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Technische Mechanik
Aus dem Programm Mechanik
Nichtlineare Finite-Elemente-Berechnungen
von W. Rust
www.viewegteubner.de
Jürgen Dankert | Helga Dankert
Technische
Mechanik
Statik, Festigkeitslehre, Kinematik/Kinetik
6., überarbeitete Auflage
Mit 1102 Abbildungen, 128 Übungsaufgaben,
zahlreichen Beispielen und weiteren Abbildungen
und Aufgaben im Internet
STUDIUM
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der
Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über
<http://dnb.d-nb.de> abrufbar.
Prof. Dr.-Ing. Helga Dankert, geb. 1939, von 1957 bis 1963 Studium des Maschinenbaus an der Tech-
nischen Hochschule Magdeburg, 1967 Promotion zum Dr.-Ing. Von 1971 bis 1981 Dozentin für Techni-
sche Mechanik an der TH Magdeburg, 1981 bis 1986 verschiedene Tätigkeiten in der Industrie (Vako-
ma, Hewlett-Packard). Ab 1986 Professorin für Technische Mechanik an der HAW Hamburg, seit 2002
im Ruhestand.
Prof. Dr.-Ing. habil. Jürgen Dankert, geb. 1941, von 1961 bis 1966 Studium des Maschinenbaus an der
Technischen Hochschule Magdeburg, 1971 Promotion zum Dr.-Ing., 1979 Habilitation. Von 1974 bis
1981 Leiter eines Entwicklungsteams eines FEM-Programmsystems, ab 1981 Industrietätigkeit (Ta-
kraf, Hewlett-Packard). Ab 1987 Professor für Technische Mechanik an der FH Frankfurt/Main, seit
1990 Professor für Informatik an der HAW Hamburg.
1. Auflage 1994
2. Auflage 1995
3. Auflage 2004
4. Auflage 2006
5. Auflage 2009
6., überarbeitete Auflage 2011
ISBN 978-3-8348-1375-6
Vorwort
Auf die Frage "Lehrbuch oder Internet?" gibt es für die Technische Mechanik nur eine Ant-
wort: "Beides, möglichst oft im Wechselspiel." Nach 15-jähriger Erfahrung mit der Kombinati-
on Lchrbuchnl1lernct hattcn wir die 5. Auflage in vielcn Passagen völlig ncu gcschrieben. Die
vorliegende 6. Auflage berücksichtigt nun alle Erkenntnisse, die damit speziell hinsichtlich der
Fragc "Was gchöl1 ins Buch, was soUte man im Imcrnct ansicdeln?" zu gcwinnen warcn. Wir
haben uns bemüht, den Umfang des gedruckten Buchs bei allen Veränderungen nicht zu ver-
größcrn, das Internetangebot ist allerdings deutlich umfangreicher gewordcn (die Anzahl der
Intcrnctsciten überstcigt dic Anzahl dcr ßuchsciten erhcblich).
Dic Zielgruppc sind nach wie vor die SlUdentcn aller Ingenicur-SlUdiengängc an Univcrsitäten
und Fachhochschulen, die Kombination Lehrbuch/ll1lernel gestattet jedoch auch, stets die meist
anspruchsvollcrcn Problcme dcr Praktiker mit im Blick zu haben. Und dic Ausgangslage ist auch
ungeändert: In keinem anderen Fach muss dem Studenten so früh und so umfassend der gesamte
schwierige Weg der Lösung von Ingenieur-Aufgaben zugemutet werden wie in der Technischen
Mechanik. Er muss Probleme analysieren, das Wesentliche erkennen und ein reales Objekt in ein
physikalisches Modell überführen. Das sich daraus ergebende mathematische Problem muss ge-
löst werden. und die Deutung der Ergebnisse. die wieder den Zusammenhang zum realen Objekt
herstcllt, schlicßt den Kreis.
Auf einem besonders schwicrigen Tcilstück dieses Wcges ist dcr Computcr zu eincm außeror-
dentlich starken Helfcr gcworden. Dic Zcit, dic früher dcm mühsamen Einlibcn von Lösungs-
algorithmen geopfert werden musste, steht heute rur die Problemanalyse und das Studium des
Grundlagcnwissens zur Vcrfügung, das Trainieren der (so elegantcn wic aufwcndigcn) grafischcn
Vcrfahren gehört der Vergangenheit an. Den Bitten zahlreicher Fachkollegen folgend, die Ver-
fahren nicht cinfach nur aufzulistcn, haben wir deutlich mehr Wertungen der Lösungsvcrfahrcn
aufgenommen, Empfehlungen auch dann, wenn sie negativ ausfallen ("... besonders geeignet",
" ... nichlmehr zeitgcmäß", " ... spielt praktisch keinc Rollc mehr", "Koppeltafcln habcn ausge-
dient." ... ).
Aber der Computer bleibt für den Ingenieur nur cin Werkzeug. Die eigentlichen SChwierigkeiten,
die im Erfassen der Zusammcnhänge, dem Beherrschen von Methodcn zur Analyse und Lösung
von Problemen liegen, kann er ihm nicht abnehmen. Er kann ihn aber von dem Ballast befrei-
en, dessen Bewältigung früher häufig so dominierend war, dass der Lernende nicht mehr zum
Kcrn dcs Problems vordringcn konnte. Der Ingcnicur in dcr Praxis mit dcn "nicht-akadcmischcn
Problemen" stand sogar oft vor unliberwindlichen Schwierigkeiten.
Auf keinen Fall darf man das Verstehen der Zusammenhänge durch das Erlernen des Umgangs
mit der Benutzeroberfläche eines Rechenprogramms ersetzen, im Gegenteil: Man sollte den Zeit-
gewirul, den der Computer verschafft, gerade flir die intensive Auseinandersetzung mit den häu-
fig nicht ganz cinfachen Problcmcn nutzcn. Dicser Zeitgewinn crgibt sich gcnau dort, wo nach
der Analyse der mcchanischcn Probleme und der Formulierung des mathematischen Modells der
aufwcndige, aber formalc Tcil dcr mathcmatischen Lösung abgcarbeitct werdcn muss. Ein an-
genchmer Nebeneffckt ist, dass dcr Zwang zur Beschränkung auf dic cinfachen Probleme, die
VI
der Handrechnung zugänglich sind, entfällt. Der Student kann praxisnahe Probleme lösen, dem
Ingenieur in der Praxis wird damit unmittelbar geholfen.
Weil es aber häufig sogar noch viel einfacher geht, wird eine Frage von Studenten immer öfter
gestellt "Warum muss ich das denn alles lernen, wenn es mit ein paar Mausklicks so bequem zu
erledigen ist?" Diese Frage wird von uns an verschiedenen Stellen beantwortet, und wir gehen
sogar noch einen Schritt weiter und offerieren liber die Internet-Site www.TM-imeraktiv.de die
Möglichkeit, SUlndardaufgaben der Technischen Mechanik genau auf diesem Weg zu erledigen,
um auf ein in der Vergangenheit oft stark vernachlässigtes Problem aufmerksam zu machen: Dem
Thema "Verifizieren von Computerrechnungen" widmen wir ein eigenes Kapitel.
Mit dieser Auflage versuchen wir. das Zusammenspiel "Lehrbuch und Internet" auf eine neue
Stufe zu heben. Das Lehrbuch enthält nach wie vor alle Themen, die üblicherweise im Grundkurs
Technische Mechanik behandelt werden und geht an vielen Stellen auch darüber hinaus. Überall
dort, wo sich Vertiefungen, Erweiterungcn, Ergänzungen anbieten, wollen wir den "Abzweig ins
Internet" anbieten. Der Leser findet jetzt noch deutlich mehr von solehen Verzweigungspunkten
im Text, auch hier gilt: Es wird ständig erweitert und ergänzt. Den Studenten, die nach dem
Grundkurs in Vertiefungsfachern oder bei Problemen aus der Praxis merken, dass sie noch tiefer
in bestimmte Themen eindringen müssen, soll auf diesem Wege geholfen werden.
Technische Mechanik ist immer auch sehr viel Mathematik. Auch hier versuchen wir zu trennen:
Was zum unmittelbaren Verständnis beiträgt, findet sich im Buch. und auf der Internet-Site "Ma-
thematik für dic Technische Mechanik" werden die mathematischen Grundlagen, Ergänzungen
und Vertiefungen im Sinne der Ingenieur-Mathematik behandelt.
Die Mechanik ist die Lehre von der Bewegung, die leider nach wie vor auf dem Papier nur
sehr schwierig demonstriert werden kann. Deshalb finden sich zu fast allen Mechanismen, die in
diesem Buch beschrieben werden, die passenden Animationen im Internet. Damit wird die Vor-
stellung der Bewegung sicher wesentlich erleichtert, die mathematisch zu formulierenden Be-
wegungsgesetze, Diagranune und Differenzialbeziehungen vereinfachen sich dadurch allerdings
nicht.
Die im Vorwoll übliche Danksagung kann auch für diese Auflage kurz ausfallen. Der Inhalt
entstammt unseren eigenen Vorlesungen, wir haben Text und Zeichnungen eigenhändig in den
Computer gebracht, jede Internetseite selbst erzeugt und jede Programmzeile der bereitgestellten
Programme selbst geschrieben. Bleibt eigentlich nur ein herzlicher Dank an die Studenten und
die Fachkollegen, die sich mit zahlreichen Hinweisen zu den ersten AuBagen geäußert haben,
und an Herrn Thomas Zipsner vom Verlag Vieweg+Teubner für sein Engagement, dass das Buch
in dicser Form crscheincn kann.
Helga und Jürgen Dankert
Jesteburg, Herbst 20 I0
E-Mail: D@nkert.de
VII
lnt", "e' Se' vKe tu' d,e Äuna..en 5 "nd (; de~ Ler" t>uChS
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TM- TM- Ergänzungen, Lösungen der service für Servke für
interaktiv Mathe Vertiefungen Aufgaben Auflagen 5 u. 6 AuflaQen 1...4
Dieser Service be7jehl sich auf die Auflagen 5 und 6. Für Leser älterer Auflagen Bcwegungssimulationen. auf die im
wird auf den Lmk im Menü oben rechts verwie<:en. Man kann die pas:-,cnden Buch YCIWiCl;cn wird, findet man über
ErgalILungen (inhaltliche Vertidungcn und Erweilerungen. au..,ruhrlichc diesen Link:
Rechnungen. Scripl5 ruf die Malhemalik-Progr:.lmme. Animationen .... ) auf zwei
Wegen finden'
• Über dlc Scilcnnummcr 10 der S. Inw. 6. Auflage kommt man dIrekt zu der
pal'scnden Internet-Seile:
Über die Menüangebote oben link... erreicht man l.u~JtJ:liche Intemet-Servkes , zur Festigkeitslehre
tum Lehrbuch: ,.Interaklive lösung VOll Aufgaben", ..Mathematik für die
Techn.i<>ehe Mechanik'" ,.Ergänlungen. Vertiefungen" und die Lö<;llßgen der .. , zur Kinematik und Kinetik
Übung\;<lufgabcn :tU~ dem But'h,
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üankelt/Oa"ke'1 Te, h<"~cl1" Mechd",k
Die" i,,1 ein Service LUIll Buch "DankenJDan~erl: Techni<,che Mechanik", E" <;ind Angel;x){e. Grund.wfgaben der
Techni!>Chen Me,:hallik direkt interaktiv 7U lösen (Mau~ ;lUf ein Bildd'lcn legen, um genauere Infonnationen ~u erhalten).
Die Internet-Site www.TM-interaktiv.de bietet die Möglichkeit. typische Aufgaben der Techni-
schen Mechanik interaktiv zu lösen, An den Aufgaben, die im Buch behandelt werden, kann der
Leser dies erproben und ist danll auch für die Lösung umfangreicherer Probleme gerüstet.
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Odllke,t,Dankpt1 T"',h.... ~che MO?<;hiln,k
Die Mechanik j<;{ das Paradies der mathem:.tiM:hen Wi~!>enscharten, denn in ihr 7citigl man die Früchte der Mathematik.
Leomlrdo da Vinci
Dies i~t ein Service .tum Lehrbuch ,.Dan\...crt!Dnnlel1: Technische Mechanik", Da~ Ver\liindni5. für die mathemali~hen
Verfahren. die in der Technischen Mechanik verwendet 'herden. ist für die erfolgreiche Anwendung wichtig und hilfreich.
In einem Lehrbuch der Techni<;chen Mechanik kann auf die..e Themen nur III begren;rlem Umfang eingegangen werden,
w;:il <;on,\ leiCht das VeNiindni ... für die Probleme der MCl'hdllik. die im Allgemeinen Hir l>ich M:hwicrig genug ..ind.
vcrlorengehen kann. Dc!'>balb wird in dem Buch ..Technis.chc Me<:hanik" an 7J.lhlrckhen SIelien auf die~cs lnlemel-Angebot
vcrwlf::-.en.
• Grundregeln der MatriLcnn.-chnung Die hier aufgeführten Themen aus der Mathemalik werden
im Sinne der Ingenieurmalhemutik behandelt. Im
• Lineare Glcichung.. ~ystcme. Malrixinversion Vordergrund slchen Aussagen. Anwendungsemprehlungcn,
• Malri.lcneigenwerlprobleme Beispiele,
• Numeri.;;che Integration Herleitungen der Aussagen und Bewei~ wurden nur dann
aufgenommen, wenn au<; ihnen Vorteile ft.ir das Ver..tändnis
• Gewöhnliche DIITeren7ialglei<.'hungcn der Aus'iagen und Allwendullgsempfehlungen gezogen
• Differen7envert'ahren werden können,
• Numeri\Che Imcgrallon von Anfangswertproblelllen Der Zugang ist auch über die Auswahl eines Stichworts aus
dem folgenden Angebot möglich:
• ..Bug.. and Traps·' in Matl,lb
• Spaß an der Mathematik I Bitte Stichwort auswählen -.
Die Homepage derlnlernet-Site www.TM-Mathe.de erklärt die Ziele und Inhaltc selbst.
Inhaltsverzeichnis
4 Schwerpunkte 29
4. I Sch werpunkte von Körpern 30
4.2 Flächenschwerpunkte . 31
4.3 Linienschwerpunkte . 36
4.4 Experimentelle Schwerpunktermittlung 37
4.5 Flächenschwerpunkte, Computer-Verfahren 38
4.5.1 Eine durch einen Polygonzug begrenzte ebene Fläche. 38
4.5.2 Durch zwei Funktionen begrenzte Fläche 41
4.6 Volumeo-, Flächen- und Lirtienlasten . 43
4.7 Aufgaben . . . . .. . . 45
7 Schnittgrößen 93
7.1 Definitionen . 93
7.2 Differenzielle Zusammenhänge . 99
7.3 Ergänzende Aussagen zu den Schnittgrößen 103
7.4 Aufgaben . 107
9 Haftung 133
9.1 Coulombsches Haftungsgesetz 133
9.2 Seilhaftung 137
9.3 Aufgaben . 141
13 Festigkeitsnachweis 173
13.1 Belastungsalten 174
13.2 Dauelfestigkeit 175
13.3 Gestaltfestigkeit . 177
13.4 Zeitfestigkeit .. 179
13.4.1 Spannungskollektive 179
13.4.2 PaJmgren-Miner. Gaßner-Kurven 181
16 Biegung 215
16.1 Biegemoment und Biegespannung . 215
16.2 Flächenträgheitsmomente . . . . . 220
16.2.1 Definitionen . 220
16.2.2 Einige wichtige FonneIn . 222
16.2.3 Der Satz von Steiner . . . 223
16.2.4 Zusammengesetzte Flächen . 224
16.2.5 Hauptträgheitsmomente, Hauptzentralachsen . 227
16.2.6 Formalisierung der Berechnung . . . . . . . . 230
16.2.7 Durch Pnlygonzüge begrenzte Flächen, beliebig berandete Flächen . 235
16.3 Gültigkeit der Biegespannungsformel, Widerstandsmomente, Beispiele. . 238
16.4 Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246
XII r"ha1ts verzeichn is
20 Querkraftschub 343
20.1 Ermittlung der Schubspannungen . · 343
20.2 Dünnwandige offene Profile, Schubmittelpunkt · 349
20.3 Schubspannungen in Verbindungsmitteln . · 354
20.4 Verformungen durch Querkräfte · 356
20.5 Aufgaben . · 360
InhaIts verzeichn is XTli
21 Torsion 361
21.1 Torsion von Kreis- und Kreisringquerschnitten · 361
21.2 Sl.- Venantsche Torsion beliebiger Querschnitte · 366
21.3 Sl.-Venantsche Torsion dünnwandiger Querschnitte · 369
21.3.1 Dünnwandige geschlossene Querschnitte · 369
21.3.2 Dünnwandige offene Querschnitte · 376
21.4 Formeln für die Sl.-Venantsche Torsion · 381
21.5 Numerische Lösungen · 382
21.6 Au~aben . · 383
23 Knickung 405
23.1 Stabilitätsprobleme der Elastostatik .405
23.2 Stab-Knickung . .406
23.3 Differenzialgleichung 4. Ordnung . · 414
23.4 Numerische Lösung von Knickproblemen .416
23.5 Aufgaben . . . .. . ..... .420
24 .'ormänderungsenergie 421
24.1 Arbeitssatz . .421
24.2 Formänderungsenergie für Grundbeanspruchungen .423
24.3 Satz von MAXWELL und BETTt . .425
24.4 Verfahren auf der Basis der Formänderungsenergie .427
24.5 Statisch bestimmte Probleme .. .434
24.6 Statisch unbestimmte Probleme. .437
24.7 Aufgaben . .443
3\ Schwingungen 61\
3 I. I Harmonische Schwingungen . . . . . . . 611
3 1.2 Freie ungedämpfte Schwingungen . 6 I3
31.2.1 Schwingungen mit kleinen Ausschlägen . 614
31.2.2 Elastische Systeme . . . . . . 6 I6
31.2.3 Nichtlineare Schwingungen . 619
31.3 Freie gedämpfte Schwingungen .. . 620
31.4 Erzwlll1gene Schwingungen. . . . . . 623
31.4.1 Schwingungen mit harmonischer Erregung der Masse . 623
3J .4.2 En'egung über Feder und Dämpfer. . 626
31.4.3 Unwuchterregung . . . . . . 628
31.4.4 Biegekritische Drehzahlen . 629
3 1.5 Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . 631
XVI r"ha 1ts verzeichn i s
Sachwortverzeichnis 747
1 Grundlagen der Statik
Der Begriff Kraft wird aus der Erfahrung gewonnen: Die "Muskelkraft", mit der man der Ge-
wichtskraft einer Masse entgegenwirkt, um sie am Herabfallen zu hindern - sie im Gleichgewicht
zu halten - gibt ein "Gefühl" für diesen Begriff. Jede Größe, die mit einer Gewichtskraft ins
Gleichgewicht gesetzt werden kann, ist eine Kraft.
Nach dem NEwTONsehen Gravitationsgesetz übt eine Masse auf einc andere Masse eine Anzie-
hungskraft aus. Dies bewirkt, dass eine auf einer Unterlage ruhende Masse m auf diese infolge
der Anziehungskraft der Erdmasse eine Kraft (Gewichtskraft) ausübt. Die Unterlage reagiert auf
die Gewichtskraft mit einer gleich großen Gegenkraft und stellt auf diese Weise einen Gleich-
gewichtszusland her. Wenn keine solehe Gegenkraft wirkt, bewegt sich die Masse m infolge
ihrer Gewichtskraft Fe mit einer Beschleunigung, die in der Nähe der Erdoberfläche den Wert
g"'" 9,81 nn/s 2 (Erdbeschleunigung) hat. Nach dem 2. NEWTONschen Axiom gilt:
Fe=mg
1N = I kgm/s 2
<> Einer Masse m = I kg ist also eine Gewichtskraft F = 9,81 kgm/s2 = 9,81 N zuzuordnen.
Wenn bei einem StatikprobJem die Masse m gegeben und die Gewichtskraft Fe zu berück-
sichtigen ist, so gilt (auf der Erdoberfläche): Fe = mg.
<> Die Gewichtskraft ist ein Spezialfall der Gravitationskraft. Nach dem NEwTONschen Gra-
vitationsgesetz gilt für die Anziehungskraft zweier Massen m] und 1112. deren Mittelpunkte
sich im Abstand r voneinander befinden:
(1.1 )
9,81N
mg
Beispiel: I
I_ _ _ _ Für eine Masse Inl auf der Erdoberfläche (der Abstand zum Erdmittelpunkt beträgt
R= 6373 km, die Erdmasse ist 1n2 = 5,97· 1024 kg) errechnet man
( 1.2)
Die Wirkung der slets zum Erdmillelpunkt gerichteten Gewichtskraft kann durch eine Umlenk-
rolle beeinflusst werden, so dass sie an einem anderen Körper in beliebiger Richtung angreift:
Richtungssinn
A //h
Betrag
Angri fTspunk I
Wirkungslinie
Die Masse ist eine skalare Größe, die durch die Angabe eines skalaren Wertes (ein-
schließlich physikalischer Einheit) ausreichend bestimmt ist.
Die Kraft ist eine gerichtete Größe (ein Vektor), die erst ausreichend bestimmt ist
durch Angabe
eines skalaren Wertes (einschließlich physikalischer Einheit),
einer Richtung, gekennzeichnet durch die so genannte Wirkungslinie,
eines Richfungssinns. gekennzeichnet durch die Pfeilspitze,
eines Angriffspunktes.
1.2 Axiome der Statik 3
Axiome sind Lehrsätze, die eine Theorie begründen, ohne bewiesen werden zu müssen. Mit ihnen
wird die theoretische Basis eines Wissenschaftszweiges gelegt. Ein praxisorientiertes Gebiet wie
die Technische Mechanik muss seine Axiome natürlich an der Übereinstimmung mit der Realität
messen lassen.
Die Statik kommt mit den nachfolgenden vier Axiomen aus, die die gesamte theoretische Grund-
lage FLir dieses Gebiet darstellen. Ob die Probleme der technischen Praxis damit ausreichend ge-
nau erfasst werden, muss im Einzelfall an der Übereinstimmung mit den Idealisierungen, die der
Theorie zugrunde liegen, überprüft werden. Die wichtigste Idealisierung, auf der die Axiome der
Statik aufbauen, ist die
Damit ist auch der Rahmen der Gültigkeit FLir alle Untersuchungen abgesteckt, die nach den
Regeln der Statik angestellt werden. Wenn FLir ein Problem die Idealisierung "Starrer Körper"
nicht zu rechtfertigen ist (und in der Realität gibt es ein solches Gebilde ja nicht), können die
Fragestellungen nicht mehr allein nach den Regeln der Statik behandelt werden. Für sehr viele
praktisch sehr wichtige Aufgaben kann man jedoch (bei ausgezeichneter Übereinstimmung mit
der Realität) die zu untersuchenden Körper als starr ansehen, Die folgenden vier Axiome sind
die Basis rur die Statik der starren Körper, wozu bemerkt werden muss, dass in der technischen
Literatur weder die Anzahl noch die Reihenfolge (im Gegensatz zu den NEwTONsehen Axiomen
der Mechanik) einheitlich gehandhabt werden.
Es ist leicht einzusehen, dass dieses Axiom nur für den starTen Körper gelten kann: In der Ab-
bildung 1.3 (auf der Seite 4) sei der Hebel ohne Belastung im Gleichgewicht. Werden nun zwei
Kräfte F, und Fz aufgebracht, so da s
gilt, bleibt der Hebel im Gleichgewicht, unabhängig davon, ob beide am oberen Holm angrei-
fen (Fall a) oder aber die Kraft F, entlang ihrer Wirkungslinie verschoben ist und am unteren
Holm angreift (Fall b). Aus der Sicht der Statik unter der Annahme, dass der Hebel starr ist, sind
die beiden Fälle äquivalent. Ein dcformierbarcr Hebel würde sich aber in bei den Fällen unter-
schiedlich verformen (für eine Verformungsuntersuchung darf eine Kraft also nicht verschoben
werden), sogar das Gleichgewicht könnte (durch Veränderung der Hebelarme bei großer Veri'or-
mung) gestört werden.
4 I Grundlagen der Statik
a a b
---x----/
F2
a) b)
F,
Abbildung 1.3: Bei Verschiebung einer Kraft entlang ihrer Wirkungsllnie bleibt das Gleichgewicht erhalten
2. Axiom (Kräfteparallelogramm):
Die Wirkung zweier Kräfte F I und Fz, die an einem gemein-
samen Punkt angreifen, ist gleich einer Kraft FR , die sich als
Diagonale eines nut den Seiten F I und Fz gebildeten Parallelo-
gramms ergibt.
Sonderfall: Wenn FI und F2 auf der gleichen Wirkungslinie liegen, entartet das Parallelogramm,
und der Betrag von FR ergibt sich aus der Summe bzw. der Differenz der Beträge von FI und Fz.
3. Axiom (Gleichgewicht):
Man beachte, dass das 3. Axiom auch nur für den starren Körper gelten kann, weil deformierbare
Körper sich oatürlich auch bei Einwirkung einer Gleichgewichtsgruppe verformen und außerdem
durch die Verfon1ll1ng die Voraussetzung für den Gleichgewichtszustand zweier Kräfte (gleiche
Wirkungslinie) verloren gehen kann.
4. Axiom (Wechselwir.kungsgesetz):
Wird von einem Körper auf einen zweiten Körper eine Kraft ausgeübt, so reagiert dicser mit
einer gleich großen, auf gleicher Wirkungslinie liegenden, aber entgegengesetzt geriehtetcn
Kraft (NEWTON: actio = reaetio).
Das 2. und das 4. Axiom sind nicht an die Voraussetzung des starren Körpers gebunden und sind
auch über die Statik starrer Körper hinaus gültig.
Obwohl Kräfte Vektoren sind, wird in der Technischen Mechanik im Allgemeinen nur mit den
Beträgen der Vektoren gerechnet, wobei natürlich die in der Vektordarstellung enthaltenen In-
formationen (Richtung und Richtungssinn) bei Addition und Subtraktion von Kräften beachtet
werden müssen. Die Richtung wird durch das (im Kapitel 2 erstmalig behandelte) Arbeiten mit
Komponenten, der Richtungssinn durch das Vorzeichen berücksichtigt.
1.3 Dos Schniltprinzip 5
I
I Beispiel: B'
elln 3 . Ax10m
. . d d'Je GI eIe
Wlf . hh etrage von FI un d F2 bel. entgegengesetztem
. der B"
_ eil
Richtungssinn gefordert:
aber vektoriell:
Bei Rechnung mit den Beträgen muss bei der Addition der unterschiedliche Richtungssinn be-
rücksichtigt werden:
(Gleichgewicht).
Um die zwischen zwei Körpern wirkenden Kräfte sichtbar zu machen, führt man (gedanklich)
an der Berührungsstelle einen Schnillund trägt an den beiden Schnittufem unter Beachtung des
Wechselwirkungsgesetzes (4.Axiom) die Schllittkräf'e an, die auf diesem Wege von inneren zu
äußeren Kräften werden.
Nur durch konsequente Anwendung solcher Schninflihrungen (konsequent heißt, so oft zu schnei-
den, dass alle äußeren Bindungen eines Körpers gelöst werden'" Schnittprinzip) kann erreicht
werden,
dass alle am Körper angreifenden Kräfte sichtbar werden und
komplizierte Probleme auf überschaubare Teilprobleme reduziert werden können.
Die an den beiden Schnittufern anzutragenden Kräfte treten stets paarweise auf (an jedem
Schnittufer eine Kraft), liegen auf der gleichen Wirkungslinie, haben den gleichen Betrag, sind
aber entgegengesetzt gerichtet.
Dabei repräsentiert die an einem Körper anzutragende Kraft immer die Wirkung, die der weg-
geschnittene Teil auf den Körper ausübt. Vielfach wird der Richtungssinn dieser Schnittkräfte
nicht mit Sicherheit vorauszusagen sein. In diesen Fällen darf man den Richtungssinn willkür-
',
lich festlegen. Die anschließende Rechnung korrigiert ihn gegebenenfallS über das Vorzeichen
des Ergebnisses.
I
'wlrl
8
Beispiel I:
I_"";_ _...1 DIe belden auf elller Unterlage gestapelten
Massen 1111 und 1112 belasten diese durch ihre Gewichts- J
kräfte F, und F2. Um die Frage nach den zwischen 111, und m,- IF 1
1112 bzw. zwischen 1112 und der Unterlage wirkenden Kräfte
,y h ,;
zu beantworten, wird zunächst der Schnitt 1-/ geführt.
An den beiden Schnillufern werden die Kräfte F, angetragen (entgegengesetzt gerichtet, jedoch
gleicher Betrag und gleiche Wirkungslinie).
6 I Grundlagen der Statik
Die gegebene Kraft F2 und die am System I berechnete Kraft Fi = FI können (2. Axiom) zu (Fi +
F2) zusanuuengefasst werden, und diese resultierende Kraft kann mit FII nur im Gleichgewicht
sein (3. Axiom), wenn die folgende Beziehung gilt:
Es ist sinnvoll, zwischen eingeprägten Kräften (vorgegcbene Belastung, Gewichtskräfte) und den
durch sie hervorgerufenen (und mit dem Schnittprinzip sichtbar gemachten) Reaktiollskräften zu
unterscheiden, obwohl eigentlich auch die eingeprägten Kräfte als Schnittkräfte interpretierbar
sind: Wenn man das Schnittprinzip auch auf die so genannten .,Femkräfte" (z. B. clie Gravita-
tionskräfte) ausdehnt., kann die Gewichtskraft einer Masse als Schnittkraft int.erpretiel1 werden,
die erst durch das "Wegschneiden der Erde" sichtbar wird. An die von der Masse gelösten Erde
muss dann die entsprechende Gegenkraft angetragen werden. Eine solche (durchaus korrekte)
Betrachtungsweise ist in der Technischen Mechanik allerdings nicht üblich.
1.3 Dos Schniltprinzip 7
Der Weg, auf dem die Ergebnisse unter konsequenter Anwendung des Schnittprinzips ge-
funden wurden, erscheint dem Anfanger möglicherweise recht umständlich: "Dass die
obere Masse auf die untere mit ihrer Gewichtskraft drückt und beide gemeinsam auf die
Unterlage mit der Summe ihrer Gewichtskräfte, kann man sich ja wohl auch ohne Schnitt-
prinzip vorstellen." Diese Aussage ist richtig. Wenn die Probleme jedoch auch nur etwas
komplizierter werden (folgendes Beispiel), kommt man ohne Anwendung des Schnittprin-
zips nicht mehr aus.
Die Anwendung des Gleichgewichtsaxioms nach vorheriger Zusanunenfassung der Kräfte
mit Hilfe des Kräfteparallelogramms, so dass nur zwei Kräfte auf einer Wirkungslinie
übrig sind. ist tatsächlich umständlich. In den nächsten Kapiteln werden daftir effektivere
Verfahren behandelt. Da es in diesem Abschnitt aber auf das Verständnis des so wichtigen
Schnittprinzips ankommt, soll auch die folgende Aufgabe aUSSChließlich unter formaler
Anwendung der Axiome gelöst werden.
Beispiel 2: ) .
I,-....;._ . .. .
_ Auf ell1er Palette mll der Masse IIlz (elJlschlteßltch des Bügels)
liegt die Masse IIlJ. Die Palette ist über den Bügel an dem Seil I aufgehängt,
das über zwei Rollen geftihrt wird und an der Masse IIlJ befestigt ist.
Gegeben: I/1z = 20 kg I/l) = 50 kg
Die Gewichtskraft des Seils kann vernachlässigt werden.
Hinweis: Man beachte, dass die Seilkraft durch die bei den Rollen nur umge-
lenkt wird und in gleicher Größe auch an der Masse 1Il) angreift.
Wäre nur die Sei Ikraft gefragt, würde die Betrachtung des "Gesamtsystems IIlz und IIlJ" genügen
(Abbildung 1.6).
Unter Nutzung sämtliCher Axiome (Wechselwirkungsgesetz für das
Freischneiden, VerSChieben von Kräften entlang ihrer Wirkungslinien,
Zusammenfassen der Kräfte und Gleichgewicht) kommt man zu
Fs+FN = m3g
FN+m2g = Fs
Das sich daraus ergebende allgemeine Ergebnis für die
Kraft zwischen m2 und m3
I
FN = 2(1113 - "'2)g
liefert nur für 1113> "'2 positive Werte für FN (nach der in
der Schnittskizze angenommenen positiven Richtung für Im,g
FN : Masse "'3 drückt auf die Palelte, da die Schnittkraft
immer die Wirkung des weggeschnittenen Teils reprä- Abbildung 1.7: Zwei Tellsysteme
sentiert).
Für m3 < "'2 würde das Minuszeichen im Ergebnis auf eine Kraftrichlung entgegen der angenom-
menen hinweisen, was praktisch nur möglich wäre, wenn 1113 auf der Palette nicht nur auniegen
würde, sondern in irgendeiner Weise befestigt wäre.
Mit den gegebenen zahlenwerten erhält man das Ergebnis:
Lieber Leser, wenn Sie sich als Anfanger auf dem Gebiet der Technischen Mechanik bis
hierher durchgcarbeitet haben, spricht das für Sie. Wenn Sic darüber hinaus sogar dcr Mei-
nung sind, alles verstanden zu haben, spricht dies für Gründlichkeit, Selbstbewusstsein (oder
Leichtfertigkeit). Leider ist Ihr Eindruck, dass es bis hierher gar nicht so schwierig war,
vermutlich nicht richtig.
Nach den Erfahrungen dcr Autoren wird geradc das so wichtigc Schnitlprinzip zu schnell
(und damit sehr leichtfertig) "als verstanden abgehakt". Deshalb (nur zur Vorsicht) noch ein-
mal zur Erinnerung:
Erst nach dcm Lösen sämtlicher äußerer Bindunge/l und dcm Antragcn aller Schnitt-
kräfte dürfen GleichgewichtsbelrachlUngen angestellt werden! Haben Sie die schwung-
vollen "Kringel" um die freigeschniltenen Systeme in den Beispielen registriert? Viel-
leicht sollten Sie sich das zur Sicherheit auch (zumindest für einige Zeit) angewöhnen,
um zu sichcrn, dass ringsherum wirklich keine Bindung mehr besteht.
Alle Schnittkräfte tauchen paanveise auf (sichtbar erst nach dem Schneiden). Sie haben
an den beiden Schnitlufern der beiden Teilsysteme gleiche Wirkungslinie, gleichen
Betrag, aber entgegengesetzten Richtungssinn. Solange nicht geschnitten wird (und es
muss wirklich nicht jeder mögliche Schnitt geführt werden), heben sich ihre Wirkungen
gegenseitig auf. Leider können Ihnen, lieber TM-Anfanger. die Autoren versprechen,
dass Sie den Fehler, auch eine innere Kraft in das Gleichgewicht mit aufzunehmen,
vermutlich noch mehrmals machen werden.
Versuchen Sie vorsichtshalber doch einmal die Lösung der zur Seite 8 gehörenden
Aufgabe, die Sie unter www.TM-aktuell.de finden. Das sollte Ihnen am Ende dieses
Kapitels gelingen.
2 Das zentrale ebene Kraftsystem
2.1 Äquivalenz
Definition:
Zwei Kräftegruppen sind äqllivalellf, wenn ihre Wirkungen gleich sind. Eine einzige Kraft,
die in diesem Sinne einer Kräftegruppe äquivalent ist. nennt man Resultierende der Krä.fte-
gruppe.
Aus dieser Definition (und den Axiomen der Statik) leiten sich alle benötigten Aussagen ab, die
zunächst für einen wichtigen Spezialfall, das Zentrale ebene Kraftsystem mit nur zwei Kräften,
formuliert werden:
Q Die Resultierende zweier Kräfte, deren Wirkungslinien sich in einern Punkt schneiden, wird
nach dem Parallelogrammgesetz (2. Axiom) gefunden, gegebenenfalls nach Verschieben der
Kräfte entlang ihrer Wirkungslinien (1. Axiom) bis zum Schnittpunkt. Man ermittelt so auf
grafischem Wege Betrag und Richtung der Resultierenden.
Q Umkehnlllg der vorigen Aussage: Eine gegebene Kraft F kann durch eine äquivalente Kräf-
tegruppe zweier Kräfte Ft und FII eindeutig ersetzt werden, wenn deren Wirkungslinien I
und 11 vorgegeben sind und sich mit der Wirkungslinie von F in einem Punkt schneiden
(Kraftzerlegung).
t~~F
Kraft F in zwci Komponcnten, deren Wirkungslinien senk-
recht zueinander sind (Abbildung 2.2).
Für diesen Spezialfall liest man bei gegebener Kraft Fund
gegebenem Winkel a aus der Skizze ab: F;
Abbildung 2.2: Zerlegullg einer
F, = Fcosa Kraft in zwei senkrecht zueinander
(2.1)
F" = Fsina stehende Komponenten
c:> Zwei Kräfte, die in einer Ebene liegen, bilden immer ein zentrales Kraftsystem, wenn ihre
Wirkungslinien nicht parallel sind.
oe:> Zwei Kräfte, deren Wirkungslinien sich in einem Punkt schneiden, sind immer ein ebenes
zentrales Kraftsystem, weil zwei sich schneidende Geraden immer eine Ebene aufspannen.
1 R
= F' = p F'
~
,FR FR = L J F F,
F, F,
- - F
2
Abbildung 2.3: Krafteck ersetz' das Kräfteparallelogramm
Natürlich ist dies nur zur Vereinfachung der Zeichnung erlaubt, weil eine Parallelverschie-
bung einer Kraft nicht gestattct ist.
c:> Bei der Kraftzerlegung müssen die Komponenten Fj und F" zusammen mit der gegebenen
Kraft F die Figur des Kräfteparallelogramms so ergeben, dass die drei Pfeilspitzen entweder
1 F
II
Fj/
alle von einem Punkt wegweisen (Variante I: Abbildung 2.4) oder alle zu einem Punkt
hinweisen (Variante 2: Abbildung 2.5).
Il
F
<> Bei der analytischen Lösung zur Ermittlung der Resultierenden wählt man zunächst ein
rechtwinkliges Koordinatensystem und zerlegt die gegebenen Kräfte in jeweils zwei Kompo-
nenten in Richtung der Achsen. Die Teilresultierenden in Richtung der beiden Achsen kann
man dann dureb Addition der Komponenten aufschreiben (Richtungssinn durch Vorzeichen
berücksichtigen!) und den Betrag der Gesamtresultierenden aus dem Kräfteparallelogramm
der senkrecht aufeinander stebenden Teilresultierenden (Pythagoras) berechnen.
I Beispiel: I .
An einer Ose sind über Umlenkrollen die Massen
In\ und 1n2 befestigt.
Die Demonstration grafischer Lösungen (hier und bei einigen nachfolgenden Beispielen)
dient dem Verständnis. Grafische Lösungen dieser Art haben in der Ingenieurpraxis jedoch
keine Bedeutung mehr.
Die grafische Lösung ist im Allgemeinen etwas ungenauer als die analytische Lösung. Die Ge-
nauigkeit kann durch eine entsprechend große Zeichnung verbessert werden.
12 2 Das zentrale ebene Kraftsystem
Grafische Lösung:
ß
o (XR ~ 14,3"
(X 1
Abbildung 2,6: Die beiden Kräfte werden mit Hilfe des Kraftecks addiert.
Bei zentralen ebenen Kraftsystemen mit mehr als zwei Kräften werden die für zwei Kräfte for-
mulierten Aussagen sinnvoll erweitert:
c:> Die Ermittlung der Resultierenden von n Kräften kann durch mehrfache Anwendung des
Parallelogrammgesetzes realisiert werden.
c:> Bei der analylischen Lösung werden die gegebenen Kräfte F; in jeweils zwei Komponenten
Fix bzw. Gy in Richtung der Achsen eines geeignet zu wählenden kartesischen Koordinaten-
systems zerlegt, und unter BeachLUng der Vorzeichen werden die Komponenten der Resul-
tierenden FR., und FRy ennittell. Aus den Komponenten ergeben sich dann die Resultierende
FR und der Winkel aR, den die Resultierende mit der x-Achse einschließt:
n
FRr = "
[hx FR) = [Gy
;=1 1=1 (2.2)
FRy
tanaR = -
FR.,
Bei der Berechnung von aR bestimmen die Vorzeichen der Komponenten von FRx und FRy •
in welchem Quadranten des Koordinatensystems die Resultierende liegt.
c:> Bei der grafischen Lösung zeichnet man zweckmäßig das Krafteck aller Kräfte, indem man
(in beliebiger Reihenfolge, mit einer beliebigen Kraft beginnend) jeweils eine Kraft an die
Pfeilspitze der vorhergehenden setzt. Man findet (wie beim Krafteck mit zwei Kräften) die
Resultierende als Schlusslinie (Verbindlmgsgerade vom Anfangsplmkt der ersten zur Pfeil-
spitze der letzten Kraft. Abbildu.ng 2,7):
2.2 Gleichgewicht 13
F,
Abbildung 2.7: Resuhjercnde als Schlusslinie eines Kraftecks mit vier Kräften
Auch hier muss darauf hingewiesen werden, dass das Krafteck nur zur Vereinfachung der
Zeichenarbeit gedacht ist. Der Angriffspunkt der Resultierenden ist natürlich der gemeinsa-
mc Schnittpunkt aller Wirkungslinicn.
<> Die Zerlegung einer Krafr in mehr als zwei Komponelllen, deren Wirkungslinien sich alle
in einem Punkt schneiden (Ersetzen einer Kraft durch ein äquivalentes zentrales Kraftsys-
tcm mit mehr als zwci Kräften) ist nicht eindcutig und deshalb im Allgcmcinen praktisch
bedeurungslos.
2.2 Gleichgewicht
Ein Körper bcfindet sich im Glcichgcwicht, wcnn sich die Wirkungen allcr an ihm angreifen-
den Kräfte aufheben. Für das zentrale ebene Kraftsystem leitet sich aus dieser Definition die
Bedingung ab, dass die Resultierende aller Kräfte verschwinden musS:
Diese Bedingung muss nicht vektoriell formuliert werden, weil ein Vektor nur dann gleich Null
ist. wenn sein Betrag gleich Null ist. Der Betrag eines Vektors ist wiederum nur dann gleich Null,
wenn jede einzelne Komponente verschwindet. Mit diesen Überlegungen ergeben sich die
(2.3)
Das Gleichgewicht der Kräftegruppe drückt sich grafisch durch ein geschlossenes Krafteck aus.
Man beachte:
<> Die durch die Indizes x und y angedeuteten Richtungen können selbstverständlich beliebig
gewählt werden. Es ist nicht erforderlich, dass die beiden Richtungen senkrecht zueinander
sind. Damit tassen sich die Gleichgewichtsbedingungen für das zentrme ebene Kraftsystem
auch so formulieren:
14 2 Das zentrale ebene Kraftsystem
Die Summe aller Kraftkomponenten in jeder beliebigen Richtung muss gleich Null sein (ge-
nerelle notwendige Bedingung für Gleichgewicht, gilt nicht nur ftir das zentrale ebene Kraft-
system).
2
der betrachtete Körper von allen äußeren Bindungen gelöst und
alle Kräfte angetragen wurden.
Beispiel:
I'-
I WIe groß muss dIe an dem mas-
selosen Seil horizontal angreifende Kraft F
sein, um das durch die Masse m belastete
Seil in der skizzierten Lage zu halten (Skiz-
ze links)?
Gegeben: m = 20 kg ; a = 30° .
F
F Freischneiden: Das System wird von äu-
ßeren Bindungen gelöst, indem das schrä-
ge Seil geschnitten wird (rechte Skizze). Da
Seile nur Zugkräftc in Seilrichtung übertra-
m
gen können, werden die Seilkräfte als Zug-
kräfte (von den Schnittufern wegweisende
Pfeilspitzen) angetragen. mg
Am freigeschnjttenen System wirkt mit der Seilkraft Fs und den beiden Kräften Fund mg ein
zentrales Kraftsystem, das im Gleichgewicht sein muss.
2.2 Gleichgewicht 15
Grafische Lösung: Das ebene zentrale Kraftsystem mit gegebenem mg und den unbekannten
Kräften Fund Fs, deren Wirkungslinien jedoch bekannt sind, darf keine Resultierendc ergeben:
Das Krafteck aus mg, Fund Fs muss sich schließen (Abbildung 2.8).
F;,
F' F"
IX IX
IX IX
mg mg mg F
mg
Abbildung 2.8: Varianten I (links) und 2 (rechts) des sich schließenden Kraftecks
Variante 1: Man zeichnet mg in einem gceigneten Maßstab (z. B.: I cm;:; 100N), trägt an
der Pfeilspitze die Richtung von Fs und am anderen Ende von mg die Richtung von Fan.
Danach ist eindeutig, wie das geschlossene Krafteck aussehen muss.
Variante 2: Die Wirkungslinien der unbekannten Kräfte werden in geänderter Reihenfolge
angetragen. Das Krafteck liefert für Fund Fs dic Längen wie bei Variante I.
Aus den maßstäblichen Skizzen kann eine Länge für die gesuchte Kraft F abgemessen und mit
dem Maßstabsfaktor in eine Kraft umgerechnet werden. Besser ist eine Kombination der grafi-
schen Lösung mit einer analytischen Auswertung: Aus dem rechtwinkligen Dreieck liest man
folgendcs Ergebnis ab:
Analytische Lösung: Man wählt zwei beliebige Richtungen mit jeweils ebenfalls beliebigem
positivem Richtungssinn. Auch dies soll für zwci Variantcn gezeigt werden:
Variante 1: Es werden die Richtungen "horizontal, positiv nach rechts" und "vertikal,
positiv nach unten" gewählt. Die Summe aller Kraftkomponenten in diesen Richtungen
muss gleich Null sein (dabei müssen Kräfte. die nicht eine dieser Richtungen haben. in
zwei Komponenten zerlegt werden, hier Fs ):
'\
--; F - Fs sin a = 0 F;; cosa
1 mg - Fs cos a = 0
Variante 2: Es wird die Gleichgewichtsbedingung für die skizzierte Richtung I-I (senk-
recht zum schrägen Seil, Abbildung 2.9) formuliert:
2.3 Aufgaben
I
Aufgabe 2.1: I
Die Seile I und 2 sind wie skizziert durch die Seil I
beiden Kräfte F, und Fz belastet.
Gegeben: FI = 80N ; (XI = 70° ; (X2 = 40° ; ß= 70° .
I
Aufgabe 2.2: I
Eine Walze mit der Masse mw
liegt auf einer schiefen Ebene und wird durch ein
Seil I gehalten. Sie ist durch ihr Eigengewicht
und über das Seil 2 durch die Gewichtskraft der ß I
Masse III belastet.
Seil I
Gegeben: IIlw = 120kg ; = 40kg ;
111
(X = 30° ; ß = 50°
Man ermittle die Sei Ikräfte in den Seilen I und 2.
Hinweis: Von der schiefen Ebene kann auf die
Walze IIlw nur eine Kraft senkrecht zur Auilage-
fläche übertragen werden.
3 Das allgemeine ebene Kraftsystem (Äquivalenz)
Bei einem allgemeinen ebenen Kraftsystem schneiden sich die Wirkungslinien der Kräfte nicht
mehr sämtlich in einem Punkt, unter Umständen (parallele Kräfte) schneiden sie sich überhaupt
nicht.
Da Kräfte am starren Körper entlang ihrer Wirkungslinie verschoben werden dürfen, kann man
die Resultierende jeweils zweier Kräfte (nach vorheriger Verschiebung bis zum Schnittpunkt der
Wirkungslinien) crmitteln und durch Wiederholcn dieses Vorgangs schließlich die Gesamtrcsul-
tierende des allgemeinen ebenen Kraftsystems nach Größe und Lage ihrer Wirkungslinie finden
(der Fall paralleler Wirkungslinien wird im folgenden Abschnitt behandelt).
Beispiel:I
I_...;._.... An cincm starrcn Körper greifen wic skizzicrt F3/
/ß
vier Kräfte an. Man emlittle grafisch die Resultierende und
die Lage und Rjchtung ihrer Wirkungslinje. 1
I
Gegeben: F I = I kN F2 =2kN d
F3=2kN F4=J,5kN;
a =45 0 ß=60° a=2m.
I
X, F.I
~ 2
cl
cl
"l
~
F, , L-
F,
----j~
F,
a 2a
-'- I
UR
FR = F I234 '
der Winkel UR "" 19° und die Lage der Wirkungslinie (z. B. durch Angabe der Strecke
Yw "" 2,7m).
Den Betrag der Resultierenden FR und den Winkel UR (aber nicht die Lage der Wirkungsli-
nie der Resultierenden!) hätte man auch mit Hilfe des Kraftecks wie beim zentralen Kraft-
system finden können.
Man gelangt zur gleichen Resultierenden, wenn man eine andere Reihenfolge der Zusam-
menfassung zu Teilresultierenden wählt.
Die gralische Ermittlung der Resultierenden eines allgemeinen ebenen Kraftsystems auf die-
se Weise ist rechtmBhsam. Es gibt Verfahren, die den Zeichenaufwand vermindern (frBher
war z. B. das so genannte "Seileckverfahren" sehr beliebt), denen aber keine praktische Be-
deutung mehr zukommt. Die grafische Behandlung des allgemeinen ebenen Kraftsystems
wird deshalb auch in den folgenden Abschnitten nur in dem Umfang vorgestellt, wie für das
Verständnis daraus Nutzen zu ziehen ist.
3.2 Parallele Kräfte 19
Zwei Kräfte auf parallelen Wirkungslinien lassen sich nicht nur durch Verschieben und Anwen-
dung des Parallelogrammgesetzes zu einer Resultierenden zusammenfassen. Hier hilft ein Trick:
Nach dem 3. Axiom heben zwei Kräfte, die sich im Gleichgewicht befinden, ihre Wirkung auf
den starren Körper auf. Durch Hinzufügen einer (beliebigen) Gleichgewichtsgruppe ändert sich
die Wirkung des gesamten Kraftsystems also nicht, es gelingt aber, das so erweitel1e Kraftsystel11
zu einer Resultierenden zusammenzufassen.
I Beispiel: I
Auf einen starren Körper wirken wie skizziert
Fr~4 kN F, - 3 kN
von Fr und F2) und die erwartete Richtung, durch die Kon-
F,
struktion wurde zusätzlich ihre Lage bestimmt.
2.14 m
FR~ 7 kN
Abbildung 3.2: Ermittlung der Resultierenden zweier paralleler Kräfte
In den Abschnitten 3.1 und 3.2 wurde gezeigt. wie beliebige allgemeine ebene Kraftsysteme
auf eine Resultierende reduziel1 werden können. Der am Beispiel des Abschnitts 3.2 demons-
triel1e Trick funktioniert auch für Kräfte auf parallelen Wirkungslinien mir entgegellgeselZlem
Richlungssinn:
20 3 Das allgemeine ebene Krartsystem (Äquivalenz)
Man ermittle die Resultierende für dieses Beispiel, indem man für eine der beiden Kräfte F I
oder F2 den Richtungssinn umkehrt (die Strategie bleibt gleich, eventuell benötigt man ein etwas
größeres Blatt Papier). Der Betrag der Resultierenden ergibt sich wie erwartet als Differenz der
Beträge von FI und F2 (FR = I kN), ihre Wirkungslinie ist wieder parallel zu den Wirkungslinien
der gegebenen Kräfte, die Lage der Wirkungslinie (weit links von F I ) ist wohl etwas überra-
schend.
Wenn man allerdings diese (für das Verständnis recht nützliche) Konstruktion ausgeführt hat,
darf man sich darüber freuen. dass auch diese grafische Lösung keine praktische Bedeutung
mehr hat (die analytische Lösung findet man im Abschnitt 3.5.2).
In einem ganz speziellen Fall gelingt es jedoch nicht, das Kraftsystem durch eine resultierende
Kraft zu ersetzen: Der Versuch, zwei Kräfte mit gleichem Betrag und entgegengesetztem Rich-
tungssinn Clltr parallelen Wirkungslinien zu einer Resultierenden zusammenzufassen, misslingt.
Der im Abschnitt 3.2 erfolgreich angewendete Trick mit den Hilfskräften führt nur auf ein ande-
res Kräftepaar mit den gleichen Eigenschaften:
r /
/
Abbildung 3.3: Versuch, zwei gleich große parallele Kräfte zu einer Resultierenden zusammenzufassen
Die Beträge der Kräfte haben sich geändert, auch die Lage und der Abstand der beiden Wir-
kungsbnien, die aber nach wie vor parallel sind.
Man nennt zwei auf parallelen Wirkungslinien liegende, gleich große, aber entgegengesetzt
gerichtete Kräfte ein Kriijtepaar.
<> Ein Kräftepaar lässt sich nicht zu einer Resultierenden zusammenfassen und hat keine resul-
tierende Kraftwirkung.
<> Ein Kräftepaar versucht, den Körper, an dem es angreift, zu drehen. Ein Maß der Stärke
dieser Drehwirkung ist das Produkt F· a , wobei a der Abstand der beiden Wirkungslinien
ist.
Das Produkt aus dem Betrag der Kräfte und dem Abstand ader Wirkungslinien M = F Cl
heißt Moment des von den zwei Kräften F gebildeten Kräftepaares.
3.3 Krärtepaar und Moment 21
oe:> Ein Kräftepaar lässt sich in ein anderes überführen (siehe Abbildung 3.3), wobei sich die
Beträge der Kräfte und der Abstand der Wirkungslinien ändern. Das Moment der beiden
Kräftepaare bleibt dabei jedoch unverändert, wie aus der folgenden Skizze (Abbildung 3.4)
abzulesen ist:
Durch Anbringen der beiden Kräfte Ffi wird aus dem "Kräftepaar F" das um den Winkel a
geneigte "Kräftepaar F 1", wobei sich der Abstand der Wirkungslinien auf den Wert
b = acosa
Abbildung 3.5: Ein Moment kann am starren Körper beliebig in der Ebene verschoben werden.
Ein an einem staITen Körper angreifendes Moment darf beliebig in der Ebene verschoben
werden (im Gegensatz zu Kräften. die nur entlang ihrer Wirkungslinie verschoben werden
dllrfen).
Mehrere an einem starren Körper angreifende Momente dürfen zu einem resultierenden Mo-
ment addiert werden (bzw. subtrahiert bei entgegengesetztem Drehsinn).
22 3 Das allgemeine ebene Krartsystem (Äquivalenz)
Beispiel:I
I_....;_ _ Mit HIlfe ellles Schraubenziehers soll eme 10 emem GewlOdeloch steckende Schrau-
be festgezogen werden. Als Fall a ist (in der Draufsicht) skizziert, wie der Schraubenzieher
angesetzt wird. Die Schraube kann sich um ihre Längsachse drehen, die durch den Mittelpunkt
des Schraubenkopfes (senkrecht zur Zeichenebene) verläuft. Das auf den Schraubenkopf aufge-
brachte Kräftepaar hat ein Moment M = F b:
b
8
a)
b
b)
Abbildung 3.7: ... doch auch das außermiuig angesetzte Werkzeug liefert das gleiche Moment, ...
Auch wenn die Schraubc wie im Fall c ungenau gefertigt wurde (Schlitz ist nicht zentrisch.
doch auch dann, wenn die Längsachsen von Kopf und Schaft nicht fluchten) und darüber hinaus
der Schraubenzieher nicht in der Mitte des außermittigen Schlitzes angesetzt wird, ändert sich
nichts ,m der Momentwirkung um die Drehachse, sofern das aufgebrachte Kräftepaar unverändert
gleich M = F bist:
e
c)
Abbildung 3.8: ... und daran ändert sich auch bei einer Ausschuss-Schraube nichts.
3.4 Das Moment einer Krafl 23
Bezugspunkt
o 1 Das MOmelll eil/er Kraft bezüglich eil/es Punktes
wird defi niert als das Produkt
Entsprechend dem Richtungssinn einer Kraft hat das Moment einen Drehsinn, der durch das Vor-
zeichen des Moments berücksichtigt wird. Dabei kann ein positiver Drehsinn (wie der positive
Richtungssinn für Kräfte) beliebig festgelegt werden.
Die Definition des Momentes einer Kraft bezliglkh eines Punktes ist völlig gleichwertig mit dem
im vorigen Abschnitt behandelten Moment eines Kräftepaares, wie an nachfolgendem Beispiel
deutlich wird:
I Beispiel: I
Ein auf einen starren Körper wirkendes Kräftepaar habe
das Moment F
M = Fa (rechtsdrehend) .
F
Bezüglich des Ponktes A hat die linke Kraft nach der oben gegebenen
Definition keine Momentwirknng. weil der Hebelarm gleich Null ist
A
(Wirkungslinie geht durch den Punkt). während die rechte Kraft am o a __ b_
Hebelarm a wirkt. Das gesamte Moment der bei den Kräfte ist also '-------'B
M = F·O+F·a= F·a.
Da sich das Momelll eines Kräftepaares auf keinen speziellen Punkt bezieht, ist auch für den
Punkt B dieselbe Momentwirkung zu erwalten. Während die linke Kraft bezüglich des Punktes
B eine rechtsdrehende Wirkung (ein "rechtsdrehendes Moment") hat, ist die Wirkung der rech-
ten Kraft bezüglich B linksdrehend, was in der folgenden Gleichung durch ein Minuszeichen
berlicksichtigt wird ("rechtsdrehende Momente werden - bei diesem Beispiel - als positiv ange-
nommen"). Die linke Kraft hat nach der oben gegebenen Definition den Hebelarm (a + b), die
rechte Kraft den Hebelarm b. so dass man mit B als Bezugspunkt erhält:
M = F(a+b)-Fb = Fa.
24 3 Das allgemeine ebene Krartsystem (Äquivalenz)
3.5 Äquivalenz
Aus den Überlegungen, die in den Abschnitten 3.1 bis 3.4 angestellt wurden, ergibt sich folgende
sinnvolle Definition für die Äquivalenzbetrachtungen:
Zwei allgemeine ebene Kraftsysteme sind in ihrer Wirkung auf den starren Körper äquivalent,
wenn
sie die gleiche Krajrwirkullg (gleiche Resultierende nach Betrag, Richtung und Rich-
tungssinn) haben
und ihre Drehwirkungen bezüglich eines beliebigen Punktes gleich sind.
Äquivalenz bedeutet also jeweils gleiche Drehwirkung der beiden Kraftsysteme umjedell Punkt
der Ebene, Intensität und Drehrichtung sind natürlich von Punkt zu Punkt verschieden.
Das allgemeine ebene Kraftsystem kann in jedem Fall auf eine resultierende Kraft oder ein
resultierendes Momelll reduziert werden.
3.5.1 Versetzungsmoment
Wenn bei der Reduktion eines allgemeinen ebenen Kraftsystems ein resultierendes Moment übrig
bleibt, darf dieses beliebig in der Ebene verschoben werden. Wenn sich eine resultierende Kraft
ergibt, darf diese nur entlang ilu'er Wirkungsliuie verschoben werden.
Es ist jedoch auch eine Parallelverschiebung einer Kraft möglich, wenn die sich dadurch ändern-
de Wirkung auf den starren Körper durch Antragen eines Momentes ausgeglichen wird (Verset-
zungsmoment).
Allgemein gilt (für eine beliebige Kraft):
Wenn eine Kraft F parallel zu ihrer Wirkungslinie um die Strecke a verschoben wird, ändert
sich die Gesamtwirkung auf den starren Körper nicht, wenn zusätzlich das Versetzullgsl11o-
melll F . a angebracht wird.
Die Abbildung 3.10 verdeutlicht dies. Eine Kraft F wird durch eine Gleichgewichtsgruppe auf
paralleler Wirkungslinie ergänzt. Zwei der drei Kräfte F bilden das Kräftepaar F . a:
F F' F
, Q
Abbildung 3.10: Parallelverschiebung einer Kraft muss durch Versetzungsmoment ausgeglichen werden.
3.5 Äquivalenz 25
Bei der grafischen Ermittlung der Resultierenden des allgemeinen ebenen Kraftsystems (Ab-
schnitt 3.1) wurde deutl ich, dass Betrag, Richtung und Richtungssinn auch mit Hilfe des Kraft-
ecks (wie beim zentralen ebenen Kraftsystem) ermittelt werden können. Nur die Lage der Wir-
kungslinie in der Ebene ist auf diescm Wege nicht zu bestimmen.
Diese Erkennmis lässt sich auf das Problem der analytischen Ermittlung der Resultierenden des
allgemeinen ebenen Kraftsystems übertragen. Betrag, Richtung und Richtungssinn ergebcn sich
nach den aus dem Abschnitt 2.1 bekannten Formeln:
" F;x
FR, = E FR)'
"
= Efjy
i=1 ;=1
(3.1)
Damit fehlt fUr die Bestimmung der Lage der Wirkungslinie (ihr Anstieg ist mit CtR bekannt) nur
noch ein Punkt. Diesen ermittelt man aus der Forderung, dass ein äquivalentes ebenes Kraftsys-
tcm ncbcn der glcichcn Kraftwirkung auch die gleichc Drchwirkung (bczüglich cincs beliebigcn
Punktes) haben muss:
Die Summe aller Momente der Kräfte F; muss gleich der Momentwirkung der Resultierenden
sein. In der BedingungsgleichlLllg
n
EF;ai = FROR (3.2)
i=1
sind dementsprechend die Qi die Hebelarme der Kräfte Fi , QR ist der Hebelarm der Resultieren-
den,jeweils also der senkrechte Abstand der Wirkungslinie vom frei zu wählenden Bezugspunkt
(das Lot vom Bezugspunkt auf die Wirkungslinie).
Häufig ist cs ratsam, die Kräfte Fi , deren Richtungen nicht den bevorzugten (im Allgemeinen
senkrecht aufeinander stehenden) Bemaßungsrichtungen einer technischen Zeichnung folgen, in
zwei Komponenten zu zerlegen und mit den Komponenten zu rechnen. Man vermeidet so die un-
ter Umständen etwas schwierigen geometrischen Überlegungen zur Ermittlung der Hebelarme.
Der Mehraufwand (doppelte Anzahl von Momentwirkungen) ist unerhcblich, weil die Kompo-
nentenzerlegung ohnehin für die Ermittlung des Betrages der Resultierenden erforderlich ist.
Ein entsprechendes Vorgehen bietet sich für die Behandlung der Resultierenden r"R in der Mo-
mentenbeziehung an: Man verschiebt sie entlang ihrer Wirkungslinie, bis sie direkt über oder
unter dem Bezugspunkt (oder auch rechts oder links vom Bezugspunkt) liegt. Dafur muss die
Lage der Wirkungslinie irgendwie angenommen werden, weil man ja nur ihre Richtung kennt.
Nun werden auf der rechten Seite der Momentenbeziehung anstelle des Momentes der Resultie-
renden die beiden Momente ihrer Komponenten eingesetzt, wobei nur eine Komponente (infolge
der Art der Verschiebung der Resultierenden) cinen von Null verschiedencn Hebelarm hat. Die-
ser Hebelarm ist die einzige Unbekannte in der Momentenbeziehung. nach deren Berechnung
dann aueh die Lage der Wirkungslinie von FR bekannt ist. Am nachfolgenden Beispiel (durch
vier Kräfte belastete Scheibe aus dem Abschnitt 3.1) wird dieses Vorgehen demonstriert.
26 3 Das allgemeine ebene Krartsystem (Äquivalenz)
Wenn die Resultierende eines allgemeinen ebenen Kraftsyslems den Betrag FR = 0 hat (keine
resultierende Kraftwirkung), können die Kräfte F; natürlich immer noch eine resultierende Mo-
mentwirlcung haben. Man kann das resultierende Moment aus der Summe der Momentwirkungen
allcr F; bezüglich eines beliebigen Punktes der Ebene bcrechnen.
Beispiel]: I
I_"";_ _...1 An emem starren Körper greIfen wie F3
skizziert vier Kräfte an. ,
a) Es ist das resultierende Moment der vier
A ß ,
a 2a
Kräfte bezüglich des Punktes A zu ermitteln.
ö
b) Es sind analytisch Betrag, Richtung und
Lage der Wirkungslinie der Resultierenden
ö
FR zu ermitteln. Dabei ist als Bezugspunkt
für die Momentenbeziehung der Punkt B
FI
'"
zu wählen. Die Lage der Wirkungslinie ist
durch Angabe von aR und YR zu beschreiben.
Bei der Fragestellung a sind die Hebelarme für die Kräfte FI und F4 unmittelbar aus der
Skizze abzulescn. Bei den Kräften Fz und F) kann man die Hebelarme entweder aus geo-
metrischen Überlegungen ermitteln oder die Kräfte in jeweils zwei Komponenten zerlegen
und dann mit den Komponenten rechnen: Das Moment der Kraft F) wird entweder aus
dem Produkt F} . a3 (Abbildung 3.11, linkes Bild) oder aus der Summe der Momente der
beiden Komponenten F)· sinß (am Hebelarm 1I) und F) ·cosß (am Hebelarm "Null") er-
mitteil (Abbildung 3.11, rechtes Bild). Beide Varianten führen wegen a3 = a· sinß auf
das gleiche Ergebnis.
F, F, sin ß
A
o.
ß , A
FJ cosß
a, a
, CI.
F,
F,
a3 = a sinß
Abbildung 3.11: Hebelarm aus geometrischen Überlegungen oder Zerlegung der Kraft
I
werden. Wäre der Punkt Aals Momenrenbezugspunkt ge-
wählt worden, hälte man - wie nebenstehend sk.izziert -
z. B. die Strecke XA cn'echnen können: FR wird bis zum FR sin 19, \0
Punkt C verschoben und in zwei Komponenten zerlegt,
so dass die Horizontalkomponente keine Momentwirkung
um A hat. Das lillksdrehende Gesamtmoment der Kräfte
F I bis r"4 muss gleich dem Moment FR' sin 19, 1 • XA sein, Abbildung 3.12: Komponenten der Re-
0
Aus XA . FRsin 19, 10 = -2. 29kNm ergibt sich XA = -I. 94m, wobei das Minuszeichen anzeigt,
dass die Wirkungslinie von FR (enrgegen der Annahme) links von A liegt.
I
Beispiel 2:
I_....;_ _.. Für dIe skizzlerten Kräfte F I und F2 Ist dIe Lage
der Resultierenden FR zu bestimmen (Ergebnis durch Angabe
der Koordinate XR).
Wenn nach unten gerichtete Kräfte als positiv angenommen
werden, kann man mit FR = FI - F2 = I k.N zum Beispiel a=5m
die Äquivalenzbeziehung für die Momente um den (willkür-
lich gewählten) Angriffspunkt von F, aufschreiben. Dann geht Abbildung 3.13: Kräfte mit
FI in die Beziehung gar nicht ein (Hebelarm "Null"), und man entgegengesetztem Richtung~sjnn
mit XR = -15 m ein Ergebnis, das durch das Minuszeichen anzeigt, dass die Wirkungslinie der
Resultierenden weit links von F, liegt. Weil dies etwas schwierig vorstellbar sein mag, zeigt
Abbildung 3.14 zwei Systeme mit diesen äquivalenten Lasten. Die Lager würden, wenn das
Eigengewicht der Träger unberücksichtigt bleiben darf, in beiden Systemen gleiche Kräfte auf-
zunehmen haben (wie solche Lagerreaktionen berechnet werden, wird im Kapitel 5 behandelt).
a=5 m
----------ZS,.------ZS" I
Abbildung 3.14: Zwei Systeme mit statisch äquivalenten Belastungen
28 3 Das allgemeine ebene Krartsystem (Äquivalenz)
Lieber Leser, Sie haben in diesem Kapitel einige wichtige Grundlagen der Technischen Me-
chanik kennengelernt. Trotzdem finden Sie hier anstelle von Übungsaufgaben ein Fazit.
Das hat seinen Grund; Es ist (bis auf wenige Ausnahmen) nicht sinnvoll, Probleme auf der
Basis der Äquivalenz von Kräftesystemen zu lösen. Fast ausschließlich sollte das Gleichge-
wicht von Kraftsystelllen die Gnmdlage für die Lösung von Aufgaben sein. Deshalb gab es
am Ende des Kapitels 2 auch nur Aufgaben, die sich mit Hilfe der Gleichgewichtsbedingun-
gen lösen ließen.
Die Erfahrung der Autoren hat gezeigt, dass der Anfanger (weil das Thema Äquivalenz inUller
am Anfang behandelt wird) die Neigung hat, bei Aufgaben zunächst die gegebenen Kräfte
zu einer Resultierenden zusammenzufassen, um erst danach die unbekannten Kräfte und Mo-
mente zu berechnen. Das ist nicht sinnvoll (im gerade behandelten Beispiel 2 wird man zur
Berechnung der Lagerreaktionen nicht erst die Resultierende ermitteln), und deshalb wird
an dieser Stelle das Üben (Lösen von Aufgaben) durch das Rekapitulieren der wichtigsten
Erkenntnisse zum Thema Äquivalenz aus den Kapiteln 2 und 3 ersetzt.
Es gibt allerdings eine wichtige Ausnahme zu den gerade getroffenen Aussagen; Die Berecll-
nllllg \'on ScI,welpt/nkten basiert auf den in diesem Kapitel erarbeiteten Grundlagen, Dieses
Thema wird deshalb im folgenden Kapitel behandelt. Danach aber gilt: Die Gleichgewichts-
bedingungen sind die Grundlage zur Lösung fast aller Probleme der Technischen Mechanik.
Die folgenden "wichtigsten Erkenntnisse" zum Thema Äquivalenz mögen eher banal erscheinen
und sind in dem Sinne zu verstehen, dass sie ständig als Nebenrechnungen und -überlegnngen
bei den Aufgaben der Technischen Mechanik auftreten;
c:> Das Moment einer Kraft bezüglich eines Punktes ist definiert als Produkt Kraft· Hebelarm
(Absclutin 3.4). Der Hebelann ist die kürzeste Verbindung vom Bezugspunkt zur Wirkt/llgs-
linie der Kraft. In der Regel ist es günstiger, unter einem Winkel angreifende Kräfte zunächst
in Komponenten zu zerlegen und dann die Momentwirkungen der beiden Komponenten auf-
zuschreiben (siehe Beispiel I im Abschnitt 3.5.2).
Jeder Körper besteht aus Masseteilen, die der Anziehungskraft (der Erde) unterworfen sind, so
dass Gewichtskräfte wirken.
Der Punkt eines Körpers, durch den die Resultierende aller Gewichtskräfte bei beliebiger
Lage des Körpers hindurchgeht, ist der Schwerpunkt.
Die Berechnung der Lage des Schwerpunktes ist damit identisch mit der Ermittlung der Lage
der Resultierenden eines allgemeinen Kraftsystems mit parallelen Kräften. Andererseits kann
die Gewichtskraft eines Körpers bei Statikproblemen durch eben diese Resultierende berück-
sichtigt werden, wenn die Lage des Schwerpunkts (und damit die Lage der Wirkungslinie dieser
Resultierenden) bekannt ist.
Beispiel:I
I_"";_-, Drei Quader mit den Massen 11I],1112 und 1Il3 sind
wie skizziert zu einem Körper zusammengefUgt. Es ist die
Schwerpunktkoordinate Xs zu ermitteln.
Es ist wohl einzusehen (und mit den Integral formeln des fol-
genden Abschnitts natürlich auch zu berechnen), dass der
Schwerpunkt eines Quaders im Symmetrieschnitt (in der
"Mitte" des Körpers) liegt, so dass die drei Gewicbtskräf-
te mit den nachfolgend skizzierten Abständen anzusetzen
sind.
Die Resultierende der drei Gewichtskräfte FR m 3g
m]g m 2g
dreht denken muss. Das Bezugskoordinatensystems kann (wie der Momentenbezugspunkt bei
Äquivalenzbetrachtungen) beliebig gewählt werden.
Das behandelte Beispiel hat die Analogie der Schwerpunktberechnung zum Problem der Ermitt-
lung der Resultierenden eines Systems paralleler Kräfte verdeutlicht, so dass man daraus die
Formeln fLir den aus 11 Teilmassen zusammengesetzten Körper ableiten kann: In einem beliebi-
gen kartesischen Koordülatensystem haben die Tei Imassen 1Il; die Schwerpunktkoordinaten X;, y;
und Z;. Dann gelten folgende Fonnein zur Berechnung der
Die Gesamtmasse des Körpers IIl ge , ist die Summe der Teilmassen 111;:
m ges = [mi
" (4.2)
;-1
Voraussetzung fLir die Anwendung dieser Formeln ist natürlich die Kenntnis der Schwerpunkt-
koordinaten der Teilmassen.
Wenn die Schwerpunktkoordinaten einer Masse nicht bekannt sind, muSs diese gegebenenfalls in
sehr viele Teilmassen !J.11l; unterteilt werden, im Grenzfall (!J.m; ---> dm, unendlich viele unendlich
kleine Massen) wird die Summe zum bestimmten Integral:
Das Symbol V unter dem IntegraJzeichen bedeutet "Integral über das gesamte Volumen", was im
ungünstigsten Fall auf ein dreifaches Integral führt.
Für homogenes Material (Dichte p = konst.) kürzt sich die Dichte aus den Formeln heraus, und
man berechnet ausschließlich mit dem Volumen der Körper die
Entsprechend modifizieren sich die Integral formeln ftir Körper aus homogenem Material:
Xs = _1_JXdV
Vges
Ys= _1_JYdV
V,l,'t's
zs= - I
Vges
j' zdV (4.5)
v v v
Wenn man bei einem homogenen Körper den Koordinarel111fsprung in eine Symmelrieebene le-
gen kann, so ergibt sich für die Koordinatenrichtung senkrecht zur Symmetrieebene die Schwer-
punktkoordinate Null, weil zu jedem Volumenteil an einem positiven "Hebelarm" ein entspre-
chendes mit negativem Hebelarm vorhanden ist:
Wenn Symmetrieebenen in einem homogenen Körper vorhanden sind, dann liegt der Schwer-
punkt in diesen Ebenen.
" a,
I
.,
Zs h
h z, 5 I
Zs
1 h
R
" a,
\.-
.I.
"
Kegel Keil Kugelabschnitt
I ao+at h 4R-h h
Zs= -h zs =
2ao+aJ 2 Zs = 3R _ h :I (4.6)
4
4.2 Flächenschwerpunkte
Für den speziellen Fall eines homogenen flächenhaften Körpers (sehr dünnes Blech mit kon-
stanter Dicke) kann das Volumen aus dem Produkt "Fläche . Dicke" ermittelt werden. Aus den
SChwerpunktformeln kürzt sich die Dicke dann heraus, und es verbleiben die
I n I n I n
xs=--[Aixj Ys = A
- '"' kl"
i...J 1./ ZS=--LA;Zi
A xe ,\. ;=1 ge.~ ;=1 A gt,,\' ;=1
Xs = _1- fXdA
Ao., es A
.
Ys= - I
A ges
j' ydA zs = _1_ fZdA
A ges .
(4.7)
A A
32 4 Schwerpunkte
Die Fonnein 4.7 gelten für beliebige Flächen im Raum. Besonders wichtig in der Technischen
Mechanik ist jedoch die Ermittlung von Flächenschwerpunkten ebener Flächen, für die dann
natürlich nur zwei Koordinaten bestimmt werden müssen.
Die Ausdrücke in den Zählern der Scbwerpunktformeln, die in den Formeln für die Körper-
schwerpunkte Momente (Gewichtskraft· Hebelarm) sind, werden analog dazu als "statische
Momente der Teilftächen" bezeichnet, die Integrale sind die "statischen Momente der Fläche".
Statisches Moment einer Fläche: Das statische Moment bezieht sich immer auf eine be-
stimmte Achse, als Sx wird z. B. das auf die x-Achse bezogene statische Moment bezeichnet:
Sx = J
A
ydA (4.8)
I·
Beispiel:
I_....;_..... .. . . .
Fur ein rechtwinkliges Dreieck mit den Katheten a und b Sind dIe Schwerpunklkoor-
.
dinaten zu ermitteln.
Iy Iy jy !b-Yj ~
,dy
~o -
dx
Y J'h~
~ I
,a
lb
x
x ..r; x x
x
Für die Berechnung der x-Koordinate des Schwerpunkts müssen die differenziell kleinen stati-
schen Momente x· dA integriett werden. Da in einem vertikalen Recbteck an der Stelle x jedes
Flächenelement den gleichen "Hebelarm" x hat, darf als Flächenelement dA ein Rechteck mit
der Breite dx und der Höhe bx/a (Strahlensatz, mittlere Skizze) verwendet werden. Man erfasst
die gesamte Fläche bei Integration von x = 0 bis x = a. Eine entsprechende Überlegung gilt für
die Berechnung von Ys. Mit der Gesamtftäche A ges = ab/2 ergibt sich:
a a
I
xs = Ag" J
A
2
x dA = ab J
.(=0
x
b
a
2bXJ
x dx = ab 3 [a L=o = 3" a
2
[l
(4.9)
Auf gleichem Wege kommt man zu den Schwerpunktformeln für andere ebene Flächen. Für
besonders häufig vorkommende Teill1ächen sind die Ergebnisse (Flächeninhalt und Koordinaten
des Schwerpunkts) nachfolgend zusammengestellt.
4.2 Flächenschwerpunkle 33
Dreieck:
s
h
A =b- (4.10)
2
b
!Y x, 3
Y,
Dreieck in beliebiger Lage:
1 1
XS=3(XI+X2+ X3) YS=3(YI+Y2+Y3)
(4.11)
..
1
Y,
Y, A= 2 1(x2 -XI )(Y3 - Yil- (Y2 - Yil(X3 -xl)1
X
X, X,. X,
ßogenlänges
~---
Kreissektor:
,S
2Rb 2 R sin a
;;; Ys=--=
3s 3a
(4.12)
(J. (J.
" s ,
R A=R-=R-a
. 2
b
Kreisabschnitt:
Bogenlänge s
b3
YS = -:-:-=-----=--:---:-C7
6(Rs-Rb+bh)
2Rsin 3 a
3(a-sin a COS a) (4.13)
R
I
A = 2(Rs-Rb+bh)
b
= R2 (a - sin a cos a)
Mit diesen Formeln kommt man im Allgemeinen aus, so dass die AnwendlLl1g der lnlegral-
fonnein für die Schwcrpunklberechnung vermieden werden kann. Allgemeine Polygonftächen
34 4 Schwerpunkte
(kompliziert berandete Flächen lassen sich durch Polygone annähern) werden im Abschnitt 4.5
behandelt.
Die in der Praxis wohl häufigste Aufgabe ist die Ermittlung dcs Schwerpunkts einer Fläche, die
sich aus Teilftächen zusammensetzt, deren Schwerpunkte bekannt sind. Dafür wird folgendes
Vorgehen empfohlen:
e:> Die Wahl eines geeigneten Koordinatensystems kann den Aufwand verringern. Wenn dcr
Ursprung des Koordinatensystems in den Schwerpunkt einer Teilnäche gelegt wird. ver-
schwinden die statischen Momente rur diese Teilfläche. Eine andere Empfehlung ist. das
Koordinatensystem so zu legen, dass alle Teilftächenschwerpunkte im ersten Quadranten
liegcn (und damit positivc Koordinaten haben).
c:> Die Gesamtftäche soille in möglichst wenige Teilftächen so zerlegt werden, dass die Schwer-
punkte dieser Teilftiichen bekannt sind.
e:> Wenn eine Fläcbe symmetrisch ist, liegt der
Schwerpunkt auf der Symmetrieachse. Es ge-
/
,
nügt aber auch, wenn die statischen Momen-
te der Teil flächen auf den beiden Seiten ei-
2a . / "I
s I
ner Achse gleiche Beträge haben. So kön- N",
nen die Schwerpunkte der beiden skizzierten
Flächen ohne Rechnung angegeben werden
2a
,
(Abbildung 4.1).
/' / ,
"I
e:> Vielfach ist es sinnvoll, aus einer größeren Abbildung 4.1: Die L.1ge des Schwerpunkts
Teilftäche eine kleinere auszuschneiden. Sol- ist bei besLimmten Flächen auch olule Rech-
che Ausschnittflächen gehen mit negativem nung bekannt.
Vorzeichen in die Formeln ein.
e:> Für eine größere Anzahl von Teilftächcn cmpfiehlt sich die Berechnung nach folgendcm
Tabellenschema:
i A; Xi Yi AjXj A;y;
[A;Xi [AiY;
Xs=-- (4.14)
[A; YS= [Ai
Für die Tabelle sind nur die Werte Ai, x; und Y; der Aufgabe zu entnehmen (die grau un-
terlegten Zellen sind die "Eingabewerte" für die Rechnung), die Ermittlung aller übrigen
Werte folgt einem formalen Algorithmus (unter www.TM-aktuell.de findet man hierzu cinc
Ergänzung).
e:> Zu beachten ist (natiirlich nicht
I1llf bei der Tabellenrechl1ll\1g), dass sich die Koordinaten
der Teilftächenschwerpunkte immer auf das gemeinsame Koordinatensystem beziehen.
4.2 Flächenschwerpunkte 35
I
I Beispiel: F"ur d'le Sk"lZzlerte sc hra ffi erte FI"ac h eist
. d'le Lage d es FI"ac hensc h werpun ktes zu be-
rechnen.
5a 4a 2a
,-----...- - - - --,
~
5 I
I I
M
cl I
M
,
I
I
I
cl
I
M
I 3 I
IY I
I
14
L _
.,.cl
Abbildung 4.2: Einteilung in 5 Teilflächen
Die Fläche wird in Standardflächen (Rechtecke, Dreiecke. Kreis) unterteilt. Bei der als Abbil·
dung 4.2 skizzierten möglichen Einteilung wurden zwei Rechteckflächen (I und 3) und drei
Ausschnittftächen (der Kreis 2 und die Dreiecke 4 und 5) gewählt. Für diese Einteilung ergeben
sich unter Verwendung des eingezeichneten Koordinatensystems die Schwerpunktkoordinaten
der Teilflächen, die in der folgenden Tabelle (Abbildung 4.3) zu sehen sind.
Es bietet sich natiirlich an, die Zahlen-
rechnung einem geeigneten Programm i f>J xi yi Aixi Ai yi
zu iibertragen. Nebenstehend sieht man 1 30,000 2,500 7,{)(){ fO,OOO 210,{)(){
die Realisierung der Berechnung mit 2 -12,56E 3,000 7,{)(){ -37,699 -87,96,
3 60,000 8,000 5,{)(){ 460,000 300,{)(){
MS-Excel. Die Excel-Datei, die die
4 -8,OOC 6,333 1,33 -50,667 -10,66
auf der Seite 34 zu sehende Tabelle -24,OOC
5 9,000 7,33 -216,000 -176,OOC
einschließlich der Fonnein 4.14 rea- 6 0,000 O,OOC
lisiert, steht unter www.TM-aktueLl.de 7 0,000 O,OOC
zum Download zur Verfligung. 8 0,000 O,OOC
9 0,000 O,OOC
[n der Tabellenrechnung wurde der O{)(){
10 0000
Faktor a, mit dem jede Abmessung
Summe 45,434 250,634 235,36,
zu multlplizieren wäre, weggelassen.
Dementsprechend muss man sich al-
le Ergebnisse und Zwischenergebnis- Xs = 5,5161 Ys= 5,160 1
se mit den Faktoren a (Längen), a2
(Flächen) bzw. a 3 (statische Momente) Abbildung 4.3: Berechnung des Flächenschwerpunkts mit
multiplizien denken. MS-Excel
Es soll hier schon darauf hingewiesen werden, dass die Berechnung des Flächenschwerpunkts
die Voraussetzung sein wird für die Ermittlung der Quersehnittswerte in der Festigkeitslehre
(wird im Kapitel 16 behandelt). Deshalb sind auch das daflir verfUgbare Rechenprogramm und
die Internet-Seite fUr die Online-Berechntmg für die Berechnung von Flächenschwerpunkten
geeignet (beides zu erreichen iiber www.TM-aktuell.de).
36 4 Schwerpunkte
4.3 Linienschwerpunkte
Analog zur Definition dcs Schwcrpunkts einer Flächc wird auch der Schwerpunkt cincr Linic
definiert. Man kann sich diese Linie als unendlich dünnen massebelegten Draht mit konstantem
Querschnitt vorstellen (Volumen = Länge· Querschnittsftäche), so dass sich die Querschnittsftä-
chc aus dcn allgemcinen SChwerpunktfomleln hcrauskürzt, und man crhält die
I I I
xs=- E li X ;
n
I: /;z;
n n
1ges ;=1
Ys= -I:
l~e.\'
I,y,
i=l
Zs= -
'Re.\· i=1
(4.15)
xs=_I_JXdS Ys= _1_JYdS zS=-/1 JZdS
1ges
., 1ges
.<
ges ,
Besondere praktische Bedeutung hat der Linimschwerpunkt einer ebenen Kurve: Bei einem
Stanzvorgang zum Beispiel (ein Werkstiick wird entlang einer Linie, seiner Berandung, aus ei-
nem Blech herausgetrennt) sollte die Krafteinleitung in das Werkzeug im Linienschwerpunkt der
Berandung des Werkstücks erfolgen, um eine gleichmäßige Scherwirkung zu erzielen.
Natürlich liegt auch der Linienschwerpunkt symmetrischer Kurven auf der Symmetrieachse (auf
einem Geradenstück in der Mitte, im Mittelpunkt eines Kreises usw.).
Mit Hilfe der [ntegralformel errechnet man die Formel für den
Bogenlänge s
~ Ys
Linienschwerpunkt eines Kreisbogens:
R sina b
R ys=--=R- s=2Ra (4.16)
a s
b
- 10-- 10 -- 10-
I
I
Beispiel:
I_ _ _ _ Es 1St der Ltmenschwerpunkt der skizzterten ge-
0
, ,
,
I
0
schlossenen Linie zu bestimmen (angegebene Abmessungen in
mm). 0
I
5
4.4 Experimentelle Schwerpunklermittlung 37
2
Aus der Formel 4.16 für einen Kreisbogen mit beliebigem Öff-
3
nungswinkel 2 a folgt für den speziellen Fall a = 7f: /2 (Halb-
kreis): 5
4
r
ys= 2-
7f: 6
)
so dass z. B. fur die Kreisbögen 7 und 10 (gewählte Num-
8
merierung siehe nebenstehende Abbildung 4.4) folgende Teil- Iy
schwerpunkte in die Rechnung eingehen: 9
x
Mit dem in Abbildung 4.4 skizzierten Koordinatensystem erhält man schließlich die Koordi-
naten des Linienschwerpunktes aus den Längen 11 bis 110 der Linienstücke I bis 10 und deren
Schwerpunktkoordinaten XI bis XJO bzw. YI bis YJO (alle bezüglich des einheitlichen Koordina-
tensystems!):
1 I
L lixi =
10 10
Xs = -
Ige !> ;=1
12.25mm Ys = - L liYi = 28,66mm
{ges ;=1
So wird der Schwerpunkt des in Abbildung 4.5 dargestellten flächenhaften Körpers experimen-
tell ermittelt, indem das aus einem möglichst schweren Material ausgeschnittene Modell einmal
im Punkt B, zum anderen am Punkt C aufgehängt wird. Die beiden auf das Modell aufgezeichne-
ten Geraden (Verlängerungen der Fäden AB bzw. AC) bestimmen durch ihren Schnittpunkt den
Schwerpunkt der Fläche.
38 4 Schwerpunkte
Eine sehr effektive Methode auch für komplizierte Bauteile ist die Ermittlung des Schwerpunkts
durch "Auswiegen". Dabei nutzt man die Tatsache aus, dass die Wirkungslinie der Resultieren-
den aller Gewichtskräfte durch den Schwerpunkt des Körpers verläuft.
Beispiel:
I_....;.__ I Für das J.D Abbildung 4.6 sktzzlerte Pleuel
Feder-
waagen
soll die Schwerpunktermittlung durch Auswiegen erläu-
tert werden.
Die Pleuelstange wird an den Punkten A und B an zwei
Federwaagen aufgehängt, so dass anstelle der Gesamtge-
wichtskraft die beiden Teilkräfte FA und Fß gemessen wer-
den. Dieses Kraftsystem muss nun dcr Gesamtgewichts-
kraft äquivalent sein. Neben
Eine ebene Fläche sei durch einen geschlossenen Polygonzug mit 11 Punkten und damit durch
11Geradenstücke begrenzt. Die Punkte werden von I bis 11 so fortlaufend nummeriert, dass bei
einem Umlauf in dieser Reihenfolge die Fläche immer links liegt (Abbildung 4,7).
4.5 Flächenschwerpunkle. Compuler-Verfahren 39
wobei sich positive Werte für Xi> Xj und dementsprechend Abbildung 4.7: Polygon
für Xi < Xj negative Werte ergeben.
Es ist leicht nachzuvollziehen, dass deshalb die Summe aller vorzeichenbehafteten Trapezftä-
chen die von dem Polygonzug eingeschlossene Fläche ergibt. In dieser Summe heben sich alle
Produkte der Punktkoordinaten mit gleichen Indizes heraus, und man erhält die Formel
I n
A= 2 [(XiYi+1 -Xi+1 Yi) (4.18)
;=1
wobei als Punkt (n + I) noch einmal Punkt I zu verwenden ist (skizziertes Beispiel mit n = 7:
Punkt 8 = Punkt I).
Eine entsprechende Überlegung liefert die Formeln für die statischen Momente:
I "
S-, = 6 [(Xi Yi+1 -Xi+1 Yi)(Yi + Yi+l)
i=1
(4.19)
Sy = 6I [(Xi
"
Yi+1 -Xi+l Yi)(Xi +Xi+l)
;=1
Damit können die Schwerpunktkoordinaten der von dem Polygon umschlossenen Fläche nach
den bekannten Fomleln ermittelt werden:
Sy S-,
xS=A YS=A (4.20)
Dieser Formelsatz eignet sich hervorragend für die Programmierung selbst auf programmierba-
ren Taschenrechnern, weil die Koordinaten nicht gespeichert werden müssen. Die drei Summen
können gebildet werden, wenn dem Programm bei jeder Eingabe eines Punktes nur noch die
Koordinaten des vorhergehenden Punktes zur Verfiigung stehen.
Der Formelsatz ist auch anwendbar auf Flächen, die aus mehreren nichlmileinander verbunde-
nen Teilflächen beslehen, wenn man nach Umfahrcn dcr ersten Teilftäche mit einem beliebigen
Punkt der zweiten Teilftäche fortsetzt und nach Umfahren dieser Fläche zum Ausgangspunkt
der ersten Teilftäche zurückkehrt. Auf diese Weise wird die nicht zum Polygonzug gehörende
Verbindungslinie zweimal durchlaufen, so dass sich ihre Anteile zu der Summenformel wegen
40 4 Schwerpunkle
Eine entsprechende Strategie verfolgt man bei Flächen mit Ausschnillen: Nach dem kompletten
Umlauf um die Außenkontur entgegen dem Uhrzeigersinn geht man zu einem beliebigen Punkt
auf der Ausschnittkontur, um diese dann im Uhrzeigersinn zu durchlaufen, so dass sich diese An-
teile insgesamt subtrahieren. Wichtig ist, dass auch nacb dem Umlauf um die Ausschnittkontur
wieder zum Stal1punkt auf der Außenkontur zurückgekel111 wird.
Die Reihenfolge lässt sich also durch eine recht einfache Regel beschreiben: Die gesamte Kontur
ist so zu durchlaufen, dass die Fläche immer links von der Laufrichtung liegt und der Endpunkt
gleich dem Stal1punkt ist.
- -
fahrende Punkte auch mehrmals aufgeführt '~ x
sind. 2 3 6 7 15 - 16
Pkt. I 2 3 4 5 6 7 8 9 10
x;y 12;24 0;0 5;0 7;4 17;4 19;0 24;0 12;24 12; 14 15;8
Pkt. 11 12 13 14 15 16 17 18 19
x;y 9;8 12;14 12;24 27;24 27;0 31;0 31;24 27;24 12;24
o L..l...._"-LU--'
Schwerpunkt koordinate yS 10.0168 .:J
o 20 40 R h;
Abbildung 4.8: Die Matlab- Abbildung 4,9: ... und die Rechnung nach den Formeln 4.18 bis
Grafik "versteht" auch diese AI1 4.20 liefen die Ergebnisse (siehe www.TM-akluell.de)
der Beschreibung von Flächen, ...
4.5 Flächenschwerpunkle. Compuler-Verfahren 41
Eine Fläche ist wie skizziert oben und unten durch die Iy
bei den Funktionen yo(x) bzw. y,,(x) und seitlich durch dx y,(x)
die vertikalen Linien bei a und b begrenzt. Unter der
Voraussetzung, dass in diesem Bereich /
/
yo(x) 2: y,,(x)
yJx)
gilt, kann die Fläche berechnet werden nach a b x
J
b
Das hervorgehobene unendlich kleine Flächenelement dA = (Yo - y")dx hat seinen Schwerpunkt
bei x und (Yo + y,,)/2 (in der Mitte zwischen den beiden Funktionen), so dass sich die statischen
Momente der Gesamtftäche folgendermaßen aufschreiben lassen:
J J
b b
Mit der Formel 4.21 ftir die Gesamtftäche A erhält man die rur diesen speziellen Fall sehr nützli-
chen Formeln für den
Xs= *Jx=a
b
x(Yo-y,,)dx
I
Ys = 2A
x=-a
Jb
(Y o2 -y,,)
2
dx (4.23)
Natürlich kann die Integration manchmal etwas mühsam (und für zahlreiche Funktionen in ge-
schlossener Form sogar unmöglich) sein. Der Wert der Formeln 4.23 besteht vor allen Dingen
darin, dass man sie auch für komplizierte Funktionen aufschreiben kann, um dann (ausgespro-
chen mühelos) das Ergebnis durch numerische Integration mit dem Computer zu ermitteln (siehe
hierzu www.TM-aktuell.de).
I
I Beispiel: Eine Fläche wird oben durch die Sinus-Kurve y = sinx und unten durch eine Gerade
begrenzt, die die Sinus-Kurve im Nullpunkt und im ersten Scheitelpunkt schneidet. Da dieser
Scheitelpunkt bei x = ~ liegt, wird die Gerade durch
2
y= Jr x
beschrieben. Für die eingeschlossene Fläche sind die Schwerpunktkoordinaten zu berechnen.
42 4 Schwerpunkte
r
te Lösung gewünscht wird, sollte man a 0 n: 3·(,,-4)
sich der erstaunlichen Fähigkeiten der I 2' (X-(SlneX)--
. 2
mathematischen Software-Produkte be- .-.
a EI :rt x JJdX .827267
<> In der Regel genügt die numerische Integration, die aucb dann möglich ist, wenn eine ana-
lytische Lösung gar nicht existiert. Die Ergebnisse sind beliebig genau, und man sollte im
Zweifelsfall kcinc Zeit darauf verschwenden, eine exaktc Lösung zu erzwingcn.
Und was bedeutet das für denjenigen, der sich bemüht, die Grundbegriffe der Techni-
schen Mechanik zu erlernen?
Konzentrieren Sie sich auf die Probleme der Technischen Mechanik, die sind schwierig ge-
nug. Das Mcchanik-Problem darf als gelöst gelten. wenn das bestimmte Integral korrekt auf-
geschrieben ist. Für die (in der Praxis natürlich sehr wichtige) Lösung darf man auf die Ver-
fLigbarkeit starker Hilfsmittel vertrauen.
Bemerkungen dieser Art werden Sie an verschiedenen Stellen in diesem Buch antreffen,
immer verknüpft mit dem Verweis auf die Internet-Site "Mathematik für die Technische
Mechanik" (www.TM-Mathe.de). Dort gibt es z. B. auch einen Bereich .,Numerische Inte-
gration".
4.6 Volumen-, F'lächen- und Linienlasten 43
[n der Realität sind alle Lasten, die ein Bauteil trägt, über eine Fläche verteilt (oder gar - wie
z. B. das Eigengewicht - über das Volumen).
Bei der Behandlung des stan'en Körpers kann man stels mit Einzelkräften rechnen, die den ver-
teilten Lasten statisch äquivalent sind (Einzelkräfte als Resultierende für verteilte Kräfte). Dafür
werden Körper- bzw. Flächenschwerpunkte benötigt:
e:> Volwnenlasteu (das Eigengewicht) werden durch die Gesamtgewichtskraft ersetzt, die im
Schwerpunkt des Körpers angetragen wird.
e:> Flächenlasten (Dimension: Kraft / Fläche) werden durch Integration über die Fläche zu Ein-
zelkräften. Hier soll nur der praktisch wichtigste Fall des konstanten Drucks Po auf eine
Fläche A behandelt werden: Die Resultierende
F=POA
greift in diesem Fall im Schwerpunkt der Fläche A an.
e:> Linien/asten (es ist auch der Ausdruck S'reckenlasten gebräuchlich) werden mit dem Symbol
q bezeichnet und haben die Dimension Kraft / Länge. Sie können über die Länge, auf der sie
wirken, veränderlich sein und müssen also im allgemeinen Fall durch eine Funktion q(z) mit
der Längskoordinate z dargestellt werden.
Die Resultierende Feiner Linienlast ergibt sich aus der Integration über die Länge, ihr Angriffs-
punkt Z mit der Forderung nach Momentenäquivalenz aus der Schwerpunktformel:
z q(z)
1111""
a
b
J
b b
Als Faustregel darf gelten: Die Resultierende F repräsentiert genau die Fläche. mit der die
Linienlasl q(z) symbolisch dargestellt wird, und F greift im Schwerpunkt dieser Fläche an.
Unter anderem werden Linienlasten zur Erfassung der Eigengewichtsbelastung gerader Träger
verwendet. Für den Fall. dass der Querschnitt des Trägers entsprechend A(z) veränderlich ist,
erhält man mit der Dichte p und der Erdbeschleunigung g aus der folgenden Fonnel die
Beispiel I:
'-....;_ _.. Der Durchmesser der skizzienen WeI- 2 3 4 5
le wächst im konischen Abschnitt 2 von 02 auf
03 und ist im Abschnitt 3 konstanl. Für diese bei- LI l, =er: 'l
den Abschnitte sind die Funktionen der Linienlas-
len Q2(Z2) und Q3(Z3) infolge des Eigengewichts zu z, ~,
berechnen (Dichte des Materials: p).
,I'"''''''
enlastverläufe sollen Größe und Lage der Resul- q,l/21_
tierenden (Abbildung 4.12) berechnet werden.
Für die skizziene Dreieckslast mit der Maximal- 2l/3
intensität q, iSI der Verlauf der Linienlaslmil der
gewählten Koordinate durch
(4.26) , , , , , , , , I, I,
2
(4.27)
""""""
':7= _/
- 3
l/2
Es ist leicht einzusehen. dass rur eine konstante
Linienlast bzw. eine TrapczJasl die angegebenen 2113
Ergebnisse gelten. Dabei ist es sinnvoll, die Tra-
pczlast durch zwei Einzelkräfte (aus konstanter Abbildung 4.12: Dreieckslasl, konslanle Linien-
Linienlast und Dreieckslast) zu ersetzen. lasl und Trapezlasl
4.7 Aufgaben 45
4.7 Aufgaben
I
Allfgabe 4. J: I
Ein Würfel aus Aluminium
z
(Dichte: PAl = 2,70 g/cm 3 ) mit einer Kanten-
länge a = 200 Olm ist mit einem kleineren
Würfel (Kantenlänge I)
aus Eisen (Dichte:
PFe = 7,85 g/em 3) verbunden.
Allfgabe 4.2:
I'-';';;'_ I
_....1 Der skizzierte homogene Körper besteht aus eincr
Halbkugel und einem Kegel.
Für einen gegcbenen Radius R ist die Höhe H des Kegels zu er-
mitteln, für die der Gesamtschwerpunkt des KÖ'l:>crs in die Ver-
bindungsftäche von Halbkugel und Kegel fälll.
I
I Allfgabe 4.3: Für die skizzierten Flächen sind die Koordinaten der Flächenschwerpunkte zu
berechnen.
a
30
d
/i?-# ~.
o So
00
Al
/ Ys I d
M
~.. a d
~1 ;-.; /1
'"
30 1.5 a __x-L
3a
Liebe Studenten, liebe Schüler, Sie haben natürlich recht mit der Frage, die sich gera-
dezu aufdrängt. Sie haben sich möglicherweise eine Software hemntergeladen oder die
Online-Berechnung von Schwerpunkten getestet (heides wird über www.TM-aktuell.de bzw.
www.TM-interaktiv.de angeboten) und fragen nun: ,.Warum muss ich das denn alles lernen,
wenn es so bequem mit ein paar MauskJicks zu erledigen ist?"
Sie müssten es auch nicht lernen. wenn Sie ..Schwerpunkt-Berechner" werden wollten (den
Beruf gibt es allerdings nicht). Auch der Auto-Mechaniker, der Pkw-Räder auswuchtet, muss
die im Abschnitt 29.4.2 behandelte Theorie des Auswuchtens nicht beherrschen. Es genügt,
dass seine Maschine ..weiß. wie es geht."
Sie aber wollen einen technischen Beruf erlernen. Wahrscheinlich wollen Sie Ingenieur wer-
den. Und dann gibt es mindcstcns dic bcidcn folgcnden Gründc als Antwort auf dic obcn
gestellte Frage:
• Sie müssen das Herangehen an Probleme und die Strategien zu ihrer Lösung trainieren,
um später flir die Probleme, für die cs noch kcine Lösung gibt, gerüstct zu sein. Das muss
an ganz einfachen Dingen (wie z. B. Schwerpunktberech.nung) geübt werden.
• Man kann bei der Nutzung von Software zur Lösung VOn Problemen beliebig viel falsch.
machen. Deshalb zieht sich auch das schwierige Thema .,Verifizieren von Computer-
rechnungen" wie ein roter Faden durch dieses Buch. Natürlich rechnet der Ingenieur die
Lösungen, die der Computer abliefert, nicht ,.von Hand" nach (das geht meistens auch
gar nicht). Aber er braucht ein Gefühl daflir, ob die Lösung richtig sein könnte, und er
muss in der Lage sein, offensichtlich falsche Ergebnisse möglichst SOfOl1 zu erkennen.
Von den zahlreichen Strategien dafür ist das Verständnis für die Theorie, die hinter den
Computer-Algorithmen steckt, eine besonders erfolgreiche Methode.
Sie werden bemerkt haben, die typische Motivation fijr Studenten und Schüler - "lch muss
das lemen, weil es in der Prüfung drankommt.·' - ist eigentlich Imr .für diejenigen wichtig, die
die rationalen Argumentc nicht einsehen. Zu dcnen gehören Sie, lieber Leser, ja aber nicht.
Ein Körper befindet sich im Gleichgewicht, wenn sich die Wirkungen aller an ihm angreifenden
Kräfte und Momente aufheben. Aus dieser Forderung ergeben sich die
Man beachte:
<> Die durch die Indizes x und y angedeuteten Richtungen in den Kraft-Gleichgewichtsbedin-
gungen können selbstverständlich beliebig gewählt werden. Es ist nicht erforderlich, dass
die beiden Richtungen senkrecht zueinander sind.
<> Der Bezugspunkt fUr die Momenten-Gleichgewichtsbedingung kann beliebig in der Ebene
festgelegt werden.
<> Es ist möglich (und vielfach zweckmäßig), eine oder beide Kraft-Gleichgewichtsbedingun-
gen durch zusätzliche Momenten-Gleichgewichtsbedingungen mit anderen Bezugspunkten
zu ersetzen, die bei drei Momenten-Gleichgewichtsbedingungen allerdings nicht auf einer
Geraden liegen dürfen. Bei zwei Momenten-Gleichgewichtsbedingungen dürfen die beiden
Bezugspunkte nicht auf einer gemeinsamen Senkrechten zur Kraft-Gleichgewichts-Rich-
tung liegen.
<> Da drei Gleichgewichtsbedingungen erfüllt werden müssen, dürfen drei Größen unbekannt
sein, die dann mit Hilfe dieser Bedingungen ermittelt werden können.
L-:> Obwohl theoretisch beliebig viele Gleichgewichtsbedingungen aufgeschrieben werden kön-
nen (z. B. durch Wahl immer neuer Bezugspunkte für das Momenten-Gleichgewicht), kön-
nen doch niemals mehr als drei Unbekannte aus diesen Gleichungen errechnet werden. Zu-
sätzliche Gleichungen können zur Kontrolle der Rechnung nützlich sein.
<> Neben der Freiheit, beliebige Richtungen für die Kraft-Gleiehgewiehtsbedingungen festzu-
legen, kann auch jeweils der positive Richtungssinn für dic Kräfte und der positive Drehsinn
für die Momente für eine Gleichgewichtsbedingung beliebig gewählt werden.
<> In die Kraft-Gleiehgewiehtsbedingungen gehen alle Einzelkräfte einschließlich der resultie-
renden Kräfte ein, auf die verteilte Belastungen (z. B.: Linienlasten) vorher reduziert werden
I_Bei~piel: I
_ _ _ E111C rechtccklgc ScheIbe (Gc-
2
Für eine zweite Kraft-Gleichgewichtsbedingung kann man jedoch keine Richtung finden, die
zwei Unbekannte aus der Gleichung heraushält. Im Gegensatz dazu lässt sich die Momenten-
Gleichgewichtsbedingung immer so formulieren, dass nur eine Unbekannte in der Gleichung er-
scheint, indem als Bezugspunkt der Schnittpunkt der Wirkungslinien zweier unbekannter Kräfte
gewählt wird. Für die vorliegende Aufgabe drängt sich der Punkt A in dieser Hinsicht geradezu
auf, und es empfiehlt sich dann durchaus, als drittc Gleichgewichlsbedingung das Momcnlen-
Gleichgewicht um den Punkt C aufzuschreiben, so dass alle Gleichungen jeweils nur eine Unbe-
kannte enthalten (und Rechenfehler sich nicht fortpflanzen!)I. Aus den Momenlenbeziehungen
C) FG(a+acota)-Fs1a=O
FG
FS 1 = FG(1 +cota) = 3, 15kN FS2 = - . - =2,31 kN FS3 = FG =2kN
Sill a
1 Die drei Gleichgewichlsbedingungen stellen nos der Sichl der M.athematik ein Lineares GleiclHmgssysrem dar, das
durch den beschriebenen ,.Trick" cnlkoppelt wird (und damit leicht ..von Hand" lösbar ist). Es sei schon hier darauf
hingewiesen. dass für komplizicnerc Probleme - wenn die Lösung des GleichwlgssyStcms dem Computer übenragen
wird - diese SLrategic nicht mehr zu empfehlen i~l (siehe dazu Abschnin 6.3).
5.2 Lager und Lagerreilktionen in der Ebene 49
Ein Körper, der sich in einer Ebene frei bewegen kann, hat drei Freiheitsgrade: Translatorische
Bewegung (alle Punkte des Körpers bewegen sich aufkongruemen Bahnkurven) ist in zwei Rich-
tungen möglich, der dritte Freiheitsgrad ist eine Rotation um eine Achse senkrecht zur Ebene.
Durch Lager werden die Bewegungsmöglichkeiten des Körpers eingeschränkt. Man unterschei-
det in der Ebene ein-. z;wei- und dreiwertige Lager. Die WeJ1igkeit eines Lagers gibt all, wie
-# 1'·
viele Freiheitsgrade es einschränkt. Dies soll am Beispiel der Lagcrung eines starren Körpers
verdeutlicht werden:
I
I Beispiel I: Der ungebundene starre Körper hat m
der Ebene drei Freiheilsgrade. Eine staJTe Bindung
~
(drciweJ1iges Lagcr) bindct drci Frcihcitsgrade. Ei-
ne gelenkige Lagenmg (zweiwertjges Lager) bin-
dct zwei Freibeitsgrade (Rotation ist möglich).
Beispiel 2:I
I_ _ _..... Wenn die gelenkige Aufhängung sIch
in einer Richtung bewegen kann, wird nur ein Frei-
heitsgrad gebunden (einweJ1iges Lager). Die Kom-
bination eines einwertigcn mit eincm zwciweJ1igen
Lager bindet auch drei Freiheitsgrade, und der Kör-
per hat wie bei der Lagerung mit einem dreiwerti-
gen Lager keine Bewegungsmöglichkeit mebr.
Der Stab ist sowohl mit dem Körper als auch mit
einem FestpuTlkt gelenkig verbunden und kann nur
einc Kraft in scincr Längsrichtung aufnehmen. Die-
se wird (wie in der Abbildung 5.2) als Zugkraft an-
getragen und darf auch negativ werden.
Abbildung 5.2: Ein Stab kann eine Zug- oder
eine Druckkraft aufnehmen.
50 5 Gleichgewicht des ebenen Kraftsyslems
[st der Körper über eine Hülse auf einer Schiene ge-
lagert (Abbildung 5.7), so werden eine Kraft senk-
recht zur Schiene und ein Moment, das die Rotation
verhindert, übertragen.
Abbildung 5.7: Eine Hülse al/f einer Schiene
kann eine Kraft und ein Moment aufnehmen.
5.2 Lager und Lagerreilktionen in der Ebene 51
In der technischen Praxis kommen natürlich die verschiedensten Realisiemngen flir Lagerungen
vor, die bei ebenen Problemen dann immer als ein-, zwei- oder dreiwertiges Lager idealisiert
werden müssen, z. B.:
<> Gleitlager UJld Wälzlager werden im Allgemeinen als Loslager angesehen; wenn sie auch
axiale Kräfte aufnehmen können, als Festlager. Diese Idealisierung geht also davon aus,
dass sie keine Momente aufnehmen, was exakt natürlich nur tUr Pendellager gilt. Bei der
Lagerung einer Welle muss allerdings immer auch flir die Aufnahme axialer Lasten gesorgt
werden. Dies geschieht durch Auswahl entsprechender Lager oder andere konstruktive Maß-
nahmen, die in der Regel nur Kräfte mit einem Richtungssinn aufnehmen können. Bei zwei
Lagcrungcn diescr Art wird dann cincs dcr bcidcn Lagcr als Fcsllager modclliert.
Festlager
BA
Abbildung 5.11: Typische Lagerungen eines starren Körpers in der Ebene (oben) und die zugehörigen
Schnittskizzen zur Berechnung der Lagerreaktionen (unten)
Für die ein-, zwei- und dreiwertigen Lager werden (unabhängig von der technischen Realisie-
rung) die in der Abbildung 5.11 verwendeten Symbole vereinbart.
Dic Kräfte und Momentc, die von dcn Lagern auf dcn starrcn Körper aufgebracht werden (ulger-
reaktionen), sind im Allgemeinen zunächst unbekannt und werden mit Hilfe der Gleichgewichts-
bedingungen berechnet. Dafür sollten unbedingt Schnittskizzen angcfertigt werden, in denen die
weggeschnittenen Lager durch die Lagerreaktionen ersetzt werden (siehe Abbildung 5.11).
Wenn durch dic Lagerung eines starren Körpers in der Ebene seine drei Bewegungsmöglichkei-
ten behindert werden, so bleibt er auch unter Belastung in Ruhe. Dafür ist mindestens eine der
drei folgenden Kombinationen von Lagern erforderlich:
Ein dreiwertiges Lager oder
ein einwertiges und ein zweiwertiges Lager oder
drei einwertige Lager.
Bei gegebener Belastung können für diese drei Kombinationen von Lagern für den starren Körper
die Lagerreaktionen aus den drei Gleichgewichtsbedingungen berechnet werden. Dieser Fall hat
besondere praktische Bedeutung:
Ein Körper ist slOtisch bestimmt gelagert, wenn alle Lagerreaktionen alJeil1 aus den Gleich-
gewichtsbedingungen beredll1et werden können.
5.3 Statisch bestimmte Lagerung 53
Ist der starre Körper durch mehr als drei Bindungen gefesselt, so liegt ein srcilisch IInbesrimmres
Problem vor, das mit den fur die Statik getroffenen Annahmen (starrer Körper) nicht zu lösen
ist. Unter Einbeziehung der Verformbarkeit der Körper (wird in der Festigkeitslehre behandelt)
können auch fUr statisch unbestimmt gelagel1e Körper die Lagerreaktionen berechnet werden.
I Beispiel I: I
Die in Abbildung 5.12
skizziet1en Tragwerke mit
sratisch besrimmter Lage-
nmg gestatten die Berech-
nung sämtlicher (drei) La-
gerreaktionen ausschließ-
lich über Gleichgewichts- /
belrachlllngen.
1
8eispiel2: I Tragwerke mit statisch IInbestimmter (überbeslimmrer) Lagerllng (Abbildung
5.13) können nicht mit den Mitteln der Statik allein berechnet werden:
I Beispiel 3: I Eine statisch ullIerbestimmte Lagerung (Abbildung 5.14) nimmt dem Körper
nicht sämtliche Bewegungsmöglichkeiten:
r"--'----"-i- "l
i I
'-----L_-_-_-_----.r -.J
I
Abbildung 5.14: Statisch unterbestimmte Lagerung. Mit den gestrichelt gezeichneten Lagen wird ange-
deutet. dass trotz der Lagerung eine Starrkörperbewegung mögUch i~t (Bewegung ohne Verformung).
54 5 Gleichgewicht des ebenen Kraftsyslems
Aus der Tatsache, dass eine der eingangs (auf Seite 52) genannten Lagerkombinationen (ein drei-
wertiges, ein ein- und ein zweiwe'1iges oder drei einwertige Lager) den starren Körper bindet,
kann noch nicht zwingend auf die statische Bestimmtheit der Lagerung geschlossen werden (drei
Bindungen sind dafür notwendige, nicht auch hinreichende Bedingung, siehe nachfolgendes Bei-
spiel).
I Beispiel 4: I \
Es ist sofort zu sehen (Abbildung 5.15). dass der durch
drei Loslager gebundene Träger sich noch horizontal bewe-
gen kann. Die Kraft-Gleiehgewichtsbedingung in horizonta- Abbildung 5.15: Drei einwertige
Lager sind keine Garantie flir sta-
ler Richtung ist statisch nicht erfüllbar.
tisch beslil11ll11e Lagerung
I Beispiel 5:
_"";_ _...1
I
Sehwlenger zu erkennen 1st, dass dem
durch ein Fest!.ager und ein Loslager gefesselten Rahmen
(Abbildung 5.16) noch eine (unendlich kleine) Rotation um
den Punkt A möglich ist, weil keine der Lagerreaktionen ein
Moment um diesen Punkt erzeugen kann. Aber auch dieser
Sonderfall äußert sich durch unerfüllbare Gleichungen. Die
Abbildung 5.16: Schwierig zu er·
Summe aller Momente um Punkt A z. B. führt auf
kennen: Statisch unbestimmtes Sys-
tem, weil unendüch kleine Drehun-
A) Fa=O
gen um den Punkt A möglich sind
Der statisch bestimmt gelagerte Körper ist in der technischen Praxis nicht etwa die zufallige
Ausnahme (unter den unendlich vielen Möglichkeiten, einen Körper zu lagern). Zahlreiche
Vorteile sprechen dafür, statisch bestimmte Lagerungen zu bevorzugen. z. B.:
Die Lagerreaktionen statisch bestimmt gelagerter Körper sind mit den Milleln der Sta-
tik (und damit besonders einfaCh) zu berechnen.
Fertigungsungenauigkeiten führen bei statisch bestimmter Lagerung weder zu Span-
nungen im Bauteil noch zu einem völlig veränderten Tragverhalten (dies demonstrieren
die beiden nachfolgenden Beispiele).
Thermische Dehnungen (z. B. durch Temperaturerhöhung) können sich bei statisch be-
stimmter Lagerung frei ausbilden und führen nicht zu innereu Spannungen im Bauteil
(dies wird ausflihrlich im Abschnitt 14.3 behandclt).
Beispiel 6:
I_"";_ I
_...1 Der zweifach gelagerte gerade Träger der Abbildung 5.17 stellt SIch bei germger
Absenkung einer Stütze etwas schräg. was zu keiner nennenswerten Änderung der Lagerreaktio-
nen fWU1, während der dreifach gelagerte Träger einer Stützenabsenkung nur durch Verbiegung
(verbunden mit inneren Spannungen) folgen kann:
5.3 Statisch bestimmte Lagerung 55
...L:S:...--- 7: :LS:;:r--_
:::LL_._ ...Ls::;-----X.,,----::::n....-.-
Abbildung 5.17: Ferligungsungenauigkeil bei statisch bestimmter Lagerung (oben) ----+ kein Problem.
bei statisch unbeslimmler Lagerung (unlen) --+ Verformung und innere Sp:mnungen
I
I Beispie/7: Ein an drei Seilen aufgehängter Körper (Abbildung 5.18) belastet die Seile ein-
deutig (z. B. errechnet man: FS3 = .'f).
Die Seilkräfte ändern sich kaum, wenn eines der Seile
etwas länger (oder kürzer) ist und der Körper etwas schräg hängt (in Abbildung 5.18 als Fall a
rechts dargestellt).
2 3 2 3
a) Fe
2
Abbildung 5.18: Statisch bestimlllte Aufhängung: Die Scilkräfte sind weitgehend unabhängig von kleinen
Ungenauigkeiten der Scillängen.
Durch Anbringen eines vierten Seiles (Abbildung 5.19) ändert sich das Tragverhalten grund-
legend, wenn eines der Seile nicht exakt die vorgeschriebene Länge hat, weil der Körper der
Längenänderung nicht durch Schrägstellung folgen kann, beispielsweise: Wenn Seil 4 etwas zu
lang ist (Fall b), trägt es niebt mit, und die Seilkräfte I bis 3 haben die gleichen Werte wie im Fall
a. 1st dagegen Seil 3 etwas zu lang (Fall cl, muss Seil 4 die gesamte Gewichtskraft aufnehmen:
". 0
" 2
2 4 3 2 4 3 4 3
~ f(, ~ Fc ~ Fc
C '. .,,~
///, ;:.
PS3 ~
Fc ES. ~ 0 FS4~ Fc FSJ~O
2
Abbildung 5.19: Statisch unbestimmte Aufuängung: Keine (Fall b) bzw. drastische Änderung (FaJl c) der
Seilkräfte (im Vergleich mit der Aufuängung an drei Seilen) bei kleinen Ungenauigkeiten der Seillängeu.
56 5 Gleichgewicht des ebenen Kraftsyslems
Beispiel 8:I
I_ _ _....I Wenn zweI Menschen elllen Gegen-
stand (z. B. eine Leiter, Abbildung 5.20) tragen, hat
jeder eindeutig eine anteilige Last zu bewältigen. Ein
dritter "Träger" könnte schummeln (oder es schum-
meln sogar zwei auf Kosten des dritten).
Abbildung 5.20: Eindeutige Lastverteiiung
Beispiel 9:I
I_ _ _....I Der skizzierte gerade Träger Ist durch B
die Linienlast qo und die Einzelkraft F belastet. Er ist Seil
6
I j llllllllil
bei A gelenkig gelagert und wird zusätzlich durch ein
Seil gehalten. A
Nach dem Freischneiden des Trägers können die Unbekannten z. B. durch Momcnten-Gleich-
gewicht um die Punkte A, Bund C unabhängig voneinander berechnet und könnten durch eine
weitere Gleichgewichtsbeziehung (z. B.: Summe aller Verlikalkräfte) kontrolliert werden:
B
A) qo·0,6L·0,7/+FL-FS·0,4Lsina =0
ß) qo·0.6/·0,7/+F/-FAll·0,3/ =0
C) qo' 0.6L· 0,3/ + F ·0.6L + FAV ·0.4/ = 0
Die benötigte Winkelfunktion kann unmittelbar aus der Geometrie abgelesen werden:
0,3/ 3
sin a = -v"'j0;;=,';"0"'9~L2C=+=0"',=;176';;i'/2 5
IBeispiel JO: IDas in Abbildung 5.21 skizzierte ModeU eines Krans ist durch seine Eigenge-
_ _ _ _...I
wichtskraft FK und dic Last Fe belastet. Es ist bci A durch ein Festlager, bci B durch ein Loslagcr
abgestützt. Das Seil. an dem die Last rc
hängt, ist im Fall CI am Kran befestigt, im Fall b außer-
halb des Krans am Boden (technische Realisierung z. B.: Die Winde. die die Last hebt, befindet
sich im Kran bzw. außcrhalb des Krans).
5.3 Statisch bestimmte Lagerung 57
b)
A,rt- ->-B
a
b
c d
Abbildung 5,21: Modell eines Krans mit unterschiedlicher Befestigung der Last
b)
{soFa
FAH , fAv fAv I
F I Fs~FC
-.A.. AH- .A..J...
Abbildung 5.22: In Abhängigkeit von der Befestigung des Seils muss unterschiedJich geschnitten werden.
Fall a
A) hb+ Fdc+d) -FBC = 0
-- FB=2,9kN
-
B) FAVc - h(c-b) +Fed = 0 FAV =0,1 kN
--> FAH =0
-
Fall b B) FAvc+ Fdd - c+a) - FK(C-b) = 0 FAV =O,9kN
--> FAH =0
58 5 Gleichgewicht des ebenen Kraftsyslems
I Beispiel 11: I
Ern Motor und erne Arbeltsmaschllle 1,5a
sind auf einem gemeinsamen Fundament (Fundamelll-
masse: mF) gelagert und belasten dieses durch die j
d
Momente MI und M2 und die Gewichtskräfte ihrer M
I
Massen mI lind 1112. j
"';;
schreiben, dass jeweils nur eine Unbekannte eingeht C< C<
(man müsste die Schnittpunkte der Wirkungslinien mFg
von jeweils zwei Stabkräften ermitteln und diese als ~I
Momcntenbczugspunktc wählcn).
Da der dafür erforderliche Rechenaufwand nicht kleiner ist als das Auflösen gekoppelter linearer
Gleichungen 2 , werden die beiden Kraft-Gleichgewichtsbeziehungen in horizontaler und vertika-
ler Richtung und das Momenten-Gleichgewicht um den Befestigungspunkt des Stabes 2 formu-
liert. Für das Aufschreiben des Momenten-Gleichgewichts verschiebt man die Kräfte FI und F3
bis in die Punkte CD bzw. @ und zerlegt sie in zwei Komponenten, von denen jeweils nur eine
einen Anteil licfert. Aus den drei Gleichungen
...., F3COSß +F2cosa - F) cosa = 0
T F3sinß - (F I + F2) sin a - (m) +m2 +IIlF)g = 0
@) F34acosß - FI 6asin a - (4,5ml +m2 + 3mp )ga+M I -M2 = 0
errechnet man z. B. durch Umstellen der ersten Gleichung nach F2 , Einsetzen in die zweite Glei-
chung, die dann nach F I umgestellt und in die dritte Gleichung eingesetzt wird:
I mlgcota
F3=- =5,789mlg
2 cosß(3 -4cota) +3sinßcota
5.4 Aufgaben
Altfgabe 5./: I
I_ _ _ _..... Flir den skizzie.1en Träger
sind die Lagerreaktionen bei A und B zu
ermitteln.
Aufgabe 5.2: I - F
,
cl
I_ _ _ _..... Der skizzierte Hebel ist bei A gelenkig gelagert und
wird ZlIsätzlich durch ein über eine Umlenkrolle geführtes Seil ge-
'"
halten (die Hinweise auf Seite 60 können sicher hilfreich sein). '18 cl
I
Gegeben: a l F . A
60'
'"
Gesucht: Komponenten der Lagerkraft bei A.
3a
Altfgabe 5.3: I
I_ _ _ _..... Eine starre Kreisscheibe ist durch M,
ihre im Mittelpunkt angreifende Eigengewichts-
kraft und die Momente MI, M2 und M3 belastet.
Altfgabe 5.4: I ,
",,
I_ _ _ _..... Das skizzierte statische Modell eines Hub-
werks ist durch seine Eigengewichtskraft h und die Mas-
sen In I und 1n2 belastet.
",,
",,
Die Masse 1112 hängt an einem Seil, das am Hubwerk be-
festigt ist, 1111 ist liber ein Seil an einer Wand außerhalb des
",
Hubwerks befestigt.
Gegeben: FK = 3kN
1111 = 50kg 1n2 = 150kg
Lieber Leser, das war ein ganz wichtiges Kapitel, hoffentlich haben Sie es bemerkt. Mit
dem Verständnis des gerade behandelten Stoffs (und besonders der Beispiele und Aufgaben)
entscheidet sich für den Anfanger nach der Erfahrung der Autoren der zukünftige Erfolg
(bzw. Misserfolg) im Umgang mit der Technischen Mechanik.
Das Problem besteht nicht in dem durch die Kapitelüberschrift vorgegebenen Thema (dic
Theorie zum Gleichgewicht des ebenen Kraftsyslems wurde schließlich komplelt auf der
einen Seite 47 behandelt), es sind die daraus zu ziehenden Schlussfolgerungen und das Zu-
sammenspiel der Theorie mit dem bereits in den vorangegangenen Kapiteln behandelten
Stoff. Die Vorteile statisch bestinuuter Systeme soUten Ihnen deutlich geworden sein. Dieses
Thema wird allerdings im folgenden Kapitel noch einmal ausführlich aufgegriffen.
Viel wiChtiger ist das Verständnis für dic Anwendung des Schniltprinzips, unabdingbarc Vor-
aussetzung auch für die Lösung der vier Aufgaben dieses Abschnjtts. Auf die wichtigsten
Bcsonderheitcn, die alle in den Beispielen dcmonstriert wurdcn, soll deshalb nachfolgcnd
noch einmal hingewiesen werden.
oe;' Bei der Lösung der Aufgabe 5.1 schneidet man einfach die beiden Lager weg, trägt die
insgesamt drei Komponenten der Lagerreaktionen an und schreibt die drei Gleichgewichts-
bedingungen auf. Bei der Aufgabe 5.3 dagegen bringt das Wegschneiden der drei Festlager
keinen Erfolg, denn dann hat man insgesamt sechs Unbekanntc. Hier muss man durch die
Stäbe schneiden, um nur drei unbekannte Stabkräfte zu bekommen.
Beides wurdc im Beispiel 9 demonstrien, wo das mit dcm starren Körper verbundene Fest-
lager A weggeschnitten wurde, zum anderen wurde das Seil geschnitten (und nicht etwa das
Festlager B gelöst), so dass sich 3 Unbekannte ergaben.
oe:> Um zielführende Schnitte für die Aufgaben 5.2 und 5.4 zu fin-
den. muss man das Beispiel 10 verstanden haben. Weil dieses
Beispiel exemplarischen Charakter hat, wurde auf Seite 57 eine
"komplelte" Schnittskizze angegeben (dies ist nicht üblich und F.' F.-
s s
wird auch bei folgenden Aufgaben nicht mehr praktiziert). Man
sieht nicht nur die freigeschnittenen Systeme. sondern auch die F.\
S
weggeschnittenen Lager. an denen die Lagerreaktionen mit je-
weils umgekehrtem Richtungssinn als Lagerkräfte wirken. So
wiJ'd deutlich, dass die Seilkraft als Belastung des Systems ein-
Abbildung 5.23: Scbnitt-
geht, wenn das Seil "an der Außenwelt" befestigt ist. skizze für die Aufgabe 5.2
oe:> Feste Rollen lenken Seilkräfte nur um. Deshalb ist die Seilkraft Fs im Beispiel 10 gleich der
Gewichtskraft Fe, und die Schniltskizze für Aufgabe 5.2 (Abbildung 5.23) zeigt, dass am
starren Körper die Seil kraft Fs zweimal in gleicher Größe angetragen werden muss.
L~ Die immer wieder auftauchende Frage. ob man denn nicht auch beim Fall a dcs Beispiels
10 das Seil zerschneiden könnte, kann durchaus mit ,,Ja" beantwortet werden. Allerdings
muss man dann auch die (gleich große) Gegenkraft antragcn, und dann wirken am Kran
zwei Kräfte "s, die im Gleichgewicht sind und summarisch also keine Wirkung haben.
6 Ebene Systeme starrer Körper
Beispiel I: I
I_ _ _ _.... Bel emer stausch bestimmt gelagerten Brücke größerer Spa1lJ1We'te soll durch An-
bringen einer zusätzlichen Stütze die Tragfähigkeit erhöht werden. Natürlich scheidet die in Ab-
bildung 6.1 gestrichelt eingezeichnete Variante eines drillen Lagers aus, weil die Lagerung dann
statisch unbestimmt wärc (jede geringfügige Absenkung einer Stütze würde das Tragverhalten
grundsätzlich verändern).
Abbildung 6.1: Das Anbringen einer zusätzlichen (gestrichelt gezeichnelen) Stütze würde zu einer stalisch
unbestimmten Lagerung führen und verbietet dich deshalb.
Wcnn man nun zwci Brückcntcilc baut (Abbildung 6.2), das rcchtc Teilstück bei Bund C lagcrt
und für das linke Teilstück eine zusätzliche Stütze G vorsieht, entstehen zwei statisch bestimmt
gelagerte Teilsysteme.
Es ist sicher einzuseben. dass dic Tcilsysteme auch dann noch statisch bestimmt gelagert sind,
wenn der linke Teil nicht mehr auf der Zusatzstütze, sondern auf einem auf dem rechten Teil
angebrachten Festlager (in der Abbildung 6.2 bereits eingezeichnet) gestützt wird, denn
• rür den linken Teil ändert sich damit nichts und
der rechte Brückenteil wird zwar durch ZlIsätzliche Kräfte bei G belastet (in der Abbil-
dung 6.2 bereits gestrichelt angedeutet), aber zusätzliche Kräfte ändern an der statischen
Bestimmtheit nichts, da diese nur durch die Lagerung beeinflusst wird.
Abbildung 6.3: Eine Brücke mit drei Stützen und einem Gelenk ist ein statisch bestimmt gelagenes System.
Fazit: Das in der Abbildung 6.3 dargestellte Gesamtsystem mit einem Festlager, zwei LosJagern
und dem Gelenk G ist statisch bestimmt.
Träger auf mehreren Stützen, die durch Einfügen von Gelenken zu statisch bestimmten Trä-
gern wurden, werden Gerber-Träger genannt (nach G. H. GERBER, 1832 - 1912, auf den
diese Idee zurückgeht).
Gerber-Träger haben alle im AbschnittS.3 diskutierten Vorteile. An dem in Abbildung 6.3 skiz-
zierten Beispiel wird deutlich, dass z. B. eine Absenkung der Mittelstütze nicht zu einer Verbie-
gung der Träger ftihrt, weil die beiden Trägerteile der Absenkung folgen können, indem sie eine
etwas sehräge Lage einnehmen.
Es ist üblich, einen Gerber-Träger mit Hilfe der bereits vereinbarten Lagersymbole und einem
kleinen Kreis als Symbol für ein Gelenk darzustellen (Abbildung 6.4).
11
:..J5..... C
:..J5.....
-.- 4=
---;;;-
A C B
Natürlich können auch mehrere zusätzliche Lager durch weitere Gelenke ausgeglichen werden.
Die beiden in der Abbildung 6.5 skizzierten Systeme sind wie das bereits betrachtete Beispiel
statisch bestimmte Tragwerke.
+
11 11
:..J5..... C, :..J5..... C, :..J5.....
-;:;- ~
A B C D
!I I!
:..J5..... :..J5..... CI C, :..J5.....
,.....,.,... :..J5.....
7""': --::r //
A B C D
Abbildung 6.5: Zwei Varianten von Gerber-Trägem: Das unten zu sehende Beispiel hat im Brückenbau
den Vorteil, dass das Minels'Iück ersl 3m Ende der Bauarbeiten eingehängt werden muss.
6.1 Statisch bestimmte Systeme 63
Fast immer aber spielt das Gelenk als Verbindungselement eine wesentliche Rolle, häufig (z. B.
im Maschinenbau) auch aus funktionalen Gründen.
Zur Berechnung der Lagerreaktionen von Starrkörpersystemen ist die Betrachtung des Gesamt-
systems (Lösen von den Lagern und Antragen der Lagerreaktionen) im Allgemeinen nicht ausrei-
chend: Den drei Gleichgewichtsbedingungen stehen mehr als drei unbekannte Lagerreaktionen
gegenüber. Es solJ jedoch schon hier ausdrücklich darauf hingewiesen werden, dass die so zu
gewinnenden drei Gleichungen richtig (und bei vielen Aufgaben auch nützlich) sind. Man kann
nur allein aus diesen Gleichungen nicht sämtliche LagelTeaktionen ermitteln.
An dem einleitenden Beispiel I eines einfachen Gerber-Trägers wurde deutlich, dass man ein
Gelenk als ein an einem Teil angebrachtes Festlager auffassen kann, auf dem ein anderer Teil
gelagert ist. Ein Gelenk kann also wie ein Festlager zwei Kraftkomponenten übertragen. Aus
dieser Tatsache ergibt sich folgende
Zu den unbekannten Lagerreaktionen kommen flir jedes zerschnittene Gelenk noch zwei unbe-
kannte Gelenkkraftkomponenten hinzu, für die nun aber auch eine größere Anzahl von Gleichun-
gen zur Verfügung steht. Ein solches System kann nur statisch bestimmt sein, wenn die Anzalll
der Gleichungen mit der Anzahl der Unbekannten übereinstimmt.
Diese Bedingung ist fur alle bisher betrachteten Systeme erfüllt. Es ist eine notwendige Bedin·
gung (wenn sie nicht erfLillt ist, kann das System nicht statisch bestimmt sein), sie ist aber nicht
hinreichend.
:x :x :x
' I 11
~d, :x
---"7
:x
---"7 4""
A GI B C D
Abbildung 6.7: Ein Gerber-Träger. der die notwendige Bedingung für die statische Bestimmtheit erfUlIt.
ist durchaus nicht immer tragfähig.
Für den in Abbildung 6.7 oben skizzierten Gerber-Träger ist die notwendige Bedingung fLir
die statische Bestimmtheit erfüllt, dieses Gelenksystem ist aber als Tragwerk untauglich. Das
rechte Teilsystem ist statisch llllbestimmt gelagert (als starrer Körper kann es zum Beispiel einer
Stützenabsenkung nicht folgen), während die beiden linken Teile statisch unterbestimmt gelagert
(und damit als Starrkörper beweglich) sind. Schon durch sein Eigengewicht würde ein solches
Gelenksystem als Tragwerk versagen.
Es kommt also (wie beim einzelnen starren Körper) nicht nur auf die Anzahl der Bindungen an.
Die Sonderfälle, bei denen trotz Erfüllung des notwendigen Kriteriums (gleiche Anzahl unbe-
kannter Kräfte und Gleichgewichtsbedingungen) das System nicht statisch bestimmt ist, äußern
sich durch Wider>prüche in den Gleichungen. Diese Aussage ist leider nicht umkehrbar: Die
meisten Widersprüche in Gleichgewichtsbedingungen werden nicht vom mechanischen System,
sondern von dem, der es berechnen will, velUrsacht.
Hinweis zur W0I1wahJ: Bei AufgabensteIlungen der Praxis sind häufig Lager- oder Gelenkkräfte
vorgegeben und gefragt sind zulässige Belastungen oder Abmessungen, so dass die vorgegebe-
nen Werte nicht überschritten werden. Es ist deshalb nicht ganz korrekt, von den "unbekannten
Lager- und Gelenkkräften" zu reden, genauer ist die dafur übliche Bezeichnung ZwongskräJte.
Für denjenigen, dem die hier angestellten Überlegungen neu sind, ist aber sicher die "nicht ganz
saubere" Bezeichnungsweise zunächst verständlicher.
Beispiel 2:
I_"";_ I
_...1 Für den skiZZierten emfachen Gerber-
Träger sind die Lager- und Gelenkkräfte zu bestim-
men. X A ~I :.K..
W-- B
OA-c
" ~,
Das System wird VOn den Lagern gelöst und am Gelenk G zerschnitten. Es entstehen die beiden
Teilsysteme lund II mit insgesamt 6 unbekannten Kräften. Der Richtungssinn der Kräfte kann
beliebig angenommen werden, es ist aber unbedingt darauf zu achten, dass die beiden Kompo-
nenten der Gelenkkraft FGH wld FGV an den beiden Schnittufern des Gelenks (in den Teilsyste-
men I und Ir) in entgegengesetzte Richtungen angetragen werden müssen (Schnittprinzip!).
6.1 Statisch bestimmte Systeme 65
I
Beispiel 3:
I_"";'_....1 Als statisches Modell für
~~(~
die Berechnung von Achslasten und der
Belastung der Kupplung dient für den
in der Abbildung 6.8 skizzierten Pkw
k
mit einachsigem Anhänger der Gerber-
Träger. Das System ist statisch bestimmt,
wenn die auf die Hinterräder wirkende I 4
Handbremse angezogen ist. wodurch ei-
nes der d.rei Lager zum Festlager wird Abbildung 6.8: Gerber-Träger als statisches Modell für die
(auf die Achslasten, die nur durch vel1i- Berechnung von Achslasten und Bela.stung der Anhänger-
kai gerichtete Kräfte verursacht werden. Kupplung
hat dies ohnehin keinen Einfluss).
Die Betrachtung beschränkt sich in diesem Kapitel natürlich auf das ebene Problem. womit Achs-
lasten (und nicht die Kräfte an einem Rad) berechnct werden können.
66 6 Ebene Systeme stalTer Körper
Beispiel 4: I
I_ _ _ _.... Währcnd ein zweiachsI-
ges Fahrzeug statisch bestimmt gelagert
ist, ist fur die drei Achsen eines Ge-
spanns (Beispiel 3) ein Gelenk erforder-
lich, um Fahrbahnuncbenheiten auszu-
gleichen. Für den Lkw mit einem zwei-
achsigcn Anhängcr (A bbildung 6.9) wird
die statische Bestimmtheit erst durch
Abbildung 6.9: Vier Achsen e.fordern zwei Gelenke. um
zwei Gelenke hergestellt. Bodenunebenhcircn auszugleichen.
Beispiel 5: I
I_ _ _ _.... Schienen fahrwerke von
Kranen und Förderanlagen werden häufig
mit sehr vielen Rädern (manchmal mehr
als 100 pro Schiene) ausgestattet, um die
großen Lasten möglichst gleichmäßig
zu verteilen. Das in Abbildung 6.10
skizzierte statische Modell eines solchen
Fahrwerks mit 8 Rädern verdeutlicht,
wie die Last F jeweils über eine Traverse
(gleichmäßig) auf zwei darunter liegende F
Traversen verteilt wird.
Für die Bestimmung der 12 Gelenkkraft-
komponenten (6 Gelenke GI bis G6) und
8 Lagerreaktionen (8 ungebremste Räder
-> 8 Loslager) stehen an 7 TeiJsystemen
Abbildung 6.10: Die Last F wird über insgesaml 7 Tra-
I bis VII insgesamt 7·3 = 21 Gleichge-
versen so verteilt, dass jedes Rad eine Krarl F /8 aur die
wichtsbedingungen zur Verfügung (eine Schiene überträgt.
mehr als erforderliCh I • weil das Modell in
horizontaler Richtung beweglich ist).
Es lässt sich leicht nachvollziehen, dass wegen der Symmetrie der Konstruk1ion die Kraft F
gleichmäßig auf die Räder Ueweils f)
verteilt wird. Solche Fahrwerke werden deshalb gern mit
einer Radanzalll ausgestaltet, die eine Zweierpotenz ist, weil die Traversen dann die Kräfte über
jeweils gleiche Abmessungen links und rechts in gleicher Größe übertragen.
Dass das Ziel, gleichen Lastanteil für jedes Rad zu erzielen, auch clTeicht werden kann, wenn
die Radanzahl keine Zweierpotenz ist, wird an einem Beispiel aus der Praxis im Internet gezeigt
(www.TM-aktuell.de).
1Wenn formal die Anzahl verfügbarer Gleichgewichlsbedingungcn größer ist als die Anzahl der Unbekannten. änden
sich an der statischen BC3limmtheii des Systems dann nichts. wenn die gleiche Anzahl von GleichgewichLSbcdingun-
gen von vornherein erfUlIl ist (hier ist es da'\ HorizonlJlkraft-Glcichgcwicht am GesaJUlsystcm). Dieser FaJl wird mn
Beispiel 8 noch einmal ausfLihrlieh erläulert.
6.1 Statisch bestimmte Systeme 67
Beispiel 6: I
I_"';'_....1 Das m der AbbIldung 6.11 skIzzIerte Mo- F
F
Beispiel 7: I
I_ _ _ _...I Wellen, dJe mehr als zweIfach gelagert werden müssen, sollten durch Gelenke geo-
metrische Ausgleichsmöglichkeiten (von Montageungenauigkeiten, Verschleiß....) gegeben wer-
den, dreifach gelagerten Wellen z. B. durch eine elastische Kupplung. vierfach gelagerten Wellen
durch Zwischenschaltung einer Kardanwelle.
Dies ist aus konstruktiven Gründen nicht immer möglich. Die Kurbelwelle eines Sechszylinder-
Kolbenmotors z. B. muss mehrfach gelagert werden, und ausgleichende Gelenke können nicht
vorgesehen werden. In diesen Fällen sind die Anforderungen an die Fertigungsgenauigkeit ex-
trem hoch.
Beispiel 8: I
I_ _ _ _...I Die Abbildung 6.12 zeIgt eme
20 130 40
handelsübliche Gripzange. Die spezielle Kon-
struktion dieser Zange ermöglicht das Zusam-
menhalten von Montageteilen, ohne ständig äu-
o
ßere Kräfte aufbringen zu müssen. Diese Eigen- I
Bei der Untersuchung der statischen Bestimmtheit der Zange stellt man fest, dass für die
vier Teile der Zange (siehe Schnittskizze in Abbildung 6.13) insgesamt zwölf Gleich-
gewichtsbeziehungen aufgeschrieben werden können. denen nur neun Unbekannte (8 Ge-
lenkkraftkomponemen an vier Gelenken und die gesuchte Kraft Fw) gegenüberstehen. Das
liegt daran, dass die Zange selbst nicht gelagert ist (also in der Ebene noch drei Freiheits-
grade hat). In der AufgabensteIlung ist dies bereits berücksichtigt, da die beiden Kräfte,
die die Zange belasten, ein Gleichgewichtssystem bilden: Die drei Gleichgewichtsbezie-
hungen am Gesamtsystem sind bereits erfüllt.
68 6 Ebene Systeme starrer Körper
Wenn man die Aufgabe abändert, indem man eine der beiden Kräfte durch eine Einspan-
nung (mit drei unbekannten Lagerreaktionen) ersetzt, wäre das Defizit an Unbekannten
beseitigt (siehe Abbildungen 6.17 und 6.18 auf der Seite 79). Als Ergebnis dieser Aufga-
be würde man als vertikalc Lagerreaktion wieder F erhalten, während die beidcn übrigen
Lagerreaktionen (Horizontalkomponente und Einspannmoment) gleich Null wären.
Mit einigem Geschick lässt eS sich vermeiden, dass bei der Berechnung der Zange sämt-
liche neun Unbekannten in die Rechnung eingehen. Es kommt darauf an. einen Satz von
Gleichgewichtsbedingungen zu finden, so dass die Anzahl der Gleichungen mit der Anzahl
der Unbekannten übereinstimmt. Vier Gleichungen mit vier Unbekannten sind nach dem
bisher behandelten Berechnungsverfahren möglich, im nächsten Abschnitt wird gezeigt,
dass sogar zwei Gleichungen mit zwei Unbekannten genügen.
F2V -FIV = 0,
dem Momentengleichgewicht um
das Gelenk I am Teilsystem 11
40Ful - 80F2V =0
stehen 4 Gleiehungen mit 4 unbe- Abbildung 6.13: An allen Gelenken der Gripzange werden Schnit-
te gelegt, so dass vier Teilsystcme entstehen.
kannten Kräften zur Verfügung.
Die nicht gefragten Kräfte FIV , F2V und F2H werden eliminiert, indem sie aus den letzten drei
Gleichungen (in Abhängigkeit von F) berechnet und in die erste Gleichung eingesetzt werden.
Man erhält für die auf das Werkstück ausgeübte Kraft
Fw = 11,4F.
Dieses Beispiel mag schwierig erscheinen. Deshalb wird es noch mehmlals aufgegtiffen, um
einerseits mit dem vOlteilhaften Ausnutzen der Eigenschaften eines speziellen Teils der Zange die
Rechnung erheblich zu vereinfachen, andererseits eine Strategie vorzustellen, um für Aufgaben
dieser Alt eine möglichst sichere Lösung mit dem Computer zu erreichen.
6.1 Statisch bestimmte Systeme 69
I
Beispiel 9:
I_"";_ _...1 Das skizZierte zusammengesetzte System Ist
durch die Gewichtskraft Fe der an einem Seil hängenden
Masse belastet. Man ermittle die Lagerreaktionen bei A
und B und die Gelenkkraftkomponenten am Gelenk G.
Gegeben: 0, Fe .
F~
N
könnte natürlich auch die Rolle selbst noch freischnei- B
den (Schneiden im Lagerzapfen, einem ..Gelenk"). Das
Momentengleicbgewicbt llm den RolJenmittelpllllkt wür- a 2a a
de dann auch die Sei I kraft Fs = Fe ergeben.
die Gelenkkraftkomponenten
II 13 _
FeH = 16 Fe Fev = --fe
16
und aus den Kraft-Gleichgewichtsbedingungen die Lagerreaktionen
13 5 29
FAv = --Fe
16 "-1311 = T6 Fe FBv =-Fe
16
70 6 Ebene Systeme starrer Körper
Definition:
Ein Slab ist in einem System starrer Körper mit genau zwei Gelenken mit den anderen Teilen
des Systems verbunden. Nur über diese Gelenke werden Kräfte in den Stab eingeleitet.
A
I I ,
C,
I I I I I
C3
qo
Für die Berechnung der 12 unbekannten Lager- und Gelenkkräfte (4 Lagerreaktionen der beiden
Festlager, 8 Gelenkkraftkomponenten in den 4 Gelenken) stehen bei 4 Teilsystemen insgesamt
12 Gleichgewichtsbedingungen zur Verfügung: Das System ist statisch bestimmt.
Entsprechende Ergebnisse würde man auch für den Stab 2 erhalten, wenn man die Gelenkkraft-
komponenten in Stablängsrichtung bzw. senkrecht dazu anträgt. Allgemein gilt:
Ein Stab kann nur eine Kraft in Richtung der Verbindungslinie seiner beiden Gelenke über-
tragen (diese Aussage gilt auch für das Seil. siehe Bemerkung auf Seite 72).
Man nutzt diese Erkenntnis, indem man den Stab nicht als Teilsystem, sondern als Verbindungs-
element behandelt: Der Stab wird geschnitten, und die Stabkraft wird (in Stablängsrichtung) als
Schnittkraft angetragen (anstelle von vier Gelenkkraftkomponenten). Es ist üblich, Slabkräfte
SielS als Zugkräjre (Pfeilspitze weist vom Sehnittufer weg) anzutragen (siehe Seh.nittskizze in
der Abbildung 6.15).
Das Gleichungssystem rür dieses Beispiel lässt sich auch bei geschickter Wah.l der Momenten-
bezugspunkte nicht so aufschreiben, dass an einem Teilsystem eine Unbekannte direkt berechnet
werden kann, weil an jedem Teilsystem vier Kräfte unbekannt sind.
6.2 Stäbe und Seile als Verbindungselemente 71
Ilc===Gy'4~==/===="r;v
(das Minuszeichen weist den Stab F.SI FS2
2 als Druckslab aus). Danach
erhält man aus den 4 Kraft-
Gleichgewichtsbedingungen die
Lagerreaktionen: EH
FAH = -I ,875qoa; FAV = 2.250qoa; Abbildung 6.15: Schnittskiue: Nicht die Gelenke werden
FBII = 1,875qoa; Fi3v =O,750qoa. geschniUen. sondern die Stäbe
Beispiel 2:
I'-....;_ I
_.. Das Problem der bereits 1111 vongen AbsehJ1ltt behandelten Gnpzange 1st unler
Ausnutzung der Tatsache zu lösen. dass ein Element der Zange ein Stab ist. Man untersuche
außerdem den Einftuss der einzelnen Abmessungen auf das Ergebnis.
Gegeben: F. b, c, d, c, f. g, h.
F~ 1
Betrachtet werden nur der obere und der untere Zangenhebel. Beide sind durch einen Stab ver-
bunden und über je ein Gelenk mit dem vierten Teilsystem. An den be.iden Verbindungsgelenken
3 und 4 treten je zwei unbekannte Gelenkkräfte auf, die dann nicht in die Rechnung gelangen,
72 6 Ebene Systeme stalTer Körper
Fw = ~ [(b+C+d)(c+d+e) _ (b+c+d+e)]
.r d - hCOla
Mit cota = ~ (aus der Geometrie der Zange ablesbar) kann die auf das Werkstück ausgeübte
Kraft durch die gegebenen Größen (Kraft F und die Abmessungen) ausgedrückt werden:
F [(b+C+d)(C+d+e)
Fw = -J c
( )]
- b+c+d+e .
d-h-
g
Mit den im Beispiel 8 des Abschnitts 6.1 gegebenen Abmessungen der Zange erhält man wieder
das dort bereits angegebene Ergebnis Fw = II ,4F. Das jetzt gefundene allgemeine Ergebnis
gestattet folgende Überlegungen:
Der Nenner des Bruchs in der Klammer kann beliebig klein und damit Fw beliebig groß
gemacht werden. Wenn die Anschlussgelenke des Verbindungsstabes und das Gelenk 4
auf einer Geraden liegen. gilt ~ = 1.,
und der Nenner des Bruchs wird Null (dann bewegt
sich das Zangenmaul allerdings nicht mehr). Fw wird umso größer, je näher das Gelenk 4
an dieser Geraden liegt.
Interessant ist, dass die Abmessung b keinen nennenswerten Einfluss auf das Ergebnis hat
und sogar negativ werden könnte, so dass es weitgehend egal ist, wo die Kräfte Fangreifen
(wie die Zange gegriffen wird).
Praktisch realisiert man die Regulierung der Kraft Fw durch eine Stellschraube, die das
linke oberc Gelenk horizontal verschiebt, wodurch sich der Quotient ~ ändert.
Die in diesem Abschnitt für den Stab angestellten Überlegungen gelten sinngemäß auch für Seile
unter Beachtung folgender Besonderheit:
Ein Seil als Verbindungselemenl in einem System starrer Körper wird genauso wie ein Stab
behandelt. Da Seile jedoch nur auf Zug belastet werden können, dUrfen die Seilkräfte nicht
negativ werden (Fs :::: 0). Eine negative Seilkraft ist ein sicheres Indiz für einen Fehler (in der
Konstruktion oder in der Rechnung).
6.3 Lineare Gleichungssysteme 73
Bei der Berechnung von Systemen starrer Körper kann die Anzahl der aufzuschreibenden Gleich-
gewichtsbedingungen sehr groß werden. Durch geschickte Wahl der Momenten-Bezugspunkte
und stratcgisch günstiges Vorgehen kann man das Gleichungssystem oft so entkoppeln, dass
auch bei komplizierten Systemen die Handrechnung zum Ziel führt.
Wenn die Rechnung zu aufwendig (und damit natürlich auch fehleranfälliger) wird, sollte man
die Hilfe des Computers in Ansprucb nehmen. Dann sind für das Aufschreiben der Gleichge-
wichtsbedingungen andere Strategien empfehlenswert, die nachfolgend behandelt werden.
Hier soll nur demonstriert werden, wie man die Gleichgewichtsbedingungen für die Compu-
terrechnung vorbereitet. Für alle Informationen. die der Ingenieur zum Thema ,.Lineare Glei·
chullgssysleme" benötigt, wird auf die in der Box unten beschriebene Internet-Site verwiesen.
1<2
+ X2
X] 2
0 2 - I] [XI] [2]
4xI
8xI + 5X2 - 6x]
II
7
=;.
[ 48 5I -60 X2
X]
II
7
=;. Ax=b
Es ist üblich (und als Vorbereitung für die Computerrechnung empfehlenswert). das Gleichungs-
system in Matrixsdlreibweise (mit der Koeffizientenmatrix A, dem Vektor der Unbekanlltenx und
dem VeklOr der rechTen SeiTe b) zu formulieren. Die Information, die ein solches Gleichungssys-
tem beschreibt (und einem Rechenprogramm eingegeben werden muss), besteht aus
der Anzahl der Gleichungen n (hier: n = 3),
den n·n Koeffizienten der Unbekannten (wenn Unbekannte in einer Gleichung nicht vor-
kommen, haben die zugehörigen Koeffizienten den Wert Null),
den n bekannten Werten auf der rechten Seite (natürlich könnte man diese auch links vom
Gleichheitszeichen anordnen, aber der Begriff "rechte Scite" ist gebräuchlich).
Das Ziel der Berechnung ist der Vektor der Unbekannten x. Für
das betrachtete Beispiel ergibt sich das nebenstehend angegebene
Ergebnis.
I
Beispiel 1:
I_"";_ _...1 Für das Im Abschmtt 6.2 elllieltend behandelte Beispiel I soll das Gleichungssys-
tem für die Computerrechnung aufbereitet werden.
a a/2 3al2
a 3al2
Dieses (für die Handrechnung ungünstige) Gleichungssystem wird nun in Matrixform aufge-
schrieben. Vorab werden die beiden Momenten-Gleiehgewiehtsbedingungen durch a dividiert.
6.3 Lineare Gleichungssysteme 75
Die Anteile, die mit keiner Unbekannten gekoppelt sind (enthalten alle den Faktor {foa), werden
auf die rechte Seite gebracht, und man erhält (Lösung siehe www.TM-aktuell.de):
I 0 0 0 0 -eosa fAll 0
0 I 0 0 -I -sina FAv 3
0 3 0 0 -2 0 F8H 4,5
{foa.
0 0 I 0 0 eosa F8V 0
0 0 0 I I sina FS1 0
0 0 0-1,5 I 0 Fsz 0
T T T T T T
FAH FAv F8H F8V FS1 Fsz
<> Die Reihenfolge der Kräfte im Vektor der Unbekannten und die Reihenfolge der Gleichun-
gcn könncn beliebig gewählt werdcn. Nach dcr Festlegung der Reihenfolge korrcspondicren
die Elemente der i-ten Spalte der Koejfizientenmalr;x mit dem i-Ien Element im Vektor der
Unbekannten (wie in der Matrixbeziehung durch die Pfeile angedeutet).
<> Die Elemente der KoerfizientenmaLrix sind Zahlenwerte, weil die bei den Momenten-Gleich-
gewichtsbedingungen durch a dividiert wurden und der Winkel a aus der Skizze der Aufga-
bensteilung entnommen werden kann (a = 45°).
<> Auch der Vektor der rechten Seite enthält nur noch Zahlenwerte, nachdem {foa als gemein-
samer Faktor aHer Elemente ausgeklammert wurde. Damit stehen die 36 Zahlenwerte der
Kocffizientenmatrix und die 6 Zahlenwerte des Vektors der rechten Seite als Eingabewerte
für eine rein numerische Rechnung bereit. Man beachte, dass dann trotz reiner Zahlenrech-
nung das Problem (zum Teil) parametrisiert wurde: Das Ergebnis gilt für beliebiges qoa.
Natürlich müssen die 6 Zahlcnwerte, dic die Computerrechnung als Ergebnis (Vektor der
Unbekannten) liefert, noch mit dem Faktor {foa multipliziert werden.
<> Es ist typisch für Probleme der Statik, dass die Koeffizientenmatrix des Gleichungssystems
die Geometrie des statischen Systems widerspiegelt (sie ändert sich, wenn man die Ahmes-
sungen oder Winkel ändert). Der Vektor der rechten Seite dagegen enthält die gegebene
Belaslllng.
<> Bei mehreren voneinander unabhängigen Lasten ist es empfehlenswert, für jede Last eine
eigene rechte Seite vorzusehen (Arbeit mit mehreren Belastungsvektoren). Der Vorberei-
lUngsaufwand wird dadurch kaum größer, der Mehraufwand für die Berechnung (ohnehin
für den Computer) ist nicht nennenswert, aber es ergibt sich ein wichtiger Vorteil: Im Ergeb-
nis bleibt transparent, welche Anteile die einzelnen Lasten an den errechneten Größen haben
(bei .,symboliseher Rechnung" ist diese Information im Ergebnis in jedem Fall enthalten).
Unter www.TM-aktuel1.de findet man dafür ein Beispiel.
Programme mit den Fähigkeiten zur symbolischen Mathematik erledigen Probleme der Art von
Beispiel I mühelos. Die Grenzen, die sich dabei ergeben, werden einerseits von der Größe des
GJeichungssystems, andererseits aber auch von der Überschaubarkeit (für den Menschen) von
komplizierten Ergebnisscn mit mehrcren Parametern gesctzt.
Für ein Programm, das nur numerisch rechnen kann, sollten folgende Veränderungen vorgenom-
men werden:
Auf diese Weise ist die Lösung dann immerhin noch teilweise parametrisiert (gilt für beliebiges F
und beliebiges a). Die Winkel allerdings müssen vor der numerischen Rechnung als Zahlenwerte
vorgegeben werden:
n
a = 50 180 ß = arctan 0, 5
cosß cosß cosa 0 0 0 F] 0
sinß sinß sina 0 0 0 F2 I
(6.2)
0 cosß -8sina 0 0 0 Fs -4
F.
cosß cosß 0 I 0 0 FAH 0
sinß sinß 2sina 0 I 0 FAV 0
cosß 0 0 I
4 I & 0
2:
"
Nebenstehend ist der F (4 sin( a) cos(ß) + cos( a) cos(ß) + 4 sin(ß) cos( a))
Lösungsvektor zu sehen,
(-sin( a) cos(ß) + sin(ß) cos( a)) cos(ß)
den das Programm Maple
4F (sin(a)cos(ß) +sin(ß)cos(a))
nach symbolischer Be-
rechnung des Systems 6.1 (-sin( a) cos(ß) + sin(ß) cos( a)) cos(ß)
erzeugt. Man sieht, dass cos(ß)F
alle Lagerreaktionen line- -sin( a) cos(ß) + sin(ß) cos( a)
ar von F abhängig sind F cos( a) cos(ß)
und dass die Abmessung -sin( a) cos(ß) + sin(ß) cos( a)
a nur das Einspann- (- 2 sin( a) cos(ß) + sin(ß) cos( a)) F
moment bei A (letzte -sin( a) cos(ß) +sin(ß) cos( a)
Zeile im Lösungsvektor) I aF(-8sin(a)cos(ß)+ 16sin(ß)cos(a)+cos(a)cos(ß))
beeinflusst.
2 -sin(a)cos(ß) +sin(ß)cos(a)
Der Einfluss der Winkel auf die Ergebnisse kann der allgemeinen Dar- -12.55329375 F
stellung nur schwer entnommen werden. Wenn man beide Winkel als
10.93706220 F
Zahlenwerte eingibt, bekommt die symbolische Lösung die nebenste-
2.248956628 F
hend zu sehende Form. Diese unterscheidet sich allerdings von einer
1.445601455 F
rein numerischen Rechnung nach 6.2 nur noch dadurch, dass man bei
2.722800729 F
dieser die Symbole Fund a im Ergebnis nicht sieht.
-0.3859963649 F a
Fazit: Die symbolische Berechnung liefert allgemeine Ergebnisse. die allerdings recht unüber-
sichtlich werden können. Sie eignen sich jedoch sehr gut für eine Auswertung spezieller Abhän-
gigkeiten, z. B. für die Darstellung einer Funktion Fs(a, ß). Im Allgemeinen genügt die nume-
rische Berechnung, bei der eine teilweise Parametrisierung der Ergebnisse in der Regel möglich
ist. Für sehr große Gleichungssysteme ist sie ohnehin die einzige praktikable Alternative.
Die Lösung des Beispiels 2 und eine Reihe weiterer Beispiele sowohl mit symbolischer als auch
numerischer Berechnung findet man unter www.TM-aktuell.de. Dort wird auch gezeigt, dass alle
78 6 Ebene Systeme stalTer Körper
Aussagen auch schon für kleinere Probleme gelten (z. B.: Beispiel 11 auf Seite 58), andererseits
dic symbolische Berechnung durchaus auch flir größcre Systeme noch funktioniert.
I
Beispiel 3:
I_"";_ _...1 Für dIe m den Abschllltten 6.1 und 6.2 bereIts untersuchte Gnpzange wurde dort
mit4 bzw. 2 Gleichgewichtsbedingungen ilie Kraft am Za.ngenmaul berechnet. Um ilie ReclUJung
so effektiv durchzuflihren, musste man sehr geschickt vorgehcn. Dies gelingt leider nicht im-
mer. Glücklicherweise kann man bei solchen Aufgaben "Geschicklichkeit durch Aufwand erset-
zen" und letztcren wcitgchend dcm Computer übertragen. Dies soll an einer neuen Schnittskizze
(Abbildung 6.J7) diskutiert werden:
Diese Schnittskizze berücksichtigt nicht, dass Tcilll ein Stab ist. Natürlich ist es eigentlich
nicht SillnVoll, an diesem Teilsystem mit 4 Unbekannten zu operieren, wenn eine (Stab-
kraft Fs ) genügen würde. Beim Aufschreiben der Gleichgewichtsbedingungen zeigt sich
aber der Vorteil dieser Variante: Alle Kraftkomponenten haben Horizontal- oder Vertikal-
richtung, und in die GleiChgewichtsbedingungen gehen keine Winkelfunktionen ein.
Wenn man auch nicht darüber nachdenken möchte, wie man die Anzahl der GleichlUlgen
möglichst gcring halten kann, muss man für die 9 Unbekannten 9 Gleichgewichlsbedin-
6.3 Lineare Gleichungssysteme 79
~
1=7
o
~
0
gungen bereitstellen, z. B. je drei Bedingungen für die Teile I, 11 und IV (von den maximal
12 möglichen Gleichgewichtsbedingungen an vier Teilsystemen werden drei nicht benö-
ligt, weil das Gleichgewicht am Gesamtsystem per AufgabensteIlung schon erfüllt ist, vgl.
die diesbezügliche Diskussion im Abschnitt 6.1 auf Seite 67).
Weil an dieser Stelle die Gefahr einer falschen Auswahl (9 aus 12) besteht, die zu einer
singulären Matrix fUhren kann, sollte man sogar noch einen Schritt weitergehen:
Man ersetzt die äußere Gegenkraft am unteren Zangengriff durch eine starre Einspannung
(Abbildung 6.18 oben) und behandelt die drei Lagerreaktionen wie zusätzliche Unbekann-
te. Dann hat man an den 4 Teilsystemen insgesamt 12 Unbekannte, für die 12 Gleichge-
wichtsbedingungen zur Verfügung stehen. Für die "unbekannten Lagerreaktionen" kennt
man natürlich die korrekten Ergebnisse (FAH = 0, FAv = F, MA = 0), so dass man eine
Kontrollmöglichkeit für die Rechnung hat.
Alternativ dazu kann man auch auf der Basis der Schniuskizze 6.17 für 9 Unbekannte 12
Gleichgewichtsbedingungen formulieren. Ein solches iiberbesl;mmles Gle;chwlgssyslem
muss man dann mit einer Software lösen, die dies nach den Prinzipien der Ausgleichs-
rechnung erledigt. Da die Gleichungen (im Gegensatz zu einem typischen System der
Ausgleichsrechnung) keine Widersprüche enthalten dürfen, kann man durch Weglassen
einzelner Gleichungen und entsprechende zusätzliche Rechnungen recht wirkungsvoll die
KorrektJleit der Gleichgewicbtsbedingungen überprüfen.
Die ausführl ich kommentierten Lösungsvarial1len rur dieses und weitere Beispiele findet man
unter www.TM-aktuell.de.
80 6 Ebene Systeme stalTer Körper
6.4 Fachwerke
Der beidseitig gelenkig gelagerte Stab, in den die Belastung allein über die Gelenke eingeht,
kann nur eine Zug- bzw. Druckkraft (Kraft in Stablängsrichtung) übertragen (vgl. Abschnitt 6.2).
Man nennt solche Konstruktionen Fachwerke. Die Gelenkpunkte, an denen die Stäbe eines Fach-
werks zusammenstoßen, heißen Knoten.
Beide Voraussetzungen sind praktisch nicht erfiillbar. Die Knoten werden sogar meist durch star-
re Knotenbleche realisiert, mit denen die Stäbe fest verbunden sind (verschweißt, verschraubt, ...).
Das Eigengewicht der Stäbe verhindert in jedem FaU, dass die Belasffing des Facbwerks nur über
die Knoten erfolgt.
Aber auch die realen Fachwerke haben im Allgemeinen die eingangs beschriebenen vorteilhaften
Eigenschaften, und sie diirfen bei guter Annäherung an die Realität so berechnet werden, al.s
wiirden sie die Kriterien des idealen Fachwerks erfiillen.
Fachwerke mit einfachem A,tjbau werden konstruiert, indem man ein Basisdreieck jeweils durch
zwei neue Stäbe und einen neuen Knoten um ein Dreieck erweitert. Auf diese Weise entsteht
ein stalTes (und damit tragfahiges) ebenes Gebilde. Wenn ein so entstandenes Fachwerk statisch
bestimmt gelagen wird (z. B. durch ein Festlager und ein Loslager), erhält man ein statisch be-
stimmtes Fachwerk.
Die beiden in der Abbildung 6.19 skizzierten Fachwerke sind nach dieser Bildungsvorschrift
entstanden. Es sind statisch bestimmte Fachwerke.
Da im Abschnitt 6.2 die Beriicksichtigung von Stäben bereits behandelt wurde, stehen die Grund-
lagen für die Berechnung von Fachwerken zur Verfügung. Da diese ausschließlich aus (mögli-
cherweise sehr vielen) Stäben bestehen, empfiehlt sich eine Systematisierung. Die einfachste
Methode, Stabkräfte und Lagerreaktionen eines Fachwerks zu berechnen, ist das
6.4 Fachwerke 81
Kno/ensellni/lver!ahren:
Alle an einen Knoten angrenzenden Stäbe werden geschnitten (Rundumschniff).
Die Stabkräfte werden angetragen (als Zugkräjte, Pfeilspitzen weisen vom Schnittufer
weg) .
• Für das so entstandene zcntrale ebene Kraftsystcm werden die beiden Gleichgewichts-
bedingungen formuliert.
Bei einem Fachwerk mit k Knoten ergeben sich 2· k Gleichungen. Nur dann, wenn die Anzahl der
Unbekanntcn (Stabkräftc und Lagerreaktionen) mit der Anzahl der GJeichgewichtsbcdingungcn
übereinstimmt, kann das Fachwerk statisch bestimmt sein.
Es ist ein notwendiges (für die Feststellung der statischen Bestimmtheit nicht hinreichendes) Kri-
terium. weil es Sonderfälle, wie sie in den vorangegangenen Abschnitten diskutiert wurden. nicht
ausschließen kann. Für die beiden in der Abbildung 6.19 skizzierten Fachwerke mit einfachem
Aufbau ist dieses Kriterium selbstverständlich erfüllt.
Fachwerke können statisch unbe-
stimmt sein (und sich damit der
Berechnung im Rahmen der Sta-
tik entziehen), obwohl sie äußer-
lich statisch bestimmt gelagert sind:
Man s.ieht sofort, dass das Kriteri-
um für die statische Bestimmtheit
fLir die in der Abbildung 6.20 skiz-
Abbildung 6.20: Statisch unbestimmtc Fachwerke
zierten Fachwerke nicht erfüllt ist
(beim linken Fachwerk stehen z. B.
für 6 Stabkräfte und 3 Lagerreaktio-
nen nur 8 Gleicbgewichtsbedingun-
gen an den 4 Knoten zur VerfLigung).
Beide Fachwerke können auch nicht
nach dem Bildungsgesetz für Fach-
werke mit einfachem Aufbau ent-
standen sein.
Abbildung 6.21: Fachwerke mit nicht einfachem Aufbau
1m Gegensatz dazu gibt es Fachwerke mit nicht einfachem Aufbau, die statisch bestimmt sind:
Während das linke Fachwerk in der Abbildung 6.21 auch ohne die Lager ein starres System ist
(und dementsprechend äußerlich statisch bestimmt gelagert werden muss). ist das rechte Fach-
werk ohne die Lager in sich beweglich, was durch eine entsprechende Lagerung ausgeglichen
werden muss (man nennt diese Lagerung äußerlich statisch unbestimmt). Ohne Berechnung der
Stabkräfte wäre rLir dieses Fachwerk die Ermittlung der Lagerreaktionen unmöglich.
82 6 Ebene Systeme stalTer Körper
6.4.2 Berechnungsverfahren
Das wichtigste (und für alle statisch bestimmten Fachwerke anwendbare) Berechnungsverfahren
ist das bereits beschriebene Knotenschnitrveifahren. Dabei kann die Anzahl der Gleichungen rür
dic Bestimmung der Stabkräfte und LagelTeaktionen sehr groß werden.
DeshaJb sollten folgende Möglichkeiten der Verringerung des Gesamtaufwands beachtet werden:
Bei äußerlich statisch bestimmter Lagerung können die LagelTeaktionen unabhängig von
den Stabkräften bestimmt werden: Nach dem Freischneiden von den äußeren Bindungen
werden die drei Gleichgewichtsbedingungen des allgemeinen ebenen Kraftsystems formu-
liert.
Bei Fachwerken mit einfachem Aufbau ist es (nach vorheriger Ermittlung der Lagerreak-
lionen) möglich, so von Knoten zu Knoten voranzugehen, dass an dem gerade betrachteten
Knoten nur zwei Stabkräfte unbekannt sind, ctie aus den beiden Gleichgewichtsbedingun-
gen direkt berechnet werden können.
Viel fach befinden sich in Fachwerken so genannte Nullstäbe (Blindstäbe .... Stäbe, die
keine Stabkräfte aufnehmen). Wenn diese nach den folgenden so genannten Nullstab·
Kriterien erkannt werden können, wird ihnen sofort die Stabkraft Fs = 0 zugeordnet:
Eine unbelastete Ecke (genau zwei Stäbe. keine äußere Kraft, auch
kein Lager) besteht immer aus zwei Nullstäben, weil in ctie Gleich- ~ Nullstäbe
gewichtsbedingung senkrecht zu einem Stab I1lLr die entsprechende
Komponente der anderen Stabkraft eingehen würde.
An einer belasteten Ecke (genau zwei Stäbe, äußere Kraft in Richtung
eines Stabes) ist der nicht in Richtung der äußeren Kraft verlaufende
Stab ein Nullstab, weil in die Gleichgewichtsbedingung senkrecht zur
V Nullstab
/-
Lager) ist dann, wenn zwei Stäbe die gleiche Richtung haben, der drit-
te Stab ein Nullstab.
Obwohl Nullstäbe keine Kräfte aufnehmen, dürfen sie nicht aus der
Nullstab
Konstruktion entfernt werden, da sie rür die Stabilität (und die stati-
sche Bestimmtheit) mitverantwortlich sein können. Abbildung 6.22: Null·
stab-Kriterien
Neben dem Knotenschnittverfahren gibt es zahlreiche andere Verfahren zur Ermittlung der
Slabkräfte von Fachwerken. Die früher sehr beliebten grafischen Verfahren (insbesondere
der so genannte CREMONA-Plan) haben heute keine pmktische Bedeutung mehr. Auch ande-
re Berechnungsverfahren werden kaum noch verwendet, weil der einzige Nachteil des Kno-
tenschnittve,fahrens, das unter Umständen sehr große lineare Gleichungssystem, bei Verwen-
dung des Computers unbedeutend geworden ist.
6.4 Fachwerke 83
Für spezielle Fragestellungen (Berechnung nur weniger Stabkräfte eines größeren Fachwerks)
kann allerdings das so genannte Rillersche SchllillvetJahrell (nach A. RITTER, 1826 - 1908)
nützlich sein: Wenn ein Fachwerk durch einen Sc/mill. der genau drei Stäbe schneidet, in zwei
Teilsystcme zerfallt, können die Stahkräfte der geschnittenen Stäbe berechnet werden, wenn
die drei geschnittenen Stäbe nicht alle parallel liegen und sich die Wirkungslinien ihrer
Stabkräfte nicht alle in einem Punkt schneiden und
an mindestens einem der beiden Teilsysteme alle äußeren Kräfte bekannt sind (Lagcrreak-
tionen z. B. vorab berechnet werden konnten).
Für die Berechnung der Stabkräfte an einem Teilsystem stehen dann die drei Gleichgewichts-
bedingungen des ebenen Kraftsystems zur Verfügung. Durch geschickte Wahl der Momenten-
Bezugspunkte (Schnittpunkt der Richtungen von zwei geschnittenen Stäben) entstehen beson-
ders einfache Bestimmungsgleichungen Flir die gesuchten Stabkräfte (nachfolgendes Beispiel 2).
I_ I
Beispiel J:
_ _ _...I Für das skIzzierte Fachwerk smd dIe Stab-
<:l~l=-F~
t
kräfte der Stäbe I bis 13 nur durch Anwendung der Kri-
terien Flir Nullstäbe zu ermitteln. 2
Gegeben: F.
~ ~1 ):)--"--~_---;__I:--3:)-_2~F_
Die zahlreichen Nullstäbe dieses Fachwerks sind alle
ohne Rechnung allein durch Auswertung der behandel- <:l
ten drei Nullstab-Kriterien zu erkennen. Dabei sind die '" I
Bedingungen zum Teil erst dann erfüllt, wenn bereits
andere Stäbe als Nullstäbe erkannt wurden:
:61
,
Stab 2 ist (ebenso wie Stab 7) nach dem zweiten der
drei angegebenen Kriterien ein Nullstab. Deshalb (und
nur deshalb) bilden die Stäbe 3 und 4 eine unbelastete
Ecke, also sind auch 3 und 4 Nullstäbe.
Nur weil Stab 4 ein Nullstab ist, ist auch Stab 10 ein Nullstab (die Kraft 2F hat die gleiche
Richtung wie Stab 6). Die Stäbe 8 und 12 haben die gleiche Richtung, also ist der dritte Stab
am Knoten (Stab I I) ein NuJlstab. Nur weil 10 und 11 Nullstäbe sind, bUden 9 und 13 eine
unbelastete Ecke.
Das Fachwerk verdeutlicht, warum man Nullstäbe nicht einfach "weglassen" kann: Stab 2 fixiert
den Kraftangriffspunkt der Kraft F, die Stäbe 3 und 4 hingegen bilden den zweiten Knotenpunkt
Flir Stab 2.
Wenn man Nullstäbe erkennen kann, liegen oft auch die Belastungen der Nachbarstäbe fest. So
wird hei diesem Beispiel die vertikale Kraft F als Dmckkraft durch die Stäbe I, 8 und 12 zum
unteren Lager geleitet und die horizontale Kraft 2F als Zugkraft durch die Stäbe 6 und 5 ZUIll
anderen Lager, so dass sämtliche Stabkräfte ohne Rechnung bekannt sind:
FS2 = FS3 = FS4 = FS7 = FS9 = FslO = FS11 = FSI3 = 0 ;
FSI = Fss = FSI2 = -F ; FS5 = FS6 = 2F .
84 6 Ebene Systeme stalTer Körper
IBeispiel 2: I Man - 3F F F IF
",I
ermittle die
Stabkräfte in den Stäben 8, 9, 10, 10
11
" NI
13
11, 13. ~I
F. B
Gegeben: -y-
L 6a 3a -I- 3a 6a
Die günstigste Lösungsvariante ist ein Ritterscher Schnitt durch die Stäbe 8, 9 und 10, nachdem
man vorher am Gesamtsystem die Lagerreaktionen mindestens eines der beiden Lager ermittelt
hat. Anschließend werden die Kräfte in den Stäben I j und 13 durch einen Kl10tenschnitt sichtbar
gemacht und berechnet.
Aus dem Momenten-Gleichgewicht am Gesamtsystem um den Punkt A berechnet man die La-
gerkraft FB :
13
3F ·40+ F· (60+90+ 12a) - FB · 18a = 0 FB=-F
6
Am nebenstehend abgebildeten Teilsystem soll ver-
deutlicht werden, dass die drei Stabkräfte des Ritter- Fss IF
Schnitts aus drci voneinander unabhängigcn Glei-
chungen berechnet werden können. ~-~
Fs~
D 11 12
FS 11 = 3,33F FSI3=6,85F
6.4 Fachwerke 85
I Beispiel: I __ J
F
Am Beispiel des nebenstehend
skizzierten ModeJJs eines Krans
sollen einige Probleme disku- RSI
D
tiert werden, die für die Berech-
nung komplizicrtcrcr Fachwcr-
ke typisch sind. RS3
RS2
Mit 29 Knoten und 55 Stäben c
(das Seil, das den Ausleger hält,
E
wird wie ein Stab betracbtet)
H
ist es im Vergleich mit entsprc-
chenden Problemen der techni-
schen Praxis ein relativ eiJ]fa-
ches Modell.
• Das Fachwerk ist statisch
bestimmt: Den 58 Unbe-
kannten (55 Stabkräfte und
3 Lagerreaktionen) stehen -a --a ---a --a--a --a --a ---a --a --a ---a --a ---a --
2·29 Gleichungen gegen- Abbildung 6.24: Fachwerk mit 29 Knoten und 55 Stäben
über.
• Da das Fachwerk auch äußerlich statisch bestimmt gelagen ist, können
~
F
vorab die Lagerreaktionen am Gesamtsystem berechnet werden. Drei
Gleichgewichtsbedingungen am nebenstehenden System liefern
~}{
F'I
I
FB = -F
6 /FA V 1F'B
• Die Berechnung der Stabkräfte kaull z. B. an der Spitze des Turms star-
ten: Ein Rundumschnitt um den Knoten J gestattet die Berechnung der
Stabkräfte FS 1 und FS2.
Mit der dann bekannten Stabkraft FS2 können am Knoten L die Stabkräfte
FS3 und FS6 berechnet werden. Anschließend findet man am Knoten K mit
4 angeschlossenen Stäben wieder nur zwei unbekannte Kräfte, und dieses
Vorgehen wird erst am Knoten D gestoppt, weil don 3 unbekannte Kräfte
auftreten.
• Am Ausleger kann man auf diesem Wege nur die beiden Stabkräfte an der Spitze (Knoten E)
berechnen, an den Knoten G und H tauchen dann 3 Unbekannte auf.
• Mit Rinerschen Schnitten kommt man weiter. In der Abbildung 6.24 sind die Vorschläge
RSI bis RS4 fiir sinnvolle Schninführungen eingezeichnet.
86 6 Ebene Systeme stalTer Körper
Empfehlenswert fur die Berechnung der Stabkräfte des in Abbildung 6.25 dargestellten Portals
ist folgende Strategie:
Neben den 17 Stabkräften werden auch die 3 Lagen'eaktionen als .,Unbekannte" in die Berech-
nung einbezogen. Dafür sind an den 10 Knoten (einschließlicb der beiden Knoten bei A und B)
insgesamt 20 Gleichgewichtsbedingungen zu formulieren. Die Lösung kann dann recht wirksam
durch den Vergleich mit den bereits bekannten Lagerreaktionen kontrolliert werden.
Dem Leser wird empfohlen, die besprochenen Schritte nachzuvollziehen und schließlich für das
Portal das Gleichungssystem zu formulieren und mit einem geeigneten Programm zu lösen (unter
www.TM-aktuell.de findet man diese Lösung Schritt für Schritt). Dabei taucht ein hier gerade
noch beherrschbares neues Problem auf:
Die Lösung eines umfangreichen Gleichungssystems mit einem Rechenprogramm setzt die
richtige Eingabe der Werte voraus. Dies kann bei großen Systemen nicht nur sehr mühsam
sein, es ist auch sehr fehleranfällig.
Ein System mit 20 Gleichungen (Pol1al in Abbildung 6.25) wird durch 420 Werte beschrie-
ben. Wer die oben angestellten Überlegungen (Zerlegnng in Teilprobleme) nicht nachvollziehen
möchte und das gesamte System nach dem Knotenschnittverfahren behandeln will (Nachden-
ken durch Aufwand ersetzen!), muss sich für das Gleichungssystem mit 58 Unbekannten um
insgesamt 3422 Werte kümmern.
Diese Schwierigkeit kann nur umgangen werden, wenn auch das Aufstellen des Gleichungs-
systems im Computer durchgeführt wird. Dafür ist dann jedoch ein spezielles Programm erfor-
derlich. in das die lnfonnation eingegeben werden muss, die die Aufgabe eindeutig beschreibt.
Allgemein gilt:
Dafür findet man unter www.TM-aktueILde neben dem in diesem Abschnitt behandelten Fach-
werk noch zahlreiche andere Beispiele, die mit lll1terschiedlichen Software-Produkten gelöst
werden. Die Abbildung auf der folgenden Seite zeigt ein Beispiel.
88 6 Ebene Systeme stalTer Körper
Slobkräfte:
FS1 = -0.5
FS2 = 1.118034
FS3=-1
FS4 --1
FS5 = 1.118034
FSS = 0.5
FS7=-1
FS8=-1.5
FS9 = 1.118034
FS10 -I
FS11 = 1 .2068965
FS12 = -0.8965517
FS13 = -1 .3493514
FS14 = 0.67241377
FS15 = 1 .2068965
FS18 = -0.2931034
FS17 = -1 .3493514
FS18 = 0.06896552
FS19 - 1 .2068965
FS20 = 0.31 034482
Weitere Ausgabe
Abbildung 6.26: Auch bei Nutzung komfonabler Soflw<lre immer zwingend: Verifikation der Ergebnisse
Der Bildschjnn-Schnappschuss, der in Abbildung 6.26 zu sehen ist, zeigt einen Teil der Er-
gebnisse, die mit dem unter www.TM-intcraktiv.dc verfügbaren Programm berechnet wurden.
Es ist verführerisch bequem: Ein paar MauskJicks im WWW, und das System ist beschrieben
und wird berechnet. Wie aus den Informationen, die das Problem beschreiben, programmintern
das Gleichungssystem erzeugt wird, braucht den Benutzer eines solchen Programms nicht zu
interessieren. Er muss diese Informationen nur bereitstellen und eingeben.
Ein aus drei (starren) Fachwerkstäben gebildetes Dreieck ist ein starrer Körper (Abbildung
6.27). Wenn an ein solches Dreieck ein weiteres Dreieck aus genau zwei neuen Stäben und einem
neuen Knoten angefügt wird (Abbildung 6.28), entsteht ein neuer starrer Körper ("Faehwerk mit
einfachem Aufbau", vgl. Abschnitt 6.4. I).
<> Wenn ein Programm zur Berechnung statisch bestimmter Fachwerke verfiigbar ist (wie z. B.
auf der Seite 88 demonstrielt), kann das Starrkörpersystem sehr einfach modelliert und be-
rechnet werden.
<> Die ModelIierung starrer Körper als Fachwerke gibt den Kraft~uss vor, wie die beLastenden
Kräfte durch das System auf die Lager iibertragen werden. Durch Variamenrechnungen (und
Vergleich der sich ergebenden Stabkräfte) kann nach giinstigen Geometrien gesucht werden.
Gegebenenfalls kann dann das System tatsächlich als Fachwerk gebaut werden, oder die
starren Körper werden gewichtsparend konstruiert und durch Rippen nur dort verstärkt, wo
im Modell die Fachwerkstäbe lagen. Beides fUhrt zu leichteren Konstruktionen.
Dies wird nachfolgend an zwei Beispielen demonstriert (weitere Beispiele findet man unter
www.TM-aktuelJ.de). Dabei wird allgemein folgende Vorgehensweise empfoWen:
Eventuell vorhandene Linienlasten werden durch statisch äquivalente Einzellasten ersetzt.
An jedem Starrkörper werden an allen markanten Punkten (Lastangriffspunkte, Lager, Ge-
lenke, ...) Knoten vorgesehen .
• Die Knoten werden durch Stäbe verbunden, die Flir jeden Starrkörper ein .,Fachwerk mit
einfachem Aufbau" ergeben.
Beispiel I: I
I_"";_ _...1 Die Abbildung 6.29 zeIgt das Starrkörpersystem, das als BeIspiel I Im Abschnttl
6.2 berechnet wurde, und die Abbildung 6.30 zeigt das zugehörige Faehwerk-ModelJ: Die bei-
den Stäbe des StalTkörpcrsystems sind Stäbe geblieben, die beiden Festlager haben sieh auch
nicht verändert. Der obere Träger hat vier markante Punkte (Festlager, zwei Anschlussstellen
der Stäbe und den Angriffspunkt der Resultierenden der Linienlast), der untere Träger nur drei
markante Punkte. Diese sind jeweils die Ausgangspunkte fiir die zu erzeugenden Dreiecke.
90 6 Ebene Systeme stalTer Körper
I I I I I I , I I , I
I qo
A C, C3
Stab 1
C, E
C2
Der in der Abbildung 6.31 ZU sehende Ausschnitt des Bildschirm-Schnappschusses mit den Er-
gebnissen zeigt, dass man genau die Werte der Starrkörperberechnung aus dem Abschnitt 6.2
erhält.
FS13= 1125
FS14 = -26516504
Lagerreaktionen:
F1x = -1.875
=:::;;..c;;9:....."... F1 Y = 2.25
= F9x = 1.875
F9y = 0.75
Abbildung 6.3\: Ergebnis der Berechnung des Systems der Abbildung 6.30
Beispiel 2:
I_....;.__ I Das Itnks dar-
gestellte Starrkörpersystem
(Rechnung siehe Seite 69)
soll als Fachwerk modelliert
werden. Rechts sieht man das
Ergebnis: Die Umlenkrolle
wurde als ein Stab· Dreieck
modell ien, die beiden anderen
F~
Starrkörper mit jeweils zwei
Dreiecken. Das horizontale
E
Seil ist ein Stab, an den Lagern
a 2a a ändert sich nichts.
Die beiden hier gezeigten Beispiele und weitere (zum Teil wesentlich kompliziel1ere) Starrkör-
persystcme, die als Fachwerke berechnet werden, findet man unter www.TM-interaktiv.de.
6.5 Aufgaben 91
6.5 Aufgaben
I
Aufgabe 6.1: I -F
Man ermittle für das nebenstehend abgebildete zusam-
mengesetzte System die Aunager- und Gelenkkraftkomponenten.
"
Gegeben: F G IF
Hinweis: Die Vertikalkomponenten der Lagerkräfte lassen sich auch oh-
ne Zerschneiden des Verbindungsgelenkes am Gesamtsystem ermitteln,
die Horizonta!komponenten allerdings nicht. "
Die Gleichgewichtsbedingungen am Gesamtsystem sind meist beson- A B
ders einfach aufzuschreiben und immer eine recht wirksame Kontrolle
für die errechneten Ergebnisse. a!2 a!2
a a a a
I
Aufgabe 6.2: I
Das skizzierte Tragwerk ist bei A starr a_--W- a
Seil
3a 2a 2a 2a
I
Aufgabe 6.3: I Zwei
Massen ml -V-
?
I\TI
und "'2 sind wie skizziert an Seilen 3 4
aufgehängt. Die Seilmassen können
vernachlässigt werden, so dass das 2 öl
N
System nur durch die in den Schwer- S2
a 2a 3a
-~
92 6 Ebene Systeme stalTer Körper
I
Aufgabe 6.4: I
Das nebenstehend skizzierte Hubwerk ist B
durch die Gewichtskraft des Motors F = mg und die Ge-
wichtskraft der Masse M belastet. Es sind die Lagerreaktio-
nen bei A und B zu berechnen.
M I
Gegeben: a; M; m= "8 ~
I
Aufgabe 6.5:
I_";";'
I
'" Für die nachstehend skizzierten Fachwerke P=mg
sind für alle Stäbe. die mit Ziffern bezeichnet sind, die Stab-
kräfte zu berechnen.
A
Für die Fachwerke 2 und 4 sind zusätzlich die für die Com-
puterrechnung aufbereiteten Gleichungssysteme zur Be-
4a _a_
rechnung sämtlicher Stabkräfte aufzustellen.
A
F
0 F
14
" 1; 16
19
17
PI o
I
3 F
1 9 4
0 6 7 8 9 10 11 12 13 o B 6
1 10
1
A B 2a 2a
a a a a
Fachwerk 2 (www.TM-akwel1.de)
Fachwerk I Gegeben: F
Gegeben: F = 10 kN
jF
I 4 IF
I
5 6 0
C<
8 I
2 9
0
,
I
13 0
,
3
Fachwerk 3 a a a
Gegeben: C< ~ 30' ß = 20' ;
F =5kN. Fachwerk 4 (www.TM-akluel1.de)
Gegeben: F
7.1 Definitionen
Im Folgenden werden ausschließlich Tragelememe betrachlet, bei
denen eine der drci Abmessungen deutlich größer ist als die bei-
den anderen (Stäbe, Balken. Rahmen•...). gefragt wird nach den
inneren Beanspruchungen. Dies dient der Vorbereilung der Verfar-
mungsberechnung und der Untersuchung der Tragfähigkeit in der
Festigkeitslehre. In diesem Kapitel wird das ebene Problem behan-
delt.
So wie an eincr Einspannung als Lagerreaktionen zwei Kraftkom-
ponenten und ein Einspannmoment auftreten, sind auch bei einem
Schnitt an beliebiger anderer Stelle des Trägers zwei Kraflkompo-
nenten und ein Moment erfordcrlich. um Gleichgewicht für den ab-
Abbildwlg 7.1: Schoiugrö-
geSChnittenen Teil zu ermöglichen: Man kann sich am starren Trä-
Ben d<lrf man sich wie Lager-
ger jedes Teilstück als Slarr eingespannt alll Res!system vorstellen. reaktionen an einer starren
Diese ..Einspannreaktionen" an einer Schnittstelle heißen Einspannung vorstellen.
Das Schnillufer auf der Koordinatcnseite wird als positives Schnillufer, das andere als negatives
Schniflllfer bezeichnet.
~ " ,
z
Posilives
Schniuufer
~FF
F.
Q
Negalives
Schniuufcr
IF
A& d!!
z, z;-
Abbildung 7.2: Definilion VOll Bezugsfaser und Ko- A
'"
ordinaten für einen geraden Träger und einen Rahmen
Natürlich muss in jedem Bereich ein Schnill gelegt werden, und nach dem Antragen aller Kräfte
und Momente an einem der bei den Teilsysteme sind dann die drei Gleichgewichtsbedingungen
aufzuschreiben. Die daraus gewonnenen Funktionen für die Schnittgrößen gelten immer nur in-
nerhalb des betrachteten Bereichs.
Es ist meist bequemer, für jeden Bereich eine eigene Koordinate zu definieren. Viele der nachfol-
gend angestellten ÜberlegUJlgen zu den SChnittgrößenverläufen und auch mehrere Anwendungen
in der Festigkeitslehre vereinfachen sich erheblich, wenn man folgende Empfehlungen beachten
kann:
<> Bei Definition mehrerer Koordinaten sollten diese vom Beginn bis zum Ende des Tragwerks
alle (in Trägerlängsrichtung) gleichsllmig gerichtet sein:
crTTTTngo
::A..-
I!
-,-
A 6-------
Z,
a b c d
-F"H~gl
,
1 F
AV
lFß
Ytk
~FQ3
F
NJ
M bJ
~FQJ
FNJ
C
~go
' ! ,
;;;1
a b ~-z3 d
Abbildung 7.6: Immer das einfachere Teilsystem betrachten. Für den Bereich 0:0; 23:0; c empfiehlt sich das
rechte Teilsyslem (das Gelenk muss dabei als nicht existent angesehen werden).
Wenn nur der aktuelle Bereich in die Gleichgewichtsbetrachtungen einbezogen werden soll, müs-
sen unbedingt die Schnittgrößeo am Bereichsanfang bzw. -ende angetragen werden:
Abbildung 7.7: Vorsicht bei Betrachtung nur des aktuellen Bereichs, denn dann wurden zwei Schnitte
gelegt! Hier kann man das mit Vorteil nutzen. wenn die GelenkkräfLe bekannt sind.
Während am rechten Teil in diesem Fall (bei vorher ohnehin zu berechnenden Gelenkkräften)
die Schnittgrößen besonders einfach zu ermitteln sind, wird von der Formulierung der Gleieh-
gewichtsbedingungen am linken Teilsystem, an dem die Schnittgrößen am Ende des Bereichs
o :0; 22 ::; b zu berücksichtigen sind, abgeraten.
Einen sehr guten Überblick über die innere Beanspruchung eines Tragwerks liefert die grafische
Darstellung der Schnittgrößenverläufe. Dazu wird vereinbal1, dass die Funktionswel1e direkt
über der geometrischen Darstellung des Tragwerks gezeichnet werden, positive Wel1e werden
7.1 Definitionen 97
"nach oben" angetragen (bzw. auf der der Bezugsfaser gegenüberliegenden Seite). Dies ergibt
beispielsweise die folgenden Darstellungen (Hinweis: Nach Durcharbeitung des Abschnitts 7.3
sollte man in der Lage sein, die Darstellung der Schnittgrößenverläufe für beide Beispiele ohne
größere Rechnung zu bestätigen):
IA
G
0
I
F,
~-
F2
al2
:::K:
al2
F
-;;r B B-'-
a al2 al2 I
I-
d I
I
(N
I
'A
+ F'2
0 2F
·F r
+ F
FQ
F'Q
Ei +
2 0 F,
F
2 Fa
IM, F,
+
'~
a
4
+
0
F,
a
2
Abbildung 7.8: Zwei Beispiele für die grafische Darstellung von Schnillgrößen
Die in den linken drei Skizzen der Abbildung 7.8 eingetragenen Koordinatenpfcile fLir FN , FQ
und Mb werden im Allgemeinen nicht gezeichnet und zukünftig stets weggelassen.
Unter Beachtung aller Vereinbarungen können die Schnittgrößen nach dem Festlegen von Koor-
dinaten und Bezugsfaser immer entsprechend der Darstellung einer der beiden folgenden Vari-
anten an einem Schnittufer angetragen werden (auf ein beliebiges Schnittufer kann immer eines
der beiden Bilder so gelegt werden, dass Koordinate und Bezugsfaser ,.passen"):
Die nebenstehend zu
sehende Definition po-
sitiver Sehnillgrößen
ist die Basis für alle
ebenen Biegeprobleme
gerader Träger. Po:-.itives Schniltufer Negatives Schnittufer
98 7 Schniugrößen
I
I_B_e_is,;,p_ie_I_:
_ F"ur den S
k"lZZJer1en T rager
.. ..
mit eIner E'Inze-
I
last ermittle man analytisch den Normalkraft-, Querkraft-
und Biegemomentenverlauf und stelle die Verläufe gra- X
fisch dar. A
2113 1I3
B
Gegeben: F = 60N; a = 30°; 1= Wcm.
FAv"F
6
1O,0N; ~vl 2I
0---
2,
B
rB IF 20,ON.
J
Für zwei Bereiche werden die beiden Koordinaten Zl
und Z2 eingefUhrt (vgl. Empfehlungen auf Seite 94).
Die Schnittgrößen werden nach den Schnittführungen
in beiden Bereichen entsprechend dcr Vorschrift auf
Seite 97 angetragen.
Im linken Bereich werdcn dic Bedingungen für das
Gleichgewicht am linken Trägerteil, im rechten Be-
reich am rechtcn Trägerteil aufgeschlieben, wobei als
Momenten-Bezugspunkt jeweils die Schnittstelle ge-
wählt wird: 52,0 N
Teil- T FB+FQ2 =0
system 5) Mb2-FB(~-Z2) =0
Daraus ergeben sich die Schnittgrößenverläufe in analytischer Darstellung. die in den Skizzen
grafisch dargestellt sind (die Formeln gelten jeweils für den Bereich. den die entsprechcnde Ko-
ordinate erfasst: O:S z, :S 21/3 bzw. 0 :S Z2 :S //3):
-52,ON IO,ON; ~ FZ 1
o -20,ON; ~F(~-Z2)
Für FN und FQ ergeben sich an der Übergangsstelle Sprünge im Verlauf, der Biegemomentenver-
lauf Mb hat dort in diesem Fall sein Maximum, das man wie folgt berechnen kann:
,
-_~q(z)
,,, tq6Z
Fitr
~
Q M b +6M b
I I I
J::2 z 6z
A & FN +6FN
Fq+!'.Fq
z
!'.z
Die Schniltgrößen verändern sich von der Stelle z bis zur Stelle (z + Ilz) um !J.FN, !J.FQ bzw.
t'1Mb. Das Kräftegleichgewicht in venikaler Richtung und das Momentengleichgewicht lIm den
Mittelpunkt des Elements liefern:
qllz+MQ = 0,
Ilz
M) -t'1Mb+f'QIlz+MQ2 =0.
dPQ
-=~q (7.1 )
dz
Diese bciden Fnrmeln können zur Kontrolle der aus den Gleichgewichlsbedingungen ermittelten
Querkraft- und Momentenverläufe benutzt werden. Darüber hinaus lassen sich aus ihnen fnlgen-
de Aussagen ableiten:
Da die Ableitung von PQ der Intensität der Linienlast proportional ist, ist der Querkraftverlauf in-
nerhalb eines Bereichs ohne Linienlast konstant (an den Bereichsgrenzen, an denen Einzelkräfte
eingeleitet werden, ändel1 sich die Querkraft sprunghaft).
Die Größe der Querkraft ist an jeder Stelle gleich dem Anstieg der Kurve des Momentenverlaufs:
• Positive Querkraft
-- positiver Anstieg der Mb-Kurve,
• negative Querkraft
-- negativer Anstieg der Mb-Kurve,
• konstante Querkraft
-- linearer Verlauf der Mb-Kurve.
100 7 Schniugrößen
Beispiel J: I
I_"";_ _...1 Für den nebenstehend skiZZIerten Träger er-
mittle man
a) den Querkraftverlauf und den Biegemomentenverlauf
I I I, ,I, ,I,q,
analytisch,
~
1I2 1I2
b) die grafische Darstellung des Querkraftverlaufs und
des Biegemomentenverlaufs, Gegeben: I, qo .
c) Ort und Größe des absolut größten Biegemoments.
• Der Momentenverlauf hat keinen Knick (auch nicht am Übergang vom quadratischen zum
linearen Funktionsveriaut), wenn die Querkraft sich nicht sprunghaft ändert.
Die beiden letzten Aussagen folgen daraus. dass die Querkraft die erste Ableitung des Biegemo-
menls ist.
Zur Beantwortung der Frage nach dem absolut größten Biegemoment müssen sowohJ die rela-
tiven Extremwel1e des Moments in den Bereichen mit Linienlast als auch die Momente an den
Bereichsgrenzen bereitgestellt und miteinander verglichen werden. Im vorliegenden Fall ist der
relative Extremwert betragsmäßig größer als das Moment am Übergang vom ersten zum zwei-
ten Bereich. Den Ort des relativen Extremwertes ermittelt man durch das Nullsetzen der ersten
Ableitung von Mbl (ZI)' Es ist also die Nullstelle der Querkraft:
z,- = 81 1
Einsetzen in die Momentenfunktion liefert das relative (hier gleichzeitig absolute) Extremum:
Beispiel 2: I
I_ _ _ _.... Für den nebenstehend skiZZierten Rah men
sind zu ermitteln:
a) Schnittgrößenverläufe (I;N, FQ und Mb) analytisch, l/3 2l/3
b) grafische Darstellung der Schnittgrößenverläufe,
c) Ort und Größe des absolut größten Biegemoments. F
Gegeben: I, F.
B
Am Gesamtsystem werden die Lagerreaktionen berechnet
und die vier Koordinaten zur ErmitLiung der Schnittgrö-
ßen festgelegt. Die Bezugsfaser wird auf die Innenseite
, A
~
des Rahmens gelegt.
a) Im Bereich 0 :S 21 :S / (Abbildung
7.10) ergibt sich:
/'NI -FAv = -~ F
FQI FMI = F
Mbl = FAH 21 = F21
FQ2 = FAV ~F
2
M b3 =FB ( -1-23 I
) +F-=-FI
I - - 52-3 )
(19
3 2 6 3 I
Schließlich erhält man für den vierten Bereich O:S Z4 :S 1/2 (Abbildung 7.11, rechte Skizze):
5
FN4 = -Fs = --F FQ4 =-F
6
7.3 Ergänzende Aussagen zu den Schnittgrößen 103
F F PI
+ FI + ,
6 2
+ 19 FI +
5p 18
b) 6
FN FQ Mb
5 P F
F 6
6 F
c) Für die Bestimmung des absolut größten Biegemoments ist keine Extremwertbetrachtung
crfordcrlich. Da nur Iincar verändcrlichc Momcntenvcrläufe vorlicgen, gcnügt dcr Verglcich
aller Momente an den Bereichsgrenzen. Das absolut größte Moment tritt im horizontalen
Bereich des Rahmens unter der Kraft F (bei Z3 = 0) auf und beträgt Mb.mox = I, 06F I.
-.
5 F
sacht einen Sprung im Querkraftver- F +
6
lauf, der (bei gleichsinnig gerichteten F
5F
Koordinaten und gleicher Lage der Be- 6 p
.-
zugsfaser in den angrenzenden Berei-
F
chen) in Größe und Richtung der äuße-
F
ren Kraft folgt (Abbildung 7.12 zeigt Abbildung 7.12: .,Sprünge"
6
dies flir Beispiel 2 aus Abschnitt 7.2). im Querkraftverlauf
Eine Einzelkraft am Trägeranfang bewirkt einen Sprung "von Null auf die Größe dieser
Kraft", eine Einzelkraft am Trägerende einen entsprechenden Sprung "auf den Wert NuJJ".
In Bereichen mit konstanter Linienlast ist die Querkraft linear veränderlich.
Diese Aussagen gestatten es häufig, den Querkraftverlauf ohne Rechnung zu ermitteln. was
mit den beiden folgenden Beispielen demonstriert wird.
104 7 Schniugrößen
Beispiel J: I
I_"";_ _...1 Die vertlkalen Lagerreakllonen des skizzIer- 3F
B....6-
FB =8F a 2a a
Dementsprechend beginnt der Querkraftverlauf am linken
Rand mit FQ = 7F, positiv, weil dcr "Sprung von Null" dcr 3F
Richtung von FAV folgt, bleibt konstanl bis zum Sprung
um 12F nach unten auf den Wert -5F, bleibt konstant,
I
i
I_Beispiel 2: I
_ _ _...I Für den ncbenstehend dargestellten Träger
führen nach Berechnung der Lagerreaktionen folgende l/2 l/2
Überlegungen Zur grafischen Darstellung des Querkraft-
verlaufs:
(j) Am linken Rand "Sprung von Null" auf iqol.
@ am rechten Rand "Rücksprung" um iqOI auf Null,
@ im rechten Abschnitt konstanter Verlauf,
@) im linken Abschnitt linear veränderlicher Verlauf.
Diese vier Aussagen gemeinsam genügen, um den kom- + - ~qol
pletten Querkraftverlauf Zu zeichnen.
I_Beispiel 3: I
_ _ _....I Da die BIegemomente an den Ecken des nachstehend sk,ZZlel1en Rahmens (ohne
vorherige Ermittlung der Lagerreaktionen) berechnet werden können, wenn die vertikalen Ab-
schnitte an den Ecken geschnitten werden, kann man den Momentenverlauf sofort zeichnen: Der
lineare Verlauf im horizontalen Teil ist durch die bekannten Werte an den Ecken (Biegemoment
ändert seinen Wert dort nicht!) eindeutig bestimmt.
"
N
6A:
I +
Mb
- I Fa
+ 2
2Fa
3a
Abbildung 7.14: Zeichnen des Momentenverlaurs ohne Rechnung und ohne Kenntnis der Lagerreaktionen
Der Biegemomelllenver/auj hat relative Extremwerte an allen Punkten, an denen der Querkraft-
verlauf das Vorzeichen wechselt.
Q Für die Beurtcilung der Haltbarkeit eincs Trägers hat das absolute Maximum des Biegemo-
ments Mb Im".< eine besondere Bedeutung. Dies kann nur auftreten
1
Beispiel 4:I
I_ _ _ _...I Für den nebenstehend dargestellten Träger
ist das Biegemoment am freien Trägerende und am La- :EO.. B
ger A jeweils Null. In den beiden Bereichen muss wegen
2a a
des Fehlens einer Linienlast ein linearer Verl.auf vorl.iegen.
das Moment am Punkt Bist Mb,B = -Fa, wobei das Vor- -Fa
Mb - - - - - - - - -
zeichen aus der Anschauung gewonnen werden kann (die
untere Faser wird offensichtlich gedrückt).
BeispielS: I
I_ _ _ _...I In belden BereIchen hat der skizzIerte Trä- M~2Fa
oe;> Die freie Verschiebbarkeit eines am starren Körper angreifenden Moments darf selbstver-
ständlich erst nach dem Freischneiden genutzt werden. Es ist sicher klar, dass f!irden Verlauf
des Biegemoments der Angriffspunkt des äußeren Moments einen wesentlichen Einfluss hat.
Beispiel 6:I
I_ _ _ _...I Zur Darstellung des Mo-
mentenverlaufs für den skizzierten Ger- A Fj G B C
berträger werden folgende Erkenntnisse ;p; 0
genutzt; a a 2a a
• Das Biegemoment ist an den Punkten
A, G und C gleich Null. -Fa
+
• Die vertikale Lagerkraftkomponente 0
I
bei A hat den Wert FAv = F /2, weil 2 Fa
F in der Mitte von AG angreift. Mit
dieser Lagerkraft ist das Moment un-
ter der Last F bekannt.
• Die Verbindungsgerade von diesem Wert durch das Gelenk G bis zum Lager B (erst hier darf
ein Knick im Momentenverlauf auftreten) liefel1 das Moment an dieser Stelle, und es kann
die letzte Verbindungsgerade zum Punkt C gezeichnet werden.
7.4 Aufgaben 107
_ ·1
I_B_e_is,;"p_ie_I_7·
. . AI S B' 'I 2 (au ,. S'
elspte elfe 104) wurde f"ur einen
' T" ,.
rager mit einer L"InJen Iast der
Querkraftverlauf ermillelt. Da die Querkraft-Funktion als Ableitung der Funktion des Biegemo-
menls in jedem Punkt ein Maß für den Anstieg der Biegemomenlen-Funktion ist, kann diese
vielfach (zumindest qualitativ) bei bekanntem Querkraftverlauf unter Ausnutzung der librigen
bereits benutzten Aussagen gezeichnet werden. 1m Einzelnen werden für dieses Beispiel folgen-
de Erkenntnisse herangezogcn (realisicrt in Abbildung 7.16):
• Das Biegemoment ist an den Trägerrändern
(Punkte CD) gleich Null.
• Die Kurve des Momentenverlaufs ist im linken
Bereich (linearer Querkraftverlauf) eine quadra-
tische Parabel @, im rechten Bereich hat Mb
einen linearen Verlauf@. ~ goi
• An der Übergangsstellc vom linken zum rech- + - I goi
8
ten Bereich @ hat die Momentenlinie keinen FQ
Knick (keine Einzelkraft- Querkraftverlauf än- 3U8
-' - go l/8
dert sich nicht sprunghaft),
• Der Anstieg der Parabel ist zunächst positiv,
wird aber immer !lacher (Querkraft wird kleiner)
+
bis zum Maximum von Mb @ beim Nulldurch-
gang der Querkraft, danach immer stärker nega-
tiv bis zur Mitte des Trägcrs. Bei danach kon- Abbildung 7.J6: Die Größe der Querkraft iSl
stanter Querkraft ändert sich der Anstieg nicht in jedem Punkt proportional zum Anstieg des
mch.r@. Momentenverlaufs.
7.4 Aufgaben
I Allfgabe 7.1: I
Der skizzierte Träger ist durch eine kon-
stante Linienlast mit der Intensität qo und eine Einzelkraft ~ 1111111 , 11I , IllI, !go
F = 4 qoa belastet. Man ermittle
a) die Lagerreaktionen bei A,
;/IA 3U
b) die Schnittgrößenverläufe analytisch, a a
e) dic grafische Darstellung der Schnittgrößenverläufe.
[Allfgabe 7.2: I
Flir den Gerber-Träger enmttle man:
a) Schnittgrößenverlällfe (Normalkraft. QlIerkraft, Bie-
F
go Illlllj
gemoment) analytisch,
'" '" 2F
b) grafische Darstellung der Schnittgrößenverläufe, a G a 7"B
e) Ort und Größe des absolut größten Biegemoments.
Gegeben: a; qo; F = qoo .
108 7 Schniugrößen
I
I Aufgabe 7.3: Für den skizzierten Rahmen ermittle man:
a) Lagerreaktionen bei A und 8,
b) Schnittgrößenverläufe (Normalkraft, Querkraft, Bie-
gemoment) analytisch,
c) grafische Darstellung der Schnittgrößenverläufe,
d) Ort und Größe des absolut größten Biegemoments.
Gegeben: a; qo; F = 2qoa.
20.
I
I Aufgabe 7.5: Der skizzierte Rahmen ist durch
eine konstante Linienlast und zwei Einzelkräfte
belastet. Man ermittle: F
Wenn die Wirkungslinien der Kräfte nicht mehr aJle in einer Ebene liegen oder die Drehachsen
der Momente nicht alle senkrecht zur Ebene der Kräfte gerichtet sind, liegt ein räumliches Pro-
blem vor. In solchen Fällen sollte zunächst überprüft werden, ob die Betrachtung in mehreren
Ebencn (und damit dic Lösung mchrcrcr Tcilaufgaben) möglich ist. Erst dann, wcnn dics nicht
gelingt, sollte man die Aufgabe als räumliches Problem auffassen.
Eine Kräftegruppe wird als zentrales Kraftsystem bezeichnet, wenn sich die Wirkungslinien aller
Kräfte in einem Punkt schneiden.
Da durch zwei sich schneidende Geraden eine Ebene aufgespannt wird, kann man für jeweils
zwei Kräfte in dieser Ebene nach den Regeln des zentralen ebenen Kraftsystems verfahren (z. B.
ein Kräfteparallelogramm konstruieren). Aus dieser Überlegung folgt, dass zur Ennittlung der
Resultierenden auch die Vereinfachung der Konstruktion in Form des Kraftecks auf das räum-
liche Problem übertragen werden kann. Allerdings lässt sich ein "räumliches Krafteck" in der
Zeichenebene nur schwierig darstellen.
Die Formeln des ebenen Problems 2.2 müssen nur um die dritte Komponente erweitert werden,
und man gewinnt die Formeln zw'
Die Richtung der Resultierenden lässt sich zum Beispiel durch die Angabe der Winkel, die sie
mit den Achsen eines kartesischen Koordinatensystems bildet. beschreiben:
(8.2)
wobei gilt:
cos2 22
ax+cos ay+cos a, = I (8.3)
Die Winkel Cl", ~, und a, werden in den von der X-, y-, bzw. z-Achse
z
und der Kraft FR aufgespannten Ebenen gemessen. Obwohl immer Glei-
chung 8.3 gilJ, ist die Lage eines Vektors im Raum erst eindeutig be-
stimmt durch die Angabe der drei cos- Werte (Richtungskosinusse -
schreibt sich tatsächlich mit k, und der lustig klingende Plural ist auch
richtig), weil aus 8.3 die für die Lage des Vektors wichtigen Vorzeichen
dcr cos-Werte nicht zu entnehmen sind.
P
Die Abbildung 8.1 verdeutlicht arn Beispiel, wie diese Winkel gemessen Ry
werden: Der Winkel Cl.• liegt in der Ebene, die von der x-Achse und FR ,x
aufgespannt wird. Man verwendet zweckmäßig diese Winkel auch für Abbildung 8.1: Bei-
die Zerlegung ciner Kraft in ihre drei Komponentcn. spiel ruf einen Win-
Ein zentrales Kraftsystem befindet sich im Gleichgewicht, wenn die Re- kel. rur den der Rich-
sultierende aller Kräfte gleich Null ist. Da ein Vektor im Raum nur ver- tungskosinus angege-
schwindet, werm jede Komponente Null ist, folgen daraus die drei ben wird
" " =0
[p;,
L/ix=O (8.4)
i=l i=1
.-:> Aus der Forderung nach Gleichgewicht können also beim zentralen räumlichen Kraftsystem
drei Unbekannte ermittelt werden.
C:> Die Schwierigkeit, schon einfache räumliche Konstruktionen anschaulich zu elfassen, legt
es nahe, wesentlich formaler als beim ebenen Problem vorzugehen: Man ermjttelt eine Kom-
ponente eines räumlichen Kraftvektors aus dem Produkt "Betrag des Vektors· Richtungsko-
sinus", wobei der Richtungskosinus im Allgemeinen aus der Geometrie des Systems folgt.
oe;> Typisches Vorgehen bei der Lösung von Aufgaben: Man schreibt einen beliebigen Vektor
auf, der aber die Richtung der Kraft haben musS. Dieser Vektor wird durch seine Länge
(seinen Betrag) dividiert und man erhält den Vektor der Richtungskosinusse. Da dieser we-
gen 8.3 ein Einheitsvektor ist, wird er nach Multiplikation mit dem (bekannten oder un-
bekannten) Betrag der in diese Richtung wirkenden Kraft zum Kraftvektor. Die Gleichge-
wichtsbedingungen 8.4 beziehen sich dann jeweils auf die Komponenten der so ermittelten
Kraftvektoren.
c:> Wenn man sich auf ein einmal festgelegtes Koordinatensystem bezieht, ergeben sich die
Richtungskosinusse eines Vektors (formal und vorzeichensicher) aus der VorschrifJ "Kom-
ponente dividicrt durch Betrag des Vcktors'·.
BeispielJ: I
I_"';_ _...1 Zwei Stäbe I und 2 smd an emer Wand befestIgt und werden durch den vertIkalen
Stab 3 gehalten (Abbildung 8.2). Man berechne die Stabkräfte FS1 , FS2 und FS3.
Die vier KräfJe F, FS1 , FS2 und FS3 miissen ein Gleichgewichtssystem bilden (natiirlich können
auch Stäbe im Raum nur Kräfte in Stablängsrichtung aufnehmen. vgJ. die Definition des Stabs
im Abschnitt 6.2 auf Seite 70).
8.1 Zentrales Kraftsystem III
__2_ F
x"'-" v'i4 SI k FS2 -F vF]
[=714 [-vt]
7Jj
-'T]
__3_
k
3
y/ --t-F
v'i4 sl + FS2 0
3_ FSI
z i __v'i4 3 FS2 + 0 -v'i4 vi? ]
-v'T7
[=~
v'T7 FS3
c:o Auch wenn die vektorielle Behandlung des Problems schließlich doch auf die Lösung eines
Gleichungssystems der Komponenten-Gleichungen fUhrt, sollte man den formalen Weg über
die Richtungskosinusse immer dann gehen, wenn man an die Grenze seines räumlichen
Vorstellungsvermögens gelangt.
Bei dieser einfachen Aufgabe könnte man natürlich noch den "anschaulichen Weg" dem forma-
len Weg vorziehen. Dieser führt vielfach über die Betrachtung des Problems in unterschiedlichen
Ebenen sehr schnell zu Teillösungen.
112 8 Räumliche Probleme
Die Lösung des Beispiels I mit dem "anschaulichen Weg", bei dem nacheinander in drei Ebenen
gearbeitet wird, findel man mit ausführlicher Diskussion unter www.TM-aktueILde. Das verall-
gemeinerungsfahige Fazit ist:
':> Die Berechnung räumlicher Probleme durch Betrachten in unlerschiedlichen Ebenen (der
Versuch, den "anschaulichen Weg" zu gehen) ist häuhg unübersichtlich. schlecht forma-
lisierbar und damit auch fehleranfallig. Formaler und damit weniger fehleranfällig ist das
Rechnen mit Vektoren, zumindest die formale Ermittlung der Richtungskosinusse ist emp-
fehlenswert. Zwei Griinde können jedoch fur eine Abweichung von dieser Empfehlung spre-
chen:
o Fiir den (konservativen) Konstrukteur, der mit seiner technischen Zeichnung ohnehin
"zweidimensional in verschiedenen Ebenen denkt", kann auch die Berechnung auf diese
Art einfacher sein.
o Quasiebene Probleme (wie das folgende Beispiel 2) sind in jedem Falle Kandidaten ftir
eine Betrachtung in mehreren Ebenen.
Beispiel 2: I
I_ _ _.... Em nächenhafter Körper (Blech) mit
B
einer Symmetrieachse soll an den Punkten A, Bund
OOS
C an gleich langen Seilen mit Hilfeeines Krans trans-
A
portiert werden. Die Seile werden jeweils an den
Punkten A, Bund C und am Kranhaken befestigt.
...
Gegeben: Fe (Gewicht des Blechs), c
I (Länge eines Seils),
CI, C2 (Blechabmessungen),
Xs (Lage des Schwerpunkts),
Man ermittle die Seilkräfte FSA , FS B und Fsc , die sich beim Anheben des Blechs einstellen.
Dies wird mit dem nachfolgend zusammengestellten Formelsatz realisiert. Für die Auswertung
solcher Formelsätze eignen sich fast alle Mathematik-Programme vorzüglich. Einmal definiel1
(und für spätere Verwendung gesichert), können die Formelsätze automatisch immer wieder mit
unterschiedlichen gegebenen Größen ausgewellet werden (siehe www.TM-aktuell.de).
114 8 Räumliche Probleme
Nachdem einmal der angegebene Formelsatz definiert wurde, können automatisch sämLliche For-
meln immer wieder für beliebige Eingabewerte ausgewertet werden.
8.2 Räumliche Fachwerke 115
Räumliche Fachwerke bestehen aus räumlich angeordneten Stäben, die über Gelenke miteinan-
der verbunden sind. Nur über diese Gelenke werden Kräfte eingeleitet (ideales Fachwerk, vgl.
Seite 80). Für reale Fachwerke gilt, was schon für ebene Fachwerke gesagt wurde: Sie dürfen im
Allgemeinen bei sehr guter Annäherung an die Realität trotz nicht gelenkiger Verbindungen der
Stäbe nach der Theorie der idealen Fachwerke berechnet werden.
Auch ein räumliches Fachwerk ist dann statisch bestimmt, wenn die Stabkräfte und Lagerkräfte
ausschließlich aus Gleichgewichtsbedingungen zu berechnen sind.
Auch hicr gilt: Dic Erftillung dieser notwendigen Bedingung ist keine Garantie für die Trag-
fahigkeit des Fachwerks. Untaugliche Konstruktionen äußern sich durch Widersprüche in den
Gleichgewichtsbedülgungen.
Das schon für ebene Fachwerke universell einsetzbare Knoten-
schnittverfahren (siehe Seite 81) muss für die räumlichen Fach-
werke nm leicht modifiziert werden: Rundumschnitte um sämt-
liche Knoten, so dass alle an den Knoten angrenzenden Stäbe
geschnitten werden, liefern zentrale räumliche Kraftsysteme, und
für jeden Knoten können drei Gleichgewichtsbedingungen formu-
liert werden. Dabei sollte man konsequent an jedem Knoten für
jeden Stab nach folgendem Algorithmus vorgehen:
Die Lage eines Stabes 5 im Fachwerk und seine Länge ls wer-
den eindeutig durch die Koordinaten seiner beiden Knoten fest- y,
xi Yj
gelegt (Abbildung 8,6). Das kartesische Koordinatensystem, auf
das sich diese Angaben beziehen, kann beliebig gewählt werden.
Die in Stablängsrichtung wirkende Stabkraft (mit dem Betrag Fs)
wird an bei den Knoten als Zugkraft angetragen (Pfeilspitze weist Abbildung 8.6: Stab S mit den
vorn Knoten weg). Der Kraftvektor am Knoteo i kann dalU] mit KnOlen i und j
Hilfe der Richtungskosinusse aufgeschrieben werden:
(8.5)
Man beachte: Die Richtungskosinusse (Quotient aus Koordinatendifferenz und Stablänge) wer-
den ausschließlich aus den geometrischen Informationen (Knotenkoordinaten) gewonnen. Am
Knoten j hat die Stabkraft gerade die entgegengesetzte Richtung, was sich durch Umkehrung
der Koordinatendifferenzen bei der Berechnung der Richtungskosinusse automatisch ergibt, so
dass man folgende einfache Regel fw: das Aufschreiben des Stabkraft-Vektors des Stabes 5 am
Knoten i formulieren kann:
116 8 Räumliche Probleme
oe:> Flir jeden Stab S am Knoten i kann der Stabkraft-Vektor nach 8.5 aufgeschrieben werden,
wenn der andere zum Stab S gehörende Knoten als Knoten j betrachtet wird.
Mit dem Stabkraft-Vektor sind die drei Komponenten in Ricbtung der gewäWten Koordinaten
gegeben, lind mit allen an einem Knoten angreifenden Stabkräften können die drei Gleichge-
wichtsbedingungen für den Knoten formuliert werden.
I_Beispiel I
_ _..I Das abgebildete Fachwerk
besteht aus fünf Stäben, die in der Ho-
rizontalebene als Rechteck mit einer
Diagonalen angeordnet sind, und vier
weiteren Stäben, die zu einem Knoten
zusammenlaufen, der senkrecht über
dem Mittelpunkt des Rechtecks in der
D
Horizontalebene liegt.
Das Facbwerk ist durch drei Stä-
be (einwertige Lager) bei ß, C und
9
D gelagert und im Punkt A durch
ein räumliches Festlager (kann drei 6
Kraftkomponenten aufnehmen) abge- 7
stUtzt. An einer Ecke des Fachwerkes 3a
werden die Kräfte Fl, F2 und F3 ein- 2a
IV
geleitet.
A
Gegeben:
Man berechne die Stabkräfte der Stäbe I bis 9, die Kräfte in den Lagerstäben und die Lagerreak-
tionen bei A.
I ff III IV V
x 0 a 0 2a 2a
y 0 1,5a 3a 0 3a
z 0 3a 0 0 0
Die Abbildung 8.7 zeigt die Rundumschnitte um alle flinf Knoten. Das Aufstellen der Gleich-
gewichtsbedingungen soll am Beispiel des Knotens I erläutert werden:
8.2 Räumliche Fachwerke 117
v
F'S2
mit LI = 3,5a.
Für die Stabkraft des Stabs 6 muss
8.5 mit Knoten V als Knoten j und F,
16 = V13a formuliel1 werden. Mit IV
den direkt aufzuschreibenden Vekto-
ren der Stabkräfte der Stäbe 8 und 9
lauten also die Vektoren der 4 Stab- 'A3
kräfte am Knoten I: Abbildung 8.7: Rundumschnitte um die 5 Kno[cn
-
FSI =
[
1;51 ] f'SI
3,5 2]
3 F
[OV13
S6
1ss = [~] Fss 1S9 = [~] FS9
Nun können die drei Gleichgewichtsbedingungen für den Knoten I aufgeschrieben werden:
1
+ +
0
x'\, 3 5 FS I 1I3FS6 Fss -FI
y/, 1.5 F
D SI + k FS6 + FS9 = F2
ZT -h,Fsl F3
Auf gleichem Wege kommt man zu den Gleichgewichtsbedingungen der übrigen Knoten. Für
den Knoten 11 ergibt sich:
1
x'\, --"--
3.5 FSI + 3:5 F51 + /5 FS3 - 3 5 FS4 =0
y/, _.!.2 FSI
3.5 .!.2 1.5F:S3 + .!.2
3.5 F:51 + 3,5 F
3.5 S4 =0
ZT _2- FSI
3,5 3:5 F51 - /5 FS3 - l5 FS4 + FB = 0
KIloteIl 11/: fsFS 4 +FS5 =0; -FS9+Fe- JjFS4 =0; -h,FS4 =0.
Klloten IV: FAI - Fss - 315F51 = 0 ; F,\7 - FA2 + ~; F51 = 0 ; 335 F51 - FA 3 = 0 .
Klloten V: -FS5 - frJ FS6 - 1
35 FS3 = 0 ; -F,\7 - --b
v 13
FS6 _.!.2 F = 0 ;
3.5 S3 l5
FS3 + Fo = 0 .
118 8 Räumliche Probleme
Diese fünfzehn Gleichungen lassen sich durchaus noch "per Handrechnung" lösen: Slab 4 iSI ein
Nullstab (als einziger Stab am Knoten 11/, der nicht in der Horizontalebene liegt) und damit auch
Stab 5. Das Ergebnis für FSI ist aus dem "z-Gleichgewicht" des Knotens / abzulesen, und mit
diesen bekannten Kräften entkoppeln sich die Gleichungen so, dass maximal 2 Gleichungen mit
2 Unbekannten als "System·' zu behandeln sind.
Wenn die Aufgabe nur unwesentlich komplizierter wird, gilt das natürlich nicht mehr, und man
sollte für die Lösung des Gleichungssystems den Computer bemühen. Für das behandelte Bei-
spiel findet man unter www.TM-aktuell.de die Lösung mit verschiedenen Software-Produkten.
Bei Nutzung einer Software, die symbolisch rechnen kann, erscheinl das Ergebnis in Abhängig-
keit von den Kräften F1, F2 und /;3 (Ergebnis mit Maple siehe Abbildung 8.8). Aber aucb eine
rein numerische Rechnung kann das Ergebnis ohne Vorgabe von Zahlenwel1en für die Belastung
erzeugen. Dafür muss die rechte Seite des Gleiebungssystems wie folgt in drei Vektoren zerlegt
werden (Ergebnis mit Matlab siehe Abbildung 8.9):
Abbildung 8.8: Das Ergebnis der symbolischen Abbildung 8.9: Das Ergebnis der numerischen
Berechnung mit Maple enthält die Kräfte FI. F2 Berechnung mit Matlab besteht aus drei Vektoren.
und F.1 als Symbole (die seh.r kleinen Zahlenwerte die mit FI , F2 bzw. f3 multipliziert lind dann ad·
resulljeren aus RUl1dungsfehlern). dielt werden müssen.
8.3 Allgemeines Kraftsystem 119
Kräfte dürfen im Raum (am starren Körper) wie in der Ebene nur entlang illrer Wirkungsli-
nie verschoben werden (I. Axiom), und zwei Kräfte dürfen nacll dem Parallelogrammgesetz
wie Vektoren addiert werden (2. Axiom). Die im Abschnitt 1.2 vorgestellten vier Axiome sind
selbstverständlich die vollständige Basis auch für die dreidimensionalen Probleme der Statik.
Schon bei den Kräften aber kann eine zusätzliche Schwierigkeit auftreten: Die Wirkungslinien
zweier Kräfte im Raum brauchen sich auch dann nicht zu schneiden, wenn sie nicht parallel sind
("windschiefe" Geraden). Noch etwas schwieriger sind die Überlegungen, die mit dem Verhalten
von Momenten verknüpft sind. Ihnen wird deshalb ein gesonderter Abschnitt gewidmet.
8.3.1 Momente
An drei einfachen Beispielen wird die Verschiebbarkeit von Momenten und die Möglichkeit der
Zusammenfassung von Momenten zu einem resultierenden Moment untersucht:
a) b)
Abbildung 8.10: Getriebegehäuse als "Black box", die Wirkungen an Antriebs- und Abtriebswelle werden
durch Momente repräsentiert. über das .,Jnnenleben" des Getriebes ist nichts bekannt
Für die drei in Abbildung 8.10 dargestellten Getriebegehäuse sollen jeweilS die resultierenden
Belastungen ermittelt werden, die von ihnen auf die Fundamente aufgebraellt werden (benötigt
z. B. flir die Auslegung der Fundamentschrauben). Neben dem Eigengewicht, das hier nicht be-
trachtet werden soll, besteh1die Belastung nur aus den Drehmomenten der beiden Wellen, die in
das Getriebegehäuse hineingehen. Nach dem "Wegschneiden der Wellen" müSsen die (von den
Wellen auf das Geh.äuse wirkenden) Momente MI und M2 angetragen werden (Erinnerung an das
Schnittprinzip: Was im Inneren des Getriebegehäuses passiert. ob und wie viel Stirnräder, Kegel-
räder, ob überhaupt Zahnräder oder Reibräder oder Keilriemen die Drehbewegung umformen, ist
flir diese Betrachtung völlig unerheblich).
Tm Fall a liegen die beiden Momente in einer Ebene. Dieses Problem wurde bereits im Abschnitt
3.3 behandelt: Momente dürfen beliebig in der Ebene verschoben und damit natürlich auch ad-
diert (bei entgegengesetztem Drehsinn subtrahiert) werden. Die resultierende Belastung ist das
resultierende Moment
120 8 Räumliche Probleme
2F*
Im Fall b liegen die bei den Momente in unterschiedlichcn (abcr parallclen) Ebenen. Es wird
deshalb zunächst untersucht, ob und unter welchen Voraussetzungen z. B. das Moment Mz in die
Ebcnc dcs Momcntcs MI vcrschoben wcrdcn darf. Dazu wcrdcn entsprcchcnd Abbildung 8.11
einige erlaubte Operationen (auf der Basis der Axiome der Statik) ausgefLihrt:
• Moment Mz wird durch ein beliebiges (statisch äquivalentes) Kräftepaar ersetzt: Mz = Fa.
• In einer parallelen Ebene wird cin Gleichgewichtssystem aus vier gleich großen Kräften F
crgänzt, dcssen Wirkung auf dcn starrcn Körper natürlich statisch neutral ist.
• Schließlich werden je zwei Kräfte der beiden Ebenen zu einer Resultierenden zusammen-
gefasst: Die in der Skizze mit einem Stern gekennzeichneten Kräfte haben gleichen Rich-
tungssilln und gleichen Betrag und liegen auf parallelen Wirkungslinien. ihre Resultierende
2F* liegt in einer Mittelebene zwischen den Ebenen, in denen die bei den Kräfte F' liegen.
In gleicher Weise werden die beiden mit einem Querstrich gekennzeichneten Kräfte zu-
sammengefasst. Die beiden neuen Resultierenden in der Mittelebene sind gleich groß und
entgegengesetzt gerichtet, so dass sich ihre Wirkungen aufheben. Es bleibt ein Kräftcpaar in
der zur ursprünglichen Ebene parallelen Ebene übrig: Mz darf in die Ebene des Moments MI
verschoben werden. und das Ergebnis dieser Überlegungen darf verallgemeinert werden:
Am starren Körper darf ein Moment entlang der Drehachse und parallel zu dieser verschoben
werden, die Richtung der Drehachse und die Drehrichtung bleiben jedoch erhalten.
Am starren Körper angreifende Momente sind also wesentlich "beweglicher" als Kräfte. Da Mz
in die Ebene von MI und innerhalb dieser Ebene dann auch noch beliebig verschoben werden
darf, ergibt sich die resultierende Belastung auch im Fall b zu
MR =M 1 +Mz
Festzuhalten ist, dass diese besonders einfache Art der Zusammenfassung zweier Momente zu
einem resultierenden Moment die Parallelität der Drehachsen der Momente voraussetzt.
Diese Bedingung ist im Fall c nicht mehr erfüUt. Nach den bereits bekannten Aussagen ist die
Frage, ob sich die beidcn Drehachsen der Momente in einem Punkt schneiden, natiirJich belang-
los, weil die Momente ja innerhalb der Ebenen. in denen sie wirken, ohnehin beliebig verscho-
ben werden dürfen. Die Möglichkeit, diese beiden Momente zu einem reSlLltierenden Moment
zusammenzufassen, wird mit nachfolgendem Gedankenexperiment untersucht:
8.3 Allgemeines Kraftsystem 121
Damit ist auch der Betrag des resultierenden Moments für den Fall c bekannt:
Dem aufmerksamen Leser wird nicht entgangen sein, dass bei den vorangegangenen Überlegun-
gen gar nicht vorausgesetzt werden musste, dass die beiden Ebenen senkrecht zueinander sind.
Die Kräfte, die das resultierende Kräftepaar bilden, entstanden vielmehr nach dem bekannten
Paralle Iogrammgesetz.
Da zwei Ebenen, die nicht parallel sind (der Spezial fall paralleler Ebenen ist ohnehin beson-
ders einfach, siehe Fall b), als Schnittlinie immer eine Gerade haben, ist damit das Problem der
Zusammenfassung von Momenten zu einem resultierenden Moment allgemein gelöst:
Momente addieren sich ganz ähnlich wie Kräfte, LInd es ist desbalb naheliegend, auch die Mo-
menle als VeklOren zu definieren, zumal sie alle Eigenschaften von Vektoren aufweisen. Wie eine
Kraft ist ein Moment gekennzeichnet durch einen Betrag (gemessen z. B. in der Maßeinheit Nm),
eine RichlUllg (Richtung der Drehachse) und einen Riclllul1gssinn (Drehsinn).
122 8 Räumliche Probleme
\M~
Momente sind proportional (Proportionalitätsfaktor ist der gewählte
Abstand a). das Momentenparallelogramm ist gegenüber dem Kräf-
teparallelogramm um 90° gedreht.
M,!
Da die Momente freie Vektoren sind. können alle an einem star-
ren Körper angreifenden Momente zu einem resultierenden Moment
zusammengefasst wcrdcn (im Gcgensatz zu den Wirkungs linien der
Kräfte sind "windschiefe" Drehachsen kein Problem). Abbildung 8.15: Momen.
Weil Momente wie Vektoren addiert werden dürfen, können sie natiir- te werden wie Vektoren
lieh auch in Komponenten zerlegt werden. Für die analytische Lösung addiert.
des Problems, ein resultierendes Moment zu ermitteln, wird dies genutzt: Man zerlegt zunäehst
jedes Moment in drei Komponenten (bezogen auf ein kartesisches Koordinatensystem), addiert
die Komponenten, die in jeweils eine Richtung fallen, zu Teilresultierenden, die schließlich zum
resultierenden Moment zusammengefasst werden (wie beim zentralen Kraftsystem).
8.3 Allgemeines Kraftsystem 123
Die im Abschnitt 3.4 eingeführte Definition für das Momel1l einer Kraft bezüglich eines PunkTes
("Moment = Kraft· Hebelarm") und der Begriff Hebelarm (kürzeste Verbindung vom Bezugs-
punkt zur Wirkungslinie der Kraft) bleiben auch bei dreidimensionaler Betrachtung gültig. AL-
lerdings können die damit verbundenen geometrischen Überlegungen recht komplizien werden,
zumal eine Frage hinzukommt: In welcher Ebene wirkt das Moment bzw. welche Lage nimmt
die Drehachse im Raum ein?
Bei ebenen Problemen ist die Antwon klar: Kraft, Hebelarm und das durch die Kraft hervorge-
rufene Moment liegen in der Ebene, die Drehachse des Moments steht senkrecht auf der Ebene
(und ist deshalb auch in den Skizzen nicht zu sehen). Nach den Betrachtungen im vorigen Ab-
schnitt ist einsehbar, dass auch diese Aussage auf das räumliche Problem übenragen werden
kann:
Das Moment, das eine Kraft bezüglich eines Punktes hervorruft, wirkt in der Ebene, die von
der Wirkungslinie der Kraft und dem Hebelann aufgespannt wird. Seine Drehachse steht senk-
recht zu dieser Ebene.
Die Verschiebung einer Kraftkomponente, die zur x-Achse parallel ist, in den Nullpunkt erzeugt
also zwei Komponenten des Versetzungs moments um die beiden anderen Achscn. Die Moment-
wirkung der Komponente r"'x bezüglich des Nullpunktes ist das aus diesen beiden Komponenten
zu bildende Momcnt.
Entsprechende Ergebnisse erhält man bei der Untersuchung der Momentwirkung der beiden an-
deren Kraftkoll1ponenten. Wenn die Momentkomponenten, deren Pfeilspitzen in Richtung der
Koordinatenachsen zeigen, als positiv angenommen werden, können die Ergebnisse dieser Über-
legungen zusam.mengefasst werden zu den
(8.6)
c:> Das durch die drei Komponenten 8.6 definierte Momelll (der Momentvektor) ist das Momelll
einer Krafl bezüglich eines Punktes.
c:> Einc cinzelne Komponente (Momentvcktor in Richtung einer Koordinatenachse) ist das Mo-
ment einer Krafl bezüglich einer Achse. Da die Lage der Bezugsachsen im Allgemeinen be-
liebig festgelegt werden darf. kann häufig ausgenutzt werden. dass eine Kraft kein Momenl
bezüglich einer Achse hai, wenn
• die WirkungsJinie der Kraft parallel zur Achse verläuft (Fx hat z. B. keine MOll1entwir-
kung um die x-Achse) oder
• die Wirkungslinie der Kraft die Achse schneidet, weil dann der Hebelarm Null ist.
Die durch 8.6 gegcbenen Komponenten des Momentvektors lassen sich formal (und damit bei
komplizierter Geometrie wesentlich übersichtlicher) mit Hilfe des Vektorprodukts ermitteln: Die
drei Koordinaten des Kraftangriffspunktes werden zum ürtsvektor zusammengefasst. Dann er-
hält man das
rx ]
mit r= ~~ und (8.7)
[
c~ Das Vektorprodukt ist nicht kommutativ (Reihenfolge der Faktorcn darf nicht vertauscht
werden). Wenn die in 8.7 angegebene Reihenfolge der Faktoren gewählt wird, ergibt sich der
Momemvektor automatisch mit der durch die Rechtsschraubenregel definierten Richtung.
c:> Das Vektorprodukt errechnel man z. B. nach der Detcrminamenregel. Mit den Einheitsvek-
toren e.,.
e'y und i: in Richtung der drei Koordinatenachsen gilt (man erkennt, dass die Kom-
ponenten des Momentvektors identisch sind mit denen, die entsprechend 8.6 aus der An-
schauung gewonncn wurden):
8.3 Allgemeines Kraftsystem 125
e:. ey iz
[~ ] = r x F= rx
Fx Fy
fy rz
Fz
(8.8)
Beispiel 1:I
I_ _ _....I An elnem Quader mit den Abmessun-
Iz
I ,
gen a, bund c greifen wie skizziert drei Kräfte an. ~y
Gegeben: a, b, C. F 1 , F2, F3. '-
---,
a) Man berechne das resultierende Moment der drci -- A
B
~I
des Momelllum die Achse A-B wirkr7
,x
a) In dem gewählten (und in der Skizze angedeuteten) Koordinatensystem liegen alle Kräfte
parallel zu den Achsen, so dass ihre Momentwirkungen aus der Anschauung aufgeschrieben
werden könnten. Es wixd trotzdem der formale Weg über das Vektorprodukt gewählt (und die
Anschauung dient der Kontrolle):
~. ey iz e..: ey fz ey iz
MresA = a 0 0 + a 0 c + ""0 b c
0 0 -FI F2 0 0 0 F3 0
[ -F3C ]
= e;.a F1 + eyc F2 - ""cF3 = Fla ~ F2C
Der resultierende Momentvektor hat keine z-Komponente, weil die Wirkungslinie von F 1
parallel zur z-Achse liegt und die Wirkungslinien von F2 und F3 die z-Achse schneiden.
b) Die Momentwirkungen der drei Kräfte um die Achse A-B (Raumdiagonale des Quaders) sind
anschaulich nur mühsam zu ermitteln. Auch hier empfiehlt sich die Vektorrechnung: Der re-
sultierende Momentvektor hat dann keine Komponente in Richtung der Achse A-B, wenn er
senkrecht auf ihr steht. Zwei Vektnren sind dann senkrecht zueinander, wenn ihr Skalarpro-
dukt (Summe der Produkte der Vektorkomponenten) verschwindet. Das Skalarprodukt aus
dem Vektor der Raumdiagonalen J und dem resultierenden Momentvektor liefert:
t26 8 Räumliche Probleme
Die am starren Körper angreifenden Momente können ohnehin frei verschoben und natürlich
auch zu einem resultierenden Moment zusammengefasst werden, so dass ein beliebiges allge-
meines räumliches Kraftsystem äquivalent ist mit einer resultierenden Kraft und einem resultie-
renden Moment. Eine weitere Reduktion ist im Allgemeinen nicht möglich.
Im Unterschied zum allgemeinen ebenen Kraftsystem, das immer auf eine resultierende Kraft
oder ein resultierendes Momem reduziert werden kann (Abschnitt 3.5), lässt sich das alJ-
gemeine räumliche Kraftsystem im Allgemeinen nur auf eine resultierende Kraft und ein
resultierendes Moment reduzieren.
Durch geeignete Parallelverschiebung der resultierenden Kraft kann man immer ein zusätzliches
Versetzungsmoment so erzeugen, dass bei der Addition mit dem vorhandenen resultierenden
Moment schließlich die resultierende Kraft und das resultierende Moment die gleiche vektorielle
Richtung haben. Man nennt ein solches Paar DynGme (Kraftschraube). Diese Zusammenfassung
liefert jedoch außer einer gewissen Anschaulichkeit der Gesamtwirkung einer Kräftegruppe auf
den starren Körper im Allgemeinen kaum nennenswene Voneile.
Ein stafTer Körper befindet sich unter der Wirkung eines allgemeinen räumlichen Kraftsystems
im Gleichgewicht, wenn weder eine resultierende Kraft noch ein resultierendes Moment auf ihn
wirkeI], Da ein Vektor nur dann verschwindet, wenn jede Komponente für sich Null ist, können
die Gleichgewichtsbedingungen zum Beispiel so formuliert werden:
<> Summe aller Kraftkomponenten in Richtung von drei zueinander onhogonalen Achsen gleich
Null (3 Gleichungen) und
'e:> Summe aller Momente um drei zueinander orthogonale Achsen gleich Null (3 weitere Glei-
chungen).
Natürlich sind die Richtungen für die Kraft-Gleichgewiehtsbedingungen und die Achsen fü.r die
Momenten-Gleichgewiehtsbedingungen frei wählbar, sie müssen auch nicht unbedingt onhogo-
nal zueinander sein. Auch darf man wie beim ebenen Problem die Kraft-Gleiehgewiehtsbedin-
gungen durch zusätzliche Momenten-Gleiehgewichtsbedingungen ersetzen.
Es gibt aber wie beim ebenen Problem einige Einschränkungen dieser Freiheiten (z. B. dü,fen
nicht drei parallele Momenten-Bezugsachsen gewählt werden), deren Nichtbeadltung auf Glei-
ehungssysleme mit singulärer Koeffizientenmatrix führen. die dann nicht eindeutig lösbar sind.
Bei der Handrechnung ist dies unbedeutend: Wenn es bei der Lösung bemerkt wird, musS ei-
ne zusätzliche Gleichgewichtsbedingung formuliert werden. Für die Computerreehnung ist dies
ein sehr unangenehmer Effekt. Ein absolut sicherer Weg, tUr ein statisch bestimmtes Problem
ein lösbares Gleichungssystem zu erhalten, ist: Man wählt drei senkrecht aufeinander stehende
Richtungen und fonlluliert die folgenden
8.3 Allgemeines Kraftsystem 127
oe:> Im allgemeinen Fall des räumlich belasteten und gelagerten Körpers können also sechs un-
bekannte Größen aus sechs Gleichgewichtsbedingungen berechnet werden.
oe:> Für die Formulierung der Momenten-Gleichgewichtsbedingungen bezüglich der drei Ach-
sen wird auf die Formeln 8.6 verwiesen. Bei kompliziener Geometrie sollte man sogar das
vektorielle Aufschreiben der Momente nach 8.7 bevorzugen.
I_....;_ I
Beispiel 2:
_.... Das aus 9 Stäben gebIldete Raumfachwerk
(Rechteck mit einem Diagonalstab als Basisebene und
vier Seilenstäbe) ist ein starrer Körper (vgl. das Bei-
spiel im Abschnitt 8.2), der statisch bestimmt durch sechs
Stützstäbe gelagert wird.
Gegeben: F, = F2 = F) = F. a. 3a o
Zu berechnen sind die Kräfte in den Lagerstäben Abis F.
Durch das Schneiden der Stützstäbe wird der starre Kör-
per von äußeren Bindungen getrennt. An den Schnittstel- 3a c
2a
len werden die Stabkräfte als Zugkräfte angetragen. Da A
das Fachwerk bei der Berechnung der Lagerreaktionen
wie ein starrer Körper behandelt wird, genügt es, seine B
Geometrie vereinfacht zu erfassen (Abbildung 8.17).
Beispiel 3: I
I_"";_ _...1 Die belden Zahnräder mJt den TeIl-
kreisdurchmessern d l und d2 des skizzierten Stirn-
I I
radgetriebes besitzen eine Geradverzahnung. Das I I
Verhältnis der radial zu übertragenen Kraft F, zur ..l..A B..l.. MI
tangential Zu libertragenen Umfangskraft F" ist =;=--+------;::~--
T T
durch F, 0
I I
- = tan20 I I
F" I I
gegeben. Die Welle AB wird durch das Antriebs- M2 ..L ..L
moment M] belastel. --=--.O=---+---=--.;='
a
Gegeben: d], d2, M], }j = 0,8.
Man ermillie
a b
a) F, und Fu ,
b) das Abtriebsmoment M2,
c) die resultierende Lagerkraft bei B.
_2=-0=--0 1~
Die Getriebewellen werden freigeschnitten und
sämtliche an ihnen wirkenden Kräfte und Momente
angetragen (Skizze unten rechts).
Mindestens ein Lager pro Welle müsste drei Lagerkraftkomponenten aufnehmen können. Da
keine Längshelastung in WellenrichlUng wirkt. wird hier auf die dritte Komponente verzichtel.
a) Das Momenten-Gleichgewichl um eine Achse, die durch
die Mittellinie der oberen WelJe verläuft, und die gege-
bene Beziehung zwischen Radial- und Umfangskraft lie-
fern:
-
-
b) Mit der bekannten Umfangskraft am unteren Zahnrad lie-
fert das Momenten-Gleichgewicht um die Achse der un-
teren Welle das Abtriebsmomenl:
-
c) Die Komponenten der Lagerkraft des Lagers B gewinnt man aus zwei Momenten-Gleiehge-
wichtsbedingungen um eine horizontale bzw. vertikale Achse im Punkt A:
8.4 Schnittgrößen
Da bei einem allgemeinen räumlichen Kraftsystem Gleichgewicht nur bei ErtUllung von sechs
Gleichgewichtsbedingungen hergestelll werden kann, sind in einem beliebigen Schnilt sechs
SChnittgrößen anzutragen. die mit dem Kraftsystem des abgeschnittenen Trägerteils wieder eine
Gleichgewichtsgruppc bilden. Es sind drei Schnitt kräfte und drei Schnittmomente.
Ein Rechtssystem (x, y und z wie ..Daumen,
Zeigefinger, Mittelfinger der rechten Hand")
wird so eingeführt, dass die z-Aehse (wie
beim ebenen Problem) in Richtung der Trä- x
gerlängsachse liegt (Abbildung 8.18). Die
Scbnittgrößen werden nun so definiert, dass
sie sowohl in der y-z-Ebene als auch in der
x-z-Ebene mit der Definition I1ir das ebene
Problem übereinstimmen.
Dazu muss man sich die beim ebenen Pro-
blem eingeführte Bezugsfaser jeweils auf
der Seite des Trägers vorstellen, zu der die
y- bzw. die x-Achse zeigt (in der Skizze also
Abbildung 8.18: Sehniugrößen um Träger im Raum
"unten" bzw. "vorn").
Diese fünf Schnittgrößen sind vom ebenen Problem her bekannt. Ein um die Trägerlängsachse
drehendes Moment ist jedoch neu:
• Als sechste Sehniltgröße wird das Torsiollsmoment M, definiert, dessen Pfeilspitzen (wie
die Pfeilspitze der Normalkraft) stets vom Schniltufer weg zeigen.
Bei der Definition der Schnittgrößen ist ein Kompromiss unumgänglich: Dem Nachteil der hier
gewählten Vereinbarung, dass nur fünf Schnittgrößen am positiven Schnittufer mit ihren Pfeil-
spitzen den gewählten Koordinatenricbtungen folgen, während Mby der y-Achse entgegengerich-
tet ist, steht der Vorteil gegenüber, dass die Definition in den beiden Ebenen x-z und y-z gleiche
RichlUngen für die Schniltgrößen zeigt. Es ist deshalb oft ratsam, das räumliche Problem durch
Betrachtwlg von zwei ebenen Problemen zu behandeln. wobei das im ebenen Fall nicht auftre-
tende Torsionsmoment nicht vergessen werden darf.
130 8 Räumliche Probleme
Ein Vergleich der nachfolgend in den beiden Ebenen gezeichneten Schnittgrößen für das räum-
liche Problem mit der Der,nilion rur das zweidimensionale Problem auf Seite 97 zeigt die Über-
einstimmung:
~~ft~
Ix FQx
Abbildung 8.19: Die Der,nilion der Schniltgrößen für den räumlich belasteten Träger stimmt in beiden
Ebenen mit der Definition rur das ebene Problem (AbschniLl 7.1) überein.
Beispiel:
I_....;_ I
_ EIIl zweifach abge-
winkeltes Tragwerk ABCD ist bei
C durch ein "räumliches Festla- 2 3
ger" (kann Kraftkomponenten in
drei Richtungen aufnehmen) und B D
die drei Stäbe I, 2 und 3 gelagelt.
Die TeileAB und BC bzw. BC und A
CD stehen jeweils senkrecht auf-
einander, ebenso die Ebenen ABC a
2a
und BCD. c
1,5a
Gegeben: a, Cfo, F = qo a.
Man ermittle die Lagerkräfte bei C und die Stabkräfte Fs l , FS2 und FS3 sowie die SchnittgröBen-
verläufe in den Abschnitten AB. BC und CD.
Die sechs Lagerreaktionen (drei Kraftkomponenten am festen Lager und drei Stabkräftc) werden
mit Hilfe von sechs Gleichgewichtsbeziehungen am Gesamttragwerk ermittelt. Für die Kräfte
am Festlager deuten die Indizes die Raumrichtung eines Stabes an (z. B.: Index I - Lagerkraft-
komponente des Lagers C parallel zu Stab I). Die Ergebnisse sind:
Fe3 1,I25qoa
FS3 1,I25qoa
8.5 Aufgaben
I
Altfgabe 8./: I
Für das skizziene Fachwerk sind die
Stabkräfte in den Stäben I bis 9 zu berechnen.
Gegeben: FI = F2 = F3 = F. a.
Die Kräfte in den LagerstäbenA bis F wurden bercits im
Beispiel 2 des Abschnitts 8.3.3 ermittelt. Unter Benut-
zung der dort angegebenen Ergebnisse ist die Berech-
nung der Stabkräfte "von Hand" durchaus zumutbar. D
9 3a 5
Alternativ dazu könnte natürlich ein lineares Glei- 2 6
chungssystem formulien und mit einem geeigneten Pro-
7
gramm gelöst werden. In diesem Fall ist das Einbezie- 3a
hen der Lagerstäbe in die Rechnung empfehlenswen A
(GJeichungssystem mit J5 Unbekannten), weil dann das
Ergebnis sehr wirkungsvoll über die ,.bekannten Un-
B
bekannten" kontrolliert werden kann (siehe www.TM-
aktuell.de).
I Altfgabe 8.2: I
Es sind zwei Varianten eines räumlichen Fachwerkknotens zu untersuchen. Ge-
geben sind die Länge a und die Kraft F, zu bestimmen sind die Stabkräfte Fs 1 , FS2 und FS3.
-.... -....
3a 3a
3
x
.... "-
2
, ,-
F 2a F 2a
a a ,;
,;
1 Variante 11
Variante I
132 8 Räumliche Probleme
I
Aufgabe 8.3: I
Man berechne für die Kurbelwellen 1 und 11 für die in den Abbildungen 8.20
bzw. 8.21 dargestellten Lagen
a) das Abtriebsmoment M A •
b) die Lagen'eaktionen bei A und C (Kurbelwelle I) bzw. A und 0 (Kurbelwelle 11),
e) die Torsionsmomel1le in allen Abschnitten (mit grafischer Darstellung).
Gegeben: F, ß, a, b.
np
a
-1b
L..:.
2 F b
b
-r-- ~b C
Bb
b\F b
r
2b"
B (,\
F,....\-,-ß..
i
-A(Ln-)--'C
~ MA
Abbildung 8.20: Kurbelwelle I
Abbildung 8.21: Kurbelwelle /I
I Aufgabe 8.4: I
Eine Getriebewelle ist mit den gerad-
verzahnten Rädem I und 2 besetzt. Zwischen radia-
ler Zahnkraft Fr und Umfangskraft F" besteht über den
Zahneingriffswinkel a = 20° der Zusammenhang
Fr = F;, lan a
.
a
0/A F
Am Al1lriebsrad wird im Punkt Pz das entgegen dem u
~
Uhrzeigersinn drehende Moment Mo eingeleitet und am
2
Abtriebsrad im Punkt Pi abgegeben.
Gegeben: Mo = 50 Nm
a = 500 mm
d t = 200 mm
d2 = 100 mm
~
Man ermittle
a) die Zahn kräfte Ful , Frj , F,,2 und F,2,
b) die resultierenden Lagerkräfte bei A und B,
c) die Schniltgrößen in der Welle (mit grafischer Darstellung in zwei Ebenen).
Es gibt nun einen Grenzwinkel a = Po, bei dem die Masse zu rutschen beginnt. Aus den Ergeb-
nissen für die nur durch ihr Eigengewicht belastete Masse liest man ab:
Fu
- =taoa
FN
und somit erhält man für den Grenzfall a = Po:
Fu .max = FN tan Po = tJoFN (mit ~o = tanPo)
Dieses Ergebnis lässt sich auch auf Körper, die nicht nur durch ihr Eigengewicht belastet sind,
erweitern. und man erhält (nach C. A. de COULOMB, 1736 - 1806) das
COULOMBsehe Haftungsgesetz:
Die maximale Haftkraft zwischen zwei sich berührenden Flächen ist der zwischen diesen
Flächen wirkenden Normalkraft (Druckkraft) proportional:
oe:> Die Absolutstriehe bei Ffl.max im COuLoMBsehen Haftungsgeselz deuten an, dass der Ma-
ximalwert natürlich für beliebige Richtungen gilt.
oe:> Der HaJtllngskoeffizient J10 ist sowohl vom Material der sich berührenden Flächen als auch
von deren Oberftlichenbeschaffenheit abhängig.
Man beachte unbedingt ganz genau, was das COuLOMBsehe Hal'tungsgesetz aussagt:
Mit ~loFN ist die obere Grenze für die Haftkraft gegeben. Die tatsächlich wirkende HajJkraJr
FfI wird immer aus einer Gleichgewichtsbedingung berechnet, und es muss gelten:
(9.2)
Da die Nichtbeachtung dieser Allssage einer der häufigsten Fehler bei der Behandllmg von Haf-
tungsproblemen ist, soll sie an dem folgenden kleinen Beispiel noch einmal verdeutlicht werden:
1: I
I_Beispiel
B""
_;"'_-, Eme Masse 111 wIrd von emer Kraft F so
gegen eine vertikale Wand gedrückt, dass sie nicht ab-
_m
wärts rutscht. Unter dieser Voraussetzung (F ist groß F'
genug, um ein Abrutschen zu verhindern!) gilt immer
FH =mg
Wenn FfI den maximal möglichen Wert überschreitet, beginnt der Körper zu rutschen, wobei
in der Berühfllngsfläche Glei/reibllflg auftritt. Die Untersuchung der Bewegung mit der Rei-
bungskraft FR als Bewegungswiderstand ist nicht Gegenstand der Statik und wird in der Kinetik
behandelt l •
Es muss noch darauf hingewiesen werden, dass der HaflUngskoeffizient J10 nur mit großer Vor-
sicht aus Tabellen entnommen werden sollte. Neben dem Material der sich berührenden Flächen
und deren OberAächenbcschaffenheit (Rauigkeit, trockene oder geschmierte Flächen) haben auch
Temperatur, Feuchtigkeit, unter Umständen auch die Größe der Normalkraft einen nicht in je-
dem Fall zu vernachlässigenden Einfluss auf diesen Koemzienten. So findet man zum Beispiel
für die Reibpaarung Stahl-Stahl in verschiedenen Lehr- und Tabellenbüchern Werte im Bereich
J10 = 0, I ... 0,8. Der Praktiker sollte bei höheren Genauigkeitsanforderungen an die Rechnung
J10 gegebenenfalls experimentell bestimmen.
IDie Autoren sind ganz WVlISSI (aus didaktischen Grunden) von der speziell in Physik-Lehrbüchern (aber auch Lehrbü-
chern zur Technjschen MechanLk) üblichen Behandlung von ..Haft- und GleiLreibung" in einem Kapitel abgewichen.
weil ruf die beiden Phänomene sehr ähnliche Ponneln gehen und beide mit dem Namen COULOMB verknüpfl sind.
aber die Berechnungsstralegien sich drastisch unterscheiden: Die Gleitreibungskrafl wird nach einer Formel berech-
net. die Haftungskraft aus einer Gleichgewichtsbedingung! Die Glciucibungskrafl ist ein Bewegungswiderstand. die
Hafrungskrart (das Wort "Haftreibung" sollte man venneiden) i~t eine Lagerreaktion.
9.1 Coulombsches HaflUngsgesetz 135
Beispiel 2:
I_....;_ I
_.... D,c Massc m auf Clncr schlcfcn Ebcne Ist durch Ihrc
Gewichtskraft und eine zusätzliche Kraft F belastet.
Gegeben: /11 = 20kg; a= 30°; ß= 15°; 1.10 = 0,2.
a) Für F = 150 N ist die Haft.kraft Fu zwischen der Masse und der schiefen Ebene zu berechnen.
b) Wie groß darf die Kraft F maximal werden. ohne dass die Masse tri zu rut.schen beginnt?
c) Wie groß muss die Kraft F mindestens sein, damit die Masse /11 nicht rutscht?
Die Masse wird freigeschniuen (von der schiefen Ebene gelöst, Normal-
kraft und Haftkraft wcrdcn angetragcn), und das Kräftcglcichgcwicht wird
in Richtung der Normalkraft und in Richtung der Haftkraft formuliert:
FN -/IIgcos a - Fcos(90° - a - ß) = 0
Fu - mgsina +Fsin(90° - a - ß) = 0
FN = mgcosa + Fsin(a + ß)
Diese Kraft bestimmt die absolute obere Grenze für FH . Aufwärtsrutschen kann nur durch
eine Haftkraft vermieden werden. die entgegen der in der Skizze getroffenen Annahme wirkt.
Deshalb ist der Grenzfall durch
sin a + l.Iocos a
sina-Ilocosa 6
Fmin = mg = 75, N
cos(a + ß) + Ilosin(a + ß)
136 9 HafLung
oe:> Man beachte, dass die bei gegebener Belastung (Fragestellung a des Beispiels 2) berech-
nete Haftkraft aus einer Gleichgcwichtsbetrachtung ermittelt wurde. Das COULoMBsche
Haftungsgesetz wurde nur fiir die Grenzzustände (Fragestellungen bund c) herangezogen.
oe:> Der tatsächliche Richtungssinn der Haftkraft (wie bisher der RichtungssiLln von Lagerreak-
tionen) ist selbst bei einer so einfachen Aufgabe nicht mit Sicherheit vorherzusagen. Wie
bei den Lagerreaktionen wird eine "falsche" Annahme durch das Vorzeichen des Ergebnis-
ses korrigiert (Fragestellung a).
oe:> Die Absolutstriche fLirdie Haftkraft im COULoMBschen Haftungsgesetz 9.1 zwingen immer
dann, wenn ein Verlassen der Ruhelage in unterschiedlichen Richtungen möglich ist, zur
Untersuchung der Grenzzustände für jedcn RichlUngssinn, dcn die Haftkraft haben kann (im
Beispiel 2 durch beide möglichen Vorzeichen von FIJ realisiert).
':> Obwohl die an dem Körper angreifenden Kräfte ein allgemeines ebenes Kraftsystem dar-
stellen, wurden nur zwei Gleichgewichtsbedingungen formuliert, weil nur zwei Unbekannte
zu berechnen warcn. Die dritte Unbekannte ist die Lage der Wirkungslinie der Normalkraft,
die aus einer Momenten-Gleichgewichtsbedingung berechnet werden könnte, aber im All-
gemeinen nicht interessiert (Normallcraft und Haftkraft sind ja ohnehin selbst Resultierende
von Flächenkräften, die über die Haftfläche verteilt sind).
Beispiel 3: I
I_....;_ _.... EII1 SeIl hält ell1e Walze auf ell1er sehLefen Ebe- R
ne. Man ermittle r
Fs = ....!!....
R-r
mg sin a = 0, 776 mg
Der erforderliche Haftungskoeffizient, der gerade noch ein Rutschen verh inderl2 , ergibt sich aus
2 In den Vorleswlgen der Autoren provozie.rtc diese Aufgabe immer den Zwischenruf: ..Aber die Walze rolll doch
ohnehin einfach abwärts." Sie rul es niclu, wie sollie sie auch, es sei denn, sie rutscht. Rollen bedeutel ja Drehung
um den AuftagepunkL und gerade dies wird durch das Seil verhindert. Wer es trotzdem nicht einsieht. sollte in tiefes
Nachdenken verfallen. ein Modell bauen. einfach den Gleichgcwiclllsbedingungcn glauben oder sich lIösten: Rollen
wird in der Kinelik noch ausftihrlich behandelt werden.
9.2 Seilhaftung 137
dem Grenzfall FII = J4JFN durch Einsetzen der ermittelten Beziehungen für FH und FN:
r
Po ",in = - - tana = 0.536
. R-r
<> Ein letztes Mal soll auf den Unterschied aufmerksam gemachi werden: Wenn vorausgesetzt
wird, dass kein Rutschen eintritt, werden die Kräfte ausschließlich aus Gleichgewichtsbedin-
gungen ermittelt. Für die Fragestellung (I ist es unwichtig, ob das Rutschen durch Haftung
oder formschllissig (z. B.: Zahnrad auf Zahnstange) verhindert wird. Das COuLoMBsehe
Haftungsgesetz ist nur für den Grenzfall (Fragestellung b) zuständig.
9.2 Seilhaftung
An einer frei drehbar gelagerten Umlenkrolle, "ber die ein Seil geführt ist (Abbildung 9.4. lin-
kes Bild), kann sich das statische Gleichgewicht nur einstellen, wenn die Sei Ikräfte in den beiden
Seilabschnitten I und 2 gleich sind. Wird die Umlenkrolle jedoch arretiert (Abhildung 9.4, rech-
tes Bild), so kann das Momenten-Gleichgewicht auch bei unterschiedlichen Seilkräften erflillt
sein, da auch die Arretierung eine tangential gerichtete Kraft FB auf die Rolle aufbringen kann.
(FG2 - Fc!)r = 0 => FCI = FG2 (FC2 - Fc! - F8)r = 0 => Fc ! 01 FG2
Abbildung 9.4: Die Momellten-GJeichgewicht.,;bedingungen um die Drehpunkte A erzwingen bei der frei
drehbaren Rolle gleiche Scilkräftc. bei der arret.ienen Rolle sind untcrschiedJiche Seilkriifte möglich.
Damit bei unterschiedlichen Seilkräften das Seil nicht über die arretier-
te Rolle rutscht, müssen zwischen Seil und Rolle Haftkräfte übertragen
werden. Der Ermittlung dieser Haftkräfte dient die nachfolgende Be-
trachtung (nebenstehende Skizze):
Über einen feststehenden Zylinder wird ein Seil geführt. Die Seilkraft
Fs! sei bekannt. Bei einem gegebenen Umschlingungswinkel a und
einem konstanten Haftungskoeftizienten J4J zwischen Seil und Zylin-
der soll die maximale Kraft FSl ennittelt werden, bei der das Seil nicht
über den Zylinder rutscht.
138 9 Haftung
Auch diese Kräfte ändern sich mit dem Winkel cp, und an das herausgeschnitJene Seilelement
werden nU.r die auf dieses Stück wirkenden Anteile !'>FN und !'>FII angetragen. In Richtung dieser
beiden Kräfte werden nun die Kraft-Gleichgewichtsbeziehungen formuliert:
. !'>cp . !'>cp
!'>FN - 2Fs sm 2 - !'>Fs S1I1 2 = 0 ,
!'>cp
!'>FII - !'>Fs cos 2 = 0
Da die maximal übertragbare Haftkraft wirken soll, darf in der zweiten Gleichung !'>FII durch
Nach Trennung der Veränderlichen ""s und cp wird auf beiden Seiten über den gesamten Bereich
der Seilumschlingung integriert. Die Integrale in der entstehenden Gleichung
a
J d~s J
FSl
= Ilo d cp
FSI q>~o
FS2 = Fs 1e J1oa
9.2 Seilhaftung 139
Die so errechnele Kraft r""s2 ist die MaxiInalkraft, die aufgebracht werden darf, um statisches
Gleichgewicht zu garantieren. Sie ist (im Allgemeinen deutlich) größer als Fsl . Natürlich ist auch
bei einer kleineren Kraft FS2 Gleichgewicht möglich. Wenn FS2 kleiner wird als FSI, ändern sich
die Richtungen der Haftkräfte zwischen Seil und Zylinder, und man ermittelt auf entsprechendem
Wege die Minimalkraft, für die statisches Gleichgewicht noch möglich ist.
Bei konstantem Haftreibungskoeffizienten /lQ kann ein Seil, das mit dem Umschlingungs-
winkel a um einen Zylinder gelegt ist, nur im statischen Gleichgewicht sein. wenn rur die
Scilkräfte folgende Ungleichung erfüllt ist:
(9.3)
I____.... I
Beispiel J:
E1I1 Ledernemen WIrd l1-mal um eI-
ne runde Haltestange aus Holz geschlungen. Das
frei herabhängende Ende ist nur durch die Ge-
wichtskraft seiner Masse /1/1 belastet. Am ande-
ren Ende des Riemens greift horizontal die Kraft
F an, so dass der gesamte Umschlingungswinkel
a = 27W + ~ beträgt.
Gegeben: F = 4kN; /1/1 = 200g; /lQ = 0,5.
Wie viel UmscWingungen n sind erforderlich, um Abbildung 9.5: Western-Film: Das parkende
mit der geringen Gewichtskraft des frei herab- Pferd vor dem Saloon versucht. sich mil F zu
hängenden Teils der Kraft F das Gleichgewicht befreien. der zechende Cowboy vertrauL auf 1111 g
zu halten? lind die Seilhaftung.
Zwischen den beiden Kräften Fund "'Ig besteht bei größtmöglicher Haftungswirkung der Zu-
sammenhang
Umstellen dieser Beziehung nach a (Division durch Inlg und Logarithmieren) liefert den erfor-
derLichen Umschlingnngswinkel und damit das gesuchte 11:
I
a=-In
Po
(F)
- =15,24
II1lg
a
2n 4
I
n = - - - = 2 18
'
Da n ganzzahlig sein muss, würde man n = 3 (und damit a = 6, Sn) wählen. Damü kann dann
sogar einer Kraft F = 53 kN das Gleichgewicht gehalten werden.
Q Durch das sehr starke Ansteigen der Exponentialfunktion mit größer werdendem Argument
werden die schon bei wenigen Umsehlingungen mit geringer Gegenkraft zu haltenden Kräf-
te außerordentlich groß (F = 53 kN im behandelten Beispiel ist mehr als das 27000-fache
der Gegenkraft Inl g = 200 g' 9. 81m/s 2 = 1,962 N). Es ist also auch kein Kunststück, wenn
ein Matrose einen Ozeanriesen am Tau festhält, wenn er dieses mehrmals um einen Poller
geschlungen hat.
140 9 Haflung
I
Beispiel 2:
I_"";_ _...1 DIe Bremsscheibe einer Bandbremse 2a a
wird durch das Drehmoment Mo belastet (Haftungs- A
koeffizient zwischen Bremsscheibe und Band ist iJO). I
Durch die Kraft F soll die Scheibe im Ruhezustand B
d
gehalten werden.
./
I
d
Gegeben: Mo = 300 Nm ; a = 20cm; /10 = 0,4.
Fs = Fsel'oa
a I 7n
sinß=-=- ß=!!. a=n+ß=-
2a 2 6 6
1m Momenten-Gleichgewicht an der Scheibe um den Punkt C
Fsa+Mo -Fsa = 0
werden mit den bereits angegebenen Beziehungen alle Kräfte durch F ersetzt, und man erhält:
2MO
F=F1 = 7 =300N
3a el'o.H - I
Für diesen Drehsinn ist die Bremse besonders geeignel. Bei entgegengesetztem Drehsinn geht
Mo in das Momenten-Gleichgewicht mit anderem Vorleichen ein, und für die Bandkräfte gilt:
9.3 Aufgaben
IAllfgabe 9.2: IDer skIZZIerte RIegel kann sIch auf der vertI-
~,;;,;;,
a
kalen Stange bewegen, da der Durchmesser der Hiilse gering-
fügig größer ist als der Durchmesser der Stange. Der Riegel ist
nur durch seine im Schwerpunkt S angreifende Gewichtskraft
belastet.
Gegeben: a, h, d.
So I
Wie groß muss /J{) mindestcns sein. damit infolge der Selbst-
hemmung ein Abwärtsgleiten des Riegels vermieden wird?
Hinweis: An der oberen und an der unteren Kante der Hülse
liegt der Riegel an der Stange an. Dort treten ormalkräfte
auf, die gegen eine Abwärtsbewegung Haftkräfte erzeugen.
b-
Die (nicht vorgegebene) Gewichtskraft des Riegels darf rur
die Rechnung in beliebiger Größe angenommen werden. lm -d -
Ergebnis wird sie nicht erscheinen.
~
I
Allfgabe 9.3: I
Das skIZZIerte System ISt nur durch
I I
a c
142 9 HafLung
I
Aufgabe 9.4: I Ein Seil wird über zwei fest-
stehende Zylinder mit unterschiedlicher Rau-
igkeit geflihrt. Es soll so belastet werden, dass
es nicht über die Zylinder rutscht.
Wie groß muss die Kraft F2 mindestens sein
(F2.",;,,) und wie groß darf sie maximal sein
(I'i.",ax), um ein Rutschen des Seils über die
Zylinder zu vermeiden?
Gegeben: F I = IOON ; IloL = 0,4
1lo2 = 0,3
Lieber Leser, bei der Behandlung des Stoffs des Kapitels 9 haben die Auloren in ihren Vor-
Icsungen immer wieder einige Irritationen bei den Studentcn bemerkt, die offensichtlich da-
durch verursacht wurden, dass das Thema "Haftung und Reibung'" auch im Physikunterricht
in der Schule bereits (und möglicherweise ganz anders) behandelt wurde. Deshalb hicr noch
folgende Bemerkungen:
Auf der Seite 133 erschien zum ersten Mal eine schiefe Ebene, die in der Vorlesung regel-
mäßig den Zwischenruf auslöste: "In der Physik war da immer noch eine Hangabrriebskrafr.
Wo ist denn die geblieben?" Die ist natürlich nicht verschwunden, es ist die in Hangrichtung
wirkende Komponellle der Gewichtskraft der Masse, und wenn man die Gewichtskraft ange-
tragen hat, dann darf man keine zusätzliche Hangabtriebskraft beriicksichtigen, und weil man
die Gewichtskraft sowieso berücksichtigen muss. gilt der Vorschlag: Vergessen Sie einfach
den Begriff "Hangabtriebskraft".
In diesem Buch wurde bisher nur die Haftung behandelt, die Reibung (zwischen zwei Kör-
pern, bei denen mindestens einer sich bewegt) kommt erst viel später (wenn sich die Körper
tatsächlich bewegen). Warum das ganz anders als im PhysikuLlterrieht gehandhabt wird (dort
wird sogar oft gleich die "Roilreibung" mit behandelt, das ist aUerdings wieder ganz was
anderes), wurde in der Fußnote auf Seite 134 erkläL1. Wenn Sic dic überlesen habcn. soll-
ten Sie noch einmal zllrückblättern. Manchmal stehen in Fußnoten ganz besonders wichtige
Informationen.
10 Elastische Lager
1//
Elastische Lager oder elastische Verbindungselemente
geben im Gegensatz zu den bisher behandelten starren
Elementen der Belastung nach. Im einfachsten Fall,
der hier zunächst nur betrachtet werden soll, überträgt
eine solche Feder eine Kraft nur in Richtung einer
Wirkungslinie, die durch die bei den Federendpunkte
verläuft. Man beachte die Analogie mit dcm im Ab- Abbildung 10.1: Das Federsymbol deutet
schnitt 6.2 definierten Stab. Deshalb wird auch das an. dass eine Kraft nur entJang der Wir-
Federsymbol (Abbildung 10.1) durch zwei Gelenke kungsUnie durch die beiden Federendpunk-
begrenzt. le übertragen werden kann.
Im Gegensatz zum starren Stab können sich jedoch die Endpunkte einer Feder relativ zueinander
verschieben (seiH häufig ist der skizziel1e Fall, bei dem ein Endpunkt unversehiebbar ist). Diese
Verschiebung erfolgt entlang der Wirkungslinie der übertragenen Kraft.
c:> Das rür die Feder verwendete Symbol ist der Schraubenfeder nachgebildet, die im Allge-
meinen auch Querbelastungen übertragen kann. Deshalb ist die Modellvorstellung "Schrau-
benfeder" nicht besonders gut. Man sollte das Symbol besser als "elastischen Stab" interpre-
tieren (selbst dann, wenn die technische Realisierung tatsächlich eine Schraubenfeder ist).
Für Federn, die durch eine Zugkraft belastet sind, ist die ModellvorsteUung "Gummiband"
besonders zutreffend. Da die Frage, wie die Feder die Kraft von einem Federendpunkt zum
anderen überträgt, für die nachfolgenden Betrachtungen völlig unerheblich ist, sollte man
sich schon deshalb niehtmil der Modell vorstellung "Schraubenfeder" belasten, weil für die-
se die Kraftübertragung relativ kompliziert ist.
Der Zusammenhang zwischen der von der Feder übertragenen Federkraft Fe und der relativen
Verschiebung der beiden Federendpunkte zueinander (Federweg f) heißt Federgesetz und kann
mit der Federzahl c in der Form
(10. I)
aufgeschrieben werden. Die Federzahl c hat die Dimension "KraftlLänge" und kann experimen-
tell (Aufbringen definierter Lasten und Messen des Federweges) oder rechnerisch (mit den Mit-
teln der Festigkeitslehre) bestimmt werden.
Analog dazu wird der Widerstand gegen eine Verdrehung dllfch eine so genannte Dreh/edel'
(auch: Torsion>Jeder) symbolisiert. Das Federgesetz dafür verknüpft den Verdrehwinkel ({! mit
dem von der Drehfeder aufgenommenen Moment Me über die Drehfederzahl CT (Dimension:
"Kraft· Länge"):
( 10.2)
Auch für die Drehfedcr ist die praktische Realisierung durch cinen
Stab eine sinnvolle Vorstellung: Ein senkrecht zur Zeichenebene be-
festigter elastischer TorsiollssTab (vgl. hierzu Kapitel 21), der an sei-
nem anderen Ende starr eingespannt ist, entspricht auch den in der
technischen Praxis gebräuchlichen Torsionsfedern. Abbildung 10.2: Drehfeder
Im Allgemeinen sind die Federzahlen vom Federweg abhängig (eine Feder wird bei Änderung
des Federweges .,weicher" oder "steifer"). Der Cll der technischen Praxis mit Abstalld wichtigste
Sonderfall ist jedoch die so genannte
Lilleare Feder:
Wenn in den Federgesetzen die Federzahl C bzw. die DrehfederzahJ Cr konstant (unabhän-
gig vom Federweg) sind, spricht man von linearen Federn bzw. linearen Drehfedern mit der
FederkollsTanTen c bzw. der Drehfederkonstanten CT.
Fiir lineare Federn gilt: Die Federkraft ist prop0l1ionai zum Federweg. Analog dazu gilt für
lineare Drehfedern : Das Federmoment ist proportional zum Verdrehwinkel.
Bei der Parallelschaltung sind die Federwege gleich (und natürlich gleich dem der Ersatzfeder),
die Federkräfte müssen mit der äußeren Belastung im Gleichgewicht sein:
Cer.f = CI + C2 (10.4)
Ohne weitere Begründung kann man wohl die folgenden Fonnein akzeptieren.
I I
L
11 11
Wenn die Belastung eines auf Federn gelagerten Systems starrer Körper nur sehr kleine Feder-
wege hervofluft, so dass sich die geomettischen Verhältnisse durch die Verschiebungen nicht
nennenswert ändern, dann dürfen die Gleichgewichtsbedingungen ohne Berücksichtigung dieser
Änderungen aufgeschrieben werden. Der Begriff "Steife Federn" ist also relativ wr Belastung
zu definieren:
Federn gellen dann als steif, wenn die starren Körper sich unter der einwirkenden Belastung
nur so gelingfUgig verschieben, dass die Gleichgewichtsbedingungen am unverfonnten Sys-
lern fornutliert werden dürfen.
Für statisch bestimmt gelagerte Systeme starrer Körper ändert sich also für die Berechnung der
Lagen·eaktionen und der Federkräfte nichts gegenüber dem bisher praktizierten Verfahren (Frei-
schneiden, Gleichgewichtsbedingungen), wenn diese Voraussetzung erfüllt ist.
146 10 Elastische Lager
I
Beispiel J:
I_"";_ _...1 Der bel A durch ein Festlager und am an-
deren Ende durch eine Feder gestützte Träger trägt die
konstante Linienlast qo.
In der Schnittskizze sind neben der Resultierenden der
Linienlast die beiden Lagerkraftkomponenten bei A
und die Federkraft eingezeichnet. Aus dem Momenten-
Gleichgewicht um den Punkt A errechnet man (wie eine
Lagerreaktion) die Federkraft
I
Fe = ZqOl
f= Fe = qol
c 2c
wobei bei gegebenen Größen überprüft werden muss, l
ob dieser Wert wirklich klein im Vergleich mit den üb- 2
rigen Abmessungen (hier: Länge I) ist.
f
Man erkennt, dass das Verhältnis durch das Verhältnis "BelastunglFederzahl" bestimmt wird
(siehe oben: Der Begriff steif ist relativ zur Belastung zu verstehen).
Bei statisch bestimmten FederabstülZungen mit steifen Federn können die Federkräfte wie
Lagerkräfte bei starren Lagern ermittelt werden.
Es ist bei Systemen starrer Körper, die (wenigstens teilweise) auf Federn gelagert sind, auch
möglich, die Lagerreaktionen und die Federkräfte zu berechnen, wenn die Lagerung insgesamt
statisch ullbestimmt ist. Da die Gleichgewichtsbedingungen dafür bekanntlich nicht ausreichen,
müsscn zusätzlich Verformungsbetrachtungen angestellt werden.
Dabei werden bei steifeIl Federn die Gleichgcwichtsbedingungennach wie vor am unvcrformten
System formuliert. Diese für die weitaus meisten praktischen Probleme gerechtfertigte Vereinfa-
chung ist die
Theorie 1. Ordnung:
Die Gleichgewichtsbedingungen werden am unverformten System formuliert. Bei den am
verformten System anzustellenden Verformungsbetrachtungen dürfen die wegen der Kleinheit
dcr Verfonnungen gerechtfertigten geometrischen Vereinfachungen genutzt wcrden.
Es wird sich zeigen, dass die Theorie I. Ordnung im Regelfall völlig ausreichend ist. Es gibt
im Wesentlichen zwei Gründe, die ein Abweichen von t1ieser Theorie erforderlich machen kön-
nen: Wenn (z. B. bei Systcmen mit weiehcn Federn) die Verformungen in die Größenordnung
der Abmessungen des Systems kommen, ist eine genauere Rechnung geboten (Abschnitt 10.3).
andererseits gibt es Phänomene, die auch bei kleinen Verfonmlngen mit der Theorie J. Ordnung
nicht zu erfassen sind (Abschnitt 10.4).
10.2 Gleichgewicht bei steifen Federn 147
Beispiel 2:I
I_"";_ _...1 Der sklzzterte Träger Ist durch ein Festla-
ger und zwei Federn gestützt und durch eine konstante
Linienlast belastet. Man ermittle die Kräfte in den bei-
den Federn.
Die drei Gleichgewichtsbedingungen sind für die Be-
rechnung der vier Unbekannten (zwei Lagerkraftkom-
ponenten bei A und zwei Federkräfte) nicht ausrei-
chend. Da die bei den Lagerkraftkomponenten nicht
gefragt sind, wird auf das Aufschreiben der Kraft-
Gleichgewichtsbedingungen verzichtet, lind es wird
nur das Momenten-Gleichgewicht um den Punkt A for-
muliert (Einsparen von zwei Gleichungen bei gleich-
F..H ~q 0
1
-Zl
zeitigem Heraushalten von zwei - nicht gefragten - Un-
bekannten aus der Rechnung):
qü lZ
1
Fel I Fc,l
t.
A) T-FCtlt-Fczl=O 2
LI
Diese eine Gleichung enthält aber inuner noch eine
überzählige Unbekannte, für die cntsprechend neben-
stehender Skizze die Verformungsbedingung formu-
liert wird. Da der Träger starr ist, verhalten sich die A ,~
-L5:.:- - - - - 7 " - - -
,I,
Federwege I1 und h wie die Abstände der Federn vom
I ..
Punkt A (Strahlensatz):
I
h
=
fl
1I
J
Dabei wurde die Kleinheit der Verschiebungen genutzt, denn eigentlich bewegen sich die beiden
Angriffspunkte der Federn auf Kreisbögen, was in diesem Fall ohnehin zur gleichen Velfor-
mungsbedingung geführt hätte.
Nach dem Federgesetz
I1 = FCI h = Fez
CI Cz
werden in der Verformungsbedingung die Federwege It und 12 durch die Federkräfte ersetzt:
Fez _ FCI =0
Icz lici
ist neben der Momenten-Gleiehgewiehtsbedingung um den Punkt A die zweite Gleichung zur
Berechnung der beiden Federkräfte. Die Auflösung dieser beiden Gleichungen liefert:
oe:> Der in den Abschnitten 5.3 und 6. J ausführlich diskutierte Nachteil statisch unbestimmter
Lagerung, bei Fe'1igungsungenauigkeiten und Verschleiß zu völlig verändertem Tragverhal-
ten führen zu können, kann durch Lagerung auf Federn beseitigt werden, wenn eine solche
Lagerung der Funktion dcs Bauteils gcrccht wird.
L-:> Es iSI sicher einsehbar, dass auch eine größere Anzahl von Federn nicht zu prinzipiellen
Schwierigkeiten bei der Berechnung der Federkräfte führt: Für jede zusätzliche Feder kann
eine weitere VerformungsbediJJgung formuliert werden. Allgemein gilt als Strategie für die
Bei Lagerung eines Systems starrer Körper mit weichen Federn dürfen die GleichgewichtSbe-
dingungen nicht mehr am unverformten System formuliert werden, weil die Gleichgewichtslage
sich von der Lage des unbelasteten Systems erheblich unterscheiden kann. Ohne Verformungs-
betrachrungen können solche Aufgaben (auch bei statisch bestimmter Lagerung) nicht gelöst
werden, denn es kommt zu den unbekannten Lagerreaktionen und Federkräften noch die unbe-
kannte Geometrie der Gleichgewichtslage hinzu.
Im einfachsten Fall kann die (unbekannte) Gleichgewichtslage durch einc einzige geometrische
Größe beschrieben werden, so dass bei statisch bestimmter Lagerung vier Unbekannte zu ermit-
teln sind. Bei statisch unbestimmten Problemen gilt, was im vorigcn Abschnitt bereits gesagt
wurde: Für jede zusätzliche Feder kann eine weitere geometrische Beziehung formuliert werden.
Typisch für Probleme mit großen VeIformuJlgen ist, dass die mathematische Formulierung auf
nichtlineare Gleichungen fuhrt, deren Lösung dem Computer übertragen werden sollt.e.
Beispiel:
I_....;_ I
_ Em starrer Stab
(Masse m, Länge I, Ge-
wichtskraft greift im Mittel-
punkt des Stabes an) ist bei
A -o
I
A
ß
A drehbar gelagert. Er wird
in eine Feder (Federkonstan-
te c) eingehängt, deren Län-
Gleichgewichtslage bei
ge 10 (unbelastet) sich da- einer ,"eichen Feder
durch erheblich vergrößert.
Gegeben: In, I: c, '0.
Man ermittle die sich einstellende Gleichgewichtslage, die wie skizziel1 durch den Winkel ß
beschlieben werden kann.
10.3 Gleichgewicht bei weichen Federn 149
Das System ist statisch bestimmt gelagert. Trotzdem taucht neben den beiden Lagerkraflkompo-
nenten und der Federkraft als vielte Unbekannte der Winkel ß auf.
Um die Erläuterung (und auch das Aufschreiben der
Beziehungen) zu vereinfachen, sind in der nebenste- a
henden Schnittskizze zusätzlich die Längen a und b ~H A
und der Winkel 0 eingetragen, die aber durch die ge- ß?
gebenen Größen und die Unbekanme ß ausgedrückt
werden können. Für a und b entnimmt man der Skiz-
~I
ze die folgenden Beziehungen und kann damit auch mg
die Gesamtlänge der gedehnten Feder I' aufschrei-
ben:
Für den Winkel 0 lassen sieb die beiden benötigten Winkelfunktionen angeben:
I-a COSO = lo+b
sinO = - -
1* 1*
Der Federweg ist die Differenz aus der Länge der gedehmen Feder I' und ihrer Länge im unbe-
lasteten Zustand 10, so dass die Federkraft als
Fe = c(l' -/ol
aufgeschrieben werden kann.
Man beachte, dass als einzige Unbekannte ß in diesem Formelsatz vorkommt und bei bekanntem
ß auch die Federkraft berechnet werden könnte. Die Lagerkraftkomponenten bei A sind nicht
gefragt und werden aus der Rechnung durch Verzicht auf die beiden Kraft-Gleiehgewiehtsbedin-
gungen herausgehalten. Als BestirnJJJungsgleiehung für ß wird das Momenten-Gleicbgewicht
um den Punkt A formuliert (Fe in zwei Komponenten zerlegen):
A) mgi-FeaeosO-Febsino=O
!'.!.. (~ _ 'Q)
der vorzugebenden Parameter auf ein Minimum
zu begrenzen. Wenn man die geometrischen Be- Fe _
mg mg I I
ziehungen durch die Länge I und die Feder-
kraft durch mg dividiert (und die Momenten- -
2I
a
I - -Fe
-
mg
(aI b.)
-COSO+-SIl10
I
=0
Gleichgewichtsbeziehung durch beide Größen),
erhält man den nebenstehenden Formelsatz. Ahbildung 10.5: Gleichung als FormeIsalz
150 10 Elastische Lager
Man beachte, dass der in Abbildung 10.5 dargesleille Formelsatz nur eine Gleichung (die Be-
stimmungsgleichung für ß) repräsentiert. Weil er ausschließlich dimensionslose Größen enthält,
kommt man mit nur zwei Parametern (,~~ und 9')
anstelle der vier gegebenen Größen aus.
Für die Lösung der nichtlinearen Gleichung, die durch den Formelsatz beschrieben wird, be-
dient man sich natürlich eines geeigneten Programms, mit dem die Nullstellen einer Funktion
bestimmt werden können (unter www.TM-aktuell.de findet man die Lösung mit verschiedenen
Software-Produkten). Die letzte Gleichung wird als Funktion f(ß) eingegeben. Ihre Nullstellen
sind die gesuchten Gleichgewichtslagen.
c:> Schon dieses rclativ cinfache Problcm führt auf cinc Funktion, die sinnvollcrwcise nicht
mehr in einer Zeile aufgeschrieben wird (obwohl es durchaus noch möglich Wäre). Die Be-
rechnung eines Funktionswertes für einen Wert ß geschieht durch Auswerten des gesamten
Formclsatzcs (in dcr angcgcbencn Rcihcnfolgc), bis f(ß) schließlich aus
Die Funktion hat im untersuchten Bereich vier Nullstellen (mögliche Gleichgewichtslagen), auch
die erwartctc bei
J
der Gleichgewichtslage, ...) in dieser Lage
bleibt bzw. in diese Lage zurückkehrt. Tut es
dies, dann ist die Cleichgewichtslage STabil,
wenn nicht, dann ist sie hlsTabil (Beispiele
stabiler und instabiler Gleichgcwichlslagen Abbildung 10.6: Stabile (linke Skizzen) und instabile
zeigt die Abbildung 10.6). Gleicbgewichtslageo einer Kugel und eines Stabs
Das Phänomen instabiler Gleichgewichtslagen kann natürlich nur auftreten, wenn das System
noch Bewegungsmöglichkeiten hat (z. B. dadurch, dass ein möglichcr Freiheitsgrad nicht durch
ausreichende Lagerung behindert ist).
Wenn ein starres System miT starren Lagern mindestens statisch bestimmt gelagen ist, hat es
keine Bewegungsmöglichkeit mehr. Seine Gleichgewichtslage ist immer stabil.
Bei elastischen Lagern muss also auch bei Erfüllung der Gleichgewichtsbedjngungen stets über-
legt werden, ob die Gleichgewichtslage stabil ist. Instabile Gleichgewichtslagen von Konstruk-
tionen sind im Allgemeinen nicht akzeptabel.
Beispiel J:
I_"";_ I
_...1 Der skiZZierte vertIkale Stab tst
in einem Fesllager gelagert und wird durch
eine Feder gestützt. Er trägt nur die venikal
gerichtete Kraft F.
In der skjzzierten (nicht ausgelenkten) Lage
sind die Gleichgewichtsbedingungen erfüllt.
Die Belastung wird durch das Festlager auf-
genommen, die Feder ist lastfrei und hat aus-
schließlich eine stabilisierende Funktion:
Bei einer Störung der Gleichgewichtslage wird sie gedehnt oder gestaucht und versucht, den Stab
wieder in die vertikale Gleichgewichtslage zurückzubringeu, indem sie dem Moment der Kraft
F um den Lagerpunkt ein entsprechendes Moment entgegenbringt.
Wenn die Kraft F einen bestimmten Wert (die kritische Kraft Fh ) übersteigt, wird die Feder
dazu nicht mehr in der Lage sein. Dann stellt sich eine Gleichgewichtslage (rechte Skizze) ein,
bei der die Feder nicht mehr lastfrei ist. Auch in dieser ,.ausgelenkten Lage" müssen natürlich
die Gleichgewichtsbedingungen erfüllt sein.
152 10 Elastische Lager
Zu jeder Kraft F > Fk ,· wird also mindeslens eine mögliche (ausgelenkte) Gleichgewichtslage
existieren. die aber im Allgemeinen nicht interessiert. Viel wichtiger ist die Antwort auf die
Frage nach der kritischen Kraft, bei deren Überschreitung solche Gleichgewichtslagen möglicb
sind.
A ~ Fk" ß- Fell = 0
Auch beim Aufschreiben der Federkraft
Fe=IJßc
wird die Kleinheit der Auslenkung vereinfachend ausgenutzt. Nach Einsetzen in die Gleichge-
wichtsbedingung erhält man nach Umstellen der Gleichullg die kritische Kraft
F:h--
c1 2
I
-,-
Wenn diesc Kraft überschrittcn wird, sind also auch Glcichgewichtslagcn mil ß # 0 möglich,
und die nicht ausgelenkte (Gleichgewichts-)Lage ist instabil, weil der Stab bei der gerillgsten
Störung nicht durch die Feder in diese Lage zurückgeführt wird.
Das am Beispiel I demonslrierte Vorgehen zur Ermittlung der kritischen Kraft basiert auf der
Theorie 2. Ordnung:
Dic Gteichgewichtsbedingungen wcrden am verformtcn Systcm formuliert. Die Verformun-
gen werden aber als so klein vorausgesetzt, dass für das Aufschreiben der Gleiehgewiehlsbe-
dingungen und der Verformungsbetrachtungen die entsprechenden geomctrisehen Vereinfa-
chungen genutzt werden dürfen.
Auf diese Weise können kritische Belastungen berechnet werden (Belastungen, für die ausge-
lenkte Gleichgewichtslagen existieren). Die (meist ohnehin nicht interessierenden) Gleichge-
wichtslagen erbält man allerdiJlgs bei diescm Vorgehen nicbt.
Für das bchandelte Beispiel I bedeutet dics, dass dcr Winkel ß, der die ausgelenkte Gleichgc-
wichtslage beschreibt, nach der Theorie 2. Ordnung nicht berechnet werden kann. Man erhält
auch keine Aussage darüber, ob es mehrere Gleichgewichtslagen dieser Art gibt und ob diese
stabil oder instabil sind.
10.4 Beul1eilung der Gleichgewichtslagen 153
Wenn die Beantwortung auch dieser Fragen erwünscht ist, muss auf die Vereinfachungsmöglich-
keiten der Theorie 2. Ordnung verzichtet werden, und man rechnet nach der
Theorie 3. Ordnung:
Bei der Formulierung der Gleichgewichtsbedingungen am verformten System und bei allen
Verformungsbetrachtungen werden große Verformungen angenommen, so dass die geometri-
schen Verhältnisse exakt erfasst werden.
Nach dieser Theorie können auch die möglichen Gleichgewichtslagen ermittelt werden.
Das Beispiel des Abschnitts 10.3 ist nach dieser Theorie berechnet worden, weil die Verformun-
gen bei weichen Federn natürlich nicht als klein angenommen werden dürfen. Die Rechnung
ergab 4 mögliche GleichgewichtSlagen (Abbildung 10.7):
Abbildung 10.7: Vier Gleichgcwichtslagen sind möglich (Beispiel aus Abschnitt 10.3)
Die Gleichgewichtslage ßoI ergibt sich beim Einhängen des Stabes in die Feder und ist sicher
stabil. Bei der Gleichgewichtslage ßo3 ist wegen 'f
= I (Stablänge = Länge der entspannten
Feder) die Feder entspaJ1JJt und stabilisiert nur die vertikale Lage, in der das Lager die gesamte
Gewichtskraft aufnimm!. Um über die Stabilität aller Gleichgewichtslagen eine Aussage treffen
zu können, soll das Beispiel zunächst leicht modifiziert behandelt werden:
I Beispiel 2: I
a
-6
~,
0
M FAH M
~
A 1
I
ß
"'AV "'c .c
Der bei A in einem Festlager und zusätzlich mit einer weichen Feder gelagerte Stab ist durch
sein Eigengewicht und ein Moment M belastet (alle übrigen Größen entsprechen den Werten des
Beispiels im Abschnitt 10.3). Es ist das Moment M(ß) zu ermitteln, das den Stab in einer durch
den Winkel ß bestimmten Lage ;m Gleichgewicht hält.
154 10 Elastische Lager
I .
M(ß) = zlllga - Fc(acos 15 + bSIIl (5)
eine Bezichung, dic nach Division durch mgl auf dic Funktion fühl1, deren Nullstcllen im Bci-
spiel des Abschnitts 10.3 die gesuchten Gleichgewichtslagen bestimmten':
M'(ß) = M(ß) f
IIlgl 0,' . ; ".. . ; ··i···········;····· ,.+ ,. .~
a Fe (a-cos15+-sll1o
=f(ß) = -I - - - b.) .
2I IIlg I I
Man kann also diese Funktionswerte als zusätzlich auf- '00'
I:;''''''''\······.JOO'····ti. ··i····~···
zubringende Momente M' deuten, um den Stab in einer
durch ß vorgegebenen Gleichgewichtslage zu halten.
Die nebenstehende Abbildung 10.8 gilt für die spezi-
elle Parameterkombination ,~~ = I und = I. f
Damit bieten sich folgende Überlegungen zur Stabilität
der vier Gleichgewichtslagen an, die für M = 0 möglich Abbildung 10.8: Die Funktionswerte sind
proportional dem Moment M(ß). das den
sind und hier für ille beiden Lagen /3ot und /302 ange-
Stab im Gleichgewicht häll
stellt wcrden sollcn:
L-:> Wenn in der Gleichgcwichtslage /3ot ein kleines positives (linksdrehendes) Moment aufge-
bracht wird, dreht sich der Stab in eine Lage ß < /3or und nimmt die bei diesem Moment
mögliche Gleichgewichtslage cin.
e:> Wenn in der Gleichgewichtslage /302 ein kleines positives (linksdrehendes) Moment auf-
gebracht wird, dreht sich der Stab in eine Lage ß < /302, wo allerdings nur bei negativem
(rechtsdrehendem) Moment Gleichgewicht möglich ist, so dass diese Störung zu einem Ab-
wandern bis über die Gleichgewichtslage /3or hinaus (in den Bereich positiver Momente)
führt. Die Gleichgewichtslage /302 ist im Gegensatz zur Gleichgewichlslage /30, instabil.
e:> Entsprechende Überlegungen ergeben, dass die Gleichgewichtslage /303 wieder stabil und
die Gleichgewichtslage f304 instabil ist, und diese Erkenntnisse lassen sich wie folgt verall-
gemeinern:
I Unter www.TM-akluell.de findclman auch das Ergebnis des Versuchs von Maple, symbolische Lösungen zu finden.
1m Plinzip gelingt das sogar. allerdings sind diese Lösungen (bis auf ß03 = -!) unbrauchbar. Aber sie sind tichtig.
wie ihre numerische Auswertung zeigt. Hier gill die Empfehlung: Lieber gleich numeri~h rechnen!
10.5 Aufgaben 155
Beispiel 3:I
I_....;._...... FÜr den nebenstehend abgebildeten Stab Ist das
kritische Verhältnis (,~~) k, zu bestimmen. bei dem die vertikale c
Stablage instabil wird.
Da nur die Ermiltlung der kritischen Belastung gefragt ist.
kann nach der Theorie 2. Ordnung gerechnet werden. Das
Momenten-Gleichgewicht um den Lagerpunkl am verformten
System (sehr kleine Auslenkung, siehe untere Skizze) liefert
1 6l
Fe l - mg5 2" = 0
( mg
~) kr =05 1
FÜr ,~,~ = 0,5 wird die vertikale Gleichgewichtslage instabil. Da stabile und instabile Gleichge-
wichtslagen einander abwechseln, entfallen die bciden für das Beispicl 2 ermittelten instabilen
Gleichgewichtslagen. Es gibt insgesamt nur zwei mögliche Gleichgewichtslagen.
10.5 Aufgaben
Aufgabe 10.1: I
-
I_.;.;. .... Eme starre Stahlstange (DIchte p)
mit konstantem Querschnitt A ist unten in einem F F
Festlager gelagert und durch einc Drehfeder ge- 1 •
Ci.
stützt. Es ist die kritische Länge der Stange zu er-
mitteln, bei der die Drehfeder die senkrechte Lage
(Skizze rechts) nicht mehr garantieren kann.
Zunächst wird die Drehfederkonstante CT experi-
mentell ermittelt: An einem Stab der Länge 1 wird
die Kraft F aufgebracht (linke Skizze), die eine
Verdrehung des Stabs um den Winkel a hervorruft
(mittlere Skizze).
a) Wie groß ist die Drehfederkonstante CT (dabei sollte das Moment infolge des Eigenge-
wichts des schräg stehenden Stabes nicht vemachlässigt werden)?
b) Wie groß ist die kritische Länge Ih (Stab nur durch Eigengewicht belastet)?
Gegeben: F= 100N; p=7,85g/cm 3 ; 1= Im; A=20cm 2 ; a=4.8°
156 10 Elaslische Lager
I Aufgabe 10.2: I
Für den dargestellten starren Stab mit elastischer
Abstützung bestimme man den kritischen Wen Fh der Kraft F, bei
dem die vel1ikale Gleichgewichtslage instabil wird.
Gegeben: I 1 Cl , C2.
I
Aufgabe 10.3: I
Zwei Federn mit den Federkonstanten CI
lind C2 lind den Längen I, und h im unbelasteten Zustand
halten eine Masse m in einer glatten (reibungsfreien) Füh-
rung (die Skizze zeigt die Federn im unbelasteten Zustand und
nicht die Gleichgewichtslage des Systems).
12, m 1 a.
*
Gegeben: CI l C2, LI ,
a) 'JiJ.
mg
= I , !:l!2.-
mg -0, !l=
{,
I , a = 60° ,
b) 'JiJ.
mg
=0 ~=I , !l = I , a = 45° ,
1 1118 {,
C) 'JiJ.
mg -- 5 , ~=5
mg ,
!l-
{, -
I a = 45° . C,
Aufgabe 10.4:
I_.;.;.
I
.... Das System der Aufgabe 10.3 ist für die glei-
C,
I
Aufgabe 10.5: I
Man ermittle für das System des Beispiels im Abschnitt LO.3 die möglichen
GJeiehgewiehtslagen für die Parameterkombination
!!....
mg'
=0.5 'Q =
1
I
Für die Berechnung der Kräfte, die von Seilen und Ketten libertragen werden, wird folgende
idealisierende (mit der Praxis gut übereinstimmende) Annahme gen'offen:
Seile und Kellen könncn ausschlicßlich Zugkräftc übcrtragcn, dic in jcdcm Punkt die Richtung
der Tangente der Seil- bzw. Kettenlinie haben.
Da Seile und Ketten weder Querkräfte noch Biegemomente übertragen können, bezeichnet
man sie als biegeschlajf Die durch die Zugkräfte hervorgerufenen Verformuugen siud klein
und können für die statischen Untersuchungen vernachlässigt werden: Die Seile und Ketten
werden als dehnstarr behandelt.
Da Seile und Kctten auf gleiche Weise idealisiert werden, wird im Folgcnden nur noch von Seilen
gesprochen. Alle Aussagen gelten auch fur Ketten.
Überwiegt die äußere Belastung deutlich gegenliber dem Eigenge-
wicht des Seils, dann kann das Eigengewicht vernachlässigt wer-
j lliJJ Lll
den. Wenn ein solches Seil nur durch Einzelkräfte belastet wird,
nimmt es (zumindest abschnittsweise) die Form einer Geraden an. Seil
Die Seilkräfte können dann wie Stabkräfte bzw. Lagerkräfte be-
/
rechnet werden. So nimmt beim System der Abbildung 11.1 (die
Abbildung 11.1: Tragfahiges
Linienlast wirkt auf den Träger, auf das Seil wü'kt eine Einzelkraft) System
das Seil die Hälfte der Resultierenden der Linienlast auf. Das Sys-
tem der Abbildung 11.2 ist dagegen nicht tragfähig, weil das Seil
eine Druckkraft aufnchmen müsste.
Während die inneren Kräfte in einem Seil immer in der Längsrich-
tung des Seils liegen, können äußere Kräfte das Seil durchaus in
QuerrichtlLng belasten. Wenn das Eigengewicht des Seils vernach-
lässigt wcrden kann, können die Seilkräfte in dcn beiden geraden Abbildung U.2: System ist
Teilen des (straff gespannten) Seils wie die Kräfte an einem Fach- nicht tragfahig.
werkknoten berechnet werden.
Das in Abbildung 11.3 skizzierte Beispiel zeigt eine sehr klei-
ne Rolle, die die Last F trägt. auf einem gewichtslosen Seil.
Sie stellt sich so ein. dass reehter und linker Winkel des ge- 0:
spannten Seils gleich groß sind (Gleichgewichtslage der Rol-
le). Die beiden Seilkräfte sind in diesem Fall gleich:
F Abbildung 11.3: Konstante Seil-
Fs=--
2sin a kraft bei masselosem Seil
Ist das Eigengewicht gegenüber der äußeren Belastung nicht zu vernachlässigen (z. B. bei Seil-
bahnen), oder ist es die dominierende Belastung (Hochspannungsleitungen), so stellt sich in der
Regel irtfolge der Biegeschlaffheit des Seils eine Seilkurve ein (bei Ketten ist der Ausdruck Kef-
fenlinie gebräuchlich). Die Größe der Scilkraft ist dann nicht mehr konstant. sondern von der
Form der sich einstellenden Kurve, insbesondere von ihrem Anstieg, abhängig.
Schnitt muss die Seilkraft mit der Gewichtskraft des darunter lie- n
llJ ,
ld
Z
genden Teils des Seils im Gleichgewicht sein.
• pg Asdz
Vorbereitend auf die etwas schwierigeren nachfolgenden Betrach-
tungen soll die Scilkraft aus dem Gleichgewicht am differenziell !sF
kleinen (aus dem Seil an der Stelle z herausgeschnittenen) Ele- Abbitdung J 1.4: Seil unter Ei-
ment der Länge dz (Dichte p, Querschnitt As) ermittelt werden: gengewicht
An den Sehnittufem müssen die Scilkraft Fs bzw. die um den (differenziell kleinen) Betrag dFs
vergrößerte Seilkraft angetragen werden, die mit dem Eigengewicht des Elements im Gleichge-
wicht sein müssen. Das Kräfte-Gleichgewicht in vertikaler Richtung führt auf
d~=~~ ~
und die Integration dieser Beziehung liefert bei konstantem Seilquerschnitt As:
Fs = pgAsz+C
Die Integrationskonstante wird aus der Randbedingung Fs{z = 0) = 0 zu C = 0 be-
stimmt. Wenn, wie nebenstehend skizziert, zusätzlich eine Einzelkraft Fa am unteren
Seilende angreift, dann errechnet sich die lnlegrationskonslante aus Fs(z = 0) = Fa !~
zu C= Fa.
Die Abbildung lJ.5 zeigt ein an zwei Punkten aufgehängtes Sei I unter Eigengewichtsbelastung,
aus dem ein Element herausgeschnitten wurde. Das Koordinatensystem wurde (willkürlich) in
einen Festpunkt des Seils gelegt.
Iy
B
ds
A
x
Abbildlmg 11.5: Kräfte am differenziell kleinen Element des Seils unter Eigengewicht
Da auf das Element die Resultierende seines verteilten Gewichts q = pgAs (Gewicht pro Länge,
vgl. Seite 43) wirkt, müssen die Sei Ikräfte am rechten und linken Schnittufer unterschiedlich groß
I 1.1 Das Seil unter Eigengewicht 159
sein. Es wird deshalb in positiver Koordinatenrichtung x ein (differenziell kleiner) Zuwachs an-
gesetzt. Stellvertretend für die tangential gerichteten Sei I kräfte wurden jeweils deren Horizontal-
und Vertikalkomponente eingezeichnet. Das Gleichgewicht in x-Richtung liefert
FSH = konstant
so dass folgende Aussage getroffen werden kann:
Der Horizoll/alzug (horizontale Komponente der Seilkraft) ist in einem nur durch sein Eigen-
gewicht belasteten Sei I konstant.
Diese Beziehung wird (unter Beachtullg, dass FSII konstant ist) noch einmal nach x abgeleitet,
und nach Einsetzen der Gleichgewichtsbedingung in y-Richtung erhält man:
y" q
Il+? FSH
tritt Y nicht explizit auf, so dass die Gleichung nach der Substitution y' = z ein erstes Mal und
nach Rücksubstitutioll ein zweites Mal integriert werden kann. Man erhält als allgemeine Lösung
die Funktion, die die Lage eines Seils unter Eigengewicht beschreibt, die
H
y = -FS cosh ( q
-x+C I
) +C2 (I I. I )
q FSH
<> In der Funktion 11.1 sind noch drei Größen unbestimmt, die beiden Integrationskonstanten
CI und Cl und der Horizontalzug FSH.
<> Diese drei Unbekannten können z. B. berechnet werden aus zwei Randbedingungen (Lage
der Seilaufhängepunkte A und B) und der Bedingung. dass die (vorgegebene) Länge des
(dehnstarren) Seils der Bogenlänge der Fun.ktion y{x) zwischen den Punkten A und B ent-
sprechen muss.
160 11 Seilsimik, Kettenlinien, Stützlinien
Beispiel J:I
I_"";_ _...1 Für das skiZZIerte SeIl ermIttle man
B
a) die Funktion der Seillinie,
b) den Horizonralzug, A x
c) dje maximale Seilkraft.
Gegeben: Seillänge L, X8, Y8, q (GewichtILänge).
Für das (obne Einsch.ränkung der Allgemeinheit willkürlich im Punkt A) festgelegte Koordjna-
tcnsystem erhält man aus den Randbedingungen die beiden Gleichungen:
FSII
y(x=O) =0 =} C2 --coshC,
q
H
Y(X8) = YB =} Y8 = FS [COSh (.-i..- XB + CI ) -COShC,]
q FSH
Die Länge L des Seils muss gleich der Bogeulänge der Seilkurve zwischeu A uud B sein:
X8 X8
L= .; ~dX=/ 2
I +sinh (.-i..-X+CI)dX
FSH
x=x}\=O ..=0
so umformen, dass die Konstante CI in Abhängigkeit von FS II in ciner Gleichung erscheint und
in der zweiten Gleichung nur noch die Unbekannte FSH vorkommt:
2
q FSf/. q X8 2 2
C, = artanh ( Y8)
- - --XB [
2-slOh ( - - )] +YB-L =0
L 2FsH q 2FsII
Aus der letzten Gleichung kann FSf/ (numerisch) bereennet werden, und damit en'eehnet man
dann C, und C2. Es ist empfehlenswert, vorher die letzte Gleichung durch L2 und die Gleichung
für C2 durch L zu dividieren und mit den dimensionslosen Unbekannten
- FSH - C2
FSf/=- C,=-
qL - L
weiterzurechnen (Fsf/ ist der auf das Gesamtgewicht des Seils bezogene Horizontalzug). Dann
kommt Illan mit den beiden Parametern
_ XB _ Y8
X8=[; Y8=[;
I 1.1 Das Seil unter Eigengewicht 161
(anstelle der vier gegebenen Größen) aus, und es ist folgender Formelsatz auszuwerten:
[-
2FSH sinh ( Xs_ )]2 +Ys -
2Fs
H
2
I= 0 -
-
FS H (numerisch)
Xs
CI = artanhyS - - - -
2Fs H
Mit einem geeigneten Programm
(siehe www.TM-aklUell.de) wird Xs Ys FSH CI C2
dieser Formelsatz für die nebenste- 0,5 0 0.1148 -2,1773 -0,5130
hend angegebenen Parameterkom- 0,8 0,2 0,3555 -0,9224 -0,5178
binationen (xs und YS) ausgewer- 0,98 0 1.4046 -0,3489 -1,4909
tet (Nullstellen einer Funktion bei
gleichzeitiger Berechnung von CI Abbildung 11.6: Hori.zontalzug und J.ntegrationskonstanten flir
und C2): drei Parameterkombinationen
Damit sind die Seilkurven bekannt. Aus dem Horizontalzug FSf/ = FSf/qL können die vertikale
Komponente der Seilkraft
und daraus die resultierende Seilkraft an einer beliebigen Stelle bereehnet werden:
(l1.3)
Die maximale Seilkraft tritt dort auf, wo der Anstieg der Seilkurve am größten ist (am höheren
Lagerpunkt). Bei einem Seil mit sehr ~achem Durehhang (drille Parameterkombination) kann
der Horizontalzug (und damit natürlieh aueh die resultierende Seilkraft) größer als das Gesamt-
gewieht des Seils werden.
, I !
.-+--
J,
und rechts die Verläufe i i ! : 1.4··'-'--r~· --- '--1-' .
t'
+--~"'--'-'-r-'-:'--~--'r-----: i. I I
der normierten Seilkräfte 1...-._._. L..._..__.;._...._...l_....__1.__
.1, ......_ ..
;
~.~ __ ~_._.__<--
iI ..._~_._.
~_.L_
iI I ' !!
- Fs __. -' i I i
Fs=- Ii 1/,
i 2 i I _.
t I
__
l'I/--·l--"--I-·-"-~-_·_·:·
I!
·--+-
qL 1
! ! . ;
. o[a ' i
12 oi~ 0:6
..
!
stante C2 unterscheiden: j
2 j i!
'I : I
y - -
-J-.- j---- 1--·
i 1
y= - = FS+C2 . .-..,~--L.. -.-.1-.. .--1:·.._.
L _ ,4_··· .,-+-..
I i l-------r
Man erkennt, dass die
~-_.~~··_· __·__ ·t-·---~-i-'-·· .,-_.. ·i--·---·~-··~ j
. -- ii _. 1 . --l"'-"
- .. u- .- -t·_· -~
I
t _.
:
-~"t'-
Seilkraft in dem Seil mit
sehr ~achem Durchhang ] o:t 0·' 018
I
I_"";_ I
Beispiel 2:
_...1 Das skiZZierte SeIl Ist an zweI Punkten ge-
lagert und durch sein Eigengewicht q (GewichtILänge)
und eine zusätzliche Einzelkraft F belastet.
Gegeben: Seillänge L. a, b, c, F, a, q.
Es sind die Bestimmungsgleichungen für die Berech-
nung der Integrationskonstanten zu formulieren. F "-0:
An der Krafteinleitungsstelle müssen die (tangential zur Seilkurve gerichteten) Scilkräfte in den
beiden Abschnitten mit der äußeren Kraft im Gleichgewicht sein. Das ist nur möglich, wenn
die Seillinie an dieser Stelle einen Knick hat. Die Seillinie muss deshalb in beiden Abschnitten
gesondert aufgeschrieben werden, womr wie skizziert auch zwei unterschiedliche Koordinaten-
systeme gewählt werden.
Natürlich gilt in beiden Abschnitten die allgemeine Foll11 der Seillinie I J.I, die unter der Vor-
aussetzung (Seil trägt nur sein Eigengewicht) hergeleitet wurde, die auch bei dieser Aufgabe für
jeden Abschnitt gilt. Allerdings müssen unterschiedliche Integrationskonstanten und auch unter-
schiedliche Werte für den Horizontalzug angesetzt werden:
NI
YI = FS cosh (-q-xi +CI) +C2 Y2 = Fsm cosh (-q-X2 +CJ) +C4
q FS/Il q Fsm
Für die Berechnung der sechs Unbekannten FS NI , Fsm, CI, Cz. CJ, C4 stehen die folgenden
Bedingungsgleichungen zur Verfügung:
Y2(X2 =b) =C
(Seillinien müssen durch die Lagerpunkte gehen). An der Übergangsstelle gilt:
YI (XI = a) = Y2(X2 = 0)
(Seillinien müssen am Kraftangriffspunkt zusammenlaufen). Außerdem muss an diesem Punkt
das Kräfte-Gleichgewicht in horizontaler Richtung
FSIIl + F sin a = F~H2
J J
a b
In diese sechs Beziehungen müssen die oben angegebenen Funktionen YI und YZ eingesetzt wer-
den, und es entsteht ein nichtlineares Gleichungssystem, dessen Lösung mim dem Computer
überantworten sollte. Die Lösungen sind im Bereich positiver Werte flir FSHI und FSHZ zu su-
chen (formal gibt es auch eine Lösung im Bereich negativer Werte).
11.2 Das Seil unter konstanter Linienlast 163
Der Horizontalzug (horizontale Komponente der Seilkraft) ist in einem durch eine konstante
Linienlast belasteten Seil konstant.
dFsv -qodx = 0
I Fsv
tanq>=y = -
FS II
( 11.4)
0::> Die Funktion der Seillinie ist für den Lastfall "Konstante Linienlast" eine quadratische Para-
bcl. Sic enthält drci Unbekannte, dic beiden Integrationskonstanten und dcn Horizontalzug.
0::> Die Unbekannten errechnen sich aus den Randbedingungen (Lage der Seilaufhängepunkte)
und z. B. aus der Bedingung. dass die vorgegebene Länge des dehnstarren Seils der Bogen-
länge der Funktion y(x) zwischen den Authängepunkten entsprechen mnss.
164 11 Seilsimik, Kettenlinien, Stützlinien
Wenn das Koordinatensystem in den Aufhängepunkt A des Seils gelegt wird und der Aufhänge-
punkt 8 dann die Koordinaten X8 und Y8 hat, lauten die Randbedingungen:
y(X = 0) = 0 =;. C2 = 0
Y(X=XB) =YB
Die Bedingungsgleichung File die Länge der Seillinie fuhrt auf das Integral:
);0 XB
L= JdS= J ~dx= J
x=o x=o
Die Auswertung ergibt:
FSH qu qo . qo
L= -2 [( -_-XB+CI ) 1+ ( -XB+CI ) 2 +arslnh ( -XB+CI )]
qo FSH FSH FSH
Wenn die aus den Randbedingungen errechnete Beziehung für Cl eingesetzt wird, ergibt sich
eine (nichtlineare) Gleichung für den Horizontalzug FSI/:
SH
L = F (A
2qo
VJ+A2
+ arsinM - B JJ+B2 -
arsinhB)
Diese Gleichung wird numerisch gelöst, danach kann die noch fehlende lntegrationskonstante
Cl berechnet werden. Damit ist die Seillinie bekannt. Die Kräfte im Seil berechnen sich nach:
Horizontalzuges Fs I1 . Bei bekanntem FS I1 sind dann die Integrationskonstanten und damit die
Seillinie und die Sei.lkräfte sofort aufzuschreiben.
Die Berechnung von FS I1 bei vorgegebener SeilJänge L (wie oben angegeben) ist sicher die auf-
wendigste (allerdings wohl praktisch wichtigste) Variante. Da die angegebene Beziehung für die
Seillänge, aus der FSH bestimmt wird, ohnehin numerisch gelöst wird, ist ihr etwas kompliziertes
Aussehen bedeutungslos. Das nachfolgende Beispiel zeigt, dass eine andere Zusatzbedingung
auf eine einfachere Bestimmungsgleichung für den Horizolltalzug fUhrt.
11.2 Das Seil unter konstanter Linienlast 165
Beispiel J: I
I_ _ _ _...I Flir ell1 Seil mit flachem Durchhang, dessen
Iy
Aus der Seillinie 1104 erminelt man mit den beiden Randbedingungen
C2 =0
Der maximale Durchhang trin in der Mitte des Seiles auf. Aus dieser Bedingung ergibt sich der
Horizontalzug im Seil:
_ r qox~
y ('iJJ.)
2 --jmax FSH= - -
8!mllr
Die maximale Seilkraft tritt an den Lagern auf, weil dort der Anstieg der Seilkurve am größten
ist. Aus 11.5 folgt mit x = 0:
• Bei bekanntem Horizontalzug kann man auch die Seillänge aufschreiben, die natürlich bei
dieser Aufgabe schon durch die Geometrie (der quadratischen Parabel) gegeben ist:
L= -
I
.2
A/J+ ~ .. h (4- -
I 6J.2/IIax+ --31sm
Im
o.<)
2 Slmax XfJ
166 11 Seilsimik, Kettenlinien, Stützlinien
Bei der numerischen Auswertung der nichtlinearen Gleichung für FSfI (z. B. bei vorgegebener
Seillänge) ergibt sich stets auch eine negative Lösung (gilt auch fUr die exakte Elfassung des
Eigengewichts, Abschnitt 11.1), die natürlich fUr Seile nicht sinnvoll ist. Die Kurve y(x), die sicb
mit dieser Lösung ergibt, wird als Stützlinie bezeichnet. Sie beschreibt die Form eines Trägers,
der durch die Belastung ausschließlich auf Druck belastet wird (keine Biegemomente, keine
Querkraft).
Da in einem solchen Träger wie beim Seil als Schnittgröße nur eine Nomlalkraft wirkt, über-
trägt er die Belastung wesentlich günstiger als ein gerader Träger. Dieser Effekt wurde schon im
Mittelalter im Bauwesen (Brlickenbau, Gewölbe) ausgenutzt.
I
Beispiel 2:
I_ _ _ _...I EIl1 Bogenträger soll ellle Brlicke Iy
tragen (konstante Linienlast qo). Die Lage der
Stützgelenke liegt durch das Geländeprofil fest. x
Welche Form muss er haben, damit er nur durch
Dnlckkräfte belastet ist, die den vorgegebenen
Wert Fs.",,,x an keitler Stelle überschreiten.
Gegeben: qO, Xn, YB <0 I FS,IIUH.
Wenn der Träger nur Dnlckkräfte aufnehmen soll, j I
muss er die Form der Stützlinie haben. Diese ent-
spricht der mathematischen Funktion der Seillinie I r 1III1 r 111111 r 1r lqo
mit negativem FSN. Für die Funktion 11.4 ermit-
Abbildung 11.9: Die Srülzlillie ist die ideale
tclt man mit den Randbedingungcn y(x = 0) = 0
Form eines Trägers ftir konstante LinienlasL
und y(x = XB) = YB die Integrationskonstanten
CI = )'B _ qOxB
XB 2FsII
Die größte innere Kraft (Druckkraft) tritt (wie beim Seil) an der Stelle des größten Anstiegs der
Stützlinie auf, im vorliegenden Fall am Lager B. Die resultierende Kraft Fs nach I 1.5 wird mit
x = XB lind Fs = Fs.max zur Bestimmungsgleichung für die Horizontalkraft:
F:2 + qOYB F +
la 2
4 '0 B
..a _ 1':2S,"''''' = 0
SH 2 SN 2
I+(~) I+(~)
Diese quadratische Gleichung hat eine positive und eine negative Lösung. Für die gesuchte Stütz-
linie muss die Horizontalkraft negativ sein. Mit der negativen Lösung der Gleichung
und den Integrationskonstanten kann die Gleichung der Stützlinie aufgeschrieben werden:
Die Festigkeits/ehre untersucht die inneren Kräfte in Bauteilen und die daraus resultierenden
Beanspruchungen und Verformungen:
Q Du.rch Vergleich mit Materialkennwerten, die durch Versuche ermittelt werden (Werkstoff-
kunde), kann man das wichtige Problem der Dimellsionierullg lösen.
Q Die wichtigsten Methoden zur Festlegung der Abmessungen von Bauteilen sind
• die Dilllensiollienmg auf Festigkeit durch Vergleich der Beanspruchung mit den zuläs-
sigen Beanspruchungen ("Kann das Bauteil cUe Belastung ertragen, ohne zerstört zu
werden?") und
• die Dill1ensiollienmg auf Steifigkeit ("Bleiben die Verformungen infolge der Belastung
innerhalb der tolerierten Grenzwerte?").
Q Weil iJ1 der Festigkeitslehre auch die Verformungen der Bauteile betrachtet werden, muss
man das Modell des "starren Körpers" aufgeben. Die statischen Gleichgewichtsbedingun-
gen dürfen jedoch (bis auf wenige Ausnahmen) am unverformten System aufgestellt wer-
den (Theorie I. Ordnullg, vgl. Abschnitt JO.2): Die Berechnung von Lageueaktionen und
Schnittgrößen wird also im Allgemeinen so ausgeführt, wie es aus der Statik starrer Körper
bekannt ist.
12.1 Beanspruchungsarten
Die vielfältigen Möglichkeiten der Beanspruchung von Bauteilen lassen sich klassifizieren. Die
in der technischen Praxis wichtigsten werden in den nachfolgenden Abbildungen 12.1 bis 12.6
an einigen einfachen Beispielen vorgestellt:
--- =::====-
Abbildung 12.1: Bei der 2ugbe-
ollspruchung liegt die Wirkungs-
Abbildung 12.2: Auch
der Druckbeanspruchung liegt
bei Abbildung 12.3: Von Biegebe-
anspruch/mg wird gesprochen.
linie der Kräfte in der Richtung die Wirkungslinie der Kräfte wenn im Bauteil Biegemomen-
der Stabachsc. Es gibt Bauteilc. in Richtung der Stabachse. Es te auftreten. Die Biegebeanspru·
die ausschließlich auf Zug bean- gibt Materialien. die (fast) aus- chung ist im Allgemeinen mit ei-
sprucht werden können. z. B. Sei- schließlich Druckbeanspruchung ner Schubbeanspruchung infolge
le und Kellen. ertragen. z. B. Beton. der Querkraft gekoppelt.
j
o !? ,S
Abbildung 12.4: Bei der Tor- Abbildung 12.5: Bei der Sellt/b- Abbildung 12.6: Schlanke
sionsbeanspruclwl1g werden die oder Scherbeanspruchullg liegen Drucksläbe können instabil
Qucrschnitlc des Bautei Is durch die Kräfte auf parallelen Wirkungs- werden und senkrecht zur Be·
Torsionsmomente belastet, die linien und sind entgegengesetzl ge- lastungsricbtullg ausweichen.
tull die Längsachse des Sta- richtet. Eine reine Scherbeanspru- Dieser als Knickung bezeich-
bes drehen. Diese versuchen, die chung liegt vor. wcnn die Wir- Ilele Beanspruchungsfall kann
Quersclmiue rel'ltiv zueinander kungslinien sehr dicht (theoretisch nicht mehr mil der Theorie I.
zu verdrehen. unendlich dicht) beieinander liegen. Ordnung behandelt werden.
T
Um die Beanspruchungen von Bauteilen zu ermitteln, wird
das aus der Statik bekannte Schnittprinzip zur Berechnung der
inneren Kräfte verwendet. In wenigen AusnahmefalIen kann
IFs
I
man die Festigkeitsberechnung ausschließlich unter Verwen-
Seil
dung der Schnittgrößen ausführen (z. B. beim Vergleich einer
t
FS
Kraft in einem Seil mit einer vom Hersteller angegebenen zu-
lässigen Seilbelastung). Im Allgemeinen fließen in die Festig-
keitsrechnung auch die Abmessungen der Bauteile ein (in der ;;
Angabe einer zulässigen Seilbelastung ist der Seilquerschnitt IF
natürlich bereits berücksichtigt). IF
Das unler Zugbeanspruchung stehende Seil iSI das einfachste Abbildung 12.7: Die Belastung F
Beispiel, um Festigkeitsuntersuchungen (Ermittlung von Be- ist Ursacbe fUr die innere Kraft Fs
anspruchung und Verformung) anzustellen: und die Verlängerung fit des Seils.
oe:> Ein durch die Kraft F belastetes Seil der Länge I wird beanspruch/ durch die (innere) Kraft
Fs und velformt (verlängert) um die Länge!11 (Abbildung 12.7).
Um die Beanspruchung und die Verformung von den Abmessungen (Querschnitt A und Län-
ge I des Seils) unabhängig zu machen, wird als Maß für die Beanspruchung die auf die Quer-
schnittsfläche bezogene innere Kraft, die Spannung. deliniert. und die Verfom1Ung wird auf die
Gesamllänge I bezogen und als Dehnung bezeichnet:
12.2 Spannungen und Verzerrungen 169
Fs 1'.1
Spannung: er= - (12.1) Delmllng: [; = - ( 12.2)
A l
Die Spannung ist wie die Kraft ein Vektor, der nicht
unbedingt senkrecht zur Querschnillsfläche gerichtet
sein muss. Es ist iiblich, einen solchen allgemeinen
Spannungsvektor in Komponenten zu zcrlegen: Die
Normalspannllng er ist senkrecht zur Querschnittsflä-
che gerichtet, die Schubspannung T (Scherspannung)
liegt in der Querschnittsfläche (Abbildung 12.8).
Es ist einleuchtend, dass man im allgemeinen Fall AbbUdung 12.8: Der Spannuogsvektor
zweckmäßig mit zwei (senkrecht zueinander stehen- wird zerlegt in Normalspannung und
den) Schubspannungskomponenten in der Schnittflä- Schubspannung.
che rechnet.
Analog zur Dehnung [; (hervorgerufen durch die Nor-
maJspannung er) definicn man dic durch dic Schub-
spannung T hervorgerufenen Gleiwng y (Gleitwinkel,
Abbildung 12.9).
<> Die Dimension der Spannung ergibt sich aus
dem Quotientcn "KraftlFläche", gesetzliche Ein- Abbildung 12.9: Die Sehubspannung er-
beit ist zeugt einen Gleitwinkel.
N
I -2 = I Pa (Pascal)
m
in der technischen Praxis üblich (und erlaubtl) ist
N
I -- = I MPa (Mega-Pascal)
mm 2
veraJtet, abcr in alten Bcrcchnungsuntcrlagen vielfach noch anzutreffen:
Homogener Spannungszustand
in "genugender" Entfemung
von der Lastcinleitung
Diese Vereinfachung wird nach dem französischen Physiker BARRE DE ST. VENANT (1797 -
1886) als Prinzip von SI. Venant bezeichnet. Für anspruchsvollcre Berechnungen muss man ge-
gebenenfalls zusätzlich eine genauere Untersuchung der Spannungsverhältnjsse an den Lastein-
leitungsstellen durchführen.
Das wichtigste Experiment dafür ist dcr so genanntc Zugversuch, desscn Ablauf in DIN EN
10002 (früher: DIN 50145) genormt ist. Wegen der Wichtigkeit der daraus für die Festigkeits-
lehre zu gewinnenden Ergebnisse wird dicscr Versuch kurz beschrieben:
':> Bis zu einer Spannung ap (ProporliolZalilälsgrenze) verläuft die Kurve linear, und es gilt
a=Ee
12.3 Der Zugversuch 171
mit dem Proportionalitätsfaktor E, der den Anstieg der Geraden repräsentiert. Dieser Faktor
wird Elastizitätsmodul genannt, für Stahl hat er z. B. den Wert ESlähl = 2, I . 105 N/mm 2 .
c:> Dic Elastizitätsgrenze OE: (schr nahe bei op) kennzeichnet den Punkt, bis zu dem bei nach-
folgender Entlastung keine bleibenden Verformungen des Stabes gemessen werden.
c:> Für d.ie Beurteilung der Tragfahigkeit einer Konstruktion ist die Streckgrenze Re (früher:
Os bzw. FIi~ßgrenze OF) besonders wichtig. Beim Erreichen dieser Spannung beginnt eine
Verschiebung der Kristallgitter im Material, so dass unter Umständen selbst bei abfallcndcr
Spannung eine weitere Debnung verzeichnet wird.
Für zahlreiche Materialien (z. B. hoch feste Stähle) zeigt sich diese Grenze im Spannungs-
Dchnungs-Diagramm nicht so dcutlich. Da mit dcr Streckgrcnze (unter Berücksichtigung
von Sicherheitsfaktoren) die zulässigen Spannungen festgelegt werden, wird dann ersatz-
weise die so genannte RpO.2-Grenze bestimmt. Dies ist die Spannung, bei der die Probe nach
Entlastung eine bleibende (plastische) Dehnung von 0,2% (E: = 0,(02) behält.
c:> Nach dem Fließen setzt die so genannte Kalrve/festigung ein, die eine weitere Steigerung
der Belastung ermöglicht, bis sich bei der Spannung Rm eine Einschnürung des Querschnitts
der Probe zeigt, die zum Bruch fül1l1 (R m - Bruchspannung, früher: OB).
Für die sehr häufig verwendeten Baustähle wurde früher die Bruchspannung zur Kennzeich-
nung verwendet: Der Stahl St37 hat eine Bruchspannung von Rm = 370N/mm 2 (bei ei-
ner Streckgrenze Re = 240 N/mm 2 ), für St52 gilt Rm = 520 N/mm 2 für die Bruchspannung
und Re = 320N/mm 2 für die Streckgrenze. In den neueren Euronorm-Bezeichnungen (z. B.:
S235JR bzw. S355JO) steckt die Information über die Rpo,2-Grenze.
Beispiel J:I
I_"";_ _...1 Ein Traggestell mit n Personen (durchschl1ltthche Masse pro Person: 75 kg, Masse
des Traggestells ebenfalls 75 kg) soll an einem Draht aLLS S355JO (St52) aLLfgehängt werden.
Bei weichem Drahtdurchmesser würde in dem Draht gerade die Bruchspannung hervorgerufen
werden?
Die Spannung im Draht ergibt sich aus dem Quotientcn des Gesamtgewichts und der Quer-
schnittsfläche des Drahtes. Diese Spannung soll gerade die Bruchspannung erreichen:
(n+ I) ·75kg·9,81 m
Rm = nd2 ;2
4
_ J(n+I).75.9,8IN
d- 2 20 mm
n·5 N
Für n = 40 z. B. ergibt sich ein Durchmesser VOn d = 8.59 mm. Der erstaunlich kleine Wert
bestätigt die alte Konstrukteursformel: "Man glaubt ja nicht, was Eisen aushält".
I
Beispiel 2:
I_"";_ _...1 W,e lang darf em an emem Punkt aufgehängter Draht aus Stahl (S235JR, frühere
Bezeichnung: St37) mit konstantem Querschnitt und einer Dichte p = 7,85 g/cm 3 maximal sein,
um nicht schon durch sein Eigengewicht zu reißen (Berechnung der so genannten Reißlänge).
172 12 Grundlagen der Festigkeilslehre
Die größte innere Kraft tritt am Aufhängepunkt auf (Gesamtgewicht des Drahtes), und bei kon-
stantem Drahtquerschnitt findet man dort auch die maximale Spannung:
R", 370N cm 3 s2
IReiß = - = 2 = 4,805km
pg 7,85·9.8Imm gm
Da mit einer Verlängerung des Stabes (!'J./ > 0) eine Verringerung des Durchmessers (M < 0)
verbunden ist (und umgekehrt), wird das Verhältnis":': negativ. Nach dem französischen Physiker
StMEON DENIS POISSON(1781-1840)wirdderQuoticnt
v =_3.
e
(12.5)
e
als Querkol1/rakliollszahL bezeichnet, ihr reziproker Wert m = ~ wird Poissvl1sche ZaIzL genannt.
Für Stahl ergibt sich (wie fur dic meisten Metalle) der Wert v = 0,3. Für alle Materialien liegt v
zwischen 0 (keine Querdehnung) und 0,5 (inkompressibles Material). In der Nähe dieser theore-
tischen Grenzen liegen unter anderem die Werte für Beton (v "" 0) bzw. Gummi (v "" 0,5).
Analog zum Hookeschen Gesetz. das die Normalspanmlllg mit der Dehnung verknüpft, gibt es
eine Beziehung für Schubspannung und Gleitung:
1: = Gy (12.6)
mit dem so genannten Glei/moduL G, der sich aus dem Elastizitätsmodul E und der Querkontrak-
tionszahl v nach der Formel
G= E (12.7)
2 (I + v)
berechnen lässt. Für Stahl (mit E = 2, I . 105 N/mm 2 und v = 0,3) erhält man
Dimensionierung auf Festigkeit bedeutet, die Beanspruchung Beines Bauteils mit der Wider-
sTandsfähigkeit W des Bauteils gegen ein Versagen zu vergleichen (wobei diese drei Begriffe von
Fall Zu Fall genau definiert werden müssen). Logischerweise muss gelten:
B< W.
Dabei sind zahlreiche Einflüsse zu berücksichtigen. Nachfolgend werden in diesem Kapitel eini-
ge davon behandelt, und es wird ein kurzer Einblick in das Thema Festigkeitsnachweis gegeben,
der nur ein ganz kleiner Ausschnitt dieses umfangreichen und wichtigen Spezialgebietes sein
kann (vgl. www.TM-aktuell.de).
Um den Festigkeitsnachweis führcn zu können, müssen die geomctrischen Abmessungen des
Bauteils, seine zu ertragende Belastung (diese beiden Informationen beeinflussen im Wesentli-
chen die Beanspruchung B), die Werkstoffeigenschaften (kennzeichnen die Widerstandsfahig-
keit W) und gegebenenfalls vorgeschriebene Sicherheitsbeiwerte bekannt sein. Der Konstrukteur
steht allerdings vor der inversen Problematik: Er muss die Geometrie und den Werkstoff so festle-
gen, dass der Festigkeitsnachweis erfolgreich zu erbringen ist, andererseits soll die Konstruktion
weder überdimensioniert noch durch Verwendung spezieller Werkstoffe zu teuer sein. Der Fes-
tigkeitsnaehweis ist aber in vielen Fällen nicht durch eine Formel zu führen, die sich ,.nach den
gesuchten Größen umstellen lässt".
Wenn die in einem Bauteil auftretende Spannung die wesentliche Größe ist, die das Versagen
hervorruft, dann folgt das übliche Vorgehen des Konstrukteurs folgender Strategie: Er schätzt
möglichst alle Einflüsse, die beim anschließenden Festigkeitsnachweis zu berücksichtigen sind,
so ab, dass er mit einer zulässigen Spannung (J,,,t (auf der Basis der von den Werkstoffversuchen
vorliegenden Ergebnissen) einen Wert hat, mit dem er die Dimensionierung des Bauteils vor-
nimmt. Er kann dabei alle in diesem Buch in den Kapiteln 14 bis 25 behandelten Verfahren zur
Berechnung von Spannungen anwenden und mit (J,,,! vergleichen. Vielfach ist es sogar möglich,
die Spannungsfomleln nach den geometrischen Größen umZllslellen, die für die Dimensionie-
rung des Bauteils benötigt werden (vgl. die beiden kleinen besonders einfachen Beispiele im
Abschnitt 12.3).
In den Beispielen und Aufgaben der nachfolgenden Kapitel wird dieses pragmatische Vorgehen
in der beschriebenen Form (mit dem Vorgeben einer zulässigen Spannung) praktiziert. Wichtig
ist deshalb folgender Hinweis:
Die pragmatische (und durchaus ZlI empfehlende) Vorgehensweise, Bauteile auf der Basis
einer zulässigen Spannung zu dimensionieren, darf in der Regel kein Ersatz sein für den an-
schließenden Festigkeitsnachweis unter Berücksichtigung möglichst aller Einflüsse.
13.1 Belastungsarten
Die mit dem Zugversuch gewonnenen Ergebnisse gelten nur für (zügig aufgebrachte und da-
nach) ruhende Belastung, auch staTische Belastung genannt. Bewegle Maschincnbauteile sind
jedoch dynamischer Belastung unterworfen. Folgende Skizzen verdeutlichen die wichtigsten Be-
laslUngsarten, wobei die Änderung der Spannung im Bauteil als Funktion der Zeit aufgetragen
ist (Abbildungen 13.1 und 13.2):
Irr
-+- t t
Abbildung 13.1: Eine sLatische Belastung (linkes Bild) wird zügig aufgebracht und bleibt dann konstant.
die schwingende Belastung ändert ihre Intensität ständig um einen Mittelwert.
Abbildung 13.2: Eine stoBartige Belastung (linkes Bild) wird plötzlich aufgebracht und pendelt sich da-
nach auf einen Endwert ein, die stochastische Belastung (rechtes Bild) ist völlig unregelmäßig.
Für die Behandlung der slOtischen Belaslllng sind die aus dem Zugversuch zu gewiooenden
Erkenntnisse ausreichend. Man dimensioniert unter Beachtung eines Sicherheitsfaktors 5 je nach
Materialverhalten bei Versagen infolge großer bleibender Formänderungen nach cincr aus der
Streckgrenze Re (bzw. der Rp.o.2-Grenze) ermittelten zulässigen Spaooung
Re
(5,ul = 5p (13.1 )
bei Versagen durch Trennbruch (spröde Materialien) nach einer aus der Bruchspannung R", er-
miuelten zulässigen Spannung:
RII1
(5zul = 58 ( 13.2)
Dicse Formeln gelten für eine gleichmäßige Spannungsverteilung im Querschnitt. Die anzuset-
zenden Sicherheitsbeiwerte hängen in hohem Maße von der Erfahrung, branchenüblichen Wer-
ten, Vorschriften flir spezielle Konstruktionen ltnd den zu erwartenden Folgen bei einem Versa-
gen der Konstruktion ab. Auch die Kosten könncn von hohen Sicherheitsbeiwerten sowohl nega-
13.2 Dauerfestigkeit 175
tiv (höhere Materialkosten) als auch positiv (geringerer Prlif- und Wartungsaufwand) beeinftusst
werden. Gebräuchliche WCl1e sind:
Die wichtigsten SpezialfäJle der schwingenden Belastung mit konstanten Amplituden sind die
schwellende Belastung und die Wechselbelastllllg, für die gilt:
13.2 Dauerfestigkeit
Für die Untersuchung des Verhaltens von Werkstoffen bei dynanüscher Beanspruchung werden
Dallerfes I igkei I sveYSllche du rchgefüh rt.
Bei einer bestimmten Mittelspannung Cf", werden die Proben ständigen Lastwechseln mit Span-
nungsausschlägen Cf" unterworfen. Die Anzahl der Lastwechsel wird gezählt und die so genannte
Bruchlastwechselzahl registriert. Dies wird (bei gleichem Cf",) für viele verschiedene Cfa wieder-
holt. Wenn man den Spannungsausschlag Cf" in einem Diagramm über der Anzahl von Lastwech-
seln, die von der Probe bei diesem Spannungsausschlag bis zum Bruch ertragen wurden, aufträgt,
ergibt sich die nach AUGUST WÖHLER (1819 - 1914) benannte Wöhlerkurve (Abbildung 13.4).
Es ist üblich (und sinnvoll). die Abszisse, auf der die Lastwechselzahl N aufgetragen wü·d, loga-
rithmisch zu teilen.
176 13 Festigkeitsnachweis
Die wichtigste Erkenntnis aus den Dauerfestigkeitsversuchen ist, dass die Proben, die ei-
ne gewisse Anzahl von Lastwechseln ohne Bruch überstanden haben (z. ß. für Stahl etwa
2.000.000 ... 10.000.000 Lastwechsel), auch bei Fortsetzung des Versuchs nicht versagen.
Die Abszisse kennzeichnet den statischen Lastfall, der Punkt auf der Ordinate die Wechselfes-
tigkeit, die jeweils unter 45° zu den Achsen liegenden Geraden schneiden die Haigh-Kurve bei
der halben Schwellfestigkeit (Zug bzw. Druck).
Die wichtigsten Ergebnisse der Versuche zur Ermittlung der Festigkeitseigenschaften von Werk-
stoffen (Wechsel festigkeit, SchwellfesLigkeit, Streckgrenze) findet man in Tabellen in einschlä-
gigen Handbüchern. Es ist üblich, das reale Dauerfestigkeitsschaubild mit Wesen drei Werten
anzunähern, indem die gekrümmten Kurven durch Geraden ersetzt werden.
13.3 Gestaltfestigkeit
Die tatsächJich in einem Bauteil auftretende Spannung kann (durch recht unterschiedlicbe Ein-
flüsse bedingt) höher sein als die errechnete. Die wichtigsten Einflüsse, die zu solchen Abwei-
chungen führen, sind genauer untersucht worden, man kennt Versuchsergebnisse und Erfahrungs-
werte. die beJücksichtigt werden können (Bauteilgröße. Oberflächenbeschaffenheit. Eigenspan-
nungen, Härtung, ... ). Die trotzdem stets verbleibenden Unsicherheiten müssen durch Sicher-
heitsfaktoren erfasst werden.
Hier soll nur der wichtigste Einflussfaktor. die so genannte Kerbwirkung, kurz behandelt werden.
Querschnittsänderungen in einem Bauteil führen zu Spannungsspitzen, die rechnerisch nur mit
erheblichem Aufwand ermittelt werden können. Sie werden deshalb durch die Formzah/ell [Xk
(für statische Belastung) und die Kerbwirklillgszahlen ßk (für dynamische Belastung) erfasst.
Mit dcr Formzahl [Xk korrigiert man "eigentlich falsche Voraussetzungen" bei der Spannungsbe-
rechnung. Bei den in der Abbildung 13,7 zu sehenden Beispielen dürfte man nicht voraussetzen,
dass sich in der Nähe der Kerben eine gleichmäßige Spannungsverteilung einstellt. Zur Vereinfa-
chung der Berechnung tut man es doch, rechnet die so genannte NellllSpanllullg an mit einfachen
178 13 Festigkeitsnachweis
"-...-Y
) (
- d
-
..........., °max=CXka n
Formeln aus und korrigiert diese dann mit der Formzahl ab U111 die Spannungsspitze zu erfassen.
Für die Formzahlen gill stets
Versuche haben ergeben. dass die Kerbwirkung bei dynamischer Beanspruchllllg nicht so groß
ist wie bei statischer Belastung. Damit gilt für die als
13.4 Zeilfestigkeil 179
Die Ermittlung der ßk-Werte ist schwierig und aufwendig. Wenn keine geeigneten Werte fur die
Kerbwirkungszahl zur Verfügung stehen, was in der technischen Praxis eher die Regel als die
Ausnahme ist, daDll liegt man mit der Annalulle
13.4 Zeitfestigkeit
Bei den Überlegungen zur Dauerfestigkeit im Abschnitt 13.2 waren stets konstante Amplituden
für die schwingende Belastung angenommen worden. Man darf die dort gewonnenen Ergeb-
nisse natürlich auch verwenden, wenn man "konstante Amplitude" durch "maximale Amplitu-
de" ersetzt. Doch spätestens dann, wenn die maximalen Amplituden nicht sehr häufig auftreten,
führt die Dauerfestigkeitsrechnung oft zur Überdimensionierung. In diesem Fall und immer dann,
wenn die Lebensdauer eines Bauteils (und damit die Anzahl der zu ertragenden Lastwechsel) ab-
schätzbar ist oder gewollt begrenzt wird, jedoch auch, wenn Material- und Gewichtseinsparungen
im Vordergrund stehen (Leichtbau), wird nach den Regeln der Zeitfestigkeit dimensioniert.
Die Wöhlerkurve zeigt, dass höhere Spannungsausschläge durchaus fur eine begrenzte Zahl von
Lastwechseln ertragbar sind. Die Überlegungen zur Zeitfestigkeit gehen nun davon aus, dass je-
der Spannungsausschlag einen "gewissen Schadensbeitrag" liefert und sich die einzelnen Scha-
densbeiträge summieren, bis nach einer bestimmten Zeit das Versagen des Bauteils eintritt. Die
von dem Bauteil zu ertragenden Belastungen werden dafür in so genannten Spannul1gskollekfiven
zusammcngefasst, dcrcn Wirkung auf das Bauteil abgcschätzt wcrden kann.
13.4.1 Spannungskollektive
Man kann fur typische Beanspruchungssituationen von Bauteilen (ein Auto fahrt über eine länge-
re Strecke über unterschiedliche Straßen, Flugzeuge starten oder landen, ...) die Spannungs-Zeit-
Diagramme durch Aufzeichnungen ermitteln. Dabei ergeben sich unterschiedliche Amplituden,
vielfach darf die Belastung als "stochastisch" bezeichnet werden. Wenn eine ausreichende Men-
ge solcher Untersuchungen vorliegt, darf man daraus auf die während seiner Lebensdauer zu
ertragenden Belastungen des Bauteils schließen.
180 13 Festigkeitsnachweis
Das "Auszählen" ist übrigens kein ganz einfacher Vorgang', weil im Gegensatz zur harmonisch
sChwingenden Belastung (Abbildung 13.3 auf Seite 175) nicht jedem Lastspiel eindeutig genau
eine Ober- und eine Unterspannung zugeordnet werden kann.
Die Anzahl der Lastwechsell1;, die zu den Klassen gehören, die über der Dauerfestigkeit liegen,
müssen im Bereich der Zeitfestigkeit natürlich links von der Wöhlerkurve (Abbildung 13.4 auf
Scite 176) liegen. Das genügt aber nicht, denn die Lastwechsel, die zu den höheren Klassen
gehören, haben ja mindestens das gleiche Schädigungspotenzial, so dass gefordert werden muss,
dass die Summe der Lastwechsel einer bestimmten Klasse und aller höhercn Klasscn kleiner als
die der ertragbaren Lastwechsel dieser Klasse ist.
[ru
iert. Diese heißt Spal1l1l1l1gskollekriv (nebenstehende
Wöhkrlinie-
Abbildung 13.9) und enthält also die Information,
wie häufig eine Spannungsspitze aufu'in, deren Grö-
ße mindestens der Klasse (J; zuzuordnen ist (man
sieht allerdings auch die weniger interessierende In- N
fOlmation über die Häufigkeit des Auftretens der ein-
zelnen Klassen). Abbildung 13.9: Spannungskollektiv
Das Spannungskollektiv muss also (wie in Abbildung 13.9 zu sehen) kompleu links von der
Wöhlerlinie liegen.
Spannungskollektive zeigen häufig einander ähnelnde Kurvenverläufe, die die Definition von
Normkollekrivel1 (z. B.: Normalverteilung, Geradlinienverteilung) nahelegen. Auf diese Weise
können aufwendige Versuchsreihen immer dann vermieden werden, wenn man die wichtigsten
Kenngrößen des Kollektivs (z. B. funktionaler Verlauf, Umfang u.nd Höchstwert) zumindest ab-
schätzen kann.
I "Es wird ausgezählt". klingt viel einfacher als es ist Was eine ,.SpanIllUlgsspiIZC'· ist, wäre einfach zu deGnieren, wenn
jedem Maximum eindeutig das Minimum eines Lasl"picJs folgen würde. Genau das ist aber nicht der Fall, und deshalb
sind eine "Reihe von K/assierungswrfahren entwickelt worden. die diesen Prozess nach jeweils eindeutig definierten
Regeln ablaufen Jassen (Rainflow-Verfallrell. Reservoir-Methode. ... ). Natürlich gibt es geeignete Software. die das
Zählen libemimmt.
13.4 Zeilfestigkeil 181
Auf der Basis der Untersuchungen von ARVID PALMGREN und MILTON A. MINER basiert die
als Hypothese von Pa/mgrell ulld Miller bezeichnete Annahme, dass jede Spannungsamplitude
(J; eines Spannungskollektivs entsprechend der Häufigkeit n; ihres Auftretens zum Versagen des
Bauteils beiträgt. Aus der Wöhlerkurve (Abbildung 13.4 auf Seitc 176) ist zu entnehmen, dass
die Spannungsamplitude (J; maximal N;·mal ertragen werden kann, und deshalb setzt man die
tatsächlich aufgetretene Anzahl mit dieser Anzahl ins Verhältnis zum so genannten Teilschädi-
gungsquolienfen !Jj-.
,
Wären alle Spannungsamplituden gleich, dürfte dieser Quotient den Wert I nicht übersteigen.
Damit erscheint die so genannte Miner-Regel zumindest plausibel, die für ein Spannungskollektiv
fordert, dass die Summe aller Teilschädigungsquotienten kleiner oder gleich I sein muss:
• Für die Bestimmung der Wöhlerlinie wird (bei einer festen Mittelspannung) cine schwin-
gende Belastung mit konstantem maximalen Schwingungsausschlag (Ja aufgebracht. Diese
Belastung kann man als Rechteckkollektiv bezeichnen, das so oft wiederholt aufgebracht
wird, bis die Probe nach Nw Lastwechseln bricht.
• Für die Bestimmung der Gaßneriinie wird (bei ebenfalls fester Mittelspannung) eine schwin-
gende Belastung mit wechselnden Amplituden (Ja aufgebracht, die ein ganz bestimmtes
Nonnkollektiv nachbilden. Auch diese Belastung wird so oft wiederholt aufgebracht, bis die
182 13 Festigkeitsnachweis
WöhJeriinie Gaßneriinie
-
Rechteck· Norm-
kollektiv kollektiv N
Abbildung 13.10: Ermittlung eines Punktes der Wöhlerlinie und eines Punktes einer Gaßneriinie
Probe nach Ne Lastwechseln bricht. Weil die maximale Amplitude Ga,n",..- als charakteristi-
sche Größe im Diagramm erscheint, liegt die Gaßnerlinie weiter rechts. weil die zahlreichen
kleineren Amplituden nicht so stark schädigen. Die so zu ermittelnde Gaßnerlinie gilt genau
für das Normkollektiv, das mit dem Versuch abgebildet wurde.
Wenn eine passende Gaßner-Kurve bekannt ist, kann der direkte Vergleich mit dem aktuellen
Spannungskollektiv die Schadensakkumulalions-Rechnung ersetzen.
Fazit:
Das Gebiet der BelriebsJesligkeit ist ein so weites Feld, dass eS einen eigenen Wissenschafts-
zweig darstellt. Es wird in der Regel auch nicht unter der Überschrift "Technische Mechanik"
gclehrt. Hier sollte nur cin klciner Einblick gegeben wcrden (vgl. auch www.TM-aktucll.dc).
weil es mit der Technischen Mechanik naturgemäß besonders eng verzahnt ist.
Es ist darüber hinaus ein Gebiet, das sich in den letzten Jahren besonders schnell entwickelt hat,
wobei die Wichtigkeit für die Praxis der Motor der Entwicklung war und ist. Von den zahlrei-
chen Richtlinien und Normen, die auf diesem Wege entstanden sind und ständig weiter entste-
hen, seien hier nur die FKM-Richtlinie Festigkeilsnachweis (Maschinenbau) und der Eurocode 3
(Stahlbau) genannt.
14 Zug und Druck
Bei den Verformungsberechnungen wird immer vorausgesetzt, dass die Verformungen klein ge-
genliber den Abmessungen des Bauteils sind und sich das Material linear-elastisch verhält (Gül-
tigkeit des Hookeschen Gesetzes).
In diesem Kapitel werden Bauteile betrachtet, die ausschließlich durch die Normalkraft FN be-
ansprucht werden (Seile, Stäbe).
=/
IN I FN(z)=egA(l-z)
a (z) = e g(l-z)
~
FN (JdA (14.1)
A
Es darf fast immer angenommen werden (Prinzip von
SI. Venant, siehe Abschnitt 12.2), dass die Spannung _ z a(z) = Atz)
gleichmäßig über die Querschnittsfiäche verteilt ist _----~J-
(FN = (JA, wobei FN und A in Längsrichtung verän- {
A(z) F
derlich sein dürfen, vgL die beiden Beispiele der Ab-
bildung 14.1). und man erhält die Formel flir die Abbildung 14.1: Eigengewichlsbelaslung
lind Slab mit veränderlichem Querschnitt
Mit dem Hookeschen Gesetz 12.3 können die durch die Spannung hervorgerufenen Dehnungen
berechnet werden, die im Allgemeinen auch von der Längskoordinate z abhängig sind. Die Deh-
nungen korrespondieren mit den Längsverschiebungen w, wie es die Abbildung 14.2 für ein
differenziell kleines Element zeigt ("Dehnung = VerlängerungfUrsprungslänge"). Damit kann
der Zusammenhang von Dehnung, Normalkraft und Längsverschiebung formuliert werden:
Lällgenällderung eines Srababscllllifls mit der konstanten Normalkraft FN und der konstanten
DehnsleijigkeiL EA:
( 14.6)
F, = 12kN
Gegeben: I , = 30cm ;
/ F2 = 9kN 12 = 40cm ;
//// A, = 80 mm 2 E = 2, I . 105N/mm 2
Die Glcichgewichtsbedingungen an den rechts dargestellten Teilsystemen liefern die Normal-
kräfte in den bei den Abschnitten:
FN, = -F, FN2 = -F, - F2
Für den oberen Abschnitt folgt daraus die Spannung
14.1 Spannung, Dehnung 185
F F] 2
a, = - NI = - - = -150N/mm
AI A,
Die Spannung im unteren Abschnitt soll die gleiche Größe haben. Aus dieser Forderung ergibt
sich die Querschnillstläche Az:
Fm F, +Fz F1 +Fz 0
az =- = - - - - = al ~ Az = - - - - = 140mm-
Az Az al
Die Absenkungen der Querschnitte <D und @ ergeben sich aus den Längenänderungen der unter
den Querschnitten liegenden Stabbereiche:
(Ft + Fz)lz
wz = -tJ.lz = = 0,286 mm
Ezl1z
I
Beispiel 2:
I_"';'_....1 Em StahJstab (Dichte p) mJt Krelsqucrschmtt 1st durch dJe
Kraft F belastet. Man ermittle jeweils unter Vernachlässigung bzw. bei Be-
rücksichtigung des Eigengewichts
a) den erforderlichen Durchmesser bei einer zulässigen Spannung
von a"'l = 200 N/mm z .
b) die Verlängerung des Stabes bei einem gewählten Durchmesser
von dsew = 16mm.
Gegeben: F = 40kt'l ; I = 4 m ; E = 2, 1. 105 N/mm Z ; p = 7,85 glcm3 •
Für die Normalkraft gilt ohne Berücksichtigung des Eigengewichts:
FN=F
und bei Berücksichtigung des Eigengewichts (vgl. Seite 43):
FN=F+pgAz=F+q,z mit qe=pgA
Die crfordcrlichcn Durchmesscr werden bestimmt, indem dic maximalc
Spannung gleich der zulässigen Spannung gesetzt wird. Bei Vernachläs-
qe=
sigung des Eigengewichts ist die Spannung im gesamten Stab gleich:
eg A
N
a= F =':.-
A A
~ I1"J,'
~ =~=az"l
nd,r!.1
~ da!' n
=2) F = 15,96mm.
a"d
I
FN.m'H F qel 4F
FN .max = F +q,1 ~ a"" = - - = - - + - - = - z - + pgl
AerJ,z Aer!,z AerJ.z nder!,Z
F
~ der!.z = 2 = 15,97mm.
n ( a,al- pgl )
Der Eigengewichtseintluss ist bei diesem Beispiel fUr die Dimensionierung unerheblich. Das
Eigengewicht, das in der Regel um Größenordnungen kleiner ist als die äußere Last. kann deshalb
häufig völlig unberücksichtigt bleiben.
186 14 Zug und Druck
Bei der Ermittlung der Stabverlängerung kann bei Vernachlässigung des Eigengewichts wegen
der konstanten Dehnung (folgt aus der konstanten Spannung bei konstantem Querschnitt) mit der
Formel 14.6 gearbeitet werden:
J
I
!!.12 = erz) dz
Z~O
!!./2 = J FI qe 2 FI pg 2
!!.12=-+--1 = - + - / =3.79mm
EA 2EA EA 2E
z=o
Der EinRuss des Eigengewichtes ist auch bei der Stabverlängerung wie bei der Dimensionierung
bei diesem Beispiel zu vernachlässigen.
Bei statisch unbestimmten Problemen könncn die Lagerkräfte (und auch Stabkräfte. Seilkräfte,
Schnillgröl\en) nicht allein aus den Gleichgewichtsbedingungen ermittelt werden. Da zusätzliche
Lager aber immer Aussagen über die Verformung ermöglichen, können unter Einbeziehung von
Verformungsbetrachtungen auch diese Aufgaben gelöst werden.
In dem folgenden Beispiel I kann die Kraft im Seil3 direkt berechnet werden, fürdie Berechnung
der beiden Kräfte in den Seilen I und 2 steht aber nur eine Gleichgewichtsbedingung (Kräfte-
gleichgewicht in vertikaler Richtung an der unteren Masse) für diese bei den Unbekannten zur
Verfügung. Wegen der VertikaJführung der Masse muss die Verlängerung der Seile I und 2 je-
doch gleich sein. Dies ist die zweite BestimmungsgleichuJlg für die Seilkräfte:
Beispiel 1: I
I_"";'_.....1 Em starrer Körper mll der Gewichtskraft F Ist an
den beiden elastischen Seilen I nnd 2 aufgehängt und wird au-
ßerdem über das Seil 3 von dem Gegengewicht Fe gehalten.
Man ermittle die von den Seilen 1 und 2 aufzunehmenden Kräfte. 2
Die Seilkraft im Seil 3 ist gleich der Gewichtskraft r{;, die drei aufwärts gerichtelen Seilkräfte
müssen mit der Kraft 1" im Gleichgewicht sein:
Die schon genannte Verformungsbedingung (Gleichheit der Seilverlängerungen) führt unter Ver-
wendung von 14.6 zur zweiten Gleichung für die beiden unbekannten Seilkräfte:
FS I [I 1"52[2 AI [2
!l[1=!l[2 =} =} Fs l =F52--
EA I EA2 A2 [I
Mit den gegebenen Größen errechnet man aus diesen beiden Gleichungen:
Beispiel 2:I
I_"';"_.....1 Ein starrer Körper (Gewicht Fe) Ist bel A gelenkig gelagert und außerdem Im Fall
a an den elastischen Seilen I und 2, im FaH b an einem über zwei Rollen geführten Seil 3
aufgchängt. Alle Scile habcn den gleichen Elastizitätsmodul E und den gleichen Querschnitt A.
Man berechne die Spannungen in den drei Seilen und die Verlängerung !l[1 des Seils I.
Gegeben: Fe = 240N ; a = 5cm ; [ = 6cm ; A = 0, 5mm 2 ; E = 2, I . 105 N[mm 2 .
a) b)
2 3
A.",- A
Ire Ire
a a a a
- -- 2 2
-- a
- -- --
2 2 a
a)
~Il
F
S1 b)
Psl! FSl
~t ~t
k k
a a a a
- 2- 2
--
a
- 2- 2
--
a
a) Das Momentengleichgewicht um den Punkt A ist die erste Bestimmungsgleichung für die
unbekannten Sei I kräfte FS I und 1"52 (auf weitere Gleichgewichtsbedingungen wird verzichtet,
weil die Lagerkräfte bei A nicht gefragt sind):
a
Fe2-Fsla-Fs22a=0
188 14 Zug und Druck
Die zweite Gleichung ergibt sich aus einer Verformungsbetrachwng: Da nur die Seile elas-
tisch sind, kann sich der stan·e Körper nur um den Punkt A drehen und eine Sehrägstellung
einnehmen. Es müssen sich also die Längenänderungen der Seile I und 2 wie ihre Abstände
zum Drehpunkt A verhalten:
6h 2a
MI a
"*
!'.h = 2!'./1 FS2I=2
~
FsII
~
"* FS2=2Fs l "*
Die beiden Gleichungen (Momentengleichgewicht und Verformungsbedingung) liefern:
Fe
FSI = 10 = 24N FS2 = 5Fe = 48N
Daraus ergeben sich die gesuchten Spannungen und die Verlängerung des Seiles I:
F
= ASI = 48 N/mm- FS2 2
0
0"1 0"2 = A- = 96N/mm
b) Die Seilkraft FS3 kann, weil das System statisch bestimmt ist, ohne Verformungsbetrachtun-
gen direkt aus einer Momentenbetrachtung um den Lagerpunkt A errechnet werden:
a
Fe - - Fs3 a - FS32a = 0
2
"* Fe
FS3 = - = 40N
6
Daraus ergibt sich die Spannung in diesem Seil:
FS3 2
0"3 = - = 80N/mm
A
Bei einer TemperalLlrerhöhullg um !'.T dehnt sich ein Stab zusätzlich zur elastischen Dehnung
um die Telllperalurde/mullg
c, = a,!'.T (14.7)
mit dem Temperaturatlsdelrnungskoeffizienlen a, (Dimension: K- I, "I durch Kelvin"), für Stahl
giltz.B.: a, = 1,2·IO- 5 K- 1
Die Gesamtdehnung eines durch eine Normalkraft FN belasteten Stabes, der zusätzlich einer
Temperaturerhöhung !'.T unterworfen ist, errechnet sich nach
0"
cRes = E + a,!'.T (14.8)
Darin ist 0" die durch die NormaLkraft FN hervorgerufene Spannung 0" = FN.
A
c:> Man beachte: Die Temperawrdehnung erfolgt stets spannungsfrei . Temperaturspan-
Ilungen werden nur bei belrindener thermischer Dehnung hervorgerufen. Dies ist nur
bei statisch unbestimmten Systemen möglich. In SIatisch beSlimmten StabwerkeIl Ire/eil
keine Temperarurspannungell auf
14.3 TemperaLureinfluss, Fehlmaße 189
Beispiel]:I
I_"";_ _...1 Wenn em Stab
(oder mehrere oder alle Stäbe)
des statisch bestimmten Stab-
werks (linkes System) erwärmt
wird, kann er sich spannungs-
frci ausdehnen. Dic übrigen
Stäbe reagieren wie ein Getrie- Abbildung 14.3: Statisch bestimmtes System (links) und statisch un-
be mit einem Freiheitsgrad. bestimmtes System (rechts)
Wenn bei dem statisch unbestimmten Stabwerk (rechtes Stabwerk in Abbildung 14.3) z. B. der
Stab 3 eine Wärmedehnung erfährt, verspannt er die beiden Stabzweischläge 1-2 und 4-5, und
in allen fünf Stäben werden Spannungen hervorgerufen. Dies gilt auch bei Erwärmung jedes
anderen Stabes. auch bei gleichmäßiger Erwärmung des gesamten Stabwerks.
I
Beispiel 2:
I_ _ _ _...l Der sktzzterte Stab wurde bet 0° C zWIschen den star-
'l'/////
ren Lagern A und C montiert.
a) Man ermillie die Spannungen in den Teilen I und 2 bei einer
Temperaturerhöhung auf +400 C.
b) Welche Kraft F müsste bei B (senkrecht nach unten) aufgebracht
werden, so dass bei +40 0 C in den Teilen I und 2 die Spannungen
gleich sind? 2
c) Welche Spannungen ruft die unter b errechnete Kraft bei 0° C
hervor?
c
Gegeben: AI = 16cm2 Cl, =1,2·1O- 5 K- t
A2 =4At E = 2. I . 105N/mm2
Der Stab ist statisch unbestimmt gelagert (zwei Einspannungen). Durch die spezielle Belastung
werden jedoch nur Kräfte in vertikaler Richtung übertragen. Für die Berechnung der vet1ikalen
Lagerkräfte in den Punkten A und C steht nur die Gleichgewichtsbeziehung .,SUlurne aller Kräfte
in vertikaler RichlUng" zur Verftigung, so dass sich dieses System als einfach statisch unbestimmt
erweist. Es ist also eine Verformungsbetrachtungen erforderlich.
Dies sind die beiden Bestimmungsgleichungen, aus denen die Lagerreaktionen (und damit
die Schnittgrößen und die Spannungen) berechnet werden können.
In der Verformungsbedingllng werden die beiden Verlängerungen entsprechend
!1/ 1 + !1[2 = CI ! I + cd I = 0
durch die Dehnungen ausgedrückt, die sich jeweils aus einem thermischen Anteil (verursacht
durch !1T) und einem elastischen Anteil (verursacht durch die Normalkräfte in den beiden
Abschnitten) zusammensetzen. Die Dehnungen müssen also durch 14.8 ersetzt werden, die
beiden Spannungen <1, und <12 werden entsprechend
FN' FN2
<1, = - und <12 = -
A, A2
durch die Normalkräfte ausgedrückt, und diese können (Gleichgewicht, Scl1nittskizzen auf
der Seite 189) durch die Lagerreaktionen
FNI = FA Fm = FA
ersetzt werden. Es ergibt sich folgende Rechnung:
(~ +a,!1TH+(~+a,!1T)~/=O =?
FNi Fm 3 FA •
-+2-+3a,!1T=0 =? --=-3a,!1T =? FA =-2EA,a,!1T.
EAI EA2 2 EA,
Dabei wurde bereits A2 = 4A I (siehe Aufgabensteilung) berücksichtigt. Mit der nun bekann,
ten Lagerkraft FA errechnet man die Spannungen in den Abschnitten 1 und 2:
FA 0 rA 0
(J, = - = -202 Nimm' <12 = - = -50,4N/mm'
A, A2
-FA + 2
FA-F
- - + 3a,!1T = 0
EA, EA2
Mit Hilfe der daraus folgenden Lagerkraft FA = ~ - 2EA I a,!1T kann über die
Normalkräfte und die Spannungen in den beiden Bereichen des Stabes die Be-
stimmllngsgleichung für die Kraft F gewonnen werden, die in beiden Abschnitten
die gleiche Spannung hervorruft:
c) In der rür Fragestellung b ermittelten Formel rür die Lagerkraft wird !1T = 0 gesetzt, und
daraus erhält man folgende Spannungen in den Stababscl1nitten:
- F F 2 2F 2
FA = - <11 = - = 101 Nimm <10 = - - = -50,4N/mm
3 3A, - 3Az
14.3 TemperaLureinfluss, Fehlmaße 191
Beispiel 3: )
I_....; Das skIzzierte System Ist bezügltch der äußeren
Geometrie und der Dehnsteifigkeit der Stäbe symmetrisch. Der ~
Stab 2 soll um die Temperaturdifferenz t1T erwärmt werden. Die
dadurch entstehenden Stabkräfte sind zu berechnen.
Der Winkel a ist durch die AufgabenstelJung gegeben, es gilt z. S.: cos a = v'~' , = 7 •
1-]5
'i+ a-
_ FS I ~
tlll - -(- )
EA I
V 12 +a-
Aus dieser Beziehung und der Gleichgewichtsbedingung errechnen sich die beiden Stabkräfle:
CXttl1'cos Z a 2a,tl1'cos 3 a
FS I = ---'----,-------,--- = 5026N FS2 = - = -8870N
1 2cos J a I 2cos J a
(EA) 1+ (EAh (EA) I + (EA)2
L-:> Nur durch die Verwendung der Theorie I. Ordnung (Verschiebungen sind klein gegenüber
den Abmessungen des Systems) bleiben die Beziehungen, aus denen die Stabkräfte berech-
nel werden, linear. Erfahrungsgemäß macht diese (flir die weitaus meisten praktischen Pro-
bleme gerechtfeJ1igte) Lillearisierullg dem Anfänger einige Schwierigkeiten.
Fiir das behandelte sehr einfache Beispiel kann der Fehler, der dabei begangen wird, deutlich
gemacht werden. Die exakte Kompatibilitätsbedingung lautet (Pythagoras):
bzw.
tll, (2 Jli + a2 + tll l ) = tllz (212 +tlI2)
Wenn in den Klammern die (kleinen) Verlängerungen gegenüber den (im AIJgemeinen we-
sentlich größeren) doppelten Stablängen vernachlässigt werden, entsteht daraus mit
I,
Abschließend wird noch ein Beispiel behandelt, das mit dem Problem der Temperaturdehnung
eng verwandt ist: Wenn ein Stab in eine (statisch unbestimmte) Konstruktion eingebaut wird,
dessen Länge ein Fehlmaß aufweist, so dass er eigentlich ,.nicht passt" und nur unter Zwang
eingefügt werden kann, entstehen dadurch VorSpallllltllgell bereits im unbelasteten Tragwerk.
Man kann nun z. B. ein Übermaß u so interpretieren, als wäre es eine Verlängerung eines Stabes
der Länge 1 infolge der Temperarurerhöhung dieses Stabes um tl1'. wenn
u= a,tl1'1
gesetzt wird.
14.3 TemperaLureinfluss, Fehlmaße 193
Die so genannte AJljangsdehnung Co = ~ kann also wie die Temperaturdehnung zur elastischen
Dehnung hinzugefügt werden. und die Beziehung 14.8 erweitert sich zur Formel für die
Gesamrdehnl//lg ei/les Srabes i/ljolge Normalkraft FN. Temperarltrerhöhung !1T u/ld AJljangs-
dehJlung Co:
(14.9)
I ... . ...
I Beispiel 4:... Es wIrd em ähnlicher Stabdrelschlag wie IITI BeI-
'-
spiel 3 betrachtet. Das System trägt keine äußere Belastung.
aber der Stab 2 war infolge einer Fertigungsungenauigkeit vor cl
dem Einbau um 0.2% zu kurz. S",b2
Gesucht sind die Spannungen in den Stäben infolge des Ein- .~----:
EA
baus von Stab 2 unter Zwang. cl
(}Z
Fsz
= - =
3
2Ecos a "2 243 N/mm z
A I + 2cos 3 a Iz
Das Ergebnis bestätigt die Anschauung. dass Stab 2 auf Zug und Stab I und Stab 3 auf Druck
beansprucht werden.
<> Das Ergebnis des Beispiels 4 zeigt. dass schon geringe Fertigungsungenauigkeiten zu erheb-
lichen Spannungen führen können (natürlich nur bei statisch unbestimmten Konstruktionen).
Man beachte. dass die Querschnillsfläche in das Ergebnis nicht eingeht. so dass die Span-
nungen durch größere Querschnitte nicht verringert werden können.
<> Die Praxis des Einbaus ..nicht passender" Bauteile bestätigt die Verwandtschaft zwischen
Feh/maß und TemperarurdehJlu/lg: Man erwärmt ein zu kurzcs Bauteil. bis es sich problem-
los einbauen lässt. Stab 2 des Beispiels 4 (Stahlstab mit a, = 1.2.10- 5 K- 1) müsste um
167 0 erwärmt werden. um spannungsfrei montiert werden zu können. Bei der Abkühlung
können unter Umständen Spannungen entstehen. die oberhalb der zulässigen Werte liegen.
194 14 Zug und Druck
14.4 Aufgaben
Aufgabe 14.1: I
I_ _ _ _ _.... Ein Körper ist an zwei Stahlseilen I und
2 aufgehängt, die sich durch dessen Gewichtulll ""I bzw. Seil I Seil2
""2 verlängern. Man berechne
a) die Zugspannung im Seil I,
b) die Gewichtskraft Fe und die Strecke a bis zu ihrem
Angriffspunkt.
I
Aufgabe 14.2: I
Das skizzierte Systcm bestchi aus
drei gelenkig miteinander verbundenen Stäben. Der
horizontale Stab zwischen den Lagern A und B hat
stückweise konstanten Querschnitt.
Gegeben: ,= =
180ml1l; Ao 9mm 2 ;
0: = 30° ; E = 2, I . 105 N/Ill1ll 2
l/3 l/3 l/3
a) Wie groß ist die bei C angreifende KraftF, wenn infolge der Verlängerung des horizontalen
Stabes am Lager B eine Verschiebung "'I = 0,2mm (nach rechts) gemessen wird?
b) Bei welcher alll Punkt C angreifenden Kraft F = Fm".< wird in dem horizontalen Stab die
Bruchspannung Rm = 520 N/nUl1 2 erreicht?
21
Aufgabe 14.3:
I_...;.
I
.... Eine starre Scheibe ist bei A dreh-
EAI
Die Methode der finiten Elemente' basiel1 auf der Idee, das zu berechnende Gebilde in eine
(große) Anzahl einfacher (und damit der Berechnung zugängiger) Elemente zu zerlegen und aus
den Elementlösungen unter Berücksichtigung von Kontinuitäts- und Gleichgewichtsbedjngun-
gen eine Lösung für das Gesamtsystem zu konstruieren. Diese Bedingungen werden dabei nur
an einer endlichen Zahl von Punkten (so genannten Knotell) formuliert.
Der Vorschlag. physikalische Probleme auf diese Weise zu lösen. wurde erstmals 1943 von dem
Mathematiker RtCHARD COURANT (1888-1972) gemacht, die Zulässigkeit djeses Vorgehens
wurde mathematisch einwandfrei bewiesen und die Anwendbarkeit in einer Veröffentlichung an
einem Beispiel demonstriert. Der Gedanke wurde jedoch nicht weiter verfolgt, weil vermutlich
die Lösung des sich ergebenden (recht umfangreichen) Gleichungssystems abschreckte.
Auf ganz anderem Wege wurden von verschiedenen Ingenieuren (vorwiegend aus dem Flug-
zeugbau) in der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre des 20. Jahrhunderts "Elementlösungen" zu
"Gesamtlösungen" zusammengesetzt. Diese eher intuitiv entstandene Methode fand sehr schnell
viele Anwender: Die Methode der finiten Elemente wurde erfolgreich eingesetzt, ohne dass der
mathematische Nachweis für die Richtigkeit des Verfahrens erbracht war.
Erst Ende der sechziger Jahre gelangen die mathematische Absicherung der Finite-Elemente-
Methode und der Nachweis, dass sie mit dem von Courant vorgeschlagenen Verfahren identisch
ist. Anfang der siebziger Jahre erschienen die ersten großen Programmsysteme, deren Einsatz-
möglichkeiten weit über die AufgabensteIlungen der Technjschen Mechanik runausgingen.
Heute ist die Methode der finiten Elemente sicher das an1 meisten benutzte Verfahren, um na-
turwissenschaftliche und technische Probleme numerisch mit Hilfe des Computers zu lösen. Sie
wird für Festigkeitsuntersuchungen, dynamische Prohleme und in der Strömungsmechanik eben-
1.. 1,,1 es nicht zu früh. die Methode der finiten Elcrnl.:ntc schon zum Beginn der Fcstigkcilslchrc zu bringen'!" ist eine
durchaus berechtigte Frage. In der Ingenicurausbildung wird hir das Verfahren im Allgemeinen sogar eine speziel-
le Vorlesung nach der Technischen Mechanik reservien. Die Autoren sind jedoch der festen ÜberLCugung, da<;s zu
diesem frühen Zeitpunkt schon alles verfügbar ist, was einen Einstieg in das Verfahren ermöglicht. Und nach dieser
Einführung kann dann bei allen michfolgenden Themen das Verfahren, das später für fast alle praxisrelevanten Pro-
bleme eingesetzt wcrden wird, immer,.im HinterkopfprHscnt sein". Dem Praktikcl'. der nachträglich den Einstieg in
dieses wichlige Verfahren ~uchl. wird damit signalisiell. das~ man daflir nicht mehr als die erl,ten Grundlagen der
Festigkeilslehre benötigt. Und ein recht pragmatischer Grund spriCht auch genau fiir diesen Zeitpunkt: Am Ende dcs
Kapitels 14 offenbarten die Studentcn immer beträchtliche Schwierigkeiten bei der Berechnung der Stabkräfte der
Aufgabe 14.2 (..Statik iSlja schon so lange her!"). Da bietet sich die FEM-Einfübrung im Abschnitt 15.2 mit der
intensiven Wiederholung der Themen Schniuprinzip und Gleichgewicht geradezu an.
so eingesetzt wie in der Thermodynamik, fur die Berechnung von Magnetfeldern, in der Gezei-
tentheorie und fur die Wettervorhersage.
Man kann sich der Methode der finiten Elemente auf recht unterschiedlichem Wege nähern (siehe
Kapitel 34). Nachfolgend wird sie am Beispiel der Verformungs- und Spannungsberechnung für
Stabwerke aus linear-elastischem Material erläutert. Dies ist der typische ..Ingenieur-Einstieg" .
Die Gesamtverschiebung des Knotens 2 ist die Summe aus der Ver- "
I
I
I
I
(EA)e
schiebung des Knotens I und der Verlängerung des Elements infol- I I .::
ge der Kraft V, und der Linienlasl Cfe. Letztere wurde im Beispiel I I q,
2 des Abscbnitts 14.1 für deLl am oberen Ende eingespannten Stab I I
I I
berechnet. Das Ergebnis kann direk1 von Seite 186 übernommen I I 2
werden (dort als tll, bezeichnet). Es ist die Aussage ZLlf LU
V,l e Cf,I;
u,
,V,
Velforml/Ilg: (15.2)
'" = "I + (EA), + 2(EA), Abbildung 15.1: Einfachstes
Diese bei den Gleichungen lassen sich Llmsehreiben zur finites Element: Gerader Stab
15.2 Fluchtende Stabelemente 197
(15.4)
<>
--
Die Größen in der Elcmcnt-SteiAgkcitsbezichungfe = Kev e - fued haben folgende Na-
men:
Elemenl-Kraftl·eklor,
Element- Verschiebllngsveklor,
- EIemenI-SIeijigkeilsmal rix,
Veklor der reduzierlen Elemenllaslen.
Mit diesem einfachsten aller Elemente soll nun das einfachste System berechnet werden, das sich
daraus bilden lässt, der aus zwei Elementen a und b bestehende Stab.
Beispiel J: I
I_....;_ _.... Der skizzierte Stab ist an den Punkten I und {{ durch die
Kräfte F1 bzw. FIJ und zusätzlich durch das Eigengewicht (rcpräscntien
durch qa und qb) belastet und bei lI/gelagert. I
Sie werden an beiden Enden beider Elemente (im Folgenden als Elemelltkllo-
(eilbezeichnct und in Llebcnstehcnder Schnittskizze als klcine Kreise zu sehen)
entsprechend der in der Abbildung 15.1 gegebenen Definition gleichsinnig
angetragen. Diese Richtung gilt allgemein als positive Kraft- ulld Verschie-
bLll1gsrichtLlllg. Auch dic an den SystemkIloteIl (dicke schwane Punkte) an-
greifenden äußeren Kräfte und die Knotenverschiebungen werden dann positiv
gezählt, wenn sie in diese Richtung weisen.
Es ergeben sich also drei Knoten, für die jeweils das Knotengleich-
gewicht erfüllt sein muss, und zwei Elemente, für die die Element-
Steifigkeitsbeziehungen 15.3 gelten müssen: ,U'a
~
Via ( E: ) a Lli - ( E: ) a 111/ ~ ~qa'a (EA)a
EA) (EA) I
( -,- a Lli - -,- a 111/ - 2 Qa 'a,
J
• III
Alle Belastungen (Kräfte FI , F/l und Fm und die reduzierten Elementlasten) werden zum System-
Kraftvektorf, die drei Knotenverschiebungen UI, U/l und lI/l1 werden zum System- Verschiebllngs-
vektor v zusammengefasst, der Zusammenhang zwischen diesen beiden Vektoren wird dann
durch die System-Steijigkeilsmatrix K beschricbcn:
-(En o
( CA)
{a
+ (CA)
I b - (~A)b
UI
UII
]
=Kv.
] [
-(Cnb (~A )b "'UI
In dcn drci Gleichungen der Systcm-Steifigkcitsbezichung sind drci Größen unbckannt (dic Vcr-
schiebungen UI und lI/l und die Lagerkraft Fm). Das Gleichungssystem kann nach diesen drei
Größen aufgelöst werden. Um die rur die Lösung großer linearer Gleichungssysteme extrem
wichtige Symmetrie der Koeffizientenmatrix zu erhalten, wird folgende Strategie praktiziert:
I.) Die dritte Gleichung (mit der unbekannten Kraft Fm) wird aus dem Gleichungssystem her-
ausgenommen, gleichzeitig wird die dritte Spalte der Koeffizientenmatrix K entfernt. Dies
ist erlaubt, wcil dic Verschiebung 1I1/l gleich Null ist (Einarbeitung dcr bisher unberück-
sichtigten geomelrischen Randbedingung). Das verbleibende reduzierte Gleichungssystem
(En" _ (CA)
I a UI ]
_ (CA)
I a ( CA)
I
+ (CA)
(I I b
] [
Hf(
U/ = [(dA)a + (dA )b] (F/ + 1qa la) + (dA)b [FIl + 1(qala +qblb)]
UIJ = (dA)b (FI + 1qa la) + (dA)b [FIJ + 1(qala +qb/b)]
Es ist das erwaltete Ergebnis ("i ist die Summe der Längenänderungen beider Stabab-
schnitte, UIJ entspricht der Längenänderung des Elcments b).
2.) Die zunächst aus der SYSlem-Steifigkeitsbeziehung herausgenommene drille Gleichung
wird nun bei bekiUmten Verschiebungen zur Berechnung der noch unbekannten Lagerkraft
FIJI verwendet. Mit dem berechneten Wert von UIJ und UIJI = 0 ergibt sich:
Die besondere Stärke der Finite-Elemente-Methode ist, dass alle an das Ergebnis zu stel-
lcnden Forderungen (Bcrücksichtigung von Materialcigenschaften und Geometrie, Gleichge-
wicht, Kompatibilität, Randbedingungen) dUJch formale Prozesse mit Matrizen errullt werden.
An dem einfachen Beispiel wurden alle wesentlichen Schritte des Finite-Elemente-
Algorithmus sichtbar. Zusammenfassend soll noch einmal auf die Formalisierung des Ablaufs
aufmerksam gemacht werden. Die physikalischen Zusammenhänge in der Struktur werden
durch Einspeichern und Umspeichern der in Matrizen und Vektoren enlhaltenen Informatio-
nen berücksichtigt:
<> Die Informationen über dic Maleria/eigenschaften und die Geomelfie (Abmcssungen der
Elemente) stecken in den Element-Steifigkeitsmatrizen. Diese werden für einen bestimmten
Elementtyp (hier: Stab) nach einem einmal festzulegcnden Algorithmus (hier: Ke wird durch
Formel 15.4 definiert) aufgebaut.
<> Die Kompatibililät der Verschiebungen der einzelnen Elemente wird über die Knoten er-
rcichl, indcm die Vcrschiebungcn der Elementknoten durch die Verschiebungen dcr System-
Knoten ersetzt werden. Die Verschiebungen der Knoten I und 2 beider Elemente wurden zu
den Knotenverschiebungen der Knoten I, 11 und 111:
Die rechts mit römischen Zahlen dargestellte so genannte Koinzidenzmarrix beschreibt die
lopologische Zusammensetzung der Struktur aus den Elementen.
<> Gleichgewicht zwischen den inneren Kräften und den äußeren Belastungen wird durch das
Einspeichern der Element-Steifigkcitsmatrizcn in die Systcm-Stcifigkeitsmatrix und das Ein-
speichern der Vektoren der reduzierten Elementlasten und der Knotenkräfte in den System-
KraftveklOr erz.ielt: In eine Null-Matrix wird zunächst die Element-Steifigkeitsmatrix des
Elements a auf die Positionen gespeichert, die durch die Koinzidenzmatrix vorgegebenen
15.2 Fluchtende Stabelemente 201
werden (betrifft hier die Zeilen bzw. Spalten I und 11). Algorithmisch übereinstimmend mit
dem Prozess für die nachfolgenden Elemente ist die Interpretation: Die Matrixelemente wer-
den "zu den Null-Elementen addiert".
Danach wird die Element-Steifigkeitsmatrix des Elements b eingefügt, indem alle Matrix-
elemente auf die wieder durch die KoinzidenzmalJ;X bestimmten Positionen (hier: Zei-
len bzw. Spalten 11 und 111) addiert werden. Für das behandelte Beispiel ist die System-
: :J-[
Steifigkeitsmatrix damit komplett:
:J-[
0 0
1 " 1 "
[
_ (EA) (EA) _ (EA)
0
0 0
1 " I
0
" 1
0
"
(E/t,+(Enb -(Enb
-(Enb (~A) b
]
Erzeugen der Systern-Steingkeitsll1:urix durch additives Einspeichern der Elcmcnl-Steifigkeilsmatrizen
0
, , , +(EA)
(EA)
-(Enb
I b
_ (EA)
1 b
(EA)
1 b
[ ] [
llll
0
F" + i (q"l" + '!blb)
F/II + iqb1b
]
~
[ (Ena
-(tna (EA)
- (~A Ja
+ (EA)
I alb
][ ] [ UI
11" F"
F, + iqa1a
+ i (q"l" +qb1b) ]
Neben dem hohen FormaJisierungsgrad des Finite-Elemente-Algorithmus, der der Progranlinie-
rung außerordentlich entgegenkommt (Erfüllung der Gleichgewichtsbedingungen dureh "Ein-
speichern". Berücksichtigung der Lagerung durch ,,Zeilen-Spalten-Streichen"), ist die Möglich-
keit der einfachen Variation der berechneten Struktur ein gewaltiger Vorteil:
c:> Eine Änderung der Belastung (oder ein zusätzlicher Lastfall) beeinflusst die System-Stei-
figkeitsmatrix nicht. Wenn für die Lösung des Gleichungssystems ein geeignetcs Eliminati-
onsverfahren benutzt wird, braucht die Dreieckszerlegung der Koeffizientenmatrix (im All-
gemeinen der aufwendigste Teil der Finite-Elemente-Berechnung überhaupt) in diesem Fall
nieht neu ausgeführt zu werden.
202 15 Der Slab als finiles Element
I_Beispiel 2:I
_ _ _.... Der nebenstehend skIzzIerte Stab hat dIe glelchen Abmes-
sungen und Materialeigenschaften wie im Beispiel I. Er trägt jedoch nur
eine äußere Kraft FI/ und ist an den Punkten I und 111 (statisch unbestimmt)
gelagert (auch das Eigengewicht soll unberücksichtigt bleiben, würde je-
doch die Aufgabe nicht nennenswert komplizierter machen).
Die für das Beispiel I aufgebaute System-Steifigkeitsbeziehung kann wie-
der verwendet werden, weil sich die Abmessungen und Materialeigen-
schaften nicht geändert haben. Die beiden geometrischen Randbedingun-
gen
11/ = 0 und 111// = 0 111
werden durch Streichen der ersten und dritten Zeile (Spalte) realisiel1, und
das Gleichungssystem dcgencricrt zu cincr cinzigcn Gleichung:
(EA)
I a - (EtL, 0
[ - (En"0
(~A)a + ('nb
- (Enb
- (~A)b
(Enb
][ .:'] [Z,]
!
Mit diesem Ergebnis ergeben sich die Kräfte bei I und 111 (Lagerreaktionen) auch hier aus den
(zunächst gestrichenen) Gleichungen I und 3 der System-Steifigkeitsbeziehung:
F, =
FII F: __ FI/
111- I (-L)
+ EA b(EA)
I a
15.3 Ebene Fachwerk-Elemente 203
An den Knoten, an denen in der Regel mehr als zwei Stäbe zusammenstoßen, wirken natürlich
nicht nur Kräftc in Stablängsrichtung (wic in dcn Stäbcn).
Der Zusammenhang zwischen den Verschiebungen in Stablängsrichtung "I und "2 und den in
gleicher Richrung wirkenden Kräften UI und V2 wurde bereits im vorigen Abschnitt mit der
ersten der beiden Beziehungen 15.3 gefunden, wobei verteilte Belastungen (Eigengewicht) ent-
sprechend der für Fachwerke üblichen Annahme im Folgenden vernachlässigt werden. Aus
wird durch Ersetzen der Verschiebungen "I und "2 durch die Verschiebungskomponenten;
Entsprechend erhält man durch Multiplikation mit sin a die Knotenkraftkomponente VI)'. Da
und
(Gleichgewicht am Element) gelten muss, sind alle Beziehungen bekannt, die die vier Element-
Knotenkräfte mit den vier Element-Knotenvcrschiebungen verknüpfen. Sie bilden die
(Et).
Vly s2 -sc _s2 Li I)'
= ( 15.5)
V2x e2 sc U2r
~~]
Elemente-Methode geleistet. Der gesamte Algorithmus für die Be-
handlung von Systemen (hier: Fachwerke) ist mit dem im vorigen
Abschnitt beschriebenen Ablauf identisch, allerdings mit einer klei-
nen Erweiterung: 2,1 2,2
Da einem Elementknoten eines Fachwerk-Elements zwei Verschie- Abbildung 15.4: Ein-
bungen und zwei Kräfte zuzuordnen sind (der Knoten hat zwei Frei- teilung der Elemenr·
heitsgrade), beziehen sich die Speicheroperationen nicht mehr auf Stcifigkeilsmatrix in
Blöcke, wegen der
ein Matrixelement, sondern auf eine 2*2-Untenuatrix. Man unterteilt
Symmetrie Beschrän-
(Abbildung 15.4) die Element-Steifigkeitsmatrix in vier Untermatri-
kung auf das rechte
zen und führt den im vorigen Abschnitt beschriebenen Algorithmus
obere Dreieck
mit diesen Umermatrizen aus.
I
I
(EA)a .la
I Beüpie':
_ _ _ _ Für den nebenstehend sklzzterten Stabdretschlag
a
ist der Finite-Elemente-Algorithmus für die Berechnung der (E'A)b·1b ß 2 IV
II
Verschiebung des Kraft-Angriffspunkts und die Ermittlung b 2 2
'Y
der Stabkräfte anzugeben. Gegeben sind alle in der Skizze ein-
getragenen Größen (Dehnsteifigkeiten und Längen der Stäbe, c
F
Kraft F und die Winkel ß und y).
III (EA)c·1c
15.3 Ebene Fachwerk-Elemente 205
Die Stäbe werden als finite Elemente a, b, c aufgefasst, und die Elementknoten I und 2 eines
jeden Elements werden den Systemknoten I, 11,111 und IV zugeordnet. Für jedes Element kann
bei bekanntem Lagewinkel, gegebener Dehnsteifigkeit und Länge die Element-Steifigkeitsmatrix
nach 15.5 aufgeschrieben werden. Dabei ist zu beachten, dass der Winkel a in 15.5 von einer
Parallelen zur x-Achse durch den Elemenlknoten I zum Element gemessen wird. so dass für die
drei Elemente die folgenden Winkel einzusetzen sind:
a,,=-ß ab=O ac=y I II III IV
Die System-Steifigkeitsmalrix verknüpfl acht äußere Knotenkräfte
I
(sechs unbekannte Lagerreaktionen an den Fesllagern und die äuße-
ren Kräfte in horizontaler und vertikaler Richtung am Knoten IV) mit II
den acht Verschiebungen an den Knoten I, 11, /I I und IV. Es ist al- III
so eine 8*8-Matrix, die wie die Element-Steifigkeitsmatrizen in 2*2-
IV
Untermatrizen unterteilt wird (Abbildung 15.5).
Die Syslem-Sleifigkeitsmalrix wird aus den Elemenl-Steifigkeilsma- Abbildung 15.5: Aucb
tri zen nach dem bekannten Einspeieherungs-Algorithmus (Abschnitt die Systcm·Stcifigkeils-
matrix wird in Blöcke
15.2) aufgebaut. Auf welche Positionen die 2*2-Untermatrizen zu
unterteil!. Die gesamte
speichern sind, wird durch die gewählte Zuordnung der Elementkno-
erforderliche Informmjon
ten zu den Systemknoten gesteuert. Enlsprechend der Nummerienmg steckt im rechten oberen
in der Skizze zur AufgabensteIlung gilt dafUr nachfolgende Koinzi- Dreieck der Matrix.
denzmatrix:
--
Element-Knoten System-Knoten Koinzidenzmatrix
Element a : (1,2) [ I, IV]
I IV]
-
Element b : (I ,2) [ 11, IV] 11 IV
[
EI.ement c: (I ,2) [/11, IV] 111 IV
Dies bedeutet zum Beispiel, dass die Untermatrizen (I, I), (1,2) und IIIIIIIV
(2,2) der Element-Steifigkeitsmatrix des Elements a (siehe Skizze zur
I a
AufgabensteIlung) auf die Positionen (I,/), (I,IV) und (IV, IV) der
System-Steifigkeitsmatrix gelangen (nebenstehende Skizze). Nach Auf- II
addieren auch der Untermatrizen der EI.emente bund c ist die System- III
Sleifigkeitsmalrix K komplett. Sie definiert den Zusammenhang des
IV
System- Verschiebungsvektors v mit dem System-Kraftvektor I:
Kv
k44 k45 k46 k47 o Ff'y =1. (15.6)
kS5 k 56 kS7 o Fllix
k 66 k 67 o F ll1y
symm. kn o
-F
206 15 Der Stab als finites Element
Zur Erinnerung: Der Einspeicherungs-Algorithmus steht für die Erfüllung der Gleichgewichtsbe-
dingungen, wenn in den System-Kraftvektor die äußeren Kräfte mit dem gleichen Richtungssinn
eingefügt werden, der auch für die Elementkräfte gewählt wurde (nach rechts bzw. nach oben).
Deshalb wurde die vertikale Kraftkomponente am Knoten IV mit negativem Vorzeichen in J
eingesetzt.
Die ersten 6 Gleichungen (mit den 6 unbekannten Lagerreaktionen) werden zunächst aus dem
Gleichungssystem herausgenommen. Gleichzeitig werden die ersten 6 Spalten in K gestrichen,
die bei der Multiplikation K v wegen der Nullen auf den ersten 6 Positionen in v (verhinderte
Verschiebungen an den Lagern) ohnehin keinen Beitrag leisten würden (Einarbeiten der geo-
metrischen Randbedingungen durch "Zeilen-Spalten-Streichen"). Es verbleibt das lineare Glei-
chungssystem
mit kn = (EA)
I "
cos2 ß + (EA) + (EA)
I I b c
cos2 Y,
,
Zunächst wird wieder das einfache Stabelement betrachtet, das nur
mit gleichgerichteten (nuchtenden) weiteren Elememen zusammen- VI
gesetzt wird. Es soll neben der Knotenbelastung und der verteilten Ut 1
Belastung q, noch einer Temperaturänderung !'J.T, und einer An- ,'-, (EAJ e
fangsdehnung fQe unterworfen sein (Abbildung 15.6). I I
I I (a t 6TJe
Das Element-Gleichgewicht ist auch hier (Gleichung 15.1) durch I I
'Oe
I I
VI +V2 +qele = 0 I I
I I
zu erfüllen, für die Gesamtdehnung gilt nun aber 14.9, so dass die I I 2
Längenänderung des Elements durch LU
u2
V2 1, qe l; ( ) ( )
U2 - UI = eR,,/e = (EA)e + 2(EA)e + Cl,!1T I e + fQl e
[VI]
V2 =
(EA)
-'-. e
[ I-I] [uI] '2I [I]
- I 1 U2 - qele I - (EA)e (~!1T + fQ)e [-I]
I
(15.8)
Die E1ement-Steifigkeitsmatrix und der Vektor der reduzierten Elementlasten infolge der veneil-
ten Belastung q, sind erwartungsgemäß identisch mit denen in Formel 15,4, und Temperatur-
dehnung und Anfangsdehnung ergeben genauso einen Vektor wie die verteilte Belastung q,. Es
ist deshalb naheliegend, alle drei "ElementJasten" zu einem erweiterten Vektor der reduzierten
Element/asten zusammenzufassen:
fe.red = [Fmt.l]
Fred .2
I [I]
= '2 q"e
I
+(EA)e(~!'J.T+<o)e [-I] I
(15.9)
Der Finite-Elemente-Algorithmus, wie er in den Abschnitten 15.2 und 15.3 demonstriert wurde,
kann also unverändert bleiben, bei der ErftiJlung der Gleichgewichtsbedingungen an den Kno-
ten müssen nur für die Element-Knotenkräfte die durch 15.8 gegebenen erweiterten Ausdrücke
verwendet werden. Der Algorithmus bleibt so formal. wie er beschrieben wurde. und mit EinzeI-
kräften (greifen an den Knoten an), Temperatur- und Anfangsdehnungen sowie verteilten Lasten
(Eigengewicht, Fliehkräftc, ...) wurden am einfachen Beispiel alle praktisch relevanten Belas-
tungen berücksichtigt. Folgende Strategie wird empfohlen:
208 t5 Der Stab als finites Element
(at l1T)e
1 Fi+g
Die nebenstehende Skizze ver- .'Oe
Auch die anderen an den Knoten i und i + I angeschlossenen Elemente können entsprechende
Anteile zu den Knotenlasten licfcm. Schließlich gibt cs nur noch lastfreie Elemente und Lasten
tragende Knoten.
Diese Regel gilt allgemein. Für das im Abschnitt 15.3 behandelte allgemeine Fachwerk-Element,
dessen Element-Steifigkeitsmatrix dltrch Gleichung 15.5 gegeben ist, lindet man die entspre-
chenden Formeln, indem die durch 15.9 gegebenen Kräfte (wie im Abschnitt 15.3 die Element-
Knotenkräfte) in zwei Komponenten zerlegt werden. Verteilte Lasten q, werden (wie für Fach-
werke üblich) weggelassen, und man erhält den
In dieser Formel ist a wieder der Winkel, der von einer Parallelen zur x-Achse durch den Knoten
I und dem Fachwerk-Stab eingeschlossen wird (vgl. Abschnitt 15.3).
Bei der Berechnung der Stabkräfte (aus den Verschiebungen über die E1ement-Knotenkräfte)
müssen natürlich die erweitenen Element-Sleifigkeitsbeziehungen genutzt werden. Für die flueh-
15.4 TemperalUrdehnung, Anfangsdehnung 209
tenden Stabelemente ist das die Gleichung 15.8, die aus der einfachen Element-Steifigkeitsbe-
ziehung 15.4 durch Subtraktion der Zusatzknotenkräfte 15.9 entstand.
c2 sc -c-
, -sc
Vlx Ulx Fred,Jx
I BeispieL: I
Das skizzierte (statisch unbestimmte)
Fachwerk ist an den Knoten 2 und 4 durch äußere F
2
Kräfte belastet. Stab b wurde unter Zwang einge-
baut, weil er um 6b zu lang war. Nach dem Einbau
wird Stab a um 67;, erwärmt.
Gegeben sind die Dehnsteifigkeiten (EA)i und Län-
gen Li fUr alle Stäbe, der Temperaturausdehnungs-
koeffizient Cl, des Stabs a und die Werte fur 6b,
6Ta , ß, y und F. Es ist der System-KraftveklOr I
für die System-Steifigkeitsbeziehung K v = f anzu-
geben.
Die Technische Mechanik beschäftigt sich ausschließlich mit physikalischen Model/en. Die Ei-
genschaften der real existierenden Bauteile werden zum Teil - wenn für die Untersuchungen
irrelevant - ignoriert (z. B. ihre Farbe) und zu einem großen Teil idealisiert. So betrachtet man in
der Statik z. B. "starre Körper auf idealisierten Lagern umer diskreter Belastung". Alle Beispiele
und Aufgaben (auch in diesem Buch) sind in diesem Sinne physikalische Modelle. Sie sind ge-
kennzeichnet durch ihre Geometrie, ihre Topologie (welches Bauteil hat mit welchem anderen
Kontakt), die vorgegebene Belastung und Lagerung und ihre Materialeigenschaften. In der Regel
werden diese Modelle (wie die Aufgaben und Beispiele in diesem Buch) durch eine Skizze mit
begleitendem Text beschrieben.
Die Aufgabe der Technischen Mechanik besteht darin, aus einem physikalischen Modell ein
mathematisches Modell zu erzeugen und daraus Lösungen zu gewinnen. Die mathematischen
Modelle können z. B. Gleichungen, Gleichungssysteme, Foroleln, Integrale oder Differenzial-
gleichungen sein.
Weil die Empfehlungen für den Umg,mg mit dem physikalischen bzw. mathematischen Modell
bei Finite-Elemenle-Rechnungen etwas anders ausfallen als bei den bisher behandelten Proble-
men, soll hier die Unterscheidung al11 Beispiel von Systemen, die sich aus elastischen Stäben
zusammensetzen (behandelt in den Abschnitten 15.1 bis 15.4), noch einmal verdeutlicht werden.
Das physikalische Modell FachlVerk wird mit folgenden Informationen definiert:
• Die Geometrie des Systems wird durch die Koordinaten sämtlicher Knoten, bezogen auf ein
beliebiges Koordinatensystem, beschrieben.
• Die Topologie des Systems wird durch eine Koinzidenzmatrix festgelegt, die die Zuordnung
der Knoten aller Elemente zu den Systemknoten enthält. Im Zusammenhang mit der Geo-
metrieillformation sind dantit aucb wesentliebe Element-Abmessungen bekannt.
• In einer Matrix der Element-Informationen werden elementbezogene Parameter (Materialei-
genschaften, Querschnitte, Elementbelastungen wie Temperatur- und Anfangsdebnungen)
zusammengestellt.
• Informationen über die äußeren Knotenlasten beschreiben, welche Knoten durch welche
Kräfte belastet sind.
• Informationen über die geollletrischen Randbedingungen legen fest, an welchen Knotcn wel-
che Verschiebungen durch Lager verhindert werden.
• Die Abmessungen und Materialeigenschaften eines Elements (hier: Fachwerkstab), die An-
zahl der Elementknotcn (hier: 2), die Anzahl der Freiheitsgrade pro Knoten (ebenfalls 2) und
der Zusammenhang zwischen Kräften und Verformungen auf der Basis einer bestimmten
Theorie (hier: Dehnung linear-elastischer Stäbe mit kleinen Verformungen. Theorie I. Ord-
nung) werden durch die Elemel1l-Steifigkeitsbeziehlll1g repräsentierJ (z. B. 15.5 und 15.11).
15.5 Physikalische und mathematische Modelle, Nutzung von FEM-Programmen 211
• Ein spezieller Algorithmus ermöglicht die Reduktion von Element-Belastungen (im Ab-
schnitt 15.4: Temperatur- und Anfangsdchnung) auf äußere Knotenlasten. Diese werden mit
den diskreten Lasten an den Knoten zum Syslem-BeiastllllgsI'ekfor zusammengefasst.
• Nach einer sehre.infachen und eleganten Vorschrift werden dje Element-Steifigkeitsmatrjzen
zur Sysfem-Sfeijigkeifsmatrix zusammengebaut.
• Die (allerdings noch singuläre) System-Steifigkeitsmatrix und der System-Belastungsvektor
dcfinieren dic Syslem-Steifigkeitsbezielllmg.
• Das Einarbeiten der geometrischen Randbedingungen (verhinderte Verschiebungen, hier
bisher realisiert durch das "Zeilen-Spalten-Streichen") fuhrt schließlich auf ein lineares
Gleichllngssystem mit regulärer Koeffizientenmatrix. dessen Lösung die unbekannten Ver-
schiebungen liefert.
Das mathematische Modell für das physikalische Finite-Elemente-Modell ist bei Problemen der
ElaslOstatik letztendlich ein (in der Regel sehr großes) lineares Gleichungssystem, dessen Lösung
dem Computer überantwortet werden sollte. Weil aber auch das Erzeugen des Gleichungssystems
im Allgemeinen sehr aufwendig ist, gilt folgende Empfehlung:
Bis auf wenige Ausnahmen sollte bei der Finite-Elemente-Rechnung schon das Erzeugen des
mathcmatischcn Modells (und natürlich danach auch dcsscn Lösung) von einem Computcrpro-
gramm übernommen werden.
An einem ganz kleinen Beispiel, für das man von dieser Regel durchaus noch abweichen kann,
sollen die Unterschiede im Umgang mit den beiden Modellen demonstriert werden.
I Beispiel; I
Das skizzicrtc System ist durch eine Kraft F bc-
lastet. Der Stab 2 soll um die Temperaturdifferenz IH' er-
wänm werden. Die Verschiebungen des Kraftangriffspunk-
tes sind zu berechnen.
Horizontalkomponente der Kraft am Knoten 4 der Anteil ergänzt werden, der aus der Erwärmung
des Stabes 2 resultiert. Entsprechend Formel 15.10 ergibt sich:
h.,·= EA 2a,fl.T = 19200N
Damit erhält man das mathematische Modell für die Berechnung der Verscruebungskomponenten
des freien Knotens auf der Basis der Formeln 15.7 mit den hier gegebenen Zahlenwerten:
Die Funktion femalg_m liefert natürlich exakt die bereits angegebene Lösung (das Matlab-Script
findet man unter www.TM-aktuell.de ausftihrlich dokumentiert mit zusätzlich implementierter
grafischer Ausgabe und der Berechnung der Stabkräfte).
Diese Art der Lösung bietet sich für Probleme an, bei dcnen das physikalische Modell durch cin-
fach zu erzeugende Daten beschrieben werden kann, bei großen Fachwerken z. B., wenn immer
wiederkehrende Felder mit gleichen Abmessungen aneinandergereiht sind, so dass Koordinaten,
Topologie und Steifigkeiten in einer einfachen Programmschleife erzeugt werden können.
Krden-Nr
K-
y-
I
fK'
~==I
-
Zeichnung - -
""'~ ]i 11
kleiner t J 100 200 300 400
Ruter Kn .,:;;;:-j Stab-t1rn
Abbi.ldung )5.8: Inlcraktivc Berechnung eines Fachwerks mil der Methode der finiten Elemente, zu finden
(mit mehreren - auch wesentHeb komplizjertcren - Beispielen) unter www.TM-interaktiv.de
214 15 Der Stab als finites Element
15.6 Aufgaben
-
chern in die System-Steifigkeitsmatrix 5 3
A 8 F
symbolisch anzudeulen, indem die Plätze 11
der einzelnen Untermatrizen in der I CD
öl, 9 8) 4
System-Steifigkei ts matri x geken nzei ch- 6
(2)
J
net werden. ~ ,
10
(5)
Man untersuche, welche Plätze in der
System-Stei fi gkei tsmatri x auch dann "'81_ 2a 2a
nicht besetzt sind. wenn aJ le Elemente
eingespeichert werden.
Gegeben: F, a, EA (für alle Stäbe gleich groß).
I
Aufgabe /5.2: I
Der skizzierte Stab wurde bei 0° C zwischen den A
/
Gegeben: A I = 16 em 2 al
= 1,2·1O- 5 K- 1 c
112 =4At E = 2, I . lOs N/mm 2
IAufgabe 15.3: IMit einem geeigneten FEM-Programm (z. B. mit dem Programm "Statisch un-
bestimmte ebene Fachwerke", zu finden unter www.TM-interaktiv.de) berechne man die Stab-
kräfte des Fachwerks der Aufgabe 15.1 uJHer Annahme nachfolgender ZaWenwerte.
Gegeben: a = 0,5 LU F = IOkN
Weil das Fachwerk statisch unbestimmt ist, kann ein Stab entfernt werden, ohne dass die Tragfä-
higkeit eingebüßt wird.
Weil diese Normalspannungen bei reiner Biegung keine resultierende Kraftwirkung haben dür-
fen, müssen sie in einem Teil des Querschnitts positiv, im anderen Teil negativ sein:
Biegespannnngen sind NormalspallllUngen, die in jedem QuerSChnitt als Zug- und Druckspan-
nungen vorhanden sind.
Zur Berechnung der Spannungen im Querschnitt (und der Verformung des Trägers) genügen
diese Aussagen jedoch noch nicht. Sie werden durch eine Annahme ergänzt, die erstmals von
JACOB BERNOULLI (l654 - 1705) formulierte und nach ihm benannte
E~--------j =
[m Querschnitt wird nun ein Koordinatensystem so eingeführt,
dass Mb um die x-Achse drehl und die positive y-Achse zu der
Kante des Querschnitts zeigt, an der ein positives Biegemo-
ment eine Zugspannung erzeugt. Diese Festlegung entspricht
der Lage der Bezugsfaser, die bei der Einführung der Schnitt-
größen (Abschnitt 7. I, Seite 94) flir die Definition positiver
___xV
Biegemomente benutzt wurde. Y
Du
Da sich zwei benachbarte Querschnitte, die vor der Verfor-
mung parallel waren, entsprechend der Bernoulli-Hypothese
bei der Verformung nur als starre Ebenen (um die x-Achse) dre-
hen, ist die Dehnung der Längsfasern zwischen diesen Ebenen
über die Querschnittshöhe (in y-Richtung) linear veränderlich.
Mit dem Hookeschen Gesetz (Dehnungen verhalten sich wie Abbildung 16.2: Dehnung der
die Spannungen) folgt daraus, dass auch die Spannung über die Längsfasern bei der Biegeverfor·
Querschnittshöhe linear veränderlich ist. Für die Spannungs- mung
,-----fr;:)
veneilung im Querschnitt wird deshalb die Funktion
(Jb = CY
mit dem zunächst unbekannten "Anstieg c" angenommen. Die
Wirkung der so über den Querschnitt verteilten Spannung muss
dem Biegemoment Mb (Moment um die x-Achse) äquivalent
sein. Es darf sich weder eine resultierende Kraft noch ein re-
=-==-=-=-:=-=x="~A I" gb
sultierendes Moment um die y-Achse aus den Spannungen er- IY
geben, so dass die nachfolgend formulierten drei Äquivalenz- Abbildung 16.3: Die .,Krartwir-
bedingungen gelten müssen. kung" der Biegespannung
Am differenziell kleinen Flächenelement dA (Abbildung 16.3) hat die dort angreifende Bie-
gespannung (Jb die Kraftwirkung (JbdA, als Momentwirkung dieser differenziell kleinen Kraft
erhält man um die x-Achse y(JbdA und um die y-Achse x (JbdA.
j
YeJbdA=Mb =} cjidA=Mb =} c=J~b =Mb . (16.2)
Y dA I.n
A A A
Damit ist der Faktor c im Biegespannungsansatz bekannt, und man erhält die
Mb
Biegespannl<ngsjormel eJb= - Y (16.3)
1.",
mit dem Flächenträghe;lSInoment Ixx = ji dA ( 16.4)
A
Bei allen bisherigen Betrachtungen war stillschweigend vorausgesetzt worden. dass ein um die
Biegeachse x drehendes Biegemoment Mb nur Verformungen in einer Ebene senkrecht zur x-
Achse hervorruft. Tatsächlich ist dies nur der Fall. wenn die x-Achse eine Hauptzentralachse
218 16 Biegung
der Querschnittsfläche des Trägers ist, anderenfalls muss das Problem nach den Regeln der so
genannten schiefen Biegung (Abschnitt 19.1) gelöst werden.
Die wichtigsten Erkenntnisse aus den bisherigen Betrachtungen zur Biegetheorie werden nach-
folgend noch einmal zusammengestellI:
c:> Ein Biegemoment Mb, das um eine Biegeachse x dreht, die eine Hauptzentralachse des Trä-
gerquerschnitts ist, ruft im Querschnitt einc Bicgespannung hervor, dcren Verteilung über
die Querschnittsfläche nach 16.3 berechnet werden kann. Das nach 16.4 zu berechnende
Flächenträgheitsmoment Ixx ist (wegen des Quadrats bei y) stets positiv.
Die Koordinate y weist vom Schwerpunkt des Querschnitts in Richtung zur Bezugsfaser, mit
der das positive Bicgemoment definiert wird. Unter Beachtung dieser Vorschrift liefert 16.3
rur jeden Punkt des Querschnitts auch das korrekte Vorzeichen für die Biegespannung. Im
Schwerpunkt der Querschnillsfläche (y = 0) tritt keine Biegespannung auf (neutrale Faser).
c:> Die Biegespannung ist in einem Quer-
schnitt in y-Richtung linear veränderlich
und nimmt an den Rändern des Quer-
schnitts (in der Abbildung 16.4 bei y =
ej bzw. y = -ez) die größten Werte an,
lxx
Mit dem so genannten Widerstandsmoment Wx = - (16.7)
e max
Beispiel: I
I_ _ _ _ Für den SkiZZierten Träger mit mTTTTTTl qo ,
1""lllI!
Rechteckquerschnitt sind Ort und Größe der
maximalen Biegespannung zu ermitteln.
o h
I
Gcgeben: I = 30cm b = 10mm
l/2 -b-
qo=IOON/cm; h=15mm
Die Gültigkeit der Biegespannungsformel ist an die Erfüllung der Beziehung 16.6 geknüpft.
Ohne Rechnung ist klar, dass
16.1 Biegemomem und Biegespannung 219
b b
JxydA=O 2 2
A
- -- -
ist, weil zu jedem Flächenelement dA = dx·dy auf der positiven Ko- N
?!
"lliJ
ordinatenseite ein entsprechendes Element auf der negativen Koor-
dinatenseite vorhanden ist (Abbildung 16.5), so dass x und y Haupt- --~ "';,
t:'
zentralachsen sind. Diese Aussage gilt natürlich nicht nur für das
Rechteck: Symmetrieachsen sind immer Hauptzentralachsen. dxdy 'y
Für die Berechnung von lxx wird zweckmäßig ein Flächenelement Abbildung 16.5: Sym-
dA = b· dy (Abbildung 16.6) verwendet. so dass aus dem Integral metrieachsen sind immer
über die Fläche ein Integral über die Höhe wird: Hauptzentralachsen
h
2 3
bd:-~
Ixx = J i dA = J l b dy = b/;
A y=_~
Die maximalen Spannungen in diesem Querschnitt erhält man am oberen (y = - ~) bzw. unteren
(y = ~) Rand des Rechteckquerschnitts (Abbildung 16.7):
27Qol2h
ab ( y= -2h) = 32b!J32
N
= -169 mm2 ab
(")
y=
N
2 = 169 mm 2
Zur Ermittlung des Absolutwertes der maximalen Biegespannung würde die Kenntnis des Wi-
derstandsmomentes genügen, das sich mit dem maximalen Randfaserabstand e max = ~ tUr den
Rechteckquerschnitt zu maximale
Druckspannung
maximale
Zugspannung
ergibt. Damit erhält man natürlicb nur den Absolut- A
-:r
wcrt dcr maximalcn Biegcspannung:
3l/8
IMhlma, N
Iab IlIIax = - - - = 169 - - 2
W, mm
l/2 l/2
Im Regelfall ist diese Information völlig ausrei- Abbildung 16.7: Am Ort des absolut größten
chend. Biegemoments findet man die maximalen Bie-
gesparulungen
220 16 Biegung
16.2 Flächenträgheitsmomente
16.2.1 Definitionen
Zur Berechnung von Biegespaonungen und -verformungen werden die im Abschnitt 16.1 einge-
führten Kennwerte für die Querschnittsflächen benötigt. in die die Abstände der Flächenelemente
von einer Achse quadratisch eingehen. Für diese Flächenlllomente zweiten Grades (die fLjr die
Scbwerpunktberechnung benötigten statischen Momente siod Momente ersten Grades) wird üb-
licherweise der (nicht sehr glücklich gewählte) Begriff Flächellträgheitsmomente verwendet. der
sich wegen der formalen Übereinstimmung der mathematischen Ausdrücke mit den Massenträg-
heitsmomentcn der Kinctik durchgcsetzt hat.
lu = .I y2 dA
Axiale Flächelllrägheitsl1Iomellle:
.I x
A
2
111 = dA (16.9)
.I
A
Deviatiollsmomelll: I,>, = - xy dA
A
Man beachte, dass das Flächenträgheitsmoment Ix." das sich auf die .'-Acbse bezieht, mit dem
"Hebelarm" y definiert werden muss und dementsprechend I vl mit dem "Hebelarm" x definiert
ist. Die Vorstellung, dass die Flächenelemente an (quadratisch in die Rechnung einfließenden)
"Hebelarmen" wirken, ist durchaus gerechtfertigt. Die Produkte aus FlächeneJementen und die-
sen Hebelarmen kamen (Abschnitt 16.\) über die Momentwirkungen der Spannungen am Flä-
chenelement in die Rechnung hinein.
oe:> Die Werte für die axialen Flächenträgheitsmomente und das Deviationsmomcnt sind sowohl
von der Art der Fläche als auch von dem gewählten Bezugskoordinatensystem abhängig. Sie
haben die Dimension ,.Länge hoch 4", z. B.: cm4 •
c:> Für Flächen, die aus mehrcrcn Teilflächcn zusammengesetzt sind, gilt: Axiale Flächenträg-
heitsmomente, die sich auf gleicbe Achsen beziehen (bzw. Deviationsmomente, die sich auf
das gleiche Achsenpaar beziehen), dünen addiert werden.
oe:> Ix.< und Ili sind für beliebige Flächen und bei beliebigem Koordinatensystem stets positiv.
16.2 Flächenlrägheilsmomenle 221
oe:> /;:y kann positiv oder negativ werden. Es wird Null, wenn mindestens eine der beiden Koor-
dinatenachsen eine Symmetrieachse der Fläche ist, weil dann zu jedem Flächenelement dA
bei ",y ein entsprechendes mit einem negativen Produkt x· y existiert.
Das (recht willkürlichc, aber auch nicht weitcr störcnde) Minuszeichen in der Definition des
Deviationsmomentes ist üblich, weil dadurch die Transformationsformeln für die Drehung des
Koordinatensystems (Abschnitt 16.2.5) exakt den gleichen Aufbau haben wie die (im Kapitel 22
behandelten) Formeln ftir die Transformation der Spannungen des ebenen Spannungszustandes.
Ti
I
b
Beispiel:
I
'-_ _...... Ein rechtwinkliges Dreieck liegt mit seinen Seiten a und b
auf den Koordinatenachsen. 'x." Iyy und l')' sind zu berechnen.
Gegeben: a. b.
a
Für die Berechnung der axialen Flächenträgheitsmomente können die Flächenintegrale in einfa-
chc Integrale überführt wcrden, indcmjcweils ein strcifcnförmiges Flächenclement benutzt wird.
Dies ist erlaubt, weil alle Flächenanteile eines solchen Streifens am gleichen "Hebelarm" x bzw.
y hängen. Dabei wird das linke Streifen-Element (nachfolgende Skizze) für das Flächenträgheits-
moment bezüglich der x-Achse benutzl und das in der Mitte skizzierte bezüglich der y-Achse.
Für die Berechnung des Deviationsmomentes muss ein Doppelintegral gelöst werden, weil die
Lage eines jeden Flächenelemenles durch ein individuelles Wertepaar x,y bestimmt wird.
y y y
b b b
b- - dx Y=b(I-~)
dA= Y ady
b
dA = a-x bdx
a , dx
_ I
'dy
I
dy ~ ~dX;y
Y
-_ X Y:J I
a x a--x a
x
b
ab3
1;.1;= j i dA j i~(b-.Y)dY= 12
A y~O
a
a3 b
l,y = 2
j x dA j x2~(a-x)di= 12
A j'=O
/xy=-jXYdA
A
222 16 Biegung
Alle nachfolgend angegebenen Formeln bezieben sicb auf ein im Scbwerpunkt der jeweiJigen
Fläche liegcndes x-y-Koordinatensystcm.
IY
Rechteck:
I~V
S .. X
"" , ,
/5'-' bh 3 b3 h
I xx = - '",,=-
.. 12 l.,y=O
12
b
Kreis:
l,y = 0
al3 al3
Rechtwinkliges Dreieck:
ab 3
.0
1." = 36
a a3 b
lyy = 36
Kreissektor:
Kreisabschnitt:
6
lx.x = ~ (36a-9sin4a- 64sin a )
144 a-sinacosa
Man beachte: In den Formcln für dcn Kreisscktor lind den Kreisabschnitt ist a dcr halbe Öff-
nungswinkcl. Sclbstverständlich müssen dimensionslose Wertc für a (Bogenmaß) eingesetzt
werden.
16.2 Flächenlrägheilsmomenle 223
Das Integral des mittleren Summanden ist das statische Moment bezüglich einer Schwerpunkt-
achse und hat dementsprechend den Wert Null.
Auf gleichem Wege ergeben sich die Fomleln für die beiden anderen Trägheitsmomente. Nach
JACOB STEtNER (1796 - 1863) werden diese Umrechnungsformeln bezeichnet als
Steinerscher Satz:
(16.10)
Diese Formeln gelten nur unter der Voraussetzung, dass auf der rechten Seite die Flächenträg-
heitsmomente stehen, die sich auf ein Scbwerpunklkoordillalensystern beziehen, während
die Flächenträgheitsmomente auf der linken Seite fiir ein beliebiges (dazu parallel liegendes)
Koordinatensystem gelten.
Man beachte also: Die Steiner-Formeln dürfen nicht für die Umrechnung zwischen zwei
beliebigen parallelen Koordinatensystemen verwendet werden.
224 16 Biegung
Beispiel: I
I_....;_ _ Man ermittle mJl Hilfe der Formeln des Abschnitts 16.2.2 y
,
und den Formeln 4.12 bzw. 4.13 des Abschnitts 4.2 die Lage des
Schwerpunkts und die Flächenträgheitsmomente eines Halbkreises x
und zeige. dass sich die Formeln für die Flächenträgheitsmomente e
der Kreisfläche ergeben, wenn man diese aus zwei Halbkreisflächen i
(natlirlich unter Berücksichtigung der Steinersehen Anteile) zusam-
mensetzt.
Als Sonderfalle des Kreissektors oder des Kreisabschnitts mit halbem Öffnungswinkel a = ~
erhält man die Formeln für den Halbkreis:
I).".); =
9Jt: 2 - 64 4
r I xy = 0 e=-
4r (16.11)
72Jt: 3Jt:
Da das Koordinatensystem im Schwerpunkt der vollen Kreisfläche nur in y-Richlllng gegen-
über den Schwerpunktsystemen der beiden Halbkreisflächen parallel verschoben ist (also nur ein
Abstand zwischen den x-Acbsen vorliegt). muss bei der Emlittlung von I.c, der Steinersehe Satz
angewendet werden, während die I yy der beiden Halbkreisflächen einfach addiert werden können.
Man beachte, dass sieb die Koordinaten x und y rur den Kreis auf seinen Mittelpunkt beziehen
und nicht mit den Schwerpunktkoordinaten des Halbkreises der obigen Skizze libereinstimmen:
Ixx,K"i, -
_
2
[9Jt: -64 4
2
2 Jt:r ]
72Jt: r +e '"2
2
_
- 2
2
[9Jt: -64 4
72Jt: r +
(4r)2
3Jt: '"2
2
Jt:r ]
4
4
Jt:r
4
Jt:d
64
Für die Berechnung von Aufgaben nach der Biegetheorie werden die Flächenträgheitsmomente
benötigt, die sieb auf Achsen durch den Schwerpunkt der Querschnittsfläche bezieben. Wenn sich
die Querschnittsfläche aus mehreren Teilflächen zusammensetzt, muss zuerst der Gesamtschwer-
punkt der Fläche ermittelt werden.
Die axialen Flächenträghcitsmomcntc sind ein Maß rur dcn Wi-
derstand, den ein Querschnitt der Biegeverformung entgegen-
setzt. Da in die Steinersehen Formeln die Abstände der Flächen
von dcr Bezugsachse quadratisch eingehen, kann man mit rela-
tiv kleinen Querschnittsflächen grol.\e Flächenträgheitsmomente
erreichen, wenn Teilfl'ichen in möglichst großem Abstand von
der Bezugsachse (Achse durch den Schwerpunkt der Gesamt-
fläche) angeordnet werden (vorteilhaft sind Hohlquerschnitte, Abbildung 16.9: I-Profil llnd
I-Träger usw., Abbildung 16.9). Kasten·Profil
In die Formeln für die axialen Flächenträgheitsmomente (einschließlich der zugehörigen Steiner-
Formeln) geben jeweils I1lLf die Abstände in einer Richtung ein (in d.ie Ixx-Fonneln z. B. nur die
Abstände in y-Richtung).
16.2 Flächenträgheitsmomente 225
B B B
Y Y Y
Abbildung 16.10: Wenn b = b, +b2 ist. gilt flir alle drei Querschnine: {u = iJ (BH 3 - b/l3)
Deshalb ergeben sich für unterschiedliche Flächen. die aus gleichen Teilftächen zusammenge-
setzt sind und deren Teilftächenschwerpunkte die gleichen Abstände von der Bezugsachse haben,
die gleichen Werte für die Flächenträgheitsmomente für diese Bezugsachse. Diese Aussage kann
bei Änderungen einer Konstruktion nützlich sein und wird in Tabellenbüchern genutzt, um mit
einer Formel eine ganze Klasse von Querschnitten abzuhandeln. So erhält man z. B. für die drei
Qucrschnilte in der Abbildung 16,10 unter dcr Voraussetzung, dass b = bt + b2 ist, jeweils das
gleiche {xx' Natürlich haben diese drei Querschnilte unterschiedliche (r)', weil die Teilftächen zur
y-Achse unterschiedliche Abstände haben.
Die wichtige Aufgabe, die Flächenträgheitsll10mente einer Fläche zu bestimmen, die sich aus
mehreren Teilftächen zusammensetzt, für die die Flächenträgheitsmomente bekannt sind, soll
zunächst am einfachen Beispiel demonstriert werden:
I Beispiel: I
Für die beiden skiz-
zierten Flächen sind I.u , I yy und Y cj
Ixy zu berechnen, jeweils bezüg- ~
xs=O I f,
YS=-t...AiYi=-2I ( 5 2 19
3a -2a+2a a =-Oa 2) Ys
IY
Age.• i~ I 5a I x
226 16 Biegung
3aa
1.c,.=~+3a
J
2(3)2
ja
a8a
+~+2a
3
2(9TOa )2 =3,62a4
a27 a 3 2aa 3 4
1)')' = -1-2- + -12- = 2,42a Ix)' = 0 '
Die zweite zu behandelnde Fläche dieses Beispiels zeigt keine Symmetrie, so dass für beide
axialen Flächenträgheitsmomente der Steinersehe Satz angewendet werden muss (Abbildung
16.11),
2 3
Xs = ----;:-----,-,,---: ( - 63 a ( - -4 a)) = 0, 3422 a
16na 2 - @a 4
2 4 Abbildung 16.11: Fläche =
1 Kreis - ("Rechteck einschließ-
Ys = ---,------:-I-----;c,---: (- 63 a 2 ( - -4 a)) = 0, I 141 a lich Anteil aus Steinerschem
16na - @a2
4
2 4 Satz 16, 10")
Schließlich ergeben sich die Flächenträgheitsmomente aus der Subtraktion der Anteile von Kreis
und Rechteck, jeweils unter Berücksichtigung der Steiner-Anteile:
n(8a)4
I,,=~+I na Ys -
6 2-2 [4,5a(3,5a)3
12
63 (a _
+'4 a :\+YS
2 )2] = 183,55a4
_ n(8a)4
I)'y - ~ + I 6 na 202
Xs -
[3,5a(4,5a)3
12
63 2(3 a - )2]
+ '4 a :\ + Xs
_ 161 , 58 a4
-
2
Ixy = -16na (-.ts)(-Ys)- [- ~ a2 (-3~ - ts) (-~-YS)] 4,30a
4
Bei der Ermittlung des Deviationsmomentes wurde berücksichtigt. dass die beiden Teilflächen
Symmetrieachsen besitzen und deswegen nur Steiner-Anteile der Teilflächen das Deviationsmo-
ment der Gesamtfläche bilden.
16.2 Flächenträgheitsmomente 227
Die im Abschnitt 16.1 hergeleitete Biegespannungsformel 16.3 (Seite 217) gilt nur, wenn sich das
FlächenträgheitslUoment Ixx auf eine durch den Schwerpunkt des Querschnitts gehende x-Achse
bezieht und außerdem das Deviationsmoment Ix)' für das x-y-Koordinatcnsystem verschwindet.
Die zweite Bedingung ist immer dann erfüllt, wenn wenigstens eine der beiden Achsen (x oder
y) eine Symmetrieachse des Querschnitts ist. Aber auch für unsymmetrische Querschnitte exis-
tiert ein Achsenpaar, für das das Deviationsmoment verschwindet. In diesem Abschnitt wird das
Problem behandelt, die Richtungen dieser Achsen zu ermitteln.
I~~ = J'1 2
dA = sin cp
2
J 2
x dA +cos cp
2
Jl dA - 2sin cpcoscp J xydi\ = ...
A A A A
so erhält man nach einigen elementaren Umformungen die Formeln für die
Zu besonders wichtigen Aussagen führt die Beantwortung der Frage, für welche Winkel die
Flächenträgheitsmomente I~~ und /')1) extreme WeIte annehmen. Die Bedingungsgleichungen
dafür sind:
d I~~ dlry 1l =0
-=0 bzw.
dcp dcp
Beide liefern das gleiche Ergebnis:
• 2/A )'
ran2cp = - - -
lxx - lY).
228 16 Biegung
Da der Tangens des Winkels 2'P' im Bereich von 0 0 bis 360 0 auf zwei Winkel führt, die sich um
1800 unterschcidcn, erhält man rur den einfachen Winkel rp' zwei Lösungen, die sich um 90°
unterscheiden: Die Extremwerte der Flächenträgheitsmomente ergeben sich für zwei aufeinan-
der senkrecht stchcnde Richtungen. Die Frage, welcher der beiden Winkel zum Maximum und
welcher zum Minimum gehört, wird durch die zweite Ableitung entschieden. Diese Rechnung
führt auf die unten angcgebene Formel 16.14.
Durch Einsetzen der Bedingllngsgleichung für den Winkel 'P' in die allgemeinen Transforma-
tionsformeln für die Flächenträgheitsmomente 16.12 ergeben sich die Formeln 16.13 für das
maximale bzw. minimale Flächenträgheitsmomem und eine weitere wichtige Erkenntnis: Das
Deviationsmoment verschwindet für das durch rp' definierte Koordinatensystem, diese beiden
Koordinaten sind also auch die Hauptzentralachsen der Fläche.
Alle flir die Biegetheorie erforderlichen Kennwerte einer Fläche können errechnet wer-
den, wenn lxx, Iyy und Ix)' für ein beliebiges, im Scbwerpunkt der Fläcbe liegendes x-y-
Koordinatensystem bekannt sind:
Es existiert immer ein gegenüber dem x-y-Konrdinatensystem um den Winkel 'PI gedrehtes
Koordinatensystem mit den Achsen I und 2. für das das Deviationsmomem verschwindet
(I und 2 sind die Hauptzentralachsen der Fläche). Die Flächenträgheitsmomente bezüglich
dieser Achsen heißen Hauplfrägheitsmomenre:
c:> Der positive Drehsinn des Winkels 'PI ist durch die Koor-
dinaten x und y festgelegt (Abbildung 16.13). Ein positiver
Winkel wird linksdrehend an die x-Achse angetragen und
führt zur Achse I mit dem größten Flächenträgheitsmoment.
0::> Für Flächen mit mindestens einer Symmetrieachse kann x
man sich diese Berechnungen ersparen, da eine Symme-
trieachse und zwangsläufig auch die zu ihr senkrecht ver-
laufende Schwerpunktachse immer Hauptzentralachsen sind
und damit zu einer von beiden das größte, zur anderen
das kleinste aller Flächenträgheitsmomente bezüglich der
Schwerpunktachsen gehört. Abbildung 16.13: Winkel 'PI
16.2 Flächenlrägheilsmomenle 229
I
Beispiel: I
Für die skizzierte Fläche
ermittle man y
2
a) die Hauptträgheitsmomente,
tI
b) die Lage der Hauptzentralachsen. 00
1", x
Der Schwerpunkt der entsprechend
der Skizze aufgeteilten Fläche wird
/
, S 2
a 7
xs = _1_2 (sa 2 -2 +5a 2 -2 a) = 1,654a
13a
Die beiden Flächenträgheitsmomente I xx und Iyy , die sich auf das x-y-Koordinatensystem im
SChwerpunkt der Gesamtftäche beziehen. ergeben sich aus jeweilS vier Summanden (zwei Recht-
ecke, jeweils unter Berücksichtigung der Steiner-Anteile). Das Deviationsmoment Ix} resultiert
ausschließlich aus den Steiner-Anteilen, da die Rechtecke bezüglich ihres eigenen Schwerpunkt-
Koordinatensystems (Symmetrieachscn) keine Deviationsmomcnte haben:
a(8a)3 2 _ 2 5aa3 2 (_ a)2
1.« = -1-2- +Sa (4a-ys) + ~ + 5a Ys - '2 = SO, 78a 4
))
8aa 3
1.,= - - +8a
12 2
- - +5a2(7-a-xs
2(_Xs--a)2 +a(5a)3
12
_)2 =3S 78a4
2 '
Aus diesen Werten errechnen sich die beiden Hauptträgheitsmomente nach 16.13 und der Lage-
winkel flir das Hauptachsensystem (vgl. Skizze oben rechts) nach 16.14:
11=9S,3Ia4 h=21,24a4
tan CPI = 0,5427 =? CPI = 28,49°
<> Für eine L-fönnige Fläche mit gleichen Schenkcllängen ist das Hauptachsensystcm um 45°
gegenüber dem x-y-System gedreht. Obwohl man für eine solche Fläche aus der Anschau-
ung sofort dic Lage der Hauptachsen kennt (Symmetrie), ist zur Ermittlung von 11 und 12
trotzdcm einc Rechnung wie bci dem geradc gelÖsten Beispicl crforderlich.
230 16 Biegung
Eine in der Praxis sehr häufig vorkommende Aufgabe ist die Ermilliung der Trägheitsmomente
einer Fläche, die sich aus Teilflächen zusammensetzt, deren Schwerpunkte und Trägheitsmomen-
te bekannt sind. Dafür wird folgendes Vorgehen empfohlen:
LI L2 L3 L4 L5 Li,
i Xj-XS y;- YS A;(x; -xs)2 A;(y; - YS)2 -A;(x; -xs)(y; - Ys)
L7 L8 L9
Die A; sind die einzelnen Teill1ächen (negativ für Ausschnittflächen), x; und y; die Schwer-
punktkoordinaten der Teilflächen, bezogen auf das globale Koordinatensystem. lxix;, I)';)';
und I,;)'; sind die Flächenträgheitsmomente der Teilflächen (negaliv für Ausschnille), bezo-
gen jeweils auf das zugehörige lokale Koordinatensystem der Teilfläche.
@ Nur der schallierte innere Teil der Tabelle hat einen unmittelbaren Bezug zur aktuellen Auf-
gabe (..Eingabewerte" der Rechnung), die Ermittlung der übrigen Werte folgt einem formalen
Algorithmus, der dureh die Angaben im Tabellenkopf, die Summenbildlll1g in den angegebe-
nen Spalten und die folgenden Formeln bestimmt wird.
16.2 Flächenträgheitsmomente 231
@ Zunächst muss der obere Teil der Tabelle ergänzt werden. Schwerpunkt-Koordinaten:
um die Schwerpunktkoordinaten der Gesamtfläche, bezo-
gen auf das globale Koordinatensystem. nach nebenste- xs = L5 YS = L6
henden Fonnein berechnen zu können. LI LI
CD Berechnung der Flächenträgheitsmomente der Gesamtfläche, bezogen auf das x-y-Koordina-
tcnsystem, das (parallcl zu x.y) im Schwerpunkt dcr Gcsamtfläche liegt:
~=L+~ ~=L+L ~=~+~
I_
BeispielJ: I
_ _ _.... F"ur d'Je s k"lZZICrlC FI"ac hc S1l1
. d d'JC Haupttrag
.. hcllsmo-
. 4 6
,
,,
mente und die Lage der Hauptzentralachsen zu ermitteln
M
Hinweis: Die in der Sk.izze eingeu'agenen Längen sollen die Di-
mension mm haben. Bei der Tabellenrechnung werden die Maß-
einheiten mm, mm 2 , 111m 3 und mm4 weggelassen.
Für die in der unteren Skizze angegebene Einteilung der Fläche
in zwei Rechtecke mit der Kreisfläche als Fehlfläche (Fläche und
M
,
I
i Xi-XS Yi-YS Ai(Xi - XS)2 Ai(Yi - YS)2 -Ai (Xi -XS)(Yi - YS)
1 -2,863 0,511 360,7 11,49 64,37
2 2,137 -0,989 219,2 46,96 101,45
3 -1,863 -1,989 -43,6 -49,72 46,57
1:7 = 536,2 1:s = 8,73 1:9 = 212,4
Mit diesen Werten bcrcchnelman dic Flächcnträgheitsmomcntc dcr Gcsamlflächc bczüglich dcs
x-y-Koordinatensyslems, das (parallel zu x,y) im Schwerpunkt der Gesamtfläche liegt:
"
2
7
5.5 443,67
• 2S6
58,7
'44 '"
336
242
192
3 -12,57 3 3 .12,566 -12,57 .37,699
Damit ergeben sich die Hauptträgheitsmo- -37,699
4 0 0
mente (bezüglich der Hauptachsen I und 2): 5 0 0
6 0 0
{xx + {yy (fxx - lyy )2 2 7 0 0
1,2=--2-± 4 +I,y 79,04 687,1 100,13 0 386.3 396,301
=} 1, = 9241lun
4
h=498mm4
I
x"
t
~
.~
"I> "I>
I>
"i
I>
"i
I>~
~.~
.1>
>,10"
Den Winkel zwischen dcr x-Achse und dcr
Hauptachse I berechnet man folgendermaßen:
:; ~ "' .
1 .~86J 0,5109 360.1D6 11,486 64,366 Xs. ~86319
Beispiel
I_ _ _ _...I I
2: F"ur d'Je S k"IZzlcrte FI"ac he sm
. d d'Je Kocrd'Inaten des
a 3a
Bei der Einteilung der Fläche entsprechend Abbildung 16.16 in zwei Rechteckfiächen, eine
Dreiecksfiäche und eine Halbkreisftäche (als Fehlftäche) sind für die ersten drei Tcilftächen die
Koordinaten der Schwerpunkte sofort anzugeben.
_ ( 4J2)
Y4 = 3n a
5-
Für das im Halbkreis eingetragene x* -y* -Koordinatensystem (für diese Teilfiäche die Hauptzen-
tralachsen) sind die Flächcoträghcitsmomeote als Fonneln 16.1 I im Abschnitt 16.2.3 bereits
bereitgestellt worden (die Drehung des Koordinatensystems um 1800 ist prinzipiell für die Flä-
chen trägheitsmomente bedeu tungslos):
2
9Jr -64 6 4
I x• x" = 1 a
72Jr
Die Beziehungen für die Drehung des Bezugskoordinatensystems 16.12 im Abschnitt 16.2.5
transformieren mit cp = 45° und damit cos2cp = 0 und sin2cp = 1 die Flächenträgheitsmomente
aus dem x*-y*-System in ein ~-1]-System (hier mit dem X4-Y4-System identisch):
Aber es geht natürlich noch wesentlich bequemer. Neben der Möglichkeit, ein Tabellenkalku-
lationsprogramm (zur Auswertung des mathematischen Modells der Fläche) zu nulzen, ist die
Berechnung von Flächenträgheitsmomenten ein geeigneter Kandidat für die Benutzung eines
"WYSIWYG-Programms"!, wie man es mit dem Script "Flächenträgheitsmomente - Online-
Berechnung" unler www.TM-interaktiv.de findet.
I Zu diesem Begriff vgl. auch die Erläuterungen auf Seite 2' 3
234 16 Biegung
Abbildung 16.17: Besonders komfortabel: Der Benutzer beschreibt die Fläche. und die Software zeichnet
und berechnet alle interessierenden Parameler
Die Abbildung 16.17 zeigt das Ergebnis fur das Beispiel 2, das man auf diesem Wege ohne die
auf der Seite 233 angestellten Überlegungen erhält.
Und da ist sie natürlich schon wieder, die Frage: "Und warum muss icb das alles Jemen,
wenn es mit der verfügbaren Software so einfach ist?"
Zum ersten Mal wurde diese Frage auf der Seite 46 beantwortet. Alles, was dort zu lesen ist,
gilt auch hier.
Für das Thcma "Flächenträghcitsmomcntc" kommt noch cin wichtigcs Argumcnt hinzu: Dic
Biegebeanspnlchung von Trägern ist wohl das häufigste (und besonders kritische) Problem
in der Festigkeitslehre. Dic Flächenträgheitsmomente bilden die Grundlagc für die Beurtci-
lung der Tragfähigkeit, und man sollte unbedingt ein Gefühl dafür entwickeln, wie man ihre
Größe beeinllussen kann. Das gelingt nur durch das Berechnen von möglichst vielen Bei-
spielen, denn die Größe eines Parameters mit der merkwürdigen Dimension cm4 entzieht
sich zunächst ganz sicher der Vorstellungskraft.
Noch viel weniger kann man sich unter dcm Deviationsmoment l,y vorstellen. Zunächst ge-
nügt es, ein Ixy # 0 als "Spielverderber" anzusehen: Es bedeutet, dass die Biegespannungsfor-
mel 16.3 (Seite 217) nicht verwendet werden darf. Deshalb kommt den Hauptzentralachsen
eine besondere Bedeutung zu, und als Test, ob man schon ein "Gefühl" für das gesamte The-
ma ,.Flächenträgheitsmomente" hat, kann empfohlen werden: Vor der Berechnung eines Bei-
spiels (ob ,.von Hand" oder mit Software-Unterstützung) sollte man versuchen abzuschätzen,
welche Lage die Hauptzentralachse I für diese Fläche haben wird.
16.2 Flächenlrägheilsmomenle 235
Für Querschnine. die sich nur mir Schwierigkeiten oder gar nicht in
Standardqucrschnine zerlegen lassen (diese Zerlcgung war Voraus-
setzung f1ir die Beispiele im Abschnill 16.2.6), liefert in jedem Fall
das nachfolgend beschriebene Velfahren eine Lösung, zumindest ei-
ne ausgezeichnete Näherungslösung. Behandelt wird eine Fläche,
deren Außenkontur und (beliebig viele) Innenkonturen (Ausschnit-
te) sich durch Polygon züge beschreiben lassen (Abbildung 16.18).
ZWlächst wird ein einzelnes Geradenstück der Außenkontur betrach-
tet (Abbildung 16.19); Die Gerade I - 2 schließt mit den Koordi-
natenachsen Flächen (Trapeze) ein, die durch Integrale ausgedrückt Abbildung 16.18: Durch
und wie foJglmjt Vorzeichen behaftet werden; Polygonzüge begrenzte
X2 Y2 Fläche mit Ausschnitt
Dieses bereits im Abschnitt 4.5.1 für die Berechnung von Flächenschwerpunkten genutzte Ver-
fahren wird nun auf die statischen Momente und Flächenträgheitsmomente erweitert.
Die starischen Momenre der Trapeze setzen sich aus den statischen Momenten unendlich vieler
unendlich schmaler Rechtecke zusammen, für das statische Moment bezüglich der i-Achse sind
i,
dies z. B. Rechtecke ydi mit dem SChwerpunkt bei ~;
y2 j'" i 2
ß5i = - j2 di My = 2 dy
il SI
Bei den axialen Flächenrrägheirsmomell/en ist zu beachten, dass das unendlich schmale Recht-
eck Yd.f mit dem Schwerpunkt bei ~ z. B. bezüglich der i-Achse einschließlich eines Steiner-
Anteils aufzuschreiben ist;
M--=-j
xx
"'[3Y12di+(~)
2'
2] "'f
ydi =-j~di
3 ;)
h~
ßh=j~dY-
3
.i:] j'1 5'1
Dementsprechend ist für das Deviationsmoment für ein unendlich schmales Rechteck nur der
Steiner-Antei I zu beachten, dessen negatives Vorzeichen nach 16.10 für das Trapez unter der
Geraden I - 2 das positive Vorzeichen vor dem Integral erzeugt:
236 16 Biegung
Zur Auswertung der Integrale wird dic Gcradcngleichung benötigt, als Zwei-Punkte-Gleichung
wahlweise nach x oder Y aufgelöst:
_ X2 - XI (_
x = -_--_- Y - YI
_)
+XI
• . h-Y,( .
Y = -.--.- X-XI
. )+.YI
Y2 -YI X2 ~Xl
Die Auswertung der Integrale ist nicht schwierig (aber mühsam). Durch Summation über alle
Geradenstlicke, die einen geschlossenen Polygonzug bilden müssen, erhält man die
I
5" = 6 E (y; + Y;+I) (Y;+I x; - y;X,+I)
,
I
Sy= 6 E(X;+Xi+I)(Yi+IX;-Y;X;+I)
,
(16.15)
<> Ein geschlossener Polygonzug aus n Geradenstücken mit 11 Eckpunkten wird in den For-
meln 16.15 durch 11 + 1 Punkte dargestellt, indem der Startpunkt als Endpunkt noch einmal
verwendet wird. Dabei sind die Punkte entgegen dem Uhrzeigersinn abzuarbeiten.
oe;> Innenkonturen (Ausschnitte) sind im Uhrzeigersinn abzuarbeiten. Da bei formaler Anwen-
dung der Formeln auch das Geradenstück zwischen dem letzten Punkt der Außenkontur und
dcm ersten Punkt der lnncnkontur eincn Anteil liefert und damit die Rechnung verfälschen
würde. muss entweder die Innenkonlur gesondert behandelt werden, oder man hält sich an
folgende einfache Regel (ein zweimal in unterschiedlichen RichtlLl1gen durchlaufendes Ge-
radenstück liefert zwei gleiche Anteile, die sich aufheben):
16.2 Flächenlrägheilsmomenle 237
Die Außenkontur wird. beginnend mit einem beliebigen Punkt, entgegen dem Uhrzeigersinn
durchlaufen. Vom Endpunkt (gleich Startpunkt) geht man zu einem beliebigen Punkt einer
Tnnenkontur, die dann im Uhrzeigersinn durchlaufen wird, vom Endpunkt (gleich Startpunkt)
der Innenkontur eventuell zu weiteren Innenkonturen (sämtlich im Uhrzeigersinn zu durch-
laufen). Nach Durchlaufen der letzten Innenkontur geht man über die Verbindungslinien der
einzelnen Konturen bis zum Startpunkt der Außenkontur zurück. Die Summen in den Formeln
16.15 erstrecken sich über alle auf diesem Weg berühllen Punkte.
I
I Beispiel: F"ur d'Je nebenste hen d Sk"JZZlerte FI"ac Ile lTI.lt
. emer
. A LI Be 11- Vj h
4
.~
kontur mit 6 Punkten und einer Tnnenkontur (Ausschnitt) mit 4 Punk-
ten erstrecken sich die Summen in den Fonnein 16.15 über insgesamt
:11~8tt2J ;
13 Summanden. Dabei könnten die Knotenkoordinaten z. B. in fol- , I~ 9 2
gender Reihenfolge berücksichtigt werden:
Für viele krummlinig bcrandetc Flächcn, dic nicht durch mathcmatischc Funktioncn beschrieben
werden können, ist die Annäherung durch Polygone häufig die einzige Möglichkeit, um die Flä-
chenkennwerte zu ermitteln. Der nachfolgende Bildschirm-Schnappschuss zeigt die Berechnung
der Flächenkennwerte für eine Turbinenschaufel, deren Kontur als Polygon mit insgesamt 43
Punkten gcnähert wurde (siche www.TM-aktuell.de):
Polygon (Teilfläche). Punkte: (11 ; 0). (15 ; 2). (20 ; 4.5). (25; 6), (30
Gesamtfläche: A = 2866.25
Statisches tr.4omenl um x: Sx = 80421.7
Statischr:s tr.4omr:nl um y: Sy :;: 119813
Sch~,punld-Koordina1r:n: xS = 41.8224
yS " 28.0582
Flächenträgheitsmomenle. bezogen txxS = "'13540
auf Schwerpunlct3chscn tyyS "1 ,16491:f006
(parallel zu x und y) IxyS :: -701937.9
:::::::: Hauptträ"ghr:itsmomentr: und Hauptzr:ntralachsen ::::::::
Oie Haupthägheilsmomenle Imax und Imin beziehen sich
auf die (dUfch den Schwerpunkt verlaufenden und
senkrecht aufeinander sIehenden)
Hauplzentralachsen: Imax :: 1.76904et006
Imin :: 409397
Winkel zwischen x-Achse und
Achse von Imax: PHII'I : -86.8357
Fertig NUM
238 16 Biegung
Zur Erinnenmg: Die Biegeochse ist die Achse in dcr Querschnittsfläche, um die das Bicgemo-
ment Mb dreht Sie steht senkrecht auf der Las/ebene, in der die Wirkungslinien aller Kräfte
liegen. Nur wenn die Biegeachse x eine Hauptzentralachse der Querschnittsfläche ist, gilt die
einfache Bicgespannungsformel
Auf diese wichtige Einschränkung soll mit dem nachfolgenden Beispiel noch einmal aufmerk-
sam gemacht werden.
I
~
l
I_"";_ 1: E'In T rager
Beispiel_...1 -- . D rClCC
mll . ksquerscI
11lltt" ''''
Ist eInseItig eingespannt un d 2
~ ~
nur durch sein Eigengewicht belastet (in den Skizzen durch die konstante Li- ~ d
nienlast angedcutet). Für den nebenstehend skizzierten Querschnitt (gleich-
schenkliges rechtwinkliges Dreieck) sind die Achsen I und 2 die Hauptzen- /:ft" ,
tralachsen (I i t Symmetrieachse) mit den Hauptträgheitsmomenten - a
- I
a4 a4
1) = - 12=-
24 72
0) In der ersten Einbauvariante wird der Träger um die
Achse des kleinsten Flächenträgheitsll10ments gebo-
,l,
gcn, und in dic Bicgcspannungsfomlcl ist cinzusctzcn: ~ ,.;
04 /'
x ,y ,y
lxx = 72
x~
gen, und in dje Biegespannungsformel ist einzusetzen:
04
T.u = 24 I
x 'y
c) In der letzten Einbauvariante ist die x-Achse, um die
das Biegemoment Mb infolge der Belastung in der Last-
ebene y-z dreht. keine Hauptzentralachse, und es gilt: , I
a4 a4 .
Ixx = Iyy = 36 und I,y = -72' (vgl. Abschmtt 16.2.2). "I',....
Deshalb darf die einfache Biegespanßungsformei ,
nicht verwendet werden. Die Biegespannungen müs-
sen nach den (im Abschnitt 19.1 behandelten) Regeln
,y
der schiefen Biegung berechnet werden.
Es soll aber schon hier erwähnt werden. dass sich der Träger (im Unterschied zu den Einbauvari-
anten 0 und b) bei der Einbauvariante c nicht nur in der Belastllngsebene verformt, sondern auch
in x-Richtung ausweicht.
16.3 Gültigkeil der Biegespannungsformel, Widerslandsmomenle, Beispiele 239
Die absolut größte Biegespallllullg in einem Querschnitt tritt in dem Punkt auf. der den absolut
größten Abstand e",,,x von der Biegeachse hat. Das als Quotient des zugehörigen Flächenträg-
heitsmoments 1 und des Abstands e",,,, definierte Widerstandsmome11f W kann genutzt werden.
um die absolul größte Biegespannung 100bill/lJX im Querschnitt zu berechnen:
1
W=-
e max
Die Biegeachse muss dabei natürlich eine der beiden Hauptzentralachsen des Querschnitts
sein: Widerstandsmomellfe bezieheIl sich immer auf Hauptzelltralachsen. Im allgemeinen Fall
gehören zu einem Querschnitt also zwei Widerstandsmomente.
'~
~
Rechteck: . x x
~ / - //
Kreis:
(16. I8) b d
Das Widerstandsmoment W einer QuerschnittsOäche ist ein Maß für die Festigkeit des Quer-
schllius gegenüber einer Biegebelastung. das Flächenträgheitsmoment ist ein Maß für die Stei-
figkeit (gcgen Verfonnung). Widerstandsmomente haben die Dimension "Uingc hoch 3", z. B.:
cm 3 Weil sie als Quotient und nur für die Biegung um Hauptzentralachsen definiert sind. gilt
bei QuerschnittsOächen, die sich aus mehreren TeilOächen zusammensetzen. gegenüber den Flä-
chenträgheitsmomenten folgender wichtiger Unterschied:
240 16 Biegung
I .
I Beispiel 2: , Es Ist das Widerstandsmomel1l der skizzierten Kreis-
ringnäche zu ermiucln.
Da fLir die Dimensionierung auf Fes/igkeit die maximale Spannung maßgebend ist, muss für
jeden Querschnitt eines Biegeträgers die Beziehung
IMbl
lablmax=w:sa,al (16.19)
erfüllt sein. Bei Biegeträgern mit konstantem Querschnitt bestimmt das maximale Biegemo-
ment den gefährdeten Querschnitt, für den dann zweckmäßig zunächst das erforderliche Wi-
derstandsmoment nach
Wer! = 1Mb I""" (16.20)
(J:;ul
Für Materialien mit unterschiedlichen ertragbaren Spannungen im Zug- und Druckbereich sind
natürlich dann, wenn der Querschnill nicht symmetrisch zur Biegeachse ist, gesonderte Betrach-
tungen für die gezogene bzw. die gedrückte Faser des Biegeträgers anzustellen.
I
Beispiel 3:
I_ _ _ _.... EIn BIegeträger Ist aus emern
Flachstahl mit Rechteckquerschnill (Breite Flachstahl
l00mmx IOmm
100 mm, Höhe 10 mm) und einem Normpro-
fil T50 (DJN EN 10055, früher: DlN L024,
Querschnillswerte siehe Abbildung 16.20)
zusammengeschweißt. Es ist das für den skiz-
zicrten Bclastungsfall maßgcbliche Widcr- 7
/y' ?i
standsmoment zu ermitteln.
YIY
Der Schwerpunkt der zusammengesetzten Fläche liegt auf der Sym- x
metrielinie. Seine Lage in vertikaler Richtung wird im gewählten i-y- i J
Koordinatensystem (nebenstehende Skizze) aufgeschrieben:
I
16.3 Gültigkeil der Biegespannungsformel, Widerslandsmomenle, Beispiele 241
Jl'
;>
b h A ex lxx W, I" Wy
cm 2
/1
/, mm mm cm cm 4 cm 3 cm 4 cm 3
x / x ..:
H' ' 50 50 5,66 1,39 12,1 3,36 6,06 2,42
"', I
;>
Abbildung 16.20: Querschnittswerte rur Normprofil TSO
- b
-
I _
YS = 1000+566 (1000,) -566, 13,9) mm = -1,831 mm
Da bei dem skizzierten Lastfall die x-Aehsc (Schwerpunkt-Achse der Gesamtftäche) die Biege-
achse ist, muss vor der Ermittlung des Widerstandsmoments das Flächenträgheitsmoment Ixx der
Gesamtftäche bercchnet werden:
Dcn größten Abstand zum Schwerpunkt hat dic untere RandfaseL Mit
Beispiel 4: I
I_ _ _ _.... Em Träger mit Quadratquersehllltt bei Imear F
veränderlicher Kantenlänge ist nur durch eine Kraft F be-
I
lastet. Man ermittle in Abhängigkeit von F, I und ao Ort f
und Größe der maximalen Biegespannung für ~------.l tl,
(11 01 G]
a) - = 2; b) - = 1,25; c) - = I
ao ao ao
Das Biegemoment (nebenstehende Skizze)
Mll(Z) = -Fz
ist linear veränderlich und hat an der Einspannung seinen absolut größten Wert,
Da auch die Querschnittsabmessungen und damit das Widerstandsmoment z
a (z)
3
Z
W(z)=-6- mit a(z)=ao+(a,-ao),
von der Koordinatc z abhängen, muss die größtc Bicgespannung durch cinc Extremwertbctrach-
tung gewonnen werden, Nach 16,8 ergibt sich der Betrag der Spannung in Abhängigkeit von z
zu
lab(z)1 = 6Fz = 6Fz
a3(z) [aO+(al -ao),Z]3
Zw' Ermittlung des relativen Extremwel1S dieser Funktion wird die Nullstelle ihrer Ableitung
nach z bestimmt. Aus
242 16 Biegung
dGb = 0 a, - ao - 3 al - Go - 0
ao+---Z- ---Z=
dz I I
erhält man deo Orl des relativen Exlremwerts der Spannungsfunktion:
_ aal I
Z= = ::-;-,;:----:-c
2(a,-ao) 2(~-I)
Bei der Auswertung ist zu beachten, dass die SpauJllIngsfunktion für beliebige z definiert ist. aber
für die Aufgabe nur Lösungen im Bereich 0 :; Z :; I gesucht sind.
_ I
a) ~=2 Z= 2
ao
b) Formal ergibt sich mit
~=125=~
(10' 4
'* z=21
ein Wert für den Ort des relativen Extremwerts, der außerhalb des interessierenden Bereichs
liegt, also muss der maximale Wert an einer Bereichsgrenze liegen. Da bei Z = 0 das Biege-
moment (und damit die Spannung) Null ist, liegt der Extremwert bei Z = I:
384 FI
Gb.""" = Gb{l) = T?5 3
- °0
c) Für den konstanten Querschnitt versagt die Formel für Z (eine lineare Funktion hat keinen
relativen Extremwert). Auch hier ergibt sich die maximale Spannung bei Z = I:
6FI
CJb.max: = (Jb(l) = -3-
ao
Beispiel 5: I
I_ _ _ _.... Ern an den Enden gestützter Träger
mit konstantem Querschnitt ist nur dtJIch sein Ei- l
gengewicht belastet. Welche Länge 1 darf er ma-
ximal haben, ohne dass die zulässige Spannung
2
G,,,I = 240N/mm überschritten wird bei 2
a) einem Träger 1200 nach DIN EN 10024 (frü-
her: DIN 1025-1, Querschnittswerte siehe Ab·
bildung 16.21) in der Einbauvariante CD,
b) dem gleichen Träger in der Einbauvariante @,
a Ä a
c) einem Rundstab @ aus dem gleichen Material l
und gleicher Masse pro Länge?
d) Wie lang können die Träger in den FäJlen a, bund c sein, wenn sie nicht an den Enden,
sondern im günstigsten Abstand a von den Enden symmetrisch gelagert werden?
Die konstante Linienlast wird aus dem Gewicht pro Länge ernlitlelt:
ka m N
qa = 26,2~ ·9,81- = 257-
m 52 III
16.3 Gültigkeil der Biegespannungsformel, Widerslandsmomenle, Beispiele 243
I
;»· X I
b h A G 'xx w, 'yv WI'
mm mm cm-0 kg/m cm4 em 3 cm4 em 3
, ~
90 200 33,4 26,2 2140 214 117 26,0
,
Abbildung 16.21: Quersehnittswene flir Normprofil 1200
Die Lager nehmen jeweils die halbe Gewichtskraft auf, das größte Biegemoment wirkt in Trä-
genuitte:
Bei konstantem Querschnitt ergibt sieh don auch die größte Spannung, und es muss gelten:
I 0
Mb,,,,,u = gqOI- = <J,,,,W
Dies wird nach I umgestellt. Mit der zulässigcn Spannung erhält man die maximal mögliche
Stützweite:
'mox =,
Bei der EiJlbauvariante <D ist die x-Achse die Biegeachse, bei der EiJJbauvariante @ ist es die
y-Achse. Die Widerstandsmomente Wx bzw. Wy können aus der Abbildung 16.21 entnommen
werden:
8 .240~ ·21400ümm 3
a) 'max.lJ) = onon , = 39 98m
O.257~ ,
11ml
b) Imox,r:J> = 13,94m
c) Ein Rundstab aus gleichem Material bei gleicher Masse pro Länge muss die gleiche Quer-
schnittsftäche wie der Träger 1200 haben. Damit ist sein Durchmesser bekannt:
d = 6,521 cm
Das Widerstandsmoment errechnet sich nach 16. I8, und man erhält die Stülzweite:
8 <J,,,, nd 3 240·n·6521 3
qo·32 0,257'~ mm=14.26m
Die drei Ergebnisse verdeutlichen den erheblichen Einfluss des Widerstandsmomems einer Quer-
schnitlsfläche. Obwohl die Querschnittsftächen gleich sind (gleiches Gesamt-Gewicht der Kon-
struktionen), weichen die möglichen Stütz längen erheblich voneinander ab.
244 16 Biegung
Mb,M = ~ qol ( ~ - a)
Der Betrag des Biegemoments am Lager verringert sich mit kleiner werdendem a, der Betrag
des Biegemoments in der Trägermitte wird dabei größer. Der günstigste Fall tritt also bei
gleichen Beträgen der beiden Biegemomcnte ein. Damit ist die Bestimmungsgleichung für
wesen Fall gegeben. Aus der Forderung
eO'echnet sich dcr Betrag des größten Biegemoments, das an den Lagern und in der Träger-
mitte auftritt:
I -2 3 - 2J2 2
IMbl",ax = 2' qOa = 8 qol
Wird dieses Moment in die Formel zur Ermittlung der Stützlängen I",ax für die Einbauvarian-
ten CD, ® und @ eingesetzt, so ergeben sich folgende Stützlängen:
Die errechneten Längen sind für den Fall d deutlich größer als bei Lagerung an den Trägeren-
den: Durch eine optimale Lagerung kann die Beanspruchung des Materials erheblich verringert
werden.
16.3 Gültigkeil der Biegespannungsformel, Widerslandsmomente, Beispiele 245
Beispiel 6: I
I_"";_ _...1 Ein Träger 1400 mit einem Widerstands-
a
2
a
2
Da der Träger nur durch Einzelkräfte belastet ist, ergibt sich ein stückweise linearer Biegemo-
mentenverlauf mit jeweils einem Knick unter den Kräften ~. Damit kann das größte Biegemo-
ment nttr an einer dieser beiden Stellen auftreten. Seine Größe ist von der Stellung der Laufkatze
abhängig. Zur Ermittlung der ungünstigsten Laststellung werden die Lagerkräfte und die Biege-
momente an den Stellen Q) und ® in Abhängigkeit von Z ermittelt. Die Ergebnisse sind:
F F
-(2l-2Z-a)
21
rs = 21 (2Ha)
F
-(2lz-2Z2 - a z)
21
F
MM! = FB(l-z-a) - (2lz+al-2Z 2 - 3az - a 2 )
2l
Eine Extremwertbetrachtung für die beiden Funktionen M b.UJ und Mb.flJ liefert:
_ 1 a
M b.UJ wird maximal für 21 - 4z - a = 0 =} ZI = - - -
2 4
1 3a
Mb,flJ wird maximal für 2/-4z - 3a = 0 =} Z2 = 2: - 4
Die Abbildung 16.23 zeigt die berechneten LaststeIlun- a
__LJ__
gen, bei denen das eine bzw. andere Moment am größten 4
wird. Durch Einsetzen der Werte ZI in Mb.UJ bzw. Z2 in
Mb,1Z werden diese MaximalweI1e berechnet. Sie sind er- I
waI1ungsgemäß gleich groß (symmetrisches Problem): 2
M b.max,tJ) -M
- b,max,('J) -
F
- -
2/
(t22
- - al
-
2
a
+ -8
2
)
2· 160..li.,. . 1460· J0 3 mm 3
F,r/ax = mm- 2 = 10lkN
(5-0,4+08~ )·103 mm
246 16 Biegung
16.4 Aufgaben
a) Man ermittle den erforderlichen Durchmesser da!, so dass eine zulässige Spannung er,ul =
ISO N/mm 2 nicht überschritten wird.
b) Welche prozentuale Materialeinsparung ergibt sich beim Ersetzen des Kreisquerschnitts durch
einen Kreisringquerschnitt mit ~ = 0,8 (Innenciurchmesscr/Außendurchmesser)?
I
I
Allfgabe 16.2:
I Für den Biegeträger mit Quadratquer-
schnitt wähle man die Kantenabmessung so, class bei Be-
lastung durch die Kraft F die zulässige SpaJUlUng er,u' nicht =F=======;;;c====='7.
überschritten wird. Anschließend cnnittle man die tatsäch- 1/2 A l/2 ~
lich vorhandene Maximalspannung, wenn zusätzlich das
Eigengewicht des Trägers (Dichte p) berücksichtigt wird.
Gegeben: I = Im F = I kN er,u' = 2ooN/mm 2 p = 7. 85g/cm 3
I Aufgabe 16.3: I
Ein so gcnannter Träger gleicher Fes-
!F h(z)
'--------+----I~
ligkeil ist so dimensioniel1, dass in jedem Querschnitt
die gleiche maximale Spannung er",,,, auftritt. Ein Krag-
träger mit Rechtcckqucrschnitt (konstantc Breite b) soll z
durch eine veränderliche Höhe h(z) zum Träger gleicher
Biegefestigkeit werden.
Gegeben: F, b, (JmlL'C0 Gesucht: h(z).
I Aufgabe 16.4: I
Aus einem kreisrunden Baumstamm mit dem Durchmesser D ist ein Balken
mit einem Recbteckquerschnitt h· b so auszuschneiden, dass dieser ein möglichst großes Wider-
standsmoment hat. Man ermittle hund b in Abhängigkeit von D.
Aufgabe 16.5: I
I_ _ _ _ _..... Für den skizzierten Biege-
träger ermittle man
a) Ort und Größe des absolut größten Bie-
gemomcnts IMbl max •
a a 2a
b) die erforderliche Breite b fLir einen
Rechteckquerschnitt mit h = 2 b.
Gegeben: a =20cm F=60N
16.4 Aufgaben 247
Altfgabe 16.6:
I_.;.;;
I
.... Für den skIzzIerten Rahmen berech- A
ne man
12
so dass die zulässige Spannung (Jb",,1 nicht überschrit- b 2F
ten wird.
Gegeben: (Jb. :ul = 240 N/mm 2 c = 32mm 2c
F = 160N b= 10mm
Allfgabe l6.7:
I_.;.;;
I .
.... Für den skIZZIerten Rahmen be-
2a
'c
2a
F
I
rechne man
,c
a) den Ort und die Größe des absolut größten
Biegemoments IMblma". 3F b b b
b) die maximale Biegespannung im Schnitt c - c.
wenn der Träger dOl1 den skizzierten kreuzför-
migen Querschnitt hat.
B
Gegeben: F=IOOON; a=87cm; b=3clll
Allfgabe l6.8:
I_.;.;;
I
.... Der skIZZIerte Träger 1st
aus zwei Norlllprofilen U50 nach DIN
1026 (Querschnittswerte siehe Abbildung
16.24) zusammengeschweißt. 2a 3a 3a
Gegeben: F = 1,5kN ; a = 200lllm
Man ermittle
a) den Ort und die Größe des maximalen Biegemoments.
b) die maximale Biegespannung für die skizzierte Einbauvariante der Normprofile.
c) Wäre eine um 90° gedrehte Einbauvariante der zusammengeschweißten Normprofi le für die
Größe der entstehenden maximalen Biegespannungen günstiger?
I Aufgabe 16.9: I
,
molo'
_a _
FI
4a
jF y/, 0
b
4S"
b
lF b
:zs:
b b J
;;;Y"
'? /.
'
0
j
I 0
'" ~
,0::
0"," ,
_a_
2a 5a
Für den skizzierten Biegeträger berechne man
a) den Ort und die Größe des absolut größten Biegemoments IMb!",ax,
b) für eine gegebene zulässige Spannung (J,,,I die erforderlichen Querschnittsabmessungen lI"j,®
und lI er j,'>J rur die bei den Einbauvarianten (j) und ~.
Gegeben: F = 250N b = 6cm (J,,,I = 120N/mm2
Das ist Ihnen hoffentlich aufgefallen, lieber Leser: Von den 8 Seiten des Abschnitts 16.3 wur-
den mehr als 6 Seiten für die Beispiele verwendet, und im Abschnitt 16.4 gab es deutlich mehr
Übungsaufgaben als in den vorangegangenen Kapiteln. Das hat im Wesentlichen drei Gründe:
• Die Biegebeanspruchung ist ein ganz besonders wichtiges Thema der Festigkeitslehre,
weil in der Regel durch die Biegemomente sehr große Spannungen hervorgerufen werden.
Deshalb beschäftigen sich auch die drei folgenden Kapitel noch mit diesem Thema.
• Der in diesem Kapitel behandelte Stoff ist ein besonders typisches (tückisches) Beispiel
für die Aussage: "In keinem anderen Fach wird man von der Vorstellung, ctwas verstan-
den zu haben, so ge- und emtäuscht wie in der Technischen Mechanik, wenn man die
recht einfach erscheinende Theorie auf praktische Probleme anwendet."
• Im Abschnitt 16.3 wird deutlich, dass man verloren ist, wenn man den Stoff vorangegan-
gener Kapitel nicht beherrscht: Die Themen "Lagerreaktionen" und "Schnittgrößen" (die
Themen, die in der Statik erfahrungsgcmäß Schwierigkeiten machen) und "Flächenträg-
heitsmomente" sind unabdingbare Voraussetzungen fLir die Biegespannungsberechnung.
Immer wieder "Sigma gleich M durch W", und doch ist jede Aufgabe anders! Und wenn
Sie sich, lieber Leser, gerade auf eine Klausur vorbereiten, in der auch das Thema Biegung
ansteht, dann können Sie darauf vertrauen, dass demjenigen, der die Klausur stellt, auch wie-
der etwas Neues eingefallen ist. Da hilft weder das Lernen von Formeln noch das Einpauken
eines Algorithmus. Üben und Aufgaben rechnen (und das immer wieder) ist die einzige emp-
fehlenswerte Strategie. Die vier letzten Aufgaben des Abschnitts 16.4 stammen übrigens aus
Klausuren, die die Autoren dieses Buchs ihren Studenten zugemutet haben.
Es gibt aber auch eine angenehme Aussage: Wenn man den im Kapitel 16 behandelten Stoff
nicht nur verstanden, sondern auch auf wirklich unterschiedliche Probleme erfolgreich ange-
wendet hat. kann man ein positives Fazit der bisherigen Beschäftigung mit der Technischen
Mechanik ziehen und darf an die vielen noch folgenden (und ganz gewiss nicht leichteren)
TI,emen recht optimistisch herangehen.
17 Verformungen durch Biegemomente
Die Theorie der Biegeverformung basiert auf den gleichen Annahmen wie die im Kapitel 16
behandelte Biegespannungsberechnung:
<> Das Material verformt sich elastisch (Gültigkeit des Hookeschen Gesetzes), die Querschnitte
bleiben bci der Verformung ebcn (Gültigkeit dcr Bernoulli-Hypothcse).
<> Die Theorie wird flir die ,.reine Biegung" (konstantes Biegemoment) formuliert, aber auch
auf den allgemeinen Fall (veränderliches Biegemoment) angewendet.
<> Die Biegcachse (Achse, um die das Bicgcmoment dreht) ist mit einer HauptzentraJachse des
Querschnitts identisch.
Eine beliebige Längsfaser im Abstand y vom Schwerpunkt verlängert sich um den Bctrag
(ipl + y) drp - dz = Ipl drp + ydrp - eiz = ydrp
und dehnt sich also um
ydrp ydrp y
E=--=--=-
dz Ipldrp Ipl
Aus der Dehnung kann mit dem Hookeschen Gesetz (0), = EE) auf die Spannung in dieser Faser
geschlossen werden, die sich andererseits auch nach der Biegespannungsformel t6.3 (Seite 217)
aus dem Biegemoment errechnen lässt:
IMbl Y
(Jb=--y=EE=E-
I Ipl
Die Querschnittskoordinate y hebt sich aus dieser Beziehung heraus, und es ergibt sich der Zu-
sammenhang zwischen Biegemoment und Verformung:
I
IMbl = El
jpj
~ ist der Betrag der Krümmung einer Kurve:
Die Krümmung der Schwerpunktfaser ist dem Biegemoment proportional. Der Proponionali-
tätsfaktor EI (Produkt aus Elastizitätsmodul und Flächenträgheitsmoment bezüglich der Bie-
geachse) wird als Biegesteijigkeit bezeichnet.
ullverformter Träger
<> Es wird vereinbart: Als Kurve des durch ein Biegemoment ~
vetformten Trägers wird die verformte neutrale Faser (Bie-
gelillie) angesehen, deren Verschiebung gegenüber der un- jZ~)
verformten Lage mit einer Koordinate v (positiv in glei- Iv /
cher Richtung wie die Querschnittskoordinate y) gemes- verformter Träger
sen wird (Abbildung 17.2). Abbildung 17.2: Biege/illie v(z)
Der mathematiscbe Zusammenhang zwiscben der Funktion v(z) und der (vorzeichenbebafteten)
Krümmung der zugehörigen Kurve ist durch
I V"
( 17.1)
P
gegeben (siehe .,Mathematik für die Technische Mechanik" unter www.TM-aktuell.de). Das Vor-
zeichen der Krümmung wird durcb die 2. Ableitung (Änderung des Aostiegs) der Verschiebung
v bestimmt.
Die Abbildung 17.3 zeigt, dass ein positives Biegemoment ei-
ne negative Krümmung hervorruft, was beim Weglassen der Bc- z
tragsstriche in der Verfomlungsgleichung auf ein Minuszeichen
fuhrt:
V"
, (17.2)
[I + (1")212
Abbildung 17.3: VelTingcrung
Für Materialien. die (im elastischen Bereich) sehr große Verfor-
des Tangentcnanstiegs :::} nega-
mungen zulassen (z. B.: Stab des Stabhochspringers), muSs mit tjves v" => negative Krümmung
dieser nichtlinearen Differenzialgleichung gerechnet werden.
Für die in der technischen Praxis besonders häufig vorkommenden sehr kleinen Verformungen ist
insbesondere der Anstieg v' ebenfalls sehr klein, so dass das noch viel kleinere (v'? gegenüber
I vernaChlässigt werden kann (noch bei einem Anstieg von 5° ergibt sich mit I + (1")2 = I +
(tan 5°)2 = 1,00765 ein Fehler kleiner als I %). Damit erhält man für kleine Verformungen die
Die Biegelinie 2. Ordnung 17.3 iSI eine lineare inhamogene gewöhnliche Differenzialgleichung
2. Ordnung, in der der Koeffizient von v" (Biegesteiflgkeit) und die rechle Seite (Biegemoment)
von der Koordinate z abhängig sein können.
(Elv")" = -Mb"
und mit den aus der Statik (Abschnitt 7.2, Seite 99) bekannten Differenzialbeziehungen 7.1 für
die Schnittgrößen
bzw.
(q ist eine auf den Träger wirkende Linienlast) erhält man (für kleine Verformungen) die
Zu beachten ist, dass jeder Integrationsschritt eine [ntegrationskonstante erzeugt. Die allgemeine
Lösung der Differenzialgleichung 2. Ordnung enthält zwei. die allgemeine Lösung der Differen-
zialgleichung 4. Ordnung vier Konstanten, die mit Hilfe von Randbedingullgen bestimmt werden
müssen.
Die Randbedingungen FLir eine Differenzialgleichung II-ter Ordnung dürfen die Ableitungen der
gesuchten Funktion bis zur (n - I)-ten Ordnung enthalten. Beim Arbeiten mit der Differenzial-
gleichung der Biegelinie 2. Ordnung sind dies Aussagen über die Verschiebung v (Durchbiegung)
und den Anstieg der Biegelinie v' (Biegewinkel). beim Arbeiten mit der Differenzialgleichung
der Biegelinie 4. Ordnung kommen noch Aussagen über das Biegemoment Mb = -Elv" und die
Querkraft FQ = -(Elv")' hinzu.
Bei statisch bestimmten Aufgaben stimmt die Anzahl der Randbedingungen mit der Anzahl
der [ntegrationskonstanten überein. Zur Bestimmung der [ntegrationskonstanten stehen bei dem
nachfolgenden Beispiel I die beiden Verformungsbedingungen
252 17 Verformungen durch Biegemomenle
v(z=I)=O v'(z = I) = 0
zur Verfügung (eine Einspannung lässt keine Absenknng zn und erzwingt eine horizontale Tan-
gente), mit denen bei Verwendung der Differenzialgleichnng der Bicgelinic 2. Ordnung dic bci-
den Integrations konstanten ermittelt werden können.
Dem Nachteil, bei Verwendung der Differenzialgleichung der Biegelinie 2. Ordnnng vorab den
Biegemomentenverlauf ermitteln zu müssen, steht bei Verwendung der Differenzialgleichung der
Biegelinie 4. Ordnung der Nachteil gegenüber, mehr (und vielfach kompliziertere) Randbedin-
gungen zu benötigen. Zwar könnte bei dem folgenden Beispiel I der Integrationsprozess mit der
besonders einfachen Differenzialgleichung
Beispiel i: I
I_"";_ _...1 EIIl Kragträger mit konstanter Blegestelhgkelt EI
(Quadratquerschnitt mit der Kantenlänge a) ist am linken Rand
Ei
durch die Kraft F belastet. Man berechne z
a) die Biegelinie v(z),
b) die Absenkung des Lastangriffspunktes.
Aus den beiden Randbedingungen ergeben sich die Bestimmungsgleichungen für die Inte-
gTationskonstantcn Cl und C2:
Beispiel 2:
I'-....;_ I
_... Ein 40 m langer Stahlträger nut dem
Normprofil 1200 nach DIN EN 10024 (früher: DIN
1025-1) ist an beiden Enden gelenkig gelagert und
nur durch sein Eigengewicht belastet. Die erfor- EI
derlichen Parameter sind der Abbildung J6.2l auf
Seite 243 (Biegung um die x-Achse) zu entnehmen
(Elastizitätsmodul: E = 2, I· lOs N/mm 2 ).
Man berechne die maximale Durchbiegung des Trägers und dic maximale Tangentenneigung
(Biegewinkel).
Mit der konstanten Linienlast qo kann die Rechnung mit der Differenzialgleichung der Biege!inie
4. Ordnung sofort starten:
Elv"" =qO
Elvfl! = qoz + CI
Elv" !QOZ2 + CIZ + C2
Elv' = i; qoz3 + !CIZ2 + C2Z + C3
24 qoz + i; CI Z3 +
I 4
Elv !C2Z
2
+ C3Z + C4
Zur Bestimmung der Integrationskonstanten sind vier Randbedingungen erforderlich:
• An jedem Lager muss die Durchbiegung gleich Null sein (zwei Bedingungen).
• An den Trägerenden verschwinden die Biegemomente, wenn dort (wie bei diesem Beispiel)
keine äußeren Momente eingeleitet werden (vgl. Abschnitt 7.3, Seite 105), worauS zwei
weitere Bedingungen resultieren.
254 17 Verformungen durch Biegemomenle
Aus diesen vier Randbedingungen erhält man die erforderlichen Bestimmungsgleichungen für
die Integrationskonstanten:
v(z=O) =0 =;. C4 =0
Mb(z=O) =0 v"(z=O) =0 =;. Cz=O
v(z=/)=O =;. d4 qO/4 + ~ CII] +Cli = 0
Mb(Z=/)=O =;. ,,"(z=/)=O =;. i qolZ + CII =0
Aus den letzten beiden Gleichungen werden die Konstanten Cl und Cl bestimmt:
CI = - t qol Cl = d4 qO/3
Damit können die Biegelinie und ihre erste Ableitung aufgeschrieben werden:
v'(z) = qO/3
24E I
[4 (~)3
I
_6(~)Z
I
+ I]
Ocr Ort dcr maximalen Durchbicgung ist bci dicser Aufgabe durch die Anschauung gegeben
(Trägermitte aus Symmetriegründen). Für eine kompliziertere unsymmetrische Belastung müss-
te diese Stelle durch die Auswertung von v' = 0 gewonnen werden. Die größten Tangentennei-
gungen (maximale Biegewinkel) ergeben sich an den Lagern. Wenn diese Aussage nicht (wie bei
dieser Aufgabe) aus der Anschauung zu gewinnen ist, müsste v" = 0 ausgewertet werden. Die
gesuchlen Maximalwerte sind:
1'",,,, = v (z = D :8~O~41
= v;""' = v'(z = 0) = 2~o:1
Mit den Zahlenwerten für 1200 (Abbildung 16.21 auf Seite 243) und dcn gegcbenen Werten
erhält man:
vmax =l,9lm V;nax = 0, 1525
Die Durchbiegung ist recht erheblich wegen der großen Stützlänge vnn 40 m, bei der dieser Trä-
ger (Beispiel 5 des Abschnitts 16.3 auf Seite 242) aber auch an der Grenze seiner Tragfähigkeit
ist (er erträgt gerade sein Eigengewicht).
c:> Es ist üblich, v' als "Biegewinkel" zu bezeichnen, obwohl die erste Ableitung natürlich der
Tangens des Anstiegswinkels der Kurve ist. Bei den im Allgemeinen sehr kleinen Winkeln
ist der Untersch.ied gering. Selbst bci dcm außcrgewöhnlich großen Zahlenwert des gerade
behandelten Beispiels würden sich aus v' = 0, 1525 exakt 8,74° ergeben, bei Interpretation
dcs Anstiegs als Biegewinkel kämc man auf 8,67° (Abweichung ist kleiner als 1%).
oe;> Während bei dem Beispiel I wegen des relativ einfach aufzuschreibenden Biegemomenten-
verlaufs die VerwendlLl1g der Differenzialgleichung der Biegelinie 2. Ordnung vorteilhaft
ist (man vermeidet so auch die schwierige Formulierung der Querkraft- und Momenten-
Randbedingungen), ist bei dem Beispiel 2 die Arbeit mit der Differenzialgleichung der Bie-
gelinie 4. Ordl1lLl1g empfehlenswel1, zumal die Randbedingungen (v = 0 wld v" = 0 an
beiden Rändern) recht einfach zu fornlulieren sind.
17.2 Tntegration der Differenzialgleichung 255
Eine generelle Empfehlung, welche der beiden Differenzialgleichungen der Biegelinie bei be-
Slimmten Aufgabentypen zu bevorzugen ist, kann kaum gegeben werden. Einzelkräfte als Be-
lastungen erschweren die Formulienll1g der Randbedingungen für die Differenzialgleichung 4.
Ordnung, Linienlasten (insbesondere veränderliche Linienlasten) machen das Aufsch.reiben des
Biegemomentenverlaufs (für die Differenzialgleich.ung 2. Ordnung) schwieriger.
Als Basis für Computerprogramme und die Anwendung numerischer Verfahren bei komplizier-
teren Aufgaben wird die Differenzialgleichung der Biegelinie 4. Ordnung allgemein bevorzugt,
weil der formalere Rech.enprozess der Programmierung entgegenkommt.
In diesen Fällen erhöht sich natlirlich die Anzahl der Integrationskonstanten, und man muss
Randbedingungen auch an den "Bereichsrändem" r0n11ulieren, die häufig nur als so genannte
Übergangsbedillgullgen aufgeschrieben werden können.
Für das nachfolgende Beispiel 3 wird die Arbeit mit der Differenzialgleichung der Biegelinie 2.
Ordnung empfohlen. Da der Momentenverlauf für zwei Abschnitte aufgeschrieben werden muss,
ergeben sich vier lntegrationskonstanlen. Neben den beiden Randbedingungen (keine Absellkung
an den bciden Lagern A und B) müssen noch zwei Übergangsbedingungen am Kraftangriffspunkt
formuliert werden: Die Absenkung am rechten Rand des linken Abschnitts muss gleich der Ab-
senkung am linken Rand des rechten Abschnitts sein. Eine entsprechende Bedingung muss für
die Biegewinkel gelten, weil die Biegelillie an dieser Stelle keinen Knick haben darf.
Beispiel 3:
I_"";_ I. .. . .
_...1 Für den sk,zzlerten Trager ermIttle man
A B
a) die Biegelinie,
b) Ort und Größe der maximalen Durchbiegung. EI
2113 1I3
Gegeben: I. F. EI =konstant .
a) Mit den ermittelten Konstanten werden die Biegelinien für beide Bereiche anfgeschrieben:
für die Durchbiegung sucht, würde dort fonnal zwei Lösungen finden, die beide nicht im Trä-
gerbereich liegen. Generell gilt natürlich: Innerhalb eines interessierenden Bereichs nimmt
eine Funktion ihre Extremwerte entweder an Stellen mit verschwindender erster Ahleitung
oder an den Rändern des Bereichs an.
Q Die in der Statik (Abschnitt 7.1, Seite 95) gegebene Empfehlung, beim Aufschreiben der
Momentenveriäufe sämtliche Koordinatensysteme gleichsinnig zu definieren, findet hier ei-
ne weitere Begründung.
Die Abbildung 17.6 verdeutlicht, wie bei Nicht-
beachtung dieser Empfehlung die Übergangsbe-
dingungen formuliert werden müssen, weil glei-
che Tangentenneigungen in den beiden Abschnit-
ten dann unterschiedliches Vorzeichen haben:
Beim Arbeiten mit der Differenziaigieichullg der Biegelinie 2. Ordnung werden die Integrations-
konstanten mit Hilfe von Aussagen über die Verschiebung v und die Ableitung v' (Biegewinkel)
bestimmt. Die Abbildung 17.7 zeigt die häufigsten Varianten der Ralldbedingullgell (es sind
Aussagen über die Werte von v bzw. Vi möglich) und Übergallgsbedillgungen (es sind nur Aus-
sagen über die Gleichheit von v bzw. Vi an den Übergangsstellen von einem Bereich zum anderen
möglich).
2 3 4
mögliche
Farnl der
Biegelinie
a b c d
Da die Differenzialgleichungen ftir vier Bereiche aufgeschrieben (und integl;eI1) werden müssen,
wurden vier Koordinaten cingefLihrt (aus den bereits im vorigen Abschnitt genannten Gründen
258 17 Verformungen durch Biegemomenle
sind alle z-Koordinaten von links nach rechts gerichtet). Randbedingungen können formuliert
werden
• am linken Rand des I. Abschnitts (keine Verschiebung v und horizontale Tangente der Bie-
gclinic an der Einspannung A),
• am rechten Rand des 3. Abschnitts (v = 0 am Lager B).
• am linken Rand des 4. Abschnitts (v = 0 am Lager B).
• Gleichheit der Verschiebungen v am rechten Rand des I. Abschnitts und linken Rand des 2.
Abschnitts und Gleichheit der Biegewinkel an dieser Stelle (Biegelinje hat keinen Knick),
• Gleichheit dcr Verschiebungen v am rechten Rand des 2. Abschnitts und linken Rand des 3.
Abschnitts (am Gelenk jedoch keine Gleichheit der Biegewinkel),
• Gleichheit der Biegewinkel am rechten Rand des 3. Abschnitts und linken Rand des 4. Ab-
schnitts (auch am Lager ergibt sich kein Knick in der Biegelinie).
Für die Bestimmung der 8 Integrationskonstanten stehen also 8 Bedingungen zur VerfLigung:
Beim Arbeiten mit der Differenzialgleichung der Biegelinie 4. Ordnung kommen zu diesen Be-
dingungen noch Aussagen über die 2. und 3. Ableitung von v hinzu, so dass an Rändern und
ÜbergangssIelIen das Gleichgewicht der Schnitlgrößen (Biegemoment und QuerkraJt) mit den
äußeren Kräften und Momenten hergestellt wird. Dazu werden Schnitte "unendlich dicht"' ne-
ben Rändern und Übergangsstellen betrachtet. Deshalb gehen Linienlasten, die ja bereits von der
Differenzialgleichung erfasst werden, in diese Gleichgewichtsbedingungen nicht ein. Die acht so
genannten geometrischen Rand· und Übergangsbedingungen, die für das Arbeiten mit der Diffe-
renzialgleichung 2. Ordnung aufgeschrieben wurden, werden um noch einmal acht dynamische
Rand· und Übergangsbedingungen ergänzt.
Aus den in Abbildung 17.9 dargestellten Schnitten der ÜbergangssteJlett lassen sich folgende
Übergangsbedingungen ablesen:
• Gleichheit der Biegemomente links und rechts von der Kraft PI bzw. links und rechts vom
Lagcr B,
• Gleichheit der Querkräfte links und rechts vom Gelenk.
• Der Querkraftsprung bei PI wird durch die Gleichgewichtsbedingung der Kräfte in vertikaler
Richtung beschrieben:
PQI (ZI = a) = PI + FQ2(Z2 = 0) '* -(EI vf()'b~a = FI - (EI v~)'b=o
In dieser allgemeinen Form müssen die Bedingungen formuliert werden, wcnn die Biege-
steifigkeit veränderlich ist.
Nachfolgend sittd diese für die Arbeit mit der Differenzialgleichung der Biegelinie 4. Ordnung
zusätzlich erforderlichen Rand- und Übergangsbedingungen zusammengestellt, wobei vereinfa-
chend angenommen wurde, dass die Biegesteifigkeit über alle Abschnille des Trägers konstant
ist, so dass sie aus den meisten Gleichungen verschwindet:
Fa 2b2
VF= 3EIJ
a) Vi ( = 0) = Fab(l +b)
I ZI 6EII
'( _)_ Fab(l+a)
Vz zz-b - - 6EII
+I)
2
Fab [( 21 zj ] fLir o::; ZI a
vI = 6EI 1 b , - abi ::;
2
Vz = Fa b
6EI
[(I
+~) b-Z2 _ (b-Z 2)3]
0 abi I FLir o :5: ~z ::; b
Fbzj Z
Für a? b: bei
- J /z - b
Vmax = 3 Eil ZI = -3-
Fa (b - Z2)3 2 2
_ JI _0
Für a::;b: Vmax = bei zz=b- - -
3EIJ 3
FI 3
a') ~ Vmax = VF = 48EJ
Iv l/2 l/2 v '( z=O ) =-v '( z=1 ) = Fi
--
2
16EI
V ---
5'10 /4
max- 384EI
b)
v'(z = 0) = -v'(z = I) = qo/3
24EI
v_-'1-
014- [z--2 (Z)3
- + (Z)4]
-
24EI I I /
c)
17.4 Einige einfache Biegelinien 261
(1- '7)
er: ~~:2 bei
M v",ax= z=1
I
d) ,vmax
v z v'(z=O)= MI . v'(z=I)=- MI
3EI • 6EI
v=~~: [z7-3Gr+(f/]
g:r ~F FI 3 Ffl
vmax - - v'(z = 0) = - 2EI
e) z - 3E!
3[
-$ ~ FI
v= 6EI 2-3 7+,C)3] z
,,,,
;~~
qO/4
--
vnu/x-SEI v'(z = 0) = _ QO/3
3-4,+ er]
f)
f 6EI
~ '~ QO/4 [ z
I v= 24EI 7
g) a, t==z1
, , I , r
I f' V
max
(/l 14
= 30EI
V'(Z=O)=- (/l/3
24EI
4-5,+
~
~
Iv zer
Q,14 [
V= 120EI 7]
q, I I ,I r , , , , 11 q,/4
v'(,=O) = _ q,/
3
I
v ---
11-15,+5,er - er]
h) "'''' - 120El - 8EI
~
~:rz
v
4
q,/
v=120El [ 7z
Mr::::. vmllX -
MI 2
- v'( z=O ) = -MI
-
i) I =='z~===== - 2E! EI
~ 2
1-2,+ (Z)2]
I
;:> '~ MI
v= 2EI
[ 7 z
262 17 Verformungen durch Biegemomenle
Bei statisch unbestimmten Problemen können Lagerreaktionen und Schnittgrößen nicht allein
aus den statischen Gleichgewichlsbedingungen berechnet wcrden. Mit Hilfe von Verformungs-
betrachtungen sind aucb diese Aufgaben lösbar, weil für jedes zusätzliche Lager eine weitere
Verformungsaussage (Rand- oder Übergangsbedingung) formuliert werden kann. Dies soll am
Problem des nachfolgenden Beispiels I (Abbildung 17.10) diskutiert werden.
Beim Arbeiten mit der Differenzialgleichung der Biegelinie 2. Ordnung kann der Biegemomen-
tenverlauf zunächst nur mit einer noch unbekannten Lagerreaktion (zum Beispiel der Lagerkraft
FB des Lagers B) aufgeschrieben werden (die übrigen Lagerreaktionen müssen gegebenenfalls
mit Hilfe der statischen Gleichgewichtsbedingungen eliminiert werden). Nach der Integration
der Differenzialgleichung stehen jedoch für die 3 Unbekannten der allgemeinen Lösung (2 1n-
tegrationskonstantcn und die Lagerkraft) auch 3 Randbedingungen zur Verfügung, so dass auch
die unbekannte Lagerkraft (und aus den statischen Gleichgewichtsbedingungen dann auch die
übrigen Lagerreaktionen) und die Schnillgrößen berechnet werden können.
Beim Arbeiten mit der Differenzialgleichung der Biegelinie 4. Ordnung ist kein prinzipieller
Unterschied zum statisch bestimmten Problem zu nennen, weil die Lagerreaktionen ohnehin
nicht in die Differenzialgleichung eingehen, so dass man mit vier Randbedingungen auskommt.
Nach dem Bestimmen der Inlegrationskonstanten können die Schnillgrößen nach
Mb = -Erv" FQ = -(Elv")'
und die Lagerreaktionen aus den Gleichgewichtsbedingungen mit den Schnittgrößen an den La-
rpn
gerstelIen bestimmt werden.
Beispiel I: I
I_"";_ _...1 Für den skizzierten Träger mIt der konstanten
Biegesteifigkeit Er sind die Lagen'eaktionen bei A und B
und der Biegemomentenverlauf zu ermitteln. I
Gegeben: 1, qo, EI. Abbildung 17.10: Einfach statisch
unbestimmter BiegeLräger
Das System ist einfach statisch unbestimmt. Die Lagerreaktionen und der Biegemomentenver-
lauf können nicht allein aus Gleichgewichtsbeziehungen berechnet werden. Für die erforderli-
chen Verformungsbetrachtungen wird hier die Differenzialgleichung der Biegelinie 4. Ordnung
gewählt (Diskussion der Vor- und Nachteile dieser Wahl siehe oben), mit der die Rechllllng (ohne
Vorarbeit) sofort gestartet werden kann:
Elv"" = qo
Elv'" qoz + C,
Elv" tqOZ2 + C,z + C2
Elv' i qoz3 + t C IZ 2 + C2Z + C3
Elv I 4
24 qOZ + i C ,Z3 + i C2Z2 + C3Z + C4
17.5 SLatisch unbeslimmLe Systeme 263
FEI
Abbildung 17.11: Koordinaten und Lagerreaklionen
Die vier Randbedingungen zur Bestimmung der vier Integrationskonstanten (,,Absenkung bei
A gleich Null"•••Biegewinkel bei A gleich Null". "Absenkung bei B gleich Null" und .•Bie-
gemoment bei B gleich Null") werden mit Bezug auf das in der Abbildung 17.11 definierte
Koordinatensystem formuliert:
v(Z=O)=O C4 =0 ,
v'(z=O)=O C3 =0 ,
v(z=l) =0 d4 qO/4 + i C l / 3 + ~ C2/ 2 = 0
v" (z = I) = 0 ~ qO/2 + Ci I + C2 = 0
CI = - i qol C2 = i qO/2
mit denen der Momentenverlauf aufgeschrieben werden kann:
Die Kontrolle des Gleichgewichts am Gesamtsystem zeigt, dass die ermittelten Lagerreaktionen
die Gleichgewichtsbedingungen identisch erfüllen.
Zur grafischen Darstellung des Biegemomel1lenverlaufs werden markante Stellen (Extremwert
und NullstelIen) der Funktion ermittelt. Mb(z) hat einen relativen Extremwert bei = (Null- f i
steIle des Querkraftverlaufs):
264 17 Verformungen durch Biegemomenle
Die Nullstellen im Momentenverlauf ergeben sich als Lösungen einer quadratischen Gleichung:
Zl = I
Beispiel 2:
I____.....I I
Für den skizzlCrten statisch I
Da ftir die Ermittlung der Biegespannung nur der Momentenverlauf erforderlich ist, der wieder-
um nur die unbekannte Lagerkraft FA enthält, wird nur diese berechnet: Gleichung 5 wird nach
C3 umgestellt und C3 und C. (Gleichung 2) werden in Gleichung 4 eingesetzt. Diese liefert dann:
FA = F G: + I)
Mit FA sind auch die Momentenverläufe bekannt. Die gesuchte maximale Biegespannung tritt
bei konstantem Querschnitt des Trägers am Ort des absolut größten Biegemoments auf. Der
Biegemomentenverlauf ist stückweise linear, so dass ftir die Extremwerte nur die Punkte A und
Binfrage kommcn. Für die beiden Stellen errechnet man:
I
MbA=-Fa MbB=FAb-F(a+b)="2Fa
Bemerkenswert ist, dass die Abmessung b für den Biegemomentenverlauf (und damit tlir die
Biegespannungen) keine Rolle spielt. Mit den Qucrscnnittskennwerten
I 1
1=-(b,h~-blhi)=25,67cm' =? W-, =10,27cm 3
12 - ..'.2.
2
und dem absolut größten Biegemoment berechnet man die maximale Biegespannung
Fa 2
CYb.max = IV = 195 NImm
Sie tritt an der Trägeroberkante als Zugspannung und an der Trägerunterkante als Druckspannung
im Querschnitt über dem Lager A auf.
Beispiel 3:I
I_"';_ _...1 Für den skIzzierten
Träger sollen die Biegelinie, der
Biegemomentenverlauf und der
Querkraftverlauf berechnet werden.
Gegeben:
1I = 1200mm EIl = 2,5kNm 2 CI = 50N/mm ql = 1.3 NImm F = 800N
12 = 1300mm Eh = 5 kNm 2 C2 = 250N/mm CT = 5 kNm M=250Nm
Mit diesem Beispiel eines Trägers mit stückweise konstantem Querschnitt und einem Gelenk,
der durch ein Lager, Federn und eine Drehfeder gefesselt ist und durch eine Kraft, ein Moment
und eine Linienlast bclastet ist, sollen möglichst viele Besonderheiten demonstriert werden. Eine
Aufgabe dieser Art analytisch zu lösen, ist hart an der Grenze der Zumutbarkeit. Hier soU die
Lösung so weit aufbereitet werden, dass die Auswertung dem Computer übertragen werden kann.
Die Differenzialgleichung der Biegelinie muss für zwei Abschnitte formuliert werden. Wegen
der nur mit erheblicher Mühe zu formulierenden Momentenverläufe, die außerdem mehrere un-
bekannte Kräfte enthalten würden. empfiehlt sich das Rechnen mit der Differenzialgleichung der
Biegelinie 4. Ordnung, in die die Linienlastverläufe (im linken Bereich gleich Null, im rech-
ten Bereich linear veränderlich) eingesetzt werden. Der auf diese Weise sehr bequeme Start der
Rechnung wird mit dem aufwendigeren llltegrationsprozess und der größeren Anzahl zu bestim-
mender Integrationskonstanten bezahlt.
266 17 Verformungen durch Biegemomenle
1 3 I ,
VI = 6C1Z, + 2" C2Z, +C3ZI +C4
q, 5 I 3 I 2
IWEhG~+6~~+2"~~+G~+~
Es sind 8 Integralionskonstanten zu bestimmen, für die Aussagen über die Verschiebung, die
Ableitung der Verschiebung, das Biegemoment und die Querkraft formuliel1 werden können.
Da in die Rand- und Übergangsbcdingungen die Federkräfte und das FedemlOment eingehen,
sind die in Abbildung 17.14 zu sehenden SehniLtskizzen hilfreich. Für die Richtungen der an-
zutragenden Sehnittgrößcn gelten die auf der Seite 97 zu sehenden Der,nilionen, und rur die
RiehJung der anzutragenden Federkräfte gilt: Weil positive Verschiebungen nach unten gerichtet
sind (Feder wird zusammengedrückt), reagiert die Feder mit einer nach oben gerichteten Kraft.
Verdrehwinkel sind in einem solchen System im Uhrzeigersinn positiv (siehe Abbildung 17.14,
rechte Skizze). so dass das von der Drehfeder auf den Träger wirkende Momem entgegen dem
UIu'zeigersiJul anzutragen ist:
M( ~l'Mb/:I~O}
t F,)/z,-O}
c,v/z,=O}
0 -Eil 0 0 0 0 0 0 Ct M
-EIl 0 0 -CI 0 0 0 0 C2 0
13 12 0
:.L
6
:.L
2 1I I 0 0 0 -I C3
It I 0 0 0 0 0 0 C, 0
0 0 0 0 0 I 0 0 Cs 0
-Eil 0 0 0 0 0 F
Eh C2 C6
I~ I~ _ qlf;~
0 0 0 0 "6 "2 12 C7 ,
120Eh
- 3
cr /2
0 0 0 0 - E/2 / 2-Y -E/2 - CT /2 -er 0 Cs ~+~
6 24E/2
Die Lösul1g dieses Gleichungssystems ist (mit einiger Mühe) durchaus noch "von Hmd" mög-
lich. Weil danach die Auswertung der allgemeinen Lösung mit den dann bekannten Integrati-
onskonstanten aber auch recht aufwendig (und natürlich sehr fehleranfällig) ist, kann dieser Weg
kaum empfohlen werden.
~&:=;2
Matlab-Script, das das oben zu sehendc Gleichungs-
system aufbaut, löst und mit den berechneten Inte-
grationskonstanten die Funktionen fLir die Durchbie-
gung, das Biegemoment
o 0.5 1 1.5 2 2.5
BIegemoment
~I-=:J
2/
auswertet. Die Abbildung 17.15 zeigt die grafische
Darstellung der Funktionen. Natürlich sind auf die-
sem Wege auch weitere interessierende Ergebnis-
o 0.5 1.5 2 2.5
se ohne Schwierigkeiten zu erlangen (Maximalwerte
von Durchbiegung und Biegemoment, Lagerreaktio- Abbildung 17.15: Grafik-Ausgabe des
nen, Fedcrkräftc, ...). Matlab-ScriplS (Dimensionen: m bzw. kN)
Diese Aufgabe ist allerdings auch Anlass zu einer grundsätzlichen Bemerkung: Auch bei sorgflil-
tigstem Arbeiten und mit der Unterstützung geeigneter Software bleibt die ReChnung fehleran-
fällig, schon etwas kompliziertcre Probleme können auf diesem Wege nicht mehr gelöst werden.
Deshalb wird diese Aufgabe im Kapitel 18 (Seite 286) noch einmal mit dem Differenzenverfah-
ren geLöst, llnter www.TM-aktuell.de findet man außerdem die Verfofl1lllngsberechnung nach der
Methode der finiten Elemente.
268 17 Verformungen durch Biegemomenle
17.6 Superposition
Die Differenzialgleichungen der Biegelinie für kleine Durchbiegungen sind linear. Deshalb
dürfen Lösungcn von Einzel-Lastfällen zu eincr Gcsamtlösung (glcichzeitigcs Wirken aller
Einzel-Lastfalle) überlagert (superponiert) werden.
Ncben der Verschiebungsfunktion v dürfen auch deren Ableitungen und damit der Biegewin-
kel v' und die Schnittgrößen Mb und FO superponiert werden.
I
Beispiel I:
I_"";_ _...1 Der skiZZierte Träger mn konstanter Blegestelfigkell
ist durch die konstante Linienlast qo und die Einzelkraft F belastet.
Man ermittle die Biegelinie.
Gegeben: I, F, qa. EI.
Die Lösung wird entsprechend Abbildung 17.16 aus zwei Lastfallen zusammengesetzt:
r r-ninqo
2U3 2U3
>--
2
+
)<-'<"======'7-A
"'-"_2 1 22~ _=1
J.S..
22-
A
Die Biegelinie muss wegen der Einzelkraft in zwei Bereichen formuliert werden, für die die
beiden Koordinaten ZI lind Z2 eingeführt wurden, Für den "Lastfall F" kann die Biegelinie fLir
die beiden Bereiche direkt der Formelzusammenstellung im Abschnitt 17.4 entnommen werden
(Fall a mit a = ~I und b = ~):
Vlf'=F/]
-- [ -9 (ZI)J
- ZI]
+8-
. 162EI I I
3
V2F = -FI- [(Z2)3
27 - -27 (Z2)2
- Z2 ]
-6-+4
. 243 EI I I I
Der "Lastfall qa" (Fall b im Abschnitt 17.4 mit der Koordinate z) muss nun für die gleichen
Koordinaten ZI und Z2 aufgeschrieben werden. Tm linken Bereich mit Z = Zl gilt:
v
I.q
=~[(~)4_2(~)J~]
24 E i l I + I
Im rechten Bereich muss die Koordinate Z durch
2 2l!3 l/3
Z= Z2 + 31
Abbildung 17.17: Ko-
ersetzt werden (Abbildung 17.17), und man erhält: ordinatentransformation
17.6 Superposition 269
Die Gesamtlösung für die Biegelinie ergibt sich aus der Addition beider Teillösungen:
Besonders sinnvoll kann man die Superposition einzelner Lastf<iIJe fUr die Lösung statisch
""bestimmter Probleme nutzen. Dafür bietet sich z. B. folgende Lösungs-Strategie an:
c~ Lager werden durch (unbekannte) Lagerreaktionen ersetzt, so dass ein statisch bestimmt
gelagertes System verbleibt.
c:> Die Verfonnungen an den Punkten, an denen Lager entfernt wurden. werden mit Hilfe der
Superposition einzelner Lastfälle aufgeschrieben. Anschließend werden die unbekannten
Lagerreaktionen aus Bestimmungsgleichungen ermittelt, die die Verformungen an genau
diesen Punkten Null werden lassen.
I
2:
[. Beispiel ....1 Für den statIsch unbestimmt gelagerten Träger mJt
IF
Br
konstanter Biegesteifigkeit berechne man die Lagerkraft bei A.
;;;::A
i
Gegeben: a, b, F.
a b
Das Lager A wird durch die (unbekannte) Lagerkraft FA ersetzt.
Dann liefert Lastfall e (Formeln im Abschnitt 17.4) an dcr Stclle
~F
A eine Durcltbiegllng infolge der Kraft F:
r
VAF = v(z=a) = F(a+b)3 [2- ~ + a+b
(_a_)
a+b
3] IF
jfA
V
, 6EI
An der gleichen Stelle ergibt sich (ebenfalls Lastfall e) die
" vA,F
OlIreItbiegung infolge der Kraft FA:
FA b3
v
JA
~
VA.FA = - 3EI
A, lfA
Die Überlagerung liefert die Gesamt-Durchbiegung an der StelleA, die wegen des Lagers gleich
Null sein muss. Dies liefel1 entsprechend
VA.F+VA,f:'=O ~ FA=F(~~+I)
das Ergebnis, das bereits im Abschnitt 17,5 für dieses System (siehe Seite 264) auf anderem
Wege gefunden wurde.
270 17 Verformungen durch Biegemomenle
Beispiel 3: I
I_ _ _ _...l Der sklzzlCrte Trager mit konstanter BIege-
q~q2
I (
FBv = 20 3qj +7qz)
17.7 Aufgaben 271
17.7 Aufgaben
Allfgabe 17.1:
I_.;.;.
I
.... Für den skIzzierten zusam-
IF qo
=,==,I==iI~I,==,1 h t
mengesetzten Träger sind sämtliche Rand·
und Übergangsbedingungen anzugeben, die
t=====;c====EJ=a"",=',,=l
:J::.... ~ =r
benötigt werden a b c d
Gegeben: a, b, c, d. F. EI = konstant.
Allfgabe 17.2: I
I_ _ _ _ _.... Der skiZZIerte Träger mIt konstanter BIege-
steifigkeit ist durch eine konstante Linienlast qO im Bereich
B - C belastet. Wie groß muss eine bei A angreifende Kraft f=·:====qo=TITH
F sein, damit die Durchbiegung am Punkt B Null wird? t 3a 2a
Gegeben: a, qo.
Allfgabe 17.3: I
I_ _ _ _ _.... Ein Blegelräger Ist aus einem Profil
A B
U40 nach DIN 1026 und zwei Profilen L20 nach OIN
1028 zusammengeschweißt, bei A starr eingespannt
.
I
~~~~I
und nur durch sein Eigengewicht belastet (Gewicht des L20
Schweißwerkstoffs ist vemachlässigbar).
Man berechne die vertikale Verschiebung des freien Trägerendes.
Gegeben: 1= 800111111; E = 2, I . 10 5 N/mm 2 .
I ~ y a A G e I.ex W, / 'y W,
~e~ mm cm 2
kg/111 cm cm4 cm} cm4 cm}
d ~s I
x ;::/0 x 20 1,12 0,88 0.60 0,39 0.28 0,39 0,28
! /~~:""7l
y a
- - Abbildung 17.20: Querschnittswerte für Normprofil L20
I
Aufgabe 17.4: I
Für den skizzierten Träger mit
konstanter Biegesteifigkeit berechne man die
Lagerkräfte bei A, Bund C (Empfehlung: Su- ~I
, "
perposition unter Verwendung der Fonnein aus
dem Abschnitt 17.4).
Gegeben: I, q, .
I Aufgabe 17.5: I
Für den zweifach statisch un-
bestimmt gelagerten Träger mit konstanter Bie-
gesteifigkeit ermittle man a a
a) die Biegelinie,
b) die Schnittgrößenverläufe (Biegemoment und Querkraft) einschließlich grafischer Darstel-
lung,
c) die Lagerreaktionen bei A, Bund C,
d) den Ort und die Größe der maximalen Durchbiegung,
e) den Ort und die Größe des absolut größten Biegemoments.
Gegeben: a, q, , EI = konstant.
I
Aufgabe 17.6: I..
Fur den skiz-
.
zierten Träger mit stückweise
konstantem Querschnitt berechne
man
a) die Biegelinie,
b) den Ort und die Größe der
-
maximalen Durchbiegung.
c) den Ort und die Größe des
maximalen Biegemoments,
d) die Federkraft.
tet. Um den damit unvermeidlich verbundenen Fehler in Grenzen zu halten, müssen die StützsteI-
len möglichst nah beieinander liegen, was zwangsläur,g auf ein recht großes Gleichungssystem
führt. Praktikabel ist das Verfahren (auch bei Computer-Nutzung) deshalb Ilur/lir lilleare Rand-
wer/probleme, weil dann auch das Gleichungssystcm linear wird.
18.1.1 Differenzenformeln
IY
Die Abszisse x wird äquidistant (Abstand h) untcrteilt
(Abbildung 18.3). Dann kann der Differenzialquotient als
Grenzwert des Differenzenquotienten I~
dy = y'(x) = lim 6.y = lim y(x+h) - y(x)
dx lI.<-o6.x 1.-0 h Yi+2
Beide Näherungswel1e sind mit einem Fehler behaftet. der umso kleiner ist, je kleiner h ist. Wenn
die zweite Ableitung (Änderung des Anstiegs) im IntervaJl XH ~ x :0: XI+ I das Vorzeichen nicht
wechselt, wird eine der beiden Formeln einen etwas zu großen, die andere einen etwas zu kleinen
Wert liefern, so dass das arithmetische Millel aus beiden Formeln im Allgemeinen einen besseren
Näherungswert liefert. Dieser Mittelwert
y'~ (6.Y) = ~ (YHl -YI +Yi-Yi ,) =Ylrl-YI-l
, 6.x I 2 h h 2h
wird als zentrale Differenzen/armel bezeichnet und kann geometrisch als Anstieg der Sekante
vom Punkt i - I zum Punkt i + I gedeutet werden. Auf die gleiche Formel kommt man, wenn
man durch die Punkte i-I. i und i + I eine quadratische Parabel legt und deren Anstieg an der
Stelle Xi berechnet.
Auf analoge Weise können höhere Ableitungen genähert werden, z. B.:
2y
y" ~ (6. ) = ~ (6.Y) = ~ (YI+I - YI _ YI - Yi-I)
, &2 I & & I h h h
wobei in der Klammer die Differenz der ersten Ableitungen an den Zwischenpunkten i+V, und
i-V, steht.
18.1 Das Dirrerenzenverfahren 275
Für die Berechnung der Biegelinie mit dem Differenzenverfahren werden die ersten vier Ablei-
tungen benötigt, die nachfolgend zusammengestellt sind.
Zentrale DitTerenzenformeln:
/ I
Yi '" 211 (~Yi-I + Yi+l)
11 I
Yi '" 112
(y i-I - 2Yi + Yi+1
)
(18.1)
I ( )
Yi '" 211 3 -Yi-Z+ 2 Yi-1 -2Yi+1 +)'i+Z
11/
Yi/III~~(.
~ 114 Y/ Z -4)'i-1 +6Yi -4Yill +-"i+Z)
(18.3)
I Der Mathematiker köonte einwenden. dass dies eigentlich gar keine "richtige Differenzialgleichung", sondem eher
eine Inregratiollsaufgabe ist (und noch dazu eine triviale, wenn EI konst:lnt ist, möglichenveise sogar auch noch q),
so dass eine numerischc Lösung nicht gerechtfertigt ist. Aber es ist das Randwertproblem. das die Schwicrigkeitcn
erzeugt Es wird sich zeigen. dass ge,rade die bei der analytischen Lösung oft sehr lästigen Rand- und Übergangsbe·
dingungen bei der Anwendung des Differenzenverfahrens keine nennenswerten Schwierigkeilen bereiten.
276 18 Computer-Verfahren für Biegeprobleme
I
I_B_e_is,;,p_ie_I_:
_ F"ur den S k"lZZleJten Trager
.. . konstanter B"legesteI-
mit
figkeit EI sind die Durchbiegung und die Schnittgrößen nähe-
rungsweise mit dem Differenzenverfahren zu bestimmen und mit
den Werten der exakten Lösung zu vergleichen.
1,
Gegeben: a, q 1 , Ei = konstant.
Der Träger wird zunächst (sehr grob) in I
I
I, I I, ,I I
IlA = 4 äquidistante Abschnitte der Länge
2 4 5 6 7 8 9
h = 1/4 unterteilt (nebenstehende Skizze).
h h h h h h h h
Für die 5 Punkte 3 ... 7 (Inncnpunktc), für die natürlich dic Differenzialgleichung der Bicgelinie
gelten muss, werden ersatzweise die Differenzengleichungen entsprechend 18.2 aufgeschrieben,
in dic f1ir die randnahen Punkte zusätzlichc AuGenpunkte eingehen:
qO/4
;=3: vl~4v2+6v3-4v4+VS= - -
Il~EI
qO/4
Il~EI
QO/4
Il~Ei
QO/4
Il~EI
QO/4
; = 7 : Vs - 4 V6 + 6 V7 - 4 V8 + V9 = --
Il~Ei
In dicscn fünf Differenzcnglcichungcn erscheinen cinschließlich dcr Wertc fiir die Außcnpunktc
I, 2, 8 und 9 insgesamt neun Unbekannte. Das Defizit von vier Gleichungen wird genau durch
dic Randbedingungen ausgeglichen:
V(z = 0) = 0 ~ V3 = 0 ~ V3 = 0
v'(z=O)=O ~ v)=O ~ -V2+V4=0
I'Q(z = I) = 0 ~ FQ7 = 0 =} -Vs + 2 V6 - 2 V8 + V9 = 0
Mb (z=I)=O =} Mb7=0 ~ V6-2"7+V8=0
Dieses lineare Gleichungssystem (9 Gleichungen mit9 Unbekannten) ließe sich leicht auf weni-
ger Unbekannte reduzieren (V) ist bekannt, V2 wird durch V4 ersetzt usw.). Wenn man es ohnehin
mit Hilfc des Computers lösen will, ist dics weder erforderlich noch sinnvoll. Es kommt vielmehr
darauf an. das Gleichungssystem f1ir die Computerrechnung in geeigneter Form aufzuschreiben.
Aus nachfolgend noch ausführljch diskutierten Gründen werden die beiden Randbedingungen
des linken Randes als erste Gleichungen, die Randhcdingungen des rechten Randes als die hei-
den letzten Gleichungen aufgeschrieben. Aus den Ausdrücken auf den rechten Seiten der Glei-
chungen wird der gemeinsame Faktor ~ herausgezogen, so dass das Ergebnis der Rechnung
für beliebige Werte dieser Größen gilt.
18.1 Das Dirrerenzenverfahren 277
Es ist dagegen nicht sinnvoll, auch noch den Faktor Il~ aus dem Vektor der rechten Seite heraus-
zuziehen, weil IlA ein Verfahrensparameter ist, der das Ergebnis der Rechnung möglichst nicht
beeinflussen sollte.
Für "A = 4 ist also folgendes Glcichungssystem mit Il = "A + 5 = 9 Glcichungen zu lösen:
°°I -4°
-I °6 -4° °°I °° °° °°
I
I
°° °
°
° °° °° °
I
° I -4 6-4
°
256
I
°° I 256
6 -4 ° °°
I
I -4 6 -4 I
°° °
256
I
I 256
1-4
°° °° °° ° -4 °6 -4-2 I r
236
I
0-1 2
°
I
°°
°° °°° I
~2
<> Schon bei dieser sehr groben Einteilung des Trägers in vier Abschnitte sind in der Koeffizi-
entenmatrix des Gleichungssystems zahlreiche Nullen zu sehen, und weil auch bei feinerer
Diskretisierung in jeder Zeile maximal 5 von Null verschiedene Elemente auftreten können,
nimmt der Prozentsatz der Nu.llelemente drastisch zu (und das so genannte FilL-in wird klei-
ner). Es sind "Dünll besetzte Matrizell" (sparse lIIarrices), für die außerordentlich effektive
Lösungsalgorithmen verfLigbar sind. Ab einer gewissen Größenordnung der Matrizen bie-
ten diese Algorithmen auch auf sehr Icistungsfahigen Computern die einzige Chance, die
Gleichungssysteme zu lösen.
<> Hier kommt noch ein weiterer Vorteil hinzu: Die von NuJl verschiedenen Matrixelemente
konzentrieren sich in einem rclativ schmalen Band in der Nähe der Hauptdiagonalen. Für
diese so genannten Bandll1atrizen (band marrices) stehen besonders effektive Algorithmen
zur VerfLigung.
<> Vorteilhaft ist auch die Regelmäßigkeit dcr Matrix im "Mittelteil", so dass auch sehr große
Matrizen mit wenigen Programmieranweisungen aufgebaut werden können. Große Matri-
zen müssen grundsätzlich "aufgebaut" werden, man kann sie nicht "eingeben" (z. B.: HA =
100 '* n = 105 '* 105· 105 = I 1025 Wel1e für die Koeffizientenmatrix, unzumutbar!).
Für das Biegemoment an der Einspannstelle erhält man genauso wie ftir die Querkraft
Ergebnisse, die mit der exakten Lösung übereinstimmen, weil für konstante Linienlast der Biege-
momentenverlauf eine quadralische Parabel ist, ftir die die zentralen Differenzenformeln die Dif-
ferenzialquotienten fehlerfrei ersetzen. Bei diesem Beispiel sind also nur Durchbiegung (Funkti-
on 4. Grades) und Bicgewinkcl (Funktion 3. Gradcs) mit eincm Fchlcr bchaftet, der bci fcincrcr
Einteilung des Trägers (größeres "A) kleiner wird.
Die Tabelle in Abbildung 18.4 (vgl. www.TM-aktuell.de) zeigt dies für die Absenkung des Trä-
gerendes v(I) und den Biegewinkel ,; (I). der entsprechend 18.1 berechnet wird:
1
Vi (I) V;,_2 = 2 h (-V,,-3 + V,,_I)
=
IlA !!..!...- v(I)
qol4
Fehler q~:3 Vi (I) Fehler
= 2i (-V,,-3 + V,,_I)
"A
4 0,132813 6,25% 0,171875 3,125%
(der rechte Randpunkl des Trägers 20 0,125313 0,25% 0,166875 0,125%
ist jeweils der Punkt 11 - 2). 50 0,125050 0,04% 0,166700 0,020%
Selbst bei grober Einleilung des 100 0,125013 0,01% 0,166675 0,005%
Trägers ist die Genauigkeil für 500 0,125000 0,00% 0,166667 0,000%
praktische Anforderungen mehr Exakt 0,125000 0,166667
als ausreichend. Abbildung 18.4: Absenkwlg und Biegewinkel am Trägerende
Andererseits hat die Biegelinie bei diesem einfachen Beispiel einen recht glatten Verlauf (ohne
Wendepunkte), der sich besonders gut annähern lässt. Doch selbst bei komplizierteren Verläufen
erhält man mitIlA = 100 im Allgemeinen sehr gule Ergebnisse (und es spricht ja nichts dagegen,
bei der Computen'echnung IlA = 1000 zu wählen. siehe llinweis unlen).
Es soll schon hier daranf hingewiesen werden. wie einfach Va-
riantenreehnungen zu realisieren sind. Der Träger in Abbil-
dung 18.5 ist znsätzlich durch ein Lager am rechten Rand
(und damit statisch unbestimmt) gestützt. Bei einer Berech-
nung mit dem Differenzenverfahren ist (unabhängig von der
Fcinheit der Diskretisierung) nur eine einzige Gleichung (die Abbildung 18.5: Varianlenreeh-
nllngen sind besonders einfach:
vorletzte) zu ändern. Die Querkraftrandbedingung wird durch
Nur eine Gleichung muss geändert
folgende Gleichung ersetzt:
V,,-2 = ° werden, um aus dem Träger des
Beispiels 1 dieses statisch unbe-
(Tl ist die Anzahl der Gleichungen, n - 2 der Randpunkt). stimmte System zu machen
q;h4
1;_IV;_2- 2 (1;_1 +1;)v;_1 +(1;-1 +4/i +li+I )V;-2(1i+ I;+I)V;+1 +li+IV;+2 = E' (18,4)
oe:> In die Differenzengleichungen für die Randpunkte und die Querkraft-Randbedingungen ge-
hen mit li-t bzw. li+t Werte für Punkte ein, die außerhalb des Trägers liegen. Da diese "Au-
ßenwerte" durch das Ersetzen der Ableitung der Funktion I(z) durch Differenzenformeln in
die Rechnung hineinkommen, sind dafür die Wert.e einzusetzen, die sich bei Erweiterung
des Definitionsbereichs der Funktion I(z) über die Randpunkte hinaus ergeben würden.
oe:> Wenn bei sprunghafter Änderung der Biegesteifigkeit (z. B. bei abgesetzten Wellen) ein
Punkt des Differenzenschemas direkt auf der SprungsteIle liegt, nimmt man fw· diesen Punkt
sinnvollerweise den arithmetischen Mittelwert der Biegesteifigkeiten der beiden Abschnitte
(bei feiner Diskretisierung darf man auch einen der beiden Werte nehmen).
oe:> Bei veränderlicher Bicgesteifigkeit ist es cmpfehlenswert, ein "Bezugs-Trägheitsmoment"
10 zu definieren und damit die Biegesteifigkeit für alle Punkte in der Form
zu ersetzen. Man sieht, dass der Fall konstanter Biegesteifigkeit (alle)1i = 1) als Sonderfall
in den Differenzenformcln für veränderliche Biegesteifigkeit enthalten ist.
'e:> Aucb bei den Zeilen im Gleicbungssystem, die die Randbedingungen beschreiben, sollten
die Biegesteifigkeiten entsprechend ersetzt werden. Empfohlen wird also die Verwendung
der folgenden
Elo
FQi = - 211 3 [-/1i-1 Vi-2 + 2 J.Li-1 Vi-I - (/1i-1 - /1i+l) Vi - 2/1i+ I "i+ 1+ /1i+ 1Vi+2]
li
mit /1; = - (/0 ist ein beliebiges Bezugs-Trägheitsmoment).
10
(18.7)
18.1 Das Dirrerenzenverfahren 281
I
Beispiel:IDer skizzierte Träger mit Rechteckquerschnitt
(konstante Höhe, linear veränderliche Breite) ist nur durch
sein Eigengewicht belastet. Mit dem Differenzenverfahren
ist näherungsweise die Durchbiegung zu berechnen.
Gegeben: bA A = bB , E. Dichte p .
,
bA h
/' 1
Die mit einem Breitenverhältnis A = 2 berechneten Werte
sollen ausgewertet werden. z
Mit der linear veränderlichen Breite
bB - bA [ Z]
W
b(Z)=bA+-/-Z=b A I+(A-l),
werden auch die Linienlast
q(z) = pgftb(z) = qA [I + (A - I) 7]
(Trapezlast, nebenstehende Skizze) und die Biegesteitigkeit
Die Frage, woher denn die Werte der exakten Lösung kommen, ist übrigens durchaus berechtigt.
Sie stammen aus der Auswertung der nachfolgend angegebenen exakten Biegelinie 2 , die (un-
ter erheblichem Zeit- und Papieraufwand) durch Integration der Differenzialgleichung ermittelt
wurdc. Von einer Nachahmung wird dringend abgeraten, das Nachempfindcn dcr numcrischen
Lösung mit dem Differenzenverfahren wird allerdings nachdrücklich empfohlen.
EIA I ( Z)4 I ( Z)3 29-361n2 ( Z)2
qAt4 Vexak,(Z) = 72 1-, - 9" 1-, + 72(1 -2In2) 1-,
D G t)]
(18.8)
- 36 (I ~12In2) [j -7 + ( 1+ In + 2
Z
~ Eine Einzelkraft. die nicht am Trägerrand angreift (und dort über die Querkraft-Randbedin-
gung zu elfassen ist), wird ZU einer Linienlast "verschmiert":
Eine am Knoten i angreifende Kraft F;
wU'd durch eine Linien]ast
"
q, =T,
Fj '" ,
i i+1 i-I i i+\
ersetzt (Abbildung 18.6), die mit einer
h h h h
Wirkungsbreite h Ueweils ~ links und
rechts vom Punkt i) nur in die Glei-
Abbildung 18.6: ..Verschmieren" einer Eiuzetkraft
chung für den Knoten i eingeht.
Der Fehler, der dadurch in die Rechnung hineinkommt, ist vernachlässigbar, weil er in der
Größenordnung des unvermeidbar beim Differenzenverfatu'en in Kauf genonunenen Feh-
Icrs liegt und mit feinerer Untcl1cilung des Trägers kleiner wird (eigentlich ist ohnehin die
Ei nzel kraft eine "künstliche" Größe, die in der Realität immer "verschmiert" angreift).
2Die Möglichkeit des Vergleichs mit einer exakten Lösung ist nalürlich eine seltene Ausnahme. Die exakte Biegetinie
wurde hier auch deshalb angegeben. wu zu zeigen. wo man mit dem Versuch einer anaJytischen Lösung landet. wenn
man vom Pfad der "akademischen Probleme·' auch nur leicht abweicht.
18.1 Das Dirrerenzenverfahren 283
oe:> Ein Einzelmoment M; am Punkt i wird erfasst, indem es vorher durch ein an den Punkten
i-I und i + I angreifendes Kräftepaar ersetzt wird (die gewählten Vorzeichen gelten fUr ein
linksdrehendes Moment):
F:,'_I
Mi
= -F:,'+I = 2/1 * - -q '" - -Mi
qi-I
=} - i+1 - 2h Z
gen) wird erfasst, indem im Gleichungssystem die i-tc Gleichung ersetzt wird durch
Vi = VI'
oe:> Eine starre Zwischenstütze ist nur ein Sonderfall der vor- i-I i i+1
geschriebenen Verschiebung und wird dementsprechend :is...
'7'"
durch
Vi=O Abbildung 18.8: Zwischenstülzc
erfasst (man beachte die besondere Interpretation dieser Realisierung im Abschnitt 19.2.3).
oe:> Ein Gelenk am Punkt i wird berücksichtigt, indem die Biegesteifigkeit für den Punkt i gleich
Null gesetzt wird, realisiert durch
p;=O
Natlirlich müsscn (auch bci ansonsten konstanter Bicgcsteifigkeit) bei der Realisierung ei-
nes Gelenks durch diesen simplen Trick in jedem Fall die Differenzengleichungen ftir die
Biegelinie bei veränderlicher Biegesteifigkeit 18.7 verwendet werden, weil neben der i-ten
Glcichung auch jeweils cinc Gleichung davor und danach betroffen sind.
284 18 Computer-Verfahren für Biegeprobleme
Mh 2
J.1n-2 v n-3 - 2J,ln-2 V n-2 + J.ln-2 vn-1 = - E10
2Fh 3
-tl n-3 V,,-4 + 2J1n-3 Vn-3 - (J..ln-3 - J1n-1 )V,,-2 - 2 J..l.1I-1 Vn-I + J111-1 v" = ---
EIn
18.1 Das Dirrerenzenverfahren 285
h h h h
Q Bci einer Feder am rechten
Rand muss die Querkraft am n-4 n-2 n
Randpunklll - 2 mit der Feder-
kraft im Gleichgewicht sein:
FQ,n-2 + CVn -2 = 0 =}
Abbildung 18.14: Feder am rechten Rand
( ~h)
1l3+--
2E~
V2- 2 1l3 V3+ (~h)
1l3--- V4=0
2E~
h h h h
Q Entsprechend gilt bei einer
n-4 n-2 n
Drehfeder am rechten Rand:
= .~7"
Abbildung 18.16: Drehfeder am rechten Rand
Das folgende Beispiel zeigt. wie am linken Rand die Querkraft-Bedingung für die Feder nach
Abbildung 18.13 mit dcr Biegemoment-Bcdingung nach Abbildung 18.1 I kombiniert wird.
286 18 Computer-Verfahren für Biegeprobleme
Beispiel: I
I_....;_ _ Für den skizzIerten Trä-
ger, mit dem im Abschnitt 17.5
die Realisierung unterschiedlicher
Rand- und Übergangsbedingungen
demonstriert wurde (Seite 266),
sollen die Abscnkung des Gelenks
und die Kraft in der Feder C2 be- ..... 3
.....
ic
.....
n-2
rechnet werden.
11 = 1200mm Eil =2,5kNm 2 CI = 50 Nimm ql = 1,3N/mm F = 800N
12 = 1300mrn Eh =5 kNm 2 C2 = 250 Nimm CT = 5 kNm M = 250Nm
Bei der Einteilung des Trägers in/lA Abschnitte sollte man darauf achten, dass ein Punkt mit dem
Gelenk zusammenfallt, was bei den gegebenen Abmessungen bei jedem Vielfachen von 25 ga-
rantiert ist. Zunächst wird /lA = 25 gewählt, dann entstehen /l = 30 Gleichungen, die Schrittweite
ist h = /J 'JA
+h = 100 nun. Die Randpunkte haben die Nummern 3 bzw. /l - 2 = 28, das Gelenk liegt
bei Punkt ic = 15.
Als Bezugsbiegesteifigkeit wird (willkürlich) EIO = Eil gewählt, dann gilt:
Damit stehen alle Größen für das Aufschreiben der Differenzengleichungen für die Innenpunkte
3 ... 11 - 2 (3 ... 28) nach 18.7 bereit. Abschließend wird das HauptdiagonaJelement der Glei-
chung für Punkt /lC = 15 (Angriffspunkt der Feder Cl) um cl ;;'J = 0, I vergrößert (siehe Erläu-
terung zu Abbildung 18.7 auf Seite 283).
Die 4 Randbedingungsgleichungen können aus dem Katalog dieses Abschnitts (Seiten 284 und
285) zusammengestellt werden. An den Rändern gilt (mit III = 113 = 114 = I, Ill8 = 2):
Vl - 2 V3 + V4 = -I - VI + 2 V2 + 0, 04 V3 - 2 V4 + V5 = 0
V28 = 0 J, 9 V27 - 4 V28 + 2,1 Vl9 = 0
Es ist also das folgende Gleichungssystem zu lösen, in dem nur die von Null verschiedenen
Elemente angegeben sind. Man erkennt den regelmäßigen Aufbau der Koeffizienlenmatrix: Die
beiden ersten bzw. letzten Gleichungen repräsentieren die Randbedingungen, ansonsten findet
man im oberen Tcil (Ili = I) dic typischcn "I, -4, 6, -4, I "-Gleichungen, im unteren Teil wc-
genIli = 2 entsprechend modifizierte Gleichungen. Nur die 3 Gleichungen im Mittelteil weichen
wegen des Gelenks und der Feder von den übrigen Gleichungen ab. Die Feinheit der Diskrelisie-
rung (Schrittweite h) stcckt in der rechten Seite in allen Elementen, in der Koeffizieillenmatrix
18.1 Das Dirrerenzenverfahren 287
nur in den vier Elementen, die von den Federn beeinflusst sind. Wenn man also von IlA = 25 auf
IlA = 2500 übergeht, sind nur diese Elemente von der Änderung betroffen. Oie neu hinzukom-
menden Gleichungen haben alle den hier zu sehenden Aufbau:
I -2 I VI -I
-I 2 0,04 -2 I V2 0
I -4 6 -4 I V3 0
I -4 6 -4 V4 0
-4 6 -4 1 VI3 0
I -4 5 -2 0 VI4 0
I -2 3, I -4 2 VI5 0,32
0 -4 10 -8 2 VI6 0,004
2 -8 12 -8 2 VI7 0,008
2 -8 12 -8 2 0,052
I o
1,9 -4 2, I o
Unter www.TM-aktuell.de findet man ein Matlab-Script, Fc2 IN]
"A VGeI.nk[Olm]
das dieses Gleichungssystem aufbaut und löst. Realisiert
25 4,9772 1244,3
wird das natürlich nicht durch den Aufbau einer 30*30-
250 4,9826 1245,6
Matrix und des entsprechenden Vektors der rechten Seite,
sondern für eine beliebige Oiskretisierung 1lA- Tn der neben- 2500 4,9826 1245,7
stehenden Tabelle sind einige Ergebnisse ZlIsammengestelit. Exakt 4.9826 1245.7
Schon bei "A = 25 (30 Gleichungen) sind die Ergebnisse ausreichend genau. Bei feinerer Ois-
kretisierung muss man schon mehr Stellen angeben, als im Ingenieur-Bereich im Allgemeinen
sinnvoll sind, um überhaupt Unterschiede zur exakten Lösung zu erkennen.
Diese beiden Formeln werden nacb den Belastungen V, und Abbildung 18.18: Verfor·
M, umgestellt: mungen am Knoten 1
18.2 Der Biegelräger als finites Elemenl 289
- - 12EI, 6Ele
V2 =-V I = --/3-VI-rCPI
, ,
b) Auf gleichem Wege werden die Belastungen ermittelt, die
die Verformungen des Knotens 2 erzeugen:
, 12EI, 6EI,
V2 = -3- V2 - - " - 'P2
le I,
, 6Ele 4EI,
M2 = - - 2 - v2 + - - 'P2
, , 12 EIe " "
6 EI,
VI = -V2 = ---V2+ - - 'P2
I; I;
, , A 6Ele 2EI, Abbildung 18.19: Verformungen
MI=-V2 /,-M2=- --V2+--'P2
I; ',- und BelasLUngen am Knoten 2
Wenn die für die beiden Fälle a und b berechneten Belastungen gleichzeitig auf das Element
aufgebracht werden (Addieren der Kräfte und Momente), dann rufen sie auch die Summe der
unter a und b erzeugten Verformungen hervor (Abbildung 18.20):
Abbildung 18.20: Addilion der beiden Verfollllnngsfälle zur Veli'ormung des finilen Elements
VI = VI +VI MI=MI+MI
V2 = V 2 +V2 M2=M2+ M 2
fuhrt zur
VI 12 6', -12 61 e VI
oe:> Damit ist die theoretische Vorarbeit für die Berechnung des geraden Biegeträgers nach der
Finitc-Elemcnte-Methode geleistet. Die Elemente mit zwei Freiheitsgraden pro Knoten (Ver-
schiebung und Biegewinkel) können· wie im Kapitel 15 beschrieben· zu Systemen zu-
sammengcbaut wcrden. Wic im Kapitel 15 crläutcn, werdcn durch den Einspcichcrungs-
Algorithmus, der unverändert übernommen werden kann, die Gleichgewichrsbedingungen
erfüllt. Der wesentliche Vorteil der Finite·Elemente·Strategieliegt darin, dass man sie ganz
formal auf unterschiedliche Probleme übertragen kann.
oe:> Bcim Einspcichcrn der Elcmcnt-StciAgkcitsmatrizcn in die Systcm- 1,1 1,2
Steifigkeitsmatrix werden jeweils 2*2-Untennatrizen übertragen (wie bei
den Fachwerk-Elementen des Abschnitts 15.3). Im Gegensatz zu den
Fachwerk-Elementen des Abschnitts 15.3 können mit den durch 18.9 be-
schriebenen Elementen jedoch nur gerade Biegeträger (fluchtende Ele-
[~]
2,1 2,2
mente, keine Rahmen) berechnet werden.
I Beispiel: I
_ _ _ _ Für den skiZZierten Blegetrager soll die Be-
rechnung der Velformung am Kraftangriffspunkt und des
V Eh
Biegewinkels am rechten Lager nach dem Finite-Elemente- I 1:
Algorithmus demonstrien werden. Für das Element a sol- Ib
len die Element-Knotenlasten berechnet werden.
Elb Ib
Gegeben: Ela ; Ä. = El =0,25; la; )1= T;, =0,5; F.
a
Die Zuordnung der Elementknoten zu den Systemknoten ist in diesem Fall besonders einfach:
Element-Knoten System-Knoten
...
Koinzidenzmatrix
Element a:
Element b:
(1,2)
(I ,2) ...
[ I, "1
[11,1111
... I Ir]
[11 111
fIlfIl fIlIlI
Die System-SteifigkeilSmatrix hat 6 Zeilen bzw. Spalten
(3 Knoten mit je 2 Freiheitsgraden). Sie wird aus den
Element-Steifigkeitsmattizen aufgebaut, indem die 2*2-
Untermatrizen entsprechend Abbildung 18.22 eingespei-
;f [~] ;f [~b
JII ~ JjJ ~
b]
chert werden. Im Mittelbloek, zu dem beide Elemente einen
Anteil liefern (am Knoten 11 stoßen beide Elemente zu-
Abbildung 18.22: Systelll-Stcifig-
sammen) werden die Elementanteile addiert. Man erhält
keitsmatrix: Ziel positionen rur die
schließlich rolgende System-Steifigkeitsbeziehung: Element-Steifigkeitsmau;zen
Die äußere Kraft F wurde mit negativem Vorzeichen in den BelaslUngsvektor eingefügt. weil sie
entgegen dem rür den Aufbau der Element-Steifigkeitsbeziehung gewählten Richtungssinn wirkt.
Auf die Positionen 4 und 6 des Belastungsvektors wurden Nullen gesetzt, weil keine äußeren
Momente an den Knoten 11 und 11 fangreifen.
In der System-Steifigkeitsbeziehung sind die beiden Kräfte F, und Fm und das Moment M, und
die drei gesuchten Knotenverformungen VII, !Pli und !pm unbekannt. Die Gleichungen 1,2 und 5
mit den unbekannten Belastungsgrößen werden zunächst aus dem Gleichungssystem herausge-
nommen. Gleichzeitig können die entsprechenden Spalten 1.2 und 5 der System-Steifigkeitsma-
trix gestrichen werden, die ohnehin keinen Beitrag liefern, weil die zugehörigen Verschiebungs-
größen VI, !P, und V," den Wert Null haben (Einarbeiten der geometrischen Randbedingungen
durch ,2eilen-Spalten-Streichen"). Die zu streichenden Zeilen und Spalten sind in der System-
Steifigkeitsbeziehung grau unterlegt. Es verbleibt das folgende Gleichungssystem:
FI"!.
36 VII + 61a !pll/
Ela
+ I; !pm o
6 la VII + + 2 I; !Pm o
292 18 Computer-Verfahren für Biegeprobleme
Wenn man die erste Gleichung durch I" und die beiden anderen Gleichungen durch I~ dividiert,
findct man I" nur noch bei der Unbekannten VII, so dass man mit der neuen Unbekannten 1/; das
GJeichungssystem aJlgemein lösen kann:
[ ::,] [-~~]
~I Fl~ Fl,~
EI"
]
o EI" 36
[ I80
({iJII
Mit dcn nun bekannten Verformungcn können aus dcn drci Gleichungcn, die aus der System-
Steifigkeitsbeziehung zunächst gestrichen wurden, die Lagerreaktionen F J, F III und MJ berechnet
werden:
VI = 0 , ({iJ = 0
ll FI,; 6Fl;
VII = - 180EI" ({ill = -180EI"
bestückt wird, multipliziert:
Mz" = 30
7
FI"
(Momem am Knoten 2 des Elements a) gleich dem Biegemoment an der Kraftangriffsstelle.
Mit den errechneten Elemembelastungen VI" und MI" sind die Schnittgrößen am linken Ele-
mentrand und damit die Lagerreaktionen an der Einspannung bekannt. Letztere emsprechen
erwartungsgemäß genau den oben bereits berechneten Werten für FJ und MI.
oe:> Die errechneten Werte ftlr die Verformungen, Lagerreaktionen und Elementbelastungen sind
exakt, weil dic Biegetheorie von der Element-Steifigkeitsmatrix 18.9 exakt erfasst wird.
18.2 Der Biegclräger als finites Element 293
le
FI, = 20 (7ql +3qz)
(18.10)
le (3ql +7qz )
Fz, = 20 I; (2ql +3qz )
Mz, = - 60
Auf entsprechendem Wege könnte man für andere Element-Belastungen die reduzierten Belas-
tungen ermitteln, im Allgemeinen kommt man aber mit den Formeln 18.10 aus, die als Sonder-
nille die konstante Linienlast und die Dreieckslast enthalten. Für andere Verläufe bevorzugt der
Praktiker meist eine stückweise Nähemng der tatsächlichen Belastungsfunktion durch Trapez-
lasten (Einteilung des Linienlastbereichs in mehrere finite Elemente).
294 18 Computer-Verfahren für Biegeprobleme
Die wichtigste Schritte bei der Berücksichtigung von Linienlasten, die am nachfolgenden Bei-
spiel noch einmal demonstriert werden, sind also:
.:> Die auf die Elemente wirkenden Linienlasten werden durch reduzierte Belastungen ersetzt,
die als äußere Knotenlasten behandelt werden.
c:> Das System, das dann nur noch durch Einzelkräfte und Einzelmomente an den Knoten be-
lastet ist, liefert bei der Berechnnng nach dem Finite-Elemente-Algorithmus die Knoten-
verformungen exakt.
e:> Bei der Berechnung der Element-Knotenbelastungen müssen für die Elemente, bei denen
Linienlasten ersetzt wurden, die reduzierten Belastungen subtrahiert werden. Für diese Ele-
mente verwendet man die nachfolgende Beziehung 18.11.
V2
= (~:), 12 -61, V2 F2r
(18.11 )
Beispiel:I
I_____ Flir den Btegetr"ger des Belsptels aus dem / 'I' I , , , , 1 , , ,
qo
Man beachte, dass am Knoten I die reduzierten Belastungen zusätzlich zu den Lagerreaktionen ri
und MI auftauchen. Zwar werden diese Gleichungen bei der Verformungsberechnung zunächst
gestrichen, bei einer anschließenden Berechnung der Lagerreaktionen mit diesen Gleichungen
müssten dicse Anteilc berücksichtigt werdcn.
Nach dem Einarbeiten der geometrischen Randbedingungen durch "Zeilen-Spalten-Streichen"
verbleibt ein Gleichungssystcm wie im Beispiel des vorigen Abschnitt, das sich von diesem nur
durch die geänderte rechte Seite unterscheidet:
_ qol~
36 VI/ + 61" Ipll/
2 EI"
qol~
+ I~lpll/
12EI"
6/"VII + I~lpll + 21~lpll/ 0
Wcnn man wicder die erste Gleichung durch I" und die beiden anderen Gleichungen durch I;; di-
vidiert, findet man I" nur noch bei der Unbekannten VI/, so dass man mit der neuen Unbckannten
7/; das Gleichungssystem allgemein lösen kann:
VII
la -1 ] qol~
= [ ~ 36Ela
Die Element-Knotenbelastungen für das Element a müssen hier mit der erweitel1en Elcment-
Sleifigkeitsbeziehung ermittelt werden. Der Element-Verformungsvektor wird mit den bekannten
bzw. berechneten Werten
qOI~
V/ = 0 Ipll = 0
VII = - 36EI"
M!a EI" 61" 41~ -61" 21;' 0 qOI~ -I" qOla 31" qOI"
V 2a r" -12 -61" 12 -61" -I
---
36EI" -6 12 2 12
oe:> Hier soll noch einmal auf die konsequent gehandhabte Vorzeichen-Regelung aufmerksam
gemacht werden: Sämtliche Kräfte und Verschiebungen wurden positiv nach oben definiert,
die Momente und Winkel sind linksdrehend positiv. Dies gilt für die äußere Belastung der
Knoten (Einzel kräfte bzw. -momente) und der Elemente (Linien lasten) ebenso wie für die
Ergebnisse (Knotenverformungen, Element-Knotenbelastungen, Lagerreaktionen).
Diese Aussage gilt für die Formuliemng der Theorie. Den Progranunierern von FEM-Pro-
grammen ist es natürlich freigestellt, für die Eingabe über die Benutzeroberfläche der Soft-
ware Vorzeichen regelungen zu treffen, die den Konventionen entsprechen, die dem Anwen-
der vertraut sind (z. B. für Biegeträger: Kräfte und Verschiebungen positiv nach unten).
296 18 Computer·Verfahren für Biegeprobleme
Auch wenn es bisher nicht so aussah: Die MeThode der finiTen ElemenTe iST ein Näherungsver·
Jahren. Alle Bcispiele il11 Kapitel 15 und im Abschnitt 18.2 lieferten allerdings Ergcbnisse. die
im Rahmen der klassischen Theorien (ebene Fachwerke bzw. ebene Biegeträger) exakt waren.
Am Biegeträger lässt sich sehr schön demonstrieren, wo die Grenzen für die exakte Lösung sind.
Als bei der Herleitung der Element-Stei r>gkeitsbeziehung (Abschnitt 18.2. I) die Frage beantwor-
tet wurde, welche Knotenkräfte die Knotenverformungen Vt, <PI, \'2 und ip2 hemlfen (Abbildung
18.25), war die Basis für die Antwort die Biegelinie (Kapitel 17). Wie diese Funktion aussieht,
die einen (lastfreien) verformten Träger mit vorgeschriebenen Verformungen an den Rändern
beschreibt, ist durch Integration der Bicgelinie I'" = 0 Icicht zu ermitteln. Es wird nach vierma-
liger Integration eine Funktion 3. Grades, aus der sich mit den vier Randbedingungen v(O) = v"
1(0) = <Pt. v(I,) = V2, v'(I,) = ip2 ergibt:
(18.12)
-~"'
,.
. J'
... 2 ·0.(611111
~
,.
1 !
phl2 '" 0.0333333
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Wenn sich die Verformungen aller Elemente mit dieser Funktion beschreiben lassen, ist das Er-
gebnis exakt. Mit dem Programm "Gerade Biegeträger'" (steht unter www.TM-interaktiv.de zur
interaktiven Nutzung zur Verfügung) soll demonstriert werden, was zu tun ist (und was von der
Software bereits getan werden konnte), um für die Fälle, bei denen sich die Verformung nicht
mehr durch die Biegelinie 18.12 beschreiben lässt, eine ausreichende Genauigkeit zu bekommen.
Die Abbildung J8.26 zeigt die Berechnung des Biegeträgers aus dem Abschnitt 18.2.1 (Seite
290). Die Ergebnisse sind erwartungsgemäß exakt, weil die Verformung der beiden lastfreien
Elemente mit 18.12 beschrieben werden kann. Aus dem gleichen Grund dalf man auch auf die
grafische Darstellung der Biegelinie (Verformungen innerhalb der Elemente) und die Angabe der
maximalen Durchbiegung vertrauen.
Die Aussage des letzten Satzes gilt nicht mehr für das Bei-
spiel aus dem Abschnitt 18.2.2 (Abbildung 18.27), weil
bei der Herleitung der reduzierten Lasten, die die Linien-
last für die FEM-Reehnung ersetzen, gezeigt wurde, dass
dann mit dem FEM-Algorithmus nur noch die Knotenver-
fonnungen exakt berechnet werden. Abbildung 18.27: Verformungen des
linken Elements können nicht mehr al-
Aber dieser Mangel kann geheilt werden: lein nach 18.12 berechnet werden
Das Originalsystem setzt sich nach Abbildung .18.23 auf Seite 293 aus dem reduzierten System
und einem beidseitig eingespannten Träger zusammen. Den nach 18.12 berechneten Verformun-
gen innerhalb eines Elements müssen die Verformungen des beidseitig eingespannten Trägers
unter der entsprechenden Linienlast überlagert werden.
Das Programm "Gerade Biegeträger" unter www.TM-interaktiv.de führt diese Nachbesserung
der FEM-Bereehnung automatisch aus, so dass auch die Verformungen von Elementen mit linear
veränderljeher Linienlast (Trapezlast) exakt ausgegeben werden. Weil es auch die uJ1terschied-
lichsten Lager (einschließlich Feder und Drehfeder) und Gelenke exakt erfasst, liefert sogar das
System, dessen Ergebnis in Abbildung J8.28 gezeigt wird, exakte Werte im Sinne der klassi-
schen Biegetheorie. Dies ist für dieses System ausnahmsweise überprüfbar, weil dieser Träger
im Abschnitt 17.5 (Seite 265) mit einiger Mühe durch Integration der Biegelinie berechnet wur-
de.
Fazit: Exakt werden fol- ~enverfOfIl'oUl'"ol}efl'
Knotenverformungen:
v1 = 0
phi1 = 0.02049576
v2 = 0.00476987
phi2 = -0.0056694
v3 = 0
phi3 = 0
o 0.5
Biegelinie
Lagerreaktionen:
~
F1 = 0.4576583
F3 = 1.0423418
M3 = -0.2090084
Die Gleichgewichtsbedingungen müssen an den Ecken rur die Normal- und Querkräfte insgesamt
erfüllt sein (an einer rechtwinkligen unbelasteten Ecke wird zum Beispiel aus der Querkraft des
einen Trägers die Normalkraft des anderen Trägers und umgekehrt).
Als finites Elemem wird zunächst ein aus dem Rahmen heraus-
~
M,
~'[u2
geschnittener Träger behandelt, der nur durch die Knotenlas-
ten (Kräfte in Längs- und Querrichtung und Momente) belas- MI
tet ist und dadurch verformt wird. Die Verformung wird durch
die KJlotenversehiebungen in Längs- bzw. QuerrichlUng und
die Biegewinkel an den Knoten beschrieben. Die Belastungs-
und Verformungsgrößen an beiden Knoten werden mit gleichen
-- \-
ul r~
VI
Der Zusammenhang zwischen den Kräften in Längsrichtung nnd den entsprechenden Knoten-
verschiebungen ist mit Gleichung 15.3 (Seite 197) für den durch Normalkräfte belasteten Stab
gegeben. der Zusammenhang zwischen den Kräften in Querricbttmg und den Momenten einer-
seits und den zugehörigen Verformungen andererseits wird durch die Elemem-Steifigkeitsmatrix
für den Biegeträger 18.9 (Seite 289) hergestellt. Beide Gleichungen werden nun zur Element-
Steifigkeitsbeziehung für das Rahmenelement zusammengefasst:
C:
Ü2 = e 2 ii2
0 0
V2 )e V2
12 -61e
M2 'P2
sym1l1. 41i
300 18 Computer-Verfahren für Biegeprobleme
'PI = f/ll
Abbildung 18.34: Transformation
Die hier für den Knoten I aufgeschriebenen Transformatio- der KnOlenverschiebungen
nen gelten in gleicher Form auch für den Knoten 2.
VI "t2VIC~I:ine< _
Aus der Abbildung 18.35 kann abgelesen werden, wie sich die in
Richtung der globalen Koordinatenachsen wirkenden Kräfte VI
und Vt aus den in Längs- bzw. Querrichtung des Elements wir- cx UI
kenden Kräften zusammensetzen:
cx
Vt =Ülcosa-Vlsina
~ sin cx
Vt =Ülsina+Vlcosa (18.15)
MI=M t Abbildung 18.35: Transfor-
mation der Knoten-Belastun-
Auch hier gelten analoge Beziehungen für den Knoten 2. gen
Diese Transformationsbeziehungen werden genutzt, um aus 18.13 die Element-Steifigkeitsbe-
ziehung für ein Rahmenelement herzuleiten, dessen Belastungs- und Ve,formungsgrößen sich
auf das globale Koordinatensystem beziehen. Dies soll hier nur an einer Gleichung exemplarisch
dargestellt werden. Nach 18.15 errechnet sich VI aus zwei Anteilen, die sich in den ersten beiden
Zeilen von 18.13 finden, wobei die Verschiebungen schließlich noch durch 18.14 ersetzt werden:
VI = Üt cosa - VI sina
Auf die gleiche Weise entstehen fünf weitere Gleichungen, die mit der für VI entwickelten Glei-
chung zusammengefasst werden zur
VI ,,\
VI VI
Mt
Vz = (~:),
Ktl
[ Kfz
Klz
Kn ] 'P\
112
( 18.16)
Vz Vz
M2 <P2
Auch hier werden Elementbelastungen durch äquivalente Knotenlasten ersetzt und den äußeren
Belastungen zugeschlagen. Dafür werden folgende Vereinbarungen getroffen:
<> Für Linienlasten, die senkrecht zum Element wirken, wird cine Vorzeichenregel vereinbart:
Bei Fortschreiten vom ersten zum zwciten EJementknoten zeigcn die Pfeilspitzen positiver
Linienlasten nach links. Die reduzierten Knotenlasten für eine linear veränderliche Lini-
enlast (Trapezlast) können dann durch Zerlcgung der mit 18.10 gegebenen Belastungen in
Komponenten in Richtung der Achsen des globalen Koordinatensystems gewonnen werden.
<> AnfangsdelUlungen und
Temperaturdehnungen wer-
den wie im Abschnill 15.4
durch die KnOlenkräfte
15. IOcrsetzt, die rür das =
Rahmenelement auf die
Positionen der Kräfte gesetzt
werden (Abbildung 18.36),
Abbildung 18.36: Rcduzierte Knolenlasten infolge Linienlas!.
Momente entstehen durch Temperatur- und Anfangsdebnung
diese Belastungen nicht.
302 18 Computer-Verfahren für Biegeprobleme
Die erweiTerre Element-STeifigkeitsbeziehullg jür das Rahmellelemenl kann dann in der Form
VI UI F1xr
VI VI F ly ,
(~:), ]
M, KII KI2 'Pt MI,
(18.17)
= [ Kf2
U2 K22 U2 Fix,
V2 V2 F2yr
M2 'P2 M2,
mit
1
-EA,(a,ßT+€o),cosa- 2~ (7ql +3{I2)sina
1
-EA,(IX,ßT + €o), sina + 2~ (7 ql + 3q2)COS a
IZ
6~ (3ql +2q2)
( 18.18)
EA,(a,ßT +€o),cosa - ~~ (3q, + 7q2)sina
.
EA.(a,ßT+€o ),sma+ I. (3ql +7q2 ) cosa
20
[2
- 6~ (2clt + 3q2)
aufgeschrieben werden.
Nach der Ycrformungsberechnung am System können bei dann bekannten Knotenverformungen
die Element-Knotenbelastungen nach 18.16 oder 18.17 ermittelt werden, deren Richtungen sicb
auf das globale Koordinatensystem beziehen. Deshalb iSI es vielfach wiinschenswert, diese wie-
der in die "normalen" Schnillgrößen umzuwandeln. Aus der nachfolgenden Skizze abzulesen
sind die
FNI =-U,cosa-Vlsina
FQI = -V, sina + VI eosa
Mb' =-M,
( 18.19)
Fm = Vzeosa + Vzsin a
FQz = Uzsina - V2cosa
Mb2 = Mz
18.2 Der Biegelräger als finites Elemenl 303
I
Beispiel: I
Für den skizzierten Rah- ~
F
~
,,-
men sind die Verformungsgrößen
\, ,I
• "- -l-
und die Schnittgrößen an der Kraft-
Ci a
\ Ci a
~,
angriffsstelle und an der Rahmen- 1 '
ecke zu berechnen. 11, 11 iI
A/ z
Gegeben: I; F; EI; ß= -1- = 104 ; Cl" = 45° .
4994
K " = [ 5006
-3 J21 ]
IL 5006 3J21
symm 4/ z
[=~::
-4994
-3 J2/]
K IZ ." = -5006 3J21 K I 2.h=
3J21 -3 J2/ 2/ z
4994
K22a = [ 5006 3J21 ]
5006 -3 J21
symm 4l z
~2'b
Kri,,, KIZ,u
die neun Verformungsgrößen an den drei Knoten EI
mit den zugehörigen Belastungsgrößen verknüpfl, K Z2,a +Kii,h K
werden jeweilS diese 3*3-Untermatrizen eingespei-
/3 [
]
symtll. KZZ,b
chert, entsprechend der einfachen Topologie des
Systems wie nebenstehend angegeben. 9*9-System-Steitigkeitsmatrix
Fünf Knoteuverformungen sind durch die Lagerung behindert (L1I, 1'1 und ({!I an der Einspannung
und L1111 und ({!III im Symmetrieschnitt). Nach Streichen der entsprechenden Zeilen und Spal-
ten I, 2, 3, 7 und 9 (Einarbeiten der geometrischen Randbedingungen durch "Zeilen-Spalten-
Streichen") verbleibt das folgende Gleichungssystem (es wurde wieder der auf Seite 292 be-
schriebene kleine Trick angewendet, der dimensionslose Matrixelemente erzeugt):
304 18 Computer-Verfahren für Biegeprobleme
Ull
15006 4994 3V2 0 1 0
5018 6-3V2 -12 v" 0 FI 2
-
8 -6 0 EI
rp"
symm. 12 VIII -0.5
Für den Vektor der äußeren Knotenbelastungen (rechte Seite des Gleichungssystems) lieferte nur
die Kraft ~ am Knoten III einen Anteil (negativ, weil nach unten gerichtet), weil der Knoten 11
unbelastet ist.
Die nebenstehend angegebene Lösung zeigt, dass UI/
sich die Rahmenecke (im Vergleich zum Kraftan- 1 0,00009227
griffspunkt) kaum verschiebt (www.TM-aktuell.de). v" -0,00023454 F/2
Dies liegt daran. dass nur durch Längenänderung der
Elemente eine Verschiebung dieses Punktes möglich -0,05027731 EI
ist, während sich der Kraftangriffspunkt im Wesent- -0,06703986
lichen infolge der Biegeverformung verschiebt.
Die Berechnung der Element-KnOlenkräfte soll für das Element b demonstriert werden. Die be-
reits formulierten Untenmllrizen der Element-Steifigkeitsmatrix und die nun bekannten Knoten-
verformungen der Knoten 11 und 111 werden in 18. 16 ei ngesetzt:
V2 r -10000 0 0 10000 0 0 0
-
EI
Dic Element-Knotcnkräftc, die sich aus dieser Matrizenmultiplikation ergeben, stimmen rur das
Element b bis auf die Vorzeichen mit den Schnittgrößen an den Elementknoten, die nach 18.19
berechnet werden, überein:
18.3 Aufgaben
I. .. . . . .
J"
Allfgabe 18.2:
I_..;..; -" Fur den skiZZIerten Blegetrager sllld mit
Hilfe des Oifferenzenverfahrens die Biegelinie und die 21 I jF'
Verläufe von Biegemoment und Querkraft zu berechnen.
K
I
Gegeben: I, F, I, E = konst.
I 1 l 21
5 5 5 5
Für das statisch bestimmte System sind die Sebnittgrößen am mittleren Lager problemlos exakt
zu berechnen. Man vergleiche diese Werte mit den Näherungswerten, die das Differenzenverfah-
ren liefert. Oie Absenkungen der Kraftangriffspunkte sind mit der Finite-Elemente-Methode zu
überprüfen) .
-- -
kraft zu berecbnen.
Gegeben:
a b C
- d
-- -e f
I Aufgabe 18.4: I
Die Theorie des idealen Fachwerks (reibungsfreie Gelenke, Stäbe nehmen nur
Zug- bzw. Druckkräfte auf) ist mit der (im Allgemeinen realen) Ausflihrung des Tragwerks mit
biegesteifen Verbindungen (Knotenbleche) zu vergleichen. Alle Stäbe bzw. Biegeträger haben
den gleichen Rechteckquerschnitt mit der Breite b und der Höhe h.
7 2 Fl 7
I 6 6
Ö 5 3
8 F 8 F
4
Ö
, 2
9
10
6
5
4 7
2
9
10
5
20 2a 20 20
I
Aufgabe 18.5: I
Ein biegesteifer Rahmen ist
qo f~m j,lql
,
~
I
durch eine Dreieckslast und zwei konstan- d Fo
e e
te Linienlasten belastet. Alle Elemente haben
-- , dIll,
I
den gleichen Querschnitt. q2 ö
, I
",
Gegeben: a = 2 m EA = 1010N
qo = 3 kN/m EI = IO t2 Nmm 2 ~
qt = q2 = I kN/m .
2a
a) Mit einem FEM-Programm, das die Berechnung ebener biegesteifer Rahmentragwerke ge-
stattet4 , berechne man die Knotenverschiebungen des Rahmens und vergleiche sie mit den
Ergebnissen, die man erhält, wenn die Linienlasten durch ihre Resultierenden (rechte Skiz-
ze) ersetzt werden.
b) Man stelle die ermittelten Schnittgrößen an den Elementknoten des mit e bezeichneten Ele-
ments fiir beide Varianten einander gegenüber.
c) Das Gleichgewicht der Lagerreaktionen mit den äußeren Lasten ist zu iiberprüfen.
Wie in der Statik vereinbart (Abschnitt 8.4), werden die Biegemomente Mb)' und Mb,. am posi-
tiven Schnittufer so angetragen, dass die im Bereich positiver x- bzw. y-Werte liegenden Fasern
auf Zug beansprucht werden (Abbildung 19.1). Der Vorteil dieser Vereinbarung, zwei ebene
Probleme mit gleicher Definition positiver Momente betrachten zu können, gilt auch für die Bie-
gespannungsbereehnung: Die aus zwei gieiehaJ1igen Formeln zu gewinnenden Spannungsanteile
können einfach durch Addition überlagert werden, und man erhält die
<> Die Formel 19.1 gestattet die Berechnung der Biegespannung für jeden Punkt des Quer-
schnitts. Bei Beachtung der Vereinbarung für die Definition positiver Biegemomente erge-
ben sich automatisch auch die richtigen Vorzeichen für die Spannungswerte.
Die Spannungsfunktion ab(x,y) ist linear in x und y. Man kann sie sich als Ebene veranschauli-
chen, die die x-y-Ebene (Querschnitts-Ebene) entlang der Geraden
M bx Mb)' 0
-y+-x=
Jx.;c I y)'
schneidet. Diese so genannte Spannungs-Null-Linie geht durch den Schwerpunkt des Quer-
schnitts. Die auf ihr liegenden Punkte des Querschnitts sind biegespannungsfrei.
Auf einer Seite der Spannungs-Null-Linie liegen die Punkte mit positiver Biegespannung (Zug),
auf der anderen Seite die Punkte mit negativer Biegespannung (Druck). Da die Spannungsfunk-
tion durch eine Ebene repräsentiert wird, wachsen die ab-Werte proportional mit dem (senk-
rechten) Abstand der Querschnittspunkte von der Spannungs-Null-Linie, und es ergibt sich die
wichtige Aussage über den
Beispiel]: I
I_"";_ _...1 EIn Kragträger
mit Rechteckquerschnitt
(Seitenverhältnis: ~ = 2) x F
ist am freien Ende durch
eine Einzelkraft F belas-
tet. deren Wirkungslinie
durch den Schwerpunkt der b
Querschninsmiche verläuft
(tan a = 2). Abbildung 19.2: Kraft F: Zerlegung in HaupLzemralachsen-Richtungen
Die Extremwerte der Biegespannung ergeben sich in den Eckpunkten der Rechteckfläche im
ersten Quadranten (Druck) und im dritten Quadranten (Zug).
<> Dieses Beispiel bringt eine wichtige Information: Die Spannungs-Null-Linie steht im Allge-
meinennicht senkrecht auf der BelaslUngsebene und ist damit auch nicht mit der Biegeachse
(Drehachse des Gesamtbiegemoments Mb = FI in diesem Querschnitt) identisch.
Beispiel 2:I
I_ _ _ _...I Der skIZZIerte Träger mll emem
A B
Normprofil (Abmessungen siehe Abbildung
Quer-
19.4) ist durch die vertikale Kraft F belastet. schniu
Gegeben: F = I kN ; I = I m l/3 2l/3 '-30
Man ermittle Ort und Größe der maximalen Biegespannung.
Das maximale Biegemoment tritt am Kraftangriffspunkt auf. Mit der Lagerkraft FB (aus dem
Momentengleichgewicht um A) erhält man das Biegemoment (Abbildung 19.5):
F 2 2
"-8 = "3 Mb.,""" = "-8 1 = () FI
=}
3
310 19 Spezielle Biegeprobleme
;Jl
1)
'12:
o'r) "e'r) .,
'u.
~ ,-
lana oe °'1 ee en oe a'l 'n'l
\ \ cm cm cm cm cm cm cm4 cm 4
°1 x " x al 1,655 3,86 0,58 0,61 1,39 3,54 0,87 18,1 1,54
\ \
f ' , a Abbildung J9.4: QuerschnilLswerte für Normprofil
~
Ci ,- a,
;Jl
'-30 1)
1)
Die maximale Spannung tritt in dem Querschnittspunkt auf. der am weitesten von der Spannungs-
Null-Linie
lJ=-'~~ tana· ~=-19,45~ Spanllungs-
Null-Linie
'nn
o C::::O~:::I e
entfernt ist (nebenstehende Skizze). Dies sind offensichtlich die Punkte
e bzw. e. Mit den auf das ~-lJ-System bezogenen Koordinaten dieser X._ _---Jl\J
Punkte, die man der Tabelle in Abbildung 19.4 entnimmt, erhält man
für die Punkte e bzw. e:
(Jb.e = -176N/mm 2
Es empfiehlt sich. vorsichtshalber auch für die Punkte ° und ° die Spannungen zu berechnen.
Man erhält jedoch (wie erwartet) kleinere Werte.
19.1 Schiefe Biegung 311
Beispiel 3:
I_"";_ _...1
I Der skIZZierte Träger mIt r/j
I
errechnet man mit den Formeln der beiden LastHi.lle e bzw.j des Abschnitts 17.4 die Durchbie-
gungen: qol4 3 qol4 Fl 3 Fl 3
v(z=O) -- = -- ,"(z=O) - - - = - 2 -4
8 Elxx 16 Ea 4 3Elyy Ea
I 17 qOl4 17 qOl4 5 FI J 5 Fl J
v(z=Z)=384EI.u 256Ea4 ,u(z=~)=~48EI)y ~8 Ea 4
~
Der Proportionalitätsfaktor (Belluilgszahl k mit
Iv l~
der Dimension N/mm 2 ) wird experimentell er-
mittelt. p( z) ~k(z) v( z)
Unter Beibehaltung der Definitionen des Kapitels 17 ftir die Sehnit1größen, die Koordinaten und
Durchbiegungen kann die Differenzialgleichung der Biegelinie 4. Ordnung 17.4 um ein zusätzli-
ches Glied (UnjenJast infolge des Bettungsdrucks) ergänzt werden. Die resultierende Unienlast
aus der äußeren Belastung q(z) und der entgegengesetzt gerichteten Benungs-LinienJast p(z)
q,e,(Z) = q(z) - p(z) = q(z) - k(z)v(z)
wird in J7.4 eingesetzt, und man erhält aus
(19.3)
Die vier Integrationskonstanten, die in der allgemeinen Lösung der Differenzialgleichung 4. Ord-
nung auftauchen, müssen aus Rand- und Übergangsbedingungen bestimmt werden. Daftir gilt
alles, was im Abschnitt 17.3 behandelt wurde. Auch fur die Schnittgrößen gelten weiter die be-
kannten Beziehungen:
Die "Gewöhnliche inhomogene lineare Differenzialgleichung 4. Ordnung" 19.3 kann in der Re-
gel nicht geschlossen gelöst werden. Glücklicherweise ist der nachfolgend behandelte Sonderfall
"Biegesteifigkeit EI = konstant und Bettungszahl k = konstant" besonders wichtig. Die Differen-
zialgleicl1Ung kann unter dieser Voraussctzung dmch die Bicgesteiligkeit dividiert werden. es
ergibt sich die
Differenzialgleichung der Biegelinie des elastisch gebetteten Trägers mit konstanter ßie·
gesteifigkeit und konstanter Bettungszahl:
eingeführt, und die Lösung der homogenen Differenzialgleichung kann folgendermaßen aufge-
schrieben werden:
Vhom = CI e(l+n i + C2 e( -I+i)i + C3e(-I-n i +C4e(l-i)i
In dieser Form der Lösung müssten sich komplexe Integrationskonstanten ergeben, um auf reelle
Ergebnisse für die Durchbiegung zu kommen. Es ist deshalb sinnvolJ. mit Hilfe der bekannten
I Hinweisfür Leser. die die Theorie der Lösung solcher Differenz.ialgleichungen noch nicht kennen: Ohne Einbuße des
Versländnjsses rur die mechanischen Zusammenhänge darf die Entwicklung bis zum Ergebnjs 19.6 .. überlesen" wer-
den. Flir die Leser, die in der MaLhcmmik dieses Tema schon behandell haben, gil[: Gewöhnliche inhomogene lineare
DijJeren:ialgleicfulflgen mit konstal11en KoeJji=ienten sind ein so wichtiges Thema rur Ingenieure und NalUrwissen-
schaftier. dass man die Chance nicht verpa'lsen wJlte. an diesem anschaulichen Beispiel alle Schritte noch einmal
nachzuempfinden.
314 19 Spezielle Biegeprobleme
Lösung der Differenzialgleichung des elastisch gebetteten Trägers mit konstanter Bie-
gesteitigkeit und konstanter Bettungszahl, belastet mit einer Linienlast, die durch eine
Potenzfunktion maximal 3. Grades beschrieben wird:
(19.6)
<> Die Integrationskonstanten Cl bis C4 werden aus Rand- und Übergangsbedingungen be-
stimmt. Da alle Definitionen (Koordinatensystem, Verschiebungen, Schnittgrößen) aus dem
Kapitel 17 beibehalten wurden, gelten dafUr sämtliche im Abschnitt 17.3 gegebenen Bei-
spiele.
oe:> Man beachte. dass für elastisch gebettete Träger immer eine Verformungsrechnung erfor-
derlich ist, auch wenn nur die Schnittgrößen interessieren (es gibt keine "statisch bestirurnt
gelagerten Träger" mit elastischer Bellung).
Differenzialgleichungen I. Ordnung
Lineare Differenzialgleichungen höherer Ordnung
Lineare Unabhängigkeit von Funktionen
Lösungsstrategie für lineare Differenzialgleichungen mit konstanten Koeffizienten
19.2 Der elastisch gebettete Träger 315
I Beispiel: I
Für den skizzierten elastisch gebetteten Träger
sind der Verlauf der ßiegelinie und der ßiegemomentenver-
lauf zu bestimmen.
EI
Gegeben: qo, EI, I, k = 1024 (4 .
Es gilt die allgemeine Lösung 19.6 für die Differenzialgleichung der ßiegelinie des elastisch
gebetteten Trägers mit konstanter Biegesteifigkeit und konstanter Bettungszahl, die folgenden
Randbedingungen angepasst werden muss:
1.) v(O) = 0 2.) v'(O) = 0 , 3.) v(l) = 0 , 4.) Mb(l) = 0 =} v"(I) = 0
Neben der Verschiebungsfunktion v(z) werden also noch deren I. und 2. Ableitungen benötigt:
,
v(z) =
ei [
L z
(C, +C2)eosL:+(C2-CI)sinL:
z] +T
e- i [(C4-C3)COSL:z -(C3+ C4) sin L:z] '
"() 2 • ( . Z Z) 2 _ t- ( C3S1nL:-C4coSL:
. Z Z)
v Z = L2ec -C,SIl1L:+C2COSL: + L2e
Die Verschiebungsfunktion v(z) und ihre Ableitllngen werden in die vier Randbedingungs-Glei-
chungen eingesetzt, und es ergibt sich ein lineares Gleichungssystem für die vier Integrations-
konstanten :
0 I 0
I I -I I
[ I
ei cos t e I sm I e~ t cos
I . I
f I
e~lslfiI
. I
I
~e I
. I
$111 [ e f cos t I .
e~lsll11
I
-e-1cosr
' I
L:=Y4Ei I =Y4Ei=4
0.01226725628224
folgendes Ergebnis: 0.01424798813525
-1.01226725628224
CI] [0'012267256] qol4 -1.03878250069972
C2 _ 0,014247988
C] - -1,012267256 1024 EI
[
C4 - I ,03878250 I »
(nebenstehend das "Command Window" von Matlab mit
diesem Ergebnis).
Mit den Konstanten kann die Biegelinie aufgeschrieben werden (aus den C; wurde der gemein-
4
same Faktor I~~~EI ausgeklammert, die Ci sind die dimensionslosen Zahlenwerte), und der Bie-
gemomentenverlauf ergibt sich nach der Formel Mb(Z) = -EII'(z):
316 19 Spezielle Biegeprobleme
o:r<s:'" :?1
Ncbenstehcnd sieht man (Matlab-Grafik) dcn
Verlauf der Biegelinie und des Biegemoments.
Dargestellt sind d.ie
EI
dimensionslosen Verschiebungen - - v
qo/4
o
J
bzw. die 0.2 0.4 0.6 0.8 1
Biegemomenl
Mb
o~p
dimensionslosen Biegemomentc
QO/2
Ocr Zahlenwert für k war erfordcrlich, um in dcr Kocffizicl1lcnmatrix des Gleichungssystcms flir
t
die Bestimmung der Integrationskonstanten für den Quotienten einen Zahlenwert zu erhalten.
Die Frage, ob man das Gleichungssystem (immerhin nur vier Gleichungen) nicht allgemein lösen
könnte, ist in diesem Fall mit einem ,,.Ja, aber" zu beantworten.
Dabei braucht man sich die Lösung des Gleichungssystems "von Hand" nicht anzutun. Program-
me, die symbolisch rechnen können, liefern durchaus ein korrektes Ergebnis ab (Ergebnisse die-
ser Al1 siehe www.TM-aktuell.de). Die Ausdrücke für die Konstanten sind aber so kompliziert,
dass das eigentliche Ziel solcher Rechnungen, den Einftuss der Parameter auf die Resultate zu
erkennen, nur sehr bedingt erreicht wird.
Aber es gcht! Folgendc Intcgrationskonstantcn licfcrt z. B. Maplc nach symbolischer Rechnung
ab:
[~j]
Auch wenn der geübte Rechner hier noch etwas Potenzial zur Vereinfacbung dieser Ausdrücke
sieht, kann man aus solchen Fomlel-Monstern doch nichts cntnehmen. Um cs deutlich zu sagen:
Symbolische Rechnung kann hier nicht empfohlen werden. GegebenenfaJIs sollte man die Rech-
11l1llg fUT mehrere unterschiedliche Parameterwerte dW'chführen, so dass man eine Kurvenschar
erhält, aus der man den Einftuss der interessierenden Parameter ablesen kann.
19.2 Der elastisch gebettete Träger 317
Das einfache Beispiel des vorigen Abschnitts hat gezeigt. dass trotz konstanter Biegesteifigkeit
und konstanter Bettungszahl dcr Rechcnaufwand bci eincr exaktcn Lösung recht crheblich wird.
Deshalb bietet sich schon fLir solche Aufgaben eine numerische Lösung an, die bei komplizier-
tcrcn Problcmen ohnehin unumgänglich ist.
Da sich die Differenzialgleichungen der Biegelinie des elastisch gebetteten Trägers 19.3 bzw.
19.4 nur durch den Bettungsanteil k(z)v(z) von den Differenzialgleichungen der Biegelinie des
nicht gebetteten Trägers unterscheiden, für die im Abschnitt 18.1 die Differenzenformeln herge-
leitet wurden, müssen die Formeln 18.2 bzw. 18.4 nur um diesen Anteil ergänzt werden. Weil der
Bettungsanteil keine Ableitung enthält, wird er am Punkt i einfach zu kiVi, und die m.it t;;. multi-
plizicrtcn Diffcrenzcnglcichungcn des Abschnitts \8.1 wcrdcn um gcnau cincn Tcrm crgänzt.
<> Auch in der einfacheren Differenzenformel 19.8 darf die Bettungszahl veränderlich sein (an
jedem Punkt i cincn anderen Wcrt habcn). Dics wird in dcn nachfolgenden Überlegungen zu
den Übergangsbed.ingungen genutzt.
<> Für die Berechnung der Biegemomente und Querkräfte gelten für den elastisch gebetteten
Träger die gleichen DifferenziaJbeziehungen wie für den Träger ohne elastische Bettung.
Deshalb dürfen die Differenzenformeln 18.3 bzw. 18.5 ungeändert übernommen werden.
zusätz.liche Möglichkeiten ftir die Berücksichtigung von linearen Federn, vorgeschriebenen Ver-
schiebungen und Zwischenstützen an, die einerseits eine Bestätigung der Strategien sind, die im
Abschnitt 18.1.4 beschrieben wurden, andererseits sogar noch einfacher zu realisieren sind.
qi h4
-2(/1i+/1i+I)Vi+1 +/1i+I Vi+2 = Elo
li
mit /l; = - (10 ist ein beliebiges Bezugs-Trägheitsmoment).
10
Folgendc einhcitliche Strategie für dic Bercchnung geradcr Bicgcträger (mit und ohne Bcttung)
nach dem Differenzenverfahren wird empfohlen (unter www.TM-aktuelJ.de findet man zahlrei-
che Beispiele, die auf diese Weise berechnet wurden):
(j) Der Träger mit der Gesamtlänge I wird äquidistant in nA Abschnitte der Breite h = dA so
unterteilt, dass alle markanten Punkte (Krafteinleilung, Lager, Gelenke, ...) getroffen wer-
den. Mit Rand- und Außenpunkten entstehen insgesamt" = "A
+ 5 StützsteIlen. Der linke
Randpunkt des Trägers hat die Nummer 3, der rechte Randpunkt die Nummer 11- 2.
@ Es werden 3 Vektoren qi, ki und mi mit jeweils n Elementen definiert, die zunächst sämtlich
Null gesetzt werden.
@ In den Vektor qi werden die von Null abweichenden Linienlastintensitälen qi an den Stütz-
steIlen einschließlich "verschmierter" Einzelkräfte und -momente eingetragen.
@) In den Vektor ki werden die von Null abweichenden Bettungsziffern ki an den Slülzstellen
einschlicßlich "vcrschmicrtcr" Federn und Zwischenstützen eingctragcn.
@ Es wird eine beliebige Bezugs-Biegesteifigkeit Elo gewählt. In den Vektor mi werden die
Quotienten
EI;
/li = Elo
eingetragen. EI; ist die Biegesteifigkeit am Punkt i. Fiir die Außenpunkte werden die Werte
eingesetzt. die sich bei Fortsetzung des Trägers über die Ränder hinaus ergeben würden.
Gelenke werden berücksichtigt, indem für den Gelenkpunkt der Wert 0 eingetragen wird.
@ Für die nA + I Trägerpunkte können damit alle Differenzengleichungen nach 19.9 aufge-
schrieben werden.
t1J Die vier Randbedingungsgleichungen werden aus dem Katalog des Abschnitts 18.1.5 er-
gänzt, so dass das Gleichungssystem mit n Gleichungen komplett ist.
@ Nach der Lösung des Gleichungssystems sind die Verschiebungen ftir alle Punkte (Biege-
linie) bekannt. Die Schnittgrößen (Biegemoment und Querkraft) können damit nach 19.9
berechnet werden.
320 19 Spezielle Biegeprobleme
Beispiel: I
I_....;.__ Der skIzzIerte Träger mIt
stückweise konstantem Querschnitl ist im
linken Bereich elastisch gebettet. Es sind
die Biegelinie und der Verlauf des Biege-
moments zu ermitleln. Speziell sind die
Verschicbungcn am Angriffspunkt von F
und am rechten Rand sowie die Feder-
kraft zu berechnen.
Gegcben:
11 = 12 = 250mm 13 =4oomm; Eil =6.109 Nmm 2 ; c = 6kN/mm F = 2kN
k = 12N/mm2 14 = 300 mm; EI2 = 3· 10 10 Nmm 2 ; ql = 14 Nimm M = 240Nm
G) Der Träger mit der Gesamtlänge 1 = 1200mm wird in "A = 600 Abschnitte der Breite h =
.L
nA
= 2mm unterteilt. Es entstehen 11 = IlA + 5 = 605 StützsteJlen. Der linke Randpunkt des
Trägers hat die Nummer 3, der rechte Randpunkt die Nummer 603. Die Kraft F greift am
Punkt 128 an. die Feder befindet sich am Punkt 253, die Zwischenstütze am Punk1453.
®... @ Als Bezugs-Biegestcifigkeit wird Elo = Eil geWählt. Die 3 Vektoren qi, ki und lIIi wer-
den folgendermaßen mit den gegebenen Werten bestückt:
0 0 <- I
0 0 <- 2
0 12 <- 3
0 12 <- 127
1000 12 <- 128
0 12 <- 129
0 12 I <-252
0 3006 3 <- 253
qi= 0,04 ki= 0 mi= 5 <- 254
0,08 0 5 <- 255
13,96 0 5 <-602
14 0 5 <-603
0 0 5 <-604
0 0 5 <- 605
19.2 Der elastisch gebettete Träger 321
® Damit können alle Differenzengleichungen nach 19.9 aufgeschrieben werden. Man findet
unter www.TM-aktuell.de die Realisierung mit einem Matlab-Script.
(J) Die vier Randbedingungsgleichungen werden Durchbiegung
aus dem Katalog des Abschnitts 18.1.5 entnom- -O.5,---~-~-~-~-~-----,
men. Mit den gegebenen Zahlenwerten ergibt vF~0.226mm V '"
M
0,334 mrn
o
sich:
"3 = 0 0.5 O~----=2~OO:--4C:OO-:---:C600~----=80~0:--'
000~----='~2oo
-"2 +"4 = 0
:E;a
5 "6(J2 - 10"603 + 5 "604 = -0,00016
-5 "601 + 101'602 - 101'604 + 5 "605 = 0
~FLbJJ
net werden. Abbildung 19.7 zeigt die Biegeli-
nie, den Mb-Verlauf und den FQ- Verlauf.
Die speziellen Werte, die in der AufgabensteI-
lung gefordert sind, findet man ebenfalls in der -2000
o 200 400 600 800 1000 1200
Grafik, die Federkraft wurde aus
Abbildung 19.7: Biegelinie, Schniugrößen
Fe = CV253 und spezielle Werte (Differenzenverfahren mit
Die Genauigkeit der Ergebnisse ist schwer abzuschätzen. Man sollte immer mindestens eine
zusätzliche Rechnung mil einer anderen Diskrelisierung durchführen. Diese schützt natürlich
nicht vor systematischen Fehlern bei der Anwendung des Differenzenverfahrens.
1m folgenden Abschnitt werden die Ergebnisse einer sehr wirkungsvollen Kontrolle unterzogen.
Der im Abschnitt 18.2 für den geraden ßiegeträger beschriebene FEM-Algorithmus kann ohne
Änderung auf elastisch gebettete Träger übertragen werden, wenn die Element-Steifigkeitsmatrix
geeignct erweitert wird. Für deren Hcrlcilung wird das später im Kapitel 33 beschriebene Ver-
fahren empfohlen. Nachfolgend sieht man das Ergebnis.
Die Finite-Elemente-Rechnung liefen für den elastisch geberteten Träger in jedem Fall nur eine
Näherungslösung. Ein einziges Element (wie beim Träger ohne Bcrtung) flir einen elastisch
gebetteten Bereich liefert deshalb in der Regel nur eine grobe Näherung.
Knotenver1ormungen:
v1 :E 0
,*,i1 • 0
....2 ·0.2261432
phi2 '" 3.04641 E-4
....3 a 0.0522648
",,3 - -6.5658E-4
o 200 400 600 800 1000 1200
v4 = 0
phi4 '" 9.18968E-4
vS .. 0.33419046
,*,i5 : 3.93968E-4
Lagerreaktionen:
vm.ilx"'O.3341Q046 b@ix=12OO vmin '" ·0.0528716 bei x '" 768.2635 F1 • 788.03204
8iegemoment M" '110881.22
F3 • 31 3.5888
F4· 5009.166
t>c===:::::~1
• Dcr Träger ist eben gekrümmT. Dcr Krümmungsradius p
darf veränderlich sein.
• Der Träger ist ausschließlich in der Krümmungsebene be- s
lasteT.
• Eine dcr beiden HauptzenTralachsen dcr Trägerqucrschnitte hat die Richtung des Kriim-
ml/ngsradil/s.
• Als Trägerachse wird (wie beim geraden Träger) die Verbindungslinie der Schwerpunkte
aller Querschnittsflächen angesehen.
19.3.1 Schnittgrößen
I.n enger Anlehnung an die Vereinbarungen, die rur den geraden Träger (Kapitel 7) getroffen
wurdcn, dcfinicrt man dic
• Die Bezugsfaser wird immer auf der Außenseite des Trägers angetragen (nicht auf der
Seite, auf der der Krümmungsmittelpunkt liegt).
• Die Normalkraft FN wird in tangentialer Richtung als Zugkraft angetragen.
• Die in radialer Richtung wirkende Querkraft Po zeigt am positiven Schnittufer zur
Bezugsfaserseite.
• Ein positives Biegemoment Mb wirkt so, dass es die Krümmung vergrößert (und die
Bezugsfaserseite auf Zug belastet).
Analog zur Vorgehensweise beim geraden Träger werden nun die differenziellen Beziehungen
ermittelt, die für die Schnittgrößen des gekrümmten Trägers gelten müssen. Dazu wird ein sehr
kleines Element (Länge Lis) aus dem Träger herausgeschnitten (Abbildung 19.10). Die Schnitt-
größen verändern vom linken bis zum rechten Schnittufer dieses Elements ihre Größen tU11 !'.FN ,
!'.PQ bzw. !'.Mb.
324 19 Spezielle Biegeprobleme
~ N . . ,!I %w/',~
Deshalb wird auch die verteilte äußere Be-
lastung (Linien last) mit zwei Komponenten
q, (radial) und q, (tangential) berücksichtigt
FQ p(s)
,-
(man bedenke, dass selbst das Eigengewicht
beim gekrümmten Träger nur durch beide
uS
ps F+/',F
Q Q
Diese fUhren nach dem Grenzübergang As ...... 0 (und damit /';,FN ...... 0, MQ ...... 0 und /';,M" ...... 0)
nach etwas mühsamerer Rechnung als beim geraden Träger auf die
<> Der Leser, der bei dem (lobenswerten) Versuch, die Rechnung nachzuvollziehen, die zu
den Fonnein 19.11 führt, Schwierigkeiten hat, sollte sich noch einmal die im Abschnitt 9.2
vorgeflihrte Herleitung der Fonnel für die Seil haftung ansehen, bei der exakt die gleichen
Überlegungen anzustellen waren.
oe:> Der wichtige Sonderfall des Kreisbogenträgers (mit konstantem Krümmungsradius R) ist in
den Formeln 19.11 enthalten. Empfehlenswel1 ist, für Kreisbogenträger mit einer Winkelko-
ordinate rp zu arbeiten, so dass in 19.11 ds durch Rdrp ersetzt werden kann.
Führt man mit den Formeln für den Kreisbogenträger den Grenzübergang
R--+oo Rdrp ...... dl
durch, so ergeben sich die fLir gerade Träger geltenden Beziehungen 7.1.
I_Beispiel: I
_ _ _ Em halbkrelSfärmlger Träger Ist durch eme
konstante radiale Linienlast belastet. Man ennittle die La-
gerreaktionen bei A und B und die Schnittgräßenveriäufe.
Gegeben: R, qo.
19.3 Der gekrümmte Träger 325
J
rp
J
rp
<> Der Betrag der Resultierenden einer komIanten radial gerichteten Linienlast qO (konstante
Radiallast) über einen Kreisbogen mit dem Öffnungswinkel ip ergibt sich aus dem Produkt
der Linienlastintensität qo und der Sehnenlänge des Kreisbogens.
Für den Spezial fall, der für die Berechnung der Lagerreaktioncn des Beispiels benötigt wird
(Halbkreis), ist dies der Durchmesser 2R, und man erhält für die beiden Vertikalkomponenten
der Lagerkräfte:
Die einfache Formel für die Berechnung der Resultierenden einer konstanten Radiallast wird nun
auch für die Ermittlung der Schnittgrößen verwende!. Die Abbildung 19.11 zeigt den Schnitt an
326 19 Spezielle Biegeproblerne
der Stelle, die durch die Koordinate cP gekennzeichnet ist, mit den dort wirkenden Schningrößen,
der Resultierendcn der Linienlast und der Vertikal komponente der LageITeaktion bei B.
Damit erübrigt sich das Aufschreiben der Kraft-Gleichgewichtsbedingungen, denn nach 19.11
ist auch die Querkraft gleich Null, und die Normalkraft muss konstant sein. Da die Normalkraft
an den Lagern mit den Vertikalkomponenten der Lagerreaktionen im Gleichgewicht sein muss,
gilt also:
c;> Die konstante radial gerichtete Linienlast ruft bei diesem Halbkreisträger als einzige Schnitt-
größe eine (konstante) NormaLkraft hervor. Der Träger hat damit für diese Belastung die
ideale Fornl einer Stiitzlinie (vgl. Beispiel 2 im Abschnin 11.2 auf Seite 166, wo die Stützli-
nie für konstante vertikal gerichtete Linienlast berechnet wurde).
Aus diesem Beispiel lassen sich folgende Aussagen für einen wichtigen Spezialfall ableiten:
Deshalb treten im geschlossenen Kreisring weder Biegemoment noch Querkraft auf, die Nor-
malkraft hat den konstanten Wert
FN = -qOR
Für den geschlitzten Kreisring (Abbildung 19.12, rechte Skizze) erhält man mit einer Schninskiz-
ze wie in Abbildung 19.n (ohne die LageITeaktion) aus Gleichgewichtsbetrachtungen:
FN(cp) = -2qoRsin
2
~ Mb(CP) = 2qoR2 sin 2 ~
mit den Maximalwel1en bei cP = n:
FN.max = -2qOR M b . max = 2qoR 2
Beim geschlitzten Kreisring ist eine Hälfte (bei cP = n) an der anderen stalT eingespannt. Dort
trin (zusätzlich zur Normalkraft) das geHihrlich große Biegemoment Mb.rnax auf.
19.3 Der gekrümmte Träger 327
Die Schnittgrößen repräsentieren die resultierenden Wirkungen der iiber den Querschnitt veneil-
ten Spannungen. Die Normalkraft und das Biegemoment sind den Wirkungen der Nonnalspan-
nungen äquivalent (wie beim geraden Träger, vgl. Formeln 14.1 und 16.2).
FN = J a(y) dA Mb= J yab(Y)dA (19.12)
A A
In diesen Formeln können bei Giiltigkeit des Hookesehen Gesetzes die Spannungen durch die
Dehnungen ersetzt werden. Die folgenden Betrachtungen konzentrieren sich darauf, die Deh-
nungen beliebiger Fasern des Trägers zu erfassen.
Wie beim geraden Träger beginnt die y-Achse im Schwerpunkt des Querschnitts (in der Träger-
achse) und zeigt zu der Seite, auf der die Bezugsfaser liegt. Es wird auch fur den gekrümmten
Träger die Gültigkeit der Bernoullisehen Hypothese (vgl. Abschnitt 16.1, Seite 216) vorausge-
setzt: Die Trägerquerschnitte behalten bei der Verformung ihre ursprünglich ebene Form bei.
Dann verformt sich ein aus dem Träger herausgeschnittenes differenziell kleines Element (Ab-
messung entlang der Trägerachse vor der Vetiormung sei dso) entsprechend Abbildung 19.13.
0/ 0
ds o ds o
d<p= d<p =
~ [J ~ [J
O'
neutrale Faser
Trageraehse
d'f; duo
ds o du
ds(y)
c( ) = ..!!.!!.... = +
fopdrp ydlfl = fQ + (dlfl _ ) _y_
Y ds(y) (p + y)drp drp Eo P +Y
328 19 Spezielle Biegeprobleme
U(Y)=EE(Y)=E[Eo+(~;-Eo)P:Y] (19.13)
aufgeschrieben werden, das nun zusammen mit den beiden eingangs angegebenen Formeln 19.12
für die Schnittgrößen ein Gleichungssystem für die drei unbekannten Größen u(y), Eo und %
bildet. Da Eo und %
nicht von der Querschllittskoordinate y abhängig sind, können sie beim
Einsetzen von 19.13 in die Schningrößen-Formeln 19.12 vor die Integrale gezogen werden:
Mb=E[Eo!YdA+(~;-Eo)!p:ydA]
Drei Integralausdrücke erscheinen in 19.14: Das Integral JA y dA aus der zweiten Gleichung
verschwindet, weil eS das statische Moment bezügJich des Schwerpunktes ist (vgl. 16.1). Das
Integral in der ersten Gleichung liefe.1 in der Regcl einen negativen Wert, deshalb sctzt man
j _Y-
p+y
dA = -/(A (19.15)
A
mit dem dimensionslosen Parameter /(, mit dem sich dann auch das Integral der zweiten Glei-
chung aufschreiben lässt:
;
j p+y dA=j(Y-~)dA=jYdA-Pj-Y-dA=/(PA
p+y p+y
(19.16)
A A A A
Die Abkürzungen für die Integrale 19.15 und 19.16 werden in die beiden Formeln 19.14 ein-
gesetzt, aus denen danach der Klammerausdruck (% -
Eo) und Eo berechnet werden können.
Die Ergebnisse werden in die Spannungsformel 19.13 eingesetzt, und man erhält nach etwas
mlihsamer (aber nicht sChwieriger) Rechnung die Formel tUr die
FN Mb ( 1 +
u(y)=-+- I - Y-) mit /( = _.!. j _Y- dA (19.17)
A pA /( P +y A p+y
A
oe:> Die Normalkraft fUhrt zu einer konstanten SpannungsverteiJung wie beim geraden Träger
und könntc (wic don) gcsondcn crfasst und mit dcn Bicgcspannungcn übcrlagert wcrdcn.
oe:> Das Biegemoment erzeugt eine nichtlineare Spannungsveneilung über die Querschnittshö-
he. Auch bei reiner Biegung (FN = 0) verläuft die Spannungs-Null-Linie nicht durch die
Trägerachse (Schwerpunktachse ist nicht die neutrale Faser).
oe:> Flir p -> 00 geht 19.17 in die Formel für den geraden Träger libero Aus 19.16 ergibt sich:
/(p2A =j pr dA=j r1. dA =} lim(/(p2A)=jidA=lxx. (19.18)
p +y 1+ p p~oo
A A A
19.3 Der gekrümmte Träger 329
I e=h/2
Tm'
Beispiel]:
I_ _ _...... Für spezIelle Quersehmll.sformcn (Rechteck, sym-
metrisches Trapez, Kreis) eines gekrümmten Trägers sollen die
.0 0--
zur Spannungsberechnung erforderlichen K-Werte in Abhän-
1
gigkeit von ~ berechnet werden. Das Verhältnis ~ mit dem h
Abstand e vom Flächenschwerpunkt zum lünenrand der Quer-
schnittsfläche kann als Maß für die Stärke der Krümmung des
Trägers gedeutet werden. y
In den Skizzen ist auch jeweils eine Empfehlung angedeutet,
wie man das differenziell kleine Flächenelement dA wählen
kann, um ein Doppelintegral beim Integrieren über die Quer- h
schnittsfläche A zu vemleiden.
Für das Rechteck mit dem Flächenelemem dA = bdy erhält man IV"
#~e_
ein in geschlossener Form lösbares Integral:
d,/~/ .0
/ <. ,
h
K=-~f-Y-dA=-~J
2
P-) dy
(I--p+y y
dA=b(y) dy
A. p+y A
A _~
(I + b) _1 (I + ~) _ I
'" b(y)
= ~h In
1-1!.-
= !!...-In
2e I-!.
2p P
Auch für das Trapez und den Kreis ergeben sicb Integrale, die in geschlossener Form lösbar sind.
Allerdings ist man gut beraten, die Unterstützung durch ein symbolisch rechnendes Programm in
Anspruch zu nehmen (oder numerisch zu integrieren). Die komplell.e Rechnung findet man umer
www.TM-aktueU.de. die Tabelle in Abbildung 19.14 zeigt eiHige ausgewählte Ergebn.isse.
"-
e 0,75 0,25 0,1 0,05
0.5
Rechteck 0,29727 0,098612 0,021651 0,0033535 0,00083460
~=O 0,38527 0,13119 0,030118 0.0048553 0,0012286
Trapez ~ =0,5 0,34272 0,11476 0,025643 0.0040335 0,0010101
~=2 0,24076 0,079710 0,017280 0,0026436 0,00065446
Kreis 0,20378 0,071797 0,016133 0.0025126 0,00062594
I
Beispiel 2:
I_"";_ _...1 Am BeIspiel des Krelsquerschmtts soll der Emfluss der
Krümmung des Trägers auf die Spannungen im Querschnitt disku-
tiert werden. Der skizzierte Träger hat in allen Bereichen den glei-
chen Kreisquerschnitt mit dem Radius r. Die beiden gekrümmten
Bereiche zeigen (maßstäblich) Krtimmungen, die durch f, = 0,1
bzw. f, = 0,5 charakterisiert werden können (fLir Kreisquerschnit-
t e gl'It'
:p= p r) .
Weil der Träger nur durch ein äußeres Moment Mo belastet ist, wirkt
in allen Querschnitten das gleiche Biegemoment Mb = Mo (Normal-
und Querkräfte gibt es nicht). Dann kann im geraden Trägerbereich
die Spannung an den Querschnittsrändern (vgl. Abschnitt 16.3) nach
®
2r
Mb Mo
a b = - = 4 -3
Wb nr p~ '-" --,~0
berechnet werden. In den gekrünunten TrägeTIeilen gilt 19.17, wobei
am Innenrand y = -r und am Außenrand y = r zu setzen ist.
Man errechnet nach 19.17 ab; für den Innen rand und a/x, für den Außenrand:
Dic Funktionen .1'; und Sa dürfen als Maß für den Einfluss der Krümmung angesehen werden und
können mit dem Faktor 4, der für den geraden Träger steht, verglichen werden. Für den Bereich
mit schwacher Krümmung erhält man mit
.1';(0, I) = -4,32 und .1',,(0, I) = 3,72
Werte, die nur wenig « 10%) von den Werten fiir den geraden Träger abweichen. Im Bereich
starker Krümmung dagegen sind die Abweichungen der Spannungswerte für den gekrümmten
Träger deutlich größer:
.1';(0,5) = -6,46 und .1',,(0,5) = 2,82
Die an diesem Beispiel gewonnenen Aussagen lassen sich verallgemeinern:
Die absolut größte Spannung tritt bei gekrümmten Trägern am Innenrand auf.
Als Maß für die Krümmung eines Trägers wird das Verhältnis des Abstands e der 1nnenrand-
faser vom Schwerpunkt des Querschnitts zum Krümmungsradius p der Trägerachse definiert.
Für schwach gekriimmte Träger (~ « I) sind die Abweichungen der Maximalspannungen
gegenüber der Berechnung mit der Formel für den geraden Träger gering. so dass (natürl ich
abhängig von den Genauigkeitsforderungen) gegebenenfaJls mit dieser einfacberen Formel ge-
rechnet werden kann. Man beachte jedoch, dass man damit nicht "auf der sicheren Seite" liegt.
19.3 Der gekrümmte Träger 331
I
Beispiel 3:
I_"";_ _...1 Em Kranhaken mit dem KrümmungsradIUs R 1St eIn
typischer Vertreter eines (in der Regel sehr hoch belasteten) stark
gekrümmten Trägers. Für den zu untersuchenden Bereich des skiz-
zielten Kranhakens gilt: ~ = 0,5.
Es ist zu berechnen, ob ein Kreisquerschnilt oder ein Rechteck-
querschnitt mit gleicher Querschnittsfläche (bei gleicher Krüm-
mung ji) günstiger ist.
Gegeben: R = IOcm; F = 25 kN .
R
Für den Kreisquerschnitlmit r = e = Scm und der Querschnittsflä-
che 2
AKreis = lCr
entnimmt man der Tabelle in der Abbildung 19.14 auf Seite 329:
F'
KKre;s = 0,071797
Für den Recllteckquerschnin mit ~ = e = Scm und damit h = 10cm errechnel sich die Breite
(bei gleicher Querschninsfläehe wie für den Kreis) nach
lfr2 lfr
ARechteck = bh = AKre;., =} b= h = T = 7, 8S4cm
Auch der K-Wert für das Rechteck wird der Tabelle in der Abbildung 19.14 auf Seite 329 ent-
nommen:
KRechteck = O. 098612
Die Abbildung 19.15 zeigt die Schnittgrößen im gefahrde-
ten Querschnin (maximale Normalkraft, maximales Biegemo-
ment). Die Gleichgewichtsbedingungen liefern:
Mb=-FR FN=F
Nach 19.17 erhält man die Spannungsverteilung 111 diesem r R
Querschnitt:
er(y)=-P ( -1- y- )
A K R+y
Inncnrand Außenrand
Kreis: er [N/mm 2 ] = 44.33 -14,78
Rechteck: er [Nimm'] = 32,28 -10,76
Der Rechteckquerschnitt erweist sich als günstiger als der Kreisquerschnitl. Die Absolutwerte
der Spannungen sind am Innenrand wegen der starken Krül1lmwlg deutlich größer als am Au-
ßenrand.
332 19 Spezielle Biegeproblerne
Die Untersuchung der Verformung wird bier auf Kreisbogenrräger bescllränkt. Dann kann
• anstelle des veränderlichen Krümmungsradius p des unverformten Trägers der konstante
Radius R angenommen werden und
• ein beliebiger Punkt der Trägerachse durch eine Winkelkoordinate cp identifiziert werden.
Die Abbildung 19.16 zeigt ein aus dem Träger herausgeschnittenes differenziell kleines Ele-
ment, dessen Krümmungsradius R (des gestrichelt gezeichneten unverformten Elements) sich
durch die Verformung auf p ändert. Dabei wird gleichzeitig aus dem Öffnungswinkel dcp der
Öffnungswinkel (dcp + dlJl) des verformten Elements, wobei das Ebenbleiben der Querschnitte
(Bemoulli-Hypothese) vorausgesetzt wird.
Die Trägerachse des unverfoffinen Elements
dSQ =Rdcp
dehnt sich bei der Verformung um
--
d<p
df -dsa
eo = -:----'-
dsa d<p+d'lj; ~
R.
achse R "-
df = dsa + eodsa = Rdcp( I +eo) I /
,
umgestellt, die auch durch den Krümmwlgsradius p der ds
verformten Trägerachse und den geänderten Öffnungswin- dS a
kel (dcp + dlJl) dargestellt werden kann:
df= p(dcp+dlfl)
Gleichsetzen dieser beiden Ausdrücke (und gleichzeitige
Division durch dcp) liefert: Abbildung 19.16: Unverformtes (ge-
R(I+eo)=P(I+~~) strichelt gezeichnetes) und verfonntes
Element des Kreisbogenlrägers
Der Ausdruck ~: konme im vorigen Abschnitt aus der zweiten Gleichung von 19.14 unter Ein-
beziehung von 19. J6 ersetzt werden, wobei der dort verwendete Krümmungsradius p durch den
Radius des Kreisbogenträgers R ersetzt werden muss. Nach einigen elementaren Umformungen
erhäl t Illan:
1 Mb
( 19.19)
P R I +eo K:R2EA
Hierin könnte eo auch noch (wie ~) ersetzt werden, so dass ein Zusammenhang zwischen p
und den SChnittgrößen entstehen würde. Darauf wird verzichtet, weil für die folgenden Überle-
gungen ohnehin (wie auch in der Biegetheorie des geraden Trägers, vgl. Abschnitt 17.1) kleine
Verformungen voransgesetzt werden. Dann kann wegen eo « I der erste Bntch anf der rechten
Seite von 19.19 als Faktor weggelassen werden:
I
(19.20)
P R
19.3 Der gekrümmte Träger 333
Gleichung 19.20 beschreibt die Verfonnung eines Kreisbogenträgers infolge der Biegebelastung,
wobei ftir eine sinnvolle praktische Handhabbarkeit der Krümmungsradius des verfonnten Trä-
gers ß noch durch die Verschiebungen der Punkte der Trägerachse ersetzt werden muss.
Die Abbildung 19.17 verdeutlicht, dass (im Ge-
gensatz zum geraden Träger) der Verformungszu-
verfomlte
stand stets durch zwei Verschiebungskomponen- Trägerachse
ten beschrieben werden muss (Punkt Ader Trä-
gerachse verschiebt sich nach A'), weil die tan- ~
gential gerichtete Verschiebung u nicht nur durch ~ ----- A'
~
die Normalkraft hervorgerufen wird. ur,-
v "-
Es wird vereinbart, R A
• die Punkte der Trägerachse des unverfoml- \
-1-=-
ten Kreisbogenträgers durch die Koordinate \
cp festzulegen,
• die RadiaJverscniebung v positiv nach außen --jL--'P---o-- /
(zur Bezugsfaserseite wie beim geradcn Trä-
ger) zu richten und
dic Tangentialvcrschicbung u positiv in Abbildung 19.17: Radialverschiebung v und
Richtung größer werdender Winkelkoordi- Tangentialverschiebung u
nate cp anzunehmen.
In 19.20 wird nun ß durch die Verschiebungskomponenten u und versetzt. Tn dcm (willkürlich
in den Mittelpunkt des unverformten Kreisbogenträgers gelegten) x-y-Koordinatensystem kann
die Verformungskurve (Lage des beliebigen Punktes A') aus der Skizze abgelesen werden:
x = (R + v)coscp - usin rp
)' = (R + v) sincp +ucoscp
Dies kann als Parameterdarstellung der Verformungskurve (Parameter ist die Winkelkoordinate
rp) aufgefasst werden, für die die Krümmung (reziproker Krümmungsradius) nach
1_ iy-iy ._ dx ._ dy
-:::: - 1 mit x- - y- -
P (i 2 + y2) i dcp dcp
aufgescnrieben werden kann. 1m Zähler dieses Bruchs und innerhalb der Klammer im Nenner
entstehen ausschließlich Produkte aus zwei Größen, die jeweils die Dimension einer Länge ha-
ben. Alle Produkte aus Verschiebungen und Verschiebungsableitlll1gen (z. B.: u2, v2, uv, uv, ...)
können gegenüber den Produkten aus dem Radius R und den Verschiebungen bzw. Verschie-
bungsableitungen (z. B.: Ru, Rv, Rii, ...) vernachlässigt werden, wobei klar wird, in weichem
Sinne der Begriff "kleine Verschiebungen" zu verstehen iSI: Die Verschiebungen müssen klein
gegenüber dem Radius des unverformlen Kreisbogemrägers sein. Nach etwas mühsamer (aber
nicht schwieriger) Rechnung erhält man mit
I I +k(2v+3ü-v)
R [1+~(v+ülF
J
334 19 Spezielle Biegeprobleme
einen Ausdruck, der wegen der vorausgesetzten Kleinheit der Verschiebungen noch weiter zu
vereinfachen ist. Da natürlich rur den Ausdruck im Nenner
2
0= R(v+u)« I
gilt, kann die PotenzreihenentwickJung des Nenners
~1 3 3·5 2
(1+0) '=1-2"0+ . 0 -+.
2 4
nach dem linearen Glied abgebrochen werden, und man erhält über
BWu
B ~u:;;dU
zeigt ein differenziell kleines Element (Länge der unverformten Trä- ~;+dV
gerachse: Rdrp), dessen Endpunkte A und B nach der Verformung bei
A' bzw. B' liegen. Die Trägerachse verlängert sich durch die Radialver-
schiebung v von Rdrp auf (R + v)drp und durch die Tangentialverschie-
bungen u bzw. (u + du) um du (der Einfluss von dv kann als klein von
"
d'f!~
~R
A
höherer Ordnung vernachlässigt werden). ~
Abbildung 19.18: Ver-
Damit kann die Dehnung der Trägerachse aufgeschrieben werden:
knüpfung der Verscbje-
Co = (R+v)drp-Rdrp+du = ~(v+ti) bungen u und v
Rdrp R
Diese Dehnung kann wieder gleichgesetzt werden mit dem Co, das sich aus der zweiten Formel
von 19.14 errechnet, lmd man erhält den gesuchten Zusammenhang von Radialverschiebllng und
Schnittgrößen. Gemeinsam mit der bereits für die Radialverschiebungen angegebenen Beziehung
hat man damit die
v"+ V = -Mb
-- (19.22)
KEA
19.3 Der gekrümmte Träger 335
oe:> In 19.22 gelten für die Winkel koordinate rp, die Tangentialverschiebung 11 und die Radialver-
schiebung v die Definitionen nach Abbildung 19.17 (Seite 333). Die Schniugrößen müssen
der im Abschnitt 19.3.1 (Seite 323) gegebenen Definition entsprechen.
oe:> Der dimensionslose Parameter K (Flächenkennwert für die Querschnittsflächen gekrümmter
Träger) ist in der Beziehung 19.17 (Seite 328) definiert worden. Für einige Querschnitte
finden sich K-Werte in der Tabelle des Beispiels I (Seite 329).
oe:> Es muss zunächst die Differenzialgleichung rür die Radialverschiebung v gelöst werden, de-
ren allgemeine Lösung danach in die Differenzialgleichung für die Tangentialverschiebung
eingesetzt wird, die dann (Umstellung nach li) durch einfaches rntegrieren gelöst werden
kann. Füreine Differenzialgleichung 2. Ordnung und eine Differenzialgleichung I. Ordnung
sind insgesamt drei Lntegrationskonstanten aus drei Randbedingungen zu bestimmen.
oe:> Die allgemeine Lösung der linearen inhomogenen Differenzialgleichung 2. Ordnung für die
Radialverschiebung setzt sich entsprechend
oe:> Bei Trägem mit großem Radius R (im Vergleich mit den Querschnittsabmessungen) kann
mit im Allgemeinen vertrctbarer Genauigkeitscinbuße die Differenzialgleichung fLir dic Ra-
dialverschiebung 19.22 unter Benutzung von 19.L8 ersetzt werden durch die Differenzial-
gleich1lng für den schwach gekrümmten Kreisbogenlräger:
.. Mb R2
v+v= - - - (19.27)
EI
1n diesem Fall kann das fUr gerade Träger benutzte Flächenträgheitsmoment verwendet wer-
den, wodurch eventuell aufwendige K-Wert-Berechnungen bei komplizierten Querschnitten
entfallen.
3Der Leser. der sich in diesem Zweig der Mathematik schon gut auskennt, wird registrieren. dass für die trigonometri-
schen Funklionen der um den Faktor rp .,erweilcnc Partikuläransalz" verwendet werden muss. weil die Funktionen
CQS und sin die homogene Differenzialgleichung crfüHen. Für alle anderen Leser wird die 111lcmet·Ergänzung zum
Thema ,.GewÖhnliche Differenzialgleichungen" hilfreich sein. auf die auf Seite 314 verwiesen wird.
336 19 Spezielle Biegeprobleme
Beispiel:
I_....;_ I ... ..
_ Der skiZZIerte KreIsbogenträger (RadIus R) wIrd durch
2F
~~
In die Schnütgrößen geht zwangsläufig (wegen der sta~
tisch unbestimmten Lagerung) eine der vier Lagerreak-
tionen ein. Wenn entschieden wird, die Lagerkraft Fe
in den Schnittgrößenverläufen zu behalten, sollte das
Moment Me durch Fe ausgedrückt werden. Momenten~
Gleichgewicht um den Punkt A liefert :
fl,R ,
/ A
Me=FeR - FR Abbildung 19.19: Symmelrieschnin
Mit der wie skizziert gewählten Koordinate ({I erhält man aus deo Gleichgewichtsbedingungeo
am geschnittenen Träger (Kratt-Gleichgewicht in Richtung der Nomlalkraft und Momenten-
Gleichgewicht um die Schnittstelle, Abbildung 19.20):
FN = -Fsin ({I- Fccos({l Mb = -FR( 1- sin({l) + FeRcos({l
Damit können die Differenzialgleichungen 19.22 aufgeschrieben werden:
Ein Vergleich der rechten Seite mit Formel 19.25 zeigt, dass sie genau dieser "typischen Form"
entspricht. Also wird 19.26 an das aktuelle Problem angepasst, und man hat die Partikulärlösung
FR
vpart= KcA
(1 Fe.)
1+2:({Icos({l-2F({Isl11({1
die gemeinsam mit der Lösung der homogenen Differenzialgleichung 19.24 die allgemeine Lö-
sung der Differenzialgleichung flir die Radialverschiebung bildet:
. ({I + -
v = C, cos({l +C2 S1l1 FR-
KcA
(I
1+ -
2
({Icos({l- -F({IS1l1({1
2F
e.)
Diese wird in die zweite Differenzialgleichung eingesetzt, und eine einfache Integration, die noch
eine Integrationskonstante erzeugt, liefert die allgemeine Lösung ftjr die Tangentialverschiebung:
19.3 Der gekrümmte Träger 337
FR
u = - EA q> - CI sin q> + Cz cos q>
V= :E: [I+(I-~n+~-K~+~q»cosq>-G+~q»sinq>]
u = - FR
KEA
[(I + K)q>- I+ (1- ~4 n- K~2 + 2~q» sinq>+ (1+ ~q»
n
cosq>]
Hierin ist A = n? die Querschnittsfläche des Trägers, und aus der Tabelle auf Seite 329 kann
K = 0,00062594 für fi = 0,05 entnommen werden. Für die Absenkung des Kraftangriffs-
punktes errechnet man mit den gegebenen Zahlenwerten:
Das relativ einfache Beispiel des vorigen Abschnitts zeigte, dass die (bei statisch unbestimm-
ten Problemen unumgängliche) Verformungsberechnung für gekrümmte Träger recht aufwendig
werden kann. Da die Verformungen durch ein lineares Randwertproblem beschrieben werden,
ist es naheliegend, dies mit dem im Abschnitt 18.1 behandelten Differenzenverfahren zu lösen.
Mit den zentralen Differenzenformeln 18.1, mit denen in den Differenzialgleichungen 19.22 die
Ableitungen näherungsweise ersetzt werden, emstehen die
Vi J + ( h 2 -2 ) V;+Vi+12 Mbi
= -h - -
/(iEAi
(19.28)
FNiR+Mbi
-Ui_1 +Ui_1 +2/iv, = 2h-'-,,::-,---"":-'
EA i
c:> Da mit den Dillerenzenquotiemen Ableitungen nach der Winkelkoordinate <p ersetzt Wlll'-
den, ist die Schrittweite hin 19.28 ebenfalls ein Winkel.
c:> Weil sownhl die Näherungsformel flir die zweite Ableitung (in der ersten Differenzenglei-
chung) als auch die Näherungsformel für die erste Ableitung (in der zweiten Differenzen-
gleichung) jeweils zwei Nachbarpunkte einbeziehen, würden an beiden Trägerrändern je
zwei Verschiebungen (li und v) für Außenpunkte in die Rechnung hineinkommen. Da für
diese vier zusätzlichen Unbekannten (bei statisch bestimmten Aufgaben) nur drei Randbe-
dingungen als zusätzliche Gleichungen formuliert werden können, würde sich in jedem Fall
ein Defizit von einer Gleichung zur Anzahl der Unbekannten ergeben.
Von den verschiedenen Möglichkeiten, dieses Punkte für
Defizit zu beheben, (z. B.: Arbeiten mit vor- "u-Gleichungen"
wärts bzw. rückwärts genommenen Differen-
~ Randpunkt
zenformeln in Randnähe), wird folgende Va-
riante empfohlen: Die Differenzengleichun- / 0" ..",. n,. "'" Außenpunkt
gen für die Tangentialverschiebungen werden f Punkte für
rf "v-Gleichungen"
nur für jeden zweiten Punkt und nur für die
Innenpunkte (nicht für die Randpunkte) for- Abbildung 19.21: Unterschiedliche SLralegi-
muliert (Abbildung 19.21). en für die Verschiebungen II und v
Dann gehen als unbekannte ,,-Werte gerade die Tangemialverscrnebungen an den Punkten
ein, für die keine ..u-Gleichungen" formuliert werden (die Differenzenformel bezieht sich
nur auf die Nachbarpunkte), aberu. a. auch die Werte der Randpunkte, für die gegebenenfalls
Randbedingungen aufgeschrieben werden müssen.
Diese Strategie ist gerechtfertigt, weil die Änderung der Tangemialverscrnebung 1I im AJJgemei-
nen deutlich geringer ist als die Änderung der Radialverschiebung v, so dass ein gröberes Raster
für die Approximation der Ableitungen von 1I ausreichend ist. Die Koeffizientenmatrix des ent-
stehenden linearen Gleichungssystems ist besonders dünn mit von Null verschiedenen Elementen
besetzt, weil in jeder Gleichung nur 3 unbekannte Verschiebungen auftauchen.
19.3 Der gekrümmle Träger 339
I
Beispiel:IDie Berechnung der Verformungen mit dem Differen- 2F
zenverfahren wird an dem bereits im Abschnitt 19.3.3 (Seite 336)
exakt gelösten (statisch unbestimmt gelagerten) Halbkreisbogen
mit konstantem Kreisquerschnitt mit dem Radius r = 0,05 R de-
monstriert.
Gcgcbcn: R = 40cm; F = I OkN; E = 2, I . 105 N/mm 2 .
Wie bei der exakten Lösung im vorigen Abschnitt wird nur eine Symme-
triehäJfte betrachtet (Abbildung 19.19 auf Seite 336), für die die benö-
tigten Schnitlgrößen in Abhängigkeit von der unbekanntcn Lagerkraft Fe
formuliert werden (nebenstehende Skizze):
FN = -Fsin rp - Fecosrp
Mb = -FR(I-sinrp) + FeRcosrp
Der Viertelkreis wird in nA = 80 Abschnitte unterteilt, so dass sich die
Schrittweite
h=~
160 h~ TI
ergibt. Die Punkte (einschließlich der beiden Außen punkte) werden von 160 ",_
I bis 83 nummeriert (Abbildung 19.22).
• 81 \
Für die Punkte 2 bis 82 werden die "v-Gleichungen" formuliert (81 82 •. 83
Gleichungen), wobei neben den Verschiebungen auch die Unbekannte Abbildung 19.22: Dis-
Fe auf die linke Seite geschrieben wird: krctisierung: nA = 80
2 Fe R 2 FR 2
V;_I +(h -2)v;+v;+1 + KEA h eosrp; = KEA h (l-sinrp;) ;=2.3,4, ... ,82
Für die in der Abbildung 19.22 besonders hervorgehobenen Punkte 3,5, ... ,81 werden die "u-
Gleichungen" aufgeschrieben (40 Gleichungen):
FR
-11;-1 +11;+1 + 2hv; = -2h EA ; = 3,5,7, ... ,81
Der Wert fUr den Parameter K = 0,00062594 für ~ = 0,05 wird der Tabelle auf Seite 329 ent-
nommen. Der Zusammenhang zwischen dem Winkel rp; und der Nummerierung der Punkte kann
so formuliert werden: 1!
rp; = (i -2) 160
340 19 Spezielle Biegeprobleme
In der Tabelle in Abbildung 19.24 sind einige Ergebnisse für V2 (Absenkung des Lastangriffs-
punktes), Fe und Me im Vergleich mit dcr exakten Lösung zusammengestellt. Ein Vergleich mit
einer exakten Lösung ist aber nur in Ausnahmefallen möglich. Hier gibt es noch die Chance einer
Differenzenverfahren FEM-Rechnung
Exakt
IIA = 80 I1A = 160 80 Elemente 160 Elemente
vF[mmJ = -0,9419 -0,9420 -0,9414 -0,9450 -0,9451
Fe [kNJ = 6,366 6.367 6,366 6.359 6,358
Me [kNmJ = -1,454 -1,453 -1,453 -1,457 -1,457
Abbildung 19.24: Die sicherste Variante zur Bestätigung der Ergebnisse: Berechnung nach verschiedenen
Verfahren mit unten;chiedlichen Software· Produkten
19.4 Aufgaben 341
19.4 Aufgaben
~,
Altfgabe 19.1: I
I_ _ _ _ _..... Der skIzzIerte Kragträger mit öl
Altfgabe 19.2: I
I_ _ _ _ _..... EIß B,egeträger mit DreIecksquer-
schnitt (rechtwinkliges gleichschenkliges Dreieck) ist
A a
bei A starr eingespannt und nur durch sein Eigenge-
wicht (Dichte p) belastet.
Gegeben: I = 80cm p = 7, 85 g/cm 3
Cl= 2cm E=2, 1·lOs N/mm 2 .
Man ermittle
a) die Biegespannungen an den drei Eckpunkten des Einspannquerschnitts,
b) die Lage der SpannuJlgs-Null-Linie.
c) Größe und Richtung der Gesamtverschiebung des freien Trägerendes.
I
2 S
Altfgabe 19.3:
I_ _ _ _ _..... Die auf elastIschem Untergrund liegenden EI
Schwellen eines Schienenweges werden wie skizziert über , ;-
" '>/-/ , ~ /'
Cl) Für die exakte Lösung müsste unter Ausnutzung der Symmetrie die allgemeine Lösung 19.6
der Differenzialgleichung für zwei Bereiche (mit 8 Integrationskonstanten) aufgeschrieben
werden. Die erforderlichen Rand- und Übergangsbedingungen für die Berechnung der Inte-
grationskonstanten sind zu formulieren.
b) Mit Hilfe des Differenzenverfahrens sind die Verformung und der BiegemomentenverJauf zu
ermitteln.
c) Die unter b ermittelten Ergebnisse sind durch eine FEM-Reehnung mit einem geeigneten
Programm zu bestätigen (siehe z. B. www.TM-interaktiv.de).
342 19 Spezielle Biegeprobleme
dz
I - (J
--
Q:~o~~)
b
-y ~_
- _____
(Jb (Jb
An einem differenziell kleinen Element der Länge dz, das aus dem Träger herausgeschnitten wird
(Abbildung 20.1), wirken die Schnittgrößen Mb und FQ . Die durch M" hervorgerufenen Biege-
spannungen sind über die Höhe (in y-Richtung) linear veränderlich, die Art der Veränderlichkeit
der Schubspannungen t:y ist zunächst nicht bekannt (Hinweis zu den Indizes von t: Der erste
Index kennzeichnet die Schnittfiäche durch die Koordinate, die senkrecht zur Fläche gerichtet
ist, der zweite Index bestimmt die Richtung der Schubspannung).
In der Abbildung 20.1 sieht man, dass aus dem differenziell kleinen Element der Länge dz in ver-
tikaler Richtung noch einmal ein Element mit der Höhe dy herausgeschnitten wird (Abbildung
20.2). Die Spannungen an den Schnittfiächen bdy können zu Kräften zusammengefasst werden
(b ist dje Breite des Trägers).
Alle Abmessungen fallen aus dieser Beziehung heraus, und man erhält als allgemeingültige Aus-
sage das
Dass Schubspannungen auch in den Längsschnitten eines Biegeträgers auftreten, lässt sich recht
gut veranschaulichen (Abbildung 20.3): Werden zwei übereinander liegende Träger auf Bie-
gung belastet, so verschieben sie sich gegeneinander. Wenn sie verbunden werden (Schweißen,
Kleben, Nieten, ....), so wird diese Verschiebung durch die in der Verbindung hervorgerufene
Schubspannungen verhindert.
Abbildung 20.3: Im kompakten Träger (rechts) verhindern Schubspannungen das Abscheren der Sch.ichten
Es soll nun die Schubspannung an einer beliebigen Stelle y des Querschnitts bei z berechnet wer-
den (die Indjzes fllr die Schubspannung werden jetzt weggelassen, weil ohneh.in fUf die beiden
betrachteten Schnitte die gleichen Werte gelten). Dazu wird eine differenziell kleine Scheibe des
Trägers (Dicke dz) noch einmal in der Höhe y zerschnitten, so dass sie in zwei Teile zerfallt
(Abbildung 20.4).
20.1 Enniltlung der Schubspnnnungen 345
.... dz
" -' Tb dz
Resultierende der
Biegespannung
über A infolge
bzw.
Tbdz
dz
Am unteren Teil wirken in horizontaler Richtung (z-Richtung) die Biegespannungen der anteili-
gen Fläche Ä und die Schubspannungen der Fläche bdz. Die Biegespannungen werden am linken
Schnillufer durch das Moment Mb, am rechten Schnittufer durch (Mb +dMb) hervorgerufen. Die
Spannungen infolge Mb heben sich gegenseitig auf, so dass das Gleichgewicht in z-Richtung
durch die Resultierende der Schubspannungen T bdz und die Resultierende aus den Nonnalspan-
nungen infolge dMb hergestellt werden muss.
Die Spannung infolge dMb an einer beliebigen Stelle y innerhalb Ä en·echnet sich nach der Bie-
gespannungsformel 16.3, wobei Mb durch dMb ersetzt werden muss. Der Querstrich bei y wird
verwendet, weil y bereits vergeben ist für die Kennzeichnung des horizontalen Schnitts (y und
y zählen beide vom Schwerpunkt der Gesamt-Querschninsfläche positiv nach unten). Die Inte-
gration dieser Biegespannungen <!f!:
y über die Fläche Ä liefen die resultierende Kraft, die der
Schubspannung im horizontalen Schnitt das Gleichgewicht hält:
Tbdz=
J dMb
- - =
ydA
Ixx
dMb
-
Ixx
J - ydA
A A
J
Das Integral
5., = ydÄ
A
ist das aus dem Abschni1l4.2 als Formel 4.8 bekannte statische Moment der Fläche Ä, das sich
hier auf die durch den Schwerpunkt der Gesamt-Querschnittsfläche verlaufende x-Achse (senk-
recht zur y-Achse) bezieht. Damit wird aus der Gleichgewichtsbedingung in z-Richtung (nach
Division durch bdz):
dM" S,.
T=----
dz bl.",
und mit '!IJf = FQ (vgl. Abschnitt 7.2) ergibt sich die Formel für die Berechnung der
346 20 Querkraftschub
FQ5x
Schubspannung infolge Querkraftbelastung: T=-- (20.2)
bIll
• FQ(z) ist die Querkraft in der SchnittRäche bei z und (<< das Flächenträgheitsmoment
diescr Fläche bczüglich der durch den Flächenschwerpunkt (senkrecht zur FQ-Richtung)
verlaufenden Hauptzentralachse x (Biegeachse).
• Die Breite des Querschnitts b(y) darf veränderlich sein. Die y-Achse beginnt im Schwer-
punkt der QuerschniusRäche und steht senkrecht auf der x-Achse.
• Sx(y) ist das statische Moment einer Teilquerschnil1sjläche. die durch die Parallele zur
x-Achse bei y vom Gesamtquerschniu abgetrennt wird. SAy) bezieht sich auf die Schwer-
pUllkrachse des Gesall1fquerschllil1s (x-Achse).
oe:> Wenn die Lage des Schwerpunkts einer der beiden Teil-
querschnittsftächen bekannt ist. kann S,(y) vereinfacht
nach
Beispiel J: I
I_ _ _ _...I Der skiZZierte Kragtrager mtt Recht-
eckquerschnitt wird durch die Kraft F belastet.
Dann wirkt in allen Querschnittcn die Qucrkrafl
~-----I
'1 F ~~: I
FQ=F
Die Breite b des Querschnitts ist konstant, und fLir
das Flächenträgheitsmoment des gesamten Recht-
eckquerschnitts gilt nach der Tabelle im Abschnitt
16.2.2: bh 3
('.hn)n'~
I~ ~
~
I
I
x
Ill = - b
12
Das statische Moment des schraffierten Teilrechtecks bezüglich der x-Achse errechnet sich aus
dem Produkt "Teilftäche . Schwerpunktkoordinate der Teilftäche":
(h )
y+g
5 (y)=b --y - = (h- - y2) -b
2
" 2 2 4 2
20.1 Enniulung der Schubspnnnungen 347
r(y) = ~
2
[I -4 (~)2] !.-
h bh
Der quadratische Verlauf (nebenstehende Skizze) hat die Randwerte
r(y=±D =0
und den Maximalwert in der Schwerpunktfaser:
3 F
r",ax = r(y = 0) = - -
2 bh
Diese Schubspannung wirkt nach
dem Gesetz der zugeordneten
Sehubspannungen aueh in ei-
nem Horizontalschnitt des Trä-
gers (Abbildung 20.6). Sie muss
besonders dann beachtet werden,
wenn dieser Längsschnitt z. B. ei-
ne Kleb-, Schweiß- oder Nietver- Abbildung 20.6: Schubspnnnungen in Biegeträgern sind eigentlich
bindung ist. nur dadurch gefährlich, weil sie auch in Längsschnitten wirken
Falls ein Balken aus mehreren Teilen zusammengesetzt wird, sollte die Fuge nicht in Höhe des
Gesamtschwerpunktes der zusammengesetzten Fläche gelegt werden.
I Beispiel 2: I 8a
I
y
cl
IF M
RA B2.. "
cl
1/4 31/4 ""
1
a
Gegeben: F I I, a.
Ein T-Träger wurde aus zwei Reehleckprofilen so zusammengeschweißt, dass die Naht eine
Verbindung über die gesamte Stegbreite a herstellt. Für die in der Skizze angegebene Lagerung
und Belastung ist die größte Schubspannung in der Schweißnaht zu ermitteln.
Mit den Lagerreaktionen
3
FA = 4 Fund Fß = 4F + 3F/4
ergibt sieh der nebenstehend skizzierte Querkraftver- - F/4
lauf mit der maximalen Querkraft
Abbildung 20.7: Querkraftverlauf
3
F.Q/lULl'=-F
, 4
348 20 Querkraftschub
,.,.,<:j
Y5=2,40 lu= 133,20 4
, SStCg
I
Die Schweißnaht liegt also im Abstand ly.y
y=0,6a -.-J
vom Schwerpunkt der Gesanllfläche, und das in die Formel 20.2 eingehende statische Moment
der Teilfläche kann entweder für den Flansch oder den Steg (jeweils bezogen auf die x-Achse)
berechnet werden. Für den Steg ergibt sich z. B. folgende Rechnung:
Der krasse Spn1l1g an der Übergangsstelle (bedingt durch die sich sprunghaft ändernde Breite)
gibt Anlass, die Gültigkeit der Voraussetzungen dieser Berechnung noch einmal zu diskutieren.
denn speziell die gleichmäßige Verteilung der Schubspannung über die Querschnittsbreite wird
im viel breiteren Flansch in der Nähe der Übergangsstelle nicht realistisch sein. Vielmehr gilt:
c:> Genauere Untersuchungen zeigen, dass bei breiten Trägern die Schubspannungen sich nicht
gleiChmäßig über die Breite verteilen. Sie sind am Rand etwas größer als in der Mitte, nach
der Formel 20.2 wird ein über die Breite genommener Mittelwert errechnet. Dies hat im
Allgemeinen wenig praktische Bedeutung. da bei breiten Trägern die Schubspannungen na-
türlich entsprechend klein (und damit meist unbedeutend) sind (vgl. das gerade behandelte
Beispiel, bei dem die Schubspannungen nur in dem schmalen Steg bedeutsam sind) .
•-:> Eine besondere Betrachtung erfordern die so genannten dünnwandigen offenen Profi le, bei
denen (im Gegensatz zum gerade behandelten Beispiel) die "breiten" Querschnittsabschnitte
eine sehr kleine Höhe haben (z. B. T -,1- und U-Prolile). Diese werden deshalb im nächsten
Abschnitt gesondert behandelt.
20.2 Dünnwandige offene Profile, Schubmiuelpunkl 349
An dem in Abbildung 20.9 skizzierten I-Profil wird gezeigt, dass in den Flanschen auch in
vertikalen Längsschnitten aus Gleichgewichtsgründen Schubspannungen wirken miissen. Dazu
wird ein differenziell kleines Element (Länge dz) betrachtet, an dessen Schnillufern die Biege-
spannungen cr bzw. (cr +dcr) wirken (in der Skizze sind die Spannungspfeile nur für die Flansche
eingezeichnet, wobei willkürlich angenommen wurde, dass oben eine Druekspannllng und unten
eine Zugspannung wirkt).
Abbildung 20.9: Auch im vertikalen Schniu durch einen Flansch wirken Schubspannungen
Wenn Streifen der Flansche von dem Element abgeschnitten werden (Abbildung 20.9, rechts),
dann wird deutlich, dass in den (vertikalen) Schnitten Schllbspannungen wirken müssen, die
mit den dcr-Anteilen der Biegespannllng das Kraft-Gleichgewicht in Träger-Längsricbtung her-
stellen. Wie bei der Herleitllng der Formel 20.2 im vorigen Abschnitt werden diese Biegespan-
nungsanteile dcr = d~;, Y über die Fläche s'/ integriert und mit der resultierenden Kraft der
Schubspannungen in der F1äcbe dz·/ gleichgesetzt.
Wenn konstante Schubspannung über die Flanschdi- s
cke / vorausgesetzt wird (bei dünnwandigen Profilen
natürlich erlaubt), ergibt sich mit I
FQSx
'l:= - (20.3) x x
I/xx
eine Formel, die wie 20.2 aufgebaut ist und mit t die
Flanschdicke (anstelle der Querschnittsbreite b) und
mit Sx wie die Formel 20.2 das statische Moment der I
abgeschnittenen Fläche bezüglich der Biegeachse x Abbildung 20.10: Statisches Momcnt flir
enthält (Abbildung 20.10). einen Schnitt eines dünnwandigen Profils
Natürlich wirken Schubspannungen der gleichen Größe (Gesetz der zugeordneten Schubspan-
nungen) auch in den QuerschniusAäehen. Da die Schubspannllngen an den Rändern des Flan-
sches gleich Null sind, werden sie mit wachsender Koordinate s (und damit größer werdendem
statischen Moment der TeilAäche) nach innen größer. Ihre Richtung weist an einem Flansch (ab-
hängig davon, ob die Biegespannung im Flansch Zug oder Druck ist) entweder zum Steg hin
350 20 Querkraftschub
oder vom Steg weg, im Steg stimmt die Schubspannungsrichrung mit der Richrung der Querkraft
an dem entsprechenden Schnittufer überein.
Die Abbildung 20.11 veranschaulicht, wie die Schubspannuogen
über die Querschnittsnäehe "fließen". wobei die über bzw. unter den
Flanschen und rechts vom Steg angedeuteten Funktionen die Intensi- I· - -I
tät verdeutlichen. d
Da in die Formeln 20.2 bzw. 20.3 jeweils das statische MomeOl der 11
gesamten Teilfläche eingeht, die durch einen Längsschnitt bei y bzw.
"
1
s abgetrennt wird, ist klar, dass die Summe der am Steg "zusammen- I
le nicht mit der Herleitung übereinstimmenden Voraussetzungen (im Abbildung 20.11: Schub-
Flanschteil über bzw. unter dem Steg schneidet ein vertikaler Schnitt spannungsfluss
keine Scheibe des Flansches ab) vemaehlässigbar.
'e:> Für dünnwandige Querschnitte (im betrachteten Beispiel: , ist klein im Vergleich mit Steg-
höhe und Flanscbbreite) werden nur die Scbubspannungen Ül die Rechnung einbezogen, die
parallel zur Profil-Mittellinie gerichtet sind. Für das I·Profil bedeutet dies z. B., dass in
den Flanschen keine vertikalen Schubspannungen. wie sie sich nach 20.2 durchaus ergeben
würden, berücksichtigt werden.
oe:> Da nur die durch die Querkraft hervorgerufenen Schubspannungen betrachtet wurden, müs-
sen sie der eingeleiteten Querkraft äquivalent sein. Für das behandelte Beispiel bedeutet das,
dass die Resultierende aus der Schubspannung im Steg die Querkraft ist. Die Schubspannun-
gen in den Flanschen bilden beim I-Profil ein Gleichgewichtssystem, was leider nicht bei
allen Profilformen der Fall ist (vgl. nachfolgendes Beispiel).
oe:> Für dünnwandige Profile darf auch das Flächemrägheitsmomel1t vereinfacht berechnet wer-
den. Für das I-Profil werden der Anteil des Stegs und für die Flansche nur die "Steiner-
Anteile" berücksichtigt, weil der ,3-Faktor die Anteile bezüglich der Flansch-Schwerpunkt-
achsen verschwiodend klein macht.
Der Praktiker geht häufig noch einen Schritt weiter und bezieht auch den (speziell bei breiten
Flanschen deutlich kleineren) Anteil des Stegs nicht mit ein (und liegt damit auf der sicheren
Seite): "Bei I·Profilen nehmen die Flansche die Biegung und der Steg die Querkraft auf."
Eine nennenswerte Erleichterung bei der Rechnung bringt diese weitere Vereinfachung je-
doch nicht und wird deshalb im Folgenden nicht verwendet.
b
Beispiel: I
I_ _ _ _ Fiir das sk,zzlene dünnwandige Profil Ist der Verlauf der
Schubspannungen infolge einer venikal nach uoten gerichteten Querkraft
zu ermitteln.
Gegeben: h. b, (<<h,b.
20.2 Dünnwandige offene Profile, Schubmiuelpunkl 351
Das Flächenträgheitsmoment der Gesamlfläche wird vereinfacht aufgeschrieben (für die Quer-
riegel werden nur die Steiner-Anteile berücksichtigt):
17
5,,=IS,-
2
52x = Ib-11 +IS2
2
(h-2 - -S2)
2
1
= -(bl1+17s,
2
,
-Si)
-
Damit erhält man die Schubspannungsverläufe in den beiden Abschnitten:
'l.m", = 111(6b+l1)
Mit dem gleichen Wert startet der parabolische '2- Verlauf rur den vertikalen Teil, der sein Maxi-
mum im Symmetrieschnitt hat:
3FQ(4b+h)
'2
.max -- --:'-7:c:--,--.,.+
2/17(6b+h) ~TI,max
Der Punkt des Querschnitts, durch den die Wirkungslinie der Querkraft tatsächlich verläuft, der
so genannte Schubmiuelpunk/ T, kann durch eine Äquivalenzbetrachtung ermittelt werden: Das
Moment der Querkraft (um einen beliebigen Punkt der Querschnittsebene) muss gleich dem
Moment der aus den Schubspannungen rcsultierenden Kräften sein.
A
Als Bezugspunkt bietet sich der Punkt A an (Abbildung 20.13),
I
weil nur die Resultierende der Schubspannungen des lmteren
Querriegels eine Momel1lwirkung um diesen Punkt hat. Diese ist ,
I FQ)
I 3FQb 2 xr
FQXT = -2 '!I pw.' bt h = -6--
b+h Abbildung 20.l3: Berech-
gilt. Daraus errechnet sich der Abstand des Schubmittelpunkts T nung des Schubmittclpunk-
von der vertikalen Profil-Mittellinie: (es aus Äquivalenz der Mo-
mente um den Punkt A
Aus diesem Beispiel kann man eine allgemein gültige Definition ableitcn:
Der Schubmittelpuukt
eines Profils ist derjenige Punkt. durch den die WirkungSlinie der Querkraft verläuft. Er ist im
AlIgemcinen nicht mit dem Flächcnschwcrpunkt idcntisch
Bei symmetrischen Querschnitten liegt der Schubmittelpunkt auf der Symmetrielinie und fällt
bei doppelt-symmetrischen Querschnitten mit dem Schwerpunkt zusammen.
Um für den in Abbildung 20.14 skizzierten Träger Torsionsfreiheit zu garantieren, muss die
belastende Krafl F .. neben dem eigentlichen Querschnitt" angreifen, wie es die Abbildung 20.15
zcigt. Die (Querkraft-)Schubspannungen in der Schnittiläche bilden dann mit der äußeren Kraft
ein Gleichgewichtssystem.
20.2 Dünnwandige offene Profile, Schubmiuelpunkt 353
'" I~t
'" '" I
'" '" )
"" I
"'"
Abbildung 20.15: Mit einem (eher zweifelhaften) konstruktiven Trick kann auch der Querschnitt eines
offenen dünnwandigen Profils torsionsfrei bleiben
Im Allgemeinen ist ein Konstrukteur gut beraten, wenn er solche Probleme umgeht (Einbau des
Profils um 90° gedreht, Verwendung anderer Profile, Zusammensetzen von mehreren Profilen zu
symmetrischen Querschnitten, ...).
e:> An dieser Stelle fördert es sicher das Verständnis, eine in der Technischen Mechanik übliche
(und auch in diesem Buch immer wieder verwendete) Formulierung zu diskutieren: "Die
Schnittgräßen rufen im Querschnitt Spannungen hervor", ist eigentlich nicht korrekt. Die
Spannungen sind unmittelbare Folge der Verzerrungen, die durch die äußere Belastung ver-
ursacht werden. Die SchniLLgrößen sind als Resultierende dieser Spannungen fiktive Größen,
die allerdings außerordentlich nützlich auf dem Weg zur Spannungsberechnung sind. Weil
der Weg zu den Spannungen in einem Träger fast immer über die Schnittgrößen führt, soll
die oben zitierte Formulierung auch weiter gestattet sein.
e:> Als Konsequenz gilt für die Schubspannungsberechnung: Die Querkräfte werden in der
Schnilljläche immer so angetragen, dass ihre Wirkungslinien durch den Schubmittelpllnkt
gehen (über das Antragen des Torsionsmoments braucht keine Vereinbarung getroffen zu
werden, weil Momente auch senkrecht zur Drehachse verschoben werden dürfen). Wenn
die G1ciehgewichtsbedingungen auch ein Torsionsmoment liefern, ist neben der Berech-
nung der Querkraftschubspannungen noch eine SchubspaJltlUngsbcrechnung infolge Torsi-
on (Kapitel 21) erforderlich. Zur Berechnung des Torsionsmoments wird eine Momenten-
Gleichgewichtsbedingung bezüglich einer Achse durch den SehubmiLtelpunkt des Quer-
schnitts empfohlen, in die die Querkräfte nicht eingehen.
354 20 Querkraftschub
Werden Längsfugen in Trägem durch Verbindungsmittel (Nägel, Niete, Diibel, Bolzen, Schrau-
ben, Schweißnähte ...) iiberbriickt, die ein Verschieben der Trägerteile gegeneinander verhindern,
so miissen diese die in der Fuge wirkenden Scbubspannungen aufnehmen. Diese stellen in den
meisten Fällen die wesentliche Belastung des Verbindungsmittels dar.
Sind die Trägerteile nur an diskreten Stellen verbunden, so muss die mü einem Vergleichsträger
w bcrechncnde Schubspannung auf die (in der Regel kleinere) Scherftäche dcs Verbindungsele-
mentes umgerechnet werden. Dieses Vorgehen soll an zwei Beispielen erläutert werden.
I
Beispiel 1:
I_"";_ _...1 Der aus zwe, Rechteckquer-
schnitten zusammengefügte Träger überträgt
am Übergang beider Querschnitte eine Schub- '" I'" I'
spannung, die sich für den kompakten Träger
A
für jede Stelle der Fuge nach 20.2 berechnen
lässt:
FQSx.Fuge
'TFuge = bI +
xx
Es wird nun angenommen, dass die beiden
Trägerteile nur an sieben äquidistanten Stellen
verbunden sind. Dann werdcn die Schubspan-
nungen einer Scherftäche, die man dem "Ein-
Abbildung 20.17: Velteitung der Sehubspannung
zugsbereich" eines Verbindungsmütels zuord-
auf 7 Scher~ächcn
nen kann, zu einer Scherkraft zusammenge-
fasst, wie es die Abbildung 20.17 andeutet.
Für den linken Bereich mit konstanter Querkraft (und damit wegen der konstanten geometrischen
Paramcter auch mit konstanter Schubspannung) ergibt sich diese Scherkraft aus dcr Multiplika-
tion dcr Schubspannung mit der Scherftächc, im rechten Bereich mit veränderlicher Querkraft
(bzw. Schubspannung) muss über die Fläche integriert werden, für die skizzierten Flächen 2
bzw. 6 also z. B.:
Die Schubkräfte ergeben sich vorzeichenbehaftel (die Abbildung 20.17 zeigt die tatsächlichen
Richtungen), fiir die Berechnung der Spannungcn ist nur ihr Betrag interessant.
20.3 Schubspannungen in Verbindungsmiueln 355
Bei einem Bolzen pro Feld (Abbildung 20.18 oben) ergibt Bolzen
sich die zu iibertragende Spannung aus dem Quotienten von / (Durchmcsserd )
Scherkraft und Querschnittsftäche des Bolzens:
IFsil
'fBoh.efl. i = d2
11 4
Wenn die beiden Trägerteile in jedem Feld durch zwei
Schweißnähte der Länge lu und der Nahtbreite Go verbunden
sind (Abbildung 20.18 unten), iibertragen diese die Schub- Schweißnähte
spannung , (Länge lo, Breiteao)
IFsd I .
'!NlIhl.i =
210 0 0
Wenn die Schweißnähte auf beiden Seiten iiber die gesamte
Trägerlänge (ohne Unterbrechung) ausgefiihrt wären, könnte
der Umweg über die Scherkräfte unterbleiben, weil die nach
20.2 berechnete Schubspannung einfach mit dem Verhältnis
der fiktiven zur tatsächlichen Scherbreite ,/L
~lIo
multipliziert Abbildung 20.18: Verbindung
werden könnte. durch Bolzen bzw. Schweißnähte
[Beispiel 2: I
In dem außernutlJg belasteten
~F ~s
. X
~-
Träger sind die Querkräfte und damit die
Schubspannungen in der Fuge links bzw. l/3 2l/3 Fuge
rechts von der Kraftangriffsstelle jeweils kon-
stant:
2 2 F Sx.Fug,. Ft3
FQ1 = 3F 'Fuge. I = 3 bl"
2Ft3
I 1 F Sx,Fuge
FQ2 = 3F 'Fu"e.2 = 3 bl
.cr
~uge.2
Die Schubkräfte in der Fuge dürfen durch
Multiplikation der Schubspannungen mit den
Scherllächen aufgeschrieben werden:
I 2 Sx.Fugel
Fs I = 'Fuge, I - lb = - F -,-'-'-'''-
3 9 I xx
2 2 Sx.Fugel
FS2 = 'Fuge,2 3 lb = SI F I
xx Abbildung 20.19: Velteilte SchubbelaslUng in der
Fuge (z.B in einer Klebefläche)
Die Gleichheit der beiden Schubkräfte überrascht nicht, weil sie aus Gleichgewichtsgründen
(Abbildung 20.19 unten) unumgänglich ist. Sie bedeutet. dass bei Verbindung durch diskrete
Verbindungsmittel in beiden Absehn.itten jeweils die gleiche Anzahl zu verwenden ist, um alle
mit der gleichen Schubspannung zu belasten.
356 20 Querkraftschub
Im Folgenden werden zunächst die ausschließlich durch Querkriifte erzeuglen Velformungen be-
trachtet, obwohl natürlich die Querlcraftbelastung eines Trägers immer mit einer Biegemoment-
belastung gckoppclt ist. Da wic bei der im Kapitcl 17 behandelten Verformung durch Biege-
momente bei vorauszusetzender Kleinheit der Verschiebungen lineare Differenzialbeziehungen
entstehen. dürfen die gesondert berechneten Biegemoment- und Querkraftverformungen zur Ge-
samtverformung addiert werden.
Nach dem Hookeschen Gesetz 12.6 wird durch eine
Schubspannung r eine Verzerrung hervorgerufen,
die durch den Gleitwinkel y = b beschrieben wird.
Da die Schubspannung über die Trägerhöhe ent-
sprechend 20.2 veränderlich ist, wird auch dieser
Gleitwinkel veränderlich, und die ursprünglich ge-
dz
raden Seiten eines aus dem Träger herausgeschnit-
tenen Elements müSsen sich verwölben, wie es die Abbildung 20.20: Verzerrung eines Elements
Abbildung 20.20 zeigt (in der Skizze sind die un- infolge der mit y veränderlichen Schubspan-
nung (keine Verzen"ung an den Rändern. ma-
terschiedlichen Gleitwinkel in Höhe des Schwer-
ximale Verzerrung in der Schwerpunktfaser)
punkts bzw. am oberen Rand angedeutet).
Dicsc Verwölbung kann im Rahmen der Theorie des geraden Trägers nicht berücksichtigt werden
(genauere Verfomlungsberechnungen können für praxisnahe Probleme im Allgemeinen nur mit
Hilfe der Finite-Elemente-Methode ausgefUllI1 werden).
Es wird deshalb nähenlllgsweise eine mittle-
re konstante Sehubspannung fangenommen
(Abbildung 20.21), die dann einen konstan-
ten Gleitwinkel y über die Quersehnittshöhe er-
zeugt. So bleiben die Querschnitte auch durch
die Sehubspannungsverformung eben. Der durch
_ dz _ dvs~ -ydz
diese NäherungsanJ1ahme erzeugte Fehler wird
weitgehend dureh eine Korrektur der Quer- Abbildung 20.21: NUherungSlmnahme ..Millle-
schnittsftäehe A ausgeglichen: Te Schubspannung" - Konstanter Gleitwinkel
Die wirksame 5chubjläche As, auf die die mittlere Schubspannung wirkt. errechnet sich mit ei-
nem Korrekturparameter "s, der aus der Bedingung gewonnen wird, dass die bei der Verformung
erzeugten Formänderungsenergien des realen bzw. gemittelten Schubspannungszustandes gleich
sind. Dies wird im Kapitel 24 behandelt und führt auf folgende Formeln:
As=-
A A
lCs =""2
in
J52
~ dA
b-
(20.4)
lCs
'A
Das Trägerelement der Länge dz verformt sich zum Parallelogramm (Abbildung 20.21), wo-
bei die Vertikalverschiebung sich vom linken zum rechten Rand des Elements um dvs = ydz
ändert (der Index 5 soll andeuten, dass es sich um reinc 5chubvelformllng ausschließlich durch
20.4 Verformungen durch Querkräfte 357
die Querkraft handelt im Gegensatz zur Biegeveiformullg durch das Biegemoment). Die Ver-
formungsberechnung wird nun besonders cinfach, wenn auch noch angenommen wird, dass die
vertikalen Schniuflächen des Elements sich bei der Schubverfonnung nicht drehen, was immer
dann der Fall scin wird, wenn dic Schniuflächen dcr Nachbarelememe auch ihrc vcrtikale Rich-
tung behalten. Mit diesen Annahmen erhält man unter Verwendung des Hookeschen Gesetzes
und mit 20.4 die Differenzialbeziehung für die VelfOnlllmg info/ge Querkraflbe/aslIlllg
dvs _ t FQ KsFQ
dZ = y= C = GAs = GA (20.5)
die genau dann gilt (siehe nachfolgende Diskussion), wenn das Produkt GA im Nenner der rech-
ten Seite, die Schubsleifigkeil des Trägers, und der Korrckturparamcter K;s konstant sind. Bei der
Integration von 20.5 emsteht eine Integrationskonstante, die durch eine Verschiebungsrandbedin-
gung bestimmt wird.
Beispiel 1: I
F~10 ,
I'-"";_ _...J Für den skIzzierten Träger Ist dIe Schub-
verformung infolge der Querkraftbelastung zu ennit-
tein. Die maximale Absenkung ist mit der durch
das Biegemoment hervorgerufenen Biegeverformung zu
,'. . h
I
z
vergleichen. -b-
Gegeben: E, G, h, b, /.
Die Querschniuswerte und die Querkraft FQ = F sind konstant, so
dass auf der rechten Seite von 20.5 eine Konstante steht.
Der )(s- Wert ist nur von der Querschnittsform abhängig. Er wird nach dA
20.4 berechnet, wobei das Sx unter dem Integral wie in der Formel =bdy
20.2 das statische Moment der bei y abgetrennten Teil fläche bezüg-
lich der Schwerpunktachse x ist (nebenstehende Skizze):
f S~ f'
h
K;s =
A
'i,.
bh
b2 dA = (bh,)2 .
I [b( "2"
b2 - y ) 2"[ ( "
2" +Y )]2 :s
b dy = 6
A 12 y=_g
c:> Der Faktor (~) 2 beim zweiten Summanden in der eckigen Klammer. der die Größenordnung
des Schubverformungsameils charakterisiert, macht deutlich, dass dieser für schlanke Träger
wesentlich kleiner als der Biegeanteil ist. Diese Aussage gilt allgemein.
c:> Dass die Trägerquerschnitte bei reiner Schub-
verformung ihre vertikale Lage beibehal- , , I , I , 1, I , , , ,qo
~l:
ten und Vs damit nach 20.5 berechnet wer-
den darf, gi It auch für veränderliche Quer-
kraft. Die Abbildung 20.23 zeigt dafür ein
Beispiel. Die Ähnlichkeit von Schubverfor-
mungslinie und Biegemomentenverlauf ist +
durchaus nicht zufallig, denn bei konstantem
Querschnin ist die Ableitung der Schubver-
formung der Querkraft proportional, die an-
dererseits nach 7.1 auch die Ableitung des +
Biegemoments ist. Abbildung 20.23: Die Schubverformung ist
bei konstantem Trä.gerquerschnitt proportional
Das Beispiel verdeutlicht allerdings ein neues
zum Biegemomentenverlauf
Problem:
Es gibt drei Rand- und Übergangsbedingungen (keine Absenkungen an den Lagern, gleiche Ab-
senkungen an der Übergangsstelle), aber bei Integration in zwei Bereichen nur zwei Integrations-
konstanten. Wenn man jedoch die Integrationskonstanten aus zwei Bedingungen errechnet hat,
ist die dritte Bedingung identisch erfüllt.
Das gilt natürlich alles nicht mehr bei veränderlichem Querschnitt, doch bevor man dafür nach
(durchaus zu findenden) ReparalUr-Möglichkeiten sucht, sollte man beachten: Wenn die Schub-
verformungen überhaupt zusätzlich zu den im Allgemeinen deutlich größeren Biegeverformun-
gen berücksichtigt werden sollen, dann sollten bei veränderlichen Querschninen die nachfol-
genden Formeln verwendet werden (wegen der geringen praktischen Bedeutung wird auf eine
Herleitung hier verzichtet).
I_"";_ I
Beispiel 2:
_...1 Für den sk,zzlelten Träger mIt stück- KS' 2GA. 2EI
weise konstantem Querschnitt kann die Berech-
nung der Gesamtverfomlung nach 20.6 in folgen-
den Schritten ablaufen:
• Für heide Bereiche werden Querkraft- und Biegemomentenverlauf nach den vereinbal1en
Regeln formuliert. Damit können die Differenzialgleichungen 20.6 aufgeschrieben werden:
F
2 EI"'" 2GA(v', + '1'1) Ks-2
F
E1'IIz -Ks-
2
• Es werden zunächst die beiden .. lI"-Gleichungen" integriert (es entstehen 2 lntegrationskon-
stantcn). die Ergebnissc werden in die heiden andcrcn Gleichungen cingcsctzt, die nach v'
umgestellt und ebenfalls integriert werden. Es entstehen 2 weitere Integrationskonstanten.
• Die 4 Integrationskonstanten werden aus folgenden Bedingungen bestimmt:
3
3 KsF
V,(ZI) = 8GA z,
Fl
+ 24ET [ZI
41 - (ZI1 )3]
3KSF
vzh)=--(t-zz)+-- Zz (ZZ)2
FP [3+--6 - (ZZ)3]
+2-
- 8GA . MEI I I I
• Dic ersten Summanden in dcn bciden Formcln sind die Schubverfomlungsameile. Die bei-
den anderen Summanden (Biegeverformung) würden sich natürlich auch nach der im Kapitel
17 hehandeltcn Theorie der Biegeverformung ergehen.
Als Fazit aus den theoretischen Überlegungen und den Ergebnissen der heiden Beispiele bleibt:
Q Die Trägerquerschnitle bleiben auch bei Berücksichtigung der Schubverformung eben, lie-
gcn allerdings nicht mchr senkrccht zur Verformungslinie.
Q Die Schubverformung kann fLir schlanke Träger gegenüher der Biegeverformung im Allge-
meinen vernachlässigt werden.
Nur für gedrungene Trägcr (Querschnittshöhe liegt in dcr Größenordnung dcr Trägcrlänge)
kann die Schubverformung in die Nähe der Größenordnung der Biegeverformung kommen.
Für solche Trägcr liefert 20.6 allerdings nur noch eine Abschätzung der tatsächlichen Werte,
weil für gedrungene Träger sowohl die Bernoulli-Hypothese der Biegeverformungstheorie
als auch die Annahme der Schubverfolmungstheorie (gemittclte Schubspannungen über die
Trägerhöhe) nur noch in grober Näherung erfüllt sind.
360 20 Querkraftsehub
20.5 Aufgaben
I
Aufgabe 20.1:
I_...;. ..... Der skizzierte Träger ist aus zwei
Balken mit Quadratquerschnitten zusammenge-
r=r=r=r=J qo
leimt und trägt die konstante Linienlast qo. Man
ermittlc Ort und Größe dcr maximalcn Schubspan-
1 1
nuog in der Leimfuge.
Gegeben: a = 4 cm; / = 40cm; qo = 5 kN/m .
I
Aufgabe 20.2: I
Ein Trägcr ist wie skizziert aus drei qo 2a
I Aufgabe 20.3: I
Zwei Träger mit Rechteckquer-
lI4 1/2
schnitten liegen übereinander und sind durch 2
Bolzen (Durchmesser d) bzw. 9 Niete verbunden,
so dass ein Verschieben der beiden Träger gegen-
einander verhindel1 wird. Die zulässige Schub-
spannung j,11 den Nieten is( 'T;:uf.
Gegeben: F, h, I. d 1 'f:-ul'
Daraus ergibt sich mit dem Hookeschen Gesetz der Zusammenhang zwischen dem Verdrehwin-
kel und der Schubspannung:
dep ,
/0'
T=Cr- = Crep
dz dA ,,
Am differenziell kleinen Flächenelement dA des Querschnitts hat die
dort wirkende Schubspannung die Kraftwirkung T dA und damit um
TdA / ~
r' I" TI I
den Mittelpunkt die Momentwirkung r-rdA (Abbildung 21.3). Die
resultierende Momentwirkung (Integration Uber die Querschnittsftä-
che A) muss dem Torsionsmoment M, entsprechen:
J
Abbildung 21.3: Mo-
M, = TrdA menrwirkung der Schub-
A
spannung 't'
Mit dem bereits bekannten Zusammenhang zwischen Schubspannung und Verformung ergibt
J
sich:
M, = C r <p' r dA = C <p'.f r2 dA = C1" <p'
A A
mit dem so genannten polaren. FliichenlrägheiIsmoment
I" = J
A
2
r dA (21.1)
Die polaren Flächenträgheitsmomente Jassen sich auf recht einfache Weise aus den äquatorialen
Flächenträgheitsmomenten lxx und Iyy berechnen. Wegen r2 = x2 +:l (Abbildung 21.4) gilt:
I" = J? dA = J.r'l dA J
+ :l dA = Iyy + Ix.< y
0"
I
A A A X
Man beachte, dass diese 1p -Formel zwar allgemein gilt, das polare y x
Flächelllrügheitsmoment aber l7urfür die Torsionsberechnung von
Kreis- und Kreisringquerschnillel7 verwendet werden dw[
Aus den nun bekannten Zusammenhängen zwischen Schubspan-
nung und Verdrehwinkel bzw. Torsionsmoment und Verdrehwinkel
ergeben sich die folgenden Formeln. Abbildung 21.4: r, x und y
M,
Torsionsscbubspannungen in Kreis- und KreisringquerschnHten: T= - r (21.2)
I"
Differenzialgleichung für den Verdrehwinkel: CI" <p' = M, (21.3)
4
1C d
Polares Flächenträgheitsmoment für Kreisquerschnitt: I" = 32 (21.4)
<:> Das Produkt G I" ist die Torsiol7ssleijigkeil des Kreis- bzw. Kreisringquerschnitts.
<:> In 21.4 ist d der DW'chmesser des Kreisquerschnitts, in 21.5 sind d; der lnnen- und da der
Außendurchmesser des Kreisringquerschnitts.
21.1 Torsion von Kreis- lind Kreisringquerschnilten 363
Aus der Differenzialgleichung für den Verdrehwinkel 21.3 ergibt sich für einen wichtigen Son-
derfall folgendc ci nfache Formcl.
Relativer Verdrehwinkel zweier Endquerschnitte eines Bereichs der Länge I mit kon-
stantem Torsionsmoment M, und konstanter Torsionssteifigkeit Glp :
M, I
!l(fJ = - (21.9)
GI"
Beispiel]: I
I_ _ _ _...I Ein TorSionsstab hat m emem Ab- A
d ..,
:1 ~: +M
B 'öl 'ö, C
schnitt eincn konstanten Kreisquerschnitt (Durch-
messer 0) und im zweiten Abschnitt einen Kreis-
ringquerschnitt (Innendurchmesser d;, Außendurch- B
,3Mc
messer da)' Er ist bei A starr eingespannt und bei B a 2a
und C durch dic Momente MB bzw. Me bclastct.
Gegeben: Im ; d; =20mm ; G=0,808·105 N/mm z ;
MB = 1,8kNm ; a =
Me=0,6kNm; 0=60mm; da =40mm.
Es sind die maximale Torsionsschubspannung Tmax und die Verdrehwinkel der Querschnitte B
und C (reLativ ZUIll Einspannquerschnitt A) zu berechnen.
Das Torsionsmoment ist bcreichsweise konstant. Wenn dcr linke Bereich mit dem Index I und
der rechte Bereich mit dem Index 2 gekennzeichnet wird, gill:
M,I =MB+Me M,z =Me
Damit könncn nach 21.6 bis 21.8 die maximalen Schubspannungen berechnet werden:
n03 z
1. Bereich (A ... B): W,I = - - Tl,max = 56,6N/nun
16
w,z _ n (d~ -df)
2. Bcreich (B .. .Cl: , - 16da TZ max = 50,9 N/mm z
Die größte Schubspannung tritt im ersten Bereich auf. Da sowohl Torsionsmomente als auch
Torsionssleifigkeiten bereichsweise konstant sind, berechnet man die Verdrehwinkel nach 21.9.
364 21 Torsion
Für den Punkt C setzt sich der Verdrehwinkel aus zwei Anteilen (jeweils der relative Verdreh-
winkel der Endquerschnitte eines Abschnitts) zusammen:
(Mo+Mc)a32
= 0,02335 ({>o = 1,34°
G7I:D4
Mc 2a32
qJc=({>o+ 4_ 4) = ({>o+0,06303 = 0,08638 =} qJc=4,95°
G7I:(<I" <I;
Beispiel 2:I
I_ _ _ _...I Em TorsIOnsfederstab I11Jt dem Durch- D
l,=(~:-I)(~;:>ges-/) =} 1,=288mm
Da das Torsionsmoment konstant ist, tritt die größte Schubspannung im Bereich mit dem kleine-
ren Widerstandsmoment auf, und es gilt fUr den rechten Bereich:
Mo 16D ,
'r,ma., = 7I:(D4 _<1 4 ) =407N/mnr
oe:> Die Berechnung der Torsionsverformung kann für die weitaus meisten praktisch wichtigen
Fälle mit der Formel 21.9 ausgeführt werden, weil das Torsionsmoment fast immer zumin-
dest bereichsweise konstant ist. Die DifferenziaJbeziehung 21.3 wird allerdings bei stetig
veränderlichem Querschnitt benötigt, wobei im Allgemeinen eine (in jedem Fall numerisch)
einfach zu lösende Integrationsaufgabe entsteht.
oe:> Eine sehr wichtige Aufgabe ist das Dimensionieren von Wellen mit Kreis- oder Kreisring-
querschnitt, die die Antriebsleistung eines Motors auf eine Arbeitsmaschine übenragen und
dabei in keinem Betriebszustand eine zulässige Spannung bzw. einen zulässigen Verdreh-
winkel überschreiten dürfen. Deshalb wird als Torsionsmoment das größte zu übertragene
Moment aus der AntriebsJeisnmg und der Drehzahl aus der Beziehung P = M w (Leislllng
= Moment· Winkelgeschwindigkeit) berechnet:
p
M = - (21.10)
w
Man beachte, dass das größte Moment nicht unbedingt beim Übertragen der maximalen
Leistung auftreten muss. Gegebenenfalls muss man aus der Kennlinie der Antriebsmaschine
den Punkt heraussuchen, der dem größten abzugebenden Drehmoment zuzuordnen ist.
Die Leistung wird in W (Watt) bzw. kW (Kilowatt) angegeben, definiert als
IW = L Nm/s
(häufig noch anzutreffen ist die veraltete Leistungsangabe in PS, es gilt: I PS = 0,73550 kW).
Anstelle der Winkelgeschwindigkeit w wird häufig die Drehzahl n angegeben (Anzahl der Um-
drehungen pro Zeiteinheit, gemessen in min- I ), es gilt der Zusammenhang:
w=27r1l
Da w üblicherweise in S-I angegeben wird, ist eine Dimensionsumrechnung erforderlich (man
hüte sich vor der Anwendung von Praktikerformeln wie "w = 7tn/30", die mit unterschiedli-
chen Dimensionen arbeiten, es sei denn, man ist ganz sicher, selbst ein Praktiker und sicher im
Umgang mit solchen Formeln zu sein).
Beispiel 3:I
I_ _ _ _...I Em Motor liefert sem maxImales Drehmoment bei emer LeIstung von 100 kW
und einer Drehzahl von 5000 Umdrehungen pro Minute. Wie groß muss der Durchmesser der
ausschließlich auf Torsion beanspruchten Abtriebswelle sein, wenn in ihr eine zulässige Schub-
spannung von 'zul = 140N/mm2 nicht überschritten werden darf?
Das nach 21.10 zu berechnende maximale Drehmoment
P p 100·103Nm
M=-=-= ' =191Nm
W 27t1l 27t5OO0~s
wird als Torsionsmoment in die Formel 2l.8 eingesetzt, und mit 21.6 errechnet man den erfor-
derlichen Durchmesser:
16M
d"J = ] - - = 19. I 111m
1r 'rzul
366 21 Torsion
Die für Kreis- und Kreisriugquerschnille getroffene Annahme, dass die Querschnitte bei der
Torsionsvcrformung eben bleibcn, kann für andere Querschnillsformcn nicht aufrechterh31ten
werden. Im Allgemeinen fUhren die unterschiedlichen Gleitwinkel benachbarter Querschnills-
elementc dazu, dass sich die Querschnittc bei Torsionsbelastung verwölbell.
Unter der Voraussetzung, dass sich die Querschnittsverwölbungen ungehindert ausbilden kön-
nen, ist die Theorie der so genannten Sr.- Venanrschen Torsion anwendbar.
Bei vielen praktischen Problemen ist diese Voraussetzung allerdings nicht erfüllt (eine starre
Einspannung eines Trägers lässt z. B. kcine Verwölbung zu). In diesen Fällen licfcrt die St.-
Venantsche Torsionstheorie vielfach eine gute Näherung. Wenn die durch die behinderte Ver-
wölbung zusätzlich hervorgcrufenen Spannungen nicht vernachlässigt werden dürfen und die
Verwölbung durch konstruktive Maßnahmen nicht verhindert werden kann (z. B. bei dünnwandi-
gen Querschnitten), ist nach der (mathematisch wesentlich anspruchsvolleren) Theorie der Wölb-
kraftrorsiorl zu rechnen, die im Rahmen dieses Buches nicht behandelt wird.
c:> Die St.-Venantsche Torsionstheorie basiert auf dcn Grundannahmcn der linearen Elastizi-
tätsthcorie: Es gilt das Hookeschc Gesctz, und dic Verformungen sind klcin gegenliber den
Abmessungen des Bauteils. In allen Abschnitten dieses Kapitels wird die Gliltigkeit der St.-
Venantschen Torsionstheorie vorausgesetzt.
Die wichtigsten Formeln und Differcnzialgleichungen der allgemeinen St.-Venantschen Torsi-
onstheorie werden in diesem Abschnitt (ohne Herleitung) zusammengestellt. Die beiden folgen-
den Abschnitte behandeln als besonders wichtige Sonderfalle die dünnwandigen Querschnitte.
Analog zu den Formeln, die sich für Kreis- und Kreisringquerschnitte ergaben, gelten bei belie-
bigem Querschnitt die nachfolgenden Beziehungen.
8t.-Venantsehe Torsion
c:> Die Formeln 21.11 bis 21.13 für die allgemeine St.- Venantsche Torsion unterscheiden sich
von den entsprechenden Formeln fiir den Spczialfall "Kreis- und Kreisringquerschnitt" nur
dadurch, dass das polare Flächenträgheitsmoment I" durch das Torsionsträgheitsmoment I,
ersetzt wird. Das Problem reduziert sich damit allf die (leider nicht triviale) Frage, wie die
Querschnittskennwerte I, und W, für beliebige Querschnitte zu ermitteln sind.
21.2 SI.- Venanlsche Torsion beliebiger Querschniue 367
oe:> Die Berechnung der Verteilung der Schubspal1llllngen im Querschnitt ist im Allgemeinen
schwierig, mit Hilfe der nachfolgend angegebenen Beziehungen 21.16 aber durchaus mög-
lich. In der Regel wird die Berechnung der maximalen Schubspannung nach 21.12 genügen.
Die mathematische Theorie der St.- Venantschen Torsion basiert auf der Berechnung einer so
genannten Torsiol1sjunkliol1 <P für den Stabquerschnitt, die sich als Lösung der p:utiellen Diffe-
renzialgleichung
;P<P o2<p
ox2 + oy2 = I (21.14)
I, = 2
f(
A
o<P
x~ + Y BY
o<P)
dA
(21.16)
r - -2 Mt o<P r _ 2 Mt o<P
,., - I, oy 'Y - I, ox
Nur für sehr wenige Querschnittsformen lassen sich Lösungen der Poissonschen Differenzial-
gleichung angeben. die die geforderten Randbedingungen erftillen. Man darf es fast als Ironie
auffassen, dass es gerade für Kreis und Kreisring, für die die Torsionsaufgabe ohnehin einfach
lösbar ist, kein Problem ist (nachfolgendes Beispiel).
I
Beispiel: I
Es ist zu zeigen, dass die Funktion
2 2
<P(x,y) = x : y
die Poissonscbe Differenzialgleichung 21.14 erfüllt und auf einem Kreis (mit dem Mittelpunkt im
Zentnn" des x-y-Koordinatensystems) konstante Werte annimmt, so dass durch Einsetzen dieser
Funktion in 21.16 die im vorigen Abschnitt angegebenen Formeln bestätigt werden können.
Die zweiten Ableitungen der Funktion
o2<p I o2<p I
ox2 2 oy2 2
sind konstant und ertlillen die Poissonsche Differenzialgleichung. Einsetzen der Kreisgleichung
in <P(x,y) zeigt, dass auch die Randbedingungen 21.15 erfüllt sind:
R2
x2 +/ = R2 ~ <PR",ul = "4 = konstant
368 21 Torsion
Also ist <P(x,y) die Torsionsfunktion für den Kreisquerschnitt (und natürlich auch flir den Kreis-
ringquerschnitt) und darf in 21.16 eingesetzt werden:
I{ =2 J(x ~: +
A
y ~;) dA = Jx + Ji
A
2
dA
A
dA = IYJ" + In = I"
M{ d<P M{ M{ d<P M{
-r,=-2--=--y -r'y = 2 - - = - x
I{ dy I{ - I{ dx I{
Als Torsionsträgheitsmoment erhält man fi"lr Kreis- und Kreisringquerschnitte wie erwartet das
polare Flächenträgheitsmoment, auch die Schubspannungsformcln werden bestätigt.
Für kompliziertere Querschnittsformen lässt sich die Torsionsaufgabe im Allgemeinen nur nu-
merisch lösen. Mit Hilfe geeigneter Diskretisierungsverfahren (Differenzenverfahren, Methode
der finiten Elemente) stellt dies aber heute kein grundsätzliches Problem mehr dar.
Die in der naChfolgenden Tabelle angegebenen Werte für den Rechteckquerschnitt können z. B.
(bis auf den theoretischen Wert fi"lr ~ --. 00 in der letzten Spalte) mit einem Finite-Elemente-
Programm nachgerechnet werden, das eine Elemelll-Matrix für die Lösung der Poissonschen
Differenzialgleichung bereitstellt (siehe Beispiel im Abschnitt 34.3.3, wo die Berechnung eines
Wertes demonstriert wird).
1{=Clhb 3 , ~ I 1,5 2 4 10 00
c:> Die maximale Schubspannung tritt immer am Außenrand der engsten Querschnittsstelle auf,
beim Rechteckquerschnitt also in der Mitte der längeren Seite.
L-:> Für sehr schmale Rechtecke (* --.0) nähern sich die Werte fi"lr c, und C2 immer mehr dem
Wert!, so dass I{ = "f
und W{ = I'~' als Torsionsträgheitsmoment bzw. Torsionswider-
standsmoment für das "unendJich dünne Rechteck" angesehen werden diirfen. Auf diese
beiden Formeln wird im Abschnitt 21.3.2 noch einmal zurückgegriffen.
c:> Früher wurden Lösungen für die Torsionsaufgaben vielfach experimentell ermittelt, wobei
die Tatsache genutzt wurde, dass die Poissonsche Differenzialgleichung auch andere physi-
kalische Vorgänge beschreibt:
Eine ebene Membran mit festgehaltenem Rand. die von einer Seite unter konstanten Druck
gesetzt wird, wölbt sich so, dass die Verschiebung w(x,y) der Poissonschen Differenzial-
gleichung genUgt. Der Anstieg des Membranhügels ist also der Schubspannung in einem
elllsprechenden Querschnitt unter Torsionsbelastung proportional ("Seifenhaut-Gleichnis").
Auch die Strömung einer in einem oben offenen Gefjß zirkulierenden Flüssigkeit (das Gefäß
habe konstanten QuerSChnitt) wird durch die Poissonsche Differenzialgleichung beschrie-
ben. Dabei ist die Strömungsgeschwindigkeit in einem beliebigen Punkt der Schubspannung
in einem tordierten Stab mit gleichem Querschnitt proportional.
21.3 SI.- Venanlsche Torsion dünnwandiger Querschnitte 369
Neben den Kreis- und Kreisringquerschnitten gibt es noch eine große Gruppe praktisch sehr
wichtiger Querschnitte, fLir die durch (rccht rcstriktiv anmutende, aber gcrechtfertigte) Zllsätz-
liche Annahmen das SI.- Venantsche Torsionsproblem unter Umgehung der Lösung der Pois-
sonschen Differenzialgleichung 21.14 behandelt werden kann. Es sind die dünnwandigen Proll-
le (Wandstärken sind wesentlich kleiner als die übrigen Querschnittsabmessungen), für die die
Spannungs- und Verformungsberechnung in den beiden folgenden Abschnitten behandelt wird.
Dabei muss zwischen geschlossenen Querschnitten (z. B.: Ringquerschnitte, Kastenquerschnitte)
und offenen Querschnitten (z. B.: L- und T -Prollle) unterschieden werden.
oe:> Die Verwölbung des Querschnitts kann sich frei ausbilden (St.-Venantsche Torsion), so dass
keine Normalspannungen durch die Längsverschiebungen hervorgerufen werden.
oe:> Die Schubspannungen sind über die Profildicke konstant.
Der Fehler, der mit der letzten Annahme hingenommen wird, kann am einfachen Beispiel abge-
schätzt werden: Für einen dünnwandigen Kreisring mit dem Innen radius ri und dem Außenradius
ri + I ergibt die Rechnung nach den Formeln für den Kreisring 21.2 und 21.5 ein Verhältnis der
Schubspannungen am Außenrand 'Ca und amlnnenrand 'Ci von ~ "
= Ei±'. = 1+ 1-. Die Theorie des
r, r,
dünnwandigen geschlossenen Querschnitts würde etwa den Mittelwert dieser beiden Spannun-
gen liefern. Wenn I klein gegenüber dem Radins ist, kann dieser Fehler hingenommen werden.
Die (über die Dicke I konstanten) Schubspannungen werden zum Schubjluss
T = 'C t (21.18)
(Dimension: "KraftlLänge") zusammengefasst, der in der Profil-Mittellinie angreift und tangen-
tiaJ zu dieser gerichtet ist.
Die Abbildung 21.8 zeigt ein aus dem Torsionsstab
herausgeschninenes Element. Nach dem Gesetz der l'
zugeordneten Schubspannungen 20.1 wirkt natürlich
auch der SchubOuss in den Längsschnitten in gleicher TI! - _ 1,1' -ci:
Größe. Da keine Normalspannungen wirken (span- l'
nungsfreies Verwölben, Querschnitte behalten ihre dz
Form), kann das Gleichgewicht am Element nur er- Abbildung 21.8: Der Schubftuss T muss
füllt sein, wenn T an allen Elementrändern den glei- (Gleichgewicht) konstant sein
chen Wert hat:
Der Schubftuss T = 'C I infolge Torsion ist in den Querschnitten eines dünnwandigen geschlos-
senen Profils konstanl.
Der Kreis im Integralsymbol deutet ein Umlaufintegral an: Die obere Grenze beschreibt den
gleichen Punkt wie die untere Grenze, wobei s sich um die Gesamtlänge der Profll-Minellinie
vergrößert hat. T kann vor das Integral gezogen werden, das verbleibende Integral lässt sich sehr
schön geometrisch deuten: Die in der Abbildung 2\.9 angedeutete Dreieckstläche dA", = r'!if
21.3 SI.- Venanlsche Torsion dünnwandiger Querschnitte 371
("Grundlinie· Höhe/2") summiert sich mit den anderen differenziell kleinen Dreiecksftächen bei
der Integration über den Umfang zur Gesamtftäche Am, die von der Profil-Mittellinie umschlos-
sen wird. Das in der Formel verbliebene Integral liefert also die doppelte Fläche 2A"" und man
erhält nach RUOOLF BREOT (1842 - 19(0) eine recht einfache Formel zur
hat ihrcn maximalen Wert an dcr Qucrschnittsstclle mit dcr geringsten Dicke Imin.
Die Verzerrungen der Elemente des ausschließlich durch Schubspannungen belasteten Torsions-
stabs werden durch die Gleilwinkel y beschrieben, die nach dem Hookeschen Gesetz 12.6 mit
den Schubspannungen entsprechend r = Gy verknüpft sind. Um die daraus resultierenden Ver-
fonuungen zu berechnen, wird zunächst am einfachen Beispiel demonstriert, wie aus der Glei-
lUng y die Verdrehung und die Verwölbung der Querschnitte entstehen.
Abbi.ldung 21.10: Die konswnle Dicke eines Kreisrings (links) fiihrt zu konsranren Verzerrungen. verän-
derliche Dicke (rechrs) und damit veränderliche Verzerrungen fUhren zu Verwölbungen
Betrachtet wird zunächst eine unendlich dünne Scheibe, die aus einem Torsionsstab mit Kreis-
ringquersclmill kOllstafller Dicke herausgeschnitten wurde (Abbildung 21.10, links). Der über
den Umfang konstante Schubftuss ist bei konstanter Dicke einer konstanten Schubspannung
äquivalent, die wiederum zu konstanten Gleitwinkeln führt: Die in der Abbildung angedeuteten
Rechtecke wcrden zu kongruenten Parallelogrammen VerLeITI, die ohne Verwölbung der Quer-
schnittsftächen auch nach der Verformung zusammenpassen.
Bei einem Kreisringquerschllitt mil veränderlicher Dicke (Abbildung 21.10, rechts) entspricht
der über den Umfang konstante Schubftuss nach 21.20 einer veränderlichen Schubspannung,
die benachbal1e Elemente unterschiedlich verzerrt. Diese können nach der Verformung nur bei
gleichzeitiger Verschiebung der Querschnittspunkte in LängsrichtlUlg des Torsionsstabes zusam-
menpassen: Der Querschnitt verwölbt sich.
372 21 Torsion
Die Abbildung 21.12 zeigt den Zusammenhang zwischen y~ und dem Torsionswinkel cp. Zwei
benachbane Querschnitte (Abstand dz) verdrehen sich (unter Beibehaltung ihrer Form) gegen-
einander um den Winkel dcp. Für die differenziell kleinen Größen (Y~ "" tan y~) liest man ab:
dv
y~=-
dz
wobei dv die Verschiebung eines Punktes tangential zur Profil-
Mittellinie ist. Tatsächlich bewegen sich alle Punkte der Profil-
Mittellinie bei der Verdrehung auf konzentrischen Kreisen. Ein
Punkt A (untercrTeil der Abbildung 21.12) bewegt sich nach A'
P
entlang rdcp, und man liest den Zusammenhang drp
rdrp
dv = rdcpcos a = r' dcp C<
r'
r ?:. A
ab, wobei r' = rcosa der senkrechte Abstand vom Bezugs- A c< dv
punkt P zur Tangente an die Profil-Mittellinie ist. Zwischen dem
Gleitwinkel-Ameil y~ und dem Torsionswinkel cp besteht also Abbildung 21.12: Gleitung y~
der Zusammenhang;
und Torsionswinkel er
.dw
Y~ = r* ~~ = r' cp' (21.21)
Mit einem kleinen Trick gelingt die Entkopplung der beiden Verschiebungen. Die Beziehung
21.23 wird auf beiden Seiten über den gesamtem Umrang der Profil-Mittellinie inlegrielt (Um-
laufintegral). In
1 = 1~; = 1 = ~
Yw ds ds dw WEND wANF =0
21.3 SI.- Venanlsche Torsion dünnwandiger Querschnitte 373
weil Endpunkt und Anfangspunkt beim geschlossenen Profil zusammenfallen, so dass ihre Ver-
schiebungen gleich sind. Es verbleibt
M,
2A",G f ds =
t(s) f Y'I'ds= cp. 'I 'r ds=2A m cp ,
wobei alle nicht von s abhängigen Größen vor die Integrale gezogen wurden. Außerdem wurde
die bereits bei der HerJeitung der Spannungsformel 21.19 gewonnene Erkenntnis genutzt, dass
das Ul11laufintegral über r' gleich der doppelten Fläche ist, die von der Profil-Mittellinie um-
schlossen wird. Nach Umstellen der Beziehung entsprechend
4A 2
G_'_lI m'=M,
d.,"t'
f ,(,)
erkennt man die Ähnlichkeit mit der Gleichung 21.11, die es nahelegt, den Bruch als Torsions-
trägheitsmoment I, für den dünnwandigen geschlossenen Querschnitt zu definieren'.
Q Das Umlaufil1legral in 21.24 lässt sich für einen wichtigen Sonderfall recht einfach lösen.
Für Querschnitte mit stückweise konstanter Dicke tl, '2, ... jeweils auf Abschnitten mit den
Längen SI, S2, ... gilt (auch bei gekrümmter Profil-Mittellinie):
1
ds SI S2
U(s) = -() = - + - + ... (21.25)
. t s tl 12
w(s) = ~] d(S)
2A G I s
- cp'] r'(s) ds+C (21.26)
m
Die Integrationskonstante in 21.26 kann ermittelt werden, indem für einen beliebigen Punkt s des
Querschnitts die Verschiebung w = 0 gesetzt wird. Dann erhält man alle übrigen Verschiebungen
w relativ zu der tatsächlichen Verschiebung an dieser Stelle. Man darf natürlich auch w(s = 0) = 0
setzen, so dass die Integrationskonstante verschwindet. Hier soll 21.26 benut.zt werden, um zu
untersuchen, unter welchen Bedingungen ein spezieller Querschnitt zu wölbfreier Torsion führt.
I Zwi~chenruf in der Vorlesung: _.Was muss das für ein Mensch sein. der sich solche Formeln ausdenkt?" Antwon:
Rudolf Bredt war ein erfolgreicher Unternehmer. Seine Kranbaufirma bri:lchtc 1876 den weltweit ersten elektrisch
betriebenen Kran auf den Markt. Er war ein begnadeleI' Prakliker. der sich auch vor der Theorie nielll scheule.
374 21 Torsion
I
,
-0
Beispiel: C
I_....;.__ Für den skIZZierten geschlossenen dünnwandigen
,,1
einfach-symmetrischen Querschniu mit konstanter Wandstärke I
B I
ist die Ahmessung x zu bestimmen, flir die der QuerschniU bei
Torsionsbelastung wölbfrei bleibt. cl
M
Gegeben: a.
,-~ A
Mit der von der Profil-Miuellinie umschlossenen Fläche
2a 2a
Am = 12a2 + 2ax
Die Koordinate s soll (wie skizziert) auf der Symmetrielinie stal1en, mit IV = 0 bei s = 0 ver-
schwindet die Integrationskonstante in 21.26, und mit cp' = -t!r, erhält man:
IV s - M, [
( )- G 2(12a2
I
+2ax) t
2
:I: _ IOa+2J4a +x
4(12a +2ax)2 t
2
2
J r' dS]
Da r' (senkrechter Abstand der Punkte der Profil-Mittellinie vom Bezugspunkt P) abschnittswei-
se konstant ist, liefert auch das Integral über r' eine lineare Abhängigkeit von s. Dieses Integral
ist allerdings von der Lage des Bezugspunktes P abhängig, die in vertikaler Richtung (wie skiz-
ziert) durch die Strecke y beschrieben werden soll. Die Verschiebung IV ist gleich Null, wenn in
der vorstehenden Formel die eckige Klammer verschwindet. Im Bereich von s = 0 bis zum Punkt
A ist dies der Fall, wenn
J J
12a2+2ax
r'ds= yds=rs= s (O:os:02a)
. 5a+J4a 2 +x2
gilt, woraus sich
ergibt. Wegen der bereichsweise linearen Abhängigkeit IV(S) genügt es, flir jeden weiteren Be-
reich jeweils das Verschwinden vom IV flir nur einen zusätzlichen Punkt zu fordern. Für den
Punkt B lautct die Bedingung:
12a2 +2ax
y2a+2a3a= 5a
5a+J4a 2 +x2
Daraus berechnet man
21.3 SI.- Venantsche Torsion dünnwandiger Querschnitte 375
Bevor kontrolliert wird, ob sich auch für den Punkt C (und damit auch für den gesamten Bereich
B-C) keine IV- Verschiebung ergibt. soU darauf aufmerksam gemacht werden, dass die Berech-
nung dcs Integrals iiber r' auch dann geometrisch anschaulich deutbar ist, wcnn sich die Intcgra-
tion nicht über den gesamten Umfang erstreckt: Das Ergebnis entspricht der doppelten Fläche,
die von einer Linie iiberstrichen wird, die von P zur Profil-Mittellinie gezogen wird und dort
über den Integrationsbereich wandert. Von s = 0 bis zum Punkt C iiberstreicht diese Linie gerade
die halbe .,Profil-Mittellinien-F1ächc·', so dass das Integral iiber r' gleich der gesamten Fläche
A,,, ist. So lässt sich leicht bestätigen, dass auch am Punkt C keine Verschiebung IV auftritt und
damit aus Symmetriegriindcn der gesamte Querschnitt wölbfrei ist, wenn (wie oben berechnet)
X= 1,5a ist.
<> Der Bezugspunkt P ist (vgl. die Herleitung der Verformungsbeziehuugen) der Punkt, um
dcn sich der Querschnitt drcht (alle Punkte des Qucrschnitts bewegen sich auf konzentri-
schen Kreisen). Bei wölbfreien Querschnitten wie im gerade behandelten Beispiel bleiben
alle Querschnittspunkte bei Drehung um diesen Punkt in der Ebene, in der sie vor der Ver-
formung lagcn. Man bcachte, dass der Punkt P nicht mit dem Schwerpunkt des Qucrschnitts
identisch ist.
<> Man iiberleugt sich leicht. dass fiir das Fiinfeck des behandelten Beispiels bei den Abmes-
sungen, die zu Wölbfreiheit führen, der Punkt P der Mittelpunkt eines Kreises ist, der die
Mittellinien aller Geradenstücke tangiert. Es lässt sich zeigen. dass diese Aussage verallge-
mcinerungsfahig ist:
Dt>D
Diinnwandige geschlossenc Quer-
schnitte mit konstanter Profildicke,
deren Mittellinien Kreislangenlen.
Polygone darstellen (und damit
natürlich auch beliebige Dreiecke,
das Quadrat und alle regelmäßigen
Abbildung 21. 14: Wölbfreie Querschnitte
n-Ecke) sind lVölbjrei.
Betrachtet wird zunächst ein schmales Rechteck, dessen Breile I deutlich kleiner als seine Höhe s
ist (Bezeichnungen [ und s mit Rücksicht auf die anschlicßendc Erweiterung dcr Betrachtungen).
Zur Berechnung der Schubspannungen, die einem Torsionsmoment M, in diesem Querschnitt
äquivalent sind, werden folgende Annahmen getroffen:
<> Die Schubspannungen verlaufen parallel zu den Rändern der langen Seiten des Rechtecks,
sind über dic Höhe konstam und werden am oberen und unteren Rand innerhalb eines sehr
schmalen Bereichs umgelenkt.
r.:> Die Schubspannungen sind über die Breite des Rechtecks linear veränderlich mit gleich
großen, entgegengesetzt gerichteten Maximalwerten Tm<lX an den Rändero.
o
gcn zu der in dcr Abbildung 2U6
skizzierten Modellvorstellung: Die
Scbubspannung wird jeweils über I t
die halbe Breite (wie eine Drei-
T~ 2
T
max 2
eckslast) zum Schubfluss ,,'
1
T=4'tl/l ax l
zusammengefasst, der im Abstand
~.I von der Mittcllinie wirkt und
an den beiden Enden (in gleicher Abbildung 21.16: ModelivorSlettllllg vom Schllbflllss in einem
Größe) umgelenkt wird. schmalen Rechteck
Das gleiche Ergebnis erhält man, wenn das beschriebene Modell als geschlossenes dünnwandi-
ges Profil betrachtet wird, für das die Formel 21.19 gilt:
. 2 I I 2
Mt = 2A m r = 2'3 t s4" 't'ma.x 1 = '3 'f",ax sl
Die sich daraus ergebende Formel für die maximale Schubspannung
3~ ~ I ,
'tmllx = st 2 = \-\l
r
mit W, = 351 -
findet eine weitere Bestätigung beim Vergleich mit den Formeln für den Rechteckquerschnitt
21.17 aus dem Abschnitt 21.2. Die getroffenen Annahmen für das schmale Rechteck entsprechen
dem theoretischen Wert, der sich für das "unendl ich schmale Rechteck" bei exakter Lösung des
Randwertproblems für die Torsionsfunktion 21.14 und 2 I.15 ergibt. Deshalb wird auch die flir
die Verformwlgsberechnung benötigte Formel fLir das Torsionsträgheitsmoment vom ,.unendlich
schmalen Rechteck" übernommen:
21.3 SI.- Venanlsche Torsion dünnwandiger Querschnitte 377
I, = 3I sI 3
Der Fehler, der mit der Anwendung dieser Formeln verbunden ist, ist also umso geringer, je
i
kleiner das Verhältnis ist. Für ~ = 0, I beträgt die Abweichung sowohl für I, als auch rur W,
etwa 6 % vom exakten Wert.
Für dieses Seitenverbältnis sind in Abbildung T zy
T max
=1
21.17 einige Schubspannungsverläufe der ex- T zy _
akten Lösung skizziet1, die die eingangs getrof- T -
max
tenen Annahmen bestätigen: Die vertikal ge- I,
richtete Schubspannung T;:y folgt über die Brei-
te praktisch exakt einem linearen Verlauf und 1,
bleibt über die Höhe (hier dargestellt für den
Außenrand) konstant bis auf einen sehr kleinen T zy
!~
Bereich am Ende. Sie wird dort umgelenkt, wo- T zX = 074 I
T max ' _Tzx
bei wieder nur in einem sehr schmalen Bereich
horizontal gerichtete Schubspannungen T;:x vor- Abbildung 21.17: Die exakte Lösung für ein
handen sind. schmales Rechteck bestätigt die Modellvorstellung
Die Modellvorstellung, nach der ein schmales Rechteck wie ein dünnwandiger geschlossener
Querschnitt betrachtet werden kann, bietet sich geradezu dafür an, auf andere dünnwandige of-
fene Profile ausgedehnt zu werden. Tatsächlich ist es gerechtfertigt, die Formeln für das schmale
Rechteck auch auf Profile mit gekrümmter Mittellinie anzuwenden.
Die Abbildung 21.18 zeigt einen Querschnitt, dessen Mittellinie ein
Kreisbogen ist. Bei einem Radienverhältnis :, = 1,2 entspricht der Öff-
nungswinkel a = 104,2 0 exakt dem Abmessungsverhältnis ; = 0, I, wo-
bei als Breite I (Profildicke) die Differenz der Radien Ta ~ T; und als
"Höhe" s die Länge der Profil-Mittellinie verwendet wird.
Für diesen Querschnitt sollen die Ergebnisse, die sich mit den oben ange-
gebenen Formeln ergeben, verguchen werden mit denen, die eine Lösung
nach der "exakten" St.-Venantschen Theorie (Gleichungen 21. 14 und
21.15) liefert (diese Lösung ist für den betrachteten Querschnitt nur auf
numerischem Wege möglicb und wurde hier mit einem Finite-Elemente- Abbildung 21.18: Ge-
Programm gewonnen, vgl. www.TM-aktuell.de. siehe auch Abbildung krümmte Mittellinie
21.22 auf Seite 383). Für das Torsionsträgheitsmoment ergibt sich:
Sl3
Dünnwandiges offenes Profil: I, =:3 = 3,331 4
exakt: = 3,121 4
Der Fehler entspricht exakt dem, der sich bei diesem Abmessungsverhältnis auch für das schmale
Rechteck ergab. Für die Schubspannung erhält man nach der exakten Theorie unterschiedliche
Werte für die beiden Ränder, nach der Theorie des dünnwandigen offenen Querschnitts nur einen
Wert für die Maximalspannung:
378 21 Torsion
M{
Dünnwandiges offenes Profil: "max = 0,300 3
t
M{
exakt: "A = 0,333 3
r
"8 = 0,309 3M,r
Die Anwendbarkeit der Formeln für das schmale Rechteck auf dünnwandige offene Querschnitte,
deren Profil-Mittellinie keine Gerade ist, erstreckt sich natürlich auch auf Profile mit abgewin-
kelter Mittellinie (z. B. L-Profil). Es ist sogar gerechtfertigt, bei Querschnitten, die aus mehreren
dlinnwandigen Abschnitten zusammengesetzt sind, das Torsionsträgheitsmoment /{ (näherungs-
weise) durch Addition der Anteile aus den einzelnen Abschnitten zu berechnen, und dies gilt
auch rur verzweigte Profile (z. B.: T -Profil, I-Profil) und rur Profile mit unterschiedlichen Brei-
ten '; in den einzelnen Abschnitten. Das Torsions- Widerstandsmoment W; zur Berechnung der
maximalen Schubspannung ergibt sich dann als Quotient aus /{ und der größten Breite '"w.<'
Für die Berechnung der maximalen Schubspannung und der Verformung in dünnwan-
digen oll'enen Profilen können die Formeln für die St,-Venantsche Torsion 21.12 und
21.13 verwendet werden mit
1, ~ -
I
3 ;
I: Sil; (21.27)
/,
Wt~- (21.28)
In/ax
Man beachte, dass die maximale Schubspannung (im Gegensatz zum gescWossenen Quer-
schnitt) dort auftritt, wo der Querschnitt seine größte Wanddicke ''1'''' hat.
L~ Dlinnwandige offene Querschnitte sind gegen Torsion wesenllieh empfindlicher als geschlos-
sene Querschnitte (vgl. die nachfolgenden Beispiele). Dies ist verständlich, denn die gegen-
läufigen Sehubfliisse entlang der langen Seiten haben wegen des kleinen Hebelarms nur eine
geringe Momentwirkung.
~(s)
konstanter Dicke 'I. Für einen Abschnitt i mit veränderlicher
Dicke ';(s;) darf der entsprechende Summand aus
/{.i=3I J3
t;(s)ds
Abbildung 21.19: Abschnitt
mit kontinuierlich veränderli-
cher Dicke
berechnet werden.
~ Natürlich ist die Spannungs- und Verformungsberechnung nach 21.12 und 2l.J3 unter Ver-
wendung der Querschnittswerte für das dünnwandige offene Profil nach 21.27 und 21.28 nur
erlaubt, wenn sich die Querschnittsverwölbungen frei ausbilden können. Anderenfalls tre-
ten (im Allgemeinen nicht vernachJässigbare) Normalspanl1llngen auf, der Torsionsstab wird
steifer, und man muss die (hier nicht behandelte) Theorie der Wölbkrafttorsion bemühen.
21.3 SI.- Venanlsche Torsion dünnwandiger Querschnitte 379
Die Verwölbung eines einzelnen Rechteck-Abschnitts kann wegen der Dünnwandigkeit ver-
nachlässigt werden. Als Verwölbung des dünnwandigen offenen Profils werden die Verschie-
bungen der Punkle der Projil-Miflellinie senkrechr zur Querschnirrsfläche bezeichne!. Zwei
bcnachbarte Querschniltsflächen. dic sich (umcr Beibehaliung ihrcr geometrischcn Form)
gegeneinander verdrehen, würden auch die zwischen ihnen liegenden Mittellinienelemente
verzerren. Da aber in der Mittellinie geradc keine Schubspannung (und damit keine Verzer-
rung) auftritt, weichen die Punkte der Mittellinie so aus (Mittellinie verwölbt sich), dass die
Elemente unverzerrt bleiben.
Llr4
<> Für einige häufig verwendete offene Profile darf
die Theorie der St.- Venantschen Torsion jedoch
bedenkenlos verwendet werden: Querschnitte, die
aus sternförmig in einem Punkt zusammenlaufen-
den dUnnen Rechtecken (auch bei unterschiedli-
chen Wanddickcn) bestehen (und damit sämtliche Abbildung 21.20: Wölbfreie dünnwandi-
L- und T -Profile), sind wölbfrei. ge olTene Profile
Beispiel I: I
I_"";_ _...1 Wenn dIe belden nebenstehend skizzIerten
.... , al2
[
dünnwandigen U-Profile (I « a) durch eine Schweißnaht
]':
verbunden werden (Fall a), entsteht ein offener Quer- 1
00
folge eincs Torsionsmoments M, nach 21.27 und 21.28 zu
M,I 3M,
'rmaxa = - = --2
' I, 4al
im Fall b ergibt sich nach 2 1.19 und 21.20:
M, M,
T h - -
max. -2A",I-2a2 t
Das Verhältnis der maximalen Schubspannungen von offenem lUld geschlossenem Querschnitt
beträgt in diesem Fall
'rmax,a _ I 5 ~
'rmax,b - , t
In der Praxis sieht das z. B. so aus: Ein Normprofil UlOO, das mit einer Höhe h = IOOmm und ei-
ner Breile h = 50mm genau dem AbmessungsverhäJtnis dieses Beispiels (mit a = h) entspricht,
hat eine Profildicke von t = 8, 5mm. Damit ergäbe sich ein Verhältnis der maximalen Schub-
spannungen von offencm und geschlossenem Querschnitt von ~""a = 17.6.
IfllJ.l.b
<> Man bcachle, dass wegen des Gesetzes der zugcordnctcn Schubspannungen 20.1 dic Tor-
sionsschubspannungen nicht nur im Querschnitt, sondern auch in Längsschnitten auftreten.
Im Bcispiel I wUrden sie also die Schweißnähte in Längsrichtung auf Abscherung beanspru-
chen.
380 21 Torsion
"
I_"";_ _...1 Ein TorsIonsstab (Länge: I) mIt dünn-
Mt Mt
wandigem Querschnitt ist durch ein konstantes Torsi-
onsmoment M, belastet. Im Fall a ist der Querschnitt a) b)
0
ein geschlossener Kreisring, im Fall b ist der Ring in
Längsrichtung aufgeschlitzt (die Breite des Schlitzes
R'-,
kann vcrnachlässigt werden). Für ein Abmessungs-
verhältnis ~ = 8 sind zu berechnen
.f
- (
Mit Hilfe der Formeln 21.19, 21.20 und 21.24 für geschlossene dünnwandige ProAle ergibt sich
für den FaLl a:
T = M, M, T M,
't'mar.a
2A m 2 7r R2 27rR2,
4A~, 4 7r2 R4 M,I M,I
I, = -- - - = 27rR 3 , 111p" =
10/ ,
2~R
GI,
Die maximale Schubspannung und dcr rclativc Vcrdrchwinkel für dcn offcnen Qucrschnitt (Fall
b) wird mit den Querschnittswerten nach 21.27 und 21.28 berechnet:
2 3 I, 2 2
I, -7rRt W, - -7rR,
3 , 3
M, 3M, M,I 3M,I
-r b - 11mb =
"'ax, - W, 27rR,2 ... GI, 2G7rRt 3
Dic Werte, die sich rur das offene ProAI ergeben, sind deutlich größer, wie sich aus
't"max,a I 111p" t
mit dem gegebenen Abmessungsverhältnis R/' = 8 erkennen lässt:
't'mm.b = 24 I1lpb = 192
't'f//lLr.a 111p"
<> Dieses Ergebnis ist repräsentativ und zeigt die geringe Tragfähigkeit von dünnwandigen of-
fenen ProAlen. Im Gegensatz zur Biegebeanspruchung, bei der z. B. ein I-ProAI ideal ist.
weil der wesentliche Anteil der Querschniustläche möglichst weit von der Biegeachse ent-
fernt liegt, ist ein solehes Profil für die Torsionsbeanspruchung ausgesprochen ungeeignet.
oe;> Wenn Torsionsbeanspruchung für dünnwandige Profile unvermeidbar ist, sollte nach Mög-
lichkeit wcnigstcns cinc geschlosscne Zelle vorhanden sein. Bestcht ein Querschnitt aus ci-
ner solchen geschlossenen Zelle und nicht geschlossenen dünnwandigen Teilquerschniuen,
können letztere im Allgemeinen bci dcr Torsionsrechnung vernachlässigt werden. Ein guter
Kompromiss ist in der Regel ein KastenproAI, wie es die beiden zusammengeschweißten
U-ProfiJe des Beispiels I bilden, das bei sehr günstiger Ausnutzung der Querschniustläche
sowohl für Biegung als auch Torsion als steif und fest gclten darf.
21.4 Formeln ft.ir die St.- Venantsche Torsion 381
Für alle behandelten Torsionsprobleme dürfen die Verformungen und die maximalen Schubspan-
nungen nach den auf der Seite 366 zusammengestellten Formeln 21.11 bis 21.13 berechnet wer-
den, wenn man die folgenden Torsionsträgheitsmomente I, und Torsionswiderslandsll1omente W,
verwendet:
1rd4
Kreis 1,=--
32
Ellipse @) ,
.ol
N
,
1ra J bJ
I, = a2 + b2
1rab2
W, = -2-
2a (Voraussetzung für W,-Formel: b:S a)
Rechteck
I, = CI hbJ W, = c2hb2
mit c, und C2 aus der Tabelle auf Seite 368
Dünnwandiger 4A 2
f
ds
geschlossener I, = ~ m.it U(s) = r(s)
U(s)
Querschnitt
Si
I " I,
Dünnwandiger
I, "" 3 L Sir; Wt~
'mlL1:
;=1
offener Abschnitt mit veränderlicher Wanddicke:
Querschnitt
1'/=3I J liJ (s)ds
.<,
Beliebiger
I, =2
A
J(x~: +y~;) dA
Querschnitt
M, d<P M, d<P
x '1"",= - 2 - - 'I"'y = 2 - -
- I, dy - I, dx
d 2 <P d 2 <P
<P(x,y) ist Lösung des Randwertproblems dx2 + d y 2 = I mit CPRalld = konst.
382 21 Torsion
Im Formelsatz für den beliebigen Querschnill (letzter Eintrag in der Zusammenstellung auf der
Seite 381) ergibt sich für einen wichtigen Sonderfall eine Vereinfachung der I,-Formel. Der In-
tegrand kann identisch durch
x aep + /ep = a(xep) + a(yep) _ 2 ep
dx ay dx dy
ersetzt werden (man überzeugt sich leicht durch Ausdifferenzieren der rechten Seite). [n
I, = 2
J[ d(Xep)
-
dx
-+- a(yep)]
- dA - 4
dy
J ep dA
A A
kann das erstc Intcgral nach dcm Gaußschcn Intcgralsatz
I, = -2 f yepdx+2 f xepdy-4
A
J epdA
scher Integralsatz.
sammengesetzter Fläche
Um-
laufsinn bei mehrfach zu-
Da in die beiden Umlaufinlegrale nur die ep- Werte der Ränder eingehen, liefern sie keinen Anteil
flir einen Rand mit epRand = O. Wenn es nur genau einen Rand gibt, kann diese Bedingung na-
türlich die allgemeine Bedingung epR",,,' = konsl. ersetzen, undflir einfach zasamll1et1hängende
Querschnilfsjlächell (Flächen ohne Ausschnitte) darf ein vereinfachter Formelsatz für das SI.-
Venantsche Torsionsproblem verwendet werden:
a 2ep a 2ep
dx2 + a y2 = 1 mit epRand = 0 und I, = -4[ epdA (21.29)
A
Dic Lösung dcs SI.- Vcnantschen Torsionsproblcms nach dcn Fomleln flir dcn beliebigen Quer-
schnitt (Seite 381 bzw. Formelsatz 21.29) gelingt in geschlossener Form nur flir wenige Spezial-
falle. Ansonsten ist rnan auf numerische Lösu_ngen angewiesen.
Für das schwierigste Problem, die Lösung der Poissonschen Differenzialgleichung, bietet sieh
das Differenzenverfahren an, das im Abschnill 18.1 für eindimensionale Probleme besprochen
wurde, weil eine Erweiterung auf zweidimensionale Aufgaben ohne Schwierigkeiten möglich
ist: Analog zur Einteilung der x-Koordinate in äquidistante Abschnille der Länge h wird auch
die y-Koordinate äquidistam mit einer gegebcnenfalls anderen Schrittweite k unterteilt, so dass
die x-y-Ebene mit einem Rechteeknetz überzogen wird. Für die Punkte dieses Netzes wird die
Differenzialgleichung durch Differenzengleichungen ersetzt, indem die partiellen AbleitlUlgen
analog zu den Formeln 18.1 durch Differenzenformeln ersetzt werden. Da Ableitungen in beiden
21.6 Aufgaben 383
21.6 Aufgaben
Au/gabe2].l:
I_";';; I . '.
.....J Der Antnebsmotor emes Ruhrwerks
leistet 2 kW bei 100 Umdrehungen pro Minute. Es darf
angenommen werden, dass jeweils die Hälfte dieser 3
Leistung an den Punkten 2 bzw. 3 von der ausschließ-
Hohlwelle
lich auf Torsion beanspruchten Welle an die Flügel des
Rührwerks abgegeben wird. 2
Gegeben: P 2kW I) = 100mm
" = 100min- 1 , 12 = 100 mm Vollwelle
I
Aufgabe 21.2: I
Die Achse eines Radsatzes muss aus konstruk-
tiven Gründen außemlittig angetrieben werden.
Gegeben: A= 0-12
a) Es ist das Verhältnis der polaren Flächenträgheitsmomente K =
1'2
'p
zu berechnen, bei dem an
beiden Rädern Momente gleicher Größe iibertragen werden.
b) Man berechne die erforderlichen Durchmesser in den Bereichen I und 2, wenn folgende
Parameter gegeben sind: Mo = I kNm; Je = 2: T,u' = 120N/mm 2
Allfgabe 21.3:
I_..;..;
I
..... Man weise nach, dass die Funktion
2 2
a b
<P(x,y) = 2 (a2 + b2)
(xla2 + i)
b2
die Poissonsche Differenzialgleichung 21. 14 und die Randbedingung 21. 15 für einen elliptischen
Rand erfLillt und damit die Torsionsfunktion für einen elljptischen Querschnitt darstellt, und leite
dann das Torsionsträgheitsmoment I, her, das in der Tabelle auf Seite 381 angegeben ist.
a) Man ermittle, welehe Variante zur Minimierung der Schubspannungen bzw. des Verdrehwin-
'*
kels günstiger ist.
b) Wie groß ist das Verhältnis der größten Schubspannung TI im offenen U-Profil zu der größ-
ten Schubspanl1lLOg TZ im geschlossenen Profil (U-Profil und Deckblech)? Wie groß ist das
Verhältnis der relativen Verdrehwinkel ~ zweier Torsionsstäbe mit entsprechenden Quer-
schnitten?
I Aufgabe 21.5: I
Für den skizzierten einfach symmetrischen Trapezquer- b,
schnitt ist die Abmessung bz so zu bestimmen, dass der auf Torsion belastete
Qucrschnitt wölbfrei ist. Die Dicke t ist über den gesamten Umfang konstant.
b,
Gegeben: b l , h, t.
22 Zusammengesetzte Beanspruchung
In den vorangegangenen Kapiteln wurden die Spannungen in Bauteilen berechnet, bei denen
eine Abmessung deutlich größer war als die beiden anderen. Dabei wurde jeweils in nur einer
Schnittfläche (z = konstant) die Spannung ermitteli, die sich infolge einer speziellen Schnittgröße
ergibt.
Natllrlich treten die unterschiedlichen Belastungsarten häufig gekoppelt auf. so ist zum Bei-
spiel eine Biegespannung fast immer mit einer Querkraftbelastung (Schubspannung) verbunden.
Außerdem beschränken sich die Spannungen auch bei den einfachen Bauteilen nicht auf eine
Schnilltläche. weil Schubspannungen immer in zwei senkrecht aufeinander stehenden Schnitt-
flächen paarweise auftreten.
In diesem Kapitel wird deshalb das Problem behandelt, wie ein Spannungszustand (hinsichtlich
der Festigkeit des Bauteils) zu beurteilen ist, wenn mehrere Spannungskomponenten gleichzei-
tig wirken. Da diese Frage gerade auch rur die komplizierteren Berechnungsmodelle der Fcs-
tigkeitslehre bedeutsam ist, sollen diese hier erwähnt werden, auch wenn ihre Berechnung mit
Ausnahme weniger Spezialfälle im Rahmen dieses Buches nicht behandelt werden kann.
~
Plallel1. Flächentragwerke mit gekrümmter Mit- ~.~.
.......... ,
., ... ..
tel fläche heißen SchaleIl. Der Behälter in Abbil·
dung 22.2 zeigt eine Kombination aus Kreisplat- ~"""""U"'".
~ili'
Die Theorie der Berechnung von Flächentragwerken basiert auf ebenso sinnvollen (und durch
die Praxis bestätigten) Annahmen, wie sie für die eindimensionalen Modelle getroffen wurden,
allerdings gelingt nm für relativ wenige geometrische Formen (z. B. Rechteckscheibe, Recht-
eckplatte, Kreisscheibe lind Kreisplalle, Zylinder-, Kugel- l1nd Kegelschale) eine geschlossene
analytische Lösung, meist sogar nur für ganz spezielle Belastung und Lagerung (z. B. für rotati-
onssymmetrische Probleme, vgl. Kapitel 25).
Nicht zu unterschätzen ist jedoch der Aufwand, der mit der Beschreibung des Berechnungsmo-
dells durch Eingabedaten auch dann verbunden ist, wenn komfortable Datengeneratoren verfüg-
bar sind. Die Entscheidung für eine ,,3D-Rechnung" sollte gut überlegt werden. Finite-Elemente-
Berechnungen von Flächcntragwerken sind dagegen mit vergleichsweise geringem manuellen
Aufwand für die Vorarbeiten verbunden.
Als Alternative zur numerischen Berechnung bietet sich häufig die experimentelle Spannungs-
und Verformungsanalyse an, auf die man ohnehjn dann zurückgreifen muss, wenn nicht alle
erforderlichen Eingangsdaten für die Berechnung verfügbar sind, speziell die Belastung (z. B.
in dmchströmten oder umströmten Bauteilen, thermische Belastungen, ...) ist häufig nicht mit
der gcwünschten Genauigkeit verfügbar. Das Ziel der Festigkeitsrcchnung (ob analytisch odcr
numerisch) oder der experimentellen Analyse ist jedoch immer die Ermittlung der Spannungen
an verschiedenen Punkten des Bauteils, um sie mit den ertragbaren Spannungen vergleichen zu
können (Festigkeitsnachweis, vgl. Kapitel 13).
22.2 Der einachsige SpannungszusLnnd 387
Im geraden Träger werden Normalspannungen durcll die Biegemomente und die Normalkraft FN
hervorgerufen. Bei Beachtung der für die Schniltgrößen getroffenen Vereinbarungen (Kapitel 7
und Abschnitt 8.4) und der verwendeten Koordinatensysteme gilt
FN Mb' MI,,'
ojx,y) = -+-' Y+-' x (22.1)
A lxx lyJ'
Diese Fonncl licfcrt für jedcn Punkt einer Qucrschnittsflächc (vorzeichensicher bei Einhaltung
der Vereinbarungen) die aus Biegung und NOffilalkraft resultierende Gesamt-Normalspannung.
Der Index z am Symbol flir die Spannung kennzeichnet die Schnittfläche: 0, wirkt in der Fläche
z = konstant.
I
Beispiel: IFür den skizzierten Träger mit Quadratquerschnitt soll die
Normalspannung in einem beliebigen Querschnitt des vertikalen Ab- I A
I
schnitts bestimmt werden. I a
I c-~
Gegeben: F, I, CI, I
FN Mb F
0,=-+-y=--12-y=-FI F ( 1-12-
IY)
- A 1.", Cl 2 a4 a2 Cl 2
<> Die Spannungs-Null-Linie (vgl. Abschnitt 19.1) liegt bei dieser kombinierten Beanspru-
chung (durch FN und Mb) nicht mehr im Schwerpunkt der Querschniltsfläche.
<> Man erkennt an dem Ergebnis, dass die Normalspannung infolge FN wesentlich kleiner als
die Biegespannung ist. Die maximale Biegespannung 0b,,,,,,x = ~ im Querschnitt (am Rand
bei y = -I) hat schon tUr I = ~ den gleichen Betrag wie die Spannung infolge der Normal-
kraft. Das bedeutet: Eine äußere Kraft in TrägerlängsricblUng ruft schon bei etwas außermit-
tigem Angriffspunkt eine Biegespannung hervor, die größer ist als die Spannung infolge der
Normalkraft.
Wenn ein Bauteil ausschließlich durch eine NornzalspClllIulIlg in einer Richwllg beansprucht wird,
so spricht man von einem einachsigen Spalll1lmgsZllslalld. Bei einer reinen Biegebeanspruchung
388 22 Zusammengesetzte Beanspruchung
(ohne Querkraftschub) und Beanspruchung durch eine Normalkraft (wie im gerade behandelten
Beispiel) ist diese Voraussetzung erfullt.
Am Beispiel eines Zugstabs, dessen Quer-
schnitt durch eine konstante Spannung 0"0 T<p
oe:> Die Normalspannung wird (wie zu erwanen) am größten für q> = O. [n diesem Schnitt wirkt
keine Schubspannung, und dies ist auch im Folgenden das Kriterium daflir, dass 0"0 eine so
genannte Hallplspannllng ist.
L~ Bei Materialien, die besonders empfindlich gegen Schubbeanspruchung sind, ist also zu be-
achten, dass selbst beim einachsigen Spannungszustand, bei dessen Berechnung sich im
AJJgemeinen nur eine NormaJspannung ergibt, eine Schubspannung wirkt, die in speziellen
Fällen durchaus flir das Versagen eines Bauteils verantwonlich sein kann.
Beim einachsigen Spannungszustand ergibt sich die max imale Schubspannung für q> = 45°.
Es ist die so genannte
I
Hallplschubspanllllllg 'rmax = "20"0 (22.3)
Die Fonnein 22.2 und 22.3 gelten für einen beliebigen Punkt des Bauteils und damit auch. wenn
die Spannung 0"0 nicht konstant ist (Beispiel: Biegespannung).
22.3 Der ebene Spannungszustand 389
Der ebene Spannungszustand ist dadurch gekennzeichnet. dass in zwei senkrecht zueinander
stehenden Schnitten Normal- und Schubspannungen vorhanden sein können, während in der
dritten Richtung keine Spannungen wirken. Dieser Spannungszustand hat besondere praktische
Bedeutung. Er ergibt sich zum Beispiel
• bei der kombinielten Biegemoment-, Normalkraft-,
Querkraft- und Torsionsbeanspruchung der Träger, die
in den Kapiteln 14 bis 21 behandelt wurden,
1 @ 1
• im Inneren von Flächcntragwerken (Abschnitt 22.1), \
yl dx
• an den von äußeren Kräften nicht belasteten Oberflä-
chen beliebiger Bauteile. Da an der Oberfläche häufig (Jy 11 j j t 11' I j T xy
~ID----~-~1
die größten Spannungen auftreten (vgl. die Biegetheo-
rie), liegt die kritische Spannung auch bei kompakten
(schwierig zu berechnenden) Bauteilen meistens in ei- 1=1---- -~ -- ax
I=: ,
nem Gebiet, in dem ein ebener Spannungszustand vor-
liegt. Gerade die Oberflächen sind aber für eine experi- -x
mentelle Spannungsermittlung (Dehnmessstreifen, vgl. Abbildung 22.5: Ebener Span-
Beispiel 2 auf Seite 395) besonders gut zugänglich. nungszu$tand in einem Biegeträger
Der ebene Spannungszustand wird durch drei Spannungen bestimmt: 0:" 0:)' und 'Al" Dabei wurde
bereits berücksichtigt, dass die in den beiden Schnittflächen wirkenden Schubspannungen gleich
sind (Gesetz der zugeordneten Schubspannungen 20.1).
Abbildung 22.5 zeigt ein aus einem Bauteil herausgeschnittenes differenziell kleines Element
mit den Abmessungen dx· dy. Die am Element angetragenen Spannungen sind nicht unabhängig
voneinander, sie müssen ein Gleichgewichtssystem bilden. Dies wird hier nicht betrachtet, weil
die Glcichgcwichtsbcdingungcn in dcr Thcoric dcr Spannungsbcrcchnung bereits berücksichtigt
sein müssen (man vergleiche hierzu die Theorie des Querkraftschubes, die das Gleichgewicht
mit den Biegespannungen garantiert). Es sind vielmehr folgende Fragen interessant:
CD Das x-y-Koordinatensystem. an dem sich die Richtungen der drei Spannungen 0:,.. und 'x)' 0:,
orientieren, liegt recht willkürlich so, wie es für die Berechnung dieser Spannungen günstig
gewesen sein mag. Wie groß sind die Spannungen in beliebigen Schnitten, die parallel zu
einem (um den Winkel cp gedrehten) ~-17-Koordinatensystemliegen?
~ Bei welcher Schnittrichtung treten
C"'~·I~
die maximalen Spannungen auf, wie
'y
groß sind die Maximalspannungen?
Zur Beantwortung dieser Fragen wird
T xy Acosip
ein Keil aus dem Element heraus-
geschnitten, dessen eine Schnittfläche T xy A sin 91 .
'(Jy A smip
senkrecht zur Koordinatenachse ~ liegt
(Abbildung 22.6). Abbildung 22.6: Spannungen in einem beliebigen Schnitt
390 22 Zusammengesetzte Beanspruchung
Wenn diese Schnittfläche mit A bezeichnet wird, haben die zur x- bzw. y-Achse senkrecht stehen-
den Flächen die Größen Acos cp bzw. A sin cp. In der Abbildung 22.6 sind die aus den Spannungen
resultierenden Kräfte an den drei Flächen angetragen, die folgende Gleichgewichtsbedingungen
crfLillen müssen:
er~A = er,A cos 2 cp + 1'xyA eos cpsin cp + eryA sin 2 cp + 1',)"A sin cpcos cp
(22.4)
1'~ 'lA = 1',yA cos 2 cp - o:,A eos cpsin cp - 1":rA sin 2 cp + eryA sin cpcos cp
Nach cinigcn elementaren Umformungcn crgcbcn sich dic nachfolgcndcn FOnllCln, dic durch
eine Beziehung für er'l ergänzt wurden, die sich aus Gleichgewichtsbetrachtungen an einem Keil
mit einer Schnittfläche senkrecht zur 1]-Achse ergibt.
Transformation der Spannungen des ebenen Spannungszustandes auf ein gedrehtes Ko-
ordinatensystem:
I I
er~ = 2( O:r+ er)") + 2( erx - ery) cos2cp + 1''Y sin2cp
I I
erry = -(er,+err)--(o:,-err)cos2cp-1'xvsin2cp (22.5)
2 . 2' .
I .
1'~ ry = - 2(0:, - ery ) slll2cp + 1',ycos 2cp
Der Aufbau dieser Formeln entspricht exakt der StTUktur der Transformationsformeln 16.12 für
die Flächemrägheitsmomente (Seite 227). Deshalb können alle dort gewonnenen Aussagen sinn-
gemäß übernommen werden:
Es existiert immer ein gegenüber dem x-y-Koordinatensystem um den Winkel <PI gedrehtes
Koordinatensystem mit den Achsen I und 2, für das die Schubspannungen verschwinden. I
und 2 sind die Hauplspallnungsrichtllngen des ebenen Spannungszustandes. Die Normalspan-
nungen erl und er2 in diesen Richtungen sind die
Hauptspannungen des ebenen Spannungszuslandes:
er, + err
erl = - - 2 - +
J (0:, - er,,)2
4
2
+ 1',y
(22.6)
er,· + ery (er, - er,,)2 ?
lJ2 = --2- - 4' +1")'
erl ist die größte und er2 die kleinste aller Normalspannungen, die sich bezüglich beliebiger
Richtungen fLir den belrachteten Punkt finden lassen. Die beiden Hauptspannungsrichlungen
stchcn scnkrccht aufeinander.
Der Winkel <PI zwischen der x-Achse und der Hauptspannungsrichtung I en'echnet sich nach:
'f\),
t'll1<P1 = - ' - (22.7)
CJ'1 - 0:"
22.3 Der ebene Spannungszustand 391
oe:> Man beachte: Im Gegensatz zu den Hauptträgheitsmomenten (Abschnitt 16.2.5) können die
beiden Hauptspannungen beliebige Vorzeichen haben. Deshalb ist (J, nicht immer auch die
absolut größte Spannung in diesem Punkt.
Um Richnmg und Größe der maximalen Scbubspannul1g zu ermitteln, wird die Formel für '~I)
in 22.5 nach cp abgeleitet und Null gesetzt. Man gewinnt folgende Aussage:
Die maximalen Sehubspannungen treten in Schnitten auf, deren Richtungen um 45° zu den
Hauptspannungsriehtul1geo gedreht sind. In den Hauprschubspannungsrichrungm
CP. = CPI ± 45°
wirken die Hauplschllbspannungell:
I
't'mm = ± '2 ((51 - 0'2) (22.8)
Abbildung 22.7 zeigt diesen Mohrschel1 Spallllllilgskreis. Man erkennt, dass er bei einem ge-
gebenen Satz von Spannungen für einen Punkt (Jx, (Jy und r.l)' einfach zu konstruieren ist. Jeder
beliebige Durchmesser verbindet zwei Punkte auf dem Kreis, für die die Spannungen für die ent-
sprechende Spannungsrichtung cP abgelesen werden können. Speziell sieht man auf der (J-Achse
die beiden Hautspannungen (J, und (J2, der Radius entspricht dem 'max'
Dass (Jt und '"'''' um 90° versetzt erscheinen (und nicht um 45°. wie es naeh 22.8 sein muss),
deutet darauf hin. dass im Mohrsehen Spannungskreis mit dem doppelten Winkel 2 cP gearbei-
tet werden muss, was speziell dann zu beachten ist, wenn mau die Spannungen unter einem
bestimmten Winkel entnehmen will.
Darauf wird hier nicht weiter eingegangen, denn der Mohrsehe Spannungskreis war ein sehr
nützliches Werkzeug. als der Ingenieur noch mit dem Rechenschieber arbeitete'. Heute gibt es
IDass der Mohrsehe Spanllungskrcis hier erläuten wird. hat neben der TaIS..'l.che. dass Abbildung 22.7 noch einmal
recht anschaulich alle wesentlichen Größe,n des ebe.nen Spannungszustands zeigt, auch den Gnll1d, ehr. O. Mohr
zu würdigen. auf den z. B. auch ein geniales Verfahren zur grafischen Ennütlung der Durchbiegung einer Welle
zurückgeht, das allerdjngs (welch ein Gliick nir alle Srudenten!) überhaupl nicht mehr verwendel wird.
392 22 Zusammengesetzte Beanspruchung
nalÜrlich keinen Grund mehr, die Auswertungen der Formeln 22.5 bis 22.8 durch das Zeichnen
eines Kreises zu realisieren.
Es sollen hier noch die Zusammenhänge der Spannungen mit den Dehnungen behandelt werden,
weil bei der experimentellen SpannungsanaJyse mittels Dehnmessstreifen primär die Dehnun-
gen als Versuchsergebnisse anfallen, die dann (unter der Voraussetzung elastischer Verformung)
über das Hookesche Gesetz in die Spannungen umgerechnet werden können. Dabei ist zu be-
achten, dass beim ebenen Spannungszustand mit NormaJsparUlungen in zwei Richtungen jede
Normalspannung auch die Dehnung in der jeweils dazu senkrechten Richtung beeinflusst (Quer-
kontraktion, vgl. Abschnitt 12.4). Die Dehnung in einer Richtung ergibt sich also beim ebenen
Spannungszustand aus der Überlagerung des Anteils aus dcr Spannung in dieser Richtung mit
der Querkontraktion aus der anderen Spannung:
(22.9)
Diese bei den Fom1eln lassen sich nach den Spannungen umstellen und werden ergänzt durch den
Zusammenhang zwischen Schubspannung und Gleitung nach 12.6 im Zusammenhang mit 12.7.
Dieser Formelsatz wird bezeichnet als
Die Formeln 22.10 gelten für zwei beliebige zueinander senkrechte Richtungen, also auch flir
die Hauptspannungsrichtungen, flir die wegen der verschwindenden Schubspannung (und damit
auch der Gleitung y,y) die dritte Gleichung entfallt.
Durch Einsetzen der Spannungen nach 22.10 in die Transfom1ationsformeln 22.5 erhält man die
Formeln für die
Transformation der Dehnungen und der Gleitung des ebenen Spannungszustandes auf
ein gedrehtes Koordinatensystem:
I I 1
Ei; = 2(Ex +E).) + 2(Ex - Ey) cos2rp + 2 Yxysin 2rp
Die fonnale Ähnlichkeit dieser Fonnein mit den Transfom1ationsformeln 22.5 gestaltet die Über-
tragung der Erkenntnisse iiber die Spannungen auf Aussagen über die Dehnung:
22.3 Der ebene Spannungszustand 393
oe:> Es existiert immer ein gegenüber dem x-y-Koordinatensystem um den Winkel CPI gedrehtes
Koordinatensystem mit den Achsen I und 2, für das die Gleitung verschwindet. I und 2 sind
die Haupldehmmgsrichtungen, die mit den Hauplspannlll1gsrichtlll1gen identisch sind. Die
Haupldehnllngen bcrechnen sich nach
und der Winkel cP, zwischen der x-Achse und der Hauptdehnungsrichtung 1 aus
tan CPI =
Yxv. (22.13)
2(f, - f y )
Diese Formel liefert den gleichen Wert für cP' wie 22.7. Die Hauptspannungen lassen sich
über das Hookesche Gesetz 22.10 also auch aus den Hauptdehnungen berechnen.
Beispiel]:I
I_ _ _ _.... Flir den skiZzIerten Kragtragcr 1,.111 verander-
lichem Quadrat-Querschnitt wurde (als Beispiel 4 im Ab-
schnitt 16.3 auf Seite 241) berechnet, dass bei z = ~ die ma-
ximale Biegespannung auftritt. Für diesen Querschnitt sollen
die Hauptspannungen (bei Berücksichtigung der ßiegespan-
J~-------I"
I
-z
I
öl
~
Gegeben: F. a, 1= lOa.
Der Querschnitt bei z = ~ hat die Kantenlänge I ,5a. Mit
I (1,5a)4 27 4
Mb=-F- I xx = =-a
2 .12 64
ergibt sich die Biegesparumngsverteilung nach 16.3:
32 Fl
(Jb= - - -4y
27 a
Nach 20.2 (Seite 346) erhält man mit (vgl. Beispiel I im Abschnitt 20.1 auf Seite 346)
FQ = -F Sx-
_(1,5a)2
4
_2)
Y
1,5a
2
r = - 32 !.... (!!.-.a 2 -
27 a 4 16
i)
Zur Erinnerung: Die y-Achse hat ihren Ursprung im Schwerpunkt des Querschnitts und ist nach
unten gerichtet, die Biegespannungen wirken senkrecht zum Querschnitt (in z-Richtung), so dass
alle Spannungen in der y-z-Ebene zu sehen sind (Abbildung 22,8).
Für das betrachtete Beispiel gilt also:
(Jy = 0
394 22 Zusammengesetzte Beanspruchung
ßiegespannung Schubspannung
Abbildung 22.8: Biegespannungs- und Schubspannungsverteilung über die Querschnittshähe, eine Nor-
maJspannurJg O"y gibt es bei diesem BeispjeJ nicht
Die Abbildung 22.8 zeigt die Spannungsverteilung über die Querschnittshöhe und das Definiti-
onsbild mit den Bezeichnungen, die für die Formeln des ebenen SpannungsZllstands verwendet
werden. Die Hauptspamlllngen in einem beliebigen Punkt des Querschnitts (sie sind über die
Breile konstant) berechnen sich bei entsprechender Modifizierung der Indizes nach 22.6:
Bei einer Höhe von I, 5a für den betrachteten Querschnitt darf y in dieser Formel Wel1e im
Bereich -0, 75a ~ y ~ 0, 75a annehmen. Die folgende Tabelle vergleicht fLir einige Punkte des
Querschnitts die Biegespannungen und Querkraftschubspanmlngen mit den Hauptspannungen:
c:> Die Ergebnisse zeigen, dass die Hauptspannung in keinem Punkt größer wird als die ma-
ximale Biegespannung. Dieses Ergebnis ist repräsentativ: Im Allgemeinen kann der aus
der Querkraft herrührende Spannungsanteil vernachlässigt werden, zumal die Querkraft-
schubspannungen an den Ptmkten der maximalen Biegespannung (Ober- bzw. Unterkante
des Querschnitts) verschwinden.
c:> Die Schubspannung aus der Querkraftbelastung kann aller-
dings zur Beurteilung der Haltbarkeit von Fligestellen (vg1. ~F
Abschnitt 20.3) bedeutsam sein. Die maximale Schubspan-
nung tritt in der Schwerpunktfaser auf. Da dort keine Nor- ----~
[,--
malspannungen wirken (ncutrale Faser fur Biegebeanspru- Abbildung 22.9: Hauptspan-
chung), verlaufen die beiden Hauptspannungen unter einem nungen 'Im Punkt der größten
Winkel von 45° zur Horizontalen. Schubspannung
22.3 Der ebene Spannungszustand 395
Die "reine Schubbelasrung" in der neutralen Faser eines Biegeträgers wird durch eine Zug- und
eine Druckspannung repräsentiert. Da diesc beiden Hauptspannungen den gleichen Absolutbe-
trag haben, können sie (und damit die Schubspannung) gegebenenfalls durch nur eine Dehnungs-
messung (z. B. mit einem unter 45° angebrachten Dehnmessstreifcn) ermittelt wcrden.
I_ I
Beispiel 2:
_ _ _.... Be, ell1er experimentellen Spannungsanaly-
se wurden mit der skizzierten Dehnmessstreifen-Rosette
die Dehnungen in den beiden senkrecht aufeinander ste-
henden Richtungen CI und c und die Dehnung in der unter
45° zu a und c geneigten Richtung b gemessen:
a) die Größe der Hauptdehnungen CI und c2 und die Richrung der Hauptdehnung CI,
b) die Größe der Hauptspannul1gen (Jj lmd (J2, wem1 fur das Material der Elastizitätsmodul
E = 2, I . 105 N/mm 2 und die Querkontraktionszahl v = 0,3 angenommen werden dürfen.
Die in dcn Richtungcn CI und c gemesscncn Dchnungen cntsprcchcn den Dehnungcn in x- und
y-Richtung (willkürliche Wahl des Koordinatensystems):
Cx = 1;" = 0, 70· 10- 3 C)' = Ce = 0, 27 . 10- 3
Zur Berechnung der Hauptdehnungen nach 22.12 fehlt der Gleitwinkel )").. Die beiden ersten
Gleichungen 22.11 entbaltenjedoch 1',) und (wie gegeben) drei Dchnungen, so dass die GJcitung
berechnet werden kann, wenn Ch z. B. als c~ in Richtung cp = 45° eingesetzt wird:
I I
c~ = ch =:1 (1;" +ce) +:1 Y,y
Daraus errechnet sich
Yxy = 2Ch -Ca -Ce = -0,81.10- 3
und aus 22.12 und 22. I 3 erhält man die Hauptdehnungen und die Hauptdehnungsrichtung I:
c,=0,94./O- 3 c2=0,027.1O- 3 cpl=-31°
E 2
(JI = - - 2 (ct + VC2) = 219N/mm
I-v
E , Abbildung 22.10: Richtungen der Hauptspan-
(J2 = - - 2 (c2 + VCI) = 7 j. 6N/mm-
I-v nungen und Hauptdelmungen
396 22 Zusammengesetzte Beanspruchung
Der allgemeine Fall ist der räumliche SpannuTigszlIsrand: In drei aufeinander senkrecht stehen-
den Schnittflächen wirken
Der erste Index kennzeichnet die SchnittfläChe (der Index x steht also z. B. fUr die Schnittfläche
x = konstant). der zweite Index bei den Schubspannungen steht für die Richtung innerhalb der
Schnittfläche (bei den Normalspannungen erübrigt sich die Richtungsangabe. weil sie immer
senkrecht zur Schnittfläche gerichtet sind).
Nach dem Gesetz von der Gleichheit der zugeordneten Schubspannungen 20.1 gilt
't'yz = Tz)'
so dass der räumliche Spannungszustand durch die Angabe von insgesamt 6 unterschiedlichen
Spannungskomponcmcn beschricben wird.
Der räumliche 5pannungsZllstand in einem Punkt kann durch die Angabe von sechs Span-
nungskomponemen (3 Normalspannungen 0:" G,. G, und 3 Schubspannungen 't'xy. ,,,. 't'yz)
eindeutig beschrieben werden.
Es ergeben sich nun die entsprechenden Probleme, die auf Seite 389 für den ebenen Spannungs-
zustand als Fragen CD und @ formuliert wurden: Wie sieht es bei beliebiger anderer Schnittfläche
aus und wo treten die maximalen Spannungen auf? Für den ebenen Spannungszustand konn-
ten die Antworten darauf mit Gleichgewichtsbetrachtungen entsprechend Abbildung 22.6 auf
anschaulichem Wege gefunden werden. Weil die Anschauung im dreidimensionalen Fall sehr
schnell verloren geht. empfiehlt sich ein eher formaler Weg.
Dieser Weg wird zunächst noch e.inmal flir den ebenen Spannungszustand demonstriert. weil
er dafür auch anschaulich ist. um ihn dann formal auf den räumlichen Spannungszustand zu
übertragen:
• Die Koordinaten x und y werden durch XI und X2 ersetzt,
und die Spannungen werden sämtlich nut dem Symbol G
bezeichnet. das durch zwei fndizes ergänzt wird:
(22.14)
S = [;~ ] (22.16)
• Der Spannungsvektor sI; fUr die durch el; definierte Ebene kann dann aus
entstanden, das nur dann nichttriviale Lösungen (zumindest einer der Werte "I bzw. "2 ist
ungleich Null) haben kann, wenn die Koeflizientendeterminante verschwindet:
Räumlicher SpannungsZlIstand:
r:> Die Koordinaten x, y und z werden durch XI, X2 und X3 ersetzt, und die Spannungen
werden sämtlich mit dem Symbol (J bezeichnet, das durch zwei Indizes ergänzt wird:
eJ" , (Jy . (J, , 1:,y • 1:xz ,1:yz =} (JI J , (Jn . (J33 , (JJ2 , (J13 , (J23 . (22.22)
c:> Die Schnittebene in beliebiger Richtung wird durch den (auf ihr senkrecht stehenden)
Einheitsvektor e~ beschrieben. Die cos a; sind die Richtungskosinusse (Abbildung 8.\
auf Seite 110 zeigt, wie diese gemessen werden):
e~ [~::~~
= ] (22.23)
COSa3
S=
(JI J (J12 (J13]
SI] (22.24)
[
(J12
(J13
(Jn
(J23
(J23
(J33
S= [ :~
L~ Der Spannungsvektor s~ für die durch e~ definierte Ebene kann dann aus
s~ = S· e~ (22.25)
berechnet werden. Den Betrag der Normalspannung (J~ in dieser Schnittebene und den
Betrag der resultierenden Schubspannung 1:~ errechnet man dann so:
c:> Die Hauptspannungen ergeben sich aus der Transformation S'1l = (J '11, die auf ein ho-
mogenes Gleichungssystem flihn:
][ ~~] [~ ]
Zu einem räumlichen SpannungsZllstand gehören also drei Hauptspannungen (JI, (J2 und
(22.27)
(J3 in drei senkrecht aufeinanderstehenden Ebenen, die schubspannungsfrei sind (zur Lö-
sung von 22.27 siehe nachfolgende Bemerkung). Eine der Hauptspannungen ist die größ-
te, eine andere die kleinste aller Norillalspannungen, die in beliebigen Schnittebenen auf-
treten können. Die dritte Hauptspannung liegt zwischen den beiden anderen.
c:> Die größten Schubspannungen (Hauplschubspannungen) treten in Ebenen auf, die mitje-
weils zwei Hauptspannungsebenen einen Winkel von 45° bilden. Wenn man (wie üblich)
die größte Hauptspannung mit (JJ und die kleinste mit (J3 bezeichnet. errechnet sich die
maximale Schubspannung nach
(22.28)
22.5 Festigkeitshypothesen 399
oe:> Das System 22,27 hat nichttriviale Lösungen, wenn die Koeffizientendeterminante verschwin-
det (die immer existierende "triviale Lösung" 111 = "2 = "3 = 0 ist nicht interessant):
0'11-0' 0'12 0'13
0'12 0'22 - 0' 0'23 = 0 (22,29)
0'13 0'23 0'33 - 0'
Diese Bedingung würde (mit etwas mühsamer Rechnung) auf einc Gleichung 3, Grades
führen, aus der man (auch nicht ganz mühelos) drei (reelle) Lösungen errechnet 3 Zu je-
der Lösung gehöft ein Nonnalenvcktor, der die Schnittfläche dcfiniert und auch aus 22,27
berechnet werden kann,
22.5 Festigkeitshypothesen
Die zulässigen Spannungen werden im Allgemeinen mit Hilfe der Spannungswe11e ennittelt, die
durch den Zugversuch (einachsiger Spannungszustand) gewonnen werden (Abschnitt 12,3 und
Kapitel 13), Ein Bauteil ist aber in der Regel nicht nur einem einachsigen Spannungszustand
unterworfen, so dass die Frage beantwortet werden muss, wie das gleichzeitige Auftreten ver-
schiedener Spannungen (wie zum Beispiel beim ebenen Spannungszustand) beim Vergleich mit
einer aus einem recht einfachen Modellversuch gewonnenen Spannung beurteilt werden muss,
Naheliegend ist die Berechnung der Hauptspannllngen, um diese einzeln mit der zulässigen Span-
nung zu vergleichen, Dabei bleibl die Frage offen, welchen Einfluss die gleichzeitige Wirkung
der anderen (bcim Zugvcrsuch nicht vorhandencn) Hauptspannungcn hat.
Um einen beliebigen Spannungszustand mit dem O',u!. das auf Versuchcn mit einem einachsigen
Spannnngszustand basiert, vergleichen zu können, wurden zahlreiche Fes!igkeifShYPofhesel1 ent-
wickelt, die alle der Ermittlung einer so genannten Vergleichsspallllul1g O'v dienen, mit der dann
der Spannungsnachweis durchgeftihrt wird, Im Idealfall müsste die Vergleichsspannllng als Re-
präscntant aller wirkenden Spannungen die Veränderungen des Materialvcrhaltens (insbesondere
das Fließen und das Versagen durch Bruch) bei den gleichen Wet1en hervorrufen, bei denen sie
bei einem einachsigen Spannllngszustand (Zugversuch) auftreten,
Leider gibt es die ideale, für alle Werkstoffe gleichermaßen gültige Festigkeitshypothese nicht.
Deshalb werden im Folgenden die drei gebräuchlichsten Hypothesen vorgestellt.
Bci mchrachsigen Spannungszuständen wird aus dcn crmittclten Spannungen auf der Basis
einer geeigneten Hypothese eine Vergleichsspanl1ul1g O'v berechnet, mit der dann der Span-
nungsnachweis
(22.30)
durchgeführt wird,
3 So wird man llatürlich 22.27 nichl lösen, denn diese Form des homogenen Gleichungssystems ist ein so genanntes
Spezielles Matri:ßlleigenwenproblem. Daftjr gibt es neben einer ausgefeilten Theorie eine große AnzahlleislUngsfä-
niger Berechnungsverfahren. Ausftihrliche Informationen mit Beispielen findet man auf der Inlernct-Site Marhemalik
fiir die Tee/mische Mecluwik (www.TM-Mu(he.de). siehe auch den Hinweis auf Seite 419.
400 22 Zusammengesetzte Beanspruchung
Die NormalspannungshYPofhese geht von der Annahme aus, dass "die größte auftretende Nor-
malspannung für cin cvcntucllcs Vcrsagen dcs Matcrials verantwortlich ist". Das Maximum dcr
Absolutbeträge der Hauptspannungen ist also die Vergleichsspannung4 der
0"1.2 =
O"x+ 0")'
--2- ±
J (O"x - 0")')2
4 + ",)'
2
(22.32)
Die Normalspannungshypothese wird vornehmlich rür spröde Werkstoffe (z. B. Grauguss) ver-
wendet.
Die Schllbsponnllngshypolhese geht von der Annahme aus. dass "die größte auftretende Schub-
spannung für ein eventuelles Versagen des Materials verantwortlich ist". Also werden die maxi-
malen Schubspannungen (Hauptschubspannungen) des ebenen bzw. räumlichen SpannungsZll-
stands 22.8 bzw. 22.28 mit der maximalen Schubspannung des einachsigen Spannungszustands,
wie er beim Zugversuch entsteht, vergl;chen, Nach 22.3 (Seite 388) gilt für den einachsigen
SpannungsZllstand
I
!max = '2 (Jma:r
und daraus folgt die Vergleichsspannung für die
Schubspannungshypothese:
Die Schubspannungshypothese liefert für zähe Werkstoffe (z. B. Stahl) recht gute Ergebnisse,
wird aber heute nur noch selten verwendet, weil im Allgemeinen mit der nachfolgend behandel-
ten Gestaltänderungshypothese eine noch bessere Annäherung an die Realität erz.ielt wird.
4 Das Symbol für die Vergleichsspannung (jv wird zur Unterscheidung der einzelnen Hypothesen mit einem zusätzli-
chen Index versehen. Es gilt av, I für die Normalspannungshypolhcse. OV.2 ruf die Schubspannungshypothese und
OV.J ruf die G~tah~inderungshypolhese.
22.5 Festigkeitshypothesen 401
22.5.2 Gestaltänderungshypothese
Die Geswltänderullgshyporhese geht von der Annahme aus, dass ,.die Materialbeanspruchung
ausschließlich durch die Veränderung der Gestalt und nicht durch die Volumenänderung her-
vorgerufen wird". Hier soll nur die sich nach dieser Theorie ergebende Formel ohne die (etwas
aufwendige) Herleirung angegeben werden.
Gestalländerungshypothese:
Für den räumlichen Spannungszustand werden UI, U2 und U3 aus 22.29 berechnet. Für den
ebenen Spannungszustand entfällt U3 in 22.35, so dass sich folgende Formel ergibt:
(22.36)
Die Gestaltänderungshypothese ist die für zähe Werkstoffe gegenwärtig am häufigsten verwen-
dete Hypothese. Deshalb soll am Beispiel 22.36 die Betrachtung einiger Spezialfalle auf die
Besonderheiten dieser Hypothese aufmerksam machen:
oe:> Dcr cinaehsige Spannungszusland mit Ux = Uo, u, = 0 und 'l:xy = 0 ist in der Gestaltände-
rungshypothese sinnvoll enulalten und fUhrt auf
In der Gestaltänderungshypothese steckt also die Annahme ~;:; = V3 (in der Schubspan-
nungshypothese steckt die Annahme (Ir'''' = 2). Wenn die durch Versuche ermittelten Werte
:IIJ
deutlich von dieser Annahme abweichen, ist es üblich, die Hypothese mit einem Korrektur-
faktor zu verfeinern (vgl. das im nächsten Abschnitt erwähnte Allsrrellgungsverhälrnis).
oe:> Gleichmäßiger Zug (ohne Schub) mit Ux = ery = Uo (gleiche Zugspannung in zwei senkrecht
aufeinander stehenden Richtungen) führt auf
UV,3 = Uo $ U,",
und wird damit nach der GestaJtänderungshypothese als nicht geHihrlicher flir das Material
als eine Zugspannung in nur einer Richtung angesehen.
oe:> Dagegen liefert Zug in eiller Richtung und Druck in der dazu senkrechten Richtung nach
der Gestaltänderungshypothese höhere Vergleichsspannungen, was mit der Vorstellung über
diese Beanspruchung gut übereinstimmt (die Druckspannung "unterstützt" genau die Ver-
formung, die durch die Querkontraktion infolge der Zugspannung hervorgerufen wird), zum
Beispiel erhält man mit Ux = Uo, u, = -0(), 'l:.\}' = 0:
Wellen. die für die Übertragung eines Drehmoments bestimmt sind (Antriebswellen, Getriebe-
weIlen, ... ), werden fast immer auch auf Bicgung beansprucht. Der mit der Biegebeanspruchung
gleichzeitig auftretende Querkraftschub kann im Allgemeinen vernachlässigt werden, zumal die
gröflte Schubbelastung aus der Querkraft mit der neutralen Faser der Biegung zusammenfallt.
Die NormalsparulUng aus der Biegung und die
Schubspannung infolge Torsion bilden den Son-
derfall eines ebenen Spannungszustandes, bei dem
nur cinc Normalspannung wirkt (Abbildung 22.12).
Dementsprechend vereinfachen sich die Fomleln
rur die Vergleichsspannungsberechnung. Nach der
vorwiegend verwendeten Gestaltänderungshypothe-
se (Wellen werden aus zähem Material gefertigt) er-
gibt sich aus der Biegespannung ab und der Torsi-
onsschubspannung 'T nach 22.36 die Vergleichsspan-
l1ung
Abbildung 22.12: Getriebewelle. bean-
sprucht auf Biegung und Torsion
[m vorigen Abschnitt wurdc gczcigt, dass dicse Formcl ein Vcrhältnis dcr zulässigcn Spannungen
von ~ = j3 voraussetzt, was bei den dynamisch belasteten Wellen auch durch unterschiedliche
Belastungsarten (vgl. Abschnitt 13.1) für die Biege- bzw. Torsionsbelastung gcstört scin kann.
Dies kann ausgegLichen werden durch das Anstrengungsverhälmis ao (auch als Korrekturfaktor
nach BACH bezcichnet), mit dcm dic Schubspannung in dcr Verglcichsspannungsformcl multi-
pliziert wird:
aV,3 = Jal+3(ao,,)2
Für Stahl nimmt dieser Korrekturfaktor Werte von ao '" 0,7 (Biegewechselbelastung, Slatische
Torsionsbelastung) bis ao '" 1.5 (Torsionswechselbelastung, statische Biegebe!astung) an. Im
Allgemeinen ist ao '" I (beide Belastungsarten als Wechselbelastung) ein sinnvoller Wert, zuma!
statische Biegebelastung (und damit der größere Wert für ao) bei umlaufenden Wellcn ohnehin
nicht gegeben ist.
Für Wellen mit Kreis- oder Kreisringquerschninen gibt es auf dem Außenrand immer zwei Punk-
tc, in denen die maximale Biegespannung mit der ebenfalls am Außenrand auftretendenmax;ma-
len Torsionsschubspannung zusammenfällt, so dass die maximale Vergleichsspannung in einem
Querschnitt mit
Mb MT
eJ'b.max = Wb 'rr,ma.T = "'r
berechnet werden kann. Dabei muss das Biegemoment Mb bei einer Belastung in zwei Ebenen
stets vorab nach
Mb = JMlx + Mly
zum resultierenden Biegemoment zusammengesetzt werden. MT ist das Torsionsmoment, Wb das
Widerstandsmoment gegen Biegung, Wr das Widerstandsmoment gegen Torsion.
22.5 Festigkeitshypothesen 403
Bei einem Vergleich der Formeln ftir die Widerstandsmomente 16.18 und 21.6 stellt man fest,
dass für den Krcis (und auch ftir den Kreisring)
W, = 2Wb
gilt. Wenn dies in die Formcl für die Vergleichsspal1nung cingesetzt wird, erhült man
OV.3 =
Berechnung von Wellen mit Kreis- oder Kreisringquerschnitt, die auf Biegung und Tor-
sion beansprucht werden:
Es wird ein Vergleichsl1lomelll
berechnet, das den gemischten Belastung,fall Biegung-Torsion auf einen (nach der Gestaltün-
derungshypothese) äquivalenten reinen Biegebelastungsfall reduziert, für den
M v,3
OV.3 = Wb :S 0,,,, (22.38)
gelten muss. Wb ist das Widerslandsmoment gegen Biegung für den Kreis- bzw. Kreisring-
querschnitt, UD das oben besprochene Anstrengungsverhältnis.
I Beispiel: I
Der skizzierte Winkel mit Kreisquerschnill ist so
zu dimensionieren, dass in keinem Querschnitt die nach der
Gestaltänderungshypothese berechnete Spannung größer ist A
als (5zlI/-
Mit dem Widerstandstlloment gegen Biegung 16.18 für den Kreisquerschnitt errechnet man:
du! = J N'
-32 -F . b2 + -a- =48, I mm
Jr (J'zul 4
404 22 Zusammengesetzte Beanspruchung
22.6 Aufgaben
I
Aufgabe 22.1: I
Mit der skizzierten Dehnmessstreifen-Roselte c,
60°
können die Dehnungen in drei Richtungen a, bund c gemessen
werden, die jeweils um 60° gegeneinander gedreht sind. 60°
Gegeben: Ca I eb l ec , E, v.
Man enllittle die Formeln, nach denen bei bekannten Dehnun- a,
gen in den drei Messrichtungen und bekannten Materialkenn-
werten (Elastizitätsmodul und Querkontraktionszahl)
a) die Hauptdehnungen,
b) die Hauptspannungen berechnet werden können.
I
I Aufgabe 22.2: Eine Getriebewelle mit konstantem
d, Bp
D l1() = I.
Man ermittle
a) die Zahnkräfte Fu ', F", F;,z und F,z,
b) die zur Lagerauswahl erforderlichen Lagerkräfte,
c) die Schnittgrößen in der Welle,
d) Ort und Größe der maximalen Biegespannung in der Welle,
e) Ort und Größe der maximalen Torsionsschubspannung in der Welle,
/) Ort und Größe der maximalen VergleichsspanOllJ1g nach den im Abschnitt 22.5 behandelten
drei Vergleichsspannungshypothesen.
Hinweis: Die Teilaufgaben a, bund c waren bereits Bestandteil der Aufgabe 8.4.
Flir die Berechnung einer kritischcn Kraft Fk •· muSS die Theorie 2. Ordllung (Gleichgewicht
Gm veiform/ell SysTem) bemüht werden.
Abbildung 23.4: Kippen eines Kragträger, Beulen einer Platte und Beulen einer Schale
23.2 Stab-Knickung
Zur Einführung in die Problematik soll an dem nachfolgenden Beispiel I diese wichtige Aussage
demonstriert werden:
Biegeträger köllilen auch dann als Tragwerke versagen. wenn die maximaLe Spannung unter-
halb der zulässigen Spannung liegt.
Beispiel!:
I_....;_ I
_.... Der skIZZIerte Träger Ist durch dw Kraft EI ö'
F
F belastet. Die vertikale Abmessung 0 sei wesentlich AA I J;jJ
J ;:;-
kleiner als der Abstand der bei den Lager A und B.
Gegeben: EI = konstant, F, I, 0 (0 « I) .
Es soll die Biegeverformung des horizontalen Teils
-
FAH
..- F
zwischen den Lagern berechnet werden. jFAV JFE
Aus den statischen Gleichgewichtsbedingungen erge-
FAH
Z
-
ben sicb die Lagerreaktionen zu
-~i)Mb
23.2 SLab-Knickung 407
Da die vertikale Komponente FAV der Lagerreaktion bei A (wegen a q: I) deutlich kleiner ist als
die Horizontalkomponente, ist es unter Umständen nicht mehr gerechtfertigt, den für die Verfor-
mungsberechnung benötigten Biegemomentenverlauf am unverformten System (nach der Theo-
rie I. Ordnung) zu berechnen, weil FAll dann in die Verformungsberechnung gar nicht eingehen
würde.
Deshalb wird ("vorsichtshalber") Mb(Z) durch eine Gleichgewichtsbetrachtung am verformten
System ermittelt (Theorie 2.0rdnung). Natürlich müssten konsequenterweise dann auch die La-
gerreaktionen am verformten System berechnet werden, was aber in diesem Fall auf die gleichen
Ergebnisse führen würde. Am geschnittenen Teilabschnitt erhält man (mit der noch unbekannten
Durchbiegung v an der Stelle z) für den Momentenverlauf:
Z
Mb(z) = FAvz+FAN I' = Fa.,+Fv
Nach der Theorie I. Ordmmg hätte sich nur der erste Summand für den Biegemomentenveriauf
ergeben. Es ist einleuchtend, dass der zweite Summand dann nicht vernachlässigt werden darf,
wenn a in der Größenordnung von v liegt.
Mit dieser Funktion Mb(Z) erhält man aus der Differenzialgleichung der Biegelinie 17.3
11 Z
Elv =-Mb=-Fa--Fv
I
für dic Berechnung der Verschiebung v mit
v"+!....v=_!....'!:.z
EI EI I
eine gewöhnliche inhomogene lineare Differenzialgleichung 2. Ordnung mit konslan/en KoeJ-
jiziemen (man beachte, dass die Begriffe "Differenzialgleichung 2. Ordnung" und "Theorie 2.
Ordnung" nichts miteinander zu tun haben).
Die Lösung dieser Differenzialgleichung ist etwas mühsamer als der einfache Integrationspro-
zess, der bei Rechnung nach der Theorie I. Ordnung erforderlich ist. Der Leser, der mit der
Theorie der Lösung solcher Differenzialgleichungen I noch nicht vertraut ist, darf (ohne die Ge-
fahr. die nachfolgenden Überlegungen nicht zu verstehen) einfach glauben, dass
die allgemeine Lösung dieser Differenzialgleichung ist (der Skeptiker überzeugt sich durch Ein-
setzen, dass die Lösung die Differenzialgleichung erflillt).
Dic Intcgrationskonstanten ergeben sich aus den geometrischen Randbedingungen
v(z = 0) = 0 v(z=I)=O
zu a
CL =0 Cl = --,--==-:-
sin(f{;I)
I Hilfreich iSI sicher die Diskussion der Lösung der Differenzialgleichung 19.22. Man beachte besonders den Hin-
weis auf Seite 314 auf da<; Thema Gewöhnliche DijJerenziolgfeiclwngen auf der Illternel-Silc Malllemarik für die
Teclmi!H:he Meclranik (www.TM-Mathe.de).
408 23 Knickung
v(z) = .
sm
(ß)
EIl
sin (Jbz) -a7
Diese Funktion ist in der Auswertung sicher etwas unbequemer als die Lösungsfunktion, die man
nach der Theorie I. Ordnung erhält (Fall d im Abschnitt 17.4, wenn fUr das Belastungsmoment
M = Fa gesetzt wird). Schon der Nachweis, dass sich für F = 0 (Träger ohne Belastung) flir
belicbiges z keine Durchbiegung vergibt, erfordert cine Grenzwertbctrachtung.
Allerdings ist die Lösung nach der Theorie 2. Ordnung genauer. Interessant ist, dass die prozen-
tualen Abweichungen der en'echneten Verformungen nach den beiden Theorien (im Gegensatz
zum Biegemoment) nicht von der Größe a abhängen, da a in bei den Fällen als linearer Faktor in
der Verfonllungsfunktion v(z) steht.
Viel wichtiger ist jedoch eine andere Erkennmis, die sich nur mit der 711eorie höherer Ordnung
gewinnen lässt: Der Ausdruck im Nenner des ersten Lösungsanteils wird nicht nur dann Null,
wenn F = 0 ist, sondern zum Beispiel auch für
Jbl = n
Die Kraft, die sich aus dieser Formel zu
n 2 EI
Fk' = - 2 -
I
errechnet, wird kritische Belastung genannt, weil sie auch bei beliebig kleinem a zu 'heoretisch
ul1e11dlich großen Verschiebungen v führt.
L-:> Durch Versuche kann dieses Ergebnis bestätigt werden: Auch der zentrisch belastete Druck-
stab knickt bei dieser Belastung. Eine "beliebig kleine" Abweichung vom Schwerpunkt der
Querschnittsjjäche ist bei dcr Lasteinleitung praktisch ohnehin nicht ZU vermeiden.
c:> Die bei dem Beispiel I theorctisch ermittelten "unendlich großcn" Verschiebungen v bei
Belastung mit der kritischen Kraft Fk' lassen sich allerdings durch Versuche nicht bestätigen.
Es ergeben sich vielmehr auch jenseits dcr kritischen Belastung (im ausgeknicktcn Zustand)
Gleichgewichtslagen, die auch mit der Theorie 2.0rdnung nicht zu berechnen sind. Diese
geht mit der Verwendung der linearisierten Differenzialgleichung für die Biegelinie 17.3
ja immer noch von kleinen Verformungen aus. Diese Voraussetzung ist im überkritischen
Bereich natürlich nicht mehr erfUHt. Hier müsste mit der nichtlinearen Differenzialgleichung
der Biegelinie 17.2 gerechnet werden (Theoric 3. Ordnung). Die Theorie 2. Ordnung genügt
nur zur Berechnung der (allerdings besonders wichtigen) kritischen Belastung, nicht zur
Verformungsberechnung bei kritischer (oder überkritischer) Belastung.
Der "Umweg", der im Beispiel I demonstriert wurde, über eine Exzentrizität ader Lasteinlei-
tung (und schließlich das Nullsetzen dieser Exzentrizität) zur kritischen Belastung zu kommen,
ist nicht typisch für die Lösung von Stabilitätsproblemen. Vielmehr ist eS üblich. nach der Theo-
rie 2. Ordnung dic Gleichgewichtsbedingungen an cinem System aufzuschreiben, das nach der
Theorie I. Ordnung momenten frei wäre. Dies führt auf ein Eigemvertproblem, was aus mathe-
matischer Sicht eine ganz andere Betrachtungsweise darstellt (nachfolgendes Beispiel 2). Beide
Wege führen zum gleichen Ergebnis.
23.2 SLab-Knickung 409
Beispiel 2: I
I_"";_ _...1 Für den skizzierten Stab ist die kritische F EI I
Kraft Fkr zu berechnen. F =:=======::=·
-.is:
~A B
Gegeben: EI = konstant, I.
Da die Lagerung einfach statisch unbestimmt ist, muss z
eine Lagerreaktion im Momentenverlauf verbleiben (ge-
wählt wird dafLir FAV ). Am verformten System (Skizze)
erhält man
Mb = FAvz+Fv
Mb wird in die Differenzialgleichung der Biegelinie 2. Ordnung 17.3
enthält mit CI, C2 und FAv drei unbekannte Größen, man kann (wie bei statisch unbestimmten
Biegeproblemen, vgl. Abschnitt 17.5) Randbedingungen in gleicher Anzahl formulieren:
I'(z = 0) = 0 CI =0
FAVI
I'(z = I) = 0 CI eos KI +C2sin KI- - - 2 = 0
EIK
. ~V
,/(z = I) = 0 -KC I Sm KI + KC2COS KI- - - , = 0
EI K-
Hier zeigt sich nWl der prinzipielle Unterschied zu den bisher behandelten Biegeproblemen: Es
ist ein lineares homogenes Gieichullgssyslem' (auf der rechten Seite steht ein Nullvektor)
o o
I
cos KI sin K 1 (23.1 )
- EI K2
I
-KsinKI KCOS KI
- EI K2
Ein lineares homogenes Gleichungssystem hat immer die so genanJlte triviale Lösung (hier:
CI = C2 = 0, FAI' = 0). Es kann auch nichLtriviale Lösungen haben, wenn seine Koeffizien-
Lendeterminante den Wert Null hat. Die niehtlrivialen Lösungen sind dann allerdings Ilicht
eindeutig.
2 Auf der lnternel-Sire MOlhemolik für die Technische Mechanik (www.TM-MaLhe.dc) findet man eine au~ruhrlichc
Darstellung des Themas "Homogene Gleichungssysteme'·, ~iehe den Hinweis auf Seite 73.
410 23 Knickung
Die triviale Lösung ist für die Aufgabe uninteressant, denn sie besagt nur, dass v == 0 (keine Ver-
schiebung senkrecht zur Stabachse) auch eine mögliche (unter Umständen instabile) Lösung ist.
Es interessiert gerade der Fall nichttrivia1er Lösungen für C2 und FAv (CI = 0 gilt ohnehin im-
mer), für den v cl 0 (Knicken!) möglich ist. Dic Bcsondcrhcit bestcht darin, dass diese Lösungen
nicht eindeutig sind, man kann z, B. (nach der Theorie 2, Ordnung) nicht berechnen, welche La-
gerkraft FAv im ausgeknickten Zustand tatsächlich wirkt, man kommt jedoch zu der (wesentlich
wichtigeren) Aussage, unter welchen Umständen FAv cl 0 (und damit v cl 0) überhaupt möglich
ist.
In den Koeffizienten der Matrix des homogenen Gleichungssystems steckt noch die äußere Kraft
F (in dem Parameter K), und es werden nun die Werte dieser Kraft berechnet, für die die Deter-
minante der Matrix den Wert Null hat. Die Bedingung
o o
1
cos KI sin KI
- EI K2
I
-Ksin KI KCOS KI - EI K2
vereinfacht sich zu der Eigenwengleichung
KI - tan KI = 0
aus der KI (numerisch, siehe www.TM-aktuell.de) berechnet werden kann. Die Eigenwertglei-
chung hat unendlich viclc Lösungen, von denen nur die kleinste positive interessiert, weil zu
ihr der kleinste Wert für die äußere Kraft gehört, bei dcr ein Ausknicken möglich ist (kritische
Kraft). Man erhält:
EI
(KI)n,;n = 4,4934 '* 2
Fkr = Er Km,n = 20,19 7f
Damit ist das wichtigste Ergebnis erreicht. Man könnte nun durchaus diesen Eigenwert in die
Matrix des Gleichungssystems einsetzen und die nichttriviale Lösung (bis auf einen unbestimm-
ten Faktor) berechnen, in die Funktion v einsetzen, um auf diese Weise die Eigen/arm zu be-
stimmen. Man bekommt so eine Vorstellung von der "Knickfigur", die tatsächliche Größe der
Verschiebungen für eine Belastung jenseits der kritischen Kraft kann (wegen des unbestimmten
Faktors in der Lösung) mit der Theorie 2. Ordnung nicht berechnet werden.
c:> Die beiden Wege, die in den Beispielen I und 2 zu den kritischen Lastcn führten, liefern
identische Ergebnisse (Empfehlung: Man löse zur Übung das Problem des Beispiels I mit
a = 0 als Eigcnwerrproblem, wie cs mit dem Beispiel 2 demonstriert wurde). Das Beispiel
I würde auch dann noch auf die gleiche kritische Last Fkr führen, wenn der horizontale
Trägcrtcil A-B eine zusätzliche Querbelastung tragen würde. Die typischen Einwände gegen
die "theoretischen Annahmen" der Stabilitätstheorie (exakt zentrische Einleitung der Kraft,
ideal gerader Träger, ... ) sind damit gegenstandslos.
e:> Die Ergebnisse dcr beiden Beispiele lassen einige wichtigc (verallgemeinerungsfahige) Tat-
sachen erkennen: Die Stablänge 1 vergrößert (quadratisch) die Knickempfindlichkeit, ein
großes Flächenträgheitsmoment verringert sie, "lange schlanke Stäbe" sind besonders knick-
empfindlich. 1m Gegensatz zu dcn bisher angestellten Fesligkeitsumersuchungen kann (im
23.2 Slab-Knickung 411
elastischen Bereich) die Knickgefährdung nicht durch die Verwendung hochfester Materia-
lien verringert werden, denn als Materialeigenschaft geht nur der Elastizitätsmodul in die
kritische Kraft ein (und der ist z. B. für alle Stahlsorten annähernd gleich).
Die bei den behandelten Beispiele gehören zu den vier für den Praktiker wichtigsten Lagenmgs-
fallen für Knickstäbe, deren Lösung schon LEONHARD EULER (1707-1783) gefunden hat und
die nach ihm im Allgemeinen kurz bezeichnet werden als die vier
20,19EI
Fk' = [2
<> Konstruktionen werden in der Regel nur dann als tragfahig angesehen, wenn die aufgebrach-
te Last kleiner als die kritische Belastung ist. Im Allgemeinen wird sogar die
Fk ,
Knicksicherheil SK = - - (23.3)
F\·orh
größer gewählt als die übrigen Sicherheitsbeiwerte (zum Beispiel: SK = 2 ... 5).
Beispiel 3:I
I_"";_ _...1 D,e drei Stäbe des skIzzierten Systems haben krels-
l/2 l/2
fönnige Qucrschnitte.
~
Gegeben: F = 5 kN ; E = 2, I . 105 N/mm 2 ;
cx cx
a = 20° ; I = 300mm 2 3
Die Durchmesser sollen so gewählt werden, dass eine zulässige
Spannung (J,,,I = 200 N/mnl nicht überschritten wird und außer- F
dem eine Sicherheit gegen Knicken von SK = 3 garantiert ist.
Die Stabkräfte ergeben sich aus Gleichgewichtsbedingungen ("Rundum-Schnitte" um die Kno-
ten):
F
Ft=---
2 tana
Die auf Zug beanspruchten Stäbe 2 und 3 können mit der Forderung (J2.3 = :~:: = (J,,,I dimen-
sioniert werden, da bei Zugstäben keine Knickgefahr besteht. Es ergibt sich:
412 23 Knickung
d2.3.n! =2
f1f
--
2
nG;:ul
=2
F
:;----,---- =
2 'Ir 0;:/11 sin a
6,82 mm
Für Stab I würde eine entsprechende Rechnung dl = 6.61 mm ergeben. Die vorgegebene Knick-
sicherheit (Euler-FaJI mit beidseitig gelenkiger Lagerung) erfordert dagegen, wie die folgende
Rechnung zeigt, einen größeren Durchmesser des Stabes I, so dass dieser die Dimensionierung
bestimmt:
2SK F /2
3 =11,6mm.
7[ E tana
I
Beispiel 4:
I_ _ _....I Die belden skIzzierten Fachwerke ulllerschelden
~F,
sich nur durch den zusätzlichen Stab 8, der im unteren Fachwerk
eingezogen ist und den Uutergurt in zwei Stäbe 6 und 7 teilt.
Alle Stäbe sollen den gleichen Querschnitt haben. Die Knicksi- , 4 5 d
cherheit der Stäbe beider Fachwerke soll untersucht werden. 6 I
mJ::
Gegeben: F, a.
Da der Stab 8 ein Nullstab ist (vgL Abschnitt 6.4.2, Nullstab-
Kriterien auf Seite 82), ergeben sich für beide Fachwerke die
gleichen Stabkräfte. Für das Knickproblem sind nur die auf
Druck belasteten Stäbe 3, 5 und 6 und 7 mit den Stabkräften 6 7
F3 = F., = -V2F F(, = F7 = -2F
von Bedeutung (zur Berechnung von Fachwerken vgL Abschnitt 6.4). Für die Stäbe 3 und 5
ergibt sich die Knicksicherheit nacb 23.3 in Verbindung mit der zweiten Formel von 23.2:
7[2 EI J2 7[2 EI
SU=SK.S= (J2a)2J2F=4 Fa2
Für den Stab 6 im oberen Fachwerk ergibt sich die geringste Knicksicherheit
7[2 EI 1 7[2 EI
SK6=(2a)22F '8 Fa 2
im unteren Fachwerk dagegen hat der Stab 6 im Vergleich dazu die vied'ache Knicksicherheit:
7[2 EI I 7[2 EI
SK.6 = SK.7 = a22F = 2: Fa2
die sogar noch größer ist als die Knicksicherheit der Stäbe 3 und 5.
Mit Nullsräbell, die keine Kraft aufnehmen und deshalb extrem materialsparcnd konstruiert
werden dürfen, kann die Knicksicherheit in Fachwerken erheblich erhöht (und in der Regel
problemlos in den zulässigen Bereich gebracht) werden.
23.2 Stab-Knickung 413
oe:> Für die Fachwerkstäbe in den Beispielen 3 und 4 wurde (entsprechend der üblichen Idea-
lisierung des Fachwerks) der Euler-Fall mit beidseitig gelenkiger Lagerung verwendet. Da
Fachwerkknoten in der Regel durch Knotenbleche realisiert werden, liegt man damit auf der
sicheren Seitc.
oe:> Wenn der Knickstab in eine beliebige Ebene ausweichen kann, ist stets das kleinste Flächen-
trägheitsmoment (Hauptträgheitsmoment 12, vgl. Abschnitt 16.2.5) in die Formeln einzuset-
zen. Es gibt jedoch auch Lagerungen, bei denen für verschiedene Ebenen unterschiedliche
Euler-Fälle gelten. So darf ZLLm Beispiel für ein Pleuel, für das in der Knickebene senk-
recht zu Kolbenbolzen und Kurbelwelle die beidseitig gelenkige Lagerung zutrifft, in der
anderen Ebene bei relativ breitem Lager auf der Kurbelwelle die günstigere Einspannung
angcnommcn werden, so dass cin kleincres Flächenträgheitsmomcnt erfordcrlich ist (Pleu-
elquerschnÜt elliptisch oder als I-Profil).
oe:> In Formelsammlungen findet man die Euler-Fälle häufig durch eine einzige Formel
rr:2 EI
Fk ,= - 2 - (23.4)
lred
mit der reduzierten Knicklänge l"d repräsentiert. Diese hat, wie man sich durch einen Ver-
gleich mit 23.2 überzeugt, für die vier Euler-FäIle die Werte 21, I, 0,71 und ~.
oe:> Alle biSherigen Untersuchungen setzten voraus, dass die Knicklast erreicht wird, bevor der
Druckstab dcn linear-elastischen Bereich verlässt. Um dies gleich mit zu überprüfen, ersetzt
der Praktiker gern die Berechnung der kritischen Kraft durch die Ermittlung der kririschen
S/)(/nnung (Spannung, die beim Erreichen der kritischen Kraft im Stab wirkt)
Fk, 7[2 EI 7[2 E
(Jh· = A = 1;",A =~ (23.5)
Die kritische Spannung darf für die Gültigkeit der Euler-Formeln nicht oberhalb der Propor-
tionalitätsgrenze l(Jpl des Matelials liegen (vgl. Abschnitt 12.3), wobei der Wert im Druck-
bereich dcs Spannungs-Dchnungs-Diagramms verwcndet werden muss. Wenn in dcr Formcl
für die kritische Spannung 23.5 diese dnrch die Proportionalilätsgrenze ersetzt wird, kann
man den nur noch von Materialwerten abhängigen Crenzschlankheirsgrad
(23.6)
berechnen, der die Gühigkeit der Euler-Formeln begrenzt. Beispiel: Für den Stahl S235JR
(St37) mit (Jp = 190 N/mm2 und E = 2, I . lOS N/nll11 2 errechnet man .1.Q = 104. Für gedrun-
genere Stäbe mit kleinerem Schlankheitsgrad gelten die Euler-Formeln nicht. Gegebenen-
falls kann mit einem der Verfahren für den nicht-elastischen Bereich gerechnet werden, die
hier nicht behandelt werden.
r:> Der Ingenieur in der Praxis muss sich gerade bei Stabilitätsuntersuchungen vielfach an bran-
chentypische Vorschriften halten. Die Berechnungen (auch die dafür zuständigen Normen)
basieren allcrdings auf den hier behandeltcn Grundlagcn.
414 23 Knickung
Bei Aufgaben, die auch nur etwas komplizierter sind als die im vorigen Abschnitt behandelten
Probleme, kann es lästig sein, den Biegemomelllenveriauf am verformten System aufschreiben
zu müssen, der als Voraussetzung für die Benutzung der Differenzialgleichung der Biegelillie 2.
Ordnung erforderlich ist. Andererseits sind solche Probleme meist ohnehin nur numerisch lösbar,
und es ist wlinschenswert, diese Berecbnungen so stark zu fonnaJisieren, wie es im Abschnitt
18.1 am Beispiel des Biegeträgers mit dem Differenzenverfahren auf der Basis der Differen-
zialgleichung 4. Ordnung demonstriert wurde. Deshalb wird hier die Differenzialgleichung 4.
Ordnung für das Kniekproblelll hergeleitet, wobei auch ein veränderlicher Querschnitt und eine
verteilte Längsbelastung Cf, (z. B. das Eigengewicht des Knjckstabs) berücksichtigt werden.
Vorab sei noch einmal daran erinnert, dass die Theorie 2. Ordnung, die das Fundament ftir die
Stabilitätsuntersuchungen darstellt, wie die Theorie I. Ordnung von sehr kleinen Verformungen
ausgeht. Somit dürfen alle geometrischen Vereinfachungsmöglichkeiten, die sich daraus erge-
ben, genutzt werden. Auch der differenzielle Zusammenhang zwischen Biegeverformung und
Biegemoment (Differenzialgleichung der Biegelinie 2. Ordnung)
Das obcre Schnittufer ist zur Vertikalen um den Winkel a geneigt, die Schnittgrößen FN und
FQ, die senkrecht bzw. parallel zur Schnittfläche liegen, verändern bis zum anderen Sehnillufer
sowohl ihre Größe als auch die Richtung. Deshalb wurden stellvertretend flir die (gestrichelt
angedeuteten) Schnittgrößen deren Horizontal- und Vertikalkomponenten
FNI1 = FNsina FNV = FNcosa
FQI1 = FQcosa FQv = FQsina
und am anderen Schnittufer die "Komponenten plus Zuwächse" angegeben.
23.3 Differenzialgleichung 4. Ordnung 415
Der Winkel a ist der Biegewinkel der Verformungslinie, rur den wegen der Kleinheit der Verfor-
mungen dv
tana = -:::::::: sina cosa ~ I
dz
gesetzt werden darf. Aus dem Kräfte-Gleichgewicht in horizontaler Richtung
folgt nach Division durch L\.z und dem Grenzübergang L\.z -> 0:
. ~( ..) d( ...)
Ilm--=--
~-o ~z dz
Werden in diese Gleichung die Beziehungen für FQ und Mb (23.8 und 23.7) eingesetzt, ergibt
sich die unlen angegebene Differenzialgleichung 23.10.
In das Kräfte-Gleichgewicht am Element in vertikaler Richtung geht ein Anteil aus der Linienlast
in Längsrichtung q, ein:
Mit dieser Beziehung könote die Normalkraft berechnet werden, die darm in die Differenzial-
gleichung 23.10 einzusetzen ist. Andererseits sagt die Formel 23.9 aus, dass die Nomlalkraft FN
am unverformten Stab berechnet werden darf (und bei q, == 0 konstant ist), so dass sicher diese
einfachcre Variante vorzuziehen ist.
Die in 23.10 eingehende Normalkraft FN(z) darf am unverformten Stab ermittelt werden.
Für den Spezialfali des Knickstabs mit konstanter Biegesteijigkeitund konstanter Normalkraji
vereinfacht sich 23. 10 zu
v'lI! - FN v" = 0 (23.11 )
E/
Die Knickprobleme werden sowohl mit 23.10 als auch mit 23.11 durch gewöhnliche lineare
homogene Differenzialgleichungen 4. Ordnung beschrieben.
416 23 Knickung
Die analytische Lösung von Knickproblemen gelingt nur für relativ wenige Spezialfalle (und
auch dann erzwingt die Eigenwcrlglcichung häufig eine numerische Behandlung, vgl. Beispiel
2 im Abschnitt 23.2). Für die numerische Lösung von Stabilitätsproblemen der Elastostatik sind
das Diffcrenzenverfahren und die Methode der finitcn Elemente vorzüglich geeignet.
Die Methode der finiten Elemente erfordert einige theoretische Voraussetzungen. die an dieser
Stelle noch nicht behandelt worden sind (im Kapitel 33 werden dafür die Grundlagen vermittelt).
Deshalb soll hier nur die Lösung der Differenzialgleichung 23.10 mit Hilfe des Differenzenver-
fahrcns an einem Beispiel demonstriert werdcn.
Ocr erste Tcrm in 23.10 ist identisch mit dcr linken Seite dcr Diffcrenzialglcichung der Biegeli-
nie 4. Ordnung des Biegeproblems, wofor im Abschnitt 18.1.3 bereits die Differenzenformel 18.7
angegeben wurde, so dass nur noch die Umwandlung des zweiten Ausdrucks (FN J)' behandelt
wcrden muss. Da man davon ausgehen kann, dass dic Normalkraft nicht numerisch nach 23.9
berechnet werden muss, sondern für jeden Punkt des (unvelformten) Knickstabs angegeben wer-
den kann. empfiehlt sich für die Approximation der ersten Ableitungen eine leichte Modifikation
der als 18.1 angegebenen Differenzenformel:
.
Es werden jeweils Nachbarpunkte im Abstand der I
i
i+~
.
i+1
~ .
i+2
J
teten Punkt einbezogen, so dass die erste Formel in
18.1 zu h
(23.12)
Für den wichtigen Spezial fall konstanter Biegesteifigkeitund konstanter Nonnalkraft vereinfacht
sich 23.12 zur
23.4 Numerische Lösung von Knickproblemen 417
Vi-2 -
FN ,,2 ) Vi_I + (2
4 + ----riI
FN ,,2 ) ( FN ,,2 )
6+ ------eJ Vi - 4 + ----riI Vi+t + Vi+2 = 0 (23.13)
(
Für die Anwendung werden die für die Verformungsberechnung gegebenen Empfehlungen (Seite
319) wie folgt modifiziert:
<> Ein Knickstab der Länge I wird in /JA äquidistante Abschnitte unterteilt (h = .L). Dabei
entstehen /JA + l Stülzstellen 0 .. . /JA (Achtung, die hier empfohlene Nummerierung ist an-
"A
Beispiel:
I_....1_....1 I
Der skizzierte Stab mit konstantem Querschnitt ist nur durch r
Iz
sein Eigengewicht belastet. Es soll ermillelt werden, bei weleher kriti-
sclle/J Länge er allein durch die Eigengewichts-Belastung knickt.
Gegeben: EI, Dichte p, Querschnittsfläche A . EI,
Das Eigengewicht des Stabs bewirkt eine linear veränderliche Normal- /?A
kraft (muss mit der über der Schnittstelle bei z liegenden Gewichtskraft
im Gleichgewicht sein):
FN = -pgAz
Da die Biegesteifigkeit aber konstant ist. kann die Differenzengleichung Abbildung 23.7: Stab,
23.12 wenigstens teilweise vereinfacht werden, so dass mit folgender belaslet durch sein Ei·
Gleichung gearbeitet wird: gengewicht
(- )
I
Da an den beiden Rändern in v-Richtung unverschieb- ,
Die Randbedingungen werden gleich so umgeformt. dass für die verbleibenden Außenpunkte die
Vcrschicbungen durch Verschicbungen von Innenpunktcn ersctzt wcrdcn könncn:
1'0=0 =? 1'0= 0
MO =0 =?
li liA =0
EI
MIlI\=O ~ -/z2(VnA-I-2VII/l+VnA+I)=O => V"A+I=-Vnl\-J
Es wird zunächst die sehr grobe Einteilung nA = 4 gewählt, so dass die Differenzengleichungen
nur ftir die Punkte I. 2 und 3 aufgeschrieben werden müssen:
3 3
pgAh3) ( 2 Pg Ah ) ( 3 Pg Ah )
V_I- ( 4- 2EI vo+ 6- EI VI- 4- 2EI 1'2+1'3 =0
Pg Ah 3 ) 3
( 4 - 5 Pg Ah )
1'0 - ( 4 - 3PgAh3) 1'1 + ( 6 - 4 v2 - I'J + 1'4 = 0
2EI EI 2EI
3 3
5PgAh3) ( 6 Pg Ah ) ( 7 Pg Ah )
1'1- ( 4- 2EI V2+ 6- EI VJ- 4- 2EI 1'4+1'5 =0
Die Verschiebungen der beiden Randpunkte 1'0 und 1'4 und der beiden Außenpunkte V-I und 1'5
werden mit Hilfe der Randbedingungen eliminiel1. Es wird die Abkiirzung
pgAh J pgA/ 3 pgA/ 3
1(= - - - = - - - = - - -
EI n{ EI 64EI
eingeführt, und es verbleiben drei Gleichungen für die drei Verschiebungen VI, 1'2 und 1'3:
-4+ 1.51(
6-41( -4 +12 ,5 I( ] [~~] [ ~ ] (23.14)
-4+2,51( 5-61( VJ 0
Es ist wie bei der analytischen Lösung des Beispiels 2 (Seite 409) wieder ein homogenes li-
neares Gleichungssystem entstanden, das prinzipiell nach der gleichcn Stratcgie gelöst werden
23.4 Numerische Lösung von Knickproblemen 419
könnte ("Koeffizientendeterminante = 0 =;. Gleichung dritten Grades =;. K-Werte für nichttriviale
Lösungen"). Dieser Weg wäre jedoch bei einer feineren Diskretisierung nicht mehr praktikabel.
Aber das System 23.14 unterscheidet sich in einer wesentlichen Eigenschaft angenehm vom
Gleichungssystem 23.1, das bei der analytischen Lösung erzeugt wurde: Beim Differenzenver-
fahren tritt auch der Eigenwert K nur linear auf, und es können alle Lösungsverfahren verwendet
werden, die für Malrizeneigenwertprobleme verfügbar sind. Deshalb sollte 23.14 in der Form
des so genannten Allgemeinen Matrizeneigenwerrproblems
(A - KB)x=o
aufgeschrieben werden:
( [
_~ -: _~] _ K [ _ ~,5 - ~,5 -~'5]) [ ~~ ] = [ ~ ] (23.15)
I -4 5 0 -2.5 6 \13 0
Unter www.TM-aktuell.de findet man die Lösung dieses Malrizeneigenwertproblems mit Mallab.
Der kleinste Eigenwert K des Systems 23.15 bestimmt die kritische Länge:
3 n~ EI ] 64EI ]fEI
K) = 0,2742 h,= pgA KI = pgA .0.2742=2,60
VPiA
Das Matlab-Script realisiert beliebig feine Diskretisierung nA. Die folgende Tabelle zeigt eiLlige
Ergebnisse.
nA = 3 nA = 8 nA = 100 Exakt
h, 2599\/ pgA
1
EI 2 ) 635\/ pgA
Et 2 1 648 \I Et
pgA 2. 648 \I pgAEt
Dieses Beispiel wurde auch deshalb gewählt, weil es einer analytischen Lösung (gerade noch)
zugänglich ist (unter anderem unter Verwendung Besselscher Funktionen für die Lösung der
Differenzialgleichung). Der Vergleich mit der exakten Lösung zeigt, dass selbst das Ergebnis
für nA = 4 praktischen Anforderungen genügt (aber es gibt natürlich keinen Gmnd, mit dem
Computer "vorsichtshalber" nicbt auch noch feiner zu unterteilen).
23.5 Aufgaben
I Aufgabe 23.1: I. . ..
Em Wandkran a und em Brückenkran b smd durch die Kraft F belastet (Ge-
samtgewicht der Laufkatze mit angehängter Last), deren Stellung jeweils im Bereich 2a verän-
derlich ist. Der Stützstab ist für die ungünstigste Laststellung bei vorgegebener Knicksicherheit
SK zu dimensionieren. Zu bestimmen ist sein Außendurchmesser Da, wenn ein Rohr mit dem
Dw:chmesserverhällllis !ft, = 1,2 verwendet wird.
a a
Gegeben: a)
F =20kN ;
,
a = 2m
I = 6m ~
fF
h 5m
SK 3 , L
E = 2, I . 105 N/mm 2 .
L L
I
Aufgabe 23.2: I
Ein Knickstab ist cntsprcchcnd dcr
Abbildung gelagert. Die scharnierartigen Lager kön-
nen keine Momente um die x-Achse aufnehmen, wir-
ken jedoch in der x-z-Ebene wie Einspannungen. Das
linke Lager ist unverschieblich, das rechtc Lager ist in
z- Richtung versch ieblich.
Gegeben: F, I, E, a, R. a) b) ,
;
~"
~R
"I
Es sollcn die bciden skizzierten Querschninsvarianten
untersucht werden. Gesucht ist jeweils die Abmessung .0
a-
.0
,
//
b, so dass sich für beide Ebenen die gleiche Knicksi- ff:,R 3a
'/
I
cherheit ergibt.
I
AuJgabe 23.3: I
Ein Stab mit Kreisquer-
schnitt, dessen Durchmesser linear veränder- , }i
"ö / ..A::'"ö
I .......
lich ist, wird durch eine Einzelhaft auf Druck I -----_ F ,
beanspnIcht. _ d,=1,2d
Gegeben: d, E. I.
Man ermittle a) die kritische Last F" mit dem Differenzenverfahren bei einer Einteilung der
Länge I in nA = 4 Abschnitte,
b) die Matrizen A und 8 des aligemeiIJeo Matrizeneigenwertproblems
(A - ,(8) x = 0 für die Einteilung der Länge I in nA = 8 Abschnitte.
Definition:
Mechanische Arbeit ist das Produkt des Weges, den der Angriffspunkt einer Kraft F zurück-
legt, und der in Wegrichtung wirkenden Komponente dieser Kraft Fs. Weil die Kraft entlang
des Weges s veränderlich sein kann, gilt für die Arbeit W folgende Formel:
W = J
.,
Fs ds (24.1)
Die geleistete Arbeit wird im l.nneren des Bauteils als Energie (.,Arbeitsvermögen") gespeichert,
die wiederum dafür sorgt. dass ein elastisches Bauteil nach Entlastung wieder seine ursprüngliche
Form annimmt (Abbildung 24.1).
24.1 Arbeitssatz
Betrachtet wird zunächst der in Abbildung 24.2 skizzierte Zugstab, an dem eine Kraft F vom
Anfangswert Null auf ihren Endwert Fo anwächst, entsprechend wächst die Verschicbnng w des
Kraftangriffspunktes bis zu ihrem Endwert wo.
EA
Während des gesamten Vorgangs gilt immer (Formel 14.6 im
Abschnitt 14. I)
Fl EA
w=- F=-w
EA I dz [dz
bis der Endzustand F;,-LJ - F
Fol N
wo= EA Abbildung 24.2: Äußere und
innere Kräfte am Zugstab
erreicht ist. Dabei leistet die äußere Kraft die Arbeit
Wo Wo
J J
EA 1 EA I F;}l l
W = Fdw= -wdw=--w5=--=-Fowo (24.2)
" l 2 l 2 EA 2
w=o w=o
die im Kraft- Verformwlgs-Diagramm (Abbildung 24.4) als Fläche unter der linearen Flll1kLion
F(w) veranschaulicht werden kann. Eine entsprechende Formel (mit dem typischen Faktor !)
ergibt sich immer dann, wenn ein linearer Zusammenhang zwischen einer Belastungsgröße und
der durch sie an ihrem Angriffspunkt hervorgcrufenen Verformung besteht.
((~
zu leisten ist (Abbildung 24.3). kann zum
Beispiel nach
1 1 2 .(' ~ ~ , ~,s
Wa = "2 Foso = "2 cso (24.3)
wO'so
berechnet werden, wobei so der Gesamt- Abbildung 24.4: W im
Abbildung 24.3: Spannen ei- a
ner linear-elaslischen Feder Federweg und Fo der Endwert der Kraft ist. Kraft- Weg-Diagramm
Es wird nun FLir den Zugstab der Abbildung 24.2 die Arbeit der inneren Kräfte (Normalkraft
FN) berechnet. Das herausgeschnittene differenziell kleine Element mit der Länge dz verlängert
sich nach 14.4 um Edz, und weil die Nomlalkraft natürlich auch .,von Null auf ihren Endwert"
anwächst, leistet sie am Element die Arbeit ~ FNEdz (die Gesamtverschiebung wurde in der
Abbildung 24.2 willkürlich an einem Schnittllfer des Elements angetragen, so dass nur eine
Kraft FN Arbeit leistet, bei einer Aufteilung auf beide Schnittufer ändert sich insgesamt nichts).
Die gesamte Arbeit der Normalkraft im Stab ergibt sich nach Integration liber die Länge I, und
mit FN = Fo flir das betrachtcte Beispicl und E = f*
nach 14.3 erhält man:
I
J E~
I
J
I I p,2 I p,2 I
W;= "2"NEdz="2 dZ="2 6?A (24.4)
z=O <:=0
Dies ist exakt der Wert, der sich bereits für die Arbeit der äußeren Kraft (Formel 24.2) ergeben
hat: Die Arbeit, die die innere Kraft FN bei der Verformung leistet (Formänderungsarbeit) wird
als Formänderungsenergie im verformten System gespeichert, und die an dem einfachen Beispiel
gewonnene Erkenntnis gilt allgemein als
Arbeitssatz:
Die an einem elastischen System von den äußeren Belastungen geleistete Arbeit Wa wird als
Formänderungsenergie W; im verformten System gespeichelt, und es gilt:
W;=Wa (24.S)
Für die Berechnung der Arbeit Wa , die die äußeren Belastungen leisten, können die am Beispiel
des Zugstabs gewonnenen Erkenntnisse verallgemeinert werden: Bei linear-elastischem Material
(und kleinen Verformungen, so dass der Zusammenhang zwischen Belastung und Verformung
auch linear ist) gilt immer Wa = ~ . "Endwert der Belastung" . "Endwert der Verformung". Ist
die äußere Belastung ein Moment, wird als Verformungsgröße ein Winkel eingesetzt.
Für die Grundbeanspruchungsarten der "eindimensionalen Tragwerke" (eine Abmessung ist deut-
lich größer als die beiden anderen), für die in den Kapiteln 14 bis 21 Spannungs- und Ver-
formungsberechnungen behandelt wurden, werden nachfolgend die Formeln für die Formän-
derungsenergie ermittelt.
Die Abbildung 24.5 zeigt ein differenziell kleines Element
mit der Länge dz und der Seitenfläche dA, das in dieser Flä- "dA
che durch eine Normalspannung a belastet ist (z. B. aus einem
ZuglDruck-Stab oder einem Biegeträger herausgeschnitten). Es
verlängert sich infolge der Spannung um Edz (vgl. das Einfüh- dz [dz
rungsbeispiel im vorigen Abschnitt). Die Spannung wird über Abbildung 24.5: SpezirJsche
die Fläche zu einer Kraft a dA zusammengefasst, die die Fom,- Formänderungsenergie infolge
änderungsenergie des Elements (,.!.
Kraft· Verschiebung") Normalspannung
I I
dW;.er ="2 adAEdz ="2 aEdV
liefert (es wurde das Volumen des Elements dV = dA· dz eingesetzt). Nach Division durch dV
entsteht die (auf das Volumen bezogene) spezifische Formändertlngsenergie info/ge einer Nor-
ma/spannung
, dWi . er I I 2 I a2
W. =--=-aE=-EE = - - (24.7)
,.er dV 2 2 2 E
wobei die beiden Umformungen durch Einsetzen des Hookeschen Gesetzes 1.2.3 entstanden.
Auf entsprechendem Wege kommt man zur spezifischen Formänderllngsenergie ;nJo/ge eiller
Schubspal1llullg
, dWi. T I I _2 I T2
W;.T=d\I="2 TY ="2 Gr ="2 G (24.8)
Wenn die zu einer bcstimmten Schnittgröße gchörcnde Spannungsvertcilung in 24.7 bzw. 24.8
eingesetzt wird, erhält man nach Integration über das Vnlumen die gesuchte Formel für die For-
mänderungsenergie. Für einen ausschließlich durch einc Normalkraft FN beanspruchten Stab ist
z. B. die Spannungsverteilung entsprechend 14.2 über den Querschnitt konstant, so dass man
mit a = '1 und dV = A dz zur Formel für die Formällderullgsenergie fiir den Zug/Druck-Stab
kommt:
I
W = w.' dV =
, . ,.er
-
2 E
2
j.
I -a dV = -I
2
....!!.-
2. EA2
I
F A d" = -I
2
2
F dz
..!'!..
EA
1
(24.9)
v v t I
Für den ausschließlich durch ein Biegemoment Mb beanspruchten Träger wird die Rechnung
etwas komplizierter, weil mit der Biegespannungsverteilung ab = ~ y nach 16.3 eine Verän-
derlichkeit mit y über die Querschnittshöhe zu berücksichtigen ist, so dass das Volumene1ement
dV = dA ·dz verwendet werden muss (dA ist ein Flächenelement im Abstand y von der Schwer-
punktfaser). Es ergibt sich
Wi j' -'-'
= -I M l
2 E%"
v
2
.
dA dz = -I
2.
I
'A
M
_h_
E~
2
(I i ) = -11 -'-'
dA dz
2
,
E~
M2
dz (24.10)
424 24 Fonnänderungsenergie
worin berücksichtigt wurde, dass unter dem Integral noch einmal das Flächenträgheitsmoment
lxx entsprechend 16.4 entstand.
Für die Beanspruchungsarten Torsion und Querkraftschub kommt man durch Einsetzen der Span-
nungsbeziehungen in die spezifische Formänderungsarbeit und Auswerten der Integrale zu den
Formeln, die nachfolgend zusammengestellt wurden. Es sind auch die fLir verschiedene Anwen-
dlmgen wichtigen Abhängigkeiten von den Velfonnungen angegeben. die entstehen, wenn die
Sehningrößen durch die entsprechenden Differenzialbeziehungen 14.3 (Normalkraft), 17.3 (Bie-
gemoment), 21.11 (Torsionsmoment) und 20.5 (Querkraft) ersetzt werden:
Man beachte den ähnlichen Aufbau, den alle sieben Formeln haben. Bei gleichzeitiger Beanspru-
chung eines Bauteils durch mehrere Grundbeanspruchungsarten dürfen die Anteile aus 24.11 bis
24.17 addiert werden. Entsprechendes gilt für komplexe Bauteile: Die in den Arbeitssatz 24.5
eingehende Formänderungsenergie W, bezieht sich immer auf das gesamte elastische System,
darf aber bereichsweise formuliert und dann addiert werden.
24.3 Salz von MAXWELL und BEni 425
'/
!I~ Z
v 21 ~ // v l2
t
v 22
F2
v'I
Abbildung 24.6: Jede Kraft trägt zu jeder Verformung einen ganz bestimmten Anteil bei
V2Z = an Fz . (24.18)
Die Faktoren a;j heißen EinJlusslahlen und dürfen als bekannt vorausgesetzt werden. Ihre Indi-
zes deuten eine "Verschiebung an der Stelle i infolge einer Kraft an der Stelle j" an. Die Ver-
schiebungen an den Stellen I und 2 bei gleichzeitiger Wirkung beider Kräfte ergeben sich durch
Superposition:
VI = all FI +a12F2 V2 = aZI F, +a22F:! (24.19)
Um die gesamte äußere Arbeit infolge der Wirkung beider Kräfte F, und Fz korrekt aufzuschrei-
ben, stellt man sich vor, dass sie nacheinander aufgebracht werden. Wird zuerst F I aufgebracht,
so ist während des anschließenden Aufbringens von F2 die Kraft F1 schon vorhanden, so dass der
zusätzlich durch F2 an der Stelle I erzeugte Verfomlungsweg von FI in voller Größe absolviert
wird und fLir diesen Anteil der Faktor! entfallt (zur Erinnerung: Dieser Faktor entstand. wenn
die Kraft "von Null auf ihren Endwert anwuchs"). Die von beiden Kräften geleistete Arbeit kann
also in der Form
I I
Wa = 2vII FI + 2V22/'i + Vl2 F I (24.20)
aufgeschrieben werden. Bei geänderter Reihenfolge des AufbringeilS (zuerst F2, danach F,) ist
die Kraft F2 in voller Größe vorhanden, wenn F, von Null auf den Endwert anwächst:
- 1 1
W a = 2V22 F2 + 2v, I F, + V21 F2
Natürlich muss der Endzustand von der Reihenfolge des Aufbringens der Kräfte unabhängig
sein, so dass Wa = W a gesetzt werden darf. Daraus folgt:
Wenn man in diesem Beispiel die Kraft F durch ein äußeres Moment M ersetzen wiirde,
ergäbe sich die gleiche Aussage frjr die Biegewinkel: ~ = qJl.
':> Selbst eine ,.gemischte Aussage" ist möglich: Eine am Punkt 2 angreifende Kraft F möge
am Punkt I den Biegewinkel qJ) = ßt2 F hervorrufen. Dann kann die Verschiebung am Punkt
2, die durch ein Moment M am Punkt I hervorgerufen wird, mit der gleichen EinftusszahJ
berechnet werden: V2 = ßt2M (ein Beispiel dafiir siehe www.TM-aktuell.de).
<> Die Aussage 24.21 garantiert auch die Symmetrie der Steifigkeitsmatrizen bei der Methode
der finiten Elemente (vgl. Kapitel 15. I und Abschnitt 18.2), denn in den Steifigkeitsmatrizen
stehen die (reziproken) Einftusszahlen. Auch die ,.gemischten Aussagen" spiegeln sich in
dieser Symmetrie wider.
<> Um Rechenprogramme ftirelastostatische Probleme (vgl. Abbildung 24.8) einem wirkungs-
vollen Test zu unterziehen, kann man Systeme mit unterschiedlichen Belastungcn in dcr
Form berechnen, dass die Ergebnisse nach 24.2 I kontrolliert werden können (ist auch ein
wirkungsvoller Test dafiir, ob man diese Programme richtig bedient).
Knotenverschiebgn.:
3 u1 x • 0.0952381
9',:----o;:i:----o ul y = -0.7943019
14 u2x • -0.0952381
~»';;..--~Ö u2y' -0.2900081
u3x = 0.00201 091
u3y • -0.2900081
u4x = 0.00201091
u4y = -0.3133148
Abbildung 24.8: Maxwell-Bctti f1ir Fachwerke (u2y im linken Fachwerk = u3y im rechten Fachwerk, be-
rechnet mü dem Programm ..Slatiscb unbestimmte ebene Fachwerke (FEM)"" unter www.TM-interakljv.de)
24.4 Verfahren auf der Basis der Formänderungsenergie 427
Neben der Lösung der Differenzialgleichungen (Randwertprobleme), die die Verformungen elas-
tischer Systeme beschreiben (Kapitel 14 bis 21), bieten sich als Alternative zahlreiche Verfahren
auf der Basis der Formänderungsenergic an, die in der Mehrzahl der Fälle (insbesondere bei
praxisrelevanten Problemen) effektiver, häufig sogar die einzig praktikablen Vert'ahren sind. Die
wichtigsten Verfahren werden hier kurz vorgestcllt (und bewertet), cinigen werdcn noch spezielle
Abschnitte in diesem Buch gewidmet.
Die Verfahren sind für alle Belastungsarten (wie sie z. B. auf der Seite 424 zusammengestellt
sind) anwendbar. Hier werden zunächst ausschließlich die Verformungen infolge von Biegemo-
menten betrachtet.
Arbeitssatz
Der Arbeitssatz 24.5 in der schlichten Formulierung Wi = W" eignet sich zur Bcrechnung von
Verformungen am Angriffspunkt einer äußeren Last. Die Formänderungsenergie Wi kann (mit
gegebenenfalls mehreren Summanden) nach den Formeln 24.1 I bis 24. 17 aufgeschrieben werden
(Iüer soll nur 24.12 berücksichtigt werden), für die Arbeit der äußeren Last gilt 24.6.
Beispiel I:
I_....;_ I
_.... Für dcn sklZztcrten Trägcr soll dlc Abscnkung "F des Kraftan- I
d
griffspunktes berechnet werden. I
I
Gegeben: EI = konstant, F, a.
EI
Die Skizzc untcn zeigt dic Lagcrreaktioncn und dic Koordinatcn, auf dic sich d
N
die Biegemomentenverläufe beziehen:
B
Mbl = -Fz i
F
MhZ = 3Z2
F
Mb3 = -3Z3 ,I a
Damit kann der Arbeitssatz formuliert werden (auf der linken Seite steht die
Arbeit der Kraft F entlang dcs Weges VF, auf der rechten Seite dic Summe
der Formänderungsenergien der drei Trägerabschnitte):
oe:> Da die Schnittgrößen in die Fonnein für die Formänderungscnergie quadratisch eingehen,
spielt ihr Vorzeichen keine Rolle. Deshalb dÜlfen auch die Koordinaten für die einzelnen Ab-
schnitte eines Trägers beliebig gewählt werden (auch z. B. gegenläufig, was bei Anwendung
der Differenzialgleichung der Biegelinie zu höchster Aufmerksamkeit gezwungen hätte).
428 24 Fonnänderungsenergie
oe:> Eine Verformung ergibt sich positiv, wenn sie den gleichen Richtungssinn wie die äußere
Belastungsgröße hat. Dies gilt für eine Verschiebung, die am Angriffspunkt einer äußeren
Kraft berechnet wird, ebenso wie für eine Verdrehung, die am Angriffspunkt eines äußeren
Moments berechnet wird (diese Aussage gilt auch für die beiden folgenden Verfahren).
Der Arbeitssatz in der Fassung 24.5 ist für die Mechanik von grundsätzlicher Bedeutung:
Die von der äußeren Belastung bei der Verformung geleistete Arbeit bleibt als Energie im
verformten System erhalten. Diese Aussage entspricht dem Energiesatz in der Kinetik (Ab-
schnitte 28.4.2 und 29.5.3).
Für die Berechnung von Verformungen, wie es im Beispiel I demonstriert wurde, ist der
Arbeitssatz in der Fassung 24.5 aus zwei Gründen nur bedingt (bzw. nicht) brauchbar:
• Mehrere äußere Belastungen können zwar berücksichtigt werden, weil diese aber mehre-
re unterschiedliche (unbekannte) Verformungen erzeugen, können diese nicht berechnet
werden.
• Verformungen an Punkten, an denen keine Einzellast eingeleitet wird, können nicht be-
rechnet werden.
Beide Mängel werden gCheilt durch die beidcn nachfolgend beschriebcncn Verfahren, dic
unmittelbar auf dem Arbeitssatz basieren.
I Erinnerung an die Mathematik: Beim Bilden der partiellen Ableitung nach einer Variablen werden alle anderen Größen
wie KonSlanten behandelt
24.4 Verfahren auf der Basis der Formänderungsenergie 429
c:> Die Quadrate bei den Schnillgrößen in den Formeln für die Formändemngsenergie könnten
bci der praktischcn Handhabung (z. B. bei MomcntcnverJäufen, die bereichsweise aufge-
schrieben werden müssen) lästig sein. wenn nicht immer die Möglichkeit gegeben wäre,
die ,.partielle Ableitung vor der Integration" auszufWll'en. Die partielle Ableitung darf "in
das Integral hineingezogen werden, wenn der Integrand stetig ist". Diese Voraussetzung ist
allerdings immer erfüllt, denn die (in den Verläufen durchaus vorhandenen) Unstetigkeiten
liegen zwangsläufig an den Bereichsgrenzen, weil die Schningrößenverläufe gar nicht an-
ders formuliert werden können. Man berechnet also z. B. die Verformung an der Stelle einer
Kraft F, wenn nur Biegemomentanteile berücksichtigt werden, zweckmäßig so:
VF =
oWi 0
{)F = oF
(I J 2:
I
MI,
EI dz
)
=
IJ
2:
I
0 (MI,)
{)F EI dz =.
I
/. Mb oM"
EI oF dz. (24.24)
Dabei wurde berücksichtigt, dass nur MI, von F abhängig und bei der Ableitung die "Ketten-
regcl" zu beachtcn ist Die Lösung des Integrals nach 24.24 ist im Allgemeinen deutlich we-
niger aufwendig als die Integration über das Quadrat der Schnillgröße. Die mit I symbolisch
angedeuteten Integrationsgrenzen sind großzügig zu interpretieren als "über alle Trägerbe-
reiche, die gegebenenfalls auch cinen Rahmen oder ein verzweigtes System bilden können".
Das ist in der Regel nur bereichsweise möglich.
Beispiel 2:I
I_"";_ _...1 Für den skiZZierten Tniger sollen die Ab-
V,z,
senkung VF des Kraftangriffspunktes und die Horizon- F 2
talverschiebung vc des Punkte C berechnet werden. FI 3 301
FI
Gegeben: EI = konstant, F. a.
EI F;J Z,-~
Weil am Punkt C kcinc Kraft wirkt, nach dcr partiell
ö
abgeleitet werden kann, wird dort eine (später wieder N
Die Hilfskraft 1"11 hat damit ihre Schuldigkeit getan, sie kann fLir die Berechnung der Verschie-
bungen Null gesetzt werden. Die konstante Biegesteifigkeit EI wird vor die Integrale gezogen:
I 2Fa 3
Vp = EI 3 EI
I
Vc = EI [ J "3
2a I"
Z2=0
Z2
z?
:3 dZ2 + J -"3
a
2:3=0
I"
Z3
2Z3
3 dZ3
] 2Fa 3
9 EI
':> Dass bei dieser Aufgabe in Anlehnung an die Definitionen der Schnittgrößen in der Statik
zum Teil mit negativen Biegemomemen gerechnet wurde, ist nicht erforderlich, im Gegen-
teil: Weil Mb (wie auch die anderen Schnittgrößen) in der Forn!el für die Formänderungs-
energie quadriert wird (bzw. mit der eigenen paltiellen Ableitung multipliziert wird), sind
für die WaW der Koordinaten und der positiven Richtungen alle Freiheiten gegeben.
Diese Arbeit der äußeren Kräfte kann nach dem Arbeitssatz mit der Formänderungsenergie des
verformten Trägers gleichgesetzt werden. Wenn nur die Biegeanteile berücksichtigt werden, kann
JM~ J
dies in der Form
I I
w;, = 2v " 1", +2V22F2+V\2F, = W; =
I
2 EI dz=
I
2
(Mb<!) + Mb
EI
®? dz
I I
aufgeschrieben werden. Darin soll Mb<!) das Biegemoment bezeichnen, das bei Belastung des
Trägers nur durch 1", hervorgerufen wird, entsprechendes gilt für MM,) (auch die Biegemomeme
können natürlich superponiel1 werden). Die Klammer unter dem Integral auf der rechten Seite
wird aufgelöst:
I I I
-v"F,+-V22F2+VI2F,=-
2 2 2
JM~ --dz+-I
EI 2
J Mb I
--dz+-
EI 2
J 2Mb<!)MM,) dz
EI
I I I
Der erste Summand auf der linken Seite ist die Arbeit der äußeren Kraft 1"" wenn ansschließlich
diese wirken würde, der erste Summand auf der rechten Seite genau die dann entstehende For-
mänderungsenergie. Beide sind nach dem Arbeitssatz gleich groß. Die gleiche Aussage gilt für
2Die Bezeichnung für die beschriebene S[rategie wird unterschiedlich gehandhabt: Je nach Herlcirung findet man Prill-
zip der virtuellen Kräfte ebenso wie Arbeitssatz oder auch Mohrsclles Verfahren (nach O. Mohr. der in der Fußnote
auf Seite 391 erwähnt wird). Das Verfahren wird (wie das Verfahren nach CASTIGLJANO) hjcr als eine spezielle
Technik behandelt, den Arbeirssalz anzuwenden.
24.4 Verfahren auf der Basis der Formänderungsenergie 431
die zweiten Summanden, so dass sich diese vier Anteile aus der Beziehung herausheben, und es
verbleibt:
VI2F, =
. I
M/ßJ MIfiJ
I
EI
dz
Ein kleiner Trick führt zu ciner weiteren Vereinfachwlg und einer wichtigen Aussage: Die Kraft
F, wird durch eine Einheitslast "I" (dimensionslos) ersetzt, so dass auf der linken Seite nur
V,2 verbleibt. Dann musS auch MII» durch das Biegemoment ersetzt werden, das durch diese
Einbeitslast erzcugt wird. Dieses wird mit Mb bezeichnet:
"12 = j .MbMb'lJ
EI
dz
I
Die Verschiebung "12 ist dic "Verschiebung des Punktes I infolgc einer Kraft am Punkt 2", also
die Versclliebung an der Stelle der Einheitslast infolge der übrigen Belastung. Es ist klar, dass
dicse Aussagc auch gilt, wenn dic "übrigc" Bclastung nicht nur aus diescr cinen Kraft bestchcn
würde. Deshalb wird auf der linken Seite nur "I geschrieben, wenn auf der rechlen Seite MIfiJ
durch das Biegemoment Mb infolge aller Lasten (außer der Einheitslast) ersetzt wird:
Bei ausschließlicher Berücksichtigung von Biegeanteilen kann die Verschiebung "1 an emer
Stcllc I berechnct wcrdcn nach
MbMb
"I =
j
------eJ dz (24.26)
/
Darin ist Mb dcr Biegcmomcntcnverlauf infolge dcr (Original-)Bclastung des Systcms, Mb
der Biegemomentenverlauf infolge ausschließlicher Belastung durch eine (dimensionslose)
Einheitslast "I" an der Stelle I in Richtung der zu berechnenden Verschiebung.
Q Wie beim Satz von Castigliano ist eine Modifikation von 24.26 zur Berechnung eines Ver-
drehwinkels möglich: Anstellc ciner Einheitskraft wird an der imeressierendcn Stellc cin
(dimensionsloses) Einheitsmoment aufgebracht, mit dem der Biegemomentenverlauf Mb zu
berechnen ist.
Q Auch 24.26 kann sinngemäß erweiten werden, so dass Formänderungsenergien infolge an-
derer Scbnittgrößen berücksichtigt werden. Weil allerdings eine so elegante allgemeingülti-
ge Formulierung wie für den Satz von Castigliano mit 24.23 hier nicht möglich ist, wird
nachfolgend die Erweiterung von 24.26 auf alle inneren Kräfte angegeben, für die mit
den Formeln 24.11 bis 24.17 die Formänderungsenergien beschrieben werden (man erkennt
leicht, dass sich alle Anteile mit der gleichen Überlegung herleiten lassen, die hier für den
Biegeanteil demonstriert wurde):
Beispiel 3: I
I_"";_ _...1 Für den skIZzIerten Trä-
ger sollen die Absenkung VF des IF
Kraftangriffspunktes und die Horizon- F zJ 2 2
3
"3 3
talverschiebung Vc des Punktes C be-
i
F~
rechnet werden (Aufgabe ist identisch
I
mit Beispiel 2).
I
z1
I Z,---1
Gegeben: EI = konstant, F, a.
I
Die mittlere Skizze zeigt die Lagerre- I
F I
-
aktionen und die Koordinaten, auf die z,
sich die Biegemomentenverläufe für a
-3
..{' 3
Damit können die gesuchten Verschiebungen nach 24.26 aufgeschrieben werden. Die konstante
Biegesteifigkeit EI wird vor die Integrale gezogen:
2 Fa 3
3 EI
c:> Man erhält (selbstverständlich) die gleichen Ergebnisse wie bei der Berechnung nach dem
Satz von Castigliano. Aber auch die Integrale, die zu den Ergebnissen fUhren, sind identisch.
Auch wenn sich die beiden Strategien in der Begründung deutlich unterschieden, sieht man
doch die enge Verwandtschaft der bcidcn Verfahrcn, dic sich schon in den FOnllCln 24.24 und
24.26 zeigte: Die partielle Ableitung des Biegemoments nach einer Belastungsgröße, die in
den Schnittgrößen immer nur als linearer Faktor auftaucht, macht diese zur "Einheitslast I",
mit der das Biegemoment Mb erzeugt wird.
c:> Der Hinweis für die Anwendung des Arbeitssatzes und des Satzes von Castigliano, dass die
Wahl der Koordinaten und die damit verbundene Festlegung positiver Schnittgrößen bedeu-
lllngsJos ist, weil letztere in den Formeln der Formänderungsenergie quadratisch auftreten,
gilt mit einer kleinen Einschränkung auch für das Arbeiten mit Einheitslasten: Die Festle-
gung kann FLir jeden Integrationsbereich beliebig erfolgen, muss jedoch für das Aufschreiben
der Schnlttgrößen für die Originalbelasmng wld der Schnlttgrößen fllr die EinJleitslast gleich
sein.
24.4 Verfahren auf der Basis der Formänderungsenergie 433
Die beiden sich aus dem Arbeitssatz ableitenden Strategien zur Berechnung von Verformun-
gen (Satz von Castigliano und das Arbeiten mit Einheitslasten) sind nicht nur verwandt,
sondern beinahe identisch. Persönliche Präferenzen mögen entscheiden, ob man lieber die
Schnittgrößen einmal berechnet und dann formal partielle Ableitungen bildet oder ob man
zwei Schnittgrößenverläufe (aus Originalbelastung und aus Einheitsbelastung) ermittelt. Die
Verfahren können deshalb einheitlich bewertet werden:
• Die Verfahren sind für dic Bcrechnnng von Verformungen an einzelncn spezicllen Punk-
ten außerordentlich effizient. Der Anwender kann frei entscheiden, welche Einftlisse be-
rücksichtigt werden sollen (z. B.: Biegung mit oder ohne Erfassung der Querkraftanteile
odcr spezicll bei Rahmcn Bcrücksichtigung oder Vcrnachlässigung dcr Normalkraft).
• Der (vermeintliche) Nachteil (z. B. im Vergleich mit der Verformungsberechnung nuttels
Differenzialgleichung der Biegelinie), dass man die Verformung nur an speziellen Punk-
ten erhält. ist (wegen der damit verbundenen Beschränkung des Aufwands) häufig als
Vorteil zu sehen, wenn (wie für die Behandlung statisch unbestimmter Probleme) ohne-
hin nur diese Ergebnisse gefragt sind.
• Die für die Berechnung zu lösenden bestimmten Integrale enthalten (bei zunlindest stück-
weisc konstantcr Bicgcstcifigkcit) nur Funktionen, die problemlos sogar per "Handrcch-
nung" zu behandeln sind.
• Die Universalität der Anwendbarkeit drückt sich besonders in der eleganten Formulierung
des Satzes von Castigliano 24.23 aus. Diese Fornleln gelten auch flir linear-eLastische
Bauteile, die hier nicht behandelt werden (Platten, Schalen, ... ). Aber natürlich ist auch
eine Erweiterung von 24.27 möglich.
Aus den genannten Grlinden wurden in der Vcrgangcnheit die etwas aufwendigeren struktur-
mechanischen Probleme (Fachwerke, statisch unbestimmte Durchlaufträger, biegesteife Rah-
men, Bauteile mit gemischter Belastung, ...) vornehmlich mit diesen Verfahren gelöst. Das
ist (zumindcst in der technischen Praxis) vorbei. Wenn ein Computerprogramm verfügbar ist,
das für beliebig komplizierte Strukturen alle hier beschriebenen Einflüsse exakt erfasst. dann
kann die Handrechnung natürlich nicht konkurrieren.
Solche Programme sind verfügbar. Das heißt nicht, dass die _"'_1""'".:0·
Verfahren damit überflüssig sind. Für spezielle Probleme ist
ihre Anwendung immer noch sinnvoll, deshalb werden in 's:J' :-;. ;.... 1·
den beiden folgenden Abschnitten auch noch einige Beispie-
le behandelt. Außerordentlich nützlich können die Verfahren
auch zur Verifizierung von Ergebnissen der Computerrech-
nung sein.
Aber: Das Trainieren der Handrechnung mit speziellen Hilfs-
mitteln (Rechenschemata, Algorithmenblättern) ist nicht
mehr zeitgemäß. Und auch die früher sehr bclicbten "Kop-
peltafeln" zur Auswertung der Integrale haben ausgedient,
denn für die Probleme, flir die die Verfahren heute noch an-
gewcndet werden, helfen sie meistens ohnehin nicht. und In-
Abbildung 24.11: .,Koppelta-
tegrale sind ja selbst für Taschenrechner kein Problem mehr.
fein" haben ausgedient
434 24 Fonnänderungsenergie
Bei der Berechnung statisch bestimmter Probleme sollten folgende Hinweise beachtet werden:
0::> Beim Verfahren von Castigliano ist konsequent auf alle Abhängigkeiten von der Belastungs-
größe, nach der abgeleitet wird. zu achten. Insbesondere sollten die Lagerreaktionen, die
natürlich auch von der Belastuogsgröße abhängen, (bei statisch bestimmten Systemen) vor
der Bildung der partiellen Ableitung ersetzt werden. Für statisch unbestimmte Systeme kann
diese Aussage etwas abgeschwächt werden (vgl. folgenden Abschnitt).
oe;> Die Bezeichnung der Belastungsgröße. nach der beim Verfahren von Castigliano abgelei-
tet wird, muss eindeutig sein. Wenn z. B. in der AufgabensteIlung mehrere Kräfte mit F
bezeichnet sind, ist die Kraft, an deren Angriffspunkt eine Verformung berechnet werden
soll, (vor dem Ermitteln von Lagerreaktionen, Schnittgrößen, ...) umzubenennen. Dies darf
nach der partiellen Ableitung und damit vor der Integration rückgängig gemacht werden. Bei
Nichtbeachtung dieses Hinweises ist das Ergebnis die Summe aller Verformungen unter den
Belastungen mit gleichen Bezeichnungen, was im Ausnahmefall allerdings sogar sinnvoll
sein kann. Die Beachtung dieses Hinweises kann auch beim Arbeiten mit Einbe.itslasten den
Aufwand für das Aufschreiben der unterschiedlichen Schningrößenverläufe verringern.
Beispiel 1:I
I_....;_ _.... EIIl III der HOflzontalebene zweIfach abgewlll-
kelter Träger mit Kreisquerschnitt (Dw'chmesser cl) ist in allen
drei Abschnitten aus gleichem Material mit dem Elastizitäts-
modul E und dem Gleitmodul C gefertigt.
Gegeben: F, E, C, a. b, c, cl.
Unter Vernachlässigung des Querkrafteinftusses sollen fol-
gende Verformungsgrößen bestimmt werden:
a) Vertikalverschiebung VF des Kraftangriffspunktes am freien Trägerende,
b) VerdrehwinkeJ qJFz um die zl-Achse am freien Trägerende.
• Berechnen der Verformungen nach 24.23 unter Ausnutzung von 24.24 (Castigliano) bzw.
24.27 (Arbeiten mit Einheitslasten), wobei die Integration jeweils über alle drei Bereiche zu
erstrecken ist. Die Rechnung ist flir beide Verfahren identisch. Um dies zu demonstrieren,
wird die Formel für VF nach der Vorschrift von Castigliano aufgeschrieben, die Formel flir
([IFz nach der Vorschrift des Einheitslastverfahrens.
Die nachfolgende Tabelle enthält die Schnittgrößenverläufe Mb; und M,; flir die drei Abschnitte
und die für die Verfonnungsberechnungen nach Castigliano benötigten partiellen Ableitungen
nach F I und MHz, die mit den Mb; bzw. M,; (für das Einheitslastverfahren) identisch sind (die
in Klammem bocbgestellten Indizes bei Mb; bzw. M,; deuten an, ob diese Schnittgrößen flir die
Berechnung von VF oder ([IFz vorgesehen sind).
Vor der Integration dürfen F I = F und MHz = 0 gesetzt werden. Man errechnet:
436 24 Fonnänderungsenergie
Beispiel 2: I
I_ _ _.....I Fur die skIZZierte B,egefeder mit etnem
Rechteckquerschnitt konstanter Höhe ( bei linear ver- KA
-///
änderlicher Breite soll die Absenkung des Kraftan- o ~ Z
griffspunktes berechnet werden.
Gegeben: (, bo, bl , I, F, E. 1I2
1 [ l/2 j.ol
.0, C::=========J~
Mit dem Biegemomemenverlauf für die linke Symmetriehälfte (bezüglich der skizzierten Ko-
ordinate z) und seiner partiellen Ableitung nach F bzw. dem Mb infolge einer Einheitslast in
Trägermitte
v = 2
F
J EI(z)
~
Mb(Z) ()Mb(Z) d = 2
()F Z
J EI(z)
~
Mb(Z) M ( ) d
bZ Z
z=o Z=O
' 6FIJ'
I I
J % [bo+2(b,-boJil
IFz I Z2
=2 _l '2 - z dz = - -3 dz
,=0 2 Et ,=0 Ibo+2(b, -bolz
Die verändcrliche Biegesteifigkeit führt auf ein lntegral, dessen Lösung elwas mehr Mühe berei-
tet. In diesem Fall findet man die Lösung recht problemlos:
3F 13 2 . ß =b,-
VF = 8Et3bo(ß _1)3 (ß -4ß +3+2Inß) mit
bo
L-:> Die Lösung gilt für jedes sinnvolle Breitenverhältnis ß. Typisch für solche Probleme mit
veränderlichem Querschnitt ist jedoch, dass bei ß = I (Träger konstanter Breite) gerade für
den einfachsten Spezialfall, mit dem man die Lösung gem kontrollieren würde, die Formel
versagt. Eine Grenzwertbetrachtung entsprechend
durchgeführt nach der aus der Mathematik bekannten Regel von OE L' HOSPITAL, liefert im
dritten Versuch das Ergebnis, das als Fall a* im Abschnitt 17.4 angegeben ist:
F t3 F 13 bO,3
vr(ß = I) = 4Et3bo 48Elo mit 10 = 12
24.6 SLatisch unbeslimmLe Probleme 437
Systeme sind statisch unbestimmt gelagert, wenn man allein mit den GJeichgewichtsbedingungen
die Lagerreaktionen (und damit die Schnittgrößen) nicht berechnen kann. In den Kapiteln 14
bis 21 wurde gezeigt, wie mit Verformungsbetrachtungen auch solche Probleme gelöst werden
können (zusätzliche Lager gestatten immer zusätzliche Verformungsaussagen).
Da mit den Verfanren auf der Basis der Formänderungsenergie die Verformungen an einzelnen
Punkten sehr effektiv berechnet werden können, eignen sich diese Verfahren in besonderem Ma-
ße für die Berechnung statisch unbestimmter Systeme. Das nachfolgende Beispiel demonstriert
das typische Vorgehen im einfachsten Fall: Das "überzählige" Lager B wird durch eine Kraft
(Lagerlaaft FB) ersetzt. Dann kann man die Verschiebung des Kraftangriffspunktes VB berecn-
nen. Da aber an dieser Stelle gerade keine Verschiebung auftreten kann, liefert die Bedingung
VB = 0 eine Bestimmungsgleichung tür die gesuchte Lagerkraft.
Beispiel J ..I
I_....;_ _.... Für das skIZZIerte System mit konstanter BIegesteifigkeit sol-
len die Lagerreaktionen bei A und 8 sowie die Horizontalverschiebung VH
und die Vertikalversehiebung VF des Kraftangriffspunktes ermittelt werden
(Normallkraft- und Querkraftanteile dürfen vernachlässigt werden).
Gegeben: EI = konstant, F, a.
Das System ist einfach statisch unbestimmt. Als "Statisch Unbestimmte" wird
die Lagerkraft F8 gewählt. Dann dürfen die übrigen Lagerreaktionen in den
Biegcmomcnrenverläufen nicht vorkommen.
Da auch die Horizontalverschiebung des Kraftangriffspunktes gesucht ist, wird dort die Hilfskraft
FH angebracht3 Die Verschiebungen in Richtung der Kräfte F, FH und F8 werden dann mit Hilfe
der partiellen Ableitungen der Formänderungsenergie des Gesamtsystems nach diesen Kräften
(Verfahren von Castigliano) berechnet, wobei die Verschiebung am Lager B verhindert ist, so
dass diese "Verschiebungsgleichung" zur Bestimmungsgleichung für die Lagerkraft wird.
310 den Abschnüten 24.4 und 24.5 wurde gezeigt dass das Verfahren von Castigliano und das Eioheilslaslverfahren
hinsichtlich StraIegie und Aufwand identisch sind. Deshalb wird in diesem und den folgenden Beispielen nur noch
ein Verfahren (Casligliano) demonstriert. Wer lieber zusätz.liche Schningrößenvertäufe (in folge von Einheitslasten)
formuliert als partielle Ableiwngen bildet. solltc das Ei,nheitslastverfalu·cn verwenden. Schon die Tabelle. in der dje
Schningrößen und ihre partiellen AbleilUngen ZU!'l3mmenge!)teltt werden. bt rur beide Verfahren idenljsch.
438 24 Fonnänderungsenergie
Die Hilfskraft FII darf wieder Null gesetzt werden, und die Lagerkraft 1;8 wird berechnet:
vn=~W;=~{
aFn EI.
J2"FnZ~dZ2+ [" [Fn(2a+Z 3 )-Fa](2a+Z3 )dZ3 } =0 =} Fn=~F.
18
::2=0 <;3=0
LL Fz~ \L
Entsprechend berechnen sich die gesuchten Verschiebungen:
()F/i EI . 54 EI
<=3=0
Das Minuszeichen im Ergebnis für VII deutet an, dass sich der Punkt entgegen der willkürlichen
Annahme des Richtungssülns für die Hilfskraft FII nach links verschiebt.
Die noch fehlcnden Lagcrreaktionen bci A wcrdcn aus Gleichgcwichtsbedingungen ermittelt:
5 J
FAH=-FB=--F FAV=F M A =Fa- Fn 3a =-Fa
18 6
oe:> Dem Leser, der dieses Beispiel aufmerksam durchgearbeitet hat, wird aufgefallen sein, dass
für die Verschiebungsberechnung z. B. die Ableitungen der Momentenverläufe nach F ge-
bildet wurden, ohne die Abhängigkeit der darin noch vorkommenden Lagerreaktion Fn von
F zu berücksicht.igen. Dics ist erlaubt, obwohl bei dicsen Abhängigkeitcn
W; = J(F, FB(F» = J'(F)
die Ableitung nach F eigentlich entsprechend
dJ* ()J ()J dFn
-
dF
=()F
-+ --
()F dF
B
berechnet werden müsste. Weil der erste Faktor des zweiten Anteils (Ableitung nach der
"Statisch Unbestimmten") Null wird, gilt aber:
Die beim Verfahren von Castigliano benötigten Ableitungen der Schnittgrößenverläufe nach
Belastungsgrößen (dazu zählen auch die Hilfskräfte bzw. -momente) dürfen bei statiscb un-
bestimmten Aufgaben gebildet werden, ohnc die Abhängigkeit der "Statisch Unbestimmten"
von den Belastungsgrößen zu berücksichtigen.
Diese Aussage gilt nur für die gewählten .,Statisch Unbestimmten" (ihre Anzahl muss dem
Grad der statischen Unbestimmtheit entsprechen). nicht z. ß. für die übrigen Lagerreaktionen.
die vorab aus den Schnittgrößenverläufen (wie bei statisch bestimmten Problemen) eliminiert
wcrden sollten.
Im folgenden Beispiel wird eine Aussage genutzt, die im Abschnitt 24.5 den Anlass zu der Emp-
fehlung gab, Bclastungsgrößen, nach denen für eine Verformungsberechnung partiell abgeleitet
werden soll, eindeutig zu bezeichnen, denn .,wenn die Formänderungsenergie nach einer Be-
lastullgsgröße abgeleitet wird, die mehrfach im System vorkommt, erhält man die SUlllme aller
Verformungen der Angriffspunkte". Für einen Spezialfall ist dies sinnvoll:
24.6 SLatisch unbeslimmLe Probleme 439
Ein System sei (unter anderem) durch zwei gleich große, auf gleicher Wirkungslinie liegen-
de, aber entgegengesetzt gerichtete Kräfte F belastet. Dann liefert die partielle Ableitung der
Formänderungsenergie nach F die relative Verschiebung der beiden Kraftangriffspunkte (Ver-
ringerung bzw. Vergrößerung ihres Abstandes).
I
Beispiel 2:
I_ _ _ _.... Für den SkIzzIerten Rahmen, der 10 allen Tellcn die
3a
gleiche Biegesteifigkeit hat, soll die relative Verschiebung der j I
bei den Kraftangriffspunkte berechnet werden (Normalkraft- und c:l c:l
F F
Querkrafteinftüsse sind zu vernachlässigen). I
j I
c:l
Gegeben: EI = konstant, F, a. c:l I
N
B
Das System ist einfach statisch unbestimmt, als "Statisch Unbe-
stimmte" wird die Horizontalkomponcmc FAH der Lagerkraft bei A
A gewählt. Dann dürfen die anderen Lagerkräfte in den Momen-
tenverläufen nicht vorkommen.
Da es beim Aufschreiben der MvVerläufe bequemer ist, zunächst auch FAV und FBH einfließen zu
lassen, werden diese über zwei Gleichgewichlsbedingungen am Gesamtsystem durcb FAH ersetzt.
Horizontales Kraft-Gleichgewicht und Momenten-Gleichgewicht um den Punkt B liefern:
I
FBH = FAH FAV = ;;/AH
Diese Beziehungen wären nicht so einfach, wenn man die Kräfte (ftir die Verschiebungsberech-
nung eines Kraftangriffspunktes) unterschiedlich bezeichnet bätte, weil sic dann aus den Gleich-
gewichtsbedingungen nicht mehr herausgefallen wären.
Die folgende Tabelle emhält die Momentenverläufe ftir die fünf Bereiche, die nur noch Fund
die "Statisch Unbestimmte" FAH enthalten.
_2 3
JM bi JMhi
i Mbi
JFA/i JF 2 2• 124
I FM/ZI 0 F F
ZI
2 FMI(2a+zz)+ Fzz 2a+Z2 Zz 25,
I-
FaH
3 FAH 3a+ F a ~ iFAH Z3 3a-h a
,2, Fav
4 FAH (a + 4) + F 4 a+4 F'"H
4
5 FAHZ S Zs 0 IFAV
Es wird zunächst die Lagerkraft berechnet, anschließend die gesuchte relative Verschiebung:
=;. -
I ~
i...
JI; JMhi
Mhi --dZi = 0 =;. FAll = - - F
29
EI H JFAH 92
::,-=0
I·
3
V_ - JWi _ ,.!.., ~ J' M . JMbi d . _ 57 Fa
f."/ - JF - EI i... h, JF z, - 92 EI
1=I::i=O
440 24 Fonnänderungsenergie
oe:> Die wesentlich mühsamere Berechnung der beiden Verschiebungen der Kraftangriffspunkte
liefert
259 Fa3 22 Fa 3
VF.U"h = 276 B VF.ree"'s = - 69 B
wobei das Minuszeichen bei VF"'cc!lIs anzeigt, dass die Verschiebung entgegen dem Rich-
tungssinn der rechten Kraft F erfolgt (bcide Kraftangriffspunkte verschieben sich also nach
rechts). Der errechnete Wert VF.rel ist die Summe dieser bei den Verschiebungen (und damit
die Verkürzung des Abstands der beiden Kraftangriffspunkte).
':> Die Wahl von FAll als "Statisch Unbestimmte" im Beispiel 2 war willkürlich. In diesem
PaU hätte auch jede andere Lagen'caktion gewählt wcrden dürfen, wciJ kcine von iJ1I1en aus
statischen Gleichgewichtsbedingungen allein zu berechnen ist. Genau diese Voraussetzung
muss allerdings erfüllt sein:
Dies sind die drei Bestimmungsgleichungen für die drei "Statisch Unbestimmten". Es sind in-
nere Kräfte bzw. Momente, die dafür (unter der Voraussetzung, nicht allein durch statisches
Gleichgewicht berechenbar zu sein) genauso gewählt werden dürfen wie Lagerreaktionen und
aus Gleichungen berechnet werden, wie sie auch fiir die Bestimmung statisch unbestimmter La-
gerreaktionen aufgestellt wurden. Man darf sich vom Zwang zur Anschaulichkeit ("verhinderte
Verschiebung") lösen und ganz allgemein formulieren:
I
Beispiel 3: I
Für das skizzierte Fachwerk sind die Stabkräfte 3
zu ermitteln. Alle Stäbe haben den gleichen Querschnitt und
sind aus dem gleichen Material gefertigt.
Gegeben: F, a.
Wenn die Stäbe I und 3 jeweils als einwertige Lager angese-
hen werden, verbleiben 6 Stabkräfte und 4 Lagerreaktionen (2 <:l
N
Komponenten am unteren Festlager und die beiden Stabkräf-
te in den Stäben I und 3) für insgesamt 8 Gleichgewichts-
bedingungen an 4 Knoten. Das Fachwerk ist zweifach sta-
a a a
tisch unbestimmt. Es ist sowohl äußerlich (4 Lagerreaktionen)
als auch innerlich statisch unbestimmt (selbst bei bekannten
Abbildung 24.16: Fachwerk, in-
Lagerreaktionen könnten die Stabkräfte nicht aus Gleichge-
nerlich und äußerlich statisch un·
wichtsbedingungen allein berechnet werden). bestimmt.
Es werden (willkürlich) die Stabkräfte FS 1 und Fss als "Statisch Unbestimmte" gewählt. Dabei
ist es unerheblich, ob FS1 als Lagerkraft des Festlagers ("verhinderte Verschiebung") oder als
Stabkraft aufgefasst wird, in jedem Fall muss 24.28 für beide Stabkräfte gelten. Darin ist W; die
gesamte Formänderungsenergie in den 8 Stäben des Fachwerks, flir die Formel 24.17 gilt.
442 24 Fonnänderungsenergie
Mit den Stablängen '; errechnet sich W; aus der Summe der in allen
Stäben gespeicberten Energien:
s 1'"2,
'" Si i
Wi = t..---
i=1 2EA
Damit werden die beiden Bestimmungsgleichungen 24.28 rur FSI
und Fss formuliert:
dWi = _1_
dFsl EA i~1
t
Fs; dFs i li = 0
dFsl
dWi = _1_
dFss EA i~1
t
FSi dFsi li = 0
dFss
Abbildung 24.17: Staliscb
bestimmtes Fachwerk
Alle Stabkräftc müsscn (vor dcm Bilden der partiellen Ablcitungen) als Funktioncn der Kraft
F und der beiden "Statisch Unbestimmten" FSI und Fss aufgeschricben werden. Dies gelingt
an dem in Abbildung 24.17 skizzierten statisch bestimmten Fachwerk (Stäbe I und 8 wurden
durch dic Stabkräftc crsetzt) nach den Verfahren des Abschnitts 6.4. Das Ergebnis sicht man in
der dritten Spalte der nachfolgenden Tabelle.
'i
dFsi dFsi
i FS i = J(F. FSI ,Fss) FS i
dFsl dFs s
I a FS I I 0 -0,04301 F
2
2 2a 3Fs l + ~Fss 3
7iO
-0,17886F
3 a -31'SI -3 0 0,12903F
4 !1Oa !1OFs l +Fss !10 I -0,21480F
5 V2a -3V2Fs1 -lFss -3V2
,
-75 0,28818F
!5
6 2a -F - 6 FSI - --!L Fss -6 6 -0, 59245 F
VfO -VfO
-3V2Fsl- l/5Fss
)
7 V2a -3V2 - /5 0,28818F
Mit den partiellen Ableitungen liefert das Einsetzen in die Bestimlllungsgleichungen für FS I und
Fss zwei lineare Gleichungcn, aus denen die beiden Unbekannten berechnet werden:
FSI = -0,04301 F Fss = -0,07878 F
Mit Hilfe der Formeln in der Spalte 3 der oben angegebenen Tabelle lassen sich die übrigen
Stabkrärte ermitteln. Die Ergebnisse sind in Spalte 6 der Tabelle zu finden.
oe;> Am Ende dieses wichtigen Kapitels über die Formänderungsenergie sind zur richtigen Ein-
ordnung des behandelten Stoffs einige ergänzende Bemerkungen angebracht: Energiemelho-
den sind die Basis fast aller modemen Berechnungsverfahren der Technischen Mechanik.
24.7 Aufgaben 443
FS2 = -0.1788608
für die lineare Biegetheorie oder die Fachwerkbe- FS3=0.12903383
rechnung) bedenkenlos angewendet werden darf FS4 • -0.214797
(exakte Ergebnisse im Rahmen der verwendeten FS5 • 0.2881805
FS6' -0.5924512
Theorie), kann ein ,.noch so elegantes Verfahren",
FS7·0.2861805
wie es die in diesem Kapitel vorgestellten Ver- FS8' ·0.0787834
fahren zweifelsfrei sind, nicht konkurrieren. Die
Autoren dieses Buches gestehen, sämtliche Auf-
gaben dieses Kapitels "vorsichtshalber" mit einem Abbildung 24.18: Beispiel 3...vorsicb.ls-
Finite-Elemente-Programm nachgerechnet zu ha- halber" nachgerechnet mit dem Angebot
ben (siehe z. B. Abbildung 24.18). unter www.TM-interaktiv.de
24.7 Aufgaben
I Aufgabe 24.1: I
Gegeben:
EI, I. F, M, q.
\, 1"II,I,I"q d) /I~==IF===J
_L
Gesucht: Lagerkraft FB. ...D..... ' EI B...D.....
_B
-1_ l L
Aufgabe 24.2:
I_.;",;
I
-" Für den skIZZIerten Träger smd alle Lagerre-
aktionen und die Verschiebung des Lagers B zu berechnen.
Gegeben: EI, I. q.
Aufgabe 24.3: I
I_ _ _ _ _.... Es smd d,e Absenkungen VI und "2 an den
Punkten CD lind ~ und der Biegewinkel bei ~ zu berechnen.
Gegeben: EI, I, q.
444 24 Fonnänderungsenergie
, b,
I Aufgabe 24.4: I
Für einen Kragträger mit konstanter Hö-
,
I
Aufgabe 24.5: I
Für das skizzierte (statisch unbestimm-
d
I
tc) Fachwerk sind sämtliche Stabkräfte zu berechnen. Die
Dehnsteifigkeit EA ist für alle Stäbe gleich.
Gegeben: F, a, EA.
2a
--a-- a -- 2a
Aufgabe 24.6: I
I_ _ _ _ _..... Für das System aus zwei Stäben und einer Fe-
[/2 [/2
I
Aufgabe 24.7: I
Flir den skizzierten Halbrahmen mit
F
~..o-~I\I\
C F
Von den im Abschnitt 22.1 vorgestellten Modellen der Festigkeitsberechnung sind bisher aus-
schließlich die "eindimensionalen Modelle" behandelt worden. In diesem Kapitel werden mit
ausgewählten rotationssymmetrischen Berechnungsmodellen einige (einfache, aber flir die Pra-
xis wichtige) Probleme behandelt, die sich nicht eindimensional idealisieren lassen.
Die Spannungen werden durch Multiplikation mit den Schnittflächen und die Volumenlast durch
Multiplikation mit dem (angenäherten) Elementvolumen zu Kräften, die am Element eine Gleich-
gewichtsgruppe bilden müssen:
Die Spannungsberechnung für Flächentragwerke ist (bis auf ganz wenige Ausnahmen) stets
mit einer Verformungsbetrachtung gekoppelt Diese Aussage gilt (im Gegensatz z. B. zu Bie-
geträgern) unabhängig von der Lagerung: Flächenrragwerke sind" innerlich statisch ul1be-
stimmt" (vgl. die Erläuterung dieses Begriffs für Biegeträger auf Seite 440).
EI =
(I' + LI )!HP - rtJ.q> =-
LI
rtJ.q> r
Diese Beziehung wird nach LI = re, umgestellt und in die Formel für e, eingesetzt, so dass ein
Zusammenhang zwischen den beiden Dehnungen entsteht:
d de,
e, = -dr (re,) = e, +r-
dr
Ersetzt man in dieser Beziehung die Dehnungen nach dem Hookesehen Gesetz
I I
e, = E(a, - va, ) e, = E (a, - va,) (25.1)
(vgl. FomJeln 22.9) durch die Spannungen, ergibt sieh eine zweite Gleichung fUr a, und a,. Die
bei den Spannungen können also berechnet werden aus den beiden
~
I +v
(da,dr _~v da,)
dr
+0-,-0-, =0
(25.2)
r
Radialverschiebung: u = re, = E (0-, - v 0-,) (25.3)
<> Die Gleichungen 25.2 sind zwei gewöhnliche lineare gekoppelte Differenzialgleichungen
mit veränderlichen Koeffizienten. Ihre allgemeine Lösung enthält zwei Integrationskonstan-
ten, die aus Randbedingungen bestimmt werden müssen. Weil dafür auch Aussagen über die
RadialverSChiebung LI gemacht werden können. wurden die Differenzialgleichungen 25.2
um die Formel 25.3 ergänzt.
Die Aussagen über die Spannung 0-, und/oder die Radialverschiebung LI mUssen am Innen-
und Außenrand der Kreisringscheibe formuliert werden (Aussagen über 0-, sind nicht mög-
lich, weil diese Spannung an keiner freien Fläche liegen kann). Bei einer Vollscheibe, die
keinen Innenrand hat, wird die fehlende zweite Randbedingung durch die Aussage ersetzt,
dass der Verschiebungszustand keine Singularität aufweisen darf. die sich in diesem Fall fUr
I' = 0 ergeben wUrdc, und nur vermieden werden kann, wenn eine lntegrationskonstante den
Wert 0 annimmt (vgl. die Lösung rur die Scheibe konstanter Dicke 25.6 auf Seite 449, die
nur für C2 = 0 sinnvolle Werte liefern kann).
<> Die allgemeine Lösung von 25.2 kann nur für wenige spezielle Funktionen 1(1'), die die Ver-
änderlichkeit der Scheibendicke bestimmen, berechnet werden (es gelingt z. B. für die recht
wichtigen "hyperbolischcn Profilc" mit 1= ;'!c bci bclicbigem c und beliebigem Il). FUr alle
denkbaren Funktionen I(r) bieten sich natUrlieh numerische Methoden als Lösungsverfah-
ren an (z. B. das Differenzenverfahren, weil die Differenzialgleichungen linear sind). FUr
Scheiben konstanter Dicke wird im folgenden Beispiel die geschlossene Lösung ermittelt.
448 25 Rotationssymmetrische Modelle
Beispiel J: I
I_"";_ _...1 Für eine mtt konstanter Winkeigeschwllldtgkett w
umlaufende Kreisscheibe konstanter Dicke 10 sollen die allgemeine
Lösung der Differenzialgleichungen 25.2 und die Radialverschie-
bung u(r) nach 25.3 bereitgestellt werden.
Gegeben: W, 10 = konstant, Dichte p.
Die an einer rotierenden Masse auftretenden Fliehkräfte berechnen
sich aus dem Produkt der Masse, ihrem Abstand vom Drehpunkt
und dem Quadrat der Winkelgeschwindigkeit (vgl. Abschnitt 29.2).
An dem Volumenelement dV der Scheibe mit der Masse dl1l = PdV
im Abstand I' von der Drehachse der Welle wirkt demnach
J dV 2
= dl1lrw = rw pdV
2 f= rpw 2
Dies wiJ'd in die erste Differenzialgleichung 25.2 eingesetzt, aus der sich außerdem die konstante
Dicke herauskürzt. Sie wird nach <>I aufgelöst. und
d<>, 2 2
<>I =rd;+<>,+r pw (25.4)
eine lineare Differenzialgleichung 2. Ordnung mit variablen Koeffizienten für die Radialspan-
nung <>,. Differenzialgleichungen des Typs 25.5 heißen Eulersche Differenzialgleichungen (als
Koeffizient steht bei der k-ten Ableitung eine Potenz der unabhängigen Variablen mit dem glei-
chen Exponenten k). die sich fUr verschiedene Probleme der Technischen Mechanik ergeben.
Die allgemeine Lösung der inhomogenen Differenzialgleichung' setzt sich entsprechend
I Leser, die mit der Theorie der Lösung von Differenzialgleichungen noch nicht vertraut sind. dürfen die folgenden Pas-
sagen bis zum ErgebnL" 25.6 ohne Einbuße des Verständnisses .. überlesen". Für aUe Jnteressiencn wird die lntemet-
Ergänzung zum Thema .,GewÖhnliche Differenzialgleichungen" hilfreich sein, auf die auf Seite 314 verwiesen wird.
25.1 Rotationssymmelrische Scheiben 449
die inhomogene Differenzialgleichung erfüllt und damit als Partikulärlösung verwendet wer-
den kann (man findet diese Partikulärlösung, indem man z. B. mit dem naheliegenden Ansatz
rJ"PW"1. = A? in die Differenzialgleichung hineingeht und den Parameter A bestimmt).
Damit kann dic allgemeine Lösung von 25.5 aufgeschrieben werden. Sie wird in 25.4 und 25.3
eingesetzt, und man erhält den
C2 1+ 3 v 2 7
rJ, =Cl - r 2 - -S-pW r (25.6)
r [ C2
U="E Cl(l-v)- r 2 (I+V)--S-pw r
I ~V2 2 2]
Die allgemeine Lösung 25.6 lllUSS noch den Randbedingungen des aktuellen Problems angepasst
werden (Bestimmung der [ntegrationskonstanten Cl und C2 , vgl. nachfolgendes Beispiel).
I_"";_ I
Beispiel 2:
_...1 ElI1e mit der WlI1kelgeschwll1dlgkelt w rotierende
Krcisscheibe konstanter Dicke /0 ist auf eiJle statTe Nabe aufge-
klebt. Es soll untersucht werden, mit welcher Winkelgeschwindig- statT
keit wmax die Scheibe umlaufen darf, so dass in der Klebeverbin-
dung eine zulässige Spannung rJ"" nicbt überschritten wird, und
welche Spannungsverteilungen rJ, und rJ, und Radialverschiebung Klebe-
sich bei dieser Winkelgeschwindigkeit in der Scheibe einstellen. verbindung
Gegeben:
'-'
r·I = 10cm ri = 5
., !:JL .' rJ-....u 1= SON/mm 2
p =7,S5g/em 3 ; v =0,3; E= 2, 1.105 N/mm 2 .
Die gesuchte maximale Winkelgeschwindigkeit, bei der in der Klebefuge die zulässige Spannung
nicht überschritten wird, ergibt sich aus der Grenzbedingung
(JAr = ri) = Gzu{
Man elTechnet
p(r~-7) [(3+V)~+I-V]
~:
die grafische Darstellung 80 " ....
der Spannungen und der
.. ' ,.
\!
Radialverschiebung. Es
ist ZU erkennen, dass
0,04
. , . . :
60
die Randbedingungen
und die Grenzbedingung
~
fur die RadialspannuJ1g
t/~
40
erflillt siJ1d. 0,02 : "
.'
.;" - .
Die größte Radialspan-
"."
\
, , ,
einem Radius zwischen Abbildung 25.5: Spannungen und Verschiebungen in einer rotationssym~
217 und 218mm. metrischen Scheibe konstanter Dicke unter Fliehkraftbelastung
Die im Abschnitt 25.1 flir die rotationssymmetrischen Scheiben entwickelte allgemeine Lösung
wird (ZUIll Tcil mil geringfügiger Modifikation) auf einc Reihc praktischer Problcmc angewcndct,
von denen hier zwei vorgestellt werden sollen.
Das Aufschrumpfen einer Scheibe auf eine Welle oder Hülse kann flir die Scheibe konstanter
Dicke ulUniuelbar auf der Basis der Formeln 25.6 behandelt werden. Der Innenradius der Scheibe
wird mit einem Untermaß!J.r gefcrtigt. Im einfachsten Fall (Beispiel I) wird angenommen, dass
die Scheibe aufgeweitet und auf die als starr angenommene Welle gezogen wird (praktische
Realisierung: Erwärmen der Scheibe, Aufbringen auf die Welle, bei der AbkühJung entspricht
die Verhinderung des Zusammenziehens auf das Fertigungsmaß der Aufweitung um !J.r).
25.2 Spezielle Anwendungsbeispiele 451
Beispiel]: I
I_"";_ _...1 EIne KreIsscheibe konstanter DIcke wIrd an Ihrem
[nnenrand um den Betrag ßr aufgeweitet. Der Verformungs- und
r.
Spannungszustand u(r), <Y,(r) und <Y,(r) und die Vergleichsspan- ~
nung nach der Gestaltänderungshypothese sollen berechnet werden.
Gcgeben: ra = 3ri = 300mm , v = 0,3
E = 2, 1.105 N/mm Z ; M = 0,001 ri .
starr
Die Gleichungen 25.6 mit w = 0 müssen den Randbedingungen
<Y,(r = ra) = 0 u(r = ri) = M
angepasst werden. Daraus errechnen sich die Integrationskonstanten
Cz
C, = - - Cz = -
ME r; r?
-,--,---,;-,-~-,.---:-
r~ (l-v)1+(I+v)r~
mit denen die gesuchten Funktionen aufgeschrieben werden können:
<Yr-
() ßr E ri (r~
1-- )
, - (l-v)"l+(I+v)r~ rZ
()
<Y"-
ßr E ri (r~
1+-Z )
, - (l~v)"f+(I+v)r~ r
u(r) = (
I - v ri
)~r"i(r
+ I + v )z(I-V+(I+V)r~)
r ,.
a
Die Vergleichsspannung nach der Gestaltänderungshypothese ergibt sich für den ebenen Span-
nungszustand (ohne Schubspannung, <Y, und <Y, sind Hauptspannungen) nach 22.36 zu
oe:> Mit der Annahme einer starren Welle wie im Beispiel I liegt man hinsichtlich der errech-
neten Spannungen in dcr Scheibe auf dcr sicheren Seite. Andererseits sind die Radialspan-
nungen am Innenrand erwünscht, weil durch sie die Scheibe auf die Welle gepresst wird.
Da sich diese Radialspannungcn bci Rotation von Wellc und Schcibe verringern (durch die
Zentrifugalkräfte werden die Scheibenpunkte und damit auch der Innenrand nach außen ver-
schoben), ist für diesen Fall eine Berechnung unter zumindest angenäherter Erfassung der
Elastizität der WeJle sinnvoll.
Eine übliche Näherung basiert auf der Idee. eine Scheibe der Welle mit der gleichen Breite
wie die aufzusch.rumpfende Scheibe in die Rechnung einzubeziehen, so dass "eine ringför-
mige Scheibe der Breite '0 auf eine Voll scheibe der Breite '0 aufgebracht wird" (wird im
Beispiel 2 demonstriert),
I_"";_ I
Beispiel_...1
2: D'K ..
Je reJsnngsc h'b
el e d es B' . Is I Wlf
eispie . d au fewe
' "11
vO sc h'b
el e g'I'
eie her D'Je k'e un d
gleichen Materials aufgeschrumpft. Der Außenradius der Vollscheibe und der Innenradius der
Kreisringscheibe unterscheiden sich um den im Beispiel I angegebenen Wert !!.r.
Berech.net werden sollen die Schrumpfspannung (Js, die nach dem Aufbringen der Kreisring-
scheibe in der Schrumpffuge zwischen Vollscheibe und Kreisringscheibe wirkt, und die Winkel-
geschwindigkcit C!);), bei dcr diese Spannung Null wird, wodurch sich die beiden Scheiben wiedcr
voneinander lösen.
Dic allgemeinen Lösungen nach 25.6 für die Kreisringscheibe I und die Vollscheibe 2 enthalten
insgesamt drei Integrationskonstanten (für die Vollscheibe gilt C2 = 0, siehe die entsprechende
Bemerkung auf der Seite 447). Hier werden nur die Funktionen für (Jr und u angegeben, weil (J,
zur Beantwortung der untersuchten Fragen nicht erforderlich ist:
C2 3+ V 2'
Kreisringscheibe: (Jrl =C 1 +-;Z--g-PW r
2
r [ C2 I - v 2']
UI=7': CI(i-V)--;z(i+V)--g-PW r
- 3+v 2'
Vollscheibe: (Jr2 =CI - --pw
g r
2
r [- I~v 2 ,]
U2=7': CI(i -V)--g-PW r-
~o:
~.
Aus diesen drei Bedingungen errechnet man (problemlos, Wenn auch etwas mühsam) die drei
Integrationskonstanten, mit denen die Fragestellungen der Aufgabe beantwollet werden können.
Die Schrumpfspannung (Js ergibt sich zu:
I
US=Ud(r;)=Ur2(r;)=2EMri r3
(I 3+v
-?;I) +-S-pw 11
(ra-r 2i )
Die Spannung in der Schrumpffuge der nicht rotierenden Scheiben beträgt
(JS( W = 0) = -93,3 N/mm 2
(im Vergleich zu Us = (Jr(r;) = -135, 5N/mm 2 bei Annahme einer starren Welle im Beispiel I).
Die Spannung in der Schrumpffuge wird Null flir
~=600S-1
<> Bei der Übertragung des Berechnungsmodells des Beispiels 2 auf die Kreisringscheibe, die
auf eine Wellc aufgeschrumpft wird, ist zu beachten, dass die Welle tatsächlich steifer ist
als eine aus ihr herausgeschnittene Vollscheibe (die Querdehnung kann behindert sein, inje-
dem Fall widersetzen sich auch die Nachbarscheiben der Welle einer Zusammendrückung).
Bille genauere Rechnung, die aucb dies berücksichtigt, ist aufwendig, mit den hier vorge-
stellten Berechnungsmodellen nicht zu realisieren, allerdings für die meisten praktischen
Fälle auch nicht erforderlich. Man beachte, dass die Verwendung des Modells des Beispiels
I cine zu starre Welle annchmcn würde, so dass die tatsächlichcn Ergebnisse von beiden
Berechnungsmodellen eingegrenzt werden.
Mit guter Annäherung an die Realität darf vorausgesetzt werden, dass sich die Spannungen (J,
gleichmäßig über die Schnittfläche verteilen. Die Differenz der Kraft P; 1f r?, die der Innendruck
auf die innere Stirnftäche ausübt, und der Kraft Pa 1f~, die der Außendruck auf die äußere Stirn-
fläche ausübt. muss mit der aus (J, resultieren Kraft (J,1f(r~ - r?) im Gleichgewicht sein. Die-
ses Kraftgleichgewicht in vertikaler Richtung (z. B. am unteren Teil des bei B-B gescilnittenen
Behälters) wird durch die Querschnittsfläche A = 1f(~ - rf)
des Kreisrings dividiert, und man
erhält:
(J. = ,-P,-;fl-,;,..---,-P,"oc..?!,-a (25.7)
, r~ - rf
Diese Spannung wirkt sich natürlich auch auf die Verformungen in der Scheibenebene aus (Quer-
kontraktion), so dass das Hookesehe Gesetz des ebenen Spannungszustands 25. J um einen Anteil
zu erweitern ist (dreidimensionaler Spannungszustand):
Wenn nun 25.8 anstelle von 25.1 flir die Herleitung der Beziehungen 25.2 benutzt wird, zeigt
sich, dass dies bei (vorausgesetzter) konstanter Spannung (J, gar keine Auswirkungen auf die
beiden Spannungs-Differenzialgleichungen hat, nur die Formel für die Radialverschiebung muss
korrigiert werden:
r
l/ = re, = E ((J, - V(J,. - v(J,) (25.9)
Damit gilt für die Spannungen (Jr und (J, die allgemeine Lösung 25.6, die (mit w = 0) noch den
Randbedi ngungen
(J,(r;) = -P;
angepasst werden muss. Man erhält schließlich zusammen mit 25.7 die
oe;> Die Formeln 25.7 und 25.10 gelten nur fLir den mittleren zylindrischen Teil eines BehäJters
(in der Abbildung 25.8 etwa durch die Schnitte A-A und B-B angedeutet), weil die in der
Herleitung der Formeln vorausgesetzte freie Radialverformung in der Nähe von Behäller-
boden und -deckel erheblich gestört ist. Diese Formeln sind also nur für eine grob über-
schlägige Dimensionierung geeignet. Der Ingenieur in der Praxis ist ohnehin gerade beim
Sicherheitsnachweis für Druckbehälter im Allgemeinen an branchentypische Vorschriften
und Normen (z. B. DIN EN 13480-3) gebunden.
25.3 Dünnwandige Behälter (Membranspannungen) 455
pr pr
Kesselformeln für Zylinderbehälter: (J(=- G/= -
1 21
pr (25.11)
Kugelbehälter: (Jt=(Jt=-
21
Q Die eingeschränkte Gültigkeit der Kesselformeln bezieht sich vor allen Dingen auf die nicht
berücksichtigten Biegewirkungen am Zylinderbnden und den unvermeidlichen Biegewir-
kungen an den Punkten, an dcnen der Behälter gelagen ist. Dagcgen rechtfertigt sich die
Vernachlässigung der Radialspannungen, die mit (Jr = - p an der Innenwand ihren Maxi-
malwert hätten: Die beiden anderen Spannungen enthalten jeweils den Faktor f, was zu
wescntlich größeren Werte führt.
456 25 Rotationssymmetrisehe Modelle
In diesem Kapitel wurde ein ganz kleiner Einblick in die Berechnung von sehr einfachen
Flächentragwerken gegeben. Trotzdem war eS nicht zu vermeiden, dass immer wieder von
"recht grober Näherung" oder "eingeschränkter Gültigkeit"' die Rede war. Deshalb bleibt bei
der praktischen Anwendung immer ein etwas unangenehmes Gefühl.
Eine genauere Berechnung (z. B. die Erfassung der Biegespannungen bei Schalen) ist auf
analytischem Wege nur für wenige Ausnahmen und auch dann nur mit erheblichem Aufwand
möglich. Deshalb ist die Benutzung eines der viclen Finite-Elcmente-Programme, die auch
die Berechnung von (beliebig räumlich gekrümmten) Schalen anbieten, im Allgemeinen eine
gute Idee, aber eine deutliche Warnung muss ausgesprochen werden:
Man informiere sich genau, welche Eigenschaften die verwendeten Elemente haben. Das ist
häufig nicht ganz einfach, denn die Hersteller dieser Programme sind nicht so sehr an skep-
tischen Anwendern interessiert, und deshalb sind diese Informationen in den Manuals nicht
sehr umfangreich. Gerade für die Berechnung von Schalen werden aber sehr gern Elemente
benutzt, die nicht (oder kaum) mehr als die Mernbranspannungen elfassen.
Diese Bemerkung soll nicht vor der Verwendung dieser Elemente warnen, aber man sollte
schon wissen, was man tut, und wer sich bei der Anwendung der Kesselformeln unwohl fühlt,
sollte sich nicht von den schönen bunten Grafiken der FEM-Programme eine hohe Genauig-
keit suggerieren lassen, wenn nur Membranspannungselemenre verwendet wurden.
25.4 Aufgaben
AlIfgabe 25./: I
I_ _ _ _ _..... Für eine rotierende Vollscheibe konstanter Dicke sind der Spannungs- und Ver-
formungszustand, die Spannungen im Mittelpunkt der Scheibe sowie die maximale Radialver-
schiebung zu berechnen und die Verläufe grafisch darzustellen.
Gegeben: ~=260s-1; r,,=500mm; p=7.85g/cm 3 ; v=0,3; E=2,1·10 5 N/mm 2 .
I
Aufgabe 25,2: I
Eine Buchse wird auf eine starre Welle auf-
geschrumpft.
Gegeben: ra = 2r; = 200mm v =0,3
E = 2, I . 105 N/mm 2 P = 7, 85g/cm 3
a) Bei welchem Übermaß der Welle wird im Schrumpfsitz starr
2
cine Druckspannung von 150 N/mm erzeugt?
b) Bei welcher Winkelgeschwindigkeit würde ftirdas unter a ermittelte Übermaß die Schrumpf-
spannung auf 50 N/mm2 abgebaut werden?
IAufgabe 25.3: I
Ein dickwandiger zylindrischer Behälter ist ausschließlich durch den Innen-
druck p; belastet. Man ermittle die Verläufe der Spannungen er" er, und er, und der Radialver-
schiebung u in Abhängigkeit vom Radius r (einschließlich grafischer Darstellung).
Gegeben: r; = 30cm; ra = 50cm; p; = 6 MPa = 6 N/mm 2 ; v = 0.3; E = 2, I . 105 N/mm 2 .
26 Kinematik des Punktes
Die Kinemalik ist die Lehre vom geometrischen und zeitlichen Ablauf von Bewegungen, ohne
nach Ursachen (z. B. den Kräften) und Wirkungen zu fragen. Die Kinetik dagegen, die ab Kapitel
28 behandelt wird, untersucht die Wechsel wirkungen zwischen Kräften und den Bewegungen
von Massen (der vielfach auch gebräuchliche Begriff Dynamik schließt die Kinetik und die Statik
als Lehre vom Gleichgewicht ruhender Körper ein).
Dem Prinzip der Darstellung in diesem Buch folgend. stets die einfachen Probleme an den An-
fang zu stellen, um dann zu verallgemeinern. wird zunächst die Kinemalik des Punkles behandelt.
Dabei braucht man nicht die Vorstellung zu haben, nur den (unendlich kleinen) Punkt zu betrach-
ten. Es wird die Bewegung eines einzelnen Punktes beschrieben, der durchaus zu einem Körper
mit endLichen Abmessungen und kompLizierter Struktur gehören darf. Vielfach werden sogar die
wesentlichen Aussagen der Bewegung des Gesamtkörpers durch einen Punkt beschrieben (und
deshalb können in den Kinematik-Beispielen durchaus Lokomotiven oder gar Planeten auftau-
chen).
Der wesentliche Unterschied der Kinematik des PrUlktes zur Kinematik des Körpers ka.nll daril1
gesehen werden, dass ein Punkt keine Drehbewegung (um seine eigene Achse) ausführen kann
(Beispiel: Planetenbahnen können so beschrieben werden, nicht aber die Rotation um eine Achse
des Planeten).
Die Geschwindigkeit v ist ein Maß dafür, wie schnell sich die Wegkoordinate s mit der Zeit
ände/1. Der Quotient aus dem pro Zeitintervall !!J zuriiekgelegten Weg 6.s = S2 - s, und diesem
!!J = t2 -I, wird deshalb als milliere Geschwindigkeit v", im Zeitintervall definiert.
Analog dazu definiert man als Maß fürdie Geschwindigkeilsänderung die Beschleunigung a: Die
Differenz der Geschwindigkeiten Lw = 1'2 - vI am Ende und am Beginn eines Zeitintervalls !!J
wird durch !!J dividiert, es ist die mirrlere Beschleunigung a m im Zeitintervall.
S2 -SI ös
Mitllere Geschwindigkeit: Vm =---=- (26.1)
t2-tl !!J
V2-VI ßV
Milllere Beschleunigung: Gm =---=- (26.2)
12 -11 !!J
Während 26.1 und 26.2 die Mittelwerte über ein endliches Zeitintervall definieren, kommt man
mit dem Grenzübergang ß.t -+ 0 zur Geschwindigkeit und zur Beschleunigung zu einem Zeit-
punkt/.
. Dos ds
Momelltollgeschwilldigkeit: v = IJm - = - = S(I) , (26.3)
al ·.0 !!J dl
Öl' dv (PS
Momelltollbeschleunigullg: a= lim -=-=-=I;(I)=S(I).
2
(26.4)
aHO !!J dl dl
e:> Wenn die Weg-Zeit-Funktion S(I) bekannt ist, so ist damit der Bewegungsvorgang vollstän-
dig beschrieben. Die Geschwindigkeits-Zeit-Funktion 1'(1) und die Beschleunigungs-Zeit-
Funktion a(l) erhäJt man durch ein- bzw. zweimalige Differenziation der Weg-Zeit-Funktion
nach der Zeit (der Punkt über der Funktion wird als AbJcirungssymbol nach der Zeit I ver-
einbart).
0::> Bei bekannter Geschwindigkeits-Zeit-Funktion gewinnt man die Weg-Zeir-Funktion durch
Integration über die Zeit. Für die Bestimmung der sich dabei ergebenden Integrationskon-
stanten ist eine zusätzliche Aussage erforderlich (z. B. die Angabe der Wegkoordinate So zu
einem bestimmten Zeitpunkt 10).
e:> Bei bekannter Beschleunigungs-Zeit-Funktion (dies ist der typische Fall in der Kinetik) sind
zur kompletten Beschreibung der Bewegung noch zwei zusätzliche Angaben erforderlich.
Da dies bei den meisten Aufgaben die Aussagen über die Wegkoordinale so und die Ge-
schwindigkeit 1'0 beim Beginn der Betrachtung der Bewegung (Zeitpunkt to) sind, nennt
man diese zusätzlichen Aussagen Anjangsbedingungen. Natürlich können diese Zusatzbe-
dingungen sich auf jeden beliebigen Zeitpunkt der Bewegung beziehen, auch auf verschie-
dene Zeitpunkte für Weg- und Geschwindigkeitsaussage, es können auch zwei Aussagen
über die Wegkoordinate zu verschiedenen Zeitpunkten sein.
e:> Empfehlung für die Zahlenrechnung mit unterschiedlichen Dimensionen der einzelnen Grö-
ßen: Man beziehe die Dimensionen in die Rechnung mit ein, um auf diese Weise Umrech-
nungen möglichst sicher zu machen. [m nachfolgenden Beispiel I wird z. B. die Sekunde
mit s = 3/:00 durch die Stunde ersetzt, die 3600 geht in die Zahlenrechnung ein, die Sehnde
s ersetzt die Stunde h in der Dimension des Ergebnisses.
oe;> Besonders wichtig bei Aufgaben der Kinematik und Kinetik: Wenn Zahlenwerte ge-
geben sind, dann rechne man bis zu einem bestimmten Punkt ausschließlich mit Formel-
symbolen und ab diesem Punkt ausschließlich mit den Zahlenwerten (einschließlich ihrer
26.1 Geradlinige Bewegung des Punktes 459
Dimensionen), weil sonst Verwechselungen nahezu unvermeidlich sind, denn die typischen
Formelsymbole (z. B. s für den Weg oder h für eine Höhe) dürfen natürlich nicht mit den
Dimensionen (z. B. s für Sekunde und h flir die Stunde) vermischt werden. In diesem Buch
wird diese Empfehlung konsequent eingehalten und damit eine doppelte Sicherheit erzeugt,
weil Formelsymbole zusätzlich kursiv gesetzt sind (was leider bei der Handrechnung kaum
nachzuahmen ist).
Beispiel J:I
I_"";_ _...1 ZWischen den K,lometerstemen 67,5 und 70 zeIgt der Tachometer eines Autos
konstant 130 km/h an. Tatsächlich werden für die Strecke 71 s benötigt.
Aus den Messwerten ergibt sieb nach 26.1 eine mittlere Geschwindigkeit VOn
S2 -St 70-67,5 km 2,5 km· 3600
v'" = - - - = - = - = 126,76km/h
12 - 1t 71 - 0 s 71 h
woraus sich ein relativer Fehler der Tachometeranzeige von 2,56% en-eehnet.
I_
Beispiel
_ _ _...I I
1: E·111 Pk W be···
notIgt f··ur elOe
. 18 k'nl Iange S lree ke bCI. konstanter G esc h·
Will d·Ig keil
. von
90 krn/b eine Fahrzeit von 12 min. Auf der gleichen Strecke fährt ein zweiter Pkw die ersten
9km (halbe Stecke) mit l20km/h und den Rest mit 60km/h, ein dritter Pkw fährt in den ersten
6 Minuten (halbe Zeit, die der erste Pkw für die Gesamtstrecke benötigt) mit 60 km/h und den
Rest der Strecke mit 120 km/h. Gibt es Unterschiede in der Gesamtfahrzeit?
Berechnung der Gesamtfahrzeiten I ge., für Pkw 2 und Pkw 3:
Pkw 2: 1.,e.<.2= ( 9 9)
120+60
27 .
h= 120 h =O,225h=J3,5mm
1'2
.
= 12mm
Q Man beachte, dass der Begriff ,,Mittlere Geschwindigkeil" sich auf eine Mille/werlbildung
über die Zeil bezieht. Im Beispiel 2 hat Pkw 3 Ge 6min mit 60 bzw. 120 km/h) eine mittlere
Geschwindigkeit für die Gesamtstrecke VOn 90 km/ho Dagegen hat Pkw 2 Ge 9 km mit 60
bzw. 120 km/h) nur eine mittlere Geschwindigkeit für die Gesamtstrecke von V", = 1~85k~~n =
80km/h.
Beispiel 3:I
I_ _ _ _...I Mit Kurvenschelbengetneben smd fast beheblge
Weg-Zeit-Funktionen zu realisieren. Der Endpunkt des skizzierten
Stößels bewegt sich nach dem Weg-Zeit-Gesetz
3
S(I) = kt t +k212 +k31 + k.
mit kt = 0,004 m/s 3 k2 = -0,04 m/s 2
k3 = 0, I m/s k. = 0,06m
Damit ist die geradlinige Bewegung vollständig beschrieben. Man
berechnet z. B. durch Differenzieren nach der Zeit:
460 26 Kinemalik des Punktes
Wenn der Beginn der Zeitzählung I = 0 mit dem Passieren des Ursprungs der Wegkoordinate
s= °
zusammenfallt, gelten die einfachen Formeln für die gleichfOnnige Bewegung:
s
vo = - => S = VOI (vo = konstant) (26.5)
I
c:> Da der Antrieb von Mechanismen vielfach mit konstanter Geschwindigkeit (oder konstanter
Winkelgeschwindigkeit, vgl. Abschnitt 26.2.3) erfolgt, sind die Formeln 26.5 häufig der
Einstieg in die Analyse der Bewegung (nachfolgendes Beispiel 4).
Beispiel 4:I
I_"";'_-, Zwei Gleltsteme A und B smd durch eme starre
Stange gekoppelt. Der Gleitstein A bewegt sich mit der kon-
stanten Geschwindigkeit VA, Zum Zeitpunkt I =
sich die Gleitsteine in der skizzierten Lage.
befinden ° B 0
Gegeben: a = 4m , b = 3m , VA = 0,8m/s .
Für den Gleitstein B sollen die Funktionen SB(t), VB(I) und
aB(I) ermittelt werden.
A
Die untere Skizze zeigt die geometrischen Verhältnisse des a
Mechanismus zu einem beliebigen Zeitpunkt I.
Der vom Gleitstein A bis zum Zeitpunkt I zurückgelegte Weg ist nach
Formel 26.5: SA = VA l. Für SB liest man aus der Skizze ab:
B,o
SB= Ja 2 +b2 -(a-vAI)2 = Jb2+2avAI-~12 'V ,:
Durch Differenzieren erhält man die Geschwindigkeit und die Be- "C/
"V 'I ..-
schleunigung des Gleitsteins B:
(a-VAI)VA SA = vAt ;//
VB =
-:'
Jb2+2avAt-v~12
()
o Ac)
b
2
+a 2
2 a
aB = 3 vA
( Jb2+2aVA1-v~t2)
26.1 Geradlinige Bewegung des Punktes 461
Für die Bewegung mil konslanler Beschleunigung können V(I) und S(I) allgemein durch Integra-
tion ermittelt werden. Man gewinnt die
Wenn die Bewegung mit kons/alller Beschleunigung ohne Anfangsgesc"windigkei/mi/ der Zei/-
zählu.ng / = 0 im Koordina/enurspflIng s = 0 beginnt, vereinfachen sich die Formeln 26.6 zu
I
v=ClOI S= 2aOl2 v= J2aos (26.7)
wobei die letzte dieser drei FOnlleln unmittelbar aus den beiden ersten folgt.
I
Beispiel 5:
I_"";_ _...1 In etnem Transportsystem, bestehend aus Vakuumröhren, bewe-
gen sich die Gegenstände über eine vertikale Strecke im freien Fall (ohne An-
fangsgeschwindigkeit). Für einen nachfolgenden Sortierprozess wird die Infor-
mation benötigt, aus welcher horizontalen Zuflihrung sie kommen. Mit einer
Lichtschrankenmessung wird die Zeit lAß ermittelt, die sie für das Durchfallen
-<:
der Strecke SAß benötigen. Nach welcher Formel kann aus lAß und SAß die Höhe D
" berechnet werden, die der fallende Körper bis zum Erreichen des Punktes A
zurückgelegt hat?
'A
I
Der freie Fall o"ne Luftwiders/and ist als Sonderfall mit der Erdbeschleu.nigung '"
vi" 's
g = 9,81 m/s2 in den Fonnein 26.6 und 26.7 enthalten. Für die eingezeichnete B
Koordinate s kann das Weg-Zeit-Gesetz nach 26.6 mit so = 0 aufgeschrieben
werden, wenn die Zeitzählung beim Pass.ieren des Punktes A beginnt:
I 2 r:;-::L
s=-gl +vo/ mit vo= y2gh
2
wobei sich die Anfangsgeschwindigkeit vo, die der Körper am Beginn der Messstrecke hat, nach
26.7 errechnet (freier Fall obne Anfangsgescbwindigkeit von der borizontalen Zuführung bis
zum Punkt Al. Am Ende der Messstrecke gilt
und dll.fch Umstellen nach der gesuchten Höhe" ergibt sich da.ralls
h= ( SAß- 'ig/Aß
t 2) 2
2g/1 ß
462 26 Kinemalik des Punktes
Beispiel:
I_...;_ I
_ Es sollen die kinematischen Diagramme der Funktionen SB(t), VB(t) und aBr,) fliT
die Bewegung dcs Gleitstcins B des Beispiels 4 aus dem vorigen Abschnitt für dcn Bercich
o::; I ::; II s gezeichnet und diskutie'1 werden.
In der Abbildung 26.2 sind die drei Diagram- (, sAmJ. ",,[m/s]. a,Jm/s']
me in einer Skizze zusammengefasst (es wurden
die Zahlenwerte der AufgabensteIlung verwen- 4
det). Folgende Aussagen lassen sich ablesen:
• Die Geschwindigkeit VB hat einen Nulldurch-
gang zu dem Zeitpunkt, in dem die Wegko- 4 6 10
ordinate SB ihren größten Wert annimmt. Das I [s]
ist der obere Umkehrpunkt des Gleitsteins B. ·2
Die Umkehrzeit lu kann z. B. aus
-4
SAr, = lu) = VA lu = a
(Gleitstein A hat den Weg a zurückgelegt) be- -6
rechnet werden: ' u = .!!.... = 5 S. Abbildung 26.2: Kinemalische Diagramme
'A
• Die Beschleunigung aB ist im gesamten Zeit-Bereich negativ (die Wahl der positiven Rich-
tung von SB definiert auch die positiven Richlllngen von VB und aB). Während der Aufwärts-
bcwegung kennzeichnet dies die Verzögerung (kleiner werdende GeSChwindigkeit), nach
dem Passieren des Umkehrpnnktes die wieder schneller werdende Bewegung (Geschwindig-
keit und Beschleunigung sind dann abwärts gerichtet, gleicher Richlllngssinn dieser bei den
Größen bedeutet immer, dass sich der Absolutbetrag der Geschwindigkeit vergrößert).
• Die Beschleunigung hat zu keinem Zeitpunkt den Wert Null, selbstverständlich auch nicht
im Moment des Stillstands im Umkehrpunkt (Beschleunigung gleich Null im Moment des
Stillstands würde diesen Zustand andauern lassen).
• Geschwindigkeit VB und Beschleunigung aB nehmen gegen Ende des betrachteten Zeitrau-
mes stark zu. Beide Funktionen hätten (theoretisch) an der Stelle einen Pol, an der die Kurve
von SB außerhalb des betrachteten Zeitraumes einen Nulldurchgang hat. Der Zeitpunkt I"
bei dem dies cintreten würde, kann aus dieser Bedingung crrechnct werden:
SB=Jb2+2avAI,-v~I;=O =} I,=1I,25s
26.2 Allgemeine Bewegung des Punktes 463
Für die Darstellung der allgemeinen Bewegung eines Punktes (auf einer beliebigen Bahn) bieten
sich zwei Möglichkeiten an:
J
a) Die Bewegung erfolgt auf einer vorgeschriebenen Bahn und wird
durch Angabe der Funktion 5 = 5(1) beschrieben. Die Wegkoordinate
s folgt dabei allen Krümmungen der Bahn (Abbildung 26.3).
Vorteile dieser Darstellungsweise: Es gilt der gesamte (besonders ein-
fache) Formelsatz 26.1 bis 26.7, der flirdie geradlinige Bewegung an- Abbildung 26.3: Die
gegeben wurde, wobei die BeSChleunigung allerdings jeweils nur die Wegkoordinate s folgt
tangential zur Bahnkurve gerichtete so genannte Bahnbeschieuniguilg allen Krümmungen
ist. der Bahn
Nachteile: Die Funktion S(I) enthält keine Tnfomlationen über die Bahnkurve, auch nicht
über einen bei einer gekrümmten Bahn immer vorhandenen zusätzlichen Beschleunigungs-
anteil (Nonnaibeschleulligung).
Für viele AufgabensteIlungen ist diese (im Allgemeinen einfachere) Betrachtungsweise aus-
reicbend (man denke an die "Fahrzenganfgaben" des vorigen Abschnitts, bei denen die Ein-
schränkung auf eine geradlinige Bewegung ohne weiteres fallcngclassen werden kann, s ent-
spricht dabei z. B. der Anzeige des Tageskilometerzählers).
b) Die Beschreibung der Bewegung in einem Koordinatensystem durch einen Ortsveklor r,
desscn Komponenten von der Zeit I abhängig sind, enthält die komplctte Information über
die Bahnkurve (die Komponenten des ürtsvektors definieren eine Parameterdarstellung der
Bahnkurve) und die Lage des bewegten Punktes auf der Bahnkurve zu jedem beliebigen Zeit-
punkt/.
Betrachtet wird zunächst die ebene Bewegung eines Punktes, die 'y
in einem kartesiscben Koordinatensystem durch den ürtsvektor
Bahnkurve
r(l) = [;~;i]
i(t)
beschrieben wird (Abbildung 26.4). Gleichwertig damit ist die x
Angabe der Komponenten von r,
was der Parameterdarstellung
der Bahnkurve entspricht: Abbildung 26.4: Der Ortsvek-
X=X(I) Y=Y(I) tor verfolgl die Bahnkufve
Als Maß für die Änderung des ürtsvektors mit der Zeit wird (analog zur Änderung des zu-
rückgelegten Weges pro Zeit. vgl. Abschnitt 26.1.1) der GeschwindigkeilsveklOr definiert. Der
Zuwachs des ürtsvektors im Zeitintervall !!J kann als Differenz der benachbarten ürtsvektoren
aufgeschrieben werden.
464 26 Kinemalik des Punktes
Geschwindigkeitsvektor: _ [6,X(t) ] _
v=limßr=Lim !'J = [i(t)]=dr (26.8)
",-0!'J "'-0 6,y(t) y(t) dt
6,/
c:> Die Richtung des Sekantenvektors 6,1' wird beim Grenzübergang zur Tangemenrichtung der
Bahnkurve, und damit wird vein tangential ZlIr Bahnkllrve gerichteter Vektor.
c:> Der Geschwindigkeitsvektor v(t) ergibt sich durch Ableitung des Ortsvektors nach der Zeit
(ein Vektor wird nach einer skalaren Größe differenziert, indem seine Komponenten diffe-
/',sr
renziert werden). Die Angabe eines "mittleren Geschwindigkeitsvektors" (analog Zur mitt-
leren Geschwindigkeit in einem Zeitintervall) ist nicht sinnvoll.
bzw.
Auf der linken Seite dieser Gleichung steht der Betrag des nach der Zeit abgeleiteten Ortsvektors.
so dass der gesuchte Zusammenhang gefunden ist.
Der Betrag des Geschwindigkeitsvektors (Quadratwurzel aus der Summe der Quadrate seiner
Komponenten) ist gleich der Bahngeschwindigkeit I'(t):
_ larl
1'=11'1= ~ ~
dt =VI';+l'y=v i -+.\'- (26.9)
26.2 Allgemeine Bewegung des Punktes 465
oe:> Der Geschwindigkeitsvektor muss also immer darstellbar sein als Produkl der (skalaren)
Bahngeschwindigkeit mit einem tangential an die ßahnkurve gerichteten Einheitsvektor:
V(I) = v(t)· e,(t) (26. LO)
e,
Der Tallgenlel1einheilsveklOr hat die (konstante) Länge I und die (ntit der Zeit 1 veränder-
liche) Richtung der Tangente an die Bahnkurve.
oe:> Durcb bestimmte Integration von 26.9 über die Zeit erhält man den zwischen zwei Zeitpunk-
ten I, und 12 zurückgelegten Weg (Länge SI,2 eines Stücks der Bahnkurve):
Jvx +y
'2
SI,2= 2 2 dl (26.11)
I
I,
Beispiel: jY
I_...;._.... Ein Rad mit dem Radius R roUt (ot\l1e zu gLeiten)
mit der konstanten Geschwindigkeit vo auf der Horizonta-
..... R
len. Für einen Punkt A im Abstand a vom Radmittelpunkt
sollen die ßahnkurve und die Bahngeschwindigkeit ennit-
telt werden.
Das Koordinatensystem wird (wie skizziert) so gelegt, dass x
sich das Rad zur Zeit 1 = 0 bei x = 0 befindet und der Punkt
A senkrecht unter dem Radmittelpunkt liegt.
Nach einer Zeit 1 (gestrichelt gezeichnet) hat das Rad nach 26.5 den Weg Vo' zurückgelegt und
die gleiche Strecke auf dem Umfang abgewälzt (fett gezeichnet), so dass der Punkt A unter dem
eingezeichneten Winkel ("Bogen/Radius") zu finden ist. Für seine Lage zum Zeitpunkt 1 lassen
sich die Koordinaten
.
x = vot -11 Sln H
~I ~t
y= R~a cos (26.12)
H
ablesen. Es sind die bei den Komponenten des Ortsvektors r,
der die Bewegung des Punk1es A
beschreibt. Seine Bahngeschwindigkeit errechnet sich nach 26.9:
Als Maß für die Änderung des Geschwindigkeitsvektors mit der Zeit wird der Beschleunigungs-
vektor ä als Ableitung des Geschwindigkeitsvektors nach der Zeit definiert. Fiir die in einem
kartesischen Koordinatensystem beschriebene ebene Bewegung ergibt sich der
.Beschleunigungsvektor:
[''x(t)] = [i(t)] =
_ dv d d/' d 2/'
Cl=-=--=-= [a,(I)]
dl dl dt dt 2 Vy(t) y(t) ay(l) (26.13)
Da die Geschwindigkeit ein Vektor ist. bei dem sich sowohl der Betrag (Bahngeschwinctigkeit v)
als auch die Richtung mit der Zeit ändern können, ergibt sich auch bei konslanter Bahngeschwin-
digkeil ein Beschleunigungsvektor, wenn die Bewegung nichl geradlinig ist. Dies wird deutlich,
wenn man den als Produkt von Bahngeschwinctigkeit und Tangenteneinheitsvektor dargestellten
Geschwindigkeitsvektor 26.10 nach der Zeit ableitet. Unter Beachtung der Produktregel erhält
man:
_ dl! d _ dV(I) _ de,
a= - = - [v(t)·e,(l)] = - - ·e,(t)+v(t)·- (26.14)
dt dt dt dt
Der erste Anteil ist die tangential zur Bahnkurve gerichtete Bahnbesch1eunigung (mit dem Be-
trag, der sich auch nach 26.4 ergeben würde). Zur Interpretation des zweiten Anteils muss vorab
untersucht werden, was für ein Vektor der nach der Zeit abgeleitete Tangenteneinheitsvektor ist.
Dazu sollen zunächst zwei Spezialfälle betrachtet werden.
• de, steht senkrecht auf e,. I bzw. e,.2, also senkrecht auf dem
Tangenteneinheitsvektor e
• de, hat die Länge da,
"
Damit kann de, als Produkt eines Einheitsvektors en (Nomwlell-
eillheilsveklor, weil er senkrecht auf dem Tangenteneinheitsvek-
tor steht) und seines Betrages da dargestellt werden:
det =da-c"
(e" ist zum Kreismittelpunkt gerichtet). Jetzt kann die Frage be-
antwortet werden, wie die Ableitung des Tangenteneinheitsvek-
tors nach der Zeit bei der Kreisbewegung zu interpretieren ist
V
(für das differenziell kleine Kreisbogenstück ds wird ds = Rda
gesetzt): Abbildung 26.8: Die Ablei-
tung des Tangemeneinheitsvek·
der dei d s de, dei v tors nach der Zeit! liefert einen
-=--=-v=--v=-el/
-0
Für die al/gemeille ebelle Bewegullg eines Punktes (Bewegung auf einer beliebigen ebenen Bahn)
führt eine entsprechende Überlegung auf eine ähnliche Beziehung, wobei der (konstante) Radius
der Kreisbahn durch den (im Allgemeinen veränderlichen) Krümmungsradius p der Bahnkmve
zu ersetzen ist (ds = pda). Dies ist jeweils der Radius des Krümmungskreises eines Kurven-
punktes. Der Krümmungsheis hat mit der Kurve im gemeinsamen Punkt die Koordinaten. die
Tangente (Anstieg y') und die 2. Ableitung y" gemeinsam 2 .
Beschlennigungsvektor für die Bewegung eines Punktes auf einer ebenen Bahn:
v2
a = ä, +ä" = v·e,(l) + -. e,,(t)
p
2
(26.16)
= I (I +/2)) I = I (x +1)1 I
p y" xji - i.y
2Unter dem Slichwofl ..Krümmungskreis. Krümmul.1g~radius" findet mall auf der ImcrnCI-Site www.TM-Mathe.dceine
ausflihrliehe Dar~[ellung dieses ll1cmas mit Herleitung der Fonnein und einer Animation.
468 26 Kinemalik des Punktes
oe:> Der Beschleunigungsvektor der Bewegung eines Punktes setzt sich aus zwei senkrecht auf-
einander stehenden Komponenten zusammen: Die Bahnbeschleunigung mit dem Betrag
a, = v ist wie die Geschwindigkeit tangential zur Bahnkurve gerichtet (Tangentialbeschleu-
2
nigung), die Normalbeschleunigung mit dem Betrag an = 'i> ist senkrecht dazu zum Krüm-
mungsmittelpunkt der Bahnkurve gerichtet.
'e:> Die Babnbeschleunigung bat den Wert Null, wenn die Bewegung mit konstanter Bahnge-
schwindigkeit erfolgt.
oe:> Die Normalbeschleunigung ist bei Bewegung auf einer beliebigen Bahnkurve nur dann
gleich Null. wenn die Bahn nicht gekrümmt ist (z. B. bei geradliniger Bewegung oder in
Wendepunkten). Bei Bewegung eines Punktes auf einer Kreisbahn ist die Normalbeschleu-
nigung stets ungleich Null.
oe:> Der Betrag der Gesamtbeschleunigung kann nach
Beispiel:
I_....;_ I
_ EJI1 Gleltstell1 A bewegt sich 0111 konstanter Ge-
schwindigkeit VA auf einer vcrtikalcn Führung. Er nimmt da- Y
a B
bei die Stange A-B mit, die durch eine drehbar gelagerte Hül-
se gleitet. Bci { = 0 nimmt die Stangc eine horizontale Lage
ein.
Gegeben: a, I, VA, 1= 3a .
Bezüglich des skizzierten Koordinatensystems wird die Lage B
des Punktes B durch die Koordinaten XB und YB beschrieben. YB
- - a -----;>f- x B -
Mit dem Weg VA { nach 26.5, den der Gleitstein A bis zum
Zeitpunkt { zurückgelegt hat, und den gegebenen geometri- VA t
schen Größen liest man aus nebenstehender Skizze z. B. ab:
A
XB 1- ) a 2
+ v~ {2
a )a +0
2 12
(Strahlen satz). Eine entsprechende Beziehung (ebenfalls nach dem Strahlensalz) findet sich für
YB, und damit sind die Komponenten des Ortsvektors von B (Parameterdarstellung der Bahnkur-
ve) bekannt:
26.2 Allgemeine Bewegung des Punktes 469
Durch Differenzieren nach der Zeit 1 erhält man die Komponenten des Geschwindigkeitsvektors
und des Beschleunigungsvektors:
VO x = xn =
GBx = VBx =
XB i
a
+#
_I
....... .. ...... }~~ ... ............
\ ................
V11
CI
I x/a
I)
a-
\1-0
YB VA 1 ( f, _ ......... _..... _..........,- -2 J
CI CI Vl+'4/:- ....... - I /
rür eiJJen Bereich der "dimensionslosen Zeit" , = ~ 1
von
2 - - VA
-<1=-/<+
CI-
2 Abbildung 26.9: Bahnkurve
Für den Zeitpunkt / = 0 (horizontale Lage der Stange A-ß) soll versucht werden, die Ergebnjsse
anschaulich zu deuten:
rB(1 =0) = [ 0
1- Cl]
VB(I=O)=[/_~--VA
]
a
Der ürtsvektor enthält die Koordinaten des Punktes ß (Lage auf der x-Achse). Die verschwin-
dende Horizontalkomponente der Geschwindigkeit VBx = 0 bestätigt die vertikale Tangente an
die Bahnkurve zu djesem Zeitpunkt. Die (positive, also wie ille y-Achse nach oben gerichtete)
Geschwindigkeitskomponente VB,• enthält das "Übersctzungsverhältnis" I-aa für die horizontale
Lage.
Die horizontale Komponente der Beschleunigung aBx kann (weil sie senkrecht zur Bahnkurve
gerichtet ist) nur die Normalbeschleunigung sein, die sich auf anderem Wege bestätigen lässt.
Nach 26.16 wird der Krümmungsradius der Bahn für 1 = 0 mit den bereits berechneten Größen
aufgeschrieben. Bahngeschwinillgkeit und Krümmungsradius liefern dann die NormalbescWeu-
II n
nigung:
V~(I =0) 1 2
P (I = 0) = 1 (P+ ;;2) = 1( 1 - 2 => a,,(1 =0) = ( ) = 2" VA
xy-xy 1-0 PI=O a
Man erhält auf diesem Wege den Betrag der Normalbeschleunigung. der (wie erwartet) in der
vektoriellen Darstellung den gleichen Wert hat. Das Minuszeichen dort zeigt an, dass die Nor-
malbeschleunigung zur konkaven Seite der Bahnkurve gerichtet ist.
470 26 Kinemalik des Punktes
Die Bewegung eines Punktes auf einer Kreisbahn ist ein wichtiger
y
Spezialfall der allgemeinen Bewegung des Punktes. Zur Beschrei-
bung der Lage des Punktes auf der Kreisbahn ist die Angabe einer
Winkelkoordinate cp(l) meist besser geeignet als die Wegkoordinate
S(I) (Abbildung 26.10) und wohl immcr günstiger als dic Beschrei-
bung durch einen Ortsvektor.
Wenn R der Radius der Kreisbahn ist. dann gilt
S(I) = Rcp(l) Abbildung 26.10: Weg-
"(I) = s(t) = R q,(t) (26.18) koordinate sund Winkel-
a,(I) = ,,(t) = Rip(t) koordinate q>
Es ist üblich und zweckmäßig, analog zur Winkelkoordinate cp(t) auch eine Winkelgeschwin-
digkeit und eine Winkeibescl,leanigllllg zur Beschreibung der Bewegung eines Punktes auf der
Kreisbahn zu dellnieren:
c:> Durch die Winkclbcschleunigung (als Maß feir die Änderung der Winkelgeschwindigkeit)
wird entsprechend a r = Ra nur die Bahnbeschleunigung (als Maß für die Änderung der
Bahngeschwindigkeit) repräsentiert. Natürlich gibt es bei einer Kreisbewegung immer (auch
bei konstanter Winkelgeschwindigkeit) eine Normalbeschleunigung
,,2
a" = - = Rw2 (26.22)
R
c;> Für den sehr wichtigen Sonderfall konstanter Winkelgeschwindigkeit berechnet sich der
seit dem Beginn der ZeitzähJung t = 0 zuriickgelegte Winkel cp nach:
cp = ~t (~= konstant) (26.23)
26.2 Allgemeine Bewegung des Punktes 471
Während die meisten Menschen eine recht gute Vorstellung von Geschwindigkeiten haben (zu-
mindest in den Größenordnungen, die von Autos erreicht werden), ist die Vorstcllungskraft fur
Beschleunigungen im Allgemeinen nicht sehr groß (Autohersteller wissen das und verstecken
den Bcgriff der Beschleunigung in einer Geschwindigkeitsaussage: "Beschleunigt von 0 auf
100 km/h in 8,3 s"). Deshalb werden in den Beispielen I bis 4 einige Zahlenwerte berechnet.
Beispiel J: I
I_ _ _ _...I Em Pkw besch1eul1lgt von 0 auf 100 km/h In 8,3 s. WIe groß 1st die mmlere Be-
schleunigung?
Nach 26.2 berechnet man:
V2-V' 100-Okm 100·IOOOm 2
{Im = - - - = - - - -- = - = 3 35m/s
12 - I, 8,3 - 0 h s 8,3 . 3600 S2 '
Dies ist Flir ein anfahrendes Auto ein beachtlicher Wert. Beim freien Fall (ohne Luftwiderstand)
allerdings tritt die Beschleunigung g = 9,81 m/s2 auf, ein Wert, der von keinem Pkw erreicht wird
(es sei denn, er durchbricht ein Brückengeländer und geht zum freien Fall über).
Beispiell: I
I_ _ _ _...I Em Pkw fahrt nlJt konstanter Geschwmdlgkelt v = 40 km/h eme Kurve nut dem
Radius R = 20 m. Wie groß ist die Norrnalbeschleunigung?
Nach 26.22 berechnet man:
v2 402 (kru)2 402 . 106 m2 2
G n = R = 20 h2 m = 20.36002 m s2 = 6. 173 m/s
Auch dieses Ergebnis ist repräsentativ Flir die meisten technischen Bewegungsabläufe: Die Nor-
malbeschleunigungen sind im Allgemeinen deutlich größer als die Bahnbeschleunigungen. Das
folgende Beispiel zeigt allerdings eine Ausnahme von dieser Regel.
I
Beispiel 3: I
Bei einem Crash-Test prallt ein Pkw mit 50km/h gegen eine starre Wand. Nach
80 ms sind Fahrzeug und Dummies auf die Geschwindigkeit 0 abgebremst. Wie groß ist die
mittlere Beschleunigung während des Aufpralls?
Aus der Geschwindigkeitsdifferenz und der Abbremszeit ergibt sich nach 26.2:
V2 - v I 0 - 50 km 50· 103 m 2
Gm = -/2-- .tl- = 0 1 08 - 0 -h s = 008
,. 3600 2
s = -173,6m/s
I_Beispiel 4: I
_ _ _...I Ein Pkw-Motor läuft mit einer Drehzahlll = 5000 min- I . Wie groß ist die Win-
kelgeschwindigkeit w? Welche Normalbeschleunigung {In erfahrt ein Punkt auf der Kurbelwelle,
der R = 6 cm von der Drehachse entfernt ist?
Die Winkelgeschwindigkeit wird nach 26.21 berechnet:
I
w=2nn=2n.50oo·- =523,6s- 1
60 s
Damit ergibt sich die sehr große Nornlalbeschleunigung flir den Punkt auf der Kurbelwelle:
2
CI" = R w = 16449m/s
2
472 26 Kinemalik des Punktes
26.2.4 Koppelgetriebe
Beispiel 1: I
I_ _ _..... Die skiZZierte Schubkurbel (SIC-
I
he www.TM-aktuell.de) wird mit der konstan-
Je
ten Winkelgeschwindigkeit ~ angetrieben. Bei
r = 0 soll die Kurbel ihre tiefste Stelle einneh- Y ,
men. Gcsucht sind die Funktionen x(r), v(r) und
j
a(I), die die Lage, die Geschwindigkeit und die
Bcschlcunigung des Kolbens beschreiben. I
I
Gegeben: R= 12cm, 1=30cl11. ~=2s-l.
Rechts ist eine ausgelenkte Lage mit den wich-
tigstcn Abmcssungcn skizziert. Dic Kurbel hat
sich entsprechend 26.23 UI11 den Winkel ~r ge-
dreht.
Die durch die Koordinatex beschriebene Lage des Kolbens ergibt sich aus der Summe der beiden
Katheten zweier rechtwinkliger Dreiecke:
An dem einfachen Beispiel werden die typischen Probleme der Untersuchung von Koppelge-
trieben deutlich, die allerdings bei fast allen kinematischen Problemen ähnlich sind: Die Bezie-
hungen sind hochgradig nichtlinear. Das Differenzieren des Weg-Zeit-Gesetzes mag schon bei
diesem Beispiel lästig sein, immerhin konnte man auf diesem Wege v(r) und a(t) ermitteln, weil
es möglich war, x(t) als Funktion aufzuschreiben (und gegebenenfalls kann man das Differen-
zieren einem symbolisch rechnenden Programm übertragen).
3Als BeL«;pie) I wird hier die einfache Schubkurbel behandelt. bei der der Mitlelpunkt der Kurbel auf der Geraden liegt.
auf der sich der Kolben bewegt Im Abschniu 27.4 findet mall den allgemeineren Fall der cxzcnlri~hcn Schubkurbel.
26.2 Allgemeine Bewegung des Punktes 473
I
Beispiel 2:
I_....;_ _.... Ewe so genannte Viergelenkkette besteht aus
zwci Gliedern AB bzw. CO, die an jewcils einem Endpunkt
(A bzw. 0) fixiert sind (je nach ßewegungsmögliehkeit als
Kurbeln oder Schwingen bezeichnet) und über den jeweils
anderen Punkt über eine Koppel BC verbunden sind. Hier
soll das Glied AB als Antrieb betrachtet werden, dessen Lage
durch die Angabe eincs Winkel cp bestimmt wird.
D
Gegeben sind die Koordinaten XA und YA des Punktes A im
skizzierten Koordinatensystem und die Längen a, bund c der
Getriebeglieder, gcsucht sind die Koordinatcn der Punkte B Abbildung 26.12: Viergelenkkette
und C in Abhängigkeit von cp.
Die Koordinatcn des Punktes B können unmittelbar aus der Abbildung 26.12 abgelesen werden:
XB =XA -acoscp YB = YA +a sincp
Mit den bekannten Punkten Bund 0 findet man den Punkt C als Schnittpunkt der beiden Kreise
um diese Punkte mit den Radien b bzw. c, und damit beginnen die typischen Schwierigkeiten.
Die Kreisgleichungen können noch problemlos formuliert werden:
(x-xd+(Y-YB)2 =b2 .;+l =c2
Man stellt eine Gleichung nach Y um, setzt das Ergebnis in die andere ein. und nach etwas müh-
samer Rechnung erhält man eine quadratische Gleichung für x:
mit
• Man erhält zwei reelle Lösungen. Dies sind die x-Werte der Punkte C und C (siehe Abbil-
dung 26.12), die für die Stellung cp möglich sind.
474 26 Kinemalik des Punktes
• Man erhält eine (Doppel-)Lösung. Dann berühren sich die beiden Kreise nur. 8, C und 0
liegen in diesem Fall auf einer Geraden .
• Es ergibt sich keine reelle Lösung, die Kreise schneiden sich nicht. Dann hat das Getriebe
entweder eine unmögliche Geometrie, oder die durch qJ beschriebene Stellung ist unmöglich.
Für den Fall zweier reeller Lösungen XI und X2 müssen noch die zugehörigen y- Werte durch Ein-
setzen in die Kreisgleichungen ermillelt werden. Wegen der Doppeldeutigkeit der Wurzel erhält
man zu jedem x-Wert jeweils zwei y- Werte, die die Kreisgleichung erfüllen. Deshalb müssen die
y-Werte für beide Kreisgleichungen berechnet werden, und von den vier Wertepaaren sind die
beiden x-y-Paare die Koordinaten der Punkte C und C, die flir beide Kreise gleich sind.
Schließlich muss noch entschieden werden, ob die Koordinaten für C oder C verwendet werden
sollen. Weil die gesamte beschriebene Rechnung für jede Stellung cp ausgefLihrt werden muss,
wird mall den Punkt wählen, der näher an dem entsprechenden Punkt der vorhergehenden Stel-
lung liegt. Für den Sonderfall nur einer reellen Lösung muss speziell überlegt werden, denn aus
dieser Spezial lage (8, C und 0 liegen auf einer Geraden) ist die weitere Bewegung in beiden
RiChtungen möglich. Man wird dann die Entscheidung so fallen, dass die Bewegungsrichtung
beibehalten wird.
Das DilenUlla kann so formuliert werden: Der gesamte gerade beschriebene Entscheidungspro-
zess stellt für die Handrechnung gar kein Problem dar. Man sicht sofort, welche Lösung zu
verwenden ist, und es ist auch klar, wie es nach einer Speziallage weitergeht. Bei der Computer-
rechnung sind aber alle Entscheidungen vorab zu programmieren, was nicht nur recht schwierig
ist, es bleibt auch immer aus numerischen Gründen kritisch, denn die SpeziaHagen werden nie-
mals genau getroffen. was häufig zu Überraschungen bei der Fortsetzung der Rechnung führt.
[n Abhängigkeit von den Abmessungen der drei Glieder und der Lage der beiden Lagerpunk-
te können die beiden gelagerten Glieder in ihren Bewegungsmöglichkeiten eingeschränkt sein.
Man nennt sie Kurbe/n, wenn sie eine komplelle Kreisbewegung ausführen können, ansonsten
Schwingen:
oe;> Die Abbildung 26.13 zeigt eine so genannte Kurbe/schwinge, weil die (AnlJ'iebs-)Kurbel
AB bei ihrem kompletten Umlauf eine schwingende Bewegung des Gliedes OC erzeugt (die
von den Punkten 8 bzw. C durchlaufenen Bahnen sind in der Abbildung angedeutet).
26.2 Allgemeine Bewegung des Punktes 475
oe:> Die Abbildung 26.14 zeigt eine so genannte Doppe/schwinge, weil bei dieser geometrischen
Konfiguration beide gelagerten Glieder nur schwingende Bewegungen ausfUhren können
(die von den Gelenken B bzw. C erreichbaren Punkte sind als Bahnkurven eingezeichnet).
Dieses Koppelgetriebe, bei der der mit der Koppel BC starr verbundene Punkt K auf der
durch Bund C definierten Geraden liegt, ist mit den hier dargestellten Abmessungen ein
Beispiel fUr das Erzeugen einer speziell gewUnschten Bahn.kurve. Man erkennt, dass diese
in einem gewissen Bereich eine fast ideale horizontale Gerade ist. Das wird fur so genannte
Wippkräne ausgenutzt, bei denen die anhängende Last bei Transport in der Horizontalen in
diesem Bereich weder gehoben noch gesenkt wird, so dass für diese Bewegung nur eine
minimale Antriebsleistung erforderlich ist.
oe:> Die Abbildung 26.15 zeigt eine Doppelkurbel, weil beide
25
gelagerten Glieder eine komplette Kreisbewegung ausfuh- v
ma
.... = 25,17
ren können. An diesem Beispiel wird auch gezeigt, dass
dic Bewegung (und damit auch die Bahnkurve eines Kop-
20 ßahn-
pelpunktes) von der Anfangsstellung abhängig ist. Für die gesch\\ indigJ..eil
beiden völlig identischen Getriebe sind zwei AnfangsteI- d"
Koppelpunktes
lungen möglich (entsprechend der beiden Punkte C und C,
15
wie im Beispiel 2 fiir die allgemeine Viergelenkkette ge-
zeigt), die zu völlig unterschiedlichen Bewegungen fUhren.
Man beachte, dass die Antriebskurbel AB in beiden Skizzen
'0
exakt die gleiche Lage einnimmt.
Weil die Ergebnisse für die Bahnkurven (z. B. die Komponenten
XK(CP) und YK(CP) des Ortsvektors rK eines Koppelpunktes) nur 5
puoktweise ermittelt werden können, müssen alle weiteren ge-
wünschten Ergebnisse numerisch berechnet werden. Die Kom-
ponenten des Vektors der Bahngeschwindigkeit x und y können o
nach den im Kapitel 18 auf Seite 275 angegebenen Differenzen-
formel für die erste Ableitung berechnet werden. Der Betrag der
Bahngeschwindigkeit folgt dann aus 26.9. Abbildung 26.l6: VK. I'ma.<. Sge>
Abbildung 26.16 (erzeugt mit Matlab) zeigt die Bahngeschwindigkeit für die Kurbelschwinge
nach Abbildung 26.13, die hier fUr den Moment der maximalen Geschwindigkeit des Koppel-
476 26 Kinemalik des Punktes
punktes dargestellt ist. Um den bei einem kompletten Umlauf zurückgelegten Weg zu berechnen,
musste nach 26.1 I integriert werden, was natiirlich auch nur numerisch möglich ist. Weil die
Bahnkurve punktweise bekannt ist, kaJ1J1 man allerdings auch die Länge des von den Punkten
definierten Polygons berechnen.
Die Analyse der Bewegung solcher Getriebe birgt eine ganze Reihe von Fehlermöglichkeiten.
Für eine besonders wirksame Kontrolle der durchgefUhrten Rechnung bieten sich deshalb Ani-
mationen an, bci dcncn man sofort crkcnnt, ob dic gcwünschtc Bcwegung auch berechnct wurdc.
Unter www.TM-aktuell.de findet man deshalb auch die "bewegten Bilder" dieser Getriebe.
Schon mit Viergclcnkkettcn sind intercssantc und fUr dic technischc Praxis wichtigc Bcwegungcn
zu erzeugen (siehe den Wippkranmechanismus in Abbildung 26.14). Wenn an die bewegten
Punkte einer Viergclenkkette und/odcr an Koppelpunkte weitere Getriebeglieder angeschlossen
werden, sind praktisch beliebige Bewegungen zu realisieren. Allerdings ist die Aufgabe, eine
Bewegung mit ganz bestimmten vorgegebencn Eigenschaften zu erzcugen (Cetriebesynthese),
sehr schwierig. Nachfolgend wird ein besonders gelungenes Beispicl vorgestellt.
I_BeispieL
_ _ _.... I . der I"an d'ISC Ile K"ILnSt1er T. HEO JANSEN ste I1 t Lau f'masclllen
3: Der me h' . h au f'
her, d'Je SIC
4
zahlreichen Beinen (vom Wind angetrieben) auf Sand sehr geschickt fortbewegen •
Die Rechnung mit allen Entscheidungen, die am Beispiel 2 beschrieben wurden, ist also etwas
aufwendiger. Das Ergebnis findeIman als Animation des in Abbildung 26,17 dargestellten Me-
chanismus unter www.TM-aktucll.de. Die Bahnkurvc des Punktcs F ist auch in Abbildung 26,17
zu sehen. Man erkennt im unteren Bereich eine fast ideale Gerade. Dies ist der Bereich, in dem
sich der Fuß des "Strandbeests" am Boden befindet.
4Der Künstler nennt seine beeindruckenden Werke Srrandbeesfen (..Stranduere"). Ein Besuch der Lnternet-Sile
www.~rrandbeesl.comlohnl sich.
26.2 Allgemeine Bewegung des Punktes 477
-40 -20 o 20 40
dieser sondern der gesamte Mecha-
nismus). Während des "Schritts nach Bahngeschwindigkeit vF(x)
Die Willkürlichkeit, die der Komponentendarstellung eines Vektors bei Wahl eines kartesischen
Koordinatensystems mit festen (zeitlich unveränderlichen) Einheitsvektoren e, e
und y anhaftet,
war der Grund dafür, im Abschnitt 26.2.2 die Beschleunigung in ihre "natürlichen Komponen-
ten" (tangential und normal zur Bahnkurve) zu zerlegen. Bei der Verwendung dieser nalürlichell
Koordinalell musste beachtet werden, dass die Einheitsvektoren e, und e" ständig ihre Richtung
ändern (zeitabhängig sind), was beim Differenzieren nach der Zeit beachtet werden musste.
Eine ähnliche Situation liegt vor, wenn die Bewegung mit Hil-
fe von Polarkoordinaten beschrieben wird, was für eine Reihe
von Problemen vorteilhaft sein kann. Zur Beschreibung der La- Bahnkurvc
ge des bewegten Punktes wird sein Abstand r(t) von einem zu
wählenden festen Punkt und der Winkel cp(I) bezüglich einer
Bezugsgeraden benutzt (Abbildung 26.19). Mit dem Einheits-
vektor e" der stets die Richtung des Ortsvektors hat, kann der
Ortsvektor in der Form Abbildung 26. t9: Potarkoordi-
nalen
r(I) = r(I)e,(I) (26.24)
angegeben werden. Die Koordinate cp(I) steckt bei dieser Darstellung in dem Einheitsvektor e,.
e,
Da Gesehwindigkeits- und Beschleunigungsvektor nicht die Richtung von haben. wurde in die
Skizze auch gleich der zweite erforderliche Einheitsvektor e~ eingezeichnct.
478 26 Kinemalik des Punktes
Entsprechend liest man ab, dass die Änderung von e", gerade die entgegengesetzte Richtung von
e, hat. die Länge von !1e", kann (wie die Länge von !1e,) als !1cp angenommen werden. und ftir
I'.e", gilt also:
t.e", = -I'.cp. e,
Division durch !1rp und der Grenzübergang!1cp --40 liefern die Ableitungen der Einheitsvektoren
nach rp und damit auch nach der Zeit:
de, de, de, dcp
dcp dt drp dt
(26.25)
deI{! de", de", drp
-c,cp
dcp dr drp dr
Nun kann der Ortsvektor 26.24 nach der Zeit t abgeleitet werden, und man erhält unter Beachtung
von 26.25
oe:> Der Sonderfall r = konstant (Kreisbewegung) ist in diesen Formeln enthalten (für die
Kreisbewegung sind Polarkoordinaten die natürlichen Koordinaten). Man erkennt die Bahn-
geschwindigkeit rcp, die Bahnbeschleunigung rlp und die Normalbeschleunigung rcpl, deren
Minuszeichen anzeigt, dass sie dem Einheitsvektor c, entgegengesetzt gerichtet ist.
oe:> In Erweiternng der Begriffe für die Kreisbewegung werden auch für die allgemeine Bewe-
gung cp als Winkelgeschwindigkeit und Ip als Winkelbeschleunigung bezeichnet.
oe:> Man kann sich eine in kartesischen Koordinaten beschriebene allgemeine Bewegung als
Überlagerung von zwei (rechtwinklig zueinander verlaufenden) geradlinigen Bewegungen
vorstellen (wie z. B. bei der Fahrt eines Brückenkrans, bei dem sich gleichzeitig die Lauf-
katze quer zur Fahrtrichtung bewegt).
26.2 Allgemeine Bewegung des Punktes 479
Analog dazu darf man sich eine mit Polarkoordinaten bescllriebene Bewegung als Über-
lagerung einer geradlinigen Bewegung und einer Drehbewegung vorstellen (Beispiel: Ein
Baukran dreht sich und die Laufkatze bewegt sich nach außen). Dementsprechend findet
man in 26.26 den Geschwindigkeitsanteil r und den Beschleunigungsanteil i' der geradlini-
gen Bewegung und die bereits diskutiel1en Anteile der Kreisbewegung. Eine gewisse Son-
derstellung nimmt der Beschleunigungsanteil 2rq; ein. Für das "Bau kran-Beispiel" würde
also neben den bekannten Anteilen noch eine zusätzliche Beschleunigung auch dann auf-
treten, wenn die Drehbewegung mit konstanter Winkelgeschwindigkeit q; erfolgt und die
Laufkatze sich mit konstanter Geschwindigkeit r nach außen bewegt. Die beschleunigende
Wirkung entsteht dadurch, dass sich die Laufkatze in Richtung von Kreisbahnen mit größe-
rem Umfang (und damit größerer Bahngeschwindigkeit) bewegt. Dieser etwas schwierige
Sachverhalt wird im Abschnitt 27.2 ausführlicher diskutiert.
I
Beispiel: I
Für den als Beispiel im Abschnitt 26.2.2 be-
reits mit kal1esischen Koordinaten untersuchten Mechanis-
mus soll die Bahnkurve in Polarkoordinaten formuliel1 wer-
den.
Gegeben: 0, l, "A = konstant.
VA
Wenn die Zeitzählung mit I = 0 in dem Moment beginnt,
wenn die Stange A-B die horizontale Lage einnimmt, gilt ent- r B
sprechend nebenstehender Skizze: a 'P
cp
J02+ ";'
vAt
r(l) = ( - 12 ~ t~
A '.r'\l~
"A I (j,
0/(1) = arctan-
o
Diese Darstellung enthält alle Informationen über den Bewegungsablauf, und es ist im Allgemei-
nen nicht sinnvoll, nach 26.24 den Ol1svektor mit dem zeitlich veränderlichen Einheitsvektor
e,(I) = [coso/(T)]
SIO 0/(1)
aufzuschreiben, zumal sämtliche Geschwindigkeits- und Beschleunigu.ngsanteile nacb 26.26 durch
Differenzieren von r(l) und 0/(1) gewonnen werden können. Man erhält z. B.:
,,2 1 0 2 ,,2
A
r(l) = I A ;'(1) = (2 2 2) 3
Va2+V~/2 Cl +VAI .,
2±
q;(I) I "A q;(I) "T
I+~ -;; (l+~f
Damit kann man sämtliche Geschwindigkeits- wld BeschleuniglUlgsanteile aufschreiben. Sie
sind radial gerichtet bzw. senkrecht dazu (nicht normal bzw. tangential zur Bahnkurve).
480 26 Kinemalik des Punktes
JVx
I,
Länge der ßahnkurve: 2 +.'12 +i2 dl
SI.2 = (26.29)
I,
ßeschleunigungsvektor: (26.30)
Gesamtbeschleunigung: (26.31)
c:> Auch für die Bewegung im Raum gilt, dass der Geschwindigkeitsvektor in jedem Punkt
tangential zur Bahnkurvc gerichtet ist und damit als Produkt aus Bahngeschwindigkeit und
Tangenteneinheitsvektor dargestellt werden kann:
(26.32)
':> Durch Differenzieren von 26.32 nach der Zeit ergibt sich der Beschleunigungsvektor
~ dv dv ~ de, . ~ de, ds
a= - = - . er + v· - = v· er + v· - -
dl dl dl ds dl
(26.33)
2 de, . _ ,,2_
p .e"
_
= V e, + v . (I; = V· e, +
26.3 Aufgaben
Au/gabe 26.1:
I_ I
_ _ _ _..... Em Formel-I-Rennwagen beschleulllgt (1m Jahr 1993) aus dem Stand auf eme
Geschwindigkeit von 100 km/h in 2,6 s. Aus einer Geschwindigkeit von 280 km/h stoppt er bei
Vollbremsung nach 15 I,3 m.
a) Wie groß ist die mittlere Beschleunigung am in O1/s2 während des Anfahrvorgangs?
b) Wie groß ist die mittlere Bremsverzögerung (negative Beschleunigung) bei dem beschriebe-
nen Bremsvorgang"
Alt/gabe 26.2: I
I_ _ _ _ _..... Der Steg emes Planetengelnebes
YI
Sonnenrad
Planetenrad
a) Zum Zeitpunkt t = 0 befindet sich das Planetenrad in der skizzierten horizontalen Lage. Es ist
die Bal1nku.rve des Punktes A in ParameterdarsteUung x(t) und y(t) bezüglich des skjzzierten
Koordinatensystems zu ermitteln.
b) Für welche Radienverhältnisse fi ist der Punkt A nach einem vollen Umlauf des Steges wieder
in der skizzierten Lage"
c) Man ermittle die Funktionen für die BaJ111geschwindigkeit v(t) und die GesamtbeschJeuni-
gung art).
eI) Mit einer geeigneten Software (www.TM-aktuell.de) stelle man die Bahnkurve des Punktes
A für ~ = 2 und ~ = 1.5 grafiscb dar und berechne die Länge des Weges. den der Punkt bei
zwei vollen Stegumläufen zurücklegt.
482 26 Kinemalik des Punktes
I
Aufgabe 26.3: I
Ein sternförmiger Mitnehmer rotiert mit a
I
Aufgabe 26.4: I
Eine Kurbel dreht sich mit der kon- F
stanten Winkelgeschwindigkeit ~ und nimmt die Stan-
ge ;\-B mit. Bei I = 0 befindet sich A im Punkt D. B
E
Gegeben: a. I, R, ~.
I
I Aufgabe 26.5: Ein Zahnrad mit dcm Radius R treibt eine hori- 1"0 1"0
zontal geführte Zahnstange nach dem Winkel-Zeit-Gesetz ;p
cp(l) = <pJ sin k ,I ~~.:::,;;~~~=(
an. Die Zahnstange ist über einen starren Hebel gelenkig mit dem
auf einer vertikalen Bahn geführten Gleitstein G verbunden. Das
System nimmt zur Zeit [ = 0 die dargestelile Lage ein. IY
1
Gegeben: R, 1=2R, k" <pJ=~.
Man ermittle
a) das Bewegungsgesetz y(l) des Gleitsteills G und seillen maximalen Hub Yo,
b) die Zeit [, bis zum ersten Erreichen des oberen Totpunktes.
Ein starrer Körper besteht aus einer unendlichen AnzaW von Punkten, die ihre Lage zueinander
nicht ändcrn. Für dic weitaus meisten Probleme der Kinematik und Kinetik ist dieses fiktive
Gebilde das völlig ausreichende Modell zur Untersuchung von Bewegungsvorgängen (wie in der
Statik zur Untersuchung von Gleichgewichtszuständen).
Man könnte die ebene Bewegung des starren Körpers mit den Verfahren aus dem Kapitel 26
(Kinematik des Punktes) beschreiben, wenn man die Bewegung von zwei Punkten des Körpers
beschreiben würde. Da der Abstand der Punkte konstant bleibt, genügt jedoch bereits die Angabe
der zeitlichen Abhängigkeit
• der beiden Koordinaten eines Punktes und einer Koordinate eines zweiten Punktes oder
• der beiden Koordinaten eines Punktes und einer zusätzlichen Winkelkoordinate.
Der starre (durch keine Bindungen behinderte) Körper iJl der Ebene hat drei Freilzeirsgrade.
Seine Lage ist durch die Angabe von drei geeigneten Koordinaten eindeutig bestimmt, seine
Bewegung wird durch die zeitliche Abhängigkeit dieser Koordinaten beschrieben.
<> Durch ZlIsätzliche Bindungen (z. B. an eine vorgeschriebene Bahn) kann die Anzahl der
Freiheitsgrade eingeschränkt sein. Für die Probleme der technischen Praxis ist die Bewegung
eines Körpers mit nur einem Freiheitsgrad sogar eher die Regel als die Ausnahme.
Beispiel J:
I_"";_ I
_...1 Der Mitnehmer der skiZZIerten Gabel bewegt SIch mit
VA = konstant nach rechts. Zum Zeitpunkt f = 0 sei cp = O. Für die Bewe-
gung der Gabel sollen das Bewegungsgesetz cp(r), die Winkelgeschwin-
digkeit roc(f) und die Winkelbeschleunigung ac(f) ermittelt werden.
Gegeben: I, VA.
Mit dem Weg VA I nach 26.5, den der Mitnehmer bis zum Zeitpunkt t zurliekge-
legt hat, entnimmt man dem nebenstehend skizziel1en rechtwinkligen Dreieck das
Bewegungsgesetz:
VA t VA t
tan<p = -,- =? <p = arctan -/-
Durch Differenzieren erhält man die Winkelgeschwindigkeit und die Winkelbe-
schleunigung der Gabel:
A
ac(t) = ciJc(t) =
Beispie/ 2: I
I_"";'_....1 E1I1e Kurbel mit dem RadiUS R läuft mit der konstanten
Winkelgeschwindigkeit ~ um und nimmt dabei eine Schwinge mit
(eine Animation unter www.TM-aktuell.de zeigt die Bewegung die-
ses Getriebes). Es sollen das Bewegungsgesetz der Schwinge <p(t), ihre
Winkelgeschwindigkeit ros(t) und WinkelbeschJelmigung as(r) ermit-
telt werden.
Gegeben:
Als Beginn der Zeitzählung r = 0 wird die vertikale L1ge der Schwin-
ge <p = 0 gewählt, bei der der Mitnehmer der Kurbel seine tiefste Lage
hat. Dann ist der bis zum Zeitpunkt' von der (mit konstanter Winkelge-
schwindigkeit umJaufenden) Kurbel zurlickgelegte Winkel nach 26.23
gleich ~,.
Die Schwinge hat sich bis zu diesem Zeitpunkt um den Winkel <p ge-
dreht, und der Skizze rechts wird der geometrische Zusammenhang ent- Rsin"1JI
nommen, der das Bewegungsgesetz der Schwinge liefert:
R sin ~r sin~,
tan <p = ,----=:---=- <p(l) = arctan "'ß---=-
(-R cos~r -COS~l
Diese Kontrollmöglichkeit wurde bereits im Beispiel I des Abschnitts 26.2.4 genutzt und ist
bei Aurgaben dieser Art immer zu emprehlen: Wenn die grafischen Darstellungen der analy-
tisch erzeugten Ableitungen mit den durch numerisches Differenzieren gewonnenen Kurven de-
ckungsgleich sind, ist das ein vorzügliches Indiz rür die Richtigkeit. Gleichwertig ist natürlich
die Benutzung eines Programms, das symboli~ch differenzieren kann.
<> Der Antrieb mir konstanter Winkelgeschwindigkeit über eine Schwinge. die die Bewegung
umwandelt, ist in der technischen Praxis recht häufig anzutreffen. Neben der Möglichkeit,
gleichmäßige Drehbewegungen in "Hin-und-Herbewegungen" umzuformen (Werkzeugma-
schinen, Schwingtische•...), zeigt das nachfolgende Beispiel eine weitere Variante.
Beispiel 3:
I_ I
_ _ _...I Das so genannte Malteserkreuz tst ell1 Mechamsmus,
der eine kontinuierliche Drehbewegung in eine periodische (durch
Rasten unterbrochene) Drehbewegung umwandelt.
Der Mitnehmer der sich mit ~ drehenden Kurbel nimmt nur auf
einem Teil seines Weges (während des Eingriffs in einen SChlitz)
das Malteserkreuz mit, das sich bei eincm Eingriff um den Winkel
2 q>* weiterdreht. Die Skizze zeigt gerade das Ende eines Eingriffs
und den Beginn der Ruhephase (vgl. www.TM-aktuell.de. dort auch
als Animation).
Während des Eingriffs gilt gcnau das Bewegungsgesetz, das rür die Schwinge des Beispiels 2 her-
geleitet wurde. Die kinematischen Diagramme dieses Beispiels zeigten erwartungsgemäß, dass
rür den Punkt des größten Ausschlags der Schwinge (Umkehrpunkt ihrer Bewegung) die Win-
kelgeschwindigkeit Ws gleich Null ist. Wenn nun das Malteserkreuz so konstruiert wird, dass
der Austrittspunkt des Mitnehmers aus dem Schlitz (und aus Symmetriegründen damit auch der
Eintrittspunkt) mit dem Stillstand des Malteserkreuzes zusammenfallt, dann beginnt dessen Ru-
hephase genau in dem Moment, in dem es ohnehin keine Winkelgeschwindigkeit hat, so dass
es nicht zusätzlich gebremst werden muss (es wird allerdings sicherheitshalber während der Ru-
hephase vom hinteren Teil des Mitnehmers, der genau in die bogenfötmigen Aussparungen des
Malteserkreuzes passt, arretie(1).
Aus den für das Beispiel 2 ermittelten Funktionen entnimmt man, dass Ws = 0 wird, wenn
R
eos~t*=T
ist. R und I sind zum Zeitpunkt (* also Kathete bzw. Hypotenuse eines rechtwinkJigen Dreiecks,
der Winkel q>* berechnet sich in diesem rechtwinkligen Dreieck aus
* . R
q> = arcs 111 T 2 q>*
R
-
I
Während des Mitnehmereingriffs dreht sich das Malteserkreuz um 120° 0,866
den Winkel 2 q>*. Es ist klar, dass einc volle Umdrehung (360°) ein
90° 0,707
ganzzahliges Vielfaches von 2q>* sein muss, so dass nur spezielle
72° 0,588
Abmessungsverhältnissc sinnvoll sind, von denen die nebenstehende
Tabelle einige zeigt. 600 0,500
486 27 Kinematik starrer Körper
Ein Körper führt eine reine Translation aus. wenn jede beliebige Gerade, die zwei Punkte des
starren Körpers verbindet, während der Bewegung ihre Richtung beibehält. Bei einer solchen Be-
wegung mit zwei Freiheitsgraden bewegen sich alle Punkte des Körpers auf kongruenten Bahnen,
so dass die Beschreibung der Bewegung eines Punktes genügt (Kinematik des Punktes, Kapitel
26). Dieser Spezial fall braucht also nicht noch einmal betrachtet zu werden. Man beachte:
oe:> Die Bahnen bei der translatorischen Bewegung können beliebige Kurven sein, zum Beispiel
auch Kreise: Die Kabine eines Paternosters fiihrt (zum Glück für verträumte Mitfahrer) wäh-
rend der gesamten Bewegung eine Translation aus, auch in den Umkehrbereicben. in denen
sich alle Punkte der Kabine auf Kreisbahnen bewegen.
Es ist üblich (nnd meist zweckmäßig), die allgemeine Bewegung als eine Überlagerung einer
Translation mit einer Rotation zu beschreiben.
I_Beispiel 1:I
_ _ _.... Das skizzierte Dreieck bewegt sich aus der Ct2~ B I
I \
Anfangslage ABC in die Endlage A'B'C'. Man kann diese A --~B
Bewegung zum Beispiel auffassen als eine reine Transla-
tion aus ABC nach A' B"C" (alle Punkte bewegen sich auf
kongruenten Bahnen) und eine Drehung Ulll den Punkt A'.
Bei dieser Betrachtung wurde der Punkt A als Bezugspunkt
(zur Beschreibung der Translation und als Zentrum der Ro-
Abbildung 27.2: Die Bahnen A-A'.
tation) verwendet. Natürlich kann daftir auch jeder andere 8-8" und C-C" sind deckungsgleich
Punkt benutzt werden. (auch wenn es nicht so aussieht)
L-:> Die mit dem Beispiel J demonstrierte Betrachtungsweise ist selbst dann in vielen Fällen
noch sinnvoll, wenn eine Bewegung mit nur einem Freiheitsgrad untersucht wird. Sie ist
ftir die Analyse komplizierter Bewegungsabläufe so wichtig, dass sie nachfolgend an zwei
einfachen Beispielen noch einmal verdeutlicht werden soll.
Beispiel 2:I
I_ _ _ _.... ElI1e Walze, dJC auf emer schIefen Ebene eme
reine (schlupffreie) Rollbewegung ausfühl1, hat nur einen
Freiheitsgrad.
Die Translation (beschrieben zum Beispiel durch eine Ko-
ordinate x, die die jeweilige Lage des Mittelpunktes angibt)
erfolgt auf einer Geraden, und die Drehbewegung ist von
der Translation nicht unabhängig, weil die auf dem Umfang
abgewälzte Strecke gleich sein muss mit der Strecke, die der
Abbildung 27.3: Reines Rollen
Mittelpnnkt zurückgelegt hat. Es gilt die so genannte
Beispiel 3:
I_"";_ I
_...1 Die Bewegung elOes bel A drebbar gelagerten Stabes, der sich aus der vertlkalen
Lage um den Winkel rp gedreht hat, wird durch Überlagerung einer Translation, bei der der Stab
die veltikaJe Lage beibehält, mit einer Rotation beschrieben.
Es werden unterschiedliche Punkte (A,
fT
1
A
B, C) zur Beschreibung der Translati-
on benutzt. Um den gleichen Endzu-
stand der Bewegung zu erreichen, muss
der Stab (abhängig vom gewählten Be-
B
-r
c
zugspunkt) unterschiedliche translatori- c C c
sche Wege zurücklegen (fLir den Bezugs- rp Xc
Die Winkelgeschwindigkeit des rotatorischen Anteils der ebenen Bewegung eines starren Kör-
pers ist von der waW des Bezugspnnktes (Drebpunkt für die Rotation) unabhängig.
Im Beispiel 3 bietet sich Punkt A als Bezugspunkt an, weil dann kein translatorischer Anteil zu
berücksichtigen ist. Es gibt jedoch (in der Kinetik) oft gute Gründe, den Schwerpunkt zu wählen,
so dass selbst eine reine Rotation als Kombination aus Translation und Rotation betrachtet wird.
488 27 Kinematik starrer Körper
die nach 26.18 entsprechend "mt = r (f) mit der Ent- Abbildung 27.6: Translations- und Rotati-
fcmung vom Drchpunkt lincar anwachscn. onsgeschwindigkeilen
Bei gleichzeitiger Translation und Rotation können die Geschwindigkeiten aller Punkte des Kör-
pers aus der Überlagerung der beiden Anteile ermittelt werden (Abbildung 27.6). Es ist ein-
leuchtend, dass es in der Ebene genau einen Punkt geben muss, für den sich die beiden Ge-
schwindigkeitsanteile gerade aufheben. Wenn dieser Punkt als Bezugspunkt für die Bewegung
gewählt wird, entfallt also der translatorische Anteil.
Zu jedem Zeitpunkt der allgemeinen Bewegung eines starren Körpers in der Ebene kann der
Geschwindigkeitszustand wie bei einer (momentanen) reinen Rotation um einen festen Punkt,
den so genannten Momentanpol, analysiert werden.
oe:> Der Momentanpo! befindet sich in dem betrachteten Augenblick in Ruhe. während alle übri-
gen Punkte des Körpers Rotationen um ihn ausführen. Die Geschwindigkeiten dieser Punkte
sind tangential an die (konzenlJischen) Kreise um den Momentanpol gerichtet.
0::> Der Momentanpol liegt in der Bewegungsebene (muss kein Punkt des bewegten Körpers
selbst sein). Er ändert im Allgemeinen ständig seine Lage. Er ist im betrachteten Moment
geschwindigkeitsfrei, in der Regel aber nicht beschleunigungsfrei.
Beispiel]: I
I_ _ _ _...I Im BeIspiel 2 des von gen Abschmtts wurde herausge-
funden, dass der Berührungspunkt zwischen Rad und Unterlage mo-
metHan in Ruhe ist. Dieser Punkt ist der MOlllelJ/anpol M der Be-
wegung. Die Geschwindigkeit des beliebigen Punktes B des Rades
ist dann senkrecht zur Verbindungslinie MB gerichtet. Wenn die Ge-
schwindigkeit VA eines Punktes A des starren Körpers bekannt ist (hier
soll es die horizontale GeSChwindigkeit des Radmittelpunktes sein), Abbildung 27.7: Ge-
kann die momentane Winkelgeschwindigkeit (f) des Körpers nach schwindigkeiten sind
proportional zum Ab~
(27.2) stand vom Momenlanpol
berechnet werden (rA ist der Abstand des Punktes A vom Momentanpol M). Da für jeden Punkt
des Körpers eine entsprechende Ponnel gilt, kann z. B. für den Punkt B im Abstand rB vom
Momentanpol die Geschwindigkeit nach
VB = rBill (27.3)
berechnet werden. Diese am speziellen Beispiel gewonnenen Erkenntnisse gelten allgemein.
27.1 Die ebene Bewegung des starren Körpers 489
Die Geschwindigkeiten zweier Punkte A und B eines starren Körpers verhalten sich wie ihre
Abstände vom Momenranpol:
(27.4)
VB rB
Die Geschwindigkeiten sind senkrecht zu den Verbindungslinien der PunkteA bzw. B mit dem
Momentanpol gerichtet.
Diese Aussagen ermöglichen es, die Geschwindigkeiten beliebiger Punkte eines starren Körpers
anzugeben, wenn die Lage des Momentanpols und dje Geschwindigkeit eines Punktes bekannt
sind. Andererseits kann dic Lagc dcs Momcntanpols auf dcr Gnmdlagc dieser Erkcnntnisse gc-
funden werden.
Im Allgemcinen kann man die Lage des Momentanpols mit einer der
vier folgenden Aussagen finden:
Q Bei reinem Rollen eines starren Körpers (ohne Schlupf) auf ei-
ner ruhenden Unterlage ist immer der Berührungspunkt zwi-
schen Körper und Unterlage der Momentanpol (Abbildung 27.8.
oben).
Q Wenn die nicht parallelen Geschwindigkeitsrichtullgen zweier
Punkte A und B bekannt sind, findet man den Momentanpol als
Schnittpunkt dcr Senkrechtcn zu dicscn Richtungen (Abbildung
27.8, Mitte). M· ,
/
c:> Bei bekannten parallelen GeschwindigkeitsrichtungeIl zweier B
Punkte A und B (Abbildung 27.8, untcn) müssen zusätzlich
auch Richtungssinn und Größe der Geschwindigkeiten bekannt
sein. Der Momentanpol liegt auf der Verbindungsgeraden bei-
der Punkte, die Abstände der Punkte vom Momenranpol sind
nach 27.4 proportional zu den Beträgen ihrer Geschwindigkeiten
(Strah lensatz-Figur).
.M
Q Bei parallelen Geschwindigkeiten zweier Punkte mit gleichem
Richtungssinn und gleicher Größe liegt der Momentanpol "im Abbildung 27.8: Lage
Unendlichen" (reine Translation). des Momentanpols
Beispiel 2:
I_"';'_....1 I Für das (schraffiert gezeichnete) Pleuel ell1er Schub-
kurbel (Animation unter www.TM-aktucll.dc) soll der Momentan- M
pol für die skizzierte Lage bestimmt werden.
Für die beiden Endpunkte des Pleuels sind die Geschwindigkeits-
richtungen bekannt, da sich der Kolben nur vet1ikal bewegen kann
und die Kurbel eine Kreisbewegung (mü tangential gerichteter Ge-
schwindigkeit) ausführt. Der Schnittpunkt der Senkrechten auf die
Geschwindigkeitsrichtungen ist der gesuchte Momentanpol M.
Die Drehrichtung der Kurbel (hier rechtsdrehend gezeichnct) hat
keinen Einfluss auf dic Lage des Momentanpols.
490 27 Kinematik starrer Körper
I
Beispiel 3:
I_"";_ _...1 Die Koppel BC der skIzzIerten VIergelenkkette führt
bei Antrieb durch eines der beiden gelagerten Glieder (z. B. AB) ei-
ne relativ komplizierte Bewegung aus (Animation unter www.TM-
aktuell.de, siehe auch Abschnitt 26.2.4). B D
Für jede Lage findet man den Momentanpol auf der Verlängerungs-
linie der beiden gelagerten Glieder, weil sich die Punkte Bund C A
auf Kreisen um A bzw. D mit tangential zu den Kreisen gerichteten c
Geschwindigkeiten bewegen.
I
Beispiel 4:
I_ _ _ _...I D,e Endpunkte zweIer Seile, die
auf unterschiedlichen Radien eine Walze um-
schlingen. werden wie skizziel1 bewegt.
Man findet den Momcntanpol dcr Bewcgung der
Walze nach der Strahlensatz-Figur und könnte
bei gegebenen Radien rur jeden Punkt der Walze
die Geschwindigkeit crmittcln. Der Skizze ist zu ,
entnehmen, dass die Walze eine Linksdrehung ,;
ausfiihrt und der Mittelpunkt (mit der einge- "
zeichneten Geschwindigkeit) angehoben wird.
I_"";_ I
Beispiel 5:
_...1 DIe Gleltsteme A und B smd durch eme starre Stan-
ge gekoppelt. In der skizzierten Stellung bewcgt sich Gleitstein B 0
1T b
Ip=--a mit a = arctan- Ip = 63,43 0
2 a
27.1 Die ebene Bewegung des starren Körpers 491
Entsprechend der Idee. die Bewegung eines starren Körpers durch die Translation eines Punktes
des Körpers und eine ROlation um diesen Punkt zu beschreiben, wird dieser ausgewählte Punkt
o mit dem Ortsvektor 1'0 verfolgt.
Dieser Vektor beschreibt die Translation des Körpers nach den
Regeln der Kinematik des Punktes (Kapitel 26). wofiir ein ge-
eignetes raum festes Koordinatensystem verwendet wird (in der 'y p
Abbildung 27.9 wurde willkürlich ein kartesisches Koordinaten-
system eingezeichnet, es könnten z. B. durchaus auch Polarkoor-
dinaten sein).
Für die Beschreibung der ROla/ion um den Punkt 0 werden Po-
larkoordinaten mit dem Ursprung in 0 geWählt (in der Abbil- x
dung 27.9 wurde die Lage eines beliebigen Punktes P des Kör-
pers durch r' und cp festgelegt). Weil für den starren Körper der
Abstand r' der Punkte 0 und P konstant bleibt, ist in dem Vektor Abbildung 27.9: Translation
1", der die Lage von P relativ zu 0 beschreibt, nur der Einheits- lind Rotation
<:> Die ebene Bewegung des S/{lrren Körpers wird beschrieben durch die Translation eines belie-
bigen Bezugspunktes 0, der eine Rotation um den ßezugspwlkt überlagert isl. Die Translali-
on des Bezugspunktes kann auf einer beliebigen (im Allgemeinen gekrümmten) Bahnkurve
492 27 Kinematik starrer Körper
erfolgen ond wird nach den Regeln der "Kinematik des Ponktes" (Kapitel 26) beschrieben.
Die Rotation um den Bezugspunkt erfolgt mit der (im Allgemeinen zeitlich veränderlichen)
Winkelgeschwindigkeit w um den Bezugspunkt, wobei jeder Punk! des starren Körpers eine
Kreisbewegung um den Bezugspunkt ausfLihn.
L-:> Die Geschwindigkeit eines beliebigen Punktes P setzt sieh aus einem translatorischen Anteil
Vrra 1/S und dem rotatorischen Anteil VrQr zusammen. Dabei ist
a m, die sich im Allgemeinen auch aus zwei Anteilen (a,.rm und G".mI) zusam-
mensetzende Beschleunigung der Kreisbewegung des Punktes P um den
Bezugspunkt 0:
ar,Tm = r* 6J
Im allgemeinen Fall ist also die Gesamtbeschleunigung des Punktes P aus vier Anteilen
vektoriell zusammenzusetzen.
Beispiel 1: I
I_"";_ _...1 EIIl Planetenrad mit dem RadiUS y rollt auf
einem feststehenden Sonnenrad (Radius R) ab. Der Steg
dreht sich mit der konstanten Winkelgeschwindigkeit ws.
Gegeben: R l r I Ws·
R
Für den Außenpunkt B und den Punkt C (Berührwlgs-
punkt mit dem Sonnenrad) des Planetenrades sollen die
Beträge der Geschwindigkeiten V8 bzw. ve und die Be-
träge der Gesamtbesehleun.igungen 08 bzw. oe ermittelt Abbildung 27.10: Sonnenrad und Pla-
werden. nelenrad
27.1 Die ebene Bewegung des starren Körpers 493
Infolge der Drehbewegung des Steges mit konstanter Winkelgeschwindigkeit bewegt sich der
Punkt A, der zum Steg und zum Planetenrad gehört, nach 26.18 mit der Geschwindigkeit
VA = (R+r)ws
auf einer Kreisbahn. FÜT die Ermiltlung der Geschwindigkciten der Punkte Bund C werden die
beiden Wege a) und b) demonstriert, unter c) werden die Beschleunigungen berechnet:
a) Der Momentanpol Mp des Planetenrades ist der Berührungs-
punkt C des rollenden Rades mit dem feststehenden Sonnen-
rad (Abbildung 27.11). Die Gescbwindigkeit des Pu'l1<tes A
ist bekannt, und damit ergibt sich nach 27.4:
vB=2vA=2(R+r)ws vc=O
Die Winkelgeschwindigkeit des Planetenrades errechnet sich
nach 27.2:
VA
Wl'=-= ( 1+-
r
R)
r
Ws
Abbildung 27.11: Momentan-
pol und Geschwindigkeiten
oe:> Flir die Ermittlung der Geschwindigkeiten erweist sich die Methode, den Momentanpol der
Bewegung zu bestimmen, um dann auf sehr einfache Weise fur alle Punkte zu den gewlinsch-
ten Aussagen zu kommen, fast immer als der glinstigere Weg.
oe:> Die (hier nicht behandelte) Möglichkeit, die Analyse des Beschleuojgungszustandes mit
Hilfe des Beschlel/nigl/ngspols (punkt, der momentan keine Beschleunigung erfuhrt) durch-
zufuhren, kann nicht empfohlen werden. Die Betrachtung der Bewegung als Translation
(beschrieben durch dje Bewegung eines Punktes) mit überlagerter Rotation ist dafiir im All-
gemeinen deutlich übersichtlicher und auch einfacher.
Beispiel 2: I
I_"';'_.....1 DIe Achse emes Rades w,rd mit der kon-
stanten horizontalen Geschwindigkeit "0 geflihrt. Das Rad
durchfäh,t eine Bodenwelle, die man im Bereich A ... B als
kreisförmig ansehen darf. Beim Passieren des Punktes A sei
C= O.
Gegeben: R, r, "0.
Berechnet werden sollen
a) die Bahngeschwindigkeit "s(l) und die Gesamtbe-
schleunigung (ls(c) des Radmittelpunktes und die Win-
kelgeschwindigkeit (0(1) sowie die Winkelbeschleuni-
gung a(l) dcs Rades,
b) für qJ = 45° die Geschwindigkeit Vv lmd die Gesamtbe-
schleunigung (IV des Punktes D.
a) Der Radmittelpunkt bewegt sich auf einer Kreisbahn mit dem Radius R - r. Für diese Bewe-
gung wird das Bewegungsgesetz qJ(l) formuliert, um dann nach 26.18 die Bahngeschwindig-
keit und die Bahnhesehleunigung zu berechnen.
Nach 26.5 ist 1'01 der bei konstanter Geschwindigkeit 1'0 bis zum
Zeitpunkt 1 zurückgelegte (horizontale) Weg, und aus der neben-
stehenden Skizze liest man ab (rechtwinkliges Dreieck):
"0 t "0 I
sinqJ = - - =} qJ(l) = arcsiJl--
R-r R-r
Nach 26.18 erhält man die Bahngeschwindigkeit
(R-r)"o
"S = (R-r)ep = ----r~=~=
J(R - r)2 -"612
und die Bahnbeschleunigung
as =
,
a;,s+a~,s =
, a-
,
+ (R-r
s V 2)2
f,S 3
[(R- r)L VÖl2P
Der Berührungspunkt zwischen Rad und Boden ist der Momelllanpol der Bewegung des
Rades. Der Radmittelpunkt mit der Geschwindigkeit Vs hat vom Momentanpol den Abstand
1', so dass man nach 27.2 die Winkelgeschwindigkeit des Rades erhält:
vs
W(I)=-= (R)
--1 vo
I' I' J(R-r)2 -v612
Die WinkelbescWeuniglUlg des Rades ergibt sich nach 26.20:
(-R)
3
V 1
a(I)=6J(I)= -I 0 3
[(R-r)2-v6 12 P
I'
b) Aus dem Bewegungsgesetz cp(l) errechnet sich die Zeit In, nach der ein Win-
y
kel von cp = 45° erreicht wird:
R-r R-r
In = - - sin45° = - -
Vo J2 Vo
Dies wird in die Formel für Vs eingesetzt, und man erhält die Geschwin-
D
/vs,t
/
digkeit des Mittelpunktes zum Zeitpunkt In. Der Punkt 0 m.it der doppelten s
Entfernung vom Momelllanpol (nebenstehende Skizze) hat die doppelte Ge-
schwindigkeit:
Vs = VS(IB) = J2 Vo =} Vo = 2 J2 vo
Für die Berechnung der Beschleunigung des Punktes 0 wird die Bewegung als Translation
des M.ittelpunktes S und Rotation um diesen Punkt betrachtet: Beide Bewegungen liefern je
einen Bahnbeschleunigungsanteil a, und einen Normalbeschleunigungsanteil an, so dass sich
die Beschleunigung des Punktes 0 aus vier Anteilen zusammensetzt.
Die fUr den Punkt S (Bewegung auf einer Kreisbahn an,trans
mit dem Radius R - 1') geltenden Anteile werden als ,/at,trans
Translations-Beschleunigung für alle Punkte des Ra-
des (mit Betrag und Richtung) übernommen (neben-
stehende Skizze), für die Rotation um diesen Punkt
(mit wund a) geiten 26.18 und 26.22.
Aus den vier Beschleunigungsanteilen errechnet sich die Gesamtbeschleunigung für den
Punkt 0:
2v2 _ V1(IB) 2 v6
a1,lralls = O"S(tB) = - R
0 Qn,rrans = R _ r = R - r
-I'
_ 2VÖ _ 2
an.rol = rW (IB) = -
2V6
a,.ro, = ra(IB) = - R
-I' r
ao = _ _ 2 -
'
(auraf/s+Ut.ror) +(Un.rra/ls-an,ro,) - R-r
- 2 _ 2 Vö
J8-4-;:+ (-;: )2
R R
496 27 Kinematik starrer Körper
Jede Bewegung kann nur relativ zu einem Bezugssystem beschrieben werden. Bewegt sich das
Bezugssystem selbst, so stellt sich die Bewegung relativ zum Bezugssystem bzw. relativ zu einem
"festen System" unterschiedlich dar (die Anführungsstriche sollen andeuten, dass es ein solches
System eigentlich nicht gibt).
I
Beispiel I:
I_ _ _ _...I In emem sIch bewegenden Fahrzeug I~'
I \
wird ein Gegenstand senkrecht nach oben geworfen:
Die Beobachtcr im Fahrzcug bzw. außcn stehcnde
Beobachter (im ruhenden System) sehen unterschied- ~ I
lichc Bahnkurven (Abbildung 27.14).
\/
Ein Punkt auf dem Umfang eincs Rades führt aus der
Sicht des Mitfahrers eine Kreisbewegung aus, ftir den Abbildung 27.14: Bahnkurven aus der Sicht
ruhenden Beobachter bewegt sich der Punkt auf einer von mitfahrenden und nicht mitfahrenden
Zykloide (vgl. Beispiel auf Seite 465). Beobachtern
In diesem Abschnitt sollen Problcmc behandelt werden, bci dencn sich cin Punkt relativ zu einem
sich ebenfalls bewegenden starren Körper bewegt. Natiirlich kann die Bewegung des Punktes im-
mer mit Bezug auf ein festes Koordinatensystem betrachtet werden. Vielfach ist es jedoch zweck-
mäßiger, die Führungsbewegung (Bewegung des starren Körpers im festen Koordinatensystem)
und die Relativbewegung (des Punktes relativ zum starren Körper) gesondert zu betrachten und
die beiden Bewcgungcn anschließcnd zu überlagcrn. Das folgende Bcispiel zcigt, was dabci zu
beachten ist.
I
Beispiel 2:
I_ _ _ _...I Eme Krclsschclbc rOtlcn mit dcr konstanten Wmkelgc-
schwindigkeit ~. Zum Zeitpunkt t = 0 beginnt ein Punkt P vom Au-
ßenrand aus eine Bcwegung mit konstanter Relativgeschwindigkeil V,-eI
radial nach innen.
Gegeben: R l ~ 1 Vre/'
_
v(I)=(R-"'e/I)~
[-sin~t] + V"I [-COS~I]
.
cos~t - sm~1
_ = (R-v'e/I)Wö2 [-COS~I]
a(l) .
- sm~1
+2",e1~
[ sin~t]
-cos~t
Die Vektoren
er = [ -sin~l]
COS~I
und eil = [-CO.S~I]
-sln~1
sind der tangentiale Einheitsvektor bzw. der (nach innen gerichtete) Normalen-Einheitsvektor, so
dass die Faktoren vor diesen Vektoren deren Beträge sind.
Das Ergebnis gestattet eine anschauliche Interpretation der Geschwindig-
keits- und Beschleunigungsan!eile:
Der Geschwindigkeitsvektor v setzt sich wie erwartet aus der Führungs-
geschwindigkeit mit dem Betrag
"f=(R-""lt)~
Abbildung 27.15:
(Bahngeschwindigkeit des Punktes der rotierenden Scheibe, in dem sich P Führungsgeschwin-
zur Zeit I gerade befindet) und der Relarivgeschwindigkeit mit dem Betrag digkeit und Relativ-
V,e/ zusammen. Die nebenstehende Skizze zeigt diese beiden Anteile. geschwindigkeit
Auch bei der Beschleunigung wird der erste Summand des Ergebnisses durch die Führungs-
bewegung (Drehung der Scheibe) verursacht: Es ist die Normalbeschleunigung der Punkte der
Scheibe, die sich auf einer Kreisbahn mit dem Radius (R - "",I) bewegen (dort befindet sich P
gerade). Diese so genannte Fiihrungsbeschleunigung af könnte im allgemeinen Fall noch um die
Bahnbeschleunigung dieses Punktes ergänzt werden müssen, wenn die Führungsgeschwindigkeit
(hier die Winkelgeschwindigkeit ~) nicht konstant ist.
Eine im Allgemeinen auch mögliche Relarivbeschleunigung a,.pl kommt im Ergebnis nicht vor,
weil die Relativgeschwindigkeit des Punktes P gegenüber der Scheibe konstant ist.
Damr tritt ein Beschleunigungsanteil aue der nur in der Kombination der beiden Bewegungen
seine Ursache haben kann, da diese so genannte Coriolisbeschleunigung
ae =2~v,,1
(nach dem französischen Physiker GUSTAVE GAS PARD CORtOLIS, 1792
- 1843) das Produkt der Winkelgeschwindigkeit der Fühnlllgsbewegung
und der Relativgeschwindigkeit enthält (ac tritt nicht auf, wenn nicht
~ und "", gleichzeitig vorhanden sind). ln dem betrachteten Beispiel
kann die Coriolisbesehleunigung als "Verzögerung" interpretiert werden,
die der Punkt P erfahrt, weil er sich aus Bereichen höherer Führungsge- Abbildung 27.16:
schwindigkeit auf das Niveau geringerer Führungsgeschwindigkeit (klei- Führungsbesehleuni-
nerer Radius bei gleicher Winkelgeschwindigkeit ~) begibt. Dement- gung und Coriolisbe-
sprechend ist dieser Beschleunigungsanteil in diesem Fall der Fllhrungs- schlcunigung
geschwindigkeit entgegengeriehtet (Abbildung 27.(6).
498 27 Kinematik starrer Körper
Das Phänomen der Coriolisbeschleunigung kann mit folgendem Gedanken-Experiment gut ver-
anschaulicht werden: Auf einem Kinder-Karussell, das sich mit der Winkelgeschwindigkeit ~
dreht, seien die Mitfahrerplätze (Pferde, Feuerwehr-Autos, ...) in zwei Reihen angeordnet. Auf
dem inneren Kreis mit dem kleineren Radius ri fahren die Kinder mit der Bahngeschwindigkeit
Vi = ri~. Die Kinder auf den "Außen-Pferden", die auf einem Kreis mit dem größeren Radius r a
angeordnet sind, fahren mit der größeren Geschwindigkeit Va = rll~' Der Karussell-Bctreiber,
der während der Fahrt (z. B. zum Kassieren) von einem "Innen-Pferd" zu einem "Außen-Pferd"
geht, wird vorher vom Karussell mit Vi bewegt, danach mit Va, wird also schneller. Seine Be-
schleunigung von Vi auf V" ist die Coriolisbeschleunigung.
Aber auch dann, wenn die Relativbewegung nicht in radialer Richtung erfolgt (der KarusseJl-
Betreiber geht z. B. von einem "Außen-Pferd" zum nächsten), ergibt sich ein entsprechender Be-
schleunigungsanteil, wie das nachfolgende Beispiel einer Relativbewegung in Umfangsrichtung
zeigt.
I_"";_ 3: IE·
Beispiel_...1 Pun kt P be wegt SlC
In
. h·In emer
. ' CJSf··ormJgen
kr· . R·mne mll
. y
dem Radius r auf einer mit der konstanten Winkelgeschwindigkeit ~
rotierenden Scheibe. Die ebenfalls konstante Relativgeschwindigkeit V",
habe die gleiche Richtung wie die Führungsgeschwindigkeit
vJ=r~
r.:> Die Coriolisbeschleunigung des Beispiels 3 hat den gleichen Betrag wie bei der radial ge-
richteten Relativbewegung im Beispiel 2 und ist wie dort senkrecht zur Relativgeschwindig-
keit gerichtet. Man darf also schlussfolgern, dass eine beliebig gerichtete Relativgeschwin-
digkeit (diese ließe sich in eine tangentiale und eine radiale Komponente zerlegen) eine
Coriolisbeschleunigung ae = 2mv,,, hervorruft. die senkrecht zur Relativgeschwindigkeit
gerichtet ist.
r.:> Schon bei der Beschreibung der Bewegung eines Punktes mit Polarkoordinaten (Abschnitt
26.2.5) war in der Beschleunigungsformel 26.26 ein Anteil aufgetaucht, der der CorioJisbe-
schleunigung entsprach, weil man sich eine Bewegung in Polarkoordinaten als Drehung Wl1
den Winkel <p(/) vorstellen kann, der eine radiale "Relativbewegung" r(/) iiberlagert wird.
27.2 Ebene Relativbewegung eines Punktes 499
I"- x x
Die Fiihrungsbewegllng des starren Körpers wird in einern festen Koordinatensystem be-
schrieben. Für den Punkt des starren Körpers, in dem sich der Punkt P, der die Relativbe-
wegung ausführt. gerade befindet, werden nach den Fonne!n 27.6 die Führungsgeschwindig-
keit vf (maximal zwei Anteile) und die Führungsbeschlelllligung iif (maximal vier Anteile)
ermittelt.
Für die Untersuchung der Reiativbewegllllg des Punktes P daJf man das Führungssystem als
in Ruhe befindlich ansehen. Nach den Regeln der Kinematik des Punktes werden die Relativ-
geschwindigkeit Vre{ und die Reialivbeschlelllligllng are{ (maximal zwei Anteile) ermittelt.
Die Absolulgeschwindigkeil (Geschwindigkeit des Punktes P bezüglich des festen Koordina-
tensystems) ergibt sich durch Addition von Führungs- und Relativgeschwindigkeit:
(27.7)
(Wf ist die Win.kelgeschwindigkeit der Führungsbewegung). Die Richtung von iic findet man
durch Drehung des Vektors V'CI um 90° mit dem Drehsinn von wf.
500 27 Kinematik starrer Körper
Beispiel 4:I
I_"";_ _...1 Der Mittelpunkt einer starren Sche,be beweg'
sich mit der Winkelgeschwindigkeit ~ und der Winkelbc-
schleunigung CX() auf einer Kreisbahn mit dem Radius R. Die
Scheibe dreht sich um ihren Mittelpunkt mit (01 und al (alle
vier Werte beziehen sich auf die "ruhende Welt").
In einer kreisförmigen Rinne (Radius r) bewegt sich relativ zur
Scheibe ein Punkt P mit V"I und arel' Zum betrachteten Zeit-
punkt hat P den Abstand r" vom Mittelpunkt der Scheibe.
Gegeben: ~ 1 l1Q. R I (VI· al, r*, Vrel 1 are!, r.
Bei diesem Beispiel kommen alle Geschwindigkeits- und Beschleunigungsanteile vor, die für
den Punkt P überhaupt möglich sind. Die Führungsbewegung, die P e,flihrt, wird als Translation
mit dem Scheibenmittelpunkt als Bezugspunkt (Bewegung auf einer Kreisbahn mit dem Radius
R) und einer Rotation um diesen Punkt (Radius r') betrachtet. Die Relativbewegung ist eine
Bewegung auf einer Kreisbahn mit dem Radius r.
a j. t,trans = R 00
2Ci a =a a c =2W]Vre i
<
a f, n, trans=Rw0 - r"w I2 reU ret 2 ~
ja j.n,rot -
Vrei
aj.t
. ,ra
t= r'o l arel,n = r
Abbildung 27.19: Vier Anteile aus der Führungsbesehleunigung (links), zwei Anteile aus der Relorivbe-
schJeunigung (Mitte) und die CoriolisbescbJeunigll.og setzen sich zur Absolulbeschleurugung zusammen.
27.3 Bewegung des starren Körpers im Raum 501
Die Lage zweier Punkte eines starren Körpers im Raum sei durch die Ortsvektoren 'I '2
und
gegeben. Dann sind einerseits die sechs Koordinaten in den beiden Vektoren nicht unabhängig
voneinander, weil der feste Abstand der beiden Punkte
(27.10)
injeder Lage des starren Körpers eingehalten wird. Andererseits ist die Lage des starren Körpers
noch nicht eindeutig beschrieben, weil er sich noch um die Verbindungslinie der bciden Punkte
drehen kann. Die Lage des starren Körpers im Raum ist also z. B. durch fünf Koordinaten zwei-
er Punkte und eine sechste (Winkel-)Koordinate, die die Drehung um die Verbindungslinie der
beiden Punkte beschreibt, eindeutig festgelegt. Al1gemein gilt:
Der starre (durch keine Bindungen behinderte) Körper im Raum hat sechs Freiheitsgrade. Sei-
ne Lage ist durch die Angabe von sechs geeigneten Koordinaten eindeutig bestimmt (z. B. drei
Koordinaten eines Punktes und drei Winkel um drei senkrecht aufeinander stehende Achsen),
seine Bewegung wird durch die zeitliche Abhängigkeit der Koordinaten beschrieben.
Eine reine Translation eines starren Körpers im Raum ist eine Bewegung mit drei Freiheitsgraden
Uede beliebige Gerade, die zwei Punkte des stan'en Körpers verbindet, behält ihre Richtung, aUe
Punkte bewegen sich auf kongruenten Bahnen). Die reine Translation wird durch die Bewegung
eines einzelnen Punktes eindeutig beschrieben, und es gilt der komplette Formelsatz 26.27 bis
26.31, der für die allgemeine Bewegung des Punktes im Raum bereitgestel1t wurde.
Mit dem Vektor der Winkelgeschwindigkeit kann für einen belicbigen Punkt P des Körpers, der
durch einen Vektor I' beschrieben wird, der Geschwindigkeitsvektor nach
berechnct werden (I' zeigt von einem beliebigen Punkt 0 der Drehachse zum Punkt P, siehe
Abbildung 27.20).
Zur Erinnerung: Das Vektorprodukt liefert als Ergebnis wieder einen Vektor, dessen Betrag in
diesem Fall wlrl sin a ist (a ist der von rund Cw eingeschlossene Winkel). Da 11'1 sin a gerade
der senkrcchtc Abstand r des Punktcs P von der Drehachse ist, hat dcr Ergebnisvcktor ii den
Betrag der Bahngeschwindigkeit rw. Außerdem liegt der Ergebnisvektor des Vektorprodukts
senkrecht zu beiden Faktoren (und damit zwangsläufig tangential an der Kreisbahn von P). Die
e
Vektoren w , rund ii bilden in dieser Reihenfolge ein Rechtssystem, so dass die Definition des
Drehsinns ftir den Vektor der Winkelgeschwindigkeit und die sich daraus ergebende Richtung
dcr Bahngeschwindigkeit "zueinander passen".
Die Ableitung von 27.11 nach der Zeit (unter Beachtung der Produktregel) ergibt
_ dii () _ _( ) () _ dr(t)
C/=-=WI ·ewxrt +WI ·ewx--
dl dr
In diesem Ausdruck taucht noch einmal die Bahngeschwindigkeit des Punktes P
dr _ _ _ () _ _( )
- = v= (() X r = W t . ew x r 1
dl
auf, und es ergibt sich schließlich der Vektor der Beschleunigung bei Rotatioll eines S/CIrren
KÖlpers um eine jesre Achse:
Man erkennt, dass der erste Anteil wie die Geschwindigkeit nach 27.11 tangential zur Bahnkurve
von P gerichtet ist (man vergleiche die Diskussion zur Formel für den Geschwindigkeitsvektor).
Es ist die Bahnbeschleunigung ä, auf der Kreisbahn mit dem Betrag rW. Das zweifache Vektor-
produkt des zweiten Summanden liefert (in der durch die Klammer vorgegebenen Reihenfolge,
das Vektorprodukt ist weder kommutativ noch assoziativ) einen Vektor, der zur Drehachse weist.
Es ist die Normalbeschleunigung än mit dem Betrag rw 2
Übrigens: Dass die Regeln des Vektorprodukts so hervorragend zu diesem Problem passen (wie
z. B. auch schon zur Definition des Momentes. vgl. Abschnitt 8.3.2), ist durchaus kein Zufall. Sie
sind vielmehr speziell für die Anwendungen in der Mechanik (und in einigen anderen Gebieten
der Physik) so sinnvoll definiert wordcn.
27.3 Bewegung des starren Körpers im Raum 503
Der allgemeine Fall der Rotation liegt vor. wenn nur noch
ein Punkt 0 des starren Körpers festgehalten wird, so
dass die Drehachse keine raumfeste Lage mehr hat (und
p
selbst eine Rotation um 0 ausfuhrt). Dann wird auch der
/7'/"... .
Einheitsvektor ew(I), der ihre Lage kennzeichnet. zeitab- / 'v
hängig.
/
Die Lage des Punktes P wird durch einen vom Punkt
o ausgehenden Vektor r beschrieben. Durch Ableilung
von r nach der Zeit, wobei zusätzlich die Zeitabbän-
gigkeit von ew(l) beachtet werden muss, erhält man Abbildung 27.21: Rotation um einen
Geschwindigkeils- und Beschlellnigungsvekror jilr die festen Punkt
ROlalion des slarren Körpers um eillenfeSlen PIII,kl:
v = W x r = (j) . ew x r(l)
_ dv de., _ . _ _ 2 _ (_ _) (27.13)
a = - = üJ . - - x r + üJ . ew x r + ()) . ew x ero x r
dl dl
Bis auf den ersten Term im Ausdntck für die Beschleunigung, der die Veränderlichkeit der Dreh-
achse kennzeichnet, stehen in 27.13 wieder die bekannten Anteile.
Mit den Formeln für die Bewegung des Punktes im Raum 26.27 bis 26.31 und den im vorigen
Abschnitt entwickelten Formeln für die Rotation des starren Körpers um einen Punkt ergeben
sich die Beziehungen für die allgemeine
;=;0+7*
_ dro _ -.. aro _-..
v= - + (j) x r = - + e.,
(j). xr
(27.14)
dl dl
.... d2yo dero ~ ..... ~
a = - 2 - + (j). - - x r + (j). ew x r + (j) 2.... .... .,...
. e w x (e w x r )
dl dl
504 27 Kinematik starrer Körper
Zunächst muss diskutiert werden, welche Konsequenzen der im Abschnitt 27.2 für die ebene
Relativbewegung verwendete "Trick", mit zwei unterschiedlichen Koordinatensystemen zu ope-
rieren (festes System für die Führungsbewegung und bewegtes System für die Relativbewegung),
für das Arbeiten mit Vektoren hat. Der FiihrungsgcschwiJ1digkeit, beschrieben im nthenden Ko-
ordinatensystem nach 27.14 durch
_ dro _ ~
v=-+wxr
dt
(siehe Abbildung 27.22). wird die Relativgeschwindigkeit vre! überlagert, die sich für einen
Beobachter im bewegten System als Änderung des Vektors? darstellt:
d"r
lirel = ------;]I
Der Stern beim Ableitungssymbol deutet an, dass es die "Ableitung im bewegten System" ist,
die nicht berücksichtigt, dass sich? auch durch die Bewegung des starren Körpers ändert.
Die Absolutgeschwindigkeit kann also entweder nach
...
dro
+ w.... x .,.."....
v= -
dl
dro
r + Vrel = -
dt
+ w__ x _* d*?
r +--
dl
(27.15)
oe:> Die Formel 27.17 bestätigt, dass die Strategie, die für die ebene Bewegung (Abschnitt 27.2)
empfohlen wurde, ungeändert rur die Bewegung im Raum übernommen werden kann:
• Die ersten drei Glieder in 27,17 entsprechen exakt der Beschleunigungsformel 27.14.
Es ist die Fiihrllngsbeschleunigl/ng des Punktes P des starren Körpers, die ohne Be-
rücksichtigung der Relativbewegung crnlittelt werden kann.
• Der letzte Tenn in 27.17 ist die Relativbeschleunigl/ng, betrachtet im bewegteIl Koor-
dillatensystem. Man darf für ihre Berechnung den starren Körper also als momentan in
Ruhe befindlich ansehen.
• Schließlich ergibt sich als dritter Anteil wie im ebenen Fall die Coriolisbeschlel/nigung,
für die folgende Vektorformel gilt:
(27.18)
oe:> Für die ebene Bewegung, bei der der Vektor der Winkelgeschwindigkeit der Führungsbe-
wegung W konstante Richtung (senkrecht zur Ebene und damit senkrecht zur Relativge-
sChwindigkeit) hat, ergibt sich auch nach 27.18 der Betrag, den die Formel 27.9 ausweist.
Bei der räumlichen Bewegung können wund li,<' einen beliebigen Winkel bilden. Nach der
Definition des Vektorprodukts gilt für den Betrag der Coriolisbeschleunigung
Oe = 2 WVrei sin a (27.19)
mit dem von den beiden Vektoren eingeschlossenen Winkel a. Die Coriolisbeschleunigung
ist gleich Null, wenn wund lirel parallel sind.
Beispiel: I
I_....;_..... E1I1 Pkw auf der Autobahn 111 RIchtung Norden kurz vor Hamburg (etwa 53,SO nörd-
licher Breite) fahrt mit 200 km/h (kurzzeitig bei sehr schönem Wetter im Sommer um 4:30 Uhr,
wenn es schon hell und die Autobahn noch leer ist und eigentlich ohnehin nur wegen dieser
Aufgabe). Welcher Coriolisbeschleunigung infolge der Erddrehung ist das Fahrzeug ausgesetzt?
1"W<Uum nach Westen?" Malhematische Antwon: .,Weil das Vektorprodukt OOE:rdt X Vrf'l einen solchen Veklorerleugl.·'
Anschauliche Erklärung: In München (etwa 48, I Q nördlicher Breite) wird man auf dem Breitenkreis mit dem Radius
'M = Rcos48, l°:=:::: 4256 km (R iSI der Erdradius) mit VM = rM Werdl':=:::; 1114 km/h Richtung OSIe.n bewegt, ein Ham-
burger rahn auf der Erde nur mit IIH :=:::; 992.5 km/h mit. Wer von München nach Hamburg fahrt. muss sich a.lso den
v
deutlich langsameren I\'orddeut~chen anpassen: Richtung Osten - äc (Verzögerung) Richrung WeMen.
506 27 Kinematik stillTer Körper
Die Anzahl der Koordinaten, die mindestens erforderlich ist, um die Lage eines Systems star-
rer Körper eindeutig zu beschreiben, entspricht der Anzahl der Freiheitsgrade des Systems.
00:> Häufig ist folgendes Gedankenexperiment recht nützlich: Man behindert nacheinander die
einzelnen Freiheitsgrade der starren Körper des Systems durch Arretieren (entspricht dem
Einführen einer notwendigen Koordinate). Wenn das System keine Bewegungsmöglichkeit
mehr hat, entspricht die Anzahl der Arretierungen der Anzahl der Freiheitsgrade.
Beispiel J:I
I_ _ _..... Das tn Abbildung 27.24 skizzlerte kinematische
Modell eines Satelliten mit "Sonnenpaddeln" besteht aus 5 star-
ren Körpern und hat JO Freiheitsgrade: Die Lage eines Körpers
(z. B. des Satellitenkörpers) ist durch die Angabe von 6 Koordi-
naten eindeutig festgelegt. Nach Fixierung des Satellitenkörpers
durch Arretierung dieser 6 Bewegungsmöglichkeiten können die
beiden unmittelbar an ihm befestigten Paddel nur noch je eine
(von der Lage des Satelliten nnabhängige) Drehbewegung ans-
Abbildung 27.24: System mit
fUhren, die durch jeweils eine weitere Koordinate beschrieben
10 Freiheitsgraden
wird. Entsprechendes gilt für die Außenpaddel, nachdem auch
die Lage der Innenpaddel festgelegt wurde.
Zur Beschreibung der Bewegung e.ines Systems starrer Körper (insbesondere in der Kinetik) ist
es meist vorteilhaft, eine größere Anzahl von Koordinaten einzufUhren.
27.4 Sysleme Slarrer Körper 507
Fast immer ist man jedoch gezwungen, irgendwann die Anzahl der Koordinaten auf die Anzahl
der Freiheitsgrade des Systems zu reduzieren. Dafür müssen die Zwangsbedingungen, die die
Koordinaten untereinander verknüpfen, formuliert werden.
Zwangsbedingungen sind Gleichungen, die die von den einzelnen Koordinaten anzunehmenden
Wcrte auf die geomctrisch verträglichen Möglichkeiten einschränken. Dementsprechend können
sie im Allgemeinen aus Geometriebetrachtungen gewonnen werden. Ihre Ableitungen nach der
Zeit führen auf die Zwangsbedingungen, die fUr die Geschwindigkeiten und die Beschleunigun-
gen geiten müssen.
Vielfach ist es (besonders bei ebener Bewegung) eillfacher, unter Ausnutzung der Eigenschafteu
des Momentanpols (vgl. Abschnitt 27.1.3) zunächst die Zwangsbedingungen für die Geschwin-
digkeiten zu formulieren, um dann durch Integration auf die Bedingungen für die Bewegungs-
koordinaten zu kommen. Die dabei auftretenden Lntegrationskonstanten werden durch Vergleich
der Werte für die einzelnen Koordinaten zu einem speziellen Zeitpunkt bestimmt, was jedoch
meist unprobLematisch ist. Da man im Allgemeinen den Koordinatenursprung für jede einzeLne
Koordinate willkürlich festlegcn kann, ist es zweckmäßig, foLgende Regel cinzuhalten:
Alle Koordinaten, die die Lage eines Systems starrer Körper beschreiben und durch Zwangs-
bedingungen verknüpft sind, sollten (wenn es irgendwie möglich ist) zum gleichen Zeitpunkt
den Wert Null annehmen.
An den nachfolgenden Beispielen wird das Aufschreiben der Zwangsbedingungen für typische
Fälle dcr tcchnischcn Praxis dcmonstriert.
Beispiel 2:I
I_ _ _ _...I Die skIZZIerte SeI1wll1de mIt Gegengewlcbt
wird von dcm Antriebsrad 3 angetrieben. Es darf ange-
nommen werden, dass das SeiL und die Verbindungsstan-
gen zwischen den Körpern I und 2 bzw. 4 und 5 dehnstarr
sind und dass sich das SeiL schlupffrei über die Rollen be-
wegt.
Gegeben: 1"2, r3· r4·
Das System hat nur einen Freiheitsgrad. Bei Vorgabe einer Bewegung (z. B. des Antriebsrades
3) bewegen sich alle anderen Körper zwangsläufig, so dass 6 Zwangsbedingungen fonnuliel1
und die 7 Koordinaten durch eine ersetzt werden können. Als verbleibende Koordinate wird der
Winkel Cf>3 des Antriebsrades gewählt.
508 27 Kinematik starrer Körper
Entsprechende Überlegungen führen zu den Geschwindigkeiten an der RoJJe 4, die auf dem in
Ruhe befindlichen linken Seilstrang rollt.
Die Geschwindigkeiten der Mittelpunkte der Rollen 2 bzw. 4 werden auf den Körper I bzw.
das Gegengewicht 5 übertragen. Nachfolgend werden die 6 Zwangsbedingungen in der Form
zusammengestellt, die alle Geschwindigkeiten durch CP3 ausdrückt:
. TJ . . r3 . . r3.
XI = -2 1p3 X2 = -1f>3
2
lfI2 = -2r2 1p3
. r3 . . r3 . . r3.
X4=-Ip3 1p4=-1f>3 x5=-Ip3
2 2~ 2
oe:> Die ZWQngsbedingllngen für die Beschleunigungen haben die gleiche Form ("mit einem
zusätzlichen Punkt über den Koordinaten"). Unter der Voraussetzung, dass alle Koordinaten
gleichzeitig Null werden (es braucht nicht unbedingt der Zeitpunkt t = 0 zu sein, ftir den
dies gilt, aber meistens ist es sinnvoll, die Zeitzählung zu beginnen, wenn die Koordinaten
den Wert NuJJ haben), gelten die für die Geschwindigkeit fomlulierten Bedingungen auch
ftir die Koordinaten selbst ("ohne Punkt über den Koordinaten").
oe:> Es ist im Allgemeinen zweckmäßig, die Bewegungskoordinaten so einzuführen, dass alle
gleichzeitig positiv werden. So werden Minuszeichen in Zwangsbedingungen vermieden.
Beispiel 3:I
I_"";_ _...1 Das skiZZIerte Planetengetriebe (Umlauf- 3
12
getriebe, Animation unter www.TM-aktuell.de) kann mit
einem Freiheitsgrad oder mit zwei Freiheitsgraden be-
trieben werden.
Gegeben: rl, r2·
Es wird angenommen, dass der Steg 4 mit der Winkelgeschwindigkeit 014 = 271 114 umläuft. Der
sich auf einer Kreisbahn mit dem Radius (rl + r2) bewegende äußere Stegpunkt treibt den Mit-
telpunkt des Planetenrades 2 mit seiner Bahngeschwindigkeit (rl + r2)0l4.
MI ,M4
.
keit ist gleichzeitig die Umfangsgeschwindigkeit für das Sonnen- Abbildung 27.28: Feststehen-
rad. dessen Winkelgeschwindigkeit sich daraus errechnen Wsst: des Gehäuse 3
~3
(r,+ 2r,)wJ _ ",
Mit der berechneten Bahngeschwindigkeit VI des Sonnenrades sind auch dessen Winkelgeschwin-
digkeit Oll = ~ und natürlich auch seine Drehzahl bekannt. Man errechnet:
Dieses Ergebnis gestattet flir zwei vorgegebene Drehzahlen die Berechnung der Drehzahl des
dritten Getriebegliedes. Da alle Winkelgeschwindigkeiten linksdrehend angenommen wurden,
müsste eine Rechtsdrehung mit negativem Vorzeichen eingehen.
Die willkürliche Annahme, dass die Bahngeschwindigkeit der Innenverzahnung des Gehäuses
kleiner als die des äußeren Punktes des Steges ist (und die sich daraus ergebende Lage des Mo-
memanpols cles Planetenracles) hat natürlich keinen Einfluss auf clas Ergebnis.
510 27 Kinematik starrer Körper
Beispiel 4:I
I_"";_ _...1 Der skizzierte Mechanismus (exzentrische Schub-
kurbel, siehe auch die Animation unter www.TM-aktuell.de) ist lY
ein System aus drei starren Körpern. Die Kurbel dreht sich mit
der konstanten Winkelgeschwindigkeit (q:) und befindet sich zum
Zeitpunkt I = 0 in der dargestellten Lage.
s
Gegeben: R, I, a, (q:).
Für den Gleitstein C und den Mittelpunkt 5 der Verbindungsstan-
ge sollen die Geschwindigkeits-Zeit-Gesetze VG(I) bzw. VS(I), für
die Verbindungsstange auch das Winkelgeschwindigkeits-Zeit-
Gesetz WS(/) ermittelt werden.
Die nebenstehende Sk.izzc zeigt das System zum Zeitpunkt
I, die Kurbel hat sich nach 26.23 um den Winkel (q:)1
gedreht. Für die Verbindungsstange sind zwei Geschwin-
digkeitsrichtungen bekannt: Ihr Momentanpol M ist der
Schnittpunkt der Senktechten zur Bewegungsrichtung des ~"'"
Punktes C und der Senkrechten zur Bewegungsrichtung
des Punktes A, der auf dem Kurbelkreis mit der konstan- M
ten Bahngeschwindigkeit R(q:) umläuft (Geschwindigkeit
ist tangential zum Kreis mit dem Radius R gerichtet).
Im Dreieck ABC errechnet man die Länge lAB und damit im Dreieck ABM den Abstand IAM des
Punktes A vom Momentanpol M und die Länge IBM (Abstand des Punktes B von M):
IBG=a+Rcos(q:)1 IAB=
J, 2
I--I BG
,
lAB
IAM=-.--
Sin (q:) I
lAB
IBM=---
taJl (q:) I
Für 1= 0 (und allgemein für (q:)1 = kn, dies sind die horizontalen Lagen der Kurbel) werden IAM
und IBM unendlich. Zu diesen Zeitpunkten bewegt sich die Verbindungsstange rein translatorisch
("Momentanpolliegt im Unendlichen").
Für die Verbindungsstange ist die Geschwindigkeit des Punktes A bekannt. Mit dem Abstand
dieses Punktes vom MomentanpollAM ergibt sich nach 27.2 ihre Winkelgeschwindigkeit
R (q:) R (q:) .
w.s(/) = - = - Sill (q:)1
IAM lAB
und nach 27.3 die Geschwindigkeit des Punktes C:
a) Es wird der Abstand des Punktes 5 vom Momentanpol ermittelt (5 liegt in horizontaler Rich-
1
tung um 11BG und in vertikaler Richtung um lAB von B entfernt, der Abstand von M errech-
net sich aus einem rechtwinkligen Dreieck). Dann kann VS(I) wie Vc(l) berechnet werden.
Hier sollen zwei andere Möglichkeiten demonstriert werden:
27.4 Sysleme Slarrer Körper 511
VS(I) = Jv~ + v; .
c) Schließlich kann VSCI) auch nach den Regeln der Kinematik des Punktes (Kapitel 26) ermit-
tell werden. Die Komponenten des ürtsvektors werden in einem geeigneten Koordinatensys-
tem aufgeschrieben. Nach 26.9 ergibt sich dann die Bahngeschwindigkeit.
Bezüglich des in der AufgabensteIlung angegebenen Koordi- A
natensystems liest man aus nebenstehender Skizze ab: ~ I ~ _u_
und das Differenzieren dieser beiden Komponenten des Ortsvektors nach der Zeit ergibt wie-
der die bereits angegebenen Geschwindigkeitskomponemen Vx und V,.•
Typisch für die Analyse der > comt :=t -> cos(omega[O]*t);
Bewegung von Mechanismen > somt :=t -> sin(omega[O]*t);
ist. dass die Funktionen ziem- > l[BG] :=t -> a+R*comt(t);
lich unbequem in der Hand- > l[AB] :=t -> sqrt(1-2.l[BG] (t)-2);
Ilabung werden. Der Ehrgeiz, > x[S] :=t .> a-l[BG] (t)/2;
durch "Einsetzen und Verein- > y[S] :=t -> R*somt(t)-l[AB] (t)/2;
fachen" zu möglichst "schö- > v[X] :=diff(x[S] (t) ,t);
nen Endformeln" zu kommen, > v[Y] :=diff (y [S](t) ,t);
rächt sich häufig dureIl Re- > v[S] :=sqrt(v[X]-2+v[Y]-2);
chenfehler. Deshalb sollte man > omega[S] :=t -> R*omega[O]/l[AB] (t)*somt(t);
mit einem Funktionensatz ar- > v[G] :=t -> R*omega[O]*(comt(t)-
beiten, wie ihn Abbildung > l[BG] (t)/l[AB] (t)*somt(t»;
27.30 Flir das Mathematik-
Programm Maplc zeigt. Abbildung 27.30: Funktionensatz in Maple
512 27 Kinematik starrer Körper
In einem Pl/nktionensatz enthalten alle Funktionen (neben der unabhängigen Variablen, hier ist
das die Zeit I) nur die gegebenen Größen und die vorab definierten Funktionen. Ein Mathematik-
Programm sollte damit umgehen können und z. B. die so definierten Funktionen auch grafisch
darstellen und differenzieren können.
-Ja I
S der Verbindungsstange , t \1t'!r -~ s
Verb ndungs-;tange
dargestellt (siehe auch
www.TM-aklUell.de). Abbildung 27.31: Kinematische Diagramme und Bahnkurve von S
oe:> Das Beispiel 4 am Ende dieses Kapitels über die Kinematik des starren Körpers soll noch
einmal eine wichtige Tatsache verdeutlichen, die bereits in einem einleitenden Beispiel er-
läutert und dann immer wieder genutzt wurde:
Bei der Bewegung eines starren Körpers hat zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Regel
jeder Pnnkt eine andere Geschwindigkeit (Ausnahme ist die reine Translation), es gibt
zu einem Zeitpunkt aber immer nur eine Winkelgeschwindigkeit, die für den gesamten
Körper gilt.
Diese Aussage gilt auch für die Bewegung im Raum, bei der es zu jedem Zeitpunkt nur
einen (ftir den gesamten Körper gültigen) Winkelgeschwindjgkeitsvektor gibt. Es ist also
nicht sinnvoll, von der "Winkelgeschwindigkeit bezüglich eines Punktes" zu sprechen.
Da diese Aussage erfahrungsgemäß dem Anfanger erhebliche Schwierigkeiten bereitet, soll die
Starrkörperbewegung der Verbindungsstange. die im Beispiel 4 als "Translation mit dem Be-
zugspunkt G und Rotation um G" behandelt wurde, noch einmal mit einem anderen Bezugspunkt
anal ysiert werden:
Die Geschwindigkeit des Punktes A ist bekannt: VA = Rrou ist tangential zum Kurbelkreis ge-
richtet. Wenn die Bewegung der Verbindungsstange nun als Translation m.it dem Punkt A als
Bezugspunkt und Drehung um A betrachtet wird, ist diese Geschwindigkeit allen Punkten (und
damit aueh S, siehe Abbildung 27.32) zuzuordnen. Für die Rotation ist aber wieder die gleiche
Winkelgeschwindigkeit Ws wie für die Berechnung mit G als Bezugspunkt zu verwenden. Sie
erzeugt allerdings eine andere Bahngesehwindigkeit für den Punkt S.
27.5 Aufgaben 513
27.5 Aufgaben
Au/gabe 27./:
l_...;. I
..... ElIle große Walze bewegt SIch (reme Rollbe-
wegung ohne Schlupf) auf der Horizomalen und zieht über ei-
ne exzentrisch angebrachte Stange einc kleine Walze nach, die
ebenfaJls auf einer Horizontalen rollt. Man zeichne ftir den dar-
gcstellten Bcwegungszustand dcn Momcntanpol der Bcwcgung
der (schraffiert dargestellten) Verbindungsstange ein.
All/gabe 27.2:
I_...;.
I
..... D,e skIzzIerte Walze führt eine reme
Rollbewegung aus, die Seile sind starr und laufen ohne
Schlupf über die Rollen. Die Masse 4 bewegt sich mit
der Geschwindigkeit V4 abwärts.
Gcgcben: R[ = 2r, , rz, V4.
All/gabe 27.3:
I_...;. I
..... Em Kettenfahrzeug bewegt Sich mit der R P, Kette
Geschwindigkeit v lind der Beschleunigung Cl. Man ermitt-
le die Geschwindigkeiten der Kettenpunkte P" Pz und PJ
und die Gesamtbeschleunigung für PI.
Gegeben: v, a, R.
514 27 Kinematik starrer Körper
I
Aufgabe 27.4: I
In dem skizzierten Mechanismus F
dreht sich dic Kurbel mit der konstanten Winkelge-
schwindigkeit ~.
a I E
Gegeben: R;~; 8.=1,5; 8.=2.
Man ermittle die Momentanpole der Bewegung der
Stange AB für die spezielle Lagen, wenn der Punkt A a
die Punkte E bzw. F passiert. Für beide Lagen sind
mit Hilfe des Momentanpols die Geschwindigkeiten
des Punktes B zu berechnen und mit den Ergebnis-
sen der Aufgabe 26.4 zu vergleichen.
I Aufgabe 27.6: I
Die Laufkatze eines Drehkrans bewegt
sieh mit der konstanten Geschwindigkeit VK nach außen
und bebt dabei eine Last mit der konstanten Geschwindig-
keit VL an, während sich der Kran mit der konstanten Win-
kelgeschwindigkeit W dreht.
Gegeben: VK = 0,5 m/s w = O. I S-l
VL = 0,3 m/s a =4,5m
Für die skizzierte LaststelILmg ermittle man clie resultieren-
de Geschwindigkeit der Last, die Flihrungs- und die Corio-
lisbeschleunigung (Flihrungsbewegung ist die Drehung des
Krans).
Während in der Statik das Gleichgewicht der Kräfte in ruhenden Systemen betrachtet wurde und
die Kinematik die Bewegungsabläufe ohne Frage nach ihren Ursachen (Kräfle) untersucht, wird
in der Kinetik der Zusammenhang zwischen den kinematischen Größen (Weg, Zeit, Geschwin-
digkeit, Beschleunigung, ...) und den Kräften behandelt.
Die Beschränkung in diesem Kapitel auf den Massenpunkt hat nichts mit der Größe der Abmes-
sungen des Körpers zu tun (vgl. die entsprechende Bemerkung am Anfang des Kapitels 26). Die
Abmessungen dürfen allerdings keinen Einfluss auf die zu untersuchende Bewegung haben, und
nach den AusfUhrungen in den Kapiteln 26 und 27 ist die Konsequcnz dieser Bcschränkung klar:
Ein Massenpunkt kann keine (bzw. nur eine zu vernachlässigende) Rotationsbewegung ausfüh-
ren.
Zu den Axiomen der Statik (Abschnitt J .2), die auch weiterhin gelten, kommt in der Kinetik nur
ein weiteres hinzu. Es ist das
oe:> Die Gültigkeit von 28.1 und 28.2 ist an zwei Bedingungen geknüpft: Die Geschwindig-
keit muss wesentlich kleiner als die Lichtgeschwindigkeit sein (diese Bedingung ist in der
Technischen Mechanik wohl immer erfüllt, anderenfalls ist die Relativitätstheorie zustän-
dig), und das Bezugssystem muss ein Inertialsystem (beschleunigungsfreies System) sein.
Da Beschleunigungsfreiheit nur bei Bewegung auf gerader Bahn möglich ist (vgl. Abschnitt
26.2), kann es ein Inertialsystem auf der Erde nicht geben. Für die weitaus meisten techni-
schen Anwendungen darf die Erde jedoch als ruhendes Bezugssystem angesehen werden.
oe:> Weil zwei Vektoren nur gIe.ich sein können, wenn jede Komponente des einen Vektors gleich
der entsprechenden Komponente des anderen Vektors ist, stehen 28.1 bzw. 28.2 für drei
skalare Gleichungen (für die drei Freiheitsgrade des Massenpunktes im Raum).
oe:> Das 2. Newtonsehe Gesetz setzt natürlich voraus, dass die angreifenden Kräfte die BescWeu-
nigungen auch tatsächlich hervorrufen können (und nicht etwa durch Führungen, Lager oder
ähnliches auch nur teilweise daran gehindert werden, dazu mehr im Abschnitt 28.2.2). Das
nachfolgende Beispiel behandelt einen der wenigen Sonderfalle (schiefer Wurf unter Ver-
nachlässigung von Bewegungswiderständen), für den dies erfüllt ist.
Beispiel:I
I_ _ _ _ EII1 Letchtathlet stößt dIe Kugel w = 22m welt (diese Aufgabe stammt aus der Zelt
vor der Einführung der strengen Dopingkontrollen). Unter der Annahme, dass der Luftwiderstand
vernachlässigt werden darf und dass die Kugel die Hand in einer Höhe h = 2 m unter einem Win-
kel zur Horizontalen von a = 44° verlässt. ist ihre Anfangsgeschwindigkeit vo (beim Verlassen
der Hand) zu ermitteln. Welche Weite WI würde erzielt werden, wenn mit gleicher Anfangsge-
schwindigkeitund bei gleicher Abwurfhöhe unter einem Winkel von al = 45° gestoßen würde,
bei welchem Abwurfwinkel ao würde die größte Weite erzielt werden?
Während des Fluges wirkt auf dic Kugel nur ihr Eigengewicht I1Ig (senkrecht nach unten). Die
Masse m ist konstant, die Flugbahn eine ebene Kurve, so dass 28.2 nur tUr zwei Komponenten
aufgeschrieben werden muss. In einem kartesischen Koordinatensystem mit nach oben gerichte-
ter positiver y-Achse gilt also:
F=I1IQ
Nach 26.27 und 26.30 ist der Geschwindigkeitsvektor die Ableitung des Ortsvektors und der
Beschleunigwlgsvektor die Ableitung des Geschwindigkeitsvektors nach der Zeit. Dieser Weg
muss also in umgekehrter Richtung (Integration) beschritten werden, er wird für die einzelnen
Komponenten aufgeschrieben:
CI" = 0 CI)' = -g
v" = CI v)' -gt+C3
I 2
y -'igt +C3 t + C4
Für dic vicr Tntegrationskonstanten müsscn vier Anfangsbedingungen formuliert werdcn. Wenn
das Koordinatensystem (willkürlich, siehe Abbildung 28.1) so gelegt wird, dass sich der Ab-
wurfpunkt bei x = 0 und y = h befindet, und die Abwulfgeschwindigkeit in eine horizontale und
eine vertikale Komponente zerlegt wird, lauten diese (Zeitzählung beginnt beim Abwurf):
28.1 Dynamisches Grundgesetz 517
'y
X(I = 0) = 0 vx(t = 0) = vocosa
y(r = 0) = ,. V,,(I = 0) = Vo sin a ()(
c, = voeosa C3=vOsina C. =h x
w
erhält man die Komponenten des O'1svektors der Bahnkurve
I . Abbildung 28.1: Anfangsbe-
x = Vo r eos a y = - - g , 2 + Vo r sm a + h dingungen. Wurfweile w
2
die (in Parameterdarstellung) die Flugbahn der Kugel beschreiben. Wenn man die Zeit r aus den
bei den Gleichungen eliminiert, wird deutlich, dass es eine Parabel ist (Wurfparabel):
I x2
y= --g 2 ? +xtana+"
2 voeos- a
Am Auftreffpunkt ist y = 0 (und x = w):
I w2
- - g 2 2 + w tan a +,. = 0
2 vocos a
muss zur BeantwOJ1ung der Fragestellungen einmal nach vo und einmal nach w umgestellt wer-
den. Die für die AufgabensteIlung relevanten Ergebnisse sind:
g
vo=w
wsin2a + 2heos 2 a
v2
w = ...Q. si.ll2a +
2g
0::> Hier soll auf ein typisches Problem bei der Lösung von Aufgaben aus der Kinetik aufmerk-
sam gemacht werden: Es gibt melu'ere Ergebnisse, von denen nicht alle für die Aufgaben-
steIlung relevant sind. Hier ist es einfach zu übersehen und zu interpretieren: Das mathe-
matische Modell (die Parabel) hat den Definitionsbereich - 0 0 < x < 00 und damit zwei (in
diesem Fall reelle) Nullstelien (zwei Ergebnisse für w). Die Nullstelle im negativen Bereich
ist hier nicht relevant, aber prinzipiell nicht nur richtig, sondern auch physikalisch möglich,
denn die Wurfparabel sieht auch für ein negatives Vo, mit dem man bei der anderen Nullstclle
landen würde, nicht anders aus.
Bei einem Abwurfwinkel von a = 44° wird die Wurfweite von 22 m bei einer Anfangsgeschwin-
digkeit von vo = 14,05 m/s erreicht. Mit diesem vo ergibt sich bei al = 45° eine Wurfweite
w, =21,95m.
Die Berechnung des Extremwertes der Funktion w(a) bereitet analytisch schon einige Mühe.
Empfohlen wird deshalb die Extremwertberechnung mit einern geeigneten Programm (siehe
www.TM-aktuell.de). Man erhält rur ao = 42,41° die Wurfweite wo = 22,03m.
Der günstigste Abwurfwinkel zur Erzielung großer Wurfweiten beträgt nur dann 45°, wenn
Abwurf- und Auftreffpunkt auf gleicher Höhe liegen.
518 28 Kinetik des Massenpunktes
Wie in der Statik ist es sinnvoll, zu unterscheiden zwischen eingeprägten Kräjten (Gewicht, An-
triebskräfte, Magnelkräfte, ...) und Reaktionskräjten (Zwangskräfte, die durch Bewegungsein-
schränkung hervorgerufen werden, z. B.: Kräfte an FüLmlllgen, die Normalkraft zwischen Masse
und schicfer Ebene, Lagerreaklionen, Federkräfte, Haftkräfte, ... ). Bei bewegten Massen kom-
men noch Bewegungswidersfiillde und die so genannten Massenkrüjte hinzu, die in den folgenden
beiden Ulllerabschniuen behandeLt werden.
Einem sich mit der Geschwindigkeit v bewegenden Massenpunkt können durch das umgebende
Medium oder eine Führung Widerstandskräfte entgegenwirken. Obwohl diese Kräfte von ihrem
Charakter her Reaktionskräfte sind, werden sie hier gesondert aufgeführt, denn in der Rechnung
müssen sie eher wie die eingeprägten Kräfte behandelt werden. Diese Besonderheit wird noch
mehrfach an Beispielen vcrdeutlicht.
Dic Erfassung der geschwindigkeitsabhängigen Widcrstandskräfte ist immer mit einer gewissen
Unsicherheit verbunden, weil die Kennwerte von zahlreichen Einflüssen abhängen. Hier werden
die drei wichtigsten Varianten zur Einbeziehung dieser Kräfte in die Berechnung vorgestellt.
Der Widerstand, den die Oberfläche eines Körpers aufbringt, über den eine bewegte Masse glei-
tet, wird (auch bei einer Schmierschicht zwischen den Flächen) berücksichtigt durch die
<:> Ln 28.3 ist FN die Normalkraft (senkrecht zu den sich berührenden Gleitflächen), /l ist der
Gleitreibltngskoeffizienr, der vom Material und der Oberflächenbeschaffenheit der Gleitflä-
chen abhängig ist. Da er auch von anderen Größen (Temperatur, Feuchtigkeit, unter Umstän-
den auch von der Größe von FN ) beeinflusst wird, ist eine gewisse Vorsicht geboten. wenn
man diesen Kennwert aus Tabellenbüchem entnimmt. Für höhere Genauigkeitsanforderun-
gen an die Rechnung sind gegebenenfalls Vcrsuche zur Ermittlung von JL (möglichst unter
Bctriebsbedingllngen) empfehlenswert.
<:> Die sgn-Funktion eignet sich nicht für die analytische Rechnung (bei numerischen Ans-
wertungen kann sie durchaus nützlich sein). Dcshalb sollte man die Kraft FR entgegen dcr
Gllgen01111nenen Geschwindigkeitsrichtung antragen. Wenn sich die angenommene Richtung
im Verlauf der Rechnung als falsch herausstellt, muSS man die Rechnung mit korrigierter
Richlltng wiederholen.
28.2 Kräfte am Massenpunkt 519
oe:> Da die Gleitreibung wie die im Kapitel 9 behandelte Haftung mit dem Namen Coulomb
verbunden ist und das Haftungsgesetz 9.1 sich von 28.3 formal kaum unterscheidet, muss
nachdri.icklich auf die Unterschiede aufmerksam gemacht werden:
• Der Haftungskoeffizient Ito ist in der Regel größer als der Gleitreibungskoeffizient Jl.
• Besonders wichtig ist die Beachtung des unterschiedlichen Charakters der beiden Kräf-
te. Die Gleitreibungskraft geht in der von 28.3 gegebenen Größe (wie eine eingeprägte
Kraft) in das Gleichgewicht der Kräfte ein. Die Haftkraft wird (wie eine Lagerreakti-
on) aus dem Gleichgewicht der Kräfte berechnet, denn die durch das Haftungsgesetz zu
ermittelnde Größe definiert nur das obere Limit (und nicht die tatsächliche Größe) der
Haftkraft (vgl. Beispiel I im Abschnitt 9.1 auf Seite 134).
Neben der Cou.lombschen Reibung sind noch die beiden folgenden Annahmen für die Berück-
sichtigung von Bewegungswiderständen in der technischen Praxis gebräuchlich:
oe:> Der lineare Ansatz 28.4, mit dem z. B. die Wirkung von Stoßdämpfern recht gut erfasst wird,
ist llir theoretische Untersuchungen sehr beliebt, weil er auf lineare Differenzialgleichungen
führt. In der Schwingungs.lehre werden die unterschiedlichsten Dämpfungsursachen deshalb
gem pauschal in dieser Form (oft nur näherungsweise) berücksichtigt.
oe:> Der Proportionalitätsfaktor in 28.5 kann in der Form
pA p
k2 =CW -2- (28.6)
angesetzt werden. In 28.6 ist p die Dichte des umströmenden Mediums, AI' die Projekti-
onsfläche (Schattenfläche) des sich darin bewegenden Körpers und der "cw-Wert" eine di-
mensionslose Widerstandszahl, die von der Körperform (und in einigen Fällen auch von der
Reynold-Zahl, dem Maß fLir die Zähigkeit des um strömenden Mediums) abhängt und durch
Versuche ermittelt werden muss, einige Beispiele: Für den langen Kreiszylinder gilt Cw = I,
für eine Kreisplatte Cw = I, I I und für eine Kugel in Abhängigkeit von der Reynold-Zahl
Cw = 0.09 ... 0,47. Moderne Pkw-Formen liegen im Bereich Cw = 0,3 ... 0,4.
oe:> Man beachte, dass mit den mathematischen Modellen für die Bewegungswiderstände 28.3
bis 28.5 die Realität in dcn meisten Fällcn nur unvollkommcn angenähert wird.
520 28 Kinetik des Massenpunktes
In dem Beispiel des Abschnitts 28.1 zur Anwendung des dynamischen Grundgesetzes (schiefer
Wurf) durfte vorausgesetzt werden, dass alle auf den Körper einwirkenden Kräfte (im Beispiel
nur die Gewichtskraft) in Beschleunigungen umgesetzt werden können. Bei geführten Bewe-
gungen und bei geschwiJldigkeitsabhängigen Bewegungswiderständen (Abschnitt 28.2.J) gibt es
natürlich Anteile der eingeprägten Kräfte, die sich nicht in Beschleunigungen umsetzen, sondern
von den Reaktionskräften bzw. den Widerstandskräften im Gleichgewicht gehalten werden.
I
Beispiel 1:
I_ _ _ _...I Die elllgeprägten Kräfte F nnd mg haben unterschied-
liche Wirkungen auf die nebenstehend skizziene Masse 111. Bei rei-
bungsfreier Bewegung wirkt die Kraft F beschleunigend auf m. bei
reibungsbehafteter Bewegung nur die Differenz zwischen F und der
Widerstandskraft.
Die Gewichtskraft mg wirkt nicht beschleunigend, da sie mit der Normalkraft (Reaktions kraft
der Unterlage) im Gleichgewicht ist.
Aus dieser Überlegung resultiert folgende Schlussfolgerung: Man muss bei geführten Massen
und auftretenden Bewegungswiderständen in die Formeln des dynamischen Grundgesetzes 28.1
bzw. 28.2 alle eingeprägten Kräfte, die Zwangskräfte und die Bewegungswiderstände einsetzen:
(28.7)
Diese Vektorgleichung repräsentiert im Fall des betrachteten Beispiels zwei skalare Gleichungen
(0" ist die Beschleunigung in horizontaler und 0, in vertikaler Richtung):
F-l'iI-ma" =0
-mg + FN - mo y = 0
Aus der zweiten Gleichung erhält man wegen FN = mg in diesem Fall für die venikale Beschleu-
nigungskomponente 0, = 0 (eingeprägte Kraft II1g erzeugt keine Beschleunigung).
Nicht unabsichtlich wurde in der Gleichung 28.7 das Produkt mä auf die linke Seite geschrieben,
denn in dieser Form verdeutlicht die Gleichung eine sehr elegante Strategie für das Aufschreiben
der Bewegungs-Differenzialgleichungen, das
Prinzip von d'Alembert (nach JEAN LE ROND D' ALEMBERT, 1717 - 1783):
Der bewegte Körper wird freigeschnitten, es werden angetragen
• alle eingeprägten Kräfte,
• alle Zwangskräfte (Reaktionskräfte) infolge äußerer Bindungen und Führungen.
• die Bewegungswiderstände,
• die Massenkräfte -mä (d'Alell1bertsche Kräfte).
Danach können die GleichgewichtsbedingungeIl (wie in der Statik) aufgeschrieben werden.
28.2 Kräfte am Massenpunkt 521
oe:> Die Idee der Einführung negativer Massenkräfte gestattet die Behandlung von Problemen
der Kinetik mit den aus der Statik vertrauten Gleichgewichtsbedingungen. Diese Massen-
kräfte werden hier wie üblich als d'Alembensche Krii(te bezeichnet, obwohl sie erstmals
bereits bei JOHANNES KEPLER (15?1 - 1630) auftauchen.
oe:> Das Minuszeichen vor der d'Alembertschen Kraf' fordert, dass diese entgegen der positiven
Beschlellnigungsrichtllng angetragen werden muss, was (bei gekrümmter Bahn) sowohl für
die Bahnbeschleunigung als auch rur die Normalbeschleunigung (nnd bei Relativbewegung
auch nir die Coriolisbeschleunigung) gilt. Die positive Richtung der Bahnbeschleunigung
kann selbst bei einfachen Problemen nicht immer vorausgesagt werden (ob sich eine Masse
auf der sclliefen Ebene unter Einwirkung einer aufwärts gerichteten Kraft auch aufwärts
bewegt, ist vom Anstiegswinkel, der Größe der Kraft und der Größe der Masse abhängig).
Die d'Alembertschen Kräjfe für die Bahnbeschleunigungen werden deshalb elItgegen der
frei zu wählenden Koordinatenrichtullg angetragell, was automatisch auch bei negativen
Beschleunigungen und Richwngsumkehr der Bewegung zu richtigen Ergebnissen fUhrt.
oe:> Die Richtung der Massenkraft, die rur die Normalbeschlellnigung angetragen werden muss,
ist dagegen eindeutig vorgegeben, weil die Normalbeschleunigung immer zum Krümmungs-
nuttelpunkl der Bahnkurve gerichtet ist:
Bei der Bewegung eines Massenpunktes auf einer gekrümmten Balln ist immer eine vom
Kriimmllngsmillelpllnkt der Bahnkllrve nach außen gerichtete Massenkrajf infolge der zum
Krümmungsmittelpunkt weisenden Normalbeschleunigung 26.15 zu berücksichtigen. Es ist
die Zentrifugalkraft (Fliehkraft)
v2
malJ=m - (28.8)
p
(p ist der Krümmungsradius und v die Bahngeschwindigkeit). Speziell fur die Bewegung auf
einem Kreis mit dem Radius R gilt:
(28.9)
Beispiel 2: I
I_"";_ _...1 Auf einer schiefen Ebene beginnt eine Masse m
zum Zeitpunkt 1 = 0 aus der Ruhelage heraus abwärts zu rut-
schen. Unter Berücksichtigung von Gleitreibung zwischen der Mas-
se und der schiefen Ebene sollen das Weg-Zeit-Gesetz und das
Geschwindigkeits-Zeit-Gesetz ermittelt werden.
Gegeben: m, a, !J.. ~
Es wird eine x-Koordinate zur Verfolgung der Masse vom Startpunkt
der Bewegung aus eingeführt. Die Skizze zeigt die freigeschnittene
Masse mit der Gewichtskraft mg (eingeprägte Kraft), der Normal-
kraft FN (Zwangskraft, die die Masse an ihre Bahn bindet), dem Be-
m~~
F,;/a~
wegungswiderstand FR = !LI'/v u.ud der d' Alembertschen Kraft, die
entgegen der eingeführtcn Bcwegungskoordinatc angetragen wurde.
Die Gleichgewichtsbedingungen in Hangrichtung bzw. senkrecht dazu liefern mit
mi+!l FN - mgsina = 0
FN-mgcosa=O
zwei Gleichungen, aus denen die nicht ioteressierende Kraft FN eliminiert wird. Es verbl.eibt eio
Ausdruck fUr die (in diesem Fall konstante) Beschleunigung, der zweimal integriert wird:
I
i=(sina-!J.cosa)g=a i=al+C, X= 2:aI2+C,I+C2
Für die Berechnung der Integrationskonstanten stehen zwei Anfangsbedingungen zur Verfügung.
Es ist typisch, dass eine durch die Problemstellung ("aus der Ruhelage heraus") vorgegeben ist,
die andere von der (willkürlichen) Wahl des Koordinatensystems bestimmt wird:
X(I = 0) = 0 =;. C2 = 0
i(I=O)=O =;. C,=O
Damit können die gesuchten Bewegungsgesetze aufgeschrieben werden:
I .
x(t) = 2: (SIn a - J.lcos a) g 12 i(l) = (sin a - !l eosa) g t
r';> Eigentlich hälle man bei diesem Beispiel noch überprüfen müssen, ob die Bewegung aus der
Ruhelage heraus überhaupt begimll. Dazu wäre allerdings die Kenntnis des Haftungskoeffi-
zienten J1D nötig.
e:> Auf jeden Fall muss das Ergebnis mit dem Zusatz gekennzeichnet werden, dass es nur für
positive Geschwindigkeit i 2: 0 gilt, weil diese Bedingung bei der Annahme der Richtung
der Gleitreibkraft vorausgesetzt wurde. Der Einwand, dass diese Bedingung ja wohl automa-
tisch erfüllt ist, weil eine Masse, die nur durch ihr Eigengewicht belastet ist, aus der Ruhe
heraus keine Aufwärtsbewegung beginnen kann, ist fiir die Praxis richtig, die errechneten
Bewegungsgesetze lassen dies zu (man setze z. B. die sehr sinnvollen Werte !J. = 0,3 und
a = 15° ein, und schon geht es aufwärts). Die Bewegungsgesetze des Beispiels 2 müssen
also unbedingt mit dem Zusatz
sina 2: !J.cosa bzw. tana 2:!J.
versehen werden.
28.2 Kräfte am Massenpunkt 523
Beispiel 3: I
I_ _ _ _.... Ein Massenpunkt m wlrd Wte sklzztert In eine
halbkreisfönnige Rinne gelegt und ohne Anfangsgeschwindigkeit
freigegeben. Das Bewegungsgesetz cp(l) soll
a) bei Vernachlässigung der Gleitreibung,
b) bei Berücksichtigung der Gleitreibung
zwischen Massenpunklund Rinne berechnet werden.
Gegeben: R = 1m; J1 = 0,05 .
Die untere Skizze zeigt den frei geschnittenen Massenpunkt mit
allen wirkenden Kräften.
FN - mRep2 -mgsin cp = 0
liefert nach Elimination der Normalkraft FN die Differenzialgleichung
Rip+ J1. (Rep2 + gsin cp) sgn ep - gcoscp = 0
Für die analytische Berechnung müsstc zunächst sgn ep = I gesetzt werden, um die Differenzial-
gleichung rür die "Bewegung von m nach rechts" zu lösen, nach Enmittlung des Umkehrpunktes
(Zeitpunkt, zu dem ep = 0 wird), wäre dann mit neuen Anfangsbedingungen und sgn ep = -I die
"Lösung für den Rückweg" zu berechnen, wieder bis zum (Linken) Umkehrpunkt, dann könn-
te (mit wieder neuen Anfangsbedingungen) wieder die Lösung der ersten Differenzialgleichung
(mit sgn ep = I) verwendct werden, wenn cs überhaupt gelingen würde, diese Lösung analytisch
zu berechnen. Weil dies aber ohnehin nicht möglich ist, scheidet dieser mühsame Weg aus.
Auch die Vereinfachung (Fragestellung a), die sich ergibt, wenn die Gleitreibung vernachlässigt
wird, rührt mit
Rip - gcoscp = 0
auf cinc Diffcrcnzialglcichung, dic in gcschlosscncr F0fl11 (zumindcst bei Vcrwcndung dcr elc-
mentaren Funktionen) nicht lösbar ist.
.-:> Die Bewcgungs-Differenzialgleichungen, die das sehr einfache Beispicl 3 lieferte, charak-
tcrisiercn das typische Problem bei Aufgabcn der Kinctik. Bis auf wenige "akademische
Beispiele" führen sie auf nichtlineare Differenzialgleichungcn, die sich einer geschlossenen
Lösung entziehen I. Die Enmittlung der Bewegungsgesetze des Massenpunktes des Beispiels
3 wird deshalb zurückgestel11und am Ende des folgenden Abschnitts 28.3 nachgeliefert.
I Der sich reibungsfrei auf einer Kreisbahn bewegende Massenpunkt entspricht der Bewegung des ,.mathematischen
Pendels", das im Physikulllcrricht im AJJgemeincn auch nur mü der Beschränkung auf ..sehr kleine Ausschläge"
behandeh wird.
524 28 Kinelik des Massenpunktes
I
Beispiel 4:
I_"";_ _...1 Eine hOrizontale Scheibe dreht sIch mit konstanter Win-
kelgeschwindigkeit %. In einer radialen Rinne (mit rechteckigem
Querschnitt) wird ein Massenpunkt'" im Abstand a vom Mittelpunkt
der Scheibe festgehalten und zum Zeitpunkt I = 0 freigelassen.
Gegeben: a= Im; R= 10m; %=2s- l ; J.L=0,3.
Unter Beriicksichtigung der Gleitreibung zwischen der Masse 111 und der Rinne soll der Zeitpunkt
IR ermittelt werden, zu dem der Massenpunkt die Rinne verlässt (die konstante Winkelgeschwin-
digkeit % soll durch dic Bewegung von m nicht beeinflusst wcrdcn).
Das Problem wird als Relativbewegung des Punktes mit einer Koordinate x behandelt, die die Be-
wegung des Massenpunktes in der Rinne verfolgt und die Drehbewegung der Scheibe mitmacht
(der Punkt x = 0 soll im Scheibenmittelpunkt liegen).
Für eine beliebige Lage des Punktes zeigt die obe-
re Skizze die Beschleunigungen, die sich nach den
Regeln der Relativbewegung des Punktes (Abschnitt
27.2) ergeben: Die Führungsbewegung (Drehung der
Scheibe mit konstanter Winkelgeschwindigkeit) trägt
nur einen Anteil bei (Normalbeschleunigung des
Punktes, in dem sich m gerade befindet), die Relativ-
beschleunigung der geradlinigen Bewegung ist nach
außen gerichtet, während die Coriolisbeschleunigung
tangentiale Richtung hat (der Vektor der Winkelge-
schwindigkeit steht senkrecht auf der Scheibenebe-
ne, die Relativgeschwindigkeit ist radial nach außen
gerichtet). Die untere Skizze zeigt die Massenkräfte,
die nach dem d' Alembel1schen Prinzip gegen die Be-
schleurtigungsricbtungen angetragen wurden.
Glcitreibkräftc treten am Boden der Rinne und an der Seitenfiihrung auf. Sie werden zu einer
Kraft FR zusammengefasst, die bei dieser Aufgabe nur nach innen zeigen kann, weil die Relativ-
geschwindigkeit nach außen gerichtet ist, eine Bewegungsumkehr ist unmöglich.
Die Gleichgewichtsbedingungen werden für drei Richtungen formuliert:
Fr;] =l1lg FN2 =2mx% mx-mxwJ+J.L(FNI +FN2) =0
Nach Elimination der Normalkräfte erhält man mit
X+2~I%X-wJX=-J.Lg
eine lineare Differenzialgleichung 2. Ordnung mit konstanten Koeffizienten, die in geschlosse-
ner Form lösbar ist. Die b.eiden Integrationskonstanten der allgemeinen Lösung werden mit den
Randbed ingungen
X(I = 0) = a .:i'(l =0) =0
bestimmt, die Frage der AufgabensteIlung kann aus dem dann bekannten Bewegungsgesetz der
Masse m iiber die Bedinglll1g X(I = IR) = R berechnet werden. Man erhält mit den gegebenen
Zahlenwerten IR = 2,69s (ausführliche Rechnung untcr www.TM-aktuell.de).
28.3 Lösungen flir Bewegungs-Differenzialgleichungen 525
28.3.1 Problemstellung
Das Beispiel 2 des vorigen Abschnitts, das auf eine konstante Beschleunigung ful1l1e, ist ein
Vertreter der wenigen "akademischen Beispiele", die problemlos lösbar sind. Dagegen ist das
cinfache Bcispicl 3 repräsentativ für viele Problcmc dcr Kinetik: Die Bewegungs-Differenzial-
gleichungen sind nichtlinear und entziehen sich einer geschlossenen Lösung.
Lineare Differenzialgleichungen sind in der Kinetik selten. Wenn sie dann auch noch konstante
Koeffizienten haben (wie im Beispiel 4, weil ~ konstant ist), sind sie geschlossen Jösbar2 ,
Bis auf ganz wenigc Ausnahmen sind die Bewegungs-Differenzialgleichungen der Kinetik
nichtlineare Differenzialgleichungen 2. Ordnung, die nur numerisch gelöst werden kÖl1Jlen.
Glücklicherweise treten die nichtlinearen Probleme der Kinetik im Allgemeinen als Anfangs-
wertaufgaben 3 auf (an einem bestimmten Punkt, in der Regel am Anfang der Bewegung, sind
alle interessierenden Größen bekannt). Für diesen Aufgabentyp stehen leistungsfähige nume-
rische Verfahren zur Verfügung, Der nachfolgend gegebeue kurze Einblick vermittelt nur die
nötigsten Erkenntnisse, auf die auch dann nicht verzichtet werden kann, wenn ein fertiges Com-
puterprogramm genutzt werden soll.
Die Anfangswertprobleme bestehen aus einer Differenzialgleichung 2. Ordnung und zwei An-
fangsbedingungen (bei Systemen mit mehreren Freiheitsgraden sind es mehrere Differenzialglei-
chungen und eine entsprechend größere Anzahl von Anfangsbedingungen). Umgestellt nach dcr
Beschleunigung, sieht das Anfangswertproblem fLir das Beispiel 3 aus dem vorigen Abschnitt so
aus:
2Man soll ce sich allerdings die geschlossene Lösung unter www.TM-aklllcll.dc einmal anschauen. Die entstehenden
Ausdrücke sind für die Handrechnung kaum zumulbar. und nach der Lösung der Differenzialgleichung führt die
Frage der Aufgabemtel1ung schließUch auf eine nichtlineare Gleichung. die nur numerisch gelöst werden kann. so
dass man durchaus berechtigt fragen darf: .,Warum dann nicht gleich numerisch?"
3Und wenn es einmal keine Anfangswert3ufgabe ist (es soll z. B ein bestimmter Punkt am Ende der Bewegung erreicht
we.rden). dann lUlL'\S man doch djc Algorithmen fUr Anfangswcrtprobleme verwenden. die dann ilerativ mehrfach
angewendel werden (,,zielschießen·'). bis die vorge~hriebcne Endbedingung erfLilll ist
526 28 Kinetik des Massenpunktes
Die Verfahren für die numerische Integration von AnfangswenprobJemen werden üblicherweise
für eine Differenzialgleichung I. Ordnung formuliert4 , weil damit auch der allgemeine Fall ab-
gedeckt wird: Differenzialgleichungen höherer Ordnung (auch DifferenziaJgleichungssysteme)
lassen sich immer durch Einfuhren von zusätzlichen Variablen auf ein DlfferenzialgleichuJlgs-
systcm I. Ordnung überführcn.
Der erste Schritt zur numerischen Lösung einer Bewegungs-Differenzialgleichung ist also das
Umschreiben auf ein System I. Ordnung. Man fUhrt dazu fUr die erste Ableitung der Variablen
(ciJ bzw. x) neue Bezeichnungen ein, sinnvollerweise die Symbole nir die Geschwindigkeiten.
Das Anfangswenproblem 28.11 wird also z. B. folgendermaßen formuliert:
x= v x(r = 0) = a
(28.12)
v=-iJ.g-2/.l(t~v+coJx v(r=O)=O
Allgemein sieht ein solches Anfangswertproblem mit zwei Differenzialgleichungen I. Ordnung
und den zugehörigen Randbedingungen so aus:
·i:=fl(i.x,v) X(I = '0) = xo
(28.13)
v= h(l.X, v) V(t=IO)=VO
Gesucht sind die Funktionen X(I) und V(I), die die Differenzialgleichungen und die Anfangsbe-
dingungen in 28. J3 erfüllen. Ausgehend vom einzigen Zeitpuokt, für den der gesuchte x- Wert
und der gesuchte v-Wert bekannt sind, dem Allfangspunkt ro mit den Werten Xo und vo, sueht
man die Werte XI und VI für den Zeitpunkt '1 = 10 +!'J, um anschließend auf gleiche Weise zum
nächsten Zeitpunkt zu kommen usw.
Dieser Prozess sei bis zum Zeitpunkt I; abgelaufen, Xi und v; sind bekannt. Dann ist das Be-
rechnen von X;+l und V;+I für den Zeitpunktli+1 = I; +!'J der typische Integrationsschritt des
Verfahrens, der am Beispiel der ersten Differenzialgleichung in 28.13 demonstriert werden soll:
Bcide Seiten der Differenzialgleichung x = fl (I ,X, v)
werden über das Zeitintervall !'J integriert:
IX~
',+1 /1+1
.f X(I)dr=.f fl(i,x,v)dt
r=tj '=1,
11+1
'i+l
4Es gibl auch Formelsätze für Differenzialgleichungen höherer Ordnung (z. B. das. Verfahren von Runge-KUlta-Nyström
mr die in der Kinetik typischen Differenzialgleichungen 2. Ordnwlg). die aber im Wesemlichen eine Zus3mmcnfas-
5>Ullg der Formeln für die Din"crenzialgleichungen 1. Ordnung sind und keine nennenswerten Vorteile bringen
28.3 Lösungen rur Bewegungs-Differenzialgleichungen 527
Das Integral auf der rechten Seite von 28.14, das den Zuwachs des Funktionswertes vom Punkt
i zum Punkt i + I repräsentiert, muss näherungsweise gelöst werden, weil die im Integranden
enthaltenen Fuuktionenx(l) und 1'(1) nicht bekannt sind. Die verschiedenen Verfahren der nume-
rischcn Integration von Anfangswcrtproblcmen unterschcidcn sieh im Wcscntlichen in der Art
und Qualität, wie dieses Integral angenähert wird.
Die gröbste Näherung für das Integral in 28.14 ist die Annahme, der Integrand fl (I,X,V) sei im
gesamten lntegrationsintervall li ~ I ~ li+1 konstant und kann durch den Wert fl (li, X;, Vi) am
linken Rand des Integrationsintervalls ersetzt werden (li, Xi und Vi sind bekannt). Mit
J
li+1
wird aus 28.14 die nach LEONHARD EULER (1707 - 1783) und AUGUSTIN LOUIS CAUCHY
(1789 - 1857) benannte Inlegralionsformel von ElIler-Cauchy:
(28.15)
(die auf gleichem Wege zu gewinnende Fonnel flir Vi+1 wurde in 28.15 ergänzt).
Dies ist die einfachste Näherungsfonnel für die numerische Integration eines Aruangswenpro-
blcms, die Lösungcn X(I) und 1'(1) werden durch Polygonzügc approximiert. Die einfachc Be-
rechnungsvorschrift verdeutlicht in besonderer Schärfe das Problem aller Integrationsfonnein
fur Anfangswertproblcmc: Die Näherungslösung für das Integral in 28.14 crzcugt einen Fehler
(Quadralwfehler), der in die Berechnung von); und v flir den nächsten Integrationsschritt eingeht
und dabei einen weiteren Fehler (Sleigllngsfehler) erzeugt.
Eine Verbesserung der Näherung für das Integral in 28.14 kann durch das Einbeziehen weiterer
Punkte des Integrationsintervalls ill en'eicht werden. Natürlich ist auch das problematisch, denn
die Werte für den Integranden können ja nur am linken Rand mit bekannten Größen berech-
net werden. Zwischenwerte erfordern vorab die Berechnung der (wieder nur l1äherungsweise zu
gewinnenden) Werte von X(I) und 1'(1) an diesen Stellen.
Nach eARL RUNGE (1856 - 1927) und MARTIN WILHELM KUTTA (1867 - 1944) ist eine be-
sonders beliebte Verfahrensfamilie benannt, bei denen man mit einem Formelsatz vom Zeitpunkt
li zum Zeitpunkt li+1 so gclangt, dass dic Gcnauigkcit dcr Berücksichtigung eincr bestimmtcn
Anzahl von Gliedern der Taylorreihen-EntwickJung der Lösung entspricht. Ein Runge-Kutta-
Verfahren 4. Ordnung, das ftir einen Integrationsschritt vier Funktionswerte berechnet, arbeitet
z. B. mit folgendem Fornlelsatz:
Es gibt kaum ein anderes Gebiet der Technischen Mechanik, in dem die mathematischen
Hilfsmittel mit so viel Vorsicht zu benutzen sind wie bei der numerischen Lösung von An-
fangswet1problemen, zu der es allerdings aueh keine Alternative gibt.
Auch die Hinweise in Handbüchern von Mathematik-Software, dass modernste Verfahren ein-
gesetzt werden und dem Anwender dje Wahl einer geeigneten Schrittweite durch integriette
automatische Sehrillwcitensteuerung erspa.1 bleibt, sollten auf keinen Fall zur Akzeptanz der
errechneten Ergebnisse ohne eigene wirkungsvolle Kontrollmaßnahmen verführen. Zahlrei-
che Beispiele (www.TM-akmell.de) zeigen, dass die Standard-Einstellungen bei dcn kom-
merziellen Software-Produkten nicht ausreichen, um Anfangswet1probleme auch üher nur be-
grenzte Zeitintervalle korrekt zu löscn.
5Auch diese Aussnge ist zu relativieren. denn bei sehr kleinen und damit sehr vielen Schrillen steigt mil der Anzahl der
Rechenopcrationen auch die Gefahr der Rundungsfehler.
28.3 Lösungen rur Bewegungs-Differenzialgleichungen 529
Beispiel]:I
I_"';'_....1 Das Beispiel31m Abschnitt 28.2.2 auf Seite 523 (sie-
he auch nebenstehende Skizze) führte auf das Anfangswertproblem
28.10 (Seile 525). Durch EinfUhren der neuen Variablen w = ep
kommt man zu Differenzialgleichungen I.Ordnung:
ep=w rp(1 = 0) = 0
W. = (2 g .)
- p W + Rsm rp sgn w + R
g cos rp W(I = 0) = 0
ql (t) <?a
In dieser Form kann es ein- • 3.2
(t)
Die Verläufe der Funktionen, die sich ohne Gleitreibung ergeben, zeigen, dass die numerische
Rechnung "gesund" ist: Ocr Massenpunkt muss theoretisch immer wieder die Ausgangshöhe er-
reichen. Der Zoom oben rechts zeigt einerseits, dass das Ergebnis natürlich nur ein Polygonzug
ist, andererseits hat der letzte positive Maximalwert fUr rp" im untersuchten Intervall den erwar-
teten Wert. Die Lösung dieser Aufgabe findet man unter www.TM-aktuell.de. wo auch gezeigt
wird, wie Illan durch Vergleich der Funktionswerte am Ende des Zeitbereichs bei Rechnung mit
unterschiedlichen Schrillweiten einen rur das Problem angemessenen Wert findel.
I_"";_ I
2: E'In GI'
Beispiel_...1 .
eltstem . (er
ffilt I M asse In kTann au feiner
' vertl'kaI en F"h
u rung rel'b ungs frel
'
gleiten. Er ist durch eine (lineare) Feder gefesselt, die im entspannten Zustand die Länge b hat.
Der Gleitstein wird um xanf ausgelenkt und zum Zeitpunkt t = 0 ohne Anfangsgeschwindigkeit
freigelassen.
Für das Intcrvall 0::; I ::; 20s sollen die Bewegungsgesctzc x(t) ftir die
Anfangsauslenkungen a
Xan j.l = -80. 1 Xan [.2 = ~4,493a l Xafl!,3 = -4,492a
ermittelt werden.
b
Gegeben: ~=I - =4 ; ~=9.8Is2 .
I/1g a a
Die untere Skizze zeigt die freigeschnittene Masse mit der eingepräg-
ten Kraft I/1g, den Reaktionskräften FN und Fe (Federkraft) und der
d' Alembertschen Kraft I/1X, die der Weg-Koordinate x entgegengerichtet
ist (kein Bewegungswiderstand, weil reibungsfreie Führung).
Die Gleichgewichtsbedingung für die horizontalen Kraftkomponenten
wird nicht benötigt, weil die Normalkraft FN nicht gefragt ist und we-
gen der Vernachlässigung der Gleitreibung in der Gleichgewichtsbedin-
gung für die vertikalen Kraftkomponenten nicht erscheint. Das Kräfte-
Gleichgewicht in vertikaler Richtu ng
mx+ F,cosa - mg = 0
enthält die Federkraft, für die nach dem Federgesetz
Fe = c ( ../a2 +x2 - b)
eingesetzt werden kann ("Federkonstante . Differenz aus Federlänge und Länge der entspannten
Feder", vgl. Abschnitt 10.1). Für die Winkelfunktion liest man aus der Skizze ab:
x
cos a = -,==""
Ja2 2 +x
und damit erhält man die (nichtlineare) Bcwegungs-Differenzialgleichung:
*
sionslosen) Größen zu erzeugen, zeigt, dass es sinnvoll ist, auch noch zu einer dimensionslosen
Bewegungskoordinate überzugehen. Dafür wird x = gewählt, und nach einigen elementaren
Umrechnungen erhält man das (nichtlineare) Anfangswertproblem
~x=-g [ 1 -ca
- (~b)
vl+r-- x ]
a mg a ../1+x2
X an! .
x(t = 0) = - x(T = 0) = 0
a
28.3 Lösungen rur Bewegungs-Differenzialgleichungen 531
, ,, ,
, ~ ~ ~ ~ ~ ,
Anfangsauslenkung: x = - 4,492 a
16 I
, Anfangsauslenkung: =-8 a n 1\ 1\ 1\ 1\
,,
Ä Anfangsauslenkung: x :;:: - 4,493 a
16 t .,
.,
., \ .,
;
i
,
~
A
'0
,
2
16 t
, t
., .,
., 16
·Il
Ir .,
Abbildung 28.4: Die Folgen unterschiedlicher Anfangsbcdingungen
Die Abbildung 28.4 zeigt links den Bewegungsablauf für die Anfangsauslenkungxa"J. I = -8a.
Es ergibt sich eine ,.fast normale Schwingung", bei der nur die ,.kleinen zacken" im Geschwin-
digkeitsdiagramm andeuten, dass die Masse sich auf ihrem Weg nach unten und oben am Lager
bei stark zusammengedrückter Feder "vorbeidrängeln" muss.
Bei einem Fall aus der geringeren Höhe X"oJ.2 = -4,493a gelingt es der Masse gerade noch,
am Lager vorbeizukommen (Abbildung 28.4, Mitte). Die Geschwindigkeit wird sowohl bei der
Abwärts- als auch bei der Aufwärtsbewegung vorübergehend fast Null. Dies geschieht an dem
Punkt der größten Zusammendrückung der Feder (dies ist übrigens - vgl. Kapitel 10 - die instabile
statische Gleichgewichtslage der Masse).
Bei der nur unwesentlich geringeren Anfangsauslenkung xanJ.} = -4,492a (Abbildung 28.4,
rechts) kommt die Masse an diesem Punkt nicht vorbei: Der Punkt der größten Federzusam-
mendrlickung wird zum Umkehrpunkt der Bewegung.
Da keine Reibungsverluste berücksichtigt werden, muss die Masse in jedem Fall die Ausgangs-
höhe immer wieder erreichen. Die grafischen Darstellungen der Funktionen bestätigen das.
Dieses Beispiel verdeutLicht mit den völlig unterschiedlichen Bewegungsverläufen bei nur ge-
ringfügigen Änderungen der Anfangsbedingungen auch, wie kritisch sich Verfahrensfehler bei
der numerischen Integration von Anfangswertproblemen auswirken können, denn in jedem Inte-
grationsschritt haben die (mehr oder weniger fehlerbehafteten) Ergebnisse des vorherigen Schrit-
tes den Charakter von Anfangsbedingungen für die gesamte nachfolgende Rechnung (und das
hier behandelte Beispiel liefert bei zu grober Schrittweite tatsächlich falsche Bewegungsverläu-
fe, siehe www.TM-aktueLl.de).
Dieses Thema wird deshalb noch mehrmals mit etwas anspruchsvolleren Aufgaben aufgegrif-
fen. Dann wird auch (neben der immer zu empfehlenden Mehrfachrechnung mit unterschied-
lichen Schrittweiten) die Mögl.ichkeit diskutiert, "KontroJIfunktionen" zusätzlich zu berechnen
(die theoretische Basis dafiir wird im nachfolgenden Abschnitt 28.4 behandelt).
532 28 Kinetik des Massenpunktes
In Abhängigkeit von der Aufgabensteilung kann es zweckmäßig sein, das Prinzip von d' Alembert
(Abschllitt 28.2.2) zu nutzen und über die Gleichgelvichrsbedingungen mir allschließender Ime-
grarion zu den Bewegungsgleichungen zu kommen oder aber einen der in den Abschnitten 28.4.2
und 28.4.3 behandelten Wege der Inregrarioll des dynamischen Grundgesetzes zu wählen. Nach-
folgcnd werdell zunächst einige Definitionell wichtiger mechanischer Größen vorangestellt.
Mechanische Arbeit (vgl. auch die Definition auf Seite 421) ist das Produ.kt aus dem Weg
und der tangential zur Bahnrichtung wirkenden Kraft:
'2
JF J
Jz
W= dr = Fs ds (28.17)
T' ·~l
r.:> Das skalare Produkt zwcicr Vcktorcn ist gerade so dcfinicrt, dass cs wr Definition dcs me-
chanischen Arbeitsbegriffs passt. Dagegen muss in der skalaren Fonn der Gleichung 28.17
für Fs der Betrag der Komponente des Kraftvektors in Richtung der Bahntangente des Weges
eingesetzt werden. Die Arbeit W ist eine skalare Größe mit der Dimension "Kraft . Länge"
und wird z. B. in Nm ("Newtonmeter") oder J (',Joule") gemessen:
INm= IJ
r.:> Erfolgt die Bewegung auf einer Kreisbal1n mit dem Radius R. dann hat die tangential ge-
richtete Kraftkomponente Fs bezüglich des Mittelpllnktes ein Drehmoment M = FsR und
mit ds = Rdrp bzw. Fsds = Fs Rdrp = M drp erhält man die Formel für die Arbeit bei einer
Drehbeweg,mg:
'P2
Beispiel J:I
I_ _ _.....I EIl1 Waggon Wird mtt ell1er Kraft F = 12kN, dte
unter einem Winkel a = 25° angreift, über eine Strecke s = 50 m
bewegt. Welche Arbeit wird dabei geleistet.
Da die Kraft konstant ist und nur die Komponente in Wegrichtung Arbeit leistet, errechnet man:
W = Fcosa -s = 544kN m = 544kJ
28.4 Tntegralion des dynamischen Grundgesetzes 533
I
Beispiel 2:
I_"";_ _...1 Es soll die ArbeIt berechnet werden, dIe
von der Gewichtskraft einer Masse 111 geleistet wird,
die auf einer schiefen Ebene reibungsfrei entlang des
Weges s abwärts gleitet und dabei den Höhenunter-
schied h = h I - h2 überwindet.
Aueh hier leistet nur die in Wegricbtung fallende Komponente der Gewichtskraft mg sin Cl eine
Arbeit, und man erhält:
W = mgsinCl's = mgsin Cl ~ = mgh = mg (h1 - 11.2)
SIl1 Cl
<:> In das Ergebnis des Beispiels 2 gehen weder die Strecke s noch der Winkel Cl ein. Eine stei-
lere schiefe Ebene und ein kürzerer Weg s würde wie eine flachere schiefe Ebene und ein
längerer Weg s dann die gleiche Arbeit der Gewichtskraft liefern, wenn die Höhendifferen-
zen von Ausgangs- und Endpunkt gleich sind. Es ist klar, dass dies nicht nur fLir die schiefe
Ebene (mit einer geradlinigen Wegstrecke) gilt, denn das am Beispiel 2 ermittelte Ergebnis
gilt für die geleistete Arbeit der Gewichtskraft entlang einer beliebigen differenziell klei-
nen Wegstrecke ds und damit auch für das Integral 28.17, mit dem die differenziell kleinen
Arbeitsanteile summiert werden.
Die Arbeit der Gewichtskraft einer Masse m ist vom Weg unabhängig, in das Ergebnis geht
nur die Höhendifferenz 11. = 11., - 11.2 des Anfangs- und Endpunktes der Bewegung ein:
W = mgh = mg (I" - 11.2) (28.19)
<:> Das Arbeitsvermögen der Gewichtskraft einer Masse 111 (das Potenzial der Gewichtskraft)
hängt also ausschließlich von der Höhe h ab, in der sich die Masse über einer willkürlich
zu definierenden Bezugsebene befindet. Die Arbeit, die sie bei einer Bewegung bis zum
Erreichen dieser Bezugsebene leistet, ist nach 28.19 vom Weg dahin völlig unabhängig. Das
Arbeitsvermögen (die Fähigkeit, Arbeit zu leisten) wird als Energie bezeichnet: Eine Masse
m in der Höhe 11. über einer Bezugsebene hat die potenzielle Energie
U=mgh (28.20)
<:> Kräfte, die (wie die Gewichtskraft) ein Potenzial besitzen, so dass die von ihnen geleistete
Arbeit nur vom Anfangs- und Endpunkt der Bewegung abhängt (und nicht von dem Weg,
der dabei zurückgelegt wird), nennt man konservative Kräfte. Neben der Gewichtskraft ist
die Federkraft ein Beispiel daflir: Eine Feder mit der Federkonstanten c hat (vgl. Abschnitt
24.1) die potenzielle Energie
I
U= -cs6
2
(28.21 )
(so ist der Federweg, die Verlängerung oder Verkürzung bezüglich der Länge der entspannten
Feder).
<:> Arbeit wld Energie sind äquivalente Größen und werden dementsprechend mit den gleichen
physikalischen Einheiten gemessen.
534 28 Kinetik des Massenpunktes
Weil in die Arbeit die Zeit, in der sie verrichtet wird, nicht eingeht, definiert man als Maßfiir die
pro Zeiteinheit verrichtete Arbeit die
dW
Leistung: P=- (28.22)
dr
Für eine in Wegrichlllng konstante Kraft F gilt
ds
P=F-=Fv (28.23)
dt
und für eine Drehbewegung mit konstantem Moment M:
P=Mw (28.24)
oe:> Die Leistung ist einc skalare Größe mit der Dimension "ArbeitJZeit", z. B.:
I NmJs = I J/s = I W
Die Leistungseinheiten W (Watt) und kW (Kilowatt) werden auch häufig als Ws (Wattse-
kunde) bzw. kWh (KilowattslUnde) für die Arbeit verwendet.
JF
'1
Der Impulssatz 28.25 eignet sich für die Lösung von Problemen, bei denen nach einer Geschwin-
digkeit bei bekannter Kraftwirkung über die Zeit gefragt wird.
Beispiel:I
I_ _ _ _ Durch EInwIrkung einer konstanten Bremskraft F = 3 kN über ill = 5 s Wird ein Pkw
mit der Masse m = 1000 kg, der sich mit v = 150 km/h bewegte, abgebremst. Wie groß ist danach
seine Geschwindigkeit v,?
Da die Kraft während des Bremszeitraumes konstant ist und der Bewegungsrichtung entgegen-
gesetzt wirkt, folgt aus dem Impulssatz:
- F ßf = ,n Ve - m v ,
F km 3000 N
v, = v- -ill = 150- - - - - ·5s = 96km/h
m h 1000 kg
Für den einzelnen Massenpunkt hat der LmpuJssatz 28.25 nur untergeordnete Bedeutung. er wird
deshalb im Kapitel 30 (Kinetik des Massenpunktsystems) ausfiihrlicher behandelt.
28.4 Tntegralion des dynamischen Grundgesetzes 535
J- J Jcl, J
72 72 '2 '2
(Voraussetzung: Masse In ist konstant) liefert unter Ausnutzung von 28.17 fLir das Integral auf
der linken Seite den
Arbeitssatz: (28.26)
Die von der (tangential an die Bahnkurve gerichteten) äußeren Kraft Ps längs des Weges s ge-
leistete Arbeit ist gleich der Differenz dcr kinetischen Energie des Massenpunktes 111 zwischen
Endpunkt und Anfangspunkt der Bewegung.
Die kinetische Energie
(28.27)
ist das Arbeitsvermögen des Massenpunktes 111 infolge seiner Bewegung mit der Geschwin-
digkeit v.
Im Abschnill 28.4. I wurdc am Bcispicl der Gcwichtskraft der Massc In gezcigt, dass das Intcgral
auf der linken Seite von 28.26 fiir Potenzialkräfte vom Integrationsweg unabhängig ist. Bei aus-
schließlicher Wirkung der Gewichtskraft dcs Massenpunktes m kann dieses Integral durch 28.19
ersctzt wcrdcn. Aus
folgt mit
(28.28)
die einfachste Form des Energiescilzes. weil dic Arbeit der äußeren Kraft (Gewichtskraft des
Masscnpunktes m) durch Termc in Form der potcnziellen Encrgic des Masscnpunktcs 28.20 aus-
gedrückt wurde. Mit 28.20 und 28.27 wird aus 28.28 der
oe:> Die Entwicklung des Energiesatzes, die unter ausschließlicher Berücksichtigung der Ge-
wichtskraft für das Integral auf der linken Seite des Arbeitssatzes auf 28.28 fuhrte, würde
bei Berücksichtigung anderer Potenz.ialkräfte entsprechend verlaufen, so dass der Energie-
satz in der Fassung 28.29 bei Wirkung beliebiger Potenzial kräfte gilt, z. B. auch für Feder-
kräfte. deren potenzielle Energie nach 28.21 einfließen kann.
oe:> Bei ausschließlicher Wirkung konservativer Kräfte fließen in die Gleichung des Energiesat-
zes 28.29 nur Zustandsgrößen zweier ausgewählter Zeitpunkte der Bewegung ein (und die
Zeit konu11I in dieser Gleichung nicht einmal explizit vor). Der Energiesatz 28.29 vergleicht
gewissennaßen zwei "Momentaufnahmen", ohne den Verlauf der Bewegung im Detail zu
verfolgen. Er ermöglicht gerade bei komplizierten Bewegungen vielfach einige spezielle
Aussagen über das Verhalten des bewegten Massenpunktes.
Wenn neben den konservativen noch andere ("nieht-konservative") Kräfte auf den Massenpunkt
einwirken (ihre Wirkung kann nicht über die potenzielle Energie e,fasst werden), so muss die
von ihnen verrichtete Arbeit über das Arbeitsintegral (linke Seite des Arbeitssatzes) in die Ener-
giebiJanz einbezogen werden. Nachfolgend wird angenommen, dass die Arbeit dieser Kräfte
(Antriebskraft, Gleitreibungskraft, ... ) nach 28. I7 berechnet wird. Wenn mit dem Symbol W die
gesamte Arbeit der Nichtpotenzialkräfte erfasst wird, erfahrt der Energiesatz mit diesem Anteil
(der linken Seite des Arbeitssatzes) folgende sinnvolle Erweitenmg.
(28.30)
Die Gleichung 28.30 vergleicht zwei Bewegungszustände I und 2 mit den zugehörigen po-
tenziellen Energien VI und V2 und den kinetischen Energien Tt und T2.
W ist die während der Bewegung von I nach 2 durch die Nichtpotenzialkräfte verrichtete
Arbeit, die uacb 28.17 berechnet werden kann. W enthält positive Ameile, wenn Energie zu-
geführt wird (Antriebskräfte), und negative Anteile, wenn Energie abgeführt wird (Abtriebs-
kräfte, Reibung).
Empfohlenes Vorgehen bei der Lösung von Problemen mit Hilfe des Energiesatzes:
oe:> Aus den Energiebilanz-Gleichungen 28.29 und 28.30 wird deutlich, dass die Höhe, in der das
Null-Potenzial angesiedelt wird, beliebig gewählt werden darf, denn unterschiedliche Höhen
resultieren in unterschiedlichen additiven Konstanten, die auf beiden Seiten der Gleichungen
in gleicher Größe auftauchen.
oe:> Da in die Energiebetrachtungen im Wesentlichen Geschwindigkeiten und Wege eingehen,
liefert der Energiesatz unmittelbar einen Zusammenhang zwischen der Geschwindigkeit des
Massenpunktes und seiner Lage (im Unterschied zur Behandlung von Problemen mit dem
Prinzip von d' Alembe.t, die primär auf Abhängigkeiten von der Zeit führt).
oe:> Natürlich können mit dem Energiesatz nicht nur die Bewegungsgrößen zu speziellen Zeit-
punkten betrachtet werden. Wenn man z. B. den Zustand 2 als den Bewegungszustand zu
einem beliebigen Zeitpunkt I ansieht, erhält man ein Bewegungsgesetz, das den Verlauf
der Bewegung beschreibt. Es ist eine Geschwindigkeits-Weg-Funktion, die gegebenenfalls
durch Differenzieren nach der Zeit in eine Beschleunigungs-Zeit-Funktion umgewandelt
werden kann (vgl. nachfolgendes Beispiel 2).
Beispiel}: I
I_ _ _ _...I E,ne Masse 111 WIrd 111 der Hohe h mlt der
Anfangsgeschwindigkeit vo senkrecht nach oben geworfen. lvo v
/0 CD
Wie groß ist ihre Geschwindigkeit beim Aufprall auf dem
Erdboden (Luftwiderstand ist zu vernachlässigen)? Wie än-
dert sich das Ergebnis, wenn die Masse in beliebiger Rich-
tung abgeworfen wird?
Als BewegungsZllstand I wird der Abwurf (Masse hat in der Höhe h die Geschwindigkeit vo)
und als Bewegungszustand 2 wird das Auftreffen auf dem Boden definiert. Das Null-Potenzial
wird bei 2 angenommen, so dass aus der Energiebilanz nach 28.29 die Aufprallgeschwindigkeit
berechnet werden kann:
I 2 I 2
IIlgh+2:ftlvO=2:IIlV2 v2 = JvÖ+2gh (28.31 )
oe:> Die Größe der Aufprallgeschwindigkeit ist von der Abwurfrichtung unabhängig, nicht aber
ihre Richtung, auch nicht die von der Masse während des Flugs erreichte Höhe.
Beispiel 2:
I_"";_ I
_...1 E1I1 Massenpunkt m wU'd bel cP = 0 m eme krelsför-
mige Rinne gelegt und ohne Anfangsgeschwindigkeit freigegeben.
Seine Bewegung wird durch die Koordinate cp verfolgt. Unter Ver-
nachlässigung von Reibungscinflüssen 501l1j> in Abhängigkeit von cp
ermittelt werden.
Die Startposition wird (wie skizziert) als Bewegungszustand I definiert und der beliebige Zeit-
punkt, zu dem der Winkel cp erreicht wird, als Zustand 2. Das Null-Potenzial soll mit Zustand I
zusammenfallen. Dann lautet die Energiebilanz nach 28.29 mit der Bahngeschwindigkeit RIj>:
-ftlgRSincp+~IIl(Rrp)2 . ~2g·
0= cp = V" R cp
S1l1 (28.32)
538 28 Kinetik des Massenpunktes
oe:> Die Null auf der linken Seite in der Energiebilanz 28.32 sagt aus, dass keine kinetische Ener-
gie im Zustand I vorhanden ist, weil die Bewegung ohne Anfangsgeschwindigkeit beginnt,
und auch keine potenzielle Energie wegen der Wahl des Null-Potenzials auf dieser Höhe. [m
Zustand 2 wird die potenzielle Energie negativ, weil der Massenpunkt unter dem gewählten
Null-Potenzialliegl.
oe:> Die erstaunlich problemlose Berechnung der Aufprallgeschwindigkeit aus der Energiebilanz
28.31 beim schiefen Wurf und die einfache Bcrechnung der Funktion ep( cp) aus der Bilanz
28.32 stehen im Gegensatz zu den Schwierigkeiten, die mit der Erminlung der Bewegungs-
gesetze ftir die gleichen Aufgaben (Beispiel im Abschnin28.1 bzw. Beispiel 3 im Abschnitt
28.2.2) verbunden waren.
Das mit dem Encrgiesatz für dcn schiefen Wurf mühelos ermiuelte Ergebnis wäre mit Hilfe
des Prinzips von d'Alembert nur unter erheblichem Aufwand zu erlangen. Andererseits gibt
die Energiebilanz (im Gegensatz zur d' Alembelt-Rechnung) keine Auskünfte llber Wurf-
weite, Auftreffwinkel und Flugzeiten.
oe:> Mit 28.32 ist natürlich auch eine hervorragende Kontrollmöglichkeit (ftir jedes einzelne Wer-
tepaar) der numerisch erminelten Funktionen cp(l) und ep(l) gegeben (siehe Seite 529).
oe:> Auch über den Energiesatz kann man zu den zeitabhängigen Funktionen gelangen: Diffe-
renziation von 28.32 auf beiden Seiten nach der Zeit entsprechend
.. gcoscp . gcosq>. g
q> = q> = - - . - q> = - cosq>
RJ2~Sinq> Rq> R
fühlt auf die gleiche Differenzialgleichung, die sich auch nach dem Prinzip von d' Alembert
ergab (Sei tc 523). Sic ist der Ausgangspunkt für die Berechnung von q>(t) und ep(I).
oe:> Ausdlücklieh gewarnt werden muss vor dem (naheliegenden) Versuch, 28.32 direkt nume-
risch lösen zu wollen, denn eigentlich liegt mit
ep = J(I, cp) = J~
2 sin q> cp(1 = 0) = 0
gcnau das Anfangswcrtproblem 28.13 (mit sogar nur einer Differenzialgleichung) vor, für
das im Abschnitt 28.3.2 die numerischen Lösungsmöglichkeiten vorgestellt wurden. Dass
sich als Lösung
ergibt, darf auch nicht dem numerischen Lösungsverfahren angelastet werden, denn es ist
tatsächlich eine Lösung dieses Anfangswertproblems (man überzeugt sich leicht durch Ein-
setzen). In der Mathematik wird gezeigt, dass die Eindeutigkeit der Lösung des Anfangs-
wertproblems an die Erfüllung der so genannten Lipschilz-Bedil7gul7g (nach RUDOLF Li?-
SCH (TZ, 1832 - 1903)
Idj~t/l;K (28.33)
gebunden ist (mit der beliebigen, aber endlichen Lipschitz-Kol7stGl7ten K). Für q> = 0 ist
28.33 aber bei dem betrachteten Anfangswertproblem nicht erfüllt. Dies ist typi.seh flir sol-
che mit dem Energiesatz fomlulierten Anfangswertprobleme.
28.5 Aufgaben 539
I
Beispiel 3:
I_"";_ _...1 DIe Walzen emes Walzwerks (Durchmes-
ser d) drehen sich mit der Drehzahl n. Ein Stahlblock
mit der Masse m, der das Walzwerk verlässt, kommt
:.. :
auf einer horizontalen Bremsstrecke nach So zur Ruhe.
"
Gegeben: 11= 300 min- 1 So = 28m
d = 480 Illm fII = 500kg
Wie groß ist dcr Gleitreibungskocffizicnll1 auf der Brcmsstrcckc? Wic stark würdc ein masselo-
ser elastischer Puffer (Federzahl c = IOOON/cm) bei s = 20m von dem aufprallenden Stahlblock
zusammengedrückt wcrdcn?
Bcim Verlasscn dcs Walzwcrkes hat dcr Stahlblock die Umfangsgeschwindigkcit der Walzcn.
Seine kinetische Energie (potenzielle Energie braucht nicht berücksichtigt zu werden, weil der
Stahlblock sich immer auf gleicher Höhe bewegt) wird um die Reibarbeit vermindert und im
Zustand 2 (Ruhe) ist auch keine kinetische Energie mehr vorhanden. Aus der Bilanz nach 28.30
berechnct man mit der Umfangsgeschwindigkeit der Walzen nach 26.18 bis 26.21 und dcr Reib-
arbeit W = -FR So (konstante Reibkraft infolge konstanter Normalkraft):
=} ~1Il(2rrn~)2-l1f11gS0=0 =}
J1. = (rrdn)2 = 0.103
2gso .
Wird der Block schon vorher durch die Pufferfeder abgebremst, lautet die Energiebilanz mit der
im Zustand 2 Ulll den Federweg x zusammengedrückten Feder, deren potenzielle Energie sich
nach 28.21 berechnet:
I, I ?
"2I1lVj-I1FNs= "2 c x- x= 28,5cm
Der unwesentliche Anteil der auf dem Federweg noch anfallenden Reibarbeit wurde vernachläs-
sigt, wäre jedoch relativ problemlos durch den Weg s + x (anstelle von s) im Reibarbeitsanteil zu
beriicksichtigen.
28.5 Aufgaben
Allfgabe 28. J:
I_..;.;;
I
.... Em Massenpunkt gleitet reIbungsfrei eme Schan-
ze hinab. Er beginnt die Bewegung in der Höhe hohne Anfangsge-
schwindigkeit und verlässt die Schanze aus dem letzten kreisför-
migen Teil unter einem Winkel von 45°.
Wie groß ist seine Anfangsgeschwindigkeit für den sich anseWie- R
ßenden schiefen Wurf?
Gegeben: h =2m; R =0,5m .
540 28 Kinetik des Massenpunktes
I
Aufgabe 28.2: I
Eine Winde zieht mit konstantem
~'
Moment Mo eine Masse m eine schiefe Ebene hin-
auf. Zwischen der Masse lJ1 und der schiefen Ebe- .•... R
ne ist Gleitreibung mit dem Gleitreibungskoeffizi-
enten ~L zu berücksichtigen. Die Masse der Win-
""").1. 0:
de kann vernachlässigt werden. Dic Bewegung be-
ginnt aus der Ruhe heraus.
Gegeben: Mo, 1J1, a, s, R, IJ· .
Wie groß ist die Geschwindigkeit v der Masse m, nachdem sie den Weg S ztLrückgelegt bat?
I Aufgabe 28.3: I
Ein Massenpunkt m wird mit der Anfangsge-
schwindigkeit vo in eine Kreisbahn mit dem Radius r geschossen.
Gegeben: m = I kg r=lm r
va = 4 m/s IJ= 0,2
I Aufgabe 28.4: I
Eine horizontale Scheibe dreht sich mit der
konstanten Winkelgcschwindigkcit ~. In eincr geraden Rinne
wird ein Massenpunkt 111 in der skizzierten Lage festgehalten
lind zum Zeitpunkt I = 0 freigelassen. R
a) Bei Vernachlässigung von Reibungseinftüssen ermittle
man für dcn Massenpunkt dic Bewcgungsgcsetze Xrel(t)
und x,er(t) bezüglich der mitrotierenden Koordinate Xrel
...... Xrel
und die horizontale Normalkraftkomponente FN(t), mit der
der Massenpunkt seitlich gegen die Führung drückt.
b) Zu welchem Zeitpunkt IR vcrlässt dcr Massenpunkt die Rinnc. welche Relativgeschwindig-
keit und welche Absolutgeschwindigkeit hat er in diesem Moment?
Gegeben: a=lOcm; b=8cm; R=80cm; ~=1,5s-l; m=2kg
Wcitere Aufgaben findet man im Internet unter www.TM-aktuell.de.
29 Kinetik starrer Körper
Die allgemeine Bewegung eines starren Körpers wird aufgefasst (vgl. Kapitel 27) als Translation,
beschrieben durch die Bewegung eines Bezugspunktes. und Rotation aller librigen Körperpunkte
um diesen Punkt. Zunächst werden einige wichtige Sonderfälle untersucht.
Wenn der starre Körper eine rein translatorische Bewegung ausführt, gelten für die kinetischen
Untersuchungen die Regeln der Kinerik des Massenpunktes.
Alle Untersuchungen für diesen Fall dürfen zunächst in der Ebene angestellt werden, weil Kraft-
komponenten parallel zur Drehachse nur eine Translation in Achsrichtung hervorrufen könnten
und die Achse die Momente, die nicht um die Achse drehen, aufnehmen würde.
Alle äußeren Kräfte und Momente werden nach den Regeln der Statik (Abschnitt 3.5) ZU einer
resultierenden Kraft, deren Wirkungslinie die Drehachse schneidet, und einem resultierenden
Moment zusammengefasst. Die resultierende Kraft (in der Abbildung 29.1 durch ihre beiden
gestrichelt gezeichneten Komponenten angedeutet) wird von der Drehachse aufgenonunen, so
dass nur noch das resultierende Moment M, eine Bewegung hervorrufen kann. Diese soll nun
(ausschließlich unter Verwendung der für den Massenpunkt bereits behandelten Hilfsmittel) un-
tersucht werden.
Ein beliebiger (differenziell kleiner) Massenpunkt dm im Abstand r von der Drehachse führt eine
Kreisbewegung aus mit einer Bahnbeschleunigung nach 26.18 und einer (radial zum Drehpunkt
gerichteten) Normalbeschleunigung nach 26.22:
a, =rifl
Nach dem Prinzip von d' Alembert (Abschnitt 28.2.2) sind also die Massenkräfte
dmrifl und
(29.1)
m m
Damit ist der Zusammenhang zwischen der äußeren Belastung und der Drehbewegung einer
Masse um eine/este Achse bekannt. Der Integralausdruck in 29.1 ist das
J,=./
m
r
2
dm (29.2)
<> Analog zur d' Alembertschen Kraft ("Masse . Ballllbeschleunigung", angetragen entgegen
der gewählten Bahnkoordinate, vgl. Abschnitt 28.2.2) wird
(29.3)
("Massenträgheitsmnment . Winkelbeschleunigung", angetragen entgegen der gewählten
Winkelkoordinate) als d'Alembertsches Mamelll bezeichnet. Es repräsentiert die Trägheits-
wirkung eines Körpers gegen einc Drehbewegung.
29.2 Rotation um eine fesle Achse 543
oe:> Die kinetische Energie einer Masse, die sich um eine feste Achse dreht, berechnet sich auf
der Basis von 28.27 analog zur Herleitung von 29.1 als Summe der kinetischen Energien der
differenziell kleinen Massenelemente dm, die sich auf Kreisbahnen mit den Bahngeschwin-
digkcitcn ,-ciJ bewegcn. Aus
T'or = J~(rep?
m
dm = ~ ep2 J
m
2
r dm
aufgeschrieben werden und ist in dieser Form eine einfache Variante des später noch aus-
führlicher zu behandelnden Drallsatzes (auch: Impulsmomentensatz):
Die zeitliche Änderung des Dralls ist gleich der Wirkung des resultierenden äußeren Mo·
ments.
oe:> Man beachte die Analogien, die sich in den Fomle1n für die Translation bzw. Rotation wi-
derspiegelll. Wenn man den
TrallSlatiollsgrößell s v a 1/1 F
die RotatiOllsgrößell rp w a J M
zuordnet, ergeben sich alle "Rotationsformeln" durch Auslausch der äquivalenten Größen
aus den "Translationsformeln", z. B.:
Translation Rotation
GeschwindigkeitlWinkelgeschwindigkeit v=s w=ep
BcschIeun igllllglWi nkel besch Icunigung a=v a=6J
Arbeit J Fsds JMdrp
Leistung FII Mw
d' Alembertsche Kraft/d' Alembertsches Moment mx Jip
Kinetische Energie ~mv2 ~JW2
Impu Is/Dreh impu Is 1/1 V J(i)
Die Behandlung der Rotation eines Körpers um eine feste Achse als ebenes Problem (hier aus-
geführt unter alleiniger Wirkung des Momcnts M,) ist für die Analysc der Drehbcwcgung aus-
reichend. Für die in der Praxis besonders wichtige Berechnung der auftretenden Kräfte und Mo-
mel1le. speziell in den Lagern, die die Drehachse fixieren, ist eine dreidimellsionale Untersuchung
erforderlich.
544 29 Kinetik starrer Körper
Es wird auch weiterhin angenommen, dass der Rotor um die z-Achse rotiert, x-Achse und y-
Achse eines kartesischen Koordinatensystems liegen also parallel zum Rotorquerschnitt. Die
Drehbewegung wird durch die Winkel koordinate qJ (und die Winkelgeschwindigkeit tjJ und die
Winkelbeschlcunigung i(!) beschrieben.
Die Abbildung 29.2 zeigt jeweils die drei Komponenten dieser beiden Größen, die mit den
Massenkräften (d' Alembertsehen Kräften) des Rotors ein Gleichgewichtssystem bilden müssen .
•::> Eine erste Konsequenz des mitrotierenden Koordinatensystems wird schon deutlich: Da
auch die äußeren Kräfte und Momente auf dieses System bezogen werden müssen, crhält
man z. B. bei der Bestimmung der Lagerreaktionen "mitrotierende Lagerkraftkomponen-
ten·'. Dies stellt keinen nennenswerten Nachteil dar. Bei Berücksichtigung des Eigenge-
wichts (und nicht vertikal stehender Rotationsachse) muss allerdings beachtet werden, dass
die Richtung dieser Kraft (im Gegensatz zu ihrem Angriffspunkt) natürlich nicht mitrotiert
und bezüglich des x-y-z-Koordinatensystcms zeitlich vcränderlich ist.
Die Massenkräfte dmrtjJ2 und dmri(! werden jeweilS in zwei Komponenten in Richtung der
Achsen x bzw. y zerlegt (ii5 ist wie x und y fest mit dem Rotor verbunden) und über den gesamten
Rotor addiert (integriert). Sie müssen im Kraftgleichgewicht mit Fx bzw. Fy sein:
29.2 Rotation um eine fesle Achse 545
jXdm=mxs j ydm=II1Ys
m m
(111 - Gesamtmasse des Körpers, xs. Ys - Schwerpunktkoordinaten) erhält man:
Fx = -mxs ep2 - mys iiJ
(29.7)
F" = -mys ep2 +mxsiiJ
c:> Die Formeln 29.7 zeigen einen ersten Vorteil des mitrotierenden Koordinatensystems: Die
Schwerpunktkoordinaten des starren Körpers xs und Ys sind unveränderliche Größen.
Die rechten Seiten von 29.7 sind die durch die Rotation hervorgerufenen Massenkräfte, und man
liest aus den Gleichungen ab:
Bei der Rotation einer Masse um eine feste Achse treten keine resultierenden Massenkräfte
auf, wenn ihr Schwerpunkt mit der Rotationsachse zusammenfällt.
Diese Aussage gilt sowohl bei Rotation mit konstanter Winkelgeschwindigkeit als auch bei
veränderlicher Winkelgeschwindigkeit (Anfahr- und Bremsvorgänge).
Das Momentengleichgewicht um die z-Achse wurde bereits untersucht und lieferte Gleichung
29.1. Die Momenten-Glcichgewichtsbedingungen um die x-Achse und die y-Achse lauten (die
Komponenten der differenziell kleinen Massenkräfte haben jeweils den Hebelarm z):
'" '"
546 29 Kinetik starrer Körper
c:> Bei den Beziehungen 29.10 zeigt sich der entscheidende Vorteil des mitrotierenden Koordi-
natensystems, weil die Deviationsmomcntc sich auch auf dicses System bezichen und damit
(wie die Masse, die Schwerpunktkoordinaten und die Massenträgheitsmomente) als Kenn-
werte des Körpers unveränderliche Größen sind.
c:> Fiir die Analyse der Bewegung ist die dritte Gleichung in 29.10 aLLsreichend. Die Achse ist
die feste Rotationsachse, sonst muss sie keine speziellen Bedingungen erfüllen. Die beiden
anderen Gleichungen in 29.10 werden im Zusammenhang mit den Gleichungen 29.7 für die
Berechnung der äußeren Kräfte (z. B.: Lagerreaktionen) benötigt.
c:' Die Rotatioll /Im eille feste Achse ist ein besonders wichtiger Spezial fall der allgemeinen
Bewegung des starrcn Körpers. Trotzdem wird hier auf Beispiele zunächst verzichtct, weil
im nachfolgenden Abschnitt erst die Massenträgheitsmomente und die Deviationsmomente
ausführlich behandelt wcrden. Den Beispielen zu dem Thema, fLir das in diesem Abschnitt
dic theoretischen Grundlagcn gclegt wurden, ist ein eigencr Abschnitt 29.4 gcwidmet.
29.3 Massenträgheitsmol11enle 547
29.3 Massenträgheitsmomente
Das Massenträgheitsmoment einer Masse", berechnet sich nach der Formel 29.2. Es wird z. B.
mit der Dimension kg em 2 angegeben. Als Maß für die Drehträgheit der Masse bezieht es sich
immer auf eine ganz bestimmte Drehachse, so dass zu jeder Angabe eines Massenträgheitsmo-
ments die Angabe der Drehachse gehört.
In die Formel 29.2 geht der Abstand der Masseteilchen quadratisch ein, so dass mit der An-
ordnung von Teilmassen in großem Abstand von der Drehachse ein sehr großes Massenträg-
heitsmoment erreicht werden kann. Das wird in der technischen Praxis vielfach genutzt (z. B.:
Sehwuogräder).
Die formale Ähnlichkeit der Formel 29.2 mit den Formeln rur die Flächenträgheitsmomente 16.9
(Seite 220) hat letzteren zu dem etwas unpassenden Namen verholfen. Viele im Absehnin 16.2
besprochene Eigenschaften der Flächenträgheitsmomente sind übertragbar, z. B. folgt aus der
Definition 29.2 für Körper, die sich aus mehreren Teilmassen zusammensetzen:
Massenträgheitsmomente, die sich auf gleiche Drehachsen beziehen, dürfen addiert bzw. sub-
trahiert werden.
Man darf sich vom Massenträgheitsmoment eines Körpers die Modellvorstellullg machen, dass
die gesamte Masse in einem (unendlich) dünnen Ring mit dem Radius R konzentriert ist. Das
Integral 29.2 degeneriert in diesem Fall zu einem Ergebnis. das man näherungsweise rur sehr
dünne Zylinder (z. B.: Wand einer Zentrifuge. Radreifen eines Schienenfahrzeugs) verwenden
darf: Js = mR2 • Für alle anderen Körper muss die Massenverteilung berücksichtigt werden.
Beispiel 1: I
I_"";_ _...1 Für elilen dünnen Stab (Masse m, Länge I) darf angenommen werden, dass alle
Massenelemente in einem Querschnitt den gleichen Abstand r von der Drehachse haben. Mit
dem differenziell kleinen Massenelement (A - Quersehninsfläehe, p - Dichte)
dm = pAdr
berecl1l1et man die Massenträgheitsll10mente bezüglich einer
Drehachse im Schwerpunkts S
I
Js= J! I
?pAdr= 12PAI3=T2mP
I
(29.11)
~
\
dm
~\ ~r
./'dr
;.5
dm
r=- ~
bzw. einer Drehachse im Endpunkt A:
I
I I
JA =
J
r=0
3
?PAdr='jPAI ='jmI
2
(29.12)
548 29 Kinetik starrer Körper
_ ·1
I_B_e_is,;"p_ie_l_l·
... F··ur d·le Berec h nung des M assentrag
.. heIlsmoments
. .
emes k·
relSZY I·In d·
nsc hen K··orpers
(Voll- bzw. Hohlzylinder) bezüglich der Zylinderachse wählt man zweckmäßig als Massenele-
ment dl1l einen unendlich dünnen Hohlzylinder (unterste der drei Skizzen):
dl1l = 2rrrdri p
Hinweis: [m allgemeinen Fall ist 29.2 ein Volumenimegral. Durch
geschicktes Aufschreiben von dl1l kann daraus ein Flächenintegral
oder ein einfaches [ntegral werden. Natürlich müssen alle in dl1l ein-
fließenden Massemeilchen den gleichen Abstand von der Drehachse
haben.
Für den Hoh[zylinder errechnet man
'"
Js= / r2 2rrrlpdr= ~rrIP(r~-ri)
r=r,
was mit der Gesamtmasse 111 = rrpl(~ - rT) umgeformt werden
kann zu:
Der Hohlzylinder könnte natUrlieh auch als Differenz zweier Vollzylinder angesehen werden,
wobei zu beachten ist, dass in den Formeln 29. 1I bis 29.14 das Symbol 111 inliller für die Ge-
samtmasse des Körpers steht, so dass bei der Differenzbildung zwei unterschiedliche Massen
einzusetzen sind (großer Vollzylinder und kleiner Vollzylinder).
Beispiel 3: I
I_"';_ _...1 Rotoren haben vornehmltch ell1e rotatlonssyrnmetnsche FOnTI. Wenn dtesc durch
eine Konturlinie y(x) beschrieben wird (Skizze), kann man sich den Rotor aus unendlich vielen
unendlich dUnnen Scheiben zusammengesetzt denken (Scheibendicke jeweils dx, Scheibenradius
.0. Eine solche Scheibe hat die Masse dm = p rrT dx und bei Rotation um die x-Achse das
Massenträgheitsmoment dmy . 1
Die Summation der differenziell kleinen Trägheitsmomente (Inte- 'y dx y(x)
gration von abis b) ergibt eine Formel für das Massenträgheits-
moment eines Rotationskörpers:
b
b JtdX a b x
rr P /-:-:4
J:U=2: trlx=a
y dX=2 ·:..:::"b-- (29.15)
1+-----"-1
x~a J y2 dx
x=a
wobei die Formel mit der Gesamtmasse des Rotationskörpers 111 durch Einsetzen der Volumen-
formel fUr Rotationskörper entstand. Aus GrUnden, die im Abschnitt 29.3.3 erläutert werden.
wurde in 29.15 ein Doppelindex für die Kennzeichnung der Bezugsachse verwendet. Das gilt
auch flir die folgende Zusammenstellung einiger wichtiger Formeln.
29.3 Massenträgheitsmol11enle 549
Die Querstriche über den Koordinaten wurden in der Zusammenstellung weggelassen, weil es
nicht mehr beliebige Bezugsachsen, sondern Schwerpunktachsen sind. In diesem Sinne sind es
I 2
Kreiszylinder: Ju. = 'iIllR
I 2 2
J.lX =J)T = T2I1l(3R +1 )
!y Hohlzylinder:
Ti Z/§~X r
\0 I
~, <'
!y I
.-< c
J)y =
I 2 2
I2I1l(a +b )
Z--1;~ Quader:
)
b
"a
" --
h
!y Dünne
Rechteck- Jxx =
I
T2/1lI,-
?
~~ scheibe:
" I 2 2
b Je.:. = T2I1l(b +h )
"
I 2
Dünne Kreis- Ju. = 'i mR
scheibe:
I 2
Jxx =JYY =4/1lR
550 29 Kinetik starrer Körper
Aus der Abbildung 29.4 kann man die Beziehung Abbildung 29.4: Generelle Verein-
r2 = (xS+x)2+(YS+y)2 barung: Schwerpunklkoordinaten
werden ohne Querstrich (x,y,z).
ablesen. Dieser Ausdruck wird in die Formel flir das Träg- beliebige andere Koordinaten mit
heitsmoment bezüglich einer Achse durch den Punkt A ein- Querstrich geschrieben (x,y,Z)
gesetzt:
m m m
die sich auf die Schwerpunktachsen beziehen, verschwinden (vgl. Abschnill 4.1). Es verbleibt
die gesuchle Formel, auch für die Massenträgheitsmomenle bezeichnet als
Steinerseher Satz:
(29.16)
c~ Bei der Anwendung der Formel 29.16 ist zu beachlen, dass A ein beliebiger Punkt ist, wäh-
rend S der Schwerpunkt des Körpers sein muss. Die beiden durch diese Punkte gehenden
Achsen, auf die sich JA bzw. Js beziehen, müssen parallel sein. Ihr Abstand ist rs, und mist
die Gesamtmasse des Körpers.
oe;> Aus 29.16 folgt, dass das auf eine Schwerpunktachse bezogene Massenträgheitsmoment im-
mer kleiner ist als ein beliebiges Massenträgheitsmoment, das sich auf eine parallele Achse
bezieht.
29.3 Massenträgheitsmol11enle 551
_ ·1
I_B_e_is,;"p_ie_I_I·
. . AI selsple
B' . 1 l'1m Ab sc h JlJtt
. 293
.. 1 wurd en d'Je Massentrag
.. heltsmomente
. d es d"un-
nen Stabes bezüglich des Schwerpunktes S und des Endpunktes A berechnet. Natürlich lässt
sich JA bei bekanntem Js auch nach 29.16 berechnen. Mit dem Abstand ~ des Punktes A vom
Schwerpunkt S ergibt der Steinersehe Satz mit
JA =Js+m ( 21)2 = I 1 I
12mI2+4mI2 = 3 ml2
Beispiel 2:
I_ I
_ _ _.....I Das sk,zzlelte Schwungrad dreht sIch mIt der
Drehzahl n. Es soU die kinetische Energie berechnet wer-
den, die in dem sich drehenden Rad gespeichert ist.
Gegeben: bl = 120 mm R 1 = 800mm
b2 = 30 mm R2 = 750mm
rl = 80 mm r2 = 180mm ,
r3 =400 mm p = 7,85g/cm 3 ;
11 = 800 min- I
Das Massenträgheitsmoment wird entsprechend Abbildung 29.5 zusammengesetzt aus zwei
Hohlzylindern (Kranz mit der Breite b, und Scheibe mit der Breite b2), von denen die vier zy-
lindrischen BohflllJgen (Radius r2) subtrahiert werden.
08 08 o
o
o
0 4
Die Massenträgheitsmomente entnimmt man der Zusammenstellung auf Seite 549. Nur für die
vier Bohrungen sind Steiner-Anteile (Abstand r3 von der Drehachse) zu berücksichtigen:
2 2 2 2 1 2 2 2 [ 1 2 2 2]
=2 ~ ( R , +R2 )+ 2 ~(R2+'1)-4, 2prrr2b2/2+prrr2b2rJ •
j 2 2
Die kinetische Energie elTechnet sich nach 29.4 in Verbindung mit 26.21:
Tm, I
= 2Js (2rrn? =
1 238kgm 2 . (800)2
2' 2rr· 60s = 0, 835· 106Nm = 835kJ
552 29 Kinelik slarrer Körper
J,z= J
111
r
2
dm= J
m
2
x dl1l+ J
JII
idm
Axiale Massenträgheitsmomente:
Jyy = J(Y+z2)
'"
dm (29. I 7)
J" =
'"
.! + i)
(Y dm
'"
Deviationsmomente (Zentrifugalmomente):
Die Definitionen der Massenträgheits-
momente und der Deviationsmomente lx y = - J xydm
J
'"
beziehen sieh auf ein beliebiges karte-
sisches Koordinatensystem. Jx : = - xzdm (29. I8)
JyZ = -
m
J
'"
yz dm
c:> Die axialen Massenträgheitsmomente sind Slets positiv, Deviationsmomente können positiv
oder negativ scin.
oe:> Die Größe der Massenträgheitsmomente und der Deviationsmomente ist von der Lage des
Koordinatenursprungs und den Richtungen der Achsen abhängig. Für jeden Koordinatenur-
sprung gibt es mindestens drei Achsen, für dic die Deviationsmomente Null werden. Es sind
die Haupraclzsell für den gewähJten Koordinatenursprung. In Punkten mit genau drei solcber
Achsen stehen diese senkrecht aufeinander.
c:> Jede Senkrechte zu einer Symmetrieebene ist Hauptachse.
29.3 Massenträgheitsmol11enle 553
oe:> Ein Hauptac!lscnsystcm ist dadurch gekennzeichnet, dass ein axiales Massenträgheitsmo-
ment ein Maximum und das Massenträgheitsmoment um eine zweite dieser Koordinaten-
achsen ein Minimum wird. Das Massenträgheitsmoment um die dritte Hauptachse liegt zwi-
schen diesen beiden Wenen.
oe:> Hauptachsen im Schwerpunkt des Körpers nennt man Hauptzentralachsen. Schnittlinien
zweier Symmetrieebenen eines Körpers (damit auch jede Rotarjonssymmetrielinie) sind im-
mer Hauptzentralachsen. Wenn das größte und das kleinste Massent]"ägheitsmoment bezüg-
lich der Hauptzentralachsen den gleichen Wen haben (Kugel, Würfel, ...), sind sämtliche
Achsen durch den Schwerpunkt Hauptzentralachsen.
Häufig lassen sich die Massenträgheitsmomente von Körpern zusammensetzen aus den bekann-
ten Massenträgheitsmomenten von Teilkörpern (in der Regel auf Schwerpunktachsen der Teil-
körper bezogen, vgl. Tabelle auf Seite 549). Da sie nur addien bzw. subtrahien werden dürfen,
wenn sie sich auf gleiche Achsen beziehen, müssen der Steinersehe Satz (für Parallelverschie-
bung) und Transformationsformeln für die Drehung des Koordinatensystems benutzt werden.
Die folgenden Formeln setzen zunächst voraus, dass keine Drehung der Koordinatensysteme
erforderlich ist. In diesem Sinne sind es die
Auch die axialen Massenträgheitsmomente in 29.17 bzw. 29.19 wurden aus formalen Gründen
mit zwei Indizes versehen, weil es üblich und sinnvoll ist, sie mit den Deviarjonsmomenten zum
Trägheitstellsor zusammenzufassen. Die sechs zu einem speziellen Koordinatensystem gehören-
den Wene werden als symmetrische Matrix angeordnet:
ln 1:<"
hyl. = [ 1:<" J"" (29.20)
1:<, ly:.
554 29 Kinetik starrer Körper
Auch die Drehung des Koordinatensystems ist nach den aus der Mathematik bekannten Regeln
forrnalisierbar. Der Trägheitstensor nach 29.21 möge für ein x-y-z-Koordinatcnsystem gegeben
sein, es sollen die axialen Massenträgheitsmomente und die Deviationsmomente für ein gedreh-
tes S-1J-(-System bestimmt wcrden (Hinweis: Die nachfolgend angegebenen Transformations-
fomleln, hier aufgeschrieben für das Schwerpunkt-Koordinatensystem mit x, y und z, geitcn un-
eingeschränkt auch für das beliebige x-Y-Z-System). Wenn
(XI, ßI und /'1 die Winkel zwischen X-, y- bzw. z- Achse und der S -Achse,
a2, ß2 und ~ die Winkcl zwischen X-, y- bzw. z- Achse und der Tl-Achse,
a3, ß3 und l'3 die Winkel zwischen X-, y- bzw. z- Achse und der (-Achse
sind (Abbildung 29.6 zeigt als Beispiel die Winkel, die die Lage der
s-Achse definieren), dann gilt für die Koordinatentransformation
(29.22)
cosat cosa2 cosa3 ]
mit C = COSßI cosß2 cosßJ Abbildung 29.6: Winkel,
[ die die Lage der ~ -Achse
COS /'1 COS ~ cos l'3
definieren
(C T ist die transponierte Matrix). Damit ergibt sich die
29.3 Massenträgheitsmol11enle 555
In der Transformationsmatrix C ist jede Spalte ein Einheitsvektor, der die Richtung einer Koordi-
natenachse des ~-1J-(-Systems im x-y-z-Koordinatensystem hat. Wenn nun eine Transformation
29.23 gefunden werden kann, die lxvz in eine Diagonalmatrix überfUhrt (die auf den Nichtdia-
gonalpositionen stehenden Deviationsmomente sollen Null werden), dann würden die Spalten
dieser speziellen Transformationsmatrix C H die Richtungen der Hauptzentralachsen definieren
(bei einem allgemeinen Koordinatensystem die Richtungen der Hauptachsen für den entspre-
chenden Koordinatenursprung), und die Transformation
Beispiel 1:
I_"";'_.....1I ..
Fur den sk,zzlerten Krelszyhnder soll
..
der Trägheitstensor bezüglich des eingezeichneten
Schwerpunkt-Koordinatensystems ermittelt werden (die
(-Achse durchstößt die Stirnflächen jeweils im Abstand
a vom Kreismittelpunkt).
Gegeben: 111, a, R=2a, 1=6a.
Da es ein typisches Problem ist. die Massenträgheitsmo-
melHe und Deviationsmomente für ein Koordinatensys-
tem zu suchen, das gegenüber dem System der Haupt-
zentralachsen nur um eine Achse gedreht ist (hier: Dre-
hung um die y-Achse um. den Winkel a), soll die Rech-
nung zunächst allgemein ausgeführt werden. Die Skizze
zeigt von den neun Winkeln, die die Transformations-
matrix 29.22 bilden, nur die vier, die von 0° und 90°
verschieden sind.
Zur Erinnerung: Die Winkel a" ßI und y, zählen von der X-, y- bzw. z-Achse bis zur ~-Achse,
entsprechend die Winkel mit den Indizes 2 und 3 bis zur 1]- bzw. (-Achse. Aus der Sk.izze liest
man ab:
a, =a a2= !J; a3=!J;-a
ß, =!J; 132=0 ß3 =!J;
y, = !J;+a 1'2=!J; 1"J=a
mit den Abkürzungen Ca = cos a und Sa = sin a. Damit erhält man nach 29.23 eine allgemein-
gültige Beziehung für die Berechnung der Massenträgheits- nnd Deviationsmomente bezüglich
eines Koordinatensystems, das sich aus dem System der Hauptzentralachsen durch Drehung um
die y-Achse ergibt:
Für das aktuelle Beispiel sind die Massenträgheitsmomente für die HauptzentraJachsen bekannt.
Man entnimmt der Tabelle auf Seite 549
I 2 2 I 2
J.u=Jy,v = T2111(3R +1 ) J., = -mR
-- 2
und errechnet mit den gegebenen Größen:
J~~ 19 0 3
]
J~ n J~c,
] [
[ ma 2
J~nc, = J~n J n ') Jnc, 0 20 0
5
J~c, Jnc, Jc,c, 3 0 IJ
29.3 Massenträgheitsmol11enle 557
Beispiel 2:I
I_"";_ _...1 Für den aus emem Quader und eInem Würfel zusam- y
mengesetzten homogenen Körper sollen a
lxx =
I ,
l2~[(3a) +a]+~ [(Z) + (2) 2]
J 2 2 3 a 2 3a
"'Q!I(/(Ier mQmufcr
68 5
=-pa
3
.
Steiner-Anteil Würfel
Bei der Berechnung der Deviationsmomente ist zu beachten. dass die Symmetrieachsen
der Teilkörper Hauptzentralachsen sind und nur für den Gesamtkörper infolge der Steiner-
Anteile in 29.19 Deviationsmomente entstehen, z. B.:
Steiner-Anteil Würfel
~
3 2a a 3 a 3a 15 5
lx y = -p.60 -pa - - =--pa
2Z
'--v--'
2 2 4
Steiner-Anleil Quader
Entsprechend errechnen sich die anderen Elemente des Trägheitstensors. man erhält:
-45
111 ]
320 63
63 152
b) Die Schwerpunktberechnung wurde im Kapitel 4 behandelt. Nach 4.4 erhält man:
_ I ( 3 a J 2a) 13
xs= a3 +6a 3 a 'Z+6a' 2 =14a
_ I ( 3 3a 3 a) 9
Ys = a3 + 6a 3 a· 2 + 6a . Z = 14 a
8,017 0 0]
JI23=C~Jx)ZCII=pa5 0 6.854 0
[
o 0 3,486
Die normierten Spalten der Matrix Cf! sind Einheitsvektoren, die die Richtungen der drei
Hauptzentralachsen anzeigen. In der durch die Transformation entstehenden Diagonalmatrix
J 123 stehen die zugehörigen Hauptträgheitsmomente.
Die Abbildung 29.7 zeigt den Einheitsvektor (dritte
Spalte der Matrix CH ) 'y
/~./>~,
-0, 1485] [cosa3 [COS98.50] < 1'>- '"
"3 =
[
0,2098 = COSß3
]
= cos77.9° - 'ß>
€J '- ]/-
S
/
0,9664 cos 1'3 cos 14,9° ~ j "..... , CXJ-:..A. .-J
.- Z/'P3~' .x~
der die HauptzentraJachse mit dem k.leinsten Haupt-
trägheitsmoment Abbildung 29.7: Die Winkel a3, ß3 und
h = 3,486pa
5 YJ definieren die Richtung der Achse mit
dem kleinsten MassenLrägheitSl110ment
definiert.
oe:> Das kleinste der drei Hauptträgheitsmomente bezüglich der Schwerpunktachsen ist immer
das kleinste Massenträgheitsmoment des Körpers überhaupt (wegen der immer positiven
Steiner-Anteile der axialen Massenträgheitsmomente haben alle parallelen Achsen größere
Trägheitsmomente). Die in der Abbildung 29.7 eingezeichnete Drehachse ist für diesen
Körper also die Achse mit der geringsten Drehträgheit.
.-:> Zur Erinnerung: Nur bei Rotation um eine der drei Hauptzentralachsen (im gerade behan-
delten Beispiel durch die Spalten der Matrix CH definiert) werden die Lager ausschließlich
durch die Gewichtskraft der Masse (und eventuell weitere äußere Kräfte) und nicht durch
die Trägheitskräfte der Bewegung belastet.
29.4 Beispiele zur Rotation um eine feste Achse 559
I
r
Beispiel J: l
I_ _ _...... Der skizzIerte dünne Stab mit der Masse m
wird in der horizontalen Lage gehalten und beginnt nach
Durchtrennen des Fadens infolge seines Eigengewichts ei-
ne Drehbewegung um den Punkt A.
Gegeben: nz I I.
Gesucht sind das AnfangswertprobJem für die Berechnung
des Bewegungsgesetzes cp(t) und die Lagerreaktionen im
Lager A unmittelbar nach Durchtrennen des Fadens.
Für die Analyse der Bewegung des Stabs genügt die drille Gleichung von 29.10, das Massenträg-
heitsmoment des dünnen Stabs ist durch die Formel 29.12 gegeben. Das Eigengewicht erzeugt
ein Moment um A, das infolge des sich ständig ändernden Hebelarms auch veränderlich ist.
Nach den Definitionen der positiven Koordinatenrichtungen, die den Fonnein 29.10 Zllgrunde
liegen, ist (bei linksdrehend positivem Winkel cp) das Moment M, linksdrehend positiv einzuset-
zen. Alls '/
1 .
/ /
cp.. 3g.
= -21 smcp cp (t 0
=) = '2n cp. (t = 0) =0
Selbst dieses einfache Problem fühl1 auf eine nichtlineare Differenzialgleichung, die nicht in
geschlossener Form lösbar ist (Lösung siehe www.TM-aktuell.de). Für den speziellen Zeitpunkt
t = 0 kann man jedoch die für die Ermiulung der Lagerreaktionen benötigten Bewegungsgrößen
auch ohne Integration des Anfangswertproblems angeben. Die Abbildung 29.9 zeigt die äußeren
Kräfte und das Koordinatensystem. Mit den Schwerpunktkoordinaten
Xs = i Ys =0 j y
2 für den Startzeitpunkt
und den Bewegungsgrößen - -Z ====~==::::J I X-
cp(t=O)=O !p(1=0)=~3g
21
~HtFAV ~mg
errcchnelman aus den Gleichungen 29.7: Abbildung 29.9: Lagerreaktionen
3g )
Fy =FAV -mg=m 1 ( -21
2
560 29 Kinetik starrer Körper
I
Beispiel 2:
I_"";_ _...1 Em Krelszylmder kann um eme vertIkale Achse ro-
tieren, die durch seinen Schwerpunkt geht, aber nicht mit der Zy-
-\
linderachse übereinstimmt. Er wird durch ein konstantes Moment
Mo angetrieben.
t3
Gegeben: m, a, Mo, R = 2a, 1= 6a, h.
Die Abmessungen des Zylinders entsprechen denen des Beispiels
t3
I im vOJigen Abschnitt (Seite 556), die Lage der Drehachse ent-
\
spricht der S-Achse dieses Beispiels.
Die Bewegung beginnt aus der Ruhe heraus. Es sollen die zeitab- l!!J
hängigen Lagerreaktionen und die Gesamtzeit 11 berechnet wer-
den, die für die erste volle Umdrehung benötigt wird.
Die Analyse der Bewegung ist in diesem Fall einfach. Für die in der Skizze angegebene Koordi-
nate (q> hat den gleichen Drehsinn wie das äußere Moment) und die Anfangsbedingungen
11=1(q>=2Jr)=
M 4Jr--"'-=
Mo
Ilmaz
4Jr--=5,26a
5Mo
~n
-
Mo
Da die Drehachse durch den Schwerpunkt der rotierenden Masse verläuft, gibt es keine resultie-
renden Massenkräfte infolge der Bewegung. Aus Gleichgewichtsgründen muss deshalb
Massenträgheitsmoment und Deviationsmomente werden von der Rechnung auf Seite 556 über-
nornmen:
11 2 3 2
1--=1rr=-ma 1" =1~\ = Sma
-- " 5
und man erhält die Lagen'eaktionen:
I ..
FAy = -Fe, = --1xz l{) = --1xz -
I Mo = ---
3 Mo
." " 1 zz 11 h
I .2 I (Mo)2 15 Mot
2
FAx=-FBx= -1 I{) -1 -t ---
" xz ,," 1" 121 ma 2 "
<> Die Komponenten der Lagerreaktionen im gerade behandelten Beispiel beziehen sich auf
die Richtungen der x- bzw. y-Achse des Rotors, machen also die Drehbewegung mit und
haben damit bezüglich des rotierenden Körpers immer die Richtung der in der Skizze zur
Aufgabensteilung eingezeichneten Koordinaten. Man erkennt, dass die x-Komponenten der
Lagerreaktionen dem durch die Fliehkräfte erzeugten Moment um die y-Achse entgegen-
wirken müssen. Dieses Moment, das natürlich auch bei konstanter Drehzahl vorhanden ist,
wird bei diesem Beispiel ausschließlich durch die SchiefstelJung der Masse hervorgerufen
(der "Rotor ist nicht dynamisch ausgewuchtet", vgl. Abschnitt 29.4.2), und die Vorzeichen
der Lagerreaktionen zeigen, dass der Rotor die Tendenz hat, die Schiefstellung zu vergrö-
ßern (und dies auch tun würdc, wcnn dic durch die umlaufenden Kräftc erhcblieh belastetcn
Lager dies nicht verhindern würden).
Beispiel 3:I
I_"";_ _...1 D,c skIZZIerte Masse Wird von den be,-
den Stäben CD und ~ gehalten. Infolge eines Bruchs
von Stab ~ beginnt die Masse eine Drehbewegung
um den Stab CD. Es sonen der Winkel und die Winkel- 2a
geschwindigkeit, die die Drehbewegung beschreiben. 3a
sowie die Lagerreaktionen bei A und B in Abhängig- 2
x,
keit von der Zeit ermittelt werden.
Der komplette Trägheitstensor für diese Masse wurde im Beispiel 2
des vorigen Abschnitts (Seite 557) berechnet. Es wird deshalb auch 'y
das dort verwendete Koordinatensystem benutzt, um die benötigten
Massenträgheitsmomente und Deviationsmomente übernehmen zu
können (Schwerpunkt-Koordinatensystem kann nicht benutzt wer-
den, weil die z-Aehse mit der Drehachse übereinstimmen muss).
Die nebenstehende Skizze zeigt die Definition des Drehwinkels
(Iinksdrehcnd positiv, passend zum Koordinatensystcm). Er verfolgt mg ,x
die Unterkante der Masse. Das Koordinatensystem fotiert mit, so
dass die Schwerpunktkoordinaten unveränderlich sind. Auch die
/f'm g cos'!'
Komponenten der Lagerreaktionen folgen der Drehbewegung, so
dass nur das Eigengewicht mg nicht die Richtung der Koordinaten- mg S1l1'!" Img
achsen hat und wic skizziert in zwci Komponcnten zerlegt wird.
562 29 Kinetik starrer Körper
Das Bewegungsgesetz folgt aus der dritten Gleichung von 29.10. Die äußeren Kräfte (Kompo-
nenten des Eigengewichts) drehcn entgegen der positiven <p-Richtung, das Moment wird negativ:
-mgxs sin <p -mgyscos<p = J" ijJ y'_3 s
z
Für ctie Berechnwlg der vier Lagerlcraftkomponenten stehen
die bei den restlichen Gleichungen von 29. 10 und die Gleichun- 1';y I x !F8y
gen 29.7 zur Verfügung. Die Abbildung 29.11 zeigt noch ein- =9 sin rp
mal die Kräfte, ctie in der y-z-Ebene bzw. der x-z-Ebene wirken. 2a 5a
Die Gleichungen 29.7 liefern:
fAx + FBx + IIlg cos <p = -IIlXs cp2 - m:Ys ijJ FAx I y--Zs jF8x
FAji + Fay - mgsin<p = -myscp2 +mxsijJ
Beim Aufschreiben der restlichen Momentenbeziehungen nach
; ----:, I =9 cos rp
Abbildung 29.1 1: Eigengewicht
29.10 ist zu beachten, dass die Schwerpunktkoordinate Zs einen
und Lagerkraflkomponenten
negativen Wert hat:
-FAy ' 2a+ Fay' 5a -lIlgsin <p. (-zs) = -JyZ cp2 +hz ijJ
FAx' 2a - Fax' 5a -mgcos <p' (-zs) = h, cp2 +Jyz ijJ
Diese fünf Gleichungen beschreiben die Bewegung und gestatten die Berechnung der Lagerre-
aktionen. Vom Beispiel 2 des Abschnitts 29.3.3 (Seite 557) werden iibernommen:
13 9 19
xs = i4 a , Ys = 14° zs = -i4 a
38 38 37 37 21 3
J,,=-pa 5 =-ma 2 h,=-pa5 =-ma 2 , Jy ,=-pa5 =-ma 2
"3 21 4 28 4 4
wobei für die Gesamtmasse m = 7 a 3 p eingesetzt wurde. Damit kann z. B. die Bewegungs-
Differenzialgleichung folgendermaßen aufgeschrieben werden:
13. 9 ) 38 ..
-mg ( i4asll1<p+ i4acos<p = 21ma2cp
ijJ = - 3 (J3SinCP+9cosCP) ~
76 a
Zunächst muss diese Differenzialgleichung unter Beachtung der Anfangsbedingungen
Ir
<p(t = 0) = "2 cp(t = 0) = 0
gelöst werden, was nur numerisch gelingt. Die Aufbereitung der Gleichungen für die Computer-
rechnung soU zum Anlass genommen werden, die (gerade für ctie numerische Rechnung) beson-
dcrs elegante Vcrwendung ausschließlich dimcnsionsloscr Größen zu demonstrieren.
Dic Winkelkoordinatc cP ist ohnehin dimensionslos. von den veränderlichen Größen sind nur die
Winkelgeschwindigkeit, die Winkelbeschleunigung und die Zeit dimensionsbehaftet. Der Faktor
auf der rcchten Scite der Differenzialgleichung gibt dcn Hinweis. dass man mit dcr "dimcnsions-
losen Zeit"
29.4 Beispiele zur Rotation um eine feste Achse 563
und den entsprechend umgeschriebenen Ableitungen der Winkel koordinate nach der Zeit
In den vier Gleichungen für die Berechnung der vier Lagerkraftkomponenten werden ebenfalls
die Ableitungen nach r durch Ableitungen nach 't" ersetzt, und die Werte ftir die Schwerpunktko-
ordinaten und die Deviationsmomente werden eingesetzt. Dann verbleiben zweimal zwei Glei-
chungen mit je zwei unbekannten Lagerkräften, die nach diesen auflösbar sind:
Der Vorteil der dimensionslosen Rechnung wird deutlich: In den Klammern stehen nur dimen-
sionslose Größen, und natürlich geht man nach Division der vier Gleichungen durch mg auch
noch zu dimensionslosen Kräftcn libero Dann fließen weder aktuelle Werte für die Abmessung a
noch für die Masse m in die Rechnung ein. Die numerische Berechnung wird "parametrisiert".
Die Ergebnisse können dann mit den speziellen Parametern für ein aktuelles Problem multipli-
ziert werden. falls Z. B. für die Kräfte die Aussage nicht ohnehin schon ausreichend ist, dass ,.die
maximale Lagerkraftkomponente etwa das 1,4-fache des Eigengewichts ist".
Die Abbildung 29,12 (die Berech-
nung dieses Beispiels mit verschie-
denen Programmen findet man un-
ter www.TM-aktuelJ.de) zeigt links
die numerisch ermittelten Funktionen
<p(r) und <p'(l), rechts oben die La-
gerkraftkomponenten und rechts un-
tcn dic aus den Komponcnten berech-
neten resultierenden Lagerkräfte.
Die numerisch berechneten Ergebnis-
se dürfen als praktisch exakt angese-
hen werden.
Der so definierte Unwuchtvektol" kennzeichnet die Richtung und mit seinem Betrag auch die
Größe der Unwucht.
Von einer statischen Unwucht spricht man, wenn die Drehachse parallel zu einer Hauptzen-
tralachse des Rotors liegt. Die Abbildung 29.13 zeigt dafür eine Modellvorstellung: Eine Zu-
satzmasse wurde am ideal ausgewuchteten Rotor in der zur Rotationsachse senkrechten Schwer-
punktebene angebracht.
Die Zusatzmasse 111 im Abstand I" von der Drehachse des Rotors
mit der Masse M ruft die Unwucht m r hervor und verschiebt den
Schwerpunk't und damit die Hauptzentralachse des Rotors um
e= ~ Abbildung 29.13: Modell
M +m einer statischen Umv/lchr
(wr Berechnung von Schwerpunkten siehe Kapitel 4). Das Produkl aus der Summe der bei den
Massen IIlg,s = M +m und dem Abstand e des Gesamtschwerpunkts von der Rotationsachse
(M +m)ml"
(M+m)e= =1111"
M+m
zcigt, dass bei bekannter Gesamtmasse m ges und der Exzentrizität des Schwerpunkts e die Un-
wucht auch nach
D= mge,\·e
berechnet werden kann.
Der Begriff "statische Unwucht" besagt, dass sie auch mit den Mitteln der Statik nachweisbar ist:
Der nur durch sein Eigengcwicht bclastete Rotor wäre nur im stabilen statischen Gleichgcwicht,
wenn der Unwuchtvektor nach unten zeigt, und würde sich selbstständig in diese Lage drehen.
Dies ist bei einer "rein dynamischen Unwucbt" nicht der Fall. Die Ab·
bildung 29.14 zeigt ein Modell dafür: Dieser Rotor wäre in jeder Lage
im statischen Gleichgewicht, aber seine Hauptzentralachse weicht von
der Rotationsacbse ab.
Der allgemeine Fall liegt vor, wenn in verschiedenen Querschninsebe- Abbildung 29.14: ..Rein
nen des Rotors unterschiedliche Unwuchten existieren. dynamische Unwuchr"
oe;> Immer dann, wenn die Rotationsachse nicht mit einer Hauptzentralachse des Rotors zusam-
menfallt, spricht man von einer dynamischen Unwucht. In diesem Begriff sind die statische
und die rein dynamische Unwucht als Sonderfalle enthalten.
29.4 Beispiele zur Rotation um eine feste Achse 565
Dem Ziel, die dynamische Unwucht eines Rotors zu beseitigen, kommt man durch Klärung fol-
gender Frage sehr nahe: "Wie kann der allgemeine Fall eines Unwuchtzustands durch möglichst
wenige Unwuchtvektoren beschrieben werden?" Da die Unwuchtvektoren sich nur durch den
skalaren Faktor w2 von den Flichkräftcn unterscheiden, bictct sich folgcndc flir Kräfte erlaubtc
Überlegung an:
Man zerlegt alle UnwuchtvcklOren in zwei Komponcnten in x- bzw. y-Richtung (naheliegend,
aber nicht zwingend, ist die Verwendung kartesischer Koordinaten, es können jedoch zwei be-
liebige, aber für alle Unwuchtvektoren gleiche Richtungen senkrecht zur Rotationsachse sein,
die nicht senkrecht zueinander sein müssen). Dann können alle x-Komponenten nach den Regeln
der Zusammenfassung paralleler Kräfte zu einer Unwucht in einer bestimmten Ebene zusammen-
gefasst werden, demcntsprechend dic y-Komponenten, wobei sich im Allgcmeinen cine andcre
Ebene für diese Resultierende ergeben wird. Die Richtungen von x und y sind dabei natürlich
frei wählbar, bei anderen Richtungen wird sich ein anderes Unwuchtpaar in zwei anderen Ebe-
nen ergeben. Aus dieser Überlegung folgt:
Vn VII
Der allgemcine Unwuchtzustand (dynami- V3 l{4
sche Unwucht) ist darstellbar durch zwei
Unwuchtvektoren in zwei verschiedcnen
V,
(frei wählbaren) Ebenen.
v, VI
Damit ist die Möglichkeit des Auswuchtens (Beseitigen der Unwucht) vorgezeichnet: Man bringt
in den beidcn Ebenen der resultierenden Unwuchten dic entsprechenden "negativen Unwuchten"
(Zusatzmassen gerade auf der entgegengesetzten Seite des Rotors) an.
In der Praxis sind dabei meist die bei den Ebenen vorgeschrieben, in denen die "Gegenunwuch-
ten" angebracht werden können (beim Auswuchten von Kraftfahrzeugrädern werden im Allge-
meinen Bleigewichte an den Felgenrändern befestigt). Die Aufgabe. einen Unwuchtvektor in
einer Ebene durch ein Paar äquivalenter Unwuchtvektoren in zwei parallelen Ebenen zu erset-
zen, ist in gleicher Weise wie das statisch äquivalente Ersetzen einer Kraft durch zwei parallele
Kräfte zu lösen: Die beiden "Ersatzunwuchten" sind parallel zur "Originalunwucht" und haben
gemeinsam gleiche "Kraftwirkung" und "Momentwirkung" bezüglich einer beliebigen Achse
wie die OriginaJunwucht (vgl. nachfolgendes Beispicl 2).
c:> Folgende Möglichkeiten werden in der technischen Praxis genutzt, um den Unwuchtzustand
eines Rotors auszugleichen:
• Man ermittelt (experimentell, eventuell auch durch Rechnung) die tatsächliche Haupt-
zcntralachse dcs Rotors, markiert sie (z. B. durch Zentricrbohrungen) und passt die La-
gerzapfen cntsprechend an (Wuchtzelllrieren).
• Dazu alternativ ist die Korrektur der Hauptzentralachse des Rotors, bis sie mit der Rota-
tionsachse übereinstimmt durch Zugabe von Material (z. B. Bleigcwichtc, ...), Weg/wh-
me von Material (Abschleifen, Anbringen von Bohrungen, ...), Verlagern von Material
(z. B. durch Verändern der Einschraubtiefe von Schrauben, die in der Konstruktion für
diesen Zweck vorgesehcn sind, ...).
566 29 Kinetik starrer Körper
Beispiel J: I
I_"";_ _...1 Eme Sttftwalze besteht aus dem zylIndrischen Grundkör- l/3 '
l!3 -" 4
;"
per und vier jeweils um 90° versetzt angebrachten Massen m, deren l!3/ ~"\
Schwerpunkte sich im Abstand R von der Walzenachse befinden.
'\ .... i
Der Unwuchtwstand infolge der Zusatzmassen m soll durch Betrag \ 2 !
0
und Richtung zwcicr Unwuchtvcktoren angegcben wcrdcn, die in den 2 IR,
Ebenen I bzw. 4 liegen.
Die vier Unwuchtvektoren in den Ebenen I bis 4 haben alle den glei- 4 -. 2
chen Betrag
3
VI = U2 = VJ = V4 = mR
bei unterschiedlichen Richtungen. Um den Unwuchtzustand nur durch zwei Vektoren in den
beiden Ebenen I bzw. 4 beschreiben zu können, müssen zunächst die beiden Vektoren der Ebenen
2 und 3 durch jeweils ein äquivalentes Vektorpaar ersetzt werden.
Die Abbildung 29.15 zeigt das ftir die Un-
wucht U2, die durch die beiden Unwuchten
V2.1 (in der Ebene I) und V2.4 (in der Ebene
4) ersetzt wird.
Äquivalenz ist gegeben, wenn U2 einerseits
und U2, I und V2.4 andererseits gleiche resul-
tiercnde "Kraftwirkung" und gleiche resultie-
rende "Momenlwirkung bezüglich einer be- Abbildung 29.15: Ersetzen von Uz durch ein Un-
wuchtpaar in den Ebenen I und 4
liebigen Achse" haben (vgl. Kapitel 3).
Um eine beliebige vertikale Achse in der Ebene I hat U2, I keine Momentwirkung, die Gleichheit
der Momentwirkungen von V2 bzw. V2.4 um eine solche Achse liefert
I I I
U2 4 1 = U2 - , =} U2 4 = - U2 = - m R
. 3 ' 3 3
Die Äquivalenz der Momentwirkungen um eine vertikale Achse in der Ebene 4 ergibt:
2 2 2
U2.I I =U2 ' =} U2.t=3 U2 =3 mR
3
Auf entsprechende Weise wird die Unwucht V3 äquivalent ersetzt:
I I 2 2
U31=-U3=-mR U34=-U3=-mR
, 3 3 ' 3 3
Die vier Unwuchten in vier Ebenen sind durch sechs Unwuchten in zwei Ebenen ersetzt worden.
Inncrhalb der Ebenen werden die jewcils drei Unwuchten (Abbildung29.16) nach dcn "Regeln
des Kräfteparallelogramms" zusammengefasst:
Beispiel 2: I
I_"";_ _...1 Mit Hilfe einer AuswuchtmaschJne wur-
den in den Lagerebenen I und 2 (Abstand I) die Un- IJ
wuchten Vt und V2 unter den Winkeln al bzw. a2 ge-
messen. Der Unwuchtzustand soll durch Zusatzmassen
In, und 1Il" in den Ebenen I und 11 ausgeglichen wer-
den. Die Ausgleichsrnassen 1Il, und 111" werden in den
r,
Abständen bzw. 1'" von der Drehachse angebracht.
Gegeben: VI, V2, al, a2, a, b, r" r", I.
Gesucht: m" mlJ l aj 1 a".
Zunächst werden die gemessenen Unwuchten in zwei
zueinander senkrechte Komponenten in Richtung der
Koordinaten x und y zerlegt:
Aus diesen Komponenten ergeben sich die äquivalenten Unwuchten in den Ebenen 1 und 11 und
die Winkel, die Ihre Vektoren mit der x-Richtung einschließen:
V, = j V?x + ur,
tana, = V,.y
V'.x
Ln welchen Quadranten des Koordinatensystems die Winkel a, und a" liegen, muss über die
Vorzeichen der Unwucht komponenten entschieden werden. Der damit auf die Ebenen 1 und 11
reduziel1e Unwuchtzustand kann in diesen Ebenen ausgeglichen werden, indem Zusatzmassen
V,
m,=- bei
r,
uncl V"
I11JJ=- bei
r"
angebracht werclen.
568 29 Kinetik starrer Körper
ur
ten Koordinatensystem durch x und y verfolgten
rr;,2 ~r \ "
beliebigen Punkt werden zunächst die Beschleu-
nigungsallteile zusammengestellt:
Yo _0
ol/iOL x
Die Beschleunigungskomponenten des Bezugs- xo tYo
punktes Xo und.vo (translatorischer Anteil) sind
auch dem betrachteten Punkt zuzuordnen (in der
Abbildung 29.17 gestrichelt), und die Bewe- x
gung des Punktes auf einem Kreis mit dem un- I
xo x
veränderlichen Radius r (starrer Körper) steuert
zwei weitere Anteile bei, die Bahnbeschleuni- Abbildung 29.17: Slarrkörper-Bewcgung als
gung rip und dje Normalbeschleunjgung rfp2 Translation des Punktes 0 und Drehung um 0
~
natenrichtungen cntgegengerichtet) angetragen.
In der Abbildung 29,18 sind die äußeren Belas-
y ~Ydm
tungen durch zwei Kraftkomponenten F, und Fy , M 0 Fx
y~ - 0 •
deren Wirkungslinien durch den Bezugspunkt o I
~. = ! xd",
m
XO! dm- ip ! ydm- cp2! xdm
m
! Ydm
111 m
+Yo
m m m
J i dm. = miS J
m
ydm=mys (29.31)
'"
geschrieben werden kann. wobei zu beachten ist, dass Xs und Ys sich während der Bewegung
ändern. so dass nicht die für ein körperfestes Koordinatensystem ermittelten Schwerpunktkoor-
dinaten eingesetzt werden dürfen. Mit 29.30 und 29.31 wird aus 29.29:
mxo - mys ii> - m5:s ep2
Fx =
Fy = myO +mxsii> -mYsep2 (29.32)
M = -mYsxo+lIlxSyo+Joii>
Die ersten beiden Gleichungen 29.32 gehen für Xo = 0 und YO = 0 "beinahe" in die Formeln 29.7
über, die für die Rotation um eine feste Achse gefunden wurden. Die Frage, weshalb anstelle von
.t und y nicht wie dort ein mitrotierendes x-y-Koordinatensystem verwendet wurde, so dass wie
in 29.7 die festen Schwerpunktkoordinaten in den Formeln auftauchen, findet eine recht prag-
matische Antwort: Auch die äußeren Kräfte sind jeweils auf das verwendete Koordinatensystem
bezogen. "Mitrotierende äußere Kräfte" (z. B. "mitrotierende Lagerreaktionen") sind bei Rota-
tion um eine feste Achse kein nennenswerter Nachteil, bei der allgemeinen ebenen Bewegung
würden sie erheblich stören. Sie sind deshalb vermieden worden, zumal die Unbequemlichkeit,
die mit den sieb ändernden Scbwerpunktkoordinaten in den Gleichungen 29.32 verbunden ist,
dann nicht auftaucht, wenn man den Schwerpunkt S der Masse als Bezugspunkt 0 wählt. Dann
gehen die ersten beiden Gleichungen über in den
Schwerpunktsatz:
Fx = mxs F, = myS (29.33)
Der Schwerpunkt eines Körpers bewegt sich so, als würden alle äußeren Kräfte an ihm an-
greifen und die Gesamtmasse des KÖlpers in ihm konzentriert sein.
29.33 sagt nichts über eine mögliche Drehung des Körpers. Dies führt zu bemerkenswerten Kon-
sequenzen des Schwerpunktsatzes:
oe:> Eine an einem Körper angreifende Kräftegruppe darf beliebig verschoben (nicht gedreht)
werden, ohne dass sich die Bewegung des Schwerpunkts ändert. Die Bewegungen der ande-
rell Körperpllnkte werden natürLich beeinfluss!.
oe:> Ein äußeres Moment hat auf die Bewegung des Schwerpunkts allein keinen Einflnss. Das
Gegenargument, dass ein Rad durch das Aufbringen eines Moments zum Rollen (und damit
auch zu einer Bewegung seines Schwerpunkts) gebracht wird, ist leicht zu widerlegen: Ein
äußeres Moment versetzt ein Rad zunächst nur in Rotation (man denke an die vorn Drehmo-
ment des Motors angetriebenen Räder eines Fahrzeugs auf spiegelblanker Eisfläche). Erst
durch die Haftkraft zwischen Rad und Untergrund wird auch der Schwerpunkt des Rades in
Bewegung gesetzt. Genau diese Kraft wäre in 29.33 einzusetzen.
Auch die dritte Gleichung 29.32 vereinfacht sich erheblich, wenn man als Bezugspunkt 0 den
Schwerpunkt S wählt. Da die gleiche Vereinfachung sich auch bei beschleunigungsfreiem Be-
zugspunkt (xo = 0 und YO = 0) ergibt, formuliert man diesen Spezial fall etwas allgemeiner. Es ist
der
29.5 Ebene Bewegung starrer Körper 571
Drallsatz:
(29.34)
Die zeitliche Änderung des Dralls ist gleich der Summe aller angreifenden öußeren Momente.
Als Bezugspunkt A sind der Schwerpunkt oder ein beschleunigungsfreier Punkt des Körpers
zugelassen.
<> Die dritte Gleichung von 29.10, mit der die Drehbewegung um eine stane Achse beschrieben
wurde, ist der Sonderfall des Drallsatzes 29.34 mit ruhendem Bezugspunkt. Die Gleichge-
wichtsbedingungen der ebenen Statik 5.1 sind die Sonderfalle von Schwerpunkt- und Drall-
satz für den ruhenden Körper (io = 0, .vo = 0, iP = 0).
Schwerpunktsatz und Drallsatz werden im Abschnitt 29.6 und im Kapitel 30 noch einmal mit
erweitel1er Gültigkeit behandelt. Für die ebene Bewegung des starren Körpers sind sie die Ba-
sis für das Aufschreiben der Bewegungsgleichungen und gestatten, die für den Massenpunkt
behandelte Strategie (Abschnitt 28.2.2), Aufgaben der Kinetik formal auf das Formulieren von
Gleichgewichtsbedingungen zurückzuführen, auf den starren Körper ZU erweitem.
Die Herleitung von Schwerpunkt· und Drallsatz im vorigen Abschnitt erfolgte unter Verwen-
dung der d' Alembertsehen Kräfte für den differenziell kleinen Massenpullkt, deren WirklLng
dann summiert (integriert) wurde. Mit dem Schwerpunkt als Bezugspullkt der Bewegung blie-
ben nur zwei Integrale über die Gesamtmasse mit jeweilS vertrauten Größen als Ergebnis übrig:
Die Gesamtmasse m darf man sieh laut Schwerpunktsatz "im Schwerpunkt konzentriert" vor·
stellen (damit ist für den translatorisehen Anteil die Situation exakt wie beim Massenpunkt),
und das Massenträgheitsmoment Js repräsentiert die Trägheitswirkung der Masse gegenüber der
Drehbewegung um den Schwerpunkt.
Die Konsequenzen für die Erweiterung des Prinzips von d' Alembert, das im Abschnitt 28.2.2
für den Massenpunkt formuliert wurde, sind damit klar: Die d' Alembertschen Kräfte müssen im
Schwerpunkt des Körpers (den Richtungen der eingeführten Bewegungskoordinaten entgegen-
gesetzt) angetragen werden und sind zu ergänzen durch das d'Alembertsche Momenr JsiP. das
der positiven Drehrichtung der für die Rotationsbewegung eingeführten Koordinate entgegenge-
richtet ist.
Damit kann das kinetische Problem durch das Aufschreiben von Gleichgewichtsbedingungen
gelöst werden (wie in der Statik kommt für das ebene Problem eine Momenten-Gleichgewichts-
bedingung hinzu). Das d' Alembertsche Prinzip in dieser Fonn gestattet die Analyse von Be-
wegungsvorgängen auch mit mehreren Freiheitsgraden und die Berechnung der auftretenden
Zwangskräfte. bei Systemen starrer Körper einschließlich der Kräfte in den Verbindungsglie-
dem (sollten diese Kräfte nicht interessieren und nur der Bewegungsablauf analysiert werden, ist
für kompliziertere Systeme häufig eine spezielle Fassung des Prinzips von d' Alembert zu bevor-
zugen, die im Kapitel 33 behandelt wird). Bewährt für die Behandlung von Aufgaben hat sich
ein schrittweises Vorgehen entsprechend den nachfolgend gegebenen
572 29 Kinetik starrer Körper
Empfehlungen für das Lösen "on Problemen nach dem Prinzip "on d' Alembert:
CD Wahl geeigneter Bewegungskoordinafen: Zweckmäßig ist es, für jede Bewegungsmöglich-
keit des starren Körpers eine eigene Koordinate zu wählen (z. B. für das rollende Rad ei-
ne Weg- und eine Winkelkoordinate), auch wenn zwischen den eingeführten Koordinaten
Zwangsbedingungen zu berücksichtigen sind. Man sollte darauf achten, dass alle gewählten
Koordinaten gleichzeitig positiv werden.
@ Freischneiden des Sfarren Körpers VOll allen äußerell BindungeIl: Es ist sinnvoll, den (oder
die) Körper in cincr ausgelenktcn Lage (allc Koordinatcn ungleich Null und positi,,) zu skiz-
zieren. Bei Systemen starrer Körper ist es ratsam (und wird zur Vemleidung von Fehlern
dringend empfohJen), aucb die Bindungen zwischen den einzelnen Körpern zu schneiden
(für komplizierterc Systeme ist gelegentlich das Arbciten mit dem Prinzip von d' Alembert in
der Fassung günstiger, die im Kapitel 33 behandelt wird).
® Amragen aller wirkenden Kräfte und Momellle:
• Eingeprägte Kräfte ulld Momellle, z. B.: Eigengewicht, Antriebskräfte, Antriebsmomen-
te, ...
• Zwangskräjie und -momellfe, die durch das Freischneiden sichtbar werden: Dies sind
die aus der Anwendung des Schnittprinzips in der Statik bekannten Lagerreaktionen,
Seilkräfte, Kräfte zwischen den starren Körpern und Führungen, Haftkräfte, ...
• Bewegungswidersfällde, z. B.: Gleitreibung, Rollreibung (nicht: Haftkräfte, die zu den
Zwangskräften gehören und sich aus den Gleichgewichtsbedingungen ergeben), Luft-
widerstand. Bewegungswiderstände sind immer entgegen der tatsächlichen Bewegungs-
richtung anzutragen. Wenn diese nicht mit Sicherheit vorausgesagt werden kann, ist die
Rechnung gegebenenfalls mit den korrigielten Richtungen für die Bewegungswiderstän-
de zu wiederholen.
• d'Alembertsche Kräfte (im Schwerpunkt) und d'Alemberlsc!le Momente (Massenträg-
heitsmomeute bezogen auf Schwerpun.ktacbsen), die entgegen den Richtungen der ein-
geführten Bewegungskoordinaten anzutragen sind. Dabei spielt die tatsächliche Bewe-
gungsrichtung keine Rolle, da sich die Bewegungsgrößen (Bahnbeschleunigung und Ge-
schwindigkeit) mit dem sich ergebenden Vorzeichen auf die gewählten Koordinaten be-
ziehen. Bei der Bewegung des Schwerpunkts auf einer gekrümmten Bahn ist entspre-
chend 28.8 oder 28.9 die vom Kmmmungsmittelpunkt der Bahn nach außen gerichtete
Zentrifugalkraft zu ergänzen, die von der Bewegungsrichtung ohnehin unabhängig ist.
@ Aufstellen der Gleichgewichtsbedingungen: Dabei muss der Bezugspunkt für das Momenten-
gleichgewicht natürlich nicht der Schwerpunkt sein. Es ist häufig (wie bei statischen Proble-
men) vorteilhaft, die Momentenbezugspunkte so zu wählen, dass die für die weitere Rech-
nung nicht interessierenden Kräfte gar nicht in den Gleichgewichtsbedingungen erscheinen.
® Eillsetzen der kinematischen Zwangsbedingungen in die Gleichgewiclllsbeziehullgen: Die
Anzahl der erforderlichen Zwangsbcdingungen entspricht dcr Differcnz der Anzahl der ein-
geführten Bewegungskoordinaten n und der Anzahl der Freiheitsgrade des Systems, bei ei-
nem System mit nur einem Freiheitsgrad müssen also Il - I Zwangsbedingungen berück-
sichtigt werden. Nach Einsetzen der Zwangsbedingungen in die Gleichgewichtsbeziehungen
29.5 Ebene Bewegung starrer Körper 573
I Beispiel: I
°
Eine zylindrische Walze mit der Masse m beginnt unter
Einwirkung einer Kraft F zum Zeitpunkt I = aus der Ruhe heraus
eine Bewegung auf einer horizontalen Bahn.
Gegeben: m; F=!mg; a=40'; R=500mm.
a) Welchen Weg hat die Walze nach t = 5 s zurückgelegt und um weI-
chen Winkel hat sie sich gedreht, wenn eine reine Rollbewegung
vorausgesetzt werden darf?
b) Wie groß muss der Haftungskoeffizienl J10 zwischen Walze und Untergrund mindestens sein,
damit sich eine reine Rollbewegung einstellt?
c) Wie ändern sich die unter a gefragten Werte, wenn fLir den Haftungskoeffzienten 110 = 0, 12
und den Gleitreibungskoeffizienten J1. = 0, I gilt?
iIi~
~X'F
= S!=9
rur die Drehbewegung gewählt, beide nehmen gleichzeitig po-
sitive Werte an. Die Abbildung 29.19 zeigt den von äußeren Jsq;
Bindungen (Unterlage) freigeschnittenen Körper, angetragen
wurden die eingeprägten Kräfte F und das Eigengewicht mg,
als Zwangskräfte die Normalkraft FN und die Haftkraft Ffi . Be- A _
wegungswiderstände gibt es bei der AufgabensteIlung a nicht,
die d' Alembensche Kraft und das d' Alembertsche Moment
FN tF H
wurden jeweils entgegen der zugehörigen positiven Koordina- Abbildung 29.19: Freige-
tenrichtung eingezeichnet. schnittenes System
574 29 Kinetik starrer Körper
Da die AufgabensteIlung a nach den Zwangskräften FN und FH nicht fragt, wird (bei Verzicht
auf zwei weitere Gleichgewichtsbedingungen) nur die Momenten-Gleichgewichtsbedingung
bezliglich des Punktes A aufgeschrieben, in die diese beiden Kräfte nicht eingehen. Mit dem
Massenträgheitsmoment fLir den Kreiszylinder Js = ~ mR2 nach 29.14 ergibt sich:
I I'
Fcosa· R -1/l.i'R -Jsii> = 0 .i'+ -2 Rii> = - cosa
I/l
Die kincmatischc Zwangsbedingung qJ = 7i fur die reine Rollbewegung nach 27. I und das
Einsetzen des fLir I' gegebenen Wertes fUhren auf:
21' I I I
.i' = 3m cosa = :3 g cosa i = :3 glcosa +CI x = (; gl2cos a +CI 1+C2
Die Integration war wegen der konstanten Beschleunigung besonders einfach. aus den An-
fangsbedingungen X{I = 0) = 0 (willklirlich) und i{1 = 0) = 0 (AufgabensteIlung) ergeben
sich die Integrationskonstanten CI = 0 und Cl = 0, so dass das Bewegungsgesetz
I
X= _gl2cos a (29.35)
6
gemeinsam mit der kinematischen Zwangsbedingung die ersten Fragen beantworten kann:
x{I=5s) 0
X{l = 5s) = 31,3m qJ{1 = 5s) = = 62,62 = 3588
R
b) Eine reine Rollbewegung stellt sich nur ein, wenn das Coulombsche Haftungsgesetz 9.1
11'11 [
:0: IFlI.maxl = p{J FN erfullt ist. FlI und FN können aus dcn bisher nicht genutzten Kräfte-
Gleichgewichtsbedingungen an der freigeschnittenen Walze berechnet werden:
Damit errechnet man aus 9. I die Bedingung flir reines Rollen der Walze:
WJ ~ 1;:1 =0.188
c) Die Bedingung flir reines Rollen ist mit dem Haftungskoeffizienten, der flir die Aufgaben-
steIlung c gegeben ist, nicht mehr erfüllt. Damit gilt auch die Zwangsbedingung fUr die bei-
den Bewegungskoordinaten (Rollbedingung) nicht mehr. Die Walze fuhrt eine Bewegung
mit zwei Freiheitsgraden aus. An die Stelle der Haftkraft (Zwangskraft) tritt die Gleitrei-
bungskraft (Bewegungswiderstand, Abbildung 29.20), für die nach 28.3 die Formel fUr die
Coulombsche Gleitreibung gilt (im Unterschied zur Haftkraft, die aus einer Gleichgewichts-
bedingung berechnet wurde). In diesem Fall werden alle drei Gleichgewichtsbedingungen
benötigt:
T FN - mg + I' sin a = 0 <- mi-Fcosa+)lFN = 0
SC Js ii> -)l FN R = 0
Flir das Momenten-Gleichgewicht wurde der Bezugspunkt S gewählt, um gleich zu entkop-
pelten Beschleunigungsgleichungen zu kommen. Die Normalkraft wird eliminiert, und nach
Einsetzen von Js = ~ mR2 und des gegebenen Wertes flir I' verbleiben:
29.5 Ebene Bewegung starrer Körper 575
/F
x
x = ~ 8 (cosa+.u sina - 2.u) Ci> =.u ~ (2 - si.na)
Beschleunigung und Winkelbeschleunigung sind konstant und
können problemlos integriert werden. Mit den Anfangsbedin-
gungen X(I = 0) = O..1'(1 = 0) = 0, rp(r = 0) = 0, 1'(1 = 0) = 0
werden alle Integrationskonstanten Null, und aus
-
=x
S!=9
I .
x= 4: 8 12 (cosa +.u Sill a - 2.u) FN t FR ~I-'FN
(29.36)
rp =
I
-.u
2
-Rg 12 (2 - sm. a) Abbildung 29.20: Frei-
ergeben sich die Antworten auf die Fragestellungen: geschnitte,ncs System mit
Gleitreibung
X(I = 5s) = 38,6m rp(1 = 5s) = 33,29 = 1907°
oe:> Das Ergebnis des geradc behandelten Beispiels ist im Hinblick auf dcn im folgendcn Ab-
schnitt behandelten Energiesatz interessant: Bei Gleitreibung wird ein Teil der von der Kraft
F geleisteten Arbeit als Reibacbeit "verbraucht", die als Wärme abgefuhrt wird (und damit
nicht zur Bewegung beiträgt). Trotzdem bewegt sich die rutschende Walze weiter als die
Walze bei reiner Rollbewegung. weil sie nur einen geringeren Teil der geleisteten Arbeit
in Rotationsenergie umsetzt (sie hat sich dementsprechend auch nur um einen wesentlich
kleineren Winkel gedreht).
oe:> Und noch einmal der so wichtige Unterschied zwischen Haftung und Gleitreibung:
Das unter a gefundene Bewegungsgesetz 29.35 gilt immer, wenn tatsächlich reines Rollen
vorausgesetzt werden dalt', auch dann, wenn man für die Haftkraft einen falschen Rich-
tungssinn angenommen hat. Da diese aus einer Gleichgewichtsbedingung berechnet wird,
korrigiert sich ein falscher Richtungssinn über das Vorzeichen des Ergebnisses.
Das unter c gefundene Bewegungsgeselz 29.36 gilt nur, wenn der fur die Gleitreibungskraft
angenommene RichtwlgssinJl (nach links) richtig ist, weM sich die Walze also tatsächlich
nach rcchts bewegt. Dem Ergebnis entnimmt man, dass dies nur erfüllt ist. wenn folgende
Bedingung gilt:
cos a + .u sin a - 2.u > ° .u<2
cosa
~
.
Sill a
(29.37)
Für die Werte der AufgabensteIlung c ist diese Bedingung crfullt, abcr z. B. bei eincm Winkcl
a = 85° (bei ansonsten ungeänderten Werten) müsste .u < 0,0868 fur die GÜltigkeit von
29.36 gefordert werden. Im Gegensatz zu der ähnJichen Diskussion nach dem Beispiel 2 im
Abschnitt 28.2.2 (Seitc 522) würde bei Nichtcrfüllung von 29.37 die Masse nicht in Ruhe
bleiben, sondern eine Rollbewegung beginnen, weil dann die Bedingung für reines Rollen
(Fragestcllung b) crfullt ist. Auf keincn Fall abcr würdc sic das tun, was 29.36 dafür ergeben
würde. die "sich bei Rechtsdrehung nach links bewegende Walze".
oe:> Eigentlich müsste auch noch überprüft werden, ob die Walze nicht "abhebt" (Indikator dafür
ist eine negative Normalkraft), was genau dann passiert, wenn die Vertikal komponente von F
größer al.s das Eigengewicht der Walze ist. Mit dem Wert F = ~ mg aus der AufgabensteUung
besteht aber in dieser Hinsicht keine Gefahr.
576 29 Kinetik starrer Körper
29.5.3 Energiesatz
Die im Abschnitt 28.4.3 demonstrierte Integration des dynamischen Grundgesetzes über den Weg
kann auf den starren Körper übel1ragen werden, wenn für die kinetische Energie, die dort für den
Massenpunkt definiert wurde, ein entsprechender Ausdruck für die unendlich vielen differenziell
klcinen Massenpunkte dm verwendet wird.
Die Abbildung 29.21 zeigt den Bezugspunkt 0 des star- yl
ren Körpers, der sich mit der Geschwindigkeit vo bewegt .~Y
~.~ . y
(gezeiehnct sind die Komponenten .1'0 und yo). Ocr Massen- I r~ i 0
punkt dm bewegt sich zusätzlich auf einer Kreisbahn um 0 _-~Idm
Y k-~'
mit der Bahngeschwindigkeit rliJ. Wie bei der Herleitung ;.' ,io
von Sehwerpunkt- und Drallsatz im Abschnitt 29.5.1 wird
wieder ein Hilfskoordinatensystem .i', y mit dem Ursprung
y
~ o. (f\
I':
in 0 eingeführt. das (wie auch ip) der Bewegung des Punk-
Yo
~~
Xo ri~ I .
tes 0 folgt, nicht aber die Rotation des Körpers mitmacht. X I
-
f- -j X
Damit sind die Komponenten der Geschwindigkeit des Mas- I +
X o x
senpunktes dm aus der Skizze ablesbar:
Abbildung 29.21: Starrkörper-
x=xo-rcpsinip =xo-CPY Bewegung als Translation des
(29.38)
y = Yo + rcpcosip = YO + cpx Punktes 0 und Drehung um 0
Nun kann die kinetische Energie für den Massenpunkt dm aufgeschrieben werden, und nach
Integration über die gcsamtc Masse m erhält man die gesuchte Formel:
T= iJItl
2
v drn = iJ
1/1
(.1'2 + i) dm
m m m m
I 2
2:vo Jdm + i J dm
cp2 1'2 +ciJ (yo J.\'dm-xo j.Vdm)
m m In m
1 2 1 .2
2:
mvo + -JolfJ
2
+ cp (mxSYO - mysxo)
wobei wieder 29.30 und 29.31 genutzt wurden, und wie bei der Herleitung von Schwerpunkt-
und Drallsatz im Abschnitt 29.5.1 verschwindet der Ausdruck in der Klammer bei geeigneter
Wahl des Bezugspunktes.
Die kinetische Energie selzt sich aus einem translatorischen und einem rotatorischen Anteil
zusammen. Als Bezugspunkt A sind der Schwerpunkt oder ein momentan in Ruhe befindlicher
Punkt des Körpers zugelassen.
29.5 Ebene Bewegung starrer Körper 577
oe:> Man beachte den feinen (aber nicht ganz unwichtigen) Unterschied in der Gültigkeitsbe-
schränkung FLir den Drallsatz 29.34 und für die Formel der kinetischen Energie 29.39, wenn
nicht der Schwerpunkt als Bezugspunkt gewählt wird. Für das Aufschreiben der kinetischen
Energie zu cincm bcstimmtcn Zeitpunkt darf auch der Momcmanpol als Bczugspunkt gc-
wählt werden, während für den DraJlsatz 29.34 ein beschleunigungsfreier Punkt gefordert
wird, so dass der Momentanpol in der Regel dafür ausschcidet.
oe:> Der im Abschnitt 28.4.3 für den Massenpunkt formulierte Energicsatz 28.30 einschließlich
der für seine Anwendung gegebenen Empfehlungen (Seite 536) können auf die ebene Be-
wegung des starren Körpers unter Beachtung folgender Besonderheiten übertragen werden:
, Die kinetischen Energien TI und T2 der beiden betrachteten Bewegungszustände I und
2 sind nach 29.39 aufzuschreiben.
• Die Höhe" (relativ zum Null-Potenzial) in der Formel rur die potenzielle Energie 28.20
bczicht sich bcim statTCn Körpcr auf dcn Schwerpunkt. Bci cincm Systcm aus mchrcren
Körpern darf für jeden Körper ein eigenes Null-Potenzial festgelegt werden.
29.5.4 Beispiele
Zur Analyse der ebenen Bewegung starrer Körper wurden bisher der ScI,wetptll1ktsatz, der Drall-
salz, das Prinzip von d'Alembert lind der Energiesatz behandelt. Für das Lösen von Problemen
sind Schwerpunkt- und Drallsatz einerseits und das Prinzip von d' Alembert, wie es im Ahschnitt
29.5.2 dargestellt wurde, gleichwertig. Man darf die gegebenen "Empfehlungen für das Lösen
von Problemen nach dcm Prinzip von d' Alembert" (Seite 572) durchaus auch als Stratcgie des
möglichst sicheren Anwendens von Schwerpunkt- und Drallsatz ansehen.
Der Energiesatz dagegen hat seine eigenen Stärken und Schwächen. Die folgenden Beispiele
sollen auch die Vor- und Nachteile der cinzelnen Verfahren zu vcrdeutlichcn.
Beispiel]:I
I_ _ _ _.... EIIle Kugel mit dem Rad.us r begll1nt 111
r
der Höhe" aus der Ruhe heraus eine reine Rollbewe- , I
R
gung, die im PunktA in eine kreisförmige Loopingbahn
mit dem Radius R mündet.
t
Gegeben: h, r, R. ~A
a) Wie groß ist die Bahngeschwindigkeit des Kugel-
mittelpunkts in Abhängigkeit von ß?
b) Aus welcher Höhe '" muss sie starten, damit sie ~I W,
sich bei ß' = 1200 von der Kreisbahn löst, bei wel- V21~ ..:
Null-Potenzial wird (willkürlich) auf dem Niveau des tiefsten Bahnpunktes festgelegt. 1m Zu-
stand I hat die Kugel nur potenzielle Energie (Höhe h über dem Null-Potenzial), im Zustand 2
befindet sie sich in der Höhe R - (R - r) cos ß, ihr Mittelpunkt hat die Geschwindigkeit V2, und
sie dreht sich mit der Winkelgeschwindigkeit W:!. Auf dem Weg von I nach 2 wird weder Energie
zugeführt (kein Antrieb) noch abgefÜhrt (keine Reibung), so dass die Energiebilanz lautet:
I I
mgh = mg [R - (R- r)cosßI + 2: mv~ + 2:Jswi
Nach Einsetzen der Zwangsbedingung W:! = "f
(reines Rollen) und des Massenträgheitsmoments
rur die Kugel, das man der Tabelle auf Seite 549 entnimmt, kürzt sich In aus der Energiebilanz
heraus, die nach V2 aufgelöst werden kann:
V2 = )'70g[h-R+(R-r)cosßI
cosß = _~ h-R
17 R-r
und liefert fur ß' = 120 0 bzw. ß" = I80° (höchster Punkt der Loopingbahn):
1
h' = 20 (37R- 17r) h" = I~ (27R- 17r)
oe;> Wenn die Kugel bei ß' die Loopingbahn verlässt, beginnt sie eine freie Bewegung (oh-
ne Zwangskräfte). Ihr Schwerpunkt bewegt sich nach 29.33 wie ein Massenpunkt, so dass
die im Beispiel des Abschnitts 28. I rur den schiefen Wurf des Massenpunktes entwickelten
Formeln bei einer Anfangsgeschwindigkeit Vo = V2(ß') und einem Abwurfwinkel a = 600
gelten. Da keine äußeren Momente mehr wirken, bleibt nach dem Drallsatz 29.34 die Win-
kelgeschwindigkeit der Kugel während des Fluges gleich W:!(ß').
29.5 Ebene Bewegung starrer Körper 579
I
Beispiel 2:
I_"";_ _...1 EIne WInde wIrd mit eInem konstanten Mo-
ment Mo angetrieben und zieht über ein (dehnstarres, mas-
seloses) Seil eine Walze auf einer schiefen Ebene auf-
wälts. Die Bewegung möge zum Zeitpunkt I = 0 aus der
Rllhe heraus beginnen. Die Walze führt eine reine RoUbe-
wcgung aus.
Gegeben: /111, 1112, JSI , JS2, R I , R2, Mo, a.
Der Index S bei den Massenträgheitsmomemen deutet an,
dass sie sich jeweils auf den Schwerpunkt beziehen, der
bei der Walze mit ihrem Millelpunkt und bei der Winde
mit dem Drehpllnkt A ZllsammenfaUt.
Es sollen die Beschleunigung des Walzen mittelpunkts und die Kräfte im Seil sowie die Lager-
kräfte bei A flir den BewegungsZllstand ermittelt werden.
In der Skizze sind die drei gewählten Bewegungskoordinaten eingetragen, mit XI wird die Bewe-
gung des Walzenmittelpunkts verfolgt. Das System hat einen Freiheitsgrad, so dass zwei Zwangs-
bedingungen formuliert werden können. Für die Walze gilt die Rollbedingung €PI = )t. Ihr Mo-
mentanpol ist der Berührungspunkt mit der schiefen Ebene, der obere Punkt, an dem das Seil an-
greift, hat (wegen der doppelten Entfernung vom Momentanpol) die doppelte Geschwindigkeit
des Mittelpunktes 2-'"1. Dies ist dann auch die Geschwindigkeit des Seils und damit die Bahnge-
schwindigkeit am Außenradius der Winde, für deren Winkelgeschwindigkeit also Ci>2 = ~ gelten
muss. Alle Koordinaten sollen bei I = 0 ebenfalls Null sein, so dass die Zwangsbedingüngen in
gleicher Form für Weg, Geschwindigkeit und Beschleunigung gelten.
Js t ) .Xt=
. 2D ' 22 .. t =Mo
JS2X D
( 1n1+2
R
rS-Inlgslna
R2
--rs
R2
I
580 29 Kinetik starrer Körper
zwei Gleichungen für die beiden Unbekannten Ps und XI. Nach Elimination von Ps erhält man
".
2 -MoR2 -mi gSll1a
.
XI = --=--'Js-'----,J'S2-
1111+-+ 4- 2
R2I R2
und damit sind auch die gesuchtcn Kräfte bckannt:
JS2 ..
Fs = -Mo - 2 -oXI PAN = Pscos a PAV = 11I2g +}"ssina
R2 Ri
.0;> Das System des Beispiels 2 bewegt sich mit konstanter Beschleunigung, so dass auch das
Geschwindigkeits-Zeit-Gesetz und das Weg-Zeit-Gesetz durch Integration problemlos zu
bercchnen wären. Ocr Ausdruck fur die Bcschleunigung XI zeigt eincn typischcn Aufbau
(Kontroll möglichkeit): Im Nenner stehen (sämtlich positiv) die .,trägen Massen", im Zähler
haben die antreibenden Größen (hier: Mo) ein positives und die bremsenden Größen (hier:
Eigengewicht der Walze) ein negatives Vorzeichen .
•-:> Wenn nur die BescWeunigung zu ermitteln gewesen wäre, hätte dafür aucb der Energiesatz
cffcktiv angcwendet werden könncn: Für beidc Massen werden getrennte Null-Potenziale in
Höhe ihrer Schwerpunkte (bei t = 0) festgelegt, so dass im Zustand I (Start der Bewegung)
weder potenzielle noch kinetische Energie zu berücksichtigen ist. Auf dem Weg zum Zu-
stand 2 (beliebiger Zeitpunkt i) wird die äußere Arbeit MO({>2 geleistet, im Zustand 2 liegt 1111
um XI sin a über dem Null-Potenzial, und flir beide Massen sind kinetische Energien naeh
29.39 zu berücksichtigen. In der Energiebilanz
" I .2 I ., I .2
MO({>2 =mlgxl sma+211lIX, + 2Js, <1'1+ 2JS2lf!2
werden die Winkelkoordinate ({>2 und die Winkelgeschwindigkeiten q>1 und li>2 unter Ver-
wendung der Zwangsbedingungen ersetzt. [LI1d man erhält mit
( 2 Mo
~
-mlgSina) X, = ~
2
(mi + Js~ +4J~) xi
~ ~
primär eine Geschwindigkeits-Weg-Beziehung (typisch bei Anwendung des Energiesatzes).
Diese Beziehung wird auf bei den Seiten nacb der Zeit ( abgeleitet:
( 2 Mo
R2
-1111 gsin a) XI = ~
2
(mi + Js~ +4 J~)
RIR2
21'1 XI
Die Geschwindigkeit XI hebt sich heraus, und nach Umstellung erhält man die gleiche Be-
schleunigung wie nach dem Prinzip von d' Alembert.
c:> Die konstante BescWeunigung führt natürlich dazu, dass die Bewegung des Systems immer
sehneller wird. Ursache dafür ist die Annahme eines konstanten Antriebsmoments. Dies
ist in der technischen Praxis in der Regel nicht realistisch. Vielmehr geben Motoren ein
drehzahlabhängiges Moment ab. der Zusammenhang zwischen Drehmoment und Drehzahl
wird als Kennlinie des Antriebs bezeichnet (vgl. folgendes Beispiel).
29.5 Ebene Bewegung starrer Körper 581
Beispiel 3: I
I_"";_ _...1 EIße Setlwlßde wIrd von eIßem An-
R .... ~
trieb mit "fallender Kennlinie" (Amriebsmomem A JM(w)
wird bei größerer Drehzahl kleiner) angetrieben.
Aus der Ruhe heraus wird ei ne Masse m angeho-
ben (das Seil sei dehnstarr und masselos).
Für den Anfahrvorgang sollen die Winkelge-
schwindigkeit der Winde und das Antriebsmomcnt
in Abhängigkeit von der Zeit ermittelt werden.
Gegeben:
mgR
MO = 3 -.!J.-
= I 5
mR2'
f
R
= 19 62s- 2
I
Die Abbildung 29.24 zeigt die freigeschnjttenen Massen mit allen zu Geriicksichtigenden Kräf-
ten und Momenten (einschließlich der Kräfte im Lagerzapfen und des Eigengewichts der Winde,
die nicht Genötigt werden). Es werden das Momenten-Gleichgewicht an der Winde und das ver-
tikale Kraft-Gleichgewicht für die Masse m formuliert:
M-Js6>-FsR=O Fs-mg-mv=O
Fs wird eliminiert, und es verbleibt noch eine Gleichung. Mit der
Zwangsbedingung w = ii und der gegeGenen Kenl1linienfunktion er-
[1- (:Y]
hält man:
2
(Js+mR )6>=Mo -mgR
Dics lässt sich umformen zu:
. I g { Mo
w = 1+ -.!J.- R mgR Abbildung 29.24: Frei-
ntR2 geschniltene Massen
Diese nichtlineare Differcnzialglcichung lässt sich ausnahmsweise noch geschlossen lösen. Dar-
auf darf man bei praxisnahen Problemen in der Regel nicht hoffen. Kennlinien sind meist gar
nicht mit den klassischen Funktionen zu beschreiaen, sondern liegen nur punktweise vor (und
man sollte dann ein Programm benutzen, das punktweise definierte Funktionen interpolieren
und bei der Lösung des Anfangswertproblems verwenden kann). Die Abbildung 29.25 zeigt
die Funktionen w(t) und M'(t) = m~R (für die Lösung mit verschiedenen Programmen siehe
www.TM-aktuell.de).
co M'
(
16
4 8 t
~
1
4 8 \
Abbildung 29.25: Antrieb mit ,.fallender Kennlinie" -+ Geschwindigkeit wächst nicht unbegrenzt
582 29 Kinelik Slarrer Körper
Beispiel 4:I
I_"";_ _...1 ZweI Massen 1/11 und 1/12 können auf emer
vertikalen bzw. einer horizontalen Führung reibungsfrei m,
gleiten. Sie sind durch eine starre Stange (Masse I11S und I 0
Massenträgheitsmoment Js bezüglich des Schwerpunktes '2
~
F\y-m\g-m\y\ =0 ,
->2 F2x - m2X2=0, J ..
(29.40)
Ts -Fty + F2y -l11sg -l11sY = 0 -----,-~ rp
FIx ~ F2x-mSX = 0 msx Imsg F2x
S)
Y\ x2 ..
FIXZ + F2xY- F\yx- F2y Z -Js!p = 0 FN \ 3x jmsy !F2y
Dies sind 5 Gleichungen für4unbekannte Kräfte und !F, Y
F2 y l
die unbekannten Beschleunigungen. Da das System m,gl
Im, y, m 2 x2 F2x ~m2g
nur einen Freiheitsgrad hat, können alle Beschleuni-
gungen durch eine ausgedrückt werden (Zwangsbe- IFN2
dingungen), so dass (wie beim Beispiel 2) die An-
Abbildung 29.27: Freigescbnitlene Massen
zahl der Gleichungcn mit dcr Anzahl der Unbekann-
ten übereinstimmt.
Trotzdem können die gesuchten Kräfte nicht unmittelbar aus diesen Gleichungen berechnet wer-
den, weil die Zwangsbedingungen auch die anderen Bewegungsgrößen enthalten. Aus relativ
29.5 Ebene Bewegung starrer Körper 583
einfachen geometrischen Zusammenhängen für die eingeführten Koordinaten erhält man für die
Beschleunigungen wesentlich komplizie.tere Ausdrücke. Es gilt z. B.:
I I
x = 2 coscp =} x= -2 (ipsin cp + <):>2 eos cp)
/ /
Y = 2 sincp =} y= 2 (ipcoscp-<):>2sincp) (29.41)
Die ersten 4 Gleichgewichtsbedingungen 29.40 können nach den Kräften aufgelöst werden:
Fix = ms·r+m2x2 Fty ="'lg+mIYI (29.42)
F2, = "'2X2 F2y = "'sg +msy+ml g+ml YI
Die Kräfte nach 29.42 werden in die fünfte Gleichung 29.40 eingesetzt, in der auch noch alle
Koordinaten mit Hilfe der Zwangsbedingungen 29.41 durch cp ersetzt werden, und man erhält
die Bewegungs-Differenzialgleichung
I "'2 2 "'I 2 Js )
( -+2-sin cp+2-cos cp+2--2 ip
2 "'S "'S ms /
+ ("'2 _
Ins Ins
~) <):>2 sin 2 cp + (2 ~+
Ins
I) ~ I
cos cp = 0
·:V
Beschleunigungen berechnet ·1 \ / \
F2• =F2- = -
msg
I
IIlSg
JF 2x
2
+F 2
2y
'c:> Aufgaben dieser Art können mit dem Energiesatz allein nicht gelöst werden. Dieser eignet
sich jedoch sehr gut zur Kontrolle einzelner Ergebnisse.
Hier werden als Zustand CD der Start der Bewegung und als Zustand @ die horizontale Lage
der Stange betrachtet (Abbildung 29.29).
Dieser Wert stimmt exakt mit dcm Zwischenergebnis überein, das sich für diese spezielle
Lage aus der Integration der Bewegungs-Differenzialgleichung ergibt. Die komplette Be-
rechnung einschließlich der Verifizierung der Ergebnisse mit dem Energiesatz findet man
unter www.TM-aktuell.de.
oe:> Wäre im Beispiel 4 nur die Bewegung zu untersuchen gewesen, hätte sich auch der Energie-
satz angeboten. Man müsste dann als Zustand CD den Start und als Zustand @ eine beliebige
(durch die Bewegungskoordinaten definierte) Lage betrachten und dafUr die Energiebilanz
aufstellen.
'C:> Anwendbarkeit des Energiesatzes: Am Ende des Abschnitts, in dem an Beispielen die
Vor- und Naehtei le der unterschiedlichen Verfahren demonstriert wurden, muss noch darauf
hingewiesen werden, dass der fUf viele Probleme auf recht eiJ1faehe Weise anwendbare Ener-
giesatz sich (im Gegensatz zum Prinzip von d' Alembert, vgl. Beispiel im Abschnitt 29.5.2)
nicht fUr Systeme mit mehreren Freiheitsgraden eignet, weil er nur eine Bilanzgleichung
liefert. Das Aufschreiben von Bewcgungs-Differenzialgleichungcn aus Energiebetrachtun-
gen für kompliziertcrc Systemc wird im Abschnitt 33.4 gesondcrt bchandelt.
29.6 Räumliche Bewegung starrer Körper 585
Die Strategie der Herleitung der Aussagen über die Kinetik der räumlichen Bewegung starrer
Körper folgt dem bewähl1en Muster, das bereits fLir die ebene Bewegung im Abschnitt 29.5
verwendet wurde: Die Wir~'lmg der (nnn drei) Komponenten der d' Alembenschen Kraft am
unendlich kleinen Masscnpunkt dm wird übcr die gcsamte Massc m summicl1 (integriert) und
mit der Wirkung der äußeren Belastung ins Gleichgewicht gebracht.
Zur Vereinfachung der Schreibarbeit werden die (in einem raumfesten Koordinatensystem ge-
messenen) Koordinaten, Geschwindigkeits- und Beschleunigungskomponenten zu Vektoren zu-
sam mengefasst :
x"-
.-0
Ts
S
1s
ZS
j Y
XS] =;;;I'[X]
= [Ys
Z
dm = ;;; j
I'
? dm J rdm=lnrs (29.44)
In m
'"
Gewählt wird ein (zunächst beliebiger) körperfester Bezugspunl't 0, auf den alle angreifenden
äußeren Lasten reduziert werden. In der Abbildung 29.31 sind die Komponenten der resultieren-
den äußeren Lasten angedeutet, die ab sofort durch einen Kraftveklor und cinen Momentveklor
repräsentiert werden:
4
i~)~~dm
FOX] MOX]
Fa = [ Foy Mo= M oy (29.45)
[
Fa: Mo: Z Y
,
t I /"
Die drei Komponenten der d' Alembertschen Kräfte des Mas- Ta
-=-~/
t ..F
senpunkts dm werden entsprechend 29.43 im Vektor ädm zu- x O~ oX M
................. 0%
sammengcfasst. Das Gleichgewicht der äußeren Kräfte mit
den über die Gesamtmasse integrierten Massenkräflenliefert Abbildung 29.31: Kraft- lind Mo-
mentvektor (Komponenten)
unter Berücksichtigung von 29.44:
- J
Fo= ädm= J 2
d 1 d
-,dm=-2
dt- ~
2
J d
2
?dm=-?(m1s)=mäs
~-
(29.46)
m 111 m
Dies entspricht dem schon fUr die ebene Bewegung hergeleiteten Schwerpunktsatz: Auch im
Raum bewegt sich der SchwerplLllkt eines Körpers so. als würden alle äußeren Kräfte an i.hm
angreifen und die Gesamtmasse des Körpers in ihm konzentriert sein.
586 29 Kinetik starrer Körper
Für das Momenten-Gleichgewicht aller Massenkräfte mit dem Moment der äußeren Belastung
wird der Vektor i" (vom Bezugspunkt 0 zum Massenpunkt dm) eingeführt (Abbildung 29.32):
- j_ -dm j_*
Mo = dv
dt dm (29.47)
dm
l~ :d~r'
r x a = r x
m
'"
Mit der Identität
x" _0
... /
d (~* ~) _ dv di" ~ o
- r xv =r x~+-xv
dt dl dt Abbildung 29.32: ..Hebelarm·· i"
(Differenziation eines Produkts) und den aus der Kinematik bekannten Beziehungen 27.14
dr
- = W x r
---> """'"*
v= 1'0 + W x r
""""*
(29.48)
dl
lässt sich 29.47 folgendermaßen umformen:
- j -r x-dm=
Mo= dv -(r_ xv)--xv
j [d di"] dm
m
dt m
dt dl
= :lji"xvdm- j(wxr')x(vo+WXr)dm
m m
=d
- j -.
dl m
r Xv-d 11/- j( - -) xVo- d
(J)xr m
m
Das erste Integral wird als Drall (Drehimpuls) der Masse bezüglich des Punktes 0
bezeichnet. im zweiten Lntegral ist nur der mittlere Faktor über das Volumen der Masse verän-
derlich (das dritte Integral ist bereits verschwunden wegen CX = 0 bei beliebigem Vektor C): c
Mo = dd7 - ( w x I i" dm) x vo (29.50)
Man erkennt, dass sich 29.50 wesentlich vereinfacht, Wenn der Bezugspunkt 0 sich nicht bewegt.
Um den von der ebenen Bewegung bekannten besonderen Einnuss des Schwerpunkts zu klären.
wird i" entsprechend Abbildung 29.33 ersetzt. Der .,Umweg iiber den Schwerpunkt" Liefert:
- o = -d~ - m (-
M CJ) X -
ros) X -\'0 (29.51)
dl
Damit wird noch eine zweite Möglichkeit erkennbar, das Momenten-Gleichgewicht des beweg-
ten Körpers im Raum besonders einfach zu formulieren. Es ist der
Drallsatz (Momentensatz):
(29.52)
Die zeitliche Änderung des Dra/ll'eklors enlspricht der Wirkung des resultierenden Moment-
vekrors aller äußeren Belastllngen. Als Bezugspunkt A sind der beliebig bewegle Schwerpunkt
oder ein ruhender Punkt des Körpers zugelassen.
Der DraLlvektor in 29.52 wird nach 29.49 berechnet, wobei die Geschwindigkeit nach 29.48
eingesetzt werden kann:
Der erste Summand verschwindet in jedem Fall, denn A muss ein ruhender Punkt (VA = ö) oder
der Schwerpunkt sein (dann ist das Integral als statisches Moment gleich Null):
LA = Jr'X(Wxr')dm (29.53)
m
Wenn für? und Wdie KomponelllendarsteLiungen in kartesischen Koordinaten
w,]
w= [::
in 29.53 eingesetzt werden, entstehen beim Ausmultiplizieren der Vektorprodukte genau die Inte-
grale, die im Abschnitt 29.3.3 als axiale Massenträgheitsmomente 29.17 lind Deviationsmomente
29.18 definiert ww-den:
c:> Man beachte, dass der Drallsatz 29.52 für ein raumfestes Koordinatensystem formuliert wur-
de, so dass allch die Elemente des Trägheitstensors in 29.54 sich auf dieses System beziehen
müssen und nicht einfach aus der üblichen Berechnung im körperfesten Koordinatensystem
übernommen werden könncn. Gegebenenfalls kann die Drehung dcs Körpers während der
Bewegung iiber die Transfonnation 29.23 erfasst werden.
In vielen Fällen ist es jedoch günstiger, mit körperfesten Koordinaten zu arbcitcn. Dics wird
im nachfolgcndcn Abschnitt besprochcn.
588 29 Kinetik starrer Körper
(29.55)
darf natürlich nicht in 29.52 eingesetzt werden, weil sich die Zeitableitung in 29.52 auf das raum-
feste Koordinatcnsystem bezieht. Im Abschnitt 27.3.3 wurde der Zusammenhang 27.16 zwischen
der Ableitung eines Vektors im ruhenden bzw. bewegten Koordinatensystem hergeleitet, der hier
rur die Ableitung des Drallvektors genutzt wird:
dLA _ - d*LA
- = w x LA +-- (29.56)
dt dt
Der Stern bcim Ablcitungssymbol, deutet dic ,.Ableitung im bewcgten (körpcrfcstcn) System"
an. Mit dicser "Transfornlation der zeitlichcn Ableitung" wird aus 29.52 mit 29.55 dcr Drallsatz
bezüglich des bewegten (körperJesten) Systems:
- _ _ d*L A _ _ d* iiJ
MA = W X LA +'"dt = W x (J~~r;W)+J~~r;dt (29.57)
c:> Ocr Vcktor iiJ in 29.57 ist mit seinen Komponenten für das bcwegte System zu formulie-
ren. Er beschreibt natürlich trotzdem die Drehung des Körpers (oder besser: "Drehung des
körperfesten Koordinatensystems") gegenüber der ,.ruhenden Umwelt".
Wenn man sich für das Arbeiten mit einem körperfesten Koordinatensystem entscheidet, können
(und sollten) dessen Achsen natürlich mit den Hauptachsen rur den Punkt A zusammenfallen.
Dann wird die Matrix in 29.55 zur Diagonalmatrix m.it den Hauptträgheitsmomenten, die (vgl.
Abschnitt 29.3.3) nach 29.24 als lt. hund h bezeichnet wcrden. Dementsprechend sollen auch
die Komponenten der Winkelgeschwindigkeit und des äußeren Momentvektors um diese Achsen
die Indizes 1,2 llnd 3 haben. Die Beziehung 29.57 vereinfacht sich erheblich. Man erhält nach
Ausführen der Multiplikationen die Komponenten des Momentvektors, nach LEONARD EULER
(1707 - 1783) bezeichnet als
Eulersche Gleichungen:
M, =l,w,-(h-h)OJzWJ
M2 = h~ - (h -li) WJWI (29.58)
M3 =h6JJ-(J1 -h)wl 0Jz
Die Gleichungen gelten fiirein körperJestes Hauptachsensystem, dessen Ursprung im Schwer-
punkt oder ü, einem ruhenden Punkt des Körpers Liegt.
29.6 Räumliche Bewegung starrer Körper 589
oe:> Der wesentliche Vorteil des Arbeitens mit körperfesten Koordinaten zeigt sich in den Glei-
chungen 29.58: Die Massenträgheitsmomente sind keine zeitabhängigen Größen. Allerdings
beschreiben die Eulerschen Gleichungen nur die Drehbewegung des Körpers um die körper-
festen Achsen, deren (sich während der Bewegung ändernde) Lage im Raum kann allein
aus diesen Gleichungen nicht berechnet werden. Wenn allerdings die Bewegung der Achsen
(z. B. bei Zwangsftihrung) bekannt ist, können die Gleichungen 29.58 recht nützlich sein.
oe:> Als Kreisel wird ein starrer Körper bezeichnet. der eine Bewegung um einen festen Punkt
ausführen kann (drei Freiheitsgrade). Die Berechnung von Kreiselbewegungen ist ein typi-
scher Anwendungsfall für die Eulerschen Gleichungen.
Für die Beschreibung der Bewegung der (körperfesten) Haupt- Z J 'I/J,1;;
achsen eines Kreisels sind drei Winkelkoordinaten erforderlich,
2
die (auch auf einen Vorschlag Eulers zurückgehend) entsprechend
Abbildung 29.34 definiert werden. Im ruhenden Punkt des Krei-
sels liegt ein raumfestes x-y-z-Koordinatensystem.
Die Neigung der Hauptachse 3 zur der z-Aehse wird durch den X /
Winkel ~ bcschrieben (die Wahl der Hauptachse 3 iSI willkür- <.
lich). Die körperfesten Hauptachsen I und 2 behalten ihre recht-
winklige Lage zu 3 natürlich bei, die von I und 2 aufgespannle Knoienachse
(körperfesIe) Ebene schneidet die (raumfeste) x-y-Ebene entlang Abbildung 29.34: Definition
der so genannten Knotenachse. der Eulerschen Winkel
Die Drehung der Knotenachse in der x-y-Ebene wird durch den Winkel V' verfolgt. Da die Haupt-
achse 3 senkrecht auf der von I und 2 gebildeten Ebene steht, ist auch die KnOlenaehse stels
senkrecht zur Hauptachse 3 gerichtet.
Die bei den Koordinaten ~ und V' beschreiben die Lage der
Hauptachse 3 cindeutig, der Kreisel kann allerdings noch cine w,
Rotation um diese Achse ausführen, die durch eine dritte Ko-
ordinate beschrieben wird: Der Winkel <p wird in der durch I
und 2 aufgespannten Ebene gemessen, beginnend an der Kno-
tcnachse wird von ihm die Lage der Achse I velfolgt.
Die Koordinaten ~. V' und <p werden Eulersehe Winkel ge-
nannt, die Hauptachse 3 wurde von Euler als Figllrenaehse des Abbildung 29.35: Winkelge-
Kreisels bezeichnet. schwindigkeiten
Die Winkelgeschwindigkeit q> beschreibt also die Eigendrehung um die Figurenachse. die selbst
mit !jt um die raumfeste z-Achse rotiert. Zur Berechnung des Bewegungsgesetzes eines Kreisels,
das durch die Funktionen Ort), V'(t) und <p(t) eindeutig beschrieben wird. können die Eulerschen
Gleichungen 29.58 verwendet werden, es muss jedoch vorab der Zusammenhang zwischen den
Winkelgeschwindigkeiten 0)1. W2 und WJ (bezüglich der körperfesten Achsen) und den durch O.
!jt und q> definicrtcn Winkelgeschwindigkeiten geklärt werden.
Die Abbildung 29.35 zeigt. dass q> die Richtung der Hauptachse 3 und damit der Winkelge-
schwindigkeit WJ hat. Die Richtung der Knotenachse bestimmt die Richtung VOll 0. die also in
der von den Hauptachsen I und 2 aufgespannten Ebene liegt.
590 29 Kinetik starrer Körper
~
ist der Hauptachse 2 (und damit W2) entgegengerichtet.
Die raumfeste Lage von 1jf führt dazu. dass diese Winkelgeschwindigkeit
Komponenten flir alle drei Hauptachsen liefert: 1] sin \?
Die erste Zerlegung in der von der z-Achse und der Achse 3
aufgespannten Ebene liefert die beiden in Abbildung 29.36
skizzierten Komponenten. Die Komponente in dcr von I und
2 aufgespannlen Ebene bildet mit der Achse I den Winkel
(90 0 - rp) und wird noch einmal zerlegt. Insgesamt gilt also:
w, = ßcosrp+ IjJsintJsinrp
W:l = -ß sin rp + IjJsin tJcos rp (29.59)
W] = ci> + IjJcos tJ Abbildung 29.36: Zerlegung von 1jt
Für die Eulerschen Gleichungen werden noch die Ableitungen nach der Zeit benötigt:
W, = Öcosrp- ßq)sinrp+ JiisintJsinrp+ 1jfßcostJsinrp + IjJq)SiJltJCOSrp
~ = - Ö sin rp - ßq) cos rp + Jiisin tJ cos rp + 1jfß cos tJ cos!p -1jfq) sin tJ sin!p (29.60)
6!:J = ip + Jiicos tJ -1jfß sin tJ
Nach dem Einsetzen von 29.59 und 29.60 in die Eulerschen Gleichungen entsteht ein Differen-
zialgleichungssystem zweiter Ordnung flir die drei Winkelkoordinaten. Es ist hochgradig nicht-
linear und im Allgemeinen nur numerisch lösbar. Erschwerend kommt hinzu, dass die Differen-
zialgleichungen auch in den zweiten Ableitungen gekoppelt sind2
Beispiel:
I_____ I
Em starrer Körper rotiert um seme Hauptachse I
mit der konstanten Winkelgeschwindigkeit w,. Die Punkte A I",
und B der Rotationsachse bewegen sich auf einer horizontalen
Krcisbahn mit konstanter Geschwindigkcit, so dass dem ro-
tierenden Körper eine Drehbewegung mit konstaJJler Winkel-
geschwindigkeit WF um eine vertikale Achse überlagert wird
<-,geführter Kreisel·'). Es soll untersucht werden. welche Mo-
mente erforderlich sind, um diese Bewegung hervorzurufen.
Gegeben:
Für das mitrotierende Hauptachsensystem gelten die Eulerschen Gleichun-
gen, wenn WF in zwei Komponenten in RiChtung dieser Achsen zerlegt wird.
Die nebenstehende Skizze zeigt eine beliebige (durch den Winkel tJ gekenn-
zeichnete) Lage. Man liest ab: -....2
W:l = WF sin tJ W] = WF COS tJ
2Man beachte hierzu den Hinweis auf Seile 529 auf dieses Thema im lnterneL Das Problem ..Kopplung in den Bc-
schleunigungsgleidenr' wird ausführlich im Bereich "Mathematik fLir die Technische Mechanik" behandelt
29.6 Räumliche Bewegung starrer Körper 591
MI = -(h-h)Ol~sinßcosß
M2 = h OlF Oll COS ß - (h - J]) OlFOlI COS ß
M3 = -hOlFOl] sin ß - (11 - h) OlrOlI sin ß
Bemerkenswert ist, dass ein (sich periodisch änderndes) Moment MI erforderlich wäre, wenn
Ol[ auch bei zusätzlicher Drehung um eine vertikale Achse konstant bleiben soll. Wird dieses
Moment nicht aufgebracht (und praktisch ist dies kaum möglich), dann wäre Ol] nicht konstant.
Vor ciner Diskussion dcr andcren Ergebnissc wcrden die mitrotierenden Momente M2 und M3 in
ein Moment MF mit vertikaler und ein Moment MN mit horizontaler Drehachse umgerechnet.
Aus der nebenstehenden Skizze liest man ab: 'l9
Mr =M2sinß+M3coSß MN =M2COSß-M3sinß MF 31
Nach dem Einsetzen der berechneten Werte flir M2 und M3 ergibt sich:
MF = (h -h) OlrOl[ sin2ß ~ ~JMJ
MN = (h - h) OlFOl[ cos2ß +J[ OlFOl[ MN
Q Auch um die vertikale Achse ist ein (praktisch kaum realisierbares) Moment erforderlich,
um die Bewegung mit konstanten Winkelgeschwindigkeiten zu erzwingen. Allerdings ver-
schwinden sowohl M, als auch M F, wenn die Massenträgheitsmomente bezüglich der bei den
Hauptachsen senkrecht zur Achse I gleich sind.
Q Wenn h = h gilt, spricht man vom symmetrischen Kreisel (alle Achsen senkrecht zur Ro-
tationsachse sind Hauptachsen). Der symmetrische Kreisel ist ein für die Praxis besonders
wichtigcr Sonderfall (rotierende Massen sind häufig sogar rotationssymmetrisch).
Q Das Moment MN verschwindet jedoch auch beim symmetrischen Kreisel nicht. Das verblei-
bende Moment
(29.61)
muss von den Lagern aufgebracht werden. Bemerkenswert ist, dass es um eine horizontale
Achse dreht: Die Lager müssen vertikal gerichtete Kräfte auf das System aufhringen, damit
es sich mit OlF um eine vertikale Achse dreht (der Kreisel reagiert auf das Aufhringen eines
Moments mit einer Drehung um eine Achse senkrecht zur Drehachse des Moments).
Das Moment 29.6 I kann infolge des Produkts der bei den Winkelgeschwindigkeiten sehr
groß werden. Es wird noch intensiver diskutiert, nachdem im folgenden Abschnitt ein allge-
meinerer Fall untersucht wurde, der die weitaus meistcn praktisch wichtigen Fälle erfass!.
592 29 Kinetik starrer Körper
Die folgenden Unrersuchungen beschränken sicb auf den für die technische Praxis besonders
wichtigcn symmetrischen Kreisel, für den alle Achscn senkrecht zur Rotationsachse Hauptach-
sen sind (er braucht nicht rotationssymmetrisch zu sein, zwei Hauptachsen senkrecht zur Ro-
tationsachse mit gleichen Massenträgheitsmomenten garantieren die Erfiillung der genannten
Bedingung). Fiir solche Körper bringt das mitrotierende Koordinatensystem keine Vorteile, es ist
sogar lästig, weil Winkelgeschwindigkeitsvektoren mit raumJester Richtung «(J)F im Beispiel des
vorigcn Abschnitts) auf dic roticrcndcn Aehscn umgerechnct werden miisscn.
Ein kleiner Trick hilft: Man wählt ein Koordinatensystem, das die Bewegung des Körpers nur
insofern mitmacht. dass der Drallvektor beziiglich dieses Systems konstant bleibt. Die verblei-
bende Bewegung wird als FührungsbelVegung dem Koordinatensystem überlagert und durch die
Formel 29.56 erfasst. Weil die Ableitung des Dral Ivektors sich in dieser Formel auf das bewegte
Koordinatensystem bezieht, verschwindet dieser Anteil, wenn der Drallvektor im bewegten Ko-
ordinatensystem konstant ist. Der Winkelgeschwindigkeitsvektor im ersten Anteil ist dann nur
die iiberlagerte Führungsbewegung (folgendes Beispiel), und der Drallsatz vereinfacht sich zu
- drA _ -
MA = -dl = (J)F X LA (29.62)
Diese vereinfachte Form darf also angewendet werden, wenn der Drallvektor konstant ist bezüg-
lich des verwendeten Koordinatensystems, das sich selbst jedoch gegenüber einem festen System
mit der "Führungs-Winkelgeschwindigkeit" WF dreht.
Beispiel:I
I_ _ _ _ EUl synillletnscher Kretsel rouert rrut der konstanten Wtn- •1W F
kelgeschwindigkeit (J)K in einem Rahmen um seine Hauptzenu'alach-
se I. Der Rahmen wird mit der konstanten Winkelgeschwindigkeit WF A I f I,
gedreht. Die Masse des Rahmens soll vernachlässigt werden, um die
~
Wirkung dcs "gcführten Kreisels" zu untersuchen.
Gegeben: h = h, a.
J"V
JI, WK, WF·
(29.63)
Der Bezugspunkt 0 fLir den Drall lo ist der in Ruhe befindliche Punkt des Kreisels (Sehnilt-
punkt der beiden Drehachsen), es braucht nicht der Schwerpunkt zu sein. Der Drall 29.63 mit
konstanten Massenträgheitsmomenten gilt eigentlich nir das mit dem Kreisel bewegte Haupt-
achsensystem.
29.6 Räumliche Bewegung starrer Körper 593
M= [J1+(JI-h)::cosa] wFwKsina·ez
= [JI+(JI-h)::cosa] WFXWK
Dies ist das Moment, das auf den Rahmen wirkt. Es ist üblich, gera-
de das entgegengesetzt wirkende Moment. das auf die Lager wirkt, Abbildung 29.38: La-
anzugeben (realisiert dureb Vertauschen der Faktoren des Vektor- gerreaktionen erzeugen
produkts). Es ist das das MomenlM
Kreiselmoment:
- K = [J,
M + (./1 -h ) WF
WK cosa ] WK
_ X Wp
_ (29.64)
Ein symmetrischer Kreisel (Rotor) dreht sich wn seine Hauptzentralachse I mit der Wil,-
kelgeschwindigkeit WK (.11 ist das Massenträgheitsmoment bezüglich der Achse I, h das
Hauptträgheitsmoment einer dazu senkrechten Achse). Der Bewegung des Kreisels wird eine
Führungsbewegnng WF überlagert (die Drebachsen von WK und WF schließen den Winkel a
ein).
Dann müssen die Lager (zusätzlich zu den anderen Belastungen, z. B. das Eigengewicht) das
Kreiselmoment 29.64 aufnehmen, dessen Vektor stets senkrecht auf den Drehachsen von WK
und WF steht, so dass die Lagerreaktionen mit WF umlaufen.
oe:> In der Maschinendynamik wird häufig nur der erSte Summand von 29.64 berücksichtigt.
Dies ist kon'ekt, wenn die Drehachsen von OJK und OJF senkrecht zueinander sind (dann
gilt: cos a = 0), aber auch dann gerechtfertigt, wenn OJF wesentlich kleiner als OJK ist. Die
vereinfachtc Formel
MK = II WK X WF (OJF « OJK) (29.65)
darf z. B. verwendet werden, um den Einfiuss der Drehung um eine Querachse eines Flug-
zeugs beim Start und bei der Landung bzw. um eine vertikale Achse beim Kurvenfiug auf die
Lager der Triebwerksturbine zu untersuchen. Auch die Drehungen um die Querachse eines
Schiffcs ("Stampfen") auf die Lagerkräftc der (in Längsrichtung liegenden) Antriebswelle
werden nach 29.65 erfasst.
oe:> Auch für den Sonderfall OJK = 0 kann 29.64 nützlich sein. Die kleine Umformung
MK = [li + (li -h) :: cosa] OJKel x WF = [li OJK + (11 -h) OJFcosa] el x WF
Beispiel 2: I
I_ _ _ _...,j In Kollermühlen verstärkt d,e Kre.selwtrkung die Kraft,
die der Läufer auf die Mahlplatte aufbringt. Der skizzierte Läufer wird
mit der Winkelgeschwindigkeit OJF um eine zentrale Achse bewegt.
Er rollt auf einem Kreis mit dem Radius r' = Rcosß + rsinß mit
dcr Bahngcschwindigkcit v, so dass sich dcr Läufcr (rcincs Rollen
vorausgesetzt) mit der Winkelgeschwindigkeit
3'
,
um seine eigene Längsachse dreht. Da die beiden Winkelgeschwin-
a
digkeiten von gleicher Größenordnung sind, muss das Kreiselmoment
I
nach 29.64 aufgeschrieben werden. Die Skizze unten zeigt die Rich- "
tungen der Hauptachsen filr die Hauptträgheitsmomente II und h.
3R. Grammel: Der Kreisel. Verlag Friedrich Vieweg & Sohn Braunschweig. 1920
29.7 Aufgaben 595
Mit dem Winkel a = ~ + ß erhält man nach der Definition des Vektorprodukts ein rechtsdrehen-
des Moment mit dem Betrag
M K = [11 + (11 -1)) :: cosa] WK wFsin a = [11 ~ cosß +1) sin ß] w~cosß
das (zusätzlich zur Komponente, die das Eigengewicht des Läufers liefert) eine Kraft FN = ~K
auf die Mahlplatte aufbringt (senkrecht zur Oberfläche der Mahlplatte).
29.7 Aufgaben
Allfgabe 29.1:
I_';';
I
....1 DlC an cmcm masseloscn SeIL hängende Massc In wlrd zur
Zeit t = 0 freigelassen. Bei der Abwärtsbewegung rollt das Seil von der sich R M
reibungsfrei drehenden zylindrischen Rolle (Masse M, Radius R) ab. --.8...-
Gegeben: M = 20kg; In = 5kg.
a) Man bestimme für die Masse", den nach 5 s zurückgelegten Weg und
ihre Geschwindigkeit zu diesem Zeitplillkt. m
b) Wie groß ist die Kraft Fs im Seil während der Bewegung"
Allfgabe 29.2:
I_';';
I
....1 Eme Kugel mit der Masse", rollt (ohne
B
zu gleiten) von B (aus der Ruhelage heraus) nach A und
dann auf einer schiefen Ebene aufwärts.
Gcgebcn: h = Im; a = 30 0 ; In = I kg.
a) Man ermittle die Zeit, die vom Passieren des Punktes A bis zum Erreichen des höchsten
Punktes auf der schiefen Ebene vergeht.
b) Wie groß sind die NormaLkraft FN und die Haftungskraft Fli zwisehen Kugel und seniefer
Ebene?
Allfgabe 29.3: I
I_ _ _ _ _.... Em konstantes Antnebsmoment M A an emer ScheIbe Illlt
dem auf den Drehpunkt bezogenen Massenträgheitsmoment 1 1 hebt die Mas-
sen 1Il2 (zylindrische Rolle) und II1J, die durch einen masselosen starren Stab
verbunden sind.
Gegeben: R, ml 1 Jt=~mlR2, 1Jl2=4rn.1, m3=12ml.
Man ermittle
a) die Beschleunigung aJ der Masse InJ,
b) die Kraft Fs im Stab zwisehen den Massen 1Il2 und IIlJ.
c) Wie groß muss das Antriebsmoment MA mindestens sein, damit sieh die
Masse "'3 aufwärts bewegt?
596 29 Kinetik starrer Körper
I
Aufgabe 29.4: I
Um das Massenträgheitsmoment Js eines Zahnrades mit
r
Ein Massenp"nktsystem setzt sich aus n Masscnpunktcn zusammen, zwischen denen starre oder
nicht starre Bindungen bestehen können. Seine Lage kann in jedem Fall durch 3n Koordinaten
im Raum eindeutig beschrieben werden. Dic 3n Freihcitsgradc, die das freic Massenpunktsystem
hätte, können durch starre Lager und starre (kinematische) Bindungen der Punkte untereinander
reduziert werden (Zwangsbedingungen). Auf die einzelnen Punkte können äußere Kräfte (ein-
schließlich der Lagerkräfte) einwirken.
Dcr starre Körper (Kapitel 27 und 29) ist ein Sonderfall des Massenpunktsystems mit unendlich
vielen unendlich kleinen Massenpunkten, die sämtlich starr miteinander verbunden sind.
y _-:-s ' I/
~ r
Dic auf m; wirkendcn äußeren Kräftc (einschlicßlich dcr Lagcrrc- zi
aktionen) werden in einem Vektor zusammengefasst, der nut dem ----- r: '
Index i gckcnnzcichnct ist. Die nach dcm Freischneidcn des Mas- x '-. s •
senpunktes sichtbar werdenden inneren Kräfte erhalten zwei Indi-
zes (Abbildung 30.1). Es gilt das Wechselwirkungsgesetz: m].__ ;:!i.~
Fij = - Fji (30.2)
F.}l. F.tj , "" '
Nach dem dynamischen Grundgesetz 28.2 muss für jeden Massen- Abbildung 30.1: "'j und "'i
punkt gelten: im Massenpunktsyslem
__ k..... d2Pj
Fi + I Fij = mi - I
2 i = I. 2.... ,n (30.3)
j=1 ct
(k ist die Anzahl der inneren Bindungen des Massenpunkts m;). Summiel1 man die n Gleichungen
30.3, so heben sich alle inneren Kräfte wegen 30.2 auf, und unter Ausnutzung der Ableitung von
30. I nacb dcr Zeit für die Summe auf der recbten Seite crhält man dell
d2Ps
I Fi = m dt-
__ 11 __
Schwerpunktsatz: FR = -0- = mas (30.4)
i~1
Der Schwerpunkt eines Massenp"nktsystems bewegt sich so, als ob in ihm die Gesamtmasse
des Systems konzentriert wäre lind als ob alle äußeren Kräjie an ihm angreifen lviirden.
Der Ausdruck auf der rechten Seite von 30.3 ist die Ableitung des Impulses Pi = milli des Mas-
senpunkts mi nach der Zeit (bei vorausgesetzter konstanter Masse mi). Wenn der Gesamtim-
puls des Massenpunktsystems als Summe der Impulse der einzelnen Massenpunkte entsprechend
P = [Pi definiert wird. kann 30.4 auch in der Form
_ = LFi
FR "_ = -d ("
Lih ) = -d ( Lm.jVj
" ) = -d ( Emj--..!.
" Ur.) =dp- (30.5)
i-I dt i-I dt i~1 dt ,~1 dt dt
geschrieben werden. Mit der Ableitung von 30.1 nach der Zeit wird daraus der
Beispiel I:I
I_"";_ _..1 E1I1 Mcnsch 111 c1l1cm Boot, das sich 111 Ruhc befindet, schlcßt C1l1 Gcschoss (Massc
111 = 50g) mit der Anfangsgeschwindigkeit vo = 800mJs in horizontaler Richtung ab. Mensch,
Boot und Gewehr haben die Gesamtmasse M = 150 kg.
Unter der Annahmc, dass die Einwirkung äußcrcr Kräfte vernachlässigt wcrdcn darf, kann dic
Geschwindigkeit, die dic Masse M unmittelbar nach dem Schuss hat, mit dem Impulscrhaltungs-
satz bercchnct werden. Vor dcm Schuss ist dcr Gesamtimpuls des Systcms (Mensch, Boot, Ge-
wehr, Geschoss) gleich Null (alles ist in Ruhe), nach dem Schuss tragen sowohl M als auch 111
einen Beitrag zum Gesamtimpuls bei, dessen Summe aber unverändert Null ist:
m
0= mvO+MVM VM = - M Vo = -0,267m/s
Da die Geschwindigkeit des Geschosses positiv angenommen wurde. bedeutet das negative Vor-
zeichen für VM, dass sich das Boot in entgegengesetzter Richtung bewegt. Der errechnete Wert ist
ci ne gute Näherung für die Anfangsgeschwindigkeit des Bootcs, dic sich naüirlich sehr schnell
durch Einwirkung äußerer Kräfte (Bewegungswiderstände) verringert.
oe:> Man beachte, dass beim Impulssatz die Wirkungslinie der Resultierenden der äußercn Kräfte
(wie beim Schwerpunktsatz) nicht durch den Schwerpunkt des Massenpunktsystems verlau-
fen muss, beim Impulserhaltungssatz dürfen die äußeren Kräfte durchaus ein resultierendes
Moment haben. Deshalb liefern diese Sätze auch keine Aussage über eine eventuelle Dre-
hung des Massenpunktsystems.
Wenn (wie bei der Herleitung des Impulssatzes) der Ausdruck auf der rechten Seite von 30.3 als
Ableitung des Impulses Pi = milli des Massenpunkts lI1i nach der Zeit aufgefasst wird, erhält man
nach Multiplikation der Gleichung auf beiden Seiten mit T,:
30.1 Schwerpunktsatz, Impulssatz, Dralls.tz 599
rj - f, rj x fij
x F; + i-
- = rj X -Id (I11;V;) i= 1,2, . .. ,n (30.7)
)=1 ct
Es werden wieder alle /l Gleichungen 30.7 addiert. Dabei heben sich sämtliche Momentantei-
le der inneren Kräfte auf, da die Kräfte paarwcise (an untcrschiedlichcn Angriffspunkten, aber
auf gleicher Wirkungslinie entgegengesetzt gleich groß) vorhanden sind. Auf der linken Seite
entstcht das resultiercndc Moment aller äußercn Kräfte:
"d n d
E-
.... n .....
Mo = Eri x F; = Er; x - (m;vi) = [r; x (miv,)] (30.8)
;=1 ;=t dt ;=1 dt
Dic Ableitung nach der Zeit auf dcr rechtcn Seite von 30.8 durfte vor das Vektorprodukt gezogcn
werden, wcil beim Differenzicren des Produkts
_ ) I = -M; x (m'v'
d [_r' x (rn'v' _ ) +r'
_ x -d (m'v'
_) v' X (Jn'V'
_ ) +r' x -d (m'v'
_)
-dt I I / dl I / , dt 1 I = I I I I dt I I
dcr crstc Summand vcrschwindct (v; und m;v; habcn glciche Richtung). Ocr Ausdruck
Li =ri x (mi Vi) (30.9)
ist das IrnpI/lsmome/1/ (Drall) des Massenpunktes m; bezüglich dcs festen Koorctinatenursprungs.
Dic Summe der Impulsmomente 30.9 aller Massenpunkte ist der Gesamtdrall des Massenpunkt-
systems, und 30.8 geht damit über in dcn
IlIlp/llslllolllente/lsatz (Drallsatz):
-
MO=-
dlo mit " x (m;v,)
lo = Er; (30.10)
dt ;=1
Die Ableifllng des Gesamtdralls eitles Masse/lpI/nktsystems /lach der Zeit ist gleich dem resI/l-
tierenden äußeren Moment.
Sonderfall: Ist das resultierende äußere Moment gleich Null, dann bleibt der Gesamtdrehim-
puls eines Masscnpunktsystems konstant (DralierhaltI//lgssarz).
<:> Die formale Übereinstimmung von 30.10 mit dem für den starren Körper gefundenen DraLl-
satz 29.52 bestätigt, dass dcr starre Körpcr als Sondcrfall dcs Masscnpunktsystcms angcsc-
hen werden darf. Wenn die Summe in 30.10 über "unendlich viele unendlich kleine" Mas-
senpunkte dm erstrcckt wird, entsteht die Integral-Formel 29.49.
<:> Der Drallsatz 30.10 für ein Massenpunktsystem darf also als allgemeine Formulierung ange-
sehen werden (für Massenpunktsysterne und starre Körper). Der Drall setzt sich gegebenen-
falls summarisch aus Anteilen (fur Massenpunkte) nach 30.9 und (für starre Körper) nach
29.54 zusammen. Die (praktisch sehr wichtigen) Sonderfälle "Rotation um eine feste Ach-
sc" bzw. "ebene Bewcgung" mit den für dcn starren Körpcr besonders einfachcn Formeln
29.6 bzw. 29.34 sind auch in 30.10 enthaltcn. Für dcn Massenpunkt, der um eine feste Achse
rotiert (bzw. eine ebene Rotation um einen festen Punkt ausfUhrt), vereinfacht sich 30.9 Zll
Li = mir; v.. = /Hirt ro (30.11)
<:> Der Drallsatz für das Massenpunktsystem 30.10 gilt für einen festen Bezugspunkt. Es lässt
sich zeigen (ist aber praktisch von untcrgeordneter Bedeutung), dass auch der Gesamtschwer-
punkt (wie bcim starren Körper) als Bczugspunkt verwendet werden darf.
600 30 Kinetik des Massenpunktsyslems
Beispiel 2:I
I_"";'_....1 Eine zylindnsche Welle 1 (Län-
ge: 2m, Durchmesser: 160 mm) ist mit ei-
ner zylindrischen Kupplungsscheibe (Dicke: F =:~===:.~"U
Ci
:n JI
Der Energieverlust ist die Differenz der kinetischen Energien im System vor bzw. nach dem
Kuppeln, so dass ftir den prozentualen Verlust Pv gilt:
~JI/(2;rllil)2_~(1{+JiI)(2;r,,)2 (J/+JI/ ,,2)
pv = 1 100% = I ~ - - - , 100%
'2 JiI (2;r 1111)2 JI/ Il'il
= (I -~)1{ + JiI
100% = _J_/- 100% =
J/ + JiI
IJ
2 + --='-L
J
100% '" 0,5%
W+K
oe;> Die Kupplungskraft F, Einzelheiten des Kuppluogsvorgangs und die Bauart der Kupplung
(z. B.: Reibscheibcn, ruckartiges oder sanftes Kuppeln) gehen in die Berechnung nicht ein,
wirken sich weder auf die Drehzahl noch auf den Energieverlust aus. Natürlich haben sie auf
die Kupplungszeit und die Beanspmehung der Kupplungselemente einen großen Einfluss.
Dies ist typisch: Mit dem Drallerhaltungssatz, dem Impulserhaltungssatz und dem Energie-
satz können Aussagen zu Bewegungszuständen gefunden werden, ohne die Übergangsphase
analysieren zu müssen.
30.2 Stoß 601
30.2 Stoß
Als Stoß wird das Aufeinandertreffen zweier Körper bezeichnet, wobei sich eine Bewegungsän-
derung ergibt. Die nachfolgend behandelte Theorie basiert auf folgenden Annahmen:
• Die Dauer t5 des Stoßvorgangs wld die Deformationen der Körper sind so klein, dass die
Lageänderung der Körper während des Stoßvorgangs nicht berücksichtigt werden muss. Die
Bewegungen dürfen nach der Theorie der starren Körper analysiert werden.
• Die Kräfte an der StoßsteIle sind so groß, dass dagegen die Wirkungen aller übrigen auf die
Körper wirkenden Kräfte während des Stoßvorgangs vernachlässigt werden dürfen.
Der Berührungspunkt der am Stoß beteiligten Körper wird
Stoßpunkt genannt, die durch den Stoßpunkt gehende Gera-
de senkrecht zur Berührungsebene (Tangentialebene beider
Körper) heißt Stoßnonnale (Abbildung 30.2).
Stoßnormale
Liegen die Geschwindigkeiten der Stoßpunkte der beiden Stoßpunkt
Massen unmittelbar vor dem Stoß in Richtung der Stoßnor- oSI
Die beiden Massen ml und m2 haben vor dem Stoß die Ge-
schwindigkeiten "1 bzw. "2 (111 > 112), nach dem Stoß die Ge-
schwindigkeiten VI bzw. V2 (Abbildung 30.3). Da äußere Kräf-
te vernachlässigt werden dürfen und die Kräfte an der Stoß-
stelle fur das Massensystem innere Kräfte sind, gilt immer der Abbildung 30.3: Massen und Ge-
Impulserhaltungssatz: schwindigkeilen vor dem Stoß
(30.12)
Dicse Gleichung enthält bei bekanntcn Masscn und bekannten Gcschwindigkeitcn vor dem Stoß
als Unbekannte die beiden Geschwindigkeiten der Massen nach dem Stoß. Für zwei Sonderfälle
lässt sich eine zweite Gleichung aufschreiben:
<> Beim lIol/kommen plastischen Stoß nimmt man an, dass die bei den Massen sich nach dem
Stoß gemeinsam bewegen, und damit gilt: VI = V2.
<> Beim lIol/komlllen elastischen Stoß wird angenommen, dass sich alle durch den Stoß hervor-
gerufenen Deformationen elastisch zurückbilden, so dass kein Energieverlust entsteht:
1 2 1 2 ' _ 2 1 _2
Zllli "1 +Z1ll2 "2 = ZII11 "1 + ZIII2V2
Für diese beiden TdeaWilIe können die Geschwindigkeiten VI und V2 aus jeweils zwei Gleichun-
gen mit zwei Unbekannten errechnet werden. Man erhält folgende
602 30 Kinetik des Massenpunktsyslems
_ 2m2v2+(mt-m2)Vt
Vollkommen elastisch: VI =
In, +m2
(30.14)
_ 2mtVt+(m2-mt)v2
v2 =
mt +m2
Für den interessanten Sonderfall gLeicher Massen liefern diese FormeLn mit mt = m2 = m:
oe:> Beim vollkommen plaseischen SIOß gleicher Massen bewegen sich diese danach nllt dem
arithmetischen Mittel ihrer Geschwindigkeiten vor dem Stoß:
I
VI =V2=2:(Vt+v2)
oe:> Beim vollkommen elastischen Stoß gleicher Massen tauschen diese ihre Geschwindigkeiten
aus:
VI = "2
Der vollkommen plastische und der vollkommen elastische Stoß sind die Grenzzustände des rea-
len Stoßvorgangs. Um diesen zu untersuchen, muss der Impulssatz für beide Massen gesondert
formuliert werden. Dabei ist zu beachten, dass dann die zwischen den Massen wirkende Stoßkraft
F(t) für die einzelne Masse jeweils zur äußeren Kraft wird (Abbildung 30.4).
cJ:J-0
Das Erfassen des realen Ablaufs eines Stoßes ist sehr schwierig.
Deshalb basieren die weiteren Überlegungen auf folgender Hypo-
these über den Stoßvorgang: Während einer Kompressionsperiode
(0::; t ::; tK) baut sich die Kraft F(t) von Null bis zu ihrem Maxi-
malwert auf. Zum Zeitpunkt tK bewegen sich die Massen mit der
O
gemeinsamen Geschwindigkeit VK. Ln der so genaMten Restituti- F(t)
---- F(t)
onsperiode (tK ::; r ::; es) geht die Kraft F(e) auf den Wert Null zu-
rück. Zum Zeitpunkt 15 ist der Stoßvorgang beende!. Auf der Basis
dieser Annahmen werden für beide Massen jeweilS der Impulssatz Abbildung 30.4: Stoßkraft
F(r) wird zur äußeren Kraft
28.25 für die Kompressionsphase formuliert:
.!
IK ~
.!
ts ts
IllI(Vt-VK)=-.! F(r)dt=-JR 1112 (V2 - VK) = F(t) dt = IR
I=IK l=fK
Die Stoßzahl k kann experimentell ermittelt werden und wird für die weiteren Betrachtungen als
bekannt vorausgesetzt. Damit stehen für fünf Unbekannte (VI, v2, VK, !K, und IR) fünf Gleichun-
gen zur Verfügung, die vier Impulssätze für Kompressions- und Restitutionsphase beider Massen
und 30.15. Wcnn vK,!K und IR climiniert wcrdcn, vcrbleiben dic beidcn
<> Es ist ein positiver Richtungssinn zu definieren, der dann rur alle vier Geschwindigkeiten in
den Fonnein 30.16 gilt.
<> Die crste Gleichung 30.16 ist der Impulserhaltungssatz, die zweite kann als Definitionsglei-
chung für die Stoßzahl k angesehcn werdcn. Diese nimmt Werte im Bereich
O::;k::;1
an. Mit den Grenzwerten für k sind die beiden Idealfälle des Stoßvorgangs in den allgemei-
nen Gleichungen 30.16 enthalten:
k=O VI =V2 (vollkommen plastisch)
k=l VI - \)2 = "2 - vI (vollkommen elastisch)
Währcnd dcr Gesamtimpuls bci eincm Stoßvorgang erhaltcn bleibt, ergibt sich (mit Ausnahmc
des vollkommen elastischen Stoßes) ein EnergieverLusf (exakter: Verlust an kinetischer Energie).
Aus der Differenz der kinetischen Energien vor und nach dem Stoß
I 2 I 2 I -2 I -2
!'J.Tkin = 21111 VI +211l2V2- 2mt Vt-2m2v2
ergibt sich mit VI und V2 aus 30. I6 nach etwas mühsamer Umformung die Formel für den
Beispiel I .. I
I_ _ _ _...I Zur Ermittlung der Stoßzahl wIrd ein so genannter RiicksprungverslIch ausgeführt:
Eine Massc I1lt wird in der Höhe H fallengeJasscn und trifft auf eine ruhende sehr große Masse
11l2. Die von 1111 erreichte Riieksprunghöhe" wird gemessen. Unter der Voraussetzung, dass die
Versuchsbedingungen die Vernachlässigung des Luftwiderstands gestalten und die Masse fIl2 als
schr groß gegenübcr 1111 angesehen werden darf (fIl2 - ; 00), kann die Stoßzahl k berechnet werden.
Aus dem Impulssatz folgt (nach Division durch fIl2) mit 1112 -; 00 und V2 = 0 (Geschwindigkeit
vor dem Stoß), dass fIl2 auch nach dem Stoß in Ruhe ist (V2 = 0). Die Auftreffgeschwindigkeit
(Geschwindigkeit vor dem Stoß) der Masse 1111 folgt aus dem Energiesatz
I 2 ~
IIIlgH = 2111tVI =;. vI=V2gH
604 30 Kinetik des Massenpunktsyslems
ebenso die Geschwindigkeit nach dem Stoß mit der gemessenen Rücksprunghöhe h:
I
2I11vf=m,gh => vl=-J2g/t
Das negative Vorzeichcn für VI muss gcwählt werdcn, weil AuftTeff- und Rücksprunggeschwin-
digkeit unterschiedliche Richtungen haben. Die Stoßzahl errechnet sich nach 30.16:
k= VI -v2 = -..;2ili-0 = (h
VZ-V, 0-J2iFf Vfi
<> Die Stoßzahl k darf nicht als Materialkonstante angesehen werden. Neben den Materialei-
genschaften bei der am Stoß beteiligter Körper ist sie von zahlreichen anderen Einflüssen
(Körperformen, Aufprallgeschwindigkeiten. umgebendes Medium) abhängig. so dass für
genauere Untersuchungen spezielle Versuche (möglichst realitätsnah) zur Ermittlung von k
erforderlich sind.
Beispiel 2: I
I_"';'_.....1 EII1 Fahrzeug I1J.Jt der Masse Inl = 1200 kg fährt auf em stehendes Fahrzeug (Masse
1112 = 1000kg) auf, das mit blockierten Rädern dadurch um die Strecke Sz = 16m verschoben
wird. Wie groß war die Auffahrgeschwindigkeit VI, wenn die Stoßzahl k = O. 15 und ein Gleit-
reibungskoeffizient zwischen Fahrzeug und Straße von }.l = 0,5 angenoI1J.Jnen werden dürfen?
Der Energiesatz für die Bewegung von 1112 nach dem Stoß v, v, ~ 0
(Abbildung 30.5, untere Skizze) liefert die Geschwindigkeit r:o","='-=,------,
vz, die dieses Fahrzeug unn1.ittelbar nach dem Stoß hat:
Im, m, I
~~=!=~""'-...,-.,--,-...,--
( ::««;, (/..,' :~
I
2111z v~ - }.l 1112 gS2 = 0 => V2 = J2}.lgs2
v,
Für den Stoß gelten die Gleichungen 30.16:
VI -V2
k=--
-VI 5,
Nach Elimination der nicht interessierenden Unbekannten VI
(Geschwindigkeit von 1111 unmittelbar nach dem Stoß) ver- Abbildung 30.5: Bewegung der
bleibt eine Gleichung fLLr VI: -Masse nI2 nach dem Stoß
11l\ +m2 In] +m2 ~
VI= ( )V2= ( )v2}.lgsz=19,97m1s=7I,9kmlh
1111 I +k 1111 1 +k
Beispiel 3: I
I_"";_ _...1 Für verschiedene technologISche Verfahren (Hämmern, SchmIeden, Rammen, ...),
bei denen ein Werkzeug (Masse 1111) mit der Geschwindigkeit VI auf ein ruhendes Werkstück
(Masse 1112) stößt, ist der mit 30.17 zu berechnende "relative Energieverlust" q; = 6[,::,' ein Maß
für die Effektivität des Verfahrens (Tki>l = ol:1111VT ist die kinetische Energie des Werkzeugs 1111
unmittelbar vor dem Stoß, der Querstrich bei q; soll Verwechslungen mit dem in der Umform-
technik anders definierten UmJormgrad cp vorbeugen). Mit V2 = 0 in 30.17 errechnct man:
2
-cp = tJ. Tki>l = (I _ k 2 ) 1112 1- k
T, 1111+II1Z "'l+1
1111
Bcmcrkenswert ist, dass die Geschwindigkeit des Werkzeugs VI in das Ergebnis nicht eingeht.
Wenn große Wcrte für q; gewünscht sind (z. B. beim Schmieden), sollte das Verhältnis "'l
1112
klein
30.2 Stoß 605
sein (da der Hammer des Schmieds nicht beliebig klein sein kann und das Werkstück vorgegeben
ist, muss 1112 durch einen schweren Amboss "künstlich vergrößel1" werden). Dagegen ist die
Verwendung eines leichten Hammers der sicherste Weg, den Nagel, der eingeschlagen werden
soll, zu vcrbiegen. Die Tatsache, dass es Menschen gibt, die mit jedem Hammer jeden Nagel
krumm schlagen, widerspricht dieser Aussage nicht.
Der schiefe Stoß gegen eine starre glatte Wand ist als wichtiger
Sonderfall in 30.18 enthalten. Mit V2 = 0 und "'2 ---> ~ ergibt sich:
v)' = VJ' VX = -k Vx (30. 19)
(Geschwindigkeitskomponente senkrecht zur Stoßnormalen bleibt
konstant, Geschwindigkeitskomponente in Richtung der Stoßnor-
malen wird mit dem Faktor k reduziert und ändert ihre Richtung).
Außcrdem entnimmt man der Ahbildung 30.7:
vy _ vy
tana = - tana = - - Abbildung 30.7: SLOß gegen
Vx Vx
eine starre glatte Wand
und damit en'echnen sich a und v aus:
- I
tana = - tan a (30.20)
k
606 30 Kinetik des Massenpunktsyslems
Beispiel: I
I_....;__ Ein an einem Faden hängender Mas-
senpunkt 1111 wird ohne Anfangsgeschwindigkeit
I
losgelassen und slößt auf einen ruhenden Mas- ~
senpunkt 1112 (Stoßzahl kj). Die Bewegungen bei-
der Massenpunkte nach dem Stoß sollen analysiert
~m2
werden (k2 ist die Stoßzahl für den Aufprall der ,Y,
Masse 1112 auf den starren Untergrund). x,
-~-
Gegeben: h = 50 cm kl = 0,6
f1l2
H=30cm; k2=0,5; -=3
J1l1
Die Geschwindigkeit VI der Masse 1111 vor dem Stoß ergibt sich aus dem Energiesatz:
I 2 ~
I1llgh='2I1lIVI => vI=v 2g h
Aus den Formeln rur den geraden zentrischen Stoß 30.16 werden die Geschwindigkeiten beider
Massen nach dem Stoß ermittelt:
I-k 1/1/1
!!!.2.
VI I ~ 2 2
VI = -1-+~!'!4""-vl = -5 = -SV 2 g h V2 =kl VI +VI = -VI = -..j2gh
m, 5 5
Dies sind die Anfangsgeschwindigkeiten der Bewegungen beider Massen nach dem Sloß. Die
°
Masse Inl pendelt nach links zurück (VI ist negativ), und die Masse 1112 führt eine Wurtbewe-
gung aus. Diese wird mit den Gleichungen, die das Beispiel auf Seite 516 lieferte. mit a =
(horizontale AbwUlfgeschwindigkeil) im xl-YI-Koordinalensystem beschrieben:
I g
Y, = __ g/2+H => YI = ---=2.<f+H
2 2~
IVI - -R2H_~6
21'2 - - -hH -_4-v'hH -_ 30,98cm
g 25 5
M
Die Geschwindigkeitskomponenten am Auftreffpunkt berechnen sich entsprechend:
• 2
v.=v2=-V2gh ~ /• = 2-
'5 g
Nach 30.19 crgeben sich daraus die Komponentcn der Anfangsgcschwindigkeit der zweiten
Wurtbewegung:
vx• = vx• = -52 J2ih
2gh -21.fiiH
2gH . = '-k2
v) .
) v' =
Damit kann das Bewegungsgesetz der zweiten Wurfbewegung aufgeschrieben werden:
Y2
v; (
= _* X2 -
I g
-
2)
7':"'4<.,....,.. X2
Vx 2vxvJ
Daraus errechnet sich z. B. die Wurfweite IV2:
4
IV2 =X2()'2 =0) = Sv'hH =30,98cm
30.2 S,oß 607
Da beim exzentrischen Stoß (vgl. dic Definition am Anfang des Abschnitts 30.2) die Stoßnor-
male nicht durch die Schwerpunkte der beiden Massen verläuft, ergibt sich ftir mindestens einen
der beiden Körper ein Moment der Stoßkraft bezüglich seines Schwerpunkts. Dadurch wird zu-
sätzlich zur Translation noch eine Rotation hervorgerufen.
Im allgemeinen Fall bewegen sich die Massen vor dem Stoß mit v,
bzw. V2 (Translationsbewe-
gungen der Schwerpunkte) und (0, bzw. Oll (Winkelgeschwindigkeiten der Rotationen). Nach
dem Stoß werden die Bewegungen dann durch die GCSchwiJldigkeiten v" Vz und die Winkelge-
schwindigkeiten ill" illz beschrieben. Die Bestimmungsgleichungen für die zusätzlichen Unbe-
kannten liefel1 der Drallsatz (bei rauen Oberflächen kommen gegebenenfalls auch kinematische
Zwangsbedingungen llinzu).
Wie bcim schiefcn zel1lrischen Stoß werden für die folgcnden Umersuchungen glalle Oberflä-
chen angenommen. es soll auch weiter die Definition der Stoßzahl
k = vl..,' - vz,x (30.21)
V2,x - Vl,x
gelten (x ist die Richtung der Stoßnormalen): Zähler bzw. Nenner sind die Differenzen der Ge-
schwindigkeitskomponel1len des Stoßpunktes in Richtung der Stoßnormalen vor bzw. nach dem
Stoß (Reihenfolge so, dass k positiv wird).
1m RegelfaJJ müssen DralJsatz und lmpulssatz auf jeden Körper eiJ1Zeln 3Jlgewendet werden, so
dass dic an dcr StoßsteIle übertragenc Kraft in die Beziehungcn eingeht (die zusätzlichc Glei-
chung zur Elimination dieser zusätzlichen Unbekannten ist durch 30.21 gegeben). Nur im Aus-
nahmcfall (nachfolgcndcs Bcispiel I) kann der Drallcrhaltungssatz gcmcinsam für beidc Körper
(mit Bezug auf einen gcmeinsamen festen Punkt) aufgeschriebcn werden, so dass die an der
Stoßstelle übertragene Kraft als innere Kraft nicht in die Rechnung eingeht.
Besondere Bedeutung haben die FäJJe, bei denen mindestens einer der bei den am Stoß beteiligten
Körper (drehbar) gelagert ist. Dabei ist zu beachten, dass durch den Stoß auch in den Lagern
Kräfte hervorgerufen werden, die nicht gegenüber den Kräften an der StoßsteIle vernachlässigt
werden dürfen, weil sie in der gleichen Größenordnung wie diese sind.
Beispiel}:I
I_ _ _ _...I EII1 Massenpunkt In,
stößt gegen ell1en bel A drehbar
gelagerten Körper (Masse I1IZ, Massenträgheitsmoment bezüglich A
des Punktes A: 12A), der sich vor dem Stoß in Ruhe befand. Gesucht
sind V, und illz unmillelbar nach dem Stoß.
Gegeben: ml, VI I nl2, J2A, I, s, k.
'S
Da 1112 vor dem Stoß in Ruhe ist und nach dem Stoß eine reine Dreh-
bewegung mit ill2 ausfülu1 (der Stoßpunkt bewegt sich dann mit der
Bahngeschwindigkeit Vz = illzl), gilt
vr-illz'
k = ---'--------'=---
-v,
608 30 Kinetik des Massenpunktsyslems
Als zweite Bestimmungsgleichung darf der Drallerhaltungssatz bezüglich des Punktes A aufge-
schrieben werden (Gesamtdrall beider Massen vor bzw. nach dem Stoß):
1111 VII = 1111 VII +12;\ (02
Aus diesen beiden Gleichungen errechnet man die Geschwindigkeiten nach dem Stoß:
I -k 12;\
I+k VI "11 /2
(30.22)
(02 = 1+ 12;\ VI = I+ h" VI
I11IP 1111/ 2
Die für viele Probleme in der technischen Praxis interessante Frage, unter welchen Bedingungen
die infolge des Stoßes im Lager A hervorgerufene Kraft Null ist, kann mit folgender Überlegung
beantwortet werden: Die Lagerkraft als fur das Massensystem (einzige) äußere Kraft müsste
beim Aufschreiben des Impulssatzes mit einem entsprechenden Integralausdruck berücksichtigt
werden. Wenn sie Null wird, kann dieser Anteil entfallen, und nur für diesen Fall darf der
Impulserhaltungssatz verwendet werden:
Mit den bereits berechneten Werten für VI und (02 ergibt sich daraus ein verallgemeinerungsfä-
higes Ergebnis. Es ist die
Der Stoßmittclpunkt liegt im Abstand /' von dcr Wirkungslinie der Stoßkraft auf einer Senk-
rechten zur Wirkungslinie, die durch den Schwerpunkt des Körpers geht. In 30.23 sind s der
Abstand des Schwerpunkts vom Stoßmittelpunkt, h" das auf den Stoßmittelpunkt bezogene
Massenträgheitsmomcnt, 1112 dic Massc dcs Körpers.
c:> Wenn im Beispiel I das Lager A in dem durch 30.23 gegebenen Abstand vom Stoßpunkt
liegt, treten in ihm keine Kräfte infolge des Stoßes auf. Bei stoßartig belasteten Bauteilen
(Schlagwerke, Typenhebel, ...) sollte diese einfache A11, Lagerbelastungen zu minimieren,
unbedingt genutzt werden. Ein Schmied weiß getUhlsmäßig (im wahrsten Sinne des Wortes)
sehr genau, wo der Stoßmitteipunkt seines Hammers ist.
c-:> Die hohe Geschwindigkeit einer kleinen Masse (Geschoss) kann mit einer Versuchsanord-
nung nach Beispiel I experimentell ermittelt werden. Der hängende Körper m2 wird so gefer-
tigt. dass 1111 eindringt und stecken bleibt (ideal plastischer Stoß). Man misst den maximalen
Winkelausschlag ({>""" der Masse 1112. lhr Schwerpunkt hebt sich also um s( 1 - cos ({>"",x),
und man kann mit dem Encrgiesatz
'2/I -2
2A (02 =
(
mgs I - eos CPmax)
(02 ermitteln. Damit ergibt sich aus 30.22 unter Beachtung von k = 0:
VI = (I + 12;\2) / (02
1111/
30.2 SIOß 609
Das nachfolgende Beispiel behandelt den typischen Fall: Der Drallsatz muss für jeden Körper ge-
sondert formuliert werden, weil unterschiedliche Bezugspunkte gewählt werden müssen. Dabei
wird der DraJJsatz 30.10 über die gesamte Stoßzeit IS integriert (die unterschiedlichen Verhältnis-
se in Kompressions- und Restitutionsperiode, die auf die Definition der Stoßzahl führten. werden
auch weiterhin über diese erfasst). Für das ebene Problem kann auf eine vektorielle Formulierung
verzichtet werden:
.I
'5
Beispiel 2:I
I_"";_ _...1 EIIl be, A drehbar gelagerter Körper I (Massemräghelts-
B
moment bezüglich A: JIA) stößt mit der Winkelgeschwindigkeit Wt
auf einen bei B drehbar gelagerten Körper 2 (Massen trägheitsmoment
bezüglich B: hn), der sich vor dem Stoß in Ruhe befindet.
Gegeben: WI· JIA· hn, It , 12, k.
Es sollen die Gleichungen aufgeschrieben werden, mit denen die Win-
kelgeschwindigkeiten beider Körper unmittelbar nach dem Stoß be-
rechnet werden können.
"-
normalen VI = 11 WI und V2 = 0 vor dem Stoß und den Werten
J 1A
P
VI = I, NI bzw. V2 = -12 N2 nach dem Stoß (rechtsdrehende
Winkelgeschwindigkeiten sollen für beide Körper positiv sein) F{t)
gilt nach 30.21: F{t) ---....:
A '-----~
Für die beiden Körper werden Gleichungen nach 30.24 mit den Bezugspunkten A bzw. B fonnu-
liert, in die die Stoßkraft F(I) eingeht (glatte Flächen, F(I) in Stoßnormalen-Richtung):
.I .I
fj ts
MA(I) dt = -11 F(I) dt = -11 fs = JIA NI -JIA WI
(=0 1=0
.I .I
's ts
Mn (I ) dl = -12 F(I) dt = -12fs = hn N2
(=0 (=0
oe:> Natürlich könnte auch der Kraftstoß fs berechnet werden. Mit dem Impulssatz (je zwei
Gleichungen für die beiden Körper) könnten vier weitere Gleichungen formuliert werden,
in die die vier Komponenten der von den Lagern aufzu nehmenden Kraftstöße eingehen,
so dass diese berechnet werden könnten. Allerdings sind damit nicht die durch den Stoß
hervorgerufenen Kräfte bekannt, so dass diese Berechnung wenig praktisChen Nutzen hat.
30.3 Aufgaben
I
Aufgabe 30.1: I
Die Masse 1111 wird in der Höhe hl ohne
Anfangsgeschwindigkeit losgelassen, bewegt sich reibungsfrei
und stößt bei A auf die ruhende Masse 1112 (Stoßzahl k).
1112
Gegeben: - = 4 ; k=O,S; h1.
Inl
Auf welche Höhe h2 gleitet 111 I nach dem Stoß zurück, wie groß
A
ist die Geschwindigkeit von 1112 unmittelbar nach dem Stoß?
Allfgabe 30.21
I Der skizzierte Holzhammer besteht aus ei-
nem Quader und einem zylindrischen Griff, der als diinner
Stab angesehen werden darf.
X
Gegeben: 1111 = 170g ; a = Sem ; =1
.0
1112 = nOg ; b = 14cm ; 1= 30cm . =2
Aufgabe 30.31
I Ein Pendel I besteht aus einem
B
dünnen Stab (Masse 111 I) und einer Kreisscheibe =2 -
(Masse 1112), das Pendel 2 aus zwei dünnen Stäben
(Massebelegung pA). Pendel I wird aus der hori- Or~====I=V"q:: A
zontalen Ruhelage freigegeben und stößt in seiner ""
tiefsten Lage (Stoßzahl k) gegen Pendel 2. "
""
Gegeben: k = 0,5 / 1 = 5r " pA
"""
1111 = 1112 12 = Sr .> ,
1111
pA = - 13 = 3 r r = 0, I L1l •
r
Man ermittle
a) die Winkelgeschwindigkeit WI des Pendels 1 unmittelbar vor dem Zusammenstoß,
b) die Winkelgeschwindigkeiten WI und W2 der Pendel I und 2 unmittelbar nach dem Stoß,
e) den maximalen Pendelausschlag des Pendels I nach dem Stoß.
31 Schwingungen
Wenn sich bei einer Bewegung, die durch X(/) beschrieben wird, die Bewegungsrichtung mehr-
mals ändert (Wechsel des Vorzeichens der Geschwindigkeit x) und X(/) mehrfach den gleichen
Wert wieder annimmt, so spricht man von einer Schwingung.
Eine Bewegung, die sich regelmäßig nach einer Zeit T wiederholt, so dass
X(I + Tl = X(/)
gilt (vgl. Beispiel auf Seite 530), wird periodische Schwingung genannt. Die für eine Schwin-
gungsperiode benötigte Zeit T heißt Schwingungsdauer. Ihr reziproker Wert
I
J= - (31.1)
T
ist die SchwingungsJrequenz und gibt die Anzahl der Schwingungen pro Zeiteinheit an. Die Fre-
quenz wird mit der physikalischen Einheit Hz (Herlz) gemessen:
IHz=ls-1
liefert:
IIlX+CX=O (31.2) ~_x
X=ACOS(ß,/)+8sin(ß,/) (31.3) IF N
Die Integrationskonstanten A und 8 ergeben sich aus den Anfangs- Abbildung 31.1: Einfaches
Feder-Masse-System
bedingungen
X(l =0) =Xo X(I = 0) = 0 A =Xo 8=0
I Man überzeuge sich durch Einsetzen und/oder konsultiere das Thema ..GewÖhnliche Differenzialgleichungen" auf der
Internel-Site Mathematik/Ur die Technische Mechanik (www.TM-Mulhe.de).!liehe Hinweis auf Seite 314.
x = Xo cas ( fi t) (31.4)
Da die cos-Funktion die Extremwerte -I und + I annimmt, ist XQ der jeweils größte (positive und
negative) Wert, den x während einer Schwingungsperiode annimmt. die Amplitude. Besondere
praktische Bedeutung hat das Argument der cos-Funktion: Weil diese Funktion periodisch mit
211: ist, entspricht die Zeit, die bis zum Erreichen dicses Werts vergeht, der Schwingungsdauer T
einer Periode, und nach 31.1 ergibt sich die Schwingungsfrequenz:
~ T = 211:
V-;;;
'* T = 211: (fji
Vc
'* f = }", =
T
_1- ~
211:V-;;;
(3 I.5)
·
In der technischen Praxis ist es üblich, mcchanische Schwingungen durch dic Angabe der Kreis-
frequenz
W =
If
-
m
zu charaktcrisieren, die sich von dcr Frcqucnz f nur durch den Faktor 211: unterschcidct. Ocr
(31.6)
Begriff "Kreisfrequenz" erklärt sich aus folgender Analogie: Ein mit der konstanten Winkelge-
schwindigkeit w auf einer Kreisbahn umlaufender Punkt hat dieselbe "Frequenz" (Anzahl von
Umläufen) wie ein Schwinger mil der entsprechenden Krcisfrequenz. Man beachte die Analogie
der Zusammenhänge (vgJ. Gleichung 26.21 im Abschnitt 26.2.3):
w=211:f w=211:n (31. 7)
Kreisfrequenz H Frequenz Winkelgeschwindigkeit - Drehzahl
W fUhrt aber entsprechend 31.9 wieder auf eine harmonische Bewegung mit der gleichen
Kreisfrequenz. Es ergibt sich allerdings eine vergrößerte Amplitude
c= JA2+8 2
oe:> Die Lösung 31.9 hat den Vorteil, dass beide Integrationskonstanten interpretierbar sind. C
ist die Amplitude der Schwingung und die so genannte Phasenverschiebung ce bestimmt den
Zeitpunkt 10, zu dem die Schwingung erstmalig die Amplitude erreicht:
ce
cos(Wlo - ce) = I =? 10 = -
OJ
Ein schwingungsfahiges System, das nach einmaligem Anstoß (z. B.: Anfangsauslenkung oder
Anfangsgeschwindigkeit) sich selbst überlassen wird (und keinen äußeren "ErregerkräFten" mehr
ausgesetzt ist), fUhrt eine freie Schwingung (Eigenschwingung) aus. Fließt während der Bewe-
gung keine Energie ab, ist es einefreie ungedämpfte Schwingung.
Wenn bei einem Schwinger mit einem Freiheitsgrad (wie im Beispiel des vorigen Abschnitts) die
Riickstellkraft linear von der Bewegungskoordinate abhängt, wird die freie ungedämpfte Schwin-
gung immer durch eine Bewegungs-Differenzialgleichung der Form
(31.10)
beschrieben, und der Schwinger führt eine harmonische Bewegung aus. Die Kreisfrequenz der
Eigenschwingung wird Eigenkreisfrequenz genannt und ist bei linearen Schwingern, die durch
eine Differenzialgleichung des Typs 31.10 beschrieben werden, von den Anfangsbedingungen
unabhängig (die Beispiele I und 2 im Abschnitt 28.3.3 behandelten dagegen nichtlineare unge-
dämpfte freie Schwinger, deren Frequenzen von den Anfangsbedingungen abhängig sind).
Wenn der tatsächliche Bewegungsveriauf einer linearen Schwingung nicht interessiert (bei
den meisten Problemen der technischen Praxis ist dies der Fall), kann auf die Lösung der
Differenzialgleichung 3l.LO verzichtet werden, weil die wichtigste Kenngröße. die Eigen-
kreisfrequenz, direkt aus der Differenzialgleichung ablesbar ist.
Beispiel I: I
I_"";_ _...1 EIne zylIndnsche KreIsscheIbe Ist Im Schwerpunkt drehbar
c
gelagert und durch zwei Federn am Rand gefesselt. Für kleine Ausschläge
soll die Eigenkrcisfrcquenz dcr Drehschwingung ermittelt wcrdcn. m
Gegeben: c, m.
An der freigeschninenen Scheibe werden fLir die gewählte KoordjJ]aten-
c
richtung das d' Alcmbertsche Moment (reinc Drchbewegung, Masscn-
!
trägheitsmoment der zylindrischen Scheibe: Js = mrz) und die Feder-
Rückstell-Kräfte angetragen. Bei Voraussetzung kleiner Ausschläge dür-
fen die Federkräfte in Richtung der unbelasteten Feder (tangential an den
Kreis) angetragen und ihre Verlängerung näherungsweise durch rq> er-
fasst werden. Für großc Winkel müsste die Schräglagc dcr verformten
Feder durch die genaue Erfassung der Geometrie berücksichtigt werden,
was zu nichtlinearen Zusammenhängen fUhren würde.
Die Bewegungs-Differenzialgleichung ergibt sich aus dem Momemengleichgewicbt um den La-
gerpunkt. Die Eigenkreisfrequenz der Schwingung kann direkt abgelesen werden:
I z.. .. 4c ~.
-/I1r q>+2cr<pr=O =;. <p+-<p=O =;. w=2-
2 In m
L-:> Für das Aufschreiben der Bewcgungsgleichung dcs freien ungedämpften Schwingers mit
einem Freiheitsgrad (Beispiel I) bietet sich auch der Energiesatz in der Form
U + T = konstant (31.11)
an. Potenzielle und kinetische Energie werden f"r die beliebige Lage (in Abhängigkeit von
der Bewegungskoordinate) formuliert, und die Ableitung von 31. I I nach der Zeit (vgl. nach-
folgendes Beispiel 2) führt auf die Bewegungs-Differenzialgleichung 31.10.
I_Beüpiel2: I
_ _ _...I Ellle Zahnstange der Masse /11 Ist auf zweI Zahnrädern mIt dem Radllls r (Massen-
trägheitsmomente Js bezüglich der Drehpunkte) gelagert und durch zwei Federn gefesselt.
I 2
2 111X +2
( 2JscjJ-+2cX
I ? I 2)
= konst. =}
I 2 ?
2/11x +3,5mr
.;2
r2 +CX
2= konst.
Die Beziehung wird noch vereinfacht und dann nach der Zeit abgeleitet. Aus der Differenzial-
gleichung des Typs 3) .10 kann die Eigenkreisfrequenz direkt abgelesen werden:
4mx2 +cx2 = konsl. =} 8mxx+2cx.<=0 =} x+~x=O
4m
=} w=~2V;
~
I
:r8
Beispiel 3:
I_"";_ _...1 An dem skIzzierten einfachen Feder-Masse-
Schwinger soll der Einfluss des Eigengewichts der Masse auf die
Eigenkreisfrequenz untersucht werden. C (x +xstat)
Die Bewegungskoordinate x wird von der statischen Gleichge-
wichtslage aus gezählt, in der die Feder bereits vorgespannt ist.
x'
stal X
I
1mi
Die Skizze zeigt alle zu berücksichtigenden Kräftc in dcr belie-
fmg
bigen ausgelenkten Lage, und nach dem Prinzip von d' Alembert
liefert die Gleiehgewichtsbedingung in vertikaler Richtung:
mx+cx+cX-Wat - mg = 0
Wegen cx.,,'" = mg ergibt sich die gleiche Differenzialgleichung wie beim horizontalen Feder-
Masse-Schwinger (Einführungsbeispiel im Abschnitt 31.1): mx+cx = O.
<> Dic vertikal hängende Masse m schwingt mit der gleichen Eigenkreisfrequenz wie die rei-
bungsfrei gelagerte horizontal schwingende Masse m. Diese exemplarisch gefundene Aussa-
ge darf wie folgt verallgemeinert werden: Be;m Aufstellen der Bewegungs-Differenzialglei-
chung kann die stCllische Vorspm1llung der Feder unberücksichtigt bleiben. wenn gleichzeilig
die diese Vorspannung hervarrufende Kraft (hier: Eigengewicht der Masse m) nicht berück-
sichtigt wird und der Koordinatenursprung mit der statischen Ruhelage zusammenfüllt.
Das Eigengewicht kann selbstverständlich nicht aus der Rechnung herausgelassen werden, wenn
es selbst zur Rückstellkraft beiträgt (Rückstellkräfle werden durchaus nicht immer durch Federn
hervorgerufen, siehe nachfolgendes Beispiel 4).
I
~~ ~
Beispiel 4:
I_"";_ _...1 Belln so genannten mathematischen Pendel (Punkt-
masse 'Im masselosen Faden) ist die in Bahnrichlung gerichtete
Komponente des Eigengewichts die Rlickstellkraft, und man er-
hält aus dem Kraftgleichgewicht in Bahnrichtung:
ml ip+mgsin q> = 0 I ip + gsinq> = 0
~';\I
mlrp mlrp2
mg
Dies ist eine nichtlineare Differenzialgleichung, deren Lösung zwar einen periodischen Vorgang
beschreibt, dessen Frequenz allerdings von den Anfangsbedingungen abhängt. Nur unter der
Voraussetzung sehr kleiner PendelausschJäge, fur die sin q> '" q> gesetzt werden darf, ergibt sich
eine lineare Differenzialgleichung. aus der die Eigenkreisfrequenz abgelesen werden kann:
I ip + gq> =0 =} w= If
616 31 Schwingungen
Beispiel 1:I
I_ _ _ _..... Die skIZZierte BIegefeder (konstante Dicke
t, linear veränderliche Breite) trägt eine Masse m. Es soll
.0: C=====::::!:=====::01
die Eigcnkreisfrequenz dieses Schwingungssystems er- ~
mittelt werden (Biegefeder ist masselos). r ..0
i
Gegeben: I 1 b, I 1 E 1 111. L/2 l/2
Im Abschnitt 24.5 (Beispiel 2 auf Seite 436) wurde die Absenkung des Mittelpunktes des Trägers
unter einer dort angreifenden Einzelkraft für ein beliebiges Breitenverhältnis ß berechnet, für das
hier ß = 2 gesetzt werden muss. Die dort gefundene Formel wird als Federgesetz formuliert:
3FI 3 Ebr 3
VF= 4Ebr 3 (-1+21n2) =} F=3,45-,3-vF=c8vF
f1
8 Ehr3
()) = -. mit C8 = 3 45--
3
rn ' 1
oe:> Die Federkonstanten, die sieh für den Kraft- Verschiebungs-Zusammenhang ergeben, haben
die Dimension .,Kraft/Länge", der Zusammenhang von Torsionsmoment und Verdrehwin-
kel wird durch eine Drehfeder-Konstante mit der Dimension "MomentlWinkel" besclu'ieben
(folgendes Beispiel).
31.2 Freie ungedämpfte Schwingungen 617
Beispiel 2:I
I_"';'_....1 Die Beziehung 21.13 (Seite 366), mll
der der Verdrehwinkel infolge eines Torsionsmoments tIM t ~
Js gJs'P
•
~
berechnet wird, liefert:
M,t CI,
Glt,t c. .
rp
<V'
T C
~ M,=-CP=CTCP
CP= CI, I
CI,
~ T
mit der Dreh[eder-Kollstall/ell CT = -1- (31.12)
Für die Berechnung der Torsionsschwingungen einer Scheibe mit dem Massenträgheitsmoment
Js (bezüglich der vertikalen Achse) kann aus dem Momenten-Gleichgewicht des d' Alembertschen
Moments mit dem Rückstellmoment der Drehfeder die Differenzialgleichung
JSi{>+CTCP=O
aufgeschrieben werden, die wieder vom Typ 31.10 ist, so dass unmittelbar die Eigenkreisfre-
quenz abzu lesen ist:
W= {f;
<> Die im Abschnitt 10.1 behandelte Möglichkeit, mehrere lineare Federn zu einer äquivalenten
Ersatzfeder zusammenzufassen, gestattet es, auch kompliziertere elastische Systeme durch
den einfachen Feder-Masse-Sehwinger zu simulieren (folgendes Beispiel).
Beispiel 3:I
I_"";_ _...1 Eme Masse 111 ,st wie sk,zz,ert über eme Feder (Fe-
derkonstante c) an einem elastischen Kreisbogenträger befestigt
(I( ist der nach 19.17 auf der Seite 328 definierte Querschnittspa-
rameter für den gekrümmten Träger). Es soll die Eigenkreisfre-
quenz der Vertikalschwingungen der Masse ermittelt werden (Fe-
der und Kreisbogen sind masselos). Abbildung 31.3: Reihenschal-
Gegeben: 1Il, c, R, EA, 1(.
tung zweier Federn
Im Abschnitt 19.3.3 wurde als Beispiel auf der Seite 336 der mit einer Kraft 2 F belastete Kreis-
bogenträger behandelt (Kraftangriffspunkt war der Punkt, an dem hier die Feder befestigt ist).
Die dort erminelte Kraft-Verformungs-Beziehung wird für cP = 0 (und F anstelle von 2F) als
Federgesetz formuliert:
Mit der so definierten Federkonstanten CH wird der Kreisbogenträger durch eine Feder ersetzt,
die mit der anderen Feder (Federkonstante c) .,in Reihe geschaltet" ist und mit dieser nach 10.3
zu einer Ersatzfeder (Federkonstante cm ) zusammengefasst wird, so dass sich wieder das Modell
des einfachen Feder-Masse-Schwingers (Beispiel 3 im vorigen Abschnitt) ergibt:
f-fff m I I I 21(EA
mit
W= -
Ir! Cers =;:+ CH und CH= (2-~Jr+~-I(I)R
618 31 Schwingungen
oe:> Bei den bisher behandelten Beispielen wurden masse lose Federn vorausgesetzt. Wenn die
Bewegungs-Differenzialgleichung mit dem Encrgiesatz formuliert wird, kann häufig auf re-
lativ einfache Weise die Wirkung der Federmasse wenigstens näherungsweise erfasst wer-
den, indem sie bei der kinetischen Energie berücksichtigt wird. Die dabei zu treffende Nä-
herullgsannahme wird am nachfolgenden einfachen Beispiel demonstriert.
Beispiel 4: I
I_ _ _ _...I Die EIgenkreisfrequenz der Vertlkalschw1l1- om El,m e
Die statische Biegelinie v(z) wird ebenfalls der Zusammenstellung auf Seite 261 entnommen,
und man katUl mit
Das Integral
j ~l
,~O
[2-3 7+ mT 3
dz= 1:0
liefert den Faktor, mit dem aus der Masse I11B des Biegeträgers der fiir die Schwingung zu bcrück-
sichtigende Anteil liIe berechnet wird, und das Gesamtsystem darf wieder durch den einfachen
Feder-Masse-Schwinger ersetzt werden:
C8 3EI _ 33
W= mit cB =[3 und mß = 1401118
In+ms
oe:> Die mit dem Beispiel 4 demonstrierte Erfassung der Federmasse ist eine (im Allgemeinen
recht gute) Näherung. Fiir Federn, deren Massenteilchen in Feder-Längsrichtung schwingen
(Stab, Schraubenfeder) darf eine lineare Geschwindigkeitsvel1eilung angenommen werden,
die auf! me als zusätzlich zu berücksichtigende Masse führt (l11e ist die Federmasse).
3t.2 Freie ungedämpfte Schwingungen 6t9
I
Beispiel: I
Die Masse m bnn auf der vel1ikalen Führung reibungsfrei glei-
a
ten, so dass nach einmaliger Auslenkung eine freie ungedämpfte Schwin- I'
gung mit konstanter Amplitude entsteht. Die Aufgabe wurde im Abschnitt I
28.3.3 für verschiedenen Anfangsauslenkungen gelöst. Die Diagramme auf 1
Seite 531 zeigen, dass sich in jedem FaJl eine freie ungedämpfte Schwin- I
gung ergibt, allerdings mit stark unterschiedlichen F0l111en und Zeiten, die 1
für eine volle Schwingung benötigt werden (Schwingungsdauer).
~
Hier wird die Schwingungsdauer T in Abhängigkeit von der Anfangsaus-
lenkung 1!- für die bereits im Abschnitt 28.3.3 benutzten Parameter ~~ = I,
~ = 4 und ~ = 9,81 S-2 berechnet (h ist die Länge der entspannten Feder).
Die nichtJiJleare Differenzialgleichung, die den BeweguJlgsvorgang beschreibt (siehe Seite 530)
muss für jede Anfangsauslenkung ~ gesondel1 numerisch integriel1 werden. Die Rechnung kann
abgebrochen werden, wenn die Masse wieder die Allsgangslage erreicht hat. Die bis dahin ver-
gangene Zeit ist die Schwingungsdauer T flir die spezielle AJJfangsauslenkung.
Das Diagramm in Abbildung 31.5 zeigt T
die Funktion T(1!-), in dem einige mar-
kante Punkte auffallen. Mit den Verfahren,
die im Kapitel 10 behandelt wurden, kann
man nachweisen, dass für die Masse drei
statische Gleichgewichtslagen existieren (bei
~ = -2,76; -0,362; 4,92), von denen eine
instabil ist (1!- = -0,362). Bei kleinen An-
I
- 2,76 4,92
fangsauslenkungen aus einer stabilen Gleich-
gewichtslage schwingt die Masse mit einer - 4,49 - 0.362 9,22
Schwingungsdauer. die sich mit der Größe Abbildung 31.5: Schwingungsdauer in Abhängigkeit
der Auslenkung nur unwesentlich ändert. von der Anfangsauslenkung
Eine besondere Rolle spielt die instabile statische Gleichgewichtslage, um die keine Schwingung
möglich ist. Bei Anfangsauslenkungen mit .~ "" -0,362 entstehen bei nur geringen Abweichun-
gen völlig unterschiedliche Bewegungen. Gleiches gilt für die beiden Punkte bei ~ = -4,49 und
~ = 9,22: Kleine Abweichungen von diesen Anfangsauslenkungen nach oben bzw. unten füh-
ren zu völlig anderen Bewegungsgesetzen, abhängig davon, ob sich die Masse bei 1!- "" -0,362
"vorbeidrängeln" kann oder nicht.
620 31 Schwingungen
':> Flir D > I (starke Dämpjimg, zwei unterschiedliche reelle Lösungen ftir A) kann die Lösung
der Differenzialgleichung 31.15 in der Form
x = CI e).,,1 +C2 e).," = e- owl (CI eWJO'-II + C2 e- wJO'-")
aufgeschrieben werden. Der Faktor vor der Klammer sorgt daftir. dass sich x asymptotisch
dem Wert Null nähert. Entsprechendes gilt für D = I (aperiodischer Grellzfall, reelle Dop-
pellösung für A) mit der Lösung von 31.15:
31.3 Freie gediimpfle Schwingungen 621
ff·
stanter Eigenjrequellz. Die EigenkreisfreqlleJlz der gedämpfteIl Schwingung
6,-----------------,
Die Abbildung 3J.7 zeigt eine durch 31.17 x
Gedämpfte Schwingung
beschriebene Bewegung. Analytisch lässt
4
sich leicht bestätigen, was die Kurven er-
kennen lassen: Das Weg-Zeit-Geselz X(/) der 2
Schwingung wird von zwei Funktionen
Xo = Ce-Dw! und .tu = _Ce-DCO! 0
Beispiel: I
I_ _ _ _ Um ellle Vorstellung vom ElI1ftuss der DämpflLOg auf dIe Elgenkre,sfrequenz zu ge-
ben, soll angenommen werden, dass bei einem Schwingungsvorgang die Amplituden injeder Pe-
riode auf die Hälfte des Wertes der vorhergehenden Periode zurückgehen. Dann erhält man mit
q = 0'5 = 2 ein logarithmisches Dekrement von /\ = 0,693 und das Dämpfungsmaß 0 = 0,110.
Nach 3 J.] 8 errechnet sich die Eigenkreisfrequenz
Wenn nur die Eigenkreisfrequenz des freien gedämpften Schwingers interessiert, ist dafür
mit der Eigenkreisfrequenz ro des ungcdämpften Schwingers im Allgemeinen eine sehr gute
Näherung gegeben. Nur bei sehr starker Dämpfung muss das Lehrsehe Dämpfungsmaß (ge-
gebenenfalls experimentell) erminelt und roo nach (31.18) berechnet werden.
31.4 Erzwungene Schwingungen 623
Mit den bereits verwendeten Symbolen (w fLir die Eigenkreisfrequenz der ungedämpften freien
Schwingung und dem Lehrschen Dämpfungsmaß D) wird aus 31.20:
w2
x+2Dwx+w2 x=Fo-cosQt (31.21)
c
Die Lösung der inhomogenen linearen Differenzialgleichung setzt sich aus der Lösung X/10m der
zugehörigen homogenen Differenzialgleichung und einer Partikulärlösung xI"''' zusammen:
Diese Gleichung kann für beliebiges t nur erfüllt sein, wenn jede Klammer auf der linken Seite
einzeln verschwindet. Nullsetzen der zweiten Klammer liefert:
2DwQ 2D§
tan cp = w2 _ Q2 = 1 _ (§) 2 (31.24)
2Das Stichwon ..Erzwungene Schwingung" untcr www.TM-Mathe.de fUhn zu einer Seite. auf dcr die Lösung von 31.20
als typisches Beispiel einer gewöhnlichen Differenzialgleichung ausfUhrlich demon~lriert wird.
624 31 Schwingungen
Das Nullsetzen der ersten Klammer führt nach Einsetzen von 31.24 und einigen elementar-
mathematischen Umformungen (sin- und cos-Funktioncn werden durch tan ersctzt) auf:
Fo I
A = - (31.25)
c J[ I- (~)2r +402 (m 2
Damit ist die Lösung von 31.21 komplett. Beide Lösungsanteile enthalten dic cos-Funktion, so
dass man sich dic Bewegung als Überlagerung zweicr SChwingungen vorstellen darf. Während
der Anteil
Xhom = C e -DoJl cos ( ())Dt - a)
nach 31.17 wegen der Exponentialfunktion
mit negativem Exponenten mit der Zeit im-
mer kleiner wird, ist die Partikulärlösung
31.23 eine cos-Funktion mit der konstanten
Amplitude 31.25. Die Abbildung 31.10 zeigt
dies für zwei typische Fälle:
Sowohl für w > n (obere Kurve) als auch
für w < n (untere Kurve) erkennt man das
Abklingen dcr Eigcnschwingung infolgc dcr
Dämpfung, und nach einer gewissen Zeit
Abbildung 31.10: Eigenschwingungen klingen infol-
schwingt die Masse mit der Erregerkreisfre-
ge der Dämpfung in jedem Fall ab
qucnz n und dcr Amplitudc A.
Nach einer bestimmten Einschwingzcit schwingt der durch die harmonisch veränderliche
Krati F(t) = Focosili erregte gedämpfte Schwinger nach einem Bewegungsgesetz, das nur
noch durch die Partikulärlösung der Bewegungs-Differenzialgleichung bestimmt wird. Dicse
heißt deshalb stationäre Lösung
FO
1) = ~ mit w- ~ (31.27)
Q) V~
das als Quotient von Erregerkreisfrequenz n und Eigenkreisfrequenz w des ungedämpften
Schwingers definiert wird. Die Schwingung im stationären Zustand ufo/gt mit der Erreger-
kreisfrequenz n. Die Phasenverschiebung cp in 31.26 berechnet sich aus
2D1)
tan cp = I _ ,.,2 (31.28)
c:> Der Ausdruck vor der eos-Funktion in 31.26 ist die Amplitude der Schwingung. Die Am-
plitude der stationären Schwingung ist konstant. Im Zähler des Bruchs, der die Größe der
31.4 Erzwungene Schwingungen 625
Amplitude bestimmt, steht mit Xsrat;sch = I'f die Auslenkung der Feder unter einer konstanten
statischen Last Fo. Für sehr kleine Erregerkreisfrequenzen wird der Nenner des Bruchs nä-
herungsweise 1, und die Schwingungsamplitude entspricht etwa der statischen Auslenkung.
<>
°
Bei sehr kleiner Dämpfung nimmt die Vergrößerungsfunktion in der Nähe von I) = 1 sehr
groBe Werte an (für D = hat sie bei I) = I eine Po Istelle). Eine Erregung mir einer Kreis-
frequenz Q, die der EigenkreisJrequenz W des ungedämpJten Schwingers entspricht, Jührt
bei kleiner DämpJung zu sehr großen. Amplituden (Resonanz).
<> Für I) > 1 streben die Vergrößerungsfunktionen gegen den Wert Null. Bei überkritischer
Erregung mit Q > W (Q = w wird als kritische ErregerkreisJrequenz bezeichnet) sind die
Amplituden deutlich geringer als im unterkritischen Bereich Q < w.
<> Die relativen Maxima der Vergrößerungsfunktionen liegen stets vor dem Punkt I) = I. Bei
Dämpfungen oberhalb D = ~ = 0,7071 treten keine Maxima in der Nähe der Resonanz-
steile mehr auf.
<> Die Phasenverschiebung ({J, die nach 31.28 be-
rechnet werden kann, ist wie folgt ZU interpretie-
ren: Maxima, Minima und Nullstellen der Erre- ...l ..... D,,:,O, J ····i(·=: ==t~;;S;==~=l
.. ·=:···.;::··:;
. ..
gerkraft fallen mit den entsprechenden Punkten
·:···········i
des Bewegungsgesetzes des Schwingers 31.26 ..
Unabhängig davon, ob eiHe Schwingl1J1g erwüHscht ist (z. B.: Schwingsieb) oder ,ücht (z. B.:
Kraftfahrzeug), ist es meist sinnvoll, die En'egung über eine Feder oder einen Dämpfer in das
System einzuleiten. Dabei darf häufig angenommen werden, dass sich ein Punkt (der Feder oder
des Dämpfers) nach einem vorgegebencn (harmonischen) Bewegungsgesctz bewegt.
Betrachtet wird zunächst das Masse-Feder-Dämpfer-System der Abbildung 31.L3, bei dem der
Fcder-Fußpunkt nach dem angcgebcnen Weg-Zeit-Gesetz bewcgt wird. Dementsprechend nimmt
die Masse über die Feder eine Kraft auf, die der Änderung der Federlänge (Differenz aus Weg
dcs Feder-Fußpunktes und dem Weg x, den 111 zurückgelegt hat) propOltional ist.
Das vertikale Gleichgewicht aller Kräfte
111 X + kX ~ c(xocosQr -x) = 0
liefert nach Umstellen, Division durch m und Einführen
der bekannten Abkürzungen mit
(31.30)
eine Differenzialgleichung der Form 31.21, so dass nach
Einführen von xo = !f
alle im vorigen Abschnitt ermit- Abbildung 31.L3: Schwinger mit Feder-
Fußpunkt-Erregung
telten Ergebnisse und die getroffenen Aussagen gelten.
1 k~ DI I
über
mx-k(xo-x)+cx=O IX
die Bewegungs-Differenzialgleichung
C I
cx
x+2Dwi+ w 2 x = -2Dl)XO w2 sinQr k(i D x)
x D= xocosOt
für die auf dem gleichen Wege, der im Abschnitt 31.4.1
Abbildung 31.14: Schwinger mit
zur Lösung der Differenzialgleichung 31.21 flihrte, eine
Dämpfer-Fußpunkl-Erregung
Partikulärlösung gefunden wird.
Man erhält für den Schwinger. dessell Dämpfer-Fußp'lllkt dem Bewegullgsgesetz Xo = xocosQ/
llnrenvOIfen ist, die stationäre Lösung
X" = -2Dl) xo V(I)) sin(Q/ - lp) = -Xo VO(I)) sin{Q/ ~ lp) (31.32)
mit der Phasenverschiebung lp, die wieder nach 31.28 berechnet werden kann, und der Vergrö-
ßerungsfunktion Vo , die sich mit 31.29 berechnen lässt:
VO(I)) = 2DI)V(I)) (31.33)
31.4 Erzwungene Schwingungen 627
~-··f···, ~ .
.- .,.
· V,+ i IM'b iD'o ' i j .
...• 1
... -- · -
..... 4+· ··iH·HC::-- 1'0,1
.. , ·
. ......... .. .l + + / +·1 ,.,·······.·· ·+·· ! ..
. ,+ t"r.!-\\+
• L L .
JI \I. ~-o"
?--.<'\ ,
.... J
2
D-0.7071 i.....
1J
1
oe:> Der stützenerregte Schwinger ist auch ein geeignetes Modell, um die Wirkung von Schwill'
gUllgsisolierullgell zu analysieren. Man geht davon aus, dass eine Arbeitsmaschine (z. B.
infolge einer Unwucht, siehe folgenden Abschnitt) eine Schwingungsbewegung Xs erzeugt,
die über Feder und Dämpfer auf das Fundament übertragen wird (man denke sich die Ab-
bildung 31.15 auf der Seite 627 um 1800 gedreht, In ist dann die Fundamentmasse). Dann
kann man Vs als "Durchlässigkeit der Isolierung"' interpretieren und dem Diagramm der
Abbildung 31.17 entnehmen, dass Schwingungsisolierung erst für 1) > j2 möglich ist.
Die Arbeitsmaschine sollte möglichst m.it einer Winkelgeschwindigkeit Q > j2 Q) beuie-
ben werden.
Bemerkenswert ist, dass im Bereich 1') > j2 ein kleinerer Dämpfungswert vorteilhafter ist.
Andererseits darf D nicht zu klein sein, um die Schwingungen in der Nähe von 1') = I nicht
zu groß werden zu lassen (immerhin muss auch dieser Bereich beim Hochlaufen und beim
Abbremsen der Arbeitsmaschine durchfahren werden).
31.4.3 Unwuchterregullg
Der in der Praxis häufigste Fall ist die Ullwuchterregullg eines
Schwingers: Eine mit der Winkelgeschwindigkeit Q umlaufende
Unwucht 111,,1' erregt das System in vertikaler Richtung mit der Kom-
ponente der Fliehkraft
F(t) = 111" r Q2 cosQt
c k
Die Masse In soll die (im Allgemeinen wesentlich kleinere) Un-
wuchtmasse mit einschließen. Dann kann die Differenzialgleichung
rur die harmonische Erregung 31.20 aufgeschrieben werden mit Ot
_ Q2 _ In ll r Q2 _ 1111/ r 2
Fa-Inur ---111 ---c1')
m In
und durch emsprechende Modifizierung von 31.26 erhält man die Abbildung 31.18: Erregung
stationäre Lösung für den unwuchterregten Schwinger: durch umlaufende Unwucht
l11 ur ?
x" = - 1 ' ) ' V (1') ) cos(Qt- cp) = -
1111/ r
Vu (1')) cos(Qt- cp) (3 I.38)
11l m
mit der Vergrößerullgsfullktioll für die Umvuchterre-
gung 0-0 ; ··1 ....·' ; ...
Vu(1')) =r)2 V (1')) (31.39) ,
Die Abbildung 31.19 zeigt die Vergrößerungs funktionen VU(I)) für einige ausgewählte Dämp-
fungen. Auf folgende Besonderheiten soll aufmerksam gemacht werden:
(I) > I) nähern sich die Werte aller Vergrößerungsfunktionen Vu
e:> Im überkritischen Bereich
dem Wel1 I: Für hohe Erregerfrequenzen sind die Amplituden der unwuchterregten Schwin-
gung von der Erregerfrequenz und der Dämpfung nahezu unabhängig.
e:> Für Dämpfungswerte 0 < fi = 0,7071 haben die Kurven ein Maximum, das im Unter-
schied zu allen übrigen betrachteten Erregungen rechts von der Stelle I) = 1 bei
1
I)max = (31.40)
JI -20 2
liegt. Die zugehörige Erregerkreisfrequenz ist weder mit der Eigenkreisfrequenz des ge-
dämpftcn noch mit der des ungedämpften Schwingers identisch, l)"ulX liegt aber für kleine
Dämpfungswerte sehr nahe bei I (Erregerkreisfrequenz gleich Eigenkreisfrequenz des un-
gedämpften Schwingers).
Die wichtigste Erkenntnis aus allen Untersuchungen in den Abschnitten 31.4.1 bis 31.4.3 ist:
Bei jeder Art von Erregungjührr eine Erregerkreisjrequenz, die sich nur wenig von der Eigen-
kreisjrequenz des ungedälllpjlell Schwingers unterscheidet. zu besonders großen Amplituden
der erzwungenen Schwingung.
Eng verwandt mit dcm Problcm der erzwungenen Schwingungcn ist das Phä- _ v~
nomen, dass sich rotierende Wellen bei bestimmten Drehzahlen sehr stark
verfornlen. Betrachtet wird zunächst eine elastische (masselose) Welle. auf
der eine Masse 111 befestigt ist. Es wird angenommen, dass der Schwerpunkt
S der Masse nicht exakt auf der Wellenachse liegt (Exzentrizität e).
Bei Rotation mit dcr Winkelgeschwindigkeit n belastet die Masse m die m
Welle infolge der Exzentrizität mit einer Fliehkraft, die zur Verformung der
Welle führt, und S bewegl sich schließlich auf einem Kreis mit dem Radi-
us (e + v). Die Fliehkraft beträgt nach 28.9 dann m(e + v)n2 und muss von
der Welle aufgenommen werden. Wenn die Welle als Biegefeder aufgefasst
wird, kann ihre Reaktionskraft als CeV angesetzt werden mit der Biegefeder- I
zahl ce, deren Ermittlung im Abschnitt 31.2.2 behandelt wurde. Aus dem t0
Gleichgewicht der beiden Kräfte crrechnet man die Durchbiegung v: Abbildung 31.20:
m Q2 Exzentrizität und
2
m(e+v)n =cev '* v=e------,-'"
ce ~ 17l n 2 Durchbiegung
Weil (siehe auch Abschnitt 31.2.2) für die Eigenkreisfrequenz dcr ungedämpften Schwingung
des Biegefeder-Masse-Systems w2 = 'if.- bzw. Ce = mw 2 gilt, ergibt sich:
mn 2 1)2
v=e =e--=eVB(I))
111 w -mn
2 2 I _1)2
630 31 Schwingungen
v
Die Masse m ruhrt natürlich gar keine Schwingung 2 v--
8 C
aus (sondern eine Kreisbcwcgung), auch die Biege-
feder (Welle) hat bei konstantem Q eine konstan- Q
'I = -
te Verformung. Trotzdem ergab sich für die Durch-
biegung eine Formel, die die" Vergrößerung von c" '"
2
kennzeichnet, und die Vergrößerungsfunktion VB ent- I
- 1
spricht genau der Funktion Vu entsprechend 31.39 I
I
Flir dic unwuchtcrrcgtc Schwingung ohnc Dämpfung. -2
I
I
Das Verhältnis von Erregerkreisfrequenz und der Ei- I
I
genkreisfrequenz der Biegeschwingung wurde wie -3 I
bei dcn crzwungcncn Schwingungcn mit 1) bezcich- I
oe;> Die Exzentrizität kann beliebig klein sein. Auch bei der ideal ausgewuchteten Welle fLihrt die
geringste (unvermeidJiche) Störung bei kritiscber Drehzahl zu sehr großen Verformungen.
oe:> Die vernachlässigten (meist ohnchin unbedeutenden) DämpfungscinOüsse würden das Er-
gebnis im Allgemeinen nur geringfügig beeinflussen, fUhren aber immerhin dazu, dass die
Verformungen der Welle endlich bleiben, so dass ein kurzzeitiges Arbeiten im kritischen
Bereich (beim Hochfahren bzw. Abbremsen) zu keinen Schäden führen muss. Die vernach-
lässigte Wellenmassc kann gegebenenfalls näherungsweise bei der Bercchnung der Biegeci-
genkreisfrequenz berücksichtigt werden, wie es im Beispiel 4 des Abschnitts 31.2.2 (Seite
618) demonstriert wurde.
oe:> Im überkritischen Bereich (1) > I) wird die Vergrößerungsfunktion VB negativ (im Gegensatz
zur ansonsten identiscben Vergrößerungsfunktion Vu des unwuchterregten Schwingers, bei
dem sich allerdings der gleiche Effekt durch die Phasenverschiebung ({J = Jr äußert). Die
Verschiebung v und die Exzentrizität e haben entgegengesetzte Richtungen, und bei großen
Drchzahlen wird v "" -e, so dass die Exzentrizität ausgeglichen wird. Diesen Effekt nenm
man SelbstzellIrierllng. Es ist also sinnvoll, Wellen so auszulegen, dass sie im überkritischen
Bereich arbeiten, der kritische Bereich sollte möglichst schnell durchfahren werden.
oe;> Die Herleitung der Formel 31.41 wurde mit einer vertikal angeordneten Welle (Abbildung
31.20) durchgeführt. um den EinOuss des Gewichtskraft der Masse auf die Weilenverfor-
mung auszuschalten. Wic bei den Eigenschwingungen (vgl. Bcispiel 3 im Abschnitt 31.2.1
auf Seite 615) ist das Eigengewicht in jeder Lage mit der statischen Verformung der Bie-
gefeder im Gleichgewicht und hat auf die kritische Drehzahl keinen Ein.nuss. so dass 31.41
auch fUr die horizontal liegende Welle gilt.
31.5 Aufgaben 631
oe:> Dass die Gewichtskraft der Masse (und damit die statische Durchbiegung der Welle) auf
die Größe der kritischen Drehzahl keinen Einfluss hat, wird auch deshalb besonders belDnt,
weil in vielen Büchern die kritische Drehzahl (durchaus korrekt) mit Hilfe der statischen
Durchbiegung Ye infolge der Gewichtskraft mg der Masse berechnet wird. Das Fcdcrgesctz
mg = CB Ye kann nach CB umgestellt und in 31.41 eingesetzt werden. Man erhält
1
",,;/ = 2 7r I!i (31.42)
,6; CB
7 Bl=m===A7
-:r
mit der Erdbeschleunigung g und der statischen Durch-
bicgung Ye der horizontal liegendcn Welle unter der Ge- I mg
wichtskraft der Masse. Häufig findet man auch die For- ..zs:1<.:;::~o===='fT===::::::::==-:=·;;::<s.."
299 ~ - ~ V
e 1_ -
mel "kd/ = VVG =, die (durch Einsetzen des Zahlenwer-
tes für die ErdbescWeunigung) aus 31.42 hervorgeht und Abbildung 31.22: Ye iSI die Basis
einer beliebten "Praktikerformel"
",,;/ in min I liefcrt, wenn man Ye in cm (') einsetzt.
Weil vor der Verwendung solcher Formeln eigentlich gar nicht oft genug gewarnt werden
kann, ist sie hier im Text auch besonders klein gedruckt.
31.5 Aufgaben
Altfgabe 31.1:I
I_ _ _ _ _...1 ElJ1e Masse m Ist ZWIschen zweI masselo-
sen Biegefedern gelagert.
Gegeben: m, 12. Eh, II =212, EIl = 16Eh·
Man ermittle die Eigenkreisfrequenz der Vertikalschwingung
der Masse m.
Altfgabe 31.2:I
I_ _ _ _ _ _...1 ZweI mitelllander Im Eingnff stehendc
Zahnräder mit den Massenträgheitsmomenten JI bzw. Jz sind
in ihren Schwerpunktachsen gelagert und an zwei Federn ge-
fesselt. Für Drehschwingungen mit kleinen Ausschlägen ist
die Eigenkreisfrequenz w zu ermitteln.
Gegeben: R I = 3rl = 2r2. Jz = ~JI , C2 = 2cI .
Altfgabe 31.3:I
I_ _ _ _ _...1 Auf eme durch eme Feder gefesselte Krelssche.be (Mas-
ms ms
Aufgabe 31.4: I
.E5J::tQ
I_.;.;; .... Der Schwinger wird aus der statischen starr, zylindrische
I Aufgabe 31.5: I. a) E1 MD b) EI QM
Die Mo-
toren (Masse M) sind auf I- 1i..
112 112 ~
QM
Trägcm (Biegcstcifigkcit
EI) gelagert. Die Träger-
c) EI DM d) EI
massen können vernach-
lässigt werden.
1 1/2 1/2
:D.-
....", I 1/2 1/2
a) Man ermittle die kritischen Winkelgeschwindigkeiten Qk, der Motoranker, die mit den Ei-
genkreisfrequenzeo der BiegeschwingoJlgen übereinstimmen.
b) Wie groß müssen die Biegesteifigkeiten der Träger m.indestens sein. damit die Motoren im
stationären Betrieb bei einer Drehzahl 11 = looom;n- I imunterkritischen Bereich arbeiten?
I Aufgabe 31.6: I
Ei n Schwi ngsieb soll von
zwei gegenläufig umlaufenden Unwuchten
(Drehzahl: 11 = looomin- I ) in Resonanz be-
trieben werden. Man ermittle
a) dic Größe dcr Fcderzahl c dcr Stützfedem ohne Bcrücksichtigung der Dämpfung,
b) die Dämpfungszahl k von zusätzlich einzubauenden Dämpfungselementen, so dass die sta-
tionäre Schwingungsamplitude des Siebs durch den Wert Vu = 3 der Vergrößerungsfunktion
für dic Unwuchtencgung bei einer Abstimmung 1) = I bcschrieben wird.
Gegeben: m = 500kg (Summe der Massen von Sieb, Siebgutund Unwuchten);
= 50 kg (Masse einer von zwei zylindrischen Lagerrollen).
111,
I Aufgabe 31.7: I
Auf einer Welle mit der Masse mw
ist zusätzlich eine Einzelmasse m befestigt. 2113 1/3
Man ermittle die kritische Drehzahl "k'il bei Vernachlässigung und die kritische Drchzahl nk,;1
bei näherungsweiser Berücksichtigung von IIlw.
Für die eindeutige Beschreibung der Lage eines Systems mit f Freiheitsgraden werden f von-
einander unabhängige Koordinaten benötigt. Zur Berechnung der Bewegungsgesetze ist dement-
sprechend ein System von Differenzialgleichungen zu lösen, das z. B. nach dem Prinzip von
d' Alembert aufgeschrieben werden kann. Dabei kann man weiter gcnau nach den Empfehlungen
verfahren, die im Abschnitt 29.5.2 formuliert wurden. Bei /1 eingeführten Bewegungskoordinaten
findet man jedoch nur /1- f Zwangsbedingungen, so dass in den f Bewegungs-Differenzialglei-
chungen f Koordinaten verbleiben.
Der Energiesatz, der stets nur eine Energiebilanz-Gleichung liefert, genügt allein znm Auf-
stellen der Differenzialgleichungen für ein System mit mehreren Freiheitsgraden nicht. Im
Abschnitt 33.4 wird ein Verfahren behandelt, das auch bei mehr als einem Freiheitsgrad die Dif-
ferenzialgleichungen aus Energiebetrachtungen herleitet.
Vornehmlich für lineare Systeme, deren Bewegung durch lineare Differenzialgleichungen be-
schrieben werden, können wesentliche verallgemeinerungsfahige Erkenntnisse gewonnen wer-
den. Dieses Kapitel beschränkt sich auf solche Probleme. einige nichtlineare Systeme mit meh-
reren Freiheitsgraden werden im Kapitel 33 behandelt.
Am einfachen Beispiel sollen zunächst die Probleme diskutiert werden, die für die Behandlnng
von Systemen mit mehreren Freiheitsgraden typisch sind.
I
Beispiel:I Eine lineare Schwingerkette besteht wie skizziert aus drei Federn und zwei Massen,
die sich auf der Unterlage reibungsfrei bewegen können.
Gegeben: ml· 1»2, Cl 1 C2, (.'3·
Mit den beiden Wel1en co, und CO:! können also nach 32.2 zwei linear unabhängige Partikulärlö-
sungen von 32.1 aufgeschrieben werden, die wegen der Linearität der Differenzialgleichungen
summiert werden dü,fen. In
sind die Koeffizienten Aij nicht unabhängig voneinander, weil sowohl All und A2' als auch A 12
und An das homogene Gleichungssystem 32.3 erfullen müssen. Aus der ersten der beiden Glei-
chungen 32.3 folgt z. B.
I 2
A2j = - (CI +C2 -1111 COj)Alj = ILjAI) (32.8)
C2
lLUd man erhält schließJjch als allgemeine Lösung von 32.1:
XI = A,ICOS(CO,I+<PI)+ AI2COS(CO:!I+'P2)
(32.9)
X2 = PI AI ICOS(CO,I + <p,) + P2AI2COS(CO:!I + 'P2)
mit den [ntegrationskonstanten A IJ. A12, <PI und 'P2, die z. B. alls vier Anfangsbedingungen (La-
gen und Geschwindigkeiten beider Massen beim Beginn der Bewegung) bestimmt werden.
32.1 Freie ungedämpfte Schwingungen 635
oe:> Es lassen sich immer Anfangsbedingungen finden, ftir die einer der bei den Faktoren der
cos-Funktionen Null wird (z. B.: Auslenkungen, die sich um den Faktor )11 bzw. )12 un-
terscheiden und keine Anfangsgeschwindigkeiten). Dann schwingen beide Massen mit der
gleichen Eigenkreisfrequenz (01 bzw. Ul2, ihre Amplituden unterscheiden sich bei diesen Ei-
genschwingungen um die Faktoren)11 bzw. 112, die so genannten Modalkoejfizienten.
oe:> Bei beliebigen Anfangsbedingungen sind die Bewegungsgesetze der beiden Massen entspre-
chend 32.9 Überlagerungen der beiden Eigenschwingungen.
oe:> Mit dem Vietaschen Wurzelsatz bestätigt man, dass die Lösungen 32.6 der Gleichung 32.5
immer positiv und damit (01 und Ul2 für jede Parameterkombination reell sind.
Am vereinfachten Modell (Abbildung 32.1)
sollen die Aussagen veranschaulicht werden.
Gleichzeitig wird demonstriert, wie der Lö-
sungsweg 32.1 bis 32.7 mit Hilfe der Matri-
zenschreibweise formalisiel1 werden kann. Das Abbildung 32.1: Vereinfachtes Modell der Schwin-
Differenzialgleichungssystem 32.1 wird zu: gerkette mit 1Il] = ffl2 = In und CI = C2 = C3 = c
XI] =
[X2
[AI]
A2
cos(wr +Ip) x =a cos(Wt + Ip) (32.11)
FUr diesen einfachen Fall kann 32.12 als homogenes Gleichungssystem aufgefasst werden, aus
dem die Eigenkreisfrequenzen und die Modalkoeffizienten berechnet werden können, wie es mit
32.4 bis 32.8 demonstriert wurde. Man erhält:
(01 = V~
~
Ul2 = J3!:"111 )11 = I 112 =-1 (32.13)
oe:> Auch fUr (beliebig kompliziel1e) lineare ungedämpfte Schwingungssysteme entsteht ein Ma-
tri zene igenwertprob Iem
(K _(02 M )a =0 (32.14)
mit der SreifigkeilSlnatrix K und der Massel/matrix M. Beide Matrizen sind symmetrisch
(und die sich ergebenden Werte tUr (02 damit garantiert nicht negativ). FUr die Lösung von
32.14 stehen leistungst:ihige Programme bereit (siehe www.TM-Mathe.de l ). so dass die we-
sentliche Arbeit m.it dem Aufstellen des Djfferenzialgleichungssystems 32.10 erledigt ist,
weil daraus die Matrizen Kund M unmittelbar abgelesen werden können.
I Man beachte auch die bciden Hinweise auf die Themen Marrizenreclllllll1g und Marrizeneigenwt:rtprobleme in den
Boxen narden Seilen 199 bzw. 419.
636 32 Systeme mit mehreren Freiheitsgraden
oe:> Programme zur Lösung von 32.14 liefern als Ergebnis einen Vektor w, der die Eigenkreisfre-
quenzen enthält, und eine Modalma/rix A, die (spaltenweise) die zugehöligen Eigenvek/oren
enthält. Wie die Modalkoeffizienten, die nach 32.8 nur die Verhältnisse der Schwingungsaus-
schläge für die einzelnen Freiheitsgrade kennzeichnen (die tatsächlichen Ausschläge hängen
von den Anfangsbedingungen ab), sind die EigenveklOren in der Modalmatrix auch nur bis
auf beliebige Faktoren bestimmbar. Um zu eindeutigen Ergebnissen zu kommen, ist es üb-
lich, die Eigenvektoren zu normieren (jeder Vektor wird durch seinen Betrag dividiert und
auf diese Weise zum EinheitsveklOr). Das Ergebnis von 32.12 ergibt sich dann in der Form:
Der Faktor vor dcr Modalmatrix sorgt ausschließlich für die Normierung dcr Spaltcn. Die erste
Spalte von A (Eigenvektor zur Eigenschwingung mit w,) zeigt wie der Modalkoeffizient 111 in
32.13, dass beide Massen mit gleicher Amplitude in die gleiche Richtung schwingen, der zweiten
Spalte entnimmt man, dass bei einer Schwingung mit der Eigenkreisfrequenz Wz die Massen sich
stets entgegengesetzt (aber auch mit gleicher Amplitude) bewegen.
Bei den weitaus meisten Problemen der technischen Praxis sind die aus der Lösung 32.15 zu
gewinnenden Erkenntnisse ausreichend. Wenn tatsächlich der Schwingungsveriauf für vorgege-
bene Anfangsbedingungen interessiel1, können die Bewegungsgesetze in sinnvoller Erweiterung
von 32.9 aufgeschrieben werden. Gltnstiger ist es. bei einer größeren AnzaW von Freiheitsgra-
den auch dafür die übersichtliche Form der Matrizenschreibweise zu nutzen. Schließlich kann
natürlich auch ein lineares Schwingungsproblem als Anfangswertproblem numerisch integriert
werden.
~
die Bewegungen der beiden A A
Massen bei unterschiedli- A
chen Anfangsauslenkungen 04 {\l\sAt 4 s t
(jeweils ohne Anfangs-
geschwindigkeiten). Bei VV
·4
\
beliebiger Anfangsauslen-
kung (links, nur eine Masse
V V -4
v v v v v
beiden Eigenschwingungen.
Bei Anfangsauslenkungen 1/\ A4 8~ {t 4 t
VV VV
8
propoltional zum 2. Ei-
genvektor (rechts, gleiche
Anfangsauslenkungen für ·4 V -4 V V V V
beide Massen in entge-
gengesetzten Richtungen) Abbildung 32.2: Bcwegungsgesctze für die Schwingerkcttc (Abbildung
schwingen die Massen mit 32.1) bei beliebiger Anfangsauslenkung beider Massen (links) bzw. An-
der 2. Eigenkreisfrequenz. fangsauslenkungen proportional zum 2. Eigenvektor (rechts)
32.2 Torsionsschwingungen 637
32.2 Torsionsschwingungen
das wic das Systcm 32.1 im vorigen Abschnitt mit einem zu 32.2 analogcn Ansatz
behandelt werden kann, und die Rechnung wie dort liefe.1 wieder ein homogenes Gleichungs-
system, dessen Koeffizientendeterminante für nichttriviale Lösungen verschwinden muss:
=0
Die Determinante liefert eine quadratische Gleichung, die zwei Lösungen hat:
Wz=
Eine Eigenkreisfrequenz WI = 0 ist typisch für Systeme, für die eine Starrkörperbewegung mög-
lich ist. Im vorliegenden Fall kann sich die Welle ohne elastische Verformung drehen, beide
Scheiben drehen sich dabei um gleiche Winkel. Dies ist keine SChwingnng (bzw. eine "Schwin-
gung mit der Eigenkreisfrequenz Null").
oe:> Für die Behandlung komplizierterer Systeme (nachfnlgendes Beispiel) empfiehlt sich die
Formulierung des Differenzialgleichungssystems in Matrizenschreibweise. aus dem ein all-
gemeines Matrizeneigenwertproblem abgelesen werden kann, das mit Hilfe des Computers
gelöst werden sollte.
638 32 Systeme mit mehreren Freiheitsgraden
I_B_e'..;·SP..;i_el_:
_ I F"ur (as
I S k"JZZlerte G . f"un t' ( starren ) R"a-
' be mlt
etne
dern und drei (masselosen) Torsionsfedern (Wellenabschnitle)
soll das Matrizeneigenwertproblem rUr die Berechnung der Ei-
genkreisfrequenzen der Torsionsschwingungen formuliert wer-
den. Es darf vorausgesetzt werden, dass die beiden Zahnräder
mit den Massenträgheitsmomenten hund und den Teilkreis- h
radien r2 und r3 spielfrei miteinander kämmen.
Die Kraft FZ3 ist die tangentiale (ein Drehmoment bewirkende) Komponente der Kraft, die beim
Freischneiden der beiden Räder 2 und 3 sichtbar wird. Beim Antragen der von den Torsionsfe-
dern erzeugten Momente wurde (willkiirlich) angenommen, dass sich jeweils am rechten Rad
der größere Verdrehwinkel eingestellt hat.
Momenten-Gleichgewicht an den fUnf Rädern liefert:
1 1 i(>1-CIZ(CPZ-ipl) =0
Jz i(>z +CIZ (cpz - ipl) + FZ3 rz = 0 (*)
h if>3 - C34 (ip4 - ip3) + FZ3 r3 = 0 (*)
14 i(>4 +C34 (ip4 - ip3) -C45 (ip5 - ip4) = 0
1, if>s + C45 (ip, - ip4) = 0
Die beiden mit (*) gekennzeichneten Gleichungen werden bei gleichzeitiger Elimination von FZ3
zu einer Gleichung zusammengefasst, und in allen Gleichungen wird die Koordinate cPz durch
cPz = -1/'3;; ersetzt. Die verbleibenden vier Differenzialgleichungen
o 0 CIZ ('12 :.1 o 0 o
, i(>1 '2
mit den symmetrischen Matrizen 2 Kund M. Mit den speziellen Werten der Aufgabensteilung
sieht das Matrizeneigenwertproblem so alls:
0,8 0 0 0 0
)"~"
0
o 2,48
(
0,8 2,64 -2 0 0 0
-A 1l1it A= ~W2
0 -2 3,5 -1,5 0 0 0,6 0 Cl2
<> Da das System eine Starrkörperbewegung zulässt, wird ein A-Wert (und damit ein w-Wert)
gleich Null. Der zugehörige I. Eigenvektor kennzeichnet die Starrkörperdrehung: Die Kom-
ponetllen flir die Räder 3, 4 und 5 haben gleiche Werte, der Wert tlir Rad I entspricht diesen
Werten unter BeaChtung des Überserzungsverhältmsses vom unteren zum oberen Wellen-
strang (Zwangsbedingung zwischen CP2 und 'P3).
<> Es ergeben sich also drei Eigenkreisfrequenzen für die Torsionsschwingungen des Systems,
deren kleinste den Wert
werden sichtbar), die d' Alembertschen Kräfte sind den gewähl- IF,
ten Koordinateruichtungen entgegengerichtet. Aus dem Kräfte-
Gleichgewicht ergibt sich: m1i\
•t
F, +111, V, =0 F2+1112V2 =0 (32.16)
Der Zusammenhang zwischen den Kräften Ft und F2, die auf den
Bicgcträgcr wirken, und dcn dadurch hcrvorgcrufcnen Verschie-
bungen VI und V2 kann mit einem geeigneten Verfahren aus der
Festigkeitslehre fonnuliert werden (Biegelinie, Prinzip von Cas-
tigliano, Finite-Elemente-Methode, ...). Für das einfache Bei- Abbildung 32.7: Massen und
Federn werden getrennt
spiel liefert die Tabel1e auf Seite 260 die benötigten Fornleln:
3/ 3 119/ 3
V, = 256EI FI + 10368EI F2 = alIF, + Cl:'2 F2
(32.17)
119/ 3 4/ 3
v2 = L0368 EI FI + 243EJ F2 = a12 F, + Cl:22 F2
(man erkennt die im Abschnitt 24.3 besprochene Symmetrie der Einftusszahlen Cl:U). Einsetzen
der nach den Kräften umgestellten G1eichgewichtsbedingungen 32.16 in 32.17 liefert:
32.3 Eigenschwingungen linear-elastischer Systeme 641
(32.18)
wieder ein Differenzialgleichullgssystem vom Typ 32.10 dar. Man beachte, dass die erste Matrix
im Gegensatz zu allen bisher behandelten Problemen nicht symmetrisch ist, was allerdings durch
Multiplikation der zweiten Gleichung mit dem Faktor ~ leicht zu beheben ist. Das einfache
System ist (wie das Beispiel des Abschnitts 32.1) der "Handrechnullg" noch zugänglich. Man
erhält z. B. die beiden Eigenkreisfrequenzen
<> Bei komplizierteren Problemen ist es ratsam, den Algorithmus zur Formulierung des Dif-
ferenzialgleichullgssystems zu formalisieren. Dies soll an dem behandelten Beispiel nach
einer geringfügigen Modifikation des Lösungsweges noch diskutiert werden.
Alternativ zu der oben ausgeflihrten Rechnung werden zunächst die beiden Beziehungen 32.17
nach den Kräften umgestellt. Man erhält:
lX:l2 -a12
Fl = alllX:l2 - 2 vI
a l2
+ 2 v2
all an - a l2
= kll vI + k l 2 v2
(32.20)
-a12 all
F2 = 2 vI + ? v2 =k12VI +k22 V2
all an - a l2 all an - a l2
ein Differenzialgleichungssystem, das die gleichen Ergebnisse liefert wie 32.18. Die Vorteile
dieses Wcges, der (zumindest rür das behandelte Beispiel) etwas umständlicher erscheint, werden
erst bei komplizierteren Problemen deutlich:
<> Das aus 32.21 abzulesende Matrizeneigenwertproblem
( K - co2 M ) a = 0 (32.22)
hat symmctrische Matrizen, und die Masselll11alrix M ist eine Diagonalmatrix (beides ist
vorteilhaft für die numerische Lösung, siehe Fußnote auf Seite 639). Auf der Hauptdiagona-
len stehen die zu den VerschiebllOgen in v gehörenden Massen, bei Winkel koordinaten die
Massenträgheitsmomente.
642 32 Systeme mit mehreren Freiheitsgraden
oe:> Die Matrix K verknüpft entsprechend 32.20 die Verschiebungen mit den Kräften:
f=Kv (32.23)
K ist die Steijigkeitsmatrix des elastischen Systems. Damit ist der Weg vorgezeichnet, der
zum Matrizeneigenwertproblem 32.22 für komplizierte elastische Systeme füh'1: Mit Hil-
fe des Finite-Elemente-Algorithmus (rur Biegeträger und biegesteife ebene Rahmen siehe
Abschnitt 18.2) wird die System-Steifigkeitsmatrix K erzeugt. Zu jedem Freiheitsgrad (Ver-
schiebung, Verdrehung) wird in der Massenmatrix M eine Masse bzw. ein Massenträgheits-
moment auf der Hauptdiagonalen platziert.
Die Verformungen VI und 1'2. die aus diesem linearen Gleichungssystem zu berechnen sind. kön-
nen (bei beliebig kleinen Exzentrizitäten) sehr groß werden, wenn die Koef!1zientendetenninante
sehr klein ist, lind für
(32.24)
wachsen sie (beim ungedämpften System) über alle Maßen. 32.24 ist die Bedingungsgleichung
für die Berechnung der kritischen Winkelgeschwindigkeiten Qkriro Bei einem Vergleich mit der
Bedingungsgleiehllng 32.22 für die Bestimmung der Eigenkreisfrequenzen w des durch 32.21
beschriebenen Systems zeigt sich. dass für 32.22 formal die gleiche Determinantenbedingung
für die Berechnung der w-Werte formuliert werden könnte. Diese Erkenntnis lässt sich natürlich
verallgemei nem:
Für dic Untcrsuchung Iincarcr SchwiJlgungssystcmc mit mchrcrcn Frcihcitsgradcn. dic cincr har-
monisch veränderlichen äußeren Einflussgröße (Krafterregung, Unwuchterregung, ... ) unterwor-
fen sind, lasscn sich viclc Erkcnntnisse (auch hinsichtlich dcr mathcmatischcn Bchandlung) vom
Schwingcr mit cinem Frcihcitsgrad übertragcn, wobei als wcsentlichcr Unterschied bcacbtct wcr-
dcn muSS: An dic Stcllc cincr Diffcrcnzialglcichung tritt cin Diffcrcnzialglcichungssystcm, das
lineare Schwingungssystem mit 11 Freihcitsgradcn besitzt n Eigenkreisfrcquenzen.
c:> Die allgemeine Lösung eines linearen Differenzialgleichungssystems setzt sich aus der Lö-
sung dcs zugchörigcn homogcncn Systcms und cincr PaJ1ikulärlösung ZUSaJllllJcn. Dic ho-
mogcnc Lösung cnthält dic harmonischcn Funktioncn mit den Argumcnten (Oil, wobei dic
(Oi dic Eigcnkrcisfrcqucnzcn dcs Systcms sind (dic Lösung dcs homogcncn Diffcrcnzialglci-
c:> Eine Erregung mit eincr Erregerkrcisfrcquenz, dic in der Nähe eincr Eigcnkreisfrequcnz
liegt, fUhrt zu großen Schwingungsausschlägcn. Bei jeder Eigenkreisfrequenz (Q = (Oi,
i = 1, ...• 11) liegt eine Resonanzstelle. Beim ungedämpften System streben die Ampli-
tudcn der stationärcn Schwingung bci Resonanz gcgen unendlich. Dämpfungen rcduzicren
die Amplituden, auch bei Resonanz blciben dic Schwingungsausschlägc cndlich.
Es gibt jcdoch noch ein sehr wichtiges Phänomen, für das es bei den Systemen mit einem Frei-
hcitsgrad kcin cntsprcchcndcs Beispicl gcbcn kann: In Abhängigkcit von dcn Parametcrn (Mas-
sen, Federn, Dämpfer, ...) können die Amplituden der einzelnen Massen stark unterschiedlich
sein. Dics kann bei gecignetcr Auslegung dcs schwingungsfahigcn Systcms mit Vorteil genutzt
werden.
Die Berechnung der Zwangsschwingungen linearer Schwingungssysteme soll hier nur am nach-
folgenden einfachen Beispiel demonstriert werden, an dem allerdings der für die technische Pra-
xis wichtigste Effekt gczcigt werden kann.
32.5 Zwangsschwingungen, Schwingungslilgung 645
Beispiel]: I
I_"";_ _...1 Die Masse m I des skIZZIerten Zwel-Massen-
Schwingers ist der hannonisch veränderlichen Erreger-
kraft FocosQlt unterworfen. Die Massen bewegen sich
reibungsfrei auf der Unterlage, Dämpfung ist zu vernach-
lässigen.
Gegeben: fHJ 1 1n2, Cl 1 Cl , Fo·
Es sollen die Amplituden der stationären Schwingungen beider Massen in Abhängigkeit von der
Erregerkreisfrequenz Q, ermittelt werden.
Die Abbildung 32.11 zeigt die gewählten Bewe-
gungskoordinaten und die an den freigeschnittenen
Massen in horizontaler Richtung wirkenden Kräfte.
Glcichgewicht liefert:
m, X, +('1 X, - C2(xz -XI) = FocosQlt
tr/zxz +('z (xz -XI) = 0 Abbildung 32.11: Freigeschnillene Massen
Da nur das stationäre Schwingungsverhalten untersucht werden soll, wird für das inhomogene
Differenzialgleichungssystem nur eine Partikulärtösung gesucht. Wenn der Ansatz
X, = 8 1cosQ,1 Xz = 8zcosQlt
(passend zur rechten Seite) in die Differenzialgleichungen eingesetzt wird, ergibt sich über
(Gleichungen können für beliebiges 1 nur erfüllt sein, wenn die Inhalte der eckigen Klammern
verschwinden) das lineare Gleichungssystem flir die Berechnung der Amplituden 8 1 und 8z:
J[;~J
CI+Cl _Qz _El.
El._ QZ [~J
1111 I "'I
[ _El.
=> Ab=/ (32.26)
1112 1112 I
B
Fo
_iiiI (El.
1112-
QZ)
I
fi) El.
B-~ (32.27)
I- det(A) z - del(A)
Im Nenner der Ergebnisse steht jeweils mit
CI+e, _Qz
det(A) = "" I (32.28)
_El...
I "'2
die Koeffiziemendetern1iname der Matrix Ades Gleichungssystems 32.26, die genau flir die
QI-Werte Null wird, die den Eigenkrcisfrequenzen der freien Schwingungen des Systems ent-
sprechen, weil eine Gleichung der Form 32.28 sich auch als Bestimmungsgleichung für die Ei-
genkreisfrequenzen ergibt. Man vergleiche das Beispiel im Abschnitt 32.1, für das mit CJ = 0
das hier betrachtete Schwingungssystem entsteht, Gleichung 32.5 wird zu
646 32 Systeme mit mehreren Freiheitsgraden
4
W - -+C2
- + C2)
(CI
- w2 +--=
CI C2 0 (32.29)
Inl 1112 I1II'l12
und diese Gleichung, aus der w[ und Wz berechnet werden können, zeigt, dass die Nenner in
32.27 für QI = w[ und QI = Wz den Wert Null haben, und nach dem Vietaschen Wurzelsatz
kann 32.28 deshalb in der Form
det(A) = (Qf - (Qf - w?) wi)
aufgeschrieben werden. Damit erhält man flir die Amplituden nach 32.27:
fi(01. _ Q2)
'"I In" I
01.
fi
BI = (Qf - w?) (Qf - wi) B2 = (Qf - ~f) (~f - wi) (32.30)
Aus diesem Ergebnis lässt sich ein bemerkenswenes Phänomen ablesen: Während die Masse "'2,
auf die die E[Tegerkraft nur mittelbar (von der Masse Inl iiber die zwischengeschaltete Feder)
wirkt. bei jeder Parameterkombination Schwingungen mit der Amplitude B2 ausführt, bleibt die
01. in Ruhe. Diesen Effekt nennt man
Masse I/ll bei Q2[ = fl/,
SchwillgllUgslilgllllg:
Die stationäre Zwangssehwingung einer hamlOnisch
mit der Erregerkreisfrequenz QI erregten Masse I/l[
kann durch Anbringen eines zusätzlichen Schwingers
(Tiigers) unterdrückt (,.getilgt") werden, Bedingung m, bleibt in Ruhe
für die Tilgung der Schwingung von Inl ist:
Erregerkreisfrecluenz = Eigenkreisfrequenz des Tilgers.
0::> Man beachte, dass die Eigenkreisfrequenz w des Tilgers so anzusetzen ist, als wäre er ein
selbstständiger Schwinger. Es gilt w2 = ;;;, so dass die beiden Parameter C2 und 1112 flir die
Auslegung des Tilgers zur Verfligung stehen. Bei QI = w wird die Schwingung der Masse
111 [ getilgt, unabhängig von ihrer Größe und unabhängig von der Federzahl CI .
oe;> Schwingungstilgung3 ist selbst dann möglich, wenn ein Schwinger (Masse Inl, Federzahl
CI) mit einer Erregerkreisfrequenz Q[ erregt wird. die seiner Eigenkreisfrequenz entspricht
(Resonanz). Dann muss ein Tilger angekoppelt werden. dessen Eigenkreisfrequenz ebenfalls
der Erregerkreisfrequenz Q[ entspricht. Das entstehende System mit zwei Freiheitsgraden
hat zwei Eigenkreisfrequenzen, die sich VOll Q[ unterscheiden, bei Erregung mit Q[ bleibt
die Masse 111, in Ruhe (nachfolgendes Beispiel).
0::> Das Phänomen der Schwingungstilgung wurde hier mit einer harmonischen Erregerkraft an
einem dämpfungsfreien System demonstriert. Die gewonnenen Erkenntnisse (insbesondere
die Tatsache, dass ftir die Schwingungstilgung die Eigenkreisfrequenz des Tilgers mit der
3 Schwinguogsti.lgung wird in der technischen Praxis in den verschicden~ten Bereichen genulzt. z. B. bei Kraftfahrteu-
gen zur Verminderung der Karosseneschwingullgcn, in der Antriebstechnik, wo vornehmlich Torsionsschwingungen
gelilgt werden. aber auch im Bauwesen (speziell für Stücken). Der spektakulär!:ltc Tilger ist sicher die pendelnd
aufgehängte Riescnkugel im J 0 \-Tower in Taipeh (Höhe: 509 m). der in einem der obersten Stockwerke als Erdbe-
bcn~chu[z dient. Einige Links zu interessanten Anwendungcn findct man unter www.TM-3ktuelJ.de.
32.5 Zwangsschwingungen, Schwingungstilgung 647
Erregerkreisfrequenz übereinstimmen muss) lassen sich jedoch auf den (praktisch besonders
wichtigen) Schwinger mit Unwuchten'egung übertragen.
<> Die Dämpfungsfreiheit ist praktisch natürl ich nicht realisierbar. Dies hat den Vorteil, dass
die Eigenschwingung in jedcm Fall abklingt und nur die stationäre Schwingung betrachtet
werden muss. Für gedämpfte Schwinger bleibt jedoch auch im stationären Zustand immer
eine Restschwingung. Wenn Schwingungen getilgt werden sollen, sollte die Dämpfung also
möglichst klein sein. Bezüglich der unvermeidlichen RestSChwingungen bei vorhandener
Dämpfung beachte man die Ergebnisse der Aufgabe 32.3.
Beispiel 2:
I_"";_ I
_...1 Der skIzzIerte Schwmger (Masse ml, Federzahl
CI) wird mit der Erregerkreisfrequenz 0 I erregt. Für den Fall
0 1= (C1
V;;;
(Resonanz) wachsen die Ausschläge über alle Maßen. Es soll ein Tilger (Masse IIlTg = tml,
Federzahl CTR) angebracht werden, der genau die Resonanzfrequenz tilgt. Dies wird erreicht,
wenn folgende Bedingung gilt:
BI
.<:L
In]
(c,I:i - A2)
~'I
2 (2
W Tg OJf g -
A')
~l.T 1- 0 rr
BI = ~ = (Of-wf)(Of-wj) (Of-Wf)(Of-wj) (1)2-0.8012)(1)2-1,248 2)
E1..~ 4
B? = 82 = 1/11 m2 = (f)T,; = I
lJl c,
(Of-Wf)(Of-wj) (Oi-Wf)(Of-wj) (1) L O,8Q12)(1) L l,248 2)
In diesen Formeln wurde T/ = ~",n gesetzt, so dass der Tilgungspunkt bei 1) = I liegt.
'8
s,
Wenn jedes der unendlich vielen Masseteilchen als schwingende Masse angesehen werden soll,
hat so ein Berechnungsmodell natürlich "unendlich viele Freiheitsgrade" und damit auch "un-
endlich viele Eigenfrequenzen", von denen allerdings nur wenige (in der Regel die kleinsten)
von Intercsse sind. Excmplarisch für Schwingcr mit unendlich viclen Freiheitsgradcn werden
hier die Biegeschwingungen des geraden Trägers behandelt.
Es wurden alle von z abhängigen Funktionen (das können auch die Biegesteifigkeit EI und die
Massebelegung pA sein) auf einer Seite der Gleichung und alle von I abhängigen Funktionen
auf der anderen Seite zusammengefasst. Dann können die Gesamtausdrücke auf beiden Seiten
von keiner dcr beidcn unabhängigcn Variablcn abhängig scin. Sic wurdcn dcshalb glcich einer
Konstanten k gesetzt. mit der nun zwei gewöhnliche Differenzialgleichungen formuliert werden.
Dic einfachere der bei den f + k T = 0 ist die bekannte Differenzialgleichung der freien unge-
dämpften Schwingung 31.10 (Seite 613), und damit ist klar. dass die Konstante k das Quadrat
der Eigenkreisfrequenz einer harmonischen Schwingung ist: k = w2 .
Von lmeresse ist also vornehmlich dieses w und eventuell die zugehörige Schwingungsform.
Bcides kann aus der anderen gcwöhnlichen Differenzialgleichung berechnet werdcn:
( EI Z")"
-'---,--:::'- = k =
pAZ
?
w- '* (EI Z")" - w2 pA Z = 0 (32.34)
32.34 ist eine homogene Differenzialgleichung 4. Ordnung für die Schwingungsform Z, die unter
Beachtung der Randbedingungen (lineares Randwertproblem) gelöst werden muss.
Zur Vereinfachung wurde die Abkürzung A eingeführt, wobei / eine beliebig zu wählende Be-
zugslänge ist, die dafUr sorgt, dass A dimensionslos wird.
Die gewöhnliche lineare homogene Differenzialgleichung 4. Ordnung 32.35 gleicht bis auf das
Vorzeichen der Differenzialgleichung 19.5 (Seite 313), deren Lösung dort ausführlich demons-
n
triert wird. Der gleiche Weg führt fLir 32.35 auf die allgemeine Lösung
Z=CICOS(A +C2s in (An +C3cosh (Al) +C4 sinh (A D (32.36)
Die Integrationskonstanten in 32.36 müssen aus Randbedingungen bestimmt werden. Es ergibt
sich ein homogenes Gleichungssystem, das nur dann nichttriviale Lösungen haben kann, wenn
seine Koeffizientendeterminante verschwindet. Diese Bedingung führt auf eine Bestimmungs-
gleichung fUr A, aus der die (unendlich vielen) Werte A; bestimmt werden können, aus denen die
Eigenkreisfrequenzen
.~ Al
w, -
{Ei
/2 VPA
(32.37)
berechnet werden. Zu jeder Eigenfrequenz gehört eine Eigenschwingungsform, die allerdings nur
bis auf einen beliebigen Faktor bestimmt werden kann. Praktisch kann man so vorgehen: Man
Setzt in das homogene Gleichungssystem für die lntegrationskonstanten den zur Eigenschwin-
gungsform gehörenden A;-Wert cin und ordnet eincr belicbigcn (allerdings nicht von vornher-
ein verschwindenden) Integrationskonstanten den Wert I zu, um dann aus dem um eine Glei-
chung reduzierten System die anderen Integrationskonstanten zu bestimmen. Damit ist dann die
Schwingungsform Z;(z) bis auf einen beliebigen Faktor bekannt.
650 32 Systeme mit mehreren Freiheitsgraden
·1
I_B_e_is,;"p_ie_'_l·
... F"ur den Sk"lZzlerten Trager
.. . d d'Je drel. kl elnsten
.
_ sm
Eigenkreisfrequenzen der Biegeschwingungen und die zuge- f=":'"=z======},:L
EI,pA
hörigen Schwingungsfofmen zu ermitteln. IV
I
Gegeben: EI=3000Nm 2 : pA=3kg/m; 1=lm.
Die aUgemeine Lösung für die Schwingungsform 32.36 muss folgenden Randbedingungen an-
gepasst werden:
1.) v(z=O)=O =;. Z(z= 0) =0 ,
2.) v'(z=O)=O =;. Z'(z=O) =0
3.) v(z = I) = 0 =;. Z(z=I)=O
4.) Mh(Z = I) = -Elvl/(z = I) = 0 =;. ZI/(z=I)=O
Es werden also auch die ersten beiden Ableitungen der Funktion Z(z) benötigt:
COSA -COShA
sinA -sinhA ] [CI] [0]
[ - cOsA - cosh A -sinA-sinhA C2 - 0
Dieses homogene Gleichungssystem kann nur nichllriviale Lösungen haben, wenn die Koeffizi-
entendeterminante verschwindet
(COSA - COShA) (- sinA - sinhA) - (-COSA - coshA)(sinA - sinhA) = 0
Nach einigen elementaren Umformungen erhält man die Gleichlmg
f(A) = sinA cosh A - COSA sinhA = 0 (32.39)
die nur numerisch gelöst werden kann. Die drei kleinsten (positiven) Werte. die diese Gleichung
erfüllen, sind:
A3 = 10,21
Daraus errechnet man die Eigenkreisfrequenzen:
(01=487,6s- 1 roz=1580s- 1
32.6 Kontinuierliche Massebelegung, unendlich viele Freiheitsgrade 651
Zur Berechnung der Schwingungsformen Z(z) wird (willkürlich) die Konstante CI = I gesetzt.
Dann erhält man C3 = - I und
cosA -coshA
C2 = - ., . h' C4 = -C2
SIOI\.-S1l1 I\.
so dass sich die zum Eigenwert Ai gehörende Schwingungsform folgendermaßen darstellen lässt:
J=S; ';?]
Die Abbildung 32.15 zeigt die grafische 1. EIgenschwingungsform
Darstellung der Schwingungsformen zu
den ersten drei Eigenwerten.
Wenn - wie flir die Lösung dieses Pro-
o 0.2 0.4 0.6 0.8
blems und ähnlicher Aufgaben - die 2. Eigenschwingungsform
nu melische Berechnung am Ende doch
nicht zu vermeiden ist, sollte man sich
fragen, wann man zur numerischen Be- _:
rechnung übergehen sollte. Natürlich o 0.2 0.4 0.6 Q8 1
kann man bereits für die Lösung der 3. Ejgenschwingungsform
Aber für den Träger mit konstantem Querschnitt ist die analytische Lösung die im Sinne des
Berechnungsmodells exakte Lösung auch dann noch, wenn zum Schluss die Lösung der Ei-
genwertgleichung nur numerisch gelingt, denn man kann die Eigenwerte aus dieser ..exakten"
Gleichung beliebig genau bestimmen. Und genau aus diesem Grund bietet es sich an, mit der
Numerik schon etwas früher einzusteigen, an einem Punkt. an dem die Vorteile der .,exakten"
Lösung erhalten bleiben, aber der aufwendige (und damit fehleranf:illige) Teil der Handrech-
nung deutlich reduziert werden kann. Dieser Punkt ist bei diesem Beispiel erreicht, wenn man
das homogene Gleichungssystem für die Berechnung der Integrationskonstanten aufgestellt haI,
denn dann kann man ohne Verlust der Genauigkeit der Rechnung ftir das Suchen der NullsteI-
len die Bedingung "Koeffiziel1lendeterminante gleich Null" schon numerisch realisieren. Und
wenn man sich dazu entschließt, sollte man konsequent se;'l und mit eier numerischen Rechnung
schon unmittelbar nach dem Aufschreiben der Gleichungen starten (ohne den Versuch, einige
..einfach" zu eliminierende Unbekannte vorab zu entfernen). Im betrachteten Beispiel wäre dies
das Gleichungssystem mit vier Gleichungen, das sich aus den Randbedingungen ergibt:
I 0 I 0 CI 0
0 0 C2 0
=} Ac=o
cosA sinA coshA sinhA C3 0
-cosA -sinA coshA sinhA C4 0
652 32 Systeme mit mehreren Freiheitsgraden
f(A)=det(A)=O ,
die sich von 32.39 dadurch unterscheidet, dass bei der numerischen Lösung für jede Funktions-
wertberechnung f(A) eine Determinante berechnet werden muss, was bei Nutzung einer geeig-
neten Software keinen nennenswerten Unterschied bedeutet.
Die Berechnung mit bei den Varianten und eine große Anzahl von Vergleichsrechnungen mit
verschiedenen Näherungsverfahren (Differenzenverfahren. Methode der finiten Elemente, ...)
und verschiedenen Software-Produkten findet man unter www.TM-aktuell.de.
Beispiel 2: I
I_ _ _.....I Für den skizzlelten Ble-
gescbwinger ist das homogene Glei-
chungssystem zu formulieren, mit dem F=:Z"':I======E;;;==:;Z;'"2===E=]=A:::::J
die Eigenfrequenzen und die Eigen- !V
I
'T .p
schwingungsformen berechnet werden l/2 V2 l/2
..j...
können.
Gegeben: EI, pA, /.
Es muss in zwei Abschnitten gearbeitet werden (die nachfolgend verwendeten Koordinaten sind
im Bild der AufgabensteUung zu sehen). Die auf die beiden Abschnitte bezogenen Lösungen (als
i
*)
"beliebige Bezugslänge" wird /' = gewählt)
Zusätzlich zu den heiden ersten Ableitungen von Z (Gleichungen 32.38) wird hier flir die Quer-
kraft-Randbedingung im rechten Bereich noch die dritte Ableitung benötigt:
Z"' = ~: [CI sill (). D -Czcos (). D +C3s inh (). D +C4eosh (A D] (3240)
32.7 Aufgaben 653
Einsetzen der allgemeinen Lösungen 21 (zJl bzw. Z2(Z2) und deren Ableitungen in die Rand-
und Übergangsbedingungen liefert das homogene Gleichungssystem rur die acht Integrations-
konstanten :
0 I 0 0 0 0 0 CI 0
0 0 0 0 0 0 C2 0
cos}. sin}. cash}. sinh}. 0 0 0 0 C3 0
-sin}. cos}. sinh}. cash}. 0 -1 0 -I C4 0
-cos}. -sin}. cosh}. sinh}. I 0 -I 0 Cs 0
0 0 0 0 0 0 C6 0
0 0 0 0 -cos}. -sin}. cash}. sinhA C7 0
0 0 0 0 sinA -cosA sinhA coshA Cg 0
Dieses Gleichungssystem kann wieder nur dann nichttriviale Lösungen haben, wenn seine Ko-
efhzientendeterminallle verschwindet. Diese Bedingung gestattet die Berechnung der (unendlich
vielen) Eigenwerte Ai und die Berechnung der zugehörigen Schwingungsformen. Die komplette
Berechnung findet man unter www.TM-aktuell.de.
32.7 Aufgaben
[.Alt/gabe 32.1:I
..... EIIl masseloser Träger mll der konstanten
Biegesteifigkeit EI ist mit zwei Massen gleicher Größe m be- EI m m
setzt. JF=='10)==O
"j l/2
Gegeben: m, EI, I.
Man ermittle die beiden Eigenkreisfrequenzen für die Biege-
schwingungen des Systems.
654 32 Systeme mit mehreren Freiheitsgraden
I
Aufgabe 32.2: I
Eine Anlage A wird von einem Motor
mit dem Massenträgheilsmoment JI angetrieben. h, h
und J4 sind die Massenträgheilsmomente des Verzwei-
gungsgetriebes, J5 das Massenträgheilsmoment des Lüf-
tersystems.
<::,1
Das Massenlrägheitsmoment JA der anzutreibenden An- ~;\.\;'Y 1111 ~,
Aufgabe 32.3:
I_";';
I
.....1 Ein mit der Drehzahl" betriebener Mo-
tor ist auf einem elastisch und gedämpft abgestützten Kas-
tenfundament befestigt.
Die durch die Motorunwucht U = lI1"e verursachte Flieh-
kraft wird in horizontaler Richnmg durch die Führung
des Fundaments aufgenommen. Die vertikale Komponen-
te kann zu störenden Vertikal schwingungen des Motor-
Fundament-Blockes führen, wenn die Erregerkreisfre-
quenz in der Nähe der Eigenkreisfrequenz des erregten e/2 k
Systems liegt. Deshalb soll ein Tilger im Inneren des Fun-
daments diese Bewegung tilgen.
Gegeben: 111M = 50kg : II1p = IOOkg ; e = 2,6 .105 Nlm : " = 400min- 1 ;
II1Tg = 75 kg : 111" e = 0, I kgcm ; k = 3,75· 103 kg/s
a) Man berechne die Federzahl CTg für den Schwingungstilger (eTg soll die resultierende Feder-
zahl der parallel geschalteten Federn zwischen Fundament und Tilger sein).
b) Durch numerische Integration der Bewegungs-Differenzialgleichungen ist der Einschwing-
vorgang zu analysieren: Man ermittle die Bewegung des Motor-Fundament-Blocks ohne Til-
ger und mit dem dimensionierten Tilger die Bewegungen von Motor-Fundament-Block und
Tilger (T = O... 1,5 s). Anfangsgeschwindigkeiten und -auslenkungen sollen gleich Null an-
genommen werden.
Die Technische Mechanik kann vollständig auf wenigen Axiomen (mathematisch nicht beweis-
barcn, aber empirisch gcsichcl1cn und experimentell nachprüfbarcn Aussagen) aufgebaut wcr-
den. Auf den Axiomen der Statik (Abschnitt 1.2) und dem 2. Newtonschen Axiom (Abschnitt
28. I) ruht das gesamte Gebäude der Klassischen Mechanik.
Als Prinzipien der Mechanik werden Aussagen bezeichnet, die die klassischen Axiome ersetzen
können. Sie haben damit selbst axiomatischen Charakter, könnten anstelle der klassischen Axio-
me die Grundlage der Mechanik sein, sie erweitern jedoch das Gebiet der Klassischen Mechanik
nicht. Natürlich dürfen die Prinzipien auch nicht im Widerspruch zu den klassischen Axiomen
stehen. Sie sind wechselseitig auseinander herleitbar. Mit diesen Querverbindungen zwischen
den klassischen Axiomen und den Prinzipien der Mechanik befasst sich die Analytische Meclw-
nik, die darüber hinaus fUr spezielle Problemstellungen handliche Regeln fLiT die mathematische
Formulierung bereitstellt.
In diesem Kapitel werden die Prinzipien behandelt, die für wichtige spezielle Probleme erhebli-
che Vorteile gegenüber der Anwendung der klassischen Axiome bieten.
Die virtuelle Arbeit einer Kraft ist das skalare Produkt aus der Kraft und der virtuellen Ver-
schiebung des Kraftangriffspunktes, analog dazu wird auch die virtuelle Arbeit eines Mo-
lIlelllS definiel1:
(33.1 )
Virtuelle Verschiebungen bzw. Verdrehungen sind nur möglich, wenn das System mindestens
einen Freiheitsgrad an. Bei statisch fixierten Systemen hilft das Lösen von Bindungen (und
Ersetzen durch Kräfte bzw. Momente).
Beispiel J:I
I_"";'_....1 Das Loslager bel B wIrd durch die Kraft Fa
ersetzt. Der (damit nur teilweise von äußeren Bindungen ..L5..... A B:..J:::,....
gelöste) Träger kann sich dann um den Punkt A drehen, a
eingezeichnet ist die viltuelle Verdrehung ocp. Weil diese
infinitesimal klein ist, dürfen die virtuellen Verschiebungen
"'
der Kraftangriffspunkte in der Form "ocp bzw. locp aufge- ~ O_'r",--_j
. F , '10 mr
schrieben werden, und die von den beiden Kräften geleis- ft a 0'"
t Fn
tete virtuelle Arbeit beträgt: ;;. " r
<> Das Prinzip der virtuellen Arbeit ist gleichwertig mit dem Gleichgewichtsaxiom der Statik
und könnte an dessen Stelle die Grundlage sein, auf der die Statik aufbaut.
oe;> Man beachte, dass in 33.2 nur die äußeren Belastungen eiJlgehetl. Zwangskräfte (im Bei-
spiel I die Lagerreaktionen bei A) sind keinen viItuelien Verschiebungen ausgesetzt und
leisten dementsprechend keine virtuelle Arbeit. Genau dies ist der VOlteil (speziell für kom-
pliziettere Systeme) bei der Anweudung des Prinzips der virtuellen Arbeit: Man löst uur so
viele Bindungen (im Beispiel I das Lager B), wie für das Aufschreiben der Gleichungen
für die gesuchten Größen erforderlich ist. Diesem VOlteil steht der Nachteil gegenüber, ge-
gebenenfalls komplizierte kinematische Überlegungen anstellen zu müssen. Diese können
häufig anschaulich unter Beachlllng der Regeln für die "Kinematik starrer Körper" (Kapitel
27) oder formal gewonnen werden, was nachfolgend beschrieben wird.
Die Lage eines starren Systems mit f Freiheitsgraden kann immer durch f voneinander unab-
hängige (generalisierte) Koordinaten q] .... ,qJ eindeutig beschrieben werden. Häufig bietet sich
folgender Weg für das Aufschreiben der virtuelleu Verschiebung 01' eines Kraftangriffspunktes
an: Die Komponenten des ürtsvektors 1', der die Lage des Kraftangriffspunktes in einem festen
Koordinatensystem beschreibt, werden in Abhängigkeit von den generalisierten Koordinaten for-
muliert. Weil eine virtuelle Verschiebung wie ein Differenzial behandelt werden darf, ergibt sich
01' dann formal nach:
33.1 Prinzip der virtuellen Arbeit 657
d7 d7 dr
7 = r(q, ,q2, ... ,qJ) =? 07 = -0- oq, + -0- Oq2 + ... + -0- oqJ (33.3)
aq, aq2 aqJ
Man beachte, dass die generalisierten Koordinaten q; voneinander unabhängig sein müssen (bci
einem System m.it einem Freiheitsgrad gibt es deshalb nur eine Koordinate qt), dementsprechend
sind auch beliebige (voneinander unabhängige) virtuelle Verschiebungen oq; möglich. Die vir-
tuelle Arbeit kann schließlich immer in folgender Form aufgeschrieben werden:
oW = (.. .)oq, + (.. . )0(/2 + .. + (.. .)oqJ = 0 (33.4)
Da die oq; beliebige Werte annehmen können. ist die Gleichung 33.4 nur erfüllt, wenn jede
Klammer flir sich Null wird. Dies liefert f Bestimmungsgleichungen für f unbekannten Größen.
I_Beispiel 2:I
_ _ _.... ElI1e Walze auf der schIefen Ebene wtfd
über ein starres Seil von einem Gegengewicht im Gleich-
gewicht gehalten.
Gegeben: 1111, 11'l2, R1 , rl, a.
Die Größe der Masse m3 soll so bestimmt werden. dass
das System im Gleichgewicht ist.
Das System hat einen Freiheitsgrad, so dass alle Verschiebungen durch eine Koordinate ausge-
drückt werden können. Die kinematischen Zusrunmenhänge sind mit Hilfe der Momentanpole
M, und M2 (Abbildung 33.1) der Bewegungen von Walze bzw. Rolle recht einfach zu analy-
sieren (vgl. Abschnitt 27.1.3): Wenn der Masse 1113 die virtuelle Verschiebung OX3 erteilt wird,
bewegt sich auch der Mittelpunkt der Rolle 1112 um diese Strecke.
Das Seil muss die doppelte Strecke zurücklegen und
bringt die virtuelle Verschiebung 20X3 auf die Walze 1Il,
auf, deren Miuelpunktverschiebung sich aus der skizzier-
ten Strahlensatzfigur ergibt:
~ _R_t_ =? OXt = ~ OX3 2 cx,l
2e5x3 R, ~" R t ~ 'I
Während sich die Gewichtskräfte 11128 und 11138 jeweils
um OX3 bewegen, wirkt von der Gewichtskraft mt8 nur
die Komponente parallel zur schiefen Ebene nl'8sin a in
Richtung von OXt, wegen des entgegengesetzten Rich- Abbildung 33.1: Zusammenhänge der
virtuellen Verschiebungen mit Hilfe der
tungssinns wird dieser Arbeitsanteilnegativ, und das Prin-
Momcnranpole MI und M2
zip der virtuellen Arbeit liefert:
Die virtuelle Arbeit kann für beliebige virtuelle Verschiebung nur Null sein, wenn der Ausdruck
in der KlrullJner verschwindet. Das System ist im Gleichgewicht für
N,
1113 = 2ml - - - sina - 11'l2
R, - t l
658 33 Prinzipien der Mechanik
oe:> Das Beispiel 2 verdeutlichte, wann die Anwendung des Prinzips der virtuellen Arbeit einen
Vorteil bringt. Weil das System nicht freigeschnitten werden musste, gingen die Zwangs-
kräfte (Normalkraft und Haftkraft zwischen Walze und schiefer Ebene, Seilkraft, ...) in die
Rechnung nicht ein. Das äußere Gleichgewicht von Systemen starrer Körper konnte auf die-
se Weise recht einfach analysiert werden. Wenn auch die Zwangskräfte interessieren, sollte
man Gleichgewichtsbetrachtungen vorliehen.
Beispiel 3:
I_"";'_.....1I ZweI Stäbe mIt den Längen 11 und 12, de- Y, t\ l
ren Eigengewicht zu vemaehlässigen ist, sind wie skiz- a
ziert gelagert und durch die Gewichtskräfte der Massen I A
mn und me belastet.
12 = 2,5; ~
..c:
, x
Gegeben: -I I = I', //ln = 0,5 .
·1 I tne
Es soll der Winkel a ermittelt werden, für den das System
im Gleichgewicht ist.
Das System hat einen Freiheitsgrad, seine Lage ist durch die Angabe einer Koordinate (Winkel
a) eindeutig bestimmt. Es wird eine virtuelle Verdrehung 8a aufgebracht und zunächst unter-
sucht, welche virtuellen Verschiebungen sich dadurch für die Kraftangriffspunkte Bund C ein-
stellen. Wegen der etwas komplizie'teren kinematischen Zusammenhänge werden die Ortsvek-
toren rn( a) bzw. rc( a) zu beiden Punkten in einem (willkürlich definierten) Koordinatensystem
aufgeschrieben, 8rn und 8re ergeben sich dann jeweils nach 33.3:
re=
Auf diesem formalen Weg ergeben sich auch die richtigen Vorzeichen der virtuellen Verschie-
bungen, deshalb ist es konsequent, die Kräfte ebenfalls als Vektoren bezüglich der gewählten
Koordinaten aufzuschreiben. Mit
uW=
< { I'
-/IIng [ -Isma- -'-.(hy=+=/I,=si=na=,)=,I,=co=s=a] -meg/1cosa} 8a=0
JI? - (11+11 sina)2
Nullsetzen der geschweiften Klammer führt nach einigen elementaren Umformungen auf
33.2 Prinzip der virtuellen Arbeit für Potenzialkräfle, Stabilität des Gleichgewichts 659
-1=0
Mit den gegebenen Zahlenwerten liefert ein geeignetes Programm für diese transzendente Glei-
chung im Bereich 0° ::: a ::: 360° die beiden Lösungen (vgl. www.TM-aktuell.de):
at = 46,35° a2 = 242,92°
c:> Die im Abschnitt 10.4 bei der Beurteilung von Gleichgewichtslagen gewonnenen Erkennt-
nisse lassen vermuten, dass nicht beide errechneten Gleichgewichtslagen stabil sind. Die
Möglicbkeit, auch die Stabilität von Gleichgewichtslagel1 mit dem Prinzip der virtuellen
Arbeit zu beurteilen, wird im folgenden Abschnitt behandelt.
Zunächst werden Systeme mit nur einem Freiheitsgrad betrachtet, deren Lage sich eindeutig in
Abhängigkeit von einer Koordinate q beschreiben lässt. Dann kann die potenzielle Energie in der
Form U(q) aufgeschrieben werden, und weil die virtuellen Größen wie Differenziale behandelt
werden dürfen, folgt aus 33.6 unter Beachtung, dass diese Bedingung für eine beliebige virtuelle
Verschiebung oq emillt sein muss:
dU dU =0
oU = -oq=O (33.7)
dq dq
~
Die Abbildung 33.3 verdeutlicht die mit 33.7 gefundene Aussa- 12~
ge: Gleichgewicht ist möglich. wenn die potenzielle Energie (bei
4 5
beliebiger Lage des Null-Potenzials) ein relatives Extremum hat, , .
und man erkennt, dass die Gleichgewichtslage für ein relatives
Minimum stabil (Lagen 2 und 4) und für ein relatives Maximum
Abbildung 33.3: Stabile und in-
instabil ist (Lagen I, 3 und 5). stabile Gleichgewichtslagen
Weil das Vorzeichen der 2. Ableitung einer Funktion die Information liefert, ob ein Extremwert
ein Minimulll oder Maximum ist, steht ein Kriterium zur Verfügung für die Beurteilung von
d2 U
instabil für --<0 (33.9)
d(P
c:> Wenn auch die zweite Ableitung von U(q) verschwindet, müssen gegebenenfalls noch die
höheren Ableitungen untersucht werden. Ist die erste nicht verschwindende Ableitung un-
gerade (z. B.: UIII # 0), dann hat U(q) an dieser Stelle einen Sattelpunkt. Dieser Gleichge-
wichtszustand heißt indifferent.
Ist die erste nicht verschwindende Ableitung gerade, dann liegt ein relatives ExtTemum vor,
das nach dem Vorzeichen dieser Ableitung in entsprechender Modifikation der Bedingungen
33.8 und 33.9 beurteilt werden kann.
oe;> Für ein System mit mehreren Freiheitsgraden gilt U = U(ql,q2 .... ,qj). Die Aussagen
der Bedingungen 33.7 bis 33.9 dürfen sinngemäß durch die entsprechenden mathematischen
Aussagen fiir die Berechnung und Beurteilung von Extremwerten fLjr Funktionen mit meh-
reren unabhängigen Variablen ersetzt werden, z. B.: Das System kann nur im Gleichgewicht
sein, wenn alle partiellen Ableitungen von U nach den generalisierten Koordinaten qi ver-
schwinden.
33.2 Prinzip der virluellen Arbeit für Potenzialkräfle, Stabililät des Gleichgewichls 661
Beispiel]: I
I_"";_ _...1 Für das Betsptel 3 aus dem vongen
Abschnitt (Seite 658) soll die Stabilität der beiden
Gleichgewichtslagen untersucht werden.
Der in der Abbildung 33.4 gestrichelt gezeichncten
Lage wird (willkürlich) die potenzielle Energie Null
zugeordnet. In einer beliebigen (durch den Winkel a
beschriebenen) Lage ist die Masse mc dann um Vc an-
gehoben (positive potenzielle Energie) und die Masse Abbildung 33.4: Die gestrichell dargestell-
1n8 um V8 abgesenkt (negative potenziclle Energie). le Lage wird als Null-POlenzial definiert
Aus rein geometrischen Überlegungen (es müssen nur einige rechtwinklige Dreiecke betrachtet
werden) liest man aus Abbildung 33.4 ab:
vc=/lsina
=II1Cgll sina--
InB [ 1+
{ rne
Ableiten nach a und Nullsetzen dieses Ausdrucks (es genügt der Inhalt der geschweiften Klam-
mer) entsprechend 33.7 fuhrt auf die gleiche Beziehung (Seite 659), aus der bereits im Beispiel
3 des vorigen Abschnitts die Gleicbgewichtslagen berechnet wurden. Bilden der zweiten Ablei-
tungen und Einsetzen der Winkel, fLir die Gleichgewicht möglich ist, ergibt nach 33.8 bzw. 33.9
die Aussagen zur Stabilität.
Da das Bilden der Ableitungen et-
was lästig ist (und die Gleichung 05 U
fur die Gleichgewichtslagen oh-
Of--+---"-"'------t-----T1
nehin nur numerisch lösbar ist), 46,35"
liegt es nahe, U(a) direkt nume- -0.5
risch auszuwerten. Die Grafik (sie-
he www.TM-aktuell.de) in der Ab-
-,
bildung 33.5 zeigt die Funktion -1.5
L-_~_~_~_~_~_~ _ _"___'
V = -'L.,
IJ/(g 1
und ihre relativen Ex- o 50 100 150 200 250 300 350
trema tur die auch im vorigen Ab- Abbildung 33.5: Die Lagen der Extremwerte der Funktion V( a)
schnitt verwendeten Parameter. werden numerisch bestimmt
Es ergeben sich exakt die gleichen Werte al und a2, die sich auch im Beispiel 3 des vorigen
Abschnitts als Gleichgewichtslagen ergaben, hier allerdings mit den wichtigen Zusatzinforma-
tionen: Das relative Maximum bei al = 46,35° weist diese Gleichgewichtslage als instabil aus,
während das relative Minimum bei a2 = 242,92° auf einc stabile Gleichgewichtslage hinwcist.
662 33 Prinzipien der Mechanik
I
Beispiel 2:
I_"";_ _...1 Für den drehbar gelagerten Stab mIt der Masse
m, der in eine nicht vorgespannte Feder der Länge 10 einge-
A
C ~ 0
I
~
~
V(ß)=mg~21f -sinß+~ .
2
2} 1-
] =mg 2 V(ß)
~ ~
[ (smß+T) +(I-cosß)Z-T
mg
2r--~--~-~--~-~--~-~~
Auch wenn man das bei Aufga-
ben dieser Art etwas lästige Bilden 1.5
u
der Ableitungen einem symbolisch
rechnenden Programm übertragen
kann (siehe www.TM-aktuell.de). 0.5
muss die nachfolgende Nullstel- 28,4"
0
lensnche doch numerisch erfolgcn,
so dass man die relativen Extrem-
173,7" 270° 304,90
ß
-0.5
0 50 '00 150 200 250 300 350
werte von V(ß) auch direkt Ill1J11e-
risch suchen kann. Abbildung 33.6: Die Lagen der Extremwerte der Funktion U(ß)
werden numerisch besljmmt
Die Grafik in der Abbildung 33.6
zeigt die Funktion V und ihre re-
lativen Extrema für die bereits im
Abschnitt 10.3 verwendeten Para-
meter I~~ = 1 und 9 = I.
Die kleinen Bildchen lll1terhalb der Funktion V zcigen die 4 Gleichgewichtslagen, von denen nur
die beiden Lagen 1301 = 28,4 und 1303 = 270 0 (relative Minima der Funktion V) stabil sind.
Q
33.2 Prinzip der virtuellen Arbeit für Potenzialkräfle, Stabilität des Gleichgewichts 663
Alle bisherigen Beispiele in diesem Kapitel haben Systeme mit einem Freiheitsgrad behandelt.
Um zu zeigen, dass das Prinzip der vi'1uellen Arbeit auch auf Systcme mit mehreren Freiheits-
graden angewendet werden kann, wird nachfolgend ein (akademisches) Beispiel mit 2 Freiheits-
gradcn konstruicrt, das geradc noch einfach genug ist, um dic dabei auftretenden Probleme mit
erträglichem Aufwand zu verdeutlichen.
Beispiel 3:
I'-....;_ I
_.. Es sollcn dte Gletchgewlchtslagen en11Juelt wer-
den, die die beiden skizzierten Stäbe (Massen ml und 11l2, Län- G
gen It und (2) einnehmen können. Dabei soll auch die Stabilität
der einzelnen Gleichgewichtslagen untersucht werden.
Der rechte Stab ist in einem Gleitstein G gelagert, der sich in ei-
ner vcrtikalcn Führung reibungsfrci bewegen kann und mit ciner
Masse I1lJ belastet ist. Die Führung selbst kann sich horizontal
bewegen und ist dnrch die Masse 1114 belastet.
Gegeben: ml, m2, I1lJ, m4, II , 12·
Betrachtet wird der in Abbildung 33.7 skizzierte Stab-
Null-Potenzial
zwei schlag, auf den im Punkt G die beiden Gewichts-
kräfte der Massen I1lJ und m4 wirken. Als Null-Potenzial
wird (willkürlich) die horizontal geweckte Lage der bci-
den Stäbe (und die dazu gehörenden Lagen der Massen
mJ und m4) fcstgelegt. Die allgemeine Lage soll durch die
bei den Winkel <PI und <P2 beschrieben werden. In dieser
Lage haben sich die Schwerpunkte der Stäbe um y, bzw.
Y2, die Masse mJ um Ye und die Masse 114 um Xc abge- Abbildung 33.7: Definition des Null-
Potenzials und der allgemeinen Lage
senkt.
Dann gibt es ausschließlich negative Anteile für die potenzielle Energie des Systems:
U =-mlg± COS<PI -11l2g (I'COS<PI - ~ Sin<P2)
- mJg(lt COS<P1 -l2s in <P2) -11l4g (lt +l2 -li sin <PI -/2 COS <P2)
Aus den notwendigen Bedingungenjür das Aujtreter, von Extremwerten für Funktionen mit zwei
Veränderlichen (bier <PI und <P2) folgen die Gleichgewichtsbedingungen
~U
a<p1
= (~l1ltg+11I2g+I/IJg) II sin<p1 +m4gllcos<p1 =0
dU
d<P2 (~m2g+I1lJg) l2cos<P2-m4gl2sin<P2 =0
aus denen die Winkel berechnet werden können, für die Gleichgewicht möglich ist:
- J1J 4 !!!f + In)
tan <PI = m tan <P2 = (33.10)
I1lJ + T + 1112 m4
Das Verschwinden der ersten Ableitungen nach <PI bzw. <P2 ist notwendig für die Existenz von
relativen Extremwet1en der Funktion U. In der Mathematik wird gezeigt, dass ein Extremum für
die Funktion mit zwei unabhängigen Variablen tatsächlich vorliegt, wenn
664 33 Prinzipien der Mechanik
a2u. _
_ a2u- ( a2u )2 >0 (33.11)
alpr alpi alpt al(J2
für die aus den notwendigen Bedingungen errechneten Welle gilt. Es ist ein
Minimum flir
a2 u2 > 0
-a und ein Maximum für
aa2 u2 < 0 (33. I2)
lp, lp,
Für das aktuelle Beispiel errechnet man:
2
a
alpru = ('"2 111 ,g+ 11I2g + "'3g ) I ,cos lp, - 11I4gl, sm
. lp,
a2 u
-- - (~1Il2g + 11I3g) {2 SiJll(J2 -11I4g 12 cosl(J2
- 0
a2 u
alpi - alpt al(J2
Da die gemischte zweite Ableitung verschwindet, entscheiden hier ausschließlich die Vorzeichen
der zweiten Ableitungen nach lp, bzw. l(J2 über die Stabilität der Gleichgewichtslagen.
Die numerische AusweItung soll für die folgenden speziellen Welle erfolgen:
m2 = In] Jn4 = 2m] 1113 = 0 .
Dies entspricht der vereinfachten Fragestellung: In weleher La-
ge kann ein StabzweiscWag ausschließlich durch eine am frei-
c_
en Ende horizontal (nach links) gerichtete Kraft im Gleich-
gewicht gehalten werden (Abbildung 33.8)? Bemerkenswert
ist, dass über die Längen der Stäbe keine Angaben erforderLich
sind, weil sie in die Ergebnisse nicht eingehen.
Abbildung 33.8: Kann eine hori-
Aus 33.10 berechnet man mit den speziellen Werten:
zontale Kraft bei G dem Stabzwei-
4 I
tan lp, = - - tan l(J2 = - schlag das Gleichgewicht halten?
3 4
Es ergeben sich jeweils 2 Winkel, so dass man insgesamt vier Lösungen erhält, flir die in der
folgenden Tabelle die zweiten Ableitungen der Funktion U ausgewcnct werden:
a2u a2u
lp, l(J2
alpr alpi
a) -53.1° -166° >0 >0 33. I I erfüllt, nach 33. 12-+ Minimum
b) -53.1 0 14.00 >0 <0 33.1 I nicht crflillt -+ Sattel punkt
c) 126,9° -166° <0 >0 33.1 I nicht erfullt -+ Sattelpunkt
d) 126,9° 14,0° <0 <0 33.11 erflillt, nach 33. 12-+ Maximum
Mit dem in den Abschnitten 28.2.2 und 29.5.2 behandelten Prinzip von d' Alembert ist es mög-
lich, durch Einführen von Kräften und Momenten, die die Trägheit der bewegten Massen berück-
sichtigen, die Bewegungsgleichungen für kinetische Probleme durch Aufschreiben von Gleich-
gewichtsbedingungen (wie in der Statik) zu gewinnen. Es erweist sich als besonders effektiv,
wenn auch die Zwangskräfte (Kräfte an Führungen) zu ermitteln sind.
Wenn allerdings nur die Bewegungsgesetze gesucht sind, kann das Einbeziehen und anschließen-
de Eliminieren der Zwangskräfte ausgesprochen lästig sein. Für diesen Fall bietet sich eine Kom-
bination des Prinzips von d'Alembert mit dem Prinzip der virtuellen Arbeiten an. Betrachtet wird
zunächst ein Massenpunkt 111, auf den eingeprägte Kräfte, Zwangskräfte und die d' Alembertsche
Kraft m5 (keine Bewegungswiderstände wie Gleitreibung usw.) wirken. Beim Aufbringen ei-
ner virtuellen Verschiebung ör, die mit den Zwangsfüh.rungen verträglich sein muss, leisten die
(senkrecht zu den Führungen gerichteten) Zwangskräfte 1z keine vi.tuelle Arbeit:
(33.13)
Das Prinzip von d' Alembert 28.7 geht nach Multiplikation mit der virtuellen Verschiebung öl'
und bei Beachtung von 33.13 in die auf JOSEPH Lauts COMTE OE LAGRANGE (1736 - 1813)
zurückgehende Fassung über:
öW = (1,-m5)ör=0 (33.14)
Ein Massenpunkt bewegt sich stets so, dass bei einer (mit den Zwangs!iihrungen verTräg-
lichen) virtuellen Verschiebung die Summe der von den eingeprägten Kräften und den
d'AlemberTschen Kräftell geleisteten Arbeit verschwindet.
e:> Die Zwangskräfte erscheinen in dieser Fassung des d' Alembertschen Prinzips nicbt. Die
Gleichung 33.14 führt unmittelbar zu einer Bewegungs-Differenzialgleichung.
e:> Für ein System von Massenpllnklen mil s/Orren Bindungen untereinander modifiziert sich
33.14 zu
öW = }JF;" - 111; 5;) ör; = 0 (33.15)
;
weil auch die Kräfte in den starren Verbindungen keinen Beitrag zur virtuellen Arbeit leis-
ten, da sie paarweise mit entgegengesetzten Richtungen auftreten und den gleichen virtuellen
Verschiebungen ausgesetzt sind. Man beachte, dass diese Aussage bei nicht-starren Verbin-
dungen (z. B. Federn) nicht gilt, weil die Endpunkte der Verbindungsglieder unterschiedliche
virtuelle Verschiebungen erfahren.
e:> Die Aussagen 33.14 und 33.15 können sinngemäß auf starre Körper erweitert werden. Zu
den d' Alembertschen Kräften kommen die d' Alembertschen Momente hinzu, auch einge-
prägte Momente sind zulässig, und die virtuelle Arbeit dieser Momente errechnet sich durch
MuJLiplikation mit virtuellen Verdrehungen, so dass Illan 33.14 bzw. 33.15 analog zu Glei-
chung 33.2 erweitern darf.
666 33 Prinzipien der Mechanik
Beispiel J: I
I_"";_ _...1 Em Hubwerk wIrd durch das konstante Moment Mo angetneben. Es soll d,e Be-
sChleunigung ermittelt werden, mit der die Masse m angehoben wird.
Gegeben: Mo, Js, . JS2, " , '2, R2, m.
Das System hat eincn Freihcitsgrad. Die virtuellen Verdrehungcn der
Scheiben OCPI bzw. otf>2 und die virtuelle Verschiebung OX der Masse m
sind durch folgende Zwangsbedingungen verknüpft:
x 1
tf>2 = - ~ otf>2 = -ox
R2 R2
~ ~ ~
CPI=-tf>2=--x ~ OCPI=--OX.
'I 'I R2 "R2
Aus der virtuellen Arbeit des Moments Mo, der Kraft mg und der
d' Alembertschen Momentc sowie der d' Alembertschen Kraft
[( Mo-Jsl ~).')
'I R2
~ -JS2 x,
"R2 R'i.
+ (-mg-mx)] ox = 0
Beispiel 2:
I_"";_ I
_...1 FÜr eIße Laufkatze mJl angehängter Last darf als eIßfaches Berechnungsmodell
das skizzierte System mit zwei Massenpunkten IIIK und IIIL und einem masselosen dehnstan'en
Seil der Länge I verwendet werden. Es sollen die Bewegungs-Differenzialgleichungen rür dieses
System mit zwei Freiheitsgraden formuliert werden.
Als generalisierte Koordinaten werden XK (horizolltale Bewegung der
Laufkatzc) und ip (Pcndclwinkel der Last) vcrwcndet. Bci Systemcn mit
mehreren Freiheitsgraden empfiehlt sich das Aufschreiben der Ortsvek-
toren bezÜglich eines festen Koordinatensystems (in Abhängigkeit von
den generalisierten Koordinaten), um dann fOnllal zu Beschleunigun-
gen und virtuellen Verschicbungen zu kommcn:
!Tl it
Betrachtet wird zunächst ein System mit n Massenpunkten 1Il;, deren Lagen in einem kartesischen
Koordinatensystem durch die ürtsvektoren r; beschrieben werden. Die Punkte sind untereinander
durch starre oder nicht-starre Bindungen gekoppelt. Das Massenpunktsystem möge f Freiheits-
grade haben, so dass seinc Lagc eindeutig durch f (voneinander unabhängige) generalisierte
Koordinaten qj beschrieben werden kann. Unter der Voraussetzung, dass die nicht-starren Bin-
dungen aufgetrennt werden, so dass die in ihnen wirkenden Kräfte als äußere Kräfte behandelt
werden dürfen, gilt das Prinzip von d' Alembert 33.15:
n n n
oW = [U';" - l I l j ii j )orj = [1;" or; - [I/ljiij orj = oW, - oW", = 0 (33.17)
;=1 ;=1 i=1
Die ürtsvektoren r; können in Abhängigkeit von den generaljsierten Koordinaten in der Form
(33.18)
aufgeschrieben werden, und für die virtuellen Verschiebungen gilt entsprechend 33.3:
_ drj drj drj ~
or; = "". oq] + ... +"". oqj + ... +"". uqf (33.19)
uq] uqj aqf
Der erste Term in 33.17, dje virtuelle Arbeit der eingeprägten Kräfte, lässt sich mit 33.19 folgen-
dermaßen umformen:
f
= oqf=[Qjoqj
j=]
mil 11 arj
.....
Qj = [r;"-d (33.20)
i=1 q)
Die virtuelle Arbeit oW, kann also aus dem Produkt der eingeprägten Kräfte mit den virtuellen
Verschiebungen der Kraftangriffspunkte orj oder dem Produkt aus den nach 33.20 zu berech-
nenden Qj und den virtuellen Verschjebungen oqj berechnet werden. Man nennt deshalb die Qj
generalisierte Kriifte.
Wenn die eingeprägten Kräfte ausschließlich Potenzial kräfte sind, kann die virtuelle Arbeit oW,
entsprechend 33.5 durch -oU ersetzt werden:
dU dU dU
oW, = -oU = -"". oq] - ... -"". oqj - ... -"". oqf (33.21 )
aq, aqj aqf
33.4 L1grangesche Bewegungsgleichungen 669
und der Vergleich mit der Herleitung von 33.20 zeigt, dass die generalisierten Kräfte sich in
diesem Fall recht einfach aus der potenziellen Energie berechnen lassen:
Q) -- -oqj
-
oU (33.22)
Wenn nur ein Tcil der eingcprägten Kräfte Potenzial kräfte sind, sollten diese durch 33.22 erfasst
und nur für die Nicht-Potenzialkräfte sollte 33.20 benutzt werden. Dabei ist es möglich, dass eine
generalisierte Kraft aus bciden Quellen Anteile bezieht.
Der zweite Term in 33.17, die virtuelle Arbeit der Massenkräfte, lässt sich mit 33.19 folgender-
(o,j O,j)
maßen umformen:
n _ _ n _ orj
8Wm = LmjQ j 8rj = LlI1jQj B 8q1 + ... + ~ 8qj + ... + B 8qf
j~1 j=J q1 q) qf
(33.23)
n (
= [
j~1
f oi'
nljäj L-'. oq}
)
j~1 oq)
f n
= L Lm;iij oq) oqj
or
j=1 j=1
_I.
Es soll nun gezeigt werden, wie 8Wm mit der kinetischen Energie des Massenpunktsystems
T= L
"(j 2 I 2 I 2) I" 2 2 2
-lI1jVx +-mjvy +-mjV, = -2 Lmj (vx+vy+vJ = - Lmjvj
I" -2
(33.24)
2
j~1 2 2 j~1 2j~1
zusammcnhängt. Für die Geschwindigkeitsvektorcn der Massenpunkte gilt mit 33.18:
_
drj O'j. orj .
= -0 q1 +"'+-0 qj+ .. ·+-o qf
Vj= -
O'i .
(33.25)
dl q1 qj qf
Die Ableitungen der generalisierten Koordinaten nach der Zeit qj sind die generalisierten Ce-
schwindigkeiten. Nachfolgend wird die partielle Ableitwlg von Vj nach qj benötigt. Es gilt
OVi -
-
O'j (33.26)
oqj oC/j
weil die ül1svektoren'j nicht von den generalisierten GeSChwindigkeiten abhängig sind.
Mit den partiellen Ableitungen der kinetischen Energie 33.24 nach qj bzw. qj
oT "
- = Lmjv;-
_ OVi oT" _ OVj " _
- . = EfUjV;-. = [ l n j V j -
O'j
oqj i~1 oqj oqj j=l oqj j~1 oqj
und der nochmaligen Differenziation des zweiten Ausdrucks nach der Zeit
In 33.17 können die virtuelle Arbeit der eingeprägten Kräfte nach 33.20 durch
J
oWe = L Qj oC/} rniL
j=1
und die virtuelle Arbeit der Massenkräfte nach 33.23 in Verbindung mit 33.27 durch
oW", =
ot oC/} = LI [ddt (OT)
LJ"LII/;a; oe'. OT]
~ - a-: oqj
J~I ,~t IJ 1.,
J~I qJ
Da die J vil1uellen Verschiebungen oqj unabhängig voneinander sind (System hat J Freiheits-
grade), kann 33.28 nur erfLillt sein, wenn die geschweifte Klammer für jeden Summanden einzeln
verschwindet. Die entstehenden Beziehungen heißen
d
dt
(OT) oT
oi/} - oC/} = Qj
j= 1.2, .... / . (33.29)
Die J Gleichungen gelten fur ein System mit J Freiheitsgraden, dessen Lage durch genau
/ generalisierte Koordinaten beschrieben wird. T ist die kinetische Energie des Gesamtsys-
tems, die generalisierten Kräfte Qj können nach 33.20 aus den eingeprägten Kräften und den
Ortsvektoren ihrer Angriffspunkte oder bei Potenzialkräften aus der potenziellen Energie nach
33.22 berechnet werden.
oe:> Man beachte, dass bei der Herleitung der Lagrangeschen Gleichungen 2. Art konsequent
die Verwendung generalisierter Koordinaten vorausgesetzt wurde (diese dürfen nicht über
Zwangsbedingungen voneinander abhängig sein). Die Lagrangesche Funktion L(qj,{/j) darf
also z. B. beim Einsetzcn in 33.30 nur noch diese Koordinaten enthalten.
oe:> Die Lagrangeschen Gleichungen 2. Art 33.29 und 33.30 wurden hier für Massenpunktsys-
teme hergeleitet, gelten aber auch für Systeme starrer Körper. Dann sind unter den genera-
lisierten Koordinaten im Allgemeinen auch Winkel, so dass 33.20 und 33.22 generalisierte
Momente liefern. In die kinetische Energie fließen auch die rotatorischen Anteile ein.
oe:> Vereinfachend wurde bei der Herleitung angenommen, dass die Ortsvektoren r; entspre-
chcnd 33.18 nicht auch cxplizit von dcr Zeit t abhängig sind (natürlich sind sie von t ab-
hängig über die zeitabhängigen generalisierten Koordinaten). Berücksichtigung auch einer
expliziten Zeitabhängigkeit führt allerdings ebenfalls auf die Gleichungen 33.29 und 33.30,
so dass diese Beziehungen auch für diesen Spezialfall gelten.
oe:> Erinnerung an die Differenziationsregcln: Partielle Ableitungen nach einer Variablen wer-
den gebildet, indem alle übrigen Größen als Konstanten betrachtet werden. Beim Bilden der
partiellen Ableitung nach qj ist also auch i/j wie eine Konstante zu behandeln (und umge-
kchrt). Im Gegcnsatz dazu bczieht sich die Ableitung nach der Zeit in den Lagrangeschen
Gleichungen 2. Art auf alle zeitabhängigen Größen.
oe:> Wenn nicht alle eingeprägten Kräfte Potenzialkräfte sind, kann auch mit einer Kombination
von 33.30 und 33.29 gearbeitet werden. Die Potenzialkräfte werden ['tber die Lagrangesche
Funktion erfasst, und für die Nicht-Potenzialkräfte werden generalisierte Kräfte nach 33.20
berechnet, die entsprechend 33.29 einIließen.
I_ I
Beispiel J:
_ _...... Für das BeIspIel von SeHe 530 (nebenstehende Skizze) soll -----
a
die Bewegungs-Differenzialgleichung mit Hilfe der Lagrangeschen Glei-
chung bcstätigt werden. Mit dem Null-Potenzial bei x = 0 könncn die
Energien so aufgeschrieben werden:
I
T='2m,;2 I (~
U=-mgx+'2c va 2 +x2 -b )2
(in der Klammer steht die Differenz der aktuellen Federlänge und der
Länge der entspannten Feder b). Für die Lagrangesche Funktion
1.
L = T - U = '2m.r
1 I (~
+mgx- '2c va" +x"-b )2
werden die benötigten Ableitungen gebildet:
Beispiel 2:I
I_ _ _..... Für em Doppclpcndel sollen die Bewegungs- A
\
Differenzialgleichungen der freien Schwingungen hergeleitet wer- <f> ~
~
~
I 2 I .2 I 2 I .2
T= 21111 VI +2Jsl <PI + 21112V2+ 2 Jsz1fJ2
Für das Aufschreiben der potenziellen Energie wird das Null-PotenziaJ (willkürlich) auf die Höhe
des Punktes A gelegt, so dass beide Anteile negativ werden:
Da nur Potenzialkräfte wirken, wird für 33.30 die Lagrangesehe Funktion formuliert:
" 1 2.2 1 ·2
L= 7 -U = 2mlsl <PI +2JS1 <PI
+ 21 m2 [I,2<PI. 2 '.2 . . J .2
+silfJ2 +2/1S2 <PI Cf'2COS(<P1 - Cf'2)] + 2Jsz1fJ2
-m252
[Inl - eos(lpl - <f>2) ]..
Ipl + [ln2
- (S2)2
- + -JS2] <f>2..
I1 "" I, 1n,/f
=
"'2 S2 . 2 .
- - cp, sm( CPI - <f>2) -
"'2
-
S2 g .
- - sm <f>2
"'I I, "'I 11 I 1
<> Als Ergebnis des Beispiels 2 ist ein Differenzialgleichungssystem entstanden, das aus der
Sicht der Mathematik so ziemlich alle denkbaren unangenehmen Eigenschaften hat: Es ist
inhomogen, hochgradig nichtlinear und in den Gliedern der höchsten Ableitungen (Be-
schleunigungen) gekoppelt (beide Beschleunigungen in beiden Differenzialgleichungen),
und die Kopplungskoefftzienten sind von den gesuchten Funktionen abhängig (Beispiel 3
zeigl mit "Ereignissen" noch eine weitere Unannehmlichkeit). Dies ist bei praxisrelevanten
Problemen leider eher Regel als Ausnahme. Eine Lösung ist nur numerisch möglich und
findet sich im Kapite) 35.
<> Das Beispiel 2 zeigt auch, dass bei Problemen dieser Art praktisch nur der hier demonstrierte
Weg mit einiger Sicherheit zu korrekten Differenzialgleichungen führt. Es ist zwar möglich,
nach den im Abschnitt 29.5.2 gegebenen Empfehlungen mit dem Prinzip von d' Alembert zu
arbeiten (Freischneiden und Gleichgewicht), die Chance, damit korrekte Differenzialglei-
chungen zu erzeugen, ist allerdings vergleichsweise gering.
674 33 Prinzipien der Mechanik
I
Beispiel 3:
I_"";_ _...1 Etne Laufkatze (Masse II1K) trägt
a
für
für
/ < !J./
/2:!J.t
Cr = {O
C
fur
für
x<a
x2:a
X
Die Bewegung soll durch die beiden generali-
X
sierten Koordinaten x und rp beschrieben werden
J:::::i:L
I
O-Pet.
(Abbildung 33.10).
r
Während die Federkraft als Potenzialkraft in die rp
ls
potenzielle Energie einfließt, iSI die Antriebskraft
als generalisierte Kraft zu behandeln. Weil sie un-
veränderlich die Richtung und den Richtungssinn !y rs ,S
von x hat, muss bei Verwendung von 33.30 nur die
oauf der rechten Seite durch F, ersetzt werden. Abbildung 33.10: Koordinalen, Null·Polenzial
Während dic Laufkatzc wie ein Massenpunkt mit der Koordinate x verfolgt wcrden kann, wird flir
die Beschreibung der Lage des Schwerpunkts der pendelnden Last der ürtsveklOr rs eingeführt.
Seine Ableitung nach der Zeit ist der Geschwindigkeitsvektor des Punktes S:
= 2- + I~ ep2 + 2/sxepcos rp
Damit kann man die gesamtc kinetische Energie des Systems (Translation der Masse 111, Trans-
lation der Masse II1L mit der Bahngesehwindigkeit ihres Sehwerpunkts "s und Rotation von II1L
um S) folgendermaßen aufschreiben:
I I I
T= '2I1lKx2 + '2 II1L (.r2 +l~ ep2 + 2/sxepcosq» + '2 hep2
33.4 L1grangesche Bewegungsgleichungen 675
Die potenzielle Energie setzt sich aus Energie der Lage von mL und der Energie in der Feder
zusammen. Mit dem Null-Potenzial nach Abbildung 33.10 erhält man:
1
U = -IIlLglscosip + '2 C, (x - a)-
?
~ (~~) =II1KX+I1lLX+IIlLIsif>coSip-I1lLlsep2sinip
dL
dx = -C, (x-a)
dL
dep =mLI1ep+mLlsicosip+hep
d(dL)
dt 12 ..
dep =mLsip+mL I"
sxcoSip-mL I'"
sXipS1l1ip+ J"
Lip
dL = -mLI
0-
'
siepSlI1ip-ml .
glssll1ip
vip -
Das sich damit ergebende Differenzialgleichungssystem sieht in geordneter Form so aus:
(mK + mc)x + (I11L Iscos ip) if> = I11L Is ep2 sin ip - C, (x - a) + F,
(33.33)
(mLlscos ip)x+ (I11L 11 + Jc) if> = -mal5sin ip
Auch wenn dieses Differenzialgleichungssystem nicht ganz so kompliziert aussieht wie das Sys-
tem 33.32 für das Doppelpendel (Beispiel 2), so hat eS aus mathematischer Sicht doch alle dort
aufgelisteten unangenehmen Eigenschaften. Hinzu kommen ein zeilabhängiges Ereignis (Fr wird
plötzlich Null bei t = fit) und mehrere wegabhängige Ereignisse (Anschlagen an die Feder, Lö-
sen von der Feder). Da das System aber ohnehin nur numerisch lösbar ist, machen diese zusätz-
lichen Schwierigkeiten die Lösung nur unwesentlich komplizierter.
Die numerische Lösung der DifferenziaJgleichungssysteme 33.32 und 33.33 ist zwar fnrmal
nicht sehr schwierig, die Bewertung der Ergebnisse ist allerdings nicht ganz einfach.
Die Lösungen für die Beispiele 2 und 3 aus diesem Abschnitt werden deshalb in das Kapitel
35 .. Verifizieren von Computerrechnungen" verschoben. weil dort diskutiert werden kann. ob
damit auch die Richtigkeit der Differenzialgleichungen zu bestätigen ist.
676 33 Prinzipien der Mechanik
Betrachtet werden in diesem Abschnitt linear-elastische Strukturen, die sich unter der Einwir-
kung äußerer Belastungen verformen.
I
Beispiel J:
I_ _ _...... Nach dem Im Abschnitt 33.2 behandelten
Prinzip der virtuellen Arbeit für Potenzial kräfte kann die
Federverlängerung s infolge des Einhängens der Masse m
O-Pot.
aus der potenziellen Energie
l F
U = -mgs+ 2" cs2 Abbildung 33.11: Elastische Verfor-
mung einer Feder
nach 33.7 berechnet werden:
dU =0 mg
-mg+cs=O s=-
ds c
Im Folgenden soLI nur die Formänderungsenergie Wi in den elastischen Bauteilen durch die po-
tenzielle Energie erfasst werden (im Beispiel I die Formänderungsenergie der Feder tC
s2), wäh-
rend die Arbeit der äußeren Kräfte (im Beispiel I die Gewichtskraft mg, in der Abbildung 33.11
die Kraft F in der rechten Skizze) gesondert als W" eingeht.
Im Abschnitt 33.2 wurde gezeigt, dass für die virtuelle Arbeit einer Potenzialkraft DW und dem
durch die gleiche virtuelle VerSChiebung erzeugten Zuwachs an potenzieller Energie DU entspre-
chend Gleichung 33.5 der Zusaounenhang DW = -DU besteht. Daraus leitete sich die Beziehung
33.6 ab: DU = O. Diese kann, wenn nur ein Teil der Belastung über die potenzie))e Energie erfasst
wird, zu D(U - W) = 0 modifiziert werden. Mit der gerade erwähnten gesonderten Elfassung von
Wi und W" muss also
D(W,-Wa)=O (33.34)
gelten. Man überzeugt sich leicht, dass fiir das Beispiel mit Wi = tC
S2 und ':Va = mgs bzw.
Wo = Fs die folgende Bedingung zu dem bekannten Ergebnis flir die Verlängerung s der Feder
fLihrt:
d(Wi-Wo) =0 =? ~ (~cs2-FS) =cs-F=O =? s= ':'.-
ds ds 2 c
Die Beziehung 33.34 ist eine Erweiterung des im Abschnin 33.2 behandelten Prinzips der virtuel-
len Arbeit. Für die Differenz in der Klammer wird der Begriff elastisches Potenzial n verwendet,
und die im Abschnitt 33.2 gewonnene Erkenntnis, dass bei einer stabilen Gleichgewichtslage die
potenzielle Energie ein relatives Minimum hat, lässt sieh erweitern zum
oe:> Die virtuelle Arbeit einer äußeren Kraft ergibt sich nach 33.2 aus dem Produkt der Kraft und
der virtuellen Verschiebung. Deshalb ist W" auch in 33.35 als Produkt "Kraft· Verschiebung"
zu bilden (vgl. das Einflihrungsbeispiel: Wa = mgs bzw. Wa = Fs). Man beachte unbedingt:
Die Endwertarbeit Wa ist nicht identisch mit der im Kapitel 24 eingeführten Arbeit
der äußeren Kräfte Wa• Während w" die "tatsächlich zu leistende Arbeir' ist (vgl. Ar-
beitssatz 24.5: W; = W,,), ist W" so zu bilden. als hätte die Kraft entlang des gesamten
Verfonllungsweges bereits ihre volle Größe (deshalb der Begriff "Endwertarbeir').
ZwangskräJre (LageITeaktionen) sind keinen virtuellcn Verschiebungen ausgcsetzt (vgl.
Abschnitt 33.1) und liefern keinen Beitrag zu W".
oe:> Die Formänderungscncrgie W; kann mit den im Abschnitt 24.2 für die Grundbeanspru-
chungsarten hergeleiteten Formeln (Zusammenstellung auf Seite 424) aufgeschrieben wer-
den, in denen die Schnlttgrößen mit den in den Kapiteln 17 bis 21 elltwickelten Zusammen-
hängen durch die Verformungen ersetzt wurden.
Beispiel 2; I
I_ _ _ _...I Für emen Kragträger Inlt emer Kraft F am
FI
tu
freien Ende beträgt die Endwertarbeit W" = Fv(l), und mit
der Formänderungsenergie für den Biegeträger nach 24.12
liefert 33.35: /EI -lC~=rV(Z=I)
v(z)
n=2'1 J,,2 ()
Elv dz-Fvl ~ Minimum. (33.36) I-----"--~
I
oe:> Man beachte, dass damit für die Verformungsberechnung für ein elastischcs Bauteil eine
Formulierung gegeben ist, die sich von den bisher behandelten mathematischen Modellen
wesentlich unterscheidct. Wällfcnd bei den in den Kapiteln 17 bis 21 behandelten RandweIt-
problemen (z. B.: Differenzialgleichung dcr Biegelinie einschließlich der Randbedingungen)
eine Funktion gesucht war, die die Differenzialgleichung und die Randbedingungcn erfüllt,
wird bei der Benutzung des Prinzips vom Minimum des elastischen Potenzials eine Funktion
gesucht, die einenlntegralausdruck minimiert.
Dic Bedingung der Verträglichkeit virtueller Verschiebungen mit den geometrischen Bin-
dungen (Abschnitt 33.1) überträgt sich sinngemäß auf die Funktionen, die zur Konkurrenz
bei der Suche nach dem Minimum des elastischen Potenzials zugelassen sind:
Die Funktionen, die die Verformungen eines Bauteils beschreiben, müssen die geometri-
schen Randbedingungen erfüllen. Nur unter diesen so genannten (zulässigen) Vergleichs-
funk/ionell dürfen diejenigen gesucht werden, für die das elastische Potenzial n
nach
33.35 zum Minimum wird.
oe:> Bemerkenswert ist, dass sich die Anforderungen an die Vergleichsfunktionen auf die Er-
füllung der geomelrischen Ralldbedillgullgell bescllfänken (für ein Biegeproblem sind das
die Aussagen über v und v'). Natürlich muss die Lösung auch die so genannten dynamischen
678 33 Prinzipien der Mechanik
Randbedillglillgell erfüllen (bei Biegeproblemen die Aussagen über Biegemoment und Quer-
kraft). Dies braucht jcdoch nicht als gesonderte Forderung formuliert zu werden, weil sich
das Minimum des clastischen Potenzials nur für diese Funktionen einstellen kann.
e:> Die Frage, wie man (unter den im Allgemeinen unendlich vielen zulässigen Vergleichs-
funktionen) die Funktion herausfinden kann, die für einen vorgegebenen Tntegralausdruck
einen Extremwert liefert, ist Gegenstand eines speziellen Zweiges der Mathematik. In der
Variarionsrechnllng werden einerseits die Zusammenhänge zwischen den Variarionsproble-
mell (Imegralausdruck soll extrem werden) und den zugehörigen Randwertproblemen unter-
sucht, andererseits werden sehr leistungsfahige Näherungsvelfahren für die Variationspro-
bleme bereitgestellt I. Die Überlegungen des nachfolgenden Beispiels bereiten auf das im
näehstcn Abschnitt zu behandelndc Vcrfahren vor.
Beispiel 3: I
I_ ....._....1 MIt den Im KapItel 17 beschnebenen Verfah-
ren (Differenzialgleichungen der Biegelinie) ermittelt man
für den Kragträger des Beispiels 2 unter dcr Voraussetzung
m2- m3]
konstanter Biegesteifigkeit EI die "exakte" Lösung:
Wenn diese Funktion in den Ausdruck für n (Formel 33.36) eingesetzt wird, erhält man mit
n"'in="2(E!)2
J
2 2
EI F /
I
(Z)2
I-i
FI
3 2 3
F /
d z -F 3EI =-6EI
:~O
einen WCJ1, der von keiner zulässigcn Vergleichsfwlktion unterboten wcrden kaflll.
Dies soll mit einer Funktion demonstriert werden: Die Funktion VI (z) = az4 z. B. mit zunächst
belicbigem Faktor a crfüllt die beiden geometrischen Randbedingungen VI (0) = 0 und 1"1 (0) = 0
und ist damit als Vergleichsfunktion zulässig. Mit VI ergibt sich
I
nj ="2
EIJ (12az 2 )2 dz- Fal 4 = 5"
72 Ela 2 / 5 -Fal 4
z=O
und nl ist bei beliebigem a größer als n",ü" wie folgende Extremwertbetrachtung beweist:
anl =0 5F 5 F2 l 3
aa a=---
144EIl
----
288EI
Der errechnete Wert (nicht sein Betrag) ist auch für das optimale a größer als n",in.
I Dir wiC'htigstc Strategie in der Variationsrechnung zum Auffinden der Funktion. für die das VariationsprobJcm den
Extremwert lalsächlich aoojrnnll. i!>l die Überfiihrung in ein Randwenproblem. Für das Problem 33.36 wäre dies
die Differenzialgleichung der Biegelillie mit den zugehörigen Ralldbedingungcn. Gennu die<;c Strategie ist aber rur
de,n Ingenieur in der Regel nicht interessant. weil er dann gleich das Randwertproblem fonnuliercn k<lllll. Deshalb
sind die so genannten direkten Verfahren der Variarioflsreclmung nonnalerweise die einzige sinnvolle Alternative.
Besonder!. wichtige VCl1rC(er dieser Verfahren werden nachfolgend behandelt.
33.5 Prinzip vom Minimum des elastischen Potenzials 679
dJ =0 i = 11 2 1 . " , Il (33.40)
dG;
bilden ein lineares Gleichungssystem mit n Gleichungen für die n Koeffizienten G;.
Die Strategie der Realisierung dieses universell anwendbaren Verfallrens (auch für mehrdimen-
sionale Probleme) wird zunäcbst noch einmal an dem sehr einfachen Beispiel aus dem vorigen
Abschnitt demonstriert.
Beispiel]: I
I_ _ _ _.... Mit den dreI Funktionen
gebildet. Für J wird das elastisclle Potenzial (vgl. Beispiel 2 im vorigen Abschnitt) mit vformu-
liert, und 33.40 liefert die BestirnmllngsgJeichungen für die Koeffizienten Gi:
680 33 Prinzipien der Mechanik
i
/
on
--0'
/
EI j(2al+6a2Z+12a3Z2).12z2dZ-FI4=0
Z~O
Nach der Integration erhält man ein lineares Gleichungssystem mit folgender Lösung:
Damit liefen das Ritz-Verfahren mit den gewählten Ansatzfunktionen dieses Ergebnis:
3
_ FI 2 F 3 F/ [ (Z)2
V(Z) = 2EI Z - 6EI Z = 6EI 3 7 - (Z)3]
7
r.:> Die "Näherungslösung"' ist in diesem Fall mit der exakten Lösung identisch. Es gilt generell:
Wenn im Ritz-Ansatz v(z) (zufällig) die exakte Lösung enthalten ist, liefen das Verfahren
die Koeffizienten ai so, dass v(z) zur exakten Lösung wird.
r.:> Die Qualität der Näherungslösung wird wesentlich dadurch bestimmt, wie gut mit den An-
satzfunktionen Vi(Z) die tatsächliche (das elastische Potenzial minimierende) Lösungsfunk-
tion anzunähern ist. Die Wahrscheinlichkeit, eine gute Näherung zu ermöglichen, erhöht
sich natürlich mit einer größeren Anzahl von Ansatzfunktionen. Sollten völlig untaugliche
Vergleichsfunktionen darunter sein, dann werden sie vom Verfahren ohnehin herausgefil-
ten (a3 = 0 im gerade behandelten Beispiel sorgt dafür, dass die Ansatzfllnktion V3(Z) = Z4
keinen Anteil zur Lösung beiträgt).
33.5 Prinzip vom Minimum des elastischen Potenzials 681
Das elastische Potenzial n, das in 33.35 als Differenz von Wi und Wa definiert wurde und beim
Verfahren von Ritz entsprechend 33.38 für die Funktion J steht, muss für ein beliebiges System
natürlich mit allen Formänderungsenergien für Wi und der Endwertarbeit aller äußeren Kräfte
für Wa aufgeschrieben werden. Dies soll hier exemplarisch für Biegeträger formuliert werden,
bei denen außer der Formänderungsenergie, dje jm verformten Träger steckt, auch noch Beilräge
von elastischen Lagern (Federn
mit der Federzahl c, Drehfedern ~
mit der Drehfederzahl CT) zu be- cr F ql
rücksichtigen sind. Belastet wer-
den Biegeträger durch Einzelkräf- "
==~~=:::;o:==~======:::;;:==~
----=!: ,
te, Einzelmomente und Linienlas- El( z) ~ Cz
ten (Abbildung 33.12 zeigt einen v
Biegeträger mit diesen Lagern und Abbildung 33.12: Biegeträger mit elastischen Lagern
Lasten).
Elastisches Potellzial fiir eillell Biegeträger mit Ullielliasl, Eillzelkräflell IIl1d Eillzelmo-
melltell, der elaslisch allf Federn IIl1d Drehfedern gelagerl isl:
D=-I
2
J I '\'
2,
2 I '\'
EIl' ,,2 dZ+-L.CkVk+-L.Cr.,Vk
2,
,2 - J '\'
qvdz-L.FkVk-L.MkVk
k
'\' '
k
. (33.41)
I I
Vk und Vk' sind die Durchbiegungen bzw. Biegewinkel an den Angriffspunkten von Lasten
bzw. Federn.
c:> Für das zentrale Problem bei der Benutzung des Ritzsehen Verfahrens, geeignete Ansatz-
funktionen zu finden, bieten sich folgendc Möglichkeiten an:
• Mit Polynom funktionen lasscn ich immer Ansätze finden, die die geometrischen Rand-
bedingungen erfüllen. Für diese Funktionen sind die Integrale (zumindest bei konstanter
Biegesteifigkeit) geschlossen lösbar. Unter www.TM-aklllell.de findct man zahlreiche
Beispiele, die mit dieser Strategie gelöst werden.
• Im Abschnitt 33.5.4 wird mit bereichsweise formulierten Ansatzfunktionen eine beson-
ders leislungsfahige Variante behandelt.
• Oft bietet sich eine recht pragmatische (und schnellc) Lösung an: Man entnimmt For-
melsammlungen oder Taschenbüchern die Lösung von Problemen mit gleichen geome-
trischen Randbedingungen (bei belicbigen Belastungen, Steifigkeitcn, ... ) und hat damit
zulässige Vergleichsfunktionen. Dies demonstriert das nachfolgende Beispiel.
I
I-=B'--e-=-is-p-=-ie-=I-=2': F" d
_ _ _ _~ _ur cn S IZZlerten
k" B' .. . I'
legetrager mIt Inear veran-
"
q(z)
fITmTTJ
derlicher Linienlast und linear veränderlicher Biegesteifigkeil
Die Aufgabe entspricht dem Keil unter EigengewichtsbelaslUng, für den auf Seite 282 die exakte
Lösung angegeben ist, so dass ein Genauigkeitsvergleich möglich sein wird.
Das elastische Potenzial wird entsprechend 33.41 mit zwei Anteilen aufgeschrieben (Formände-
rungsenergie des verformten Trägers und Endwel1arbeit der Linienlast):
J J
I I
in einem Taschenbuch2 findet man die Lösung für das nachstehend skizzierte Problem mit kon-
stanter Biegesteifigkcil und konstanter Linicnlasl (aber den gleichen Randbedingungen wie rur
das Problem der AufgabensteIlung):
II I I
- +2-
, r
EI o B
_v(z)=--
qO/4 [z--3 (Z)3 (Z)4]
48 E10 I I /
Abbildung 33.13: Biegclinie flir konstante Biegesteifigkeit Elo und konstante Linienlast qo
Diese Funktion ist also als Vergleichsfunktion zulässig (es genügt selbstverständlich der Aus-
druck in der eck.igen Klammer). Da nur ein eingliedriger Ritz-Ansatz verwendet werden soll,
kann dieser folgendermaßen formuliert werden:
J J
I I
dn =0 al EI(z) VI ,,2(Z) dz - q(z) VI (z) dz = 0
dal
I z=O ;:=0
J q(z) VI (z) dz
Z~O
al = -:','---'------- I3q A l
684EIA
4
=;. V= 13qA/
648EIA
4
[~/ -3 (~/)3 +2 (~/)4]
J EI(z) VI ,,2(Z) dz
<:=0
Die nebenstehende Abbildung Durchbiegung
zeigt die Näherungsfunk.'1ion
im Vergleich mit der exaktell
Lösung (dargestellt sind die
dimensionslosen Verschiebun-
EI
gen v· = ~,. V). ObwoW nur
qA
mit einem eingliedrigen Ritz- z
v· exakt
Ansatz gerechnet wurde, ist
6 OL----~O.c-2----O~.4------cOL.6---c-----cOL.8---'---J
das Ergebnis recht gut.
2Z. 8.: Dubbel. Taschenbuch rur den Ma~hü)enbau, aber auch in vielen anderen Büchern und Formelsammlungen.
33.5 Prinzip vom Minimum des elastischen Potenzials 683
W/ und W; sind diskrete Anteile, die beim Randwertproblem über die Randbedingungen
erfasst werden. Bei elastostatisehen Problemen fließt über W/ die Formänderungsenergie dis-
kreter Federn ein, W,;
ist die Endwertarbeit, die von äußercn Einzelkräftcn bzw. -momcntcn
geleistet wird (vgl. Erläuterungen auf Seite 681):
Wi =
* 2:I "L,c, vk2 + 2:IL,CT.k
"
vk
,2 W; = Il'kV!+ IM,v,' (33.46)
k k , k
oe:> Man erkennt, dass 33.43 ein Sonderfall von 33.44 für 12 = 0 und h = 0 ist. Mit It = EI und
r = q entsteht aus 33.45 das Variationsproblem 33.42.
oe:> Auch die Differenzialgleichung der Biegelinie des elastisch gebetteten Trägers 19.3, die Dif-
ferenzialgleichung für den Torsionswinkel 21.11, die Differenzialgleichung für den Knick-
stab 23.10 (siehe auch www.TM-aktuell.de) und die Differenzialgleichung für den Biege-
schwinger 32.34 sind Sonderfälle von 33.44, so dass man mit 33.45 zum jeweils zugehörigen
Variationsproblem kommt.
Die Endwertarbeit W,;
ist dabei nur für Belastungen zu ergänzen, die nicht schon über die
Differenzialgleichung einfließen. Beim nur durch Kräfte in Stablängsrichtung belasteten
Knickstab zum Beispiel werden diese durch die Normalkraft erfasst. die in 33.44 in der
Funktion 12 stcckt und über diese in das Variationsproblem einfließt.
684 33 Prinzipien der Mechanik
I
l
Beispiel J:
I_"";'_....1 Em Stab mit konstantem Querschnitt Ist nur durch sem Eigenge-
wicht belastet (vgl. Beispiel auf Seite 417). Seine kritische Länge soll nähe-
Zl
rungsweise mit dem Verfahren von Ritz berechnet werden.
Gegeben: EI, Dichte p , Querschniusftäche A .
Zur Differenzialgleichung flir den Knickstab [EI(z) v"(z)]" - [FN(z) v'(z)]' = 0 EI,
(siehe Seite 415) gehört nach 33.45 das äquivalente Variationsproblem pA
iJ
I
mit der Normalkraft FN, für die bei Eigengewichtsbelastung bezüglich der skizzierten Koordinate
FN = -pgAz
einzusetzen ist. Für den einfachen Lagerungsfall lassen sich problemlos Vergleichsfunktionen
für das Ritzsche Verfahren finden. Man überzeugt sich leicht, dass z. B.
Vt = Z (1- z) und V2 = Z2 (1- z?
jeweils die geometrischen Randbedingungen 1/(0) = 0 und 1/(1) = 0 erfüllen. Nach dem Einsetzen
des zweigliedrigen Ritz-Ansatzes
=~O
J
I
ein homogenes lineares Gleichungssystem für die Ansatzparameter 01 und Cl2, das (wie ange-
deutet) nur dann nichttriviale Lösungen haben kann. wenn seine Koeffizientendeterminame ver-
schwindet. Dicse Bedingung führt auf eine quadratische Gleichung
3
A2 -360A+6720=O mit A = pgAl
EI
deren kleinere Lösung A.,,,,,, = 19,75 die gesuchte kritische Länge liefert:
hr= J Am'''~=2,70«
pgA
EI
pgA
weicht nur ctwa 2, I% vorn exakten Wert ab (vgl. Ergebnis dcr Rechnung auf Seite 419).
33.5 Prinzip vom Minimum des elastischen Potenzials 685
I
Beispiel 2:
I_"";_ _...1 Zur DifferenzIalgleIchung für d,e BIege-
schwingungen von Trägern mit kontinuierlicher Massebe-
legung [EI(z)Z"(z)]" - OJ2 pA(z)Z(z) = 0 (siehe Seite 649)
soll nach 33.45 das äquivalente Varialionsproblem fonnu-
liert werden. Abbildung 33.14: Biegeschwinger
Wenn (wie in Abbildung 33.14 angedeutet) Federn mit den Federsteifigkeiten Cb Drehfedern
mit den Steifigkeiten CT.k und Einzelmassen Mk berücksichtigt werden (auf Punkte wirkende
Federn und Punktmassen gehen bei der Lösung mit Hilfe der Differenzialgleichung über Rand-
und Übergangsbedingungen ein), lautet das Varialionsproblem:
n=~J(EIZ"2_OJ2PAZ2) dz
f
(33.47)
t...CkZk2 + -1"
+ -I " t...CT.kZk,2 - -1"" 2
OJ- t...MkZk '* Minimum.
2 k 2 k 2 k
An diesem Beispiel soll gezeigt werden, wie das Velfahren von Ritz formalisiert werden kann.
Es wird ein Ansatz mit n Vergleiehsfunktionen entsprechend
Il
(
k12 k22
kin k2n
k2n
knn
_ OJ2
ml2 "'22
ml n Jn2n
1112"
m nn
] a2
a ll
0
0
0
(33.50)
mit
kij = /EIZ/'Z/' dz+ LCkZ/.kZj.k+ LCT.kZ:,kZj.k (33.51 )
{ k k
und
"';j = J pAZ;Zj dz+ LMkZ;,kZj.k (33.52)
{ k
Weil sowohl die Berechnung der Matrixelemente kij und In;j nach 33.51 bzw. 33.52 als auch die
Lösung des allgemeinen Matrizeneigenwertproblems 33.50 einem Mathematik-Programm über-
tragen werclen kann, beschränkt sich der Aufwand im Wesentlichen auf die Bereitstellung der
Ansatzfunktionen 33.48. Unter www.TM-aktuell.defindetmanmehrereBeispiele.clie auf diese
Weise mit Polynomansätzen gelöst wlLfden. Die Anzahl der Eigenwerte (Eigenkreisfrequenzen),
die man erhält, entspricht der Anzahl n der verwendeten Ansatzfunktinnen.
686 33 Prinzipien der Mechanik
I Beispiel 3: I
_ _ _ _.... Für den skIZZIerten Träger mit konstanter BIege-
steifigkeit Elund konstanter Massebelegung pA ist die kleins-
te Eigenkreisfrequenz der Biegeschwingungen näherungswei- F=:"'=;-
IZ
======1-2.
EI, pA -,
se mit Hilfe des Rayleighsehe Quotienten zu bestimmen und
mit der exakten Lösung (siehe Seite 650) zu vergleichen. I
Die Genauigkeit einer Näherungslösung nach dem Verfahren von Ritz ist wesentlich davon ab-
hängig, ob die gewählten Ansatzfunktionen Aexibel genug sind, die exakte Lösung möglichst gut
nachzubilden. Dieses Ziel kann erreicht werden durch
• Verwendung einer großen Anzahl von Ansalzfunktionen oder
• Aufschreiben der Ansatzfunktionen für Teilbereiche bei möglichst großer Anzahl von Be-
reichen (die Lösung wird "stückweise angenähert"). Bei dieser Variante muss natürlich auch
die Einschränkung der Auswahlmöglichkeiten (Abschnitt 33.5.1) beachtet werden: Die An-
satzfunktionen für das Verfahren von Ritz müssen den Kriterien für zulässige Vergleichs-
funktionen genügen ("geometrisch zulässig" sein).
I
I Beispiel: Für den skizzierten Träger mit konstanter Bicgesteifigkeit soll die Durchbiegung nä-
herungsweise nach dem Verfahren von Ritz berechnet werden, indem für die beiden Bereiche
jeweils eine Ansatzfunktion dritten Grades verwendct wi.rd.
Gegeben: I" EI, F, qB. IF qB
t""'''''1
Die 8 Parameter der beiden Ansatzfunktionen EI
-
VI =ao+aIZI +a2ZI2 +a3Z13
"2 = Go +GI Z2 +G2Z~ +G3Z~
müssen zunächst für die geometrische Kompatibilität
sorgen, die bei Erfüllung folgender geometrischer Rand-
und Übergangsbedingungen gegeben ist:
VI (ZI = 0) = 0 ao =0
VI (ZI = I,) = V2(Z2 = 0) a I I, + a2 (f + a) I; = Go
VI'(~I = I,) = V2'(Z2 = 0) aJ + la2/, + 3a)/; = GI
V2 (Z2 = I, ) = 0 GO+GI/,+G2/;+G3/; = 0
V2'(Z2 =1,) =0 GI +2G2/,+3G3/; =0
688 33 Prinzipien der Mechanik
Nach Erfüllung dieser fLinf Rand- und Übergangsbedingungen bleiben von den acht Ansatzpa-
rametern drei unbestimmt. Als verbleibende Parameter werden aa, al und al gewählt, weil sich
deren geometrische lnterpretierbarkeit als Vorteil erweisen wird: ao ist die Verschiebung in Trä-
germilte (wegen V2(Z2 = 0) = ao), al und al sind die Biegewinkel VI' am linken Lager bzw. V2'
in der TrägermiLte. Dafür werden
al = rpl ao = V2 al = rpz
gesetzt, die übrigen Ansatzparameter können mit den Rand- und Übergangsbedingungen durch
diese drei Größen ersetzt werden, und m,m erhält (nach etwas mühsamer Rechnung) die beiden
Ansatzfunktionen mit insgesamt nur noch drei freien Parametern:
n =-
1
2 .
f -
~
q2v2dZ2-Fv2 Minimum
;l~ Q~ ~~
J J
11' Je
b2=.
f"
Z2=0
Q282dz2+F b}=
.//~
Z2=0
Q283dz2
Das Erzeugen dieses Gleichungssystems war nicht schwierig, ist allerdings etwas aufwendig,
und dieser Algorithmus ist deshalb für die Handrechnung nicht zu empfehlen. Man erkennt je-
doch einen bemerkenswert formalen Aufbau der Integrale, die die Koeffizienten des Gleichungs-
systems bilden. Die Vermutung liegt nahe (und wird sich als richtig erweisen), dass sich das
Aufschreiben der Integrale auch bei komplizierteren Problemen formalisieren lässt. Die Matrix
ist symmetrisch, es gehen Abmessungen und Steifigkeiten ein (..Steifigkeitsmatrix"), die Be-
lastungen stehen im Vektor der rechten Seite ("Belastungsvektor"). die Verwandtschaft mit der
Finite-Elemente-Methode wird deutlich.
33.5 Prinzip vom Minimum des elastischen Potenzials 689
Das im vorigen Abschnitt demonstrierte Aufschreiben von Ritz-Ansätzen, die nur jeweils flir
einen Bereich gelten, bietet sich als genereU anwendbare Strategie in dem Sinne an, dass ein für
einen Bereich geltender Ansatz auch für eine größere Anzahl anderer Bereiche verwendet wird.
Behandelt wird exemplarisch der durch eine Linienlast
belastete Biegeträger, ftir den das Prinzip vom Mini- ,,, ,
~
1 1 1
mum des elastischen Potenzials auf das Variationspro-
blem 33.42 führt. Die Durchbiegung soll mit dem Ritz-
Li . i I I
j
I
k
I i
\
sehen Verfahren berechnet werden, wobei bereichsweise e f
Ansatzfunktionen 3. Grades verwendet werden.
Betrachtet wird zunächst ein beliebiger Bereich e mit den q e (ze)
Endpunkten i und j, der Länge le und einer eigenen Be-
reichskoordinate Ze (Abbildung 33,17). Die Biegesteifig- j
i
keit Ele(ze) und die Linienlast qe(z.) werden als bekannt
vorausgesetzt. Bezogen auf die bereichseigene Koordi- Ele(ze)' l,
nate werden die vier Ansatzparameter einer aJlgemeinen
v,
Funktion dritten Grades 'P,
, Vj 'Pj
ve(Ze) =1I0+1I1 Ze+a2Z;+a3Z; (33.56)
3e ve( ze)
durch die VerformungsgröBen V;, rp;, Vj und rpj an den
Punkten i bzw. j ersetzt (vgl. das Beispiel im vorigen Ab- Abbildung 33.17: Ein beliebiger Be-
schnitt). Aus den vier Bedingungen reich e aus einem System
werden (mit erträglicher Mühe) "O, "1, 1I2 und "3 berechnet und in 33.56 eingesetzt:
(33.58)
Dieser Verschiebungsansatz für den Bereich e wird nun (bezogen auf die jeweils bereichseige-
ne Koordinate) mit den gleichen Funktioncn für alle Bereiche verwendet, wobei als Ansatzpa-
rameter jeweils die Verformungsgrößen des entsprechenden Bereichs gewählt werden, für den
Nachbarbereich f mit den Endpunkten j und k also zum Beispiel:
Da für den Bereich f dann automatisch die sinngemäß modifizierten Bedingungen 33.57
gelten, ist gesichert, dass sich an den Bereichsgrenzen (hier: Punkt j) zweier benachbarter Be-
reiche (hier: Bereiche e und f) gleiche Verformungsgrößen (hier: Vj und rpj) einstellen. Dies soll
als besonders wichtige Erkenntnis feslgehalten werden:
690 33 Prinzipien der Mechanik
Durch die Wahl der Verformungsgrößen an den Endpunkten als Ansatzparameter für die be-
reichsweise geltcnden Ansatzfunktionen wird automatisch die innere geometri ehe Verträg-
lichkeit der verformten Struktur garantiert.
,~ Die Einschränkung dieser Aussage auf die "innere" geometrische Verträglichkeit ist erfor-
derlich, weil z. B. die Verformungsbehinderung "von außen" (durch Lager) noch nicht be-
rücksichtigt ist. Man sollte sich die geometrischen Randbedingungen infolge der Lager da-
durch erfüllt denken, dass die entsprechenden Verformungsgrößen VL bzw. ipL den Wert Null
haben, und Teile der Ansatzfunktionen entfallen.
Das elastische Potenzial wird mit diesen Ansatzfunktionen für das gesamte System (Summe über
alle Bereiche) aufgeschrieben:
n= ... + -IJ'
2
z, dz, + -
EI,(z, )-1I2()
v, I/
2.
zJ dZJ + ...
EIJ ()-1I2()
zJ vJ
ft' 1/
... -J J
(33.59)
Cf,(Ze)V,(z,) dz, - CfJ(zJ)liJ(zJ) dZJ -... => Minimum
le If
n wird minimal, wenn die partiellen Ableitungen nach sämtlichen Ansatzparametern VI, ipl, •.. ,
verschwinden. Dabei liefern immer nur wenige Integrale einen Beitrag, für die
Vi, <Pi, Vj, ipj, ...
partiellen Ableitungen nach Vj und ipj zum Beispiel sind es nur die in 33.59 angedeuteten vier
Integrale, weil Vj und <Pj nur in den Ansatzfunktionen der Bereiche e und f enthalten sind.
Da außerdem in allen Integralen gleichartige Funktionen stehen, ist es SilUlVOII, zunächst die Fra-
ge zu untersuchen, welchen Anteil ein Bereich zu den Minimalbedingungen liefeil, um danach
die Anteile der (beiden) Bereiche zu den Minimalbedingungen des Grenzpunktes zusammenzu-
setzen. Zum Beispiel kann aus der partiellen Ableitung des Potenzials n nach Vj
J EI, V," g~ dZe +/ EIJ v/' g'( dZJ - .I Cf,g3 dz, - .I CfJ g, dZJ = 0
I" I[ Ir I/
Nach Einsetzen der kompletten Ansatzfunktion 33.58 kann dieser Anteil in der Form
aufgeschrieben werden. und aus den partiellen Ableitungen nach den drei anderen Ansatzpara-
metern. für die der Bereich e Beiträge liefert, resultieren entsprechende Beziehungen:
33.5 Prinzip vom Minimum des elastischen Potenzials 691
I,
Entsprechende Beziehungen sind fLir alle Bereiche aufzuschreiben, wobei sich die Integrale, die
die k~~,~-Werte liefern. nur durch die Funktionen für die Biegesteifigkeit unterscheiden, in den In-
tegralen fllr die f,~~) -Werte ist jeweils die Funktion für die Linien!ast des aktuellen Bereichs ein-
zusetzen. Im betrachteten Beispiel würde der "Bereich-f-Anteil" der partiellen Ableitung nach
vi formal den gleichen Aufbau haben wie die erste Zeile in 33.60:
Jn =0
dVi
~
~
k(J)v.+k(J)fn.+k(J)v +k(J)fn -f(fJ-O
11) 12 '1') 13 k 14 '1'< 1 -
Dieser Anteil des Bereichs f wird mit dem entsprechenden "Bereich-e-Antei['" dieser partiellen
Ableitung aus der 3. Zeile in 33.60 zu einer komp/ellell Minima/bedingung zusammengesetzt:
lei (k(e)
k31 vi+ k 32 !Pi + 33
(el
+ k(J))
11 vi
(33.61)
+ (kr,{ + kg») !Pi + k\{l Vk + k\{) !Pk - fiel - f,(Jl = 0
Eine entsprechende Gleichung ergibt sich am Punkt j für die partielle Ableitung von n nach
!Pi' Auch an jedem anderen Punkt entstehen zwei Gleichungen dieser Art, die ein lineares Glei-
chungssystem bilden. Zur Formalisierung dieses Prozesses empfiehlt es sich, 33.60 in Matrix-
form aufzuschreiben:
klei
11
k(e)
k(el
12
k(e)
k(ej
'3
k(e j
klei
14
k(e)
Vi fiel
fiel
0
mit k(e)
1II/l =
J EIegm8n
N "d l.e
!Pi 0 I,
=J
21 22 23 24
(33.62)
k(e)
31
k(e)
32
klei
33
k(e)
34 vi fiel 0 und i e
111 ) qe8m d Ze
klei
41
k(el
42
k(e)
43
k(e)
44 !Pi f1 e) 0 I,
Und mit 33.61 und 33.62 wird deutlich, dass der Ritz-Algorithmus, wie er in diesem Abschnitt
beschrieben wurde, nicht nur ÄhnJichkeiten mit der Finite-Elemente-Methode hat, sondern mit
dieser identisch ist:
• Der in diesem Abschnitt verwendete Begriff "Bereich" kann durch .,Element" ersetzt wer-
den, die "Verbindungspunkte" der Bereiche sollte man als "Knoten" bezeichnen.
692 33 Prinzipien der Mechanik
o Die Beziehung 33.62 ist eine Elemelll-Steifigkeitsbeziehung, wie sie im Abschnitt 18.2 fUr
den Biegeträger hergeleitet wurde. Dazu gibt es nachfolgend noch einige Erläuterungen.
o Der Algorithmus zur Herstellung der kompletten Minimalbedingungen (mit 33.61 für ei-
ne Gleichung angedeutet), kann durch die "Einspeicherungsvorschrift" fUr den Aufuau von
System-Steifigkeitsbeziehungen aus Element-Steifigkeitsbeziehungen (im Kapitel 15 aus-
führlich beschrieben) ersetzt werden. Auch die in der Finite-Elemente-Methode Ubliche
Strategie. die äußeren geometrischen Bedingungen (verhinderte Verschiebungen) erst nach-
träglich (in der System-Steifigkeitsbeziehung) zu beriicksichtigen, kann Ubernommen wer-
den.
Bei einem Vergleich der Elemem-Steifigkeitsbeziehung 33.62 m.it der entsprechenden Beziehung
fUr ein Biegeträger-E1ement 18.11 fallen zwei formale Unterschiede auf:
o Während 18.11 nur für konstante Biegesleifigkeit gilt. darf EI, in 33.62 veränderlich sein.
Dass 33.62 mit 18.11 identisch ist, wenn die Biegesteifigkeit als konstant angenommen (und
vor die Integrale gezogen) werden darf, soll exemplarisch an einem Matrixelement gezeigt
werden. Mit m = n = I errechnet man nach 33.62 z. B. das Matrixelement k\~):
Dies ist genau der Wert fLir k\~) aus 18.11. Die f,~~) -Werte, die sich nach 33.62 ergeben,
entsprechen den reduzierten Knotenlasten in 18.11. FUr linear veränderliche Linienlasl erhält
man auch hier die im Abschnitt 18.2.2 auf aJlderem Wege erhaltenen Formeln 18.10.
o Die in der Element-Steifigkeitsbeziehung 18.11 auf der linken Seite stehendeo Element-
Knotenlasten tauchen als innere Kräfte bzw. Momente des Systems in der nach dem Ritz-
sehen Verfahren gefundenen Formulierung gar nicht auf. Die Vorschrift zum Aufuau der
System-Steifigkeitsbeziehung. die im Kapitel 15 hergeleitet wurde, basiert auf dem Gleich-
gewicht dieser Element-Knotenlasten mit den äußeren Knotenlasten. Bemerkenswert ist,
dass mit dem Ritzsehen Verfahren auf anderem Weg der gleiche Algorithmus fiir den Aufbau
der System-Beziehungen gefunden wird.
33.6 Aufgaben
Au/gabe 33.1:
l_ I
_ _ _ _.....1 Für den skiZZIerten Gerber-Träger (vgl.
*
Beispiel auf Seite 64) ist die Lagerkraft Fe mit Hilfe des
Prinzips der virtuellen Arbeit zu berechnen (man ersetze
nur das Lager B durch eine Kraft und bringe eine virtuelle ~
~'...t:.... B 2f.
~
Verschiebung in Rjchtung dieser Kraft auf). _2a __a_I,5a_2,5a -I
Gegeben: F.
Aufgabe 33.2: I
I_ _ _ _ _.....1 Für den durch zweI Federn 111 ell1er Führung
gehaltenen GJeitstein (vgl. Aufgabe 10.3 auf Seite 156) er-
mittle man für die folgenden Parameterkombinationen durch
grafische Darstellung der potenziellen Energie des Systems
in Abhängigkeit von der Lage des Gleitsteins die Gleichge-
wichtslagen und entscheide über deren Stabilität.
Die obere Skizze zeigt die Federn im unbelasteten Zustand,
nicht die Gleichgewichtslage des Systems. Für das Aufschrei-
ben der potenziellen Energie verwende man die in der unteren
Skizze angedeutete Koordinate x. c,
a) 0.!J.
mg = I ' l9.!J..
1 I-g0 - "!J.
2 -- I ce = 60° ,
b) 0.!J.
mg -- 0 , 9.!J..
mg = I 1
!J.
1 -- I
2 l
ce = 45° , m~
~ c,
c) 0.!J. = 5 9.!J.. = 5 !J. = J ce = 45° .
mg 'mg '/2 ' x
Au/gabe 33.3:
I_ _ _ _ _.....1
I Eine zylindrIsche
Walze (Masse m, Massenträgheits- -....x
moment bezüglich des Schwerpunkts Hahcfadcn
Js) ist durch eine lineare Feder ge-
fesselt und wird auf einer schiefen
Ebene durch einen Haltefaden in
Ruhe gehalten. In dieser Lage ist die
Feder der Lange b entspannt. Nach
Durchtrennen des Haltefadens beginnt
die Walze eine reine Rollbewegung
auf der schiefen Ebene.
Gegeben: c, b, ce, 1JI.
Die Bewegung der Walze soll mit ciner Koordinate x beschrieben werden, die die Lage des Mit-
telpunktes der Walze verfolgt. parallel zur schiefen Ebene gerichtet ist und ih.ren Ursprung in der
skizzierten Ruhelage des Systems hat. Es ist dje Bewegungs-DifferellZiaJgleiehung aufzustellen
(Verwendung der Lagrangesehen Gleichung 2. Art) .
694 33 Prinzipien der Mechanik
I
Aufgabe 33.4: I
Das Pendeln der Last ei- Q
ner auf der Kranbahn stehenden Laufkatze .~ J
I Aufgabe 33.5: I
Für die skizzierte Biegefeder EJ(z) Fj
mit einem Rechtcckqucrschnitt konstanter Höhe
t bei linear veränderlicher Breite soll näherungs- KA
-/
wcise die Biegclinie mit dem Verfahren von Ritz z
o
mit einem eingliedrigen Ansatz berechnet wer-
den. .c: cC=====::::=====:=J-'
[/2 [/2
..0I
Gegeben: /, ba, bl , I, F, E.
Man verwende als Ritz-Ansatz die Funktion der Biegelinie für den Träger mit konstantem Quer-
schnitt (Tabelle auf Seite 260) und vergleiche die Näherungslösung für die Absenkung des Kraft-
angriffspunktes mit der exakten Lösung (Beispiel auf Seite 436) für folgende Breitenverhältnisse:
~=I; 1,2; 1,5;2.
a) Die kleinstc Eigenkreistfequcnz der Biegeschwingungen soll mit Hilfe des Raylcighschen
Quotienten berechnet werden bei Näherung der Verformung durch die Funktion der Biege-
linie unter konstanter Linienlast (Fall b auf Seite 260) flir die Parameter k = 0 (Vernachläs-
sigung der Trägermasse), k = I (Trägennasse in der Größenordnung der Einzelmasse) und
k = 10 (Trägermasse dominierend).
b) Der Fall k = 0 (Vernachlässigung der Trägermasse) soll überprüft werden mit der Näherungs-
reehnung, die im Abschnitt 31.2.2 vorgestellt wurde.
Wcil dic Mcthodc dcr finitcn Elcmente hcute sicher das am mcisten bcnutzte Verfahren zur Lö-
sung naturwisscnschaftlichcr und technischer Probleme ist. wurde sie in diesem Buch mehrfach
im Zusammcnhang mit dcn jewcils bchandeltcn Thcmcn vorgcstcllt. Aber dic Grundlagen der
Technischcn Mechanik sind nur cin ganz kleincr Ausschnitt aus dcr Anwcndungspalctte für die-
ses Verfahren. Deshalb soll hier noch einmal eine Zusammenfassung präsentiert werden, die
sieh natürlich aneh auf (allerdings anspnlehsvoUere) Probleme der Technischen Mechanik be-
schränkt. Dabei wird eincrseits das Zicl vcrfolgt, die Leistungsfähigkcit des Vcd'ahrens gera-
de für die kompliziertcren praxisnahen Aufgaben zu verdeutlichen, andcrerseits aber auch auf
die Gefahren und Grenzen bei der Benutznng der vertUgbaren (außerordentlich leistungsHihigen
kommcrzicllen) Sofware-Produkte hinzuwciscn.
Im Folgendcn wird vorausgcsetzt, dass dcr Lescr sich zumindcsttcilweisc mit den im Kapitel 15
und dcn Abschnittcn 18.2, J 9.2.4 und 33.5.4 gcgcbencn Einführungcn bcfasst hat, andcrcnfalls
wird bci den cntsprcchenden Vcrweiscn cin "Zurückblättcm" empfohlen.
Man kann sich der Methode der finiten Elemente auf zwei recht unterschiedlichen Wegen nähern,
und aus historischcr Sicht (siehc dic cinführcndcn Bcmerkungcn zum Kapitcl 15.1) hat es einigc
lahrlchntc gcdaucrt, bis man mcrktc, dass bcidc Wcge zum glcichcn Zicl führcn:
(j) Man ermittelt Lösungcn für die Elcmcntc und sctzt dic ElcmcntJösungcn zu Systcmlösungcn
zusammcn, indcm in jcdem Schritt dic Anfordcrungcn an die Lösung bcachtct wcrden (Gleich-
gewicht, Kompatibilität, Elastizitätsgesetz, ...). Dieser Weg ist im Kapitel 15 und im Ab-
sehnitt 18.2 bcschritten worden. Er flihrte jewcils auf ein lincares Gleichungssystcm fur dic
Verformungen an speziellen Punkten (Knoten).
@ Man betrachtet zunächst das Gesamtsystem und macht cinen Ansatz für die zu bercchnende
Funktion (bei elastostatischen Problemen z. B. für die Verformung), der noch zu bestimmen-
de Freiwerte enthält. Für den Ansatz werden allerdings viele (nur bereichsweise "in einem
Element" geltende) Funktionen verwendet, und als Freiwerte nimmt man die Funktionswerte
an den Übcrgangsstellcn (Knotcn). Dadurch wird dic Kompatibilität gewährlcistct. Schlicß-
lich werden die Freiwerte so bestimmt, dass der Ansatz mit den berechneten Freiwerten die
Anforderungen an eine Lösung erfüllt oder besonders gut annähert. Dieser Weg wurde im
Abschnitt 33.5.4 untcr Nutzung cincs Minimalprinzips dcmonstricrt.
Der Weg CD (häufig als .,strukturdynamischer·' Zugang bezeichnet) hat den Vorteil, dass man
jederzeit die Konsequenzen der einzelnen Schritte verfolgen kann. Weg (2J ist zweifellos aus
mathematiscber Sicht eleganter und wird deshalb von Mathematikern und Physikern bevorzugt
(auch dcshalb, wcil er nicht beim physikalischen Modell, sondern erst beim mathcmatischen
Modell ansetzt, vgl. hierzu die AusfUhrungen im Abschnill 15.5) 1.
Ingenieure favorisieren im Allgemeinen Weg CD, vornehmlich aus dem Grunde, weil man die
vielen möglichen Zusatzbedingungen mit stets plausiblen Begründungcn realisieren kann, z. B.
unterschiedliche Modelle in einem System (Stäbe, Biegeträger, Torsionsstäbe, Scheiben, Platten,
Schalen, ...), alle denkbaren Lagervarianten einschließlich Federn und Drehfedern, Gelenke,
Schamiere, ... Im Abschnitt 18.2.3 wurde am Beispiel des Biegeträgcrs gezeigt, wie auf diesem
Wege auch wesentliche "Nachbesserungen" reabsiert werden können.
Der Weg (2J ist nicht beschränkt auf Probleme, für die (wie im Abschnitt 33.5.4) ein ExtremaI-
prinzip existiert. Dieser Weg lässt sich ebenso elegant realisieren mit Differenzialgleichungen
und den zugehörigen Randbedingungen als Ausgangspunkt. Die theoretische Basis dafür liefert
die so genannte Me/hode der gewichte/eil Residuell. Darauf wird hier nicht eingegangen, weil für
die weitaus meisten Probleme der Technischen Mechanik ein Extremalprinzip verfligbar ist.
Für die komplizierteren (zwei- und dreidimensionalen) Probleme kann als theoretischer Zugang
zur Methode der finiten Elememe eine Kombination der Wege CD und (2J empfohlen werden: Man
startet mit dem mathematischen Modell (z. B.: Extremalprinzip), wählt geeignete (bereichsweise
geltende) Ansatzfunktionen mit geeigneten Freiwerten (z. B.: Knotenverformungen) und kommt
über die Extremalbedingungen zu den GleiChungen für die Freiwerte, wie es im Abschnitt 33.5.4
flir den Biegeträger bis zur Beziehung 33.61 demonstriert wurde. Dann geht man allerdings noch
einen (eigentlich auf diesem Wege nicht erforderlichen) Schrill weiter, und schreibt eine "Ele-
mentbeziehung" auf (im Abschniu 33.5.4 ist dies die Gleichung 33.62).
Und weil innere Kräfte bzw. Momente des Systems bei diesem Weg gar nicht auftauchen, sollte
man an dicscm Punkt (bei Problemcn dcr Tcchnischcn Mcchanik) an den Wcg (j) anknüpfcn. Für
das Beispiel im Abschnitt 33.5.4 bedeutet dies, dass die Element-Beziehung, die in der Formu-
lierung 33.62 nur der "ElemenLanLeil zur SysLem-Beziehung" ist, zur "echten" ElemenL-Steifig-
keitsbeziehung gemacht wird: Der Nullvektor auf der rechten Seite wird durch den "Vektor der
Elcmcm-Knmcnlastcn" ersctzt, so dass dic "erwciterte ElcmcnL-Steifigkeitsbezichung" cmstcht,
wie sie sich für das Biegeträger-Element nach Weg CD mit 18.11 ergab. Dies ist deshalb empfeh-
lenswert, weil bei Problemen der Technischen Mechanik die inneren Belastungen (Schnittgrö-
Ben, Stabkräfte, Spannungen) meistens die wichtigeren Ergebnisse sind.
Gemeinsam ist beiden Wegcn (ncbcn dcm Ziel) das Arbeiten mit Ansatzfunktionen, und genau
die sind der Schlüssel zum Erfolg oder Misserfolg der Rechnung: Kann mit den verwendeten
Ansätzen die exakte Lösung ausreichend genau beschrieben werden? Diesc Frage steht deshalb
bei den nachfolgenden Betrachtungen im Mittelpunkt.
Der folgende Satz kann eigentlich gar nicht oft genug wiederholt werden:
IDie Autoren haben häufig registrieren müssen. dass es erhebliche Verständigungsschwierigkeilen gab (vornehmlich
zwischen tngenicurcn einerseits und Mathematikern und Physikern andererseits). obwohl über den gleichen Gegen-
s.tand geredet wurde, und hoffen, dass die~ mit den Au~ruhrungen hier etwas abgebaut werden können.
34.1 Zugang zur Theorie 697
Im Absclulill 22.1 wurde erläutert, dass für viele Probleme der Praxis die .,eindimensionalen"
Modelle (z. B.: Stab, Biegeträger) nicht ausreichend sind. Für zweidimensionale Bauteile (Schei-
ben, Platten. Schalen) gibt es zwar ausgezeichnete mathematische Modelle (DifferenziaJglei-
chungen, Variationsprobleme), die sich aber einer analytischen LÖSWlg (bis auf wenige "akade-
mische" SpezialfaJle) entziehen. Dies gilt in noch schärferer Form für dreidimensionale Modelle.
Es hat Knoten (20, bei den einfachen Elementen will'en es nur 2), dem Element sind die Materi-
aleigenschaften zugeordnet, seine Geometrie definiert sich über die Knotenkoordinaten, es wird
mit seinen Nachbarelementen über die Knoten verbunden. Die sehr aufwendige und komplizierte
Berechnung der Element-Steifigkeitsbeziehung (die Steifigkeitsmatrix, die auch I:tierdie Knoten-
verschiebungen mit den Knotenkräften verknüpft, hat 60 Zeilen bzw. Spalten) braucht den Pro-
grammbenutzer so wenig zu interessieren wie bei der Verwendung eines Stab- oder Biegeträger-
Elements.
Aber es gibt auch gravierende Unterschiede, so bildet z. B. die Element-Steifigkeitsbeziehung
des 3D-Elements die zugrunde liegende Theorie (z. B. die Elastizitätstheorie isotroper Materia-
lien) nur näherungsweise ab. Dies sollte der Benutzer eines Programmsystems wissen und auch
beachten. Im folgenden Abschnitt werden die Konsequenzen am wesentlich einfacheren zweidi-
mensionalen Beispiel beschrieben.
698 34 Methode der finiten Elemente
Das einfachste zweidimensionale Modell ist die Scheibe (flächenhaftes ebenes dünnwandiges
Gebilde, das nur in seiner Ebene belastet ist). An den beiden nachfolgend skizzierten einfachen
Beispielen soll der Unterschied beim Erzeugen eines Finite-Elemente-Berechnungsmodells für
den biege- und dehnsteifen Rahmen bzw. eine ebene Scheibe demonstriert werden.
- ~
"""""'"
:~ -
-
Eine Analyse der beiden Modelle der Abbildungen 34.2 und 34.3 aus der Sicht des Berechnungs-
Ingenieurs, der mit "klassischen Berechnungsverfahren" arbeitet, liefert folgendes Ergebnis:
• Das skizziel1e Rahmentragwerk kann nach der klassischen Biegetbeorie (Kapitel 16, 17
und 24) berechnet werden (Verformungen, Sehnittgrößen, Spannungen), "im Prinzip". Der
Einfluss der Dehnung infolge der Normalkräfte kann sicher mit gutem Gewissen vemach-
lässigt werden. Aber: Kein nut normaler Vernunft ausgestatteter Ingenieur würde sich die
Mühsal der "Handrechnung" heute noch antun (das Tragwerk ist immerhin achtfach statisch
unbesti m111t).
• Die Konsole kann nach der Theorie der ebenen Scheiben behandelt werden. Eine analytische
Lösung des Problems der einseitig eingespannten und krummlinig berandeten Scheibe ist
jedoch unmöglich.
Bei der Allwendung der J<'iuite-Elemellte-Methode auf beide Probleme gibt es (neben vielen
Gemeinsamkeiten) ähnliche Unterschiede in der Beurteilung der zu erwartenden Ergebnisse:
• FEM-Programme können die Theorie der biege- und dehnsteifen Träger exakt erfas-
sen. Bei Benutzung des Programms "Biege- und dehnsteife ebene Rahmen" z. B., das unter
www.TM-intemktiv.dezur intemktiven Nutzung zur Verfügung steht, erhält man die Ergeb-
nisse, die sich nach der Handrechnung ergeben würden, wenn die Handrechnung für das
Problem fehlerfrei gelänge, was allerdings eher unwahrscheinlich ist.
• Die Scheiben-Theorie kann auch von der Finite-Elemente-Methode nur approximiert
werden. Man kann dem Ergebnis der Scheiben-Theorie möglicherweise sehr nahe kommen
(man weiß allerdings nie genau, wie nahe, denn eine analytische Lösung ist mit Ausnahme
sehr weniger "akademischer" Probleme unmöglich), schließlich entscheidet der betriebene
Aufwand weitgehend darüber, wie gut das Ergebnis ist. Der erforderliche Aufwand und
die zu erwartende Qualität des Ergebnisses sind eng verknUpft mit dem Problem, das zu
berechnende System in finite Elemente zu unterteilen.
34.2 Ein- bzw. zweidimensionale FEM-Modelle 699
• Ganz anders muss für das Scheibenproblem überlegt werden: Da in jedem Fall auch die Ele-
mentlösungen zwangsläufig Näherungen sind, trifft man schon mit der Auswahl geeigneter
Elemente eine wichtige Vorentscheidung ftir die Qualität der Ergebnisse, so dass hier sowohl
Elementauswahl als auch die Einteilung des Systems in Elemente entscheidend sind.
Iy Iy
I
(~'\:
I{ l~l __
- x x x
Die Abbildung 34.5 zcigt drei gebräuchliche Scheibenelemente mit 3, 6 bzw. 8 Knoten. Nur
über diese Knoten haben sie mit den Nachbarelementen Kontakt und können, wie in der Abbil-
dung angedeutet, zwei Kraftkomponenten an den Knoten übertragen. Die Knotenverschiebungen
(Anzahl und Richtungen stimmen mit den Knotenkräften überein) sind die Freiwerte für den Ver-
schiebungsansatz, so dass die skizzierten Elemente 6, 12 bzw. 16 Freiheitsgrade haben.
Wie später noch demonstriert werden wird, ist das einfache Element mit nur 6 Freiheitsgraden
wenig empfehlenswert, weil damit nur bei einer sehr großen Elementanzahl brauchbare Nähe-
rungen erreicht werden können.
Eine wesentlich bessere Näherung darf man mit dem Dreieckselement mit 6 Knoten erwarten Oe-
weils zusätzliche Knoten in den Seitenmillen). Die ohnehin schon sehr gute Anpassungsmöglich-
keit von Dreieckselementen auch an kompliziertere Konturen kann noch dadurch erhöht werden,
dass (wie skizziert) ein Elemenlmit gekrümmten Kanten verwendet wird. Mit 12 Freiheitsgraden
kann der Verschiebungszustand wesentlich besser elfasst werden.
700 34 Methode der finiten Elemente
Ähnliche Aussagen gelten für das in der Abbildung 34.S skizzierte Viereckselement. Es sind
natürlich auch Elemente mit noch größerer Knotenanzahl denkbar, die bei den Elemente mit 12
bzw. 16 Freiheitsgraden haben sich allerdings in der Praxis als besonders günstiger Kompromiss
zwischen gewünschter Genauigkeit und erforderlichem Aufwand erwiesen.
Speziell für das betrachtete Problem gilt: Auch bei sehr bescheidenen Anforderungen an die
Genauigkeit der Ergebnisse ist die skizzierte Vernetzung wesentlich zu grob.
Die sinnvolle Einteilung eines Systems in finite Elemente (Vernetzung) ist außerordent-
lich schwierig und verlangt Erfahrung. Man lasse sich nicht täuschen von Aussagen über
"Datengenerator-Programme", die das angeblich automatisch (das allerdings können sie tat-
sächlich) und damit auch immer sinnvoll erledigen.
1m Gegensatz dazu kann man bei der Elementeinteilung für Probleme, deren "klassische
Theorie" von der Finite-Elemente-Methode exakt erfasst wird (z. B.: Fachwerke oder biege-,
dehn- lmd torsionssteife Rahmen) praktisch nichts falsch machen.
Problematisch ist die (aus kommerziellen Gründen durchaus verständliche) Tendenz der An-
bieter großer (und zweifclsfrei außerordentlich leistungsfähiger) FEM-Programmsysteme, die
Probleme der Elementauswahl und Vernetzung hinter komfonablen Benutzeroberflächen zu
verstecken. Die Aussage "Automatische Netzgenerierung unter Verwendung leistungsfahiger
Elemente" darf nicht dazu verleiten, Netz und Elemente nicht zu hinterfragen. Eine Aussa-
ge über die Anzahl der Elemente (mit einer möglichst beeindruckenden Zahl) ist ohne die
Kenntnis des Elemenltyps nicht ausreichend (siehe Beispiel I auf Seite 705) und sagt auch
noch nichts über die Qualität des Netzes, denn viel wichtiger ist die Antwort auf die Frage,
ob der automatisch arbeitende Netzgenerator die kritischen Bereiche Überhaupt erkannt (und
entsprechende Netzverfeinerungen vorgesehen) hat.
34.2 Ein- bzw. zweidimensionale FEM-Modelle 701
Die Tatsache, dass auch Lager nur an den Abbildung 34.7: Reduktion verteilter Lasten auf
Knotcn zugelassen sind, hat für den biege- Knotenlasten und Realisierung der Lagerung ruh·
steifen Rahmen keine Konsequenzen: Wo ren zu keinem Genauigkeitsverlust
ein Lager ist, wird ein Knoten platziert.
Auch die tatsächliche Lagerung der Scheibe kann natürlich nur approximiert werden. Die
Abbildnng 34,8 zeigt, wie der eingespannte Rand durch Festlager für alle auf dem Rand
liegenden Knoten angenähert werden muss.
702 34 Methode der finiten Elemente
Das Bereitstellen der Element-Steitigkeitsmatrix und des Vektors der reduzierten Elementlas-
ten ist die entscheidende Vorarbeit für die Behandlung einer Aufgabenklasse mit der Finite-
Elemente-Methode. Diese Vorarbeit muss nur einmal geleistet werden (z. B. vor dem Schreiben
eines Computerprogramms, nicht von dem Benutzer des Programms). Was dcr Anwender von
Finite-Elemente-Computerprogrammen unbedingt wissen sollte, sind die Eigenschaften der ver-
wendeten finiten Elemente und die Näherungsannahmen. die bei der Herleitung der Element-
Stcifigkcitsbezichung getroffen wurden. Die unterschiedlichen Schlussfolgcrungen, die bei ein-
bzw. zweidimensionalen Problemen zu ziehen sind, sollen am ebenen Rahmenelement und dem
einfachsten ebenen Scheibenelement (Dreieck mit 6 Freiheitsgraden) erläutel1 werden:
<> Für das ebene Rahmenelement wurde die Element-Steifigkeitsbeziehung im AbschniIl18.2.4
hergeleitet. Mit Formel 18.16 ergab sich eine Elemenl-Steifigkeitsmatrix mit 6 Zeilen bzw.
Spalten (2 Knoten mit je 3 Freiheitsgraden: Verschiebungen 1/; und V; und Verdrehwinkel
tp;). Beim Einsatz dieses Elements ist die Kompatibilität der Verformungen mit den Nach-
barelementen automatisch garantiert, weil diese an den Knoten die gleichen Verformungen
erfaluen.
oe:> Auch das einfache Scheibenelement hat6 Freiheitsgrade (3 Knoten mit je 2 Freiheitsgraden:
Vcrschiebungcn l/; und v;). Damit ist zunächst nurdic Kompatibilität der Vcrschicbungcn mit
den Nachbarelementen an den Knoten garantiert. aber natürlich müssen alle Punkte einer
Elementkante die gleichen Verformungen wie die Punkte der Elementkante des Nachbarele-
ments haben, um ein Auseinanderklaffen oder Überlappen zu vermeiden. Dafür muss durch
gceignctc Vcrschicbungsansätzc benachbarter Elemente gcsorgt werden.
Für den Verschiebungszustand innerhalb des Scbeibenelemems muss eine Näherungsannahme
getJ"Offen werden. Für die beiden Verschiebungskomponenten I/(x,y) und v(x.y) müssen zwei
Funktionen angesetzt werden, die beim ebenen Problem von zwei Koordinaten abhängen. Üb-
Iicherweise werden algebraische Funktionen benutzt, bei eiJlem Element mit 6 FreiJleitsgraden
kann nur ein Ansatz mit 6 Freiwcrtcn verwendct wcrden. Da keinc Koordinatcnrichtung bevor-
zugt werden soll, sind dies also 3 Terme flir jede Verschiebungskomponente:
oe:> Die Verzerrungen (Dehnungen, Gleitung) berechnen sich auch beim zweidimensionalen
Problem aus den Ableitungen der Verschiebungen (wie z. B beim Zugstab nach Formel
14.3). Wenn die Verschiebungen im Element sich nach einer linearen Funktion ändern, kön-
ncn die Vcrzerrungcn und die zu ihnen (nach dcm Hookcschen Gcsetz) proportionalen Span-
nungen im Element nur konstant sein. Die Beziehung 34.3 bestätigt dies und macht deutlich,
wie kritisch die Verwcndung eines solchen Elements ist.
oe:> Durch einfache gcometrische Überlegungen kann nachgewiesen werden, dass die Gleichheit
der Knotenverschiebungen benachbarter Elemente mit dem Verschiebungsansatz 34.1 zu
kompatiblen Verschiebungen entlang der gesamten gemeinsamen Elementkante fUhrt.
')j~
VI 111
VI K II K I2 K]3 VI
(4IAI(~I-V2))e [ ]
V2
K T12 K 22 K 23 "2
(34.2)
V2 = V2
Kr3 Kr3 K33
V3 U3
VJ V3
2 x
mit A = ! (X21 Y31 -X31 )'21) Xi} = Xi -Xj .vi} =Yi - Yj
E - Elastizitätsmodul, 1- Scheibendicke, v - Querkontraktionszahl, v' =!(1 - v),
V,x2 +)'2
31 31 (v' + V)X31 YI3 ] V' X32X21 + )'32Y21 V· XJ2)'J2 + VX21Y23 ]
K 22 = K]3=
[ symm.
2
x 31 + 2
v'y31 [ VX32)'12 + V'X21)'23
X32X21 + V'Y32Y21
V " Xii +Y21
2 (V'+V)X2IYI2 ] V' X21 XI3 + )'21 YI3 V'X31Y21 + VX21Y31 ]
K33 = K2J = .
[ symm. X2
21
+v'Y21
2 [
VX31 )'21 + V'X21)'31 X21XI3 + V'Y21YI3
[:: ]
vI
~, ]
)'23 VX32 Y31 vXIJ YI2 vX21
[ ";"
E 112
X32 VY31 xI3 VYI2 (34.3)
2A(I-v 2 ) V2
't'xy V x32 V*Y23 V*X13 V'Y31 V"'X21 V*YI2
U3
V3
Dass die Element-Steifigkeitsmatrix 34.2 direkt mit Fomleln fUr jedes einzelne Matrixelement
angegeben werden kann, ist bei zweidimensionalen Problemen eine seltene Ausnahme. Die For-
meln fur das (ansonsten nicht zu empfehlende) Drei-Knoten-Element wurden hier angegeben,
um die Gemeinsamkeiten der beiden betrachteten Problemklassen zu zeigen:
704 34 Methode der finiten Elemente
I
I Beispiel: Für die skizzierten "biegeträger-ähnlichen" Systeme sind nach der Scheibentheorie
die Verformungen und die Spannungen zu berechnen. Die Dicke I, der Elastizitätsmodul E und
die Querkontraktionszahl v sind jeweils rür die gesamte Scheibe konstant.
Gegeben: P=200N; I =200mm; h=20mm; I =5mm; E=2,1·lOs N/mm2 ; v=0,3_
2Die hier angegebenen Ergebnisse wurden mit Programmen berechneL die mit dem .• Finite-Elcmcnte-Baukaslerro Fem-
sei erzeugt wurden. sie.he informationen in der Box auf Seile 714. Für das Beispiel 1 findet mall unte.r www.TM-
akwel1.de auch die ausfUhrlieh kommentierte Berechnung mir einem kommerziellen System (Ansys).
706 34 Methode der finiten Elemente
Nachfolgend sind die Ergebnisse für zwei Elemennypen (Drei-Knoten-Dreieck und Acht-Knoten-
Viereck) zusammengestellt:
Fall a) Fall b)
Element- Anzahl der Anzahl dcr VF (Jx.mux VF Cf.r.ma.x
Typ Elemente Knotcn [mm] [N/mm2 ] [rom] [N/mm 2 ]
J '-?--t Ix2=2 13 0,709 104 0,0410 -20,5
/ '(
4(_8___
2 x 10 =20 85 0,764 124 0,0491 -31, I
2 4 x 30 = 120 429 0,767 132 0,0495 -35,8
2x2=4 6 0,027 2,99 0,00024 -0,43
/~, 4x 10=40
8 x 30 = 240
10 x 80 = 800
33
155
486
0,283
0,602
0,691
45,0
97,4
113
0,0186
0,0388
0,0445
-10,4
-24.4
-30,4
Biegetheorie 0,762 120 0,0476 -30
Theoretisch müssten die Ergebnisse nach der Scheibentheorie aus folgenden Gründen besser sein
als nach der Theorie des Biegeträgers:
• Die Scheibentbeorie unterliegt nicht der "Bemoulli-Annahme" der Biegetheorie vom Eben-
blciben der Querschnitte.
• Die Lasteinleitung kann tatsächlich dort crfolgen, wo die Last wirkt. In der Biegetheorie
steckt z. B. immer die stillschweigende Annahme, dass EinzelJasten in den Querschnitt ent-
sprechend der Querkraftverteilung über die Höhe eingeleitet werden.
• Eine entsprechende Aussage gilt für die Lagerung, und an einer Einspannung z. B. (FaJl a)
setzt die Biegetheorie voraus, dass sich Vertikaldehnungen ungestört einstellen können.
Praktisch kann aber nach der Scheibentheorie nur eine Näherungslösung erzeugt werden. Bei
einer groben Näherung werden die Ergebnisse der Biegetbeorie die Realität sicher besser annä-
hern, wcnn man allerdings den (unbekannten) theoretischen Lösungen mit der Finite-Elemente-
Methode sehr nahe kommt, sind diese Ergebnisse zu bevorzugen. Die berechneten Ergebnisse
zeigen das: Bei einer groben Einteilung des Systems in finite Elemente erhlillman eine entspre-
chend grobe Näherung der Realität, und die klassische Biegetheorie liefert bessere Ergebnisse.
Bei feiner werdender Vemetzung sind die Ergebnisse der Finite-Elemente-Methode den Ergeb-
nissen der Bicgcthcoric übcrlegen.
2 Acht-Knoten-Elemente
Die Ergebnisse für das Acht-Knoten-
Viereckselement bestätigen diese Aussage.
Während die extrem grobe Einteilung in
nur 2 Elemente immerhin schon Ergebnisse
liefert. die in der zu erwartenden Größen- 120 Acht-Knoten-Elemente
ordnung liegen, sind die Ergebnisse mit 20
Elementen brauchbar und genügen bei 120
Elementen auch gehobenen Ansprüchen
(Abbildung 34.1.1 zeigt zwei Netze). Abbildung 34.11: Netze mit Acht-Knoten-Elemellten
34.3 Weitere Elemenllypen, Testrechnungen 707
Es ist übrigens kein Zufall, dass die berechneten Verschiebungen mit feiner werdender Vernet-
zung immer größer werden. Dies ist mit dem im Abschnitt 33.5 behandelten Prinzip vom Mini-
mum des elastischen Potenzials zu erk.lären: Die zur Konkurrenz zugelassenen Vergleichsfunk-
tionen werden mit feincrer Vernetzung immer anpassungsfahiger an die (unbekannte) Lösungs-
funktion, mit der sich tatsächlich das Minimum des elastischen Potenzials ergeben würde, weil
die elementweise aufwschreibenden Ansatzfunktionen natürlich beliebige Funktionen bei klei-
ner werdenden Elementen besser approximieren können.
Interessant ist der Einfluss der starren Ein- Element- Anzahl der VF <J'X,IIUU
spannung, der sich erst bei noch wesentlich Typ Elemente [mm] lN/mm 2 ]
feinerer Vernetzung deutlich zeigt. Während 480 0,768 141
1
)_1 1
Ursache daflir sind die an der Einspannstelle verhinderten Vertikalverschiebungen, die an den
kritischen Stellen (oberer und unterer Rand) zu erheblichcn Zwängen führen, die von der Theorie
des Biegerrägers nicht erfasst werden. Wenn man bei der Vergleichsrechnung "dem Biegerräger
entgegenkommen wollte", müssten für die Scheibe am linken Rand nur die Horizontalverschie-
bungen verhindert werden (und nur z. B. für den mitlleren Punkt auch die Vertikalverschiebung).
Dann könnten sich auch (wie in der Theorie der Biegeträger angcnommen) an der Einspannstelle
die Vertikalverschiebungen ohne Zwang einstellen. Eine solche Rechnung liefert dann dort auch
für die Spannungen fast genau die Werte des Biegeträgers.
Ganz anders ist die Silllation mit den 3-Knoten-Elementen (zur Erinnerung: Linear veränderli-
cher Verschiebungsansatz, deshalb konstante Spannungen in einem Element).
Die Einteilung in nur4 Elemente (Abbildung
34.13) kann natürlich kein vernünftiges Er- 4Drei-Knoten-Elemente
gebnis liefern (gef:ihrlich ist aber, dass das 3 5
!
hernd die Qualität, die mit dem Acht-Knoten-
Element schon bei einer Einteilung in 20 Ele-
mente erreicht wird. Man bedenke, dass bei 800 Drei-Knoten-Elemente
der 8oo-Elemente-Rechnung immerhin 486
Knoten berücksichtigt werden, so dass ein
Gleichungssystem mit 972 Unbekannten ge-
löst werden lllUSS. Abbildung 34.14: Netze mit Drei-Knoten-Elementen
708 34 Methode der finiten Elemente
Selbst eine sehr feine Vernetzung kann bei Verwendung ungeeigneter Elemente zu äußerst
ungenauen bis unbrauchbaren Ergebnissen führen.
Q Das hier am zweidimensionalen Modell demonstriel1e Problem gilt in ganz ähnlicher Weise
auch für dreidimensionale Elemente. Recht beliebt sind für 3D-Modelle wegen der Möglich-
keit, annähernd beliebige geometrische Formen sehr gut nach bi Iden zu können, die Tetraeder-
Elemente. Das einfachste Element dieses Typs hat vier Knoten mit je 3 Freiheitsgraden, so
dass für die 3 Richtungen jeweils ein viergliedriger Ansatz für die Verschiebungsfunktion
verwendet werden kann. Das bedeutet: Nur lineare Glieder im Versch.iebungsansatz, kon-
stante Verzerrungen und damit konstante Spannungen im Element. Dieses Element verlangt
ähnlich feine Vemetzungen wie das Drei-Knoten-Element bei der Berechnung von Scheiben-
problemen.
Eindrücklich gewarnt werden muss vor der Versuchung, ein möglichst feines Netz (mit einfachen
Elementen) zu erzeugen, mit dem eine hohe Qualität der Rechnung suggeriert werden soll. Das
Beispiel zeigte, dass die Verwendung geeigneter Elementtypen ein mindestens ebenso wichtiges
Kriterium für die Beurteilung einer Rechnung isl. denn Verifizieren kann man die Ergebnis-
se vieler Finite-Elemente-Berechnungen seh.r häufig nich.1. gerade weil Probleme gelöst werden
können, die sich einer Lösung mit anderen Verfahren entziehen.
Und weil nach den vielen positiven Aussagen über die Finite-Elemente-Methode das gerade
behandelte Beispiel möglicherweise abschreckend wirkte, soll hier noch einmal betont werden:
Die Methode der finiten Elemente ist ein außerordentlich leistungsHihiges (und für zahlrei-
che Probleme das einzige praktikable) Verfah.ren. Komfortable FEM-Programmsysteme sind
unverzichtbare Hilfsmittel für den Ingenieur.
Aber: Der Anwender sollte wissen, was er tut!
In die Fom,eln der Matrixelemente der Elementsteifigkeilsmatrix gehen neben Ele(Ze) noch die
zweiten Ableitungen der Ansatzfunktionen 33.58 ein:
I/()
gl Ze = -TJ6 + 12~Ze 'I() 4 Ze
gz Zr = -t;+6!J;
1/ 6 Ze I/() 2 Ze
g3(Z~) = -,2 -12-/3 g4 Ze = --I +6-/2
'e e e e
J
I,
J
1 3
I(z) dz '" ~ E w;I(zi) mit
::=0 1=1 (34.5)
SI23=-JI, O. JI •
wl.2.3 =
585
9' 9'
9
Damit ergeben sich die Matrixelemente der Elementsteifigkeilsmalrix aus folgender Summe:
(e)
k11111 /e f . - (Zi )gm Zi
~ 2" i.... wj Eie
1/ ( )
gn1/( Zj ) mit (34.6)
i-I
Beispiel: I I !
t
I_....;__ Für die skizzierte kOnische Welle, 2000N 4000N
~ A~/~'-~HEE------,.,/---'1s
bei der sich der Durchmesser in zwei Abschnit-
ten jeweils linear ändert, ist die Durchbiegung
(Elastizitätsmodul: E = 2. I . 105 N/mm 2 ) zu be-
rechnen. Der Einfluss der Feinheit der Vernet- 100 250 250 400 100
--I ~~-I----1------I e----
zung auf die Ergebnisse ist zu untersuchen. f-.I
10\
5
Bei noch feinerer Einteilung (jeweils nur die konischen Abschnitte, die 3 Abschnitte mit kon-
stantem Querschniu werden von der Element-Steifigkeitsmatrix exakt abgebildet) in insgesamt
35 Elemente sind die Ergebnisse praktisch exakt (die entsprechend der jeweils feineren Element-
einteilung ausgewiesenen Knolennummern in einer Zeile beziehen sich immer auf den gleichen
PUllkt der Welle).
Es bietet sich an, die Ergebnisse mit einer Vergleichsrechnung mit dem einfachen Biegeträger-
Element mit konstantem Querschnitt zu überprüfen, weil die Ergebnisse zumindest in gleicher
Größenordnung zu erwarten sind. Als Durchmesser des Querschnitts wird z. B. für jedes Element
der "mittlere Durchmesser" angenommen.
JDas konische Biegclräger-Elcmenl ist so. wie es allf Seile 709 beschrieben wird. im .,Finite-Elemente-Baukasten"
Fe"L~et "crfiigbar. siehe informationen in der Box auf Seile 714. Die Be.rcchnungen für das Beispiel wurden mit
Matlab-Femsel am.geführt, siehe www.TM-akluell.de.
34.3 Weitere Elemennypen, Testrechnungen 711
Knotenverforl1'lUl'l'Jen:
'1'1 .. 0
phl1 =0.0314071
v2 =2.8191853
phi2 .. 0.02176135
. . . 3 .. 5.5267696
phi3 '" 0.00594283
o 200 400 BOO v4 .. 6 4245462
phi4" 0.00104133
....5 .. 3.1985958
phiS '" -00262903
".6 .. 0
phiS .. -0.0348337
Abbildung 34.20: Berechnung mit dem Programm ,.Gerade Biegeträger" (www.TM-interaktiv.de): Der
Benutzer beschreibt 5 Elemente. für die interne Berechnung werden 500 Elemente verwende!.
712 34 Methode der finiten Elemente
Im Kapitel 21 wurde gezeigt, dass im Rahmen der Sr.- Venantschen Torsionstheorie das Torsions-
trägheitsmoment eines beliebigen einfach zusammenhängenden Querschnitts nach 21.29 (Seite
382) berechnet werden kann:
(j2<p
-
dx2
(]2<p
- + -dy-
2
= 1 mit <PRand = 0 und /, = -4 J <PdA (34.7)
A
Nur für sehr wenige Querschnitte lässt sich dieses Problem geschlossen lösen. Eine Näherungslö-
sung mit der Methode der finiten Elemente unterscheidet sich deutlich von allen bisher in diesem
Buch behandelten Aufgaben:
oe:> Es ist (von diesem Startpunkt aus) ein rein mathematisches Problem (Lösung der Pois-
sonschen Differenzialgleichung), die Begriffe "Kraft". "Verschiebung", "Stei figkeitsmatrix"
verlieren hier ihre Bedeutung. Sie werden aber (üblicherweise) weiter verwendet.
Es gibt kein Pendant zu den Element-Knotenlasten (und auch nicht zu den Schnittgrößen).
Diese Aufgabe eignet sich deshalb hervorragend zur Demonstration des am Anfang dieses
Kapitels (Seite 695) als Zugang@ zur Firüte-Elemente-Theorie beschriebenen Weges.
In der Variationsrechnung wird gezeigt, dass zu 34.7 folgendes Variationsproblem äquivalent ist:
(34.8)
Der gesamte Weg vom Variationsproblem 34.8 über den Ritz-Ansatz und die Minimalbedingun-
gen entspricht aber ansonsten dem im Abschnitt 33.5.4 für den Biegeträger demonstrierten Weg.
Schließlich entsteht eine der Element-Beziehung 33.62 entsprechende Gleichung:
(34.9)
Mit den Abkürzungen
Xij =Xj -Xj Y;j = Y; -Yj
!"22 !IZ;
6 _ j "12 -32 I'2" 0 <1>? 0 0
~ ("i +/Ii) 0 -~h* -1,," <1>:J A 0 0
3 1 3 I
+-3
1(!li + "22) -34 ""I -1"i <P4 0
1(hi +/122) ~h"
3 - <Ps 0
symmetrisch 1(!li + "22) <P6 0
Der Aufbau der System-Beziehung (lineares Gleichungssystem) erfolgt exakt nach dem bekann-
ten Algorithmus (ausfuhrlich beschrieben im Kapitel 15) mit der Vereinfachung, dass die ,.rechte
Seite" des Gleichungssystcms nur aus den Anteilen dcr ,.reduzierten Knotenlasten"!e,,.d gebil-
det wird (,.externe Knotenlasten" gibt es nicht). Um die Randbedingung <PRtmd = 0 zu erflillen,
muss für alle Randpunkte des Finite-Elemente-Netzes <P; = 0 erzwungen werden. Auch dies wird
mit der Technik realisiert, die im Kapitel 15 für verhinderte Verschiebungen verwendet wird.
Die Lösung des G1eichungssystems liefert die Funktionswerte <P; fLir alle Knoten des Netzes.
Dies sind dic Freiwerte der Ansatzfunktionen, die für jedes Elcment gclten, und mil diescn nun
bekannten Funktionen kann ftir jedes Element ein Anteil des Integrals zur I,-Ermittlung nach 34.7
berechnet werden. Alle Elementantcile werdcn dann zum gesuchten Ir summiert, das schließlich
nach der Formel
4
Ir = -3 DA (<Pd <Ps + <P6)]e (34.10)
e
berechnet wird (ausführliche Darstellung siehe www.TM-aktueII.de). Das Element ist in Femsel
verftigbar (siehe Box auf Seite 714). Damit wurde auch das folgende Beispiel herechnet.
I Beispiel: I
F··ur einen
. Rec h tee kquersc h· ..
mtt IllJt eInem Seltenver
. h··J·"
a tms b = 2·Ist
das Torsions-Trägheitsmoment zu berechnen. Der Einfluss der Feinheit des Finite-
Elemente-Netzes auf die Genauigkeit des Ergebnisses ist zu untersuchen.
Die Tabelle zeigt einigc Ergebnisse für unterschiedlich feine Vernetzung (ein Matlab-Script, mit
dem die Rechnungen nachvollzogen werden können, findet man unter www.TM-aktueII.de):
I,
~ ~
0,2139 0.2246
I I
0,2283 0,2286
400 Elemente
0,2287
6400 Elemente
0,2287
!lb 3
Mit recht grobem Netz erziclt man schon brauchbare Ergebnisse (man bedcnke, dass das Nctz
mit 8 Elementen nur einen einzigen Funktionswert <Pi of 0 für den Punkt in der Mitte erzeugt).
Für sehr feine Netze ändert sich das Ergebnis praktisch nicht mehr. Der Welt, der in der Tabelle
auf Seite 368 angegeben ist, wird bestätigt.
714 34 Methode der finiten Elemente
WWW-Ergänzung-Vertiefung-WWW ,.....
ra, Finite.Elemente.Methode umer www.TM-aklUell.de bietet u. a. folgende
Themen:
"Die Gnmdgleichungen der Finite·Elemente-Methode (FEM)" enthält eine ausführliche
Beschreibung der allgemeinen theoretischen Grundlagen für elastostatische Probleme
und Eigenschwingungsberechnungen, jeweils mit einem Beispiel.
Matlab-Felllset ist ein Interface zu den Algorithmen der Finite-Elemente-Methode. Es
bietet die MögLidlkeit, mit Matlab FEM-Rechnungen auszuführen und gestattet Einbli-
cke in die programminterne Realisierung des Verfabrens.
Femset ist ein Finite-Elemente-"Baukasten" mit den zentralen Bausteinen für Finite-
Elemente-Programme (Quelleode in C, Basic und Fortran).
Zahlreiche komplett durchgerechnete Beispiele dienen als Muster für die Behandlung
ähnlicher Aufgaben. viele Aufgaben werden zum Vergleich auch mit anderen Berech-
nungsverfahren behandelt.
34.4 Aufgaben
I
Aufgabe 34.1: I Der skizzierte Fachwerkstab wird definiert lz
durch die jeweils drei Koordinaten seiner Endpunkte und seine
Dehnsteifigkeit EA. Es ist die Element-Steifigkeitsmatrix zu er-
mitteln, die die sechs skizzierten Knotenkräfte mit den in glei-
che Richtungen zeigenden Knotenverschiebungen verknüpft.
Hinweis: Man folge dem Algoritbmus, mit dem im Abschnitt
15.3 die Element-Steifigkeitsmatrix für das zweidimensionale
Fachwerk-Element er.oeugt wurde. Für die Transformation der
Stabkraft und der in Stablängsrichtung definierten Verschie-
bungen auf das skizzierte Koordinatensystem wird das Arbei-
ten mit Richtungskosinussen empfohlen (Abschnitt 8.1).
Aufgabe 34.2: I
I_ _ _ _ _.... Für einen elastisch gebetteten Biegeträ-
ger ist die Element-Steifigkeitsbeziehung zu ermineln.
Hinweis: Man folge dem Algorithmus, mit dem im Ab- i
schnitt 33.5.4 die Elemem-Steifigkeitsbeziehung für den
Biegeträger ohne Bettung erzeugt wurde und verwende
auch die dort benutzten Ansatzfunktionen 33.58. Das zur 'l'i
Differenzialgleichung für den elastisch gebetteten Träger ,~
19.3 äquivalente Variationsproblem kann über die Bezie-
hungen 33.44 und 33.45 formuliert werden.
::'e iJ.{ze)
35 Verifizieren von Computerrechnungen
.,Warum muss ich das denn alles lernen, wenn es dafür so komfortable Computerprogamme
gibt?". Auch wenn diese Frage bereits an mehreren Stellen in diesem Buch beantwortet wurde,
der Hauptgrund wird durch die Überschrift dieses Kapitels gegeben.
Dem fatalen Trend, Berechnungen mit Hilfe des Computers eher zu glauben als der "Handreeh-
nung", folgen glücklicherweise diejenigen am ehesten nicht mehr, die die Berechnungen selbst
durchführen, spätestens dann, wenn sie die Folgen falscher Ergebnisse selbst zu verantwol1en
haben. Aber bei der Verteidigung der gewonnenen Ergebnisse verzichtet trotzdem kaum jemand
auf den Verweis auf das "bekannte und bewährte Programm", mit dem sie gewonnen wurden.
Das Problem, ein (auf welchem Wege auch immer gewonnenes) Ergebnis einer Berechnung zu
verifizieren, ist schwierig und mit letzter Konsequenz wohl genauso unmöglich wie der Nach-
weis, dass ein Rechenprogramm korrekt arbeitet. Gerade den mit Computerprogrammen ermit-
telten Ergebnissen sollte Skepsis entgegengebracht werden, weil einige zusätzliche Fehlerquellen
bei der Nutzung von Programmen hinzukoJl1Jllen:
c:> Computerprogramme können fehlerhaft sein (und sind es in der Regel auch). Da die gro-
ben Fehler im AJJgemeinen in der Testphase bemerk! werden, sind es gerade die speziellen
Probleme, die bei einem auch über lange Zeit zuverlässig arbeitenden Programm plötzlich
zu einem Fehler führen, der sich im "günstigen Fall" durch einen "Programm-Absturz" oder
ein eindeutig unsinniges Ergebnis äußert, im wcsemlieh häufigeren ungünstigen Fall aber
beim Benutzer keine Skepsis gegenüber dem ermittelten Ergebnis hervorruft.
Übligens: Viele Anwender wären entsetzt, wenn sie wüssten, wie viele Fehler in ihren Pro-
grammen den Software-Herstellern selbst bekannt sind. Diese Fehler werden nicbt beseitigt,
weil natürlich jede Programm-Änderung (auch und gerade die Fehlerbeseitigung) Ursache
für neue Fehler sein kann. Außerdem ist die Suche nach Fehler-Ursachen außerordentlich
mühselig und könnte mit Erfolg meist nur von den PrograJl1Jll-Emwicklern erLedigt werden,
die schon längst an einem anderen Projekt arbeiten, wenn ein Fehler bekannt wird. Und
noch eine Bemerkung, die auch hin und wieder als kleiner Trost gelten darf: Der gefürchtete
(aber jedem Computer-Benutzer vertraute) .,Programm-Absturz·· ist immer ein Fehler der
Software-Entwickler und nicht etwa ein Fehler des Anwenders (ein Programmierer hat für
eine - offensichtlich nicht unrealistische - Situation keine adäquate Reaktion des Programms
vorgesehen).
c:> Man kann das falsche Programm einsetzen. Wer einen biegesteifen Rahmen m.it einem
Fachwerk-Programm berechnet (und wenn man Pech hat, stürzt das Programm nicht ab)
und sich freut, dass keine Biegemomente (und damit auch nicht die gefährlichen Biegespan-
nungen) hervorgerufen werden, darf das falsche Ergebnis natürlich nicht dem Programm
anlasten.
oe:> Man kann auch ein zum Problem passendes und richtig rechnendes Programm falsch be-
dienen, indem man ihm falschc Eingabedatcn anbietet. Die hierbei wohl häufigsten Fehler
bei Ingenieur-Problemen sind falsche Dimensionen für richtige Zahlenwerte. Viele Program-
me schreiben die Dimensionen der Eingabewerle fest vor oder gestatten dem Benutzer die
Einstellung. Daran muss man sich dann natürlich konsequent halten. Häufiger ist der Fall,
dass keine Vorschriften über die Dimensionen für die Eingabewerte getroffen werden, die
berechneten Ergebnisse orientieren sich dann an den gewählten Dimensionen. In diesem Fall
ist noch größere Konsequenz erforderlich: Wenn zum Beispiel mund kN für Abmessungen
und Kräfte gewählt werden, dann muss der Elastizitätsmodul in der Dimension kN/m 2 ein-
gegeben werden, Biegemomente als Ergebnis würden man in diesem Fall in kNm erhalten
(im Allgemeinen ist der Maschinenbauer mit der Wahl "mm und N" gut beraten, der Bauin-
genieur mag "m und kN" bevorzugen).
Aber neben der Fehlerquelle "Dimensionen" kann der Benutzer durch Fehleingaben, häufi-
ger jedoch durch Missverständnisse, unklare Benutzerführung, unzureichende Programmbe-
schreibung usw. noch beliebig viele Fehler produzieren, die vom Programm nicht bemerkt
werden können, so dass dieses ein völlig falsches Ergebnis liefen, das sich mit schönen
larbigen Grafiken so elegant wie ein richtiges Resultat präsentiert.
Mit der zu benutzenden Software sollte man vertraut sein. Dieser Idealzustand ist schon des-
halb bestenfalls vorübergehend erreichbar, weil eiJle neue Version sich gern auch mit geänderter
Benutzer-Schnittstelle präsentiert. Auf keinen Fall sollte man ein aktuell anstehendes Problem
gleich mit einer bisher nicht genutzten Software angehen, ohne nicht vorher damit eine Aufgabe
mit bekanntem Ergebnis gelöst zu haben.
Für die Ei",u·beitung in eine neue Software (oder eine neue Version einer bekannten Software) ist
das Lesen von Handbüchern nur bedingt zu empfehlen (für die junge Generation von Computer-
Benutzern ist dieser Hinweis überflüssig, man liest ohnehin keine Handbücher und hat auch eine
starke Abneigung gegen die Benutzung der Hilfe-Funktion). Es gibt nur eine Empfehlung: Man
benutze die Software. Hilfreich kann ein "TutoriaJ" sein (man wird "Kliek für Klick'· durch
die Lösung eines einfachen Problems geführt). Wenn dies nicht verfügbar ist, versuche man es
mit einer einfachen selbst geWählten Aufgabe mit bekannter Lösung, und wenn man dann doch
irgendwann nicht weiter kommt, kann man immer noch die Hilfe-Funktion oder das Internet
befragen r .
Das in ein Computerprogramm eingegebene Berechnungsmodell soille in jedem Fall einer ge-
nauen Kontrolle unterworfen werden. Das mühsame Vergleichen vieler Zahlenwerte wird von
I Die Autoren dieses Buchs gehören zwar noch der Generation an. die H~ndblicher gelesen und auch manchmal die
Hilfe-Funktioll benutz! haL, aber sie hüten ~ich davor, die jüngere Generation zu kritisieren. die mit Fragen sofon
ins Internet gehL. Gerade dann. wenn man meint. ein Programm müsse doch wohl eine bestimmte Funktion ganz
bestimmt anbieten. mall fLOde! sie 11m nicht. stellt man fest, dass es anderen auch schon so gegangen ist und irgend wer
Rat wusste.
35.1 Allgemeine Empfehlungen 717
Ergebnisse, die mit Computerprogrammen ermittelt worden sind. sollten unbedingt einer sehr
skeptischen Kontrolle unterzogen werdcn. Dazu kann man z. B.
CD die zu erwartenden Ergebnisse vorher abschätzen und die errechneten Ergebnisse mit
den Schätzungen vcrglcichen (für den uncrfahrcncn Anwcndcr mcist schwicrig), immer-
hin hat man meistens eine recht gute (qualitative) Vorstellung eines sich einstellenden
Verformungszustands bzw. eines zu erwartenden Bewegungsverlaufs,
@ die Erfüllung der Gleichgewichtsbedingungen an Teilsystemen und am Gesamtsystem
(unter Einbeziehung von vorgegebenen und berechneten Kräften) überprüfen,
® auf die Einhaltung physikalischer Gesetzmäßigkeiten achten (Biegemoment am Trä-
gerrand gleich Null, wenn von außen kein Moment eingeleitet wird, Querkraftverlauf in
unbelastetcn Abschnitten konstant, Nullstcllen dcr Qucrkraft, wcnn Biegcmoment eincn
Extremwert hat, Nullstab-Kriterien bei Fachwerken auswerten, berechnete Geschwindig-
keiten solltcn deutlich kleincr als die Lichtgcschwindigkeit sein, Temperaturen nicht we-
sentlich unter -273°C liegen ... ),
® Kontrollrechnungen mit vereinfachten (überprütbaren) Modellen durchführen,
@ Berechnungen nach verschiedenen Verfahren (mit unterschiedlichen Rechenprogram-
men) ausführen, im Idealfall mit eincm mathematischen Modell und zusätzlich mit einem
Programm. dem das physikalische Modell beschrieben werden kann,
® untersuchen, ob nicht wenigstens Teilergebnisse mit erträglichem Aufwand nachge-
rechnet werden können,
(f) zusätzliche Kontrollfunktionen (spcziell bei der Integration von Bcwcgungs-
Differenzialgleichungen) berechnen lassen, wenn man ihren Verlauf (zumindest
qualitativ) voraussagen kann,
® bei Finite-Elemente-Berechnungen mehrere Rechnungen mit unterschiedlicher Vernet-
zung und/oder unterschicdlichen Elemenuypen durchführen,
® bei Diskretisierungsverfahren (Differenzenverfahren, numerische Lösung von Anfangs-
wertproblemen) mehrfach mituntcrschicdlich feiner Schrittweite rechncn.
Zum Beispiel wird für eine nach der Biegetheorie ermittelten analytischen Lösung für die Durch-
biegung einer Welle vorausgesetzt, dass
• die Verformungen "klein" sind,
• die Querschnittsabmessungen klein gegenüber den Längenabmessungen sind,
• die Schubverformungen vernachlässigt werden dürfen,
• das Materialverhalten ideal-elastisch ist (Gültigkeit des Hookeschen Gesetzes),
• die Querschnitte bei der Verformung eben bleiben,
• Einzelkräfte punktförmig angreifen und entsprechend der Querkraftverteilung in die Quer-
schnitte eingelcitet werdcn,
• die punktförmig wirkenden Lager starr und in der neutralen Faser angebracht sind,
• der an einer starren Einspannung liegende Querschnitt sich in seiner Fläche ungehindert
verformen kann,
• die in die Rechnung einfließenden Werte (Belastungen, Abmessungen, Malerialeigenschaf-
ten) korrekt sind.
Meistens sind auf diesem Weg wesentlich mehr Unsicherheiten in die Rechnung eingeflossen als
selbst durch ein grobes Näherungsverfahren hinzukommen können. Der Ingenieur weiß das und
betrachtet auch analytisch gewonnene Ergebnisse mit der gebührenden Skepsis (und darf darallf
hoffen, dass alle Unwägbarkeiten z. B. durch den Sicherheitsbeiwert aufgefangen werden).
Sehr viele Probleme der technischen Praxis führen (auf der Basis unterschiedlicher Verfah-
ren) auf die Lösung eines sehr großen linearen Gleichungssystems. Bei der Finite-Elemente-
Methode oder dem Differenzenverfahren gilt die Aussage: "Je feiner die Diskretisiefllng, desto
größer das Gleichungssystem, desto besser die Ergebnisse". Weil sich die Rechenzeiten mit mo-
dernen Computern auch bei sehr großen Gleichungssystemen in erträglichen Grenzen halten,
wird gern nach dem Motto "Viel ist besser" verfahren, das prinzipiell nicht falsch ist, aber ein
zusätzliches Problem erzeugen kann: Wegen der begrenzten Stellenanzahl, mit der im Computer
gerechnet wird, sind alle Operationen zwangsläufig mit Rundungsfehlern behaftet. Diese können
sich durchaus so akkumulieren, dass das Ergebnis ungenau bis unbrauchbar wird 2
Die Maßnahmen zur Verifizierung von Computerrechnungen lassen sich nur schwer katego-
risieren (für viele Probleme sind auch mehrere Maßnahmen empfehlenswert). Deshalb wer-
den im folgenden Abschnitt Beispiele vorgestellt, an denen die gegebenen Empfehlungen de-
monstriert werden. Die Auswahl der Beispiele verfolgt einen weiteren Zweck: Es soll gezeigt
werden, dass auf der Basis der Grundlagen der Technischen Mechanik, die in diesem Buch
behandelt wurden, bei Benutzung des Computers auch anspruchsvollere "nicht-akademische"
Probleme gelöst werden können. Die Aufgaben sollen den Übergang zu den (im Allgemeinen
deutlich kompliziel1eren) Problemen der technischen Praxis markieren.
35.2 Beispiele
Beispiel]
I
(Statik-Problem, Kontrollen flach den "I
Empfehlungen <D, <:l und ® von Seite 717) I
Gegeben:
Nach Empfehlung I]) (Seite 717) kann zwar kein Einzelergebnis vorausgesagt werden, aber ganz
sicher werden die Summe der Horizontalkomponenten der beiden Lagerkräfte gleich Fr und die
Summe ihrer Vertikalkomponenten gleich F2 + F) sein.
Das System ist statisch bestimmt. Es ist in zwei Festlagern gelagert, so dass die Lagerreaktionen
aus den Gleichgewichtsbedingungen am Gesamtsystem nicht berechnet werden können. Deshalb
werden die vier starren Körper nach den Regeln der Statik freigeschnitten, und die Kräfte an den
Schnittstellen werden angetragen (Abbildung 35.1).
Dies sind für jedes Teilsystem das Kraft-Gleichgewicht in horizontaler und das Kraft-Gleich-
gewicht in vertikaler Richtung, außerdem eine Momenten-Gleichgewichtsbedingung, für die je-
weils als Bezugspunkt der Seilbefestigungspunkt gewählt wird, so dass die schräg angreifenden
720 35 Verifizieren von CompUlcrrcchnungcn
Sei Ikräfte darin nicht erscheinen. Die 12 Gleichgewichtsbedingungen werden in Matrixforrn zu-
sammengefasst:
c 0 0 I 0 0 0 0 0 0 0 FS 1 -F,
-s 0 0 0 0 0 0 0 0 0 FSl 0
0 o- (5+~) I -~
a
-I 0 0 0 0 0 0 FAll F, (5+~-~)
0 l' 0 0 -I 0 I 0 0 0 0 0 FAV 0
0 S 0 0 0-1 0 0 0 0 0 FCH F2
0 0 0 0 0-2 0-1 0 0 0 0 Fcv F2
-c 0 0 0 0 0-1 0 0 0 0 FOH 0
S 0 0 0 0 0 0-1 0 0 0 Fov F3
0 0 0 0 0 0 0-1 0-2 0 0 hH -F3
o -c 0 0 0 0 0 o -I 0 I 0 FEV 0
o -s 0 0 0 0 0 0 0-1 0 FeH 0
0 0 0 0 0 0 0 0 f _I _(Hf) -I Fev 0
" " f
5
mit c=cosa=
z
und s= sina = a
FSl
V2fiP (9~F,+44f2+12F3) 4,2704
Ergebnis verifizieren:
<> Die Kontrolle des Kraftgleichgewichts am Gesamtsystem ist einfach. Ohne Rechnung er-
kennt man, dass die äußeren Kräfte mit den Lagerkraftkomponenten im Gleichgewicht sind.
<> Wenn bei der Vorbereitung der Computerrechnung das Aufschreiben möglichst einfacher
Gleichgewichtsbedingungen empfohlen wird, gilt für die KOlllrollbedingungen gerade das
Gegenteil: Beim Formulieren des Momenten-Gleichgewichts der äußeren Kräfte sollte man
einen Bezugspunkt wählen, für den alle Kräfte Anteile liefern, hier z. B. den Punkt C.
<> Die Gleichgewichtsbedingungen am Gesamtsystem können auch als zusätzliche Gleichun-
gen dem auf Seite 720 formulierten Gleichungssystem hinzugefügt werden. Dann entsteht
ein System mit 15 Gleichungen für nur 12 Unbekannte. Weil mit 12 Unbekannten im All-
gemeinen 15 Gleichungen nicht erfüllt werden können, kann nur naeh den Regeln der Aus-
gleiehsrechnung eine "bestmögliche Lösung" berechnet werden. Diese muss in diesem Fall
(alle Gleichgewichtsbedingungen müssen erfullt sein, auch die äußeren) mit der Lösung des
Systems mit 12 Unbekannten identisch sein. Dies ist eine effektive Kontrollmöglichkeit,
wei I die den beiden Lösungsverfahren zugrunde liegende Theorien unterschiedlich sind 3
dass die Ergebnisse für die Abbildung 35.3: Eine Kontroltrechnung mit dem Programm "St.a-
Lagerreaktionen und die tisch bestimmte ebene Fachwerke" (www.TM·interaktiv.de) bestä-
Seilkräfte beStätigt werden. tigt die Ergebnisse
3Diese Möglichkeit wird für das hier behandelte Problem unter wwwTM-akrucll.dc mit Matlab demonstriert. Zur
Theorie der Lösung übcrbeslimmter Gleichungssysleme (Ausglcichsrechmlng) findet man Informationen im Bereich
MCI(hematikfiirdie Teclmische Mechanik (www.TM-Malhe.de). siehe Box auf Seile 73
722 35 Verifizieren von Compulerrechnungen
Bei~piel2
(3D-Fachwerk, Kontrollen nach den
Empfehlungen CD. ®,~, @ und ® von Seite 717)
Weil eine Aufgabe dieser Art nur mit einem Programm berechnet werden kann, dem das physika-
lische Modell über Daten formal beschrieben wird (und dessen mathematischer Hintergrund den
Benutzer nicht zu imeressieren braucht), ist das Verifizieren von Ergebnissen besonders wichtig.
um die Gefahr von Fehlbedienungen oder Eingabe falscher Daten möglichst gering zu halten.
Ergcbnis vcrifizicrcn:
c:> Dem Verformungsbild (Abbildung 35.4) kann man nur emnehmcn, dass cs qualitativ in
dieser Form zu erwarten ist.
c:> Obwohl das System hochgradig sta-
tisch unbestimmt ist, lassen sich bei
dcn Stabkräften durchaus Ergebnis-
se verifizieren, denn der Ausleger,
der durch die beiden Sei le gehalten
wird, ist als ebenes Gelenksystem
statisch bestimmt, so dass der Kraft-
fluss von Monlageungenauigkeilen
nicht nennenswert beeinflusst wird.
Mit den bei den Kräften F = IOkN
errechnete das Programm die Seil-
kräfte F 1S2 = 38,33 kN bzw. FIs? =
6,734kN. Abbildung 35.4: Verformtes System
Die Abbildung 35.5 zeigt, dass der Ausleger als ebenes System betrachtet werden kann, das
über die Seile in den Knoten 46 und 37 befestigt und im Knoten 47 gelenkig gelagert ist.
Dei beiden Teile des Auslegers sind im Knoten 62 durch ein Gelenk verbunden. Mit einem
Schnitt durch Knoten 62 und Seil 182 entsteht ein freics System, an dem die Seilkraft FI82
berechnet werden kann. Anschließend kann mit einem Schnitt durch Knoten 47 und beide
Seile die andere Seilkraft berechnet werden.
Q Eine Reihe von Stäben werden als Nullstäbe ausgewiesen, die nach den Regeln der Statik
bestätigt werden können:
Der Stab 159 in der Nähe der Spitze des Turms (Abbildung 35.7, links) hat einen gemein-
samen Knoten mit den Stäben) 56, 157 und 164. Diese drei Stäbe liegen aber alle in einer
Ebenc, so dass keine Kraftkomponente senkrccht zu dicser Ebene aufgenommen werden
kann. Eine Stabkraft aus Stab 159 könnte nicht weitergeleitet werden, so dass er ein Null-
stab sein muss.
Mit einer ähnlichen Überlegung kann der Nullstab bestätigt werden, der in dem Ausschnitt
aus dem Turm (Abbildung 35:7, rechts) zu sehen ist. Er ist an einem Ende an dem Knoten
befestigt. an dem das untere Seil hängt. An seinem anderen Knoten ist er mit vier weiteren
Stäben verbunden, die aber alle in einer Ebene liegen, so dass der fünfte Stab keine Kraft
übertragen kann.
Beispiel 3
,
(Biegeträger, Kontrollen nach den
EmpreWunge,u CD, (2). @, @, @ und
® von Seite 717) 3qo, ,,,, ,7qo
0
FJ
EI ,
F2
--
sollen die Durchbiegung, der Bie- a b c d e f
gemomenlenverlauf und der Quer-
kraft verlauf berechnet werden.
Gegeben: a = 220mm; d = 270mm; qo = 1Nimm 1= 20000mm 4
b= 800nlln; e = 290mm; F = 2kN J
E = 2, [ . [05 N/mm 2 ;
c=210mm; J=310mm; F2=lkN
Die Abbildung 35.8 zeigt die Ergebnisse der Berechnung mit einem Programm, das auf der
Basis des im Abschnitt 18.2 beschriebenen Verfahrens arbeitet.
Ergebnisse verifizieren:
c:> Die Verschiebungen können direkt nur qualitativ liberprüft werden, das sich einstellende
Verformungsbild emspricht aber den Erwartungen (Null- Verschiebungen an den Lagern, ho-
rizontale Tangente an der Einspannung, Knick in der Biegelinie am Gelenk).
lA~· ~-=1
Knolerrverlorl"rlUl'lgert SChniltgr'Öß.en:
'"
• 0 fIotJ1L -140397.23
phi1" 0 FQ1L ·.1914 5078
." • 0 1vI:l1 R .. ·280794.47
pN2 .. 0.00361707 FQ1R ••1914.5Q78
v3 .. 0 1\oIJ21. -280794.47
ptli1- -0 0107313 FQ2L-19S7.7639
0 400 010 1200 1600 2000
ptlI4 .. .(J 0082001 ""tJ2R-·,D1250
.,,4 .. -1.8992174 fQ2R· -2042.2361
BI~$/.lIoi. ptj4 .. 0 00593496 f\olJJL .. -, 01250
.,,5 .. -0.6733538 FQ3L • 482 14285
~ pt1i5 .. O.OC117S065 hollJR- 0
~
~
"" • 0 fQ3R .. 482 14255
phi6 .. 0.00795877 ~L"O
.,,7 = ...8315864 fQ4L = 48214285
...m"" '" 4.831'5804 bot. KM< 2100 ttmil'l" ·1.8W2174 be" X" 1230 phi?" 0.01939925 "'I:J4R .. 1JQ17857
fQ4R" 482 14265
Bi*g*mom*nl
"b5L .. 13017657
V '\J7
td:JSR .. -31 0000
fQ5R - -1517.8572
td:J6L - .31 0000
fQ6L -1000
jMbm,xj" 310000 b<ll)( .. 17gQ
..... ·0
Qu*lkra'ft fOElR -1000
Lagerrel'JldlOl'1en·
~~ LF
f1 .. -19145078
M1 .. -140397.23
f2" 38722717
F3 .. 2524.379
JFOmaxJ" 2042.2'301 f6 .. 2517.8572
oe:> Die Schningrößen sind bei den meisten Verfahren (z. B.: Differenzenverfahren, FEM) ..se-
kundäre Ergebnisse", die aus den primär ermittelten Ve,formungen berechnet werden. Ihre
Kontrolle ist damit auch immer eine indirekte Kontrolle der berechneten Verschiebungen.
Bei dem behandelten Problem können alle Schnittgrößen und Lagerreaktionen im rechten
Teil DEFG des Trägers mit den Mitteln der Statik überprüft werden: Nach einem Schnin
am Gelenk D können mit Hilfe der drei verfügbaren Gleichgewichtsbedingungen am rech-
ten Teil die beiden Gelenkkräfte und die Lagerkrafl bei F (und damit natürlich auch alle
Schnittgrößen in diesem Bereich) berechnet werden. Weil das im Abschnin 18.2 beschrie-
bene Finite-Elemente-Modell für den geraden Biegeträger die Biegetheorie exakt abbildei,
müssen alle angegebenen Ergebnisse in diesem Rahmen ebenfalls exakt sind.
oe:> Die Gleichgewichtsbedingungen am Gesamtsystem (äußere Lasten müssen mit den Lager-
reaktionen im Gleichgewicht sein) sollten immer überprüft werden. Und wenn z. B. das
n
Momenten-Gleichgewicht um den Punkt A
Jrz==s=\J
500 1000 1500 2000
terschieden.
Lager· bzw. Biege· Absenkung
Punkt Gelenk- moment v lmmj
kraft [N] Mb [Nml
o 500 1000 1500 2000
A - t914.5 t40.39 0.0000 Ouerkraft
6 3869.2 - 280.79 0.0000
C 2517.4 - 101.25 0.0000
0 482.1 0.00 1,8992
E 130,18 0.6734
F 2517.9 - 310.00 0.0000 o 500 1000 1500 2000
G 0.00 4.8316
Beispiel 4
(Rahmentragwerk, Kontrollen nach den
EmpreWunge,u CD und (2) von Seile 717)
4
I~I~,
werden m.it dem Programm "Biege- und dehnsteife
tt
ebene Rahmen" (www.TM-interaktiv.de).
i
Ergebnisse verifizieren:
c:> Dem Verformungsbild (Abbildung 35.10) kann
11 1
man nur entnehmen. dass es qualitativ in die- W
ser Form zu erwarten ist (die Verformungen sind
stark vergrößert dargestellt). Weil die Biegever-
formungen gegenüber den Verformungen durch m
Nomlalkräfte deutlich überwiegen, gibt es in
vertikaler Richtung nur lokal am oberen Element
sichtbare Durchbiegungen, Abbildung 35.'10: Verformtes System
35.2 Beispiele 727
~
die berechneten Lagerreak-
tionen und lagert das System
statisch bcstimmt mit eincm
Loslager (anstelle der Kraft
F4 ) und cinem Festlager
am Knoten 9 (Abbildung Kl'lotaro1: XII: 0.0. '1"'0.0. Fx.·43443.434. Fy.J3gg2.W
Khotarl 2' x .. 0 0, '! .. 3000.0
35.12). Die Berechnung der KMte1l3: )(=0.0. y=ooooO
Knoten 4 lIl" 0.0, Y '" QOOJ.O, Losloilger (vx vt!lhindllrt)
Lagerreaktionen für dieses Knoten 5: )( .. 4500.0. yoe gOOO.O
Knotu.15: x .. 4500.0, Y" eooo.O. 1oA" 2.0E8
Ersatzsystem muss dann den Knoten 7: x .. 4&10.0, Y" 3000.0. M" 2.0e8
Knoterl 8' )(:: 4600.0, y" 0.0, Fx:: .1104Q3 43, r,:: -11656.662. M'" 1.6Q5613Ea
Wert für F4 am Loslager und Knoten g" X" QOOO.O, Y" 6000.0, Fesll.ger
Knoten 10 x = QOOO.O. '1= 300C1 0
zwei Nullkomponenten für Knlltaro 11: X" QOOO.O. '1·0.0. fx· ·06003.13, Fy· Q0103.77 , I.d - 1.2415~46ES
BeispielS B
(Ebene Scheibe, Kontrollen nach den Empfehlungen I
0
® und ® von Seile 717) A
F .<: F
N
Dic ncbcnstchcnde Tabelle zcigt Ele- Kno- !"J.d1, !'J.d" (JtA aLB
die Ergebnisse ftir verschieden fei- mcnte ten lmm] lmmJ lN/mm 2 J tN/mm 2 J
ne Vernelzung (!!.d,. ist die Ver- 15 62 -0,0632 -117,3 8,20
0.0451
größerung des vertikalen Loch-
80 277 0.0460 -0,0641 -115,7 8,31
durchmessers. das Minuszeichen
1500 4661 0,0460 -0,0641 -115,3 6,82
bei der Veränderung des horizon-
talen Durchmessers !!.dh zeigt eine 6000 18321 0,0463 -0,0641 -115.3 6.75
Verkleinerung an). Ergebnisse bei Verwendung eines Acht-Knoten-Elements
Die Ergebnisse bei einer Vernetzung mit 80 Acht-Knoten-Elementen genügen den normalen An-
forderungen an dic Genauigkcit. Die extrem feincn Vernetzungen mit 1500 bzw. 6000 Elementen
zeigen nur noch sehr kleine Abweichungen. Die Abbildungen 35.14 und 35.15 zeigen die ge-
suchten Ergebnisse für die Vernetzung mit 80 Elementen.
Ergebnisse verilizieren:
c:> Ein wesentlicher Schritt zur Verilizierung der Ergebnisse ist bereits mit der Mehrfachrech-
nung mit verschieden feiner Vernetzung erledigt.
35.2 Beispiele 729
<> Die Kraft F erzeugt bei der Durchleitung durch den Schnitt AB eine mittlere Spannung
Cfx = -2(1'~R)( = -40N/mm 2, die einer resultierenden Normalkraft von FN = ~ = 10000N
entspricht. Diese Normalkraft müsste sich auch ergeben, wenn man die tatsächliche Span-
nungsvelteilung über die SehniLLiläehe integriert:
J
h
FN = Uxl dy
y=R
Mit den punktweise an den Knoten anfallenden Spannungswerten kann nur numerisch inte-
griert werden. wobei eine einfache Inlegrationsformel für diese Kontrollrechnung natürlich
ausreichend ist. Mit der Trapczregel errechnet man z. B. bei der EinteiJung der Scheibe in 80
Elemente (17 Knoten im Schnitt AB) FN = -9914N, bei Vernetzung mit 6000 Elementen
(121 Knoten im SehnillAB) FN = -9999N.
0
nungen mit anderen Elementtypen 375 0,0456 -116,7
(AbbiJdungen 35.16 und 35.17 zeigen
jeweils ein Netz). Auch wenn diese 6000 0.0460 -115.8
Q
Elemente nicht so leistungsfähig sind, 750 0,0454 -105,7
ergeben diese Rechnungen doch ei-
12000 0,0460 -113,0
ne weitere Bestätigung der mit dem
besseren Element erzielten Ergebnisse. Komrollrechnungen
Beispiel 6
(Ebene Scheibe, Kontrollen nach den
EmpreWunge,u CD, (2). ® und ® von SeHe 7 J7)
{J
Eine Wand mit 2 Ausschnitten ist wie
[}~<
skizziert gelagen und an ihrem oberen
Rand durch eine Kraft F = qob belastet,
die als konstante Linienlast aufgebracht
wird.
Es sind die Verformungen und Spannun- Dicke t
gen der als ebene Scheibe zu modellie-
renden Wand zu bercchnen. ";/
4a
b
Gegeben:
b=4 m; 0=0,25m; v=0,16 E=3·107 kN/m 2 F = 500kN;
h = 2,75 m; t = 0.2 m.
Ergebnisse verifizieren:
<> Das in der Abbildung 35.18 zu sehende Verformungsbild (mit stark vergrößerten Verfor-
mungen) erscheint plausibel.
<> Entsprechend Empfehlung ® von Seite 717 wur- Ete- Kno- "p (J).,p
Ju
b
Fy = y u!x=-500kN
Abbildung 35.20: Spannungen O'y in einem bori-
=0 zontalen Schnitt dicht oberhalb der Ausschnitte
<> Im Bereich der Ausschnitte sind die Span- , ," ,, , " , ", ," " ,
nungen natürlich wesentlich größer als UM
(nebenstehendes Bild), aufgrund der Lage- ~ ~~
:-n- ~ ~M
11I
rung rechts größer als links. Aber auch hier
~
liefert die Integration über die (deutlich klei-
nere) Schnittfläche als resultierende Schnitt- 0'
Y
kraft den Wert F" = - 500 kN.
732 35 Verifizieren von Compulerrechnungen
Es sollte vermerkt werden, dass alle bisherigen Kontrollen der Lösung dieses Beispiels die Kon-
sistenz der Ergebnisse überprüfte. Systematische Fehler können dabei unbemerkt bleiben. Die
Eingabe eines falschen Elastizitätsmoduls bleibt z. B. unbemerkt, wenn dies nicht zu völlig un-
sinnigen Verfomlungcn führt. Weil der unerfahrene Anwender eines Programms keine Vorstel-
lung von den zu erwartenden Größenordnungen der Ergebnisse hat, ist eine Berechnung nach
einem anderen Verfahren auf der Basis einer anderen Theorie auch dann angebracht, wenn man
dafür ein Modell verwendet, mit dem man zwar nicht die Ergebnisse kontrollieren, immerhin
aber ihre Größenordnung überprüfen kann:
,---.
0:, = 4082 kN/m 2 , die auch die Größenordnung der Scheiben berechnung bestätigt.
, 7
FN6 ... 13901344
f06;·1437629
~
~ 9 != ~ .. -68.95085
35.2 Beispiele 733
Beispiel 7
(Nichtlineare gedämpfte Schwingung. Kontrollen nach
den EmpCcbJungen CD.@, ([) und ® von Seite 7J7)
dann nicht mehr wirkt, müssen die beiden Federkräfte mit der a
Gewichtskraft der Masse im Gleichgewicht sein (Abbildung Abbildung 35.22: Gleichge-
35.22). Für Gleichgewicht in vertikaler Richtung muss gelten: wicht der Elldlage
Weil alle Parameter in dimensionsloser Form gegeben sind, empfiehlt sich eine komplett dimen-
sionslose Rechnung. Mit der bereits für die Bestimmung der Gleichgewichtslage verwendeten
dimensionslosen Koordinate x = ~ und der dimensionslosen Zeit
d2x c d 2x
-=Q--
dl 2 m d7: 2
:E
Weg-Zeit-Diagramm:
linear und kann nur numerisch gelöst werden.
Abbildung 35.23 zeigt die kinematischen Dia-
gramme, die mit dem Standard-Sol ver von Mat-
lab mit automatischer Schrittweitensteuerung
für den Bereich 0 :S 7: :S 100 erzeugt wurden.
Ergebnisse verifizieren (ausführlich unter
o 20 40 60 80
J
100
Geschwindigkeits-Zeit-Diagramm:
www.TM-aktuell.de):
:~---------,
<> Die Diagramme bestätigen, dass die Endla-
ge der Masse die stabile Gleichgewichtsla-
ge XO,3 = -0,6793 ist. I
oe:> Auch bei Nutzung eines Algorithmus mit o 20 40 60 80 100
automatischer Schrittweitensteuerung soll- Geschwindigkelts-Weg-Diagramm:
:~v~
te in jedem Fall mehrfach mit unterschied-
lichen Schrittweiten gerechnet werden (da-
~ ~~
für ist in Matlab ein spezieller Steuerpa-
rameter vorgesehen). Als Indiz für ausrei- X
chend kleine Schrittweitcn dient der Ver- -2 L--~--==== __ =~---.:J
-3 -2 -1 0 2 3
gleich der Werte für x und v am Ende des
Integrationsintervalls. Abbildung 35.23: Kinematische Diagramme
<> Weil sich am Ende des lntegrationsintervalls die Masse bereits der Ruhelage annähert, ist in
diesem Fall das letztgenannte Kriterium nur bedingt aussagefahig. Deshalb empfiehlt sich
entsprechend Empfehlung @ von Seite 717 eine Kontrollrechnung mit einem vereinfachten
Berechnungsmodell, in diesem Fall bietet sich die Abschaltung der Dämpfung an. Die Ab-
bildung 35.24 zeigt x( 7:) für das ungedämpfte System mit den erwarteten gleichbleibenden
Amplituden. Der Zoom in die Spitze der letzten Schwingung im Intervall macht deutlich,
dass tatsächlich die Anfangsauslenkung exakt wieder eneieht wird.
35.2 Beispiele 735
Für das betrachtete System (ohne Dämpfung) errechnet sich die Gesamtenergie aus der po-
tenziellen Energie der schwingenden Masse, aus ihrer kinetischen Energie und der potenzi-
ellen Energie in den Federn. Man bestätigt leicht, dass mit den Parametern der Aufgabe zu
jedem Zeitpunkt die "dimensionslose Energie" wie folgt aufgeschrieben werden kann:
2
- T 2 + )1+1'--- mg I 1 b
T=-=-1'+-v
ca 2 ca 2 ( a)
Allerdings zeigt der "sehr scharfe Zoom" für die Achse, auf der die dimensionslose Energie
eingetragen ist, dass es doch (in diesem Fall natürlich unwesentlicbe) Änderungen gibt.
Warum eine genaue Konn'olle der berechneten Werte erforderlich ist, wird mit den Grafiken
in der Abbildung 35.26 deutlich, die zwei Berechnungen für das (gedämpfte) Original system
zeigen: Bei einer geringen Änderung der Anfangsauslenkung (von x"''! = 2,5 auf x"''! = 2,490,
linke Grafik) ergibt sich eine andere Endlage. Für die Anfangsauslenkung x"''! = 2.491 macht
die rechte Grafik deutlich. woran dies liegt: Die Masse kommt bei dem Versuch, die instabile
statische GleichgewichtSlage 1'0.2 = 0,0250 zu überwinden, fast zur Ruhe, "schafft es ein letztes
Mal" (rechte Grafik) bzw. "schafft es nicht" (linke Grafik). Tn solchen Situationen führen kleinste
Verfahrensfehler zu grundlegend falschen Ergebnissen im weiteren Verlauf.
4
X Gedämpfte Schwingung
4
x Gedämpfte Schwingung
2 2
0 0
-2 ~nfan~sauSlenkung: -2 ~nfan~sauSlenkung:
X :: ,490 X = ,491 t
anf t anf
-4 -4
0 20 40 60 80 '00 0 20 40 60 60 100
Beispiel 8
(Doppelpendei, System mit 2 Freiheitsgraden,
Kontrollen nach deo Empfehlungen (ID, (]) und ® von Seite 717)
Das Differenzialgleichungssystem, das die Bewegung dieses Systems mit 2 Freiheitsgraden be-
schreibt, wurde im Abschnitt 33.4.3 hergeleitet (Gleichungen 33.32 auf Seite 673). Zur Vorbe-
reitung der numerischen Lösung werden die beiden neuen Variablen (V, und CU2 eingeführt:
61, = lPl
Damit wird aus den beiden Differenzialgleichungen 2. Ordnung 33.32 ein System von 4 Diffe-
renzialgleichungen I. Ordnung, das in Kurzform so formuliert werden kann:
(r
al2COl +a22CÖ2 =h 0 0 (112 a22 Wz b2
S, JSI 1Il2 Jn252
mit = - +--+- al2 = - - cos( 11'1 -11'2)
(r
all
1I Inll? 1111 Inl 1I
1112 S2 JS2
a22=- -
Inl I, +-~
m, I?
35.2 Beispiele 737
und
Das Anfangswertproblem wird durch die Matrix M und den Vektor r in Verbindung mit den 4
Anfangsbedingungen vollständig beschrieben und kann z. B. Matlab in dieser Form angeboten
werden.
Abbildung 35.27: Funktionen 'PI (I) und 'I'2(r) für ein Doppelpendel
In der Abbildung 35.27 sind die Funktionen zu schen, dic sich aus dcr numcrischcn Lösung die-
ses Anfangswertproblems ergeben. Die recht bizarren Funktionsverläufe spiegeln den tatsächlich
außerordentlich komplizierten Bewegungsablauf eines solchen Doppelpendels wider. Während
das obere Pendel eine recht unregelmäßige Schwingung ausfUhrt, beginnt das untere Pendel mit
einem ..Salto", dem bald darauf ein ..Salto rückwärts'· folgt. Unter www.TM-aktuell.de kann man
eine Animation dieser Bewegung sehen.
Ergebnisse verifizieren:
Obwohl nur über einen relativ kleinen Zeitbereich integriert wird, muss das Ergebnis mit der
gebotenen Skepsis betrachtet werden. Deshalb wird hier auch der (häufig unvermeidliche) erste
Fehlversuch der Rechnung vorgestellt.
r:> Der Empfehlung @ von Seite 717 folgend, wird nach zwei verschiedenen Verfahren inte-
griert. Unter www.TM-aktuell.de wird auch die zusätzliche Empfehlung ..mit verschiede-
nen Programmen·' berücksichtigt, hier werden nur die mit Matlab geWOJ1Jlenen Ergebnisse
vorgestellt. um beide in einer Grafik erfassen zu können. Mit folgenden Verfahren wurde
gerechnet:
• Der Matlab-Standard-Solver ode45 (ode steht fUr ..Ordinary Differential Equation") ar-
beitet mit Formclsätzen 4. und 5. Ordnung. Bei diesem so genannten Dormand-Prince-
Verfahren werden die beiden Ergebnisse am Ende eines jeden Integrationsschrittes ver-
glichen und dje Differenz zur automatischen Steuerung der Schrittweite verwendet (sie-
he Abschnitt 28.3.3).
738 35 Verifizieren von Compulerrechnungen
Auf Seite 672 findet man die Beziehungen für die potenzielle und die kinetische Energie
während der Bewegung (Null-Potenzial auf der Höhe des Aufhängepunktes A). Mit einigen
elementaren Umformungen lässt sich daraus die ,.dimensionslose Gesamtenergie" formulie-
ren:
35.2 Beispiele 739
Dieser komplizierte Ausdruck muss flir jeden Satz der Bewegungsgrößen ipl, 'P2, NI und
W2 eines beliebigen Zeitpunkts t den gleichen Wert ergeben. Es ist die Gesamtenergie, die
bereits am Anfang der Bewegung (als potenzielle Energie) vorhanden ist:
- Ta
To = -11I2g52 '* To = - - = - - -
mlg/l
m2"2
Inlll
I
=--
2
-,.., ".
T 8017 Zeitschritte
Sollwert erinnert daran, dass die Berech-
nung immer mit einem Näherungsver- -0.2 In diesem Maßstab zeigt der
Energieverlauf die erwartete
fahren erfolgt. Wenn man allerdings da- -0.3
hOOzootate linie ~
für sorgt, dass die Grafi k in jedem Fall -0.'
-0.'
auf der Ordinate auch den Wert T ges = 0 I [sI
.lall
-m dm'SZ' u(4)"2'sln(u{l )·u~»)-(Sl +m cm)'ocJ'sln(u(l ») H--------,
b1
a12'phi'2pp
mrin's2'cos(u{1 )..u(2)
o 5' ($1 "2+Jl +mdm)' u(3)"2Jgdl'+O 5' (m (im' s2"2+-'2)' u(4)"2/gCl+m dm' 52"CO$(u(1 )-tJIZ!)' u\.3Y u(4)igtl,s1+m li1l )'cos
Kontroillunkfun Tges
• Mit den Variablen u(I), ... , u(4) und den gegebenen Größen können in so genannten
"Function-Blocks", hier bezeichnet als "bi", "aI2'", "b2"und "Kontrollfunktion Tges", die
für die Definition der Differenzialgleichungen benötigten Ausdrücke formuliert werden (bei
einem Klick auf einen "Function Block" öffnet sich ein Dialog-Fenster, in das der Ausdruck
eingetragen werden kann).
• Die WeiterverarbeilUng erfolgt in "Product-Blocks" (die kleinen Quadrate mit dem Kreuz),
"Surn-Blocks" (die kleinen Kreisc mit dcn Symbolen + und -) und "Gain-Blocks" (Drci-
ecke, die die Multiplikation mit dem reziproken Wert eines Ausdrucks erzeugen), so dass
schließlich die links in das Schema eingeführten Beschleunigungsgrößen entstehen.
Die Rechnung bestätigt die auf anderem Wege gewonnenen Ergebnisse (Abbildung 35.32), die
Funktion TRes(t) signalisiert auch hier, dass immer Vorsicht geboten ist.
Eine Wertung der Simulink-Software findet man nach einem weiteren Beispiel, das damit gelöst
wurde, auf der Seite 746.
...mJ~
e Iii P ß[Ji' A ~ rnI e » •
Beispiel 9
(Laufkatze lIlit Last, System mit 2 Freiheitsgraden,
Berücksichtigung von Ereignissen, Kontrollen nach
den Empfehlungen <D, $, (J) und ® von Seite 717)
x= v J 0 0 0 i v
ljJ=w 0 I 0 0 ljJ w
=> => Mx=r
a" v+a'261 = b, 0 0 all al2 V b,
a'2,;+a2261 = b2 0 0 al2 a22 61 b2
CI" =mK+mL CI'2 =mLlscosq> an =mL I1+h
b, =IIlL1sw2sinq>-ct(x-a)+F, b2 = -mL/;ils sinq>
fUr t < 61 0 flir x< a
CI =
für t?:. 61 { c für x?:. a
Wie dieses Anfangswe.tproblem der für die Lösung verwendeten Software vermittelt wird, wie
speziell die beiden zeit- bzw. wegabhängigen Ereignisse zu realisieren sind (Matlab bietet dafUr
eine spezielle "Event-Strategie"), soll hier nicht diskutien werden (man findet alles ausführlich
kommentien unter www.TM-aktuell.de).
Die Abbildung 35.33 zeigt den Verlauf der Bewegungskoordinaten x(t) und q>(t) flir die Lauf-
katze bzw. die Last. Die laufKatze bewegt sieh erwartungsgemäß zunächst nach rechts und tritt
nach etwa t = 4s den RUckweg an. Die Last schwingt nach dem Start der Bewegung relativ weit
aus. lUTI dann auf dem RUckweg eine recht regelmäßige Schwingung auszuflillIen. Es lohnt sich,
speziell das Weg-Zeit-Gesetz flir die Laufkatze etwas genauer zu analysieren.
35.2 Beispiele 743
10
<[mi
5
0.5
0
-5
o
-10
-15
-0.5
Laufkatze Last
-20
1[5] 1[51
-25 L - _ ~ _ ~_ _~_~='--" -1 L-_~_~_ _~_~_---.J
o 2 4 6 8 10 0 2 4 6 8 10
Abbildung 35.33: Funktionen xiI) und 'P([) flir die Laufkatze mit pendelnder Last
Die Abbildung 35.34 zeigt einen Zoom in das Bewegungsgesetz der Laufkatze. Bevor sie ihren
Riickwcg antritt, gibt es insgesamt fünfmal eine Umkehr der Bewegungsrichtung, erstmals kurz
nach dem Abschalten der Antriebskraft deutlich vor dem Erreichen der Feder.
6r---~---~---~--~----,
Es folgt aber unmittelbar eine wei- x[m) Umkehr der Bewegungsrichtung nach Kontakt mit der Feder
Ergebnisse verifizieren:
<> Der Empfehlung @ von Seite 717 folgend, wurde nach zwei verschiedenen Verfahren inte-
grien. Unter www.TM-aktuell.de wird auch die ZlIsätzliche Empfehlung "mit verschiedenen
Programmen" beriicksichtigt. Die Übereinstimmung der Ergebnisse ist ein wichtiges Indiz
fiir ihre Richtigkeit. Die Mehrfachrechnung mit unterschiedlichen Schrittweiten ist bei Pro-
blemen dieser An zwingend.
Die Ergebnisse für unterschiedliche Schrittweiten Zeitschritte X(I ~ tOs) 'I'(I~ lOs)
werden zunächst durch den Vergleich der Funktions-
477 - 24.71 0.1716
werte .für x und 'P am Ende des ZeitintervaJls be-
2021 ·24.76 0.1447
wertet (nebenstehende Tabelle ftir die Rechnung mit
dem Matlab-Standard-Solver ode45). Bei etwa 8000 4017 - 24,78 0,1450
Zeitschritten darf man den Ergebnissen vertrauen. 8017 ·24.73 0.1456
744 35 Verifizieren von Compulerrechnungen
oe:> Die Bewegung der Laufkatze mit mehrfachem Wechsel der Bewegungsrichtung ist schwer
vorstellbar und kann nur durch die Interaktion zwischen Laufkatze und schwingender Last
erklärt werden. Weil es nicht gerade einfach ist, dies aus den Diagrammen herauszulesen, ist
eine Animation der Bewegung sehr hilfreich. Generell erhält man durch Animationen eine
gute Vorstellung davon, ob die berechneten Beweguogsabläufe plausibel sind.
Unter www.TM-aktuell.de kann man sich die Bewegung ansehen und sehr schön erkennen.
wie die pendelnde Last die Laufkatze beeinflusst. Abbildung 35.35 zeigt einige Bilder aus
dem Zeitbereich, in dem nach Abschalten der Kraft die Laufkatze zum ersten Mal (ohne
äußeren Einfluss) ihre BewegungsrichlUng ändel1.
Abbildung 35.35: Einige Schnappschüsse aus der Animation (Zeitbereich: 1 "" 0, 7s ... 2, 5s)
oe:> Es bietet sich an, die Energiekurve als Kontrollfunktion parallel zur nu- r------.,
j 0 I o~rot.
merischen Integration der Bewegungs-Differenzialgleichungen zu ermit- ~~
teln. Die kinetische Energie wurde bereits für die Aufstellung der Dif-
ferenzialgleichungen benötigt (Seite 675). Die potenzielle Energie soll
auch nur rur das bewegte System berücksichtigt werden (während des
Kontakts mit der Feder ist auch in dieser potenzielle Energie gespei- s
chert). Mit dem Null-Potenzial entsprechend Abbildung 35.36 gilt dann
fur die Gesamtenergie: Abbildung 35.36:
Null,Polenzial
I I I
T8,., = '2 mK v2 + '2ltldv2 + 11 ui + 2lsvwcosrp) + '2Jr.w 2 - mLglseosrp
Die Abbildung 35.37 zeigt die Funktion T8,..(I). Erst bei 8000 Zeitschritten hat die Kurve
rur I > I s den zu erwartenden horizontalen Verlauf. Die beiden "Zacken" kennzeichnen die
vorübergehende Abgabe von Energie an die Feder.
4
x 10
O,----~---~---~---r---___,
T,..[Nm)
-0.5
Kontakt mit der Feder
-1 ~
-1.5 i i
Potenzielle Energie der Last im Ruhezustand 1[5)
-2~
o 2 4 6 8 10
Abbildung 35.37: Gesamtcnergie im bewegten System
35.2 Beispiele 745
Die Energiefunklion startet mit dem Wert für die potenzielle Energie der Last im Ruhezu-
stand
TK,,(I =0) = -I1ILgls= -19620Nm
Die Arbeit der konstanten Kraft Fo auf dem Weg von x = 0 bis x, = x(r = I s) = 3,662 m
erhöht die Energie im bewegten System auf den Endwert
Tge,(t=O)+Fox, = -12296Nm
Genau dieser Wert stellt sich ein.
mit den Abkürzungen all, a,Z, aZ2, b, und b2, die bereits auf der Seite 742 definiert wurden.
Natürlieb sollen auch die dort angegebenen Problempararneter der ALLfgabensteliung und die
Anfangsbcdingungen verwendet werden. Aueh die Kontrollfunktion für die Gesamtenergie (For-
mel auf Seite 744) soll von Simulink gezeichnet werden.
Die sprunghaften Änderungen der Parameter Fr und CI entsprechend
< !'J.T
für
ftir
t
t? I'H
CI = {O C
ftir
für
x< a
x? a
werden folgendermaßen realisiert:
• Die Änderung der Kraft f~ erfolgt zu einem vorab bekannten Zeitpunkt. Sie wird mit der in
Simulink verftigbaren Sprungfunktion ("Step"), die genau daflir vorgesehen ist, realisiert.
• Die Änderung der Federkraft cI(x-a) erfolgt in Abhängigheit vom Weg x, der erst berechnet
werden muss. Deshalb wiJ·d mit Hilfe der Signum-Funktion ein Ausdruck konstruiert, der
für x< a den Wert 0 ergibt, ftir x> a den Wert I. Es ist offensichtlich, dass der Ausdruek
[I +sgn(x-a)]·0,5
genau diese Bedingungen erfüllt (dass dieser Ausdruck den Wert 0,5 liefert. wenn exakt
x = a gilt, hat keine Bedeutung, weil dann die Federkraft selbst den Wert 0 hat). Er wird mit
der Federkraft c(x - a) multipliziert.
Unter www.TM-aktuell.de findet man die komplette SimuJin.k-Rechnung mit dem Bloekschalt-
bild und detaillierter Beschreibung.
746 35 Verifizieren von Compulerrechnungen
Die Abbildung 35.38 zeigt die Ergebnisse der Simulink-Rechnung (Bewegungsgesetz X(/) der
LaufKatze, Kontrollfunktion Tg,,(/)), die die auf anderem Weg berechneten Ergebnisse bestäti-
gen.
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Abbildung 35.38: Simulink-Ergebnisse X(I) und Tg,,(t) für die Laufkatze