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Friedrich-Schiller-Universität Jena

Philosophische Fakultät
Institut für Altertumswissenschaften
Lehrstuhl für Klassische Philologie / Latinistik
Fürstengraben 25
07743 Jena

Seminar: Vergil: Aeneis (Sommersemester 2020)


Modul: Latinistik I (Lat 300: Seminar)
Dozent: Dr. Roderich Kirchner

Seminararbeit zum Thema:

Aeneas und die Penaten – Mythos und Politik en miniature


Analyse und Interpretation von Verg. Aen. 3,147-191

vorgelegt von:
Philipp Scholze
Nettelbeckufer 16
99089 Erfurt
philipp.scholze@uni-jena.de
Lehramt Jenaer Modell Gymnasium (Philosophie/Physik);
Master of Science Geschichte der Naturwissenschaften
Matrikelnummer: 108878

1
Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung.........................................................................................................................................3
2. Gang der Handlung in Buch 3 der Aeneis........................................................................................4

3. Metrische Analyse des Textabschnittes Verg. Aen. 3,147-191.........................................................5

4. Übersetzung des Textabschnittes Verg. Aen. 3,147-191 ..................................................................7

5. Analysierender Kommentar zu Verg. Aen. 3,147-191......................................................................9

6. Interpretation..................................................................................................................................14

7. Zusammenfassung..........................................................................................................................16

8. Literaturverzeichnis........................................................................................................................17

9. Eidesstattliche Erklärung................................................................................................................19

2
1. Einleitung

Das dritte Buch der Aeneis schildert die Reisen und Abenteuer von Aeneas und der Trojaner nach

der Flucht aus Troja. Aeneas ist dux (Anführer) der Trojaner, wobei sich hiermit ein priesterlicher

Auftrag verbindert: Aeneas soll die Penaten, die Hausgötter der Trojaner nach Italien transferieren.

Die Forschungsliteratur spricht in diesem Zusammenhang von einer translatio Troiae1.

Es stellt sich die Frage, inwieweit religiöser Kult und die politische Organisation des

Gemeinwesens der Trojaner miteinander verschwistert sind. Dieser Zusammenhang lässt sich

anhand der Stelle in Buch 3 (Verg. Aen. 3,147-191) diskutieren, in welcher die Penaten dem Aeneas

in einer nächtlichen Szene gegenübertreten und ihm seinen Auftrag konkret in Erinnerung rufen und

ihm die große Zukunft Roms verheißen.

Markus Schauer, Schüler des Vergil-Forschers Werner Suerbaum 2, hat in seiner Habilitationsschrift

aus dem Jahre 20073 die sozialen Gefüge innerhalb der fiktionalen Welt der Aeneis meisterlich

analysiert und mit den politischen Gemengelagen der augusteischen Zeit konfrontiert und somit

kontextualisiert. Die Lektüre dieser umfassenden Studie ist äußerst instruktiv und bildet den

Hintergrund der Ausführungen im interpretativen Teil dieser Arbeit, wenngleich die Inhalte hier nur

andeutungsweise wiedergegeben werden können. Als weitere relevante Forschungsautoren sind aus

dem deutschsprachigen Raum Holzberg und Heinze sowie der Kommentar von Ladewig und

Schaeper, aus dem englischsprachigen Bereich Horsfall, Quint und Stahl herangezogen worden.

Diese Seminararbeit hat folgenden Aufbau: Im zweiten Kapitel wird eine Zusammenfassung der

Handlung in Buch 3 der Aeneis gegeben, um die zu analysierende Penaten-Szene besser in den

Kontext des Werkes einordnen zu können. Das dritte Kapitel liefert eine metrische Analyse des

Textabschnittes Verg. Aen. 3,147-191, worinnen eine graphische Repräsentation der Vergilschen

Ausführung des daktylischen Hexameters versucht wurde. Im vierten Kapitel wird ein recht nah am

Text des Originals orientierter Übersetzungsvorschlag für die betreffenden Verse angeboten, um

1 Schauer 2007
2 Suerbaum 2011.
3 Schauer 2007.
3
sodann im fünften Kapitel mittels eines analysierenden Kommentars grammatikalische

Besonderheiten, Tropen, Deutungsmuster und Hintergrundwissen anhand der Sekundärliteratur

auszuweisen. Im sechsten Kapitel wird eine zusammenhängende Interpretation der Textstelle

anhand der Fragestellung gegeben. Schließlich folgt im siebten Kapitel ein Fazit.

2. Gang der Handlung in Buch 3 der Aeneis4

Aeneas setzt seine Rede aus Buch 2 fort. 5 Nachdem die Trojaner Asien verlassen hatten, landeten

sie in Thrakien. Aeneas' Versuch eine neue Stadt zu gründen wurde durch den Geist des Polydorus,

des jüngsten Sohnes des Priamus, der in einem grausamen Gewaltakt durch den thrakischen König

ermordet worden war, vereitelt. Die Trojaner segelten sodann nach Delos weiter, wo die Stimme des

Apollon sie anwies, ihre alte Mutter zu suchen. Anchises verstand hierunter Kreta. Als sie aber dort

sich ansiedelten, brach eine furchtbare Pest aus. Stattdessen wurde Aeneas in einer nächtlichen

Vision durch die Penaten kundgetan, dass sie Italien als Ziel ihrer Reise wählen sollen. Durch einen

Sturm wurden sie auf die Insel der Harpien, ekelerregender Mischwesen aus Frau und Vogel,

verschlagen. Celaeno, eine der Harpien, warnte die Trojaner, dass sie nicht eher eine Stadt gründen

würden, eher der Hunger sie dazu treiben würde, ihre Tische zu essen (Tischprodigium). (1-269)

Die Trojaner fuhren entlang der griechischen Westküste und erreichten nach kurzem Zwischenhalt

in Actium die Stadt Bruthrotum, wo sie auf den trojanischen Seher Helenus und Andromache, die

Witwe Hectors, trafen, welche eine kleinformatige Nachbildung Trojas erbaut hatten. In einer

Prophezeiung weist Helenus den Aeneas dazu an, die Westseite Italiens anzusteuern und Sizilien zu

umschiffen, um den Ungeheuern Scylla und Charybdis aus dem Wege zu gehen. (270-569)

Als die Trojaner in der Nähe des gerade eruptierenden Vulkanes Ätna anlandeten, konnten sie durch

die Hilfe des Griechen Achaemenides, der von Odysseus zurückgelassen worden war, knapp einem

Angriff der Zyklopen entgehen. Die Reise um Sizilien herum endete mit dem Tod des Anchises in

Drepanum. Sodann wurden sie durch einen Sturm an die Küsten Karthagos verschlagen. (570-718)

4 Vgl. Albrecht 2007, 117-120; Suerbaum 2011, 54-57; Heinze 1982, 82-114.
5 „Buch III mit 718 Versen, darunter 7 Halbversen, bildet die zweite Hälfte der Ich-Erzählung des Aeneas vor Dido
am Hofe von Karthago.“ (Suerbaum 2011, 54.)
4
3. Metrische Analyse des Textabschnittes Verg. Aen. 3,147-191

Metrische Struktur6 der Szene Verg. Aen. 3,147-191 (daktylischer Hexameter7)

147 Nōx ĕrăt| ēt || tēr|rīs || ănĭ|mālĭă| sōmnŭs hă|bēbăt:|


ēffĭgĭ|ēs || sāc|rāe || dī|uūm || Phy̆rĭ|īquĕ pĕ|nātēs,|
quōs mē|c(um) ā || Trō|iā || mĕdĭ|īsqu(e) ēx||| īgnĭbŭs| ūrbĭs| (...mec' a Troia mediisqu' ex...)
150 ēxtŭlĕ|rām,|| vī|s(i) ānt(e) || ŏcŭ|lōs || ās|tārĕ iă|cēntĭs| (...vis' ant' oculos...)
īn sōm|nīs || mūl|tō || mănĭ|fēstī| lūmĭnĕ,||| quā sĕ|
plēnă pĕr| īnsēr|tās || fūn|dēbāt| lūnă fĕ|nēstrās;|
tūm sīc| ādfā|r(i) ēt || cū|rās || hīs| dēmĕrĕ||| dīctīs| (...adfar' et...)
'quōd tĭbĭ| dēlā|t(o) Ōrtygĭ|ām || dīc|tūrŭs Ă|pōllŏ (e)st,| (...delat' Ortygiam...Apollo' st...)
155 hīc cănĭt| ēt || tŭă| nōs || ēn| ūltr(o) ād| līmĭnă ||| mīttĭt| (...ultr' ad limina...)
nōs tē| Dārdăniă| īncēn|sā || tŭă|qu(e) ārmă sĕ|cūtī,| (…tuaqu' arma...)
nōs tŭmĭ|dūm || sūb| tē || pēr|mēnsī| clāssĭbŭs||| āequŏr,|
īdēm| vēntū|rōs || tōl|lēmŭs || ĭn| āstră nĕ|pōtēs|
īmpĕrĭ|ūmqu(e) || ūr|bī || dăbĭ|mūs. || tū| mōenĭă||| māgnīs| (imperiumqu' urbi)
160 māgnă pă|rā || lōn|gūmquĕ || fŭ|gāe nē| līnquĕ lă|bōrĕm.|
mūtān|dāe || sē|dēs || nōn| hāec || tĭbĭ| lītŏră||| sūasĭt|
Dēlĭŭs| āut || Crē|tāe || iūs|sīt || cōn|sīdĕr(e) Ă|pōllō.| (….consider' Apollo...)
ēst lŏcŭs,| Hēspĕrĭ|ām || Grā|ī || cōg|nōmĭnĕ||| dīcŭnt,|
tērr(a) ān|tīquă,|| pŏ|tēns || ār|mīs || āt|qu(e) ūbĕrĕ||| glāebāe;| (terr' antiqua...atqu' ubere...)
165 Ōenō|trī || cŏlŭ|ērĕ ||vĭ|rī; || nūnc| fāmă mĭ|nōrēs|
Ītălĭ|ām|| dī|xīssĕ || dŭ|cīs || dē| nōmĭnĕ||| gēntĕm.|
hāec nō|bīs || prŏprĭ|āe || sē|dēs, hīnc| Dārdănŭs||| ōrtŭs|
Īăsĭ|ūsquĕ || pă|tēr, || gĕnŭs| ā quō| prīncĭpĕ||| nōstrŭm.|
sūrg(e) ăg(e) ĕt| hāec || lāe|tūs || lōn|gāevō| dīctă pă|rēntī| (surg' ag' et...)
170 hāud dŭbĭ|tāndă || rĕ|fēr: || Cŏrȳ|thūm tēr|rāsquĕ rĕ|quīrăt|
Āusŏnĭ|ās; Dīc|tāeă || nĕ|gāt tĭbĭ| Iūppĭtĕr||| ārvă.'|
tālĭbŭs| āttŏnĭ|tūs || vī|sīs ēt| vōcĕ dĕ|ōrŭm|
(nēc sŏpŏr| īllŭd || ĕ|rāt, || sēd| cōr(am) āg|nōscĕrĕ||| vūltūs| (...sed cor' agnoscere....)
vēlā|tāsquĕ || cŏ|mās || prāe|sēntĭă|qu(e) ōră vĭ|dēbăr;| (...praesentiaqu' ora...)
175 tūm gĕlĭ|dūs || tō|tō || mā|nābāt| cōrpŏrĕ||| sūdŏr)|
cōrrĭpĭ|(o) ēt || strā|tīs || cōr|pūs tēn|dōquĕ sŭ|pīnās| (corripi' et...)
ād cāe|lūm || cūm| vōcĕ mă|nūs || ēt| mūnĕră||| lībrō|

6 Vgl. Ott 1983; Heyworth/Morwood 2017, 44-52.


7 Zgoll 2020, 113-124.
5
īntĕmĕ|rātă || fŏ|cīs. || pēr|fēctō| lāetŭs hŏ|nōrĕ|
Ānchī|sēn || făcĭ|ō || cēr|tūm rēm|qu(e) ōrdĭnĕ||| pāndō.| (...remqu' ordine...)
180 āgnō|vīt || prō|l(em) āmbĭgŭ|ām || gĕmĭ|nōsquĕ pă|rēntīs;| (...prol'ambiguam...)
sēquĕ nŏ|vō || vĕtĕ|rūm || dē|cēpt(um) ēr|rōrĕ lŏ|cōrŭm.| (...decept' errore locorum....)
tūm mĕmŏ|rāt: || 'nā|t(e) Īlĭă|cīs || ēx|ērcĭtĕ||| fātīs,| (...nat' Iliacis..)
sōlă mĭ|hī || tā|līs || cā|sūs || Cās|sāndră că|nēbăt.|
nūnc rĕpĕ|t(o h)āec || gĕnĕ|rī || pōr|tēndĕrĕ| dēbĭtă||| nōstrō| (….repet' aec generi...)
185 ēt sāe|p(e H)ēspĕrĭ|ām, || sāe|p(e) Ītălă| rēgnă vŏ|cārĕ.| (...saep' esperiam...)
sēd quĭs ăd| Hēspĕrĭ|āe || vēn|tūrōs| lītŏră||| Tēucrōs|
crēdĕrĕt?| āut || quēm| tūm || vā|tēs || Cās|sāndră mŏ|vērĕt?|
Cēdā|mūs || Phōe|b(o) ēt || mŏnĭ|tī || mĕlĭ|ōră sĕ|quāmŭr.'| (…Phoeb' et moniti...)
sīc ăĭt,| ēt || cūnc|tī || dīc|tō || pā|rēmŭs ŏ|vāntēs.|
190 hānc quŏquĕ| dēsĕrĭ|mūs || sē|dēm || pāu|cīsquĕ rĕ|līctīs|
vēlă dă|mūs || vās|tūmquĕ că|vā || trăbĕ| cūrrĭmŭs||| āequŏr.|

Daktylischer Hexameter

Hebungen: ā, ē, ī, ō, ū

Elisionen: (..)

Grenzen der Versfüße: | …. |

Spondeus: — — (zwei lange Silben: Longum, Longum)

Daktylus: —◡◡ (eine lange Silben und zwei kurze Silben: Longum, Breve, Breve)

Trochäus: —◡ (eine lange und eine kurze Silbe: Longum, Breve)

Zäsuren: || Zäsur nach der ersten Silbe des 3. Fußes, d.h. nach dem 5. Halbfuß bzw. nach
der 3. Hebung (Betonung): caesura semiquinaria/Penthemimeres

|| Zäsur nach der ersten Silbe des 4. Fußes, d.h. nach dem 7. Halbfuß bzw. nach
der 4. Hebung (Betonung): caesura semiseptenaria/Hephthemimeres

|| Zäsur nach der ersten Silbe des 2. Fußes, d.h. nach dem 3. Halbfuß bzw. nach
der 2. Hebung (Betonung): caesura semiternaria/Trithemimeres

|| Zäsur nach dem 4. Fuß: bukolische Diärese

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4. Übersetzung des Textabschnittes Verg. Aen. 3,147-191

147 Es war Nacht und der Schlaf umfing die Lebewesen auf Erden.

148 Heilige Abbilder der Götter, und zwar die Phrygischen Penaten,

149 die ich mit mir aus Troja und mitten aus den Feuern der Stadt

150 mitgenommen hatte, schienen mit den Händen zu greifen mit viel Licht vor den Augen des
offensichtlich im Schlafe Liegenden zu stehen, da wo sich der Vollmond durch die eingefügten
152 Fenster ergoss;

153 sodann schienen sie folgendermaßen zu sprechen und durch diese gesagten Dinge (mir) die
Sorgen zu nehmen:

154 'Was Apoll dir sagen wollte, wenn du nach Ortygia verschlagen worden wärest, singt er hier
155 und er sendet uns, siehe, hinüber an deine Türschwellen.

156 Uns, die wir dir und deinen Waffen aus dem brennenden Dardanien gefolgt sind,

157 uns, die wir unmittelbar hinter dir in Schiffen die aufbrausende Meeresfläche durchmessen
158 haben, wir werden auch die zukünftigen Nachkommen zu den Sternen emporheben und der
159 Stadt die Herrschaft geben.

160 Schaffe du den Großen große Mauern herbei und lasse nicht die langwierige Mühsal der
Flucht zurück.

162 Die Sitze sind zu ändern. (Das Orakel von Delos) hat dir diese Küsten nicht empfohlen und
163 Apollon hat (dir) nicht befohlen, sich auf Kreta niederzulassen.

163 Es ist der Ort, den die Griechen im Beinamen Hesperien nennen,

164 ein altes Land, mächtig an Waffen und an Fruchtbarkeit des Ackerbodens;

165 die Oenotrischen Männer bebauten es; jetzt sagt man, dass die Nachkommen

166 das Volk nach dem Namen des Fürsten Italien geheißen haben.

167 Dieser Sitz ist uns zu eigen, von hier stammten Dardanus

168 und Vater Iasius, von welchem Ahnherren unser Geschlecht abstammt.

169 Stehe auf, wohlan, und berichte heiter dem hochbetagten Vater diese Dinge,

7
170 die gesagt wurden und nicht zu bezweifeln sind: Er soll Corythus in den

171 Ausonischen Landen suchen; Juppiter verweigert dir die Dictaeischen Felder.'

172 Ich raffte durch solche Visionen und durch die Stimme der Götter verzückt

173 (und jenes war kein Traum(bild), sondern schien ich von Angesicht zu Angesicht die (ihre)

174 Antlitze und die (ihre) verdeckten Haare und die (ihre) unerschrockenen Münder zu erkennen;

175 dann blieb eiskalter Schweiß an meinem ganzen Körper (haften).)

176 den (meinen) Leib von den Polstern und hielt die gebeugten Hände mit der Stimme
177 zum Himmel und goss die makellosen Opfergaben auf die Brandstätten.

178 Ich, der ich ob der vollkommenen Ehre freudig war,

179 benachrichtigte Anchises und tat (ihm) die Sache ordnungsgemäß kund.

180 Er erkannte die zweideutige Nachkommenschaft und die zweifachen Vorfahren,

181 die Täuschung durch den neuerlichen Irrtum über die alten Orte.

182 Dann erwähnte er: 'Sohn, durch die Verhängnisse Iliums hart geprüft,

183 nur Cassandra besang mir solche Vorkommnisse.

184 Jetzt erinnere ich mich, dass Cassandra diese Verpflichtungen unserem Geschlecht verkündete,

185 und dass sie oft Hesperien, oft die italischen Herrschaftsgebiete nannte.

186 Wer aber hätte geglaubt, dass die zukünftigen Teucrer an die Küsten Hesperiens

187 kommen würden? Oder wen hätte damals die Seherin Cassandra beeindruckt?

188 Wir sollten dem Phoebus nachgeben und den Verbesserungen der Prophezeiung folgen.'

189 So sagte er es, und wir Jubelnden leisteten alle einstimmig dem Wahlspruch Folge.

190 Wir verließen diese Stätte auch in der Tat und setzten, nachdem einige zurückgelassen worden

191 waren, die Segel und durcheilten die Öde des Meeres im hohlen Balken.

8
5. Analysierender Kommentar

Feingliederung der Szene Verg. Aen. 3,147-191:

147-153 Rahmen/Stimmungsbild: Nachts im Schlafe stehen die Penaten einem Traumbild


gleich am Fenster des Aeneas
154-171 Rede der Penaten: Hesperien/Italien als Ziel, himmelstrahlende Größe der Nachkommen
172-181 Aeneas erhebt sich, Gebet und Opferhandlung, Benachrichtigung des Anchises
182-188 Rede des Anchises: Erinnerung an die nicht ernstgenommene Prophezeiung der
Cassandra, Annahme der berichtigten Prophezeiung (Italien als Ziel)
189-191 jubelnde Zustimmung der Trojaner und Aufbruch

147. Nox erat: Stimmungsbild, atmosphärischer Beginn, laut Horsfall (2016) eine “temporal
ekphrasis”, vgl. Aen. 2,250. animalia somnus habebat: bildhafter Ausdruck für die nächtliche
Ruhe.

148. effigies sacrae diuum Phrygiique penates: Hendiadyoin, das -que kann in diesem Fall als
ein explikatives “und” im Sinne von “und zwar” aufgefasst werden und wird in der
Übersetzung durch eine weite Apposition wiedergegeben; in den meisten Kommentaren wird
darauf verwiesen, dass effigies Statuen der Penaten sind, die Aeneas aus Troia mitgenommen
hat. Insofern wird hier doch eine Erweiterung bzw. eine Verdoppelung beschrieben: Einerseits
führt Aeneas Statuen der Penaten als trojanische Hausgötter mit sich. Andererseits stehen ihm
nun wirklich personale Wesen – ähnlich wie auf dem eingefügten Bild – leibhaftig vor Augen,
die mit ihm sprechen. Phrygii als Synonym für trojanisch.

149-150. quos mecum a Troia...extuleram: Die Penaten sind nicht nur private Gottheiten des
Hausstandes und der Familie, sondern sind dem öffentlichen Kult zugänglich – im alten Troja
sowie als treue Begleiter auf der Reise (Horsfall (2016)). mediisque ex ignibus urbis: Vgl.
Aen. 7,296; 11,787.

150-3. uisi...: die Infinitive astare, adfari, demere vervollständigen visi (zu ergänzen sunt): “Sie
schienen zu stehen; ...zu sprechen...und zu nehmen.” Vgl. die Visionen Hectors in Aen. 2,271
und Creusas in Aen. 2,773. ante oculos: Robuste Leiblichkeit des Sehvorganges impliziert
Realität der Vision.

150-1. uisi: ergänze sunt, Subjekt hierzu ist penates (148). iacentis in somnis: Aeneas spricht von
sich selber aus einer objektiven Perspektive als “im Schlafe Liegender”. Laut

9
Ladewig/Schaper (1891) bezieht sich dies auf die Zeit vor der Vision, daher handelt es sich
nicht um einen Traum, wie es auch nec sopor in Vers 172 nahelegt. Die gesamte Szene der
Begegnung mit den Penaten spielt sich in einem merkwürdigen Zwischenraum zwischen
Schlafen und Wachen ab. Conington (1884) spricht von einer “mixture of dream and vision”
und gibt Lucr. 4,987 “cum membra iacebunt in somnis” als mögliche Inspiration an.
manifesti: Die penates werden als deutlich und klar, “mit den Händen zu greifen”,
beschrieben. Manifesti ist hier ein kraftvolles Wort, das nicht nur auf Sichtbarkeit, sondern
vielmehr auf Berührbarkeit bzw. Körperlichkeit verweist. Vgl. 4,358 manifesto in lumine vidi
(in Bezug auf Merkur). Ladewig/Schaper (1891) geben Hom., Od. γ 420: ἥ μοι ἐναργὴς
ἦλθε als unverkennbare Referenz an.

152. insertas...fenestras: Das helle Mondlicht dringt durch die offenen Fenster und illuminiert die
Statuen der Penaten. Conington (1884) erkennt hierin eine Imitation von Lucr. 2,114
“com solis lumina cumque inserti fundunt radii per opaca domorum”.

153. adfari...demere: siehe 150-3. Vgl. Aen. 7,544.

154. tibi delato Ortygiam...: tibi steht als vorgezogener Dativ zu dicturus...est; delato Ablativus
absolutus in temporaler-nachzeitiger Bedeutung; Ortygiam als lokativer Akkusativ der
Richtung ohne Präposition. Apollo: Apollos Wohlwollen den Trojaners gegenüber verhindert
ein weiteres Missverstehen der antiqua-mater-Prophezeiung (Horsfall (2016)).
dicturus...est: coniugatio periphrastica (Partizip Futur Aktiv plus esse). Im Sinne von
'prophezeien, vorhersagen'.

155. canit: vgl. 2,124. en: demonstrative Interjektion “siehe” mit affektischem Subtext: “en
entspricht in der Breite seiner Verwendung in der Kaiserzeit durchaus dem gr. ἤν 'siehe da'.
[…] Zur Zeit Ciceros und Catulls dürfte dieses em bereits aus der Volkssprache verschwunden
sein [... ]. en, das in erster Linie ein Wort der Gebildetensprache wurde, übernahm nunmehr im
einzelnen alle Funktionen von em (vgl. z. B. en tibi Verg. Aen. 7,545 usw. für altlat. em tibi),
z. T. auch von heia (vgl. en age Verg. Georg. 3,42 mit eia age Aen. 5,569 usw.).” (Hofmann
1951, 35). ultro: Adverb in lokativer Bedeutung.

155-7. nos...nos: emphatische Wiederholung. nos....secuti, nos....permensi: ergänze sumus.


Anapher. Die Penaten erweisen sich als loyale beständige Gottheiten. tua nos...nos te, …nos
tumidum: Durch die enge Wortstellung wird ausgedrückt, wie nahe die Penaten dem Aeneas
auf den Leib rücken. Dardania incensa: Ablativus separativus. sub te: Aeneas als dux: Vgl.
Aen. 8,515 sub te tolerare magistro; Die Penaten reisen als alte Symbole von Aeneas' pietas
und als Schutzgötter seines Hausstandes still und leise unter seiner Leitung.

10
158. tollemus in astra: verweist auf den Ruhm der Nachkommen des Aeneas, vgl. Heldenschau in
der Katabasis in Buch 6 der Aeneas.

159. imperium...urbi: “der Stadt die Herrschaft übergeben”, mit urbi ist die Stadt, also Rom
gemeint. moenia: Vgl. Aen. 3,85. magnis: mögliche Bedeutungen wären hier die großen
bzw. mächtigen Götter, die großen Nachkommen bzw. das mächtige Los des Schicksals.

159-160. moenia magnis magna...longumque...linque laborem: doppelte Alliteration.

160. fugae...laborem: Die Flucht des Aeneas ist also kein Makel, sondern von den Göttern gewollt.
Vgl. Aen. 1,2 fato profugus. Im Gegensatz zu Odysseus ist Aeneas kein bloßer Irrfahrer,
sondern durch das fatum, d.h. durch göttliches Los, ins Exil getrieben. Labor bezeichnet
leitmotivisch die trojanischen sowie die künftigen römischen Errungenschaften. ne linque: ne
mit Imperativ linque (unzusammengesetzt) als archaische Form. Zusammen mit der
zweifachen Alliteration wird den Ausführungen der Penaten eine den Verheißungen
angemessene rhetorische Feierlichkeit verliehen.

161. mutandae: ergänze sunt, prädikatives Gerundivum mit passivischer Bedeutung drückt
Notwendigkeit (notio necessitatis) aus.

162. Cretae: lokative Bedeutung. Laut Ladewig/Schaper (1891) die einzige Lokativform eines
Inselnamens bei Vergil.

163-6. est locus...: Ekphrasis, d.h. beschreibende Passage, welche den Erzählfluss unterbricht; die
Wendung aus Aen. 1,530-3 wird an dieser Stelle wiederholt. Hesperiam: Hesperien, das
Abendland, wurde bereits von Creusa in Aen. 2,781 benannt. Grai: archaische Bezeichnung
für die Griechen.

164. armis...ubere: Ablativus respectus (potens in welcher Hinsicht?).

165. Oenotri: Der Name ist vom griechischen Begriff für Weinbauern (gr. ὁ οἶνος = Wein)
abgeleitet. (Vgl. Heyworth/Morwood 2017, 130.) coluere: = coluerunt. fama: ergänze est, “Es
geht das Gerücht, dass...” bzw. “man sagt, dass...”, leitet eine indirekte Rede ein.
minores...dixisse: Accusativus cum Infintivo.

166. ducis: bezieht sich auf Italus, den König der Oenotrier, nach welchem Italien jetzt (nunc)
benannt ist.

167-8. propriae: Dardanus...Iasius: Dardanus und Iasius waren Halbbrüder, Söhne der Electra
(vgl. Aen. 8.134-41, Servius ad 3,104, 167). Der Vater des Iasius war Corythus, der Vater
des Dardanus war Zeus. Iasius siedelte auf der Insel Samothraki. Dardanus reist von dort
11
weiter um Troja zu gründen (vgl. Aen. 7,205-11). (Vgl. Horsfall (2016) ad Aen. 3,165-9.)
genus a quo principe nostrum: ergänze ortum est. Ablativus originis.

170. Corythum: Corythus war ein italischer König und der Vater des Iasus. requirat: Konjuntiv
in iussiver Bedeutung.

171. Ausonias: griechisch-antike Bezeichnung (gr. Αὐσονίᾱ) für das untere Italien, benannt nach
Auson (gr. Αὐσον), Sohn des Odysseus und der Kalypso oder der Kirke, dem ersten König
des italischen Volkes der Ausoner bzw. Aurunci. Vgl. Gerhard Radke, Art. Aurunci , in DNP 1
(1964), 772-773.

173-5. nec sopor illud erat...corpore sudor: Parenthese, die in einer Zwischenpause reflektierend
Aenas' Außen- und Selbstwahrnehmung zum Ausdruck bringt, bevor er zu handeln beginnt.

174. uelatasque comas: Auf alten republikanischen Münzen tragen die Penaten Kopfbedeckungen.

175. tum gelidus toto manabat corpore sudor: Der eiskalte Schweiß kam über Aeneas, nachdem
er die Vision einigermaßen realisiert und rekapituliert hatte. An dieser Stelle werden innere
Gefühlswelt des Aeneas und äußere köperliche Reaktionsweise, Emotion und Leiblichkeit,
geschickt miteinander verknüpft. (Conington 1884) verweist auf folgenden
Referenzzusammenhang: “Macrob. Sat. 6. 1 instances the line as an imitation of Ennius (A. 16,
fr. 6), 'Tunc timido manat ex omni corpore sudor,' which seems also to have been copied by
Lucr. 6. 944.”

176-7. supinas...manus: Opferungsgebet mit den Handflächen gen Himmel geöffnet war im
griechischen wie im römischen religiösen Kult üblich. munera: unvermischte Gaben, in
diesem Fall wohl Wein, die auf den Herd gegeben werden.

178. honore: Ein rituell-sakramentaler Akt, eine Opferhandlung geht hier vonstatten.

179. Anchisen facio certum: Die unmittelbare Diskussion von Träumen und Visionen mit anderen
ist ein reguläres Element in epischen und dramatischen Darstellungen (Horsfall (2016)). Das
geläufigere certiorem ist für die daktylische Versform unpraktikabel.

180. agnouit: Die Trojaner sind prolem ambiguam, da sie einerseits auf der väterlichen Linie als
Nachkommen des Italers Dardanus, andererseits auf der mütterlichen Linie als Nachkommen
des Kretaers Teucer angesehen werden können. Somit sind Dardanus und Teucer die gemini
parentes. (Zu Teucer vgl. Servius ad 3,108.)

181. seque novo veterum deceptum errore locorum: Antithese zwischen novo und veterum, die
Orte bzw. Länder und die Legenden über diese sind alt und bekannt, wiederum hat Anchises
12
jedoch eine neue Fehldeutung vorgelegt.

182. nate, Iliacis exercite fatis: Vokativ, “geprüft durch Iliums Schicksal, d.h. der du durch das
Schicksal Iliums es gelernt hast, das Leiden zu ertragen.” (Ladewig/Schaper (1891))

183. casus Cassandra canebat: Alliteration.

184-5. portendere: Accusativus cum infinitivo, ergänze Cassandram als Akkusativsubjekt zu


portendere und vocare.

186-7. quis...crederet...moveret: Potentialis (coniunctivus potentialis) der Vergangenheit im


Imperfekt wird im Deutschen mit Konjuntiv Plusquamperfekt wiedergegeben.
tum: emphatisch. Apollo hatte Cassandra aufgrund eines Verrats damit bestraft, dass ihre
Prophezeiungen zwar immer wahr sein, aber niemals geglaubt werden würden.

188. cedamus...sequamur: Hortative Konjunktive (Selbstaufforderung) rahmen die Verszeile ein.


Phoebo: Beiname von Apollon, der die Penaten zu Aeneas gesandt hat.

189. dicto: Dativ nach pareo.

190. paucisque relictis: Dies könnte laut auf den Ursprung der Stadt Pergamum verweisen, welche
zu Vergils Lebzeiten noch exisierte. (Vgl. Conington 1884). In einer alternativen Lesart
könnten hiermit jene aus den Reihen der Trojaner gemeint sein, die ebendort gestorben sind.

191. caua trabe: Metonymie für nave, vgl. Homer. currimus aequor: Accusativus spatii
(Akkusativ der Raumerstreckung).

Aeneas und die Penaten (aus einem Manuskript des 4. Jahrhunderts, Künstler unbekannt) 8
8 Vergil MS Vat. lat. 3225, folio 28 recto; Quelle:
https://en.wikipedia.org/wiki/Di_Penates#/media/File:Aeneis_3_147.jpeg (public domain).
13
6. Interpretation

Mythologische Charakterisierung von Buch 3 der Aeneis

Dem dritten Buch der Aeneis Vergils wurde bisweilen ein eher mittelmäßiger künstlerischer Wert
beigemessen, es wurde sogar als bloße Aneinanderreihung von Irrfahrten apostrophiert. 9 Der
Dichter Publius Vergilius Maro (70 v. Chr – 19 v. Chr.) lässt seinen Helden Aeneas die Rede aus
Buch 2 über Abenteuer nach der Flucht aus dem brennenden Troja fortsetzen. Buch 3 widmet sich
nach dem Prinzip von Versuch und Irrtum vornehmlich der Enthüllung des Fatums und ist dabei
doch auch politisch und mythisch durchwirkt. Augenscheinlich ist Buch 3 sehr reich an
Manifestationen des göttlichen Willens, welcher durch Zeichen und Prophezeiungen mitgeteilt
wird.10 Das Fatum, die Zielvorgabe, wird leitmotivisch dem Aeneas in allmählichem, stufenweisem
Fortschreiten enthüllt, was die Substanz der Erzählung ausmacht. Die Häufung von Prodigien in
diesem Buche gibt davon Zeugnis: Blut-Prodigium am Grab des Polydorus (3,26-46), Tisch-
Prodigium durch Celaeno (3,247-257), Sau-Prodigium durch Helenus (3,389-392), Pferde-
Prodigium (3,506-547).

Als Neuerung gegenüber den griechischen Vorbildern11 nimmt insbesondere Apoll in diesem Buch
eine zentralere Stellung ein. Die Göttin Juno hingegen, deren Zorn sonst maßgeblich für den
Fortgang der Handlung der Aeneis ist, nimmt eine eher randständige Rolle ein. So schickt auch in
der von uns untersuchten Szene Apoll die Penaten zu Aeneas, um seine göttlichen Weisungen
kundzutun.12 Kaiser Augustus pflegte eine besondere Vorliebe für Apoll als Hausgott des
Geschlechtes der Julier, insofern weisen Religion und Mythos sich hier als herrschafts-
stabilisierendes Element aus. 13

Politisch-zeithistorischer Kontext

Die Entstehungszeit der Aeneis war zeithistorisch geprägt von einer Sehnsucht nach Stabilität. Nach
den Bürgerkriegen und der Schlacht von Actium hatte Augustus die Macht im römischen Reich
errungen und trat nun an den Staat zu restaurieren. So blickt auch Aeneas zurück auf Troja und nach
vorne in Richtung Zukunft:

“Was in Buch 3 der Aeneis präfiguriert sein könnte, ist ein bestimmtes Lebensgefühl der Römer in der Zeit
nach Actium. Wie die Trojaner sich während ihrer Reise ins Unsgewisse allmählich von der Erinnerung an ihre
zerstörte Stadt lösen und auf einen neuen Anfang unter der Führung des Aeneas hoffen können, so richteten
9 Vgl. Heinze 1982, 82.
10 Vgl. Horsfall 1995, 120.
11 Vgl. im Hinblick auf Homer: Knauer 1990, 390-412.
12 In den fragmentarisch überlieferten Annales des Ennius, der oft als Bindeglied zwischen Homer und Vergil
angesehen wird, ist es die Göttin Venus, die an Aeneas und die Seinen herantritt, um das künftige Schicksal in Italien
zu verkünden: „Constit inde loci propter sos dia dearum. Est locus Hesperiam quam mortales perhibebant. Quam
prisci casci populi tenuere Latini.“ (Enn., Ann. 22-24.)
13 Vgl. Stahl 1998, 37-84.
14
Vergils Zeitgenossen ihren Blick von den Bürgerkriegen, die hinter ihnen lagen, auf die Restauration des
Staates unter Augustus. Auch im Irrfahrtenbuch des Vergilschen Epos wird also thematisiert, daß die Aeneaden
noch zurück auf Troja, aber auch nach vorne in die Zukunft sehen.” 14

”Ganz allein durch Aufklärung der Vergangenheit läßt sich die Gegenwart begreifen.” So schreibt es
Goethe in seinen Annalen. Es bricht sich hier im fiktionalen Raum der Aeneis des Vergil das
Beharren auf Erinnerung und Heimatsinn Bahn, der sich in der Mitnahme der Penaten mitteilt, die
wiederum als sprechende mythische Wesen, den Weg in die Zukunft weisen. Identität ziehen die
Trojaner aus der Erinnerung an ihre Vergangenheit. Horsfall hat in dieser Richtung den Aeneas als
Kolonisten interpretiert, der die Penaten nach Rom bringt. 15 Die zeitgenössiche Leserschaft16 muss
die Irrfahrten des Aeneas in Buch 3 und auch die Kämpfe in Buch 7-12 als Wiederspiegelung des
wechselvollen historischen Prozesses verstanden haben, der gerade im Gange war.

Die Penaten – Hausgötter der Trojaner

Es soll an dieser Stelle noch einmal etwas eingehender auf die Penaten als Hausgötter der Trojaner
eingegangen werden. Klausen bietet eine ausführliche volkskundlich-kulturgeschichtliche
Abhandlung zu den Penaten, die als Gottheiten Teil eines volksreligiösen Kultes gewesen sind, der
von Griechenland nach Italien importiert worden ist. 17 Die Penaten wurden oft als Figürchen aus
Marmor, Holz und Terracotta dargestellt. Ihnen war der Herd und der Haushalt als Ort zugewiesen.
Daher geht Aeneas hier in dieser Szene auch instantan nach der Erscheinung der Penaten zum
Brandherd, um ein Opfer darzubringen.18 Neben diesem Privatkult nahmen die Penaten später aber
auch eine staatskultische Funktion ein: Römische Staatsbeamte sollen jährlich nach Alba Longa
gepilgert sein, um den Penaten zu opfern. Dies korrespondiert mit den Verheißungen zur
zukünftigen Größe des römischen Volkes, welche Vergil den Penaten in der Rede gegenüber Aeneas
in den Mund legt.19

Die Herkunft der Penaten wird bisweilen von den großen Göttern Apoll und Neptun abgeleitet.
Teilweise werden sie aber auch mit den den Göttern von Samothrake gleichgesetzt, die
Gegenständen eines Mysterienkultes sind.20 In unserer Szene sind die Penaten dezidiert von Apoll
gesandt worden, um das Missverständnis der Trojaner betreffs der Orakelweisung von Delos zu
korrigieren. Ihr Auftreten hat aber auch durchaus numinos-mysteriösen Charakter. Diesen mythisch-

14 Holzberg 2006, 149-150.


15 Horsfall 2009.
16 Die Reflektion auf die zeitgenössiche Rezeptionsgemeinschaft, ihre Erwartungen an den Text der Aeneis, das
genaue zeithistorisch-plastische Verständnis der Autor-Text-Leser-Wechselwirkungen ist eine große Stärke in den
Analysen von Horsfall.
17 Vgl. im Folgenden Klausen 1839.
18 Verg. Aen. 3,176-177.
19 Verg. Aen. 3,158-160.
20 Grimal 2000, 185.
15
mystischen Eindruck vermag die bildhafte Darstellung aus dem 4. Jahrhundert, die in dieser Arbeit
auf Seite 13 beigegeben ist, ansatzweise zu vermitteln.

In einem treffenden, poetisch einfühlsamen Urteil über die Penaten bekennt Grimal: „Die[se]
Penaten spielen in der Aeneis eine große Rolle : sie sind die Hüter und das Symbol des trojanischen
Volkes, sozusagen ein Stück phrygischer Erde, ein Stück Heimat. […] Die Penaten sind das Herz,
die tiefreichenden Wurzeln. Sie sind auch die Quelle der Macht; dauerhaft und unsterblich halten
sie bei allem Wechsel, bei allen Irrfahrten stand.“ 21 Das italische Festland, die latinischen Lande
seien letztlich die ursprüngliche Heimat der Penaten, die ganze Reiseunternehmung letztlich nur
eine Rückkehr in die Heimat.22 Somit geben Ort-und-Zeit-Gefüge, Reiseroute sowie Beziehung von
Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft im fiktionalen Raum Zeugnis von einem zyklischen
Geschichtsverständnis.23

Pietas als Tugend des Aeneas: Synthese von Mythos und Politik im Vollzug des göttlichen Auftrags

Aeneas übt sich in pietas zu den Göttern, seinem Vater Anchises und seinem Vaterland. Anchises
geriert sich als dux der Troianer und wird als Deuter von Prophezeiungen eingespannt. Peu á peu
vermag es Aeneas sich zu emanzipieren und Anchises nimmt eine eher beratende Funktion ein.
Insofern kann das Vater-Sohn-Verhältnis von Anchises und Aeneas, wie es auch in dieser
besonderen Szene zur Darstellung kommt, als Verweis auf die translatio imperii von Caesar auf
Octavian, den späteren Friedenskaiser Augustus, gedeutet werden. 24

Wenn nun dem Aeneas gewissermaßen als Imperator Augustus-Ähnlichkeit attestiert werden sollte,
gilt es festzuhalten: Befehlen kann nur derjenige, der auch zu gehorchen gelernt hat. Aeneas ordnet
sich den Anweisungen, die ihm durch die göttliche Autorität gegeben werden, unter. So ist seine
Fügung eine sittliche Einpassung in die übernatürliche Lebensordnung: Auf die Ansprache durch
die Penaten folgt sogleich eine rituell-sakramentale Opferhandlung am Herd des Hauses zur
Bestätigung. So beweist Aeneas als homo religiosus25 Einsicht und Achtung vor der Autorität. Ihm
ist gewiss, dass das menschliche Schicksal durch göttliche Fügung bestimmt wird. Es folgt die
Beratung mit Vater Anchises und die Verkündung der Weisung an das trojanische Volk.

21 Grimal 2000, 186.


22 Grimal 2000, 186.
23 Vielleicht sollte man hier doch noch besser eine archimedische Spiral als Modellvorstellung wählen, da es sich zwar
um eine örtliche Rückkehr handelt. Der Zeitstrom drängt aber dezidiert nach vorn in Richtung der Glorie des
Imperium Romanum in augusteischer Gestalt.
24 Verg. Aen. 3,178-179.
25 Albrecht 2007, 119.
16
So ist anhand dieser examplarischen Szene dem Urteil der Studie von Markus Schauer stattzugeben,
der letztlich dem Aeneas eine Funktion als Mittler und Vermittler zuschreibt. 26 Aeneas übt sich in
der pietas als Tugend, er ist fromm und tugendhaft gegenüber den Weisungen der Götter, seines
Vaters Anchises und gegenüber seiner heimatlichen Nation. Aeneas vermag die Interessen dieser
drei Instanzen in ihrer hierarchischen Stufung zu vermitteln und als dux dem trojanischen Volk
handlungsleitend mitzuteilen. Er bewerkstelligt somit auf mikrologischer Ebene eine Synthese von
Mythos und Politik im Vollzug des göttlichen Auftrags.

7. Zusammenfassung

Abschließend gilt es nun den Gang der Analyse und die Ergebnisse in knapper Form
zusammenzufassen: Motivation war die Frage nach dem Zusammenhang zwischen Mythos und
Politik, und wie dieser exemplarisch in der Szene Verg. Aen. 3,147-191 zur Darstellung kommt.
Dabei wurde insbesonder auf die dux-Aeneas-Studie von Markus Schauer aus dem Jahre 2007
zurückgegriffen. Dabei gelangten wir zu dem Ergebnis, dass Aeneas in seinem tugendhaften Wirken
als Mittler zwischen den Penaten, seinem Vater Anchises und seinem Volk auftritt. Aeneas vereint
somit also v.a. priesterliche und politisch-vermittelnde Funktion. Nach der Begegnung mit den
Penaten und der Opferhandlung am häuslichen Herd berät sich Aeneas mit seinem Vater Anchises,
der die Prophezeiungen und Weisungen der Penaten ausdeutet und im Rückgriff auf Cassandra
deren Richtigkeit bestätigt. Sodann stimmt Aeneas in den Jubel des trojanischen Volkes ein, das nun
sich mit dem dux Aeneas an der Spitze, der nun peu á peu sich von seinem Vater Anchises
emanzipiert, gen Hesperien segelt.

Laut Heinze stellt Buch 3 eines der chronologisch letzten von Vergil geschriebenen Büchern der
Aeneis dar. Es ist reich an Prodigien und göttlichen Weisungen. Heinze hebt in seiner Analyse das
Wechselspiel von äußerer und innerer Handlung, von Leiblichkeit und Gefühlswelt des Aeneis bei
der Begegnung mit den Penaten hervor. Der daktylische Hexameter vermag in seiner Ausführung
gemeinsam mit einer Parenthese Atemrhythmus und Gefühlsregung des Aeneas zum Ausdruck zu
bringen.

Da die Penaten sowohl im privaten Kult am Hausherd der Familie als auch im staatlichen Kult
Verehrung fanden, wird in der Szene Verg. Aen. 3,147-191 eine historisch-tradierte sozialhistorische
Wirklichkeit der römischen Welt im Augusteischen Zeitalter im fiktionalen Raum der Aeneis
wiedergespiegelt. Mythos und Politik bilden zwei Pole einer durch den Vermittler Aeneas
miteinander verbundene Einheit.
26 Vgl. Schauer 2007, 263-279.
17
8. Literaturverzeichnis

Primärliteratur
Mynors, R.A.B: P. Vergili Maronis Opera. Oxford, 1969.

Sekundärliteratur
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(Coningtopn 1884):Conington, John: P. Vergili Maronis Opera. With a Commentary by John
Conington, M.A. Vol. II. Fourth Edition. London, 1884.
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(Horsfall 2016): Horsfall, Nicholas: The Epic Distilled. Studies in the Composition of the Aeneid.
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(Ladewig/Schaper 1891): Ladewig, Th.; Schaper, C.: Vergils Gedichte erklärt von Th. Ladewig und
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Deuticke. Berlin, 1891.
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(Quint 1993): Quint, David: Epic and Empire. Politics and Generic Form from Vergil to Milton.
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(Schauer 2007): Schauer, Markus: Aeneas dux in Vergils Aeneis. Eine literarische Fiktion in

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augusteischer Zeit. München, 2007.
(Servius): Georg Christian Thilo, Hermann Hagen: Servii Grammatici qui feruntur In Vergilii
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Latinistische Fachliteratur
(DNP): Der Neue Pauly. Enzyklopädie der Antike, hrsg. von Hubert Cancik u.a., 16 Bände in 19
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(Hofmann 1951): Hofmann, Johann Baptist: Lateinische Umgangssprache. Heidelberg, 1951.
(Hofmann/Szantyr 1972): Hofmann, J.B., Lateinische Syntax und Stilistik, neubearbeitet von
A. Szantyr, München, 1972.
(Zgoll 2020): Zgoll, Christian: Römische Prosodie und Metrik. Ein Studienbuch mit Audiodateien.
2. Auflage. Darmstadt, 2020.

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9. Eidesstattliche Erklärung

Ich erkläre hiermit, dass ich die vorliegende Arbeit selbständig und nur unter Verwendung der
angegebenen Hilfsmittel und Literatur angefertigt habe.

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(Ort, Datum) (Unterschrift)

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