eine schwingungsarme Konstruktion,
wickelt. die dank der in Auf- und Grundriss ge-
krümmten Unterspannungen ganz ohne
Geh- und Radwegbrücke über den Inn bei Versteifungsträger auskommt.
Wernstein-Neuburg (Bild 1.6-21)
Maßgeblicher Entwurfsverfasser: Dipl.-Ing. Fazit:
Erhard Kargel. Die Grenzbrücke zwischen Bayern und
Elegant überspannt diese asymmetrische Oberösterreich ist technisch, gestalterisch
Hängebrücke mit einseitigem Pylon als und wirtschaftlich überzeugend, weil sie
Geh- und Radwegübergang zwischen dem konstruktiv auf das Wesentliche reduziert
deutschen Neuburg und dem österrei- ist – eine Brücke, bei der man nichts hinzu-
chischen Wernstein den Inn. Hier gilt das fügen, aber auch nichts weglassen kann.
Prinzip „Einordnung statt Konfrontation“. Auch das Bauverfahren war relativ einfach
Der kühne Brückenschlag unterstützt die und rational. Der besondere Reiz der Geh-
Typologie des Orts auf überzeugende und Radwegbrücke Wernstein-Neuburg
Weise. Der 30 m hohe Pylon auf der durch liegt in ihrer materiellen Reduktion auf ein
eine Burg gekrönten Neuburger Seite lenkt absolutes Minimum.
die Blicke auf eine klassische Flusslandschaft
Bild 1.6-22 Gessental
brücke in der Neuen Land-
schaft Ronneburg bei Gera
Ausführungsplanung:
Dr. sc. techn. Roland von Wölfel, Leonhardt,
Andrä und Partner, Erfurt (damals Köhler und
Seitz, Nürnberg)
Prüfung:
Dr.-Ing. Zichner, Berlin (Unterbauten) Dr.-Ing.
Haensel (†), Prof. Dr.-Ing. Hanswille, Bochum
(Überbau)
Ausführung:
Adam Hörnig Baugesellschaft, Aschaffenburg
Foto: Klaus Kappes, foto schüler, Zella-Mehlis
Bauzeit: 1997–2000
Das Verkehrsprojekt Deutsche Einheit 3,79 m zu den Widerlagern hin ab. Die
Nr. 16 sah den Bau einer Autobahn durch Stützweiten betrugen 90 + 108 + 114 + 102
den Thüringer Wald vor. Sie verbindet + 78 + 60 = 552 m.
Thüringen mit Bayern und bindet den Ausgeführt wurde ein Sondervorschlag
Thüringer Wald und die Regionen Suhl und als Bogenbrücke. Dabei war von Vorteil,
Meiningen an das Autobahnnetz an. Die dass erst durch den einteiligen Überbau eine
Trasse quert den Kamm des Thüringer wirtschaftliche Bogenvariante möglich war.
Walds von Ilmenau nach Zella-Mehlis. Die Eine Variante mit zweiteiligem Betonüber-
Hauptkammdurchquerung bildet dabei der bau und zwei Bogen nebeneinander war ko-
8 km lange Rennsteigtunnel. Unmittelbar stenintensiver. Außerdem wird die Auto-
vor diesem Tunnel wird die Autobahn in bahn schiefwinkelig über das Tal geführt,
Ost-Westrichtung über das tiefe Tal der die zwei versetzt angeordneten Bogen hätten
Wilden Gera geführt. Die gewählte Trassen auch gestalterische Nachteile. Der Sonder-
führung ergibt dabei Höhen von ca. 110 m entwurf ergab gegenüber dem Verwaltungs-
über dem Talgrund. Weiterhin werden eine entwurf einen Kostenvorteil von mehreren
im Tal verlaufende Landesstraße und eine Millionen DM. Deshalb wurde aus wirt-
Eisenbahnstrecke überführt. schaftlichen Gründen, aber auch aufgrund
Im Verwaltungsentwurf war eine Bal- der besonderen ästhetischen Gestaltung, der
kenbrücke ausgeschrieben mit konstanter Sondervorschlag Bogenbrücke vom Bau-
Bauhöhe im Talfeld und linear veränder- herrn ausgewählt. Dadurch erfolgten im Be-
lichen Bauhöhen in den Hangfeldern. Die reich der vorhandenen Deponie im Talgrund
Konstruktionshöhe des Überbaus nahm keine Gründungsmaßnahmen, die ur-
dabei von 5 m im Talfeld auf 4 m bzw. sprünglich geplante Verlagerung der Depo-
1.6 Gestaltung von Brücken, Wettbewerbe, Brückenbaupreise 133
nie ist somit nicht mehr erforderlich. Beson- Deutschlands mit der größten Bogenspann
dere Sicherungsmaßnahmen im Bereich des weite. Die Abmessungen der rechteckigen
vorhandenen 100 Jahre alten Bahndamms, Hohlpfeiler betragen 2,5 ∙ 9,0 m beim Re-
der als mauerverblendeter Damm ca. 60° gelpfeiler und 3,5 ∙ 9,0 m beim Kämpfer-
geneigt und über 20 m hoch ist, und auch pfeiler. Die Wanddicke beträgt 30 cm, beim
bei der Landesstraße konnten ebenfalls ent- Kämpferpfeiler 40 cm. Der Pfeilerkopf ist
fallen. Eine Verlegung der Wilden Gera war so dimensioniert, dass neben den Lager
nicht mehr notwendig. sockeln das beidseitige Aufstellen von hy-
Um eine „bogenfreundliche“ Gestaltung draulischen Pressen zum Anheben des
des Bauwerks zu erreichen, wurden einige Überbaus möglich ist.
geometrische Randbedingungen gegen Da sich das Bauwerk als Zwischenquar-
über dem Verwaltungsentwurf verändert. tier für die Besiedlung mit Fledermäusen
Der Grundrissradius der Gradiente wurde eignet, erhielten alle Pfeiler an den Türöff-
im Bereich des Bauwerks von 5200 auf nungen am oberen Abschluss einen Ein-
7800 m vergrößert, um geringere Außer- flugschlitz von ca. 10 cm Höhe. Zutrittsbe-
mittigkeiten der Bogenpfeiler auf dem im reiche der Widerlager und Hohlpfeiler sind
Grundriss geraden Bogen zu erhalten. Eine mit Stein- bzw. Kiesschüttungen ausgestat-
weitere Vergrößerung des Radius oder so- tet. Kunststoffrohre zur Entwässerung und
gar eine Gerade war nicht möglich, da die Belüftung des Bogens wurden durch raue
direkt angrenzende Schwarzbachtalbrücke unglasierte Tonrohre ersetzt, um eine bes-
bereits in der Ausführung war. Damit stand sere Ultraschallübertragung zu gewährleis
nur eine begrenzte Strecke zur Trassie- ten. Auf sonst übliche Vogelflugschutzvor-
rungsänderung zur Verfügung. Außerdem richtungen wurde gänzlich verzichtet.
wurde das gesamte Bauwerk um 3 m in Als Bogenquerschnitt wurde ein 10,3 m
westliche Richtung verschoben, um den breiter, zweizelliger Kasten mit Wanddicken
Bogen symmetrisch ins Tal einzupassen von 40 cm bei den Außenstegen, 35 cm bei
und die Kämpferfundamente auf die glei- der oberen und unteren Bogenscheibe und
che Höhenkote zu setzen, was der Ästhetik
zugutekommt, siehe auch Bild 1.6-11. Die
Stützweiten der Bogenbrücke betragen bei
unveränderter Bauwerksgesamtlänge 30 +
36 + 10 ∙ 42 + 36 + 30 = 552 m.
Um die Bogenkämpfer weit genug vom
Bahndamm und in gut tragfähigem Unter-
grund zu gründen, entstand die Bogen-
spannweite von 6 ∙ 42 m = 252 m. Sie war
damit zu dieser Zeit die Bogenbrücke
134 1 Brückenbau auf dem Weg vom Altertum zum modernen Brückenbau
30 cm am Innensteg gewählt. Die Bauhöhe Für die Abspannung wurden mit tempo-
beträgt am Kämpfer 5,5 m und verringert rärem Korrosionsschutz versehene Litzen-
sich zum Scheitel auf 3,3 m. Der Mittelsteg spannglieder vom Typ VBF 12-150 mit einer
ist aus statischen Gründen angeordnet, um zul. Kraft von 1752 kN verwendet. Sie wur-
möglichst die gesamte obere und untere Bo- den nur bis maximal etwa 1500 kN bean-
genscheibe zur statischen Mitwirkung bei sprucht. Ab dem jeweils 13. Takt waren zu-
der Biegebeanspruchung im Bauzustand sätzliche stählerne Hilfspylone auf den
heranzuziehen. Ein Massivbogen würde Kämpferpfeilern notwendig, um eine ausrei-
weniger Probleme beim Bewehren und Be- chende Neigung der Abspannung zu erzie-
tonieren ergeben, durch sein höheres Ge- len. Die Einleitung der Rückhängekräfte der
wicht bei gleicher Biegesteifigkeit aber grö- Bogenhälften wurden mit Felsankern in den
ßere Abspannmaßnahmen erfordern. Achsen 1 + 2 und 10 + 11 realisiert. Hierzu
Die Bogenform wurde im Zuge der Aus- wurden innerhalb des Fundamentes Über-
führungsplanung statisch optimiert, um greifungsstöße zwischen der Abspannung
die Biegemomente im Endzustand klein zu und den Felsankern ausgebildet. Die Ab-
halten. Aus Eigenlast des Bogens würde spannung wurde über Koppelanker ange-
eine parabelförmige Bogenform als Stütz schlossen. Für die Erdanker wurden
linie entstehen. Konzentrierte Lasten an DYWIDAG AS 6815 mit einer zulässigen
den Bogenpfeilern erzeugen Knicke in der Vorspannkraft 2009 kN verwendet. Nach
Stützlinie. Diese wurden aus ästhetischen der Herstellung der Takte 124 und 224 im
Gründen etwas ausgerundet, sodass optisch frei auskragenden, abgespannten Zustand
eine parabelähnliche Bogenform entstand. erfolgte vor dem Betonieren des Schluss-
Jede Bogenhälfte wurde von den Kämp- stücks ein vorgezogener Bogenschluss. Da-
fern in 24 Takten von beiden Seiten aus zeit- für wurde ein Stahldruckstück eingesetzt
gleich im Freivorbau hergestellt. Im Schlus- und durch geringfügiges Ablassen der Ab-
stakt wurde der Bogen geschlossen. Die Ab- spannung so auf Druck beansprucht, dass
schnittslängen betrugen je 6 m. Die einzel- die Beanspruchungen aus Temperatur-
nen Takte waren gerade, da die erforderliche schwankungen während des Erhärtens des
Krümmung bei jedem Takt unterschiedlich Schlussstücks aufgenommen wurden. Sol-
wäre, was den Schalungsaufwand erheblich che Temperaturschwankungen oder auch
erhöht hätte. Daraus ergibt sich eine poly- einseitiges Erwärmen des Bogens würden
gonzugartige Bogenform, die aber optisch die Enden der beiden Bogenhälften um eini-
nicht auffällt. Um den Freivorbauwagen ge cm gegeneinander verschieben, was man
montieren zu können, wurde der erste Takt dem im Erhärtungsprozess stehenden Beton
mit 7 m Länge auf Lehrgerüst erstellt. nicht zumuten kann. Anschließend wurde
1.6 Gestaltung von Brücken, Wettbewerbe, Brückenbaupreise 135
die Abspannung bis auf einige Seile, die für Querschnitt wurde sowohl aus Kosten-
die Herstellung der Fahrbahnplatte des gründen als auch aufgrund der exponierten
Überbaus notwendig sind, zurückgebaut. Lage und damit verbundener erhöhter Ge-
Der Brückenüberbau ist ein Verbund- fahr der Glatteisbildung ausgeschlossen.
querschnitt, bestehend aus einem trapez- Ein reiner Betonüberbau ist zu schwer und
förmigen Stahltrog und seitlichen Fach- auch bei einer Breite von 26,5 m in dieser
werk-Abstrebungen sowie einer Betonfahr- Höhe aufwendig herzustellen.
bahnplatte für beide Richtungsfahrbahnen Der Zusammenbau der einzelnen Stahl-
mit einer Breite zwischen den Geländern montageteile erfolgte hinter dem Widerla-
von 26,5 m. ger West. Auf der 80 m langen Montageflä-
Seit Anfang der 80er-Jahre ist in der che wurden jeweils drei Schüsse vormontiert
Bundesrepublik Deutschland festgelegt, bzw. vorgerichtet und vollständig mitei-
dass bei zweibahnigen Straßen grundsätz- nander verschweißt. Im Bereich der Mon-
lich getrennte Überbauten vorzusehen sind, tagestöße wurde unmittelbar nach den
um bei größeren Instandsetzungsarbeiten Schweißarbeiten der werkseitig auf
eine Fahrbahn sperren und den Verkehr auf gebrachte Korrosionsschutz ergänzt bzw.
die Gegenfahrbahn leiten zu können. Bei ausgebessert. Der letzte Deckanstrich er-
hohen Brücken ergeben sich neben den hö- folgt nach dem Betonieren der Fahrbahn-
heren Kosten der daraus resultierenden platte. Nach der Fertigstellung eines 63 m
doppelten Unterbauten auch gestalterisch langen Verschubtakts wurde die Stahlkon-
unbefriedigende Lösungen. Aus diesem struktion mittels ca. 2 m langer Verschubla-
Grunde wurde vom Bauherrn der einteilige ger über die Pfeiler hinweg eingeschoben.
Querschnitt gewählt. Bereits in der Aus- Nach Einschub des Stahltrogs und Um-
schreibung wurde dabei ein Austausch des setzung auf seine endgültigen Lager wurde
Verschleißteils Fahrbahnplatte unter lau- die Fahrbahnplatte „in situ“ hergestellt.
fendem halbseitigem Verkehr in Abschnit- Hierzu sind zwei Schalungseinheiten an
ten von 15,0 m eingeplant. Dieser Wert den beiden Widerlagern aufgebaut worden,
wurde auf 14 m verringert und beträgt da- die zeitlich versetzt starteten, sodass sie
mit 1/3 der Feldweite, sodass die Arbeits etwa in Bogenmitte zusammentrafen. Hier-
fuge nie im Bereich der hohen Stützenmo- für ist eine Lage der Bogenabspannung wie-
mente und daraus resultierenden hohen der aktiviert worden, um der ungleich
Zugbeanspruchungen liegt. mäßigen Beanspruchung des Bogens ent-
Ein reiner Stahlüberbau mit einteiligem gegenzuwirken.
136 1 Brückenbau auf dem Weg vom Altertum zum modernen Brückenbau
Bauherr:
Deutsche Bahn AG, PB DE Nürnberg
Entwurf:
Schlaich Bergermann und Partner
Ausführungsplanung:
Ingenieurbüro Schütz, Kempten
Ausführung:
Dyckerhoff & Widmann
Bauzeit: 1999–2001
In Ingolstadt spannt eine neue eingleisige 20–30 Jahren mit der gleichen – oder einer
Fernbahnbrücke über die Donau. Sie liegt wieder weiterentwickelten – Konstruktion
stadtseitig unmittelbar neben einer beste- verbreitert werden kann.
henden zweigleisigen Strecke. Die beste- Da es eigentlich keine Begründung für
henden dreifeldrigen Brücken mit zwei ge- eine große Spannweite über dem linken
trennten Überbauten und klassisch oben Ufer gibt, hat die neue Brücke im Vergleich
liegenden Fachwerken mit je 55 m Spann- zu den Fachwerkbrücken nur zwei Haupt-
weite stammen aus dem Jahr 1961. felder mit je 55 m über der Donau, dazu am
Das unmittelbare Umfeld der Brücke ist rechten Ufer ein Randfeld mit 19,5 m und
durch die grünen, baumbestandenen Ufer, am linken Ufer 3 Randfelder mit 22,3 – 19,0
den Blick über die Donau mit der histo- – 13,4 m.
rischen Altstadt und dem Neuen Schloss im Nach einigen Variantenstudien kam es
Hintergrund bestimmt. zu einem flächigen, gedrungenen, in be-
Die unmittelbare Nachbarschaft zur be- wusstem Gegensatz zu der in Stäbe aufge
stehenden Brücke stellte weitere Randbe- lösten jetzigen Brücke stehendenden Ent-
dingungen, denn blickt man donauabwärts, wurf: einer durchlaufenden Trogbrücke mit
sieht man die neue Brücke vor der alten materialgerechten, entsprechend dem
Fachwerkbrücke liegen. Von der benach- Momentenverlauf gewellten Stegen aus
barten Straßenbrücke aus donauaufwärts Stahl, die beidseits auf die Stahlbeton
geblickt, erahnt man sie lediglich durch die bodenplatte unter den Gleisen aufgesetzt
vier Fachwerke der alten Brücke hindurch. sind.
Es galt also eine Brücke mit den vorgege- Bei der gewählten Stegform sind in den
benen Spannweiten zu entwerfen, die ne- Hauptfeldern die Zugkraft im Flansch des
ben den alten Fachwerkbrücken zurückhal- stählernen Stegs und die Druckkraft in der
tend den Fortschritt belegt und zugleich in Betonplatte unter einer Gleichlast über die
1.6 Gestaltung von Brücken, Wettbewerbe, Brückenbaupreise 137
Donau
Donau
ganze Brückenlänge konstant und visuali- bereich von den Richtlinien der DB ab und
sieren den vorherrschenden Lastabtrag. es mussten Zustimmungen im Einzelfall
Die Steifen der Stege sind schräg und und unternehmensinterne Genehmi-
fächerartig angeordnet, dass sie die Rich- gungen eingeholt werden.
tung der Hauptdruckkräfte und deren Weg Bei der statischen Berechnung und Be-
in die Auflager abbilden. Dort, wo diese messung der Brücke waren außer den
Auflagerkräfte abhebend wirken, also in Spannungs-, Gebrauchstauglichkeits- und
den Endfeldern, sind Zugpendelpaare un- Dauerfestigkeitsnachweisen auch detail-
ter den Stegen angeordnet. lierte Betrachtungen zur seitlichen Ober
Wenn diese Brücke in 20–30 Jahren ver- gurtstabilität des Stahlsegels notwendig.
breitert werden muss, bietet es sich an, die Ebenso musste der Montageablauf mit sei-
Konstruktion einfach zu verdoppeln. Denn nen verschiedenen Bauzuständen und die
im Gegensatz zu anderen Bauarten wie z. B. damit „eingefrorenen“ Spannungszustände
Stabbögen oder Fachwerken, die in Rei- bei der Schnittkraftermittlung berücksich
hung eher wirr und versperrend wirken, tigt werden.
vertragen sich die gewählten Wellenformen Die Montage des Stahlbaus erfolgte ge-
in einer Addition gut und erscheinen dann rüstfrei. Große vorgefertigte Stahlteile wur-
noch schöner und plastischer. den mit Autokränen eingehoben und zu
Die Brücke ist nicht nur aufgrund der dem durchgehenden Stahltrog zusammen-
statischen Berechnungen und der kon- gefügt. Mit einem auf den Obergurten der
struktiven Ausbildung sehr anspruchsvoll. Längsträger fahrenden Schalwagen wurden
So wichen z. B. die Verbundbauweise ohne die Betonlängsträger hergestellt. Auch die
Längsvorspannung, die Verwendung von Betonplatte wurde mit eingehängten Scha-
Blechstärken größer als 60 mm und die Ge- lungen zwischen den Stahlquerträgern in
lenklager in den Pendelstützen im Vorland- Ortbeton hergestellt.
Hauptabmessungen:
Peter Poitzsch
Bauherr:
Stadt Brandenburg, Tiefbau- und Grünflächen-
amt
Entwurf:
VIC Brücken und Ingenieurbau GmbH Potsdam
Architektonische Beratung:
Kolb+Ripke Architekten, Berlin
Ausführung:
Heinrich Klostermann Baugesellschaft mbH,
Velten
Gebrüder Kemmer, Berlin
Bauzeit: 2000–2001
Die Luckenberger Brücke ist ein inner- Als für die Randbedingungen sinnvolle
städtisches Bauwerk. Sie überspannt in der und angemessene Konstruktion wurde ein
Stadt Brandenburg die Havel. Das Bauwerk Sprengwerk aus Stahlbeton gewählt. Die
ist Ausdruck des Gestaltungswillens des pfeilerlose schlanke Konstruktion passt op-
Auftraggebers und der fruchtbaren Zusam- timal in die sensible städtebauliche Situati-
menarbeit von Ingenieuren und Archi- on des parkartigen Areals und setzt ein
tekten in allen Phasen der Planung und selbstbewusstes, aber die Umgebung re-
Bauausführung. spektierendes Zeichen.
Die Konstruktion ist die Basis für das Die Schlankheit der Brücke erreicht mit
Gestaltungskonzept. Konstruktion und Ge- l/h = 63 m einen Wert, der bei vergleich-
staltung bilden eine Einheit. Sie wurden baren Massivbauten nahezu beispiellos ist.
konsequent aus den funktionalen und tech- Der Brückenquerschnitt ist ein vierstegiger
nischen Randbedingungen entwickelt. Auf Plattenbalken mit einer Breite von 12,50 m.
ausschließlich schmückende Elemente Der Querschnitt trägt zwei Straßenbahn-
wurde verzichtet. gleise im Fahrbahnbereich und beidseitig je
Die angrenzende Bebauung und die To- einen Geh- und Radweg. Die Brückenwi-
pografie der Havelufer erfordert eine mög- derlager sind auf jeweils 12 Großbohrpfäh-
lichst flache Gradiente mit auch für Rad- len mit einem Durchmesser von 1,20 m und
fahrer angemessenen Tangentenneigungen. einer maximalen Länge von 20,70 m ge-
Gleichzeitig müssen die Forderungen hin- gründet.
sichtlich des Schifffahrtsprofils unter der Um diese sehr schlanke Konstruktion zu
Brücke erfüllt werden. Diese Anforde- ermöglichen und Langzeitverformungen
rungen beschränken die Bauhöhe des sowie Schwingungsanfälligkeit zu mini-
Überbaus einschließlich Brückenbelag auf mieren, wurde die Brücke in Hochleis-
75 cm. tungsbeton der Festigkeitsklasse B 85
1.6 Gestaltung von Brücken, Wettbewerbe, Brückenbaupreise 139
(C 70/85) hergestellt. Sie war damit zum getrennt und noch nicht mit den Widerla-
Zeitpunkt ihrer Errichtung die größte mit gern verbunden waren. Zur Minimierung
Hochleistungsbeton gebaute Brücke in der Rissbildung infolge Frühschwindens
Deutschland. wurden beide Abschnitte zentrisch vorge-
Die Brücke ist als integrale Konstruktion spannt. Nach dem Aushärten des Betons
ohne Lager und Übergangskonstruktion wurden in die Schlusslücke horizontal ar-
und durch den eingesetzten Hochleistungs- beitende Pressen eingesetzt, mit deren Hil-
beton ein sehr robustes Bauwerk, das eine fe der Überbau aus dem Lehrgerüst ge-
wirtschaftliche Unterhaltung erwarten drückt werden konnte. Durch die Schluss-
lässt. lücke und den Presseneinsatz konnten
Für die Realisierung des Bauwerks wur- Zwangsbeanspruchungen des Überbaus
den verschiedene technische und technolo- vermieden werden. Die horizontalen
gische Maßnahmen umgesetzt, die den Setzungen des Bauwerks aus der Spreng-
Besonderheiten des Hochleistungsbetons werkwirkung wurden weitgehend vorweg-
Rechnung trugen und die Qualität und genommen und die Überbauteile konnten
Wirtschaftlichkeit des Bauvorhabens gesi- vor dem Schließen der Schlusslücke und
chert haben. der Herstellung der biegesteifen Verbin-
So wurden die Schrägstiele des Spreng- dungen zu den Widerlagern entsprechend
werks als Fertigteile im Werk vorgefertigt der Sollgradiente ausgerichtet werden.
und auf der Baustelle in das entsprechend Mit einer technisch innovativen Lösung
vorbereitete Lehrgerüst eingesetzt. konnte eine Brücke entworfen und gebaut
Bei der Betonage wurde der Überbau in werden, die einen hohen Anspruch an
zwei Abschnitte unterteilt, die im Brücken- Funktionalität, Ästhetik, Wirtschaftlichkeit
scheitel durch eine 1 m breite Schlusslücke und Dauerhaftigkeit erfüllt.
140 1 Brückenbau auf dem Weg vom Altertum zum modernen Brückenbau
Roland Wetzel
Bauherr:
Landeshauptstadt Stuttgart, Tiefbauamt
Entwurf:
Peter und Lochner, Beratende Ingenieure
für Bauwesen GmbH, Stuttgart; Projektleiter:
Dr.-Ing Matthias Schüller
Architektonische Beratung:
‚asp‘, Arat – Siegel & Partner, Stuttgart
Ausführung:
Max Früh GmbH & Co. KG, Achern
Entwurf
Der La-Ferté-Steg ist eine stark frequen-
tierte Verbindung zu Hallenbad, Schule und nicht nur die Integralbauweise ohne Über-
Festplatz über eine vierstreifige Straße mit gangskonstruktionen, sondern ermöglicht
mittig liegender Straßenbahntrasse hinweg. auch eine Stützung lediglich entlang der
Der Entwurf als Ergebnis der interdiszi- Mittelachse des Querschnitts. Dies dient der
plinären Zusammenarbeit von Architekt Transparenz unter der Brücke und erzeugt
und Ingenieur sieht bei der vorhandenen so ein ruhiges Gesamtbild.
Geländesituation, mit einem Hang auf der
einen und einer weit, nahezu flach aus Gestaltung
laufenden Wiese auf der anderen Seite der Damit die Brücke – auch im Bereich der
Haldenrainstraße, eine unsymmetrische großen Spannweite – als eine Einheit ver-
Balkenbrücke mit 119 m Länge über sieben standen werden kann, wird die Geh- und
Felder vor, die sich auf der Hangseite in eine Radwegplatte mit gleich bleibenden Ab-
Wandscheibe einspannt und dann gera messungen durchgeführt. Die untere Kon-
dezu leichtfüßig den 28,50 m breiten Ver- tur des Plattenbalkens erhält zu den Wider-
kehrsraum frei überspannt. lagern hin einen parabelförmigen Verlauf
Im Grundriss beschreibt die Brücken- und bindet so in einem Schwung in das Ge-
achse die Form einer Kreisbogenlinie mit lände ein, um das „Herauswachsen“ des
einem Radius von 53,70 m. Überbaus aus dem Gelände zu betonen.
Die damit verbundene leicht begreifbare Der Übergang vom Plattenbalkensteg zu
und übersichtliche Wegeführung dient der den Wandscheiben erfolgt fließend. Eine
Orientierung und der Verkehrssicherheit formale Trennung wird bewusst nicht vor-
auf der Brücke. Ein wichtiger Aspekt, wenn genommen, um den monolithischen Cha-
man bedenkt, dass Fußgänger und Radfah- rakter der zusammengehörenden, in einem
rer gemeinsam auf einer Fläche verkehren. Guss betonierten Tragelemente Plattenbal
Die Kreisbogenform der Brücke begünstigt ken und Wandscheiben zu erhalten.
1.6 Gestaltung von Brücken, Wettbewerbe, Brückenbaupreise 141
Mit abnehmender Höhe der Brücke über stützen – dokumentieren den Kontrast in
Gelände werden die Spannweiten des Über- Material und Funktion. Die unauffälligen
baus verkürzt, wodurch die Proportionen Stützen lassen den Überbau optisch schwe-
zwischen Feldweiten und Höhe der Brücke ben; der Betonträger erhält somit eine
über Gelände ausgewogen bleiben. Gemäß Leichtigkeit, die den städtebaulichen Raum
den abnehmenden Spannweiten verringert wenig belastet. Das sehr dünne Gesims-
sich auch die Höhe des Plattenbalkenstegs. band und das filigrane Füllstabgeländer
Hierdurch wirkt der Überbau in Bodennä- tragen hierzu in erheblichem Maße bei und
he und somit auch in unmittelbarer Nähe sind ein wesentlicher Bestandteil des gestal-
des Betrachters weiterhin sehr schlank. Auf terischen Gesamtkonzepts.
der Ostseite mündet der Plattenbalken mit
45 cm Konstruktionshöhe unauffällig in ein Tragverhalten
kleines Widerlager, das ebenfalls die Pro- Um Temperaturzwänge klein zu halten,
portionen wahrt. darf das seitliche Ausweichen des Überbaus
Die verschiedenen Tragelemente – zum nicht behindert werden. Die Stahlstützen
einen der aus dem Hang organisch heraus sind an ihren Enden so geformt, dass sie
wachsende massive Plattenbalken und zum sich praktisch wie „Pendelstützen“ ver
anderen die dünnen, silberfarbenen Stahl- halten.
142 1 Brückenbau auf dem Weg vom Altertum zum modernen Brückenbau
Deshalb erhalten sie im Wesentlichen men geschweißt. Die Gussteile sind aus
nur Normalkräfte, auch wenn sich der einem hochfesten Stahlguss (GS-18NiMo-
Überbau infolge von Temperaturschwan- Cr3-6, Festigkeitsstufe I, nach SEW 520)
kungen ausdehnen oder zusammenziehen mit guter Schweißeignung gefertigt, die
will. Die Stützen wurden im Werk aus je Rohre bestehen aus Baustahl St 52 und ha-
zwei Gussteilen und einem Rohr zusam- ben einen Durchmesser von 219 mm bzw.
168 mm.
Die „Weizenbierglasform“ der Gussteile
wurde in direktem Bezug zum gewünsch-
ten Tragverhalten gewählt.
Um die Temperaturbewegungen des
Überbaus zu ermöglichen, müssen die an
den Stützenenden befindlichen Gussteile
eingeschnürt werden, damit die mit dem
„Pendeln“ der Stützen einhergehenden Ver
formungen in den kritischen Querschnit-
ten nicht zu untragbaren Beanspruchungen
führen.
Der Stahlbetonplattenbalken des La-
Ferté-Stegs trägt die Vertikallasten wie ein
klassischer Kreisringträger ab. Vereinfa-
chend kann er als ein räumlicher Biegestab
betrachtet werden, der zu den beiden En-
den voll eingespannt wird und entlang sei-
ner Achse lediglich durch horizontal ver-
schiebbare Punktlager gestützt ist.
1.6 Gestaltung von Brücken, Wettbewerbe, Brückenbaupreise 143
Integrale Bauweise
Fugen stellen im Brückenbau häufig
Schwachpunkte dar, die aufwendig saniert
werden müssen. Können die mit der fugen-
losen Bauweise verbundenen Zwänge kon-
trolliert werden, dann kommt dies der Foto: Dietmar Strauß, Besigheim
Dauerhaftigkeit in besonderem Maße zu-
gute. Die Zwänge werden am besten durch
das Ausweichprinzip kontrolliert, d. h. man
lässt die Zwänge erst gar nicht entstehen. länderstreben als Aufstandsfläche, zum an-
Aufgrund seiner Bogenform im Grundriss deren ermöglicht sie einen zierlichen, nur
kann hier der Überbau Zwängen aus Tem 36 cm über die Kappe hinausragenden Be-
peratur gut ausweichen. Unterschiedliche rührungsschutz zu den Hochspannungslei-
Setzungen bereiten dem schlanken und da- tungen der Stadtbahn.
mit relativ biegeweichen Träger ebenfalls Der stählerne Treppenturm ist eine ei-
keine Probleme. Für geringe Rissabstände genständige Konstruktion und nicht mit
und somit kleine Rissbreiten sorgt eine der Brücke verbunden, damit sich die seit-
durchgehend eingelegte Mindestbeweh- lichen Verformungen des Überbaus bei
rung mit Durchmesser 14 mm alle 10 cm. Temperaturschwankungen ohne Behinde-
Die lagerlose Bauweise wurde durch die rung einstellen können. Die beiden vieren-
spezielle Stützenform und das damit ver- deel-artigen Stützen, die Treppenwangen
bundene „Stützenpendeln“ möglich. Sie und das Geländer sind aus Baustahl S235JR
kommt besonders der Bauausführung und gefertigt. Die Trittflächen der Stufen und
der Wartung, aber auch der Gestaltung ent- Podeste bestehen aus Edelstahltränenble-
gegen, weil die Details einfach gehalten chen, die auf Neoprenstreifen zur Tritt-
werden können. Zudem entfällt der mit In- schalldämmung und zur Vermeidung von
spektionen oder Lagerwechseln verbun- Kontaktkorrosion auflagern.
dene Aufwand.
Herstellung
Brückenausstattung Nach dem Herstellen der Bohrpfähle und
Zur Ausführung gelangte ein glasperlen der Fundamente für Widerlager und Stüt-
gestrahltes Edelstahlgeländer mit einem zen wurde das Lehrgerüst aufgebaut. We-
Flachstahlhandlauf und Rundstahlfüllstä- gen des geringen Abstands der Überbauun-
ben. Um die Füllstäbe des leicht nach innen terkante zur Oberleitung der Stadtbahn
geneigten Geländers möglichst dünn zu entschied man sich für eine Traggerüstkon-
halten, wird das Geländer im Abstand von struktion, die aus Längsträgern mit hän-
ca. 2 m von jeweils zwei Streben stabilisiert. genden Querträgern besteht.
Die zylindrischen Beleuchtungskörper aus Um die Schwindverformungen mög-
Edelstahl sind an jedem vierten Streben- lichst klein zu halten, wurde der Überbau
paar auf der Kurveninnenseite befestigt. in drei Abschnitten betoniert, mit einer
Die auskragende Randkappe mit ihrem Schwindlücke in Brückenmitte, die erst vier
dünnen Gesimsband dient einmal den Ge- Wochen später geschlossen wurde.
144 1 Brückenbau auf dem Weg vom Altertum zum modernen Brückenbau
Bauherr:
Kommunalverband Ruhrgebiet
Kronprinzenstraße 35
45128 Essen
Entwurf:
Schlaich Bergermann und Partner
mit von Gerkan, Marg und Partner
Ausführungsplanung:
Schlaich Bergermann und Partner
Hohenzollernstraße 1
70178 Stuttgart
Bauzeit: 2002–2003
Foto: Thomas Riehle, Köln
Aufgabenstellung
Im Rahmen eines konzentrierten Wettbe- Die 30 m hohen Maste wirken als Land-
werbs an zwei Tagen wurden 1997 direkt marken und markieren bereits aus der Fer-
vor Ort die Ideen für drei Brücken im West- ne deutlich sichtbar den Standort der Über-
park entwickelt. Die Brücke über die Gah- querung.
lensche Straße, im Wettbewerb unter Mit- Die über der Brücke angeordnete Auf-
wirkung von Gerkan Marg und Partner hänge-konstruktion vermittelt Sicherheit
Architekten erarbeitet, wurde als Binde- und lenkt den Fußgänger und Radfahrer
glied zwischen Westpark und Erzbahntras- über die Brücke. Zusammen mit den an den
se von der Jury zur Realisierung vorge- Tragrippen angeordneten Hängerseilen,
schlagen. deren Neigung sich stetig ändert, wird dem
Damit erhielt die inzwischen als Rad- Benutzer so das Erlebnis eines dreidimen-
und Wanderweg genutzte, derzeit 20 km sionalen Tragwerkes vermittelt.
lange, Erzbahntrasse eine direkte Anbin- Die S-Kurve verbindet gestalterische
dung an die umgebaute Jahrhunderthalle. Absicht, Wegeführung und die konstruk-
tiven Vorteile einer gekrümmten Brücke in
Entwurfsidee/Konzept idealer Weise.
Ausgehend von den Wegebeziehungen der
Radfahrer legt sich die Brücke „dynamisch“ Konstruktion
über die unübersichtliche und indifferente Die gekrümmte Form der Brücke lässt sich
Situation aus Straße, Gleisanlagen und ideal nutzen. Der Ringträger muss nur auf
Rohrbrücke. einer Seite gestützt werden, braucht also als
1.6 Gestaltung von Brücken, Wettbewerbe, Brückenbaupreise 145
Hängeseilbrücke statt der üblichen zwei der jeweiligen Brückenhälfte und mit ihren
Tragseile nur eins. Durch seine Kreisring- Kugelfußpunkten unterhalb der Brücke
form wandelt er das Kippmoment aus der liegen, kann auf Abspannseile verzichtet
einseitigen Aufhängung in ein Kräftepaar, werden.
oben in der Platte Zug und unten im Rohr
Druck, und wird so als reiner Stahlquer- Montage
schnitt mit einer dünnen Schicht Aufbeton Der Überbau – bestehend aus dem Stahl-
als Gehwegbelag konstruiert. trog der Gehwegplatte, dem Druckrohr und
Der wechselnd gekrümmten Form des dem aussteifenden Fachwerk – wurde in
Überbaus folgend werden zwei zum jewei- Schüssen von bis zu 25 m Länge in der
ligen Kreismittelpunkt hin geneigte Maste Werkstatt vorgefertigt, in der endgültigen
angeordnet, die jeweils eine Brückenhälfte Lage über den Gleisen auf Hilfsstützen auf-
tragen. gebaut und verschweißt. Mit dem Einhän-
Die Verankerung der Tragseile erfolgt an gen der Trag- und Hängerseile wurde der
den Widerlagern, die aufgrund der schwie- Überbau aus den Hilfsstützen gehoben und
rigen Bodenverhältnisse auf bis zu 30 m die, bis dahin durch Hilfsabspannungen ge-
langen Pfählen aufgeständert sind. sicherten, Maste stabilisiert.
Da die beiden Maste so angeordnet wur- Auf der bereits frei hängenden Brücke
den, dass die Trageseile tangential am wurde dann der Aufbeton der Gehwegplat-
Mastkopf anschließen, sie im Schwerpunkt te eingebracht und das Geländer montiert.
Grundriss
Querschnitt
146 1 Brückenbau auf dem Weg vom Altertum zum modernen Brückenbau
Uwe Fischer
Bauherr:
SIB – Sächsisches Immobilien- und
Baumanagement, NL Dresden II
Gestaltungsentwurf, Architektur:
Kathrin Gädeke, Andre Dreßler
Betreuung (TU Dresden):
Prof. Schulten, Prof. Haller, Prof. Roloff
Vorplanung:
Schulze + Partner, Architekten
Ausführung:
Schmees & Lühn
Holz- und Stahlingenieurbau GmbH
Bauzeit: 2003–2004
Ziel der Baumaßnahme war es, die beiden holzelemente mit stehenden Lamellen zum
Teile des Forstbotanischen Gartens Tha- Einsatz. Zur Realisierung der Grundriss
randt der TU Dresden durch eine die lösung war eine extreme Krümmung dieser
Staatsstraße S 194 überquerende Fußgän- Brettschichtholz-Elemente (Achsradius
gerbrücke miteinander zu verbinden. 16,25 m) erforderlich. Die Einzelelemente
Der Entwurf dazu basiert auf dem Er- wurden durch teilweise ins Holz eingelasse
gebnis eines Studentenwettbewerbs der TU ne Stahlteile zu einem Durchlaufträger über
Dresden, Fakultät Architektur. alle 16 Felder gekoppelt.
Im Rahmen der Entwurfsplanung er- Die Stützen bestehen jeweils aus drei
folgte durch das Planungsbüro Bonk & Stahlrohren Ø 14 cm sowie einem ge
Herrmann eine grundsätzliche Überarbei- schweißten dreieckigen Kopfrahmen mit
tung der Gestaltungskonzeption sowie der kastenförmigem Querschnitt. Aus der An-
statisch konstruktiven Ausbildung des Bau- passung an den Geländeverlauf ergeben
werks. sich die Stützenlängen zu 1,2 m bis 10,8 m.
Die Brücke hat eine Länge von 117 m Zur Begrenzung der seitlichen Verfor-
und eine nutzbare Laufbreite von 2,50 m mung des Überbaus wurden jeweils nach
und passt sich mit wechselnden Krüm- vier Elementen Abspannungen vorgese-
mungen im Grundriss und einer Steigung hen. Die zylinderförmigen Stützen
entgegen dem Anstieg des Zeisiggrunds der fundamente aus Stahlbeton ruhen auf je
örtlichen Situation sowie dem Baumbe- weils drei räumlich angeordneten
stand des Forstbotanischen Gartens an. Kleinbohr-Verpresspfählen mit einer An-
Als Tragkonstruktion kamen 22 cm di- passung an die teilweise extreme Gelände
cke, werksseitig vorgefertigte Brettschicht neigung.
1.6 Gestaltung von Brücken, Wettbewerbe, Brückenbaupreise 147
Das Geländer unterstützt durch die sehr Durch die Kombination von Holz und
transparente Geländerfüllung aus einem Stahl und ihre eleganten, mit der natür-
Edelstahlnetz den Gesamteindruck der fili- lichen Umgebung des Forstbotanischen
granen Konstruktion eines über die ge- Gartens harmonierende Konstruktion bil-
samte Brückenlänge durchlaufenden Holz- det die Brücke ein gelungenes ingenieur-
bands. technisches Bauwerk.
148 1 Brückenbau auf dem Weg vom Altertum zum modernen Brückenbau
Bauherr:
Deutsche Bahn AG
Entwurf:
Schlaich Bergermann und Partner, Stuttgart
Ausführungsplanung:
Leonhardt, Andrä und Partner, Stuttgart
Ausführung:
ARGE Brücke Humboldthafen
Porr Technobau Berlin GmbH,
Subunternehmer: DSD Dillinger Stahlbau
GmbH: Stahlbau
Thyssen Guss AG, Mülheim/Ruhr: Stahlguss
Mannesmann Handel GmbH: Stahlrohre
Die beiden Stege des zweigleisigen Über- Bogen taucht der Stahlrohrbogen in den
baus wie auch die sie tragenden Stahlrohr- Betonüberbau ein, natürlich ohne das
stützen folgen mittig den sich aufweitenden Stahlrohr im Beton weiterzuführen. Ein
Gleisachsen. Die beiden äußeren, das Bahn- entsprechend geformter Bogenkopf sorgte
steigdach tragenden, eingleisigen Brücken für die Krafteinleitung in den Betonüber-
sind als massive Plattenstreifen ausgebildet, bau.
die von Doppelstützen mit 4 m Querab- In den angrenzenden Seitenfeldern ver-
stand symmetrisch unter der Gleisachse kürzen Streben die freie Spannweite des
gestützt werden. Seitenfelds, aber auch den vom Widerlager
Alle Kragarme und die Flächen zwischen zu tragenden Bogenschub.
den Stegen sind bei diesen „Brücken zum Um auch den Bogen möglichst schlank
Anfassen“ korbbogenförmig ausgerundet, zu halten, wurde er als Stabbogen konzi-
was zusammen mit der Grundrisskrüm- piert, der im Wesentlichen nur Normal-
mung zwar eine anspruchsvolle Schaltech- kräfte erfährt und durch den Überbau aus-
nik verlangte, aber im Ergebnis eine sehr gesteift wird.
schön gestaltete Brückenuntersicht und Zur Minimierung der Biegebean
-ansicht ergab. spruchung wurde die räumliche Geometrie
Die durchgängig einheitliche Gestaltung des Bogens über eine Formfindungs
wurde auch über dem Hafenbecken bei berechnung am umgekehrten Hänge
Spannweiten von bis zu 60 m verwirklicht, modell gefunden und die Biegesteifigkeit
indem die Platten- bzw. Plattenbalkenquer- durch Verwendung dickwandiger Stahl
schnitte von Stahlrohrbogen mit enger Auf- rohre mit Wanddicken von 100 mm redu-
ständerung zusätzlich gestützt wurden, so- ziert. So blieb der Rohrquerschnitt unter
dass die schlanke Überbauhöhe von 1,70 m allen Lastfällen überdrückt und konnte
auch hier beibehalten werden konnte. theoretisch über Kontakt gestoßen wer-
Die Stahlrohrbogen waren im ursprüng- den. Zur Sicherheit wurde jedoch eine
lichen Entwurf schräggestellt und münde- mindestens 40%ige Verschweißung vor
ten am Kämpferwiderlager in einen Punkt gesehen.
und gaben so dem Tragwerk eine ausge-
prägte dritte Dimension. Um Kosten zu Die Innovation
sparen, wurden diese dann im Zuge der Lagerlose Brücken
Ausführungsplanung zusammen mit den Im Gegensatz zu herkömmlichen Brücken
Ständern senkrecht gestellt und im Grund- wurde die Überbauverschieblichkeit nicht
riss abschnittsweise begradigt. mit Verschiebelagern auf massiven Beton-
Zur Optimierung des Bogenstichs und pfeilern ermöglicht, sondern durch im
Verringerung der Normaldruckkräfte im Überbau eingespannte schlanke elastische
150 1 Brückenbau auf dem Weg vom Altertum zum modernen Brückenbau
1.70
3.20 2.00 2.00 2.20 4.20 4.50 4.20 4.20 5.60 4.20 2.20 2.00 2.00 3.20
4.20 4.20 var. 4.20 var. 4.20 var. 4.20 5.60 var. 2.00 2.20
1.70
Bogenrohr ø660
Riegel + Ständer ø508
Diagonalen ø267
Überbau: Bogenständer:
beschränkt vorgespannte Platte bzw. Platten- nahtlose Stahlrohre Ø 508 mm, 60 mm
balken, Betonfestigkeitsklasse B55 alle rest- Wanddicke, mit Bogenknoten voll ver
lichen Brücken: schlaff bewehrte Platten/ schweißt
Plattenbalken, Betonfestigkeitsklasse B45
Stützweiten der Humboldthafenbrücke: ca. Diagonalverband am Widerlager:
21/26/32/60/28/21 m (Gesamtlänge 190 m) Rohre Ø 267 mm, 45 mm Wanddicke
Bauhöhe Überbau: 1,70 m
Stahlgussteile (Stahlguss GS 20 Mn 5 V):
Stützen: Bogenknoten, Bogenkopf, Bogenkämpfer
nahtlose Stahlrohre Ø 660, 60 mm Wand (24 t),
dicke bzw. Ø 508 mm, 50 mm Wandstärke, Knoten Diagonalverbände am Wider
Stahl S 355 J2H lager
Bogen: Literatur:
dickwandige nahtlose Stahlrohre, ø660 mm, [Schlaich/Schober, 1999-1 und -2] und
100 mm Wanddicke mit Kontaktstoß zu [Seifried et al., 1999]
den Bogenknoten, Stahl S 355 J2H
152 1 Brückenbau auf dem Weg vom Altertum zum modernen Brückenbau
Thomas Kleb
Bauherr:
Freistaat Thüringen
Ausführungsplanung:
Dr.-Ing. Horst Kinkel
Kinkel und Partner, Neu-Isenburg
Prüfung:
Dr.-Ing. Hans-Peter Andrä, Stuttgart
Ausführung:
Gerdum und Breuer
Bauunternehmen GmbH, Kassel
Bauzeit: 2004–2006
Dem Beschluss der Bundesregierung zum 19,70 m. Die im Zweiten Weltkrieg zer-
sechsstreifigen Ausbau der BAB A 4 von störten zwei Bögen über die Saale wurden
Eisenach bis Dresden entsprechend, wurde nach Kriegsende detailgetreu wieder aufge-
die vorhandene Saalebrücke Jena- baut. Das Bauwerk beherbergt neben einer
Göschwitz zur Aufnahme der Richtungs- Kolonie von Turmfalken seit den 40er-Jah-
fahrbahn Dresden/Eisenach mit vier Fahr- ren die größte Dohlenkolonie Thüringens.
spuren ertüchtigt. Parallel zum vorhan- Heute brüten die Paare in den hinter den
denen Bauwerk wird mit einem lichten Lichtschlitzen der Pfeiler angeschraubten
Abstand von 5 m südlich eine zusätzliche Nistkästen aus den 70er-Jahren. Nach Fer-
Brücke zur Aufnahme der Richtungsfahr- tigstellung der neuen Saalebrücke erfolgt
bahn Eisenach – Dresden erforderlich. eine Instandsetzung des alten Bauwerks mit
Die nach über zweijähriger Bauzeit am dem Umbau für eine Richtungsfahrbahn.
18. August 1939 erfolgte Verkehrsfreigabe Bei der Gewölbebrücke handelt es sich um
der alten Saalebrücke überspannt mit 17 ein in technischer und architektonischer
proportional zur Talhöhe ansteigenden Hinsicht außergewöhnliches Bauwerk, das
Steinbogen das eher flache, weite Saaletal. deshalb unter Denkmalschutz steht.
Der größte Bogen erreicht eine lichte Öff- Der zweistegige, vorgespannte Beton-
nungsweite von 31,43 m und lichte Höhen plattenbalken der neuen Saalebrücke wur-
von ca. 19,75 m. Die sichtbaren Bogen be- de im Taktschiebeverfahren von West nach
stehen aus Muschelkalk, während die im Ost über das Saaletal geschoben, wodurch
Inneren befindlichen Spargewölbe aus Klin- die Umwelt geschont und die Dohlenkolo-
kermauerwerk bestehen. Die Brückenge- nie in der alten Brücke kaum beeinflusst
samtlänge beträgt 794,03 m, die Nutzbreite wurde. Die Stützweiten wechseln ständig
1.6 Gestaltung von Brücken, Wettbewerbe, Brückenbaupreise 153
und weisen maximal 28,85 m auf. Die Ge- weils zwei Zugbänder zwischen den Über-
samtlänge zwischen den Endauflagern be- baubalken miteinander verbunden. Jede
trägt 723,66 m. Um die Unterbauscheiben Pfeilerscheibe hat in Anpassung an die alte
nicht zu massiv zu gestalten, wurden große Saalebrücke einen anderen Krümmungsra-
Überbaukragarme gewählt, die eine Quer- dius. Am Pfeilerfuß treffen die gekrümmten
vorspannung erforderten. Der Überbau hat Scheiben aufeinander und werden durch
Querträger, sodass die Torsionsbeanspru- einen muschelkalkverblendeten sichtbaren
chung durch die Fahrbahnplatte und die Betonsockel aufgenommen. Die maximale
Endquerträger begrenzt werden konnte. Pfeilerhöhe beträgt 20 m. Mit dieser Pfeiler-
Für die torsionssteifen Hauptträger wurde form gelang es, die Stützweiten zu verklei-
eine Breite von 2,90 m gewählt. Der Vor- nern und mit einem sehr schlanken Über-
spannungsgrad ist wegen der Bauzustände bau, der möglichst wenig von der alten
relativ hoch. Brücke verdeckt, zu entwerfen.
Der Überbau ist auf Verformungsgleit Beide Widerlagervorderkanten entspre-
lagern gelagert. Die Bewegungsruheachse chen der Bogenform der alten Saalebrücke
befindet sich etwa in Brückenmitte. Die mit einer Konstruktion als Ortbetonkasten-
Dehnwege der mehrfaltigen wasserdichten widerlager auf Flachgründung mit Begeh-
Übergangskonstruktionen betragen jeweils barkeit durch einen Wartungsgang. Die
524 mm. großen Talpfeiler wurden mit Großbohr-
Die in Anlehnung an den sichtbaren Bo- pfählen d = 1,50 m im tieferliegenden Sand-
genring der alten Brücke ausgebildeten, stein gegründet. Eine Flachgründung im
1,5 m dicken Stahlbetonpfeilerscheiben bil- hochliegenden Festgestein wurde hingegen
den die Hauptgestaltungselemente der neu- für die kleinen Pfeiler auf der westlichen
en Saalebrücke. Sie sind am Kopf durch je- Hochebene vorgesehen.
1.6.8.9 Lautrupsbachtalbrücke
Wigand Grawe
Bauherr:
Stadt Flensburg
Entwurf:
Ingenieurteam Trebes, Rendsburg
Architekten AX5, Kiel
Ausführung:
Fritz Spieker Bauunternehmungen, Oldenburg
Bauzeit: 2004–2006
formt und unterstützen dadurch den natür- Durchformung der durchgehenden Krüm-
lichen Luftstrom im Tal. Die Pfeiler sind in mung auch in der Untersicht beibehalten
verschiedenen Winkeln zur Gradiente ge- werden. Die Beleuchtungslösung erfolgt
dreht, sodass sich aus unterschiedlichen durch reflektiertes Licht, die Lampen sind
Perspektiven jeweils neue räumliche Ein- so ausgebildet, dass sie ein integraler Be
drücke ergeben. standteil der Lärmschutzwand sind.
Aufgrund der gewählten Spannbeton- Durch die windschnittige Gestaltung des
bauweise konnte der Überbau besonders Überbaus, die gekrümmte Lärmschutzwand
schlank ausgeführt werden, im Randbe- und die strömungstechnisch geformten und
reich läuft die Platte auf 30 cm Dicke aus. in den Wind gedrehten Pfeiler ist die Leitli-
Die Ausbildung der Kappe nimmt die nie des an die örtlichen Klimagegebenheiten
Krümmung der Lärmschutzwand auf und angepassten Entwurfs ablesbar.
verbindet diese harmonisch mit dem Über Das gesamte Erscheinungsbild führt
bau. dazu, dass trotz des schwierigen Umfelds
Die Entwässerung erfolgt in einer Aus- (Wohnsiedlung und Naturschutzaspekte)
sparung des Überbaus und der Stützen, eine hohe Akzeptanz bei den Anwohnern
welche durch eine Edelstahlverkleidung ab- und den Naherholungssuchenden des
gedeckt ist. Dadurch kann die elegante Lautrupsbachtals erzielt wird.
156 1 Brückenbau auf dem Weg vom Altertum zum modernen Brückenbau
Wolfgang Strobl
Bauherr:
Stadt Weil am Rhein in Kooperation mit Com-
munauté de Communes des Trois Frontières
Wettbewerb, Genehmigungsplanung:
Planungsgemeinschaft WeilamRhein GbR
Entwurf:
Dietmar Feichtinger, Paris
Feichtinger Architectes, Paris, Wien
Wolfgang Strobl, Berlin
Leonhard, Andrä und Partner, Berlin
Ausführung:
Max Bögl GmbH
Bauzeit: 2005–2006
ein wichtiges Thema, natürlich auch „High- • Das orthotrope Brückendeck, das gleich-
Tech-Materialen“, sofern Sie zum Erreichen zeitig als Zugband wirkt, weitet sich von
des Entwurfsziels erforderlich waren. Die der Mitte zu den Ränder hin auf und
Materialwahl war aber nie Entwurfsidee, geht über in filigrane Rampen und Trep-
ebenso wenig wie die Konzeption einer Re- pen in Form eines Faltwerks.
kordspannweite, die sich einfach aus der
Für die Umsetzung des Entwurfs waren
konsequenten Übersetzung des Entwurfs
folgende Punkte maßgeblich:
ergab. Als Ergebnis entstand ein äußerst
schlankes Bauwerk – die Leichtigkeit der • Reduzierung der Windlasten auf ein Mi-
Konstruktion wird erlebbar durch eine nimum: Berücksichtigung nach E-DIN
konsequente Übersetzung des Entwurfs bis 1055/4 anstatt DIN FB 101
ins Detail: • Stabilitätsnachweis unter halbseitiger
Verkehrslast: Nachweis unter Berück-
• Die Brücke mit einem Hauptfeld und sichtigung großer Verformungen und
zwei Vorlandbrücken findet Gestalt als der Überhöhung aus Werkstattform
Stabbogenbrücke mit der Ausbildung • Geringe Auflagen der Wasser- und
räumlicher Fachwerke im Auflagerbe- Schifffahrtsämter aus Schiffsanprall auf-
reich. Der nördliche Bogen, ein Doppel- grund der großen Spannweite
träger aus Sechseckprofilen, steht senk- • Montage: Die gesamte Hauptbrücke
recht, der südliche, ein Rundrohr, lehnt wurde auf französischer Seite vormon-
sich mit einer Neigung von 16 Grad an. tiert. Es folgte der Querverschub auf
1.6 Gestaltung von Brücken, Wettbewerbe, Brückenbaupreise 159
zwei Pontons mit Hilfe von Schwerlast- Stabilität wurde numerisch nachge
wagen und Einschwimmen der gesamten wiesen.
Brücke auf einer Länge von ca. 1 km. • Fußgängererregung: Als Hauptproblem
Unter ständiger Beobachtung der Wind- erwies sich, wie bei anderen weichen,
geschwindigkeit erfolgte die eigentliche niederfrequenten Fußgängerbauwerken
Präzisionsarbeit – das Eindrehen und auch, die horizontale Fußgänger-Selbst-
Absetzen der Brücke auf Hilfspressen. erregung des Brückendecks unter ho-
Im Zuge des Absenkens wurden die Bol- hem Verkehrsaufkommen. Der Nach-
zenverbindungen der Endabspannungen weis einer ausreichenden Sicherheit der
fixiert. Erst nach abschließender Ver- Brücke ohne zusätzliche schwingungs-
messung und Kontrolle der Pressenkräf- dämpfende Maßnahmen wurde letztlich
te erfolgte das Untergießen der Lager. durch einen Großversuch mit bis zu
• Winderregte Schwingungen: die erfor- 1000 Teilnehmern und umfangreiche
derliche Sicherheit zur aerodynamischen Messungen erbracht.
160 1 Brückenbau auf dem Weg vom Altertum zum modernen Brückenbau
Erhard Kargel
Bauherr:
Gemeinde Wernstein am Inn, Gemeinde Neu-
burg am Inn
Ausführung:
GLS Bau und Montage G.m.b.H.,
RW-Montage G.m.b.H.
Bauzeit: 2005–2006
Die schon seit der Zeit um das Jahr 1050 Trag- und Rückhängeseile gespreizt und in
bestehende enge Beziehung zwischen dem niedrigen Widerlagerscheiben auf der
bayerischen Neuburg am Inn und dem Wernsteiner Seite bzw. in Fundamenten im
oberösterreichischen Wernstein konnte Neuburger Innhang verankert. Auf einen
auch Napoleon 1803 mit seiner Grenz durchlaufenden Streckträger wurde ver-
ziehung nicht zerschlagen. Die in den Jahr- zichtet; stattdessen ruht der Gehweg auf
hunderten gewachsene Verbindung wird schlanken Einfeldträgern zwischen den
durch die Geh- und Radwegbrücke er- Hängern. Der Erhöhung der Steifigkeit die-
leichtert und gestärkt. Sie halbiert die Ent- nen zwei zusätzliche Seile, die neben den
fernung von 16 km zwischen den nächstge- Längsträgern verlaufen und mit diesen
legenen Brücken in Passau und Schärding. durch auskragende Querträger verbunden
Die prächtige, unter Schutz stehende Land- sind. Weil diese „Windseile“ im Aufriss der
schaft, wie die das Steilufer krönende Neu- Fahrbahnkuppe folgen und im Grundriss
burg und die geschichtlich bedeutungsvolle ebenfalls in Kreisbogen ausgeführt werden,
Mariensäule in Wernstein erforderten liegen ihre Krümmungsebenen geneigt im
größte Zurückhaltung und Feingefühl beim Raum.
Entwurf. Die Seile sind daher in der Lage, lot-
Mit einem möglichst filigranen, mini- und waagerecht wirkende Kräfte aufzuneh-
malistischen Bauwerk wurde dieses Ziel men. Durch Vorspannung der Windseile –
erreicht. Von allen ausführbaren Lösungen und nicht durch Vergrößerung der Trä-
erwies sich eine Hängebrücke mit 144 m gerquerschnitte – wurde die Steifigkeit des
Spannweite am besten geeignet. Die Aus Systems gesteigert, die vertikalen und ho-
legung der Tragkabel folgte der Topografie: rizontalen Verformungen vermindert und
Sie steigen von einem tief liegenden Veran- die Schwingungen beschränkt. Die Brü-
kerungspunkt im Respektabstand zur Ma- cke wurde ohne Schwingungstilger eröff-
riensäule in Richtung Neuburg zur Spitze net. Obwohl nicht unbedingt nötig, wurden
eines einzigen, nadelförmigen Pylons an. später, wie vorgesehen, drei relativ leichte
Von der Pylonspitze ausgehend, sind die Tilger eingebaut. Das Konzept der seilsta-
1.6 Gestaltung von Brücken, Wettbewerbe, Brückenbaupreise 161
bilisierten Einfeldträgerkette ermöglichte auch absolut nichts mehr, was man weg-
eine einfache Herstellung. Nach dem Ein nehmen könnte. Der Eindruck der Leich-
ziehen der Seile und dem Aufhängen der tigkeit wird noch durch einen perforierten
Querträger konnte die komplette Gehweg- Blechprofilrost als Gehweg unterstützt. Das
konstruktion, einschließlich der Geländer, Bauwerk fügt sich gut in die Natur ein, ohne
in dreieinhalb Tagen eingehoben und ver- sich dabei zu verstecken. Seine Unsymme-
schraubt werden. Baustellenschweißungen trie ist eine logische, nachvollziehbare Fol-
waren nicht erforderlich. ge aus den Gegebenheiten des Umfelds. Der
Die Geh- und Radwegbrücke Wernstein- Mariensteg hat in der Region, über die
Neuburg ist ein minimalistisch gestaltetes Grenzen hinweg, eine nachhaltige Bele-
Ingenieurbauwerk mit minimalem Res bung bewirkt. Historische Beziehungen
sourcenverbrauch. Es gibt an ihm nichts, wurden wieder zusammengeführt, ein Kul-
das notwendig wäre hinzuzufügen, aber tur- und Landschaftsraum aufgewertet.
162 1 Brückenbau auf dem Weg vom Altertum zum modernen Brückenbau
Richard J. Dietrich
Bauherr:
BUGA Gera und Ronneburg 2007 GmbH
Entwurf und Ausführungsplanung:
Dipl.-Ing. Richard J. Dietrich,
Büro für Ingenieur-Architektur, München
Ausführung:
Schaffizel Holzindustrie GmbH + Co KG,
Schwäbisch Hall
Baujahr: 2006
Eine Hauptattraktion der Bundesgarten- wie ein gespanntes Seil über 230 m von
schau Gera-Ronneburg 2007 war eine un- Widerlager zu Widerlager, dabei über-
gewöhnliche Brücke, die heute ein wich- brückt es mit einer Konstruktionshöhe von
tiges Bindeglied im Fernradweg „Thüringer nur 50 cm freitragend drei Felder mit 55 m
Städtekette“ ist. und 52,5 m Spannweite. Da die Lasten der
Das Bauwerk wurde für den Deutschen Brücke hauptsächlich über Zugkräfte abge-
Brückenbaupreis 2008 nominiert, sowie tragen werden, wird der extrem schlanke
mit renommierten Holzbaupreisen und Querschnitt möglich. Die Zugkräfte in der
dem Renault Future Trafic Award 2007 aus- Größenordnung von 8000 kN werden an
gezeichnet. den Widerlagern aufgenommen und mit-
Mit 225,5 m Überbau-Länge ist diese tels jeweils 14 Dauererdankern in den
Brücke eine der längsten Holzbrücken der felsigen Boden abgetragen. Andererseits
Erde und eine der innovativsten. Extrem wird das Spannband mit baumartig ver-
leicht und elegant schwingt sich die Spann- strebten Pfeilerböcken aus Stahlrohren
band-Konstruktion aus Holz in 25 m Höhe zwischenunterstützt und sanft gekrümmt
über das Gessental in der sogenannten übergeleitet. Die in Brückenquerrichtung
Neuen Landschaft Ronneburg, die im Rah- A-förmig angeordneten „Stämme“ dieser
men der BUGA aus der öden Wüste eines Pfeilerböcke nehmen die seitlichen Kräfte
ehemaligen Uran-Bergwerks geschaffen vor allem aus Wind auf. In Brückenlängs
wurde. richtung hingegen sind die Pfeilerböcke
Die Brücke ist in Ihrer Art bisher einzig- relativ biegeweich konstruiert, sodass die
artig, denn noch nie wurde ein blockver- Zugkräfte im Band bis in die Widerlager
leimter Brettschichtträger für eine derartige durch geleitet werden.
Spannband-Konstruktion verwendet. Das Der Durchhang des Spannbands in den
auf Zug beanspruchte Spannband zieht sich Feldern ist optimiert, denn je geringer der
1.6 Gestaltung von Brücken, Wettbewerbe, Brückenbaupreise 163
Durchhang ist, desto größer sind die Zug- Der auf und ab schwebende und taillierte
kräfte. Im mittleren Feld ist der Stich 2,20 m. Brückenweg in luftiger Höhe erwies sich als
Um andererseits die Gehbahnsteigung besonderes Erlebnis.
nicht zu steil werden zu lassen, sind oben Das Tragwerk der Brücke ist als zugbe-
auf dem Spannband weitere Leimholzbal- anspruchte Konstruktion grundsätzlich
ken aufgedoppelt, die zur Mitte des Felds sehr effektiv. Ein auf Zug und Druck bean-
hin an Höhe zunehmen und so die Stei- spruchter Biegebalken aus Leimholz mit
gungen auf maximal 6% behindertenge- gleicher Spannweite müsste etwa sechsmal
recht reduzieren. Gleichzeitig bewirkt diese so stark dimensioniert werden, also ca. 3 m
oben mit einer Schichtholzplatte abge- anstatt 50 cm hoch sein. Konstruktiv
deckte Aufdopplung eine Versteifung des vorteilhaft ist dabei auch das äußerst güns
Spannbands gegen vertikale Schwingungen tige Gewichts-/Festigkeitsverhältnis des
in den frei gespannten Feldern. Werkstoffs Holz gegenüber Stahl oder
Hier verbinden sich konstruktive und Stahlbeton. Das ist für spannweitenüber-
funktionale Vorteile ebenso wie bei der im brückende Konstruktionen entscheidend
Grundriss der Brücke wechselnden Breite. und wirkt sich in den Kosten aus. Aufgrund
Diese beträgt in Feldmitte 2,90 m und über der geringen Eigenlast und des optimierten
den Auflagern bis zu 3,90 m. Damit entste- Durchhangs des hölzernen Spannbands
hen an den Hochpunkten verbreiterte müssen an den Widerlagern im Vergleich
Standflächen für die Benutzer und gleich- zu ähnlichen Konstruktionen aus Stahl
zeitig eine höhere Steifigkeit des Spann- und Beton wesentlich geringere Zugkräfte
bands gegen Torsion, d. h. gegen seitliche verankert werden. Dies ist ebenfalls ein
Verdrehungen und Schwingungen. Ande- erheblicher Kostenfaktor. Andererseits ist
rerseits hat Holz hinsichtlich des Schwin- Holz als nachwachsender Baustoff auch in
gungs-Verhaltens eines solchen Spann- ökologischer Hinsicht vorteilhaft. Auch
bands prinzipiell einen entscheidenden damit entsprach die Verwendung von Holz
Vorteil gegenüber anderen Materialien we- den Intensionen der BUGA und dem land-
gen seiner inneren Eigendämpfung, die schaftlich geprägten Kontext. Formal erin-
rhythmische Schwingungen unterdrückt nern die Stützstreben in ihrer Gestaltung an
und damit ein Aufschaukeln verhindert. die Bäume in der Landschaft. So werden
Auf diese Weise kommt die extrem schlan- hier technische und ästhetische Erforder-
ke Konstruktion entgegen allen Erwar- nisse kreativ miteinander verbunden und
tungen ohne mechanische Schwingungs- es entsteht eine charakteristische Gestalt,
dämpfer aus. Zehntausende Besucher der die sich dem Kontext einfügt.
Gartenschau haben die Brücke begangen Herstellung und Montage der Brücke
und ihre Gebrauchstauglichkeit bewiesen. wurden bei der Planung ebenfalls gut
164 1 Brückenbau auf dem Weg vom Altertum zum modernen Brückenbau
durchdacht. Das Spannband wurde in Teil- dungen genau passten. Nach der Montage
stücken von 25 m bis 30 m Länge ein- des Spannbands wurde die Brückenausstat-
schließlich der stählernen Kopplungsele tung, d. h. die Blechabdeckung des Spann-
mente, der seitlich angebrachten Wetter- bands, der Gehbahnbelag und die Gelän-
schutz-Verkleidungen und Geländerpfos derfüllungen montiert.
ten im Werk vorgefertigt. Diese Teilstücke Um der Brücke eine hohe Dauerhaftig-
wurden dann an die Baustelle transportiert keit zu verleihen, ist das gesamte eigentliche
und Stück für Stück von einem Widerlager Holztragwerk gegen Witterungseinflüsse
her anfangend über die Pfeilerböcke hin- verkleidet, oben mit der Blechabdeckung
weg montiert, bis das gegenüberliegende unter dem Belag, an den Flanken mit der
Widerlager erreicht war. Dafür waren nur Verkleidung aus wetterfestem Sperrholz.
einzelne Hilfsstützjoche jeweils an den Die hohen Pfeilerböcke aus Stahlrohren
Kopplungsstellen erforderlich. sind durch eine Beschichtung nach ZTV-
Die mit Schlitzblechen und Stabdübeln Ing gegen Korrosion geschützt.
im Spannbandblock befestigten Kopp- Alles in allem ist die minimalistisch und
lungselemente aus Stahl wurden im Werk konsequent konstruierte Brücke äußerst
bei einer Probemontage exakt in Position effektiv und wirtschaftlich. Die Baukosten
vormontiert. So konnte sichergestellt wer- betrugen rund 1,7 Mio. € brutto.
den, dass an der Baustelle alle Verbin
2 Ingenieuraufgaben im Brückenbau
Manfred Keuser, Peter Ruse und Francesco Aigner
~ 80,0
»A« 34,0
66,5°
± 0,0
»B«
150,0 M
15,0 20,0 20,0 20,0 20,0 15,0
Bild 2.1-1b Argentobelbrücke
Randbedingungen für die mit dem Bau ei- rechtsverbindlich definiert werden, ist in
ner Brücke verbundenen Kosten definiert. solchen Fällen bereits für die Vorplanungs-
Die Vorgaben des Streckenplaners sind ins- phase eine große Planungstiefe erforder-
besondere in den folgenden Punkten zu lich. Es empfiehlt sich deshalb, den bei
überprüfen und gemeinsam mit diesen die Planfeststellungen üblicherweise verwen-
technisch, ökologisch und wirtschaftlich deten Lageplanmaßstab von 1 : 1000 ent-
optimierte Gesamtlösung für den zu pla- sprechend zu vergrößern. Unter Umstän-
nenden Verkehrsweg zu finden. den wird im Vorentwurf bereits eine end-
gültige Festlegung für das Tragwerkssys
Gründungsmöglichkeiten tem (z. B. Bogenbrücke, Schrägkabelbrücke
Da Pfeiler- und Widerlagerstandorte be- o. ä.) getroffen. Dies wird nachfolgend an
sonders in empfindlichen Naturschutz- einem Beispiel erläutert. Auf den Bildern
oder Trinkwassereinzugsgebieten häufig 2.1-1a und 2.1-1b ist die im Jahr 1984 er-
einzeln im Planfeststellungsbescheid richtete Argentobelbrücke dargestellt, die
168 2 Ingenieuraufgaben im Brückenbau
eines der Allgäuer Naturdenkmäler über- endgültige Festlegungen bereits in der Vor-
spannt. Landschaft und Baumbestand des planungsphase erforderlich.
„Eistobels“ unterhalb der Brücke ließen Das wesentliche Ergebnis der Vorpla-
keinerlei Eingriffe in Gelände und Baum- nungsphase ist die verbindliche Lage und
bestand zu. Deshalb war eine ohne Lehrge- damit auch die Länge des Bauwerks bei
rüst zu erstellende Bogenbrücke mit aufge- abgestimmter Gradientenführung, seine
ständerter Fahrbahn zwingend vorge- Klassifizierung hinsichtlich der Verkehrs-
schrieben. Tragwerkssystem und Randbe- lasten, in besonderen Fällen bereits schon
dingungen für das Bauverfahren ergaben die Festlegung von Tragwerkssystem und
sich demnach bereits bei der Planfeststel- Bauverfahren. Selbstverständlich müssen
lung. Eine diesen Anforderungen entspre- begleitende statische Vorberechnungen in
chende Gradientenführung war Vorausset- den Findungsprozess eingebunden werden.
zung für die Realisierung dieses Bauwerks. Eine überschlägige Ermittlung der Bau-
Diese diffizile Bauaufgabe gab den Anstoß grundbeanspruchungen und ein darauf ba-
zur Entwicklung und zum Einsatz eines sierender Lastenplan wird für die Anferti-
neuartigen Bauverfahrens. gung des Bodengutachtens benötigt. Auch
Im Rahmen der Vorplanung sind insbe- die konstruktiven Festlegungen für Bau-
sondere alle Fragestellungen zu klären, die stoffe, Bauarten und Herstellungsverfahren
Auswirkungen auf die Trassierung und auf sowie der Platzbedarf für die Baustellenein-
die Genehmigungsfähigkeit haben. Exemp- richtung und die Baustraßen finden bereits
larisch werden nachfolgend zwei Probleme in der Vorplanungsphase statt, so dass die
aufgezeigt. Mitwirkung des Tragwerkplaners unerläss-
Besonders bei sehr langen Brücken ist es lich ist.
angezeigt, die möglichen Herstellungsver-
fahren bereits im Rahmen der Vorplanung
zu bedenken, da manche Herstellungsver- 2.1.2 Entwurfsfindung im offenen oder
fahren nur unter bestimmten Gradienten- eingeladenen Realisierungswettbewerb
bedingungen möglich sind. So erfordert
z. B. das Taktschiebeverfahren für die Her- Die seit dem Jahr 1977 in der Bundesrepu-
stellung von Balkenbrücken konstante blik Deutschland geltenden Grundsätze
Trassierungselemente wie Gerade und und Richtlinien für Wettbewerbe [GRW,
Kreis. 2004] auf den Gebieten der Raumplanung,
Schleifende Schnitte der Achsen sich des Städtebaus und des Bauwesens wurden
kreuzender Verkehrswege und die daraus 1995 nicht nur wegen der erforderlich ge-
resultierenden schiefen Auflagerachsen wordenen Anpassung an das europäische
können zu abhebenden Lagerkräften für Recht novelliert, sondern auch, um die be-
das Bauwerk des überführten Verkehrswegs sonderen Anforderungen an Ingenieur-
führen. Lagerkörper zur Aufnahme von wettbewerbe besser zu berücksichtigen.
Zugkräften sind meist wartungsintensive Deshalb wurde die Objektplanung für Ver-
Sonderausführungen und erfordern in der kehrsanlagen und Ingenieurbauwerke, zu
Regel eine Zustimmung im Einzelfall. Eine denen auch Brücken zählen, in den Gegen-
Entschärfung der Lagerungsproblematik standskatalog von Wettbewerben aufge-
durch entsprechende Drehung der Auflager nommen. Grundlage für den Realisierungs-
achsen jedoch kann zu Sichtbehinderungen wettbewerb ist ein im Rahmen der Planfest-
für die Benutzer des unterführten Ver- stellung fest umrissenes Programm mit
kehrswegs führen. Auch in einem solchen bestimmten Leistungsanforderungen. Die
Fall sind Abwägungen und entsprechende Bauverwaltungen in Deutschland haben
2.2 Entwurfsplanung 169
seither bei einer Reihe von Bauvorhaben Die fotorealistische Visualisierung bietet
davon Gebrauch gemacht, offene oder ein- eine hervorragende Ergänzung zum Ent-
geladene Realisierungswettbewerbe auszu- wurfsplanwerk und zu konventionellen
schreiben. Wettbewerbe haben sich insbe- Modellen im Maßstab 1 : 100.
sondere dann als geeignetes Instrument zur
Findung der optimalen Konstruktion und
des geeigneten Planers erwiesen, wenn das 2.2 Entwurfsplanung
Baufeld für den Brückenneubau sich in
architektonisch, städtebaulich oder land- 2.2.1 Vorschriften
schaftlich besonders sensiblen Bereichen
befindet. Die in denkmalgeschützter Nach- Aufbauend auf den Ergebnissen der Vor-
barschaft konstruktive Zusammenarbeit planung oder eines Wettbewerbs entsteht in
von Bauingenieur, Architekt und Land- der Entwurfsplanung der realisierbare Bau-
schaftsplaner ist bei solchen Wettbewerben werksplan. Entwurfsgrundlage ist der vom
die Grundlage dafür, dass derartige Ent- Bauherrn vorgelegte, rechtskräftige Plan-
wurfsfindungen oft zu besonders gelunge- feststellungsbeschluss für die Baumaßnah-
nen Planungen geführt haben. Bild 2.1-2 me. Aus ihr geht der in dem Schema 2.1-1
zeigt das Ergebnis eines solchen Wettbe- dargestellte Bedarf hervor, so dass Größe
werbs in fotorealistischer Visualisierung. und Nutzungsart der Brücke eindeutig fest-
Moderne CAD-Programme ermöglichen liegen. Das zu erstellende, mit Erläute-
in Verbindung mit Visualisierungs-Soft rungsbericht und Kostenberechnung ver-
ware die Erzeugung eines realistischen Bil- sehene Planwerk hat dem aktuellen Stand
des, das auch dem Nichtfachmann einen der Technik zu entsprechen, der sich in Er-
zutreffenden Eindruck eines Brückenbau- lassen und Vorschriften niederschlägt, die
werks und von dessen Einbindung in seine von Normenausschüssen und Bauverwal-
zukünftige Umgebung vermitteln kann. tungen herausgegeben sind.
170 2 Ingenieuraufgaben im Brückenbau
Bedarf
Umfeld Lastannahmen
Topographie Tragwerkssystem
Geologie Spannweiten
Hydrologie Gründungsart
Seismologie Pfeiler-/Widerlagerhöhen
kreuzende Verkehrswege Lagerungsart
kreuzende Leitungen baukünstlerische Gestaltung
lokale Bebauung Anprallschutz
lokale Landschaft Immissionsschutz
Lokalklima/Luftqualität Korrosionsschutz
Technologie Werkstoffe
Bauverfahren
wählt werden, dass nicht einzelne Produk- Unabhängig von der Konstruktionsart der
te oder bestimmte Hersteller bevorzugt Widerlager und Pfeiler einer Brücke wird in
werden.
Tabelle 2.2-7 Hinweise zur Bauwerksgrün-
Selbstverständlich muss die gesamte
dung und zur Baugrubensicherung
Entwurfsphase intensiv tragwerksplane-
risch untermauert werden, da als Entwurfs- Offene Baugrube, zulässige Böschungs
ergebnis ein realisierbarer Bauplan vom neigungen, Baugrubensicherung (Spund-
Bauherrn eingefordert wird, der zur Grund- wände, Bohrpfahlwände, Spritzbeton,
lage einer verbindlichen Ausschreibung Vereisung u.a.), Auskolkungsschutz, Was-
der Baumaßnahme herangezogen werden serhaltung (offen oder geschlossen),
Grundwasseraggressivität, Bodenverbesse-
kann. Die Tragwerksplanung hat eine nach-
rung, Bodenaustausch, Planum für Pfahl-
vollziehbare statische Vorberechnung und
gründungen, Vorschüttungen
Bemessung zu liefern. Sie wirkt bei der Ge-
2.2 Entwurfsplanung 175
Bild 2.2-4 Ting Kau Brücke, Hongkong. Entwurf: Schlaich, Bergermann und Partner
Bild 2.2-5 Talbrücke Zahme Gera im Zuge der BAB A 71. Entwurf: Fritsch Ingenieure
178 2 Ingenieuraufgaben im Brückenbau
2.3 Genehmigungsplanung ten an, die als Nebenangebote von den Bau-
firmen bei der Submission mit eingereicht
Brücken, die in das öffentliche Straßen- werden können und von denen sich der
und Wasserstraßen- Verkehrsnetz inte- Bauherr eine gegenüber dem ausgeschrie-
griert sind, haben den Staat, ein Land, einen benen Entwurf technisch-wirtschaftlich
Landkreis oder eine Kommune als Bau- optimierte Lösung verspricht. Im Abschnitt
herrn. Übergeordnete Genehmigungsbe- 2.4 wird auf diese Problematik noch einmal
hörden gibt es nicht. Der Entwurfsplan also eingegangen.
ist amtlich genehmigte Grundlage für jeden
Brückenneubau. Anders verhält es sich bei
privaten Auftraggebern. Auch die Deutsche 2.4 Ausschreibung
Bahn AG ist seit 1994 ein privater Bauherr.
Deshalb wurde zum gleichen Zeitpunkt das 2.4.1 Ausschreibung mit Mengenermittlung
Eisenbahnbundesamt (EBA) als Genehmi-
gungsbehörde für die Bauvorhaben der Abweichend von dem in [HOAI, 1986] vor-
Deutschen Bahn AG eingerichtet. gesehenen Ablauf wird im Brückenbau die
Im Rahmen der Genehmigungsplanung mit einer Mengenermittlung versehene
wird in der Tragwerksplanung die prüffähi- Ausschreibung der Baumaßnahme nicht
ge statische Berechnung für das gesamte auf der Grundlage der vorangegangenen
Brückenbauwerk aufgestellt. Üblicherweise Genehmigungs- und Ausführungsplanung
wird diese mit hoher Verantwortung beauf- erstellt. Hier wird die Entwurfsplanung zur
schlagte Ingenieuraufgabe in Deutschland Grundlage für die Ausschreibung herange-
nicht mehr vom entwurfsbegleitenden zogen. Dies erklärt, wie hoch die Ansprü-
Tragwerksplaner erbracht. Aus Gründen che an die Entwurfsplanung im Hinblick
von Haftung und Gewährleistung koppelt auf ihre Vollständigkeit und Realisierbar-
die Bauherrschaft der öffentlichen Hand keit sind. Die Ermittlung und Aufgliede-
diese Ingenieurleistungen in den meisten rung nach Einzelpositionen kann also nicht
Fällen an die Ausführungsplanung und ver- anhand von Ausführungsplänen vorge-
gibt sie über die Ausschreibung an die bau- nommen werden, in denen alle Bauteile
ausführende Firma. Als Folge von Um- lückenlos vermaßt und berechnet sind.
strukturierungen in der Bauwirtschaft ha- Diese Vorgehensweise stellt hohe Ansprü-
ben heute nur noch wenige Großbauunter- che an die statische Vorberechnung des
nehmungen ein eigenes leistungsstarkes Brückenbauwerks. Um zum Beispiel die
Technisches Büro, so dass die Genehmi- Materialmengen für den Fundamentaus-
gungs- und Ausführungsplanung von der hub zutreffend angeben zu können, müssen
Baufirma häufig an ein freies Ingenieurbü- die Fundamentabmessungen vorab berech-
ro vergeben wird. Hierbei kann es vorkom- net worden sein. Gleiches gilt für alle ande-
men, dass der entwurfsbegleitende Trag- ren Bauteile des Unter- und Überbaus, für
werksplaner wieder in den Prozess einge- die Tragkräfte und Bewegungsmöglichkei-
bunden wird und seine Arbeit, jetzt aller- ten der Brückenlager und Fahrbahnüber-
dings unter einem anderen Auftraggeber gänge, sowie für sämtliche Ver- und Ent-
weiterführen kann. Als weiteres Argument sorgungseinrichtungen. Was im Rahmen
für diesen im Regelfall vorgesehenen Wech- der Entwurfsarbeit wegen des damit ver-
sel der Ingenieure zwischen Entwurf und bundenen Aufwands nicht bis ins Detail
Ausführung führt der öffentliche Auftrag- berechnet und festgelegt werden kann, so
geber gerne die hierdurch gegebene Anre- zum Beispiel der Bewehrungsanteil bei
gung der Bauindustrie zu Entwurfsvarian- Stahlbeton- und Spannbetonbauteilen,
2.4 Ausschreibung 179
Brückenbauten, für die ein Realisierungs- Der Unterschied einer funktionalen Aus-
wettbewerb durchgeführt wird (vgl. Ab- schreibung zum bereits in 2.4.1 und 2.4.2
schnitt 2.1.3), werden in aller Regel nach beschriebenen Verfahren besteht in der
dem Entwurf ausgeführt, der sich im Wett- Hauptsache darin, dass der funktionalen
bewerb durchgesetzt hat, so dass Sonder- Ausschreibung kein Leistungsverzeichnis
entwürfe von vornherein ausgeschlossen mit ausgeworfenen Mengen beigegeben ist.
sind. Denkmalpflegerische Belange oder Alle anderen in den vorangegangenen Ka-
durch vorhandene Topographien, Bebau- piteln aufgeführten Bestandteile gehören
ungen oder Bodenverhältnisse vorgegebe- auch zu einer funktionalen Ausschreibung,
ne Zwänge können ebenfalls zum Aus- wobei die Definition der Randbedingungen
schluss von Sonderentwürfen führen. So- und die Baubeschreibung so eindeutig sein
fern es die Umstände jedoch erlauben, sind müssen, dass die Vorstellung des Bauherrn
die Auftraggeber der öffentlichen Hand ohne Auslegungsspielräume aus den Aus-
durchaus an Sondervorschlägen bzw. Alter- schreibungsunterlagen hervorgeht. Es liegt
nativen zum ausgeschriebenen Entwurf dann bei den Bietern, sich einen Entwurf
interessiert. Hierfür müssen allerdings in und ein Leistungsverzeichnis anzufertigen,
der Ausschreibung konkrete Randbedin- um das Bauwerk zutreffend kalkulieren zu
gungen formuliert werden, um den ange- können. Spekulationen auf nicht zutreffen-
strebten Zweck des Bauwerks zu erfüllen de Ansätze im Leistungsverzeichnis sind
und die Vergleichbarkeit zum ausgeschrie- bei der funktionalen Ausschreibung nicht
benen Entwurf sicher zu stellen. Diesbe- möglich, da die Baumaßnahme nicht nach
zügliche Versäumnisse können zu einer Positionen, sondern pauschal zum angebo-
Anfechtung der Submission und Vergabe tenen Festpreis abgerechnet wird. Inwie-
führen. Die Randbedingungen sind in der weit es volkswirtschaftlich zu vertreten ist,
Baubeschreibung zu formulieren. In jedem dass bei einer funktionalen Ausschreibung
Fall muss der Bieter die ausgeschriebenen umfangreiche Planungsleistungen gleich-
Leistungen vollständig anbieten und für zeitig von allen Bietern erbracht werden
den von ihm eingereichten Sonderentwurf müssen, bleibt freilich dahin gestellt.
ein vergleichbares Leistungsverzeichnis er- Das Beispiel der Geratalbrücke Ichters-
stellen. Sonderentwürfe können insbeson- hausen, s. Bild 2.4-1, zeigt die Möglichkei-
dere die Gründung, das Bauverfahren, aber ten, die eine funktionelle Ausschreibung
auch die Baustoffe und die Gesamtkon- bei qualifizierter Anwendung bietet. Die
struktion beinhalten. Bei Aufträgen die auf Konstruktion wurde im Rahmen eines Son-
der Grundlage eines Sonderentwurfs verge- derentwurfs insbesondere im Bereich der
ben sind, geht das Mengenrisiko auf die Gründung optimiert. Mit dem Einsatz ei-
Baufirma über, während das Baugrundrisi- ner Spannbeton-Vorschubrüstung wurde
ko beim Bauherrn verbleibt. Daneben sind ein in diesem Fall wirtschaftliches Bauver-
auch Alternativvorschläge zu Einzelposi fahren gewählt.
tionen möglich, bei denen die Konstruktion
der Brücke nicht wesentlich verändert
wird. 2.4.4 Verpflichtung zur Eindeutigkeit
Bild 2.4-1 Geratalbrücke Ichtershausen im Zuge der NBS Erfurt – Nürnberg, Herstellung mit
Vorschubrüstung aus Spannbeton und Stahlschnabel
schreibung bei einzelnen Bauteilen einen fallen. Häufig werden hierzu bereits im
Interpretationsspielraum zulässt, ist es dem Vorfeld einer erwarteten Ausschreibung
Bieter gestattet, eine Annahme zu treffen. Abstimmungen getroffen. Wesentliche Be-
Wie im Kapitel 2.8. (Nachträge) dargelegt, standteile der Angebotsbearbeitung sind in
bieten solche Annahmen stets Anlass zu der Tabelle 2.5.1 aufgeführt. Voraussetzung
Nachträgen, die zu erheblichen Verteue- für ein qualifiziertes und im Auftragsfall
rungen des Bauvorhabens führen können. umsetzbares Angebot ist ein schlüssiges
Konzept für den Bauablauf, das Bauverfah-
ren, den Personal- und Geräteeinsatz. Im
2.5 Angebotsbearbeitung Rahmen dieser Konzeptfindung können
auch Sonderentwürfe entwickelt werden,
Im Zuge der Angebotsbearbeitung werden bei denen die speziellen Möglichkeiten und
die an einem ausgeschriebenen Brücken-
bauvorhaben interessierten Bauunterneh-
men aktiv. Unter hohem Zeitdruck erfolgt Tabelle 2.5-1 Wesentliche Bestandteile der
Angebotsbearbeitung
zunächst das Durcharbeiten der Ausschrei-
bungsunterlagen und nach deren Analyse Bauverfahren, Bautechnologie, Baustellen-
die Festlegung einer Konzeption für die Er- einrichtung, Personalkonzept, Geräteein-
stellung des Angebots. Da in der Regel hier- satz, Überprüfung der Mengenansätze,
für nur ein Zeitraum von 6 – 8 Wochen zur Kalkulation der Einzelpositionen, Einholen
Verfügung steht, muss die Entscheidung von Nachunternehmer-Angeboten, Pla-
über die Ausarbeitung von Sonderentwür- nung der Bauzeit und der Bauabläufe, Er-
stellung des Angebots – Leistungsverzeich-
fen, die Bildung von Arbeitsgemeinschaf-
nisses, Ausarbeiten von Sonderentwürfen
ten und die vertragliche Bindung von Sub- und Nebenangeboten, Finanzierung
unternehmern zu diesem frühen Zeitpunkt
182 2 Ingenieuraufgaben im Brückenbau
Grundlage für die Prüfung ist der dem Tabelle 2.10-1 Aufgaben der Baustellenlei-
Bauauftrag zugrunde liegende Bauwerks- tung
entwurf. Neben der Überwachung der Ein- Organisation von Baustelleneinrichtung und
haltung des in Vorschriften und Regelwer- Logistik, Aufstellung eines Bauablaufplanes,
ken definierten Stands der Technik ist ins- Darstellung des aktuellen Baufortschrittes
besondere das Erkennen der wesentlichen gegenüber der Sollkurve, Ordern des Mate
Beanspruchungszustände des Tragverhal- rialbedarfes, Festlegen und Einsetzen des
tens und der Wechselwirkung zwischen jeweiligen Personalbedarfes, Einplanen und
Baugrund und Bauwerk Bestandteil der Kontrollieren der Subunternehmerleistungen,
Tätigkeit des Prüfingenieurs. Veranlassung der erforderlichen Eigen- und
Fremdüberwachungen von Baustoffen, An-
ordnung von baubegleitenden Kontrollmes-
sungen einschließlich deren Protokollierung
2.10 Bauausführung, Bauüberwachung, und Auswertung, laufende Kosten- und Qua-
litätskontrolle, Einleitung von Entscheidungs
Abrechnung prozessen bei unvorhergesehenen Bauprob
lemen, Kontrolle der Einhaltung berufsge-
2.10.1 Bauausführung nossenschaftlicher Forderungen im Hinblick
auf die Baustellensicherheit, Führung der
Die Bauausführung von Brücken ist in Bauakten (Planunterlagen, Lieferscheine,
Deutschland eine Kooperation von Bauun- Protokolle, Gesprächsnotizen u.a.), Einberu-
ternehmung und öffentlichem Bauherrn, fung außergewöhnlicher Baubesprechungen,
sofern es sich um eine Brücke im Rahmen Meldung von Verzögerungen oder Verzug bei
allen zum Bau erforderlichen Lieferungen,
des öffentlichen Wege-, Straßen-, Wasser-
Festhalten von Änderungen der Bauausfüh-
straßen- oder Schienennetzes handelt.
rung gegenüber dem Planwerk
Hierbei wird die Bauunternehmung durch
ihren Bauleiter, der öffentliche Bauherr
durch die örtliche Bauüberwachung und
die Bauoberleitung vertreten. Auch der rischen Notwendigkeiten und deren Reali-
Tragwerksplaner muss fallweise in das Bau- sation angesprochen werden. Alle Ausfüh-
geschehen vor Ort eingebunden werden. rungsbelange laufen in der Person des Bau-
Dies ist unabdingbar, wenn außergewöhn- leiters zusammen, der, entsprechend der
liche Bauverfahren angewendet werden, die VOB, vom beauftragten Bauunternehmer
noch nicht zum Stand der Technik gehören, als verantwortlicher Ansprechpartner zu
oder wenn komplizierte Montagezustände benennen ist. Die wesentlichsten seiner
auszuführen sind, bei denen die aktuell ge- vielfältigen Aufgaben werden in der Tabelle
messenen Verformungen der Bauteile eine 2.10-1 zusammengefasst, während das Bild
wesentliche Rolle für das weitere Vorgehen 2.10-1 Teile des Bauablaufplans einer Ei-
bei der Montage spielen. Auch der vom senbahnbrücke im Zuge der NBS Mann-
Bauherrn bestellte Prüfingenieur muss im heim – Stuttgart zeigt.
Bedarfsfall auf der Baustelle anwesend sein, Der verantwortliche Bauleiter hat als
insbesondere, wenn ihm vom Bauherrn ge- Vertreter der die Brücke herstellenden Bau-
wisse Kontrollfunktionen, z. B. die Abnah- firma ein sehr breites Aufgabengebiet. Er
me der Bewehrung bei Stahlbeton- und muss als Ingenieur alle für die technisch
Spannbetonbauwerken übertragen worden einwandfreie und sichere Erstellung des
sind. Auf die verschiedenen Brückenbau- Bauwerks erforderlichen Maßnahmen er-
verfahren wird im Kapitel 9 eingegangen greifen bzw. veranlassen. Gleichzeitig ob-
weshalb an dieser Stelle nur die organisato- liegt ihm auch die wirtschaftliche Durch-
2.10 Bauausführung, Bauüberwachung, Abrechnung 185
Bild 2.10-1 Beispiel für einen Bauablauf: Eisenbahnbrücke im Zuge der NBS Mannheim – Stutt-
gart [Penner, 1987]
führung der Bauaufgabe. Als Repräsentant ein Fachbüro beauftragt. Mitunter wird sie
der beauftragten Baufirma oder Arbeitsge- auch vom Bauherrn selbst wahrgenommen,
meinschaft hat er die Geschäftsinteressen sofern ihm eigenes Personal zur Verfügung
sowohl gegenüber den Nachunternehmern steht. Die Aufgaben der örtlichen Bauüber-
als auch gegenüber dem Bauherrn zu ver- wachung sind in der Tabelle 2.10-2 wieder-
treten. Angesichts des hohen Anteils der gegeben. Bei größeren Brückenbauwerken
Leistungen, die heute üblicherweise von verlangt dieses Aufgabengebiet eine nahezu
Nachunternehmern erbracht werden, stel- ständige Anwesenheit der örtlichen Bau
len diese Aufgabenfelder mit ihren oft wi- überwachung auf der Baustelle.
dersprüchlichen Zielstellungen höchste
Anforderungen an die in der Bauleitung
2.10.3 Bauoberleitung
tätigen Ingenieure.
Die örtliche Bauüberwachung wird im Brü-
2.10.2 Örtliche Bauüberwachung ckenbau von der Bauoberleitung beaufsich-
tigt. Diese Bauoberleitung wird in der Regel
Für die örtliche Bauüberwachung bei Brü- von Fachkräften des Bauherrn wahrgenom-
ckenbauwerken wird vom Bauherrn häufig men, kann aber auch vom Bauherrn an ein
186 2 Ingenieuraufgaben im Brückenbau
gen gebaut worden ist. Bei der Abrechnung wurfsänderung anordnet. Solche Entwurf-
nach Ist‑Daten sind Aufmaße, Wiege‑ oder sänderungen können sich ergeben, wenn
Lieferscheine, Frachtbriefe und Stunden- während des Baugeschehens andere örtli-
lohnzettel als Belege erforderlich. Eventuell che Verhältnisse angetroffen werden, wie
vereinbarte Lohn‑ und Stoffpreisgleitklau- sie bei der Aufstellung des Entwurfs nicht
seln, wie sie bei Bauvorhaben vereinbart vorhersehbar waren, oder wenn sich her-
werden können, deren Bauzeit sich über ausstellen sollte, dass sich ein vom Entwurf
mehrere Jahre erstreckt, sind bei der Ab- vorgesehenes Bauteil mit den hierfür vorge-
rechnung zu berücksichtigen. sehenen baulichen Mitteln nicht realisieren
Für die Abrechnung mit DV-Anlagen lässt. Vor allem im Gründungsbereich kön-
enthält die bereits zitierte HVA-StB Hin- nen derartige Entwurfsänderungen auftre-
weise, wobei insbesondere auf die „Samm- ten, wenn z. B. die Gründungssohlen vor
lung der Regelungen für elektronische Bau Ort tiefer als vorausgesetzt anstehen oder
abrechnung“ (Sammlung REB) verwiesen aufgrund witterungsbedingter Umstände
wird. andere Wasserhaltungsmaßnahmen erfor-
Aufträge, die auf der Grundlage eines derlich werden. Im innerstädtischen Be-
Sonderentwurfs oder einer funktionalen reich kann es immer wieder zu Änderun-
Ausschreibung vergeben wurden, werden gen der Gründungskörper kommen, weil
nicht auf der Grundlage von Mengener- Ver- oder Entsorgungsleitungen im Baufeld
mittlungen, sondern nach Pauschalpreis- angetroffen werden, die in den Bestands-
vereinbarungen mit Zahlungsplänen abge- plänen der Versorgungsträger nicht oder in
rechnet. anderer Lage enthalten sind.
Zusätzliche Leistungen fallen an, wenn
Bauteile errichtet werden müssen, die im
2.10.6 Nachträge Entwurf nicht vorgesehen sind. So können
z. B. wegen nicht ausreichend vorhandener
So korrekt und vollständig ein Brückenbau- Geländedarstellungen zusätzliche Stütz-
werk auch immer ausgeschrieben sein mag, mauern zur Abfangung des Geländes in der
es werden sich Nachträge nie völlig vermei- Örtlichkeit erforderlich werden.
den lassen. Nachträge sind Änderungen Da Nachtragsverhandlungen in jedem
oder Ergänzungen des Bauvertrags. Sie sind Falle ein nicht unbeträchtliches Konfliktpo-
schriftlich zu vereinbaren und können fol- tenzial und ein Kostenrisiko in sich bergen,
gende Ursachen haben: sollte jeder entwurfsverfassende Ingenieur
mit Hilfe geeigneter Qualitätssicherungs-
• Überoder Unterschreitung des Ansatzes
methoden stets bestrebt sein, ein vollstän-
einer Position um mehr als 10 v. H.
diges, technisch und vertraglich einwand-
• Änderung der Leistung
freies Entwurfswerk zu erstellen.
• Zusätzliche Leistung.
Die hierfür erforderlichen Regelungen sind
in §2 der VOB aufgeführt. 2.11 Objektbetreuung
Bei Unter- oder Überschreitung des An- und Dokumentation
satzes einer Position im Leistungsverzeich-
nis kann von Seiten des Bauherrn oder der Im Regelfall wird bei Brückenbauwerken
Baufirma eine Änderung des Einheitsprei- im Bauvertrag eine Verjährungsfrist für die
ses verlangt werden. Gewährleistung vereinbart. Sie beginnt mit
Eine Änderung der Leistung kann sich der Abnahme des Bauwerks. Vor Ablauf
ergeben, wenn der Auftraggeber eine Ent- dieser Frist muss das Objekt noch einmal
2.12 Ingenieuraufgaben im Brückenbestand 189
nen. Die Forderung nach einfacher Kon- 2.12.2 Instandsetzung und Ertüchtigung
trollierbarkeit, Austauschbarkeit oder die von Brücken
Möglichkeit zur Instandsetzung schadhaf-
ter Teile wird heute auf der Grundlage lang- Erfordert der Zustand einer Brücke In-
jähriger Erfahrungen sehr hoch bewertet standsetzungs- und Ertüchtigungsmaß-
und beeinflusst stark die technische Ent- nahmen, so sind diese zumindest unter
wicklung im Brückenbau. Ein Beispiel hier- Berücksichtigung besonderer Anforderun-
für ist der Einsatz der externen Vorspan- gen, z. B. der Durchführung der Arbeiten
nung als Regelbauweise bei Beton-Kasten- unter laufendem Verkehr zu planen und
trägern. auszuführen. Ein wichtiger Aspekt ist dabei
die Sicherstellung der Eignung der verwen-
deten Baustoffe und ihre Verträglichkeit
mit dem bestehenden Bauwerk.
2.12 Ingenieuraufgaben im Brückenbestand 191
2.12.4 Austausch oder Verbreiterung Hier sind aufgrund der Vielfalt möglicher
von Tragwerksteilen oder von ganzen Randbedingungen sinnvolle Maßnahmen
Tragwerken im Einzelfall zu treffen, sie stellen in der
Regel echte Herausforderungen an den In-
In vielen Fällen können bei einer Instand- genieurgeist dar. Stets sind neben statischen
setzung oder der Verbreiterung einer Brü- und konstruktiven auch baubetriebliche
cke die Standsicherheit, Gebrauchstaug- Probleme zu lösen.
lichkeit und die Dauerhaftigkeit der Unter- Der Ausbau von Verkehrswegen und
bauten mit wirtschaftlich vertretbarem nachträgliches Anbringen von Schallschutz
Aufwand durch Sanierung wiederherge- einrichtungen erfordern eine Verbreiterung
stellt werden. Bei den Überbauten kann hin- der Fahrbahntafel. Wo dies möglich ist,
gegen oft ein Neubau technisch und wirt- wird man die baulichen Veränderungen auf
schaftlich sinnvoller sein. In der Regel ist die Verbreiterung des Überbaus beschrän-
dabei der Verkehr aufrecht zu erhalten, oder ken. Wie beim Austausch von Tragwerken
es sind nur kurze Sperrpausen möglich. ist man auch hier vielfach gezwungen, den
Besonders bei Bahnbrücken ist man oft bestehenden Verkehr möglichst wenig zu
gezwungen, die Beeinträchtigung des be- beeinträchtigen. Durch einfache Möglich-
stehenden Verkehrs möglichst gering zu keit des Autogenschneidens und Schwei-
halten. Regelausführungen sind der Aus- ßens bzw. Schraubverbindungen mit GV-
tausch des Überbaus durch Ausheben der oder Passschrauben herzustellen, durch die
alten und Einheben der neuen Tragwerke, vergleichsweise geringen Bauteilgewichte
durch beidseitige Anordnung von Gerüsten und die sofort voll vorhandene Bauteilstei-
und seitliches Verschieben der alten und figkeit sind die entsprechenden Arbeiten
neuen Tragwerke, durch den Einsatz von bei Stahlbrücken wesentlich einfacher
Hilfsbrücken oder durch Einpressen im durchzuführen als bei Betonbrücken. Bei
Schutz einer Vereisung des Baugrunds. We- letzteren ergeben sich durch die Möglich-
gen der vielfach schweren Zugänglichkeit keit einer verbundlosen Vorspannung mit
bzw. wegen gegenüber dem Zeitpunkt der externen Spanngliedern und den Einsatz
Errichtung geänderter Platzbedingungen von GFK-Bewehrung neue Lösungsan
ist die Anordnung von Gerüsten zuweilen sätze.
unmöglich und man muss vielfach die Scheidet eine Verbreiterung des Über-
Tragwerke an Ort und Stelle austauschen. baus aus statisch-konstruktiven oder geo-
Bild 2.12-3 Talbrücke Siebenlehn. Querverschub des neuen Überbaus für eine Richtungsfahr-
bahn
2.12 Ingenieuraufgaben im Brückenbestand 193
Der Entwurf ist die Grundlage des Bau für einen einwandfreien Vergleich auch
projekts. Das Ziel des Entwurfs besteht da- zwei oder mehrere Entwürfe ausgearbeitet
rin, ein technisch einwandfreies, ausführ- werden.
bares Konzept zu entwickeln, das dem
Standort, dem Umfeld, der Bedeutung und
der Größe der Brücke bezüglich Kosten 3.1 Entwurfsgrundlagen
und Ästhetik optimal entspricht. Der Ent-
wurf muss mit der Darstellung der konzep- Im konzeptionellen Entwurf werden das
tionellen Idee einen Projektierungsstand Tragsystem, die Spannweiten, die Funda
erreichen, der gewährleistet, dass das Bau- tionen, die Baustoffe, die Querschnitts
projekt ohne wesentliche Änderungen aus- gestaltung und weitgehend auch der Bau-
gearbeitet werden kann und dass eine rela- vorgang und die Bauzeit ermittelt. Die
tiv zuverlässige Schätzung der Baukosten Grundlagen der Entwurfsarbeit bestehen
bereits möglich ist. einerseits aus der bauwerkspezifischen,
Bei Ingenieurbrücken erfolgt der Ein- verkehrstechnischen Funktion und den
stieg in den Entwurf mit einem geeigneten ortspezifischen Randbedingungen und an-
Tragsystem, das dann im Blick auf Funk dererseits aus den allgemeinen, funktionel-
tionalität und Randbedingungen unter Be- len und den kulturellen Anforderungen.
rücksichtigung von konstruktiven, bautech Die bauwerkspezifische, verkehrstech
nischen, ökonomischen und gestalterischen nische Funktion und die ortspezifischen
Aspekten verfeinert wird. Die endgültige Randbedingungen bilden die Grundlage
Form der Brücke ist das Ergebnis dieser für das gesamte Spektrum prinzipiell geeig-
Entwicklungsarbeit. Die Ausdruckskraft neter Tragsysteme. Die kulturellen Anfor-
der Form kann allenfalls mit vorsichtig zu- derungen grenzen dieses Spektrum bereits
rückhaltender Ornamentik in der Detail- stark ein. In Vorstudien werden aufgrund
ausbildung noch etwas gesteigert werden. der funktionellen Anforderungen einige
Bei Architekturbrücken erfolgt der Ein- wichtige Querschnittsabmessungen be-
stieg in den Entwurf im Wesentlichen mit stimmt und die Machbarkeit und Eignung
der Form. Vor allem im Blick auf Ausführ- einer konzeptionellen Idee überprüft. Auf
barkeit und Baukosten wird dann die Form diesem Entwicklungsniveau ist es in der
so weit notwendig modifiziert, Das Ergeb- Regel möglich, das optimale Konzept zu
nis ist das der formalen Grundlage entspre- ermitteln, das dann in einem interdepen-
chende optimale Tragsystem. In der Regel denten Prozess auf ökonomisch-gestalte
weist diese Art des Entwurfsprozesses wirt- rischer Basis verfeinert wird; d. h. jede
schaftliche Nachteile auf. Formverfeinerung muss in Bezug auf die
Meistens lässt sich bereits mit generel- funktionelle Eignung und die wirtschaft
len Vorstudien das geeignetste Tragsystem lichen Auswirkungen sorgfältig überprüft
festlegen. Unter Umständen müssen aber werden.
196 3 Entwurf
ken über die Vordehnung infolge Vorspan- anlagen oder in extremen Fällen Heiz-
nung hinaus bis zur Streckgrenze gedehnt einrichtungen oder Schutznetze),
und wird deshalb im Widerstandsmodell • Physiologisch zumutbares Schwingungs
als Zugglied mit der effektiv vorhandenen verhalten des Tragwerks,
Zugkraft berücksichtigt. Bei duktilen Sys • Hoher Fahrkomfort; u.a. wirksame
temen werden im Grenzzustand der Stand Fahrbahnentwässerung und (in der
sicherheit meistens auch die Vordehnungen Regel) betriebliche Maßnahmen zur
infolge von Zwängungen überschritten. Verhinderung von Eisbildung auf der
Beim Nachweis der Tragsicherheit müssen Fahrbahn.
deshalb Zwängungen im Beanspruchungs-
bereich erster Ordnung nicht berücksich- Die Schutzvorkehrungen gegen Anprall
tigt werden. und gegen Absturz sollten dem Gefahren-
potential (Linienführung bzw. Kurven im
Brückenbereich, Vereisungsgefahr, Brücken
3.4.2 Gebrauchstauglichkeit
über Bahnanlagen) Rechnung tragen.
Bei allen Brücken und insbesondere bei
Unter Gebrauchstauglichkeit versteht man
Fußgängerbrücken sollte zumindest die
einerseits die Eignung des Bauwerks in Be-
erste Eigenschwingungsform der Vertikal-,
zug auf Nutzung und in Bezug auf Durch-
Horizontal- und Torsionsschwingung er-
führung von Kontrollen und Unterhalt und
mittelt werden, und wenn die entsprechen-
andererseits das Langzeitverhalten des Bau-
de Schwingungsfrequenz im Bereich der
werks bezüglich Aussehen und das Verhal-
Erregerfrequenz liegt, sind zusätzliche Spe-
ten des Bauwerks bei Unfällen, die bei der
zialuntersuchungen notwendig. Bei Fuß-
Nutzung eintreten. Zur Gewährleistung der
gängerbrücken werden Vertikalschwingun-
Gebrauchstauglichkeit sind vor allem kon-
gen durch eine oder wenige Personen ange-
zeptionelle und konstruktive aber auch be-
regt; bei starkem Fußgängerverkehr ist die
messungs- und materialtechnische Maß-
Schwingungsanregung nur dann erheblich,
nahmen erforderlich. Die Gebrauchstaug-
wenn die Personen im Gleichschritt gehen.
lichkeit lässt sich nur ansatzweise normie-
Bei den Horizontalschwingungen (quer
ren. Es sollten deshalb für alle Anforderun-
zur Brücke) übernehmen zahlreiche Fuß-
gen an die Gebrauchstauglichkeit die ent-
gänger im „Matrosengang“ die Brückenfre-
sprechenden Maßnahmen in einem Bericht
quenz und verursachen damit eine sehr
über Nachweise der Gebrauchstauglichkeit
starke Schwingungsanregung.
aufgeführt werden.
Brücken vereisen deutlich früher als die
Bezüglich Nutzung sind vor allem fol-
anschließenden Straßenabschnitte. Man
gende Anforderungen und Maßnahmen zu
kann, insbesondere in Nebelgebieten für
beachten:
die Differenzvereisungen (Brücke – Straße)
• Schutz von Fahrzeugen gegen Anprall an automatische Enteisungsanlagen vorsehen.
Brückenelemente, Eine zuverlässige Steuerung dieser Anlagen
• Ausreichende Sicherheit der Benützer ist jedoch schwierig und Enteisungsanlagen
gegen Absturz durch entsprechende mit Salzsprühwasser ist in Bezug auf das
Ausbildung der Geländer und Leitplan- Bauwerk problematisch; ganz abgesehen
ken, davon, dass diese Anlagen störungsanfällig
• Schutz der Benützer gegen starke Wind- sind.
böen (z.B. mit Strömungsumlenkern) Für Kontrolle und Unterhalt des Bau-
und gegen herabfallendes Eis von Trag- werks sind insbesondere folgende Einrich-
elementen über der Fahrbahn (Warn tungen erforderlich:
3.4 Funktionelle Anforderungen 199
ist meistens auch aggressiv und verursacht die Einlaufschächte und Querleitungen
Korrosion. Der Brückenentwurf sollte Luft zugeführt wird, und die Ausrüstung
durchgehend sehr sorgfältig in Bezug auf der Einlaufschächte mit Syphons ist wegen
Kontakt- und (Fahrzeug oder Wind-) Spritz der Eisbildung nur mit Heizdrähten mög-
wasser untersucht werden. Dabei ist zu be- lich. Der beste Platz für Entwässerungs-
achten, dass einerseits kleine Abflussrohre längsleitungen ist hinter dem Konsolkopf
oft verschlammen und versintern und dass oder beim Ansatz der Trägerstege.
andererseits anfänglich dichte Konstruk Empfindliche Tragelemente müssen eine
tionselemente oder Durchbrüche wasser- angemessene Redundanz aufweisen. Bei
durchlässig werden können. Bei allen Fu- Schrägkabelbrücken darf ein Fahrzeug-
genkonstruktionen, Rohrdurchbrüchen brand auf der Brücke nicht zum Einsturz
oder Öffnungen im Fahrbahndeck sollten des Bauwerks führen und das Auswechseln
deshalb Tropfnasen vorgesehen werden, und eines Kabels sollte bei geringen Verkehrs-
Röhrchen der Belagsentwässerung müssen einschränkungen möglich sein. Auch die
Überstände aufweisen und dürfen nicht in Einheiten der Spannkabel sollten so ge-
einen Kastenträger entwässern. wählt werden, dass bei einem groben Bau-
Grundsätzlich sollte jede Betonober fehler (z. B. Korrosion infolge schlechter
fläche sorgfältig überprüft werden, ob sie Injektion eines Kabelhüllrohrs) die Trag
Regen, Schnee, Spritz- oder Kontaktwasser sicherheit des Gesamtsystems höchstens
ausgesetzt ist, ob das Wasser chloridhaltig etwa um 20% abfällt.
ist und ob große Feuchtigkeitsschwankun- Im Blick auf Belagserneuerungen sollte
gen auftreten. Diese Überprüfung ist die die Brückenbreite bei nicht richtungsge-
wichtige Grundlage für die entsprechende trennten Fahrbahnen so festgelegt werden,
Maßnahmenplanung: Erhöhung der Be- dass die Arbeiten ohne große Schwierig
tonüberdeckung, ev. Hydrophobierung bei keiten und ohne Qualitätseinbuße aus
chloridfreiem Wasser; unbedingt wirk geführt werden können. Bei richtungsge-
samer Betonschutz bei chloridhaltigem trennten Fahrbahnen ermöglichen Zwil-
Wasser. lingsbrücken zwar bei einer Belagserneue-
Im Blick auf das Verhalten des Bauwerks rung ein unbehindertes Arbeiten; anderer-
bei Verkehrsunfällen sind vor allem folgen- seits weisen diese Brücken aber meistens
de Maßnahmen erforderlich: beträchtliche ästhetische Nachteile auf. Bei
modernen, im wesentlichen fachgerecht
• Angemessene, der Größe des Bauwerks
geplanten und ausgeführten Brücken
entsprechende Brandsicherheit,
kommt es nicht mehr vor, dass die Beweh-
• Angemessene Redundanz bei empfind
rung in großen Bereichen der Fahrbahn-
lichen, exponierten Tragelementen.
platte wegen schwerer Korrosionsschäden
Fahrzeugbrand und auslaufender brennen- verstärkt oder ersetzt werden muss.
der Treibstoff ist ein Gefährdungsbild, mit Der Bauherr ist grundsätzlich verpflich-
dem unbedingt gerechnet werden muss. tet qualifizierte Fachleute zu beauftragen,
Vor allem bei Brücken mit oben liegender und beim heutigen Kenntnisstand sind
Hauptbewehrung sollten in relativ kleinen qualifizierte Fachleute ohne weiteres in
Abständen Feuerlöschgeräte installiert der Lage, eine Brücke fachgerecht zu planen
werden. Entwässerungsleitungen dürfen und auszuführen.
nur dann im Trägerkasten angeordnet wer-
den, wenn sie einen hohen Feuerwider-
stand aufweisen. Ein Brand in einer Längs-
leitung lässt sich kaum ersticken, da durch
3.4 Funktionelle Anforderungen 201
man kann aber auch – etwas genauer – bei dardbrücke einen Ansatz für die Beurtei-
einer mittleren Spannweite lm für den lung der Wirtschaftlichkeit.
Überbau den Massenaufwand für Beton, Die Wirtschaftlichkeit einer als Rendite-
Betonstahl und Spannstahl ermitteln und objekt aus Zolleinnahmen finanzierten
aus den entsprechenden Kosten (ca. 45% Brücke ergibt sich dagegen aus dem Ver-
der Gesamtbaukosten) mit den oben auf gleich von Aufwand und Ertrag in einem
geführten (und den der Brückenhöhe und bestimmten Zeitraum. Der Aufwand be-
den Fundationsverhältnissen angepassten) steht in diesem Fall aus Bauzinsen, Kapital-
Prozentsätzen die Gesamtbaukosten extra- zinsen, Amortisation, Betriebs- Über
polieren. wachungs- und Unterhaltskosten und evtl.
Die mittlere Spannweite ergibt sich aus: den Abbruchkosten. Der Ertrag besteht im
wesentlichen aus den vorgesehenen Zoll
∑ l2i einnahmen im gleichen Zeitraum.
lm = 6
∑ li
und die mittlere Trägerdicke hm bzw. das 3.5.2 Ästhetik
Betonvolumen pro m2 Brückenfläche be-
trägt bei üblichen Schlankheiten von lm/h = Ästhetik wird in der Philosophie mit ver-
16 bis 22: schiedenen Qualitäten in Verbindung ge-
0,45 · lm bracht; mit nach Maß und Zahl geordne-
hm ≈ 0,35 + 03 hm und lm in [m] ten Formverhältnissen, mit interesselosem
100
Wohlgefallen, mit Zweckmäßigkeit in der
Dabei beträgt der Aufwand an Betonstahl organischen Natur, mit Steigerung, Lebens-
in kg/m3 Beton (keine Quervorspannung): qualität, Kunst etc. Das konstruktive In
genieurwesen beruht auf dem statischen
ms ≈ 90 + 0,35 · lm Gleichgewicht der einwirkenden und wider
stehenden Kräfte, einem zeitlosen, univer-
und der Aufwand an Spannstahl in kg/m3
salen Phänomen, das ausgewogene harmo-
Beton
nische Strukturen vom Aufbau der Atome
mp ≈ 0,4 · lm bis zu den Bahnen der Himmelskörper be-
stimmt. Im bildlichen Sinne, bezogen auf
Die Wirtschaftlichkeit einer Brücke wird je die menschliche Psyche, bedeutet Gleich
nachdem ob die Finanzierung als Bauwerk gewicht aber auch Ausgewogenheit des Ge-
der öffentlichen Infrastruktur mit Steuer- mütszustands, ein Gefühl des Wohlbefin-
geldern oder als Renditeobjekt mit einem dens. Eine Ästhetik, die sich auf das physi-
Brückenzoll aus dem Betrieb erfolgt unter- kalisch bestimmte, mit der Aufwandmini-
schiedlich ermittelt. mierung verknüpfte Kräftegleichgewicht
Im Normalfall, bei einer Finanzierung bezieht, reflektiert somit praktisch alle in
aus Steuergeldern sind für die Beurteilung der Philosophie beschriebenen Qualitä
der Wirtschaftlichkeit alle anfallenden Kos- ten, wie (mathematische) Formverhältnisse
ten während einer Referenz-Nutzungsdau- (Heraklit, Polyklet u. a.), Zweckmäßigkeit
er von z. B. 100 Jahren maßgebend. Diese in der organischen Natur (Kant), Lebens-
sogenannten Nutzungsdauer-Kosten er qualität (Santayana) etc. Und die kunst
geben unter Berücksichtigung der ortspezi- volle Visualisierung des optimal mit der
fischen Erschwernisse (Baugrund, Brücken Umwelt, der Ökonomie des Aufwands
höhe etc.) im Vergleich mit den ortsüb und dem Stand der Technik vernetzten
lichen Durchschnittskosten einer Stan- Kräftegleichgewichts übt deshalb immer
206 3 Entwurf
eine ganz besondere Faszination auf den Brücke vergleichbare Größenordnung auf-
Menschen aus. Sie ist eine objektivierte, de- weisen, und die Systemabstützungen soll-
terministische Grundlage der technisch- ten sich an topographisch charakteristi-
konstruktiven Baukultur und unterscheidet schen, wenn möglich gut zugänglichen
sich damit grundlegend von der subjektiv- Stellen befinden; z. B. auf Schultern von Ab-
willkürlichen, architektonisch-künstle hängen, in Flachzonen, landseits der Ufer-
rischen Baukultur. linien etc.
Die ästhetische Qualität einer Brücke Brücken sind oder werden oft zu Wahr-
ist einerseits von der Einfügung der Brücke zeichen, wobei den Baustoffen und dem
in ihr Umfeld und andererseits von der Tragsystem eine zeichenhafte Bedeutung
Gestaltung der Brücke selbst abhängig. Sie zukommt. In solchen Fällen wird meistens
kann grundsätzlich im Erscheinungsbild erwartet, dass Ersatz- aber auch Neubauten
des Tragsystems, in der Gestaltung der die lokale brückenbautechnische Geschich-
Tragwerkkomponenten und Details und in te und Tradition wieder aufnehmen. Aller-
der Ornamentik liegen. dings muss dieser Bezug in moderner Form
erfolgen, denn Brücken sollten zumindest
Brücke und Umfeld im vorhandenen technologischen Umfeld
Beim Einfügen der Brücke in ihr Umfeld den neusten Stand der Bautechnik reflek-
sind räumliche und zeitliche Komponenten tieren.
zu beachten.
Die räumlichen Komponenten betreffen Gestaltung der Brücke selbst
• die Maßstäblichkeit der Brücke in Be Brücken sind technische Bauwerke. Ihre
zug auf Landschaft und Topographie Funktionalität erfordert Systemformen, die
sowie auf klaren naturwissenschaftlichen Grund-
• die Maßstäblichkeit und den Charakter lagen beruhen. Die architektonisch-künst-
der Brücke in Bezug auf das gebaute lerische Gestaltungsfreiheit ist deshalb stark
Umfeld. begrenzt und den eindeutigen naturwis-
senschaftlich-technischen Grundlagen ent-
Die zeitlichen Komponenten beziehen sich sprechend lassen sich einige wichtige Ge-
auf staltungskriterien definieren, die im Blick
• die Geschichte und Tradition der loka- auf die ästhetische Qualität der Brücken
len Brückenbautechnik sowie beachtet werden müssen.
• die aktuelle Baukultur und den Stand
• Visualisierung technischer Effizienz
der (lokalen) Bautechnologie.
durch
Bei den räumlichen Komponenten spielen – Transparenz und Schlankheit.
das Tragsystem und seine Spannweiten eine • Visualisierung von Einheitlichkeit und
wichtige Rolle. Sie müssen durch die Visu- Ordnung im Tragwerk durch
alisierung ökonomischer, bautechnischer – Ganzheitliches Erscheinungsbild des
und umweltrelevanter Vorteile eine logi- Tragsystems,
sche Antwort auf das landschaftliche und – Klare Gliederung des Systems,
gebaute Umfeld geben; d. h. das Tragsystem – Kohärente, einheitliche Typologie der
sollte der Topographie und der geotech Systemelemente.
nischen Struktur des Baugrunds entspre- • Künstlerische Gestaltung: Verfeinerung
chen, die Spannweiten sollten eine mit dem der rohen statischen Form durch
Landschaftsraum unter der Brückenfahr- – Visualisierung des Kraftflusses,
bahn und mit dem gebauten Umfeld der – Saubere Detailausbildung,
3.5 Kulturelle Anforderungen 207
– Licht- und Schatteneffekte mittels Vergleich zum analogen System mit opti-
Querschnittsprofilierung, mierter Systemhöhe sollten deshalb immer
– Strukturelle Ornamentik und in Betracht gezogen werden.
– Architektonische Ornamentik. Für die Transparenz einer Brücke sind
im Wesentlichen die Spannweiten und die
Visualisierung der technischen Effizienz: Gestaltung des Unterbaus, insbesondere
Die technische Trägerschlankheit wird als der Pfeiler maßgebend. Auch mit zuneh-
Verhältnis von Trägerspannweite zu Träger- mender Größe der Spannweiten steigen die
höhe definiert. Im architektonischen Sinn Baukosten in der Regel progressiv an. Vor
spielt jedoch das Verhältnis der sichtbaren allem bei breiten Brücken hat die Ausbil-
Trägerlänge zur sichtbaren Trägerhöhe eine dung der Pfeiler erhebliche Auswirkungen
wesentlich wichtigere Rolle. Die sichtbare auf die Transparenz. In der Regel sind bei
Trägerlänge ist natürlich von Betrachter- breiten Brücken Träger mit einem Einheits-
standort zu Betrachterstandort unterschied- querschnitt für die gesamte Breite und
lich. Es ist deshalb wichtig, dass besonders dementsprechend einem einzigen Zentral-
stark frequentierte Betrachterstandorte in pfeiler architektonisch wesentlich vorteil-
die Beurteilung der Schlankheit einbezogen hafter als Zwillingsbrücken mit Doppel-
werden. Auch bezüglich Trägerhöhe ist die pfeilern. Zwillingsbrücken weisen zwar bei
visuelle Trägerhöhe wesentlich wichtiger umfangreichen Instandsetzungsarbeiten an
als die effektive, statische Trägerhöhe. Für der Fahrbahnplatte arbeitstechnische Vor-
die visuelle Trägerhöhe ist die Gestaltung teile auf. Bei neuen, nach dem heutigen
des Trägerquerschnitts maßgebend. Mit Stand der Brückenbautechnik konstruier-
einem kräftigen, sichtbaren Brückenrand ten, erstellten und unterhaltenen Brücken
und einem stark zurücktretenden, im Schat- muss aber nicht mehr mit umfangreichen
ten liegenden Träger kann die visuelle Trä- Schäden an der Fahrbahnplatte gerechnet
gerhöhe wesentlich reduziert werden. Wenn werden. Die marginalen bautechnischen
stark frequentierte Betrachterstandorte Vorteile bei Instandsetzungsarbeiten, wie-
tiefer als die Fahrbahn liegen, muss auch gen deshalb die beachtlichen architektoni-
der unteren Trägerbreite (z. B. untere Kas- schen Nachteile geringerer Transparenz bei
tenbreite) Beachtung geschenkt werden. Sie Zwillingsbrücken normalerweise nicht
kann unter Umständen als Teil der Träger- auf.
höhe in Erscheinung treten.
Vor allem bei Bogen- aber auch bei Ka- Visualisierung von Einheitlichkeit
belbrücken visualisiert die Systemhöhe ne- und Ordnung
ben der Querschnittshöhe des Trägers und Einheitlichkeit im Erscheinungsbild des
des Bogens ebenfalls einen architektoni- Tragsystems visualisiert vor allem eine
schen Schlankheitseffekt. Das Erscheinungs ganzheitliche, effiziente Systemtragwir-
bild flacher Bogenbrücken mit einem kung, und umgekehrt vermittelt eine ganz-
großen Verhältnis von Bogenspannweite heitliche Tragwirkung bereits eine wichtige
zu Bogenpfeilhöhe ist zum Beispiel bedeu- Grundlage für ein einheitliches Erschei-
tend spannungsvoller als dasjenige steiler nungsbild. Systeme mit ganzheitlicher
Bogen. Die Baukosten wachsen aber meis- Tragwirkung sind tatsächlich meistens
tens mit zunehmendem Schlankheitsgrad wesentlich ökonomischer als Tragsysteme,
bei flachen Bogen- und insbesondere bei die aus einzelnen, unabhängigen Teilen be-
flachen Kabelbrücken genau gleich wie bei stehen. So sind z. B. Ketten aus einfachen
schlanken Trägern rasch an. Die schlank- Balken bezüglich Montage zwar etwas ein-
heitsbedingten, zusätzlichen Kosten im facher als Durchlaufträger; sie sind aber bei
208 3 Entwurf
Ein außerordentlich wichtiger Teil der tik an den Widerlagern oder außerhalb der
Gestaltung besteht in der sorgfältigen De- Brücke und Einrichtungen zur Beleuchtung
tailausbildung, die von der Einpassung der der Brücke selbst liegen klar außerhalb des
Endwiderlager bis zur Durchbildung des technischen im künstlerischen Bereich und
Brückenrandes und zur Formgebung der lassen sich deshalb nicht mit rationalen Ge-
Beleuchtungskörper reicht. Im Prinzip staltungskriterien qualifizieren. Diese Art
sollte die Detailgestaltung einfach, klar und der Ornamentik ist bei modernen Brücken
funktionell sein; auf die Ausschmückung sehr heikel; sie sollte zurückhaltend und
des Tragwerks mit unnötigen Details wie nur in Zusammenarbeit mit einem Archi-
z. B. barocke Pfeilerkapitelle sollte besser tekten oder Künstler angewendet werden.
verzichtet werden. Messbare Gestaltungskriterien sind bei
Mit Licht- und Schatteneffekten lassen der Entwurfsarbeit außerordentlich nütz-
sich durch Profilierung relativ große, lich, und es lohnt sich, einen Entwurf in
dominierende Betonflächen unterbrechen Bezug auf diese Gestaltungskriterien sorg-
oder strukturieren. Die Profilierung kann fältig zu überprüfen. Abschließend sollte
aus einer oder wenigen starken Kerben oder der Entwurf einer anspruchsvollen Brücke
aus einer schwachen flächendeckenden aber immer auch noch gesamthaft über-
Profilierung bestehen. Bei konzentrierten prüft werden; und zwar in Bezug auf das
Kerben muss die Kerbentiefe in einem ange- Einfügen der Brücke in das Landschaftsbild
messenen Verhältnis zu den Abmessungen mit einigen computergenerierten Foto-
des profilierten Bauteils stehen, damit die montagen aus den am stärksten frequen-
Schattenfläche auch bei diffusem Licht er- tierten Blickpunkten und aus der Sicht des
kennbar ist und die Maßstäblichkeit von Brückenbenützers und in Bezug auf die
Schattenbreite zu Gesamtbreite gewahrt Gestaltung der Brücke selbst mit einem re-
wird. Flächendeckende relativ schwache lativ großen physischen Modell, das immer
Profilierungen sind mit einer Verstärkung bedeutend aussagekräftiger ist als zwei-
des Schalungsbilds vergleichbar; sie können dimensionale Bilder.
die Tragrichtung eines Tragelements be
tonen oder auf großen Betonflächen Hel
ligkeitsunterschiede vermitteln. 3.6 Ziel der Entwurfsarbeit
Unter struktureller Ornamentik versteht
man Tragsysteme mit unnötig extensiver Die weitgehend normierten, funktionellen
räumlicher Ausgestaltung oder mit einem Anforderungen bezüglich Tragsicherheit,
gewollt verkomplizierten Kraftfluss; Sys- Gebrauchstauglichkeit und Dauerhaftigkeit
temteile, die einen fiktiven Beanspru- müssen nach den anerkannten Regeln der
chungszustand visualisieren oder Tragele- Baukunde grundsätzlich immer erfüllt wer-
mente mit einem beanspruchungsfremden den. Das ist mit beliebig vielen Lösungen
Querschnittsverlauf. Alle diese Systeme, möglich und erfordert fast nur „handwerk-
Systemteile und Tragelemente können archi liche“ Arbeit. Die eigentliche Baukunst be-
tektonisch durchaus gefällig und belebend steht darin, Lösungen zu erarbeiten, die ein
sein; sie weisen aber immer einen Mangel Höchstmaß an nicht normierbarer wirt-
an statischer Effizienz auf und sind deshalb schaftlicher und ästhetischer Qualität auf-
oft wesentlich teurer als statisch optimierte weisen. Dazu braucht es neben unterneh-
und formal reduzierte Systeme und Trag merischer Erfahrung in Bautechnik und
elemente. Kostenermittlung einerseits und architek-
Architektonische Ornamentik an oder tonischem Formgefühl andererseits vor al-
mit nicht tragenden Elementen, Ornamen- lem innovative Phantasie und Kreativität.
210 3 Entwurf
Weg
Entwurfsziel handwerklich kreativ
gemäss Norm künstlerisch
Tragsicherheit
Gebrauchstauglichkeit
Dauerhaftigkeit
Kosten
Ästhetik
Bild 3-1 Entwurfsziele
1) 10) 19)
2) 11) 20)
6) 15)
16)
3.7 Überlegungen beim konzeptionellen Entwurf
9) 18)
10)
Bild 3-4 Systemmutationen
213
214 3 Entwurf
ten steigen mit zunehmender Spannweite Eleganz wesentlich höhere Kosten durch-
rascher an als bei anderen Tragsystemen. aus rechtfertigen, zumal Seilwerk, gut ge-
Bogenbrücken mit oben liegender Fahr- staltete Pylone und eine sorgfältig dosierte
bahn sind vor allem dann zweckmäßig, Tragwerksdynamik dem Fußgänger ein
wenn nur eine einzige Spannweite für die ganz besonderes Brückenerlebnis vermit-
Überbrückung eines tiefen Einschnittes teln können. Krümmungen in der Linien-
oder einer Schiffahrtsöffnung erforderlich führung wirken sich bei Kabelbrücken wie
ist, währenddem für die Zufahrtsviadukte bei Bogenbrücken erschwerend aus. Topo-
zum Bogenbereich kleine Spannweiten ge- graphie und Geologie haben dagegen kaum
nügen. Bei entsprechender Höhenlage der einen Einfluss auf die Eignung dieser Trag-
Fahrbahn eignen sich Bogenreihen gut zur werke.
Überquerung breiter Wasserwege. Bei Zwischen den Standardsystemen für
Bogen mit oben liegender Fahrbahn ist von Balken-, Bogen- und Kabelbrücken gibt es
Anfang an sorgfältig abzuklären wie der unzählige Übergangsformen. Bild 3-4 zeigt
Horizontalschub des Bogens aufgenommen einige, aus einem Dreifeldträger abgeleitete
werden kann, ob sich der Bogenscheitel in Mutationen. Bei allen Systemen lassen sich
horizontaler Richtung teilweise oder ganz natürlich die Spannweitenverhältnisse, die
blockieren lässt und wie der Bogen am Tragwerkschlankheit und die Querschnitts-
wirtschaftlichsten hergestellt werden kann. form variieren.
Bogen mit unten liegender Fahrbahn Abgesehen von Serienbrücken wie Über
eignen sich gut, wenn die Bauhöhe unter führungen und Unterführungen sind so-
der Fahrbahn beschränkt ist. Sie lassen sich, wohl die technischen Randbedingungen wie
da der Horizontalschub des Bogens mit der auch die Standortexposition bei allen Brü-
Fahrbahn aufgenommen werden kann, als cken verschieden. Dieser Differenziertheit
„geschlossene“ Systeme oft durch Verschie- der ortspezifischen Entwurfsgrundlagen
bemanöver kostengünstig einbauen. kann im konzeptionellen Entwurf genau so
Bogenbrücken können Dank geschick- differenziert Rechnung getragen werden.
ter Bautechnik auch in Spannweitenbe Neben der Systemdifferenzierung spie-
reichen von 300 bis 400 m noch durchaus len auch die mit der Ausgestaltung des Sys-
wirtschaftlich sein. tems eng verbundene Baustoffwahl und
Bogentragwerke eignen sich jedoch mit die Art der Vorspanntechnik eine wichtige
zunehmendem Verhältnis von Bogen- Rolle bei der Tragwerksoptimierung.
spannweite zu Kurvenradius der Fahrbahn Im Prinzip kann für jeden Bauteil der
immer weniger oder überhaupt nicht mehr. geeignetste Baustoff verwendet werden;
Es hat keinen Sinn, Bogenbrücken mit aber entsprechende Kosteneinsparungen
großem Aufwand in enge Kurven ein und allfällige architektonische Nachteile in
zuzwängen; als Rahmen durchgebildete Bezug auf die visuelle Einheitlichkeit müs-
Voutenträger sind hierfür konstruktiv und sen gegeneinander abgewogen werden.
gestalterisch viel besser geeignet. Auch die Vorspanntechnik sollte nicht
Kabelbrücken erschließen Spannweiten nur in Standardformen sondern in der gan-
bereiche, die mit Balken- und Bogentrag- zen Bandbreite verwendet werden; d. h. von
werken nicht mehr erreichbar sind. Bei der Ergänzung der schlaffen Bewehrung
mittleren und kleinen Spannweiten sind z. B. bei Platzproblemen bis zur vollen Vor-
Kabelbrücken in der Regel teurer als Bal- spannung, beliebiger Mischung von inter-
ken- und Bogenbrücken. Oft sind sie aber ner und externer Vorspannung, beliebiger
ausdrucksvoller und vor allem bei Fuß Mischung von Vorspannung mit oder ohne
gängerbrücken kann ihre Leichtigkeit und Verbund und beliebiger Mischung von
3.7 Überlegungen beim konzeptionellen Entwurf 215
Christian Menn
Bauherr:
Kantonales Tiefbauamt, Graubünden mit
architektonischer Beratung durch A. Deplazes,
Dipl.Arch.ETH, Chur
Konzept, Entwurf:
C. Menn, Prof.em. ETH, Chur
Projekt:
Bänziger + Köppel + Brändli +Partner, Chur
Ausführung:
Vetsch, Klosters, Preiswerk +Cie AG,
Brückenbau, Siebnen
Bauzeit:
1996–1998
Die Sunnibergbrücke befindet sich an einem graphisch und bautechnisch günstige Pfei-
exponierten Standort. Etwa 1 km unterhalb lerstandorte und erfordert auch nicht außer-
des weltbekannten Ferienortes Klosters gewöhnliche Maßnahmen zur Bewältigung
überquert die 525 m lange, im Grundriss ge- der Brückenkrümmung von 500 m Radius.
krümmte Brücke in einer Höhe von 60 m Im Blick auf einen möglichst schlanken
das an dieser Stelle weitgehend unberührte Träger mussten die Biegemomente aus Ver-
Tal. Erwünscht war deshalb ein zeichenhaf- kehrslast direkt in die Pfeiler hinuntergelei-
tes, modernes Bauwerk, das nicht als Talrie- tet werden; sie waren maßgebend für die
gel in Erscheinung treten durfte und deshalb Querschnittsabmessungen am Pfeilerkopf.
mit einem möglichst schlanken Träger eine Aus architektonischen Gründen sollten
hohe Transparenz aufweisen sollte. Eine Pylone auf hohen Pfeilern möglichst niedrig
konventionelle Freivorbaubrücke, die hier sein; der entsprechende Mehraufwand für
am wirtschaftlichsten gewesen wäre, konnte die Schrägkabel wird aber im vorliegenden
diese formalen Anforderungen nicht erfül- Tragsystem wegen der starken Pylonbiegung
len. Es wurde deshalb ein Konzept für eine in Längs- und Querrichtung mit kurzen Py-
gekrümmte Schrägkabelbrücke ausgearbei- lonen zu einem großen Teil kompensiert.
tet, das zwar Mehrkosten von ca. 15 % auf- Die minimale Pylonhöhe ergibt sich aus den
wies, die sich aber im Blick auf den besonde- zulässigen Trägerdurchbiegungen, die sich
ren Brückenstandort rechtfertigen ließen. durch Längsfixierung der gekrümmten Brü-
Das fünffeldrige Tragsystem mit vier cke mit der Elimination der Dilatations
Pylonen weist drei Hauptspannweiten von fugen bei den Widerlagern wesentlich ver-
128 bis 140 m auf. Die Größe der Spann mindern lassen. Die nach unten verjüngte
weiten entspricht der Brückenhöhe und der Pfeilerform visualisiert einerseits die Biege
Maßtäblichkeit der Landschaft, ergibt topo- beanspruchung und vermittelt andererseits
3.8 Ausgewählte Brücken 217
den Eindruck, dass die Pfeiler natürlich aus auch bei der Größtspannweite zur Aufnah-
dem Wald herauswachsen. Mit der Quer- me der hohen Längsdruckkräfte. Pfeiler, Py-
spreizung der Pylone wird vermieden, dass lone und Träger weisen mit einem flachen
die Kabel das Lichtraumprofil der Straße be- Plattenbalkenquerschnitt die gleiche Quer-
einträchtigen. Die Plattendicke des Trägers schnittstypologie auf und betonen damit die
ist auf die Quertragrichtung ausgelegt, ge- Einheitlichkeit und Ganzheitlichkeit des
nügt aber mit einer kleinen Verstärkung monolithischen Tragsystems.
218 3 Entwurf
Jörg Schlaich
Für diesen Entwurf waren zwei Überle- gespannte Stahlrohrmaste (d = 660 mm)
gungen entscheidend: umgelenkt und in den Widerlagern veran-
kert. Diese spezielle Aufhängung in Verbin-
– auf die technikorientierte Schifffahrts-
dung mit den geometrischen und statischen
straße des Main-Donau-Kanals mit ei-
Festlegungen für Rampen und Bogen (Län-
ner technisch sauberen und möglichst
ge, Querschnitt, Lagerungsbedingungen,
leichten Lösung zu reagieren
Wahl der inneren und äußeren Vorspan-
– Rampen geradlinig und platzsparend
nung) bewirken eine nahezu torsions
entlang der Kanalufer anzuordnen.
momentenfreie Lastabtragung der ständi-
Eine aufgehängte Gehwegplatte bot sich an, gen Lasten, so wie dies vom vertikal belas-
weil sie mit einer minimalen Konstruk teten und am Innenrand kontinuierlich
tionshöhe auskommt und so die Rampen gelagerten Kreisringträger bekannt ist. Ne-
nicht unnötig verlängert. Eine Hängebrücke ben den statischen Lastfällen sind bei leich-
sollte es werden, weil sie natürlich schöner ten, weitgespannten Fußgängerbrücken
als eine Schrägseilbrücke ist. auch umfangreiche dynamische Untersu-
Die Realisierung eines harmonischen chungen erforderlich. Es zeigte sich, dass
Fußgänger- und Kraftflusses zusammen bei der Fußgängerbrücke Kelheim keine
mit dem freizuhaltenden Schifffahrtsprofil durch Fußgänger oder Wind angeregten
führten zu dem im Grund- und Aufriss Schwingungen zu erwarten sind.
kontinuierlich gekrümmten Überbauträger, Funktion, Form, Lastabtragungsverhal-
der einseitig an einem Seiltragwerk hängt. ten und Auswahl der Werkstoffe bilden bei
Die an der Innenseite des Bogens befestig- dieser Brücke eine Einheit.
ten Hänger (ds = 30 mm) sind an ein voll-
verschlossenes Tragseil (ds = 90 mm) ge-
klemmt. Dieses ist über zwei geneigte, ab-
3.8 Ausgewählte Brücken 219
220 3 Entwurf
Property:
GISA. Gestió d’Infraestructures, S.A.
Empresa Pública de la Generalitat de
Catalunya
Jordi-Joan Rosell i Silvas
Design:
CARLOS FERNÁNDEZ CASADO, S.L.
Javier Manterola Armisén, Leonardo Fernández
Troyano, Amando López Padilla, Antonio
Martínez Cutillas
Construction:
AGROMAN – Modesto Fraile
Construction period:
1994
The Osormort viaduct lies on the Sant Juliá situation between an exterior prestressing
– Osormort stretch of the Eix Transversal in and a cable-stayed system gives this deck
Barcelona. It is 504 m long, has the plan type great advantages and possibilities for a
radius of 1550 m and its maximum height wide range of medium-length spans due to
over the ground amounts to 30 m. The following reasons:
carriageway has the total width of 12 m • Unlike in the cable-stayed bridge, the
between the railings’ inside edges. upper carriageway is not used to arrange
After having studied various solutions the towers in which cables are lodged.
we chose a continuous viaduct 504 m long The fact that the bridge hangs in its lower
made of eleven, 40 m long spans and two part eliminates the need to widen the
end spans of a 32 m length. There are differ- deck. The support is self-balanced and
ent types of concrete decks built in situ that compresses the deck at the same time.
fit this range of spans and construction sys- • As compared with the technique of exte-
tem. After a series of considerations the de- rior prestressing, this system is much
cision was made to use a continuous deck, more effective due to a greater stay cable
cable-stayed in the lower part, given its ad- inclination.
equacy considering the strength and eco- • Although it takes advantage of the mor-
nomic reasons as well as for its visual effect. phology of the stay cable in a cable-
This type of lower cable-staying is new in stayed bridge, it does not have its incon-
continuous decks made of prestressed con- veniences since oscillation amplitudes of
crete. The lower cable-staying creates an their stresses are much smaller and there-
intermediate support in the deck by means fore their dimensions are not conditioned
of a triangular metallic cell. This support is by fatigue criteria.
elastic and its flexibility depends on the • Due to the fact of the bending moments
relative stiffnesses between the deck and the in the deck can be greatly reduced, the
stay system. The more flexible the deck, the slenderness values that can be achieved
more efficient the system. This intermediate are important. This makes possible the
3.8 Ausgewählte Brücken 221
504
32 40 40 40 40 40 40 40 40 40 40 40 32
240
32
110 44 110
264
240
30
123
Jiri Strasky
Owner:
City of Redding, CaliforniaFred Mathis, Project
Engineer
Concept, Design:
Charles Redfield, Consulting Engineer Mill
Valley, California
Dr. Jiri Strasky, Design Consultant Brno, The
Czech Republic/Mill Valley, California
Contractor:
Shasta Constructors Inc., Redding, California
Construction period:
1990
The Sacramento river trail and connecting tance of 4.20 m at each end abutment,
bridge form part of the City of Redding’s where the deck is haunched to 91 cm, the
park system. This area of the park lies to the deck has a constant depth of only 38 cm.
northwest of the city on both sides of the This arrangement corresponds to the static
river extending 4 km upstream to Keswick behavior of the prestressed concrete band.
Dam. The new bridge located at this junc- By keeping the abutments at the same ele-
ture provides a link between the previously vation and a minimal drape in the center,
separated trails lying just above the rocky the slope at the ends is held to an acceptable
areas on each side of the river. Because of 9 %. Considerable prestressing material in
the dam’s presence, the riverbanks directly the superstructure (236 strands of 13 mm
downstream have extensive rock outcrop- dia.), and large rock anchors composed
ping which dramatically add to the beauty of 16 × 27 dia. 13 mm strands embedded
of the basin. To preserve this natural terrain deeply into the hillside at both ends, are
and to mitigate adverse hydraulic condi- required to form this shallow drape.
tions, it was important to avoid founding Bridge vibration studies were carefully
any piers in the river basin. considered in the design for a wide range of
The bridge is formed by a stressed-rib- pace frequencies, including jogging and
bon of prestressed concrete over a span of the remote possibility of vandals attempt-
127.41 m and fixed at both end abutments. ing to physically excite the bridge. Because
The deck width between railings is 3.04 m the bridge is an extremely shallow band
while the total width of the structure is with a long span over a channelized valley,
3.96 m. During the service of the bridge the an aeroelastic study was deemed necessary
sag at mid span varies from 3.35 m (time to check the stability under dynamic wind
0 with maximum temperature and full live loads.
load) to 2.71 m (time infinity with mini- Construction of the superstructure con-
mum temperature). Since the bridge is sisted of lifting the previously cast segments
used by bicyclists the height of the railing onto the bearing cables and sliding them
is set by code at 1.37 m. Apart from a dis- into their final position. This was accom-
3.8 Ausgewählte Brücken 223
plished in two working days. Placement of A successful test was conducted on the
additional cables directly over the bearing completed bridge with 24 vehicles spaced
cables within two troughs, casting them in over the whole length of the structure. In
place and further stressing provided the re- conclusion, a light bridge of a stressed-rib-
quired stiffness for the bridge. Due to the bon design with a single span and no joints
unusual type of structure and its first use in presented an elegant solution, with a simple
the United States, it was considered prudent erection and no necessary construction
to load test the bridge and verify the struc- within the river basin.
tural behavior with the design assumptions.
224 3 Entwurf
Bauherr:
Sociedad Estatal para la Exposición Universal
de Sevilla
Sevilla, Spanien
Konzept, Entwurf und Projekt:
Prof. Dr. Ing. Juan J. Arenas de Pablo
Prof. Dr. Ing. Marcos J. Pantaleón
Santander, Spanien
Ausführung:
AUXINI, S.A. und ENSIDESA, S.A.
Spanien
Bauzeit:
1988–1989
Die Barqueta-Brücke wurde als Zugang des Bogens praktisch die gesamten nicht-
zum Ausstellungsgelände der Weltausstel- symmetrischen Nutzlasten. Die Spannweite
lung Expo ’92 in Sevilla erbaut und entwi- über den Guadalquivir beträgt 168 m,
ckelte sich zum eigentlichen Symbol dieser wobei der Bogenscheitel 27.75 m über der
Ausstellung sowie zu einem Wahrzeichen Fahrbahn liegt. Die gesamte Brücke steht
Sevillas. In den Bedingungen des Wettbe- auf vier Vertikallagern, welche in Querrich-
werbs, aus welchem das ausgeführte Projekt tung 30 m voneinander entfernt sind.
hervorging, wurde eine maximale Träger- Durch die Anordnung der Portalrahmen
höhe in Feldmitte von 3 m und eine Min wird vermieden, dass die Fahrbahn an den
destspannweite von 165 m vorgegeben Brückenenden durch die Bogenkämpfer
(keine Flusspfeiler). Außerdem war eine gelegt wird; andererseits entstehen dadurch
kurze Bauzeit anzustreben, und der schlech- regelrechte Eingangstore zur Ausstellung.
te Baugrund ließ keine horizontalen Auf Zudem wird die Knickstabilität des Bogens
lagerreaktionen zu. Die ausgeführte Stahl- in Querrichtung wesentlich erhöht. Bogen
brücke ist das Resultat der Bemühungen, und Portalrahmen weisen in allen vier Sei-
diese Auflagen mit einem seiner Funktion tenflächen 300 mm tiefe Längskerben auf,
entsprechend eleganten und sorgfältig welche die Mittelachse dieser Elemente be-
durchgestalteten Tragwerk zu erfüllen. tonen und die optische Schlankheit erhö-
Das Tragsystem der Brücke besteht im hen, gleichzeitig aber auch zur Aussteifung
wesentlichen aus einem oberhalb der Fahr- der Profilbleche dienen. Der Fahrbahn
bahn in der Brückenmittelebene liegenden träger weist eine Höhe von 2.40 m und eine
Bogen, welcher in einer Distanz von 30 m Breite von 16 m auf, wobei die Möglichkeit
zur Auflagerachse durch zwei dreiecksför- einer zukünftigen Verbreiterung auf 21 m
mige, die Bogenneigung übernehmende vorgesehen wurde. Sein Querschnitt be-
Portalrahmen gestützt wird. Der Fahrbahn- steht aus einem trapezförmigen Stahlkasten
träger dient als Zugband des Bogens und mit orthotroper Fahrbahn, im Abstand von
übernimmt infolge der großen Schlankheit 4.25 m angeordneten Querrahmen und
3.8 Ausgewählte Brücken 225
3.8.6 Falkensteinbrücke, Österreich
Franz Aigner
Bauherr:
Österreichische Bundesbahnen (ÖBB), Gene-
raldirektion Wien
Planung und Projekt:
Dipl.-Ing. Franz Aigner, Graz
Ausführung:
Beyer & Co., Graz
Bauzeit:
1971–1974
Um das Jahr 1965 wurde begonnen, die gestalterisches Problem stellte dabei die
1901–1909 erbaute eingleisige Tauernbahn geometrische Abstimmung der beiden
(Salzburg-Villach) in eine moderne Hoch- Bögen zueinander dar. Das Fahrbahntrag-
leistungsbahn für zweigleisigen Betrieb und werk weist eine konstante Längsneigung
höhere Fahrgeschwindigkeiten umzubauen. von 27,619‰ auf. Das Pfeilverhältnis f/L
Durch die angestrebte gestreckte Linienfüh- beträgt für beide Bögen 1/3,26. Die Ver
rung ergab sich aufgrund der Topographie bindungslinie der vier Bogenkämpfer ist
(breites Tal mit zahlreichen Quertälern) die gerade, verläuft jedoch nicht parallel zum
Notwendigkeit, weitgespannte Talübergänge Fahrbahntragwerk. Die beiden Verhält
zu schaffen. Anstatt der ursprünglich beab- nisse hScheitel /L bzw. hScheitel /hKämpfer sind
sichtigten Stahlbrücken wurden schließlich, für beide Bögen gleich, ebenso die Hö
nicht zuletzt aus wirtschaftlichen Erwägun- henverläufe der beiden Bögen sowie die
gen, Beton-Bogenbrücken ausgeführt. Die Stützenabstände über den Bögen. Durch
hier beschriebene Falkensteinbrücke, eine diese einfachen geometrischen Analogien
Brücke mit zwei Bögen (Spannweiten: 150 werden die beiden Bögen als eine un
und 120 m), ist eines der Bauwerke aus einer trennbare Einheit empfunden, diese wird
aus sechs Bogenbrücken bestehenden „Brü- durch die alte Burg Falkenstein noch ver-
ckenfamilie“. Bei all diesen Brücken wurde stärkt.
darauf Wert gelegt, Bauwerke zu schaffen, Soweit wie möglich wurden alle Kon-
die bestmöglich mit der Landschaft harmo- struktionsteile monolithisch verbunden.
nieren und sich dem Betrachter nicht auf- Die Bogenscheitel wirken als Fixpunkte des
drängen. Dies war eine Vorgabe, die durch Gesamtsystems, Fahrbahnübergänge sind
den Bogen bestens erfüllt werden konnte. an den Brückenenden und über dem Trenn-
Beton-Bogenbrücken dieser Bauart sind pfeiler angeordnet. Die Bögen weisen zwei-
derart robuste Systeme, dass sie den heuti- zellige Kastenquerschnitte auf. Sie sind an
gen Anforderungen an die Gebrauchstaug- den Kämpfern eingespannt. Diese sind
lichkeit voll gewachsen sind. flach gegründet. Das Fahrbahntragwerk
Aufgrund seiner besonderen Form läuft zwischen den Fahrbahnübergängen
konnte der Doppelgraben nur durch zwei fugenlos durch. In den Bogenbereichen
Bögen überbrückt werden. Ein besonderes wurde ein vierstegiger Plattenbalkenquer-
3.8 Ausgewählte Brücken 227
Jacques Mathivat
Maître d’Ouvrage:
Direction Départementale de l’Equipement de
Seine Maritime
Conception et Exécution:
Entreprise Campenon Bernard
Achevé en:
1977
Le Pont de Brotonne est situé sur la Seine, La suspension axiale de l’ouvrage est réa-
à 35 Km en aval de Rouen, à Caudebec en lisée au moyen de 21 haubans, disposés en
Caux. Achevé en 1977, il fut le premier pont semi-éventail, ancrés aux deux extrémités
en béton à haubans multiples répartis et dans le tablier au point de concours de la
constitua pendant plusieurs années le re- triangulation intérieure et déviés en tête des
cord mondial de ce type d’ouvrage avec une deux pylônes par des selles d’appui formant
portée centrale de 320 m. Il ne comporte point fixe. A la traversée des pylônes un
pas de piles en rivière et dégage un gabarit double gainage est prévu afin de permettre
sous tablier de 50 m de hauteur afin de per- le remplacement des haubans en cas de
mettre la navigation de navires de fort ton- nécessité. Les ancrages des haubans dans le
nage entre Le Havre et Rouen. tablier sont écartés de 6 m.
L’ouvrage est continu sur toute sa lon- Les haubans sont constitués des câbles
gueur à l’exception d’un joint de dilatation de précontrainte comportant 39 à 60 torons
disposé en cantilever entre l’ouvrage princi- protégés à l’intérieur de tubes métalliques
pal et le viaduc d’accès rive gauche. Les por- injectés au coulis de ciment. Des amortis-
tées de l’ouvrage principal sont respective- seurs hydrauliques sont installés au voisi-
ment 143,5 m – 320 m – 143,5 m et les por- nage de l’attache des haubans sur le tablier
tées courantes des viaducs d’accès sont de manière a éviter leur vibration.
égales à 58,5 m. Les pylônes verticaux, en béton armé,
Le tablier, de hauteur constante égale à sont encastrés dans le tablier qu’ils sur-
3,8 m, est constitué d’une poutre tubulaire plombent de 70 m.
monocellulaire en béton précontraint, à Les piles principales, également en béton
deux âmes inclinées, raidie par une triangu- armé, sont fondées sur des colonnes cylin-
lation intérieure permettant de reprendre driques de 12,5 m de diamètre ancrées à
les efforts concentrés dus au haubanage. Sa 35 m de profondeur dans le calcaire.
largeur est égale à 19,2 m. Il est encastré Le tablier a été construit par encorbelle-
élastiquement sur les piles principales par ments successifs au moyen de voussoirs de
l’intermédiaire d’une couronne d’appareils 3 m de longueur bétonnés en place à l’inté-
d’appui en néoprène et repose simplement rieur d’équipages mobiles, les âmes incli-
sur les autres piles et culées. nées étant préfabriquées.
3.8 Ausgewählte Brücken 229
230 3 Entwurf
Alfred Pauser
Bauherr:
Bundesministerium f. Bauten u. Technik/Stadt
Wien, Magistratsabteilung 29
Entwurf und Detailplanung:
Ingenieurbüro A. Pauser, Wien
Ausführung:
Arbeitsgemeinschaft A. Porr AG – Auteried &
Co, Wien
Bauzeit:
1973–1975
2,80 + 0,24
23 m
55 m 119 m 55 m
5
5,4,90
4 45 AL
5, AN
Schlussstück
provisorisches Drehlager UK
NA
DO
15,80
Verschubbahn
18,00
5,00
Quervorspannung
13,30
1,55
0,24
2,80 Neoprene
5,26
PTFE-Platte
2,26
4,90 Stahlplatte
Abhängeträger Betonstempel
Quarzsand
4,20 2,20
Herbert Kupfer
Bauherr:
Autobahndirektion Südbayern
Entwurf:
U. Finsterwalder,
DYWIDAG München,
architektonische Beratung G. Lohmer
Ausführung:
Dyckerhoff & Widmann, NDL München
Bauzeit:
1957–1959
Die Autobahnbrücke über das Mangfalltal verstärkt auch den Eindruck der Schlank-
auf der Strecke München – Salzburg wurde heit der Konstruktion. Der architektonische
erstmals 1934–36 als dreifeldriger stähler- Berater Finsterwalders war Gerd Lohmer.
ner Vollwandträger errichtet, 1945 durch Die Bodenplatte ist in den mittleren Be-
Sprengung des westlichen (Münchner) reichen der drei Felder durch elliptische
Pfeilers zerstört, 1946–49 als Stahlbehelfs- Öffnungen unterbrochen.
brücke (SKR-Stahlfachwerkkonstruktion) Die Kräfte der Füllstäbe nehmen ent-
wieder aufgebaut und 1957–59, wie im fol- sprechend dem Querkraftverlauf zu den
genden beschrieben, als Spannbetonfach- Auflagern hin zu. Um die Querschnitte der
werkbrücke im freien Vorbau nach dem Füllstäbe den Stabkräften anzupassen und
Entwurf von Ulrich Finsterwalder unter damit unnötige Maßen und Eigengewichte
Verwendung der alten Pfeiler und Widerla- zu vermeiden, nehmen auch die Breiten der
ger neu errichtet. Die Behelfsbrücke wurde Füllstäbe – in Brückenquerrichtung gemes-
zu diesem Zweck vorher seitwärts auf Hilfs- sen – zu den Auflagern zu. Dabei sind aber
pfeiler verschoben. die Ansichtsflächen der beiden Fachwerk-
Die Wahl einer Fachwerkkonstruktion träger eben ausgebildet.
ermöglichte die Unterbringung eines Fuß- Die Brücke wurde nach dem Dywidag -
und Radweges auf dem Unterdeck des Par- Spannverfahren mit Spannstäben von
allelträgers mit großartigen Ausblicken auf 26 mm Durchmesser aus Sigma-Stahl
das schöne, 60 m tief eingeschnittene Mang 80/105 vorgespannt.
falltal. Beim freien Vorbau wurden die 6 m lan-
Die Füllstäbe des parallelgurtigen Fach- gen Vorbauabschnitte in zwei Teilen beto-
werks sind gekreuzte Diagonalen und Ver- niert und vorgespannt, wobei der erste Teil
tikalen mit in der Ansicht konstanter Dicke, (Untergurt, untere Hälfte der steigenden
so, dass der dreifeldrige Fachwerkträger Diagonale und ganze fallende Diagonale)
von L = 90 + 108 + 90 = 288 m Länge und sich bereits bei der Abtragung der Frischbe-
6 m Bauhöhe als ein völlig gleichmäßiges, tonlast des zweiten Teils (obere Hälfte der
ästhetisch sehr ansprechendes Band er- steigenden Diagonale, Vertikale, Obergurt
scheint. Die Gleichmäßigkeit dieses Bandes mit Fahrbahnplatte) beteiligt.
3.8 Ausgewählte Brücken 233
Die Brücke wurde – vom Münchner Wi- auf 6 Spuren zuzüglich Standstreifen erfor-
derlager aus – in einer Richtung bis zum derte auch eine Verbreiterung der Mang-
Salzburger Widerlager frei vorgebaut, wo- fallbrücke. Dazu wurde von 1977 bis 1979
bei es notwendig war, vorübergehend Zwi- ein zweiter Überbau neben dem bestehen-
schenstützen anzuordnen, die nach Been- den errichtet und nach Umlegung des Ver-
digung des Baues wieder entfernt wurden. kehrs die Fachwerkbrücke von 1980 bis
4 Zwischenstützenpaare waren im ersten 1981 umgebaut. Bei dieser Gelegenheit
Feld, 3 Zwischenstützenpaare in der zwei- wurde auch der Erhaltungszustand des
ten Hälfte des Mittelfeldes und 2 Zwischen- Bauwerks eingehend untersucht und nahe-
stützenpaare in der zweiten Hälfte des End- zu für mängelfrei befunden. Außerdem
feldes erforderlich. wurde die Brücke an eine neue Einteilung
Die Verbreiterung der Bundesautobahn der Fahrspuren mit erhöhten Lasten ohne
zwischen München und dem Inntaldreieck Verstärkungsmaßnahmen angepaßt.
234 3 Entwurf
Michel Virlogeux
Concept, Design:
Michel VIRLOGEUX (SETRA at the time),
Bonnelles
Architect:
Charles LAVIGNE (Vanves)
Project:
SETRA + SOFRESID (Jean-Claude FOUCRIAT)
+ SOGELERG +QUADRIC + INGEROP + CSTB
Owner:
Contractors:
Chambre of Commerce et d’Industrie du Havre
Campenon Bernard, Bouygues, SOGEA, GTM,
Project Manager: Dumez, Spie Batignolles, Quillery
Bertrand DEROUBAIX
(Direction Départementale de l’Equipement de Construction period:
Seine Maritime) 1989–1995
When the construction of the Normandie sion was made to cross the estuary without
Bridge was considered for the first time as any pier in the river.
early as 1973–1979, this took place within The final design was developed from
the scope of a local project as an alternative 1986–1988 and though the longest cable-
route to Paris – since the le Havre region stayed span at the time was only 465 metres
and harbour could not be totally dependent (Alex Frazer Bridge, Canada), it was de-
on the Tancarville Bridge – and as a new cided to prefer a cable-stayed bridge to a
link with western France. But before being suspension bridge for economical reasons
built it was integrated as a key element of but also to avoid large anchorage blocks in
the A 29 motorway which links Calais and the flat landscape of the estuary. The main
the Channel Tunnel to the French western span of 856 m was a large step forward in
coast, down to Nantes, Bordeaux and the design of cable-stayed bridges and held
Spain. the world record from January 20, 1995 to
The bridge crosses the river Seine estu- May 1, 1999 when the Tatara Bridge was
ary a few kilometres upstream from le opened.
Havre. A first project (1976–1979) consist- The Normandie Bridge is designed as a
ed of three different structures, a central unique, continuous structure with a length
cable-stayed bridge with an access viaduct of 2142 m without any intermediate expan-
on each side; with a main span (510 m), the sion joint. The design has been mainly ori-
bridge had several supports in the river in- ented to resist wind forces and for aerody-
cluding the north pylon and end-pier of the namic stability: the deck is a stream-lined
cable-stayed bridge. After several bridges box-girder directly inspired by English sus-
had collapsed due to a ship collision a deci- pension bridges; it is supported by two
3.8 Ausgewählte Brücken 235
COUPE TRANSVERSALE
TRAVEE PRINCIPALE
Elévations Pylone
PONT DE NORMANDIE
COUPE LONGITUDINALE
VIADUCS D’ACCES
Herbert Schambeck
Konzept:
Ulrich Finsterwalder
Entwurf:
Arbeitsgemeinschaft
Dyckerhoff & Widmann KG (Überbau)
Grün & Bilfinger AG (Unterbau)
Architektonische Beratung:
Gerd Lohmer, Köln
Ausführung:
Arbeitsgemeinschaft
Dyckerhoff & Widmann KG,
Bauherr: Grün & Bilfinger AG
Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch
Straßenverwaltung Rheinland – Pfalz Bauzeit:
Straßenneubauamt Vallendar 1962–1965
Der Rhein wird in Bendorf bei Koblenz von als Konstruktion „aus einem Guss“ – also
einer ca. 1000 m langen und ca. 31 m brei- Pfeiler, Widerlager und gesamter Überbau
ten Autobahnbrücke überquert. Haupt- aus dem Baustoff Beton zu errichten. Und
blickpunkt des Bauwerks ist der 528 m dazu kam der Mut der Verwaltung, mit die-
lange östliche Brückenbereich, in dem die ser Spannweite bis in den technisch und
208 m weite Mittelöffnung über dem Haupt- gestalterisch sinnvollen Grenzbereich die-
strom von einer Deckbrücke mit stark ver- ser Bauweise vorzustoßen und damit einen
änderlicher Trägerhöhe überbrückt wird. Beitrag zu Weiterentwicklung des noch
Zusammen mit dem im Westen nahtlos an- jungen Spannbetons zu leisten. Die Breiten-
schließenden, ca. 500 m langen schlichten wirkung dieser zu ihrer Zeit weitestge-
Parallelträger entsteht so ein Prototyp einer spannten Beton-Deckbrücke war enorm:
großzügigen, anspruchsvoll gestalteten seitdem wurden nach diesem in Deutsch-
Überquerung eines Strombettes. land entwickelten System weltweit hunder-
Bei einer Ausschreibung für dieses Bau- te von Brücken (besonders in Japan) mit
vorhaben hat sich 1961 im freien Wettbe- Spannweiten bis zu etwa 250 m gebaut.
werb der Entwurf einer im freien Vorbau Die wesentlichen Merkmale der Rhein-
errichteten Spannbetonbrücke gegenüber brücke Bendorf:
dem Verwaltungsentwurf einer Stahlbrü-
cke durchgesetzt. Maßgebend für die Ver- • Ein Kasten mit stark veränderlicher Bau-
gabe waren der deutlich niedrigere Ange- höhe (4,4 m in Feldmitte, 10,5 m über
botspreis, der Hinweis auf ca. 50 Bauwerke, den Hauptpfeilern, 3,3 m an den Brücke-
die seit 1950 weltweit nach dem gleichen nenden und beim anschließenden west-
Bausystem errichtet worden waren und si- lichen Parallelträger), monolithisch ver-
cher auch der Reiz, ein so großes Bauwerk bunden mit den schlanken (nur 2,8 m
3.8 Ausgewählte Brücken 237
Herbert Schambeck
Entwurf:
Dr.-Ing. E.h. Herbert Schambeck, Germany
Dipl.-Ing. Karl Sporschill, Innsbruck, Austria
Ausführungsplanung:
Structural Depart. of Civil Eng. Faculty Zagreb,
Dipl.-Ing Zlatko Savov, Dipl.-Ing- Veljko Lrpic
Ausführung:
Arbeitsgemeinschaft WALTER – BAU AG,
Germany und Konstruktor, Split, Croatia mit
Construzioni Cimolai Armando Spa, Italy
(Stahlbau) und DYWIDAG, Germany
(Litzenseile und Spannstahl)
Bauherr: Bauzeit:
Croatian Roads (National Road Authority) 1999–2001
Für den Brückenentwurf waren folgende Seite Split zwei Felder, die von der Haupt-
Vorgaben bestimmend: brücke abgetrennt sind und sich somit nicht
an deren Tragwirkung beteiligen.
• Die Schifffahrt erfordert eine lichte Höhe
1996, nach dem Krieg in Kroatien, be-
von 50 m und eine Hauptspannweite von
warb sich die WALTER BAU – AG um die
304 m, an die bis zum Widerlager Du-
Bauausführung und beauftragte die Ingeni-
brovnik 90 m und zum Widerlager Split
eure H. Schambeck und K. Sporschill mit
87 m anschließen.
der Überprüfung des vorliegenden Ent-
• Ein Radius über dem Ufer Split macht es
wurfs und Überlegungen zu Sondervor-
unmöglich, dort einen Pylon aufzustel-
schlägen. Dabei entstand der nachfolgend
len.
beschriebene Vorschlag, der schließlich zur
• Die Brücke ist sehr schmal (Nutzbreite
Auftragsvergabe führte. Der Entwurf hält
über dem Fluss = 12,1 m) und liegt in
alle Grundparameter ein und verwendet
einer Zone mit hoher seismischer Akti-
eine Idee, die bereits 1968 bei der von
vität (0,38 g) und hohen Windgeschwin-
DYWIDAG gebauten Mainbrücke Hoechst
digkeiten (Bora).
bei Frankfurt angewendet wurde: Vom
Nach diesen Kriterien stellte Z. Savor be- Pfeiler Split ragt ein 60 m langer Kragarm
reits 1989 einen Entwurf auf: Die 304 m in die Hauptöffnung, der im 87 m langen
Hauptöffnung wird von einem Stahlkasten- Randfeld rückverankert ist und an der
träger überspannt, der mit Schrägseilen an Kragarmspitze ein längsverschiebliches
dem am Ufer Dubrovnik stehenden, 163 m Auflager für den anschließenden 244 m-
hohen A-förmigen Pylon aufgehängt ist. Bereich erhält. Dadurch entstehen zwei
Beidseits der Hauptöffnung schließt Spann- verschiedene Brückenabschnitte:
beton an: Auf der Seite Dubrovnik das 90 m Im Schrägseilbereich vermindern sich
lange Rückverankerungsfeld und auf der die Auskragung auf ca. 80 % und die Krag-
3.8 Ausgewählte Brücken 239
Im Rahmen der Projektierung ist aus der stabile Querschnitte. Auch besondere An-
Bandbreite grundsätzlich in Frage kom- forderungen bezüglich des Temperaturver-
mender Querschnitte jener auszuwählen, laufs in der Fahrbahnplatte können Einfluss
der die Randbedingungen (hinsichtlich Ge- auf den Baustoff und die Querschnittsaus-
staltung, Kosten, Tragwirkung, Dauerhaf- bildung haben. Soll sich z. B. aus Gründen
tigkeit, eventuell Flexibilität) objektiv und der Verkehrssicherheit die Tragwerksplatte
subjektiv insgesamt am Besten erfüllt. Die einer Straßenbrücke bei Sonneneinstrah-
Wahl der Querschnittsart und -geometrie lung möglichst gleichmäßig erwärmen,
ist an bestimmte Vorgaben gebunden. wird man eine Betonplatte gegenüber einer
Durch die Nutzung ist die Querschnitts Stahlplatte bevorzugen und weit ausladen-
geometrie teilweise vorgegeben, z. B. Licht- de Konsolen vermeiden. Auch die Unter-
raumprofile bei Eisenbahnbrücken oder bringung von Versorgungsleitungen oder
Regelquerschnitte bei Straßenbrücken. Die der Brückenentwässerung kann für die
Nutzlasten von Eisenbahnbrücken sind in Querschnittsgestaltung von Bedeutung sein
der Regel um ein Vielfaches größer als jene (siehe Kapitel 10.5).
von Straßenbrücken. Wegen der kleinen Einige Planungsparameter sind von
einzuhaltenden Verformungen (Durchbie- vornherein gegeben, andere frei wählbar,
gungen, Endtangentenverdrehungen) erge- siehe Tabelle 4.1-1.
ben sich vor allem bei Bahnbrücken steife Von Bedeutung für die Querschnittsaus-
Tragwerke. Hingegen sind die Steifig- bildung sind der Betrieb, die Wartung und
keitsanforderungen der Straßenbrücken die Erhaltung. Vor allem bei Brückentrag-
und – vor allem – der Fußgängerbrücken werken des hochrangigen Straßen- und
geringer. Bei letzteren ist wegen der Mög- Bahnnetzes besteht die Notwendigkeit,
lichkeit, weiche Tragwerke mit geringer auch bei größeren Instandsetzungsarbeiten
Masse auszubilden, das Schwingungsver- eine dauernde Aufrechterhaltung des Ver-
halten zu berücksichtigen. Versteifungsträ- kehrs, allenfalls mit Einschränkungen der
ger weit gespannter Schrägkabel- oder verfügbaren Fahrspuren und Geschwindig-
Hängebrücken erfordern – schon mit Rück- keitsbegrenzungen zu gewährleisten. Dies-
sicht auf die Bauzustände – aerodynamisch bezüglich sind nicht durchlaufende Trag-
werke günstiger als durchlaufende. Sie wei- staltung gegeben. Bei Brücken mit kleinerer
sen jedoch eine Reihe von statischen und Stützweite sollte die sichtbare Fläche des
betrieblichen Nachteilen auf und sind im Konstruktionsbandes des Überbaus, die
Wesentlichen auf Tragwerke aus Spann durch die Wahl eines bestimmten Quer-
beton-Fertigteilen beschränkt. Muss bei schnitts definiert wird, zu den sichtbaren
breiteren Brücken wie z. B. für Autobahnen Flächen des Widerlagers in ein optimales
oder für mehrgleisige Bahnstrecken un Verhältnis gesetzt werden. Damit lässt sich
bedingt stets mindestens ein Tragwerk voll der Eindruck vermeiden, dass der Überbau
verfügbar sein, ist eine Trennung in zwei ohne besondere Anschlusskonstruktion
Einzelbrücken mit dazwischenliegender, aus dem Gelände oder dem Damm heraus-
durchgehender Längsfuge trotz ihrer wächst (bei Durchlaufkonstruktionen tritt
Nachteile unverzichtbar. In diesem Fall dann allerdings der Einfluss des Wider
kann im Bedarfsfall der gesamte Verkehr lagers gegenüber der Gesamtkonstruktion
über eine der beiden Brücken geführt zurück und der Linieneindruck des Über-
werden. baus überwiegt). Um eine wuchtige Wir-
Durch die Wahl eines bestimmten Trag- kung einer Konstruktion etwas zu mildern,
werktyps hinsichtlich Baustoff und Gestal- eignet sich vor allem eine Oberflächenmi-
tung wird damit der Charakter der Brü- nimierung durch die Wahl geeigneter,
ckenkonstruktion bestimmt. Der Entwer- kompakter Querschnitte. Schließlich kann
fende muss sich bewusst sein, dass Brücken man durch die Wahl des Querschnitts für
in höchstem Maße die Landschaft gestal- den Betrachter auch den inneren Kraftfluss
tende Bauwerke sein können, d. h., dass er des Bauwerks verdeutlichen.
mit seiner Brücke die Umwelt unwiderruf- Brücken des Stadtstraßen- und Stadt
lich verändert, weshalb die Einpassung sei- eisenbahnhochbaus im dicht besiedelten
nes Bauwerks im Gelände mit größter Sorg- städtischen Raum stehen im Blickpunkt der
falt erfolgen sollte. Ein Querschnitt kann Öffentlichkeit. Deren Ausführung greift
unpassend wirken, indem er z. B. auf einen spürbar in die Architektur der Stadtland-
Betrachter einen zu hohen oder auch zu schaft ein. Hier stellt fallweise auch die
wuchtigen Eindruck hinterlässt. Auch kann Tragwerksuntersicht ein nicht unerhebli-
dieser der zu erfüllenden Funktion oder ches Gestaltungsmerkmal dar. In der An-
auch seinem Standort nicht angemessen sicht ist vor allem die Querschnittshöhe
sein. Möglichkeiten dafür gibt es genügend. von Bedeutung. Der optische Eindruck von
Dies kann dann allerdings auch nicht im- Lärmschutzeinrichtungen ist hier unbe-
mer erwünschte Auswirkungen hervorru- dingt zu berücksichtigen, ebenso die von
fen, vor allem wenn es z. B. so wichtige und der Querschnittsform abhängigen Unter-
sensible Bereiche wie die Verkehrssicher- bauten. Diese Aufbauten erfordern oft ein
heit betrifft. So darf ein Fahrzeuglenker von Tragwerk mit besonders niedrigem Quer-
einer besonders interessanten (Brücken‑) schnitt. Ein durchsichtiger („transparen-
Konstruktion keinesfalls vom Verkehrsge- ter“) Querschnitt trägt spürbar zur opti-
schehen abgelenkt werden. Somit kommt schen Schlankheit des Tragwerks bei.
dem Entwerfendem eine besondere Verant- Schließlich kann ein gestalterisch versierter
wortung zu, die ein großes Maß an Fach- Ingenieur oder Brückenarchitekt Funktion
wissen und Einfühlungsvermögen erfor- und Gestaltung zu einer Einheit zusam-
dert. Zu Fragen der Gestaltung wird auf menfügen und eine Brücke so gestalten,
Kapitel 3 und [Leonhardt, 1982] verwiesen. dass sie – ohne sich aufzudrängen – auch
Im Folgenden werden stellvertretend einige im sensiblen innerstädtischen Bereich
einfache Beispiele für eine gute Brückenge- positive Akzente setzt.
244 4 Querschnittsgestaltung
4.1.4 Querschnitte für Bahnbrücken Bild 4.1.4-1 zeigt einen solchen Regelquer-
schnitt der HLAG für Hochleistungsstre-
Wichtigstes Planungskriterium sind die in cken in Österreich. Die Werte a und b in der
den Regelwerken (Richtlinien der Bahnver- Tabelle stellen Werte für die erforderliche
waltungen, z. B. DB‑Richtlinien) vorgegebe- Vergrößerung der halben Breite in Bogen
nen Regelquerschnitte für Brückenbauten. mit einem Radius 3000 m ≥ R ≥ 300 m dar.
Von Bedeutung sind bei mehrgleisigen schnitts enthält. Meist ist auch nicht die
Strecken die Gleisabstände. Diese betragen Wirtschaftlichkeit das wesentliche Pla-
bei Neubaustrecken im Allgemeinen 4,70 m, nungskriterium. Hier spielen vor allem ge-
eventuell auch 5,00 m. Bei bestehenden stalterische Gesichtspunkte, Aspekte die
Strecken können die Gleisabstände dem den Menschen direkt betreffen, wie z. B.
Ist‑Zustand entsprechend geringer ausge- Schutz vor ungünstiger Witterung, beheiz-
führt sein. Zu beachten ist im Bogen eine bare Laufflächen usw., und oft ein hoher
notwendige Mehrkubatur an Schotter im Anspruch an die Architektur eine wesentli-
Querschnitt, siehe Bild 4.1.4-2. che Rolle. Wegen der geringen Massen und
Weiters ist auch hier wie schon bei den der niedrigen Nutzlasten und den sich dar-
Querschnitten für Straßenbrücken den aus ergebenden geringen auftretenden
Randbereichen besondere Beachtung zu Kräften sind die konstruktiven Probleme
schenken. Bild 4.1.4-3 zeigt exemplarisch oft relativ gering. Damit lässt sich praktisch
Ausschnitte aus der ÖBB‑Regelplanung. jeder Baustoff und auch jede Kombination
dieser zu einer Querschnittsbildung heran-
ziehen. Die dadurch sich ergebende Vielfalt
4.1.5 Querschnitte für Fußgänger- ist enorm. Zu beachten ist allerdings, dass
und Radwegbrücken wegen der geringen Masse Schwingungs-
probleme auftreten können. Diese resultie-
Hier existiert quasi kein Regelwerk, das ren meist aber nicht aus einer Windeinwir-
Vorschriften zur Gestaltung des Quer- kung, sondern durch den Benutzer selbst.
4.2 Querschnittsgestaltung in Abhängigkeit vom verwendeten Werkstoff 249
Bild 4.1.6-2 Barbarabrücke
4.2 Querschnittsgestaltung
in Abhängigkeit vom verwendeten
Werkstoff
Bild 4.1.6-1 Freitragende Rohrbrücke [Prölss
Stahltechnik] 4.2.1 Betonbrücken
Francesco Aigner
Hier ist schon beim Entwurf zu beachten,
und Thomas Petraschek
dass die Eigenfrequenz der Brücke nicht
mit der Schrittfrequenz eines Fußgängers,
die ca. 2 Hz beim Gehen und ca. 4 Hz beim 4.2.1.1 Allgemeines
Laufen beträgt, übereinstimmt.
Im Folgenden werden die im Betonbau
vorkommenden Grundtypen (Platte, Plat-
4.1.6 Sonderquerschnitte tenbalken, Kasten) bezüglich Anwendbar-
keit, konstruktiver Eigenheiten, Variations-
Die Querschnittsgestaltung von Rohrbrü- möglichkeiten und Herstellung beschrie-
cken richtet sich naturgemäß nach den spe- ben. Für weitere Angaben und die Berech-
ziellen Anforderungen hinsichtlich Größe, nung wird auf die Abschnitte 5.1, 5.2.1 und
Eigenschaften der durchzuleitenden Sub- 8.5 hingewiesen.
stanz (gasförmig, flüssig oder körnig; Dich- Die Tabelle 4.2 -1 zeigt die bei Betonbrü-
te) und der Durchströmungsgeschwindig- cken unter Berücksichtigung der Tragfä-
keit. Bei weit gespannten Tragwerken mit higkeit und Gebrauchstauglichkeit erreich-
Zylinderquerschnitt ist besonders auf die baren Schlankheiten l/h in Abhängigkeit
aerodynamische Stabilität zu achten. Bild von Ausführungsart und Verwendung. Die
4.1.6-1 und Bild 4.1.6-2 zeigen Beispiele für angeführten Werte sind entnommen aus
Rohrleitungsbrücken. [Leonhardt, 1979], [Schlaich/Scheef, 1982],
[Hegger, 1998], [Holst, 1998] und [Pauser,
2002]. Die unteren Grenzwerte der Schlank-
heit gelten für die kleineren Stützweiten, die
oberen für die größeren Stützweiten.
250 4 Querschnittsgestaltung
Tabelle 4.2.1-1 Erzielbare Schlankheiten li/h in Abhängigkeit von Ausführung und Verwen-
dung
Querschnittstyp ohne Längsvorspannung mit Längsvorspannung
Straße Eisenbahn Straße Eisenbahn
Platte1 15–22 (20–25) 11–16 18–30 (26–36) 13–22
Plattenbalken3 15–20
Kasten1 17 21 12–14
Kasten2 18 25
Kasten3Feld 35–50 30
Bei Straßenbrücken aus Platten sind für hältnis hStütze /hFeld etwas kleiner zu nehmen
kleinere Verkehrslasten im Vergleich zu als statisch optimal.
den in der Tabelle 4.2.1-1 angegebenen
Schlankheiten entsprechend größere mög-
lich. Bei Platten für Eisenbahnbrücken 4.2.1.2 Platte
hängen die zulässigen Verformungen infol-
ge Verkehrslasten auch von der Fahrge- Allgemeines
schwindigkeit ab, was die Schlankheit be- Im Betonbau üblich ist die Vollplatte. Plat-
einflusst. Für Kastenquerschnitte gilt nach ten mit Hohlräumen sind vielfach nicht
[Schlaich/Scheef, 1982], dass bis 90 m zugelassen und werden kaum mehr ver-
Spannweite eine konstante Bauhöhe sinn- wendet. Aus gestalterischen Gründen und
voll ist, aber ab 150 m eine veränderliche, auch wegen der Eigenlast ist hingegen
dem Schnittkraftverlauf angepasste Kon vor allem bei orthogonalen Platten die
struktionshöhe notwendig wird. Anordnung von Konsolen üblich (Bild
Aus gestalterischen Gründen wird in 4.2.1-1).
[Schlaich/Scheef, 1982] empfohlen, bei hoch Trotz aufwendigerer Schalung und Be-
über dem Tal liegenden Brücken das Ver- wehrungsführung ist der im oberen Teilbild
4.2 Querschnittsgestaltung in Abhängigkeit vom verwendeten Werkstoff 251
4.2.1.2 Plattenbalken
Allgemeines
Die Stege bei einer Plattenbalkenbrücke aus
Beton bieten neben den im Abschnitt
4.1.2.2 schon angeführten Funktionen auch
die Möglichkeit der Unterbringung der
Spannglieder. Auch Betonbrücken lassen
sich, wie im Bild 4.2.1-8 ersichtlich, als
„Trogbrücken“ herstellen. Somit ist auch
mit dem Baustoff Beton der sich dadurch
Bild 4.2.1-7 Verbundgesetz für Rippenstähle
ergebende Vorteil einer extrem geringen
für verschiedene bezogene Betondeckungen mit
dem Verbundgesetz für mittlere Verhältnisse
Bauhöhe nutzbar.
[Noakowski, 1985] Es gibt Konstruktionen sowohl in Ort-
beton als auch mit Fertigteilen, wobei sich
die beiden Typen von einander erheblich
werden ca. in halber Höhe gerade Quer- unterscheiden können.
spannglieder angeordnet, bei Platten mit
abgeschrägter Untersicht entsprechend Eigenschaften
höher, bei Platten mit Konsolen in zwei Günstige Eigenschaften von Plattenbalken-
Lagen. tragwerken aus Beton:
Bewehrung nicht vorgespannter schief- • Gewichtersparnis gegenüber der Platte
winkliger Platten: (Baustoffverbrauch, Gerüst, Schalung,
Die Bewehrungsführung schiefwinkliger Unterbauten)
Platten unterscheidet sich wesentlich von • Weniger Schalungsanteil als Hohlquer-
der bei einer zweiseitig gelagerten orthogo- schnitte
Bild 4.2.1-8
Beispiel einer Trogbrücke
4.2 Querschnittsgestaltung in Abhängigkeit vom verwendeten Werkstoff 255
• Statisch und konstruktiv ideal für Vor- ständig hohen Druckkräften ausgesetzt
spannung (Kriechverformungen)
Ungünstige Eigenschaften von Platten- Konstruktionen
balkentragwerken aus Beton:
Ortbetonkonstruktionen:
• Mehr Schalungsanteil pro m³ Beton als Die Anzahl der Stege richtet sich u. a. nach
bei Plattentragwerken der Breite und der Stützweite. Es kommen
• Längerer „Umfang“ und damit größere 1 bis 3 Stege in Frage. Bild 4.2.1-10 gibt die
„Bewehrungsfläche“ als bei Plattentrag- günstigste Anzahl der Hauptträger in Ab-
werken (mehr Bewehrungsnetze) hängigkeit von der Breite und Höhe an.
• Ungünstiges Tragverhalten gegenüber Für Straßen- und Eisenbahnbrücken
negativen Momenten (hoch liegende wählt man am häufigsten einen Querschnitt
Nulllinie, geringe Fläche für den Aufbau mit zwei Stegen. Nach Möglichkeit sollte
einer Druckzone). Bei Durchlaufträgern man die Steghöhe großzügig wählen. Al-
kommen lokale Verstärkungsmaßnah- lenfalls sollte man Durchlaufträger, bei de-
men wie z. B. Stegverbreiterung, örtliche nen größere Stützensenkungen erwartet
Flansche oder auch eine Ergänzung zu werden, eher schlank ausbilden. Stegab-
einem Kastenquerschnitt in Frage (Bild stand: 5–7 m, bei breiten Tragwerken auch
4.2.1-9). Dabei sind Unstetigkeiten in der deutlich mehr. Mit Rücksicht auf das Riss-
Systemlinie zu beachten. Bei Einfeld verhalten sind dünne Stege günstiger als
trägerketten, wie sie im Fertigteilbau oft dicke. Die Hauptträgerstege werden so
ausgeführt werden, entfällt diese Proble- angeordnet, dass sie infolge ständiger Ein-
matik. wirkungen weitgehend torsionsmomenten-
• Dünne Gurtscheiben nicht vorgespann- frei bleiben („ausgewogener Querschnitt“).
ter Plattenbalkenkonstruktionen sind Die Dicke der Platte hängt von deren
256 4 Querschnittsgestaltung
Bild 4.2.1-10 Diagramm
für die Wahl der güns-
tigsten Anzahl an Haupt-
trägern
Bild 4.2.1-11 Gevoutete
oder gekrümmte Untersicht
4.2 Querschnittsgestaltung in Abhängigkeit vom verwendeten Werkstoff 257
Ausführungen in Ortbeton durch die grö- me in der Platte werden durch Ortbeton
ßere Hauptträgeranzahl und die entspre- ergänzt. Schließlich wird die Platte mit
chend kleineren Hauptträgerabstände geraden Spanngliedern quer vorge-
(Stegabstand: 2–3,5 m). Dadurch sind spannt (Bild 4.2.1-13).
möglicherweise erforderliche nachträglich • T-Fertigteile werden „Mann an Mann“
einzubetonierende Querträger noch un verlegt. Die obere Fläche wird mit Ort-
angenehmer herzustellen als bei Ausfüh- beton mit einer Schichtdicke von etwa
rungen in Ortbeton. Zwischenquerträger 20 cm vergossen (Bild 4.2.1-14). Durch
sind nicht üblich. Durch die Biegesteifig- Schlaufen an den Fertigteilen wird die
keit der Platte bei vergleichsweise eng Ortbetonschicht mit den Fertigteilen
liegenden Hauptträgern erhält man eine schubfest verbunden. Ein besonderes
weitaus bessere Querverteilung der Lasten Problem stellt das Schwinden der nach-
als bei den Ortbetonquerschnitten mit träglich aufgebrachten Ortbetonschicht
ihren fallweise weitgespannten Fahrbahn- dar.
platten.
Folgende Bauweisen werden genannt:
• T‑Fertigteile werden mit 20 cm bis 30 cm 4.2.1.3 Kastenquerschnitt
Abstand verlegt. Die Zwischenräume in
der Platte werden durch Ortbeton er- Eigenschaften
gänzt. Schließlich wird die Platte mit Günstige Eigenschaften von Kastentrag-
geraden Spanngliedern quer vorge- werken aus Beton:
spannt (Bild 4.2.1-12). Die Fertigteile • Gut geeignet für Vorspannung, diese ist
können im Spannbett oder nachträglich effektiver als bei der Platte
vorgespannt werden. • Ideal für automatisierte Herstellungs
• T‑Fertigteile werden mit entsprechen- verfahren (Freivorbau, Taktschieben,
dem Abstand verlegt. Die Zwischenräu- usw.)
Bild 4.2.1-13 Mögliche
Verlegung von T-Fertigteilen
258 4 Querschnittsgestaltung
Ungünstige Eigenschaften von Kastentrag- Ein Beispiel für einen kleinen Hohlquer-
werken: schnitt zeigt Bild 4.2.1-16. Es handelt sich
dabei um den Querschnitt von Spannbeton
• Größter Schalungsanteil pro m³ Beton
– Fahrwegträgern der Transrapid Mag
• Längster „Umfang“ und damit größte
netschnellbahn in Deutschland. Diese als
„Bewehrungsfläche“ (größte Anzahl an
Bewehrungsnetzen)
Tabelle 4.2.1-2 Günstige Querschnittsabmes
Konstruktion
sungen für einen Kastenquerschnitt
Nach [Schlaich/Scheef, 1982] und [Wicke]
sind folgende Anhaltspunkte für die Festle- Größe Beispiele
gung günstiger Querschnittsabmessungen h1 ≥20 cm
gegeben: Bild 4.2.1-15, Tabelle 4.2.1-2. Bei
größeren Querschnitten wird die Fahr h3 ≥20 cm
bahnplatte mindestens 25 cm dick sein h4 ≥30 cm
müssen (h3 ≥ 25 cm). Die Einführung (bzw. 20 cm + ∅Hüllrohr)
schwererer Einzelfahrzeuge kann dickere h5 ≥15cm
Platten notwendig machen (keine Druckbe-
wehrung bei Platten). 15 cm am Konsolen lVoute/lPlatte ≤0,2 (oder auch = 0,5)
ende (h1 = 15 cm) reichen bei sorgfältiger h1 : h2 1 :2 … 1 : 3
Ausführung und nicht quervorgespannter
h3 : l3 1 : 30 (wegen Beulgefahr)
Platte aus.
4.2 Querschnittsgestaltung in Abhängigkeit vom verwendeten Werkstoff 259
46 cm
mittlere
Druckspannung
aus Vorspannung
σ b,vo = 46
σ b,vo = - 11.1 MPa
- 8.2 MPa
32 Spannglieder
19 × 0.62″
in Feldmitte
und großen Stützweiten (125 + 250 + 125 = scheinungsbild der an sich schon sehr
500 m). Bei der Planung wurden an das schlanken Rahmenkonstruktion wurde
Tragwerk aufgrund der einmaligen land- durch diese Gestaltungselemente zusätz-
schaftlichen Situierung hohe gestalterische lich verbessert.
Anforderungen gestellt. Durch die Form- Bei sehr breiten Brücken mit getrenn-
gebung der Seitenflächen (Stege, Übergang ten Richtungsfahrbahnen (Autobahnen,
zur Bodenplatte) und durch die Ober Schnellstraßen), aber auch bei zweigleisi-
flächenstrukturierung der Stege (lotrechte gen Eisenbahnbrücken werden oft zwei un-
Rippen) konnten Licht – Schatteneffekte abhängige Tragwerke gefordert. Man erhält
wirkungsvoll ausgenutzt werden. Beson- damit ein System mit viel geringerer Quer-
dere Beachtung wurde auch der Gestal- steifigkeit, hat aber Vorteile im Fall von Sa-
tung der Randbalken geschenkt. Das Er- nierungsmaßnahmen. Ein Beispiel dafür
länge biegesteif durchlaufen und die Quer- Da bei geschlossenen Profilen zur
träger meist in ⊥-Form mit entsprechend Unterstützung des Deckblechs nur die
ausgeschnittenen Stegen auf die Längs halbe Anzahl der Schweißnähte gegen
träger aufgekämmt (möglichst nicht aufge- über offenen Profilen erforderlich ist, wer-
fädelt) werden (Bild 4.2.2-4). den heute aus wirtschaftlichen Gründen
Als Längsträger werden offene Profile überwiegend geschlossene Profile, meist
wie Flachstähle, Wulstflachstähle oder Trapezprofile, als Längsträger verwendet.
halbierte Ι-Querschnitte (Bilder 4.2.2-5, Außerdem weisen geschlossene Profile
4.2.2-6) oder geschlossene Profile wie Win- um zwei bis drei Zehnerpotenzen größere
kel und dreieck- und trapezförmige Steifen St. Venant’sche Torsionssteifigkeiten und
(Bilder 4.2.2-7, 4.2.2-8) verwendet. geringere äußere Beschichtungsflächen als
4.2 Querschnittsgestaltung in Abhängigkeit vom verwendeten Werkstoff 263
trägern werden sowohl bei Straßen- als ordnet werden können (Bilder 4.2.2-13,
auch bei Eisenbahnbrücken ausgeführt, da 4.2.2-14).
die Fachwerke den Ausblick nach der Seite Da aus statischen Gründen und wegen
hin nur geringfügig beeinträchtigen. Die der dann erforderlichen dichten Ausstei-
Fahrbahn liegt dann entweder mitwirkend fungen das Bodenblech nicht zu dünn
zwischen den Gurten oder bildet selbst gewählt werden sollte (t ≥ 10 mm), und da
die Untergurte der Fachwerk-Hauptträger die erforderliche Fläche des Bodenblechs
(Bild 4.2.2-12). immer kleiner als die des Deckblechs mit
örtlicher Plattenbeanspruchung ist, müssen
bei Kastenquerschnitten die Stege der
4.2.2.3 Kastenquerschnitt
Hauptträger meist in engeren Abständen
Der einfachste Fall ist der Kastenquer- als bei offenen Querschnitten angeordnet
schnitt aus Stahl mit zwei Stegen, wobei werden. Eine Schrägstellung der Stege
diese lotrecht oder auch geneigt ange kommt diesen Anforderungen und der
4.2 Querschnittsgestaltung in Abhängigkeit vom verwendeten Werkstoff 267
Bild 4.2.2-13 Kasten mit lotrechten Stegen Bild 4.2.2-14 Kasten mit schrägen Stegen
[Weitz, 1975] [Weitz, 1975]
Pfeilerbreite entgegen. Deshalb ergeben den. Bei schiffbaren Wasserläufen mit Ra-
sich bei Kastenquerschnitten oft weit aus- darnavigation können von unten einge
kragende Fahrbahnteile, die wegen der sehene parallele, ungegliederte innere
Querbiegung zu Längsrissen im Fahrbahn- Stegflächen zu einer Vielfachreflexion des
belag führen können. Aus diesem Grund Radarstrahls führen und auf dem Radar-
kann es bei Kastenquerschnitten an schirm ein scheinbar zweites, weiter weg
gebracht sein, diese Kragarme durch liegendes Brückentragwerk anzeigen. Des-
Schrägstreben abzustützen (Bild 4.2.2-15). halb sind solche Stege gegeneinander um
Schrägstreben können bei jedem Quer- mindestens 10° zu neigen oder weitere
träger oder nur bei den Querscheiben an Maßnahmen (z. B. Netze) anzuordnen, die
geordnet werden. Im letzteren Fall müssen Vielfachreflexionen verhindern.
lastverteilende Längsträger die dazwischen- Bei Steg- und Bodenblechen muss be-
liegenden Kragarme stützen. Bei breiten achtet werden, dass diese bei Druck- und/
Brücken, insbesondere bei Mittelträgerbrü- oder Schubbeanspruchungen ausbeulen
cken, können auch Kastenquerschnitte mit können. Deshalb werden auch diese Bleche
einem oder mit zwei Mittelstegen d. h. als meist durch Längs- oder Quersteifen aus-
mehrzellige Kastenquerschnitte ausgeführt gesteift, so dass orthotrope Scheiben (Bean-
werden (Bild 4.2.2-16). spruchung in der Tragwerksebene) entste-
Brücken mit Autobahnbreite werden oft hen. Um die Forderung der Statik nach der
mit zwei einzelligen Kastenquerschnitten Erhaltung der Querschnittsform (form-
ausgeführt (Bild 4.2.2-17). Dies hat den treuer Querschnitt) zu erfüllen, werden die
Vorteil, dass auch die halbe Brücke ein trag- Querträger der orthotropen Fahrbahn
fähiges Bauwerk bleibt. Auch Querschnitte platte und die Quersteifen der Steg- und
für Trogbrücken können aus zwei vollwan- Bodenbleche biegesteif zu Querrahmen
digen Kastenquerschnitten mit dazwi- verbunden. An allen Stellen, an denen kon-
schenliegender Fahrbahn ausgeführt wer- zentrierte Lasten in den Querschnitt ein
geleitet werden (z. B. Auflager, Seil- und bilden, die bei der Montage die Quer-
Kabeleinleitungen, Bogeneinleitungen) schnittsform der Höhe nach festlegt und
und meist in den 1/3- oder 1/4-Punkten entsprechende Biegesteifigkeit aufweist
einer Stützweite werden entweder Quer- (Bilder 4.2.2-19, 4.2.2-20).
scheiben oder Querverbände angeordnet, Bei hohen Trägern wird wegen des Trans-
die die Querschnittsform erhalten und ports der Querschnitt durch einen Längs-
konzentrierte Lasten auf den Querschnitt stoß in einen oberen Teil – Steg mit Deck-
verteilen. (Bild 4.2.2-18). blech – und einen unteren Teil – Steg mit
Untergurt bzw. Bodenblech – geteilt und
beide Teile in der Nähe der Baustelle auf
4.2.2.4 Fertigung der Stahlbrücke
einem Vormontageplatz zum Hauptträger
auf der Baustelle
zusammengefügt. Maßgebend für die Ein-
Für die Fertigung muss der Brückenquer- teilung des Querschnitts in Sektionen kön-
schnitt in Sektionen eingeteilt werden, de- nen auch alle Abstufungen des Querschnitts
ren Abmessungen und Gewichte den werden. Die Breiten der Sektionen werden
Transport von der Werkstatt zur Baustelle so gewählt, dass die Längsstöße zwischen
und dort die Montage mit dem eingesetz- den Steifen, insbesondere zwischen den
ten Hebezeug gestatten. Diese Sektionen Trapezprofilen, zu liegen kommen. Längs-
sind im Allgemeinen längsorientiert und stöße werden heute praktisch ausschließ-
nur in Ausnahmefällen an Auflagern oder lich stumpf verschweißt. Für das Deckblech
Krafteinleitungen querorientiert. Ihre haben sich dabei Steilflankennähte auf
Abmessungen richten sich nach den im Stahlplättchen oder auf keramischer Bad
Handel erhältlichen Blechgrößen. Übli- sicherung als wirtschaftlich herausgestellt,
cherweise beträgt die Breite 2,0 bis 3,8 m die mit Unterpulver-Schweißautomaten ge-
und die Länge ein ganzzahliges Vielfaches zogen werden können. Längsstöße in Steg-
der Querträgerabstände, meist 12 bis 25 m. und Bodenblechen werden mit V-Nähten,
Dabei muss darauf geachtet werden, dass X-Nähten oder Steilflankennähten mit Bad
bei Hauptträgern bis max. 3,5 m Höhe sicherung ausgebildet. Die an den Längs-
Steg, Obergurt und Untergurt eine Einheit stößen ebenfalls zu stoßenden Querträger
4.2 Querschnittsgestaltung in Abhängigkeit vom verwendeten Werkstoff 269
und Quersteifen werden entweder mit beiderseits des Querstoßes frei. Nach dem
GV-Laschenstößen verbunden oder eben- Schweißen der Quernähte in den Blechen
falls stumpf mit V- und/oder X-Nähten ver- werden die nach Naturmaß gefertigten
schweißt (Bild 4.2.2-21). Längsträger-Fensterstücke erst bei der
Um die Quernähte in den Blechen zie- Montage stumpf eingeschweißt (Bilder
hen zu können, müssen sie von beiden Sei- 4.2.2-22 bis 4.2.2-24).
ten zugänglich sein. Man lässt deswegen Ein wesentliches Gestaltungselement für
Ausschnitte (Fenster) in den Längssteifen den Brückenquerschnitt stellt der Randträ-
ger dar. Dieser sollte aus optischen Grün- günstigere Betonfahrbahn ersetzt. ‚Teuer‘
den ausreichend steif sein und auch einen ist die orthotrope Stahlfahrbahn durch den
ausgesteiften unteren Rand besitzen, da an hohen Aufwand an Schweißarbeiten. In
diesem die harmonische Form des Trag- Hochlohnländern wie Deutschland, Öster-
werks abgelesen werden kann, „Wellen“ vor reich oder Schweiz überwiegt von den bei-
allem im Streiflicht stark sichtbar werden den Anteilen der Gesamtkosten Material
und den optischen Eindruck schmälern. und Lohn der Anteil der Lohnkosten. Im
Eine helle Außenbeschichtung des Rand- Sinne der Wirtschaftlichkeit wird also die
trägers lässt jede Brücke schlanker erschei- Querschnittsgestaltung darauf abzielen,
nen und betont die Längserstreckung (Bild den Lohnkostenanteil und dabei insbeson-
4.2.2-25, s. S. 210). dere den Anteil der Schweißarbeiten zu mi-
nimieren.
Auch wenn heute nach wie vor Kosten-
4.2.3 Verbundbrücken reduktion und Wirtschaftlichkeit Haupt-
kriterien zur Bauwerksgestaltung darstel-
Ulrike Kuhlmann len, kommen weitere ebenso wichtige dazu,
und Annette Detzel wie
• Bauzeitverkürzung
4.2.3.1 Allgemeine Kriterien • Dauerhaftigkeit und Unterhaltungs-
freundlichkeit
Verbundbrücken werden heute überwie-
• Ästhetische Gestaltung.
gend als vollwandige Balkenbrücken ausge-
führt. Gegenüber Spannbetonbrücken ha- Gerade das zuletzt genannte Kriterium ver-
ben sie den Vorteil der geringeren Bauhöhe langt z. T. ein Umdenken der Ingenieure,
und des geringeren Konstruktionsgewichts die besonders im Brückenbau auch für die
bei gleichzeitig rascher Montage ohne Ver- Wahl einer ästhetischen, wohlproportio-
kehrsbehinderung. Gegenüber der reinen nierten Form und die Einfügung der Brü-
Stahlbauweise bietet die Verbundbauweise cke in die Landschaft verantwortlich sind.
entscheidende Kostenvorteile, weil sie die Wie die Beispiele noch zeigen werden, be-
‚teure‘ orthotrope Stahlfahrbahn durch die einflussen diese Kriterien nicht nur das
272 4 Querschnittsgestaltung
Brückensystem sondern sehr wesentlich • die Ausbildung nur weniger eher dicker
auch die Entscheidung für eine bestimmte Bauteile und
Querschnittsform. • die Aufteilung in große Montageeinhei-
Grundsätzlich lassen sich offene Platten- ten, hier die beiden Hauptträger, so daß
balkenquerschnitte und geschlossene Kas- die Anzahl der Montagestöße und die
tenquerschnitte unterscheiden. aufwendige Montageschweißarbeit mi-
nimiert werden.
4.2.3.2 Plattenbalken oder Kastenquerschnitt Als Beispiel für eine der vielen Straßenbrü-
Das Beispiel der Eisenbahnbrücken Melk cken mit zweistegigem Plattenbalken zeigt
[Pommer, 1995], [Glatzl/Pommer, 1995] ist Bild 4.2.3-2, die Böckinger Brücke in Heil-
ein für Verbundbrücken sehr typischer bronn [Engländer et al., 1997]. Hier gelang
zweistegiger Plattenbalken, vgl. Bild 4.2.3-1. es sogar, den Wettbewerb mit einer Stahl-
Durch die einfache sparsame Querschnitts- verbundkonstruktion als Sonderentwurf
form mit wenigen Längs- und Querausstei- gegenüber der ausgeschriebenen, als Ersatz
fungen werden vor allem der Umfang der für die alte Spannbetonbrücke geplanten
Schweißarbeiten und damit die Fertigungs- Spannbetonlösung zu gewinnen.
kosten reduziert. Eine weitere Besonderheit Wesentliches Kriterium war die durch
der Eisenbahnbrücken Melk ist die gewähl- den Querschnitt bedingte günstige Monta-
te Stahlgüte. So wurde bei den Verbund- gemöglichkeit der Verbundkonstruktion.
brücken die Stahlkonstruktion von etwa Da auch während der Bauzeit das Schiff-
1540 t in wesentlichen Teilen aus thermo- fahrtsprofil freizuhalten war, hätte der
mechanisch gewalztem Stahl der Güte Spannbetonkastenträger das fast 100 m
DIMC-355B hergestellt. Es wurden Materi- breite Flussfeld im Freivorbau überbrücken
aldicken bis zu 90 mm verarbeitet, die dick- müssen. Die zwei Stahlhauptträger konn-
sten Gurte bestanden aus zwei Lamellen ten mit einem schweren Autokran in gro-
1400 × 90 mm. Thermomechanisch ge- ßen vorgefertigten Stahlschüssen von 20
walzte Stähle können aufgrund des gerin- bis 30 m montiert werden, bis schließlich
gen Kohlenstoffgehalts und der guten von beiden Seiten etwa 40 m lange Krag
Kerbschlagzähigkeit mit erheblich gerin- arme ins Flußfeld hineinreichten, so dass
gerer Vorwärmleistung als übliche Stähle auch die beiden Hauptträgerschlussstücke
auch in größeren Blechdicken verschweißt von etwa 20 m dazwischen eingehängt und
werden. Größere Blechdicken führen zu ei- verschweißt werden konnten. Auf diese
ner geringeren Zahl von Einzellamellen. fertiggestellte Stahlkonstruktion stützte
Ermüdungswirksame Kerben, wie die sich dann die Schalungskonstruktion zur
Lamellenenden und die Verbindungsnähte, Herstellung der Verbundplatte ab. Die
werden dadurch vermieden, so dass neben Stahlträger wirkten also quasi als Scha-
der Kostenersparnis auch die Dauerhaftig- lungsträger.
keit der Konstruktion verbessert wird. Interessant ist das Beispiel der Böckinger
Der Plattenbalkenquerschnitt der Eisen- Brücke in Heilbronn auch, weil im Bereich
bahnbrücken Melk ist also ein Beispiel für des einen ca. 40 m langen Seitenfelds der
einige moderne Grundsätze zur wirtschaft- über drei Felder durchlaufenden Verbund-
lichen Querschnittsgestaltung: deckbrücke statt des zweistegigen Platten-
balkens ein Kastenträger ausgebildet wur-
• die Gestaltung klarer einfacher Quer- de. In diesem Bereich erzeugt eine starke
schnittsformen mit nur wenigen Verbin- Krümmung von R = 110 m so hohe Ab-
dungsnähten triebskräfte, dass sie mit den leichten Quer-
274 4 Querschnittsgestaltung
sich vorstellen, daß es sich hier nicht nur netzes in den neuen deutschen Bundeslän-
um Verschmutzungsprobleme handelt, dern zur Wahl eines einzelligen Kastenquer-
sondern dass auch der Korrosionsschutz schnitts in Stahlverbundbauweise. Dabei
auf Dauer in Mitleidenschaft gezogen wird. werden die Stege bei konstanter Untergurt-
Mit einem erheblichen Aufwand werden breite geneigt, so dass eine gleichmäßige
deshalb bei offenen Querschnitten heute Brückenuntersicht entsteht. Durch diese
Gitterroste oder Schutznetze vorgesehen. geneigten, unter der auskragenden Platte
In anderen Bereichen schweißt man zwi- zurückgesetzten Stege wird der Eindruck
schen Steg und Untergurt Schrägbleche ein. eines besonders schlanken Tragwerks ver-
Da diese Schrägbleche durch das Ver- stärkt. Beispiele sind die Elbebrücke Tor-
schweißen zu tragenden Querschnittsteilen gau, die Talbrücken Siebenlehn und Wil-
werden, gelten für sie die gleichen hohen kau-Haßlau oder die Elbebrücke Vocke
Anforderungen in Bezug Schweißnahtaus- rode, siehe Bilder 4.2.3-3 und 4.2.3-4, [Gra-
bildung und -kontrolle und konstruktiver bein et al., 1995], [Seifried/Stetter, 1996],
Detailausführung. Besonders an den Kreu- [Saul et al., 1999] und weitere Beispiele in
zungsstellen von Querträgern und Haupt- [BMV, 1997].
trägern entstehen durch die Unter- Diese Brücken sind in der Regel in
gurtschrägbleche der beiden Tragglieder Längsrichtung gevoutet und verfügen im
fertigungstechnisch komplizierte Ver- Bereich des hohen Stützquerschnitts über
schneidungspunkte. Gitterroste oder auch einen sogenannten Doppelverbundquer-
Netze sind einfachere und weniger kosten- schnitt. Ein jüngeres Beispiel hierfür ist die
trächtige Lösungen. Innbrücke Neuötting [Langen et al., 2000],
Vorteile in der Unterhaltung und ästhe- siehe Bild 4.2.3-5, mit einem Betonver-
tische Kriterien führen bei einer Vielzahl bunduntergurt über eine Länge von 40 bis
neuer Verbundbrücken insbesondere im 50 m rechts und links der Flusspfeiler in
Zuge des Ausbaus des neuen Verkehrs- variabler Dicke von 40 cm am Anfang des
hinsichtlich Kriechen und Schwinden des Bild des Querschnitts der Diepmanns-
Betons und der gegenseitigen Beeinflus- bachtalbrücke, die in der Nähe von Rem-
sung der Betonteile im Querschnitt sind scheid – Lennep die Bundesautobahn A1
erforderlich, wenn der Fahrbahnquer- im Grundriß mit einer Krümmung von
schnitt in Brückenlängsrichtung vorge- R = 1000 m über das reizvolle Diepmanns-
spannt ist, wie z. B. bei der ältesten Doppel- bachtal führt. Diese Brücke wurde neben
verbundbrücke, der Innbrücke Wasserburg der bestehenden alten Brücke erstellt, um
[Bilfinger et al., 1988] oder bei der Mosel- die Fahrbahn von vier auf sechs Spuren zu
brücke Bernkastel-Kues [Kuhlmann, erweitern. Ziel war es, die neue Brücke so
1996]. zu gestalten, dass die Ansicht auf das alte als
Da für die Bemessung des Stahlunter- Denkmal geschützte Bauwerk nicht gestört
gurtblechs der Bauzustand, also das Beto- wurde. So wurde eine sehr leichte Brücke
nieren des Betonuntergurts maßgebend ist, gewählt, die sich mit ihren Stützweiten an
das zur Begrenzung der Spannung dann die Spannweiten der alten Mauerwerks
unter Umständen in mehreren Lagen erfol- bogen von 25 m im doppelten Raster von
gen muss, stellt sich die Frage, ob man mit 50 m anpaßt.
dem Stahluntergurtblech nicht ein sehr Der Querschnitt besteht aus zwei klei-
teures „Schalungsblech“ hat, auf das man nen ca. 2 m breiten Stahlkästen, die mit ei-
auch ganz verzichten könnte. ner durchlaufenden Platte verbunden sind.
Fertigung und Montage sind sehr wich- Dieser Querschnitt vereinigt die Vorteile
tige Kriterien zur Festlegung des geeigneten der Torsionssteifigkeit und glatten An-
Querschnitts, und so sind die einfache Zu- sichtsflächen geschlossener Querschnitte
gänglichkeit und Montierbarkeit nach wie mit der einfachen Montierbarkeit der ty-
vor die Hauptvorteile der offenen aus ein- pischen Plattenbalken. Diese Lösung er-
zelnen Hauptträgern zusammengesetzten möglicht auch eine optimale Stützung der
Querschnitte gegenüber dem ein- oder Verbundplatte durch die Kastenstege, so
mehrzelligen Kastenträger, der in der Regel dass die Betonplatte auch im Querschnitt
nicht als geschlossene Einheit transportiert schlaff bewehrt werden konnte. Der Zu-
werden kann. Eine Kombination beider sammenhang zwischen Fahrbahnplattener-
Querschnittsformen macht sich die Vor- stellung und Querschnittsgestaltung wird
teile beider zu Nutze. Bild 4.2.3-6 zeigt das im Folgenden behandelt.
278 4 Querschnittsgestaltung
4.2.3.3 Einfluss der Fahrbahnplatte deutet nicht automatisch, dass dieses Sys
auf die Querschnittsgestaltung tem wirtschaftlicher ist. Bei großen Spann-
weiten wird die Höhe der Hauptträgerstege
Die Betonfahrbahnplatte übernimmt im durch die erforderliche Steifigkeit bestimmt
Verbundbau eine Doppelfunktion: und nicht durch die erforderliche Quer-
• In Querrichtung wirkt sie als Platte, die krafttragfähigkeit. Dies führt in der Regel zu
Stegen, die bei weitem nicht durch die Quer-
die Lasten zu den Längsträgern ableitet.
• In Längsrichtung bildet sie den Ober- kraft ausgenutzt sind. Bei einer großen An-
zahl an Hauptträgerstegen reduziert sich die
gurt des Verbundquerschnitts und wirkt
Höhe der Stege nur geringfügig, die Quer-
als Scheibe.
krafttragfähigkeit der Brücke nimmt dem-
Beide Funktionen führen zu Zugspan- gegenüber unverhältnismäßig zu. Die Mate-
nungen im Beton: In Querrichtung erhält rialausnutzung ist insgesamt schlechter und
die Platte Zug aus der Durchlaufwirkung die Konstruktion damit unwirtschaftlicher.
über den Längsträgern, in Längsrichtung Bei kleinen Spannweiten sind die Verhält-
reißt der Obergurt im Bereich negativer nisse zwischen Momenten- und Querkraft-
Momente an den Auflagern. Früher wur- tragfähigkeit in der Regel günstiger, so dass
den diese Zugspannungen durch Vorspan- bei mehreren Stegen die Ausnutzung und
nung mit Spanngliedern in beide Rich- damit die Wirtschaftlichkeit der Konstruk-
tungen überdrückt. Die Erfahrungen der tion steigt. Dann kommt auch eine entspre-
letzten Jahre mit Schäden an Spannbeton- chende Einsparung im Bereich der Quer-
brücken haben in letzter Zeit jedoch zu ei- vorspannung der Platte zum Tragen.
ner Zurückhaltung gegenüber der Vorspan- Eine weitere Möglichkeit, bei geringer
nung mit nachträglichem Verbund geführt, Hauptträgeranzahl die Stützweite, insbe-
die auch die Ausführung von Verbundplat- sondere von Kragarmen zu reduzieren bie-
ten betrifft. Um eine Vorspannung in Quer- tet sich durch schräge Streben, die den
richtung vermeiden zu können, müssen die Kragarm gegen den Untergurt der Haupt-
Spannweiten insbesondere der Kragarme träger abstützen, wie in Bild 4.2.3-7 darge-
entsprechend reduziert oder sehr massive stellt. Die Horizontalkomponenten am
Querschnitte gewählt werden, die jedoch Ober- und Untergurt müssen kurzgeschlos-
schnell unwirtschaftlich und ästhetisch we- sen werden. Im Falle der Talbrücke über die
nig ansprechend sind. Wilde Gera [Wölfel, R., 1999 und Denzer et
Die Vorspannung der Betonplatte hat al., 2000] erfolgt dies über ein Zugband im
nicht nur Nachteile in Bezug auf Unterhalt Betonobergurt und den Riegel des Quer-
und Dauerhaftigkeit der Konstruktion, rahmens im Untergurt.
sondern bestimmt auch ganz entscheidend Die Fahrbahnplatte wird in Querrich-
die Kosten der Verbundplatte mit. Ein ein- tung durch die beiden geneigten Stege des
facher Kostenvergleich für die Einheits- Stahlkastens sowie durch außen liegende
preise verschiedener Plattentypen in Tabel- Verbundträger unterstützt. Diese Längsträ-
le 4.2.3-1 zeigt, dass der erforderliche hö- ger wiederum liegen alle 6 m auf Querrah-
here Anteil an schlaffer Bewehrung durch men auf. Die Querrahmen werden durch
die Einsparung der Vorspannglieder mehr die innen- und außen liegenden Diagona-
als ausgeglichen wird. len, die Quersteifen des Kastenquerschnitts
Die einfache Schlussfolgerung, bei gro und ein in der Fahrbahnplatte liegendes
ßer Plattenbreite ist eine Vielzahl von Haupt- Zugband gebildet (siehe Bild 4.2.3-7). Das
trägerstegen vorteilhaft, da dadurch die Zugband dient in erster Linie zur Aufnah-
Spannweite der Platte reduziert wird, be- me der aus den außen liegenden Diagona-
4.2 Querschnittsgestaltung in Abhängigkeit vom verwendeten Werkstoff 279
Bild 4.2.3-7 Talbrücke über die Wilde Gera, Querschnitt mit Querrahmen und Zugband
4.2 Querschnittsgestaltung in Abhängigkeit vom verwendeten Werkstoff 281
fischen Randbedingungen ab. Im vorlie- die Umwelt. Doch neben der effizienten Auf-
genden Beispiel wurde der Sondervorschlag forstung von Wäldern stellen das Waldster-
beauftragt, aus juristischen und politischen ben sowie die großflächige Abholzung von
Gründen wurde der Streckenabschnitt der Regenwäldern die Bilanz in Frage.
B474n, zu dem das Brückenbauwerk ge- Die Verarbeitung von Holz, von der Ge-
hört, jedoch nie fertiggestellt. winnung bis zum Endprodukt, ist die ener-
giesparendste aller Baumaterialien. Zudem
4.2.4 Holzbrücken wird die Materialeffizienz, die spezifische
Leistungsfähigkeit des Holzes in konstruk-
Thomas Jahn tiver Hinsicht bis heute von keinem her-
kömmlichen oder neuen Baumaterial er-
reicht. Holzbauteile sind von Natur aus
4.2.4.1 Anmerkungen zum Werkstoff Holz
stabförmig und können in Faserrichtung
im Brückenbau
verhältnismäßig hohe Zug- oder Druck-
Der Werkstoff Holz hat im Brückenbau nach kräfte aufnehmen.
einer großen Vergangenheit heute praktisch Für den Brückenbau ist das Verhältnis
sehr an Bedeutung verloren. Zwar werden der Eigenlast des Materials zur Festigkeit
noch immer Brücken aus Holz gebaut, doch gesehen von entscheidender Bedeutung.
nicht vordergründig wegen der überra- Holz erfüllt diesen Anspruch absolut gese-
genden Materialeigenschaften, sondern eher hen außerordentlich. So wiegt ein Stab aus
aus Gründen der Tradition und der ange- Nadelholz mit 3 m Länge, der eine zen-
nehmen Optik. Mit Rücksicht auf den Denk- trische Drucklast von 20 Tonnen aufneh-
malschutz oder auf schöne Landschaften men soll, 60 kg, aus Vollstahl 130 kg und
wird im Brückenbau Holz eingesetzt, nicht aus Stahlbeton 300 kg. Erfolgt die Belastung
aber aus dem Grund, weil man ein beson- durch Zug, werden diese Unterschiede
ders effizientes, wirtschaftliches Tragwerk noch deutlicher. Die Reißlänge eines aufge-
bauen will. Holz ist ein ökologischer Bau- hängten Holzstabs mit beliebigem, durch-
stoff. Der Ort, wo er produziert wird, ist der gehend konstantem Querschnitt liegt rech-
Wald. Wälder verschönern und verbessern nerisch bei 7 km. Bei normalem Baustahl
282 4 Querschnittsgestaltung
a b
Bild 4.2.4-1 a Einfaches symmetrisches Dreiecksprengwerk, b Dreifaches Sprengwerk
a b
Bild 4.2.4-2 a Einfaches Hängewerk (Dreieckhängewerk), b Zweifaches Hängewerk (Trapez
hängewerk)
4.2 Querschnittsgestaltung in Abhängigkeit vom verwendeten Werkstoff 283
auflagern, spricht man von ein-, zwei- scheiben (z. B. bei überdachten Brücken)
oder mehrfachen Sprengwerken. Die oder Scheiben in der Fahrbahnebene über-
Sprengwirkung entsteht durch die schrägen nommen werden.
Stützen, die Horizontalkräfte hervorrufen.
Die seitliche Stabilisierung zur Aufnah- 4.2.4.2.4 Hängesprengwerke
me von Windlasten erfolgt durch Verbände
Hängesprengwerke, s. Bild 4.2.4-3, stellen
in der Streckbalkenebene oder durch die
eine Kombination der Tragsysteme Hänge-
Fahrbahnscheibe.
werk und Sprengwerk dar. Infolge vertikaler
4.2.4.2.3 Hängewerke Lasten entstehen horizontale Auflagerkräfte.
a b
Bild 4.2.4-3 a Einfaches Hängesprengwerk, b Doppeltes Händesprengwerk
a b
Bild 4.2.4-4 a Einteiliges Pfostenfachwerk mit vier Feldern, b Fachwerk mit gekreuzten Streben
284 4 Querschnittsgestaltung
scheidet man Vollwandbogen und Skelett- Die wohl bekannteste und beeindru-
bogen. Skelettbogen, welche in Form von ckenste Hängebrücke ist die Spannband-
Stabwerk-, Sprengwerk- und Fachwerkbo- Brücke über den Main-Donau-Kanal bei
gen ausgebildet sein können, bestehen aus Essing, siehe Bild 4.2.4-7.
geraden Stäben. Vollwandbogen bestehen
in der Regel aus in der Horizontalfuge ver-
4.2.4.3 Querschnittsgestaltung bei Brücken
leimten Holzbrettern, siehe Bild 4.2.4-6.
Die Querschnittsgestaltung bei Holzbrü-
4.2.4.2.7 Hängebrücken-Spannbandbrücken
cken hängt in entscheidendem Maße von
Bei der einfachsten Form der Hängebrü der Konstruktionsform des Überbaus und
cken werden die Bohlen der Gehbahn somit vom gewählten statischen System
direkt auf die Tragseile gelegt und befestigt. zum Lastabtrag ab. Nachfolgend werden
Die Seile werden zugfest im Boden ver die wesentlichsten Querschnittsformen im
ankert. Holzbrückenbau vorgestellt.
Bild 4.2.4-7 Der Steg über den Main-Donau-Kanal bei Essing [Mucha, 1995]
a b
Bild 4.2.4-8 Prinzip der Plattenwirkung, a Keine Verbindung zwischen den Balken, allein der
belastete Balken hat die Last aufzunehmen (z. B. Radlast). b Balken sind in vertikaler Richtung
unverschieblich miteinander verbunden und bilden somit eine zweiseitig gelagerte Platte, durch den
Querverbund beteiligen sich alle Balken am Lastabtrag.
286 4 Querschnittsgestaltung
Bild 4.2.4-9 Forstwegebrücke über den Tiefen Bach in Ilsenburg (D) [Gerold, 2001]
4.2 Querschnittsgestaltung in Abhängigkeit vom verwendeten Werkstoff 287
a b
Bild 4.2.4-10 Deckbrücken. a Die Fahrbahnplatte liegt auf den Hauptträgern und indirekt ge-
stützten Längsträgern, die seitliche Stabilisierung erfolgt durch Verbände in der Ebene der Quer-
träger. b Die Fahrbahnplatte liegt auf den Hauptträgern, die seitliche Stabilisierung erfolgt durch
Querschotte oder die Fahrbahnplatte.
288 4 Querschnittsgestaltung
Trogbrücken
Trogbrücken sind oben offen. Die Haupt-
träger sind außerhalb der Fahrbahn ange-
ordnet. Die Vorteile dieser Bauart liegen in
der geringeren Gesamtbauhöhe gegenüber
Deckbrücken. Die horizontale Aussteifung
wird durch unmittelbar unter der Fahr-
bahnebene angeordnete Verbände oder
durch Querrahmen erreicht.
Geschlossene Brücken
Geschlossene Brücken sind in der Regel
überdacht, wodurch ein sehr guter Schutz
des Holzes vor Nässe gegeben ist. Die seit
liche Aussteifung kann durch obere und/
oder untere Verbände oder durch Querrah-
men erfolgen (Bild 4.2.4-13).
Bild 4.2.4-11 Crestawaldbrücke bei Sufers 4.2.4.3.3 Verbundsysteme
(CH) [Gerold, 2001]
Durch eine sinnvolle Kombination von
Stahl bzw. Beton mit Holz im Brückenbau
Verwendung plattenförmiger Bauteile für lassen sich die positiven Eigenschaften der
die Fahrbahnkonstruktion ist es möglich, Materialien verbinden und nutzen.
auf Längs- bzw. Querträger zu verzichten.
Dadurch kann die gesamte Höhe der Kon- Stahl-Holz-Verbundbrücken
struktion reduziert werden. Bei dieser Art von Brücken besteht die
Bei Brückenbreiten über 3,5 m und bei Fahrbahn aus stehend angeordneten Holz-
höheren Lasten z. B. aus Straßenverkehr, ist bohlen, welche in Brückenquerrichtung zu
a b c
Bild 4.2.4-12 Trogbrücken. a Die Fahrbahnplatte ruht auf Querträgern, die an den Hauptträgern
befestigt sind. Die seitliche Stabilisierung erfolgt durch Verbände in der Querträgerebene. b Die
Fahrbahnplatte wird durch Balken gestützt, die an den Hauptträgern angedübelt oder angeleimt
sind. Die seitliche Stabilisierung erfolgt durch Querrahmen. c Die Fahrbahn liegt auf durch die
Querriegel indirekt gestützten Längsträgern.
4.2 Querschnittsgestaltung in Abhängigkeit vom verwendeten Werkstoff 289
a b
Bild 4.2.4-13 Geschlossene Brücken. a Stabilisierung durch unteren Verband in Höhe der Quer-
träger sowie obere Verbände auf den Traufpfetten. b Die seitliche Stabilisierung erfolgt durch
Querrahmen sowie Verbände in Höhe der Querträger. Eine zusätzliche Anordnung von Verbänden
in der Dachebene ist möglich.
Bild 5.1-2 Konstruktive Ausbildung von Betonbalkenbrücken, wie sie bis etwa 1950 üblich war
[Gehler, 1931]
Bild 5.1-4 Nahebrücke in Kirn. Von DYWIDAG 1960 gebaute, vorgespannte, über drei Felder
durchlaufende Plattenbrücke (Stützweiten: 18 m – 25 m – 18 m)
Bild 5.1-6 Selterstorbrücke in Gießen, Blick von oben, Aufnahme vom Parkdeck des Karstadt-
Kaufhauses aus dem 4. Obergeschoss im April 2005
Bild 5.1-7 Der Berechnung der Selterstorbrücke zugrunde gelegtes System des Trägerrosts [Alsen/
Schäfer, 1970]
296 5 Haupttragwerke der Überbauten
als Folge der konzentrierten Umlenkkräfte Anordnung der Messstellen, bestehend aus
die Beanspruchungen in den Lasteintra- Verzerrungsmessstreifen in Rosettenform
gungsbereichen der Lagerkräfte. zur Messung der Verzerrungen in drei
Beim Bau der Selterstorbrücke handelt Richtungen, sind aus dem Bild 5.1-10 zu
es sich, wie bereits gesagt, um eine der ers- ersehen.
ten Ausführungen in Deutschland aus vor- Die Querdehnungszahlen von Beton
gespanntem Leichtbeton, die zudem auf (ν = 0,2) und von Plexiglas (ν = 0,37) unter-
Einzelstützen gelagert wurde. Wegen der scheiden sich. Die Unterschiede wirken
Lagerung auf Einzelstützen mit den Zusatz- sich aber auf die Ermittlung der Beanspru-
beanspruchungen im Eintragungsbereich chungen der Platte nicht entscheidend aus.
der Stützenlasten in die Platte wurden die Mit für ν-freie Randbedingungen gültige
Beanspruchungen der Platte zu der zuvor Umrechnungsgleichungen (für die unter-
erläuterten Berechnung zusätzlich in einer suchte Platte wegen der freien Plattenrän-
modellstatischen Untersuchung am Institut der für die Selterstorbrücke aber nicht zu-
für Massivbau der Technischen Hochschu- treffend) wurde abgeschätzt, dass der Fehler
le Darmstadt ermittelt [Beck/Mehlhorn, unter 10% liegt. Es ist in allen Fällen unbe-
1970]. Das Modell aus Plexiglas (Bild 5.1-9) dingt zu fordern, dass der Bemessung kon-
wurde der Haupausführung im Maßstab sequent ein Gleichgewichtszustand zu-
1:50 geometrisch ähnlich nachgebildet. Die grunde gelegt wird, auch wenn er die Ver-
Abmessungen der Modellplatte und die träglichkeitsbedingung geringfügig ver-
letzt. Dies wurde bei der Bemessung und ten Flächenbelastung gleichwertig waren.
konstruktiven Ausbildung der Selterstor- Durch gruppenweise Zusammenfassung
brücke natürlich beachtet. Als Belastung konnten auch Teilflächenbelastungen unter
des Modells dienten untergehängte Ge- sucht werden. In den Bildern 5.1-11 und
wichte. Die Last wurde über kleine Einzel- 5.1-12 sind die Ergebnisse der in der Träger
balken und Ringe mit unter die Modell rostberechnung und im Modellversuch er-
platte aufgeklebten Lasthäkchen und durch mittelten Momentenverläufe für den Last-
feine Bohrungen durch die Modellplatte fall Eigenlast g1 = 12,75 kN/m2 (� 1,25 Mp/
gefädelte Stahldrähte in das Modell einge- m2) angegeben. Es ist zu erkennen, dass
tragen. Die insgesamt 377 Lasteintragungs- die Verläufe grundsätzlich gut übereinstim-
punkte wurden auf der Modellplatte so men. Die Bemessungswerte aus den beiden
verteilt, dass sie der gleichmäßig verteil- Ermittlungen sind jedoch zum Teil unter-
schiedlich, natürlich insbesondere an den ohne die wegen der Ausführung aus vor
Stellen, an denen in der Trägerrostberech- gespanntem Leichtbeton mit der Aufla
nung (Knotenpunkte der Längs- und Quer- gerung auf Einzelstützen zu beachtende
träger) Momentensprünge auftreten und Sicherheit zu vernachlässigen. Man betrat
bei den Momentenspitzen über den Stüt- ja mit dem Bau der Selterstorbrücke damals
zen, die ja in der Platte nicht in dieser Neuland.
Größe vorhanden sind. Die Auflagerkräfte Später wurde im Rahmen eines von der
wurden ebenfalls modellstatisch durch Deutschen Forschungsgemeinschaft geför-
Verzerrungsmessungen an den Stützen des derten Forschungsvorhabens im Schwer-
Modells ermittelt. Dadurch konnte die punktprogramm Flächentragwerke die
Richtigkeit der ermittelten Schnittmomen- Modellplatte mit der Finite-Element-Me-
te und Auflagerkräfte abschließend durch thode rechnerisch untersucht [Schäfer et
Gleichgewichtsprüfungen bestätigt werden. al., 1975]. Dabei wurde die im Modellver-
In der Trägerrostberechnung mit den Plat- such ermittelte Querdehnungszahl des Mo-
tenstreifen als Träger wurden Torsions dellwerkstoffs von ν = 0,37 auch der Berech-
momente errechnet. Die bei der Platte auf- nung zugrunde gelegt, um einen einwand-
tretenden Drillmomente bedeuten, dass die freien Vergleich der Ergebnisse des Modell-
zwar sinnvoll aber willkürlich gewählten versuchs und der FEM-Berechnung zu er-
Koordinatenachsen nicht mit den Rich- möglichen. Das für die Berechnung ver-
tungen der Hauptmomente für den jeweils wendete Dreiecks-Plattenelement mit
betrachteten Punkt der Platte übereinstim- 33 Freiheitsgraden ist im Bild 5.1-13 ange-
men. Weil die Drillmomente nur in Aus- geben. An den Eckknoten 1 bis 3 (siehe
nahmefällen aus den Torsionsmomenten Bild 5.1-13) sind jeweils die acht Frei
des Trägerrosts ermittelbar sind, ist es im heitsgrade ux , uy , uz , uz, x , uz, y , uz, xx ,
Allgemeinen kaum möglich, die Richtun- uz, xy , uz, yy und in den Seitenmitten,
gen der Hauptmomentenvektoren der Plat- Knoten 4 bis 6, sind jeweils die drei Frei-
te durch eine Trägerrostberechnung ausrei- heitsgrade ux , uy und uz, n angesetzt. u sind
chend zuverlässig zu bestimmen. Die mo- die Verschiebungen, der Index vor dem
dellstatische Untersuchung und die Träger- Komma steht für die Richtung der Ver-
rostberechnung zusammen ermöglichten schiebung, die Indices hinter dem Komma
eine wirtschaftliche Bemessung der Platte, geben die Ableitungen der Verschiebung an
5.1 Beton-Plattenbrücken 299
Bild 5.1-15 Vergleich der in der im Modellversuch und in der FEM-Berechnung erhaltene Ergeb-
nisse
brücke der Brücke über die Zwickauer von 60 cm in Plattenmitte und von 1,10 m
Mulde bei Glauchau (Bild 5.1-16) hat eine über den Innenstützen. Sie ist mit der me-
konstante Plattendicke von 1,05 m. Die chanischen Schlankheit li /h ≈ 0,6 · 25/0,6
Stützweiten betragen 31 m – 39 m – 37 m = 25 eine aus Normalbeton ausgeführte als
– 35 m – 29 m. Ihre mechanische Schlank sehr schlank zu bezeichnende Brücke. Bei
heit beträgt etwa 24, die größte optische der Schlankheit ist aber zu beachten, dass
Schlankheit etwa 37. Die Brücke ist damit die Brücke ja über den Innenstützen fast
sehr schlank. doppelt so dick ist wie in Feldmitte, was die
Üblich ist auch die Herstellung von Plat- Frage der Schlankheit relativiert. Die Brü-
ten aus Fertigteilen mit Ortbetonausfüllung, cke ist sehr wirtschaftlich konstruiert und
wodurch die Schalung und Rüstung der Plat- ausgeführt, weil die Eigenlast im Feld (gro-
te entfällt. Dazu wird auf Abschnitt 4.2.1 und ßer Hebelarm für die Belastung) gering und
insbesondere auf Bild 4.2.1-4 verwiesen. über der Stütze (kleiner Hebelarm für die
Es sollen noch Betrachtungen zu vorge- Belastung) höher ist. Die Spanngliedfüh-
spannten Plattenbrücken und der Spann- rung ist typisch für die damalige Zeit, als
gliedführung angestellt werden, die auch man die Anordnung der Spannglieder ent-
für die im Abschnitt 5.2.1 behandelten vor- sprechend den Beanspruchungen aus äuße-
gespannten Durchlaufträger in gleicher ren Lasten wählte und nach Möglichkeit
Weise typisch sind. Im Bild 5.1-17 ist die Zwangsmomente aus Vorspannung ver-
von DYWIDAG 1960 ausgeführte Brücke mied.
über die Nahe in Kirn (Bild 5.1-4), die Bei heutigen Konstruktionen erfolgt die
für die Brückenklasse 30 nach DIN 1072 Führung der Spannglieder bei solchen Brü-
(03.1952) dimensioniert wurde, mit der zu- cken so, dass man ganz bewusst gerade die
gehörigen Spanngliedführung im Längs- Zwangsmomente aus Vorspannung durch
schnitt dargestellt. Bei 25 m Mittelspann- geeignete Spanngliedführung erzwingt.
weite besitzt sie eine Konstruktionshöhe Dadurch wird nämlich erreicht, dass die
Bild 5.2.1-1 Längs- und Querschnitt der Seinebrücke bei Villeneuve [Wittfoht, 1972]
sich dann schließlich auch noch als Varian- ebenfalls bereits seit Anfang des 20. Jahr-
te die Pilzbrücke entwickelte. hunderts mit dem Gedanken der Vorspan-
Wie bereits gesagt, ist der moderne Be- nung beschäftigte. Der Spannbeton konnte
tonbrückenbau durch die Vorspannung des erst mit der Entwicklung hochfester Stähle
Betons geprägt. Hauptsächlich wegen der zur Anwendung kommen. Außerdem war
geringen Dehnfähigkeit und wegen der im die Erkenntnis wichtig, dass der Beton un-
Verhältnis zu seiner Druckfestigkeit gerin- ter dauernd wirkenden Druckspannungen
gen Zugfestigkeit des Betons ist es nicht kriecht, was Freyssinet beim Bau der
möglich Stähle sehr hoher Festigkeit im Be- 1907/12 errichteten drei Betonbogenbrü-
tonbau ohne Vorspannung auszunutzen, da cken über den Allier (Le Veudre, Boutiron
dies zu zu großen Rissbreiten führen wür- und Chatel de Neuvre), von denen heute
de, die die Dauerhaftigkeit des Bauwerks in nur noch die Brücke bei Boutiron (Bild
Frage stellen. Als fruchtbar für die Weiter- 1.4-46) existiert, erkannte. Er stellte sich die
entwicklung im Betonbau erwies sich des- Frage, ob sich trotz der langandauernden,
halb die Vorspannung der Tragwerke. Erst zeitabhängigen Zunahmen der Formände-
mit der Entwicklung der Spannbetonbau- rungen im Beton dauerhafte Vorspannun-
weise kamen auch bei großen Spannweiten gen erzeugen lassen. Als Ergebnis seiner
Biegeträger, meist als Durchlaufträger aus- Experimente kam er zu dem Schluss, dass
geführt, im Betonbrückenbau zur Anwen- für den Spannbeton die Verwendung hoch-
dung. fester Stähle notwendig ist. In einem seiner
Die Grundidee des Vorspannens geht Patente heißt es:
bereits bis ins Ende des 19. Jahrhunderts „Für die Erfindung ist also Voraussetzung:
zurück. Bereits 1888 erhielt Doehring das die Verwendung eines die angegebenen hoch-
Patent Einrichtung zur Herstellung von mit wertigen Eigenschaften besitzenden Werk-
Draht durchzogenen Latten erteilt, wonach stoffs für die Bewehrung und die Verwen-
die Drähte durch Schrauben gespannt wer- dung einer ebenfalls hochwertigen Beton-
den sollen. Im Jahre 1905 beschrieb Lund masse. Denn nur in diesem Fall liegt die Er-
in der Zeitschrift Beton und Eisen eine De- findungsaufgabe, nämlich die Schaffung ei-
ckenkonstruktion aus Fertigbeton-Hohl- nes hohe Belastungen mit Sicherheit ermög-
blöcken mit vorgespannter Bewehrung, lichenden Eisenbetonkörpers überhaupt vor.
wozu er schrieb: Will man die Rissbildung Für die Bewehrungsstäbe kommen mithin
im Beton verhüten, muss man das Eisen der Stäbe in Betracht, die eine Elastizitätsgrenze
Zuganker vor der Ausrüstung mit der zuläs- von mindestens 40 kg/mm2 ( � 400 N/mm2)
sigen Spannung beanspruchen, und dieses haben, die, je nach Größe der anzuwen
kann bei der vorliegenden Konstruktion aus denden Vorspannung, bis zu 160 kg/mm2
einzelnen fertig abgebundenen Betonblöcken ( � 1600 N/mm2) und mehr betragen muss.
sehr leicht geschehen, indem man die Blöcke Ferner müssen die vorgespannten geradlini-
vor der Ausschalung durch Anziehen der gen Bewehrungen im Beton so verteilt wer-
Zuganker zusammenpresst. Diese Ideen wa- den, dass sie in ihm eine Druckverteilung
ren für die Anwendung im Hochbau ge- schaffen, die den Zugkräften entgegenwirkt,
dacht, setzten sich zunächst auch dort nicht welche sich aus der Eigenlast und der Nutz-
durch und hatten für den Brückenbau keine last ergeben. Als Mittel zur Erzielung einer
Bedeutung. geeigneten hochwertigen Betonmasse kom-
Die Entwicklung des Spannbetons ist men in Betracht: sorgfältige Körnungswahl,
vor allem mit den Arbeiten und Veröffent- Rütteln, Pressen und Umschnüren. Durch
lichungen des französischen Ingenieurs die Erfindung soll erreicht werden, dass die
Freyssinet aufs Engste verbunden, der sich den Bewehrungsstäben erteilte Vorspannung
5.2 Balkenbrücken 305
Bild 5.2.1-5 Finsterwalders Entwurf für die Dreirosenbrücke in Basel aus dem Jahr 1930, Bild nach
[Finsterwalder, 1967]
durch die diesen entgegenwirkenden Kräfte haft auf die Begrenzung der Rissbreiten aus
nicht völlig aufgehoben wird und der Eisen- und führt damit zu einem günstigen Ver-
betonkörper dauernd wirksamen Druck- halten des Bauwerks unter Eigen- und
kräften unterworfen bleibt, welche die in Nutzlasten.
dem Körper durch Eigenlast und Nutzlast Bei der Errichtung der bereits erwähn-
entstehenden Zugspannungen ganz ver- ten Brücken über den Allier verband Freys-
schwinden lassen oder doch im wesentlichen sinet an einem Bogen als Probekörper mit
ausgleichen. Dadurch erhalten nämlich die 50 m Spannweite die beiden Widerlager mit
nach dem Verfahren gemäß der Erfindung einem vorgespannten Zuggurt aus vorge-
hergestellten Eisenbetonkörper die Eigen- spannten kaltgezogenen Drähten ∅ 8 mm
schaften homogener Körper.“ mit Spannungen nahe an der Fließgrenze.
Man kann heute rückblickend sagen, Die vorgespannten Drähte wurden mit in
dass dieser in seiner Patentschrift von 1929 einer Ankerplatte angeordneten Keilen ver-
aufgezeigte Weg, Betone und Stähle hoher ankert. Diese erstmalige Anwendung der
Festigkeit zu verwenden, sich vollauf be- Vorspannung im Betonbrückenbau an ei-
stätigt hat. Im Spannbetonbau finden heute nem Probekörper ist der erste Meilenstein
Spannstähle mit Festigkeiten zwischen der späteren Entwicklung des Spannbeton-
1000 und 2000 N/mm2 Verwendung. Da- Brückenbaus [Grote/Marrey, 2000].
gegen hat sich die andere Vorstellung Der erste bekannt gewordene Entwurf
Freyssinets, hinsichtlich des Aufbringens einer Spannbetonbrücke überhaupt stammt
so hoher Vorspannkräfte, dass auch nach aus dem Jahr 1930. Finsterwalder schlug
Wirksamwerden der vollen Nutzlasten auf damals für den Bau der Dreirosenbrücke in
Dauer keine Zugspannungen im Beton Basel eine Spannbetonbrücke [Finster
auftreten, als nicht zweckmäßig erwiesen. walder, 1965] vor. Dieser Entwurf (Bild
Vielmehr wird heute in Anlehnung an die 5.2.1-5) wurde allerdings nicht ausgeführt.
Überlegungen von Abeles, Finsterwalders Betrachtet man das Konstruktionssystem,
und Rüsch’s in dem Maße vorgespannt, erkennt man, dass schon dieser Entwurf
dass der Beton nicht auf Dauer voll über- prinzipiell wesentliche charakteristische
drückt ist. Betonzugspannungen werden Elemente der nach 1945 entwickelten Frei-
entweder soweit begrenzt, dass sie unter- vorbauweise enthält. Es sei auf die Ausbil-
halb der Betonzugfestigkeit liegen oder dung als Kragträger mit der gelenkigen
man lässt bewusst Risse im Beton zu. Verbindung im Scheitel hingewiesen. Diese
Dann ist neben dem vorgespannten Spann- Brücke sollte aber auf einem Lehrgerüst,
stahl zusätzlich nicht vorgespannter Be- nicht im Freivorbau, hergestellt werden.
tonstahl (dieser ist auf jeden Fall anzuord- Der von Dischinger 1927/28 beim Bau
nen!) zur Aufnahme der Schnittgrößen der Saalebrücke Alsleben (Bogenbrücke
erforderlich. Die über die Zugzone verteil- mit angehängter Fahrbahn der Schifffahrts-
te Bewehrung wirkt sich besonders vorteil- hauptöffnung über 68 m Spannweite als
306 5 Haupttragwerke der Überbauten
1,90
1 : 40
4,75
1 : 40
10
36 ∅ 70 40 36 ∅ 70
2 18 ∅ 70 12 ∅ 70 12 ∅ 70
60 Öffnung
30 ∅ 70
30
+ 354,319 Einsteigeöffnung
35
54
Schutzrohre + 352,15
mit
24,50 7,91 7,91 9,375 9,375 9,375
Einhänge-
25,20 10,75 träger 31,50
Zweigelenkbogen mit vorgespanntem Zug- mm2) vor allem wegen der noch fehlenden
band) [Dischinger, 1949-2, Standfuß, 2000] Theorie zur Berechnung des Spannkraftver
und der ersten 1935/37 gebauten vorge- lusts infolge Kriechens des Betons – diese
spannten Brücke überhaupt [Schönberg/ Theorie wurde von ihm erst 1939 anwen-
Fichtner, 1939, Dischinger, 1949-2, Finster- dungsreif veröffentlicht [Dischinger, 1939] –
walder, 1965], der Brücke in Aue (hänge- außerhalb des Betonquerschnitts zwischen
werkartig, außerhalb des Querschnitts die Stege der Plattenbalken, um sie jederzeit
geführte und umgelenkte Spannglieder) entsprechend der auftretenden Verfor-
gewiesene Weg, die Vorspannbewehrung mungen und den damit verbundenen Span-
ohne Verbund hängewerkartig, polygonal nungsverlusten nachspannen zu können.
außerhalb des Querschnitts anzuordnen Während des 2. Weltkriegs wurde die Brü-
(Bild 5.2.1-6), damit sie entsprechend cke nicht wie vorgesehen gewartet, und es
der plastischen Formänderung des Betons sind erwartungsgemäß sichtbare Durchbie-
jederzeit nachgespannt und ausgewechselt gungen und signifikante Spannkraftverluste
werden kann, hat sich in jüngster Zeit von ca. 40% aufgetreten. Außerdem wur-
als erfolgreiche Variante im Beton den als Folge der unterbliebenen Wartung
brückenbau entwickelt. Dischinger, der an den Spanngliedern und deren Veranke-
Konstrukteur der Brücke in Aue, legte rungen Korrosionsschäden festgestellt. Die
die Spannglieder aus Rundstählen St52 Brücke konnte 1962 wieder instand gesetzt
∅ 70 mm (Vorspannung nur etwa 200 N/ werden [Lippold/Spaethe, 1965]. Inzwi-
5.2 Balkenbrücken 307
schen wurde sie durch ein neues Bauwerk Riss. Durch geeignete konstruktive Maß-
ersetzt [Ivanyi/Blume, 1995]. nahmen (profilierte Oberfläche des Beton-
Vor allem waren die Entwicklung hoch- stahls) wird ein guter Verbund gewährleis-
fester Spannstähle, aber auch die Erfor- tet. Die im Riss vom Beton nicht aufnehm-
schung der Kriechprobleme und die zu ent- baren Zugspannungen bauen sich über
wickelnde Theorie zur rechnerischen Er- kürzere Einleitungslängen zwischen den
mittlung des Spannkraftverlusts infolge des Rissen im Beton wieder auf und ergeben
Kriechens des Betons notwendige Voraus- somit kürzere Rissabstände mit einer grö-
setzungen für den Durchbruch des Spann- ßeren Rissanzahl bei gleichbleibend genü-
betons und der dadurch eingeleiteten Ent- gend kleinen Rissbreiten. Bei gleichblei-
wicklung neuer Konstruktionsformen im bender Rissbreite kann also eine höhere
Betonbrückenbau, die, wenn auch die An- Stahlspannung ausgenutzt werden. Jedoch
fänge bereits in die 30er Jahre des vorigen wird bei zu kleinen Rissabständen die Ver-
Jahrhunderts zurück gehen, doch vor allem bundwirkung erheblich reduziert. Deshalb
seit etwa 1950 den Brückenbau revolutio- sind der Verwendung und Ausnutzung von
nierten. Stählen hoher Festigkeiten als Bewehrung
Bevor die heute üblichen Konstruk in nichtvorgespannten Tragwerken des Be-
tionssysteme im Betonbrückenbau weiter tonbaus Grenzen gesetzt.
erläutert werden, soll kurz auf das Prinzip Bei Spannbetonbauteilen, bei denen der
des Spannbetons eingegangen werden. Für aus äußeren Einwirkungen auf Zug bean-
die rechnerische Behandlung wird auf Ab- spruchte Beton vorgedrückt wird, damit er
schnitt 8.5, auf eine ausführlichere Behand- unter Gebrauchslast nicht oder nur sehr be-
lung z. B. auf [Mehlhorn, 1998] verwiesen. grenzt auf Zug beansprucht wird, gelten
Beim gerissenen Stahlbetonbalken un- wegen der Vordehnung der Stähle diese
terscheidet man die Druck- und die Zug Grenzen für die Ausnutzbarkeit hochfester
zone. In der Druckzone werden die Druck- Stähle nicht im gleichen Maße. Spannt man
beanspruchungen vom Beton, in der Zug- nämlich durch Vordehnung die in der
zone nach der Rissbildung die Zugkräfte Betonzugzone angeordneten Spannglieder
vom Betonstahl aufgenommen. In nicht- vor (die Betonzugzone wird dabei vorge-
vorgespannten, auf Zug bzw. Biegezug be- drückt), müssen zunächst durch die zuneh-
anspruchten, bewehrten Tragwerken des mende Beanspruchung aus äußeren Lasten
Betonbaus treten Risse in der Regel bereits und den daraus resultierenden Zugspan-
unter Eigenlast auf, da die Dehnfähigkeit nungen die aus Vorspannung herrühren-
des Betons das Maß 0,1 ‰ nicht oder kaum den Druckspannungen in der vorgedrück-
überschreitet. Die vor der Rissbildung vom ten Betonzugzone abgebaut werden, ehe die
Beton und der Bewehrung zunächst ge- Dehnfähigkeit des Betons erreicht wird und
meinsam aufgenommenen Zugkräfte müs- der Beton bei weiterer Laststeigerung reißt.
sen im Riss allein vom Betonstahl aufge- Durch die Vordehnung der Spannglieder ist
nommen werden. Die zwischen dem Beton es deshalb möglich höhere Stahlfestigkeiten
und dem Betonstahl auftretenden Verbund auszunutzen. Das Kräftespiel an einem äu-
spannungen bewirken, dass die im Riss ßerlich statisch bestimmten Spannbeton-
vom Betonstahl allein aufgenommenen balken – Spannglieder mit Ankerkörpern
Zugkräfte im ungerissenen Bereich zwi- und zugehörige Druck- und Zuglinien im
schen den Rissen allmählich in den Beton Beton für den Grenzzustand der Ge-
übertragen werden. An der Stelle, an der die brauchstauglichkeit, bei dem der Beton im
Zugspannungen die Größe der Betonzug- Zugbereich nahezu ungerissen ist – ist im
festigkeit erreichen, entsteht der nächste Bild 5.2.1-7 dargestellt. Entscheidend für
308 5 Haupttragwerke der Überbauten
len Größe, Lage und Richtung der erforder- die geringen und besser abschätzbaren Rei-
lichen Vorspannkräfte sowie der Zeitpunkt bungsverluste beim Vorspannen und die
ihrer Aufbringung den Erfordernissen an- jederzeitige Nachspannbarkeit und Aus-
gepasst werden. Die Anspannstellen müs- tauschbarkeit der Spannglieder waren
sen jedoch während des Spannvorgangs wichtige Kriterien. Zudem erlauben die ex-
zugänglich sein. Wenn Spannglieder inner- tern geführten Spannglieder die Eigenlast
halb des Tragwerks enden, ist bei der des Überbaus durch die Verringerung der
konstruktiven Ausbildung der Bewehrung Stegdicken zu reduzieren. Auch die Ein-
darauf zu achten, dass im Bereich der bringung des Betons wird erleichtert.
inneren Verankerungen den Querkraft- Die Konstruktionsform der Massivbrü-
sprüngen aus der Vorspannung (zusätzliche cken wird in ganz besonderem Maße durch
Schubbewehrung) und der erforderlichen die Bauausführung beeinflusst. Dabei wer-
Spaltzugbewehrung Rechnung getragen den auch bewährte Konstruktionsformen
wird. laufend verbessert. Am Beispiel der Unkel-
Wie bereits erwähnt führte Dischinger steinbrücke, der Hochstraße Ludwigshafen
bei den ersten vorgespannten Betonbrü- und der Elztalbrücke (Bilder 5.2.1-8 bis
cken die Spannglieder außerhalb des Quer- 5.2.1-11) soll die Entwicklung der Pilzbrü-
schnitts. Diese externe Vorspannung wird cken gezeigt werden. Es sei angemerkt, dass
ohne Verbund, mit den Vorteilen der Nach- es fraglich ist, ob die Pilzbrücke und auch
spannbarkeit und der Austauschbarkeit der die anschließend besprochene Freivorbau-
Spannstähle, ausgeführt. Auch in Frank- weise in allen ihren Formen im strengen
reich wurden bereits um 1950 vier Brücken Sinn als Balkenbrücken zu bezeichnen sind.
mit Vorspannung ohne Verbund gebaut Auf sie wird hier aber deshalb eingegangen,
[Metzler/Schmitz, 1998]. Danach ist diese weil die Entwicklung der Bauformen von
Art der Vorspannung lange Zeit nicht mehr besonderem Interesse ist und auch der Zu-
angewendet worden. Seit Mitte der siebzi- sammenhang von Konstruktion und Bau-
ger Jahre wurde das Prinzip der extern ge- ausführung deutlich wird.
führten Spannglieder, zunächst in Frank- Bei der nach einem Entwurf (Beteiligung
reich und in den USA, wieder aufgegriffen. bei der Gestaltung: Architekt Gerd Lohmer)
In Frankreich stand bei dieser Weiterent- und der technischen Bearbeitung von
wicklung der extern geführten Spannglie- Dyckerhoff & Widmann 1956/57 in Ar-
der die Qualitätsverbesserung der Brücken beitsgemeinschaft gebauten Unkelstein
im Vordergrund. Die Spanngliedführung, brücke parallel zum Rhein im Zuge der B 9
5,51
32,60 36,00 38,00 40,00 40,00 40,00 40,00 6,00
41,06 38,90
346,56
Längsschnitt in Brückenachse
bahn
Bild 5.2.1-9
Unkelsteinbrücke
Fuge
379.30
20,90 37,50 37,50 37,50 37,50 37,50 37,50 37,50 37,50 37,50
37,50 20,90
20,90
3000
3000
Bild 5.2.1-10 Längsschnitt und Untersicht der Elztalbrücke, Bild nach [Schambeck/Foerst, 1973]
von Köln nach Mainz, wurde der 358 m len sind in einem allseits geschlossenen
lange Überbau als Durchlaufträger über Rahmen gefasst und gewährleisten die
neun Felder als zweizelliger Kasten mit 2 m Längsverschieblichkeit des Überbaus in der
Konstruktionshöhe gebaut. An den Wider Bauwerksachse infolge Temperaturände-
lagern und über den Pfeilern ist der Kasten rungen und der Verkürzungen aus dem
durch Querscheiben ausgesteift. An einer Kriechen und Schwinden des Betons, wäh-
der mittleren Innenstützen ist der Überbau rend die Querverschiebung des Überbaus
mit dieser Stütze biegesteif verbunden. An ausgeschlossen wird. Die Stützen haben
den beiden Widerlagern werden die Kräfte Abstände von 32,60 m bis 41,06 m von
vom Überbau in die Widerlager über je drei einander. Die Weiterentwicklung dieser
Pendellager übertragen. An sieben der acht Konstruktionsart führte zur monolithi-
Innenstützen ist der Überbau auf jeweils schen Verbindung des Überbaus mit der
vier Vielrollenlagern auf tellerartigen Stüt- Stütze, dem Pilzkopf. Diese Entwicklung
zenköpfen (Vorläufer der Pilzköpfe) auf führte zur festen Verbindung des Überbaus
einer Mittelstützenreihe gelagert. Die Rol- mit den Stützen über die Zwischenstufen
Abgang zum Pfeiler zur
Montage des Stüzbockes
Mittlerer Stüzbock
Hilfsgerüst
Obere Arbeitsbühne
Untere Pfeiler
Arbeitsbühne
37 500 37 500
Mittlerer Stüzbock
16 000
Mittlerer Längsträger
Bühne eingefahren Seitlicher Längsträger
1 240
Hydr. Pressen ±0
7 800
Unter Arbeitsbühne
1 240
Bühne ausgefahren 3 300 3 300 Schalung in Fahrstellung
Bild 5.2.1-11 Längsansicht und Querschnitt des freitragenden Vorrichtung zum Ablasen der Schalung
Gerüstwagens der Elztalbrücke, Bild nach [Schambeck/Foerst, 1973] Schalung in Betonierstellung Bühne eingefahren
311
312 5 Haupttragwerke der Überbauten
Hochstraße Ludwigshafen mit diagonalen gen beidseitig Querrahmen aus, die die
Tragrippen und die Hochstraße Vahrer Schalung für den Überbau tragen. Der
Kreuz in Bremen mit annähernd konti Hauptlängsträger des Vorschubgerüsts
nuierlich in die Platte des Überbaus auslau- wird auf Stützböcken gelagert, die sich
fenden Pilzköpfen zu der im Bild 5.2.1-10 auf die bereits im vorhergehenden Bau
als System dargestellten 380 m langen Elz- abschnitt hergestellten Brückenabschnitt
talbrücke bei Kaisersesch in der Eifel. Der und dem nächsten Pfeiler auflagern. Nach-
Überbau ist eine 30 m breite vorgespannte dem der jeweilige Bauabschnitt fertigge
Betonplatte mit veränderlicher Dicke, die stellt ist, wird das Vorschubgerüst ohne
im Abstand von 37,5 m in Mittelstützen zusätzliche Hilfsmaßnahmen um eine Ab-
eingespannt ist und nur im mittleren Feld schnittslänge nach vorn verschoben. Nach
eine Querfuge hat. Der Überbau, die Stüt- dem Prinzip der Elztalbrücke sind viele
zen und die Widerlager sind monolithisch Brücken, insbesondere verschiedene Hang-
miteinander verbunden, nur an der Quer- brücken beim Bau der Brennerautobahn,
fuge sind in Längsrichtung gegenseitige gebaut worden.
Verschiebungen möglich. Die bis zu 100 m Ein weiteres typisches System für weit-
hohen Stützen haben achteckige Hohlquer- gespannte Spannbetonbrücken ist der Aus-
schnitte, deren Querschnitte über die Höhe legeträger, der vor allem für die im Frei
konstant sind und Außenabmessungen von vorbau errichteten Brücken verwendet
4,8 m ∙ 5,8 m haben. In den Feldern ist die wird. Es seien hier die wohl bekanntesten
Platte jeweils zwischen 50 cm und 65 cm Brücken dieses Systems erwähnt, die
dick, und zu den Stützen nimmt ihre Dicke 1950 gebaute Lahnbrücke Balduinstein
pilzförmig auf 2,45 m zu. Der Bau des Über- (Bilder 1.4-51 und 2.1-12), die mit ca.
baus erfolgte abschnittsweise mit einem 62 m Spannweite die erste Brücke dieses
Vorschubgerüst (Bild 5.2.1-11). Von dem Typs ist, die Nibelungenbrücke in Worms
über der Überbaukonstruktion liegenden (Bilder 1.4-52, -53 und 5.2.1-13), die Mo-
Hauptlängsträger des Vorschubgerüsts kra- selbrücke Koblenz, die Rheinbrücke Ben-
Bild 5.2.1-12 Lahnbrücke Balduinstein, Ansicht und Schnitte, Bild nach [Finsterwalder, 1951]
5.2 Balkenbrücken 313
Bild 5.2.1-13 Längs- und Querschnitt der Nibelungenbrücke in Worms über den Rhein, Bild nach
[Finsterwalder/Knittel, 1953]
Bild 5.2.1-14 Längs- und Querschnitte der Rheinbrücke Bendorf, Bild nach [Finsterwalder/
Schambeck, 1965]
dorf (Bilder 1.4-54, 3.8-11 und 5.2.1-14), der 5.2.1-13 und -14) besonders geeignet.
die Hamana Brücke in Japan (Bild 1.4-56) Die hohen negativen Momente aus der
mit 240 m Spannweite und schließlich die Kragarmbelastung mit den horizontal ge-
im Mittelbereich aus Leichtbeton LC 60 mit richteten Zugkräften am oberen Rand des
einer Rohdichte von 1,94 kg/dm³ herge- Kragträgers werden durch Spannglieder,
stellte Stolma Brücke (siehe Bild 9.1.3-14) die lotrechten und schräggerichteten Zug-
in der Nähe von Bergen in Norwegen [In- kräfte in den Stegen durch Betonstahl und/
gebrigtsen, 1999], die mit 301 m Spannwei- oder Spannstahl und die schräg in den Ste-
te zur Zeit die im Freivorbau errichtete Be- gen und parallel zum unteren Rand gerich-
tonbrücke mit der größten Spannweite ist. teten Druckkräfte durch den Beton aufge-
Für den Freivorbau, mit Auslegeträgern nommen. Entsprechend dem Momenten-
im Bauzustand, ist der Kastenträger (Bil- verlauf wird die Konstruktionshöhe so ab-
314 5 Haupttragwerke der Überbauten
b a
Schalung
∅ 1,90 Rüstträger
O.K.S.
b a
29,50 29,50 29,50
Rüstung in Betonierstellung
2,00
Arbeitsfuge Arbeitsschritt
max. 11,00
∅ 1,90
O.K.S.
Fahrgestell
Vorfahren der Rüstung
3,30 3,30
32,80 9,20 7,80 9,20
2,00
4% 4%
Rüstträger
Fahrgestell
Konsolen Stahlstützen
klappbare
17,00 Bodenplatten
Schnitt a – a Schnitt b – b
Bild 5.2.1-21 Autobahnhochstraße der Umgehung Köln, Bild nach [Beyer/Thul, 1967]
den ersten Jahren mitunter nicht beachtet ser Stelle scheinbar rechnerisch erforderli-
worden, dass die Arbeitsfuge, in der die chen geringen Bewehrungsgrads sehr sen-
Spannglieder abschnittsweise vorgespannt sibel auf nicht direkt ermittelte Zusatzbean-
und gekoppelt wurden (mitunter wurden spruchungen reagieren. Dazu zählen z. B.
sogar alle Spannglieder in der Arbeitsfuge die Traggerüstverformungen während der
vorgespannt, mit Koppelstellen verlängert Herstellung, ungleiche Erwärmung des
und jeweils an den nächsten Arbeitsfugen Überbaus bei statisch unbestimmten Sys
wieder vorgespannt und durch weitere temen, Bauwerksimperfektionen und
Kopplungen verlängert) wegen des an die- Zwangsbeanspruchungen aus Kriechen
318 5 Haupttragwerke der Überbauten
Rüstträger in Betonierstellung
hinterer Kranwagen
vorderer Kranwagen
R RV
R RV
2,20
R RV
1,90
Querschnitt
28,80
14,40 14,40
2,20
5,00 5,00
14,50
und Schwinden des Betons. Sie wirken sich Aus der bereits erläuterten Herstellungs-
auf die Gebrauchstauglichkeit stärker aus und Vorspannfolge an Arbeitsfugen mit
als in den übrigen Bereichen. Diese eben Spanngliedkopplungen, häufig vereinfa-
genannten Zusatzbeanspruchungen können chend Koppelfugen genannt, treten aus der
nach der üblichen Technischen Biegetheo- Eintragung der Vorspannkraft als konzent-
rie ermittelt werden. Beachtet werden sollte, rierte Kraft Abweichungen vom nach der
dass in der Betonierfuge eine abgeminderte Technischen Biegetheorie für Balken linear
Betonzugfestigkeit zu erwarten ist. veränderlichen Verlauf der Normalspan-
81,40
3 % Gefälle a
2,10
Rollenböcke Vorbauträger Rüstträger mit
Stahlschalung Stahlschalung
Rüstträger
5.2 Balkenbrücken
Rollenbock
Windenplattform
Fahrrichtung Versetzungstraverse
Fahrrichtung
Betrachtete
Koppelfuge
29,85 13 × 25,5 = 331,5 21,15
15 × 25,5 = 382,5
a)
275 325 325 275
26
35
42
113
Ankerplatten
136
150
b) idealisierter Querschnitt
Maßangaben in cm
32,7
200 250
113
143
a) Lasfall 1: Vorspannung
470 kN/m
18,8 MN/m
18,8 MN/m
Schwächung des Querschnitts
g = 100 kN/m
Mg = 2,25 MNm Qg = –410 kN
d) Lasfall 4: Verkehrslasten
Q=195 kN
2,85 1,50 1,50 2,80
4,35 4,30
Spannglied
Betonstahl
Bild 5.2.1-28 Untersuchte Lastfälle für die Untersuchung der Koppelfuge des vorgespannten,
zweistegigen Plattenbalkens
Spannungen aus Vorspannung sind die mit die beiden Rechenannahmen gleich, weil
der FEM nach der Elastizitätstheorie ermit- dafür die Berechnung nach der Techni-
telten Anteile aus der Vorspannung am sta- schen Biegetheorie zutreffend ist. Die ge-
tisch bestimmten Hauptsystem und aus ringen Unterschiede bei den in der Tabel-
dem Zwängungsmoment getrennt aufge- le 5.2.1-1 angegebenen Werten beruhen
führt. Die Spannungen aus Eigen-, Ver- darauf, dass bei den nach der FEM berech-
kehrslast und Zwängungsmoment sind für neten Spannungen die gemittelten Schwer-
5.2 Balkenbrücken 323
Tabelle 5.2.1-1 Normalspannungen im Beton am unteren Rand des Stegs unmittelbar links neben
der Koppelfuge in N/mm2
Lastfall 1+2 3 4 1+2+3+4
Technische Biegetheorie stat. best. Anteil –13,8
(Lineare Spannungsvertei-
lung) aus Zwängungs +12,1
moment
Summe –1,7 –1,1 +3,1 +0,3
FEM-Elastizitätstheorie stat. best. Anteil –9,1
aus Zwängungs +11,6
moment
Summe +2,5 -0,9 +2,9 +4,5
Abweichungen zwischen Elastizitätstheorie und +4,2 +0,2 -0,2 +4,2
Technischer Biegetheorie
a) Verlauf der Längsspannungen im Beton σc über die Höhe des Steges an der Stelle 2,5 cm links der Koppelfuge
Bild 5.2.1-31 Vergleich der nach den Zuständen I und II berechneten Verläufe der Längsspannun-
gen σx aus Vorspannung an der Koppelfuge im Steg
326 5 Haupttragwerke der Überbauten
T (t)
t
0 tO
äußerlich und innerlich statisch unbe- 8,7 km lang. Sie ist überwiegend aus vorge-
stimmtes Rahmentragwerk nach der tech- fertigten Teilen, die am Ufer gefertigt wur-
nischen Biegetheorie für räumliche Stab- den, hergestellt worden. Nach einem Ent-
tragwerke am verformten System unter wurf ebenfalls von Morandi wurde 1963/66
Berücksichtigung der Vorspannung der die Autobahnbrücke Polcevera in Genua
Kabel zu untersuchen. Dabei ist die realis mit einer Hauptspannweite von 208 m nach
tische Beschreibung der Biege- und Tor dem gleichen Prinzip gebaut. Auch die mit
sionssteifigkeiten des Überbau-Balkens 282 m Spannweite 1968/71 gebaute Wadi-
und des Pylons sowie der Dehnsteifigkeiten Kuf-Brücke in Libyen (Bild 5.2.1-37) ist
der Schrägkabel für die Nachweise der Ge- nach dem gleichen Konstruktionsprinzip
brauchstauglichkeit, der Tragfähigkeit und gestaltet. Bei der Autobahnbrücke Polce
des Schwingungsverhaltens der Brücke von vera und der Wadi-Kuf-Brücke wurden die
besonderer Bedeutung. Schrägkabel als Spannbeton-Kabel ausge-
Im Betonbrückenbau wurde die Anwen- führt.
dung des Systems der Schrägkabelbrücken Im Bild 5.2.1-38 ist das System der
mit dem Bau der Brücke über den Mara Stromöffnung der Waalbrücke bei Tiel ge-
caibo-See in Venezuela eingeleitet. Ein Aus- zeigt. Diese nach dem System des Büschels
schnitt des statische Systems der Hauptöff-
nungen dieser 1959/62 nach einem Entwurf
des italienischen Ingenieurs Morandi er-
richteten Brücke ist im Bild 5.2.1-36 ge-
zeigt. Die Maracaibobrücke besitzt insge-
samt fünf Hauptöffnungen mit je 235 m Bild 5.2.1-36 System der Maracaibobrücke,
Spannweite. Die gesamte Brücke ist ca. Bild nach [Dimel, 1963]
328 5 Haupttragwerke der Überbauten
gebaute Brücke besitzt je zwei unter 1 : 2 bahn- und Straßenverkehr als Schrägkabel-
und 1:1 geneigte Abspannungen vom Py- brücke in Harfenform mit dichter Anord-
lonkopf zum Überbau. Das Mittelstück be- nung der Schrägkabel (Bild 5.2.1-39) ge-
steht aus vier je 425 t schweren vorgefertig- baut. Die konstruktive Lösung wurde aus
ten Einhängeträgern mit T-Querschnitt. der Freivorbauweise mit über die Länge an-
Die Spannbeton-Schrägkabel wurden aus
5,15 m langen Betonfertigteilen mit Spann-
gliedkanälen mit Überhöhung so zusam-
mengesetzt, dass die Kabel nach Entfernen
der Montageunterstützung nicht wesent-
lich durchhängen.
Beim Bau der zur Jahreswende 1971/72
fertiggestellten zweiten Mainbrücke der Bild 5.2.1-39 System der 2. Mainbrücke der
Farbwerke Hoechst [Schambeck, 1973] Farbwerke Hoechst, Bild nach [Schambeck,
wurde erstmals eine Betonbrücke für Eisen 1973]
5.2 Balkenbrücken 329
Regensburg B Passau
1,30
19 ∅ 6''-Litzen, = 2,4
0
b
Pzul = 2589 KN
6 × 22,6 =1,356
1,60
1,30 65
6 × 19
BX/D = 0,84
BY/D = 0,84 bis 1,38 65
,5 =1,7
D: Hüllrohrdurch- 1,60
b=
6×
messer
19,5
7
=1,0
R=
5
Rm
6,18
=6,
R=
1:2
95 m
7,73
m
b=
1,60
Mörtel
Elemente Typ „UTLQ1“
Stahl
Elemente Typ „UTLQ1“
Beton
Elemente Typ „IPQQ“
6,18 m bis 7,73 m (mittlerer Radius 6,95 m) ersichtlich. Das Schrägkabel ist ein Spann-
am Kopf des Pylons (A in Bild 5.2.1-40) zu betonquerschnitt mit 56 Litzenspannglie-
untersuchen. Aus dem Bild 5.2.1-40 ist der dern Typ Dywidag mit 19 ∅ 6˝-Litzen mit
für die Untersuchungen wesentliche Aus- einem charakteristischen Wert für die Zug-
schnitt des statischen Systems der Donau- festigkeit von 1770 N/mm2. Die gesamte
brücke Metten im Bereich des Schrägkabels Schrägkabelkraft beträgt 135 MN. Es war
Reihenfolge der Vorspannung
5.2 Balkenbrücken 331
(halber Zügelgurt)
Bild 5.2.1-44 Betondruckspannungen für die Vorspann- und Verpressfolge b nach Abschluss der
vier Stufen
5.2 Balkenbrücken 333
Bild 5.2.1-45 Betonzugspannungen für die Vorspann- und Verpressfolge b nach Abschluss der
vier Stufen
334 5 Haupttragwerke der Überbauten
oy
Druck
N/mm2 4 6
b
–15 4 6
a
–7,5 8 7
10 20 28
0 i 12 9
10 20 28
a
Vorspannfolge a Vorspannfolge b
7,5 b
: wird gerade vorgespannt
: zuvor bereits vorgespannt und Verpressen
ox Zug : alle Spannglieder vor dem Verpressen
vorgespannt
Bild 5.2.1-46 Vergleich der Spannungen für alternative Vorspann- und Verpressfolgen für die
Donaubrücke Metten
führung in den Streckträger mit Umlen- ungünstig. Der Fall b ist die ausgeführte
kung, die ungünstigsten Beanspruchun- optimierte Vorspann- und Verpressfolge.
gen. Diese Folge kam deshalb ebenfalls Außerdem sind zum Vergleich noch die
nicht in Frage. Als für alle kritischen Berei- größten Betondruck- und Betonzugspan-
che hat sich die im Bild 5.2.1-43 angegebe- nungen angegeben, die auftreten würden,
ne Vorspann- und Verpressfolge b in vier wenn zunächst alle Spannglieder vorge-
Stufen (mit der Stufe 1 beginnend, danach spannt und erst anschließend alle Spann-
folgen die Stufen 2 bis 4 nacheinander) un- glieder verpresst worden wären. Als Ent-
ter Berücksichtigung der Beanspruchun- scheidungskriterium für die Wahl der Vor-
gen in den beiden Bereichen als optimal spann- und Verpressfolge dienten die auf-
erwiesen. Die sich ergebenden Betondruck- tretenden Betondruckspannungen. Die
und Betonzugspannungen für diese Folge b auftretenden größten Betonzugspannun-
sind für den Endzustand nach der Stufe 4 gen waren in allen untersuchten Fällen so
in den Bildern 5.2.1-44 und 5.2.1-45 ange- groß, dass sie über der Zugfestigkeit des Be-
geben. tons lagen. Zur Aufnahme der Zugkraftre-
Im Bild 5.2.1-46 sind für verschiedene sultanten wurde Bewehrung aus Betonstahl
Vorspann- und Verpressfolgen ebenfalls je- in Querrichtung jeweils oben und unten
weils in vier Stufen die größten Beton- liegend zwischen den Spanngliedlagen an-
druck- und Betonzugspannungen angege- geordnet.
ben. Der Fall a entspricht einer lagenweise Inzwischen hat mit der weiteren Ent-
Vorspann- und Verpressfolge. Wie schon wicklung der Schrägkabelbrücken in Mas-
ausgeführt, ist dieser Fall für die Beanspru- sivbauweise auch bei Spannweiten zwischen
chungen am Pylonkopf zwar günstig, aber 250 m und 500 m der fruchtbare Wettbe-
an den Einführungen in den Streckträger werb zwischen Stahl- und Massivbrücken
5.2 Balkenbrücken 335
wichtige Entwicklungen beider Bauweisen l/h ≥ 20 (Bild 5.2.2-1), vor allem aber bei
beeinflusst, wie dies auch bereits früher bei räumlich oder terminlich stark einge-
Balkenbrücken mit Spannweiten bis 250 m schränkten Montageverhältnissen, aus
der Fall war. Ausführlich wird auf Schräg- Stahl gegenüber Stahlbetonbrücken kon-
kabelbrücken in den Abschnitten 5.5 und kurrenzfähig werden.
9.1.6 eingegangen. Die einfachste Form der Balkenbrücke
stellt der Einfeldträger dar. Dieser Träger
folgt mit dem Obergurt, der bei Deckbrü-
5.2.2 Stählerne Balkenbrücken cken mit dem Deckblech der Fahrbahn
identisch ist, immer der vorgegebenen Gra-
Günter Ramberger, diente, der Träger selbst wird meist parallel-
Francesco Aigner und gurtig gestaltet. Die Anpassung an die
Thomas Petraschek Schnittgrößen erfolgt meist nicht durch Zu-
nahme der Konstruktionshöhe in Feldmitte.
5.2.2.1 Vollwandbrücken Bei Brücken in Kuppen wird manchmal der
Untergurt horizontal ausgeführt und damit
Gegenüber anderen Baustoffen (Stahlbeton, die größere Konstruktionshöhe in Feldmitte
Holz) gestatten Stahlbrücken mit vollwan ausgenützt. Durch Wahl entsprechender
digen Trägern Stützweiten und Schlankhei- Untergurt-, Deckblech- und Stegdicken,
ten, die von anderen Baustoffen nicht er- eventuell auch durch Wahl von Blechen mit
reicht werden, da Stahl von allen Massen- höheren Festigkeiten in den hochbean-
baustoffen das geringste Verhältnis von spruchten Bereichen wird das Tragwerk den
Eigenlast zur Tragfähigkeit der Konstruk Schnittgrößenverläufen angepasst. Nur in
tion aufweist. Ob stählerne Balkenbrücken seltenen Fällen werden die Längsträger der
gegenüber Stahlbeton- oder Spannbeton- Fahrbahnplatte in Feldmitte verstärkt. Die
Balkenbrücken konkurrenzfähig sind, Blechabstufungen folgen heute praktisch
entscheiden Stützweite, Schlankheit und immer den Austeilungen der Montagestöße,
Montagebedingungen. Generell kann da Stumpfstöße in Feldern wesentlich teurer
gesagt werden, dass bei unbeschränkter kommen als das Mehrmaterial. Sollte bei
Konstruktionshöhe Straßenbrücken ab Eisenbahnbrücken der Ermüdungsfestig-
etwa 120 m und Eisenbahnbrücken ab etwa keitsnachweis maßgebend werden, so bringt
60 m Stützweite, bei beschränkter Kon- eine Erhöhung der Materialfestigkeit keinen
struktionshöhe Straßenbrücken mit einer Vorteil. Ähnlich verhält es sich bei großen
‒ > 1,0), wenn der Stabiltäts-
Schlankheit l/h ≥ 30, für Eisenbahnbrücken Schlankheiten (λ
nachweis für den Tragfähigkeitsnachweis
maßgebend wird.
Bei Durchlaufträgern ist zwischen der
klassischen drei- oder mehrfeldrigen
Strombrücke mit einer großen Mittelöff-
nung und kleineren, meist halb so großen
Seitenöffnungen und den mehrfeldrigen
Talübergängen mit meist gleichen Innen-
feldern und etwas kleineren (70 bis 80 %)
Randfeldern zu unterscheiden.
Die klassische Strombrücke weist meist
Bild 5.2.2-1 Balkenbrücken mit unterschiedli- gevoutete Träger auf, wobei die Höhe an der
chen Schlankheiten [Leonhardt, 1982] Voute etwa l/20 bis l/30 beträgt und in
336 5 Haupttragwerke der Überbauten
Schnitt
Bild 5.2.2-5 Fachwerkbalkenbrücke als Durchlaufträger (l1 : l2 : l1 = 0,75 AA
: 1 : 0,75)
Montagefenster
Schnitt A A
Montagefenster
Systemachse
Montagestoß
Systemachse
Montagestoß
Montagestoß
Montagestoß
Montagestoß
Montagestoß
Anstrichfläche und benötigen dieselbe An- Ende des Knotenblechs angeordnet (Bild
zahl durchlaufender Schweißnähte. Die 5.2.2-6).
Knotenbleche in den Stegen der Obergurte Der Untergurt des Fachwerkbalkens
werden im Werk vollständig eingeschweißt. wird von der Fahrbahnplatte gebildet. Un-
Der Montagestoß im Gurt wird oft am tergurte können mit einwandigen oder
338 5 Haupttragwerke der Überbauten
Schnitt A A
Montagestoß Montagestoß
Montagefenster
Montagestoß
Systemachse
Schnitt B B
als Beispiel die Eisenbahnüberführung BW land und Luxemburg mit den Stützweiten
228 über die Autobahn A4 in Köln, wo 49 – 72,5 – 72,5 – 87,5 – 130 – 88,5 – 59 –
stählerne Eisenbahnbrücken mit einer 48 m quert [Emge/Girard, 2001].
Konstruktionshöhe von nur etwa 1,2 m Bei der Elbebrücke Torgau wird die gro-
durch Verbundbrücken ersetzt wurden. ße Hauptöffnung von 106 m über der Elbe
Autobahn und Schienenlage ließen hier sowie das Überflutungsgebiet durch einen
keine größeren Bauhöhen zu [Kuhlmann, Verbundträger mit einzelligem Kasten-
1995]. querschnitt und einer hohen Voute am
Zum anderen betrifft es die Einbindung Hauptpfeiler überspannt. Durch die hohe
der Brücke in Landschaft und Umgebung. Steifigkeit im Bereich der 5,6 m hohen Vou-
Wie bei der Elbebrücke Torgau erlauben te, die durch einen Doppelverbundquer-
Vollwandbrücken in Verbundbauweise schnitt, also Betonplatten im Ober- und
sehr schlanke Brückenkörper, die sich in Untergurt, noch erhöht wird, werden die
der Formgebung gegenüber anderen spek- Schnittgrößen gezielt zu diesem Pfeiler ver-
takuläreren Bauwerken zurücknehmen. lagert. Entsprechend verringern sich die
Der Entwurf der Brücke wurde entschei- Momente am gegenüberliegenden Stütz-
dend davon bestimmt, das Erscheinungs- querschnitt, an dem die sehr geringe Bau-
bild des Schlosses Hartenfels in unmittelba- höhe mit nur 2,6 m eine möglichst freie
rer Nachbarschaft der Brücke nicht zu stö- Ansicht des Schlosses erlaubt.
ren, siehe Bild 5.2.3-2. Allerdings kann bei einem gevouteten
Längsschnitt der Überbau nicht eingescho-
Ausbildung mit Voute ben werden. Die Konstruktion muss dann
Die Elbebrücke Torgau ist auch ein Beispiel von der Seite oder von unten eingehoben
für eine gevoutete Vollwandträgerbrücke. werden. Entsprechend wurde zum Beispiel
Besonders wirtschaftlich sind die Vollwand- die Moselbrücke Schengen nur über die
träger dort, wo ein ausgeglichener Momen- ersten drei Feldbereiche mit konstanter
tenverlauf, wie z. B. bei Durchlaufträgern Bauhöhe geschoben, die übrigen z. T. ge-
gegeben ist. Durch Vouten kann der Quer- vouteten Schüsse wurden dann durch
schnitt im Stützbereich an hohe Momente Kranmontage und das Strommittelteil
angepasst und es können dadurch auch ent- durch Einschwimmen und Litzenhub mon-
sprechend große Stützweiten erreicht wer- tiert. Ähnliches gilt für die Elbebrücke Tor-
den. Beispiele hierfür sind u. a. neben der gau, bei der auch das 63 m lange Schluss-
Elbebrücke Torgau, die Böckinger Brücke in stück eingeschwommen und mit Kranen
Heilbronn [Engländer et al., 1997], die mit eingehoben wurde.
einer Voutung von 2,8 m im Feld auf 5 m an Bemerkenswert ist bei der Elbebrücke
der Stütze das Neckarfeld mit ca. 98 m über- Torgau außerdem, wie die Vorlandbrücken
spannt, oder das Viaduc de Schengen, das in Spannbeton mit dem Verbundüberbau
den Grenzfluss Mosel zwischen Deutsch- biegesteif gekoppelt sind. Der Spannbeton-
342 5 Haupttragwerke der Überbauten
querschnitt wird auf einer Länge von 7,4 m Weser in Bremen [Steffens et al., 1995] zeigt
in den Verbundkasten hineingeführt. Die hier ein extremes Beispiel für unterschied-
Lastübertragung erfolgt durch Kopfbol- liche Stützweiten (100,7 – 16 m), siehe Bild
zendübel. Auch die Längsspannglieder 5.2.3-3. So führen am Widerlager Schlachte
werden in den ausbetonierten Verbund- abhebende Lasten von maximal 7 MN zu
querschnitt geführt. Man vermeidet so auf einer kräftigen Abspannkonstruktion mit
dem Trennpfeiler zwischen Spannbeton- Gelenkbolzen.
und Stahlverbundüberbau einen unterhal- Verbundbrücken bieten gegenüber rei-
tungsintensiven Fahrbahnübergang und nen Stahlbrücken neben ihrer höheren
die Ausbildung von zwei getrennten Lager- Auflast durch das Gewicht der Platte gute
achsen. Auch Lagerkonstruktionen erfor- Möglichkeiten, wegen der hohen Steifigkeit
dern eine regelmäßige Kontrolle und War- durch Absenkmaßnahmen eine Vorspan-
tung und möglicherweise ein vorzeitiges nung der Lager zu erzielen und dem Ab
Auswechseln, so dass durch weniger Lager heben so entgegenzuwirken. So wurden
Vorteile bei der Unterhaltung entstehen. bei der Eisenbahnüberführung BW 228
Die Unterhaltung der Lagerkonstruktionen über die Autobahn A4 bei Köln, siehe Bild
ist besonders aufwendig, wenn es zu abhe- 5.2.3-1, durch Absenkmaßnahmen an den
benden Lagerkräften kommen kann. Pfeilerachsen zwischen 30 und 50 cm so-
wohl abhebende Kräfte an den Widerlagern
Abhebende Lagerkräfte speziell in den spitzen Ecken überdrückt als
Bei sehr unterschiedlichen Spannweiten- auch eine vorteilhafte Druckvorspannung
verhältnissen (Bild 5.2.3-3) oder auch bei in der nicht vorgespannten Verbundplatte
schiefwinkligen Brückenenden können bei erzeugt.
Balkenbrücken an den Auflagern der End- So positiv die hohe Längssteifigkeit für
felder Zugkräfte entstehen, die allein durch die Wirksamkeit von Absenkmaßnahmen
die Eigenlast der Brücke nicht zu über ist, so nachteilig ist diese hohe Steifigkeit
drücken sind. Die Teerhofbrücke über die für den Einfluss von Zwängungen. Dies
macht sich besonders bei engen Lagerab- Anker o. ä. werden die Brückenenden durch
ständen in Brückenquerrichtung und Pres- hinter das Lager auskragende massive Be
senanordnung unter steifen Verbundquer- tonendquerträger ballastiert. Die Ballastie-
trägern bemerkbar. Bei dem Bauwerk 228 rung reicht allerdings allein zur Gewähr-
handelt es sich um einen offenen Platten- leistung der theoretischen Lagesicherheit
balkenquerschnitt mit sieben Hauptträgern, nicht aus, so dass ein zusätzliches Anheben
die im Grundriss als schiefwinkliger Trä- der Brückenenden um ca. 20 cm erforder-
gerrost über drei Felder (Stützweiten 16,5 lich war. Der Bauablauf ist ausführlich im
– 27,4 – 23,4 m) wirken. Die Hauptträger Abschnitt 9.4.1 beschrieben.
sind nur in den Lagerachsen untereinander Die Beispiele zeigen, wie gerade bei voll-
über Verbundquerträger gekoppelt. In die- wandigen Durchlaufträgern in Verbund-
sen Achsen ist jeder Hauptträger für sich bauweise die Schnittgrößen und Lagerkräf-
gelagert. Es gibt also sieben Einzellager im te durch Montagemaßnahmen gezielt ge-
Abstand von 2,2 m bzw. 3 m. Bei einer sol- steuert werden können.
chen engen Stützung und der hohen Steifig-
keit der Verbundquerträger führen winzige
Lagerhebung von wenigen Millimetern zu 5.2.3.2 Fachwerkbrücken
extremen Schnittgrößen im Verbundquer-
träger und Abhebekräften der Lager. Die Allgemeine Gesichtspunkte
übliche Forderung, jedes Lager für sich aus- Der in Tragwerken verwendete Werkstoff
wechseln zu können, ist also mit normalen wird sicherlich am besten ausgenutzt, wenn
Bemessungsansätzen nicht realisierbar. Da- er eine reine Normalkraftbeanspruchung
her wurde nur ein Auswechseln der Lager erhält. Demzufolge sind Fachwerke hin-
bei gleichzeitigem Anheben einer gesamten sichtlich der Materialausnutzung besonders
Lagerachse gefordert. Bei fünf Hauptträ- effiziente Tragwerke. Allerdings besteht
gern pro Überbau mit jeweils zwei Pressen diese Effizienz nur, wenn die mechanischen
ist ein solches ,gleichzeitiges‘ Anheben aller Annahmen eines idealen Fachwerks wie
Lager einer Achse natürlich auch nicht so
– gerade Stäbe
einfach durchzuführen. Während der Um-
– nahezu reibungsfreie gelenkige Knoten
bauten im Bauzustand hat man daher ge-
– äußere Kräfte nur in den Knoten
koppelte Pressen eingesetzt und die Kraft-
größen an den Lagern kontrolliert. auch verwirklicht sind. Typischerweise sind
Eine weitere Lösung zur Verbesserung aber gerade die letzten beiden Bedingun-
der Lagesicherheit ist die Ballastierung der gen in realen Fachwerkkonstruktionen
Brückenenden. So kann über Ballastbeton nicht erfüllt. In den Fachwerkknoten als
das Trägerende an den Widerlagern so be- geschweißte Stahlknoten können Biege
schwert werden, dass die Eigenlast aus- momente entstehen, so dass insbesondere
reicht, die abhebende Kraft aus Verkehr für Eisenbahnbrücken gefordert wird, zur
und Konstruktionsgewicht im Feld zu über- Erfassung dieser Nebenspannungen im
drücken. Bei der Moselbrücke Bernkastel- Betriebsfestigkeitsnachweis das Fachwerk
Kues [Kuhlmann, 1996] führt das Stützwei- als biegesteifes Rahmensystem zu unter
tenverhältnis (36,4 – 74,4 – 36,4 m) von in suchen, siehe z. B. Richtlinie 804, Abs. 4
etwa 1 : 2 : 1 an den Widerlagern zu einer so [DB AG, 2003]. Noch deutlicher wird die
geringen Auflast aus dem Gewicht der Brü- Verletzung der idealen Fachwerkbedingun-
cke, dass bei Verkehrsbelastung in Brü- gen am Obergurt, der als in den Fachwerk-
ckenmitte die Lager dort abzuheben dro- knoten örtlich gestützter „Durchlaufträger“
hen. Statt einer Abhebesicherung durch planmäßig Biegebeanspruchung aus der
344 5 Haupttragwerke der Überbauten
werden: der Gussknoten und der ge- 2007], [Denzer, 2006], [Schlaich/Schober,
schweißte Knoten, kurz: Schweißknoten 1999a], [Schlaich/Schober, 1999b].
(Bild 5.2.3-9). Beide Ausführungen sollten Schweißknoten haben gegenüber der
nicht als konkurrierende Bauweisen gese- Gussknotenausführung drei wesentliche
hen werden, denn ihr Einsatz hängt we- Vorteile. Erstens werden durch die direkte
sentlich von den Randbedingungen des Verschweißung der Fachwerkstäbe die
betrachteten Anwendungsfalles ab [Fried- Gussformstücke eingespart, die aufgrund
rich/Quaas, 2008]. ihrer individuellen Herstellung einen we-
Beim Gussknoten werden alle Fach- sentlichen Kostenfaktor darstellen. Zwei-
werkstäbe mittelbar über ein individuell tens hat der Schweißknoten ein vergleichs-
hergestelltes Gussformteil miteinander ver-
bunden. Der Gussknoten zeichnet sich
durch eine hohe Gestaltungsvielfalt aus, die
gerade bei geometrisch komplexen Situati-
onen, wenn eine Vielzahl von Fachwerkstä-
ben an einem Knoten zusammentrifft, von
Vorteil ist. Die erforderlichen Schweißar-
beiten sind im Gegensatz zum Schweiß-
knoten einfacher, da alle Anschlüsse gerade
Stumpfstöße darstellen (Bild 5.2.3-10). Un-
günstig zu bewerten ist jedoch die größere
Anzahl der zu schweißenden Stöße im
Haupttragglied, die nicht nur aus Sicht der
Ermüdung potenzielle Schwachstellen dar-
stellen. Darüber hinaus ist die Herstellung Bild 5.2.3-10 Westumgehung Korntal-Mün-
der Stahlgussteile zeit- und kostenintensiv. chingen, Rohrknoten aus Stahlguss (Quelle
Siehe weiterführende Literatur: [Herion, Straßenbauamt Besigheim)
350 5 Haupttragwerke der Überbauten
Bild 5.3.1-3 Überführungsbauwerk mit schräg gestellten Rahmenstielen über die B 112n bei
Frankfurt/Oder
sich die Sichtverhältnisse auf dem zu unter- zontalschubs hohe Anforderungen an den
führenden Verkehrsweg und im Riegelbe- anstehenden Baugrund. Aus der Längen
reich wird eine Längsdruckkraft von der änderung des Überbaus infolge abfließender
Größe der Horizontalkomponente der Rah- Hydratationswärme, Vorspannung, Schwin-
menstielkraft eingeleitet. Bild 5.3.1‑3 zeigt den und Kriechen sowie Temperaturbean-
ein Überführungsbauwerk über die B 112n spruchungen resultieren Zwangschnittgrö-
im Westen der Stadt Frankfurt/Oder, das als ßen im Rahmenriegel und in den Rahmen-
vorgespannter Rahmen mit schrägen Rah- stielen. Die Größe der Zwangschnittgrößen
menstielen errichtet wurde. Die Stützweite hängt von der Bettungsziffer des Baugrunds
des Rahmens beträgt im Hinblick auf die ab. Eine steifere Bettung führt zwar zu un-
zwei 7,50 m breiten Richtungsfahrbahnen
der unterführten B 112n rd. 30 m. Der Rah-
menriegel ist als 1,00 m dicke Vollplatte aus-
geführt, und die Rahmenecken sind durch
eine 300 mm dicke Voute verstärkt.
Die Schrägstielrahmenbrücke (Bild
5.3.1‑4) stellt wegen ihres großen Hori Bild 5.3.1-4 Schrägstielrahmenbrücke
352 5 Haupttragwerke der Überbauten
Bild 5.3.1-9 Längsschnitt der Föhrer Brücke – aufgelöste Widerlager und elegant gevouteter
Rahmenriegel
5.3 Rahmenbrücken 355
als ein Viertel der Stützweite ist. Da beides nung von Lagern auf den Pfeilerköpfen der
in den meisten Fällen des Massivbrücken- Randfelder Rechnung zu tragen. Dadurch
baus zutrifft, besteht kein prinzipieller Un- geht allerdings die Rahmenwirkung in die-
terschied zum Rahmen mit geschlossenem, sen Bereichen verloren. Beispiele solcher
steifen Stiel. Rahmenbrücken sind die Rheinbrücke
Eine weitere Form der Einspannung des Bendorf [Finsterwalder/Schambeck, 1965],
Überbaus in die Unterbauten lässt sich die Kochertalbrücke Geislingen [Baumann,
durch die Ausbildung von V-Stützen er 1979], die Moselbrücke Schweich [Scham-
zielen. Bei der Maintalbrücke Gemünden beck, 1976], die Brücke über den Vejle-
[Leonhardt et al., 1983] im Zuge der Fjord [Rausch, 1980], die Felsenaubrücke
DB‑AG‑Strecke Hannover – Würzburg ist Bern [Menn, 1976] und die Talbrücke
die Strombrücke über den Main als Rah- Schottwien [Vogler, 1989].
mentragwerk mit Stützweiten von 82 m + Ein Rahmentragwerk besonderer Art
135 m + 82 m ausgebildet. Mit einer (Bild 5.3.1-11) wurde mit dem Bau der Tal-
Spreizung der Stiele von 23 m verringert brücke Zahme Gera im Zuge der Autobahn
sich die Riegelstützweite um rd. 20 %, was A 71 verwirklicht [Abel/Tiarks, 2003]. Es
sich sowohl auf die Schnittgrößen als handelt sich hierbei um ein vierfeldriges
auch auf die Verformungen positiv aus- Tragsystem, bei dem der gevoutete Über-
wirkt. So wurde mit Konstruktionshöhen bau bei freier Auflagerung an den Wider
von 6,50 m über den Stützen und 4,50 m lagern mit den in der Ansicht Y-förmigen
in Feldmitte Schlankheiten von l/21 bzw. Pfeilern biegesteif verbunden ist. Durch die
l/30 erzielt. Spreizung der Stützen in ihrem oberen Be-
Bei langen mehrfeldrigen Rahmenbrü- reich zu einem Y kann bei einem solchen
cken (Bild 5.3.1‑10) ist der Längenände- Rahmentragwerk der Überbau trotz der
rung des Überbaus infolge Temperatur, großen Stützweite außerordentlich schlank
Schwinden und Kriechen durch die Anord- gehalten werden. Bei Stützweiten von 115 m
Bild 5.3.1-12 Schiefer Zweigelenkrahmen im Zuge der Ortsumgehung Erfurt über die L 1055
Gussasphalt Deckschicht
Gussasphalt Schutzschicht
Bitumenschweißbahn (einlagig)
Grundierung
5.3 Rahmenbrücken
Bild 5.3.1-13 Brücke im Zuge der Ortsumgehung Erfurt über die L 1055 – Querschnitt nach [Stritzke, 2002], S. 27
357
358 5 Haupttragwerke der Überbauten
Bild 5.3.2-2 Großherzogin-Charlotte-Brücke
Bild 5.3.2-3 Großherzogin-Charlotte-Brücke
– Montageübersicht [Jacobi, 1969]
360 5 Haupttragwerke der Überbauten
dübel (Bild 5.3.3-5). Die Stahlplatten werden 5.4 Bogen- und Stabbogenbrücken
mit Holzschrauben an den Holzträgern be-
festigt. Die Übertragung der Schubkraft 5.4.1 Steinbrücken
erfolgt über eine angeschweißte Knagge,
die in das Holz eingelassen ist. Die schlan- Jürgen Stritzke
ken Rahmenträger sind in regelmäßigen
Abständen über Querträger biegesteif ver-
5.4.1.1 Beurteilung von Steinbrücken
bunden und somit bereits im Bauzustand
gegen Kippen stabilisiert. Im Endzustand
Steinerne Gewölbe- und Bogenbrücken ge-
wirkt die Fahrbahnplatte als horizontale
hören zu den ältesten Tragsystemen zur
Scheibe, über die die Wind- und Stabilisie-
Überbrückung größerer Spannweiten. Aus
rungskräfte zu den Auflagern abgetragen
Kostengründen werden derartige Brücken
werden. Durch die Auskragung dient sie
heutzutage nicht mehr gebaut. Wenn man
zudem als konstruktiver Holzschutz für
aber bedenkt, dass Gewölbebrücken mit
die Holzkonstruktion. Die Rahmenstiele
einer Anzahl von etwa 32% und einer
wurden zusätzlich durch eine Kupferab
Brückennutzfläche von 19% einen erheb-
deckung vor direktem Wasserzutritt ge-
lichen Anteil des Bestands an Straßenbrü-
schützt.
cken der neuen Bundesländer ausmachen,
Diese beiden Beispiele zeigen, dass der
wird deren Bedeutung unter dem Gesichts-
richtige Materialeinsatz bei Mischkon-
punkt der Instandhaltung deutlich. In [Der
struktionen zu ästhetisch anspruchsvollen,
Bundesminister für Verkehr, 1988] und
konstruktiv sinnvollen Lösungen führt. So
[Bundesministerium für Verkehr, Bau- und
können viele Probleme, wie hier z. B. der
Wohnungswesen, 1999] werden 218 Stein-
Holzschutz und die horizontale Stabilität,
brücken Deutschlands in hervorragender
auf effiziente Weise gelöst werden.
Weise vorgestellt.
5.4 Bogen- und Stabbogenbrücken 363
Stützweite 1
Scheitelpunkt
Bogenstich f
Kämpferpunkt Überbau Kämpferpunkt
R2 R1 R1 R2
R R
R2 R2
R3 Unterbau R3
Widerlager Widerlager
R3 R3
gelenkloser Stützlinienbogen
mehrteiliger Korbbogen
Gewölbe- und Bogenbrücken bestehen det (Bild 5.4.1‑1). Als statisches System
aus behauenen natürlichen Steinen oder kamen der statisch bestimmte Dreigelenk-
aus künstlichen Steinen, insbesondere aus bogen, der einfach statisch unbestimmte
gebrannten Ziegelsteinen, in Ausnahmefäl- Zweigelenkbogen und der dreifach statisch
len auch aus Betonsteinen. Als natürliche unbestimmte, beidseitig eingespannte Bo-
Steine kamen solche mit hoher und mittle- gen zur Anwendung. Da der Kreisbogen als
rer Druckfestigkeit zur Anwendung, so z. B. Brückentragwerk nicht frei von Biegemo-
Granit, Syenit, Quarzporphyr, Sandstein, menten ist, sind im Hinblick auf die geringe
aber auch Muschelkalk. Die Qualität und Zugfestigkeit des Mauerwerks der Stütz
Eignung typischer Naturbausteine für Brü- weite Grenzen gesetzt.
cken wird durch den Gehalt, das Gefüge Anders verhält es sich, wenn Gewölbe
und die Anordnung der Mineralien be- oder Bogen nach der Stützlinie geformt
stimmt. Daraus resultieren die Rohdichte, sind. Die Stützlinie stellt die Verbindung
Dauerhaftigkeit, die Druckfestigkeit und der Durchstoßpunkte der zu einer Resultie-
die Bearbeitbarkeit als die bautechnisch renden zusammengefassten Druckspan-
wichtigsten Merkmale. Hierbei hat nicht nungen der einzelnen Querschnitte dar.
die Druckfestigkeit des Gesteins allein, son- Greift die Resultierende innerhalb der
dern der Mauerwerksverband für die Trag- 1. Kernweite an, ist der gesamte Querschnitt
sicherheit und Dauerhaftigkeit die ent- überdrückt. Nimmt die Ausmittigkeit e der
scheidende Bedeutung. Druckkraft N zu, kommt es zu einem Ver-
In [DIN 1075, 1981] erfolgte die Tren- sagen der Zugzone und der Querschnitt
nung der Bauarten Gewölbe- und Bogen- reißt auf. Das Klaffen der Fuge ist begrenzt.
brücken nach dem Verhältnis der Pfeil [Brendel, 1950] hat Angaben zu Grenz-
höhe f zur Stützweite l. Ist das Verhältnis spannweiten von Brücken mit Stützlinien-
f/l < 1/3, handelt es sich um eine Bogen form gemacht, die sich durch eine geschlos-
brücke, bei f/l > 1/3 um eine Gewölbebrü- sene mathematische Lösung auszeichnen.
cke. Nach [Busch, 1995] gelten die Verhält- Die Anwendung des Stützlinienverfahrens
nisse f/l = 0,06 bzw. 0,29 als Grenzwerte für ist auf Gewölbe und Bogen mit einer
flache bzw. hohe Bogen. Stützweite von l ≤ 25 m und einem Pfeil-
Die Formgebung der Gewölbe- und verhältnis f/l ≥ 1/7 begrenzt. Bogen mit
Bogenbrücken war maßgeblich von ihrem Stützweiten von l > 25 m oder flachere sta-
Tragverhalten bestimmt. Die Bogenbrücken tisch unbestimmte Bogen sind nach der
wurden entweder als Kreisbogen oder als Elastizitätstheorie zu berechnen. Bezüglich
aus mehreren Kreisbogen zusammenge- einer wirklichkeitsnahen, rechnerischen
setzten, mehrteiligen Korbbogen ausgebil- Tragfähigkeitsanalyse sei auf [Lachmann,
364 5 Haupttragwerke der Überbauten
1990], [Bechert, 1996], [Falter, 1999] und bebrücken nachgewiesen oder notwendige
[Vockrodt et al., 2003] verwiesen. Insbe- Instandsetzungsmaßnahmen ermittelt wer-
sondere enthält [Vockrodt et al., 2003] den, ohne das Bauwerk gleich dem Abbruch
grundlegende Darstellungen der rechneri- preiszugeben. In [Mildner, 1997], [Mildner,
schen Nachweisführung auf der Grundlage 2001], [Mildner/Mildner, 2002] sind Bei-
des derzeit geltenden Vorschriftenwerks. spiele dieser Vorgehensweise dargestellt.
Unter den außer Kraft gesetzten Vor- Bei unsicheren Annahmen für die Ein-
schriften der DDR gab es spezielle Vor- gangsgrößen in die Berechnung lassen sich
schriften zur Nachrechnung bestehender häufig mit geringem experimentellen Auf-
Brücken ([Sw 120, 1973], [TGL 12999, wand Systemeigenschaften (Steifigkeiten,
1977] , [SBA 169/89, 1989] und [Deutsche Einspanngrad usw.) ermitteln und in den
Reichsbahn, 1991]). Anfang der 90er Jahre rechnerischen Nachweis einbauen (Hybrid-
erschienen Richtlinien für Lasteinstufungs- statik).
berechnungen von Straßenbrücken ([Der In Ergänzung eines rechnerischen
Bundesminister für Verkehr, 1991], [Der Standsicherheitsnachweises dürfen nach
Bundesminister für Verkehr, 1992]) und der [DAfStb-Richtlinie, 2000] auch Belas-
Kataloge für Instandsetzungslösungen be- tungsversuche durchgeführt werden. Das ist
stimmter Typen von Straßenbrücken ([Der u. a. dann sinnvoll, wenn keine ausreichen-
Bundesminister für Verkehr, 1993]), die den Informationen über die Eigenschaften
zwar speziell für die neuen Bundesländer der Baustoffe, über Lage und Form der
herausgegeben wurden, jedoch allgemein Bewehrung und über die Genauigkeit der
anwendbar sind. Für die Bewertung der Modellierung (z. B. Einspanngrad, Ver-
Tragsicherheit bestehender Eisenbahnbrü- bundwirkung) vorliegen. Grundlagen und
cken gelten die [Rili 805, 2002] und der Erfahrungen zur Methode der Experimen-
[UIC-Kodex Nr. 778-3, 1995]. tellen Tragsicherheitsbewertung von
Zur Tragsicherheitsbewertung beste- Brücken wurden im Rahmen des For-
hender Massivbrücken werden auch expe- schungsprojekts EXTRA ([Steffens et al.,
rimentelle Untersuchungen einbezogen. 1999], [Opitz/Steffens, 2000]) erarbeitet.
Außer den üblichen Bestimmungen bau- Für die Belastung der Brücken können z. B.
stofflicher und geometrischer Kennwerte Schwerlastfahrzeuge eingesetzt werden.
durch Prüfungen an Probekörpern, die Für Straßenbrücken wurde ein spezielles
dem Bauwerk entnommen werden, oder Belastungsfahrzeug BELFA entwickelt und
durch zerstörungsfreie Prüfungen am Bau- gebaut, das bis zu Spannweiten von 18 m
werk selbst, werden noch folgende Verfah- angewendet werden kann. Wenn es positi-
ren angewendet: oniert und aufgebaut ist, erzeugen bis zu
Bauwerksmessungen unter Verkehrsbe- 5 Hydraulikzylinder die regelbare externe
lastung vor und nach Instandsetzungen zur Versuchslast entsprechend dem vorge-
Kontrolle der rechnerischen Untersuchun- schriebenen Lastschema ([Gutermann/
gen. Damit kann geprüft werden, wie genau Steffens, 2002]). Ein analoges Fahrzeug
die angenommene Tragwerksmodellierung BELFA-DB wurde auch für Eisenbahnbrü-
die Wirklichkeit widerspiegelt, da die Mit- cken erprobt. Alle erforderlichen Messda-
wirkung der Stirnwände, der Aufschüttung, ten (Durchbiegungen, Verzerrungen,
Einspannung in den Widerlagern, Riss Krümmungen, Schallemissionssignale
bildungen usw. unbekannte Einflussgrößen usw.) können online am Bildschirm ver-
darstellen. Mit Hilfe des messwertgestütz- folgt werden. Durch Einhaltung vorgegebe-
ten Nachrechnens kann in vielen Fällen ner Kriterien muss eine Schädigung des
eine ausreichende Tragfähigkeit der Gewöl- Bauwerks verhindert werden.
5.4 Bogen- und Stabbogenbrücken 365
Bild 5.4.1‑2
Saalebrücke Bad Kösen
25 Det. III 25
2% 2,5 % 2,5 % 2%
Schutzrohre für
mgl. Ver- bzw.
Entsorger
1PE-HD ∅ 300
5PE-HD ∅ 100
Instandsetzung des Mauerweks
• Reinigung Sandstein
Klinkergewölbe • Ausräumen schadhafter Fugen
• Neuverfugung
• lokaler Steinaustausch
• kraftschlüssiges Verpressen von
Rissen
Sandstein
Gleisachse
achse 1
1100
380 520
650
700
935
1580
710
60
1:30 1:30
380
225
200
350
OK vorh. Gesims
200
= Abbruchfuge Rinnenhochpunkt
Bild 5.4.1‑7 Normalquerschnitt eines Bogens des Wahrener Viadukts nach der Instandsetzung
nach [Patschke, 1996]
5.4 Bogen- und Stabbogenbrücken 371
das statische System eines Dreigelenk gen wurden die Bogenhälften spannungs-
bogens ein. Zur Entlastung der Bogenrei- los auf einem aus jeweils 4 Ortbetonschei-
hen von den Zwangbeanspruchungen in- ben und einer Stahlträgerlage bestehenden
folge Temperatur wurden deshalb elastische Traggerüst aufgelagert. Vor dem Einbau
nachstellbare Scheitelgelenke in ausgewähl- der Lager wurden zur Lastausbreitung
ten Bogen eingebaut (Bild 5.4.1‑8). Damit stark bewehrte Stahlbetonauflagerbänke
konnten die Zwangbeanspruchungen in hergestellt, die in dem anstehenden, ver-
den ungünstigsten Bogenscheiteln um zahnten Mauerwerk der Gewölbe und dem
25–30% abgebaut werden. Da der entlas darüber vorhandenen Sparbeton mit sehr
tende Einfluss dieser elastischen Gelenke in wechselnder Festigkeit tief verankert wur-
den Bogen 6 und 15 in Richtung zu den den. Nach dem Einbau der Lager wurden
Brückenenden hin stark abgebaut wurde, die Bogen durch ein stufenweises Aufbrin-
entschloss man sich auch in dem zunächst gen von Vorspannkräften in der Größe von
nicht betroffenen Bogen 24 ein weiteres 50 kN/Lager freigesetzt. Die Anfangskräfte
elastisches Gelenk einzubauen. Somit ent- wurden temperaturabhängig für den Zu-
stand eine Aufteilung der Gewölbereihe in stand ohne Schotter- und Verkehrslast am
4 Abschnitte. statischen Grundmodell berechnet. Sie be-
Als elastische Gelenke wurden speziell trugen für eine Temperatur von 20 °C, z. B.
entwickelte Elastomerlager (Bild 5.4.1‑9) für den Bogen 15, rund 250 kN. Die Kräfte
für eine Längskraft von 1,25 MN/Lager sind so bemessen, dass das elastische
eingebaut. Neben den Normalkräften müs- System bis etwa 0 °C funktioniert. Für
sen auch Querkräfte übertragen werden tiefere Temperaturen wird die Tragwirkung
können, um gegenseitige Verschiebungen als Stützliniengewölbe vorausgesetzt. Die
und Verdrehungen der Bogenschnittufer konstruktive Ausbildung der Gewölbe-
aus ungleicher Belastung der Bogenab- schlitzung fügt sich harmonisch in die Ge-
schnitte oder möglicher Bogenzwängungen samtansicht ein.
auszuschließen. Zu diesem Zweck wurden Der Weiterbau der in den 30er Jahren
an den Außenseiten zwei stählerne Lager begonnenen Autobahn A72 und ihr Aus-
ohne Längskraftübertragung angeordnet bau für die heutigen Erfordernisse des Ver-
(Bild 5.4.1‑10). Mit dem Schlitzen der Bo- kehrs stellte eine große Herausforderung
Bild 5.4.1‑8 Anordnung elastischer Gelenke im Bogen 15 des Wahrener Viadukts nach [Patschke,
1996]
372 5 Haupttragwerke der Überbauten
Bild 5.4.1‑9 Prinzipskizze des speziell für den Wahrener Viadukt entwickelten Elastomerlagers
nach [Patschke, 1996]
Stahllager ohne
Längskraftkontakt
Elastomerlager
Bild 5.4.1‑10 Lageranordnung an einem geschlitzten Bogen des Wahrener Viadukts nach [Patsch-
ke, 1996]
hinsichtlich der Integration bereits beste- und das Landschaftsbild so wenig wie mög-
hender Brückenbauwerke in das Konzept lich zu beeinträchtigen.
einer modernen Autobahn dar. Die Auto- Im Zuge der Reichsautobahn Dresden –
bahn verläuft etwa parallel zum Erzgebirge, Naila wurde 1938 mit dem Bau der Elstertal-
Elstergebirge und Fichtelgebirge, die Ur- brücke Pirk ([Cordes et al., 1993]), einer
sprung zahlreicher, in tief eingeschnittenen Steinbogenbrücke aus 12 Gewölben von je
Tälern nach Norden fließender Flüsse sind. 33,5 m lichter Weite und einem Pfeilerab-
Dadurch war der Bau mehrerer großer und stand von 38,5 m zur Überwindung des ca.
kleiner Brücken notwendig, die seinerzeit 500 m breiten Tales der Weißen Elster be-
teils nur begonnen und teils fertig gestellt gonnen, die nach ihrer Vollendung die größ-
waren, jedoch in jedem Fall verbreitert wer- te Steinbogenbrücke der Erde gewesen wäre.
den mussten. Beim Umbau der vorhande- Sie hat eine Gesamtlänge von 635 m, die
nen Steinbogenbrücken auf die heutige größte Höhe über der Talsohle beträgt 60 m.
Verkehrsbelastung war die architektonische Bei der Planung hatte man neben verkehrs-
Gestaltung der alten Bauwerke zu erhalten technischen Gesichtspunkten insbesondere
5.4 Bogen- und Stabbogenbrücken 373
ästhetische berücksichtigt, denn es sollte ein tung werden von den Auflagerstühlen über
Brückenbauwerk entstehen, das sich in der Längsscheiben in die Gewölbe eingeleitet
Form, dem Material, der Bauart und Farbe und von diesen zu den Endbauwerken ab-
in die umgebende Landschaft harmonisch getragen. Nach Herstellung der Auflager-
einfügt. Kriegsbedingt wurden die Arbeiten stühle und der seitlichen Aufmauerung
1940 eingestellt. Hergestellt waren die Wi- nach altem Vorbild wurden die beiden
derlager, Pfeiler, die 12 Granitbogen und die Spannbetonkästen im Taktschiebever
Aufmauerungen über den Pfeilern für die fahren hergestellt. Da für die Herstellung
Spargewölbe. Über 50 Jahre führten bei dem der Brüstung die Granitsteine nicht in den
ungeschützten Bauwerk Regen und Schnee erforderlichen Abmessungen und Menge
zu beträchtlichen Kalkaussinterungen. In- vorhanden waren, wurde hierfür eine zwei-
folge der Temperaturschwankungen war die schalige Konstruktion gewählt: Eine örtlich
Vormauerung der Pfeiler von den abschnitts- als Stützwand ausgebildete Stahlbetonfer-
weise eingebrachten Stampfbetonschichten tigteilplatte wurde mit 150 mm breiten
getrennt. Granitsteinen verblendet.
Ziel der Baumaßnahmen zur Vollen- Die Saalebrücke im Zuge der Autobahn
dung der im Zuge der heutigen Autobahn A72 ([WALTER∙BAU]) wird von drei Bo-
A72 Chemnitz – Hof wichtigen Elstertal- gen mit Pfeilerabständen von 58 m + 74 m
brücke war die Nutzung der bauhistorisch + 62 m (Bild 5.4.1‑11) gebildet. Das Bogen-
und bautechnisch vorhandenen Substanz tragwerk besteht aus gemauerten Granit-
unter Berücksichtigung der heute verkehrs- quadern unterschiedlicher Abmessungen
technischen Standards. Das Naturstein- und war weder ausreichend tragfähig noch
mauerwerk wurde unter Anwendung des breit. Als Verfüllung war Stampfbeton un-
Hochdruckwasserstrahlverfahrens gerei- terschiedlicher Festigkeit schichtenweise
nigt und anschließend neu verfugt. Risse bis UK Fahrbahn eingebracht. Die seitli-
und Hohlstellen in den Pfeiler- und Bogen- chen Wangen sowie die Stützwände im Be-
bereichen wurden mit einer Spezialzement- reich der Pfeilerkammern sind gleichfalls
suspension verpresst. aus Natursteinmauerwerk, und die Granit-
Als Tragsystem wurden 2 getrennte, steine binden in den Verfüllbeton ein. Als
asymmetrische und über die Pfeiler durch- Überbau kam deshalb je Richtungsfahr-
laufende Spannbetonkästen mit je einem bahn ein einzelliger Spannbetonkasten mit
einseitig angeordneten Kragarm von 6,61 m einer konstanten Bauhöhe von 2,5 m und
gewählt, deren vertikale Stützkräfte über in einer einseitig weit auskragenden Fahr-
den Pfeilerachsen angeordnete „Auflager- bahnplatte im Taktschiebeverfahren zur
stühle“ direkt in die Pfeiler abgetragen wer- Ausführung. Mit diesem Überbauquer-
den. Nur die Horizontalkräfte in Längsrich- schnitt können maximal 40 m überbrückt
374 5 Haupttragwerke der Überbauten
werden. Um die Bogen von der Lastabtra- während die Achsen 300 bis 600 elastische
gung auszuschließen, mussten die Unter- Stützungen darstellen, die sich entspre-
bauten im Bereich der drei großen Bogen chend den Einwirkungen verformen und
entsprechend ausgebildet werden. Sie be- zu entsprechenden Schnittgrößenumlage-
stehen aus Ortbetonstützen und Scheiben, rungen führen. Zur Verringerung der
die z. T. auf dem Bestand und z. T. auf Fels Schnittgrößen aus äußeren Lasten, insbe-
flach gegründet sind. Im Bereich der Bogen sondere in den hochbelasteten Außenste-
sind massive, in Längsrichtung vorgespann- gen, war es jedoch erforderlich, im Bereich
te Waagebalken mit Kraglängen bis 20 m der Waagebalken ein zusätzliches Lager an-
und Bauhöhen von 5 m ausgebildet. So ent- zuordnen. Zum Einbau der Waagebalken
standen in Verbindung mit den zu über- und zur Aufnahme der Spannbetonkästen
brückenden Endbauwerken Durchlaufträ- wurde der alte Verfüllbeton über den Stein-
ger über 9 Felder mit Stützweiten von 15 m bogen und zwischen den seitlichen Wan-
bis 40 m (Bild 5.4.1‑11). Die Stützung der genmauern, soweit erforderlich und sta-
Waagebalken erfolgte über Verpresspfähle, tisch möglich, entfernt.
die in den Pfeilerbeton einbinden, teilweise Der Ausführungsentwurf der Saale
bis in die Gründung geführt wurden und brücke war so ausgelegt, dass er auch für
zudem zu einer Verbesserung des Pfeiler- den späteren Umbau der Talbrücke Pöhl
betons führten. (Bild 5.4.1‑12) und der Göltzschtalbrücke
In den Achsen 100, 200 und 700 bis 900 (Bild 5.4.1‑13) mit Anpassung an die
sind die beiden Überbauten starr gestützt, dortigen Pfeilerabstände von 45 m bzw.
Masse), die so lange existiert, wie das System sen!) und sein günstiges Verhalten im Erd
einschließlich seiner Lagerung existiert. Der bebenfall. Eine Bogenbrücke ist wirtschaft-
Bogen kann daher als ein ideal vorgespanntes lich konkurrenzfähig, wenn es gelingt, dem
Tragwerk betrachtet werden, das alle Vorteile Fahrbahntragwerk vergleichsweise geringe
des Spannbetons besitzt, nicht aber dessen Stützweiten zu geben und hohe Pfeiler zu ver-
Nachteile (Spannkraftverlust durch Krie- meiden, d. h. wenn man das Haupthindernis
chen, Möglichkeit der Schädigung oder des bzw. die Haupthindernisse durch einen oder
Ausfalls von Spanngliedern). Ist die ästhe mehrere Bogen überbrücken kann. Ein Bei-
tische Qualität eines Tragwerkes auch nicht spiel zeigt Bild 5.4.2-2, wo durch die Anein-
allgemein verbindlich, so muss das Gewölbe anderreihung zweier Bogen mit Spannweiten
zumindest als „logisches“ System angesehen von 120 m und 150 m große Feldstützweiten,
werden, das in der Natur – hier meist als dop- hohe Pfeiler und aufwendige Gründungen
pelt gekrümmte Schale – häufig vorkommt, vermieden werden konnten.
besonders, wenn große Kräfte zu bewältigen
sind. Technisch günstige Eigenschaften des
Bogens sind seine große Steifigkeit, seine 5.4.2.3 Gründung
Dauerhaftigkeit, seine Fähigkeit, Kräfte in
Längsrichtung problemlos und mit kleinsten Vielfach wird die Notwendigkeit eines
Verformungen aufnehmen zu können (Brem überdurchschnittlich guten Baugrunds an-
5.4 Bogen- und Stabbogenbrücken 377
genommen, allerdings nicht ganz zu Recht. zu können, ist die Bogenform sorgfältig
Zwar ist die Auflagerkraft an einem zu wählen. Theorie der Stützlinien siehe
Kämpfer mit der Neigung α gegen die [Melan et al., 1948], S. 78–84. Es ist zu be-
Horizontale um den Faktor 1/sin α größer achten, dass jede Stützlinie nur für ein be-
als die Vertikalkraft, doch ist zu bemerken, stimmtes feststehendes Lastbild gilt, dass es
dass bei entsprechendem Verlauf allfälliger also gar nicht möglich ist, einen Bogen
Kluftlinien, in der Praxis also sehr oft, der schlechthin „in die Stützlinie zu legen“. Die
Hang durch die schräge Auflagerkraft des Bogenachse sollte daher so gewählt werden,
Bogens sogar stabilisiert wird, wodurch die dass sie für ständige Einwirkungen (Eigen-
Gründungen oft überraschend einfach lasten, Ausbaulasten, bei sehr stark be
werden (einfacher als z. B. bei hohen, ein- fahrenen Brücken eventuell zusätzlich ein
gespannten Pfeilern), Bild 5.4.2-3. Auch quasi-ständiger Anteil der Verkehrslasten)
lassen sich die Bogenfundamente durch der Stützlinie nahe kommt und für alle
Änderung der wirksamen Auflagerfläche anderen Lastbilder von dieser möglichst
sehr gut an die Bodenverhältnisse anpas- wenig abweicht. Schließlich sind die Bo-
sen. genquerschnitte für die Schnittkraftkombi-
nation N + M = N · (1 + M/N) = N · (1 + e)
zu bemessen. Zugspannungen entstehen,
5.4.2.4 Bogenform
wenn die Normalkraft N aus dem „Kern“
Um die Vorzüge der Lastabtragung durch des Querschnittes austritt (Normalkraftex-
Stützlinienwirkung bestmöglich ausnützen zentrizität e > Kernweite k).
378 5 Haupttragwerke der Überbauten
allenfalls können die Bodenverhältnisse im der Bogen meist nicht nur in der Ansicht,
Kämpferbereich von Bedeutung sein: Bei ge- sondern auch in der Schrägsicht betrachtet
lenkiger Lagerung erhält man gleichmäßigere werden kann und dass gerade hier Knicke oft
Bodenpressungen, bei voller Einspannung schlecht aussehen. Bei steifen Bogen lassen
höhere Kantenpressungen. Üblich sind sta- sich die Knicke so weit glätten, dass sie kaum
tisch unbestimmte Bogen: Eingespannte mehr auffallen. Hingegen werden „Stabbo-
Bogen, bei flacheren Bogen auch Zweigelenk gen“ wegen ihrer geringen Eigensteifigkeit
bogen. Zur Orientierung wird angegeben: und der daraus resultierenden geringen Mo-
f 1 1 mentenaufnahmefähigkeit möglichst in die
Eingespannter Bogen 3 ≥ 3 bis 3 Stützlinie für ständige Einwirkungen gelegt
l 7 3
und die Knicke in voller Größe belassen
f 1 1 (Bild 5.4.2‑5c).
Zweigelenkbogen 3 ≥ 4 bis 3 Die Neigung der gedachten Verbindungs
l 10 6
linie der Kämpfer hat erhebliche Auswir-
Eingelenkbogen scheiden wegen ihres kungen auf das Erscheinungsbild. Zwei gute
schlechten Kriech-, Schwind- und Stabili- Möglichkeiten zeigt Bild 5.4.2‑6.
tätsverhaltens aus, Dreigelenkbogen sind Bei entsprechenden Geländeverhältnis-
bezüglich des Stabilitätsverhaltens eben- sen bietet sich die Anordnung mehrerer
falls ungünstig, werden aber zuweilen aus- Bogen an, siehe Kapitel 3 und Bild 5.4.2‑2.
geführt. Vor allem für flache Bogen sind Die Kämpferstandorte sind eingehend zu
Systeme mit Scheitelgelenk ungünstig, da überlegen und sorgfältig zu wählen. Da
bei diesen die erste Knickeigenform sym- häufig in verhältnismäßig steilen Hängen
metrisch ist und daher die durch Normal- gegründet wird, können auch kleine Stand-
kraftstauchung, vor allem aber durch ortverschiebungen das Aushubvolumen
Kriechverformungen verursachte Verkür- und den Umfang allfälliger Sicherungs-
zung der Bogenachse das Knicken fördert. maßnahmen stark beeinflussen. Gerade
Bezüglich des Stabilitätsverhaltens und al- bei Bogenbrücken sind die Gründungen
ler damit zusammenhängenden Fragen entscheidend für die Wirtschaftlichkeit
siehe [Dischinger, 1937] und [Dischinger, und die Gesamtqualität des Bauwerks.
1939]. Tiefgründungen sind für die Bogenkämp-
Bei genügend großem Pfeilverhältnis f/l fer fast nie erforderlich. Die Bogenspann-
empfiehlt sich jedenfalls der eingespannte weite sollte im Allgemeinen nicht unnötig
Bogen. Bei kleinem Pfeilverhältnis kommt groß gewählt werden, wobei jedoch der
der Zweigelenkbogen in Frage, wobei die Einfluss der Fundierungsmaßnahmen zu
konstruktive Ausbildung der Gelenke bereits berücksichtigen ist. Bei entsprechenden
am Beginn der Brückenplanung zu klä- Baugrundverhältnissen kann ein etwas
ren ist. weiter gespannter Bogen insgesamt sogar
Die Bogenachse wird zweckmäßigerweise günstiger sein. Flache Bogen (kleines Pfeil-
numerisch eingerechnet und nicht als Para- verhältnis f/l) sollten in Hinblick auf Hori-
bel zweiter oder höherer Ordnung, als cosh- zontalschub, Kämpferverschiebungen,
Linie u. ä. oder als Kreisbogen (ungünstige Kriechverformungen und Stabilität nicht
Bogenform!) gewählt. Die theoretische flacher sein als notwendig. Durch das Zu-
Stützlinie weist an allen Stellen mit konzen- sammenführen von Tragwerk und Bogen,
trierter Lasteintragung (Stützen) Knicke siehe Bild 5.4.2‑7, kann man an Pfeilhöhe
auf, die man am fertigen Bauwerk als stö- gewinnen. Aus ästhetischen Gründen
rend aber auch als „logisch“ empfinden sollten steile Bogen (großes Pfeilverhältnis
kann. Dabei ist allerdings zu beachten, dass f/l) nicht unnötig steil ausgebildet werden.
5.4 Bogen- und Stabbogenbrücken 381
Bild 5.4.2-13 Wanddicken im
Kämpferbereich
Querschnitt Portal
6500
Tragwerkachse
Gleisachse
50±0
h
700
2% 2%
Endquerträger
Schnitt A−A
≥2200
≥750
Tragwerkachse
Gleisachse
50±0
700
2%
B B
Pressenansatzpunkt
Schnitt B−B
0
15
r≥
A A
Hängeranschluss geschraubt
B B
Schnitt A−A
Schnitt B−B
Schnitt C−C
C
B B
B B
Schnitt A−A
300
Schnitt A−A
200
14 14
A
Kontrollmaß
A
∅55
Schnitt B−B
Schnitt B−B
200
14 14
300
C
Schnitt C−C 4 8
C
Schnitt C−C
50° 50°
C V T
C
M. 1 : 2
„I”
Keramikplättchen
„V” M. 1 : 2
30 55 55 30
„II” M1:2
„III”
„IV”
Bild 5.4.3-5 (Fortsetzung)
5.4 Bogen- und Stabbogenbrücken 391
A
Schnitt unter Bogendeckblech
B B
r≥
15
0
A
E
C C
Ansicht E
Schnitt D−D
Schnitt B−B
coupierte Profile
Schnitt A−A
Ansicht E
I
Variante: HE-Profile
B B
r≥ r≥
15 15
0 0
D D
Übersicht
Elemente
Aus den Resten der zerstörten Tragwerke Bogen- und Fachwerkobergurt (Bild
wurde 1947 eine Brücke wiederhergestellt. 5.4.3-11).
Die neue Brücke wurde unter Verwendung Als Montageverfahren wurde der orts-
der noch bestehenden alten Pfeiler gebaut, feste Zusammenbau und der abschnittswei-
die nach der Montage der neuen Brücke se Längsverschub des Tragwerks unter Mit-
abgetragen wurden. Ebenso wurde nach verwendung eines alten, nach der Zerstö-
Inbetriebnahme der neuen Brücke die alte rung unbenutzten Pfeilers gewählt. Zum
Brücke samt den Unterbauten abgebaut. Einbau der Bogen wurde im unteren Be-
Die Bogenebenen der neuen Brücke sind reich je ein Hilfsgelenk angebracht und die
parallel zu den Fachwerkebenen ange restlichen Bogenteile auf der Fahrbahn ab-
ordnet. Die Bogen lagern auf Widerlager gelegt. Danach wurden die Bogenteile an-
und Mittelpfeiler und sind über Quer gehoben, die Stöße im Scheitel und an den
träger mit dem Versteifungsträger verbun- Hilfsgelenken geschlossen und die Hänger
den, so dass die Horizontalkräfte nicht in montiert (Bild 5.4.3-12).
die Unterbauten eingeleitet, sondern über
den Versteifungsträger kurzgeschlossen
werden. Die Hänger liegen in der Ansicht
in lotrechten Ebenen, im Querschnitt
jedoch unterschiedlich schräg zwischen
5.4 Bogen- und Stabbogenbrücken 393
2%
RADWEG
GEHWEG
2%
RADWEG 25%
GEHWEG
GAS
25% ENTWÄSSERUNG
GAS
Bild 5.4.3-8 Entwurf einer Brücke über die Donau mit nach innen geneigten Bogenwänden,
ENTWÄSSERUNG
Bogenquerschnitt in Dreiecksform
1570
1640
15000
750
12500 3000 12500
±0 6 + 16 cm
–3700
Verschubrichtung Portalkrane
Neuss Düsseldorf
Ohne Fahrbahn
Verschublager u.
Absenkvorrichtung
135,00 m 140,00 m 110,00 m
Strompfeiler neu Strompfeiler Süd alt Widerlager Düsseldorf neu
Montagehilfsgelenk
Hilfspfeiler
Hubstütze
Anheben der beiden Bogenhälften
3 1 2 5 5 1 2
4 2 3 6
Montagefolge der Hänger 7 6 7
8 8
Bild 5.4.3-12 Montagevorgang
oben: Längseinschubverfahren für den Fachwerkträger
unten: Bogenmontage und Hängereinbau
396 5 Haupttragwerke der Überbauten
Ulrike Kuhlmann
und Annette Detzel
5.4.4.1 Stabbogenbrücken
Bild 5.4.4-1 Schnittgrößenaufteilung im Stab-
(a) Grundsätzliches
bogen
Die Idee von Bogensystemen besteht darin,
den größten Teil der äußeren Belastung
über Normalkräfte und nicht über Biege- gleichsweise nur flache Anrampungen
momente abzutragen. Dadurch können mit zur Anfahrt auf die Brücke erforderlich,
schlanken minimalen Querschnitten ver- wie es bei flachem Gelände zum Beispiel
gleichsweise hohe Tragfähigkeiten erzielt in Nord- und Mitteldeutschland günstig
werden. Optimiert wird dieses System, ist.
wenn wie beim Stabbogensystem üblich, • Die weithin sichtbare Bogenkonstruk
die Bogendruckkraft durch ein Zugband in tion ermöglicht optische Akzentgebung,
der Fahrbahnachse ins Gleichgewicht ge- ohne dass damit wirtschaftlich ein Zu-
setzt wird, so dass nur Vertikallasten und satzaufwand verknüpft ist.
keine horizontale Querlasten in den Unter-
grund abgetragen werden. Typisch ist außer Die Wirtschaftlichkeit liegt vor allem in der
dem für dieses System, dass der Stabbogen Kraftabtragung durch Normalkräfte statt
im Vergleich zu den Versteifungsträgern in durch Biegemomente. Allerdings gilt das
der Fahrbahnachse eine geringe eigene Bie- nur für symmetrische Lastanteile wie zum
gesteifigkeit hat, so dass das Gesamtmo- Beispiel aus Eigenlast. Unsymmetrische
ment sich überwiegend in ein Kräftepaar Lasten, wie sie infolge Verkehr zwangsläu-
Bogendruckkraft/Versteifungsträgerzug- fig auftreten, führen zu recht bedeutenden
kraft und in Einzelbiegemomente der Ver- Einzelbiegemomenten in den Versteifungs-
steifungsträger aufteilt. trägern, die, wie auch die Darstellung in
Diese Stabbogensysteme als Stahlkonst- Bild 5.4.4-2 zeigt, bei Belastung durch Ver-
ruktion mit orthotroper Stahlfahrbahn oder kehrslasten in den Viertelspunkten maxi-
mit Stahlbetonverbundplatte haben sich in mal sind. Entsprechend treten auch die
den letzten Jahren besonders für Straßen- maximalen Durchbiegungen in den Vier-
brücken sehr stark durchgesetzt, weil sie telspunkten auf.
eine Reihe von heute besonders wichtigen Da bei Eisenbahnbrücken Durchbie-
Vorteilen bieten: gungen stark begrenzt sind, so verlangt der
DIN FB 101 [DIN-FB 101, 2003] je nach
• Die niedrige Bauhöhe unter der Fahr-
bahn ermöglicht die Überbrückung ver-
gleichsweise großer Spannweiten – üb-
lich sind 60 bis 100 m – bei Freihaltung
einer größtmöglichen lichten Durch-
fahrtshöhe, wie es zum Beispiel für die
Überführung von Wasserstraßen oder
Autobahnen notwendig ist.
• Indem die eigentliche Bogenkonstruk Bild 5.4.4-2 Momenteneinflusslinie im Ver-
tion über der Fahrbahn liegt, sind ver- steifungsträger
5.4 Bogen- und Stabbogenbrücken 397
Fertig Längssystem Spann L/h Querschnitt Breite (mit Betonfahrbahn Dicke der
stellung weite Kappe) Fahrbahn
L [m] [m] [cm]
Elbebrücke Dömitz 1992 Stichhöhe = 27,0 m; Hängerabstand 178 6,6 2 außenliegende 15,4 längsgespannt; längs schlaff; 32,0
11,3 m; Querträgerabstand 11,3 m/3 Versteifungsträger quer schlaff
Biersbrücke Liersberg 1993 Stichhöhe h = 5,8 m; Hängerabstand 41 7,1 2 außenliegende 10,0 längsgespannt; nur am Rand 30,0 am Rand
3,6 m; Querträgerabstand 3,6 m/2 Versteifungsträger längs vorgespannt (Verkehr); 50,0
quer schlaff; bis an den Steg
des VT geführt
Landquartbrücke Au 1994 Stichhöhe h = 23,0 m; Hängerabstand 134 5,8 4 unter der Fahr- 11,9 quergespannt; nur am Rand 30,0 am Rand
9,3 m; Querträgerabstand 9,3 m bahn liegende längs vorgespannt (Verkehr); 120,0
Versteifungsträger quer schlaff
Amperbrücke Inning; 1996 Stichhöhe h = 12,0 m; Hängerabstand 70 5,8 3 unter der Fahr- 15,4 quergespannt; längs schlaff; 20,0-38,0-20,0
2 Überbauten 15,0 m; Querträgerabstand 15,0 m bahn liegende quer schlaff; B 35
Versteifungsträger
Saalebrücke Calbe 1996 Stichhöhe h = 17,0 m; Hängerabstand 100 5,9 2 außenliegende 13,4 längsgespannt; längs schlaff; 30,0
8,6 m; Querträgerabstand 8,6 m/3 Versteifungsträger bis quer schlaff;
20,1 bis an den Steg des VT
geführt; B35
Rüntherbrücke 1997 Stichhöhe h = 13,7 m; Hängerabstand 91 6,6 2 außenliegende 10,5 längsgespannt; längs schlaff; 30,5 bis 36,9
8,0 m; Querträgerabstand 8,0 m/2 Versteifungsträger quer schlaff
Neue Werrabrücke Münden Stichhöhe h 0 12,2 m; Hängerabstand 67 5,5 2 außenliegende 20,5 quergespannt; längs schlaff; 38,0-48,0-38,0
7,2 m; Versteifungsträger quer vorgespannt
keine Querträger
Ersatz Hiddingseler Brücke Stichhöhe h = 11,3 m; Hängerabstand 76 6,7 2 außenliegende 14,3 längsgespannt; längs schlaff; ≈ 33,0
Amtsentwurf 7,0 m; Querträgerabstand 7,0 m/2 Versteifungsträger quer schlaff
Elbe-Abstiegskanal 1995 Stichhöhe h = 17,1 m; Hängerabstand 92 5,4 2 außenliegende 23,9 längsgespannt; längs schlaff; 32,0
Rothensee 6,9 m; Querträgerabstand 6,9 m/2 Versteifungsträger quer schlaff; B35
Überführung 1996 Stichhöhe h = 6 m; Hängerabstand 39 6,5 2 außenliegende 17,6 längsgespannt; längs schlaff; 32,0
B 281 Saalfeld 5,4 m; Querträgerabstand 3,5 m Versteifungsträger quer schlaff; B35
Dortmund-Ems-Kanal 1985 Stichhöhe h = 16 m; Hängerabstand 104,77 6,5 2 außenliegende 32,5 längsgespannt; längs vorge- 27,0 am Rand
bei Rheine 8,7 m; Querträgerabstand 8,7 m/3 Versteifungsträger spannt; nur am Rand quer 32,0
vorgespannt
Weserbrücke Holzminden 1997 Stichhöhe h = 15 m; Hängerabstand 89,0 5,9 2 außenliegende 17,3 längsgespannt; längs und 32,0
5 Haupttragwerke der Überbauten
Bild 5.4.4-8
Amperbrücke
Bild 5.4.4-9
Amperbrücke Horizon-
talverband
Ausfall eines Hängers wirkt die Hängerkraft also einen rechteckigen Hohlquerschnitt,
als Einzellast auf den Bogen und bewirkt der wie bei der Amperbrücke mit 1,2 m
einen nicht unerheblichen Biegemomen- Breite und 90 cm Höhe senkrecht zur Bo
tenanteil, der trotz der Behandlung als genebene über die höhere Biegesteifigkeit
„Katastrophenlastfall“ mit reduzierten verfügt.
Sicherheiten im Fall der Amperbrücke be- Besonders sorgfältig muss deshalb die
messungsrelevant wurde. Bogenfußeinspannung konstruiert werden.
Am Brückenende wird der Kraftschluss Senkrecht zur Bogenebene erfolgt sie durch
zwischen den Bogenfußpunkten und der den Endquerträger, der u. a. auch zur Ver-
Fahrbahn durch ein kräftiges Verbandsys formungsbegrenzung des Fahrbahnüber-
tem hergestellt, siehe Bild 5.4.4-9. Die Ver- gangs nicht nur bei der Amperbrücke ein
bandstäbe sind wie die drei Hauptträger drittes Lager in der Mitte erhält. In der Bo-
über Kopfbolzendübel mit der Fahrbahn genebene wird die Bogeneinspannung üb-
schubsteif verbunden. Die Verbundplatte licherweise bei außenliegenden Verstei-
ist nicht vorgespannt, sondern nur mit Be- fungsträgern durch die Versteifungsträger
tonstahl bewehrt. realisiert. Im System der Amperbrücke müs-
sen die kräftigen diagonalen Verbandsstäbe,
Bogenstabilität die zu den Bogenfußpunkten führen, zum
Typisch für eine Vielzahl von Stabbogen- Teil diese Aufgabe übernehmen. Die Tor
verbundbrücken wird auch bei der Amper- sionssteifigkeit des Endquerträgers insbe-
brücke auf einen oberen Stabilisierungsver- sondere bei Ausbildung des Endquerträgers
band zwischen den Bogen verzichtet. Da- mit Kastenquerschnitt, wie man sie bei an-
durch werden nicht nur, wirtschaftlich deren Brücken findet, wirkt ebenfalls in
günstig, zusätzliche Bauglieder eingespart, diesem Sinne mit. Während im Endzustand
sondern es entfällt auch die schwierige die horizontale Einspannung durch die bis
Unterhaltung des Verbands oberhalb der an den Bogen herangeführte Fahrbahnplat-
Fahrbahn. Die Folge ist, dass der Bogen aus te gewährleistet ist, stellt im Bauzustand
seiner Ebene nur durch die Einspannung ohne Fahrbahnplatte die Abtragung der am
am Bogenfußpunkt stabilisiert wird. Typi- Bogenfußpunkt immer auch sich einstel-
scherweise erhalten diese Bogenformen lenden horizontalen Biegemomente um die
5.4 Bogen- und Stabbogenbrücken 403
vertikale Lagerachse besonders für die ent- Stabbogensystemen die Lösung mit zwei
scheidenden Betonierlastfälle eine Schwie- Bogen jeweils links und rechts der Fahr-
rigkeit dar. Hier kann bei Systemen wie der bahn eine Art optimale Standardlösung
Amperbrücke nur das horizontale Vieren- dar. Beide Bogen werden etwa gleichmäßig
deelsystem aus biegesteifen Stahllängs- und ausgenutzt, einseitige Beanspruchungen im
querträgern unter Berücksichtigung auch Querschnitt verteilen sich nach dem Hebel-
der horizontalen Biegesteifigkeit der Ver- gesetz auf beide Bogen. Trotzdem gibt es in
bandsstäbe wirken. Einzelfällen davon abweichende Systeme.
Trotz dieser konstruktiv und statisch So wurde bei der Bogenbrücke über den
nicht ganz einfachen Ausbildung der Bo- Britzer Verbindungskanal eine Drei – Bo-
geneinspannung wird man eine horizontale genlösung ausgeführt, vgl. Bild 5.4.4-10,
Verstrebung zwischen den Bogen als Rah- [Svensson et al., 2000]. Eine Zwei – Bogen
men- oder Verbandssystem nur anordnen, Lösung hätte bei der großen erforderlichen
wenn zu den horizontalen Lasten aus Wind Fahrbahnbreite von 2 × 15,25 m zu einer
und Bogenstabilität noch weitere Abtriebs- großen Querträgerbauhöhe geführt, die bei
kräfte abzutragen sind: zum Beispiel aus dem einzuhaltenden Lichtraumprofil über
der Neigung der Bogenebenen wie bei der dem Kanal nicht möglich war. Zwei ge-
Elbebrücke Dömitz oder wegen eines Bo- trennte Überbauten mit insgesamt vier Bo-
genknicks, wie es bei der Aufweitung der gen wurden wegen des zusätzlich dafür er-
Fahrbahn bei der Bogenbrücke bei Calbe forderlichen Flächenbedarfs nicht gewählt.
über die Saale [Fiedler/Ziemann, 1997] er- Die Ausführung des über 112 m führen-
forderlich war. den Stabbogensystems entspricht darüber
hinaus den üblichen Systemen mit außen
(c) Sonderformen liegenden Versteifungsträgern und einer an
die Versteifungsträger herangeführten be-
Bogenanzahl wehrten nicht vorgespannten Stahlbeton-
Ähnlich wie bei den Deckbrücken der zwei- platte, die in Längsrichtung zwischen den
stegige Plattenbalken stellt auch bei den Querträgern spannt. Obere Streben wur-
404 5 Haupttragwerke der Überbauten
den zwischen den Bogen angeordnet, um Im Unterschied dazu handelt es sich bei
u. a. die Abtriebskräfte aus den um 10° ge- der Donaubrücke Fischerdorf um einen
neigten äußeren Bogenebenen aufzuneh- einzigen Mittelträger – Stabbogen, siehe
men. Der Mittelbogen erhält etwa die drei- [Nather, 1994]. Nach dem Sonderentwurf
fache Belastung der Außenbogen, ein deut- der Fa. Thyssen Engineering GmbH, Werk
liches Zeichen dafür, dass wie bei allen Klönne wurde das Stabbogensystem aus
Mehrträgersystemen gegenüber der Aus- Stahl mit zwei Versteifungsträgerkästen
führung mit nur zwei Tragebenen durch die aus Verbund mit schlaff bewehrter Stahlbe-
Durchlaufwirkung in der Quertragrichtung tonfahrbahnplatte ausgeführt. Die Kästen
eine Überdimensionierung erfolgt. der Versteifungsträger, siehe Bild 5.4.4-12,
die Talbrücke Wilde Gera haben gezeigt, Ein vergleichbares Haupttragwerk wie
dass der Zustand „Austausch der Fahrbahn die Brücke „Wilde Gera“, jedoch mit ande-
einer Brückenhälfte über eine Länge von rem Materialeinsatz, hat die Brücke Pùnt la
12 bis 15 m“ zum bemessungsrelevanten Resgia bei Innerferrera in der Schweiz [Ge-
Lastfall für den Querrahmen wird. Zudem rold, 2001]. Die Spannweite zwischen den
müssen beim Austausch der Fahrbahn in Kämpfern beträgt 45,7 m.
den Endfeldern zusätzliche Maßnahmen Auch hier handelt es sich um eine echte
zur Abhebesicherung am Widerlager be- Bogenbrücke mit aufgeständerter Fahr-
rücksichtigt werden. Im Hinblick auf den bahn (Bild 5.4.4-15). Bogen, Stützen und
Trennschnitt in Plattenmitte beim Aus- Fahrbahnträger bestehen jedoch aus BS-
tausch einer Fahrbahnhälfte ist es erforder- Holz. Die Betonfahrbahnplatte bildet mit
lich, dass in Brückenmitte ein zusätzlicher den Längsträgern einen Verbundquer-
Längsträger zur Unterstützung der Fahr- schnitt. Die Verdübelung erfolgt über in die
bahnplatte angeordnet wird, der im Fall der Holzträger eingeleimte Bewehrungsstäbe
Talbrücke Wilde Gera als Stahlbetonbalken (siehe Bild 5.4.4-16). Für die Längsträger
ausgeführt wurde. und den mittleren Bereich des Bogens wirkt
dere Vielfalt der Lösungen, die im Ver- Pylon(e). Der Streckträger wird so mit den
bundbrückenbau möglich ist. Optimale Kabeln verbunden, dass er quasi elastisch
Entwürfe erhält man bei konsequenter gelagert ist. Die Kabel sind am Pylon befes-
Mischkonstruktion, die günstige Herstel- tigt und geben dort ihre Kräfte ab.
lung mit ästhetischem filigranen Aussehen Man unterscheidet drei Grundsysteme
und Flexibilität bei späterem Fahrbahnaus- (Tabelle 5.5‑1):
tausch erlaubt. Warum soll man zum Bei-
1. Bündelsystem
spiel im Betonbogen nicht einen innen lie-
2. Harfensystem
genden Stahlträger als Hilfsträger für die
3. Fächersystem
Schalung im Bauzustand und als Koppel
element in der Verbundfuge im Endzustand Beim Bündelsystem schneiden sich alle
anordnen? Die Entwicklung wird im Be- Kabelachsen in einem Punkt der Pylonachse
reich dieser hybriden Konstruktionen si- und werden in einer Verankerungskonstruk-
cher noch weitergehen. tion verankert. Bei vielen Kabeln kann dies
am Pylonkopf jedoch zu Platzproblemen
5.5 Schrägkabelbrücken führen. Der Pylon wird nur durch Normal-
kräfte und somit günstig beansprucht. Bei
Gerhard Girmscheid perspektivischer Ansicht führen die Kabel
(außer Abschnitte 5.5.5.1.3 und 5.5.6) überschneidungen meist zu einem ästhetisch
wenig befriedigenden Erscheinungsbild.
5.5.1 Konstruktionsgrundsätze Das Harfensystem hat ein besonders
schönes, ästhetisches Aussehen. Die Kabel
Im internationalen Bereich haben sich in werden im Pylon in quasi äquidistanten Ab-
den letzten Jahrzehnten Schrägkabelbrü- ständen verankert. Sie erhalten aufgrund
cken für große Spannweiten als äußerst ihrer gleichen Neigung gleich hohe Zugkräf-
wirtschaftlich erwiesen. te [Leonhardt/Zellner, 1972]. Der Pylon
Schrägkabelbrücken bestehen aus fol- wird nicht nur durch Normalkräfte, sondern
genden Traggliedern: Streckträger, Kabel, auch durch Biegemomente beansprucht.
5.5 Schrägkabelbrücken 411
Das Fächersystem verbindet zum gro- chen die Kabel in quasi äquidistanten Ab-
ßen Teil die Vorteile der beiden oben ge- ständen am Streckträger angeordnet sind
nannten Systeme. Die Kabel werden gleich- (Bild 5.5‑1).
mäßig ausgenutzt. Die Verankerung in den Schrägkabelbrücken mit wenigen gro-
Pylonen ist genügend weit auseinander ge- ßen Kabeln benötigen:
zogen. Aufgrund der vielen Kabel bildet
sich ein Schleier aus relativ dünnen Kabeln 1. besondere Baubehelfe, um die großen
aus. Dadurch wird ein ästhetisch befriedi- Bereiche zwischen den Aufhängungen
gendes Erscheinungsbild geprägt. zu überbrücken,
Der Entwicklungstrend bei Schrägkabel- 2. besondere lokale Versteifungen im
brücken geht von Systemen mit wenigen Streckträger,
großen Kabeln zu den kleinen Multikabel- 3. besondere Maßnahmen zur Veranke-
systemen [Leonhardt et al., 1974], bei wel- rung der Kabel im Querträger.
Tabelle 5.5‑2 Gegenüberstellung von Systemen mit einer Kabelebene und zwei Kabelebenen
Eine Kabelebene Zwei Kabelebenen
Torsionssteifer Querschnitt Kein torsionssteifer Querschnitt erforderlich
1 erforderlich (Hohlquerschnitt) (z. B. U-förmiger Querschnitt ausreichend),
somit leichter Streckträger
Gegenüber zwei Kabelebenen: Gegenüber einer Kabelebene:
Größere Kabel bei gleichem Abstand Durch geringere Kabeldurchmesser
2
oder gleiche Kabel bei geringerem einfachere Verankerung
Abstand
3 – Höhere räumliche Systemsteifigkeit
Beispiele: Beispiele:
Zudem sind die großen Kabel oft nicht sich weiter steigern, wenn man zwei Kabe-
mehr vorkonfektioniert und müssen daher lebenen verwendet (Tabelle 5.5‑2).
auf der Baustelle hergestellt werden. Durch eine enge Seilaufhängung ist
Die Multikabelsysteme ermöglichen erst der Streckträger elastisch gebettet, weshalb
eine ökonomische, rationelle Lösung. Den nur kleine Querkräfte und Biegemomente
Kabelabstand wählt man so eng, dass: entstehen [Girmscheid, 1987-2]. Der
Vergleich mit den Biegemomenten eines
1. konfektionierte Kabel eingesetzt werden
gleich weit gespannten Balkens zeigt
können,
die Größenordnung der Unterschiede
2. beim Freivorbau keine besonderen
(Tabelle 5.5‑3).
Hilfseinrichtungen erforderlich sind
Wie aus dem prinzipiellen Schnittkraft-
und somit ein kostengünstiger und
verlauf zu ersehen ist (Tabelle 5.5‑3, Schräg-
schneller Bauablauf gewährleistet ist,
kabelsystem), ist die in Längsrichtung wir-
3. das Auswechseln von einzelnen Kabeln
kende Normalkraft, die durch die Horizon-
unter Verkehr möglich ist.
talkomponente der Schrägkabel hervorge-
Bei Multikabelsystemen werden die Biege- rufen wird, die für die Beanspruchung
momente und die Querkräfte im Streckträ- meist dominierende Schnittkraft im Streck-
ger klein, und die Brücke wird gleichmäßig träger [Girmscheid, 1987-2]. Bei einer glo-
beansprucht. Daraus folgt eine geringe balen Traganalyse einer Schrägkabelbrücke
Bauhöhe, die nur vom Kabelabstand und gelangt man zu der Feststellung, dass der
damit, bei Einhaltung der Stabilitätskrite gesamte Streckträger in Analogie zum ela-
rien, von der Gesamtlänge der Brücke un- stisch gebetteten Balken betrachtet werden
abhängig ist [Girmscheid, 1987-1]. Die kann. Dadurch ergeben sich folgende do-
Wirtschaftlichkeit der Konstruktion lässt minierende Schnittgrößen:
5.5 Schrägkabelbrücken 413
und kostengünstige Streckträger aus Stahl- Das Kabel besteht aus der Verankerung,
beton oder Verbundkonstruktion. Ökono- dem Seil und dem Korrosionsschutz; neben
mische Lösungen erhält man für diese der statischen Festigkeit muss es vor allem
Stützweiten, wenn man folgende Trag eine ausreichende (dynamische) Ermü-
glieder auswählt: dungsfestigkeit haben, denn die Kabelkräf-
• Stahlbeton- oder Stahlhauptträger te weisen oft eine große Schwingweite zwi-
• Stahlbetonplatte statt orthotroper Stahl- schen Ober- und Unterspannung auf. In
platte Tabelle 5.5‑4 sind einige Charakteristiken
• Stahl- oder Spannbetonquerträger der Kabel zusammengestellt [DIN 18809,
• Stahlbetonpylon mit Vorspannung im 1987], [DIN 18800, 1990], [prEN 1993-1-
Verankerungsbereich 11, 2001].
Die Vollverschlossenen Seile sind sehr
aufwendig in der Herstellung. Dagegen
werden die Paralleldrahtseile und Spann-
5.5.2 Konstruktionselemente
stäbe nur in sorgfältig gekämmten paral
lelen Lagen gebündelt und dann mit
5.5.2.1 Schrägkabel
einer Litze in großer Ganghöhe um-
schnürt, was wesentlich geringere Her
Die Schrägkabel sind die markanten Trag
stellungskosten verursacht. Es ist nicht
elemente der Schrägkabelbrücke. Sie tragen
verständlich, dass bei Wettbewerben am
wesentlich zur Systemsteifigkeit und Sy-
Markt kaum eine preisliche Differenz
stemdämpfung bei. Heute verwendet man
zwischen den Seilarten festzustellen ist.
meist fabrikmäßig vorgefertigte Kabel, die
Daher ist es erforderlich, beim Entwurf
aus dem Seil und den Verankerungsköpfen
alle Optionen offen zu halten, um das
bestehen und mit einem endgültigen oder
günstigste Angebot im Hinblick auf die
temporären Korrosionsschutz versehen
Gesamtoptimierung der Konstruktion
sind. Die Geschlagenen Seile sowie die Par-
auszuwählen.
alleldrahtseile bestehen im Regelfall aus
Die günstigen, die Ermüdungsfestig-
Einzeldrähten mit 5–7 mm Durchmesser
keit steigernden Einflüsse bei Parallel
[Merkblatt: Ebene Seiltragwerke, 1980].
seilen kommen bei Beton-Schrägkabel-
Diese Stahldrähte haben einen höheren
brücken nicht voll zur Wirkung. Damit
Kohlenstoffanteil als Baustahl und dement-
sind auch vollverschlossene Seile trotz
sprechend eine höhere Festigkeit, die durch
des geringeren E-Moduls eine gute
eine Kaltverformung (Drahtziehen) noch
Lösung.
wesentlich erhöht wird. Die höhere Festig-
Die Steifigkeit der Schrägkabelbrücken
keit wird jedoch erkauft durch eine wesent-
hängt größtenteils von der Steifigkeit
lich geringere Duktilität, die sich aus der
EA der Schrägkabel ab. Diese Steifigkeit
Bruchdehnung ablesen lässt. Für Schrägka-
wird jedoch nicht nur durch den E-
belbrücken verwendet man meist folgende
Modul, der von der Seilart abhängt, be
Seilarten:
einflusst, sondern auch durch den
1. Parallelseile mit Litzen oder Drähten Durchhang f der Seile [Ernst, 1965], der
[Andrä/Zellner, 1969] unabhängig von der Seilart ist (Bild
2. Vollverschlossene Seile [Havemann, 5.5‑2).
1962] Um in der Statik [Girmscheid, 1987-2]
3. Spannstabstahlbündel oder Einzelstäbe mit einem idealisierten geraden Seil ohne
[Finsterwalder et al., 1985], [Technische Durchhang arbeiten zu können, muss der
Unterlagen: Einzelspannglieder, 1986] Sekantenmodul errechnet werden, der den
5.5 Schrägkabelbrücken 415
Korrosionsschutz
Anwendung
Kabelart
Skizze
− Verzinken − Hilfsabspannung
Spiralseile
9700
110
15
− Mechanischer Schutz − Haupttragseile
durch verzinkte
Geschlagene Seile (Spiralseile)
Z-Drähte
− Innere Drähte
in Zinkstaub/Alumi
Spiralseile
niumpulver
− Äußere Drähte
25500
mit Anstrich
167
16
1800
50
− Temporär: − Haupttragseile
Drähte gefettet,
gewachst
Paralleldraht-
− Permanent:
HDPE-Hüllrohr
ausgepresst mit plasti-
scher Masse auf
25000
seile
Wachsbasis
160
20
− Permanent
Litzen gefettet, ge-
Parallellitzen-
wachst in eng-extru-
Parallelseile
dierter HDPE-Um-
mantelung lose in
HDPE-Hüllrohr
30000
seile
eingezogen
160
19
− Anstrich − Haupttragseile
Stabbündel Einzel
aus Einzel- stäbe
26-32
Stabspannstahl
− In Hüllrohr aus PE
oder Stahl mit Zement
injiziert
stäben
15000
250
20
kräfte im Streckträger sind für die Dimen- den, um die Lasten in die Kabelebene(n)
sionierung von entscheidender Bedeutung, einzuleiten (Tabelle 5.5‑6).
da die Biegemomente aus der Eigenlast re-
lativ klein und die Biegemomente aus Ver-
kehr nur etwas größer sind. Die große Nor- 5.5.2.3 Pylone
malkraft wirkt für Beton sehr günstig, da
die Zugspannungen überdrückt werden. Die Pylone sind Tragelemente mit überwie-
Dies lässt relativ einfache und leichte Quer- gender Normalkraftbeanspruchung [Girm-
schnitte zu, da alle Lasten von den Kabeln scheid, 1987-2] aus den Kabeln. Biegemo-
als elastische Auflager abgetragen werden. mente werden vorwiegend durch Brems-
Die Aufhängung des Streckträgers sollte kräfte, Temperatur, Wind und Erdbeben
so erfolgen, dass die Lasten direkt aus den hervorgerufen. Für die Verankerung der
Hauptträgern des Streckträgers ohne zu- Multikabelsysteme mit den beiden Kabeleb
sätzliche Umlenkung über die Querträger enen bieten die Pylontypen der Tabelle
in die Kabel eingeleitet werden können 5.5‑7 eine mögliche Lösung. Freikragende
(Tabelle 5.5‑6). Bei Streckträgern, die als Pylontürme bilden in Querrichtung keinen
Trägerrost- und Hauptträger-Plattensystem Rahmen und sind deshalb verformungs-
ausgebildet sind, werden die Kabel in zwei weicher und daher anfällig für Torsions-
Ebenen angeordnet und direkt in den schwingungen (Tabelle 5.5‑8).
Hauptträgern des Streckträgers verankert. Die Gestalt der A-Pylone ergibt sich aus
Bei Kastenquerschnitten müssen im Regel- der Optimierung der Kosten des Gesamt-
fall zusätzliche Querträger angeordnet wer- bauwerks. Der A-Pylon verleiht dem Sys-
2. A-Pylone *)
3. H-Pylone und
Portalpylone
5.5 Schrägkabelbrücken 419
Verformung S·1 S l S S
δ1 = 2 6 · l = 2 5 · l
EA EA EA � 4 �
δ1 = 5 S + 2 3 = 1,5 5 · l
EA
δ2 = 0 l S S
� �
δ2 = 5 3 = 0,5 5 · l
EA 2 EA
tem hohe Torsionssteifigkeit; dadurch ist ses System ist jedoch relativ verformungs-
ein leichter, offener Streckträger möglich weich in der Querrichtung. Man kann die
(Tabelle 5.5‑8). Die statische Form eines seitliche Verformung des Systems dadurch
„Zweischlags“ erzeugt nur geringe Biegung verkleinern, dass man die nach innen ge-
aufgrund der Eigenlast und während des stellten Beine kurz hält (Tabelle 5.5‑7).
Bauzustands. Die Pylonspitze verformt Wird aufgrund der Maßverhältnisse der
sich beim reinen A-Pylon, außer beim A- modifizierte A-Pylon zu weich, bildet man
Pylon mit aufgesetztem Verankerungsstiel, ein steifes Fachwerk unterhalb der Fahr-
seitlich nicht. Dadurch entstehen aufgrund bahn aus, welches nur Normalkräfte erhält
der hohen Kabelkräfte, im Gegensatz zu und somit vernachlässigbare Knotenver-
den Portal- und H-Pylonen, keine zusätzli- schiebungen aufweist. Diese Fachwerk
chen Biegemomente. A-Pylone sind nur aussteifung erhöht die Quersteifigkeit sehr,
dann angezeigt, wenn das Höhen-Breiten- die besonders bei Erdbebeneinwirkung er-
Verhältnis im Bereich von 0,3 ≤ b/h ≤ 0,7 forderlich ist. Die Herstellung dieser Pylon-
bleibt. Je größer das Verhältnis b/h wird, form ist in Beton jedoch sehr aufwendig.
umso stärker wird die Spreizung und die Bei H-Pylonen muss die unterschiedli-
dazu gehörige Horizontalschubkraft im che Horizontalkraft aus den beiden Kabele-
Fundament. Zudem ist eine zu stark ge- benen infolge einseitiger Verkehrslast durch
neigte Pylonsäule aus Beton schwierig her- die Biegesteifigkeit der Querriegel am Py-
stellbar. Nicht nur die damit verbundene lonkopf und die Torsionsfestigkeit der Py-
Kostensteigerung, sondern auch das ästhe- lonbeine aufgenommen werden.
tische Aussehen verlangt eine Modifizie- Da die Verankerung der Kabel am Py-
rung der Form. lonkopf des A-Pylons durch die räumliche
Will man die positiven Einflüsse der A- Neigung der Seile sehr kompliziert ist, geht
Pylone auf die Torsionssteifigkeit und die man heute wieder stärker zu den nicht ganz
damit verbundene aerodynamische Stabili- so optimalen H-Pylonen und Portal-Pylo-
tät beibehalten, so führt man einen Quer- nen über. Die H- und Portal-Pylontypen
balken (Zug) unterhalb der Fahrbahn ein haben bei der Herstellung und Montage fol-
und neigt die Pylonbeine nach innen. Die- gende Vorteile:
420 5 Haupttragwerke der Überbauten
1. Die Verankerungen an den Pylonen und Als Nachteile kann man anführen, dass:
am Streckträger werden einfacher, weil
die Seile nur noch in einer Ebene geneigt 1. zwei Kabelmontageeinrichtungen in den
sind. Pylonstielen notwendig sind,
2. Die Kabelebenen sind auf die beiden Py- 2. mehr Massen erforderlich sind,
lonstiele verteilt, somit ergeben sich kei- 3. der H-Pylon in Querrichtung ein Rah-
ne Platzprobleme für die Spannpresse. men ist, der, weil weicher als ein reiner
3. Die Herstellung vereinfacht sich. A-Pylon, mehr Biegesteifigkeit verlangt.
Vorteile:
Die Außenfelder erzwingen
einen kleinen Endtangenten-
winkel ϕE sowie kleinere Ver-
formungen v in der Haupt
öffnung (Eisenbahnverkehr).
Nachteile:
Diese positiven Aspekte wer-
den durch relativ große
Schnittgrößen am Übergang
von der Außen- zur Seiten
öffnung erkauft. Damit ist ein
größerer Querschnitt der
Hauptträger in den Außenfel-
dern und am Übergang ins
Seitenfeld erforderlich. Dies
erschwert und verteuert die
Bauausführung.
5.5 Schrägkabelbrücken 421
Tabelle 5.5‑10 Rückverankerungsmöglichkeiten
Statisches System Lösung Zugpendel Lösung Stahlklemme
422 5 Haupttragwerke der Überbauten
Verformung
Theorie
II. Ordnung
Knicklänge sk ≅ 2h sk ≅ 0,7h
Vorteile 1. Temperatur- und K+S-Verformungen 1. Längskräfte ins feste Lager
symmetrisch ohne Biegung
2. Fahrbahnübergänge gleich 2. Günstige Wirkung auf
Knicken
Nachteile 1. Längskräfte über Pylonenbiegung
Zur Ableitung der Windkräfte, die auf des Streckträgers an den Pylonbeinen sollte
die Kabel und den Streckträger wirken, dabei als Gleitlager ausgebildet werden,
muss das System an den Endpfeilern bzw. an welche durch Federn vorgespannt werden
den Pfeilern und Pylonen seitlich gelagert können, um eine ausreichende und sichere
werden. Zumindest die seitliche Lagerung seitliche Unterstützung zu gewährleisten.
5.5 Schrägkabelbrücken 423
die Seitenöffnungen gegenüber der Haupt- werden jedoch nicht alle günstigen, sys
öffnung klein sind, ist es vorteilhaft, die temimmanenten Steifigkeiten einer Schräg-
Längsträger der Seitenöffnungen aus Beton kabelbrücke mit zwei Kabelebenen mobili-
und diejenigen der Hauptöffnung als Ver- siert.
bund- oder Stahlbalken zu fertigen. Die Entwicklung der Streckträgerquer-
Den Vorteilen der Stahlbauweise – Leich- schnitte geht bei Beton- bzw. Verbund-
tigkeit, rasche Bergemöglichkeit im Kata- streckträgern von den geschlossenen bzw.
strophenfall und dass auch bei breiten Brü- halbgeschlossenen Querschnitten zu den
cken meist zwei Hauptträger ausreichen – offenen, einfachen Querschnitten über, die
stehen die Nachteile gegenüber, dass ortho- als Trägerrost mit Haupt- und Querträgern
trope Stahlfahrbahnen komplizierter und sowie Fahrbahnplatte oder als Hauptträger-
teurer sind als Stahlbeton- oder Spannbe- Plattensystem ohne Querträger ausgebildet
tonplatten. Die statische Beanspruchbarkeit werden. Dies ist eine konsequente Folge-
der Kabel kann zudem bei der Stahlbauwei- rung aus den Überlegungen zur System-
se manchmal nicht ausgenutzt werden, da steifigkeit und Systemdämpfung, die sich
die Ermüdungsfestigkeit das maßgebende aus einem System mit zwei Kabelebenen
Bemessungskriterium wird. Die Verkehrs- und dem entsprechenden aerodynami-
last kommt bei leichten Streckträgern nahe schen Verhalten ergibt. Bei Beton- und
an die Eigenlast. Es ist technisch möglich, Verbundstreckträgern ist die Spannungs-
Schrägkabelbrücken mit Stahlstreckträgern schwingweite relativ klein, so dass die
als Kastenquerschnitte mit einer Seilebene Kabel in der Regel höher ausgenutzt wer-
auszubilden. Durch die eine Kabelebene den können.
5.5.5.1.1 Streckträger aus Beton Das Trägerrostsystem besteht aus zwei au-
ßen liegenden Hauptträgern und lastvertei-
Den Streckträger kann man aus Fertigteile- lenden Querträgern, die in äquidistanten
lementen oder monolithisch aus Ortbeton Abständen angeordnet sind. Aus statischen
herstellen. In der Anfangsphase der Ent- Gründen wählt man den Streckträger in
wicklung benutzte man Fertigteilsegmente U-Form (aus Hauptträgern und Platte). Die
nicht nur aus produktionstechnischen Er- offene U-Form hat den Schwerpunkt nahe
fordernissen, sondern auch, um die Kriech- der Platte. Dadurch kann man neben dem
und Schwindverkürzungen, die Verände- Hauptträger auch die Platte im Bereich der
rungen in den Seilkräften hervorrufen wür- mitwirkenden Breite zum Abtragen der
den, klein zu halten. großen Normalkräfte heranziehen. Den
Der Bauvorgang für die Herstellung des Abstand der Querträger wählt man so, dass
Streckträgers dauert oft bis zu einem Jahr. eine Plattendicke von d = 0,25 – 0,35 m
In dieser Zeit wächst die Spannung im ausreicht. Die Platte spannt sich hauptsäch-
Streckträger langsam und kontinuierlich, lich einachsig in Längsrichtung, nur am
weshalb am Ende der Bauzeit das Schwin- Rand zum Hauptträger ist sie dreiachsig ge-
den und Kriechen schon sehr stark abge- lagert. Die Normalkräfte bewirken, dass die
klungen ist. Zudem enthält der Streckträger Platte eine Vorspannung erhält, welche die
in Längsrichtung große Mengen an Beton- Biegezugspannungen überdrückt. Die Auf-
stahl, was die Schwind- und Kriechverkür- hängung der Seile an einen A-Pylon ergibt
zung zusätzlich vermindert. Nach der Fer- sogar eine leichte Vorspannung in Quer-
tigstellung des Streckträgers können die richtung der Platte.
Kabel nochmals auf die Seilkräfte eines Das Hauptträger-Plattensystem stellt
Durchlaufträgers unter Eigenlast ein eine weitere Vereinfachung für die Baume-
gestellt werden. Aus materialtechnischen thode dar. Das System besteht aus zwei au-
und konstruktiven Gründen besteht daher ßen liegenden Hauptträgern und einem
keine zwingende Veranlassung, die Kon- kontinuierlichen, quasi unendlich langen
struktion aus Fertigteilen herzustellen, Plattenstreifen. Die Platte spannt sich ein-
wenn dies nicht vom Bauablauf günstiger achsig zwischen den Hauptträgern. Ent-
ist, da die monolithische Ortbetonlösung sprechend dem Biegemomentenverlauf
die in Tabelle 5.5‑14 dargestellten wirt- nimmt die Dicke in Querrichtung, vom
schaftlichen Vorteile hat. Durch die Her- Rand zur Plattenmitte, linear zu. Die Platte
stellung des Streckträgers aus Fertigteilen wird in Querrichtung im Abstand von
lässt sich jedoch die Bauzeit wesentlich 0,80 – 1,00 m mit leichten Spanngliedern
verkürzen, da die Fertigteile bereits wäh- vorgespannt.
rend der Pylonherstellung gefertigt werden Die reine Plattenlösung ist bei nicht sehr
können. Durch die Vorfabrikation lässt breiten Brücken (zweispurig mit Fuß
sich auch in Schlechtwetterphasen eine wegen) sehr wirtschaftlich. Sie besitzt auf-
gleichmäßig hohe Betonqualität sicher grund ihrer Querschnittform ein aus
stellen. gezeichnetes aerodynamisches Verhalten
Für den offenen Querschnitt des Streck- und ist einfach herstellbar. Die Platte ist
trägers hat man drei Möglichkeiten (Tabel- an den Seilverankerungen elastisch punkt-
le 5.5‑15): gelagert.
1. das Trägerrostsystem,
2. das Hauptträger-Plattensystem,
3. das reine Plattensystem.
5.5 Schrägkabelbrücken 427
Betonplattendicke [m]
träger
Hauptöffnung [m]
Kabelabstand [m]
Literaturhinweis
Abstand [m]
Höhe [m]
Bauwerk
Jahr
1. Trägerrostsystem
Xiang Jia Tang Bridge
B + B-Entwurf
(China)
1985
7,50
2,50
1,75
0,23
230
2. Hauptträger – Plattensystem
New Ohio River Bridge
0,3–0,6
1985
286,7
6,00
–
–
3. Plattensystem
Bänziger+Köppel, R. Walther (CH)
Rheinbrücke Diepoldsau
0,35-0,55
(CH)
1984
97,00
6,00
–
–
428 5 Haupttragwerke der Überbauten
Betonplattendicke [m]
träger
Hauptöffnung [m]
Kabelabstand [m]
Literaturhinweis
Abstand [m]
Höhe [m]
Bauwerk
Jahr
286,5
14,33
1985
3,59
1,25
0,25
2. Stahlbetonhauptträger – Stahlquerträger – Stahlbetonplatte
Xian Jia Tang Bridge (China)
3,75
1,25
0,25
230
kann. Dies ist deshalb sehr wichtig, weil die betonplatte langfristig infolge Kriechen
Stahlbetonplatte hauptsächlich die großen und Schwinden nur die Hälfte der Normal-
Normalkräfte nicht nur zum Zeitpunkt kräfte, weshalb die Stahlhauptträger stärker
t = 0, sondern auch zum Zeitpunkt t → ∞ dimensioniert werden müssen. Die Fertig-
abtragen soll. Kann die Platte noch aus teilplatten werden über den Querträgern
reichend schwinden und kriechen, werden durch gestoßene Bewehrung oder durch
diese Kräfte auf den Stahlhauptträger um- die PPCS-Methode [Takenaka et al., 1986],
gelagert. Ein Parameter ist das Verhältnis [Girmscheid, 1986] miteinander und über
der E-Moduln von Stahl und Beton nach Kopfbolzendübel mit den Haupt- und
Kriechen und Schwinden des Betons. Querträgern verbunden.
Gegenüber einer Fertigteilplatte, bei der Die zweite Variante (Tabelle 5.5‑16) bie-
das Schwinden durch Lagerung weitgehend tet eine weitere Möglichkeit, eine leichte
abgeschlossen ist, übernimmt eine Ort und ökonomische Konstruktion zu erhal-
5.5 Schrägkabelbrücken 429
ten. Die Hauptträger, die dominierend (Straßenbrücke) den Wert 4,1 kN/m² an.
durch Normalkräfte beansprucht werden, Für Bahnbrücken gelten ca. 35 kN/m pro
werden aus Stahlbeton hergestellt, die Gleis.
Querträger, die durch die Platteneigenlast Die Schnittkräfte werden entscheidend
und den Verkehr auf Biegung beansprucht von der Führung der Abspannungen in
werden, aus Stahl. Die Fahrbahnplatte wird Längs- und Querrichtung beeinflusst, siehe
durch den hoch liegenden Schwerpunkt Abschnitt 5.5.1. Sind die Abspannungen in
des Querschnitts überdrückt und daher aus großen Abständen angeordnet, so treten an
Stahlbeton hergestellt. Bei den genannten dem diskret elastisch gestützten Balken
Kabelabständen sind die Hauptträgerhö- größere Biegemomente M und Querkräfte
hen bei Straßenbrücken h = 1,5 bis 2,5 m V auf und bedingen für den Streckträger
und bei Eisenbahnbrücken h = 3,0 bis Querschnitte mit hinreichend großem
5,0 m. Die Spannweitenbereiche können Widerstandsmoment W. Sind dagegen die
aus Tabelle 5.5‑13 entnommen werden. Abspannungen in kleinen Abständen ange-
ordnet, so bleiben M und V an dem quasi-
kontinuierlich elastisch gebetteten Balken
5.5.5.1.3 Streckträger aus Stahl klein und es sind Streckträgerquerschnitte
mit kleinem Widerstandsmoment möglich.
Francesco Aigner In allen Fällen entstehen aus den Horizon-
und Thomas Petraschek talkomponenten der Kabelkräfte im Streck-
träger Druckkräfte, die bei positiven Mo-
Bei Schrägkabelbrücken für Straßen- oder menten die Nulllinie nach unten, bei nega-
Bahnverkehr sind Streckträger aus Stahl tiven Momenten nach oben verschieben.
vorwiegend bei größeren Öffnungen wirt- Die Normalkräfte müssen beim Nachweis
schaftlich (Richtwerte: Straße ab 200–250 m, der Systemtragfähigkeit (Stabilität!) und
Bahn ab 100–150 m). Bei Brücken mit gro- der Querschnittstragfähigkeit berücksich-
ßen Hauptöffnungen und erheblich kleine- tigt werden. Üblicherweise ist der Einfluss
ren Seitenöffnungen ist für den Streckträger der Durchbiegungen auf die Biegemomente
meist eine Kombination von Stahl (Haupt- (Theorie II. Ordnung) nicht sehr groß und
öffnungen) und Verbund oder Spannbeton liegt im Bereich zwischen 3 und 15%.
(Seitenöffnungen) zweckmäßiger als die Wegen der Stabilisierung des Streckträgers
reine Stahllösung. Wegen der möglichen durch die Seilgeometrie siehe [Volke, 1973].
großen Schlankheiten h/l und den prak- Durch die Vorgabe einer zweckmäßigen,
tisch unerschöpflichen Gestaltungsmög- das Momentenbild des Streckträgers ver-
lichkeiten werden Fußgängerbrücken gerne einheitlichenden Vorspannung des statisch
als Schrägkabelbrücken gebaut und erhal- unbestimmten Systems lässt sich der Streck-
ten stählerne Streckträger (vielfältige Mög- träger sparsam dimensionieren, siehe Ab-
lichkeiten der Farbgebung!). Dabei sind schnitt 8.3.2.2 Außer dem Endzustand ist
auch gekrümmte Tragwerke möglich. All- beim Entwurf des Streckträgers die durch
gemein sind Streckträger so auszubilden, Herstellung im Freivorbau relativ einfach
dass unter den maßgebenden Einwirkun- zu bewerkstelligende Montage zu berück-
gen die Forderungen an die Tragfähigkeit, sichtigen, siehe Kapitel 9.
Gebrauchstauglichkeit und Ermüdungsfes- Die Konstruktion bzw. Form des Streck
tigkeit erfüllt werden. Für das Verhältnis trägers hängt außer vom Längsabstand
von Stützweite zu Balkenhöhe gibt [Stahl- der Verankerungspunkte ursächlich von
bau, 1985] als groben Anhaltswert 60 … 120 der Führung der Abspannung in Quer
und für das Stahlgewicht des Streckträgers richtung ab. Liegt eine Mittelträgerbrücke
430 5 Haupttragwerke der Überbauten
vor (Brücke mit einer oder zwei eng neben- und Querschnittsverdrehungen reduziert
einander liegenden Kabelebenen in Quer- werden. Ein architektonisch überaus an-
schnittsmitte), so müssen gegenüber der sprechendes Beispiel einer modernen
Kabelebene exzentrisch angreifende Las Schrägkabelbrücke mit zwei Abspann
ten durch Torsionsmomente im Streck ebenen und einem (aus gestalterischen
träger abgetragen werden. Hier ist die Aus- Gründen geknickten) unteren Rohrver-
führung als torsionssteifer Querschnitt band zeigen die Bilder 5.5-4 und 5.5-5.
unbedingt erforderlich. Mittelträger In diesen Bildern erkennt man auch
brücken kommen ausschließlich bei ge- die auffällig gestalteten Konsolen zur Ein-
trennten Verkehrsflächen, z. B. Autobahn- leitung der Kabelkräfte, und im zweiten
querschnitten, in Frage. Ebenso erhalten Bild zusätzlich die Zugpendel zur Begren-
Fußgängerbrücken mit gekrümmtem zung der Endtangentenneigung bei der
Tragwerk und einer (oft an einer der bei- künftigen Verwendung als Bahnbrücke. In
den Brückenseiten angeordneten) „Kabel- [Roik et al., 1986] sind verschiedenste
fläche“ einen torsionssteifen Querschnitt. Querschnitte von Streckträgern von
Liegen hingegen zwei außen liegende Schrägkabelbrücken mit Öffnungen zwi-
Kabelebenen vor, so kommen offene Quer- schen ca. 60 und 460 m und Querschnitts-
schnitte in Frage. Die angreifenden Lasten breiten zwischen ca. 7,0 und bis ca. 40 m
teilen sich durch Querbiegung auf die Trä- für Straßenbrücken sowie einige Eisen-
gerstege auf (bei zwei Trägerstegen nähe- bahnbrücken aus den Jahren 1955 bis 1986
rungsweise nach dem Hebelgesetz; genau- gezeigt. Obwohl heute weitaus größere
ere Ergebnisse erhält man nach der Theorie Stützweiten bewältigt werden, lässt sich an-
der Wölbkrafttorsion). Ein Kastenquer- hand der angegebenen Beispiele doch die
schnitt ist selbstverständlich auch in die- Entwicklung der typischen Balkenquer-
sem Fall möglich. Er verbessert die Quer- schnitte studieren: Die ersten Ausfüh-
verteilung exzentrischer Lasten, wodurch rungen entsprachen ziemlich genau der
insbesondere die Vertikalverformungen seinerzeit üblichen Querschnitte für Ein-
Bild 5.5-9 zeigt den offenen, zweistegi- Ebenfalls für die Gestaltung des Streck-
gen Querschnitt der an zwei Kabelebenen trägers ist dessen Verbindung mit den Py-
außerhalb der Brücke aufgehängten Schräg- lonen von Bedeutung. Stehen der Pylon
kabelbrücke über den Hauptbahnhof Lud- oder die Pylonenstiele innerhalb des
wigshafen/Rhein. Brückenquerschnitts, so kann der Pylon
Bild 5.5-10 zeigt den Querschnitt der an (gelenkig oder eingespannt) mit dem
zwei Kabelebenen außerhalb der Brücke Streckträger verbunden oder aber durch
aufgehängten Schrägkabelbrücke mit tor Öffnungen im Streckträger geführt und von
sionssteifem Kastenquerschnitt (Donau diesem auf dem Pfeiler gelagert sein. Bild
stadtbrücke Wien, 1997). Um die Brücke zu 5.5.5-11 zeigt eine biegesteife Verbindung
einer Bahnbrücke mit Schotterbett umzu- zwischen Streckträger und Pylon bei der
bauen, ist die Reduktion der Biegemomen- vor allem auch hinsichtlich der Montage,
te erforderlich. Dies erfolgt durch Einzie- siehe Abschnitt 9, überaus interessanten
hen weiterer Kabel an bereits dafür vorge- Rheinbrücke Oberkassel.
sehenen Konsolen. Konstruktiv einfacher und heute üb
Konstruktiv von Bedeutung sind die licher ist der Fall, dass die Pylonenbeine
Verankerungspunkte, an denen die Streck- außerhalb des Brückenquerschnitts stehen
träger an den Kabeln aufgehängt sind (Ka- (beispielsweise Λ‑Pylon). Der Streckträger
belkonsolen). Die Verankerung von Vielka- kann dann entweder nur an den Kabeln
belsystemen mit entsprechend kleinen Ka- aufgehängt oder über Querträger mit den
belkräften ist naturgemäß einfacher als jene Pylonen verbunden sein.
von Systemen mit wenigen Kabeln mit sehr
großen Zugkräften. Sind die Abspannebe-
nen an den Außenseiten des Streckträgers 5.5.5.2 Pylone
geführt, können die Verankerungspunkte
bewusst hervorgehoben werden, siehe Bild Die Pylonstiele werden meist als Stahlbe-
5.5-5. Bei Mittelträgerbrücken müssen die tonhohlquerschnitt mit großen Wand
über die Kabel eingeleiteten großen Einzel- dicken ausgebildet. Der Querschnitt wird
kräfte durch (in der Regel vollwandige) hauptsächlich durch Druckkräfte bean-
Querscheiben auf die Hauptträger über sprucht. Stahlpylone werden nur dann ver-
tragen werden. Sind bei größeren Kabelab- wendet, wenn extrem schlanke Konstrukti-
ständen zur Erhaltung der Profilform wei- onen gefordert sind. Die Pylone sind bei
tere Querträger angeordnet, so kommen Betonkonstruktionen mit einer schlaffen
für diese auch Fachwerkscheiben in Frage, Bewehrung versehen; eine Vorspannung ist
siehe Bild 5.5-7. nur im Bereich der Kabelverankerung und
434
FAHRBAHN 8.50
1.0 3.25 3.25 1.0
1.40
REVISIONSWAGEN REVISIONSWAGEN
5.55 5.55
9.86 9.86
Bild 5.5-10 Donaustadtbrücke, Querschnitt für Straßen- und Bahnverkehr [Pauser/ Foller, 1997]
5 Haupttragwerke der Überbauten
5.5 Schrägkabelbrücken 435
in den evtl. vorhandenen Querbalken er- Lösung mit Gabelseilkopf bzw. Augenstab
forderlich. Während der Bauphase sind die und Bolzen verwendet, wird der Anker
Pylonbeine Kragarme mit relativ geringen durch ein kurzes Stahlrohr mit Dämpfungs-
Normalkräften aus Eigenlast, die auf ring geführt (Tabelle 5.5‑17). Dieses Stahl-
Biegung beansprucht werden. rohr hat die Aufgabe, die Kräfte, die am
Je nach Baumethode und Pylonform Flansch vom Ankerkopf eingeleitet werden,
(z. B. A-Pylon) ist bei Pylonen aus Beton durch Schub auf den Beton zu übertragen,
eine temporäre Vorspannung während der dem Beton im Einleitungsbereich eine zu-
Bauphase notwendig. Es ist noch anzumer- sätzliche Membranverstärkung zu geben
ken, dass Schrägkabelbrücken mit har- und durch einen eingepressten Neoprene-
fenförmiger Kabelanordnung wesentlich Dämpfungsring das Kabel am Ende gerade
steifere Pylone verlangen als mit fächerför-zu führen, um Biegung im Bereich des An-
miger [Stahlbau Handbuch, 2. Band, 1985], kerkopfs zu verhindern.
oder es müssen Rückspannungen an zu- Zum Montieren und Befestigen der Ka-
sätzlichen Pfeilern in den Seitenfeldern bel bestehen die in Tabelle 5.5‑18 aufge-
angeordnet werden. Dies liegt an der star- führten Möglichkeiten zur Gestaltung der
ken Verformbarkeit des Gesamtsystems, Ankerköpfe [EN 1993-1-11, 2007]. Die
bedingt durch die geringe vertikale Feder- Kräfte sollen auf direktem Weg abgeleitet
steifigkeit der gleich stark geneigten Kabel.
werden; dies ist ein Grundprinzip für eine
optimale Konstruktion. Daher sollte man
die Hauptträger des Streckträgers direkt an
5.5.5.3 Kabelverankerung die Kabel hängen (Tabelle 5.5‑6).
Die Krafteinleitungsbereiche erfordern
Die Verankerung der Kabel im Pylon und vom Ingenieur bzw. der Ingenieurin immer
im Streckträger ist eine sehr wichtige De zusätzliche Anstrengungen, um in diesen
tailaufgabe. Bei den relativ großen geschla- Bereichen eine realistische Berechnung
genen Seilen bzw. Paralleldrahtseilen ist durchzuführen. Ein sehr gutes Bild wird
es wegen der Dauerfestigkeitsprobleme man immer mit einer Finite-Element-
wichtig, die Kabelbiegung am Eingang zum Rechnung erreichen können, indem man
Ankerkopf zu verhindern [Girmscheid, einen Ausschnitt aus dem Einleitungsbe-
1987-2]. Wird nicht die stahlbaumäßige reich wählt. Diese genauere Untersuchung
436 5 Haupttragwerke der Überbauten
Verbund
wird man im Ausführungsfall anstellen, zu- det, die nicht über einen Kabelsattel gebo-
mindest zur Kontrolle. Die Vorberechnung gen werden können. Heute verankert man
kann man mit der Fachwerkanalogie durch- die Kabel im Pylon. Dabei werden die An-
führen (Tabelle 5.5‑19). kerköpfe im Mindestabstand platziert, so
Zur Verankerung der Kabel am Pylon dass neben der Montage auch die nachträg-
gibt es prinzipiell zwei Möglichkeiten: liche Kontrolle sowie der Unterhalt mög-
lich ist, womit man zum Fächersystem ge-
1. Das kontinuierlich durchgehende Seil langt. Die Verankerungsmöglichkeiten sind
wird über einen Kabelsattel geführt und in Tabelle 5.5‑19 zusammengefasst.
nur in den Hauptträgern des Streckträ-
gers verankert.
2. Das unterbrochene Kabel wird am Pylon 5.5.5.4 Korrosionsschutz
und am Streckträger verankert.
Die erste Methode ist nur für geschlagene Der Korrosionsschutz ist von entscheiden
Seile möglich, die eine Krümmung mit der Bedeutung für die Sicherheit und
Querdruck vertragen. Da die Tendenz bei Dauerhaftigkeit von Schrägkabelbrücken.
Schrägkabelbrücken ganz eindeutig zu den Die zu treffenden Maßnahmen hängen von
Multikabelsystemen mit dichten Aufhän- der Seilart ab (Tabelle 5.5‑4 und Tabelle
gungen geht, ist der Kabelsattel wegen des 5.5‑20).
Platzbedarfs und der dadurch erforderli- Der Korrosionsschutz der Kabel sollte
chen Pylonhöhe meist nicht praktikabel. aber seilunabhängig mehrschichtig aufge-
Zudem werden hauptsächlich Parallel- baut werden und besteht grundsätzlich aus
drahtseile und Parallelstabbündel verwen- mindestens drei Stufen:
5.5 Schrägkabelbrücken 437
SPA = Spannanker
FEA = Festanker
Vorteile:
− Montage und Inspektion
im Innenraum
− Wettergeschützt
− Einfache Verankerung der
senkrechten Kabel
− Montage von einer Platt-
form
Nachteile:
Hohler Pylon
Vorteile:
Versetzt gekreuzte Ver
ankerung (Vollpylon)
Vorteile:
− Einfache Schalarbeit
− Statisch: Krafteinleitung
Nachteile:
− Spezielle Koppelanker
Vorteile:
− Kein großer Schalungsauf-
wand
Stahlbaumäßige
Nachteile:
− Spezielle Ankerköpfe
5.5 Schrägkabelbrücken 439
Schutzkappe abgedeckt. Analog den Seilen Zeit Risse aufweisen kann. Im gerissenen
erhält die Verankerungskonstruktion eine Zustand werden die Seile nicht mehr von
mehrschichtige Korrosionsschutzbeschich- einem lückenlos geschlossenen, basischen
tung. Milieu umgeben. Dies kann in der Folge
durch den Eintrag von Feuchtigkeit (Kon-
denswasser) und Sauerstoff zu Korrosion
5.5.5.4.2 Korrosionsschutz der Paralleldrahtkabel führen. Bei den heute verwendeten Kabel-
systemen kommen die folgenden aktiven
Paralleldrahtkabel bestehen aus einer be- und passiven Füllstoffe zur Anwendung:
stimmten Anzahl blanker oder verzinkter
Drähte mit einem Durchmesser von 7 mm, • Aktive: Suspension von Zink in einem
welche zu einem Bündel von parallelen Polyurethanöl,
Drähten zusammengefasst werden. In der • Passive: dauerelastisch-plastisches
Regel wird das Drahtbündel in ein Polyä- Wachs.
thylenrohr eingezogen, und die Hohlräume Die Verankerung der einzelnen Drähte er-
werden mit einer Korrosionsschutzmasse folgt je nach Drahtanzahl in einer Anker-
ausgepresst. Die Korrosionsschutzmasse hülse mit Innenkonus (bis ca. 200 Drähte)
bietet aber nur dann einen zusätzlichen oder im Grundkörper (bis ca. 400 Drähte).
Schutz, wenn sie nicht durch Wasser, Hitze
oder Vibrationen verdrängt oder ausge- • Im Konus wird das Drahtbündel aufge-
presst wird. Die Wahl der Verfüllmasse fächert, und die einzelnen Drähte wer-
hängt sowohl von der Oberflächenbehand- den mit Stauchköpfen in einer Lochplat-
lung der Drähte, da sich z. B. Zink und Ze- te verankert. Der Konus wird mit einer
mentinjektionen nicht vertragen (Tabelle Vergussmasse aus Epoxydharz, Stahlkü-
5.5‑21), als auch von den dynamischen An- gelchen und Zinkstaub vergossen. Das
forderungen bezüglich der Dämpfung der Polyäthylenrohr wird im Anschlussrohr
Kabel ab. Zementinjektionen sind insofern dicht eingegossen (Bild 5.5‑12).
problematisch, da das Injektionsgut durch • Im Grundkörper erfolgt die Veranke-
die Seilschwingungen ermüdet und mit der rung ebenfalls mit Stauchköpfen. Das
Ankerplatte
Ankerhülse Anschlussrohr
HPDE-Hüllrohr
Schutzhaube
Verguss Paralleldrahtbündel
Korrosionsschutzmasse
Trompete
Mutter
Bild 5.5‑12 Konusverankerung HiAm (bewegliche Verankerung) [Technische Unterlagen Schräg-
kabel, 2002]
5.5 Schrägkabelbrücken 441
Ankerplatte
Anschlussrohr
Grundkörper
Teleskoprohr
Schutzhaube
HPDE-Hüllrohr
Drahtführung
Zughülse
Trompete Korrosionsschutzmasse
Mutter
Bild 5.5‑13 Grundkörperverankerung DINA (bewegliche Verankerung) [Technische Unterlagen
Schrägkabel, 2002]
Komponenten Kombinationsmöglichkeiten
I II III
Drähte
blank X X
verzinkt X
Korrosionsschutzmasse
dauerplastisch X X
Zementinjektion X
Hüllrohr
HDPE-Rohr X X X
Stahlrohre (X) (X) (X)
Ankerplatte Anschlussrohr
Litzen
Schutzhaube HPDE-Hüllrohr
Ankerhülse Dämpfungsring
Mutter Spannungsring
Korrosionsschutzmasse
Trompete
Bild 5.5‑14 Verankerungssystem (nachspannbar)
Am Ende der Verankerungstrompete Endsystem sich aus den Systemen des Bau-
wird das Parallellitzenkabel in einem zustands entwickelt. Durch das Vorspan-
Dämpfungsring gelagert und der Übergang nen der Seile lässt sich gezielt ein günstiger
Trompete-Kabel mit einem Neoprene- Ko- Momentenverlauf im Streckträger einstel-
nus abgedichtet. Die Verankerungskonst- len. Grundsätzlich gilt das für alle Schräg-
ruktion wird mit einer Schutzhaube abge- kabelbrücken, unabhängig von der Ausbil-
deckt, welche ausinjiziert wird. dung des Streckträgers.
Die Gestaltung von Schrägkabelbrücken
in Verbundbauweise unterscheidet sich
5.5.6 Ergänzungen zu Verbund- also prinzipiell nicht von der von reinen
und Mischkonstruktionen Stahl- oder Betonsystemen. Die Gestalt der
Pylone, die Anzahl der Kabelebenen und
Ulrike Kuhlmann die Anordnung der Kabel werden nach den
und Annette Detzel gleichen Kriterien entworfen und führen zu
den vielfältigsten Varianten.
5.5.6.1 Kriterien zur Baustoffwahl Die unterschiedliche Ausbildung der
des Streckträgers Fahrbahnebene richtet sich neben histori-
schen und regionalen Bevorzugungen – so
Schrägkabelbrücken stellen eines der zu- wurde in Europa, Nordamerika, Japan und
kunftsträchtigsten Brückensysteme dar, Australien vorwiegend in Stahl gebaut, in
deren Entwicklungsmöglichkeiten bei wei- Südamerika und China dagegen überwie-
tem noch nicht ausgeschöpft sind, da sie gend mit dem Baustoff Beton – hauptsäch-
entscheidende wirtschaftliche Vorteile mit lich nach wirtschaftlichen Aspekten.
vielfältigen ästhetischen Gestaltungsmög- Bedingt durch das Tragsystem der
lichkeiten verbinden. Wirtschaftlich güns- Schrägkabelbrücke erhält ein Streckträger
tig wirkt sich gerade im Vergleich zu Bo- aus Beton die für seine Wirkungsweise
genbrücken bzw. zum anderen seilüber- so günstige Druckvorspannung ohne teure
spannten System der Hängebrücken aus, Spannglieder mitgeliefert. Gegenüber dem
dass durch den, ausgehend von den Pylo- Werkstoff Stahl hat ein Betonträger jedoch
nen, sukzessiven Freivorbau das statische den Nachteil der höheren Eigenlast. Reine
444 5 Haupttragwerke der Überbauten
8000
7000
Betonfahrbahn
Kosten
Orthotrope Platte
Verbundfahrbahn
Hybrid Beton/Stahl
Hybrid Beton/Verbund
4000
3000
2000
200 300 400 500 600 700 800 900 1000
Hauptspannweite [m]
Bild 5.5-15 Kostenvergleich für verschiedene Streckträgermaterialien (Quelle Leonhardt, Andrä
und Partner)
Ebenfalls als günstig erweisen sich, siehe a bzutragen haben. In Pylonnähe, wo die
auch Bild 5.5-15, sogenannte hybride Kon- Drucknormalkräfte im Streckträger am
struktionen oder Mischkonstruktionen: größten sind, wird Beton eingesetzt. Auf-
die Streckträger werden in Feldmitte als grund der kleineren Kabellängen und der
Stahl- oder Verbundträger hergestellt, so größeren Neigung der Kabel können die
dass die ohnehin am stärksten be höheren Lasten aus dem Betongewicht
anspruchten Seile mit geringer Neigung wirtschaftlich abgetragen werden, siehe
weniger Eigenlast aus dem Streckträger auch [Engelsmann et al., 1993]. Außerdem
446 5 Haupttragwerke der Überbauten
Ähnlich wie bei der Hooghly-Brücke in fen über die Brückenlänge durch. Die
Kalkutta handelt es sich auch bei dem zwei- Querfugen, in denen nahe der Brückenmit-
ten Beispiel, der Sunshine-Skyway-Brücke te auch Zug entstehen kann, sind gegenei-
in Florida, [Saul et al., 1984] um einen nander versetzt. Als Verbundmittel wurden
offenen Streckträgerquerschnitt, bei dem auf den Querträgern in den Dübelausspa-
die beiden Seilebenen an die außenliegen rungen Kopfbolzendübel angeordnet, die
den Hauptträger geführt werden. Die Bil- dann mit Ortbeton vergossen wurden. Die
der 5.5-19 und 5.5-20 zeigen Ansicht und Fugen waren ausreichend breit, dass die Be-
Querschnitt der Brücke. Die außen liegen- wehrung durch Übergreifung gestoßen
den asymmetrischen Hauptträger haben in werden konnte, die Plattenränder waren
Richtung der Kabelebene geneigte Stege, an profiliert, um die Schubverzahnung zu ver-
denen die Schrägkabel verankert sind. Die bessern.
Betonfahrbahnplatte spannt in Brücken- Die Zwillings-Verbundschrägkabelbrü-
längsrichtung zwischen den Querträgern. cke über den Houston Ship Channel bei
Sie wurde im Unterschied zur Hooghly- Baytown, Texas [5.46] ähnelt der oben be-
Brücke aus Fertigteilen hergestellt, die schriebenen Sunshine-Skyway-Brücke.
durch Ortbetonfugen miteinander verbun- Wegen der großen Breite der Fahrbahn
den sind. Die Längsfugen, in denen sich aus wurden jedoch zwei unabhängige Über-
der Querträgerwirkung Druck ergibt, lau- bauten mit jeweils 24 m Breite ausgebildet,
448 5 Haupttragwerke der Überbauten
mit auf Streckträgerhöhe gekoppelten Pylo- Gurte gleichzeitig auch als „Schalbleche“
nen (siehe Bild 5.5-21). Auch hier haben die dienten.
Hauptträger geneigte Stege und liegen am Die Beispiele zeigen, dass die Quer-
Rand der Brückenfahrbahn um ein direktes schnittsgestaltung des Streckträgers durch-
Verankern der Kabel zu ermöglichen. Der aus durch das Haupttragsystem der Schräg-
ursprüngliche Entwurf sah vor, zur Erzie- kabelbrücke mitbestimmt wird.
lung eines Eigengewichtsverbundes die Be-
tonfahrbahn vor der Verbundrostmontage • Die Hauptlängsträger liegen sowohl bei
an Land zu betonieren. Um die hohen He- Kastenträgern als auch bei offenen Plat-
begewichte zu vermeiden, wurden bei der tenbalken bevorzugt außen, um die Ka-
Ausführung jedoch stattdessen ebenfalls bel direkt verankern zu können.
Fertigteilplatten mit Ortbetonfugen ange- • Die Betonfahrbahn spannt in Längsrich-
ordnet. Die Querfugen lagen jeweils über tung zwischen den Querträgern. Die
den Obergurten der Querträger, so dass die Längsdruckkräfte aus der Haupttrag
5.5 Schrägkabelbrücken 449
wirkung überdrücken weitgehend die e iner Standspur und einer zweiten unteren
Längszugspannungen aus örtlicher Ebene für eine zweigleisige S-Bahn und
Lasteinleitung. zwei Notspuren. Da sowohl der Obergurt
• Um eine Umlagerung der Längsdruck- als auch der Untergurt des Kastens als Fahr-
kräfte aus der Betonfahrbahn in den bahnplatte wirkt, wurde eine Doppelver-
Stahl gering zu halten, werden häufig bundkonstruktion ausgeführt. Bemerkens-
Betonfertigteile eingebaut. Die Fugen wert ist, dass es sich bei der zweistöckigen
zwischen den Fertigteilen werden zur Straßen- und S-Bahnbrücke darüber hin-
Risseverteilung mit überlappender Be- aus nicht nur im Querschnitt, sondern auch
wehrung versehen. in Brückenlängsrichtung um eine Misch-
• Offene Querschnitte werden häufig mit konstruktion handelt. Der dreizellige Kas-
A-Pylonen kombiniert. Die außen am tenquerschnitt besteht nur im mittleren
Balken verankerten Kabel laufen an der Bereich der Hauptöffnung mit einer Länge
Pylonspitze zusammen und bilden so von 387 m aus einem Verbundüberbau. Die
ein steifes, räumliches Fachwerk, das Seitenfelder und Randbereiche der Mittel-
den torsionsweichen Balken stabilisiert. öffnung sind aus vorgespanntem Stahlbeton
ausgeführt. Die beiden Kabelebenen grei-
fen links und rechts der äußeren Kästen an
5.5.6.3 Sonderlösung Doppelverbund und sind in einem H-förmigen Pylon fä-
querschnitt cherförmig verankert. Die Queraussteifung
der Kästen erfolgt über die als Vierendeel-
Der Querschnitt der Kap-Shui-Mun-Brü- Träger ausgebildeten Querrahmen, da der
cke in Hong-Kong [Saul/Hopf, 1997a], Schienen- und Straßenverkehr im Inneren
[Saul/Hopf, 1997b] wurde durch die Anfor- des Kastens keine Diagonalaussteifung zu-
derung bestimmt, dass der Verkehr in zwei lässt (Bild 5.5-22). Längsverbände in der
Ebenen anzuordnen war, einer oberen Ebe- Ebene der inneren Pfosten verteilen die
ne für die Autobahn mit zwei Richtungs- konzentrierten Verkehrslasten auf mehrere
fahrbahnen mit je drei Fahrspuren und Querrahmen. Um die Diagonalen von Be-
hergestellt. Dazu wird zunächst ein Kabel- Pylonenspitzen werden die Tragkabel um-
hilfssteg (Catwalk) montiert, auf dem die gelenkt. Der Umlenkradius richtet sich
Drahtbündel verlegt werden (siehe Bild nach der Art und dem Durchmesser der
5.6-2). Den Vorgang des Luftspinnens hat verwendeten Elemente für das Kabel. An
Roebling erstmals bei der Brooklyn-Bridge den beiden, jeweils an den Brückenenden
in New York 1883 angewandt. Das obere angeordneten Ankerblöcken werden die
Bild zeigt die schematische Darstellung des Kabel verankert, wobei bei luftgesponnen
Kabelspinnens. Unten links ist die Kabel- Kabeln mehrere Drähte um einen Anker
verankerung, unten mitte der Ankersattel geführt werden, der rückverspannt ist und
an der Kabelverankerung und unten rechts bei vorgefertigten Litzen und Seilen die
der Hilfssteg (Catwalk) dargestellt. Endstücke in einer käfigartigen Stahlkon
Anstelle luftgesponnener Paralleldraht- struktion verankert werden. Das Gewicht
bündel können auch vorgefertigte Litzen- des Ankerblocks muss so hoch sein, dass
bündel (siehe Bild 5.6-3) oder bei kleine sowohl die Horizontal- als auch die Ver
ren Schrägseilbrücken auch vorgefertigte tikalkomponenten der Kabelkräfte aufge-
vollverschlossene Seile verwendet werden. nommen werden können (Bild 5.6-4).
Auch bei vorgefertigten Zugelementen Die Höhe der Pylone richtet sich nach
ist ein Kabelhilfssteg erforderlich. Auf den dem Stich der Tragkabel, der mit L/12 bis L/8
Bild 5.6-2 Luftspinnen beim Bau der Hängebrücke über den Firth of Forth [Kollmeier, 1964]
5.6 Hängebrücken 453
34300/2=17150 34300/2=17150
38700/2=19350 38700/2=19350
1200 1700 700 15000 750 750 15000 700 1700 1200
2% 2%
1765 906
3000
men, durch die der Wind durchströmen durchgehende, mehr oder weniger durch-
kann (Bild 5.6-8). hängende Spannglieder in einem im Ver-
Dabei muss beachtet werden, dass auch hältnis zur Spannweite relativ dünnen Be-
die statischen Windkräfte in horizontaler tonband eingebettet sind. Dieses Spann-
Richtung vom Balken aufgenommen wer- band bildet die Fahrbahn oder wird bei
den müssen und dieser daher auch eine größerem Durchhang mit einer aufgestän-
entsprechende Biegesteifigkeit um die ver- derten Fahrbahn ausgebildet. Die Vorteile
tikale Achse benötigt. Bei Zerlegung des dieses Tragsystems sind vor allem in der
Balkens in Streifen und Zwischenräume vorwiegenden Längskraftbeanspruchung,
sollten die Streifen so schubfest verbunden der einfachen Herstellung ohne Lehrge-
werden, dass sie statisch in einem Quer- rüst und dem geringen Betonverbrauch zu
schnitt zusammenwirken. sehen.
Die Bemessung der Tragkabel wird im In dem Bestreben, breite Hindernisse
Allgemeinen aus wirtschaftlichen Grün- mit Brücken großer Stützweite wirtschaft-
den nach Theorie II. Ordnung durchge- lich zu überwinden, entstand 1958 der erste
führt, da die Kabelkräfte bei Vergrößerung ausführungsreife Entwurf einer dreifeldri-
des Stichs verringert werden. Die Bemes- gen Spannbandbrücke mit maximaler
sung der Pylone muss aus Gründen der Stützweite von 408 m zur Überbrückung
Tragsicherheit nach Theorie II. Ordnung des Bosporus [Nehse, 1973]. Finsterwalder
(mit Berücksichtigung von Imperfektio- konzipierte diesen Brückentyp, bei dem ein
nen) erfolgen. extrem flach gespanntes Betonband von
Straßenfahrzeugen direkt befahren werden
kann. Die Zeit war damals für die Verwirk-
5.7 Spannbandbrücken lichung dieses kühnen Projektes jedoch
noch nicht reif. Der Grundgedanke ist Jahr-
Jürgen Stritzke tausende alt, nur waren seinerzeit derartige
Hängekonstruktionen aus Holz (z. B. Holz-
5.7.1 Einleitung steg über den Yarkhunfluss in Chitral zwi-
schen Himalaja und Pamir).
Seit Ulrich Finsterwalder den ersten aus- Erstmals kam ein Spannband beim Bau
führungsreifen Entwurf einer Spannband- der 216 m langen Transportbandbrücke
brücke vorlegte, sind eine Reihe derartiger der Zementfabrik Holderbank-Wildeeg
Brücken gebaut worden. Der Begriff Spann- [Walther, 1969] zur Anwendung. Für den
bandbrücke kennzeichnet ein Tragsystem, öffentlichen Verkehr wurde das Prinzip des
bei dem von Widerlager zu Widerlager Spannbands bei der Fußgängerbrücke Bir-
5.7 Spannbandbrücken 457
cherweid [Scartazzini, 1969] über die Na rd. 78 m Spannbandlänge. Ein dreifeld
tionalstraße N 3 bei Pfäffikon (CH) ver- riges Spannband überbrückt mit 85,5 m :
wirklicht. Eine 8,5 m breite Spannbandbrü- 96 m : 76 m die Moldau in Prag-Troja
cke mit aufgeständerter Fahrbahn wurde (Bild 5.7-2). Heute existiert eine ganze Rei-
1973 über das 100 m tiefe Tal des Rio Colo- he von ausgeführten Spannbandbrücken
rado [Lin/Kulka, 1973] gebaut. (Tabelle 5.7-1).
Zu erwähnen sind vor allem einige inte-
ressante Fußgängerbrücken in der Tsche- 5.7.2 Tragwirkung
chischen Republik. So wurde 1977 bei
Hvězdonice die zweifeldrige Spannband- Im Gegensatz zu Hängebrücken sind hier
brücke über die Sázava [Kobca/Brejcha, die Tragseile, die Versteifungsträger und die
1978] mit einer maximalen Spannweite Fahrbahn in einem Element, dem Spann-
von 78 m gebaut (Bild 5.7-1). Das 250 mm band, zusammengefasst. Das Spannband
dicke Spannband wurde auf einer aufge- besteht aus einem relativ dünnen Beton-
hängten Schalung betoniert und nach querschnitt mit von Widerlager zu Widerla-
träglich vorgespannt. Zwei weitere ein ger durchgehenden Spanngliedern. Das
feldrige Spannbandbrücken überspannen Tragsystem stellt ein flach gespanntes Seil
die Svratka in Brünn-Bystrc und Brünn- dar. Der Durchhang, der die Brückengradi-
Komin [Stráský, 1981] mit rd. 63 m bzw. ente bestimmt, wird von der maximal zu-
Bild 5.7-2
Spannbandbrücke
über die Moldau in
Prag-Troja
Tabelle 5.7‑7 Auswahl ausgeführte Spannbandbrücken 458
Bezeichnung/Land Zahl der max. freie Band Banddicke Bandradius max. Zugkraft max. Ausführung
Felder Bandlänge L breite bei Eigenlast bzw. Vorspan- Tangenten-
und mittlerer nung neigung
Temperatur
m m m m kN %
Transportbr. Holderbank CH 1 216 3,16 400 11600 1963/64
Bircherweid CH 1 40 2,80 0,18 450 7000 19,5 1967
Osaka J 1 19 5,40 0,10 870 18000 2,8 1968
Freiburg i. B. D 3 34,5 4,40 0,25 300 16000 14 1969/70
Rhône Genf-Lignon CH 1 136 3,10 0,40/ 0,08 420 17,5 1971
Peak Park GB 1 34 1,80 0,16
Rio Colorado CR 5 108 8,50 1973
Hvezdonice CZ 2 73 2,70 0,25 11,1 1977
Brno-Bystrc CZ 1 57 3,80 0,30 13850 7,6 1979
Prag-Troja CZ 3 96 3,80 0,30 1984
Brno-Komin CZ 1 72 3,80 0,30 17900 7,6 1985
Pforzheim D 1 50 3,00 0,18 300,86 6,26 1991
mutbaren Längsneigung der Fahrbahn be- ist die Verwendung entsprechend langer
grenzt. Die nahezu ausschließlich auftre- vorgespannter Verpressanker als Daueran-
tenden Zugkräfte werden von den Spann- ker für die Einleitung der großen Zugkräfte
gliedern aufgenommen. Im Gegensatz zu wirtschaftlicher als die Ausbildung von
den üblichen Überbaukonstruktionen hat Schwergewichtswiderlagern. Der Einfluss
der Beton hier keine primäre Tragfunktion. der hohen Aufwendungen für die Endver-
Er bildet die Fahrbahn sowie den Verstei- ankerungen kann durch eine zunehmende
fungsträger, gewährleistet den Korrosions- Anzahl von Öffnungen gesenkt werden.
schutz, erhöht die Dehnsteifigkeit des Sys
tems und verringert damit unter wechseln-
den Lasten und Temperaturen die auftre- 5.7.3 Bauverfahren
tenden Verformungen. Bei durchlaufenden
Systemen werden die Innenstützen in Brü- Bild 5.7-3 zeigt verschiedene Querschnitts-
ckenlängsrichtung als Pendelstützen ausge- ausbildungen. Bei der Brücke Bircherweid
bildet, damit auch bei feldweise unter- beträgt die Banddicke 120 bis 180 mm. Mit
schiedlicher Belastung keine Horizontal- d/L = 180/40 000 = 1/222 ist diese Spann-
kräfte an den Innenstützen auftreten kön- bandbrücke 10mal schlanker als eine ver-
nen. Wechselnde Verkehrslasten und Tem- gleichbare Brücke herkömmlicher Bauart.
peraturänderungen führen zu geome- Zu den Auflagern hin nimmt die Banddicke
trischen und elastischen Längenänderungen bis auf 360 mm zu. Die Spannbandbrücken
des Spannbands. Zur Gewährleistung der in Brünn wurden ebenso wie die Brücke in
daraus resultierenden Durchhangände- Prag-Troja aus Einzelsegmenten montiert,
rungen und der Abminderung einer damit die an den Spannkabeln aufgehängt und
verbundenen Biegebeanspruchung des nachträglich zusammengespannt wurden.
Bands an den Widerlagern und über Zwi- Normalerweise wird man kein Lehrge-
schenstützen werden dort sogenannte Ab- rüst zur Herstellung eines monolithischen
rollstrecken angeordnet. Durch den Einbau Betonbands aufstellen, sondern die Scha-
von stählernen Abwälzlagern, Folien oder lung an die zuvor montierten Spannglieder
Elastomerlagern zwischen Spannband und anhängen. Beim Betoniervorgang ändert
Widerlagerschnabel sowie Umlenktisch sich mit zunehmender Frischbetonlast der
wird ein Abheben des Spannbands auf der Durchhang des Bands und damit die Hori-
Abrollstrecke von den Unterbauten ermög- zontalkraft. Das ist vor allem bei über meh-
licht, wenn sich das Spannband verkürzt. rere Felder durchlaufenden Spannband-
Die Weiterentwicklung von Spannbandbrü- konstruktionen zu beachten. Das gleiche
cken führte zur Aufständerung der Fahr- gilt für Spannbandbrücken aus Fertigteilen.
bahn. Das tragende Spannband wird dann Die Widerlagerverschiebungen infolge der
mit einem wesentlich größeren Durchhang großen Bandzugkräfte sind wirklichkeits-
ausgebildet als beim direkt befahrbaren nah zu erfassen, da der Durchhang des
Spannband. Die Aufständerung übernimmt Spannbands dadurch stark beeinflusst wird.
lediglich die Funktion der Fahrbahn und In der Regel lässt man in dem Betonband
kann daher außerordentlich leicht ausgebil- zunächst eine Lücke, bis die Eigenlast wirk-
det werden. Zur Übertragung der sehr sam geworden ist und die daraus resultie-
großen Horizontalkräfte in den Baugrund renden Widerlagerverschiebungen abge-
müssen besondere konstruktive Maßnah- klungen sind. Danach kann der Durchhang
men getroffen werden. Steht Fels an, ermög- des Spannbands durch Nachspannen oder
lichen Felsanker eine zweckmäßige und Nachlassen korrigiert und anschließend die
wirtschaftliche Verankerung. Anderenfalls belassene Lücke geschlossen werden.
460 5 Haupttragwerke der Überbauten
b
Bild 5.7-3 Querschnittsausbildung a) Spannbandbrücke Bircherweid; b) Fertigteilbrücken
Brünn
Sinne. Angaben zur Berechnung von des Bands, die maximale Spannstahlspan-
Spannbandbrücken findet man in [Eibl et nung und das Verhältnis von Gesamtlast
al. -1, 1973]. Untersuchungen zum Schwin- zur Eigenlast der Spannglieder bestimmt.
gungsverhalten und zur aerodynamischen Die Anwendung des flach gespannten
Stabilität von Spannbandbrücken sind auf Seils in der Form von Spannbandbrücken,
jeden Fall durchzuführen, da es sich hier bestehend aus einem relativ dünnen Beton-
um außerordentlich schlanke Tragwerke querschnitt mit von Widerlager zu Wider-
mit niedriger Eigenfrequenz handelt. [Scar- lager durchgehenden Spanngliedern, führt
tazzini, 1969] und [Batsch/Nehse, 1972] aufgrund der vorwiegenden Längskraftbe-
berichten über durchgeführte Schwin- anspruchung zu außerordentlich schlanken
gungsuntersuchungen. Weitere Darstel- und wirtschaftlichen Konstruktionen. Der
lungen von Spannbandbrücken findet man Anwendungsbereich erstreckt sich sowohl
bei [Mach/Trčka, 1985], [Stráský/Pirner, auf Fußgänger- als auch auf Straßenbrü-
1986], [Stráský, 1987], [Bock, 1992], cken. Zahlreiche Vorteile zeichnen das Sys
[Schlaich/Bergermann, 1994], [Bögle et al., tem der Spannbandbrücke aus.
2003], [Stráský, 2005] und [Schlaich et al.,
2005].
5.7.6 Ausblick
Durch die Lagerung werden auch die dy- Diese Lagerung hat die Kräfte und Be
namischen Eigenschaften des Tragwerks wegungen entsprechend der System
beeinflusst. In erdbebengefährdeten Gebie- berechnung des Normalfalls, also ohne
ten kann dieser Sachverhalt durch die „Erd- Erdb ebenbeanspruchung, in gleichem
bebenisolation“ gezielt eingesetzt werden. Maße zu realisieren. Der kurze Überblick
Als Erdbebenisolation von Brücken wird verdeutlicht, dass für die Lagerung sowohl
ein Entwurfskonzept bezeichnet, bei dem die Regelwerke für die Tragwerksberech-
durch Einfügen eines Isolationssystems in nung als auch die für Lager und Erdbeben-
der Lagerebene zwischen Unter- und Über- vorrichtungen zu beachten sind. Es ist
bauten die dynamische Antwort der Brücke vorgesehen, eine Zusammenfassung der
auf Erdbebeneinwirkungen gezielt modifi- einzelnen Sachverhalte aus den unter-
ziert wird. Ein Isolationssystem in diesem schiedlichen Regelwerken, die für die
Zusammenhang ist eine horizontal „wei- Lagerung zwingend zu beachten sind, als
che“ Lagerung, d. h. eine Lagerung mit ei- Anhang an die Grundlagen der Tragwerks-
ner geringen effektiven horizontalen Stei- planung zu etablieren.
figkeit. Die effektive Steifigkeit des Isola Einen Überblick über die für die Lage-
tionssystems ist dabei als Summe der Hori- rung relevanten Regelwerke gibt Tabelle
zontalsteifigkeiten aller Elemente der Lage- 6.1-3.
rung definiert. Für diese Aufgabe gibt es
neben den in Tabelle 6.1-1 dokumentierten
gebräuchlichen Lagern einige Sonderele-
mente. Einen Überblick gibt Tabelle 6.1-2.
Tabelle 6.1-3 Regelwerke
Norm Ausgabe Titel
Tragwerksplanung, Einwirkungen, Schnittgrößenermittlung und Nachweisführung –
Europäische Normung
DIN EN 1990 2002-10 Grundlagen der Tragwerksplanung
DIN EN 1990/A1 2006-04 Grundlagen der Tragwerksplanung (Änderung)
DIN EN 1991-1-x 2002-2008 Allgemeine Einwirkungen auf Tragwerke
DIN EN 1991-2 2004-05 Verkehrslasten auf Brücken
DIN EN 1992-2 2007-02 Betonbrücken – Bemessungs- und Konstruktionsregeln
Tragwerksplanung, Einwirkungen, Schnittgrößenermittlung und Nachweisführung –
Deutsche Normung
DIN FB 101 2009-03 Einwirkungen auf Brücken
DIN FB 102 2009-03 Betonbrücken
DIN FB 103 2009-03 Stahlbrücken
DIN FB 104 2009-03 Verbundbrücken
Auslegung von Bauwerken gegen Erdbeben – Europäische Normung
Grundlagen, Erdbebeneinwirkungen und Regeln für Hoch-
DIN EN 1998-1 2006-04
bauten
DIN EN 1998-2 2006-06 Brücken
DIN EN 1998-2/
2008-09 Brücken (Änderung)
A1
DIN prEN 15129 2007-07 Erdbebenvorrichtungen
Lager im Bauwesen – Europäische Normung
DIN EN 1337-1 2001-02 Allgemeine Regelungen
DIN EN 1337-2 2004-07 Gleitteile
DIN EN 1337-3 2005-07 Elastomerlager
DIN EN 1337-4 2004-08 Rollenlager
DIN EN 1337-4
2007-05 Rollenlager (Berichtigung)
Berichtigung 1
DIN EN 1337-5 2005-07 Topflager
DIN EN 1337-6 2004-08 Kipplager
DIN EN 1337-7 2004-08 Kalotten- und Zylinderlager mit PTFE
DIN EN 1337-8 2008-01 Führungslager und Festhaltekonstruktionen
DIN EN 1337-9 1998-04 Schutz
DIN EN 1337-10 2003-11 Inspektion und Instandhaltung
DIN EN 1337-11 1998-04 Transport, Zwischenlagerung und Einbau
Lager im Bauwesen – Deutsche Normung
Führungslager und Festhaltekonstruktionen – Bemessung und
DIN V 4141-13 2008-11
Herstellung
6.2 Aufgaben und Beurteilung der Lagerung 467
lern im gleichen Tragwerk überlagern sich zugeordnet. Nach diesem Beben soll
die Fehler und das Ergebnis ist nicht mehr die Lagerung einschließlich der anti-
einschätzbar. seismischen Funktionen nicht beein-
In erdbebengefährdeten Gebieten kann trächtigt sein.
die Lagerung als „Erdbebenisolation“ aus-
Bei Anwendung des Konzepts der Erd
gebildet werden, wie in 6.1 beschrieben.
bebenisolation wird die Lagerung des
Die Anforderungen an die Lagerung in
Überbaus als Isolationsebene mit einer
diesem Fall entsprechen für den Nichterd-
geringen horizontalen Steifigkeit ausge
bebenfall den oben beschriebenen. Für den
bildet, der Überbau wird somit von den
Erdbebenfall sind zwei weitere Anfor
Unterbauten, und dadurch von der Erd
derungen definiert:
bebenanregung, dynamisch entkoppelt.
• Dem Grenzzustand der Tragfähigkeit Diese Entkopplung bewirkt, dass der
im Erdbebenfall ist ein schweres Be Überbau als separates, schwingfähiges
messungsbeben mit geringer Eintretens- System eine relativ lange Eigenschwingzeit
wahrscheinlichkeit zugeordnet. In die- (T ) bekommt. Dies führt zu einer Reduk-
sem Fall können nach dem Beben die tion der spektralen Antwortbeschleuni-
antiseismischen Funktionen der Lage- gungen Se (T) als Maß für die Beanspru-
rung beschädigt sein, die Tragfunk chung des Bauwerks im Erdbebenfall, wie
tion der Lagerung für die nichtseis Bild 6.2-1 verdeutlicht.
mischen Einwirkungen muss aber er Die Verlängerung der Grundschwing-
halten bleiben. zeit führt allerdings zur Vergrößerung der
• Dem Grenzzustand der Gebrauchstaug- relativen (spektralen) Verschiebungen
lichkeit ist ein leichteres Beben mit zwischen Überbau und Unterbau Sde (T ).
e iner hohen Eintretenswahrschein Dies kann durch den Einsatz von Erdbe
lichkeit während der Nutzungsdauer benvorrichtungen, z. B. von Schwingungs
2,5
System 1: Se(T = 0.3s) = 2.99 ag Beanspruchungsverringerung durch
Schwingzeitverlängerung bei
2,0 gleicher Dämpfung
Se(T)/ag
1,5
Beanspruchungsverringerung
durch Erhöhung der Dämpfung
1,0 bei gleicher Grundschwingzeit
0,5
System 2: Se(T = 0.9s) = 0.91 ag
0,0
0 0,5 1 1,5 2 2,5 3
Grundschwingzeit T [s]
schwach gedämpften Systems (D = 2%) mittel gedämpften Systems (D = 10%)
Bild 6.2-1 Beschleunigungsantwort eines Systems bei Variation von Steifigkeit und Dämpfung der
Lagerung
6.2 Aufgaben und Beurteilung der Lagerung 469
Elastisches Antwortspektrum der Verschiebung (EC8)
Elastisches Antwortspektrum der Verschiebung
Bodenklassen A, Spektrum Typ 1 (EC8)
Bodenklassen A, Spektrum Typ 1
70
70 Schwingzeitverlängerung
Schwingzeitverlängerung
(Erdbebenisolation)
60 (Erdbebenisolation)
60
50
50
Beanspruchungsvergrößerung
40 Beanspruchungsvergrößerung
40 durchSchwingzeitverlängerung
Schwingzeitverlängerung
(T)/agg
durch
beigleicher
gleicherDämpfung
Dämpfung
SSee(T)/a
bei
30
30
Beanspruchungsverringerung
Beanspruchungsverringerung
durch
durch Erhöhung
Erhöhung der Dämpfung
der Dämpfung
20
20 bei bei gleicher
gleicher Grundschwingzeit
Grundschwingzeit
10
10 System
System 2: 2:
SdeS(T
de(T = 0.9s)
= 0.9s) = 18.6
= 18.6 mmmm
/ ag/ ag
System1:1:Sde
System Sde(T(T
== 0.3s)
0.3s) = 6,8
= 6,8 mmmm
/ ag/ ag
00
0,0
0,0 0,5
0,5 1,01,0 1,51,5 2,0 2,0 2,5 2,5 3,0 3,0
Grundschwingzeit T [s] T [s]
Grundschwingzeit
schwach
schwachgedämpften
gedämpftenSystems
Systems(D(D
= 2%)
= 2%) mittel gedämpften
mittel Systems
gedämpften (D = (D
Systems 10%)
= 10%)
Bild 6.2-2 Verschiebungsantwort eines Systems bei Variation von Steifigkeit und Dämpfung der
Lagerung
wird im Kapitel 7 und im Abschnitt 8.6 be- 6.3 Wahl der Lagerung
handelt. Bei Stahl- oder Verbundüberbau- und Anordnung der Lager
ten ist eine entsprechende Aussteifung im
Auflagerbereich erforderlich. Es sind prinzipiell zwei Lagerungsarten
Die schubsichere Verbindung der Lager möglich:
mit den Bauwerksteilen kann bei hinrei-
chender Auflast und vorwiegend statischer • die elastische Lagerung, wobei Verfor-
Beanspruchung durch Reibung oder im an- mungslager die Verschiebungen und Ver
deren Fall durch Verbindungsmittel, z. B. drehungen durch die Verformbarkeit
Kopfbolzen erwirkt werden. realisieren und durch den Verformungs
Die Lagerung wird durch Lager und widerstand gleichzeitig Kräfte in der
Erdbebenvorrichtungen realisiert. Diese Ebene aufnehmen
sind hochwertige Bauprodukte, die wäh- • die Lagerung mit Festpunkten. In diesen
rend einer Nutzungsdauer stark bean- Fällen werden die Kräfte in der Ebene
sprucht werden. So können z. B. an Gleit- am Festpunkt aufgenommen.
teilen infolge Temperatur und Verkehr
durchaus aufsummierte Gleitwege von Die Einsatzgrenzen der elastischen Lagerung
400 m pro Jahr auftreten. Das ist nicht ohne sind eindeutig mit der Aufnahmekapazität
Verschleißerscheinungen möglich. Des- der Kräfte in der Ebene abgesteckt.
halb wird für Lager und Erdbebenvorrich- Für die Wahl der Lagerung sind ent
tungen Auswechselbarkeit gefordert. Die sprechend ihrer Aufgabe einige Grundsätze
dafür erforderlichen Vorkehrungen, Pres zu beachten. Das Lagerungssystem ist so zu
senaufstandsflächen und austauschbare entwerfen, dass die Bewegungen mit ge
Verbindungen, sind bei der Planung zu ringen Widerstandskräften möglich sind,
berücksichtigen. dass Zugkräfte vermieden werden und dass
Bei der Darstellung der Anforderungen die einzelnen Lager gewartet und ausge-
werden bei den Kräften der Lagerung stets tauscht werden können. Die Bewegungs-
Druckkräfte vorausgesetzt. Alle gebräuch- richtung beweglicher Lager sollte zum Bei-
lichen Lager sind Lager zur Übertragung spiel stets in waagerechter Richtung sein
von Druckkräften. In der Regel sollten (Bild 6.3-1), denn dabei entstehen unter
Zugkräfte bei gelagerten Brücken vermie- vertikalen Lasten (Eigenlast und Verkehrs-
den werden. Objektive Randbedingungen lasten) keine horizontalen Zusatzwirkun-
können aber zu Lösungen zwingen, die gen auf die anderen Lager.
auch zu Zugkräften führen. In diesen Viele Lageranordnungen, die für gleich-
Fällen kommen Sonderkonstruktionen mäßige Temperaturänderung zwängungs-
zum Einsatz. frei sind, ergeben unter exzentrischen Ver-
tikallasten und unter horizontalen Lasten
Zwängungen, die oftmals durch die immer
exzentrisch zur Schwerachse des Balkens
angeordneten Lager erst hervorgerufen
oder verstärkt werden (Bild 6.3-2)
Einfeldbrücken
Gelagerte Einfeldbrücken sind Tragwerke,
die sich auf steife Widerlager stützen und
somit in der Regel die Lager eine Trennung
des statischen Systems zwischen Überbau
6.3 Wahl der Lagerung und Anordnung der Lager 471
verschobene Brücke
und Unterbau gestatten. Deshalb kann die sehr große Kräfte in der Ebene [Klöker
Wahl der Lagerung aus den Stützkräften 1997, Bachmann, 1990], welche kaum reali
und Bewegungen des Überbaus abgeleitet tätsnah ermittelbar sind. Die elastische
werden. Die klassische Lagerung einer Lagerung, welche die Grundlage der Erdbe-
einfeldrigen Brücke erfolgt auf vier Ver benisolation ist, findet deshalb insbesonde-
tikalkraftlagern und damit für vertikale re für massive Einfeldbrücken in seismisch
Kräfte einfach statisch unbestimmt. gefährdeten Gebieten ein sinnvolles Ein-
Die Bewegungsrichtungen sind dabei so satzgebiet, es können allerdings zusätzliche
zu wählen, dass die Bewegungen des Über- Maßnahmen zur Verschiebungsbegren-
baus weitgehend zwängungsfrei stattfinden zung für den Gebrauchs- und Erdbebenfall
können, sowohl bei gleichmäßiger Tem erforderlich werden, z. B. der Einsatz von
peraturänderung als auch bei Horizontal- Erdbebenvorrichtungen.
kräften quer zur Achse. Die beiden prinzi-
piellen Lagerungsarten zeigen die Bilder Lageranordnung
6.3-3 und 6.3-4. Die Anordnung der Lager hängt von der
Bei seismischer Beanspruchung erhalten Querschnittsausbildung und den vorhan
Festpunkte auf Widerlagern der Brücke denen Platzverhältnissen ab.
H1 H3
H(HL)
HL
HL H2 H4
Steifen
Spaltzugbewehrung
Durchlaufträger
Bild 6.3-8 Lagerung einer gekrümmten, ein- Durchlaufträger über zwei oder mehrere
feldrigen Brücke [Ramberger, 2002] Felder stützen sich an den Brückenenden
ebenfalls auf steife Widerlager, die Zwi-
schenstützungen sind Stützen oder Pfeiler,
die je nach der zu überbrückenden Situa
tion auch in einer Brücke unterschiedlich
R hoch sein können. Die Grundrissgeometrie
V und die Höhe der Stützen und Pfeiler be-
stimmt deren Steifigkeit in der Ebene. Bei
V
R der Wahl der Lagerung muss dies beachtet
werden. Auch bei Durchlaufträgern sind
H H die zwei Lagerungsarten (elastisch; Fest-
Bild 6.3-9 Neigung der Resultierenden bei ver punktlagerung) üblich. Ebenso werden
schiedenen Vertikalkräften [Ramberger, 2002] Mischlagerungen, wo ein oder mehrere
schlanke Mittelpfeiler in den Überbau ein-
gespannt werden und die verbleibenden
Bei schiefwinkligen, massiven Platten- Pfeiler gelagert sind, ausgeführt. Zur Wahl
brücken mit Kreuzungswinkeln kleiner der Lagerung muss die Stabilität des Ge-
50gon sind die Auflagerkräfte an den spit- samtsystems untersucht werden.
zen Ecken auf Abheben zu prüfen. Durch Analog der Einfeldbrücken erhalten
die Lageranordnung (Lager vom spitzen Durchlaufträger an den Widerlagern je-
Rand einrücken) und durch die Berück weils mindestens zwei Vertikalkraftlager
sichtigung der vorhandenen Vertikalstei- (Bild 6.3-10).
figkeit der Lager wird eine realistische Ist die Torsionssteifigkeit ausreichend,
Auflagerkraftbeurteilung erreicht und in genügt jeweils ein Lager auf einem Pfeiler.
vielen Fällen tritt kein Abheben auf.
Bei schiefwinkligen und/oder gekrümm-
ten Brücken in seismisch gefährdeten Ge-
bieten ist ein weiterer Aspekt bei der Lager
anordnung zu beachten – die Überein
stimmung des Massenschwerpunkts des
Überbaus mit dem Steifigkeitszentrum der Bild 6.3-10 Prinziplagerung einer Zweifeld-
Lagerung. Fallen der Schwerpunkt des brücke [Ramberger, 2002]
474 6 Lagerung
Für die Aufnahme der Horizontalkräfte quer Wenn die Stützkräfte und Bewegungen
zur Brückenachse können alle Widerlager es erlauben, sollte bei Durchlaufträgern
oder Pfeiler herangezogen werden, indem die elastische Lagerung mit Verformungs-
jeweils ein Lager in Querrichtung unver- lagern verwendet werden. Bei horizontal
schieblich angeordnet wird (Bild 6.3-11). gekrümmten Durchlaufträgern ist es wegen
Hat das Tragwerk ausreichende Steifig- der Fahrbahnübergänge bzw. Schienen
keit um die vertikale Achse, genügt in vie- auszüge günstig, die Bewegungsrichtung
len Fällen die Aufnahme der Horizontal- der Lager an den Widerlagern in Richtung
kräfte nur auf den Widerlagern und damit der Fahrbahnachse auszurichten. Um eine
in statisch bestimmter Weise (Bild 6.3-12). für gleichmäßige Temperaturänderung
Die allseitig beweglichen Lager auf den zwängungsfreie Lagerung zu erreichen,
Pfeilern geben dann allerdings ihre Verti- müssen alle anderen Verschiebungs
kalkraft exzentrisch ab, wobei die Lagerart richtungen von einseitig festen Lagern
und die Anordnung auf dem Pfeiler (Gleit- denselben Winkel mit dem Polstrahl zum
teil zum Überbau oder zum Pfeiler) die festen Lager einschließen (Bilder 6.3-13,
Wirkung der Exzentrizität beeinflussen. 6.3-14).
Bei langen Brücken oder bei Brücken Lager an den Widerlagern sind immer so
mit hohen Pfeilern kann eine feste Lage- anzuordnen, dass die Verschieblichkeit der
rung des Überbaus in Brückenlängsrich- Lager mit der Verschieblichkeit der Fahr-
tung auf einem oder mehreren mittig zur bahnübergänge (siehe Abschnitt 10.3) zu
Längsrichtung gelegenen Pfeilern sinnvoll sammenfällt. Bei Fingerübergängen, Gleit-
sein. Bei verschieblichen Lagern an den plattenübergängen und bei Schienenaus
Widerlagern werden die Horizontalkräfte zugsvorrichtungen muss die Verschieblich-
auf die festgehaltenen Pfeiler aufgeteilt, bei keit der Lager an den Widerlagern in die
festen Lagern an den Widerlagern werden Richtung der Brückenachse fallen.
die Pfeilerköpfe über den Überbau festge- Zur Lagerung von Durchlaufträgern in
halten und damit die Knicklängen der Pfei- seismisch gefährdeten Gebieten sind beide
ler wesentlich verringert. Grundlagerungsarten geeignet, die Lage-
rung mit Festpunkten sowie die elastische und die resultierende Grundgeometrie des
Lagerung (Erdbebenisolation). Unterbaus abgeleitet wurde, fehlt nun die
Die Anordnung der Lager ist, wie bei Wahl der Lager.
Einfeldträgern beschrieben, vom Baustoff Für die Auswahl der Lager und Erdbeben
und der Querschnittsausbildung des Über- vorrichtungen sind erforderlich:
baus abhängig. Bei Einzelpfeilern reicht der
• die zu übertragenden Kräfte und Bewe-
rechnerisch notwendige Querschnitt oft
gungen,
nicht zur Aufnahme von Lager und Pres-
• die Leistungsparameter der gebräuch
senansatzpunkt aus. Lösungsmöglichkeiten
lichen Lager und Erdbebenvorrichtun-
sind im Kapitel 7 behandelt. Bild 7.3-4 zeigt
gen,
ein Beispiel.
• die Lagerwiderstände,
Die Anordnung von Festpunkten bei
• die Lageranforderungen aus den Bauzu-
Erdbebenlagerungen sollte in der Regel auf
ständen.
einem oder mehreren Pfeilern erfolgen,
da Festpunkte auf den Widerlagern sehr Zur Ermittlung der Kräfte und Bewegungen
große Kräfte in der Ebene im Erdbebenfall werden im Abschnitt 6.4 Hinweise gegeben.
erfahren, wie bereits erläutert wurde. Die Für die Ermittlung der Bewegungskapazi-
Anordnung von Erdbebenvorrichtungen täten im Isolationsfall sind zusätzlich die
sollte an dem Ort erfolgen, an dem die ein- Hinweise im Abschnitt 8.7.3 zu beachten. In
gesetzten Elemente ihre maximale (dyna- der [DIN EN 1337-1, 2001] ist ein Überblick
mische) Wirkung erzielen können. Ver über die gebräuchlichen Lagerarten ge
allgemeinerungen sind mit Bezug auf den geben, eine komprimierte Darstellung zeigt
Einsatz von Erdbebenvorrichtungen nicht Abschnitt 6.1, Tabelle 6.1-1. Eine detaillierte
sinnvoll anzugeben, eine Abstimmung der Darstellung des Aufbaus einzelner Lager
Lagerung und der Erdbebenvorrichtungen arten befindet sich im Abschnitt 10.2.
auf die gegebene Situation ist immer erfor- Da Verformungslager hinsichtlich Ein-
derlich. Bei der elastischen Lagerung (Erd- bau, Wartung und Lebensdauer robuste La-
bebenisolation) sind dieselben Anforde- ger sind, wird deren möglicher Einsatz stets
rungen wie bei der Lagerung von Einfeld- zuerst geprüft. Sind die Platzverhältnisse
brücken zu erfüllen, insbesondere die Sym- eingeschränkt oder sind die Verschiebungen
metrie von Steifigkeits- und Massenvertei- oder Verdrehungen mit Verformungslagern
lung ist zu beachten. nicht sinnvoll realisierbar, dann wird der
Nachdem die prinzipielle Wahl der Lage- Einsatz von anderen Lagerarten geprüft. Alle
rung dargestellt wurde, die Anordnung der Lager sind mit Gleitteilen kombinierbar, so
Lager aus dem Tragverhalten und Geomet- dass die Verschiebungsgröße alleine kein
rieparametern des Überbauquerschnitts Entscheidungskriterium ist.
476 6 Lagerung
Der Nachweis der summarischen Elasto- Werten die Ergebnisse einer spezifischen
merverzerrung ist im Grenzzustand der Laststellung verstanden.
Tragfähigkeit zu führen und erfordert die
Bemessungswerte der Kräfte und Bewe- Beispiel: 3-Feld-Brücke mit zwei verschie-
gungen aus diesem Grenzzustand. denen Querschnittsausbildungen
Die Kräfte und Bewegungen Fzd, vxy,d Für dieses Beispiel wurden die Auflager-
und αab,d sind dafür nach [DIN-FB 101, kräfte, Verschiebungen und Verdrehungen
2009], Anhang O zu ermitteln. Grundlage für die Einwirkungen berechnet. Die cha-
bildet die charakteristische Einwirkungs- rakteristischen Werte der einzelnen Ergeb-
kombination. Die Bemessungswerte erge- nisse sind in den Tabellen 6.4.2-1 und -2
ben sich durch die Ermittlung der Kräfte angegeben.
und Bewegungen aus den einzelnen Ein-
wirkungen der charakteristischen Einwir- Annahmen und Vereinfachungen für die
kungskombination mit anschließender Schnittgrößenberechnung:
Vergrößerung der einzelnen Ergebnisse mit
• Untersuchung am Balkensystem, die
den entsprechenden Teilsicherheitsbei-
Querrichtung ϑb und vy werden ver-
werten.
nachlässigt
Neben der Ermittlung der Kräfte und
• Effekte aus der Herstellungstechnologie,
Bewegungen für die Lager wird im Beispiel
Einlagerungszeitpunkt und Überhö-
überprüft, welche Auswirkungen eine
hung des Überbaus werden nicht be-
Nachweisführung unter Berücksichtigung
rücksichtigt. Die Lagerverformungen
zugehöriger Bemessungswerte oder eine
infolge Eigenlast und Vorspannung wer-
Nachweisführung mit Maximalwerten er-
den voll angesetzt.
gibt. Dabei werden unter „zugehörigen“
Bild 6.4.2-3 Längsschnitt
Bild 6.4.2-4 Lagerungsplan
Tabelle 6.4.2-1 Zusammenstellung der Ergebnisse der Kräfte und Bewegungen aus den einzelnen
Einwirkungen (charakteristische Werte) für die Querschnittsvariante 1
Beschreibung AV [kN] BV [kN] ϑA [10-3] ϑB [10-3] vA [mm] vB [mm]
1 Eigenlast 1490,46 3752,09 -2,37 0,39 0,00 0,00
2 Ausbaulast 354,00 969,00 -0,63 0,10 0,00 0,00
3 Vorspannung 67,30 -67,30 4,18 -0,80 7,86 4,11
4 K+S -5,33 5,33 0,90 -0,30 30,45 21,90
5 UDL in Feld 1+3 462,00 504,00 -0,92 0,71 0,00 0,00
6 UDL in Feld 2 -54,70 577,00 0,28 -0,62 0,00 0,00
7 UDL in Feld 1+2 394,00 1147,00 -0,57 -0,05 0,00 0,00
8 TS in Feld 1 293,00 279,00 -0,75 0,40 0,00 0,00
9 TS in Feld 2 -37,70 304,00 0,20 -0,44 0,00 0,00
10 TS auf A 534,00 -0,66 0,00 0,00 0,00 0,00
11 TS auf B -0,35 534,00 0,00 0,00 0,00 0,00
12 Bremslast 0,00 0,00 0,00 0,00 -0,25 -0,25
13 Anfahrlast 0,00 0,00 0,00 0,00 0,25 0,25
Gleichmäßige
14 0,00 0,00 0,00 0,00 19,93 10,56
Abkühlung
Gleichmäßige
15 0,00 0,00 0,00 0,00 -13,70 -7,26
Erwärmung
Temperatur
16 88,50 -88,50 0,80 -0,25 0,00 0,00
Oberseite höher
Temperatur
17 -57,33 57,33 -0,52 0,17 0,00 0,00
Unterseite höher
(Der Index an den Verschiebungen/Verdrehungen kennzeichnet das Lager, nicht die Achse der Verschiebung/
Verdrehung!)
480 6 Lagerung
Tabelle 6.4.2-2 Zusammenstellung der Ergebnisse der Kräfte und Bewegungen aus den einzelnen
Einwirkungen (charakteristische Werte) für die Querschnittsvariante 2
Beschreibung AV [kN] BV [kN] ϑA [10-3] ϑB [10-3] vA [mm] vB [mm]
1 Eigenlast 721,92 1977,52 -0,20 0,05 -0,96 0,39
2 Ausbaulast 350,06 972,71 -1,07 0,18 -0,47 0,20
4 K+S -123,75 123,75 -1,32 0,60 9,78 5,94
5 UDL in Feld 1+3 453,95 501,42 -1,58 1,20 -0,32 1,19
6 UDL in Feld 2 -57,33 574,13 0,48 -1,03 -0,19 -1,01
7 UDL in Feld 1+2 382,42 1146,15 -0,98 0,07 -0,86 -0,37
8 TS in Feld 1 282,87 285,55 -1,29 0,68 -0,62 0,46
9 TS in Feld 2 -41,59 304,45 0,35 -0,74 -0,12 -0,72
10 TS auf A 524,02 3,61 0,00 0,00 0,02 0,00
11 TS auf B 3,87 516,62 0,00 0,00 -0,01 0,00
12 Bremslast -1,10 -6,35 0,00 -0,01 -0,21 -0,20
13 Anfahrlast 1,10 6,35 0,00 0,01 0,21 0,20
Gleichmäßige
14 38,46 -38,46 0,57 -0,19 23,19 11,97
Abkühlung
Gleichmäßige
15 -28,57 28,57 -0,39 0,14 -17,23 -8,89
Erwärmung
Temperatur
16 66,32 -66,32 0,94 -0,32 -3,07 -2,16
Oberseite höher
Temperatur
17 -79,63 79,63 -1,13 0,39 3,68 2,59
Unterseite höher
(Der Index an den Verschiebungen/Verdrehungen kennzeichnet das Lager, nicht die Achse der Verschiebung/
Verdrehung!)
6.4 Ermittlung der Kräfte und Bewegungen 481
Bemessungswerte der Kräfte und Bewe- größerung der mittleren Kriech- und
gungen für den Nachweis der Elastomer- Schwindbeiwerte nach [DIN-FB 102, 2009]
verzerrungen nach [DIN EN 1337, 2005], bzw. [DIN-FB 104, 2009] mit dem Faktor
Abschnitt 5.3.3 1,35 zu ermitteln. Dieser Faktor ist kein
Nach Anhang O des [DIN-FB 101, 2009] Teilsicherheitsbeiwert, sondern führt zu
sind die Bemessungswerte der Bewegungen Fraktilwerten der Kriech- und Schwind-
aus Kriechen und Schwinden unter Ver- beiwerte.
Tabelle 6.4.2-3 Bemessungswerte der Kräfte und Bewegungen für die Lager der Querschnitts
variante 1
AV BV ϑA ϑB vA vB
[kN] [kN] [10-3] [10-3] [mm] [mm]
Maximale Auflagerkraft Lager A und zug ϑ
1,35(1+2)+1,0*3+1,0*4+1,5*(5+10)
max A 4141,6
+1,35*0,8*16
Lager A
1,35(1+2)+1,0*3+1,35*4+1,5*(5+10)
zug. ϑ 0,83
+1,35*0,8*16
Maximale Auflagerkraft Lager B und zug ϑ
1,35(1+2)+1,0*3+1,0*4+1,5*(7+11)
max B 8894,9
+1,35*0,8*17
Lager B
1,35(1+2)+1,0*3+1,35*4+1,5*(7+11)
zug. ϑ -0,65
+1,35*0,8*17
Maximale Verdrehung Lager A und zug. Av
zug. A 1,35*(1+2)+1,0*3+1,0*4+1,5*(5+8)
3622,6
(EK1) +1,35*0,8*17
max ϑ 1,35*(1+2)+3+1,35*4+1,5*(5+8)
-1,72
(EK 1) +1,35*0,8*17
Lager A
zug. A 1,0*(1+2)+1,0*3+1,0*4+1,5*(6+9)
1863,4
(EK 2) +1,35*0,8*16
max ϑ 1,0*(1+2)+3+1,35*4+1,5*(6+9)
3,97
(EK 2) +1,35*0,8*16
Maximale Verdrehung Lager B und zug. Bv
zug B 1,35(1+2)+1,0*3+1,0*4+1,5*(5+8)
7547,9
(EK 1) +1,35*0,8*17
max ϑ 1,35*(1+2)+3+1,35*4+1,5*(5+8)
1,30
(EK 1) +1,35*0,8*17
Lager B
zug B 1,0*(1+2)+1,0*3+1,0*4+1,5*(6+9)
5885,0
(EK 2) +0,8*1,35*16
max ϑ 1,0*(1+2)+3+1,35*4+1,5*(6+9)
-2,58
(EK 2) +1,35*0,8*16
Horizontale Verschiebung für Lager A und B
max v 1.0(3)+1.35*(4)+1.5*(14) Lager A und B 75,9 47,9
482 6 Lagerung
Tabelle 6.4.2-4 Bemessungswerte für die Kräfte und Bewegungen der Lager der Querschnitts
variante 2
AV BV ϑA ϑB vA vB
[kN] [kN] [10-3] [10-3] [mm] [mm]
Maximale Auflagerkraft Lager A und zug ϑ
1,35(1+2)+1,0*4+1,5*(5+10)
max A 2885,6
+1,35*0,8*(14+0,75*16)
Lager A
1,35(1+2)+1,35*4+1,5*(5+10)
zug. ϑ -4,48
+1,35*0,8*(14+0,75*16)
Maximale Auflagerkraft Lager B und zug ϑ
1,35(1+2)+1,o*4+1,5*(7+11)
max B 6697,5
+1,5*0,8*(0,35*15+17)
Lager B
1,35(1+2)+1,35*4+1,5*(7+11)
zug. ϑ 1,70
+1,35*0,8*(0,35*15+17)
Maximale Verdrehung Lager A und zug. Av
zug. A 1,35*(1+2)+1,0*4+1,5*(5+8)
2428,7
(EK1) +1,35*0,8*(0,35*15+17)
max ϑ 1,35*(1+2)+1,35*4+1,5*(5+8)
-9,16
(EK 1) +0,8*1,35*(0,35*15+17)
Lager A
zug. A 1,35*(1+2)+1,0*4+0*(6+9)
1442,5
(EK 2) +1,35*(14+0,75*16)
max ϑ 1,35*(1+2)+1,35*4+0*(6+9)
-2,11
(EK 2) +1,35*(14+0,75*16)
Maximale Verdrehung Lager B und zug. Bv
zug B 1,35(1+2)+1,0*4+1,5*(5+8)
5383,8
(EK 1) +1,35*0,8*(0,35*15+17)
max ϑ 1,35(1+2)+1,35*4+1,5*(6+9)
4,41
(EK 1) +1,35*0,8*(0,35*15+17)
Lager B
zug B 1,35(1+2)+1,0*4+1,5*(5+8)
5424,4
(EK 2) +1,35*0,8*(0,35*15+17)
max ϑ 1,0(1+2)+1,35*4+1,5*(6+9)
-2,08
(EK 2) +1,35*0,8*(14+0,75*16)
Horizontale Verschiebung für Lager A und B
1.35(1+2)+1.35*(4)
max v Lager A und B 46,3 27,6
+1.35*(18+0.75*17)
Bemessung der Lager unter Querschnitt 1 Bemessung der Lager unter Querschnitt 2
(Massiv) (Verbund)
Es wurden unverankerte Lager nach [DIN Es wurden unverankerte Lager nach [DIN
EN 1337-3, 2005] mit den untenstehenden EN 1337-3, 2005] mit den untenstehenden
Geometrien gewählt und der summarische Geometrien gewählt und die summarische
Elastomerverzerrungsnachweis geführt. Elastomerverzerrung ermittelt.
6.4 Ermittlung der Kräfte und Bewegungen 483
Zusammenfassung der Ergebnisse für toren abhängig sind, wird der Geltungs
den Nachweis „Klaffen der Lagerfuge“ bereich der in den entsprechenden Teilen
Der Nachweis des Klaffens der Lagerfuge der Europäischen Norm angegebenen
ließ sich im untersuchten Beispiel nicht im- Werte eingeschränkt. Die Verwendung der
mer mit den Maximalwerten erfüllen. Der angegebenen Widerstände setzt voraus,
Abstand zwischen Lagerstauchung aus dass die Lager nicht folgenden Einflüssen
Normalkraft und Lagerstauchung aus Ver- ausgesetzt sind:
drehung vergrößert sich bei Verwendung
• Temperaturen außerhalb der definierten
der zugehörigen Werte erheblich, sodass
Grenzen,
die Verwendung zugehöriger Werte zur Er-
• Geschwindigkeiten der Verschiebungen
füllung der Nachweisbedingung sinnvoll
und Verdrehungen, die nicht vom Ver-
ist. Da dieser Nachweis bei kleinen Aufla-
kehr herrühren (also nicht für Erd
sten, die durch Verkehrslaststellungen mit
beben),
entlastender Wirkung auch bei Tragwerken
• Verschmutzung in den Kontaktflächen.
kleiner Stützweite entstehen können, oft
nicht erfüllbar ist, wurde für verankerte La- Bei Lagerungen mit Festpunkten ist die am
ger ein Mindestwert für Fz/A' von 3 N/mm² Festpunkt angreifende horizontale Stütz-
festgelegt. Im vorliegenden Beispiel würde kraft aus dem Widerstand des gesamten
für die Variante Minimalwert/Maximal- Lagerungssystems zu bestimmen. Dabei ist
wert auch dann der Nachweis nicht erfüllt, zu beachten, dass die Kräfte die aus den
da eine Pressung von 3,6 N/mm² vorhan- Widerständen resultieren, teils günstig und
den ist. teils ungünstig wirken. Bei der Berechnung
sind deshalb die günstig und ungünstig
wirkenden Bemessungswerte der ständigen
6.5 Lagerwiderstände Lasten für die Ermittlung der horizontal
angreifenden Stützkraft infolge Reibung
Lager erzeugen entweder Rückstellkräfte bei Bewegungslagern zu berücksichtigen.
(Verformungslager), die proportional zu Bei Verwendung von bewehrten Elas
den Verschiebungen sind, oder Reibungs- tomerlagern aus unterschiedlicher Herstel-
kräfte (Gleitlager, Rollenlager), die propor- lung trifft dies für die unterschiedlichen
tional zu den Vertikalkräften sind. Diese Schubmoduli zu.
Lagerwiderstände wirken über den Über- Die Widerstände der Lager und Erd
bau auf die unverschieblichen Lager ein bebenvorrichtungen bei Erdbebenbean
und sind bei deren Auflagerreaktionen spruchungen hängen von der Stärke des
zu berücksichtigen. Alle verdrehbaren Bebens und der konkreten Verformungs
Lager weisen Rückstellmomente bzw. Rei- charakteristik ab. Diese sind nur durch Ver-
bungsmomente auf, deren Wirkungen suche ermittelbar und müssen vom Lager-
auf Über- und Unterbauten ebenfalls be hersteller erfragt werden.
rücksichtigt werden müssen, oft aber auch
vernachlässigt werden können. Die von
der Bauart und dem Material beziehungs- 6.6 Planungsunterlagen
weise Materialpaarungen abhängigen Wi-
derstände sind in den Normen der je Die Wahl der Lagerung und die Auswahl
weiligen Lager (vgl. Tab. 6.1-3) angegeben. und Anordnung der Lager für eine Brücke
Da die Bewegungs- und Verformungs erfordern eine Zusammenarbeit zwischen
widerstände von einer Vielzahl von Fak- Bauherrn, Planer, Bauausführenden und
488 6 Lagerung
Bild 6.6-1 Einflussfläche für die Auflagerkraft einer Dreifeldbrücke mit offenem (torsionswei-
chem) Querschnitt [Ramberger, 2002]
Bild 6.6-2 Einflussfläche für die Auflagerkraft einer Dreifeldbrücke mit geschlossenem (torsions-
steifen) Querschnitt [Ramberger, 2002]
6.7 Messungen von Kräften und Bewegungen an Lagern 489
in den Bildern 6.6-1 und 6.6-2 der Unter- die durch die IFF Engineering & Consul-
schied verdeutlicht. ting GmbH, Leipzig, zur Verfügung gestellt
Da die Nachweisführung der Lager alle wurden [IFF, 1992-97], ergab bei den ge-
Verbindungen im Lager und alle Ausrüs- nannten Tragwerksarten trotz sorgfältig
tungselemente umfasst, sind auch die cha- geodätischer Ausrichtung der Lagerpunkte
rakteristischen Werte der Lagerkräfte und Abweichungen von den gerechneten Auf
Bewegungen aus jeder Einzeleinwirkung in lagerkräften von 50 bis 200%. Zurzeit wer-
die Lagerliste aufzunehmen. Für die ge- den von Bergmeister [Bergmeister, 2001]
nannten Elemente können andere Kombi- umfangreiche Messungen, einschließlich
nationen maßgebend werden. Kraftmessungen, an Brücken der Brenner-
autobahn vorgenommen.
Messungen von Verschiebungen und
6.7 Messungen von Kräften Verdrehungen an Lagern im Bauwerk wur-
und Bewegungen an Lagern den meist zur Validierung der Bedingun-
gen der Zulassungsversuche und zur Er-
Lager sind Bauteile, deren Funktionsfähig- mittlung von aufsummierten Gleitwegen
keit nur bei sorgsamer Behandlung gewähr zur Abschätzung der Lebensdauer durch-
leistet ist. Zur Absicherung der Trag- und geführt. Angaben dazu sind in [Ibac F 195,
Funktionsfähigkeit werden vor den Über- 1984, Ibac F 192, 1990, Hakenjos, 1985 und
einstimmungserklärungen oder Zulassun- IBL Nr. 804, 1977] zu finden. Summarisch
gen die Bauteile Lager geprüft und während wurde dabei festgestellt,
der Produktion laufend überwacht. Die
• dass die Aufsummierung der kurzzeiti-
Prüfungen werden unter definierten Rand-
gen, aus Verkehrsbelastung resultieren-
bedingungen ausgeführt. Verhaltensstu
den Bewegungen gegenüber den Tempe-
dien zur Wirkungsweise unter realen Be-
raturbewegungen den größeren Anteil
dingungen und Einwirkungen können nur
am aufsummierten Gleitweg haben.
durch Messungen an Lagern im Bauwerk
• dass die Reibungsbeiwerte unter den re-
mit begleitenden Messungen am Bauwerk
alen Temperatur- und Lasteinwirkungen
geführt werden. Dabei sind die Kräfte und
eine starke Streubreite haben, deren
Bewegungen von Interesse.
Auswirkung auf die Lebensdauer der
Messungen von Kräften oder Pressun-
Lager noch nicht hinreichend bekannt
gen an den Lagerpunkten sind nur wenige
ist.
bekannt. Obwohl sensorbestückte (mei-
stens Topf-) Lager zur Auflagerkraftmes- In [Weitsch, 2002] werden Messungen von
sung angeboten und auch verschiedentlich Verschiebungen und Verdrehungen an
eingebaut wurden, sind Messergebnisse Lagern während der Überfahrt eines LkW’s
nicht zugänglich. Da bei Stahlbrücken mit mit bekannter Konfiguration, Last und
torsionsweichen Querschnitten mehrfach Geschwindigkeit ausgewertet und analogen
Schäden zum Beispiel an den Endquerträ- Rechenergebnissen gegenübergestellt.
gern festgestellt wurden, wird dem Problem Weitere Verformungsmessungen an Lagern
der Herstellung der planmäßigen Lage- unter Verkehr sind aus der Literatur nicht
rungsbedingungen, also einer auflagerkraft bekannt, so dass die Messungen von Weitsch
gesteuerten Einlagerung bei diesen oder gegenwärtig nur als Trend gewertet werden
auch bei Brücken mit geometrisch kompli- können. Gemessen wurde an den Lagern
zierten Grundrissen mehr Aufmerksamkeit der Talbrücke über die Schwarza, einer
gewidmet. Eine Auswertung der dabei ge- neunfeldrigen einteiligen Stahlverbund-
messenen Auflagerkräfte ohne Korrektur, brücke mit einer maximalen Höhe über
490 6 Lagerung
Bild 6.7-1 Lage der Messstellen im Lagerungsplan. Die ausgefüllten Lager wurden gemessen.
675 m
Schwarza
L1131
Erfurt Schweinfurt
55 m 75 m 80 m 85 m 85 m 85 m 80 m 70 m 60 m
Gelände von 65 m. Der Lagerungsplan mit hängig. Auch ein Halt in den Feldmitten
der Angabe der gemessenen Lager ist im und ein 15-sekundiges Einwirken der
Bild 6.7-1 dargestellt. Alle Lager der Brücke Last zeigt keine Veränderungen. Ledig-
sind Kalottenlager. lich die dynamischen Anteile sind ge-
Die Längsansicht der Brücke ist im Bild schwindigkeitsabhängig.
6.7-2 dargestellt. • Zwischen Rechnung und Messung wer-
Zum Zeitpunkt der Messungen standen den gute Übereinstimmungen erzielt.
die Brückenbauarbeiten kurz vor dem Die Rechnung wurde im Gesamttrag-
Abschluss. Fahrbahnübergangskonstruk werksmodell allerdings ohne Lager
tionen, Kappen und die endgültige Fahr widerstände geführt. Im Bild 6.7-3
bahndecke waren noch nicht fertig gestellt. werden die Ergebnisse für die Lager
Die Messungen wurden bei unterschiedli- achse 50 dargestellt. Die Brückenlängs-
chen Geschwindigkeiten des Testfahrzeugs achse ist als x-Achse definiert.
geführt. Es wurde bei Schrittgeschwindig-
keit, 10 km/h, 30 km/h und 50 km/h gemes- Die Messungen der Verschiebungen in
sen. Zusätzlich wurden Langsamfahrten Achsrichtung konzentrieren sich auf die
mit einem jeweiligen 15 s Halt in den Lager am Widerlager Achse 0. Da im Mess-
einzelnen Feldmitten durchgeführt. Der zeitraum die Bauwerkstemperaturen stie-
Messzeitpunkt war im Mai bei einer mitt gen, sind die Verschiebungen Überlage
leren Außentemperatur von 26 °C mit rungen aus Temperatur und Verkehr. Dabei
starker Sonneneinstrahlung. Bei den Rota- sind folgende Ergebnisse von Interesse:
tionen sind folgende Ergebnisse erzielt
• Die Verschiebungen zeigen eine starke
worden:
Abhängigkeit vom Fahrverhalten. So-
• Der Verdrehungsverlauf an den einzel- wohl die unterschiedlichen Geschwin-
nen Lagerpunkten ist von der Fahrzeug digkeiten als auch Zwischenhalte führen
geschwindigkeit (10 bis 50 km/h) unab- zu unterschiedlichen Ergebnissen.
6.7 Messungen von Kräften und Bewegungen an Lagern 491
• Der Einfluss des Fahrverhaltens ist ge- obachtet. Aus diesen Darstellungen ist
genwärtig rechnerisch nicht realistisch deutlich zu erkennen, dass die Verkehrs
ermittelbar. einflüsse die Längsverschiebungen infolge
Temperatur stören. In der Regel kommt es
Im Bild 6.7-4 wird ein Messergebnis bei zum kurzzeitigen Stillstand der Längsver-
Überfahrt in Schrittgeschwindigkeit darge schiebungen.
stellt, wobei an den markierten Stellen die Im Bild 6.7-5 wird die gemessene Ver-
ungeplante Überfahrt eines unbeladenen schiebung bei einer Überfahrt des Testfahr
Baustellenfahrzeugs die Verschiebungen zeugs mit 30 km/h dargestellt. Diese Mess-
beeinflusst. Die auftretende Treppenlinie ergebnisse zeigen einen relativ kontinuier-
wurde bei derartigen Ereignissen stets be lichen Verschiebungsverlauf.
klimatischen Parametern beeinflusst und wird, führt der letztgenannte Fall in der
ist deshalb nicht direkt über die Schatten- Regel lediglich zur Überbemessung des
außenlufttemperatur ermittelbar. Lagers.
Die Methode der Verschiebungsmessung Die Verdrehungen der Lager in der
ist abhängig von der Lagerart und der Aus- Lagerebene werden durch die direkten
rüstung des Lagers. Der „Ist-Zustand“ der Überbaulasten und dem linearen Tempera-
Verschiebungen bei der vorhandenen turgradienten im Überbau bestimmt. Ein
Bauwerksmitteltemperatur ist mit dem „Nullzustand“ der Verdrehung ist kaum
Sollzustand bei gleicher Bauwerksmittel- definierbar. Je nach Material und Herstel-
temperatur zu vergleichen. Die Ermittlung lungsart wurde der Überbau aus ästhe
des Sollzustands setzt die Kenntnis eines tischen Gründen vorgekrümmt eingelagert.
definierten Anfangszustands voraus. Zu Die Lager werden aber gerade eingebaut.
diesem Zweck wird in DIN EN 1337, Teil 11 Die Kontrolle der Verdrehungen reduziert
für die einzelnen Lager die Nullmessung sich somit auf die Messung der aktuellen
zum Zeitpunkt des Funktionsbeginns mit Verdrehungen des Lagers. Die Messung der
der jeweiligen aktuellen Luft und/oder Verdrehung ist wieder von der Lagerart ab-
Bauwerkstemperatur und deren Doku hängig, in DIN EN 1337, Teil 10 sind dafür
mentation gefordert. einige Hinweise gegeben.
Ein sachgerechter Einbau der Lager ist Die Stütz- oder Auflagerkräfte sind bei
für die dauerhafte Funktion der Lagerung den Hauptprüfungen nur messbar, wenn
über die erwartete Lebensdauer von aus- die Brücke mit Kraftmesslagern ausgerüstet
schlaggebender Bedeutung. Die Dokumen- wurde. Diese Lager sind meist als Topflager
tation des Nullzustands beim Einbau hat im Angebot, werden jedoch nur in be
für die Inspektion allerdings eine vergleich- sonderen Fällen eingesetzt. Bei diesen
bare Bedeutung. Im Abschnitt 10.2.8 wer- Lagern wird über einen Drucksensor im
den hinsichtlich des Einbaus von Lagern Elastomer auf die Kraft geschlossen. In der
weitere Aspekte beleuchtet. Regel beschränkt sich aber die Inspektion
Treten beim Vergleich des Ist- und Soll- stützkraftseitig auf die visuelle Kontrolle
zustands der Verschiebungen Unregel der Lager.
mäßigkeiten an einem oder mehreren La- Eine funktionsfähige Lagerung setzt
gern auf, dann ist in der Regel die Ursache funktionsfähige Lager voraus. Die Inspek
im Verformungsverhalten des Tragwerks zu tion der Lager erfordert deshalb zusätzliche
suchen. Derartige Ursachen können sein: prinzipielle und lagerartspezifische Kon-
trollen, wie zum Beispiel:
• Bei der Ermittlung der Lagerbewe-
gungen wurden die Wirkungen des Ge-
Allgemeine Aspekte
samtsystems nicht beachtet.
• Ausreichende verbleibende Bewegungs-
• Es sind Bewegungen an Widerlagern
fähigkeit, in Abhängigkeit von der La-
oder Stützen/Pfeilern durch unplan
gerart und der aktuellen Bauwerkstem-
mäßige Setzungen im Baugrund aufge-
peratur
treten.
• Sichtbare Mängel am Lager
• Bei der Ermittlung der Bewegungen
• Sichtbare Mängel an den angrenzenden
wurde die Steifigkeit der Unterbauten
Bauteilen
nicht berücksichtigt.
• Korrosionsschutz
Während in den beiden ersten Fällen meist • Lagerbettung und -verankerung
eine Lagerinstandsetzung erforderlich • Zustand der Gleit- und Rollflächen
494 6 Lagerung
Bild 6.8-1 Pressenansatz auf Hilfsgerüst, Trag- Bild 6.8-2 Pressenansatz auf Pfeiler, Tragwerk
werk abgelassen ausgehoben
Bild 7.2-4 Durchlassbauwerk mit Schrägflügeln und Parallelflügeln für den Übergang zum Stra-
ßendamm
498 7 Unterbauten
Die Anordnung der Widerlager hat meist als eigenständige Bauteile ausgeführt
einen dominanten Einfluss auf die Ge und durch eine Raumfuge von der Wider-
staltung des Gesamttragwerks und die Ein- lagerwand getrennt.
gliederung in das Landschaftsbild. Große Die Querschnittsform und die Geome
Flügelwände führen zu einer Torwirkung trie im Grundriss von Widerlagern sind von
der Brücke. Kleine Flügelwände fügen die den dargestellten funktionellen Parametern
Brücke in die Landschaft ein. Mit der abhängig. Die Breite des Widerlagers wird
größeren Stützweite sind jedoch auch durch die Konstruktion des Überbaus be-
höhere Baukosten verknüpft. stimmt. Die Länge der Flügel ist von der
Schräg- oder Böschungsflügel bilden Böschungsneigung und der Anordnung
den Abschluss für die Böschung unmittel- der Widerlagerwand abhängig.
bar am Widerlager. Die Ausbildung eines Wirtschaftlichkeitsüberlegungen und
Böschungskegels wie bei Widerlagern mit die zunehmende Technisierung führen zu
Parallelflügeln entfällt. Sie kommen häufig Weiterentwicklung und Sonderformen
bei kleineren rahmenartigen Tragwerken auch im Bereich der Widerlager. Stellver-
zur Anwendung. Die Flügelwände werden tretend seien hier das Spundwandwider
lager sowie die Bohrpfahlwand genannt. In
beiden Fällen wird das eigentliche Grün-
dungsbauteil so ausgebildet, das es die
Funktion der Dammsicherung und Lastab-
konische Schalung
vertikale Schalung
senkrechte,
sägerauhe Brettschalung
horizontale, sägerauhe Brettschalung
45º
Ansicht Flügelwand
7.2.3 Konstruktion der Bauteile der Ausladung hinter der Auflagerlinie ist
die Ausbildung einer massiven Wandkon-
7.2.3.1 Widerlagerwand struktion unwirtschaftlich und sie wird
deshalb aufgelöst. Der so entstandene
Die Widerlagerwand besteht aus der aufge- Hohlraum bietet Platz für den Zugang zur
henden Wand und bei gelagerten Kon- Lagerebene.
struktionen einer Auflagerbank und einer Den oberen Teil der Widerlagerwand
erdseitigen hinter dem Überbauende ange- bildet die Auflagerbank, welche die Aufla-
ordneten Kammerwand (Bild 7.2-10). Die gerkräfte aus dem Überbau in die Wider
Tiefe der Auflagerbank in der Lagerebene lagerwand einleitet. Die lokale Lastaufnah-
wird durch die Konstruktion des Überbaus me und Verteilung führt zu Beanspruchun-
und seinem notwendigen Bewegungsspiel- gen, für die sowohl die Betonqualität als
raum bestimmt. Die Querschnittsform auch die Bewehrungsanordnung ausgelegt
und Bauweise (Stahl, Spannbeton) des sein muss. Dies wird bei der Berechnung
Überbaus bestimmen die erforderliche der Unterbauten im Abschnitt 8.6. näher
Längenentwicklung über die Auflagerlinie erläutert. Konstruktiv sind die Anordnung
hinaus. Dabei entstehen Widerlagertiefen, und Geometrie der Lager sowie der erfor-
die als Wandquerschnitt für die Abtragung derlichen Pressenaufstandsflächen zum
der Lasten nicht erforderlich sind. Es er- späteren Auswechseln der Lager zu beach-
folgt eine rückseitige Verjüngung der ten. Der Platzbedarf ist vor allem bei schief-
Wand. Bei großen Talbrücken mit hohen winkligen Grundrissen nicht zu unter-
Überbauquerschnitten und entsprechen- schätzen (Bild 7.2-11).
Bild 7.2-10 Widerlagerwand
bei gelagerten Überbauten
Bild 7.2-11 Auflagerbank
mit Lagersockel und Pressenauf-
standsflächen
7.2 Widerlager 501
Bild 7.2-12 Kammerwand
und Überbauabschluss
Der Schutz des Überbaus vor der Hin lagerwand und Überbau, wie bei Rahmen-
terfüllung des Widerlagers erfolgt durch brücken, oder bei der Ausbildung eines
die Anordnung einer so genannten Kam- Betongelenks bei kleinen Stützweiten
merwand. Die Funktion und die konstruk- entfällt die Konstruktion der Kammer-
tive Ausbildung der Kammerwand hängt wand, da die Schutzfunktion nicht er
von den Verschiebungen und Verdre- forderlich ist.
hungen des Überbauendes ab. Bei kleinen Die aufgehende Widerlagerwand zeigt
Stützweiten bis etwa 15 m und der Anord- keine konstruktiven Besonderheiten. Die
nung eines längsfesten Lagers sind als Rela- Breite richtet sich nach dem Querschnitt
tivbewegungen zwischen Überbau und der Brücke. Bei großen Widerlagerbreiten
Unterbau nur die Verdrehungen des Über- ist die Ausbildung von Fugen erforderlich,
bauendes zu realisieren, z. B mit einer Fu- um Zwangsbeanspruchungen kontrolliert
genausbildung entsprechend Bild 7.2-12. abzubauen. Bei getrennten Überbauten er-
Bei größeren Stützweiten und damit folgt meist auch eine klare Trennung der
größeren Überbauhöhen und bei der An- Unterbauten durch eine Raumfuge. Die
ordnung eines längsbeweglichen Lagers Anordnung und konstruktive Ausbildung
werden die Bewegungen so groß, dass spe- der Fuge sollte mit großer Sorgfalt erfolgen,
zielle Fahrbahnübergangskonstruktionen da sie immer eine Schwachstelle in der
erforderlich werden, die in der Kammer- Konstruktion hinsichtlich Dauerhaftigkeit
wand verankert sind. Bei Übergangskon bildet. Obwohl die Widerlagerwand in ih-
struktionen mit Dehnlängen über 80 mm rer konstruktiven Ausbildung prinzipiell
ist eine Wartung dieser Bauteile aus der dargestellt werden kann, ist ein Widerlager
unteren Ebene sinnvoll. Die Kammerwand wie auch eine Brücke immer eine „Einzel-
wird in diesem Fall so angeordnet, dass ein anfertigung“. Ein Planer wird einige Details
begehbarer Wartungs- und Kontrollgang übernehmen können, das komplette Wi-
gebildet wird. Bei Überbaukonstruktionen derlager nie.
aus vorgespanntem Beton befinden sich an In gleicher Weise gibt es auch Sonderlö-
den Überbauenden die Verankerungen sungen, die wegen ihrer Vielfalt hier nicht
der Spannglieder. Das bedeutet, dass die dargestellt werden können. Unter 7.2.2
Kammerwand erst nach dem Aufbringen wurden stellvertretend das Spundwand
der Vorspannung betoniert werden kann. widerlager und die Bohrpfahlwand er-
Dies birgt einige technologische und wähnt. Eine weitere Lösung der Herstellung
bewehrungstechnische Probleme, die bei von Widerlagerwänden bietet die Bauweise
der Planung zu beachten sind. Bei einer aus bewehrter Erde. Dabei werden im
monolithischen Verbindung von Wider Dammbaumaterial zusätzliche stabilisie-
502 7 Unterbauten
rende Bauelemente, z. B. Geogitter, als Be- sollten dann von der Widerlagerwand
wehrung angeordnet. Über dieses Stütz- durch eine Raumfuge getrennt werden. Es
bauwerk können bei entsprechender Di- entstehen eigenständige Flügelbauwerke als
mensionierung die Lasten aus dem Über- Stützmauern. Durch Anordnung einer
bau abgetragen werden. In [bau-zeitung, Schubverbindung, wie Querkraftbolzen
1994] werden Widerlager aus bewehrter oder einer verzahnten Raumfuge, Bild
Erde als wirtschaftliche Konstruktion für 7.2-13, werden unterschiedliche Wandbe-
eine Eisenbahnbrücke beschrieben. Grund wegungen senkrecht zur Wandebene zwi-
der Anwendung war ein setzungsempfind- schen den einzelnen Bauteilen vermieden.
licher Baugrund. Gestaltungsfragen stehen Das bei Parallelflügeln in den Damm ge-
bei diesen Konstruktionen den Tragsicher- führte Flügelende wird dem Böschungsver-
heitsfragen nach. lauf entsprechend schräg ausgeführt. Um
eine ordnungsgemäße Verdichtung der
später einzubauenden Hinterfüllung zu ge-
7.2.3.2 Flügel
währleisten, wird diese Schräge unter ei-
Aufgaben und Flügelformen wurden be- nem Winkel von ≥ 60° ausgebildet. Bei
reits beschrieben. Flügel werden in der Re- Winkeln < 60° entstehen unter dem Flügel
gel in die Widerlagerwand eingespannt. ende Bereiche, die mit entsprechendem
Dadurch wird eine statisch günstige Bean- Verdichtungsgerät nicht mehr erreicht wer-
spruchung erreicht, die wirtschaftliche den können. In diesem Fall, der vor allem
Konstruktionen erlaubt. Bei großen Flügel- für Kragflügel angewendet wird, erhält die
längen und vor allem bei Anordnung von Stirnfläche des Flügels eine so genannte
Schräg- oder Böschungsflügeln ist dies al- Unterschneidung, die aber schalungstech-
lerdings nicht mehr gegeben. Die Flügel nisch aufwendig ist (Bild 7.2-14).
Bild 7.2-13 Raumfugenausbildung
zwischen Widerlager- und Flügelwand
(verzahnte Raumfuge)
Im Übergang von der Brücke bis zur 1994] gegeben. Es sind Mindestanforde-
Krone des Verkehrsdamms sind für den rungen zur Ausführung von Hinterfüllun-
Verkehrsteilnehmer Sicherungsmaßnah- gen zum Anlegen von Verkehrsflächen de-
men erforderlich. Deshalb werden die seit- finiert, der Hinterfüllungsbereich zum
lichen Kappen des Überbaus im Bereich Damm hin wird abgegrenzt, die Auswahl,
des Widerlagers auf den Parallelflügeln der Zeitpunkt des Einbaus und der Einbau
weitergeführt. Den oberen Flügelabschluss des Hinterfüllungsmaterials mit der not-
bildet eine Randkappe, und sie erhält die wendigen Verdichtung wird empfohlen. Es
gleichen Ausstattungsmerkmale (Geländer, werden Aussagen für die sinnvolle Anord-
Leitplanke) wie die Überbaukappe. nung der rückwärtigen Entwässerung und
der zugehörigen Filterschichten getroffen.
Zusätzlich werden Vorschläge zu konstruk-
7.2.3.3 Entwässerung und Hinterfüllung tiven Details für Widerlagerbauwerke ge
geben.
Obwohl die Hinterfüllung des Widerlagers Auf einige konstruktive Kriterien wurde
kein Bauteil im eigentlichen Sinne ist, be- im vorangegangenen Abschnitt zu den Flü-
darf sie wegen ihres Einflusses auf das Wi- geln bereits eingegangen. Die Zugänglich-
derlager und die Qualität des Verkehrswegs keit des Hinterfüllbereichs für entsprechen-
einer besonderen Darstellung. de Verdichtungstechnik ist auch für die
Während die Brücke einschließlich ihrer Widerlagerwand vor allem bei entspre-
Widerlager und Gründung, abgesehen von chender erdseitiger Ausladung der Aufla-
den Setzungen, vordergründig linear elasti- gerbank zu gewährleisten (60°). Bei schie-
sche Verformungen erfährt, sind im fen Brücken entstehen in den spitzen Ecken
Dammbereich im Hinterfüllmaterial pla- Bereiche die nicht ordnungsgemäß ver-
stische Verformungen zu erwarten, was zu dichtet werden können. Solche Nischen
Setzungsunterschieden zwischen Brücke oder Zwickel sind bei der geometrischen
und Damm führen kann. Um dies weitge- Durchbildung der Bauteile zu vermeiden
hend zu vermeiden, sind einerseits die Aus- oder durch den Einbau einer so genannten
bildung der zu hinterfüllenden Bauteile zu Verdämmung aus Magerbeton beim Hin
beachten und andererseits das Hinterfüll- terfüllen zu befestigen.
material und seine Verdichtung gezielt aus- Das Hinterfüllmaterial sollte sich auf
zuwählen. Empfehlungen und Anforde- 100% der einfachen Proctordichte verdich-
rungen für die geeignete Wahl des Hinter- ten lassen. Besondere Probleme entstehen
füllmaterials sind in [Arbeitsausschuss: bei Eisenbahnbrücken für den Hochge-
Einfluss der Hinterfüllung auf Bauwerke, schwindigkeitsverkehr und Ausbildung ei-
504 7 Unterbauten
ner festen Fahrbahn. Die dabei durch Set- 7.2.4 Entwurf von Widerlagern
zungsunterschiede auftretenden Krüm-
mungsradien im Übergangsbereich können 7.2.4.1 Widerlager für gelagerte Überbauten
Fahrkomfort und Fahrsicherheit beein-
trächtigen. In [Jaup/Kempfert, 2001] werden Unter gelagerten Überbauten werden hier
anhand von Modellversuchen mit und ohne Brücken verstanden, die zwischen Überbau
Übergangskonstruktionen die konstruk und Unterbau mit Lagern ausgestattet sind.
tiven Ausbildungen dieses Bereichs opti- Die Lager werden auf einem Lagersockel auf
miert. Eine empirische Formel soll die prak- der Auflagerbank angeordnet. Da nach ge-
tische Anwendung erleichtern. genwärtigem Erfahrungsstand die Lebens-
Bedingt durch die Ausbildung des Wi- dauer der Brücke höher als die der Lager ist,
derlagers aus Beton besteht erdseitig die sind auf der Auflagerbank Aufstellflächen
Gefahr des Aufstauens von Wasser, das für Pressen vorzusehen, die beim Auswech-
über den Damm in die Hinterfüllung ge- seln der Lager zum Anheben der Überbau-
langt. Diesem entgegenzuwirken, werden konstruktion dienen. Wie bereits beschrie-
erdseitig entsprechende Vorkehrungen ge- ben, bestimmen diese konstruktiven Be
troffen. Hierzu gehört die Anordnung einer dingungen die Abmessungen der Auflager-
entsprechenden Drain- und Sickerschicht bank. Der Entwurf von Widerlagern gela-
aus einer geotextilen Drainmatte in Verbin- gerter Brücken erfolgt unter Beachtung der
dung mit der Ausbildung einer Sicker- aufgeführten Belange nach ausgewogener
schicht aus grobkörnigem wasserdurchläs- Variantenanalyse entsprechend der im Bild
sigem Hinterfüllmaterial. Am Fuß der 7.2-17 dargestellten Übersicht. Erst dann
Wand bzw. auf Höhe des Grundwasserspie- folgt die Geometrieausgestaltung nach sta-
gels wird eine Sicker- oder Drainleitung tischen und herstellungsgerechten Erfor-
ausgebildet, über die anfallendes Wasser dernissen. Die Anordnung und Wahl von
der Vorflut zugeführt wird, Bild 7.2-16. Arbeits- sowie konstruktiv erforderlichen
Alle beschriebenen Maßnahmen dienen Fugen ist unter Berücksichtigung der Her-
der Dauerhaftigkeit der Widerlagerkon stellungstechnologie und der geometrischen
struktion und eines quasi setzungsfreien Abmessungen der einzelnen Bauteile zu
Übergangs von der Brücke zu dem an- wählen. Arbeitsfugen sollten so gewählt
schließenden Verkehrsweg. werden, dass sie möglichst nicht im Bereich
7.2 Widerlager 505
1:n
Verkehrsraum
Straßenachse
Überbaubewegungen
min a = 30 cm
Arbeitsfugen
Zugänglichkeit
der Lager /
Lagerwechsel
Sickerschicht
Dränrohr
verdichtungsfähiges,
Bild 7.2-17 Prinzipielle Entwurfsschritte für ein Widerlager schwerdurchlässiges
Material
506 7 Unterbauten
Bild 7.2-18 Betongelenk
dargestellt. Eine Trennung von Überbau auch über konkrete Abmessungen geführt
und Unterbau zumindest bei einfeldrigen [Holst, 1990-1], [Leonhardt, 1979]. In allen
Rahmenbrücken ist nicht sinnvoll. Fällen sind Pfeiler die kompakteren Kon-
struktionen. Sie erwecken den Eindruck
großer Standhaftigkeit, die sie auch haben
7.2.4.3 Widerlager für Bogenbrücken und sie werden deshalb vorwiegend im
Wasser bei Seen oder Flüssen oder bei ho-
Die Widerlager bilden hier die Fortsetzung hen Talbrücken verwendet. Der Vorteil der
des Bogens. Die Bogendrucklinie muss im Sichtfreiheit unter der Brücke und der
Widerlager eine solche Lastausbreitung er- Durchstrahlung des gesamten Bauwerks
fahren, dass die Beanspruchung des Bau- wird durch die Ausbildung von Stützen er-
grunds nicht überschritten wird. Bogenwi- reichbar.
derlager sind somit die Gründung des Bo- Da ihre wesentliche Funktion in der Ab-
gens und werden deshalb unter 5.4 darge- tragung der Lasten und Aufnahme der Ver-
stellt. Es ist besonders auf eine geringe formungen des Überbaus besteht, ist die
Verformung zu achten. Die Wahl von Bo- Anordnung und Ausbildung der Stützen
genbrücken setzt deshalb guten Baugrund, und Pfeiler nicht vom Gesamtsystem der
am besten gewachsenen Fels, voraus. An- Brücke und der detaillierten Überbauquer-
dernfalls sind hohe Aufwendungen für die schnittsgestaltung zu trennen. Das Trag-
Widerlager zu erwarten. Es sei aber hier werk stellt sich sowohl dem Betrachter als
darauf hingewiesen, dass bei einem ent- auch dem Entwerfenden als Einheit.
sprechenden Verlauf der Kluftlinien des Pfeiler und Stützen bestehen aus dem
Felses der Hang durch die Richtung der aus Kopf, der die Auflagerbank darstellt, dem
dem Bogen resultierenden Auflagerkraft Schaft und der Gründung. Die Verbindung
stabilisiert werden kann. mit dem Überbau und dem Fundament
kann abhängig vom Entwurf unterschied-
lich ausgeführt werden. Die prinzipiellen
7.3 Stützen und Pfeiler Möglichkeiten in Brückenlängsrichtung
sind in Tabelle 7.3-1 schematisch darge-
7.3.1 Definition, Aufgaben stellt. In Querrichtung reichen die Systeme
und Konstruktionsprinzip von der Pendelstütze bis hin zur so genann-
ten Pfeilerscheibe, in Abhängigkeit von der
Stützen und Pfeiler sind Unterstützungen erforderlichen Steifigkeit.
mehrfeldriger Brückenüberbauten zwischen Die Ausbildung der Verbindung beein-
den Widerlagern. Sie entstehen bei Durch- flusst die Wirkungen im Gesamtsystem und
laufkonstruktionen oder aneinander gereih die Beanspruchung der Stützen und Pfeiler.
ten Balken, Rahmen oder Bogen. Die Defini Sie haben die Auflagerreaktionen der Über-
tionen für Stützen und Pfeiler werden von bauten aufzunehmen und über die Grün-
verschiedenen Autoren unterschiedlich dung in den Baugrund abzuleiten, wobei sie
verwendet. Unter Pfeilern werden wandar- auch eine aussteifende Funktion in Längs-
tige Bauteile, die über die Breite der Haupt- und Querrichtung der Brücke übernehmen.
träger des Überbaus reichen, verstanden, Pfeiler werden heute in Stahlbeton aus-
wohingegen die Abmessungen in Richtung geführt. Die Anwendung von Naturstein-
der Auflagerlinie von Stützen wesentlich oder Klinkermauerwerk erfolgt heute nur
unter der Überbaubreite liegen oder aus noch im Rahmen der Sanierung bei denk-
mehreren Elementen bestehen. Damit sind malgeschützten Bauwerken. Für die Gestal-
die Grenzen fließend, teilweise werden sie tung an neuen Brückenbauwerken kommt
508 7 Unterbauten
Die Anordnung von Pfeilern hoher Tal- zeigt stellvertretend drei prinzipielle Quer-
brücken ist eine Frage des Gesamtkonzepts schnittsformen von Pfeilern mit ihrer
der Brücke. Die Anordnung der Pfeiler im Kopfausbildung. Während beim Hohl
System bestimmt den Gesamteindruck der pfeiler der Zugang zur Lagerebene über
Brücke. Regelmäßigkeit und Symmetrie er- den Schaft erfolgen kann, ist bei den ande-
zeugen einen harmonischen Gesamtein- ren Varianten nur ein Zugang vom Über-
druck. Gleiches gilt auch für das Verhältnis bau oder durch Einsatz spezieller Geräte-
Überbauhöhe zu Pfeilerdicke. Ausgewoge- technik (Hubbühne, Brückenuntersicht
ne Proportionen vermitteln Sicherheit und gerät) möglich.
Vertrauen der Brückenkonstruktion. Zu- Bei langen Talbrücken wechseln ent-
nehmend führen die Berücksichtigung von sprechend der Talform die Stützhöhen. Bei
Natur und Umweltfragen zu Brückenent- der Entwurfsentscheidung ist dann beson-
würfen und zu Festlegungen von Pfeiler- ders auf die Wirkung der unterschiedlich
stellungen. hohen aber möglichst gleich ausgebildeten
Pfeiler hoher Talbrücken stellen andere Pfeiler im Zusammenhang mit dem Über-
Anforderungen an die Konstruktion als bau zu achten, wie das im Bild 7.3-2 [Peter/
Strompfeiler. Die Querschnitte sind eben- Wetzel, 2002] dargestellt ist. Für die unter-
falls aus dem Rechteck abgeleitet und kön- schiedlichen Überbauhöhen wurde der
nen hier bis zum Quadrat geführt werden. Pfeilerkopf entsprechend angepasst.
Die Kanten werden aus gestalterischen Die Lagerung der Überbauten erfolgt in
Gründen gerundet oder gebrochen. Die der Regel über Lager. Die Beanspruchung
Pfeiler haben meist nach oben hin einen von Pfeilern hoher Talbrücken wird durch
leichten Anzug. Sie werden oft als Hohl- die vertikalen Lasten des Überbaus, Wind
querschnitt ausgebildet und nehmen Ein- in Querrichtung und Lagerwiderstände in
richtungen zum Begehen und für die Ent- beiden Richtungen hervorgerufen. Bei
wässerung des Überbaus auf. Bild 7.3-1 hohen Pfeilern kommen Stabilitätsbetrach-
510 7 Unterbauten
+474.30
+455.30
tungen dazu. Sind mehrere Pfeiler unter- keit für die Aufnahme von Längskräften zu
schiedlicher Höhe und mit unterschiedli- gewährleisten. Aus dieser Situation heraus
chen Lagern vorhanden, dann ist eine Be- wurde das System A-Bock entwickelt, bei
trachtung des Gesamtsystems unerlässlich. dem die großen Längskräfte über schräg
Eine gut überlegte Berechnung und Kon- angeordnete Stützen abgetragen werden.
struktion ist erforderlich. Der Überbau als zweiteiliger Durchlauf
Die spezifischen Probleme bei Eisen- träger ist über eine Längskraftkopplung
bahnbrücken, vor allem im Bereich des verbunden.
Hochgeschwindigkeitsnetzes, haben im
Brückenbau zur Entwicklung verschiedener
Tragsysteme zur Ableitung der Horizontal- 7.3.3 Anordnung und Querschnitts
kräfte in Brückenlängsrichtung geführt. Die gestaltung von Stützen
hohen Brems- und Anfahrlasten sowie die
Wechselwirkungen zwischen Gleis und Die Wahl der Stützenstellung ergibt sich
Überbau und den daraus resultierenden wie bei den Pfeilern aus dem System und
Zwängungen erfordern in Abhängigkeit der Gesamtsituation der Brücke. Der vor-
von der Bauwerkslänge und den Steifig- handene Baugrund, vorhandene Verkehrs-
keitsverhältnissen im Tragwerk Sonderkon- wege oder topographische Besonderheiten
struktionen für den Überbau, sowie auch können allerdings Zwangspunkte sein. In
spezielle Lösungen für die Unterbauten. Querrichtung und in der Grundrissgeome-
Bei großen Brückenlängen reichen die trie ergeben sich abhängig vom Überbau-
Widerlager allein nicht mehr zur Abtra- querschnitt mehrere Lösungsmöglichkei-
gung der Längskräfte aus. Tiefe Täler füh- ten. Der bisher beschriebene Pfeiler, der die
ren bei Talbrücken zu unwirtschaftlichen Breite des Haupttragwerks in Anspruch
Pfeilerabmessungen und aufwendigen nimmt, wird hier in Einzelstützen oder
Gründungen, um die erforderliche Steifig- Wandstreifen aufgelöst. Werden die Einzel-
7.3 Stützen und Pfeiler 511
mäßig hohen Stützen der Bemessungsquer- des Stützenkopfs ist nur noch durch eine
schnitt oft nicht zur Aufnahme von Lager gezielte Ausladung zu erreichen. Ein Bei-
und Pressenansatzpunkt aus. Dann kann es spiel (Bild 7.3-5) verdeutlicht das Prinzip.
sinnvoll sein, den Stützenkopf anzuziehen, Der Stützenkopf bildet die Auflagerbank
wie das zum Beispiel im Bild 7.3-4 darge- und die Lagersockel sind darauf angeord-
stellt ist. Allerdings setzt dies bei geglieder- net. Es ist deshalb eine gute Zugänglichkeit
ten Tragwerken breite Hauptträger voraus, erforderlich. Dies wird entweder durch den
da Überstände des Stützenkopfs den Ge- Überbau mit entsprechenden Austrittsöff-
samteindruck negativ beeinflussen. nungen oder durch Brückenbesichtigungs-
Bei Brücken, die in Längsrichtung aus geräte realisiert (Bild 7.3-6). Bei Hohlpfei-
mehreren Einfeldträgern bestehen oder bei lern kann der Zugang über den Pfeilerschaft
denen in Querrichtung stark gegliederte führen.
Überbauquerschnitte vorhanden sind, muss
der Stützenkopf mehrere Lager aufnehmen.
Die entsprechende Ausbildung wird Ham-
merkopf genannt. Die erforderliche Breite
Wird der Überbau mit den Stützen ver- auf dem Prinzip des Parallelogramms auf,
bunden, entstehen rahmenartige Tragwerke. in dessen Diagonale Hydraulikzylinder für
Diese Tragwerke sind im Abschnitt 5.3 be- die Schreitbewegungen, also fürs Vorwärts-
schrieben. kommen sorgen. Ausgehend von der
Bei Mehrfeldbrücken werden auch Grundstellung, in der beide Bühnen auf ei-
Mischlagerungen sinnvoll. Die Auswahl ner Ebene am Bauwerk verankert sind, wird
wird auch durch das Herstellungsverfahren nach dem Lösen der Verankerungen durch
des Überbaus beeinflusst. So können bei das Ausfahren der Hydraulikzylinder eine
Einsatz des Freivorbaus Anforderungen des Bühne nach oben gedrückt und in der
Bauzustands und des Endzustands opti- neuen Lage wieder am Bauwerk verankert.
miert werden. Die Einspannung von Stütze Mit dem Einfahren der Hydraulikzylinder
und Überbau erfolgt monolithisch, wobei zieht sich die zweite Bühne nach oben, um
statische und gestalterische Gründe zu un- ebenfalls am Bauwerk verankert zu wer
terschiedlichen Formen führen. den. Es ist also immer eine Seite des Klet
ter- bzw. Schreitgerüstes fest mit dem Bau-
werk verbunden. Diese Schalung wurde
7.3.5 Herstellung speziell für den Bau der unter einem Win-
kel von 60° aufgehenden Äste des Y-Pfeilers
Wie vorher erläutert, bildet der Stahlbeton der Talbrücke „Zahme Gera“ entwickelt
den Hauptbaustoff für Stützen und Pfeiler. (Bild 7.3-7).
Vorzugsweise erfolgt die Fertigung vor Ort.
Der Einsatz von Stahlbetonfertigteilen oder
Stahlstützen bleibt auf kleinere Bauwerke 7.3.6 Pylone
oder Fußgängerbrücken beschränkt. Bei-
spielhaft für die Fertigung hoher Pfeiler von Als Bestandteil des Haupttragsystems einer
Talbrücken wird hier das Prinzip der Schrägkabel- oder Hängebrücke sind Pylo-
„Schreitschalung“ [NOE, 2000] vorgestellt. ne keine Unterbauten im herkömmlichen
Das Konzept dieser Schreitschalung baut Sinn. Hinsichtlich ihrer Tragwirkung als
Bild 7.3-7 Einsatz der Schreitschalung am Y-Pfeiler der Talbrücke Zahme Gera (Werksfoto Adam
Hörnig-AG, NL Weimar)
514 7 Unterbauten
vorrangig auf Längskraft beanspruchtes tung nicht möglich ist. Zu den Tiefgrün-
Bauteil ist die Funktion aber prinzipiell die dungen zählen zum Beispiel Pfahlgrün-
Gleiche. dungen, Druckluftgründungen oder Brun-
nengründungen. Die erforderlichen Bau-
gruben und deren Sicherung, vor allem in
7.4 Gründungen bebauten Gebieten, können auch zur Wahl
von Tiefgründungen führen. Einen Über-
7.4.1 Aufgaben und Überblick blick über übliche Gründungsarten in Ab-
hängigkeit von geologischen und hydrologi-
Die Auswahl der Gründungskonstruktion schen Verhältnissen gibt die Tabelle 7.4-1.
und die Berücksichtigung der Interaktion
Bauwerk – Baugrund sind sowohl in stati-
scher als auch in wirtschaftlicher Hinsicht 7.4.2 Flachgründungen
grundlegende Entscheidungen für den Ent-
wurf der Brücke. Gründungskosten können 7.4.2.1 Allgemeine Grundsätze –
je nach Baugrund und hydrologischen Ver- Konstruktionsprinzipien
hältnissen bei kleinen Tragwerken bis zu
80% des Überbaus betragen. Baugrundbe- Eine Flachgründung wird in der Regel dort
urteilung, Gründungsgutachten und die ausgeführt, wo der anstehende Baugrund
Zusammenarbeit von Baugrundgutachter schon in geringer Tiefe so beschaffen ist,
und Tragwerksplaner sind wesentliche Ga- dass das Bauwerk ausreichend standsicher
ranten für ein standsicheres Tragwerk. Die gegründet werden kann. Das für die Last
Gründung hat die Aufgabe, alle Lasten der einleitung in den Baugrund angeordnete
Brücke und in der Regel des beginnenden Fundament leitet die Kräfte flächenhaft in
Erddamms dauerhaft, sicher und ohne den Baugrund ein. Die Fundamentfläche
schädliche Setzungen in den tragfähigen muss so groß sein, dass die zulässige Belas-
Baugrund zu übertragen. Geometrie und tung des Baugrunds nicht überschritten
Abmessungen sind sowohl von den Eigen- wird. Als Baustoff kommt aus heutiger Sicht
schaften des Baugrunds und den hydrologi- für Brückenbauwerke praktisch nur noch
schen Verhältnissen als auch vom System Stahlbeton zur Anwendung. Unbewehrte
und der Größe der Brücke abhängig. Gene- Block- oder Streifenfundamente führen
rell kann zwischen Flach- und Tiefgrün- wegen der abzuleitenden Kräfte zu unwirt-
dungen unterschieden werden. schaftlichen Abmessungen. Die aufnehm-
Steht unter den Widerlagern und Stüt- baren inneren Beanspruchungen sind von
zungen tragfähiger Baugrund in ausrei- den verwendeten Materialien und den me-
chender Mächtigkeit an, dann können chanischen Eigenschaften des Baugrunds
Flachgründungen ausgeführt werden. Im abhängig. Hieraus resultieren Mindestan-
Brückenbau sind dies Einzelfundamente forderungen für die Dicke der Fundamente
mit rechteckigem oder quadratischem und ihre konstruktive Ausbildung.
Grundriss oder Fundamentplatten. Liegt Maßgebende Kriterien für das Versagen
der tragfähige Baugrund so tief, dass auch einer Flachgründung sind die Grund
durch besondere Zusatzmaßnahmen, wie bruch-, Kipp-, und Gleitsicherheit sowie
z. B. Baugrundaustausch, keine mit vertret- die Auftriebssicherheit. Die prinzipielle
barem Aufwand auszuführende Flachgrün- Nachweisführung zur Standsicherheit wird
dung möglich ist, wird eine Tiefgründung im Abschnitt 8.6.4 näher erläutert. Einen
gewählt. Dies trifft auch bei Gründungen weiteren Grenzzustand der Tragfähigkeit
im Wasser zu, bei denen eine Wasserhal- bilden die außergewöhnlichen Verformun-
7.4 Gründungen 515
gen, die zu einem Versagen des Tragwerks 7.4-1 zeigt die prinzipiellen Verfahren der
führen. Für einfache Fälle unter Berück- Baugrundverbesserung. Sie gibt einen Ge-
sichtigung vorgegebener Randbedingun- samtüberblick.
gen wie Bodenart, Geometrie, Einbindetie- Für die Gründung von Brücken kom-
fe, Wasserverhältnisse darf anstatt des men wegen der lokalen Ausdehnung der
Grundbruch- und Setzungsnachweises er- Fundamente und der meist hohen Lasten
satzweise der Sohldrucknachweis geführt aus der Tragkonstruktion folgende Verfah-
werden [DIN 1054]. ren zur Anwendung.
• Verdichtung des Bodens
7.4.2.2 Baugrundverbesserung Übliche Verfahren zur Verdichtung sind
die Tiefenrüttlungen (Rütteldruckver-
Wie in Tabelle 7.4-1 dargestellt setzt eine dichtung).
Flachgründung tragfähigen Baugrund vor- Durch die Verdichtung wird die Lage-
aus. Ist die Beschaffenheit des anstehenden rungsdichte des anstehenden Bodens
Bodenmaterials nicht ausreichend, um die verbessert. Die Erhöhung der Lage-
Fundamentlasten aufzunehmen, besteht rungsdichte von locker gelagerten Bo-
die Möglichkeit der Baugrundverbesserung. denschichten verbessert wesentlich sei-
Prinzipiell ergeben sich drei unterschied ne Tragfähigkeit. Grundvoraussetzung
liche Verfahren, deren Anwendung jedoch ist, dass die Kohäsion im Boden so klein
stark von der Bodenart und seinen Eigen- ist, dass er durch Rütteln verdichtet wer-
schaften abhängt, um wirtschaftliche Re- den kann. Durch Wasserzufuhr kann
sultate zu erzielen. Die Systematik im Bild das Verfahren unterstützt werden.
516 7 Unterbauten
sicherheit. Für die Nachweise im Grenzzu- und Baustatik zu bemessen waren. Parallel
stand der Gebrauchstauglichkeit sind die zu Werkstoff- und Bemessungsnormen
Schnittgrößen infolge der Einwirkungen wurden zu Beginn des 19. Jahrhunderts
aus Zwängungen von deutlich größerer Be- auch zur Definition der Einwirkungen
deutung. Normenwerke entwickelt um sicherzustel-
Da Brücken stets Bestandteile von Ver- len, dass Brücken für eine bestimmte
kehrswegen oder Versorgungseinrichtun- Nutzung auch den gleichen Anforderun-
gen sind, müssen sie den hierfür definierten gen genügen. Mit der weiteren Zunahme
Anforderungen an die Tragfähigkeit und des Straßenverkehrs, insbesondere des
Gebrauchstauglichkeit genügen. Mit der Schwerlastverkehrs, wurden die im Nor-
Entwicklung der modernen Verkehrssys menwerk festgelegten Fahrzeuglasten im-
teme auf Straße und Schiene haben in den mer wieder erhöht. Die nach der DIN 1072,
vergangenen 200 Jahren auch die relevan- Ausgabe 1941 anzusetzenden Einwirkun-
ten Einwirkungen in ganz erheblichem gen aus dem Straßenverkehr sind in der
Maße zugenommen. Dies wird deutlich am Tabelle 8.1-1 angegeben und aus dem Bild
Beispiel der Straßenbrücken, für die bis 8.1-1 ersichtlich.
zum Ende des 19. Jahrhunderts Fuhrwerke Neben der Berücksichtigung der stati-
und Menschenansammlungen die maßge- schen Ersatzlasten der Bemessungsfahr-
benden Einwirkungen aus der Nutzung zeuge wird in [DIN 1072, 1941] der Einfluss
darstellten. Hierfür waren Holz- und Mau- dynamischer Effekte durch einen lasterhö-
erwerksbrücken völlig ausreichend, die henden Schwingbeiwert j berücksichtigt.
von Baumeistern nach empirischen Regeln Dieser stützweitenabhängige Schwingbei-
konstruiert und errichtet wurden. Durch wert wirkt sich insbesondere bei kurzen
die Erfindung des Automobils entstanden Spannweiten mit einem Höchstwert von
deutlich größere Fahrzeuglasten, für die 1,64 stark aus, seine Bedeutung nimmt mit
die Brücken nach den Regeln der Technik zunehmenden Spannweiten ab. Im Jahr
auf den inzwischen bekannten wissen- 1951 wurde in Deutschland mit dem Ent-
schaftlichen Grundlagen aus der Mechanik wurf einer neuen DIN 1072 das 60-To-
Tabelle 8.1-1 Tabelle der Regellasten aus DIN 1072, Ausgabe April 1941
Brückenklasse I II III IV
Gesamtgewicht t 24 16 7
Dampfwalze Vorderrad t 10 7 5
Hinterrad t 7 4,5 1
Ersatzlast t/m2 1,6 1,1 0,5
Gesamtgewicht t 12 9 6
Lastkraftwagen Vorderrad t 2 1,5 0,75
Hinterrad t 4 3 2,25
Ersatzlast t/m2 0,8 0,6 0,4
Für die Hauptträger 25 – 25 t/m2 0,5 0,45 0,4
Menschengedränge bei einer Stützweite 25 – 125 Geradlinig
(auch als Ersatz für von [m] > 125 t/m2 einzuschalten
andere Lasten s. o.) 0,4 0,35 0,3
Für die übrigen Teile t/m2 0,5 0,45 0,4
8.1 Einwirkungen auf Brücken 523
den Fahrzeugkollektiven führte. Darüber als bei Bahnbrücken, für die bereits eine
hinaus war die Problematik der Ermüdung, europäische Lastnorm in den achtziger Jah-
die insbesondere bei Stahl- und Stahlver ren vorlag, wurde 1992 für Straßenbrücken
bundbrücken nicht vernachlässigt werden erstmals im ersten Entwurf des EURO-
kann, bis dato ebenso wenig im Vorschrif- CODE 1, Teil 3: Verkehrslasten auf Brücken
tenwerk berücksichtigt worden wie wirk- [EC-1, 1991] eine einheitliche europäische
lichkeitsnahe Ansätze zur Berücksichtigung Lastnorm vorgestellt. Dem darin enthalte-
der Fahrbahnunebenheiten bei der Berech- nen Lastkonzept, das auf statistischen Un-
nung der Schwingbeiwerte. tersuchungen zur Definition der Lastmo-
Mit der absehbaren weiteren Erhöhung delle basiert, wurde der Verkehr bei Auxerre
der zulässigen Achslasten bei Lkws und der auf der Autobahn Paris – Lyon zugrunde
signifikanten Zunahme der genehmigungs- gelegt [Nather, 1993].
pflichtigen Schwertransporte wurde der Zur Auswertung der Daten und zur Si-
Anstoß zu einer Fortschreibung der Last- mulation der dynamischen Effekte wurden
norm für Straßenbrücken gegeben. Anders mittels numerischer Simulationsprogram-
eine Brücke während ihrer üblichen Nut- fälle zu definieren. Für die Überlagerung der
zungszeit als Fraktilwerte definiert. Hier- Schnittgrößen aus den einzelnen Lastfällen
von abgeleitet werden nicht häufige Werte, werden für die zu führenden Nachweise
mit einer Wiederkehrperiode von einem Kombinationsregeln definiert. Beispiele
Jahr, häufige Werte, mit einer Wiederkehr- hierfür sind die Überlagerung von veränder-
periode von einer Woche sowie quasi- lichen vertikalen und horizontalen Lasten
ständige Werte, mit deren Auftreten jeder durch die Festlegung von Verkehrslastgrup-
zeit zu rechnen ist. Diese Werte werden pen, vgl. [DIN-FB 101, 2009], dort Tabelle 4,
durch Multiplikation der charakteristi- oder die Regelungen zur Überlagerung
schen Werte mit α-Faktoren berechnet, vgl. mehrerer veränderlicher Einwirkungen aus
[DIN-FB 101, 2009]. Die Bemessungs- Straßen- und Eisenbahnverkehr.
werte ergeben sich durch Multiplikation Für die Beschreibung der in der Realität
der charakteristischen Werte mit den je hochkomplexen Temperatureinwirkungen
weiligen Teilsicherheitsbeiwerten, die in wird in [DIN-FB 101, 2009] ein gegenüber
Tabelle 8.1-4 angegeben sind. den früheren Vorschriften erweiterter An-
Für die Ermittlung der maßgebenden Be- satz gewählt. Die Grundlagen hierzu wer-
messungsschnittgrößen sind maßgebende den im Abschnitt 8.7.1 erläutert. Bei der
Bemessungssituationen und kritische Last- Überlagerung der Lastfälle in den Bemes-
dern, Energieversorgungs- und Signalan [DIN-FB 101, 2009] für die Herstellung ei-
lagen etc. zusammengefasst. Veränderliche ner Ausgleichsgradiente 0,50 kN/m2 zu-
Einwirkungen beschreiben die Lasten aus sätzlich anzusetzen sind, die Eigenlast der
der Nutzung unter normalen Anwendungs Dichtung, der Kappen, der Leiteinrichtun
bedingungen aus Kraftfahrzeug-, Bahn- gen und der übrigen vorgenannten festen
oder Personenverkehr oder einer anderen Einbauten.
Nutzung. Außergewöhnliche Einwir- Veränderliche Vertikallasten aus Fahr-
kungen beinhalten die Lasten aus Anprall zeugverkehr sind in 3 Lastmodellen be-
von Fahrzeugen an tragende Bauteile, au- schrieben. Die charakteristischen Werte
ßergewöhnliches Auftreten und außerge- der Lasten, s. Tabelle 8.1-7 und Bilder 8.1-5
wöhnliche Stellung von Fahrzeuglasten. bis -7, ergeben sich aus den Grundwerten
Nachfolgend sind für unterschiedlichste des EC–1 durch Multiplikation mit Fakto-
Nutzungen von Brücken die wesentlichen ren α, die der nationalen Regelung unterlie-
Einwirkungen aus der Nutzung zusammen- gen.
gestellt, detaillierte Informationen hierzu Lastmodell 1
sind dem [DIN-FB 101, 2009] zu entneh- Hauptlastmodell für die Nachweise im
men. Auf weitere nationale Lastnormen Grenzzustand der Tragfähigkeit und der
wird nicht eingegangen, da absehbar ist, Gebrauchstauglichkeit
dass das Konzept der EUROCODES auch
in den übrigen europäischen Ländern ein- Lastmodell 2
geführt werden wird. Lastmodell für die Bemessung von Einzel-
bauteilen
Lastmodell 3
8.1.4.1 Einwirkungen aus Straßenverkehr Lastmodell für Ermüdungsnachweise
Lasten aus Militärfahrzeugen sind nach
Die Einwirkungen aus Straßenverkehr sind
[STANAG, 1969] anzusetzen.
im [DIN-FB 101, 2009], dort Kap. 4, defi-
Als veränderliche Horizontallasten
niert.
sind zu berücksichtigen:
Ständige Einwirkungen aus der Nut-
zung einer Straßenbrücke sind die Eigen- • Brems- und Anfahrlasten
last des Fahrbahnbelags, wobei nach • Zentrifugallasten
530 8 Berechnung
Tabelle 8.1-7 Grundwerte und angepasste Grundwerte der Verkehrslasten für Lastmodell 1 und 2
nach [DIN-FB 101, 2009]
Stellung Doppelachse Gleichmäßig
verteilte Last
Grundwert αQi angepasster
Grundwert
Achslast Qik in kN Achslast αQi ⋅ Qik qik (oder qrk)
in kN in kN/m2
Fahrstreifen 1 300 0,8 240 9,0
Fahrstreifen 2 200 0,8 160 2,5
Fahrstreifen 3 0 – 0 2,5
Andere Fahrstreifen 0 – 0 2,5
Restfläche (qrk) 0 – 0 2,5
8.1.4.3 Einwirkungen aus Eisenbahnverkehr UIC bereits seit langem in Europa harmoni-
siert sind. Für Straßenbahnen, Schmalspur-
Im Gegensatz zu den Straßenbrücken bahnen, Zahnrad- und Standseilbahnen
werden in [DIN-FB 101, 2009] die Ver- wird auf spezielle Regelungen verwiesen.
kehrslasten für Eisenbahnbrücken aus der Wie bei Straßenbrücken sind auch für
[DS 804, 2000] nahezu unverändert aus Eisenbahnbrücken gesonderte Regelungen
dem bisherigen Vorschriftenwerk [DS 804, für die Ermittlung von Verkehrslastengrup-
2000] übernommen, da sie im Rahmen der pen definiert.
Ständige Einwirkungen aus der Nut- b) für Gleise mit normaler Unterhaltung
zung einer Eisenbahnbrücke resultieren
wie bei Straßenbrücken aus den Kappen, 2,16
φ3 = + 0,73 mit 1,00 ≤ Φ 3 ≤ 2,00
der Fahrbahn (Schotter, feste Fahrbahn), LΦ − 0,2
Lärmschutzwänden und Fangvorrichtun-
gen. Zusätzlich sind die eisenbahnspezifi- mit LΦ = maßgebende Länge in m gem.
schen Einbauten wie Fahrleitung, Signale, [DIN-FB 101, 2009], dort Tabelle 6.2
Kabelkanäle und Kabel zu berücksichti- Darüber hinaus ist bei Eisenbahnbrü-
gen. cken die Gefahr von Resonanz und über-
Die veränderlichen Vertikallasten wer- mäßigen Schwingungen zu untersuchen,
den in [DIN-FB 101, 2009] in den Lastmo- vgl. [DIN-FB 101, 2009], dort Kap. IV und
dellen UIC 71 für den Personenverkehr Anhänge E-H. Auf die Grundlagen des
und SW für den Schwerlastverkehr be- Schwingungsverhaltens von Brücken wird
schrieben. im Abschnitt 8.7.2 eingegangen.
Für die Lastverteilung durch die Schiene Als veränderliche Horizontallasten
sowie Schwellen und Schotter werden in sind zu berücksichtigen:
[DIN-FB 101, 2009] Regelungen definiert.
• Zentrifugallasten (Fliehkräfte)
Die dynamische Wirkung des Eisenbahn-
• Seitenstoß (Schlingerkraft)
verkehrs wird zum einen durch Multiplika-
• Einwirkungen von Anfahren und Brem-
tion der charakteristischen Vertikallasten
sen
mit einem dynamischen Beiwert ϕ berück
• Druck- und Sogwirkung aus Zugverkehr
sichtigt.
(aerodynamische Einflüsse)
a) für sorgfältig unterhaltene Gleise • Erddruck aus Verkehrslasten auf Wider-
lager und Fundamente
2,16
φ2 = + 0,82 mit 1,00 ≤ Φ 2 ≤ 1,67 Außergewöhnliche Einwirkungen aus Ei-
LΦ − 0,2 senbahnverkehr sind in zwei Bemessungs-
Bild 8.1‑10 Lastmodell 71 und charakteristische Werte der Vertikallasten für ein Gleis
Tabelle 8.1-8 Nennwerte für dynamische Stoßlasten Fdyn nach [DIN 1055-9, 2003]
Wasserstraßen – Klasse a) Dynamische Stoßlasten
Frontal – Stoßlast Flanken – Stoßlast
FFdyn FLdyn
MN MN
I 2,0 1,0
II 3,0 1,5
III 4,0 2,0
IV 5,0 2,5
Va 8,0 3,5
Vb/Via 10,0 4,0
Vib 14,0 5,0
Vic 17,0 8,0
VII 20,0 10,0
a Schiffs-Charakteristiken nach Wasserstraßen-Klassifikation (nach Europäische Kommission für
Europa ECE, Hauptarbeitsgruppe Binnenschifffahrt Resolution Nr. 30.12 November 1992)
ckenlagern verursachen bei statisch unbe- Hierauf wird im Abschnitt 8.7.3 gesondert
stimmten Konstruktionen Schnittkräfte. eingegangen.
Für das Anheben der Lager ist mindestens
eine vertikale Verschiebung der Auflager-
achse von 1 cm anzusetzen, sofern nicht 8.1.6 Bauzustände
konstruktionsbedingt ein höherer Wert
erforderlich wird. Die prognostizierten Set- Im Bauzustand werden Brücken spezi-
zungen sind dem Bodengutachten zu ent- fischen Einwirkungen aus dem Bauverfah-
nehmen. Bei Stahl- und Stahlverbundbrü- ren und Bauablauf unterworfen, bei ab-
cken kann das Absenken bzw. Anheben von schnittsweisem Bauen sind darüber hinaus
Auflagerachsen zur Einbringung eines verschiedene statische Systeme entspre-
Zwangsmoments genutzt werden, das als chend den jeweiligen Bauzuständen zu
Vorspannung wirkt. untersuchen. Die Einwirkungen in den
Windlasten sind im [DIN-FB 101, 2009], Bauzuständen sind in jedem Einzelfall pro-
dort Anhang N, definiert. jektspezifisch zu definieren. Die Vertikallas
Schneelasten können bei Brücken in der ten resultieren insbesondere aus folgenden
Regel vernachlässigt werden. Sie sind bei Ursachen:
überdachten Brücken, Klappbrücken oder
bei Nachweisen für Bauzustände zu berück- • Lagerung von Baumaterial, Rüstungen
sichtigen. Die charakteristischen Werte kön- etc. auf dem Überbau
nen [DIN 1055-5, 2007] entnommen wer- • Betoniervorgänge
den. • angehängte Gerüste (Freivorbau, Vor-
Erdbebenlasten sind in erdbebenge- schubgerüst)
fährdeten Gebieten zu berücksichtigen. • Lasten aus Schwerlastfahrzeugen
536 8 Berechnung
fahren kann die Modellbildung in vier Be- delt. Bei der Anwendung von Normen ist
reiche gegliedert werden, vgl. Bild 8.2-4. dabei zu prüfen, in wie weit diese für den
Die umfassende Kenntnis der Grundlagen jeweiligen Einzelfall die Einwirkungen in
in allen Bereichen der Modellbildung ist ausreichendem Umfang beschreiben. Bei der
unabdingbare Voraussetzung, um aussage- quantitativen Bestimmung der Einwirkun
kräftige Ergebnisse der Berechnungen zu gen ist zu berücksichtigen, welchem Ziel die
erzielen. Dabei ist stets zu beachten, dass es jeweilige Schnittgrößenberechnung dient:
sich um Modelle handelt, die die Realität
• Nachweis der Standsicherheit (Kippen,
nur innerhalb ihrer Anwendungsgrenzen
Gleiten)
abbilden können. In der Regel erfolgt die
• Nachweis im Grenzzustand der Tragfä-
Modellbildung im Brückenbau auf der Ma-
higkeit
kroebene, vgl. [Keuser/Purainer, 2003], für
• Nachweis im Grenzzustand der Ge-
Detailbereiche jedoch, wie z. B. die Veran-
brauchstauglichkeit
kerungen von Spanngliedern oder die An-
schlüsse der Hänger bei Stabbogenbrücken, Nachfolgend wird insbesondere auf die
ist eine detailliertere Modellierung auf der Modellierung der Geometrie, der Lasten,
Mesoebene erforderlich. des mechanischen Verhaltens und des Ma-
Die Grundlagen für die Lastmodelle terials bei Tragwerken des Brückenbaus
werden detailliert im Abschnitt 8.1 behan- eingegangen. Hinsichtlich der theoreti-
8.2 Systeme, Tragverhalten, Schnittgrößen 539
mechanisches geometrisches
Modell Modell
Material- Last-
modell modell
a) Teilmodelle
Mikrobereich:
Detailpunkte
Mesobereich:
Bauteile Z Z
Makrobereich:
Bauwerke
Plattenbalkenbrücke
b) Modellebenen
Bild 8.2‑4 Modellbildung für statische Berechnungen
schen Grundlagen wird auf [Ramm/Hoff- Regel wesentlich höhere Lasten und deut-
mann, 1995] verwiesen. Der heutige Stand lich größere Abmessungen in Längs- und
der Technik erlaubt die detaillierte Berech- Querrichtung auftreten als im üblichen
nung einer breiten Vielfalt von Brücken- Hochbau. Eine technisch-wirtschaftliche
tragwerken, vgl. Bilder 8.2-5 und 8.2-6. Die Optimierung und eine sichere Bemessung
Wahl eines geeigneten statischen Modells erfordern daher eine möglichst weitgehen-
ist dabei naturgemäß von dem jeweiligen de Berücksichtigung aller Tragmechanis-
Tragwerkstyp abhängig. Daher wird in die- men. Dabei werden die wesentlichen Ein-
sem Abschnitt neben der Darstellung der zelbauteile einer Brücke, die zumeist durch
Grundlagen der Modellbildung und Be- Lager miteinander verbunden sind,
rechnung diese an einzelnen ausgewählten
• Überbau
Beispielen erläutert.
• Widerlager
Eine besondere Betrachtung der Modell-
• Pfeiler
bildung und der Berechnung der Schnitt-
größen und Verformungen ist im Brücken- für die Nachweise in den Grenzzuständen
bau deshalb notwendig, da hier in aller der Tragfähigkeit und der Gebrauchstaug-
540 8 Berechnung
lichkeit getrennt berechnet. Für die Ge- Sie erzeugen einerseits lokale Beanspru-
samtstabilität und für die Abtragung der chungen in den unmittelbar belasteten Bau
Horizontallasten ist jedoch wie bei Rah- teilen und andererseits Beanspruchungen
men-, Schrägkabel- und Hängebrücken im Haupttragsystem einer Brücke. Daneben
eine Berechnung des Gesamttragwerks er- sind die Horizontallasten in Längs- und
forderlich. Hinsichtlich der Berechnung Querrichtung der Brücke abzutragen. Die
von Schrägkabelbrücken wird auf [Walther, traditionelle Vorgehensweise bei der Be-
1994], bezüglich Spannbandbrücken auf rechnung von Brückentragwerken sieht für
[Eibl et al., 1973-1] verwiesen. die Berechnung der Schnittgrößen die Auf-
teilung der Gesamtstruktur in Teilstruktu-
ren vor, die auf der Grundlage der bekann-
8.2.2 Überbauten ten theoretischen Grundlagen und der
verfügbaren Rechenhilfsmittel einer stati-
Die dominierenden Einwirkungen auf die schen und gegebenenfalls einer dynami-
Überbauten sind die Vertikallasten und schen Berechnung zugänglich sind. So hat
die zugehörigen Zwangseinwirkungen sich mit den Fortschritten in der Mechanik,
(Temperatur, Setzungen, Vorspannung). in der Baustatik in den numerischen Me-
8.2 Systeme, Tragverhalten, Schnittgrößen 541
gung der Scheiben- und Plattensteifigkeit dungen im Betonbau werden nur in Aus-
der Fahrbahnplatte sowie der Biege- und nahmefällen in statischen Berechnungen
Dehnsteifigkeit der Stege entwickelt. Dabei von Überbauten explizit berücksichtigt.
wird die tatsächliche Breite der Fahrbahn- Hinsichtlich der Auswirkungen des nicht-
platte bzw. des Anteils, der auf den jeweili- linearen Materialverhaltens bei Betonbrü-
gen Steg entfällt, auf die mitwirkende Breite cken wird auf [Ernst, 1976 und Mehlhorn/
reduziert, für die die tatsächlich über dem Ernst, 1976] verwiesen. Eine näherungs-
Steg auftretende größte Normalspannung weise Berücksichtigung der Auswirkungen
konstant über die mitwirkende Plattenbrei- nichtlinearen Materialverhaltens erfolgt in
te wirkend angenommen wird und zur glei- der Regel durch Modifikation der Steifig-
chen resultierenden Kraft in der Druckzone keiten. Die Auswirkungen auf Schnittgrö-
führt, vgl. Bild 8.2-8. ßen und Verformungen können in der
[Brendel, 1960], [Stritzke, 1977] und statischen Berechnung z. B. durch die Ab-
[Schleeh, 1973] haben für Massivbrücken minderung des Elastizitätsmoduls oder
Hilfsmittel zur Berechnung der mitwirken- besser durch die Verwendung nichtlinea-
den Plattenbreite unter Berücksichtigung rer Momenten-Verkrümmungs-Beziehun-
unterschiedlicher Belastungsarten (Flä- gen erfasst werden, vgl. 8.2.3.2.
chen-, Streifen-, Einzellast), der Steifigkeit Das Lastmodell ist wie das geometrische
der Platte im Verhältnis zur Steifigkeit Modell stark durch das mechanische Mo-
der Stege entwickelt. [DIN 1075, 1981] re- dell vorbestimmt. Die Einwirkungen aus
gelt als Norm die Berechnung der mit Lasten und Zwang müssen so aufbereitet
wirkenden Plattenbreite in Deutschland. werden, dass sie äquivalent zur tatsächli-
Mit der gleichen Thematik zur Tragwir- chen Beanspruchung auf das statische Sys-
kung von Stahlkonstruktionen beschäfti- tem des ebenen oder räumlichen Balkens
gen sich die Arbeiten von [Schmidt/Peil, aufgebracht werden können. Das bedeutet,
1976], [Schmackpfeffer, 1970] und [Alb dass die Lasten in Brückenquerrichtung zu
recht, 1976]. einer Resultierenden zusammengefasst
Bei der Festlegung des geometrischen werden müssen, die in der Systemlinie
Modells ist neben der Abbildung der Bau- des Balkens angreift. Die Exzentrizität der
werksgeometrie die Lage der Bemessungs- Resultierenden ergibt sich als das zugehöri-
punkte zu definieren. Im Längssystem wer- ge Torsionsmoment. Die Berechnung der
den bei parallelgurtigen Trägern die einzel- Lastresultierenden erfolgt mittels Querein-
nen Felder üblicherweise in 10 Teilab- flusslinien, bei deren Ermittlung die Steifig-
schnitte gleicher Länge unterteilt, an denen keiten der einzelnen Bauteile des Überbaus
jeweils die Nachweise im Grenzzustand der (Fahrbahnplatte, Längsträger, Querträger)
Tragfähigkeit und der Gebrauchstauglich- und gegebenenfalls der stützenden Bauteile
keit geführt werden. Veränderliche Quer- zu berücksichtigen sind. Über die theo
schnittsabmessungen wie Vouten oder retischen Grundlagen hinaus haben sich
Stegverstärkungen sind bei der Festlegung [Beck, 1953], [Trost, 1961], [Bieger, 1962],
der Bemessungspunkte zu berücksichtigen. [Nötzold, 1969] und [Holst/Holst, 2004]
Im Quersystem wird die Bemessung in der mit dieser Thematik beschäftigt und prak-
Regel an den Stellen der Extremwerte der tisch anwendbare Verfahren entwickelt.
Schnittgrößen durchgeführt. Während Trost in seiner Arbeit Stütz- und
Das Werkstoffmodell sieht als Regelfall gegebenenfalls Feldquerträger zwingend
die Verwendung linear-elastischen Mate- voraussetzt, hat [Nötzold, 1969] erstmals
rialverhaltens vor. Nichtlinearitäten wie eine Methode entwickelt, bei der auf Quer-
das Plastifizieren im Stahlbau oder Rissbil- träger verzichtet werden kann. Da querträ-
544 8 Berechnung
1)
1) 2) 3) 2)
0,75 3)
1,00 0,85
gerlose zweistegige Plattenbalken in Quer- In der ganz überwiegenden Zahl der Re-
richtung deutlich weicher sind, wird in chenprogramme wird die andere Möglich-
dem Berechnungsverfahren nach [Nötzold, keit gewählt. Dabei wird die Last jeweils in
1969] die Berücksichtigung der Lagerung kurzen Abschnitten, in der Regel in den
in Brückenquerrichtung sowie der Steifig- Zehntelpunkten über ihre zugehörige Ein-
keiten der Unterbauten berücksichtigt. flusslänge aufgebracht und es werden die
Bild 8.2-9 zeigt die qualitativen Verläufe aus diesem Anteil der Belastung sich erge-
von Quereinflusslinien für unterschiedli benden Schnittgrößen berechnet. Anschlie-
che Steifigkeiten der Längsträger für 2-ste- ßend wird in den einzelnen Zehntelpunk-
gige Plattenbalken. Für übliche Quer ten überprüft, ob eine Schnittgröße einen
schnittsabmessungen kann im Rahmen positiven oder negativen Wert aufweist und
einer Vorbemessung überschlägig eine dieser dann zum Schnittgrößen-Maximum
Querverteilung von 0,85/0,15, bei Platten-
balken mit breiten Stegen von 0,75/0,25
angenommen werden.
Mit den so aufbereiteten Einwirkungen
werden die Schnittgrößen für die Einzel-
lastfälle berechnet. Für die ständigen Ein- Bild 8.2‑10 Einflusslinie für das Moment M1,
wirkungen werden die Lasten in der jeweils Zweifeldträger
örtlich auftretenden Größe auf das System
aufgebracht. Bei der Berechnung der
Schnittgrößen aus den veränderlichen
Einwirkungen gibt es grundsätzlich zwei
Möglichkeiten, die ungünstigste Laststel-
lung zu bestimmen. Die erste Möglichkeit,
die Auswertung von Einflusslinien, wird
überwiegend für Vorberechnungen ange- Bild 8.2‑11 Momentengrenzlinie aus verän-
wandt. derlichen Einwirkungen, Dreifeldträger
8.2 Systeme, Tragverhalten, Schnittgrößen 545
Bild 8.2‑14 Randbedingungen für den elastisch gebetteten Balken als Ersatzsystem zur Erfassung
der Profilverformung
8.2 Systeme, Tragverhalten, Schnittgrößen 547
der Schnittgrößen mittels der Plattendiffe- für Fahrbahntafeln von Brücken entwickelt.
rentialgleichung stellen die zutreffende Be- Die Einflüsse aus unterschiedlichen Aufla-
rücksichtigung der Geometrie und der gersteifigkeiten werden bei der Berechnung
Randbedingungen gravierende Probleme der Schnittgrößen mittels Tabellenwerken
dar. Da die stützenden Bauteile, wie z. B. die über Zusatzbetrachtungen an Balkentrag-
Längsträger, keine starre Lagerung und in werken abgeschätzt. Der Umfang der Er-
Längsrichtung veränderliche Steifigkeiten gebnisse von Berechnungen mittels Tabel-
der Auflagerbedingungen darstellen, schei- lenwerken ist in aller Regel stark einge-
tert, abgesehen von sehr einfachen Platten- schränkt, da hier zumeist nur Schnittgrößen
tragwerken, eine geschlossene Lösung. Dar- an ausgewählten Punkten sowie Maxima
über hinaus ist die Abbildung verschiedener und Minima angegeben werden.
Laststellungen der Belastungsfahrzeuge Daher hat sich ab 1950 für die Abbil-
sehr aufwendig. Für die praktische Anwen- dung von Platten im mechanischen Mo-
dung wurden daher insbesondere für die dell die näherungsweise Berechnung mit
Berechnung von Fahrbahnplatten Tabellen- Hilfe von Trägerrosten zum gebräuchlichen
bzw. Tafelwerke aufgestellt, mit denen pra- Verfahren herauskristallisiert. Hierbei wird
xisrelevante Plattentragwerke berechnet die Platte in Streifen in Längs- und Quer-
werden können. Neben Literatur für allge- richtung aufgeteilt, die an den Kreuzungs-
meine Plattentragwerke wie z. B. [Pu- punkten biege- und torsionssteif miteinan-
cher, 1968] oder [Stiglat/Wippel, 1983], hat der verbunden sind. Eine detaillierte Be-
[Rüsch, 1981] spezielle Berechnungshilfen schreibung dieses Rechenverfahrens geben
Bild 8.2‑15 Statisches System einer Fahrbahnplatte mit Einspannung in Längs- und Querträger
548 8 Berechnung
[Homberg/Trenks, 1962]. Bei Plattenbal- zum einen die Ermittlung adäquater Biege-
ken werden die Stege durch exzentrisch an- und Torsionssteifigkeiten der einzelnen
geschlossene räumliche Balkenelemente Längs- und Querträger, insbesondere unter
abgebildet. In [Menn, 1990] wird ein Ver- Berücksichtigung nichtlinearen Material-
fahren zur Berechnung derartiger Systeme verhaltens. Zum anderen ist die Rückrech-
beschrieben. Dabei ist insbesondere auf nung der Schnittgrößen des Trägerrosts auf
eine zutreffende Modellierung der Steifig- Plattenschnittgrößen schwierig, da sich die
keiten unter Berücksichtigung der Exzent- DGL des Balkens nicht als Grenzfall der
rizitäten der einzelnen Träger zu achten. Platten-DGL ergibt. Die numerische Be-
Auf eine zutreffende Beschreibung der rechnung wurde erst durch den Einsatz
Steifigkeit der Stege durch Querschnitts- elektronischer Datenverarbeitungsanlagen
werte unter Berücksichtung der mitwirken- praktisch handhabbar, da nur so die auftre-
den Plattenstreifen ist zu achten. Bei dieser tenden Gleichungssysteme einer praktisch
Methode gibt es mehrere Probleme. Dies ist umsetzbaren Lösung zugänglich wurden.
8.2 Systeme, Tragverhalten, Schnittgrößen 549
Mit der rasanten Entwicklung der numeri- numerische Berechnung nach der Finite-
schen Rechenmethoden wird die Verwen- Element-Methode, da hierbei sowohl im
dung von Trägerrostmodellen zunehmend mechanischen als auch im geometrischen
durch Plattensysteme auf der Grundlage Modell die Abbildung sehr viel wirklich-
der Finite-Element-Methode abgelöst. Da- keitsnäher erfolgen kann als in einer
bei wird im mechanischen Modell das Trägerrostberechnung.
Plattentragverhalten im Rahmen der Durch die schiefwinklige Auflagerung
Approximation durch ein numerisches erfährt der Überbau eine Einspannung in
Näherungsverfahren beschrieben, vgl. die Querträger. Die Einspannmomente der
[Wunderlich/Redanz, 1995]. Das geomet- Längsträger in die Endquerträger, bei den
rische Modell bildet das Tragwerk im Innenstützen die Differenzen der Biegemo-
Grundriss mit hoher Genauigkeit ab, die mente zwischen den beiden Auflagerrän-
Dickenrichtung wird durch die Integration dern, erzeugen Torsionsmomente in den
der Spannungen über die Plattendicke er- Querträgern, die Biegemomente in den
fasst. Hinsichtlich des Materialmodells Querträgern Torsionsmomente in den
und des Lastmodells gelten die Aussagen Längsträgern. Durch die schiefwinklige La-
von 8.2.2.1. gerung weisen die Längsträger in senkrecht
Bei schiefwinklig gelagerten Brücken, zur Längsachse angeordneten Schnitten
d. h. bei Brücken deren Auflagerachsen unterschiedliche Durchbiegungen auf, was
nicht senkrecht zur Längsachse des Über- zu einer Torsionsbeanspruchung in den
baus angeordnet sind, wird sowohl bei Plat- Längsträgern führt. Die Größe der Ein-
ten- als auch bei Balkenbrücken eine Be- spann- und Torsionsmomente hängt von
rücksichtigung der Schiefe dann erforder- der Schiefe sowie von den Steifigkeiten der
lich, wenn diese weniger als 80° beträgt. einzelnen Bauteile ab. Ein geeignetes In-
Für Plattenbrücken empfiehlt sich eine strument zur Überprüfung der Ergebnisse
Bild 8.2‑21 Zweifeldbrücke,
FE-Faltwerk-Modell
programme bieten hierzu teilweise die Mög- begrenzte Bereiche der Konstruktion zu-
lichkeit, mittels automatischer Netzadaption sätzliche Betrachtungen erforderlich wer-
die Elementdichte den Beanspruchungsver- den. Dies sind z. B.:
läufen anzupassen. • Auflagerpunkte, Pressenansatzpunkte
• Verankerungs- und Umlenkbereiche
von Spanngliedern
8.2.2.4 Detailbereiche
• Querträger
• Steifen
Für die Berechnung der Hauptbeanspru-
• Knotenpunkte wie z. B. Anschlüsse von
chungen von Brückentragwerken erfolgt
Hängern
die Modellierung im Makrobereich. Dabei
werden lokale Beanspruchungen nicht in Die Abbildung von Teilen der Konstruktion
den Modellen erfasst oder nur unzurei- erfolgt in der Regel auf der Meso-Ebene,
chend genau abgebildet, so dass für örtlich vgl. [Keuser/Purainer, 2003], mit Hilfe der
σ = p · a/h
h/4
P a/ D
a/2 α h/4
Z
a/2 h/4
a/4
h/4
Bild 8.2‑22 Beispiele für Berechnungsmodelle von Detailbereichen. a Spannungen aus einer FE-
Berechnung des Hängeranschlusses einer Stabbogenbrücke [Schleicher, 2003]; b Stabwerksmodell
für den Verankerungsbereich eines Spannglieds
8.2 Systeme, Tragverhalten, Schnittgrößen 553
werden dass die wesentlichen Tragwirkun Für die Einleitung der Auflagerkräfte
gen erfasst werden können, vgl. Bilder wird an Stelle einer Scheibenberechnung in
8.2-26, -27 und -29. Die Plattentragwirkung der Regel ein Stabwerksmodell als Ersatz-
wird in diesem Fall durch Zusatzbetrach- system untersucht, vgl. Bild 8.2-28. Dabei
tungen erfasst. Eine detaillierte Beschrei- wird die Normalkraftbeanspruchung der
bung der einzelnen Lastansätze geben Widerlagerwand mittels Gleichgewichtsbe-
[Holst/Holst, 2004]. trachtungen unter Vernachlässigung der
Eine bessere Berücksichtigung der Plat- Verträglichkeit abgeschätzt. Im unmittelba-
tentragwirkungen erlaubt die Berechnung ren Bereich der Auflagersockel sind zusätz-
nach [Eibl et al., 1979]. Es werden zunächst lich die Spaltzugkräfte zu berechnen.
die Schnittgrößen in den einzelnen Platten Eine gegebenenfalls erforderliche Tief-
der Teilsysteme getrennt berechnet, an- gründung mittels Pfählen oder Brunnen
schließend wird an den gemeinsamen wird bei dieser Vorgehensweise ebenfalls
Verbindungskanten jeweils zweier Platten getrennt von den übrigen Bauteilen berech-
ein Momentenausgleich durchgeführt. Die net, vgl. Bild 8.2-30. Dabei wird die Boden-
Scheibenkräfte ergeben sich aus den Aufla- platte des Widerlagers, die gleichzeitig als
gerreaktionen bzw. Querkräften am Plat- Pfahlkopfplatte dient, als starr angesehen.
tenrand der jeweils anschließenden Platte. Die Pfähle werden als horizontal elastisch
gebettete Stäbe betrachtet und sind in die
Pfahlkopfplatte eingespannt. Binden die
Pfähle in eine steife tragfähige Schicht, z. B.
einen Felshorizont ein, wird an Unterkante
Pfahl ein starres vertikales Lager angeord-
net. Bei Einbindung in weiche Schichten
wird eine vertikale Bettung entsprechend
den Angaben des Bodengutachtens zur Be-
rücksichtigung der Mantelreibung gewählt.
Bei sehr weichen Schichten ist die Möglich-
keit des Auftretens negativer Mantelrei-
bung, d. h. der Einleitung von Eigenlasten
aus dem Baugrund in die Pfahlgründung zu
beachten. Die resultierenden Einwirkungen
Bild 8.2‑26 Kastenwiderlager, Berechnungs- aus dem aufgehenden Widerlager ein-
schnitte schließlich der Eigenlast der Pfahlkopfplat-
Bild 8.2‑28 Beispiel für Systeme zur Berechnung von Kastenwiderlagern nach [Eibl et al., 1988]
te wird im Schwerpunkt der Platte angesetzt gleich zu den Überbauten in aller Regel
und auf der Grundlage des Weggrößenver- größerer Komplexität der Lastabtragung zu
fahrens auf die einzelnen Pfähle als Hori- sehen, die eine Aufteilung des Gesamtsys
zontal- und Vertikalkräfte sowie Pfahlkopf- tems in einfacher zu berechnende Teilsys
momente verteilt. Die Schnittgrößen in den teme schwierig macht. Darüber hinaus hat
einzelnen Pfählen werden ausschließlich an die Berechnung von Widerlagern mit FE-
elastisch gebetteten Balken ermittelt. Programmen in der Regel für den Aufstel-
In den vergangenen Jahren hat sich in ler der Statischen Berechnung wirtschaftli-
der Praxis mehr noch als bei den Überbau- che Vorteile, nicht zuletzt da Geometrie
ten die numerische Berechnung von Wi- und Einwirkungen zumindest qualitativ oft
derlagern als räumliche Faltwerkssysteme durch Modifikation der Daten früherer Be-
mit Hilfe der Finite-Element-Methode rechnungen generiert werden können. Ein
durchgesetzt. Der Grund ist in der im Ver- Beispiel für ein geometrisch anspruchsvol-
les Widerlager, das mittels FEM berechnet
wurde zeigt Bild 8.2-31.
8.2.3.2 Pfeiler
κ = Verkrümmung der
M Biegelinie
N = const.
M4 R = Verkrümmungsradius
M3
4
M2 3 1 Beginn der Rissbildung
2
2 Bewehrung auf der
Zugseite
M1 1 M
1 3 Bewehrung auf der
κ= =
Druckseite
R EI
1 4 Querschnitt versagt auf Zug
κ oder Druck
m
Bild 8.2‑33 Vereinfachte Momenten-Verkrümmungs-Beziehung
neten Punkten der Zusammenhang zwi- ßen unter Berücksichtigung der Theorie II.
schen dem Biegemoment, der Biegesteifig- Ordnung und des wirklichkeitsnahen Ma-
keit und der Verkrümmung der Biegelinie terialverhaltens nach dem Prinzip der vir-
ermittelt. tuellen Kräfte berechnen.
Falls die Querschnittsabmessungen oder
x M M ⋅ dx x
die Normalkraft über die Trägerhöhe nicht w( x ) = ∫
1
= ∫ κ (x ) M1 (x ) dx
konstant ist, wird der Pfeiler in Abschnitte o EI o
unterteilt, für die näherungsweise die je- (8.2–5)
weiligen Mittelwerte der Querschnittswerte Da es sich in der Regel um nichtlineare Mo-
und der Schnittgrößen als konstant ange- menten- und Steifigkeitsverläufe handelt,
setzt und so der kontinuierliche Verlauf kann die Integration nicht geschlossen
treppenförmig angenähert wird. Dies gilt durchgeführt werden. Daher kommen nu-
beispielsweise für die Pfeiler hoher Talbrü- merische Integrationsverfahren, z. B. nach
cken, die in der Regel zum Pfeilerkopf hin Simpson zur Anwendung, bei denen die
schlankere Abmessungen haben und durch gekrümmten Verläufe abschnittsweise
die Eigenlast des Pfeilers auch eine verän- parabelförmig erfasst werden. Die so ermit-
derliche Normalkraft aufweisen. telte Kopfverschiebung ist infolge der Zu-
Mit dem gem. Bild 8.2-33 erstellten Zu- satzmomente größer als der Wert, der in die
sammenhang zwischen Biegemoment und Ermittlung von Mo eingegangen ist. Daher
Querschnittssteifigkeit lassen sich nun die erfolgt die Berechnung der endgültigen
Verformungen und daraus die Schnittgrö- Verformung w (x) inkrementell.
V
M Mo κo 1
w (x) linear-
x M
elastischer
Anteil
ΔMII H
M1 κ1 H
Stat. System Biegemomente M Verkrümmung κ Virtuelles Moment H
Bild 8.2‑34 Berechnung einer Kragstütze nach Theorie II. Ordnung
8.2 Systeme, Tragverhalten, Schnittgrößen 559
n
w ( x ) = w o ( x ) + ∑ ∆ wi ( x ) Sonderfällen,
(8.2−6) wie z. B. zur Berechnung der
i =1
(8.2–6)
Schienenspannungen bei Eisenbahnbrü-
mit wi (x ) = wi (x ) − wi −1 (x ) cken und bei hohen Talbrücken mit Begren-
wo (wx ) (x) formung nachnach Theorie zung der Horizontalverformungen, wird die
VerVerformung
o
∆ w ( x ) Verformungszuwachs Berechnung
nach Theorie II. Ordnungder Haupttragwirkungen an
i I. Ordnung
im Re chenschritt i einem Gesamtsystem erforderlich, bei dem
∆wi (x) Verformungszuwachs nach
Über- und Unterbauten miteinander ver-
Theorie II. Ordnung im
bunden sind, vgl. Bild 8.2-35. Bei Brücken
Rechenschritt i
mit geringer Steifigkeit der Unterbauten
Die Berechnung kann abgebrochen werden, werden zur Berechnung der Schnittgrößen
wenn der Verformungszuwachs ∆wi (x) ei- nach Theorie II. Ordnung Berechnungen
nen Toleranzwert, z. B. 5% der Verformung am Gesamtsystem erforderlich, da die stüt-
nach Theorie I. Ordnung, unterschreitet. zende Wirkung des Überbaus auf die Pfeiler
nur so wirklichkeitsnah erfasst werden
kann. Dieser Fall kann bei großen Pfeilerhö-
8.2.4 Gesamtsysteme hen und bei Gründungen mit geringer Stei-
figkeit auftreten. Die Abbildung erfolgt im
Bei Rahmen-, Schrägkabel- und Hängebrü- mechanischen Modell in der Regel mittels
cken, bei Balkenbrücken in einer Reihe von räumlicher Stabwerkselemente, die im geo-
1. Einwirkungsmodell: Die für den Nach- sich mit Hilfe statistischer Methoden
weis maßgebenden Einwirkungen (Las- Wahrscheinlichkeiten angeben, mit de-
ten, Verschiebungen, Temperatureinwir- nen die Grenzzustände erreicht werden
kungen) werden aufgrund von Beobach- (Versagenswahrscheinlichkeiten). Um
tungen und Messungen bzw. aufgrund die praktische Berechnung nicht mit den
des vorgesehenen Betriebs festgelegt Dichtefunktionen durchführen zu müs-
und sind in den Belastungsnormen sen (probabilistisches Sicherheitskon-
[EN 1991] niedergeschrieben. Die Norm zept), sondern diese mit festgelegten Grö-
unterscheidet ständige Einwirkungen ßen durchführen zu können und damit
G, veränderliche Einwirkungen Q und wesentlich zu vereinfachen, werden die
außergewöhnliche Einwirkungen A. Bei Einwirkungen und Widerstände von ei-
Brückennachrechnungen kommen zu- nander entkoppelt und es werden aus den
weilen anstelle der Normen‑Lastmodelle charakteristischen Größen (95%‑Fraktil-
reale Betriebslastenzüge in Frage, wobei werte bei Einwirkungen, 5%‑Fraktilwerte
spezifische Betriebsbeschränkungen be- bei Widerständen) durch Berücksichti-
rücksichtigt werden können. gung von Teilsicherheitsfaktoren γSd ≥ 1
2. Widerstandsmodell: Der Widerstand (für Einwirkungen) bzw. γRd ≥ 1 (für Wi-
eines Tragwerks ist von geometrischen derstände) Bemessungswerte der Einwir-
Größen a und von Werkstoffeigenschaf- kungen Gd, Qd und Widerstände Rd ge-
ten X abhängig. Im Gegensatz zu den wonnen. Die statischen Nachweise wer-
Einwirkungen und der sicherheitstheo- den mit diesen Bemessungswerten ge-
retischen Beurteilung sind die Trag- führt (semiprobabilistisches Sicherheits-
werks- bzw. Bauteilwiderstände vom ver- konzept). Teilsicherheitsbeiwerte γSd > 1
wendeten Baustoff abhängig. Die Regeln sind für den Tragsicherheitsnachweis zu
zur Ermittlung der Widerstände sind in verwenden, wenn dadurch der Nachweis
den baustoffspezifischen Normen nie- ungünstiger wird, anderenfalls ist γSd = 1
dergeschrieben (Stahlbau: EN 1993). zu setzen. Beim Nachweis der Gebrauchs
3. Sicherheitsmodell: Grundlagen und nor- tauglichkeit ist γSd = γRd = 1. Bei der Er-
menmäßige Aufbereitung des zugrunde mittlung von Gd, Qd wird durch Einfüh-
liegenden semiprobabilistischen Sicher- rung von Kombinationsbeiwerten ψi ≤ 1
heitskonzepts sind in [EN 1990] angege- dem Umstand Rechnung getragen, dass
ben. Das Sicherheitsmodell verknüpft das bei Überlagerung sämtlicher relevanter
Einwirkungsmodell mit dem Wider- Einzeleinwirkungen das Zusammenwir-
standsmodell. Es erfasst die Streuungen ken statistisch unabhängiger Einwir-
bei den Einwirkungen und Widerständen kungen in voller Größe, d.h. mit den Ein-
und Idealisierungen bei der Modellbil- zelwerten Qki , unwahrscheinlich ist. Mit
dung und regelt das Sicherheitsniveau. den Kombinationsbeiwerten können alle
Einwirkungen und Widerstände sind kei- veränderlichen Einzeleinwirkungen (be-
ne genau angebbaren Größen, sondern gleitende Einwirkungen: i ≥ 2) bis auf
hängen von streuenden Größen ab eine (führende Einwirkung: i = 1) abge-
(Einwirkungen, Materialwerte, Bauteil- mindert werden.
geometrie). Daher lässt sich eine Sicher-
heit gegen das Erreichen der o.g. Grenz- Es ist nachzuweisen, dass unter den maßge-
zustände durch eine Gegenüberstellung benden Einwirkungen die betrachteten
von Erwartungswerten nicht zahlenmä- Grenzzustände im Sinne der geforderten
ßig angeben. Sind die Ausgangsgrößen Versagenswahrscheinlichkeiten nicht er-
durch Dichtefunktionen gegeben, lassen reicht bzw. überschritten werden. In der
562 8 Berechnung
barkeit. Erfordernis: Kompakter Quer- solchen Fällen müssen die aus den einzel-
schnitt beim Fließgelenk; nen Tragsystemen resultierenden gleichar-
tigen Spannungen (σx, σy , τxy) addiert wer-
Verfahren E‑E: Elastische Schnittgrö-
den. Der Tragsicherheitsnachweis kann nur
ßenberechnung, Nachweis der elasti-
in den Querschnittsfasern geführt werden:
schen Grenzlast.
fy
Bei Vollwandkonstruktionen des Brücken- s v = s v (QSd ) ≤ f Rd = .
baus sind hohe, aus Blechen zusammenge- gM
schweißte Querschnitte mit dünnen Stegen Das Gleiche gilt beim Nachweis der Ermü-
und gegebenenfalls dünnen Gurtungen dungsfestigkeit.
charakteristisch. Um die elastische Grenz- Bei Tragfähigkeitsnachweisen sind die
last solcher Querschnitte ausnützen zu kön- Wirkungen von Imperfektionen zu berück-
nen (Fließen in der Randfaser), müssen die sichtigen. Es gibt geometrische Imperfek
dünnen gedrückten Bleche ausgesteift wer- tionen (z. B. ungewollte Vorkrümmungen,
den. Nach [EN 1993‑2, 2007] sind für den Schiefstellungen, Anschlussexzentrizitäten)
Tragfähigkeitsnachweis im Stahlbrücken- und strukturelle Imperfektionen (Eigen-
bau die Verfahren E‑E und E‑P zugelassen, spannungen aus dem Walz- oder Schweiß-
eine plastische Schnittkraftberechnung (Re- prozess, Inhomogenitäten, Anisotropien
chenverfahren P‑P) nur bei außergewöhn- usw.). Für die praktische Berechnung wer-
lichen Einwirkungen. Neben der Span- den strukturelle Imperfektionen zunächst
nungsbegrenzung ist bei elastischer Schnitt- durch geometrische Imperfektionen ausge-
kraftberechnung (Berechnungsverfahren drückt und diese in der Regel durch Ersatz-
E‑E und E‑P) die Gültigkeit des Superposi- lasten in der statischen Berechnung berück-
tionsgesetzes von besonderer Bedeutung. sichtigt. Die Größen der zu berücksichti-
Dadurch können Schnittkräfte infolge von genden Imperfektionen sind in den bau-
veränderlichen Lasten (Verkehrslasten) stoffspezifischen Normen (z. B. [EN 1993‑1‑1
durch Auswertung von Einflusslinien oder oder 1993‑2, 2007]) angegeben. Die Imper-
Einflussflächen ermittelt werden. fektionen sind in der Weise zu berücksichti-
Im Brückenbau kommen häufig Sys gen, dass die Bemessungssituation dadurch
teme vor, die aus ineinander geschachtelten ungünstiger wird. Eng mit dem Problem der
Einzelsystemen bestehen. So kommen bei- Größe der Imperfektionen sind die Ausfüh-
spielsweise dem Fahrbahnblech einer or- rungs- und Toleranznormen verknüpft. Bei
thotropen Platte mit Längs- und Querträ- einfachen Stabilitätsnachweisen (Knick-
gern folgende Funktionen zu: nachweis) sind die Imperfektionen in Tabel-
len bereits eingearbeitet und werden beim
• Örtliche Lastübertragung der auf das
Nachweis nicht direkt berücksichtigt.
Fahrbahnblech wirkenden Lasten auf
die Längsträger (Biegespannungen)
Nachweisformat für den Gebrauchstaug-
• Obergurt der Längsträger (Membran
lichkeitsnachweis (Grenzzustand: Verfor-
spannungen)
mungen):
• Obergurt der Querträger (Membran
spannungen) Ed ≤ Cd
• Gurtung des Hauptträgers (Membran wobei:
spannungen)
Ed Auswirkung der maßgebenden Last-
Ähnlich zu behandeln sind Spannungszu- kombination (z. B. Durchbiegung)
stände, die aus globalen Anteilen und aus Cd Grenzwert der Auswirkung
örtlichen Lasteintragungen bestehen. In (z. B. Grenzwert der Durchbiegung)
564 8 Berechnung
8.3.2.2 Systemvorspannung bei statisch unbelasteten System ein von Null verschie-
unbestimmten Systemen dener Schnittkraftzustand. Die Differenz
zwischen den für das gleiche Lastbild zu
Bei einem n‑fach statisch unbestimmten ermittelnden Schnittkraftzuständen S und
System können unter der Wirkung eines S* entspricht einer Systemvorspannung.
bestimmten Lastbildes n von einander un- Die Systemvorspannung ist ein Eigenspan-
abhängige statische Größen (Schnittgrößen nungszustand (Summe der Auflagerkräf-
X*i bzw. Verformungen δ*i) frei gewählt te = 0). Besteht zwischen Spannungen und
werden und man erhält damit den Schnitt- Dehnungen ein umkehrbar eindeutiger
kraftzustand S* . Bezeichnet man die ent- Zusammenhang (Elastizitätstheorie), so ist
sprechenden Größen, die sich aus einer einem bestimmten Schnittkraftzustand S
konventionellen statisch unbestimmten genau ein Verschiebungszustand δ zuge-
Berechnung ergeben, mit Xi bzw. δi und ordnet und umgekehrt. Daher kann man
den daraus resultierenden Schnittkraftzu- den Schnittkraftzustand S* durch entspre-
stand mit S und ist Xi ≠ X*i bzw. δi ≠ δ*i , so chende Formgebung der werkstattmäßig
ist auch Si ≠ S*i . Damit existiert bereits am gefertigten Bauteile erzeugen. Somit sind
566 8 Berechnung
bei statisch unbestimmten Systemen die 1. M F1,g + max. M F1,q = MSt1,g + min. MSt1,q
Schnittkräfte unmittelbar von der Geomet-
rie abhängig und die Schnittkraftberech- 2. M F3,g + max. M F3,q = MSt 2,g + min. MSt 2,q
nung ist mit der Werkstattform untrennbar
3. M1 = 0 (Pylon momentenfrei)
verknüpft, die Festlegung der Werkstatt-
form ist ein äußerst wichtiger Teil jeder sta- Die ersten beiden Bedingungen zielen auf
tischen Berechnung. Die einfache Möglich- eine möglichst gleichmäßige Ausnützung
keit einer Systemvorspannung durch die und damit günstige Dimensionierung des
Formgebung ist insofern von besonderer Streckträgers, die dritte Bedingung auf eine
wirtschaftlicher Bedeutung, als mit einem in einfache Formgebung des Pylonen. Bild
der Regel erträglichen Mehraufwand an Ma- 8.3-2 zeigt die Momentenlinien Mg , Mq ,
terial in einigen Tragwerksteilen ein Eigen- Mp , M–g , Mg + q , M–g + q (alle auf Gebrauchs-
spannungszustand in das Gesamttragwerk last-Niveau) sowie die zugehörige Werk-
eingebracht werden kann, durch den sich stattform, die sich aus der Sollform durch
für den Endzustand die Schnittkräfte opti- Abziehen der Biegelinie w–g ergibt. Ein Ver-
mal einstellen lassen. Bezieht man sich dabei gleich mit Bild 8.3-1 zeigt, wie durch die
insbesondere auf die ständig wirkende Be- Änderung der Werkstattform eine völlig
lastung g = g1 + g2 , so braucht man bei der andere Schnittkraftverteilung erzielt wer-
ohnehin notwendigen Festlegung der Werk- den kann.
stattform nur zusätzlich den der gewünsch- Bei Bauteilen mit Normalkraft (Pylon,
ten Systemvorspannung zugeordneten Ver- Streckträger, Seile) sind bei der Festlegung
formungszustand zu berücksichtigen. Der der Werkstattform selbstverständlich auch
Zustand g1 + g2 + P = g + P „ständig wirken- die entsprechenden Längenänderungen zu
de Belastung + Systemvorspannung“ wird berücksichtigen. Seile erhalten die Kraft,
zu dem Zustand „ständige Last“ zusammen- die sich aus der statischen Berechnung er-
gefasst und weiterhin mit –g bezeichnet. Die gibt, durch entsprechende Ablängung. Im
Werkstattform solcherart vorgespannter, gezeigten Fall ist der Streckträger um 6 mm
statisch unbestimmter Systeme wird grund- länger und der Pylon um 3 mm länger zu
sätzlich genauso ermittelt wie jene nicht vor- fertigen, als es dem Nullzustand entspricht.
gespannter Systeme, indem das Verfor- Um die vorgesehenen Seilkräfte zu erhal-
mungsbild des Zustandes „ständige Last“ ten, sind die Seile um 108 bzw. 107 mm kür-
(ohne Vorspannung: g; mit Vorspannung: –g ) zer einzubauen, als es dem spannungslosen
ermittelt und von der Sollform in negativer Zustand entspricht. Aus dem Bild erkennt
Richtung aufgetragen wird. Betrachtet man man, dass durch die gewählte Systemvor-
z. B. die in Bild 8.3-1 dargestellte Schräg spannung wesentlich geringere max./min.
kabelbrücke, so lassen sich durch Vorspann- Schnittkräfte im Streckträger entstehen und
maßnahmen, d. h. durch Festlegung einer dieser daher besser ausgenützt wird. Die
geeigneten, von der Werkstattform für stän- Seilkräfte und Normalkräfte im Pylon wer-
dig wirkende Belastungen abweichenden den dafür deutlich größer: Die Seilkräfte
Werkstattform für das teuere Fahrbahndeck infolge g + q betragen 2630 bzw. 2490 kN,
wesentliche Einsparungen in den Massen jene infolge g– + q 5230 bzw. 5120 kN. Im
erzielen. Außerdem wird die werkstattmäßi- Pylon beträgt die Normalkraft infolge g + q
ge Fertigung des Pylonen einfacher. Bei dem −2400 kN und infolge g– + q −4700 kN. Die
dreifach statisch unbestimmten System Mehrkosten für diese Elemente, die bei ei-
kann man drei voneinander unabhängige ner Schrägkabelbrücke üblicher Bauart ca.
statische Größen wählen. Im vorliegenden 10–20% der Gesamtmasse des Tragwerks
Fall wurde gewählt: ausmachen, stehen in keinem Verhältnis zu
8.3 Berechnung von Stahlbrücken 567
angehoben werden, wobei die Bedingung Schrägkabelbrücke. Das Endsystem ist aus
∆h2 · (wE, ∆h2 = 1 + w'E, ∆h2 = 1 · ∆l ) + w3M = 0 dem Teilbild a ersichtlich. Im Endsystem
erfüllt sein muss. Das Teilbild h zeigt die wirken die Schnittkräfte M–g , V–g , N–g . Das
Schnittkräfte und die Biegelinie des unter- Teilbild b zeigt den betrachteten Bauzu-
suchten Teilsystems. Für die Schnittkräfte stand mit dem Hebezeug, das Teilbild a die
gilt allgemein: S = S–g + SM 1 + SM 2 + SM 3 . Schnittführung. Das Teilbild c zeigt das
Als zweites Beispiel zeigt Bild 8.3-4 Montagesystem mit den negativ angesetz-
schematisch einen Bauzustand einer im ten Schnittkräften des Endzustandes S–g
Freivorbau errichteten, symmetrischen (Schnittkräfte: SM 1), das Teilbild d zeigt das
8.3 Berechnung von Stahlbrücken 571
Montagesystem mit den negativ angesetz- henlage aufgesetzt. Auf das so gelagerte Sys-
ten Ausbaulasten g2 (Schnittkräfte: SM 2) tem werden alle Lasten aufgebracht (Gewicht
und das Teilbild e das Montagesystem mit gSt der montierten Konstruktion, Montage-
den Montagelasten (Schnittkräfte: SM 1). lasten qM ) und daraus die Schnittkräfte für
Die Schnittkräfte dieses Montagezustandes den Bauzustand ermittelt. Damit ergeben
betragen wiederum S = S–g + SM 1 + SM 2 + sich die Schnittkräfte bzw. Verformungen
SM 3 . für einen untersuchten Montagezustand M
Bei Tragwerken, die durch Einschieben durch Überlagerung der Schnittkräfte bzw.
(Lancieren) hergestellt werden, ändern sich der Verformungen folgender Systeme:
die Lagerungsbedingungen laufend. Unab-
1. Zwängungen infolge statisch unbe-
hängig von der Endlage wird jeder Träger-
stimmter Lagerung des gewichtslosen
querschnitt zum Feld- bzw. Stützquer-
Systems aufgrund statisch unbestimm-
schnitt. Gerade die im Endzustand gering
ter Lagerung
beanspruchten Tragwerksteile (Bereiche
2. Eigenlast gSt der Konstruktion des be-
der Momentennullpunkte) müssen oft mit
trachteten Montagesystems
Rücksicht auf die Montage stärker dimensi-
3. Montagelasten qM , QM
oniert werden als es der Endzustand erfor-
dert. Da die Montagesysteme im Endsystem Durch die ab drei Lagerpunkten vorhande-
nicht enthalten sind, ist es bei der Montage- ne statisch unbestimmte Lagerung entste-
berechnung im Allgemeinen zweckmäßiger, hen Zwängungskräfte in den Lagern und
nicht – wie beim Freivorbau – vom End Zwängungsschnittgrößen im System, die
zustand zurückzurechnen, sondern von sich mit jeder Lage des Lancierfortschrittes
der bereits bestehenden Bauteilgeometrie ändern und die bei den statischen Nachwei-
(Werkstattform) auszugehen und die Bau- sen unbedingt zu berücksichtigen sind, da
zustände direkt nachzuweisen. Ausgangszu- die Nachweise nach dem Verfahren E‑E zu
stand ist die Werkstattform, in die durch führen sind und bei den dünnwandigen
eine entsprechende Formgebung eine Sys- Querschnitten der Klasse 4 der Stabilität
temvorspannung eingebracht werden kann. (Beulen) eine überragende Bedeutung zu-
Das vorgeschobene System wird im betrach- kommt.
teten, vorgeschobenen Zustand auf alle zur Zur Erläuterung der beschriebenen Vor-
Verfügung stehenden Lager in richtiger Hö- gangsweise wird nochmals der im Bild
572 8 Berechnung
Vergleichsweise gering ist dagegen der rell 2 · 106 mal, heute 5 · 106 mal, bei Schub-
Einfluss des mittleren Spannungsniveaus beanspruchung 108 mal). Spannungen
σ o + σu oberhalb der Dauerfestigkeit ∆σR < ∆σD
σm = 02 und der Materialfestigkeit,
2 werden als Zeitfestigkeit bezeichnet.
außer bei reiner Druckschwellbeanspru- Typisch für alle Ermüdungsversuche
chung nicht geschweißter Konstruktions- sind selbst bei sorgfältigster Versuchs-
details. Anders als im Maschinenbau, wo durchführung große Streuungen. Um den-
die Festigkeitsuntersuchungen (einschließ- noch eine plausible Aussage über das Er-
lich Ermüdung) an 1:1‑Modellen (Proto müdungsverhalten eines Bauteils machen
typen) durchgeführt werden, werden im zu können, muss eine hinreichend große
Bauwesen (und im Großmaschinenbau) Anzahl möglichst identischer Versuche
die Nachweise an mathematischen Model- durchgeführt werden und es müssen aus
len geführt. Besonders im Fall des Ermü- den Einzelergebnissen mittels statistischer
dungsnachweises müssen dabei Versuchs- Methoden Fraktilwerte (5%, 50%, 95%) ab-
ergebnisse aus Kleinteil- und Bauteilversu- geleitet werden. In doppeltlogarithmischer
chen herangezogen werden. Das Ergebnis Darstellung und unter Berücksichtigung
eines Wöhlerversuches ist der Zusammen- von Lastspielzahlen N ≥ 104 (geringere
hang zwischen der Lastspielzahl N und der Lastspielzahlen entsprechen einem „low-
bei festgehaltener Unterspannung σu er- cycle“-Versagen und fallen nicht unter „Er-
tragbaren Oberspannung σo bei periodi- müdung“) erhält man näherungsweise eine
scher Beanspruchung, siehe Bild 8.3-6. Gerade mit dem Anstieg 1/m, siehe Bild
Bild 8.3-7 zeigt das Ergebnis eines Wöh 8.3‑8, wodurch die analytische Behandlung
lerversuches in Form einer Wöhlerlinie in besonders einfach wird.
einfachlogarithmischer Darstellung. Mit dem Schnittpunkt a der Wöhler
Man erkennt, dass sich die ertragbare linie mit der Abszisse
Spannung mit steigender Lastspielzahl ei- log a = log ND + m · log ∆σD
nem Grenzwert σD nähert. Als sogenannte
Dauerfestigkeit σD gilt jene Spannung, die erhält man für Lastspiele N < ND die Zeit-
„unendlich oft“ ertragen wird (früher gene- festigkeit ∆σR in Abhängigkeit von
1
��
a ––
–
m
der Lastspielzahl N zu ∆σR = 3 bzw. die
N
zu der Zeitfestigkeit ∆σR gehörende ertrag-
a
bare Lastspielzahl zu N = 6 . Mit Hin-
∆σR
mittels Schadensakkumulationshypothe-
sen, von denen jene nach Palmgren-Miner
(„Miner-Regel“) am häufigsten verwendet
wird. Zunächst werden die durch Berech-
nung ermittelten oder durch Dehnungs-
messungen am Bauwerk festgestellten
Spannungen an der untersuchten Stelle
Bild 8.3‑9 Nichtperiodische Beanspruchung
nach einem Zählalgorithmus geordnet und
in Spannungsspiele ∆σ = ∆ε · E umgerech-
net. Bei den Zählalgorithmen bleibt in der
Regel die Reihenfolge des Auftretens der
Spannungsspiele ∆σi unberücksichtigt. Die
wichtigsten Zählalgorithmen sind die in
[EN 1993-1-9] beschriebene Rainflow-Me-
thode und die Reservoir-Methode (Bild
8.3‑10).
Bei korrekter Anwendung liefern beide
Methoden identische Ergebnisse. Treten
Bild 8.3‑10 Reservoir-Methode verschiedene Beanspruchungen ∆σi , die
nach Ni Lastspielen zum Ermüdungsbruch
blick auf den „Betriebsfestigkeitsnachweis“ führen (periodische Belastung), ni-mal auf,
wird die Wöhlerlinie für Spannungsdiffe- so entspricht einem Lastspiel die Teilschä-
renzen ∆σ < ∆σD weitergeführt. digung 1/Ni und ni Lastspielen die Teilschä-
Das ursprüngliche, in den älteren Vor- digung ni /Ni. Bedingung für das Ermü-
schriften verankerte und aus dem Maschi- n
nenbau kommende Konzept sah vor, sich dungsversagen ist ∑ i = 1 . Vorausset-
Ni
gegen die „Dauerfestigkeit“ abzusichern,
was einer „unendlich langen“ Standzeit des zung ist, dass das Material keine Kaltverfes-
Bauwerkes entspricht. tigung erfahren hat und dass die Mittel-
Tatsächlich ist die Beanspruchung realer spannung σm annähernd konstant ist. Bei
Bauteile im Bauwesen keineswegs perio- der Miner-Regel handelt es sich um eine
disch, siehe Bild 8.3-9. Näherung, im Versuch ergeben sich für
n
Auch werden nicht mehr „dauerschwing- ∑ i Werte, die von 1,0 nach beiden Sei-
feste“ Konstruktionen verlangt, d.h. Kon- Ni
struktionen, die „unendlich lange“ halten, ten deutlich abweichen können. Ermü-
sondern Konstruktionen, die für die vorge- dungsversuche mit nichtperiodischer Be-
sehene Lebensdauer (z. B. 120 Jahre) aus- lastung haben gezeigt, dass einzelne Span-
reichend bemessen sind. Der entsprechen- nungsspiele ∆σR > ∆σD ein Abfallen der
de Nachweis wird als „Betriebsfestigkeits- Dauerfestigkeit bewirken. Daher sind
nachweis“ bezeichnet. Um die Zahl der beim Nachweis auch Spannungsdifferenzen
Versuchsparameter nicht übermäßig an- < ∆σD zu berücksichtigen, und zwar bis zum
wachsen zu lassen, sind praktisch nur Er- „Schwellenwert der Ermüdungsfestigkeit“
müdungsversuche für periodische Belas- ∆σL . Das ist jene Spannungsdifferenz, un-
tung möglich. Die Übertragung der realen terhalb der unter keinen Umständen Schä-
Beanspruchungen, z. B. des Querträgers digungen erfolgen. Für den praktischen
einer Straßenbrücke auf den Sonderfall Nachweis wird die Wöhlerlinie ab ND bis NL
einer periodischen Beanspruchung, erfolgt = 108 weitergeführt, allerdings mit der
8.3 Berechnung von Stahlbrücken 575
daher – ebenso wie die daraus resultieren- 8.3.2.6 Berechnung von Hängebrücken
den Querkräfte V(2) – beim Tragsicherheits-
nachweis zu berücksichtigen. Die Momente Die Systemskizze einer verankerten („ech-
M(2) und Querkräfte V(2) entsprechen an- ten“) Hängebrücke ist aus Bild 8.3-11 er-
nähernd jenen eines Durchlaufträgers mit sichtlich.
starren Stützen an den Gurtknoten. Die Bei der Berechnung einer Hängebrücke
Biegemomente M(1) , die sich bei einer elas- üblicher Bauart können Längenänderun-
tischen Berechnung als biegesteifen Rah- gen und Schrägstellungen der Pylonen und
men ergeben, treten jedoch tatsächlich auf Hänger stets vernachlässigt werden. Fol-
und sind beim Nachweis der Ermüdungs- gende Einwirkungen sind für die Berech-
festigkeit zu berücksichtigen, ebenso beim nung von besonderer Bedeutung:
Nachweis der Begrenzung der Spannungen
1. Ständige Lasten
unter Gebrauchslast auf die Fließgrenze
2. Verkehrslasten
σEd, ser ≤ fy /γM, ser . Ein spezielles Problem
3. Temperatureinwirkungen
stellt hier die korrekte Anwendung des
dynamischen Beiwertes ϕ2 bzw. des Spann- Im Sinne einer wirtschaftlichen Bemes-
weitenbeiwertes λ1 dar. ϕ2 ist von der maß- sung müssen bei Hängebrücken die Schnitt
gebenden Länge Lφ abhängig, λ1 von der kräfte unter Berücksichtigung der System-
maßgebenden Länge Lλ. Für die Ermittlung verformungen ermittelt werden (Theorie
von N und M(1) ist von der Stützweite des II. Ordnung), siehe Bilder 8.3-12 bis
Fachwerkes auszugehen, für die Ermittlung 8.3-14.
von M(2) und V(2) jedoch von dem erwähn- Die Biegemomente im Versteifungs
ten Durchlaufträger. Eine Übersicht gibt träger infolge einer Querbelastung g (x)
die Tabelle 8.3-1. und q (x) errechnen sich nach der Formel
Bild 8.3‑12 Unverformte
und verformte Kabelgeometrie
MIIq = Mq – Hq · z – H · ζ = MIq – H · ζ mit anschreiben kann. Das ist eine nicht lineare
H = Hg + Hq + Ht . Es bedeuten: Differentialgleichung zweiter Ordnung mit
variablen Koeffizienten. Zweimaliges Diffe-
MIIg+q Moment nach Theorie II. Ordnung
I Moment nach Theorie I. Ordnung
renzieren nach x liefert für die Biegelinie
Mg+q die Differentialgleichung vierter Ordnung
(Balkenmoment)
H Horizontalkomponente der gesam- (E · I · w″)″ – (Hg + Hq) · w″
ten Kabelkraft 8·f
Hg Horizontalkomponente der Kabel- �
– q – Hq · 7 �
l2
= 0.
kraft infolge ständiger Lasten Durch Vergleich mit der Differentialglei-
Hq Horizontalkomponente der Kabel- chung des mit der Querbelastung q (x) be-
kraft infolge Verkehrslasten lasteten Zugstabs (E · I · w″)″ – S · w″ – q (x)
Ht Horizontalkomponente der Kabel- = 0 ist ein Analogiesystem gefunden, wenn
kraft infolge Temperaturänderungen man nach [Chwalla, 1959] setzt:
Üblicherweise wird der Versteifungsträger 8·f
so montiert, dass er infolge ständiger Lasten S = Hg + Hq , q– = q – Hq · 7 .
l2
g momentenfrei bleibt. Das Kabel hat dann Somit wird von einer Querbelastung q
in ausgezeichneter Näherung die Form ein Teil q– durch den biegesteifen Balken
einer quadratischen Parabel. Es gilt die
Differentialgleichung E · I · w″ + M(II) = 0, 8·f
und ein Teil Hq · 7 durch die Zugkraft-
die man auch in der Form l2
E · I · w″ – H · w + (Mq – Hq · y) = 0 und Formänderung des Kabels aufgenom-
bzw. men. Das zugehörige Ersatzsystem ist aus
E · I · w″ – H · w + M(I) = 0 Bild 8.3-13 ersichtlich.
Die Aufteilung von p ist durch die Ver-
träglichkeitsbedingung (Durchbiegung des
Kabels = Durchbiegung des Balkens für
dehnsteife Hänger) festgelegt. Wegen der
Nichtlinearität der Differentialgleichung
Bild 8.3‑13 Querbelasteter Zugstab (Analogie- gilt das Superpositionsgesetz zunächst
system) nicht. Es bleibt jedoch gültig, wenn man die
Kraft H konstant hält. Daher kann die prak-
tische Berechnung dadurch erfolgen, dass
für festgehaltene Kräfte H, z. B. H1 = Hg und
H2 = Hg + Hq , die Schnittkräfte in herkömm
licher Weise mittels Einflusslinien berech-
net werden. Diese Einflusslinien gelten na-
türlich nur für den vorgegebenen Wert H
(„beschränkte Einflusslinien“). Für die zu
dem betrachteten Lastfall gehörenden Wer-
Bild 8.3‑14 Einflusslinien einer Hängebrücke te H1 ≤ H ≤ H2 können die Schnittkräfte
8.3 Berechnung von Stahlbrücken 579
fy b 1
Unausgesteifte und ausgesteifte Rechteck heiten λp = = ⋅
σ cr t 28,4 ⋅ ε ⋅ kσ
scheiben unter Längsspannungen σx .
Plattenartiges und knickstabähnliches ermittelt. Mit diesen Werten werden aus
Versagen der modifizierten Winter‑Formel [Winter,
Die bei ausgesteiften Blechfeldern üblichen 1947]
Bezeichnungen sind aus Bild 8.3-18 er
sichtlich. λp − 0,055 ⋅ (3 + ψ )
Die Berechnung unausgesteifter und ρρ == 2
ausgesteifter Scheiben unter längsgerich λp
teten Normalspannungen σx ist in [EN Abminderungsfaktoren ρp bestimmt. Die
1993‑1‑5] behandelt. Die prinzipielle Vor- Winter-Formel berücksichtigt geome-
gehensweise ist dem Flussdiagramm, Bild trische und strukturelle Imperfektionen
8.3-19, zu entnehmen. sowie überkritische Tragreserven. Sie ist an
Versuchen geeicht. Für reinen Druck erhält
Unausgesteifte Scheiben und Einzelfelder man die auch für das Stabknicken zutref-
ausgesteifter Scheiben fende originale Winterkurve. Bild 8.3-20
Zunächst werden mit den Beulwerten kσ der zeigt die modifizierten Winter-Kurven für
Einzelfelder die bezogenen Plattenschlank- beidseitig gelagerte Bleche.
Bild 8.3‑18 Bezeichnungen
bei ausgesteiften Blechfeldern
8.3 Berechnung von Stahlbrücken 583
werten Aeff, Ieff und Weff . Mit diesen wird reich von Seitenverhältnissen α gute Ergeb-
der Querschnitt für die elastische Grenzlast nisse liefert [Johansson et al., 1999]. Die
nachgewiesen. Durch diese Vorgehenswei- kritische Beulspannung τcr beträgt analog
se können bei Zugrundelegung plastischer zum Blech unter Normalspannungen τcr =
Querschnittswiderstände auch Hybrid kτ · σE . Der Beulwert kτ der unausgesteiften
träger (verschiedene Fließgrenzen in den Scheibe ist vom Seitenverhältnis α = a/b an-
Flanschen und im Steg) wirtschaftlich hängig. Um die Biegefläche hinreichend
nachgewiesen werden. genau zu beschreiben, muss ein Fourier-
Ansatz mit verhältnismäßig vielen Halb-
Unausgesteifte und ausgesteifte Rechteck- wellen gewählt werden. Der Beulwert kτ
scheiben unter Schubspannungen τxy setzt sich aus dem Anteil kp der Platte und
Dieser Fall ist im Abschnitt 5 der [EN dem Anteil kτsl der Steifen zusammen. Zur
1993‑1‑5] behandelt. Die prinzipielle Vor- besseren Anpassung an Versuchswerte wird
gehensweise ist dem Flussdiagramm in Bild der Anteil kτsl gegenüber dem theoretischen
8.3-23 zu entnehmen. Wert auf 1/3 abgemindert. kτ wird für
Das Beulen unausgesteifter Scheiben die Berechnung der bezogenen Platten-
unter reiner Schubbeanspruchung wird f yw
nach der modifizierten Spannungsfeld schlankheit λw = benötigt. Der
theorie behandelt, die in einem großen Be- τ cr
Bild 8.3‑26 Gesamtablauf der Berechnung für Querschnitte der Klasse 4 [Johansson et al., 1999]
590 8 Berechnung
( ) ( )
Steifigkeitsanforderungen und statischer 2 2
Nachweis der Quer- und Längssteifen σ z,Ed τ Ed
+ 3⋅
Angaben über Quer- und Längssteifen fin- ρz ⋅ f y / γ M1 χw⋅ f y / γ M1
den sich im Abschnitt 9 der [EN 1993‑1‑5].
Die angegebenen, vereinfachten Berech- die in ihrem Aufbau einer Vergleichsspan-
nungsregeln gehen davon aus, dass die nung entspricht.
Quersteifen so steif sind, dass sie für die
Längssteifen eine starre Lagerung darstel-
len (Mindeststeifigkeit). Für die Ermittlung
der erforderlichen Biegesteifigkeit findet
8.4 Ausgewählte Nachweise
sich eine Formel, in die auch der Tragfähig- bei einer Verbundbrücke
keitsnachweis (Spannungsnachweis) ein-
gearbeitet ist. Längssteifen sind als Knick- Ulrike Kuhlmann
stäbe mit dem Quersteifenabstand als und Annette Detzel
Knicklänge nachzuweisen. Um das Biege-
drillknicken offener Steifenquerschnitte
(z. B. Winkelquerschnitte oder Flacheisen) 8.4.1 Allgemeines
zu vermeiden, ist zur Erzielung der not-
wendigen Torsionssteifigkeit für die Steifen In diesem Bemessungsbeispiel wird eine
eine Steifigkeitsbedingung angegeben. Stabbogenbrücke untersucht.
Es soll aus Platzgründen nur auf die Ver-
Beulnachweis durch die Einführung bundtragwirkung zwischen der Betonfahr-
reduzierter Spannungen bahnplatte und der Stahlkonstruktion ein-
Im Abschnitt 10 der [EN 1993‑1‑5, 2007] gegangen werden. Exemplarisch wird in
sind Formeln für den Beulnachweis unaus- diesem Beispiel der Endquerträger berech-
gesteifter und ausgesteifter Bleche auf der net.
Grundlage einer Spannungsreduzierung Die gezeigten Nachweise umfassen die
angegeben. Im Gegensatz zu der Vorge- Querschnittsnachweise für den Verbund-
hensweise nach den Abschnitten 4‑7 wird träger, sowie die Nachweise der Verbund
für die Bestimmung der bezogenen Platten- fuge im Grenzzustand der Tragfähigkeit.
–
schlankheit λ p der gesamte Spannungszu- Für weitere Nachweise, die erforderlich
stand, bestehend aus den Spannungen sind, z. B. Gebrauchstauglichkeit, Ermü-
σx, Ed , σz, Ed und τxz, Ed , herangezogen. Mit dung, wird auf weiterführende Literatur
den Faktoren αult, k (Abstand der v. Mises- verwiesen.
Vergleichsspannung gegenüber der Fließ- Außerdem wird gezeigt, wie die Steifig-
grenze) und αcr (Laststeigerungsfaktor ge- keit der Fahrbahn für die Haupttragwir-
genüber der Verzweigungslast, in der Regel kung unter Berücksichtigung der Rissbil-
nur mittels EDV berechenbar) erhält man dung ermittelt werden kann.
α ult ,k Die Bemessung der Verbundkonstrukti-
den globalen Wert λp = und mit on erfolgt nach [DIN-FB 104, 2003] unter
α cr Einbeziehung der [DIN-FB 101, 2003],
diesem wie oben gezeigt die Abminde- [DIN-FB 102, 2003] und [DIN-FB 103,
rungsfaktoren ρx , ρz und χw . Damit erhält 2003]. Der Nachweis erfolgt mit dem Be-
man schließlich die Nachweisformel messungsverfahren: elastisch–elastisch.
( )( )
2 2
σ x,Ed σ z,Ed σ x,Ed
+ −
ρx ⋅ f y / γ M1 ρz ⋅ f y / γ M1 ρx ⋅ f y / γ M1
8.4 Ausgewählte Nachweise bei einer Verbundbrücke 591
für die Bemessung der erforderlichen Be- Für den Stützbereich gilt näherungsweise
wehrung relevante Kraft ist also fast 20% bei = Le/8 mit Le = Abstand der Momenten-
größer. nullpunkte
bei = 0,25 · 2 · 5,225 m/8 = 0,327 m
8.4.3 Verbundtragwirkung beff = 0,160 m + 2 · 0,327 m = 0,813 m
Im Folgenden wird anhand der Bemessung Die Ermittlung der Gesamtquerschnitts-
des Endquerträgers gezeigt, wie für die werte erfolgt hier exemplarisch für den
Lastfälle Eigenlast, Schwinden, Kriechen Feldquerschnitt. Die Querschnittswerte des
und Verkehr die elastische Tragfähigkeit Stützquerschnitts sind entsprechend mit
des Verbundquerschnitts berechnet wird. der zugehörigen mittragenden Breite zu er-
Außerdem wird die erforderliche Dübelan- mitteln. Im Stützbereich wird die Mitwir-
zahl und Dübelanordnung in der Verbund- kung des Betons zwischen den Rissen ver-
fuge ermittelt. nachlässigt. Der Gesamtquerschnitt besteht
Mittragende Breite des Betonobergurts nur aus den Anteilen des Bau- und des Be-
nach [DIN-FB 104, 2003]-II-4.2.2.2 tonstahls.
beff = bo + 2 · bei
bo = Abstand der äußersten Dübel auf dem
Stahlobergurt (siehe Skizze).
bei = mittragende Breite des Betongurts auf
beiden Seiten des Stegs.
Für den Feldbereich gilt näherungsweise
bei = Le/8 mit Le = Abstand der Momenten-
nullpunkte
bei = 0,85 · 5,225 m/8 = 0,555 m
beff = 0,160 m + 2 · 0,555 m = 1,27 m Bild 8.4‑4 Abmessungen Betongurt
hc ASt ⋅ aSt
zsa = za + = 61,63 cm zi0 = = 20,97 cm
2 Ai 0
Stahlträger: Ma Stahlträger: Va
Verkehr: qF Verkehr: qF
Schwinden: Schwinden:
Schwinden: Normalkraft [ kN ]
Bild 8.4‑8 (Fortsetzung)
hc
ha + − zSt
M 2 N
σ a ,u = a ⋅ (ha − za ) + ( M g ,St + M p,St + M P,St ) ⋅ = −34,9 > f yd ,a
Ia I St mm2
m
N
= −235
mm2
zSt + zs1 N N
σ s = ( M g ,St + M p,St + M P,F ) ⋅ = 30,41 2
< f yd ,s = 435
I St mm mm2
8.4 Ausgewählte Nachweise bei einer Verbundbrücke 599
Feldquerschnitt: t = 0
hc
ha + − zi0
M 2 N N
σ a ,u = a ⋅ (ha − za ) + ( M g ,F + M p,F + M P,F ) ⋅ = 32,4 < f yd ,a = 235
Ia Ii0 mm2 mm2
hc
zi0 +
σ c,o = (M g ,F + M p,F + M P,F ) ⋅ 2 = − 1,63 N > f = 0,85 ⋅ f ck = −17,0 N
cd
I i 0 ⋅ n0 mm2 γc mm2
Stützquerschnitt: t → ∞
hc
ha + − zSt
M 2 N
σ a ,u = a ⋅ (ha − za ) + ( M B,St + M p,St + M P,St + MS,St ) ⋅ = − 82,4 > f yd ,a
Ia I St mm2
N
= − 235
mm2
zSt + zs1 N N
σ s = (M B,St + M p,St + M P,St + MS,St ) ⋅ = 107,3
, 2
< f yd ,s = 435
I St mm mm2
Feldquerschnitt: t → ∞
hc h
ha + − ziB ha + c − zi 0
M 2 2
σ a ,u = a ⋅ (ha − za ) + M B,F ⋅ + ( M p,F + M P, F ) ⋅
Ia I iB Ii0
hc
ha + − ziS
2 N N N
+ M S,F ⋅ − S = 30,4 < f yd , a = 235
I iS AiS mm2 mm2
hc hc hc
+ z iB + zi0 + z iS
2 2 NS N
σ c,o = M B,F ⋅ + ( M p,F + M P,F ) ⋅ + MS,F ⋅ 2 − + S
I iB ⋅ nB I i 0 ⋅ n0 I iS ⋅ nS AiS ⋅ nS Ac
N f N
= − 0,14 > f cd = 0,85 ⋅ ck = −17,0
mm 2 γc mm2
Verbundfuge: Abmessungen:
a) Widerstandskraft der Dübel d = 22,2 mm Schaftdurchmesser
Die Betonplatte wird über Kopfbolzen des Dübels
dübel ∅ 7/8″ mit dem Stahlprofil schubfest h = 12,5 cm Gesamthöhe
verbunden. Die Bemessung der Kopfbol- des Bolzens
zendübel erfolgt nach [DIN-FB 104, 2003]-
dKopf = 35 mm Durchmesser
II-6.
des Dübelkopfs
Teilsicherheitsbeiwert im Grenzzustand
der Tragfähigkeit: h/d = 5,6 ⇒ α = 1,0 für h/d > 4
γv = 1,25 fu = 360 N/mm²
600 8 Berechnung
0,8 ⋅ f u ⋅ π ⋅ d 2 kN
154,9 ⋅ 117
, m
a) PRd = = 89,2 kN m
4 ⋅γv nerf = = 2,03 ⇒ 3 D bel
Dübel
89,2 kN
1
b) PRd = 0,25 ⋅ α ⋅ d 2 ⋅ f ck ⋅ Ecm ⋅
γv Feld 3 l3 = 0,73 m
= 96,4 kN
kN
⇒ min PRd = 89,2 kN −122,1 ⋅ 0,73 m
m
nerf = = 1,0 ⇒ 11 Dübel
bel
Nachweis für t = 0 89,2 kN
V(x) für t = 0
Feld 4 l4 = 1,27 m
Aufzunehmender Schubfluss in der Ver-
bundfuge kN
161,7 ⋅ 1,27 m
S S m
T ( x ) = V ( x ) ⋅ =V (x ) ⋅ i 0 nerf = = 2,3 ⇒ 33 Dübel
bel
I I i 0 89,2 kN
kN
, − 76,2)
(14031 ⋅ 1,27 m
m
nerf = = 18,9 ⇒19 be
89,2 kN
⇒ 19 Dübel
( As1 ⋅ f yd , s ) ⋅ 2 ⋅ cot θ
vRd = min Ac v ⋅ 0,75 ⋅ f cd
Bild 8.4‑14 Querbewehrung und Dübelflächen
tan θ + cot θ
mit Druckstrebenwinkel θ = 45°
Minimaler Dübelabstand emin = 2,5 · d 2 2
= 2,5 · 22,2 cm = 5,55 cm 31,42 mm /m ⋅ 435 N/mm ⋅ 2
= 2733,5 kN
gewählt: 8 cm Randabstand + 16 cm Dübel
vRd = min 4450 cm2 /m ⋅ 1,0 ⋅ 0,75 ⋅ 17 N/mm2
abstand + 8 cm Randabstand
⇒ b = 32 cm = 2836,9 kN/m2
Nachweis der Querbewehrung: vRd = 2733,5 kN/m > vsd = 1392,9 kN/m
Obere Stahllage ∅ 16/10
⇒ as = 20,11 cm2/m
Untere Stahllage ∅ 20/10 8.4.5 Ermüdungsnachweis
⇒ as = 31,42 cm2/m
Nach bisheriger in Deutschland gültiger
Ac,eff = 4165,6 cm2 Normung musste für Straßenbrücken kein
Ermüdungsnachweis geführt werden. Dies
Gurtanschnittsfläche
hat sich mit Einführung der DIN-Fachbe-
AA–A = hc · (eDübel + dKopf ) · 1 m = 639,6 cm2 richte geändert. Folgende Nachweise müs-
sen geführt werden:
Dübelumrissfläche
1. Für Bau-, Beton- und Spannstahl: Nach-
AB–B = hDübel · (eDübel + dKopf ) · 1 m weis der Ermüdung mit schädigungsä-
= 243,8 cm2 quivalenten Spannungsschwingbreiten
[DIN-FB 104, 2003]-II-4.9.6)
Anrechenbare Betonfläche 2. Für druckbeanspruchte Betonquer-
AA–A 2 schnitte: Nachweise nach [DIN-FB 102,
cv = 2 · hc/1 m = 6560 cm /m
2003]-II-4.3.7.
AB–B
cv = (eDübel + dKopf + 2 · hDübel)/1 m 3. Für Kopfbolzendübel: Nachweis der Er-
= 4450 cm2/m müdung, basierend auf Spannungs-
8.4 Ausgewählte Nachweise bei einer Verbundbrücke 603
schwingbreiten [DIN-FB 104, 2003]-II- ∆τc = 90 N/mm2, der Bezugswert der Er-
6.1.5). müdungsfestigkeit für ∆τR bei Nc =
2 × 106 Lastspielen
Zu 1.:
∆σ Rk (N *) Treten unter der nicht-häufigen Lastkom-
γ Ff ⋅ ∆σ E ≤ bination im Betongurt Zugspannungen auf,
γ Mf
muss auch die nachfolgende Bedingung
mit überprüft werden:
γFf Teilsicherheitsbeiwert für Ermü γ Ff ⋅ ∆σ E
dungslasten ≤ 1,0 , und
∆σ c
γMf Teilsicherheitsbeiwert für die
Beanspruchbarkeit unter Ermü- γ Mf, a
dung
∆σE schadensäquivalente Span- γ Ff ⋅ ∆σ E γ Ff ⋅ ∆τ 2E
+ ≤ 1,3
nungsschwingbreite ∆σ c ∆τ c
∆σRk (N*) charakteristischer Wert der Er- γ Mf, a γ Mf , v
müdungsfestigkeit für die maß-
gebende Ermüdungsfestigkeits- mit
kurve und die Lastwechselzahl γMf, a = γMf , Teilsicherheitsbeiwert für die
N* Beanspruchbarkeit unter Er-
Zu 3: müdung
∆τ c ∆σc Bezugswert der Ermüdungs-
γ Ff ⋅ ∆τ E2 ≤ festigkeit ∆σR für die maßge-
γ Mf , v
bende Kerbfallklasse für Nc =
γFf Teilsicherheitsbeiwert für Ermü- 2 × 106 Lastwechsel
dungslasten Exemplarisch wird im Folgenden der Er-
γMf,v =1,25, Teilsicherheitsbeiwert für müdungsnachweis für die Kopfbolzendübel
die Beanspruchbarkeit der Verbund- durchgeführt.
mittel unter Ermüdung Die Schnittgrößen müssen mit dem Er-
∆τE schädigungsäquivalente Schubspan- müdungslastmodell 3 (ELM3) nach [DIN-
nungsschwingbreite FB 101, 2003] ermittelt werden.
∆τc = 90,0 N/mm2 nach [DIN-FB 104, Der Nachweis wird analog zum Nachweis
2003]-II-6.1.5(4). im Grenzzustand der Tragfähigkeit geführt.
Offensichtlich wird für die Anzahl der
Dübel der Nachweis im Grenzzustand der
Gebrauchstauglichkeit maßgebend, da der
Lastanteil aus Schwinden mit γFser = γFult =
1,0 gleich bleibt.
606 8 Berechnung
Einzeldrähte sind dafür ungeeignet Beim Vorspannen vor dem Erhärten des
und deshalb nicht zulässig). Betons, der sogenannten Spannbettvor-
1.3 Vorspannung mit nachträglichem spannung, Bild 8.5-1, der Vorspannung mit
Verbund: sofortigem Verbund, wird der Spannstahl
Der Beton wird zunächst ohne Ver- im „Spannbett“ vor dem Betonieren vorge-
bundwirkung zwischen Spannglie- spannt.
dern und Beton vorgespannt, später Der vorgespannte Spannstahl wird an
wird die Verbundwirkung herge- den Enden in ortsfesten Blöcken verankert.
stellt. Mit dem Erhärten des in die Schalung ein-
2. In Abhängigkeit von der Art der Veran- gebrachten Betons wird der Verbund zwi-
kerung: schen Spannstahl und Beton wirksam. Nach
2.1 Endverankerungen mit besonderen ausreichender Erhärtung des Betons wird
Ankerkörpern, die Verankerung des Spannstahls an den
2.2 Endverankerungen durch den Ver- Enden gelöst. Wegen der Verbundwirkung
bund zwischen Spannstahl und Be- kann sich der Spannstahl nicht auf seine ur-
ton (Verankerung durch Haftungs-, sprüngliche Länge, die er vor dem Spannen
Reibungs- und Scherverbund). hatte, verkürzen. Bei idealem (perfektem)
3. In Abhängigkeit vom Zeitpunkt des Verbund zwischen Spannstahl und Beton
Vorspannens der Spannglieder: müssen der Spannstahl und der Beton sich
3.1 Spannen vor dem Erhärten des um das gleiche Maß verkürzen. Die verblei-
Betons, bende Zugkraft im Spannstahl und die
3.2 Spannen nach dem Erhärten des Druckkraft im Beton sind gleich groß.
Betons. Dieses Verfahren wird ausschließlich bei
b) Vorspannen
-P -P
vorgespannt werden, benötigt man ideelle Bei vorgespannten Bauteilen mit inter-
Querschnittswerte, weil bereits vor dem Ab- nen Spanngliedern ohne Verbund wirken
setzen der Vorspannkraft Verbund zwi- die Vorspannkräfte auf den Beton-Netto-
schen Spannstahl und Beton besteht. Auch Querschnitt. Wegen des fehlenden Ver-
zur Ermittlung von Beanspruchungen an bunds dürfen ideelle Querschnittswerte
Bauteilen, die mit nachträglichem Verbund nicht verwendet werden. Das Spannglied
vorgespannt werden, sind für die nach der wird als reibungslos im Hüllrohr liegendes
Herstellung des Verbunds aufgebrachten Zugband betrachtet, dessen Spannungsän-
Belastungen die ideellen Querschnittswerte derungen unter Last sich aus der Gesamt-
maßgebend. verzerrung der Betonfaser in Höhe der
An Querschnitten, die nach dem Erhär- Spanngliedachse ergibt.
ten des Betons vorgespannt werden, kann Im Folgenden werden Gleichungen zur
für die Bestimmung der vor der Herstellung Ermittlung von Querschnittswerten des Be-
des Verbunds entstehenden Beanspru- tonquerschnitts, des Spannstahlquerschnitts
chungen, also auch für Beanspruchungen sowie des Verbundquerschnitts angegeben.
infolge der Vorspannung, bei in der Regel im
Verhältnis zum Betonquerschnitt der Zug- a) Spannstahl – Querschnittswerte
zone geringem Spann- und Betonstahlquer- (Index p):
schnitt, mit Beton-Brutto-Querschnittswerten Die Gesamtquerschnittsfläche der Spann
gerechnet werden. Bei großem Spannstahl- stähle wird aus der Summe der Einzelflä-
bewehrungsgrad oder bei genaueren, mate- chen der Spannstähle ermittelt:
rialsparenden Berechnungen benötigt man
m
neben den ideellen Querschnittswerten Ap = ∑ Ap, j (8.5-1)
noch die Querschnittswerte des Betonquer- j =1
schnitts, bei dem die Querschnittsflächen
der Hüllrohre der Spannglieder abgezogen Ap,j … Fläche des einzelnen Spannglieds
werden (Beton-Netto-Querschnittswerte). m … Anzahl der Spannglieder
Der Stahlquerschnitt bleibt hierbei unbe-
rücksichtigt. Diese Querschnittswerte sind
für die Ermittlung der Beanspruchungen aus
den Eigenlasten und den Vorspannkräften
maßgebend. Der Ansatz von Beton-Netto-
Querschnittswerten sollte insbesondere für
Nachweise an Querschnitten mit Spann-
gliedkopplungen (Berücksichtigung aller
vor dem Verpressen vorhandener Hohlräu-
me) erfolgen. Bei der Ermittlung der ideellen
Querschnittswerte am Verbundquerschnitt
sind zu den Beton-Brutto-Querschnittswerten
nur die (αp – 1)-fachen Querschnittsflächen
des Stahls (αp = Ep /Ec) anzusetzen, da die
mit Verpressmörtel ausgefüllten Hohlräume
in den Hüllrohren näherungsweise als Be-
tonquerschnitte behandelt werden, siehe
z. B. Gl. (8.5-25). Ideelle Querschnittswerte
gelten für alle Lasten, die zeitlich nach Her-
stellung des Verbundquerschnitts aufge- Bild 8.5‑4 Vorgespannter Betonquerschnitt,
bracht werden. Bezeichnungen
8.5 Betonbrücken 611
Die Abstände y–p und z–p der geometrischen Die Abstände der Schwerachsen des Brut-
Schwerachsen des Gesamt-Spannstahl- to-Querschnitts von der globalen y–- bzw.
querschnitts bezogen auf das globale y–-z–- z–-Achse betragen:
Koordinatensystem ergeben sich zu:
1 m
1 m yb = ⋅ ∑ y j ⋅ Acb, j (8.5-7)
yp = ⋅ ∑ y p, j ⋅ Ap, j (8.5-2) Acb j =1
Ap j =1
1 m
1 m zb = ⋅ ∑ z j ⋅ Acb, j (8.5-8)
zp = ⋅ ∑ z p, j ⋅ Ap, j (8.5-3) Acb j =1
Ap j =1
y–j y–-Koordinate des Schwerpunkts
y–p, j Abstand des Schwerpunkts des des Teilquerschnitts
Spannglieds von der z–-Achse z–j z–-Koordinate des Schwerpunkts
–
z p, j Abstand des Schwerpunkts des des Teilquerschnitts
Spannglieds von der y–-Achse
Für die Flächenmomente 2. Grades (Träg-
Für die Trägheitsmomente der Gesamt- heitsmomente) bzgl. der globalen Achsen
Spannstahlfläche bezüglich des Schwer gilt:
achsenkoordinatensystems folgt: m
I ycb = ∑ I ycb, j + z j2 ⋅ Acb (8.5-9)
m j =1
I yp = ∑ I yp, j + Ap, j ⋅ (z p − z p, j )2 (8.5-4)
j =1 m
I zcb = ∑ I zcb, j + y 2j ⋅ Acb (8.5-10)
m j =1
I zp = ∑ I zp, j + Ap, j ⋅ ( y p − y p, j )2 (8.5-5)
j =1
Iycb, j Flächenmoment 2. Grades des
Iyp, j , Izp, j Eigenträgheitsmomente des j-ten Teilquerschnitts bzgl. der
j-ten Spannglieds y-Schwerachse
Izcb, j Flächenmoment 2. Grades des
Die Eigenträgheitsmomente der Spann j-ten Teilquerschnitts bzgl. der
glieder werden in den Gln. (8.5-4) und z-Schwerachse
(8.5-5) i. d. R. vernachlässigt, weil sie um
Größenordnungen kleiner sind als die Stei Die Flächenmomente 2. Grades bzgl. der
ner’schen Anteile. Die angegebenen Glei- Schwerachsen des Bruttoquerschnitts sind:
chungen gelten auch für Betonstahlquer- I ycb = I ycb − z b2 ⋅ Ab (8.5-11)
schnitte (Index s) und für die Querschnitts-
flächen von Hüllrohren (Index h). I zcb = I zcb − y b2 ⋅ Ab (8.5-12)
b) Beton – Brutto – Querschnittswerte Nach [Fleßner, 1962] lassen sich die Brutto-
(Index cb): Querschnittswerte polygonal berandeter
Für den in Bild 8.5-4 dargestellten Quer- Querschnitte, wie sie vor allem bei Brü-
schnitt lässt sich die Beton-Bruttoquer- ckenüberbauten anzutreffen sind, einfach
schnittsfläche aus der Summe der Teilquer- mit Hilfe der Eckpunkt-Koordinaten des
schnittsflächen bestimmen. Rands bestimmen (siehe Bild 8.5-5) und
m Gln. (8.5-13 bis -19). Für die vorgegebenen
Acb = ∑ Acb, j (8.5-6) Richtungen der Koordinatenachsen ist der
j =1
Rand des Querschnitts so zu umfahren,
Acb, j Teilquerschnittsfläche dass die Querschnittsfläche immer rechts
m Anzahl der Teilquerschnittsflächen des Rands liegt. Damit der Polygonzug ge-
612 8 Berechnung
1 k
I ycb = ⋅ ∑ ( y j ⋅ z j+1 − y j+1 ⋅ z j )
12 j =1
⋅ (z j2 + zj ⋅ zj+1 + z 2j+1) (8.5-18)
12 j =1
ge- und Dehnsteifigkeiten werden aus den zur Überlagerung von Biegezugspannun-
Spannstahlflächenkennwerten äquivalente gen eingesetzt wird, werden die maßge-
Betonflächenkennwerte ermittelt und zu benden Gleichungen zur Bestimmung der
den Querschnittswerten der tatsächlichen Schnittgrößen infolge Vorspannung am
Betonfläche addiert. Die angegebenen Glei- Biegebalken angegeben. Ausführliche Her-
chungen treffen nur unter der Annahme leitungen der Bestimmungsgleichungen
des linear elastischen Materialverhaltens für Schnittgrößen an mit sofortigem Ver-
im Bereich der untersuchten Schnittgrößen bund vorgespannten Querschnitten sind in
zu. [Mehlhorn, 1998] und [Mehlhorn et al.,
2002] enthalten.
Aci = Acb + (α p − 1) ⋅ Ap (8.5-25)
Gleichungen für die Schnittgrößen an
mit: zentrisch vorgespannten Querschnitten
αp = Ep/Ec erhält man, indem der Abstand der Spann-
gliedlage zur Schwerachse zcp zu null ge-
Die anderen Querschnittswerte werden setzt wird.
analog berechnet. Für die globalen Koordi- Nach dem Aufbringen der Spannbett-
naten des ideellen Schwerpunkts folgt: Vorspannkraft P(0) ergibt sich die Größe
1 der Dehnung des Spannstahls ε(0)
p, p (Vordeh
yi = ( Acb ⋅ y b + (α p − 1) ⋅ Ap ⋅ y p ) nung im Spannbett) zu:
Aci
(8.5-26)
δ p(0,p) σ p(0,p) P (0)
1 ε p(0,p) = = = (8.5-30)
zi = ( Acb ⋅ z b + (α p − 1) ⋅ Ap ⋅ z p ) lp Ep Ep ⋅ Ap
Aci
(8.5-27)
In Gl. (8.5-30) bedeuten:
Die Trägheitsmomente bzgl. der ideellen
Schwerachsen ergeben sich aus: ε(0)
p, p Spannbettdehnung des Spann-
stahls,
I yci = I ycb + Acb ⋅ (zi − z b )2 δ(0)
p, p Verlängerung des Spannstahls in-
+ (α p −1) ⋅ (I yp + Ap ⋅ (zi − z p )2 ) folge der im Spannbett auf den
(8.5-28) Stahl aufgebrachten Vorspannkraft
P(0),
I zci = I zcb + Acb ⋅ ( yi − y b )2 lp Länge des Spannstahls im unbelas-
+ (α p − 1) ⋅ (I zp + Ap ⋅ ( yi − y p )2 ) teten Zustand,
(8.5-29) σ(0)
p, p Spannbettspannung im Spann-
stahl,
P(0) über die Spannpresse in den
8.5.2.2 Schnittgrößen am statisch bestimmt Spannstahl im Spannbett eingetra-
gelagerten Tragwerk gene Vorspannkraft,
Ep Elastizitätsmodul des Spannstahls,
Ap Querschnittsfläche des Spann-
8.5.2.2.1 Spannen vor dem Erhärten des Betons
stahls.
Das Spannen des Spannstahls erfolgt im Nach dem Lösen der Spannbettverankerung,
Spannbett. Sofort nach dem Einbringen siehe Bild 8.5.1 c), wirkt die Vorspannkraft
des Betons tritt mit der Erhärtung des Be- an der Stelle des Spannglieds auf das Bauteil.
tons der Verbund zwischen Beton und Der Balken verkürzt sich, und wegen der ex-
vorgespanntem Stahl ein. Da im Beton- zentrischen Spanngliedlage erfährt er zudem
Brückenbau die Vorspannung vor allem eine Verkrümmung. Die verbleibenden
614 8 Berechnung
Schnittgrößen des Betons und des Spann- Die verbleibende Stahldehnung nach dem
stahls werden mit einem Querstrich verse- Lösen der Verankerung ergibt sich zu:
hen. Die Eigenlast, die durch das Abheben ε p,p = ε p(0,p) + ε cp,p = ε p(0,p) + ∆ε p,p . (8.5-31)
des Balkens von der Schalung infolge Ver-
krümmung wirksam wird, bleibt bei den Diesen Verzerrungen entsprechen die
Gleichungen zur Bestimmung der nach dem Spannungen:
Absetzen der Vorspannung verbleibenden σ p,p = σ p(0,p) + α p ⋅ σ cp,p . (8.5-32)
Vorspannkraft zunächst unberücksichtigt.
Es liegt somit aus Vorspannung ein reiner σ–p, p nach dem Lösen der Verankerung
Eigenspannungszustand vor. Zur Ermittlung verbleibende Spannung im Spann-
der tatsächlichen Schnittgrößen muss die stahl,
Eigenlast auf den Verbundquerschnitt wir- σ(0)
p, p Spannbett-Spannung im Spann-
kend angesetzt werden. stahl,
Vor und nach dem Lösen der Spannbett- σ–cp, p Spannung im Beton nach Lösen
verankerung wirken im Element mit der der Verankerung.
infinitesimalen Länge dx = 1 des Verbund- Die im Spannstahl verbleibende Vorspann-
querschnitts die im Bild 8.5-6 angegebenen kraft ist:
Schnittgrößen. –
Unter der Voraussetzung perfekten Ver- P = A · σ– .
p p, p
bunds zwischen Beton und Stahl gilt die Im Beton wirken:
Verträglichkeitsbedingung: – – – –
N c, p = –P und M c, p = –P · zcp .
–ε = ∆ε–
cp, p p, p Zwischen den Kräften im Spannstahl vor
–ε durch Lösen der Verankerung des und nach dem Lösen der Spannbettveran-
cp, p
Spannstahls verursachte Be- kerung bestehen die Beziehungen:
tonstauchung in Höhe der Spann- Ep ⋅ Ap A 2
stahlfaser, P (0) = P ⋅ 1 + ⋅ 1 + c ⋅ z cp
∆ε–p, p Änderung der Spannstahldehnung Ec ⋅ Ac Ic
infolge Lösen der Verankerung. (8.5-33)
Spannbettkraft aufgebracht
( )
0
P(
0) εp,p P(
0)
dx = 1
Nc,p Nc,p
P P
−εcp,p εp,p −∆εp,p
Bild 8.5‑6 Infinitesimales Element mit der Länge dx = 1; Schnittgrößen und Verzerrungen aus
Vorspannung bei Aufbringung der Spannbettvorspannkraft P(0) und nach dem Lösen der Spann-
bettverankerung
8.5 Betonbrücken 615
Das bestimmte Integral ergibt sich nähe- Spannbewegung auf, welche die an der An-
rungsweise zu: spannstelle eingetragene Vorspannkraft
verringern. Selbst bei planmäßig gerade ge-
∆
A≈ ⋅ ( y0 + 4 ⋅ y1 + 2 ⋅ y2 + 4 ⋅ y3 führten Spanngliedern entstehen wegen der
3 unvermeidlichen Abweichung der Spann-
+ … + 2 ⋅ yn−2 + 4 ⋅ yn−1 + yn ) . (8.5-41) glieder von der Soll-Lage (Abweichung von
Bei mehrsträngiger Vorspannung werden der theoretisch vorausgesetzten Geraden)
die Vorspannkräfte auf die einzelnen Spann- Reibungsbehinderungen beim Vorspannen.
glieder nacheinander aufgebracht. Hierbei Die Ermittlung der infolge Reibung ein-
ist zu berücksichtigen, dass die anfängliche tretenden Größe der Vorspannkraft P (x)
Vorspannkraft (Initialkraft P(i)) der vorher an jeder beliebigen Stelle x in Bezug auf die
gespannten Spannglieder infolge Betonver- an der Anspannstelle aufgebrachte Kraft P0
kürzung beim Vorspannen der nachfolgen- ergibt sich nach Gl. (8.5-43):
den Spannglieder abnimmt. P (x ) = P0 ⋅ e − µ ⋅ϑ (x) . (8.5-43)
Allgemein gilt für den Spannweg bzw.
die beim Vorspannen aufzubringende Initi- mit:
alkraft des j-ten Spannglieds von insgesamt ϑ (x) = Θges + k · x Gesamtumlenkwinkel,
n Spanngliedern: Umlenkwinkel im Bogenmaß
n−1 [rad],
δ Spj = δ pj,pj − δ cpj,pj − ∑ δ cpj,p ( j+1) , Θges planmäßiger Gesamt-Umlenkwin-
j =1
kel,
Ep ⋅ Apj n−1 k·x unplanmäßiger Umlenkwinkel.
P0(ij),p = P0 j,pj − ⋅ ∑ δ cpj,p ( j+1) .
l j =1 Die planmäßigen Umlenkwinkel sind bei
(8.5-42) Spanngliedführungen mit Gegenkrüm-
mungen jeweils zwischen benachbarten
8.5.2.2.3 Einfluss des Reibungswiderstands Wendepunkten sukzessive zu bestimmen
beim Vorspannen und die Absolutbeträge der Winkel sind bis
zur betrachteten Stelle zu addieren. In man-
Bei allen Arten des Vorspannens nach dem chen Büchern wird angegeben, dass bei der
Erhärten des Betons treten beim Vorspan- Ermittlung des Umlenkwinkels ϑ nur der
nen infolge Reibung Behinderungen der größere der beiden Anteile, entweder Θ
8.5 Betonbrücken 619
oder k·x berücksichtigt zu werden braucht. stellt wurde, verformen die Vorspannkräfte
Diese Aussage ist nach Auffassung der das Tragwerk. Bei statisch bestimmter La-
Autoren falsch. Es liegt auf der Hand, dass gerung sind diese Verformungen frei mög-
der planmäßige geometrische Umlenk lich; sie werden also durch die Lagerung
winkel Θ immer zu berücksichtigen ist. Der nicht behindert und verändern die Aufla-
unplanmäßige Umlenkwinkel soll unver- gerkräfte nicht. An Tragwerken mit statisch
meidbare Umlenkungen (z. B. horizontale unbestimmter Lagerung können sich die
Abweichungen eines in vertikaler Ebene Verformungen nicht unbehindert einstel-
gekrümmten Spannglieds, Durchhänge len. Dem Tragwerk werden durch die Fest-
zwischen den Spanngliedunterstützungen) haltungen Zwänge auferlegt, die wiederum
erfassen. Üblicherweise wird angenom- Zwangskräfte und Auflagerreaktionen her-
men, dass der Reibungsbeiwert μ längs des vorrufen. Zur Berechnung der Zwangskräf-
Spannglieds konstant bleibt. Diese Voraus- te stehen verschiedene Methoden zur Ver-
setzung gilt aber nur näherungsweise. Der fügung. Im Folgenden sollen dazu das aus
Reibungsbeiwert ist vielmehr durch die der Statik bekannte Kraftgrößenverfahren
örtlichen Gegebenheiten verschieden. Dies und das Verfahren unter Ansatz der Um-
ist durch die lokal unterschiedlichen Be- lenkkräfte bei gekrümmt geführten Spann-
schaffenheiten der aufeinandergleitenden gliedern erläutert werden.
Materialien bedingt. Bei der Kontrolle der
Spannwege treten mitunter Abweichungen a) Das Kraftgrößenverfahren
zwischen den Soll- und den Ist-Werten auf, Beim r-fach statisch unbestimmten System
die auch auf die vorausgesetzte Näherungs- werden r Zwangskräfte Xr geweckt. Es gilt:
annahme zurückzuführen sind. Treten un- P* = P (8.5-44)
erklärlich große Abweichungen auf, sind r
die Ursachen unbedingt festzustellen. N c*,p = N0c,p + ∑ Xi ,p ⋅ N ci (8.5-45)
i =1
Bei in zwei Ebenen gekrümmten Spann-
gliedern, sind die maßgebenden Umlenk- r
winkel vektoriell zu bestimmen. Werte für μ M c*,p = M c0,p + ∑ Xi ,p ⋅ M ci (8.5-46)
i =1
und k sind den Zulassungsbescheiden des
jeweiligen Spannverfahrens zu entnehmen. r
Qc*,p = Qc0,p + ∑ Xi ,p ⋅ Qci (8.5-47)
Zum Ausgleich der Reibungsverluste i =1
beim Vorspannen können die Vorspann-
kräfte vorübergehend beim Anspannen er- Xi,p sind die statisch Überzähligen.
höht aufgebracht werden (Abschnitt 8.7.2 Die Vorspannkraft P unter Beachtung des
(2) der [DIN 1045-1, 2008]). Anschließend Reibungsgesetzes nach Gleichung (8.5-43)
erfolgt vor der Verankerung der Spannglie- 0 , M 0 , Q0 – also die
ist bekannt, und N c,p c,p c,p
der ein Nachlassen der Anspannkraft. Für Schnittgrößen des Eigenspannungszustands
die Berechnung des Verlaufs der nach Ab- am statisch bestimmten Hauptsystem – las-
schluss des Spannvorgangs verbleibenden sen sich daraus in einfacher Weise errech-
Spannkraft wird auf [Mehlhorn et al., 2002] nen. Die Größen Nci , Mci und Qci sind die
verwiesen. Schnittgrößen am statisch bestimmten
Hauptsystem infolge der statisch Überzähli-
gen Xi = 1. Die Zwangskräfte Xi,p folgen aus
8.5.2.3 Schnittgrößen an statisch
den Kontinuitätsforderungen zur Schlie-
unbestimmt gelagerten Balkentragwerken
ßung der im statisch bestimmten Hauptsys-
Wie bei der Vorspannung statisch bestimmt tem auftretenden Klaffungen als Folge des
gelagerter Balkentragwerke bereits festge- Lastfalls Vorspannung (Bild 8.5-9).
620 8 Berechnung
Bild 8.5‑10 Ansatz der Umlenk- und Verankerungskräfte zur Bestimmung der Schnittkräfte
infolge Vorspannung am Durchlaufträger
Zwangsmoment: A B
l
Xp = –δ10/δ11 = P · z2
z
M c*,p (x ) = M c0,p (x ) + Mc,1 (x ) ⋅ X p = 0
Bild 8.5‑12 An einem Ende gelenkig gelager-
Der Wert des Moments infolge Vorspan- ter, am anderen Ende eingespannter Träger mit
nung ist Null. Es ergibt sich also für den gan- gerader Spanngliedführung und exzentrischer
zen Träger eine zentrische Vorspannung. Lage des Spannglieds am gelenkigen Auflager
(Bild 8.5-12) f2
A
1
Ec ⋅ I c ⋅ δ10 = − ⋅ P ⋅ z 1 ⋅ l ⋅ 1 , z1 > 0 u2
6
1
1
Ec ⋅ I c ⋅ δ11 = ⋅ l ⋅ 12
3 l1 l2
l
1
Xp = ⋅ P ⋅ z1 z
2
3 x
*
Einflusslinie für MB,p
M c*,p (x ) = − P ⋅ z 1 ⋅ 1 − ⋅ A1 A2 der Einspannstelle
2 l Einflusslinie für MB,p* an der Einspannstelle
1
=P⋅
z2 2 ⋅ l2
⋅ z 1 ⋅ l12 + z1 ⋅ l ⋅ ( l + l1) + z3 ⋅ l2 ⋅ (2 ⋅ l + l1)
A B + 3 ⋅ (z3 + z 4 ) ⋅ l ⋅ l3 + (z3 + 2 ⋅ z 4 ) ⋅ l 32
l1 l2
l
M A0 ,p = −P ⋅ z 1 MA ,1 = 0
z
M10,p = −P ⋅ z2 M1,1 = 1 l ⋅ l1
Bild 8.5‑14.1 An einem Ende gelenkig gela- M20,p = −P ⋅ z3 M2,1 = 1 l ⋅ (l1 + l2 )
gerter, am anderen Ende eingespannter Träger
mit polygonaler Spanngliedführung und exzen- M B0 ,p = −P ⋅ z 4 MB ,1 = 1
trischer Lage des Spannglieds am gelenkigen
Auflager und an der Einspannstelle
Jede kontinuierlich verlaufende Spann-
1 gliedlage kann beliebig genau durch Poly-
Xp = P ⋅ 2
2⋅l gonzüge approximiert werden, siehe Bild
2 2 8.5-15.
Analog zu den vorangegangenen Spann-
⋅(z 2 + z 3 )⋅l 1 ⋅l 2 gliedverläufen kann die statisch Überzäh-
1 lige für einen Träger mit polygonaler
=P⋅ Spanngliedlage mit beliebig vielen Eck-
2 ⋅ l2
punkten und den im Bild 8.5.15 skizzierten
⋅ z 1 ⋅l12 + z2 ⋅ l ⋅ (l + l1) + z3 ⋅ l2 ⋅ (2 ⋅ l + l1) Auflagerbedingungen wie folgt bestimmt
werden:
M A0 ,p = −P ⋅ z 1 MA ,1 = 0
Xp = −δ �δ = P ċ ċ � �( ċ zi+ + zi ) ċ li + ċ
M10,p = −P ⋅ z2 M1,1 = 1 l ⋅ l1 n−
l i=
M B0 ,p = −P ⋅ z 3 MB ,1 = 1 ċ
Für das Moment infolge der Vorspannung nischen Biegetheorie bestimmt werden, da
P am statisch bestimmten Hauptsystem gilt es sich in der Regel um dreidimensionale
an der Stelle xi: Spannungszustände handelt. Die Bean-
spruchungen sind nach der Elastizitätsthe-
M 0i,1(xi) = –P · zi
orie zu ermitteln. Selbst unter der verein-
und für die Größe des Moments infolge der fachten Annahme, dass ideal-elastisches
Einheitslast an der Stelle xi kann geschrie- Materialverhalten (Hooke‘scher Werkstoff)
ben werden: vorausgesetzt wird, ist die Erfassung des
Spannungszustandes für allgemeine Fälle
Mi,1(xi) = 1/l · xi
schwierig und erst durch die Entwicklung
geeigneter numerischer Verfahren (Finite
Es sei noch darauf hingewiesen, dass in der
Element Methode und Methode der Rand
Regel bei der Vorspannung statisch unbe-
elemente) ermöglicht worden.
stimmter Systeme neben den Zwangsmo-
Die sich aus den anzustellenden Be-
menten und Auflagerkräften auch, aus dem
trachtungen ermittelten Zugkräfte sind
Zwangsmoment herrührend, neben den
durch Bewehrung aufzunehmen, die so
statisch bestimmten Anteilen, die sich aus
auszubilden ist, dass eine ausreichende
der Spanngliedführung (Neigung und
Rissverteilung mit entsprechend kleinen
Krümmung der Spanngliedführung) erge-
Rissbreiten entsteht. Es ist deshalb zweck-
ben, zusätzliche Anteile für die Querkräfte
mäßig in diesen Bereichen eine gleichmä-
entstehen.
ßig verteilte Bewehrung mit guten Ver-
bundeigenschaften anzuordnen. Es wird
empfohlen, bei der Dimensionierung die
8.5.3 Einleitung konzentrierter Kräfte
sonst üblichen Stahlspannungen bei Beton-
stählen nicht auszunutzen.
8.5.3.1 Allgemeine Betrachtungen
Weiterhin sei angemerkt, dass die Aus-
breitung der konzentriert angreifenden
An Stellen der Eintragung konzentrierter
Ankerkraft im sogenannten St. Venant’schen
Kräfte bzw. Lasten in Tragwerke, z. B. Ein-
Störbereich erfolgt, dessen Länge bei Ein-
tragung und Übertragung von Auflager-
zelverankerungen etwa der Balkenhöhe
kräften A, B oder Einzellasten F (siehe
bzw. -breite und bei mehreren Veranke-
Bild 8.5-16), entstehen in den Eintragungs-
rungen zwischen diesen auch etwa den Ent-
bereichen hohe örtliche Beanspruchungen.
fernungen der Achsabstände benachbarter
Zu diesen Bereichen zählen in ganz beson-
Ankerkräfte entspricht.
derem Maße auch die Stellen der Eintra-
In den folgenden Kapiteln werden einige
gung von Vorspannkräften P.
Erkenntnisse aus der Scheibentheorie für
Die Schnittkräfte an den Stellen der kon-
die Eintragung konzentrierter Kräfte [Girk-
zentrierten Lasteintragung können nicht
mann, 1963], [Mang, 1995], [Mehlhorn,
auf Grundlage der vereinfachten Tech-
1998] angegeben.
hat man es in der Regel mit Bauteilen zu tun, stand h vom belasteten Rand nahezu ver-
die hinsichtlich der Lasteintragungsstelle schwinden.
dreiseitig berandet sind. Der der Lasteintra- In den Bildern 8.5-19 a) und b) sind die
gungsstelle gegenüberliegende Rand kann in für mittigen Lastangriff von [Guyon, 1960]
den meisten Fällen als unendlich weit ent- und [Iyengar, 1960] angegebenen Ergeb-
fernt betrachtet werden. Für den Angriff nisse für die resultierende Spaltzugkraft Z,
einer mittigen Einzellast bzw. einer Teilstre- der Verlauf der Querzugspannungen σz ,
ckenlast gegenüber dem unendlich weit ent- die Lagen der sich für z = 0 ergebenden
fernten Rand (Bild 8.5-17), interessieren vor Punkte, in denen die Spannungen max σz
allem die zur Lastwirkungslinie normal ge- und σz = 0 auftreten, dargestellt. σ0 sind die
richteten Spannungen σz . Normalspannungen infolge P.
Parallel zur Angriffsrichtung der Last Auf Grundlage rechnerisch und experi-
geführte Schnitte geben einen deutlichen mentell ermittelter Hauptspannungen, für
Einblick in die Verteilung der Druck- und die mittig bzw. am Rand angreifenden Stre-
Zugspannungen im jeweiligen Schnitt. Im ckenlasten, lassen sich sehr einfache Ersatz-
Bild 8.5-18 ist als Beispiel der qualitative modelle (Bilder 8.5-20 und 8.5-21) entwi-
Verlauf der σz-Spannungen im Schnitt z = 0 ckeln, mit denen die resultierende Spalt-
infolge einer Teilstreckenlast gezeigt. Die zugkraft auf einfache Weise bestimmt wer-
resultierende Druck- bzw. Zugkraft erhält den kann.
man durch bereichsweise Integration über Für eine mittig am Trägerende eingetra-
diese Kurve. Die quer zur Lastrichtung wir- gene Streckenlast ergibt sich aus Bild
kende Zugkraft wird als Querzugkraft oder 5.5-20:
Spaltzugkraft bezeichnet. P a
Anhand des Bilds 8.5-18 ist zu erken- Z= ⋅ 1 − (8.5-50)
nen, dass die Spaltzugspannungen im Ab- 4 h
626 8 Berechnung
Bild 8.5‑19 a) Verlauf der Querzugspannungen σz , b) resultierende Spaltzugkraft Z und Lagen für
max σz und σz = 0
Für die Scheibe kann der Hebelarm der in- nung auf εs ≤ 1 ‰ begrenzt werden. Auf
neren Kräfte mit h/2 angenommen werden. eine gute Verankerung der Bewehrung ist
Damit ergibt sich die Spaltzugkraft zu: zu achten! Diese Empfehlungen gelten auch
für die nachfolgend betrachteten Veranke-
P a 3 a 2 rungsfälle.
Z=− ⋅ 2 − 3 ⋅ 1 − (8.5-51) Wird die Einzellast exzentrisch einge-
27 h h
tragen, d. h. sie liegt zwischen den beiden
Unter Beachtung des Verlaufs der Span- eben besprochenen Extremlagen, kann
nungen empfiehlt sich die im Bild 8.5-21 man die auftretenden Spaltzugkräfte in Ab-
dargestellte Bewehrung. hängigkeit von e/h entsprechend den fol-
Bei der Ermittlung der erforderlichen genden von [Guyon, 1960] vorgeschla-
Bewehrung zur Aufnahme der Spaltzug- genen Modellvorstellungen (Bild 8.5-22)
kräfte infolge zentrischer oder exzentrischer ermitteln. Statt des Verhältnisses a/h ist in
Eintragung der Vorspannkräfte sollte zur diesem Fall a/h' in der Gl. (8.5-50) zu
Begrenzung der Rissbreiten die Stahldeh- setzen.
Bild 8.5‑21 a) Ersatzmodell für ein exzentrisch am Rand belastetes Trägerende nach
[Mehmel, 1957]; b) Bewehrungsanordnung bei exzentrischer Randlast
Bild 8.5‑22 Ersatzmodelle nach Guyon für a) e/h < 0,3, b) e/h > 0,3
628 8 Berechnung
Zur besseren Anpassung der Momenten- Im Bild 8.5-25 ist der Spannungsverlauf in
verläufe aus der Vorspannung an die aus Abhängigkeit von x/h angegeben, wobei
der äußeren Einwirkung und zur Einspa- der linke Plattenrand gestützt (entspricht
rung von Spannstahl werden Spannglieder der Anspannstelle) und der rechte frei ist.
häufig im Inneren eines Bauteils veran- Die im Bauteilinneren eingetragene kon-
kert. Beispiele dafür sind Spannglieder für zentrierte Kraft hat sich im Abstand h von
die Quervorspannung von Platten in Plat- der Einleitungsstelle gleichmäßig verteilt.
tenbalken (Bild 8.5-23) und nicht durch- Für den Fall der Reaktion zu P in x → –∞
gehende Spannglieder der Längsvorspan- der dem Problem der Verankerung eines
nung bei Durchlaufträgern (Bild 8.5-24) Spanngliedes im Inneren entspricht, sind
genannt. außerdem die Hauptspannungen im Bild
Zunächst werden die sich nach der Ela- 8.5-26 angegeben.
stizitätstheorie ergebenden Spannungen σx Aus dem Spannungsverlauf wird ersicht-
eines im Inneren verankerten Spannglieds lich, dass bei uneingeschränkter Gültigkeit
betrachtet, wie sie von [Haberland, 1968] der Elastizitätstheorie, im Krafteinleitungs-
für den Scheibenstreifen ermittelt wurden. bereich zunächst die halbe Ankerkraft als
Bild 8.5‑25 Spannungen σx infolge einer Last P im Punkt x = 0, y = 0 mit der Reaktion bei x → –∞
nach [Haberland, 1968]
8.5 Betonbrücken 629
Zugkraft nach hinten zu verankern ist. Die- 8.5.4 Vorspannkraftverluste infolge des
ser Kraftanteil klingt jedoch sehr schnell ab. Kriechens und Schwindens des Betons
Im Bild 8.5-26 sieht man sehr gut den Kraft- und der Relaxation des Spannstahls
verlauf. Die zweckmäßige Ausbildung der
Bewehrung ist somit leicht möglich. Infolge des Kriechens und Schwindens des
Werden Spannbetonbauteile in einzeln Betons entsteht bekanntlich unter langzei-
hintereinander liegenden Bauabschnitten tig wirkender Beanspruchung zusätzlich
hergestellt, erfolgt das Vorspannen des je- zum elastischen auch ein plastischer, bean-
weils fertiggestellten Abschnittes an der spruchungsabhängiger Verformungsanteil,
Bauabschnittsgrenze. Anschließend werden dessen Größe u. a. vom Zeitpunkt der
die vorgespannten Spannglieder mittels Lastaufbringung und von der Dauer der
Kopplungselementen verlängert und nach Lasteinwirkung abhängt und sich erst nach
Fertigstellung des nächsten Bauabschnitts langer Zeit einem Endwert annähert.
am anderen Spanngliedende vorgespannt. Gleichzeitig, aber unabhängig von den Last
Die ursprünglich in der vorherigen Arbeits- einwirkungen, schwindet der Beton. Beide
fuge („Koppelfuge“) angeordneten Veran- zeitabhängigen Betonverkürzungen haben
kerungen werden dabei weitgehend ent eine Verkürzung des Spannstahls und da-
lastet; die Spanngliedkraft wird über das mit eine Verringerung der Größe der Vor-
Koppelungselement übertragen. Erläute- spannkraft zur Folge. Auf diese Zusam-
rungen zur Verteilung der Spannungen in menhänge wird ausführlich u. a. in [Kupfer,
der Koppelfuge werden im Abschnitt 5.2 1984], [Mehlhorn, 1998], [Mehlhorn et al.,
gegeben. 2002], [Rüsch/Jungwirth, 1976], [Trost,
Auf weiterführende Literatur zur Proble- 1967], [Wolff/Mainz, 1972] und [Zerna/
matik der Kopplung einzelner Bauabschnitte Stangenberg, 1987] eingegangen.
durch Vorspannen [Baur/Göhler, 1972],
[Hoshino, 1974], [Kordina, 1979], [Mehl-
horn/Hoshino, 1974], [Mehlhorn et al.,
1983], und [Pfohl, 1973] wird verwiesen.
630 8 Berechnung
zA zB
Schwerachse
x z cp ( x )
X1
A B
l
z
man aus einer statisch unbestimmten Rech- Trägers beteiligt, er ist stets kleiner als 1.
nung nach dem Kraftgrößenverfahren, wo- In der Regel liegt der Wert α unter 0,1.
bei ein linear elastisches Verhalten des Trag- Die Belastung aus äußeren Einwirkungen
werks vorausgesetzt wird. Die Schnittgrößen wird also bei normal bemessenen Tragwer-
am statisch bestimmten Hauptsystem erhal- ken zu mehr als 90% vom Betonbalken
ten den Kopfzeiger 0. Die Verschiebungs- getragen, und das Spannglied beteiligt
größen für dauernd wirkende Lasten g aus sich durch die Hängewirkung nur in einer
dem Schwinden des Betons εs (beachten: Größenordnung um 10% an der Abtragung
εs < 0, weshalb auch Ps < 0) ergeben sich zu: der Lasten aus den äußeren Einwirkungen.
1 Der Zuwachs der Kraft im Spannglied
δ p1,1 ≈ ⋅ l (8.5-55) aus der andauernd wirkenden Belastung g
Ep ⋅ Ap
ergibt sich zum Zeitpunkt t = t0 zu:
l z 2 (x )
l cp
δ c1,g
δ c1,1 ≈ +∫ dx (8.5-56)
Ecm ⋅ Ac 0 Ecm ⋅ I c Pg = − (8.5-61)
δ11
l
l l z 2cp (x )
δ11 ≈ + +∫ dx Mit den Schnittgrößen aus den Einwir-
Ep ⋅ Ap Ecm ⋅ Ac 0 Ecm ⋅ I c kungen aus der dauernd wirkenden Bela-
(8. 5-57) stung und der Spanngliedkraft können die
Spannungen und Verzerrungen im Beton-
l N c0,g l M c0,g (x ) ⋅ z cp (x ) tragwerk und im Spannglied zum Zeit-
δ c1,g ≈ − ∫ dx − ∫ dx punkt der Lastaufbringung t = t0 nach den
0 Ecm ⋅ Ac 0 Ecm ⋅ I c
üblichen Berechnungsmethoden bestimmt
(8.5-58) werden. Die zeitabhängigen Spannkraft-
δ c1,s = − ε s ⋅ l (8.5-59) verluste im Spannglied ergeben sich dann
unter Berücksichtigung der Mittelwerte der
Die Verschiebungsgrößen aus der Ver- Betonverzerrungen und der Betonspan-
kehrslast ergeben sich analog, wenn in der nungen über die Länge des Spannglieds
Gleichung (8.5-58) der Fußzeiger g durch nach der Gleichung (8.5-62):
q ersetzt wird, worauf hier nicht weiter ein-
gegangen wird. In der Gleichung (8.5-62) bedeuten:
Es wird noch der Steifigkeitsbeiwert α
∆σp, c + s + r (t, t0) Spannungsänderung im
eingeführt:
Spannglied aus Kriechen und
δ c1,1 δ c1,1 Schwinden des Betons und
α= = (8.5-60) aus der Relaxation des Spann-
δ p1,1 + δ c1,1 δ1,1
stahls zum Zeitpunkt t
Der Steifigkeitsbeiwert α gibt an, mit wel- αp = Ep/Ecm Verhältnis der Elastizitätsmo-
chem Anteil sich das Spannglied an der duln des Spannstahls Ep und
Gesamttragwirkung des unterspannten des Betons Ecm
1 l 1 l
α p ⋅ ϕ (t,t 0) ⋅ ⋅ ∫ σ c,g (x,z cp ) dx + ⋅ ∫ σ c,Pm0 (x, z cp ) dx + ε c,s (t,t 0 ) ⋅ Ep + ∆σ p,r
l
0 l 0
∆σ p,c+s +r (t , t 0) ≈
Ap Ac l 2
1 + αp⋅ ⋅ 1 + ⋅ ∫ z cp (x ) dx ⋅ 1 + χ ⋅ ϕ (t,t 0 )
Ac Ic 0 (8.5-62)
632 8 Berechnung
Ecm Mittelwert als Sekantenmodul σp0 infolge dauernd wirkenden Lasten und
der Betonspannungsfunktion Vorspannung dem allgemein bauaufsicht-
vom Koordinatenursprung zur lichen Zulassungsbescheid des Spannstahls
Betonspannung σc = 0,4 · fc zu entnehmen. Anhaltswerte sind im Bild
1 1
2 · ∫ σc, g (x, zcp) dx Mittelwert der Be- 8.5-28 angegeben. Nach [DIN-FB 102,
l 0 tonspannungen aus den stän- 2009] Abschnitt 4.2.3.5.5 (8) darf für die
digen Einwirkungen in Höhe Ermittlung von ∆σp, r als Ausgangsspan-
des Spannglieds. Der Mittelwert nung σp0 für das Verhältnis der Ausgangs-
ist aus den Werten über die ge- spannung zur charakteristischen Zugfes
samte Länge des Spannglieds zu tigkeit angenommen werden: σp0 ≈ σp, g0
bestimmen. – 0,3 · �∆σp, c + s + r �, wobei σp, g0 die
1 1
2 · ∫
σ c, p0 (x, zcp) dx Mittelwert der Be- anfängliche Spannung in den Spannglie-
l 0 tonspannungen aus dem An- dern aus dauernd wirkenden, äußeren
fangswert der Vorspannkraft in ständigen Einwirkungen g und Vorspan-
Höhe des Spannglieds. Der Mit- nung ist.
telwert ist aus den Werten über Für den zeitlichen Verlauf der Kriech-
die gesamte Länge des Spann- verformungen des Betons wird nach Euro-
glieds zu bestimmen. code 2, T. 1-1 ein Produktansatz aus dem
εs (t, t0) geschätztes Schwindmaß des Produkt des Grundwerts φ0 und der Zeit-
Betons zum Zeitpunkt t seit Be- funktion βc (t – t0) gewählt:
lastungsbeginn t0
ϕ (t,t 0 ) = ϕ0 ⋅ β c (t − t 0 ) (8.5-63)
∆σp, r Spannungsänderung im Spann-
glied aus der Relaxation des Die Schwindverformung εcs (t – ts) eines
Spannstahls, abhängig von der Betons bei einem Alter t, der ab einem Alter
Spannstahlspannung ts austrocknen konnte, ergibt sich bei An-
Ap , Ac Querschnittsflächen des Spann- wendung des Produktansatzes nach dem
glieds und des Betons Eurocode 2, T. 1-1 aus dem Produkt des
Ic Flächenmoment 2. Grades des Grundwerts des Schwindens εcs0 und der
Betonquerschnitts Zeitfunktion βs (t – ts):
zcp (x) Abstand der Schwerpunkte des
Betonquerschnitts und des ε cs (t − t s ) = ε cs 0 ⋅ βs (t − t s ) (8.5-64)
Spannglieds im Querschnitt an
Die Grundwerte φ0 , εcs0 und die Zeit
der Stelle x
funktionen βc (t – t0) und βs (t – ts) für das
χ Relaxationskennwert (darf im
allgemeinen 0,8 gesetzt werden) Kriechen und Schwinden des Betons sind
im Eurocode 2, T. 1-1 [DIN V ENV 1992-
Weil ∆Pr = Ap · ∆σp, r von der Größe der 2], in der [[DIN 1045-1, 2008] und im
endgültigen Vorspannung abhängig ist, [DIN-FB 102, 2009] angegeben und mit
muss zunächst für ∆Pr ein Anfangswert den für ihre Ermittlung maßgebenden
geschätzt werden, der durch eine Iterati- Einflüssen erläutert, worauf hier verwie-
onsrechnung zu verbessern ist bis die sen wird.
Gl. (8.5-62) mit dem sich für die endgültige Nach [DIN-FB 102, 2009] dürfen für
Vorspannung ergebenden Wert für den Normalbetone die Endkriechzahlen
Relaxationsverlust erfüllt ist. Die Span- φ∞ = φ (∞, t0) und die Schwinddehnungen
nungsänderung ∆σp, r ist in Abhängigkeit εcs∞ vereinfachend nach den Bildern 8.5-29
von der Größe der Spannstahlspannung bis 8.5-31 ermittelt werden. Die angege-
8.5 Betonbrücken 633
Bild 8.5‑29 Endkriechzahl φ (∞, t0) für Normalbeton und hochfesten Beton bei trockenen Umge-
bungsbedingungen (relative Luftfeuchte RH = 50%), nach [DIN-Fachbericht 102, 2009]
634 8 Berechnung
Bild 8.5‑30 Endkriechzahl φ (∞, t0) für Normalbeton und Hochleistungsbeton bei feuchten Um-
gebungsbedingungen (relative Luftfeuchte RH = 80%, für Brücken in der Regel maßgebend), nach
[DIN-FB 102, 2009]
Bild 8.5‑31 Schrumpfverzerrung εcas ∞ zur Zeit t → ∞ für Normalbeton, nach [DIN-FB 102,
2009]
In der Praxis ermittelt man den Spann- feldträger und ihre Verformungen darge-
kraftverlust infolge Kriechens und Schwin- stellt.
dens des Betons für die maßgebenden Wenn die beiden Träger an der Stützung
Schnitte und verändert alle aus der Vor- B nicht verbunden sind, können sich beide
spannung resultierenden Schnittgrößen Träger unabhängig voneinander verformen;
proportional dem Spannkraftverlust aus d. h., die zum Zeitpunkt t = 0 vorhandenen
Kriechen und Schwinden in dem jeweils Verformungen würden sich infolge Krie-
betrachteten Schnitt. chens des Betons vergrößern. Diese Kriech-
verformungen könnten nahezu unbehin-
Schnittgrößenumlagerung infolge dert erfolgen, weil die Behinderung der
Behinderung der Kriechverzerrungen Kriechverformungen durch die Bewehrung
bei Zusammenfügen zweier gleich- innerhalb der beiden Einzelsysteme und
alter Fertigteilträger zu einem Zweifeld- durch die Lagerreibung vernachlässigbar
träger gering ist. Es läge also voraussetzungsge-
Im Brückenbau werden häufig Fertigteil- mäß unbehindertes Kriechen des Betons
träger zu Durchlaufträgern zusammenge- vor. Über der Stütze entstünde eine Zunah-
spannt. Dies erfolgt z. B., um Fugen zu me der Klaffung, die erst nach einem län-
vermeiden, um die Lasten am statisch un- geren Zeitraum einem Endwert zustreben
bestimmten System abzutragen, was ge- würde.
genüber statisch bestimmt gelagerten Trä- Stellt man über der Stütze B die Konti-
gern eine wirtschaftlichere Dimensionie- nuität durch Anordnung einer Kontinui-
rung ermöglicht, um Wartungskosten zu tätsbewehrung im Zugbereich und Ortbe-
senken oder um vor allem eine kontinu- tonverguss, der auch die Übertragung der
ierliche Biegelinie ohne Knickpunkte zu Druckkräfte gewährleistet, her, so werden
erreichen. Im Bild 8.5-33 sind zwei Ein- die Kriechverformungen des Betons be-
hindert. Es muss sich also ein Stützenmo- Es wird nun die Lösung nach der Theo-
ment X1 über der Stützung aufbauen (Bild rie von Trost angegeben. Hierzu wird der
8.5-34), das am Träger oben Zug und unten Zweifeldträger in zwei Einfeldträger ge-
Druck erzeugt. trennt und das Stützenmoment als statisch
Die Biegemomente zum Zeitpunkt t er- Überzählige eingeführt. Im statisch be-
geben sich zu: stimmten Grundsystem entsteht aus Krie-
chen des Betons die gegenseitige Klaffung
M y (x,t ) = M y ,0 (x ) + M y ,1 (x ) ⋅ X1 (t ) der beiden Schnittufer:
(8.5-69) * = δ10 · φ
δ10
Es bedeuten:
Sie muss durch das allmählich entstehende
My, 0 (x) Biegemoment zum Zeitpunkt Stützenmoment rückgängig gemacht wer-
t=0, d. h. unmittelbar nach den (Voraussetzung ist, dass das Stützen-
Herstellen des kontinuierlichen moment im Zustand I aufgenommen wer-
Systems (wenn kein Zwangs- den kann).
moment aus Vorspannung bei
Erzeugen der Kontinuität ent- * = δ11 · (1 + χ · φ)
δ11
steht, ist My, 0 (x) identisch mit Es ergibt sich somit für das Stützenmo-
dem Zustand vor der Herstel- ment:
lung der Kontinuität)
My, 1 (x) Biegemoment infolge der sta- δ*
X1 = − 10
tisch Überzähligen X1 = 1 *
δ11
X1 (t) Zeitabhängige Zwangsschnitt-
größe ϕ
X1 = X1 ⋅ (8.5-71)
1 + χ ⋅ ϕ
Die zeitabhängige Zwangsschnittgröße
X1 (t) ist zu bestimmen. Für die Herleitung Die beiden Lösungen (8.5-70) und (8.5-71)
wird auf [Mehlhorn, 1998 und Mehlhorn des Problems werden in der Tabelle 8.5-1
et al., 2002] verwiesen. Mit zahlenmäßig miteinander verglichen.
Dabei werden die Kriechbeiwerte für
1 den Zeitpunk t → ∞ von φ∞ = 0 bis φ∞ = 3,0
δ10 = ⋅ ∫ M1 ⋅ M0 dx ,
Ecm ⋅ I c x variiert. Der Relaxationskennwert wird
vereinfacht, wie allgemein üblich zu χ = 0,8
1 angenommen.
δ11 = ⋅ ∫ M12 dx und
Ecm ⋅ I c x Man erkennt, dass sich für die Kräfteum-
lagerungen nach der Theorie von Dischin-
δ ger stets etwas größere Werte als nach
X1 = − 10 der wirklichkeitsnäheren Lösung von Trost
δ11
ergeben.
ergibt sich die Lösung:
Schnittgrößenumlagerungen bei
X1 = X1 ⋅ (1 − e −ϕ ) (8.5-70) abschnittsweisem Bauen
Bei Brücken mit großem Betonbedarf ist
–
X1 ist die ideelle Schnittgröße, die entstan- es oft betontechnologisch oder aus arbeits-
den wäre, hätte man das System sofort als technischen oder wirtschaftlichen Grün-
Durchlaufträger hergestellt. Die Gleichung den nicht möglich, die Brücke in einem
(8.5-70) stellt die Lösung des Problems nach Arbeitsgang zu betonieren. Man baut des-
der Theorie von Dischinger dar. halb in diesen Fällen in Bauabschnitten.
8.5 Betonbrücken 639
Tabelle 8.5-1 Vergleich der Entwicklung des Natürlich legt man die Bauabschnittsgren-
Stützenmoments infolge des Kriechens des Be- zen nicht über die Unterstützungen, son-
tons nach den Theorien von Dischinger und dern betoniert in das anschließende Feld
Trost. Verlauf von e–φ einen Kragarm mit einer Länge, die etwa 1/5
φ∞ bis 1/4 der Feldweite entspricht. Dadurch
φ∞ 1 – e–φ∞ e–φ∞
1 + χ . φ∞
98 wird erreicht, dass bereits im Bauzustand
über der Stütze ein Biegemoment entsteht,
Gl. Gl. Gl. dessen Größenordnung möglichst nahe
(8.5-70) (8.5-71) (8.5-75) demjenigen des Endmoments ist und die
Dischinger Trost Betonierfuge in der Gegend des Momen-
tennullpunkts des endgültigen Systems
0,0 0,000 0,000 1,000
liegt. Es werden die Verhältnisse für einen
0,5 0,393 0,357 0,607 abschnittsweise hergestellten Zweifeldträ-
ger gemäß Bild 8.5-35 betrachtet.
1,0 0,632 0,556 0,368
Die Differentialgleichung und ihre Lö-
1,5 0,777 0,682 0,223 sung lauten:
2,0 0,865 0,769 0,135 dX1
+ X1 = X1 (8.5-72)
2,5 0,918 0,833 0,082 dϕ
3,0 0,950 0,882 0,050 X1 = X1 + C ⋅ e −ϕ . (8.5-73)
Bild 8.5‑35 Biegemomente zu den Zeiten t = 0 und t → ∞ bei der Herstellung eines Zweifeld
trägers in zwei Abschnitten
640 8 Berechnung
Tabelle 8.5-2 (Fortsetzung)
Tabelle 8.5-3 Grenzwerte der chemischen Bestandteile im Boden und Wasser für den Betonan-
griff zur Einstufung in die Expositionsklassen XA nach [DIN-FB 100, 2005], Tabelle 2
Betonangriff durch Expositionsklasse XA1 Expositionsklassen
XA2 und XA3
SO42– in mg/l im Wasser ≥ 200 und ≤ 600 > 600 und ≤ 6000
SO42– in mg/kg im Bodena ≥ 2000 und ≤ 3000 b > 3000 b und ≤ 24000
pH-Wert ≥ 5,5 und ≤ 6,5 ≥ 4,0 und < 505
CO2 in mg/l kalklösend im Wasser ≥ 15 und ≤ 40 > 40
NH+4 in mg/l im Wasser ≥ 15 und ≤ 30 > 30 und ≤ 100
Mg2+ in mg/l im Wasser ≥ 300 und ≤ 1000 > 1000
a Tonböden mit einer Durchlässigkeit unter 10-5 m/s dürfen in eine niedrigere Klasse eingestuft
werden.
b Wenn durch wechselndes Trocknen und Durchfeuchten oder durch kapillares Saugen die Gefahr
der Anhäufung von Sulfationen im Beton besteht, ist der obere Grenzwert von 3000 mg/kg auf
2000 mg/kg herabzusetzen.
644 8 Berechnung
Qualität und Dichtigkeit haben muss, not- achse der äußersten Biegezugbe-
wendig. Die erforderliche Betondeckung wehrung, nach DIN 4102,
ist von den Umweltbedingungen und der ds1 Durchmesser der Längsbeweh-
Betonfestigkeit abhängig. Da es nicht mög- rung (Biegezugbewehrung),
lich ist, ideal ohne Abweichungen von den dSW Durchmesser der Querbewehrung
Sollwerten zu bauen, sind zur Gewährlei- (Bügel).
stung der vorgeschriebenen Mindestbeton-
deckungen der Bewehrung bei der kon- Die Werte cv sind der Bemessung der Bau-
struktiven Planung diese unvermeidlichen teile bei der Festlegung der statischen Nutz-
Abweichungen durch Vorhaltemaße zu höhe zugrunde zu legen und in den Beweh-
berücksichtigen. Die Vorhaltemaße hängen rungszeichnungen anzugeben. Die Min-
von der Art des Bauteils, der Bauausfüh- destbetondeckung cmin darf in Abhängig-
rung, der baulichen Durchbildung (Beweh- keit von der maßgebenden Expositions-
rungsführung) und dem Qualitätsmanage- klasse nach der Tabelle 8.5-2 nicht kleiner
ment ab. Die Werte nach [DIN 1045-1, als der entsprechende Wert nach den Tabel-
2008] für Vorhaltemaße sind in den Tabel- len 8.5-4 sein. Die Werte cmin müssen bei
len 8.5-4 angegeben. Das Nennmaß der Be- der Bauausführung auch noch nach dem
tondeckung cv setzt sich aus dem Min Betonieren gewährleistet sein.
destmaß cmin und einem zusätzlichen Vor Die Werte für das Vorhaltemaß dürfen
haltemaß ∆c zusammen: um 5 mm abgemindert werden, wenn dies
durch eine entsprechende Qualitätskont-
cnom = cmin + ∆c
rolle bei Planung, Entwurf, Herstellung und
Aus der Anforderung, dass für jedes einzel- Bauausführung gerechtfertigt ist.
ne Bewehrungselement das notwendige Die aufnehmbaren Verbundkräfte zwi-
Nennmaß der Betondeckung einzuhalten schen Stahl und Beton sind neben der Be-
ist, ergibt sich das Verlegemaß cv der Be- tonfestigkeit und der Stahlfestigkeit auch
wehrung. vom Bewehrungsdurchmesser abhängig.
Um ausreichende Verbundkräfte sicher zu
bei Platten: übertragen und eine gute Betonverdichtung
zu gewährleisten, soll die Mindestbeton
�
� c + ∆c deckung der Bewehrungsstäbe daher nicht
� min
cv � � ds + ∆c kleiner sein als:
�
�
� u − ds �
• der Stabdurchmesser ds der Betonstahl-
bei Balken: bewehrung oder der Vergleichsdurch-
messer eines Stabbündels dsV , (der Ver-
cmin + ∆c gleichsdurchmesser ergibt sich zu: dsV =
�
�
� dSW + ∆c ds · √3
ns, mit ns : Anzahl der Bewehrungs-
cv � �
�
� ds + ∆c − dSW stäbe eines Stabbündels),
�
u − ds � − dSW • der 2,5-fache Nenndurchmesser dp einer
Litze oder der 3-fache Nenndurchmes-
mit: ser dp eines gerippten Drahts in Spann-
cmin Mindestmaß der Betondeckung, betonbauteilen mit sofortigem Verbund,
Δc Vorhaltemaß, • der äußere Hüllrohrdurchmesser eines
u
Abstand der hitzebeanspruchten Spannglieds mit nachträglichem Ver-
Betonoberfläche von der Schwer- bund.
8.5 Betonbrücken 645
Tabelle 8.5-4 a Mindestwerte für die Betondeckung nach Tabelle 4 aus [DIN 1045-1, 2008]
Expositionsklasse Mindestbetondeckung cmin [mm] Vorhaltemaß ∆c
[mm]
Betonstahl Spannglieder im so
fortigen und im nach
träglichen Verbund c
XC1 10 20 10
XC2 und XC3 a, b 20 30 15
XC4 a, b 25 35
XD1 bis XD3 a, b, d 40 50
XS1 bis XS3 a, b
a Die Werte dürfen für Bauteile aus Normalbeton, deren Betonfestigkeit um 2 Festigkeitsklassen
höher liegt, als nach Tab. 8.5-2 mindestens erforderlich ist, um 5 mm vermindert werden. Für
Bauteile der Expositionsklasse XC1 ist diese Abminderung nicht zulässig.
b Wird Ortbeton kraftschlüssig mit einem Fertigteil verbunden, dürfen die Werte an den der Fuge
zugewandten Rändern auf 5 mm im Fertigteil und auf 10 mm im Ortbeton verringert werden.
Die Bedingungen zur Sicherstellung des Verbunds müssen jedoch eingehalten werden, sofern die
Bewehrung im Bauzustand ausgenutzt wird. Auf das Vorhaltemaß darf auf beiden Seiten der
Verbundfuge verzichtet werden.
c Die Mindestbetondeckung bezieht sich bei Spanngliedern mit nachträglichem Verbund auf die
Oberfläche des Hüllrohrs.
d Im Einzelfall können bei XD3 besondere Maßnahmen zum Korrosionsschutz der Bewehrung
nötig sein.
646 8 Berechnung
Tabelle 8.5-4 b Mindestwerte für die Betondeckung nach Abschnitt 4.1.3.3 und Tabelle 4.101 des
[DIN-FB 102, 2009]-II
Bauteil Mindestbetondeckung cmin [mm] Vorhaltemaß
∆c [mm]
Betonstahl Spannstahl
Überbau aus vorgespann- 40 n.∅ 5a
tem Stahlbeton mit ∅: Nenndurchmesser des
sofortigem Verbund Spanndrahts
n = 2: bei Litzen
n = 3: bei gerippten Drähten
Liegen Spannglieder unter der
Oberfläche der Fahrbahnplatte
oder der Deckplatte von Fußgän-
gerbrücken, muss
cmin ≥ 100 mm bei Längsspann-
gliedern und
cmin ≥ 80 mm bei Querspannglie-
dern sein
Überbau aus vorgespann- ∅A und ≥ 50 mm
tem Stahlbeton mit nach- ∅A: Außendurchmesser des
träglichem Verbund Hüllrohrs
Liegen Spannglieder unter der
Oberfläche der Fahrbahnplatte
oder der Deckplatte von Fußgän-
gerbrücken, muss
cmin ≥ 100 mm
bei Längsspanngliedern und
cmin ≥ 80 mm bei
Querspanngliedern betragen.
Kappen und dgl. und an 40 –
nicht betonberührten
Flächen bei Straßen
brücken
Kappen und dgl. und an 30 –
nicht betonberührten
Flächen bei Eisenbahn-
brücken
Kappen und dgl. und an 20 –
betonberührten Flächen
bei Straßen- und Eisen-
bahnbrücken
An nicht erdberührten 40 –
Flächen von Unterbauten
An erdberührten Flächen 50 –
von Unterbauten
8.5 Betonbrücken 647
Tabelle 8.5-8 (Fortsetzung)
Wenn die im ungerissenen Zustand berechneten Zugspannungen unter der Regel
seltenen Lastkombination den Wert fctm (fctm nach Tabelle 3.1 im [DIN-FB 102,
2009]-II) überschreiten, sind die Spannungen für den gerissenen Zustand zu
ermitteln. Bei Zugrundelegung des gerissenen Betonquerschnitts darf angenom-
men werden, dass sich der Beton linerar elastisch verhält, jedoch keine Zugspan-
nungen aufnehmen kann. Der versteifende Einfluss aus der Mitwirkung des Betons
zwischen den Rissen ist unter diesen Annahmen zur Berechnung der Spannungs-
begrenzung zu vernachlässigen.
Beanspruchung zul σc Ausnahmen, zusätzliche Bedin
gungen und Anmerkungen
Bei quasi-ständiger ≥ –0,45 . fck Durch diese Begrenzung sollen 4.4.1.2,
Einwirkungskombinati- überproportionale Kriechverfor- (104)* P
on und dem Mittelwert mungen vermieden werden.
der Vorspannung, wenn
die Gebrauchstauglich-
keit, die Tragfähigkeit
oder die Dauerhaftigkeit
des Bauwerks wesent-
lich durch das Kriechen
beeinflusst wird.
Bei seltener Einwir- < –1,0 N/mm2 In diesen Bereichen ist bei Bautei- 4.4.2.2,
kungskombination und len mit Vorspannung mit Verbund (3)* und
den maßgebenden die Mindestbewehrung zur Riss- [ARS
charakteristischen Wer- breitenbegrenzung nicht erforder- 11/2003]
ten der Vorspannung. lich. Dies gilt aber nicht für die (14)
Bereiche an Arbeitsfugen, in denen
stets eine Mindestbewehrung erfor-
derlich ist. Diese ergibt sich aus
Gl. (8.5-81). Parallel zur Arbeitsfu-
ge ist diese Bewehrung mit kc = 1
zu ermitteln und auf einer Länge
anzuordnen, die der Überbauhöhe,
jedoch nicht mehr als 2 m, ent-
spricht. Senkrecht zur Arbeitsfuge
ist die Mindestbewehrung beider-
seits der Arbeitsfuge auf eine Länge
gleich der Überbauhöhe zuzüglich
der Verankerungslänge, jedoch
nicht mehr als 4 m, anzuordnen.
Ist die Arbeitsfuge eine Koppelfuge,
ist dort der Mittelwert der Vor-
spannkraft auf 75% abzumindern.
Diese Abminderung gilt auch für
den Nachweis der Begrenzung der
Rissbreiten.
a Bei vorgespannten Fertigteilen mit sofortigem Verbund darf der Spannungsgrenzwert auf 0,7 . fct
angehoben werden, sofern dies durch Versuche oder Erfahrungen gerechtfertigt ist [DIN-FB 102,
2009]-IV, 4.4.1.2 (102) P.
652 8 Berechnung
Tabelle 8.5-13 Verhältnis ξ der Verbundfestigkeit des Spannstahls zu der des Betonrippenstahls
nach [DIN-FB 102, 2009]-II, Tabelle 4.115 a
Spannglieder mit sofortigem Spannglieder mit
Verbund nachträglichem Verbund
Glatte Stäbe – 0,3
Litzen 0,6 0,5
Profilierte Drähte 0,7 0,6
Gerippte Stäbe 0,8 0,7
Signifikante unterschiedliche Höhenlagen von Beton- und Spannstahl sind zu beachten.
Die wirksame Fläche Ac,eff darf gemäß σsII die Betonstahlspannung im Zu-
Bild 8.5-36 mit Hilfe des 2,5fachen Ab- stand II, bei Bauteilen mit im Ver-
stands der Randzugfaser vom Schwerpunkt bund liegenden Spanngliedern ist
der Bewehrung bestimmt werden. σsII nach Gl. (8.5-81) zu ermitteln
Der Nachweis der Begrenzung der Riss- As die Querschnittsfläche des Beton-
breite kann auch indirekt, ohne direkte stahls in der Zugzone
Berechnung der Rissbreite, durch die Be- h die Bauteilhöhe
grenzung der Durchmesser und der gegen- d die statische Nutzhöhe
seitigen Abstände der Bewehrungsstäbe b die Breite der Zugzone
geführt werden. Hierbei sind zunächst die fct, 0 die Zugfestigkeit des Betons, auf die
Stahlspannungen σsII für den betrachteten die Werte nach Tabelle 8.8-14 be
gerissenen Querschnitt (Zustand II) unter zogen sind, beträgt fct, 0 = 3,0 N/
der maßgebenden Einwirkungskombinati- mm2
on und bei vorgespannten Bauteilen mit fct, eff die wirksame Zugfestigkeit zum
den maßgebenden charakteristischen Wer- betrachteten Zeitpunkt, wie bei
ten der Vorspannung zu ermitteln. Der Gl. (8.5-78)
Grenzdurchmesser ds* und der zulässige
Abstand der Bewehrungsstäbe ergeben sich Die angegebenen Gleichungen zur Bestim-
zur ermittelten Stahlspannung σsII aus der mung der Rissbreiten und -abstände gelten
Tabelle 8.5-14 und sind in Abhängigkeit nur für Bereiche, die sich genügend nahe
von der wirksamen Betonzugfestigkeit zur im Verbund liegenden Bewehrung be-
fct, eff und der Bauteilhöhe h wie folgt um finden, d. h. innerhalb der wirksamen Be-
zurechnen: tonzugzone. Außerhalb dieser Bereiche
können größere Risse auftreten, wenn diese
σ s� ⋅ As f ct ,eff Bereiche auf Zug beansprucht sind. Des-
ds = ds* ⋅ ≥ ds* ⋅
4 ⋅ (h − d ) ⋅ b ⋅ f ct ,0 f ct ,0 halb sind alle Betonteile in der Nähe aller
Außenflächen ausreichend zu bewehren.
(8.5-80)
Im Brückenbau dürfen nur gerippte Beton-
In Gl.
(8.5-80) bedeuten: stähle mit Stabdurchmessern von mindes-
ds umgerechneter Grenzdurchmes- tens 10 mm verwendet werden, und der
ser gegenseitige Abstand der Betonstähle darf
d*s der Grenzdurchmesser nach Ta- nicht größer als 20 cm sein. Der lichte Ab-
belle 8.5-14 stand zwischen parallelen Stäben muss
8.5 Betonbrücken 657
Bild 8.5‑36 Definitionen der wirksamen Zugzonen des Betons Ac,eff zur Ermittlung des effektiven
Bewehrungsgrads ρeff
Tabelle 8.5-14 Grenzdurchmesser d*s und größte Stababstände bei Betonstählen nach [DIN-
FB 102, 2009]-II, Tabellen 4.120 und 4.121
Stahlspan Einzuhaltender Rechenwert Einzuhaltender Rechenwert der
nung σsII in der Rissbreite: wk = 0,3 mm Rissbreite: wk = 0,2 mm
N/mm2
Grenzdurch Höchstwerte für Grenzdurch Höchstwerte für
messer der die zulässigen messer der die zulässigen
Betonstähle Stababstände Betonstähle Stababstände
in mm in mm in mm in mm
160 42 300 28 200
200 28 250 18 150
240 19 200 13 100
280 14 150 9 50
320 11 100 7 –
360 8 50 6 –
Im Brückenbau sind gerippte Betonstähle mit mindestens 10 mm Durchmesser zu verwenden. Ihr
gegenseitiger Abstand darf nicht größer als 20 cm sein, [DIN-FB 102, 2009]-II, Abschnitt 5.1, (4) P
und (5).
Längsrippen haben zur Folge, dass die zugzone Act nur für die betreffende Beweh-
Bewehrungsstähle einen größeren Platz rungslage gilt. Z. B. ist deshalb bei zugbe-
benötigen als der Nenndurchmesser er anspruchten Gurtplatten kc nur auf die
fordert. In diesen Fällen sollte beachtet äußere Bewehrungslage zu beziehen und
werden, dass die äußeren Querschnittsab- bei der Ermittlung von Act nur die halbe
messungen, ausgedrückt durch dmax , ein- Gurtplattendicke zu berücksichtigen.
schließlich der Rippen, 20% größer als die Mit dem Beiwert k1 wird der Längskraft-
Nenndurchmesser ds sein können (dmax ≈ einfluss berücksichtigt. In der Regel ist bei
1,2 · ds). Bei Bewehrungsanordnungen in vorgespannten Konstruktionen die Längs-
mehreren horizontalen Lagen sollen die kraft eine Druckkraft. Dafür gilt:
Stäbe der einzelnen Lagen vertikal überein
1,5 · h
ander liegen. Ausreichende Betonierlü- k1 = 91
cken sind bei der Bewehrungsanordnung h′
vorzusehen. mit:
Sofern die Bemessung keine höheren
Werte ergibt, ist nach dem [DIN-FB 102, h Höhe des Querschnitts oder des Teil-
2009], Abschnitt 4.4.2.2 als Mindestbeweh- querschnitts
rung (Ausnahme siehe Tabelle 8.5-8) zur h′ = h für h < 1 m
Vermeidung breiter Einzelrisse aus Zwangs- h′ = 1 m für h ≥ 1 m.
oder Eigenspannungen erforderlich: Mit dem Beiwert k wird der Einfluss
Act des nichtlinearen Verlaufs der Betonzug
As ≥ kc ⋅ k ⋅ f ct ,eff ⋅ (8.5-81) spannungen berücksichtigt. Brücken sind
σ s�
Außenbauteile. Deshalb treten in der Regel
σsII ist die zulässige Spannung im Betonstahl Eigenspannungen infolge der nichtlinearen
in Abhängigkeit vom Grenzdurchmesser Temperaturfelder auf. Hierfür ist bei im
d*s nach der Tabelle 8.5-14. fct, eff ist wie in Bauteil selbst hervorgerufenem Zwang (z. B.
Gl. (8.5-78) zu ermitteln. Act ist die Quer- Abfließen der Hydratationswärme) für:
schnittsfläche, die vor der Erstrissbildung
rechnerisch unter Zugspannung steht. Mit k = 0,8 für h ≤ 300 mm
dem Beiwert kc wird der Einfluss der Span- k = 0,5 für h ≥ 800 mm
nungsverteilung innerhalb der Zugzone Act zu setzen. Zwischenwerte dürfen linear in-
vor der Erstrissbildung berücksichtigt. terpoliert werden.
Bei von außerhalb des Bauteils hervor-
σc
kc = 0,4 ⋅ 1 + ≤1 gerufenem Zwang (z. B. bei Stützensen-
k1 ⋅ f ct ,eff kung) ist k = 1,0 zu setzen.
Für einen Wirkungsbereich in einem
σc ist die Betonspannung im ungerissenen Quadrat mit 300 mm Seitenlänge um die
Zustand (negativ bei Längsdruck) in der Achse des Spannglieds herum darf der
Faser der Schwerachse des Querschnitts Spannstahl im Verbund bei der Ermittlung
oder Teilquerschnitts (bei Platten und Bal- der erforderlichen Bewehrung berücksich-
ken in der Regel die Betonspannung aus tigt werden, wobei das unterschiedliche
dem Längskraftanteil der Vorspannung, Verbundverhalten zu beachten ist (s. o.).
mit zunehmender Vorspannung wird Bei profilierten Querschnitten (Plattenbal-
kc kleiner) unter der Einwirkungskombina- ken, Kastenträgern) ist die Mindestbeweh-
tion, die am Gesamtquerschnitt zur Erst- rung für jeden Teilquerschnitt (Stege und
rissbildung führt. Es ist zu beachten, dass Gurte) zu bestimmen. Bei vorgespannten
der Beiwert kc und die Fläche der Beton- Konstruktionen mit Vorspannung im Ver-
8.5 Betonbrücken 659
Die waagerechten und senkrechten lich- 8.5.7.1.2 Betondeckung und statische Höhe
ten Abstände der Spannglieder mit nach-
träglichem Verbund müssen größer als 80% Nach [DIN-FB 102, 2009] ist das Vorhalte-
des äußeren Hüllrohrdurchmessers sein, sie maß mit 0,5 cm zu berücksichtigen. Dieser
dürfen aber nicht kleiner als 40 mm in ver- Wert erscheint den Autoren für den unten
tikaler und 50 mm in horizontaler Richtung liegenden Betonstahl im Brückenbau zu
sein. Bei Vorspannung mit sofortigem Ver- klein. Durch montagebedingtes Betreten
bund muss der horizontale lichte Abstand bereits verlegter Bewehrung treten blei-
der Litzen mindestens so groß wie der bende Verformungen ein, die 0,5 cm über-
Durchmesser der Litzen sein, er darf aber schreiten können. Das Vorhaltemaß wird
nicht kleiner als 20 mm und muss mindes- deshalb für die untere Bewehrungslage
tens 5 mm mehr als das Größtkorn des nach [DIN 1045-1, 2008] mit 1,5 cm ange-
Zuschlags betragen. Der vertikale lichte setzt (Tabelle 8.5-4b, Fußnote).
Abstand muss mindestens so groß sein wie
• für den Betonstahl oben:
der Durchmesser der Litzen, und er muss
mindestens 10 mm und so groß wie das min cs = 4,0 cm, nom cs = 4,5 cm
Größtkorn des Zuschlags sein.
Damit folgt für die statisch nutzbare
Höhe des Betonstahls:
8.5.7 Berechnungsbeispiel, über drei Felder dslo = h – nom c – ∅sq – ∅sl /2
durchlaufende, vorgespannte Plattenbrücke = 80 – 4,5 – 1,4 –1,4/2 = 73,4 cm
≈ 73,0 cm
8.5.7.1 Einleitung
Abstand der geometrischen Schwerachse
des Überbaus von der des Betonstahls:
Die durchlaufende Platte des Berechnungs-
beispiels soll in Längsrichtung vorge zcso = dslo – zco = 0,730 – 0,368
spannt werden. Für den Überbau wird eine = 0,362 m
mittlere Konstruktionshöhe von h = 0,80 m
• für den Betonstahl unten:
gewählt. Ausgewählte Nachweise in den
Grenzzuständen der Tragfähigkeit und der dslu = 80 – 5,5 – 1,4 –1,4/2 = 72,4 cm
Gebrauchstauglichkeit werden exempla- ≈ 72,0 cm
risch für Biegung mit Längskraft geführt. zcsu = dslu – zcu = 0,720 –0,432 = 0,288 m
• für die Hüllrohre der Spannglieder
8.5.7.1.1 Weitere Annahmen oben:
Unter der Fahrbahn muss aus Gründen
In Brückenlängsrichtung wurde die Anfor- des Schutzes der Spannglieder vor Kor-
derungsklasse C und in Querrichtung die rosion (Tabelle 8.5-4b) die Betonde-
Anforderungsklasse D gewählt (Tabelle ckung der Hüllrohre betragen:
8.5-5). Hinsichtlich der Anforderungen an min cH ≥ 10,0 cm, nom cH = 10,5 cm
die Dauerhaftigkeit ist der Stahlbeton-
Überbau der Expositionsklasse XD 3 und Das in diesem Beispiel verwendete Hüll-
XF 2 zuzuordnen (Tabelle 8.5-2). rohr besitzt einen Außendurchmesser
von 7,2 cm (siehe Abschnitt 8.5.7.3.3).
Für die statisch nutzbare Höhe der
Spannglieder gilt:
8.5 Betonbrücken 661
105
= 80,0 – 10,5 – 7,2/2 + 1,2
129
= 67,1 cm � 0,671 m
368
72
zcpo = dpo – zcu = 0,671 – 0,432
239
12
= 0,239 m Schwerachse
80
• für die Hüllrohre der Spannglieder un-
301
ten:
432
12
min cH ≥ ∅H = 7,2 cm
131
nom cH = 7,7 cm < nomc + ∅sq + ∅sl
83
= 5,5 + 1,4 + 1,4 = 8,3 cm
gewählt: min cV = 8,3 cm Bild 8.5‑38 Betondeckungen der Hüllrohre
dpu = h – cV – ∅H/2 – e und Spanngliedlagen
= 80,0 – 8,3 – 7,2/2 – 1,2
≈ 67,0 cm � 0,670 m
Vorbemessung ist der einzulegende Spann-
zcpu = dpu – zco = 0,670 – 0,368
stahlquerschnitt jedoch noch unbekannt.
= 0,302 m
Für die Schnittgrößenermittlung in dieser
∅sq , ∅sl , ∅H Durchmesser der Quer-, Planungsphase ist es ausreichend, mit den
Längsbewehrung, Hüllrohr- Brutto-Querschnittswerten des Überbaus
außendurchmesser (Tabelle 8.5-15) zu rechnen. Die Bestim-
e Exzentrizität der Spannglie- mung der Brutto-Querschnittswerte er-
dachse zur Hüllrohrachse folgte nach den in Abschnitt 8.5.2.1 angege-
(hier 1,2 cm) benen Gln. (8.5-6 bis -12).
dsl statische Höhe des Betonstahls
dpu , dpo statische Höhe der unteren
bzw. oberen Spannglieder 8.5.7.2 Charakteristische Werte
zcsu , zcso Abstand der Schwerachse des der Einwirkungen
Überbaus von der Schwerach-
se desunten bzw. oben liegen- Grundlage für die Ermittlung der Einwir-
den Betonstahls kungen ist der [DIN-FB 101, 2009].
zcpu , zcpo Abstand der Schwerachse des
Überbaus von der Schwerach-
se desunten bzw. oben liegen- 8.5.7.2.1 Ständige Einwirkungen
den Spannstahls
Eigenlast Überbau g1
Die Eigenlast des Überbaus wird im FE-
8.5.7.1.3 Querschnittswerte der Überbau-Platte Programm ermittelt.
Die Wichte des Stahlbetons beträgt
Für die Ermittlung von Schnittgrößen am 25 kN/m3.
nach dem Erhärten des Betons vorge-
Ausbaulasten g2
spannten Querschnitt werden in Abhän-
Eigenlast des Fahrbahnbelags (Dicke 8 cm)
gigkeit vom Fertigungsgrad Netto- und
und Gradientenausgleich (0,5 kN/m2)
ideelle Querschnittswerte (Verbundquer-
schnittswerte) benötigt. Zum Zeitpunkt der gBel = 24 · 0,08 + 0,5 = 2,4 kN/m2
662 8 Berechnung
Spur 1: αQ1 = 0,8 Q1 = 300 kN/Achse Q1k = 0,8 · 300 = 240 kN/Achse
αq1 = 1,0 q1 = 9,0 kN/m2 q1k = 1,0 · 9,0 = 9,0 kN/m2
Spur 2: αQ2 = 0,8 Q2 = 200 kN/Achse Q2k = 0,8 · 200 = 160 kN/Achse
αq2 = 1,0 q2 = 2,5 kN/m2 q2k = 1,0 · 2,5 = 2,5 kN/m2
Bild 8.5‑41 Laststellung 2, die Räder des Doppelachsfahrzeugs (TS) sowie die UDL-Last der Fahr-
spur 1 befinden sich am Schrammbord
Bild 8.5‑44 Maßgebende Momente mx,g1 und resultierende Momente Mx, g1 in der Platte infolge
Eigenlasten g1
8.5 Betonbrücken 667
Bild 8.5‑45 Maßgebende Momente mx,g2 und resultierende Momente Mx, g2 in der Platte infolge
Ausbaulasten g2
Bild 8.5‑46 Maßgebende Momente mx,UDL und resultierende Momente Mx,UDL in der Platte infol-
ge UDL-Verkehrslasten qUDL
Bild 8.5‑47 Maßgebende Momente mx,TS und resultierende Momente Mx,TS in der Platte infolge
TS-Verkehrslasten qTS
668 8 Berechnung
Bild 8.5‑48 Maßgebende Momente mx,T+ und resultierende Momente Mx,T+ in der Platte infolge
linearen Temperaturunterschieds (Plattenoberseite 12,3 K wärmer, als Plattenunterseite)
Bild 8.5‑49 Maßgebende Momente mx,T– und resultierende Momente Mx,T– in der Platte infolge
linearen Temperaturunterschieds (Plattenunterseite 8,0 K wärmer, als Plattenoberseite)
1 M F,G+∑ψ ⋅Q Wcu − zul σ cu MS,G+∑ψ ⋅Q Wco − zul σ co
erf Pt→∞ ≈ 1,30 ⋅ ⋅ + (8.5-82)
2 1 Ac + z cpF Wcu 1 Ac + z cpS Wco
mit:
MF, G + ∑ ψ · Q Moment im Feld 1 infolge Unter Zugrundelegung der getroffenen
quasi-ständiger Einwir- Voraussetzungen lässt sich Gl. (8.5-82) in
kungskombination einfacherer Form anschreiben:
MS, G + ∑ ψ · Q Moment über der Stütze in-
folge quasi-ständiger Ein-
wirkungskombination
2 2
M F,G + ∑ ψ 2i ⋅ M F,Qi M B,G + ∑ ψ 2i ⋅ M B,Qi
1 i =1 i =1
erf Pt→∞ ≈ 1,30 ⋅ ⋅ +
2 Wcu Ac + z cpF Wco Ac + z cpB
1 2,101 + 0,2 ⋅ 1,777 + 0,5 ⋅ 0,450 4,101 + 0,2 ⋅ 1,701 + 0,5 ⋅ 0,936
= 1,30 ⋅ ⋅ +
2 1,042 8,6 + 0,307 1,222 8,6 + 0,239
= 12,44 MN
Tabelle 8.5-16 Maßgebende, resultierende Momente für eine Querschnittshälfte infolge Eigenlas-
ten, Verkehrslasten (UDL + TS) und Temperatur
Stelle resultierende Momente
Mx, g 1 [MNm] Mx, q [MNm] Mx, T [MNm]
Feld 1 (x = 5,6 m) 2,102 1,777 0,450/–0,293 2
Stütze B (x = 16,0 m) –4,100 –1,701 1,348/–0,936
Feld 2 (x = 26,0 m) 1,995 1,875 1,230/–0,800
1 Der Index x weist darauf hin, dass das Moment (um die y-Achse) drehend Normalspannungen
in x-Richtung hervorruft.
2 Plattenoberseite wärmer ∆T = 12,3 K bzw. Plattenunterseite wärmer ∆T = –8,0 K.
Für den weiteren Verlauf der Berechnungen und infolge Schlupfs von ca. 3% wird
wird ein Spanngliedtyp gewählt. der Wert der Spannkraft für den gesamten
Überbau an der Anspannstelle mit
gewählt: ges P (x = 0)t → ∞ = 2 · 12,44/(0,93 · 0,97) =
BBV L 9 (150 mm2/Litze, bbv-Litzenspann- 27,60 MN gewählt.
verfahren), Apl = 13,5 cm2/Spannglied, Die Koordinaten des gewählten Spann-
Kennwerte der Litze entsprechend der gliedverlaufs sind im Bild 8.5-51 angege-
Allgemeinen bauaufsichtlichen Zulassung, ben. Um das Stützenmoment infolge stän-
Zulassungsbescheid [Z-13.1-77, 2004]: diger Lasten durch die Vorspannung gün-
Hüllrohr ∅Hi/∅Ha: 65/72 mm stig zu beeinflussen, wird das Spannglied an
der Anspannstelle exzentrisch zur Schwer-
ungewollter Umlenkwinkel: k = 0,30°/m
achse verlegt (siehe Abschnitt 8.5.2.3). In
Reibungsbeiwert: μ = 0,20 den Feldern erhält der Spanngliedverlauf
Schlupf am Spannanker: ∆ssl = 3 mm entsprechend dem Grenzmomentenverlauf
eine „bauchige“ Form.
Wegen der zu erwartenden Verluste infolge Im Rahmen der Vorbemessung wurde
Reibung von ca. 7% (siehe Tabelle 8.5-17) das aus dem Verlauf des vorgespannten
Spannglieds, unter Berücksichtigung der
Reibung, resultierende Zwangsmoment
mit Hilfe der Simpson‘schen Regel, Glei-
Tabelle 8.5-17 Ermittlung der Reibungsver- chung (8.5-41), bestimmt. Die statisch
luste in Achse 20 (Stütze B) Überzähligen ergeben sich aus den Glei-
x Θ k·x ϑ e–μ · ϑ chungen (8.5-83). Die Ermittlung des Ge-
[m] [rad] [rad] [rad] [–] samtmoments infolge Vorspannung er-
folgte entsprechend Gleichung (8.5-48).
16,0 0,280 0,084 0,364 0,93
−δ10 ⋅ δ 22 + δ 20 ⋅ δ12
�������������������������������������
planmäßiger Umlenkwinkel des Spann- X1 = 2
δ11 ⋅ δ 22 − δ12
glieds von der Anspannstelle bis zur be-
(8.5-83)
trachteten Stelle
−δ 20 ⋅ δ11 + δ10 ⋅ δ12
ϑ = Θ + k · x, Summe der planmäßigen und X2 = 2
unplanmäßigen Umlenkwinkel δ11 ⋅ δ 22 − δ12
Tabelle 8.5-18 Momente infolge Vorspannkraft P (0)t → ∞ („Handrechnung“ ohne Schlupf) und
maximale Spannungen infolge quasi-ständiger EWK (FE-Rechnung)
8.5.7.3.4 Ermittlung des erforderlichen Es wird davon ausgegangen, dass der Spann-
Spannstahlquerschnitts stahl maximal drei Wochen unverpresst (un-
geschützt) im Hüllrohr verbleibt → κ = 1,5.
Die maximale Spannung im Spannstahl, Der Wert x zur Bestimmung des Gesamtum-
die unmittelbar nach dem Spannen auf den lenkwinkels γ (x) = Θ (x) + k · x entspricht
Beton aufgebracht werden darf (Tabelle bei beidseitiger Vorspannung der Strecke,
8.5-12) beträgt: über die die Vorspannkraft beim ersten
Anspannen infolge Reibung abnimmt.
0,75 ⋅ f pk = 0,75 ⋅ 1770
In der Tabelle 8.5-19 ist die zulässige
= 1327 MN m2 Spannstahlspannung angegeben.
zul σ pm,0 ≤ Die Überspannreserve (1 – e–μ · k · (κ – 1))
0,85 ⋅ f p0,1k = 0,85 ⋅ 1522
beträgt in diesem Beispiel ca. 6%.
= 1294 MN m2
Unter der Annahme von 10% Spann-
kraftverlust infolge Kriechens, Schwindens
Die Spannung σ0, max beim Vorspannen am
und Relaxation folgt für den Wert der an-
Spannanker während des Vorspannvor-
fänglichen Vorspannkraft:
gangs unter der aufgebrachten Höchst
kraft (Pressenkraft) darf einschließlich des erf Pt→0 (0) = 27,60/0,9 = 30,7 MN
Überspannens den kleineren der beiden und für den erforderlichen Spannstahl-
Werte: σ0, max ≤ (0,80 · fpk; 0,90 · fp0,1k) nicht querschnitt am Gesamtüberbau:
überschreiten.
Damit auch im Fall eines notwendigen, Pm ,0 30,7 ⋅ 104
erf Ap = = = 239,5 cm2
unplanmäßigen Überspannens der Spann- zul σ pm ,0 1282
glieder bei erhöhten Reibungsverlusten die (8.5-86)
gewünschte Vorspannung über die Bau-
erf Ap 239,5
teillänge erreicht werden kann, ist darüber erf n = = = 17,7 (8.5-87)
hinaus die Spannstahlspannung abzumin- Ap1 13,5
dern (Tabelle 8.5-12):
672 8 Berechnung
Bild 8.5‑53 Spannkraftverlauf nach dem Umsetzen der Pressenkraft zur Zeit t = 0, unter Berück-
sichtigung des Schlupfs von ∆s = 3 mm (FE-Rechnung)
8.5 Betonbrücken 673
Bild 8.5‑54 Momente mx, p in der Platte infolge Vorspannung (FE-Rechnung) und resultierende
Momente Mx, p (Ermittlung mittels Simpson-Regel)
φ (∞, t0) = 1,7 Endkriechzahl σp, g + pm0 = 2 · 14,38/243 · 104 = 1184 MN/m2
(Bild 8.5-30)
Der Wert für die Spannungsverluste wird gebenen Gleichungen (8.5.20-29). Bei der
mit ∆σp, c + s + r = –131 MN/m2 abgeschätzt. Bestimmung der Netto-Querschnittswerte
Stimmt der letztendlich mit Gleichung wird mit dem Außendurchmesser der Hüll-
(8.5-89) berechnete Wert für ∆σp, c + s + r nicht rohre gerechnet. Außerdem ist zu berück-
mit dem geschätzten Wert überein, muss sichtigen, dass sich die Spannglieder im
der Wert für ∆σp, c + s + r iterativ angepasst Krümmungsbereich an die Hüllrohrwan-
werden. dung anschmiegen. Beispielhaft sind die
Netto- und ideellen Querschnittswerte der
σp0 ≈ 1184 – 0,3 · 131 = 1145 MN/m2
untersuchten Schnitte in der Tabelle 8.5-22
Mit Hilfe des Bildes 8.5-28 erhält man für angegeben.
σp0/fpk = 1145/1770 = 0,65 den Wert ∆σpr/ In der Tabelle 8.5-24 sind die charakteris
σp0 ≈ 0,017 und damit den Relaxationsver- tischen Werte der vertikalen Auflagerreak-
lust zu ∆σpr = –19 MN/m2. tionen zusammengestellt.
Die berechneten maximalen Verluste an 8.5.7.5 Nachweise für Biegung mit Längs-
Vorspannkraft infolge K + S + R (Tabelle kraft im Grenzzustand der Tragfähigkeit
8.5-21) liegen in der Größenordnung des
angenommenen Werts (10%), der der Er- 8.5.7.5.1 Ermittlung der maßgebenden
mittlung der erforderlichen Spannkraft und Bemessungsmomente
des erforderlichen Spannstahlquerschnitts
zugrunde gelegt wurde. Deshalb braucht Der Nachweis im Grenzzustand der Trag-
die Schnittgrößenermittlung nicht korri- fähigkeit auf Biegung erfolgt für die stän
giert zu werden. dige und vorübergehende Bemessungs
situation.
∑ γ Gj ⋅ Gkj " + " γ p ⋅ Pk
8.5.7.4 Querschnittswerte der Überbauplatte j =2
Im Feld 1:
MEd = γg1 · Mc, gk1 = 1,35 · 1,653 = 2,232 MNm
+ γg2 · Mc, gk2 = 1,35 · 0,448 = 0,605 MNm
+ γq1 · Mc, qk1 = 1,50 · (0,593 + 1,184) = 2,666 MNm
+ γ∆TM · ψ0 · Mc,∆Tk = 1,50 · 0,80 · 0,450 = 0,540 MNm
992
MEd = 6,042 MNm
676 8 Berechnung
Tabelle 8.5-23 Schnittgrößen der Einzellastfälle für eine Querschnittshälfte an den Stellen der
untersuchten Schnitte als charakteristische Werte
Stelle Felder 1/2 Stützen B/C Feld 2
Einwirkung x = 5,60 m x = 16,00 m x = 26,00 m
Eigenlast Konstruktion Mc, g1k [MNm] 1,653 a –3,211 1,580
Ausbaulasten Mc, g2k [MNm] 0,448 –0,890 0,415
Vorspannkraft t=0 [MN] –14,382 –14,121 –13,374
Nc, pk
t→∞ –12,814 –12,610 –12,023
Moment aus t=0 [MNm] –3,355 4,667 –2,170
Vorspannung Mc, pk
t→∞ –2,989 4,168 –1,951
UDL min [MNm] –0,169 –0,968 –0,246
Mc, qk, UDL
max 0,593 –0,101 0,652
TS min [MNm] –0,209 –0,733 –0,193
Mc, qk, TS
max 1,184 0,151 1,223
Temperatur ∆TM, neg, –8,0 [MNm] –0,293 –0,936 –0,800
∆TM, pos, +12,3 0,450 1,439 1,230
a positive Momente erzeugen Zug auf der Plattenunterseite in x-Richtung.
Tabelle 8.5-24 Vertikale Auflagerreaktionen unter den charakteristischen Werten der Einwir-
kungen
Das Stützenmoment wird um den Betrag ∆MEd reduziert [DIN-FB 102, 2009], Ab-
schnitt 2.5.3.3:
∆M Ed = FEd ,sup ⋅ bsup 8 (8.5-91)
dabei sind:
FEd, sup Bemessungswert der zugehörigen Auflagerreaktion
bsup Auflagerbreite
Die Auflagerbreite bsup darf unter einem Lastausbreitungswinkel von 45° in Höhe der
Schwerachse der Überbauplatte berechnet werden. Bei einer Lagerbreite von 0,40 m ergibt
sich bsup = 0,40 + 0,80 = 1,20 m.
Die Auflagerkraft FEd,sup ergibt sich zu:
Im Feld 2:
MEd = γg1 · Mc, gk1 = 1,35 · 1,580 = 2,133 MNm
+ γg2 · Mc, gk2 = 1,35 · 0,415 = 0,560 MNm
+ γq1 · Mc, qk1 = 1,50 · (0,652 + 1,223) = 2,813 MNm
+ γ∆TM · ψ0 · Mc,∆Tk = 1,50 · 0,80 · 1,230 = 1,476 MNm
992
MEd = 6,982 MNm
ter alleiniger Wirkung der äußeren Bemes- Auch über der Stütze und im Feld 2 wird
sungslast. Die Vordehnung braucht deshalb die Zugkraft infolge des Moments im
nicht ermittelt zu werden. Grenzzustand der Tragfähigkeit durch den
M Ed ,p vorhandenen Spannstahlquerschnitt aufge-
1 nommen.
erf Ap1 = ⋅ (8.5-94)
σ p1d z In dem Fall, dass der Spannstahlquer-
schnitt nicht ausreicht, ist zusätzlich Be-
1 6,042 tonstahl einzulegen. Sowohl der Spann-
= ⋅ ⋅ 104 = 73,5 cm2
1323 0,92 ⋅ 0,675 stahl als auch der Betonstahl beteiligen
< 121,5 cm2 = 243 2 = vorh Ap1 sich dann am Lastabtrag. Die Ermittlung
des erforderlichen Betonstahlquerschnitts
Im Feld 1 ist an der Stelle der größten Bie- ist z. B. in [Mehlhorn et al., 2002] angege-
gebeanspruchung rechnerisch kein Beton- ben.
stahl erforderlich. Der Spannstahlquer-
schnitt besitzt genügend Reserven um die
Bemessungslasten aufnehmen zu können. 8.5.7.6 Mindestbewehrung
über der Stütze (Plattenoberseite): Um die Dauerhaftigkeit und das äußere
8,393 Erscheinungsbild des Betonüberbaus zu
µEd ,p = = 0,209 gewährleisten, ist eine Mindestbewehrung
4,5 ⋅ 0,6712 ⋅ 19,8
anzuordnen. Mit ihr wird verhindert, dass
∆εp1 = 8,5‰ > 6,78‰ = εpd sich infolge rechnerisch nicht berücksichti-
gten Zwangs, Eigenspannungen oder bei
(Spannstahl fließt im GZT)
Abweichungen der Vorspannung vom an-
ζ = 0,88 genommenen Wert breite Einzelrisse bilden
[DIN-FB 102, 2009], Abschnitt 4.4.2.2.
1 8,393
erf Ap1 = ⋅ ⋅ 104 = 107,4 cm2
1323 0,88 ⋅ 0,671
< 121,5 cm2 = vorh Ap1 8.5.7.6.1 konstruktive Mindestbewehrung
�
maximaler Stababstand smax = 200 mm
� as = 3,93 cm2/m (8.5-95)
Bewehrungsdurchmesser ds ≥ 10 mm
Querschnitt vollständig ausgefallen ist, < 1,0 N/mm2 auftreten, ist eine Mindestbe-
durch Betonstahl unter Ausnutzung des wehrung nach Gleichung 8.5-81 einzulegen.
charakteristischen Werts der Streckgrenze Hierbei darf der Spannstahl, der in einem
des Betonstahls (Sicherheit von 1,0) abge- Bereich von höchstens 300 mm um die Be-
deckt. wehrung aus Betonstahl angeordnet ist, be-
Mr ,ep rücksichtigt werden. Auf der sicheren Seite
as = mit zs ≈ 0,9 · d , liegend werden in diesem Berechnungsbei-
f ⋅ z ⋅b
yk s spiel die Spannstahlflächen nicht angesetzt.
Ermittlung der Mindestbewehrung zur
Mr, ep = Wc · fctk; 0,05 (8.5-96) Rissbreitenbegrenzung:
Einwirkungskombination Bildungsvorschrift
charakteristische (seltene) ∑ Gkj " + " Pk " + " Qk1 " + " ∑ ψ 0,i ⋅ Qki
j ≥1 i >1
nicht-häufige ∑ Gkj " + " Pk " + "ψ 1′,1 ⋅ Qk1 " + " ∑ ψ 1, i ⋅ Qki
j ≥1 i >1
häufige ∑ Gkj " + " Pk " + "ψ 1,1 ⋅ Qk1 " + " ∑ ψ 2,i ⋅ Qki
j ≥1 i >1
8.5.7.7.2 Nachweise in den Grenzzuständen der spannungen unter der seltenen Einwir-
Gebrauchstauglichkeit in Brückenlängsrichtung kungskombination den Wert fctm über-
schreiten. Für den verwendeten Beton gilt:
8.5.7.7.2.1 Begrenzung der Spannungen fctm = 3,2 N/mm2. Befindet sich der Quer-
schnitt im Zustand I, werden die Spannun-
Nachweise am gerissenen oder gen infolge Eigenlast g1 und Vorspannkraft
ungerissenen Querschnitt Pm, t = 0 mittels der Netto-Querschnitte (sie-
Die Spannungen werden je nach Beanspru- he Tabelle 8.5-22) berechnet. Die Berech-
chung am gerissenen (Zustand II) oder un- nung der Spannungen infolge der Einwir-
gerissenen (Zustand I) Querschnitt ermit- kungen, die nach Herstellung des Verbunds
telt [DIN-FB 102, 2009], Abschnitt 4.4.1.1. zwischen Spannstahl und Beton aufgebracht
Im Allgemeinen sollte der gerissene Zu- werden, erfolgt mit ideellen Querschnitts-
stand angenommen werden, wenn die im werten. Wie im Bild 8.5-56 zu erkennen ist,
ungerissenen Zustand berechneten Zug- geht der Querschnitt in der Mitte des Felds 2
(von x = 24,8 bis 26,0 m) in den Zustand II 0,6 ∙ fck = 0,6 ∙ 35 = 21 N/mm2 (8.5-98)
über. (für nicht-häufige Einwirkungs-
kombination)
Nachweis der zulässigen Betondruck- 0,45 ∙ fck = 0,45 ∙ 35
spannungen = 15 N/mm2 (8.5-99)
Bei Spannbetonbauteilen sind die Beton-
(für quasi-ständige Einwirkungs-
druckspannungen unter der nicht-häufigen
kombination)
sowie unter der quasi-ständigen Einwir-
kungskombination und dem Mittelwert der Die Bilder 8.5-57, 58 zeigen, dass die Beträ-
Vorspannung Pm, t zu begrenzen. ge der Betonrandspannungen bei Ansatz
8.5 Betonbrücken 685
des Mittelwerts der Vorspannung zu keinem εs1, εs2 Verzerrungen des Betonstahls in-
Zeitpunkt, weder unter der nicht-häufigen folge äußerer Einwirkungen
noch unter der quasi-ständigen Einwir- ∆εp Dehnung des Spannstahls infolge
kungskombination, die zulässigen Span- äußerer Einwirkungen
nungen überschreiten. ε(0)
p,p Vordehnung des Spannstahls
x Höhe der Betondruckzone
Nachweis der zulässigen Betonstahl- h–x Höhe der Betonzugzone
spannungen
Zur Verhinderung nichtelastischer Deh- Resultierende Kräfte:
nungen im Betonstahl, sollten die Zugspan- Fs1 = εs1 ∙ Es ∙ As1 (8.5-101)
nungen im Stahl unter der nicht-häufigen
Einwirkungskombination und den charak Fs2 = –εs2 ∙ Es ∙ As2 (8.5-102)
teristischen Werten der Vorspannung Fp = (∆εp + ε(0)
p,p) ∙ Ep ∙ Ap (8.5-103)
unter Berücksichtigung der zeitabhängigen
Spannkraftverluste den Wert 0,8 ∙ fyk nicht Fc = –εc2 ∙ Ec ∙ x/2 ∙ b (8.5-104)
überschreiten (Tabelle 8.5-11).
Fct = –εc1 ∙ Ec ∙ (h – x)/2 ∙ b (8.5-105)
σs ≤ 0,8 ∙ fyk = 0,8 ∙ 500 = 400 N/mm2
mit:
(8.5-100)
x = εc2 ∙ ds1/(εc2 – εs1) (8.5-106)
Der Nachweis der Betonstahlspannungen
wird im gerissenen Querschnitt geführt. εc1 = εc2 + h/ds1 ∙ (εs1 – εc2) (8.5-107)
Das Materialverhalten sowohl des Be
εs2 = εc2 + ds2/ds1 ∙ (εs1 – εc2) (8.5-108)
tons als auch des Betonstahls wird linear
elastisch angenommen. Weiterhin wird das ∆εp = εc2 + dp/ds1 ∙ (εs1 – εc2) (8.5-109)
Ebenbleiben des verformten Querschnitts
und perfekter Verbund zwischen Spann- Gleichgewichtsbedingungen:
stahl bzw. Betonstahl und Beton voraus
gesetzt. Im Folgenden werden die im Quer- ∑ F = 0 = Fs1 + Fp + Fct – Fc – Fs2
schnitt wirkenden Kräfte, Bild 8.5-59, sowie (8.5-110)
die Gleichungen zur Berechnung der resul- ∑ M = 0 = Fs1 ∙ (ds1 – dp)
tierenden Stahlkräfte angegeben.
+ Fct ∙ ((2 ∙ h + x )/3 – dp)
Es bedeuten: + Fc ∙ (dp – x/3)
σc1, σc2 Betonspannungen am gezogenen + Fs2 ∙ (dp – ds2) – ME – M*c, p
bzw. gedrückten Rand (8.5-111)
Fct , Fc resultierende Zugkraft bzw. Druck
kraft im Beton Je nachdem, ob die Berechnungen am
Fs1 , Fs2 resultierende Zugkraft bzw. Druck- ungerissenen oder gerissenen Querschnitt
kraft im Betonstahl erfolgen, sind die Betonzugspannungen
Fp resultierende Zugkraft im Spann Gl. (8.5-105) zu berücksichtigen oder nicht.
stahl Der statisch unbestimmte Anteil des Mo-
ME Moment infolge äußerer Einwir- ments infolge Vorspannung lässt sich aus
kungen dem Gesamtmoment wie folgt bestimmen:
M*c, p statisch unbestimmter Anteil des M*c, p = Mc, p – zcp ∙ P (8.5-112)
Moments aus Vorspannung
εc1, εc2 Verzerrungen des Betons am gezo- Durch Berechnung des Verzerrungspaars
genen bzw. gedrückten Rand εs1 und εc2, bei dem die Gleichgewichtsbe-
686 8 Berechnung
σ c N c , p M c , g1 + M c , p N c , E M c , g 2 + M c , q + M c , T
εc = = + + + Ec (8.5-114)
Ec Acn Wcn Aci Wci
Dekompression ist in diesem Fall die quasi- keine Zugspannungen auftreten, die den
ständige. Die Vorspannkraft ist mit den Wert 0,85 ∙ fctk; 0,05 überschreiten (Tabelle
charakteristischen Werten anzusetzen. Zu- 8.5-9). Für dieses Beispiel gilt:
sätzlich ist für Straßenbrücken nachzuwei-
sen, dass unter der maßgebenden Einwir- σ c ≤ 0,85 ⋅ f ck = 0,85 ⋅ 2,2 = 1,8 N mm2
kungskombination am unteren Bauteilrand (8.5-116)
Im Bild 8.5-62 sind die Lage des Spann- Maximales Moment infolge häufiger Ein-
glieds im Längsschnitt und die maximalen wirkungskombination:
Querschnittsrandspannungen dargestellt.
Es ist zu erkennen, dass Betonzugspan- ME = 3,588/4,5 = 0,797 MNm/m
nungen immer an dem Bauteilrand auf statisch unbestimmter Anteil des Moments
treten, der den größeren Abstand zum aus Vorspannung:
Spannglied aufweist. Weiterhin überschrei-
ten die Betonzugspannungen am unteren 0,9 ∙ M*c, p = 0,9 ∙ 1,742/4,5
Rand nicht den zulässigen Wert von σc = = 0,348 MNm/m
1,8 N/mm2.
Vorspannkraft:
Nachweis der Begrenzung der Rissbreite 0,9 ∙ Pm,t → ∞ = 0,9 ∙ 12,037/4,5
in Längsrichtung = 2,407 MN/m
Die Begrenzung der Rissbreite wird bei-
spielhaft, um den Rechengang aufzuzeigen, statische Höhe Betonstahl: ds1 = 0,720 m
zusätzlich durch eine direkte Berechnung
statische Höhe Spannstahl: dp = 0,675 m
nachgewiesen. Der Rechenwert der Riss-
breite wk ≤ 0,2 mm ist nachzuweisen. Querschnittsfläche Betonstahl:
Berechnung der Rissbreite im Feld 1 an
der Stelle x = 5,60 m: As1 = 10,26 cm2/m
Querschnittsfläche Spannstahl:
ξ1 = ξ ⋅ ds dp
Ap = 243,0/9,0 = 27,0 cm2/m
dp
= 1,6 ⋅ Ap1 = 1,6 ⋅ 13,5 = 5,88 cm
Zum Vergleich werden die Schnittgrößen
ds = 1,4 cm am Querschnitt im Zustand I und II be-
stimmt, siehe Tabelle 8.5-30.
ξ = 0,5 (für Litzen im nachträglichen
Verbund [DIN-FB 102, 2009], Ac,eff = 4,5 ⋅ 0,07 = 0,315 m2
Tabelle 4.115 a)
As1 = 4,5 ⋅ 10,26 = 46,17 cm2/m
ξ1 = 0,5 ⋅ 1,4 5,88 = 0,35
Ap = 4,5 ∙ 243,0/9,0 = 121,5 cm2/m
Wirkungsbereich der Bewehrung:
2,5 ∙ d1 = 2,5 ∙ (5,5 + 1,4 + 1,4/2) As1 + ξ 12 ⋅ Ap
eff ρ =
= 19 cm � 0,19 m Ac,eff
Einwirkung ψ my [kNm/m]
UDL qUDL 0,40 –5,7 –4,6 4,1 3,9 6,0 –2,3
TS qTS 0,75 11,3 –6,1 6,0 5,9 52,9 0,0
f ct ,eff 3,2
ds* ⋅ = ds* ⋅ = ds* ⋅ 1,07
f ct ,0 3,0
ds ≥
σ II
⋅ A 231⋅ 10,26 ⋅1 0 −4 ⇒ ds* = 1,4 1,07
ds* ⋅ s s
= ds ⋅* = ds ⋅ 0,28
* = 1,3 cm
4 ⋅ (h − d ) ⋅ b ⋅ f ct ,0 4 ⋅ (0,80 − 0,73) ⋅ 1,0 ⋅ 3,0
692 8 Berechnung
teilte Belastung auf einer Belastungsfläche Bei Bauteilen, bei denen eine Bewegung in
von 3,0 m (Querrichtung) mal 5,0 m (Längs- Erddruckrichtung nicht möglich ist, sollte
richtung) ersetzt werden. Die Lastausbrei- unabhängig von der Gründung, für beide
tung darf unter einem Winkel von 30° zur Nachweisgruppen der Erdruhedruck ange-
Vertikalen angenommen werden. setzt werden.
Bei Eisenbahnbrücken dürfen die Er-
satzlasten zur Berechnung der Erddrücke
unter den Gleisen gleichmäßig verteilt über 8.6.2.2 Schnittgrößenermittlung
eine Breite von 3,00 m in einer Tiefe von von Widerlagern
0,7 m unter Oberkante Gleis angenommen
werden, wobei dynamische Wirkungen Für die Schnittgrößenermittlung ist ein ge-
nicht berücksichtigt sind. eignetes Tragmodell erforderlich. Widerlager
Die Größe des Erddrucks hängt nicht sind räumlich wirkende Tragwerke, die aus
nur von den Eigenschaften der Hinterfül- drei Flächentragsystemen bestehen. Die ver-
lung, sondern auch von den Steifigkeiten fügbare Rechentechnik und Software gestat-
des Bauwerks und des Baugrunds ab. tet eine Modellierung mittels Volumenele-
Eine Darstellung zur Erddruckberech- menten, der Berücksichtigung geeigneter
nung würde den Rahmen dieses Kapitels Bodenmodelle und des Ansatzes physika-
überschreiten. Im Merkblatt über den Ein- lisch nichtlinearer Arbeitslinien und somit
fluss der Hinterfüllung auf Bauwerke [Ar- eine wirklichkeitsnahe Berechnung. Für die
beitsausschuss: Einfluss der Hinterfüllung Praxis müssen Berechnungsergebnisse und
auf Bauwerke, 1994] werden Regelungen Aufwand in einem akzeptablen Verhältnis
empfohlen, die mit wirtschaftlichen Überle- stehen. Widerlager sind nach unserem heu-
gungen begründet werden. Danach sollte bei tigen Erfahrungsbereich standsicher und
Bauwerken, deren Bewegung in Erddruck- haben eine geringe Schadensanfälligkeit. Das
richtung nicht beschränkt werden muss, bei: komplexe Tragverhalten wurde demnach
auch bisher gut erfasst. Deshalb folgen ein
• nachgiebiger Gründung für den Nachweis
kurzer Abriss zu den Berechnungsverfahren
des stabilen Gleichgewichts und für die
und eine Empfehlung für die aktuelle Be-
Festigkeitsnachweise der aktive Erddruck
rechnung.
• unnachgiebiger Gründung für den
Die Literatur zum Problemkreis der Be-
Nachweis des stabilen Gleichgewichts
rechnung von Widerlagern ist nicht um-
der aktive Erddruck und für die Festig-
fänglich. 1973 wurde eine in sich geschlos-
keitsnachweise der Erdruhedruck be-
sene Abhandlung [Eibl et al., 1973-2] zur
rücksichtigt werden.
Berechnung von Widerlagern veröffentlicht
und in den Auflagen von 1979 und 1988 Holst veröffentlichte 1990 [Holst, 1990-2]
[Eibl et al., 1988] ergänzt. und 1993 [Holst, 1993] ebenfalls ein in sich
Für die Widerlagerwand mit auskragen- geschlossenes Werk zur Schnittgrößener-
den Flügeln wird in [Eibl et al., 1988] da- mittlung von Widerlagern. Als Tragmodell
von ausgegangen, dass die Scheiben- und für das Kastenwiderlager wird ein Faltwerk
Plattenwirkungen voneinander getrennt gewählt. Faltwerke sind aus ebenen Flächen
behandelt werden können. Das entspre- zusammengefügt, die je nach ihrer Bean-
chende Tragmodell ist eine in der Funda- spruchung als Platten- und/oder Scheiben
mentebene eingespannte Platte, wie im wirken. Da die Dicke der Widerlagerwände
Bild 8.6.2-1 gezeigt. Die Beanspruchungen im Verhältnis zu ihrer Länge und Breite
der Kragflügel werden als Randbelastungs- nicht mehr als klein betrachtet werden
fälle der eingespannten Platte behandelt. kann, kommt die erweiterte Plattentheorie
Für die gängigen Belastungsfälle und Geo- nach Mindlin/Reissner zur Anwendung.
metrien stehen Momententafeln bereit. Es Das bedeutet die näherungsweise Berück-
ist die Kirchhoff ’sche Plattentheorie vor- sichtigung der Schubverformungen der
ausgesetzt worden. Platte. In der Fundamentebene wird eine
Für das Kastenwiderlager werden die in starre Einspannung vorausgesetzt. Für die
[Eibl et al., 1988] genannten Voraussetzun- praktische Ermittlung der Momente und
gen, getrennte Behandlung von Scheiben- Scheibenkräfte infolge zentrischer und ex-
und Plattenwirkung und die Gültigkeit der zentrischer Belastungen sind in Abhängig-
Kirchhoff ’schen Plattentheorie, beibehal- keit von der Geometrie von Widerlager-
ten. Als Tragmodell werden für den ge- wand und Flügel Tafelwerte in graphischer
gründeten Flügel eine zweiseitig einge- Form bereitgestellt. Es wird linear-elas
spannte Platte und für die Widerlagerwand tisches Materialverhalten vorausgesetzt. In
eine dreiseitig eingespannte Platte gewählt, [Holst, 1993] und in [Holst, 1990-2] sind
siehe Bild 8.6.2-2. Zwischen den Einspann- Berechnungstafeln für die Schnittgrößen
momenten des Flügels und der Widerlager- von Brückenwiderlagern veröffentlicht. So-
wand wird ein Momentenausgleich vorge- mit stehen in der Literatur Hilfsmittel zur
schlagen. Die elastische Einspannung der Verfügung, die eine ökonomische Berech-
Widerlagerwand und der Flügel im Funda- nung erlauben.
ment wird durch eine Abminderung der Das Tragverhalten von Kastenwiderla-
Starreinspannmomente in Abhängigkeit gern wird mit dem Tragmodell des dick-
von der Fundament- und Bodensteifigkeit wandigen Faltwerks deshalb gut erfasst, da:
berücksichtigt. Für die Kammerwand wird
als Tragmodell ein zweiseitig eingespannter • die interaktive Platten- und Scheiben-
unendlich langer Halbstreifen gewählt. Für wirkung der einzelnen ebenen Flächen
die praktische Anwendung liegen ebenfalls wie Flügelwand und Widerlagerwand
Momententafeln vor. berücksichtigt wird
Bild 8.6.2-3 zeigt die prinzipiellen Verhält- Mittelbereichs der Widerlagerwand redu-
nisse für unterschiedliche Annahmen. ziert werden.
Für Widerlager mit angehängten, nicht
Schnittgrößen bei Annahme selbständig gegründeten Flügelwänden gel-
nichtlinearen Materialverhaltens ten für die Modellbildung zur Schnittgrö-
In [Lerchner/Hartl, 2001] wurde ein Kas ßenermittlung die gleichen Aussagen. Da
tenwiderlager mit Außenabmessungen der Flügel und Widerlagerwand nicht auf die
Widerlagerwand von 9 m und der Flügel gesamte Höhe verbunden sind, werden die
von 4,5 m mit Eigenlast und einem gleich- Interaktionen geringer und somit wird der
mäßigen Erddruck von 0,05 MN/m² von Schnittgrößenverlauf nicht so stark durch
innen belastet und unter Annahme nichtli- die Modellbildung beeinflusst.
nearen Materialverhaltens berechnet. Die dargestellte Modellbildung ist für
Als Ergebnis wird festgestellt, dass die re- die Schnittgrößenermittlung des Endzu-
sultierenden Druckspannungen klein blei- stands und der Bauzustände zutreffend. Ein
ben und auch die Zugspannungen nicht zur typischer Bauzustand ist die teilweise Hin-
Rissbildung führen. Das entspricht den eige- terfüllung der Widerlager oder die Lehrge-
nen Erfahrungen und dem bekannten Sach- rüstabstützung für den Überbau auf dem
verhalt, dass Widerlager selten und meist nur Fundamentvorsprung. Die Modellkompo-
bei schiefwinkliger Ausführung mehr als die nenten gestatten diese Abbildung.
Mindestbewehrung erhalten. Im Kapitel 7 Beim Neubau von Brücken im Zuge
wurde schon darauf aufmerksam gemacht, neuer Verkehrstrassen wird häufig die kom-
dass die Geometrie oft von der Bauweise des plette Brücke fertig gestellt und die Hinter-
Überbaus und der Lagerung bestimmt wird. füllung erst im Zuge des Erdbaus der Trasse
Des Weiteren wird gezeigt, dass aus der vorgenommen. Das Tragwerk ist bereits
Lastbeanspruchung die Flügelverformun- eingelagert und auch die Fahrbahnüber-
gen allein aus Kriechen und Schwinden des gänge sind montiert. In diesen Fällen sind
Betons durch das nichtlineare Verhalten die Verformungen des Widerlagers infolge
des Materials um das dreifache gegenüber Hinterfüllung zwingend zu beachten.
linear elastischem Verhalten zunehmen Ein ebenfalls zu beachtender Bauzu-
ohne dass eine Rissbildung eintritt. Es fin- stand ist die Betonage der Widerlagerwand
det deshalb eine geringe Schnittgrößenum- auf dem bereits erhärteten Fundament. Die
lagerung vom Flügel in die Widerlagerwand abklingende Hydratationswärme führt zur
statt, und die Einspannmomente ins Fun- Verkürzung der Widerlagerwand, die durch
dament vergrößern sich leicht. das Fundament behindert wird. Die Folge
Es kann gefolgert werden, dass ein phy- sind aufgehende Risse in der Wand. Die
sikalisch nichtlineares Tragverhalten von dargestellte Modellbildung ist zwar prinzi-
Widerlagern im Grenzzustand der Tragfä- piell geeignet diesen Sachverhalt zu erfas-
higkeit für praktische Berechnungen nicht sen, was aber zwingend die Modellierung
berücksichtigt werden muss. des Fundaments voraussetzt. Einfacher ist
Als Tragwerksmodell liefert das Faltwerk ein Modell gekoppelter Scheiben.
unter Ansatz der Kirchhoff ’schen Theorie In der Regel liegen Konstruktionsregeln
und unter Berücksichtigung von Funda- [ZTV-ING] zur Berücksichtigung dieses Pro-
ment- und Bodensteifigkeit praktisch hin- blems vor. Damit ist nur bei abweichenden
reichend genaue Bemessungsschnittgrö- Geometrien eine Berechnung erforderlich.
ßen. Die Ergebnisse der Randeinspannmo- Die Darstellung zur Bildung der Trag-
mente zwischen Widerlagerwand und Flü- werksmodelle war bisher auf die Ermitt-
gel können auf das Einspannmoment des lung der globalen Schnittgrößen orientiert.
698 8 Berechnung
8.6.2.3 Berechnungsbeispiel –
Nachweisführung für Widerlager
Tabelle 8.6.2-2 Materialkennwerte für das gen aus den Bauzuständen, wie Belastun-
Widerlager gen aus dem Traggerüst und der Schalung
Beton C 25/30 fck = 25 N/mm2 für den Überbau, Teilhinterfüllung des Wi-
derlagers vor dem Einlagern des Überbaus
Ecm = 26 700 N/mm2 und Verkehrslasten, die sich aus dem tech-
nologischen Bauablauf ergeben (Verdich-
Betonstahl fyk = 500 N/mm2
BSt 500 S tungserddruck, Baufahrzeuge, Zwischenla-
Es = 200 000 N/mm2 gerung von Baumaterialien).
700 8 Berechnung
Die Belastungen sind jeweils nach sorg- Grenzzustand der Tragfähigkeit sind in
fältiger Abstimmung mit dem Baubetrieb Bild 8.6.2-6 dargestellt.
zu berücksichtigen. Zusätzliche Berechnungsorte sind bei
größeren Wandhöhen sinnvoll, um die Be-
2. Schnittgrößenermittlung wehrung abzustufen. Im Bereich der Flügel
Die maßgebenden Stellen für die Ermitt- einspannung am Rand der Widerlagerwand
lung der erforderlichen Bewehrung im verlaufen die Hauptmomente und -normal-
Die maßgebenden Stellen für den Nachweis zugbewehrung ergibt sich näherungsweise
der Querkraft sind der Fundamentanschluss jeweils für die betrachtete Schnittebene ent-
der Widerlagerwand und der Anschluss sprechend Bild 8.6.2-8 zu:
der Flügelwände an die Widerlagerwand.
d
ZSd = 0,25 ⋅ FSd 1 − c0
Nachweis für Torsion dc1
Ein Nachweis für Torsion kann bei üblichen
Widerlagerabmessungen in der Regel ent- Daraus folgt die erforderliche Spaltzugbe-
fallen. wehrung:
ZSd
Nachweis für konzentrierte Last As, Z =
einleitung f yk /γ s
Im Bereich der Auflagerbank unter den La-
gern ist der Nachweis der konzentrierten Nachweis der Ermüdung
Lasteinleitung zu führen. Die aufnehmbare Der Nachweis für Ermüdung entfällt im
Teilflächenbelastung kann wie folgt ermit- Allgemeinen bei Widerlagern von Straßen-
telt werden: brücken, die nicht biegesteif mit dem Über-
bau verbunden und nicht begehbar sind.
Ac1
FRdu = Ac0 ⋅ f cd ⋅ ≤ 3,0 f cd ⋅ Ac0 Bei Eisenbahnbrücken ist der Nachweis für
Ac0 Ermüdung zu führen.
fck
mit fcd = 0,85 ∙ 6 und Acl bzw. Ac0 nach
γc
Bild 8.6.2-7
Für die entsprechende Einwirkungs-
kombination sind zu berücksichtigen:
– ständige Lasten des Überbaus
– veränderliche Lasten aus dem Überbau
Kammerwand zu beachten. Die Kammer- schnitt 8.2) werden die Sachverhalte und
wand ist in die Widerlagerwand und in die Beurteilungskriterien aufgeführt, die eine
Flügelwand elastisch eingespannt. Sie er- Schnittgrößenermittlung am Gesamtsys-
hält Einwirkungen aus Erddruck aus Hint- tem erfordern.
erfüllung, aus Erddruck aus Verkehr auf der Im Sinne der Berechnung werden zu die-
Hinterfüllung oder aus einer Bremslast in sem Zweck Tragwerke und Tragwerksteile
Längsrichtung bei einer gleichzeitigen ver- als verschieblich oder unverschieblich (bes-
tikalen Achslast und Rückstellkräfte vom ser entsprechend [Kordina/Quast, 2003]
Fahrbahnübergang. verformungsbeeinflusst oder verformungs-
unbeeinflusst) eingeteilt. Allgemein gilt:
Tragwerke, bei denen der Einfluss
8.6.3 Berechnung von Pfeilern und Stützen
der Pfeilerkopfverschiebungen auf die
Schnittgrößen vernachlässigt werden
8.6.3.1 Einwirkungen auf Pfeiler und Stützen
kann, gelten als unverschieblich.
Stützen und Pfeiler erhalten Beanspru- Stützen und Pfeiler sind zudem Bauteile,
chungen infolge: die vorwiegend auf Druck beansprucht
werden und deren Tragfähigkeit (auch im
• ständiger Einwirkungen
getrennten System) durch ihre horizonta-
– Auflagerreaktion infolge Eigenlast
len Verformungen entlang der Pfeilerachse
des Überbaus
beeinflusst werden kann (Auswirkungen
– Auflagerreaktion infolge Vorspannung
der Theorie II. Ordnung). Im Sinne der
– Eigenlast von Stütze/Pfeiler
Berechnung werden die Einzelbauteile in
• veränderlicher Einwirkungen
verschiebliche oder unverschiebliche und
– Auflagerreaktion infolge Verkehr
in schlanke und nicht schlanke Einzelbau-
(vertikal, horizontal)
teile eingeteilt. Auch hier gilt:
– Auflagerreaktion infolge Wind auf
den Überbau (horizontal) Kann der Einfluss der Verformungen auf
– Auflagerreaktion infolge linearem die Schnittgrößen vernachlässigt wer-
Temperaturunterschied im Überbau den, dann brauchen die Auswirkungen
– Auflagereaktion infolge Längenände- der Theorie II. Ordnung nicht berück-
rungen des Überbaus sichtigt zu werden.
– Wind auf Stütze/Pfeiler Für die praktische Handhabung ist eine
– linearer Temperaturunterschied im Quantifizierung von „vernachlässigbar“
Pfeilerschaft und „schlank“ wünschenswert. Im [DIN-
• außergewöhnlicher Einwirkungen FB 102, 2009] wird dies geregelt. Danach
– Auflagerreaktion infolge Anprallsitu- müssen die Auswirkungen nach der Theo-
ation auf Überbau rie II. Ordnung berücksichtigt werden,
– direkter Anprall auf Stütze/Pfeiler wenn diese die Tragfähigkeit um mehr
als 10% verringern.
Einzeldruckglieder gelten als schlank,
8.6.3.2 Schnittgrößenermittlung und wenn sie nachfolgende Grenzwerte der
Nachweise von Pfeilern und Stützen Schlankheit λ
Für die Schnittgrößenermittlung ist ein ge- λmax = 25 für |vEd| > 0,41
eignetes Tragsystem erforderlich. In den λmax = 16/ √|vEd| für |vEd| < 0,41
31
Kapiteln 6 (Abschnitt 6.2) und 8 (Ab-
8.6 Berechnung von Unterbauten 711
übersteigen und sind dann unter Berück- Verformungen infolge von linearen Tempe-
sichtigung der Auswirkungen nach Th. II. raturunterschieden über den Pfeilerquer-
Ordnung nachzuweisen. schnitt aus thermischen Einflüssen dürfen
als zusätzliche Anfangsimperfektion be-
mit λ = l0/i
trachtet werden. Unverschiebliche Trag-
l0 Ersatzlänge des lotrechten Bauteils werke oder Einzeldruckglieder, die nicht als
i Flächenträgheitsradius: i = √ I/A
31 schlank gelten, brauchen nicht nach der
vEd bezogene Längskraft des Bauteils Theorie II. Ordnung nachgewiesen wer-
NEd den. Die Nachweisführung für die Schnitt-
vEd = 92 größen nach Theorie I. Ordnung erfolgt
Ac ∙ fcd
NEd Bemessungswert der mittleren Längs- dann z.B. nach [DIN FB102, 2009, 4.3.1].
kraft des Einzeldruckglieds Allgemein sind die Auswirkungen der
Ac Querschnittsfläche des Druckglieds Theorie II. Ordnung mittels physikalischer
fcd Bemessungswert der Betondruckfes- und geometrisch nichtlinearer Schnittgrö-
tigkeit ßenermittlung zu ermitteln. Vereinfachte
Annahmen für den versteifenden Einfluss
Die Verwendung der Ersatzlänge l0 erin- aus der Mitwirkung des Betons auf Zug
nert dabei noch an das Knickproblem mit zwischen den Rissen und zur Momenten –
Gleichgewichtsverzweigung, obwohl die Verkrümmungs – Beziehung sind im An-
Nachweisführung im Betonbau konsequent hang II von [DIN-FB 102, 2009] gegeben.
als verformungsbeeinflusstes Traglastprob- Für die Ermittlung der Auswirkungen
lem konzipiert ist. Nahe liegender wäre es der Theorie II. Ordnung am Gesamtsystem
Ersatzlängen nicht nach Maßgabe gleicher sind im Abschnitt 8.2 und in [DAfStb 525,
Knicklasten, sondern nach Maßgabe glei- 2003] Erläuterungen zu finden.
cher Verformungen zu bestimmen. Ent- Für schlanke Stützen oder Pfeiler, die als
sprechende Anmerkungen sind in [Quast/ Einzeltragsystem abgebildet werden kön-
Pfeiffer, 2003] enthalten. Bei der Festlegung nen, dürfen die Auswirkungen nach Theorie
der Ersatzlänge l0 sind wiederum die Inter- II. Ordnung vereinfachend nach dem Modell
aktionen zwischen Bauwerk und Baugrund stützenverfahren ermittelt werden, wenn der
und die Lagerungsbedingungen am Fuß Querschnitt rechteckig oder rund ist und die
und Kopf der Stütze zu berücksichtigen. planmäßige Lastausmitte nach Theorie
Für die Schnittgrößenermittlung sind Un- I. Ordnung e0 mindestens h/10 ist. Da in der
sicherheiten bezüglich der Lage und Rich- Entwurfspraxis dieser Sachverhalt 80% der
tung der Längskräfte durch Ansatz geome- Brücken betrifft, wird an dieser Stelle das
trischer Ersatzimperfektionen zu berück- Modellstützenverfahren erläutert.
sichtigen.
Für Einzeldruckglieder darf die geomet- Modellstützenverfahren
rische Ersatzimperfektion durch eine Erhö- Ausführliche Erläuterungen zu den Grund-
hung der vorhandenen Lastausmitte der lagen des Modellstützenverfahrens sind in
Längskräfte e0 um eine Zusatzausmitte ea , [Kordina/Quast, 2003] enthalten. Das im
in ungünstiger Richtung wirkend einge- [DIN-FB 102, 2009] beschriebene Modell-
führt werden. stützenverfahren überführt die Nachweise
1 l nach Theorie II. Ordnung in eine Quer-
ea = ⋅ 0 schnittsbemessung. Dabei dient die Ersatz-
100 ⋅ l 2
länge l0 nur zur Berechnung der zusätzli-
mit
chen Lastausmitte aus Verformungen nach
l Gesamthöhe des Tragwerks in m Theorie II. Ordnung.
712 8 Berechnung
Als Modellstütze wird eine am Fuß Wenn das Kriechen berücksichtigt werden
eingespannte Kragstütze definiert, die un- muss, darf dies durch eine Vergrößerung
ter den äußeren Einwirkungen eine einfach der Verkrümmung mit dem Faktor Kφ er-
gekrümmte Verformungsfigur aufweist, folgen.
wobei das maximale Moment am Stützen-
Kφ = 1 + β ∙ φeff ≥ 1
fuß auftritt. Der reale Verkrümmungsver-
lauf nähert sich mehr der Rechteckform, Dabei ist
je kleiner die H-Last und die bezogene
φeff die effektive Kriechzahl
Zusatzausmitte e2/h ist, der Dreiecksform
je größer die H-Last ist und wird umso φeff – φ(∞,t0) ∙ M1,perm/M1,Ed
mehr parabelförmig, je größer die bezoge-
M1,perm = Moment im GZG infolge der
ne Zusatzausmitte ist. Für große Schlank-
quasi-ständigen EWK
heiten mit großer Zusatzausmitte ergibt
sich ein annähernd parabelförmiger Ver- M1,Ed = Bemessungsmoment im GZT
krümmungsverlauf, so dass dieser Verlauf
β = 0,35 + fck/200 – λ/150 ≥ 0
zugrunde gelegt wird.
Die zweite Vereinfachung des Modell- Muss das Kriechen nicht berücksichtigt
stützenverfahrens besteht darin, dass grund- werden, gilt Kφ = 1,0.
sätzlich mit der zum Fließzustand gehören-
den Verkrümmung gerechnet wird. Die Zusatzausmitte e2 ergibt sich in Abhän-
Diese ergibt sich näherungsweise zu: 1
gigkeit von der Verkrümmung 3 des am
r
1 2 ∙ K2 ∙ Kφ ∙ εyd meisten gedehnten Querschnitts (Ein-
4 = — spannstelle) zu:
r 0,9 ∙ d
1
nach Gl. (4.69) [DIN-FB 102, 2009] mit e2 = K ⋅ l 2 ⋅
r
εyd Bemessungswert der Dehnung der
Bewehrung an der Streckgrenze In dieser Formulierung ist K der Beiwert
d Nutzhöhe des Querschnitts in Rich- für die Verkrümmung. Dieser beträgt für
tung Stabilitätsversagen den vorausgesetzten parabelförmigen Ver-
lauf ca. 4/10 bezogen auf l bzw. 1/10 bezo-
Innerhalb der Gleichung berücksichtigt der gen auf l0 . Zusätzlich wird noch ein Faktor
Beiwert K2 die Verkrümmungsabnahme K1 eingeführt, der den Übergang zwischen
bei gleichzeitigem Anstieg der Längs der reinen Querschnittstragfähigkeit bis
kräfte. λ = 25 und der ab λ = 35 maßgebenden
N ud − N Ed Stützentragfähigkeit regelt. Somit ergibt
K2 = sich die Zusatzausmitte e2 zu:
N ud − N bal
mit 4 l2 l2 1
e2 ≈ K1 ⋅ ⋅ = K1 ⋅ 0 ⋅
Nud Bemessungswert der Grenztragfähig- 10 r 10 r
keit des durch zentrischen Druck be- mit
anspruchten Querschnitts λ
NEd Bemessungswert der aufzuneh- K1 = 4 – 2,5 für 25 ≤ λ ≤ 35
10
menden Längskraft
=1 für λ > 35
Nbal aufnehmbare Längsdruckkraft bei
größter Momententragfähigkeit des Für weitere Hinweise sei auf [Kordina/
Querschnitts Quast, 2003] verwiesen.
8.6 Berechnung von Unterbauten 713
men. Dabei werden rechnerische Mittel- wählen. Nach [DIN-FB 102, 2009], Anhang 2
werte der Baustofffestigkeiten für Beton darf der versteifende Einfluß aus der Mitwir-
und Stahl definiert, die anschließend die kung des Betons auf Zug zwischen den Rissen
Anwendung eines einheitlichen Teilsicher- durch Ansatz einer wirksamen mittleren
heitsfaktors von γR = 1,3 ermöglichen. Spannungs-Dehnungs-Linie für den Stahl im
Rechnerische Mittelwerte der Baustoff- Verbund bei Annahme einer gerissenen Be-
festigkeiten: tonzugzone berücksichtigt werden.
fyR = 1,1 ∙ fyk Die Berücksichtigung der Gründungs-
steifigkeiten, kann durch Feder – Modelle
(Streckgrenze des Betonstahls)
erfolgen. Angaben zu Feder-Modellen für
ftR = 1,08 ∙ fyR verschiedene Gründungsvarianten und die
(Zugfestigkeit des Betonstahls) Ermittlung der jeweiligen Federsteifig-
keiten finden sich z. B. in [Klöker, 1997].
fcR = 0,85 ∙ α ∙ fck = 0,852 ∙ fck
(Betondruckfestigkeit) Mindestbewehrung
Der Grenzzustand der Tragfähigkeit gilt als Unabhängig von der Methode der Schnitt-
erreicht, wenn in einem beliebigen Quer- größenermittlung und Nachweisführung
schnitt ist eine konstruktive Mindestbewehrung
• die kritische Stahldehnung von εsu = vorzusehen. Für die einzulegende Mindest-
bewehrung sind nachfolgende Kriterien
0,025 oder
• die kritische Betonstauchung von εc1u = einzuhalten:
–0,0035 oder • Die Mindestlängsbewehrung der gesam-
• am Gesamtsystem oder Teilen davon der ten Querschnittsfläche ergibt sich zu:
kritische Zustand des indifferenten
Gleichgewichts 0,15 N Ed
As ,min = ≥ 0,003 Ac
erreicht ist. f yd
Quast erläutert in [Quast, 2000], dass
≤ ∅ 16 mm, s = 150 mm
dieses Verfahren für die zutreffende Be-
fyk
rechnung ungeeignet sei, da unnötigerwei- mit fyd = 8
se auch der Elastizitätsmodul des Beton- γS
stahls reduziert wird und es somit zu un- • Der Bewehrungsquerschnitt darf, auch
wirtschaftlichen Ergebnissen führen kann. im Bereich von Bewehrungsstößen 9%
So können sich unter Anwendung des der Fläche des Betonquerschnitts nicht
„Rechenwertverfahrens“ in besonderen überschreiten. Der Durchmesser der
Fällen Abminderungen der zulässigen Stüt- Querbewehrung muss mindestens 25%
zenlasten auf bis zu 70% gegenüber der Ver- des Größtdurchmessers der Längsbeweh-
wendung geteilter Teilsicherheitsbeiwerte rung und mindestens 10 mm betragen.
ergeben. Der Anwender sollte sich der Ab-
weichungen des Rechenwertverfahrens be- Nachweis gegen Anprall:
wusst sein.
Der versteifende Einfluss aus der Mitwir- Stützen, die Einwirkungen aus Fahrzeugan-
kung des Betons auf Zug zwischen den Ris- prall ausgesetzt sind, sind entweder als aus-
sen (tension stiffening) ist zu berücksichti- zufallende Bauteile zu betrachten oder
gen. Er darf vernachlässigt werden, wenn müssen einen hinreichenden Widerstand
dies auf der sicheren Seite liegt. Zur Berück- besitzen, der die Aufnahme der kinetischen
sichtigung ist ein geeignetes Verfahren auszu- Energie ermöglicht.
8.6 Berechnung von Unterbauten 715
Bild 8.6.3‑1 Pfeilergeometrie
716 8 Berechnung
MSd,y = 1,35 ∙ 9541 + 1,0 ∙ 162 + 1,5 ∙ 2936 Dimensionsloser Bemessungswert der
= 17 446 kNm größten Längskraft:
5,0 10775
Ed = 1,0 ∙ G + 1,0 ∙ P + 1,5 ∙ QW1 = −107755,0,0⋅ 10775
⋅ − 1
= 1,0 ∙ LF1 + 1,0 ∙ LF2 + 1,5 = −10775,0 ⋅ ⋅ 2 127500− 1
2 127500
∙ (LF5 + LF7) = 24661 kNm
= 24661 kNm
NSd = –1,0 ∙ 10595 – 1,0 ∙ 180
= –10 775 kN MSd ,II − M c
As ,erf =
MSd, x = 1,0 ∙ 3131 + 1,0 ∙ 53 + 1,5 zs1 ⋅ f yd
∙ (13750 + 938)
25215,0 − 24661
= 25 215 kNm = = 5,3 cm2
2,42 ⋅ 43,5
Mindestbewehrung maßgebend
8.6 Berechnung von Unterbauten 719
also nur 78%) ermöglicht. Bei konsequen- wird der Grenzzustand der Tragfähigkeit
ter Berücksichtigung der erforderlichen unterteilt.
Bewehrung im Querschnitt mit der Min- In der Regel sind folgende Nachweise zu
destbewehrung als Untergrenze wird am führen:
Stützenfuß eine 4,2% höhere erforderliche
• Nachweis der Einhaltung der zulässigen
Bewehrung gegenüber dem Modellstützen-
Ausmittigkeit der Sohldruckresultie-
verfahren ausgewiesen. Dies ist in der
renden anstelle des Kippsicherheits-
Praxis unbedeutend, da die Bewehrung am
nachweises (GZ 1A)
Stützenfuß immer über eine gewisse Höhe
• Nachweis der Gleitsicherheit (GZ 1B)
geführt wird, was in der nichtlinearen
• Nachweis der Grundbruchsicherheit
Berechnung unberücksichtigt blieb.
(GZ 1B)
• Nachweis der zulässigen Lage der Sohl-
druckresultierenden (GZ 2)
8.6.4 Berechnung von Gründungen
Als Ersatz für den Grundbruchsicherheits-
8.6.4.1 Einführung nachweis darf in einfachen Fällen der Nach-
weis der zulässigen Sohlpressungen geführt
Grundlage der Nachweisführung für die werden.
aufgehenden Betonbauteile der Unter- Beim Einsatz von Flachfundamenten
bauten ist die ausreichende Standsicherheit erfolgt die Einleitung von Pfeiler-, Stützen-
des Gründungskörpers. Im Gründungsbe- oder Wandlasten in der Regel ohne Fußver-
reich treffen sich die Sicherheitsphiloso stärkung. Die Kräfte werden anschließend
phien des konstruktiven Ingenieurbaus und über flächige Biegung in den Baugrund
des Grundbaus. Eine detaillierte Problem übertragen. Das Fundament ist im Grenz-
beschreibung für die Schnittgrößenermitt- zustand der Tragfähigkeit auf Biegung und
lung und Nachweisführung ist auch aus den auf Durchstanzen nachzuweisen.
genannten Gründen nicht Gegenstand des
Abschnittes 8.6.4. Dafür wird auf die um-
fangreiche Literatur des Grundbaus wie 8.6.4.2 Schnittgrößenermittlung
[Simmer, 1999], [Smoltczyk, 2001] oder
[Möller, 2003] verwiesen. Im Folgenden Bei der Schnittgrößenermittlung von Grün-
werden deshalb die wesentlichen Probleme dungen muss der gegenseitige Einfluss von
genannt und die Standardaufgaben aufge- Verformungen des Bodens und des Bau-
zeigt. Entsprechend den Versagensursachen werks berücksichtigt werden.
8.6 Berechnung von Unterbauten 721
Tabelle 8.6.4-3 Summe der Schnittgrößen in der Bodenfuge infolge der charakteristischen Ein-
wirkungen entsprechend Tabelle 8.6.4-2
Die Nachweise der zulässigen Lage der Nachweis der Gleitsicherheit (GZ 1B)
resultierenden und der zulässigen Boden- Anstelle des Erdruhedrucks wird der aktive
pressungen sind unter Berücksichtigung Erddruck berücksichtigt. Es wird in der Re-
der charakteristischen Werte unter stän- gel kein entlastender Erddruck Eptd auf der
diger und veränderlicher Einwirkungen für Luftseite des Widerlagers in Ansatz ge-
die ständige und vorübergehende Bemes- bracht.
sungssituation zu führen. Nachweisformat: Td < Rtd + Ep, d
Nachweis der zulässigen Lage der Bemessungswerte der Einwirkung in
Sohldruckresultierenden Richtung des Gleitens
Fundamentabmessungen:
Für den Gleitsicherheitsnachweis wird der
a = 16,4 m; b = 3,0 m aktive Erddruck berücksichtigt. Die Schnitt-
Forderung unter Gesamtlast: Ausmitte liegt größen aus dem Erdruhedruck werden im
innerhalb der 2. Kernweite Verhältnis η = ka,h / k0 = 0,64 abgemindert.
2 2 EWK (Fall 1)
xe + ye ≤ 1
a b 9 Td = TGd = γG ∙ η ∙ Eagh
= 1,35 ∙ 0,64 ∙ 1034,9 kN = 894,2 kN
EWK (Fall 6) ye = 0,39; xe = 0,20
EWK (Fall 6)
2 2
0,39 0,20 1 Td = TGd + TQd1 = 894,2 + 1,5 ∙ 0,64
+ = 0,017 ≤ = 0,11
3,0 16,4 9 ∙ (1730,9 – 1034,9)
= 1562,4 kN
EWK (Fall 7) ye = 0,19; xe = 0,43
2 2 Bemessungswert des Gleitwiderstands
0,19 0,43 1 günstig wirkende veränderliche Einwir-
+ = 0,0047 ≤ = 0,11
3 ,0 16,4 9 kungen sind nicht zu berücksichtigen
Rtd = Rtk/γGl γGl = 1,1
EWK (Fall 9) ye = 0,33; xe = 0,30
Rtk = Nd ∙ tan δsk δsk = φk′ bei Ortbeton
2 2
0,33 0,30 1 Nd = Nk ∙ γ γG = 1,0 für ständige
+ = 0,012 ≤ = 0,11
3,0 16,4 9 Einwirkungen
NW erfüllt Nd = 1,0 ∙ 7278,7 kN = 7278,7 kN
Rtd = Nd ∙ tan δsk/γGl
Rtd = 7278,7 kN ∙ tan 34°/1,1
= 4463,2 kN
Nachweis:
Rtd > Td = 4463,2 kN > 1562,4 kN
NW erfüllt
Bild 8.6.4‑2 Nachweis der Gleitsicherheit
724 8 Berechnung
Bild 8.6.4‑4 Grundbruchsicherheitsnachweis
�
�
Kohäsions
�
Gründungs Gründungs-
breitenanteil Nachweis für Biegung
anteil tiefenanteil
Der Nachweise für Biegung im Grenzzu-
mit stand der Tragfähigkeit wird für die ständi-
ge und vorübergehende Bemessungssitua-
γ1 Wichte des Bodens oberhalb der Grün-
tion in den jeweiligen maßgebenden Be-
dungssohle
messungsschnitten geführt.
γ2 Wichte des Bodens unterhalb der
Gründungssohle
Vorhandene Bodenpressungen für
d geringste Gründungstiefe unter Gelän-
Bemessung des Fundaments
deoberfläche
Fz d M xd M yd
Nd = Nd0 ∙ νd ∙ κd ∙ λd ∙ ξd σ vorh = + +
A Wx Wy
Nb = Nb0 ∙ νb ∙ κb ∙ λb ∙ ξb
Fzd eb ⋅ Vd ea ⋅ Vd
Nd0 = 18,0; Nb0 = 10,0 (φ′ = 30°) = + +
A Wx Wy
b’ 2,22
vd = 1 + ⋅ sinϕ ’ = 1 + ⋅ sin 30° = 1,07 Fundamentwerte:
a’ 16,0
A = 3,0 ∙ 16,4 = 49,2 m2
b’ 2,22
v b = 1 − 0,3 ⋅ = 1 − 0,3 ⋅ = 0,958 Ix = 3,0 ∙ 16,43/12 = 1102,74 m4
a’ 16,0
Iy = 16,4 ∙ 3,03/12 = 36,9 m4
kd = (1 − 0,7 ⋅ tan δ )3 Wx = 134,48 m3
= (1 − 0,7 ⋅ 0,229)3 = 0,592
Wy = 24,6 m3
kb = (1 − tan δ )3 = (1 − 0,229)3 = 0,458
λd = λb = 1,0; ξd = ξb = 1,0
Der Kohäsionsanteil wird nicht berück-
sichtigt.
σN, k = 618,4 kN/m2
RN, k = a′ ∙ b′ ∙ σN, k = 2,22 ∙ 16,0 ∙ 618,4
= 21 964,5 kN
Gr
Nachweis erfüllt
, + 1,2)
(11
As ,min = 0,06 ⋅ = 6,9 cm2/m
2
Die sich im Bauwerk einstellenden Tem- flächen findet über Konvektion und Strah-
peraturverteilungen resultieren aus dem lung der Wärmeaustausch mit der Umge-
Zusammenspiel von Klimaeinwirkung, bung statt. Im Bauteil wird die zugeführte
Wärmeaustausch, Wärmeleitung und Wär- bzw. entzogene Wärme über Wärmeleitung
mespeicherung. Vom Energielieferanten verteilt und beeinflusst so die Temperatur-
Sonne geht eine kurzwellige Strahlung aus, entwicklung in den Tragwerken. Wegen der
die beim Auftreffen auf die Atmosphäre zeitlich veränderlichen Klimaeinwirkungen
teilweise reflektiert sowie beim Durchgang sind auch die daraus resultierenden Tempe-
durch die Atmosphäre gestreut und gefil- raturverteilungen instationär und nichtli-
tert wird, so dass nur ein abgeschwächter near, während deren absolutes Niveau vom
Anteil die Erdoberfläche als direkte Son- vorherrschenden Wetter, der Jahreszeit, der
nenstrahlung erreicht. Der in der Atmos- Bauwerksgeometrie und den thermophysi-
phäre gestreute Anteil trifft die Erdober kalischen Materialeigenschaften abhängt.
fläche als diffuse Sonnenstrahlung. Die Indirekte Einflussfaktoren sind die geogra-
Schwankungen der Lufttemperatur entste- phische Lage des Bauwerks, dessen Aus-
hen durch großflächige Konvektion an der richtung sowie die Querschnittsgeometrie.
Erdoberfläche und Abkühlung während Ausgehend von den Oberflächentempe-
der Nachtstunden. An den Bauwerksober- raturen des betrachteten Bauteilelements
8.7.1.3 Bauwerksreaktionen
Bild 8.7.1‑4 Jahreszeitliche Schwankungen der
klimatischen Temperatureinwirkungen einer Temperaturbedingte Bauwerksreaktionen
Stahlbrücke resultieren aus der Wärmedehneigenschaft
der Materialien. Im baupraktischen Bereich
können diese als temperaturproportional
angesehen werden. Für den Werkstoff Stahl
liegt der Wärmeausdehnungskoeffizient bei
1,2 · 10–5/K. Das Wärmedehnungsverhalten
von Beton schwankt hingegen abhängig
von der Zusammensetzung, dem Feuchte-
8.7 Spezielle Probleme 735
gehalt und dem Alter im Bereich αT = 0,6 · letztlich nur die beiden rechten Blöcke. Da
10–5/K bis 1,4 · 10–5/K [Weigler, 1989]. Der an Stelle der natürlichen Erwärmungsquel-
üblicherweise verwendete Mittelwert für len die zu erwartenden extremen Tempera-
Stahlbeton beträgt 1 · 10–5/K. Im DIN- turverteilungen im Brückenquerschnitt als
Fachbericht 101, der normativen Grundla- Einwirkungsgrößen angesetzt werden, wer-
ge für die Ermittlung von Einwirkungen auf den Temperaturwirkungen auch als indi-
Brücken, sind von einigen gebräuchlichen rekte Einwirkung bezeichnet.
Materialien lineare Temperatur-Ausdeh- Jegliche äußeren und inneren Tempera-
nungskoeffizienten angegeben. Sie sind in tureinflüsse führen wie bereits erwähnt zu
der Tabelle 8.7.1-1 aufgeführt. Temperaturverteilungen, die über den
Am Beispiel der klimatischen Einwir- Querschnitt ungleichmäßig verteilt und
kungen ist in Bild 8.7.1-5 die prinzipielle zeitlich veränderlich sind (Bild 8.7.1-6a). Zu
Vorgehensweise von der Einwirkung bis diesen nichtlinearen Temperaturverteilun-
zur Auswirkung schematisch dargestellt. gen würden affine Dehnungen entstehen,
Für die Tragwerksplanung interessieren wären die Ausdehnungsmöglichkeiten der
a b
Bild 8.7.1‑8 Temperaturverformung der Teilquerschnitte von Brückentragwerken. a) Einseitige
Sonnenbestrahlung des Untergurts eines Plattenbalkens, b) Temperaturverkrümmung des Aufla-
gerquerträgers einer Kanalbrücke
sätzlich [DIN 4141, 1984], [DIN EN 1337] den geltenden Regelungen ist der charakte-
und der Anhang A zur [DIN V ENV 1993-2, ristische Einwirkungswert Tk (= Qk) so fest-
2001]. gelegt, dass er im Mittel alle 50 Jahre er-
Entsprechend der geltenden Sicher reicht oder überschritten wird. Durch Mul-
heitsphilosophie sind bei der Bemessung tiplikation mit den Koeffizienten ψ0, ψ1 und
von Tragwerken Grenzzustände der Ge- ψ2 (Tabelle 8.7.1-3) werden Temperatur
brauchstauglichkeit und der Tragfähigkeit beanspruchungen unterschiedlicher Wie-
zu untersuchen. Im Kontext dieser Rege- derkehrperiode berücksichtigt. Der Teil
lungen werden die Temperatureinwirkun- sicherheitsbeiwert ist für den Fall einer
gen über Kombinationsbeiwerte in die ungünstigen Einwirkung bei ständigen und
Einwirkungskombinationen einbezogen vorübergehenden Bemessungssituationen
[DIN-FB 101, 2009]. Für den Anteil der mit γQ = 1,5 festgelegt.
veränderlichen Einwirkungen sind in der Zur Beschreibung der Temperaturein-
Tabelle 8.7.1-2 die Kombinationsanteile für flüsse werden die zuvor erläuterten lineari-
die jeweiligen Bemessungssituationen ge- sierten Temperaturanteile entsprechend
genübergestellt. Bild 8.7.1-10 verwendet. Damit dem aus
Temperaturbeanspruchungen sind ver- der Querschnittsgeometrie und dem ver-
änderliche Einwirkungen. Entsprechend wendeten Werkstoff herrührenden unter-
schiedlichen Erwärmungsverhalten häufig
Tabelle 8.7.1-4 Gruppierung wärmetechnisch eingesetzter Brückenquerschnitte Rech-
gleichartiger Brückenquerschnitte [DIN-FB nung getragen werden kann, sind typische
101, 2003] Brückenquerschnitte in drei Gruppen ein-
Gruppe Querschnittstyp geteilt (Tabelle 8.7.1-4).
Entsprechend der Eingruppierung wer-
1 Stahlüberbauten als Kasten, den charakteristische Werte für den gleich-
Fachwerk oder Plattenbalken mäßigen Erwärmungszustand Te und den
2 Verbundüberbau: Betonplatte vertikalen sowie horizontalen Temperatur-
auf einem Stahlkasten, Fachwerk unterschied ∆TMY bzw. ∆TMZ angegeben.
oder Plattenbalken aus Stahl Dem DIN Fachbericht 101 [DIN-FB 101,
2003] entnommene charakteristische Wer-
3 Fahrbahnplatten oder Überbau- te, die für eine Belagdicke von 50 mm gel-
ten aus Beton auf Betonbalken
ten, sind im Bild 8.7.1-16 zusammenfas-
oder Betonkästen
send gegenübergestellt.
744 8 Berechnung
Tabelle 8.7.1-5 Vergrößerung der anzusetzenden Temperaturanteile zur Ermittlung von Bewe-
gungsschwankungen [DIN-FB 101, 2003]
Fall Einbau der Lager bzw. Ausbildung Anzusetzende maximale
der Dehnungsfugen Temperaturschwankungen
1 Mittlere Bauwerkstemperatur beim Herstellen der (∆TN, pos + 10) K und
Verbindung ist bekannt (Messung) (∆TN, neg –10 K) a
2 Mittlere Bauwerkstemperatur beim Herstellen der (∆TN, pos + 20) K und
Verbindung ist nicht bekannt (∆TN, neg –20 K)
3 Betonieren auf den Lagern ohne nachträgliche keine explizite Regelung
Lagekorrektur
a ± 10 K ist eine „kann“-Regel, ansonsten sind grundsätzlich ± 20 K anzusetzen.
746 8 Berechnung
Tabelle 8.7.1-6 Abschätzung der mittleren Bauwerkstemperatur aus Messung der Oberflächen-
temperatur, aus [DIN EN 1337-11, 1998]
Platten Messungen der Temperaturen an Ober- und Unterseite in Brückenmitte
und Ermittlung der mittleren Bauwerkstemperatur aus dem Mittelwert
aus diesen beiden Temperaturen
Plattenbalken Messung der Temperaturen an Ober- und Unterseite der Fahrbahnplatte
in Brückenmitte und Bildung des Mittelwertes.
Messung der Temperaturen an den Außenseiten der beiden äußeren
Hauptträger, jeweils in Stegmitte und Bestimmung des Mittelwertes
Bildung eines Gesamtmittelwertes aus den am Flächenanteil gewichteten
Bereichsmittelwerten.
Kastenträger Die Lufttemperatur im Kastenträger liefert einen guten Näherungswert
der mittleren Querschnittstemperatur
len Lagerkräfte und damit auch auf die der Mittelwertbildung von zu messenden
Schnittgrößen im Versteifungsträger hat. Oberflächentemperaturen im Bereich der
Zumeist besteht das praktische Problem, Fahrbahnplatte und in den Brückenstegen
dass der Aufstelltemperaturzustand nur ab- entspricht (Tabelle 8.7.1-6). Eine weitere,
geschätzt werden kann. Dies liegt einerseits empirische Schätzmöglichkeit der mittle-
daran, dass sich der Temperaturzustand ren Bauwerkstemperatur findet sich in
fortwährend ändert. Andererseits können [DIN EN 1337-10, 2003]. Sie wird aus einer
meist nur Oberflächentemperaturen an dis- geschätzten niedrigsten effektiven Brück-
kreten Stellen gemessen werden, aus denen entemperatur y°C des Tages hergeleitet.
die mittlere Bauwerkstemperatur lediglich Wenn die Position der Brücke bei Erreichen
angenähert ermittelt werden kann. ihrer niedrigsten Temperatur am betref-
In [DIN EN 1337-11, 1998] Anhang A fenden Tage an einer geeigneten Stelle, wie
wird die Bestimmung der mittleren Bau- z. B. einem Fahrbahnübergang, registriert
werkstemperatur geregelt, welche letztlich wird, dann darf jede nachfolgende Bewe-
750 8 Berechnung
gung zur Schätzung der augenblicklichen Unterbauten verankerten Lagern auf. Diese
Bauwerkstemperatur anhand der nied- Situation ist der in Tabelle 8.7.1-5 genannte
rigsten effektiven Temperatur y°C erfolgen Fall 3. Hier besteht das Prognoseproblem,
(Tabelle 8.7.1-7). Allerdings ist dieses Ver- dass die Lager auf eine Brückentemperatur
fahren in [DIN EN 1337-10, 2003] nur als voreingestellt werden müssen, die noch
Hinweis aufgeführt und ist nicht für alle nicht bekannt ist.
klimatischen Bedingungen überprüft Infolge der Entwicklung von Hydratati-
worden. onswärme dehnt sich der frisch betonierte
Eine insgesamt verbesserte Aussage wäre Brückenquerschnitt aus und kühlt nach we-
durch im Querschnitt eingebaute Tempera- nigen Tagen wieder ab. Gleichzeitig findet
tursensoren zu erreichen. Eine weitere Mög- der Abbindeprozess mit stetig steigendem
lichkeit besteht in der Berechnung des Tem- Elastizitätsmodul statt. Wäre der Brücken-
peraturzustands der Brücke aus aktuellen querschnitt in seiner Verschieblichkeit völlig
Wettermessdaten [Vockrodt, 1995]. Hierzu unbehindert, so würden die während des
ist jedoch ein zeitlicher Verlauf der Tempe- Erhärtungsvorgangs auftretenden Verfor-
raturmessung und der Wetterdatenauf- mungen vollständig wieder zurückgehen. In
zeichnung notwendig, damit sich das zu- Realität werden die Temperaturverformun-
grunde liegende numerische Modell genau gen während des Erhärtungsprozesses durch
wie das reale Bauwerk auf die zeitnahe die Schalung und Fixierungen der Lager so-
Temperaturverteilung einstellen kann. wohl in vertikaler als auch in Längsrichtung
Eine besondere Situation der Aufstell- behindert. Die im jungen Beton behinder-
Temperaturschätzung tritt beim Betonieren ten Verformungen führen zu Plastizierun
des Versteifungsträgers auf bereits in den gen, so dass der betonierte Abschnitt nach
8.7 Spezielle Probleme 751
dem Abfließen der Hydratationswärme punkt entfernten Lagers. Sie setzen sich nach
verkürzt und vertikal verkrümmt ist. dem Abfließen der Hydratationswärme aus
In Bild 8.7.1-20 ist die Entwicklung des der Brückenverkürzung und der Vertikal-
Temperaturverlaufs in einem massiven Stahl verkrümmung des Brückenquerschnitts zu-
betonquerschnitt, wie er sich über einen sammen. Das Bild 8.7.1-22 veranschaulicht
Zeitraum von 40 Tagen seit dem Einbau des deutlich an einem aus [Hellmich, 1984] ent-
Betons einstellte, dargestellt. Deutlich ist die nommenen Beispiel die Lagerverschiebung
Wärmeentwicklung infolge Hydratation zu einer Spannbetonbrücke.
erkennen, welche allmählich in die tägliche Die Festlegung der effektiven Aufstell-
klimabedingte Temperaturschwankung temperatur beim Betonieren des Brücken
übergeht. Bild 8.7.1-21 zeigt die zugehörigen überbaus auf den Lagern ohne eine nach-
Längsverschiebungen eines 30 m vom Fest- trägliche Lagekorrekturmöglichkeit kann
mit Unsicherheiten behaftet sein. Bei (the-
oretisch) freier Verschiebungsmöglichkeit
des Brückenüberbaus würde die Aufstell-
temperatur der Frischbetontemperatur ent-
sprechen. Für das in den Bildern 8.7.1-20
und 21 gezeigte Beispiel war die Aufstell-
temperatur zu
TFrischbeton + ∆THydratationseinfluss mit
∆THydratationseinfluss = 5 K ermittelt worden.
Eine Abschätzung der Frischbetontem
peratur aus der Lufttemperatur ist kaum
möglich, da, wie Bild 8.7.1-23 zu entnehmen
ist, nur ein sehr schwacher Zusammenhang
zwischen der Frischbetontemperatur und
der zeitgleich vorherrschenden Lufttempe-
ratur besteht, zumal auch die Lufttempera-
tur nur ungenau vorherzusehen ist.
Bild 8.7.1‑23 Zeitgleiche Gegenüberstellung Eine Lösung liegt in dem Ansatz einer
von Lufttemperatur und Frischbetontempera- mittleren zu erwartenden Frischbetontem-
tur, aus [Readymix Beton, 2002] peratur. Bei dem Ansatz von z. B. 16 °C
8.7 Spezielle Probleme 753
[Pamp, 1991] befasst sich eingehend mit existieren Verfahren zur modellhaften Er-
diesen Auswirkungen der Hydratations- mittlung von Temperatureinwirkungen.
wärmeentwicklung auf Verbundbrücken. Die zur Beschreibung des Temperatur-
Die Berücksichtigung des Aufstelltem- zustands verwendeten idealisierten Ersatz-
peraturzustands durch zusätzliche additive temperaturverteilungen wirken gleichzeitig
Aufschläge zu den klimatisch bedingten auf das Bauwerk ein, weshalb sie innerhalb
Temperaturbeanspruchungen können in der Lastannahme „Temperatureinwirkung“
ein Sicherheitskonzept eingebunden wer- durch Kombinationsregeln zu überlagern
den. Hierfür liefert Bild 8.7.1-24 einen Vor- sind. Für die Interaktion zwischen verschie-
schlag. Es stellt den Zusammenhang zwi- den Bauwerkselementen bei exponierten
schen den charakteristischen Werten der Brückentragwerken wie z. B. Schrägkabel-
Temperatureinwirkungen Tk, max und Tk, min, brücken sind Zusatzüberlegungen erfor-
dem Referenztemperaturzustand T0 und derlich.
dem Aufstelltemperaturzustand TF her. Die Neben der Berücksichtigung der extre-
wesentlichen Sicherheitselemente bestehen men Temperaturzustände eines Brücken-
zum einen in den additiven Elementen tragwerks kann der Temperaturzustand
∆T0, min bzw. ∆T0, max zur Erfassung der während des Lagereinbaus von zu beach-
Unsicherheiten bei der Abschätzung der tender Bedeutung sein, da der augenblick-
Aufstelltemperatur und zum anderen in liche Temperaturzustand fixiert wird und
einem Sicherheitselement ∆Tγ im Sinne die nachfolgenden Temperaturreaktionen
eines Teilsicherheitsbeiwerts. an diese „neuen“ Randbedingungen ge-
knüpft sind.
Der Heißeinbau von Fahrbahnbelag ist
8.7.1.9 Zusammenfassung und abschließende wegen der hohen Einbautemperaturen bis
Hinweise 250 °C eine kurzzeitige, extreme Tempera-
tureinwirkung, die von der vorherrschenden
Die Temperaturreaktionen von Brücken- Wettersituation überlagert wird. Verallge-
tragwerken resultieren aus einem komple- meinerbare Lastansätze zu diesem Bauvor-
xen Zusammenspiel der thermischen Las- gang existieren derzeit noch nicht, weshalb
ten (Klima, Hydratationswärme, Heißein- eine spezifische Beurteilung der Auswirkun-
bau von Fahrbahnbelag etc.), der Einbet- gen auf das Tragwerk nur schwer möglich
tung der Brücke in die Umgebung und der ist. Gleichwohl können erhebliche Zwän-
geometrischen und thermophysikalischen gungsbeanspruchungen in der Fahrbahn
Bauwerkseigenschaften. Sie werden letzt- ebene auftreten und z. B. in orthotropen
lich zusammengefasst in idealisierte Ersatz- Fahrbahndecks bei der Überlagerung mit
temperaturverteilungen, die jedoch nur den Schweißeigenspannungen zur Ausbil-
einen Teil der tatsächlichen Bauwerksreak- dung lokal begrenzter Fließzonen führen.
tionen wie Längsdehnung und Tragwerks-
verkrümmung wiedergeben. Für die domi-
nierenden klimatisch bedingten Tempera- 8.7.2 Schwingungsprobleme
tureinwirkungen können damit in den
überwiegenden Fällen hinreichend sichere Hugo Bachmann
Lastannahmen getroffen werden. In den
Normenregelungen werden hierfür ent- 8.7.2.1 Immer mehr Schwingungsprobleme
sprechende Grenzwerte angegeben. Bei
Querschnittsgeometrien, die nicht durch In der Praxis des Brückenbaus treten im-
die drei Gruppen repräsentiert werden, mer mehr Schwingungsprobleme auf – es
8.7 Spezielle Probleme 755
Ausnahme bilden beispielsweise Straßen- weise aktiviert, und die dominante Fre-
brücken, die auch von Fußgängern benutzt quenz der dynamischen Radlasten sinkt auf
werden. Hier können starke Schwingungen 2,5 … 1,5 Hz ab (eher Hubschwingungen).
zur Beeinträchtigung des Komforts der Bei hohen Geschwindigkeiten sind die
Fußgänger führen. Solche Fälle sind ähn- Blattfedern meist voll aktiviert, und die
lich wie schwingende Fußgängerbrücken dominante Frequenz kann auf 1,5 … 1,2 Hz
(siehe Abschnitt 8.7.2.3) zu behandeln. absinken (eher Nickschwingungen). Bei
Die folgenden Ausführungen konzent- Fahrzeugen mit Luftfedern ist die Abhän-
rieren sich auf vertikale Schwingungen des gigkeit von der Fahrgeschwindigkeit gerin-
Hauptträgers (Fahrbahnträger) von Stra- ger, die dominante Frequenz der Radlasten
ßenbrücken; sie werden ergänzt durch ent- liegt im Allgemeinen bei 1,8 … 1,5 Hz.
sprechende kurze Hinweise zu Eisenbahn-
brücken.
8.7.2.2.3 Dynamische Eigenschaften von
Straßenbrücken
8.7.2.2.2 Dynamische Einwirkungen durch
Straßenlasten Eigenfrequenzen und Dämpfung von Stra-
ßenbrücken hängen von zahlreichen Pa
Wesentliche vertikale dynamische Kräfte rametern wie Tragsystem, Querschnittsge-
aus Straßenlasten entstehen durch Schwin- staltung, verwendete Baustoffe, konstrukti-
gungen von schweren Fahrzeugen. Dabei ve Durchbildung, Lagerungsbedingungen
sind vor allem die folgenden Phänomene usw. ab und können auch bei äußerlich ähn-
und Parameter von Bedeutung: lichen Objekten stark verschieden sein. Zur
Orientierung über die vorkommenden Grö-
• Unebenheiten (Welligkeit) der Fahrbahn
ßenordnungen dienen die Bilder 8.7.2-1
• Fahrgeschwindigkeit
[Bachmann, 1997] und 8.7.2-2 [Cantieni,
• Masse (Gewicht) des Fahrzeugs und An-
1991]. Die Grundfrequenz f nimmt erwar-
zahl der Radachsen
tungsgemäß mit der größten Spannweite
• Eigenschwingfrequenzen des Fahrzeugs,
ab; dabei sind aber die erheblichen Streu-
und damit verbunden
ungen zu beachten. Auch das logarith-
– Kennlinien der Federung durch Ver-
mische Dämpfungsdekrement, welches z. B.
änderungen des Reifenprofils und der
aus dem Ausschwingen einer Brücke nach
Radaufhängung (Blattfedern oder
dem Stoß eines Fahrzeugs beim Fahren über
Luftfedern)
ein auf die Fahrbahn gelegtes Brett bestimmt
– Eigenschwingungsformen des Fahr-
werden kann, variiert in weiten Grenzen.
zeugaufbaus (Hub- und Nickschwin-
Bei Verbundbrücken (Stahlträger mit Be-
gungen)
tonfahrbahnplatte) und erst recht bei Stahl-
Für die dynamische Antwort einer Brücke brücken ist die Dämpfung im Allgemeinen
besonders wichtig sind die dominante Fre- deutlich kleiner als bei Betonbrücken. Das
quenz und die Größe der dynamischen Dämpfungsdekrement δ kann in das Dämp-
Radlasten. Bei Fahrzeugen mit Blattfedern fungsmaß ζ (Verhältnis der Dämpfung zur
sind bei tiefen Fahrgeschwindigkeiten kritischen Dämpfung) umgerechnet wer-
noch sämtliche Blattfedern blockiert, so- den mit ζ = δ/2π. Wegen der großen Streu-
dass das Fahrzeug nur auf den Reifen mit ungen geben beide Darstellungen nur grobe
2,5 … 3,5 Hz schwingt. Überschreitet die Größenordnungen, und sie können in
Fahrgeschwindigkeit ein bestimmtes Maß konkreten Fällen nicht zur Annahme von
(z. B. 40 km/h), werden die Blattfedern teil- Rechenwerten benutzt werden.
8.7 Spezielle Probleme 757
Bild 8.7.2‑1 Grundfrequenz von 224 Straßenbrücken als Funktion von der größten Spannweite
[Bachmann, 1997]
Hier sei betont, dass diese Angaben nur ckenschwingungen ist das sogenannte dy-
für Balkenbrücken gelten. Für Schrägkabel- namische Inkrement:
und Hängebrücken können kaum allge- Adyn – Astat
mein gültige Hinweise für die Größenord- Ф = 991 ∙ 100 [%] (1)
nung von Grundfrequenz und Dämpfung Astat
gegeben werden. Darin ist Adyn die maximale Durchbiegung
im Messpunkt unter dynamischer und Astat
die maximale Durchbiegung im gleichen
8.7.2.2.4 Schwingungsverhalten von Punkt unter statischer Belastung mit dem
Straßenbrücken gleichen Fahrzeug.
Für Rechenzwecke wird im Allgemeinen
Repräsentativ für die Antwort einer Stra- der sogenannte dynamische Beiwert ver-
ßenbrücke auf die Überfahrt eines schweren wendet:
Fahrzeugs ist die Durchbiegungs-Zeit-
Ф 1 = 1 + Ф (2)
Funktion in der Mitte der größten Spann-
weite bzw. des weichsten Felds. Im Bild 8.7.2-4 ist das dynamische Inkre-
Bild 8.7.2-3 zeigt diese Funktion für eine ment Ф als Funktion von der Grundfre-
3-feldrige Brücke [Cantieni, 1991]. Eine quenz von 73 Betonbrücken mit üblichen
einfache Größe zur Beurteilung der Brü- Fahrbahnunebenheiten bei der Überfahrt
Bild 8.7.2‑4 Dynamisches Inkrement als Funktion von der Grundfrequenz von 73 Brücken bei der
Überfahrt eines 2-achsigen Fahrzeugs [Bachmann, 1997]
eines schweren Fahrzeugs mit Blattfedern der entsprechende dynamische Beiwert ge-
dargestellt [Bachmann, 1997]. Die Umhül- ringer ausfällt. Bild 8.7.2-5 zeigt einen Vor-
lende zeigt eine wesentliche Überhöhung schlag für die dynamischen Beiwerte Ф1 für
mit Ф = 70% im Bereich der dominanten Einzelfahrzeuge (2-achsige und die beson-
Frequenz der dynamischen Radlasten von ders kritischen 3- und 4-achsigen Lastwa-
2 … 4 Hz auf. gen, keine Sattelschlepper) einerseits und
Obschon die Brückenschwingungen im für eine aus den selben Fahrzeugen gebilde
Allgemeinen quasistationären Charakter te Kolonne andererseits [Cantieni, 1991].
haben, können sie nicht auf einfache Reso- Die Schwingungen des Hauptträgers von
nanzüberlegungen zurückgeführt werden. Straßenbrücken führen im Vergleich zur
Darauf weist auch der Befund hin, dass Wirkung derselben Fahrzeuge nur als ru-
die Größe der Dämpfung einer Brücke hende, d. h. statische Lasten zu unter Um-
keinen wesentlichen Einfluss auf das dyna- ständen wesentlich erhöhten Beanspru-
mische Inkrement zu haben scheint. Viel- chungen (Spannungen) in Längsrichtung;
mehr wird das Geschehen bei der Überfahrt sie können aber ebenso zur Ermüdung des
eines schweren Fahrzeugs über eine Brücke Hauptträgers beitragen, was vor allem bei
durch eine vielschichtige Interaktion zwi- Stahlbrücken und Stahl-Beton-Verbund-
schen Fahrzeug und Brücke bestimmt. Die- brücken zutrifft. Auch für den Nachweis
se bilden zusammen ein kompliziertes ge- der Ermüdungssicherheit werden daher die
koppeltes dynamisches System mit erhebli- maßgebenden statischen Lasten mit dem
chen Nichtlinearitäten, die vor allem durch dynamischen Beiwert multipliziert. Die aus
die in Abschnitt 8.7.2.2.2 erwähnte Verän- den erhöhten Lasten resultierenden Span-
derlichkeit der Fahrzeugeigenschaften be- nungen Δstat bzw. Spannungsdifferenzen
dingt sind. Für Bemessungszwecke müssen Δσstat dürfen bestimmte Grenzwerte nicht
daher weiterhin Erfahrungswerte aus Mes- überschreiten.
sungen herangezogen werden. Ergänzend sei hier bemerkt, dass bei
Für den Fall einer simultanen Überfahrt ungünstigen Belagsverhältnissen auch
von zwei und mehr Fahrzeugen in einer Schwingungen von Tragelementen der Brü-
Kolonne „kämpfen“ gewissermaßen die cke in Querrichtung (z. B. Fahrbahnplatte
Brückenschwingungen infolge der einzel- bei Straßenbrücken) wesentlich sein kön-
nen Fahrzeuge gegeneinander und kom- nen. Dabei handelt es sich um resonanz
pensieren sich dabei teilweise, so dass das ähnliche Schwingungen der Fahrzeugach-
resultierende dynamische Inkrement bzw. sen mit dem Tragelement meist im Bereich
8.7 Spezielle Probleme 759
Bild 8.7.2‑5 Vorschlag für die dynamischen Beiwerte für ein Einzelfahrzeug Ф1 und eine Fahr-
zeugkolonne Ф2 [Cantieni, 1991]
Bild 8.7.2‑6 Zeitlicher Verlauf der vertikalen Einwirkung einer Person durch Gehen mit einer
Schrittfrequenz von 2 Hz und entsprechendes Amplitudenspektrum
In der Formel für Fp(t) wurden die ersten Für die Größen ΔGi und φi (i = Nr. der
drei Harmonischen berücksichtigt. In eher Harmonischen) wurden die im Bild ange-
seltenen Fällen – vor allem beim Hüpfen – gebenen, in [Bachmann, 1997] empfohle-
kann auch noch die 4. und gar die 5. Har- nen Werte verwendet. Da die Schrittfre-
monische eine Rolle spielen. quenz, die Art des Schuhwerks und die
Bild 8.7.2-6 zeigt den zeitlichen Verlauf individuell unterschiedliche Weise des
der vertikalen Einwirkung eines Fußgän- Auftretens und Abrollens der Füße wie
gers beim Gehen mit einer Schrittfrequenz auch Schwingungen der Unterlage von
von 2 Hz. Aufgetragen sind die gesamte, Einfluss sind, können diese Größen nicht
d. h. durch beide Füße auf die Gehfläche unwesentlich variieren [Baumann/Bach-
ausgeübte Kraft und die harmonischen mann, 1988].
Anteile derselben sowie das entsprechende Beim Laufen – je nach Art – und immer
Amplitudenspektrum (Fourierspektrum). beim Hüpfen wird der Bodenkontakt
762 8 Berechnung
Bild 8.7.2‑7 Zeitlicher Verlauf der vertikalen Einwirkung einer Person (G = 720 N) durch Hüpfen
an Ort mit 2 Hz und entsprechendes Amplitudenspektrum [Bachmann, 1997]
Bezeichnung der einzelnen Harmonischen klein sind, genügen sie, um bei horizontal
weiterhin auf die Schrittfrequenz, so kön- weichen und somit niedrigfrequenten
nen die Amplituden der Harmonischen mit Tragwerken starke Schwingungen zu be-
ΔG1/2 , ΔG1 , ΔG3/2 , ΔG2 usw. benannt wer- wirken.
den; ΔG1/2 ist in Tat und Wahrheit die 1.
Harmonische des zeitlichen Verlaufs der Beispiel: Eine Fußgängerbrücke am Flugha-
horizontalen Einwirkung, sie wird indessen fen Genf ist als Stahlbeton-Durchlaufträger
meist als „Halbharmonische“ bezeichnet. mit Regelspannweiten von rund 15 m ausge-
Bild 8.7.2-8 zeigt Amplitudenspektren der bildet [Bachmann, 1992]. Bild 8.7.2-9 zeigt
horizontalen Einwirkung einer 584 N die Abmessungen. Die Gehwegplatte ist 4 m
schweren Person durch Gehen mit einer breit. Die Stahlbetonstützen von rund 7 m
Schrittfrequenz von 2 Hz [Schulze, 1980]. Höhe wiesen einen relativ kleinen Quer-
Man erkennt, dass auch hier obere Harmo- schnitt von 65 cm (in Brückenquerrichtung)
nische von Bedeutung sein können. In Rich- mal 30 cm (in Brückenlängsrichtung) auf, da
tung „horizontal quer“ treten vor allem sie nur für horizontale statische Windkräfte
Kräfte in der halben und der anderthalbfa- bemessen worden waren. Nach Schluss einer
chen Schrittfrequenz auf, während in Rich- abendlichen Großveranstaltung strömten
tung „horizontal längs“ vor allem solche zahlreiche Fußgänger von einer Seite her
in der ein- und zweifachen aber auch in der über die Brücke. Diese begann stark zu
halben, anderthalbfachen, usw. Schrittfre- schwingen, vor allem horizontal quer zur
quenz abgegeben werden. Je nach Person Brückenachse, aber auch in Längsrichtung.
und Bewegungszustand der Unterlage kann Es kam zu einer panikartigen Reaktion: Ein
die Größe der Amplituden im Vergleich zu Teil der Fußgänger rannte vorwärts zum
Bild 8.7.2-8 verschieden sein, z. B. sind für Ende der Brücke, um sich dort in Sicherheit
„horizontal quer“ Werte ΔG1/2/G auf ru- zu bringen, während ein anderer Teil um-
hender Unterlage bis ≈ 0,07 und auf stark kehrte und zurückrennen wollte. Die Fuß-
quer schwingender Unterlage bis ≈ 0,14 gänger erlebten die Schwingungen wie bei
möglich [Matsumoto, 1978]. Obschon die einem starken Erdbeben oder ähnlich wie auf
durch Personen beim Gehen und Laufen einem Schiff bei hohem Wellengang. Eine dy-
ausgeübten horizontalen Kräfte im Ver- namische Untersuchung zeigte, dass die
gleich zu den vertikalen Kräften relativ Grundfrequenz der Brücke horizontal quer
764 8 Berechnung
Genauere Empfehlungen für die rechne- vieler Fußgänger werden sich daher in der
risch anzusetzenden Größen ΔGi /G und φi Zeit abwechselnd sowohl unterstützen als
für Gehen, Laufen und Hüpfen (sowie für auch teilweise kompensieren. Exakte Vor-
andere rhythmische menschliche Körper- aussagen sind kaum möglich, da eben vie-
bewegungen) als Funktion von der Schritt- le verschiedene Parameter und Zufällig-
bzw. Hüpffrequenz sind in [Bachmann, keiten eine Rolle spielen. Für praktische
1997] angegeben. Zwecke genügend genau hat sich jedoch
der Ansatz nach [Matsumoto, 1978] er-
wiesen. Demnach kann ein Faktor m de
8.7.2.3.3 Einwirkung von mehreren Personen finiert werden, mit dem die für einen
und „Lock-in“ Effekt einzigen Fußgänger berechnete Schwin-
gungsamplitude in Brückenmitte zu mul-
Die obigen Ausführungen beziehen sich tiplizieren ist:
vorwiegend auf die Einwirkung durch eine m = λ ⋅ T0 (4)
einzige Person. Fußgängerbrücken werden
jedoch im Allgemeinen gleichzeitig durch λ: mittlere Ankunftsrate (Personen/s für
mehrere Personen beansprucht. Dabei ganze Brückenbreite) über einen be-
müssen die folgenden Arten von Einwir- stimmten Zeitraum (maximale mögli-
kungen unterschieden werden: che Ankunftsrate λmax ≈ 1,5 Personen
pro s und m Breite)
• Regellose Einwirkung T0 : erforderliche Zeit, um die Brücke der
• Synchrone Einwirkung Länge L mit der Geschwindigkeit vs zu
• „Lock-in“ Effekt passieren (T0 = L/vs).
Bei regelloser Einwirkung z. B. durch Ge- λ ∙ T0 : Anzahl der sich bei der mittleren
hen oder Laufen sind die Schrittfrequenz Ankunftsrate gleichzeitig auf der
und das Eigengewicht der beteiligten Per- Brücke befindenden Personen
sonen innerhalb eines bestimmten Berei- Dabei ist bereits berücksichtigt, dass eine
ches nach einer Häufigkeitskurve verteilt, über eine ganze Spannweite gleichmäßig
während der Phasenwinkel φ1 der 1. Har- verteilte Einwirkung nur etwa 60% der
monischen (auf beliebigen Zeit-Nullpunkt Durchbiegung durch die gleiche jedoch
bezogen) eine rein zufällige Verteilung konzentriert in Feldmitte angreifende Ein-
aufweist. Die dynamischen Einwirkungen wirkung erzeugt.
Zum Beispiel ergibt sich bei einer 2 m Von erheblicher praktischer Bedeutung
breiten und 26 m weit gespannten Brücke kann das Phänomen sein, welches als
beim Durchgang von 100 Personen/Minute Rückkopplungs- und Synchronisations
(λ = 1,66 Personen/s) und vs ≈ 1,5 m/s eine effekt oder, in Anlehnung an ähnliche Er-
Passierzeit von T0 = 26/1,5 = 17,3 s und da- scheinungen in der Aeroelastik bei Wirbel
mit ein Faktor m = 5,4. ablösung an umströmten schwingenden
Gleichung (4) kann bei Fußgängerbau- Körpern, als „Lock-in“ Effekt bezeichnet
werken mit einer Grundfrequenz f0 im wird. Es hat sich nämlich gezeigt, dass der
Bereich der häufigsten Schrittfrequenz, Mensch beim Gehen und Laufen sich in
d. h. bei normalem Fußgängerverkehr für seinen Bewegungen einer vertikal oder
f0 zwischen 1,8 und 2.2 Hz, direkt angewen- horizontal schwingenden Unterlage an-
det werden. Tiefere und höhere Schritt passt, sobald deren Verschiebungsamplitu-
frequenzen sind deutlich weniger häufig. de einen bestimmten Schwellenwert über-
Daher kann bei Grundfrequenzen f zwi- schreitet. Dann ist nämlich kein unbeein-
schen 2.2 und 2.4 Hz und zwischen 1,8 und flusstes Gehen bzw. Laufen mehr möglich,
1,6 Hz der Faktor m linear zum Wert mmin man „fällt aus dem Tritt“ und passt sich
= 2.0 abgemindert werden. Der Wert 2.0 bezüglich Schrittfrequenz und Phasenlage
entspricht dem Dahinschreiten zweier Per- (φ1) den Schwingungen der Unterlage an.
sonen im Gleichschritt. Der Schwellenwert ist richtungs- und
Bei synchroner Einwirkung durch meh- frequenzabhängig und kann je nach Indi-
rere Personen – z. B. eine Gruppe von Fuß- viduum (Alter, Konstitution usw.) recht
gängern im Gleichschritt oder beim syn- unterschiedlich sein. Für vertikale Schwin-
chronen Hüpfen an Ort – ergibt sich im gungen der Unterlage mit rund 2 Hz vari-
Vergleich zur Einwirkung einer einzigen iert der Schwellenwert (Amplitude) etwa
Person eine Vergrößerung, die bei der 1. zwischen 10 und 20 mm [Baumann/
Harmonischen nahezu linear mit der Anzahl Bachmann, 1988]. Für horizontale Schwin-
der Personen n zunimmt (Bild 8.7.2-11). Bei gungen quer zur Gehrichtung mit rund
oberen Harmonischen wirken sich wegen 1 Hz ist er kleiner, bei manchen Personen
der höheren Frequenzen bzw. kürzeren Peri- beginnt die Anpassung an die Schwingun-
oden stets vorhandene Unterschiede bei der gen der Unterlage bereits bei Amplituden
zeitlichen Synchronisation und bei anderen von 2 bis 3 mm.
Merkmalen (ΔGi/G, φi usw.) stärker aus und Überschreiten die Schwingungen einer
können zu wesentlichen Abminderungen Brücke den Schwellenwert einer darauf
des Multiplikationsfaktors führen. Der Grad gehenden Person, so synchronisiert sich
der Abminderung durch unperfekte Syn- diese mit der Brückenschwingung und tritt
chronisation gegenüber einer perfekten Syn- nun gewissermaßen in jedes Wellental der
chronisation bzw. linearen Vergrößerung Schwingung (mit Phasenverschiebung), wo-
hängt außer von der Harmonischen auch mit die Brücke eine resonanzähnliche und
von den betreffenden Umständen (Frequenz somit ungünstigere dynamische Anregung
bereich, Art der Aktivitäten usw.) ab. Zu- erfährt. Dadurch nehmen die Verschie-
mindest für eine kleinere Anzahl von Per bungsamplituden zu, wodurch weitere Per-
sonen erscheint jedoch die Annahme einer sonen sich mit der Brückenschwingung und
linearen Vergrößerung als angemessen (obe- somit untereinander synchronisieren. Es
rer Grenzwert). Z. B. können der Einwir- werden also immer mehr Personen gemäß
kung „mutwillige Anregung“ bei Fußgän- der englischen Bedeutung von „to lock“ in
gerbrücken 3 hüpfende Personen mit idealer die Synchronisation „eingeschlossen“ oder
Synchronisation zugrundegelegt werden. – deutsch – in diese „hereingelockt“.
8.7 Spezielle Probleme 767
Beispiel: Anlässlich der Eröffnung der neu Tabelle 8.7.2-2 Übliche Werte des Dämpfungs-
erbauten Millenniumsbrücke mit Spann maßes von Fußgängerbrücken [Bachmann,
weiten von 80 m – 140 m – 100 m über die 1997]
Themse in der Londoner City im Juni 2000 Dämpfungsmaß ζ
strömten zahlreiche Fußgänger über die Brü-
cke. Es entstanden starke Querschwingungen Konstruktions- min. mittel max.
mit Frequenzen bei etwa 1 Hz, die nach weise
späteren Schätzungen Amplituden von bis zu Stahlbeton 0,008 0,013 0,020
70 mm erreichten. Videoaufnahmen zeigten,
dass sich ein großer Teil der Fußgänger den Spannbeton 0,005 0,010 0,017
Schwingungen der Brücke angepasst und so Verbund 0,003 0,006 –
mit diesen synchronisiert hatte. Viele Fuß-
gänger konnten allerdings nicht mehr weiter Stahl 0,002 0,004 –
gehen und mussten sich am Geländer festhal-
ten. Die Brücke musste wieder geschlossen
werden. Im Rahmen der dynamischen Sa- wobei wie im Falle der Straßenbrücken die
nierung durchgeführte Laborversuche auf großen Streuungen zu beachten sind.
einer quer schwingenden Plattform ergaben, Die Dämpfung von Fußgängerbrücken
dass sich bei einer Amplitude von 5 mm be- – besonders von Stahlbrücken und auch
reits zwischen 30 und 50% der Fußgänger von Verbundbrücken (Stahlträger mit Be-
synchronisieren, und bei 30 mm sind es rund tongehwegplatte) – kann sehr gering sein,
80% [Imp. College, 2000]. Für eine Querbe- womit beim Passieren eines Fußgängers
schleunigung von 2% von g (vgl. Abschnitt starke Schwingungen entstehen können.
8.7.2.3.6) kann eine Synchronisation von Tabelle 8.7.2-2 gibt Hinweise für das äqui-
≈ 30% der Fußgänger angenommen werden. valente viskose Dämpfungsmaß ζ = δ/2π
aus einer Auswertung von Messungen an
43 Brücken, die durch jeweils einen einzel-
8.7.2.3.4 Dynamische Eigenschaften von nen Fußgänger angeregt wurden (nach A. J.
Fußgängerbrücken Pretlove et al. in [Bachmann, 1997]). Bei
In Richtung „horizontal quer“ ist auf- Maßnahme, die sich aber im Allgemeinen in
grund des Amplitudenspektrums (Bild der Praxis bewährt hat; sie kann vor allem
8.7.2-8 links) die Schwingungsgefahr am bei den häufig vorkommenden „normalen“
größten, wenn eine Brücke Eigenfrequen- Balkenbrücken mit Spannweiten bis etwa
zen bei etwa 1 Hz sowie allenfalls auch bei 50 m zur Anwendung empfohlen werden.
2 oder 3 Hz hat. Während etliche Fälle von
querschwingenden Brücken bei etwa 1 Hz
(≈ 0,7 bis 1,3 Hz) bekannt sind, ist dies von 8.7.2.3.8 Berechnung einer erzwungenen
solchen mit etwa 2 oder gar 3 Hz nicht der Schwingung und Begrenzung der Amplituden
Fall; deren Steifigkeit und Masse dürfte im
Allgemeinen so groß sein, dass durch die Die Frequenzabstimmung einer vorerst nur
relativ geringen Seitenkräfte der Fußgänger für statische Lasten entworfenen Fußgän-
keine störenden Schwingungen angeregt gerbrücke kann je nach Umständen zu
werden. Auf jeden Fall liegt eine Frequenz- einem erheblichen Mehraufwand führen.
abstimmung auf > 3,4 Hz auf der sicheren In solchen Fällen können speziellere Unter-
Seite. suchungen angezeigt sein. Im Vordergrund
In Richtung „horizontal längs“ können steht meist die Berechnung einer erzwun-
analoge Überlegungen angestellt und kri- genen Schwingung und Vergleich der resul-
tische Frequenzbereiche identifiziert wer- tierenden Amplituden mit Anhaltswerten.
den, insbesondere bei etwa 1 Hz sowie mög- Wenn nötig müssen dann Maßnahmen
licherweise bei 2 Hz und allenfalls auch bei getroffen werden, um die Amplituden zu
3 Hz (Bild 8.7.2-8 rechts). Häufig ist es begrenzen.
allerdings so, dass bei in Längsrichtung Für eine stationäre harmonische Reso-
rechnerisch weichen Brücken die Lagerrei- nanzschwingung (Zustand nach dem Ein-
bung Schwingungen verhindert. Bei Rah- schwingvorgang) bei Einwirkung einer
menbrücken jedoch ist Vorsicht geboten. einzelnen Person in Feldmitte gilt:
Bild 8.7.2-13 zeigt die kritischen Fre- d = ds/2ζ ; v = 2π f ds/2ζ ;
quenzbereiche für Fußgängerbrücken, die
durch eine Frequenzabstimmung möglichst a = 4π 2 f 2 ds/2ζ (5)
zu vermeiden sind. d, v, a Amplituden der Durchbiegung bzw.
Die Frequenzabstimmung von Tragwer- Geschwindigkeit bzw. Beschleuni-
ken ist eine relativ grobe und pauschale gung in Feldmitte
ds Statische Durchbiegung infolge ΔG etwa 3,5 und 4,5 Hz und niedriger Dämp-
f Eigenfrequenz der Brücke und Fre- fung mit der Berechnung einer erzwunge-
quenz der maßgebenden Harmoni- nen Schwingung zu klären versucht werden,
schen mit der Amplitude ΔG ob Veränderungen bei der Steifigkeit wie
ζ Dämpfungsmaß Vergrößerung der Querschnittsabmessun-
gen usw. angezeigt sind.
Die Einwirkung mehrerer Personen kann Als Sondermaßnahmen kommen vor
durch die Multiplikation bei regelloser Ein- allem unkonventionelle Versteifungen in
wirkung mit dem Faktor m und bei syn- Frage, die natürlich meistens die Eigenfre-
chroner Einwirkung mit der Anzahl der quenzen erhöhen, z. B.
Personen n erfasst werden (s. Abschnitt
8.7.2.3.3). Anleitungen zu Berechnungen • nur für Nutzlasten wirksame Einspan-
mit Berücksichtigung des Einschwingvor- nung des Hauptträgers bei einem oder
gangs und weiterer Einflüsse werden z. B. in mehreren Widerlagern
[Bachmann, 1997] und [Grundmann et al., • Anbringen eines steiferen Geländers
1993] gegeben. Natürlich können auch üb- („Gebrauchstauglichkeits-Tragwerk“)
liche Computerprogramme eingesetzt wer- • Seilabspannungen (vertikal, horizontal
den; dabei empfiehlt sich aber immer eine oder schräg)
Überprüfung der Resultate durch einfache Eine Erhöhung der Dämpfung durch Ver-
Handrechnungen, die ja auch den Überblick änderungen am Tragwerk, an Verbindun-
und das Verständnis der Zusammenhänge gen, an Lagern usw. kann ebenfalls in Be-
fördern und damit helfen, grobe Fehler zu tracht gezogen werden, doch stehen dem
vermeiden. In jedem Fall besteht eine sehr meist erhebliche praktische Schwierigkei-
wichtige direkte Abhängigkeit der Rechen- ten entgegen. Hingegen kann der Einsatz
ergebnisse vom Dämpfungsmaß ζ. Dieses ist von Schwingungstilgern eine wirksame
oft sehr schwierig genauer vorherzusagen und kostengünstige Alternative sein.
und muss deshalb vorsichtig angenommen
werden (Tabelle 8.7.2-2), was die Nützlich-
keit einer „genauen“ Schwingungsberech- 8.7.2.3.9 Beruhigung durch Schwingungstilger
nung erheblich beeinträchtigen kann.
Der Vergleich der berechneten Amplitu- Tilger sind Massen-Feder-Dämpfer, die be-
den mit Anhaltswerten zeigt, ob Maßnah- züglich ihrer Eigenfrequenz und Dämp-
men wie Erhöhung der Steifigkeit usw. fung genau abgestimmt sein müssen auf die
ergriffen werden müssen. Hiermit kann dynamischen Eigenschaften des zu beruhi-
versucht werden, die Amplituden auf ein genden Tragwerks. Tilger können verwen-
akzeptables Maß zu begrenzen. det werden für die
Erfahrungen haben gezeigt, dass bei
Fußgängerbrücken mit einer vertikalen • Schwingungssanierung von bestehen-
Grundfrequenz von etwa 2 Hz die Berech- den Brücken
nung einer erzwungenen Schwingung mit • Planung und dynamische Bemessung
Amplitudenbegrenzung meist zu ähnlichen von neuen Brücken
Ergebnissen führt wie eine Frequenzab- Ein Tilger ist also ein schwingendes Zusatz-
stimmung. Differenziertere Erkenntnisse system, das an ein schwingendes Hauptsys-
sind eher bei Brücken mit höheren Eigen- tem angebracht wird. Er besteht aus einer
frequenzen zu erwarten. Z. B. kann bei Masse, einer Feder und einem Dämpfer
Stahl- und Verbundbrücken mit einer verti- (oder mehreren parallelen Federn und
kalen Grundfrequenz im Bereich zwischen Dämpfern). Eine gute Abstimmung der Til-
772 8 Berechnung
Bild 8.7.2‑14 Dynamisches Modell des Haupt- Bild 8.7.2‑15 Beispiel für den Einfluss des
systems (Tragwerk) mit Tilger [Bachmann, Dämpfungsmaßes eines Tilgers auf die Schwin-
1997] gungen des Hauptsystems [Bachmann, 1997]
8.7 Spezielle Probleme 773
Bild 8.7.2‑16 Fußgänger und Radfahrerbrücke aus Stahl mit niedriger Dämpfung und entspre-
chend starken Schwingungen [Bachmann, 1992]
Bild 8.7.2‑17 Schwingungstilger zur dynamischen Sanierung der Brücke von Bild 8.7.2-16 [Bach-
mann, 1992]
einer Beschleunigung von ≈ 1 m/s2 und das Eigengewicht kompensiert gewesen, die
0,40% bei ≈ 4 m/s2; somit war fast nur Brücke hätte von ihren Auflagern abgehoben
Materialdämpfung (Stahl) und nur eine ge- und einen eigentlichen Luftsprung gemacht,
ringe Systemdämpfung (Verbindungen, Lager, wie das in anderen Fällen schon vorkam.
usw.) vorhanden. Durch eine an Ort hüpfende Die Dynamische Sanierung erfolgte durch
Person konnten Brückenschwingungen mit 2 Schwingungstilger (Bild 8.7.2-17) von
einer Beschleunigung in Brückenmitte von ≈ 9 schmaler Bauart, die in der Mitte der Haupt-
m/s2 (!) erzielt werden. Das sind 90% der Erd- spannweite an der Innenseite der Stahlträger
beschleunigung. Bei 100% (gemittelt) wäre angebracht und mit einer Blechverschalung
8.7 Spezielle Probleme 775
Bild 8.7.2‑18 Schwingungen der Brücke von Bild 8.7.2-16 durch Hüpfen einer Person mit blo-
ckierten und mit aktiven Tilgern [Bachmann, 1992]
versehen wurden. Die Tilger sind somit von der dreieckförmigen Untersysteme aus
der Gehwegplatte her für Kontrollen usw. gut Brückenträger, Pylon und Seil ein zumin-
zugänglich. Bild 8.7.2-18 zeigt die Brücken- dest in vertikaler Richtung vergleichsweise
schwingungen beim Hüpfen einer Person, steifes und entsprechend schwingungsun-
mit blockierten und mit aktiven Tilgern. Die empfindliches System [Petersen, 2001]. Die
Tilger sind in diesem Fall äußerst effizient: Schrägkabel selbst hingegen sind wegen
Sie reduzieren die Schwingungen um etwa ihrer oft großen Länge (Schlankheit) und
den Faktor 20 auf einen Wert von ≈ 0,5 m/s2 geringen Dämpfung als stark schwingungs-
(≈Anhaltswert). anfällige Bauteile einzustufen.
Die Tilgertechnik wird in Zukunft eine Als Seile (Kabel) kommen vor allem zwei
noch größere Bedeutung erlangen. Unter verschiedene Arten zum Einsatz:
anderem dürften auch Tilgersysteme wich- • Verschlossene Spiralseile aus mehreren
tig werden, bei denen auf einfache z. B. Lagen von Rund- und Z-Drähten ohne
elektromagnetische Weise die Federsteifig- Hüllrohr
keit und das Dämpfungsmaß verändert • Parallel-Draht und -Litzen-Bündel aus
und somit z. B. Eigenschwingungen des Runddrähten in einem dickwandigen
Hauptsystems mit unterschiedlichen Fre- Kunststoff- oder Stahlrohr, verpresst mit
quenzen durch einen einzigen Tilger ge-
Zementmörtel oder Epoxydharz usw.
dämpft werden können. Hinweise dazu zwecks Versteifung bzw. Korrosions-
sind in [Footbridge, 2002] zu finden. schutz.
Bild 8.7.2‑19 Phänomene bei durch Regen und Wind induzierten horizontalen bzw. vertikalen
Schwingungen mit von links nach rechts zunehmender Windgeschwindigkeit [Petersen, 2001]
8.7 Spezielle Probleme 777
Rands der Pazifischen Platte zu verzeich- bens nach C. F. Richter in folgendem, em-
nen, wovon Staaten wie Chile, Mexiko, pirisch ermittelten, Zusammenhang:
USA, Japan, Taiwan, die Philippinen und
Neuseeland besonders betroffen sind. Die log E [Nm] = 4,8 + 1,5 M (2)
freigesetzte Energie von dort registrierten Die Kenntnis der Erdbeben-Magnitude
Erdbeben soll etwa 75% der bei Erdbeben allein genügt allerdings nicht, um das mög-
in der gesamten Welt freigesetzten Energie liche Ausmaß von Schäden an Baukon-
betragen. Die zweite wichtige Erdbebenzo- struktionen an einem bestimmten Ort zu
ne verläuft von der Himalaja-Region über beurteilen. Das Schadensausmaß wird sehr
den Iran und die Türkei bis zum Mittel- stark vom Übertragungsweg der vom Erd-
meerbereich. beben verursachten Wellen und mithin in
Ein Erdbeben kann durch eine Reihe erster Linie von der Entfernung zum Epi-
charakteristischer Parameter gekennzeich- zentrum mitbestimmt. Aus diesem Grund
net werden. Dazu gehören wurde der Begriff der Erdbebenintensität
• die geographische Lage des Epizent- eingeführt. Er stellt ein Maß für die Boden-
rums, bewegung an beliebigen Orten dar. In der
• die Magnitude und Regel ist festzustellen, dass die Intensität mit
• die Intensität. steigendem Abstand vom Epizentrum ab-
nimmt. Jedoch gibt es davon auch Ausnah-
Das Epizentrum ist als die Projektion des men, wie der Fall des Mexiko-Erdbebens
Orts des Anfangspunkts des Bruchs/Herds von 1985 zeigt, bei dem sich schwere Schä-
auf die Erdoberfläche definiert. Die Magni- den an Hochhäusern im 400 km vom Epi-
tude ist ein Maß für die Stärke eines Erdbe- zentrum entfernten Mexiko-City ereigne-
bens. Dafür gibt es mehrere Definitionen. ten. Verantwortlich dafür war der von ei-
Ursprünglich schlug C. F. Richter folgende nem ausgetrockneten ehemaligen See her-
Gleichung vor: rührende weiche Baugrund von Mexiko-
ML = log A – log A0 (1) City, der bestimmte Schwingungen bevor-
zugt auf die Erdoberfläche übertragen hat.
Hier bedeutet ML die in logarithmischer Als Maßstab der Intensität wird häufig
Skala angegebene sogenannte lokale Mag- die Modifizierte Mercalli-Intensität (MMI)
nitude, A die maximale Amplitude der an benutzt, die eine Skala von 12 Stufen (I –
einem 100 km von Epizentrum entfernten XII) verwendet. In Japan ist die von der
Ort mit Hilfe eines Wood-Anderson-Seis- Japan Meteorological Agency (JMA) einge-
mographen registrierten Bodenbewegung führte Skala mit 9 Stufen (1–7 einschließ-
in Mikrometern (1 μ = 10–6 m) und log A0 lich der geteilten Stufen 5 und 6) üblich.
einen Korrekturwert als Funktion der Ent- Mittlerweile wird, besonders in Europa,
fernung für den Fall, dass sich das Instru- vermehrt die 12 stufige EMS-Skala (Euro-
ment in anderer Entfernung als 100 km pean Macroseismic Scale) verwendet, die
vom Epizentrum befindet. Später wurden eine Weiterentwicklung der MMI-Skala
andere Definitionen für die Magnitude darstellt.
vorgeschlagen, so zum Beispiel die Oberflä-
chenwellenmagnitude Ms , die Raumwel-
lenmagnitude Mb , die Momentenmagnitu- 8.7.3.3 Antwortspektrum
de Mw , wobei versucht wurde, dass diese
Kennwerte im Prinzip mit ML in Einklang Die obengenannten Erdbebenkennwerte
stehen. Mit der Magnitude M steht die frei- wie Magnitude und Intensität allein gestat-
werdende Gesamtenergie E eines Erdbe- ten noch kein näheres Verständnis für das
780 8 Berechnung
t
1 einem Diagramm mit ζ als Parameter abge-
u( t) = − ∫
ω 0
bildet werden können. Antwortspektren
1 t sind damit nicht nur als Hilfsmittel für die
u( t) = − ∫ − mu��g (τ ) e −ζω (t −τ ) sin ω (t − τ ) dτ (8) Bemessung von Bauwerken und die Über-
ω 0
prüfung ihrer Erdbebenwiderstandsfähig-
− mu��g (τ ) e −ζω (tkönnen
Entsprechend −τ ) sin ωdie τ ) dτ
(t −Zeitverläufe der keit von Bedeutung, wie später erläutert
Relativgeschwindigkeit und der Beschleu- wird, sondern sie spiegeln ganz besonders
nigung sowie die entsprechenden Antwort- gut die dynamische Charakteristik eines
spektren Sd für die (Relativ-)Verschiebung, Erdbebens in ihrer Auswirkung auf die
Sv für die (Relativ-)Geschwindigkeit und Sa Schwingungsantwort eines Bauwerks. Ein
für die Beschleunigung berechnet werden. Beispiel ist im Bild 8.7.3-2 dargestellt
Dabei stehen die Indizes d für „displace- [Committee for Steel Structures, 1999].
ment“, v für „velocity“ und a für „accelera- Das Antwortspektrum darf jedoch nicht
tion“. mit dem Fourier-Spektrum der Schwin-
Setzt man näherungsweise voraus, dass gungsantwort eines Einmassenschwingers
der zur maximalen Antwort gehörende (vorgegebener Eigenfrequenz) auf ein Erd-
Schwingungs-Halbzyklus einer Sinushalb- beben verwechselt werden. So ist zum Bei-
welle entspricht, so kann man einen ein- spiel der Wert des Beschleunigungs-Ant-
fachen Zusammenhang zwischen den Ant- wortspektrums Sa für T = 0 nicht null, wie
wortspektren für diese drei Größen herstel- es bei einem Fourier-Spektrum für ω → ∞
len. Dann lässt sich nämlich schreiben: gelten würde, was formal T → 0 entspräche.
Das Antwortspektrum liefert für diesen
u max = Sd (ζ , ω ) = |u(ζ ,ω , t)|max
Fall die Antwort eines vollkommen starren
1 Schwingers, der als Maximalbeschleuni-
= Sv (ζ , ω ) (9)
ω gung den betragsmäßigen Maximalwert
der Bodenbeschleunigung aufweist.
Das so erhaltene Verschiebungsantwort-
spektrum, das auch als ein Maß der Erdbe-
benintensität betrachtet werden kann, wird 8.7.3.4 Erdbebenbeanspruchung beim
als Pseudo-Verschiebungs-Antwortspek- Entwurf von Brückenbauwerken
trum bezeichnet, da es den Maximalwert
des Verschiebungszeitverlaufs im Allge- Obwohl die Einwirkung von Erdbeben sehr
meinfall nicht völlig exakt angibt. In analo- oft durch den Ansatz von horizontalen
ger Weise lässt sich auch die Pseudobe- Kräften (Lasten) erfasst wird, stellt das Erd-
schleunigung Spa berechnen: beben genaugenommen nicht eine Kraft-
einwirkung dar, sondern eine dem Bauwerk
Spa = ω Sv = ω 2 Sd ≈ Sa (10) über die Gründung aufgezwungene Bewe-
Sa beziehungsweise Spa können als Maßstab gung des Baugrunds. Um für den erdbe-
für die im Schwinger entwickelte maximale bensicheren Entwurf von Brücken hieraus
Federkraft Fs, max angesehen werden, da die auftretenden Bemessungskräfte sowie
Verformungen bestimmen zu können,
Fs ,max = kSd = ω 2 mSd = mSa müssen dem für die Tragwerksplanung ver-
(11)
antwortlichen Ingenieur unbedingt geeig-
ist. Jede der oben erwähnten Spektralant- nete Beschreibungen der zu erwartenden
worten ist eine Funktion des Dämpfungsma Erdbeben zur Verfügung stehen, was in
ßes ζ und der Eigenkreisfrequenz ω, so dass Form von Zeitverläufen der Bodenbe-
sie über der Eigenschwingzeit T (= 2 π/ω) in schleunigung oder durch Antwortspektren
782 8 Berechnung
geschehen kann. Dies stellt allerdings tren für einen bestimmten Bauwerksstand-
manchmal eine Schwierigkeit dar, weil es ort von Nutzen sein, auch wenn für den
für viele Standorte an ausreichenden Daten Bauwerksstandort bisher keine Messungen
mangelt. Insbesondere sind Messungen der von Erdbebenereignissen vorliegen. Den-
Zeitverläufe von Starkbeben vielfach nicht noch ist nicht auszuschließen, dass sich ein
in ausreichendem Maße verfügbar, um Erdbeben mit einer Charakteristik, die man
Erdbeben als statistisch zu erfassende Er- sich bisher nicht vorstellen konnte, ereig-
eignisse mit genügender Aussagesicherheit nen wird, wie zum Beispiel das Hyogo-ken
zu charakterisieren. Nanbu Erdbeben von 1995 in Japan gezeigt
Angesichts dieser Problematik bemüht hat.
man sich, unter Einbeziehung seismologi- Obwohl ein starkes Erdbeben sich auf
scher Erkenntnisse möglichst geeignete die Bemessung von nicht wenigen Bautei-
Erdbeben für die Berechnung einer Kon- len einer Brücke auswirken kann, ist zu be-
struktion für den Erdbebenfall zugrunde zu rücksichtigen, dass die Eintrittswahrschein-
legen. So können an anderen Orten gemes- lichkeit eines solchen Ereignisses während
sene Erdbebenzeitverläufe oder ihre Spek- der erwarteten Lebenszeit einer Brücke
8.7 Spezielle Probleme 783
sehr gering ist. Aus ökonomischer Sicht ist le Werte der Verschiebung, der Geschwin-
es daher nicht vertretbar, Brückenbauwerke digkeit und der Beschleunigung bekannt.
so zu dimensionieren, dass sie Starkbeben Damit lässt sich auch die auf den Schwinger
ohne jegliche Schädigung ertragen können. einwirkende Kraft berechnen, woraus
Es ist deshalb anerkannte Praxis, zum Bei- Spannungen bestimmt werden können.
spiel in USA und Japan, zwei verschieden- Dieses Vorgehen lässt sich auch für Struk-
artige Erdbebenereignisse in der Phase des turen mit mehreren Freiheitsgraden (mul-
Brückenentwurfs zugrunde zu legen. So ti-degree-of-freedom-systems, MDOF-sys-
wird als ein Ereignis ein während der Nut- tems) erweitern. Dabei wird die Methode
zungsdauer der Brücke höchstwahrschein- der Modalanalyse verwendet.
lich zu erwartendes Erdbeben für die Über- Für MDOF-Systeme mit n-Freiheitsgra-
prüfung der Gebrauchstauglichkeit zugrun- den gilt folgende Differentialgleichung in
degelegt. Das heißt, dass beim Eintreten Matrizenform:
eines solchen Erdbebenereignisses keine
oder nur geringfügige, leicht reparierbare Mü + Cu̇ + Ku = –MIüg (t) (12)
Schäden bei einer Brücke entstehen dürfen. wobei M die Massenmatrix, C die Dämp-
Das andere Bemessungserdbeben soll das fungsmatrix und K die Steifigkeitsmatrix
stärkste, am Bauwerksstandort zu erwar- sind. I ist eine aus eins oder null bestehende
tende seismische Ereignis repräsentieren Matrix, v∙∙g die gegebene Bodenbeschleuni-
und dient dazu, die Standsicherheit zu gung. Die Matrix I ist nur an den Stellen mit
überprüfen. Dabei dürfen je nach Wichtig- dem Wert Eins besetzt, wo die Richtung des
keit der betroffenen Brücken entsprechend entsprechenden Maßfreiheitsgrads mit der
den in USA und Japan geltenden Regelwer- Richtung der Bodenbewegung überein-
ken zwar leichte oder schwere Schäden hin- stimmt. Dabei werden vernachlässigbare
genommen werden, nicht jedoch das Ver- Massen (z. B. Drehmasse) im Allgemeinen
sagen des Tragwerks. nicht berücksichtigt, so dass in der Diago-
nale der Massenmatrix M teilweise auch
Nullen auftreten können. In einem solchen
8.7.3.5 Dynamische Analyseverfahren für Fall sind vorher und nachher einige Matrix
Erdbebenbeanspruchung operationen nötig. Hier wird jedoch ange-
nommen, dass mit jedem Freiheitsgrad
Für die Berechnung der dynamischen Be- auch eine Masse verbunden ist. Dann erhält
anspruchung von Brücken infolge Erdbe- man aus der Gleichung
beneinwirkung stehen mehrere Verfahren
zur Verfügung. Dies sind Mu∙∙ + Ku = 0 (13)
für die genauere Berechnung der Antwort legt, nämlich eins mit hoher und eins mit
der MDOF Systeme am besten geeignet, be- kleiner Eintretenswahrscheinlichkeit. Das
zieht sich aber stets auf ein spezifisches Erd- zuletzt genannte ist weiter in zwei Typen
beben. Dies muss als ein Nachteil des Ver- (Typ I und Typ II) unterteilt. Die Bodenbe-
fahrens gewertet werden, da in der Praxis wegung des Typs I repräsentiert an der Plat-
wegen der Vielfältigkeit der zu erwartenden tengrenze zu erwartende Starkbeben wie
Erdbeben eine ganze Reihe aufwendiger das Great Kanto Erdbeben 1923. Mit Typ II
Antwortberechnungen mit verschiedenen sollen die im Inland eintretenden, extremen
Seismogrammen erforderlich sind. Erdbeben wie das Hyogo-ken Nanbu Erd-
beben 1995 berücksichtigt werden.
Nach den in Japan geltenden Vorschrif-
8.7.3.6 Erdbebensicherer Entwurf von ten ist die anzuwendende Analysemethode
Brückenbauten in Japan [Japan Road von der Wichtigkeit und der Komplexität
Association, 1996 und Unjoh, 1999] der betroffenen Brücke und der Intensität
der Bodenbewegung abhängig. Folgende
Der Nachweis der Erdbebensicherheit von Analysemethoden sind angegeben (Tabelle
Brücken wird im Allgemeinen nach den 8.7.3-1):
einschlägigen Vorschriften durchgeführt, • statische Methoden:
die für die Berechnung der auftretenden – Ersatzkoeffizientenmethode
Bauteilbeanspruchungen insbesondere in für Bodenbewegung mit hoher Eintre
Lagern, Pfeilern und Gründungen. tenswahrscheinlichkeit anzuwenden
In den „Design Specifications for High- – Duktilitätsüberprüfungsmethode
way Bridges 1996“ der Japan Road Asso für Bodenbewegung mit kleiner Ein
ciation sind, wie in Tabelle 8.7.3-1 darge- tretenswahrscheinlichkeit anzuwen-
stellt, zwei Bemessungs-Erdbeben festge- den
Pfeiler und der Fundamente angewendet klasse der Brücke (Typ A oder B, siehe
wird, berechnen sich dynamische Träg- Tabelle 8.7.3-1) und des Typs des Bemes-
heitskräfte mit folgendem seismischen Ko- sungserdbebens (Typ I oder II, siehe Tabel-
effizienten khe : le 8.7.3-1) abhängig ist. Die Gl. (18b) ist auf
der Grundlage des Energieäquivalenzprin-
khc = cz khco ≥ 0.3 (18a)
zips hergeleitet. Dabei wird angenommen,
khc dass plastische Gelenke am unteren Ende
khe = ≥ 0. 4 c z (18b) der Pfeiler und/oder an den oberen Enden
2 µa − 1
der Pfähle eintreten.
Bei der Duktilitätsüberprüfungsmetho-
δu − δ y de werden dann nach der Elastizitätstheo-
µa = 1 + (18c)
α ⋅δy rie die auf die einzelnen Pfeiler einwirken-
den horizontalen Kräfte ermittelt und mit
(für Betonpfeiler) den horizontalen Traglasten der entspre-
wobei khco der Normalwert des horizonta- chenden Pfeiler verglichen. Dabei sind zwei
len, seismischen Koeffizienten ist, der ab- verschiedene Brucharten, nämlich Biege-
hängig von den Bodenklassen I, II und III bruch (flexural failure) und Schubbruch
angegeben wird (Bild 8.7.3-4). μa ist der (shear failure) zu unterscheiden. Die hori-
zulässige Verschiebungsduktilitätsfaktor zontalen Traglasten der Stahlbeton- und
der Betonpfeiler. Die Gleichung von μa für der mit Beton gefüllten Stahlpfeiler ermit-
mit Beton gefüllte Stahlpfeiler unterschei- teln sich nach den Vorschriften, wobei
det sich geringfügig von Gl. (18c). δu ist die nichtlineares Verhalten der Pfeiler berück-
Grenzverschiebung (u steht hier für „ulti- sichtigt wird. Für die Brücken der Wichtig-
mate“) und δy die Fließverschiebung (bei keitsklasse B (siehe Tabelle 8.7.3-1) muss
Beginn des Fließens). α ist ein Sicherheits- nicht nur die Tragfähigkeit, sondern auch
faktor, dessen Wert von der Wichtigkeits- die verbleibende Verschiebung der Pfeiler
788 8 Berechnung
Bild 8.7.3‑5
Kraftreduktionskoeffizient Z
790 8 Berechnung
Wenn auch die Darstellung der Erdbe- pendent power spectrum) und der Zeitver-
benwirkung durch Antwortspektren die laufsmethode (time history representation).
zumeist gebräuchliche und von der Norm In beiden Fällen muss sichergestellt sein,
genutzte Methode ist, so erlaubt EN 1998 dass die so beschriebenen Einwirkungen
auch alternativ die Benutzung standortspe- konsistent mit der Darstellung durch Ant-
zifischer Leistungsdichtespektren (site de- wortspektren sind.
9 Herstellung und Ausführungsmethoden
stellt. Mehrfeldrige und nebeneinander lie- von denen mehrere in einer Ebene zu einem
gende Überbauten fertigt man abschnitts- sog. Rüstjoch (Pendelwand) und mehrere
weise mit umsetzbaren oder verschiebli- Rüstjoche wiederum durch Anordnung ent-
chen Lehrgerüsten. sprechender Aussteifungen zu sog. Rüsttür-
men (Doppeljoche) verbunden werden. Mit
Herstellung auf stationärem Lehrgerüst derartigen Lehrgerüsten lassen sich bei ent-
Das älteste Verfahren zur Herstellung von sprechenden Rüstträgerlängen Verkehrsräu-
Brücken ist das Einschalen und Einrüsten me unter den Überbauten freihalten. Ande-
des gesamten Überbaus. Einfache Lehrge- rerseits kommen auch Rahmenstützen zur
rüste mit Stützen in relativ engem Abstand Anwendung, die aus 4 Rahmenstielen mit
wurden früher aus Holz gezimmert. Für entsprechenden Verbänden in allen 4 Ebenen
Bogenbrücken sind z. T. beachtliche Zim- bestehen. Der Abstand der Rahmenstützen
mermannskonstruktionen errichtet wor- ist so gering, dass zur Abfangung der Lasten
den, die allein schon große Ingenieurleis- aus der Schalung keine stählernen Rüstträger
tungen darstellen. Der Überbau wird hier- erforderlich werden (Bild 9.1.1-1).
bei auf seiner gesamten Grundrissfläche Technische Angaben von Rüststützen,
eingerüstet. Hölzerne Lehrgerüste sind in Rahmenstützen und Rüstträgern der seri-
[Völter, 1986] ausführlich beschrieben und enmäßig gefertigten Baukastensysteme
werden hier nicht behandelt. enthalten [Nather et al., 2005] und [Holst/
Die stählernen Lehrgerüste bestehen aus Holst, 2004] bzw. die Kataloge der Herstel-
Rüstträgern, Rüststützen und vertikalen ler, wie z. B. [Das komplette Gerüstbaupro-
Verbänden in Längs- und Querrichtung gramm, 1995]. Grundlegende Neuentwick-
sowie aus horizontalen Verbänden. Die lungen gibt es im Lehrgerüstbau etwa seit
Rüstträger übernehmen die Lasten unmit- 15 Jahren aufgrund des rückläufigen Bau-
telbar aus der Schalung und leiten diese an volumens und der Marktsättigung an Rüst-
die Rüststützen weiter. Als Rüstträger kom- systemen nicht mehr. Eine Ausnahme bil-
men Fachwerkträger zur Überbrückung det die Weiterentwicklung von Schwerlast-
großer Spannweiten oder Walzprofilträger stützen (z. B. [Allround-Gerüst, 2000] und
in der Form von Breitflanschprofilen zur [Moderner Traggerüstbau, 2001]).
Anwendung. Die Rüstträger aus zusam- Rüstjoche, Rüsttürme, Rahmenstützen
mensetzbaren Fachwerkelementen mit und Druckgurte der Rüstträger müssen
oder ohne Unterspannmöglichkeit sind durch Verbände ausreichend ausgesteift
stufenweise längenveränderlich. sein, um planmäßige Einwirkungen, wie
Bezüglich der Rüstträgerunterstützungen Wind und Abtriebskräfte aus Schrägstel-
unterscheidet man einerseits Rüststützen, lung der Rüstträger bei nicht horizontaler
Bild 9.1.1-1 Lehrgerüst unter Verwendung von stählernen Rahmenstützen nach [Holst, 1998], S. 486
798 9 Herstellung und Ausführungsmethoden
Rüstträger und damit die Rüststützen in en- entweder von Feld zu Feld umgebaut oder
gerem Abstand anzuordnen (Bild 9.1.1-2). verschieblich ausgebildet. In Abhängigkeit
Die Herstellung der Gesimskappen erfolgt von der jeweils vorhandenen Gelände
i. d. R. mit Simsschalwagen. struktur, der Gestaltung von Über- und Un-
terbauten und der Art des Rüstmaterials
Abschnittsweise Herstellung werden entweder die Rüstträger einschließ-
auf einem Lehrgerüst lich der Rüstjoche bzw. –türme oder nur die
Bei mehrfeldrigen Brücken aus Ortbeton Rüstträgerlage verschieblich ausgebildet.
führte das Streben nach Effektivität und Bei stark wechselnden Geländehöhen ist es
Verkürzung der Bauzeiten zur abschnitts- zweckmäßig, entweder entsprechend dem
weisen Herstellung auf umsetzbarem oder Geländeverlauf ein stationäres Untergerüst
verschieblichem, stählernem Lehrgerüst und das Obergerüst verschieblich auszubil-
(Bild 9.1.1-3). Der mehrmalige Einsatz den oder nur die Rüstträgerlage. Mitunter
gleicher Rüstsektionen am gleichen Bau- genügt an Stelle eines Untergerüsts ledig-
werk senkt den Aufwand an Schalung und lich eine stabile Trägerlage auf Betonso-
Rüstung und führt durch den taktweisen ckeln unterschiedlicher Höhe, um darauf
Einsatz der Arbeitskräfte und der technolo das Lehrgerüst verrollen zu können, wie
gischen Einrichtungen zu einem ratio das bei der Hochstraße Cottbus [Martin/
nelleren und effektiveren Herstellungs Schulze, 1978] ausgeführt wurde.
prozess als beim Einsatz einer stationären Bei mehreren, durch Fugen getrennten,
Rüstung. nebeneinanderliegenden Überbauten kön-
Voraussetzung für die Einführung der nen die Lehrgerüste darüber hinaus noch
abschnittsweisen Fertigung von Spannbe- querverschieblich angeordnet werden. Bei
tonbrücken war die Entwicklung geeigneter der Festlegung der Reihenfolge des Quer-
Koppelstellen zur Verbindung der Spann- verschubs ist die Längs- und Querneigung
glieder aufeinanderfolgender Bauabschnitte des herzustellenden Überbaus zu beachten.
in Bereichen geringer Momentenbeanspru- So wird man bei Tragwerken mit großer
chung (Bild 9.1.1-3). Ein Regelabschnitt Querneigung den tiefer liegenden Quer-
reicht von Koppelfuge zu Koppelfuge und schnitt zuerst herstellen. Dann genügen
entspricht damit einer Feldlänge. Nur der geringe Absenkwege zum Verschub. Bild
erste Bauabschnitt ist bei gleichlangen Feld- 9.1.1-4 verdeutlicht diesen Vorgang. Vor
weiten mit rd. 0,2 l länger und der letzte Verschubbeginn muss die Kragarm- bzw.
um rd. 0,2 l kürzer. Die Lehrgerüste werden Seitenschalung umgesetzt werden.
Bild 9.1.1-4 Prinzip des Querverschubs eines Lehrgerüsts unter Beachtung der Querneigung des
Überbaus nach [Stritzke, 1983], S. 22
Bei Brückenbauwerken mit großer Feld- einfach freigemacht werden kann. Runde,
anzahl und gleichbleibender Höhe der Un- schlanke Stützen senken den Aufwand für
terbauten bietet sich der Verschub des ge- diese Teildemontage des Lehrgerüsts. Bei
samten Lehrgerüsts einschließlich der großer Stützenbreite bzw. bei Pfeilern lässt
Stützjoche und Stütztürme an. Für den Ver- sich diese Vorgehensweise nicht mehr rea-
schub ist es am günstigsten, wenn das ge- lisieren. In diesem Fall wird es notwendig,
samte Lehrgerüst ohne vorheriges Querver- das Lehrgerüst geteilt (Bild 9.1.1-5) oder in
schieben an den Brückenpfeilern vorbeige- gesamter Breite zuerst quer, dann längs und
fahren werden kann. Das Lehrgerüst muss abermals quer zu verschieben. Die Längs-
dann so beschaffen sein, dass vor dem Be- und Querverschiebung muss dabei auf zwei
ginn des Verschiebens das Profil des Pfeilers verschiedenen Verschubebenen erfolgen.
in Richtung der Brückenachse von allen hi- Beim Einsatz von Lehrgerüsten an vonein-
neinragenden Teilen der Rüstung relativ ander unabhängigen, im Grundriss nahezu
parallelen Überbauten ist unter Beachtung
der Feldanzahl und der geplanten Bauzeit
über die notwendige Anzahl von Rüstsek
tionen zu entscheiden. Einerseits kann man
zunächst nur einen Überbau unter Einsatz
eines längsverschieblichen Lehrgerüsts her-
stellen. Dann steht die zuerst fertiggestellte
Tragwerkseite während der Fertigung der
zweiten bereits zur Nutzung zur Verfügung.
Andererseits kann nach dem im Bild 9.1.1-6
dargestellten Einsatzschema vorgegangen
werden, in dem mindestens für zwei quer-
verschiebliche Rüstsektionen das Rüstmate-
rial vorgehalten wird. Dann lässt sich nach
Abschluss der Betonierarbeiten in einem
Feld die technologisch notwendige Pause
zum Erhärten des Betons und zur Eintra-
gung der Vorspannkräfte mit den Schal-
und Bewehrungsarbeiten im jeweils nächs-
Bild 9.1.1-5 Teilung eines längsverschieblichen ten Feld nutzen. Werden die Rüstjoche bzw.
Lehrgerüsts zum Vorbeifahren am Brückenpfei- -türme nicht mit verschoben, sind sie in
ler nach [Stritzke, 1983], S. 23 annähernd doppelter Anzahl erforderlich.
9.1 Betonbrücken 801
Der Rüstturm unter der Koppelfuge ist 9.1.1.3 Herstellung von Bogenbrücken
dann für die Auflagerung des Kragarms und auf Lehrgerüst
des folgenden Feldes doppelt so breit aus
zubilden. Wird dagegen die gesamte Lehr Insbesondere mit der Einführung der
gerüstsektion verschoben, so sind unter der Spannbetonbauweise im Brückenbau voll-
Koppelfuge zwei unabhängige Rüsttürme zog sich ein Rückgang in der Anwendung
notwendig. von Bogenbrücken zugunsten des Baus von
Die wesentlichen Vorteile dieser Bauwei- Balken- und Rahmenbrücken mit immer
se sind die Einsparung an Schalungs- und größeren Stützweiten. In neuerer Zeit er-
Rüstkosten, die rd. 20 bis 30% der Gesamt fährt der Bogenbrückenbau eine Renais-
herstellungskosten des Überbaus betragen, sance, jedoch nicht unter Anwendung her-
und die Verminderung der Reibungsverluste kömmlicher Bogenlehrgerüste, sondern
in den Spanngliedern durch das abschnitts- durch den Freivorbau (siehe Abschnitt
weise Vorspannen und damit die Einspa- 9.1.3). In [Mörsch, 1968] ist die Entwick-
rung an hochwertigem Spannstahl. lung des Lehrgerüstbaus von Bogenbrü-
Lehrgerüste sind entsprechend [DIN cken ausführlich dargestellt.
1054, 2005] zu gründen. Die Fundamente Zu unterscheiden ist zwischen bodenge-
der Widerlager und Pfeiler bzw. Stützen bil- stützten und freitragenden Bogenlehrge-
det man so aus, dass das entsprechende rüsten. Bild 9.1.1‑7a zeigt das klassische
Lehrgerüst darauf noch Platz findet. Rüst- Bogengerüst bestehend aus einem Oberge-
türme und Rahmenstützen werden auch rüst, das der Bogenkrümmung folgt und
vielfach auf Fertigteilfundamente gestellt, einem Untergerüst. Die Frischbetonlasten
wenn die Baugrundverhältnisse das zulas- werden über die auf Biegung beanspruch-
sen. [DIN EN 12812, 2004] enthält allge- ten Kranzhölzer in ein trapezförmiges oder
meine Anforderungen an Gründungen von auch dreieckförmiges Pfostensystem ein
Traggerüsten und entbindet unter be- geleitet und somit die Lastabtragung auf
stimmten Voraussetzungen von der sonst wenige Gründungskörper konzentriert.
vorgeschriebenen Einbindetiefe von Fun- Das Obergerüst wird zum Ausrüsten ab-
damenten. senkbar ausgebildet.
802 9 Herstellung und Ausführungsmethoden
Bild 9.1.1-16 Betonieren der Bodenplatte (li.), betonieren der Stege und der Deckplatte (re.) [Bild-
archiv ÖBB]
Bild 9.1.1‑15 den Scheitelschluss in der Bin- Erzielung der planmäßigen Bogenform ein
derebene bei der Lehrgerüstmontage. Höhenausgleich notwendig (Korrektur des
Bei neueren Entwicklungen wird auf die vorhandenen Verlaufes der Binderoberkan-
Verwendung von Kabelkranen verzichtet ten), ist dieser sehr einfach zu bewerkstelli-
und der Einbau des Lehrgerüsts erfolgt durch gen. Durch gezielte Wahl der Betonierfolgen
Einklappen der über den Bogenwiderlagern am Querschnitt und gegebenenfalls Aktivie-
stehend aufgebauten Gerüsthälften um ein rung des Verbunds zwischen Holz und Be-
einfaches Bolzengelenk an den Kämpfern, ton wird das Lehrgerüst progressiv ausge-
Bild 9.1.1‑17. Erfahrungen mit Bogen bis ca. steift. Das erlaubt vor allem bei sehr weit
120 m Spannweite liegen bereits vor. gespannten Bogen mit großen Querschnit-
ten eine äußerst sparsame Dimensionierung
der Lehrgerüste, z. B. für nur 10–20% der
9.1.1.4.2 Charakteristische Eigenschaften Bogeneigenlast. Ein Nachteil des beschrie
benen Systems ist das zeitaufwendige
Das Gerüst ist freitragend, es benötigt weder Spannen der Spannschlösser, s. u. Vor der
Rüsttürme noch aufwendige Fundierungen, Lastaufbringung muss kontrolliert werden,
sondern nur eine einfache Abstützkonstruk- ob diese hinreichend vorgespannt sind. Ver-
tion an den Bogenkämpfern (erkennbar in geht eine längere Zeit zwischen Aufstellen
Bild 9.1.1‑17). Der Talboden wird von den und Belastung des Gerüstes, muss unter
Baumaßnahmen überhaupt nicht berührt. Umständen nachgespannt werden. Durch
Es gibt keine festen Verbindungen, alle Teile die Verwendung von (teurerem) getrockne-
sind zerlegbar und können mehrmals ein tem Holz werden die Spannverluste vermin-
gesetzt werden. Die Oberkanten der Fach- dert. Das Lehrgerüst und dessen Zusam-
werkbinder verlaufen krummlinig: Ist zur menwirken mit dem Betonbogen ist zu-
808 9 Herstellung und Ausführungsmethoden
Bild 9.1.1-19 Lehrgerüstelemente
9.1 Betonbrücken 809
Fichtenholz, die mittels Rundstahlschließen iagonalen und Gurte auf die bereits ein
D
D = 18 mm aus S355 auf ca. 40 kN vorge- gebauten Binder hergestellt. Beispielsweise
spannt werden (Stahlspannung +100 N/ wurde die o. g. Pfaffenbergbrücke (L =
mm², Holzspannung –1,6 N/mm²), wo- 200 m, B = 10 m) mit einem dreistöckigen
durch die Diagonalen insgesamt in der Lage Lehrgerüst mit fünf Binderebenen einge-
sind, Zug- und Druckkräfte aufzunehmen. rüstet, linkes Bild 9.1.1‑16. Die Binder wer-
Außerdem werden durch das Vorspannen den mit liegenden sowie, in Abständen von
der Schließen mittels Spannschlössern die ca. 4 m, mit radialen Rohrverbänden räum-
lose eingelegten Diagonalen über Doppel- lich ausgesteift, Bilder 9.1.1‑15, 9.1.1-16 und
keile aus Pappelholz (fasert nicht!) an die 9.1.1‑20, und zur Aufnahme der Windkräf-
Gurte gedrückt, wodurch die Gurtbretter te und zur Gesamtstabilisierung seitlich alle
zusammengedrückt werden und kein Rut- 8 m mittels Drahtseilen abgespannt, Bilder
schen zwischen den Brettern eintritt. Daher 9.1.1‑16 und 9.1.1‑17. Die Verbandstäbe
können die Gurte als Vollquerschnitte be- sind an Lochleisten angeschlossen (recht
trachtet werden. Der lichte Abstand zwi- eckige Stahl-Hohlprofile mit Lochreihen),
schen den Gurten beträgt 118 cm, der die zudem als Distanzhalter zwischen den
Abstand der Doppelkeile untereinander Einzelbindern wirken.
200 cm. Die Bretter werden in der Regel Bei der Montage ist zu unterscheiden, ob
vorgekrümmt, Bild 9.1.1‑19. Bei rein elasti- das Lehrgerüst mittels Kabelkran oder
scher Betrachtung entstehen dadurch bei durch Einklappen aufgestellt wird. Wird
den üblichen Abmessungen in den Brettern das Lehrgerüst mittels Kabelkran montiert,
Biegespannungen von ca. 16–18 N/mm². Bild 9.1.1‑15, werden zunächst die Einzel-
Tatsächlich konnte experimentell nachge- binder in möglichst großen Längen, wenn
wiesen werden, dass diese Biegespannun- möglich vom Kämpfer bis zum Scheitel, auf
gen für die Traglast bedeutungslos sind, einem Abbindeplatz in der vorgesehenen
was in [Friedrich, 1956] mit einer Span- Form zu ein- oder zweistöckigen Einzelbin-
nungsumlagerung innerhalb der Gurtquer- dern abgebunden. Diese bis zu 65 m langen
schnitte durch Gleitbewegungen der Holz- Elemente werden mit Hilfe des Kabelkrans
fasern begründet wird. Die Auswirkung der gehoben, planmäßig versetzt, mittels Hilfs-
konstruktiv bedingten Ausmitten der Dia- tragseilen gesichert, seitlich abgespannt
gonalen gegenüber den theoretischen Sys- und gegebenenfalls auf die Vorlandbrücken
temknoten wurde theoretisch und experi- zurückgespannt. Zuletzt werden die Ver-
mentell untersucht: Für die übliche stützli- bände zwischen den einzelnen Bindern ein-
niennahe Bogenform (Abschnitt 5.4.2) ist gebaut. Die Herstellung eines Lehrgerüsts
der dadurch gegebene Abfall der Tragfä- für einen 180 m weit gespannten, 9 m brei-
higkeit unbedeutend. ten Bogen für eine Autobahnbrücke ist in
Grundform ist der einstöckige Fach- [Aigner, 1968 – 2] im Detail beschrieben.
werkbinder, der bis zu einer Stützweite von Wird das Lehrgerüst durch Einklappen der
60 (75) m eingesetzt werden kann. Je nach beiden Lehrgerüsthälften hergestellt, wer-
Bogenbreite werden mehrere Einzelbinder den wiederum die Einzelbinder in mög-
mit lichten Querabständen zwischen lichst großen Längen auf einem Abbinde-
2,0 und 3,30 m angeordnet. Für größere platz abgebunden (Bild 9.1.1-19). Diese
Stützweiten als ca. 60–80 m kommen Elemente werden nun in die vertikale Lage
mehrstöckige Binder in Frage, wobei für je gebracht und unterstützt bzw. aufgebockt.
ca. 60 m Bogenstützweite ein „Stockwerk“ Nun werden sämtliche Verbände eingebaut.
benötigt wird. Die zusätzlichen Stockwerke Zum Versetzen des Lehrgerüsts werden die
werden durch das Aufzimmern weiterer beiden Lehrgerüsthälften zunächst in Län-
810 9 Herstellung und Ausführungsmethoden
9.1.1.4.4 Arbeitsfortschritt
Bild 9.1.1-22 Erste Nößlachbrücke – Österreichische Brennerautobahn, 1968: Betonierfolge und Biegelinien [Aigner, 1968 – 2]
811
812 9 Herstellung und Ausführungsmethoden
Bild 9.1.2-2 Überbauquerschnitt mit Lage der Rüstträger und Schalung einer stählernen Vorschub
rüstung
9.1 Betonbrücken 815
durch Ablassen der Rüstung sich der Quer- die nächste Betonierstellung verschoben
träger auf den Pfeilerkopf absetzt. Dabei und die Schalung in die entsprechende
gleitet die Vorschubrüstung vorn auf den Position eingefahren und ausgerichtet
Konsolen über Gleitlager, während das werden.
hintere Ende der Rüstung an einem auf der An Stelle von stählernen, an den Pfeiler-
bereits erhärteten Fahrbahnplatte laufen- köpfen angespannten Konsolen werden
den Oberwagen angehängt ist. Nunmehr auch stählerne Querträger verwendet, die
können die Konsolenverankerungen am auf Durchsteckträgern in den Pfeilern ru-
Pfeiler gelöst und die Konsolen zum nächs- hen (Bild 9.1.2-3).
ten Pfeiler verschoben und verankert wer- Die Herstellung des Überbaus der Etzels
den. Danach kann das Vorschubgerüst in bachtalbrücke im Zuge der Autobahn A38
Göttingen – Halle – Leipzig mit maximalen rahmen auf den Rüstträgern unterstützen
Stützweiten von 62 m erfolgte feldweise auf die auskragenden Fahrbahnplatten des
einem 700 t schweren Vorschubgerüst mit Überbaus. In Betonierstellung erfolgt die
einer Gesamtlänge von 128 m. Das unter Auflagerung der Vorschubrüstung vorn auf
dem Überbau laufende Vorschubgerüst dem Brückenpfeiler. Der Rüst- und Vor-
(Bild 9.1.2-4) besteht aus zwei stählernen bauträger ist direkt auf dem Pfeiler gelagert,
Fachwerkträgern mit einer Bauhöhe von die seitlichen Rüstträger mittels Stahlkon-
4 m [Vorschubgerüst, 2001]. Um die Bean- solen. Hinten hängen die Hauptträger an
spruchung des Überbaus infolge der ange- einem sog. Kranwagen des zuletzt fertigge-
hängten Lasten aus Vorschubrüstung und stellten Überbauabschnitts.
Beton zu vermindern, wurden die Anhän- Das Umsetzen der Vorschubrüstung in
gelasten mit Hilfe von Spanngliedern über die nächste Betonierstellung geschieht in
eine längsverfahrbare Pylonkonstruktion zwei Phasen:
in die Pfeiler geleitet. Nach dem Erhärten und Vorspannen
Bild 9.1.2-5 zeigt eine Vorschubrüstung des Tragwerks wird die gesamte Rüstung
mit untenliegenden Hauptträgern, die nach gleichmäßig hydraulisch abgesenkt, und
dem Rechenschieberprinzip arbeitet. Die die Bodenplatten zwischen den Hauptträ-
Konstruktion besteht aus einzelligen stäh- gern werden abgeklappt. Der vordere
lernen Kästen. Die äußeren, seitlich neben Kranwagen, der nur dem Vortransport der
den Pfeilern vorbeifahrenden Träger sind Rüstträger dient, unterstützt den Verbin-
Rüstträger, durch Querrahmen miteinan- dungsrahmen in der Mitte und übernimmt
der verbunden und haben etwa die Länge die Eigenlast der Rüstträger einschließlich
der Brückenstützweite. Der mittlere Träger Schalungskonstruktion.
(die Rechenstabzunge) liegt mittig auf den Am hinteren Kranwagen, der als Anhän-
Pfeilern zwischen den Lagern und ist etwas getraverse für die Hauptträger in Betonier-
länger als zwei Feldweiten. Er hat als Rüst- stellung und für den Vortransport der Rüst
und Vorbauträger eine Doppelfunktion: Im träger dient, werden nach dem Absenken
Betonierbereich trägt er die Schalung und und der Übernahme der Rüstträgerlast
dient beim Verrollen nach Vorstrecken durch den vorderen Kranwagen die Beto-
zum nächsten Pfeiler als Fahrbahn für die nieranhängungen ausgebaut. Die Rüstträger
äußeren Rüstträger. Klappbare Bodenplat- hängen an außerhalb des Brückenquer-
ten verbinden die drei Hauptträger und schnitts liegenden Zuggliedern. Rüstträger
bilden zusammen mit den Trägern den un- und Vorbauträger sind für das Vorfahren
teren Schalungsboden (Bild 9.1.2-6). Schal- getrennt.
Bild 9.1.2-6 Freitragende Vorschubrüstung System Rechenstab mit Plattenbalkenquerschnitt ohne Querträger nach [Kotulla/Wilhelm,
1978]
817
818 9 Herstellung und Ausführungsmethoden
Zuerst werden die beiden Rüstträger mit schnittsform des Überbaus beeinflussen in
den Kranwagen vorgefahren. Der vordere besonderem Maße die Gesamtmasse der
Kranwagen fährt auf dem Vorbauträger, der Vorschubrüstung und damit die Investiti-
hintere auf einem Gleis, das auf dem Über- onskosten. Man hat daher verschiedene
bau liegt. Die Auflagerkonsolen fahren mit Vorschubrüstungen für bestimmte Stütz
vor; sie können von den Rüstträgern aus weitenbereiche entwickelt [Kotulla/Wil-
ausgebaut und nach Erreichen der neuen helm, 1978]. Es ist unwirtschaftlich, große
Arbeitsstellung wieder an dem Pfeiler ein- Rüstungen bei Brücken mit kleinen Stütz
gebaut werden. weiten einzusetzen, selbst wenn es möglich
In der zweiten Phase wird der Rüst- und ist, die Rüstträger in der Länge den vorhan-
Vorbauträger umgesetzt. Er ist mit einem denen Stützweiten anzupassen. Die Kosten
eigenen Antrieb versehen und rollt über für Transport, Montage, Umsetzen und De-
Traversen, die in Ausnehmungen an den montage bilden einen hohen Grundbetrag,
Pfeilerköpfen lagern. Nach dem Verlassen der nicht durch betriebliche Rationalisie-
der hinteren Traversen werden diese aufge- rung abgebaut werden kann.
nommen, durch den Träger nach vorn ge- Nachteilig kann sich die relativ große
fahren und beim Erreichen des nächsten Bauhöhe der stählernen Vorbaurüstung im
Pfeilers dort versetzt. Das Einrichten der Hinblick auf die Freihaltung des Lichtraums
Rüstung nach dem Vorfahren für die neue unter dem Überbau auswirken, wenn zu
Betonierstellung geschieht in umgekehrter unterführende Verkehrswege freizuhalten
Reihenfolge wie zuvor beschrieben. sind und keine ausreichende Höhe zur Ver-
Die Vorteile einer freitragenden Vor- fügung steht. Die geringsten Lichtraumein-
schubrüstung liegen darin, dass die feldwei- schränkungen erzielt man dann noch durch
se Herstellung mit außerordentlich kurzen Anwendung eines zweistegigen Plattenbal-
Taktzeiten und sehr wenigen Arbeitskräf- kens ohne Querträger als Überbauquer-
ten erfolgen kann. Es sind keine Zwischen- schnitt und Einsatz einer Vorschubrüstung
unterstützungen erforderlich, und das Ver- nach dem Rechenschieberprinzip, da hier
fahren ist völlig geländeunabhängig. Bei die Rüstträgerebene unmittelbar unter der
der Planung einer Vorschubrüstung, die Fahrbahnplatte liegt (Bild 9.1.2-6). Im Ge-
ihrer Aufgabe entsprechend ein Großgerät gensatz dazu befindet sich bei dem in
darstellt, sind eingehende Überlegungen Bild 9.1.2-1 dargestellten Prinzip die Rüst-
über den gewünschten und technisch mög- trägerebene ausschließlich unter der Trag-
lichen Variationsbereich anzustellen. Die werkskonstruktion. Damit wird wiederum
Amortisation der hohen Investitionskosten die Ausführung von Plattenbalkentragwer-
kann nur erreicht werden, wenn die Vor- ken mit Querträgern möglich.
schubrüstung weitestgehend anpassungs Autobahnbrücken bestehen i. d. R. aus
fähig ist. Sie soll ohne wesentliche Umbau- zwei getrennten Überbauten, deren Herstel-
ten sowohl bei verschiedenen Stützweiten lung zweckmäßig in Hin- und Rückfahrt der
eingesetzt werden können als auch Verän- Vorschubrüstung erfolgt. Bei dem in Bild
derungen in der Querschnittsgestaltung 9.1.2-1 beschriebenen Verfahren, bei dem
ermöglichen. Die betriebstechnische und jeder Rüstträger als Vorbauträger benutzt
maschinelle Ausstattung sollte so vorgege- wird, sind diese mit ihren Auslegern (Vor-
ben sein, dass beim Einsatz auf der Baustel- bauschnabel) symmetrisch ausgebildet. Vor
le eine sichere, einfache und wirtschaftli- Beginn der Rückfahrt ist hinter dem Wider-
che Handhabung gewährleistet ist. Der lager lediglich nur ein Querverschub erfor-
Stützweitenbereich der herzustellenden derlich. Beim Rechenschieberprinzip muss
Brücken, der Breitenbereich und die Quer- wegen der unsymmetrischen Ausbildung der
9.1 Betonbrücken 819
a)
b)
Bild 9.1.2-7 Talbrücke Trockau – Vorschubrüstung unter Einsatz einer Hilfsstütze und eines
Hilfspylons a) Hilfsstütze in dem 100 m-Feld für Bauabschnitt 5 b) Zusätzlicher Hilfspylon für
Bauabschnitt 6
820 9 Herstellung und Ausführungsmethoden
Bild 9.1.2-9 Feldweise Herstellung der über mehrere Felder durchlaufenden Elztalbrücke mittels
freitragender Vorschubrüstung nach [Finsterwalder/Schambeck, 1966] – Rüstträger über dem Über-
bau laufend
a) b)
ren Verschiebelagern gleich, bleibt bei ei- haltung der vertikalen Verformungen bei
nem geschlossenen System die Höhenlage Brücken mit Fester Fahrbahn nach dem
des Überbaus stets gleich. Nach Fertigstel- Anforderungskatalog zum Bau der Festen
lung des Überbaus wird die Vorschubrüs Fahrbahn abzustimmen.
tung über das Brückenwiderlager hinaus- Die Überbauten wurden mit einer Vor-
gefahren, dort werden die Stahlteile de- schubrüstung hergestellt, wie sie in ähnli-
montiert und die Betonteile abgebrochen. cher Form beim Bau der Rombachtalbrü-
Beim Bau der zweigleisigen Geratalbrü- cke [Harries et al., 1994] verwendet wor-
cke Ichterhausen [Keuser/Kremser, 1999] den ist. Sie bestand aus einem Spannbeton-
im Zuge der Neubaustrecke Ebensfeld – Er- trog, dessen Vorbauschnabel sich aus
furt wurde ebenfalls eine Spannbetonvor- einem Spannbetonteil und einer stähler-
schubrüstung (Bild 9.1.2-12) eingesetzt. nen Vorbauspitze zusammensetzte. Der
Die 1121 m lange, einzellige Spannbeton- Kastenquerschnitt wurde in zwei Abschnit-
kastenbrücke ist eine Einfeldträgerkette ten hergestellt, deren Arbeitsfuge zwischen
über 24 Felder mit Stützweiten von 44 m den Stegen und der Fahrbahnplatte liegt.
bis 58 m. Sie dient der Überführung der Obwohl der zuerst hergestellte Teilquer-
Deutschen Bahn über das Geratal mit der schnitt des Überbaus entsprechend den
neuen Autobahn A71, der Kreisstraße K20 Steifigkeitsverhältnissen ca. 20% der Be
und der östlichen Verbindungsrampe des tonierlast übernimmt, wurde die Vorschub
Autobahnkreuzes A4/A71. Die Längsvor- rüstung für die volle Betonierlast ausgelegt.
spannung der Überbauten war auf die Ein- Die Größe der teilweisen Längsvorspan-
nung des Betontroges wurde wie folgt fest-
gelegt:
• Im 58 m-Feld unter Eigenlast des Vor-
schubgerüsts und Schalungslasten (ohne
Betonierlast des Überbaus) treten nähe-
rungsweise keine Zugspannungen in
Längsrichtung unter Gebrauchslasten
auf (volle Vorspannung). Die Beanspru-
chung aus dieser LF-Kombination ent-
spricht etwa der halben Beanspruchung
aus Volllast. Beim Vorfahren werden aus
äußeren Lasten die auftretenden Zug-
spannungen an der Oberseite des Trogs
zur Hälfte überdrückt.
Aufgrund dieser Kriterien ergibt sich eine
nahezu zentrische Vorspannung. Die Be
anspruchungen, die nicht durch die teilwei-
se Vorspannung abgedeckt sind, werden
von der schlaffen Bewehrung aufge
nommen.
Nach Fertigstellung des Überbaus eines
Felds in der Vorschubrüstung erfolgte nach
[Keuser/Kremser, 1999] der Vorschubvor-
Bild 9.1.2-12 Vorschubrüstung der Geratal- gang in der in Bild 9.1.2-13 angegebenen
brücke Ichterhausen Reihenfolge:
824 9 Herstellung und Ausführungsmethoden
Phase 1 Phase 4
• Einbau der Gleitbahn auf dem Überbau • Endeinschub bei gleichzeitigem Umset-
• Montage der hinteren Führungsschiene zen von dem vorderen auf das hintere
• Anheben des Überbaus vorn und Einbau Taktschiebelager
der oberen Taktschiebelager zwischen
Phase 5
Gerüstfuß und Unterkante Überbau
• Einbau der vorderen Führungsschiene
• Einbau der Vorschubanlage
• Ausbau der Vorschubanlage
• Anheben des Überbaus hinten, bis über
Druckkontakt die Stahltraverse die Vor- Phase 6
schubrüstung vom hinteren Lager frei- • Herstellung des neuen Überbaus bei
setzt und damit die Aufhängung hinten gleichzeitigem Ablassen des vorher her-
gewährleistet ist gestellten Überbaus
Phase 2
Zu den o. g. Vorteilen von Vorschubrüstun-
• Verschub der Rüstung, bis die hintere
gen aus Spannbeton kommen noch weitere
Auskragung der Rüstung nur noch ca.
hinzu. Die Brauchbarkeit einer Vorschub-
23 m beträgt
rüstung wird von zwei Anforderungen be-
• Freisetzen der Stahltraverse
stimmt: Zum einen muss die Standsicher-
Phase 3 heit gegeben sein und zum anderen muss
• Verschub bis ca. 1,50 m vor Verlassen das Verformungsverhalten eine maßgenaue
des Überbaus Herstellung des Überbaus erlauben. Der
• Anheben des Überbaus vorn und damit Betontrog ist außerordentlich steif und des-
Freisetzen der oberen Taktschiebelager halb relativ formtreu. Die Vorschubrüstung
• Überbau ruht auf Pressen umhüllt den Überbau nicht nur mit der
9.1 Betonbrücken 825
Schalung, sondern mit dem gesamten Be- Entwicklung des Freivorbaus für Spannbe-
tontrog. Dadurch werden ein rascher Ab- tonbrücken durch Finsterwalder (Dycker-
fluss der Hydratationswärme und frühzei- hoff & Widmann) eröffnete sich diesem
tiges Schwinden verhindert. Dies führt zu Bauverfahren ein breites Anwendungsge-
einer hohen Betonqualität des Überbaus biet. In [Finsterwalder, 1952] wird über den
mit dichtem Gefüge und guter Sichtfläche. Bau der ersten frei vorgebauten Spannbe-
ton-Flussbrücken in Deutschland in Baldu-
instein über die Lahn 1950 (Bild 1.4-52)
9.1.3 Freivorbau und in Neckarrems über den Neckar 1951
berichtet.
Manfred Curbac, Harald Michler Das Grundprinzip des klassischen Frei-
und Silke Scheerer (bis 9.1.4) vorbaus besteht darin, dass von einem Pfei-
ler aus mit einer beweglichen Fertigungs-
9.1.3.1 Einleitung anlage – dem Freivorbauwagen – einzelne
Brückenabschnitte betoniert werden. Da-
Im Freivorbau werden Balken-, Rahmen- bei trägt der Freivorbauwagen Rüstung,
und Bogenbrücken errichtet. Dieses Bau- Schalung, Beton- und Spannstahlbeweh-
verfahren wird angewendet, wenn mittlere rung sowie den Frischbeton. Oft wird
und große Spannweiten zwischen ca. 70 m wechselseitig oder symmetrisch gefertigt,
und 250 m überbrückt werden müssen, wodurch auf dem betreffenden Pfeiler ein
ohne dass z. B. ein Lehrgerüst gestellt wer- Waagebalken entsteht. Die Fertigungsab-
den kann. Das kann der Fall sein, wenn schnitte sind i. d. R. zwischen 3 und 5 m
schwierige geologische oder geografische lang. Dadurch ist die vorzuhaltende Mate-
Verhältnisse vorherrschen, beispielsweise rialmenge für Vorbaurüstung und Schalung
wenn sich die Brücke in großer Höhe befin- relativ klein. Ein weiterer Vorteil ist, dass
det oder breite Hindernisse stützenfrei die Schalung mehrfach wieder verwendet
überspannt werden sollen. Unter der Brü- und leicht modifiziert werden kann. Die
cke kommt es i. d. R. weder zu nennens- Anpassung an gevoutete Balkengeometrien
werten Verkehrsbehinderungen noch wer- ist problemlos möglich. Eine weitere Redu-
den ökologisch empfindliche Bereiche be- zierung von Material- und Zeitaufwand
einträchtigt. Ein weiterer Vorteil des Bau- wird durch mehrmaliges Wiederholen ähn-
verfahrens ist, dass es unabhängig von den licher Takte erzielt. Durch Einhausen des
Setzungen eines Lehrgerüsts ist. Vorbauwagens kann auch bei widrigen
Im deutschsprachigen Raum wurde Witterungsbedingungen gearbeitet wer-
1930 bei einem Wettbewerb zum Entwurf den.
einer Rheinbrücke in Basel das Verfahren Außer dem sogenannten klassischen
des freien Vorbaus einer Betonbrücke erst- Freivorbau gibt es noch verschiedene Vari-
mals von Finsterwalder vorgeschlagen anten:
[Finsterwalder/Schambeck, 1965]. Im sel-
• Freivorbau mit Hilfsabspannung (Pylon
ben Jahr wurde in Brasilien eine Stahlbe-
freivorbau),
tonbrücke durch Vorstrecken einer Bretter-
• Freivorbau mit Hilfsträger,
schalung über den Rio de Peixe errichtet
• Freivorbau mit Vorschubrüstung (Rüst-
[Beton und Eisen, 1931], [Curbach, 1994-1].
träger),
1937 wurde in England eine weitere Stahl-
• Freivorbau mit Fertigteilen (Segment-
betonbrücke im Freivorbau errichtet. Trotz-
bauweise),
dem hat sich das Verfahren bei Stahlbeton-
• Bogenfreivorbau.
brücken nicht durchgesetzt. Erst mit der
826 9 Herstellung und Ausführungsmethoden
40
20
Stolmasundbrücke 1998
0
50 100 150 200 250 300 350
Spannweite der Hauptöffnung [m]
9.1.3.2 Anforderungen an den Überbau Schalen möglich ist. Oft wird die Dicke der
Bodenplatte im Querschnitt über der Stütze
Beim Freivorbau werden am häufigsten ge- gegenüber dem Feldbereich stark erhöht.
voutete Kastenträger ausgeführt. Die Brü- Daraus resultieren z. B. ein größerer Hebel-
cken können im Grundriss geradlinig oder arm der inneren Kräfte oder auch geringere
gekrümmt verlaufen. Bei Quergefälle wird Spannungen in der Druckzone. Auch die
der Kastenträger als Rhombus ausgeführt. Dicke der Fahrbahnplatte wird variiert, hier
Nach [Menn, 1990] sollte die Schlankheit allerdings, um die Eigenlast in Feldmitte zu
l/h (h: Trägerhöhe über der Stütze) ca. 17 verringern. In Bild 9.1.3-2 ist die grund-
betragen. In Feldmitte werden Schlank- sätzliche Querschnittsgestaltung skizziert.
heiten von ca. 50 erreicht, bei Verwendung Vertikale Stege erleichtern sowohl das
von Leichtbeton auch deutlich mehr, Einschalen als auch das Betonieren. Schrä-
s. Bild 9.1.3-1. Gevoutete Träger können die ge Stege ermöglichen eine breitere Fahr-
Kragarmbeanspruchung im Bauzustand bahnplatte bei ansprechender Optik und
optimal abtragen, da das veränderliche Wi- können durch lotrechtes Absenken der
derstandsmoment dem Verlauf des Stüt- Schalung einfacher ausgeschalt werden. Bei
zenmoments angepasst werden kann. Die schrägen Stegen bleibt entweder die Nei-
gekrümmte Unterseite des Trägers folgt gung der Stege konstant, was eine variable
meist einer Parabel. Es werden aber auch Breite der Bodenplatte zur Folge hat, oder
Plattenbalkenquerschnitte oder parallel- es wird eine gleich bleibende Breite der
gurtige Träger im freien Vorbau hergestellt. Bodenplatte gewählt, wodurch die Stege
Eine Zusammenstellung der Schlankheiten eine dreidimensionale Krümmung erhal-
ausgewählter Freivorbaubrücken zeigt ten. Die konstante Stegneigung ist einfacher
Bild 9.1.3-1. zu fertigen, allerdings ergibt sich im hoch
Kastenträger haben den großen Vorteil, beanspruchten Stützenbereich die gering-
dass die hohen negativen Biegemomente ste Bodenplattenbreite, was dann durch
infolge der Kragarmbelastung im Bauzu- eine größere Plattendicke kompensiert
stand gut aufgenommen werden können werden muss. Bild 9.1.3-3 zeigt beide
und dass ein einfaches und rationelles Varianten in Querschnitt und Ansicht.
9.1 Betonbrücken 827
Bild 9.1.3-3 Übliche Steggeometrien; links: konstante Stegneigung und variable Breite der Boden-
platte; rechts: variable Stegneigung und konstant breite Bodenplatte
Bild 9.1.3-5 Beispiel für die Anordnung von Spanngliedern im Kragarm und im Feldbereich, nach
[Curbach, 1993-1]
so dimensioniert, dass sie auch die Stützen- Stabilisierung des Waagebalkens und zur
momente im Endzustand aufnehmen kann, Aufnahme von Kippmomenten während
da eine entsprechende Umlagerung statt- der Bauzeit benötigt. Die Lager auf den Brü-
findet. Somit werden im Allgemeinen nur ckenpfeilern übertragen im Wesentlichen
Kragarm- und Kontinuitätsvorspannung die Vertikalkräfte. Wird mit einem unsym-
eingesetzt. metrischen Waagebalken gearbeitet, z. B.
wenn der Kragarm auf der einen Seite ein
bis zwei Takte Vorlauf hat, können einseitig
9.1.3.4 Ausrüstung beim klassischen angeordnete, druckbeanspruchte Hilfsstüt-
Freivorbau zen errichtet und gleichzeitig die Länge des
Pfeilertisches reduziert werden, da der zwei-
An erster Stelle ist der Freivorbauwagen zu te Freivorbauwagen erst nach dem Vorfah-
nennen. Er wird in Brückenlängsrichtung ren des ersten montiert wird. Zur Dimensi-
verfahren und trägt die Rüstträger und die onierung der Hilfsstützen und für den Lage-
Schalung. Von der Tragkraft des Freivor- sicherheitsnachweis muss die ungünstigste
bauwagens hängt die Länge der Betonier- Kombination von planmäßigem Kipp
abschnitte ab. Zulässige Lasten für übliche moment und Belastung infolge Eigenlast
Freivorbauwagen sind z. B. 1300, 1750 und angesetzt werden. Die Hilfsstützen werden
2000 kN. Außerdem ist die maximale Län- einseitig an der Oberseite der Bodenplatte
ge der Schalung zu berücksichtigen. Üblich des Pfeilertisches vorgespannt. Die Stütze
sind hier 5 m. bleibt im Zustand I, wodurch ihre Längsde-
Beim beidseitigen Freivorbau im Waage formationen stark begrenzt werden. Da-
balkenprinzip wird der Anfangstakt (der durch sinkt die Gefahr starker Verfor-
Pfeilertisch) in konventioneller Bauweise mungen oder Verdrehungen des Waagebal-
hergestellt. Die Länge des Pfeilertisches ist kens. Eine mögliche Anordnung von Hilfs-
abhängig vom Platzbedarf für das Aufstel- stützen ist in Bild 9.1.3-6 zu sehen.
len der Freivorbauwagen. Das genaue Einstellen der Vorspannkraft
Ist der Überbau nicht monolithisch mit in den Hilfsstützen ist schwierig, da die
der Stütze verbunden, werden oft druck- unterschiedlichen Dehnsteifigkeiten von
und zugfeste, vorgespannte Hilfsstützen zur Hilfsstützen und Brückenpfeiler und die
830 9 Herstellung und Ausführungsmethoden
insgesamt weniger Spannstahl benötigt. davon ist der Bogenfreivorbau. Mit diesem
Zunächst wird jeweils bis zur Hälfte des Bauverfahren wurden schon Bogen mit
Felds betoniert, dann wird der Rüstträger mehr als 200 m Spannweite hergestellt, z. B.
um ein Feld nach vorn versetzt. Der Hori- 1983 die Bloukrans Bridge in Südafrika mit
zontaltransport ist wiederum unabhängig 272 m Spannweite [Ewert, 1999a]. Die erste
von den Geländeverhältnissen unter der Anwendung in Deutschland war die 1978
Brücke. Das Verfahren eignet sich beson- erbaute Autobahnbrücke Neckarsburg bei
ders für parallelgurtige Träger. Bezüglich Rottweil mit 154 m Spannweite. Die derzeit
der Rentabilität gilt das schon beim Frei- größte Bogenbrücke Deutschlands über die
vorbau mit Hilfsträger Gesagte. Das Bau- Wilde Gera in Thüringen (252 m Spann-
verfahren ist in Bild 9.1.3-9 schematisch weite, s. a. Abschn. 1.6.8.1 und 9.1.3.7) wur-
dargestellt. Als erste Anwendung gilt die de ebenfalls auf diese Weise errichtet.
Siegtalbrücke Eiserfeld mit einer maxi Der Bogenfreivorbau erfolgt parallel von
malen Spannweite von 105 m, [Wittfoht, den Kämpfern aus, wobei der erste Takt
1970]. meist mit Hilfe eines Lehrgerüsts herge-
stellt wird. Bei Bogen mit Hohlquer
Freivorbau mit Fertigteilen schnitten wird i. d. R. zuerst die Bodenplat-
(Segmentbauweise) te betoniert und anschließend Stege und
Der Freivorbau mit Fertigteilen wird in Ab- obere Platte. Ist die Bogenneigung relativ
schn. 9.1.6 behandelt. groß, wird eine Konterschalung auf der
Oberseite nötig. In gewissen Abständen
Freivorbau mit Nachläufer wird der Bogen durch temporäre Hilfsab-
Um die Eigenlast während des Freivorbaus spannungen entlastet. Es gibt verschiedene
und damit die Kragarmmomente und den Montageprinzipien. Einige davon sind in
Spannstahlbedarf zu minimieren, kann der Bild 9.1.3-11 dargestellt. Die gleichzeitige
vorgebaute Brückenquerschnitt auf einen Herstellung von Bogen, Ständer und Fahr-
Kern- oder Rumpfquerschnitt reduziert bahn hat bautechnologisch den Vorteil,
werden. Nach Herstellung der Durchlauf- dass der Materialtransport über die schon
wirkung werden mit einem nachlaufenden fertig gestellte Fahrbahn erfolgen kann,
Rüstwagen die restlichen Querschnittsteile Bild 9.1.3-11 (d) und (e).
angefügt. Dieses Verfahren wurde z. B. Die Rückverankerungskräfte werden
beim Bau der Kochertalbrücke bei Geislin- entweder in Pfeiler oder Pylone, oft aber
gen praktiziert, Bild 9.1.3-10. auch direkt in den Baugrund abgetragen,
z. B. durch Erd- oder Felsanker. Die Verfor-
Bogenfreivorbau mungen des Bogens und die Spannkräfte
Wenn kein Lehrgerüst für einen Bogen ge- der Abspannungen müssen entsprechend
stellt werden kann, gibt es verschiedene des Baufortschritts ständig kontrolliert und
Möglichkeiten, den Bogen zu fertigen. Eine angepasst werden, um die Beanspru-
Bild 9.1.3-9 Freivorbau mit Rüstträger, z. B. nach [Leonhardt, 1979] und [Wittfoht, 1970]
834 9 Herstellung und Ausführungsmethoden
Bild 9.1.3-10 Kochertalbrücke bei Geislingen (Foto oben: [Michler, 2002], Foto unten:
[Gerline, 2003])
Bild 9.1.3-11 Beispiele für Montageprinzipien beim Bogenfreivorbau, nach [Ewert, 1999a] und
[Stritzke, 1983]
9.1 Betonbrücken 835
chungen des Bogens möglichst gering zu diesen beiden Vorlandfeldern wurde auf
halten. Die Abspannkräfte werden dement- Lehrgerüst errichtet. Das Bauwerk ist in
sprechend korrigiert und optimiert. Bild 9.1.3-12 zu sehen.
Anstelle der monolithischen Bauweise
kann der Bogen auch aus Fertigteilen im BW 2/3 über den Neckar in Stuttgart
Freivorbau montiert werden. Dieses Verfah- [Curbach/Proske, 1998]
ren kam beim Bau der Brücke zur Insel Krk Auch bei diesem Brückenkomplex wurden
in Kroatien zur Anwendung, die mit 390 m drei verschiedene Bauverfahren angewandt.
Spannweite nach [Ewert, 1999a] die zweit- Die gekrümmten Vorlandbrücken wurden
größte Betonbogenbrücke der Erde ist. auf Lehrgerüsten gebaut, die geraden Vor-
landbrücken mittels Vorschubrüstung und
die Stromöffnung im freien Vorbau. Die
9.1.3.7 Beispiele ausgeführter Brücken Besonderheit bei diesem Bauwerk ist, dass
die Fahrbahn bereits über dem Neckar ge-
Mainbrücke Retzbach-Zellingen [Curbach, teilt werden musste, um die Rampen der
1994-2] vierstreifigen Uferstraße anschließen zu
Diese Brücke wurde zwischen den Orten können. Hierzu wurden zwei Freivorbau-
Retzbach und Zellingen in der Nähe von arme von der einen Seite, Bild 9.1.3-13, und
Würzburg im Rahmen des Ausbaus der ein einzelner von der anderen Seite über
Bundesstraße B 27 als Ersatz für eine beste- dem Fluss zusammengefügt. Die Rampen
hende Brücke gebaut, die den gestiegenen wurden einseitig als Kragarme im Freivor-
Anforderungen nicht mehr genügt hatte. bau vom Pfeiler aus vorgebaut, der Einzel-
Außer dem Main mussten noch ein Bahn- träger dagegen als Waagebalken vom Pfei-
hof mit IC-Strecke, die neue B 27 und eine ler am Nordufer aus in beide Richtungen.
Staatsstraße überspannt werden. Die Vor- Die betonierten Abschnitte waren zwischen
landbrücken wurden im Taktschiebever- 3 und 5 m lang.
fahren hergestellt. Das größte Feld über den
Main und die beiden jeweils angrenzenden Stolma Bridge in Norwegen [Ingebrigtsen,
Vorlandfelder wurden jeweils von den 1999]
Strompfeilern aus im Waagebalkenprinzip Die Stolma Brücke oder Stolmasundbrücke
gefertigt. Das „fehlende“ äußere Stück in verbindet die Inseln Stolmen und Selbjørn
Bild 9.1.3-13 Bauwerke 2/3 über den Neckar bei Stuttgart. Oben: Blick auf die Kragarme
der beiden Rampen [Michler, 2002], Mitte, unten: Grundriss und Luftbild nach [Münchener
Rückversicherung, 1992]
9.1 Betonbrücken 837
an der Westküste Norwegens etwa 50 km Talbrücke über die Wilde Gera in Thüringen
südlich von Bergen. Sie ist mit einer Haupt- [Wölfel, R., 2000]
spannweite von 301 m die am weitesten Diese Brücke ist Bestandteil des Ver-
gespannte „reine“ Betonbrücke der Erde, kehrsprojektes Deutsche Einheit Nr. 16, der
die im freien Vorbau errichtet worden ist. Autobahn durch den Thüringer Wald, s. a.
Bei solch enormen Spannweiten ist die Re- Abschn. 1.6.8.1. In ihrer jetzigen Form ent-
duzierung der Eigenlast der Brücke von stand die Bogenbrücke als Sondervorschlag.
großer Bedeutung. Deshalb wurden 184 m Der Bogen ist mit einer Spannweite von
in der Mitte des Hauptfelds aus Leichtbeton 252 m der derzeit am weitesten gespannte
LC 60 mit einer Rohdichte von 1,94 kg/dm³, in Deutschland. Die Gesamtlänge der Brü-
die Randbereiche dagegen aus Normalbe- cke beträgt 552 m bei 14 Feldern mit Spann-
ton C 65 hergestellt. Die Bauhöhe des weiten zwischen 30 und 42 m. Der Bogen
Kastenträgers variiert zwischen maximal wurde im Freivorbau mit Hilfsabspan-
15 m an den Stützen und 3,5 m in Feldmit- nungen und Hilfspylonen auf den Kämp-
te, s. Bild 9.1.3-14. Da die zwei Randfelder ferpfeilern hergestellt. Der Vorbau erfolge
im Verhältnis zur Hauptspannweite relativ gleichzeitig von beiden Kämpfern aus. Der
klein sind, wurde mit Gegengewichten Querschnitt des Bogens ist ein zweizelliger
gearbeitet, indem der Kastenträger teil Kastenträger mit 10,3 m Breite, dessen
weise mit Kies verfüllt wurde, s. ebenfalls Höhe zwischen 5,5 m am Kämpfer und
Bild 9.1.3-14. Über den Stützen befinden 3,3 m am Scheitel variiert. Die einer Parabel
sich 100 Spannglieder in der Fahrbahn angenäherte, polygonzugartige Bogenform
platte, 20 Spannglieder wurden nach dem wurde hinsichtlich der Biegemomente im
Verbinden der Kragarme in der Bodenplat- Endzustand optimiert. Der erste Takt von
te in Feldmitte eingebracht. 7 m Länge wurde auf Lehrgerüst hergestellt,
Bild 9.1.3-16 Brücke über die Wilde Gera im Bauzustand aus [Wölfel, R., 2000]
9.1 Betonbrücken 839
die folgenden Freivorbautakte waren je 6 m nach [Leonhardt, 1979] sind aber auch
lang. Die temporären Abspannungen wur- Spannweiten bis zu 140 m möglich. Bei
den zuerst über die Kämpferpfeiler zurück- großen Spannweiten werden während des
gehängt, ab dem 13. Takt über zusätzliche Bauvorgangs Hilfsstützen gestellt.
Hilfspylone auf den Kämpferpfeilern, Bil- Beginnend mit der Erfindung des „kon-
der 9.1.3-15 und -16. Für den Bogenschluss zentrierten Spannglieds“ wurde das Bau-
wurde ein Stahldruckstück eingesetzt, das verfahren maßgeblich durch die Ingenieure
durch leichtes Ablassen der Abspannung des Büros Leonhardt und Andrä in mehre-
auf Druck beansprucht wurde, so dass die ren Teilschritten entwickelt [Göhler, 1999].
während der Erhärtung auftretenden Span- Die Brücke, die als direkter Vorgänger des
nungen aus Temperaturschwankungen auf- heutigen Taktschiebens gilt, ist die Anfang
genommen werden konnten. Anschließend der 60er Jahre in Brasilien errichtete Fluss-
wurden Ständer und Stützen betoniert und brücke über den Rio Caroni. Hier wurden
der einzellige Verbundquerschnitt des an Land einzelne Takte als Fertigteile her-
Überbaus im Taktschiebeverfahren einge- gestellt und mit Ortbetonfugen verbunden.
schoben. Der Überbau wurde anschließend auf gan-
zer Länge mit einem konzentrierten Spann-
glied vorgespannt und auf einer Verschiebe
9.1.4 Taktschieben bahn unter Verwendung von Hilfsstützen
längs in seine Endlage verschoben. Mit den
9.1.4.1 Einleitung Erfahrungen aus diesem Projekt wurde das
eigentliche Konzept des Bauverfahrens ent-
Beim Taktschieben werden einzelne, zwi- wickelt, für das 1967 das Patent erteilt wur-
schen 10 und 30 m lange Teile des Über- de. Die erste Taktschiebebrücke nach der
baus, die so genannten Takte, in einer orts- heute üblichen Vorgehensweise war die
festen Fertigungsanlage hinter dem Wider- Innbrücke Kufstein mit Spannweiten von
lager hergestellt. Die Takte sind monoli- bis zu 102 m, die mittels Hilfspfeilern wäh-
thisch miteinander verbunden. Nach jedem rend der Bauphase errichtet wurde. Die
fertig gestellten Takt wird der Überbau in Brücke war allerdings im Verschiebezu-
Brückenlängsrichtung verschoben. Ange- stand noch schlaff bewehrt. Mit dem Bau
strebt wird eine Fertigung im Wochentakt, der Taubertalbrücke als der ersten Takt-
da dann der Beton während des Wochen- schiebebrücke in Deutschland wurde Ende
endes erhärtet und so die Bauzeit optimal 1967 begonnen.
ausgenutzt werden kann. Beim Taktschieben entstehen monoli-
Das Bauverfahren wird für Balkenbrü- thische Tragwerke durch die Kombination
cken mit konstanten oder sich nur wenig der Vorteile der Fabrikfertigung mit denen
verändernden Stützweiten angewandt. der Ortbetonbauweise. Vorteilhaft ist vor
Nach [Göhler, 1999] können Brücken mit allem die Einsparung des Lehrgerüsts, da
Gesamtlängen ab 100 bis über 1000 m wirt- mit einer ortsfesten Schalung gearbeitet
schaftlich hergestellt werden. Ein Beispiel wird. Durch die immer wiederkehrenden
für ein solch langes Bauwerk ist die 1280 m Arbeitsgänge verringert sich der Arbeits-
lange Brücke in Veitshöchheim über den zeitaufwand insgesamt. Die Fertigungsan-
Main [Naumann et al., 1998]. Brücken un- lage ermöglicht ein schnelles Ein- und Aus-
ter 200 m Länge sind i. d. R. nur dann wirt- schalen und bietet Witterungsschutz.
schaftlich, wenn die Bauausrüstung schon Außerdem können die Transportwege op-
vorhanden ist. Optimal sind Einzelspann- timiert werden. Die Abhängigkeit von der
weiten von ca. 50 m, üblich sind 30 bis 55 m, Tragfähigkeit des Baugrunds, die bei Lehr-
840 9 Herstellung und Ausführungsmethoden
gerüsten eine große Rolle spielt, entfällt geschoben werden. Die in Klothoidenform
und der Verkehrsraum unter der Brücke verlaufende Trasse wird durch unterschied-
bleibt analog zum Freivorbau weitgehend lich lange Kragarme der Fahrbahnplatte
unbeeinträchtigt. realisiert. Bei Quergefälle wird der Kasten
Das Taktschiebeverfahren hat sich bei als Rhombus konstruiert.
Spannbeton-Kastenträgerbrücken seit vie- Die Taktlänge sollte möglichst groß, aber
len Jahren etabliert. Neuerungen und Wei- in einer Woche herstellbar sein. Bei einer
terentwicklungen beziehen sich vor allem Brückenbreite von 20 m kann die Taktlänge
auf Details. Hemmend ist die Tatsache, bis zu 30 m betragen [Göhler, 1999]. Die
dass man in Deutschland derzeit zurück- Taktlänge entspricht i. d. R. der Hälfte der
haltend bei der Annahme von Sondervor- Regelstützweite. Die ersten und die letzten
schlägen ist, die aber maßgeblich zur Wei- beiden Takte sind kürzer, damit sich im
terentwicklung konventioneller Bauweisen Endzustand die Arbeitsfugen in der Nähe
beitragen können. Positiv ist hingegen, der Viertelpunkte der Regelfelder befinden
dass immer mehr Wert auf eine anspre- und ein Takt immer mittig über der Stütze
chende Ästhetik gelegt wird. Dies und die liegt (s. a. Bild 9.1.4-5). Beim Einsatz von
unbestrittenen Vorteile beim Bau von sehr Hilfsstützen bilden mehrere Takte den
langen Brücken haben dazu beigetragen, Feldbereich. Im Bereich komplizierter Ein-
dass das Verfahren in den letzten Jahren bauten wie Stützquerträger oder Querträ-
auch immer öfter bei Brücken in Verbund- ger zur Spanngliedumlenkung bei externer
und Mischbauweise eingesetzt wurde, Vorspannung sollten keine Fugen angeord-
s. dazu auch Abschn. 9.3.1.3. net werden.
Der Überbau wird meist parallelgurtig
ausgeführt. Die Querschnittsabmessungen
9.1.4.2 Anforderungen an den Überbau sollten konstant sein, Ausnahmen sind auch
hier möglich. Ein Beispiel dafür sind die
Der Regel-Querschnitt beim Taktschieben Vorlandbrücken der Donaubrücke Fischer
ist der Spannbeton-Kastenträger, der be- dorf, deren Kastenträger aufgeweitet wurde,
sonders bei großen Spannweiten der güns s. Abschn. 9.1.4.7 und [Curbach, 1993-2].
tigste Querschnitt ist. Das Verfahren wird Bei veränderlichen Bauhöhen sind senk-
aber auch bei Stahl-Beton-Verbundbrücken rechte Stege und separate Bodenplatten- und
und in Ausnahmefällen bei Plattenbalken- Stegschalungen von Vorteil [Curbach,
querschnitten angewandt. Beim Kasten 1994-2]. Die Abmessungen des Überbaus
träger haben sich Schlankheiten von maxi- sollten so gewählt werden, dass das Verhält-
mal l/h ≈ 15 im Bauzustand als sinnvoll nis der Widerstandsmomente Wo : Wu dem
erwiesen. Die Schlankheit im Endzustand Verhältnis von Stützen- zu Feldmoment in-
kann sich auf bis zu 30 verdoppeln, wenn folge Eigenlast im Bauzustand entspricht, da
Hilfsstützen in der Bauphase zum Einsatz dann die zentrische Primärvorspannung op-
kommen. timal eingesetzt werden kann.
Es ist möglich, sowohl im Grundriss als Die Dicke der Fahrbahnplatte ist abhän-
auch im Aufriss gekrümmte Überbauten zu gig von der Beanspruchung der Platte in
fertigen. Dabei sollte der Raumradius kon- Querrichtung (z. B. Querbiegung infolge
stant sein, d. h. die gesamte Brücke wird mit Einzellasten), vom Platzbedarf für Kopp-
gleich bleibender Krümmung in jeder lungen von zentrischen Spanngliedern oder
Raumrichtung gebaut. Soll die Gradiente von den einzuhaltenden Mindestmaßen bei
im Grundriss einer Klothoide folgen, kann einer Quervorspannung. Die Bodenplatte
in vielen Fällen der Kasten im Kreisbogen muss zentrische Spannglieder aufnehmen
9.1 Betonbrücken 841
Bild 9.1.4-1 Ausbildung der Stegunterseite bei internen (links) oder externen (rechts) Spann
gliedern, Skizzen aus [Göhler, 1999]
dass eine Kontrolle und Auswechslung der baren Trägerrost bilden oder die mittels
Spannglieder jederzeit möglich ist und kei- Pressen in der Höhe verstellbar sind. Wel-
ne Schäden durch unsachgemäßes Verpres- che Variante zur Anwendung kommt, hängt
sen der Hüllrohre zu erwarten sind. Die vor allem von den Baugrundverhältnissen
Spannglieder können im Bau- und im End- ab. Ein weiteres Kriterium ist eine eventu-
zustand an verschiedenen Stellen im Quer- elle Krümmung des Überbaus in Grund-
schnitt an- oder umgeordnet werden, was oder Aufriss. Bei der ersten Variante wer-
bei Bauverfahren mit wechselnder Bean- den die Stahlträger mit hoher Genauigkeit
spruchung des Überbaus, wozu das Takt- verlegt und mit einem Trenn- und Gleit-
schieben gehört, zu Spannstahleinspa- mittel, z. B. Siliconfett, beschichtet. Die
rungen führen kann. Ein Nachteil der Schaltafeln für die Bodenplatte werden da-
Mischbauweise ist die Vergrößerung der rauf gelegt und beim Vorschub mit dem
Bauhöhe durch die randfernere Lage der ganzen Takt über die Träger nach vorn ge-
Spannglieder im Gegensatz zur internen zogen. [Göhler, 1999] empfiehlt z. B. 1–2 cm
Vorspannung. Außerdem ist wissenswert, dicke oberflächenvergütete Sperrholzplat-
dass die mögliche Verringerung der Dicke ten mit einer Länge zwischen 1 und 1,5 m,
der spanngliedlosen Stege schon zu Schä- die dann am Ende der Stahlträger herunter-
den während der Bauausführung geführt fallen und für den nächsten Takt neu ver-
hat. Die von [Streit/Sonnabend, 2002] be- legt werden. Es können auch stählerne
schriebenen Schadensbilder waren zumeist Gleitbleche zwischen Bodenschalung und
auf lokale Überlastungen während des Ver- Stahlträgern platziert werden. Bei der zwei-
schiebens zurückzuführen, da die Verschie- ten Variante wird der Trägerrost gemein-
bepressen wie bei konventionellen Takt- sam mit der Bodenschalung abgesenkt, so
schiebebrücken angesetzt worden waren, dass der Überbau nur noch auf Hilfslagern
woraus eine höhere Exzentrizität bei der ruht, die als Verschiebelager ausgebildet
Lasteinleitung resultierte. Außerdem dür- sind. Das Ausschalen kann durch die
fen die Schwierigkeiten bei einem geplanten Höhenverstellbarkeit des Trägerrosts be-
Umhängen von externen Spanngliedern sonders schnell erfolgen. Die Schaltafeln
von einer zentrischen in eine exzentrische verbleiben im Taktkeller. Allerdings muss
Lage nicht unterschätzt werden. die Schalung für jeden Takt wieder genau
eingerichtet werden. Bei zwei getrennten
Überbauten werden Taktkeller und Ver-
9.1.4.4 Ausrüstung schubanlage oft querverschieblich ausge-
bildet.
Zur Ausrüstung beim Taktschieben gehö- Ein Takt wird in zwei Abschnitten herge-
ren der Taktkeller, die Verschubanlage, der stellt. Zuerst werden Bodenplatte und Stege
Vorbauschnabel und eventuell Hilfsstützen betoniert. Anschließend wird mit einem
oder Hilfspylone zur Reduzierung der Innenschalwagen die Schalung für die
Spannweite während der Bauzeit. Fahrbahnplatte komplettiert und diese ge-
Der Taktkeller befindet sich i. d. R. in fertigt. Auf diese Art und Weise ist auch ein
einem Abstand von 1,2-mal der Regeltakt- problemloseres Fertigen von Verstär-
länge hinter einem der beiden Widerlager kungen, Lisenen und anderen Sonderele-
[Göhler, 1999]. Hier wird die Brücke ab- menten möglich. Die Innenschalung wird
schnittsweise gefertigt, so dass ein monoli- mit dem Takt aus dem Taktkeller heraus
thischer Überbau entsteht. Die Schalung geschoben und nach der Herstellung der
für die Bodenplatte liegt auf Stahlträgern, Bodenplatte und der Stege des Folgetakts in
die entweder einen festen und unverstell- diesen versetzt. Einbauten wie Querträger
844 9 Herstellung und Ausführungsmethoden
und die verschiebliche Innenschalung müs- Überbau zu halten, sind auf dem Bremssat-
sen aufeinander abgestimmt werden. Die tel ebenfalls profilierte Stahlbleche ange-
Außenschalung kann abgesenkt oder weg- ordnet. Bei großen Abtriebskräften kann
geklappt werden. der Überbau aber auch über Gewindestäbe
Zwischen dem Taktkeller und der Ver- mit dem Widerlager verbunden werden.
schubanlage am Widerlager befinden sich Bei Längsneigung wird in den meisten Fäl-
Hilfslager, die ebenfalls als Verschiebelager len bergwärts geschoben, andernfalls sind
ausgebildet sind. Sie fixieren das vorgescho- Vorrichtungen zum Abbremsen des Über-
bene Taktende. Durch Ausgleichen von ho- baus zwingend erforderlich.
rizontalen und vertikalen Abweichungen Der Verschub kann auch mit Zug
mittels Pressen kann die Soll-Gradiente gliedern durchgeführt werden. Dieses Ver-
eingehalten werden. fahren wird aus Kostengründen bei kurzen
Das Prinzip der heute am häufigsten Brücken angewendet oder bei langen Brü-
eingesetzten Verschubanlagen besteht in cken mit Steigungen von über 3 %, da hier
der Übertragung der horizontalen Pressen die erforderlichen Reibungskräfte nicht
kraft über Reibung auf den Überbau, mehr erzeugt werden können.
s. Bild 9.1.4-3. Die Anlage ist i. d. R. fest auf Verschiebelager und Seitenführungen er-
dem Brückenwiderlager montiert. Beim möglichen und steuern die Bewegung des
Vorschub wird als erstes der Überbau mit Überbaus. Die Lager erlauben vertikale,
Hilfe der Hubzylinder um wenige Millime- horizontale oder kombinierte Bewegungen.
ter vom Absetzblock (Bremssattel) angeho- Der Aufbau eines Verschiebelagers ist in
ben. Die Hubzylinder stehen in einem Bild 9.1.4-4 zu sehen. Verschiebelager sind,
Gleitschuh auf einer teflonbeschichteten wie schon erwähnt, im und vor dem Takt-
Platte aus Chromstahlblech als Gleitbahn. keller, auf dem Brückenwiderlager und auf
Der Pressenkopf ist aufgeraut oder es wer- Stützen und Hilfsstützen notwendig. Wäh-
den gehärtete und geriffelte Stahlplatten rend des Vorschubs sind sämtliche Pfeiler
verwendet, um den Reibwiderstand zwi- durch Arbeiter zu besetzen, da die Teflon-
schen Überbau und Zylinder zu erhöhen. platten der Verschiebelager und der Seiten-
Mit dem Ausfahren der Zug-Druck-Pres- führungen ständig neu eingelegt werden
sen – auch Schubzylinder genannt – wird müssen. Ist der Verschub des gesamten
der ganze Überbau um einen Pressenhub Überbaus beendet, werden die Verschiebe-
von ca. 20–30 cm vorgeschoben. Sind die lager ausgebaut und durch die endgültigen
Pressen voll ausgefahren, werden die Hub- Brückenlager ersetzt.
pressen entlastet und der Überbau auf die Der Vorbauschnabel wird benötigt, um
Brückenlager und den Absetzblock abge- die Belastung der vorderen Brückentakte
senkt. Die Zug-Druck-Pressen werden in durch Kragarmmomente zu reduzieren. Die
ihre Ausgangslage zurückgezogen und der Anschaffung ist sehr kostenintensiv. Des-
Vorgang kann wiederholt werden. Um den halb wird i. A. eine mehrmalige Wieder
verwendung angestrebt. Die statisch güns kann. Auch auf den Stützenköpfen muss
tigste Wirkung wird erzielt, wenn der Vor- ausreichend Raum für die Positionierung
bauschnabel eine Länge von ca. 60 % der und den Austausch von Verschiebelagern
maximalen Spannweite hat. Der Vor- sein. Da die Horizontalkräfte während des
bauschnabel soll möglichst leicht sein. Da- Bauvorgangs meist größer als die im End-
her wird er i. d. R. aus Stahlträgern gefertigt. zustand sind, können die Unterbauten ge-
Er ist entweder vollständig als Fachwerk gebenenfalls horizontal oder schräg abge-
ausgebildet oder er besitzt vollwandige spannt werden.
Längsträger. Er kann auch teilweise oder
vollständig durch eine vorgespannte Beton-
konstruktion ersetzt werden. In diesem Fall 9.1.4.5 Bauablauf
werden die Kastenstege des eigentlichen
Überbaus in Form eines Vorbauschnabels Die Herstellung eines Takts sollte möglichst
verlängert und am Ende durch Stahlteile er- eine Woche dauern. In der folgenden Be-
gänzt und ausgesteift. Bei der Konstruktion schreibung der Arbeitsabfolge wurden die
von Aussteifungen und Rahmen in Quer- vorzusehenden Wochentage ergänzt. Der
richtung stählerner Vorbauschnäbel sollte Bauablauf ist in Bild 9.1.4-5 skizziert.
darauf geachtet werden, dass die Breite der Am Dienstag und am Mittwochmorgen
gesamten Konstruktion leicht variiert wer- werden die Schalung vorbereitet und die
den kann. Der Vorbauschnabel wird vor meist hinter der Taktanlage vorgefertigte
dem ersten Takt montiert und ausgerichtet schlaffe Bewehrung des Trogs sowie die in-
und direkt an diesen anbetoniert. Die zug- ternen Spannglieder eingebaut. Am Mitt-
feste Verbindung wird mit Spannstäben re- wochnachmittag wird der Trog – also Bo-
alisiert. An der Spitze des Vorbauschnabels denplatte und Stege des Kastenträgers – be-
ist eine Schnabelhubvorrichtung ange- toniert. In den nächsten anderthalb Tagen
bracht, mit welcher der Durchhang an der wird die Fahrbahnplatte geschalt und be-
Spitze des Kragarms am nächsten Verschie- wehrt. Die Betonage kann am Freitagnach-
belager korrigiert werden kann. mittag erfolgen. Die Betonzusammen
Die Brückenwiderlager müssen ausrei- setzung muss so gewählt sein, dass während
chend Platz für die Vorschubanlage bieten. des Wochenendes der Beton ausreichend
Die Kammerwände können erst nach Ab- erhärtet und am Montagmorgen das Vor-
schluss des Verschiebens hergestellt wer- spannen des Takts erfolgen kann. Anschlie-
den. Bei der Bemessung sind die Kräfte aus ßend wird der fertige Teil des Überbaus um
dem Verschiebevorgang und dem Zwi- einen Takt verschoben.
schenabsetzen zu beachten. Am Zielwider- Beim Fertigen der Querträger gibt es
lager muss es möglich sein, den Vor- prinzipiell zwei Varianten. Einerseits kann
bauschnabel durchzuschieben, damit er ein rahmenartiger Querträger im Zuge der
hinter dem Widerlager demontiert werden Fertigung eines Stützentakts hergestellt
846 9 Herstellung und Ausführungsmethoden
werden. Der Deckenschalwagen muss dann aber durch einen Spalt voneinander ge-
über die Verstärkung der Bodenplatte und trennt, damit das Tragverhalten der Fahr-
durch den Querträger hindurch aus dem bahnplatte nicht beeinflusst wird. Der Vor-
Kastenträger herausgefahren werden kön- teil dieser Variante ist, dass es keine Verzö-
nen. In Bild 9.1.4-6 sind zwei entsprechende gerungen bei der wöchentlichen Fertigung
Möglichkeiten skizziert. Entweder wird der gibt. Nachteilig ist, dass das Arbeiten im
Schalwagen auf Konsolen an den Stegin- Innern des räumlich beengten Kastenträ-
nenseiten bewegt oder er wird so aufge- gers nicht umgangen werden kann. Abhilfe
ständert, dass er über den Querriegel hin- kann in gewissem Maße ein nachträglich
weg verschoben werden kann. Die zweite eingebauter Querträger in Form eines
Variante ist das nachträgliche Einbetonie- Stahlfachwerks schaffen.
ren eines scheibenförmigen Querträgers. Für die Umlenkstellen für die externen
Hier wird der Riegel unter der Fahrbahn- Sekundärspannglieder gilt Gleiches. Sie
platte angeordnet. Die beiden Bauteile sind werden entweder bei der Herstellung des
Bild 9.1.4-6 Schalung bei der Fertigung von rahmenartigen Querträgern nach [Göhler, 1999]
9.1 Betonbrücken 847
Takts im Taktkeller oder nachträglich zu führt werden können. Die Pfeilerköpfe er-
einem späteren Zeitpunkt eingebaut. halten zusätzliche Konsolen, Querträger
Nachdem der letzte Takt gefertigt und und Hilfsstreben. Beispiele für diese Vari-
der Überbau in seine endgültige Lage ver- ante sind die Talbrücken Schnaittach und
schoben worden ist, werden der Vor- Schafstalgrund.
bauschnabel abgebaut, die Verschiebelager
entfernt, die endgültigen Brückenlager ein-
gebaut und die externen Spannglieder der 9.1.4.7 Beispiele ausgeführter Brücken
Sekundärvorspannung eingebracht und
vorgespannt. Neue Muldebrücke Dessau
Der Verschiebevorgang muss ständig [Curbach/Wölfel, 1998]
überwacht werden. Dies betrifft vor allem Die Neue Muldebrücke Dessau besteht aus
den Pressendruck in der Verschubanlage zwei nebeneinander liegenden, 17,44 m
und die Auslenkung der Pfeilerköpfe, damit breiten Überbauten. Die maximale Spann-
z. B. Blockierungen bei den Verschiebe weite der 431,5 m langen Brücke beträgt
lagern rechtzeitig bemerkt werden. Außer- 44,0 m. Der einzellige Kastenträger hat eine
dem muss die Verschubanlage über einen Bauhöhe von 2,45 m und besitzt stark ge-
Notschalter von jedem Verschiebelager aus neigte Stege. Aus Kosten- und Termingrün-
abgeschaltet werden können. den wurde die Taktlänge mit 36,75 m ge-
wählt, was der Regelstützweite entsprach.
Die einzubauende Betonmenge pro Takt
9.1.4.6 Varianten betrug somit etwa doppelt so viel wie bei
üblichen Taktschiebebrücken. Die Brücke
Sind die Abmessungen des Querschnitts wurde in Mischbauweise errichtet. Die für
ungewöhnlich groß, kann zuerst ein Teil das Bauverfahren notwendigen zentrischen
des Kastenträgers gefertigt und verschoben Spannglieder wurden intern im Verbund
werden. Anschließend wird mit einem verlegt, die Sekundärvorspannung für den
Nachläufer der Querschnitt komplettiert. Endzustand wurde mit exzentrisch ange-
Eine weitere Variante ist, den Taktkeller ordneten Spanngliedern ohne Verbund re-
nicht an das Brückenende sondern zwi- alisiert, s. Bild 9.1.4-2. Bild 9.1.4-7 zeigt
schen zwei Brückenabschnitte zu legen und einen Blick in die Schalung eines Takts.
von dort aus Überbauten nach beiden Sei-
ten zu fertigen und zu verschieben. Mit dem Donaubrücke Fischerdorf
letzten Takt werden die beiden Abschnitte [Curbach, 1993-2]
monolithisch verbunden und der Brücken- Im Zuge des Ausbaus der A 92 wurde in
schluss vollzogen. Dieses Verfahren ermög- unmittelbarer Nähe von Fischerdorf (bei
licht es, Brücken mit einer Gesamtlänge von Deggendorf) ein Donauübergang nötig.
bis zu 2 km herzustellen, S-Kurven zu tras- Das 102,5 m lange Hauptfeld über die Do-
sieren oder im Aufriss eine Gerade mit einer nau überspannen ein Stahlbogen und zwei
Ausrundung zu kombinieren. daran angeschlossene Kastenträger in
Auch beim Taktschieben von im Grund- Stahl-Beton-Verbundbauweise. Die beiden
riss gekrümmten Brücken ergeben sich ei- 5-feldrigen Spannbeton-Vorlandbrücken
nige Besonderheiten. Die Taktstation muss zu beiden Seiten des Flusses sind jeweils
im Grundriss drehbar und in Querrichtung 277,3 m lang. Die Überbauten bestehen aus
verschieblich sein. Auch leichte Kippbewe- zwei voneinander getrennten Kastenträ-
gungen um die Längsachse müssen ausge- gern mit einer Schlankheit von l/h = 24. Sie
848 9 Herstellung und Ausführungsmethoden
insbesondere auf die Fertigungsqualität Beiden, dem Long-Line und dem Short-
und die Leistungsfähigkeit zu rechnen. Die- Line Verfahren, ist die Match-Cast-Metho-
ser Nachteil wird mit der Segmentherstel- de (Kontaktverfahren) gemeinsam. Diese
lung im stationären Fertigteilwerk mini- ermöglicht kongruente Flächen zwischen
miert und kann durch ein spezialisiertes benachbarten Segmenten und somit eine
Unternehmen auch für die temporäre Bau- exakte Passgenauigkeit der Fugen durch die
stellenfertigung in bestimmten Maße auf- Verwendung des zuletzt betonierten Seg-
gehoben werden. Eine Gegenüberstellung ments (Match-Cast-Segment) als Stirnab-
der verschiedenen Herstellungsstandorte schalung für das nächst folgende Segment.
ist dem Bild 9.1.5‑2 zu entnehmen. Beim Long-Line Verfahren wird der
Schalungsboden für eine Brückenspann-
weite vollständig oder teilweise erstellt und
9.1.5.2.2 Herstellungsverfahren die bewegliche Seiten- und Innenschalung
nach dem Betonieren um eine Segmentlän-
Der Teilprozess der Segmentherstellung ge versetzt [Dimel, 1984]. Aus Einzelseg-
wird durch die Schalung als das wesentliche menten bestehend liegt der Brückenüber-
Verfahrenselement gekennzeichnet. Durch bau am Ende des Teilprozesses für eine
sie lassen sich zwei Verfahren für die Vor- ganze Spannweite vor. Nur bei größeren
fertigung des Brückenüberbaus unterschei- Brückenbauvorhaben, bei denen eine Viel-
den (Bild 9.1.5‑3), zahl gleichartiger Spannweiten mit gerin-
gen Krümmungen zu erstellen sind, wird
• das Short-Line und das Long-Line Verfahren daher wirtschaft-
• das Long-Line Verfahren. lich einzusetzen sein [Mondorf, 1993].
9.1 Betonbrücken 853
Das Short-Line Verfahren hingegen be- gen, bereits gefertigten Segmente des Über-
dient sich einer ortsfesten Schalung, in der bauabschnitts werden separat zwischengela-
ein einzelnes Segment des Überbaus herge- gert. Der geringe Platzbedarf für die eigent-
stellt wird, welches man nach dem Betonie- liche Fertigungseinrichtung und die gute
ren aus der Schalung hebt und vor der Scha- Anpassung an veränderte Strecken- und
lung als neues Match-Cast-Segment positi- Gradientenführungen lassen das Short-Line
oniert [Girmscheid/Prade, 1993]. Die übri- Verfahren bevorzugt zur Anwendung gelan-
gen und qualifizieren es dadurch auch für dientenverlaufs aus der Eigenlast und der
den erweiterten Anwendungsbereich der Vorspannung des Überbaus sowie aus Krie-
Segmentbauweise (Bild 9.1.5‑4). chen, Schwinden und Relaxation zu berück-
sichtigen haben. Maßabweichungen bei der
Herstellung der Segmente sind nicht voll-
9.1.5.2.3 Vermessung und Kontrolle ständig zu vermeiden, sei es durch Tempera-
turänderungen des Betons oder Schalungs-
Da beim Short-Line Verfahren die Segmen-
ungenauigkeiten. Aus diesem Grund müssen
te des Überbaus einzeln gefertigt werden,
festgestellte Differenzen zwischen den Ist-
kommt der Überprüfung der Maßgenauig-
Werten und den Soll-Werten des zuletzt be-
keit der Segmente eine besondere Bedeu-
tonierten Segments weitgehend bei der Ein-
tung zu, dies insbesondere bei gekrümmtem
messung der nachfolgenden Segmente korri-
und geneigtem Überbau. Um die Passgenau-
giert werden, um Fehlerakkumulationen
igkeit der einzelnen Segmente sicherzustel-
auszuschalten. Um dabei den festgelegten
len, den geforderten Gradientenverlauf ein-
Taktplan einhalten zu können, ist ein mög-
zuhalten und ästhetische Mängel zu vermei-
lichst automatisiertes Vermessungsverfahren
den, ist die Aufstellung eines Kontroll- und
mit digitaler Datenübergabe anzustreben,
Vermessungskonzepts unabdingbar, das
das gleichzeitig die Daten für die Vermessung
zum einen in den Taktplan der Segmenther-
während der Segmentmontage bereitstellt.
stellung zu integrieren ist und zum anderen
Grundsätzlich sollte die Vermessung in
die einzuhaltenden Maßtoleranzen über-
zwei Schritten erfolgen:
prüfbar macht (Bild 9.1.5‑5).
Grundlage der Vermessung sind die the 1. Überprüfung der Ausrichtung des Seg-
oretischen Berechnungen der Segmentgeo- ments in der Match-Cast-Position und
metrien, die u. a. die Abweichungen des Gra der justierten Schalung des neu zu beto-
denen Querschnitten besteht, müssen neben Überbau auf die Arbeitsvorgänge des Teil-
Standardsegmenten Segmente mit Veranke- prozesses Segmentmontage. Damit kann der
rungs- und Umlenkblöcken hergestellt wer- bereits beim Teilprozess Segmentherstellung
den (Bild 9.1.5‑7), was meist zu mehreren aus der Übersichtlichkeit des Bauprozesses
Fertigungslinien in der Vorfertigung führt. resultierende Vorteil eines zeit- und kosten-
Standardsegmente und Segmente mit optimalen Produktionsablaufs bei gleich
Umlenkblöcken können häufig auf einer bleibender Fertigungsqualität durch die
Fertigungslinie erstellt werden, da die Scha- Verwendung mechanisierter Verlegegeräte
lung durch ein zusätzliches Innenteil leicht auch für die Montage zum endgültigen
anzupassen ist. Damit ergibt sich für die Überbau auf der Baustelle genutzt werden.
Baustellenfertigung bei Anwendung des Ist bei der Segmentherstellung die Scha-
Short-Line Verfahrens die im Bild 9.1.5‑8 lung das Kernelement der Verfahrenskenn-
dargestellte prinzipielle räumliche Organi- zeichnung, so lässt bei der Segmentmonta-
sation der Segmentherstellung. ge das Verlegegerüst eine Unterteilung in
zwei Verfahrenstypen zu:
weiterungen der Segmentbauweise auf klei- werden, flexibel und kostengünstig zusam-
nere Brückensysteme das zu bevorzugende mengesetzt werden können. Dadurch ist
Gerüst sein. Zu begründen ist die Wahl mit auch eine leichte Anpassung an veränderte
der Einfachheit des Gerüsts in der Kon- Feldlängen möglich, und die Aufwendun-
struktion, da sie aus standardisierten Fach- gen für die statischen Berechnungen, die
werkmodulträgern, wie sie von verschie infolge der Belastungszustände aus Vor-
denen Herstellern am Markt angeboten schubphasen und Segmentverlegung aufge-
stellt werden müssen, sind gering. Gerade des Überbaus entsprechend dem dokumen-
kleine Brückenbauwerke verlangen diesbe- tierten Gradientenverlauf sichergestellt
züglich einfache Herstellungs- und Kon- werden. Dazu sind verschiedene zyklische
struktionskonzepte, damit umfangreiche, Vermessungen und Kontrollen erforderlich
zeit- und kostenintensive Vorarbeiten ver- (Bild 9.1.5‑12):
mieden werden können. Begünstigt wird
• Höhe und Ausrichtung des Verlegege-
die Entscheidung zugunsten des untenlie-
rüsts
genden Gerüsts noch durch die oft anzu-
• Höhe der Lager
treffenden großen Krümmungsradien klei-
• Lage und Höhe von Segmentaufhängung
nerer und mittlerer Brückenbauwerke. Das
bzw. Segmentvorschubschlitten
obenliegende Gerüst und die dazugehöri-
• exakte Positionsbestimmung, Höhe und
gen Operationskonzepte wurden in [Girm-
Ausrichtung der Segmente nach Errei-
scheid/Prade, 1993] erläutert. Ein Vergleich
chen der Verlegestelle
beider Gerüsttypen führt auf die im Bild
• Ausrichtung der Segmente eines Brü-
9.1.5‑11 zusammengestellten Vor- und
ckenfelds nach dem Verlegen, aber vor
Nachteile.
dem Vorspannen über die Lagerpunkte
• Höhe und Ausrichtung des fertigen
Überbaus eines Brückenfelds
9.1.5.3.2 Vermessung und Kontrolle
Ausgehend von den Vermessungspunkten,
Auf der Grundlage der Vermessungsdaten mit denen bereits in der Vorfertigung die
aus der Vorfertigung muss während der Segmente markiert wurden, wird zwischen
Segmentmontage die genaue Einmessung den Stützensegmenten einer Spannweite
eine Mittellinie definiert, die als Basis für ein Segment vom Verlegegerüst übernom-
die Ausrichtung der Überbausegmente men wurde, wird es an seine planmäßige
dient. Durch die Übertragung auf die Stüt- Position verschoben, wobei jedes Segment
zen wird sie zudem für die Lagekontrolle so gelagert bzw. aufgehängt werden muss,
des Verlegegerüsts herangezogen. Die Ver- dass es einzeln ausgerichtet werden kann
messung erfolgt während des gesamten (1.). Sind alle Segmente des Brückenfelds
Montagevorgangs. Die wichtigsten Mes- positioniert und ausgerichtet, werden sie
sungen sollten möglichst zweimal unab- über eine temporäre Vorspannung mit
hängig voneinander durchgeführt werden. einander gekoppelt. Danach werden die
Spannglieder eingezogen und die Vorspan-
nung bis zu dem Punkt aufgebracht, an dem
9.1.5.3.3 Montagetakt sich der Überbau selbst trägt (2.). Dann
wird der Überbau mittels Pressen an den
Der Zyklus für die Montage eines Brücken- Lagern gehoben, meist die gesamte Vor-
felds, der je nach Länge des Brückenfelds spannung aufgebracht und anschließend
und Trassenführung innerhalb von zwei bis die Hänger bzw. der Kontakt zu den Vor-
vier Tagen abgeschlossen sein sollte, glie- schubschlitten gelöst. Nach dem kraft-
dert sich in drei Fertigungsvorgänge: schlüssigen Untergießen der Lager werden
die Lagerhilfspressen freigesetzt und die
• die Segmentverlegung
Vorspannung in ihrer endgültigen Größe
• die Segmentvorspannung und
eingetragen (3.).
• den Vorschub des Verlegegerüsts.
Beim obenliegenden Gerüst werden die
Im Wesentlichen sind die einzelnen Ferti- Segmente mit einer Gerüstlaufkatze vom
gungsschritte in den Fertigungsvorgängen Transportfahrzeug aufgenommen und zur
der Segmentverlegung und -vorspannung Verlegestelle gefahren. Dort werden sie über
beim unten- und beim obenliegenden Ver- Hängestangen am Gerüst befestigt und mit
legegerüst gleich (Bild 9.1.5‑13). Nachdem hydraulischen Pressen ausgerichtet. Beim
Die Anlieferung der Segmente kann auf benliegenden Variante wie beim unten
o
zwei Wegen organisiert werden: liegenden Gerüst bedarf eines zusätz
lichen Hebegeräts. Zum Einsatz gelangen
• Anlieferung vom Brückenfuß oder
(Bild 9.1.5‑14):
• Anlieferung über den bereits fertig
gestellten Überbau. • Autokran am Brückenfuß oder auf dem
Überbau,
Geländeverhältnisse und Brückenhöhe sind
• stationärer Kran auf dem Überbau und
die wesentlichen Randbedingungen, welche
• Portalkran bzw. Übergabekonstruktion
die Art der Anlieferung beeinflussen. Als
auf dem Überbau.
Transportgerät vom Fertigteilwerk zur Bau-
stelle kommen Spezialtieflader zum Einsatz, Welches Hebegerät eingesetzt wird, ergibt
die entweder die Segmente direkt bis zur sich aus den Leistungsanforderungen, der
Gerüstübergabe befördern oder vorher auf wirtschaftlichen Optimierung und der Ver-
Flachbettwagen absetzen, die über Vor- fügbarkeit.
schubeinrichtungen oder Zugmaschinen Die prinzipielle räumliche Organisation
an das Verlegegerüst gelangen. der Montage ist für ein untenliegendes Ge-
Die Segmentübergabe vom Transport- rüst mit stationärem Kran im Bild 9.1.5‑15
fahrzeug auf das Verlegegerüst bei der ersichtlich.
gleich bleibt, wandert die Last während des gefähr über den Stegen der Elemente fahren
Spannvorgangs zunehmend in die äußeren können. Das Verschieben in den Kurven
Hängestangen, solange der Brückenbalken erzwingt jedoch das Verlassen der Steg
nicht abgesetzt wird. Dabei sind folgende bereiche; die Räder gelangen auf die Fahr-
Kriterien nach Superposition von Aus- bahnplatte bzw. auf den Kragarm. Gleich-
gangs- und Vorspannungszustand zu be- zeitig vermindert sich jedoch die Auflager-
achten: kraft auf dem Nachlaufwagen, da der
Schwerpunkt zum Hilfsgleitstuhl wandert
a) Zulässige Last in den äußeren Hängern
(Phase 2 im Bild 9.1.5‑22). Für das Brü-
kontrollieren.
ckenlängssystem müssen jeweils die größ-
b) Kein Hänger darf Druckkraft erhalten.
ten aufnehmbaren Lasten ermittelt werden,
Falls doch, wird der Hänger gelöst und
um die Umsetzpunkte für das Verleggerät
die Eigenlast des Segments auf den Brü-
bei bestimmten Operationen zutreffend
ckenbalken verlagert.
festlegen zu können.
c) Zugspannungen dürfen in der Beton-
Während all dieser Bauphasen müssen
konstruktion während des gesamten
folgende Randbedingungen beachtet wer-
Vorspannens nicht auftreten.
den:
Für die danach anschließenden Verschie-
bezustände (Bild 9.1.5‑21) ist der zulässige a) Kippsicherheit des Brückenfelds;
Betriebskorridor für den Nachlaufwagen b) Tragfähigkeit der Lager bzw. Hilfslager;
des Vorschubgerüsts zu ermitteln. Die Rad- c) Kippsicherheit des Stahlgerüsts;
sätze des Nachlaufwagens werden so ange- d) Geometrisches Erreichen des nächsten
ordnet, dass sie bei sehr hohen Lasten un- Pfeilers.
868 9 Herstellung und Ausführungsmethoden
9.1.5.5 Anwendungsbereiche
des Segmentbrückenbaus
Bild 9.1.6‑4 Phase 2: Betonieren des Querbal- Bild 9.1.6‑5 Phase 3: Betonieren der A-förmi-
kens gen Pylonstiele
882 9 Herstellung und Ausführungsmethoden
9.1.6.1.2 H-Pylon
ßenschalung, analog zur A-Pylonherstel-
Die Herstellung eines H-Pylons erfolgt wie lung. Bei H-Pylonen sind Querbalken meist
beim A-Pylon mittels Kletterschalung unter der Fahrbahn und im oberen Teil der
(Bilder 9.1.6-9 bis 9.1.6-11). Der Herstel- Pylonstiele oder am Pylonkopf als Kopf-
lungsablauf ist jedoch wesentlich einfacher, querbalken erforderlich. Die Herstellung
da keine aufwendigen Anpassungsarbeiten der Querbalken in Ortbeton erfolgt analog
an der Schalung erforderlich sind. Auch die wie bei den A-Pylonen beschrieben (Bilder
Herstellung des Verankerungsbereichs ist 9.1.6-10 bis 9.1.6-12). Die Querbalken kön-
einfacher, da pro Pylonstiel nur zwei Kabel nen auch als Fertigteile mittels Schwimm-
ebenen verankert werden. Der Einbau der kran und/oder Litzenhubgerät eingehoben
Verankerungselemente erfolgt in der Au- werden (Bild 9.1.6-13). Die Verbindung zu
9.1 Betonbrücken 883
den Stielen erfolgt dabei mittels Ortbeton- nach Erreichung der Montageposition in
fuge. Nach dem Einbau des Querbalkens den vorbereiteten Verankerungen montiert
unter dem Streckträger kann der obere Fer- werden. Der Anschluss des Fertigteil-Quer
tigteil- Querbalken oder Kopfquerbalken balkens an die Pylonstiele erfolgt mittels
auf dem unteren Querbalken zwischengela- gekoppelten Spanngliedern von Arbeits
gert werden (Bild 9.1.6-13). Nach erreichter gerüsten aus. Die Spannglieder werden aus
Pylonstielhöhe wird der obere Querbalken Nischen von der Außenseite der Pylonstiele
mittels Litzenhubgerät gehoben. Dabei kann eingeschoben und in den Ortbetonfugen
der Querbalken beidseitig an den tempo zwischen Pylonstiel und Fertigteil ge
rären Montagekonsolen angehängt und koppelt. Dann werden die Fugen mit Ort-
884 9 Herstellung und Ausführungsmethoden
A) B)
Bild 9.1.6‑11 Phase 3: Herstellung des oberen Teils des H-Pylons [Storda Bru, 2002]. A) Herstellung der Stiele im oberen Bereich des H-Pylons mit tem-
porärer Queraussteifung. B) Herstellung des Kopfquerbalkens in Ortbeton
885
886 9 Herstellung und Ausführungsmethoden
Bild 9.1.6‑12 H-Pylon – Herstellung des unteren und oberen Querbalkens in Ortbeton [Sam
chonpo Bridge, 2002]
ren Fachwerkquerträgern sind die unteren Der Vorschubträger unter den Fach-
Rüstquerträger abgehängt. Das Quersystem werkslängsscheiben muss ausreichend zur
besteht somit aus den Fachwerkquerträ- Aufnahme der Zug- und Reibungskräfte
gern, die am Obergurt der Längsfachwerk- während des Verschiebevorgangs des Frei-
scheiben angeordnet sind, und den beiden vorbauwagens in der Platte verankert wer-
unteren Fachwerkrüstquerträgern, auf de- den. Der Vorbauwagen ist im hinteren Be-
nen der Schalungskasten aufliegt. Die unte- reich mittels einer Klauenkonstruktion an
ren Fachwerkrüstquerträger sind an den den Vorschubträger gesichert. Diese Klau-
oberen Fachwerkquerträgern mittels Hän- enkonstruktion dient zur Sicherung wäh-
gestangen aufgehängt. Diese Hängestangen rend des Vorschubs gegen Kippen. Im vor-
können mittels doppelgreifenden Hohlkol- deren Bereich der Längsfachwerkscheiben
benpressen und damit der Schalungskasten ist eine Panzerrolleneinrichtung zum Ver-
auf- und abgesenkt werden. Die Fachwerke schieben angeordnet. Der�������������
Verschubvor-
müssen gegen seitliches Kippen ausrei- gang erfolgt meist mittels Zugstangen und
chend ausgesteift werden. Die Horizontal- Hohlkolbenpressen. In diesem Bewegungs-
und Vertikalkräfte sowie das Kragarmmo- zustand muss der Vorbauwagen mittels
ment des Freivorbauwagens müssen von Seilen oder Zugstangen gegen unkontrol-
dem vorher hergestellten Betonierabschnitt lierte Bewegungen insbesondere im Gefälle
aufgenommen werden. gesichert werden. Während des Betonierzu-
9.1 Betonbrücken
A) B)
Bild 9.1.6‑13 Montage der vorgefertigten Querbalken mittels Schwimmkran bzw. Litzenhubgerät [Second Seven Crossing Bridge, 1995]. A) Einheben
des Fertigteil-Querbalkens mittels Schwimmkran (links). Obere Querbalken wird mittels Litzenhubgerät (mittleres Bild) in Position gehoben, eingebaut
887
und verspannt (rechts). B) Oberer Fertigteil-Querbalken auf bereits eingebauten unteren Fertigteil-Querbalken abgesetzt
888 9 Herstellung und Ausführungsmethoden
des Kragarms muss mittels Kräftepaar durch Vorschubträger werden im Randbereich des
den vorher hergestellten Brückenabschnitt Streckträgers, zwischen der Kabelebene und
aufgenommen werden, d. h. Druckkraftab- der Außenkante der Betonkonstruktion an-
gabe am hinteren���������������������������
Auflager������������������
an der Streckträ- geordnet. Für das Verschieben des Freivor-
gerunterseite und Zugkraftannahme über bauwagens muss ausreichend Arbeitsraum
die Aufhängung des Freivorbauwagens mit- zur Kabelebene vorhanden sein. Im hinteren
tels U-förmigem Querfachwerkträger und Bereich des Freivorbauwagens wird unter-
klauenförmiger Auflagerkonstruktion am halb des Streckträgers ein integrierter Quer-
vorderen Auflager. Die Längsträger bzw. träger angeordnet. Zum Absenken und prä-
Längsfachwerkscheiben des Vorbauwagens zisen Ausrichten des Freivorbauwagens sind
tragen den Trägerrost des Schalungskastens. entsprechende Pressen zwischen der Aufla-
Diese Längsträger sind im mittleren Bereich gerkonstruktion des U-förmigen Querfach-
mit einem integrierten Querfachwerkträger, werkträgers und den Vorschubträgern anzu-
der U-förmig ausgebildet ist, verbunden. ordnen. Während des Betoniervorgangs
Mittels dieser U-förmigen Querträgerkons- müssen die Pressen auf einer Schraubspindel
truktion wird der unten liegende Freivor- abgesetzt werden. Ferner sind am hinteren
bauwagen an den Längsvorschubträger des unteren Querträger Panzerrollen für den Ver
vorherigen Bauabschnitts abgehängt. Die schiebevorgang vorgesehen. Während des
890 9 Herstellung und Ausführungsmethoden
Betonieren Träger
Betonieren Platte (Total 36.5 m3)
9.1 Betonbrücken
Stirnschalung entfernen
Schalen
Spannpressen montieren
• Installation der Winde auf der Brücken- 9.1.6.3.1 Einhängen kurzer Kabel
platte und dem Zuggerät bei der Anker- im Pylonbereich
platte.
• Vorbereitung der Sicherungsmuttern bei Kurze Kabel in����������������������������
Pylonnähe������������������
können in der Re-
der oberen und unteren Verankerung. gel mit dem Turmdrehkran direkt einge-
hängt werden. Das freihängende Kabel wird
Folgende Montagegeräte sind erforderlich:
zuerst in die untere Trompete eingeführt,
• Arbeitsplattformen: Plattform an der evtl. provisorisch fixiert (Bild 9.1.6-20) und
Außenseite des Pylons zum Einführen anschließend zur Trompete im Pylon ge-
der Kabel in die Trompete und auf der schwenkt. Danach wird der obere Ankerkopf
gegenüberliegenden Seite zum Einzie- durch die Trompete eingezogen und gegen
hen und Abstützen des Ankerkopfs. die Ankerplatte gesichert (Bild 9.1.6-21).
Plattform bei der unteren Verankerung
für die Spannarbeiten unterhalb des
Streckträgers (Fahrbahn). 9.1.6.3.2 Einhängen langer Kabel
• Hebezeuge: Mobilkran zum Abladen der
Kabelbobinen und Einsetzen derselben Sobald Höhe, Arbeitsradius und Lastbereich
ins Abziehgerät (Kapazität: max. Trans- des Krans für die direkte Montage nicht
portgewicht der Kabel inkl. Bobine). mehr ausreichen, wird der Montagevorgang
Turmdrehkran, evtl. Winde zum Ein- umgestellt (Bild 9.1.6-22). Das obere Ka-
hängen der Kabel im Pylon. Mobiles belende wird mit dem Kran zum Pylon ge-
Hebegerät auf der Brückenfahrbahn zum hoben, durch die Trompete eingezogen und
Umsetzen von Spanngeräten, Einlaufsät- mit Muttern oder Stützplatten verankert.
tel etc. und zum Anheben der Kabel beim Beim Freivorbau ist es oft günstig, mehrere
Einführen in die untere Trompete. Leich- Kabel (max. alle Kabel der nächsten Etappe)
tes Hebegerät bei der Verankerung im im Pylon vorgängig zu montieren. Das Ein-
Pylon zum Umsetzen der Einziehgeräte. ziehen der Kabel in den Pylon kann aber
Seilwinden mit Umlenkrollen: Seilwinde auch wie in Bild 9.1.6-23 dargestellt mit
zum Vorziehen des Kabels bis zum Ein- Kabelwinden, die am Pylonkopf angeordnet
tritt in die untere Trompete. sind, erfolgen. Die Kabel werden über den
Bild 9.1.6‑25 Pasco Kennewick Bridge, Columbia River, USA [Leonhardt et al., 1980]
9.1 Betonbrücken 897
Bild 9.2.1-2 Querschnitt mit außenliegenden Steglängssteifen und innenliegenden Stegquersteifen, Nordsteg über die Donau in Wien [VA TECH VOEST
MCE]
9 Herstellung und Ausführungsmethoden
9.2 Stahlbrücken 903
Bild 9.2.1-3 Träger mit außenliegenden Steglängssteifen, Nordsteg über die Donau in Wien
Bild 9.2.1-4 Gurtlamellenab-
stufung [Thiele/Lohse, 1997]
Bild 9.2.2-2 Einheben einer gesamten Brücke mit zwei Autokränen, Eisenbahnbrücke Sandträger-
Weg, Düsseldorf
Bei Durchlaufträgern können die Haupt- Ist der Transport von Trägern in der
träger über die jeweils einzelnen Stützwei- Länge einer Stützweite nicht möglich, kön-
ten verlegt und anschließend geschlossen nen auch die Felder einer Stützweite zu
werden. Dabei ist in der Berechnung zu be- einem Vormontageplatz in der Nähe der
achten, dass die Hauptträgerfelder für die Baustelle transportiert werden, dort abge-
Belastung aus Eigenlast der Konstruktion legt, zusammengebaut und in diesem Zu-
als Einfeldträgerketten, nach dem Schlie- stand mit Hebezeugen eingesetzt werden.
ßen jedoch als Durchlaufträger wirken (Bil- Eine Sonderstellung nehmen hier Bo-
der 9.2.2-5 und 9.2.2-6). gentragwerke ein. Da Bogentragwerke erst
im geschlossenen Zustand voll tragfähig cke nicht gestört, so können auch Hilfsstüt-
sind, wird immer angestrebt, das Tragwerk zen gestellt werden und die in der Werkstatt
komplett auf einzelnen Unterstützungen hergestellten Felder auf den Stützen gela-
zusammenzubauen und als eine Einheit gert und an Ort und Stelle zum Tragwerk
einzulegen. Dies kann nicht nur durch Ein- zusammengefügt werden.
heben mit Kränen, sondern auch durch Für alle Montagen mit vorgefertigten
Einschwimmen und Einschieben auf Wa- Einheiten ist die Einhaltung der geometri-
gen und/oder Schiff erfolgen (Bilder 9.2.2-7 schen Form sowohl für die Ästhetik als
und 9.2.2-8). auch bei statisch unbestimmten Systemen
In seltenen Fällen ist es auch möglich, für die Beanspruchung von entscheidender
das Tragwerk auf dem Untergrund her Bedeutung. Für die Werkstattfertigung und
zustellen und erst nachfolgend den Un für die Montage ist nicht die geometrische
tergrund unter dem Tragwerk abzutragen. Sollform des Bauwerks im Endzustand ein-
Ist das zu überbrückende Hindernis zuhalten, sondern die sich für den span-
nicht allzu tief oder wird durch Hilfsstützen nungslosen Zustand ergebende, aus der
die Benutzung der Flächen unter der Brü- Sollform abgeleitete Werkstattform.
908 9 Herstellung und Ausführungsmethoden
Bild 9.2.2-8 Montage eines Langer‘schen Balkens, Donaubrücke Schwabelweis [Carl et al., 1982]
9.2 Stahlbrücken 909
Die richtige Form eines Felds wird durch Noch besser ist es natürlich, wenn die-
die richtige Form der formgebenden ses Verfahren nicht nur auf jeweils zwei,
Elemente, das sind die Stegbleche, erreicht. sondern auf mehrere hintereinander lie-
Zur Erzielung der richtigen Form und der gende Felder angewendet wird. Die Maße
richtigen Länge des aus Feldern zusam- der zusammengelegten Felder sind durch
mengesetzten Trägers müssen die Felder, Passmarken oder Passlaschen zu sichern.
zumindest deren formgebende Elemente Die Verbindung der einzelnen Felder
(Hauptträger), in der richtigen Form zu- erfolgt entweder durch Schweißung oder
sammengelegt werden. Um Längenfehler durch GV-Verschraubung. Schweißen wird
(z. B. aus Schweißschrumpf) ausgleichen vor allem im Bereich der Fahrbahnplatten
zu können, wird üblicherweise ein Ende angewendet, da Laschen und Schrauben-
auf Maß abgelängt, das andere Ende mit köpfe die Dicke des Fahrbahnbelags ver-
planmäßiger Überlänge (30 bis 50 mm) ge- mindern und sich in den Belag durchdrü-
fertigt. Zwei aufeinanderfolgende Haupt- cken. Schraubenverbindungen haben den
träger werden entweder in der Werkstatt Vorteil, dass sie meist schon bei teilweiser
oder auf einem Vormontageplatz oder bei Verschraubung für die Montage ausreichen-
Auflagerung auf Hilfsstützen direkt bei de Tragfähigkeit aufweisen und dass Ferti-
der Montage so zusammengelegt und hö- gungsungenauigkeiten leichter ausgeglichen
henmäßig eingerichtet, dass die Sehnen werden können. Bei GV-Schraubenverbin-
stiche h1 und h2 den Stichen der Werkstatt- dungen kann auch durch die Verwendung
form entsprechen. Dann wird das Istmaß von reibfesten Anstrichen in den Berüh-
list vom ersten zum letzten Querträger rungsflächen der gesamte Korrosionsschutz
genommen und mit dem Sollmaß lsoll ver- in der Werkstatt aufgebracht werden.
glichen. Die Differenz ∆ = list – lsoll ist je Das Verbinden der Teile durch Schwei-
nes Maß, mit dem vom abgelängten Ende ßung an der Baustelle erfordert höhere
aus das andere Ende mit Überlänge an Anforderungen an die Schweißer als das
gerissen und abgeschnitten wird. Damit Schweißen in der Werkstatt, da die Teile in
wird sichergestellt, dass sowohl Stichmaße der jeweiligen Zwangsposition (auch stei-
zwischen aufeinanderfolgenden Schüssen gend und über Kopf) verbunden werden
als auch die Längenmaße stimmen (Bild müssen. Schweißen stellt auch gegenüber
9.2.2-9). einer Laschenverbindung die homogenere
Verbindung der Teile ohne Kräfteumlei-
tung dar. In Ausnahmefällen können auch
Schweißnähte blecheben geschliffen wer-
den, so dass sie unter dem Korrosionsschutz
unsichtbar bleiben. Um die durchgehenden
Deck-, Steg- und Bodenbleche beidseitig
oder einseitig auf Badsicherung verschwei-
ßen zu können, werden meistens die Steifen
im Bereich der Schweißnaht zunächst auf
einige 100 mm Länge im Nahtbereich weg-
gelassen. Um die Bleche vor allem in den
Ecken gut anpassen zu können, werden auch
die Längsnähte einige 100 mm vor dem
Stoß nicht geschweißt. Die erforderlichen
Schweißnahtvorbereitungen sind bereits
Bild 9.2.2-9 Herstellung der Werkstattform beim Schneiden der Bleche angearbeitet.
910 9 Herstellung und Ausführungsmethoden
Badsicherungen auch durch Stahlplättchen eine Feldlänge vorgefahren und der Monta-
werden meist erst bei der Montage ange- gevorgang fortgesetzt. Bei Erreichen eines
bracht, da sie beim Transport abgeschlagen Pfeilers muss die Vorbauspitze entweder
werden können. Die zu verbindenden Teile dort gehoben oder durch Überhöhung der
werden zunächst mit Knaggen gesichert, vorhergehenden Lager die Durchbiegung
geheftet und schließlich verschweißt und die des Kragarms ausgeglichen werden (Bild
Knaggen entfernt. Anschließend werden die 9.2.3-1).
vorher nicht verschweißten Kehlnahtenden Freivorbau kann von einem Randstand-
nachgeschweißt. Die Stöße der Längssteifen feld aus nach einer Seite oder von einem
werden durch eingeschweißte Passstücke, inneren Standfeld aus nach beiden Seiten
die meist auf der Baustelle nach Naturmaß betrieben werden. Bei Durchlaufbalken
abgelängt werden, geschlossen. Bei Hohl- mit ausgeprägten großen Öffnungen, z. B.
steifen werden die Stumpfnähte der Passstü- Strombrücken, wird der Freivorbau von
cke entweder auf eingelegten Unterlagsplätt- beiden Seiten gleichzeitig oder nacheinan-
chen oder auf eingesetzten Querschotten als der bis zur Brückenmitte durchgeführt und
Badsicherung verschweißt. Da beim Schwei- dort das Brückentragwerk geschlossen. Das
ßen der Korrosionsschutz zerstört wird, Schließen muss höhen- und tangenten-
muss in den von den Schweißnähten beein gleich erfolgen. Das kann durch die Wahl
flussten Bereichen der Korrosionsschutz der entsprechenden Momentenverteilung,
vom Grund auf nachgearbeitet werden. durch Hebung an den anliegenden Stützen
oder durch örtliche Eintragung eines Biege-
moments (ev. auch einer Querkraft) mit hy-
9.2.3 Freivorbau draulischen Pressen erfolgen. Das Montie-
ren der beiden Tragwerksteile nacheinan-
Freivorbau wird jenes längsorientierte der hat den Vorteil, dass mit einem Vorbau-
Montageverfahren genannt, bei dem nach gerät, das nach Montage des ersten Trag-
dem Aufstellen des ersten, sogenannten werksteils auf den zweiten umgesetzt wird,
Standfelds, die weiteren Felder am Ort der das Auslangen gefunden werden kann. Als
endgültigen Lage über weitere Strecken, Nachteil steht die längere (etwa doppelte)
eventuell unter Einbeziehung weniger Hilfs Montagezeit gegenüber (Bild 9.2.3-2).
stützen nacheinander angeschlossen wer- Beim Freivorbau können eventuell auch
den. Das Hebezeug kann dabei unter der bei großen Steghöhen längsgeteilte Haupt-
Brücke oder (meist) auf der Brücke fahren. träger montiert werden. Hier werden aller-
Das Vorfahren der einzelnen Teile eines dings Montagespannungen „eingefroren“,
Felds erfolgt dabei im Allgemeinen über die bei den Nachweisen der Träger berück-
den bereits montierten Brückenbalken. Das sichtigt werden müssen.
Anschließen der Teile eines Felds erfolgt im Vor allem beim Freivorbau ist das im
Hebezeug freihängend. Zunächst werden vorhergehenden Abschnitt beschriebene
die längsorientierten Hauptträger vorge- Auslegen der Träger benachbarter Felder
hängt und biege- und schubfest an das vor- mit Form- und Längenanpassung erforder-
hergehende, bereits montierte Feld ange- lich. Bei der Montage sind die Abstände der
schlossen. An die Hauptträger werden die Passmarken oder Passlaschen genau einzu-
dazwischenliegenden und auskragenden halten (Passschrauben). Die theoretische
Teile meist längsorientiert, manchmal auch Biegelinie ist nach Montage jedes Felds mit
querorientiert angeschlossen. Nach Mon der tatsächlichen Trägerform zu verglei-
tage eines Felds werden bei auf dem Brü- chen. Bei Abweichungen können mit den
ckendeck fahrenden Hebezeugen diese um nachfolgenden Schüssen diese Fehler wieder
9.2 Stahlbrücken
ausgeglichen werden. Besonderes Augen- teile von einer auf den Tragkabeln fahren-
merk ist auf die Form zu legen, wenn Teile den Hebebühne aus. Dabei wird meistens
des Querschnitts (z. B. Deckblech) durch der komplette Querschnitt eines Felds auf
Schweißnähte und andere Teile (z. B. Stege den Pontons zusammengebaut und aufge-
und Untergurte) mit GV-Laschenstößen zogen.
angeschlossen werden. Das Schrumpfen der
Schweißnaht kann in Folge zu einer erheb-
lichen Abweichung von der Sollgeometrie
führen. Deshalb ist während der Montage
die Form des Tragwerks laufend zu kontrol-
lieren und eventuell zu korrigieren.
Der Freivorbau eignet sich als Montage-
methode besonders für Vollwand- und
Fachwerkbalken. Bei Fachwerken gerin-
gerer Höhe werden Hauptträger“wände“
vorgebaut, bei Fachwerken großer Höhe
erfolgt der Freivorbau stabweise (Bilder
9.2.3-3 bis 9.2.3.-5).
Auch Schrägkabelbrücken sind für den
Freivorbau hervorragend geeignet, wenn
die Seitenöffnung auf einigen Hilfsstützen
errichtet werden kann, dann der Pylon ge-
baut wird und abschließend die Teile der
großen Öffnung im Freivorbau jeweils mit
Kabelunterstützung montiert werden (Bild
9.2.3-6).
Der Freivorbau des Balkens von Hänge- Bild 9.2.3-5 Freivorbau eines Obergurtstabs,
brücken erfolgt meist durch Aufziehen der Hochbrücke Brunsbüttel über den Nordostsee-
auf Pontons eingeschwommenen Balken- kanal
914 9 Herstellung und Ausführungsmethoden
Bild 9.2.4-3 Zusammenbau von zwei Feldern, U6-Brücke über die Donau in Wien
wird im Stahlbau häufig die zweite Metho- Beim Längsverschub ist das Rollen oder
de der Leichterung gewählt. Eine andere Gleiten bewegter Teile auf Unterstützungen
Methode zur Verstärkung des Kragarms ist von wesentlichem Einfluss. Bei Auflager-
die Verwendung einer Hilfsüberspannung. kräften bis etwa 1000 kN können Rollen
Der Längsverschub kann kontinuierlich wagen zum Einsatz kommen. Da die gehär-
erfolgen, wenn die Verschublager unter den teten Rollen der Rollenwagen bei Über
Hauptträgerstegen angeordnet sind, oder beanspruchung, vor allem bei zu hohen
diskontinuierlich, wenn die Brücke auf je- Kantenpressungen, leicht brechen können,
dem Querträger oder unter der Kreuzung ist es ratsam, diese auf elastomeren Monta-
Hauptträger – Querträger gelagert wird. gelagern aufzulegen. Bei größeren Kräften
Der heute überwiegend angewandte konti- ist nur mehr die Lagerung auf Gleitflächen
nuierliche Längsverschub hat den Vorteil, möglich. Die Gleitpaarung mit der gerings-
dass größere Strecken, zumindest aber die ten Reibung ist die Paarung PTFE (Polytet-
Länge eines Felds ohne Unterbrechung ver- rafluoräthylen) mit hochlegierten Chrom-
schoben werden können, jedoch den Nach- Nickel-Stählen, z. B. X 5 CrNiMo 1810 mit
teil, dass jeder beliebige Punkt jedes Felds polierter Oberfläche, wobei durch geeigne-
Auflagerpunkt wird und die Auflagerkraft in te Schmierung der Reibwert deutlich unter
den Steg eingeleitet werden muss. Der kon- 1% gedrückt werden kann. Dies ist bei dis-
tinuierliche Längsverschub kommt auch mit kontinuierlichem Verschub immer mög-
einer relativ kurzen Verschubbahn aus. Der lich, da die Gleitbahnen mit einem polier-
diskontinuierliche Längsverschub erfolgt ten hochlegierten Blech bespannt werden
immer über den Abstand der Querträger können. Bei kontinuierlichem Verschub ist
oder über den Abstand der Fachwerkknoten dies nicht möglich, weshalb üblicherweise
auf einem Wagen über einer Verschubbahn, die beschichtete, gut geschmierte Stahlträ-
die zumindest die Länge dieses Abstands gerunterseite über das PTFE des Lagers
hat. Dann wird das Tragwerk angehoben, gleitet. Das PTFE sollte daher gekammert
die Lager zurückgeschoben, das Tragwerk auf einem Blech liegen, damit es beim Ver-
abgesetzt und weiterverschoben. Der dis- schub nicht herausgeschoben wird und die
kontinuierliche Längsverschub hat den Vor- „Bartbildung“ weitgehend vermieden wird.
teil, dass die Lagerpunkte ausgesteift sind Die verdrehweiche Lagerung des Verschub-
und die dazwischen liegenden Teile, da sie lagers durch Anordnung eines Elastomer-
nie Lasteinleitungspunkte werden, nicht ört- Montagelagers ist auch hier zu empfehlen
lich ausgesteift werden müssen. (Bilder 9.2.4-5 und 9.2.4-6).
Erfolgt das Lancieren über eine schiff chung so gering wie möglich zu halten:
bare Wasserfläche, so kann anstelle eines Dazu gehören:
Verschublagers ein Schiff treten, das den
a) Der Querverschub des alten Tragwerks,
Überbau an einer festgesetzten Stelle unter-
die Umleitung des Verkehrs auf das alte
stützt, mit dem Überbau aus Stabilitäts-
Tragwerk und der Neubau in der beste-
gründen biegesteif verbunden ist und mit
henden Achse (Bild 9.2.5-1).
dem Überbau längs eingeschoben wird.
b) Der Bau des neuen Tragwerks parallel
Hierbei ist besonders zu beachten, dass die
zum bestehenden Tragwerk, die Umlei-
Unterstützung durch das Schiff sehr nach-
tung des Verkehrs auf das neue Tragwerk,
giebig (weich) ist, während die Lagerung
der Abbruch des alten Tragwerks und der
auf Verschublagern unnachgiebig (starr)
Querverschub des neuen Tragwerks in
ist. Bei statisch unbestimmter Lagerung
die bestehende Achse (Bild 9.2.5-2).
können daher hohe Beanspruchungen des
c) Der Bau des neuen Tragwerks parallel
Brückenbalkens durch Änderungen der
zum bestehenden Tragwerk, der ge-
Höhe des Wasserspiegels (z. B. Wellengang)
meinsame Querverschub beider Brü-
entstehen. Um ein Brückentragwerk auf
cken (Bild 9.2.5-3).
einem Verschubschiff lagern zu können,
d) Der Ausbau von alten und der Einbau
wird entweder der Überbau mit hydrauli-
von neuen Tragwerken, wenn aus räum-
schen Pressen vom Schiff aus aufgestapelt,
lichen Gründen oder wegen nicht aus-
oder das Schiff vorher geflutet und unter
reichender Krankapazität ein direkter
dem Überbau gelenzt (Bild 9.2.4-7).
Austausch mit Kränen nicht möglich ist.
Dabei dient das alte Tragwerk als Träger
beim Einschieben des neuen Tragwerks
9.2.5 Spezielle Verfahren
und das neue Tragwerk als Träger beim
Ausschieben des alten Tragwerks.
Die in den Abschnitten 9.2.2 bis 9.2.4 dar-
gestellten Montageverfahren für Stahlbrü- Bei den Verfahren a) und b) können auch
cken stellen die „klassischen Verfahren“ dar. die Unterbauten der Brücke vollständig er-
Bei Ersatz bestehender Tragwerke durch neuert werden. Bei den Verfahren c) und d)
neue mit oder ohne Beibehaltung der Un- müssen die Unterbauten weitgehend erhal-
terbauten werden spezielle Montageverfah- ten bleiben. Das Verfahren c) hat gegenüber
ren angewandt, um die Verkehrsunterbre- d) den Vorteil, dass sich der Austausch le-
9.2 Stahlbrücken 919
DONAU Donauinsel
Schute 1
Turmdrehkran Zwei Kabel bereits vormontiert
1. Ponton andocken
Einschwimmen ca. 150 m vorschieben um 67 m
Kabel Übernahme 2. Ponton
67 m Vorschieben bis Endlage
Schute 1 Schute 2
Tragwerk endlagern
Sämtliche Kabel montieren
Spannbetontragwerk
diglich auf einen Querverschub beschränkt, gespart, der Zusammenbau des neuen
aber den Nachteil, dass das neue Tragwerk Tragwerks und die Demontage des alten
auf einem Gerüst montiert und das alte Tragwerks kann auf einem Vormontage-
Tragwerk auf einem Gerüst demontiert platz mit beliebig vielen Unterstützungen
werden muss und die Flächen beiderseits erfolgen. Rüstungen werden aber für das
zur Brücke in ausreichender Größe zur Ein- und Ausschieben der Tragwerke und
Verfügung stehen müssen. Beim Verfahren für die Lagerungen auf den Pfeilern benö-
d) werden die Kosten für diese Gerüste ein- tigt. Außerdem ist der Austausch selbst
920 9 Herstellung und Ausführungsmethoden
Ausgangszustand Ausgangszustand
Bild 9.2.5-5 Kronprinz-Rudolf-Brücke über die Donau in Wien mit Vorbereitungen für den Quer-
verschub
Bild 9.2.5-11 Rheinbrücke Düsseldorf Oberkassel, vor und nach dem Querverschub [Beyer et al.,
1977]
924 9 Herstellung und Ausführungsmethoden
1500 Transportgleis
alte Brücke
30180 30180 30080 A B
a 855 905 3000
Hubtraversen Hubtraversen
Spannglieder
ng
tu
h
Drehvorrichtung (Rhönrad)
ric
eh
Transportwagen
Dr
Drehvorrichtung
(Rhönrad)
c
alte Brücke
neue Brücke
d
Bild 9.2.5-18 (Fortsetzung)
a h
Montage Viaduktbefestigung, Montage Querträger im alten TW, Montage Auflageträger Pfeiler V1 Weiteres Ausschieben des alten TW und Absetzen am zweiten Transportwagen, Abtransport altes TW
b i
Montage Hubgerüste und Abstützungen Absenken des neuen TW auf Hilfsstützen, Erneuerung Brückenlager, Demontage Koppelrahmen
Neues TW fertiggestellt
c j
Einfahren des neuen TW und Befestigung an den Hubgerüsten Einbau der Koppelrahmenwagen in das Martinsberger Hubgerüst, Montage Querträger im nächsten alten TW
d k
Abheben des neuen TW von den Transportwagen, Transportwagen ausfahren Versetzen des Martinsberger Hubgerüstes, Montage Querträger im neuen TW
f c
Heben des alten TW am neuen TW hängend Einfahren des neuen TW und Befestigung an den Hubgerüsten
a Hubgerüst, Seitenansicht b Hubgerüst, altes Tragwerk am c Koppelrahmen
932
Montagesituation sinngemäß entsprechend Bild f. gehobenen neuen Tragwerk hängend
6770
600
neues Tragwerk
maximal angehoben
Tragwerk hängend
18305
Lichtraumprofil
Brückentransportwagen
bereits fertiggestelltes
neues Tragwerk
Bild 9.2.5-25 Kampbrücke Zwettl, Ansicht der alten Brücke [Holzinger et al., 1999]
Bild 9.2.5-26 Kampbrücke Zwettl, Zusammenbau des neuen Tragwerks auf dem Bahnhofsgelände
[Holzinger et al., 1999]
Bild 9.2.5-30 Kampbrücke Zwettl, neues Tragwerk eingebaut, Verschub des linken Rahmens
9.3 Brücken in Verbund- und Mischbauweise 935
transporte zur Baustelle gebracht. Dort wur- lager aufgelegt. Bild 9.3-1 zeigt das Einhe-
den jeweils zwei bis drei Schüsse am Boden ben des Mittelteils, das über Obergurt
zusammengeschweißt und mit Autokranen knaggen zwischen die Kragarme der Sei-
auf die fertigen Pfeiler und Widerlager ge- tenteile eingehängt wurde.
hoben und verschweißt (siehe Bild 4.2-1). Bei großen Spannweiten und größeren
Die Betonfahrbahn wurde zur Erzielung Brücken mit mehreren Feldern ist dieses
einer Vorspannung in überhöhter Lage des Verfahren nicht geeignet. Dann kommen
Stahltragwerks betoniert. Im sogenannten Montageverfahren wie Freivorbau oder
Pilgerschrittverfahren wurden zuerst die Taktschieben zum Einsatz, die auch aus
Feldbereiche und dann die Stützbereiche dem Stahlbrückenbau und dem Betonbrü-
betoniert, um im Stützbereich Zugspannun- ckenbau bekannt sind.
gen aus dem Betoneigengewicht zu vermei-
den. Die Absenkung des Überbaus in die
Endlage erfolgte erst, nachdem die Kriech- 9.3.1.3 Montage durch Freivorbau
und Schwindeinflüsse zu einem großen Teil und/oder Verschub
abgebaut waren, um den negativen Effekt
auf die Vorspannkräfte zu minimieren. Bei großen Spannweiten und Feldern, die
Bei Überführungen von Wasserwegen z. B. wegen eines zu tiefen Talgrunds nicht
wird zum Einheben der Überbauteile auch über Kran erreicht werden können, kann die
häufig ein Schwimmkran eingesetzt. So Stahlkonstruktion im Freivorbau montiert
wurde zum Beispiel bei der Moselbrücke oder auch längs eingeschoben werden. Für
Bernkastel-Kues [Kuhlmann, 1996], um das Einschieben ist von Vorteil, wenn die
Montagekosten zu minimieren, der Stahl Felder ähnliche Spannweiten haben und der
überbau im Werk zu drei Großbauteilen Brückenzug gerade ist bzw. eine konstante
von 7,5 m Breite und ca. 50 m Länge voll- Krümmung hat. Auch sollte bei der Gestal-
ständig zusammengebaut. Drei Schiffe tung des Querschnitts auf die Ausbildung
brachten die Brückenteile auf dem Wasser- einer Voute möglichst verzichtet werden.
weg nach Bernkastel. Dort wurden die Eine Brücke, bei der die Stahlkonstrukti-
Teile nacheinander, erst die auskragenden on längs eingeschoben wurde, ist die Dilltal-
Seitenfelder, dann das Mittelteil, mit einem brücke bei Haiger in Hessen [Pelke, 2000]
Schwimmkran entladen und auf die Hilfs- mit den Spannweiten 45 m–85 m und einem
Radius von 750 m im Grundriss. Der Brü- quer vorgespannte und längs schlaff be-
ckenquerschnitt setzt sich aus einem trapez- wehrte Verbundplatten. Beide bestehen aus
förmigen Stahltrog und auskragender Fahr- zwei getrennten Überbauten mit jeweils
bahnplatte zusammen. Die Einzelteile Bo- einem einzelligen Kasten mit geneigten Ste-
denblech, Stege und Verbände wurden vom gen. Sie wurden beide als Ersatz alter Über-
Werk auf die Baustelle geliefert und dort in bauten auf bestehenden Pfeilern errichtet.
einer eigens errichteten Montagehalle zu Wegen der großen Höhen der Pfeiler
rund 15 m langen Schüssen verschweißt. über dem Talgrund von bis zu 70 m war für
Diese Schüsse wurden an den Vorschubsta- beide Brücken nur eine Montage durch
tionen hinter den beiden Widerlagern (es Längseinschub möglich. Während in Sie-
wurde von zwei Seiten eingeschoben) zu benlehn nur die Stahlkonstruktion einge-
80 m langen Abschnitten verbunden, die schoben wurde, wurde bei Wilkau-Haßlau
dann taktweise eingeschoben wurden (Bild die gesamte Verbundbrückenkonstruktion
9.3-2). Dabei konnten zum Teil die Pfeiler mit Platte verschoben. Dabei wurde ausge-
der alten Brücke als Hilfspfeiler für den Ver- nutzt, dass bei Stützweiten von maximal
schub weiterverwendet werden. In Brücken- 110 m bereits für den Abbruch des alten
mitte wurden beide Hälften zu einem durch- Überbaus Hilfsstützen mittig im Feld not-
laufenden Träger zusammengeschweißt. wendig waren.
Die Herstellung der Fahrbahnplatte erfolgte Wegen der engen Terminsituation hat
auch hier mit Hilfe eines Schalwagens mit sich die ausführende Firmengemeinschaft
dem Pilgerschrittverfahren. bei der Talbrücke Wilkau-Haßlau zu einem
Weitere Beispiele für hohe Talbrücken in besonderen Taktfertigungsverfahren ent-
Verbund, die eingeschoben wurden, sind die schlossen, siehe Bild 9.3-3.
beiden Brücken Siebenlehn über die Frei- Die Fertigungsanlage bestand aus drei
berger Mulde (Spannweiten ca. 2 × 71,4 – Teilen:
81,6 – 71,4 – 61,2 – 56,1 m) und Wilkau-
Haßlau über die Zwickauer Mulde (Spann- • In der Stahlbauhalle wurden die in der
weiten ca. 55 – 2 × 110 – 3 × 99 – 88 m), Werkstatt vorgefertigten Elemente zu-
[Seifried/Stetter, 1996]. Beide Brücken haben sammengebaut, je Stahlschuss vier Ele-
Bild 9.3-2 Dilltalbrücke Haiger, Taktschieben von zwei Seiten (Quelle: Hessisches Landesamt für
Straßen- und Verkehrswesen)
938 9 Herstellung und Ausführungsmethoden
mente: zwei Elemente Bodenblech mit als Schalung zum Einsatz. In beiden Fällen
Steganschluss und zwei Stegelemente werden Lasten während des Betoniervor-
mit Obergurt und Kopfbolzendübeln. gangs an die Stahlkonstruktion abgegeben,
• In der klimatisierten Korrosionsschutz- deren Einleitung und Weiterverfolgung für
halle wurden die Sandstrahl- und Be- einen Teil der Stahlkonstruktion wie z. B.
schichtungsarbeiten ausgeführt. Querträger und Querrahmen bemessungs-
• In der Betonierhalle wurde die Beton- relevant sind. Hinsichtlich des vorgesehe-
fahrbahnplatte geschalt, bewehrt, beto- nen Schalungskonzepts muss also schon in
niert und vorgespannt, bei 20 Betonier- einem Frühstadium der Planung eine de-
takten ca. 33 m pro Woche. taillierte Abstimmung zwischen Betonbau-
und Stahlbaupartner erfolgen.
Die optimale Abstimmung aller Einzelvor-
gänge der Stahlbaumontage, der Korrosions
schutzmaßnahmen, der Verbundplatten 9.3.2.2 Schalung mit ortsfestem Schalgerüst
erstellung und des Verschubs aufeinander oder Schalwagen
brachte bei der Talbrücke Wilkau-Haßlau
nicht nur wirtschaftliche sondern auch ent- Neben vertikalen Lasten aus Schalungs-
scheidende zeitliche Vorteile. Dieser Aspekt und Frischbetongewicht bzw. Verkehrs
ist gerade beim Bau stark befahrener Auto- lasten aus Baubetrieb werden über die
bahnbrücken von Bedeutung. Einleitungspunkte zwischen Schalung und
Stahlkonstruktion immer auch horizontale
Kräfte abgegeben: Dazu gehören Wind-
9.3.2 Schalung und Fertigung und Stabilisierungslasten, aber auch seitli-
Betonfahrbahnplatte cher Frischbetondruck. Die Verfolgung
dieser Horizontallasten in der Stahlkonst-
9.3.2.1 Allgemeines ruktion ist entscheidend, weil dem Quer-
schnitt im Zustand des Betonierens noch
Bei der Herstellung der Fahrbahnplatte die geschlossene Betonfahrbahnplatte fehlt,
können zwei grundsätzliche Verfahren un- die im Endzustand für die notwendige Stei-
terschieden werden. Entweder die Beton- figkeit in horizontaler Richtung sorgt. Bei
platte wird mit Hilfe eines Schalgerüsts der Fertigung von Verbundbrücken muss
oder eines Schalwagens komplett vor Ort also besonders auf eine ausreichende Stabi-
betoniert oder es kommen Betonfertigteile lisierung der reinen Stahlkonstruktion in
9.3 Brücken in Verbund- und Mischbauweise 939
Form von Querrahmen oder sogar Monta- die Schalungskonstruktion der Wilhelms-
geverbänden geachtet werden. Diese sollten burger Brücke in Hamburg. Die durch das
so dicht wie möglich an die zu stabilisieren- Kragmoment auftretenden Zugkräfte wer-
den Bauteile wie die unter Druckbeanspru- den dabei über Schraubverbindungen am
chung stehenden Stahlträgerobergurte ge- Hauptträgersteg in die Querrahmen einge-
führt werden. Erforderliche Querträger leitet und außerdem über Zugstangen aus
sollten andererseits aber auch ausreichend Bewehrungsstählen über die Kastenbreite
tief im Querschnitt angeordnet sein, um kurzgeschlossen. Die Druckkräfte werden
das Schalen nicht zu behindern. In Hinblick über die Querträger und Montagedruck-
auf die Fertigung mit Schalgerüst oder -wa- glieder abgetragen.
gen sind offene Querschnitte zu bevorzu- Ortsfeste Schalgerüste werden im allge-
gen, da im Unterschied zum Kastenquer- meinen nur für Brückenlängen eingesetzt,
schnitt der Arbeitsraum nicht eingeschränkt die in einem Zug betoniert werden können.
ist und die ausladenden Stahlträgerunter- Bei längeren Brücken mit konstanten Quer-
gurte eine einfache Abstützung der Scha- schnitten kann die Betonfahrbahn wirt-
lungskonstruktion ermöglichen. Bild 9.3-4 schaftlicher mit Hilfe von Schalwagen her-
zeigt das Beispiel eines untergehängten gestellt werden, siehe Bild 9.3-6.
Lehrgerüstträgers, der sich über eine Knag- Während die Innenschalung auf Schie-
genkonstruktion auf den Untergurt in nen bewegt wird, die auf den Querträgern
Stegnähe abstützt. Auch die Kragarmscha- aufliegen, wird die Kragarmschalung punk-
lungen können so einfach abgefangen tuell über später einbetonierte Aufstän
werden. derungen auf den Stahlträgerobergurten
Bei Verbundkastenquerschnitten muss jeweils an den Stellen der Querrahmen
die Kragarmschalung an den noch nicht abgestützt.
geschlossenen Stahlkasten außen ange- Jüngere Entwicklungen haben bei eini-
hängt werden. Bild 9.3-5 zeigt als Beispiel gen Talbrücken mit einzelligem Kasten
träger als Überbau und durch Streben ge- Für die Stützweiten bis zu 32 m war mit
stützten Kragarmen, wie z. B. die Talbrücke 1,34 m durch Lichtraumprofil und Gleis
Schwarza [DEGES, 2001] zu einer nur lage schon eine recht niedrige Bauhöhe
unten hängenden Schalwagenkonstruktion vorgegeben. Wegen der eingeschränkten
für die Kragarme geführt. Sie wird nur am Bauhöhe – die Stahlkästen sind nur etwa
äußeren Längsträger des Kragarms und am 1,10 m hoch – wurde zur Besichtigung der
Kastenträgers befestigt. Der Verzicht auf Konstruktion eine Inspektionsplattform
Schalungsträger oberhalb der Verbund auf Schienen eingebaut.
platte vermeidet die Durchdringungen der Ähnliche Schwierigkeiten, wie man sie
Platte durch die Aufständerungen und er- wegen der niedrigen Bauhöhe bei der
laubt ein ungehindertes Arbeiten auf der zu Besichtigung im Innern des Kastens hat,
betonierenden Fläche. wären auch beim Entfernen der Innenscha-
lung nach dem Betonieren der Verbund-
platte entstanden. Daher wurden Betonfer-
9.3.2.3 Betonplatte mit Fertigteilen tigteile als verlorene Schalung eingesetzt,
d. h. die Betonfertigteile wurden für die
Besonders bei Verbundkastenquerschnitten Tragfähigkeit der Verbundplatte nicht
bieten sich, wie auch das folgende Beispiel berücksichtigt.
zeigt, Fertigteile als Schalelemente an. Im Gerade bei so niedrigen Bauhöhen ist die
Zuge der A4-Eisenbahnüberführungen bei Reduzierung des effektiv wirksamen Quer-
Köln, vergleiche Abschnitt 5.2.3 [Kuhlmann, schnitts um 5 bis 8 cm Bauhöhe der nicht
1995] wurde u. a. auch die Eisenbahnüber- mitwirkenden Fertigteile bei gleichzeitiger
führung Bauwerk 231A erneuert, siehe Bild Gewichtserhöhung keine optimale Lösung.
9.3-7. Bei dem System im Grundriß handelt Eine bessere Alternative, die sich beson-
es sich um einen Durchlaufträger über zwei ders für kleinere und mittlere Spannweiten
Felder, der in einer starken Krümmung liegt: eignet, stellt der Einsatz von Großflächen
Der mittlere Krümmungsradius beträgt ca. schalelementen dar, wie sie u. a. vor allem
350 m. Infolgedessen wurde der Querschnitt von Schüßler-Plan [Schmackpfeffer, 1999]
mit zwei einzelligen Stahlkästen und durch- entwickelt wurden. Circa 10 cm dicke Halb-
gehender Verbundplatte ausgeführt. fertigteilplatten aus Beton werden auf die
9.3 Brücken in Verbund- und Mischbauweise 941
Stahlträger aufgelegt. Sie ersetzen die Scha- durch die Verwendung von Doppeldü-
lung und werden gleichzeitig in die endgül- beln erreicht. Nach dem Verlegen der
tige Verbundplatte integriert. In den Be- Fertigteilplatten werden die Längs- und
reichen zwischen den Stegen spannen die Querfugen einschließlich der Dübel
Platten in Querrichtung. Es gibt zwei Ty- aussparungen vergossen.
pen: einfache Platten, die zwischen die in- 3. Um eventuelle Toleranzen auffangen zu
neren Längsträger in Querrichtung spannen können und zur Abdichtung der Fuge
und auskragende Platten, die auf dem äuße- werden die Fertigteile auf schmalen
ren und dem ersten inneren Träger auflie- Elastomerstreifen auf den Stahlträgern
gen. Damit diese auskragenden Platten auf gelagert.
den äußeren Träger ausgelegt werden kön-
Bei den zu den Großflächenschalungen
nen, sind bei diesen die Kopfbolzendübel in
gehörenden Typenentwürfen sind nur in
Gruppen angeordnet und entsprechende
den Lagerachsen Querträger erforderlich.
Dübelaussparungen in den Platten vorgese-
Diese Querträger können sowohl in Stahl,
hen, vgl. Bild 9.3-12. Folgende Besonder-
d. h. als Verbundträger in Querrichtung, als
heiten kennzeichnen diese Großflächen-
auch nur in Beton ausgeführt werden. Wird
schalelemente (siehe Bild 9.3-8):
der Querträger wie im Bild 9.3-10 aus Beton
1. Bei den Platten erfolgt die Schubsiche- hergestellt ist die planmäßige Unterbre-
rung über eine Schubgirlande ohne obe- chung der Stahllängsträger sinnvoll. Die
ren Querstab. Ein Einfädeln der Beweh- Aufnahme des negativen Stützenmoments
rung entfällt somit. Die Verbundfuge im Längsträger erfolgt dann über ein Kräfte-
wird für den Endquerschnitt als volltra- paar mit zentrisch wirkender Zugkraft im
gend angesetzt. Betongurt und entsprechender Druckkraft
2. Die Verbundwirkung in Längsrichtung auf Höhe des Stahlträgeruntergurts. Die
wirkt bereits für den Zwischenzustand Zugkraft im Beton wird nur durch die Längs-
Stahlträger-Fertigteilverbund. Dies wird bewehrung in der Platte aufgenommen. Er-
942 9 Herstellung und Ausführungsmethoden
a)
b)
c)
d)
Bild 9.3-8 (Fortsetzung)
30
20
35 380 35
450
folgt die Übertragung der Druckkraft über an den Innenstützen schon im Bauzustand
den Beton des Querträgers, wird die Kraft eine Durchlaufwirkung, also die Übertra-
über eine dicke Kopfplatte auf eine größere gung von Biegemomenten über der Stütze
Fläche verteilt. Die Übertragung der Quer- erreicht. Dies wirkt sich günstig auf die Be-
kraft erfolgt über Kopfbolzendübel. Diese anspruchung der Stahlträger und damit auf
werden bei unterbrochenen Trägern an das Stahlgewicht aus.
Kopfplatten auf den Längsträgerenden an- Querträger aus Beton vereinfachen den
gebracht. Während der Montage wird also Bauablauf auf der Baustelle, wenn die Stahl-
durch das Betonieren der Querträger und träger in vollständigen Einheiten ausgelie-
die Herstellung einer Zug-Druckkopplung fert werden können und keine Stahlbau
944 9 Herstellung und Ausführungsmethoden
arbeiten auf der Baustelle mehr erforderlich [Schmitt et al., 2000] und [Schmitt et al.,
sind. 2004]. Im Spannbetonbrückenbau ist der
Die Bilder 9.3-11 und 9.3-12 zeigen als Einsatz mehrstegiger Plattenbalkenfertig-
Beispiel für diese Art der Teilvorfertigung teile einschließlich breiter Obergurte als
zwei kleine Brücken nördlich von Ravens- Schalung für die Ortbetonplatte seit Jahren
burg mit einer Spannweite von 28 m, die in bekannt. Diese Idee wurde auf den Ver-
Anlehnung an den Typenentwurf entwickelt bundbau übertragen. Das Fertigteilelement
wurden. Um die Fertigteilplatten im Krag- besteht aus einem Stahlträger mit vorgefer-
armbereich zu halten wurden sie über den tigtem Betonflansch, der den Träger bei
Randträger durchlaufend ausgebildet. Für Transport und Montage stabilisiert und
die in Gruppen angeordneten Kopfb olzen gleichzeitig als Schalung für die Ortbeton-
dübel waren entsprechende Aussparungen fahrbahnplatte dient. Gegenüber einem üb-
in den Fertigteilen vorgesehen. Beim Beto- lichen Spannbetonträger mit gleicher Stei-
nieren der durchgehenden Ortbetonplatte figkeit hat der Verbundträger ein wesentlich
wurden diese Dübelgruppen mit vergossen. geringeres Gewicht, so dass Transport und
Noch einen Schritt weiter in Bezug auf Montage der Fertigteile erleichtert werden
Vorfertigung geht die VFT-Bauweise für (Bild 9.3-13).
Verbundbrücken im kleinen bis mittleren Die Fertigung und Montage erfolgt in
Spannweitenbereich, [Doss et al., 2001], drei Schritten:
9.3 Brücken in Verbund- und Mischbauweise 945
40,0
35,0
Gewicht t je m Breite
40,0
30,0
35,0
Gewicht t je m Breite
25,0
Spannbeton-FT
Spannbeton-FT Gt je m Breite
30,0
20,0 Gt je m Breite
25,0
15,0
Spannbeton-FT
Gt je m Breite
20,0 Verbund-FT
10,0 Verbund-FT Gt je m Breite
Gt je m Breite
15,0
5,0
Verbund-FT
10,0 Gt je m Breite
0,0
15,0 20,0 25,0 30,0 35,0 40,0 45,0 50,0
0 25,0 30,0 35,0 40,0 45,0 50,0
5,0 Trägerlänge in m
Trägerlänge in m
Weite zwischen den Widerlagern von 26,0 m Diese Fertigteilverbundträger wurden dann
und ist 4,5 m breit zwischen den Geländern. als Einfeldträger auf die Widerlager gesetzt.
Der gevoutete Überbau des zweistegigen Anschließend wurden die Widerlager bis
Plattenbalkens verjüngt sich in seiner Kon- Oberkante Fertigteil ausbetoniert, um so-
struktionshöhe von ca. 2,0 m am Widerla- mit ein erstes Rahmentragwerk zu erhalten.
ger bis ca. 0,8 m in Feldmitte, dabei bleibt Danach wurde die 20 cm dicke Ortbeton-
die Dicke der Betonplatte konstant. Zuerst platte und das letzte Stück Widerlager zum
wurden an die beiden Stahlträger im Werk endgültigen Rahmen ergänzt. Für die Ver-
eine 10 cm bis 18 cm dicke Fertigteilplatte bundwirkung mit dem Ortbeton war eine
anbetoniert. Der Verbund erfolgte über eine zweite Reihe liegender Kopfbolzendübel am
untere Reihe liegender Kopfbolzendübel. Steg angeordnet, vgl. Bild 9.3-16.
Der Brückenquerschnitt ist ein zweistegiger nur noch 6,6 MNm. Der Biegemomenten-
Plattenbalken, der im Abstand von ca. 8 m anteil, der den reinen Stahlträger belastete,
durch Querrahmen ausgesteift wird. reduzierte sich also beträchtlich.
Während des Betonierens im Bauzustand Nach dem Erhärten des Betons wurden
wurde die Brücke nicht an den Brückenen- die Hilfsstützen freigesetzt. Infolgedessen
den an den Widerlagern, sondern auf den wirkten zusätzlich zu den Ausbaulasten wie
im Bild 9.3-17 dargestellten Hilfsstützen Kappen- und Asphaltgewicht die Auflasten
aufgelagert. Diese Hilfsstützen waren um aus den Hilfsstützen als Lasten auf den Ver-
7 m nach Innen angeordnet, so dass sich die bundträger. Dabei entstand ein relativ hohes
freie Stützweite auf 33 m verkürzte. Auf die- Eigenlastmoment von 13,1 MNm. Dieses
ses Kragarmsystem wirkte der Hauptanteil Moment beanspruchte dann den Verbund-
der Eigenast aus Stahlgewicht, Schalungsge- querschnitt mit der fertiggestellten Beton-
wicht und vor allem Frischbetonlast. Damit platte.
betrug das maximale Biegemoment in Trä- Durch den Einsatz der Hilfsstützen ver-
germitte nicht ca. 17 MNm wie bei einer minderte sich also der Biegemomentenan-
Lagerung an den Brückenenden, sondern teil, der den reinen Stahlträger belastete, von
über 50% auf nur 20% des Gesamtbemes- nuierliche Unterstützung des Stahlträgers
sungsmoments. Dagegen stieg das Eigen- beim Betonieren, so dass das gesamte Ei-
lastmoment auf den Verbundquerschnitt genlastmoment durch den Verbundquer-
um ca. 30% auf 41% des Gesamtmoments. schnitt aufgenommen wird. Ein solches
Durch das Montageverfahren wurden also Bauverfahren ist aber nur in Ausnahmefäl-
ca. 30% des Gesamtmoments statt vom rei- len möglich. Die Brücke über die Hauptstra-
nen Stahlquerschnitt vom Verbundquer- ße in Horrem im Bereich der Bundesbahn-
schnitt aufgenommen. direktion Köln, siehe Bild 9.3-19, ist ein
Diese gezielte Verlagerung des Eigen- solches Beispiel.
lastmoments vom reinen Stahlquerschnitt Im Zuge des Ausbaus der L163 musste
auf den Verbundquerschnitt wird auch als die Eisenbahnüberführung über die Haupt-
Eigengewichtsverbund bezeichnet. Durch straße in Horrem bei Köln erneuert wer-
einen solchen Eigengewichtsverbund kön- den. Statt der ausgeschriebenen einfeld-
nen Bauglieder, deren Abmessungen sich rigen mehrgleisigen Stahldeckbrücke wur-
überwiegend aus dem Bauzustand her de ein Sonderentwurf in Verbundbauweise
leiten wie zum Beispiel die Stahlträger ausgeführt. Hierbei lagen besonders
obergurte, erheblich kleiner ausgeführt schwierige Verkehrsverhältnisse vor. Der
werden. So beträgt z. B. beim Bauwerk Straßenverkehr auf der Hauptstraße in
Nr. 71 die Obergurtfläche an der maximal- Horrem musste während der gesamten
beanspruchten Stelle in Trägermitte nur ca. Bauzeit aufrechterhalten werden und konn-
40% der Untergurtfläche. Entsprechend er- te nur für kurze Kraneinsätze am Wochen-
reicht das Gesamtstahlgewicht bezogen auf ende gesperrt werden. Auf der Brücke lagen
die Brückenfläche für Bauwerk Nr. 71 mit die beiden Hauptgleise der Strecke Köln –
152 kg/m2 einen vergleichsweise niedrigen Aachen, ein Überholungsgleis und ein Aus-
Wert. ziehgleis. Besonders die beiden Hauptgleise
Durch die gezielte Verlagerung der konnten nur für jeweils eine Nacht gerade
Eigenlastbeanspruchung vom reinen Stahl- für das Auswechseln der Überbauten un-
querschnitt auf den Verbundquerschnitt terbrochen werden.
wird also eine sehr wirtschaftliche Bemes- Der Brückenquerschnitt, siehe Bild
sung möglich. Die wirtschaftlichste Lösung 9.3-19, wurde an diese Montagebedin-
erzielt man durch einen vollständigen Ei- gungen angepasst. Er besteht aus sechs Ein-
gengewichtsverbund, also durch eine konti- zelüberbauten mit jeweils zwei Hauptträ-
gern. Die Fugen- und Stoßeinteilung zwi- lastschnittgrößen in einem statisch unbe-
schen den Überbauten erfolgte so, dass die stimmten Längssystem genommen werden.
vier Gleise jeweils genau auf einem dieser So wird durch das nachlaufende Betonieren
Einzelüberbauten zu liegen kamen. der Stützquerschnitte, dem sogenannten
Die Verbundüberbauten wurden auf Pilgerschrittverfahren, die Betonplatte über
einem Vormontageplatz mit Betonplatte der Stütze nur aus Ausbaulasten und Ver-
vollständig vorgefertigt. In drei nächtlichen kehrslasten auf Zug beansprucht. Diese
Kraneinsätzen wurden dann die alten Maßnahme, die der Rissweitenbegrenzung
Überbauteile ausgehoben und die neuen in der bewehrten, nicht vorgespannten Be-
Verbundüberbauten eingelegt. Unmittelbar tonplatte über der Stütze dienen soll, erfor-
nach dem Einlegen waren die Einzelüber- dert ein sehr zeit- und kostenaufwendiges
bauten für sich schon wieder befahrbar. Verfahren des Schalwagens im Vor- und
Erst später – dann schon unter Verkehr – Rücklauf. Es stellt sich die Frage, ob nicht
wurden die Stöße in dem Mittelquerträger durch sorgfältige Fahrbahnabdichtung ge-
und den beiden Endquerträgern geschlos- gen Tausalz, konstruktiv sinnvolle Beweh-
sen und damit das Trägerrostsystem herge- rung bzw., wo möglich, auch begrenztes
stellt. Bei einer Stützweite von nur etwa Vorspannen qualitativ gleichwertige, aber
20 m war hier das Einzelgewicht der Über- kostengünstigere Verbundbrücken erreicht
bauten trotz Betonplatte noch unter 100 t, werden.
so dass ein Einheben mit einer vernünfti-
gen Krangröße noch möglich war.
Die Transportmöglichkeiten, also Ab- 9.3.3.2 Vorspannung
messungen und Gewicht der Einzelüber-
bauten, haben hier den Einsatz einer Ver- Ebenso von großer Bedeutung im Hinblick
bundkonstruktion ermöglicht. Die Stahl- auf die Fertigung ist die Wahl der Vorspan-
betonverbundplatte war vor allem deshalb nung in der Betonplatte. Man kann in
eine wirtschaftlich günstige Alternative, Längs- und Querrichtung oder nur in je-
weil sie auf dem Vormontageplatz mit einer weils einer Richtung vorspannen. Vorspan-
von unten kontinuierlich unterstützten nung in Längsrichtung lässt sich sowohl
Schalung erstellt werden konnte. Erst nach mit Hilfe von Spanngliedern als auch durch
dem Einheben des vorgefertigten Über- Montagemaßnahmen erreichen. Die Vor-
baus wirkte das gesamte Konstruktionsge- und Nachteile müssen bei jeder Bauaufgabe
wicht auf das System und damit auf den neu abgewägt werden.
Verbundquerschnitt. Mit diesem vollstän- Bei üblichen Plattendicken von 30 bis
digen Eigengewichtsverbund wurde für die 35 cm ist eine Spanngliedvorspannung
Bemessung die optimale Schnittgrößen- in beiden Plattenrichtungen konstruktiv
aufteilung im Verbundquerschnitt erreicht. schwierig herzustellen. Die Bewehrungs-
So betrug das Verhältnis der Obergurtflä- dichte bei zwei Spanngliedrichtungen, die
che des Stahlquerschnitts zu seiner Unter- zusätzlich erforderliche schlaffe Bewehrung
gurtfläche nur noch ca. 25%. und eventuelle Einbauten für Entwässerung
Ähnlich wie durch die Unterstützung und Ähnliches erschweren das Einbringen
beim Betonieren kann auch durch die Rei- und Verdichten des Betons. Grundsätzlich
henfolge der Betonierabschnitte oder das sollte man also eine Spanngliedvorspan-
nachträgliche Schließen von Gelenken, d. h. nung immer nur in einer Brückenrichtung,
von Baustellenstößen, Einfluss auf den längs oder quer, vorsehen.
inneren Spannungszustand im Verbund- Die Brücke Arminiusstraße, gebaut von
querschnitt und die Verteilung der Eigen- der Firma Dörnen Stahlbauwerke, Dort-
952 9 Herstellung und Ausführungsmethoden
mund, und Hochtief, Dortmund, im Auf- Bernkastel und Kues. Der Überbau besteht
trag der Stadt Dortmund, ist hierfür ein aus einem zweizelligen Stahlkasten mit
Beispiel [Kuhlmann, 1995] (Bild 9.3-20). einem gemeinsamen Mittelsteg und einer
Die Brücke Arminiusstraße hat einen durchgehenden Betonfahrbahnplatte. Durch
typischen zweistegigen Plattenbalkenquer- die Unterstützung der drei Stege konnte auf
schnitt. Die beiden Hauptträger haben eine Quervorspannung der Platte verzich-
einen Abstand von 7 m, die Kragarmlänge tet werden. In Längsrichtung ist die Brücke
beträgt 3,75 m. Wegen dieser Stützungsver- durch Spannglieder vorgespannt. Die Trä-
hältnisse ist die Fahrbahnplatte in Brücken- gerhöhe variiert zwischen 2 m und 4,3 m.
querrichtung mit Spanngliedern vorge- An den Pfeilern werden durch das sta-
spannt. Auf eine Spanngliedvorspannung tische System ebenso wie durch den Beto-
in Brückenlängsrichtung wurde jedoch niervorgang besonders hohe Stützenmo-
bewusst verzichtet. Statt dessen wurde eine mente erzeugt, das heißt hohe Zugkräfte in
Längsvorspannung durch Montagemaß- der Fahrbahnplatte oben und hohe Druck-
nahmen erzeugt. kräfte im Untergurt. Die hohen Zugkräfte in
Die Brücke wurde in überhöhter Lage be- der Fahrbahnplatte werden durch die Längs-
toniert. Nach dem Erhärten des Betons wur- vorspannung überdrückt. Die hohen Druck-
de die Brücke um ca. 30 cm an den Pfeilern kräfte im Untergurt werden nicht wie üblich
planmäßig abgesenkt, wodurch über den In- durch ein dickes eng ausgesteiftes Stahl-
nenstützen eine Druckvorspannung in der blech aufgenommen, sondern durch einen
Fahrbahnplatte erzeugt wurde. Die erforder- Doppelverbundquerschnitt mit Bodenplat-
liche Betonstahlbewehrung (an den Innen- te aus Beton. Sie ist ca. 29 m lang und zwi-
stützen) wurde damit deutlich reduziert. schen 25 und 50 cm dick.
Allerdings erzeugt solch eine Vorspannung, Anhand der schematischen Darstellung
egal ob durch Absenkung oder Spannglieder, im Bild 9.3-21 wird der Bauablauf der Brü-
nicht nur eine Druckbeanspruchung in der cke erläutert. Als erstes wurden die drei
Platte, sondern auch Zugbeanspruchung im Teile des Stahlüberbaus im Werk als Groß-
Stahlträgeruntergurt, und das nicht nur über bauteile von 7,5 m Breite und jeweils ca.
den Stützen, sondern auch im ohnehin zug- 50 m Länge mit Hilfe eines Schwimmkrans
beanspruchten Feldbereich. Infolge einer montiert. Dabei wurde der Mittelteil gelen-
solchen Absenkmaßnahme zur Vorspan- kig zwischen die zuvor aufgelegten Seiten-
nung muss in der Regel also der Stahlträger teile eingehängt. Nachdem die Baustellen-
untergurt verstärkt werden. stöße verschweißt waren, wurden an den
Ein weiteres Beispiel für Längsvorspan- Brückenenden die Lager abgebaut und so
nung, hier jedoch mit Spanngliedern, ist der Überbau an den Widerlagern freige-
die 1995 erneuerte Moselbrücke zwischen setzt.
25 cm 25 cm
Durch das Freisetzen lag für die dann Nach dem Anheben wurden die End-
folgenden Betoniervorgänge ein eindeu- querträger betoniert, die Lager eingebaut,
tiges statisch bestimmtes System vor. An- die Brücke mit Kappen und Asphalt ausge-
schließend wurde symmetrisch zu den rüstet. Dann konnte der Verkehr von der
Pfeilern betoniert. Das fing mit dem Beto- alten Moselbrücke auf die neue Brücke um-
nieren der Betonbodenplatten und der geleitet werden. Anschließend wurde die
Pfeilerquerträger an und setzte sich im glei- alte Brücke abgebrochen. Ihre Pfeiler und
chen Sinne beim Betonieren der Fahrbahn- Widerlager wurden saniert und für die Auf-
platte in insgesamt sechs Betonierabschnit- nahme der neuen Brückenkonstruktion
ten fort. Durch das Verhältnis Feldlänge vorbereitet. Während einer Sperrzeit für
gleich etwa doppelte Kragarmlänge wurden den Verkehr wurde die neue Brücke aus der
beim Betonieren wie an einem Wiegebal- Umfahrungslage um ca. 13 m in ihre end-
ken immer links und rechts vom Pfeiler die gültige Lage quer verschoben. Danach wur-
gleichen Beanspruchungen erzeugt. Da das de die Brückenausrüstung vervollständigt,
Betonieren am Pfeiler begann, wirkte der die Fahrbahnübergänge eingebaut, die La-
Hauptanteil der Beanspruchung auf den ger wieder eingerichtet usw. Anschließend
Verbundquerschnitt. Durch das doppelte konnte die Brücke wieder für den Verkehr
Kragarmsystem erhielten die Stahlober- freigegeben werden.
gurte beim Betonieren praktisch nur Zug- Die Moselbrücke Bernkastel-Kues ist ein
beanspruchung. Sie konnten daher sehr besonderes Beispiel dafür, wie durch die
wirtschaftlich ausgelegt werden. Im zwölf- Montagefolge und durch gezielte Montage-
ten Schritt wurden die Brückenenden um maßnahmen die Beanspruchungen im Ver-
ca. 25 cm angehoben und eine Lagerung bundquerschnitt maßgeblich beeinflusst
eingerichtet. Durch das Anheben wurde im werden. Man hat hier gezielt durch das
Tragwerk planmäßig ein Zwängungszu- Freisetzen an den Widerlagern und die Be-
stand eingeprägt. In diesem Fall diente die tonierfolge Eigenlastschnittgrößen zum
Montagemaßnahme nicht zur Vorspan- Verbundquerschnitt an die Pfeiler verla-
nung des Systems sondern zur Erhöhung gert. „Teurer“ Stahlobergurt ist hier durch
des Anpressdrucks an den Widerlagern. Spanngliedlängsvorspannung ersetzt wor-
954 9 Herstellung und Ausführungsmethoden
den. Nach der Diskussion über Spannglied- den Beispiele von Stabbogenbrücken bzw.
vorspannung in dünnen Betonstegen wür- „echten“ Bogenbrücken zeigen deshalb vor
de man heute möglicherweise im Sinne der allem typische Verfahren zur Montage der
Überwachung und Auswechselbarkeit ähn- Stahlunterkonstruktion. Die Erstellung der
lich wie bei Spannbetonüberbauten die Betonfahrbahnplatte folgt den üblichen
Längsspannglieder als externe Spannglie- Verfahren, siehe 9.3.2. Wichtiger systemab-
der im Kasten führen. hängiger Punkt ist hier allerdings die
Berücksichtigung, dass Bogensysteme emp-
findlich auf unsymmetrische Lasten reagie-
9.3.4 Systemabhängige Bauabläufe ren, siehe Abschnitt 5.4.4.1, und man des-
halb am besten auch symmetrisch betoniert,
9.3.4.1 Allgemeines d. h. zum Beispiel von der Mitte beginnend
immer abwechselnd zu beiden Seiten.
Bauabläufe werden maßgeblich durch die
äußeren Rahmenbedingungen bestimmt,
wie Zugänglichkeit der Baustelle, Möglich- 9.3.4.2 Montage von Stabbogenverbund
keiten der Hilfsunterstützung und freie brücken
Montageflächen. Aber ebenso gibt es Rand-
bedingungen, die sich aus dem statischen Erst wenn Bogen und Versteifungsträger
System ergeben. Eine Schrägseilbrücke wird geschlossen und miteinander verschweißt
typischer Weise im Freivorbau errichtet, in- sind, wirkt das Stabbogensystem. Bis dahin
dem mit wachsendem Kragarm nach und braucht die Konstruktion zusätzliche Unter-
nach die verschiedenen Seilebenen eingezo- stützungen zwischen den Lagerpunkten.
gen werden können. Bei Hängebrücken Vorteilhaft ist natürlich, wenn diese Un-
müssen als erstes immer die Pylone errich- terstützung am eigentlichen Einbauort er-
tet und das Tragkabel eingezogen werden. folgen kann, wie zum Beispiel bei der Mon-
Beide Systeme sind Beispiele dafür, dass die tage der Amperbrücke [Hagedorn et al.,
statischen Systeme im End- und im Bauzu- 1997], siehe Bild 9.3-22. Hier war es mög-
stand die gleichen sind. Ein unschätzbarer lich im Überflutungsgebiet der Amper
Vorteil, wenn gerade für große Spannweiten Hilfsunterstützungen zu setzen, die die
im Bauzustand kein Hilfssystem erforder- Spannweite von 70,2 m auf 40,2 verkürz-
lich ist. Anders ist es bei Bogensystemen: ten. Der Trägerrost wurde in 4 Achsen ge-
Die Vorteile der Bogenwirkung, Abtragung lagert und diente zur Unterstützung der
der Lasten über Drucknormalkräfte, kom- Bogenhilfsstützen, auf die die jeweils zwei
men erst dann zur Wirkung, wenn der Bogenschüsse abgesetzt wurden. Nach Ver-
Bogen geschlossen ist. Bei Stabbogenbrü- schweißen der Bogen wurden als letzter
cken muss sogar der Fahrbahn- und Ver- Schritt die Hänger eingebaut. Bogenhilfs-
steifungsträger als Zugband angeschlossen stützen und Hilfslager konnten dann ent-
sein, um das statische System des Endzu- fernt werden und das Gesamtsystem wurde
stands zu aktivieren. Da also in jedem Fall auf Verschubbahnen an den Auflagerbän-
Hilfskonstruktionen erforderlich sind und ken in die Endlage quer verschoben.
die für möglichst geringe Lasten ausgelegt Von dieser typischen Reihenfolge: 1. Fahr-
werden sollten, heißt ein Grundsatz bei bahnrostfertigstellung, 2. Bogenmontage,
der Montage von Bogenbrücken mit Ver- 3. Hängermontage wird nur in sehr seltenen
bundfahrbahn, dass immer erst das Bogen- Fällen abgewichen. Ein Beispiel hierfür ist
system zu schließen ist, bevor die Beton- die Saalebrücke Beesedau [Heiland et al.,
fahrbahnplatte betoniert wird. Die folgen 2000], wo es ebenfalls möglich war, Hilfs-
9.3 Brücken in Verbund- und Mischbauweise 955
Vormontage
Vorschieben
Einschwimmen
ten offenen Stahlkästen durch Längsver- recht frühen Zeitpunkt die Bogendruck-
schub über die Aufständerungen des Beton- kraft über den Überbau kurzgeschlossen
bogens geschoben. Anschließend erfolgte werden. Das Schlussstück des Überbaus,
die Erstellung der Verbundfahrbahnplatte das gleichzeitig auch den großen Bogen mit
mit Schalwagen wie in 9.3.2.2 beschrieben. 134 m Spannweite über die Elbe schließt,
Schwieriger ist die Montage, wenn der wird mit Hilfe eines Schwimmkrans mon-
Fahrbahnträger selbst den Bogen schließt, tiert. Danach können die Hilfspylone und
wie zum Beispiel bei der Elbebrücke Pirna Abspannungen abgebaut werden. Bei einer
[Eilzer et al., 1999] oder der Isarbrücke solch aufwendigen Abspannungskonstruk-
Grünwald [Fink, 1999]. Bei der Isarbrücke tion stellt sich schon die Frage, ob nicht eine
Grünwald, siehe System Bild 9.3-25, war es Schrägseilbrücke mit gleicher Abspannung
möglich Hilfsjoche auch in die Isar bzw. den im Bau- und im Endzustand hier wirt-
Isarkanal zu stellen. Dadurch konnten die schaftlicher gewesen wäre. Anschließend
leichten Bogenträger aus Stahlkästen zu- folgte wie auch in den anderen Beispielen
sammen mit den Versteifungsträgern (eben- die Herstellung der Betonfahrbahnplatte
falls Stahlkästen) und den Ständern direkt mit konventioneller Schalwagenkonstruk
vom Lkw gehoben und auf Lager und Joche tion.
aufgelegt und dort verschweißt werden. Erstaunlich ist auch, dass im Zusam-
Für die Elbebrücke Pirna mit Betonbo- menhang mit solchen Verbundbogentrag-
gen erfolgte die Herstellung der Bogenhälf- werken und den Schwierigkeiten im Frei-
ten über der Elbe und die gleichzeitige vorbau diesen schweren Betonbogen zu
Montage der Überbauschüsse im Freivor- schalen, zu bewehren und zu betonieren,
bau mit Hilfspylon und Hilfsabspannung. man zumindest nach unserem Wissen bis-
Bild 9.3-26 zeigt die Montagefolge des Frei- her noch keinen echten Verbundbogen re-
vorbaus. alisiert hat. Überlegungen hierzu sind u. a.
Durch die vorgezogene Erstellung der auch im Rahmen einer Dissertation [Weiß-
landseitigen Bogenhälfte konnte zu einem bach, 2006] erfolgt.
958 9 Herstellung und Ausführungsmethoden
unter 2,5 cm und in einer Schicht über 5 cm Die Vorbereitung der Betonoberfläche
dick sein. Größere Dicken sind in zwei Ar- erfolgt i. d. R. durch Strahlen mit festen
beitsgängen aufzubringen. Auf die Schutz- Strahlmitteln. Nach der Vorbehandlung
schicht wird die Deckschicht als obere Ver- muss die Abreißfestigkeit im Mittel min-
schleißschicht aufgebracht. Sie hat üblicher- destens 1,5 N/mm2 betragen. Sofern die
weise eine Dicke von 3,5 bis 4 cm und wird Rautiefe der vorbereiteten Betonoberfläche
aus denselben Materialien wie die Schutz die zulässigen Werte überschritten hat,
schicht hergestellt. Werden Deckschichten wird anstelle der Grundierung eine Kratz-
aus Splittmastixasphalt oder Asphaltbeton spachtelung aufgetragen.
auf Schutzschichten aus Gussasphalt gelegt, Die Bitumenbahn wird auf die vorbe-
dann wird die heiße Gussasphaltschicht mit handelte Betonoberfläche aufgeschweißt.
bituminösem Edelsplitt abgestreut. Auch Als Schweißbahn kommen Polymerbitu-
beim Aufbringen von Gussasphalt ist darauf men-Schweißbahnen mit hochliegender
zu achten, dass der Korrosionsschutz an der Trägereinlage oder Bitumenbahnen mit
Unterseite des Deckblechs keinen Schaden oder ohne Metallkaschierung zum Einsatz.
nimmt. Im Übergangsbereich von der Fahrbahn
Fuß- und Radwege erhalten Oberflä- zur Kappe wird bei Ausführung einer
chenvorbereitung, Korrosionsschutz und einlagigen Abdichtung zur Verstärkung
entweder die Dichtungsschicht wie die der Dichtungsschicht eine mindestens
Fahrbahn mit einer etwa 3 cm dicken Lage 30 cm breite, edelstahlkaschierte Bitumen-
Gussasphalt als Schutz- und Verschleiß- Schweißbahn oder ein Edelstahlband auf
schicht oder eine zweilagige Deckschicht Bitumenklebemasse angeordnet.
aus reaktionsharzgebundenen Dünnbelä- Als Flüssigkunststoffe für die Dich-
gen, wobei jede Schicht mit Quarzsand ab- tungsschicht werden hitze- und alterungs-
gestreut wird. beständige sowie gleichzeitig bitumen
Die Gesamtdicke des Fahrbahnbelags verträgliche Stoffe auf der Basis von
auf orthotropen Platten beträgt somit etwa Urethan-Elastomeren verwendet.
8 bis 10 cm, des Gehwegbelags etwa 4 cm Bei Ausführung der Dichtungsschicht
bei Gussasphalt und etwa 1 cm bei Dünn- als einlagige Abdichtung mit einer Bitu-
belägen. men-Schweißbahn und im Falle einer Flüs-
sigkunststoffabdichtung wird die Schutz-
schicht aus Gussasphalt hergestellt. Die
10.1.1.2 Fahrbahnplatten-Beton Dicke der Schutzschicht beträgt i. d. R.
3,5 cm. Die Dicke der Schutzschicht darf
Analog dem Fahrbahnbelag auf Stahl in einer Lage nicht mehr als 5 cm betragen.
(Bild 10.1.1-1) besteht der Fahrbahnbelag Größere Dicken sind wiederum in zwei
auf Stahlbeton- und Spannbetonfahrbahn- Arbeitsgängen anzufertigen. Die Schutz-
platten aus der Dichtungsschicht, der schichtdicke darf außer bei Schweißbahn-
Schutzschicht und der Deckschicht. überlappungen an keiner Stelle 2,5 cm un-
Die Dichtungsschicht setzt sich zusam- terschreiten.
men aus einer auf die vorbehandelte Be Sofern als Deckschicht Asphaltbeton
tonoberfläche aufgetragene Grundierung oder Splittmastixasphalt vorgesehen ist,
(ggf. Versiegelung) oder Kratzspachtelung wird die noch heiße Gussasphaltschutz-
auf Reaktionsharzbasis und einer einla- schicht mit bitumenumhülltem Edelsplitt
gigen Bitumen-Schweißbahn bzw. zweila- abgestreut.
gigen Bitumendichtungsbahn oder einer Bei Ausführung der Dichtungsschicht
Dichtungsschicht aus Flüssigkunststoff. als zweilagige Abdichtung mit Bitumen-
10.1 Fahrbahnausbildung und Dichtungen 961
Schweißbahn wird die Schutzschicht aus (Längs- oder Querträger) durch Verschrau-
Asphaltbeton ausgeführt. Ansonsten gelten bung oder Vernagelung befestigt.
für die maximale und minimale Schichtdi- Bohlenbeläge sind häufig Trag- und Ver-
cke ähnliche Forderungen wie für Guss schleißschicht zugleich. Ihre Dicke wird
asphaltschutzschichten. demzufolge über das statisch notwendige
Die Deckschicht sollte der Deckschicht Maß hinaus um mindestens 2 cm größer
der anschließenden Straße entsprechen. gewählt. Die Verlegung erfolgt i. d. R. quer
Die Dicke der Deckschicht beträgt i. d. R. zur Laufrichtung mit offenen Fugen. Die
bei Gussasphalt 3,5 cm, bei Splittmastixas- günstigste Fugenbreite beträgt zwischen 6
phalt und bei Asphaltbeton 4,0 cm. und 8 mm. Dadurch werden Zwängungen
Im Falle der Abdichtung mit einer einla- im Belag infolge Quellen der Bohlen ver
gigen Bitumen-Schweißbahn wird in der mieden.
Deckschicht ein 20 cm breiter Randstreifen Häufig kommen gespundete Bohlen zur
vor dem Schrammbord aus Gussasphalt Anwendung, die gegenüber offen verlegten
ausgebildet. Bohlen folgende Vorteile aufweisen:
Vor Schrammborden, Einbauten oder
• Vermeidung von Schmutzkegeln und
sonstigen Begrenzungen werden in der
damit verbundenen Feuchtigkeits
Schutz- und Deckschicht 2 cm breite Fugen
ansammlungen über den Auflager
ausgeführt. Diese Fugen werden mit bitumi-
hölzern
nöser Fugenvergussmasse verfüllt. Zur Ver-
• Verhinderung des Eindringens von Re-
meidung einer Dreiflankenhaftung wird die
genwasser in die Unterkonstruktion
Fuge in der Deckschicht vor Schrammbor-
• Vermeidung von gegenseitigen Verwer-
den und Bordsteinen mit einem Unterfüll-
fungen und unterschiedlichen Durch-
stoff oder einem hitzebeständigen Kunst
biegungen benachbarter Bohlen.
stoff versehen.
Sofern der Bohlenbelag diagonal angeord-
net ist, wird eine Mitwirkung des Fahr-
10.1.1.3 Holzbeläge bahnbelags als Teil des Windverbands er-
zielt.
Holzbohlenbeläge werden häufig bei Rad- Zur Erhöhung der Rutschsicherheit bei
und Gehwegbrücken ausgeführt. Die Boh- Nässe und im Winter werden im Bohlenbe-
len sind auf der tragenden Konstruktion lag oberseitig Längsrillen von ca. 7–8 mm
Breite, ca. 10 mm Tiefe und in Abständen auch für den Lärmschutz die beste Lösung
von 10–20 mm vorgesehen. dar. Die Regelbreite des Schotterbetts
In gespundeter Ausführung sollten die beträgt 4,40 m, der Abstand zwischen Deck-
Nuten einen Bewegungsspielraum von etwa blech und Schwellenunterkante an der Stel-
4% der Bohlenbreite aufweisen, um sich le der tieferliegenden Schiene soll mindes-
den unterschiedlichen Klimabedingungen tens 30 cm betragen. Somit ergibt sich eine
schadlos anpassen zu können. Mindestdicke des Schotterbetts ab Schwel-
Zum Einsatz kommen kesseldruckim- lenoberkante der tiefer liegenden Schiene
prägnierte Bohlen aus Kiefernholz. Dauer- von 55 cm und ein Abstand von Schienen
hafter ist die Verwendung von Bohlenbelä- oberkante bis Oberkante Deckblech von
gen aus Kernholz der Eiche, Lärche oder 72 cm bei Schienenform UIC 60.
Douglasie. Die Schottertrogoberfläche wird zur
Zwischen Bohlenbelag und tragender Vorbereitung der Beschichtung mechanisch
Unterkonstruktion werden gewebeverstärk- gestrahlt oder flammgestrahlt nach EN ISO
te Kunststofffolien, Bitumenpappen oder 12 944. Darauf wird eine Grundbeschich-
verzinkte Bleche angeordnet, um die Unter- tung aus Reaktionsbeschichtungsstoff auf-
konstruktion vor stauender Nässe zu schüt- gebracht und mit Quarzsand abgestreut.
zen. Auf die Grundbeschichtung werden zwei
Bild 10.1.1-2 zeigt den prinzipiellen etwa je 2,5 mm dicke Schichten aus Reakti-
Aufbau des Bohlenbelags. Weitere Beispiele onsbeschichtungsmörtel (Polyethan oder
sind in [EG Holzbau, 1997] dargestellt. Epoxiharz) aufgespachtelt und nach jeder
Schicht mit Quarzsand abgestreut.
Neben den heute üblichen Schotterbett-
10.1.2 Oberbau von Eisenbahnbrücken fahrbahnen werden bei Nebenstrecken und
Behelfsbrücken auch offene Fahrbahnen
10.1.2.1 Oberbau auf Stahl ausgeführt. Ihr Vorteil gegenüber dem
Schotterbett ist das geringere Gewicht. Die
In der Regel besteht heute der Oberbau von Nachteile sind allerdings die hohe Lärm
Eisenbahnbrücken aus den Schienen auf belästigung sowohl der Umgebung als auch
Schwellen im Schotterbett (Bild 10.1.2-1). der Reisenden, die Notwendigkeit von
Das hat den Vorteil, dass das Schotterbett Schienenauszugsvorrichtungen an Brücken
über die gesamte Strecke durchläuft und enden mit beweglichen Lagern und die un-
stellt sowohl für Wartung und Erhaltung als veränderliche Lage und Höhe der Gleise an
Tragwerkachse
Gleisachse
SO ± 0
beiden Brückenenden. Bei offenen Fahr- Die Schwellen werden mit Stemmwinkeln
bahnen werden die Schwellen unmittelbar an den Längsträgern befestigt. Eine allen-
auf den Längsträgern gelagert, die bei aus falls erforderliche Überhöhung im Bogen
reichender Konstruktionshöhe auf den wird durch stählerne Unterlagsplatten er-
Querträgern oder bei beschränkter Höhe zielt. Die Bereiche seitlich und zwischen den
zwischen den Querträgern angeordnet wer- Schienen müssen entweder mit Bohlen oder
den. Die Längsträger werden im Allgemei- mit Blechen abgedeckt werden, damit im
nen als Durchlaufträger ausgebildet. Die Notfall die Reisenden auch auf der Brücke
Abstände der Längsträger betragen 1,5 m aussteigen können (Bilder 10.1.2-2 und
bis 2,0 m, die der Querträger 2,0 m bis 6,0 m. 10.1.2-3).
In ausgesprochen seltenen Fällen und nur eingebettet ist, verbunden. Diese Verbin-
mit ausdrücklicher Zustimmung der Bahn- dung ist verdreh- und durchschubsicher
verwaltung werden direkte Schienenla auszubilden. Durch die somit erzielte Rah-
gerungen auf orthotropen Fahrbahnplatten mensteifigkeit ist die Lagesicherheit des
ausgeführt (Bild 10.1.2-4). Da die Schienen- Gleises gewährleistet.
oberkante wesentlich genauer liegen muss In den letzten Jahren hat sich eine wei-
als das Deckblech, muss eine variable Aus- tere Oberbauart, die Feste Fahrbahn, für
gleichsschicht zwischen Deckblech und hohe Geschwindigkeiten und geringen
Schienenbefestigung vorhanden sein. Wartungsaufwand bewährt. Bei der Festen
Fahrbahn wird das Schotterbett durch eine
lastverteilende Tragplatte aus Beton oder
10.1.2.2 Oberbau auf Beton Asphalt ersetzt. Auf dieser Platte werden
die Schienen elastisch gelagert. Bei der
Ausbildungen des Oberbaus auf Eisen- damaligen Deutschen Bundesbahn wur-
bahnbrücken sind umfänglich in [Köppel, den bereits 1972 zwei Versuchsstrecken in
1999] beschrieben und werden hier aus- Oelde und Rheda mit Fester Fahrbahn
zugsweise zusammengefasst. hergestellt. Untersuchungen haben gezeigt,
Die Regelbauart bei Eisenbahnbrücken dass der Oberbau RHEDA auch für den
aus Beton ist eine Deckbrücke mit einem Hochgeschwindigkeitsbetrieb geeignet ist
ca. 80 cm dicken Schotterbett. Der Schotter [Matthews, 1998].
als Material für die Oberbaukonstruktion Die Vorteile der Festen Fahrbahn sind:
hat sich über Jahre hinweg als eine gute
Konstruktion bestätigt. Mit günstigen • besseres Langzeitverhalten des Ober-
Eigenschaften, wie geringe Herstellungs- baus bei Reduzierung der Unterhal-
kosten, leichte Veränderbarkeit und tungsarbeiten,
Höhenregulierung der Konstruktion, sowie • bei hohen Geschwindigkeiten wird kein
gute Körper-und Luftschalldämmung, hat Schotter aufgewirbelt,
sich der Schotteroberbau bei allen Schie- • der uneingeschränkte Einsatz der ver-
nenwegen durchgesetzt. Den Aufbau dieser schleißfreien Wirbelstrombremse ist
Konstruktionen zeigt Bild 10.1.2-5. möglich.
Mit geeigneten Befestigungsmitteln wer-
den die Schienen mit den Betonschwellen In den letzten Jahren sind eine Reihe von
zu einem Gleisrost, welcher im Schotter Bauarten der Festen Fahrbahn entwickelt
10.1 Fahrbahnausbildung und Dichtungen 965
worden. Die für den Erdkörper zugelasse- ausgebildet ist. An die Überbauten werden
nen Fahrbahnen sollten aus technologischen in Abhängigkeit von der Bauart zum Teil
Gründen ohne wesentliche konstruktive höhere Steifigkeitsanforderungen gestellt.
Änderungen auch auf Eisenbahnbrücken Der Elastizitätssprung zwischen Brücke
angewendet werden. und Erdkörper muss durch geeignete kon-
Grundsätzlich ist zu vermerken, dass die struktive Maßnahmen im Übergangsbe-
Feste Fahrbahn nur dann einzubauen ist, reich abgefangen werden. Eine Korrektur
wenn der Oberbau auch vor und hinter der Gleisanlage muss gewährleistet werden,
dem Brückenbauwerk als Feste Fahrbahn weil zum Beispiel bei Spannbetonüberbau-
ten durch das Kriechen des Betons Aufwöl- Lager kombiniert. Die Kombination ist
bungen entstehen können. dann in der Bezeichnung erkenntlich, zum
Auf Spannbetonbrücken ist die Bauart Beispiel ein Verformungsgleit- oder Topf-
RHEDA (Bild 10.1.2-6) seit 1973 zugelas- gleitlager.
sen. Es ist in Deutschland die bisher einzige
im Eisenbahnbetrieb erprobte Bauart.
10.2.2 Verformungslager
definiert sind, sind die Arbeitslinien des sende Verformung erwünscht ist, wird
Materials nicht gleich. Ursachen liegen in die Steifigkeit in dieser Richtung durch die
unterschiedlicher Menge und Art der Füll- einvulkanisierten Stahlbleche erhöht. Die
und Hilfsstoffe. Zudem wird die genaue Re- Stahlbleche verhindern die freie Verform-
zeptur als Know-how der Hersteller gehan- barkeit des Elastomers und es entstehen bei
delt. In Bild 10.2.2-2 ist beispielhaft eine Beanspruchung Ausbauchungen zwischen
Arbeitslinie eines CR 60 dargestellt. Für die den Blechen (Bild 10.2.2-3).
Bewehrungsbleche kommt Stahl nach EN Dabei entsteht im mittleren Lagerbe-
10025 oder ein gleichwertiger Stahl mit reich die größte Druckbeanspruchung im
mindestens 18% Bruchdehnung zum Ein- Gummi und gleichzeitig die größte Zug
satz. Die Bleche sind 2 mm bis 5 mm dick. beanspruchung in den Blechen.
Bewehrte Elastomerlager übertragen Relativverschiebungen von Überbau
vertikale Kräfte und verschieben und ver- und Unterbau bewirken eine Schubverfor-
drehen sich unter entsprechender Einwir- mung des Elastomerlagers, die in gewissen
kung. Dies wird möglich durch die Ver- Grenzen problemlos aufnehmbar ist. Die
formbarkeit des Elastomers. einvulkanisierten Bewehrungsbleche be-
Da in vertikaler Richtung unter Verti- hindern diese Verformung nicht (die hori-
kalkräften keine tragverhaltensbeeinflus- zontale Steifigkeit ist ca. 1000-mal geringer
968 10 Brückenausrüstung
als die vertikale Steifigkeit), so dass der Ver- stellkraft, besser der Widerstand gegen
formungswiderstand nur zu vergleichswei- Horizontalverformung, ist abhängig von
se geringen Rückstellkräften führt. Eine der Verschiebung:
Schubverformung setzt gleichzeitig wir-
FR = A · G · tan γ
kende Vertikalkräfte voraus, ansonsten
würde das Lager durchrutschen. Die ent- wobei tan γ das Verhältnis von der Ver-
sprechende Verformungsfigur ist in Bild schiebung zur Lagerhöhe, A die Lagerfläche
10.2.2-4 dargestellt. und G der Schubmodul des Lagers sind. In
Bei Anwendung einer elastischen Lage- analoger Weise können durch Schubver
rung werden die Rückstellkräfte genutzt, formungen des Elastomers Relativverdre-
um äußere Horizontalkräfte (Wind, Brem- hungen zwischen Überbau und Unterbau
sen und Anfahren) abzutragen. Die Rück- realisiert werden. Die entsprechende Ver-
habung aufbereitete Empfehlungen für die Erfassung des Tragverhaltens ist die Veröf-
Bemessung umgesetzt. Einige werden nach- fentlichung von Topaloff [Topaloff, 1964]
folgend auszugsweise aufgeführt: richtungsweisend. Obwohl heute die Er-
mittlung des Spannungs- und Verfor-
1. Die Versuche zeigten einen großen Ein-
mungsverhaltens mittels FEM für den Ge-
fluss der vertikalen Dauerschwingbean-
brauchszustand möglich ist [Vogt, 2009],
spruchung. Deshalb wird empfohlen bei
sind für die praktische Nachweisführung
der Nachweisführung die Anteile aus Ver-
einfache Zusammenhänge erforderlich. Im
tikallast und Verdrehung, die aus ru-
Regelwerk wird der relevante Tragfähig-
henden (ständigen) Einwirkungen her-
keitsnachweis für bewehrte Elastomerlager
rühren mit dem Faktor 1 und die Anteile
im Grenzzustand der Tragfähigkeit über
aus den beweglichen (veränderlichen)
den Nachweis der Gesamtschubverformung
Einwirkungen mit dem Faktor 1,5 zu be-
geführt. Die ertragbare Grenzschubver
rücksichtigen. Bei den Horizontalkräften
formung wurde den Festlegungen der ORE-
ist dies nicht erforderlich.
Versuche entnommen und auf den Grenz-
2. Es wird eine zulässige (ertragbare) Schub-
zustand der Tragfähigkeit durch Multipli-
spannung mit dem Wert 5 G definiert.
kation mit dem Faktor 1,4 hochgerechnet.
Die aufzunehmende Schubspannung
ergibt sich aus der Summe der Schub- Gesamtschubverformung:
spannungen aus Druck, Verdrehung und εt,d = KL ∙ (εc,d + εq,d + εα,d) ≤ 7,0
Verschiebung, wobei die Einwirkungen
mit den Faktoren nach 1. zu berücksich- L ist der Faktor für die Belastungsart
K
tigen sind. und er wird i. Allg. KL = 1,0 gesetzt.
3. Die zulässige Verschiebung beträgt Die Anteile der Gesamtschubverformung
tan γ = 0,7. werden (in Analogie zu Topaloff) wie folgt
4. Um Gleiten zu vermeiden ist mindes- berechnet, wobei für die Horizontalver-
tens eine mittlere Druckspannung von schiebung zusätzlich ein Grenzwert einzu-
2 N/mm² erforderlich. halten ist:
Die sog. ORE-Versuche stellen noch heute Schubverformung infolge Vertikallast:
die umfänglichsten zusammenhängenden
Versuche zur Erfassung des Tragverhaltens 1,5 ⋅ N z,d
ε c,d =
von Elastomerlagern dar. Zur rechnerischen G ⋅ Ar ⋅ S
10.2 Lager 971
Bewehrung ts
Schichtdicke
Schichtdicke
dicke T = nti
Elastomer ti
Schichten n
Lagerseite)
Lagerseite)
Elastomer
a (kürzere
b (längere
Situation
Situation
Situation
Situation
max vxy, d
(Anzahl)
„max“
„Si. 2“
„Si. 1“
„min“
mm mm mm mm mm mm mm kN kN kN kN
33 3 31,4 2202 3332 4206
44 4 41,8 2437 3286 4274
55 5 52,3 2516 3203 4307
350 450 66 6 11 4 62,7 2517 3103 4320 4737
77 7 73,2 2474 2992 4324
88 8 83,6 2402 2875 4321
99 9 94,1 2313 2754 4314
108 6 102,6 17591 22917 29982
126 7 119,7 18019 22732 30351
144 8 136,8 18 140 22429 30603
162 9 153,9 18 057 22047 30776
900 900 180 10 18 5 171,0 17 831 21610 30894 34634
last eingeschlossen sind, muss für den prak- Einhaltung einer Verdrehungsgrenzbedin-
tischen Einsatz dem Nachweis der Stabilität gung beschrieben wird. Zu diesem Zweck
und der Lagesicherung der bewehrten ist entsprechend DIN EN 1337-3, Abschnitt
Elastomerlager eine höhere Bedeutung als 5.3.3.6, bei bewehrten rechteckigen Lagern
bisher zukommen. Ein Nachweis aus dieser folgender Nachweis zu erbringen:
Gruppe ist dem Nachweis der klaffenden
(a� ċ αa,d + b � ċ αb,d )
Fuge gewidmet, der im Regelwerk mit der � vz,d = �
Kr,d
10.2 Lager 973
� vz,d ist dabei die vertikale Gesamt- • Eine Verdrehbegrenzung sollte dennoch
verformung unter der Last, die bestehen, um auch bei großen rech
zur Verdrehung führt. nerischen Auflagerverdrehungen und
mittleren Spannungen den Erfahrungs-
Wird der Nachweis erfüllt, so klafft die Fuge
bereich der Beanspruchungen (Druck
zu rund 1/6 der Seitenlänge auf. Der Nach-
und Zug) nicht zu verlassen.
weis der Verdrehungsgrenzbedingung –
klaffende Fuge – führt zu Einsatzgrenzen Einen Vergleich der Einsatzgrenzen zwi-
von Elastomerlagern, die nicht logisch er- schen DIN 4141-14 und DIN EN 1337-3
klärbar scheinen. So trifft dies Brücken zeigt Bild 10.2.2-8. Dabei wurden die Ein-
kleiner Stützweiten und vor allem schiefe satzgrenzen nach DIN 4141-14 fiktiv durch
Platten mit kleinen Stützweiten. Ursache ist die Multiplikation mit dem Faktor 1,35 in
der Ansatz des Nachweises, der quasi einen den Grenzzustand der Tragfähigkeit über-
Starrkörper voraussetzt. Bereits [Eggert führt.
und Kauschke, 1996] bezweifeln die zwin- Dennoch können derartige pragma-
gende Abhängigkeit von Auflagerdrehwin- tische Ansätze nur vorübergehende Hilfen
kel und Auflast bei Elastomerlagern. Eine sein. Zur Absicherung wurden rechne-
bekannte Erscheinungsform ist das Wan- rische Untersuchungen mittels FEM-Be-
dern bis zum Herausfallen des Lagers auch rechnungen geführt, die folgende Ergebnis-
bei kurzzeitig fehlender Auflast, bei veran- zusammenfassung erlauben:
kerten Lagern ist dies aber nicht möglich. • Eine klaffende Fuge führt im Elastomer-
Deshalb wurde die Regel in Deutschland
lager zu vertikalen Zugspannungen.
um folgenden Zusatz ergänzt: „Bei der Er- • Diese werden durch die Verformungsbe-
mittlung der vertikalen Gesamtverformung
hinderung des Gummis durch die Be-
für den Nachweis der Verdrehungsgrenz-
wehrungsbleche verursacht.
bedingung nach DIN EN 1337-3: 2005, Ab- • Die Größe der Zugspannung ist von der
schnitt 5.3.3.6, erster Anstrich, ist für ver-
Steifigkeit der Bleche abhängig und so-
ankerte Lager Fz/A’ unabhängig von der
mit wächst die Größe der Zugspannung
vorhandenen Größe mit mindestens 3 N/
vom bewehrten Lager zu einseitig schub-
mm² anzusetzen. Als verankerte Lager in
verankertem Lager zu beidseitig schub-
diesem Sinne gelten auch Elastomerlager
verankertem Lager an.
mit einseitiger Dübelsicherung.“ • Die Größe der Zug- und Vergleichsspan-
Diese Regelung basiert nicht auf mecha-
nungen ist klein gegenüber der Reiß
nischer oder physikalischer Grundlage,
festigkeit des verwendeten Elastomers.
sondern sie wurde pragmatisch, aufbauend
Die Spannungen liegen bei 0,5 N/mm²
auf dem Erfahrungsbereich der DIN 4141
und damit weit außerhalb kritischer Be-
und auf folgenden Überlegungen gewählt:
reiche.
• Bei unverankerten Lagern sollte die Ver- • Die Vergleichsspannungen sind beim
drehungsgrenzbedingung immer einge- schubverankerten Lager größer als beim
halten werden, da so auch eine Überla- unverankerten Lager, was die größere
gerung ungünstiger Bedingungen nicht Behinderung dokumentiert.
zu einem Herausrutschen der Lager füh-
Die Berechnungsergebnisse gestatten dem-
ren kann.
zufolge folgende Schlussfolgerungen:
• Bei verankerten Lagern besteht diese
Gefahr nicht, sofern die Dübelscheibe • Eine klaffende Fuge bei geringen Auf
hinreichend eingelassen ist. lasten und Verdrehungen führt in den
974 10 Brückenausrüstung
10.2.4 Topflager blech ist etwa 1 mm dick und wird auf einer
Stahlplatte umlaufend geschweißt (Bild
Topflager bestehen aus einem meist kreis- 10.2.4-2). Das Gleitblech muss so groß sein,
runden Stahltopf mit einer Elastomereinlage, dass es bei allen Bewegungen die PTFE-
einem darauf passenden Deckel und einer Fläche voll bedeckt. Wird die Bewegung
zwischen Topf und Deckel liegenden Dich- nur in einer Richtung gewünscht, so wird
tung (Bild 10.2.4-1). durch eine in den Lagerdeckel eingelassene
Vertikalkräfte werden durch Pressung Führungsleiste, die in einer in der Gleit
der Elastomereinlage und damit flächen- platte eingefrästen Nut gleitet, die Bewe-
haft übertragen. Die Elastomereinlage wird gung quer zur Führungsleiste verhindert
durch eine Dichtung am Ausquetschen be- (Bild 10.2.4-3).
hindert. Die Elastomereinlage verhält sich Im Allgemeinen wird das Gleitblech so
unter Druck etwa volumenkonstant wie angeordnet, dass dessen Oberfläche nach
eine Flüssigkeit. Horizontalkräfte werden unten zeigt, um die Ablagerung von Staub
über den Anpressdruck des Deckels an den auf dem Gleitblech zu verhindern. Die Ex-
Topf übertragen. Um diese Lager allseitig zentrizität aus der Lagerverschiebung ist
oder einseitig verschieblich zu gestalten, dann im Überbau zu berücksichtigen. Ein
wird ein zusätzliches Gleitteil eingeführt. umgekehrter Einbau ist ebenfalls möglich.
Als Gleitpaarung wird der Kunststoff Poly- Die Exzentrizität geht dann in den Unter-
tetrafluoräthylen (PTFE-Firmenname bau.
Teflon, Hostaflon) mit hochlegiertem, aus Das Lager wird durch einen Faltenbalg
tenitischen Stahlblech gewählt. Das PTFE gegen Zutritt von Wasser und Schmutz ge-
ist etwa 5–6 mm dick, wird etwa 2–3 mm schützt.
tief in den Lagerdeckel eingelassen (gekam- Die Nachweise bei Topflagern umfassen
mert) und ist mit eingepressten Vertie- die Festigkeitsberechnung der Topfkompo-
fungen (Schmiertaschen) versehen, die vor nenten, die Druckspannung im Elastomer,
dem Zusammenbau des Lagers mit Silikon- die Beanspruchungen infolge der Verdreh-
fett gefüllt werden. Das hochlegierte Stahl- winkel beim Deckel/Topf-Kontakt und das
10.2 Lager 977
Einhalten von Randbedingungen für die ckel und Topfwand darf ein Reibungskoef-
erforderliche Rotationsfähigkeit. fizient von 0,2 angenommen werden.
Der Einsatz von Topflagern ist für Ver Wie in Abschnitt 10.2.2 beschrieben, ist
drehungen bis 0,03 rad üblich. Die wech- der Einfluss der Temperatur zu berücksich-
selnden Verdrehwinkelgrößen bestimmen tigen.
die zu verwendende Dichtung. Topflager
sind für Vertikalkräfte bis 50 MN ge
eignet. 10.2.5 Kalottenlager
Topflager ohne Gleitteil sind feste Lager,
wobei die Verdrehungen durch die Verfor- Die Grundform des Lagers ist das allseitig
mungseigenschaften des Elastomers reali- bewegliche Lager. Es besteht aus drei Tei-
siert werden. Die resultierende Wider- len: der Pfanne, der Kalotte und der Gleit-
standsgröße, das Rückstellmoment, ist des- platte. Um die Bewegung der drei Teile
halb von der Verdrehung abhängig. zu gestatten, sind jeweils Gleitflächen da-
Allerdings beeinflussen eine Reihe wei- zwischen angeordnet. In die Pfanne wird
terer Parameter die Größe des Rückstell- eine PTFE-Schicht mit Schmiertaschen
moments. Dies sind: eingekammert. Die Gegenfläche der Ka-
lotte ist hart verchromt und poliert. Zwi-
• Elastizität des Elastomers, d. h. G-Modul schen Kalotte und Gleitplatte ist die Gleit-
• Relaxation des Elastomers paarung PTFE/hochlegiertes Gleitblech
• Temperatur wie bei verschieblichen Topflagern vorzu-
• Verdrehgeschwindigkeit und Verdrehung sehen. Die beiden Gleitflächen sind not-
• Geometrie des Lagerkörpers wendig, um kinematisch eine Verdrehung
• Schmierung ohne gegenseitige Verschiebung zwischen
• Dichtung Über- und Unterbau zu ermöglichen (Bild
• Lagerpressung 10.2.5-1).
Die Ermittlung des Rückstellmoments er- Zur Verhinderung der Verschiebung
folgt nach DIN EN 1337 [DIN EN 1337-5] bei einem festen oder einseitig beweg
nach einem empirischen Ansatz. lichen Lager übergreift die Gleitplatte beim
festen Lager wie ein Topf, beim einseitig
Me, max = 32 × d³ beweglichen Lager wie eine U-förmige
× [F0 + (F1 × α1) + (F2 × α2max)]
F0 , F1 und F2 aus Versuchen
d Durchmesser des Elastomerkissens
in [mm]
Me, max Rückstellmoment der Elastomer
platte (SLS und im ULS Me, d *1,5)
α1 resultierender Drehwinkel aus stän-
digen Einwirkungen in rad
α2max resultierender Drehwinkel aus ver-
änderlichen Einwirkungen in rad
Beim festen Lager kommt ein Rückstellmo-
ment infolge Topf/Deckel-Kontakt durch
eine angreifende Horizontallast dazu.
Zur Bestimmung des Rückstellmoments Bild 10.2.5-1 Schnitt durch ein allseitig be-
Mμ, max infolge Reibung zwischen Topfde- wegliches Kalottenlager [Ramberger, 2002]
10.2 Lager 979
10.2.6 Festhaltekonstruktionen
Schiene die Pfanne (Bilder 10.2.5-2 und und Führungslager
10.2.5-3).
Die Lager decken eine Vertikalkraft bis In DIN EN 1337-8 [DIN EN 1337-8, 2008]
100 MN ab, bei einer Verdrehungsmög- werden Festhaltekonstruktionen und Füh-
lichkeit von 10‰ und mehr. Die Wider- rungslager behandelt.
stände bei Kalottenlagern entstehen durch Festhaltekonstruktionen verhindern die
Reibung. Beim Auftreten von Verschie- Bewegung in horizontaler Ebene und über-
bungs- und Verdrehungsbewegungen in tragen damit Horizontalkräfte. Verdre-
den ebenen und gekrümmten Gleitflächen hungen sind möglich. Es werden keine Ver-
des Kalottenlagers entsteht ein Rückstell- tikalkräfte übertragen. Eine typische An-
moment infolge des Reibungswiderstands. wendung ist die Kombination eines be-
Dieses ergibt sich aus der beim Verdrehvor- wehrten Elastomerlagers mit einer Festhal-
gang entstehenden Exzentrizität der Verti- tekonstruktion zur Ausbildung eines festen
kalkraft. Die Exzentrizität ermittelt sich aus Lagers. Die Festhaltekonstruktion besteht
dem Reibbeiwert und dem Kalottenradius. dann aus einem Ober- und einem Unterteil,
die mit Knaggen ineinander eingreifen.
e1 = μmax ∙ r
Durch die Form des Knaggeneingriffs
Die Reibbeiwerte sind den Normen zu ent- (Loch oder Schlitz) kann die Festhaltung in
nehmen. Bei Kalottenlagern mit Füh- allen Richtungen oder nur in einer Richtung
rungen ist für die Verankerungsmittel und erfolgen (Bilder 10.2.6-1 und 10.2.6-2).
die angrenzenden Bauteile eine zusätzliche Führungslager übertragen Horizontal-
Exzentrizität infolge der Reibung in den kräfte nur in eine Richtung. Wie bei Fest-
Die Lager werden nach dem Lagerver- derlichen Ansatzpunkte für hydraulische
setzplan und entsprechend der Lagerbe- Pressen sind in der Konstruktion vor
schriftung eingebaut. Die Mörtelfuge zwi- gesehen.
schen der unteren Ankerplatte und Ober- Beim Tausch von einseitig oder allseitig
kante der Auflagerbank darf nicht dicker als festen Lagern ist im angehobenen Zustand
5 cm sein. Die Mindestdicke muss das Drei- auch die Ableitung der Horizontalkräfte
fache des Größtkorns aus dem Zuschlagstoff sicherzustellen.
betragen. Die Fuge wird nach dem Einrich- Während der Planung sind bei größeren
ten des Lagers entweder mit Vergussmörtel Brücken Lagerauswechselschemata zu er-
vergossen oder mit erdfeuchtem Mörtel satt arbeiten, wobei ein achsweiser Austausch
unterstopft. Beim Vergießen wird das Lager vorzusehen ist.
ringsum eingeschalt und ein schwindarmer Auch bei jedem Austausch von Lagern
Vergussmörtel, der genau nach Anweisung ist ein Lagerprotokoll zu erstellen.
in einem Zwangsmischer gemischt wurde,
von einer Seite her eingegossen, bis er auf
den anderen Seiten austritt. Dadurch wird
10.3 Fahrbahnübergänge
sichergestellt, dass der Mörtel die Luft vor
sich hertreibt und keine Luftblasen unter
dem Lager verbleiben. Günter Ramberger
Ist die verbleibende Lagerfuge kleiner als und Francesco Aigner
1 cm, sollte anstelle eines Vergussmörtels
auf Zementbasis ein Zweikomponenten- 10.3.1 Allgemeines
Epoxidharzverguss verwendet werden, der
dünnflüssiger ist und ebenfalls von einer Fahrbahnübergänge haben die Aufgabe,
Seite her eingegossen wird. Bei ausreichend die Fuge zwischen der Brücke und der an-
dicker Fuge kann auch anstelle des Verguss schließenden Fortsetzung der Fahrbahn zu
mörtels ein erdfeuchter Mörtel verwendet schließen und die dort stattfindenden Be-
werden, der ohne Schalung mit Hilfsmit- wegungen infolge Temperaturänderungen
teln unter die Ankerplatte gestopft und am und veränderlicher Lasten auszugleichen.
Rand glatt abgezogen wird. Fahrbahnübergänge für Straßenbrücken
Die Verbindung der oberen Ankerplatte sollen robust, leicht auswechselbar und
mit dem Überbau ist vom Herstellungsver- möglichst wasserdicht konstruiert werden.
fahren und dem Baustoff des Überbaus Sie sollen hohen Fahrkomfort und geringe
abhängig. Beim Lehrgerüstbau wird die Geräuschemission gewährleisten. Fahr-
obere Ankerplatte (mit dem Lager) in der bahnübergänge sind Verschleißteile, die
Regel unmittelbar einbetoniert. In anderen während der Lebensdauer einer Brücke
Fällen ist diese Verbindung mit Verguss- meist mehrmals ausgetauscht werden müs-
mörtel herzustellen. Bei Stahlbrücken sind sen. Es gibt derzeit weder nationale noch
gesonderte Zusammensetzungen des Ver- europäische Normen für Fahrbahnüber-
gussmaterials zu beachten. gänge. Für Fahrbahnübergänge gibt es je-
doch nationale Zulassungen, die in Hin-
kunft europaweit ausgedehnt werden sollen
10.2.8.2 Austausch von Lagern (EOTA).
Bei Eisenbahnbrücken mit offener Fahr-
Brücken werden so entworfen, dass ein Aus- bahn oder direkter Schienenlagerung ist
tausch von Lagern unter laufendem Verkehr zumindest an der Seite der beweglichen
durchgeführt werden kann. Die dazu erfor- Lager eine Schienenauszugsvorrichtung
982 10 Brückenausrüstung
Fußgängern begangen werden, ist vor allem a) die Kissenkonstruktion (bis ca. 350 mm)
im städtischen Bereich bei Gummiprofilen b) der Fingerübergang (bis ca. 300 mm)
ein Steckenbleiben von Stöckelabsätzen c) der wasserdichte Lamellenübergang (bis
entweder mit einer Blechabdeckung oder ca. 1000 mm)
mit einem an der Oberfläche ebenen Gum- d) der Gleitplattenübergang (ab ca. 300 mm)
miprofil entsprechender Festigkeit zu ver-
meiden (Bilder 10.3.2-6 bis 10.3.2-10). Die Kissenkonstruktion besteht aus be-
wehrten Gummiprofilen, die durch Verzer-
Fahrbahnübergänge für große rung der weichen unbewehrten Teile die
Bewegungen (größer als 80 mm) Bewegung ermöglichen (Bilder 10.3.2-11
Bei den Fahrbahnübergängen für große und 10.3.2-12).
Bewegungen haben sich verschiedene Kon- Bei den Fingerübergängen gibt es zwei
struktionen bewährt. Typen: den mit auskragenden Fingern
(Bild 10.3.2-13) und den mit gelagerten auf unterschiedliche Weise auswechselbar
Fingern (Bild 10.3.2-14). sind. Die Unterstützung der Lamellen er-
Die Übergänge mit gelagerten Fingern folgt durch Balken in Brückenachse, durch
gestatten größere Bewegungen. Fingerüber- schräg liegende Balken oder durch vertika-
gänge sind sehr robust und brauchen außer le Scheren. Die Steuerung der Profile, damit
der Reinigung keine Wartung. Sie gestatten sie in jeder Stellung gleiche Öffnungsweiten
jedoch keine Bewegung in Brückenquer- aufweisen, kann durch Federn zwischen
richtung und sind nicht unmittelbar an der den Balken, durch horizontal oder schräg
Oberfläche wasserdicht. Durch eine Ab angeordnete Steuerelemente oder durch
dichtung und Entwässerung unterhalb des vertikale Scheren erfolgen (Bilder 10.3.2-15
Übergangs kann ein Durchrinnen des Was- bis 10.3.2-18).
sers auf die Widerlagerkonstruktion ver- Der Gleitplattenübergang, der meist erst
mieden werden. ab Bewegungen von ca. 500 mm angewen-
Bei den wasserdichten Lamellenüber- det wird, besteht aus einer Pendelplatte, die
gängen gibt es mehrere Bauarten, die sich die Fuge überbrückt und anschließenden
in den zwischen den Stahllamellen liegen- Gleitplatten, die bei Bewegung der Fuge auf
den Gummiprofilen, in der Unterstützung Gleitböcken vor- und zurückgleiten kön-
der Lamellen und in der Art der Lamellen- nen. Auf der Seite der Gleitböcke werden
steuerung unterscheiden. Bei den Gummi- die Gleitplatten mit einer Zungenplatte
profilen gibt es V- und Kastenprofile, die abgedeckt. Pendelplatte und Zungenplatte
10.3 Fahrbahnübergänge 987
werden durch starke Federn niederge der Konstruktion an Brücke und Widerla-
halten. Der Gleitplattenübergang ist von ger. Deshalb und auch aus Gründen der
Haus aus nicht wasserdicht und braucht Gewährleistung sollte der Einbau des Fahr-
daher ein Entwässerungssystem (Bild bahnüberganges unter Berücksichtigung
10.3.2-19). der Einbautemperatur und der noch zu er-
Von entscheidender Bedeutung für Fahr- wartenden zeitabhängigen Verschiebungen
komfort, Geräuschemission und Lebens- (Schwinden, Kriechen) durch den Hersteller
dauer eines Fahrbahnübergangs ist sein oder zumindest unter Aufsicht des Herstel-
fachgerechter Einbau und die Verankerung lers erfolgen.
988 10 Brückenausrüstung
ausbildung für die Überführung eines dachbahn angeordnet. Dennoch wird zur
Wirtschaftswegs bzw. für einen Rad- Geh- Vermeidung von breiten Rissen eine hohe
weg. Mindestbewehrung in Längsrichtung vor-
Neben der Sicherungsfunktion für den gesehen. Die starken Beanspruchungen
Fahrzeugverkehr haben die Kappen auch durch Frost und Tausalze stellen hohe An-
konstruktive und gestalterische Aufgaben forderungen an den Beton. Zum Einsatz
zu erfüllen. Sie überdecken den seitlichen kommen Betone mit einem höheren Luft-
Abschluss (Kragarmstirnseite) des Über- porengehalt. Die Betonfestigkeit sollte
baus und der Dichtungsschicht. Die Ausbil- möglichst gering sein, um die Zwangsbean-
dung des Gesimsbands trägt wesentlich zur spruchungen gering zu halten.
Gesamtansicht des Brückenbauwerks bei.
In der Kappe werden häufig die im Zu
ge der Straßentrasse verlaufenden Versor- 10.4.2 Kappen auf Eisenbahnbrücken
gungsleitungen überführt. Die einzelnen
Leitungen und Kabel werden zweckmäßi- Die Kappen auf Eisenbahnbrücken bilden
gerweise in einbetonierten Schutzrohren wie bei Straßenbrücken den seitlichen
verlegt, um sie auswechseln zu können. Abschluss der Fahrbahn und stützen zu-
Die Kappen werden üblicherweise fu- sätzlich das Schotterbett des Eisenbahn-
genlos über die gesamte Überbaulänge gleises. Bild 10.4.2-1 zeigt die typische Aus-
geführt und unterliegen damit in Längs- bildung der Randkappe auf einer Eisen-
richtung einer starken Schwind- und Tem- bahnüberführung mit Schotterabfangung
peraturbehinderung. Um diese Beanspru- in Anlehnung an die Richtzeichnung
chungen möglichst gering zu halten, erfolgt M-RKP 1602 [DB Netz AG, 2000].
die Befestigung der Kappe über Anschluss- Der Dienstweg auf der Randkappe dient
bewehrung nur an der Stirnseite des Über- der Besichtigung des Bauwerks und der
baus. Zwischen der Dichtungsschicht und Gleisanlagen. In dem Kabeltrog werden die
der Auflagerfläche der Kappe wird zusätz- erforderlichen bahntechnischen Leitungen
lich eine Schutzlage aus einer Bitumen- und Kabel verlegt. Auf großen Brücken der
Gleisachse
Besondere
Gefährdung H4b H2 H2 H1
Dritter
Gefährdung
Schrammborde mit
Dritter und
einer Höhe von
(besondere)
H2 H2 H1 0,15 m–0,20 m und
Gefährdung
Geländer mit Seil
von Fahr
gemäß RIZ-ING
zeuginsassen
Für Schutzeinrichtungen auf Brücken wesen durchgeführt [BASt, 2005]. Bei der
muss durch zusätzliche Messungen bei der BASt sind auch Informationen zu Fahr-
Anprallprüfung nachgewiesen werden, zeuginsassenbelastung und Wirkungsbe-
welche Kräfte durch die Schutzeinrichtung reichsklassen der geprüften Systeme zu be-
und das Fahrzeug in das Bauwerk einge- ziehen.
leitet werden [RPS, 2009]. Empfohlene
Werte für die durch Schutzeinrichtungen
übertragenen Horizontalkräfte sind in 10.5 Brückenentwässerungen
[DIN-FB 101, 2009] enthalten.
Als Schutzeinrichtungen auf Brücken Günter Ramberger
können Schutzplanken aus Stahl oder auch und Francesco Aigner (bis 10.7)
Gleitwände aus Beton eingesetzt werden.
Bei Schutzplanken aus Stahl wird die Früher war es üblich, Niederschlagswässer
Aufprallenergie des Fahrzeugs durch Ver- auf kürzestem Weg von der Brückenober-
formung der Schutzplanken absorbiert und fläche in das darunter liegende Gelände
das Fahrzeug wird in den Fahrbahnbereich oder Gewässer abzuleiten. Heute ist dies
zurückgeleitet. im Allgemeinen nur mehr bei Fußgänger-
Gleitwände aus Beton verhindern durch brücken gestattet. Niederschlagswässer auf
ihre Formgebung ein Aufsteigen des ab Fahrbahnen von Straßen und Eisenbahn-
irrenden Rades und leiten dieses auf die brücken werden heute gesammelt und der
Fahrbahn zurück. Bild 10.4.2-3 zeigt die Kanalisation bzw. nach Abscheidung von
Anordnung einer Betongleitwand auf flüssigen Kohlenwasserstoffen (Benzin, Öl)
einem Brückenbauwerk mit einem dahin- der Versickerung zugeführt. Bei Straßen-
ter angeordneten Geh- und Radweg. brücken soll aus fahrtechnischen Grün
Umfangreiche theoretische Untersu- den ausreichendes Längs- und Quergefälle
chungen und praktische Anprallversuche
wurden von der Bundesanstalt für Straßen- (q = 993
res q2 + q2 ≥ 2,5%) zur raschen
√ längs quer
10.5 Brückenentwässerungen 997
Bild 10.5-1 Brückenablaufkasten für Stahlbrücken (li.), für Beton- und Verbundbrücken (re.)
[ACO Drain Passavant]
998 10 Brückenausrüstung
72,50 m 105,00 m
227,098
225,693 225,770
224,430 223,930 223,300 P
P P
P NW 250 2%
P P 18 %
NW 200 222,298
5,00 m
direkter Einleitung in den darunter liegen- führen. Da sich das Brückentragwerk relativ
den Vorfluter werden lotrechte Abflussstut- zu den Unterbauten bewegt, sind an den
zen verwendet, deren Unterkante unter der Anschlussstellen der Längsentwässerungs
Brückenkonstruktion liegen sollte und die leitung an die Abfallrohre entweder beweg
durch Schrägschnitt einen definierten Ab- liche Gummispiralschläuche oder Ablauf-
laufpunkt oder einen Strahlverteiler erhal- trichter vorzusehen, die auch bei extremen
ten sollten, damit das Bauwerk und die Un- Längsverschiebungen des Überbaus einen
terbauten nicht vom Niederschlagswasser einwandfreien Abfluss gewährleisten.
getroffen werden. In allen anderen Fällen ist
das Niederschlagswasser an den Widerla-
gern oder auch Pfeilern lotrecht abzuleiten 10.6 Beleuchtung
und entweder der Schmutz- oder Misch-
wasserkanalisation oder über Benzin- und Bei der Beleuchtung von Brücken wird zwi-
Ölabscheider einem Sickerschacht zuzu- schen Beleuchtung der Fahrbahn und Be-
10.6 Beleuchtung 999
leuchtung des Bauwerks selbst unterschie- leuchtet, wenn die anschließenden Gehwege
den. Die Fahrbahnbeleuchtung wird bei unbeleuchtet sind (siehe auch Bild 9.2.1-3).
Straßenbrücken üblicherweise wie auf den Damit werden Verschmutzungen und Be-
anschließenden Bereichen ausgeführt. Dazu schädigungen durch Vandalismus wirksam
müssen auf dem Brückentragwerk die Be- vermindert. Die Beleuchtung kann auf üb-
leuchtungsmaste oder die Maste für Ab- lichen Beleuchtungsmasten angebracht wer-
spannungen, an denen die Beleuchtungs- den. Sie kann aber auch in das Geländer oder
körper befestigt werden, vorgesehen werden. sogar in die Gehfläche integriert werden.
Die Stromversorgung erfolgt mit Kabeln, die Bedeutende, architektonisch gut gestal-
in Leerrohren geführt werden und in jedem tete Bauwerke in besiedelter Umgebung
Mast ein- und ausgeleitet werden. verdienen es durchaus, beleuchtet zu wer-
Die Gehflächen von Fußgängerbrücken den. Hier gibt es verschiedene Möglich-
werden in manchen Fällen auch dann be- keiten, die Beleuchtung so anzubringen,
Bild 10.6-4 Beleuchtung des Randbalkens und der Stahlstützen – Augartenbrücke Wien [MA 33]
dass der Benutzer nicht geblendet wird, das notwendig sind wie Wasserleitungen, Erd-
Bauwerk aber effektvoll angestrahlt wird. gasleitungen, Stark- und Schwachstrom
Mitunter ist es auch möglich, die Beleuch- kabel. Leitungen für Erdöl, Flüssigkeiten
tung der Fahrbahn in die Beleuchtung der der chemischen Industrie, brennbare oder
Brücke zu integrieren. Beispiele für Effekt nicht brennbare, giftige oder die Atmung
beleuchtungen von Brücken zeigen die behindernde Gase müssen im Einzelfall mit
Bilder 10.6-1 bis 10.6-4. der genehmigenden Stelle (Behörde) hin-
sichtlich der erforderlichen Sicherheits-
maßnahmen abgestimmt werden.
10.7 Versorgungsleitungen Bei der Überführung von Trinkwasser-
leitungen auf Brücken ist zu beachten, dass
In diesem Abschnitt werden Leitungen be- die Rohre in entsprechenden Abständen
handelt, die für die kommunale Versorgung auf dem Tragwerk aufgelegt oder aufge-
10.7 Versorgungsleitungen 1001
hängt werden, sodass die Belastung auf Notabschlussschieber gilt dasselbe wie für
genommen werden kann und gleichzeitig Wasserleitungen.
Relativbewegungen zwischen Rohr und Starkstromkabel für die Energieversor-
Tragwerk ohne Behinderung stattfinden gung und Schwachstromkabel für Tele-
können. Zum Ausgleich der Bewegungen kommunikation werden auf Kabeltassen,
des Tragwerks an den Widerlagern sind in Leerrohren oder in Kabelkanälen ver-
entsprechende Kompensatoren einzubau- legt. Da die die Starkstromkabel umge-
en. Vor und nach der Brücke müssen Schie- benden Felder den Betrieb der Schwach-
ber eingebaut werden, die bei Rohrbruch stromkabel stören können, ist entweder ein
automatisch schließen. Bei Verlegung der ausreichender Abstand oder eine entspre-
Wasserleitung in einem Kastenquerschnitt chende Abschirmung zwischen den Kabeln
muss der Boden an geeigneten Stellen ent- vorzusehen. Zum Ausgleich von Bewe-
sprechende Öffnungen erhalten, die den gungen an den Brückenenden werden Ab-
Abfluss des im Falle eines Rohrbruchs aus- biegungen oder Schleifen in den Kabeln
tretenden Wassers gestatten. Damit wird angeordnet.
einerseits der Rohrbruch bemerkbar und
andererseits eine Überbelastung des Trag-
werks verhindert. Bei geringem Durchfluss 10.8 Lärmschutzanlagen
müssen Wasserleitungsrohre durch Wär-
meisolierung gegen Einfrieren geschützt Ursula Freundt
werden.
Erdgasleitungen für die kommunale 10.8.1 Überblick
Versorgung dürfen nicht in Kastenquer-
schnitten verlegt werden, sondern sollten Die steigende Lärmbelästigung ist zu einem
möglichst an der Brückenaußenseite unter Problem für die Umwelt geworden, was
dem Brückendeck liegen (Bild 10.7-2), da- auch den durch Straßenverkehr verursach-
mit im Falle eines undichten Rohrs das ten Lärm betrifft. Grund ist hierbei die
austretende Gas kein explosives Gemisch allgemeine Zunahme des Verkehrsaufkom-
mit Luft bilden kann. Erdgas ist bei einer mens und die dichter werdende Bebauung.
Mischung mit Luft im Bereich von 4 bis 17 Lärmuntersuchungen und daraus fol-
Volumenprozent explosiv. Hinsichtlich La- gende Lärmschutzmaßnahmen schreibt
gerung der Rohre, Kompensatoren und der Gesetzgeber in Deutschland nur bei
Neubaustrecken oder Straßenabschnitten
mit wesentlicher Änderung (z. B. Erhöhung
der Spuranzahl, etc.) vor.
Das Erfordernis einer Lärmschutzmaß-
nahme wird auf der Basis der Immissions-
grenzwerte nach dem Bundes-Immissions-
schutzgesetz [BImSchG, 2002] beurteilt.
Dabei ist nachzuweisen, dass der Lärmpe-
gel am Immissionsort unterhalb der zuläs-
sigen Grenzwerte entsprechend Tabelle
10.8-1 liegt.
Die Stärke des Lärmpegels am Immissi-
onsort wird durch den Beurteilungspegel Lr
ausgedrückt. Bei der Ermittlung des Be
Bild 10.7-2 Lagerung des Gasrohrs urteilungspegels werden verschiedene Fak-
10.8 Lärmschutzanlagen 1003
Wird bei Anordnung einer LSW auf ein schutzwand abhängig und unterliegen nati-
zusätzliches Geländer verzichtet, ist das Si- onalen Regelungen, in Deutschland zum
cherungskabel zur Absturzsicherung abir- Beispiel der [ZTV-LSW, 1988].
render Fahrzeuge samt Holm an der Schall-
schutzwand anzubringen. Weiterentwicklungen
Die LS-Elemente sind einzeln gegen Einen größeren Abschirmeffekt kann man
Absturz zu sichern. Dazu werden in der erzielen, wenn ein wesentlich größerer Teil
Regel Haltekonstruktionen aus mind. 4 mm der Fahrbahn durch die Lärmschutzkon-
dicken Drahtseilen in den vier Ecken ange struktion überdacht werden kann [Herder,
ordnet, die mit den Pfosten verbunden 2001], [Groh, 2003]. Durch das Anbringen
sind. schallabsorbierender Bekleidungen an der
Das Auswechseln beschädigter Elemente Decke und den Wänden können Pegelerhö-
oder ganzer Felder von Lärmschutzwänden hungen durch Mehrfachreflexionen verrin-
muss ohne nachteilige Auswirkungen auf gert werden. Pegelminderungen um etwa
nicht betroffene Felder möglich sein. 20 dB(A) sind erreichbar.
Die Standsicherheit für Lärmschutzwän- Bei teilweiser Überdachung ist zumeist
de ist für die tragenden Bauteile (Veranke- die natürliche Belüftung und Belichtung
rungen der Pfosten und die Ableitung der ausreichend. Allerdings kann der Straßen-
Kräfte) nachzuweisen. Die wesentlichen zustand hinsichtlich Feuchte und Eisglätte
Einwirkungen sind die Windeinwirkungen. stark variieren.
Diese sind im [DIN FB-101, 2009] geregelt. Die effektivste, wenngleich auch auf-
Darüber hinausgehende Einwirkungen wendigste Art des Schallschutzes ist die
sind von der Höhe und Lage der Lärm- komplette Einhausung der Brücke. Durch
Verwendung transparenter Elemente kann zuletzt der Reinigung liegen bislang nicht
dabei auf künstliche Belichtung verzichtet vor. In Deutschland ist für die Saalebrücke
werden. In Bild 10.8-3 wird ein Beispiel aus bei Salzmünde im Zuge des Neubaus der
Italien gezeigt. BAB A 143 (Westumfahrung Halle) eine
Erfahrungen bezüglich der Probleme transparente Lärmeinhausung geplant
des Fahrzeuganpralls, des Brandschutzes, [DEGES, 2002].
des Zugangs für Rettungskräfte und nicht
11 Überwachung, Prüfung, Bewertung
und Beurteilung von Brücken
Die Verwendung von Tausalz im Rah- nem Wasser. Aus diesem Grund kann ver-
men des Straßenbetriebs in den Wintermo- unreinigtes Wasser viel leichter in den Be-
naten stellt für die Dauerhaftigkeit von ton eindringen. In diesem Zusammenhang
Brückbauwerken eines der größten Proble- ist es daher von besonderer Bedeutung, die
me dar, wobei sowohl der Beton als auch Konstruktion durch eine sachgerechte Ab-
der Stahl angegriffen werden. Im Winter- dichtung vor derartigen Einwirkungen zu
dienst kommen hauptsächlich Natrium- schützen.
chloride als Taumittel zum Einsatz. Die Eigenschaften des Betons hängen
Die Frage, wer die Verantwortung für von seiner chemischen und mineralogi-
die Beseitigung eines Schadens zu tragen schen Zusammensetzung sowie vom Ver-
hat, wird im Wesentlichen vom Zeitpunkt dichtungsgrad und damit verbunden dem
des Eintritts des Schadens bestimmt. In die- Porenvolumen ab. Physikalische und che-
sem Zusammenhang kommt es sowohl mische Einflüsse, die in verschiedenster Art
nach der Fertigstellung als auch vor dem und Kombination auf das Bauwerk wirken,
Ende der Verjährungsfrist zu einer förmli- beeinflussen die Alterung des Baustoffs we-
chen Abnahme der Konstruktion. Der Zeit- sentlich. Die Qualität des Betons hat jedoch
punkt des Auftretens des Schadens ist nicht einen wesentlichen Einfluss auf die Dauer-
nur für die Klärung juristischer Fragen von haftigkeit der Konstruktion. Als Kriterium
Bedeutung, sondern kann auch hinsichtlich für die Betonqualität wird oftmals lediglich
der technischen Beurteilung der Schadens- die Betondruckfestigkeit herangezogen.
ursache einen entscheidenden Faktor dar- Doch gerade bei Brückenbauwerken ist die
stellen. Druckfestigkeit allein im Hinblick auf die
Dauerhaftigkeit nicht aussagekräftig genug,
es müssen auch noch andere Faktoren
11.2.2 Schäden am Beton berücksichtigt werden [Ruffert, 1983]. Zu
diesen zählen
11.2.2.1 Allgemeines
• das Kapillarvolumen, d. h. die Wasser-
aufnahmefähigkeit bei atmosphärischen
Der Beton soll einerseits gemeinsam mit der
Bedingungen im entspannten Trink
Bewehrung die Anforderungen im Hinblick
wasser,
auf die Tragfähigkeit der Konstruktion er-
• die Luftdurchlässigkeit, d. h. der Wider-
füllen, hat aber andererseits auch die Aufga-
stand gegen den Durchgang von Koh-
be, die Bewehrung dauerhaft vor Korrosion
lendioxid,
zu schützen. Die Dauerhaftigkeit des Ge-
• ein ausreichender Gehalt an Kalzium-
samtbauwerks wird dabei wesentlich von
hydroxid, feststellbar mittels pH-Wert
der konstruktiven Durchbildung und den
und
sich aus dem Herstellungsprozess vor dem
• die Rissefreiheit bei der Betrachtung der
Einbau ergebenden Materialeigenschaften
Oberflächen.
des Betons beeinflusst.
Bei Beton handelt es sich um einen po- Um eine ausreichende Verdichtung zu er-
rösen Baustoff. Seine Fähigkeit, Wasser in reichen und das Porenvolumen im Festbe-
flüssiger Form aufzunehmen, ist dabei von ton zu begrenzen, wird der Frischbeton
der Oberflächenspannung abhängig. Das mittels eines Rüttlers verdichtet. Aus dem
im Bereich einer Brücke anfallende Wasser Verdichten können Mängel oder Schäden
kann durch Chemikalien verunreinigt sein am Beton resultieren, wenn zwischen den
und besitzt dann nur etwa die Hälfte der Bewehrungsstäben nicht ordnungsgemäß
Oberflächenspannung von chemisch rei- verdichtet werden kann. Aber auch zu in-
11.2 Ursachen für Schäden an Betonbrücken 1011
Bereits kurz nach dem Betonieren kann griffen werden, da Oberflächenrisse auf-
es infolge des Aushärtevorgangs und des grund ihrer Kerbwirkung Ausgangspunkte
Schwindens zur Rissbildung im Frischbe- für tiefere Risse darstellen können.
ton kommen. Dem kann durch eine geeig- Bei Rissbreiten von mehr als 0,4 mm ist
nete Betonzusammensetzung, eine Nach- kein ausreichender Korrosionsschutz der Be-
behandlung entsprechend dem Stand der wehrung gewährleistet, womit Korrosions-
Technik oder durch Vorspannung begegnet abtrag und damit eine Schwächung der Be-
werden. Der Beton ist durch die Vorspan- wehrung möglich wird. Aus diesem Umstand
nung Druckkräften ausgesetzt, welche die könnte eine unmittelbare Gefährdung für die
aus ständigen und veränderlichen Ein Tragfähigkeit des Bauwerks entstehen.
wirkungen sowie Zwängungen hervorge Problematisch wirken sich Risse im
rufenen Zugspannungen weitestgehend Bereich der Koppelfugen aus, hier tritt das
überdrücken. Trotzdem ist es jedoch nur Problem der Dauerschwingfestigkeit für das
bedingt möglich, Risse im Beton zu verhin- Spannkabel in den Vordergrund. Durch die
dern. In den Überbauten treten Zugspan- Änderung der Biegemomente infolge Ver-
nungen aus ständigen und veränderlichen kehrslast treten große Spannungsschwan-
Einwirkungen sowie Zwangszuständen kungen im Spannstahl auf [Leonhardt, 1979
(Stützensenkung, ungleichmäßige Erwär- und Zilch et al., 2004]. Während von Spann-
mung) auf. Für die Rissbildung sind auch gliedern auf der freien Strecke zwischen den
Zwangs‑ und Eigenspannungen infolge Koppelankern auch hohe Dauerschwingbe-
Hydratrationswärme oder verschiedener anspruchungen ohne Schaden ertragen wer-
Schwindmaße von Bauteilen unterschied den können, ist im unmittelbaren Bereich
licher Dicke bzw. Alters von Bedeutung. des Koppelankers eine deutliche Minderung
Zusätzlich treten Zwangsschnittgrößen der Dauerschwingfestigkeit gegeben. Wird
durch Temperaturdifferenzen infolge Son- diese überschritten, besteht für die Spannstäh-
neneinstrahlung auf. In den teils sehr gro- le die Gefahr eines Ermüdungsbruchs.
ßen Temperaturunterschieden zwischen Für die Korrosion von Stahl sind zusätz-
Ober- und Unterseite des Überbaus ist eine lich vor allem der Chloridgehalt sowie die
wesentliche Ursache für die Rissbildung bei Karbonatisierung von entscheidender Be-
Spannbetonbrücken zu sehen. Diese Zug- deutung. Erst die Karbonatisierung des Be-
spannungen wurden in den Anfängen des tons bis zur Bewehrung ermöglicht, dass es
Spannbetonbaus in der statischen Berech- an der Stahloberfläche zu einer Auflösung
nung jedoch oftmals nicht berücksichtigt. des Eisens und damit zur Korrosion kom-
Überdies stellt die Betonzugfestigkeit men kann. Wird im Querschnitt der Stahl
eine stark streuende Größe dar, deren zuläs- einlagen eine kritische Chloridionenkon-
sige Werte auf Laborergebnissen beruhen. zentration überschritten, besteht jedoch
Die tatsächliche Betonzugfestigkeit im Bau- auch im nicht karbonatisierten Beton Kor-
werk hängt vor allem von der Betonzusam- rosionsgefahr. Im folgenden Abschnitt sol-
mensetzung, der Ausführungsqualität sowie len daher der Einfluss von Chloridionen
möglichen Vorschädigungen ab und nimmt sowie der Karbonatisierung auf den Korro-
zudem mit der Zeit immer weiter ab. Zu- sionsprozess erläutert werden.
sätzlich beeinflussen eine unzureichende
Nachbehandlung oder ungünstige Witte-
rungsverhältnisse die Betonzugfestigkeiten 11.2.2.3 Chloridgehalt
negativ. Zur Vermeidung von Rissen infolge
Hydratationswärme müssen in erster Linie Die Anwesenheit von Chloriden verbessert
alle betontechnologischen Maßnahmen er- die Leitfähigkeit des Elektrolyten, sodass
11.2 Ursachen für Schäden an Betonbrücken 1013
eine bereits laufende Korrosion im karbo- onswiderstand des Betons ist. Dies wird
natisierten Bereich des Betons erheblich durch die Betondichtigkeit (Kapillarporo-
beschleunigt werden kann. Durch Karbo- sität) bestimmt, die Chloridkonzentration
natisierung des Betons wird daher die Kor- im Beton kann dabei nicht größer werden
rosionsgefahr zusätzlich erhöht, da gebun- als in der Lösung. Hierbei strebt die Chlo-
denes (unschädliches) Chlorid wieder in ridkonzentration bei ausreichend dichtem
Lösung geht. Bei der Chloridkorrosion von Betongefüge mit der Zeit einem Endwert
Stahl im Beton müssen folgende Vorausset- zu.
zungen gleichzeitig erfüllt sein: Für Brücken gelten jedoch die Verhält-
nisse einer Wechselbefeuchtung, hier liegen
• Der Chloridgehalt im Bereich der Be-
deutlich ungünstigere Bedingungen vor.
wehrung muss oberhalb eines kritischen
Der Transport von Chloridionen im Beton
Grenzwerts liegen.
wird dabei maßgebend vom gleichzeitig
• Für den kathodischen Teilprozess muss
eindiffundierenden Wasser beeinflusst, wo-
in ausreichendem Maße Sauerstoff durch
bei den zeitlichen Abständen zwischen den
die Betondeckung zur Stahloberfläche
Befeuchtungszyklen große Bedeutung zu-
diffundieren.
kommt. Wegen der Kapillarwirkung ist die
• Für den Ionenstrom zwischen Kathode
Eindringgeschwindigkeit der Chloride in
und Anode ist ein ausreichender Feuch-
den Beton hoch, wenn die Lösung auf einen
tigkeitsgehalt des Betons erforderlich.
nicht wassergesättigten oder vollständig
Chloride können bereits in den Ausgangs- trockenen Beton einwirkt. Die Eindringge-
stoffen für die Betonherstellung vorhanden schwindigkeit ist niedrig, wenn die Lösung
sein, sind aber durch die technischen Vor- auf einen wassergesättigten Beton trifft, da
schriften auf unschädliche Mengen be- Chloride nicht über den Wassertransport
grenzt. Schädlich sind die Chloride, die in den Beton gelangen können. Wird der
infolge des Tausalzeinsatzes während der Beton wiederholt mit chloridhaltigen Lö-
kalten Jahreszeit von außen in den Beton sungen befeuchtet und trocknet zwischen-
eindringen. zeitlich aus, können nach dem Verdunsten
Das Eindringen des Chlorids in den des Wassers Chloridkonzentrationen auf-
Beton läuft anders ab als das im Zuge der treten, die weit über der Chloridkonzentra-
Karbonatisierung stattfindende Eindringen tion der Ausgangslösung liegen.
des gasförmigen Kohlendioxids. Während In Rissen können Chloride wesentlich
bei der Karbonatisierung des Betons gut schneller zur Stahloberfläche vordringen
messbare Fronten bzw. Bereiche auftreten, als im ungerissenen Beton. Da Chloridbe-
stellen sich bei der Chlorideindringung aufschlagung immer mit einer Befeuchtung
kontinuierlich abnehmende Konzentrati- des Bauteils einhergeht, spielen kapillare
onsverteilungen ein. Eine hohe Dichtigkeit Saugvorgänge eine wesentliche Rolle, Dif-
des Betons (W/B-Wert, Verdichtung, Nach- fusionsvorgängen in Rissen kommt daher
behandlung) wirkt sich jedoch positiv auf keine Bedeutung zu.
den Eindringwiderstand der Chloride aus. Selbst bei hohen Chloridgehalten müs-
Im Bereich von Dauertauchzonen kön- sen jedoch zur Entstehung von Korrosion
nen die an der Betonoberfläche in der Lö- weitere Voraussetzungen erfüllt sein: der
sung vorhandenen Chloride durch Diffu Beton muss ausreichend leitfähig (feucht)
sion über die Mikroporen in den Beton und genügend durchlässig für Sauerstoff
eindringen. Die Diffusionsgeschwindig- sein. Die ungünstigsten Korrosionsbedin-
keit ist umso höher, je größer das Konzen- gungen liegen vor, wenn bei undichter und
trationsgefälle und je niedriger der Diffusi- geringer Betondeckung höhere Feuchtig-
1014 11 Überwachung, Prüfung, Bewertung und Beurteilung von Brücken
selbst wird durch die Karbonatisierung abhängig. Da das Kohlendioxid nur durch
nicht geschädigt. Durch die Bildung des Poren diffundieren kann, die nicht wasser-
kristallinen Kalziumkarbonats werden die gefüllt sind, ist wassergesättigter Beton weit-
Dichtigkeit des Zementsteins sowie die gehend vor Karbonatisierung geschützt.
Druckfestigkeit des Betons sogar erhöht. Auch vollständig trockener Beton karbona-
Die Karbonatisierungsfront wandert als tisiert nicht, da für die Karbonatisierungs-
Folge des oben beschriebenen Prozesses reaktion Wasser benötigt wird. Luftfeuch-
langsam in das Betoninnere vor. Da der ten, die den Ablauf der Karbonatisierung
Diffusionswiderstand des Betons zum Be- verhindern (< 30% rel. Luftfeuchte) treten
toninneren zunimmt und gleichzeitig aus in Mitteleuropa allerdings kaum auf. Für
dem Inneren Kalziumhydroxid zur Karbo- die Karbonatisierung günstige Werte sind
natisierungsfront wandert, stellt sich ein relative Luftfeuchten zwischen 50 und 70%,
Grenzwert der Karbonatisierungstiefe in bei höheren Luftfeuchten verlangsamt sich
jenem Querschnitt ein, in dem sich zwi- der Karbonatisierungsfortschritt. Aus die-
schen eindiffundierendem Kohlendioxid sen Zusammenhängen wird verständlich,
und dem aus dem Inneren zugeführten dass regengeschützte Flächen (Brücken
Kalziumhydroxid ein Gleichgewicht ein- untersichten) größere Karbonatisierungs
stellt. tiefen aufweisen können als Flächen, die
Für die Karbonatisierung sind die Zu- dem Regen stärker ausgesetzt sind.
sammensetzung, die Verarbeitung sowie die
Nachbehandlung des Betons von entschei-
dender Bedeutung. Bei der Zusammen 11.2.3 Schäden am Bewehrungsstahl
setzung ist auf einen möglichst niedrigen
Wasserbindemittelwert zu achten, da die Viele Probleme an älteren Massivbrücken
Porosität des Zementsteins mit wachsen- stehen im Zusammenhang mit Schäden an
dem W/B-Wert stark zunimmt. Weiters ist der schlaffen Bewehrung sowie der Spann-
eine optimale Sieblinie der Zuschlagstoffe bewehrung. Diese werden in den meisten
anzustreben. Bei der Verarbeitung des Be- Fällen durch Korrosion hervorgerufen.
tons kommt der Herstellung eines geschlos- Darunter versteht man den zersetzenden
senen Gefüges durch vollständige Verdich- Abbau eines Werkstoffs, in diesem Fall eines
tung große Wichtigkeit zu, was wiederum Metalls, unter äußeren Einflüssen an der
eine geeignete Frischbetonkonsistenz vo Oberfläche beginnend. Metalle werden aus
raussetzt. Die Nachbehandlung soll die für natürlichen Metallverbindungen (Erzen),
den Korrosionsschutz der Stahleinlagen die thermodynamisch energiearm und da-
entscheidende Dichtigkeit des Betons an mit chemisch stabil sind, durch Energie
den Bauteiloberflächen durch Gewährleis- zufuhr bei der Verhüttung gewonnen. Sie
tung des notwendigen Hydratationsgrads befinden sich in einem energiereichen, in-
garantieren. Eine ausreichende Nachbe- stabilen Zustand und haben das Bestreben,
handlung umfasst ein angemessenes Feuch- durch Bildung von Oxiden, Hydroxiden,
tigkeitsangebot bzw. den Schutz vor früh- Sulfaten oder Karbonaten wieder in einen
zeitiger Austrocknung durch Abdeckung energieärmeren Zustand zurückzukehren.
der frisch betonierten Bauteile. Deshalb neigt ungeschützter Stahl zur Kor-
Neben den Betoneigenschaften selbst rosion und bildet Eisenoxid und -hydroxid
haben die Umgebungsbedingungen einen (Rost). Bei der Beschreibung des Korro
großen Einfluss auf die Karbonatisierung sionsmechanismus kann zwischen dem
des Betons. Die Karbonatisierung ist dabei Einleitungszeitraum und dem Schädigungs-
stark vom Feuchtigkeitsgehalt des Betons zeitraum unterschieden werden. Der Einlei-
1016 11 Überwachung, Prüfung, Bewertung und Beurteilung von Brücken
ungeschützter Stahl, die anodischen und noch nicht zwangsläufig Korrosion zur Fol-
kathodischen Teilbereiche liegen im Be- ge, da Stahl nur korrodieren kann, wenn die
reich des Risses unmittelbar nebeneinander folgenden vier Bedingungen erfüllt sind:
und der benötigte Sauerstoff dringt über-
• Am Stahl muss genügend Wasser als
wiegend über den Riss ein.
Elektrolyt vorhanden sein. Bei einer re-
Behindert jedoch eine örtliche Durch-
lativen Luftfeuchte von 50 bis 60% ist
feuchtung den Sauerstoffzutritt oder haben
diese Bedingung erfüllt.
Chloride die Passivierung nur örtlich zer-
• Zwischen den metallisch verbundenen
stört, so kommt es zur sogenannten Makro
Elektroden muss eine Potenzialdifferenz
elementkorrosion (Korrosionsmechanis-
existieren. An der Stahloberfläche ist
mus II). Bei diesem Vorgang wirkt die de-
diese stets vorhanden, z. B. durch Walz-
passivierende Schicht im Rissbereich an-
haut und Grundmaterial, zwischen ver-
odisch. Die daneben zwischen den Rissen
schiedenen Legierungsbestandteilen,
liegende Stahloberfläche wirkt kathodisch,
zwischen Gebieten unterschiedlicher
wobei der Sauerstoff im ungerissenen Be-
Verformungszustände, zufolge der In-
reich zur Kathode diffundiert.
homogenitäten im Beton und durch un-
terschiedliche Verdichtung.
• An der Anode muss eine ungehinderte
11.2.3.1 Voraussetzung für Korrosion
Eisenauflösung möglich sein. Dafür ist
von Stahl
die Karbonatisierung des Betons die
Voraussetzung.
Um eine Rostbildung zu ermöglichen, sind
• An die Kathode muss ausreichend Sau-
Feuchtigkeit und Sauerstoff notwendig, wo-
erstoff gelangen. Dies ist bei einer unzu-
bei mit steigender Temperatur der Korrosi-
reichenden Betondeckung oder bei zu
onsprozess beschleunigt wird. Im einbeto-
großen Rissen im Beton möglich.
nierten Zustand wird Stahl vom Beton wirk-
sam gegen Korrosion geschützt. Der Korro- Wird Korrosion durch Stoffe in der Umge-
sionsschutz beruht dabei auf der hohen Al- bung eines Werkstoffs ausgelöst, unter-
kalität des Porenwassers im Beton, das durch scheidet man zwischen folgenden Korrosi-
das beim Abbinden und Erhärten von Ze- onsmitteln [Nürnberger, 1995]:
ment entstandene gelöste Kalziumhydroxid
• Korrosionsmittel physikalischer Art: Wär-
Ca(OH)2 pH-Werte zwischen 12,5 und 13,5
me, Frost, Temperaturwechsel, Feuchte,
aufweist. Hier bildet sich auf der Stahlober-
Wasserdampf, Schlagregen, Kondenswas-
fläche eine stabile Passivschicht aus Eisenhy-
ser, Wind, Staub, UV-Strahlung
droxid aus, welche die anodische Eisenauflö-
• Korrosionsmittel chemischer Art: Säu-
sung und somit die Korrosion verhindert.
ren, Laugen, Salzlösungen, Lösemittel,
Der Passivfilm besteht zwar aus Korrosions-
Öle, Fette, organische Verbindungen,
produkten, jedoch sind die damit einherge-
Abgase, Rauchgase, Smog
henden Abtragungsraten unter bauprakti-
• Korrosionsmittel biologischer Art: Mi-
schen Gesichtspunkten ohne Bedeutung.
kroorganismen, Algen, Pilze, Makroor-
Der Korrosionsschutz kann durch mechani-
ganismen
sche Verletzung (Verlust der Betondeckung),
Karbonatisierung (Verlust der Alkalität der Bezogen auf die Korrosion der Bewehrung
Porenflüssigkeit) oder zu hohem Chloridan- in Stahl- und Spannbetonbrücken stellen
teil im Beton (Angriff korrosionsfördernder neben den Korrosionsmitteln physikali-
Substanzen) verloren gehen. Karbonatisie- scher Art jene chemischer Art in Form von
rung oder Chloride allein haben jedoch Tausalzen die größten Probleme für die
1018 11 Überwachung, Prüfung, Bewertung und Beurteilung von Brücken
baren Rissen. Ein Versagen ist somit nur darstellen. Da sie nicht so hohe Zug- und
mit Vorankündigung zu erwarten. Schubspannungen übertragen können,
Bei Rissbildung in Brücken werden so- sollten sie in Bereichen einer geringen Be-
wohl von dem Spannstahl als auch dem Be- anspruchung des Festbetons angeordnet
tonstahl gemeinsam die Zugkräfte im Riss sein [Schneider, 1995].
übertragen. Dies bedeutet, dass aufgrund Man unterscheidet zwischen Dehn-, Ar-
der besseren Verbundeigenschaften des Be- beits- und Koppelfugen. Dehnfugen haben
tonstahls eine stärkere Zugkraftabtragung die Aufgabe, die Längenänderung aus den
auftritt, als rechnerisch angesetzt wurde. Temperaturänderungen und dem Schwin-
Der Spannstahl hat damit noch Reserven, den des Betons aufzunehmen. Sie müssen
die bei der Planung und Wahl der Spann angeordnet werden, damit die aus den vor-
stähle nicht in Rechnung gestellt wurden. her beschriebenen Längenänderungen her-
rührenden Zwängungsspannungen keine
Schäden verursachen. Arbeitsfugen erge-
11.2.4 Schäden an den Fugen und Lagern ben sich durch die einzelnen Betonierab-
schnitte und Koppelfugen durch die Vor-
11.2.4.1 Fugen spannung und Kopplung der Spannglieder
an den Arbeitsfugen.
Eine Massivbrücke ist infolge der Einwir- Dehnfugen sind mit einem elastischen
kungen aus Temperatur und Lasten erheb- Dichtungsmaterial ausgestattet. Bei der
lichen Verformungen unterworfen. Damit Ausbildung wird zwischen plastischen Ver-
eine Brückenkonstruktion diese Bewegun- gussmassen auf bituminöser Basis und
gen ohne Schaden übersteht, sind von Haus dauerelastischen Kunststoffvergussmassen
aus Dehnfugen vorgesehen. An diesen Stel- unterschieden. Fugen haben nicht die Auf-
len kann der Belag nicht durchgeführt wer- gabe der Kraftübertragung, sondern sie
den und es sind Fahrbahnübergänge anzu- müssen lediglich die aus den Belastungen
ordnen. Diese können ohne Probleme die und Temperaturänderungen zu erwar-
Längenänderungen der Konstruktion mit- tenden Verformungen schadfrei mitma-
machen. Neben dem großen Vorteil, dass chen. Um diese schadfrei zu überstehen, ist
sie die Dehnungen abbauen und somit kei- ein dauerelastisches Fugenmaterial erfor-
ne Zwängungsspannungen verursachen, derlich. Die Elastizität wird aus der Beigabe
haben sie auch den Nachteil, dass an diesen von Kunststoffen erzielt. UV-Bestrahlung
Stellen der Belag nicht durchgeführt wer- und chemische Einflüsse lassen diese altern
den kann und sich daher für die Konstruk- und verspröden. Gerade im Fugenbereich
tion eine Schwachstelle bildet, an der die kann zusätzlich die Vielzahl der verlegten
Abdichtungsmaßnahmen schwierig sind. Bewehrung Fehler im Betoniervorgang ver-
An die beweglichen Übergänge zwischen ursachen (Kiesnester).
zwei starren Teilen einer Brückenkonstruk- Eine besondere Beanspruchung erfah-
tion werden die folgenden Anforderungen ren die Koppelfugen von älteren Spann
gestellt. Einerseits müssen sie eine ausrei- betonbrücken. An diesen Stellen wird ein
chende Beweglichkeit zum Abbau der auf- neuer Teil gegen einen bereits erhärteten
tretenden Dehnungen aufweisen und an und vorgespannten Abschnitt betoniert
dererseits einen Schutz vor aggressiven (siehe auch Abschnitte 5.2.1 (hier Bilder
Stoffen durch eine ausreichende Dichtwir- 5.2.1-24 bis -32), 8.5.3.3 und 11.2.2.2).Die
kung sicherstellen. meist sehr geringe schlaffe Bewehrung bei
Fugen sind zahlenmäßig zu beschrän- alten Brückenbauwerken kann zu relativ
ken, weil sie Schwachstellen des Tragwerks breiten Rissen im Bereich dieser Anschluss-
1022 11 Überwachung, Prüfung, Bewertung und Beurteilung von Brücken
fuge führen. Durch diese Risse kann tau- eine Dichtschicht von der Tragkonstrukti-
salzhaltiges Wasser an die Spannstähle vor- on getrennt ist. Innerhalb der einzelnen
dringen und Korrosionsschäden verursa- Schichten können sich verschiedene Scha-
chen. Zusätzlich sind Risse im Bereich der densschwerpunkte ausbilden.
Koppelfugen auch im Hinblick auf die Dau-
erschwingfestigkeit und die Ermüdung der
Spannstähle problematisch [Zilch et al., 11.2.5.1 Dichtschicht
2004].
Bei undichten Dehnfugen fließt das Was- Um die Konstruktion vor dem Eindringen
ser über die Stirnfläche des Tragwerks ab, wo von Wasser zu schützen, ist eine Dichtschicht
sich die Anker der Spannbewehrung befin- vorzusehen. In Verwendung sind vollflächig
den. Die zugehörigen Spannnischen sollten verklebte Dichtungs- und Dampfentspan
in der Regel mit Mörtel verfüllt sein. Doch nungsschichten. Letztere haben den Vorteil,
lösen sie sich manchmal durch das Schwin- dass eine Blasenbildung weitgehend verhin-
den vom Tragwerksbeton ab, wodurch an dert werden kann.
diesen Stellen das Wasser einen freien Zu- Die Abdichtung stellt einen Schutz ge-
tritt zu den Spannkanälen finden kann. gen chemische und physikalische Angriffe
dar. Ein zusätzlicher Schutz wird durch das
Bestreichen der gefährdeten Betonflächen
11.2.4.2 Lager mit einem Epoxidharz erzielt. In diesem
Zusammenhang werden an die Abdichtung
Auflager müssen die Kräfte in den Unter- folgende Anforderungen gestellt [Kollegger
grund ableiten und die Verformungen des et al., 2000]:
Tragwerks mitmachen. Um bei den Erhal-
• Wasserundurchlässigkeit
tungsmaßnahmen möglichst wenige Be-
• Beständigkeit gegen Tausalz, Öle, Fette
hinderungen des Verkehrs zu verursachen,
und Säuren
sollten Lager möglichst rasch und leicht
• Alterungsbeständigkeit gegenüber ther-
ausgewechselt werden können. Auflager-
mischen Einwirkungen und Ozon
konstruktionen werden auch massiv durch
• Widerstandsfähigkeit gegen mechani-
Tausalz beansprucht. Dabei sind metalli-
sche Einwirkungen
sche Teile besonders vor einem Korrosions-
• Geringer Erhaltungsaufwand
angriff zu schützen. Bei alten Brückenbau-
• Gute Haftung auf dem Untergrund
werken wird man hauptsächlich Rollenla-
• Einfachheit beim Einbau
ger aus Stahl vorfinden.
• Befahrbarkeit durch Fahrzeuge beim
Einbau des Belags
11.2.5 Schäden am Oberbau Kommt es innerhalb der Dichtschicht zu
einer Rissbildung, so besteht die Gefahr,
Der Oberbau einer Brückenkonstruktion dass schädliche Stoffe eindringen.
hat die Aufgabe, die Verkehrslasten zu ver- In den Jahren 1975 bis 1985 wurden in
teilen und die Beanspruchung des Trag- der Regel zwei bituminöse Abdichtungs-
werks durch den Verkehr zu mindern. Der bahnen mit Glasvlieseinlagen mittels eines
Oberbau ist in der Regel aus einzelnen bituminösen Klebers auf das Tragwerk auf-
Schichten aufgebaut. Die oberste Schicht gebracht. Da diese Bitumen nur einen be-
bildet die Deckschicht. Darunter ist eine grenzten Temperaturbereich der einwand-
Ausgleichsschicht angeordnet, die durch freien Gebrauchstauglichkeit (0 °C bis 90 °C)
11.2 Ursachen für Schäden an Betonbrücken 1023
haben, traten immer wieder Probleme auf. mungen kann jedoch bereits innerhalb der
Bei tiefen Temperaturen wirken die Bitu- Gewährleistungsfrist aufgrund starker Spur-
menbahnen nicht mehr rissüberbrückend rinnenbildung zu Schäden führen.
und bei hohen Temperaturen nimmt deren Eine weitere Ausführungsmöglichkeit
Schubfestigkeit stark ab. Mit zunehmendem liegt in der Anwendung von Gussasphalt.
Alter beginnen die bituminösen Bahnen zu- Hierbei handelt es sich um ein völlig ande-
dem zu verspröden und sich als Folge der res Verfahren als beim herkömmlichen
schlechten Haftung abzulösen. Walzasphalt. Durch den hohen Bitumen-
Nach 1985 fanden polymere Abdich- und Füllergehalt muss der Gussasphalt
tungsbahnen ihre Anwendung, die eine nicht verdichtet werden und ist trotzdem
höhere Dehnfähigkeit besitzen. Ihre Ge- hohlraumfrei. Sein Vorteil liegt in der Was-
brauchsspanne erstreckt sich von –20 °C serdichtigkeit, dem Dampfdiffusionswider-
bis +120 °C. Somit sind diese Polymere in stand und einem hohen Widerstand gegen
einem ausreichenden Temperaturbereich Abrieb. Dringt an Fehlstellen Wasser ein, so
rissüberbrückend und gebrauchstauglich. wird es zwischen Dicht- und Deckschicht
Eine Versprödung bedingt durch die Alte- zurückgehalten.
rung der Polymere wird kaum festgestellt. Eine Neigung der Fahrbahnplatte soll
Die Haftung der Abdichtungsbahnen kann ein Abrinnen des Wassers ermöglichen, um
durch die Verwendung von Epoxidharz ein schadhaftes Eindringen in die Brücken-
zusätzlich entscheidend verbessert werden. konstruktion zu verhindern. Unter Beach-
tung der Längs- und Querneigung des
Tragwerks, sollte das Gefälle der Abdich-
11.2.5.2 Deckschicht tung 2,5% nicht unterschreiten, um ein
ausreichendes Abrinnen des Wassers zu ge-
Bei der Ausbildung der Deckschicht kann währleisten.
zwischen der bituminösen Bauweise und In der Vergangenheit wurde in hohl-
der Betonbauweise unterschieden werden. raumreiche Asphaltschichten Zement-
Wegen ihrer unmittelbaren Beanspruchung schlämme einvibriert. Bei diesem Verfah-
durch den Verkehr ist die Deckschicht scha- ren traten bereits innerhalb der Gewähr-
densanfälliger als das Tragwerk. In diesem leistungsfrist Schäden auf.
Zusammenhang kann es zu einer Schädi- Häufig sind mangelhafte Anschlüsse der
gung der Abdichtung und in der weiteren Abdichtung an Einbauteilen, wie Tagwasser
Folge der Tragkonstruktion kommen. einläufe, Unterflurentwässerungen und
Die bituminöse Bauweise wird in ver- Dehnfugen, Ursachen für das Eindringen
schiedenen Varianten ausgeführt. Eine Mög- von Wasser. Eine Durchörterung der Ab-
lichkeit besteht darin, den Belag aus Asphalt- dichtung mit Bewehrungsstäben ist heute
beton herzustellen. Schwierigkeiten beim unzulässig, wird aber bei der Inspektion
Einbau ergeben sich dadurch, dass die Ver- von älteren Bauwerken immer wieder fest-
dichtung auf Objekten komplizierter ist als gestellt. Auch das wannenartige Hochzie-
im angrenzenden Erdbaubereich. Nach kur- hen der Abdichtung an Längs- und Quer-
zer Zeit werden bereits Wasseraustrittsstel- rändern ist zu vermeiden.
len und Risse beobachtet. Um diesem Man-
gel entgegenzuwirken, kann der Mörtelanteil
bzw. der Bindemittelgehalt im Mischgut
erhöht werden. Die daraus resultierende
Reduktion des Widerstands gegen Verfor-
1024 11 Überwachung, Prüfung, Bewertung und Beurteilung von Brücken
in der Regel einfach im Vergleich zur Sanie- zung auf das geplante Niveau nicht mög
rung von Betontragwerken, da durch Stahl lich, kommt nur eine Sanierung durch Ver
Zug-, Druck- und Schubspannungen glei- stärkungsmaßnahmen oder durch System
chermaßen aufgenommen werden können änderung infrage.
und mittels SLP- oder GV-Verschraubung Nicht erfüllt ist das Kriterium ausrei-
(oder ausnahmsweise GVP-Verschrau- chender Gebrauchstauglichkeit nach
bung) eine einfache Fügetechnik zur Verfü- [EN 1993‑2] unter anderem, wenn durch
gung steht. Vorsicht ist bei Anwendung der Querschnittsschädigungen (Risse, Material
Schweißtechnik geboten, wobei ältere abtrag) oder Schäden in den Verbindungs-
Stahlsorten bis etwa 1930 i. d. R. als nicht mitteln unter vorübergehenden Einwir-
schweißbar gelten müssen. In besonderen kungen auf Gebrauchslastniveau die Fließ-
Fällen können auch bei alten Tragwerken grenze des Stahls überschritten wird. Dabei
schweißgeeignete Konstruktionen vor sind die Spannungen nach dem Berech-
liegen. Das im Brückenbau äußerst selten nungsverfahren E‑E (elastische Ermittlung
verwendete Schweißeisen ist unter Baustel- der Schnittgrößen, elastische Spannungs-
lenbedingungen nicht schweißbar, das üb- verteilung in den Querschnitten, wirklich-
licherweise verwendete Flusseisen kann keitsnahe Modelle in Sonderbereichen,
hingegen schweißbar sein (Vorwärmen, z. B. Rahmenecken) zu ermitteln. In den
Beschränkung der Schweißarbeiten auf Regelbereichen der Stäbe kann die Span-
ebene Bereiche, d. h. Bleche, Schenkel von nungsbegrenzung unter Gebrauchslasten
Winkelprofilen sowie Flansche und Stege gegenüber dem Tragfähigkeitsnachweis
von I-Trägern, jeweils in ausreichendem (Querschnittsnachweis unter ca. 40% grö-
Abstand von den Ausrundungen). ßeren Schnittgrößen = Bemessungslasten)
Für die Nachrechnung bestehender Brü- maßgebend werden, da infolge einseitiger
cken gibt es Richtlinien [Rili 805, 2002 und Risse unverhältnismäßig hohe Randspan-
ONR 24008, 2006], die von den für die Pla- nungen auftreten können. Beispielsweise
nung oder den Umbau neuer Brücken entstehen infolge einer Normalkraft in
maßgebenden Normen abweichen. einem Blech mit einem einseitigen Riss von
10% (20%/30%) der Blechbreite 148%
Ad 1.1 Beeinträchtigung des Erscheinungs (219%/327%) der Normalspannungen
bilds eines nicht geschädigten Blechs (Nenn-
Soweit die Schäden keinen Einfluss auf die spannungen, d. h. ohne Kerbwirkung).
Gebrauchstauglichkeit haben bzw. die Ebenso kann in Sonderbereichen, z. B.
Tragfähigkeit (oder Gebrauchstauglich Kraftumleitungsbereichen, aufgrund ver-
keit) nicht beeinträchtigen, ist eine soforti schiedenartiger Modellbildung beim Trag-
ge Sanierung nicht notwendig. Es ist jedoch fähigkeits- und Gebrauchstauglichkeits-
zu prüfen, ob sich nicht im Sinne der Dau nachweis die Spannungsbegrenzung unter
erhaftigkeit eine Sanierung lohnt. Gebrauchslasten maßgebend sein.
Ungenügendes Schwingungsverhalten
Ad 1.2 Beeinträchtigung der Gebrauchs unter Nutzlasten ist auf eine ungünstige
tauglichkeit dynamische Abstimmung zurückzuführen,
Ungenügendes Bauwerksverhalten hin meist auf eine zu geringe Bauwerkssteifig-
sichtlich der Verformungen ist auf eine für keit. Hier können Nutzungsbeschrän-
die auftretenden Einwirkungen zu geringe kungen (z. B. Geschwindigkeitsbegrenzung)
Steifigkeit des Bauwerks zurückzuführen, zielführend sein, alternativ dazu kommen
z. B. aufgrund einer unvorhergesehenen Verstärkungen oder der Einbau von schwin-
Nutzung. Ist eine Rückführung der Nut gungsdämpfenden Elementen infrage.
1026 11 Überwachung, Prüfung, Bewertung und Beurteilung von Brücken
Bild 11.3-1 Riss im Schenkel eines Winkels bei einem aus Winkeln und Bindeblechen bestehenden
(„mehrteiligen“) Stab
Bild 11.3-3 Von einem Nietloch ausgehender Bild 11.3-4 Von einem Nietloch ausgehender
kurzer Riss im Querträger-Anschlussbereich langer Riss im Querträger-Anschlussbereich
den maßgeblichen historischen Normen Stellen des Bodenblechs, wobei das Aus-
entspricht und damit bei genieteten Kon- beulen nach „außen“ erfolgte, sodass durch
struktionen die aus der Verformung der den Beulvorgang der Hebelarm zwischen
Knotenfigur resultierenden Nebenspan- dem Ober- und Untergurt vergrößert wur-
nungen ausreichend klein bleiben. de und sich das Tragwerk so stabilisieren
Bei einwandfreiem Zustand genügen konnte. Da die Kontinuität des im Freivor-
alte Brücken i. d. R. hinsichtlich der verti- bau hergestellten Balkens bereits voll wirk-
kalen Einwirkungen zwar den heutigen An- sam war, konnten sich bei dem Einsturz
forderungen, die bei der Planung ange- zwei am fertigen Bauwerk deutlich sicht-
nommenen horizontalen Einwirkungen bare Fließgelenke ausbilden. Damit hatte
(Bremsen und Anfahren, Schlingerkräfte, sich ein neuer unplanmäßiger Gleichge-
Fliehkräfte, Wind) sind jedoch mit den wichtszustand eingestellt. Die ausgebeulten
heute geforderten Lastansätzen oft nicht Stellen wurden bestmöglich repariert, es
vergleichbar. Alte Brücken weisen oft Schä- blieb aber ein Tragwerk mit einem Verfor-
den auf, die auf Exzentrizitäten der Brems- mungszustand, dem nicht eindeutig ein
oder Windverbände zurückzuführen sind, Schnittgrößenzustand zugeordnet werden
z. B. wenn die Füllstäbe in einer anderen kann, sodass letzterer – innerhalb gewisser
Ebene liegen als die Gurte. Schon bei ver- Grenzen – unbekannt ist, was zweifellos als
hältnismäßig geringen Lastspielzahlen ent- Schaden zu bewerten ist. Um Schäden in-
stehen infolge verformungsinduzierter Bie- folge Beulens zu vermeiden, ist bei der
gemomente mit Randdehnungen über der dünnwandigen Konstruktion aus ausge-
Fließdehnung Risse, die durch Korrosions- steiften Blechen eine verlässliche Kenntnis
angriff noch wesentlich verstärkt werden. der sich einstellenden Spannungszustände
Einen Sonderfall stellt die Praterbrücke notwendig. Die nur sehr grobe Kenntnis
in Wien dar, (Bild 11.3-8, [Scheer, 2000]). der Schnittgrößen wurde vor allem zum
Dabei handelt es sich um eine dreifeldrige Problem, als die Brücke ca. 30 Jahre nach
Strombrücke mit Vouten an den beiden der Fertigstellung angehoben, verbreitert
Strompfeilern. Knapp vor der Fertigstel- und verstärkt wurde. Statt einer eindeu-
lung im Jahre 1969 kam es durch das Zu- tigen Berechnung mussten für die Schnitt-
sammenwirken mehrerer sicherheitsmin- größen stets zwei Grenzfälle betrachtet
dernder Gegebenheiten zu einem Teilein- werden, zwischen denen die tatsächlichen
sturz des Tragwerks infolge Beulens an zwei Schnittgrößen lagen. Der Umbau gelang
Bild 11.3-8 Beulerscheinung am Bodenblech der Praterbrücke. In diesem Bereich bildete sich ein
Fließgelenk aus
11.3 Schäden an Stahl- und Verbundbrücken 1031
ohne Komplikationen, die umgebaute Brü- Besonders ausgesetzt sind alte, genietete
cke ist seit über zehn Jahren in Betrieb. (oder geschraubte) Tragwerke, die aus auf-
gelösten Querschnitten bestehen, die aus
Ad 3.2 Fehler oder übergroße Ungenauig- dünnen Einzelblechen und Winkeln zu-
keiten bei der Ausführung sammengesetzt sind. Oft sind bei solchen
Die Ausführung von Stahltragwerken ist in Brücken die Knotenbereiche so ausgebil-
[EN 1090‑1 und 1090‑2] geregelt. Die Zu- det, dass Wasser und Schmutz liegenblei-
verlässigkeits-, Gebrauchstauglichkeits- ben können und daher einem erhöhten
und Dauerhaftigkeitskriterien der Grund- Korrosionsangriff ausgesetzt sind. Bei neu-
norm [EN 1990] sind eingehalten, wenn die eren, viel weniger gegliederten Konstruk
oben genannten Normen eingehalten wer- tionen mit dickeren Blechen und ge-
den sowie wenn die Lastansätze der schweißten Anschlüssen liegen wesentlich
[EN 1991] und die Anwendung der Materi- günstigere Verhältnisse vor.
alkennwerte und Einhaltung der Berech-
nungsvorschriften der materialspezifischen Ad 4.2 Materialermüdung
Normen [EN 1992 bis EN 1994] und der Mit Ausnahme der Fußgängerbrücken stel-
Erdbebennorm [EN 1998] zugrunde gelegt len alle Brücken vorwiegend nicht ruhend
werden. Größere Abweichungen hinsicht- beanspruchte Bauwerke dar, die in ihrer
lich Toleranzen, Anforderungen an Niet-, Gesamtheit und auch örtlich infolge der
Schraub- oder Schweißverbindungen, Verkehrslasten ermüdungswirksamen
Schiefstellungen oder ungewollte Bauteil- Spannungsdifferenzen ausgesetzt sind. Die
krümmungen als in der [EN 1090] für den Kerbfälle gängiger Konstruktionsdetails
Brückenbau als zulässig angegeben, kön- sind in [EN 1993‑1‑9] angegeben. Für an-
nen die Qualität des Bauwerks mindern dere, in der Norm nicht explizit angegebene
und sogar zu Schäden führen. Konstruktionsdetails sind allgemeine Be-
rechnungsanweisungen angegeben. Mit
Ad 4.1 Korrosion Rücksicht auf die Wirtschaftlichkeit sollten
Zur Thematik der Korrosionserschei- für Stellen mit großen ermüdungswirk-
nungen aus chemischer Sicht wird auf samen Spannungsdifferenzen günstigere
[Klopfer, 1996] verwiesen. Der Korrosions- Kerbdetails gewählt werden, für Stellen mit
schutz einer Brücke ist abhängig von der geringen ermüdungswirksamen Span-
Nutzung und den Standortbedingungen. nungsdifferenzen kommen auch Ausbil-
Grundsätzlich sind Eisenbahn- und Fuß- dungen mit geringerer Ermüdungsfestig-
gängerbrücken einem geringeren Korrosi- keit infrage. Entscheidend für das Erreichen
onsangriff ausgesetzt als Straßenbrücken der in den Kerbfalltabellen der Normen an-
(Streusalz!). Kombinierte Brücken für Ei- gegebenen Ermüdungsfestigkeiten ist eine
senbahn- und Straßenverkehr oder Eisen- streng normengerechte Ausführung. Von
bahnbrücken in unmittelbarer Nähe von besonderer Bedeutung ist, dass sich ein
Straßenbrücken sind jedoch vor allem in durch Korrosion angegriffenes Bauteil mit
den Bereichen, die sich in unmittelbarer geringen Kerben hinsichtlich der Ermü-
Nähe einer Straßenbrücke befinden, eben- dungsfestigkeit grundsätzlich wesentlich
falls dem gleichen hohen Korrosionsangriff ungünstiger verhält als eine Konstruktion
ausgesetzt, vor allem, wenn sie in Bereichen in einwandfreiem Zustand [Haibach, 2002,
hoher Luftfeuchtigkeit liegen und dem An- Radaj/Vormwald, 2007]. Schon deshalb
griff aggressiver Salznebel ausgesetzt sind sind Korrosionsschäden sorgfältig zu beo-
(Strombrücken). bachten. In Versuchen an Bauteilen mit
1032 11 Überwachung, Prüfung, Bewertung und Beurteilung von Brücken
Bild 11.3-9 Lagerung der Brückenhölzer auf Bild 11.3-10 Lagerung des Brückenholzes auf
den Hauptträgern und Rissbildung der Stahlkonstruktion
Bild 11.3-12 Infolge Schiffanpralls wurde der Pfeilerschaft gegenüber dem Fundament um 2,20 m
verschoben (Blick stromab)
11.4 Überwachung und Prüfung von Brückenbauwerken 1035
ment gesichert und die Standsicherheit des 11.4 Überwachung und Prüfung
Pfeilers ohne die Auflast durch die Trag- von Brückenbauwerken
werke zuverlässig abgeschätzt werden. Der
Pfeiler wurde neu gebaut unter Einhaltung Eva-Maria Eichinger-Vill
der [EN 1991‑1‑7], die die Größe von An- und Johann Kollegger (bis 11.4.2)
pralllasten neu regelt. Nach den Vorgaben
dieser Norm hergestellte Pfeiler fallen 11.4.1 Grundlagen zur Überwachung
zwangsläufig wesentlich klobiger aus als von Brückenbauwerken
die schlanken, steinverkleideten histo-
rischen Pfeiler. Die Brückeninstandhaltung gliedert sich
gemäß Bild 11.4.1-1 in Brückenerhaltung
und Brückenüberwachung bzw. Brücken-
prüfung.
1036 11 Überwachung, Prüfung, Bewertung und Beurteilung von Brücken
Bild 11.4.1-1 Brückeninstandhaltung
Zu den Aufgaben der Brückeninstand- werden kann. Bestehen jedoch Zweifel über
haltung gehören die Anwendung globaler den Zustand der Konstruktion, werden
und lokaler Untersuchungsmethoden, die vorwiegend zerstörungsfreie oder quasi-
Beurteilung entdeckter Schäden, das Ab- zerstörungsfreie Prüfverfahren eingesetzt,
schätzen der Tragfähigkeit des Bauwerks, welche im Gegensatz zu zerstörenden
das Entwerfen von Überwachungskonzep- Prüfverfahren keine oder nur geringe
ten sowie die Ausarbeitung und Beurteilung Schädigungen am Bauwerk erfordern.
der Wirksamkeit von Instandsetzungsmaß-
nahmen.
11.4.2.2 Vorschriften und Richtlinien
zur Überwachung und Prüfung von Brücken-
11.4.2 Prüfung von Betonbrücken bauwerken
Tabelle 11.4.2-1 Zu prüfende Bereiche und zu untersuchende Merkmale (nach [Iványi, 2002, und
Bergmeister/Santa, 2004])
Zu prüfender Zu untersuchende Merkmale
Bereich
Beton Verschmutzung/Staub, Fremdstoffe/Rückstände, Verwitterung,
Zerstörungen, Kiesnester, Durchfeuchtungen, Wasseraustritt, Aus-
blühungen, Rostflecken, freiliegende Bewehrung, Risse, mechanische
Beschädigung/Anprall, Brandschäden, Betondeckung, Hohlstellen,
Dichtheit, Karbonatisierung, Chloridgehalt, Betonfestigkeit
Betonstahl Lage und Durchmesser, Oberflächenrisse entlang der Stabachse,
Zustand und Korrosionsgrad
Spannglieder Zustand und Korrosionsgrad, Risse entlang der Spanngliedachse,
mangelhaft verpresste Hüllrohrabschnitte
Spannanker und Zustand
Koppelstellen
Brückenlager Zustand und Funktionsfähigkeit, Lagerstellung, Lagerschäden
Fahrbahnübergänge Zustand, Funktionsfähigkeit, Dichtheit, Risse
Abdichtung Zustand, Dichtheit
Entwässerung Funktionsfähigkeit
Weitere Ausstattung Fugendichtheit, Belagsschäden, Geländerverankerung
Geländeoberfläche Setzungen, Anrisse, Rutschungen
Zustand der Konstruktion ab. Komplizier- Mängel und Schäden erfasst werden müs-
tere Verfahren werden zumeist nicht im sen. Im Zuge der einfachen Prüfung (Kon-
Rahmen einer regulären Hauptprüfung trolle) erfolgt die visuelle Inspektion ohne
verwendet, sondern im Bedarfsfall im Zuge Hilfskonstruktionen, weshalb auch nicht
einer Sonderprüfung zur Klärung spezifi- alle Teile der Konstruktion einsehbar sind.
scher Probleme (z. B. Bestimmung des Zu- Gegebenenfalls sollte daher ein Fernglas be-
stands des Spannstahls) herangezogen. nutzt werden, um eine detaillierte Aufnah-
me der Brücke zu gewährleisten. Bei der
Brückenhauptprüfung stehen entspre-
11.4.2.5.1 Visuelle Inspektion chende Hilfskonstruktionen oder ein Brü-
ckeninspektionsgerät zur Verfügung und
Die visuelle Inspektion der Konstruktion die Bauteile können aus unmittelbarer Nähe
bildet die Grundlage für die Verwendung untersucht werden.
anderer aufwendiger Prüfverfahren, wobei Die Aufnahme von Rissen ist integraler
alle an der Bauteiloberfläche erkennbaren Bestandteil der visuellen Inspektion. Kurz
nach einer Regenperiode zeichnen sich struktion, in denen die Bewehrung sehr
Risse zumeist besonders gut ab und lassen dicht liegt und in mehreren Lagen verlegt
sich daher besser erfassen. Es empfiehlt wurde, besonders sorgfältig untersucht
sich die Benutzung eines Linienstärken- werden sollten. Kritisch sind in diesem
maßstabs (Risslineal) oder einer Rissmess- Zusammenhang Auflagerbereiche, Bauteil-
lupe zur Bestimmung der tatsächlichen anschlüsse, Hoch- und Tiefpunkte sowie
Rissbreite. Bei längeren Rissen sollte die Verankerungs- und Koppelfugenbereiche
Rissbreite an mehreren Stellen gemessen von Spanngliedern [Iványi, 2002].
werden. Neben der Rissbreite sollten stets Im Zuge der ersten Hauptprüfung sollte
die Bauteiltemperatur und die herrschen- das Bauwerk zur Gänze abgeklopft werden.
den Witterungsverhältnisse aufgezeichnet Bei den weiteren Prüfungen müssen dann
werden. In der Tabelle 11.4.2-3 sind Prüf- lediglich auffällige Bereiche, an denen Fehl-
ziele bei der Beurteilung von Rissen zusam- stellen, Abplatzungen oder Risse festgestellt
mengefasst. wurden, mittels Abklopfens geprüft werden.
Die Bestimmung der Rissbreitenän Zusätzlich müssen im Zuge einer etwaigen
derung erfolgt für langsame Rissbreitenän- Instandsetzungsmaßnahme Reparatur
derungen mit Hilfe von Gips- oder Glas- stellen aus Beton oder neu aufgebrachte
marken. Mit Weggebern, die z. B. Wegän- Spritzbetonschichten durch Abklopfen
derungen auf der Basis der Änderung des kontrolliert werden, um die Qualität der
induktiven Widerstands erfassen (indukti- Maßnahme sicherzustellen.
ve Wegaufnehmer) können auch kurzzeiti-
ge Rissbreitenänderungen erfasst und kon-
tinuierlich aufgezeichnet werden. 11.4.2.5.3 Öffnen von Hohlstellen
Werden im Zuge der Prüfung Risse fest-
gestellt, so hängen Art und Umfang der Be- Im Zuge der Prüfung sollten mechanische
handlung der Risse davon ab, ob sie das Eingriffe am Bauwerk, wenn möglich, ver-
Aussehen, die Gebrauchstauglichkeit oder mieden werden. Daher sollten Hohlstellen
die Dauerhaftigkeit der Konstruktion be- nur dann geöffnet werden, wenn dies z. B.
einflussen. Eine Beurteilung der Risse hat der Zustandsbestimmung der Bewehrung
dabei durch einen fachkundigen Ingenieur oder der Entnahme von Materialproben
zu erfolgen. Im Allgemeinen beeinträchti- dient. Die Herstellung kleinerer Öffnungen
gen Risse in Stahlbeton- oder Spannbeton- ist zur Beseitigung etwaiger Wasseran-
brücken mit Breiten < 0,4 mm bei ausrei- sammlungen in Hohlräumen oder als Vor-
chend dicker und dichter Betonüberde- bereitung für eine Endoskopie erforderlich.
ckung die Dauerhaftigkeit nicht. Bei Rissen Das Öffnen größerer Bereiche (z. B. Kop-
unter aggressiven Einwirkungen (Tausalz) pelstellen, Spanngliedabschnitte, Auflager-
ist jedoch besondere Vorsicht geboten. Risse bereiche) sollte nur in Ausnahmefällen im
entlang der Bewehrung infolge der Spreng- Rahmen einer Sonderprüfung, im Zuge
wirkung durch Korrosion erfordern grund- derer spezifische Probleme an der Kon-
sätzlich Instandsetzungsmaßnahmen. struktion untersucht werden sollen, erfol-
gen, wobei eine Beschädigung der Beweh-
rungselemente unbedingt vermieden wer-
11.4.2.5.2 Abklopfen der Oberfläche den muss. Bohrlöcher, die erstellt werden
müssen, um eine Endoskopie der Spannstäh-
Durch das Abklopfen der Betonoberfläche le ermöglichen zu können, sollten daher mit
gelingt es, oberflächennahe Hohlstellen zu einer Bohrmaschine mit Abschaltautoma-
lokalisieren, wobei jene Bereiche der Kon- tik gebohrt werden. Solche Bohrmaschinen
1042 11 Überwachung, Prüfung, Bewertung und Beurteilung von Brücken
schalten bei Metallkontakt, d. h. wenn der fety Evaluation of Existing Concrete Struc
Bohrer auf das Hüllrohr trifft, automatisch tures“ [fib, 2003] hingewiesen.
ab, das Hüllrohr kann anschließend manu-
ell geöffnet und der Verpressmörtel entfernt Bestimmung der Karbonatisierung
werden, ohne die Spannstähle zu schädi- des Betons
gen. In allen Fällen ist streng darauf zu ach- Zur Bestimmung der Karbonatisierung des
ten, dass die geöffneten Stellen wieder fach- Betons kann eine Phenolphtaleinlösung
gerecht verschlossen werden. verwendet werden, die auf eine frische
Bruchfläche des untersuchten Bauteils ge-
sprüht wird. Das Aufsprühen der Indikator-
11.4.2.5.4 Messungen am Bauwerk lösung bewirkt einen Farbumschlag nach
rot-violett, wenn der pH-Wert über ca. 9
Je nach gewünschtem Prüfziel steht eine liegt. Karbonatisiert sind die unverfärbten
ganze Reihe zerstörungsfreier bzw. quasi- Bereiche. Wird die Lösung auf eine nicht
zerstörungsfreier Prüfverfahren zur Ver- mehr frische Bruchfläche gesprüht bzw.
fügung, die direkt am Bauwerk angewen- stimmt die Bruchfläche mit einem Haarriss
det werden können. Zusätzlich existiert überein, ist das Ergebnis verfälscht. Da die
eine ganze Reihe zerstörungsfreier Prüf- Karbonatisierungsreaktion zwar einerseits
verfahren, die meist aufwendig sind, große Wasser benötigt, aber das Kohlendioxid
Übung in der Deutung der gewonnenen andererseits nur durch Poren diffundieren
Daten erfordern und daher im Zuge einer kann, die nicht vollständig mit Wasser ge-
regulären Brückenprüfung nicht ange- füllt sind, weisen regengeschützte Flächen
wendet werden. Sie dienen vor allem der (Brückenuntersichten) zumeist größere
Beurteilung des Zustands der Beweh- Karbonatisierungstiefen auf als Flächen, die
rungselemente sowie des Spannstahls, der dem Regen stärker ausgesetzt sind.
Feststellung von Feuchtstellen oder Hohl-
räumen sowie der Beurteilung des Ge- Bestimmung des Chloridgehalts des Betons
samttragverhaltens und liefern je nach Chloride werden in erster Linie durch Tau-
Tragwerk und Konstruktionsart mehr salz in den Beton eingetragen. Dem gemäß
oder weniger zuverlässige Ergebnisse. wird zwischen Kontaktbereich, Spritzwas-
Diese Verfahren werden fast ausschließ- serbereich und Sprühbereich unterschie-
lich im Zuge von Sonderprüfungen an den (Bild 11.4.2-1).
gewendet. Zu diesen bei Prüfungen aus Ähnlich wie bei der Bestimmung der
besonderem Anlass einsetzbaren Mess- Karbonatisierungstiefe kann auch für die
und Prüfverfahren am Bauwerk gehören Ermittlung des Chloridgehalts ein Indika
die Ultraschallprüfung (Festigkeit, Hohl- tortest herangezogen werden. Dazu ver-
räume, Risse), Durchstrahlungsmethoden wendet man das Silbernitrat-Sprühverfah-
mit Röntgen- und Gammastrahlen (Lage ren. Auf eine frische Bruchfläche wird zu-
und Zustand der Bewehrung, Hohl- erst Silbernitrat aufgesprüht. Nach dem
räume), Leitfähigkeits-/Widerstandsmes Trocknen wird die Fläche mit einer Indika-
sung (Feuchtegehalt), Infrarotthermo torlösung besprüht. Chloridfreie Bereiche
grafie (Feuchtstellen, Verpressfehler) und verfärben sich rotbraun, chloridhaltige Be-
Schwingungsanalyse (Gesamttragverhal- reiche verfärben sich nicht oder nur wenig.
ten, Zustand der Spannglieder). Hinsicht- Über die Farbverteilung kann auf die Chlor
lich des Einsatzes der einzelnen Methoden idverteilung geschlossen werden. Mit die-
wird auf die einschlägige Fachliteratur, wie sem Schnelltest lassen sich jedoch keine
z. B. das fib-Bulletin „Monitoring and Sa- Aussagen über die Höhe des Chloridgehalts
11.4 Überwachung und Prüfung von Brückenbauwerken 1043
Bild 11.4.2-1 Chloridangriffszonen
treffen. Es kann lediglich bestimmt werden, wehrung von Interesse oder sind die Bau-
ob der Beton Chlorid enthält oder nicht. teile sehr hoch bewehrt, sind Bewehrungs-
Da jedoch der tatsächliche Chloridgehalt suchgeräte nicht geeignet.
für die Dauerhaftigkeit der Konstruktion
von großer Bedeutung ist, können Bohr- Beurteilung des Zustands der Bewehrung
kerne oder Bohrmehlproben entnommen Eine zuverlässige Beurteilung des Zustands
und chemisch untersucht werden. Um ein der Bewehrung sowie des Korrosionsgrads
Chloridprofil erstellen zu können, soll die ist nur durch Freilegen der Bewehrung
Entnahme der Proben aus unterschiedlichen möglich. Im Rahmen der regulären Brü-
Schichten (mit einer Tiefe von je ca. 10 mm) ckenprüfungen sollte, um eine Schädigung
erfolgen. So kann die Chloridbeaufschla- des Tragwerks möglichst zu vermeiden, die
gung bis hin zur ersten Bewehrungslage er- Bewehrung nur dann freigelegt werden,
mittelt werden. wenn damit kein besonderer Aufwand
verbunden ist (z. B. Abschlagen lockerer
Beurteilung der Lage der Bewehrung Betondeckung oder einer schlecht aufge-
sowie der Betondeckung brachten Spritzbetonschicht) oder begrün-
Die Lage der äußeren Bewehrungslagen dete Zweifel am Zustand der Bewehrung
kann zerstörungsfrei mit Hilfe eines Be- bestehen (z. B. starke Rostfahnen oder Risse
wehrungssuchgeräts, dessen Wirkungswei- entlang der Spanngliedachse). Es ist unbe-
se auf dem Pulsinduktionsverfahren beruht, dingt darauf zu achten, dass die geöffneten
ermittelt werden. Je nach Gerätetyp können Bereiche sachgerecht und dauerhaft wieder
zusätzlich auch der Durchmesser der Be- verschlossen werden.
wehrung sowie die vorhandene Betonde-
ckung erfasst werden. Bestimmung des Verpressgrads sowie
Für normal bewehrte Bauteile liefert das des Zustands des Spannstahls
Bewehrungssuchgerät zufriedenstellende Der Zustand und Korrosionsgrad des
Ergebnisse. Ist jedoch die Lage tieferliegen- Spannstahls kann mit Hilfe eines Endos-
der Bewehrungsstäbe oder der Spannbe- kops mit starrer oder beweglicher Achse
1044 11 Überwachung, Prüfung, Bewertung und Beurteilung von Brücken
beurteilt werden. Das Endoskop wird durch hammers erfolgen. Bohrkerne sollten nur
ein kleines Bohrloch mit ca. 20 mm Durch- dann entnommen werden, wenn begründe-
messer eingeführt und erlaubt die Inspekti- te Zweifel bezüglich der Eigenschaften des
on des Spannstahls sowie die Beurteilung Betons bestehen. In diesen Fällen sollten
der Ausdehnung mangelhaft verpresster sowohl Anzahl und Durchmesser der Bohr-
Hüllrohrabschnitte. Zur Dokumentation kerne als auch die Tiefe der Bohrungen auf
der Ergebnisse können mit Hilfe eines ge- ein Minimum reduziert werden. Proben
eigneten Kameraaufsatzes auch Fotos er- von Bewehrungsstählen sollten nur in Son-
stellt werden. Es ist darauf zu achten, dass derfällen entnommen werden.
die Bohrlöcher mit einer Bohrmaschine, die
sich beim Kontakt mit dem metallischen
Hüllrohr sofort automatisch abschaltet, her- 11.4.2.5.6 Probebelastungen
gestellt werden und das Hüllrohr per Hand
geöffnet wird. Nur so kann eine Schädigung Probebelastungen können dem Nachweis
des Spannstahls vermieden werden. zugesicherter Eigenschaften bei Neubauten
Werden Verpressmängel festgestellt, so oder der Überprüfung der Tragfähigkeit
kann das Hohlraumvolumen mit Hilfe des bestehender Konstruktionen dienen. Ge-
Vakuumverfahrens ermittelt werden. Dabei wöhnlich beziehen sich die Belastungstests
wird mit Hilfe einer Pumpe aus dem geöff- auf Tragwerkskomponenten, Tests an der
neten Hüllrohr die Luft abgesaugt und ein Gesamtstruktur sind eher die Ausnahme
Vakuum erzeugt. Durch Messung der [Bergmeister/Santa, 2004]. Die Art der Be-
zurückströmenden Luftmenge lässt sich lastung hängt vom Ziel der Untersuchung
das Hohlraumvolumen bestimmen. Diese und der Konstruktion selbst ab.
Methode kann auch zur Bestimmung des Das Ziel einer Probebelastung liegt in
Volumens von Hohlräumen im Beton an- der Regel in der Erfassung von Tragreser-
gewendet werden. ven, die in der Berechnung nicht oder nur
unzureichend erfasst werden, was für
b estimmte Fälle eine wirtschaftliche
11.4.2.5.5 Entnahme von Materialproben Bemessung unter Zuhilfenahme der Ver-
suchsergebnisse ermöglicht. Im Vorfeld
Je nach durchzuführender Prüfung können der Probebelastung sind eine umfangreiche
unterschiedliche Arten von Materialpro Bestandsaufnahme und die Feststellung des
ben, wie Bohrmehl, Bohrkerne oder Bruch Ist-Zustands wesentlich, von besonderer
stücke, entnommen werden. Die Kenn- Bedeutung sind aber zusätzlich verglei-
zeichnung der Proben nach Ort, Zeit, Lage, chende und begleitende Berechnungen
Bauwerk und Bauteil ist dabei von großer zur Erstellung eines mechanischen Trag-
Bedeutung. Zusätzlich ist das Prüfziel anzu- modells sowie vertiefte Erfahrungen im
geben. Bei der Entnahme von Betonproben Umgang mit der zu untersuchenden Kon-
ist darauf zu achten, dass die Bewehrungs struktion sowie der verwendeten Prüf- und
elemente nicht beschädigt werden. Bei der Messtechnik. Bei einer Probebelastung sind
Erstellung von Bohrlöchern zur Gewin- folgende Punkte zu berücksichtigen:
nung von Bohrmehl sollte gegebenenfalls
mit einer Bohrmaschine, die über eine Ab- • Langsame Aufbringung der Last in klei-
schaltautomatik bei Metallkontakt verfügt, nen Lastschritten zur Sicherstellung,
gearbeitet werden. Die Bestimmung der dass zwischen den einzelnen Lastschrit-
Druckfestigkeit des Betons sollte in einem ten genügend Zeit bleibt, um die Struk-
ersten Schritt mit Hilfe eines Betonprüf- turantwort vollkommen zu erfassen
11.4 Überwachung und Prüfung von Brückenbauwerken 1045
• Kontinuierliche Aufbringung der Last- Der Vorteil ist, dass das Fahrzeug ohne
schritte bis zum Erreichen der erforder- wesentliche Einschränkung des Straßenver-
lichen Prüflast, wobei in jedem Last- kehrs betrieben werden kann. Neben dem
schritt sicherzustellen ist, ob eine weitere Prüffahrzeug für Straßenbrücken gibt es mit
sichere Laststeigerung möglich ist BELFA-DB auch ein geeignetes Fahrzeug
• Beobachtung der Rissentwicklung und für die Prüfung von Eisenbahnbrücken.
Messung der Deformationen in jedem
Lastschritt
• Halten der maximalen Last über einen 11.4.3 Prüfung von Stahl-
längeren Zeitraum (mindestens eine und Verbundbrücken
Stunde) und Beobachtung des Trag-
werks Günter Ramberger
• Langsame Entlastung und Beobachtung und Francesco Aigner (bis 11.4.5)
der Verformungen
Bei linear-elastischer Betrachtung muss 11.4.3.1 Tragwerk und Bauteile
die gemessene Verformung kleiner sein als
die berechnete. In diesem Zusammenhang Zunächst sind das Tragwerk und dessen
muss jedoch klar sein, dass Aussagen über Bauteile auf Einhaltung der Form in An-
die tatsächliche Tragfähigkeit der Kon- sicht, Draufsicht und Querschnitt geodä-
struktion, die verbleibende Duktilität oder tisch zu prüfen. Dies sollte auf Basis der
die Schäden, die durch den Belastungsver- Messdaten erfolgen, die anlässlich der Ver-
such an der Konstruktion hervorgerufen kehrsübergabe bei der Eröffnung oder nach
wurden, nicht möglich sind. einer Umbaumaßnahme aufgenommen
Von der Hochschule Bremen, der TU wurden. Sind diese nicht vorhanden, sollte
Dresden, der HTWK Leipzig und der Bau- das Tragwerk geodätisch vermessen werden
haus-Universität Weimar wurde in Zusam- und dieses Aufmaß vom Zeitpunkt an als
menarbeit mit der Firmengruppe EGGERS Basis für weitere Überprüfungen dienen.
und einigen anderen Firmen ein speziel Alle Messungen sollten kurz nach Sonnen-
les, rasch einsetzbares Belastungsfahrzeug aufgang gemacht werden, denn in dieser
entwickelt [Steffens, 2001]. Mit dem Belas Zeit weist die Brücke infolge der nächtlichen
tungsfahrzeug BELFA können nach einem Abkühlung etwa konstante Temperatur auf.
selbstsichernden Belastungsprinzip Ver Temperaturgradienten bedingt durch Son-
suche durchgeführt werden, wobei durch neneinstrahlung können die Form eines
stufenlose Teleskopierung des Fahrzeugs Bauwerks wesentlich beeinflussen.
eine variable Anpassung an Stützweiten bis Danach sind alle stählernen Bauteile
zu l ≤ 18,00 m möglich ist (Bild 11.4.2-2). einer visuellen Kontrolle auf Geradheit und
1046 11 Überwachung, Prüfung, Bewertung und Beurteilung von Brücken
Ebenheit der Bleche (Ausbeulungen) zu mehr als die übrigen Bereiche. Die Abnut-
unterziehen. Mit Schnur und Richtlatte zung durch Fußgänger und Radfahrer ist
können Abweichungen von der Sollform vernachlässigbar klein. Andererseits kön-
eventuell quantifiziert werden. Bei Abwei- nen Schäden auch dadurch entstehen, dass
chungen von der Form zwischen zwei Un- die Verbindungen der einzelnen Schichten
tersuchungen sind jedenfalls die Ursachen untereinander entweder nicht erfolgt oder
dafür festzustellen. nicht ausreichend sind. In diesem Fall
Bei Bauwerken mit Kabeln kann in fast können sich größere Belagsteile ablösen.
allen Fällen die Messung der Kabelkraft Kann Wasser zwischen Schichten, vor al-
über deren erste Eigenfrequenz erfolgen. lem aber zwischen Deckblech und Dich-
Dazu wird das Kabel durch „Anzupfen“, z. B. tungsschicht eindringen, kann es im Winter
mit einem darüber geschlagenen Hanfseil auffrieren und blasenförmige Erhebungen
zu Schwingungen und dann mit der Hand im Belag erzeugen. In diesen Bereichen
in der ersten Eigenfrequenz weiter angeregt, wird der Belag beim Befahren zerstört. Es
bis sich eine harmonische Schwingung über entstehen Schlaglöcher, die kurzfristig re-
das ganze Kabel einstellt. Da die Seildämp- pariert werden müssen.
fung gering ist, kann mittels einer Uhr mit Langanhaltende hohe Temperaturen im
Sekundenzeiger die Zeit t für n Schwingun- Belag können in den Lkw-Spuren auch zu
gen gemessen und daraus die Eigenfrequenz plastischen Auswalzungen und ausgepräg-
n ten Spurrillen führen. Alle beschriebenen
f = 3 berechnet werden. Die Kabelkraft S Erscheinungen sind visuell feststellbar. Auch
t
ergibt sich aus S = 4 f 2 ·l 2 · μ mit der Länge wenn keine der zuvor beschriebenen Schä-
l zwischen den Austrittspunkten des Kabels den auftreten, müssen wegen der Abnutzung
aus der Verankerung und der Masse µ ein- Fahrbahnbeläge in regelmäßigen Abständen
schließlich Korrosionsschutz, Hüllrohr usw. ausgebessert bzw. erneuert werden. Beim
pro Längeneinheit. Die Messung sollte am Einbau heißer Belagschichten darf der Kor-
unbelasteten Bauwerk ebenfalls kurz nach rosionsschutz auf der Unterseite des Deck-
Sonnenaufgang erfolgen und jeweils proto- bleches keine Schäden erleiden. Ab etwa
kolliert werden. Bei Abweichungen ist die 90 °C erleiden Beschichtungen auf Leinöl-,
Ursache festzustellen. PVC- und Chlorkautschukbasis, ab etwa
Bei Verbundbrücken ist visuell zu unter- 140 °C Beschichtungen auf Phthalatharz
suchen, ob ein Schlupf zwischen Betonplatte basis und ab etwa 150 °C auf Epoxydharzba-
und Stahlträger eingetreten ist. Dieser lässt sis bleibende Schäden. Beim Einbau heißer
auf ein Versagen der Dübel schließen. Ein Belagschichten erleidet auch das Tragwerk
Schlupf kann eventuell auch durch Risse im erhebliche Temperaturverformungen und
Korrosionsschutz oder durch ein spezielles bei statisch unbestimmter Lagerung vertikal
Rissbild in der Betonplatte erkennbar sein. oder horizontal erhebliche Beanspruchun-
gen, die untersucht werden sollten, beson-
ders dann, wenn daneben liegende Fahr-
11.4.3.2 Fahrbahnbeläge streifen oft auch in verschobener Lage wei-
terhin durch den Verkehr belastet werden.
Fahrbahnbeläge sind Verschleißteile. Sie
unterliegen beim Befahren einer Abnut-
zung. Da die Abnutzung überwiegend von 11.4.3.3 Korrosionsschutz
den LKW und nur sehr wenig von den
PKW verursacht wird, betrifft sie die über- Die Deckbeschichtung des Tragwerks ist
wiegend von LKW befahrenen Spuren weit hinsichtlich Verwitterung, mechanischer
11.4 Überwachung und Prüfung von Brückenbauwerken 1047
Porenbildung oder aggressiven Ablagerun- Spaltkorrosion tritt vor allem bei genie-
gen die Ursache sein. Punktrostbildung teten und geschraubten Tragwerken oder
zwingt noch nicht zum Ausbessern, zeigt Tragwerksteilen (Stößen, Anschlüssen) auf,
aber, dass eine baldige Erneuerung des Kor- wenn die aufeinanderliegenden Flächen
rosionsschutzes angebracht ist. an den Rändern nicht dicht gelagert sind
Flächige Rosterscheinungen in großem (Bild 11.4.3-6). Durch das Eindringen von
Umfang erfordern zur Sanierung eine voll- Feuchtigkeit mit unterschiedlichem Sauer-
ständige Erneuerung des Korrosions- stoffangebot entstehen lokale elektroche-
schutzes in kurzer Zeit (Bild 11.4.3-4). mische Elemente, die zur Auflösung des
Bisweilen kann auch die Beschichtung in Eisens führen. Der Beginn der Spaltkorro-
Ordnung sein und der Untergrund starke sion macht sich durch Rostfahnen bemerk-
Unterrostungen zeigen (Bild 11.4.3-5). bar. Schließlich kommt es wegen des mehr-
Auch in diesem Fall ist die Beschichtung zu fachen Volumens des Rosts zu Rostauf
erneuern. treibungen und damit auch zu erhöhter,
die Ermüdungsfestigkeit vermindernder
Kerbwirkung. Spaltkorrosion wird saniert,
indem die Spaltflächen durch das Aus
räumen des Rosts in diesen soweit wie
möglich zugänglich gemacht werden, Kor-
rosionsschutz wieder aufgebracht und
zum Abschluss abgedichtet wird.
In seltenen Fällen, wo Baustahl mit an-
deren Metallen oder hochlegierten Stählen
unter Einwirkung von Feuchtigkeit in Ver-
bindung kommt, kann Kontaktkorrosion
entstehen, wobei das unedlere Metall kor-
rodiert.
Bild 11.4.3-5 Unterrostung des Untergrunds
[Vollrath/Tathoff, 2002]
11.4 Überwachung und Prüfung von Brückenbauwerken 1049
11.4.3.4 Schweißnähte
hängig vom vorher festgelegten Prüfum- dungsmittel (üblicherweise 5 bis 20%) ist
fang jedenfalls zwei weitere gleichartige vorher festzulegen, wobei der Ort ebenfalls
Stellen geprüft werden. Sollten wieder nach einem Zufallsprinzip festzulegen ist.
Fehler festgestellt werden, sind je Fehler Für jeden lockeren Niet und für jede nicht
zwei weitere Stellen zu prüfen. Bei dieser voll angezogene Schraube sind zwei weitere
Methode kommt man sehr schnell bei sys- in der Umgebung bzw. an gleichartigen
tematischen Fehlern zur Prüfung aller Stellen zu prüfen, usw.
gleichartigen Stellen.
eine äußere Sichtprüfung kann der Zustand der, Abdichtung und Belag, abweisende
des äußeren Korrosionsschutzes festgestellt Schutzeinrichtungen, ein etwaig vorhande-
werden. Bei Seilen sind auch Brüche von ner Oberleitungsschutz sowie auf der Brü-
Drähten der äußersten Lage, der Zustand cke befindliche Lärmschutzwände. Alle
von Verkittungen und das Bluten der Seile diese Elemente sind im Zuge einer Brücken-
visuell festzustellen. Die Stellen, bei denen prüfung zu kontrollieren.
die meisten Schäden auftreten, sind die Ver-
ankerungspunkte, die meist schwer oder
nicht zugänglich sind (Bild 11.4.3-10). Mit 11.4.4.1 Lager
einem Endoskop können in vielen Fällen
auch diese Bereiche besichtigt werden. In einem ersten Schritt werden der äußere
Drahtbrüche im Inneren von Seilen Zustand und die Stellung des Lagers über-
und Bündeln können mit einem auf Ba prüft. Die Überprüfung der Lagerstellung
sis magnetinduktiver Verfahren arbeiten- ist von besonderer Bedeutung, da Lager
den Seilprüfgerät festgestellt werden (Bild teilweise um 90° verdreht eingebaut wur-
11.4.3-11). Auch hier kann die Anwendung den und so ihre Bewegung verhindert wird.
nur auf der freien Strecke und nicht im Be- Existiert eine intakte Anzeigevorrichtung,
reich von Seilköpfen und Verankerungen kann die Lagerstellung direkt abgelesen
erfolgen. werden. Andernfalls muss die Ist-Stellung
Bei Verdacht auf ernstliche Beschädi- gemessen und unter Berücksichtigung der
gung eines Zugelements sollte dieses aus Bauwerkstemperatur mit der Soll-Stellung
gebaut und eingehend in einer Prüfanstalt verglichen werden.
untersucht werden. Je nach Lagertyp sind anschließend
unterschiedliche Prüfungen und Kontrol-
len erforderlich. Bei Rollenlagern müssen
11.4.4 Prüfung der Brückenausstattung die Rollflächen auf Verschmutzung, Kor-
rosion und Beschädigungen überprüft
Die wesentlichen Elemente der Brücken- werden. Zusätzlich ist festzustellen, ob das
ausstattung sind Lager, Fahrbahnüber- Abrollen der Lagerteile zwängungsfrei
gangskonstruktionen, Randkappen, Gelän- möglich ist.
11.4 Überwachung und Prüfung von Brückenbauwerken 1053
11.4.4.2 Fahrbahnübergangskonstruktionen
11.4.4.5 Lärmschutzwände
Fahrbahnübergänge sind wegen der stän
dig steigenden Verkehrslasten stark bean- Der allgemeine Zustand der Lärmschutz-
sprucht. Im Zuge der Brückenprüfung ist wand auf der Brücke wird festgestellt, wobei
zu kontrollieren, ob sich die Übergänge frei die Verankerungskonstruktion von großer
bewegen können und der Abstand zwi- Bedeutung ist. Durch Abklopfen können
schen Widerlager und Überbau ausrei- Hohlstellen im Bereich der Unterstopfung
chend groß ist. Je nach Konstruktionstyp der Fußplatten festgestellt werden.
sind zusätzlich die Funktionsfähigkeit der
Gleitlager zwischen einzelnen Teilen der
Konstruktion sowie der Steuerungsein- 11.4.5 Prüfung der Brückenausrüstung
richtungen, der Zustand der Federkästen,
der Federn, Bolzen und Führungen, die Zu den zu prüfenden Elementen der Brü-
Dichtigkeit der Gummiprofile im Bereich ckenausrüstung gehören die Entwässe-
der Baustellenstöße sowie die Schienen- rung, Leitungen und Kabel, Besichtigungs-
auszüge zu überprüfen. einrichtungen, die Brückenbeleuchtung
sowie Beschilderungen und Verkehrs
zeichenbrücken [Vollrath/Tathoff, 2002].
11.4.4.3 Randkappen und Geländer Die Durchführung der Prüfung richtet sich
dabei im Wesentlichen nach der Zugäng-
Das äußere Erscheinungsbild der Kappen lichkeit der einzelnen Elemente und ist
ist festzustellen. Besonderes Augenmerk ist integraler Bestandteil jeder Brücken
dabei auf Risse und Tausalzschäden zu prüfung.
legen.
Bei den Geländern sind die Höhe sowie
die lichten Abstände zwischen den Füllstä- 11.4.5.1 Entwässerung
ben zu kontrollieren. Von besonderer Be-
deutung ist zudem die Kontrolle der Veran- Eine funktionierende Entwässerung ist für
kerungselemente des Geländers sowie die die Dauerhaftigkeit der Brücke von zentra-
Überprüfung des Korrosionszustands von ler Bedeutung, weshalb im Zuge der Prü-
Geländer und Verankerung. fung den Entwässerungselementen beson-
deres Augenmerk gewidmet werden muss.
Idealerweise wird die Funktionsfähigkeit
11.4.4.4 Abdichtung und Belag der Bestandteile der Brückenentwässerung,
das sind Abläufe am Fahrbahn- und Geh-
Der Brückenbelag ist auf Ebenheit, Spur wegrand sowie auf Pfeilern und Wider
rinnen, Risse, Blasen, Ausbrüche, Rauig- lagern, Längs-, Quer- und Fallleitungen
keit sowie Dichtigkeit der Fugen zum Fahr- sowie Revisionsöffnungen und Übergabe-
bahnübergang, Ablauf und Vorbord zu kon- schächte in Kastenträgern und an den Bau-
1054 11 Überwachung, Prüfung, Bewertung und Beurteilung von Brücken
werksenden, bei Regen überprüft. Nur so -stege sowie Einstiege und Treppen zum
kann sichergestellt werden, dass das anfal- Einsteigen in Überbauten oder Pfeiler. Wei-
lende Wasser auch tatsächlich planmäßig terhin sind Absturzsicherungen, Schutzge-
abgeleitet wird. länder und etwaig vorhandene Belüftungen
Zusätzlich wird die Funktionsfähigkeit bzw. Innenbeleuchtungen Teil der Besichti-
der Abdeckroste sowie der Schmutzfang gungseinrichtungen. Der Zustand und die
eimer festgestellt. Um Versandungen der Funktionsfähigkeit all dieser Besichtigungs-
Längsleitungen erkennen zu können, müs- einrichtungen sind zu überprüfen.
sen die Revisionsöffnungen geöffnet wer-
den. Auch die Übergabeschächte hinter den
Widerlagern sind im Zuge der Brückenprü- 11.4.5.5 Beschilderungen
fung zu untersuchen, da die gesamte Brü- und Verkehrszeichenbrücken
ckenentwässerung nicht funktionsfähig ist,
wenn das Wasser im Übergabeschacht nicht Es muss überprüft werden, ob die erforder-
abfließen kann [Vollrath/Tathoff, 2002]. liche Beschilderung auch tatsächlich vor-
handen und funktionsfähig ist. Bei Ver-
kehrszeichenbrücken stellten oftmals die
11.4.5.2 Beleuchtung Verankerungen im Überbau Problemstel-
len dar, welche aufgrund von windindu-
Die Brückenbeleuchtung ist auf Korrosion, zierten Schwingungen zu Ermüdungsbrü-
Ausbeulungen oder Anfahrschäden hin zu chen neigen können. Deshalb sind die Be-
untersuchen. Ähnlich wie bei den Brü- festigungselemente besonders sorgfältig zu
ckengeländern besteht auch bei den Be- prüfen.
leuchtungsmasten die Gefahr, dass sie von
innen zu rosten beginnen. Die Veranke-
rungen der Beleuchtungskörper, der An- 11.5 Zustandsbewertung
schluss an den Überbau und der Fugenver-
guss sind ebenfalls zu kontrollieren. Es
und -beurteilung von Brücken
muss sichergestellt werden, dass keine Teile
Eva-Maria Eichinger-Vill
der Beleuchtung auf die Fahrbahn fallen
und Johann Kollegger (bis 11.7)
können.
11.5.1 Allgemeines
11.4.5.3 Leitungen und Kabel
Die im Zuge der Überwachung und Prü-
fung einer Brücke gewonnenen Daten die-
Im Rahmen der Brückenprüfung werden
nen als Grundlage zur Bewertung der Kon-
der äußere Zustand sowie die Aufhän-
struktion nach den Kriterien
gungen aller Leitungen (Wasser- und Gas-
rohre etc.) überprüft und die Dilatations- • Verkehrssicherheit,
möglichkeit kontrolliert. • Tragfähigkeit und
• Dauerhaftigkeit.
In folgenden Fällen ergibt sich die Notwen-
11.4.5.4 Besichtigungseinrichtungen
digkeit, die Tragfähigkeit eines bestehen-
den Brückenobjekts zu überprüfen:
Besichtigungseinrichtungen dienen dazu,
die Inspektion der Konstruktion zu erleich- • bei Festellen von Bauschäden (z. B. Risse
tern und umfassen Besichtigungswagen und und Verformungen, Korrosion)
11.5 Zustandsbewertung und -beurteilung von Brücken 1055
Tabelle 11.5.2-1 Vergleich von alten und neuen Nachweisverfahren bei der Beurteilung einer
bestehenden Brücke
Vergangenheit Gegenwart Zukunft
Nachweis auf der Basis der Betrachtung der kritischen Berücksichtigung der
Grenzwertlinien nach der Belastungskonfiguration und tatsächlichen Eigenschaf-
elastischen Berechnung Anwendung der statischen Me- ten einer Brücke mit Hilfe
thoden des Traglastverfahrens probabilistischer Nach-
weisverfahren
Nachweis der Tragelemente Vergleich der Beanspruchung Betrachtung der maßge-
durch die Einhaltung der (Schnittkräfte) mit der Bean- benden Grenzzustands-
zulässigen Spannungen spruchbarkeit (Querschnitts funktion
widerstand)
Starke Vereinfachung der Softwareeinsatz ermöglicht die Durchführung einer nicht-
statischen Systeme Berücksichtigung komplizierter linearen Berechnung
räumlicher statischer Systeme
Der Stand der Technik ist, den Nachweis neuer Tragwerke – langjährig unter Erpro-
der vorhandenen Tragfähigkeit nach den bung gestanden und lassen somit Rück-
heute gültigen Bemessungsregeln durchzu- schlüsse auf das reale Tragverhalten zu. Bei
führen. Durch den Einsatz neuer innovati- Fehlen von Bauschäden und konstruktiven
ver Methoden können gegenüber den alten Mängeln kann festgestellt werden, dass sich
Nachweisverfahren aber oft noch Reserven diese Tragsysteme bewährt haben. Umge-
mobilisiert werden. Wie sich die Nachweis- kehrt können Bauschäden und konstrukti-
verfahren der Gegenwart gegenüber denen ve Mängel ebenfalls Rückschlüsse auf das
der Vergangenheit geändert haben [Schäfer, Tragverhalten geben.
1996] und in der Zukunft verbessert werden Bei der Bewertung von Brücken kann
können, wird in der Tabelle 11.5.2-1 darge- davon ausgegangen werden, dass das Bau-
stellt. werk nach den zum Zeitpunkt der Errich-
tung geltenden technischen Regeln geplant
und ausgeführt wurde, sofern keine gegen-
11.5.2.1 Stufen der Tragfähigkeitsbewertung teiligen Hinweise aufgrund von Bauwerks
prüfungen, aus Archivunterlagen oder an-
Die Bewertung von Bestandsobjekten erfor- deren Quellen bekannt sind (Vertrauens-
dert gegenüber dem Entwurf eine erheblich prinzip). Dabei hat sich die Bewertung der
wirklichkeitsnähere Modellierung des Trag- Tragfähigkeit jedoch auf die festgestellten
verhaltens, stellt höhere Genauigkeitsan- Fakten zu stützen.
sprüche und verlangt Nachweisführungen Besteht hinsichtlich der Quantifizierung
mit meist höherem Berechnungsaufwand. der Risiken eine grobe Unsicherheit (z. B.
Weiterhin werden Kenntnisse des Normen- technologische Kennwerte, Bruchverhalten
wesens und der Materialtechnologie zum von Baustoffen bzw. einwirkende Kräfte aus
Zeitpunkt der Errichtung des Bauwerks ge- Erddruck), so sind ergänzende Untersu-
fordert. chungen anzustellen oder einschlägige Ex-
Unter Betrieb befindliche Bestandsbau- perten beizuziehen mit dem Ziel, die rele-
werke sind – im Gegensatz zum Entwurf vanten Werte, allenfalls gekoppelt mit
11.5 Zustandsbewertung und -beurteilung von Brücken 1057
Die wesentlichen Aufgaben solcher Sys- Neben der Objektdatenbank ist die Zu-
teme liegen in der Erfassung und Verwal- standsdatenbank von zentraler Bedeutung.
tung der Brückenobjekte, der Verwaltung Die Zustandsdatenbank soll so aufgebaut
und Archivierung digitaler Bauwerksdoku- sein, dass die Ergebnisse der Brücken
mente, dem Erstellen digitaler Bauwerks prüfungen direkt gespeichert werden kön-
bücher, der Planung von Inspektionen, der nen. Es ist jedoch anzumerken, dass unter-
Erfassung und Auswertung von Schadens- schiedliche Programmsysteme verschie
daten, der Erstellung von Bauwerksprüfbe- dene Klassifizierungen und Mechanismen
richten, der Auswertung von Konstrukti- der Zustandsbewertung im Hinblick auf
ons- und Schadensdaten sowie der Abschät- Tragfähigkeit, Gebrauchstauglichkeit und
zung der Lebensdauer der Bauwerke. Dauerhaftigkeit enthalten. Generell wird
Den Kern jedes Brückenmanagementsy- bei der Prüfung das Bauwerk in Bauteile
stems bildet die sogenannte Objektdaten- untergliedert, die sich aufgrund ihrer Geo-
bank, in der die charakteristischen Eigen- metrie, Funktion, der benutzten Konstruk-
schaften und Attribute, das sind technische tionsmaterialien oder ihrer Herstellmetho-
Daten sowie Verwaltungsdaten der Brücke, de voneinander unterscheiden. So kann
enthalten sind (Tabelle 11.6.3-1). eine Brücke beispielsweise aus den Bautei-
Die Objektdatenbank dient somit neben len Überbau, Unterbau, Lager, Fahrbahn
der reinen Archivierung auch als „elektro- übergang etc. bestehen. Diese Bauteile kön-
nisches“ Bauwerksbuch, enthält sie doch nen weiter in einzelne Inspektionselemente
idealerweise auch Konstruktionszeich- unterteilt sein, welche im Zuge der Prüfung
nungen, Datenblätter, Materialinforma mit Hilfe von Noten bewertet werden. Die
tionen, Fotos und Skizzen, Textdokumente Schäden werden qualitativ und quantitativ
und Messdaten. Mit Hilfe der mit der erfasst. Diese inspektionselementbezo-
Objektdatenbank verknüpften Auswerte- genen Informationen sind in der Zustands-
module können die erfassten Daten durch- datenbank enthalten. Mit den Informati-
sucht, gefiltert, gruppiert, analysiert und onen in der Zustandsdatenbank und dem
aufbereitet werden [Bergmeister/Santa, Schadensausmaß kann bestimmt werden,
2004]. welche Maßnahmen in Frage kommen.
nicht direkt am Bauwerk messbar, aber aus che Größen sinnvollerweise erfasst und
der Messung ableitbar sind. Die Messgröße welche Sensoren aufgrund der zu erwar-
ist jene Größe, die mit der aus der Vorun- tenden Größenordnung der Messwerte ein-
tersuchung/Simulation gewonnenen Ver- gesetzt werden sollten.
gleichsgröße verknüpft werden kann. Der Für bestimmte Messgrößen ist es von
Erfolg der Dauerüberwachungsmaßnahme großer Bedeutung, dass Nullmessungen
hängt entschieden davon ab, dass ein ein- durchgeführt werden, so z. B. für akustische
deutiger und durch eine Funktionsvor- Methoden zur Feststellung von Spannstahl-
schrift beschriebener und damit umkehr- brüchen. Ist bereits während der Planungs-
barer Zusammenhang zwischen jedem oder Errichtungsphase des Bauwerks klar,
Messwert der Messgröße und genau einem dass eine Dauerüberwachung der Kon-
Wert der Vergleichsgröße besteht [Zilch struktion erfolgen soll, so soll die Installati-
et al., 2009]. Im Falle eines Betonbauteils on von entsprechend robusten Sensoren
muss beispielsweise sichergestellt werden, bereits im Zuge des Baus erfolgen. Dadurch
dass die direkte Korrelation zwischen Mess- ist es beispielsweise möglich, die Deh-
und Vergleichsgröße nicht nur im ungeris- nungen im Bewehrungsstahl durch An-
sen, sondern auch im gerissenen Zustand bringen von Dehnmessstreifen oder faser-
gegeben ist. optischen Dehnmesssensoren zu ermitteln.
Derartige Messungen sind im Nachhinein
nur mit entsprechend größerem Aufwand
11.7.3 Messgrößen und zugehörige durch lokales Abstemmen des Betons und
Sensoren Freilegen der Bewehrung möglich, was je-
doch eine nicht genau zu definierende
Im Zuge der Dauerüberwachung werden Störung des Verbunds zur Folge hat [Zilch
folgende Messgrößen unterschieden: et al., 2009].
Aufgrund ihrer Bedeutung im Bereich
• Weggrößen (Durchbiegungen, Funda-
der Dauerüberwachung von Brücken wird
ment-, Pfeiler-, Widerlagerverfor-
im Folgenden besonders auf die Messung
mungen oder Lagerverformungen),
von Weg-, Dehnungs- und Temperaturgrö-
• Verzerrungsgrößen (lokale Bauteilbean-
ßen eingegangen. Alle Messeinrichtungen
spruchungen),
sind vor Verschmutzung und Beschädigung
• Temperaturgrößen (Umgebungs- oder
möglichst dauerhaft zu schützen.
Bauteiltemperatur),
• Beschleunigungs- und Geschwindig-
keitsgrößen,
11.7.3.1 Messung von Weggrößen
• Winkelgrößen (Pfeiler- oder Wider
lagerverdrehungen),
Zur Messung von Weggrößen können je
• Kraftgrößen (Lagerkräfte oder Vorspan-
nach Aufgabenstellung und Messbereich
nung),
Wegaufnehmer, Lasersensoren, elektro-
• Druckgrößen (Erddruck, Luftdruck)
nische Schlauchwaagen, Seilzugsensoren,
sowie
Specklemustersensoren oder trigonome-
• Feuchtigkeitsgrößen (Beton- oder
trische Nivellements zur Anwendung kom-
Bodenfeuchtigkeit).
men.
Für jede dieser Messgrößen stehen unter- Bei Wegaufnehmern handelt es sich um
schiedliche Arten von Sensoren zur Verfü- robuste Sensoren, die gut für den Einsatz
gung. Vor der Einrichtung des Messsystems im Freien geeignet sind. Es ist eine direkte
gilt es demnach im Detail festzulegen, wel- Verbindung zum Messobjekt erforderlich,
1064 11 Überwachung, Prüfung, Bewertung und Beurteilung von Brücken
ist. Seilzugsensoren sind robust und für den 11.7.3.2 Messung von Verzerrungsgrößen
Einsatz im Freien gut geeignet. Ihr Mess
bereich beträgt 0,01 m bis 50 m, die Genau- Die Messung von Verzerrungen (Deh-
igkeit 0,1 mm bis 1 mm. Die Kosten liegen nungen, Stauchungen und Gleitungen;
zwischen ca. € 500 und € 2.000. Elektro- lokale Bauteilbeanspruchungen) kann über
nische Seilzugsensoren eignen sich für die Dehnmessstreifen oder faseroptische Deh-
Messungen von Durchbiegungen, verti- nungssensoren erfolgen.
kalen Lagerverschiebungen sowie jeder Dehnmessstreifen (DMS) beruhen auf
Relativverformung zwischen zwei Bautei- dem Prinzip der Wheatstoneschen Mess-
len, wie z. B. Bewegungen von Widerlagern brücke, einer Messeinrichtung zur Messung
oder Pfeilern zueinander. Ebenso können von elektrischen Widerständen ohmscher
Bewegungen der Böschung relativ zum Art (Gleichstromwiderstand) bzw. kleinen
Widerlager sowie Hangrutschungen erfasst ohmschen Widerstandsänderungen. Dehn-
werden. messstreifen werden direkt am Messobjekt
Robuste, obwohl für den Einsatz im angebracht (geklebt), sind gut für den Ein-
Freien nur bedingt geeignete Messsysteme satz im Freien geeignet und erlauben so-
stellen auch die Specklemustersensoren dar, wohl statische als auch dynamische Mes-
die zur Messung von Rissbewegungen zur sungen. Der Messbereich beträgt 0,01% bis
Anwendung kommen, wobei eine direkte 0,5%, die Genauigkeit liegt bei 1/100 des
Verbindung zum Messobjekt notwendig ist. Messwerts. Die Sensoren selbst sind preis-
Es sind sowohl statische als auch dyna- günstig (ca. € 30). Es ist jedoch zusätzlich
mische Messungen möglich. Der Messbe- ein A/D (Analog/Digital)-Wandler erfor-
reich beträgt 0,1 mm bis 50 mm, die Genau- derlich (ca. € 500), weshalb sich die Ge-
igkeit 0,01 mm bis 1 mm. Die Kosten liegen samtkosten eines Systems bestehend z. B.
bei ca. € 500. aus 20 Sensoren schlussendlich auf
Trigonometrische Nivellements basieren ca. € 11.000 belaufen. DMS können z. B. zur
schlussendlich auf dem berührungslosen Bestimmung der Stahldehnungen zufolge
Messprinzip der Triangulation. Der Mess- Eigenlast, Belastung oder Temperatur und
bereich der eingesetzten Präzisionstheodo- zur Ermittlung von Verkrümmungen oder
liten beträgt 0,05 m bis 50 m, die Genauig- Verwindungen eingesetzt werden. Zusätz-
keit 0,5 mm bis 5 mm. Die Kosten für einen lich ist die Berechnung von Spannungen
Präzisionstheodoliten liegen bei ca. € 40.000. und Durchbiegungen aus Dehnungsmes-
Nivellements eignen sich besonders für die sungen möglich, ebenso wie die Ermittlung
Bestimmung von Lang- und Kurzzeitdurch- von Eigenspannungen oder Spannungs-
biegungen, die Ermittlung von vertikalen schwingbreiten als Grundlage für Ermü-
Verformungen von Bauteilen sowie Set- dungsuntersuchungen.
zungen oder Hebungen von Widerlagern Auch faseroptische Dehnungssensoren
oder Pfeilern. Ebenso können mittels Nivel- werden direkt ans Messobjekt angekoppelt,
lement Verformungen in unterschiedlichen sind sehr robust und gut für den Einsatz im
Bauzuständen, z. B. beim Absenken einer Freien geeignet. Der Messbereich beträgt
Brücke auf provisorische Lager oder die 0,0001% bis 0,5%, die Genauigkeit liegt bei
endgültigen Brückenlager, bei der Ver- 1/1000 des Messwerts. Statische und dyna-
schweißung von Tragwerken, beim Brü- mische Messungen sind möglich. Die
ckeneinschub oder beim Herstellen der Kosten eines Sensors belaufen sich auf
Verbundplatte oder des Brückenaufbaus er- ca. € 400, zusätzlich fallen aber noch Kosten
fasst werden. Als Grundlage für die Mes- für die Auswerteeinheit in der Größenord-
sung sind an der Konstruktion entsprechend nung von ca. € 15.000 an. Somit ergeben
geodätische Marken anzubringen. sich für das Gesamtsystem bestehend aus
1066 11 Überwachung, Prüfung, Bewertung und Beurteilung von Brücken
z. B. 20 Sensoren Kosten von ca. €23.000. nigungen sowie der maximalen Schwing
Faseroptische Dehnungssensoren können beschleunigungen geeignet sind. Ebenso
direkt in die Schalung eingebaut werden eignen sie sich für die Frequenzanalyse und
und kommen somit für die Bestimmung die Ermittlung dynamischer Parameter
der Dehnungen von Beton und Stahl zufol- (Eigenfrequenzen, Schwingungsformen,
ge Kriechen, Schwinden, Eigengewicht, Be- Systemdämpfung). Nicht geeignet sind Be-
lastung, Temperatur etc. zum Einsatz. schleunigungssensoren jedoch für die Er-
Ebenso können wie bei Dehnmessstreifen mittlung von Verformungen, Spannungs-
Spannungen und Durchbiegungen aus den schwingbreiten oder Achslasten.
Dehnungsmessungen berechnet und Ei- Für Winkelgrößen zur Bestimmung von
genspannungen sowie Schwindbreiten er- Pfeiler- und Widerlagerverdrehungen
mittelt werden. kommen Winkelsensoren oder Inklinome-
ter zum Einsatz. Die Messung von Kraftgrö-
ßen, wie z. B. Lagerkräften oder Vorspan-
11.7.3.3 Messung von Temperaturgrößen nung, erfolgt über Kraftmessdosen oder
Kraftmessgeber. Für die Messung von
Für die Messung von Temperaturgrößen Druckgrößen, wie z. B. Erddruck oder Luft-
kommen elektronische oder faseroptische druck, kommen Erddruck- bzw. Luftdruck-
Temperatursensoren zum Einsatz. Beide sensoren zum Einsatz. Schließlich erfolgt
Arten von Messsystemen eignen sich so- die Bestimmung von Feuchtigkeitsgrößen
wohl für statische als auch dynamische über Feuchtigkeitssensoren zur Bestim-
Messungen, sind robust und gut für den mung der Bodenfeuchtigkeit oder Beton-
Einsatz im Freien geeignet. Sie unterschei- feuchtigkeit (Multiring-Elektroden).
den sich durch das Messprinzip (elektrisch
gegenüber optisch) und damit verbunden
durch die Genauigkeit. Diese liegt bei elek- 11.7.4 Aufzeichnung der Messdaten
tronischen Sensoren bei 1/100° und bei
faseroptischen bei 1/1000000°. Demzufolge Je nach Aufgabenstellung können statische
sind auch die Kosten unterschiedlich. Ver- (z. B. einmal täglich) oder dynamische (z. B.
wendet man elektronische Temperatursen- 100 mal pro Sekunde) Messungen erforder-
soren und besteht das System aus 20 Sen- lich sein. Dies hängt davon ab, welche Para-
soren inklusive A/D-Wandler, so belaufen meter erfasst werden sollen und ob eine
sich die Gesamtkosten auf ca. € 11.000, bei schnelle Zustandsänderung der Konstruk-
der Wahl faseroptischer Temperatur tion zu erwarten ist oder nicht. Eine Ent-
sensoren kommt man bei der gleichen scheidung darüber, ob statische oder dyna-
Sensoranzahl inklusive Auswerteeinheit mische Messungen sinnvollerweise erfol-
auf Gesamtkosten von ca. € 23.000. gen sollen, ist bereits vor Beginn der Über-
wachung zu treffen. In der Tabelle 11.7-1
sind die Eigenschaften beider Arten von
11.7.3.4 Messung von anderen Größen Messungen zusammengefasst.
Ein Problem bei dynamischen Mes-
Beschleunigungs- und Geschwindigkeits sungen stellen die großen Datenmengen
größen können mittels Beschleunigungs- dar, die generiert werden. Werden bei-
und Geschwindigkeitssensoren ermittelt spielsweise bei vier Sensoren über 24 Stun-
werden. Zu den Beschleunigungssensoren den je 100 Messwerte pro Sekunde aufge-
ist anzumerken, dass diese gut für die Er- zeichnet, so ergibt das im Monat eine zu
mittlung der zeitlichen Tragwerksbeschleu verarbeitende Datenmenge von rund
11.7 Kontinuierliche rechnergestützte Dauerüberwachung 1067
1,2 GByte. Eine Lösung für dieses Problem Schäden oder Verschmutzungen am Mess-
bietet die sogenannte getriggerte Aufzeich- system beeinflusst werden.
nung der Messwerte, das heißt das Spei- Die erfassten Daten werden direkt vor
chern der Messdaten nur bei Überschrei- Ort auf Datenloggern lokal gespeichert und
tung von zuvor definierten Schwellenwerten gelangen bei modernen Systemen automa-
(z. B. bei LKW- oder Zugüberfahrt). tisiert per GPRS, UMTS oder ISDN zur
Unabhängig davon, welches Messver- Auswertung. Vor der Übertragung der Da-
fahren und welche Messeinrichtungen ver- ten können einfache Auswertefunktionen
wendet werden, ist bereits vor Beginn der (Extremwert- oder Mittelwertbildung)
Messung festzulegen, wie die Messstellen durchgeführt werden, vorausgesetzt das
auch zu späteren Zeitpunkten wiederge- Messsystem verfügt über einen entspre-
funden werden können, um so die Messer- chenden Zwischenspeicher, um die Daten-
gebnisse auch tatsächlich der untersuchten menge zu reduzieren und eine schnellere
Stelle am Bauwerk zuordnen zu können. Übertragung zu ermöglichen.
An die automatisierte Datenabholung
kann eine ebenfalls automatisierte Stan-
11.7.5 Aufbereitung und Verarbeitung der darddatenauswertung angeschlossen sein,
Messdaten die es ermöglicht, sehr rasch aktuelle Infor-
mationen zum Verhalten des Tragwerks zu
Im Rahmen der computerunterstützten erhalten und diese beispielsweise auf einer
Dauerüberwachung erfolgt die Erfassung Internetplattform zur Verfügung zu stellen.
der Messdaten automatisch, ohne dass eine In diesem Zusammenhang kann für den
manuelle Ablesung erforderlich ist. Dazu Brückenerhalter auch die automatisierte
muss die Stromversorgung für die Messge- Alarmierung über SMS oder E-Mail bei der
räte sichergestellt sein, wobei Stromunter- Überschreitung vorher im Rahmen eines
brechungen möglichst ausgeschlossen wer- Notfallplans festgelegter Grenzwerte von
den sollten, was durch einen Notstrombe- Interesse sein. Bild 11.7-1 zeigt ein Beispiel
trieb gewährleistet werden kann. für einen derartigen Notfallplan aufbauend
Die Messeinrichtungen vor Ort sollten auf dem Ampelprinzip [Praxmarer/Reiterer,
zudem in regelmäßigen Abständen über- 2007]. Warnstufe Grün würde das planmä-
prüft werden, um ihre Funktionstüchtigkeit ßige Verhalten der Konstruktion beschrei-
sicherzustellen und zu garantieren, dass die ben und keine Maßnahme erfordern.
übermittelten Messergebnisse nicht durch Warnstufe Gelb wäre verknüpft mit der
1068 11 Überwachung, Prüfung, Bewertung und Beurteilung von Brücken
Monitoringanlage
Permanente Aufzeichnung der
Brückenverformungen und
Pfeilerverdrehungen
Überschreitung Grenzwert
> 5 Minuten
Automatisch
Verständigung per SMS
•Betreiber Monitoringanlage
Warnstufe Orange: •Brückenerhalter
Vorwarnung
Betreiber Monitoringanlage:
Plausibilitätskontrolle
Manuell Manuell
Automatisch
Verständigung per SMS
Warnstufe Rot: •Betreiber Monitoringanlage
Alarm •Brückenerhalter (alle Personen)
•Bereitschaftsdienst Brückenerhalter
Brückensperre
Entwarnung
Brückensperre bleibt Brücke eingeschränkt
aufrecht freigeben Manuell
Tabelle 12.2.2-1 Verfahren zur Vorbehandlung des Betonuntergrunds (nach [Grube et al., 1990])
Verfahren Zu verwendendes Gerät Zweck
bzw. Behandlungsmittel
Hochdruckreinigung Hochdruckreiniger Entfernen von Verschmutzun-
(beheizt oder unbeheizt) gen und Bewuchs
Hochdruckwasserstrah- Strahlgerät, Wasser Entfernen von Beschichtungen
len mit 100–1000 bar und Schichten geringer Festig-
keit
Feine Verfahren
schlämmen verwendet werden. Wird eine Mindestschichtdicke 1000 μm, wobei die
Korrosionsschutzbeschichtung aus Epoxid- Beschichtung mindestens zweischichtig
harz aufgebracht, muss die Bewehrung mit- aufgetragen werden muss [ZTV-SIB, 1990].
tels Sandstrahlens vorbereitet werden.
Epoxidharze (EP) werden für kraftschlüs- dem Einsatz von Polyurethanen bei sich
sige Verbindungen eingesetzt, wobei nach der bewegenden Rissen Grenzen gesetzt, da
Aushärtung des Harzes die beiden Rissufer die Dehnfähigkeit mit der absoluten Dicke
quasi starr verbunden sind. Damit ein tiefes des PUR-Films im Riss abnimmt.
Eindringen des Harzes in feine Risse mög Zementleim und Zementsuspension
lich ist, müssen Epoxidharze dünnflüssig, bestehen aus Wasser und Zement, wobei
lösungsmittelfrei, ungefüllt und zusätzlich der Unterschied zwischen den beiden Ze-
feuchtigkeitsunempfindlich sein. Die Haftfes- mentinjektionsstoffen in der Mahlfeinheit
tigkeit des Epoxidharzes ist im Allgemeinen des Zements liegt. Zementsuspension be-
größer als die Zugfestigkeit des Betons, was steht aus Feinstzement und ist für die Injek-
bedeutet, dass bei erneuter Überbeanspru- tion von feinen Rissen mit Breiten von über
chung der Beton direkt neben dem Riss reißt 0,2 mm einsetzbar.
nicht jedoch der injizierte Riss selbst. In der Tabelle 12.2.3-1 hängt die An
Polyurethane (PUR) dienen zum Schlie- wendung der verschiedenen Füllgüter vom
ßen, Abdichten und dehnfähigen Verbin- Feuchtegrad der Risse ab. Gemäß [ZTV-
den von trockenen, feuchten oder wasser- RISS, 1999] unterscheidet man gemäß Ta-
führenden Rissen. Flexible Polyurethane belle 12.2.3-2 trockene, feuchte, „drucklos“
sind aufgrund ihrer Dehnfähigkeit und wasserführende und unter Druck wasser-
Kompressibilität als einziges Füllgut zur führende Risse.
Abdichtung von Rissen mit sich ändern-
den Rissbreiten einsetzbar. Dennoch sind
1078 12 Brückeninstandsetzung und -sanierung
12.2.3.3 Oberflächenschutz
12.2.3.3.1 Allgemeines
Anwendungsbereich Beschichtungsstoff
Rissüberbrückung - Acrylatharzdispersion
- Kunststoffmodifizierte Zementschlämme
- Elastische Polyurethane
zielt man auch bei nicht besonders bearbei- ausgeschnittene Löcher, weil dadurch sehr
teten Berührungsflächen etwa die Übertra- hohe Eigenspannungszustände durch den
gungskraft der früheren Niete. behinderten Schweißschrumpf in das Trag-
werk eingetragen werden. Besser ist das
stumpfe Anschweißen von Neuteilen an die
12.3.3 Instandsetzung von Abrostungen bestehenden Querschnitte, da dann zumin-
dest in einer Richtung ein freies Heran-
Bei leichten Abrostungen ist nach der Ent- schrumpfen möglich ist.
rostung die Ist-Dicke festzustellen. Ist die
zweite Seite nicht zugänglich, kann dies
auch mit einem geeichten Dickenmessgerät 12.4 Fahrbahnbeläge
mittels Ultraschall erfolgen. Unterschreitet
die gemessene Dicke trotz Abrostung nicht Bei der Instandsetzung des Fahrbahnbelags
die Nenndicke, was wegen der Plustoleran- ist zu unterscheiden, ob es sich um lokal
zen der Bleche und Profile öfter der Fall ist, begrenzte Schäden, um Schäden in einer
können Verstärkungsmaßnahmen unter- durchgehenden Spur oder um eine Grund-
bleiben. Unterschreitet die gemessene Dicke erneuerung des Fahrbahnbelags handelt.
die Nenndicke, muss mit den Querschnitts- Lokale Schäden, die nur die Deckschicht
werten des geschwächten Querschnitts der und eventuell die Schutzschicht betreffen,
Tragsicherheits- und eventuell der Ermü- werden mit bituminösen Schichten ausge-
dungsnachweis geführt werden. Nur wenn bessert, wobei auf den ordnungsgemäßen
diese nicht erfüllt sind, sind Instandset- Anschluss der Schichten an den Rändern
zungsmaßnahmen vorzunehmen. Ansons- zu achten ist. Bei Erneuerung des Fahr-
ten bedarf es nur der vorhin beschriebenen bahnbelags einer Spur sind Deck- und
Korrosionsschutzmaßnahmen. Abgeroste- Schutzschicht durch Straßenfräsen abzufrä-
te HV-Schrauben sind wegen der mögli- sen. Bei unebenem Deckblech kann dabei
chen Spannungsrisskorrosion durch neue die Dichtschicht und sogar das Deckblech
zu ersetzen. Bei angerosteten Nietköpfen ist beschädigt werden. Die nach dem Abfräsen
der feste Sitz zu überprüfen. Sind die Niete von Deck- und Schutzschicht freigelegte
fest, brauchen sie im Allgemeinen nicht Dichtungsschicht ist mit einer Kehr-Ab-
ausgetauscht zu werden. Bei abgerosteten saugmaschine und mit Druckluft zu reini-
Schweißnähten ist nach dem Entrosten die gen und danach zu überprüfen. Ist sie ohne
Ist-Dicke festzustellen und mit der Nenn Schaden und im ganzen Bereich festhaftend,
dicke zu vergleichen. Eventuell sind diese kann sie belassen werden. Ansonsten ist sie
Nähte mit neuen Lagen auf die ursprüngli- mit Hochdruck-Wasserstrahl zu entfernen.
che Dicke zu bringen. Die Deckblechoberfläche ist durch mecha-
Instandsetzung von stark angerosteten nisches Strahlen oder Flammstrahlen mit
oder durchgerosteten Blechen und Profilen anschließendem Abbürsten vorzubereiten.
ist schwierig und kann im Allgemeinen nur Beim Erneuern einer Fahrspur wird übli-
individuell festgelegt werden. Zu beachten cherweise das gleiche Material wie bei den
ist jedenfalls, dass nur geschweißte Trag- anschließenden Schichten verwendet. We-
werke durch Aufschweißen von Teilen in- sentlich ist der ordnungsgemäße Anschluss
standgesetzt werden dürfen. Genietete und der Schichten an den Rändern. In Sonder-
geschraubte Tragwerke dürfen nur durch fällen kann auch eine Längsfuge ausgeführt
angeschraubte Neuteile (GV-Verbindun- werden, die anschließend verschlossen
gen) instandgesetzt werden. Nicht zu emp- wird. Erfolgt eine Gesamterneuerung der
fehlen ist das Einschweißen von Flicken in Fahrbahn, wird der Belag abgefräst, die
12.4 Fahrbahnbeläge 1085
Dichtungsschicht mit Hochdruckwasser- der Belag nur bis zu deren Oberkante ab
strahl entfernt, die Oberfläche mechanisch gefräst werden kann. Der zwischen den
gestrahlt oder flammgestrahlt und anschlie- Zick-Zack-Stählen verbleibende Belag kann
ßend abgebürstet und der Schichtaufbau wirtschaftlich nur mit Höchstdruck-Was-
wie bei einem Neubau vorgesehen. serstrahlverfahren zertrümmert, gelöst und
Vom Beginn der Anwendung der ortho- beseitigt werden (Bild 12.4-2). Der Betriebs-
tropen Platte (1946) an bis etwa 1970 wur- druck an der Wasserstrahldüse beträgt etwa
den oftmals auf das Deckblech zickzackge- 800 bis 1200 bar. Die Austrittsgeschwindig-
formte Flachstähle aufgeschweißt, um eine keit liegt etwa 30% über der Schallge-
gute Schubverbindung zwischen Deckblech schwindigkeit. Danach wird die Oberfläche
und Belag zu gewährleisten (Bild 12.4-1). einschließlich der Zick-Zack-Stähle me-
Diese Zick-Zack-Stähle bereiten bei ei- chanisch entrostet und der Belagsaufbau
ner Belagserneuerung große Probleme, da wie bei einem neuen Tragwerk ausgeführt.
Bild 12.4-1 Zick-Zack-Stähle
Bild 12.4-2 Höchstdruck-Wasserstrahlverfahren
13 Brückenverstärkung
13.2.1.1 Allgemeines
13.2 Betonbrücken
Die nachträgliche Verstärkung mit Kohlen-
Folgende Methoden kommen zur nach- stofffaserverbundwerkstoffen hat in den
träglichen statischen Verstärkung von Brü- letzten Jahren einen bedeutenden Stellen-
1088 13 Brückenverstärkung
tätsmodul der Lamelle, fctm die Oberflä- cke zu beachten sind. Im Bereich der End-
chenzugfestigkeit des Betonuntergrunds in verankerung ist nachzuweisen, dass der
N/mm² (Rechenwert 3,0 N/mm²) und kT Bemessungswert der Verbundbruchkraft
ein Korrekturwert für den Temperaturein- größer ist als der Bemessungswert der vor-
fluss (0,9 bei Außenbauteilen, sonst 1,0). handenen Lamellenzugkraft.
Der Faktor kb errechnet sich zu Für die freie Strecke müssen lediglich
die Bereiche mit Querkraftbeanspruchung
2 − bL /b betrachtet werden, wobei nachgewiesen
kb = 1,06 ⋅ ≥ 1,0
1 + bL /400 werden muss, dass die Zugkraftänderung in
der Lamelle durch die Verklebung übertra-
Darin ist b die Balkenbreite oder der Ab- gen werden kann. Der Bereich zwischen
stand benachbarter Lamellen. zwei benachbarten Rissen ist hierfür maß-
Die zugehörige Verankerungslänge lt, max gebend, wobei bei der Bemessung der
kann wie folgt bestimmt werden: größtmögliche Rissabstand heranzuziehen
ist [Niedermeier/Zilch, 2001].
EL ⋅ t L
lt ,max = 0,7 ⋅ Bei einer dynamischen Belastung des
f ctm Bauteils, muss im Sinne des Nachweises der
Ermüdungsfestigkeit für die ermüdungs-
Dies bedeutet, dass die Verbundbruchkraft wirksame Einwirkungskombination nach-
durch Vergrößerung der Verankerungslän- gewiesen werden, dass die Schwingbreite
ge nicht beliebig gesteigert werden kann der Spannungen der Lamelle oder in der
(Bild 13.2.1-1). Daher ermöglichen es auch Matte 100 N/mm² nicht überschreitet.
sehr große Verankerungslängen im Regel-
fall nicht, größere Lamellenzugkräfte zu
verankern [DIBt, 1998]. 13.2.1.5.4 Nachweis im Grenzzustand
Von großer Bedeutung ist daher, dass der Gebrauchstauglichkeit
neben der Einhaltung der konstruktiven
Regeln auch die Verklebung detailliert Für den Grenzzustand der Gebrauchstaug-
untersucht wird, wobei sowohl die Endver- lichkeit sind gemäß [DIN EN 1992-2, 2005]
ankerungsbereiche als auch die freie Stre- grundsätzlich zwei Nachweise zu führen:
• Nachweis der Durchbiegungen
• Nachweis der Rissbreitenbegrenzung
Die für den jeweiligen Nachweis anzuset-
zende Einwirkungskombination kann der
[DIN EN 1990, 2002] entnommen werden.
Beim Nachweis der Durchbiegungen kann
der Querschnitt der vorhandenen Lamel-
len- oder Mattenverstärkung mit dem ent-
sprechenden Elastizitätsmodul und dem
entsprechenden Abstand vom Biegedruck-
rand in die Berechnung eingeführt werden,
wobei das unterschiedliche Verbundverhal
ten von Verstärkung und Betonstahlbeweh
Bild 13.2.1-1 Zusammenhang zwischen cha- rung nicht berücksichtigt werden muss.
rakteristischer Verbundbruchkraft und Veran- Der Nachweis der Rissbreitenbegren-
kerungslänge zung kann in der Regel entfallen, da durch
13.2 Betonbrücken 13.2 Betonbrücken 1095
Stahlbügel
Stahlbügel
h
h
> lv
> lv
CFK
CFK
Schubwinkel
Schubwinkel
oder
oder
Matte
Matte
VLV/2L/2 VLV
/2L/2
2.h
2.h ZLZL
Tabelle 13.2.2-1 Vor- und Nachteile der externen Vorspannung (nach [Bothe, 2000])
lung zum Einsatz. Um einen besseren Ver- harz gewährleistet die volle Schubtragfähig-
bund zwischen altem und neuem Beton zu keit eines monolithischen, ohne Arbeitsfuge
erzielen, werden zumeist Dübel eingesetzt, hergestellten Stahlbetonbauteils. Reicht dies
die zusätzlich den Schubkräften in der jedoch noch nicht aus, so können zusätzlich
Verbundfuge entgegenwirken. Eine weitere Anker gesetzt werden, wobei durch eine ge-
Möglichkeit, um eine bessere Schubverbin- eignete Profilausbildung der Anschlussfuge
dung zwischen altem und neuem Beton zu eine bessere Kraftübertragung erreicht wer-
erzielen, besteht darin, den alten Betonun- den kann.
tergrund durch hartkornverzahnte Epoxid- Um bei der Verstärkung von Stützen ein
harzbeläge vorzubereiten. Diese erzeugen Ausweichen, des neuen Betons zu verhin-
eine bessere Verzahnung zwischen altem dern, kommt eine umschnürende Bügelbe-
und neuem Beton. Das Aufbringen dieses wehrung zum Einsatz, die ein Zusammen-
Belags erfolgt in folgenden Schritten [Schä- pressen der Anschlussfuge bewirkt. Aus
fer, 1996]: wirtschaftlichen Überlegungen kommt eine
Schalung erst ab einer Dicke von 100 mm
• Freilegen der Kornoberfläche des be
zum Einsatz [Ruffert, 1983].
stehenden Betons mittels Feuchtstrah-
Grundsätzlich ist bei der Verstärkung
lens oder Hochdruckwasserstrahlens,
von Tragwerken auch die Anwendung von
um einen tragfähigen Betonuntergrund
Leichtbeton möglich. Der große Vorteil liegt
zu erzielen, der frei von Verunreinigun-
in dessen gegenüber herkömmlichem Beton
gen ist
geringem Eigengewicht, wodurch günstige-
• Auftragen einer Grundierung aus löse-
re statische Verhältnisse erzielt werden kön-
mittelfreiem Epoxidharz mit Injektions-
nen. Ein Nachteil bei der Anwendung von
qualität, wobei der Verbrauch von der
Leichtbeton bei der baulichen Erhaltung
Saugfähigkeit der Betonunterlage ab-
liegt in dessen Porosität, welche in großem
hängt
Maße die Korrosion der Bewehrung be-
• Absanden der Grundierung mit feuerge-
günstigt.
trocknetem Quarzsand (0,3/0,8 mm)
Wie bereits erwähnt, eignet sich das
• Entfernung des überschüssigen Sandes
Hochdruckwasserstrahlen sehr gut als vor-
nach einer temperaturabhängigen War-
bereitende Maßnahme vor dem Anbeto-
tezeit bis zur Begehbarkeit der Fläche
nieren eines neuen Bauteils, um einen trag-
• Erstellung eines Epoxidharzbelags aus
fähigen Betonuntergrund zu garantieren
einem mit Quarzsand im Verhältnis 1:1
ohne die Bewehrung zu schädigen. Dies
gefüllten Verlaufsmörtel, wobei der tat-
zeigt beispielhaft die Verbreiterung der
sächliche Verbrauch von der Unebenheit
Reichsbrücke in Wien (Bild 13.2.3-2).
abhängt
Die Brücke wurde in den Jahren 1976 bis
• Abdichtung des Belags mit einer gebro-
1978 errichtet. Die Gesamtlänge des Trag-
chenen Chromerzschlacke mit einer
werks beträgt 900 m mit Stützweiten im
Ausfallkörnung 3/8 mm
Bereich der Donau von maximal 196,61 m.
• Entfernung der überschüssigen Chrom-
Im Zuge des Umbaus und der Instandset-
erzschlacke nach einer temperaturbe-
zung des Tragwerks in den Jahren 2003 und
dingten Wartezeit bis zur Begehbarkeit
2004 wurde unter anderem der bestehende
des Belags
3,65 m breite Geh- und Radweg abgebro-
Dieses Verfahren zeichnet sich durch seine chen und bei einer gleichzeitigen Verbreite-
einfache Ausführung, Robustheit und Feh- rung auf 5,27 m wieder hergestellt.
lerunempfindlichkeit aus. Eine Beschich- Um die Anschlussbewehrung zu erhal-
tung der alten Betonoberfläche mit Epoxid- ten, erfolgte der Abtrag der Gehwegplatte
13.2 Betonbrücken 13.2 Betonbrücken 1103
dass für alle Stahlbrücken, die vor 1950 schicht ist durch Material mit wenig Verun-
gebaut wurden und für alle genieteten oder reinigung, die Seigerungszonen mit einem
geschraubten Tragwerke zusätzliche Unter- höheren Verunreinigungsgrad gekenn-
suchungen hinsichtlich der Schweißeig- zeichnet. Beim Warmwalzen dieses Materi-
nung des Materials erforderlich sind. als bleibt der Aufbau grundsätzlich erhal-
Die ältesten Stahlbrücken bestehen aus ten. Auch bei Blechen und Profilen sind
Schweißeisen. Schweißeisen wurde aus dem die äußere Speckschicht und die innere
flüssigen Roheisen durch Umrühren an der Seigerungszone nachweisbar (z. B. mit ei-
Luft und Zugabe von Eisenoxid (Hammer- nem Schwefelabdruck nach Baumann). In
schlag) gefrischt und im weichteigigen Zu- Zonen starker Umformungen z. B. in den
stand gewonnen. Warmgewalztes Schweiß- Übergängen vom Steg zum Gurt von I-Pro-
eisen zeigt im Allgemeinen zeilige Struktur filen können die Seigerungen bis an die
und kann mit Verunreinigungen durchsetzt Oberfläche kommen. Höhere Festigkeiten
sein. Bei Beanspruchung in Walzrichtung wurden früher fast ausschließlich durch
liegt die Streckgrenze des Schweißeisens Erhöhung des Kohlenstoffgehalts erzielt.
zwischen 180 und 250 N/mm2, die Zugfes- Höherer Kohlenstoffgehalt kann aber beim
tigkeit zwischen 280 und 380 N/mm2, die Schweißen unter nachfolgender Abkühlung
Bruchdehnung A5 zwischen 15 und 40%. Im aus dem Schweißbad zu Martensit-Bildung
Gegensatz zu den durchaus brauchbaren und damit zu Versprödung führen. Beim
Eigenschaften bei Beanspruchung in Walz- Schweißen dieser Flussstähle mit sonst wei-
richtung sind die mechanischen Eigen- ter nicht bekannten Eigenschaften ist immer
schaften in Dickenrichtung ausgesprochen zunächst eine chemische Analyse durchzu-
schlecht. Die chemische Analyse am Stück führen. Bei Kohlenstoffgehalten über 0,20%
zeigt C-Gehalte zwischen 0,10 und 0,25%, und Kohlenstoffäquivalenten über 0,40%
im Allgemeinen jedoch höhere S- und P-Ge- sind jedenfalls besondere Maßnahmen beim
halte als die heutigen Normen für allgemei- Schweißen einzuhalten, damit Aufhärtung
ne Baustähle zulassen. Die Kerbschlagzähig- weitgehend vermieden wird, die Ursache
keiten weisen normalerweise sehr große von sich nicht ankündigenden Sprödbrü-
Streuungen auf. Entgegen der Bezeichnung chen sein kann. Wenn möglich, sollten beim
„Schweißeisen“ sind diese Stähle für das Schweißen die Seigerungszonen nicht auf-
Lichtbogenschweißen nicht allgemein ge- geschmolzen werden. Die Aussagen über
eignet. In Sonderfällen kann eine detaillierte das Schweißen gelten nicht nur für Ver
Überprüfung des Stahls im Schweißnahtbe- bindungsschweißungen an der Konstrukti-
reich die Eignung zum Schweißen ergeben, on, sondern auch für alle provisorischen
das verwendete Schweißverfahren muss je- Schweißungen, auch wenn sie nachher wie-
doch auf den Werkstoff abgestimmt wer- der abgeschliffen und entfernt werden (kein
den. Anheften und Anschweißen von Montage-
Bei allen Flussstählen (Martin-, Besse- behelfen!).
mer-, Thomasflussstahl) wurde der Stahl im Lockere Niete müssen entfernt und neu
flüssigen Zustand gewonnen. Er ist homo- geschlagen werden. Ist es unwirtschaftlich
gener als das Schweißeisen und zeigt nor- wegen einiger fehlender Niete eine Niet
malerweise nur wenige zeilige Einschlüsse. kolonne einzusetzen, können die Niete
Wie früher üblich, wurde der Stahl meist auch durch GV-Schrauben der Klasse 10.9
unberuhigt (keine Desoxidation) in Kokil- mit größtmöglichem Durchmesser und
len vergossen. Der so entstandene Block voller Vorspannung ersetzt werden.
zeigt außen eine sogenannte „Speckschicht“ Alle durchgeführten Reparatur- und
und innen „Seigerungszonen“. Die Speck- Verstärkungsmaßnahmen sind in den Be-
1106 13 Brückenverstärkung
1% SOK 274,200
1%
Bild 13.3.1-3 Umbau und Verstärkung einer Eisenbahnbrücke [VA TECH VOEST MCE]
H = 3700
QV Querverband
ZQV Zusätzlicher Querverband
LV Lagerverband
ZLV Zusätzlicher Lagerverband
LV LV
QV QV QV QV QV QV QV QV QV QV QV
verstärkt
HT
Laufsteg
FW Rinne
FW
HT
LV LV
ZQV QV ZQV QV QV ZLV ZLV QV QV ZQV QV ZQV ZQV QV LQV QV QV LZV LZV QV QV
Querschnitt im Feldbereich
Normalquerschnitt 29000
1500 111500 3000 111500 1500
2% 2% alt
2.5%
2.5% 2%
Stegblechhöhe
3700 bis 5000
Parabel
verstärkt
2% 2% 2.5% 2.5% 2%
18526
Querschnitt am QV
alt
2% 2% 2.5% 2.5%
2.5% 2%
verstärkt
2% 2% 2.5% 2.5% 2%
Einbindung
der Quersteifen Rohre
1-Profil
Querschnitt im Stützenbereich
alt
2% 2% 2.5% 2.5%
2.5% 2%
verstärkt
2% 2% 2.5%
2.5% 2%
LV ZLV
Arbeitsbereich
Gehweg
Radweg
Donaustadtbrücke oberstrom
Oberstromiger Unterstromiger
Kasten Kasten
Arbeitsbereich
Donaustadtbrücke Arbeitsbereich
unterstrom
Gehweg
2) März bis Juni 1996
7) November, Dezember 1997
Gehweg
Arbeitsbereich
Donaustadtbrücke Arbeitsbereich
Gehweg
Arbeitsbereich
8) Fertige Brücke
Donaustadtbrücke
Radweg Gehweg
4) November 1996 bis März 1997
Arbeits-
bereich
Bild 13.3.3-1 Hebung und Umbau der Praterbrücke über die Donau in Wien [MA 29]
1112 13 Brückenverstärkung
die sich eventuell auf vorher niedrig bean- Nur in seltenen Fällen können zusätzli-
spruchte Bauteile ungünstig (Stabilität!) che einfache vertikale Stützen angeordnet
auswirken können. Eine sorgfältige Unter- werden, um die Stützweite von Hauptträ-
suchung des Gesamttragwerks ist bei exter- gern zu verringern. Schrägstützen von den
ner Vorspannung von Stahltragwerken im- Pfeilern zum Brückenbalken hin oder zu-
mer notwendig. sätzliche Bogentragwerke als Unterstützun-
gen sind in manchen Fällen möglich.
Ein interessantes Beispiel für die Ver-
13.3.3 Systemänderung stärkung einer bestehenden dreifeldrigen
Balkenbrücke durch Systemänderung stellt
Die im vorigen Abschnitt erwähnte externe die Praterbrücke über die Donau in Wien
Vorspannung stellt bereits eine Änderung dar. Wegen des Aufstaus der Donau durch
des statischen Systems dar ohne jedoch die ein stromabwärts zur Brücke gelegenes
Ansicht der Brücke zu verändern. Kraftwerk musste die Brücke um etwa
Ist der Freiraum unter der Brücke aus- 1,80 m gehoben werden. Im Zuge dieser
reichend, kann durch Unterspannung der Hebung wurde auch die Fahrbahn von
Felder die Tragfähigkeit der Hauptträger sechs auf acht Spuren verbreitert und die
wesentlich erhöht werden. In ähnlicher ursprünglich beiderseits auf dem Brücken-
Weise funktioniert die Verstärkung durch deck angeordneten Gehwege unter die neue
Pylonen und Überspannung, wodurch aus auskragende Fahrbahnplatte verlegt. Zur
einer Durchlaufträgerbalkenbrücke eine Erhöhung der Tragfähigkeit wurde die Brü-
Schrägkabelbrücke wird. In beiden Fällen cke im Bereich beider Strompfeiler mit zu-
ist wieder darauf zu achten, dass zusätzliche sätzlichen Vouten versehen und so im Be-
Normalkräfte in das bestehende Tragwerk reich der Stützenmomente der Querschnitt
eingeleitet werden. erhöht und verstärkt. Um die Feldmomente
Bild 13.3.3-2 Hebung der Praterbrücke über die Donau in Wien – Ansicht [MA 29]
13.3 Stahl- und Verbundbrücken 13.3 Stahl- und Verbundbrücken 1113
in etwa unverändert zu belassen, musste die Verstärkung für die Querkraft notwendig.
Brücke in eine neue Form gebracht werden. Dies wurde durch einen eingebauten zu-
Dies wurde erreicht durch ein relatives An- sätzlichen Fachwerkträger bewerkstelligt.
heben der Innenstützen gegenüber den Wi- Zur Durchführung der beschriebenen
derlagern. Die Verstärkung blieb damit auf Maßnahmen wurde die Brücke, die einen
den (wesentlich kleineren) Bereich hoher Zwillingskastenquerschnitt aufweist, in der
Stützenmomente beschränkt, die von der Mitte längs geteilt und jeweils eine Hälfte
durch Vouten und Zulagebleche verstärk- nacheinander verstärkt und gehoben, wo-
ten Brücke aufgenommen werden konnten. bei die jeweils andere Hälfte im Betrieb
Am rechten Strompfeiler wurde auch eine blieb (Bilder 13.3.3-1 und -2).
Literatur
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A 71 – Ein Rahmentragwerk mit Y-Pfeilern in Freivorbauweise,
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13. Dresdner Brückenbausymposiums, S. 81–101. Dresden:
Technische Universität Dresden, 2003
[ACO Drain Passavant] Fm. ACO Drain Passavant GmbH, Rendsburg
[Aigner, 1968–1] Aigner, Franz: Das Cruciani-Lehrgerüst der zweiten Nößlach-
brücke. Beton- und Stahlbetonbau 63 (1968), S. 25–28
[Aigner, 1968–2] Aigner, Franz: Stahlbeton-Bogenbrücken auf der Österreichi-
schen Brenner-Autobahn. Bauingenieur 43 (1968), S. 91–95
[Aigner, 1990] Aigner, Franz: Betrachtungen zur Stahlbeton-Bogenbrücke und
deren Herstellung mit dem freitragenden Cruciani-Lehrgerüst.
Beton- und Stahlbetonbau 85 (1990), S. 69–73
[Albrecht, 1976] Albrecht, Gerd: Beitrag zur mittragenden Breite von Plattenbal-
ken im elastoplastischen Bereich. Bochum: Dissertation, 1976
[Allround-Gerüst, 2000] Allround-Gerüst mit erhöhter Tragfähigkeit und erweiterten
Einsatzmöglichkeiten. Bauingenieur 75 (2000), S. 512
[Alsen/Schäfer, 1970] Alsen, Klaus und W. Schäfer: Die Fußgängerplattform am Selters
tor in Gießen. Beton- und Stahlbetonbau 65 (1970), S. 135–137
[Andrä/Maier, 1999] Andrä, Hans-Peter und M. Maier: Zukunftsweisende Entwick-
lung für Bauteilverstärkung und Ertüchtigung – Leoba-Carbo
Dur als Oberflächenspannglied. Darmstadt: IBK Fachtagung 241,
1999
[Andrä/Saul, 1974] Andrä, Wolfhart und R. Saul: Versuch mit Bündeln aus parallelen
Drähten und Litzen für die Nordbrücke Mannheim – Ludwigs-
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für die Ausführung von Lärmschutzwänden an Straßen (ZTV-
LSW 88). Bundesminister für Verkehr, Forschungsgesellschaft
für Straßen- und Verkehrswesen (FGSV), 1988
[ZTV-RISS, 1999] ZTV-RISS: Zusätzliche Technische Vertragsbedingungen und
Richtlinien für das Füllen von Rissen in Betonteilen. Dortmund:
Verkehrsblatt-Verlag, 1999
Literatur 1169
A Antwortspektrum B
Abblättern von Beschich- verfahren 783 Balkenbrücken 302, 303,
tungsteilen 1047 Antwortverhalten 793 309, 321, 335, 336, 337, 340,
Abbruch 193 A-Pylon 418, 449, 879 342
Abdichtung 1022 Aquädukt der Römer 19, 20, Ballastierung 343
Abfließen der Hydratations- 21, 22 Barretts 517
wärme 731 Arbeitsfuge 659, 828, 840, Bauausführung 184
abhebende Lagerkräfte 342 1021 Baugrundgutachten 519
Abhebesicherung 343 –– mit Spanngliedkopp- Baugrundverbesserung 515
Abminderung der Vorspann- lung 318, 320, 321 Baukosten 202, 203, 204,
kraft 659 Archivolte 16 205
A-Bock 510 Ästhetik 196, 202, 205 Baukultur 108, 109, 110,
Abrechnung 187 aufgeständerte 111, 112, 115, 116, 202, 206
Absenkmaßnahmen 342, Fahrbahn 407 Baukunst, Revolution in
952 Aufhängung des Streck der 83
Absetzblock 844 trägers 418 Bauoberleitung 185
Abspannung 830, 956 Auflagerbank 500, 698 Bauüberwachung 185
Abstände Auflagerkraft, Einfluss- Bauverfahren 176
–– der Betonstähle 657 fläche 488 Bauweise aus bewehrter
–– der Spannglieder 660 auflagerkraftgesteuerte Erde 501
Absturzsicherung 1006 Einlagerung 489 Bauwerksprüfung 367, 1009
abtragende Korrosion 1018 Auflagerkraftmessung 489 Bauwerksüber
Abtriebskräfte 404 Auflagerquerträger 472 wachung 1009
aerodynamische Auftriebssicherheit 514 Bauzeitverkürzung 271
Stabilität 454 Aufweitung 840, 849 Bauzustände 535, 553
aeroflügelähnlicher Quer- Augenstab 61 Beanspruchungsklasse 1078
schnitt 73 Ausfachung 405 Begrenzung der Rissbreite
Amplitudenspektren 762, Ausführungsplanung 183, –– in Längsrichtung,
763, 764, 766 864, 876 Nachweis 689
Anforderungsklasse 645, ausgerundetes Stützen –– in Querrichtung,
660 moment 678 Nachweis 690
Angebotsbearbeitung 181 ausgewogener Quer- Begrenzung der
Ankerkopf 435 schnitt 255 Spannungen 683
Ankerplatte 981 Auslegeträger 54 Behelfskabel 69
Anlieferung der Ausschreibung 178, 180 BELFA, Belastungs
Segmente 863 außergewöhnliche Einwir- fahrzeug 364, 1045
Anprall, Nachweis kungen 529, 530, 531 Bemessungspunkte 543
gegen 714 Austausch 192 Bemessungssituationen 526
Anpressdruck 953 Austauschbarkeit 609 Bemessungswerte 526
Anschluss der Hänger 385 Auswahl ausgeführte Bemessungswerte für
Spannbandbrücken 458 Einwirkungen 527
1186 Sachverzeichnis
Vorhaltemaß 644, 660 –– vor dem Erhärten des wirksame Betonfläche 656
Vormontageplatz 951 Betons 308, 606, 607 Wirtschaftlichkeit 196, 202,
Vorplanung 166 877
Vorschriften 172 W Wochentakt 839
Vorschub 862 Waagebalken 825
–– rüstung 87, 813, 814, 815, Waagebalkenprinzip 829 Z
816, 817, 818, 819, 820, 821, Wanddicken des Kastens im Zeitvorteil 876
822, 823, 824, 825 Kämpferbereich 384 Zementinjektion 440
–– stationen 937 Wärmeausdehnungskoeffi- zentrische Primärvorspan-
Vorspannen, Grundidee 304 zient 734 nung 840, 841
Vorspannkraft Wärmeentwicklung aus der Zugband 278, 396
–– Abminderung an Koppel- Hydratation des Zug-Druck-Pressen 844
fugen 659 Zements 324 Zug-Klappbrücke 58
–– beschränkte 86 Wärmefluss 734 Zuglager 346, 966, 980
–– erforderliche 665 Wartungsgang 501 Zugspannungen an Arbeits-
–– erstmalige Anwendung im Wasserbindemittelwert 1015 fugen aus der Wärmeent-
Betonbrückenbau am W/B-Wert 1015 wicklung aus der Hydrata-
Probekörper 82 Wegaufnehmer 1063, 1064 tion des Zements 324
–– externe 88 Weggröße 1063 zulässige
–– interne 88 weit auskragende –– Betondruckspannung,
–– ohne Verbund 85 Konsolen 432 Nachweis der 684
–– Verlauf 672 Weltkulturerbe 109, 110 –– Betonstahlspannung,
–– Verluste 674 Werkstattform 564 Nachweis der 685
Vorspannung 527, 606, 616, Wettbewerb 108, 109, 111, –– Spannstahlspannung,
849, 951, 952, 953 115, 116, 117, 119, 120, 126, Nachweis der 687
–– als Mischbauweise 308 128, 144, 169, 180, 224, 236, Zusatzlamellen 346
–– beschränkte 86 273, 334, 414, 806, 825 Zustands
–– erste Anwendung im Wheatstonesche Mess- –– bewertung 1054
Betonbrückenbau am brücke 1065 –– datenbank 1061
Probekörper 82 Widerlager 495, 496, 497, Zutritt von Tausalz-
–– externe 192, 606, 608, 498, 499, 501, 502, 503, 504, wasser 1014
609, 614, 840, 870, 1096 505, 506, 507, 554, 694, 695, Zwangs
–– exzentrische, verbund- 696, 697, 698, 699, 706, 707, –– beanspruchung 731, 737
lose 841 708, 709 –– moment 302, 621, 670
–– in den Diagonalen 405 –– einfaches 497 –– momente aus Vorspan-
–– interne 606 –– Einwirkungen auf 692 nung 302
–– Mischbauweise 841 –– kastenförmig 496 –– schnittgröße 351, 606,
–– mit nachträglichem –– Nachweisführung für 620, 638
Verbund 308, 607, 608, das 698 –– schnittgröße, zeitabhän-
615, 616, 841 –– wand 496, 500, 706 gige 638
–– mit sofortigem Widerstandsmodell 561 Zweigelenk
Verbund 308, 309, 606, Windlasten 535 –– bogen 363, 382
607, 614, 616 Windschlüpfiger Kasten- –– rahmen 350
–– ohne Verbund 192, 308, träger 73 zweistegiger Plattenbalken,
309, 606, 614, 841 Windströmungen 423 querträgerlos 316
Winkelgröße 1063, 1066