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Friedrich-Schiller-Universität Jena

Biologisch-Pharmazeutische Fakultät
Institut für Geschichte der Naturwissenschaften, Medizin und Technik „Ernst-Haeckel-Haus“
Berggasse 7
07745 Jena
Seminar: Geschichte der Naturwissenschaften I (Antike)
Dozent: Akademischer Rat Dr. Thomas Bach

Hausarbeit zum Thema:

Antiker Atomismus:
Epikur – Brief an den Herodotus

vorgelegt von:
Philipp Scholze
Schulstraße 15
07749 Jena
real_phil@web.de
Geschichte der Naturwissenschaften 4. Semester (Ergänzungsfach)
Matrikelnummer: 108878
Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Zur Leben, Werk und Lehre des Epikur

3. Die Epikureische Naturphilosophie: Brief an den Herodotus

4. Zusammenfassung

5. Literaturverzeichnis

6. Eidesstattliche Erklärung
1. Einleitung

Der griechisch-antike Denker Epikur wird der hellenistischen Philosophie zugerechnet. Hinsichtlich
der Naturphilosophie vertrat dieser in Anknüpfung an seine Vorläufer Leukippos und Demokrit
einen atomistischen Materialismus, der sehr stark mit der Ethik verquickt ist. Davon legt der Brief
an Herodotus als pädagogisch motivierter Auszug auf dem ganzen Korpus Epikureischer
Naturphilosophie Zeugnis ab. Epikur wirkte schulenbildend, sodass die Epikuräer (der Garten) sich
neben der Akademie (Platoniker), den Peripatetikern (Aristoteliker) und der Stoa als vierte
philosophische Schule im hellenistischen Athen etablieren konnten.

Diese Seminararbeit weist folgende Gliederung auf:


Zunächst sollen im zweiten Kapitel biographische Eckdaten und Werk Epikurs im Überblick
dargestellt sowie die Grundzüge seiner philosophischen Lehre ausgewiesen werden. Im dritten
Kapitel erfolgt eine kommentierende Rekonstruktion des Argumentationsverlaufs von Epikurs
„Brief an Herodotus“. Dabei sollen die zentralen Thesen und Konstellationen der Epikureischen
Naturphilosophie herausgearbeitet werden. Dabei sollen folgende Fragen die Ausführungen
begleiten: Wie denkt Epikur Naturkonzeption und Naturverhältnisse? Welche ethische Funktion
schreibt er der Naturforschung als Praxis1 zu? Schließlich sollen im vierten Kapitel die Ergebnisse
synthetisiert und fixiert werden.

2. Zu Leben, Werk und Lehre des Epikur

Epikur, zu griechisch Ἐπίκουρος (Epíkouros), wurde um 341 v. Chr. auf Samos geboren und starb
271 oder 270 v. Chr. in Athen. Als Begründer der hedonistischen Lehre des Epikureismus lebt er 40
Jahre lang mit Schülern und Freunden im Garten Kepos. Seine Werke sind nurmehr lückenhaft
überliefert. Insgesamt ist ein Korpus von ingesamt mindestens 40 Abhandlungen zu rekonstruieren.
Darunter befinden sich die v.a. 37 Bücher seines Hauptwerks περὶ φύσεως (Über die Natur), die nur
zum Teil in Fragmentsammlungen 2 erhalten sind. Vollständig tradiert sind hingegen die Briefe an
Herodotos3, an Pythokles4 und an Menoikus5.
1 Vielleicht ließe sich an dieser Stelle besser von Hexis als Haltung zwischen Theorie und Praxis sprechen.
2 Vgl. Epikur: Über die Natur. In: Jürß, Fritz; Müller, Reimar; Schmidt, Ernst Günther (Hrsg. und
Übers.): Griechische Atomisten. Texte und Kommentare zum materialistischen Denken der Antike, Leipzig, 1991, S.
241-283.
3 Epikur: Brief an Herodotus. In: Jürß, Fritz; Müller, Reimar; Schmidt, Ernst Günther (Hrsg. und Übers.):
Griechische Atomisten. Texte und Kommentare zum materialistischen Denken der Antike, Leipzig, 1991, S. 205-222.
4 Epikur: Brief an Pythokles. In: Jürß, Fritz; Müller, Reimar; Schmidt, Ernst Günther (Hrsg. und Übers.):
Griechische Atomisten. Texte und Kommentare zum materialistischen Denken der Antike, Leipzig, 1991, S. 223-234.
5 Epikur: Brief an Menoikeus. In: Jürß, Fritz; Müller, Reimar; Schmidt, Ernst Günther (Hrsg. und Übers.):
Griechische Atomisten. Texte und Kommentare zum materialistischen Denken der Antike, Leipzig, 1991, S. 235-240.
„Denn solange wir sind, ist der Tod nicht da, und sobald er da ist, sind wir nicht mehr.“ (S. 236) „Darauf ist doch
unser ganzes Handeln ausgerichtet: keinen Schmerz zu erleiden und keine Verwirrung zu empfinden.“ (S. 235)
Epikur eignete sich die Theorie des Atomismus von den Vorsokratikern Leukippos und v.a.
Demokrit an. Demokrit, der ca. 460 v. Chr. in Abdera, einer ionisch-thrakischen Kolonie, geboren
wurde und vermutlich 400 oder 380 v. Chr. starb, zeichnete sich in seiner philosophischen Lehre
durch das Moment der Bannung der Furcht aus. Die Seele solle durch die Erlangung des Wissens
um die theoretischen Zusammenhänge der Dinge in der Welt in einen Zustand der Wohlgemutheit
(Euthymia) versetzt werden. Der Erstrebung dieses höchsten Gutes wegen wurde Demokrit wohl
schon zu Lebzeiten mit Beinamen als lachender Philosoph bezeichnet. 6

In ähnlicher Weise ist Epikurs Ethik auf Lust (ἡδονή/ hēdonē), individuelles Lebensglück
und Seelenheil (εὐδαιμονία/ eudaimonía/ Glückseligkeit) ausgerichtet. Hierzu sollen Furcht,
Begierde und Schmerz negiert und bekämpft werden. Epikurs Anweisungen umfassen spezielle
Formen der Bedürfnisregulation zum Zweck der Unlustminimierung und der Lustmaximierung,
welche bisweilen gar, entgegen einem verbreiteten Begreifen des Epikureischen Hedonismus als
Plädoyer für schrankenlosen Exzess und Völlerei, asketisch anmuten. 7 Da Epikur im Sinne einer
radikalen Diesseitigkeit und gegen die Idee des ewigen Lebens argumentiert, besteht für ihn zu
Lebzeiten in der Erlangung der vollendeten Seelenruhe, der Ataraxia (ἀταραξία / ataraxía /
Unerschütterlichkeit), die höchste Maxime. Hinsichtlich der Sozialphilosophie setzt Epikur sehr
stark auf den Wert der Freundschaft, welcher er das Vermögen zur Steigerung der Daseinsfreude
zuschreibt.8

Die Naturphilosophie des Epikur beruht auf dem Konzept des atomistischen Materialismus.
Dieser besagt, dass die gesamte materielle Natur aus kleinsten, unteilbaren Einheiten, den Atomen,
zusammengesetzt ist. Der Terminus Atom geht etymologisch auf das griechische ἄτομος (átomos)
zurück, welches das Unzerscheidbare bzw. Unteilbare bedeutet. Die Erklärung der physikalischen
Wirklichkeit erfolgt somit rein materialistisch, auf metaphysiche bzw. transzendente Annahmen
wird verzichtet. Alles Existierende wird als Ergebnis der Bewegung und der unterschiedlichen
Verteilung unveränderlicher Atome im Raum beschrieben. 9 Die Materie wird als ungeschaffen und
unveränderlich begriffen. Die Atome sind als letzte unteilbare Einheiten unsichtbar und besitzen als
Eigenschaften Größe, Gestalt und Schwere. Die Anzahl der Atomformen und ihrer möglichen

6 Vgl. Lindberg, David C.: The Beginnings of Western Science. The European Scientific Tradition in
Philosophical, Religious, and Institutional Context, Prehistory to A.D. 1450, Chicago, 2007, S. 29 ff.
7 Vgl. Epikur: Die Hauptlehrsätze. In: Jürß, Fritz; Müller, Reimar; Schmidt, Ernst Günther (Hrsg. und
Übers.): Griechische Atomisten. Texte und Kommentare zum materialistischen Denken der Antike, Leipzig, 1991,
S. 284-292.
8 Vgl. : Jürß, Fritz; Müller, Reimar; Schmidt, Ernst Günther: Einleitung. Epikur. In: Jürß, Fritz; Müller,
Reimar; Schmidt, Ernst Günther (Hrsg. und Übers.): Griechische Atomisten. Texte und Kommentare zum
materialistischen Denken der Antike, Leipzig, 1991, S. 58 ff.
9 Vgl. hierzu im Folgenden: Lange, Friedrich Albert: Geschichte des Materialismus. Band 1. Herausgegeben
und eingeleitet von Alfred Schmidt, Frankfurt, 1974, S, 83 f.; Lindberg, David C.: The Beginnings of Western
Science. The European Scientific Tradition in Philosophical, Religious, and Institutional Context, Prehistory to
A.D. 1450, Chicago, 2007, S 76 ff.
Kombinationen ist zwar sehr groß, aber endlich. Die Anzahl der einzelnen Atome hingegen ist
unendlich groß. Im unendlich großen Raum existiert somit eine unendliche Zahl von Welten. Die
Bewegung stellt dabei die Daseinsweise der Atome dar. Hierbei wird der senkrechte Fall als Urform
der Bewegung ausgewiesen. In der Untersuchung des senkrechten Falls zeigt sich nun die
fundamentale Differenz zwischen demokritischer und epikureischer Naturphilosophie 10: Während
Demokrit in deterministischer Weise keine horizontale Ablenkung der Atome von ihrer senkrechten
Fallbahn zulässt, führt Epikur das Moment der Deklination ein. 11 Nach Epikur können die Atome,
zufällig und selbstverursacht, von der geraden Falllinie abweichen und somit durch Zusammenprall
und Repulsion mit anderen Atomen interagieren, sodass Atomverbindungen entstehen. 12 Auch in
seiner Abbildtheorie weicht Epikur in sensualistischer Weise von seinem Vorbild Demokrit ab: Er
beschreibt die Sinnesempfindungen nicht als sekundär, sondern betrachtet sie als primäres,
konstitutives Moment der Welterkenntnis. Dem Geist hingegen weist er nur eine abgeleitete,
unselbständige Funktion zu. Epikurs subjektivistisch motivierter Hang zum Unsystematischen hat
ihm darüberhinaus „den Vorwurf eingetragen, daß die Dialektik, das ist der antike Ausdruck für
Logik, bei ihm im Vergleich zu den dialektischen Künsten der Stoa vernachlässigt sei; heute würde
man wohl sagen, er habe allzu essayistisch gedacht.“ 13

Die Lehren Epikurs wurden zunächst durch seine Schüler rezipiert. In römischer Zeit tat sich
der Epikuräer Lukrez im 1. Jhd. v. Chr. durch sein popularisierendes wie auch enzyklopädisches
Lehrgedicht De Rerum Natura (Über die Natur der Dinge) hervor, welches ob der fragmentarischen
Überlieferung von Epikurs Werk eine wichtige Quelle zur epikureischen Naturphilosophie
darstellt.14 Cicero wiederum wandte sich gegen den Epikureismus und trug damit zu dessen
Marginalisierung in Spätantike und Mittelalter bei. Mit dem französischen Philosophen und
Naturforscher Pierre Gassendi erlebte die epikureische Atomtheorie schließlich im 17. Jahrhundert
in Frontstellung gegen die vorherrschenden Aristotelischen Lehren eine Renaissance. 15

10 Vgl. Marx, Karl: Differenz zwischen demokritischer und epikureischer Naturphilosophie nebst einem
Anhange. In: Marx, Karl; Engels, Friedrich: Werke. Band 40. Berlin, 1968, S. 259-330.
Marx wurde mit dieser Schrift im Jahre 1941 an der Universität Jena zum Dr. phil. promoviert.
11 Demokrit spricht hingegen von Wirbeln ungeordneter Atombewegung im leeren Raum.
Vgl. Stückelberger, Alfred: Einführung in die antiken Naturwissenschaften, Darmstadt, 1988, S. 18.
12 Vgl. Stückelberger, Alfred: Einführung in die antiken Naturwissenschaften, Darmstadt, 1988, S. 163.
13 Adorno, Theodor W.: Philosophische Terminologie. Band 2, Frankfurt, 1974, S. 212.
14 Vgl. Lindberg, David C.: The Beginnings of Western Science. The European Scientific Tradition in
Philosophical, Religious, and Institutional Context, Prehistory to A.D. 1450, Chicago, 2007, S. 139.
15 Vgl. Simonyi, Károly: Kulturgeschichte der Physik, Frankfurt, 2001, S. 236 f.
3. Die Epikureische Naturphilosophie: Brief an Herodotus

Epikurs Brief an den Herodotus, dessen Datierung umstritten ist, stellt einen kurzen „Auszug“ 16 und
Grundriss aus dessen Büchern über die Natur dar. Er richtet sich an eine Leserschaft, die noch nicht
mit dem gesamten Epikureischen Werkkorpus vertraut ist, und hat daher eine einleitende,
pädagogische Funktion. Dabei soll die Betrachtung des Prinzipiellen vor den Einzelproblemen
stehen. Epikur zielt auf darauf ab, dass das Allgemeine deduktiv auf das Besondere bezogen werde,
„[d]enn es ist ja auch für den vollendeten Kenner das Entscheidende bei der gesamten Forschung,
die Grundkonzeptionen scharfsinnig anwenden zu können.“ 17 Neben seiner Methode preist Epikur
auch die seelische Wirkung des Studiums der Naturlehre an. Dieses verhelfe nämlich dazu, „den
tiefsten Frieden“18 zu finden. Desweiteren insistiert Epikur am Ende des Proömiums auf eine
intensive Arbeit an den Begriffen, um ein solides Fundament zum Verständnis dessen zu haben,
„was unserer Wahrnehmung nicht direkt zugänglich ist.“ 19

Nun geht Epikur zur Darlegung seiner Lehre über. Zunächst soll alles den Sinnen nicht
Zugängliche verhandelt werden. Als erstes Prinzip postuliert Epikur, „daß nichts aus dem
Nichtseienden entsteht.“20 Dergleichen wird auch Nichts zu Nichts. Die Natur des Alls ist als
gleichbleibend anzunehmen: „Das All besteht nun [aus Körpern und Leerem].“21 Es gibt – weder in
sensualistisch-empirischer noch in rationaler Hinsicht – nichts Drittes neben beidem. Die Körper
sind entweder Verbindungen oder solches, aus dem Verbindungen bestehen. Bei der Zergliederung
der Körper bzw. derer Zusammensetzungen bleiben am Ende immer letzte unteilbare Teilchen, die
Atome. Das All ist unbegrenzt an Menge der Körper und Größe des Leeren, da ähnliche Atome
zahlenmäßig unbegrenzt sind. Die Anzahl der Atomformen ist unfassbar groß, aber nicht
schlechthin unbegrenzt, „denn sonst müßte man auch Atome von unendlicher Größenordnung
annehmen.“22 Hingegen ist die Zahl ähnlicher Körper unbegrenzt. Die kontinuierliche Bewegung
der Atome ist als unendlich anzusehen. Die Atome können sich in großem Abstand im leeren Raum
bewegen oder an einem Ort in Schwingung geraten, wenn sie Verflechtungen bzw. Verbindungen
untereinander eingehen. Die Stärke der Repulsion, d.h. des Rückpralls, der Atome bei
Zusammenstößen hängt dabei von Grad der Verbindung ab. Für die Konfiguration all dieser

16 Epikur: Brief an Herodotus. In: Jürß, Fritz; Müller, Reimar; Schmidt, Ernst Günther (Hrsg. und Übers.):
Griechische Atomisten. Texte und Kommentare zum materialistischen Denken der Antike, Leipzig, 1991, S. 205.
17 Ebd.
18 Ebd.
19 Ebd., S. 206.
20 Ebd.
21 Ebd.
22 Ebd., S. 207.
Gegebenheiten und Vorgänge in der körperlichen Welt vermag Epikur keine Ursache, d.h. keinen
Ursprung, anzugeben, „weil die Atome und das Leere ewig sind.“ 23 Das Ensemble dieser
grundlegenden Lehrsätze über das Wesen der Natur wird dem Herodotos wiederum dringlich zur
Memorierung anempfohlen.

Hiernach diskutiert Epikur das durch sinnliche Wahrnehmungen Erfassbare. Zunächst


verweist Epikur darauf, dass die Welten an Zahl unbegrenzt und der unsrigen teils ähnlich, teils
unähnlichsind. Es existieren Abformungen oder Abdrücke, die den Festkörpern gleich sind. Diese
jedoch zeichnen sich durch größere Feinheit aus und werden Abbilder genannt. Ihre Bewegung
durch das Leere vollzieht sich unfassbar schnell, da „ihrer lockeren Struktur nichts oder so gut wie
nichts Widerstand leistet.“ 24 Die Abbilder entstehen zugleich mit den Gedanken durch Abfließen
von festen Körpern und in dem, was sie umgibt. Der Sehvorgang vollzieht sich passiv durch
Eintreten von Bildern in die Augen. Irrtum ergibt sich nicht durch das Sehen, sondern durch die
Meinung. Zweifel an der Wahrheit der Sinneswahrnehmung führt zu Ratlosigkeit im Leben. Das
Hören entsteht durch die von einem Gegenstand ausgehende Strömung, sie sich in gleichteilige
Partikel zerteilt. Der Geruch entsteht durch Partikel, die von einem Gegenstand kommen.

Die Atome besitzen außer Gestalt, Schwere und Größe keine Qualitäten, da sie
unveränderlich sind. Die Zusammensetzung der Atome zu Verflechtungen und Körpern ist jedoch
der Veränderlichkeit unterworfen, auch wenn die Atome an sich durch Beharrlichkeit
gekennzeichnet sind. Epikur betont, dass nicht jede Größe der Atome möglich sei, „zumal dann uns
auch sichtbare Atome begegnen müßten.“ 25 Er begründet dies durch seine Theorie vom Minimum,
wobei er sinnlich wahrnehmbares und atomares Minimum unterscheidet. Der unbegrenzte Raum hat
kein Oben und Unten, sondern eine Bewegung ins Unendliche nach oben oder unten. Die
Bewegung der einzelnen Atome erfolgt gleich schnell, „wenn sie sich durch den leeren Raum ohne
Widerstand bewegen“26. Verbindungen der Atome untereinander entstehen durch Zusammenprallen

Die Seele wird als feinteiliger Körper, ähnlich „am ehesten einem Winde mit einer
Beimischung des Warmen“27, begriffen. Die Seele veranlasst die Sinneswahrnehmungen, bedarf
hierfür jedoch des Körpers und vergeht auch mit dem Körper. Die Seele ist also nicht unkörperlich,
denn durch Unkörperlichkeit ist nur das Leere bestimmt.

Anschließend formuliert Epikur eine Theorie der Akzidenzien. Es gibt beständige


Eigenschaften wie Gestalt, Größe, Gewicht und beiläufige Eigenschaften. Epikur verwendet hierbei

23 Ebd., S. 208.
24 Ebd., S. 209.
25 Ebd., S. 212.
26 Ebd., S. 214.
27 Ebd., S. 215.
den Terminus Symptom für solches, „das nicht zum Wesen jenes Ganzen gehört, das wir im
Hinblick auf seine Komplexität Körper nennen.“ 28 Die Zeit ist eine solche beiläufige Eigenschaft,
die Tag und Nacht, Affekt und Bewegung begleitet.

Hinsichtlich der Kosmologie beschreibt Epikur, dass die Welten aus Grenzenlosem
entstehen und wieder vergehen. Dabei haben die Welten verschiedene, aber nicht beliebige
Gestalten. In der Welt existieren Tieren, Pflanzen und alles übrige, welche auch in einer anderen
Welt existieren könnten. Der Ursprung der Sprache ist in der Physiologie und Akustik menschlicher
Laute und in den geographischen Gegebenheiten zu suchen.

Im abschließenden Abschnitt wendet sich Epikur den Himmelskörpern, den


Himmelserscheinungen und der naturphilosophischen Forschungsmethode zu. Für Epikur werden
die Bewegungen der Himmelskörper nicht „durch ein Wesen besorgt, das alles ordnet oder (einmal)
geordnet hat.“29 Die Himmelsbewegungen kommen also nicht durch die Götter zustande, sondern
durch Atombewegungen. Die Himmelskörper sind nicht beseelt oder göttlich, die Götter jedoch
bewahren eine beschwerdelose Glückseligkeit. Die Naturwissenschaft erforscht die Ursache
wichtiger Erscheinungen und vermag es so, die Menschen zur Glückseligkeit zu führen. Epikur
verfolgt also ein aufklärerisches Programm zur Überwindung der Angst. Bei den
Himmelserscheinungen gilt es vielfache Ursachen anzugeben, damit man Ruhe gewinnt. Falsche
Vorstellungen von den Göttern, d.h. den Dingen, die in den Sternen zu lesen ist, führen jedoch zur
Unruhe. Am Ende weist Epikur dies Werk wiederum als Kompendium der Grundprinzipien seiner
Lehre über das Wesen des Alls aus und regt zu weiterem Studium an, „um die heitere Gelassenheit
zu erreichen.“30

28 Ebd., S. 217.
29 Ebd., S. 219.
30 Ebd., S. 222.
4. Zusammenfassung

Stephen F. Mason fällt, vom Standpunkt des Wissenschaftshistorikers aus, ein sehr kritisches Urteil
über Epikur und seinen Epigonen Lukrez: „Beide benutzten die Philosophie der Atomistik in erster
Linie zur Bekämpfung der Religion, aber nicht zum Verständnis der Religion, aber nicht um zum
Verständnis der Natur und zur Nutzbarmachung ihrer Kräfte beizutragen.“ 31 Der Brief an Herodotos
zeigt, dass Epikur in seiner Naturphilosophie einem ethischen Impuls folgt. Der Zweck der
Naturforschung besteht darin, Bangheit und Angst zu bannen, um zur Seelenruhe (Ataraxia) zu
gelangen. Die Atomlehre bietet ein rationales Erklärungsmodell zum Verständnis der Vorgänge in
der materiellen Welt. Das unbegrenzte All besteht aus Leerem und unteilbaren Teilchen, den
Atomen, die Verbindungen eingehen und dadurch Körper bilden können. Auch die Seele besteht für
Epikur aus Atomen. Diese bedient sich des Körpers um Sinnesempfindungen aufnehmen zu können,
die mittels Abbildern materiell vermittelt sind. So treffen Abbilder der Dinge, die aus feinsten
Atomen bestehen, auf das Auge und ermöglichen das Sehen. Hören und Riechen erfolgen in
analoger Weise. Der Duktus in diesem Text ist einerseits recht pädagogisch gehalten und zielt
darauf, auch Laien und nicht nur Eingeweihten die epikureische Naturphilosophie in Auszügen zu
präsentieren. Andererseits begnügt sich Epikur an einigen Stellen nur mit subtilen Anspielungen, die
auf sein großes Hauptwerk περὶ φύσεως (Über die Natur) verweisen. So wird im Brief an Herodotos
das Phänomen der Deklination, welches Epikur zugeschrieben wird, nicht explizit verhandelt. Die
Atome können im freien Fall zufällig von ihrer geraden Linie abweichen und sich somit in
Verflechtungen verbinden. In diesem Aspekt weicht Epikur von seinem Vorbild Demokrit ebenso ab
wie in der Theorie der Sinnesempfindungen, welche für ihn primär sind.

Epikur wird in der Literatur als Subjektivist, Empirist und Sensualist ausgewiesen,
wohingegen dem Demokrit Objektivität und Rationalismus zugeschrieben werden. Karl Marx fasst
diesen Widerspruch in seiner Jenaer Dissertationsschrift abschließend folgendermaßen: ,,Bei Epikur
ist daher die Atomistik mit allen ihren Widersprüchen als die Naturwissenschaft des
Selbstbewußtseins, das sich unter der Form der abstrakten Einzelheit absolutes Prinzip ist, bis zur
höchsten Konsequenz, welches ihre Auflösung und bewußter Gegensatz gegen das Allgemeine ist,
durchgeführt und vollendet. Dem Demokrit dagegen ist das Atom nur der allgemein objektive
Ausdruck der empirischen Naturforschung überhaupt. Das Atom bleibt ihm daher eine und
abstrakte Kategorie, eine Hypothese, die das Resultat der Erfahrung, nicht ihr energisches Prinzip
ist, die daher ebenso wohl ohne Realisierung bleibt, wie die reale Naturforschung nicht weiter von
ihr bestimmt wird."32

31 Mason, Stephen F.: Geschichte der Naturwissenschaft, Bassum, 1997, S. 77.


32 Marx, Karl; Engels, Friedrich: Werke. Band 40. Berlin, 1968, S. 305.
5. Literaturverzeichnis

Primärliteratur

Epikur: Brief an Herodotus. In: Jürß, Fritz; Müller, Reimar; Schmidt, Ernst Günther (Hrsg. und
Übers.): Griechische Atomisten. Texte und Kommentare zum materialistischen Denken der
Antike, Leipzig, 1991, S. 205-222.

Sekundärliteratur

Adorno, Theodor W.: Philosophische Terminologie. Band 2, Frankfurt, 1974.

Jürß, Fritz; Müller, Reimar; Schmidt, Ernst Günther: Einleitung. In: Jürß, Fritz; Müller, Reimar;
Schmidt, Ernst Günther (Hrsg. und Übers.) Griechische Atomisten. Texte und Kommentare
zum materialistischen Denken der Antike, Leipzig, 1991, S. 5-98.

Lange, Friedrich Albert: Geschichte des Materialismus. Band 1. Herausgegeben und eingeleitet von
Alfred Schmidt, Frankfurt, 1974.

Lindberg, David C.: The Beginnings of Western Science. The European Scientific Tradition in
Philosophical, Religious, and Institutional Context, Prehistory to A.D. 1450,
Chicago, 2007.

Marx, Karl; Engels, Friedrich: Werke. Band 40. Berlin, 1968.

Mason, Stephen F.: Geschichte der Naturwissenschaft, Bassum, 1997.

Simonyi, Károly: Kulturgeschichte der Physik, Frankfurt, 2001.

Stückelberger, Alfred: Einführung in die antiken Naturwissenschaften, Darmstadt, 1988.


6. Eidesstattliche Erklärung

Ich erkläre hiermit, dass ich die vorliegende Arbeit selbständig und nur unter Verwendung der
angegebenen Hilfsmittel und Literatur angefertigt habe.

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(Ort, Datum) (Unterschrift)

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