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Einführung in die
Balkentheorie nach
Timoshenko und
Euler-Bernoulli
essentials
essentials liefern aktuelles Wissen in konzentrierter Form. Die Essenz dessen,
worauf es als „State-of-the-Art“ in der gegenwärtigen Fachdiskussion oder in der
Praxis ankommt. essentials informieren schnell, unkompliziert und verständlich
Einführung in die
Balkentheorie nach
Timoshenko und Euler-
Bernoulli
Christian Spura
Hochschule Hamm-Lippstadt
Hamm, Deutschland
Springer Vieweg
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019
Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die
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Was Sie in diesem essential finden können
V
Vorwort
Wer sich der Praxis hingibt ohne Wissenschaft, ist wie der Steuermann, der ein
Schiff ohne Ruder und Kompass besteigt und nie weiß, wohin er fährt.
Leonardo da Vinci
Die Balkentheorie ist eine der wesentlichen Theorien der Technischen Mechanik.
Zahlreiche Wissenschaftler haben sich hier versucht, eine umfassende Berech-
nung aufzustellen, um das Verhalten eines Balkens zu beschreiben. In der ele-
mentaren Elastostatik haben sich schließlich zwei Theorien durchgesetzt, welche
heutzutage immer noch angewendet werden. Die erste Theorie wurde von Jakob I.
Bernoulli, Daniel Bernoulli und Leonhard Euler aufgestellt und ist daher auch
als Euler-Bernoulli-Balkentheorie bekannt. Sie wird in den üblichen Lehrplä-
nen der Elastostatik/Festigkeitslehre immer noch in Vorlesungen und Übungen
behandelt. Die zweite Theorie stammt von Stepan Prokopowytsch Tymoschenko
und stellt im Vergleich zur Euler-Bernoulli-Balkentheorie eine allgemeinere
Beschreibung eines Balkens dar. Die Timoshenko-Balkentheorie wird eben-
falls immer noch angewendet. Jedoch liegt die Anwendung eher im Bereich der
Strukturmechanik und damit bei der Behandlung von Balkenschwingungen als im
Bereich der Elastostatik.
Da es sich um zwei sehr bedeutende Balkentheorien handelt und deren Her-
leitung und Anwendung teils mehr oder weniger komplex erscheinen, soll dieses
Buch auf eine einfache und anschauliche Weise die Herleitung und Anwendung
dieser Theorien dem Leser verständlich und nachvollziehbar darlegen. Ich wün-
sche Ihnen viel Spaß beim Lesen dieses Lehrbuches und einen schönen Einstieg
in die elementare Balkentheorie.
Christian Spura
VII
Inhaltsverzeichnis
1 Einführung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1
1.1 Grundgleichungen der Elastostatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2
1.2 Modellannahmen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4
2 Herleitung der Timoshenko-Balkentheorie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7
2.1 Gleichgewichtsbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7
2.2 Äquivalenzbedingungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8
2.3 Elastizitätsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9
2.4 Kinematische Beziehungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10
2.5 Zusammenfassung der Grundgleichungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13
2.6 Differenzialgleichung der Biegelinie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13
3 Herleitung der Euler-Bernoulli-Balkentheorie. . . . . . . . . . . . . . . . . . 17
4 Anwendung mittels Integrationsmethode. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19
5 Anwendungsbeispiel. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25
6 Vergleich von Biege- und Schubverformung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29
Glossar. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35
IX
Einführung
1
• Querschnittsfläche A [mm2]
• Flächenträgheitsmoment I [mm4]
• Elastizitätsmodul E [N/mm2]
• Gleitmodul (Schubmodul) G [N/mm2]
• Schubkorrekturfaktor κ [-]
Aus diesen Größen ergibt sich durch Multiplikation die Biegesteifigkeit E · I und
die Schubsteifigkeit κ · G · A eines Balkens.
Darüber hinaus ist für die Berechnung entscheidend, nach welcher Nähe-
rung (Ordnung) die Verformungen und damit die benötigten Gleichgewichts-
bedingungen aufgestellt werden, siehe Abb. 1.1. Allgemein gibt es drei Ordnungen:
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C. Spura, Einführung in die Balkentheorie nach Timoshenko und E uler-
Bernoulli, essentials, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25216-8_1
2 1 Einführung
a F
A B
w
b F c F
A w B A w B
Ein Tragwerk kann nur durch die vier Grundbelastungen Zug/Druck, Biegung,
Schub, Torsion belastet werden. Dabei können die Belastungen in verschiedenen
Formen auftreten (Einzelkräfte und -momente, Streckenlasten, Flächen- und
Volumenkräfte usw.). Mit den Gleichgewichtsbedingungen lässt sich ein
Zusammenhang zwischen Belastungen und Schnittgrößen (innere Kraftgrö-
ßen) herstellen. Werden die Schnittgrößen mithilfe der Äquivalenzbedingungen
auf die jeweils vorliegende Querschnittsfläche bezogen, ergeben sich die im
1.1 Grundgleichungen der Elastostatik 3
Elastostatik
Belastungen Verformungsgrößen
Zug-/Druck
Biegung
Schub
Torsion
Gleichgewichts-
bedingungen
Schnittgrößen
Normalkraft
Biegemoment
Querkraft
Torsionsmoment
Äquivalenz-
bedingungen
Elastizitäts-
gesetz
Beanspruchungen Verzerrungen
Normalspannung Dehnung
Schubspannung Gleitung
kinematische
Beziehungen
Deformationen
Kraftgrößen Verformungen
Verschiebungen
1.2 Modellannahmen
• die Durchbiegung w ist abhängig von der x- und unabhängig von der
z-Koordinate: w = w(x)
(Alle Punkte eines Querschnitts an einer beliebigen Stelle x erfahren die
gleiche Durchbiegung w in z-Richtung. Die Balkenhöhe ändert sich bei der
Durchbiegung nicht.)
• es tritt keine Verdrehung (Torsion) des Balkens um dessen Schwerachse auf
• Normal- und Schubspannungen haben keinen Einfluss aufeinander
• Verformungen senkrecht zur Balkenachse werden vernachlässigt
• alle Balkenquerschnitte an jeder beliebigen x-Koordinate sind vor der
Deformation eben und bleiben auch nach der Deformation eben (es tritt keine
Verwölbung der Querschnittsfläche auf)
• die Veränderung der Schubfläche AS im Vergleich zur Querschnittsfläche A
wird durch den Schubkorrekturfaktor κ berücksichtigt
• der Balken ist im unbelasteten Zustand spannungsfrei
• isotropes linear-elastisches Materialverhalten nach dem Hooke’schen Gesetz
• konstante Biege- (E · Iy = konst.) und Schubsteifigkeit (κ · G · A = konst.)
Herleitung der Timoshenko-
Balkentheorie 2
2.1 Gleichgewichtsbedingungen
qz(x) qz(x)
My Qz My + dMy
y x
N N + dN
x dx
z x Qz + dQz
dx
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C. Spura, Einführung in die Balkentheorie nach Timoshenko und Euler-
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8 2 Herleitung der Timoshenko-Balkentheorie
2.2 Äquivalenzbedingungen
Unter der Einwirkung eines inneren Biegemoments My ergibt sich eine linear ent-
lang der Balkenhöhe verlaufende Normalspannung σx(z), siehe Abb. 2.2a. Dabei
erfährt die Balkenunterseite eine Zug- und die Oberseite eine Druckspannung.
Zur Bestimmung der zur Normalspannung σx(z) gehörenden Normalkraft dN
betrachten wir einen infinitesimalen Anteil dA des Gesamtquerschnitts A, siehe
Abb. 2.2b. Beziehen wir die an einer beliebigen Höhenkoordinate z wirkende
Normalspannung σx(z) auf dA, erhalten wir die zugehörige Normalkraft dN :
dN = σx(z) · dA (2.4)
Da die Höhenkoordinate z positiv wie auch negativ werden kann, ist hiermit auch
der lineare Spannungsverlauf erklärt. Das mit der Normalkraft dN einhergehende
a b
σx(z)
My
My
y y
y
x
y
x z
x dA dN z
z
τm γm
τm
y x Qz
A
z A
dA
γm
τm
w(x)
w'S y x
AS z
2.3 Elastizitätsgesetz
σ =E·ε (2.7)
Analog erhalten wir den Zusammenhang zwischen der Schubspannung τ und der
Gleitung γ mithilfe des Schubmoduls G:
τ =G·γ (2.8)
Da die Querschnittsfläche A immer senkrecht auf der neutralen Faser steht und
zudem auch immer eben bleibt, können wir zur Beschreibung der Verschiebung
u(x,z) an jeder beliebigen Balkenhöhenkoordinate z die Verdrehung ψ(x) sowie die
Neigung w(x)′ verwenden:
y x
z A
w(x) ψ(x)
My My
-w'(x)
A
A x
u(x,z)
du(x,z) ′
ε(x,z) = = u(x,z) = ψ ′ · z = −w′′ · z (2.10)
dx
Als nächstes beschäftigen wir uns mit der Schubbelastung. In der Realität ergibt
sich für die Schubspannungsverteilung τxz entlang der Balkenhöhe ein quadratischer
Verlauf und die Balkenachse erfährt an der neutralen Faser die Neigung wreal
′ . Nach
dem Hooke’schen Gesetz für Schub, Gl. (2.8), muss auch die Gleitung γxz einen
quadratischen Verlauf besitzen:
τxz = G · γxz (2.11)
Infolge der nichtlinearen Gleitung γxz kommt es zwangsweise zu einer Ver-
wölbung der realen Querschnittsfläche (Schubfläche AS), siehe Abb. 2.5a. Zu
beachten ist hierbei, dass die Gleitung γxz (mit vollständiger Symmetrie) entlang
a b
τxz γxz τm γm
y x y x
z AS z AS
γm
w(x) w(x)
w'real w'S
AS AS
τxz
x γm x
1
2
γxz
π -γ τm π -γ
2 xz 2 m
τm
1
2
γxz
τxz
z z
der Balkenhöhe an jeder Stelle auftritt. An der Ober- und Unterseite des Balkens
werden die dargestellten infinitesimalen Volumenelemente dV nicht deformiert,
da die freien Oberflächen schubspannungsfrei sind. Da jedoch die Behandlung
der nichtlinearen Gleitung γxz nur mit erheblichem mathematischen Aufwand
möglich ist, werden die reale Schubspannung τxz und die reale Gleitung γxz durch
eine mittlere Schubspannung τm und eine mittlere Gleitung γm angenähert, siehe
Abb. 2.5b (siehe auch Modellannahmen). Entlang der Balkenhöhe wird somit
jedes infinitesimale Volumenelement dV durch eine einfache Gleitung gleich-
mäßig verzerrt. Mit dieser Näherung lässt sich auch unsere Modellannahme vom
Ebenbleiben der Balkenquerschnitte (Querschnittsfläche A) aufrechterhalten. Des
Weiteren erfährt die Balkenachse durch die mittlere Gleitung γm die Neigung wS′
(Index „S“ für Schub).
Nach unserer Modellannahme, dass Normal- und Schubspannungen keinen
Einfluss aufeinander haben, können wir die Deformation eines Balkens dem-
nach unter reiner Biegung Abb. 2.6a und reinem Schub Abb. 2.6b getrennt von-
einander betrachten. Bei der reinen Biegung werden die Volumenelemente dV
lediglich um den Winkel ψ geneigt/verdreht. Durch den reinen Schub ergibt sich
a b c
τm = γm = 0 τm γm τm γm
y x y x y x
z A z AS z
-ψ AS
-ψ γm w' γm
w(x) w(x) w(x)
eine mittlere Gleitung γm, welche wir bei der Überlagerung symmetrisch an das
Volumenelement dV übertragen. Zudem berücksichtigen wir die sich in der Reali-
tät einstellende Schubfläche AS im Vergleich zur unverwölbten Querschnitts-
fläche A mithilfe des Schubkorrekturfaktors κ. Eine Überlagerung von beiden
Deformationen führt dann zur eigentlichen Balkendeformation, siehe Abb. 2.6c.
Die mathematische Erfassung des verformten Balkenquerschnitts wollen wir
anhand Abb. 2.6c vornehmen. Durch die reine Biegung neigt sich der Querschnitt
um den Winkel ψ (aufgrund des mathematisch negativen Drehsinns ist in Abb. 2.6
der Winkel −ψ). Der Schub wird durch die mittlere Gleitung γm erfasst (mathe-
matisch positiv drehend). Somit ergibt sich für die neutrale Faser der Balkenachse
die resultierende Neigung w′ (mathematisch positiv, da die z-Koordinate positiv in
die gleiche Richtung verläuft). Zusammengefasst ergibt sich dann die Bedingung:
ψ + w′ = γm → w′ = −ψ + γm (2.12)
Fassen wir alle für die Balkentheorie wichtigen Grundgleichungen der Elasto-
statik zusammen, sind dies die folgenden Gleichungen:
′
Qz(x) = −qz(x) (2.13)
′ Gleichgewichtsbedingungen
My(x) = Qz(x) (2.14)
My(x) = ∫ z · σx(z) · dA (2.15)
Äquivalenzbedingungen
Qz(x) = τm · κ · A (2.16)
σ =E·ε (2.17) ..
Elastizitatsgesetz
τm = G · γm (2.18)
ε = ψ′ · z (2.19)
kinematische Beziehungen
γm = ψ + w′ (2.20)
Einsetzen von Gl. (2.20) und (2.18) in (2.16) ergibt das Elastizitätsgesetz für die
Querkraft:
Qz = κ · G · A · ψ + w′
(2.21)
14 2 Herleitung der Timoshenko-Balkentheorie
Dieses wird nun, unter Beachtung des Zusammenhangs zwischen der Querkraft
Qz und der Streckenlast qz(x) nach Gl. (2.13), dreimal differenziert:
dQz ′
= Qz′ = κ · G · A · ψ + w′ = −qz(x)
(2.22)
dx
d 2 Qz ′′
= Qz′′ = κ · G · A · ψ + w′ = −qz(x) (2.23)
′
dx 2
d 3 Qz ′′′
= Qz′′′ = κ · G · A · ψ + w′ = −qz(x) (2.24)
′′
dx 3
Die erste und dritte Ableitung, (2.22) und (2.24), wird umgestellt:
′ qz(x)
ψ + w′ =− (2.25)
κ ·G·A
′′
qz(x) ′′
qz(x)
ψ ′′′ + w′′′′ = − → ψ ′′′ = −w′′′′ − (2.26)
κ ·G·A κ ·G·A
Als nächstes werden die Gl. (2.19) und (2.17) in (2.15) eingesetzt. Unter Beachtung
des Flächenträgheitsmomentes Iy = ∫ z2 · dA, erhalten wir das Elastizitätsgesetz für
das Biegemoment:
My = E · Iy · ψ ′ (2.27)
Dieser Ausdruck wird zweimal, mit dem Zusammenhang zwischen Biegemoment
My und Querkraft Qz nach Gl. (2.14), differenziert:
dMy
= My′ = Qz = E · Iy · ψ ′′ = κ · G · A · ψ + w′
(2.28)
dx
d 2 My ′
= My′′ = Qz′ = E · Iy · ψ ′′′ = κ · G · A · ψ + w′ (2.29)
dx
In Gl. (2.29) setzen wir nun für ψ ′′′ Gl. (2.26) und für (ψ ′ + w′ )′ Gl. (2.25)
ein und erhalten nach dem Kürzen und Umstellen die erweiterte Differenzial-
gleichung der Biegelinie für eine konstante Biege- (E · Iy = konst.) und Schub-
steifigkeit (κ · G · A = konst.):
′′′′ E · Iy
E · Iy · w(x) = q(x) − · q′′ (2.30)
κ · G · A (x)
2.6 Differenzialgleichung der Biegelinie 15
Wir können diese Gleichung auch in eine etwas andere Form bringen:
′′
q(x)
′′′′ q(x)
w(x) = − (2.31)
E · Iy κ ·G·A
Hieran wird deutlich, dass sich die vierte Ableitung der Biegelinie aus einem
Anteil infolge Biegung (erster Term mit der Biegesteifigkeit) und einem Anteil
infolge Schub (zweiter Term mit der Schubsteifigkeit) zusammensetzt. Einfach-
heitshalber können wir beide Anteile getrennt voneinander berechnen. Damit
erhalten wir zwei Differenzialgleichungen, einmal für die Biegung und einmal für
den Schub:
′′′′
E · Iy · wb(x) = q(x) (2.32)
′′
κ · G · A · wS(x) = −q(x) (2.33)
Zur Lösung dieser beiden Differenzialgleichungen müssen wir viermal bzw.
zweimal Integrieren, um die Verläufe der Biegelinien infolge Biegung wb(x) und
Schub wS(x) zu erhalten. Zudem ergeben sich durch die Integration die folgenden
Zusammenhänge:
Biegung Schub
′′′′ = q
E · Iy · wb(x) (x)
′′′ = −Q
E · Iy · wb(x) (x)
′′
E · Iy · wb(x) = −My(x) ′′
κ · G · A · wS(x) = −q(x)
′
wb(x) = −ψ(x) ′
κ · G · A · wS(x) = Q(x)
wb(x) wS(x)
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Bernoulli, essentials, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25216-8_3
18 3 Herleitung der Euler-Bernoulli-Balkentheorie
Nach zweimaliger Integration und dem Einsetzen der Gl. (2.13) und (2.14) folgt
die erweiterte Differenzialgleichung der Biegelinie:
′′′′
E · Iy · w(x) = q(x) (3.4)
In anderer Form umgestellt ergibt sich:
′′′′ q(x)
w(x) = (3.5)
E · Iy
Ein Vergleich mit Gl. (3.1) zeigt, dass bei der Euler-Bernoulli-Balkentheorie
lediglich der Anteil der Biegung berücksichtigt und der Anteil des Schubs ver-
nachlässigt wird. Daher wird die Euler-Bernoulli-Balkentheorie auch Theorie
des schubstarren Balkens genannt.
Der Vollständigkeit halber gilt für einen Balken mit veränderlicher Biege-
steifigkeit (E · Iy · konst.) die folgende Differenzialgleichung der Biegelinie:
′′ ′′
E · Iy · w(x) = q(x) (3.6)
und damit folgen bei Integration die Zusammenhänge:
E · I �= konst. E · I = konst.
Streckenlast
′′ ′′′′ = q
E · Iy · w(x)
′′
E · Iy · w(x) = q(x) (x)
Querkraft
′ ′′′ = −Q
E · Iy · w(x)
′′
E · Iy · w(x) = −Q(x) (x)
′′ = −M
E · Iy · w(x) y(x)
′′ = −M
E · Iy · w(x) y(x) Biegemoment
′ = −ψ
w(x) (x)
′ = −ψ
w(x) (x) Neigung
w(x) w(x) Biegelinie
Anwendung mittels
Integrationsmethode 4
Wie wir gesehen haben, können wir die Verformungsanteile der Biegung wb(x)
und des Schubs wS(x) einfach zu einer Gesamtverformung w(x) überlagern.
Die Berechnung dieser beiden Verformungsanteile können wir mithilfe der
Differenzialgleichungen (2.32) und (2.33) durchführen, indem wir die jeweiligen
Integrationen durchführen. Damit erhalten wir für die Biegung:
′′′′
E · Iy · wb(x) = qz(x) (4.1)
E ′′′
· Iy · wb(x) = −Qz(x) = ∫ qz(x) · dx + C1 (4.2)
E ′′
· Iy · wb(x) = −My(x) = ∫ −Qz(x) · dx + C1 · x + C2 (4.3)
1
′
E · Iy · wb(x) = ∫ −My(x) · dx + · C1 · x 2 + C2 · x + C3 (4.4)
2
1 1
E · Iy · wb(x) ′
= ∫ w(x) · dx + · C1 · x 3 + · C2 · x 2 + C3 · x + C4 (4.5)
6 2
Werden die Gl. (4.2) bis (4.5) und damit die Integrationskonstanten C1 bis C4
zuerst gelöst, ist der Querkraftverlauf Qz(x) bekannt und Gl. (4.7) sowie die darin
enthaltene Integrationskonstante C5 brauchen dann für die Berechnung des Schubs
nicht mehr gelöst werden. Lediglich Gl. (4.8) muss anschließend noch mit der
Integrationskonstante C6 berechnet werden.
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Bernoulli, essentials, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25216-8_4
20 4 Anwendung mittels Integrationsmethode
Durchbiegung w(x)) stetig sind (also keine Sprünge oder andere Unstetigkeiten
aufweisen). Bei den Kraftgrößen treten Unstetigkeiten nur dann auf, wenn Einzel-
kräfte in z-Richtung (Sprung im Querkraftverlauf) oder Einzelmomente um die
y-Achse (Sprung im Biegemomentenverlauf) angreifen. Bei den Verformungs-
größen treten Unstetigkeiten beim Drehgelenk (Sprung im Neigungsverlauf) und
beim Querkraftgelenk (Sprung im Durchbiegungsverlauf) auf.
Die für die Berechnung der Gl. (4.2) bis (4.5) sowie (4.7) und (4.8) und den
darin zu bestimmenden Integrationskonstanten C1 bis C6 notwendigen statischen
und geometrischen Randbedingungen des Balkens können den nachfolgenden
Tab. 4.1, 4.2, 4.3 entnommen werden. Zudem sind in Tab. 4.4 Werte für den
Schubkorrekturfaktor κ verschiedener Querschnittsprofile aufgeführt.
Gelenkiges ′
(Q �= 0) M=0 w �= 0 w=0
Loslager
Gelenkiges ′
(Q �= 0) M=0 w �= 0 w=0
Festlager
Parallel-
Q=0 (M �= 0) w′ = 0 (w � = 0)
führung
Feste
(Q �= 0) (M �= 0) w′ = 0 w=0
Einspannung
4 Anwendung mittels Integrationsmethode 21
QI − F = QII M I = M II
Einzelkraft wI′ = wII′ wI = wII
Sprung Knick
M I − M = M II
Einzelmoment QI = QII wI′ = wII′ wI = wII
Sprung
QI = QII
Streckenlast M I = M II wI′ = wII′ wI = wII
Knick
Drehgelenk mit
QI = QII M I − M = M II = 0 wI′ � = wII′ wI = wII
Einzelmoment
22
Querkraftgelenk I II
QI = QII = 0 M I = M II wI′ = wII′ (wI � = wII )
Normalkraftgelenk I II
QI = QII M I = M II wI′ = wII′ wI = wII
Zwischenlager I II
Q � = QII M I = M II wI′ = wII′ wI = wII = 0
I
Rahmenecke
N I = −QII uI = wII
M I = M II wI′ = wII′
QI = N II wI = uII
4 Anwendung mittels Integrationsmethode
4 Anwendung mittels Integrationsmethode 23
Aufgabenstellung
Ein rechteckiger Balken (b = 40 mm, h = 60 mm, l = 1 m) aus Stahl
(E = 210.000 N/mm2, G = 80.769 N/mm2, n = 0, 3) wird durch eine konstante
Streckenlast q0 = 5, 8 kN/m belastet.
y
A B
z
l
Gesucht ist:
Lösung
Wir stellen die Gl. (4.2) bis (4.5) sowie (4.7) und (4.8) mit dem gegebenen
Streckenlastverlauf q0 auf:
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 25
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26 5 Anwendungsbeispiel
2
1 1
E · Iy · wb(x) = · q0 · x 3 + · C1 · x 2 + C2 · x + C3 (5.4)
6 2
1 1 1
E · Iy · wb(x) = · q0 · x 4 + · C1 · x 3 + · C2 · x 2 + C3 · x + C4 (5.5)
24 6 2
1
κ · G · A · wS(x) = − · q0 · x 2 + C5 · x + C6 (5.8)
2
Mithilfe der Randbedingungen nach Tab. 4.1 erhalten wir für die Integrations-
konstanten C1 bis C4 mit den Gl. (5.2) bis (5.5) folgende Ergebnisse:
′
wb(x=0) =0 wb(x=0) = 0 ′
wb(x=l) =0 wb(x=l) = 0
C1 = − 21 · q0 · l C2 = 1
12 · q0 · l 2 C3 = 0 C4 = 0
Zur Bestimmung der Integrationskonstanten C5, C6 gehen wir analog mit den
Gl. (5.7) und (5.8) vor:
wS(x=0) = 0 wS(x=l) = 0
1
C5 = 2 · q0 · l C6 = 0
5 Anwendungsbeispiel 27
q0
A B
l
x
2900 N
Q(x)
–2900 N
–483 Nm
M(x)
242 Nm
w'b(x) 0,00031
–0,00031
wb(x)
0,1 mm
wS(x)
0,0045 mm
Vergleich von Biege- und
Schubverformung 6
Danach berechnen wir uns die prozentualen Anteile der beiden Durchbiegungen
wb und wS an der Gesamtdurchbiegung wges = wb + wS. Die Ergebnisse dieser
Vorgehensweise sind in den Diagrammen in Abb. 6.1 anhand zwei Kragträgern
mit Einzelkraft und Streckenlast dargestellt. Generell sehen wir an diesen Ergeb-
nissen, dass mit zunehmendem Schlankheitsgrad der Verformungsanteil infolge
Biegung drastisch zunimmt und der Verformungsanteil infolge Schub nicht mehr
wirklich ins Gewicht fällt. Zudem beträgt der Anteil der Schubverformung bei
einem Schlankheitsgrad von ≈ 17 lediglich 3 % bei der Belastung durch die
Einzelkraft F und 4 % bei der Belastung durch die Streckenlast q0. Dabei ent-
spricht der Schlankheitsgrad von ≈ 17 einem Verhältnis von h/l = 0, 2 oder
anders ausgedrückt, einer Länge von l = 5 · h. Dieses Verhältnis von Höhe zu
Länge ist ungefähr der Minimalwert für die Definition eines schlanken Balkens.
Alles was einen Schlankheitsgrad von > 17 besitzt ist definitiv ein schlanker
Balken (hellgelb hinterlegter Bereich in Abb. 6.1). Alles darunter ( < 17) ist
somit ein gedrungener Balken. Dies ist auch der Grund, warum wir in der Vor-
gehensweise zur Berechnung von statisch bestimmten Tragwerken beim Hinweis
genau dieses Verhältnis für schlanke Balken angegeben haben.
Als Beispielwert besitzt ein Balken mit einer Länge von l = 600 mm und einer
Breite von b = 40 mm eine Höhe von h = 120 mm bei einem Schlankheitsgrad
von ≈ 17. Dies wäre also der Grenzfall zwischen einem langen schlanken und
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30 6 Vergleich von Biege- und Schubverformung
100 100
90 90
Biegung Biegung
[%]
[%]
80 80
Schub Schub
70 70
Verformungsanteile
Verformungsanteile
60 F y S 60 q0 y
S
h h
50 50
z z
40 l 40 l
b b
30 30
20 20
10 10
0 0
0 5 10 15 20 0 5 10 15 20
Schlankheitsgrad λ [-] Schlankheitsgrad λ [-]
einem kurzen gedrungenen Balken. In der gängigen Praxis sind die Balken aber
meistens viel schlanker als dieses Beispiel.
Damit wäre gezeigt, dass die Berücksichtigung der Schubverformung lediglich
bei kurzen gedrungenen Balken berücksichtigt werden muss. Bei langen schlan-
ken Balken überwiegt die Biegeverformung deutlich der Schubverformung und
wir können daher ruhigen Gewissens die Schubverformung vernachlässigen.
Gleiches gilt übrigens auch für die damit verbundene Schubspannung τ(z) bei
einem langen schlanken Balken. Nehmen wir einmal das Beispiel des Kragträgers
mit der Einzelkraft F . Dann beträgt bei einem Schlankheitsgrad von ≈ 17 die
mittlere Schubspannung τm lediglich 3,3 % von der Biegespannung σb und die
max. Schubspannung τmax der nahezu realen Schubspannungsverteilung beträgt
gerade einmal 5 % von der Biegespannung σb. Von daher können wir auch hier
festhalten, dass die Schubspannungen τm bzw. τ(z) für lange schlanke Balken, wel-
che eine Biegung erfahren, vernachlässigbar sind.
Was Sie aus diesem essential mitnehmen
können
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Glossar
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Literatur
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Bernoulli, essentials, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25216-8
36 Literatur
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