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Herausgegeben von
Michael Erler, Dorothee Gall,
Ludwig Koenen, Clemens Zintzen
Band 279
De Gruyter
Soranos von Ephesos, Peri+ yuch&v
Sammlung der Testimonien,
Kommentar und Einleitung
von
Pietro Podolak
De Gruyter
Dieser Band wurde mit finanzieller Unterstützung der
Alexander von Humboldt-Stiftung gedruckt.
ISBN 978-3-11-022582-2
e-ISBN 978-3-11-022583-9
ISSN 1616-0452
Einleitung ............................................................................................................... 1
1. Die hellenistische Seelenlehre ...................................................................... 1
1.1. Theophrast................................................................................................ 2
1.2. Dikaiarch und Aristoxenos .................................................................... 6
1.3. Straton von Lampsakos ........................................................................18
1.4. Epikur......................................................................................................30
1.5. Die Stoiker ..............................................................................................45
2. Vorbemerkungen über die Persönlichkeit des Soranos.........................62
3. Methodische Kriterien ................................................................................65
4. Hinweise auf die Seelenlehre des Soranos ...............................................69
5. Die Quellen für die Rekonstruktion von Soranos’ ąȯȺ ɁȾɀȻ........... 96
5.1. Meletios, Orion und Pollux..................................................................96
5.2. Der Anonymus Londinensis................................................................99
5.3. Der Anonymus Fuchsii.......................................................................102
6. Zur Rekonstruktion einer Quelle des Soranos......................................103
Conspectus siglorum .....................................................................................109
Testimonia..........................................................................................................111
Kommentar........................................................................................................131
Literaturverzeichnis ..........................................................................................173
Register ...............................................................................................................181
Einleitung
1. Die hellenistische Seelenlehre
Der von Soranos zwischen Anfang und Mitte des zweiten Jahrhunderts
n.Chr. verfasste Traktat kann aus verschiedenen Gründen als eines der
letzten und bemerkswertesten Zeugnisse der Seelenlehre betrachtet wer-
den, welche die Forschung seit längerer Zeit als ›hellenistisch‹ definiert.
Diese Seelenlehre, die sich auch nach der Diadochenzeit verbreitet, bildet
sich aus und definiert sich in ihren Leitlinien im Zeitraum zwischen dem
Tod des Aristoteles und Alexanders und der römischen Zeit 1. Dass die
Definition dieser Lehre mit Blick auf die Epoche und nicht auf die Identi-
tät der Vertreter erfolgt (Peripatetiker, Stoiker und Epikureer), lässt sich
dadurch erklären, dass – mit Ausnahme der Akademie, die dazu neigt,
isoliert zu bleiben – die philosophischen Schulen dieser Zeit eine starke
Tendenz zur Osmose, zu wechselseitigem Austausch und zur Übernahme
von Lehren zeigen; das gilt vor allem für die spekulative Seite der Seelen-
lehre (stärker ausgeprägt sind die Unterschiede und Konflikte in Bereichen
wie der Ethik oder der Theologie) 2.
Um die Zielrichtung dieser Einleitung zu präzisieren, stellen wir klar,
dass deren Aufgabenstellung nicht darin besteht, eine erschöpfende Erklä-
rung der Seelenlehre in der hellenistischen Zeit zu bieten, sondern nur die
Ausbildung und Verbreitung der Auffassungen zu untersuchen, welche in
_____________
1 Zu dieser Definition vgl. z.B. Annas 1992.
2 Vgl. Gigante 1999, 143: »dopo i fondatori del Peripato e del Giardino, le barriere
delle scuole cadono e, nel dissenso o nel consenso, si sviluppa una singolare
cooperazione di energie intellettuali nell’emergente clima di una diversa civiltà
dove ogni pensatore vuole contribuire, senza rigidi schemi, a risolvere i problemi
della condizione umana«. Was Gigante für die Ethik behauptet, gilt noch mehr im
physikalischen und wissenschaftlichen Rahmen. Zum Übergewicht der ethischen
Fragen im Vergleich zu den theoretischen vgl. Bignone 1973, II, 186: »l’interesse
pratico è per entrambi [Epikur und Zeno] ben più intenso dello speculativo; e la
fisica e la logica sono per ambedue semplici sussidi dell’etica, e solo hanno valore
in quanto sono mezzi per raggiungere la felicità. Entrambi sono avversari di
quella aristocratica e disinteressata speculazione scientifica che è propria delle
altre due scuole nemiche [Platoniker und Peripatetiker, was heute nicht definitiv
überzeugt]«; zu den gemeinsamen Grundlagen des hellenistischen Materialismus
vgl. Konstan 1982, 31ff.
2 Einleitung
die Schrift des Soranos Eingang fanden. Dies geschieht, um das Gedan-
kengut zu erläutern, dessen Vertreter und gewissermaßen Epigone er ist.
Darum werden z.B. die Fragestellungen der Akademie Speusipps und
Xenokrates’ außerhalb unseres Interesses bleiben; dasselbe gilt für die
komplexen Diskussionen, die sich über die Rolle des Verstandes innerhalb
der peripatetischen Schule entwickelten und die am Ende der für uns inte-
ressanten Periode in Alexander von Aphrodisia ihren vollendeten Aus-
druck fanden: mit diesen Fragen scheint Soranos keine besonderen Berüh-
rungspunkte zu haben. Dasselbe gilt für die mittlere Stoa, deren Vertreter
(d.h. Panaitios und Poseidonios) in T 10 als gelehrtes doxographisches
Detail erwähnt werden, und deren Lehre bei Soranos keine tiefen Spuren
hinterlassen zu haben scheint.
Zu den Zeugnissen für die Gattung ąȯȺ ɁȾɀȻ, der Soranos zuzurechnen ist,
vgl. die Titel der Traktate zur Seelenlehre: ein Buch ąȯȺ ɁȾɀȻ ist für Speusipp
nachgewiesen (Diog. Laert. 4, 4); zwei Bücher mit demselben Titel werden im
Falle des Xenokrates erwähnt (Ibid., 4, 13); dieselbe Titelangabe finden wir für
Theophrast, in dessen Fall die psychologische Abhandlung eine Abteilung der
Physik war (Ibid., 5, 46); bei Herakleides Pontikos (ąȯȺ ɁȾɀȻ ȴȫ ȴȫȽ’ Ȯȫȷ
ąȯȺ ɁȾɀȻ, Diog. Laert. 5, 87); noch zwei Bände Chrysipps sind erwähnt (Ibid.,
7, 50); Diogenes von Babylon hatte sich mit einer technischen Fragestellung der
Stoa beschäftigt (ąȯȺ Ƚȹ8 ȽȻ ɁȾɀȻ ˂ȭȯȶȹȷȳȴȹ8, Galenus, De Hipp. et Plat.
dogm. p. 201); Antipatros von Tarsos in Diog. Laert. 7, 157 (zu diesen Werken vgl.
Gigon 1987, 287; Tieleman 2002, 137).
Was wir mit dem Etikett »hellenistische Seelenlehre« versehen haben, tritt
innerhalb kurzer Zeit in Erscheinung und erhält ebenso schnell seine end-
gültige Form; dies erfolgt, wie schon gesagt, trotz der von den Schulen
errichteten Barrieren kurz nach der langen Schulleitung Theophrasts (oder
vielleicht auch während dieser, die Chronologie verlorener Werke lässt
sich nur ungenau bestimmen).
1.1. Theophrast
Der erste Nachfolger des Aristoteles, der vielleicht ziemlich bald im Ver-
gleich zu anderen Vertretern des Peripatos isoliert war, scheint sich mit
Randproblemen des Aristoteles-Textes beschäftigt zu haben, was wir auf-
grund der Fragmente über die Seelenlehre erschließen können (wenn auch
nicht definitiv sicher ist, dass all diese Fragmente wirklich aus Theophrasts
ąȯȺ ɁȾɀȻ stammen, d.h. aus einer Abteilung seiner Physik) 3. Im Bereich
_____________
3 Zu diesen Fragmenten vgl. W. Fortenbaugh et alii, Theophrastus of Eresus. Sources for
His Life, Writings, Thought and Influence, 2 Bände, Leiden-New York-Köln 1992; die
Abteilung zur Seelenlehre besteht aus den frr. 265-349, II, 2-133; zu Titel und
Standpunkt von ąȯȺ ɁȾɀȻ vgl. fr. 265, 1 a (= Them. In Arist. De an. 430 a 25,
Die hellenistische Seelenlehre 3
der Fragestellung, die uns betrifft, scheint Theophrast eine Lösung für die
Schwierigkeiten zu suchen, die Aristoteles selbst hinterlassen hatte und die
mit bekannten, auch heute noch umstrittenen Stellen in Zusammenhang
stehen (z.B. Gen. an. 736 b 27; An. 430 a 12). In dessen Fussstapfen tre-
tend, macht Theophrast den Ursprung der Begierden, der Wünsche, des
Zorns und der verschiedenen ›körperlichen‹ Bewegungen im Leib aus.
Simpl. In Phys. p. 964, 31ff. (= fr. 271 Fortenbaugh = fr. 13 Barbotin): ȫ ȶ ȷ
)ȺɃȸȯȳȻ ȴȫ ąȳȲȾȶɅȫȳ ȴȫ )Ⱥȭȫ ȼɂȶȫȽȳȴȫ ȴȳȷɄȼȯȳȻ ȯȼ ȴȫ ʱą' ȽȹѠȽȹȾ Ƚȷ
ʱȺɀȷ ʿɀȹȾȼȳȷ, *ȼȫȳ Ȯ ȴȺɅȼȯȳȻ ȴȫ ȲȯɂȺɅȫȳ, ȽȫѠȽȫȻ ȹ3ȴ ʿȼȽȳȷ ȯȻ ˀȽȯȺȹȷ
ʱȷȫȭȫȭȯȷ, ʱȵȵ’ȷ ȫ3Ƚ Ƚ ɁȾɀ ȴȫ ˂ ʱȺɀ ȴȫ ˂ ȷɃȺȭȯȳȫ ȴȫ Ƚ' ȽɃȵȹȻ, ȯ
Ȯ Ȯ ȴȫ ( ȷȹ8Ȼ ȴȺȯȽȽџȷ Ƚȳ ȴȫ ȲȯȳџȽȯȺȹȷ, ʶȽȯ Ȯ ʿȸɂȲȯȷ ąȯȳȼȳAȷ ȴȫ
ąȫȷȽɃȵȯȳȹȻ 4.
Offensichtlich ist an dieser Stelle der Berührungspunkt mit der Theorie
der Empfindungen als Bewegungen der Seele und mit der vexata quaestio
des Verstandes als göttlichem, von außen kommendem Element 5; eindeu-
tig ist aber auch die Definition des Verstandes als heterogenes und höhe-
res Element im Vergleich zum sinnlich wahrnehmbaren Leib 6.
Ebenfalls in Verbindung mit der Aristotelesexegese steht das Frag-
ment, in dem Theophrast den Unterschied zwischen tätigem und passi-
vem Verstand erläutert:
Prisc. In Theophr. De an. 2, 4 (= fr. 307 b Fortenbaugh = fr. 1 c Barbotin):
ȽȪɀȫ Ȯ’ ʳȷ ȿȫȷȯɅȱ ȴȫ Ƚȹ8Ƚȹ ʵȽȹąȹȷ ȯ ( ȷȹ8Ȼ ʿɀȯȳ 4ȵȱȻ ȿѠȼȳȷ ȶȱȮ ȷ Gȷ
ʶąȫȷȽȫ Ȯ ȮȾȷȫȽџȻ. ȹ3ɀ ȹ4Ƚɂ Ȯ ȵȱąȽɃȹȷ ȹ3Ȯ ąȪȷȽȫ ȷȹ8ȷ, ʱȵȵ Ȯȯ
Ȯȳȯȵȯȷ. ąȹȹȻ ȹ9ȷ ȴȫ ȽɅȻ ˂ ȮȳȫɅȺȯȼȳȻ; ˂ ȶ ȷ ȭ Ⱥ 4ȵȱ ȹ3 ȽџȮȯ Ƚȳ, ( Ȯ ȷȹ8Ȼ ȯ
ȶ ȹ4Ƚɂ, ȽɅ ʳȷ ˀȽȯȺȹȷ; ȴȫȽ ʱȷȫȵȹȭɅȫȷ ȹ9ȷ ȴȫ Ƚ' ȮȾȷȪȶȯȳ ȵȱąȽɃȹȷ ą Ƚȹ8
ɁȾɀȳȴȹ8 ȷȹ8· BȻ ȭ Ⱥ ąȺ'Ȼ Ƚ'ȷ ȷȯȺȭȯɅˤ ȷȹ8ȷ 7.
_____________
CAG 5, 3 p. 108, 11; vgl. auch fr. 137): ȷ ą ȶąȽL ȽHȷ ȥȾȼȳȴHȷ, ȮȯȾȽ ȺL Ȯ
ȽHȷ ąȯȺ ɁȾɀȻ. Die Fragmente über die Seelenlehre stimmen mit der
Sammlung von Barbotin überein (vgl. Barbotin 1954), der seinerseits schon die
Sammlung von Hicks 1907 benutzt hatte.
4 Zu diesem Fragment vgl. auch Movia 1968, 63ff.
5 Klar ist der Bezug auf An. 1, 4, 408 b 1ff.: ȿȫȶ ȷ ȭ Ⱥ Ƚȷ ɁȾɀȷ ȵȾąȯȼȲȫȳ
ɀȫȺȯȳȷ ȲȫȺȺȯȷ ȿȹȬȯȼȲȫȳ, ʿȽȳ Ȯ )ȺȭȰȯȼȲȫ Ƚȯ ȴȫ ȫȼȲ ȷȯȼȲȫȳ ȴȫ Ȯȳȫ-
ȷȹȯȼȲȫȳȊ Ƚȫ8Ƚȫ Ȯ ą ȷȽȫ ȴȳȷȼȯȳȻ ȯȷȫȳ Ȯȹȴȹ8ȼȳ; Gen. An. 2, 3, 736 b 27ff.:
ȵȯąȯȽȫȳ Ȯ Ƚ'ȷ ȷȹ8ȷ ȶ&ȷȹȷ Ȳ0ȺȫȲȯȷ ąȯȳȼȳ ȷȫȳ ȴȫ Ȳȯȹȷ ȯȷȫȳ ȶ&ȷȹȷȊ ȹ3Ȳ ȷ
ȭ Ⱥ ȫ3Ƚȹ8 Ƚ ȷȯȺȭȯˤ ȴȹȳȷɂȷȯ <˂> ȼɂȶȫȽȳȴ ȷ Ⱥȭȯȳȫ.
6 Vgl. Movia 1968, 65: »nel caso di Teofrasto, anzi, il termine designante la
separazione dell’intelligenza assume un unico significato: esso semplicemente
indica la (relativa) indipendenza di quest’ultima dalla corporeità«.
7 Zum Text vgl. Prisc. Lyd. Metaph. in Theophr. De an. 2, 4 (Supplementum
Aristotelicum 1, 2) p. 25, 28ff. Bywater; zu diesem Fragment vgl. Devereux 1992,
35ff. Eindeutig ist der Bezug auf den Philosophen, De an. 429 a 24.
4 Einleitung
_____________
8 Zum Text des Themistios vgl. Them. In Arist. De an. 3, 5 (CAG 5, 3 p. 108, 18ff.
Heinze); zu diesem Fragment vgl. Devereux 1992, 41-43; Barbotin 1954, 161-166;
191ff.; Movia 1968, 55.
9 Vgl. Devereux 1992, 42; anders Barbotin.
10 Vgl. De an. 430 a 10: ąȯ Ȯ’ [DȼąȯȺ] ȷ ʲą ȼ Ƚ ȿ0ȼȯȳ ȼȽ [Ƚȳ] Ƚ' ȶ ȷ 4ȵȱ
ʼȴ ȼȽL ȭ ȷȯȳ (Ƚȹ8Ƚȹ Ȯ + ą ȷȽȫ ȮȾȷ ȶȯȳ ȴȯȷȫ), ˀȽȯȺȹȷ Ȯ Ƚ' ȫȽȳȹȷ ȴȫ
ąȹȳȱȽȳȴ&ȷ, ȽN ąȹȳȯȷ ą ȷȽȫ, ȹ ȹȷ ˂ Ƚ ɀȷȱ ąȺ'Ȼ Ƚȷ 4ȵȱȷ ą ąȹȷȲȯȷ, ʱȷ ȭȴȱ
ȴȫ ȷ Ƚ ɁȾɀ 2ą Ⱥɀȯȳȷ Ƚȫ0ȽȫȻ Ƚ Ȼ ȮȳȫȿȹȺ Ȼ.
11 Vgl. Devereux 1992, 42-43.
Die hellenistische Seelenlehre 5
_____________
12 Movia 1968, 66.
13 Der Text in Diels 1929, 497-527; Text mit Übersetzung in Stratton 1917, 66-151,
Erläuterung, 155-221; zu diesem Fragment, das bis jetzt nicht das Interesse erregt
zu haben scheint, das es verdient hätte, vgl. Baltussen 1992; Sedley 1992;
Baltussen 2000; Mansfeld 1996.
14 Vgl. De sens. 20: ʽȽȳ Ȯ Ƚ' ąȯȺ Ƚȷ ʱąȹȺȺȹȷ, ȴȫąȯȺ ȹ3ɀ ȴȫȷHȻ ȵȯȭ&ȶȯȷȹȷ
ąȯȺ ȶ ȷ Ƚ Ȼ ʵȵȵȫȻ *ȶɂȻ ʿȼȽȳ ąHȻ 2ąȹȵȫȬȯȷ, ąȯȺ Ȯ Ƚȷ ʲȿȷ ȴȫ ȭȯ8ȼȳȷ
ȹ3 .˥Ȯȳȹȷ. ąHȻ ȭ Ⱥ Ƚ ʱąȹȺȺȹ ȴȺȷɂȶȯȷ ˃ ąHȻ ȷȫȺȶ&ȽȽȹȷ ȽȹȻ ą&ȺȹȳȻ Ƚ'
ȽȺȫɀ1 ȴȫ Ƚ' ȵȯȹȷȆ
6 Einleitung
_____________
20 Vgl. Dikaiarch fr. 8 d Wehrli (= fr. 15 Mirhady = Cic. Tusc. 1, 18, 41): Dicaearchum
vero cum Aristoxeno aequali et condiscipulo suo, doctos sane homines, omittamus…; vgl. 70
Wehrli (= 11 b Mirhady = Cic. Att. 13, 32, 2): Dicaearchi ąȯȺ ɁȾɀȻ utrosque velim
mittas et ȴȫȽȫȬ ȼȯɂȻ. ȣȺȳąȹȵȳȽȳȴ'ȷ non invenio et epistulam eius, quam ad Aristoxenum
misit.
21 Vgl. fr. 25 Wehrli (= fr. 33 Mirhady = Cic. Att. 2, 16, 3): nunc prorsus hoc statui ut
quoniam tanta controversia est Dicaearcho familiari tuo cum Theophrasto amico meo, ut ille
tuus Ƚ'ȷ ąȺȫȴȽȳȴ'ȷ Ȭȹȷ longe omnibus anteponat, hic autem Ƚ'ȷ ȲȯɂȺȱȽȳȴџȷ, utrique a
me mos gestus esse videatur. Zu dieser Streitgkeit vgl. Huby 2001.
22 Vgl. Aristoxenos, fr. 1 Wehrli (= Suidas I, p. 357, 10ff. Adler): ȯȻ +ȷ
ʱąȹȲȫȷ&ȷȽȫ 4ȬȺȳȼȯ, ȮȳџȽȳ ȴȫȽɃȵȳąȯ ȽȻ ȼɀȹȵȻ Ȯȳ Ȯȹɀȹȷ șȯ&ȿȺȫȼȽȹȷ, ȫ3Ƚȹ8
Ȯџȸȫȷ ȶȯȭ ȵȱȷ ȷ ȽȹȻ ʱȴȺȹȫȽȫȻ ȽȹȻ ϮȺȳȼȽȹȽ ȵȹȾȻ ʿɀȹȷȽȹȻ. Vermutet wurde
auch, Aristoteles habe einen Nachfolger nicht offiziell bestimmt; es bleibt
allerdings wahrscheinlich, dass der Philosoph eine Präferenz geäußert hatte (vgl.
hierzu Dorandi 1998, 34).Vgl. z.B. Natali 1991, 173: »la notizia è molto dubbia,
perché presuppone l’esistenza di una scuola filosofica organizzata già alla morte
di Aristotele«; Visconti 1999, 16.
8 Einleitung
sich nicht: ein wenn auch inoffizieller Leiter kann nicht gefehlt haben, und
in der Tat »nessuno degli studiosi che si sono occupati di Aristosseno
nutre dubbi sulla fondatezza della notizia circa l’aspirazione del tarantino
alla direzione del Liceo« 23. Dass die Hegemonie im Inneren der Schule viel
mehr eine zugleich persönliche und kulturelle als institutionelle Rolle war,
ändert nichts an den tatsächlich bestehenden Ambitionen des Aristoxe-
nos. Andererseits wurde (diesmal zu Recht) bemerkt, die Spannung zwi-
schen Aristoxenos und Aristoteles sei »un episodio circoscritto, una reazi-
one immediata« 24. Denn, als Aristoteles im Sterbebett lag (ich würde den
Text lieber so verstehen als »schon verstorben« 25), und auch schon früher,
d.h. vor der Bestimmung eines Nachfolgers, wäre ein Streit für das Errei-
chen des erstrebten Zieles kontraproduktiv gewesen. Die ganze Nachricht
sei entstanden »intorno ad un effettivo allontanamento di Aristosseno dal
Liceo, determinato da cause non meglio precisabili« 26; aber diese Hypo-
these ersetzt eine – wenn auch unsichere – überlieferte Angabe durch eine
noch unsicherere Konjektur, die durch ›nicht genauer bestimmbare Ursa-
chen‹ erklärt wird. Problematisch bleibt ohnehin die Antwort auf die Fra-
ge, warum eine Abwendung von Aristoxenos auf persönlichen und wis-
senschaftlichen Spannungen beruhen muss. Diese Beleidigung, die
aufgrund des Aorists als punktuelle Handlung aufgefasst werden sollte,
lässt sich einfacher als ein Zornausbruch des Musikers aus Tarent inter-
pretieren, verursacht durch die erlebte Enttäuschung; diese hat die Span-
nung zwischen Aristoxenos und dem neuen Schulleiter vielleicht nicht
verursacht, aber sicher verschlimmert.
Ein weiteres Zeugnis dürfte aus zwei Gründen die Hypothese stützen,
der zufolge im Peripatos während der Schulleitung des ersten Nachfolgers
starke Spannungen bestanden: in seinem Testament gibt Theophrast zu
verstehen, dass diejenigen, die sich in der Schule aufhalten, sich wie »Fa-
milienangehörige und Freunde« verhalten müssen – d.h. die Beziehungen
waren nicht immer familiär und freundschaftlich 27. Zum zweiten steht
vielleicht die Entscheidung, »alle Bücher« Neleus von Skepsis zu überlas-
sen, mit dem Wunsch in Zusammenhang, diesen – wenn auch unbürokra-
tisch – als seinen Nachfolger zu bestimmen und sich gewaltsam einer
_____________
23 Visconti 1999, 16.
24 Visconti 1999, 17. Der Aorist scheint die kurze Dauer der Episode zeigen.
25 Anders interpretiert Visconti 1999, 11: »insultò quest’ultimo una volta morto«;
17: »insulta Aristotele morto«.
26 Visconti 1999, 18.
27 Diog. Laert. 5, 53 p. 346, 15ff. Marcovich (= Strato fr. 6 Wehrli): ȶɄȽ’
ȸȫȵȵȹȽȺȳȹ8ȼȳ ȶɄȽ’ ȸȳȮȳȫȰȹȶɃȷȹȾ ȶȱȮȯȷџȻ, ʱȵȵ’ BȻ ʳȷ ȯȺ'ȷ ȴȹȳȷ
ȴȯȴȽȱȶɃȷȹȳȻ, ȴȫ Ƚ ąȺ'Ȼ ʱȵȵɄȵȹȾȻ ȹȴȯɅɂȻ ȴȫ ȿȳȵȳȴHȻ ɀȺɂȶɃȷȹȳȻ, DȼąȯȺ
ąȺȹȼȴȹȷ ȴȫ ȮɅȴȫȳȹȷ.
Die hellenistische Seelenlehre 9
_____________
28 Sehr bekannt ist die Stelle bei Diogenes Laertios 5, 52 p. 346, 10 Marcovich: Ƚ
Ȯ ȬȬȵȳȫ ą ȷȽȫ Ȟȱȵȯ; vgl. Strab. 13, 1, 54; Athen. 1, 4, 3 a-b; zu diesen Stellen
vgl. v. Arnim 1928, 105: »Es scheint, daß Theophrast die Wahl seines
Nachfolgers zwar den zehn Teilhabern des Grundstücksbesitzes freiließ, wie es
später auch Lycon getan hat… daß er aber die Wahl des Neleus, seines ältesten,
noch von Aristoteles übernommenen Schülers, erwartete und wünschte und
durch die Hinterlassung der Bibliothek an ihn gewissermaßen präjudizieren
wollte«; vorsichtiger ist Wehrli 1950, 46: »Theophrast hatte wahrscheinlich nicht
Str.s Wahl zum Nachfolger erwartet, sondern die des Neleus, der seine Bücher
erbte… Str.s Scholarchat bedeutete einen Kurswechsel, den Theophrast nicht
wünschen konnte«; Moraux schließt allerdings den Wunsch Theophrasts aus, die
Nachfolge zu beeinflussen: vgl. Moraux 1973, 12: »Neleus allein bekommt die
Bibliothek, wahrscheinlich weil Theophrast ihn schon als den dritten Scholarchen
des Lykeion betrachtete. Theophrast hatte sich aber verrechnet«.
29 Vgl. Movia 1968, 71 zu den Meinungen der Forscher, welche annahmen, die
Psychologie sei in diesem Zeitraum ausgestorben.
10 Einleitung
Zitat aus den Werken des Philosophen; dies ist alles andere als selbstver-
ständlich, hielten sich diese Denker doch für Erben des Aristoteles. Die
Ursache hierfür wurde schon in der Antike durch den Umstand erklärt,
dass die von Neleus mitgenommenen Werke des Aristoteles in einem
Keller in Skepsis verborgen geblieben seien 30. Diese Erklärung wurde
allerdings von P. Moraux in Zweifel gezogen: nach diesem Forscher sollte
man außer den drei Orten, an denen sich die Werke des Aristoteles befan-
den (d.h. Skepsis, Alexandria und Rhodos), auch an Athen denken, denn
es sei nicht vorstellbar, dass der Peripatos nicht über die Schriften des
Gründers verfügt habe 31. Im Falle von Dikaiarch und Aristoxenos sollte
man ohnehin neben dem persönlichen Kontakt mit Aristoteles auch die
Kenntnis der Werke des Stagiriten in der Periode vor Theophrasts Tod
annehmen: die Abwesenheit jeglichen Zitates in den Fragmenten der bei-
den Schüler kann als bewusste Entscheidung gelten.
Eine Stellungnahme zur Verfügbarkeit des ganzen aristotelischen
Corpus in Athen ist zweifellos gewagt, vor allem von mir; wir können uns
auf die Feststellung Morauxs beschränken: »dans les deux siècles qui suivi-
rent la mort de Théophraste, les maigres restes de la littérature philo-
sophique péripatéticienne ne présentent aucune trace de l’utilisation du De
anima, et on peut supposer que l’ouvrage ne fut guère lu avant la renais-
sance de l’aristotélisme sous Andronicus« 32.
_____________
30 Vgl. z.B. Plut. Sulla 26, 3: ȹ Ȯ ąȺȯȼȬѠȽȯȺȹȳ ȡȯȺȳąȫȽȱȽȳȴȹ ȿȫɅȷȹȷȽȫȳ ȶ ȷ ȴȫȲ’
ʼȫȾȽȹ1Ȼ ȭȯȷџȶȯȷȹȳ ɀȫȺɅȯȷȽȯȻ ȴȫ ȿȳȵȹȵџȭȹȳ, ȽHȷ Ȯ ϮȺȳȼȽȹȽɃȵȹȾȻ ȴȫ
șȯȹȿȺȪȼȽȹȾ ȭȺȫȶȶȪȽɂȷ ȹ6Ƚȯ ąȹȵȵȹȻ ȹ6ȽP ʱȴȺȳȬHȻ ȷȽȯȽȾɀȱȴџȽȯȻ Ȯȳ Ƚ'
Ƚ'ȷ ȞȱȵɃɂȻ Ƚȹ8 ȢȴȱɁɅȹȾ ȴȵȺȹȷ, ˠ Ƚ ȬȳȬȵɅȫ ȴȫȽɃȵȳąȯ șȯџȿȺȫȼȽȹȻ, ȯȻ
ʱȿȳȵȹȽɅȶȹȾȻ ȴȫ ȮȳѡȽȫȻ ʱȷȲȺѡąȹȾȻ ąȯȺȳȭȯȷɃȼȲȫȳ; Strabo 13, 1, 54: ȼȾȷɃȬȱ Ȯ
ȽȹȻ ȴ ȽHȷ ąȯȺȳąȪȽɂȷ ȽȹȻ ȶ ȷ ąȪȵȫȳ ȽȹȻ ȶȯȽ șȯџȿȺȫȼȽȹȷ ȹ3ȴ ʿɀȹȾȼȳȷ
*ȵɂȻ Ƚ ȬȳȬȵɅȫ ąȵȷ )ȵɅȭɂȷ, ȴȫ ȶȪȵȳȼȽȫ ȽHȷ ȸɂȽȯȺȳȴHȷ, ȶȱȮ ȷ ʿɀȯȳȷ
ȿȳȵȹȼȹȿȯȷ ąȺȫȭȶȫȽȳȴHȻ, ʱȵȵ ȲɃȼȯȳȻ ȵȱȴȾȲɅȰȯȳȷ. Vgl. hierzu Moraux 1973, 24:
Philosophie ist also nach der Quelle Plutarchs die beständige Interpretation der
Texte des Meisters, kein originelles theoretisches Streben; vgl. Gottschalk 1987,
1088: »Strabo’s claim looks like a fiction invented to support his explanation of
the decline and recovery of Aristotle’s school… everything points to Tyrannio as
its originator and as the source of Strabo’s account«.
31 Vgl. Moraux 1973, 15: »ein halbes Jahrhundert nach Aristoteles’ Tod gab es also
in der griechischen Welt mindestens vier Städte, die Lehrschriften des
Philosophen besaßen: Skepsis in der Troas, Alexandrien, Rhodos… und sicher
auch Athen, denn es wäre völlig unvorstellbar, dass nach Neleus’ Weggang der
Peripatos überhaupt keine Kopien der wichtigsten Werke des Aristoteles mehr
besessen hätte«; zu den Wechselfällen, denen die Werke des Aristoteles ausgesetzt
waren, vgl. auch Gottschalk 1987, 1083ff.
32 Moraux 1978, 284.
Die hellenistische Seelenlehre 11
würde nicht zur Definition der Seele als Harmonia passen: die Textpassa-
ge ist vielleicht als Ablehnung einer unabhängigen Existenz der Seele zu
interpretieren, die also eine reine Körperfunktion wäre.
Zahlreich sind auch die Belege für die Seele als Harmonia des körper-
lichen Leibes (alle werden in der Doxographie überliefert):
Nemesios, De nat. hom. 2, p. 17, 1ff. Morani (= fr. 11 Wehrli = fr. 21 a Mirha-
dy): ȕȳȴȫȫȺɀȹȻ Ȯ ʲȺȶȹȷɅȫȷ ȽHȷ ȽȯȼȼȪȺɂȷ ȼȽȹȳɀȯɅɂȷ (scil. Ƚȷ ɁȾɀȷ ȯȷȫȳ),
ʱȷȽ Ƚȹ8 ȴȺ˦ȼȳȷ ȴȫ ȼȾȶȿɂȷɅȫȷ ȽHȷ ȼȽȹȳɀȯɅɂȷ· ȹ3 ȭ Ⱥ Ƚȷ ȴ ȽHȷ
ȿȲџȭȭɂȷ ȼȾȷȳȼȽȫȶɃȷȱȷ, ʱȵȵ Ƚȷ ȷ ȽN ȼѡȶȫȽȳ ȲȯȺȶHȷ ȴȫ ɁȾɀȺHȷ ȴȫ
2ȭȺHȷ ȴȫ ȸȱȺHȷ ȷȫȺȶџȷȳȹȷ ȴȺ˦ȼȳȷ ȴȫ ȼȾȶȿɂȷɅȫȷ ȬȹѠȵȯȽȫȳ ȵɃȭȯȳȷ. ȕȵȹȷ
Ȯ *Ƚȳ ȴȫ Ƚȹ0Ƚɂȷ ȹ ȶ ȷ ʵȵȵȹȳ Ƚȷ ɁȾɀȷ ȹ3ȼȫȷ ȯȷȫȳ ȵ ȭȹȾȼȳ.
ϮȺȳȼȽȹȽ ȵȱȻ Ȯ ȴȫ ȕȳȴȫȫȺɀȹȻ ʱȷȹ0ȼȳȹȻ.
Ps.-Plut. De placitis philos. 4, 2, 5, 898 b – c (= fr. 12 a Wehrli): ȕȳȴȫȫȺɀȹȻ
ʲȺȶȹȷɅȫȷ ȽHȷ ȽȯȼȼȪȺɂȷ ȼȽȹȳɀȯɅɂȷ (scil. Ƚȷ ɁȾɀȷ ȯȷȫȳ) 37.
Alles, was wir über Aristoxenos in Erfahrung bringen können, stammt aus
lateinischen Quellen, die auf Cicero zurückzuführen sind:
Cic. Tusc. 1, 11, 24 (= Aristoxenos, fr. 119 Wehrli): si est Aristoxeni harmonia
(scil. animus) dissolvetur 38.
Cic. Tusc. 1, 10, 19 (= Aristoxenos, fr. 120 Wehrli): Aristoxenus musicus idemque
philosophus ipsius corporis intentionem quandam (scil. animam esse dixit) velut
in cantu et fidibus quae harmonia dicitur, sic ex corporis totius natura et figura
varios motus cieri tamquam in cantu sonos 39.
Cic. Tusc. 1, 18, 41 (= Dikaiarch, fr. 8 d Wehrli = Aristoxenos, fr. 120 b Wehrli):
Dicaearchum vero cum Aristoxeno aequali et condiscipulo suo, doctos sane
homines, omittamus, quorum alter ne condoluisse quidem umquam videtur, qui
animam se habere non sentiat, alter ita delectatur suis cantibus…40.
Bei diesen Zeugnissen stellt sich erneut die Frage nach einer eventuellen
Kontamination mit der Lehre Dikaiarchs. Es wurde erstens bemerkt, dass
Cicero den für Aristoxenos sicher nachgewiesenen Gräzismus Harmonia
nie auf die Lehre Dikaiarchs anwendet: »that is to say, Dicaearchus may
have formulated a theory of the soul, or of life, as the arrangement of the
body, and Aristoxenus, whose specifically musical interests are much bet-
ter attested, may have borrowed the theory and applied the term “har-
_____________
allerdings skeptisch gegenüber der von Movia behaupteten Kontamination mit
stratonianischen Materialien (vgl. Movia 1968, 73 und das oben zitierte fr. 7
Wehrli).
37 In engem Zusammenhang mit dieser doxographischen Tradition stehen die
übrigen Quellen: Stobaios 1, 49, 1 a (I, p. 318, 19ff. Wachsmuth); Theodor. Graec.
aff. cur. 5, 18; Herm. Irris. 2, in Diels 1929, 651.
38 Vgl. Movia 1968, 85.
39 Vgl. ebd.
40 Die übrigen Zeugnisse stammen von Laktanz (Instit. 7, 13; De opif. 16), der aber
offensichtlich von Cicero abhängig ist.
Die hellenistische Seelenlehre 13
_____________
41 Vgl. Sharples 2001, 146-147; Gottschalk 1971, 186-187; .
42 Zur Annahme einer späteren Kontamination mit dem Text Platons tendieren
Gottschalk 1971, 183; Sharples 2001, 147; besonders für Gottschalk wäre die
Harmonia das Resultat eines reibungslosen Zusammenspiels der verschiedenen
aufeinander abgestimmten Organe. Hierzu vgl. auch Rohde 1925, II, 170.
43 Cic. Tusc. 4, 13, 30.
44 Vgl. Movia 1968, 74.
45 Vgl. Wehrli-Wöhrle-Zhmud in Flashar (Hg.) 2004, 568; 576.
14 Einleitung
_____________
46 Themistios, In Arist. De an. 24, 13 (= Arist. Eud. fr. 7 Ross), hatte diese ȷȫȷȽȫ
mit Hitze, Kälte, Feuchtigkeit und Trockenheit identifiziert; in diesem Fall dürfte
es sich um eine wirkliche Kontamination mit dem Phaidon handeln.
47 Vgl. z.B. Movia 1968, 84.
48 Die Erklärung von Wehrli (1945, 85), in der Antike habe es eine »aufgeklärt-
wissenschaftliche Richtung« des Pythagoreismus gegeben, überzeugt nicht.
Die hellenistische Seelenlehre 15
Lehre von der Seele als Einklang verschiedener Elemente sei von Platon
erfunden worden 49. Dagegen spricht allerdings die Tatsache, dass Aristo-
teles äußert, die Lehre von der Seele als Harmonia sei zu seiner Zeit sehr
verbreitet und zumeist in sich gegliedert:
Arist. Pol. 1340 b 18-19: Ȯȳ' ąȹȵȵȹ ȿȫȼȳ ȽHȷ ȼȹȿHȷ ȹ ȶ ȷ ʲȺȶȹȷȫȷ ȯȷȫȳ
Ƚȷ ɁȾɀɄȷ, ȹ Ȯȃ ʿɀȯȳȷ ʲȺȶȹȷȫȷ.
Arist. An. 1, 4, 407 b 27ff.: ȴȫ ʵȵȵȱ ȮɃ ȽȳȻ Ȯџȸȫ ąȫȺȫȮ ȮȹȽȫȳ ąȯȺ ɁȾɀȻ,
ąȳȲȫȷ ȶ ȷ ȽȹȻ ąȹȵȵȹȻ ȹ3Ȯȯȶȳ˦Ȼ ˈȽȽȹȷ ȽHȷ ȵȯȭȹȶɃȷɂȷ, ȵџȭȹȷ ȮP DȼąȯȺ
ȯ3Ȳ0ȷȹȳȻ ȮȯȮɂȴȾȫ ȴʱȷ ȽȹȻ ȷ ȴȹȳȷN ȭȳȷȹȶ ȷȹȳȻ ȵџȭȹȳȻ. ʲȺȶȹȷɅȫȷ ȭ Ⱥ Ƚȳȷȫ
ȫ3Ƚȷ ȵɃȭȹȾȼȳȊ ȴȫ ȭ Ⱥ Ƚȷ ʲȺȶȹȷȫȷ ȴȺ˦ȼȳȷ ȴȫ ȼ0ȷȲȯȼȳȷ ȷȫȷȽɂȷ ȯȷȫȳ
ȴȫ Ƚ' ȼHȶȫ ȼȾȭȴȯȼȲȫȳ ȸ ȷȫȷȽɂȷ.
Cic. Tusc. 1, 10, 19 (= fr. 120 a Wehrli): reliqua fere singuli, ut multi ante veteres,
proxime autem Aristoxenus, musicus idemque philosophus, ipsius corporis inten-
tionem quandam velut in cantu et fidibus quae harmonia dicitur 50.
Gottschalk erkennt, dass sich aus den oben angegebenen Stellen eine
wirkliche Schwierigkeit ergibt 51, interpretiert allerdings die ȷ ȴȹȳȷN
ȭȳȷџȶȯȷȹȳ ȵџȭȹȳ als Diskussionen zwischen den Mitgliedern der Akade-
mie, die das Argument Platons zu ernst genommen und somit missver-
standen hätten. Es wäre allerdings besser, den Ausdruck mit Simplikios
und Bernays als eine Bezugnahme auf den Eudemos des Aristoteles zu
interpretieren, in dessen Fragmenten eine Widerlegung der Harmonia
enthalten ist 52; das Vorhandensein einer solchen Diskussion in einem
veröffentlichten Werk kann nur eine große Verbreitung außerhalb der
Schule voraussetzen, d.h. dass die Lehre auch vor Platon existierte. Erneut
ist hier aufgrund des Mangels an Belegen und der Unklarheit der Zeugnis-
se Vorsicht geboten. Vor allem an dieser Stelle scheint es zweckmäßig, für
die Zeit vor Platon die Harmonia-Lehre vom ›epiphänomenistischen‹
Verständnis dieser Theorie zu unterscheiden, das sich vielleicht erst später
_____________
49 Bereits vor Gottschalk hatte Rohde als erster seine Bestürzung geäußert: (vgl.
Rohde 1925, 169ff.): »es ist schwer verständlich, wie mit dieser Vorstellung der
altpythagoreische Glaubenssatz von der als selbständiges Wesen im Leibe
wohnenden und diesen überdauernden, ja ewig lebenden Seele vereinigt werden
konnte … aber freilich derselbe Philolaos, der die Seele als Harmonie ihres
Körpers kennt, redet auch von den Seelen als selbständigen und unvergänglichen
Wesen. Man kann im Zweifel sein, ob sich diese unvereinbaren Aussagen eines
und desselben Mannes überhaupt auf den gleichen Gegenstand beziehen«;
zugunsten einer platonischen Erfindung Gottschalk 1971, 190-196; Trabattoni
1988, 55.
50 Die Quelle ist doxographisch und alt: proxime autem in Bezug auf einen Schüler
des Aristoteles ergibt im Falle Ciceros keinen Sinn.
51 Gottschalk 1971, 195: »this is a serious difficulty«.
52 Vgl. Simpl. In de an. p. 53, 1 Hayduck; Bernays 1863, 15-29; Arist. Eudemos, fr. 7
Ross.
16 Einleitung
_____________
53 Zu den Quellen, die die Lehre auf die Pythagoreer zurückführen vgl. Gottschalk
1971, 192: Macrobius, In somn. Scip. 1, 14, 19 (= DK 44 A 23); Olympiod. In
Phaed. p. 57, 17 Norvin; Philop. In de an. p. 70, 5ff. Hayduck. Della Valle (1905,
214) hatte schon bemerkt, dass die Quellen über die Pythagoreer – in primis
Macrobius – von der Harmonia, nicht von der Harmonia des Leibes sprechen;
Wehrli 1944, 45, spricht im Falle von Pythagoras und Philolaos nur über die Seele
als Harmonia; mit dem Zusatz »des Leibes« könnte der Ausdruck eine
materialistische Prägung erfahren.
54 Vgl. Trabattoni 1988, 55: »che le conseguenze materialistiche dell’anima-armonia
non appartengono alla posizione genuinamente pitagorica, ma sono tratte da
Platone stesso«.
55 Vgl. Movia 1968, 89-92.
Die hellenistische Seelenlehre 17
Seele und Leib 56. Tatsache bleibt, dass Aristoteles selbst auch in der letz-
ten Periode seiner Tätigkeit (De anima) die Harmonia-Lehre bekämpfte,
nicht vertrat; die Schüler, die diese Theorie verteidigten, können ihm nicht
gleichgestellt werden.
Die ›neuen‹ Positionen scheinen auf jeden Fall für die Reflexion der
folgenden Jahrhunderte von Bedeutung zu sein; die Wende, die sich schon
bei den ersten Schülern des Aristoteles ankündigt, sollte einen Eindruck
hinterlassen, der einige Jahrhunderte überdauerte (wenn wir auch nicht
ausschließen können, dass manche Werke schon unter der Schulleitung
des Aristoteles verfasst wurden). Ein gutes Beispiel kann hierfür die Har-
monia-Lehre bieten: mit ihr sollte sich auch Lukrez beschäftigen (3, 98ff.).
Andererseits ist das Vorhandensein dieser Lehre auch in unwissenschaftli-
chen Texten durch zwei Papyrusfragmente nachgewiesen, die derselben
Rolle aus dem 3. Jh. v.Chr. entstammen (PHeid G inv. 28 + PGraecMon
21, es handelt sich um eine Schulabhandlung) 57. »Sarebbe francamente
fuori luogo evocare l’ombra di Dicearco o di un Aristosseno« 58, der Text
des Papyrus dürfte also als Zeugnis der Verbreitung und der (kritischen)
Rezeption der Harmonia-Lehre in hellenistischer Zeit gelten. Ein Beweis
für die philosophiehistorische Bedeutung dieser Periode ist der Umstand,
dass das Wirken während dieser Jahrhunderte dauerhafte Spuren in der
späteren Philosophie hinterlassen wird. Die Analyse von Carlini hat ge-
zeigt, dass viele der in diesem Papyrus enthaltenen Argumente gegen die
Lehre von der Seelenharmonie mit denjenigen vergleichbar sind, die bei
den neuplatonischen Autoren begegnen: bemerkenswert sind die Paralle-
len mit Johannes Philoponos und Nemesios (die gemeinsame Quelle dürf-
te Porphyrios sein), aber auch mit Themistios und Damaskios 59; ein weite-
res interessantes Phänomen in diesem der Phaidon-Exegese gewidmeten
Werk (auch wenn es sich um keinen richtigen Kommentar im Sinne der
Alexandriner handelt) ist die Angewohnheit, die Philosophie als Exegese
von Texten zu betrachten, die zu einer gefestigten Tradition gehören.
Um die Analyse der ersten Erscheinungsform der hellenistischen See-
lenlehre abzuschließen, erinnern wir kurz an die Elemente, die in diesem
nicht langen, aber bedeutungsvollen Zeitraum in Erscheinung treten. Um-
stritten ist die Theorie, welche die Seele nicht nur als unsterblich, sondern
auch als Substanz ansieht: die Seele wird jetzt als reine Funktion des kör-
_____________
56 Zu einer Übersicht der verschiedenen Meinungen vgl. Movia 1968, 78-80; Della
Valle 1905, 219.
57 Ausgabe in Carlini 1995; eine provisorische Ausgabe war in Carlini 1975
abgedruckt.
58 Carlini 1995, 210.
59 Zu diesen Übereinstimmungen vgl. Carlini 1995, 208-212.
18 Einleitung
_____________
66 Vgl. Gomperz 1909, 395: »an Vorläufern in der Leugnung eines besonderen, den
Körper überdauernden Seelenprinzips hat es übrigens unserem “Physiker” im
Kreise seiner Schulgenossen nicht gefehlt; man vergleiche unsere vorgreifenden
auf Aristoxenos und Dikaearch bezüglichen Bemerkungen«; Movia 1968, 111ff.;
Flashar (Hg.) 2004, 604-611; 609ff.
Die hellenistische Seelenlehre 21
Albinos sein, der auch die sekundäre Quelle von Tertullians De anima
ist) 67.
In einem Fragment (fr. 118) besteht die Zielsetzung Stratons darin,
auf der Basis einer sensualistischen Erkenntnislehre einen nur graduellen
Unterschied zwischen menschlichem und tierischem Bewusstsein heraus-
zuarbeiten; in dieser Textpassage nimmt Straton eine deutlich polemische
Stellung zum sokratischen, schon im oben genannten Papyrus befindli-
chen Argument ein, dem zufolge die Seele, anders als der Einklang, keine
Stufen zulässt; auch die Seele, so antwortet Straton, könne verschiedene
Abstufungen zulassen; den verschiedenen Abstufungen entsprächen ›hel-
lere‹ oder ›dunklere‹ Seelen, wie beim musikalischen Einklang68.
Schwierig ist auch zu bestimmen, warum von Straton die Seelenlehre
Platons, aber nicht die des Aristoteles widerlegt wird: war Platon vielleicht
der Vertreter par excellence und ein augenfälligeres Ziel im Rahmen einer
Polemik gegen die Unsterblichkeit der Seele (wie Wehrli meinte)? Ob der
psychologische Traktat des Aristoteles Straton schon bekannt war, was
bedeutende Forscher aufgrund von fr. 74 behaupteten, bleibt für mich im
Dunkel; Aristoteles’ De anima, auch wenn es materiell verfügbar war,
scheint dasselbe Schicksal erfahren zu haben wie der ganze esoterische
Aristoteles, d.h. einen Mangel an Interesse 69.
Bei Dikaiarch und Aristoxenos könnte sich die Frage stellen, ob die
Harmonia, die sich zwischen den vier Ureigenschaften einstellt, als
_____________
67 Vgl. Tert. An. 29, 3-4 (= Albinos T 9 Gioè). Die Einwände wurden von Wehrli
gesammelt, frr. 122-127.
68 Vgl. Plato, Phaed. 93 b 5ff.: ˇ ȹ9ȷ ʿȼȽȳ Ƚȹ8Ƚȹ ąȯȺ ɁȾɀɄȷ, DȼȽȯ ȴȫ ȴȫȽ Ƚ'
ȼȶȳȴȺџȽȫȽȹȷ ȶ˦ȵȵȹȷ ʼȽ Ⱥȫȷ ʼȽ ȺȫȻ ɁȾɀȻ ą ąȵɃȹȷ ȴȫ ȶ˦ȵȵȹȷ ˃ ąȃ
ʿȵȫȽȽȹȷ ȴȫ ˈȽȽȹȷ ȫ3Ƚ' Ƚȹ8Ƚȹ ȯȷȫȳ, ɁȾɀȷ; PheidG inv. 28 col. II; diese
Argumente stimmen, wie erwähnt, mit den neuplatonischen Autoren überein: vgl.
Philop. In de an. p. 142, 22 Hayduck: ˂ ʲȺȶȹȷȫ Ƚ' ȶ˦ȵȵȹȷ ȴȫ ˈȽȽȹȷ
ąȳȮ ɀȯȽȫȳȊ ȵɃȭȹȶȯȷ ȭ Ⱥ ȶ˦ȵȵȹȷ ˂ȺȶџȼȲȫȳ ȽɄȷȮȯ Ƚȷ ȵ0Ⱥȫȷ ȽȼȮȯȊ ˂ Ȯ
ɁȾɀ ȹ3ȴ ąȳȮ ɀȯȽȫȳ Ƚ' ȶ˦ȵȵȹȷ ȴȫ Ƚ' ˈȽȽȹȷ; Them. In Arist. De an. 43, p. 24,
25 Heinze: Ƚ' ȶ˦ȵȵȹȷ ȴȫ ˈȽȽȹȷ ʲȺȶȹȷȫ ȶ ȷ Ȯ ɀȯȽȫȳ, ɁȾɀ Ȯ ȹ6. Zu diesen
Argumenten vgl. Movia 1968, 143; Carlini 1995, 208.
69 Straton bekämpft nicht die abstrakte Noustheorie des Aristoteles, sondern
Platon, weil letzterer ein lebhafter Verteidiger der Unsterblichkeit der Seele war:
vgl. Wehrli 1950, 75; Movia nimmt an, dass Straton De anima kannte: vgl. Movia
1968, 147. Ich vermag eine solche Kenntnis nicht definitiv abzulehnen, wäre
allerdings skeptischer: der Text dieses Fragments könnte vom überliefernden
Autor (Simplikios) kontaminiert worden sein; dass die esoterischen Werke, auch
wenn sie materiell verfügbar waren, sehr wenig verbreitet waren, ist ja kein
Wunder in dieser Periode (allerdings würde ich die Aristotelesrenaissance in der
Spätantike nicht mit dem esoterischen und mystischen Interesse dieser Zeit in
Zusammenhang bringen; vgl. dagegen Bignone 1973, 32ff.).
22 Einleitung
ʱȼѡȶȫȽȹȻ gelten kann wie beim platonischen Simmias. Nach dem Zu-
sammenbruch der aristotelischen Eidetik im System Stratons bleibt kaum
ein Zweifel: die Seele hat beim Physiker eine deutlich stoffliche Komposi-
tion und kann mit dem Pneuma gleichgesetzt werden, wie sich klar aus
einem Soranos-Testimonium samt einer Parallele aus Sextus Empiricus
ersehen lässt, das aus Gründen der Kürze hier nicht wiedergegeben wird
(fr. 108 Wehrli = Soranos T 11).
Für diese Gleichsetzung der Seele mit einer pneumatischen Substanz
muss man nicht bis auf die Vorsokratiker und Diogenes von Apollonia
zurückgehen; sie entstammt vielleicht der aristotelischen Lehre vom
Pneuma, unterscheidet sich von dieser allerdings deswegen grundlegend,
weil die Nouslehre, die noch für Theophrast so wichtig war, aufgegeben
wurde 70. Diese Abwendung Stratons von der Nouslehre stimmt mit der
zeitgenössischen Erkenntnislehre überein, der zufolge der Erkenntnisvor-
gang tout court mit der Sinnesempfindung gleichgesetzt werden kann. Somit
lassen sich die stratonianischen Fragmente über die Gleichsetzung zwi-
schen Sinneswahrnehmung und Verstand leicht erklären; aber ob Straton
an diesen Stellen bewusst auf die Vorsokratiker und vor allem Demokrit
Bezug nimmt, bleibt für mich im Dunkel 71.
Wenige Jahre nach der komplizierten Nouslehre des Theophrast tritt
plötzlich eine stark sensualistische Theorie in Erscheinung, die letztlich
der epikureischen ähnlich ist, auch wenn nicht eindeutig ist, welche sich
zuerst entwickelte und die andere beeinflusste.
_____________
70 Vgl. Diogenes von Apollonia in DK 64 A 19: DȼąȯȺ Ƚ' Ȱȷ ȴȫ Ƚ' ȿȺȹȷȯȷ ȽN
ʱ Ⱥȳ ȴȫ Ƚ Ȼ ȫȼȲȼȯȳȻ ʱȷ ąȽȯȳ; 64 B 5; zum Pneuma bei Aristoteles vgl. De
motu an. 703 a 4ff.; zur Pneumatheorie bewahren ihre Gültigkeit die glänzenden
Beiträge von Diels 1893 a; Jaeger 1913; zu diesen Fragmenten vgl. auch Movia
1968, 133ff.
71 Zum Sensualismus Stratons vgl. Sext. Emp. Adv. Math. 7, 350 (fr. 109 Wehrli):
ȴȫ ȹ ȶ ȷ Ȯȳȫȿ Ⱥȯȳȷ ȫ3Ƚȷ ( scil. Ƚȷ ɁȾɀȷ ) ȽHȷ ȫȼȲȼȯɂȷ, BȻ ȹ ąȵȯȹȾȻ,
ȹ Ȯ ȫ3Ƚȷ ȯȷȫȳ Ƚ Ȼ ȫȼȲɄȼȯȳȻ, ˈȻ ȼȽ ȼȯɂȻ ˇȺȸȯ ȢȽȺ Ƚɂȷ Ƚȯ ( ȿȾȼȳȴџȻ; zu
Demokrit vgl. DK 68 A 113: ȽʱȾȽ'ȷ ȭ Ⱥ 2ąȯȵ ȶȬȫȷȹȷ ȯȷȫi ɁȾɀȷ ȴȫ ȷȹ8ȷ;
zu einer interessanten Ähnlichkeit zwischen dem Argument Stratons und
Diogenes von Apollonia vgl. DK 64 A 19 (= Thphr. De sens. 42: die überliefernde
Quelle kann sowohl den Verdacht der Kontamination beiseite schieben als auch
sicherstellen, dass diese Lehre für Straton zugänglich war): ąȹȵȵ ȴȳȻ ąȺ'Ȼ ʵȵȵȫ
Ƚ'ȷ ȷȹ8ȷ ʿɀȹȷȽȯȻ ȹ6ȲP (ȺHȶȯȷ ȹ6ȽP ʱȴȹ0ȹȶȯȷ: vgl. fr. 112 Wehrli (= Plut. De soll.
an. 3, 961 a): ȴȫ ȭ Ⱥ ȭȺ ȶȶȫȽȫ ąȹȵȵ ȴȳȻ ąȳąȹȺȯȾȹȶ ȷȹȾ Ƚ ,Ɂȯȳ ȴȫ ȵ&ȭȹȳ
ąȺȹȼąąȽȹȷȽȯȻ Ƚ ʱȴȹ ȮȳȫȵȫȷȲȪȷȹȾȼȳ ˂ȶ˦Ȼ ȴȫ ȮȳȫȿȯѠȭȹȾȼȳ ąȺ'Ȼ ʼȽɃȺȹȳȻ
Ƚ'ȷ ȷȹ8ȷ ʿɀȹȷȽȫȻ.
Die hellenistische Seelenlehre 23
_____________
72 Zu diesen Fragmenten vgl. auch Movia 1968, 134ff.; Gatzemeier 1970, 135-136.
73 Zur stoischen Herkunft der Definition des Hegemonikon bei Straton vgl. Capelle
1931, 303-304; Wehrli 1950, 72; Movia 1968, 136.
74 Vgl. Movia 1968, 136ff.
24 Einleitung
trachtet dasselbe 75. Während des Wachzustandes wird das Pneuma durch
verschiedene äußere Anregungen veranlasst, zu den peripheren Öffnun-
gen der Wahrnehmungsorgane zu kommen; es ist während dieser Phase
im ganzen Leib verstreut. Während des Schlafs kann sich die formbare
und bewegliche Seele an ihren Ort zurückziehen und die Wahrnehmungs-
tätigkeit unterbrechen; ebenso kann man durch Zusammendrücken die
stoffliche formbare Substanz zwingen, zum Mittelpunkt des Leibes zu-
rückzufließen. Diese stoffliche Wesenheit wurde natürlich von Straton
aufgrund ihrer Funktionen mit dem Leib verbunden sowie als dem Verfall
unterworfenes Organ des Leibes betrachtet.
Ausgehend hiervon lässt sich auch der Gebrauch des Begriffes ›Sin-
nesorgan‹ bei Straton näher bestimmen: diese Verwendung ist legitim,
wenn man den Umstand im Auge behält, dass man bei Straton kein Sin-
nesorgan im modernen Sinne findet. Es handelt sich nicht um ein Organ,
das eine äußere Anregung (Licht, Töne oder Gerüche) in einen inneren
Impuls in Richtung des leitenden Vermögens verwandelt. Solche Organe
gibt es bei Straton nicht, oder genauer, es gibt keine Wahrnehmungsorga-
ne im eigentlichen Sinne, sondern nur Öffnungen, durch welche die Seele
mit der Außenwelt in Kontakt treten kann. Das einzige echte Organ ist die
Seele selbst, die durch reine Öffnungen (d.h. solche ohne eigene Funkti-
on) mit der Außenwelt in Kontakt tritt (fr. 108 Wehrli = Soranos T 11, per
sensualia variis modis emicet; fr. 109 Wehrli ąȺȹȴ0ąȽȹȾȼȫȷ).
Es bleibt eventuell zu bestimmen, auf welchem Weg sich das Pneuma,
aus dem die Seele besteht, vom Mittelpunkt des Leibes zu den peripheren
Organen bewegt. Auch in diesem Fall ist die Analogie zwischen Seelen-
lehre und Physik offenkundig.
Der bedeutendste Berührungspunkt Stratons mit der atomistischen
Lehre wurde von H. Diels in der Porentheorie ermittelt, d.h. in der Auf-
nahme des Leeren, wenn auch nur in den Zwischenräumen der Körper
oder Korpuskel (auf keinen Fall ȴȫȽP ʱȲȺџȫȷ ȿ0ȼȳȷ) 76. Der Beweis für
diese Theorie wurde von Straton mithilfe verschiedener Experimente
erbracht: man muss die Luft als Zusammensetzung von im Leeren ver-
streuten Korpuskeln betrachten: durch Ausüben von Druck kann man
_____________
75 Anders denkt Gatzemeier 1970, 137: »ist die Gleichsetzung von Pneuma und
Seele nicht gerechtfertigt. Man könnte eher vermuten, Straton denke sich das
Verhältnis der Seele zum Pneuma analog zur Form-Materie Beziehung«. Aber die
hylemorphische Theorie des Aristoteles ist bei Straton verschwunden, es wäre
erstaunlich, wenn sie im Rahmen der Seelenlehre wieder lanciert würde. Dass in
den Fragmenten 130 und 131 Wehrli eine vernünftige, vom ȭȷɂȼȽȳȴџȷ
unterschiedene ȿѠȼȳȻ erwähnt wird, scheint mir nicht die substantielle (d.h. bei
Straton stoffliche) Einheit der Seele zu beeinträchtigen.
76 Vgl. Diels 1893 a, 110ff.
Die hellenistische Seelenlehre 25
_____________
77 Vgl. Heron von Alexandrien, Pneumatica I, p. 6, 11 Schmidt (= Straton, fr. 56
Wehrli): ȹ3ɀ 2ąȹȵȱąȽɃȹȷ ȹ9ȷ ȷ ȽȹȻ ȹ9ȼȳ ȴȯȷȹ8 Ƚȳȷȫ ȿѠȼȳȷ ʱȲȺџȫȷ ȫ3Ƚȷ
ȴȫȲ’ ʼȫȾȽȷ 2ąȪȺɀȯȳȷ, ąȫȺȯȼąȫȺȶɃȷȱȷ Ȯ ȴȫȽ ȶȳȴȺ ȶџȺȳȫ ȽN Ƚȯ ʱɃȺȳ ȴȫ
ȽN 2ȭȺN ȴȫ ȽȹȻ ʵȵȵȹȳȻ ȼѡȶȫȼȳȷ; Ibid. I, p. 4, 2 Schmidt (= Strato, fr. 57
Wehrli): ȹ ȶ ȷ ȭ Ⱥ Ƚ' ȴȫȲџȵȹȾ ȶȱȮ ȷ ȯȷȫȳ ȴȯȷ'ȷ <ȮȳȫȽȯɅȷȹȷȽȫȳ>, ȹ Ȯ
ʵȲȺȹȾȷ ȶ ȷ ȴȫȽ ȿѠȼȳȷ ȶȱȮ ȷ ȯȷȫȳ ȴȯȷџȷ, ąȫȺȯȼąȫȺȶɃȷȹȷ Ȯ ȴȫȽ ȶȳȴȺ
ȶџȺȳȫ ȽN ʱɃȺȳ ȴȫ ȽN 2ȭȺN ȴȫ <ȽN> ąȾȺ ȴȫ ȽȹȻ ʵȵȵȹȳȻ ȼѡȶȫȼȳȷ; Ibid. I,
p. 16, 20 Schmidt (= Straton, fr. 64 Wehrli): *Ƚȳ ȴȯȷ'ȷ ʵȲȺȹȾȷ ȼȽȷ ąȫȺ
ȿѠȼȳȷ ȶɃȷȽȹȳ ȭȳȷџȶȯȷȹȷ, ȴȫ ȴȫȽ ȿѠȼȳȷ ȶ ȷ ȴȯȷџȷ, ȴȫȽ ȵȯąȽ Ȯ
ąȫȺȯȼąȫȺȶɃȷȹȷ, ȴȫ *Ƚȳ ȴȫȽ ąɅȵȱȼȳȷ Ƚ ȼѡȶȫȽȫ ʱȷȫąȵȱȺȹ Ƚ
ąȫȺȯȼąȫȺȶɃȷȫ ȴȯȷȪ.
78 Vgl. Wehrli 1950, 71: »der Hohlraum, durch welchen die Seele sich bewegt, sind
wohl die Adern; für entsprechende Anschauungen des Erasistratos vgl. Zeller p.
919, 2 und Wellmann RE VI, 343, 66«; dieser Meinung hatte auch Solmsen 1961,
180ff. zugestimmt; skeptisch hierzu Repici 1988, 30ff.; vgl. Gatzemeier 1970, 138:
»wie Straton das Pneuma im Leib verteilt sein lässt, ist aus den Fragmenten nicht
zu ermitteln. Vielleicht denkt er sich das Blut mit Pneuma durchsetzt oder er
26 Einleitung
kennbar. Ob die Seele sich in den Venen, in den Adern, in den Nerven
oder in andersartigen Kanälen bewegt, spielt im Prinzip keine so wichtige
Rolle, schließlich versteht man unter Venen und Adern in der Antike et-
was anderes als heutzutage; wichtig ist die Vorstellung von einer pneuma-
tischen Seele, die sich in den Kanälen durch den Leib bewegt. Eine Über-
nahme der stoischen Seelenlehre durch Straton scheint unwahrscheinlich
– was schon von H. Diels betont wurde –, und zwar aus zwei Gründen:
als Straton lebte, hatte sich die Stoa noch nicht den Enzephalozentrismus
zu eigen gemacht; noch unwahrscheinlicher scheint eine Kontamination
nach Stratons Tod, unter Chrysipp war nämlich die Stoa zum Kardio-
zentrismus zurückgekehrt (mit wenigen Ausnahmen, wie z.B. im Fall des
Diogenes von Babylon) 79.
Ein makroskopisches Element, das sich anhand der Texte des Aristo-
teles nicht erklären lässt, ist die Lehre, die das Gehirn als Zentrum der
psychischen Tätigkeit betrachtet (Soranos T 13). Für diese deutliche Än-
derung gegenüber der aristotelischen Lehre (der Enzephalozentrismus war
in der Antike die Lehre einer Minderheit 80) nimmt man heute mehrheitlich
eine Analogie zur medizinischen Schule des Herophilos und Erasistratos
an. Das Problem, wer gegebenenfalls von wem abhängig ist, überschneidet
sich mit Fragestellungen zur Chronologie und Biographie des Arztes und
des Physikers. Die Unempfänglichkeit der Epikureer gegenüber der neuen
hellenistischen Naturwissenschaft oder der Dogmatismus der Stoa konn-
ten die Rezeption derartiger innovativer Lehren verhindern; aber die Of-
fenheit des neuen Peripatos und die Neigung zur Aufnahme verschiedener
der ›empirischen‹ Wissenschaft entommenen Elemente vermochte dies
nicht 81. Das Problem könnte eventuell mithilfe der Chronologie beider
Autoren gelöst werden. Wehrli meinte, Herophilos und Erasistratos seien
jünger als Straton; auf der Basis dieser Hypothese war er der Überzeu-
gung, Straton sei von den Vorsokratikern abhängig, die alexandrinischen
Ärzte hätten die stratonianische Lehre übernommen; dieser Überzeugung
war auch Movia, Gottschalk hingegen sah einen Einfluss des Herophilos
_____________
weist dem Pneuma die gerade zu seiner Zeit von Herophilos entdeckten Nerven
als Ort zu«.
79 Vgl. Diels 1893 a, 117: »ob Siebeck mit Recht Straton hier oder überhaupt von
der Stoa abhängig sein lässt, ist mir sehr zweifelhaft«; die Möglichkeit einer
Kontamination lässt offen Repici 1988, 1ff., die allerdings keine richtige
Erklärung bietet.
80 Vgl. Solmsen 1961, 192: »in any case it is evident that the party favoring the brain
was a minority«.
81 Vgl. Solmsen 1961, 195.
Die hellenistische Seelenlehre 27
auf Straton 82. Wir verfügen jetzt über eine kommentierte Testimonien-
sammlung des Herophilos: von Staden bestimmt die Chronologie des
Herophilos auf den Zeitraum zwischen 330/320 und 260/250, die ägypti-
sche Hauptstadt sei Mittelpunkt der Tätigkeit des Arztes 83; diese Daten
erfordern zwangsläufig, das Ende der Ausbildung des Herophilos, d.h.
den Beginn seiner Tätigkeit, gegen Anfang des Jahrhunderts in Alexandria
anzusetzen 84.
Auch die gleichzeitige Anwesenheit beider in Alexandria kann den –
vielleicht persönlichen – Kontakt mit Straton erleichtert haben, der Physi-
ker war nämlich vor 290 in der Hauptstadt tätig. Andererseits ergibt sich
keine besondere Schwierigkeit, einen schriftlichen Kontakt mit dem be-
reits in Attika lebenden Straton anzunehmen: die beiden Städte waren
nämlich wichtige Zentren der hellenistischen Kultur, und Alexandria wur-
de stark von der peripatetischen Lehre geprägt 85. Ein Fragment des He-
rophilos scheint eine große Ähnlichkeit mit der pneumatischen Lehre
Stratons aufzuweisen:
Galen, De usu part. 10, 12 (= fr. 140 a von Staden): ȽHȷ ȭ Ⱥ ą Ƚȹ1Ȼ
)ȿȲȫȵȶȹ1Ȼ ʱą’ ȭȴȯȿȪȵȹȾ ȴȫȽȳџȷȽɂȷ ȷȯѠȺɂȷ ȽHȷ ȫȼȲȱȽȳȴHȷ, ʴ Ȯ ȴȫ
ąџȺȹȾȻ CȷџȶȫȰȯȷ ϽȺџȿȳȵȹȻ, *Ƚȳ ȶџȷȹȳȻ ȫ3ȽȹȻ ȫȼȲȱȽȫ ȴȫ ȼȫȿȯȻ ȯȼȳȷ ȫ
Ƚȹ8 ąȷȯѠȶȫȽȹȻ (ȮȹɅ, DȼąȯȺ ȫ3Ƚ' Ƚȹ8Ƚȹ [Ƚ'] ąȫȺȪȮȹȸџȷ Ƚȯ ȴȫ 2ą Ⱥ Ƚ
ȵȹȳą ȽHȷ ȷȯѠȺɂȷ ȼȽɅȷ, ȹ4Ƚɂ ȴȫ Ƚ' ȿѠȯȼȲȫȳ ȶ ȷ ȴ ȮȳȫȿȯȺџȷȽɂȷ Ƚџąɂȷ,
ąȺȹɇџȷȽȫ Ȯ’ ʱȵȵɄȵȹȳȻ ʼȷȹ8ȼȲȫȳ ȴʵąȯȳȽȫ ąȪȵȳȷ ʱąȹɀɂȺȯȷ Ƚȯ ȴȫ
ȮȳȫȼɀɅȰȯȼȲȫȳ 86.
_____________
82 Vgl. Wehrli 1950, 75: »Strato folgt also wie Platon dem Alkmaion… während
Diokles und Aristoteles das Herz als Sitz der Seele betrachten; von den Späteren
folgen dem Str. Erasistratos und Herophilos«; Movia 1968, 142: »più tardi, a
seguire Stratone saranno Erasistrato ed Erofilo«; vgl. Gottschalk 1965, 163:
»Herophilus... discovered the structure and the function of the nervous system…
he was followed by Erasistratus and Strato, whose psychology seems to have
been very much influenced by current medical ideas«. Ein direkter Kontakt
zwischen Erasistratos und Straton wird auch von Vegetti angenommen, der
allerdings den Arzt für den Schüler des Physikers hält (vgl. Vegetti 1993, 84, vgl.
Erasistratos, frr. 6-8 Garofalo); Gourevitch hält Straton für den Schüler des
Erasitratos, vgl. Gourevitch 1993, 127.
83 Vgl. von Staden 1989, 35-66.
84 Vgl. von Staden 1989, 46.
85 Vgl. von Staden 1989, 97-98.
86 Zu diesem Fragment vgl. von Staden 1989, 317-318; Solmsen 1961, 186 hatte die
Stelle als Beweis dafür zitiert, dass Herophilos die Lehre, der zufolge das Pneuma
für Wahrnehmung und Motorik verantwortlich ist, von Aristoteles übernommen
hatte; skeptisch ist von Staden 1989, 237, aber »T 140 does, however, support
Solmsen’s conclusion«.
28 Einleitung
Der Unterschied besteht darin, dass sich an dieser Stelle das Pneuma in
den Nerven bewegt, bei Straton ist keine genaue Ortsbestimmung mög-
lich, wobei es in den Venen verstreut sein dürfte. Wenn die Pneumatheo-
rie vom Physiker aus Lampsakos und nicht von Aristoteles übernommen
wurde, so bleibt die Möglichkeit, dass Herophilos und Straton, die gleich-
zeitig und in derselben Stadt tätig waren, einander in Bezug auf die Pneu-
matheorie und den Sitz des leitenden Vermögens im Gehirn beeinflusst
haben.
Um den Abschnitt zu Straton abzuschließen, sollten wir festhalten,
dass die Seelenlehre Stratons die erste Systematisierung der Psychologie
darstellt, die auch in ihrem Verhältnis zu anderen Abteilungen des philo-
sophischen Systems (vor allem zur Physik) nach Einheitlichkeit strebt. Die
ersten Schüler des Aristoteles, d.h. Dikaiarch und Aristoxenos, treten jetzt
entschieden dafür ein, dass die Seele stofflich und sterblich ist. Die Sterb-
lichkeit beruht noch nicht wie bei Epikur auf der atomistischen Lehre,
sondern auf der Aristoteles entommenen, aber betont materialistischen und
immanentistischen Pneumatheorie. Die – wenn auch nur teilweise erreich-
te – Überwindung des horror vacui infolge der Theorie des Leeren als
ąȫȺȯȼąȫȺȶ ȷȹȷ schafft die Grundlage für die Porentheorie, die im physi-
kalischen und anthropologischen Bereich angewandt wird (bei der Wahr-
nehmungstheorie und der Lehre vom gegenseitigen Durchdringen von
Seele und Leib) und die wir auch bei Epikur erkennen können; auch die
Lehre von der zweigeteilten Seele bereitet die Systematisierung des Kepos
vor, auch wenn Straton innerhalb der hellenistischen philosophischen
Physiologie dadurch eine Sonderstellung einnimmt, dass er vom Sitz des
leitenden Vermögens im Gehirn ausgeht; das beweist allerdings, wie stark
der Physiker aus Lampsakos unter dem Einfluss der alexandrinischen
Medizin stand.
Wie man schon im Falle Stratons beobachtet hat, ist ein besonders in-
teressantes Phänomen die Tendenz der hellenistischen Schulen zur wech-
selseitigen Kontamination, was sich vor allem für die theoretischen Gebie-
te der Philosophie feststellen lässt (im Bereich der Ethik ist die
Bereitschaft zum Austausch nicht so groß). Dies erfordert besondere Vor-
sicht bei der Bewertung der Quellen: was wir über den Peripatos nach
Theophrast wissen, wird durch indirekte, vor allem doxographische Quel-
len überliefert; dasselbe gilt für die Stoiker und teilweise auch für Epikur,
so dass in manchen Fällen ähnliche Lehren bei Vertretern verschiedener
Schulen zu finden sind. Dies ist das Problem, das schon vor längerer Zeit
festgestellt und noch vor kurzem von L. Repici betont wurde: die do-
Die hellenistische Seelenlehre 29
1.4. Epikur
Betrachtet man die Seelenlehre Epikurs, so hat man das Gefühl, dass des-
sen philosophisches System seine Satzung und seine bleibenden Leitlinien
nach der Systematisierung des stratonianischen Peripatos fand. Die helle-
nistische Seelenlehre ist seit dieser Zeit in ihren Grundzügen weitgehend
ähnlich definiert (freilich wollen wir hierbei nicht die charakteristischen
Merkmale der einzelnen Schulen und Denker verkennen) und bildet einen
gemeinsamen Ausgangspunkt für alle, die sich bis zum 1. Jh. n.Chr. mit
dem Thema beschäftigen werden. Das muss an sich nicht verwundern,
denn zu jener Zeit treten die theoretischen Interessen zugunsten der ethi-
schen Forschung zurück, und die verschiedenen Schulen tendieren, wie
schon gesagt, stärker als früher zur Osmose. Ähnliches lässt sich im Falle
des Neuplatonismus beobachten, der in der Spätantike die gemeinsame
philosophische Grundlage für alle Denker bildete, zu denen nicht nur die
›Griechen‹, sondern auch die Christen zu zählen sind.
Die Berührungspunkte zwischen Kepos und Peripatos wurden schon
von M. Gigante untersucht, im uns betreffenden Zeitraum insbesondere
zwischen Epikur und Theophrast: der Schulleiter des Kepos habe im
Werk ąȺ'Ȼ șȯ&ȿȺȫȼȽȹȷ (besser An Theophrast als Gegen Theophrast?) gegen
Demokrit und zugunsten Theophrasts kritisch Stellung bezogen: »i colori
non dipendono dagli atomi, ma dalle condizioni della vista« 89; die ȿȾȼȳȴHȷ
Ȯџȸȫȳ Theophrasts seien zudem eine wichtige doxographische Quelle für
das 14. Buch von Epikurs ąȯȺ ȿ0ȼȯɂȻ. Ab jetzt dürfte es uns nicht mehr
wundern, bei Epikur die Spuren des Peripatos in der Phase nach Theoph-
rast zu finden. Dass Epikur Straton schon während des Aufenthaltes in
Lampsakos kennengelernt hatte, scheint im Prinzip unwahrscheinlich 90.
Man denke daran, dass – nachdem Epikur im Jahre 307 in Athen ange-
kommen war und sich Straton dort angesiedelt hatte (auf jeden Fall vor
_____________
89 Vgl. Gigante 1999, 51-60, insbesondere 52-53.
90 Vgl. Fr. Gr. Hist. 244 F 41-42 zur Nachricht Apollodors über den Aufenthalt
Epikurs in Lampsakos zwischen 311 und 207; skeptisch gegenüber einem
Kontakt zwischen Epikur und Straton in Lampsakos ist Gatzemeier 1970, 35;
einen persönlichen Kontakt zwischen den beiden nimmt allerdings Warren an
(Warren 2006, 241).
Die hellenistische Seelenlehre 31
_____________
91 Diese Stelle wurde anders von Kerferd interpretiert (vgl. Kerferd 1971, 81; 92ff.),
dessen Schlussfolgerungen ich nur teilweise zustimmen kann. Insbesondere kann
es durchaus sein, dass sich nach dem Verständnis Epikurs die Seele aus ver-
schiedenen einander homogenen Korpuskeln zusammensetzt (handelt es sich um
zusammengesetzte Körperchen, die den Molekülen ähnlich sind?); das kann
allerdings nicht die Komposition der Seele aus den vier von der Doxographie
überlieferten Elementen entkräften (drei dieser Elemente stimmen mit Ep. Hdt.
63 überein). Man kann durchaus mit Kerferd (1971, 81; 93) in 63, 6 die Lesart der
Hs. Ƚ' ȶɃȺȹȻ statt Woltjers Konjektur Ƚȳ ȶɃȺȹȻ beibehalten (was allerdings nicht
viel ändert); die Übersetzung Kerferds (S. 93) überzeugt nicht: »which has
acquired great mobility [or perhaps “great capacity for change”, i.e. “variability”]
as a result of the lightness of parts of just these things [namely of breath and
heat]«, auch wenn man für diese Interpretation Lucr. 3, 241ff. zum Vergleich
heranziehen kann.
Der Text selbst ist brachylogisch und unklar: hier steht nicht, dass der Köper der
Seele aus ąȷȯ8ȶȫ und ȲȯȺȶџȷ besteht, Epikur sagt wörtlich nur, dass dieses ȼHȶȫ
teilweise dem ersten, teilweise dem zweiten Element ähnlich ist; aber diese
Ähnlichkeit scheint auf eine stoffliche Zusammensetzung hinzuweisen.
32 Einleitung
Ep. Hdt. 66, 5ff. (scholion): ȵɃȭȯȳ ȷ ʵȵȵȹȳȻ [fr. 311 Usener] ȴȫ ȸ ʱȽџȶɂȷ
ȫ3Ƚȷ ȼȾȭȴȯȼȲȫȳ ȵȯȳȹȽȪȽɂȷ ȴȫ ȼȽȺȹȭȭȾȵɂȽȪȽɂȷ, ąȹȵȵN Ƚȳȷȳ ȮȳȫȿȯȺȹȾȼHȷ
ȽHȷ Ƚȹ8 ąȾȺџȻ· ȴȫ Ƚ' ȶɃȷ Ƚȳ ʵȵȹȭȹȷ ȫ3ȽȻ, + ȽN ȵȹȳąN ąȫȺȯȼąȪȺȲȫȳ
ȼѡȶȫȽȳ· Ƚ' Ȯ ȵȹȭȳȴ'ȷ ȷ ȽN ȲѡȺȫȴȳ, BȻ Ȯȵȹȷ ʿȴ Ƚȯ ȽHȷ ȿџȬɂȷ ȴȫ ȽȻ
ɀȫȺ˦Ȼ 92.
Aëtios 4, 4, 6 p. 390 Diels (= fr. 312 Usener = 160 Arrighetti = DK 68 A
105): ϶ąɅȴȹȾȺȹȻ ȮȳȶȯȺ Ƚȷ ɁȾɀɄȷ, Ƚ' ȶ ȷ ȵȹȭȳȴ'ȷ ʿɀȹȾȼȫȷ ȷ ȽN ȲѡȺȫȴȳ
ȴȫȲȳȮȺȾȶɃȷȹȷ, Ƚ' Ȯ’ ʵȵȹȭȹȷ ȴȫȲ’ *ȵȱȷ Ƚȷ ȼѠȭȴȺȳȼȳȷ Ƚȹ8 ȼѡȶȫȽȹȻ
ȮȳȯȼąȫȺȶɃȷȹȷ.
Plut. Adv. Col. 1118 d (= fr. 314 Usener = 158 Arrighetti): Ƚȷ ȹ3ȼɅȫȷ
ȼȾȶąȱȭȷѠȷȽȯȻ ȫ3ȽȻ ʿȴ ȽȳȷȹȻ ȲȯȺȶȹ8 ȴȫ ąȷȯȾȶȫȽȳȴȹ8 ȴȫ ʱȯȺѡȮȹȾȻ ȹ3ȴ
ȸȳȴȷȹ8ȷȽȫȳ ąȺ'Ȼ Ƚ' ȴȾȺȳѡȽȫȽȹȷ ʱȵȵ’ ʱąȫȭȹȺȯѠȹȾȼȳ· Ƚ' ȭ Ⱥ ˠ ȴȺɅȷȯȳ ȴȫ
ȶȷȱȶȹȷȯѠȯȳ ȴȫ ȿȳȵȯ ȴȫ ȶȳȼȯ, ȴȫ *ȵɂȻ Ƚ' ȿȺџȷȳȶȹȷ ȴȫ ȵȹȭȳȼȽȳȴ'ȷ ʿȴ ȽȳȷџȻ
ȿȱȼȳȷ ‘ʱȴȫȽȹȷȹȶȪȼȽȹȾ’ ąȹȳџȽȱȽȹȻ ąȳȭɅȷȯȼȲȫȳ 93.
Aëtios 4, 3, 11 p. 388 Diels (= fr. 315 Usener = 159 Arrighetti): ϶ąɅȴȹȾȺȹȻ
(scil. Ƚȷ ɁȾɀɄȷ) ȴȺ˦ȶȫ ȴ ȽȯȽȽȪȺɂȷ, ȴ ąȹȳȹ8 ąȾȺѡȮȹȾȻ, ȴ ąȹȳȹ8
ʱȯȺѡȮȹȾȻ, ȴ ąȹȳȹ8 ąȷȯȾȶȫȽȳȴȹ8, ȴ ȽȯȽȪȺȽȹȾ Ƚȳȷ'Ȼ ʱȴȫȽȹȷȹȶȪȼȽȹȾ· Ƚȹ8Ƚȹ
Ȯ’ ˇȷ ȫ3ȽN Ƚ' ȫȼȲȱȽȳȴџȷ· Jȷ Ƚ' ȶ ȷ ąȷȯ8ȶȫ ȴɅȷȱȼȳȷ, Ƚ'ȷ Ȯ ʱɃȺȫ ˁȺȯȶɅȫȷ,
Ƚ' Ȯ ȲȯȺȶ'ȷ Ƚȷ ȿȫȳȷȹȶɃȷȱȷ ȲȯȺȶџȽȱȽȫ Ƚȹ8 ȼѡȶȫȽȹȻ, Ƚ' Ȯ’ ʱȴȫȽȹȷџȶȫȼȽȹȷ
Ƚȷ ȷ ˂ȶȷ ȶąȹȳȯȷ ȫȼȲȱȼȳȷ.
_____________
92 Deutlich ist die polemische Haltung gegenüber der Lehre Demokrits, der zufolge
die Seele aus feurigen Elementen besteht (zur Identifikation dieser Polemik vgl.
Kerferd 1971, 82-83; Arrighetti 1973, 515-516); vgl. DK 68 A 101 (= Arist. An.
405 a 5): ʿȮȹȸɃ Ƚȳȼȳ ą8Ⱥ ȯȷȫȳȊ ȴȫ ȭ Ⱥ Ƚȹ8Ƚȹ ȵȯąȽȹȶȯȺ ȼȽȫȽџȷ Ƚȯ ȴȫ
ȶȪȵȳȼȽȫ ȽHȷ ȼȽȹȳɀȯɂȷ ʱȼѡȶȫȽȹȷ; DK 68 A 106: ȵɃȭȯȳ ȮP BȻ ˂ ɁȾɀ ȴȫ Ƚ'
ȲȯȺȶ'ȷ Ƚȫ3Ƚ&ȷ. Für eine Parallele dieser Polemik bei Lukrez vgl. 3, 136ff.: nunc
animum atque animam dico coniuncta teneri/ inter se atque unam naturam conficere ex se/ sed
caput esse quasi et dominari in corpore toto/ consilium, quod nos animum mentemque vocamus.
Idque situm media regione in pectoris haeret/ hic exultat enim pavor ac metus, haec loca
circum/ laetitiae mulcent… cetera pars animae per totum dissita corpus/ paret et ad numen
mentisque momenque movetur; zu einem Echo dieser Polemik in Materialien, die dem
Text des Soranos entstammen, vgl. Anon. Lond. 1, 21-24 in T 11 [c]; die
Ähnlichkeit der zwei Meinungen hat vielleicht Soranos Anlass gegeben, die
epikureischen Aussagen nochmals mit stratonianischen Materialien zu
vermischen. Noch weniger überzeugen mich die Vorschläge von Garcia Calvo
1974, 93-97, insbesondere: 1. Korrektur von ąȷȯѠȶȫȽȳ zu ȼȽȺɃȶȶȫȽȳ, das mit
»bucle o torbellino« zu übersetzen wäre; 2. Korrektur von Ƚȳȷȫ in Ƚȳȷȳ; 3. ʿȼȽȳ…
ȯȵȱȿџȻ sei mit »hay veas que«, »ocasionalmente« zu übersetzen; 4. ąȫȺȫȵȵȫȭɄ
bedeute »variabilidad«. Zu dieser schwierigen Stelle in Ep. Hdt. vgl. auch Silvestre
1985, 89-96, die eine Mischung von Materialien aus Aristoteles und Demokrit
erkennt, allerdings behauptet (m.E. fälschlicherweise), Epikur habe Aristoteles’
De anima benutzt.
93 Repici 1988, 16-18 hält die Angabe über Demokrit für zuverlässig, was allerdings
nicht stimmt, die Information scheint vom epikureischen Scholiasten
kontaminiert worden zu sein.
Die hellenistische Seelenlehre 33
Zudem wird auch die Komposition der Seele aus vier Elementen, deren
Anordnung auf verschiedene Weise berichtet wird (hielten die Epikureer
die Reihenfolge dieser Komponenten vielleicht nicht für wichtig?), von
Lukrez bestätigt:
(a) 3, 232ff.: nec tamen haec simplex nobis natura putanda est/ tenuis enim
quaedam moribundos deserit aura/ mixta vapore, vapor porro trahit aera secum/
nec calor est quisquam cui non sit mixtus et aër… 237: iam triplex animi est igitur
natura reperta/ nec tamen haec sat sunt ad sensum cuncta creandum… 241 quar-
ta quoque his igitur quaedam natura necessest/ adtribuatur: east omnino nominis
expers/ qua neque mobilius quicquam neque tenuius exstat/ nec magis e parvis
et levibus ex elementis/ sensiferos, wobei aura mit dem ąȷȯ8ȶȫ (vgl. 3, 290) und
vapor mit calor übereinstimmt, so dass die Reihenfolge an dieser Stelle dieselbe wie
in Ep. Hdt. sein dürfte.
(b) doch vgl. 3, 269ff.: sic calor atque aer et venti caeca potestas/ mixta creant
unam naturam, et mobilis illa/ vis, initum motus ab se quae dividit ollis/ sensifer
unde oritur primum per viscera motus: die Erwähnung des Windes kann nur das
ąȷȯ8ȶȫ (vgl. 3, 299) bezeichnen, an dieser Stelle dürfte die Reihenfolge bei
Lukrez dieselbe wie bei Aëtios sein. Die Position des vierten Elements ist in allen
Zeugnissen auf das Ende der Reihe festgelegt; dies ist im Prinzip logisch, geht
doch die Argumentation der Epikureer ausschlussweise vor und setzt an die letz-
te Stelle das Element, das für die Wahrnehmung verantwortlich ist und, da es
aufgrund seiner Feinheit nicht sinnlich wahrnehmbar ist, mithilfe theoretischer
Erwägung fassbar ist (necessest/ adtribuatur).
Eher als durch inhaltliche Aspekte lässt sich die Auslassung in Ep. Hdt. 63
durch den Umstand erklären, dass der Brief eine Epitome ist; um nicht zu
wiederholen, was in der Sekundärliteratur erklärt wurde, halten wir nur
fest, dass die Definition Epikurs im Herodotosbrief und die der doxographi-
34 Einleitung
schen Tradition sich ohne Widerspruch gegenseitig ergänzen 94. Auch die
Tatsache, dass Epikur im Herodotosbrief eine einzige Seele erwähnt, die
dagegen Aëtios als ȮȳȶȯȺɄȻ definiert, ist erneut als Brachylogie aufzufassen;
andererseits gibt Lukrez zu verstehen, dass animus und anima miteinander
vereint sind und una natura bilden (3, 137), so dass die Teilung der Seele als
Teilung in zwei verschiedene Funktionen, nicht zwei verschiedene Sub-
stanzen zu interpretieren ist; infolge der Studien von Bailey und Giussani
geht man zudem davon aus, dass die zwei Teile in ihrer stofflichen Zu-
sammensetzung gleichartig sind 95.
Unter den stofflichen Komponenten der epikureischen Seele haben
die Wissenschaftler schon seit längerer Zeit Elemente aristotelischer Her-
kunft erkannt. Die vierte Substanz wurde zu Recht von Giussani mit der
fünften Natur des Aristoteles in Zusammenhang gebracht, und so wurde
ein wichtiger Bezugspunkt für die Entstehung der epikureischen Seelen-
lehre erarbeitet 96. Auch in den anderen drei Elementen sah Diano eine
atomistische Umbildung der aristotelischen Theorie über das Pneuma, das
als thermisches und kinetisches Element gilt. Man hat das Gefühl, Diano
wolle die drei Elemente allzu streng mit dem Pneuma des Aristoteles
übereinstimmen lassen; vielleicht ist es vorsichtiger, nur das ąȷȯȾȶȫȽȳȴџȷ
mit dem Pneuma der peripatetischen und medizinischen Tradition in Zu-
sammenhang zu bringen und für die übrigen drei Elemente eine andere
Herkunft anzunehmen.
M.E. gibt es noch ein weiteres Element, das Epikur mit den Aristote-
lesschülern der post-theoprastischen Phase verbinden könnte: die Teilung
der Seele in zwei Teile (oder besser Funktionen), die verschiedene Positi-
onen einnehmen, hat keine Parallele in den Texten von Platon und Aristo-
teles, stimmt allerdings mit Straton überein. Die Tatsache, dass Epikur das
leitende Vermögen in der Brust und nicht (wie Straton) im Kopf lokali-
siert, lässt sich leicht durch eine Bezugnahme auf den verbreiteten Kardi-
ozentrismus erklären. Andererseits lässt sich die Unempfänglichkeit des
Kepos für die neuen enzephalozentristischen alexandrinischen Theorien
durch die allgemeine Unempfänglichkeit gegenüber der zeitgenössischen
Naturwissenschaft erklären 97.
_____________
94 Zur Seelenlehre Epikurs vgl. Giussani 1896, 183-217; Bailey 1928, 384-437;
Kerferd 1971; Konstan 1973; Diano 1974, 1219-168; Silvestre 1985, 176ff.;
Pigeaud 1989, 142-145; Erler 1994, 146-149; Konstan 2007 (neu bearbeitete
Auflage von 1973).
95 Vgl. Giussani 1896, 193ff.; Bailey 1928, 390ff.; Diano 1974, 144ff.; Erler 1994,
147.
96 Vgl. Giussani 1896, 187; Bailey 1928, 391; Diano 1974, 135; Bignone 1973, I, 249.
97 Zum Sitz des leitenden Vermögens im Kopf laut Demokrit vgl. DK 68 A 105 (Aët.
4, 5, 1): ЅąąȹȴȺȪȽȱȻ ȶ ȷ ȭ Ⱥ ȴȫ ȕȱȶ&ȴȺȳȽȹȻ ȴȫ ȡȵ Ƚɂȷ ȷ ȭȴȯȿ ȵL Ƚȹ8Ƚȹ
Die hellenistische Seelenlehre 35
Ep. Hdt. 63: ȼHȶȪ ȼȽȳ ȵȯąȽȹȶȯȺɃȻ, Straton, fr. 108 Wehrli = Soranos
ąȫȺ’ *ȵȹȷ Ƚ' ʵȲȺȹȳȼȶȫ ąȫȺ- T 11: Non longe hoc exemplum
ȯȼąȫȺȶɃȷȹȷ. est a Stratone et Aenesidemo et
Ep. Hdt. 66, 5: Ƚ' ȶɃȷ Ƚȳ ʵȵȹȭȹȷ Heraclito; nam et ipsi unitatem
ȫ3ȽȻ, + ȽN ȵȹȳąN ąȫȺȯȼąȪȺȲȫȳ animae tuentur, quae in totum
ȼѡȶȫȽȳ. corpus diffusa et ubique ipsa, velut
_____________
ȮȺ0ȼȲȫȳ ȯȺɄȴȫȼȳ; auffallend ist die Kontamination mit dem Epikureismus bei
Aët. 4, 4, 6 (DK 68 A 105), vgl. oben: meines Wissens gebrauchte Demokrit den
Terminus ąȫȺȯȼąȫȺȶɃȷȹȻ nie in Bezug auf die Seele: »verm. aus epikur. Quelle«
war die scharfsinnige Anmerkung von Diels-Kranz: vgl. Ep. Hdt. 66, 10: ȽHȷ ȽȻ
ɁȾɀȻ ȶȯȺHȷ ȽHȷ ąȫȺP *ȵȱȷ Ƚȷ ȼ0ȭȴȺȳȼȳȷ ąȫȺȯȼąȫȺȶ ȷɂȷ; idem in DK 68 A
107 [= Sext. Emp. Adv. Math. 7, 349]; Repici 1988, 16; 18 hält die Angabe über
Demokrit für zuverlässig, was allerdings abzulehnen ist. Zur Unempfänglichkeit
Epikurs gegenüber der Naturwissenschaft seiner Zeit vgl. Annas 1992, 123: »the
Stoics are heavily influenced by contemporary medical and scientific theories,
whereas Epicurus is less impressed by scientific results and more reliant on a
combination of commonsense folk psychology and straightforward philosophical
argument«; Isnardi Parente 1977, 302ff.
98 Vgl. auch Dikaiarch fr. 7 Wehrli: aequabiliter esse fusam; vgl. Lucr. 4, 888ff.: animai
dissita vis est; vgl. auch Mehl 1999, 286. Man muss auch eine genaue Bestimmung
vornehmen: der Terminus ąȫȺȯȼąȫȺȶ ȷȹȷ dürfte tatsächlich von Straton
gebraucht worden sein und nicht von Heraklit oder Ainesidemos stammen: die
Textpassage aus Soranos-Tertullian wurde nicht von Diels und Kranz in die
Testimoniensammlung aufgenommen, sondern fand in die Anmerkung zu DK
22 B 67 Eingang; dass die Seele als ąȫȺȯȼąȫȺȶ ȷȹȷ auch von Ainesidemos
vertreten wurde, kann eine Herkunft aus Straton nicht ausschließen (vgl. Straton
fr. 109 Wehrli = Sext. Emp. Adv. Math. 7, 349; Soranos T 11). Eine Bestätigung
für die Herkunft aus Straton oder für dessen Einfluss auf Epikur mag die
Verwendung von ąȫȺȫȼąȯȺɂ bieten; bis zur hellenistischen Zeit wird dieses
Verb nur in botanischem Kontext eingesetzt (Caus. Plant. 3, 10, 3: Ƚ
ąȫȺȫȿȾȽȯȾџȶȯȷȫ ȴȫ Ƚ ąȫȺȫȼąȯȳȺџȶȯȷȫ Ȯȳ Ƚȹ8Ƚȹ Ȭȵ ąȽȯȳ ą ȷȽȫ); bei
Straton wird das Wort in Bezug auf das Leere und vielleicht auf die Seele
verwendet (vgl. oben); andererseits wird ąȫȺȫȼąȯȺɂ außerhalb des
epikureischen Milieus sehr selten in Bezug auf die Seele angewandt: vgl. Ps. Plato
Ax. 366 a (vgl. unten) und Philo Alex. Opif. 66: Ȯȳ' ȽHȷ ȶɁѠɀɂȷ ąȺѡȽȹȾȻ
ȭɃȷȷȱȼȯȷ ɀȲѠȫȻ ąȵɃȹȷ ȶȯȽɃɀȹȷȽȫȻ ȼɂȶȫȽȳȴȻ ˃ ɁȾɀȳȴȻ ȹ3ȼɅȫȻ, ȽȺџąȹȷ
Ƚȳȷ ȰNȫ ȴȫ ȹ3 ȰNȫ, ȴȳȷȱȽ ʵɁȾɀȫ, ąȺ'Ȼ ȫ3Ƚ' ȶџȷȹȷ Ƚȷ ȽHȷ ȼɂȶȪȽɂȷ
Ȯȳȫȶȹȷȷ ąȫȺȫȼąȫȺɃȷȽȹȻ ȫ3ȽȹȻ Ƚȹ8 ɁȾɀȹȯȳȮȹ8Ȼ, wobei erstere Stelle
eindeutig unter dem Einfluss Epikurs steht.
36 Einleitung
im Text Epikurs keine klare Aussage; faute de mieux sollten wir seine An-
sicht mithilfe der Aussagen des Lukrez rekonstruieren. Demokrit behaup-
tete, Seele und Leib seien in der Weise miteinander vereinigt, dass deren
Atome nebeneinandergestellt seien; wir wissen allerdings, dass Lukrez
dieser Lehre widersprach, und haben somit Grund zu der Annahme, dass
Epikur derselben Meinung war 105. Man kann folglich nur annehmen, dass
die Seele für Epikur in Zwischenräumen anderer Art (d.h. in den Kanälen,
vielleicht in den Venen) im Leib verstreut ist; diese Theorie scheint von
einigen Textpassagen bei Lukrez bestätigt zu werden (auch wenn wir nur
vermuten und nicht mit Sicherheit davon ausgehen können, dass die Leh-
re des Lukrez völlig mit der seines Meisters übereinstimmt):
(a) Aller Wahrscheinlichkeit nach bestätigt Ps.-Platon, Ax. 366 a die Streuung der
epikureischen Seele mittels der Poren (es ist nicht nötig, das Vorkommen epiku-
reischer Materialien im Axiochos erneut nachzuweisen: vgl. nur Erler 2005; Tulli
2005): ȷџȼȹȾȻ Ȯ ȴȫ ȿȵȯȭȶȹȷ Ȼ ȽHȷ ȫȼȲȱȽȱȺɅɂȷ, ʿȽȳ Ȯ Ƚ Ȼ ȷȽ'Ȼ
ȴȫȴџȽȱȽȫȻ, ȹ Ȼ ʱȷȫȭȴȫȼȽHȻ, ʶȽȯ ąȫȺȯȼąȫȺȶɃȷȱ ȽȹȻ ąџȺȹȳȻ, ˂ ɁȾɀ
ȼȾȷȫȵȭȹ8ȼȫ Ƚ'ȷ ȹ3ȺȪȷȳȹȷ ąȹȲȯ ȴȫ ȼѠȶȿȾȵȹȷ ȫȲɃȺȫ; für die Funktion der
Poren im Kontext der Verdauung vgl. Asklepiades von Bithynien ap. Cael. Aur.
Acut. Morb. 1, 113 (im Kommentar zu T 11 und die dort angeführte Literatur).
(b) An zwei Stellen begegnet die aus vier Teilen zusammengesetzte Junktur venae
viscera nervi ossa: vgl. 3, 566ff.: nimirum, quia per venas et viscera mixtim/ per
nervos atque ossa tenentur corpore ab omni/ nec magnis intervallis primordia
possunt/ libera dissultare, ideo conclusa moventur/ sensiferos motus; dieselbe
Kombination findet sich in 3, 690ff.: namque ita conexa est per venas viscera
nervos/ ossaque, uti dentes quoque sensu participentur. Nur zwei Termini in 3,
123: deserit extemplo venas atque ossa relinquit. Die ständige Bezugnahme auf
die venae muss an die – wenn auch rekonstruierte – stratonianische Lehre erin-
nern. Die aus Lukrez zu erschließenden Angaben sind aber leider unsystematisch
und ungenau: sollte man glauben, dass sich die epikureische Seele in den ossa oder
in den viscera bewegt (was am wenigsten ratsam ist)? Man sollte besser darauf ver-
zichten, Unklares genau bestimmen zu wollen: halten wir fest, dass sich die epi-
kureische Seele in unidentifizierten Kanälen bewegt; die Erwähnung der Kno-
chen scheint vor allem ein poetischer Zusatz zu sein: für die Seele in den
Knochen gäbe es keine Parallele.
(c) In anderen Passagen benutzt Lukrez den Terminus caulae, um die Streuung der
Seele im Leib zu bezeichnen: es handelt sich wahrscheinlich um eine lukrezische
Umarbeitung eines Terminus aus der Landwirtschaft, der nicht in die spätere la-
teinische Sprache übernommen wurde; das Wort begegnet in dieser Bedeutung
tatsächlich nur bei Lukrez (vgl. ThlL III, 650, 26-31; Verg. Aen. 9, 60: lupus fremit
ad caulas). Er benutzt dieses Wort in zwei Zusammenhängen, in Bezug auf die
Kanäle, in denen sich die Seele bewegt, und in Bezug auf die Wahrnehmungspo-
ren: vgl. 3, 702: dispertitus enim per caulas corporis omnis/ ut cibus, in membra
_____________
105 Vgl. DK 68 A 108 (= Lucr. 3, 370ff.): illud in his rebus nequaquam sumere possis/
Democriti quod sancta viri sententia ponit/ corporis atque animi primorida singula privis/
apposita alternis variare ac nectere membra. Hierzu vgl. auch Diano 1974, 146ff.
Die hellenistische Seelenlehre 39
atque artus cum diditur omnis,/ disperit atqua aliam naturam sufficit ex se/ sic
anima atque animus quamvis integra recens in/ corpus eunt, tamen in manando
dissolvuntur,/ dum quasi per caulas omnis diduntur in artus/ particulae quibus
haec animi natura creatur/ quae nunc in nostro dominatur corpore nata; das sel-
tene caulae scheint die Übersetzung für einen Begriff zu sein, den die Römer nicht
kannten – z.B. ąџȺȹȻ. Auch in diesem Fall ist es unmöglich, die Einzelheiten zu
ermitteln: zur Streuung der Nahrung im Leib vgl. Soranos ą.ȭ. 2, 13 p. 51 Ilberg;
T 38; Demokrit DK 68 C 1, vgl. unten).
Wenn Epikur die Lehre Demokrits missbilligt, so stellt sich die Frage, aus
welchem Grund der Leiter des Kepos zu seinem Gewährsmann im Be-
reich der Physik kritisch Stellung bezieht. Für eine definitive Antwort
bräuchte man Textzeugnisse, über die man leider nicht verfügt; man kann
allerdings annehmen, dass die caulae mit den Kanälen gleichzusetzen sind,
in denen sich laut Straton die Seele bewegt.
Die Verwendung der Porentheorie bei Epikur ist allerdings auch im
Bereich der Wahrnehmungstheorie gut nachzuweisen, auch wenn man oft
nur über enttäuschende Papyrusfragmente verfügt; andererseits ist auch
für Lukrez die Vorstellung bezeugt, dass die für die Wahrnehmung ver-
antwortlichen Korpuskel durch die Öffnungen in den Leib eindringen.
Zu Epikur vgl. 34, 26, 9ff.: ȴȫ Ƚ ȴ Ƚȹ8 ąȯȺȳ ɀȹȷȽȹȻ ȴȫȽP ʱȷ ȭȴȱȷ Ȯȳ Ƚȹ1Ȼ
ą&ȺȹȾȻ ȯȼȺ ȹȷȽȫ ąȫȺP ˂ȶ˦Ȼ ąȹȽȯ ȭȯȷȯȼȲȫȳ ȴȫ ąȫȺ Ƚ Ȼ ˂ȶȯȽ ȺȫȻ ȸ ˂ȶHȷ
ȫ3ȽHȷ ȮџȸȫȻ; 36, 23: ʿȸɂ ȽHȷ ąџȺɂȷ ȭȭȷȯȼȲȫ ȽȳȻ ȼȾȶȶȯȽȺȫ (vgl. Arrighetti
1973, 646: die ą&Ⱥȹȳ gehören zum wahrnehmenden Organismus); Epikur wider-
spreche nicht der Lehre von der ȼȾȶȶȯȽȺȫ im allgemeinen, sondern nur derjeni-
gen, der zufolge die ȼȾȶȶȯȽȺȫ außerhalb des Organismus stattfindet, z.B. der pla-
tonischen Theorie über den Gesichtssinn: Plut. Adv. Col. 1109 a [= 152 Arr., vgl.
Aët. 4, 9, 6 p. 397 Diels]: ȽHȷ ąȯȺ Ƚ ȫȼȲȱȽɄȺȳȫ ąџȺɂȷ. Die caulae werden auch
bei Lukrez im Kontext der Wahrnehmungstheorie verwendet: vgl. 4, 618ff.: inde
quod exprimimus per caulas omne palati/ diditur et rarae perplexa foramina lingu-
ae./ hoc ubi levia sunt manantis corpora suci/ suaviter attingunt et suaviter omnia
tractant; zu einem anderen Terminus, der denselben Wahrnehmungsvorgang be-
zeichnet, vgl. 4, 728: quippe etenim multo magis haec sunt tenuia textu/ quam quae
percipiunt oculos visumque lacessunt/ corporis haec quoniam penetrant per rara
cientque/ tenuem animi naturam intus sensumque lacessunt.
Die Lehre, der zufolge die Wahrnehmung mittels der Poren stattfindet, ist
seit den Vorsokratikern so verbreitet, dass man die Art und Weise der
Tradierung bis zu Epikur als Endpunkt nicht ermitteln kann; die Poren-
theorie begegnet bei Alkmaion, Empedokles, Heraklit, aber auch bei den
Atomisten wie z.B. Leukipp und Demokrit; die zeitliche Entfernung man-
cher Quellen sollte nicht negativ ins Gewicht fallen, viele unter ihnen
waren in Theophrasts De sensibus zu finden.
(a) Zur Porentheorie im Bereich der Wahrnehmung vgl. Heraklit DK 22 A 16
(= Sext. Emp. Adv. Math. 7, 129-130): ȷ ȭ Ⱥ ȽȹȻ 4ąȷȹȳȻ ȶȾȼȪȷȽɂȷ ȽHȷ
ȫȼȲȱȽȳȴHȷ ąџȺɂȷ ɀɂȺɅȰȯȽȫȳ ȽȻ ąȺ'Ȼ Ƚ' ąȯȺȳɃɀȹȷ ȼȾȶȿȾȑȫȻ ( ȷ ˂ȶȷ ȷȹ8Ȼ,
40 Einleitung
oder des Lukrez heranziehen; ebenso unangenehm ist für uns die Unmög-
lichkeit, genau zu ermitteln, welche Auffassung über die Wahrnehmungs-
fähigkeit der Sinnesorgane die Zustimmung des Soranos fand.
Zur Auffassung Stratons vgl. Plut. De soll. an. 3, 961 a (= Straton fr. 112 Wehrli):
ȴȫɅȽȹȳ ȢȽȺȪȽɂȷџȻ ȭȯ Ƚȹ8 ȿȾȼȳȴȹ8 ȵџȭȹȻ ȼȽȷ ʱąȹȮȯȳȴȷѠɂȷ BȻ ȹ3Ȯ’
ȫȼȲȪȷȯȼȲȫȳ Ƚ' ąȫȺȪąȫȷ ʵȷȯȾ Ƚȹ8 ȷȹȯȷ 2ąȪȺɀȯȳ, zusammen mit dem Zitat
aus Epicharm, DK 23 B 12: ȷȹ8Ȼ (Ⱥ ȴȫ ȷȹ8Ȼ ʱȴȹ0ȯȳ, Ƚʷȵȵȫ ȴɂȿ ȴȫ ȽȾȿȵ ,
wobei wir leider nicht ermitteln können, mit welcher Bedeutung und mit Bezug
auf welchen Nous Epicharm diesen Vers geschrieben hatte; mit klarem Bezug auf
Straton, der zu den genannten physici gehört, Cic. Tusc. 1, 20, 46: neque est enim
ullus sensus in corpore, sed, ut non physici solum docent verum etiam medici
(vgl. unten); Ibid.: animum et videre et audire, non eas partis quae quasi fenestrae
sint animi. Für die Meinung Epikurs sollten wir auf die Angaben bei Alexander
von Aphrodisia und Cicero beschränken (In de sens. 51, 3 p. 24 Wendland [= fr.
319 Usener]):ȱ ˂ȭȯȽȫȳ Ȯ ȫ3ȽџȻ (scil. ȕȱȶџȴȺȳȽȹȻ) Ƚȯ ȴȫ ąȺ' ȫ3Ƚȹ8
ȜȯѠȴȳąąȹȻ ȴȫ 4ȼȽȯȺȹȷ Ȯ ȹ ąȯȺ Ƚ'ȷ ϶ąɅȴȹȾȺȹȷ ȯȮɂȵȪ Ƚȳȷȫ ʱąȹȺȺɃȹȷȽȫ
(ȶȹȳџȶȹȺȿȫ ȽȹȻ ʱȿ’ Jȷ ʱąȹȺȺȯ (Ƚȫ8Ƚȫ ȮɃ ȼȽȳ Ƚ (ȺȫȽȪ) ȶąɅąȽȯȳȷ ȽȹȻ
ȽHȷ (ȺѡȷȽɂȷ )ȿȲȫȵȶȹȻ ȴȫ ȹ4ȽɂȻ Ƚ' (Ⱥ˦ȷ ȭɅȷȯȼȲȫȳ, Cic. De nat. deor. 1, 38,
108: vos autem non modo oculis imagines sed etiam animis inculcatis; vgl. Diano
1974, 146; 160; vgl. zudem auch die Widerlegung bei Lukrez 3, 359ff.: dicere
porro oculos nullam rem cernere posse/ sed per eos animum ut foribus spectare
reclusis/ difficilest, contra cum sensus dicat eorum/ sensus enim trahit atque
acies detrudit ad ipsas… praeterea si pro foribus sunt lumina nostra/ iam magis
exemptis oculis debere videtur/ cernere res animus sublatis postibus ipsis; die
Sehfähigkeit ist also in der Pupille lokalisiert: 3, 408f.: ut lacerato oculo circum si
pupula mansit/ incolumis stat cernundi vivata potestas/ dum modo ne totum
corrumpas luminis orbem… 413f.: at si tantula pars oculi media illa peresa est/
occidit extemplo lumen tenebraeque secuntur.
Das Verhältnis Epikurs zu Straton ist also komplex, vielleicht komplexer
als das zu Aristoteles. Bei seiner Wiederaufnahme des Atomismus konnte
Epikur nicht die Einwände des frühen Peripatos gegen die atomistische
Lehre ignorieren. Für die Theorie von einem Medium beim Gesichtssinn
hatte Demokrit die Hypothese entwickelt, der gesehene Gegenstand hin-
terlasse eine Art Abdruck in der Luft, welcher zu den Augen gelange.
Diese Theorie wurde von Theophrast scharf kritisiert: es sei absurd, dass
ein Körper wie die Luft, der über keine eigene Gestalt verfüge, einen Ab-
druck aufnehmen oder bewahren könne. Epikur wurde vielleicht von
Theophrast selbst dazu veranlasst, die Theorie Demokrits aufzugeben 108:
_____________
108 Zur stoischen Lehre von der Wahrnehmung s. unten; zu diesem Berührungs-
punkt zwischen Epikur und Theophrast vgl. auch Silvestre 1985, 56-57:
»Teofrasto obiettava a Democrito che, se da ogni cosa partiva un flusso di atomi,
tale flusso non sarebbe partito solo dall’oggetto da percepire, ma anche dal
soggetto percipiente e quindi i due flussi provenienti dai sensi opposti si
sarebbero dovuti necessariamente scontrare, producendo così nell’aria un nuovo
Die hellenistische Seelenlehre 43
Ep. Hdt. 49, 1-4: Ȯȯ Ȯ ȴȫ ȷȹȶɅ- Demokrit DK 68 A 135 (=Thphr.
Ȱȯȳȷ ąȯȳȼȳџȷȽȹȻ Ƚȳȷ'Ȼ ʱą' ȽHȷ De sens. 51, pp. 513-514 Diels):
ʿȸɂȲȯȷ Ƚ Ȼ ȶȹȺȿ Ȼ (Ⱥ˦ȷ ˂ȶ˦Ȼ ȴȫ ąȺHȽȹȷ ȶ ȷ ȹ9ȷ ʵȽȹąȹȻ ˂
ȮȳȫȷȹȯȼȲȫȳ· ȹ3 ȭ Ⱥ ʳȷ ȷȫąȹ- ʱąȹȽѠąɂȼȳȻ ˂ ȷ ȽN ʱɃȺȳ. Ȯȯ
ȼȿȺȫȭɅȼȫȳȽȹ Ƚ ʿȸɂ Ƚȷ ʼȫȾȽHȷ ȭ Ⱥ ʿɀȯȳȷ ąȾȴȷџȽȱȽȫ ȴȫ ȶ
ȿѠȼȳȷ Ƚȹ8 Ƚȯ ɀȺѡȶȫȽȹȻ ȴȫ ȽȻ ȲȺѠąȽȯȼȲȫȳ Ƚ' ȽȾąȹѠȶȯȷȹȷ,
ȶȹȺȿȻ Ȯȳ Ƚȹ8 ʱɃȺȹȻ Ƚȹ8 ȶȯȽȫȸ1 DȼąȯȺ ȴȫ ȫ3Ƚ'Ȼ ȵɃȭȯȳ ąȫȺȫ-
˂ȶHȷ Ƚȯ ȴʱȴȯɅȷɂȷ. ȬȪȵȵɂȷ ȽȹȳȫѠȽȱȷ ȯȷȫȳ Ƚȷ
ȷȽѠąɂȼȳȷ, ȹ ȹȷ ȯ ȴȶȪȸȯȳȫȻ ȯȻ
ȴȱȺџȷ. ʿąȯȳȽȫ ȶ˦ȵȵȹȷ ȷ 4ȮȫȽȳ
ȽȾąȹ8ȼȲȫȳ ȮȾȷȫȽџȷ, *ȼL ąȾȴȷџ-
ȽȯȺȹȷ· ˈȽȽȹȷ Ȯ (Ⱥ˦Ƚȫȳ, ȴȫɅȽȹȳ
ąȺȹȼȴȯ ȶ˦ȵȵȹȷ. *ȵɂȻ Ȯ
ʱąȹȺȺȹȷ ąȹȳȹ8ȷȽȫ ȽȻ ȶȹȺȿȻ,
DȼąȯȺ ȷ ȽȹȻ ąȯȺ ȽHȷ ȯȮHȷ, ȽɅ
Ȯȯ Ƚȷ ʱąȹȽѠąɂȼȳȷ ąȹȳȯȷ;
ȫ3Ƚ ȭ Ⱥ ȶȿȫɅȷȯȽȫȳ Ƚ ȯȮɂȵȫ.
ȯ Ȯ Ȯ Ƚȹ8Ƚȹ ȼȾȶȬȫɅȷȯȳ ȴȫ (
ʱȺ ʱąȹȶȪȽȽȯȽȫȳ ȴȫȲȪąȯȺ ȴȱȺ'Ȼ
CȲȹѠȶȯȷȹȻ ȴȫ ąȾȴȷȹѠȶȯȷȹȻ, ąHȻ
ȴȫ ąȹɅȫ ȽȳȻ ˂ ʿȶȿȫȼȳȻ ȭɅȷȯȽȫȳȆ
_____________
aggregato e modellandola come un pezzo di cera… Epicuro quindi secondo noi
polemizza con Teofrasto e non con Democrito: l’aria non svolge nessun ruolo
intermediario, ripete Epicuro, in linea quindi con la teoria più propria di
Democrito«. Dieser Forscherin kann ich weder hinsichtlich der Textinter-
pretation noch der Schlussfolgerung zustimmen: der Text Demokrits enthält
keinen Hinweis auf das Zusammentreffen zweier Bilder, sondern nur auf den in
der Luft hinterlassenen Abdruck; Demokrit hatte behauptet, dass ein Medium
notwendig sei, Epikur hatte die Hypothese vielleicht auf Drängen Theophrasts
aufgegeben.
44 Einleitung
_____________
in Hülle und Fülle verbreitet ist; vgl. hierzu auch Pigeaud 1989, 180ff.; Vegetti
1993, 101ff.
46 Einleitung
des Kepos nach dem Aufenthalt in Lampsakos in Attika an. Vielleicht war
die Abneigung gegen das epikureische System der Faktor, der Zenon dazu
veranlasste, eine eigene Schule zu gründen; nicht selten waren Zenons
Stellungnahmen positive oder negative Reaktionen auf die Position des
Kepos 111. Andererseits fiel das Wirken Zenons größtenteils in den Zeit-
raum der Schulleitung Theophrasts und Stratons, so dass es nicht verwun-
dern kann, beim ersten Vertreter der Stoa Spuren einer gedanklichen
Schuld gegenüber dem zeitgenössischen Peripatos zu finden.
Wenn das quantitative Missverhältnis der uns aus den zwei Schulen
überlieferten Texte nicht irreführend ist, zeigt die Stoa eine größere Ten-
denz zur Systematisierung und zur Kodifikation von Argumenten, die
innerhalb der Schule ausgearbeitet oder anderen philosophischen Rich-
tungen entlehnt wurden. Die von der hellenistischen Philosophie ausgear-
beiteten Argumente, die als Beweis der Körperlichkeit der Seele herange-
zogen wurden, sind im wesentlichen drei; sie werden alle in der
Doxographie überliefert und stimmen mit Soranosfragmenten überein,
wobei der Stoa eine Vermittlerrolle zukommt 112. Der erste Beweis wird
unter dem Namen Zenons überliefert, und es besteht kein Grund, dem
ersten Schulleiter die Urheberschaft abzusprechen. Das Argument wird in
zwei verschiedenen Formen überliefert, deren Untersuchung lohnend sein
kann. Die erste Form ist bei Soranos-Tertullian zu finden (T 2); um es
kurz zu machen, geben wir nur die Begriffsstruktur des Syllogismus wie-
der 113:
_____________
111 Vgl. Pohlenz 1948, 22-23; Sedley 2003, 9-13; Dorandi 1991, 61-62.
112 Vgl. SVF II, 790-800; Soranos, T 2.
113 Tert. An. 5, 3 (= Soranos T 2 = SVF I, 137). Hierzu vgl. Annas 1992, 39ff., aus
deren Buch die Begriffsstruktur mit einigen Änderungen übernommen wurde;
vgl. allerdings auch Schofield 1983, 39 und Waszink 1947, 128; die Definition
von consitus spiritus, die wir im tertullianischen Text finden, ist also keine vom
Afrikaner vorgenommene Änderung; vgl. das ąȷȯ8ȶȫ ȼȾȶȿȾ Ȼ SVF II, 774; II,
778, ȼѠȶȿȾȽȹȷ ąȷȯ8ȶȫ bei SVF II, 885.
Die hellenistische Seelenlehre 47
1. was, wenn man es enfernt, den Tod des Lebewesens verursacht, ist
die Seele.
2. infolge der Entfernung des ȼѠȶȿȾȽȹȷ ąȷȯ8ȶȫ stirbt das Lebewesen.
3. die Seele ist ȼѠȶȿȾȽȹȷ ąȷȯ8ȶȫ.
_____________
114 Vgl. Calc. In Tim. 220 p. 232 Waszink (= SVF I, 138): spiritum quippe Zeno quaerit
hactenus: quo recedente a corpore moritur animal, hoc certe anima est. naturali porro spiritu
recedente moritur animal: naturalis igitur spiritus anima est.
115 Schofield 1983, 39.
116 Vgl. die Anmerkung zu SVF I, 137, 38: »mihi etiam formam syllogismi apud
Tertullianum traditam defendi posse persuasum est. Nam verba “consitum
spiritum definiens animam” fundamentum indicant, cui Zeno hunc syllogismum
superstruxit«; hierzu auch Waszink 1947, 172.
117 Vgl. SVF II, 879 (aus Chrysipps De anima: der dritte Schulleiter interpretierte
vielleicht das Argument für eigene Zwecke um).
48 Einleitung
dass Zenon die Vereinigung von Seele und Leib für einen Kontakt zwi-
schen Körpern hielt (auf diese Voraussetzung wird auch der dritte Schul-
leiter mit einem nicht identischen, aber ähnlichen Beweis zurückkom-
men).
Wie schon seit längerer Zeit anerkannt ist, ist die Definition der Seele
als ȼѠȶȿȾȽȹȷ ąȷȯ8ȶȫ ein Berührungspunkt mit der Lehre des Aristoteles
(De part. an. 659 b 17-18: ȴȫ ą ȷȽȫ ȽN ȼȾȶȿ0ȽL ąȷȯ0ȶȫȽȳ Ƚȹ8
ȼ@ȶȫȽȹȻ DȼąȯȺ ȴȳȷȯȽȫȳȊ Ƚȹ8Ƚȹ 2ą Ⱥɀȯȳ ȿ0ȼȯȳ ą˦ȼȳ) 118; auch bei den
Stoikern lässt sich dieselbe materialistische Wende feststellen wie bei Stra-
ton (schwierig ist eine Aussage, ob ein direkter Einfluss bestand); auf je-
den Fall ist die Gleichsetzung von psychischem Prinzip und Pneuma, die
bei Straton nur zu vermuten war, bei den Stoikern klar zu erkennen.
Ein Teil der Doxographie berichtet, dass Zenon ɁȾɀ und Feuer
gleichsetzt 119; die Frage nach der Vereinbarkeit der Quellen stellt aller-
dings in diesem Fall kein wirkliches Problem dar: die Natur des Pneumas
ist sowohl auf kosmologischer als auch auf psychologischer Ebene feurig,
so dass das konstitutive Element der Seele auch als Wärme bestimmt wer-
den kann 120; auch infolge dieser thermischen Merkmale zeigt sich das
psychische Pneuma Zenons scheinbar als Erbe des peripatetischen Pneu-
mas. Charakteristisch für das stoische psychische Pneuma ist im Vergleich
zu anderen Schulen (vor allem zu Stratons Peripatos und dem Kepos) die
Ähnlichkeit zum göttlichen Prinzip; diese Ähnlichkeit lässt sich durch
verschiedene Aspekte erklären: zuerst durch die feurige Natur, dann durch
die Intelligenz, mit der das Seelenpneuma ausgestattet ist (wenn auch nicht
auf derselben qualitativen Ebene); der Nous ist der stofflichen Zusam-
mensetzung homogen und kann jede physische Wesenheit durchdringen.
Ein konstantes Element ist auch die Analogie (die normalerweise mit
Verben der Bewegung ausgedrückt wird) zwischen der Art und Weise, wie
die menschliche Seele den Leib durchdringt, und derjenigen, wie das gött-
liche Feuer die Welt durchdringt 121.
_____________
118 Zu dieser Stelle und ihrem Einfluss auf das stoische Pneuma vgl. Jaeger 1913,
45ff.; Diano 1974, 136; Lapidge 1978, 168.
119 SVF I, 134 (= Cic. Acad. Post. 1, 39): Zeno statuebat ignem esse ipsam naturam quae
quoique gigneret mentem atque sensus; Ibid., De fin. 4, 12 (scil. quinta natura) ex qua ratio
et intelligentia oriretur, in quo etiam de animis cuius generis essent quaereretur, Zeno id dixit
esse ignem; Ibid., Tusc. 1, 19: Zenoni stoico animus ignis videtur.
120 Vgl. SVF I, 135: ȗɄȷɂȷ Ȯ ( țȳȽȳȯ0Ȼ.. ąȷȯ8ȶȫ ʿȷȲȯȺȶȹȷ ȯȷȫȳ Ƚȷ ɁȾɀȷ.
121 Das aktive Prinzip ist gleichzeitig ein stoffliches und geistiges Prinzip, ohne dass
diese Eigenschaften voneinander trennbar wären: vgl. Long 1999, 561; zur
Analogie zwischen kosmologischem und menschlichem Pneuma vgl. auch Frede
2005, 229: »dans ce corps vivant intelligent, Dieu prend alors la forme d’une âme
dont l’hegemonikon est la raison ou l’intellect«; zur Analogie der Vereinigung von
Die hellenistische Seelenlehre 49
Zur feurigen Natur des göttlichen Pneumas vgl. SVF I, 157 (= Aët. 1, 7, 23):
ȗɄȷɂȷ ( ȢȽɂȳȴ'Ȼ ȷȹ8ȷ ȴџȼȶȹȾ ąѠȺȳȷȹȷ; I, 158 (= Them. De an. 2, p. 64, 25):
Ȯȳ ąȪȼȱȻ ȹ3ȼȫȻ ąȯȿȹȳȽȱȴ ȷȫȳ Ƚ'ȷ Ȳȯ'ȷ ȽȳȲȯȶ ȷȹȳȻ ȴȫ ąȹ8 ȶ ȷ ȯȷȫȳ ȷȹ8ȷ,
ąȹ8 Ȯ ɁȾɀȷ, ąȹ8 Ȯ ȿ0ȼȳȷ; zur Fähigkeit des Pneumas, die Materie zu durch-
dringen vgl. SVF I, 153: Ȯȳ ąȪȷȽɂȷ Ȯ Ȯȳȴȯȳȷ Ƚȷ ąȺ&ȷȹȳȫȷ ȫ3Ƚȹ8; I, 159:
Ȯȳ ąȪȼȱȻ 4ȵȱȻ ȴȫ ȽȻ ʱȽȳȶȹȽ ȽȱȻ Ƚ' Ȳȯȹȷ ȮȳɄȴȯȳȷ ȵɃȭȹȷȽȫȻ; Ibid., ąȷȯ8ȶȫ
Ȯȳȴȹȷ; der eigentliche Terminus ist Ȯȳȴȯȳȷ (aber vgl. oben ȿȹȳȽȪɂ); die Römer
versuchten auf verschiedene Weise, diesen Terminus zu übersetzen: Tertullian
benutzt transire oder decurrere (SVF I, 155: Tert. Nat. 2, 4, 10: eum [scil. deum] per
illam [scil. materiam] tamquam mel per favos transisse dicit; Herm. 44, 1: stoici
enim volunt deum sic per materiam decucurrisse quomodo mel per favos); pertine-
re bei Cicero (De nat. deor. 1, 36, SVF I, 161: per omnem naturam rerum pertinen-
tem). Im Falle Zenons enthalten die Fragmente zur Seelenlehre keine so reichhal-
tigen Angaben wie zur Kosmologie; die Vereinigung von Seele und Leib scheint
mit dem ȮȳɄȴȯȳȷ des ersten Prinzipes durch die Materie gleichzusetzen zu sein; für
das Stimmvermögen (das auf jeden Fall ein Vermögen der Seele ist) vgl. SVF I,
150: ąȷȯ8ȶȫ ȮȳȫȽȯȷȹȷ ʱą' Ƚȹ8 ˂ȭȯȶȹȷȳȴȹ8 ȶ ɀȺȳ ȿ ȺȾȭȭȹȻ ȴȫ ȭȵѡȽȽȱȻ.
Das Verb ȮȳɄȴȯȳȷ wird andererseits von den späteren Stoikern für das gegenseiti-
ge Durchdringen von Leib und Seele gebraucht: SVF II, 785: ˃ ą8Ⱥ ˃ ąȷȯ8ȶȫ
ȵȯąȽȹȶȯȺ Ȼ ȼȽȳ Ȯȳ ąȫȷȽ'Ȼ Ȯȳȴȹȷ Ƚȹ8 ȶɁ0ɀȹȾ ȼѡȶȫȽȹȻ; II, 797: ą˦ȷ Ƚ'
ȼHȶȫ ʿȶɁȾɀȹȷ ąHȻ ȼHȶȫ Ȯȳ ȼѡȶȫȽȹȻ Ȯȳȴȯȳ Ȯȯȳȴȷ0ȷȫȳ Ȯȯ; II, 798: ȽN
ȵ ȭȹȷȽȳ Ƚȷ ɁȾɀȷ ȼHȶȫ ˀąȯȽȫȳ Ƚ' ȼHȶȫ Ȯȳ ȼѡȶȫȽȹȻ ɀɂȺȯȷ; II, 799: ȯ
ȼHȶȫ ȹ9ȼȫ ˂ ɁȾɀ ȮȳȵȲȯ Ȯȳ ąȫȷȽџȻ.
Bei den Stoikern, anders als bei Straton oder Epikur, stellt sich nicht das
Problem einer Bestimmung, wie der Seelenkörper den Leib durchdringen
kann. Für die Philosophen der Stoa gibt es kein Leeres innerhalb des
Kosmos, sondern nur außerhalb; innerhalb des Kosmos gibt es nur die
Materie, die allerdings als continuum und nicht als korpuskular betrachtet
wird und das gegenseitige Durchdringen der Körper ermöglicht (SVF I,
96ff.). Dieses Charakteristikum der stoischen Physik muss nicht für eine
reine gelehrte Besonderheit gehalten werden: hierauf ruhen in der Tat die
philosophischen Tragbalken der Stoa. In einem System wie dem stoischen,
in welchem die ganze Welt aus dem passiven und dem aktiven Prinzip
besteht, d.h. aus Materie und Pneuma (wobei auch das Pneuma als stoff-
lich betrachtet wird), ist die Bedingung, dass zwei Körper einander durch-
dringen können, von grundlegender Bedeutung. Ohne diese Vorausset-
zung blieben die zwei Prinzipien voneinander getrennt, und nichts könnte
existieren (die spätere Geistesmetaphysik, z.B. in Alexander von Aphrodi-
sias De mixtione, wird genau diese Voraussetzung zu widerlegen versuchen,
indem sie auf konzeptuelle Schwierigkeiten hinweist) 122. Als Konsequenz
_____________
Pneuma und Materie auf kosmologischer Ebene und von Seele und Leib auf
anthropologischer Ebene vgl. Long 1982, 36ff.; Lapidge 1978, 163; 165.
122 Vgl. SVF II, 463ff.; Frede 2005, 214: was unkörperlich ist, kann weder wirken
noch leiden, also auch keine Ursache sein; vgl. Isnardi Parente 2005, 176f.; zur
50 Einleitung
des physikalischen Ansatzes lassen die Stoiker die Porentheorie fallen, die
bei Straton zu finden und vielleicht auch bei Epikur hinter den lukrezi-
schen caulae auszumachen ist: diese stellt für die Stoiker eine überflüssige
Lösung für ein Problem dar, das für sie nicht existiert. Der Körper der
Seele und der des Leibes können einander komplett durchdringen, ohne
auf Hohlräume oder Kanäle angewiesen zu sein. Die menschliche Seele
kann sich im ganzen Leib und nicht nur in den Venen gleichmäßig
verstreuen (vgl. das, was oben über die Analogie zwischen der Vereini-
gung des Pneuma mit der Materie und derjenigen der Seele mit dem Leib
beobachtet worden ist).
Die homogene stoffliche Zusammensetzung der Seele stört nicht die
Einheit der Funktionen, welche schon der Schulgründer für zahlreich hält
und mit dem Terminus ȶɃȺȹȻ definiert. Die Vielzahl dieser Funktionen
wird mit der Einheit der Seele in eindeutig materialistischem Sinne in Ein-
klang gebracht: in Übereinstimmung mit der stoischen Ontologie werden
die verschiedenen Vermögen als Eigenschaften (ąȹȳџȽȱȽȯȻ) eines einzigen
stofflichen Substrats (2ąȹȴȯȶȯȷȹȷ) interpretiert 123.
Neben der Verwandtschaft zwischen der Seele und dem kosmischen
Prinzip besteht die größte Originalität der stoischen Seelenlehre in der
Unterteilung der Seele, die schon beim ersten Schulleiter nicht weniger als
acht Teile vorsieht (vgl. T 10); von diesen ist der erste das leitende Ver-
mögen (welches wie schon bei Epikur für einen Teil des ganzen Organis-
mus gehalten wird), zu dem die fünf Sinne, das Reproduktionsvermögen
und das Stimmvermögen treten 124. Diese schon zu Beginn der Stoa nach-
gewiesene Unterteilung in acht Teile wurde erst allmählich um den be-
rühmten Vergleich mit den Tentakeln des Polypen ergänzt. Abgesehen
von den übrigen Teilen scheint das Hegemonikon Zenons im Vergleich
zum leitenden Vermögen Stratons oder Epikurs keine besonderen funkti-
onellen Eigenschaften zu haben (der Erkenntnisvorgang, der im Hegemo-
nikon stattfindet, mag bei den Stoikern anders sein, wobei er sehr kompli-
ziert ist).
Die von Tertullian-Soranos überlieferte stratonianische Definition des
principale/ ˂ȭȯȶȹȷȳȴџȷ (T 13; Straton, fr. 110 Wehrli) muss nunmehr als
_____________
Bedeutung dieser Mischung vgl. auch Long 1982, 39ff.; zur Lehre von den zwei
Prinzipien vgl. Todd 1978, 139; 141; Lapidge 1978, 165; die zwei Prinzipien
werden auch allegorisch mit Zeus und Hera gleichgesetzt; vgl. Lapidge 1978, 166;
zur ȶȸȳȻ vgl. erneut Todd 1978, 155.
123 Zu den ontologischen Kategorien vgl. Long - Sedley 2000, 190; vgl. SVF I, 142.
Vgl. SVF I, 143: ȗɄȷɂȷ Ȯ ( ȢȽɂȳȴ'Ȼ )ȴȽȫȶȯȺ ȿȱȼȳȷ ȯȷȫȳ Ƚȷ ɁȾɀɄȷ,
ȮȳȫȳȺHȷ ȫ3Ƚȷ ȯȻ Ƚȯ Ƚ' ˂ȭȯȶȹȷȳȴ'ȷ ȴȫ ȯȻ Ƚ Ȼ ą ȷȽȯ ȫȼȲȼȯȳȻ ȴȫ ȯȻ Ƚ'
ȿɂȷȱȽȳȴ'ȷ ȴȫ Ƚ' ȼąȯȺȶȫȽȳȴ&ȷ; SVF I, 144 (= Soranos T 10).
Die hellenistische Seelenlehre 51
_____________
125 Vgl. SVF I, 148: ȿɂȷ Ȯȳ ȿȪȺȾȭȭȹȻ ɀɂȺȯ. ȯ Ȯ ˇȷ ʱą' Ƚȹ8 ȭȴȯȿ ȵȹȾ
ɀɂȺȹ8ȼȫ, ȹ3ȴ ʳȷ Ȯȳ ȿ ȺȾȭȭȹȻ ɀ@Ⱥȯȳ. *Ȳȯȷ Ȯ ȵџȭȹȻ ȴȫ ȿɂȷ ȴȯȲȯȷ
ɀɂȺȯ. ȵџȭȹȻ Ȯ ʱą' Ȯȳȫȷ&ȳȫȻ ɀɂȺȯ, DȼȽP ȹ3ȴ ȷ ȽN ȭȴȯȿ ȵL ȼȽȷ ˂
Ȯȳ ȷȹȳȫ. Zu diesem Argument vgl. I, 150.
126 Vgl. SVF I, 140: țȵȯ ȷȲȯȳ ȴȫ ȦȺȾȼąąL ȴȫ ȗȷɂȷȳ ȽȺ ȿȯȼȲȫȳ ȶ ȷ ȸ
ȫȶȫȽȹȻ ȿɄȼȫȷȽȳ Ƚȷ ɁȾɀȷ.
52 Einleitung
Natur ermöglicht der Seele ein Weiterleben nach dem körperlichen Tod,
weswegen bei Zenon die Definition der Seele als »dauerhaftes (nicht un-
sterbliches) Pneuma« zu finden ist; das Weiterleben außerhalb des Leibes
kann nicht ewig währen: die Seele reibt sich allmählich auf (ȴȮȫąȫȷ˦Ƚȫȳ),
bis zur endgültigen Vernichtung (ȯȻ Ƚ' ʱȿȫȷ Ȼ). Unter diesem Gesichts-
punkt scheint auch der stoische Schulgründer voll und ganz ein Kind
seiner Zeit zu sein 127.
Im Bereich der Seelenlehre scheint die vom zweiten Schulleiter der
Stoa, Kleanthes (zwischen 262 und 232 tätig), eingebrachte Neuerung
nicht besonders bemerkswert zu sein. Ein von Eusebios überliefertes
Zeugnis lässt erkennen, dass Kleanthes die Lehre seines Vorgängers über-
nommen hatte (ąȯȺ Ȯ ɁȾɀȻ țȵȯ ȷȲȱȻ ȶ ȷ Ƚ ȗȷɂȷȹȻ Ȯ&ȭȶȫȽȫ
ąȫȺȫȽȳȲ ȶȯȷȹȻ) 128. Es stellt sich die Frage, wie viel Material, das unter
dem Namen des Kleanthes überliefert ist, tatsächlich von Zenon stammt
und für den ersten Schulleiter nur deshalb nicht nachzuweisen ist, da des-
sen Werke verloren sind. Der lückenhafte Zustand der Zeugnisse ermög-
licht kein eindeutiges Urteil und sollte vor allem davon abraten, die Sinn-
richtung der Fragmente durch Konjekturen zu ändern – iuxta lacunam ne
mutaveris: die lex Youtie sollte auch im Bereich der antiken Philosophie
Anwendung finden.
Der erste Nachfolger in der Leitung der Stoa versuchte noch, die
Körperlichkeit der Seele nachzuweisen; Soranos’ T 2 und der aus dersel-
ben Quelle schöpfende Nemesios überliefern zwei Syllogismen, die der
Philosoph aus Assos zum Nachweis dieser Körperlichkeit ausarbeitete.
Ob solche Syllogismen nur erdacht wurden, um die Lehre des ersten
Schulleiters zu kodifizieren und zu bestätigen, oder um diese innnerhalb
einer Auseinandersetzung mit anderen Schulen zu betonen, bleibt für uns
im Dunkel. Letztere Sichtweise scheint deswegen nicht ratsam, weil die
einzigen Gegner des stoischen Materialismus zu jener Zeit nur die zeit-
gleich mit Polemon und Krates wirkenden Akademiker sein konnten; es
scheint andererseits unwahrscheinlich, dass die bereits blutleere Akademie,
die sich den übrigen hellenistischen Schulen folgend vorwiegend ethischen
Interessen widmete, zur allgegenwärtigen Immanenzpsychologie pole-
misch Stellung bezogen hatte. Um nicht bereits hier den Text des Zeug-
nisses wiederzugeben, betrachten wir nur die Struktur der Syllogismen des
Kleanthes:
_____________
127 Vgl. SVF I, 146: ȴ ȵȯȳ Ƚȷ ɁȾɀȷ ąȹȵȾɀȺџȷȳȹȷ ąȷȯ8ȶȫ, ȹ3 ȶȷ Ȯ ʵȿȲȫȺȽȹȷ
ȮȳP *ȵȹȾ ʿȵȯȭȯȷ ȫ3Ƚȷ ȯȷȫȳ. ȴȮȫąȫȷ˦Ƚȫȳ ȭ Ⱥ 2ą' ąȹȵȵȹ8 ɀȺџȷȹȾ ȯȻ Ƚ'
ʱȿȫȷ Ȼ, DȻ ȿȱȼȳ.
128 Eusebios, Praep. Ev. 15, 20, 2 (= Ar. Did. fr. 39 Diels = SVF I, 519).
Die hellenistische Seelenlehre 53
Das erste Argument, hinter welchem scheinbar anders als in anderen Fäl-
len keine Schultradition steht, ist repräsentativ für die Art und Weise, wie
die stoische Schule (wie sonst auch die epikureische) die geistigen Eigen-
schaften auffasste. Tertullian spricht in seinem Text von Sitten, Neigun-
gen und Affekten (morum et ingeniorum et adfectuum); auch bei Nemesios
werden Leidenschaften, Gewohnheiten und Veranlagungen erwähnt (ȽȹȻ
ą Ȳȯȼȳ, ȽȹȻ ˅Ȳȯȼȳ, ȽȫȻ ȮȳȫȲ ȼȯȼȳ); solche Charakteristika sind – genau
wie Haare, Augen und andere körperliche Eigenschaften – bei Kindern
und Eltern in ähnlicher Form ausgeprägt. Die Folge und zugleich Grund-
lage dieses Arguments ist die Überzeugung, dass auch die Wahrnehmungs-
und Erkenntnisvorgänge stoffliche Wesenheiten sind. Auch Kleanthes
scheint diese streng positivistische Grundlage vertreten zu haben, so dass
auch abstrakte Begriffe als stoffliche Wesenheiten aufgefasst werden (das
Spazierengehen sei nichts anderes als eine Ausbreitung des Hegemonikon
bis zu den Füßen, welche die Bewegung verursacht)131.
Auch das zweite Argument ist sehr nützlich, um den Gedankengang
der hellenistischen Seelenlehre zu verstehen. Wie wir schon bemerkt ha-
ben, ist auch dieser Syllogismus eine Umarbeitung des analogen epikurei-
schen Arguments, das auf den Kategorien von Wirken und Leiden basiert,
wobei Wirken und Leiden als körperlicher Kontakt aufgefasst werden.
Hierauf wird auch Chrysipp zurückgreifen, der das Argument mit demje-
nigen Zenons vereinte und den Tod als Trennung zweier Komponenten
definierte, die zuvor in Verbindung standen.
_____________
129 Vgl. Tert. An. 5, 4 (= T 2 Soranos = SVF I, 518) ~ Nemes. De nat. hom. 76-79 pp.
20f. Morani; vgl. hierzu den Kommentar zum Zeugnis und Annas 1992, 40.
130 Vgl. Tert. An. 5, 5 (= T 2 Soranos = SVF I, 518) ~ Nemes. De nat. hom. 76-79 pp.
20f. Morani; vgl. hierzu den Kommentar zum Zeugnis und Annas 1992, 41.
131 Vgl. Sen. Ep. 113, 18 (= SVF I, 525): inter Cleanthem et discipulum eius Chrysippum non
convenit quid sit ambulatio: Cleanthes ait spiritum esse a principali usque in pedes permissum.
54 Einleitung
Auch die Psychologie des Kleanthes schließt die Ewigkeit der Seele
aus, er setzt die Lehre Zenons fort und nimmt an, dass das psychische
Prinzip nach der Trennung vom Leib nur zeitlich begrenzt weiterlebt.
Dass Kleanthes die einzelne ɁȾɀ bis zur ȴą0ȺɂȼȳȻ überleben lässt, d.h.
bis zum Ende des kosmischen Zyklus, in dem sie erzeugt wurde, scheint
eine Präzisierung gegenüber dem ersten Schulleiter zu sein 132.
Folglich sollte man nicht annehmen, dass sich die Seele wie bei Zenon
nach und nach aufreibt; laut Kleanthes sollte sie während des Welten-
brands vernichtet werden. In diesem Fall ermöglicht der Zustand der
Zeugnisse jedoch nicht, genaue Einzelheiten zu ermitteln.
Wenn man den persönlichen Beitrag des dritten Schulleiters, d.h.
Chrysipps, zur stoischen Psychologie untersucht, so ergibt sich erneut ein
Problem im Zusammenhang mit dem Überlieferungsbefund: Chrysipps
Werke dürften schon in der Antike mit denjenigen der vorherigen Schul-
leiter in Konkurrenz getreten sein, bis sie fast komplett die frühere Pro-
duktion ersetzten; darum bewahrt m.E. noch heute die methodische Ent-
scheidung von Arnims in seiner Fragmentesammlung ihre Gültigkeit, der
in den Chrysipp gewidmeten Band all das aufnahm, was ohne Erwähnung
Zenons oder Kleanthes’ überliefert ist. Da es nicht möglich ist, den wah-
ren Ursprung jedes einzelnen Lehrsatzes zu überprüfen, besteht die Ge-
fahr, Chrysipp manche Lehren zuzuschreiben, die er lediglich von den
vorherigen Schulleitern ererbt hatte. Auch in diesem Fall ist es besser, auf
unsichere Wiederherstellungsversuche durch Konjekturen zu verzichten
und sich auf die Feststellung zu beschränken, dass das ganze Material,
welches in der Chrysipp gewidmeten Abteilung der stoischen Fragmente
enthalten ist, auch bei diesem zu finden war – es bleibt allerdings im Dun-
keln, ob nur bei ihm.
Chrysipp bemühte sich ebenfalls darum, die Körperlichkeit der Seele
zu beweisen; allerdings hat man das Gefühl, Chrysipp hätte diese Beweis-
führung mehr zur Kodifizierung der Schullehre benutzt als zur Reaktion
auf wirkliche Gegner. Dieser Beweis übernimmt eindeutig Zenons Syllo-
gismus über die Entfernung des angeborenen Pneumas aus dem Leib; Ziel
ist der Nachweis, dass diese Entfernung sich nur aus einem Körper voll-
ziehen kann, weshalb die Seele körperlich sein muss.
_____________
132 Vgl. Diog. Laert. 7, 157 (= SVF I, 522): țȵȯ ȷȲȱȻ ȶ ȷ ȹ9ȷ ąȪȼȫȻ ąȳȮȳȫȶ ȷȯȳȷ
(scil. Ƚ Ȼ ɁȾɀ Ȼ) ȶ ɀȺȳ ȽȻ ȴąȾȺѡȼȯɂȻ.
Die hellenistische Seelenlehre 55
Die Definition der Seele als körperlich lässt sich im Rahmen der stoischen
Tradition erklären, die das psychische Prinzip mit dem Pneuma gleich-
setzt. Letzteres wird bei Chrysipp mit Adjektiven definiert, die seine aktive
Rolle im Vergleich zur Passivität der sichtbaren Materie betonen; wie
schon bei Zenon wird die Seele mit dem feurigen Element in Verbindung
gebracht, das eine ›schöpferische‹ Rolle spielt (ąȾȺȹȯȳȮ Ȼ ȴȫ ȽȯɀȷȹȯȳȮ Ȼ) 134.
Bei Chrysipp wie auch bei Zenon wird die Seele mit dem angeborenen
Pneuma gleichgesetzt, weshalb bei diesen Adjektive wie ȼȾȶȿȾ Ȼ,
ȼ0ȶȿȾȽȹȷ zu lesen sind. Ebenfalls bei Chrysipp ist die menschliche Seele
mit dem kosmischen Pneuma verbunden, da sie daran Anteil hat. Ein
späteres Zeugnis des Hieronymus informiert uns, dass die Seele laut den
Stoikern a propria dei substantia stamme. Auch wenn dieses Zeugnis eine
Kontamination mit der gnostischen Wesensgleichheit suggerieren könnte,
so wird die Angabe auch bei Areios Didymos bestätigt, der das Verhältnis
zwischen der Seele des Individuums und der kosmischen Seele mit dem
Verb ąȺȹȼąȯȿȾȴ ȷȫȳ beschreibt, als seien die einzelnen Seelen wie Keime
oder Hörner aus der Weltseele ›herausgewachsen‹ und mit ihr in Verbin-
dung geblieben 135. Die stoffliche, dem stofflichen kosmischen Pneuma
_____________
133 Vgl. Tert. An. 5, 6 (= Soranos T 2) ~ SVF II, 790 (Nemes. De nat. hom. 81 p. 22
Morani) ~ SVF II, 792 (Alex. Aphr. De an. cum mant. p. 117); vgl. hierzu Annas
1992, 40.
134 Zu diesen lexikalischen Angaben vgl. Lapidge 1978, 164.
135 Zu den genauen lexikalischen Angaben vgl. SVF II, 774: ąȾȺȹȯȳȮ Ȼ ȴȫ
ȽȯɀȷȹȯȳȮ Ȼ, und danach ȼȾȶȿȾ Ȼ ˂ȶȷ ąȷȯ8ȶȫ; SVF II, 885 für das ąȷȯ8ȶȫ
ȼ0ȶȿȾȽȹȷ; II, 776 (= Hier. Ep. 126): utrum lapsa de caelo sit, ut Pythagoras philosophus
omnesque Platonici et Origenes putant, an a propria dei substantia ut Stoici (natürlich in
Bezug auf die stoffliche Zusammensetzung); II, 821 (= Ar. Did. fr. 39 p. 471
Diels): ȯȷȫȳ Ȯ ɁȾɀȷ ȷ ȽN *ȵL ȿȫȼɅȷ, + ȴȫȵȹ8ȼȳ ȫȲ Ⱥȫ ȴȫ ʱ Ⱥȫ, ȴ0ȴȵL
ąȯȺȳ ɀȹȾȼȫȷ ȭȷ ȴȫ Ȳ ȵȫȼȼȫȷ ȴȫ ȴ Ƚȹ0Ƚɂȷ ʱȷȫȲȾȶȳȫȲȯȼȫȷȊ Ƚ Ȼ Ȯ
ȵȹȳą Ȼ ɁȾɀ Ȼ ąȺȹȼąȯȿȾȴ ȷȫȳ Ƚȫ0Ƚ. Interessant ist auch die lexikalische
Angabe, mit der das Wachsen der Glieder und Körperteile nach außen
56 Einleitung
_____________
bezeichnet wird, die mit dem ursprünglichen Organismus verbunden bleiben: vgl.
Plato Tim. 45 a 2: ȼȴɃȵȱ ȶ ȷ ȹ9ȷ ɀȯȺɃȻ Ƚȯ ȽȫѠȽ ȴȫ Ȯȳ Ƚȫ8Ƚȫ ąȺȹȼɃȿȾ
ą˦ȼȳȷ; Rsp. 10, 611 d 3: Ƚ Ȯ ȼȾȷȽȯȽȺȿȲȫȳ ȴȫ ąȪȷȽɂȻ ȵȯȵɂȬȼȲȫȳ 2ą' ȽHȷ
ȴȾȶȪȽɂȷ, ʵȵȵȫ Ȯ ąȺȹȼąȯȿȾȴɃȷȫȳ; Eur. Bacch. 921 (in Bezug auf die Hörner).
Vgl. auch Pohlenz 1948, 85: »Kleanthes hat dieses Seelenfeuer ausdrücklich mit
dem reinen Feuer der Gestirnseelen gleichgesetzt«.
136 Vgl. SVF II, 783: ȴȫȽȹȳ ȴʱȴ ȽȻ Ƚȹ8 ȫȶȫȽȹȻ ʱȷȫȲȾȶȳ ȼȯȻ ȹ3ȴ ʱąȯȳȴ'Ȼ ȫ3Ƚ'
ȽȺ ȿȯȼȲȫȳ.
137 Vgl. SVF II, 785: ąȷȯ8ȶȫ ȵȯąȽȹȶȯȺ Ȼ ȼȽȳ Ȯȳ ąȫȷȽ'Ȼ Ȯȳȴȹȷ Ƚȹ8 ȶɁ0ɀȹȾ
ȼ@ȶȫȽȹȻ; II, 885: ˂ ɁȾɀ ąȷȯ8ȶ ȼȽȳ ȼѠȶȿȾȽȹȷ ˂ȶȷ ȼȾȷȯɀ Ȼ ąȫȷȽ ȽN
ȼѡȶȫȽȳ Ȯȳȴȹȷ; (~ Epic. Ep. Hdt. 63: ȼHȶȪ ȼȽȳ ȵȯąȽȹȶȯȺɃȻ, ąȫȺ’ *ȵȹȷ Ƚ'
ʵȲȺȹȳȼȶȫ ąȫȺȯȼąȫȺȶɃȷȹȷ); II, 797: ȼHȶȫ Ȯȳ ȼ@ȶȫȽȹȻ Ȯȳȴȯȳ; II, 798: ȼHȶȫ
Ȯȳ ȼ@ȶȫȽȹȻ ɀɂȺȯȷ; II, 799: ȼHȶȫ ȹ9ȼȫ ˂ ɁȾɀ ȮȳȵȲȯ Ȯȳ ąȫȷȽџȻ.
138 Vgl. SVF II, 826: ąȷȯѠȶȫȽȫ ȭ Ⱥ ʱą' Ƚȹ8 ˂ȭȯȶȹȷȳȴȹ8 ȿȫȼȳȷ ȹ:Ƚȹȳ ȮȳȫȽȯɅȷȯȳȷ
ʵȵȵȫ ȴȫȽ’ ʵȵȵȫ, Ƚ ȶ ȷ ȯȻ )ȿȲȫȵȶȹѠȻ, Ƚ Ȯ ȯȻ IȽȫ, Ƚ Ȯ ȯȻ ʵȵȵȫ
ȫȼȲȱȽɄȺȳȫ; II, 827: Ƚȫ8Ƚȫ ąȪȷȽȫ ąȳȽɃȽȫȽȫȳ Ȯȳ ȽHȷ ȹȴȯɅɂȷ )ȺȭȪȷɂȷ
ąȺȹȼȿȯȺHȻ ȽȫȻ Ƚȹ8 ąȹȵѠąȹȮȹȻ ąȵȯȴȽȪȷȫȳȻ; II, 828; zur Definition solcher
Fangarme als ąȷȯ0ȶȫȽȫ, d.h. als stofflich der Seele homogen, vgl. II, 827: Ƚ'
ʱȴȹȾȼȽȳȴ'ȷ ąȷȯ8ȶȫ ȴȫ Ƚ' )ąȽȳȴџȷ; zur Metapher des Polypen vgl. Pohlenz
1948, 89. Eigentlich comparatio claudicat: wenn sich das Hegemonikon im
Mittelpunkt (d.h. im Herzen) befindet, sind die davon ausgehenden Fangarme
sieben, nicht acht.
139 Vgl. SVF II, 834-839; Pohlenz 1948, 87.
Die hellenistische Seelenlehre 57
selbe Schlussfolgerung mit sich bringt 146. Diese Gestalt scheint der Seele
nicht zu eigen zu sein; der Meinung des dritten Schulleiters zufolge nähme
nämlich die Seele nach dem Austritt aus dem Leib eine runde Gestalt an.
Damit ließe sie sich als an sich gestaltloser Körper auffassen (ähnlich der
modernen Vorstellung eines Gases?), der allerdings auch zerquetscht wer-
den kann: die Seelen der Menschen, die zerquetscht werden und daran
sterben, würden sich nämlich – im Gegensatz zu den anderen – sofort
auflösen 147.
Auch die ›eschatologische‹ Lehre Chrysipps (auch wenn dieser Begriff
eigentlich nicht angemessen ist) scheint vor allem eine Präzisierung der
Seelenlehre seines Vorgängers zu sein. Die Unvergänglichkeit der Seele ist
zweifellos wie bei Kleanthes ausgeschlossen; während allerdings dieser
von einem Überleben der Seele bis zum Weltenbrand ausging, beschränk-
te Chrysipp dieses Überleben auf die Seelen der Weisen; die Seelen der
Tiere oder törichter Menschen seien dazu bestimmt, sich nach dem Tod
aufzulösen. Die Stoa im allgemeinen schließt also die Ewigkeit aus
menschlicher Perspektive aus148.
Im Rahmen der Erkenntnislehre spielte das Hegemonikon schon bei
Zenon eine wichtige Rolle, dem nicht nur die Erkenntnis-, sondern auch
die Empfindungs- und Wahrnehmungsfähigkeit zugeschrieben wurden;
das Hegemonikon wurde nämlich als Sitz der Wahrnehmung, der Zu-
stimmung, des Triebes und und der Vernunft betrachtet. Schon der erste
Schulleiter hielt den Erkenntnisvorgang für einen Kontakt und eine Inter-
aktion zwischen zwei Körpern: hierin besteht bei ihm (wie auch bei
Kleanthes) ein Berührungspunkt mit der epikureischen Erkenntnislehre.
Das Hegemonikon sei wie ein formbarer Stoff in der Lage, die von außen
empfangenen Abdrücke zu bewahren (es handelt sich allerdings um ein
sehr verbreitetes Bild, das schon von Platon und Aristoteles verwendet
worden war) 149.
_____________
146 Vgl. SVF II, 885: Ƚ' Ȯȳȴȹȷ ȯȻ *ȵȱȷ Ƚȷ ȼ Ⱥȴȫ ʲȿɄȷ.
147 Vgl. SVF II, 815 (= Schol. Il. ȧ 65): ȦȺѠȼȳąąȹȻ Ȯ ȶȯȽ Ƚ'ȷ ɀɂȺȳȼȶ'ȷ Ƚȹ8
ȼѡȶȫȽȹȻ ȼȿȫȳȺȹȯȳȮȯȻ ȭȯȷɃȼȲȫȳ ȮȹȭȶȫȽɅȰȯȳ; II, 816 (= Hier. Ep. 108, 23): et
globos mihi Stoicorum atque aeria quaedam deliramenta; SVF II, 820 (= Sen. Ep. 57):
Stoici existimant animam hominis magno pondere extriti permanere non posse et statim spargi,
quia non fuerit illi exitus liber.
148 Vgl. SVF II, 809-822.
149 Vgl. SVF I, 143 zur Rolle des Hegemonikon als Sitz von ȿȫȷȽȫȼȫ,
ȼȾȭȴȫȽȫȲ ȼȳȻ, (Ⱥȶ und ȵџȭȹȻ; zur Wahrnehmungstätigkeit, die durch das
Modell der Abdrücke erklärt wird, vgl. SVF I, 141: ȽȾąȹ8ȼȲȫɅ Ƚȯ ȮѠȷȫȽȫȳ [Ƚ'
ȶɃȭȯȲȹȻ] Ƚ' ȶɃȺȹȻ Ƚ' ˂ȭȹѠȶȯȷȹȷ ȫ3ȽȻ ʱą' ȽHȷ ,ȷȽɂȷ ȴȫ 2ąȫȺɀџȷȽɂȷ Ȯȳ
ȽHȷ ȫȼȲȱȽȱȺɅɂȷ ȴȫ ąȫȺȫȮɃɀȯȼȲȫȳ Ƚ Ȼ ȽȾąѡȼȯȳȻ; noch deutlicher ist der
Beleg bei Kleanthes: SVF II, 56: DȼąȯȺ ȴȫ Ȯȳ ȽHȷ ȮȫȴȽȾȵɂȷ ȭȳȷȹȶ ȷȱ Ƚȹ8
60 Einleitung
Von den ersten zwei Schulleitern distanzierte sich Chrysipp, der die
Unmöglichkeit erkannte, dass sich mehrere Abdrücke gleichzeitig in der-
selben Seele befinden können; er definiert die ȿȫȷȽȫȼȫ als ʼȽȯȺȹɂȼȳȻ
des Hegemonikon aufgrund des Wahrnehmungsreizes 150.
Auch die stoische Erkenntnislehre basiert in jedem Fall (wie die ande-
ren zeitgenössischen Erkenntnislehren) auf einem starken Sensualismus,
so dass auch die intellektuellen Vorgänge mit der Wahrnehmung gleichge-
setzt werden. Im Vergleich zur epikureischen Erkenntnislehre muss man
bei den Stoikern eine Besonderheit feststellen: während die Epikureer den
Wahrnehmungvorgang durch die Theorie von den Poren und Ausströ-
mungen erklärten, spielen bei den Stoikern die Körperchen, die aus dem
wahrgenommenen Gegenstand austreten und das Wahrnehmungsorgan
reizen, keine sehr wichtige Rolle. In den verbliebenen Fragmenten wird
die Ausströmungstheorie nur im Falle des Geruchssinnes erwähnt 151.
Beim Sehvorgang wird die Theorie des psychischen Pneumas mit der
platonischen Lehre in Einklang gebracht, der zufolge der Gesichtssinn
eine aus den Augen austretende Strahlung sei. Das aus den Pupillen aus-
tretende Pneuma kann laut den Stoikern einen Luftkegel aufspannen, der
die Wahrnehmung verursacht, wenn er an der Grundfläche von den
wahrgenommenen Gegenständen getroffen wird 152.
Ebenfalls im Rahmen der Wahrnehmungstheorie (diesmal allerdings in
Übereinstimmung mit den Epikureern) mussten sich die Stoiker mit einer
weiteren hellenistischen Schule (d.h. mit der skeptischen) messen: auch
wenn sie in Quellen aus der späten Republik und der Kaiserzeit überliefert
werden (vgl. Soranos selbst in T 14, Sextus Empiricus, Lukrez und Dioge-
nes Laertios 153), müssen die Tropoi, welche die Unzuverlässigkeit der Sin-
_____________
ȴȱȺȹ8 Ƚ0ąɂȼȳȷ; es handelt sich um ein bereits verbreitetes Bild, vgl. Plato Theaet.
191 d 5: ʱąȹȽȾąȹ8ȼȲȫȳ DȼąȯȺ ȮȫȴȽȾȵɂȷ ȼȱȶȯȫ; 194 c 5ff.: Ƚ џȷȽȫ Ȯȳ
ȽHȷ ȫȼȲȼȯɂȷ ȷȼȱȶȫȳȷџȶȯȷȫ ȯȻ Ƚȹ8Ƚȹ Ƚ' ȽȻ ɁȾɀȻ ȴ ȫȺ; Arist. De an. 424
a 20: ȹ ȹȷ ( ȴȱȺ'Ȼ... Ȯ ɀȯȽȫȳ Ƚ' ȼȱȶȯȹȷ: auch in diesen Fällen geht es um die
Seele, die einen Abdruck von außen empfängt.
150 Vgl. SVF II, 56: ȿȫȷȽȫȼȫ ȼȽȷ ʼȽȯȺȹɅɂȼȳȻ ɁȾɀȻ. Vgl. auch, was im weiteren
Verlauf des Fragments behauptet wird: das Hinzutreten einer zweiten
Wahrnehmung würde die vorherige löschen, eine Erinnerung wäre auf solche
Weise unmöglich. Vgl. hierzu auch Annas 1992, 73ff.
151 Vgl. SVF II, 859: *ȼȹȷ ȭ Ⱥ ʱąȹȺȺȯ ȽHȷ ȼɂȶ Ƚɂȷ ʼȴ ȼȽȹȾ, ȽȹȾȽP ȼȽ ȽHȷ
)ȼȿȺȱȽHȷ ˂ ȹ3ȼȫ.
152 Vgl. SVF II, 863-872.
153 Vgl. Sext. Emp. Pyrrh. Hyp. 1, 36 p. 12, 22, s. unten; er spricht in Bezug auf die
Argumente gegen die Wahrhaftigkeit der Sinneswahrnehmung von »alten
Skeptikern«; vgl. auch die Stellen 1, 118; Adv. Math. 7, 208ff.; Lucr. 4, 424-436;
Die hellenistische Seelenlehre 61
diese Weise wurde das Sinnesorgan von jeder Verantwortlichkeit für Fehler
befreit, es konnte nämlich nur überbringen, was bei ihm angekommen war;
die Verantwortlichkeit für Fehler sei dem Verstand zuzuschreiben, der In-
formationen Glauben schenke, die keiner adäquaten Kontrolle unterzogen
wurden. Dieser Ansicht dürfte auch Soranos zugestimmt haben, wenn der
am Ende von T 14 stehende sarkastische Ausspruch Tertullian und nicht
unserem Arzt zuzuschreiben ist.
»There are not many corners of the ancient world which have escaped the
searching eye of classical scholars. Methodism is just such a dark place –
and a surprisingly large one at that« 157.
Diese allgemeine Tendenz (d.h. die Vernachlässigung des Methodis-
mus durch die Forschung) gilt auch für den Vertreter der methodischen
Schule par excellence, d.h. Soranos; eine Ausnahme stellt sein Traktat ąȯȺ
ȭȾȷȫȳȴȯɅɂȷ ąȫȲȱȶ Ƚɂȷ (= ą.ȭ. ) dar: dieser erschien jüngst in einer neu-
en kritischen Ausgabe, die in der Einleitung einen zuverlässigen Überblick
zur Problematik bietet 158. Das aus der Antike verbliebene Material, auch
wenn es im Verhältnis zur ursprünglichen Größe sehr wenig ist, ist weit
davon entfernt, erschöpfend untersucht worden zu sein, was vor allem im
Falle der vielseitigen Persönlichkeit des Soranos gilt.
Um nicht zu wiederholen, was schon seit längerer Zeit bekannt ist, er-
innern wir nur daran, dass die Hauptinformationen über den Arzt aus
Ephesos der Suda zu entnehmen sind: er war unter Trajan und Hadrian
(d.h. ungefähr zwischen 100 und 140 n.Chr.) in Alexandria und Rom tä-
tig 159. Seine Interessen lagen nicht nur im Bereich der Medizin, sondern
auch der Grammatik und der Geschichte der Medizin (ersteres ist nach-
gewiesen durch die Schrift Etymologien des menschlichen Körpers, letzteres
_____________
157 Tecusan 2004, 2.
158 Vgl. Soranos d’Ephèse, Maladies des femmes, texte établi, traduit et commenté par
P. Burguière, D. Gourevitch, Y. Malinas, I, Paris 1988; II, Paris 1990; III, Paris
1994; IV, Paris 2000; Hanson - Green 1994.
159 Die Biographie des Soranos ist der Suda zu entnehmen, wobei eine Dublette
besonders auffällig ist: vgl. Ȣ 851 und 852, IV, p. 407 Adler: ȝȯȷȪȷȮȺȹȾ ȴȫ
ȥȹɅȬȱȻ, ϶ȿɃȼȳȹȻ, ȫȽȺџȻ, ȮȳȫȽȺɅɁȫȻ ȷ ϮȵȯȸȫȷȮȺȯɅˤ ȴȫ ȷ Ƚ нѡȶ Ȯ
ȫȽȺȯѠȼȫȻ ą ȣȺȫɇȫȷȹ8 ȴȫ ϮȮȺȳȫȷȹ8 ȽHȷ ȬȫȼȳȵɃɂȷ ȬȳȬȵɅȫ Ƚȯ ȼȾȷȽȪȸȫȻ
ąȵȯȼȽȫ ȴȫ ȴȪȵȵȳȼȽȫ; 852: ȢɂȺȫȷџȻ, ϶ȿɃȼȳȹȻ, ȫȽȺ'Ȼ ȷȯѡȽȯȺȹȻ. ȔȾȷȫȳȴȯȫ
ȬȳȬȵɅȫ Ȯȃ, ȓɅȹȾȻ ȫȽȺHȷ ȴȫ ȫȺɃȼȯȳȻ ȴȫ ȼȾȷȽȪȭȶȫȽȫ ȬȳȬȵɅȫ ȳȃ· ȴȫ ʵȵȵȫ
ȮȳȪȿȹȺȫ. Vgl. hierzu Scheele 1884, 3ff.; Kind 1927, 1112; Waszink 1947, 25*;
Burguière - Gourevitch - Malinas 1988, XXIIIff.; Hanson - Green 1994, 981ff.
62 Einleitung
diese Weise wurde das Sinnesorgan von jeder Verantwortlichkeit für Fehler
befreit, es konnte nämlich nur überbringen, was bei ihm angekommen war;
die Verantwortlichkeit für Fehler sei dem Verstand zuzuschreiben, der In-
formationen Glauben schenke, die keiner adäquaten Kontrolle unterzogen
wurden. Dieser Ansicht dürfte auch Soranos zugestimmt haben, wenn der
am Ende von T 14 stehende sarkastische Ausspruch Tertullian und nicht
unserem Arzt zuzuschreiben ist.
»There are not many corners of the ancient world which have escaped the
searching eye of classical scholars. Methodism is just such a dark place –
and a surprisingly large one at that« 157.
Diese allgemeine Tendenz (d.h. die Vernachlässigung des Methodis-
mus durch die Forschung) gilt auch für den Vertreter der methodischen
Schule par excellence, d.h. Soranos; eine Ausnahme stellt sein Traktat ąȯȺ
ȭȾȷȫȳȴȯɅɂȷ ąȫȲȱȶ Ƚɂȷ (= ą.ȭ. ) dar: dieser erschien jüngst in einer neu-
en kritischen Ausgabe, die in der Einleitung einen zuverlässigen Überblick
zur Problematik bietet 158. Das aus der Antike verbliebene Material, auch
wenn es im Verhältnis zur ursprünglichen Größe sehr wenig ist, ist weit
davon entfernt, erschöpfend untersucht worden zu sein, was vor allem im
Falle der vielseitigen Persönlichkeit des Soranos gilt.
Um nicht zu wiederholen, was schon seit längerer Zeit bekannt ist, er-
innern wir nur daran, dass die Hauptinformationen über den Arzt aus
Ephesos der Suda zu entnehmen sind: er war unter Trajan und Hadrian
(d.h. ungefähr zwischen 100 und 140 n.Chr.) in Alexandria und Rom tä-
tig 159. Seine Interessen lagen nicht nur im Bereich der Medizin, sondern
auch der Grammatik und der Geschichte der Medizin (ersteres ist nach-
gewiesen durch die Schrift Etymologien des menschlichen Körpers, letzteres
_____________
157 Tecusan 2004, 2.
158 Vgl. Soranos d’Ephèse, Maladies des femmes, texte établi, traduit et commenté par
P. Burguière, D. Gourevitch, Y. Malinas, I, Paris 1988; II, Paris 1990; III, Paris
1994; IV, Paris 2000; Hanson - Green 1994.
159 Die Biographie des Soranos ist der Suda zu entnehmen, wobei eine Dublette
besonders auffällig ist: vgl. Ȣ 851 und 852, IV, p. 407 Adler: ȝȯȷȪȷȮȺȹȾ ȴȫ
ȥȹɅȬȱȻ, ϶ȿɃȼȳȹȻ, ȫȽȺџȻ, ȮȳȫȽȺɅɁȫȻ ȷ ϮȵȯȸȫȷȮȺȯɅˤ ȴȫ ȷ Ƚ нѡȶ Ȯ
ȫȽȺȯѠȼȫȻ ą ȣȺȫɇȫȷȹ8 ȴȫ ϮȮȺȳȫȷȹ8 ȽHȷ ȬȫȼȳȵɃɂȷ ȬȳȬȵɅȫ Ƚȯ ȼȾȷȽȪȸȫȻ
ąȵȯȼȽȫ ȴȫ ȴȪȵȵȳȼȽȫ; 852: ȢɂȺȫȷџȻ, ϶ȿɃȼȳȹȻ, ȫȽȺ'Ȼ ȷȯѡȽȯȺȹȻ. ȔȾȷȫȳȴȯȫ
ȬȳȬȵɅȫ Ȯȃ, ȓɅȹȾȻ ȫȽȺHȷ ȴȫ ȫȺɃȼȯȳȻ ȴȫ ȼȾȷȽȪȭȶȫȽȫ ȬȳȬȵɅȫ ȳȃ· ȴȫ ʵȵȵȫ
ȮȳȪȿȹȺȫ. Vgl. hierzu Scheele 1884, 3ff.; Kind 1927, 1112; Waszink 1947, 25*;
Burguière - Gourevitch - Malinas 1988, XXIIIff.; Hanson - Green 1994, 981ff.
Vorbemerkungen über die Persönlichkeit des Soranos 63
durch die Biographien der Ärzte, Sekten und Traktate) 160. »Seine Schriftstelle-
rei, die sich nicht nur über die gesamte Heilkunde erstreckt, sondern auch
auf das philosophische und grammatische Gebiet übergreift, zeigt … ein
weitgehendes historisches Interesse« 161. »Effectivement, Soranos est un
médecin philologue; il a de hautes aspirations intellectuelles et il écrit dans
des domaines qui sont à la limite de ses compétences professionnelles;
ainsi des biographies, dont probablement celle d’Hippocrate, et des ouvra-
ges de grammaire, ce qui n’est pas invraisemblable non plus puisqu’on
peut observer tout au long de son traité Des maladies des femmes son souci
du mot propre et son interêt pour l’étymologie« 162.
Die verschiedenen Interessen können die vielseitige Persönlichkeit des
Autors wiederspiegeln, sind allerdings auch (m.E. vor allem) durch das
Bestreben zu erklären, innere und äußere Schwierigkeiten der methodi-
schen Schule zu lösen. Infolge einer gewissen dogmatischen Erstarrung
des Methodismus versuchte Soranos wohl, mithilfe der Auseinanderset-
zung mit der Philosophie neuen Lebenssaft in die Adern der Schule einzu-
flößen, die sich auf eine Orthodoxie versteifte; von außen war der Metho-
dismus schon seit längerer Zeit der Oberflächlichkeit und Scharlatenerie
beschuldigt worden: Soranos versuchte darum wohl, durch Zurschaustel-
lung seiner philosophischen Gelehrsamkeit neuen Ruhm und Glaubwür-
digkeit zu gewinnen 163. Hierzu passt auch das für Soranos charakteristi-
sche, auf den genauen lexikalischen Gebrauch gerichtete Augenmerk,
insbesondere in Verbindung mit der Etymologie, was von Diels als ›Defi-
niermanie‹ aufgefasst wurde 164.
Tatsache ist dass, mit Ausnahme von ą.ȭ., das verbliebene Material
aus den literarischen Werken des Soranos (z.B. aus den Etymologien) viel-
leicht umfangreicher ist als das aus den medizinischen; eine Sammlung
dieser Fragmente ist bis heute ein großes desideratum für diejenigen, die
sich mit dem Arzt aus Ephesos beschäftigen 165.
_____________
160 Zu den ϶ȽȾȶȹȵȹȭȫȳ Ƚȹ8 ȼѡȶȫȽȹȻ Ƚȹ8 ʱȷȲȺѡąȹȾ und ȓɅȹȾȻ ȫȽȺHȷ ȴȫ
ȫȺɃȼȯȳȻ ȴȫ ȼȾȷȽȪȭȶȫȽȫ vgl. Hanson - Green 1994, bzw. 1021ff.; 1007ff.
161 Kind 1927, 1114, 29-34.
162 Burguière - Gourevitch - Malinas 1988, XXV.
163 Wellmann 1922, 409ff.
164 Diels 1893 b, 425, über den Anonymus Londinensis.
165 Vgl. die Rufusausgabe von Ch. Daremberg - É. Ruelle 1879 (!), 237-238: »Les
concordances que j’ai établies, soit entre les scholies Colonna et les trois
Étymologiques, soit entre ces Étymologiques eux-mêmes, prouvent que plus d’une
glose anonyme dans ces recueils et se rapportant à l’anatomie, a été tirée des
Etymologies de Soranus… les découvertes récentes, le progrès de la critique…
rendent chaque jour plus urgente une étude approfondie et comparative des
sources d’après lesquelles ont été rédigés nos Glossaires et nos Étymologiques«.
64 Einleitung
Besonders interessant ist ąȯȺ ɁȾɀȻ (= ą.Ɂ., d.h. das einzige bezeug-
te philosophische Werk des Soranos) auch deswegen für die Rekonstruk-
tion der Persönlichkeit unseres Arztes, weil diese Schrift vielleicht das
bedeutendste Zeugnis der materialistischen Immanenzpsychologie in der
Zeit der Wiederaufnahme der Geistesmetaphysik ist (im eigentlichen Sin-
ne handelt es sich um eine materialistische Reaktion gegen den nun wieder
aufkommenden Platonismus). Nach dem monumentalen Kommentar
Waszinks ist eine Testimoniensammlung dieser psychologischen Schrift,
die von Tertullian in De anima als Hauptquelle benutzt wurde, deshalb von
Bedeutung, weil das Ziel des holländischen Wissenschaftlers nicht die
Rekonstruktion von ą.Ɂ. war, sondern nur die Erläuterung des tertulliani-
schen Textes. Die Benutzung des Kommentars als alleiniges Hilfsmittel ist
für einen Zugang zu ą.Ɂ. nicht geeignet; spätere Forscher – vielleicht
auch angesichts des umfangreichen Materials, das Waszink anführte –
sprachen fälschlicherweise bestimmten Textstellen eine Herkunft aus
dem Werk des Soranos zu 166 und vor allem bei der allgemeinen Interpreta-
tion des Denkens des Soranos kam es zu Irrtümern (man findet z.B. in
Veröffentlichungen jüngeren Datums lange Widerlegungen von Interpre-
tationen, die nie vertreten wurden 167).
_____________
166 Nur einige Beispiele: Hanson - Green 1994, 983 A. 45 (über die mulier enixa
quinionem in An. 6, 8): »is based on the observation that pregnant women carry
one or even more children in their wombs… Waszink considers the argument
likely to have been drawn from Soranus«, sed contra Waszink 1947, 132:
»nevertheless, several details of this section must surely be regarded as Tert.’s
intellectual property, viz… the example of the quintuplets, which was taken from
juridical literature«.
167 So im Falle von R. Polito: er widerlegt die Hypothese, Soranos sei ein Anhänger
des Skeptizismus gewesen, was niemals behauptet wurde: vgl. Polito 1994, 432ff.;
452ff.; eine solche Hypothese sei laut Polito von Waszink geäußert worden:
Waszink sprach zwar von der Benutzung des Ainesidemos durch Soranos (um
die Berührungspunkte mit Sextus Empiricus zu erklären), war allerdings nie der
Meinung, Soranos habe sich die skeptischen Thesen angeeignet, vgl. Waszink
1947, z.B. 24*: »of philosophical systems Scepticism was the nearest to this
doctrine« (d.h. der methodischen Schule, nicht Soranos persönlich); 30*: Soranos
habe Ainesidemos direkt gelesen, nicht durch die Vermittlung eines skeptischen
Arztes, was Diels meinte, vgl. allerdings ebd.: »it is quite possible that at Rome
Soranus... consulted the work of the famous Sceptic himself«, Soranos wird
allerdings nie für einen Skeptiker gehalten; vgl. 238; im Gegenteil, 33*: »this is
sufficient evidence to show that he was strongly influenced by Stoic philosophy«,
was nicht mit dem Skeptizismus kompatibel ist. Das größte Manko des ansonsten
so interessanten Aufsatzes Politos ist die Ungenauigkeit, mit der antike Texte und
moderne Interpretationen ohne genaue Angabe von Belegstellen angeführt
werden; so z.B. S. 449: »di diverso avviso è però Waszink, il quale ritiene che il
Methodische Kriterien 65
3. Methodische Kriterien
Betrachten wir jetzt eine der Textpassagen, die sehr wichtig sind, um das
Verhältnis zwischen Tertullian und seiner Quelle zu erfassen:
sed nec hic gradus stabit etiam Sorano methodicae medicinae instructissimo auc-
tore respondente animam corporalibus quoque ali, denique deficientem a cibo
plerumque fulciri… ita etiam ipse Soranus plenissime super anima commentatus
quattuor voluminibus et cum omnibus philosophorum sententiis expertus corpo-
ralem animae substantiam vindicat, etsi illam immortalitate fraudavit. Non enim
omnium est credere quod Christianorum est 168.
Neben der Lehre von der Körperlichkeit und der Sterblichkeit der Seele,
die sich wie der menschliche Leib ernährt, zeichnet sich in diesen Zeilen
_____________
materiale utilizzato nel capitolo 17, contenente la confutazione del razionalismo
platonico, derivi da Albino«, sed contra Waszink 1947, 38*: »a special difficulty is
raised by the very detailed discussion on sense-perception (ch. 17) in which the
arguments of the Middle Academy against the reliability of the senses are
refuted… so that it is fairly probable that this selection was made by Tert.
himself«; vgl. 240; vgl. auch Polito 1994, 450: »secondo lo studioso olandese
Albino sarebbe la fonte del cap. 18, poiché in esso è contenuto materiale
platonico«: sed contra Waszink 1947, 255: »that this argument is of Tert.’s own
making, is shown already by the circumstances«. Unannehmbar ist die Äußerung,
der zufolge »tale scetticismo risale dunque direttamente a Tertulliano«: vgl. Polito
1994, 434.
168 Tert. An. 6, 6-7 (= Soranos T 3).
Methodische Kriterien 65
3. Methodische Kriterien
Betrachten wir jetzt eine der Textpassagen, die sehr wichtig sind, um das
Verhältnis zwischen Tertullian und seiner Quelle zu erfassen:
sed nec hic gradus stabit etiam Sorano methodicae medicinae instructissimo auc-
tore respondente animam corporalibus quoque ali, denique deficientem a cibo
plerumque fulciri… ita etiam ipse Soranus plenissime super anima commentatus
quattuor voluminibus et cum omnibus philosophorum sententiis expertus corpo-
ralem animae substantiam vindicat, etsi illam immortalitate fraudavit. Non enim
omnium est credere quod Christianorum est 168.
Neben der Lehre von der Körperlichkeit und der Sterblichkeit der Seele,
die sich wie der menschliche Leib ernährt, zeichnet sich in diesen Zeilen
_____________
materiale utilizzato nel capitolo 17, contenente la confutazione del razionalismo
platonico, derivi da Albino«, sed contra Waszink 1947, 38*: »a special difficulty is
raised by the very detailed discussion on sense-perception (ch. 17) in which the
arguments of the Middle Academy against the reliability of the senses are
refuted… so that it is fairly probable that this selection was made by Tert.
himself«; vgl. 240; vgl. auch Polito 1994, 450: »secondo lo studioso olandese
Albino sarebbe la fonte del cap. 18, poiché in esso è contenuto materiale
platonico«: sed contra Waszink 1947, 255: »that this argument is of Tert.’s own
making, is shown already by the circumstances«. Unannehmbar ist die Äußerung,
der zufolge »tale scetticismo risale dunque direttamente a Tertulliano«: vgl. Polito
1994, 434.
168 Tert. An. 6, 6-7 (= Soranos T 3).
66 Einleitung
sehr deutlich die Art und Weise ab, wie das Werk des Soranos von Tertul-
lian benutzt wurde. 1. ą.Ɂ. wurde von Tertullian eigens für die Abfassung
von De anima herangezogen: vor dem Seelenlehretraktat gibt es bei Tertul-
lian keine Spuren, welche die Benutzung der Schrift des Soranos oder
auch nur deren Kenntnis beweisen; auch die Lektüre von ą.Ɂ. dürfte also
durch Tertullians Ausbildung ›in progress‹ erklärbar sein (die intensive
Tätigkeit während der Abfassung von An. wurde in treffender Form als
eine geistige Fresssucht bezeichnet) 169. 2. die Superlative instructissimo aucto-
re und plenissime ... commentatus lassen uns verstehen, wie sehr Tertullian
seinen Gewährsmann schätzte; die Wertschätzung für die umfassende
Bildung des Soranos kann man – wie bereits Waszink – mit ähnlichen
Erklärungen sowie analogen Fällen der Quellenbenutzung vergleichen und
nachweisen, dass der Epheser als Hauptquelle für psychologische Frage-
stellungen betrachtet werden kann 170. 3. der Titel der Schrift des Soranos
war tatsächlich ąȯȺ ɁȾɀȻ, was der Gewohnheit des Soranos entspricht,
die Titel seiner Werke mit ąȯȺ und Genitiv zu bilden (vgl. oben super
anima, vgl. aber auch An. 2, 6: habuit et philosophia libertatem ingenii et medicina
necessitatem artificii ad extendendos de anima retractatus; 13, 2: ipsi postremo philo-
sophi ipsique medici, quamvis de animo quoque disputaturi, faciem tamen operis fron-
temque materiae »de anima« unusquisque proscripsit). Den gewissenhaften Anga-
ben Tertullians zufolge bestand der Traktat aus vier Büchern (er war also
länger als ą.ȭ. in der jetzigen Form, wobei der letzte Teil des vierten Bu-
ches verloren gegangen ist). Im Vergleich zu diesem Umfang müssen die
80 Seiten der Waszink-Ausgabe von De anima den Text und die Informa-
tionen aus ą.Ɂ. an zahlreichen Punkten verkürzt wiedergeben. 4. an der
oben adgedruckten Stelle wird Soranos bezeichnet als cum omnibus philo-
sophorum sententiis expertus: das Adjektiv hat wahrscheinlich im tertulliani-
schen Text einen übertriebenen Stellenwert, Tatsache bleibt allerdings,
dass ą.Ɂ. der doxographischen Darstellung zahlreicher vorheriger Mei-
nungen großen Raum gewidmet haben muss. Das bedeutet nicht, dass der
Arzt lediglich eine aktualisierte Auflage der Vetusta Placita ohne jede per-
sönliche Stellungnahme oder Argumentation verfasst hätte; die philosopho-
_____________
169 Vgl. Turcan 2007, 49: »d’où la boulimie de lectures, surtout philosophiques, sur
laquelle repose le De anima«.
170 Vgl. Diels 1929, 207; Waszink 1947, 45*; so auch Karpp 1934, 32: »die
empfehlenden Worte, mit welchen Tertullian den Soran überhäuft, sind ein
deutlicher Hinweis auf seinen Gewährsmann«; die Parallele ist Cor. 7, 6-7, wo
Claudius Saturninus, d.h. die Hauptquelle, als praestantissimus in hac materia
bezeichnet wird; vgl. auch Val. 5, 1, wo Irenäus omnium doctrinarum curiosissimus
explorator genannt wird: die Schrift gegen die Valentinianer ist streng genommen
eine Paraphrase des Textes des Irenäus, Tertullian fügt nur Scherze und
Beleidigungen gegen die Häretiker hinzu.
Methodische Kriterien 67
rum sententiae spielten allerdings innerhalb des Werkes eine wichtige Rol-
le 171.
Dass das Vorhandensein doxographischer Materialien in der Schrift
des Soranos nicht von untergeordneter Bedeutung war, können wir er-
schließen, indem wir den Aufbau bei Tertullian und Aëtios vergleichen.
Dieser Aspekt der dispositio, die Tertullian von seinem Gewährsmann
übernahm, wurde in der Forschung schon oft betont; darum werden wir
nur das anführen, was zum Verständnis der Schrift des Soranos beitragen
kann 172.
_____________
171 Vgl. Polito 1994, 427: »l’opera del medico non era infatti a carattere
dossografico«: Polito missversteht erneut die Meinungen der modernen
Interpreten: dass Soranos lediglich ein unkritischer Sammler gelehrter Materialien
gewesen sei, wurde nie behauptet, auch nicht von Waszink. Politos Interesse ist
weder auf Tertullian noch Soranos gerichtet, sondern auf Ainesidemos: der
ständige Wunsch, den Skeptizismus des Soranos zu bestreiten und ihn als
Vertreter der Seelenlehre des ›herakliteischen‹ Ainesidemos zu betrachten,
resultiert aus der Fokussierung auf Ainesidemos.
172 Zur Anordnung der Argumente bei Tertullian und Soranos vgl. Karpp, 1934,
42ff.; Waszink 1947, 31*ff.; Festugière 1949, 133ff.; Festugière 1953, 15ff. In der
folgenden Tabelle wird vereinfacht das Schema Festugières dargestellt.
68 Einleitung
die Tertullian und Aëtios gemeinsame Struktur auch bei Soranos zu finden
war.
Es wurde bereits bemerkt, dass der Afrikaner eine Vorliebe für eine
sehr klare und scharf zwischen Abschnitten trennende dispositio zeigt 173.
Bei der Lektüre von De anima gewinnt man den Eindruck, noch mehr als
in den anderen Werken, einen klar oder geradezu streng festgelegten Auf-
bau vor Augen zu haben; daher auch das Gefühl von D. Devoti, dem
zufolge »tutto lo scritto ha più il carattere di una raccolta di sviluppi su
questioni disparate che rientrano quale più quale meno nella psicologia che
non di un trattato sistematico e concepito unitariamente« 174. Dieses Ge-
fühl stellt sich vornehmlich ein bei einer Anordnung in klar getrennte
Abteilungen, nicht bei einer Zusammenstellung verschiedener heterogener
Fragestellungen. Die Möglichkeit einer direkten Überprüfung besteht
leider nicht, allerdings bleibt der Verdacht, dass ein so scharf trennender
Aufbau dem Traktat des Soranos entnommen ist; die Tendenz des Sora-
nos, in scharfer Trennung von Abschnitten und Themen zu komponieren,
ist schon seit längerer Zeit bekannt 175.
Um den Tratktat des Soranos näher zu untersuchen, kann man versu-
chen, auf der Basis des Tertullian-Textes einige Kriterien zu festzulegen,
um die von unserem Arzt stammenden Textpassagen zu identifizieren.
Insbesondere: 1. aus der oben abgedruckten Stelle kann man erschließen,
dass Soranos die Unsterblichkeit der Seele bestritten hatte: damit ist aus-
zuschließen, dass in der eschatologischen Abteilung der Schrift Tertullians
(Kapp. 54 – 58, 8) bedeutende Spuren von ą.Ɂ. zu finden sind. 2. dem
Text des Soranos sind natürlich die Textpassagen entnommen, in welchen
der Name des Arztes genannt wird; allerdings sind diese Stellen nicht zahl-
reich 176. 3. auf Soranos sind die Stellen bei Tertullian zurückzuführen, an
denen Ärzte oder medizinische Lehrmeinungen erwähnt werden 177. 4. die
Passagen, in welchen signifikante doxographische Angaben zu finden sind,
sind Soranos zuzuschreiben – eine Ausnahme bilden die Bezugnahme auf
_____________
173 Vgl. Ch. Mohrmann 1961, 240ff.
174 Vgl. Devoti 1989, 44.
175 Vgl. Kind 1927, 1114, 49ff.: »ein zweites Charakteristikum ist seine Weise, scharf
zu disponieren; er tut dies auch im einzelnen und liebt es, die vorher
angekündigten Punkte der Reihe nach auszuführen und zu erläutern«.
176 Tert. An. 6, 6-7; 8, 3; 14, 2; 15, 3; 25, 5; 44, 2.
177 Vgl. Andreas in 15, 2-3; Apollodor in 15, 6; Asklepiades in 15, 2-3; 15, 6; 25, 5;
38, 1; Chrysipp der Arzt in 15, 6; Diokles in 15, 3 und 17, 2; Erasistratos in 15, 3;
15, 5; 25, 5; Herophilos in 10, 4; 15, 3; 15, 5; 25, 5; Hikesios in 25, 2 und 25, 6;
Hippokrates in 15, 3; 15, 5; 25, 5; Moschion in 15, 5; Straton der Arzt in 15, 5.
Vgl. das Register von Waszink 1947, 623.
Hinweise auf die Seelenlehre des Soranos 69
Albinos, der nach Soranos tätig war und von Tertullian direkt gelesen
wurde, und einige Zitate aus Platon178.
Diese Kriterien, die im Vergleich zu den von Waszink angewandten
keine nennenswerte Neuerung bieten, lassen sich durch zwei Elemente
bestätigen: was die Punkte 3 und 4 betrifft, so sind die Stellen, die von
doxographischer und medizinischer Bildung zeugen, nicht gleichmäßig
über De anima verteilt, sondern konzentrieren sich auf wenige Punkte (z.B.
Kapp. 15 und 25), was man mit nur einem Blick in das Personenregister
erkennen kann, wo neben den Namen von Ärzten und Philosophen vor
allem diese Kapitel angeführt sind. Das suggeriert, dass Tertullian schon
vor der Abfassung seines Werks einige ›bibliographische Karteikarten‹
vorbereitet hatte, auf denen er das Material zusammengestellt hatte, das er
für nützlich hielt. Zudem ergibt ein Vergleich mit den Quellen außerhalb
Tertullians keine signifikanten Parallelen zu den Textpassagen, die man
anhand der oben angeführten Kriterien ermitteln kann.
_____________
178 Vgl. Waszink 1947, 42*.
179 Vgl. T 3 (An. 6, 6): ita etiam ipse Soranus plenissime super anima commentatus quattuor
voluminibus et cum omnibus philosophorum sententiis expertus corporalem animae substantiam
vindicat.
180 Zu diesem Kriterium, das die Reihenfolge der verschiedenen von Soranos
übermittelten Meinungen bestimmt, vgl. Hanson - Green 1994, 972: »his
propensity to list and then contest opinions from earlier physicians, most often
agreeing himself with the last opinion he surveys«.
Hinweise auf die Seelenlehre des Soranos 69
Albinos, der nach Soranos tätig war und von Tertullian direkt gelesen
wurde, und einige Zitate aus Platon178.
Diese Kriterien, die im Vergleich zu den von Waszink angewandten
keine nennenswerte Neuerung bieten, lassen sich durch zwei Elemente
bestätigen: was die Punkte 3 und 4 betrifft, so sind die Stellen, die von
doxographischer und medizinischer Bildung zeugen, nicht gleichmäßig
über De anima verteilt, sondern konzentrieren sich auf wenige Punkte (z.B.
Kapp. 15 und 25), was man mit nur einem Blick in das Personenregister
erkennen kann, wo neben den Namen von Ärzten und Philosophen vor
allem diese Kapitel angeführt sind. Das suggeriert, dass Tertullian schon
vor der Abfassung seines Werks einige ›bibliographische Karteikarten‹
vorbereitet hatte, auf denen er das Material zusammengestellt hatte, das er
für nützlich hielt. Zudem ergibt ein Vergleich mit den Quellen außerhalb
Tertullians keine signifikanten Parallelen zu den Textpassagen, die man
anhand der oben angeführten Kriterien ermitteln kann.
_____________
178 Vgl. Waszink 1947, 42*.
179 Vgl. T 3 (An. 6, 6): ita etiam ipse Soranus plenissime super anima commentatus quattuor
voluminibus et cum omnibus philosophorum sententiis expertus corporalem animae substantiam
vindicat.
180 Zu diesem Kriterium, das die Reihenfolge der verschiedenen von Soranos
übermittelten Meinungen bestimmt, vgl. Hanson - Green 1994, 972: »his
propensity to list and then contest opinions from earlier physicians, most often
agreeing himself with the last opinion he surveys«.
70 Einleitung
Eltern nicht nur körperlich, sondern auch geistig; dieses Argument des
Kleanthes zielte darauf ab, die Körperlichkeit der Seele und ihre Ähnlich-
keit zum Leib zu beweisen). Zum Beweis der Körperlichkeit der Seele
finden wir drei dem antiken Stoizismus entnommene Argumente 181:
_____________
181 Hierzu vgl. auch Mansfeld 1990, 3135ff.
Hinweise auf die Seelenlehre des Soranos 71
communione. (Klean-
thes ap. An. 5, 5,
Soranos T 2).
_____________
183 Vgl. Arist. An. 430 a 17: ȴȫ ʱąȫȲȻ ȴȫ ʱȶȳȭȻ; Gen. an. 736 b 27: ȲѠȺȫȲȯȷ
ąȯȳȼȳ ȷȫȳ ȴȫ Ȳȯȷ ȯȷȫȳ ȶџȷȹȷ. Die Parallelen wurden von Waszink 1947, 203-
204 angeführt.
184 Vgl. T 9, An. 12, 5.
185 Vgl. SVF II, 471, 10; SVF II, 473, 20.
186 Vgl. SVF I, 143: ȗȷɂȷ Ȯ ( ȢȽɂȳȴ'Ȼ )ȴȽȫȶȯȺ ȿȱȼȳȷ ȯȷȫȳ Ƚȷ ɁȾɀȷ, und
die Beobachtungen zur stoischen Seelenlehre in der Einleitung.
Hinweise auf die Seelenlehre des Soranos 73
vermögen für Teile einer stofflichen Masse. Wie man aus T 11 (An. 14, 4)
erschließen kann, hatte Soranos solche Teile wahrscheinlich eher für Ver-
mögen als für stofflich getrennte Abschnitte gehalten. Um diese Teile zu
bestimmen, sollten wir ausschlussweise vorgehen, bewegen uns hier aber
auf unsicherem Terrain. Wir können allerdings mit Waszink feststellen,
dass Soranos das Hegemonikon (T 12, An. 15; vgl. auch 13, 2), die fünf
Sinneswahrnehmungen (T 14, An. 17) und das Reproduktionsvermögen
(T 20, Kap. 27, wo steht, dass mit der Ejakulation de anima quoque sentimus
exire) als Teile annahm. Mit großer Wahrscheinlichkeit ging Soranos von
Zenons Unterteilung in acht Teile aus und schloss von diesen das Stimm-
vermögen aus.
Es scheint allerdings sonderbar, dass ein unersättlicher Leser wie So-
ranos, der zudem in Alexandria studiert hatte, die damals sehr lebendige
Geistesmetaphysik hatte ignorieren können (oder wollen): Eudor, Mode-
ratos und Philon hatten nur etwa ein Jahrzehnt früher unterrichtet. Auch
wenn die Dokumentation fragmentarisch ist, so können wir doch feststel-
len, dass Soranos sich mit der Widerlegung platonischer Argumente be-
schäftigte. Wie man sich leicht vorstellen kann, war der größte Span-
nungspunkt die Lehre von der Körperlichkeit der Seele:
_____________
189 Vgl. SVF II, 471, 10: (ȶȹɂȻ Ȯ ȴʱą ȽHȷ ȷ ˂ȶȷ ɁȾɀHȷ ʿɀȯȳȷȊ ȮȳP *ȵɂȷ ȭ Ⱥ
ȽHȷ ȼɂȶ Ƚɂȷ ˂ȶHȷ ʱȷȽȳąȫȺȯȴȽȯȷȹȾȼȳ, ʱȺ ȼȴȯȳ ȭ Ⱥ ȫ3ȽȹȻ ȼHȶȫ Ȯȳ
ȼѡȶȫȽȹȻ ʱȷȽȳąȫȺɄȴȯȳȷ; SVF II, 473, 20: Ƚ Ȼ Ȯ ȽȳȷȫȻ ȭȷȯȼȲȫȳ ȶȸȯȳȻ ȵ ȭȯȳ, ȮȳP
*ȵɂȷ ȽȳȷHȷ ȹ3ȼȳHȷ Ƚȯ ȴȫ ȽHȷ Ƚȹ0Ƚɂȷ ąȹȳȹȽȽɂȷ ʱȷȽȳąȫȺȯȴȽȯȳȷȹȶ ȷɂȷ
ʱȵȵȵȫȳȻ ȶȯȽ Ƚȹ8 Ƚ Ȼ ȸ ʱȺɀȻ ȹ3ȼȫȻ Ƚȯ ȴȫ ąȹȳџȽȱȽȫȻ ȼMȰȯȳȷ ȷ Ƚ ȶȸȯȳ
Ƚ Ƚȹȳ˧Ȯȯ. Sehr ähnlich sind die Fragestellungen, wenn auch in polemischer
Absicht vorgebracht, in Alexanders De mixtione, 3, 216, ed. Todd 1976, p. 116,
25ff.; dazu vgl. auch Dörrie 1959, 24ff.
190 Zur mittelplatonischen Herkunft dieses Begriffes vgl. Calcidius Comm. Tim. 221
und den Kommentar von Waszink 1947, 234-235.
191 Vgl. Dörrie 1959, 30ff.
76 Einleitung
_____________
192 Vgl. Prisciani Lydi Metaphrasis in Theophrastum et Solutionum ad Chosroem liber, ed. I.
Bywater, Supplementum Aristotelicum 1, Berolini 1886. Zum Vorhandensein
einer gemeinsamen mittelplatonischenȱ Quelle von Calcidius und Priscian (es
dürfte sich nicht um Materialien aus Porphyrios handeln) vgl. Dörrie 1959, 30-31.
Hinweise auf die Seelenlehre des Soranos 77
ȴȫɅȽȹȳ ȽȻ ȽȹȳȫѠȽȱȻ ȴȺȪȼȯɂȻ ȴȫȽ ąȫȺȪȲȯȼȳȷ ȭȳȷȹȶɃȷȱȻ ȵȫȷȲȪȷȹȾȼȫȷ <ȶ ȷ>
Ƚȷ ȫȼȲȱȼȳȷ Ȯȳ Ƚ' ȵȯąȽȹȶȯȺ Ȼ ȽHȷ ȴȯȴȺȫȶɃȷɂȷ· Ȯȵȹȷ Ȯ ȴ Ƚȹ8 ąȪȵȳȷ
ʱą’ ʱȵȵɄȵɂȷ ȮѠȷȫȼȲȫȳ ɀɂȺɅȰȯȼȲȫȳ.
Eine ähnlich polemische Stelle ist auch bei Tertullian bezeugt; hier sind
allerdings die von Soranos stammenden Materialien mit anderen Argu-
menten vermischt, so dass die Textpassage nicht unter die sicheren Testi-
monien aufgenommen wird (T 37 An. 6, 8: tale aliquid, opinor, ei accidit cum
duo in unum corpora negavit). Eine ähnliche Fragestellung, wenn auch ohne
direkten Bezug auf die Seelenlehre, ist auch beim Anonymus Londinensis
(39, 1-15, T 38) zu lesen:
Ȳȫȳ ϮȵɃȸȫȷȮȺȹȻ, ą(Ⱥȹȼ)ɀȺHȷȽȫȳ. [ȴȫ ȫ, ȿ(ȱȼɅȷ),] ʱąȹȴȺɅ-
ȷȯȽȫɅ Ƚȳȷȫ ʱȿ’ ˂ȶHȷ ȴȫ ȯȼȴȺɅȷȯȽȫɅ Ƚȳȷȫ ȯȻ
˂ȶ˦Ȼ ąȪȷȽɂȻ ȮȳȪ Ƚȳȷ(ɂȷ) ȵџȭɂȳ ȲȯɂȺȱȽ(Hȷ) ąџȺɂȷ,
ąȯȳȮɄąȯȺ ȼHȶȫ Ȯȳ ȼѡȶȫȽȹȻ ȹ[3 ȵɃȭ]ȹȾȼȳ ȮȳȯȵǽȲǽȯȷ.
ȴȫ ʵȵȵɂȻ ȿ(ȱȼɅȷ)· BȻ ˂ ȿѠȼȳȻ ȽȱȺȯ Ƚ'ȷ [ȷџȶ]ȹȷ, ǽąǽȹǽɅ[ȱȼȯȷ] 5
[ąȪ]ȷȽ(ɂȷ) ʱąȹȿȹȺȪȻ ȽȳȷȫȻ ȫȼȲȱȽ Ȼ ȴȫ ȵџȭɂȳ Ȳȯ[ɂȺȱȽȪȻ]
[ȴ]ȫ ȮȳȫȿџȺȹȾȻ ʱąȹȿȹȺ Ȼ ȴ(ȫȽ ) Ƚ' ȫȼȲȱȽ'ȷ ȴȫ ȴ(ȫȽ ) [Ƚ']
[ȵ]џȭɂȳ ȲȯɂȺȱȽџȷ. * ąȯ ȹ9ȷ ȴȫȽ Ƚ' ȫȼȲȱȽ'ȷ
[]ąȹɅȱȼɃȷ ȽȳȷȫȻ ąџȺȹȾȻ, ȴȫ ȴ(ȫȽ ) Ƚ' ȵǽџǽȭǽɂǽȳ ȲǽȯǽɂǽȺǽȱȽ'ȷ
[ą]ȹȳɄȼȫȽȹ, * *Ƚȳ ȽȺɃȿȯȽȫȳ, (ȿȱȼɅȷ), ąȪȷȽȫ [Ȯȳ] [ąџȺ]ɂȷ 10
[Ƚȹ]8 ȼѡȶ[ȫȽ]ȹȻ ȴȫ [ȹ3] ȵɃȭȹȾȼȳȷ ȼ[Hȶȫ Ȯȳ ] ȼѡ(ȶȫȽȹȻ)
[ȮȳȯȵȲȯȷ], ȴȫ Ƚ' ɀȾȵǽ[ɂ]Ƚ'ȷ ȴȫ Ƚʷȵȵȫ [Ƚȹ8 ȼ]ѡȶ(ȫȽȹȻ)
[ȶɃȺȱ ȭɅ(ȷȯȽȫȳ)] ȽȻ ȽȺȹȿȻ ȮȳȹȮȯȾȹѠȼ[ȱ]Ȼ [.]ȫǽȳ[..]
[..........]ȹǽȻǽ ȶɃȺȹȻ Ƚȹ8 ȼѡȶȫȽȹȻ, [BȻ] Ƚ(Hȷ)
[ȵџ]ȭɂȳ ȲȯɂȺȱȽ(Hȷ) ąџȺɂȷ ,ȷȽɂȷ ȽȫѠȽȱ […] 15
Dieses problematische Fragment kann man vermutlich Soranos zuschrei-
ben (m.E. ist diese Zuweisung sogar wahrscheinlich); das nun Folgende
wird also nur auf hypothetischer Ebene angeführt.ȱ
Die schon im Abschnitt zur hellenistischen Seelenlehre betrachtete
Porentheorie ging vom Vorhandensein unsichtbarer, aber deduzierbarer
Poren im menschlichen Leib aus (es handelt sich um die bereits erwähnten
ąџȺȹȳ ȵџȭL ȲȯɂȺȱȽȹ) 193. Dieser Theorie zufolge ist der menschliche
_____________
193 Zu Asklepiades vgl. Wellmann 1922, 398; 401: wurde die Porentheorie von
Themison verworfen? Vgl. auch RE 4, 1632-1633; Dictionnaire des philosophes
antiques 1, 624-625 (R. Goulet).
78 Einleitung
Leib nicht kompakt, sondern porös und schwammartig; dieser Körper sei
ebenfalls mit zahlreichen Zwischenräumen ausgestattet, deren Vorhanden-
sein auch für die Ernährung unentbehrlich sei, da es die Verteilung der
Nahrung im ganzen Leib ermögliche; die Kanäle seien auch bei der Re-
produktion unentbehrlich, sie ermöglichten die Verteilung des Samens im
weiblichen Leib 194. Wenn Soranos, wie es scheint, den menschlichen Leib
als mit solchen Poren ausgestattet betrachtete, so war diese Theorie für
ihn im Rahmen der Seelenlehre eine große Hilfe gegen den Widerspruch,
der auf der Undurchdringbarkeit der Körper basierte; man kann vermu-
ten, dass das so rege Bemühen des Anonymus, die Aporie bezüglich der
zwei Körper zu überwinden, zur Annahme der Porentheorie im Rahmen
der Seelenlehre führte. Daraus ergibt sich eindeutig eine korpuskurale
Basis für Physik und Physiologie, d.h. eine im Wesentlichen epikureische
bzw. in jedem Fall atomistische Theorie, die von der Stoa weit entfernt ist.
Nehmen wir jetzt in Augenschein, was man als das größte Deutungs-
problem bezüglich der philosophischen Persönlichkeit des Soranos be-
trachten kann, d.h. sein Verhältnis zu Ainesidemos und dem Skeptizismus.
Unser Ziel besteht ausschließlich darin, den Seelenlehretraktat des Arztes
zu rekonstruieren, die Frage nach Ainesidemos und seinem Skeptizismus
muss erfahreneren Wissenschaftlern überlassen werden.
Ausgangspunkt sind die Angaben, die wir trotz des Verlustes der
Quellen mit relativ großer Sicherheit deuten können. T 14 lässt sich mit
Gewissheit wieder aufbauen, indem man auf An. 17, 2ff. (Te) in Verbin-
dung mit dem Text des Meletios (M) zurückgreift: der Afrikaner übermit-
telt (nicht: unterstützt) an dieser Stelle die Meinung derer, die die Verläss-
lichkeit der Sinneswahrnehmung bestreiten. Diese Argumentation, die bei
Tertullian regelmäßig auf die fünf Sinne angewandt wird, gibt den Text
der skeptischen Tropoi wieder (des siebten Tropos nach Diogenes Laerti-
os, des fünften in der Aufzählung des Sextus Empiricus) 195:ȱ
_____________
194 Im Kontext der Ernährung ist in ą.ȭ. keine deutliche Erwähnung der ąџȺȹȳ zu
finden, dort wird allerdings die Überzeugung widerlegt, dass sich durch das
Schaukeln des Kindes die Nährstoffe besser in dessen Leib verteilen (2, 13 p. 51
= p. 83, 5-10 Ilberg); zu den Poren im Kontext der Reproduktion vgl. ą.ȭ. 1, 4 p.
11 (= p. 9, 14 Ilberg): ( ȼąȯȺȶȫȽȳȴ'Ȼ Ȯ ąџȺȹȻ ʱą' ȽȻ 2ȼȽ ȺȫȻ ȮȳȃʼȴȫȽ ȺȹȾ
ȿ ȺȯȽȫȳ ȮȳȮ0ȶȹȾ; 1, 14 p. 40 (= p. 30, 29 Ilberg): ȴȫȲ’ +ȷ ȭ Ⱥ ȴȫȳȺ'ȷ ȷ ȽȹȻ
ȼąȯȺȶȫȽȳȴȹȻ ąȯȺȳɃɀȯȽȫȳ ąџȺȹȳȻ, ȴȺȫȽȯȽȫȳ ȶ ȷ ąȳȶџȷɂȻ, ʱȵȵ’ ȹ3ȴ ʿȼȽȳȷ
Ƚȹ8Ƚȹ ȼѠȵȵȱɁȳȻ.
195 Die Sekundärliteratur ist umfangreich: vgl. nur Annas - Barnes 1985, 98ff. und
die dort angeführten und diskutierten Texte; eine weitere Version des Tropos des
Ainesidemos ist für Philon bezeugt (Ebr. 181ff.).
Hinweise auf die Seelenlehre des Soranos 79
(a) Der Gesichtssinn Aines. ap. Diog. Laert. Sext. Emp. Pyrrh. Hyp.
ist trügerisch bei gro- 9, 85 p. 691, 5ff. Mar- 1, 118-120: ąɃȶąȽȹȻ
ßer Entfernung; wenn covich: ˀȬȮȹȶȹȻ ( ȼȽ ȵџȭȹȻ ( ąȫȺ
ein Medium die direkte ąȫȺ Ƚ Ȼ ʱąȹ- Ƚ Ȼ ȲɃȼȯȳȻ ȴȫ Ƚ
Verbindung unter- ȼȽȪȼȯȳȻ ȴȫ ąȹȳ Ȼ ȮȳȫȼȽɄȶȫȽȫ ȴȫ Ƚȹ1Ȼ
bricht; oder wenn sich ȲɃȼȯȳȻ ȴȫ Ƚȹ1Ȼ ȽџąȹȾȻ· ȴȫ ȭ Ⱥ
die Wahrnehmung ȽџąȹȾȻ ȴȫ Ƚ ȷ ȽȹȻ ąȫȺ ȽȹѠȽɂȷ ˀȴȫȼ-
während einer Bewe- ȽџąȹȳȻ. ȴȫȽ Ƚȹ8Ƚȹȷ Ƚȹȷ Ƚ ȫ3Ƚ ąȺȪȭ-
gung vollzieht: das Ƚ'ȷ ȽȺџąȹȷ (a) Ƚ ȶȫȽȫ ȮȳȪȿȹȺȫ ȿȫɅ-
unversehrte Ruder Ȯȹȴȹ8ȷȽȫ ȯȷȫȳ ȷȯȽȫȳ, (a) ȹ ȹȷ ˂ ȫ3Ƚ
erscheint im Wasser ȶȯȭȪȵȫ ȶȳȴȺ ȿȫɅ- ȼȽȹ ʱą' ȶ ȷ ȽȻ
zerbrochen, der vier- ȷȯȽȫȳ, Ƚ ȽȯȽȺȪȭɂȷȫ ʼȽɃȺȫȻ ʱȺɀȻ
eckige Turm scheint ȼȽȺȹȭȭѠȵȫ, Ƚ (ȺɂȶɃȷȱ ȶȯɅȹȾȺȹȻ
rund zu sein (Te M); (ȶȫȵ ȸȹɀ Ȼ ʿɀȹȷȽȫ, ȿȫɅȷȯȽȫȳ, ʱą' Ȯ Ƚȹ8
der Bogengang scheint Ƚ )ȺȲ ȴȯȴȵȫȼȶɃȷȫ, ȶɃȼȹȾ ȼѠȶȶȯȽȺȹȻ
am Ende enger zu Ƚ CɀȺ ʼȽȯȺџɀȺȹȫ. ąȪȷȽȹȲȯȷ, ȴȫ Ƚ'
sein, das Meer und der ( ȭȹ8ȷ ˆȵȳȹȻ ąȫȺ ȫ3Ƚ' ąȵȹȹȷ ąџȺ-
Himmel scheinen sich Ƚ' ȮȳȪȼȽȱȶȫ <ȶȳȴȺ'Ȼ> ȺɂȲȯȷ ȶ ȷ ȶȳȴȺ'ȷ
miteinander zu vermi- ȿȫɅȷȯȽȫȳ· ȴȫ Ƚ ,Ⱥȱ ȿȫɅȷȯȽȫȳ ȴȫ ʼȼȽAȻ,
schen (Te); was groß ąџȺȺɂȲȯȷ ʱȯȺȹȯȳȮ ȭȭѠȲȯȷ Ȯ ȶɃȭȫ ȴȫ
ist, scheint klein zu ȴȫ ȵȯȫ, ȭȭѠȲȯȷ Ȯ ȴȳȷȹѠȶȯȷȹȷ, ȴȫ (
sein (M); sind in den ȽȺȫɀɃȫ... * Ƚȯ ȽȻ ȫ3Ƚ'Ȼ ąѠȺȭȹȻ ąџȺ-
Wahrnehmungsvor- ąȯȺȳȼȽȯȺ˦Ȼ ȽȺȪɀȱȵȹȻ ȺɂȲȯȷ ȶ ȷ ȿȫɅȷȯȽȫȳ
gang Spiegel oder ąȫȺ Ƚȷ ȼȽȺȹȿɄȷ. ȼȽȺȹȭȭѠȵȹȻ ȭȭѠȲȯȷ
andere durchsichtige ąȯ ȹ9ȷ ȹ3ȴ ʿȷȳ ʿȸɂ Ȯ ȽȯȽȺȪȭɂȷȹȻ. Ƚȫ8-
Medien involviert, so Ƚџąɂȷ ȴȫ ȲɃȼȯɂȷ Ƚȫ ȶ ȷ ąȫȺ Ƚ
kann die Wahrneh- Ƚȫ8Ƚȫ ȴȫȽȫȷȹȼȫȳ, ȮȳȫȼȽɄȶȫȽȫ, ąȫȺ Ȯ
mung trügen (M); ʱȭȷȹȯȽȫȳ ˂ ȿѠȼȳȻ Ƚȹ1Ȼ ȽџąȹȾȻ *Ƚȳ Ƚ'
Wahrnehmungsfehler, ȫ3ȽHȷ. ȵȾɀȷȳȫȹȷ ȿHȻ ȷ
die durch schnelle ˂ȵɅL ȶ ȷ ʱȶȫȾȺ'ȷ
Bewegung verursacht ȿȫɅȷȯȽȫȳ ȷ ȼȴџȽL Ȯ
werden, wie z.B. beim ȵȫȶąȺџȷ, ȴȫ ˂ ȫ3Ƚ
Hals der Taube (M). ȴѡąȱ ʿȷȫȵȹȻ ȶ ȷ
(b) der Gehörsinn ist ȴȯȴȵȫȼȶɃȷȱ ʿȸȫȵȹȻ Ȯ
trügerisch: das Ge- ȯ3Ȳȯȫ, (d) ȴȫ Ƚ'
räusch eines Donners ˙'ȷ ȷ ȶ ȷ Ƚ ,ȺȷȳȲȳ
und der Lärm eines ʲąȫȵ'ȷ ȷ ʱɃȺȳ Ȯ
Wagens können mit- ȼȴȵȱȺџȷ, ȴȫ Ƚ'
einander verwechselt ȵȾȭȭȹѠȺȳȹȷ ȷ ȶ ȷ
werden (Te). ȵȾȭȭ 2ȭȺ'ȷ ȷ ʱɃȺȳ
(c) Geruchsempfin- Ȯ ȼȴȵȱȺџȷ, ȴȫ Ƚ'
dung und Geschmack: ȴȹȺȪȵȳȹȷ ȷ ȲȫȵȪȽȽ
80 Einleitung
_____________
197 Diels 1929, 207; 212.
198 Waszink 1947, 30*.
199 Polito 1994, 454; die Theorie wurde in Polito 2004, 111 verbessert: die Quelle
von Soranos und Sextus Empiricus sei jetzt ein »handbook x«, das nach
Moschion verfasst wurde und die Doxographie mittels Ainesidemos
überarbeitete. Aber entia non sunt multiplicanda praeter necessitatem.
82 Einleitung
als? Die placita medica scheinen ein Zwischenschritt zu sein, der a priori
eingegeben wurde, um die Präsenz des Skeptikers Ainesidemos im Text zu
bestreiten. So sei die skeptische Komponente nicht vor, sondern nur nach
dem ›herakliteischen‹ Ainesidemos anzusetzen (er sei also nicht als skepti-
sche Quelle heranzuziehen, da eine spätere Kontamination vorliege).
Diese Fragestellung kann uns, wie gesagt, nur am Rande berühren; es
genügt, sich daran zu erinnern, dass Ainesidemos im Text Tertullians als
Nachfolger Heraklits erwähnt wird 200; andererseits wird das Zeugnis, in
welchem der Zusammenhang mit dem Skeptizismus am deutlichsten in
Erscheinung tritt (T 14, An. 17, 2), unter dem Namen Heraklits angeführt.
Es scheint vorsichtiger, die Ainesidemosfrage erfahreneren Forschern zu
überlassen und sich auf die Feststellung zu beschränken, dass im Traktat
des Soranos zugleich die Materialien zum ›herakliteischen‹ Ainesidemos,
diejenigen zum ›skeptischen‹ Ainesidemos und die Doxographie vorhan-
den waren. Ob für diese Kombination Soranos selbst oder seine Quelle
verantwortlich ist (was naheliegender erscheinen mag, vgl. unten), ist der-
zeit nicht eindeutig zu bestimmen. Tatsache ist (was nur scheinbar selbst-
verständlich ist, wie ein Blick auf die Sekundärliteratur zeigt), dass die
Benutzung einer skeptischen Quelle durch Soranos alles andere als eine
Unterstützung des Skeptizismus bedeutet.
Wie wir im Gegenteil aus den Zeugnissen erschließen können, muss
die Lehre, die sich Soranos angeeignet hatte, einen entschiedenen Sensua-
lismus vertreten haben; die starke Präsenz skeptischer Argumente (T 14,
An. 17) ist vielleicht im Rahmen einer Polemik des Soranos gegen den
Skeptizismus zu erklären (in An. 17, 4 zeugt die zuletzt angeführte Mei-
nung, der sich Soranos anschloss, von einem großen Vertrauen in die
Sinneswahrnehmung) 201. Das muss nicht verwundern, wenn man bedenkt,
dass die Epikureer und die Stoiker gegen die Tropoi der Skepsis einen
gemeinsamen Widerstand geleistet hatten (wenn auch nicht mit denselben
Argumenten); aus diesem Grund ist die Auflistung der Tropoi gegen die
_____________
200 Vgl. An. 9, 5: non, ut aer sit ipsa substantia eius, etsi hoc Aenesidemo visum est et
Anaximeni, puto secundum quosdam et Heraclito, nec ut lumen, etsi hoc placuit Pontico
Heraclidi; 14, 5: non longe hoc exemplum est a Stratone et Aenesidemo et Heraclito; nam et
ipsi unitatem animae tuentur, quae in totum corpus diffusa et ubique ipsa, velut flatus in
calamo per cavernas, ita per sensualia variis modis emicet; 25, 2: hoc Stoici cum Aenesidemo et
ipse interdum Plato, cum dicit perinde animam extraneam alias et extorrem uteri prima
adspiratione nascentis infantis adduci, sicut exspiratione novissima educi. Diesen Umstand
führte Polito zur Unterstüzung seiner These an (1994, 452).
201 Dieser Überzeugung war auch Karpp 1934, 44-45: »hier scheint Soran vor allem
die Skepsis des Änesidem und Platons Misstrauen gegen die Sinne bekämpft zu
haben. Aus der Einheitlichkeit der Seele hat er vermutlich zusammen mit der
Stoa die Zuverlässigkeit der Sinneskräfte gefolgert«.
Hinweise auf die Seelenlehre des Soranos 83
Somit wird – unter Auslassung des stoischen Modells – die Herkunft der
Theorie von den Poren und Ausströmungen genauer bestimmt, die für die
Seelenlehre Stratons und Epikurs charakteristisch ist (und vielleicht auch
für die des Ainesidemos) 203:
fr. 109 Wehrli (Sext. Emp. Adv. Math. 7, 349):ȱȴȫ ȹ ȶ ȷ ȮȳȫȿɃȺȯȳȷ ȫ3Ƚȷ (scil.
Ƚȷ Ȯȳ ȷȹȳȫȷ) ȽHȷ ȫȼȲɄȼȯɂȷ, BȻ ȹ ąȵȯɅȹȾȻ, ȹ Ȯ ȫ3Ƚȷ ȯȷȫȳ Ƚ Ȼ ȫȼȲɄȼȯȳȻ,
ȴȫȲȪąȯȺ ȮȳȪ Ƚȳȷɂȷ )ąHȷ ȽHȷ ȫȼȲȱȽȱȺɅɂȷ ąȺȹȴѠąȽȹȾȼȫȷ, ˈȻ ȼȽȪȼȯɂȻ ˇȺȸȯ
ȢȽȺȪȽɂȷ Ƚȯ ( ȿȾȼȳȴ'Ȼ ȴȫ ȒȷȱȼɅȮȱȶȹȻ.ȱ
Die Präsenz der stratonianischen Wahrnehmungstheorie kann nicht ver-
wundern: auch im äußerst umfangreichen Material des Anonymus Londi-
nensis sind verschiedene Spuren des Denkens des Physikers aus Lampsa-
kos zu finden, vor allem die Theorie, der zufolge die Abkühlung und die
Erwärmung der Körper durch das Eindringen kalter oder warmer Luft
mittels der Poren zu erklären sei 204. Die Verbreitung dieser Lehre im me-
dizinischen und nicht nur philosophischen Bereich ist auch durch eine
Stelle bei Cicero bezeugt, die deutlich den Einfluss Stratons erkennen lässt
und mit einer (gesicherten) Textpassage aus Soranos übereinstimmt 205:ȱȱ
ȱ
Cic. Tusc. 1, 20, 46: neque enim T 11 [d] (Etym. Orion. 100): ȶȾȴȽɄȺ.
ullus sensus in corpore, sed, ut non ʱą' Ƚȹ8 Ƚȷ ȶѠȸȫȷ Ȯȳ’ ȫ3Ƚȹ8
physici solum docent verum etiam ȸȳɃȷȫȳ. ˃ ʱą' Ƚȹ8 ȶѠȸȫȻ Ƚȳȷ Ȼ ȿ’
medici qui ista aperta et patefacta ʼȫȾȽN ʿɀȯȳȷ, ȽȹȾȽɃȼȽȳ ąџȺȹȾȻ, ˃
viderunt, viae quasi quaedam sunt ʱą' Ƚȹ8 ˂ȭȯȶȹȷȳȴȹ8 ȽȯȽȫȭȶɃȷȹȻ
ad oculos ad auris ad naris a sede ȽȻ ȫȼȲɄȼȯɂȻ... ȹ4ȽɂȻ ( ȫ3Ƚ'Ȼ
animi perforatae. ȢɂȺȫȷџȻ.
ȱ
_____________
203 Vgl. auch Sext. Emp. Adv. Math. 7, 130: ȷ Ȯ ȭȺȱȭ&Ⱥȼȯȳ ą ȵȳȷ Ȯȳ ȽHȷ
ȫȼȲȱȽȳȴHȷ ąџȺɂȷ DȼąȯȺ Ȯȳ Ƚȳȷɂȷ ȲȾȺȮɂȷ ąȺȹȴ0ɁȫȻ; Lucr. 3, 359ff.; Cic.
Tusc. 1, 20, 46 (vgl. unten); Waszink 1947, 218. Laut Polito 2004, 129 ist Straton
die direkte Quelle des Ainesidemos.
204 Anon. Lond. 38, 25: ʵȵȵɂȻ Ƚȯ ȰȱȽȯȽȫȳ, ąHȻ ȲȯȺȶȫɅȷȯȽȫȳ ˂ȶHȷ Ƚ ȼѡȶȫȽȫ·
Ȯȵȹȷ ȭ( Ⱥ) BȻ ȽȻ ȲȯȺȶȫȼɅȫȻ ȯȼȴȺȳȷȹȶɃȷȱȻ ȯȻ Ƚ ˂ȶɃȽȯȺȫ ȼѡȶȫȽȫ; 38, 33:
ȴȫ ą Ƚȹ8 ɀȯȳȶHȷȹȻ ɁȾɀȺџȽȯȺȫ ˂ȶHȷ (ȼȽȳȷ) Ƚ ȼѡȶȫȽȫ ЖȽȹЗ ȽHȳ Ƚ'ȷ ʱɃȺȫ
ɁȾɀȺ'ȷ ,ȷȽȫ ȴȫ ȯȼȳџȷȽȫ ȯȻ ˂ȶ˦Ȼ ȴ(ȫȽȫ)ɁѠɀȯȳȷ ˂ȶ˦Ȼ; vgl. Straton, fr. 56, 4
Wehrli: Ƚ ȭ Ⱥ Ƚȹ8 ąȾȺ'Ȼ ȼѡȶȫȽȫ ąȫɀȾȶȯȺɃȼȽȯȺȫ ,ȷȽȫ ȽHȷ ȷ ȽN ȵɅȲL
ȴȯȷHȷ ȹ3 ąȫȺȯȳȼɃȺɀȯȽȫȳ, ʱȵȵ ȶџȷȹȷ ąȳɁȫѠȯȳ ȽȻ ȴȽ'Ȼ ąȳȿȫȷȯɅȫȻ· ȮȳџąȯȺ
ȶ ąȺȹȴȫȽȯȳȼȮѠȷȹȷȽȫ ȷȽ'Ȼ ȴȫȲȪąȯȺ ą ȽHȷ ʵȵȵɂȷ ȼɂȶȪȽɂȷ ȹ3Ȯ ȮɃɀȯȽȫȳ
ȲȯȺȶџȽȱȽȫ.
205 Zu dieser Parallele vgl. auch Polito 2004, 124; zur Herkunft der Cicero-Stelle aus
Straton vgl. Gottschalk 1965, 122.
Hinweise auf die Seelenlehre des Soranos 85
Soranos ging wie seine von Cicero erwähnten Kollegen von der Existenz
von Kanälen aus, die das Hegemonikon im Mittelpunkt mit den äußeren
Zonen des Körpers verbinden und die Sinneswahrnehmung ermöglichen.
Ein ähnlicher späterer Versuch, die Ausdehnung des Hegemonikon bis zu den
Sinnesorganen zu behaupten, ist in der doxographischen Quelle Jamblichs zu le-
sen (auch wenn an dieser Stelle der Bezug auf die Porentheorie fehlt), De an. 11 p.
36, 1ff. Finamore - Dillon (SVF II, 826 = Stob. I, p. 367, 17ff. W.): ȴȫȽ ȶ ȷ
Ƚȹ1Ȼ ȢȽɂȳȴȹ1Ȼ ʿȷȳȫȳ ȶ ȷ ȮȳȫȿȹȺџȽȱȽȳ <ȽHȷ> 2ąȹȴȯȳȶɃȷɂȷ ȼɂȶȪȽɂȷ·
ąȷȯѠȶȫȽȫ ȭ Ⱥ ʱą' Ƚȹ8 ˂ȭȯȶȹȷȳȴȹ8 ȿȫȼȳȷ ȹ:Ƚȹȳ ȮȳȫȽȯɅȷȯȳȷ ʵȵȵȫ ȴȫ ʵȵȵȫ,
Ƚ ȶ ȷ ȯȻ )ȿȲȫȵȶȹѠȻ, Ƚ Ȯ ȯȻ IȽȫ, Ƚ Ȯ ȯȻ ʵȵȵȫ ȫȼȲȱȽɄȺȳȫ.
Die durch die etymologica in T 11 gesicherte und von Soranos im Rahmen
der Wahrnehmungslehre übernommene Porentheorie bringt nicht
zwangsläufig auch eine Zustimmung zum extremen stranonianischen
Mechanismus mit sich, d.h. die Wahrnehmungsunfähigkeit der Sinnesor-
gane 206. Was leider infolge des fragmentarischen Zustands des Textes
fehlt, ist eine klare Aussage über die Wahrnehmungsfähigkeit der Sinnes-
organe: wäre eine solche erhalten, so könnten wir die Position des Arztes
im Rahmen der Streitigkeiten der hellenistischen Philosophie über die
Wahrnehmungstheorie bestimmen. Hatte sich Soranos die Meinung Stra-
tons angeeignet, der zufolge die Sinnesorgane absolut wahrnehmungsun-
fähig sind, oder hatte der Epheser wie Epikur und die Stoiker auch diesen
Organen eine aktive Rolle zuerkannt? In T 11 a ist die letzte im tertulliani-
schen Text angeführte Meinung diejenige Stratons, was aufgrund der be-
reits erwähnten Praxis des Soranos suggerieren könnte, Soranos hätte
dieser Sichtweise zugestimmt. Auf dieselbe Spur führt T 11 f (IąȯȻ. ȹ ȹȷ
)ąȫɅ ȽȳȷȯȻ ȹ9ȼȫȳ ȽȻ ɁȾɀȻ ȲȯɂȺȱȽȫɅ), wo die ›Löcher‹ und die Seele
nebeneinander stehen, ohne dass eine explizite Aktivität der einzelnen
Sinnesorgane erwähnt wird. Die Fragestellung ist sehr komplex: ohne eine
klare Aussage sollte man besser darauf verzichten, die stratonianische
Lehre auch Soranos zuzuschreiben.
Wie schon oftmals erwähnt, kann die Psychologie des Soranos der
›hellenistischen Seelenlehre‹ zugeordnet werden. Die Merkmale, die sie mit
dieser psychologischen Koine verbinden, sind deutlich zu erkennen: der
Materialismus, welcher der Seele eine andersartige Natur im Vergleich
zum Leib abspricht; dazu der Immanentismus, der die Seele innerhalb des
Leibes ansetzt und sie für ein Organ des Körpers hält; hinzu kommt der
Naturalismus, dem zufolge das psychische Prinzip zusammen mit dem
Leib, in dem es sich befindet, wächst, verkümmert und schließlich stirbt;
zuletzt der Sensualismus, dem gemäß noetische Prozesse auf der Sinnes-
wahrnehmung beruhen oder auch gänzlich mit ihr gleichgesetzt werden.
_____________
206 Vgl. oben, 2ff.
86 Einleitung
ten des Stoizismus anführen können. Aus demselben Grund wurde umge-
kehrt das stoische Hegemonikon von einer philosophisch unprofessio-
nellen Quelle im nachhinein Straton zugeschrieben.
Die körperliche Natur des psychischen Prinzips impliziert, was nicht
verwundern kann, dass sich auch die Seele wie jeder Körper von stoffli-
cher Nahrung ernährt. Auch in diesem Fall ist das Zeugnis durch die Er-
wähnung des Soranos gesichert, die Aussage ist jedoch nicht eindeutig (T
3: animam corporalibus quoque ali, denique deficiente a cibo pleroque fulciri). Viel-
leicht hat Soranos in diesem Punkt versucht, sich von der Lehre der drei
Schulleiter der Stoa zu distanzieren, die das Blut für die Nahrung der Seele
hielten. Auch an dieser Stelle ist Vorsicht geboten: die Lehre, der zufolge
die Seele durch körperliche Nahrung versorgt wird, ist nicht unvereinbar
mit der stoischen Theorie von der blutgenährten ɁȾɀ. Mit anderen Wor-
ten könnte Tertullian die Formulierung des Arztes brachylogisch übermit-
telt haben, so dass Soranos eine Stellungnahme zugeschrieben werden
könnte, die auch bei Galen zu finden ist: nach der Verdauung im Magen
und der Ankunft in der Leber werde die Nahrung in Blut umgewandelt,
das den ganzen Organismus nähre 207. Einerseits ist die Seele, die durch
körperliche Nahrung versorgt wird, nicht unvereinbar mit der blutgenähr-
ten; andererseits kann eine Distanzierung von den Stoikern nicht als eine
Stellungnahme zugunsten anderer Schulen gelten.
Die Art und Weise der Vereinigung von Seele und Leib ist besser
nachvollziehbar, wenn auch nicht völlig eindeutig (vgl. T 11). In diesem
Zeugnis ist sowohl bei Tertullian als auch bei den griechischen Quellen die
Art der Vereinigung von Seele und Leib durch die wichtige lexikalische
Angabe diffusa/ ąȫȺȯȼąȫȺȶ ȷȱ definiert. Wenn stimmt, was wir oben
beobachtet haben, so dürfte dies eine Distanzierung von der stoischen
Lehre bedeuten: die Stoa benutzte nämlich für die Vereinigung des Kör-
pers und des psychischen Prinzips dynamische Verben, welche unterstrei-
chen, dass die Seele ein aktives Prinzip ist (Ȯȳȴȯȳȷ, ɀɂȺȯȷ, ȮȳɃȺɀȯȼȲȫȳ).
Wie schon gesagt, bringt auch in diesem Fall eine Distanzierung von der
stoischen Lehre nicht unbedingt die Möglichkeit mit sich, Soranos einer
Schule zuzuordnen: die lexikalische Angabe des Perfekts zu ąȫȺȫȼąȯȺɂ
_____________
207 Vgl. Galen, De usu part. 4, 7 (III, p. 275 Kühn): eine wichtige Rolle spielt das Herz
auch im Rahmen der Ernährung: die im Magen verdaute Nahrung gelangt in den
Darm; von dort gelangt sie durch die Pfortader bis zur Leber, dem Sitz der
Blutbildung und der Umwandlung von Nahrung in Blut; ein Teil des Blutes steigt
zum Herzen empor und nährt anschließend den ganzen Leib. Auch wenn ein
weiterer Zwischenvorgang nötig ist, so ist die Vorstellung von der blutgenährten
Seele nicht unvereinbar mit derjenigen von der Seele, die durch körperliche
Nahrung versorgt wird. In diesem Fall können wir nicht ermitteln, ob ein solcher
Zwischenvorgang auch von Soranos angenommen wurde.
88 Einleitung
kann sowohl auf die Spur Stratons als auch der Epikureer führen (die
tatsächlich, wie oben vermutet wurde, diesen Sprachgebrauch von Straton
übernommen hatten). Die Streuung der Seele im Leib, wahrscheinlich in
den Kanälen, kann auf jeden Fall bei unserem Arzt nur eine Physik kor-
puskularer Prägung voraussetzen, die sich vom continuum der Stoiker, wel-
ches das gegenseitige Durchdringen der Körper ermöglicht, grundlegend
unerscheidet. Schwierig ist es, aus diesem Umstand einen weiteren Schluss
zu ziehen, der zumindest sehr wahrscheinlich ist: war Soranos eher Ato-
mist als Stoiker? Hatte er die eindeutig der Stoa entommenen Elemente
(wie z.B. die Unterteilung der Seele in sieben Teile, vgl. T 10) vielleicht
erst in einer späteren Phase kennengelernt, als sein Denken bereits durch
den Atomismus geprägt war? Was auch die Ursache dafür ist, Soranos
lässt die Theorie der Materie als continuum fallen und ist folglich nicht als
Stoiker zu betrachten. Im übrigen scheint er die theologischen und kos-
mologischen Folgen dieser Theorie nicht übernommen zu haben: bei ihm
fehlt tatsächlich jeder Bezug zu und jede Übereinstimmung mit der gegen-
seitigen Durchdringung des aktiven (d.h. des Pneumas) und des passiven
Prinzips (d.h. der Materie); in den verbliebenen Zeugnissen fehlt auch
jeder Bezug auf die Pronoialehre und die Teleologie der Stoiker.
Die Streuung des psychischen Prinzips im Leib zieht eine weitere
selbstverständliche Folge nach sich: die Seele weist während ihres Aufent-
halts im Körper dieselbe Gestalt und Ausdehnung wie der Leib auf. So
lässt sich erklären, was in T 6 zu beobachten ist: die menschliche Seele
verfüge wie alle übrigen Körper über drei Dimensionen, d.h. Höhe, Breite
und Tiefe. Es ist jedoch nicht klar, ob diese Gestalt der Seele zu eigen ist
und ob sie auch nach der Trennung vom Leib erhalten bleibt; die Seele
scheint für Chrysipp nicht über eine eigene Gestalt zu verfügen, sie werde
nämlich nach dem Tod kugelförmig (vgl. oben). Auch wenn wir diese
unsichere Angabe beiseite lassen, so bleibt die Feststellung, dass die Zu-
weisung einer Gestalt an die eingekörperte Seele eine allgemeine Überzeu-
gung der hellenistischen Schulen ist und kein signifikantes Element, um
die Seelenlehre des Soranos zuordnen zu können. Die Ausdehnung im
Leib hat auch für die Stratonianer und Epikureer zur Folge, dass die Seele
die gleiche Gestalt und dieselben Dimensionen aufweist wie die sichtbare
Körpermasse.
In den Zeugnissen des Soranos steht allerdings nicht, ob die Seele
auch über eine eigene Farbe verfügt: Tertullian (An. 9, 5) bestimmt die
Farbe der Seele als aerius ac lucidus, es handelt sich allerdings um eine Über-
Hinweise auf die Seelenlehre des Soranos 89
aufhält. Weiter oben hatte ich vermutet, dieses Argument sei ursprünglich
epikureisch. Bei Soranos kann das nicht als Zustimmung zur epikurei-
schen Lehre gelten: der Stoiker Antipatros von Tarsos hatte ebenfalls
dieselbe Meinung vertreten, die auch bei Lukrez zu lesen ist; diese Vorstel-
lung wurde früh zu einem Element der philosophischen Koine der helle-
nistischen Seelenlehre 211.
Im Kontext der Unterteilung der Seele verfügen wir über größere Si-
cherheit. Der doxographische Überblick in T 10 zeigt eindeutig, dass der
Arzt das psychische Prinzip in sieben Teile unterteilt hatte. Was die Identi-
fikation der Teile betrifft, so beschränken wir uns auf die Feststellung,
dass diese Gliederung auf der stoischen Unterteilung beruht, auch wenn
sie von Soranos umgearbeitet wurde (vgl. den Kommentar zur Bestim-
mung der Teile). Eindeutig ist auch in diesem Fall das stoische Gedanken-
gut.
Die Einheit der Seelenvermögen war nach Soranos von einem summus
gradus… vitalis et sapientialis quod ˂ȭȯȶȹȷȳȴџȷ appellant (T 12) ermöglicht. Er
hatte zugunsten der Existenz dieses Vermögens gegen Dikaiarch, Andreas
und Asklepiades Stellung bezogen. Obwohl er die Seele als im ganzen
Leib verstreut definiert hatte, verfügt das Hegemonikon bei ihm über
einen bestimmten Sitz (certo in corporis recessu consecratum), der im folgenden
Fragment erklärt wird. Auch an dieser Stelle ist derselbe Gedankengang
wie bei Pollux zu finden: nach einer in polemischer Absicht angeführten
doxographischen Reihung (zuerst wird die Meinung Heraklits über den
getrennten Nous ausgeschlossen) legte Soranos seine eigene Überzeugung
dar, der zufolge das Hegemonikon im Herzen zu lokalisieren ist. Zuguns-
ten dieser Lehre wurde auch (wahrscheinlich aus erster Hand) ein Vers des
Empedokles angeführt, vielleicht in Bezug auf die stoische Seele, die sich
von Blut ernährt (obwohl Empedokles anders dachte, das ȷ&ȱȶȫ bestand
nämlich bei ihm aus Blut) 212. Soranos versuchte diese Lehre durch die
Meinungen der Ärzte Praxagoras [?], Apollodor und Chrysipp zu stützen;
diese Stellungnahme zugunsten des Sitzes des Hegemonikon im Herzen
_____________
211 Vgl. Lucr. 3, 455ff.; Ant. Tars. in SVF III, 50 (beide Stellen werden im
Kommentar zu T 22 zitiert); vgl. auch die Einleitung.
212 Abhängig von Soranos sind, außerhalb des Tertullian-Textes, auch die
Empedokleszitate bei Orion (von diesem wiederum Etymologicum Magnum 34, 21)
und Meletios. Wie man Diels-Kranz 31 B 105 entnehmen kann, ist das einzige
von Soranos unabhängige Zeugnis bei Porphyrios zu finden (De styge, nun p. 454
Smith). Der Zusammenhang zwischen diesem Empedoklesvers und der stoischen
Lehre könnte von Diogenes von Babylon hergestellt worden sein: laut diesem
bestand nämlich die Seele aus Blut (SVF III, 30, bei Galen!). Zur Seele, die sich
von Blut ernährt, vgl. SVF I, 140; vgl. den Abschnitt zur stoischen Seelenlehre in
der Einleitung.
Hinweise auf die Seelenlehre des Soranos 91
stellt einen Berührungspunkt mit der stoischen Schule dar, die in dem von
Pollux überlieferten Fragment ausdrücklich erwähnt wird. Es stimmt zwar,
dass sich innerhalb der stoischen Schule neben der Lehre, die das Hege-
monikon im Herzen lokalisierte, auch die Überzeugung gebildet hatte, das
Hegemonikon befinde sich im Kopf 213. Meines Wissens war es allerdings
nur der ›orthodoxe‹ Zweig der Stoa, der das leitende Vermögen im Herzen
lokalisierte, wohingegen Epikur den Sitz des Hegemonikon unspezifischer
in der Brust bestimmte. Mit der Lokalisierung des leitenden Vermögens
im Herzen wollte sich Soranos vielleicht dem ›klassischen‹ Zweig der Stoa
annähern 214.
Viel schwieriger ist der Versuch, die Wahrnehmungstheorie des Sora-
nos innerhalb der hellenistischen Philosophie einzuordnen. Aber die gesi-
cherte Quelle, d.h. die Etymologien des Orion (T 11 [e]), sagt nur aus, dass
»der Gesichtssinn aus den Augen herausspringt (ȸ Jȷ ʶȵȵȯȽȫȳ ˂ ,ɁȳȻ)«,
was an die Wahrnehmungstheorie Stratons erinnert, der zufolge die Seele
sich durch die Wahrnehmungsporen nach außen herauslehnt, um mit der
Außenwelt in Kontakt zu treten. Der Zustand der Quellen ermöglicht
allerdings keine gesicherte Aussage und so verzichten wir auf eine solche.
Dieselbe Unsicherheit besteht bei dem Versuch, eine eventuelle Stel-
lungnahme von Soranos über die Wahrnehmungsunfähigkeit der Sinnes-
organe auszumachen. Wir hatten oben vermutet, eine Spur der stratonia-
nischen Lehre sei in der Nebeneinanderstellung der ›Löcher‹ und der Seele
in T 11 [f] zu ermitteln, wobei jede Erwähnung eines Sinnesorganes fehlt.
Es handelt sich allerdings um eine reine Hypothese, auf der man besser
keine weiteren Vermutungen aubauen sollte.
Kompliziert ist auch das Verhältnis zu der hellenistischen Schule, die
am weitesten von unserem Arzt entfernt ist: weiter oben wurde deutlich,
dass Soranos die Wahrhaftigkeit der Sinneswahrnehmung energisch gegen
die Tropoi der Skeptiker verteidigte und vielleicht dem extremen Sensua-
lismus der Epikureer zustimmte. An zwei Stellen, die von der Polemik
gegen die Transzendenzphilosophie der Platoniker gekennzeichnet sind,
verwendet Soranos eindeutig zwei Argumente skeptischer Herkunft: das
_____________
213 Vgl. SVF II, 836, 38: ȫ3Ƚ' Ȯ Ƚ' ˂ȭȯȶȹȷȳȴ'ȷ DȼąȯȺ ȷ ȴџȼȶL <ˆȵȳȹȻ>
ȴȫȽȹȳȴȯ ȷ Ƚ ˂ȶȯȽ Ⱥˤ ȼȿȫȳȺȹȯȳȮȯ ȴȯȿȫȵ; SVF III, 33, 18 (erneut Diogenes
von Babylon): Ƚȳȷ Ȼ Ȯ ȽHȷ ȢȽȹȳȴHȷ ȿ ȼȴȯȳȷ *Ƚȳ Ƚ' ˂ȭȯȶȹȷȳȴ'ȷ ȷ Ƚ ȴȯȿȫȵ.
Vgl. auch SVF II, 838-839; II, 885 (bei Galen): ȹ ȶ ȷ ȭ Ⱥ ąȯȺ Ƚ'ȷ ȲѡȺȫȴȪ
ȿȫȼȳȷ ȯȷȫȳ ȫ3Ƚџ, ȹ Ȯ ąȯȺ Ƚȷ ȴȯȿȫȵɄȷ. ȴȫȽ Ƚ ȫ3Ƚ Ȯ Ƚȫ8Ƚȫ
Ȯȳȫȿɂȷȹ8ȼȳ, ąȹ8 ȽȻ ȴȯȿȫȵȻ ȴȫ Ƚȹ8 ȲѡȺȫȴџȻ ȼȽȳȷ, ȹ3 ȼȾȶȿɂȷȹ8ȷȽȯȻ
ȫ2ȽȹȻ. Erneut SVF II, 908: ʱȴȹѠɂ Ȯ ȽȳȷȫȻ ȵɃȭȯȳȷ ąȫȺȫȶȾȲȹȾȶ ȷȹȾȻ ąȺ'Ȼ Ƚ'
ȷ Ƚ ȴȯȿȫȵ ȯȷȫȳ Ƚ' ˂ȭȯȶȹȷȳȴџȷ.
214 Vgl. SVF II, 848; 879; 885; 889; 895-896; 908. Das Hegemonikon lokalisierte
insbesondere Chrysipp im Herzen.
92 Einleitung
Gewicht der Körper sei nicht objektiv mit ihrer Masse verbunden (T 4, es
handelt sich um den vierten der von Sextus Empiricus angeführten skepti-
schen Tropoi, ąȫȺ Ƚ Ȼ ąȯȺȳȼȽ ȼȯȳȻ); die Unsichtbarkeit der Seele sei
nicht die Ursache für ihre Unkörperlichkeit, da diese Unsichtbarkeit von
den menschlichen Sinnesorganen abhängig ist (T 5: et pro natura eorum qui-
bus invisibilis esse sortita est, es handelt sich um den dritten der Tropoi des
Empirikers, ąȫȺ Ƚ Ȼ ȮȳȫȿџȺȹȾȻ ȽHȷ ȫȼȲȱȽȱȺɅɂȷ ȴȫȽȫȼȴȯȾ Ȼ) 215.
Am Ende unserer Bemühungen, die Zugehörigkeit des Arztes zu einer
bestimmten Schule zu ermitteln, versuchen wir die Berührungspunkte mit
den einzelnen Schulen zu identifizieren:
_____________
215 Vgl. Tert. An. 8, 3 (= Soranos T 4), der Beweis ist gegen die Platoniker gerichtet:
wenn man die Körperlichkeit der Seele annimmt, dürfte der unbeseelte Leichnam
den Platonikern zufolge leichter als der lebendige und beseelte Leib sein: quid
enim, inquit Soranus, si mare negent corpus, quia extra mare immobilis et gravis navis
efficitur? ~ Ainesidemos (!) ap. Diog. Laert. 9, 85 p. 691, 1-3 Marc.: ȴȫ ( ȷ ʱɃȺȳ
2ą' ȮȾȹȷ ȴȹȾȿȳȰџȶȯȷȹȻ ȵɅȲȹȻ ȷ 4ȮȫȽȳ .ˤȮɅɂȻ ȶȯȽȫȽɅȲȯȽȫȳ, ˅Ƚȹȳ ȬȫȺ1Ȼ Gȷ
ȴȫ 2ą' Ƚȹ8 4ȮȫȽȹȻ ȴȹȾȿȳȰџȶȯȷȹȻ ˃ ȵȫȿȺ'Ȼ Gȷ ȴȫ 2ą' Ƚȹ8 ʱɃȺȹȻ
ȬȫȺȾȷџȶȯȷȹȻ (vgl. auch die weiteren im Kommentar angeführten Stellen); Tert.
An. 8, 4 (= Soranos T 5): ceterum etsi invisibilis anima, et pro condicione corporis sui et
proprietate substantiae et pro natura etiam eorum quibus invisibilis esse sortita est. solem
noctuae nesciunt oculis; aquilae ita sustinent… ~ Sext. Emp. Adv. Math. 9, 247: ȴȫ ˂ȶȷ
ȶ ȷ Ƚȹ8 (Ⱥ˦ȷ ȫȽȳȹȻ ȭɅȷȯȽȫȳ, ȽȹȻ ȷȾȴȽȳȷџȶȹȳȻ Ȯ ȽHȷ )ȺȷɅȲɂȷ, ȹ ȹȷ ȭȵȫȾȸ
ȴȫ ȷȾȴȽȯȺɅȼȳ, Ƚȹ8 ȶ (Ⱥ˦ȷ.
Hinweise auf die Seelenlehre des Soranos 93
nicht zufällig sein. Während der Ruhm des Arztes im Osten scheinbar
geschwunden war, war der Epheser in Afrika zu dieser Zeit und in den
folgenden Jahrzehnten sehr geachtet. Obwohl wir über keinen definitiven
Beweis verfügen, dass auch Perpetua oder der Verfasser ihrer Passio Sora-
nos gelesen hatte 217, ist das Nachleben unseres Arztes im afrikanischen
Bereich klar bezeugt: seine Spuren sind bei Augustinus 218, Cyprian 219, bei
Caelius Aurelianus (der Soranos in Afrika zwischen dem 5. und 6. Jhrh.
übersetzte und bearbeitete) und danach bei Muscio und Vindicianus zu
finden 220. Tertullian hatte zweifellos während der Lektüre des Soranostex-
tes weitreichende Übereinstimmungspunkte mit seinen eigenen Überzeu-
gungen gefunden. Dass die Medizin bei Soranos ihre Ansprüche auf dem
Gebiet der Seelenlehre gegenüber der Philosophie geltend macht (T 1, An.
2, 6: sorori refragatur), dürfte damals ein starkes Interesse in Tertullian her-
vorgerufen haben, der so engagiert an der (platonischen) Philosophie, die
sich die Gnostiker angeeignet hatten, Kritik übte. Die materialistische und
immanentistische Grundlage der Seelenlehre des Arztes stimmte völlig mit
dem Materialismus überein, den Tertullian vertrat, seitdem er ein Jahr-
zehnt zuvor mit der Abfassung seiner apologetischen Schriften begonnen
hatte. Die umfangreiche doxographische Komponente dürfte in Tertullian
kein geringes Interesse ausgelöst haben; in diesem Werk standen ihm die
Meinungen ›aller Philosophen‹ zur Verfügung, mit denen er den Leser
beeindrucken konnte, ohne allzu viel Zeit für die Lektüre von Werken zur
antiken Philosophie aufzuwenden. Auch inhaltlich (oder vielmehr ideolo-
gisch) muss Tertullian von der rigoristischen Morallehre des Arztes beein-
druckt gewesen sein: Soranos empfiehlt oftmals die Enthaltsamkeit als
Teil einer gesunden Lebensführung für beide Geschlechter 221, und nicht
selten polemisiert er gegen die Riten des heidnischen Volksglaubens222.
_____________
217 Pass. Perp. 15, 4: et cum pro naturali difficultate octavi mensis in partu laborans doleret…;
vgl. ą.ȭ. 1, 56: an dieser Stelle findet sich die Überzeugung, das nach sieben
Monaten frühgeborene Kind habe mehr Überlebenschancen als das, welches
nach acht Monaten geboren wird. Dieser Volksglaube war allerdings sehr
verbreitet: er ist auch bei Tertullian bezeugt (An. 37, 4) und war im medizinischen
Bereich gang und gäbe (Hippokrates widmete diesem Thema einen ganzen
Traktat), so dass diese Ansicht bis zum heutigen Tage als Bauernglaube überlebt.
Vgl. auch Hanson - Green 1994, 1007.
218 Aug. C. Iulian. 5, 14, 51, vgl. ą.ȭ. 1, 39; Hanson - Green, 1043.
219 Vgl. Ep. 69, 13 (= CSEL 3, 1 p. 762): nisi forte qui plura et secretiora legerunt apud
Hippocratem vel Soranum clinicos istos deprehenderunt.
220 Vgl. Hanson - Green 1994, 1042ff.
221 Vgl. ą.ȭ. 1, 9 p. 28 (= p. 21 Ilberg): ˂ȶȯȻ Ȯ Ƚȷ Ȯȳȱȷȯȴ ąȫȺȲȯȷɅȫȷ 2ȭȳȯȳȷȷ
ȯȷȫɅ ȿȫȶȯȷ, *Ƚȳ ȬȵȫȬȯȺ ȴȫȽ ȭɃȷȹȻ ˂ ȼȾȷȹȾȼɅȫ, ȴȫȲȪąȯȺ ȷ ȽN ВȭȳȯȳȷN
Ȯȳ ąȵȯȳџȷɂȷ ʱąȹȮɃȮȯȳȴȽȫȳ (die Argumente zugunsten der Keuschheit waren für
96 Einleitung
Soranos’ ą.Ɂ. wurde meines Wissens nur von Tertullian als Quelle be-
nutzt, so dass in eine Testimoniensammlung des Werkes nur Stellen aus
dem Text des Afrikaners aufgenommen werden sollten. Interessante Pa-
rallelen sind allerdings auch zwischen Passagen aus Tertullians Text und
anderen Werken zu beobachten, die Material aus Soranos enthalten. Dies
lässt sich leicht durch die Vermutung erklären, dass der Arzt dieselben
Themen in verschiedenen Werken behandelt hatte. Außer im Falle von T
38 (das allein aus dem Anonymus Londinensis besteht) haben wir neben
den Text Tertullians die Parallelen gestellt, die Materialien aus anderen
Werken des Soranos enthalten.
Die wichtigsten Zeugnisse lassen sich auf die Etymologiae zurück-
führen; auch diese Schrift ist leider verloren gegangen, allerdings durch
einen Vergleich der aus ihr schöpfenden Werke rekonstruierbar, darunter
die Arbeiten des Orion, des Pollux und des Meletios.
Noch komplizierter ist die Frage nach zwei von uns benutzten Quel-
len, dem Anonymus Londinensis und dem Anonymus Fuchsii: bei diesen
bleibt unklar, aus welchem Werk sie schöpfen; in jedem Fall halten wir das
Vorhandensein von Material aus Soranos bei diesen Autoren für wahr-
scheinlich.
_____________
ihn so wichtig, dass er sie auch in anderen Werken anführte); Ibid.: ȮȳџąȯȺ
2ȭȳȯȳȷ ȶ ȷ ˂ ȮȳȱȷȯȴɄȻ ȼȽȳȷ ąȫȺȲȯȷɅȫ ȴȫȲȪąȯȺ ą ȽHȷ ʱȺȺɃȷɂȷ ȴȫ ą
ȽHȷ ȲȱȵȯȳHȷ, ȽN ȴȹȳȷN Ȯ ȽȻ ȿѠȼȯɂȻ ȵџȭL.
222 Vgl. T 28 (An. 44, 2) zur Widerlegung des Glaubens an den Incubus; vgl. auch
ą.ȭ. 1, 3 (die gute Hebamme muss ʱȮȯȳȼȳȮȫȶɂȷ sein); ą.ȭ. 2, 6 p. 17 (= p. 58,
14 Ilberg): ȫ ąȹȵȵȫ Ȯ ȽHȷ ȶȫȳȹȾȶɃȷɂȷ 2ɃȵL ˃ ȴȫȵȪȶL ˃ )ȼȽȺȪȴL ˃ ȽN
ȵȯąɅL Ƚȹ8 ʵȺȽȹȾ ȮȹȴȳȶȪȰȹȾȼȳȷ Ƚȷ ʱąȹȴȹąȷ ˃ ȵɅȷL ȬȳȫɅɂȻ ʱąȹȼȿɅȭȸȫȼȫȳ,
ȽN ȮȾȼȹȳѡȷȳȼȽȹȷ ȯȷȫȳ Ƚȷ ȷ ȽN ąȺѡȽL ɀȺџȷL ȼȳȮɄȺȹȾ ȽȹȶɄȷ. *ąȯȺ
ąȫȷȽȯȵHȻ ȴȫȽȫȭɃȵȫȼȽџȷ ȼȽȳȷ· ȴȫ <ȭ Ⱥ> Ƚ' ȴȵȫɅȯȳȷ ȫ3Ƚ' ȮȾȼȹȳѡȷȳȼȽџȷ
ȼȽȳȷ, ʱą' Ȯ ȽȹѠȽȹȾ Ƚ' ȭȯȷȷȱȲ ȷ ʵȺɀȯȽȫȳ Ƚȹ8 Ȱȷ.
Die Quellen für die Rekonstruktion von Soranos’ ąȯȺnɁȾɀȻn 97
selbst überliefert), und manche Glossen werden mit dem Namen des Arz-
tes ›signiert‹ 223. Aus Orion schöpft auch das Etymologicum Magnum.
Direkte Kenntnis der Etymologien muss man auch für das zweite Buch
des Onomasticon des Pollux voraussetzen, das den Bezeichnungen meschli-
cher Körperteile gewidmet ist224.
Der letzte, der das lexikalische Werk des Soranos gekannt zu haben
scheint, ist der Mönch Meletios. Die Chronologie dieses Schriftstellers ist
sehr umstritten: er verfasste sein Werk nach dem Ende des siebten Jahr-
hunderts; der terminus ante quem seiner Tätigkeit ist nicht genau zu bestim-
men, wobei er zwischen dem neunten und dem dreizehnten Jahrhundert
schwankt 225. Obwohl Hanson und Green die Aufmerksamkeit auf diesen
Iatrosophisten gelenkt haben (»his treatise may be the single most impor-
tant source for recovering what we can of Soranus’ lost work«) 226, sind im
Rahmen unserer Rekonstruktion nur wenige Parallelen aus Meletios zu
gewinnen, obwohl eine unter diesen von grundlegender Bedeutung ist. Bei
der Benutzung dieser Quelle ist besondere Vorsicht angebracht: obwohl
der byzantinische Mönch seine Arbeit als eine reine Kompilation bezeich-
net 227, gibt er die Lehre seiner Vorlagen nicht getreu wieder: er arbeitet sie
nach seinen eigenen Überzeugungen um, wobei der Einfluss umfang-
reicher Lektüre festzustellen ist (z.B. kennt er die kappadokischen Vä-
ter 228, Ps.-Dionysios, 229 aber auch Galen 230, und den Neuplatonismus von
Chronios, Porphyrios und Jamblich durch Nemesios 231). Abgesehen von
_____________
223 Vgl. Kind 1927, 1117, 26ff.; Hanson - Green 1994, 1021-1022; problematisch ist
eventuell zu bestimmen, ob der uns überlieferte Text Orions die ursprüngliche
Fassung oder eine Epitome ist: besitzen wir den Orio genuinus oder den Orio
breviatus? Zu dieser Frage war uns eine definitive Stellungnahme nicht möglich.
224 H. Diels brachte erstmals mit erstaunlicher Gelehrsamkeit den Text Tertullians
mit Pollux in Zusammenhang: vgl. Diels 1929, 207.
225 Zur problematischen Datierung dieses Autors vgl. Hanson - Green 1994, 1022;
Meletios wird in Leven 2005, 603-604 ins 9. Jahrhundert datiert.
226 Hanson - Green 1994, 1022.
227 Vgl. p. 1, 8ff. Cramer: ȹ3ɀ BȻ ȴȫȳȷџȷ Ƚȳ ąȳȷȹɄȼȫȷȽȹȻ ąȯȺ ȿѠȼȯɂȻ ʱȷȲȺѡąȹȾ
ȿȾȼȳȹȵȹȭȼȫȳ, ʱȵȵ ȼѠȷȽȹȶȹȷ ȴȫ ʱȷȯȵȵȳą ąȺȫȭȶȫȽȯɅȫȷ ȴȲɃȼȲȫȳ ȽȹȻ
ȿȳȵȹȶȫȲɃȼȳ ȴȫ ȿȳȵȹąџȷȹȳȻ ȬȹȾȵȹȶ ȷȹȾ.
228 Die Kenntnis des Basilius ist an verschiedenen Stellen nachweisbar (nur einige
Beispiele aus der Ausgabe von Cramer): p. 43; p. 52 (er schließt sich der Meinung
des Basilius an und lokalisiert entgegen Soranos’ Auffassung das Hegemonikon
im Herzen); Gregor von Nyssa wird erwähnt (p. 116 Cramer).
229 Das Corpus Dionysiacum wird nicht ausdrücklich erwähnt, ein Bezug darauf ist aber
p. 148 Cramer zu finden, der Vergleich mit dem Tageslicht stammt aus De divinis
nominibus 2, 4 p. 127 Suchla.
230 Vgl. p. 111 Cramer.
231 Vgl. p. 147 Cramer. Vgl. Nemes. De nat. hom. 116 p. 35, 3ff. Morani.
98 Einleitung
einer modernen Konjektur wird Soranos’ Name nie erwähnt; auch die aus
den Etymologiae des Arztes stammenden Materialien wurden oftmals mit
Elementen anderer Herkunft zusammengefasst 232.
ȴȫ ȽHȷ ʵȵȵɂȷ ȽHȷ ȽȹȳȹȾȽȹ- ȴȫ *Ƚȫȷ )ȸɃɂȻ ȴȳȷȽȫȳ Ƚ'
ȽȺџąɂȷ· ˃ *Ƚȫȷ )ȸɃɂȻ ȴȳȷȽȫȳ Ƚ' (Ⱥѡȶȯȷȹȷ· ȼȾȷȽȫȺȪȼȼȯȳ ȭ Ⱥ Ƚȷ
(Ⱥѡȶȯȷȹȷ· ȼȾȷȽȫȺȪȼȼȯȳ ȭ Ⱥ Ƚȷ ,Ɂȳȷ ˂ Ƚȫɀȯȫ ȴɅȷȱȼȳȻ, BȻ ą Ƚȹ8
,Ɂȳȷ ˂ Ƚȫɀȯȫ ȴɅȷȱȼȳȻ, BȻ ȽȻ ąȯȺȳȼȽȯȺ˦Ȼ ȽȺȫɀɄȵȹȾ·
ȼȽȺȹȭȭѠȵȫ Ƚ ȶ ȼȽȺȹȭȭѠȵȫ ȽȯȼȼȪȺɂȷ Ȯ ȶȪȵȳȼȽȫ ąȺ'Ȼ
ȬȵɃąȯȳȷ ȴȫ BȻ ʼȼȽHȽȫ Ƚ ȷȫȺȭ ȮȳȪȭȷɂȼȳȷ ˂ ,ɁȳȻ ɀȺɄȰȯȳ·
ȴȳȷȹѠȶȯȷȫ. ʱȬȵȫȬȹ8Ȼ ȫȼȲȱȽȱȺɅȹȾ· ȼȾȶ-
ȶɃȽȺȹȾ ȴȳȷɄȼȯɂȻ· ȴȫ ȮȳȫȼȽɄ-
ȶȫȽȹȻ ʱɃȺȹȻ ȴȫȲȫȺȹ8· ȴȫ
ȵȫȶąȺȹ8 ȿɂȽџȻ.
Die Berührungspunkte mit dem Text des Nemesios sind m.E. unbestreit-
bar. Wenn man die parallelen Texte allerdings näher betrachtet, so findet
man bei Meletios zwei Details, die in Nemesios’ De natura hominis fehlen.
Der erste Punkt steht mit den skeptischen Tropoi in Zusammenhang
(Diog. Laert. 9, 85; vgl. Sext. Emp. Pyrrh. Hyp. 1, 118ff.: Ƚ Ȯȹȴȹ8ȷȽȫ
ȯȷȫȳ ȶȯȭ ȵȫ ȶȳȴȺ ȿȫȷȯȽȫȳ, vgl. Tert. An. 17, 2: quod aequalissimam porti-
cum angustiorem in ultimo infamet). Im zweiten Punkt kann die Anspielung auf
den bunten Hals der Taube nicht zufällig von Meletios eingefügt worden
sein, da dieses Detail erneut mit den skeptischen Tropoi übereinstimmt
(Diog. Laert. 9, 85; Sext. Emp. Pyrrh. Hyp. 1, 120ff.: ȴȫ ȹ ȽȺȪɀȱȵȹȳ Ȯ
ȽHȷ ąȯȺȳȼȽȯȺHȷ ąȫȺ Ƚ Ȼ ȮȳȫȿџȺȹȾȻ ąȳȴȵɅȼȯȳȻ ȮȳȪȿȹȺȹȳ ȿȫɅȷȹȷȽȫȳ
ȴȫȽ ɀȺHȶȫ). M.E. sollte man zu folgender Schlussfolgerung gelangen:
Meletios hatte die Ähnlichkeit zwischen Nemesios und dem Text des
Soranos (d.h. die Darstellung der skeptischen Tropoi) bemerkt und die
beiden Quellen miteinander kontaminiert, um die Argumentation zu ver-
vollständigen. Trotz der Kontamination mit Nemesios, der aus einer
Quelle schöpft, die er mit dem Arzt gemeinsam hat, muss man den Text
des byzantinischen Iatrosophisten neben den Tertullians stellen, da er auch
Argumente enthält, die aus Soranos stammen.
_____________
234 Vgl. Supplementum Aristotelicum 3, 1, Berolini 1893; zur Datierung ins 2. Jh.
n.Chr. vgl. ebd., IX und Jones 1968, 1; diese Datierung wurde von D. Manetti
geändert, die für den Papyrus eine Abfassungszeit im 1. Jh. annahm: vgl. Manetti
1994, 57.
100 Einleitung
des Verfassers »im Dunkel geblieben« war 235, wurde der Anonymus von
M. Wellmann mehrmals mit Soranos gleichgesetzt 236. W.H.S. Jones führt
in seiner sorgfältigen, aber nicht innovativen Ausgabe eine erneute Unter-
suchung der Frage nach der Identität des Verfassers durch und hält es für
denkbar (ohne sich festzulegen), dass der Anonymus-Text aus Materialien
schöpft, die auf Soranos zurückzuführen sind.
Die Besonderheit dieses so schwer verständlichen Zeugnisses hat zu
verschiedenen Hypothesen Anlass gegeben: es könnte sich um die priva-
ten excerpta eines Medizinstudenten handeln, die einer bereits verderbten
Vorlage entnommen wurden 237; der Text könnte auch aus Notizen beste-
hen, die sich ein Student ʱą' ȿɂȷȻ gemacht hatte und die danach unor-
dentlich abgeschrieben wurden 238. Eine dritte Hypothese hat D. Manetti
aufgestellt. Mit Blick auf die Erfahrung des Schreibers behauptete die
Forscherin, PLit.Lond. sei ein Autograph: die Fehler des Textes seien der
Tatsache geschuldet, dass sich die Arbeit in einem unvollendeten Zustand
befände, der Text habe mit dem Arzt aus Ephesos nichts zu tun239.
Diese Hypothese ist meiner Meinung nach nicht völlig überzeugend,
und es entstünde ein gewaltiges Problem (auf welches Manetti nicht hin-
weist 240) durch die vorgeschlagene Identifikation einer der Quellen des
Papyrus mit Soranos: sollte P.Lit.Lond. 165 ein Autograph des Soranos
_____________
235 Diels 1893 b, 413: »für mich ist Name wie Secte des Mannes im Dunkel
geblieben«.
236 Wellmann 1922; 1926.
237 Diels 1893 b, 410: »die Unsicherheit der Züge, die vielen Nachträge und
Correcturen, das Abbrechen mitten im Satze zeigen, dass der Schreiber das
Original gegen Ende nicht mehr recht lesen konnte und daher nothgedrungen die
Arbeit einstellte. Diesen Eindruck, dass der Schreiber sich nur schwer in dem ihm
vorliegenden Texte zurecht fand, habe ich durchweg auch sonst empfangen«.
238 Vgl. Jones 1968, 4: »the scrappiness, slovenly expressions, repetitions and general
carelessness speak for themselves suggesting that the papyrus was intended for
the personal use of the writer... the strange ȷȽȺɃɀȯȳȫ of 1, 24 and 2, 9 points to
an original consisting of lecture-notes taken down by a student in the course of a
lecture or lectures«.
239 Vgl. Manetti 1986, 59: »tali caratteristiche danno piuttosto l’impressione che il
supposto “scriba” stia elaborando ciò che scrive e talvolta abbia dei
ripensamenti… non mi pare che si possano giudicare questi casi come correzioni
di errori meccanici ma piuttosto come variazioni del discorso«; die Theorie der
Autographie dieses Textes wurde auch von Dorandi 1992 angenommen.
240 Die Forscherin gibt keinen Hinweis auf diese vexata quaestio, es findet sich nur
eine kurze Erwähnung in 1986, 58 A. 6: »Wellmann propose la paternità di
Sorano basandosi su evidenti incomprensioni del testo«. Bei Manetti 1994, 57ff.
wird als Entstehungsort des Zeugnisses eine medizinische Schule in Kleinasien
angenommen (was plausibel scheint).
Die Quellen für die Rekonstruktion von Soranos’ ąȯȺnɁȾɀȻn 101
_____________
243 Vgl. 37, 5-6; 37, 29; 38, 22; 38, 24; 38, 31; 38, 52; 39, 3; 39, 15; 39, 22; 39, 31 (vgl.
das Register bei Diels); vgl. auch 21, 26. Vgl. zu Ursprung und Verbreitung dieser
Junktur die Einleitung (oben, 44-45).
244 Vgl. Jones 1968, 7 und seine Überprüfung der schon von Wellmann angeführten
Parallelen: Anon. Lond. 21, 21: ʲąȵ˦ Ȯ ȴȫ ȼѠȷȲȯȽȫ ȵȫȶȬȪȷȹȶ(ȯȷ) ą(Ⱥ'Ȼ)
ȫȼȲȱȼȳȷ, ȴȫȲAȻ ȴȫ ϽȺџȿȳȵȹȻ ąȳȼȱȶȯȳȹ8Ƚȫȳ ȵɃȭɂȷ ȹ(4ȽɂȻ)· »ȵȯȭɃȼȲɂ Ȯ
Ƚ ȿȫȳȷџȶȯȷȫ ą[Ⱥ]HǽȽȫ, ȴȫ ȯ ȶ (ʿȼȽȳȷ) ąȺHȽȫ.« ~ Galen. Meth. Med. 2, 5, X
p. 107 Kühn: ȴȫɅ ȽȳȻ ąȷȯȼȯȷ ȷ ȽȹѠȽL Ƚ'ȷ ϽȺџȿȳȵȹȷ ȯąџȷȽȫ ȴȫȽ ȵɃȸȳȷ
ȹ4ȽɂȻ· »ʿȼȽɂ Ƚȫ8Ƚȫ ȯȷȫȳ ąȺHȽȫ, ȯ ȴȫ ȶɄ ȼȽȳ ąȺHȽȫ«.
245 Für die erste Ausgabe vgl. Fuchs 1894; danach Diels 1893 a, 102: »so ist die
Ȯȳ ȭȷɂȼȳȻ ąȯȺ ȽHȷ )ȸ ɂȷ ȴȫ ɀȺȹȷɂȷ ȷȹȼȱȶ Ƚɂȷ von der Hr. R. Fuchs
jüngst aus einer Pariser Hds. Abschrift genommen und mir freundlichst Einsicht
gestattet hat, eine höchst erwünschte Ergänzung unseres Materials. Denn hier
wird gerade das Doxographische besonders herausgehoben und namentlich für
Erasistratos, Diokles, Praxagoras eine Fülle neuer Placita gewonnen. Den Beweis,
dass diese Excerpte wirklich auf Soran zurückgehen, hoffe ich führen zu können,
glaube aber vorher die Veröffentlichung dieses Anecdoton durch den glücklichen
Entdecker abwarten zu sollen«; Wellmann 1901, 140; 155; skeptisch gegenüber
Zur Rekonstruktion einer Quelle des Soranos 103
einen Vergleich mit Tertullians Text in An. 15, 5f. Parallelen, die nicht
zufällig sein können 246; dass der Anonymus Fuchsii mit Soranos nur durch
eine gemeinsame Quelle verbunden ist, wirkt unwahrscheinlich. Auch
wenn der für uns interessante aitiologische Teil kein Auszug aus Soranos
ist, so ist Soranos doch eine Quelle für den Anonymus, was für unsere
Zwecke hinreichend ist 247.
Weiter oben haben wir beobachtet, wie Soranos zugunsten der materialis-
tischen Psychologie die Argumente Kleanthes’ und Chrysipps im Rahmen
der Beweisführung der Körperlichkeit der Seele anführte. Diese Argumen-
te stimmen genau mit dem Text des Nemesios überein, und dass sie dort
in einer anderen Reihenfolge auftreten, stellt kein großes Problem dar.
Folglich bleibt die Hypothese H. Dörries (1959, 132) weiterhin gültig:
»Die peripatetische Parallele (bei gleicher Reihenfolge, aber ohne Nen-
nung von Namen), findet sich bei Alexander de anima mant. 117, 1 – 118, 4.
Diese zeitlich vor Nemesios liegenden Parallelen erweisen: Nemesios hat
diese drei Argumente nicht selbst zusammengestellt, sondern die platoni-
sche wie die peripatetische Schultradition bot dies als ein dreigeteiltes
Lehrstück. Nemesios hat es recht geschickt an dieser Stelle eingefügt, wo
es die beabsichtigte Gliederung am wenigsten stört«.
Diese Quelle des Nemesios, welche die Schulargumente überliefert
(und nicht Porphyrios sein kann), wird von Dörrie auf folgende Weise
beschrieben (1959, 121ff.): (a) es handle sich um ein Werk, das zahlreiche
doxographische Materialien enthalten habe: »eine Zusammenstellung, die
der Doxographie bei Areios Didymos sehr ähnlich, mit ihr aber nicht
identisch war«; (b) diese Quelle habe unter dem Einfluss der Akademie
des Karneades gestanden, was aus der eher polemischen als konstruktiven
Tendenz der Argumente abzuleiten sei; (c) sie biete eine mittelplatonische
Definition der Seele als »unkörperliche Substanz«; (d) die kompakte Struk-
tur und die kompetente Diskussion philosophischer Fragestellungen (auch
auf Gebieten, die nicht von der eigenen Schule behandelt wurden) »lassen
vermuten, dass dem Nemesios eine erstrangige Quelle zur Verfügung
_____________
der Zuschreibung an Soranos war Fuchs 1900; vgl. hierzu auch Garofalo 1997,
XI, wobei auf die Soranosfrage nicht hingewiesen wird.
246 Zu diesen Übereinstimmungen vgl. Wellmann 1901, 143.
247 Vgl. auch den Artikel I. Garofalos in Leven 2005, 54: »zeigt aber Sympathie für
die Empiriker und inhaltliche Ähnlichkeiten mit Soran«; Mansfeld 1990, 3104:
»Anonymus Fuchsii, which likewise is believed to derive from Soranus«.
Zur Rekonstruktion einer Quelle des Soranos 103
einen Vergleich mit Tertullians Text in An. 15, 5f. Parallelen, die nicht
zufällig sein können 246; dass der Anonymus Fuchsii mit Soranos nur durch
eine gemeinsame Quelle verbunden ist, wirkt unwahrscheinlich. Auch
wenn der für uns interessante aitiologische Teil kein Auszug aus Soranos
ist, so ist Soranos doch eine Quelle für den Anonymus, was für unsere
Zwecke hinreichend ist 247.
Weiter oben haben wir beobachtet, wie Soranos zugunsten der materialis-
tischen Psychologie die Argumente Kleanthes’ und Chrysipps im Rahmen
der Beweisführung der Körperlichkeit der Seele anführte. Diese Argumen-
te stimmen genau mit dem Text des Nemesios überein, und dass sie dort
in einer anderen Reihenfolge auftreten, stellt kein großes Problem dar.
Folglich bleibt die Hypothese H. Dörries (1959, 132) weiterhin gültig:
»Die peripatetische Parallele (bei gleicher Reihenfolge, aber ohne Nen-
nung von Namen), findet sich bei Alexander de anima mant. 117, 1 – 118, 4.
Diese zeitlich vor Nemesios liegenden Parallelen erweisen: Nemesios hat
diese drei Argumente nicht selbst zusammengestellt, sondern die platoni-
sche wie die peripatetische Schultradition bot dies als ein dreigeteiltes
Lehrstück. Nemesios hat es recht geschickt an dieser Stelle eingefügt, wo
es die beabsichtigte Gliederung am wenigsten stört«.
Diese Quelle des Nemesios, welche die Schulargumente überliefert
(und nicht Porphyrios sein kann), wird von Dörrie auf folgende Weise
beschrieben (1959, 121ff.): (a) es handle sich um ein Werk, das zahlreiche
doxographische Materialien enthalten habe: »eine Zusammenstellung, die
der Doxographie bei Areios Didymos sehr ähnlich, mit ihr aber nicht
identisch war«; (b) diese Quelle habe unter dem Einfluss der Akademie
des Karneades gestanden, was aus der eher polemischen als konstruktiven
Tendenz der Argumente abzuleiten sei; (c) sie biete eine mittelplatonische
Definition der Seele als »unkörperliche Substanz«; (d) die kompakte Struk-
tur und die kompetente Diskussion philosophischer Fragestellungen (auch
auf Gebieten, die nicht von der eigenen Schule behandelt wurden) »lassen
vermuten, dass dem Nemesios eine erstrangige Quelle zur Verfügung
_____________
der Zuschreibung an Soranos war Fuchs 1900; vgl. hierzu auch Garofalo 1997,
XI, wobei auf die Soranosfrage nicht hingewiesen wird.
246 Zu diesen Übereinstimmungen vgl. Wellmann 1901, 143.
247 Vgl. auch den Artikel I. Garofalos in Leven 2005, 54: »zeigt aber Sympathie für
die Empiriker und inhaltliche Ähnlichkeiten mit Soran«; Mansfeld 1990, 3104:
»Anonymus Fuchsii, which likewise is believed to derive from Soranus«.
104 Einleitung
stand«; (e) die Quelle gebe keine Hinweise auf die platonische Schule; (f)
das dem Nemesios zur Verfügung stehende Handbuch versuche, sich
vom immanentistischen Peripatos zu distanzieren.
Ein Werk, das über ein solches Profil verfügt, scheint schon auf den
ersten Blick für das Verständnis der Quellen des Soranos interessant zu
sein: die in Wortlaut und Umfang sehr parallel gestalteten Passagen bei
Tertullian und Nemesios scheinen die Existenz eines gemeinsamen ›Liefe-
ranten‹ zu suggerieren, der in T 2 (An. 5, 4ff.) die bereits zusammengefass-
ten stoischen Argumente übermittelt hat. Soranos und Nemesios sind
nicht nur an dieser Stelle durch nicht unbedeutende Argumente miteinan-
der verbunden; im Folgenden führen wir die Parallelen zwischen beiden
Autoren an:
(a) Nemes. De nat. hom. 67, p. 16, 1-21: ȮȳȫȿɂȷȯȽȫȳ ȼɀȯȮ'ȷ ʶąȫȼȳ ȽȹȻ
ąȫȵȫȳȹȻ ( ąȯȺ ȽȻ ɁȾɀȻ ȵ&ȭȹȻ. ȕȱȶ&ȴȺȳȽȹȻ ȶ ȷ ȭ Ⱥ ȴȫ ϶ąɅȴȹȾȺȹȻ ȴȫ
ą˦ȷ Ƚ' ȽHȷ ȢȽɂȳȴHȷ ȿȳȵȹȼџȿɂȷ ȼѠȼȽȱȶȫ ȼHȶȫ Ƚȷ ɁȾɀȷ ʱąȹȿȫɅȷȹȷȽȫȳ,
ȴȫ ȫ3Ƚȹ Ȯ ȹ:Ƚȹȳ ȹ ȼHȶȫ Ƚȷ ɁȾɀȷ ʱąȹȿȫȳȷџȶȯȷȹȳ ȮȳȫȿɃȺȹȷȽȫȳ ąȯȺ ȽȻ
ȹ3ȼɅȫȻ ȫ3ȽȻ· ȹ ȶ ȷ ȭ Ⱥ ȢȽɂȳȴȹ ąȷȯ8ȶȫ ȵɃȭȹȾȼȳȷ ȫ3Ƚȷ ʿȷȲȯȺȶȹȷ ȴȫ
ȮȳȪąȾȺȹȷ, țȺȳȽɅȫȻ Ȯ ȫ ȶȫ, Љąąɂȷ Ȯ ( ȿȳȵџȼȹȿȹȻ 4ȮɂȺ, ȕȱȶџȴȺȳȽȹȻ Ȯ ą8Ⱥ
(Ƚ ȭ Ⱥ ȼȿȫȳȺȹȯȳȮ ȼɀɄȶȫȽȫ ȽHȷ ʱȽџȶɂȷ ȼȾȭȴȳȺȷȪȶȯȷȫ, ą8Ⱥ Ƚȯ ȴȫ ʱɄȺ,
ɁȾɀȷ ʱąȹȽȯȵȯ). ϽȺȪȴȵȯȳȽȹȻ Ȯ Ƚȷ ȶ ȷ Ƚȹ8 ąȫȷȽ'Ȼ ɁȾɀȷ ʱȷȫȲȾȶɅȫȼȳȷ ȴ
ȽHȷ 2ȭȺHȷ, Ƚȷ Ȯ ȷ ȽȹȻ ȰMȹȳȻ ʱąџ Ƚȯ ȽȻ ȴȽ'Ȼ ȴȫ ȽȻ ȷ ȫ3ȽȹȻ
ʱȷȫȲȾȶȳȪȼȯɂȻ (ȶȹȭȯȷ ąȯȿȾȴɃȷȫȳ ~ T 2 (Tert. An. 5, 2): nec illos dico solos
qui eam de manifestis corporalibus effingunt, ut Hipparchus et Heraclitus ex
igni, ut Hippon et Thales ex aqua, ut Empedocles et Critias ex sanguine, ut
Epicurus ex atomis (si et atomi corpulentias de coitu suo cogunt), ut Crito-
laus et Peripatetici eius ex quinta nescio qua substantia (si et illa corpus, quia
corpora includit), sed etiam Stoicos allego, qui spiritum praedicantes animam
paene nobiscum, qua proxima inter se flatus et spiritus, tamen corpus ani-
mam facile persuadebunt.
(b) Nemes. De nat. hom. 72, pp. 18, 22 – 19, 2 Morani:ȱ ʿȽȳ ą˦ȷ ȼHȶȫ ˅Ƚȹȳ
ʿȸɂȲȯȷ ȴȳȷȯȽȫȳ ˃ ʿȷȮȹȲȯȷ· ʱȵȵ’ ȯ ȶ ȷ ʿȸɂȲȯȷ, ʵɁȾɀȹȷ ʿȼȽȫȳ· ȯ Ȯ ʿȷȮȹȲȯȷ,
ʿȶɁȾɀȹȷ. ȯ Ȯ ȼHȶȫ ˂ ɁȾɀɄ, ȯ ȶ ȷ ʿȸɂȲȯȷ ȴȳȷȹȽȹ, ʵɁȾɀџȻ ȼȽȳȷ· ȯ Ȯ
ʿȷȮȹȲȯȷ, ʿȶɁȾɀȹȻ· ʵȽȹąȹȷ Ȯ ȴȫ Ƚ' ʵɁȾɀȹȷ ȴȫ Ƚ' ʿȶɁȾɀȹȷ ȵɃȭȯȳȷ Ƚȷ
ɁȾɀɄȷ· ȹ3ȴ ʵȺȫ ȼHȶȫ ˂ ɁȾɀɄȱ~ T 35 (Tert. An. 6, 1): haec Platonici subtili-
tate potius quam veritate conturbant. Omne, inquiunt, corpus aut animale sit
necesse est aut inanimale. Et si quidem inanimale est, extrinsecus movebitur,
si vero animale, intrinsecus. Anima autem nec extrinsecus movebitur, ut quae
non sit inanimalis, nec intrinsecus, ut quae ipsa potius moveat corpus. Itaque
non videri eam corpus, quae non corporalium forma ex aliqua regione move-
atur. ȱ
(c) Nemes., De nat. hom. 72 p. 19 Morani (Xenokrates, fr. 203 Isnardi-Parente =
Numenios, fr. 4 b des Places) ~ T 3 = An. 6, 6; vgl. die Einleitung, 73.
(d) Nemes. De nat. hom. 76-79, pp. 20-21 Morani; Ibid., 81 p. 22 (SVF I, 518 und
SVF II, 790) ~ T 2 (Tert. An. 5, 4-6), vgl. die Einleitung, 70-71.
(e) Nemes. De nat. hom. 187-188 p. 62, 10-19: ąȹȽ Ȯ ȴȫȲ’ ʼȫȾȽȷ ȷȫȺȭHȻ
ąȫȺɅȼȽȱȼȳ Ƚ ȿȫȳȷџȶȯȷȫ *Ƚȫȷ ȶ ąџȺȺɂȲȯȷ (Ⱥ˧· Ƚ'ȷ ȭȹ8ȷ ąѠȺȭȹȷ Ƚ'ȷ
Zur Rekonstruktion einer Quelle des Soranos 105
ʿȸɂȲȯȷ Ƚ' ȴȳȷȯȼȲȫȳ, ʵɁȾɀȹȷ, ˠ Ȯ ʿȷȮȹȲȯȷ ȫ3ȽN ȸ ȫ2Ƚȹ8 ʿȶɁȾɀȹȷ; vgl. Tim.
34 a; 43 b; zur Rezeption dieses platonischen Arguments vgl. Atticus fr. 8 des
Places: (Eus. Praep. Ev. 15, 12): *Ƚȳ ȽȹȻ ȴȳȷȹȾȶ ȷȹȳȻ ʶąȫȼȳ ʱȺɀ ȴȫ ąȱȭ ȽȻ
ȴȳȷȼȯɂȻ ˂ ɁȾɀ; Apul. De Platone 1, 9, 199 p. 97, 16 Moreschini: animam vero
animantium omnium non esse corpoream nec sane perituram… ipsamque sem-
per et per se moveri, agitatricem aliorum quae natura sui immota sunt atque pigra;
Diog. Laert. 3, 67: ȫ3ȽȹȴȷȱȽџȷ Ƚȯ ȯȷȫȳ ȴȫ ȽȺȳȶȯȺ.
Der Syllogismus wird an dieser Stelle von den Platonikern in entgegenge-
setzter Richtung angewandt: ausgehend von der Voraussetzung, die Seele
sei ȫ3ȽȹȴȷȱȽȹȻ und unsterblich, gehen die Platoniker ausschlussweise
vor: die Seele kann weder von außen noch von innen bewegt werden, also
auf keinen Fall ein Körper sein.
Ausgangspunkt dieser Argumente ist zweifellos der platonische Text;
die daraus entommenen Materialien scheinen allerdings auf der Basis einer
logischen Syntax nach aristotelischem Muster angeordnet worden zu sein.
Ebenfalls eindeutig ist der Bezugspunkt des Zeugnisses (c), in wel-
chem ein weiterer Syllogismus überliefert wird, den eine schwer verständ-
liche Stelle des Nemesios-Textes Xenokrates zuschreibt (vgl. oben, 73).
Diese Zuweisung ist neben dem inhaltlichen Problem dadurch erschwert,
dass auch Nemesios keinen direkten Zugang zum Text des dritten Schul-
leiters hatte; das Argument des Xenokrates scheint also von Ammonios
oder Numenios vermittelt worden zu sein 248. Dieser Umstand lässt den
Schluss zu, dass Soranos dieses Argument im alexandrinischen Milieu
kennengelernt hat, wo mit großer Wahrscheinlichkeit auch diese Quelle zu
lokalisieren ist. Neben der Verwendung des peripatetischen Syllogismus
greift diese Quelle platonische Materialien auf; diese werden zugunsten
einer Dichotomie sinnlich wahrnehmbar/ intelligibel angeführt, wobei die
zwei Welten voneinander entschieden getrennt, aber letztlich analog und
spiegelbildlich konzipiert sind.
Neben der bereits oben betrachteten Textpassage (d) finden wir in (e)
einen weiteren problematischen Berührungspunkt zwischen Soranos und
dem Skeptizismus. Die betreffende Stelle steht mit der Auflistung der
skeptischen Tropoi in Zusammenhang, die Sextus Empiricus in Bezug auf
die ʱȺɀȫȳџȽȯȺȹȳ ȼȴȯąȽȳȴȹ anführt. Es handelt sich um die Tropoi über
die Unzuverlässigkeit der Sinneswahrnehmung; meines Wissens konzent-
rierten sich die späteren Skeptiker (unter ihnen Ainesidemos) nicht auf das
Problem der Sinneswahrnehmung, sondern auf das der Richtigkeit logi-
scher Verfahren (vor allem auf das Verhältnis zwischen Ursache und Wir-
_____________
248 Diese Stelle wurde als Numenios, fr. 4 b in die Textsammlung von des Places
aufgenommen; Nemesios selbst bestätigt, dass das Material ursprünglich von
Numenios und Ammonios stammt, vgl. 70, p. 17, 17 Morani; vgl. auch oben,
76ff.
Zur Rekonstruktion einer Quelle des Soranos 107
kung) 249. In jedem Fall ist bei Nemesios kein Bezug auf Ainesidemos und
die Tropoi zu finden, die nach Sextus Empiricus dem Philosophen aus
Knossos zuzuschreiben sind: dies führt zu der Annahme, dass die mittel-
platonische Quelle von Nemesios und Soranos den neuen, in den letzten
Jahren der republikanischen Zeit entstandenen Skeptizismus nicht ken-
nengelernt hatte.
Dies dürfte mit dem schon von Dörrie bemerkten Charakteristikum
übereinstimmen, das unsere Quelle mit der skeptischen Akademie des
Karneades verbindet; somit erschließt sich uns ein weiterer Aspekt der
von unserem Arzt benutzten Quelle, in der doxographische Gelehrsam-
keit, platonische Argumente und skeptische Tropoi bereits miteinander
vereint waren. Zur Bestätigung der Hypothese, dass die Doxographie
bereits mit skeptischen Elementen durchsetzt war (d.h. diese nicht von
Ainesidemos eingearbeitet wurden), kann man auch die Meinung J. Mans-
felds anführen: die Placita seien in einer durch ein Mitglied der skeptischen
Akademie unter Arkesilaos ›neubearbeiteten Auflage‹ veröffentlicht wor-
den: »I shall argue that the compilation used by Chrysippus was of Skepti-
cal provenance and so must have originated in the Academy of Arcesilaus,
i.e. among the latter’s pupils« 250. Andererseits sind skeptische Materialien
auch bei Aëtios überliefert: vgl. 3, 5, 5 p. 372 Diels: Ȯȳ' ȴȫ Ƚȷ ȴѡąȱȷ ȷ
Ƚ Ȳȫȵ ȼȼ ȶȫȴȺ&Ȳȯȷ ȴȫȶąȽȹȶ ȷȱȷ (ȺHȶȯȷ.
Zwei Punkte sind noch ungeklärt: (1): war die Vorlage des Soranos
wirklich dieselbe wie die des Nemesios, oder ist eine Zwischenquelle an-
zunehmen? Daraus ergibt sich Frage (2): die Soranos und Nemesios ge-
meinsame Quelle vereinte Doxographie und Skeptizismus gegenüber der
Sinneswahrnehmung, wahrscheinlich ohne Bezug auf den entweder skep-
tischen oder herakliteischen Ainesidemos: wurden diese Bezüge von Sora-
nos selbst eingefügt, oder standen sie bereits in seiner Vorlage?
Weiter oben hatten wir auch die These H. Dörries angeführt: trotz des
Einflusses der skeptischen Akademie konnte die Soranos und Nemesios
gemeinsame Quelle auch konstruktive Argumente aufstellen, die der mit-
telplatonischen Philosophie folgten. Dies lässt sich durch die Renaissance
der platonischen Philosophie während der vermutlichen Entstehungszeit
der Quelle erklären (d.h. zwischen dem 1. Jh. v.Chr. und dem 1. Jh.
_____________
249 Vgl. Pyrrh. Hyp. 1, 36 p. 12, 22 Mutschmann: ąȫȺȫȮɅȮȹȷȽȫȳ ȽȹȷȾȷ ȼȾȷɄȲɂȻ
ąȫȺ ȽȹȻ ʱȺɀȫȳȹȽ ȺȹȳȻ ȼȴȯąȽȳȴȹȻ ȽȺџąȹȳ ȮȳP Jȷ ˂ ąȹɀ ȼȾȷ ȭȯȼȲȫȳ Ȯȹȴȯ,
dagegen 1, 164 p. 41, 5: ȹ Ȯ ȷȯѡȽȯȺȹȳ ȼȴȯąȽȳȴȹ ąȫȺȫȮȳȮ&ȫȼȳ ȽȺџąȹȾȻ ȽȻ
ąȹɀȻ ą ȷȽȯ Ƚȹ0ȼȮȯ; dazu 1, 180 p. 45, 1: ȴȫ Ȯ ȒȷȱȼɅȮȱȶȹȻ )ȴȽA ȽȺџąȹȾȻ
ąȫȺȫȮɅȮɂȼȳ ȴȫȲ’ ȹ5Ȼ ȹȯȽȫȳ ą˦ȼȫȷ ȮȹȭȶȫȽȳȴȷ ȫȽȳȹȵȹȭɅȫȷ BȻ ȶȹɀȲȱȺ ȷ
ȵɃȭɀɂȷ ʱąȹȿɄȷȫȼȲȫȳ.
250 Vgl. Mansfeld 1990, 3062; vgl. auch 3121.
108 Einleitung
n.Chr.) 251. Aufgrund dieser Tatsache müssen wir auch die geistige Unab-
hängigkeit unseres Arztes konstatieren. Auch wenn er ein entschlossener
Vertreter der materialistischen hellenistischen Immanenzpsychologie war,
so dürfte er auch ein Werk der platonischen Schule herangezogen haben,
ohne sich von diesem beeinflussen zu lassen. Interessant ist auch, was aus
Punkt (d) zu erschließen ist, wo Soranos seiner Quelle die drei stoischen
Argumente zugunsten der Körperlichkeit der Seele entnimmt, wobei sie
mit großer Wahrscheinlichkeit in polemischer Absicht zitiert worden wa-
ren. An dieser Stelle scheint der Arzt im konstruktiven Sinne auch auf
Beweisführungen zurückzugreifen, die seine Vorlage verwarf. Die Absicht
des Soranos erweist sich als eine Reaktion gegen die wieder auflebende
platonische Transzendenzphilosophie; diese Reaktion schließt auch keinen
›Vatermord‹ aus, d.h. die Benutzung der in der Quelle vorhandenden Ar-
gumente gegen die Quelle selbst.
_____________
251 Zum archaischen Charakter dieser Quelle und einer möglichen Datierung vgl.
Dörrie 1959, 126ff.
Conspectus siglorum
lenius; quippe ad quam Reifferscheid et alii alia || 2 invenisse Gelenius; inveniens B; invenies
Reifferscheid || 3 ingrediendo: ingrediens B.
ȼȱȻ ȶ( ȷ) ȽȻ ɁȾɀȻ [ȴȹ]8ȿ[џ]ȷ (ȼȽȳȷ) Ƚ' ȰHȳȹȷ, *Ƚǽȳ ȴȫ ąȷȯ8ȶ(ȫ)
˂ ɁȾɀɄ, Ƚ' Ȯ ąȷȯ8ȶȫ ȴȹ8ȿȹȷ Ƚȷ ȿѠȼȳȷ
ЖȽȹ ąȷȯ8ȶȫЗ. ąȷȯȾȶȫȽȳȴ Ȯ ȴȫ ˂ ɁȾɀɄ· ȽȹȳȫѠ-
ȽȱЖȳЗ Ȯ 2(ąȪȺɀȹȾȼȫ) ϡȯ3ȵǽџǽȭǽɂǽȻǽϤ ąȫȺȹ8ȼ[ȫ] ȶ( ȷ) [ȴȹ]8ȿȹȷ ąȫȺɃɀȯȳ
Ƚ' ȰHȳȹȷ,
ʱąȹ8ȼȫ Ȯ ȬȫȺѠȽȯȺȹȷ· * ȹ[4ȽɂȻ] ȭ( Ⱥ) 2ą' ȽȻ ɁȾɀ(Ȼ) 5
ȬȫȼȽȪȰȯȽȫȳ Ƚ' *ȵȹȷ ϡȼHȶ[ȫ]Ϥ. ȭǽɅǽ(ȷǽȯǽȽǽȫǽȳǽ) [Ȯ ...] ȵȯȭǽȯǽȳȷ Ƚȹ8Ƚȹ ȶ( ȷ)
ЖȫąȹȽ(ɂȷ)ȫǽȵ(ɂȷ)З ʱą' Ƚ(Hȷ) ʵȵȵɂǽ[ȷ ȮȾ(ȷȪȶȯɂȷ), ȫ]:ǽȽǽȫǽ[ȳ Ȯ ] ʱą'
Ƚ(Hȷ) ȴȯȳ-
ȷɄȼȯɂȷ. * ȴȯȳȷȯǽǽȽȫȳ ȭ( Ⱥ) Ƚ' *ȵȹȷ ȼHȶȫ ȽȻ
ɁȾɀȻ Ȯȳ Ƚȹ8 ȭȯѡȮȹȾȻ [ȴȫ ʱȯȺѡȮȹ]ȾȻ ȴȫ
ȮȳȫȬȫȼȽȫȰȹѠȼȱȻ ȫ3ȽȪ· ȹ4[ȽɂȻ ȴȯȷȹ ȽȯɅȷȯȽȫȳ] 10
ʵȷɂ· ȭȳȷȹȶɃȷȱ[Ȼ] ȭǽ( ǽȺǽ) ȫ3ȽȻ ȽȻ ɁȾɀȻ ȭɅ(ȷȯȽȫȳ)·
Ȯȳ' Ȯ ȴȫ .ȱ[Ƚ]Ƀǽȹȷ, *ǽȽǽȳǽ <ȹ3ɀ> *ǽȽǽȫȷ Ƚ[ȳȷ'Ȼ ȭɃȷȱ]Ƚȫȳ ą(Ⱥџȼ)-
ȲȯȼȳȻ, ȴȯȷȹ ȭɅ(ȷȯȽȫȳ) ȬȫȺѠȽȯȺȹȷ, ʱȵ(ȵ ) [ ȷ] ȬǽȫǽȺǽɃǽȹǽȻ ȽȳȷџȻ
Ƚȳȷȳ ȭɃȷȱȽȫȳ ą(Ⱥџȼ)ȲȯȼȳȻ, ȴȯ[ȷȹ ȭɅ(ȷȯȽȫȳ) ȬȫȺѠȽȯȺȹ]ȷ.
˂ Ȯ ɁȾɀ Ƚȹȼȹ8Ƚȹȷ [ʱą]Ƀɀȯ[ȳ Ƚȹ8 (ȯȷȫȳ)] ȬȫȺȯȫ, 15
DȼȽȯ ȴȫ Ƚ' ȿ0ȼȯȳ ȴ(ȫȽȫ)ȺǽȺǽ ǽąǽȹȷ ȴǽȹȾȿǽǽȰǽȯȳȷ ȴȫ
ȬȫȼȽȪȰȯȳȷ. Ƚȫ0ȽȱȻ ȹ9ȷ ąȫ[Ⱥ]ȹ0ȼȱȻ Ȯǽȯǽџȷ
ȽɂȻ ȴȹ8ȿǽџǽȷǽ (ǽȼǽȽǽȳǽȷǽ) Ƚ' ȰǽNǽȹǽȷǽ. *Ƚȫȷ ȶ ȷȽȹȳ ȭȯ ЖȫǽȿǽЗ
ʲȿȫȷȳȼȲ ˂ ɁȾɀ, ȽN ȶȱȴɃȽȳ ąȫȺȯȷȫȳ
Ƚ' ȴȹȾȿȰȹȷ ȶȱȮ ȫɂȺȹ8ȷ ȵǽȹǽȳǽą'ȷ ȬȫȺɃЖȳЗȫ 20
ȿȫȷȯȽȫȳ ȯ3ȵџȭɂȻ Ƚ ȷȯȴȺ Ƚ[ȫ0ȽȱȻ] ȫ(ȽɅˤ).
ȴȫ ą Ƚ(Hȷ) ʱȼȴHȷ Ȯ ąȯąȵȱȺɂǽȶ ȷ(ɂȷ) ϡǽ Ƚȹ8 ąȷȯѠȶ(ȫȽȹȻ)Ϥ ȴȹȾȿџȽȱȻ
ȴȫȽȫȵȫȶȬȪȷȯȽȫȳ ȽN Ƚȹ8Ƚȹ ȴ[ȹ8ȿȹȷ] -ǽȷǽ ȴȹȾ-
ȿȰȯȳȷ Ƚǽ'ǽȷ ʱȼȴџȷ. *Ƚȫȷ Ȯ ȶǽǽ [ąȫȺ] Ƚ' ąȷȯ8ȶ(ȫ),
ȬȫȺ1Ȼ ȭ(ȷȯȽȫȳ) ( ʱȼȴ'Ȼ ȽN ȼȽȯȺȼȲȫȳ 25
Ƚȹ8 ȴȹȾȿȰȹȷȽȹȻ ȫȽȹȾ.
6 — Tert. An. 9, 1; 9, 5.
[a] 9, 1. Et tamen non inconstanter profitebimur sollemniora quaeque
et omnimodo debita corpulentiae adesse animae quoque, ut habitum, ut
Testimonia 115
7 — Tert. An. 10, 4-5. Herophilus ille medicus aut lanius, qui sexcentos1
exsecuit, ut naturam scrutaretur, qui hominem odiit2, ut nosset, nescio an
omnia interna eius liquido explorarit, ipsa morte mutante quae vixerant, et
morte non simplici, sed ipsa inter artificia exsectionis errante. 5. Philoso-
phi3 pro certo renuntiaverunt culicibus et formicis et tineis deesse pul-
mones et arterias.
1 sexcentos: septingentos B; sexcentos Bmg || 2 odiit: occidit Diels 1929, 206 || 3
9 — Tert. An. 12, 5-6. Iam ergo et commiscibilis est animus adversus
Anaxagoran1 et passibilis adversus Aristotelen. Ceterum si discretio admit-
titur, ut substantia duae res sint animus atque anima, alterius erit et passio
et sensus et sapor omnis et actus et motus, alterius autem otium et quies et
stupor et nulla iam causa, et aut animus vacabit aut anima. 6. Quodsi
constat ambobus haec omnia reputari, ergo unum erunt utrumque et De-
116 Testimonia
11 — Tert. An. 14, 4-5 ~ Pollux, Onom. 2, 236 p. 155 ~ Anon. Lond. 1,
21-24; 37, 47-49 ~ Etym. Orion. 100; 116-117; 169.
[a] Tert. An. 14, 4. Atquin ex multitudine membrorum unum corpus
efficitur, ut concretio sit potius ipsa divisio. Specta portentosissimam Ar-
chimedis munificentiam, organum hydraulicum dico, tot membra, tot
partes, tot compagines, tot itinera vocum, tot compendia sonorum, tot
commercia modorum, tot acies tibiarum, et una moles erunt omnia. Sic et
spiritus, qui illic de tormento aquae anhelat, non ideo separabitur in partes,
quia per partes administratur, substantia quidem solidus, opera vero divisus.
5. Non longe hoc exemplum est a [b] Pollux, Onom. 2, 236 p. 155. ȫ
Stratone et Aenesidemo et Hera- ȽȹȷȾȷ ȫȼȲȼȯȳȻ ą ȷȽȯ ȶ ȷ ȯȼȳȷ,
clito; nam et ipsi unitatem animae ȹ3ȴ ȷ ʼȷ Ȯ ȽџąL, ʱȵȵP ˂ ȶ ȷ
tuentur, quae in totum corpus dif- ,ȼȿȺȱȼȳȻ ąȯȺ Ƚ Ȼ .ȷȫȻ
fusa et ubique ipsa, velut flatus in ȸȯȽȪȰȯȽȫȳ, ˂ ȮP ,ɁȳȻ ąȯȺ Ƚȹ1Ȼ
calamo per cavernas, ita per sensu- )ȿȲȫȵȶȹ1Ȼ ȿȫȷȽȪȰȯȽȫȳ, ˂ ȮP ʱȴȹ
alia variis modis emicet, non tam ąȯȺ Ƚ IȽȫ ȷȮȳȫȳȽ˦Ƚȫȳ, ˂ Ȯ
concisa quam dispensata. Haec ȭȯ8ȼȳȻ ąȯȺ Ƚȷ ȭȵHȽȽȫȷ ȯȵȱȽȫȳ,
omnia quibus titulis nuncupentur et ˂ ȮP ʲȿ ąȯȺ *ȵȹȷ Ƚ' ȼHȶȫ
quibus ex se divisionibus detinean- ąȹȵȳȽȯѠȯȽȫȳ.
tur1 et quibus in corpore metationi-
bus sequestrentur, medici potius
Testimonia 117
12 — Tert. An. 15, 1-3. Inprimis an sit aliqui1 summus in anima gradus
vitalis et sapientialis, quod ˂ȭȯȶȹȷȳȴџȷ appellant, id est principale, quia2 si
negetur, totus animae status periclitatur3. Denique qui negant principale,
ipsam prius animam nihil censuerunt. 2. Messenius aliqui4 Dicaearchus, ex
medicis autem Andreas et Asclepiades ita abstulerunt principale, dum in
animo ipso volunt esse sensus, quorum vindicatur principale. Asclepiades
etiam illa argumentatione vectatur, quod pleraque animalia ademptis eis
partibus corporis, in quibus plurimum existimatur principale consistere, et
insuper vivant aliquatenus et sapiant nihilominus, ut muscae et vespae et
lucustae, si capita decideris, ut caprae et testudines et anguillae, si corda
detraxeris; itaque principale non esse, quo5, si fuisset, amisso6 cum suis
sedibus7 vigor animae non perseveraret. 3. Sed plures et philosophi adver-
sus Dicaearchum, Plato Strato Epicurus Democritus Empedocles Socra-
tes8 Aristoteles, et medici adversus Andrean et Asclepiaden, Herophilus
118 Testimonia
13 — Tert. An. 15, 5-6 ~ Pollux, Onom. 2, 226 p. 152 ~ Etym. Or. 16 ~
Anonymus Fuchsii 1, 1 ~ Cael. Aur. Acut. Morb. 1, 8, 53.
[a] An. 15, 5-6. Ut [b] Pollux, Onom. 2, [c] Anon. Fuchsii 1, 1
neque extrinsecus 226 p. 152. ȼѠȭȴȯȳȽȫȳ p. 2 Garofalo (ordine
agitari putes principale ȶȷ Ȯ ( ą˦Ȼ mutato).
istud secundum Hera- ʵȷȲȺɂąȹȻ ȴ ɁȾɀȻ
clitum, neque per Ƚȯ ȴȫ ȼѡȶȫȽȹȻ, ȴȫ
totum corpus ventilari ʿȼȽȳȷ ˂ ɁȾɀ ąȷȯ8ȶȫ
secundum Mo- ˃ ą8Ⱥ ˃ ȫ ȶȫ ˃ * Ƚȳ
schionem1, neque in ʳȷ Ȯȹȴ ȽȹȻ ȼȹȿȹȻ,
capite concludi secun- ȶɃȺȱ Ȯ’ ȫ3ȽȻ ȷȹ8Ȼ
dum Platonem, neque ąȳȲȾȶɅȫ ȲȾȶџȻ. ȴȫ (
in vertice potius prae- ȶȷ ȷȹ8Ȼ ȴȫ
sidere secundum ȵȹȭȳȼȶ'Ȼ
Xenocraten, neque in ȴȫ ˂ȭȯȶȹȷȳȴџȷ, ȯȽȯ
cerebro cubare secun- ąȯȺ ȭȴȯȿȪȵL ȴȫȽ
dum Hippocraten, sed ȡȾȲȫȭџȺȫȷ ȴȫ ȡȵȪ-
nec circa cerebri fun- Ƚɂȷȫ ȮȺȾȶɃȷȹȻ, ȯȽȯ ( Ȯ ЅąąȹȴȺȪȽȱȻ Ƚ'ȷ
damentum, ut Hero- ȷ ąȫȺȯȭȴȯȿȫȵɅȮȳ ˃ ȶ ȷ ȷȹ8ȷ ȿȱȼȳȷ ȷ ȽN
philus, nec in mem- ȶɄȷȳȭȸȳȷ, BȻ ąȹȵȵȹȻ ȭȴȯȿȪȵL ȽȯȽȪɀȲȫȳ
branulis2, ut Strato et3 ȽHȷ ȫȽȺHȷ Ȯȹȴȯ, ȴȫȲȪąȯȺ Ƚȳ ȯȺ'ȷ
Erasistratus, nec in ȯȽȯ ȴȫȽ Ƚ' ʵȭȫȵȶȫ ȷ ʱȴȺȹąџȵȯȳ
superciliorum meditul- ȶȯȼџȿȺȾȹȷ, BȻ ʿȵȯȭȯ Ƚȹ8 ȼѡȶȫȽȹȻ
lio, ut Strato physicus, ȢȽȺȪȽɂȷ, ȯȽȯ ąȯȺ
nec in tota lorica pec- ϶ȺȫȼȼȽȺȫȽȹȻ ȶ ȷ ȸ
Ƚ' ȫ ȶȫ, BȻ ϶ȶ-
toris, ut Epicurus, ʱȴȹȵȹѠȲȹȾ ȽHȷ
ąȯȮȹȴȵȻ Ƚȯ ȴȫ
{sed quod4 et Aegyptii ʼȫȾȽȹ8 ȮȹȭȶȪȽɂȷ
renuntiaverunt et qui ϮȺȳȼȽȹȽɃȵȱȻ, ȯȽȯ
ąȯȺ Ƚȷ ȴȫȺȮɅȫȷ, BȻ ȿȱȼ ȭɅȷȯȼȲȫȳ Ƚȷ
divinarum commenta- ȿȺȯȷȽȳȷ ȴȫȽȪ Ƚȳ
tores videbantur}, ut5 ˂ ȢȽȹȪ. ȲȾȶȹ8 Ȯ
ȽџąȹȻ ʵȷȽȳȴȺȾȻ ˂ ąȪȲȹȻ ȽHȷ ȴȫȽ Ƚȷ
et ille versus Orphei ȶɄȷȳȭȭȫ ȷȯȺȭȯȳHȷ·
vel Empedoclis: ȴȫȺȮȫ, ȴȫȲȪąȯȺ (
ąȯȺ Ƚ' ˈąȫȺ ȽџąȹȻ ȹ: ȭ Ⱥ ȽџąȹȾ ȴȫȽ’
»Namque homini6
ąȳȲȾȶɅȫȻ . ȫ3Ƚ'ȷ ˂ ȷџȱȼȳȻ
sanguis circumcor-
ȿȺџȷȱȼȳȻ, ą ȽȹѠȽȹȾ
Testimonia 119
15 — Tert. An. 19, 2. Volunt infantiam sola anima contineri, qua tantum-
modo vivat, non ut pariter sapiat, quia nec omnia sapiant quae vivant.
Denique arbores vivere nec tamen sapere secundum Aristotelen et si quis
alius substantiam animalem in universa communicat, quae apud nos in
homine privata res est, {non modo ut dei opus, quod et cetera, sed ut dei
flatus, quod haec sola, quam dicimus cum omni instructu suo nasci}.
16 — Tert. An. 20, 3-4. Thebis hebetes et brutos1 nasci relatum est,
Athenis sapiendi dicendique acutissimos, ubi penes Colyttum pueri mense
citius eloquuntur praecoca lingua, siquidem et Plato in Timaeo Minervam
affirmat, cum urbem illam moliretur, nihil aliud quam regionis naturam
prospexisse talia ingenia pollicitam; unde et ipse in Legibus Megillo et
Cliniae2 praecipit condendae civitati locum3 procurare. Sed Empedocles
causam argutae indolis et obtusae in sanguinis qualitate constituit, perfec-
tum ac profectum de doctrina disciplinaque deducit. {Tamen vulgata iam
res est gentilium proprietatum} (…) 4. Fortassean et de corpore et valetu-
dine aliquid accedat. Opimitas sapientiam impedit, exilitas expedit, paraly-
sis mentem prodigit, pthisis servat. Quanto magis de accidentibus habe-
buntur quae citra corpulentiam et valentiam4 vel acuunt vel obtundunt!
Acuunt doctrinae disciplinae artes et experientiae5 negotia studia; ob-
tundunt inscitiae ignaviae6 desidiae libidines inexperientiae otia vitia {su-
per haec, si et aliquae praesunt potestates}.
1 et brutos om. A || 2 Cliniae: incliniae A || 3 locum: loci vim A || 4 et valentiam om.
18 — Tert. An. 25, 5. Itaque est1 inter arma medicorum et cum organo, ex
quo prius patescere secreta coguntur tortili temperamento, cum anulocul-
tro2, quo intus membra caeduntur anxio arbitrio, cum hebete unco, quo
totum facinus extrahitur violento puerperio. Est etiam aeneum spiculum,
quo iugulatio ipsa dirigitur caeco latrocinio; ȶȬȺȾȹȼȿ ȴȽȱȷ3 appellant de
infanticidii officio, utique viventis infantis peremptorium. Hoc et Hippo-
crates habuit et Asclepiades et Erasistratus et maiorum4 quoque prosector
Herophilus et mitior ipse Soranus, certi animal esse conceptum atque ita
miserti infelicissimae huiusmodi infantiae, ut prius occidatur, ne viva lanie-
tur5. 6. De qua sceleris necessitate nec dubitabat, credo, Hicesius6, iam
natis animam superducens ex aeris frigidi pulsu, quia et ipsum vocabulum
animae penes Graecos de refrigeratione respondens.
1 est A; et B Gelenius || 2 anulocultro Rigaltius; anulo cultro A; anulo, cultro B; anulo
cultrato Gelenius || 3 ȶȬȺȾȹȼȿ ȴȽȱȷ Urs.: ȖȝȓѢȤȠѢȢȖțȣȘȞ A; ȶȬȺȾȹą ȴȽȱȷ B;
ȶȬȺȾȹȺȼ ȴȽȱȷ Bmg; ȶȬȺȾȹȺ ȴȽȱȷ Gelenius; ȶȬȺȾȹȷɃȴȽȱȷ Lat.; ȶȬȺȾȹȺȴȽȱȷ
Scaligerus || 4 maiorum: vivorum Diels 1929, 206 || 5 ne viva lanietur Gelenius; ne vivat
A; ne vivat lanietur B.
25 — Tert. An. 43, 1-5. De somno prius disputemus, post, mortem quali-
ter anima decurrat. Non utique extranaturale est somnus, ut quibusdam
philosophis placet, cum ex his eum deputant causis quae praeter naturam
haberi videntur. 2. Stoici somnum resolutionem sensualis vigoris affir-
mant, Epicurei deminutionem spiritus animalis, Anaxagoras cum Xeno-
phane defetiscentiam, Empedocles et Parmenides refrigerationem, Strato
segregationem consati spiritus, Democritus indigentiam spiritus, Aristo-
teles marcorem circumcordialis caloris. Ego me nunquam ita dormisse
praesumo, ut ex his aliquid agnoscam. Neque enim credendum est defetis-
centiam esse somnum, contrarium potius defetiscentiae, quam scilicet
tollit, siquidem homo somno magis reficitur quam fatigatur. Porro nec
semper ex fatigatione concipitur somnus, et tamen cum ex illa est, illa iam
non est. 3. Sed nec refrigescentiam admittam aut marcorem aliquem
caloris, cum adeo corpora somno concalescant et dispensatio ciborum per
somnum non facile procederet calore properabili et rigore tardabili, si
somno refrigeraremur. Plus est, quod etiam sudor digestionis aestuantis
est index. Denique concoquere dicimur, quod caloris, non frigoris opera-
tio est. 4. Perinde deminutionem animalis spiritus aut indigentiam spiritus
aut segregationem consati spiritus immortalitas animae non sinit credi.
Perit anima, si minoratur. 5. Superest, si forte, cum Stoicis resolutionem
sensualis vigoris somnum determinemus, quia corporis solius quietem
procuret, non et animae.
26 — Tert. An. 43, 8. Sic et medici omne contrarium vitali salutari auxiliari
extra naturales cardines relegant. Nam et aemulas somno valetudines,
phreneticam atque cardiacam, praeter naturam iudicando naturalem som-
num praeiudicaverunt; etiam in lethargo non naturalem notantes testimo-
nio naturali respondent, cum in suo temperamento est. Omnis enim natu-
ra aut defraudatione aut enormitate rescinditur, proprietate mensurae
conservatur. Ita naturale erit statu, quod non naturale effici potest decessu
vel excessu.
Testimonia 125
27 — Tert. An. 43, 12. Sed et illa sic patitur, ut alibi agere videatur, dis-
simulatione praesentiae futuram absentiam ediscens (de Hermotimo scie-
mus)1, et tamen interim somniat: unde tunc somnia?2 Nec quiescit nec
ignavescit omnino {nec naturam immortalitatis servam soporis addicit}.
Probat se mobilem semper; terra mari peregrinatur negotiatur agitatur
laborat ludit dolet gaudet, licita atque inlicita persequitur, ostendit quod
sine corpore etiam plurimum possit, quod et suis instructa sit membris,
sed nihilominus necessitatem habeat rursus corporis agitandi. {Ita cum
evigilaverit corpus, redditum officiis eius resurrectionem mortuorum tibi
affirmat}. Haec erit somni et ratio naturalis et natura rationalis. {Etiam
per imaginem mortis fidem initiaris, spem meditaris, discis mori et vivere,
discis vigilare, dum dormis}.
1 de Hermotimo sciemus om. Gelenius || 2 unde tunc somnia om. Gelenius.
28 — Tert. An. 44, 2. Quorsum istud? Ne, quia facile est vulgo existimare
secessionem animae esse somnum, hoc quoque Hermotimi argumento
credulitas subornetur. Genus fuerat gravioris aliquanto soporis, ut de in-
cubone praesumptio est vel de ea valetudinis labe quam Soranus opponit
excludens incubonem, aut tale quid vitii quod etiam Epimeniden in fabu-
lam impegit quinquaginta paene annos somniculosum.
29 — Tert. An. 48, 1-2. Certiora et colatiora somniari affirmant sub exti-
mis noctibus, quasi iam emergente animarum vigore prodacto sopore. Ex
temporibus autem1 anni verno magis quieta, quod2 aestas3 dissolvat ani-
mas et hiems quodammodo obduret et autumnus, temptator alias valetu-
dinum, succis pomorum vinosissimis diluat. 2. Item ex ipsius quietis situ,
si neque resupina neque dextero latere decumbat neque conresupinatis
internis, quasi refusis loculis, statio sensuum fluitet aut conpressa iecoris
sagina † sit mentis4. Sed haec ingeniose aestimari potius quam constanter
probari putem, etsi Plato est qui ea aestimavit; et fortassean casu proce-
dant. Alioquin ex arbitrio erunt somnia, si dirigi poterunt.
1 autem om. A || 2 quieta, quod Urs.: quia & aquod A; quieta est quod B Gelenius || 3
30 — Tert. An. 51, 2-3 ~ Meletios, p. 123, 3-18 ~ Pollux, Onom. 2, 145-
146 p. 128; 2, 36 p. 92.
[a] Tert. An. 51, 2-3. Ad hoc enim et Plato, etsi quas vult animas ad
caelum statim expedit, in Politia tamen cuiusdam insepulti cadaver opponit
longo tempore sine ulla labe prae animae scilicet individuitate servatum.
126 Testimonia
31 — Tert. An. 52, 1-2. Hoc igitur opus mortis: separatio carnis atque
animae; seposita quaestione fatorum et fortuitorum bifariam distinxit hu-
manus affectus, in ordinariam et extraordinariam formam, ordinariam
quidem naturae deputans, placidae cuiusque mortis, extraordinariam vero
praeter naturam iudicans, violenti cuiusque finis. {2. Qui autem primordia
hominis novimus, audenter determinamus mortem non ex natura secutam
hominem, sed ex culpa, ne ipsa quidem naturali}.
Testimonia 127
32 — Tert. An. 53, 1. Prius tamen quod est loci huius explebimus, ne, quia
varios exitus mortis ediximus, expectet quis a nobis rationes singulorum
medicis potius relinquendas, propriis arbitris omnium letalium rerum sive
causarum et ipsarum corporalium condicionum.
LOCI INCERTI
34 — Tert. An. 3, 2. Proinde enim et animae ratio per philosophatas doc-
trinas hominum miscentes aquas vino: alii immortalem negant animam, alii
plus quam immortalem adfirmant, alii de substantia, alii de forma, alii de
unaquaque dispositione disceptant; hi statum eius aliunde <de>ducunt1, hi
exitum aliorsum abducunt, prout aut Platonis honor aut Zenonis vigor aut
Aristotelis tenor aut Epicuri stupor aut Heracliti maeror aut Empedoclis
furor persuaserunt.
1 aliunde deducunt Loefstedt: alium deducunt B; aliunde ducunt Gelenius.
1 — Tert. An. 2, 6.
Sorori refragatur: die Angabe des Anon. Lond. 21, 15 ist problematisch:
ąȯȺ ȶ ȷ ɁȾɀȻ ʵȵȵȹȳȻ ʱȷȫȬ ȵȵȹȶȫȳ [ʵȵȵȹȼȯ ʱȷȫȬ ȵȵȹȶȫȳ Wellmann
1922, 425, quod parum placet] : ˂ȶȷ Ȯ Ƚȹ8 ȼ@ȶȫȽȹȻ ȶȯȵȱȽ ȹȷ, ąȯ
ȶ ȵȳȼȽȫ ąȯȺ Ƚȹ8Ƚȹ ȼąȹȾȮ Ȱȯȳ ˂ ȫȽȺȳȴɄ: der Anonymus scheint hier
die Überlegenheit der Medizin im Vergleich zur Philosophie zu behaup-
ten, hingegen die Möglichkeit abzulehnen, sich mit der Psychologie zu
beschäftigen, wenn sie nicht die Heilkunde betrifft. Zur Gegenüberstel-
lung von Medizin und Philosophie vgl. Polito 2006, 316ff.
Zu Heraklit vgl. DK 22 A 1 a; 3 a; Cic. De fin. 2, 5, 15: aut de industria
facias, ut Heraclitus, cognomento qui ȼȴȹȽȯȳȷ&Ȼ perhibetur. Dieser pejorative
Beiname wurde auch von den christlichen Schriftstellern übernommen
(Tat. Or. 3, 1; Clem. Alex. Strom. 5, 8, 50, 2). Zu diesem Fragment Hera-
klits vgl. DK 22 B 45 [= Diog. Laert. 9, 7]: ɁȾɀȻ ąȯȺȫȽȫ Aȷ ȹ3ȴ ʳȷ
ȸȯ0Ⱥȹȳȹ, ą˦ȼȫȷ ąȳąȹȺȯȾ&ȶȯȷȹȻ (Ȯџȷ. Vgl. auch Tert. Marc. 2, 28, 1
[DK 22 B 60] Heraclitus ille tenebrosus; Polito 1994, 435-437.
Plato sed magis amica veritas (Eth. Nic. 1096 a 16: ʱȶȿȹȷ ȭ Ⱥ ,ȷȽȹȳȷ ȿȵȹȳȷ
*ȼȳȹȷ ąȺȹȽȳȶ˦ȷ Ƚȷ ʱȵɄȲȯȳȫȷ); möglicherweise ist die Aufnahme des
Denkspruchs an dieser Stelle ein boshafter Zusatz Tertullians.
Der Name Hipparch ist, nach der Beobachtung Waszinks, ein fal-
sches Zitat und müsste Hippasos lauten (vgl. Aët. 4, 3, 4: ȡȫȺȶȯȷȮȱȻ ȴȫ
ЉąąȫȼȹȻ ȴȫ ϽȺȪȴȵȯȳȽȹȻ ąȾȺѡȮȱ = DK 18 B 7-9; 28 A 45). Der Bezug
auf Hippasos, den Pythagoreer aus Metapont, stammt mit großer Wahr-
scheinlichkeit aus einer peripatetischen Quelle: vgl. Arist. Met. A 3, 984 a
7, nach dessen Angabe Hippasos und Heraklit miteinander verbunden
sind; der Ursprung dieser Verunstaltung des Namens Hippasos ist wahr-
scheinlich bei Tertullian und nicht bei Soranos zu suchen: für den Afrika-
ner war Hippasos nur ein Name: vgl. Sext. Adv. Math. 9, 360f.: șȫȵȻ Ȯ
( ȝȳȵȼȳȹȻ 4ȮɂȺ... ЉąąȫȼȹȻ Ȯ ( ȝȯȽȫąȹȷȽȷȹȻ ȴȫ ȴȫȽ’ ȷɅȹȾȻ
ϽȺȪȴȵȯȳȽȹȻ ą8Ⱥ, ȟȯȷȹȿȪȷȱȻ Ȯ 4ȮɂȺ ȴȫ ȭȷ (ąȪȷȽȯȻ ȭ Ⱥ ȭȫɅȱȻ Ƚȯ
ȴȫ 4ȮȫȽȹȻ ȴȭȯȷџȶȯȼȲȫ), Љąąɂȷ Ȯ ( нȱȭȷȹȻ ą8Ⱥ ȴȫ 4ȮɂȺ...
ȕȱȶџȴȺȳȽȹȻ Ȯ ȴȫ ϶ąɅȴȹȾȺȹȻ ʱȽџȶȹȾȻ.
Hippon von Samos (oder nach anderen Quellen von Rhegios) war
gegen Mitte des 5. Jh.s tätig; er nahm das feuchte Element als Urstoff an
und wurde darum zu den Vorsokratikern gezählt; ein Teil der Geschichts-
schreibung will allerdings in ihm einen Pythagoreer erkennen; zu den An-
gaben über Hippon und Thales vgl. Anon. Lond. 11, 22ff.: Љąąɂȷ Ȯ (
țȺȹȽɂȷȳ ȽȱȻ ȹȯȽȫȳ ȷ ˂ȶȷ ȹȴȯɅȫȷ ȯȷȫȳ 2ȭȺџȽȱȽȫ, ȴȫȲP ˄ȷ ȴȫ
ȫȼȲȫȷџȶȯȲȫ ȴȫ 2ȭȳȫȷȹȶȯȷ ˘ ȰHȶȯȷ; vgl. DK 38 A 3; 38 A 10; 11 A 13
(șȫȵȻ... ȴȫ Љąąɂȷ... 4ȮɂȺ ʿȵȯȭȹȷ Ƚȷ ʱȺɀɄȷ = Simpl. Phys. 23, 21);
11 A 23; Waszink 1947, 128.
Zu den hier über Empedopkles vorliegenden Testimonien vgl. DK
31 A 30: Ƚ' Ȯ ˂ȭȯȶȹȷȳȴ'ȷ [auffällig ist die Kontamination mit der Stoa]
ȹ6Ƚȯ ȷ ȴȯȿȫȵ ȹ6Ƚȯ ȷ ȲѡȺȫȴȳ ʱȵȵP ȷ ȫȶȫȽȳ; 31 A 76 (Platon, Phaed.
96 a – b); 31 A 84. Zu Kritias vgl. DK 88 A 23 (Arist. An. 1, 405 b 5:
ˀȽȯȺȹȳ Ȯȃ ȫ ȶȫ ȴȫȲȪąȯȺ țȺȳȽȫȻ).
Über die Erwähnung Epikurs bemerkt Waszink: »no such statement
is found in doxography«; vgl. allerdings Ep. Hdt. 66, 5 (Scholion), zitiert in
der Einleitung, und dazu die Verse des Lukrez (3, 179: principio esse aio
persubtilem atque minutis/ perquam corporibus factum constare/ … at quod mobile
tanto opere est, constare rotundis/ perquam seminibus debet perquamque minutis…
nunc igitur quoniam <est> animi natura reperta/ … perquam constare necessest/
corporibus parvis et levibus atque rotundis).
Was Kritolaos betrifft, so führt Waszink zum Vergleich den Text von
Aët. Plac. 1, 7, 21 an: țȺȳȽџȵȫȹȻ ȴȫ ȕȳ&ȮɂȺȹȻ ( ȣѠȺȳȹȻ ȷȹ8ȷ ʱąP
ȫȲ ȺȹȻ ʱąȫȲȹ8Ȼ. Zur stoischen Lehre von der Körperlichkeit der Seele
vgl. SVF I, 135 (= Diog. Laert. 7, 157): ȗȷɂȷ Ȯ ( țȳȽȳȯ0Ȼ… ąȷȯ8ȶȫ
Kommentar 133
ʿȷȲȯȺȶȹȷ ȯȷȫȳ Ƚȷ ɁȾɀȷ. Ƚȹ0ȽL ȭ Ⱥ ˂ȶ˦Ȼ ȯȷȫȳ ȶąȷ&ȹȾȻ ȴȫ 2ą'
Ƚȹ0ȽȹȾ ȴȳȷȯȼȲȫȳ.
Der von Zenon ausgearbeitete Syllogismus ist SVF I, 137 zugeordnet.
Calcidius überliefert allerdings eine andere Form des Syllogismus: (Calc. In
Tim. 220 p. 232 Waszink = SVF I, 138): spiritum quippe Zeno quaerit hactenus:
quo recedente a corpore moritur animal, hoc certe anima est. naturali porro spiritu
recedente moritur animal: naturalis igitur spiritus anima est; bis neue Interpretati-
onen vorgeschlagen werden, können wir mit von Arnim von der Gültig-
keit des Fragments auch in der von Tertullian überlieferten Form ausge-
hen (vgl. Einleitung). Gomperz hatte den tertullianischen Text korrigiert:
quo digresso animal emoritur anima est, consito autem spiritu digresso animal emoritur;
ergo consitus spiritus anima est. Consitus autem spiritus corpus est: ergo corpus est
anima. Diese invasive Korrektur scheint heute überflüssig.
Aus dem Text der §§ 4 und 5 besteht SVF I, 518; die beiden Argu-
mente des Kleanthes (die gemeinsamen Empfindungen von Seele und
Leib und die Ähnlichkeit von Kindern zu ihren Eltern) werden auch von
Nemesios überliefert, De nat. hom. p. 20 Morani; vgl. auch Tert. An. 25, 9
und Panaet. ap. Cic. Tusc. 1, 32, 79: eorum similitudo qui procreentur, quae etiam
in ingeniis non solum in corporibus appareat; das Argument kehrt auch in ą.ȭ . 1,
12 p. 36 wieder: ȹ3 ȴȫȽ ȼHȶȫ ȶџȷȹȷ, ʱȵȵ ȴȫ ȴȫȽ ɁȾɀȷ, es stammt
fast sicher aus Soranos (Karpp 1934, 36). Die These, dass Leib und Seele
dieselben Empfindungen teilen, findet sich schon bei Aristoteles (An. 403
a 15ff.: ʿȹȳȴȯ Ȯ ȴȫ Ƚ ȽȻ ɁȾɀȻ ą Ȳȱ ą ȷȽȫ ȯȷȫȳ ȶȯȽ ȼѡȶȫȽȹȻ..
ʶȶȫ ȭ Ⱥ ȽȹѠȽȹȳȻ ą ȼɀȯȳ Ƚȳ Ƚ' ȼHȶȫ) und Lucr. 3, 175: ergo corpoream
naturam animi esse necessest/ corporeis quoniam telis ictuque laborat; Nemes. De
nat. hom. 79 p. 21 Morani. Bemerkenswert ist auch, dass Tertullian in An.
58, 4 behauptet, die Seele könne selbst bei körperlichem Leid gleichmütig
oder gar fröhlich bleiben (mit großer Wahrscheinlichkeit handelt es sich
bei diesem Punkt um einen Zusatz von Tertullian selbst).
Aus dem Text von § 6 besteht SVF II, 791; dieselbe Textpassage
Chrysipps wird in SVF II, 790 überliefert: ȦȺѠȼȳąąȹȻ Ȯ ȿȱȼȳȷ *Ƚȳ (
Ȳ ȷȫȽ&Ȼ ȼȽȳ ɁȾɀȻ ɀɂȺȳȼȶ'Ȼ ʱą' ȼ@ȶȫȽȹȻ; man denke an Lukrez’
Definition des Todes als discidium (Lucr. 3, 341). Den Ausdruck manum
porrigere findet man oft bei Tertullian (Res. 53, 5; Marc. 3, 24, 12; 4, 41, 4),
im Falle Chrysipps handelt es sich aber um eine Bezugnahme auf die Sta-
tue im Keramikos, die den stoischen Schulleiter beim Lehren mit ausge-
streckter Hand darstellte: vgl. Cic. Fin. 1, 39: statua est in Ceramico Chrysippi
sedentis porrecta manu; vgl. auch Pohlenz 1948, 29: wenn die Quelle dieses
Details wirklich Cicero ist, dürfte Tertullian selbst diese Metapher einge-
fügt haben.
134 Kommentar
vgl. Lucr. 3, 228-230: fugiens nihil ponderis aufert; Corp. Herm. 10, 13: Ƚ'
ąȷȯ8ȶȫ Ȯȳȴȹȷ Ȯȳ ȿȵȯȬHȷ ȴȫ ʱȺȽȱȺȳHȷ ȴȫ ȫȶȫȽȹȻ ȴȳȷȯ Ƚ' ȰNȹȷ
ȴȫ DȼąȯȺ ȽȺџąȹȷ Ƚȳȷ ȬȫȼȽȪȰȯȳ. Von großem Interesse scheint mir
auch eine Textpassage aus Ainesidemos (!) ap. Diog. Laert. 9, 85 p. 691, 1-
3 Marc.: ȴȫ ( ȷ ʱɃȺȳ 2ą' ȮȾȹȷ ȴȹȾȿȳȰџȶȯȷȹȻ ȵɅȲȹȻ ȷ 4ȮȫȽȳ .ˤȮɅɂȻ
ȶȯȽȫȽɅȲȯȽȫȳ, ˅Ƚȹȳ ȬȫȺ1Ȼ Gȷ ȴȫ 2ą' Ƚȹ8 4ȮȫȽȹȻ ȴȹȾȿȳȰџȶȯȷȹȻ ˃
ȵȫȿȺ'Ȼ Gȷ ȴȫ 2ą' Ƚȹ8 ʱɃȺȹȻ ȬȫȺȾȷџȶȯȷȹȻ; ebenfalls aus skeptischem
Kreis vgl. Sext. Emp. Pyrrh. Hyp. 1, 125 p. 33: Ƚ' ȼHȶȫ 2ą' 4ȮȫȽȹȻ ȶ ȷ
ąȯȺȳȯɀџȶȯȷȹȷ ȴȹ8ȿџȷ ȼȽȳ, 2ą' Ȯ Ƚȹ8 ʱɃȺȹȻ ȬȫȺ0. Um gegen die Pla-
toniker zu polemisieren, scheint Soranos sich opportunistisch ein skepti-
sches Argument angeeignet zu haben: das Gewicht der Körper ist nicht
objektiv mit der Masse der Körper verbunden, es kann auch von äußeren
Umständen beeinflusst werden (es handelt sich um den vierten Tropos,
ąȯȺ Ƚ Ȼ ąȯȺȳȼȽ ȼȯȳȻ, vgl. Pyrrh. Hyp. 1, 100 p. 27).
[b] Zum Vergleich des beseelten Körpers mit einem Schlauch, der mit
Luft aufgeblasen wurde, vgl. Anon. Lond. 27, 11ff.: ȷȫɅ, ȿȫȼȷ ȹ
϶ȺȫȼȳȼȽȺȪȽȯȳȹȳ, ȹ3ȴ ʿȹȳȴȯ Ƚ ˂ȶɃȽȯȺȫ ȼѡȶȫȽȫ ȽȹȻ ʱȼȾǽȶǽą[Ƚѡ]ȽȹȳȻ
ȼѡȶȫȼȳȷ, ʴ [ȴȾȺɅɂȻ] ȴǽȫǽȽǽɂǽȷџȶȫȼȽȫȳ, [ʱȵ(ȵ )] ʱȼȴHȳ ȷąǽȯǽąȵȱȺɂȶɃȷɂǽȳǽ
2ǽȭǽȺȹ8 ȴȫ ǽȶǽąǽȯǽąȷȯǽȾȶȫȽɂǽȶǽɃȷɂȳ ɂǽȼȹǽ[.]ȷȹǽȷǽ, +ǽȻ ȽȺɂȲȯȻ ʱąȹȴǽȺȯɅ[ȷȯȳ] Ȯȳ’
ȫ2Ƚȹ8 Ƚџ Ƚȯ ąȷȯ8ȶȫ ȴȫ 2ȭȺџȷ. Vgl. Simpl. Comm. de cael. 311 b 44. Die-
se Analogie ist allerdings in der hellenistischen Psychologie recht verbrei-
tet: vgl. Iambl. De an. 36 p. 64, 22ff. Finamore-Dillon (= Stob. Anth. 1, 49,
43 p. 384 W.):ȱȯ Ȯ ąȫȺɃȼąȫȺȽȫȳ ȶ ȷ ȴȫ ʿȷȯȼȽȳȷ ˂ ɁȾɀ ȽN ȼѡȶȫȽȳ
ȴȫȲȫąȯȺȯ ʱȼȴN ąȷȯ8ȶȫ, ąȯȺȳȯɀȹȶɃȷȱ ˃ ȼȾȶȶȳȭȷȾȶɃȷȱ ąȺ'Ȼ ȫ3Ƚ' ȴȫ
ȭȴȳȷȹȾȶɃȷȱ DȼąȯȺ Ƚ ȷ ȽN ʱɃȺȳ ȸѠȼȶȫȽȫ Ȯȳ ȽHȷ ȲȾȺɅȮɂȷ
ȿȫȳȷџȶȯȷȫ, Ȯȵџȷ ąȹȾ Ƚȹ8Ƚȹ *Ƚȳ ʿȸȯȳȼȳȷ ȶ ȷ ʱą' Ƚȹ8 ȼѡȶȫȽȹȻ, ȷ Ȯ
ȽN ȴȬȫɅȷȯȳȷ ȮȳȫȿȹȺȯȽȫȳ ȴȫ ȮȳȫȼȴȯȮȪȷȷȾȽȫȳ, DȼąȯȺ ȕȱȶџȴȺȳȽȹȻ ȴȫ
϶ąɅȴȹȾȺȹȻ ʱąȹȿȫɅȷȹȷȽȫȳ...ȱ (besonders auffallend ist die Überlagerung
der demokriteischen Lehre durch die epikureische), dieselbe Analogie ist
Voraussetzung für die lukrezische Beschreibung des Todes: Lucr. 3, 434:
nunc igitur quoniam quassatis undique vasis/ diffluere umorem et laticem discedere
cernis/ et nebula ac fumus quoniam discedit in auras/ crede animam quoque diffundi
multoque perire.ȱ
ȴ ȬPȽȹѠȽɂȷ ȼȾȷ ȼȽȱȴȯȷ: vgl. Anon. Lond. 21, 13-14: ȼȾȷ ȼȽȱȴȯȷ Ȯ
( ʵȷȲȺɂąȹȻ ȴ ɁȾɀȻ ȴȫ ȼ@ȶȫȽȹȻ; Pollux, Onom. 2, 226 p. 106:
ȼ0ȭȴȯȳȽȫȳ ȶ ȷ Ȯ ( ą˦Ȼ ʵȷȲȺɂąȹȻ ȴ ɁȾɀȻ Ƚȯ ȴȫ ȼ@ȶȫȽȹȻ; Tert. An.
51, 1: opus autem mortis in medio est, discretio corporis animaeque; SVF II, 790; es
handelt sich auf jeden Fall um eine in nichtplatonischen Kreisen verbreite-
te Lehre: aber vgl. auch Nemes. De nat. hom. 1, p. 1 Morani: Ƚ'ȷ
ʵȷȲȺɂąȹȷ ȴ ɁȾɀȻ ȷȹȯȺ˦Ȼ ȴȫ ȼ@ȶȫȽȹȻ ʵȺȳȼȽȫ ȴȫȽȯȼȴȯȾȫȼȶ ȷȹȷ;
Dörrie 1959, 50.
Kommentar 137
5 — Tert. An. 8, 4.
Eine weitere Textpassage, die von der antiplatonischen Polemik zugunsten
des Materialismus geprägt ist. Soranos antwortete denjenigen, welche die
Körperlichkeit der Seele deswegen ablehnten, weil sie nicht mit den Sin-
nen wahrgenommen wird (letztere These wurde auch von Alexander von
Aphrodisia vertreten, vgl. SVF II, 794 = De anima mant. p. 113, 31 Bruns:
<ʿȽȳ> ȯ ˂ ɁȾɀ ȼHȶȫ, ą˦ȷ Ȯ ȼHȶȫ ȶȳ˧ ȭɃ Ƚȳȷȳ ȫȼȲɄȼȯȳ ȫȼȲȱȽ'ȷ
Ƚ ȫ2Ƚȹ8 ȿѠȼȯȳ (ȵɃȭɂ Ȯ ąȯȺ ȽHȷ ȷȯȺȭȯɅˤ ,ȷȽɂȷ ȼɂȶȪȽɂȷ ȴȫɅ, DȻ
ȿȫȼȳȷ ȫ3ȽȹɅ, ąȯąȹȳɂȶɃȷɂȷ), ȯȱ ʳȷ ȴȫ ˂ ɁȾɀ ȫȼȲȱȽɄ (ȹ3 ȭ Ⱥ Ȯ
ʵąȹȳџȷ ȭȯ ȼHȶȫ ȫ3Ƚȷ Ⱥȹ8ȼȳȷ, ʿȼȽȫȳ ȭ Ⱥ 4ȵȱ)· ȹ3ȴ ʿȼȽȳȷ ȮɃ· ȹ3ȴ
ʵȺȫ ȼHȶȫ). In seiner polemischen Antwort verwendet Soranos erneut ein
skeptisches Argument gegen die Geistesmetaphysik: die Seele sei für die
Menschen unsichtbar infolge der Struktur der menschlichen Sinnesorgane,
für andere Lebewesen könne sie sehr gut sichtbar sein (es handelt sich um
den dritten Topos, ąȫȺ Ƚ Ȼ ȮȳȫȿџȺȹȾȻ ȽHȷ ȫȼȲȱȽȱȺɂȷ ȴȫȽȫȼȴȯȾ Ȼ:
vgl. Sext. Emp. Pyrrh. Hyp. 1, 36). Auch zu den Beispielen finden sich bei
Sextus Empiricus Parallelen: das der Eulen befindet sich nach der Angabe
Waszinks auch in Adv. Math. 9, 247 (( ˆȵȳȹȻ… ȴȫ ˂ȶȷ ȶ ȷ Ƚȹ8 (Ⱥ˦ȷ
ȫȽȳȹȻ ȭɅȷȯȽȫȳ, ȽȹȻ ȷȾȴȽȳȷџȶȹȳȻ Ȯ ȽHȷ )ȺȷɅȲɂȷ, ȹ ȹȷ ȭȵȫȾȸ ȴȫ
ȷȾȴȽȯȺɅȼȳ, Ƚȹ8 ȶ (Ⱥ˦ȷ ); das Beispiel des Adlers liest man bei Plin. Nat.
Hist. 10, 3, 3 (haliaetus tantum implumes etiamnum pullos suos percutiens subinde
cogit adversus intueri solis radios, et, si coniventem umectantemque animadvertit, prae-
cipitat e nido velut adulterinum atque degenerem; illum cuius acies firma contra stetit
educat); es ist nicht ausgeschlossen, dass das Adlerbeispiel von Tertullian
mit dem Text des Naturforschers kontaminiert wurde; als weit zurücklie-
gende Quelle sollten wir uns allerdings auch an den Aristotelestext erin-
nern: Met. 1, 993 b 10: DȼąȯȺ ȭ Ⱥ Ƚ ȽHȷ ȷȾȴȽȯȺɅȮɂȷ ,ȶȶȫȽȫ ąȺ'Ȼ Ƚ'
ȿɃȭȭȹȻ ʿɀȯȳ Ƚ' ȶȯȲ’ ˂ȶɃȺȫȷ, ȹ4Ƚɂ ȴȫ ȽȻ ˂ȶȯȽɃȺȫȻ ɁȾɀȻ ( ȷȹ8Ȼ
ąȺ'Ȼ Ƚ Ƚ ȿѠȼȯȳ ȿȫȷȯȺѡȽȫȽȫ ąȪȷȽɂȷ.
6 — Tert. An. 9, 1; 9, 5.
Das neunte Kapitel von Tertullians De anima enthält verschiedene Ele-
mente (z.B. die Bibelzitate, die Vision der soror), die auf keinen Fall Sora-
nos zugeschrieben werden können; aber innerhalb dieses Textabschnitts
»the note concerning the trifariam distantivum in § 1 and the doxographical
material found in § 5 must be traced back to the Ephesian« (Waszink
1947, 163). Viel schwieriger ist die Herkunft der Materialien zu bestim-
men, die wir nach § 5 lesen, d.h. des Arguments der Platoniker, dem zu-
folge alles, was ausgedehnt ist, körperlich und aus verschiedenen Elemen-
ten zusammengesetzt und folglich auflösbar ist. Der von Tertullian Platon
zugeschriebene Syllogismus ist eigentlich eine Kollage verschiedener Stel-
138 Kommentar
len: vgl. Phaed. 78 c 1-2: ȽN ȼȾȷȽȯȲ ȷȽȳ Ƚȯ ȴȫ ȼȾȷȲ ȽL ,ȷȽȳ ȿѠȼȯȳ
ąȺȹȼȴȯȳ Ƚȹ8Ƚȹ ą ȼɀȯȳȷ, ȮȳȫȳȺȯȲȷȫȳ; Phaedr. 247 c 6: ˂ ȭ Ⱥ
ʱɀȺѡȶȫȽџȻ Ƚȯ ȴȫ ʱȼɀȱȶ ȽȳȼȽȹȻ ȴȫ ʱȷȫȿȻ ȹ3ȼȫ.. ɁȾɀȻ ȴȾȬȯȺȷȽ
ȶџȷL ȲȯȫȽ ȷN (Waszink 1947, 165-166); diese Zusammenstellung ist
nicht auf Tertullian zurückzuführen, es ist jedoch unklar, ob der Verfasser
Albinos oder Soranos selbst ist. »It is impossible to decide whether the
present argument was formulated by later Platonists and handed down to
Tert. by Soranus or was constructed by Tert. himself [was allerdings un-
wahrscheinlich scheint]«; es handelt sich mit großer Wahrscheinlichkeit
um eine mittelplatonische Quelle: vgl. Alcin. Did. 25, p. 48, 24 Whittaker-
Louis: ȶȹȷȹȯȳȮȻȊ ȹ3ȴȹ8ȷ ʱȼѠȷȲȯȽȹȻ. ʱȮȳ ȵȾȽȹȻ, ʱȼȴ ȮȫȼȽȹȻ. Soranos
musste der eingekörperten Seele infolge ihrer körperlichen Struktur auch
eine Gestalt zuschreiben; es bleibt aber im Dunkel, ob die ɁȾɀ eine eige-
ne oder eine vom Leib abhängige Gestalt besitzt (zugunsten der ersten
Hypothese vgl. Karpp 1934, 44), und – wie im Falle Chrysipps – nach
dem Tod wieder gestaltlos wird (vgl. SVF II, 815-816 und die Einleitung;
unklar ist, ob die Seele bei Soranos auch nur für kurze Zeit nach dem Tod
überlebt). Noch dunkler ist, ob Soranos dem Stoff des psychischen Prin-
zips eine Farbe zuschrieb; die Antwort Tertullians ist uneingeschränkt
bejahend: vgl. An. 9, 5 (= T 6): quem igitur alium animae aestimabis colorem
quam aerium ac lucidum?; aber diese Äußerung ähnelt zu sehr der Vision der
montanistischen Prophetin, deren Meinung in § 4 erwähnt wird (An. 9, 4:
tenera et lucida et aerii coloris et forma per omnia humana). Es mag sein, dass die
montanistische Prophetin in der Beschreibung ihrer Vision wiederholte,
was Tertullian in seiner Homilie über die Seele behauptet hatte; aber es ist
unmöglich zu bestimmen, ob Soranos der Seele die oben genannte blau-
graue Farbe zuschrieb (vgl. die Einleitung).
[b] Zu Anaximenes vgl. Aët. 1, 3, 4 (*ȵȹȷ Ƚ'ȷ ȴ&ȼȶȹȷ ąȷȯ8ȶȫ ȴȫ
ʱȺ ąȯȺȳɃɀȯȳ = DK 13 B 2); zu Heraklit vgl. Sext. Emp. Adv. Math. 9, 360
(Waszink), aber auch DK 22 B 12 (Ƚȷ ɁȾɀȷ ȵ ȭȯȳ ȫȼȲȱȽȳȴȷ
ʱȷȫȲȾȶɅȫȼȳȷ) und dagegen DK 22 B 36 (Ursprung der ɁȾɀ ist das Was-
ser). Zu Herakleides Pontikos vgl. Aët. 4, 36; vgl. Wehrli 1953, aus dem
hier vorliegenden Zeugnis besteht fr. 98 c; vgl. auch Stob. 1, 49, 1 p. 320
W.: ϽȺȫȴȵȯȮȱȻ ȿɂȽȹȯȳȮ Ƚȷ ɁȾɀȷ BȺȼȫȽȹ; Macr. Somn. Scip. 1, 14,
19: Heraclides Ponticus lucem. Die Anhäufung gelehrter Materialien und vor
allem die Berührungspunkte mit Ainesidemos sind ein ausreichendes Ar-
gument, um die doxographische Abteilung Soranos zuschreiben zu kön-
nen; schwierig bleibt die Frage nach der Farbe der Seele (zu diesem Frag-
ment vgl. Diels 1929, 209-210; Waszink 1947, 173-174; zu dieser Passage
vgl. auch Polito 2004, 139ff.).
Kommentar 139
der Bezug auf Aristoteles und die derart eng am griechischen Text gehal-
tene Paraphrase nicht von Tertullian selbst eingefügt worden sein können,
sondern von Soranos stammen; die Immanenzpsychologie unseres Arztes
ist der Grund für die Polemik gegen den transzendenten Nous bei Anaxa-
goras und Aristoteles; vgl. Waszink 1947, 35*; interessant sind diese Aris-
toteleszitate im Traktat des Soranos deswegen, weil sie das erneuerte Inte-
resse an der Psychologie des Aristoteles bezeugen, welches bald nach der
von Andronikos beförderten Aristotelesrenaissance (d.h. noch vor Ale-
xander von Aphrodisia) aufkam.
auch der Bezug auf Zenon nicht ganz klar ist (vgl. SVF I, 144: in diesem
Fall werden vielleicht die fünf Sinne als ein einheitliches Vermögen und
das Hegemonikon als gesonderte Funktion betrachtet); den durch eine
Konjektur des Pamelius rekonstruierten Namen des Aristoteles sollten
wir mit Bezug auf An. 2, 414 a 31 (ȲȺȯąȽȳȴџȷ, ȫȼȲȱȽȳȴџȷ, )ȺȯȴȽȳȴџȷ,
ȴȳȷȱȽȳȴ'ȷ ȴȫȽ Ƚџąȹȷ, ȮȳȫȷȹȱȽȳȴџȷ) erklären, was mit einer doxographi-
schen Angabe Theodorets übereinstimmt (Therap. 5, 20: ( Ȯ Ȟȳȴȹȶ ɀȹȾ
ą ȷȽȯ ȯȷȫȳ Ƚȫ0ȽȱȻ ʿȿȱȼȯȷ ȷȯȺȭȯȫȻ); die Angabe über Panaitios
stimmt mit der Doxographie (Nemes. De nat. hom. 212) und mit einer
Passage Philons von Alexandria überein (De inc. p. 256, 7 = SVF II, 874:
bei Philon sind Spuren der Polemik des Panaitios gegen Chrysipp erhalten:
Panaitios habe das Reproduktionsvermögen als Teil der Seele ausgeschlos-
sen). Über die Einteilung der Seele nach Soranos haben wir keine weiteren
Angaben, die Vermutung Waszinks bleibt aber wahrscheinlich: der Arzt
hatte die acht Teile der stoischen Tradition übernommen, allerdings das
Stimmvermögen ausgeschlossen; die acht Teile, in die Chrysipp die Seele
eingeteilt hatte, sind die fünf Sinne, das Hegemonikon, das Stimmvermö-
gen und das Reproduktionsvermögen (SVF II, 823ff.); die Erwähnung des
Apollophanes wurde als Fragment SVF I, 405 aufgenommen, über die
Seelenlehre dieses Schülers des Ariston von Chios besitzen wir aber keine
weiteren Angaben. Sehr problematisch ist die Bezugnahme auf die zwölf
Teile, in die einige Stoiker (welche?) die Seele eingeteilt hatten; noch zu
bestätigen ist die Vermutung Waszinks, es handle sich hier um die sieben
geläufigen Teile und zudem um das in weitere vier Unterabteilungen ge-
teilte Hegemonikon. Ebenfalls problematisch ist die Angabe über Posei-
donios (fr. 147 Edelstein - Kidd= fr. 396 Theiler); die wahrscheinlichste
Lösung bietet die Erklärung, Poseidonios habe Vermögen und nicht Teile
der Seele unterschieden, basierend auf der Gegenüberstellung rational/
irrational und übergeordnet/ untergeordnet (vgl. auch die Erklärung von
Diels 1929, 206); es ist nicht ausgeschlossen, dass er die Anzahl der von
den Stoikern übernommenen Vermögen vergrößerte, aber es ist unmög-
lich, die Einzelheiten zu bestimmen. Für die Rekonstruktion der Lehre des
Soranos sollten wir nach dem Ausschlussverfahren vorgehen: in Kapitel
15 wird die Existenz des Hegemonikon behauptet; in Kapitel 17 verteidigt
Soranos die Zuverlässigkeit der fünf Sinne, so dass er sie wohl nicht als
Teile der Seele ausgeschlossen hat; Kapitel 27 verteidigt das Gewicht der
Seele bei der Reproduktion. Soranos nimmt also die Sinne, das Hegemo-
nikon und das Reproduktionsvermögen als Teile der Seele an, womit das
Stimmvermögen ausgeschlossen wäre. Der Arzt aus Ephesos zeigt damit
bei seinen Spekulationen auch eine gewisse Innovation, auch wenn die
Stoa sein Ausgangspunkt bleibt. Zu dieser Textpassage aus Tertullian vgl.
auch Mansfeld - Runia 2008, 141.
142 Kommentar
11 — Tert. An. 14, 4-5 ~ Pollux, Onom. 2, 236 p. 155 ~ Anon. Lond. 1,
21-24; 37, 47-49 ~ Etym. Orion. 100; 116-117; 169.
Dass die Seele durch die Poren mit der Außerwelt in Kontakt tritt, stimmt
mit der Vorstellung des Soranos überein, der zufolge der Leib nicht kom-
pakt, sondern porös und mit Kanälen ausgestattet ist: vgl. Anon. Lond.
37, 6-8: ȸ] Jȷ [ȿȫ]ȷȯȺџȷ, BȻ ȴȫ ȴȫȽ <Ƚ'> ȵџȭɂȳ ȲȯɂȺȱȽ'ȷ ȯȼȴȺȳȼȳȻ
ȭɅ(ȷȯȽȫȳ) ȯȻ ˂ȶ˦Ȼ. * ȴȫ ȶȷ ȴȫ ȴ(ȫȽ ) Ƚ' ȫȼȲȱ[Ƚ']ȷ ȯȼȴȺȳȼȳȻ
ȭɅ(ȷȯȽȫȳ); 37, 29: Ȯȳ ȽHȷ ȵџȭL ȲȯɂȺȱȽHȷ ą&Ⱥɂȷ; 38, 23-24: BȻ ȴȫ
ȯȼȴȺɅȷȯȽȫɅ Ƚȳȷȫ ȯȻ ˂ȶ˦Ȼ Ȯȳ ȽHȷ ȵџȭL ȲȯɂȺȱȽ(Hȷ) ą&Ⱥɂȷ ȽȻ
ȼȫȺȴ&Ȼ; 39, 30: [ȿȫȷȯȺ']ȷ Ƚȹȳȭ(ȪȺ)Ƚȹȳ ȴ ȽȹѠȽ(ɂȷ) ȴȫ Ƚ(Hȷ) ȽȹѠȽȹȳȻ
ąȫȺȫąȵȱȼɅɂȷ, BȻ ȵџȭL ȲȯɂȺȱȽȹ ąџȺȹȳ (ȯȼȷ) ȷ ˂ȶȷ ȴȫ ąȫȷȽ
ȰML.
Die Porentheorie wird also von Soranos systematisch entwickelt: der
Arzt benutzt sie nicht nur, um die Wahrnehmungstheorie wiederzubele-
ben, sondern auch, um auf den geistesmetaphysischen Einwand zu ant-
worten, die körperliche Seele könne nicht den körperlichen Leib durch-
dringen (vgl. T 35); vgl. Cael. Aur. Morb. Chr. 5, 10, 105: alii aiunt vias esse
latentes quas logotheoretas appellant, per quas liquida vel purulenta quadam exsuda-
tione ferantur.
Hierzu vgl. auch Waszink 1947, 209: »The short preface … is fol-
lowed by a long doxographical survey, which, just as the information con-
cerning Aristotle in § 3, and Aenesidemus in § 5 … has certainly been
borrowed from Soranus«.
[a] Zur Wahrnehmungslehre bei Heraklit zitiert Waszink DK 22 B 67
A (die hier vorliegende Stelle wurde allerdings nicht von Diels und Kranz
in die Testimoniensammlung aufgenommen). Die Angabe über Straton
von Lampsakos, den Nachfolger Theophrasts am Steuer des Peripatos,
wird von Aët. 4, 23, 3 bestätigt (Waszink); sie wurde als fr. 108 Wehrli
aufgenommen, das den Text von An. 14, 4 specta portentosissimam bis 14, 5
quam dispensata in das Testimonium einschließt (vgl. auch Pigeaud 1989,
37); zur Seele als pneumatischer, durch den ganzen Leib verstreuter Sub-
stanz vgl. Wehrli, 1950, frr. 107ff.; Repici 1988, 26ff. Sehr verbreitet ist die
Ansicht, die Sinnesorgane seien Öffnungen, die einen Kontakt der Seele
mit der Außenwelt ermöglichen: vgl. Cic. Tusc. 1, 20, 46; Varro Sat. Men.
fr. 290 Astbury: sensus portae; der engste Berührungspunkt ist aber bei Sex-
tus Empiricus zu finden, Adv. Math. 7, 349-350, fr. 109 Wehrli, vgl. die
Einleitung; Ibid. 7, 130: Ȯȳ ȽHȷ ȫȼȲȱȽȳȴHȷ ą&Ⱥɂȷ DȼąȯȺ Ȯȳ Ƚȳȷɂȷ
ȲȾȺȮɂȷ ąȺȹȴѠɁȫȻ; dies ist mit hohem Wahrscheinlichkeitsgrad auf So-
ranos zurückzuführen (Waszink 1947; vgl. auch Polito 1994, 464, nach
dem Soranos nie ein Skeptiker gewesen sei [das hat allerdings niemand
behauptet], sondern diese Materialien durch placita medica kennengelernt
habe – über die Existenz der placita medica wird allerdings keine Quelle
Kommentar 143
13 — Tert. An. 15, 5-6 ~ Pollux, Onom. 2, 226 p. 152 ~ Etym. Or. 16 ~
Anonymus Fuchsii 1, 1 ~ Cael. Aur. Acut. Morb. 1, 8, 53.
In der rechten Spalte werden die Auszüge aus dem Anonymus Fuchsii des-
wegen abgedruckt, weil die Diskussion um den Sitz der phrenitis eng ver-
bunden ist mit derjenigen um den Ort des Hegemonikon.
[a] Auch diese Stelle ist, mit großer Wahrscheinlichkeit Soranos fol-
gend, mit gelehrten Zitaten gespickt: die Angabe über Heraklit wird auch
von Sextus Empiricus (Adv. Math. 7, 349: die Zwischenquelle ist Ainesi-
demos) und Aëtios überliefert (4, 3, 12 vgl. DK 22 B 12 und Polito 1994,
454). Moschion war ein methodischer Arzt, der zwischen Asklepiades
von Bithynien und Asklepiades dem Jüngeren lebte; über ihn haben wir
keine weiteren doxographischen Angaben, die hier vorliegende stammt
auf jeden Fall von Soranos; das Zitat aus Platon stammt aus Tim. 69 e 1;
das Zitat aus Xenokrates wurde als fr. 208 von Isnardi Parente aufge-
nommen (vgl. auch den Kommentar 398-399 zum Bezug auf fr. 207 [Lact.
De op. 16, 12], dessen Authentizität umstritten ist); das Zitat aus Hippokra-
tes stimmt mit Theodor. Therap. 5, 22 überein (ЅąąȹȴȺ ȽȱȻ… ȷ
ȭȴȯȿ ȵL Ƚȹ8Ƚȹ ȮȺ8ȼȲȫȳ ȯȺȴȫȼȳ); der Text von § 15, 2-5, wurde als
fr. 139 aufgenommen (auch wenn er durch Soranos übermittelt wurde),
vgl. von Staden 1989, 316-317; der erste Straton dürfte der Schüler des
Erasistratos sein, der zweite allerdings Straton von Lampsakos, der die
Auffassung vertrat, das Hegemonikon liege im Gehirn, und zwar hinter
den Augenbrauen (vgl. Wehrli 1950, 35, der hier vorliegende Text wurde
als fr. 120, das Zeugnis von Pollux als fr. 121 Wehrli aufgenommen); die
Angabe über Epikur hat erneut eine doxographische Herkunft (Aët. 4, 5,
5: ȡȫȺȶȯȷȮȱȻ ȴȫ ϶ąȴȹȾȺȹȻ ȷ *ȵL ȽN ȲѡȺȫȴȳ); »die Ägypter« nimmt
Bezug auf die Pseudooffenbarung des Hermes Trismegistos exc. 24, 13
(IV, p. 57 Nock-Festugière): ȽȻ Ȯ ɁȾɀȻ (ȺȶȱȽȺȳџȷ ȼȽȳȷ ȴȫȺȮȫ (die
Bezugnahme auf Hermes stand wahrscheinlich nicht bei Soranos, sondern
wurde wohl von Tertullian eingefügt, vielleicht auf der Basis des Albinos-
Textes). Die Ungenauigkeit, mit der Tertullian den Vers Orpheus oder
Empedokles zuschreibt, ist durch einen lapsus memoriae zu erklären: dass
der Vers aus Empedokles stammt, wird im Etym. Orion. deutlich zu ver-
stehen gegeben; es scheint sehr unwahrscheinlich, dass der akribische
Soranos in ą.Ɂ. nicht auf die Herkunft des Verses hingewiesen hatte; es
Kommentar 147
handelt sich auf jeden Fall um einen echten Vers des Empedokles: DK 31
B 105 = fr. 1, 66 Gallavotti: ȫ ȶȫ ȭ Ⱥ ʱȷȲȺѡąȹȳȻ ąȯȺȳȴ ȺȮȳȹȷ ȼȽȳ
ȷџȱȶȫ, der zusätzlich noch bei Orion zitiert ist (DK schöpfen aus Porph.
De Styg. ap. Stob. 1, 49, 53 p. 424, 14 W. = p. 454 Smith, aber vgl. auch
Etym. Magn. 34, 20, erneut über Orion aus dem Text des Soranos stam-
mend). Bemerkenswert ist in diesem Fall auch Soranos´ Kompilationsme-
thode, nach der im Anschluss an die Widerlegung der anderen zuletzt die
Meinung angegeben wird, welcher der Arzt selbst zustimmt (zu dieser
Methode vgl. Hanson - Green 1994, 972-973). Soranos folgt also der Auf-
fassung, die das Hegemonikon im Herzen lokalisiert: zu einer Spur dieser
Meinung (wenn auch kein richtiges Zeugnis vorliegt) vgl. Etym. Orion. 80:
ȴȫȺȮȫ ȴȫȽ Ƚ' ȴȺ ȽȹȻ, ˂ ˂ȭȯȶȹȷȳȴɂȽ Ƚȱ. Der Mangel an Zeugnissen
ist einem klaren Urteil abträglich, und es bleibt im Dunkel, ob Soranos
wirklich den Stoikern folgend behauptet hatte, die Seele werde durch das
Blut ernährt.
Was den tertullianischen Text von § 6 betrifft: Protagoras (?), Apol-
lodor und Chrysipp sind zweifellos drei Ärzte, somit können wir aus-
schließen, dass es sich hier um Chrysipp den Stoiker handelt (von Harnim
hatte diese Passage in SVF II, 880 aufgenommen). Das Protagoraszeugnis
wurde in DK 80 A 18 aufgenommen, die Lesart der Hs. A ist allerdings
sehr problematisch: Diels wollte aufgrund von Aët. 4, 5, 10: ȡȾȲȫȭџȺȫȻ
Ƚ' ȶ ȷ ȰɂȽȳȴ'ȷ ąȯȺ Ƚȷ ȴȫȺȮȫȷ in Pythagoras korrigieren, aber wenn
eine Konjektur nötig ist, so ist die beste das geniale Praxagoras des Pameli-
us; Waszink zitiert weitere doxographische Angaben zugunsten letzterer
Hypothese (Cels. praef. 2; Porph. in schol. ad Hom. Il. 11, 515), hält aber am
Namen Protagoras fest, es handle sich hier um ein ungenaues Zitat durch
Tertullian (das ist nicht auszuschließen: vgl. T 2, An. 5, 1). Zu Praxagoras
aus Kos (tätig um ca. 300 v.Chr.) vgl. auch Vegetti 1993, 81ff.; zum Her-
zen als Mittelpunkt der Seele vgl. erneut Vegetti 1993, 83. Meinerseits
setze ich lieber die salomonischen cruces, auch wenn der Anonymus Fuch-
sii den Namen Praxagoras überliefert: auf jeden Fall stand im Text des
Soranos der Name Praxagoras (diese Textpassage ist als fr. 29 bei Steckerl
1958, 65 aufgenommen). Schwierig ist auch die Identifizierung des Apol-
lodor: unter diesem Namen kennen wir drei Ärzte; von diesen werden
zwei, d.h. Apollodor von Kition und Apollodor aus Tarent, bei Plinius,
Nat. Hist. 20, 25 erwähnt; ein dritter Apollodor schrieb einen Traktat ąȯȺ
ȲȱȺɂȷ im 3. Jh. v.Chr., mit wem aber der hier erwähnte Apollodor identi-
fiziert werden sollte, bleibt unklar.
Was den Arzt Chrysipp betrifft, so ist nicht eindeutig zu bestimmen,
ob es sich um den Lehrer des Erasistratos (RE 6, 2510, nr. 16), um den
Sohn dieses Lehrers (Ibid., 2511, nr. 17), um den Schüler des Erasistratos
(Ibid., 2511, nr. 18) oder um den Schüler des Asklepiades handelt (Ibid.,
148 Kommentar
ąȯȺȪȽɂȷ (vgl. auch Pyrrh. Hyp. 2, 56 p. 78). Gegen die skeptischen, auf
optischen Täuschungen basierenden Einwände leisteten Stoiker und Epi-
kureer einen ähnlichen Widerstand; diese skeptischen Argumente werden
auch in den stoischen Fragmenten und bei Lukrez bekämpft: zum Ruder
vgl. 4, 438ff.: nam quaecumque supra rorem salis edita pars est/ remorum recta est et
recta superne guberna/ quae demersa liquorem obeunt refracta videntur; zum vier-
eckigen, aber rund scheinenden Turm vgl.: 4, 353ff.: quadratasque procul
turris cum cernimus urbis/ propterea fit uti videantur saepe rotundae/ angulus optusus
quia longe cernitur omnis/ sive etiam potius non cernitur ac perit eius/ plaga nec ad
nostras acies perlabitur ictus/ aera per multum quia dum simulacra feruntur/ cogit
hebescere eum crebris offensibus aer (zum Beispiel des Turmes vgl. auch Gigante
1981, 135-139); zum Beispiel der Porticus 4, 426ff: porticus aequali quamvis
est denique ductu/ stansque in perpetuum paribus suffulta columnis/ longa tamen
parte ab summa cum tota videtur/ paulatim trahit angusti fastigia coni; zu den Stoi-
kern vgl. Calc. Comm. Tim. 237 (= SVF II, 863): Stoici vero videndi causam in
nativi spiritus intentione constituunt, cuius effigiem coni similem volunt… certe conum
ipsum pro modo mensuraque intentionis augeri, et prout basis eius vel directa vel inflexa
erit incidetque in contemplabilem speciem, ita apparebunt quae videntur. oneraria
quippe navis eminus visa perexigua apparet deficiente contemplationis vigore nec se per
omnia navis membra fundente spiritu; turris item quadrata rotunditatem simulat cylin-
dri atque etiam ex obliquo visa porticus in exile deficit oculorum depravatione…
Dass derlei Problemstellungen in den doxographischen Bereich Ein-
gang fanden, ist auf jeden Fall eindeutig nachgewiesen: vgl. Stob. Anth. 1,
30 p. 239, 15 W.: <ȴȫȽ > ȴȫȶąѠȵȫȻ Ȯ ȭȺȫȶȶ Ȼ ȴȫȲ’ 4ȮȫȽȹȻ ȬȵɃąȹȶȯȷ·
ȴȪȶąȽȯȽȫȳ ȭ Ⱥ ˂ ,ɁȳȻ ȬɅˤ Ȯȳ Ƚȷ ąȾȴȷȹȽɃȺȫȷ Ƚȹ8 4ȮȫȽȹȻ 4ȵȱȷ· Ȯȳ'
ȴȫ Ƚȷ ȴѡąȱȷ ȷ Ƚ ȲȫȵȪȼȼ ȶȫȴȺџȲȯȷ ȴȫȶąȽȹȶɃȷȱȷ ȬȵɃąȹȶȯȷ; Diels
1929, 372. Mit solchen Problemen (d.h. großen, in der Ferne klein schei-
nenden Gegenständen) musste sich auch Plotin beschäftigen vgl. Enn. 2, 8
ąHȻ Ƚ ąџȺȺɂ ȶȳȴȺ ȿȫȷȯȽȫȳ; vgl. auch Jaeger 1914, 46. Der stoische
und epikureische Widerstand dürfte sich mehr mit den optischen Täu-
schungen auseinandergesetzt haben als mit den Argumenten, die sich auf
die übrigen Sinneswahrnehmungen beziehen; zum Argument, in welchem
von Thermenwasser die Rede ist, kann ich das Beispiel von Sext. Emp.
Pyrrh. Hyp. 2, 56 p. 78 anführen: ȴȫ ˂ ȫ3Ƚ ʲȿ ȯȼȳџȷȽɂȷ ȶ ȷ ˂ȶHȷ ȯȻ
Ƚ' Ȭȫȵȫȷȯȹȷ ȲȯȺȶȫɅȷȯȽȫȳ 2ą' ȽȻ ąȫȺȫȼȽȪȮȹȻ, ȸȳџȷȽɂȷ Ȯ ɁѠɀȯȽȫȳ
(hier liegt nur teilweise Übereinstimmung vor). Die von Soranos angeführ-
ten Argumente, die auf alle fünf Sinne Bezug nehmen, scheinen die voll-
ständigste Auflistung zu sein, die uns aus der antiken Skepsis erhalten ist.
Auch die Informationen über die Skeptiker und Epikureer lassen sich
wohl über Soranos als Vermittler auf eine doxographische Quelle zurück-
führen: vgl. Aët. 4, 9, 4: ȹ ȢȽɂȳȴȹ Ƚ Ȼ ȶ ȷ ȫȼȲȼȯȳȻ ʱȵȱȲȯȻ; Aët. 4, 9,
5 (Epikur): ȽHȷ ȮȹȸHȷ Ƚ Ȼ ȶ ȷ ʱȵȱȲȯȻ, Ƚ Ȼ Ȯ ɁȯȾȮȯȻ; Cic. De nat. deor.
Kommentar 151
1, 25, 70: urguebat Arcesilas Zenonem cum ipse falsa omnia diceret quae sensibus
viderentur, Zenon autem nonnulla visa esse falsa, non omnia; timuit Epicurus ne si
unum visum esset falsum nullum esset verum; Cic. Fin. 1, 20, 64: qui (scil. sensus)
si omnes veri erunt, ut Epicuri ratio docet, tum denique poterit aliquid cognosci et
percipi; vgl. De Witt 1943, 28; Polito 1994, 449ff.; Waszink 1947, 33*.
im Dunkel, mit welchem Ziel diese Materialien von Soranos benutzt wur-
den: es scheint unwahrscheinlich, dass Soranos die verschiedenen Seelen
nur anhand von Umweltfaktoren differenzierte und behauptete, sie seien
›genetisch‹ gleich.
Dass die Thebaner nicht sehr intellektuell begabt waren, war eine in
der Antike recht verbreitete Meinung, die noch heute im italienischen
Adjektiv »beota« weiterlebt; die Bezugnahme auf die geschwätzige Nei-
gung der Athener verweist auf Kap. 3, 1 und wird durch den Namen Ko-
lyttos präzisiert, d.h. des Demos, in welchem der Angabe von Diogenes
Laertios (3, 3) zufolge Platon geboren wurde; die Erwähnung des Timaios
verweist auf 24 c-d (ȴȫȽMȴȳȼȯȷ ȴȵȯȸȫȶ ȷȱ Ƚ'ȷ Ƚ&ąȹȷ ȷ ˠ... *Ƚȳ
ȿȺȹȷȳȶɂȽ ȽȹȾȻ ʵȷȮȺȫȻ ȹȼȹȳ); das Zitat aus den Nomoi stimmt mit dem
Anfang des vierten Buches (704 b) überein, wo der ideale Ort für eine
Stadt beschrieben wird. Der Name des Empedokles ist mit der Theorie
verbunden, nach der das Denken aus dem Blut entsteht, das sich in der
Umgebung des Herzens befindet (vgl. Tert. An. 15, 5); eine von Waszink
zitierte Bemerkung Theophrasts (De sensibus 11 = T 41 Gallavotti) dürfte
die Lehre des Empedokles, der zufolge ein Gleichgewicht der vier Ele-
mente des Blutes im Perikardium Scharfsinn und exakte Wahrnehmungen
garantiert, genauer wiedergeben (vgl. Stratton 1917, 74).
Die Lehre, der zufolge Fettleibigkeit das Denken behindern kann,
könnte auch weit zurückreichen: vgl. Com. Att. Fragm. fr. 1234 Kock:
ąȫɀȯȫ ȭȫȼȽȺ ȵȯąȽ'ȷ ȹ3 ȽȴȽȯȳ ȷџȹȷ; das Sprichwort lässt sich oft in
medizinischen Werken nachweisen (darunter Galen V, p. 878 Kühn) und
entstammt mit großer Wahrscheinlichkeit dem Text des Soranos (Was-
zink): vgl. Anon. Lond. 16, 3-4; Schol. Pers. 1, 56: tractus sensus ex graeco versu
quo significatur ex ventre crasso tenuem sensum non nasci; Hier. Epl. 52, 11; C.
Otto, Die Sprichwörter und sprichwörtlichen Redensarten der Römer, Hildesheim
1962, 363-364.
Waszink 1947, 35*: »in the description of the influence of external cir-
cumstances on the evolution of individual souls, in which most of the
details were taken from other sources, the passage concerning the state of
health and diseases (§ 4) must be ascribed to Soranus«. Aber diese Quel-
len, so sie sich von Soranos unterschieden, müssten aus dem Timaios und
den Nomoi Platons schöpfen; die Annahme, dass auch § 3 von Soranos
stammt, liegt aber nahe; auch in An. 25, 9 ist Soranos der Mittelsmann,
durch den Tertullian die Nomoi kennenlernte.
pisco, quem graeci loton dicunt, in aliquantum ad prunas calefacere; deinde sine quas-
satione priapiscum inicere, susum scilicet axe posito, iubere etiam ministro ut aperiendo
organo axem torquere incipiat ut paulatim partes ipsae aperiantur. cum vero post visum
organum tolleri volueris, ministro iubere ut iterum axem torqueat quo organum claudi
possit ita tamen ut, cum adhuc in aliquantum patet sic auferatur, ne universa clausura
aliquas partes teneat et nocere incipiat.
hebete unco quo totum facinus extrahitur: ą.ȭ. 4, 5 p. 17, 20 – 18,
26: ʿąȯȳȽȫ ąȯȳȺ˦ȼȲȫȳ Ƚ' ąȫȺȯȭȴȯȴȵȳȴџȻ, ȯ ȮȾȷȫȽ&ȷ, ʱąȯȾȲѠȷȯȳȷ Ƚџąȹȷ
ȯȻ ȴȫȽȪąȫȺȼȳȷ ȶȬȺȾȹȾȵȴȹ8 ąȺ'Ȼ Ƚ' ȶ ȴąȯȼȯȷ .ˤȮɅɂȻ. ąȳȽɄȮȯȳȹȳ
Ȯ ąȺ'Ȼ ȴȫȽȫąȫȺȶ'ȷ Ƚџąȹȳ ȽHȷ ȶ ȷ ą ȴȯȿȫȵȷ )ȿȲȫȵȶȹ ȴȫ ȷɅȹȷ
ȴȫ ȼȽџȶȫ ąȺ'Ȼ ȹ3ȺȫȷɅȼȴȹȷ ȴȫ ȴȵȯȮȯȻ ȴȫ ȹ 2ą' ąȵȯȾȺ ȷ Ƚџąȹȳ,
ȶȫȼɀȪȵȫȳ Ȯ ȹ3ȮȫȶHȻ... ʱȵȵ’ ȹ3Ȯ ȹ ʱȴȹȾȼȽȳȴȹ ąџȺȹȳ (ȮȾȼ-
ąȫȺȪȮȯȴȽȹȳ Ȯȳ ȼȴȹȵȳџȽȱȽȫ ȴȫ ȼȽȯȷȹ ȵɅȫȷ); ą.ȭ. 4, 5 p. 18, 40; Ibid., p.
22, 142. Cels. Med. 7, 29, 4: tum si caput proximum est, demitti debet uncus
undique levis, acuminis brevis, qui vel oculo vel auri vel ori interdum etiam fronti recte
inicitur; deinde adtractus infantem educit.
aeneum spiculum: es scheint also, dass der ȶȬȺȾȹȼȿ ȴȽȱȻ dazu di-
ente, das Kind zu töten, der ȶȬȺȾȹȽ&ȶȹȻ dazu, die Stücke herauszuneh-
men; das aeneum spiculum dürfte dasselbe wie das ȼąȫȲȹȷ sein: vgl. ą.ȭ. 4,
5 p. 20, 92: ȴȫ ȯȻ Ƚ Ȼ ȼȿȫȭ Ȼ ȬȫąȽȰȯȳȷ Ƚ' ȼąȫȲȹȷ ȶ ɀȺȳ
ȴȯȷȯȶȬȫȽɄȼȯɂȻ ȯȻ Ƚ' ʿȶȬȺȾȹȷ. Seltsamerweise lässt sich in ą.ȭ. der
ȶȬȺȾȹȼȿ ȴȽȱȻ nicht nachweisen, allerdings befindet sich dessen Name in
der Liste medizinischer Werkzeuge in der Hs. Laur. gr. LXXIV, 2: vgl.
noch Schoene (1903), 282; Leve 2005, 408.
aus dogmatischen Gründen eingefügt und stehen zum Denken des Sora-
nos in Widerspruch. Die Annahme, die Seele werde zusammen mit dem
männlichen Samen eingeflößt, ist mit der Überzeugung des Soranos un-
vereinbar und muss auf Tertullian zurückgeführt werden (in ą.ȭ. 1, 43, 1-
3 unterscheidet der Arzt drei Phasen: ȼąɃȺȶȫ, ȿѠȼȳȻ und ɁȾɀ, vgl. Was-
zink 1947, 345).
Auch die Überzeugung, man müsse zum Zeitpunkt der Empfängnis
nüchtern sein, ist mit oder ohne Zitat aus Platons Nomoi ziemlich verbrei-
tet: unter den von Waszink angeführten Texten vgl. Plut. De lib. ed. 3, 1 d;
Praec. con. 42, 144 b (keine Zitate aus Platon); Athen. 10, 39, 431 f; Aristox.
ap. Stob. 4, 37, 4; Iambl. Vit. Pyth. 211-212. Unklar ist auch, auf welche
Weise Soranos den Text Platons zitierte: vgl. das aporetische Endergebnis
von Waszink 1947, 334: »it is not out of the question that Soranus accused
Plato of inconsistency«; die Polemik dürfte sich jedenfalls auf die techni-
sche Frage der Beseelung des Embryo bezogen haben, nicht auf die mora-
lische Richtlinie.
sexto Legum: Vgl. Nomoi 6, 775 b 4 – c 3: ąɅȷȯȳȷ Ȯ ȯȻ ȶɃȲȱȷ ȹ6Ƚȯ
ʵȵȵȹȲɅ ąȹȾ ąȺɃąȯȳ, ąȵȷ ȷ ȽȫȻ Ƚȹ8 Ƚ'ȷ ȹȷȹȷ ȮџȷȽȹȻ Ȳȯȹ8 ʼȹȺȽȫȻ,
ȹ3Ȯ’ ʱȼȿȫȵɃȻ, ȹ6Ƚ’ ȹ9ȷ Ȯ ąȯȺ ȭȪȶȹȾȻ ȼąȹȾȮȫȴџȽȫ, ȷ ȹ Ȼ ʿȶȿȺȹȷȫ
ȶȪȵȳȼȽȫ ȯȷȫȳ ąȺɃąȯȳ ȷѠȶȿȱȷ ȴȫ ȷȾȶȿɅȹȷ... ʶȶȫ Ȯ ȴȫ Ƚ' ȭȯȷȷѡȶȯȷȹȷ
*ąɂȻ *Ƚȳ ȶȪȵȳȼȽȫ ȸ ȶȿȺџȷɂȷ ʱȯ ȭɅȭȷȱȽȫȳ (Waszink 1947, 333-334);
vgl. Soranus, ą.ȭ. 1, 12, p. 33: ʵȺȳȼȽȹȻ ȼȾȷȹȾȼɅȫȻ ȴȫȳȺ'Ȼ ąȺ'Ȼ ȼѠȵ-
ȵȱɁȳȷ... Ƚȹ8 ȼѡȶȫȽȹȻ ȶɄȽ’ ȷȮȯȹ8Ȼ ,ȷȽȹȻ ȶɄȽ’ ʵȭȫȷ ąȵɄȺȹȾȻ ȴȫ
ȬȫȺɃȹȻ ȴ ȶɃȲȱȻ ȴȫ ʱąȯɁɅȫȻ; Ibid., p. 35, 82: ȶɄȽ’ ȷȮȯȹ8Ȼ ȹ9ȷ Ƚȹ8
ȼѡȶȫȽȹȻ ,ȷȽȹȻ ˂ ȼȾȷȹȾȼɅȫ ąȫȺȫȵȫȶȬȫȷɃȼȲɂ ȶɄȽȯ Ȯ ąȪȵȳȷ ȬȫȺɃȹȻ,
ȴȫ (ąȹȹȷ ȷ ʱąȯɁɅȫȳȻ ȼȽ ȴȫ ȶɃȲȫȳȻ. Vgl. Kind 1927, 1120, 60ff.;
Karpp 1934, 36.
Cleanthis testimonium: SVF I, 518, An. 5, 4 (T 2); vgl. SVF I, 518
(Nem. De nat. hom. p. 32); Einleitung, 70ff.
dem feurigen Pneuma darstellen: aber die epikureische Seele bestand ne-
ben anderen Elementen auch aus Feuer; wir finden hier also keine ent-
scheidende Angabe.
Die Lehre, der zufolge der Samenerguss die Augen beschädigen kann,
war zur jener Zeit schon alt; Waszink konnte zahlreiche Beispiele finden:
vgl. Diokles fr. 182, 11 in van der Eijk 2000, 310: ʱȿȺȹȮȳȼɅȹȳȻ Ȯ ɀȺȼȲȫȳ
ąȹȵȵȹȻ ȶ ȷ ȴȫ ȼȾȷȯɀ Ȼ ȹ3 Ȯȯ· ȴȫȴȹ8Ƚȫȳ Ȯ ȶȪȵȳȼȽȫ Ƚȹ8 ȼѡȶȫȽȹȻ
ȽȹȻ ąȵȯȹȷȪȰȹȾȼȳȷ ʱȴȫɅȺɂȻ Ƚ ąȯȺ Ƚȷ ȴѠȼȽȳȷ ȴȫ ȷȯȿȺȹ1Ȼ ȴȫ
ąȷȯѠȶȹȷȫ ȴȫ )ȿȲȫȵȶȹ1Ȼ ȴȫ Ƚ ąȯȺ Ƚ'ȷ ȷɂȽȳȫȹȷ ȶȾȯȵџȷ; diese Über-
zeugung beruht auf der Vorstellung, dass der Samen ein Teil des Mannes
ist: vgl. Clem. Al. Paed. 2, 10, 94, 2-4; Aug. Civ. Dei 14, 16 (Waszink); die
weit zurückliegende Quelle könnte Demokrit sein: vgl. DK 68 B 32:
ȸȾȷȹȾȼɅȱ ʱąȹąȵȱȸȱ ȼȶȳȴȺɄȊ ȸ ȼȼȾȽȫȳ ȭ Ⱥ ʵȷȲȺɂąȹȻ ȸ ʱȷȲȺѡąȹȾ
ȴȫ ʱąȹȼą˦Ƚȫȳ ąȵȱȭ Ƚȳȷȳ ȶȯȺȳȰџȶȯȷȹȻ. Diese Lehre ist bei Soranos oft
belegt; er behauptet nämlich mehrfach, dass der Samenerguss sowohl
Männern als auch Frauen schaden kann, und empfiehlt Enthaltsamkeit als
Teil einer gesunden Lebensweise (z.B. ą.ȭ. 1, 8).
Lucr. 3, 445-458, insbesondere 455ff: ergo dissolvi quoque convenit omne ani-
mai/ naturam… quandoquidem gigni pariter pariterque videmus/ crescere; SVF III,
Antip. Tars. fr. 50: ϮȷȽąȫȽȺȹȻ ( ȫȽȺ'Ȼ ȼȾȷȫѠȸȯȼȲȫ ȿȫȼȳ ȽN ȼ@ȶȫȽȳ
Ƚȷ ɁȾɀȷ ȴȫ ȼȾȶȶȯȳȹ8ȼȲȫȳ ą ȵȳȷ (Waszink). Das Bedürfnis Tertulli-
ans, ein Wachstum der Seele abzulehnen, lässt sich dadurch erklären, dass
er auch den Verfall und das Sterben der Seele zu bestreiten versucht (wie
es in der Lehre des Soranos zu finden ist). Geleitet von diesem Wunsch
wird Tertullian sich oft selbst widersprechen: vgl. An. 32, 6 und die Einlei-
tung.
1947, 459: »Tert. may perhaps owe the knowledge of the ȴ0Ⱥȳȫ Ȯџȸȫ to
Soranus«.
xographical matter, in which Tert. sides with the Stoics… here he un-
doubtedly follows Soranus, who regarded sleep as natural«.
Die Seele hat ihre eigenen Glieder, verspürt allerdings das Bedürfnis, die
Glieder des Körpers zu bewegen.
dass diese Verbindung von Soranos selbst hergestellt wurde; er dürfte also
auch an dieser Stelle die Quelle Tertullians sein.
Zu den antiken Äußerungen über den Einfluss der Jahreszeit auf die
Träume vgl. Theophr. De lass. 16 (ed. Wimmer, Paris 1866, p. 400, 52);
Plinius Nat. Hist. 28, 54: Aristoteles et Fabianus plurimum somniari circa ver et
autumnum tradunt magisque supino cubitu, at prono nihil; Theophrastus celerius
concoqui dextri lateris incubitu, difficilius a supinis (fr. 341 p. 124 Fortenbaugh et
alii).
Auch die Aussage, der Sommer lockere die Seelen (dissolvat animas)
und der Winter mache sie härter (obduret), dürfte die Meinung des Soranos
wiedergeben, der zufolge die Poren sich bei Hitze ausdehnen und bei
Kälte zusammenziehen.
30 — Tert. An. 51, 2-3 ~ Meletios, p. 123, 3-18 ~ Pollux, Onom. 2, 145-
146 p. 128; 2, 36 p. 92.
Die inhaltliche Bedeutung dieses Zeugnisses ist im Prinzip klar: Soranos
lehnt die Vorstellung ab, die Seele sei in der Lage, nach dem Tod für eini-
ge Zeit im Leib zu bleiben. Zu den Seelen, die laut Platon in den Himmel
fahren, vgl. Phaedr. 247 c 2ff. (es ist natürlich nur den tugendhaften Seelen
erlaubt, bis zur folgenden Rotation am Hyperouranios zu bleiben); das
Zitat aus der Politeia entstammt natürlich dem Mythos von Er (10, 614 b):
der Leichnam sei nach dem Tod des Er zwölf Tage lang unversehrt
geblieben und habe noch auf dem Scheiterhaufen das Leben zurückerhal-
ten. Die bei Tertullian überlieferte Angabe ist allerdings ungenau: nach der
platonischen Erzählung habe die Seele des Er wirklich den Leib verlassen
und das Jenseits besucht. Diese Ungenauigkeit lässt sich durch den Um-
stand erklären, dass die Gegner des Soranos in Platons Text ein Argument
finden wollten, das bewiese, dass sich das psychische Prinzip nach dem
Tod für kurze Zeit im Leib aufhält (die philosophische Identität dieser
Gegner bleibt allerdings im Dunkel: ein derart falsches Verständnis des
platonischen Texts wäre bei den Platonikern unmöglich). Die Erwähnung
Demokrits wurde als fr. DK 68 A 160 aufgenommen und von Diels-
Kranz mit Aët. 4, 4, 7 in Verbindung gebracht (DK 68 A 117: ą ȷȽȫ
ȶȯȽ ɀȯȳȷ ȿȱȼ ɁȾɀȻ ąȹȳ˦Ȼ, ȴȫ Ƚ ȷȯȴȺ ȽHȷ ȼɂȶ Ƚɂȷ); vgl. Cic. Tusc.
1, 34, 82: fac enim sic animum interire ut corpus; num igitur aliquis dolor aut omnino
post mortem sensus in corpore est? nemo id quidem dicit etsi Democritum insimulat
Epicurus, Democritei negant; die passendste Parallelstelle erkannte Waszink in
Plot. 4, 4, 29, 5: ȽȺɀȯȻ ȿȾџȶȯȷȫȳ ą ȽHȷ ȷȯȴȺHȷ ȼɂȶ Ƚɂȷ ȴȫ ,ȷȾɀȯȻ
ȫ3ȸџȶȯȷȹȳ (Waszink 1947, 527). Zur Erklärung bezüglich der Nägel zitiert
Waszink (1947, 529) Ps.-Arist. De spir. 6, 484 a 38ff.: ȴ Ƚȹ8 ȷȯѠȺȹȾ Ƚ
,ȷȾɀȫ; Aët. 5, 22, 1; die Schlussfolgerung war aber »Tert. in this passage
follows Pliny« (vgl. Nat. Hist. 11, 247: ungues, clausulae nervorum summae
Kommentar 163
existimantur… defuncto crescunt). Durch die Parallelen aus Meletios und Pol-
lux können wir sicher sein, dass sich die sonderbare Angabe über die To-
ten auch im Text des Soranos befand. Die Theorie über die Haare stimmt
mit Aristoteles überein, vgl. De part. an. 2, 14, 658 b 2, wo die Feuchtigkeit
und die Wärme des Gehirns mit dem Wachsen der Haare in Zusammen-
hang gebracht werden; vgl. auch Et. Magn. 310, 29: Ƚ Ȯ ȼȽȳȷ
ȭȴ ȿȫȵȹȻȆ ȵȯȾȴ'Ȼ ȴȫ ȶȫȵȫȴ'Ȼ DȼąȯȺ ȸ ʱȿȺȹ8 Ƚȳȷ'Ȼ ąȯąȱȭAȻ
ȲȯȺȶ'Ȼ ȴȫ 2ȭȺџȻ; Melet. 52, 19: ʿȼȽȳ Ȯ ( ȭȴ ȿȫȵȹȻ ȵȯȾȴ'Ȼ ȶȫȵȲȫȴ'Ȼ
DȼąȯȺ ȸ ʱȿȺȹ8 Ƚȳȷ'Ȼ ąȯąȱȭѡȻ, 2ȭȺ'Ȼ ȴȫ ɁȾɀȺ&Ȼ (die gemeinsame,
wenn auch falsch verstandene Quelle ist über Orion als Vermittler Sora-
nos). Die Passage bei Pollux, auch wenn sie im Vergleich zu Tertullians
Text weniger verständlich ist, erlaubt uns, Soranos auch die aufgeklärte
physiologische Erklärung dieser Phänomene zuzuschreiben, die nach dem
Tod zu beobachten sind. Was die Diskrepanz zwischen Etym. Magn. und
Meletios betrifft, so lässt sich nicht bestimmen, ob nach Soranos’ Mei-
nung das Gehirn warm oder kalt war; es war auf jeden Fall feucht, und
damit lässt sich das Verb ą ȺȮɂ erklären, das aus dem Text des Soranos
den Weg zu Pollux fand. Der Schluss habes medicos bei Tertullian lässt
durchscheinen, dass das doxographische Material aus dem Text des Arztes
stammt.
[c] Der Hinweis auf Platon spielt auf Tim. 76 b – c an.
ȭȹ8ȷ ˂ȵȹȾ ȭȯȷџȶȯȷȫȳ Ƚ'ȷ 2ą' ȼȯȵȷȱȷ ȹȴȹ8ȼȳ Ƚџąȹȷ). Dieser Para-
graph wurde als fr. SVF II, 814 aufgenommen. Alle doxographischen
Materialien, die gegen die Unsterblichkeit der Seele angeführt werden,
spiegeln die Persönlichkeit des Soranos wider (Karpp 1934, 41).
[b] Was die Erwähnung des Areios betrifft, so zitiert Waszink Epit. fr.
39 p. 471 Diels apud Eus. Praep. Ev. 15, 20, 4: ȯȷȫȳ Ȯ ɁȾɀȷ ȷ ȽN *ȵL
ȿȫȼȷ, + ȴȫȵȹ8ȼȳ ȫȲ Ⱥȫ ȴȫ ʱ Ⱥȫ ȴ0ȴȵL † ąȯȺ Ƚȷ ȭȷ ȴȫ
Ȳ ȵȫȼȼȫȷ ȴȫ ȴ ȽȹѠȽɂȷ ʱȷȫȲȾȶȳȪȼȯȳȻȊ Ƚ Ȼ Ȯ ȵȹȳą Ȼ ɁȾɀ Ȼ
ąȺȹȼąȯȿȾȴ ȷȫȳ Ƚȫ0Ƚ, *ȼȫȳ Ƚȯ ȷ ȽȹȻ ȰMȹȳȻ ȯȼ ȴȫ *ȼȫȳ ȷ ȽN
ąȯȺȳ ɀȹȷȽȳ... Ȯȳȫȶ ȷȯȳȷ ȭ Ⱥ ȴȯ Ƚ Ȼ ȽHȷ ʱąȹȲȫȷџȷȽɂȷ ɁȾɀ Ȼ. Es be-
steht die Möglichkeit, dass Tertullian Areios eine Meinung zuschreibt, die
dieser nicht selbst vertreten, sondern nur wiedergegeben hatte. Was En-
dymion betrifft, so handelt es sich nicht um ein von Tertullian eingefügtes
Detail mit sarkastischem Unterton: die Bezugnahme auf den König von
Elis scheint eine poseidonianische Interpretation des Mythos wieder-
zugeben; wenn es wirklich so ist, dürfte diese Angabe aus Soranos stam-
men; vgl. fr. 398 Theiler (= Plut. De facie 943 a – 945): ʱȷȫȵѠȹȷȽȫȳ ȭ Ⱥ ȯȻ
ȽȫѠȽȱȷ, DȼąȯȺ ȯȻ Ƚȷ ȭȷ Ƚ ȼѡȶȫȽȫ ȽHȷ ȷȯȴȺHȷ, Ƚȫɀ1 ȶ ȷ ȫ
ȼѡȿȺȹȷȯȻ... ȽHȷ Ȯ ȿȳȵȹȽɅȶɂȷ ȴȫ ąȺȫȴȽȳȴHȷ ȺɂȽȳȴHȷ Ƚȯ ąȯȺ
ȼѡȶȫȽȫ ȴȫ ȲȾȶȹȯȳȮHȷ ȫ ȶ ȷ ȹ ȹȷ ȷ 4ąȷL ȽȫȻ Ƚȹ8 ȬɅȹȾ
ȶȷȱȶȹȼѠȷȫȳȻ )ȷȯɅȺȫȼȳ ɀȺѡȶȯȷȫȳ ȮȳȫȿɃȺȹȷȽȫȳ, ȴȫȲȪąȯȺ ˂ Ƚȹ8
϶ȷȮȾȶɅɂȷȹȻ· ȯ Ȯ’ ȫ3Ƚ Ȼ Ƚ' ʵȼȽȫȽȹȷ ȴȫ Ƚ' ȯ3ąȫȲ Ȼ ȸɅȼȽȱȼȳ ȴȫ
ʱȿɃȵȴȯȳ ȽȻ ȼȯȵɄȷȱȻ ąȺ'Ȼ ʵȵȵȱȷ ȭɃȷȯȼȳȷ, ȹ3ȴ ˧ <ȴȫȽȫȶɃȷȯȳȷ> ʱȵȵ’
ʱȷȫȴȫȵȯȽȫȳ ȴȫ ȴȫȽȫȲɃȵȭȯȳ.
LOCI INCERTI
34 — Tert. An. 3, 2.
In An. 3, 2 ergeben sich zwei Probleme: erstens enthält sie Materialien, die
unzweifelhaft von Tertullian eingefügt wurden (z.B. das Zitat aus Is. 1, 22
über diejenigen, die Wein mit Wasser vermischen); zweitens das Vorhan-
densein abgedroschener Argumente, die der Karthager auch durch andere
Quellen hätte kennenlernen können (jeder Philosoph ist mit einem mehr
oder weniger anekdotischen Beiwort verbunden). Auch wenn der hier
abgedruckte Text mit anderen Materialien kontaminiert wurde, könnte er
den Argumentationsgang des Soranos widerspiegeln, welcher wahrschein-
lich der skeptischen Quelle folgend die verschiedenen Meinungen neben-
einander gestellt hatte, um deren Unzuverlässigkeit zu betonen.
Diejenigen, die behaupten, die Seele sei mehr als unsterblich, sind die
Vertreter der Metempsychose (d.h. Platoniker und Pythagoreer). Die
Junktur Platonis honor resultiert aus dem schwankenden Urteil, das bei Ter-
tullian (wie auch bei anderen Apologeten) über Platon greifbar ist (An. 23,
166 Kommentar
5; 48, 2; Nat. 2, 3, 4); es besteht die Möglichkeit, dass ein solches Urteil
auch bei Soranos zu lesen war; mit dem Ausdruck Zenonis vigor werden die
Stärke und die Rechtschaffenheit des ersten Stoikers gewürdigt (SVF I, 15
rigida ac virilis sapientia); der Ausdruck Epicuri stupor kann auf die epikurei-
sche Ataraxie anspielen, impliziert allerdings auch eine Nuance von Bor-
niertheit (Nat. 2, 3, 4: Epicuri duritia), deren Ursprung schwer zu ermitteln
ist; Heracliti maeror spielt auf die sprichwörtliche schlechte Laune dieses
Vorsokratikers an (DK 22 A 1: 2ą' ȶȯȵȫȭɀȹȵɅȫȻ Ƚ ȶ ȷ ˂ȶȳȽȯȵ...
ȭȺȪɁȫȳ; Stob. Anth. 3, 20, 53), Empedoclis furor auf die starke göttliche
Inspiration des Empedokles (Hor. Ep. 1, 12, 20: Empedocles an Stertinium
deliret acumen; An. 32, 1-2).
35 — Tert. An. 6, 1.
Infolge der von Tertullian durchgeführten Umarbeitung des Textes ist es
schwierig, die von Soranos stammenden Elemente von den Zusätzen des
Afrikaners zu trennen. Um nicht die Aspekte zu wiederholen, die Waszink
zur Erklärung anführte (Waszink 1947, 131ff.), erinnern wir nur daran,
dass der tertullianische Text vier platonische Beweise gegen die stoffliche
Natur des psychischen Prinzips enthält: (1) das Argument, das auf der
Bewegung der Seele basiert (hier in T 35); (2) das gnoseologische Argu-
ment, dem zufolge die Seele nur durch den spekulativen Verstand wahr-
genommen werden kann; (3) das Argument, das sich auf die Ernährung
der Seele bezieht (T 3); (4) das Argument, das die Körperlichkeit der Seele
deswegen bekämpft, weil zwei Körper sich nicht gegenseitig durchdringen
können. Karpp (1933, 33ff.) meinte, das ganze Kapitel 6 stamme von
Soranos; Waszink dagegen wies nach, dass die vier platonischen Argumen-
te durchaus von Soranos stammen könnten; die Widerlegung hingegen sei
eine Zusammenfassung von Paralogismen und unprofessionellen Bewei-
sen, und könne nur von Tertullian stammen. Nur das dritte dieser vier
Argumente ist durch die Erwähnung des Soranos gesichert, die anderen
werden aufgrund plausibler Vermutungen in die Testimoniensammlung
aufgenommen (so z.B., wenn bei Nemesios, der eine Quelle mit Soranos
gemeinsam hat, dasselbe Argument vorhanden ist). Die Widerlegung weist
allerdings die typischen Merkmale der Argumentation Tertullians auf; vgl.
Waszink 1947, 132: »it is possible (though not certain) that the
doxographical materials, viz. the four arguments of the Platonists, were
borrowed from the treatise ą.Ɂ., but this does not apply to the refuta-
tion«. Die Vorsicht Waszinks ist im Falle von T 3, wo der Name des Sora-
nos vorkommt, vielleicht übertrieben; in den anderen Fällen ist sie aller-
dings begründet, wenn auch etwas abzumildern.
Im Fall des ersten hier angeführten Argumentes stimmt der Text Ter-
tullians mit Nemesios überein: vgl. Nemes. De nat. hom. 72, pp. 18, 22 –
Kommentar 167
19, 2:ȱ ʿȽȳ ą˦ȷ ȼHȶȫ ˅Ƚȹȳ ʿȸɂȲȯȷ ȴȳȷȯȽȫȳ ˃ ʿȷȮȹȲȯȷ· ʱȵȵ’ ȯ ȶ ȷ
ʿȸɂȲȯȷ, ʵɁȾɀȹȷ ʿȼȽȫȳ· ȯ Ȯ ʿȷȮȹȲȯȷ, ʿȶɁȾɀȹȷ. ȯ Ȯ ȼHȶȫ ˂ ɁȾɀɄ, ȯ
ȶ ȷ ʿȸɂȲȯȷ ȴȳȷȹȽȹ, ʵɁȾɀџȻ ȼȽȳȷ· ȯ Ȯ ʿȷȮȹȲȯȷ, ʿȶɁȾɀȹȻ· ʵȽȹąȹȷ Ȯ
ȴȫ Ƚ' ʵɁȾɀȹȷ ȴȫ Ƚ' ʿȶɁȾɀȹȷ ȵɃȭȯȳȷ Ƚȷ ɁȾɀɄȷ· ȹ3ȴ ʵȺȫ ȼHȶȫ ˂
ɁȾɀɄ.ȱ
Der Argumentationsverlauf ist bei Tertullian und Nemesios unter-
schiedlich:
ȱ
Tert. Nemes.
1. omne corpus aut animale sit necesse est 1. ʿȽȳ ą˦ȷ ȼHȶȫ ˅Ƚȹȳ ʿȸɂȲȯȷ ȴȳȷȯȽȫȳ
aut inanimale. ˃ ʿȷȮȹȲȯȷ.
(a) et si quidem inanimale est, extrinsecus (a) ȯ ȶ ȷ ʿȸɂȲȯȷ, ʵɁȾɀȹȷ ʿȼȽȫȳ· ȯ Ȯ
movebitur, si vero animale instrinsecus. ʿȷȮȹȲȯȷ, ʿȶɁȾɀȹȷ.
2. anima autem nec extrinsecus movebi-
tur, ut quae non sit inanimalis, nec intrin- 2. ˂ ɁȾɀɄ, ȯ ȶ ȷ ʿȸɂȲȯȷ ȴȳȷȹȽȹ,
secus, ut quae ipsa potius moveat corpus. ʵɁȾɀџȻ ȼȽȳȷ· ȯ Ȯ ʿȷȮȹȲȯȷ, ʿȶɁȾɀȹȻ.
3. non videri eam corpus, quae non cor-
poralium forma ex aliqua regione movea- 3. ʵȽȹąȹȷ Ȯ ȴȫ Ƚ' ʵɁȾɀȹȷ ȴȫ Ƚ'
tur. ʿȶɁȾɀȹȷ ȵɃȭȯȳȷ Ƚȷ ɁȾɀɄȷ· ȹ3ȴ ʵȺȫ
ȼHȶȫ ˂ ɁȾɀɄ.
36 — Tert. An. 6, 4.
Das von Tertullian angeführte platonische Argument demonstriert die
Unkörperlichkeit der Seele aufgrund des Umstands, dass nur die Seele die
intelligible Welt wahrnehmen kann. Dieses Argument (d.h. »das Ähnliche
kennt das Ähnliche«) ist schon bei den Vorsokratikern und bei Empedo-
kles nachgewiesen, wenn auch in Bezug auf die Wahrnehmungstheorie
168 Kommentar
37 — Tert. An. 6, 8.
Dass die Materialien, die wir vor 6, 8 finden, von Soranos stammen, ist
durch die Erwähnung des Arztes gewährleistet; im Falle von An. 6, 8 er-
geben sich größere Schwierigkeiten: Tertullian kannte das Beispiel des
Thales schon, bevor er Soranos las (Nat. 2, 4, 18); einer aus Gehässigkeit
verbreiteten Legende zufolge habe sich Chrysipp einer Nieswurzbehand-
lung unterzogen, um sein Denkvermögen zu verbessern: vgl. Petr. Sat. 88,
4: Chrysippus ut ad inventionem sufficeret ter helleboro animum detersit; Lucian.
Herm. 86; Hist. Vera 2, 18: dieses Detail könnte von Tertullian selbst ein-
gefügt worden sein; das Beispiel der Mehrlingsgeburt ist der juristischen
Literatur entnommen. Innerhalb dieser Materialien, die aus anderen Quel-
len stammen, lässt sich ein Anliegen des Soranos erkennen, nämlich das
Kommentar 169
vides qualem nobis vitam rerum natura promiserit, quae primum nascentium hominum
fletum esse voluit?; Plin. Nat. Hist. 7, praef. 2: ad vagitus statim et ploratum nul-
lumque tot animalium aliud ad lacrimas; Lucr. 5, 226-227: vagituque locum lugubri
complet ut aecumst/ cui tantum in vita restet transire malorum (die Stellen wurden
schon von Waszink 1947, 278 angeführt). Zu diesem Thema gibt es aller-
dings eine Parallele in einem sicher von Soranos stammenden Text. Wenn
Soranos dieses Thema wirklich behandelte, nahm er auf jeden Fall zu
diesem Volksglauben kritisch Stellung, wie schon in ą.ȭ. und in Überein-
stimmung mit seiner aufgeklärten Haltung; der Hinweis auf das Vorwissen
stammt natürlich von Tertullian.
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Thörnell, G., Studia Tertullianea, Bde. I-IV, Uppsala 1918-1926.
Literaturverzeichnis 179
Register
1. Index testimoniorum
1 — Tert. An. 2, 6. 20 — Tert. An. 27, 5-6 ~
2 — Tert. An. 5, 1-6. Soranus, π.γ. 1, 9 p. 17.
3 — Tert. An. 6, 6-7 ~ 38, 3. 21 — Tert. An. 32, 4.
4 — Tert. An. 8, 3 ~ Anon. 22 — Tert. An. 37, 5.
Lond. 31, 25 – 32, 26. 23 — Tert. An. 38, 1.
5 — Tert. An. 8, 4. 24 —Tert. An. 42, 1.
6 — Tert. An. 9, 1; 9, 5. 25 — Tert. An. 43, 1-5.
7 — Tert. An. 10, 4-5. 26 — Tert. An. 43, 8.
8 — Tert. An. 12, 2. 27 — Tert. An. 43, 12.
9 — Tert. An. 12, 5-6. 28 — Tert. An. 44, 2.
10 — Tert. An. 14, 2. 29 — Tert. An. 48, 1-2.
11 — Tert. An. 14, 4-5 ~ Pollux, 30 — Tert. An. 51, 2-3 ~
Onom. 2, 236 p. 155 ~ Anon. Meletius, p. 123, 3-18 ~ Pollux,
Lond. 1, 21-24; 37, 47-49 ~ Onom. 2, 145-146 p. 128; 2, 36 p.
Etym. Orion. 100; 116-117; 169. 92.
12 — Tert. An. 15, 1-3. 31 — Tert. An. 52, 1-2.
13 — Tert. An. 15, 5-6 ~ Pollux, 32 — Tert. An. 53, 1.
Onom. 2, 226 pp. 152 ~ Anony- 33 — Tert. An. 54, 1-2 ~ 55, 4.
mus Fuchsii 1, 1 ~ Cael. Aur. 34 — Tert. An. 3, 2.
Acut. Morb. 1, 8, 53. 35 — Tert. An. 6, 1.
14 — Tert. An. 17, 2-4 ~ Mele- 36 — Tert. An. 6, 4.
tius, p. 72, 8-20. 37 — Tert. An. 6, 8.
15 — Tert. An. 19, 2. 38 — Anon. Lond. 39, 1-15.
16 — Tert. An. 20, 3-4. 39 — Tert. An. 19, 8 ~ p.g. 2, 6
17 — Tert. An. 25, 2. p. 16.
18 — Tert. An. 25, 5. 40 — Tert. An. 46, 3
19 — Tert. An. 25, 9 ~ Soranus,
π.γ. 1, 12 p. 36.
.
182 Register
2. Index fontium
Anonymus Fuchsii 1, 1: 13. Tert. An. 12, 2: 8.
Anon. Lond. 1, 21-24: 11. Tert. An. 12, 5-6: 9.
Anon. Lond. 37, 47-49: 11. Tert. An. 14, 2: 10.
Anon. Lond. 31, 25 – 32, 26: 4. Tert. An. 14, 4-5: 11.
Anon. Lond. 39, 1-15: 38. Tert. An. 15, 1-3: 12.
Cael. Aur. Acut. Morb. 1, 8, 53: Tert. An. 15, 5-6: 13.
13. Tert. An. 17, 2-4: 14.
Etym. Orion. 100: 11 Tert. An. 19, 2: 15.
Etym. Orion. 116-117: 11. Tert. An. 19, 8: 39.
Etym. Orion. 169: 11. Tert. An. 20, 3-4: 16.
Meletius, p. 72, 8-20: 14. Tert. An. 25, 2: 17.
Meletius, p. 123, 3-18: 30. Tert. An. 25, 5: 18.
Pollux, Onom. 2, 36 p. 92: 30. Tert. An. 25, 9: 19.
Pollux, Onom. 2, 145-146 p. 128: Tert. An. 27, 5-6: 20.
30. Tert. An. 32, 4: 21.
Pollux, Onom. 2, 226 p. 152: 13. Tert. An. 37, 5: 22.
Pollux, Onom. 2, 236 p. 155: 11. Tert. An. 38, 1: 23.
Soranus, π.γ. 1, 9 p. 17: 20. Tert. An. 38, 3: 3.
Soranus, π.γ. 1, 12 p. 36: 19. Tert. An. 42, 1: 24.
Soranus π.γ. 2, 6 p. 16: 39. Tert. An. 43, 1-5: 25.
Tert. An. 2, 6: 1. Tert. An. 43, 8: 26.
Tert. An. 3, 2: 34. Tert. An. 43, 12: 27.
Tert. An. 5, 1-6: 2. Tert. An. 44, 2: 28.
Tert. An. 6, 1: 35. Tert. An. 46, 3: 40.
Tert. An. 6, 4: 36. Tert. An. 48, 1-2: 29.
Tert. An. 6, 6-7: 3. Tert. An. 51, 2-3: 30.
Tert. An. 6, 8: 37. Tert. An. 52, 1-2: 31.
Tert. An. 8, 3: 4. Tert. An. 53, 1: 32.
Tert. An. 8, 4: 5. Tert. An. 54, 1: 33.
Tert. An. 9, 1: 6 Tert. An. 55, 4: 33.
Tert. An. 9, 5: 6.
Tert. An. 10, 4-5: 7.
Register 183
3. Index Nominum
Alexander Philalethes: 38. Heraclitus: 1; 2; 6 b; 11 a; 13 a; 14
Academici: 14 a. a; 34.
Aegyptii: 13 a. Hermotimus: 27; 28.
Aenesidemus: 6 b; 11 a; 17. Herophilus: 7; 12; 13 a; 18.
Anaxagoras: 8; 9; 25. Hicesius: 17; 18.
Anaximenes: 6 b. Hipparchus: 2.
Andreas: 12 (bis). Hippocrates: 12; 13 c; 18.
Apollodorus: 13 b. Hippon: 2.
Apollophanes: 10. {Lucretius}: 2.
Archimedes: 11. Megillus: 16.
Aristoteles/Ἀριστοτέλης: 2; 3 a; 8; Minerva: 16.
9; 10 (ex coniectura); 12; 13 b; Moschionem: 13 a.
15; 21; 25; 34; 40. Orpheus: 13.
Arius: 33 b. Panaetius: 10.
Asclepiades: 12 (tris); 13 a; 18; 23. Parmenides: 25.
Athenae: 16. Peripatetici: 2.
Cleanthes: 2; 19. Plato/Πλάτων: 2; 3; 10; 12; 13 a;
Clinias: 16. 13 b; 14 a; 16; 17; 21; 29; 30
Chrysippus (medicus): 13 a. (bis); 33 a (bis).
Chrysippus (stoicus): 2; 10; 37 Platonici: 35.
Colyttus: 16. Praxagoras/Πραξαγόρας: 13 c.
Critias: 2. Posidonius: 10.
Critolaus: 2 (bis). Pythagoras/ Πυθαγόρας: 13 b; 21;
Democritus: 9; 12; 25; 30. 33 a.
Dicaearchus: 12 (bis). †Protagoras†: 13 a.
Diocles: 12; 14 a. Socrates: 12.
Empedocles/Ἐμπεδοκλῆς: 2; 12; Soranus/Σωρανός: 3 (tris); 4; 10;
13 b; 14 a; 16; 25; 33 a; 34. 12; 13 e; 18; 28.
Empirici: 4 b. Stoici/ Στοά: 2; 10; 13 b; 14 a; 17;
Endymio: 33 b. 25 (bis); 33 a (bis); 33 a (bis);
Epicurei: 14 a; 25. 33 b.
Epicurus: 2; 12; 13 a; 21; 24; 34; Strato (medicus): 12; 13 a.
40. Strato (physicus)/ Στράτων: 11;
Epimenides: 28. 13 a; 13 b; 25.
Erasistratus/Ἐρασίστρατος: 12; Telmessenses: 40.
13 c; 18. Thales: 2; 37.
Eubulus: 2. Thebae: 16.
Graeci: 20. Xenocrates: 2; 13 a.
Heraclides Ponticus: 6. Xenophanes: 25.
Zeno (stoicus): 2; 10; 34.
184 Register
4. Namen
Adler, A.: 7, 62 Gigon, O.: 2
Annas, J.: 1, 18, 29, 34, 37, 53, Giussani, C.: 34
55, 60, 61, 71, 78 Gomperz, Th.: 20
Arnim, H. von: 9 Gottschalk, H.B.: 10, 13, 15, 27,
Arrighetti, G.: 32, 33, 37, 40, 44 84
Bailey, C.: 34 Goulet, R.: 77
Baltussen, H.: 5 Gourevitch, D.: 27, 63
Barbotin, E.: 3, 4 Green, H.: 62, 64, 69, 95, 97, 98
Barnes, J.: 78 Hanson, A.E.: 62, 64, 69, 95, 97,
Bernays, J.: 15 98
Bignone, E.: 1, 21, 34 Hicks, R.D.: 3
Burguière, P.: 63 Ilberg, J.: 78
Bywater, I.: 3, 76 Isnardi Parente, M.: 35, 49, 74
Capelle, W.: 23 Jaeger, W.: 22, 29, 48
Carlini, A.: 17, 21 Jones, W.H.S.: 100, 102
Casadei, E.: 44 Karpp, H.: 66, 67
Cramer, J.A.: 97, 98 Kerferd, G.B.: 31, 33
Daremberg, Ch.: 63 Kind, E.: 63, 68, 97, 98
De Witt, N.W.: 61 Konstan, D.: 33
Della Valle, G.: 16, 17 Kranz, W.: 35, 90
Des Places, É.: 73, 106 Lapidge, M.: 48, 49, 50, 55, 57
Devereux, D.: 4 Leven, K.H.: 97, 103
Devoti, D.: 68 Long, A.A.: 49, 50
Diano, C.: 34, 38, 40, 41, 42, 44, Maas, P.: 93
48 Malinas, Y.: 63
Diels, H.: 5, 12, 22, 23, 24, 26, Manetti, D.: 99, 100
29, 32, 44, 52, 63, 66, 81, 90, Mansfeld, J.: 5, 70, 103, 107
97, 99, 100, 102, 107 Mehl, D.: 35
Dorandi, T.: 7, 46, 100 Mohrmann, Ch.: 68
Dörrie, H.: 71, 75, 103, 107, 108 Morani, M.: 70, 73, 98
Erler, M.: 34, 36, 38 Moraux, P.: 9, 10
Everson, S.: 18, 61 Movia, G.: 3, 5, 9, 11, 12, 13, 16,
Festugière, A.J.: 67 17, 20, 21, 22, 23, 27
Flashar, H.: 13, 20 Natali, C.: 7
Frede, M.: 49 Pigeaud, J.: 45
Fuchs, R.: 102, 103 Pohlenz, M.: 46, 56
Garcia Calvo, A.: 32 Polito, R.: 64, 65, 67, 74, 81, 84
Garofalo, I.: 27, 103 Repici, L.: 19, 25, 28, 29, 32, 35,
Gatzemeier, M.: 23, 25 41
Gigante, M.: 1, 30, 61 Rohde, E.: 13, 15
Register 185
5. Stellen
Aëtios 4, 13: 101
1, 7, 34: 44 16, 3: 101
3, 5, 5: 107 21, 21: 102
4, 3: 67 21, 26: 102
4, 4: 67 37, 5-6: 102
4, 4, 6: 32, 35 37, 29: 102
4, 5: 67 37, 35: 101
4, 5, 1: 34 38, 22: 102
4, 7: 67 38, 24: 102
4, 8-9: 67 38, 25: 84
4, 9, 6: 39 38, 31: 102
4, 23, 3: 23 38, 33: 84
5, 1-2: 67 38, 52: 102
5, 15: 67 39, 3: 102
5, 16: 67 39, 5: 102
5, 23-26: 67 39, 1-15: 77
5, 24-25: 67 39, 15: 102
39, 22: 102
Albinos (Gioè) 39, 31: 102
T 9: 20
Antipatros von Tarsos
Alexander von Aphrodisia SVF III, 50: 90
De anima mant. p. 115, 32ff.: 76
De an. mant. p. 117: 55, 70, 71 Apuleius
De anima mant. 117, 1 – 118, 4: De Platone 1, 9, 199 p. 97, 16: 106
103
In De sens. 51, 3 p. 24: 42 Areios Didymos
fr. 39 Diels: 52, 55
Alkmaion
DK 24 A 5: 40 Aristoteles
An. 405 a 5: 31
Anaxagoras An. 407 b 27ff.: 15
DK 59 A 46: 44 An. 407 b 33: 5
An. 408 b 1ff.: 3
Anonymus Londinensis An. 409 b 2ff.: 75
1, 7: 101 An. 418 b 18: 75
1, 21-24: 32 An. 430 a 12: 3
1, 33: 101 An. 424 a 20: 60
1, 40: 101 An. 426 b 8: 41
2, 13-14: 101 An. 430 a 10: 4
Register 187
4, 618ff.: 39 Platon
4, 649ff.: 40 I Alc. 130 a 1ff.: 19
4, 728ff.: 39 Phaed. 84 a 8: 73
Phaed. 85 e 3 – 86 b 5: 14
Macrobius Phaed. 86 b 9: 13
In somn. Scip. 1, 14, 19: 16 Phaed. 93 b 5ff.: 21
Phaedr. 245 e 4ff.: 105
Meletios Phaedr. 247 d 4: 73
p. 1, 8ff.: 97 Prot. 313 c 4-5: 73
p. 1, 21-23: 98 Rsp. 10, 611 d 3: 56
p. 43: 97 Theaet. 191 d 5: 60
p. 52: 97 Theaet. 194 c 5ff.: 60
p. 72, 8-20: 98 Tim. 34 a: 106
p. 111: 97 Tim. 43 b: 106
p. 147: 97 Tim. 45 a 2: 56
p. 148: 97 Tim. 45 b: 6
Tim. 61 d-e: 6
Nemesios Tim. 62 a-b: 6
De nat. hom. 67, p. 16, 1-21: 104 Tim. 64 c-e: 6
De nat. hom. 68, p. 17, 1ff.: 12 Tim. 67 b: 6
De nat. hom. 70, p. 17, 17: 106 Tim. 70 b 8: 51
De nat. hom. 72, pp. 18, 22 – 19, Tim. 80 a-b: 6
2: 104
De nat. hom. 72, p. 19: 104 Ps. Platon
De nat. hom. 76-79, pp. 20f.: 70, Ax. 366 a: 35, 38
71, 104
De nat. hom. 81, p. 22: 71, 104 Plotinus
De nat. hom. 125, p. 38, 12ff.: 76 Enn. 4, 7, 82, 20-22: 76
De nat. hom. 187-188, p. 62, 10-
19: 98, 104, 105 Plutarch
Adv. Col. 1109 a: 39, 40
Numenios (des Places) Adv. Col. 1118 d: 32
fr. 4 b: 73, 104, 106 De libidine et aegritudine 4, 697 b:
23
Olympiodoros De soll. an. 3, 961 a: 19, 22, 42
In Phaed. p. 57, 17 Norvin: 16 Quaest. conv. 8, 10, 2: 40
Sulla 26, 3: 10
Passio Perpetuae
15, 4: 95 Ps.-Plutarch
Philo von Alexandria Epit. 4, 2, 5, 898 b – c: 12
Ebr. 181ff.: 78 Epit. 4, 23, 3: 22
Opif. 66: 35
Register 191
De sens. 5: 6 Xenokrates
De sens. 6: 6 fr. 203: 73, 104
De sens. 7: 40
De sens. 12: 40 Zeno (der Stoiker)
De sens. 13: 5 SVF I, 96ff.: 49
De sens. 18: 6 SVF I, 134: 48
De sens. 20: 5 SVF I, 135: 48
De sens. 26: 40 SVF I, 137: 47
De sens. 39: 41 SVF I, 138: 47
De sens. 51: 6, 43 SVF I, 140: 51, 90
De sens. 74: 40 SVF I, 141: 59
De sens. 80: 40 SVF I, 142: 50
De sens. 83-84: 6 SVF I, 143: 50, 59, 79
De sens. 85: 6 SVF I, 144: 50
fr. 265, 1 a: 2 SVF I, 146: 52
fr. 271: 3 SVF I, 148: 51
fr. 307 b: 3 SVF I, 150: 49, 51
fr. 320 a: 4 SVF I, 153: 49
Met. 4 b 18: 4, 5 SVF I, 155: 49
Met. 5 b 2: 4, 5 SVF I, 157: 49
SVF I, 158: 49
SVF I, 161: 49