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Herausgegeben von
Heinz-Günther Nesselrath, Peter Scholz
und Otto Zwierlein
Band 118
De Gruyter
Texte zur Handlungsgliederung
in Nea und Palliata
von
Adolf Primmer
Herausgegeben von
Matthias J. Pernerstorfer und Alfred Dunshirn
in Zusammenarbeit mit Christine Ratkowitsch
De Gruyter
ISBN 978-3-11-037097-3
e-ISBN (PDF) 978-3-11-040224-7
e-ISBN (EPUB) 978-3-11-040236-0
ISSN 1862-1112
Vorwort V
VII
II. Handlungsgliederung 69
Handlungsgliederung in Nea und Palliata:
Dis exapaton und Bacchides [1984] 71
Die Handlung der Menaechmi (I) [1987] 167
Die Handlung der Menaechmi (II) [1988] 185
Rezension: Ekkehard Stärk, Die Menaechmi des Plautus
und kein griechisches Original [1990] 213
Menanders ‚Geiziger‘ [1984] 217
Der ‚Geizige‘ bei Menander und Plautus [1992] 225
Rezension: Eckard Lefèvre: Plautus’ Aulularia [2004] 285
Akte und Spannung: Zur hellenistischen Theorie der
Komödienstruktur bei Aelius Donatus [2008] 295
Register 359
Personenregister 361
Stellenregister 365
Adolf Primmers Texte zur Handlungsgliederung in Nea und Palliata stellen die
Publikationen des am 9. Juli 2011 achtzigjährig verstorbenen Wiener Klas-
sischen Philologen auf dem Gebiet der Komödienforschung gesammelt
zur Diskussion. Durch die Zusammenschau sämtlicher, weitgehend in
chronologischer Reihenfolge angeordneter Publikationen zu diesem The-
ma wird Primmers Suche nach Aufbauprinzipien der griechischen wie der
römischen Komödie nachvollziehbar, die als Grundlage für seine unita-
risch-analytische Forschung dienen sollte – unitarisch, weil er die dramati-
schen Werke von Plautus und Terenz liebte und ihre Kunst beschreiben
wollte, analytisch, weil er ein begeistert Suchender nach den griechischen
Originalen gewesen ist, sich dessen bewusst, bereits die richtige Spur ge-
funden zu haben, der zu folgen sich lohnen würde. In seinen Texten wird
das Bemühen deutlich, in steter Auseinandersetzung mit Vorläufern wie
Zeitgenossen unter den analytisch orientierten Philologen den eigenen
Ansatz immer klarer zu formulieren – was ihm nicht zuletzt in seinen
Rezensionen besonders gut gelingt.
Frühe, Terenz gewidmete Aufsätze, die sich inhaltlich mit Prolog und
Exposition beschäftigen, eröffnen den Band. In der Folgezeit setzte sich
Primmer mit drei Stücken des Plautus – Bacchides, Menaechmi und Aulularia –
unter dem Aspekt der ‚Handlungsgliederung‘ intensiv auseinander, bevor er
auf poetologischem Terrain seine Thesen bestätigt fand. Diese Aufsätze und
Rezensionen werden ergänzt durch bislang nicht gedruckte Materialien: Ein
Referat zum plautinischen Rudens und seiner griechischen Vorlage aus der
Feder des Diphilos sowie vier Strukturpläne von Terenz-Komödien – Andria,
Eunuchus, Heautontimorumenos und Hecyra. Die hier gebotenen Texte sollen die
breiten Grundlagen der Primmer’schen Untersuchungsergebnisse veranschau-
lichen. Sie mögen Ausgangspunkt für weitere Forschungen werden.
***
Am Beginn des ersten Abschnitts zu „Prolog und Exposition“ stehen
Texte zu Terenzens Prologen der Andria und des Heautontimorumenos (1964
und 1965),1 in welchen Primmer sprachliche Beobachtung für das Ver-
ständnis des Argumentationszusammenhanges fruchtbar macht, die Prolo-
ge vor dem Hintergrund der Tradition lateinischer Rhetorik deutet und aus
dem selbstbewussten Auftreten in Haut. v. 7ff. ein Indiz für die Änderung
der Chronologie der Terenz-Komödien gewinnt, entsprechend der Rei-
hung in den Didaskalien, doch abweichend von den dort gegebenen Datie-
rungen nach Magistraten: Andria, Eunuchus, Heautontimorumenos… (S. 7). In
den Ausführungen zur ersten Szene des Heautontimorumenos (1966),2 der
,homo-sum-Szene‘, zeigen sich erstmals sein Bewusstsein der Bedeutung
schauspielerischer Möglichkeiten für die Interpretation einer dramatischen
Szene3 sowie ein feines Gespür für die Figurenführung.
Als Primmer 13 Jahre später erneut eine Studie zu Terenz publiziert,
haben sich sowohl die Forschungslandschaft als auch seine eigenen Inte-
ressen deutlich geändert. In der ersten Hälfte der 1970er Jahre konsolidiert
sich die Forschung nach den großen Menander-Funden zum Dyskolos
(1959) und zur Samia (1969). Ausdruck findet das in Francis H. Sandbachs
Menander-Edition (1972),4 dem dazugehörigen Kommentar von Arnold
W. Gomme und Francis H. Sandbach (1973),5 in Konrad Gaisers großem
Forschungsbericht „Zur Eigenart der römischen Komödie: Plautus und
Terenz gegenüber ihren griechischen Vorbildern“ (1972) 6 sowie dem von
Eckard Lefèvre herausgegebenen Sammelband zur römischen Komödie
(1973).7 Für den Großteil der Philologen (vor allem im englischsprachigen
Raum) verliert damit die Originalitätsforschung an Bedeutung, weil das
Notwendige gesagt zu sein scheint. Gleichzeitig wird in diesem Bereich ein
neues Kapitel aufgeschlagen: Lefèvre, der in den folgenden Jahrzehnten mit
seinem Freiburger Sonderforschungsbereich Übergänge und Spannungsfelder
zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit dieses Feld dominieren wird, zeigt in
ersten Publikationen neue analytische Wege auf, einen möglichst hohen
Grad von Eigenständigkeit der römischen Dichter Plautus und Terenz
gegenüber ihren griechischen Vorbildern nachzuweisen – die Existenz von
konkreten Vorlagen wird von ihm mehrfach grundsätzlich bestritten.
Wenn Primmer nun in seiner Studie zum Eunuchus des Terenz (1979)8
das „zugleich unitarische und analytische Forschungsstadium“ anspricht,
„in dem wir uns noch heute befinden und in dem es hauptsächlich um die
ständige Verfeinerung der Interpretationsmethoden und -kriterien geht“
(S. 30), so ist damit vor allem sein eigener Zugang definiert: Es geht ihm –
auch wo er unitarisch und analytisch zugleich einzelne Komödien unter-
sucht – stets auch um Fragen der Untersuchungsmethodik. Im Eunuchus-
Aufsatz möchte er zu einem besseren Verständnis der Komödie beitragen
und zwar durch „die exakte sprachliche Interpretation einiger Verse, auf
die sich die Analytiker zu Unrecht berufen hatten, durch den Nachweis,
daß die in Frage stehenden Aussagen und Motive in der Struktur und
Handlungsökonomie des Stückes ihren guten Platz haben, und durch
Vermeidung der übertriebenen, einer Komödie nicht angemessenen An-
wendung des ‚Widerspruchs‘-Kriteriums“ (S. 31). Damit ist das Arbeits-
programm für alle weiteren Arbeiten Primmers definiert.
Zu Terenz ist der Eunuchus-Aufsatz seine letzte Publikation. Die auf
S. 349–357 abgedruckten, wohl in den 1990er Jahren entstandenen Struk-
turpläne zu Terenzens Andria, Eunuchus, Heautontimorumenos und Hecyra
zeigen jedoch, dass Primmers Auseinandersetzung mit diesem Autor nie
aufgehört hat. Die Beschäftigung mit Fragen der ,Handlungsgliederung‘,
die Primmer in den folgenden Jahren anhand von Plautus-Komödien erör-
tert, kündigt sich in diesem Text bereits an.
„Karion in den Epitrepontes“ (1986) 9 ist die einzige Publikation, in der
sich Primmer ausschließlich Menander widmet. Doch fällt der Text nur
scheinbar aus dem Rahmen, denn auch darin spielen – wie im Buch zu Dis
exapaton und Bacchides (1984)10 – die Rekonstruktion des verlorenen An-
fangs der Komödie sowie die Zuordnung, Interpretation und Einordnung
von verstreut überlieferten Zitaten im Expositionsteil eine zentrale Rolle.
***
Im zweiten Abschnitt sind Texte versammelt, in denen es Primmer in
erster Linie um die ,Handlungsgliederung‘ in Nea und Palliata im engeren
Sinne geht. Mit dieser setzte er sich seit den späten 1970er Jahren ausei-
nander, wie metrische Analysen, Strukturpläne und zahlreiche Notizen aus
8 Adolf Primmer: „Zur Lektüre von Terenz’ Eunuchus“, in: Peter Neukam (Hg.):
Verpflichtung der Antike. München 1979 (Dialog Schule-Wissenschaft. Klassische
Sprachen und Literatur 12), S. 93–116 [31–48].
9 Adolf Primmer: „Karion in den Epitrepontes“, in: Wiener Studien Neue Folge 20
(1986), S. 123–141 [49–67].
10 Adolf Primmer: Handlungsgliederung in Nea und Palliata. Dis Exapaton und Bacchides.
Wien 1984 (Sitzungsberichte der Österreichischen Akademie der Wissenschaften,
Philosophisch-Historische Klasse 441) [71–166].
X
VIII Vorwort
dieser Zeit zeigen, die als Basis für sein Buch zu Dis exapaton und Bacchides
dienten. Primmer hatte Beobachtungen zu Akt- und Handlungsgliederung
sowie zur metrischen Großgliederung in der Palliata gemacht und begann,
daraus Prinzipien abzuleiten und Methoden für die Analyse zu entwickeln,
denn: „Gesetzt den Fall, es könnte uns gelingen, analog zu den Baugeset-
zen der Fuge oder des Sonatensatzes die der Komödie Menanders zu for-
mulieren und dazu noch den Nachweis zu führen, daß auch die Dichter
der römischen fabula palliata bestimmte positive Kompositionsregeln
befolgten“, so müsste das „der Erforschung der hellenistischen und der
römischen Komödie neue fruchtbare Möglichkeiten bieten“ (S. 71). Prim-
mer war auf der Suche nach Kriterien, die ein sicheres Zugreifen bei der
Analyse ermöglichten. Obwohl er überzeugt war, auf dem richtigen Weg
zu sein, blieb er in seinen Formulierungen vorsichtig, wissend, dass erst
eine Analyse des gesamten erhaltenen Materials seine Diagnose auf ein
sicheres Fundament stellen könnte.
Primmers Beobachtungen zur metrischen Großgliederung verdienen
unter diesem Gesichtspunkt erneut Beachtung: Er spricht zwar von der
„Regelform eines Singspielactus“, die „aus der Abfolge Sprechteil (diver-
bia, jambische Senare) – Gesangsteil (mutatis modis cantica) – Rezitativteil
(trochäische Septenare)“ besteht und, so an anderer Stelle, in der Regel der
Handlungsführung korrespondiert; er übergeht jedoch nicht, dass diese
Regelform „natürlich (für unsere Beweiszwecke: leider) auch verkürzt oder
erweitert werden kann“ (S. 80). Die metrischen Analysen, die Primmer zu
den Menaechmi, dem Dyskolos und dem Eunuchus bietet, weisen nun auch
entsprechende Abweichungen auf, was Ludwig Braun und Eckard Lefèvre
in ihren Rezensionen11 zum Anlass genommen haben, die Tauglichkeit der
metrischen Großgliederung als Analysekriterium grundsätzlich in Frage zu
stellen. Die Kritik verfehlt allerdings ihr Ziel und tut dem Autor unrecht,
der seine Beobachtung keineswegs zu einem automatisch anwendbaren
Gesetz erhoben hat.12 Ein „festes Baugesetz“ ist die metrische Großgliede-
rung wohl nicht, aber Primmers Diagnose einer auffällig häufigen, nicht als
Zufälligkeit zu erklärenden Wiederkehr bestimmter metrischer Formen,
die wiederum oft mit inhaltlichen Wendepunkten korrespondiert, ist damit
keineswegs obsolet: diese Koinzidenz harrt weiterhin einer Erklärung.
Primmer selbst hat sich zu diesem Thema in der Folge publizistisch nicht
mehr ausführlich geäußert.13
Mit einer – nicht zuletzt durch Lefèvres Rezension angeregten – Un-
tersuchung zur Handlung der Menaechmi führt Primmer seine analytischen
und methodisch-reflexiven Arbeiten fort. Die Studie gliedert sich in zwei
Teile, einen inhaltsanalytischen (I, 1987)14 und einen strukturanalytischen
(II, 1988);15 den Vergleich des rekonstruierten griechischen ‚Originals‘ mit
der lateinischen Bearbeitung hat Primmer leider nicht mehr vorgenommen
(dasselbe gilt auch für die Aulularia). Bei der Untersuchung des Einsatzes
der Requisiten palla und spinter kann Primmer durch sein Verständnis für
szenische Abläufe eine sichere Basis für weitere Interpretation schaffen. In
dieser Studie spiegelt sich zudem das Bemühen wider, die Argumentation
leichter nachvollziehbar zu machen und die eigene Position noch klarer zu
definieren.16
An Ekkehard Stärks Die Menaechmi des Plautus und kein griechisches Ori-
ginal 17 bezeichnet Primmer in seiner Rezension (1990)18 die Substituierung
des „fehlende[n] Anschauungsmaterial[s] zu Mimos, Atellane und dgl. aus
der commedia dell’arte“ (S. 213) als bedeutende Neuerung in der Originali-
tätsforschung. Forschungsgeschichtlich interessant ist nicht zuletzt seine
Lektüreempfehlung für dieses Buch: Der Leser „muß erstens den non-
sequitur-Argumenten ausweichen, die Plautus’ vollständige Originalität
behaupten (zu diesen gehört u. a. der Schluß vom plautinischen Präsenta-
tionsstil eines Motivs auf dessen plautinische Herkunft). Und zweitens
muß er Stärks analytische Urteile, die sich auf ein (vermeintlich) stilistisch
einheitliches Stück beziehen, daraufhin kontrollieren, ob und wie sie auf
das zwitterhafte Gebilde unseres Menaechmi-Textes zutreffen, in welchem
vor den Versen 738–745 das griechische Experiment mit Komödie und
Mimos dominiert, nach diesen die plautinische Farce.“ (S. 212). Diese
Empfehlung lässt sich ohne weiters auf zahlreiche andere Bände übertra-
gen, die in der Reihe ScriptOralia, dem Publikationsorgan des Freiburger
Sonderforschungsbereichs, erschienen sind.
13 Dasselbe gilt für die Frage der Spielpausen in der Palliata, für welche Primmer
den Einsatz eines Flötenspielers vorgeschlagen hat (S. 121–123), was von den
Rezensenten kritisiert worden ist, ohne überzeugende Alternativen vorzuschlagen.
14 Adolf Primmer: „Die Handlung der Menaechmi (I)“, in: Wiener Studien 100 (1987),
S. 97–115 [167–184].
15 Adolf Primmer: „Die Handlung der Menaechmi (II)“, in: Wiener Studien 101 (1988),
S. 193–222 [185–212].
16 Vgl. S. 193–197 die Reformulierung der Definition der Handlungsgliederung in
der Nea und Palliata aus dem Buch zu Dis exapaton und Bacchides (siehe S. 74–84).
17 Ekkehard Stärk: Die Menaechmi des Plautus und kein griechisches Original. Tübingen
1989 (ScriptOralia 11).
18 Adolf Primmer in Wiener Studien 103 (1990), S. 271–273 [213–216].
XII
X Vorwort
19 Adolf Primmer: „Menanders ‚Geiziger‘“, in: Maske und Kothurn 30 (1984), S. 1–7
[217–224].
20 Adolf Primmer: „Der ‚Geizige‘ bei Menander und Plautus“, in: Wiener Studien 105
(1992), S. 69–127 [225–281].
21 Zur Deutung von resecrare siehe S. 231–234. Interpretationen, in denen Primmers
durch die Mitarbeit am Thesaurus Lingue Latinae erworbene exzellente Sprach-
kenntnis spürbar ist, finden sich von den frühen Aufsätzen zu Terenz an.
22 Eckard Lefèvre: Plautus’ Aulularia. Tübingen 2001 (ScriptOralia 122).
23 Adolf Primmer in Gnomon 76 (2004), S. 27– 34 [284–294].
24 Anhand von Lefèvres Aulularia-Buch lässt sich die Schwierigkeit gut illustrieren,
Primmers Forschungen angemessen zu rezipieren. In der Einleitung (S. 16–17)
zitiert Lefèvre Passagen aus Primmers Studie, die dem eigenen Forschungsansatz
Vorwort XIII
XI
entsprechen. In der Folge beruft er sich stets dort auf ihn, wo Primmer Anstöße
im Plautus-Text diagnostiziert. So entsteht der falsche Eindruck, dass Primmers
Untersuchungen auf ähnlichem Wege zu ähnlichen Ergebnissen kommen (und es
nach der Lektüre von Lefèvres Buch nicht notwendig sei, auch noch Primmers
Studien in die Hand zu nehmen). Damit wird Primmers Deutung klarerweise so
gut wie ins Gegenteil verkehrt.
25 Siehe jedoch das positive Urteil in Walter Stockert: „Sull’originalità di Plauto.
Metafore e similitudini nell’Aulularia“, in: Lectiones Plautinae Sarsinatae 3 (2002),
S. 15–30 (hier: S. 16f.), die auch in Plautus: Aulularia, edited by Keith MacLennan
and Walter Stockert. Oxford 2014 Niederschlag finden wird.
26 Adolf Primmer: „Akte und Spannung: Zur hellenistischen Theorie der Komö-
dienstruktur bei Aelius Donatus“, in: Acta Ant. Hung. 48 (2008), S. 405–432
[295–328]; DOI: 10.1556/AAnt.48.2008.3–4.8.
XIV Vorwort
Archiv Wien, einem privaten, vor allem der Opern- und Theatergeschichte
des 17. und 18. Jahrhunderts gewidmeten Forschungsinstitut, dessen
Gründer, Hans Ernst Weidinger, und Direktor, Matthias J. Pernerstorfer,
sich dem Wiener Institut für Klassische Philologie, Mittel- und Neulatein
verbunden fühlen.
Christine Ratkowitsch, die bereits 1984 an der Arbeit am Bacchides-
Buch beteiligt war und in der Folge zahlreiche Manuskripte Primmers
redigierte, steuerte das Schriftenverzeichnis und eine Biographie bei. Zu-
dem sichtete sie Primmers Nachlass und leitete das für das Publikations-
vorhaben relevante, von den Töchtern des Philologen, Maria, Dorothea
und Susanna, freundlicherweise zur Verfügung gestellte Material den Her-
ausgebern weiter. Den Unterlagen von Gottfried Eugen Kreuz zu Prim-
mers Wiener Terenz-Seminar im Wintersemester 1997/1998 konnten die
Strukturpläne zur Andria und zum Eunuchus entnommen werden. Paul
Raimund Lorenz ermittelte in seiner Vereinsdokumentation Einladungen
und Handouts zu Primmers Referaten im Rahmen der Vorträge des Eranos
Vindobonensis (1998, 2003 und 2005), wodurch es möglich wurde, zusätz-
lich zu dem von mir selbst aufgenommenen Vortrag zum Rudens (2003)
den dazugehörigen Strukturplan in den Band aufzunehmen. Die grafische
Umsetzung dieser handschriftlichen Skizzen übernahm Gabriel Fischer.
Die gedruckt vorliegenden Texte wurden von meinen Kolleginnen am
Don Juan Archiv Wien bearbeitet: Jennifer Plank digitalisierte sie und
wandelte sie in Word-Dokumente um, Silvia Freudenthaler bereitete sie
für die weitere Arbeit vor.
Die redaktionelle Arbeit oblag den Herausgebern. Sie umfasste bei
den publizierten Texten die Kursivierung der eingerückten lateinischen
Passagen sowie die Vereinheitlichung der Zitierregeln, wodurch zahlreiche
ursprünglich im Fließtext gesetzte bibliographische Angaben in Fußnoten
umgewandelt wurden. Das wiederum erhöhte die Zahl der Fußnoten teil-
weise deutlich, weshalb sämtliche Verweise auf Fußnoten zu aktualisieren
waren. Wo Primmer auf eigene, im vorliegenden Band abgedruckte Texte
verweist, wurde die entsprechende Seitenangabe in eckigen Klammern
ergänzt. Durch Referenzseitenzahlen am äußeren Seitenrand ist es zudem
möglich, Primmer-Zitate in der Forschungsliteratur bequem aufzufinden.
Seitenumbrüche sind, sofern es sich nicht um einen neuen Absatz handelt,
mit || markiert. Inhaltliche Eingriffe wurden nicht vorgenommen, Druck-
fehler stillschweigend behoben.
Der 2003 ohne vorgeschriebenes Manuskript gehaltene Vortrag zum
plautinischen Rudens und dessen Original stellte größere Anforderungen an
die Herausgeber. Würde es Primmers Intentionen entsprechen, dass der
Text in der vorliegenden Form publiziert wird? Für ihn selbst wäre es
wohl noch ein langer Weg gewesen, um die Sachverhalte so komplex und
klar wie möglich darzustellen und damit den eigenen Ansprüchen zu genü-
gen. Doch immerhin präsentierte Primmer mit seinem Vortrag zentrale
Vorwort XV
Vorwort XIII
Epos und Drama der Griechen waren die Vorlagen für die ersten Werke,
die das Lateinische zu einer Literatursprache gemacht haben. Mit freien
Übersetzungen begann es; dann trat neben die Übertragung die Bearbei-
tung, und bald wagte man, mit so geübter Kraft, den Schritt in die Freiheit
selbständigen Schaffens. Schon Cn. Naevius, welcher dem Archegeten
Livius Andronicus am nächsten steht, begründete die nationalrömische
Tragödie und wählte zum Stoff eines Epos den Ersten Punischen Krieg.
Weder von Naevius noch vom größten und einflußreichsten Neuerer der
folgenden Generation, von Quintus Ennius, sind mehr als einzelne zusam-
menhanglose Fragmente erhalten. Was wir von der älteren römischen
Literatur vollständig lesen können, sind allein die Komödien des Plautus,
der Ennius’ Zeitgenosse war, und des – abermals ein Menschenalter jünge-
ren – Terenz. Diese Stücke gehören allerdings in die Kategorie der Bearbei-
tungen. Erst geduldiger und behutsamer philologischer Forschung gelang
es, das „Plautinische im Plautus“1 zu finden. Für Terenz ist die analoge
Arbeit noch nicht zu Ende geführt.2
Jene Prologe, die Terenz vor der Aufführung seiner Stücke sprechen
ließ, verdienen die besondere Aufmerksamkeit dessen, der sich ein Bild
von der originalen, von griechischen Mustern nicht direkt abhängigen
Schaffensweise der älteren römischen Dichter machen will. Sie sind „die
ersten selbständigen lateinischen Gedichte in eigener Sache“. 3 Wenn eine
Plautuskomödie mit einem Prolog beginnt, gehört dieser vor allem zum
Stück, nicht zu einer bestimmten Aufführung; er macht dem Zuschauer
die verwickelten Voraussetzungen der Handlung deutlich und entlastet die
Exposition. Bei Terenz genügt das Spiel sich selbst; der Prolog ist für
andere Inhalte frei geworden (die nicht der eigentliche Gegenstand unserer
Betrachtung sein sollen), und er kann eine geschlossene künstlerische
F o r m bilden. Die Prologe des Terenz repräsentieren also Formen der
Principium (v. 1–7): Als Terenz zu schreiben begann, wollte er nichts als
eine Komödie verfassen, die dem Publikum gefallen würde. Nun aber
zwingt man ihn, einen Prolog zu schreiben, der nichts mit dem Stück
zu tun hat, sondern ihn gegen die Verleumdungen eines böswilligen
älteren Rivalen verteidigen soll.
Terenz will also (a) selber nur Gutes, und zwar (b) dem Publikum zuliebe
und (c) einem malevolus zum Trotz. Man vergleiche Cic. part. 28: Ein
Zweck der Einleitung ist, ut amice … audiamur; das Proömium verweilt da-
rum in personis nostris, disceptatorum, adversariorum; e quibus initia benevolentiae
conciliandae comparantur (a) aut meritis nostris aut … aliquo genere virtutis et ma-
xime liberalitatis officii iustitiae fidei (c) contrariisque rebus in adversarium conferen-
dis (b) et cum eis qui disceptant aliqua coniunctionis aut causa aut spe significanda.
Narratio (v. 8–16): Der Vorwurf ist folgender: Der griechische Dichter
Menander hatte zwei Komödien fast gleichen Inhalts verfaßt – wer
eine kennt, kennt beide –, die Andria und die Perinthia. Was von die-
ser in jene paßte, hat Terenz in seine Andria übernommen. Das gibt
4 Friedrich Leo: Analecta Plautina. Bd. 2. Göttingen 1898, S. 14ff., jetzt auch in:
Ders.: Kleine Schriften. Bd. 1: Zur römischen Literatur des Zeitalters der Republik, hg.
und eingeleitet von Eduard Fraenkel. Roma 1960, S. 117ff.
5 Friedrich Leo: Geschichte der römischen Literatur. Bd. 1: Die archaische Literatur. Berlin
1913, S. 303.
Zwei Terenz-Prologe 5
er offen zu – und das wirft man ihm nun vor! Aus d i e s e m Anlaß 6
setzt man das Prinzip auseinander, die griechischen Vorlagen dürften
nicht verhunzt7 werden!
Alle Momente, die in der Sache für ihn günstig sind, z. B. die Ähnlichkeit
der Stücke, sind sorgfältig hervorgehoben (a), und er bekennt sich zu dem,
was er getan hat (b). – Cicero: Die narratio ist nach § 31 nicht völlig objek-
tive Darlegung, nicht bloß rerum explicatio, sondern auch quaedam quasi sedes
et fundamentum constituendae fidei (a). Daher muß sie probabilis sein, was man
u. a. erreicht (§ 32), si probitas narrantis significabitur, … si orationis veritas (b).
Peroratio (v. 24–28): Das Publikum soll über das Erstlingswerk unvorein-
genommen urteilen.
Im Text heißt es: adeste aequo animo et rem cognoscite. Die Zuschauer sollen 77
die aequitas, den Gerechtigkeitssinn des Richters, haben, und sie sollen auf
Grund einer genauen Untersuchung urteilen (cognitio ist der Terminus
technicus für das außerordentliche Gerichtsverfahren): an solchen Vorstel-
lungen zeigt sich besonders deutlich, daß das Ganze als Rede konzipiert ist.
Wir wollen nicht weiter verfolgen, wie alle übrigen Prologe dieselben
Elemente verwenden. Eine Ausnahme bildet der erste zur Hecyra, welcher
nur acht Verse lang ist, und in gewissem Sinne der zum Heautontimorume-
nos, dem wir uns im folgenden zuwenden. Unberücksichtigt lassen wir die
durch und durch rhetorische Diktion, auf die ebenfalls Leo verwiesen hat.
Zwar finden sich im Prolog dieses Stückes die typischen Wortfiguren, die
Terenz in den Stücken selbst zu meiden pflegt (z. B. die Antithesen v. 1/2
seni – adulescentium, v. 6 duplex – simplici, v. 11 oratorem – prologum, v. 17f.
multas – paucas, immer an exponierter Versstelle), was also dafür spricht,
daß der Dichter eine Rede schreiben wollte. Sie hat kein einheitliches Thema:
6 id isti vituperant factum atque in eo disputant eqs.: in eo nimmt im Tone der gekränkten
Unschuld id wieder auf.
7 Der starke Ausdruck (lat. contaminare) wird von Terenz Haut. v. 17 wiederholt,
vgl. weiter unten.
6 I. Prolog und Exposition
„Ich werde heute ein noch nicht gespieltes Stück, nach einem noch nicht
übersetzten griechischen, zur Aufführung bringen, … ein Doppelstück auf
Grund eines Inhalts, der einfach ist.“ Wenn das argumentum des Heauton-
timorumenos simplex ist, so beruht er offenbar nicht wie die Andria auf meh-
88 re-||ren griechischen Vorlagen.10 Ex integra … integram unterstreicht diese
8 Das Problem der Einheit dieses Prologs ist in Adolf Primmer: „Zum Prolog des
Heautontimorumenos“, in: Wiener Studien 77 (1964), S. 61–75 [11–25] behandelt;
dort findet man Literatur und nähere Diskussion der Interpretationsfragen.
9 Ähnlich v. 17f. und v. 50; erst v. 64ff. spricht es aus.
10 Vgl. oben bei Anm. 7. – Warum heißt die einheitliche Komödie trotzdem „Doppel-
stück“? Entweder, weil die Personen und Szenen des Spiels vielfach paarweise auf-
einander bezogen sind – was allerdings der Besucher der Uraufführung noch nicht
wissen konnte – oder weil Terenz ironisch gegen seine Kritiker polemisiert, welche
die Andria ein Doppelstück genannt haben mögen: mein neues „Doppelstück“ ist
nicht aus mehreren griechischen Vorlagen zusammengestellt, sondern einfach.
Zwei Terenz-Prologe 7
Ton und Inhalt ändern sich. Der Sprecher gibt sich, als falle ihm eben ein,
daß ein Prologus – ähnlich wie unser Programmzettel – über das Stück
informieren muß. „Daß das Stück heute uraufgeführt wird und wie es
heißt, sagte ich schon. Verfasser und Dichter des griechischen Originals –
würde ich jetzt nennen,11 wenn ich nicht annehmen dürfte, daß die meis-
ten schon Bescheid wissen. So12 will ich kurz erklären, warum ich selber
den Prologus mache.“ Turpio lenkt also auf das Thema der E i n l e i t u n g
zurück (v. 11–15):
Wie im 2. Hecyra-Prolog (orator ad vos venio ornatu prologi) will Turpio auch
hier Redner sein; das Publikum ist der Gerichtshof, er der Sprecher (actor,
eigentlich: der Anwalt). Ein Sprecher (actor heißt auch der Schauspieler) wie er13
kann nur den Text aufsagen, den ein anderer für ihn geschrieben hat. –
Wenn sich Turpio als Redner vorstellt und im gleichen Atemzug daran
erinnert, daß dies nur eine Fiktion ist, wird damit zweierlei erreicht: die
einheitliche Durchformung des Prologs und der Vorzug, daß der folgende
1. Punkt des e r s t e n H a u p t t e i l s der eigentlichen Rede nicht im Namen
des Schauspielers, sondern des Dichters gesprochen wird (v. 16–21):
Also was die Kritik angeht, daß Terenz die griechischen Stücke
verhunzt: er hat es getan und er wird es wieder tun, nach gutem
Vorbild.
11 Der Irrealis kommt überraschend; zu erwarten war etwa „quoia Graeca sit accipite“.
12 Das zweite nunc ist nach dem vorausgegangenen Irrealis adversativ: „statt dessen“.
13 Wie „hic homo“ für „ich“ stehen kann, ähnlich hier „hic actor“. – Mit „Spre-
cher“ versuche ich das unübersetzbare Wortspiel wenigstens anzudeuten.
8 I. Prolog und Exposition
Wir sehen, warum in den Versen 4–6 vom „Doppelstück“ die Rede war:
weil der Gedanke vorschwebte: Heute spielen wir ein einheitliches Stück
(v. 4–6), und ich muß erklären lassen (v. 11–15), daß dies kein prinzipieller
Verzicht auf Verarbeitung mehrerer Vorlagen ist (v. 16–21). Zur Sache
vergleiche man die narratio des Andria-Prologs.
Es folgt Punkt 2 (v. 22–26):
Dann wirft man ihm vor, er ließe sich beim Dichten helfen – das
soll euer Urteil entscheiden.
Arbitrium vostrum, vostra existumatio valebit (v. 25f.) führt wieder auf die
Vorstellung von der Gerichtsrede zurück: In v. 12 hieß es vostrum iudicium
fecit. – Es folgt ein T r u g s c h l u ß (v. 26–29):
Und ich bitte euch, urteilt gerecht über jemand, der neue Stücke
für euch schreibt …
99 Das scheint ein Schlußappell an die aequitas der Richter zu sein wie Andria,
v. 24ff. In Wahrheit trennt Terenz durch diesen Trugschluß die literari-
schen Themen von dem Teil seiner Rede, der sich direkt auf die Auffüh-
rung beziehen wird. Die formalen Mittel sind überlegt eingesetzt, um das
Ganze zu gliedern. Die Verknüpfung leistet ein Ü b e r g a n g, der (wieder
überraschend und im Geiste des Komödienstils, wie oben in v. 7ff.) ein-
fach den letzten Satz weiterführt (v. 30–34):
… die keine Fehler haben – denn für die unfähigen Rivalen des
Terenz bitte ich nicht. Die sollen auch nicht von Kritik ver-
schont bleiben, wenn man ihn weiter verleumdet.
Man beachte die Technik der Verknüpfung: die Bitte um aequitas wird
wiederholt, in scheinbar ungezwungener Assoziation, und Turpio der actor-
Anwalt spricht wieder ausdrücklich für sich selbst (mihi ):
Schenkt mir Gehör und laßt mich eine Komödie spielen, die we-
nig äußere Handlung hat. Ich bin ein alter Mann und kann nicht
mehr anstrengende Rollen mit viel Aktion übernehmen. Aber ob
ich ein guter Schauspieler bin, das könnt ihr beim heutigen Stück
sehen.
Zwei Terenz-Prologe 9
Damit ist unsere Analyse beendet. Sie mußte den Prolog in Teile auflösen,
kann also gerade seine Einheit, die sie nachweisen will, nicht repräsentieren.
Man darf jedoch nicht vergessen, daß er von einem der ersten und sicher
vom literarisch verständnisreichsten Schauspieler seiner Zeit gesprochen
wurde.14 Wie ihm Terenz den Vortrag durch den Wechsel der verschiedenen
Stilmittel leicht gemacht hat, haben wir eben verfolgt. Darin lag überhaupt
die Stärke des Dichters: Nach Varros bekanntem Urteil verdient er die Pal-
me in ethesin, in der Darstellung der Charaktere. Dazu gehört, daß er über die
jeweils adäquaten Formen des Ausdrucks verfügt.15 So hat er eine „Rede“
geschrieben, welche die richtige Mitte hält zwischen der formloseren Fabulier-
lust des Plautus und dem schulmäßigen Redeschema des Andria-Prologs.
Die Frage liegt nahe, ob Terenz sich von der Schulregel zu freier Be-
wältigung der Form hin entwickelt hat; denn die Andria ist seine älteste
Komödie. In seiner jüngsten, den Adelphoe, hat der Prolog fast dieselbe
Form. So wird es geraten sein, die Ursache des formalen Unterschieds im
verschiedenen Inhalt zu suchen. Zuversichtlicher würde ich einen Schluß
über die relative Chronologie der Komödien ziehen. Die vorwiegend an-
genommene Reihenfolge der Stücke, der ich eben folgte, lautet: Andria
(166) – Hecyra (165) – Heautontimorumenos (163) – Eunuchus und Phormio
(161) – Adelphoe (160). Nun konnte die Hecyra bei der ersten und auch bei
einer zweiten Aufführung nicht zu Ende gespielt werden; erst 160 scheint
sie erfolgreich gewesen zu sein. Ist es da denkbar, daß Terenz zwei Jahre
nach dem Durchfall seines Stückes – ohne Grund zum Optimismus – so
selbstbewußt vor das Publikum tritt, wie er es im Heautontimorumenos-Prolog
tut? In den Versen 7ff. setzt er voraus, man kenne ihn genau, v. 16ff. er-
klärt er entschieden, er werde wie früher Stücke „verhunzen“. Und v. 35ff.
zeigt, daß es offenbar ein gewagtes Experiment war, eine comoedia stataria
aufzuführen. Dies konnte umso bedenklicher sein, wenn || das Publikum 10
10
vom Dichter ein turbulentes Lustspiel erwartete, wie der Eunuchus eines ist.
Wir wissen aus Suetons Terenz-Vita, daß gerade dieses Stück außeror-
dentlich gefiel. Die Didaskalien, auf denen die oben gegebene Reihung
beruht, nennen trotz umgekehrter Datierung nach Magistraten den Eunu-
chus sein zweites und den Heautontimorumenos sein drittes Werk. Ich denke,
das alles spricht sehr dafür, in diesem einen Punkt die rezipierte Reihe zu
ändern. Endgültig klären läßt sich das Problem allerdings nur in einer
Gesamtbetrachtung der Didaskalien. Wir müssen es daher, obwohl unsere
Erklärung des Heautontimorumenos-Prologs sehr für die Änderung spricht,
auf sich beruhen lassen.
14 Diesem Verständnis verdanken bekanntlich die Dichter Caecilius und Terenz den
schließlichen Erfolg, wie der 2. Hecyra-Prolog zeigt.
15 Wir erinnern uns etwa an den Ton der gekränkten Unschuld Andr. v. 15f. In
dieser Hinsicht gibt es bei Terenz noch viel zu beobachten.
10 I. Prolog und Exposition
62
62 Eugraphius behält also gegenüber || dieser Gewaltlösung – an die man
62 Eugraphius
übrigens auch behält
schonalsofrühgegenüber
gedacht hat: || dieser
Schol. Gewaltlösung
Ter. Bemb. ad –1. an die jeden
– auf man
übrigens
Fall Recht. auch schon früh gedacht hat: Schol. Ter. Bemb. ad 1. – auf jeden
Fall Recht.
Die Interpretation und Rechtfertigung von v. 4–9 (10) wird auch ei-
Die Interpretation
nen guten und Rechtfertigung
Teil des vorliegenden von v. 4–9 wenn
Aufsatzes ausmachen, (10) wird auchnur
sie auch ei-
nen
einesguten Teil des vorliegenden
von mehreren Problemen ist, Aufsatzes
die der ausmachen,
Prolog stellt.wenn Wie siesie auch nur
möglich
eines
ist, hatvonim mehreren Problemen
Grundsätzlichen F. Leoist, in
dieden
derAnalecta
Prolog stellt.
Plautina Wiegezeigt.
sie möglich
Inso-
ist,
weithat imihm,
folgt Grundsätzlichen
nach einigen F. Leo inauch
anderen, den B.Analecta Plautina
Castiglioni, vongezeigt.
der dieInso-
letz-
weit folgt zum
te Arbeit ihm, Prolog
nach einigen anderen, auch B. stammt,
des Heautontimorumenos Castiglioni,
die von der die inso-
ich kenne; letz-
te Arbeit
weit wird zum Prolog desauch
im folgenden Heautontimorumenos
nichts Neues geboten.stammt,Nur die läßt
ich kenne; inso-
sich, glaube
weit
ich, aufwirddemselben
im folgenden Weg auch
nochnichts
ein StückNeues geboten.
weiter kommen. Nur Und läßt sich,
zwar glaube
gilt es
ich, auf demselben
einerseits, Einzelheiten Wegder noch ein Stück weiter
Interpretation kommen. oder
sicherzustellen Und zu zwar gilt es
korrigie-
einerseits,
ren; dadurch Einzelheiten
und darüber derhinaus
Interpretation sicherzustellen
wird es aber auch möglich odersein,
zu korrigie-
eine im
ren;
Grunde dadurch
bloß und darüber
negative hinaus wird
apologetische es aber auch
Betrachtung desmöglich
Prologaufbaussein, einedurchim
Grunde bloß negative apologetische Betrachtung des
die nähere Bestimmung und stilistische Einordnung der Darbietungsform Prologaufbaus durch
die nähere Bestimmung und stilistische Einordnung der Darbietungsform
zu ergänzen.
zu ergänzen.
Gerade dies scheint mir die eigentliche Aufgabe, welche noch zu leis-
Gerade
ten ist; weil mandies an
scheint
Leos mir die eigentliche
Erklärung Aufgabe,
das vermißte, welche
hat er zum Teilnochnicht
zu leis-
die
ten ist; weilgefunden,
Nachfolge man an Leos die Erklärung
er an sich das vermißte,
verdiente. 4 In hat
dererTat zum ist Teil nicht
es eine die
recht
Nachfolge gefunden, die er wenn
verlegene Entschuldigung, an sichman verdiente. 4 InTerenz
feststellt, der Tathabe ist esimeine recht
Prolog-
verlegene
schreiben noch Entschuldigung,
keine Übung wenn manerfeststellt,
gehabt, habe keinenTerenz habe imPlatz
passenden Prolog-
ge-
schreiben
funden, wonoch keine
er den Übung
Titel gehabt, hätte
des Stückes er habe keinenkönnen
einfügen passenden oderPlatz ge-
derglei-
funden,
chen mehr. wo5 erSoden Titel sich
erhoben des Stückes
immer wieder hätte einfügen
Stimmen können
des Zweifels oder undderglei-
der
chen
Kritik:mehr.
neben 5 So erhoben
einem sich von
Aufsatz immer wieder 6Stimmen
L. Gestri, des Zweifels
in dem (nicht und der
zum erstenmal)
Kritik:
das nebenMittel
radikale einemder Aufsatz von L. Gestri,
Dekomposition 6 in dem wird,
angewendet (nichtsei zum erstenmal)
z. B. auf Äu-
das radikale
ßerungen von Mittel der Dekomposition
Marouzeau angewendet
und Prete verwiesen, wird,in sei
jeweils z. B.Ausgaben
ihren auf Äu-
ßerungen
zur Stelle. von Marouzeau und Prete verwiesen, jeweils in ihren Ausgaben
zur Stelle.
Aber auch im Einzelnen lassen sich Leos Argumente wesentlich ver-
Aber
stärken. Vorauch imhat
allem Einzelnen lassen sichbereits
er der Gegenseite Leos zuArgumente wesentlich
viel eingeräumt, wenn ver-
er
stärken.
zu v. 10 Vor allem„(Terentius)
schreibt: hat er der Gegenseite
ipse … indicatbereitsnon
zu statim
viel eingeräumt, wenn er
(nämlich gleich in
zu
v. 4)v. ab
10 ipsa
schreibt: „(Terentius)
re se incepisse sed ipse … praemisisse“.
aliquid indicat non statim
7 Dies(nämlich
scheint zwar gleichvonin
63
63 v. 4) ab ipsa bis
Eugraphius re seCastiglioni
incepisse seddie aliquid
allgemeine || Ansicht
praemisisse“. 7 Dies scheint
zu sein. 8 Wir zwar von
werden
63 Eugraphius bis Castiglioni die allgemeine || Ansicht zu sein.8 Wir werden
4 Zustimmend z. B. Eduard Fraenkel: „Zum Prolog des terenzischen Eunuchus“,
4 Zustimmend
in: z. B. Eduard
Sokrates 6 (1918), S. 302. Fraenkel: „Zum Prolog des terenzischen Eunuchus“,
5 in:
Leo:Sokrates
Analecta6 (1918),
PlautinaS.(Anm.
302. 1), S. 21.
56 Leo: Analecta„IlPlautina
Leo Gestri: (Anm. 1),diS.Terenzio“,
primo prologo 21. in: Annali della Scuola Normale Superio-
6 Leo
re di Gestri:
Pisa 19 „Il primo
(1950), S. prologo di Terenzio“,
1–12. Gestri in:a)Annali
beruft sich della
auf die Scuola Normale Superio-
„eingeschobenen“ Verse
re di Pisa
4–10, b) 19 (1950),
darauf, daßS.die
1–12. Gestri
v. 11ff. beruft sichVerteidigungsrede
angekündigte a) auf die „eingeschobenen“
Turpios erstVerse
v. 35
4–10, b) während
beginne, darauf, daß die v.Aussagen
v. 16ff. 11ff. angekündigte Verteidigungsrede
des Dichters selbst seien. SoTurpios
gewinnterst
er v. 35
zwei
beginne, die
Prologe, während
jeweilsv.in16ff.
ganzAussagen
anderem Tondes Dichters
gehalten selbst seien.
seien, v. 4–9 Soundgewinnt
16–34 er
alszwei
den
Prologe,
zum diev.jeweils
Haut., in ganzund
1–3, 11–15 anderem Ton
35ff. als dengehalten seien,
zur ersten v. 4–9 und
Aufführung der16–34
Hecyra.als den
7 zum
Leo: Haut.,
Analectav. Plautina
1–3, 11–15 und1),
(Anm. 35ff. als den zur ersten Aufführung der Hecyra.
S. 21.
78 Leo: Analecta
Eugraph. Ter.Plautina
Haut. 10,(Anm. 1),30.
p. 154, S. 21.
Castiglioni: „Il prologo dell’Heautontimorumenos
8 Eugraph. Ter. Haut.
e la commedia 10, p.(Anm.
«duplex»“ 154, 30.
1),Castiglioni: „Il prologo
S. 285: „Terenzio dell’Heautontimorumenos
si permise di spezzare bru-
e la commedia «duplex»“ (Anm. 1), S. 285: „Terenzio si permise di spezzare bru-
ist, hat im Grundsätzlichen F. Leo in den gezeigt. Inso-
weit folgt ihm, nach einigen anderen, auch B. Castiglioni, von der die letz-
te Arbeit zum Prolog des Heautontimorumenos stammt, die ich kenne; inso-
weit wird im folgenden auch nichts Neues geboten. Nur läßt sich, glaube
ich, auf demselben Weg Zum noch
PrologeindesStück weiter kommen. Und zwar gilt 13
Heautontimorumenos es
einerseits, Einzelheiten der Interpretation sicherzustellen oder zu korrigie-
ren; dadurch und darüber hinaus wird es aber auch möglich sein, eine im
Grunde
jedoch sehen, bloß negative
daß Terenz apologetische Betrachtung
in dem besagten Vers nurdes Prologaufbaus
ein interponere,durch kein
die nähere Bestimmung
praemittere zugibt. und stilistische Einordnung der Darbietungsform
zu ergänzen.
Doch lesen wir zunächst einmal nach der Partitio weiter. Da kommen
Gerade
wir gleich insdies scheint Die
Gedränge. mir Verse
die eigentliche Aufgabe,voller
4 und 6 stecken welche noch zu leis-
Schwierigkeiten,
ten
undist; ichweil man an
betone im Leos
voraus,Erklärung
daß ichdasinvermißte,
manchemhatnicht er zummehrTeilals
nicht die
Wahr-
Nachfolge
scheinlichkeit gefunden, die er anhalte.
für erreichbar Fürs erste4 –Inwir
sich verdiente. der bemühen
Tat ist es uns
eine jarecht
zu-
verlegene
nächst nurEntschuldigung,
um die rechtfertigende wenn man feststellt,des
Erkenntnis Terenz habe imAufbaus,
gedanklichen Prolog-
schreiben
nicht um die noch keine Charakterisierung
positive Übung gehabt, er der habeDarbietungsform
keinen passenden Platz ge-
– genügt es
funden,
aber, wenn wo man
er den in Titel
irgenddes Stückes
einem Teil hätte einfügen
des Satzes können
erfährt, daß oder derglei-
der Heauton-
chen mehr.5nicht
timorumenos So erhoben sich immer
kontaminiert wieder
ist. Ich könnte Stimmen des Zweifelsformulie-
noch allgemeiner und der
Kritik:
ren: es neben einem Aufsatz
muß irgendwie, von L.oder
verneinend Gestri, 6 in demvon
bejahend, (nicht zum erstenmal)
Kontamination die
das
Rederadikale
sein. DennMitteldader(mit Dekomposition
Leo) die Einheit angewendet
des Prologswird,schon
sei z. gerettet
B. auf Äu-ist,
ßerungen
wenn zwischen von Marouzeau
v. 4ff. undund v. Prete
16ff., verwiesen,
wo Terenzjeweils in ihren
von dieser Ausgaben
umstrittenen
zur Stelle.spricht, eine wie immer geartete Verbindung besteht, genügt es
Technik
schon, Aber auchsieimhier
wenn Einzelnen
überhaupt lassen sich Leos
genannt Argumente
ist. Aber ich haltewesentlich ver-
das Fehlen
stärken.
entsprechenderVor allem hat er der
Eingriffe insGegenseite
Original für bereits
sicher,zuworauf
viel eingeräumt, wenn er
näher einzugehen
zu
hierv.nicht
10 schreibt:
der Ort„(Terentius)
ist;9 zudem gibtipse es…sprachliche
indicat nonBedenken,
statim (nämlich gleich
wie sich untenin
v. 4) ab
zeigen wird. ipsa re se incepisse sed aliquid praemisisse“.7 Dies scheint zwar von
63 Eugraphius
Zu den bis Castiglioni die
Schlagwörtern, denen die ||Gegner
mitallgemeine sein.8 Wir
AnsichtdeszuTerenz werden
die Debatte
um die „Kontamination“ bestritten, gehören mit ziemlicher Sicherheit
4duplex Zustimmend
und simplici z. B.vonEduard
v. 6. Fraenkel:
Denn m„Zum u l t a sProlog des terenzischen
contaminasse Graecas, Eunuchus“,
dum facit
p a u cin:a sSokrates
Latinas6 (1918),
(v. 17f.)S. 302.
belegt eindeutig die Verbindung des literarischen
5contaminare
Leo: AnalectamitPlautina (Anm. 1), Damit
Zahlbegriffen. S. 21. soll nicht behauptet sein, contami-
6nare Leo Gestri: „Il primo
könnte in dieser frühen Zeitprologo di Terenzio“, in: Annalikombinieren“
„vermischen, della Scuola Normale Superio-
heißen. 10
re di Pisa 19 (1950), S. 1–12. Gestri beruft sich a) auf
Aber der Sache nach war eben die spezielle Art, wie Terenz seine Vorlagen die „eingeschobenen“ Verse
4–10, b) darauf, daß die v. 11ff. angekündigte Verteidigungsrede Turpios erst v. 35
„verhunzte“, ein Kontaminieren im heutigen Sinn, so daß jeweils (mindes-
beginne, während v. 16ff. Aussagen des Dichters selbst seien. So gewinnt er zwei
tens) zwei griechische Originale dran glauben mußten und das lateinische
Prologe, die jeweils in ganz anderem Ton gehalten 11 seien, v. 4–9 und 16–34 als den
Stückzum nicht simplex, sondern duplex wurde bzw. kein argumentum
Haut., v. 1–3, 11–15 und 35ff. als den zur ersten Aufführung der Hecyra.
7simplex, sondernPlautina
Leo: Analecta ein argumentum
(Anm. 1), S. 21.duplex hatte. Wir müssen allerdings,
8 Eugraph. Ter. Haut. 10, p. 154, 30. Castiglioni: „Il prologo dell’Heautontimorumenos
e la commedia «duplex»“ (Anm. 1), S. 285: „Terenzio si permise di spezzare bru-
scamente dopo il v. 3 il filo del discorso.“
9 Kontamination nahm, gerade auf Grund des Prologes, Franz Skutsch an („Der
Prolog zum Hautontimorumenos“, in: Philologus 59 [1900], S. 1–8 = Ders.: Kleine
Schriften, hg. von Wilhelm Kroll. Leipzig, Berlin 1914, S. 123–130). Das Für und
Wider ist diskutiert bei Ettore Paratore: Storia del Teatro Latino. Milano 1957,
S. 208f., Anm. 30 (mit Literatur).
10 Zum Sinn von c.: William Beare: „contaminatio“, in: Classical Review 73 (1959),
S. 7–11. Unmöglich ist Karl Büchners „das lateinische Stück beflecken“, aus
Andr. v. 16 gewonnen, aber an Haut. v. 17 multas contaminasse Graecas nicht nach-
geprüft (Publius Terentius Afer: Die Komödien. Deutsche Gesamtausgabe, neu über-
tragen von Viktor von Marnitz. Mit einer Einführung von Karl Büchner. Stutt-
gart 1960 [Kröners Taschenausgaben 310], S. XVI).
11 Mit anderen Worten: duplex heißt (was contaminatus nicht heißen konnte) „kon-
taminiert“.
14 I. Prolog und Exposition
64
64 wenn wir diese an sich ungezwungene Deutung der || beiden Wörter auf-
recht erhalten wollen, erst noch zeigen, wie dann mit v. 6 duplex quae ex
argumento facto est simplici zu Rande zu kommen ist, dem dunkelsten und
umstrittensten des ganzen Prologs.
Mit ihm vor allem befaßt sich der oben erwähnte Aufsatz von Castig-
lioni, die zwar für ihre Deutung kaum Parteigänger finden dürfte,12 jedoch
in der Kritik früherer Interpretationen zum großen Teil Zustimmung ver-
dient. Das läßt sich, um von allen sachlichen Schwierigkeiten des Verses
einmal abzusehen, durch rein sprachliche Argumente zeigen, die uns zu-
gleich helfen sollen, das Rätsel soweit als möglich zu lösen. Zunächst kann
argumentum kaum etwas anderes bezeichnen als den Inhalt des lateini-
schen Stückes, nicht des griechischen. Denn quae bezieht sich auf comoediam
(Latinam),13 und argumentum hat wohl kaum schon die später geläufige
Bedeutung von materia. Plautus und Terenz sprechen sonst nur vom ar-
gumentum eines f e r t i g vorliegenden Stückes. Wäre es anders, dann wüß-
te ich nicht zu erklären, wie man in Rom darauf verfallen konnte,
ὑπόόθεσις durch argumentum wiederzugeben. Man lernte den Terminus
aller Wahrscheinlichkeit nach mit den Dramen kennen, die man übersetz-
te,14 als „Inhaltsangabe“ bzw. „Inhalt“, „Stoff“. Beides kann argumentum
nach Bedeutung und Funktion seiner Bildungselemente sehr gut wiederge-
ben, id quod illustrat exponit und id quod exponitur, nicht aber id quod
formatur exornatur perpolitur. Dies halte ich für sekundär, wahrscheinlich
nicht ohne den Einfluß der rhetorischen Terminologie entstanden, in wel-
cher ὑπόόθεσις als res tractanda, Thema ja geläufig war. Das ältere Latein
bietet nun tatsächlich einen ganz eindeutigen Beleg für argumentum im
Sinne von Inhaltsangabe (wenn man will, im noch spezielleren von „cha-
rakterisierende Ankündigung des Komödieninhaltes im Prolog“): Plaut.
12 Sie will duplici statt simplici verteidigen. Aber gegen die Regel, daß muta cum
liquida in den Sprechversen der Komödie keine Positionslänge bildet, hilft weder
ein einzelnes (nicht zu verifizierendes) Gegenbeispiel eines alten Metrikers noch
der Hinweis auf die andersartige Praxis der hexametrischen Dichtung.
13 Nicht unmöglich, aber doch nur zur Not denkbar wäre es, als Beziehungswort
von quae nicht (Latinam) comoediam, sondern Heautontimorumenon anzusehen, etwa
unter Verweis auf Eun. v. 19f. nunc acturi sumus Menandri Eunuchum, so daß ganz
neutral „das (sowohl griech. wie lat.) Stück“ Subjekt des Relativsatzes würde.
Dann hätte entweder Eugraphius ad. 1. recht: ut simplex argumentum sit duplex, dum et
Latina eadem et Graeca est, wobei allerdings argumentum und comoedia durcheinan-
dergebracht wären; und was herauskommt, wäre eine Banalität (vgl. Castiglioni: „Il
prologo dell’Heautontimorumenos e la commedia «duplex»“ [Anm. 1], S. 267). Oder
man interpretiert duplex als „verwickelt“ o. ä., worüber weiter im Text.
14 Nur Enn. sat. 57 hoc erit tibi argumentum semper in promptum situm, ne quid exspectes
amicos eqs. als abschließende Sentenz zu einer Fabel fällt etwas aus diesem Rah-
men, wenn die Stelle überhaupt hierher gehört.
Zum Prolog des Heautontimorumenos 15
Asin. v. 8 quod ad || argumentum attinet, sane breve est, mit Bezug auf v. 13f. 65
65
inest lepos ludusque in hac comoedia; ridicula res est. Mehrmals kann man zwi-
schen „Inhalt“ und „Inhaltsangabe“ schwanken (z. B. Plaut. Amph. v. 51,
96. – Rud. v. 31 ist, wie öfters, mehr an die Vorgeschichte als an den ei-
gentlichen Inhalt des Dramas gedacht). Am häufigsten heißt argumentum
einfach Inhalt (z. B. Plaut. Men. v. 11, Ter. Andr. v. 11). Nirgends aber ließe
sich materia substituieren, noch weniger exemplar, auch nicht comoedia;
das werden wir also auch an unserer Stelle nach Tunlichkeit vermeiden.15
Dann kann hier keine Kontamination zugegeben sein. Ferner kann ex nicht
zu Thes. l. L. V 2 p. 1099, 22ff. („de materia, ex qua aliquid fit“; hierher
gehört Vers 4 ex integra Graeca) oder zu p. 1100, 23 („de commutatione“)
gestellt werden, sondern muß nach p. 1104, 13ff. („de causa efficiente et
movente“) gehören. In diesem Sinne heißt es z. B. Euanth. de com. 3, 9:
quod locupletiora argumenta ex duplicibus negotiis delegerit ad scribendum.
Es geschieht also wie es scheint ganz zu Recht, wenn man sich be-
müht, am Heautontimorumenos des Terenz eine Eigenschaft zu entdecken,
die, obwohl das Stück ein einfaches, einheitliches Sujet haben soll, und
gerade auf der Grundlage dieses Sujets, die Bezeichnung duplex verdien-
te.16 Man dachte etwa an die Zweitägigkeit des Handlungsablaufes, die
vielleicht erst Terenz in den Heautontimorumenos hinein brachte. Aber wie
sollte das – bei der ersten Aufführung, für die der Prolog doch geschrie-
ben ist! – jemand verstehen können, der das Stück nicht schon kannte?
Die annehmbarste und auch von den meisten angenommene Interpretati-
on beruft sich auf die verwickelte Intrige bzw. das paarweise Vorhanden-
sein von Personen, Motiven und Szenen des Dramas. Ihr schließen sich
z. B. G. E. Duckworth und G. W. Beare an,17 auch der Thes. l. L. (V 1
p. 2262, 19). Der Haupteinwand, den man dagegen zu erheben pflegt, lautet,
simplici stünde dann für uno. Er wiegt nicht schwer, und noch dazu geht
man dabei von der eben abgelehnten Voraussetzung aus, argumento be-
zeichne das Vorbild. Weiter könnte man noch fragen, ob es sich empfiehlt,
mit duplex = „kompliziert“ oder „nach der duality-method entworfen“18
eine Bedeutung anzu-||nehmen, für die es sonst keinen Beleg gibt (am 66
15 Sicher liegt die neue Bedeutung bei Cicero vor, siehe Thes. l. L. II p. 549, 52ff.
und 78ff.
16 Vgl. Friedrich Leo: Geschichte der römischen Literatur. Bd. 1: Die archaische Literatur.
Berlin 1913, S. 241, Anm. 4: „(Vers 6) besagt nicht ‚Griechisch wars einfach, la-
teinisch ists kontaminiert‘ … kann nur von einem s c h e i n b a r (Sperrung von
mir) nicht einheitlichen, in der Tat einheitlichen Stück gesagt werden.“ – Ebd.
Anm. 1 faßt Leo duplex comoedia als „Zweitagstück“.
17 George E. Duckworth: The nature of Roman Comedy. A Study in Popular Entertain-
ment. Princeton 1952, S. 189 bzw. William Beare: The Roman Stage. A Short History
of Latin Drama in the Time of the Republic. London 1950, S. 95.
18 Dazu siehe Duckworth: The nature of Roman Comedy (Anm. 17), S. 184ff.
16 I. Prolog und Exposition
nächsten kommt noch die vorhin zitierte Euanthiusstelle, aber da ist eben
nicht die K o m ö d i e duplex). Auch dieser Einwand hat nicht viel Kraft,
man kann dagegen halten, daß contaminare im speziellen literarischen Sinn
bei Terenz nur einmal mehr vorliegt. Und für dieses Wort gibt René
Waltz19 ganz richtig die Ursache an, warum man es lange mißverstanden
hat: „on a cru qu’il (Terenz) employait gravement un terme de la langue
littéraire de son époque, alors qu’ avec une fouge toute juvénile il ripostait
à la perfidie de ses adversaires par une sorte de bravade ironique.“ Ebenso
wie den Vorwurf der contaminatio hat Terenz (Andr. v. 20f.) den der
neglegentia bereitwillig auf sich genommen. Analog könnte man nun auch
duplex für ein Prädikat halten, mit dem die Arbeitsweise des Terenz ver-
ächtlich gemacht werden sollte; er hätte den Ausdruck dann kampflustig
aufgegriffen und ins Positive gewendet.
Die sachliche Beziehung von v. 4ff. auf v. 16ff. wäre bei dieser Inter-
pretation durchaus gegeben, und wir könnten uns für die Gesamtbetrach-
tung des Prologs mit ihr zufrieden geben. Aber ich möchte doch noch eine
andere, wie ich glaube viel einfachere Möglichkeit zur Debatte stellen,
welche die oben gegebene Erklärung von duplex = kontaminiert beibehält,
zugleich die genaue antithetische Entsprechung von duplex und simplici
bewahrt20 und das Verbum voll zur Wirkung kommen läßt: ich meine, wir
müssen duplex facta est ironisch verstehen. Die Worte bedeuten weiter
nichts als „simplex est“ und sind genau mit der bravade ironique gespro-
chen, die Waltz bei contaminare betont hat, nur daß dort einem negativ
gefärbten Ausdruck positiver Sinngehalt zugelegt wird, hier aber einfach
das Gegenteil von dem gemeint ist, was das Wort bezeichnet: das neue
Stück ist „kontaminiert“ – wie seine Gegner dem Dichter vorzuwerfen
pflegten, ihm jedenfalls anläßlich der Andria vorgeworfen haben –, weil der
Inhalt einheitlich ist.
Mir erscheint diese Lösung des Problems von v. 6 tatsächlich als die
einfachste. Daß sie soweit ich weiß nicht längst vorgeschlagen wurde, wird
den nicht befremden, der an anderen Stellen beobachtet, wie schwer man
sich manchmal bereit findet, in einer Komödie eine ironische Formulie-
rung als solche anzuerkennen. Man sehe etwa die kleine Soloszene des
leno im 2. Akt der Adelphoe (v. 196ff.). Sannio hat eben einen Haufen Prü-
67
67 gel einstecken müssen, ein Mädchen wurde ihm geraubt, || und zu guter
Letzt soll er sich bereit erklären, den Raub zu legalisieren, indem er das
Mädchen dem Übeltäter verkauft! Er denkt natürlich nicht daran; und
zusätzlich expliziert er sich und dem Publikum, daß seine Sache, selbst
wenn er Entgegenkommen zeigte, um nichts besser stünde. „Jetzt, wo man
mir so mitgespielt hat, bin ich dazu nicht zu haben. Und gesetzt den Fall,
ich verkaufe sie, gibts natürlich keine Barzahlung. Und wollte ich mich
19 René Waltz: „Contaminare chez Térence“, in: Revue des études latines 16 (1938), S. 273.
20 Was auch durch die Stellung im Vers nahegelegt wird; siehe übrigens Anm. 33.
Zum Prolog des Heautontimorumenos 17
selbst damit abfinden, ändert das nichts: denn er zahlt ja überhaupt nicht.“
Was ist logisch geschlossener als dieses Räsonnement, in dem sich der
Kuppler seine mißliche Situation vergegenwärtigt? Aber es gibt Interpreta-
tionen, die diese durchsichtige Form zerstören, und bloß deswegen, weil
die erste Konzession, die Sannio in Erwägung zieht, so begründet ist
(v. 201f.):
24 Vielleicht hat Terenz auch guten Grund zu betonen, daß er das Stück als erster
übersetzt, dann nämlich, wenn der Eunuchus, der dem Dichter den Vorwurf des
Plagiats einbrachte, älter sein sollte (so Fabia: Les prologues de Térence [Anm. 1],
S. 33ff. u. v. a.; zur Frage der Chronologie zuletzt Harold B. Mattingly: „The
Chronology of Terence“, in: Rivista di cultura classica e medioevale 5 [1963], S. 28ff.,
43ff.). Sehr stark sind die Gründe jedenfalls nicht, die dafür sprechen. Das
Selbstvertrauen, das Terenz im Heautontimorumenos an den Tag legt, wäre aller-
dings so am einfachsten erklärt (anders Flickinger: „A study of Terenceʼs pro-
logues“ [Anm. 3]).
25 Weiteres bei Ferdinand Hand: Tursellinus. Bd. 4. Leipzig 1845, S. 340f.
26 Terenzio: Le commedie, Einführung und Übers. von Alessandro Ronconi. Florenz
1960.
Zum Prolog des Heautontimorumenos 19
Aber den letzten Schritt hat er nicht getan. S. 23 bringt er als Beispiele
dafür, daß doppelt gesetztes nunc beiläufig, nebenher zwei Sätze verbin-
det, Plaut. Asin. v. 6, 9, Men. v. 5, 14, Amph. v. 50, 64. Aber an keiner die-
ser Stellen enthält der erste Satz, worauf es ankäme, einen Irrealis; Leo
hätte besser Asin. v. 188f. heranziehen sollen:
Damit ist klar, daß v. 7–9 und v. 10 nicht nur beiläufig aufeinander bezo-
gen sind, daß die Parenthese eben die v. 7–10, und nur sie, umfaßt, und vor
allem, was wir als Hauptgewinn buchen, daß v. 4 – 6 auf der selben Ebene
der Erörterung liegt wie v. 11ff. Es gibt also durchaus keinen Widerstreit
zwischen formalem Aufbau und Gedankenablauf: v. 4 – 6 gehören nicht
nur, durch das Thema der Kontamination, zu v. 16ff., sondern als allgemei-
ne einleitende Bemerkung auch schon zur Erfüllung des ersten Programm-
punktes der Rede; wenn wir den Sachverhalt in der Sprache der Rhetorik
beschreiben wollen, als eine Art narratio oder constitutio causae. Aller-
dings ist das Kompositionsprinzip, nach dem Terenz v. 4 – 6 an die Spitze
der Erörterung gestellt hat, so natürlich, daß man es nicht auf den Bereich
der Rhetorik einschränken darf. Jeder Erzähler beginnt gern ab ovo.27
Welche Funktion haben nun im Gesamtablauf der Prologrede die
v. 7–10? Offenbar hat gegenüber den sinnbeladenen v. 4 – 6, die die volle
Aufmerksamkeit der Hörer verlangten, der Ton gewechselt. Die || rekapi- 70
70
tulierende, dabei anders nuancierende Aufnahme des integer durch novus
schafft Entspannung; wir befinden uns auf der Ebene der usuellen An-
kündigungen, die ein Prologus normalerweise absolvierte. Darum wird
auch quae esset nicht qualitativ zu verstehen und auf v. 6 zu beziehen sein,
sondern auf die Titelangabe in v. 5. Allerdings gibt Terenz doch kein ge-
wöhnliches argumentum: er läßt sein Vertrauen auf das Interesse und die
Gunst des Publikums durchblicken, dem er Verfasser und Vorbild des
27 Hier also etwa so: „Wir spielen heute ein neues Stück, das der Kritik kaum An-
griffsflächen bieten dürfte. Und da wollte der Dichter, ich solle in seinem Namen
erklären“ usw. – Dasselbe Stellungsschema auf engstem Raum: Eun. v. 25f. heißt
es nicht „parasiti personam e Colace Naevi ablatam esse“, sondern Colacem esse
Naevi et Plauti veterem fabulam; parasiti personam inde ablatam, Haut. v. 96f. est e Co-
rintho hic advena anus paupercula; eius filiam ille amare coepit perdite. Aus anderer Hö-
henlage des Stils: Verg. Aen. 1, v. 8ff. (erst v. 23 wird die Frage beantwortet).
20 I. Prolog und Exposition
28 Vgl. Walter Neuhauser: Patronus und Orator. Eine Geschichte der Begriffe von ihren
Anfängen bis in die augusteische Zeit. Innsbruck 1958 (Commentationes Aenipon-
tanae 14). Zu Terenz, z. T. etwas ungenau, S. 133–135.
Zum Prolog des Heautontimorumenos 21
Gewicht in den Dienst des Klienten stellen soll. Schwieriger mußte es dort
werden, das Bild durchzuhalten, wo Terenz nicht einen anderen für sich
sprechen lassen, sondern selbst und in seinem eigenen Namen replizieren
wollte. Ermöglicht wird das durch die Verse 13–15.
Hier ist noch ein Detail zu klären, von dem die Einsicht in die Funk-
tion des Satzes abhängt. Wie ist hic actor wiederzugeben? Da in den neue-
ren Ausgaben auch über die Gestaltung des Textes noch nicht Einigkeit
erzielt ist, schreibe ich die Verse aus:
12 me actorem dedit.
sed hic actor tantum poterit a facundia
quantum ille potuit cogitare commode
15 qui orationem hanc scripsit quam dicturus sum.
Das ist die Textform, auf welche die recensio führt; ich habe sie mit der
Interpunktion von Marouzeau gegeben. Wenn man nun die Worte hic actor
als anaphorische Wiederaufnahme von me actorem betrachtet, was allgemein
geschieht, so ergibt sich kein recht befriedigender Sinn. Denn entweder
übersetzt man „besagter Advokat kann durch seine Beredsamkeit n i c h t
m e h r erreichen, als der Verfasser der Rede imstande war passend auszu-
denken“ (so etwa Marouzeau). Damit würde Turpio die Fähigkeit seines
Dichters Terenz in Zweifel ziehen; und was wäre das für ein Anwalt, der
sich seine Rede schreiben läßt? Oder man versteht tantum als „nicht weni-
ger“; dann muß man, soll Turpio nicht den Eindruck eines Großsprechers
erwecken, mit Prete Bentleys si statt sed in den Text nehmen (mit Komma
nach dedit) oder mit Kauer–Lindsay aus v. 13–15 einen Fragesatz machen.
Nur befriedigt das Ergebnis auch dann nicht. Der bescheidene Zweifel an
seinen Fähigkeiten, der den Anwalt vor der Größe und Schwierigkeit der
übernommenen Aufgabe ergreift, mag Cicero ein recht wirkungsvolles
exordium (für eine richtige Rede, || nicht für 35 weitere Verse!) abgeben, 72
72
im Munde des alten Schauspielers klingt die Wendung doch etwas merk-
würdig. Sollte er sich nicht zutrauen, seinen Text richtig herzusagen? Und
sollte Terenz sich selber als ἐνθυµμηθῆναι κράάτιστος γενόόµμενος präsentiert
haben? Aber alle diese Einwände vermeidet, wer den Text, so wie er oben
ausgeschrieben ist, folgendermaßen versteht: „Mich hat der Dichter als sei-
nen actor (Sachwalter) bestellt. Aber ein actor wie ich (der ich actor bin im
Sinne von ‚Schauspielunternehmer‘, nicht von ‚Sachwalter‘) kann natürlich
durch seine ganze Beredsamkeit nicht mehr ausrichten als an wirksamer
Argumentation schon in dem Text steckt, den ein anderer für mich ge-
schrieben hat.“ Ich möchte also hic nicht anaphorisch fassen, sondern rein
ich-deiktisch,29 so daß das Pronomen auf den Doppelsinn von actor hinweist.
29 Die Stelle würde also im Thes. l. L. s. v. von p. 2703, 78 um 20 Zeilen nach oben rücken.
22 I. Prolog und Exposition
So hat Terenz seinen Zweck erreicht. Es ist klar, daß Turpio nicht
seine Meinung vertritt, sondern die Ansicht des Dichters bekannt geben
wird, und trotzdem kann er die Rolle des actor weiterspielen.
Vers 16 beginnt der zweite Teil, das heißt der eigentliche Hauptteil
der Prologrede. Wir können uns hier etwas kürzer fassen, über den we-
sentlichen Zusammenhang bleibt kein Zweifel, obwohl nicht alle Einzel-
heiten klar sind. Es wird nur wichtig sein, zu beobachten, wie Terenz die
oben aufgezählten Themen miteinander verknüpft, welcher Mittel er sich
dabei bedient. Auf keinen Fall beginnt er mit einer praeteritio.30 Denn
offenbar bestand kein aktueller Anlaß, die Technik der Kontamination zu
verteidigen. Rumores distulerunt malevoli (v. 16) ist um einiges unbestimmter
als malevolus vetus poeta dictitat (v. 22). Trotzdem will Terenz klargestellt
haben, daß es kein Eingeständnis früheren Irrens ist, wenn er auf einmal
doch ein unkontaminiertes Stück schreibt. Er hat kontaminiert, und er
wird es wieder tun. In solchem Ton äußert man das, was einem wirklich
am Herzen liegt oder worin man sich völlig sicher fühlt, und das erwähnt
man nicht so nebenbei. Auch ist nam als einleitendes Wort einer argumen-
tatio nichts weniger als auffällig: man sehe etwa, wie Cicero die Erzählung
Andr. v. 49ff. analysiert.31
tum (v. 22) fügt einen anderen Vorwurf an, der konkreter wirkt: der
73
73 aus anderen Prologen bekannte malevolus vetus poeta ist es, der || Terenz
verdächtigt, gar nicht selbst der Autor seiner Komödien zu sein. Die Ent-
gegnung ist knapp, nicht schwach:32 „Da überlasse ich euch das Urteil“
(v. 25f.). Wie hätte er sich anders verteidigen sollen? Die Worte arbitrium
und existumatio führen zugleich den Zuschauer wieder vom actor–
Schauspieler zur Vorstellung des actor–Prozeßbeistandes zurück. Der
Kreis scheint geschlossen, qua re (v. 26ff.) scheint alles endgültig zusam-
menzufassen: die Bitte um gerechte und wohlwollende Haltung des Publi-
kums markiert auch sonst nicht selten den Schluß des Prologs (z. B. Andr.
v. 24, Ad. v. 24). Aber Turpio ist mitnichten schon am Ende seiner Rede.
Die Elemente, aus denen gewöhnlich eine regelrechte Kadenz aufgebaut
wird, formieren sich nur zu einem Trugschluß. Beachtlich, wie in v. 30 das
nachklappende sine vitiis den Prolog weiterführt: Wortstellung und Gege-
benheiten des Versmaßes sind gleicherweise ausgenützt.33
30 Wie Büchner in Publius Terentius Afer: Die Komödien (Anm. 10), S. XVII meint.
31 de inv. 1, 33 (Terentius) quemadmodum in partitione proposuit, ita narrat; primum nati
vitam: nam is postquam excessit ex ephebis … – Johann Baptist Hofmann und Manu
Leumann: Lateinische Grammatik. 5. Aufl. München 1928, S. 678.
32 Anders z. B. Franz Stössl, in: Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissen-
schaft. Bd. 23, Sp. 2412, 36: Kein klares Nein auf diesen Vorwurf; bloß Bitte um
Geneigtheit des Publikums.
33 Man möchte fast von Enjambement sprechen. – Daß dabei nichts in den Text
hineingeheimnist ist und daß man – jedenfalls in den Prologen – von Verskunst
Zum Prolog des Heautontimorumenos 23
Die Kritik, welche Terenz an einem ille übt – ob er auf seinen Haupt-
gegner Luscius Lanuvinus zielt, ist weniger sicher als allgemein angenom-
men 34 – bildet ein Zwischenstück, das ähnlich wie v. 7–10 zwei gewichti-
gere Partien trennt und den Neueinsatz von v. 35 ermöglicht. Es wächst
ungezwungen aus dem nachgetragenen sine vitiis heraus, das ja eine Be-
gründung erforderte. Büchner erinnert für die beiläufige Art der Anknüp-
fung treffend an die sermones des Horaz.35
adeste aequo animo (v. 35) greift auf v. 28 facite aequi sitis zurück, führt
den Hörer also wieder von der Nebensache zum Hauptthema. Nun tritt
endlich (mihi!) die Person des Sprechers voll in den Vordergrund. Der
actor-Schauspieler ist zum actor-Sachwalter geworden, der die Interessen
des Klienten mit seinen eigenen identifiziert. Ihm zuliebe sollen die Leute
das eigentliche aktuelle Anliegen erfüllen, die comoedia stataria mit der
pura oratio36 nicht zu stören: er ist schon ein alter Mann || und den physi- 74
74
schen Anforderungen einer Rolle, die viel Aktion verlangt, nicht mehr
gewachsen. Die Zuschauer werden für ihr Wohlwollen belohnt werden.37
Der Hauptteil des Prologs ist also im wesentlichen zweigeteilt: ein Zwi-
schenstück (v. 30–34) trennt Terenz’ Antworten an seine Kritiker und
Gegner von Turpios Versuch, dem Stück verständnisvolle Aufnahme zu
sichern. Wie ungezwungen sich eines aus dem andern ergibt und mit wel-
chen Mitteln dabei die einzelnen Abschnitte doch als solche markiert wer-
den, haben wir eben verfolgt. Die für die Komödienprologe typische Form
des Schlußappells an das Publikum beendete den polemisch-kritischen
Teil; geschickte Nachbildung der assoziativ anreihenden Gesprächsfüh-
des Terenz, nicht nur von seiner Verstechnik sprechen kann, lehrt etwa ein Blick
auf Eun. v. 30ff.: Am Anfang der rechtfertigenden Darlegung nehmen die Worte
Colax Menandri est genau an der gleichen Versstelle das gegnerische Colacem esse
Naevi auf (v. 25), ähnlich korrespondieren v. 33 und v. 34 ex Graeca und Latinas.
Außerdem ist im Übergreifen über die Versgrenze v. 32ff. die genaue Parallele zu
Haut. v. 29f.: eas se non negat personas transtulisse in Eunuchum suam/ex Graeca.
34 Vielleicht ein jüngerer Rivale, den Terenz eher insanus nennen mag als den alten
Luscius?
35 Büchner: Publius Terentius Afer: Die Komödien (Anm. 10), S. XVIII.
36 Caesars puri sermonis amator ist hievon fernzuhalten.
37 Der Schluß scheint zu besagen: „Wenn ihr mir, d e r i c h s t e t s e u c h d i e n e n
w o l l t e, dies jetzt lohnt, wird das für jüngere Schauspieler ein Ansporn sein, sich
um eure Gunst zu bemühen, statt nur auf ihren (finanziellen) Vorteil bedacht zu
sein.“ Hat vielleicht v. 50 den oben durch Sperrdruck hervorgehobenen Gedanken
zum Inhalt, gemeinsam mit einigen vor ihm in A ausgefallenen, in Σ durch Hec.
v. 49f. ersetzten? Vgl. Marouzeau zur Stelle. Oder hat Terenz sich doch selbst wie-
derholt (Alfred Klotz: „Randbemerkungen“, in: Wiener Studien 35 [1913], S. 235f.)?
Auf jeden Fall muß Turpio seinen Anspruch auf die Gunst des Publikums begrün-
det haben. – Franceso Arnaldi: Da Plauto a Terenzio. Bd. 2. Napoli 1947, S. 121 will
unter den adulescentuli junge Autoren verstehen.
24 I. Prolog und Exposition
38 Eine Technik, die auch im ersten Teil des Eunuchusprologs virtuos gehandhabt
wird, wo dementsprechend Marouzeau gegen Kauer–Lindsay (bzw. Fraenkel:
„Zum Prolog des terenzischen Eunuchus“ [Anm. 4]) richtig interpungiert.
39 Leo: Analecta Plautina (Anm. 1), S. 24.
40 Heinz Haffter: Untersuchungen zur altlateinischen Dichtersprache. Berlin 1934 (Proble-
mata 10) zieht S. 90ff. für eine sprachlich-stilistische Erscheinung (die Verwen-
dung von Abstrakta als Subjekt) eine Verbindungslinie von Plautusmonologen zu
Terenzprologen. Der Vergleich wäre wohl überhaupt fruchtbar.
41 Leo: Geschichte der römischen Literatur (Anm. 16), S. 303; ebd. S. 38 „Reden im Stil
der neuesten Rhetorik“. Analyse des Andriaprologs: Ders.: Analecta Plautina
(Anm. 1), S. 15f.
Zum Prolog des Heautontimorumenos 25
Das dramatische Kunstwerk gewinnt sein volles Leben erst in der Auffüh-
rung auf der Bühne, übt seine Wirkung also nicht nur durch das Wort des
Dichters. Die Sprache des Dramatikers kann natürlich in so hohem Grade
der wichtigste Ausdrucksträger sein, daß alles andere daneben nur als Bei-
werk erscheint, aber sie kann der Szene und vor allem dem Schauspieler
auch mehr anvertrauen, als man oft erwartet oder annimmt. Gerade das,
meinen wir, || könnte der Fall des Terenz sein. Wie oft ist seine sprachliche 294
294
Gestaltungskraft an der eines Menander oder Plautus gemessen worden –
nicht zu seinen Gunsten –, und wie oft glaubte man damit auch schon
seiner künstlerischen Potenz im Ganzen das Urteil gesprochen zu haben!
Ob zu Recht, wäre erst noch zu fragen. Zum Beispiel beweist die Feststel-
lung wenig, daß Terenz Anapher und Antithese häufiger und mechani-
scher anwendet als Menander: die Mehrdeutigkeit solcher abgegriffener
Figuren konnte vom Schauspieler ebenso wieder zur Eindeutigkeit ge-
macht werden wie die der Aposiopesen und Interjektionen, zu denen Te-
renz offenbar bewußt öfter greift als Plautus.1
Aber noch vor jedem Gesamturteil verlangt die schlichte Erklärung
des Textes vom Interpreten, sich gleichsam wie ein Schauspieler von der
Gesamtauffassung einer Rolle oder Szene her die Einzelheiten klar zu
machen, damit das Textverständnis gesichert, ja bisher unbeachtete Fein-
heiten der sprachlich-formalen Gestaltung erkannt werden. Wir machen
die Probe aufs Exempel am Einleitungsteil der ersten Szene des Heauton-
timorumenos, einer Partie, in welcher der Fluß des Spieles zweimal zu sto-
cken scheint: zuerst, weil uns meist der berühmte homo-sum-Satz über
Gebühr gefangennimmt,2 und dann bedarf v. 82 noch genauerer Interpre-
tation. Beide Male gilt es, das Verhalten des Chremes richtig einzuschät-
zen. Wir werden es am besten von der Reaktion des Selbstquälers Mene-
demus her beurteilen, der zunächst betont zurückhaltend ist:
Die reservierte Haltung des Me. in diesen Versen ist verständlich. Zwar ist
295
295 ihm Chr. nicht ganz unbekannt (v. 53 notitia, v. 75 redet || er ihn mit Na-
men an), und er mag keinen schlechten Eindruck von ihm haben. Aber die
humanitas des Chr. bewegt sich in ihrer Übertriebenheit doch in verdäch-
tiger Nähe zur curiositas, und auch zum Besserwisser neigt er. Ebenso wie
er später ständig geneigt ist, Moral zu predigen und sich als Zensor zu
gerieren (v. 118, 151, 195, 200 usw.), so ist es jetzt seine Absicht (v. 58), ut
te audacter moneam et familiariter. Und er kann es sich nicht versagen, seine
Einsicht rhetorisch wirkungsvoll kundzutun (v. 73): quod in opere faciundo
operae consumis tuae, si sumas in illis (sc. servis) exercendis, plus agas. Das klingt
um so auffälliger, als Terenz die lumina oratoria zwar in den Prologen gern
glänzen läßt, sie im Spiel selbst aber viel seltener setzt.3 Wie man nun über
die curiosi denken mochte, zeigt Gelasimus im Stichus, der fast dieselben
Worte wie Me. gebraucht (v. 199f.): alienas res qui curant studio maxumo, qui-
bus nullast res quam procurent sua, und der kurz und bündig urteilt (v. 208):
curiosus nemost quin sit malevolus.4 Wichtig ist uns aber vor allem, daß Me. in
den Versen 75–81 seine ablehnende Haltung zwar abschwächt, aber durchaus
nicht aufgibt. Das ist schon im Formalen sichtbar: die Antithese res tua –
res aliena ist v. 75f. in zwei Versen entwickelt, v. 80 in einem festgehalten
und v. 81 nur mehr zur Hälfte und in einem Wort behauptet: mihi.
Der homo-sum-Satz konnte also trotz des Zaubers, den er später als
geflügeltes Wort gewann, Me. nicht umstimmen. In seinem Zusammen-
hang ist er ja eher geeignet, den Verdacht auf περιεργίία zu verstärken:
denn Chr. äußert ihn in einem Moment, wo er noch glauben muß, es gehe
nur um Prinzipien der Betriebsrationalisierung. Er vertraut auch selber gar
nicht der Wirkung seiner Maxime, beeilt er sich doch, sein ut moneam zu
einem vel monere vel percontari 5 abzuschwächen. (Er wird später, wenn seine
echte humanitas zum Vorschein kommt, seine Absicht ein drittesmal und
wieder anders ankünden: in v. 86 ist nur mehr von iuvare die Rede.)
Menedemus hat, wir wiederholen es, sein Widerstreben noch nicht
völlig aufgegeben. Ist auch das mihi schon voll verhaltenen || Schmerzes 296
296
(wie die Antwort des Chr. zeigt), freien Lauf läßt er seinen Gefühlen erst
zwei Verse weiter:
83 ME. eheu!
CHR. ne lacruma atque istuc quidquid est fac me ut sciam:
85 ne retice, ne verere; crede inquam mihi,
aut consolando aut consilio aut re iuvero.
ME. scire hoc vis? CHR. hac quidem causa qua dixi tibi.
ME. dicetur.
Sehr fein ist auch in diesen Versen schon im Formalen der Wandel der
inneren Situation angedeutet. In v. 81 (mihi ) und v. 83 (eheu) reagiert Me.
noch passiv auf das Drängen des Anderen, jeweils in einem Wort am
Versschluß; in v. 87 und v. 88 übernimmt er gleichsam die Führung, seine
Äußerung steht jeweils am Versanfang – wenn ihn auch der bald wieder
aktive Chr. nach seinem dicetur sofort wieder unterbrechen wird: at istos
rastros interea tamen adpone.
Das kleine Stück Drama, das uns in diesen paar Versen der „fabula
stataria“ (v. 36) vorgeführt wird, hat seine Peripetie offenbar zwischen mihi
und eheu. Me. erst zurückhaltend, dann offen und voll Vertrauen – hier muß
also auch Chr., der scheinbare περίίεργος, sich als wahrer φιλάάνθρωπος
erwiesen haben. Die fraglichen Verse 82f. waren oben nicht ausgeschrieben:
Hier ist gerade das Verständnis des entscheidenden siquid … nollem noch
nicht gesichert. Marouzeau gibt in seiner Übersetzung zweifelnd „Si tu as
quelque peine, j’en suis aux regrets“, und erwähnt in einer Note die andere
Deutung „Si c’est une question de travail à effectuer …“.6 Diese zweite
Möglichkeit scheidet nach unserer Beobachtung des ganzen seelischen
Ablaufs sofort aus: Bedauern, daß Me. mit Arbeit überlastet ist, hat an der
Stelle keinen Platz, wo Chr. schon weiß, wie sehr er persönlich betroffen
sein muß. (Man vergleiche die noch ahnungslose Frage von v. 81, an …,
mit der Behutsamkeit von v. 83: quaeso …)
6 Überliefert ist nämlich laboris est (labori est hat nur E1). Aber vgl. Friedrich Leo:
Plautinische Forschungen. Zur Kritik und Geschichte der Komödie. Berlin 1895, S. 260,
besonders den Hinweis auf Ad. v. 929.
30 I. Prolog und Exposition
Bliebe also die andere Auffassung der Stelle, die sich schon besser in
297
297 den Zusammenhang fügt. Nach ihr würde Chr. sein || Bedauern ausspre-
chen, unwissentlich an eine Wunde gerührt zu haben. Aber warum ent-
schuldigt er sich in so verhüllten Worten: ‚Wenn (dir) etwas Schmerz be-
reitet, tut es mir leid‘? Denn ganz von selbst versteht sich nollem in diesem
Sinne nicht. Wagner7 vergleicht nollem factum (Ad. v. 165). Aber eben eine
Perfektform fehlt hier: denn klar – und noch mehr: stilistisch wirksamer –
wäre eine Entschuldigung, in der Chr. sein früheres Fehlverhalten offen
einbekennt, es nicht nur andeutet. Zum Vergleich: Cic. Att. 13, 20, 4
δεδῆχθαι te nollem; an anderen Stellen ist das bedauerte in der Vergangen-
heit liegende Faktum ebenso deutlich angesprochen, etwa off. 1, 35 Numan-
tiam … sustulerunt, nollem Corinthum. So wirkt nollem an unserer Stelle eher
als ein Ausdruck des Bedauerns über eine objektiv vorgegebene, nicht per-
sönlich verschuldete Tatsache.8 Eine so gewundene Entschuldigung sollte
das Vertrauen des Me. erwecken können?
Aber wäre dieser Anstoß auch gering: das Bessere ist der Feind des
Guten. Und im Vergleich mit der folgenden Interpretation scheint mir
jede Entschuldigung zu wenig zu sein. Wenn wir nämlich künstlerische
Ökonomie in der Führung der inneren Handlung von Menander/Terenz
erwarten dürfen, so hat auf Me. eine Änderung im Verhalten des Chr.
Eindruck gemacht, die den direkten Gegensatz zu seiner anfänglichen
curiositas darstellt und diese wirklich aufhebt, nicht nur durch eine Ent-
schuldigung abschwächt: er ist jetzt wahrhaft taktvoll und sogar bereit, sich
zurückzuziehen. Deswegen auch seine andeutende Redeweise, die nicht
nur das tibi neben labori est verschweigt: „Wenn (dir) etwas Schmerz berei-
tet (sc. in unserem Gespräch), dann möchte ich nicht –“: weiter in dich
dringen, ergänzen wir die Aposiopese (gerade hier ist die auch sonst bei
Terenz beliebte Figur am Platze). Wenn Chr. dann, wohl auf eine entspre-
chende Geste des Me. hin, doch weiterfragt, beginnt er immerhin mit sed.
So erhält die ganze Szene, wenn wir auf den scheinbaren Höhepunkt
des homo-sum-Satzes verzichten, ihren wahren Reiz eben durch den Kon-
trast dieses etwas überschwänglichen Bekenntnisses zur humanitas, das auf
den Gesprächspartner keinen besonderen Eindruck macht, zu v. 82: jetzt,
wo Chremes sich in einer Regung echten Taktgefühles als vere humanus
298
298 erweist, erschließt || sich ihm das Herz des Menedemus – und die stille
Lehre, die in solcher Handlungsführung liegt, ist menschlich und menand-
risch genug.
* Zuerst erschienen in Peter Neukam (Hg.): Verpflichtung der Antike. München 1979
(Dialog Schule-Wissenschaft. Klassische Sprachen und Literatur 12), S. 93–116.
1 Terenz: Eunuchus, bearbeitet von Wolfgang Flurl (mit Lehrerheft). Bamberg 1975
(ratio 1).
32 I. Prolog und Exposition
oder Lukan gegenüber Vergil usw. Im Falle des Terenz war diese Gefahr
um so größer, als man ja die verlorenen Komödien Menanders erst aus
den tatsächlichen oder vermeintlichen Fehlern und Widersprüchen des
römischen Bearbeiters rekonstruieren mußte und dabei z. T. noch mit
Kontamination zu rechnen hatte. Für den Eunuchus bezeugt bekanntlich
Terenz selbst im Prolog die kontaminierende Einarbeitung von Parasit
und miles gloriosus aus Menanders Kolax; so ist es kein Wunder, daß sich
die Etappen der Forschung hier gerade am Teilproblem der Kontaminati-
on besonders deutlich ausgeprägt haben.
Die Vertreter jener älteren analytischen Richtung – zu nennen sind
mit Arbeiten zum Eunuchus vor allem G. Jachmann und U. Knoche2 –
waren wie schon angedeutet mit dem Feststellen von Inkonsequenzen und
Widersprüchen im Terenz recht rasch bei der Hand: so wurde ihm ange-
kreidet, daß im Eunuchus (IV 5) der junge Chremes, wiewohl er ein hin-
terszenisch stattfindendes Gelage erst nach der Hetäre Thais verließ, be-
reits vor ihr wieder weinbeschwingt auf die Bühne kommt. Wen das stört,
dem fehlt das Augenmaß dafür, was in einer Komödie ganz ungezwungen
möglich ist; ich nehme an, der Regisseur einer Aufführung würde ihn ein-
fach leicht dionysisch laufend auftreten lassen. (Um so lustiger, wenn er
dann, als er gefragt wird, ob Thais auch schon vom Gelage fort ist, mit
großer Geste antwortet iam dudum, aetatem [v. 734], und wenn er wiederum,
als Thais ein paar Verse danach ebenfalls auftritt, sie mit den Worten be-
grüßt Thais, ego iamdudum hic adsum.) Die Analytiker gingen nun gewiß
einerseits zu weit, wenn sie auf der Grundlage eines solchen ‚Widerspru-
ches‘ dem Terenz tiefe, die Struktur des Originals über einen ganzen Akt
95
95 hin zerstörende || Eingriffe zuschrieben, und es ist verständlich, daß sie
zunächst eine ebenso heftige unitarische Reaktion hervorriefen. 3 Doch
andererseits haben sie dadurch als klärende Anreger für das zweite zu-
gleich unitarische und analytische Forschungsstadium gewirkt, in dem wir
uns noch heute befinden und in dem es hauptsächlich um die ständige
Verfeinerung der Interpretationsmethoden und -kriterien geht. Es ist heu-
te unbestritten, daß wir unitarisch vorgehen müssen, d. h., daß alle Mög-
lichkeiten der genusadäquaten werkimmanenten Interpretation auszu-
schöpfen sind, damit wir die Werke des Terenz nicht unterschätzen. Und
ebenso unbestritten ist, daß wir das Terenzische im Terenz nicht nur
durch den analytisch durchzuführenden Vergleich mit seinen Vorbildern
erkennen können, aber auch nicht ohne ihn, zumal das Vergleichsmaterial
durch die neuen Menanderfunde seit 1959 erfreulich angewachsen ist. So
2 Günther Jachmann: „Der Eunuchus des Terenz“, in: Nachrichten von der Gesellschaft
der Wissenschaften zu Göttingen 1921, S. 69–88. – Ulrich Knoche: „Über einige Sze-
nen des Eunuchus“, in: Nachrichten von der Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen
1936, S. 145–184 und 1939, S. 31–87.
3 Erich Reitzenstein: Terenz als Dichter. Leipzig 1940.
Zur Lektüre von Terenz’ Eunuchus 33
ist es kein Zufall, daß der instruktive, auch als selbständige synthetische
Leistung anzusprechende Forschungsbericht von Konrad Gaiser (1972)
den Titel trägt: „Zur Eigenart der römischen Komödie: Plautus und Te-
renz gegenüber ihren griechischen Vorbildern“.4
En passant sei gleich auf andere wichtige Gesamtdarstellungen ver-
wiesen: Haffters Terenz und seine künstlerische Eigenart,5 Ludwigs „Die Ori-
ginalität des Terenz und seine griechischen Vorbilder“ 6 und Büchners Das
Theater des Terenz.7 Von W. Ludwig stammt auch die einflußreichste Spe-
zialuntersuchung der neueren Richtung zum Eunuchus: „Von Terenz zu
Menander“.8 Ludwig sichert in ihr endgültig die Widerlegung der allzu weit
gehenden Kontaminationsvermutungen früherer Arbeiten. Das Resultat:
Terenz hat sich im wesentlichen an das Handlungsschema des menandri-
schen Eunuchos gehalten und nur die Szenen mit dem Parasiten Gnatho
und dem miles gloriosus Thraso stärker umgestaltet. Gewonnen wird die-
ses in Einzelheiten noch offene und im Hinblick auf die Gesamtinterpreta-
tion ergänzungsbedürftige, aber in den Grundzügen sichere Resultat durch
die exakte sprachliche Interpretation einiger Verse, auf die sich die Analy-
tiker zu Unrecht berufen hatten, durch den Nachweis, daß die in Frage
stehenden Aussagen und Motive in der Struktur und Handlungsökonomie
des Stückes ihren guten Platz haben, und || durch Vermeidung der über- 96
96
triebenen, einer Komödie nicht angemessenen Anwendung des ‚Wider-
spruchs‘-Kriteriums. Wie das Instrumentarium der Interpretation, des
Vergleichens und Analysierens in den Bereichen von Stil und Metrik sowie
Szenengestaltung und Handlungsaufbau ständig weiter verfeinert wurde
und werden kann, das soll nun in der Arbeit am Text sichtbar werden.
4 Konrad Gaiser: „Zur Eigenart der römischen Komödie. Plautus und Terenz
gegenüber ihren griechischen Vorbildern“, in: Aufstieg und Niedergang der römischen
Welt. Band I, 2: Von den Anfängen Roms bis zum Ausgang der Republik, hg. von Hil-
degard Temporini. München 1972, S. 1027–1113.
5 Heinz Haffter: Terenz und seine künstlerische Eigenart. Darmstadt 1967 (ursprünglich
in: Museum Helveticum 10 [1953], S. 1–20 und 73–102).
6 Walther Ludwig: „Die Originalität des Terenz und seine griechischen Vorbilder“,
in: Die römische Komödie. Plautus und Terenz, hg. von Eckard Lefèvre. Darmstadt
1973 (Wege der Forschung 236), S. 424–441 (ursprünglich in: Greek, Roman, and
Byzantine Studies 9 [1968], S. 169–182).
7 Karl Büchner: Das Theater des Terenz. Heidelberg 1974.
8 Walther Ludwig: „Von Terenz zu Menander“, in: Philologus 103 (1959), S. 1–38
(mit einem „Nachtrag 1971“ wiederabgedruckt in: Die römische Komödie. Plautus und
Terenz, hg. von Eckard Lefèvre. Darmstadt 1973 [Wege der Forschung 236],
S. 354–408).
34 I. Prolog und Exposition
I
Gleich in den ersten Versen der Komödie führt uns eine textkritische
Frage mitten in Probleme des Sprachlichen hinein. Zu Beginn des Spiels
sehen wir auf der Bühne, die auf der einen Seite das Elternhaus des Brü-
derpaares Phaedria und Chaerea, auf der anderen das Haus der Hetäre
Thais zeigt, den verliebten Phaedria sozusagen im Spannungsfeld zwischen
den beiden Türen: ‚Was soll ich also tun? Nicht hinübergehn, nicht einmal
jetzt, wo sie mich selbst ruft? … Sie hat mich ausgesperrt, sie ruft mich
wieder – da soll ich wieder hingehn? Nein, und wenn sie noch so flehent-
lich bittet!‘
Die Frage ist nun, welchem Sprecher der Passus v. 50–56 zuzuweisen
ist: ‚Ja, wenn du’s wirklich fertigbringst, ist’s so am besten. Aber …‘ Ant-
wortet ab v. 50 bereits der Sklave Parmeno seinem jungen Herrn, oder
redet sich der beleidigte Verliebte auf einmal selber an und beginnt
Parmeno erst v. 57: ‚Herr, ein vernunftwidriges Phänomen läßt sich nicht
mit Vernunft bewältigen‘? Die ältere und bessere Überlieferung führt auf
die zuletzt genannte Möglichkeit, für die sich auch Marouzeau in seiner
Ausgabe9 entschied, aber einem Teil der Handschriften und allen anderen
Herausgebern schien der Übergang von Phaedrias Ichaussage (bis v. 49)
zum Du der Selbstanrede in v. 50 doch allzu plötzlich. Die Frage wurde
1973 zugunsten von Marouzeau entschieden, in einem Aufsatz von B.
Bader,10 und zwar hauptsächlich mit dem Hinweis auf das neue Menander-
fragment aus dem Δὶς ἐξαπατῶν, das uns im übrigen erstmals einen direk-
ten Vergleich Menanders mit den plautinischen Bacchides erlaubt. In diesem
97
97 Fragment wechselt ein in Liebe und Freundschaft enttäuschter || junger
Mann ebenso plötzlich in seiner Monologrede vom Ich zum Du. Hier
kommt also der Vergleich mit Menander dem Terenztext zu Hilfe. Aber es
lohnt sich zu überlegen, warum Marouzeaus Auffassung nicht schon vor
dem Menanderfund durchgedrungen ist. Die geänderte Sprecherverteilung
hat nämlich beträchtliche Folgen (auf die übrigens Bader nicht weiter ein-
gegangen ist). Würde Parmeno bereits ab v. 50 sprechen, dann hätte Phae-
dria in insgesamt 4 Versen sowohl seine zwiespältige Situation dargestellt
wie sich zu einem Entschluß durchgerungen, und Parmeno würde darauf,
da er den Entschluß für undurchführbar hielte, warnend und vor allem
mitfühlend reagieren. Im anderen Fall ist der Dialog besser ausgewogen,
wir erleben Phaedria in längerem ratlosen Schwanken (bis v. 56 ‚drum
mußt du beizeiten noch und noch bedenken …‘), und Parmeno reagiert
auf seine vergeblichen Versuche, zu einem klaren Entschluß zu kommen,
eher belustigt als mitfühlend. Das paßt viel besser zu seiner ganzen Art,
wie wir in II 3 noch sehen werden.
Hier soll zunächst ein anderer Grund zur Sprache kommen, warum
die Philologie erst den Δὶς ἐξαπατῶν brauchte, um an unserer Stelle die
richtige Sprecherverteilung zu akzeptieren: weil dem Terenz im Sprach-
lichen neben dem Vergleich mit Menander noch ein anderer Vergleich, der
mit Plautus, lange geschadet hat. Seit dem Altertum ist der Stil des Terenz
als ‚rein, aber dünn‘ abgestempelt, als undifferenziert und rhetorisch
schematisiert. Dieses Urteil galt noch im Jahre 1955 (ich zitiere aus J.
Straus zu unserer Stelle): „Man sollte denken, daß man in sieben Versen
herausfinden könnte, wer redet: ein verdrehter junger Verliebter oder ein
erkalteter … alter Mann: es läßt sich nicht eindeutig feststellen.“11 Daß es
aber – wenn ich so sagen darf – nicht nur sprachliche Orchestereffekte
gibt – wie bei Plautus –, sondern auch kammermusikalische, und zwar mit
entsprechender Differenzierung und Nuancierung – wie bei Menander –,
das beginnen erst neuere Untersuchungen wie die von Flury, Denzler und
Arnott deutlicher herauszuarbeiten.12 Zum Beleg des Wandels in den An-
schauungen ein Zitat aus Gaiser: „Nicht ganz richtig ist indessen, wie sich
immer deutlicher herausstellt, die Ansicht, daß alle terenzischen Personen
das gleiche Stilniveau ein-||halten.“13 Auch an unserer Stelle müssen wir 98
98
also lernen, darauf hinzuhorchen, wie bereits Phaedrias Sprechweise ver-
rät, daß er keines festen Entschlusses fähig ist.
Sein quid igitur faciam leitet mitnichten ein ausgewogenes Resümee der
Möglichkeiten ein, die er vor sich sieht und zwischen denen er sich ruhig
entscheiden könnte; wer die Stelle so auffaßt, ignoriert die unmittelbar
folgende Doppelung der Negationen in non eam, ne nunc quidem. Wir kön-
nen mit Thierfelders Übersetzung14 die Probe aufs Exempel machen:
Der Phädria Thierfelders steht frei vor einer rational zu treffenden Wahl,
den des Terenz zieht sein ganzes Herz zu Thais hinüber: ‚Soll ich nicht
gehen, nicht einmal jetzt?‘ Das ist ein Aufschrei der Ratlosigkeit; und
schon zur bloßen Formulierung der anderen Alternative muß er einen viel
11 Juliane Straus: Terenz und Menander. Beitrag zu einer Stilvergleichung. Zürich 1955,
S. 58.
12 Peter Flury: Liebe und Liebessprache bei Menander, Plautus und Terenz. Heidelberg
1968. – Bruno Denzler: Der Monolog bei Terenz. Zürich 1968. – W. Geoffrey Ar-
nott: „Phormio Parasitus. A study in dramatic methods of characterization“, in:
Greece and Rome 17 (1970), S. 32–57.
13 Gaiser: „Zur Eigenart der römischen Komödie“ (Anm. 4), S. 1046.
14 Terenz: Der Eunuch. Übers. von Andreas Thierfelder. Stuttgart 1961.
36 I. Prolog und Exposition
PH.
PH. Was soll ich also tun? Nicht hingehn, auch nicht jetzt,
wo sie mich ihrerseits drum bittet? Oder soll ich lieber
– grundsätzlich – Dirnenfrechheit nicht mehr dulden?
Sie sperrt mich aus, sie lädt mich ein – da soll ich hingehn?
Niemals, und wenn sie mich auf Knien bittet.
50 – Bei Gott, wenn du das kannst, sehr gut, sehr tapfer;
doch fängst du’s an und hältst nicht wacker durch
und gehst dann hilflos, ungebeten, noch bevor ein Frieden
ratifiziert ist, deinerseits zu ihr
und läßt sie merken, daß du liebst und hilflos leidest:
dann ist es aus, du bist verurteilt, bist verloren,
55 zum Spielball wirst du für die Siegerin.
Du mußt beizeiten noch und noch bedenken …
PA. Herr, eine Sache, der vernünftiges Planen wesensfremd ist,
die kannst du doch mit Planung nicht beherrschen.
Zur Liebe gehören Übel wie Beleidigung,
60 Verdächtigungen, Feindschaft, Waffenstillstand,
Krieg, manchmal Frieden – niemals Sicherheit;
wer da sich mit Methode sichern will,
treibt sich nur in den Wahnsinn mit Methode. 101
101
Und wenn du jetzt voll Zorn bei dir ‚bedenkst‘:
65 ‚Ich sie – die ihn – die mich – die nie –! Na warte!
Eher sterben! Sie soll sehn, mit wem sie es zu tun hat!‘
38 I. Prolog und Exposition
Daß zur Wirkung des Dialogs in dieser Szene z. B. auch die Metaphern
Beträchtliches beitragen, muß ich wohl nicht eigens ausführen. Ich hoffe,
daß die oben gegebenen Hinweise ausreichen, um zu zeigen, wie aufmerk-
sam man auf die sprachliche und metrische Gestaltungskunst des Terenz
horchen muß, um die Szene als lebendige Komödienszene mitzuerleben.
Meine letzte Bemerkung zum Bereich ‚Sprache und Metrik‘ ist eine Frage
102
102 an die Schulpraktiker: wieviel von dem, was wir || an unserem Text beob-
achtet haben, nach ihrer Meinung oder Erfahrung sich bereits in der An-
fangslektüre weiter vermitteln läßt.
II
Wir gehen zur Szene I 2 über, die mit dem Auftritt der Hetäre Thais ja
unmittelbar an Parmenos Rätselwitz von der fundi calamitas anschließt. Hier
stoßen wir auf ein in jüngster Zeit besonders eingehend behandeltes Pro-
blem der Handlungsführung, nämlich auf die Frage nach der Expositions-
technik des Terenz. Hatte das Original einen Prolog (womöglich einen Göt-
terprolog), der die Zuschauer mit überlegenem Wissen ausstattete? Und
wenn ja, wie hat Terenz geändert und zu welchem Zweck und mit wel-
chem Erfolg? Die Fragen greifen tief, die Antworten der jüngsten Arbeiten
sind disparat wie eh und je. Aber sehen wir uns einmal die Szene an, wie sie
vor uns liegt; wie immer Terenz eingegriffen haben mag, Expositionsaufga-
ben hatte sie jedenfalls schon bei Menander zu erfüllen. Phaedria und die
Zur Lektüre von Terenz’ Eunuchus 39
Zuschauer mit ihm erfahren von Thais den Grund ihres vorausgegangenen
Verhaltens: einer ihrer früheren Verehrer, der miles gloriosus Thraso, ist in
Athen aufgetaucht und hat die vermeintliche Sklavin Pamphila mitge-
bracht, die er Thais schenken will, wenn sie ihm – und nicht Phaedria –
ihre Gunst gewährt. Nun ist Pamphila eine von Seeräubern geraubte civis
Attica, die seinerzeit auf Rhodos mit Thais wie die eigene Schwester aufge-
wachsen war; und Thais will die Verwandten Pamphilas in Athen wieder-
finden, u. a. auch um das Patronat der dankbaren Familie für sich zu ge-
winnen. Weil sie also Phaedria bitten muß, dem Thraso wenigstens auf ein
paar Tage das Feld zu räumen, erzählt sie ihm diese Tatsachen in einem
höchst wirkungsvollen Gespräch, das wir als solches erst interpretierend
überblicken müssen, bevor wir uns der modernen Diskussion zuwenden.
Wichtig für Wirkung und Beurteilung der Szene ist zunächst die
Konstellation der Personen. Thais meint es mit Phaedria ehrlich, wie wir
bereits aus ihren Auftrittsworten erfahren (v. 81 miseram me, vereor ne illud
gravius Phaedria tulerit …) und wie sie im Abschlußmonolog nochmals
betont (v. 197ff. me miseram, || forsan hic mihi parvam habeat fidem … hoc certo 103
103
scio neque me finxisse falsi quicquam usw.). Wiewohl sie also eine bona mere-
trix ist, hat sie doch gegen die beiden anderen keinen leichten Stand. Für
Parmeno ist und bleibt sie die habsüchtige Hetäre – ihr Pech, daß sie in
dem einleitenden Dreiergespräch v. 86–98 es zunächst nur mit Schmei-
cheln und Bitten versuchen kann, Phaedria wieder zu versöhnen, was ihr
natürlich nur als Hetärenkunst ausgelegt wird (bis hin zu Parmenos schnö-
dem credo, ut fit, misera prae amore exclusti nunc foras – ‚Ja, wie’s eben oft
passiert, hast du ihn aus Liebesnot vor die Tür gesperrt.‘). Und so glossiert
er dann auch ihre ganze Erzählung, die mit der abschließenden Bitte an
Phaedria von v. 107 bis v. 152 reicht, mit ungläubigen Zwischenbemer-
kungen, die von seiner einleitenden Drohung ausgehen, alles, was er für
gelogen hält, Thraso zu verraten (v. 106 proin tu, taceri si vis, vera dicito).
Macht es ihr also schon der spöttelnde Parmeno nicht einfach (als sie z. B.
in v. 107 merken läßt, daß ihre Mutter auch eine Hetäre war, sagt er gön-
nerhaft: potest taceri hoc), so hat sie es mit Phaedria noch schwerer, der sich
die längste Zeit tief gekränkt und erzürnt in Schweigen hüllt, wie immer
wieder betont wird: v. 88, noch vor ihrer Erzählung, quid taces; v. 100 auf
ihre Bitte, sie anzuhören, das kurze, unpersönliche fiat; zum Schluß v. 152,
nil respondes? Selbst als er sich durch die Beteuerung ihrer ehrlichen und
vertrauensvollen Liebe in v. 127f. doch einmal zu einer Antwort hinreißen
läßt, hält er Distanz und schiebt Parmeno vor (v. 129): ne hoc quidem tacebit
Parmeno, worauf dieser prompt die Gelegenheit nutzen muß, auch über ihn
ironisch zu spötteln: oh dubiumne id est? ‚Ja du wirst doch nicht an ihrer
Liebe zweifeln?‘ (Diese feine Stelle ist richtig verstanden worden von
Thierfelder, verschiedene Mißverständnisse finden sich von Ludwig16 bis
Büchner17 – Parmeno selbst sage ne hoc quidem tacebit Parmeno – und in den
Kommentaren von Fabia18 und Flurl – dubiumne id est bedeute ‚Zweifelst
du an meinem Unglauben?‘) Jedenfalls muß Thais bis v. 152 gleichsam
gegen die Wand reden.
Mit dieser Konstellation der Figuren des Spiels hängt unmittelbar zu-
sammen ein zweites wichtiges Moment, die Hauptgliederung der Szene.
104
104 Phaedria war in || ihrem ersten Hauptteil bis v. 152 der Schweigsame, und
der Umschwung zu Thais’ Gunsten im zweiten Hauptteil bahnt sich an, als
er endlich wieder zu reden beginnt. Natürlich fängt er mit Vorwürfen an:
v. 152f. pessuma, egon quicquam cum istis factis tibi respondeam?, bis v. 167ff.:
‚Habe ich nicht erst gestern, obwohl so von dir gekränkt, einen Eunuchen
gekauft, den ich dir schenken wollte?‘ Angesichts dieser Großmut – und
vielleicht auch ein bißchen mit der Aussicht auf das großzügige Geschenk
– erklärt sie sich bereit, um Phaedrias willen auf den Plan mit ihrer Zieh-
schwester zu verzichten: v. 171 quid istic, Phaedria? ‚Was kann ich da noch
sagen oder tun, als mich deinen Wünschen zu fügen?‘ Dieses quid istic, das
ich im Hinblick auf eine spätere Entsprechung im Gedächtnis zu behalten
bitte, artikuliert übrigens nicht ihre Verwunderung, wie Steidle meint,19
sondern drückt aus, daß sie durch Phaedrias Worte entwaffnet ist und ihm,
wenn auch ungern, nachgibt. Das entwaffnet natürlich im weiteren wieder
ihn, was hier wiederum Parmenos Kommentar provoziert (v. 178): labascit
victus uno verbo quam cito! ‚Von einem Wort besiegt‘ variiert natürlich seine
Vorhersage aus v. 67 von der una falsa lacrimula, und so hält er sich weiter-
hin für einen gewiegten Hetärenkenner, während der Zuschauer doch
schon weiß, daß Thais nicht lügt.
Wir können hier abbrechen und uns dem Problem der Exposition
zuwenden. Ansatzpunkt der Kritik war für alle, die ändernde Eingriffe des
Terenz in die Szene I 2 annahmen, das Faktum, daß Thais von Pamphilas
civitas Attica in Parmenos Gegenwart spricht (v. 109ff.): TH. puellam … ex
Attica hinc abreptam. PH. civemne? TH. arbitror; certum non scimus. Das könne
bei Menander nicht so gestanden sein, sagt man; denn sobald Parmeno
hier in I 2 erfahre, daß Pamphila auch nur möglicherweise ein Bürgermäd-
chen sei, dürfte er später in der Szene II 3 Phaedrias jüngerem Bruder
Chaerea nicht mehr raten, sich als Eunuch verkleidet ins Haus der Thais
bringen zu lassen, um dort Pamphila Gewalt anzutun. Nach Lefèvre
kommt Parmeno bei Terenz zu diesem störenden Vorauswissen, weil In-
formationen, die einem menandrischen Götterprolog entstammen, erst
von Terenz Thais in den Mund gelegt wurden. Büchner anerkennt die
105
105 Tatsache des störenden Vorauswissens, schließt aber || nicht auf einen
17 Büchner: Das Theater des Terenz (Anm. 7), S. 236 und 238.
18 P. Terentius Afer: Eunuchus, mit Einleitung und Kommentar hg. von Philippe
Fabia. Paris 1895.
19 Wolf Steidle: „Menander bei Terenz“, in: Rheinisches Museum 106 (1973), S. 330.
Zur Lektüre von Terenz’ Eunuchus 41
20 Eckard Lefèvre: Die Expositionstechnik in den Komödien des Terenz. Darmstadt 1969.
21 Adrian S. Gratwick: „Disiecti Membra Terenti. Eckard Lefèvre: Die Expositions-
technik in den Komödien des Terenz“, in: Classical Review 22 (1972), S. 29–32.
42 I. Prolog und Exposition
v. 100–152 durch das Schweigen des Phaedria wird, und doch bricht er es
gleich in v. 110 mit der Frage civemne (wie übrigens dann nochmals in
v. 143 ebenfalls mit Bezug auf Pamphila). Diese Inkonzinnität stört also
den originalen Ablauf der Szene. Zu einem zweiten Beweis hat Denzler in
seiner Untersuchung der Monologe Vorarbeit geleistet, indem er rein for-
mal verschiedene Monologtypen unterschied (Auftritts-, Zutritts-, Ab-
gangsmonolog) und innerhalb der Zutrittsmonologe wieder einen Unter-
schied zwischen belauschten und unbelauschten machte. Wir brauchen nur
noch zusätzlich die Beobachtung zu machen, daß der Auftritt des be-
lauschten Monologsprechers wie nur natürlich von einer auf der Bühne
befindlichen Person im vorhinein bemerkt und angekündigt zu werden
pflegt, während der Sprecher eines unbelauschten Zutrittsmonologs eben-
so natürlicherweise unbemerkt auftritt. Zu Beginn von I 2 liegt aber eine
hybride Typenkreuzung vor: der Auftritt der Thais war von Parmeno im
voraus bemerkt und angekündigt worden, und doch nehmen weder
Parmeno noch Phaedria von ihrem kleinen Zutrittsmonolog Notiz, aus
welchem ja die Ehrlichkeit ihrer Zuneigung bereits hervorgehen würde;
weder Sklave noch Herr reagieren darauf. Ihre Auftrittsworte bei Menan-
der können also nicht den gleichen Inhalt gehabt haben. Einfachste Erklä-
rung dafür: Terenz arbeitet Prologmaterial ein.
Die Argumente, die für die Ersetzung des Prologs bei Terenz spre-
chen, mögen geringfügig oder zu subtil erscheinen. Aber viel mehr als
solche leichte Änderungen im Duktus des szenischen Ablaufs dürfen wir
wie ich meine bei Terenz auch gar nicht erwarten. Sich bei gröberen In-
konsequenzen ertappen zu lassen, dazu ist er gewöhnlich viel zu geschickt,
und wir sind darum bei der Analyse eben auf solche Strukturbeobachtun-
gen angewiesen. Man darf aber auch nicht meinen, daß die Folgen einer
107
107 solchen Akzentverschiebung oder Gewichtsver-||lagerung im Handlungs-
ablauf ganz unbeträchtlich sind. W. Görler hat vor kurzem darauf hinge-
wiesen,22 daß der Zuschauer eines Bühnenspiels mit dessen verschiedenen
Personen mitempfindet und mitlebt je nach dem Grad seines Vorwissens;
die Wirkung des Spiels wird von der Handlungsführung wesentlich mitbe-
einflußt. Vergegenwärtigen wir uns zur Kontrolle kurz den rekonstruierten
Komödienbeginn Menanders: In I 1 klagt ein enttäuschter Verliebter über
die Launen seiner Hetäre, in I 2 glaubt der Zuschauer – denn daß Thais
eine bona meretrix ist, weiß er ja noch nicht – ein Exempel ihrer Hetären-
künste mitzuerleben und gibt dem skeptischen Parmeno recht; erst durch
die darauffolgende Prologrede der Thais erfährt er, wie falsch Parmeno sie
beurteilt hat, und er wird dann im weiteren Spielverlauf mit ihrem Plan
III
Wir springen zur Szene II 3, die uns mit Kompositionsproblemen in noch
größerem Rahmen konfrontiert, welche in der bisherigen Forschung recht
stiefmütterlich behandelt wurden. Die Szene muß bei Menander in der
Mitte des 2. Aktes gestanden sein, wie sich unschwer nachweisen läßt.
Wenn nämlich die Prologrede der Thais bei Menander erst nach I 1 und I
2 kam, muß zu seinem ersten Akt auch noch die folgende Dialogszene
gehört haben, in der wieder Phaedria und Parmeno auftreten, Phaedria mit
Wanderstab und Wanderhut, fest entschlossen, die nächsten zwei Tage auf
109
109 dem Lande zu verbrin-||gen, um Thais für ihre Intrige freies Feld zu lassen.
Parmeno bezweifelt sehr zu Recht die Haltbarkeit dieses heroischen Ent-
schlusses, nimmt den Befehl, den am Vortag gekauften Eunuchen als Ge-
schenk zu Thais hinüberzubringen, nur ungern entgegen, um so lieber
allerdings den Auftrag, den Rivalen Thraso möglichst von ihr fernzuhal-
ten. Das ergibt einen Aktschluß, der die Spannung wirksam in der Schwe-
be hält: wie werden der unbeherrschte Verliebte und sein nicht sehr wohl-
gesonnener Sklave dem Plan der Thais in die Quere kommen? Den pas-
sendsten Platz für die nächste entsprechende Spannungspause finden wir
dann nicht bereits nach II 3, sondern erst nach III 2 oder III 3 (so bereits
A. Klotz;23 ungenügend Ludwig 24 und Büchner in ihren Analysen). Der
zweite Menanderakt beginnt mit der Szene, in welcher Pamphila ins Haus
der Thais gebracht wird (bei Terenz II 2). In einer Mittelszene (eben II 3)
tritt Chaerea auf, der Pamphila auf der Straße sah und sich Knall und Fall
in sie verliebte; in seinem Gespräch mit Parmeno wird der Verkleidungs-
plan gefaßt. In der abschließenden Szenenfolge des 2. Akts verläßt dann
Thais ihr Haus, um sich zu Thrasos hinterszenisch stattfindendem Gelage
zu begeben, und trifft auf der Bühne mit Parmeno zusammen, der eben
den vermeintlichen Eunuchen zu ihr hinüberführt; vielleicht kommt dann
am Schluß dieses Aktes auch noch Chremes, in dem Thais Pamphilas Bru-
der zu finden hofft, und wird von einer Sklavin auch noch zum Gelage
geleitet. Eine spannungsvollere Spielpause läßt sich kaum denken: Wird
die Hoffnung der Thais in Erfüllung gehen, und was wird gleichzeitig in
ihrem Haus mit Chaerea und Pamphila geschehen? Beide Handlungssträn-
ge der Komödie, die Thrasohandlung und die Eunuchenhandlung, sind
aufs kunstvollste parallel geführt, miteinander verknüpft und in der
Schwebe gehalten. Der dritte Akt wird dann hauptsächlich der Eunuchen-
handlung gehören: Chaerea jubelt über die Erfüllung seiner Liebe, Phaed-
ria kommt zurück und muß entdecken, was der vermeintliche Eunuch im
Haus der Thais angerichtet hat (in einer Zwischenszene berichtet die vom
Gelage zurückkommende Sklavin, daß Thraso dort mit Thais in Streit
23 Alfred Klotz: „Der Eunuchus des Terenz und seine Vorlagen“, in: Würzburger
Jahrbücher 1 (1946), S. 1–28.
24 Ludwig: „Von Terenz zu Menander“ (Anm. 8), Anm. 110.
Zur Lektüre von Terenz’ Eunuchus 45
geraten ist: so ist ihre Intrige auch über die nächste Pause hinweg doppelt
bedroht). Der 4. Akt konfrontiert dann die beiden auf der Bühne; Resultat:
|| Thraso muß Pamphila vorläufig dalassen. Wie bei Menander üblich, 110
110
kommt es im 4. Akt auch noch zur Hauptlösung: Thais baut dem jungen
Chaerea die goldene Brücke zur Hochzeit mit der als Bürgerin erkannten
Pamphila. Wie ebenso üblich, wird der 5. Akt von burlesken Szenen ausge-
füllt, deren Opfer die beiden Gegenspieler der Thais sind, Parmeno und
Thraso.
Wie ausgewogen die Handlungsstruktur dieser Komödie ist, sieht
man, wie ich hoffe, selbst an dieser flüchtigen Skizze, die ich bei anderer
Gelegenheit genauer ausführen möchte. Aber was hat nun eigentlich Te-
renz aus dem kunstvollen Gebilde Menanders gemacht? Hat er es, indem
er durch andere Personenführung die Handlungspausen nach dem ersten,
dritten und vierten Menanderakt beseitigte, schlicht und einfach zerstört?
Sobald wir – wie eben geschehen – den menandrischen Eunuchos rekon-
struiert haben, taucht unausweichlich die weitere Frage auf, ob Terenz das
Gewebe des Originals bloß aufgelöst oder die Fäden zu einem neuen Ge-
webe versponnen hat. Ich möchte die These vertreten, daß er keineswegs
willkürlich drauflos änderte, bloß um seinem römischen Publikum mög-
lichst wenig Handlungspausen zuzumuten, sondern daß er das Spannungs-
gefüge des menandrischen 5-Akt-Schemas bewußt durch ein anderes Prin-
zip der Handlungsgliederung ersetzte. Er wollte, wie ich meine, bestimmte
größere Teilkomplexe der Gesamthandlung als deren relativ abgeschlosse-
ne Teileinheiten hervortreten lassen. Es kam ihm nicht (oder nicht nur)
auf die effektvolle Einzelszene an, sondern auf den in seiner Wirkung
unmittelbar überschaubaren größeren Handlungsablauf.
Um diese These wenigstens andeutungsweise zu begründen, betrach-
ten wir den Schlußteil der Szene II 3, wobei wir zu einem guten Teil an
Steidles Interpretation 25 anknüpfen können. Stärker zu betonen und näher
auszuführen ist nur, daß sich Parmeno in erstaunlich paralleler Situation zu
I 1 und I 2 befindet. Das war schon zu Szenenbeginn betont worden, wo
Parmeno abermals auf den Monolog eines Verliebten reagiert (v. 292ff.),
und wieder in ähnlicher Weise:
Parmeno ist der alte Skeptiker und Spötter geblieben. Drum begleitet er
auch zunächst die Begeisterungsausbrüche des jungen Burschen mit ironi-
scher Zustimmung (z. B. in v. 317ff.). Allerdings ist Chaerea nicht so zag-
haft und unentschlossen wie sein älterer Bruder (v. 319f.):
‚dum potiar modo‘: da läßt sich schon ahnen, daß Parmeno wieder einmal im
Irrtum ist, wenn er die Macht der Liebe unterschätzt. Chaerea wiederholt
das für ihn charakteristische potiar nochmals in v. 362, wo die Szene sich
scheinbar ihrem Schluß nähert:
CH. Ich bitt dich herzlich, Parmeno: hilf mir, daß ich sie haben kann!
PA. Bestimmt, ich tu’s, ich werde mich bemühen und dir helfen.
Das wär’s wohl. –
CH. Wohin gehst du jetzt? –
PA. Nach Haus, die Sklaven holen,
und sie, so wie dein Bruder es befahl, zu Thais bringen.
Parmenos Hilfezusage war, wie man sieht, recht lässig und unernst gege-
ben, er wollte den Burschen nur abwimmeln und denkt in Wahrheit nicht
daran, ihm gleich beizustehen. Doch da hält ihn Chaerea mit seiner Selig-
preisung des Eunuchen noch einmal auf:
bewußt war und daß er in ihr ein Mittel zur szenischen Großgliederung
sah. Terenz verfügt nämlich auch über ein rein metrisch-formales Mittel
zur Artikulierung größerer Szenenblöcke, mit dem die beobachteten
sprachlichen und szenischen Responsionen sich gut ergänzen. Er läßt, wie
ich hier nicht ausführlich beweisen kann, längere Senarpartien mit Groß-
abschnitten in Langversen abwechseln (auf den metrischen Wechsel in-
nerhalb der Langverse oder cantica, der schon mehrfach Gegenstand von
Untersuchungen war, kommt es für diese Hauptgliederung nicht weiter
an). Nun glaube ich nachweisen zu können, daß die Haupteinheit der me-
trischen Großkomposition im Regelfall ein Paar aus Senarteil und Lang-
versteil darstellt, und daß durch diese Gliederung sinnvoll zusammenhän-
gende größere Handlungsabläufe artikuliert und voneinander abgesetzt
werden.
Nun trifft die metrische Gliederung im Eunuchus auffällig mit szeni-
schen Responsionen zusammen. Parmeno beherrscht und umrahmt als
Gegenspieler der Thais die erste Haupteinheit, die präzise von I 1 bis II 3
114
114 || reicht. Die zweite Haupteinheit (III 1 – IV 7) beginnt und endet ebenfalls
mit den Szenen eines Gegenspielers: diesmal ist es der Soldat Thraso, und
wir dürfen nicht vergessen, daß Terenz gerade seine Szenen durch Kon-
tamination mit dem Kolax ausgestaltet hat. Er hat also gerade an den
Randstellen der zweiten Haupteinheit selbständig eingegriffen. So werden
wir uns auch nicht wundern, wenn wir in der dritten und letzten Haupt-
einheit sehen, daß Terenz auch da wieder durch einen kontaminierenden
Eingriff die Parallelführung der Gegenspieler Parmeno und Thraso herge-
stellt oder verstärkt hat: dem Parmeno war schon in Menanders burleskem
Schlußakt recht übel mitgespielt worden, und Thraso wird bei Terenz
zusätzlich das Opfer einer societas leonina: denn Phaedria ist zum Schein
bereit, Thais mit ihm zu teilen, aber er wird dabei nur draufzahlen.
Ich muß mir versagen, auf die inhaltlichen Implikationen dieser Än-
derung einzugehen, womit ich allerdings keiner modischen Überschätzung
bloß struktureller Interpretation das Wort reden möchte. Trotzdem wird
glaube ich unser Terenzbild reicher und voller, wenn uns mit Beobachtun-
gen wie den hier vorgetragenen der Nachweis gelingt, daß Terenz im Eu-
nuchus und auch sonst seine Komödien in größeren Handlungskomplexen
durchkomponiert hat. Ich hoffe, daß auch der Gymnasiallehrer daraus
Anregungen für seine Arbeit mit dem Text gewinnen kann.
Karion in den Epitrepontes* 123
123
Unsere Kenntnis der Komödien Menanders kann auf zweifache Weise ge-
mehrt und vertieft werden, durch neue Textfunde und durch verbesserte
Interpretation des vorhandenen Materials. Für beide Möglichkeiten stellen
die Epitrepontes ein gutes Beispiel dar, von denen wir uns ja, obwohl etwa
ein Drittel des Textes verloren ist, in großen Zügen doch schon seit der
Publikation des Cairensis eine Gesamtvorstellung bilden konnten.1 Nun
brachte erst jüngst der 50. Band der Oxyrhynchos Papyri 2 Reste von 2 mal 24
Zeilen, die in die Auseinandersetzung Smikrines – Pamphile im vierten Akt
gehören (nach v. 758 Sandbach = 531 Koerte, fr. 7 einschließend, aber vor
fr. 8 aus Pamphiles anschließendem Monolog). Was der Neufund bei richti-
ger Einordnung3 und Auswertung an Erkenntniszuwachs bringt, soll jedoch
hier nicht unser Thema sein.4 Vielmehr soll das Folgende zur besseren
Akt. 2. Wenn die in Anm. 3 vertretene Reihung der neuen Fragmente stimmt,
zeigt Smikrinesʼ Rede, daß Menander ihn nicht einseitig als Geizhals präsentieren
will; denn er spricht dann zwar zuerst von Charisiosʼ aufwendiger Lebensfüh-
rung, zuletzt aber doch als besorgter Vater von dem bitteren Schicksal, das er für
seine Tochter befürchtet.
5 Arnold W. Gomme und Francis H. Sandbach: Menander. A Commentary. Oxford
1973, S. 354 machen zu Recht darauf aufmerksam, daß Chairestratos während
des vierten Akts (wo Charisios in seinem Haus ungestört an der Tür lauschen
und verzweifelt monologisieren soll) am besten außer Haus ist: also hält er am
dritten Aktschluß einen kleinen Monolog, in dem er erklärt, er werde Habroto-
non von jetzt an aus dem Weg gehen, sich also auf einen einsamen Spaziergang
begeben (Arnott [Hg.]: Menander. Cambridge, Mass., London 1979 [Loeb Classi-
cal Library 132], S. 475 schickt ihn einfach „on some errand in the city“, läßt ihn
dann aber – S. 502 – irrtümlich wieder aus seinem Haus auftreten).
6 Ich zitiere im folgenden stets nach Sandbachs Oxfordtext (Menandri reliquiae
selectae, hg. von Francis H. Sandbach. Oxford 1972).
Karion in den Epitrepontes 51
7 Wilamowitz: Das Schiedsgericht (Anm. 1), S. 48: „Fr. 2 beweist, daß auch Onesimos
etwas gefragt hat, wohl über das, was der Koch mitbrachte oder liefern wollte“,
und S. 50: „Wir lernen (sc. aus Themistios) …, daß der Koch … mit den ἡδύύσ-‐‑
µματα renommiert hat, die er bei dem Frühstück vorsetzen wird; das geschah im
zweiten Teil der Szene so ausgiebig, daß Onesimos einschreiten mußte.“
8 In Schadewaldts Bearbeitung (Das Schiedsgericht. Eine Komödie von Menander, für die
Bühne übersetzt und ergänzt von Wolfgang Schadewaldt. Frankfurt am Main 1962
[Exempla Classica 72]) sind Karions Fragen über Charisios und seine Auslassun-
gen über die Kochkunst dramaturgisch sinnvoll verknüpft, entsprechend dem im
Nachwort (S. 152) formulierten Programm: „Auch die innere Ausgestaltung dieser
zu ergänzenden Szenen wurde nicht willkürlich vorgenommen. Vielmehr wurden
alle etwa erhaltenen Spuren sorgfältig berücksichtigt …“ (der Anspruch ist zurecht
erhoben etwa bezüglich fr. 1, vgl. unten bei Anm. 30).
9 Agostino Masaracchia: „Note agli Ἐπιτρέέποντες di Menandro“, in: Helikon 8 (1968),
S. 364–369 bemüht sich um bessere Auswertung des relevanten Themistios-
Passus.
10 Zur Figur des Kochs in der Komödie zuletzt J. Christopher B. Lowe: „Cooks in
Plautus“, in: Classical Antiquity 4 (1985), S. 71–102.
52 I. Prolog und Exposition
Der kritische Passus, von dem die richtige Auswertung des ganzen Textes
für die Epitrepontes abhängt, ist der Beginn von Teilabschnitt (2). ,Dinge
aber, wie sie der Koch in der Komödie äußert, auch die brachten dem Fra-
genden nicht viel Nutzen‘: worin bestanden hier eigentlich die Äußerungen
des Kochs, und wer ist der πυνθανόόµμενος? Wilamowitz gewinnt seine
Antwort auf diese beiden Fragen offenbar, indem er über Epitr. fr. 2b
(οὐδέέν ἐστι γὰρ γλυκύύτερον ἢ πάάντ᾿ εἰδέέναι) auf fr. 2a zurückgreift (φιλῶ
σ᾿, Ὀνήήσιµμε·∙ καὶ σὺ περίίεργος εἶ ). Da fr. 2a – dessen Sprecher sicher Kari-
on ist – und fr. 2b bei Elias (Comment. in Aristot. 18, 1, 27) mit ὥς φησι
Μέένανδρος bzw. καὶ πάάλιν eingeleitet sind, also nicht unmittelbar zu-
sammenhängen, und da bei Themistios in (1) auf fr. 2b angespielt wird,
wozu οὐδ᾿ ἐκεῖνα in (2) – also wieder etwas, was der Koch sagt – einen
Gegensatz zu signalisieren scheint,12 kommt Wilamowitz zu folgender
Lösung: Der Sprecher von fr. 2b ist Onesimos;13 die Äußerungen des
11 Siemer Oppermann: Themistios. 20. und 21. Rede, Überlieferung, Text und Übersetzung.
Dissertation, Universität Göttingen 1962.
12 Anders Masaracchia: „Note agli Ἐπιτρέέποντες di Menandro“ (Anm. 9), S. 365:
fr. 2b und ἐκεῖνα identisch, οὐδέέ beziehe sich auf Themistiosʼ Zwischenbemer-
kung καὶ ἐγώώ φηµμι τἀγαθάά. Das wäre sprachlich möglich, aber ἐκεῖνα muß sach-
lich mehr umfassen (siehe weiter im Text).
13 Siehe Wilamowitzʼ Übersetzung (Das Schiedsgericht [Anm. 1], S. 175).
Karion in den Epitrepontes 53
Kochs von Themistios (2) bestehen dann in seinen Prahlereien mit den
ἡδύύσµματα, und der ,Frager‘ war wieder Onesimos. Der braucht allerdings,
um sich im griechischen Text deutlich vom Koch zu unterscheiden, den
bestimmten Artikel; darum, und weil das artikellose Partizip überhaupt
auffällig wäre, schreibt Wilamowitz ‹τῷ› πυνθανοµμέένῳ (die Konjektur ist
von allen Späteren übernommen).
Im selben Argumentationsrahmen wie Wilamowitz – Berücksichtigung 127
bloß von fr. 2 und Themistios (1) und (2) – hält sich grundsätzlich || auch 127
noch Arnott. Dabei teilt er zwar fr. 2b zögernd dem Koch zu,14 bleibt aber
dabei, daß Karions Äußerung in (2) seine Prahlereien mit den Saucen zum
Inhalt hat. Das zeigt seine Übersetzung von (2), S. 393: „The words of this
comic cook did not benefit the enquirer at all, but he irritated the guests
by using recherché language to describe his sauces.“
Von den Schwierigkeiten, in die man mit dieser Auffassung geraten
muß, hat Arnott wenigstens eine bemerkt: der ,enquirer‘ kann dann nicht
Onesimos sein, der ja kein Gast ist; Themistios müßte also statt auf die
Eingangsszene auf eine andere, verlorene Szene anspielen, in welcher Ka-
rion vor den Gästen renommiert. Aber für eine solche Szene ist in den
Epitrepontes nirgends Platz (Karion verschwindet ja nach v. 631 ἀπίίωµμεν
endgültig von der Bühne). So hilft sich Arnott mit der Vermutung, The-
mistios habe vielleicht ungenau referiert.
Die Wahrheit ist, daß Wilamowitz und Arnott Themistios ungenau in-
terpretiert, will sagen seinen weiteren Argumentationszusammenhang
nicht beachtet haben. Arnott schweigt dazu vollständig, Wilamowitz er-
wähnt wenigstens, daß Themistios schon vor unserem Passus gegen den
Typus des περίίεργος und πολυπράάγµμων wettert und daß er – worauf er
eigentlich hinauswollte – ab (4) einen persönlichen Gegner aufs Korn
nimmt, den er als verleumderisch übertreibenden Karion apostrophiert;
den Übergang von 262a auf unseren Teilabschnitt (1) findet Wilamowitz
aber doch recht sprunghaft.15 Doch Themistios hat den Schlußangriff auf
seinen ,Karion‘ in sorgsamem Übergang vorbereitet. Einleitend tut er so,
als käme er fast zufällig auf den Typus des Verleumders zu sprechen, der
sich in neugieriger Betriebsamkeit in fremde Angelegenheiten mischt (262a
κακηγόόρους … ἢ περιέέργους καὶ πολυπράάγµμονας16). Auf diesen Typus
brachte ihn, wie er vorgibt, eine beiläufige Erwähnung des homerischen
14 Der Gegensatz, den οὐδέέ verlangt, kann ja einfach in der inhaltlichen Verschie-
denheit von fr. 2b und den ἐκεῖνα bestehen, bei gleichem Sprecher.
15 Wilamowitz: Das Schiedsgericht (Anm. 1), S. 49: „Offenbar schwebt ihm (sc. in 262a)
schon Fr. 2 vor. Ziemlich unvermittelt geht es dann weiter: οὔκ ἐστι γάάρ …“
16 Oppermann: Themistios. 20. und 21. Rede (Anm. 11) hätte sein Kap. XXIII also
besser schon mit diesen das neue Thema einleitenden Stichworten beginnen sol-
len, nicht erst mit der äsopischen Fabel.
54 I. Prolog und Exposition
Thersites,17 dem allerdings nachher auch der Schlußsatz seiner Rede gelten
wird. Dem Typ des verleumderischen Klatschsüchtigen stellt er nun zu-
nächst als positives Gegenbild den von solchen Lastern freien Philoso-
phen gegenüber, wie ihn Platon Theait. 173d schildert („ob jemand unedel
geboren ist in der Stadt …, bleibt ihm verborgen“). Darauf distanziert er
128
128 sich mittels eines anderen literarischen Exempels von der || allgemeinen
Klatsch- und Kritiksucht: nach der äsopischen Fabel von den zwei Säcken
haben die Menschen immer nur die Fehler der anderen vor Augen – aber
er selber, sagt Themistios in (1), möchte nur die eigenen sehen; fremde
Fehler will er gar nicht sehen können. Und er läßt ,die Menschen‘18 gleich
nochmals, gleichsam zur Verteidigung ihrer böswilligen Neugier, zu Wort
kommen mit einer leichten Abwandlung von fr. 2b und distanziert sich
abermals von ihnen: „Nichts ist ja schöner, sagen sie, als wenn man alles
weiß – und ich sage: alles Gute.“
Fr. 2b fügt sich, wie man sieht, ganz ungezwungen und keineswegs
sprunghaft in den Duktus der Gedanken; und Themistios benützt es auch
gleich wieder dazu, ein weiteres Negativexempel des bekämpften Typus
einzuführen: in (2) und (3) wird Karion zum neuen abschreckenden Bei-
spiel. Und von Karion braucht sich Themistios gar nicht mehr in persönli-
cher Stellungnahme zu distanzieren; die Abschreckungswirkung liegt
diesmal schon darin, daß sich der Koch in der Komödienhandlung bla-
miert und decouvriert. Wenn es zu Beginn von (3) heißt, daß die τέέχνη
Karions µμοχθηρὰ … καὶ ἀλλόόκοτος war, so wird das ἐξαλλάάττειν der
ἡδύύσµματα am Ende von (2) eben nicht im bloß verbalen ,using recherché
language to describe his sauces‘ bestanden haben, sondern er hat sie reali-
ter verpatzt.19
Nun ist zwar Karions ,seltsame‘ Kochkunst, die den Gästen auf die
Nerven geht, nach (3) im Vergleich zu seinen verleumderischen Übertrei-
bungen das kleinere Übel; trotzdem ist seine Blamage dann umso lehrrei-
cher, wenn auch schon sein Versagen als Koch auf seiner περιεργίία beruh-
te. Dazu hat Masaracchia schon das Nötige gesagt:20 Karion muß seine
Neugier, die ihn nach den Familiengeheimnissen des Charisios fragen ließ,
großspurig begründet haben mit der Behauptung, seine Kochkunst sei eine
Art von Psychotherapie à la Gorgias,21 er müsse, um richtig kochen zu kön-
nen, Charisiosʼ Stimmung genau kennen, und nur so könne er auch mit
17 262a ἐν καιρῷ ὁ Θερσίίτης αὐτόόµματόός πόόθεν εἰσερρύύη τῷ λόόγῳ καὶ ἔδωκεν αὐτῷ
ἀψοφητὶ µμεταβῆναι εἰς ἕτερον τύύπον.
18 Darum ist das überlieferte φασίί besser als Wilamowitzʼ φησίί.
19 So fassen auch Masaracchia: „Note agli Ἐπιτρέέποντες di Menandro“ (Anm. 9),
S. 365 und Gomme und Sandbach: Menander (Anm. 5) zu fr. 5 die Stelle auf.
20 Masaracchia: „Note agli Ἐπιτρέέποντες di Menandro“ (Anm. 9), S. 366f.
21 Vgl. Plat. Gorg. 464d – 465d. – Parallelmaterial aus der Komödie: Masaracchia:
„Note agli Ἐπιτρέέποντες di Menandro“ (Anm. 9), S. 367.
Karion in den Epitrepontes 55
22 Masaracchia: „Note agli Ἐπιτρέέποντες di Menandro“ (Anm. 9), S. 365 zu fr. 5.
23 Der ironiereiche Schluß leitet gut auf (4) über; deshalb folge ich auch Opper-
manns größerer Textumstellung, für die noch drei weitere Gründe sprechen: οὐχ
οἷα … und ἀλλὰ καὶ … rücken näher aneinander (wie sonst zweimal in der Stelle);
Themistios hält die φιλοµμάάθεια selbst für ein Übel, wird sie also nicht bloß als
Metapher für den Diebstahl bestraft wissen wollen; und daß ὅς an µμαστιγίίαν gut
anschließt, aber nach πολλὴ ἐποικοδόόµμησις in der Luft zu hängen scheint, mag
für die Entstehung des Fehlers mitverantwortlich sein.
56 I. Prolog und Exposition
recht witzig wählt. Für die Ergänzungsfrage zitiert er Od. 7, 238, τίίς πόόθεν
εἶς ἀνδρῶν, und Odysseus braucht allein zur Beantwortung von πόόθεν
immerhin die ganzen Apologoi, von Ἰλιόόθεν µμε φέέρων an – wahrhaft eine
lange Antwort auf eine kurze Frage. Der Anonymus hat dieses Mißver-
hältnis noch dazu selbst unterstrichen, indem er eine frühere Frage des
Alkinoos zitiert (im Homertext geht ja der langen Erzählung des Odysseus
unmittelbar voraus auch eine angemessen lange Frage: 8, 548– ||586. Wir 131
131
werden ihm also auch im Fall der Bestätigungsfrage zutrauen, daß er unter
den unzähligen möglichen Beispielen für eine solche das Menanderfrag-
ment gerade deshalb gewählt hat, weil es besonders hübsch zeigt, wie über-
raschend kurz man auf eine relativ komplizierte Frage antworten kann.
Zudem hatte er natürlich die Anfangsverse eines Werkes besonders
leicht parat; denn daß die Epitrepontes mit fr. 1 begannen, nehme ich mit
den meisten Forschern zuversichtlich an. Gomme und Sandbach übertrei-
ben den methodischen Zweifel;28 die Verse eignen sich, da sie sofort einen
Spannungszustand zwischen den Sprechern herstellen,29 bestens für den
Beginn eines dramatischen Spiels. Wie man dem einzigen denkbaren Ein-
wand (daß nämlich Menander der Aufnahmefähigkeit der Zuschauer doch
zuviel zumute, wenn sie zugleich auf die exponierenden Informationen der
Frage und auf die Implikationen des Tonfalls achten sollen, in welchem
die Antwort erfolgt) begegnen kann, hat Schadewaldt schön gezeigt: das-
selbe Spiel von Frage und Antwort konnte sich mehrmals wiederholen.30
Auf diese erste Teileinheit des Eingangsdialogs, in welcher Onesimos
auf die Fragen des Kochs nur zögernd und zurückhaltend reagiert, muß als
zweite klärlich Karions Rechtfertigung seiner Neugier folgen, 31 also seine
prahlerische Selbstvorstellung als Psychotherapeut. Da er dazu nun offen-
bar durch keine neugierige Frage des Onesimos angeregt werden muß,
wäre fr. 2a an dieser Stelle funktionslos; hingegen gehört fr. 5 hierher:
ἐπέέπασα ἐπὶ τὸ τάάριχος ἅλας, ἐὰν οὕτω τύύχῃ. Für dieses Fragment hat
Arnott eine neue Interpretation vorgeschlagen: er will „ich habe auf den
28 Gomme und Sandbach: Menander (Anm. 5), S. 291: „But clearly some other vers-
es may have preceded“.
29 Vgl. dieselbe Wirkung außer im Dis exapaton im Hautontimorumenos: Quamquam haec
inter nos nuper notitia admodum est eqs. – Noch weiter als Gomme und Sandbach
geht übrigens Thomas B. L. Webster: An Introduction to Menander. Manchester
1974, S. 137, Anm. 27: er hält einen Götterprolog vor der Dialogszene für mög-
lich – wozu aber dann überhaupt noch die Fragen Karions, wenn der Gott schon
das Wesentliche exponiert hätte?
30 In Schadewaldts Bearbeitung geht es von v. 4–19 so weiter; ab v. 20 bringt er
dann fr. 2a, zu Unrecht, wie wir sehen werden.
31 Wieder kann man vergleichen, wie Chremes in Haut. v. 81ff. das anfängliche
Mißtrauen des Menedemus überwinden muß, bevor dieser ab v. 93 mit der Er-
zählung der Vorgeschichte beginnt.
58 I. Prolog und Exposition
39 Bei Schadewaldt bleiben für Onesimos nicht mehr als 11 Verse (v. 139–149),
während Karion sich von v. 20 bis v. 138 austoben konnte!
40 So schon Dario del Corno: Menandro. Le Commedie. Bd. 1. Milano 1966, S. 170,
Anm. 9.
41 In diesem Sinn auch Walter Headlam und Alfred D. Knox (Hg.): Herodas. The
Mimes and Fragments. Cambridge 1922 zu Herod. 1, 66 (mit weiteren Parallelen).
42 Vittorio de Falco: Menandri Epitrepontes. Napoli 1961. Für Gomme und Sandbach
ist de Falcos Vorschlag „not out of the question.“
60 I. Prolog und Exposition
43 Zum Beweisziel des Elias passen würde nur ,Du bist mir sympathisch, Onesimos.
– Ja bist denn du auch neugierig?‘ Da aber Onesimos Karions Neugier schon seit
fr. 1 kennt, müßte er den Überraschten bloß spielen; und das wäre doch eine all-
zu komplizierte Annahme, überdies müßte dann fr. 2a – was ich ja eigentlich be-
weisen will – erst recht wieder an eine Stelle gesetzt werden, wo Onesimos be-
reits von seiner eigenen Neugier erzählt hat.
44 Man vergleiche wieder den Heautontimorumenos: Menedemus erzählt (v. 96–117)
die Vorgeschichte bis zum entscheidenden Faktum der Auswanderung seines
Sohnes – Zwischendialog (v. 118–120) – zweiter Berichtsteil, der die gegenwärti-
ge selbstquälerische Haltung des Menedemus erklärt (v. 121–150).
45 Schließlich mag auch Onesimos selbst in der verlorenen Anfangsszene des zweiten
Akts nochmals über Charisios monologisiert haben (vgl. auch den Anfang von Akt 3).
Karion in den Epitrepontes 61
einen Auftritt des Charisios hat es – gegen die communis opinio, die nach
dem Prolog gleich Chairestratos und Smikrines auftreten läßt – höchst-
wahrscheinlich gegeben. Ich erschließe ihn aus der bei Menander sonst
regelmäßig zu beobachtenden Technik, im ersten Akt nach dem – von den
Zuschauern aus gesehen – ersten Interessenschwerpunkt des exponieren-
den Eingangs46 und vor den abschließenden Szenen mit || neuauftretenden 135
135
Figuren des Spiels47 einen zentralen Schwerpunkt zu bilden, der gewiß
nicht nur aus einem Monolog der Nebenfigur Chairestratos bestehen
kann.48 Charisios muß also seine Abneigung gegen Habrotonon, vor allem
aber seinen verwundeten Stolz und seine noch immer bestehende Zunei-
gung zu Pamphile (eventuell durch die Absicht, ihr durch sein scheinbares
Lotterleben die Rückkehr ins Vaterhaus ohne Gesichtsverlust zu ermögli-
chen) den Zuschauern vor Augen geführt haben, natürlich in einer Weise,
die ihnen über die Äußerungen des Onesimos und der Prologgottheit
hinaus neuen, d. h. tieferen oder ironisch wirkenden Einblick in seine
Motive und Pläne gewährte.49
Nur in Form der Hypothese (welcher aber immerhin ein nicht unbe-
trächtlicher Wahrscheinlichkeitsgrad zukommt, weil sich alle Daten, über
die wir verfügen, so am besten in einen dramatisch stimmigen Ablauf
einordnen lassen) können wir demnach den Gesprächsverlauf in der Ein-
gangsszene von fr. 2a an rekonstruieren. Karion wird nicht ohne spötti-
schen Unterton feststellen, daß auch Onesimos neugierig sei (fr. 2a); One-
simos wird sich leicht gekränkt dagegen verwahren, weil er immerhin das
Interesse seines Herrn vertreten habe; darauf Karion: „Du brauchst dich
nicht zu rechtfertigen; nichts ist ja schöner, als wenn man alles weiß“
(fr. 2b). Das Zwischenspiel mag die Mitteilsamkeit des Onesimos doch
etwas gedämpft haben, sodaß er im zweiten Teil seiner Erzählung (nicht
ohne leichte Bosheit) sich knapper faßt und die Wirkung, die der Bericht
über seine Entdeckung auf Charisios machte, als schwer deutbar hinstellt:
Charisios habe zwar sein Haus verlassen, aber man könne jetzt doch nicht
recht sagen, welche ,Behandlung‘ durch den Koch ihm am meisten er-
wünscht sein werde. Aber Karion läßt sich nicht so leicht einschüchtern:
dann wird er eben selbst die Situation im Haus beobachten und die Saucen
dem καιρόός anpassen müssen! Zu guter Letzt, als er sich auch noch über
solche Möglichkeiten des plötzlichen Einstellens auf geänderte Umstände
prahlerisch verbreiten will, muß ihn Onesimos zum Schweigen bringen
und ins Haus treiben: „Du redest und redest nur, wie du ihn kurieren willst
136
136 || – (fr. 3:) was kochst du nicht das Mittagessen? Er sitzt schon längst am
Tisch, für nichts und wieder nichts!“
Unsere Annahme, daß Onesimos etwas gekränkt und gereizt ist, be-
ruht neben dem oben schon zitierten Zeugnis des Athenaios über Karions
Neigung zum Spötteln auch darauf, daß fr. 3 (… ὁ δ᾿ ἀλύύει πάάλαι κατακείί-‐‑
µμενος) von Photios als Beleg für ἀλύύειν im Sinn von µμηδὲν πράάττειν
zitiert wird. Verdenius 50 und Arnott51 wenden sich zwar gegen ἀλύύειν als
,to achieve nothing‘, es passe im Kontext besser ,er ärgert sich vor Unge-
duld‘. Aber wenn der Kontext, auf den Onesimos gereizt reagiert, in den
prahlerischen Ankündigungen Karions besteht, was er Charisios Gutes tun
werde, dann kann nach den anderen zuvor besprochenen und als vertrau-
enswürdig befundenen Überlieferungszeugen auch noch Photios Recht
behalten.52
***
Karions Neugier, Spottsucht und Ruhmredigkeit hat der Eingangsszene
dramatisches Leben verliehen, indem sie Onesimosʼ Widerstand heraus-
forderte. In seinem Auftritt im dritten Akt kommen dieselben Eigenschaf-
ten gesteigert ins Spiel: der σκωπτικόός und περίίεργος wird zum
κακήήγορος, und seine Eitelkeit erleidet eine empfindliche Niederlage.
Doch bevor wir im einzelnen verfolgen, wie dieser von Themistios (3)
bezeugte, doch schon aufgrund von Menanders bekannter ökonomischer
Ausnützung der Charaktere für die Handlung zu erwartende Inhalt der
Szene in die kümmerlichen Reste ihrer Verse einzupassen ist, einige Zwi-
schenbemerkungen zum Zeitablauf.
Gomme und Sandbach53 plädieren dafür, daß die Handlung des drit-
ten Akts erst am Morgen des nächsten Tages spielt. Das wäre grundsätz-
lich nicht auszuschließen (wie u. a. der Heautontimorumenos zeigt), kann aber
für die Epitrepontes auch gerade im Zusammenhang mit den Karion-Szenen
wenn er, als ihm Onesimos erklärt, daß der Ring bei einer Vergewaltigung
verloren ging, wieder nur fürchtet, der andere wolle bloß auf eine Gewinn-
teilung hinaus (v. 458ff.); und wenn er schließlich mit seiner Gegendrohung
herausrückt (v. 462f.): „Ich werde, wenn ich meinen Weg erledigt habe,
wieder kommen – jetzt gehʼ ich nämlich in die Stadt, und dann werdʼ ich
138
138 wissen,58 was in der Sache zu tun || ist!“ Dieses Wissen wird er eben von
einer Rechtsberatung in der Stadt mitbringen.
Damit ist übrigens nicht nur erklärt, warum Syros, der vorher nichts
dergleichen im Sinn hatte, jetzt plötzlich in die Stadt gehen will; zugleich
ergibt sich die Notwendigkeit, ihn von dort am Schluß des fünften Akts
auch wiederkehren zu lassen. Gegen Gomme und Sandbach,59 die nur
mehr mit Charisios rechnen, und Arnott,60 der außerdem noch an Habro-
tonon und Chairestratos denkt (die beiden passen eher in die erste Akt-
hälfte bis v. 1061), behält also Wilamowitz61 recht, zumal Smikrines und
Onesimos mit Syros, der endlich den Ring zurückhaben will, eine hübsche
Variation der Schiedsgerichtsszene aufführen können. So hat Menander
die Gerichtssüchtigkeit des Syros ebenso ökonomisch ausgenützt wie die
περιεργίία Karions.
Drittens beweist Arnott62 die Eintägigkeit der Handlung mit dem
Zeitablauf des ἄριστον: Karion, im ersten Akt dafür gemietet, ist im zwei-
ten Akt noch nicht mit dem Kochen fertig (v. 382ff.); das Mahl kann also
in der Aktpause stattfinden, und beim anschließenden Gelage können die
Gäste schon so animiert sein, daß sie Habrotonon zu belästigen beginnen
(v. 430f.).63 Dazu Hunter: „The background party which is going on is …
not helpful …, as it is clear that it has been going on for a few days (cf.
vv. 136–7, 440–1).“ Der Einwand ist völlig substanzlos, weil Karion sicher
erst für diesen Tag gemietet wurde – warum sonst in der Eingangsszene
seine neugierigen Fragen? – und weil die dramatische Ökonomie erfordert,
daß er sich im dritten Akt mit eben diesen Speisen blamiert, die er im
ersten Akt großspurig angekündigt hatte.
58 Arnott: Menander (Anm. 5) scheint mit „I’ve got to learn the next move in the
game“ die Implikationen von τίί δεῖ ποιεῖν erfaßt zu haben (in: „Four Notes on
Menanderʼs Epitrepontes“ [Anm. 54], S. 18 ließ er εἰσόόµμενος noch allein von ἥξω
abhängen statt auch von ἔρχοµμαι: „heʼll hurry back to find out what has happen-
ed“).
59 Gomme und Sandbach: Menander (Anm. 5), S. 383.
60 Arnott: Menander (Anm. 5), S. 521.
61 Wilamowitz: Das Schiedsgericht (Anm. 1), S. 76 und S. 215.
62 Arnott: „Four Notes on Menanderʼs Epitrepontes“ (Anm. 54), S. 18.
63 Allerdings: müssen sie dazu wirklich unter der Wirkung des Weins stehen, genügt
es nicht, daß Habrotonon während des Essens nicht mehr neben Charisios liegt
(v. 434)? Karion wird jedenfalls mehr beleidigt sein, wenn die Gäste schon sein
Essen und nicht erst den Wein im Stich lassen.
Karion in den Epitrepontes 65
***
Die Lückenhaftigkeit der Szene v. 603 (oder 609?) bis 631 gibt uns manche
Probleme aufzulösen. Wir beginnen, weil wir so gleich angeregt werden,
auf den Gesamtverlauf der Szene zu achten, am besten mit der Frage, ob
Smikrines und Karion überhaupt miteinander sprechen oder ob Smikrines
die monologischen Äußerungen Karions nur kommentiert. Gomme und
Sandbach64 sehen keine Möglichkeit, die Frage zu entscheiden, aber unser
Themistios hilft uns weiter, Abschnitt (3): ,Karion schwatzt || und tuschelt 139
139
und verleumdet und trägt die Familiengeheimnisse aus dem Haus, und
nicht nur so, wie er sie gehört hat, sondern er setzt viel hinzu und baut die
schlechten Nachrichten aus.‘ Was er drinnen erlebt hat, war zweierlei:
Habrotonon war mit Säugling und Ring vor Charisios getreten und hatte
ihm erfolgreich weisgemacht, er sei der Vater ihres Kindes; und die Tisch-
runde hatte sich daraufhin aufzulösen begonnen und kein Interesse mehr
für Karions psychotherapeutische Kochkünste gezeigt. Der eitle Koch ist
natürlich besonders von der Mißachtung seiner Kunst zutiefst getroffen
(v. 610f. ὢ τρισάάθλιος ἐγὼ κατὰ πολλάά), wird also vor allem darüber
bittere Klage führen und hätte an sich nicht unbedingt Anlaß, den hin-
terszenischen Auftritt Habrotonons verleumderisch zu übertreiben. Aber
selbst wenn er das tun will, weil er ihr die Hauptschuld am Abbruch des
Gelages zuschreibt, Verleumdung braucht jedenfalls einen Adressaten.
Also spricht Karion nach seinem monologischen Verzweiflungsausbruch
am besten doch direkt mit Smikrines; und zwar wird dieser mit einer Frage
an ihn herangetreten sein, zu der er durch eine vorausgegangene alarmie-
rende Äußerung Karions veranlaßt wurde.
In diesem Sinn müssen wir also die Szene zu ergänzen versuchen; und
soweit den überlieferten Resten etwas zu entnehmen ist, lassen sie sich
auch recht gut in dieses Bild einfügen. Die Verse 603–609a65 konnten
etwa besagen: ,So eine Schande! Ich habe doch schon bei vielen Leuten
mit meiner Würzkunst Erfolg gehabt (v. 603f. πολλῶν ἐγὼ [χάάριν ἐξ
ἐµμῶν ἡδυσµμάάτ]ων ἐκτησάάµμην).66 Diese Psaltria mit ihrem Kind ist die
einzige, die mir (v. 606 µμοι µμόόνη) eine solche Blamage beschert. Was eßt
64 Gomme und Sandbach: Menander (Anm. 5), S. 347, vgl. auch Arnott: Menander
(Anm. 5), S. 465: „Karion appears to be so excited by what he has lately wit-
nessed in Chairestratosʼ house that at least until line 623 – and perhaps even af-
ter that – he fails to notice the presence of Smicrines“ usw.
65 De Falco und del Corno lassen Karion erst v. 609 auftreten, aber Smikrines kann
nicht nach einem einzigen entrüsteten Ausruf wie „Kein anderer hat sich so um
euch gesorgt!“ feststellen „Bei ihrem Mittagessen tut sich ja allerlei!“ Ποικίίλον
setzt die Erwähnung von mehr Details voraus.
66 Meine Ergänzung beantwortet zugleich die oben S. 129 aufgeworfene Frage, woher
die Zuschauer (und Themistios) von Karions Blamage mit den Saucen wissen.
66 I. Prolog und Exposition
ihr denn nicht weiter? So exquisit wird euch kein anderer mehr kochen
(v. 609 οὐδεὶς … ἕτερος ὑµμῖν)!‘ In diesem Ton jammert Karion weiter bis
v. 614, er beschwert sich über das Verhalten der Gäste (auf v. 611f. kom-
men wir zurück) und wünscht sie zuletzt zur Hölle: alles kein Anlaß für
Smikrines, jetzt schon eine Frage zu stellen, also wird er v. 615 (f. ?) aber-
mals a parte sprechen.
Nun muß Karion endlich von der Hauptsache reden, und der Inhalt
seines Berichts läßt sich leicht erraten, wenn man an die Bedürfnisse der
Zuschauer denkt. Sie haben erstens ein Recht zu erfahren, wie Charisios
auf die Ringintrige reagiert hat (das wird zugleich Smikrines aktivieren),
140 und sie müssen zweitens die übertriebenen Lügen Karions als solche || er-
kennen können. Die zweite Bedingung ist nur zu erfüllen, wenn er (auch)
über Habrotonon lügt: deren wahre Absichten kennt das Publikum ja,
während eine übertriebene Reaktion des Charisios nach dem Schock, den
er erfuhr, immerhin im Bereich des Möglichen läge.
Tatsächlich sind die geforderten Inhalte im Rahmen von v. 616 (617
?) bis v. 629 unterzubringen. Bis v. 620 kann Karion die erste Information
liefern: ,Charisios hat das Kind anerkannt‘ (natürlich wieder in eine Be-
schwerde wie ,und bloß deswegen laßt ihr das Mahl im Stich?‘ verpackt).
Darauf spricht Smikrines in v. 621 den Koch an: Χα[ρισίίῳ παῖς γέέγονεν
ἐκ τῆς ψαλ]τρίίας; (Sandbachs Ergänzung hat alle Wahrscheinlichkeit für
sich.) Karion: ,Ja, eben jetzt (v. 622 νῦ[ν ἄρτι]) hat erʼs vor allen Gästen
zugegeben‘. Noch ein paar Zeilen lebhaften Dialogs, dann ab v. 625 der
Übergang zur Verleumdung der Habrotonon: ,Die Frau wird er fortschi-
cken (ἀποπέέ]µμπειν), damit ihm das Geld für eine andere reicht (ἵνα … τὰ
χρήήµματα). Und das Mädel tut jetzt so groß, wie (ἡλίίκη) noch keine Hetäre
war. Ich will, sagt sie, die Herrin deines Hauses sein (βούύλοµμαι εἶν[αι …
δ]έέσποιν᾿ οἰκίίας)!‘
Eine Auseinandersetzung mit den Rekonstruktionen der Szene bei
Schadewaldt oder Arnott wäre umständlich und im zweiten Fall auch nicht
sehr ertragreich, jedenfalls was das Ergebnis betrifft; denn in diesem
stimme ich mit Arnott in den Grundlinien überein. Gewonnen sein sollte,
so hoffe ich, neben einigen neuen Vorschlägen im Detail vor allem ein
besserer Einblick in den Gesamtablauf der Szene und damit eine festere
Absicherung des Gesamtresultats.
Noch ist Karions Abgang zu besprechen. Wilamowitz hatte in v. 630
ergänzt ὦ Ἡρ[άάκλεις, Χαιρέέστρατος καὶ] Σιµμίίας, aber Simias gehört, wie
schon eingangs erwähnt, nicht zum Kreis der Freunde, ist vielmehr als der
Gehilfe des Kochs anzusehen. Darum hat Sandbach vorgeschlagen ὦ
Ἡρ[άάκλεις, οἷον τὸ κακόόν·∙ ποῦ] Σιµμίίας, dann käme Karion am Schluß
nochmals auf sein Klagemotiv zurück – hübsch als Abrundung, aber ohne
den raschen Abgang zu motivieren. Da war Wilamowitz schon auf der
richtigen Spur: der Koch will den Gästen nicht mehr begegnen (nicht weil
Karion in den Epitrepontes 67
er sie fürchten würde, sondern weil er beleidigt ist). Der Umstand, daß ihr
Auftreten später dazu dient, ihn zu verjagen, widerlegt übrigens del
Cornos Vermutung, daß die ersten Gäste schon aus dem Haus kommen,
während Karion sagt: ,Jetzt sind sie also dabei, die Gesellschaft irgendwie
aufzulösen und fortzugehen‘ (v. 611f.). Aber dieser frühere Passus kann
uns zu einer besseren Ergänzung in v. 630 anregen: ὦ Ἡρ[άάκλεις, ἥκουσι·∙
ποῦ ᾿στιν] Σιµμίίας; „Du lieber Gott, da kommen sie!“ – nämlich Chaire-
stratos und einige stumme Figuren (Smikrines wird sie dann in v. 645 und
v. 660 als ὑµμεῖς anreden).
Zum Abschluß sei noch kurz verfolgt, wie Menander die eben disku- 141
tierte Szene im Fortgang des Spiels weiter ausnützt. Der Koch selbst ver-
schwindet ja, aber er hinterläßt ein wirksames und brauchbares Motiv, den
falschen Verdacht gegen Habrotonon. Und prompt wird dieses Motiv
gleich anschließend von Chairestratos aufgegriffen (v. 631ff.). Daß dieser
in v. 633f. von Habrotonons Hochmut spricht, nicht von dem des Chari-
sios, hat Arnott67 erkannt. Abgesehen davon, daß nichts für die ältere
Annahme spricht,68 positiv fallen für die neue drei Umstände ins Gewicht.
Erstens: Wenn zuerst der unbeteiligte Koch und dann der persönlich
betroffene Chairestratos das Thema ausführen, so hat diese Amplifikations-
technik im nächsten Akt ihre Analogie, wo erst der Sklave Onesimos und
dann Charisios selbst dessen Betroffenheit und Gewissensbisse vorführen.
Zweitens: Auf der Fehlmeinung des Chairestratos über Habrotonon
beruht der Anfang des fünften Akts, Menander muß sie also im dritten
gebührend exponiert haben; dazu ist aber nur hier und in den wenigen
verlorenen Schlußversen des Akts Gelegenheit69 – also wird er beide Gele-
genheiten genützt haben.
Drittens und letztens ist nicht zu übersehen, daß die Fehlinformationen
über Habrotonon auch auf Smikrines weiterwirken sollen. Wie sie weiterge-
wirkt haben, zeigt der vierte Akt: wenn meine Vermutung über die Anord-
nung der neugefundenen Fragmente stimmt,70 dann ist das dritte und letzte
Hauptargument in Smikrinesʼ großer Rede die Gefährlichkeit der Hetäre.
Inhaltsverzeichnis 33
Vorbemerkung .................................................................................................. 72
Einleitung ........................................................................................................... 73
1. Strukturfragen ............................................................................................. 75
1.1 Menander: Interferenz Akt/Fabel .................................................... 76
1.1.1 Akte, Webster-Kriterium .......................................................... 76
1.1.2 Protasis, Epitasis, Katastrophé ............................................... 78
1.1.3 Binnenstruktur der Akte ........................................................... 80
1.2 Palliata: Fabelteil = Actus .................................................................. 82
1.2.1 Metrische Großgliederung ....................................................... 82
1.2.2 Actuspausen ............................................................................... 84
1.2.3 Inhaltsgliederung ...................................................................... 86
* Zuerst erschienen als Handlungsgliederung in Nea und Palliata. Dis Exapaton und
Bacchides. Wien 1984 (Sitzungsberichte der Österreichischen Akademie der Wis-
senschaften, Philosophisch-Historische Klasse 441).
72 II. Handlungsgliederung
5 Vorbemerkung
Das Manuskript der Untersuchung war abgeschlossen im Oktober 1983;
die Sekundärliteratur, die mir erst danach zugänglich wurde, habe ich bei
der Korrektur nicht mehr eingearbeitet, weil ich mich durch sie zu keiner
Änderung meiner Darlegungen veranlaßt sah, auch nicht durch Alain
Blanchard: Essai sur la composition des comédies de Menandre. Paris 1983 (zu
den Bacchides: S. 278–293).
Für die Anteilnahme und Hilfe, die das Zustandekommen der Schrift
und ihre Publikation begleitet haben, möchte ich wenigstens teilweise
öffentlich danken: Konrad Gaiser, Erich Woytek und besonders Walther
Kraus für das wissenschaftlich-freundschaftliche Interesse, das sie meiner
Arbeit bekundet und bewiesen haben, Dr. Christine Ratkowitsch für ihre
Mitarbeit vom Typoskript bis zur Korrektur. Schließlich danke ich der
Institution, die die rasche Drucklegung ermöglichte: der Österreichischen
Akademie der Wissenschaften.
Wien, im März 1984
Adolf Primmer
Dis exapaton und Bacchides 73
Einleitung 77
Gesetzt den Fall, es könnte uns gelingen, analog zu den Baugesetzen der
Fuge oder des Sonatensatzes die der Komödie Menanders zu formulieren
und dazu noch den Nachweis zu führen, daß auch die Dichter der römi-
schen fabula palliata bestimmte positive Kompositionsregeln befolgten,
die ihre Stücke zu in sich gegliederten operetten- oder musicalähnlichen
Gebilden eigener Art machten (,Posse mit Gesang‘) – die Kenntnis solcher
Gesamtformen und die auf dieser Kenntnis beruhende vergleichende
Formanalyse von Nea und Palliata vom jeweils genosspezifischen Gesamt-
gebilde her müßte der Erforschung der hellenistischen und der römischen
Komödie neue fruchtbare Möglichkeiten bieten. Die klassische Philologie,
die das antike Lustspiel der literaturwissenschaftlichen Forschung und dem
allgemeinen Kulturbewußtsein zugänglich machen und erschließen will,
sieht sich ja nicht nur vor die Aufgabe gestellt, einen vorhandenen Fundus
von Nea- und Palliatakomödien literarhistorisch und ästhetisch zu erklären
und zu würdigen; ihre wissenschaftliche Arbeit ist wesentlich und unaus-
weichlich mitbestimmt von den Gegebenheiten der Überlieferung. Von
den Palliatendichtern Plautus und Terenz sind uns 26 Komödien erhalten,
die wir besser verstehen würden, könnten wir sie mit den griechischen
Originalen vergleichen, deren Bearbeitungen sie sind;1 und aus der Nea
kennen wir derzeit aufgrund von Papyrusfunden vollständig ein einziges
Stück Menanders – den Dyskolos, seit dem Jahr 1959 – und annähernd
vollständig seine Epitrepontes, seit 1907, sowie die Samia, seit 1969 (vier
weitere Stücke, Aspis, Misumenos, Perikeiromene und Sikyonios, überblicken
wir in größeren Bruchstücken).
Das bedeutet, da Plautus und Terenz je vier Komödien Menanders
bearbeitet haben,2 daß sich unsere Kenntnis der Produktion dieses || be- 88
deutendsten Vertreters der Nea quantitativ annähernd verdoppelt, wenn es
3 Siehe z. B. Duckworth: The Nature of Roman Comedy, S. 98ff. – Jean Andrieu: Le dia-
logue antique. Structure et présentation. Paris 1954, S. 35ff. – Gaiser: „Zur Eigenart der
römischen Komödie“, S. 1038ff. – Cesare Questa: T. Maccius Plautus, Bacchides.
Firenze 1975, S. 26ff.
4 Abgesehen davon, daß die Rekonstruktion der nur in Bearbeitung erhaltenen
Stücke, wie schon angedeutet, die Kenntnis der Akt- und Fabelgliederung Menan-
ders schon voraussetzt.
Dis exapaton und Bacchides 75
1. Strukturfragen
Auszugehen ist, wie ich glaube, von der Tatsache, daß die Handlungsglie-
derung im Lustspiel der griechischen Nea und im Singspiel der römischen
Palliata in der Regel auf grundlegend andere Weise erfolgt. Die wesentli-
chen Unterschiede sind m. E. die folgenden:
5 Bernd Bader: „Der verlorene Anfang der plautinischen ,Bacchides‘“, in: Rheini-
sches Museum 113 (1970), S. 304–323. – Konrad Gaiser: „Die plautinischen
,Bacchides‘ und Menanders ,Dis exapaton‘“, in: Philologus 114 (1970), S. 51–87.
6 Z. B. Viktor Pöschl: Die neuen Menanderpapyri und die Originalität des Plautus. Heidel-
berg 1973 (Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Phi-
losophisch-Historische Klasse 1973/4). – David Bain: „Plautus vortit barbare.
Plautus, Bacchides 526–61 and Menander, Dis exapaton 102–12“, in: Creative Imita-
tion and Latin Literature, hg. von David West und Tony Woodman. Cambridge
1979, S. 17–34.
7 Eckard Lefèvre: „Plautus-Studien II. Die Brief-Intrige in Menanders Dis exapaton
und ihre Verdoppelung in den Bacchides“, in: Hermes 106 (1978), S. 518–538.
8 Z. B. Gaiser: „Die plautinischen ,Bacchides‘ und Menanders ,Dis exapaton‘“. –
Thomas B. L. Webster: An Introduction to Menander. Manchester 1974.
9 Der Kommentar von Dario del Corno: Plauto, Bacchides. Torino 1973, die Einlei-
tung zu Questa: Bacchides; siehe auch Hans-Peter Schönbeck: Beiträge zur Interpreta-
tion der plautinischen Bacchides. Düsseldorf 1981.
76 II. Handlungsgliederung
18 Die Einschränkung (welche Webster nicht kennt, der während eines Forum- und
Hafenganges immer Aktpause annimmt) erfolgt in der Erwägung, daß das
πιθανόόν ja auch gewahrt bleibt, wenn während der bühnenfernen Aktion inner-
halb eines Aktes auf der Bühne mehrere Szenen gespielt werden, die relativ lange
Zeit in Anspruch nehmen (vgl. Handley: „The Conventions of the Comic Stage
and their Exploitation by Menander“, S. 225). Einem Beispiel dafür werden wir
im vierten Akt des Dis exapaton begegnen (vgl. Anm. 82).
19 Ich danke Konrad Gaiser für seine briefliche Kritik an einer früheren Fassung
dieses Absatzes.
20 Aber da können immer noch andere Hinweise auf die verstrichene Zwischenzeit
weiterhelfen (vgl. in 1.2.1 zu den Menaechmi).
21 Siehe z. B. Webster: An Introduction to Menander, S. 71 oder Arnott: Menander,
Plautus, Terence, S. 22. – Wenn Gomme und Sandbach: Menander. A Commentary,
Dis exapaton und Bacchides 79
Bleibt die Festlegung der Grenze zwischen Protasis und Epitasis, und
dafür hat Holzberg 1974 schon Vorarbeit geleistet, insofern er die ersten
beiden Akte als zusammenge-||hörige Anlaufphase der Handlung erwies. 13
13
Was Holzberg gegenüber noch zu betonen ist, ist die Tatsache, daß der
Schluß des zweiten Akts bereits zur Epitasis zu gehören pflegt. Ich stütze
diese meine These durch den Hinweis auf die entsprechenden Szenen in
den drei Komödien Menanders, die wir (annähernd) vollständig im Origi-
nal überblicken.
Im Dyskolos greift der Prologgott Pan zweimal in die Handlung ein: er
setzt sowohl die Protasis- wie die Epitasishandlung in Gang. Laut den
Versen 39–44 hat er dafür gesorgt, daß sich der junge Städter Sostratos in
die Tochter des Griesgrams Knemon verliebt, und die Protasis führt uns
vor, was Sostratos unternehmen will, um seine Werbung bei dem unzu-
gänglichen Vater anzubringen: heroisch macht er sich, mit schwerem Ar-
beitsgerät bepackt, in der Schlußszene der Protasis zur ungewohnten Feld-
arbeit auf den Weg (bis v. 392). Und ab v. 393, in der letzten Szene des
zweiten Akts, erfahren wir, wie Pan die Epitasis vorbereitet hat. Da treten
Koch und Sklave als Vortrupp einer Opfergesellschaft auf, die von Pan
herbeigeschafft wurde: wie wir aus dem Gespräch der beiden erfahren, hat
er der Mutter des Sostratos einen Traum eingegeben, der sie zu einem
Opfer an ihn veranlaßt. Eben das Auftauchen der Opfergesellschaft verei-
telt aber Sostratos’ Protasisplan, indem es Knemon daran hindert, seiner-
seits auch aufs Feld zu gehen, wo Sostratos sich ihm nähern wollte. So
kommt es zum dramatischen Höhepunkt der Epitasis: während Knemon
sein Haus hütet, fällt er in den Brunnen, aus dem ihn Sostratos mit her-
ausziehen wird.
In Epitrepontes und Samia ist die Epitasis als eigene Handlungsphase
ebenfalls deutlich eingegrenzt. Beide Male scheint im zweiten Akt, also am
Schluß der Protasis, eine baldige Lösung des dramatischen Knotens mög-
lich: in den Epitrepontes könnte, als Ergebnis der Schiedsgerichtsszene, das
Kind des Charisios mitsamt dessen Ring als Erkennungszeichen ohne
weitere Komplikationen dem Vater übergeben werden; und in der Samia
einigen sich Vater Demeas und Sohn Moschion ebenfalls schon im zwei-
ten Akt über dessen Hochzeit. Beide Male bereitet sich grad am Schluß
des zweiten Akts, zu Beginn der Epitasis, eine Komplikation vor: Onesi-
mos’ Bedenken, Charisios seinen Ring zu zeigen, führen zu Habrotonons
S. 20 Misumenos und Sikyonios als Beispiele für eine doch erst im fünften Akt er-
folgende Lösung nennen, so ist das – falls Gomme – Sandbach vom Beginn der
Katastrophé-Phase reden wollen – im Fall des Misumenos ein argumentum ex
silentio, weil der vierte Aktschluß nicht erhalten ist, und im Fall des Sikyonios
nachweisbar falsch (die Verse 309f. dokumentieren eine Anagnorisis, welche zwei
bisherige Gegner als Brüder enthüllt).
80 II. Handlungsgliederung
Ringintrige; und die Eile, mit der Demeas ins Haus stürzt, hat seinen Ver-
dacht zur Folge, Moschion habe ein Verhältnis mit der Hetäre des Vaters.
In beiden Fällen klären sich Verwirrung und Mißverständnis, die in der
ersten Hälfte des vierten Akts zu fast tragischen Konsequenzen zu führen
drohen, in der zweiten Akthälfte.
14
14 Über die Möglichkeiten, die Phasengliederung der Komödienhand-
lung in Protasis, Epitasis und Katastrophé bei der rekonstruierenden
Strukturanalyse von Palliaten als Handlungsphasenkriterium zu verwen-
den, brauche ich wohl nicht viele Worte zu verlieren. Nur ein Beispiel: Die
Handlung der Mostellaria des Plautus entwickelt sich in drei deutlich von-
einander abgesetzten Phasen. Zuerst wird der leichtsinnige junge Philola-
ches exponiert, der, während sein Vater auf Reisen ist, mit seinem Freun-
des- und Freundinnenkreis zecht und dessen Sklave Tranio sich, als die
Heimkehr des Vaters angekündigt wird, erbötig macht, ihn fürs erste her-
auszulügen (Protasis). Dann erfolgt die Konfrontation zwischen dem Va-
ter und Tranio, den nach einem bewährten Possenschema die erste Lüge
in immer weitere und kompliziertere Lügen und Schwindelsituationen
verstrickt (Epitasis). Zuletzt platzt die Seifenblase, und Vater und Sohn,
mit der Wahrheit konfrontiert, müssen den Weg zur Versöhnung finden
(Katastrophé). Sollen wir in diesem Handlungsaufbau nicht einen Hinweis
darauf sehen, daß auch Philemon mit der menandrischen Technik der
Interferenz zwischen Akt- und Fabelstruktur gearbeitet hat? Und sollen
wir nicht annehmen, daß der Vater im zweiten Akt heimkommt und daß
das Lügengebäude im vierten Akt einstürzt?
1.1.3. Die Binnenstruktur der einzelnen Akte kennen wir nach dem bisher
Erörterten nur zum Teil, d. h. wir wissen einiges über die innere Spannung
und den Handlungsfortschritt in den Akten zwei und vier. Gerade die
beiden eben genannten Aspekte, der der Spannung und der des dramati-
schen Fortschritts, lassen sich aber wie ich glaube fruchtbar verallgemei-
nern und auch auf die übrigen Akte beziehen.22
Jedenfalls muß zunächst – als Folge der besprochenen interferieren-
den Gliederungstechnik – zumindest jeder zweite und vierte Akt mehr als
einen Handlungsschwerpunkt haben, oder besser – vom Zuschauer her
gesehen – mehr als einen Schwerpunkt des Interesses. So wird sich etwa
im zweiten Akt der Epitrepontes das Interesse des Zuschauers zuerst kurz
auf die Informationen konzentrieren, die Onesimos und Smikrines (?) über
das Verhalten der Hauptpersonen (Charisios und Pamphile) bringen; dann
fordert die große Schiedsgerichtsszene die Aufmerksamkeit des Publi-
kums, wo ja Großvater Smikrines ahnungslos über das Schicksal seines
22 Zur Funktion der einzelnen Akte im Rahmen der Gesamthandlung vgl. auch
Webster: An Introduction to Menander, S. 71ff. (ich mache im folgenden auf Über-
einstimmungen und Divergenzen nicht eigens aufmerksam).
Dis exapaton und Bacchides 81
womöglich der unwichtigere, einen ‚Akt‘ beherrscht, dort werden wir die
Diagnose stellen, daß der römische Bearbeiter verkürzt hat.
23 Vgl. S. 8, Anm. 3.
24 Aktgrenze α/β ist zu sichern durch das Webster-Kriterium (der Koch geht ein-
kaufen). Zwischen δ und ε holt der Schwiegervater den Arzt, zwischen β und γ
hat Menaechmus II gespeist. Da bei v. 558/559 keine Zwischenzeit gebraucht
wird, bleibt für γ/δ nur die Leerbühne bei v. 700/701.
Dis exapaton und Bacchides 83
Fünfmal also, und zwar genau übereinstimmend mit den fünf Akten, die
Abfolge Senare – Canticum – Septenare, nur in den Actus c bis e, wie der
Kursivdruck zeigt, leicht erweitert dadurch, daß Plautus die Sprech- und
Rezitativverse nebeneinanderstellt.
Die metrisch-musikalische Abfolge für schematisch und zufällig zu
halten, verbietet sich aus zwei Gründen. Erstens, weil Plautus die Aktpau-
se δ/ε (v. 881/882) bewußt beibehalten hat. Wäre er nämlich auf conti-
nuous action aus gewesen, dann hätte er kaum nach bloß fünf Zwischen-
versen des Menaechmus II den Senex, der doch v. 875 abgegangen war,
um möglichst rasch einen Arzt zu holen, bei seinem Wiederauftreten in
v. 882 eigens betonen lassen, wie lange er habe warten müssen, bis der
Arzt endlich von seinen Krankenbesuchen heimkam.25 Den Hinweis auf
die Länge der verstrichenen Zwischenzeit hätte Plautus doch einfach strei-
chen können. Und zweitens läßt sich auch der Grund, warum er in den
Menaechmi die Aktgliederung des Originals entgegen seiner sonstigen Pra-
xis beibehalten hat, angeben: er liegt in der besonderen Fabelstruktur des
Originals. Vom Inhalt her gesehen besteht nämlich die ganze Protasis des
Stücks bloß aus dem Prolog – die Zwillingsbrüder kennen sich nicht – und
die ganze Katastrophé nur aus || der Schlußszene – sie erkennen sich. Alles, 18
18
was dazwischenliegt, also eigentlich das ganze Stück von I 1 bis V 8, ändert
die Grundsituation überhaupt nicht, es gibt keine von ihr wegführende
Handlungsentwicklung, sondern es schnurrt bloß das Räderwerk der ge-
schickt ineinandergreifenden Situationskomik ab (wir sind von Menanders
dramaturgischer Meisterschaft weit entfernt). Weil es also genau betrachtet
gar keine Fabelteile in dem Stück gibt, darum hat sich Plautus in diesem
Sonderfall genau an die Aktteilung der Vorlage gehalten, und zwar ebenso
in der Pausengliederung wie im Einsatz seiner metrischen Großform, die
die Pausengliederung begleitet und unterstreicht.
25 Vgl. unten die Zeitbehandlung bei Bacch. v. 108/109. – Daß Plautus in v. 882ff.
dem Original folgt, hat übrigens mit anderen Argumenten Erich Woytek: „Zur
Herkunft der Arztszene in den Menaechmi des Plautus“, in: Wiener Studien 16
(1982), S. 165ff. erwiesen.
84 II. Handlungsgliederung
Als Beispiele für die Möglichkeit, daß die Palliatendichter eine vom
Inhalt her regulär dreigeteilte Fabel auch metrisch entsprechend gliedern,
nenne ich kurz Aulularia und Eunuchus. In der Aulularia ergeben sich26
drei Actus, a = v. 1–279 (Euclios Angst um den Topf in seinem Haus), b =
v. 280–586 (Euclio muß den Topf auf die Bühne bringen) und c = v. 587–
fin (der Topf geht verloren und taucht wieder auf):
26 Abweichend von Menander; die genaue Begründung bleibt einer später zu veröf-
fentlichenden Analyse vorbehalten (vgl. vorläufig Adolf Primmer: „Menanders
‚Geiziger‘ “, in: Maske und Kothurn 1/2 [1984], S. 1–7 [217–224]).
27 Die Verse 803–807 sind jambische Septenare.
28 Vgl. dazu vorläufig Adolf Primmer: „Zur Lektüre von Terenz’ Eunuchus“, in:
Verpflichtung der Antike, hg. von Peter Neukam. München 1979, S. 113f. [47f.].
29 William Beare: The Roman Stage. A Short History of Latin Drama in the Time of the
Republic. 3. Aufl. London 1964, S. 212f. (etwas vorsichtiger zuletzt Erich Woytek:
T. Maccius Plautus, Persa. Einleitung, Text, Kommentar. Wien 1982 [Sitzungsberichte
der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische
Klasse 385], S. 39f.).
Dis exapaton und Bacchides 85
Aber so einfach liegt die Sache nicht. Denn wäre Plautus bloß von der Rück-
sicht auf den Schauspieler geleitet, dann hätte er Pseudolus eher schon
nach v. 393 verschnaufen lassen. Statt dessen setzt er die Pause an struktu-
rell bedeutsamer Stelle, am Ende der Protasis, nach der Wette des Sklaven
mit seinem alten Herrn.30 Das spricht doch sehr dafür, daß Plautus nicht
nur aufführungstechnische Gesichtspunkte berücksichtigte, sondern mit
dem Flötenintermezzo auch einen Actusschluß signalisieren wollte.
Außerdem steht Pseud. v. 573a/574 als Actuspause in der Palliata gar
nicht allein, selbst wenn man (unerlaubterweise) von Bacch. v. 108/109 (dazu
unten, in 3.1.2) und Men. v. 881/882 (dazu oben, 1.2.1) absieht. Notfalls
könnte man ja zu diesen zwei Stellen einwenden, Plautus habe da jeweils
die griechische Aktpause aus bloßer Gedankenlosigkeit beibehalten – wie-
wohl er etwa bei Bacch. v. 525 ganz anders vorgegangen ist. Aber Terenz
liefert uns jedenfalls mit Phorm. v. 893/894 ein Exempel, an welchem
kaum herumzudeuteln ist.31 Man hat die Stelle merkwürdigerweise bisher
übersehen, aber es kann m. E. weder bezweifelt werden, daß die Bühne
nach Phorm. v. 893 leer wird (Phormio geht sicher nach rechts ab, gemäß
seiner Ankündigung in v. 891: hinc concedam in angiportum32 hoc proxumum),
noch daß Terenz sie absichtlich leer werden läßt, um mitten im griechi-
schen fünften Akt seine Actuspause || neu einzuführen33 (sein Actus c34 20
20
30 Actus a reicht also bis v. 573a; folgt Actus b, v. 574–1051, in welchem Pseudolus
mittels der Harpax-Intrige seine Wette gewinnt, und Actus c mit der Wette Ballios.
(Anzumerken ist allerdings, daß die metrische Gliederung hier die Actusgliede-
rung nicht unterstützt.)
31 Hier muß ich mich leider, wie zuvor schon mehrmals bei anderen Stücken, im
Vorgriff auf meine Analyse des Phormio berufen; aber die methodische Schwäche
der bisherigen Debatte um die Anerkennung von Actuspausen lag ja gerade da-
rin, daß man zu fragen vergaß, ob diese Pausen ein Stück sinnvoll gliedern, und
so muß ich doch auf solche Strukturfragen hinweisen.
32 Zum angiportum vgl. Beare: The Roman Stage, S. 262f.
33 Die oben unter 1.1 erwähnten Kriterien erlauben den Nachweis, daß in Apollo-
dors Epidikazomenos der zweite Akt vor (Phormio) v. 179 beginnt, der dritte bei
v. 315, der vierte bei v. 567 und der fünfte bereits bei v. 766. Diese Aktgliede-
rung allein ist schon geeignet, die Apollodor-Rekonstruktion von Eckard Lefèv-
re: Der Phormio des Terenz und der Epidikazomenos des Apollodor von Karystos. Mün-
chen 1978 (Zetemata 74) zu widerlegen. Zudem hat Lefèvre S. 8f. die Verse 407–
410, ,die zentrale Stelle‘, falsch ausgewertet; seine Argumentation würde voraus-
setzen, daß Demipho Phanium als arme Verwandte anerkennt, aber der will sie
bloß loswerden durch eine Zahlung in der Höhe der Mitgift, auf die sie Anspruch
gehabt hätte, wenn sie verwandt wären. Da er also die Verwandtschaft nicht kon-
zediert, existieren für ihn auch die von Lefèvre aufgeworfenen juristischen Prob-
leme nicht. (Ausführlicher dazu in meiner geplanten Phormio-Analyse.)
34 Actus a: v. 35–314, Actus b: v. 315–566. Actus b beginnt mit dem ersten Auftritt
Phormios, Actus c mit dem des Hauptopfers Chremes. – Zur Figurenführung am
86 II. Handlungsgliederung
reicht von v. 567 bis v. 893, mit Senaren von v. 567–712, Canticumversen
von v. 713–840 und Septenaren von v. 841–883 mit anschließender Se-
narerweiterung von v. 884–893).
Natürlich kann ich Hinweise wie den eben erfolgten nicht als ein für
allemal die Streitfrage entscheidende Beweise reklamieren, weil ich meine
Actusanalysen hier nicht ausführlich begründen konnte. Aber sie sollten
doch ausreichen, neben der These der continuous action auch die der
Actusgliederung mit Flötenintermezzi zumindest als diskussionswürdig zu
erweisen. Die Interpretation der Bacchides in Abschnitt 3 wird uns, wie ich
hoffe, in dieser Frage weiterbringen.
1.2.3. Über die inhaltliche Gliederung einer fabula palliata (im gedachten
Gegensatz zur metrisch-musikalischen Gliederung) abstrakt zu theoretisie-
ren, wäre müßig, hier hat die Analyse des Einzelfalls das erste Wort.35
Besonders instruktiv ist natürlich der Strukturvergleich zwischen Original
und Nachdichtung; darum besteht auch für die richtige Würdigung des
Gestaltungswillens, mit dem Plautus und Terenz die Struktur ihrer Vorla-
gen neu ponderiert haben, die erste Aufgabe immer in dem Versuch, die
Aktgliederung des Originals zu rekonstruieren. Hat der römische Dichter
umgearbeitet, dann sind in einem zweiten Arbeitsgang seine Änderungen
natürlich nicht mit der Fragestellung ,Wo ist er abgewichen, was hat er also
schlechter gemacht?‘ zu beurteilen; die richtige Frage lautet: Aus welchen
positiven Gründen hat er geändert, und zwar nicht nur in Inhalt und Stil,
sondern in Aufbau und Handlungsgliederung?
21
21 2. Dis exapaton
Wir wenden uns also nach der etwas abstrakten Methodenerörterung der
konkreten Analyse zu, d. h., wie schon einleitend angekündigt, der Aufga-
be, den Dis exapaton Menanders aus den Bacchides dem Inhalt und vor al-
lem der Handlungsgliederung nach zu rekonstruieren.
Schluß von Actus c wäre, auch mit ähnlicher metrischer Gestaltung, Most. v. 430
zu vergleichen (siehe auch unten bei Anm. 142).
35 Ich habe vorbereitend gearbeitet vor allem mit Aulularia, Menaechmi, Mercator,
Mostellaria, Persa, Heautontimorumenos, Eunuchus und Phormio.
Dis exapaton und Bacchides 87
reifen Menander rechnen dürfen; dem Topos von der möglichen Sprung-
haftigkeit der Entwicklung eines Künstlers zum Trotz werden wir doch
gut daran tun, den auf etwa 301 datierbaren Dis exapaton in der Technik
der Handlungsführung nicht gerade mit dem Dyskolos (317) und der Aspis
zu vergleichen.
Derzeit herrscht über das Uraufführungsjahr Uneinigkeit oder resig-
nierter Zweifel: Webster setzt das Stück zwischen 321 und 319 an,36 Ques-
ta spätestens auf 307,37 Gaiser zwischen 307 und 302,38 W. Geoffrey Ar-
nott hält alle Indizien für unsicher.39 Aber richtig ausgewertet machen
doch einige Hinweise im Plautustext das Jahr 301 (oder 300) recht wahr-
scheinlich.40
Da ist erstens die etwa zweijährige Abwesenheit des Mnesilochus41 von
Athen (Bacch. v. 170 und v. 388) im Verlauf der Vorgeschichte. Plautus
bringt zu dieser Vorgeschichte leider nicht ganz klare Angaben, zumal da
sein Prolog nicht erhalten ist. Feststeht, daß Mnesilochus auf seiner Reise
nach Ephesos, wo er für seinen Vater eine große Geldsumme abholen
sollte, zunächst in Samos Station machte, wo er und Bacchis S sich ineinan-
der verliebten.42 Da er erst in Ephesos zu Geld kommt, hat der Söldnerof-
fizier Cleomachus unterdessen in Samos Gelegenheit, || sie auf ein Jahr zu 22
mieten.43 Als dieser sie nun mit sich nach Athen nehmen will, benachrich-
tigt sie wohl davon den inzwischen in Ephesos befindlichen Mnesilochus,
denn dieser schickt laut v. 389 seinem Athener Freund Pistoclerus aus
Ephesos einen Brief mit der Bitte, sie in Athen für ihn ausfindig zu ma-
chen. Unklar scheint, wie lang sie eigentlich bei Beginn des Spiels schon
mit dem Söldner zusammen war. Einerseits spricht dessen Rückforderung
der beträchtlichen Mietsumme44 für einen kurzen Zeitraum, anderseits
redet Bacchis A in v. 43ff. von der Gefahr, der Söldner könne ihre
Schwester nach Ablauf des Jahres als ancilla behalten, statt sie wieder
heimzubringen. Das Wahrscheinlichste ist wohl, daß sie das für eine noch
fernerliegende Zukunft fürchtet, daß der Söldner sie also doch erst vor
kurzem gemietet hat.
Nun ist es auffällig, daß im Verlauf des Spiels Nicobulus, der Vater
des Mnesilochus, wohl einmal Verwunderung und Besorgnis über die
lange zweijährige Abwesenheit seines Sohnes äußert,45 daß aber nie er-
wähnt wird, wie dieser sich rechtfertigt. Plautus wird – das ist wohl die
nächstliegende Erklärung – die entsprechenden Angaben gestrichen ha-
ben, weil sie nur für Menanders Zeitgenossen ohne weiteres verständlich
waren. Denn die plausible Ausrede, für die Menander gesorgt haben wird,
hängt wohl am ehesten mit politisch-militärischen Zeitumständen zusam-
men, die eine rasche Weiterfahrt von Samos nach Ephesos erschweren
konnten (Mnesilochus hat ja wie erwähnt schon auf der Hinreise nach
Ephesos in Samos Station gemacht). Nun hat Ephesos im Lauf des Jahres
302, als sich eine Koalition gegen Antigonos Monophthalmos bildete,
zweimal den Besitzer gewechselt: zuerst erzwingt Prepelaos, der Feldherr
des Lysimachos, die Öffnung der Tore, dann kommt Antigonos’ Sohn
Demetrios Poliorketes, der eben im Zusammenhang mit diesen Operatio-
nen von Athen nach Kleinasien gehen mußte, und gewinnt Ephesos zu-
23
23 rück. Mnesilochus mag also im Sommer || 303 bis Samos gekommen sein,
sich dort bei Bacchis S verlegen haben und dann 302 durch die Kriegser-
eignisse in Ephesos festgehalten worden sein, was die inzwischen mittellos
gewordene Bacchis zwang, Geld und Gunst des Söldners anzunehmen.
Es wird schwerlich ein Zufall sein, daß auch ein zweites Indiz auf die-
selbe Zeit weist, sobald wir wieder davon ausgehen, daß Menander die
Figuren seines Spiels so durch die griechische Welt führt, daß sein Publi-
kum sich die Gründe für ihr Kommen und Gehen aus den Zeitumständen
supplieren kann.46 Cleomachus konnte gerade auch 302 oder 301 guten
Grund haben, von Samos über Athen nach Elateia in Phokis zu gehen
(v. 591): Als nämlich Demetrios Poliorketes 302 Griechenland verläßt, ver-
sucht Kassandros, sich im Machtvakuum der ‚freien‘ Griechenstädte fest-
Minen Jahresmiete einer Sklavin in Asin. v. 230. Allerdings hat Cleomachus laut
v. 1097 nicht die gesamte Jahresmiete zurückverlangt – so wird es also wenigs-
tens ein beträchtlicher Teil davon sein (zu den Hetärenpreisen bei Menander vgl.
Gomme und Sandbach: Menander. A Commentary, S. 298 zu Epitr. v. 136).
45 v. 235ff., dazu Schönbeck: Beiträge zur Interpretation der plautinischen Bacchides, S. 35f.
46 Es genügt meine ich nicht, sich etwa mit Friedrich Hueffner: De Plauti comoedia-
rum exemplis Atticis quaestiones maxime chronologicae. Göttingen 1894, S. 38 zu fragen,
wann die Spielfiguren die Möglichkeit hatten, dort- und dorthin zu reisen, son-
dern: unter welchen Umständen das Publikum ihre Bewegungen begründet und
verständlich fand.
Dis exapaton und Bacchides 89
zusetzen; wir wissen, daß die Athener 301 ein Hilfskorps zum Entsatz des
belagerten Elateia geschickt haben. In einer Theateraufführung des Jahres
301 (oder 300) wird also das Athener Publikum die Absicht des Söldners,
nach Elateia zu gehen, ohne weitere Erklärungen verständlich finden.
Schließlich paßt auch eine dritte Anspielung am ehesten in die Zeit
nach dem Abgang des Demetrios aus Athen: v. 900f. sagt Chrysalus, Bac-
chis S sei den Parthenon besichtigen gegangen, der jetzt ‚offen‘ sei. 47 Gai-
ser will das zwar auf die Zeit davor beziehen, wo Demetrios u. a. mit He-
tären im Parthenon hauste, aber da war der Tempel, in dem er sein Unwe-
sen trieb, sicher nicht für alle durchreisenden Hetären zur Besichtigung
freigegeben.48
Natürlich reicht keines der drei erörterten Indizien für sich als voll-
gültiger Datierungsbeweis aus, aber ihre Konvergenz macht 301 (oder 300)
als Jahr der Uraufführung des Dis exapaton doch sehr wahrscheinlich. Dem-
entsprechend werden wir z. B. schon bei der Rekonstruktion des fragmen-
tarisch überlieferten ersten Akts mit der reifen Expositionstechnik Menan-
ders rechnen und im Blick aufs Ganze Questas Urteil49 ablehnen, daß der
Menander des Dis exapaton „un autore ancora alla ricerca di se stesso“ war;
wenn die Bacchides den || Eindruck der Unreife erwecken, wird das eher auf 24
24
die simplifizierende Umarbeitung durch Plautus zurückzuführen sein.
Daß Lydus sich an dieser Stelle kurz unterbricht und erst weiterredet, als er
sieht, daß sein junger Herr sich nicht beirren läßt, zeigen seine folgenden
Worte (v. 113f.):
50 Walther Ludwig (Hg.): Antike Komödien, Plautus/Terenz. Mit einem Nachwort und
Anmerkungen. München 1966, S. 1447: „Um dem Leser eine Anschauung von
den Vorgängen auf der Bühne zu ermöglichen, wurden – grundsätzlich neu –
reichliche Regiebemerkungen eingeführt.“
51 „Im Hintergrund die Häuser des Nicobulus und der Bacchis A“; vgl. dagegen
etwa zu den Menaechmi: „Im Hintergrund der Bühne steht links das Haus des
Menaechmus E, rechts das der Erotium.“ – Gleich unbestimmt wie Ludwig z. B.
auch Gaiser: „Die plautinischen ,Bacchides‘ und Menanders ,Dis exapaton‘ “,
S. 53. – del Corno: Plauto, Bacchides, S. 16. – Arnott: Menander (1979), S. 148. –
merkwürdigerweise auch James Tatum: Plautus: The Darker Comedies. Übers. mit
Einleitung und Anmerkungen. Baltimore, London 1983, S. 21, dessen Überset-
zung doch für eine Aufführung geschrieben wurde.
52 Duckworth: The Nature of Roman Comedy, S. 85ff.
Dis exapaton und Bacchides 91
495 PHIL. serva tibi sodalem et mihi filium. MNES. factum volo.
499 PHIL. in te ergo hoc onus omne impono. Lyde, sequere hac me.
LYD. sequor. 55
53 Nicht also ,in der verkehrten Richtung‘ oder ,in der Gegenrichtung zu seinem
Vaterhaus‘ (so interpretieren del Corno: Plauto, Bacchides ad 1. und Schönbeck:
Beiträge zur Interpretation der plautinischen Bacchides, S. 14, Anm. 16); die Bedeutung
‚entgegengesetzt‘ liegt bei Ortsangaben nicht in dem Wort, cf. Thes. l. Lat. I 867,
3sqq. Oder meint Lydus ,mir entgegen‘?
54 Ich unterlasse es, im Text auf weniger schlüssige Personenbewegungen hinzuwei-
sen. Zwar kann etwa Chrysalus in II 1 gut, links vom Hafen kommend, nach rechts
zum Nicobulushaus gehen oder Lydus in III 1 entsetzt links aus dem Bacchis-
haus stürzen und zur Stadt laufen. Aber da in diesen Szenen sich jeweils nur ein
Schauspieler auf der Bühne bewegt, sind sie doch auf die Weise spielbar, daß er
sich einfach zur Bühnenmitte begibt, dort den Großteil seines Textes spricht und
dann sich umwendend abgeht. Diese Möglichkeit hat bei seinen Überlegungen
zur Schauspielerführung zu wenig bedacht Vincent J. Rosivach: „Plautine Stage
Settings“, in: Transaction of the American Philological Association 101 (1970), S. 445ff.
55 Ich halte mich an die von Eric W. Handley: Menander and Plautus. A Study in Compa-
rison. London 1968 nach dem griechischen Original verteidigte Versfolge von P;
der Einwand von Gregor Maurach: „Hans-Peter Schönbeck: Beiträge zur Interpretati-
on der plautinischen Bacchides. Düsseldorf 1981“, in: Gnomon 55 (1983), S. 15, Anm. 9,
auf Lydus’ sequor könne nicht unvermittelt, ohne ein einleitendes sed o. ä., melius
eqs. folgen, wird durch das im Text angenommene Bühnenspiel gegenstandslos.
92 II. Handlungsgliederung
Aber nachdem Lydus ein Stück mit seinem Herrn mitgegangen war, bleibt
er doch nochmals, bereits in einiger Entfernung von Mnesilochus, stehen
mit den Worten (v. 496): melius multo, me quoque una si cum illoc 56 relinqueres.
Und als Philoxenus den Vorschlag mit einem kurzen adfatim est ablehnt,
ruft er abgehend noch seine letzten Ratschläge zu Mnesilochus zurück.
Mnesilochus apostrophiert dann in erregtem Monolog die vermeint-
lich treulose Geliebte: und dabei wird er doch, auf der linken Bühnenseite
verblieben, vor dem Bacchishaus stehen oder, wenn er den beiden anderen
inzwischen bis zur Bühnenmitte nachgegangen war, sich wieder dem links
befindlichen Bacchishaus zuwenden. Als er sich nämlich dann entschließt,
seinen Vater auf der Agora aufzusuchen (v. 29f. ἀλλ᾿ ἤδη µμε δεῖ ἐλθεῖν
ἐπ᾿ ἐκεῖνον), muß er sich nach rechts umwenden; so sieht er ihn auch
gleich kommen: ἀλλ᾿ ὁρῶ γὰρ τουτονίί.
Zu diesen Szenen kommt, mit vielleicht noch mehr Beweiskraft, der
Beginn von II 3, die Begegnung Nicobulus – Chrysalus. Wäre nämlich das
Haus der Bacchis auf der rechten, das des Nicobulus auf der linken Seite,
kämen die Schauspieler in arge Schwierigkeiten. Da kurz vor Nicobulus’
Auftritt Chrysalus mit dem zu Bacchis abgehenden Pistoclerus gesprochen
hatte (bis v. 228), würde er von rechts her beobachten, wie Nicobulus aus
seinem Haus tritt, um zum Hafen zu gehen, d. h. vom linken Bühnenhaus
27
27 zum linken Seitenausgang; und obwohl er ihn an-||reden will, ließe er den
Abgehenden in aller Ruhe die vier Verse 235–238 sprechen, würde selbst
(ihm nachlaufend?) in aller Ruhe vier weitere Verse deklamieren und ihn
erst dann begrüßen. Wenn hingegen die Bewegungen der beiden aufeinan-
der zulaufen, wenn also Chrysalus links beim Bacchishaus den von rechts
über die Bühne Kommenden erwartet, ist alles in Ordnung.
Eine Gegeninstanz gegen die hier vertretene Zuweisung der Bühnen-
häuser ist nicht zu sehen; so werden wir gut daran tun, auch den Aufent-
haltsort des Cleomachus rechts auf der Stadtseite anzunehmen, damit er
selbst in IV 8 und zuvor im ersten Akt auch Bacchis S und der puer Cleo-
machi den nötigen Spielraum für ihre Auftritte gewinnen.
56 Handley wendet gegen cum illoc ein, Lydus müsse auf den jungen Mann ,hier auf
der Bühne‘ (cum hoc) deuten, nicht auf den ‚dort im Haus‘; aber Lydus spricht be-
reits ‚hier‘ auf der rechten Bühnenseite über ,den dort‘ auf der linken.
57 Die wichtigsten neueren Arbeiten dazu: Bader: „Der verlorene Anfang der plau-
tinischen ,Bacchides‘ “. – Gaiser: „Die plautinischen ,Bacchides‘ und Menanders
,Dis exapaton‘ “, S. 65–68.
Dis exapaton und Bacchides 93
Die erste Szene der Komödie muß damit begonnen haben, daß von
der Stadtseite her (wo sie eben von der überraschenden Ankunft ihrer
Zwillingsschwester erfahren haben mag) Bacchis A auftritt, gefolgt von
dem ihr zögernd nachkommenden Pistoclerus. Seit 1970 kennen wir näm-
lich die Anfangsworte des Dis exapaton:58 πρὸς τῶν θεῶν, µμειράάκιον. Sie
müssen gesprochen sein von Bacchis A, weil diese im ursprünglichen Sys-
tem der Sprechersiglen,59 das die auftretenden Personen der Reihe nach
mit griechischen Majuskeln bezeichnete, bei Plautus durch A repräsentiert
war.60 Und der angesprochene junge Mann kann kaum jemand anderer als
Pistoclerus sein.61
Wie bisher nicht erkannt wurde, dürfte uns ein Teil des lebhaften Ein-
leitungsdialogs, vielleicht sogar der Einleitungsanrede von Bacchis A, in
fr. 19 Leo (16 Goetz) erhalten sein:
Das Fragment paßt schon vom Metrum her in den Anfangsteil des ersten 28
28
Actus,62 und gegen die allgemein, wenn auch mit Bedenken, rezipierte
Vermutung, Bacchis S sage diese Verse zum puer des Cleomachus, sträubt
sich der Wortlaut. Zwar muß auch hier eine Hetäre sprechen (also Bacchis
A oder S), aber angesprochen muß ein junger Mann sein: nur Pistoclerus
gegenüber wird sie von sectari reden, von lenocinium spötteln und mit istac
aetate spielen, und zum Sklaven des Cleomachus paßt jedenfalls der Witz
mit gratiis nicht. Ferner signalisiert sin, daß sie vorher eine Alternative zum
lenocinium genannt haben muß.63 Ich halte dementsprechend bei Menander
58 Publiziert von Bernard Boyaval, in: Zeitschrift für Papyrologie und Epigraphik 6
(1970), S. 5–7.
59 Vgl. dazu außer Gaiser und Bader auch Klaus Ulrich Wahl: Sprecherbezeichnungen
mit griechischen Buchstaben in den Handschriften des Plautus und Terenz. Dissertation,
Universität Tübingen 1974.
60 Pistoclerus: Γ, Bacchis S: E; vgl. Wahl: Sprecherbezeichnungen, S. 24–26.
61 Seine Sigle Γ, d. h. die Tatsache, daß er bei Plautus erst als Dritter spricht, erklärt
Gaiser gut durch die Vermutung, daß Plautus der Bacchis A eine Magd als Be-
gleiterin mitgab.
62 Bader und Gaiser gehen zu Recht von der Erwartung aus, daß Senare–Canticum–
Septenare aufeinander folgten (vgl. dazu unten S. 99). Die drei plautinischen Stü-
cke, die mit einem Canticum beginnen (im vierten, dem Epidicus, ist einfach der
Prolog verloren), sind mit den Bacchides nicht vergleichbar: überall, in Cistellaria,
Persa und Stichus, singen zu Beginn zwei gleichgestellte Personen (Hetären, Skla-
ven, Ehefrauen).
63 Gaiser: „Die plautinischen ,Bacchides‘ und Menanders ,Dis exapaton‘“, S. 68 muß,
um im Munde der Bacchis S eine Alternative zu ermöglichen, das von mir ge-
94 II. Handlungsgliederung
sperrte Wort in den Text interpolieren: ,(Höre auf, mir den Soldaten zu empfeh-
len!) Wenn aber das Kupplergewerbe dir w i r k l i c h gefällt, dann sieh nur zu …‘
64 Bei Plautus (siehe Anm. 61) wird sich nach dieser unfreundlichen Anrede der
Bacchis A auch noch ihre Magd über den schüchternen Verehrer belustigt haben,
bevor er selbst zu Wort kam. Ob die Magd auch schon bei Menander vorkam, ist
schwer zu sagen. Wenn ja, hat sie ein Analogon in dem Parasiten des Dyskolos,
der auch nur im ersten Akt erscheint. Aber arbeitet Menander noch im Jahr 301
mit solchen Füllfiguren?
65 Vgl. zu Menander/Eunuchos und Terenz/Eunuchus in dieser Szenenfolge Primmer:
„Zur Lektüre von Terenz’ Eunuchus“, S. 96ff. [33ff.], v. a. S. 106f. [41–43].
Dis exapaton und Bacchides 95
schen den Spielfiguren ändert.66 Und zum dritten wird im Eunuchos eine
scheinbar nebensächliche Gegebenheit des Eingangs erst im späteren
Spielverlauf sehr bedeutsam: das Fehlurteil des Parmeno über Thais führt
am Ende der Protasis, in II 3, dazu, daß er Phaedrias Bruder Antipho nicht
davon abbringen kann, den eigentlich nur scherzhaft gemeinten Plan,
Antipho solle sich in einen Eunuchen verkleiden, gegen seine zu spät er-
wachenden Bedenken doch in die Tat umzusetzen: betrügerischen Hetären
gegenüber darf man sich doch alles erlauben!
Fordern wir nun auch von einer (z. T. selbstverständlich hypotheti-
schen) Rekonstruktion des ganzen Dis-Exapaton-Eingangs dieselben dra-
matischen Qualitäten und dramaturgischen Prozeduren, dann ergibt sich
erstens die unmittelbare Wirksamkeit des Einleitungsdialogs aus der Span-
nung zwischen der gereizten Bacchis A und dem schüchternen, noch nicht
zur ersten Liebe erwachten Pistoclerus, zweitens ein zur Konstellationsän-
derung führender Informationsfortschritt dann, wenn || Pistoclerus im 30
30
Dialog noch keine Gelegenheit findet zu erklären, daß er Bacchis A nicht
aus eigenem Interesse gefolgt ist, sondern wenn er erst im Prolog dem
Publikum enthüllt, daß Mnesilochus und Bacchis S das Hauptpaar der
Komödienhandlung sein werden, und drittens das spätere Wirksamwerden
eines im Eingang exponierten Faktums dann, wenn die Zwillingsähnlich-
keit des Schwesternpaars beim Quiproquo des dritten Akts eine Rolle
spielt.67
Mit einigem Vorbehalt, aber auch mit einiger Zuversicht können wir
demnach die Fragmente des ersten Akts in folgender Weise anordnen 68
und ergänzen: Der zur Rede gestellte Pistoclerus sagt in seiner Verlegen-
heit, er habe herausbekommen wollen, ob sie wirklich die ihm von einem
Freund brieflich beschriebene Bacchis aus Samos sei. Sie bejaht, in der
Annahme, sein Interesse gelte ihr (vielleicht hält sie, und mit ihr das Publi-
kum, das Briefmotiv für eine Variation des bekannten ,Fräulein, woher
kennen wir uns bloß?‘). Er fragt weiter, wann sie in Athen angekommen
sei, und auf ihre Antwort, sie sei schon längere Zeit hier, erwidert er, dann
sei sie doch nicht die Richtige, obwohl sie der Beschreibung völlig ent-
74 fr. 7 paßt wegen dieser Antipathie besser zu Bacchis S als (mit Gaiser: „Die
plautinischen ,Bacchides‘ und Menanders ,Dis exapaton‘ “, S. 67) zu Pistoclerus;
Ähnliches gilt für fr. 8, wo die lt. Rivista di Filologia e Istruzione Classica 105 (1977),
S. 392 neu gesicherte Zwischenfrage cuiatem esse aiebant (v. 11) wohl von Bacchis
A stammt, jedenfalls nicht (mit Gaiser: „Die plautinischen ,Bacchides‘ und Me-
nanders ,Dis exapaton‘ “, S. 68) vom puer stammen kann.
75 fr. 14 (19), von Gaiser eher unwahrscheinlich auch dem puer Cleomachi zugeor-
det.
98 II. Handlungsgliederung
2.4. Die Bestimmung der Aktgrenzen des Dis exapaton aus den Bacchides
werden wir, wie in 1.1.1 angekündigt, zunächst mit Hilfe des Webster-
Kriteriums versuchen. Vollständigkeitshalber ist in der folgenden Aufstel-
lung auch die Pause nach dem 1. Akt miteinbezogen; wiewohl sie schon
durch den Texthinweis in v. 107, der die bei Menander übliche Ankündi-
gung des ersten Chorauftritts widerspiegelt, gesichert wäre, ist es doch von
methodischem Interesse zu verfolgen, wie weit wir mit dem Webster-
Kriterium kommen. – Die Pausen werden in der Übersicht vorerst ganz
unverbindlich durchnumeriert.
PAUSE 1 ergibt sich mit völliger Sicherheit zwischen v. 108 und v. 109:
Pistoclerus wollte laut v. 96ff. zum Markt Essen kaufen gehen, er verließ
v. 100 den Bühnenraum. Die Bühne wird, da nach v. 100 die beiden Bac-
33
33 chi-||des noch ein kurzes Zwischengespräch führen, erst nach v. 108 leer.
Unmittelbar danach, in v. 109, kommt Pistoclerus von seinem Einkauf zu-
rück, von einer ,pompa‘ (v. 114, Sklaven mit den opsonia, vielleicht auch ein
Koch) begleitet. Er kann bei Menander unmöglich während der 8 Zwischen-
verse zur Agora und wieder zurück zum Bühnenhaus gekommen sein.
PAUSE 2 liegt möglicherweise an einer der beiden Leerbühnenstellen
nach v. 367 oder v. 384, und zwar eher nach v. 384.76 Der Hauptbeweis
dafür ergibt sich daraus, daß Chrysalus, welcher v. 347f. den Vater Nico-
bulus zum Forum geschickt hat, wo er angeblich seinen Sohn Mnesilochus
treffen kann, laut v. 366f. selber nach der Hafenseite abgeht, wo sich Mne-
silochus in Wahrheit aufhält. Nun kommt Mnesilochus, laut v. 390ff. in-
zwischen von Chrysalus über die Auffindung seiner Bacchis und die ge-
glückte Intrige informiert, v. 385 auf die Bühne. Wir dürfen annehmen, daß
sich die beiden inzwischen (d. h. zwischen v. 367 und v. 384) im Hafen ge-
troffen haben, was nur während einer Aktpause möglich ist; allerdings kann
nicht ganz ausgeschlossen werden, daß Plautus einen Hinweis Menanders
weggekürzt hat, aus dem sich (vgl. Samia v. 59–61) ergäbe, daß Mnesilochus
schon selbst inzwischen in die Nähe der Bühne gekommen war.
Die Nebenfrage, ob wir den Auftritt des Lydus (v. 368–384) eher vor
oder hinter die Aktpause legen sollen, läßt sich folgendermaßen entschei-
den: Lydus geht mit der deklarierten Absicht ab (v. 383f.), seinen Zögling
Pistoclerus bei dessen Vater Philoxenus zu verklagen, und kommt v. 405
tatsächlich mit diesem zurück. Das deutet doch darauf hin, daß nach sei-
nem Abgang, also zwischen v. 384 und v. 385, eine Aktpause ihm die Zwi-
76 Zur Erinnerung kurz die Szenenfolge von v. 109–384: In I 2 (v. 109–169) zwingt
Pistoclerus seinen alten Pädagogen Lydus, ihn zum Gelage bei Bacchis A zu be-
gleiten. In II 1f. (v. 170–234) informiert Pistoclerus, nochmals aus dem Bacchis-
haus heraustretend, den von Ephesus heimgekehrten Chrysalus über die Situati-
on; Chrysalus luchst in II 3 (v. 235–367) durch seine Lügenerzählung Vater
Nicobulus das benötigte Geld ab. Nach beider Abgang stürzt in III 1 (v. 368–
384) Lydus entrüstet aus dem Bacchishaus.
Dis exapaton und Bacchides 99
77 Die Szenen von v. 385–525: III 2 (v. 385–404) bringt den ersten Auftritt des
Mnesilochus, der in III 3 (v. 405–499) von Lydus und Philoxenus die falsche In-
formation bekommt, seine Bacchis halte es jetzt mit seinem Freund Pistoclerus.
Wieder allein, entschließt er sich in III 4 (v. 500–525), zu seinem Vater ins Haus
zu gehen und die Lügengeschichte zu widerrufen.
78 Vgl. aber unten zu Pause 4.
100 II. Handlungsgliederung
zu postulieren, sondern aufgrund von Schwierigkeiten, mit denen uns der Text
selbst konfrontiert.
83 An IV 6f. (v. 770–841), mit den zunächst mißtrauischen Reaktionen des Nicobu-
lus auf den ersten Brief, schließt ja IV 8 (v. 842–924) unmittelbar an, der Auftritt
des Cleomachus, von dem sich Nicobulus so einschüchtern läßt, daß er zahlt.
84 Vgl. oben bei Pause 2 zu Philoxenus.
85 Die Szenenfolge nach der erfolgreichen zweiten Briefintrige, ab IV 10, beginnt
mit den Auftritten des Philoxenus, der nach seinem Sohn sehen will, und des in-
zwischen von Cleomachus aufgeklärten Nicobulus.
102 II. Handlungsgliederung
α β γ δ ε
Questa86 bis 108 109–525 526–769 770–1075 1076–1211
Lowe87 bis 108 109–384 385–525 526–1075 1076–1211
Der erste Akt, der beiden Rekonstruktionen gemeinsam ist, bereitet das
Publikum auf eine zweisträngige Handlung vor, eine Nebenhandlung um
Pistoclerus und Bacchis A und eine Haupthandlung um Mnesilochus und
Bacchis S (daß diese die Haupthandlung werden muß, dürfen wir ebenso
daraus folgern, daß der – noch dazu titelgebende – Intrigensklave dem
Mnesilochus zugeordnet ist, wie daß eben dessen Vater der Hauptgegen-
spieler sein wird). Nun reicht bei Questas Aktteilung die Protasis in β bis
zum falschen Verdacht des Mnesilochus gegen Pistoclerus, denn die Kom-
plizierung der dramatischen Situation in der Epitasis geht ja regelmäßig
von der Schlußszene des zweiten Akts aus, d. h. in diesem Fall von Mnesi-
lochus’ Widerruf der Chrysalus-Lügenerzählung und von der Geldüberga-
be an Nicobulus. Dementsprechend geht es im Protasis-Teil des zweiten
Aktes gar zu oft zwischen Neben- und Haupthandlung hin und her: zuerst
wird Lydus als Gegenspieler der Nebenhandlung eingeführt (I 2), dann
gelingt es dem Intrigensklaven der Haupthandlung, seinem jungen Herrn
das nötige Geld zu sichern (II 1–3), dann droht Lydus, den ,zweiten Lieb-
haber‘ Pistoclerus bei Vater Philoxenus zu verklagen (III 1), dann vereini-
gen sich die beiden Handlungsstränge (und zwar schon in der Protasis,
nicht, im Interesse eines steigernden Handlungsaufbaus, erst in Epitasis
38
38 oder || Katastrophé), indem Mnesilochus durch Lydus und Philoxenus von
der vermeintlichen Treulosigkeit seines Freundes erfährt (III 2–3).
Dieser Überfülle an Handlung in der Protasis – es gibt keinen ande-
ren so handlungsreichen zweiten Akt bei Menander – steht ein Manko an
dramatischer Steigerung in der Epitasis gegenüber. Da deren Movens am
Ende von β die Geldrückgabe war, wird nämlich die Wiederbeschaffung
des Geldes zum einzigen Thema des dritten und vierten Akts. Nach der
Versöhnung der Freunde (III 5–6) erfolgt gleich im dritten Akt die letzte
Zuspitzung der dramatischen Situation, indem der Parasit des Cleomachus
dessen Forderung nach sofortiger Zahlung überbringt (IV 1–2), und den
Rest des Aktes füllen Klage des Mnesilochus (IV 3) und Vorbereitung der
neuen Intrige durch Chrysalus (IV 4–5). Die erste Hälfte des vierten Aktes,
die doch die letzte Verschärfung der Lage vor der Katastrophé bringen soll-
te, enthält statt dessen bereits die erfolgreiche Durchführung von Chrysalus’
erster Briefintrige (IV 6–8), womit das Hauptproblem der Haupthandlung
erledigt ist,88 und die zweite Akthälfte verdoppelt den Erfolg behaglich
durch die zweite Briefintrige (IV 9). Wenn irgendwo, dann sollte deren Platz
aber nach Menanders Technik des Bauens erst im fünften Akt sein.
Ganz anders entwickelt sich die Komödie bei der Loweschen Akttei-
lung. Reicht nämlich der zweite Akt nur bis v. 384, so erhält nach der einlei-
tenden Lydusszene (I 2) die Lügenerzählung des Chrysalus (II 3) beträcht-
liches Eigengewicht als abschließender Höhepunkt der Protasis. Wie sehr
dies Menanders Formwillen entspricht, zeigt schon ein schematisch durch-
geführter Vergleich mit dem zweiten Akt der Epitrepontes. In beiden Komö-
dien bekommt das Publikum gerade noch zum Abschluß der Protasis die
titelgebende Szene vorgeführt – was nebenbei bemerkt zur Folge hat, daß
Chrysalus’ Lügenerzählung und nicht erst seine erste Briefintrige als die erste
der zwei im Titel angekündigten Intrigen zu verstehen ist –, in beiden sieht
das Publikum noch nicht, welche Rolle eine bereits eingeführte Nebenfigur
(hier Lydus, dort Habrotonon) in der Epitasis-Haupthandlung spielen wird,
in beiden muß das Publikum am Ende der Protasis den Eindruck haben, daß
einem Happyend, wenn nicht neue Komplikationen auftauchen, kaum mehr
etwas im Wege steht: denn in den Epitrepontes besteht ja das || Resultat der 39
39
Protasis darin, daß dem Haupthelden Charisios sein Sohn, den ihm seine
Frau geboren hat und den er nur fälschlich für das Kind eines anderen hält,
mitsamt dem Beweis seiner Vaterschaft ins Haus gebracht wird, und auch
im Dis exapaton würde bereits die erfolgreiche erste Intrige alle Schwierigkei-
ten aus der Welt schaffen. Aber da setzt eben in beiden Komödien in der
letzten Szene des zweiten Akts die Vorbereitung der Epitasis-Komplika-
tionen ein: Charisios’ Sklave Onesimos zögert, ihm den Vaterschaftsbeweis
gleich zu übergeben, und so wird sich im dritten Akt Habrotonon mit einer
gutgemeinten, aber alles verwirrenden Intrige ins Spiel mischen; und Lydus
entschließt sich, Philoxenus zu alarmieren (III 1), und sein Irrtum, Bacchis
A mit Bacchis S gleichzusetzen, wird dann im dritten Akt zur Grundlage
88 Mit Questas Aktgliederung ist die von Lefèvre: „Plautus-Studien II“, S. 532 ver-
wandt. Seine einzige wesentliche Abweichung von Questa besteht darin, daß er
von dessen viertem Akt v. 925–1075 (die zweite Briefintrige) streicht. Somit gilt
meine Kritik an Questa bis zu dem hier erreichten Punkt auch für Lefèvre (denn
IV 6f. allein wird niemand als erste Hälfte eines 4. Akts gelten lassen).
104 II. Handlungsgliederung
von Mnesilochus’ Entschluß, durch sein Geständnis den Erfolg von Chry-
salus’ erster Intrige zu annullieren. So werden die beiden Handlungsstränge
des Dis exapaton erst im dritten Akt (in III 3) wirkungsvoll miteinander ver-
knüpft, und der vierte Akt kann innerhalb der Epitasis nochmals eine dra-
matisch wirksame Steigerung bringen: kaum ist das Mißverständnis zwischen
den Freunden beseitigt, folgt (in IV 2) die Aktualisierung der Geldforderung
und damit die Notwendigkeit zur (ersten) Briefintrige: da aber diese in IV 8
gelingt, schließt der vierte Akt wie es sich gehört mit der Katastrophé.89
Ich hoffe, daß die Gegenüberstellung der zwei Aufbauanalysen für sich
selbst spricht, weil eben Detailfragen der Komposition (wie die Frage nach
den Aktschlüssen) sich immer von der Überprüfung der Gesamtkompo-
sition her lösen lassen sollten. Und nicht um einer nutzlosen Freude am
Polemisieren zu frönen, sondern um nochmals zu betonen, daß unsere
gesamte Palliatenanalyse nicht bei der Diskussion von Detailfragen stehen
bleiben darf, gehe ich noch auf die von K. Gaiser vorgeschlagene Aktglie-
derung des Dis exapaton ein.90 Gaiser weicht von Questas Lösung ab, in-
dem er den dritten Akt von v. 526 bis v. 924 reichen läßt und den vierten
von v. 925 bis v. 1075. Auf diese Weise gerät die Katastrophé (IV 8) schon
in den dritten Akt – wogegen Gaiser von seinem Standpunkt aus allerdings
einwenden könnte, daß für ihn die erste Briefintrige die erste Intrige über-
haupt darstellt. Aber selbst dies eingeräumt: was soll die Szene IV 9 allein
40
40 für ein vierter Menanderakt || sein? Wer diese Gleichsetzung vollzieht, wäre
m. E. doch zugleich verpflichtet, die Frage zu erörtern, welche erste Hälfte
dieses Aktes Plautus weggekürzt hat und wo in seinem Text sich Anhalts-
punkte für so eine Kürzungsannahme finden.
Ich werde solche Fragen wie die, deren Beantwortung durch einen Mit-
forscher ich eben reklamierte, natürlich anschließend selber behandeln müs-
sen. Denn noch ist in ‚meinem‘ Dis exapaton der dritte Akt zu kurz, der
vierte viel zu lang, der fünfte wieder zu dürftig. Der Nachweis, daß die oben
vertretene Dis-exapaton-Rekonstruktion doch die richtige ist, wird also erst
dann voll gelungen sein, wenn auch die in den nächsten Unterabschnitten
zu leistende Interpretation kritischer Passagen und Szenenfolgen Beweise
für die umformende Tätigkeit des Plautus ans Licht bringt. Wie schon
einleitend einbekannt, ist eben die Diagnose, die von der Gesamtanalyse
her gewonnen wurde, noch von der Einzelinterpretation her zu bestätigen.
89 Daß die Annahme des Aktschlusses nach IV 8 nicht willkürlich ist, wird sich
unten in 2.6.3 und 3.2f. bestätigen.
90 Gaiser: „Die plautinischen ,Bacchides‘ und Menanders ,Dis exapaton‘“, S. 61–64.
– Mettes Rekonstruktion („Zweiter Nachtrag zu: Der heutige Menander, insbes.
1955–1965 [1968]“, in: Lustrum 13 [1968], S. 542ff.) können wir schon deswegen
ignorieren, weil sein fünfter Akt (v. 925–fin.) an dem grundlegenden Fehler labo-
riert, Menanders δ/ε-Schluß in seiner Mitte zu haben.
Dis exapaton und Bacchides 105
Zuvor aber sei hier zum Abschluß noch ein Vorverweis darauf gestattet,
wie raffiniert schon Menanders Titel die Gesamtstruktur seiner Komödie
andeutet: die Protasis endet mit dem erfolgreichen ersten Betrug, die Epi-
tasis hebt den Erfolg der ersten Intrige völlig auf, die Katastrophé beginnt
mit dem erfolgreichen zweiten Betrug.
2.6.1. Zum zweiten Akt (I 2 bis III 1). Hier herrscht in der neueren For-
schung gleich über die Einleitungsszene Uneinigkeit: Webster will die
Schlußszene zu ihr nach vorn ziehen.91 Es geht um Lydus, den alten Päda-
gogen des Pistoclerus, der die Dialogszene I 2 gemeinsam mit seinem
Zögling bestreitet. Websters Bedenken gegen die plautinische Figurenfüh-
rung in I 2 und zusätzlich seine Vermutungen darüber, daß Lydus schon in
α aufgetreten sei (ich habe sie oben in 2.3 stillschweigend übergangen),
erweisen sich aber als unbegründet, wenn man alle Lydusszenen auf ihre
Funktion hin betrachtet. Was Webster dazu veranlaßte, I 2 (Pistoclerus läßt
sich durch Lydus nicht vom Gelage mit Bacchis A abbringen) und III 1
(Lydus voller Entrüstung ab zu Philoxenus) zu einer einzigen Anfangssze-
ne von β zusammen-||zuziehen, war wohl Rücksicht auf das πιθανόόν, d. h. 41
41
die Erwägung, daß es in der plautinischen Szenenfolge doch etwas merk-
würdig sei, wenn Pistoclerus seinen Pädagogen zuerst nur mit Mühe ins
Bacchishaus hineinbringt,92 dann aber wieder auf die Bühne kommt, und
zwar zum einen bloß nach dem kurzen Auftrittsmonolog des Chrysalus
(v. 170–177), zum anderen allein, ohne den gerade noch so renitenten Lydus.
Beide Anstöße würden mit Websters Eingriff verschwinden. Aber
glücklicherweise befinden wir uns nicht in der Lage, aus dem Kleinkontext
allein entscheiden zu müssen – wie sonst oft in der Palliatenanalyse –, ob
die geringfügigen Verstöße gegen die äußere Wahrscheinlichkeit ausrei-
chen, einen Eingriff des Bearbeiters nachzuweisen. 93 Die länger dauernde
risios der Eigentümer des beigegebenen Ringes ist, freudig feststellte, nun sei der
Vater des Findlings gefunden. Doch darf er diesen Gedanken nicht aussprechen
oder gar weiter verfolgen, weil es sonst nicht zu den Verwicklungen der Epitasis
käme. Hätten wir nun die Epitrepontes nur in einer lateinischen Bearbeitung, dann
hätte der Anstoß wohl schon zu ‚analytischen‘ Schlußfolgerungen geführt. – Zu
solchen Inkonzinnitäten in der Nea vgl. jetzt W. Geoffrey Arnott: „Calidorus’
Surprise. A Scene of Plautus’ Pseudolus, with an Appendix on Ballio’s Birthday“,
in: Wiener Studien 16 (1982), S. 131–148.
94 v. 406f., zu tuum vgl. Maurach: „Hans-Peter Schönbeck: Beiträge zur Interpretation
der plautinischen Bacchides“, S. 14, Anm. 2; die maßlose Übertreibung kann sich nur
auf den Einkauf zwischen α/β beziehen.
95 Nur der plautinische Mnesilochus (denn bei Menander zweifelt er ja schon an der
Treue des Freundes, vgl. 2.6.2). Die Plautusszene ist also hier, was den plötzli-
chen Umschwung betrifft, theatralisch effektvoller.
96 In Unde eam esse aiunt? :: Ex Samo läßt aiunt scheinbar zufällig offen, woher Lydus
das weiß.
Dis exapaton und Bacchides 107
Hier muß in lectum falsch sein, wie Hermann Tränkle zu Recht moniert
hat:97 man pflegt auf einem Speisesofa nicht zu baden, wohl aber die lassi-
tudo aus seinem Körper durch ein Bad zu vertreiben (vgl. Merc. v. 127;
Truc. v. 328). Tränkles Konjektur in tectum scheitert allerdings aus stilisti-
schen Gründen, das Wort ist entweder zu konkret oder als Metonymie zu
pathetisch. Die Bitte der schiffbrüchigen Mädchen, die ein ‚Dach über dem
Kopf‘ brauchen, ist der Situation angemessen in Rud. v. 276 tibi amplectimur
genua … ut tuo recipias tecto (da ist also der sonst bei Plautus allein belegte
konkrete Wortsinn erhalten), und das Gleiche || gilt für den Kumpan des 43
43
Kupplers Labrax (der bei Tränkle S. 118 zur Rechtfertigung des angeblich
poetisch gehobenen Gebrauchs von tectum als ,der greise Charmides‘ ein-
geführt wird) in v. 574: recipe me in tectum, da mihi vestimenti aliquid aridi.
Aber im Munde von Bacchis A wäre ein ,Folge mir unter mein Dach‘ fast
nur mehr metonymisch, also zu prätentiös, besonders neben hac und intro.
Da wir aber im Zusammenhang einen wiederholten Hinweis auf das Bad
der Bacchis S gut brauchen können, waren (vom Sinn her) die Vorschläge
in pyelum bzw. lotum schon auf der richtigen Spur. Ich denke, wir können
neben Stich. v. 568, wo Lambin für überliefertes pilum das Hapax pyelum
konjiziert hat, hier statt lectum das Hapax lutrum riskieren.98
Im übrigen setzen auch Einzelheiten des Dialogs in I 2, in der ersten
Szene von β, die Unwissenheit des Lydus über Vorgeschichte und Ereig-
nisse in α voraus. Sonst dürfte er in v. 113f. nicht fragen, wohin Pistoclerus
mit den Einkäufen gehen will, und dürfte sich in v. 143ff. nicht wundern,
daß er sichs bei einer Freundin wohl sein lassen will.
97 Hermann Tränkle: „Zu zwei umstrittenen Stellen der plautinischen Bacchides“, in:
Museum Helveticum 32 (1975), S. 116ff.
98 πύύελος scheint in der Nea nicht belegt, wohl aber finden wir λουτρόόν bei Menan-
der. – Walther Kraus hält (das von mir ebenfalls erwogene) … intro, in lutro ut sedes
… für besser.
108 II. Handlungsgliederung
99 Was die Erklärung von me continuo contuli protinam in pedes angeht, kann Lydus
doch erst unmittelbar nachdem er einige flagitia des Pistoclerus miterlebte, die
Flucht ergriffen haben, nicht schon beim Anblick des Hauses. So wird Leo (Ap-
parat zu v. 373) Recht behalten (gegen Schönbeck: Beiträge zur Interpretation der
plautinischen Bacchides, S. 68f.).
100 Nur am Rand sei bemerkt, daß die große Lügenerzählung des Chrysalus in II 3 so
gut aufgebaut und durchgeführt ist, daß sich in ihr so gut wie keine müßigen
plautinischen Zusätze finden; zudem hat der Papyrusfund Details der Lügener-
zählung als menandrisch bestätigt (siehe Dis ex. v. 55f. neben Bacch. v. 306ff.).
101 Für den Auftritt des Pistoclerus in II 2 gilt also einfach die zweite Hälfte der Regel,
die Arnott: Menander, Plautus, Terence, S. 21 so formuliert: „Entries are either con-
vincingly motivated or quietly left unexplained.“ Wenn die Zuschauer hören, wie
Pistoclerus in v. 178–180 ins Haus zurücksprechend der Bacchis A versichert, er sei
so in sie verliebt, daß sie an seiner Rückkehr ins Haus nicht zweifeln müsse, so
werden sie weiter nicht nach dem Warum oder Wieso seines Auftretens fragen.
Dis exapaton und Bacchides 109
2.6.2. Im dritten Akt (III 2 – III 4, mit Dis. ex. bis v. 63) wendet Menander
dann dieselbe Ringkompositionstechnik an. Denn zu Aktbeginn monolo-
gisiert Mnesilochus u. a. über seine Dankbarkeitsverpflichtung gegenüber
Chrysalus (v. 392–402), eine Betrachtung, der er am Aktschluß die Tat
folgen läßt, indem er beim Vater Straflosigkeit für den Sklaven erwirkt (der
trotzdem bestehende Groll des Nicobulus wird dann in δ handlungswirk-
sam). Im ersten Teil seines Monologs (v. 385ff.) spricht Mnesilochus seine
Anschauung über die Freundschaft aus – ein Freund kommt gleich nach
den Göttern; und ich glaube nachweisen zu können, daß das Freund-
schaftsmotiv ebenfalls noch in γ seine Rolle spielte, eine größere jeden-
falls, als jetzt in Bacch. v. 500f. oder Dis ex. v. 18f. noch erkennbar ist.
Im dritten Akt muß Plautus nämlich eine Szene des Originals gestri-
chen haben. Das läßt sich zwar aus dem Plautustext v. 385–525 (III 2–4)
nicht unmittelbar erweisen; die Szenen hängen auch nach der Verkürzung
gut und widerspruchsfrei zusammen.104 Auch eine Umfangsberechnung
von γ führt zu keinem klaren analytischen Ergebnis. Addieren wir nämlich
zu den 109 Versen von v. 385–493, die nur in der Bearbeitung erhalten
sind, die 53 griechischen von Dis ex. v. 11–63, so entspricht die Summe
von 162 gut den möglicherweise 164 des Originalakts.105 Aber wie oben in
2.3 schon angedeutet,106 zwingt uns Menanders Wille zur ökonomischen
Auswertung der in die Handlung eingeführten Motive, eine Szene zu pos-
46
46 tulieren, in der die Bacchides aufgrund ihrer Zwillings-||ähnlichkeit ver-
wechselt werden. Das könnte zur Not wohl auch erst in ε geschehen
(Plautus hat ja den Schlußakt stark verkürzt), aber das dramaturgisch ef-
fektvollste Opfer der Verwechslung ist gewiß Mnesilochus; und es ist auch
die natürlichste und effektvollste Entwicklung der Handlung, wenn er in
γ unmittelbar nach seinem Einleitungsmonolog, noch vor dem Auftritt
von Lydus und Philoxenus, seine Geliebte wiedersehen will, die Tür des
Bacchishauses öffnet und vermeintlich mit eigenen Augen sehen muß, wie
sein Freund, den er eben noch gerühmt hat, seine Bacchis, die jener noch
dazu gerade als seine einziggeliebte Bacchis anreden wird, in den Armen
hält. Die Täuschung durch den Augenschein, der der Hauptheld verfällt,
bringt gegenüber der Täuschung der Nebenfigur Lydus durch lückenhaf-
te Information die angemessene Steigerung. Ins Gewicht fallen sollte zu-
gunsten meiner Annahme auch, daß die solchermaßen supplierte Szene
später in δ geschickt variiert wird: am Ende von IV 7 wird Nicobulus
durch denselben Türspalt Mnesilochus in derselben kompromittierenden
Lage erblicken.
Spricht so von verschiedenen Charakteristika menandrischer Ver-
knüpfungstechnik her schon alles für die neu postulierte Szene, so erhalten
wir m. E. den endgültig entscheidenden Beweis ihrer Existenz und dazu
gleich auch Hinweise über ihre Verbindung zum Folgetext, wenn wir die
Gesamtstruktur von γ mit ins Kalkül ziehen und zu diesem Zweck noch
Samia γ mit heranziehen. Auch der Demeas der Samia glaubt sich auf-
grund eigener Wahrnehmung betrogen: er hat im Hause gehört, wie der
Säugling, den er für ein Kind seiner Chrysis hält, als Kind seines Adoptiv-
sohnes bezeichnet wird (zu Recht, nur daß die Mutter in Wahrheit die
Nachbarstochter ist), und dazu hat er noch gesehen, wie Chrysis dem
105 Die Zahl 164 kann sich ergeben, wenn statt ṬΞΔ (= 364) am Rand von Dis ex.
v. 63 ΡΞΔ zu lesen sein sollte (darauf hat mich Georg Danek in einem Bacchides-
Seminar aufmerksam gemacht). Sie entspräche der Länge von Dyskolos δ.
106 S. 30, Anm. 67. Ein Analogon habe ich übrigens in der Aulularia gefunden. So
wie hier die fr. 5 (8) und 6 (3) auf die von Plautus gestrichene γ-Szene hinweisen,
so erlaubt uns Aul. v. 683f. nunc te obsecro resecroque, mater, quod dudum obsecraveram
(,Jetzt beschwöre ich dich, Mutter, und löse dich von der sakralen Verpflichtung,
die ich dir zuvor auferlegt hatte‘; zur Bedeutung von resecro vgl. Woytek: Plautus,
Persa zu Persa v. 48), für den ersten Akt des Originals eine Szene zu fordern, in
der Lyconides sich von seiner Mutter Schweigen über sein Liebesverhältnis ver-
sprechen ließ. (Ich werde dies in meiner Aulularia-Analyse näher ausführen.)
Dis exapaton und Bacchides 111
Säugling ihre Brust reicht (ihr ist, was der wie Mnesilochus eben von einer
Reise heimgekehrte Demeas nicht weiß, ein eigenes Kind knapp nach der
Geburt gestorben). Damit befindet er sich in derselben Situation wie Mne-
silochus: seinem Irrtum über die Mutterschaft entspricht dessen Irrtum
über die Identität der Bacchis, und dessen doppelter Enttäuschung über
die Treulosigkeit von Freund und Freundin die über Adoptivsohn und
Lebensgefährtin. Nun können wir den Analogieschluß auf die erste Reak-
tion des Mnesilochus ziehen: Demeas will seinem Sohn die Illoyalität nicht
zutrauen, er möchte am || liebsten nicht glauben, was er selbst gehört und 47
47
gesehen hat, und ist völlig ratlos. Ebenso wird Mnesilochus nach seiner
Entdeckung in einem kurzen Monolog reagieren: sein Freund sollte ihn
verraten haben? In dieser Lage kommt dem Demeas sein Sklave Parmenon
wie gerufen, der, weil er auf Demeas’ Reise nicht mit war, die Wahrheit
kennen muß (Sam. v. 280): ἀλλ᾿ εἰς καλὸν γὰρ τουτονὶ προσιόόνθ᾿ ὁρῶ.
Wir können mit Bacch. v. 403f. vergleichen: sed eccos video incedere patrem
sodalis et magistrum. hinc auscultabo quam rem agant – nur daß bei Plautus der
Entschluß, die beiden zu belauschen, auf der bloßen Neugier des Mnesilo-
chus beruht, im Dis exapaton wird er – mit viel mehr Spannung in der Sze-
ne – darauf lauern, ob das Gespräch der beiden seinen Verdacht entkräftet
oder bestätigt. Demeas muß, da Parmenon mit einem Koch kommt, erst
noch eine kurze Wechselrede der beiden abwarten (Sam. v. 283–295),
bevor er den Sklaven ins Verhör nehmen und ihn zu der Aussage zwingen
kann (v. 320), sein Sohn sei wirklich der Vater des Säuglings. In der Paral-
lelszene geht es Mnesilochus um einiges schlechter: er muß sich nach den
ersten Worten des Lydus, die seinen Verdacht noch nähren (v. 406f.), eine
lange Debatte über Erziehungsgrundsätze anhören (v. 407–450; Plautus
muß, da sein Mnesilochus ja noch gutgläubig ist und in Zwischenbemer-
kungen Pistoclerus gegen Lydus verteidigt – wie wir oben sahen, sogar
noch im eigentlichen Dreiergespräch bis v. 476 –, beträchtlich geändert
haben); erst als er ins Gespräch mit eintritt, erfährt er die scheinbar un-
ausweichliche Bestätigung seiner Befürchtungen. Lydus wie Parmenon
stürzen also einen Zweifelnden in die Not der Scheingewißheit, indem sie
beide eine Halbwahrheit vertreten.
Auch der jeweilige Schlußteil des Akts weist in Samia und Dis exapaton
dieselbe Handlungsentwicklung auf. Demeas fährt in seinem Zorn erst
noch auf den flüchtenden Parmenon los (Sam. v. 321–325) – Mnesilochus
muß erst noch die beiden Gesprächspartner loswerden (Dis ex. bis v. 17);
folgt ein Monolog des Demeas, in welchem er Chrysis die ganze Schuld
zuschiebt und sich entschließt, sie zu verstoßen – ebenso Monolog des
Mnesilochus, der hinter allem die Geldgier der Bacchis vermutet und sich
entschließt, das ganze Geld dem Vater zu übergeben; in beiden Dramen
schließlich die Ausführung des Entschlusses (Einzelheiten können wir hier
nicht vergleichen, da der Dis exapaton gegen das Aktende hin recht lücken-
112 II. Handlungsgliederung
haft ist; außerdem muß die verstoßene Chrysis noch ins Nachbarhaus
gebracht werden, wozu es im Dis exapaton kein Analogon geben kann).
Überblicken wir nun nach dem Vergleich von Szene zu Szene die
48
48 Aktstruktur im Großen, so genügt die Samia offensichtlich unserer || Er-
wartung, daß klar erkennbare Verlagerungen des dramatischen Interessen-
schwerpunkts vorhanden sein müssen. Erster Hauptteil des Akts: Demeas
über seine Entdeckung ratlos; Zwischenteil: Bestätigung des Verdachts
durch Parmenon; zweiter Hauptteil: Demeas zieht seine Konsequenzen. In
dem von uns vervollständigten Dis-exapaton-Akt sind wohl die Gewichte
etwas anders verteilt, aber die Klarheit des dramatischen Aufbaus hat die
gleiche Qualität: Ein nicht besonders umfangreicher erster Hauptteil
(Mnesilochus muß ja auch nicht in langer Rede berichten, was er im Zwi-
schenakt im Haus erlebte) endet mit Mnesilochus’ Ratlosigkeit über seine
Entdeckung, weil er den menschlichen Wert seiner Freundschaft nicht un-
bedacht aufgeben will; ein vergleichsweise umfangreicher Mittelteil enthält
wohl manches Episodische, da die Nebenfiguren Lydus und Philoxenus
sich in ihre Debatte verwickeln, aber ihr ganzes Gespräch ist doch beglei-
tet von der quälenden Ungewißheit des Mnesilochus, die schließlich durch
falsche Scheingewißheit abgelöst wird; ein abermals relativ knapper Schluß-
teil zeigt die folgenreiche Konsequenz, die Mnesilochus daraus zieht.
Und nun bitte ich den Leser, die Gegenprobe zu machen und die
plautinische Fassung von Dis exapaton γ (natürlich mit dem originalen
Schluß, aber ohne die supplierte Szene, d. h. ohne daß Mnesilochus schon
zu Beginn von III 3 an Pistoclerus zweifelt) mit ähnlichem Anspruch auf
klare Gliederung und Interessenverlagerung zu analysieren. Ich kann nur
gestehen, daß mir der einleitende Monolog des Pistoclerus als eigener
Interessenschwerpunkt unmöglich erscheint, so daß er zum bloßen Vor-
spann der ihrerseits zunächst ziellos episodischen Erziehungsdebatte wird,
die erst am Ende in Beziehung zur eigentlichen Handlung der Komödie
tritt: insgesamt eine geschickt auf einen abschließenden Höhepunkt zu-
steuernde Szenenfolge, aber eben nur eine, weil ihr die menandrische Dra-
maturgie der Schwerpunktbildung und -verlagerung fehlt.107
2.6.3. Im vierten Akt erwarten uns die meisten Interpretations- und Rekon-
struktionsprobleme, da er sicher von Plautus erweiternd überarbeitet ist. Ich
stelle, um den Überblick zu erleichtern, jene Hauptbeweise für die Überar-
beitungsthese, welche sich (über Anstöße in den einzelnen Szenen hinaus)
aus dem größeren Zusammenhang des Stücks ergeben, an die Spitze:
49
49 a) Der Umfang des Akts.
Er umfaßt (siehe oben 2.5) Dis ex. v. 64–112 und Bacch. III 5 bis IV 8 oder
IV 9 (v. 526 bis v. 924 oder v. 1075) und ist damit für einen Menanderakt,
107 Zur positiven Würdigung der plautinischen Umarbeitung siehe unten in 3.4.
Dis exapaton und Bacchides 113
der soweit wir wissen die Zahl von 280 Versen nicht überschreitet, 108
schon in der kürzeren Variante ohne die zweite Briefintrige von IV 9 über-
lang, um so mehr natürlich in der längeren Variante. Im ersteren Fall
kommen zu den 49 Versen des Originaltexts, da dessen letztem Vers Bacch.
561a entspricht, die 363 lateinischen Verse 562–924, was also insgesamt
einen Akt mit 412 Versen ergäbe; mit IV 9 kämen wir gar auf die phantas-
tische Zahl von 563 Versen.
b) Die Aktstruktur.
Wie allgemein anerkannt, erfolgt bei Menander im Verlauf des vierten
Akts, und zwar frühestens in Aktmitte, der Übergang vom Epitasis- zum
Katastrophéteil der Handlung.109 In den Bacchides wird die Wendung un-
mittelbar vorbereitet ab v. 671 (Beginn eines Dialogteils von IV 4, Mnesi-
lochus – Chrysalus) und vollzogen ab v. 701. Auf die Aktmitte bei v. 700
können nicht nur rein formal und quantitativ keine 375 Verse mehr folgen;
auch vom Inhalt her betrachtet kann es in der zweiten Hälfte von δ nur
mehr eine Intrige geben, nicht deren zwei.
Eine Reihe von Forschern würde hier zwar einwenden, daß die bei-
den Briefintrigen ohnehin als im Grund einheitliche Trughandlung aufzu-
fassen seien.110 Der Einwand verfängt aber nicht: in der plautinischen
Gestalt hat die zweite Akthälfte auch dann, wenn man nur eine Intrige
zählen will, nach der Vorbereitungsphase, in der Chrysalus den Brief dik-
tiert, noch zwei weitere breit ausgeführte Interessenschwerpunkte, und das
ist für den Katastrophé-Teil eines vierten Akts zuviel. Dazu kommt, was
Lefèvre treffend gegen die dramatische Qualität und Dynamik der zweiten
Briefintrige vorbringt: „Die zweite Brief-Intrige ist eine einfache Motiv-
Doppelung und daher weitgehend ohne Spannung. Sie bedeutet nicht eine
qualitative, sondern eine quantitative Steigerung.“111 Und: „Es entspricht
den Gepflogenheiten der || Komödie lediglich, daß ein Kuppler oder ein 50
50
Nebenbuhler … ausbezahlt oder sonst eine Schuld beglichen werden muß.
Schon der Umstand, daß es sich bei der zweiten Brief-Intrige um ein bloßes
112 Zuletzt Gaiser: „Die plautinischen ,Bacchides‘ und Menanders ,Dis exapaton‘ “,
S. 78f. und Questa: Bacchides, S. 53.
113 Gordon Williams: „Some Problems in the Construction of Plautus’ Pseudolus“, in:
Hermes 84 (1956), S. 454f.
114 Zu Recht stellt also Lefèvre: „Plautus-Studien II“, S. 521 fest, „daß die Spannung
Dis exapaton und Bacchides 115
des ganzen Stücks darauf beruht, ob es Chrysalus … gelingen werde, Nicobulus, der
nunmehr auf das eindringlichste gewarnt ist, um eben dieselbe Summe ein zwei-
tes Mal zu betrügen“. Und vergeblich die Abschwächung in Gaisers („Die plauti-
nischen ,Bacchides‘ und Menanders ,Dis exapaton‘ “, S. 79) Eingeständnis, „daß
die dramatische Spannung … e i n e Z e i t l a n g in der Frage liegt, ob es dem Skla-
ven … gelingen wird, den Alten … nochmals zu überlisten“ (Sperrungen von mir).
116 II. Handlungsgliederung
der neuen Intrige. Aber der Dis-exapaton-Papyrus belehrt uns darüber, wie
sorgfältig Menander die entscheidende Mittelszene von δ schon in der
Anfangsszene vorbereitet hat. Handley115 berichtet nämlich, daß sich in
den unpublizierten verstümmelten Versen zwischen Dis ex. v. 64 und v. 89
folgende Äußerung des Nicobulus erkennen läßt: „Wenn Syros (= Chry-
salus) jetzt bei mir stünde und sagte, die Sonne dort oben scheine gerade,
würde ich glauben, es sei dunkel und die Nacht sei angebrochen.“ Eben
diese Äußerung seines Vaters gibt Mnesilochus in v. 699f. wieder, eingelei-
tet in v. 698f. durch si audias quae dicta dixit me adversum tibi. :: quid dixit? So
sehen wir nachträglich, daß die Wiederholungen eines Allerweltswortes in
v. 698–701 doch nicht funktionslos sind: quae dicta dixit; quid dixit; ne id
nequiquam dixerit. ‚Das soll er nicht umsonst gesagt haben!‘
,Lügen mittels Wahrheit‘ muß also das strategische Grundkonzept der
zweiten Intrige sein, in wirksamer Steigerung gegenüber den direkten Lü-
gen der ersten. Plautus hat es, wie wir später noch sehen werden, im Zuge
seiner Umarbeitung etwas verwässert oder verdunkelt; und so können wir
gerade dann, wenn wir die Szenenfolge nach v. 701 (bis v. 1075) auf
Durchbrechungen des ‚Lügen mittels Wahrheit‘-Prinzips hin beobachten,
am besten erkennen, wie er in den Menandertext eingegriffen hat. Für die
Rekonstruktion von Menanders zweiter Akthälfte steht uns also ein bis-
lang unterschätztes Analysekriterium zur Verfügung,116 das in die Katego-
rie des typisch menandrischen Spiels mit Wahrheit und Schein gehört.117
Für den ganzen Akt haben wir ein weiteres, nicht minder wirksames
Kriterium: alle Passagen, die nicht eine, sondern zwei bevorstehende Intri-
53
53 gen des Chrysalus ankündigen, und überhaupt alle, die den großen || Intri-
genhelden Chrysalus allzusehr herausstreichen, werden auf die plautinische
Umarbeitungstendenz zurückgehen.
Liefe unser Arbeitsprogramm nur auf das eine Ziel hinaus, Menanders
Dis exapaton wiederzugewinnen, dann könnten wir nunmehr, im Besitz der
eben genannten Kriterien, den vierten Akt Szene für Szene zu analysieren
beginnen. Da aber unser zweites deklariertes Ziel darin besteht, den Bear-
beiter Plautus nicht schlechter zu machen als er ist, sondern auch die posi-
tiven Gestaltungstendenzen, die seine Umarbeitung steuerten, herauszu-
arbeiten, müssen wir die bloße Menanderrekonstruktion hier zunächst
unterbrechen. (Fortsetzung unten 3.3 und 3.5.2.)
3. Bacchides
3.1. Actus und Actuspausen.
Bei der analytischen Überprüfung des vierten Menanderaktes, will sagen
der Szenenfolge von III 5 bis IV 9, werden wir unausweichlich mit der
Frage konfrontiert, wie es denn nun wirklich mit der Technik der plautini-
schen Actusgliederung steht. Denn einerseits erhalten wir gleich am Akt-
beginn (in III 5f.) ein Musterbeispiel dafür, wie Plautus eine griechische
Aktpause eliminiert, und gleich darauf, wie er (zwischen III 6 und IV 1)
selber eine Leerbühnenstelle neu einführt. Anderseits erwartet uns am
Aktschluß die Frage, ob und wie Plautus dort die umgeformte Handlung
gegliedert hat.
Szene 1 entsprechenden Monolog des Mnesilochus (der bei ihm bis Bacch.
v. 520 reicht) um die weiteren Verse bis v. 525. In den Ersatzversen kün-
digt Mnesilochus an, er werde ein gutes Wort für Chrysalus einlegen. Mit
v. 525 geht er, abweichend von Menander, mit den Sklaven, die das Geld
tragen, ins Nicobulushaus.120 Wichtig ist nun, daß Plautus außerdem die
Menanderszenen 4 und 5 in der Reihenfolge umgestellt hat. Denn in dem
mit Bacch. v. 526 einsetzenden Rezitationsteil kommt zunächst Pistoclerus
auf die Bühne (≈ Szene 5), zu einem vier Verse umfassenden Monolog,
dem im folgenden (v. 530–533) ein umfangsgleicher Zutrittsmonolog des
Mnesilochus respondiert (≈ Szene 4), und erst nach den zwei Versen des
typisch plautinischen kleinen Begegnungsduetts (v. 534f.121) entwickelt
sich ab v. 536 der Dialog von Menanders Szene 6.
Aufschlußreich an dieser Umgestaltung ist nicht nur, wie geschickt
Plautus die menandrische Szenenfolge in die typische Singspielfolge Dop-
pelmonolog – Begegnungsduett – Dialog122 verwandelt und dabei Inhalts-
55
55 elemente der gestrichenen Handlung eingebaut hat. 123 Bedeut-||samer ist,
daß wir damit den ersten urkundlichen Beleg dafür in der Hand haben, wie
Plautus mit Mitteln, die durchaus der griechischen Technik entsprechen,
einen griechischen Aktschluß zu beseitigen versteht. Er läßt zwar den
vorher zum Forum abgegangenen Nicobulus plötzlich zu Hause sein
(konnte er ihn doch nicht gut, wie es sonst seine Art ist, 124 in v. 348 erklä-
ren lassen, er werde später durch die Hintertür oder das angiportum heim-
kommen: Nicobulus denkt ja in II 3 über die erhoffte Begegnung mit dem
Sohn nicht hinaus). Aber wenn Plautus die Menanderszenen 4 und 5 ver-
tauscht, d. h. wenn er nach dem Abgang des Mnesilochus ins Nicobulus-
haus zunächst Pistoclerus zu einem kurzen Monolog aus dem der Bacchis
treten läßt, nach welchem Mnesilochus wiederkommt und berichtet, er
habe inzwischen im Haus das Geld dem Vater übergeben und Verzeihung
für Chrysalus erwirkt, so entspricht diese Handlungs- und Figurenführung
völlig der oben in 1.1.1 besprochenen griechischen Konvention, die hinter-
szenisch ablaufende gespielte Zeit gegenüber der Spielzeit auf der Bühne zu
raffen. Pistoclerus hat seinen Monolog deswegen schon jetzt zu sprechen,
weil Mnesilochus dadurch die Zeit für die aufgezählten hinterszenischen
120 Daß die Geldübergabe bei Plautus im Haus erfolgt und nicht, wie N. K. Krasavina
lt. Année philologique 52 (1981), Nr. 3497 vermutet, auf dem Forum, ergibt sich sicher
aus Bacch. v. 768f. und 1050ff.
121 Zur Textgestaltung siehe Wahl: Sprecherbezeichnungen, S. 25 und 153f.
122 Vgl. etwa die Folge in IV 10f. (Canticum): Monolog des Philoxenus v. 1076–
1086, Parallelmonolog des Nicobulus v. 1087–1103, Begegnungsverse v. 1104f.,
Dialog ab v. 1106.
123 v. 530 reddidi patri omne aurum ; v. 532f. sed veniam mihi quam gravate pater dedit de
Chrysalo; verum postremo impetravi, ut ne quid ei suscenseat.
124 Siehe z. B. Woytek: Plautus, Persa zu Persa v. 448.
Dis exapaton und Bacchides 119
Aktionen gewinnt. Darum kann (gegen Ritschl, der gerade wegen dieser Zeit-
differenz Aktschluß bei Plautus nach v. 525 forderte, weil er die Menander-
technik der Zeitraffung noch nicht kennen konnte125) Plautus bei v. 525/
526 nur den pausenlos glatten Ablauf der Handlung intendiert haben.
Allerdings geht Questa entschieden zu weit, wenn er zur besproche-
nen Szenenfolge bemerkt: „Migliore riprova del δρᾶµμα continuum quale
caratteristica strutturale della palliata non si poteva avere: il problema deve
ritenersi risolto una volta per sempre.“126 Was die plautinischen Eingriffe
in III 4–6 beweisen, ist nicht mehr, als daß Plautus, wenn er wollte, recht
gut imstande war, einen griechischen Aktschluß zu überbrücken, nicht
aber, daß er prinzipiell für continuous action und gegen Actusgliederung
war. Denn gleich zwischen III 6 und IV 1 hat er – gegen Menander – einen
neuen Actusschluß eingeführt, wie m. E. die folgenden Beobachtungen und
Erwägungen beweisen:
a) Es ist von vornherein unwahrscheinlich, daß Menander etwa 60
Verse nach einem Aktschluß ohne Not die Bühne schon wieder leer wer-
den ließ, und Pistoclerus konnte mit dem Überbringer der Cleomachus-
Forderung ja ohne weiteres zusammentreffen, ohne zwischendurch das
Bacchishaus zu betreten, zumal er beim Wiedersehen zwischen Mnesilo-
chus und Bacchis S nicht gebraucht wird.
b) Vers 572, der seine Abgangsbegründung enthält, stört den Duktus 56
56
des Spiels empfindlich. Mnesilochus nimmt vorher die Eröffnung, daß es
zwei Bacchides gibt, ganz ungläubig auf (v. 569). Da wird Pistoclerus ener-
gisch (v. 570f.): „Wenn du mir weiter so wenig vertraust, trag ich dich
huckepack ins Haus.“ Darauf Mnesilochus: „Nein, ich geh schon, bleib!“
Nichts wäre natürlicher, als daß er mit diesen Worten zu seiner Bacchis S
hineineilte und daß Pistoclerus, wenn überhaupt, dann langsamer nach-
folgte. Statt dessen kehrt v. 572 die Reihenfolge um: PI. non maneo, neque tu
me habebis falso suspectum. MN. sequor.
Es ist weder einzusehen, warum Pistoclerus mit hineingehen muß, um
nicht weiter verdächtigt zu werden, noch warum Mnesilochus, der doch
eben vom Zweifler zum freudig Hoffenden wurde, auf einmal wieder die
Nachhut bildet.127 Die einfachste Erklärung: Plautus wollte die Bühne für
Das Schema ist wohl nicht ganz so regelmäßig wie in den Menaechmi, aber
in den Grundzügen durchaus erkennbar: nur bei c/d haben wir nicht den
regulären Übergang von Septenaren zu Senaren.
b) Zum zweiten ist nicht nur die Actuspause b/c aus der Interpretati-
on des Textes nachweisbar, sondern auch die anderen. Um den Beweis für
a/b (nach v. 108) zu führen, brauchen wir den richtigen Text der Verse
105–108, wie ihn im wesentlichen Tränkle vertreten hat131 (zu lutrum in
v. 108 siehe oben 2.6.1):
Die (auch von Lindsay132 gewählte) Reihenfolge der Verse 107/106a recht- 58
58
fertigt Tränkle mit dem Hinweis, daß unmittelbar vor „Denn von der See-
reise her bist du wohl etwas nervös“ nicht die Einladung zum Bad stehen
kann, sondern nur „Gehen wir dem, der da Krach schlagen will, aus dem
Weg“. Absolutes turbare in der Bedeutung ‚Krach schlagen, einen Wirbel
machen‘ ist bei Plautus durchaus möglich133 (Men. v. 486 kündigt der Para-
sit, der sich durch Menaechmus II um eine cena betrogen glaubt, an adibo
ad hominem, nam turbare gestio, und macht ihm dann die heftigsten Vorwür-
fe); so wird man der Lesart von B2CD folgen und nicht Lindsays simul huic
‹nos› nesciocui turbae quae huc it decedamus hinc (Lindsay muß zudem nicht nur
die Fassung von B1 turbe equi zu turbae quae ändern, sondern metri causa auch
noch nos einfügen). Es gibt also in der Actuspause keine turba, d. h. keinen
menandrischen Chor, auch keine gedankenlose overliteral translation;134
sondern Plautus kündigt den Auleten an, dessen Spiel die Actuspause sig-
nalisiert und ausfüllt (wie nach Pseud. v. 573a und wie m. E. auch sonst
130 Die Senarerweiterung am Actusschluß gleicht die Kürze der anfänglichen Senar-
partie wieder aus.
131 Tränkle: „Zu zwei umstrittenen Stellen der plautinischen Bacchides“, S. 115–118.
132 In der Ausgabe; anders in seinem Literaturbericht (Wallace M. Lindsay: „Jahres-
bericht über Plautus 1907–1911“, in: Bursian 42/2 [1914], S. 1–58).
133 Gegen Otto Skutsch: „The Bacchides of Plautus (Cesare Questa)“, in: Classical
Review 81 (1967), S. 40, Anm. 1.
134 Wie W. Geoffrey Arnott: „T. Maccius Plautus: Bacchides, hg. von Cesare Questa.
Firenze 1965“, in: Gnomon 39 (1967), S. 137 meint.
122 II. Handlungsgliederung
immer ohne eine solche Ankündigung). Wenn also Donat (Andr. praef. 2, 3
p. 38sq. W.) bezeugt, daß die Bühne manchmal ganz leer wird, ita ut in ea
chorus – bei den Griechen – vel tibicen – bei den Römern – obaudiri possint;
quod cum viderimus, ibi actum esse finitum debemus agnoscere, so ist dieses Zeug-
nis nicht so ohne weiteres zu eskamotieren. Questa, als überzeugter Ver-
fechter der „indifferenza del comico latino alla struttura κατὰ µμέέρη in se
stessa“135, versucht wohl,136 die Beweise, die für die Actusgliederung spre-
chen, zu entkräften, aber seine Argumentation ist, wie wir jetzt sehen kön-
nen, nicht stringent. Er wendet erstens ein, in der Palliata könne es schon
deswegen keine regelmäßige Actusteilung geben, weil weder die antiken
noch die modernen Philologen mit einer Fünfteilung zu Rande gekommen
seien. Richtig, insofern es um die Fünfzahl geht, irrelevant, wenn die Ac-
tuszahl in der Palliata variiert. Zweitens pocht er darauf, daß nach keinem
anderen ersten Actus das Flötenintermezzo angekündigt wird. Das kann
jedoch so selbstverständlicher römischer Bühnenbrauch sein, daß das
Argument nur eines ex silentio ist. Schließlich setzt er 137 den nescioquis,
turbare qui huc it von Bacch. v. 107 mit dem vom Forum zurückkommenden
59
59 Pistoclerus gleich. Das wäre wohl von der || plautinischen Zeitraffungs-
technik her nicht ganz auszuschließen (immerhin kommt in Actus d auch
Nicobulus nach den 11 Zwischenversen 1076 –1086 vom Forum zurück),
doch der Text selbst sperrt sich gegen Questas Auslegung. Würde Bacchis A
wirklich Pistoclerus meinen, wäre er für sie kein nescioquis, und es ist auch
nicht einzusehen, wie sie zu dem Eindruck kommen sollte, daß er mit der
Absicht des turbare kommt. Passen würden turbare und nescioquis auf Lydus;
aber von dem kann sie wieder nicht sagen, daß er huc it (er tritt ja dem auf
der anderen Bühnenseite auftauchenden Pistoclerus in den Weg, vgl. oben
S. 25). Und meinte sie die ganze Personengruppe, die sie noch in weiterer
Entfernung sähe, dann wäre wieder der Singular nicht am Platz. Deutet sie
hingegen auf den Auleten, der sich eben zur Bühnenmitte begibt und zum
Blasen anschickt, ist alles ganz ungezwungen in Ordnung. Und überhaupt
hat Plautus den Originalhinweis auf den Chor unkomplizierter ins Römi-
sche transformiert, wenn er schlicht den Auleten an dessen Stelle setzt, als
wenn er, sozusagen um eine Ecke mehr herum, eine Gestalt des Spieles
zum Pausenfüller macht.
Was die Actuspause c/d (v. 924/925) betrifft, müssen wir, bevor wir
aus dem Text nachweisen, daß sie existiert, überhaupt erst die Möglichkeit
einer Spielpause an dieser Stelle erörtern. Es ist nämlich nicht sicher, daß
die Bühne nach v. 924 völlig leer wird.138 Nicobulus beabsichtigt nach den
1927, S. 14f. Die Erwägungen von Theiler: „Zum Gefüge einiger plautinischer
Komödien“, S. 271f. und Questa: Bacchides, S. 49ff. konzentrieren sich zu sehr auf
die analytische Herstellung des Originals, und noch dazu auf der Basis der Aner-
kennung beider Briefintrigen.
139 Theiler: „Zum Gefüge einiger plautinischer Komödien“, S. 271f. schließt aus
dem sonstigen plautinischen Gebrauch solcher Wendungen, daß ihr Sprecher,
hier also Nicobulus, sich durch die Äußerung eines anderen im eigenen Sprechen
unterbrochen sehen muß, d. h. daß im Original v. 979 bald nach v. 924 kam.
Aber die unterbrochene bzw. gestörte Tätigkeit Nicobulus’ könnte auch die des
Lesens sein – und dann war er besser doch die ganze Zeit auf der Bühne.
140 Dafür tritt Henry D. Jocelyn: „Chrysalus and the Fall of Troy (Plautus, Bacchides
925–978)“, in: Harvard Studies in Classical Philology 73 (1969), S. 145f. ein, der zu-
dem, um oberflächliche Widerspruchsfreiheit des Textes zu erzielen, v. 932 als
nachplautinisch streichen will. Diskussion der Figurenführung auch bei Questa:
Bacchides, S. 49ff.
124 II. Handlungsgliederung
Sklaven, die ihm den wahren Sachverhalt mitteilen; vgl. im übrigen oben
am Ende von 1.1.2) werden in den Actus a und b von der üblichen metri-
schen Großgliederung begleitet (die kleine Senarerweiterung am Ende von
a stört kaum, noch weniger natürlich, daß der letzte Actus wieder einmal
freier gestaltet ist):
141 Burckhardt: Die Akteinteilung in der neuen griechischen und in der römischen Komödie,
S. 22.
142 Burckhardts Verweis auf Truc. v. 481/482 (wo Phronesium am Szenenschluß sagt
nunc miles adveniat velim, worauf dieser seinen Auftrittsmonolog absolviert) ist in-
sofern treffend, als in Most. v. 430 wie Truc. v. 481 nicht schon das Fehlen eines
atque eccum adest die anschließende Pause beweist; aber im Truc. schloß eben der
Actus a knapp davor mit v. 447 (sen. v. 1–94; cant. v. 95–255; sept. v. 256–321;
sen. v. 322–447); Actus b beginnt mit cant. v. 448–464 und sept. v. 465ff. Inhalt-
lich dominiert in Actus a der Liebhaber Diniarchus, an den Phronesium ab v. 448
keinen weiteren Gedanken verschwendet. Das ist in Most. v. 409–430 ganz an-
ders, da stellt der kleine Zwischenauftritt des puer Sphaerio die Verbindung mit
dem zu Ende gehenden Actus sicher (v. 419–426, vgl. v. 404f.). Vergleiche im
übrigen auch Anm. 34.
Dis exapaton und Bacchides 125
143 Aus den bekannten, bereits von Donat formulierten, aber unzulässig zur Grundlage
einer allgemeinen Regel gemachten Rücksichten (Don. Ad. praef. 1, 4 p. 4 W.): me-
tuentes scilicet, ne quis fastidiosus, finito actu velut admonitus abeundi, reliquae comoediae fiat
contemptor et surgat.
126 II. Handlungsgliederung
ist dabei nur die eine Seite der Sache.144 Viel auffälliger, also für die Pause
viel beweiskräftiger, ist die Gesamtfunktion des Troiacanticums von IV 9.
Man pflegt es als Triumphlied des Chrysalus zu bezeichnen und zu bekrit-
teln, daß er es zu früh anstimmt, schon nach der zweiten und nicht erst
nach der letzten Intrige.145 Aber bei genauerem Zusehen ergibt sich, daß es
den Triumph nicht feiert, sondern erst ankündigt. Genaugenommen steht
es also nicht nach der zweiten, sondern vor der dritten Intrige. Chrysalus
hat die Eroberung seines Troia noch vor sich (v. 929 erum expugnabo meum,
auch v. 933f. o Priame periisti senex, qui misere male mulcabere quadringentis
Philippis aureis), sein troianisches Pferd – der zweite Brief – muß erst nach
63
63 Troia ge-||bracht werden (v. 943 non in arcem, verum in arcam faciet impetum).
Seine bereits vollbrachten Großtaten erwähnt Chrysalus nur im Zusam-
menhang mit der noch bevorstehenden Aufgabe, zuerst nebenbei, zur
Begründung dafür, daß die milites im Pferd, d. h. die Buchstaben des Brie-
fes, armati atque animati probe sind (v. 942): ita146 res successit mi usque adhuc,
dann, über den Zwischenvergleich mit dem schlauen Odysseus, in aller
Breite, als er von Troias tria fata spricht. Aber auch da liegt die Betonung
auf dem noch zu Leistenden: nach der Lügenerzählung von β duo restabant
fata … nec magis id ceperam oppidum (v. 959), und nach der Spoliierung des
Troilos – ist gleich nach der Erschleichung der ersten 200 Philippstaler147
– alteris etiam ducentis usus est, qui dispensentur Ilio capto, ut sit mulsum qui
triumphent milites (v. 971f.). Es kann also kein Zweifel sein: Plautus hat das
Troiacanticum auf keinen Fall als Abschluß der vorausgegangenen ersten
Briefintrige geschrieben, er hat es aber auch nicht (oder doch: nicht nur)
eingefügt, um Chrysalus prahlen zu lassen, sondern vor allem, um den
neuen Actus zu exponieren.
c) Zum Abschluß dieses Teilabschnitts bleibt noch festzustellen, daß die
Actusteilung, die wir nach den zwei Kriterien der metrischen Gliederung
und der Pausenbehandlung als plautinisch erkannten, sich auch vom dritten
Kriterium der Inhaltsgliederung her bewährt. Plautus muß die Handlung
des Dis exapaton etwa folgendermaßen analysiert bzw. umgeformt haben,
um relativ selbständige Handlungsteile zu erhalten:
Actus a konnte mit Dis exapaton α gleichbleiben, weil das Paar Pisto-
clerus–Bacchis A, das zu Beginn in Opposition zueinander steht, sich am
Ende des Actus findet, womit ein gewisser Teilabschluß erreicht ist.
Actus b bringt zuerst Hilfe für das Hauptpaar Mnesilochus – Bacchis S,
durch den Erfolg von Chrysalus’ Lügengeschichte, || dann die äußere und 64
64
innere Gefährdung dieser Liebe: Mnesilochus gibt das Geld zurück, immer-
hin erweist sich sein Zweifel an Bacchis’ Treue als unbegründet.
Actus c rückt den Meisterintriganten Chrysalus in den Mittelpunkt, der
in der ersten Briefintrige den mißtrauischen Nicobulus nochmals drankriegt
und die letzte Gefahr für Mnesilochus und Bacchis S aus der Welt schafft.
In Actus d erringen Chrysalus in der zweiten Briefintrige und Bacchis
A durch ihre Verführungskünste den endgültigen Sieg über Nicobulus.
Insgesamt ergibt sich auf diese Weise eine possenartige Komödie, de-
ren erste beiden Actus vornehmlich von den zwei Liebespaaren beherrscht
sind, während in der zweiten Stückhälfte der Intrigensklave dominiert.
Ausgerüstet mit der Kenntnis sowohl der menandrischen wie der
plautinischen Handlungsgliederung können wir uns nunmehr die vorläufi-
gen Resultate über die Struktur von Original und Bearbeitung nochmals
im Überblick vergegenwärtigen.
Dis ex.: α β γ δ ε
108/9 384/5 525/6 924/5 1075/6 1211
‹ ›
….
108/9 572/3 924/5 1211
Bacchides: a b c d
Ein Blick auf das Schema zeigt sogleich, daß die Eingriffe des Bearbeiters
alles andere als unbeträchtlich sind. Er hat zunächst seinen Actus b aus
Akt β (unverändert), γ (gekürzt) und δ (die Anfangsszenen) zusammenge-
zogen, so zwar, daß einerseits die Lügengeschichte (in Senaren), anderseits
die Teilhandlung um Mnesilochus’ Zweifel (hauptsächlich in Septenaren)
deutlich abgesetzte Teilsequenzen des plautinischen Actus bilden. Nicht
minder schwer wiegen die Umformungen von δ und ε. Denn Plautus hat
nicht nur den δ-Beginn zu b geschlagen, um die Liebesgeschichte abzu-
runden; im folgenden laufen δ und c wohl || parallel, aber mit Änderungen, 65
65
die in den Bacchides die Einfügung von v. 925–1075 ermöglichen; schließ-
lich ist ε so verkürzt, daß die Einfügung und ε gemeinsam d ergeben. In
128 II. Handlungsgliederung
diesem Rahmen kehren wir im folgenden zur ergänzenden und die bisheri-
gen Ergebnisse kontrollierenden Analyse des Textes zurück.
3.2. Die verdoppelte BRIEFINTRIGE bzw. die Frage, welche von den bei-
den Intrigen die menandrische ist, stellt natürlich das analytische Haupt-
problem dar. Sieht man nur auf das jeweilige Ziel der Teilhandlung, ist die
Antwort klar: bei Menander muß am Ende die Gewinnung jener 200 Phi-
lippi stehen, die als ,Intrigengeld‘ dem Cleomachus zu zahlen sind, nicht
die des ,Vergnügungsgeldes‘ (vgl. oben 2.6.3). Auf dieses Ziel führt nun
die Szenenfolge IV 5–8 in ihrem Aufbau so klar hin, daß man sich gegen
IV 9 entscheiden wird. Man sehe nur, wie gut der Einsatz der Figuren des
Spiels sich entwickelt (mit ständiger Zunahme des Spielpersonals):
IV 5 – Kurzer einleitender Monolog des Chrysalus, der Nicobulus
erwartet;
IV 6f. – Nicobulus kommt, von tiefstem Mißtrauen erfüllt, wird aber
im Verlauf der Szenen darin doch schwankend;
IV 8 – Cleomachus tritt zu den beiden hinzu; er gibt Chrysalus Gele-
genheit, seine Drohungen gegen Mnesilochus der Intrige nutzbar zu ma-
chen, und dem Dichter, die Zahlungsbereitschaft des Nicobulus am Akt-
schluß den Zuschauern ad oculos vorzuführen.
Schon der Umstand, daß in IV 9 Cleomachus am Ende nicht mit von
der Partie ist, reicht also aus, die Handlungsführung von IV 9 als un-
menandrisch zu qualifizieren. Nur ist das Problem damit noch nicht zur
Gänze erledigt, woran Lefèvre sehr verdienstvoll erinnert hat.148 Wenn
nämlich Situation und Handlungsführung in IV 5–8 menandrisch, in IV 9
unmenandrisch sind, muß dasselbe Urteil noch keineswegs für die beiden
Briefe gelten. Vielmehr gibt es, was die Briefe betrifft, noch immer drei
Möglichkeiten. In die originale Situation der Szenen IV 5–8 kann gehören
a) der erste Brief,149 den Chrysalus in IV 4 diktiert (v. 731ff.) und in
IV 6 Nicobulus übergibt (v. 787ff.). Das ist implizit die These von Eduard
Fraenkel,150 der ja den zweiten Brief als von Plautus durch Kontamination
eingefügt erklärte.
66
66 b) der zweite Brief (IV 9, v. 997ff.),151 den Plautus mit entsprechen-
den Änderungen in seine dritte Intrige versetzte, während er den ersten
Brief für die zweite Intrige schlecht und recht selbst erfand. Diese These
hat, nach Andeutungen von Karl Büchner152 und Webster,153 Lefèvre aus-
führlich und mit Entschiedenheit vertreten.
c) eine Kombination aus beiden Briefen. Diese Möglichkeit wurde,
soweit ich sehe, bis jetzt nicht diskutiert.
Mustern wir also die beiden Briefe und ihren Textzusammenhang auf
diese Möglichkeiten hin durch. Gegen Brief 1 wendet Lefèvre ein,154 er
habe keine dramaturgische, sondern nur eine psychologische Funktion: in
typisch plautinischer Manier wolle der siegesgewisse Intrigensklave seinen
Gegenspieler gegen sich aufbringen, um sich seine Aufgabe prahlerisch
noch zu erschweren (wie Pseudolus in I 5). Diese Wirkung hat der Brief
im plautinischen Zusammenhang tatsächlich; allerdings sahen wir oben in
2.6.3, daß der ganze Intrigenplan auch des menandrischen Chrysalus da-
rauf beruht, daß Nicobulus von tiefstem Mißtrauen gegen ihn erfüllt ist.
Durch Wahrheit lügen kann er nur, wenn Nicobulus die Haltung, die er in
Dis ex. v. 64ff. einnahm, noch immer beibehält; und eben um sich dessen
völlig zu versichern, kann Chrysalus ihm brieflich mitteilen lassen, er –
Chrysalus – tadle die Rückgabe des Geldes und wolle es Nicobulus ein
zweites Mal abnehmen (v. 735ff., 803ff.).
Brief 1 ist also insoweit nicht als dramaturgisch funktionslos zu erwei-
sen (was gegen oder zumindest nicht für These b spricht,155 aber noch
nicht zwischen a und c entscheidet). Anderseits reicht der Inhalt von Brief 1
doch nicht aus, den Gang der Handlung in IV 7 lückenlos zu motivieren.156
Sie entwickelt sich zwar in guter und verständlicher || Steigerung. Die erste 67
67
Runde des geistigen Wettkampfs mit Nicobulus nach dessen Lektüre des
Briefes – über die zwei Runden des Vorgeplänkels siehe unten in 3.3.3 –
bestreitet Chrysalus damit, daß er auf die völlig selbstsicher, ja höhnisch
triumphierend vorgebrachten Vorwürfe des Alten, Chrysalus rate seinem
Sohn also zu einem Lotterleben (v. 812f., vgl. v. 743 im Brieftext), ganz
überraschend mit nicht weniger Hohn und Selbstsicherheit erwidert: O
stulte stulte, nescis nunc venire te – was wir schon deswegen für menandrisch
erklären würden, weil Chrysalus damit die Wahrheit sagt, und das nicht
nur, weil es ihm Spaß macht, sondern auch zu einem Lügenzweck:157 um
Nicobulus durch seine selbstsichere Offenheit zu verwirren und dem Brief
des Sohnes gegenüber unsicher zu machen. Und als beste Bestätigung
dieser Interpretation folgt noch Chrysalus/Menanders berühmtes quem di
diligunt, adulescens moritur. Allzu bedenkenlos kann man also doch nicht IV 7
für im wesentlichen plautinisch erklären.
Die zweite Runde beginnt v. 824 mit Nicobulus’ numquam auferes hinc
aurum. Chrysalus kontert wieder mit provokantem Widerspruch: atqui iam
dabis,158 bleibt aber dabei nicht stehen, sondern bringt ein neues Element
ins Spiel (v. 826f.): cum illum rescisces … quanto in periclo et quanta in permicie
siet. Die Formulierung ,Bald wirst du zahlen, wenn du erfährst, in welcher
Gefahr dein Sohn ist‘ kommt der direkten Lüge – die Chrysalus ja vermei-
den will – schon so nahe, daß man sie für plautinisch halten wird; die Sa-
che würde etwas besser mit der Annahme, ‚wenn du erfährst‘ gehe auf ein
,wenn du den Eindruck gewinnst‘ bei Menander zurück.159 Dann ist die
Aussage wieder objektiv richtig. Aber sei dem wie immer, im Textzusam-
menhang bringt das Stichwort ,Sohn in Gefahr‘ jedenfalls die nötige Stei-
gerung.
Es soll nämlich offensichtlich die dritte Runde vorbereiten, in der
Nicobulus erschrocken fragt (v. 830) quo in periclo est meus Mnesilochus filius?
Und jetzt bringt Chrysalus seinen großen Coup an: er läßt den Alten durch
68
68 den Türspalt ins Bacchishaus spähen und flößt ihm den || Verdacht ein, die
Frau, mit der er seinen Sohn beisammen sieht, könnte vielleicht keine
Hetäre sein (zweckmäßigerweise tritt dann gleich Cleomachus auf, den
Nicobulus für den Gatten der Bacchis hält). Das Thyroskopie-Motiv ist,
wie in 2.6.2 schon angedeutet, eine typisch menandrische Variation der
analogen Szene aus γ; Chrysalus hatte den Plan dazu schon in IV 4 gefaßt
(v. 716–725), durch Mnesilochus’ Kurzbericht über seine Verwechslung
der Bacchides angeregt.160
Im Grunde werden die drei Durchgänge des Gesprächs auf Menan-
ders originale Konzeption der Szene zurückgehen; die Menanderspuren
der ersten und dritten ‚Runde‘ sprechen deutlich dafür. Und doch muß
157 Mit der Zweideutigkeit der Wahrheit spielt Menander ähnlich in Andria v. 507ff.
158 Die Fortsetzung (v. 825) atque orabis me quidem ultro ut auferam kündigt, wie Theiler:
„Zum Gefüge einiger plautinischer Komödien“, S. 269f. gesehen hat, IV 9 an
(v. 1059ff.), muß also von Plautus stammen.
159 Unter Ausnützung des unten gewonnenen Resultats, daß hier Brief 2 eine Rolle
spielen muß, könnte man an dieser Stelle auch eine Äußerung des Chrysalus pos-
tulieren, die Nicobulus zum Weiterlesen anregt (z. B. ,Aber du weißt ja nicht, in
welcher Lage er ist‘).
160 Plautus mußte in IV 4 diesen Kurzbericht unterschlagen, weil er die Szene in γ
gestrichen hatte.
Dis exapaton und Bacchides 131
auch Plautus kräftig eingegriffen haben. Zum einen, weil Chrysalus mehr-
mals gegen sein Intrigenprogramm ,Lügen durch Wahrheit‘ verstößt. Er
tut das nicht nur, wie oben schon erwähnt, in der zweiten Runde (v. 826
rescisces), gravierender ist, daß er auch das mit der Thyroskopie angesteuer-
te Ziel nur durch Lügen erreicht: als Nicobulus zu verstehen gibt, daß er
die Frau in den Armen des Mnesilochus für nichts anderes als eine Hetäre
hält, antwortet Chrysalus (v. 840): frustra es. Hier würde auch die Vermu-
tung, Plautus habe wieder nur einen unverfänglicheren Ausdruck Menan-
ders durch einen zu deutlichen ersetzt, nicht mehr weiterhelfen. Denn zum
anderen stimmt es – trotz der oben beobachteten Steigerung in den Ge-
sprächsdurchgängen – im dritten Durchgang nicht mit Handlungsführung
und -motivation. Denn die Ankündigung einer völlig unbestimmten Ge-
fahr (Runde zwei, v. 827) kann nicht ausreichen, Nicobulus’ starke Reakti-
on in dem Augenblick zu erklären, in dem er seinen Sohn erkennt (v. 836):
161 Zum plautinischen Anteil an der Formulierung dieser beiden Verse siehe unten
S. 86f.
132 II. Handlungsgliederung
162 280 Verse hat Epitr. γ, der längste uns bekannte Menanderakt; vgl. Questa: Bacchi-
des, S. 19 Anm. 16.
134 II. Handlungsgliederung
3.3.2. Im Mittelteil des Akts (IV 4, v. 671–760) sind Chrysalus und Mnesi-
lochus die Hauptakteure (Pistoclerus hat nur Neben- und Hilfsfunktion).
Der wichtige Szenenteil, in welchem die beiden sich zur (ersten) Briefintri-
ge entschließen, ist oben in 2.6.3 besprochen; er wird das Original recht
gut wiedergeben. Aber bald darauf, in den Versen 703–713, wird jenes
Kürzungskriterium wirksam, nach welchem alle vorbereitenden Hinweise
auf Plautus’ zweite Briefintrige und die mit ihr zusammenhängenden Prah-
lereien des Chrysalus zu streichen sind. Da tönen gleich v. 703f. gar gewal-
tig: Chrysalus will den beiden jungen Leuten jede gewünschte Summe
‚geben‘, schließlich ist er der ,Goldbursche‘. v. 705 fragt er gönnerhaft, was
für ein lächerliches Sümmchen (quantillum) Mnesilochus brauche. Und die-
ser, der grad zuvor noch um das ,Intrigengeld‘ gezittert hat, will jetzt auf
einmal auch schon ein Vergnügungsgeld. ,Schön eins nach dem andern‘,
163 Lefèvre: „Plautus-Studien II“, S. 524f. schließt nicht vom Status der Gesprächs-
teilnehmer auf plautinische Vergröberung des Tons, sondern umgekehrt – und
unwahrscheinlich – vom groben Ton des Pistoclerus darauf, daß im Original
Chrysalus sprach. Trotz seiner konservativen Grundhaltung richtig zum plautini-
schen Charakter von IV 1–3 Questa: Bacchides, S. 41f.
164 Zur Chrysalusmonodie v. 640–670 siehe Fraenkel: De media et nova comoedia quaes-
tiones selectae, S. 242ff. und Questa: Bacchides, S. 43ff.
Dis exapaton und Bacchides 135
Was wir von vornherein vermuten müßten – nämlich daß Plautus den
Originalbrief nicht nur zerteilt, sondern die Teile dann, um sie zu ganzen
Briefen zu machen, erweitert hat –, das läßt sich also für einzelne Vers-
gruppen im ersten Brief teils beweisen, teils wahrscheinlich machen. Und
für den zweiten Brief gilt das in noch höherem Maß, weil Plautus dort
gegen das Prinzip ,Lügen mittels Wahrheit‘ direkt verstößt. Statt Mnesi-
lochus etwa schreiben zu lassen ,Mit mir ist es aus, wenn ich nicht 200
Philippi für die Bacchis des Cleomachus bekomme‘, muß Plautus in IV 9
74
74 einen falschen Grund einführen, der Nicobulus zum || Zahlen der zweiten
Summe veranlaßt und seinen Irrtum über das Verhältnis zwischen Bacchis
und Cleomachus aus IV 8 schon voraussetzt: siehe etwa v. 1009f. (besonders
cum peregrini cubui uxore militis) oder v. 1028–1033 (das fingierte eidliche
Zahlungsversprechen). Auch v. 1019–1022 (Chrysalus habe Mnesilochus
ins Gewissen geredet) ist unwahr.
Für unsere Umfangsberechnung des Originals ergibt sich daraus, daß
die Szene IV 4 jedenfalls nicht länger werden muß, wenn wir an die Stelle
der zerdehnten ersten Briefhälfte die echten Teile der beiden plautinischen
Briefe setzen. Ja die Szene, in der der Brief diktiert wird, sollte sogar kür-
zer werden, weil auch der den Brieftext umgebende Dialog Plautinisches
enthält. Da ist das Spiel mit dem lateinischen Briefanfang (v. 731f., salutem
– morbum mortem), und da ist vor allem wieder Chrysalus als Imperator
(v. 726f., 733, 759). Seine Rolle als militärischer Befehlshaber und als In-
trigenheld ist übrigens am Szenenschluß (v. 753ff.) und, nach dem Abgang
der jungen Männer, in seinem Monolog IV 5169 so ausgespielt, daß man
sich fragen muß, ob IV 4 bei Menander nicht dadurch ein abruptes Ende
fand, daß höchst überraschend (überraschend auch, weil er innerhalb des
Akts von der Agora zurückkommt) Nicobulus auftrat und die Jünglinge
zur überstürzten Flucht ins Bacchishaus zwang. Temporeiches Spiel ist am
Beginn der Katastrophé jedenfalls geboten; wenn Webster Chrysalus gar
mit den Jünglingen ins Haus gehen lassen will, um einen Aktschluß an
dieser Stelle zu ermöglichen,170 so müßte das schon der Umstand wider-
legen, daß angesichts des drohenden Cleomachusauftritts keine Zeit dafür
bleibt.
Von den 90 Versen 671–760 (IV 4) können wir jedenfalls v. 703–713
sicher abbuchen, danach werden weitere 10 bis 20 auf das Konto des
Plautus gehen. Ziehen wir als gut möglichen Durchschnitt insgesamt 25
Verse ab, dann verbleiben für Menander 65, vom Aktbeginn bis zum Ende
von IV 4 also etwa 185 Verse.
169 Die Verdachtsgründe gegen den Monolog erörtern Questa: Bacchides, S. 22f. und
Lefèvre: „Plautus-Studien II“, S. 530.
170 Webster: An Introduction to Menander, S. 132.
Dis exapaton und Bacchides 137
3.3.3. Der Schlußteil von δ, IV 5–8, muß bei Menander den Sieg von
Chrysalus’ strategischem Prinzip bringen; darum wird an der Stelle des
Plautusmonologs IV 5 eine entsprechende einleitende Zwischenbemer-
kung seines Chrysalus an dieses erinnern, etwa ,Nun muß sich die Waffe
der Wahrheit bewähren‘.
Von IV 6 an ist das Menandrische vom Plautinischen schwer zu
scheiden, weil alles auf den feinen Unterschied zwischen durchaus psycho-
logisch motivierter theaterwirksamer Handlungsführung und || derselben 75
75
Spielführung mit zusätzlichen intellektuell-parodistischen Pointen hinaus-
läuft. Aufbau und Entwicklung des Dialogs in IV 6f. sind an sich klar und
beiden Fassungen gemeinsam: vor den drei Gesprächsdurchgängen von
IV 7,171 deren Gegenstand der Briefinhalt darstellt, wehrt Chrysalus in IV
6 in einer Art Vorgeplänkel die ersten Vorwürfe und Fragen des erregten
Alten ab (Verdacht besteht nur gegen das Zwischenstück v. 792–800 mit
dem Fesselungsmotiv, siehe oben S. 73).
Nun zieht sich durch die ganze Dialogszene (d. h. durch IV 6 und IV 7)
ein bestimmter Spieltypus172 durch: ein mit Mißtrauen Beäugter und unter
schwerem Lügenverdacht Stehender verteidigt sich, indem er die Pose des
zu Unrecht Gekränkten einnimmt und die Verantwortung implizit auf
einen anderen weiterschiebt: ,Du traust mir nicht? Gut, ich werde nichts
mehr sagen; du wirst schon noch sehen, wem du trauen kannst!‘ Chrysalus
beginnt schon so (v. 783ff.):
(v. 787–889 und v. 801f. der Brief; v. 831–836 Anblick des Mnesilochus
beim Convivium, v. 847–849 die Drohung des Cleomachus), denn er
selbst sagt nichts mehr (v. 789 nescio, v. 801 quid me rogas, v. 841 ex me
quidem hodie numquam fies certior).
Der von IV 6–8 durchgehaltene Spieltypus dient Chrysalus’ Intri-
genstrategie in bester Weise: er selbst sagt keine Unwahrheit, ja indem er
auf Mnesilochus’ Absichten verweist, sogar die Wahrheit. Und da auch
dessen Brief die (nur einem Mißverständnis offene) Wahrheit enthält, sind
am Ende beide außer Obligo; den Verdacht, Bacchis sei die Ehefrau des
76
76 Cleomachus, faßt ja Nicobulus, bei aller Hilfestellung || durch Chrysalus
und Cleomachus, im Grunde selbst. Der Spieltypus liegt also sicher der
Handlungsführung auch schon Menanders zugrunde, könnte aber, inso-
weit es nur um die Pose des vermeintlich zu Unrecht Verdächtigten geht,
in jedem beliebigen analogen Handlungszusammenhang eingesetzt wer-
den. Speziell zur Handlung des Dis exapaton gehört nur der Zug, daß der
Verdächtigte jede direkte Lüge vermeiden soll.
Die komödien- oder possenhaften Elemente des Spieltypus, die inso-
weit auch Plautus beibehalten konnte, erfahren nun bei Menander eine
Verfeinerung und Vertiefung in ganz bestimmter Hinsicht. Der athenische
Dichter unterhält sein Publikum zusätzlich noch damit, daß er leicht paro-
distisch an das Vokabular und die Maximen einer erkenntnistheoretischen
Debatte erinnert. Das begann schon in der Lügenerzählung von II 3. Dort
soll Nicobulus über den genauen Betrag der Geldsumme im unklaren
bleiben, die Mnesilochus von Ephesos heimgebracht hat, und genau in
dem Augenblick, als Chrysalus im Begriff ist, dieses sein Intrigenziel zu
erreichen, leistet er sich den Luxus, ‚philosophisch‘ zu sprechen. Eine
ganze Reihe von Beteuerungen seines Nichtwissens (v. 316 quantum at-
tulerit nescio, v. 319f. ego nescio quantillum attulerit, v. 321 non edepol scio, v. 323
verum nescio) schließt er v. 324 mit dem berühmten Diktum des Sokrates
ab: nil scio nisi nescio.
Ich kann es für keinen Zufall halten, wenn auch das Vorgeplänkel
von IV 6, sobald man v. 792–800 als plautinisch streicht, im Jargon der
Erkenntnistheoretiker abschließt. Da fragt Nicobulus, als Chrysalus ihm
den Brief des Mnesilochus überreicht (v. 789): ubi ipse est? Die direkte
Frage ist von komischer Wirkung schon insofern, als Chrysalus ja durch
sie in Verlegenheit gerät, weil er nicht mit einer direkten Lüge antworten
will. Er windet sich aber nicht nur dadurch heraus, daß er im Ton des die
Verantwortung auf Mnesilochus Abschiebenden antwortet (v. 789ff.) nescio
(was der Schauspieler natürlich so sprechen muß, daß man versteht: ,Ich
wüßte es wohl, darf es aber nicht sagen‘); nil iam me oportet scire; oblitus sum
omnia; scio me esse servom. Vielmehr schließt er das Geplänkel damit ab, daß
er in vertracktem Skeptizismus die Maxime des Sokrates noch überbietet
(v. 791): nescio etiam id quod scio – wodurch nebenbei bemerkt auch die
Dis exapaton und Bacchides 139
173 Einen weiteren Beleg für Chrysalus’ Philosophensprache liefert fr. 109 K.-Th.,
siehe unten S. 89. Vgl. im übrigen, auf Nicobulus bezogen, auch v. 814: o stulte,
stulte, nescis nunc venire te.
174 Vgl. übrigens oben S. 73 mit Anm. 168.
175 Zum Bellerophon-Vergleich siehe Fraenkel: Plautinisches in Plautus, S. 27.
176 Theiler: „Zum Gefüge einiger plautinischer Komödien“, S. 269.
177 Dazu vgl. Questa: Bacchides, S. 22f.
140 II. Handlungsgliederung
78
78 eine, das Vergnügungsgeld, vor den Augen des Publikums || Chrysalus
übergibt, während er das eigentliche Intrigengeld zu Cleomachus aufs
Forum bringt. Am Beginn von Actus d darf dementsprechend einerseits
Nicobulus noch nicht zum Forum gegangen sein, muß er anderseits das
Geld noch im Haus haben. Für Menander gilt in beiderlei Hinsicht das
Gegenteil. Da sein ε-Anfang (v. 1076) auf den δ -Schluß bei v. 924 folgt,
wird Nicobulus in der Aktpause auf der Agora bezahlt haben, und die
Zahlung auf der Agora hat wieder zur Voraussetzung, daß nach unserer
Vermutung Nicobulus am Anfang von δ das Geld dorthin brachte, um es als
Depositum vor Chrysalus in Sicherheit zu bringen. Andernfalls, d. h. wenn
er das Geld im Haus hätte, könnte er ja Cleomachus noch am δ -Schluß, in
IV 8, auszahlen.
Überprüfen wir nun im einzelnen, wie die plautinische Figurenfüh-
rung am Ende von IV 8 zu diesen Annahmen und Voraussetzungen paßt.
Bei Plautus verläßt zunächst Cleomachus den Bühnenraum (Abgang 1,
nach v. 904, vgl. v. 902 abeo ad forum igitur), als nächster dann Chrysalus
(Abgang 2, nach v. 912, ins Bacchishaus, unter dem Vorwand, Mnesilo-
chus die Leviten lesen zu wollen; damit verhindert er übrigens geschickt,
daß Nicobulus das noch selbst vor seinem Forumgang besorgen will),
schließlich als letzter Nicobulus (Abgang 3, nach v. 924, ins Haus oder in
Hausnähe, vgl. oben S. 59f.). Hier ist der Versuch lehrreich, die Figuren-
konstellation, die am δ -Schluß gebraucht wird, durch eine Radikallösung
zu erreichen. Man könnte nämlich, um IV 8 möglichst kurz zu halten, die
drei sozusagen ratenweise erfolgenden Abgänge zu vereinfachen suchen,
indem man Cleomachus und Nicobulus an der Stelle von Abgang 1 gleich
gemeinsam zur Agora expediert. Aber das würde zu einer Unwahrschein-
lichkeit führen. Nicobulus darf ja über seinen Irrtum bezüglich des Zah-
lungsgrundes erst nach erfolgter Zahlung aufgeklärt werden, und das geht
viel zwangloser, wenn sich die beiden erst auf der Agora wiederbegegnen,
nicht schon auf dem Hinweg miteinander sprechen können. Wir werden
also schon aus diesem Grund die plautinische Reihenfolge der Abgänge
doch auch für menandrisch halten. Dazu kommt weiter, daß der Plautus-
text bis v. 920a nicht gegen die Absicht des Nicobulus spricht, Cleoma-
chus nachzufolgen: nunc quasi ducentis Philippis emi filium, quos dare promisi
militi. Erst dann setzt eine merkwürdige Reihe von Richtungsänderungen
ein,178 die sehr dafür spricht, daß Plautus erst ab v. 920b von der Perso-
nenführung Menanders abweicht, um Nicobulus’ weiteres Verbleiben im
Bühnenbereich zu motivieren. v. 920f. will Nicobulus sein Versprechen
79
79 auf einmal || doch nicht ohne weiteres einlösen: quos non dabo temere etiam
prius quam filium convenero. Grund dafür ist sein noch immer waches Miß-
trauen gegen Chrysalus (v. 922): numquam edepol quicquam temere credam
Chrysalo.179 Und dann überlegt er sich’s noch einmal anders (v. 923): verum
lubet etiam mi has perlegere denuo. Statt mit dem Sohn zu reden, will er zu
guter Letzt dessen Brief noch einmal (etiam) durchlesen.180 Am Schluß von
IV 8 ist demnach das Hin und Her von v. 920b an plautinisch.
Für die Analyse der vorausgegangenen Partien von IV 8 ist dann eine
Gegebenheit des Schlusses bedeutsam. Wenn Menander ein verfrühtes Zu-
sammentreffen von Nicobulus mit Cleomachus sorgsam vermieden hat, da-
mit der Letztgenannte nichts verrät, dann kann keine Rede davon sein, daß
er vorher mit Chrysalus gemeinsame Sache gemacht hätte; vielmehr muß
sein Auftritt diesem die Situation nicht einfach leichter gemacht haben,
auch wenn er v. 844 sagt: per tempus hic venit miles mihi. Das bezieht sich nur
darauf, daß das belauschte Selbstgespräch des Cleomachus im ersten Szenen-
teil Nicobulus in seiner Angst um den Sohn bestärkt, ein Erfolg, den zwei
Motivwiederholungen, die wir schon beobachteten, mit Abschlußwirkung
bestätigen: Nicobulus’ oppido interii miser in v. 853 (vgl. v. 836) und Chrysalus’
quid nunc? scelestus tibi videtur Chrysalus? dixin tibi ego illum inventurum te qualis
sit? in v. 854, 856 (vgl. v. 783ff.). Jedenfalls sollte die dramatische Span-
nung der Szene gewahrt bleiben, indem auf diesen Teilsieg des Chrysalus
über Nicobulus bald seine Verhandlung mit Cleomachus folgt.
Das geschieht allerdings bei Plautus erst v. 872, was unseren Verdacht
gegen die Zwischenpartie erregen muß. Und prompt begegnen wir nach
dem Teilabschluß von v. 856 zunächst wieder typisch Plautinischem:
v. 855 und v. 857b–864 bringen teils die Fessellösung, teils die müßige
Wiederholung von Drohungen des Cleomachus (mit v. 859f. vergleiche
man v. 847–849; v. 864f. ist schwächlich, da nur gegen Bacchis, nicht ge-
gen Mnesilochus gerichtet). Auch v. 865–867 sind vielleicht unmenand-
risch. Wenn Chrysalus hier plötzlich den positiven Hinweis gibt pacisci cum
illo paulula pecunia potes, so widerspricht das seiner früheren Strategie, ||
nichts von sich aus zu äußern, und es wäre sicher ganz tadellos, wenn erst 80
80
Cleomachus’ nunc nisi ducenti Philippi redduntur mihi (v. 868) das neue Stich-
wort lieferte. Aber vielleicht reagiert Chrysalus mit v. 865 doch schon auf
Nicobulus’ auffordernde Frage (v. 857) quid nunc ego faciam?
Auf jeden Fall ist auch die Verhandlung Chrysalus – Cleomachus er-
weitert. Da die beiden wie gesagt bei Menander nicht kollaborieren, kann
sein Chrysalus auch nicht mit dem Soldaten vereinbaren, er werde sich,
wenn er nur zu seinem Geld komme, dafür kräftig ausschimpfen lassen.
179 Entschluß (v. 920f.) und Begründung (v. 922) gehören zusammen, daher ist Leos und
del Cornos Semikolon nach v. 922 unangebracht. Besser Doppelpunkt nach v. 921
vor dem kausalen Asyndeton, wie gleich danach in v. 923f., und Punkt nach v. 922.
180 Wenn man also verum lubet perlegere als Gegensatz zu filium convenero auffaßt, ist der
Plautustext in sich akzeptabel (gegen die Kritik von Fraenkel: De media et nova
comoedia quaestiones selectae, S. 61, Anm. 2, der Inhalt des Briefes könne Nicobulus
keine Entscheidungshilfe bringen, siehe oben S. 69).
142 II. Handlungsgliederung
81
81 3.4. Bacchides, dritter Actus.
Die Fragestellung im vorigen Abschnitt – Rekonstruktion von Dis exapaton
δ – brachte es mit sich, daß wir die Eingriffe des römischen Bearbeiters
kritisch-analytisch, d. h. eher negativ betrachteten. Nun sind wir verpflich-
tet, die Perspektive zu wechseln und zu sehen, was Plautus positiv aus dem
Menandertext gemacht hat.182
des insanum magnum negotium, bis zum Actusschluß in Senaren – nach dem
Rezitativteil wird es sozusagen ernst.
Ich möchte darauf aufmerksam machen, daß Plautus bis hierher den
Spielfluß (natürlich in dem der ,Posse mit Gesang‘ angemessenen Tempo)
durch seine Änderungen und Erweiterungen nicht unterbrochen hat – und
es wird im folgenden nicht anders sein. Er arbeitet nämlich in IV 6ff. so
um und fügt seine Zusätze an solchen Stellen ein, daß er auch auf die Bin-
nengliederung der Menanderszenen sorgsam Rücksicht nimmt und den
unmittelbaren Zusammenhang der Intrigenhandlung nicht wesentlich stört
(wir haben seine Einfügungen oben in 3.3.3 auch vor allem an der Unter-
brechung des intellektuellen Spiels mit der Wahrheitsbedingung und der
Philosophensprache erkannt). Gleich in IV 6 schiebt Plautus die Fesselung
des Chrysalus dort ein, wo bei Menander eine kleine Kompositionsfuge
lag, zwischen dem Vorgeplänkel (bis v. 791) und den drei Gesprächs-
durchgängen, während Nicobulus den Brief liest (ab v. 801). Das Fesse-
lungsmotiv kehrt flüchtig wieder zwischen der ersten und zweiten Ge-
sprächsrunde (v. 822f.).184 Schließlich wird Chrysalus auch an einer Kom-
positionsfuge wieder entfesselt, am || Ende von Cleomachus’ belauschtem 84
84
Monolog und vor dem Auftrag des Nicobulus, Chrysalus solle mit ihm
verhandeln: die eingeschobene Partie wirkt da im Possenzusammenhang
als Retardation, nicht als Handlungsunterbrechung.
Zusammenfassend dürfen wir feststellen, daß der Bearbeiter Plautus
in Kompositionsfragen mit bemerkenswerter Behutsamkeit vorgegangen
ist. Und nur der Vollständigkeit halber erwähne ich, daß auch seine Ab-
weichungen von der menandrischen Handlungsmotivation auf der Ebene
seiner eher possenhaften Palliata durchaus stilgerecht wirken. Wenn er im
Übergang IV 7/8 (siehe dazu oben S. 69f.) das Spiel mit dem Prinzip
,Lügen mittels Wahrheit‘ und das Erscheinen des Cleomachus, woraus sich
bei Menander wohl kleine Peripetien in der Handlung ergaben, die Chry-
salus in Verlegenheit zeigten, durch die lineare Handlungssteigerung er-
setzt, in der Nicobulus in ständig wachsende Angst gerät, und wenn er am
Actusschluß Nicobulus über seine nächsten Absichten unentschlossen
zeigt, so sind Angst und Verlegenheit des Intrigenopfers in den Augen des
Plautuspublikums nur die Bestätigung für die Überlegenheit des Intrigen-
helden.
184 Eine neuerliche Ankündigung der zweiten Briefintrige (v. 825 atque orabis me
quidem ultro ut auferam, vgl. v. 1059–1066) ist zwischendurch ganz unauffällig an
das originale atqui iam dabis (v. 824) angeschlossen.
146 II. Handlungsgliederung
3.5.1. Bacchides IV 9, der erste Teil des Actus d, läßt sich zwanglos in die
folgenden fünf Teilabschnitte gliedern:
Es ist schon aller Beachtung wert, daß Plautus, dem man gemeinhin nur
die Fähigkeit des Einflickens kleiner Passagen in seine Vorlagen zutraut,
diese Szenenfolge nicht nur im vorausgegangenen Actus c sorgsam vorbe-
reitet (ich erinnere nochmals an v. 707ff., 742f. und v. 825, 829), sondern
in so klarem Aufbau selbständig durchgeführt hat. Bereits die Entschei-
dung, sie durch das Troiacanticum zu exponieren (siehe dazu S. 62f.), ist
des Plautus eigene Entscheidung, und zwar nicht nur in dem Sinn, daß er
einen kleinen Trimetermonolog des menandrischen Chrysalus zu einem
Canticum ausgedehnt hätte. Denn ein solcher Monolog hatte im Original
höchstwahrscheinlich gar keinen Platz.185 Das ergibt sich zum einen aus
der Interpretation des vierten Aktschlusses (vgl. oben S. 78f.): wenn die
Reihenfolge der Abgänge in IV 8 (Nicobulus als letzter nach Cleomachus
und Chrysalus) menandrisch ist, kann Chrysalus dort nicht monologisiert
haben. Und zum anderen wird sich unten in 3.5.2 zeigen lassen, daß
Menanders fünfter Akt mit ziemlicher Sicherheit mit einer Szenenfolge
186 Vgl. zuletzt Jocelyn: „Chrysalus and the Fall of Troy“, Gaiser: „Die plautinischen
,Bacchides‘ und Menanders ,Dis exapaton‘“, S. 72ff., Questa: Bacchides, S. 46ff.
und Lefèvre: „Plautus-Studien II“, S. 525ff. Im übrigen müßten die genannten
Arbeiten von der Expositionsfunktion des Canticums in Actus d her auf ihre Inter-
pretationsvoraussetzungen hin überprüft werden.
148 II. Handlungsgliederung
Das fügt sich so gut zusammen, daß m. E. schon diese Kohärenz des
Spielablaufs zur Genüge erweist, daß ich v. 1000 zu Recht tilge.188 So
kommt auch v. 1006 zur gebührenden Wirkung, indem Chrysalus auch
187 Zum Teil bestreitet Plautus den Dialog also mit Variationen und überbietenden
Kontrafakturen zu IV 6 –8: Chrysalus lügt jetzt ungehemmt und steigert das
Nichtwissen von δ zum Nichtwissenwollen (v. 989 ut scias quae hic scripta sient :: nil
moror neque scire volo). Auch wenn Chrysalus in IV 9 immer wieder auf diese Weise
lügt, daß er das Gegenteil von dem sagt, was er in Wahrheit will, ist das eine Va-
riation des Intrigenprinzips von Menanders δ.
188 Andere Gründe kommen dazu: tibi dico in v. 999 kann nicht, wie del Corno:
Plauto, Bacchides, ad 1. will, Nicobulus’ vorausgehendes malum quidem hercle magnum
fortsetzen, weil es nie für tibi indico oder praedico steht. Die Wendung fordert stets
(siehe Thes. l. Lat. V 1, 969, 29sqq.) Aufmerksamkeit für etwas Folgendes; das
kann aber kaum eine Frage sein (wie v. 1000 non prius salutem scripsit?), sondern
viel besser eben der Ratschlag von v. 1001 (non dabis). Außerdem würde v. 1001
an v. 1000 sehr schlecht anschließen. – Für Theiler: „Zum Gefüge einiger plauti-
nischer Komödien“, S. 271, Anm. 4 ist das eigentlich Störende in dem Passus ge-
rade das, was für Plautus die Hauptsache ist: er erklärt Chrysalo da (v. 997f.) als
überflüssige Vorwegnahme von da mihi v. 1026, und will auf jeden Fall v. 1001–
1004 als unerträgliche Dubletten zu v. 1027 und v. 1061 streichen. Grund dieses
merkwürdigen Urteils: Theiler achtet nicht auf das für die neue Intrige Charakte-
ristische, sondern will beide Intrigen zusammen als eine fortlaufende Gesamt-
intrige erweisen.
Dis exapaton und Bacchides 149
nach der Aufforderung, den Brief weiter anzuhören, beharrt: inde a princi-
pio iam impudens epistula est.189
Die weiteren Einzelheiten des Briefes und der Zwischenbemerkungen
des Chrysalus bedürfen keiner Interpretation; daß Plautus den Menander-
brief in v. 1009 geändert, in v. 1019ff. ergänzt hat, ist selbstverständlich.
Ich mache nur noch auf seine Erfindung des Eides aufmerksam (v. 1028–
1032), den er am Briefschluß einfügen muß, weil ja Nicobulus einen star-
ken Grund braucht, um gegen Chrysalus’ bisherigen Widerspruch doch
ans Zahlen zu denken.
In Abschnitt (d) muß Chrysalus, um die Wirkung des Briefes nicht zu
gefährden, sich auf die Position scheinbarer Neutralität zurückziehen. Er
verpackt also seinen Rat zu zahlen (v. 1039f. si ego in istoc sim loco, dem potius
aurum quam illum corrumpi sinam) zwischen die entsprechenden Versiche-
rungen: vorher (v. 1036f.) nihil ego tibi hodie consili || quicquam dabo eqs., 88
88
nachher (v. 1043) ego neque te iubeo neque veto neque suadeo. Nur als Nicobu-
lus sagt miseret me illius (v. 1044), mimt er Verständnis: tuos est, non mirum
facis. So kann er in Abschnitt (e) – nachdem er, während Nicobulus das
Geld aus dem Haus holt, nochmals seinen Troiavergleich angebracht hat –
die selbstgestellte Bedingung zu guter Letzt nochmals erfüllen, ohne den
Erfolg zu gefährden (v. 1061ff.): non equidem accipiam eqs. Und Nicobulus
muß tatsächlich noch drum bitten (v. 1063 at quaeso).
Ein letzter Hinweis, wie gut Plautus die Szenenfolge komponiert hat:
Chrysalus, der zu Beginn des Actus, im Troiacanticum, seinen Triumph
angekündigt hat, erspart sich am Schluß von IV 9 diesen Triumph mit ei-
ner aktuellen Anspielung (v. 1072ff.) und ermöglicht so den ruhigen Aus-
klang der Senarpartie des Actus, damit der folgende Canticum-Auftritt von
Philoxenus und Nicobulus mit ungebrochener Wirkung neu einsetzen kann.
Insgesamt werden wir gut daran tun, im Gedächtnis zu behalten, was
wir an IV 9 beobachten konnten: Plautus ist imstande, zwar von Gege-
benheiten der Menandervorlage angeregt und sie variierend und überbie-
tend, aber was die Gestaltung des Handlungsablaufs betrifft im Grunde
doch selbständig, ein Stück Handlung in klarer Gliederung und theater-
wirksamer gradliniger Steigerung zu entwickeln. Daß IV 9 aus einem ande-
ren Stück dazu ,kontaminiert‘ sein könne, wird ja niemand mehr behaup-
ten, angesichts der nachgewiesenen Dis-exapaton-Anregungen, die Plautus
weiterspinnt. Und sollte jemand aufgrund überkommener Vorurteile gegen
Plautus’ Gestaltungskraft partout den Spieß umdrehen und behaupten
wollen, IV 9 müsse allein schon deswegen aus Menanders Dis exapaton
stammen, weil der Handlungsablauf für Plautus zu gut sei, dann müßte der
189 Sonst wäre man versucht, die impudentia des Briefes in der fehlenden Grußanrede
zu sehen (und v. 1000 und v. 1006 durch Versumstellung einander näher zu rü-
cken), nicht in der neuerlichen Bitte um Geld.
150 II. Handlungsgliederung
3.5.2. Aus Menanders fünftem Akt sind uns glücklicherweise zwei Zitate
erhalten, die uns gerade noch erlauben, den Aktbeginn mit ziemlicher
Sicherheit zu erkennen. Zwar ist die Zugehörigkeit beider Fragmente zu
Dis exapaton ε bisher umstritten, aber zu Unrecht, wie die Interpretation
zeigen soll.
89
89 ,Du stell dich neben mich, und ich werde anklopfen und jemand aus ihrem
Haus herausrufen.‘ Zwei Personen müssen also im Spiel sein, die von den
Leuten im Haus etwas wollen, aber nur die eine ist willens oder imstande
anzuklopfen. Daß die beiden nicht der Parasit und der Sklave des Cleoma-
chus aus der Szene IV 1 (v. 573ff.) sein können, ist oben schon gezeigt
(S. 56f.): ἐµμοὶ παράάστα kann nur einer sagen, der zu gemeinsamem Han-
deln auffordert, nicht einer, der den anderen wegschieben will. Um so
besser passen Wortlaut und Inhalt des Fragments zu V 1, wo der energi-
sche Nicobulus den milderen Philoxenus zum gemeinsamen Vorgehen
gegen (die Bacchides und) ihre Söhne animiert (v. 1117): quid dubitamus
pultare atque huc evocare ambos foras? Wer in Wahrheit herauskommt, ist dann
allerdings Chrysalus:
,Mit der Weisheit eines Ratsherrn hast du da, Demeas, meine optische
Sinneswahrnehmung vorweggenommen.‘ Gomme–Sandbach und Arnott
schließen aus der affektierten Redeweise der Verse (βουληφόόρως, ὅρασιν,
dazu kommt der Pluralis modestiae ἡµμετέέραν) zu Recht, daß der Sprecher
dieser Verse ein Intrigensklave sein wird, der sich über sein Opfer lustig
macht.190 Aber der Intrigant aus welchem Stück? Überliefert ist das Frag-
ment bei Fulg. myth. 3, 1 zwar zum Dis exapaton, aber Webster und Gaiser191
meinen, es passe bestens zu Ter. Ad. v. 385ff., wo Syrus den alten Demea
ironisiert: o Demea, istuc est sapere, non quod ante pedes modost videre, sed etiam
illa quae futura sunt prospicere. Die Nähe im Wortlaut ist vorerst zuzugeben,
aber die vorausgesetzte Situation ist dort doch eine ganz andere. Der Ter-
minus ὅρασις – sicher kein Allerweltswort – wird nämlich in den erkennt-
nistheoretischen Debatten der Philosophenschulen wohl auch schon in
der Zeit um 300 v. Chr. vor allem gebraucht, wenn es um die Zuverlässig-
keit der Sinneswahrnehmung geht (zur Illustration sollte ein Blick in den
Stoiker- oder Sextus Empiricus-Index genügen), und auch in unserem
Fragment wird ja das Denken dem Wahrnehmen gegenübergestellt.
Demeas hat βουληφόόρως etwas erkannt, was der Sprecher erst später
durch Augenschein erfahren hat. Das träfe aber auf Demea und Syrus in
den Adelphen nicht zu, die von der Zukunftsmöglichkeit reden, daß Aes-
chinus Söldner werden könnte. || Demea sagt v. 384f.: videre videor iam diem 90
90
illum, quom hinc egens profugiet aliquo militatum, und das kann Syrus nicht in
der Gegenwart durch Augenschein verifiziert haben. Überdies erweist sich
auch der Wortlaut der vermeintlichen Terenzübersetzung unseres Frag-
ments bei näherem Zusehen als ganz präzis auf die Adelphen-Situation
bezogen: Demea sieht weder quod ante pedes est, nämlich daß in Wirklichkeit
(laut v. 274f.) sein Ctesipho paene e patria hatte gehen wollen, noch sieht er
voraus quae futura sunt, nämlich daß Aeschinus statt zu emigrieren in Athen
heiraten wird. Soviel zur Widerlegung der Zuweisung an die Adelphen;192
positiv fällt für den Dis exapaton ins Gewicht, daß unser Fragment aus dem
fünften Akt bestens die erkenntnistheoretischen Tiraden des Chrysalus aus
dem zweiten und vierten Akt fortsetzt.
Spricht also auch hier Chrysalus zu Nicobulus (dessen Originalnamen
Demeas wir übrigens bei der Gelegenheit erfahren), dann fügen sich seine
Worte bestens in die Situation knapp nach Aktbeginn: Nicobulus, inzwi-
schen von Cleomachus aufgeklärt, klopft Chrysalus aus dem Bacchishaus
heraus und sagt beispielsweise höhnisch zu ihm: ,Na, wie steht’s mit dem
Besserungswillen meines Sohnes und dem Erfolg deiner Sittenpredigt? Ich
war, seit du hineingegangen bist, überzeugt, er treibt es nach wie vor mit
der Bacchis.‘ Und darauf paßt das Fragment als Antwort sehr gut.
Daß wir berechtigt waren, die beiden Fragmente gerade dem Beginn
des Akts zuzuordnen, müssen wir übrigens erst noch beweisen. Wir sind
zwar schon in 2.4, bei der vorläufigen Festlegung der Actusgrenzen, davon
ausgegangen, daß Nicobulus bald nach Aktbeginn wieder vom Forum
zurückkommt, müssen uns aber gegen Ende unserer Analyse einem mögli-
chen Einwand stellen, der erst jetzt in aller Schärfe formulierbar wird. Er
lautet: Da nunmehr erwiesen ist, daß Akt δ mit dem Erfolg der (ersten)
Briefintrige und Nicobulus’ Forumgang abschloß, da also die zweite Brief-
intrige, für die ja Nicobulus daheim sein muß, sicher von Plautus stammt,
bleibt für Akt ε mit Sicherheit nur die Szenenfolge IV 10 – V 2 mit der
91
91 Verführung der beiden Alten. Diese genügt aber || keineswegs als Inhalt
eines fünften Menanderakts. Also ist fürs erste die Möglichkeit nicht aus-
zuschließen, IV 10ff. könnte erst die zweite Hälfte des Akts eröffnen,
während Plautus dessen ersten Hälfte gestrichen hätte.
Überlegen wir also einmal – ohne Rücksicht auf die uns aus Plautus
und den Fragmenten bekannten Inhaltselemente –, was wir nach unserer
Kenntnis der Menanderdramaturgie für den Schlußakt des Dis exapaton
erwarten dürfen. Das ist erstens ein Abschluß der Nebenhandlung um den
Personenkreis Philoxenus, Pistoclerus, Bacchis A (man vergleiche Gorgias
im Dyskolos, Chairestratos und Habrotonon in den Epitrepontes). Zweitens
der Abschluß der Haupthandlung mit zwei möglichen Handlungsschwer-
punkten: letzte Auseinandersetzung Chrysalus – Nicobulus, Versöhnung
zwischen Vater und Sohn. Nehmen wir nun probeweise an, daß Menander
mit der Nebenhandlung begann (in den anderen Fällen würde ja Nicobulus
jedenfalls bald auf der Bühne gebraucht), so ist es unerfindlich, warum
nicht die einfachste Lösung auch die richtige sein sollte, daß nämlich wie
bei Plautus auch bei Menander ein Auftritt des Philoxenus (IV 10 entspre-
chend) den Akt eröffnete. Käme nun anders als bei Plautus Nicobulus
nicht bald nach, so müßte wohl Philoxenus inzwischen über die Situation
Aufklärung erfahren. Dann wäre aber kein Platz mehr für das fr. 110, in
dem die beiden Väter doch erst mit den Personen im Bacchishaus Kontakt
aufnehmen wollen.
Die wahrscheinlichste Handlungsentwicklung in ε nimmt also doch
ihren Ausgang von den Auftritten IV 10 (Philoxenus) und V 1 (zu ihm
Nicobulus). Es folgt – siehe fr. 109 – die Auseinandersetzung mit Chry-
salus, der frisch und fröhlich alles zugibt, natürlich darauf pochend, daß
Nicobulus formalrechtlich sich überhaupt nicht beschweren darf, weil ihn
niemand belogen hat (,mir wolltest du ja nicht glauben‘). Plautus mußte
auf die Szene schon deswegen verzichten, weil er ja das Intrigenprinzip
,Lügen durch Wahrheit‘ nicht beibehalten hatte. Dann mag – um Platz für
Philoxenus und die Nebenhandlung zu schaffen – Nicobulus wutent-
brannt mit der Erklärung in sein Haus stürzen, sein Sohn brauche über-
haupt nicht mehr heimzukommen. Philoxenus würde sich gut dazu eignen,
in seiner verständnisvollen Art den jungen Leuten etwas ins Gewissen zu
Dis exapaton und Bacchides 153
reden. Den Schlußteil des Stücks müßte dann die Versöhnung bilden,
vielleicht sogar herbeigeführt durch die verführerische Bacchis A.
Der Handlungsverlauf, den ich da skizziert habe, ist natürlich hypothe-
tisch. Aber ich habe ihn nicht aus reiner Lust am Fabulieren ent-||wickelt, 92
92
sondern damit klar wird, daß wir in der Beurteilung der Verführungsszene
V 2 völlig frei sind und mit allen Möglichkeiten zu rechnen haben: mit
Plautus’ (teilweisem) Anschluß an Menander, aber auch mit seiner eigen-
ständigen Gestaltung der Szene, ähnlich wie in IV 9.193
Hier ist gleich die Technik der Exposition dieselbe: dem Troiacanticum
entspricht das ,Schafduett‘; Plautus stimmt das Publikum abermals mit
breit entfalteter Metaphorik auf den neuen Handlungsabschnitt ein. Auch
das Ziel ist gleich wieder angegeben: während in der Ausgangssituation die
Väter ihre Söhne aus dem Bacchishaus herausholen wollen (schon v. 1117,
hier v. 1145ff.), wollen die Bacchides sie selbst hineinschaffen (v. 1133
cogantur … intro; prompt wird die Erreichung des Ziels auch am Schluß in
v. 1206 nochmals betont: lepide ipsi hi sunt capti, suis qui filiis fecere insidias).
Und der nächste Unterabschnitt, die Beratung der Schwestern in
v. 1149ff., bringt auch wieder das ‚Intrigenprinzip‘ zur Sprache: die Väter
sollen nicht etwa versöhnt, sondern als hilflose Opfer der Hetärenkünste
bloßgestellt werden. Die Parallelberatung der Alten mit Philoxenus’ Ge-
ständnis sichert übrigens, daß für das Weitere Nicobulus als das Haupt-
opfer isoliert wird.
193 Man vergleiche dazu und zum folgenden Abschnitt Lefèvre: „Plautus-Studien II“,
S. 532f., der die Verführungsszene ebenfalls (z. T. mit denselben Argumenten) für
plautinisch erklärt.
154 II. Handlungsgliederung
(metuo v. 1174) und antwortet wieder schroff (scelus v. 1176). Nach dem
Verlust seines Bundesgenossen eröffnet sie die zweite Phase, indem sie ihn
zum Symposion einlädt (v. 1181); auf seine Replik ,Ja, auf meine Kosten!‘
bietet sie die Rückzahlung des Vergnügungsgeldes an, und obwohl ihm
noch immer die Rache ,lieber ist‘ (v. 1187 malo illos ulcisci ambo), behält
Philoxenus das letzte Wort (v. 1190): potandumst. Da eröffnet Nicobulus
die dritte Phase mit dem schon der Kapitulation nahekommenden Ein-
wand (v. 1192) egon, cum haec cum illo accubet, inspectem? Darauf weiß eine
plautinische meretrix natürlich eine Antwort, und so erliegt er, nachdem
sich sein Groll gegen Sohn und Sklaven in das Bedenken verkehrt hat, sie
würden ihn, wenn er mit Bacchis hineingeht, ihrerseits in der Hand haben
(v. 1196f. quid metuis? :: ne obnoxius filio sim et servo), zuletzt ihren Verhei-
ßungen und ihrem carpe-diem-Argument.
Unser Gesamtergebnis zu Actus d mag angesichts der traditionellen
Plautuskritik erstaunlich sein, aber ich hoffe doch, daß Interpretation und
Argumentation der Überprüfung standhalten: der Schlußactus der Bacchides
ist in seiner Gesamtanlage eine rein plautinische Schöpfung.194
194 Daß dadurch die Schwestern Bacchis sowohl den Aktschluß von a wie von d
beherrschen, rechtfertigt übrigens auch den neuen Titel ,Bacchides‘.
156 II. Handlungsgliederung
96
96 Dis exapaton
Haus A: Haus B: Stadt: Stadt:
Bacchis A Nicobulus Philoxenus Cleomachus
(Bacchis S) Mnesilochus Pistoclerus (Bacchis S)
Chrysalus Lydus Parasit, puer
α 1‹ › Bacchis A, Pist. ‹Ist sie die Bacchis aus Samos? (Ba A ins
Haus)
2‹ › Pist. (Prolog) Er sucht Bacchis S als Freund des Mnes. (ab
in Wartestellung)
3‹ › puer Cl., Bacchis S Ihre Verpflichtungen gegen Cleom. (puer
ab).
4‹ › Ba S, Ba A Begrüßung der Zwillingsschwestern;›
5 B. 35 Ba S, Ba A, Pist. Pist. als Liebhaber und Helfer (Pist. zur
Agora)
β 1 B. 109 Pist., Lydus Pist. emanzipiert sich (beide zu Ba A).
2 B. 170 Chrysalus Chrys. kommt aus Ephesos,
3 B. 178 Chrys., Pist. erfährt, daß Ba S hier ist (Pist. zu Ba A),
4 B. 229 Chrys. erwartet Nicobulus;
5 B. 235 Chrys., Nic. Lügengeschichte (Nic. zur Agora, Chrys.
zum Hafen)
6 B. 368 Lydus von Ba A, holt Philox. (zur Stadt).
γ 1 B. 385 Mnesilochus Mnes. vom Hafen, will zu Ba S, ‹verwech-
selt die Zwillinge,›
2 B. 405 Mnes., Lyd., Philox. hört von Untreue (Lyd., Philox. zur Stadt);
3 B. 500 Mnes. Entschluß zur Geldrückgabe,
4 D. e. 30 Mnes., Nicobulos Aufklärung des Vaters (beide zum Hafen).
δ 1 D. e. 64 Mnes., Nicobulos Nic. bringt Geld zur Agora.
2 D. e. 91 Mnes. Mnes. enttäuscht
3 D. e. 102 Mnes., Pist. und aufgeklärt (Mnes. zu Ba S).
4 B. 583 Pist., Parasit Pist. lehnt Cleom.’ Forderung ab,
5 B. 612 Pist., Mnes. berichtet Mnesilochus
6 B. 640 Pist., Mnes., Chrys. und Chrys.; Plan zur Briefintrige (Mnes. und
Pist. zu Ba).
7 B. 761 Chrys., Nic. Chrys. verunsichert Nic.;
8 B. 842 Chrys., Nic., Cleom. Zahlungsversprechen an Cleom. (Cleom.
und Nic. zur Agora, Chrys. zu Ba).
ε 1 B. 1076 Philoxenus Philox. sucht Pist.,
2 B. 1087 Philox., Nic. Nic. kommt, nach Zahlung aufgeklärt.
3‹ › Philox., Nic., Chrys. ‹Chrys. hänselt die Väter›
‹………› ‹………›
Dis exapaton und Bacchides 157
ein anschauliches Exempel für die Interferenz zwischen Akt- und Fabel-
gliederung in der Komödie Menanders. Denn die inhaltliche Dreigliede-
rung in Protasis (bis zur Szene β 5), Epitasis (bis δ 6) und Katastrophé
expliziert ja im Grunde einfach den Titel des Stücks: die Protasis reicht bis
zum Erfolg der ersten Intrige, die Epitasis annulliert diesen Erfolg, die
Katastrophé überbietet ihn in der zweiten Intrige.
Nun lassen sich nach diesem Dreiphasenschema außer dem Dis exapa-
ton nicht nur Dyskolos, Epitrepontes und Samia gliedern (vgl. S. 13), sondern
auch Andria,195 Aspis,196 Aulularia 197 und Eunuchus (siehe S. 18); und selbst in
den komplizierten Spätwerken Adelphoe 198 und Heautontimorumenos199 fügt
sich wenigstens eine der gleichberechtigten Doppelhandlungen dem Dreier-
schema. Ist aber die Fabelgliederung in allen uns kenntlichen Menander-
stücken zu beobachten, so liegt doch die Folgerung nahe, daß wir die je-
weils gleich gegliederte Fabel auch auf gleiche Weise ins Fünfaktschema
einpassen dürfen. Mit anderen Worten: das Arbeitsprogramm, alle von
Plautus || und Terenz bearbeiteten Menanderkomödien dadurch zu rekon- 97
97
struieren, daß wir das ursprüngliche Interferenzschema wiederherstellen,
basiert auf recht sicherem Grund. (Jedenfalls auf festerem, als wenn wir z. B.
mit Wolf Steidle oder Eckard Lefèvre200 daran gingen, die Szenenfolge
195 Protasis bis zum Plan des Davus, Pamphilus solle der von Simo fingierten Hoch-
zeit zustimmen; Epitasis: aus der Scheinhochzeit droht Ernst zu werden; Kata-
strophébeginn: Davus verhindert diese Hochzeit.
196 Protasis bis zum Plan des Intrigensklaven Daos, den Geizhals Smikrines durch
den fingierten Tod seines Bruders Chairestratos zu düpieren; Epitasis: Durchfüh-
rung dieses Planes; Katastrophé: die Heimkehr des Kleostratos macht die Intrige
unnötig.
197 Protasis: die Hochzeit zwischen Lyconides und Euclios Tochter wird bedroht
durch sein Schweigen und die Werbung des Megadorus; Epitasis: die Komplika-
tionen steigern sich (Geburt des Kindes, Megadorus’ Hochzeitsvorbereitungen);
Katastrophébeginn: Lyconides’ Geständnis. – Vgl. oben Anm. 26.
198 Protasis: Aeschinus gerät Micio gegenüber in den Verdacht, sich eine Hetäre
halten zu wollen; Epitasis: die Angehörigen seiner Pamphila verdächtigen ihn
ebenfalls; Katastrophébeginn: klärendes Gespräch Micio – Aeschinus.
199 Protasis bis zum Plan des Syrus, Clitiphos anspruchsvolle Hetäre als angebliche
Freundin seines Freundes auszugeben; Epitasis: verschiedene Schwierigkeiten,
Vater Chremes gegenüber die Fiktion aufrechtzuerhalten; Katastrophébeginn:
Chremes zahlt für sie.
200 Wolf Steidle: „Zur Komposition von Plautus’ Menaechmi“, in: Rheinisches Museum
114 (1971), S. 247–261. – Lefèvre: Der Phormio des Terenz und der Epidikazomenos
des Apollodor von Karystos. Beide angeregt durch Arbeiten von Walther Ludwig:
„Von Terenz zu Menander“, in: Philologus 103 (1959), S. 1–38 (mit einem „Nach-
trag 1971“ wiederabgedruckt in: Die römische Komödie. Plautus und Terenz, hg. von
Eckard Lefèvre. Darmstadt 1973 [Wege der Forschung 236], S. 354–408). –
Ders.: „Aulularia-Probleme“, in: Philologus 105 (1961), S. 44–71 und S. 247–262.
158 II. Handlungsgliederung
201 Vgl. unsere Beobachtungen S. 44f. mit Anm. 103 zu den aktumrahmenden Szenen
von α bis γ, S. 70 zu δ. In den Bacchides sucht nach einem alles bestimmenden
Symmetrieprinzip John R. Clark: On the Dramatic Structure of Plautine Comedy. Mi-
chigan 1974, aber vgl. unten das Handlungssequenzschema, das auch bei Plautus
für linearen Fortschritt spricht.
Dis exapaton und Bacchides 159
Es ist keine Frage, daß Plautus – die Richtigkeit der Actusteilung einmal 99
99
vorausgesetzt – jeden Actus in zwei klar erkennbare Teilhandlungssequen-
zen gegliedert hat, und zwar nicht nur als inhaltliche, sondern auch als
formal-metrische Teileinheiten. Mit der einzigen Ausnahme von
v. 769/770 wechselt das Metrum stets von einer Sequenz zur anderen
(aber die neun Senare wiegen nicht schwer). Doch nicht nur das: mit der-
selben einzigen Ausnahme wird auch die Bühne zwischen den Sequenzen
leer (und da begibt sich Chrysalus in eine gewisse Wartestellung – v. 768f.
adambulabo ad ostium, ut, quando exeat, extemplo advenienti ei tabellas dem in
manum –, vgl. oben S. 59ff. zu v. 924/925). Warum sollte man also statt
der drei Flötenintermezzi zwischen den Actus nicht deren sieben zwischen
den Sequenzen annehmen?
Ich muß zugeben, daß ich auf diese Frage keine absolut sichere Ant-
wort geben kann, weil das – wenn überhaupt – erst aufgrund der Kenntnis
160 II. Handlungsgliederung
des gesamten Plautusmaterials möglich sein wird, d. h. erst, wenn alle seine
Komödien nach der hier an den Bacchides durchexerzierten Methode der
Strukturanalyse interpretiert sind. Aber ich glaube doch, die vier Actus mit
großer Wahrscheinlichkeit angenommen zu haben, zum Teil, weil soweit
ich sehe der regelmäßige Abschluß aller Teilhandlungsblöcke mit Leer-
bühne bei Plautus die Ausnahme und nicht die Regel wäre, zum Teil im
Hinblick auf die oben in 1.2.1 bereits verwendeten Parallelen, zum Teil
schließlich deswegen, weil nicht nur dieses Parallelmaterial dafür spricht,
daß die eigentliche Grundeinheit der metrischen Großkomposition für
Plautus doch die Abfolge sen. – cant. – sept. ist, während von den acht
Bacchides-Sequenzen vier nur aus sen. oder sept. bestehen würden. Um die
eben genannte Abfolge als regulär zu erweisen, stelle ich noch eine Liste
aller ersten Plautus-Actus zusammen, die das Grundschema in irgendeiner
Form bewahren. (Dabei signalisiere ich Leerbühne durch //, ohne aller-
dings die Fälle zu kennzeichnen, wo die Bühne bereits innerhalb des ersten
Senarteils, etwa zwischen Prolog und erster Szene, frei wird):202
a) regulär:
Asin.: sen. bis v. 126// cant. v. 127–137 sept. v. 138–248//
Aul.: sen. bis v. 119// cant. v. 120–160 sept. v. 161–279//
Men.: sen. bis v. 109 cant. v. 110–134 sept. v. 135–225//
Merc.: sen. bis v. 110 cant. v. 111–140 sept. v. 141–224//
100
100 b) regulär mit Binnenerweiterung
Amph.: sen. bis v. 152 cant. v. 153–262* sept. v. 263–550*//
(*ia8 v. 153–158 (* sen. v. 462–498)
v. 180–218
v. 248–262
Capt.: sen. bis v. 194// cant. v. 195–239 sept. v. 240–460*//
(* sen. v. 361–384)
Curc.: sen. bis v. 95 cant. v. 96–157 sept. v. 158–370*//
(* sen. // v. 216–279)
202 Das beträfe Asinaria, Captivi, Casina, Miles gloriosus, Trinummus und Truculentus.
Dis exapaton und Bacchides 161
Die Liste enthält 14 von den 20 Stücken; ihr wären wohl noch hinzuzufü-
gen Bacchides, unter b (vgl. oben 2.3), und Epidicus, unter a, wenn vor cant.
(v. 1–98) und sept. (v. 99–163) ein Senarprolog verloren ist (im Miles fehlt
der Canticumteil, bei sonstiger Erweiterung, und Cistellaria, Persa und Sti-
chus beginnen mit Cantica). Die Stücke der Liste belegen die Existenz des
Grundschemas mit aller Deutlichkeit,203 || ebenso die Neigung des Plautus, 101
101
die metrischen Teileinheiten groß zu halten und nicht nur aus sen. oder
sept. bestehen zu lassen. So werden wir, auch wenn der experimentier-
freudige Terenz dann zweimal, in Andria und Heautontimorumenos, den
Auleten schon nach dem einleitenden Expositionsteil in Senaren auftreten
läßt, doch jeweils zwei Bacchides-Sequenzen zu einem Actus zusammenzie-
hen, zumal wir (siehe S. 63f.) auf diese Weise auch wieder geschlossene
Teileinheiten der Handlung erhalten.
Diese doch recht wahrscheinliche Annahme voraussetzend erörtere
ich noch kurz, welche Lehren wir aus den vieraktigen Bacchides für weitere
Actusanalysen ziehen können. Die erste ist negativ oder besser gesagt
prohibitiv: wir dürfen nicht unter Berufung auf die Technik der Griechen,
die während ihrer Aktpausen immer Zwischenzeit verstreichen lassen,
römische Actuspausen nachweisen wollen. Der Nicobulus der Bacchides
geht innerhalb von Actus d nach v. 1066 zum Forum und ist v. 1087
203 Überdies zeigt die Liste, wie schlecht beraten Andreas Spengel: Die Akteintheilung
der Komödien des Plautus. München 1877 (Programm des Königlichen Maximilians-
Gymnasiums in München für das Schuljahr 1876–1877) war, bei dem einzigen
mir als Vorläufer bekannten Versuch, plautinische Actus von der metrischen
Großkomposition her zu bestimmen, ausgerechnet von der umfangreichsten Er-
weiterungsform auszugehen und sen. – sept. – cant. – sept. – sen. als Grundform
anzusetzen.
162 II. Handlungsgliederung
schon wieder auf der Bühne; für einen Nikobulos wäre das unmöglich (der
Demeas/Nicobulus des Dis exapaton hat innerhalb von Akt δ zwischen
Dis. ex. v. 90 und Bacch. v. 770 jedenfalls gute 150 Verse Zeit dazu). Ich
vergesse nicht, daß ich S. 17 selbst mit einem ähnlichen Argument für
Actuspause bei Men. v. 881/882 plädiert habe; aber eines ist es, wie in
Bacch. d einen unvermeidlichen Widerspruch zwischen Spielzeit und ge-
spielter Zeit hinzunehmen, ein anderes, die betreffende Figur des Spiels im
Text noch eigens auf den Widerspruch aufmerksam machen zu lassen. Die
Zeitregel für Plautus wird meines Erachtens am besten so zu formulieren
sein: er hat keine Bedenken, wenn nötig gegen das πιθανόόν zu verstoßen,
aber eben nur wenn nötig, und dann möglichst unauffällig. Aber mit einer
solchen Zeitregel ist natürlich kein Staat zu machen, d. h. nur in seltenen
Fällen (wie eben Men. v. 881f. einer ist) ein Beweis für das Vorliegen einer
Actuspause zu führen.
Stimmt die Zeitregel in dieser Form (weitere Belege wären er-
wünscht), dann sind also alle Erörterungen über römische Actusgliede-
rung, die sich auf die griechische Praxis stützen, für die Palliatenanalyse
obsolet, von Friedrich Ritschl204 bis Andrée Freté205 und darüber hinaus.
Wir müssen von vorne beginnen und unter den Stellen, an denen die Büh-
ne leer bzw. aktionsfrei wird (aktionsfrei im Sinne von Bacch. v. 924 oder
Most. v. 430, vgl. S. 60f.), die Actuspausen herausfinden entweder mit dem
102
102 Nachweis unbedingt nötiger Spielpause – wo also || Spielzeit, nicht nur
gespielte Zeit für die Pause gebraucht wird206 – oder mit einer Kombinati-
on der Kriterien der metrischen und der Handlungsgliederung. Aber
nochmals: weitere Belege, d. h. weitere Komödienanalysen und -inter-
pretationen nach der hier vorgestellten Methode, wären erwünscht.
Wir drohen zu guter Letzt – zumindest dem Anschein nach – noch-
mals ins Gestrüpp der speziellen Methodenfragen und Einzelbeobachtun-
gen zu geraten. Aber wenn wir auch jede Analyse jeder Palliata so begin-
nen müssen, so will diese Analyse doch auf ein Gesamtbild hinaus. Wenn
wir beispielsweise die Feststellung treffen: „Die Lydusszene Bacch. III 1
schließt bei Menander formal gesehen den Akt β ab, mit dessen Eingangs-
szene I 2 korrespondierend, während sie inhaltlich gesehen die Epitasis-
phase einleitet; bei Plautus fungiert sie – da mit ihr nach den Senaren der
Handlungssequenz I 2 bis II 3 ein Septenarteil beginnt, der bis III 6 reicht
– als Einleitung zur zweiten Teilsequenz seines Actus b“, wenn wir also
derlei feststellen, so beruht eine solche Aussage einerseits eben auf der
5. Literaturverzeichnis 103
103
Andrieu, Jean: Le dialogue antique. Structure et présentation. Paris 1954.
Arnott, W. Geoffrey: „T. Maccius Plautus: Bacchides, hg. von Cesare Questa.
Firenze 1965“, in: Gnomon 39 (1967), S. 136–140.
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Ders.: „Calidorus’ Surprise. A Scene of Plautus’ Pseudolus, with an Appen-
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Rheinisches Museum 113 (1970), S. 304–323.
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hg. von David West und Tony Woodman. Cambridge 1979, S. 17–34.
Beare, William: The Roman Stage. A Short History of Latin Drama in the Time
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Blanchard, Alain: „Recherches sur la composition des comédies de Mé-
nandre“, in: Revue des études grecques 83 (1970), S. 38–51.
Büchner, Karl: Römische Literaturgeschichte. Ihre Grundzüge in interpretierender
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Burckhardt, Georgine: Die Akteinteilung in der neuen griechischen und in der
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del Corno, Dario (Hg.): Plauto, Bacchides. Torino 1973.
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Entertainment. Princeton 1952.
207 Zum Stand der Forschung vgl. Pfister: Das Drama. Theorie und Analyse, S. 265ff.
164 II. Handlungsgliederung
Webster, Thomas B. L.: Studies in Menander. Manchester 1950 (2. Aufl. ebd.
1960).
Ders.: An Introduction to Menander. Manchester 1974.
Williams, Gordon: „Some Problems in the Construction of Plautus’ Pseu-
dolus“, in: Hermes 84 (1956), S. 424–455.
Woytek, Erich: „Zur Herkunft der Arztszene in den Menaechmi des
Plautus“, in: Wiener Studien 16 (1982), S. 165–182.
Ders.: T. Maccius Plautus, Persa. Einleitung, Text, Kommentar. Wien 1982
(Sitzungsberichte der Österreichischen Akademie der Wissenschaften,
Philosophisch-Historische Klasse 385).
Die Handlung der Menaechmi (I)* 97
97
muß also nicht unbedingt bei der allgemeinen Klage bleiben: „Noch im-
mer stehen sich die Vertreter einer weitgehenden Abhängigkeit und die
Verfechter einer weitreichenden Selbständigkeit der römischen Komiker,
zuweilen unversöhnlich, gegenüber“.4 Wir besitzen Handhaben, uns von
Fall zu Fall interpretierend und argumentierend zu entscheiden.
Das soll im folgenden für die Menaechmi versucht werden. Nach der
communis opinio hat Plautus deren Originalhandlung im wesentlichen
unverändert beibehalten;5 dagegen trat vor kurzem W. Steidle mit der
These auf, die Figur des Arztes in den Szenen V 3ff. sei durch Kontamina-
tion eingefügt;6 und jüngst behauptet E. Lefèvre sogar, daß „die Struktur
der Menaechmi von A bis Z von Plautus ist“.7 Ich werde im folgenden noch
eine andere analytische These zur Debatte stellen, daß nämlich Plautus in
V 1 einen wichtigen Szenenteil des Originals (wenn nicht mehr) gestrichen
hat, und ich fände es begreiflich, wenn ein Leser trotz der Ankündigung
einer neuen Variation von ,Strukturanalyse‘ jetzt den Wunsch verspürte,
doch lieber Literaturwissenschaft als Philologie vorgesetzt zu bekommen.
Aber es gibt in diesen Bereichen wohl genausowenig einen Königsweg wie
in der Mathematik, und einige neuere literarkritische Arbeiten zu den Men-
99
99 aechmi,8 die die Leistung des Plautus eher im || Vergleich mit Shakespeares
Comedy of Errors zu würdigen versuchen als mit einer erst zu rekonstru-
ierenden Vorlage, gewinnen zwar auf der einen Seite interessante Perspek-
tiven, verzichten aber auf der anderen – der griechisch-römischen – auf
9 Der zweite Teil der Arbeit, zur ,Strukturanalyse‘, soll im nächsten Band dieser
Zeitschrift erscheinen.
10 Gegen Steidle (siehe Anm. 6) wenden sich Erich Woytek: „Zur Herkunft der
Arztszene in den Menaechmi des Plautus“, in: Wiener Studien 95 (1982), S. 165–182
(mit treffender Kritik an Steidles Analysekriterien) und Henry D. Jocelyn: „Anti-
Greek Elements in Plautusʼ Menaechmi“, in: Papers of the Liverpool Latin Seminar 4
(1983), S. 1–25 (mit dem Nachweis, daß die Arztkritik in V 3ff. nicht erst in Rom
aktuell wurde).
11 Peter Langen: Plautinische Studien. Berlin 1886; zu den Menaechmi: S. 148–158.
Wichtig die grundsätzliche Bemerkung (S. 90): „Welche von diesen Mängeln (sc.
von den „Widersprüchen, Inkonsequenzen und psychologischen Unwahrschein-
lichkeiten, welche sich zahlreich und in allen Dramen ohne Ausnahme bei
Plautus finden“ – S. 89) den griechischen Vorlagen angehörten und welche durch
die selbständige Tätigkeit des römischen Dichters in die Komödien hineingetra-
gen sind, läßt sich oft gar nicht entscheiden.“
12 Peter E. Sonnenburg (mit dem späteren Verfasser des RE-Artikels „Maccius“
identisch): De Menaechmis Plautina retractata libellus. Dissertation, Universität Bonn
1882; zum spinter S. 17f. – Da Sonnenburg, wie schon sein Titel signalisiert, da-
mals noch zwischen dem ,guten‘ Übersetzer Plautus und ,schlechten‘ späteren In-
terpolatoren unterscheiden wollte, müssen wir uns seine Argumente auf das Ver-
hältnis ,guter‘ Originalautor – ,schlechter‘ Plautus parallelverschieben.
170 II. Handlungsgliederung
wohl auf den Spuren von Ribbeck (1882)13 gewinnen, indem wir in der
Szene V 1 mit Kürzungen durch Plautus rechnen.
Unsere These kann wie jede, die von den inneren Unstimmigkeiten
eines Stückes ausgeht, auf zwei Arten gestützt (oder angegriffen) werden:
indem man die Anstößigkeit eines getadelten Faktums mittels angemesse-
ner Kriterien erweist (oder in Frage stellt); und indem man darauf sieht,
daß (und ob) rekonstruierende Hypothesen ein plausibles Bild vom Ver-
hältnis zwischen Original und Bearbeitung zeichnen (plausibel sowohl im
möglichst sparsamen Verändern des gegebenen Textes als auch im richti-
gen Abschätzen der literarhistorischen Möglichkeiten von Autor und Be-
arbeiter). ,Angemessen‘ und ,plausibel‘: da wir uns unvermeidlich auf ei-
nem Feld bewegen, wo es Subjektivitäts- und Wahrscheinlichkeitsgrade
abzuwägen gilt, sollten wir uns bemühen, die zwei Argumentationsberei-
che der Unstimmigkeitsdiagnose und -therapie so gut es geht getrennt zu
halten. Sonst kommt es wie in der alten Debatte: ein Hypothesenfreudiger
,begründet‘ statt der Diagnose gleich seine Therapie,14 ein anderer miß-
traut darauf nicht nur dem falschen Heilungsvorschlag, sondern auch der
doch halbwegs richtigen Diagnose,15 und dann findet ein dritter,16 am
wissenschaftlichsten sei der Rückzug ins Schneckenhaus des prinzipiellen
Zweifels – womit wir wieder einmal bei der eingangs bedauerten Resigna-
tion angelangt wären.
13 Otto Ribbeck: „Bemerkungen zu den Menaechmi des Plautus“, in: Rheinisches Museum
37 (1882), S. 531–547, bes. S. 539 und 544. Allerdings ergänzt Ribbeck zu wenig,
an der falschen Stelle und mit falscher ,psychologischer‘ Begründung (siehe
Anm. 15 und 22).
14 Sonnenburg: De Menaechmis Plautina retractata libellus (Anm. 12) stellt z. B. zu
v. 739 (wo die Matrone plötzlich auf den spinter-Diebstahl anspielt, von dem sie
bisher keine Ahnung hatte) richtig fest: „hic … locus cum ratione fabulae …
pugnat“. Nur führt er nicht aus, warum dieser Webfehler wirklich so anstößig ist,
daß er einer analytischen Remedur bedarf, sondern sucht gleich seine Lösung (die
Tilgung der ,interpolierten‘ Passage) zu empfehlen.
15 Ribbeck: „Bemerkungen zu den Menaechmi des Plautus“ (Anm. 13), S. 544 löst die
Schwierigkeit von v. 739 scheinbar viel weniger gewaltsam: die Matrone habe in
V 1 das spinter gleich zu Szenenbeginn in Menaechmus Sʼ Hand erblickt, und
wenn eine entsprechende Bemerkung im Text nach v. 706 ausgefallen sei, dann
verschwinde mit der Ausfüllung der Lücke gleich auch der unverständliche
Sprung von ihrer Zufriedenheit in v. 705 zum Wutausbruch in v. 708. Nur ist sie
eben der Typ der larmoyanten Keiferin, und überdies hatte Sonnenburg Ribbecks
Lösung (was den Ort der heilenden Ergänzung betrifft) implizit schon im vorn-
hinein widerlegt: ,,an putas illam, si in manibus eius aurum dudum sibi surreptum
conspexisset, nihil amplius viro exprobraturam fuisse …?“
16 Ich meine in diesem Exempel natürlich Langen: Plautinische Studien (Anm. 11), der
aber S. 152f. Sonnenburgs Anstoß gar nicht mehr zur Kenntnis nimmt und nur
Ribbecks ,psychologische‘ Schwierigkeit registriert.
Die Handlung der Menaechmi I 171
17 Vgl. etwa das Urteil von Steidle: „Zur Komposition von Plautusʼ Menaechmi“
(Anm. 6), S. 250: „… scheint das biotische Element sowie Reflexion und Morali-
sieren dem Stück überhaupt fremd zu sein. Seine Stärke beruht also wirklich ganz
auf dem Durchspielen der Verwechslungen, in diesem Betracht aber hat es eine,
fast möchte man sagen, raffinierte Gestaltung.“ Ich würde nur – wie oben im
Text – stärker betonen, daß es dem Autor gerade auf die Spannung zwischen
dem simplen Grundschema und der perfekten Konstruktionstechnik ankam.
18 Es ist gewiß kein Zufall, daß Wolf-Hartmut Friedrich, der doch in seinem Euripi-
des und Diphilos (München 1953 [Zetemata 5]) die Existenz von inneren Bruchli-
nien auch in den griechischen Dramen thematisiert, weshalb er von Analysegeg-
nern gern als Kronzeuge zitiert wird, vor einer banalen Verallgemeinerung seiner
Ergebnisse gerade anhand der Menaechmi warnt (S. 153): „Dem Rudens mit seiner
reichbewegten Handlung müssen wir von vornherein … mehr Zugeständnisse
machen als einem einfachen Schwank, wie er etwa den Menaechmi zugrunde liegt.
Die Aussichten der Plautus-Analyse sind je nach Vorbild ganz verschieden.“
19 v. 143ff. – Sein Parasit Peniculus muß nach der bildhaften Präsentation sogar
noch dran riechen (v. 170): quod olet? responde :: furtum, scortum, prandium.
172 II. Handlungsgliederung
bei seiner Frau und (wegen der vermeintlichen Veruntreuung) bei Erotium
in Mißkredit (III 1 – IV 3). Schließlich bringt die gutgläubige Behauptung
des Menaechmus S, die palla sei Eigentum der Hetäre, auch ihn bei der Ma-
trone und deren Vater in die Klemme, und als er ihnen durch einen vorge-
täuschten Wahnsinnsanfall entkommt, wird prompt wieder Menaechmus E
an seiner Stelle für verrückt gehalten (V 1–7). Gewiß, kein zweites Requisit
kann in solchem Maß in der Handlung präsent sein, aber noch Menaech-
mus S’ Geldbeutel und Kranz sind sowohl visuell effektvoll eingesetzt wie
handlungsökonomisch gut genützt. Das marsuppium illustriert zuerst sehr
schön die Haltung, die Menaechmus S jeweils zu den Verlockungen der
Stadt Epidamnus einnimmt: in II 1, v. 265ff., muß ihm sein Diener Mes-
senio (da er als amator mulierum besonders gefährdet sei) das Geld vor-
sichtshalber aushändigen, und in II 3, v. 384ff., gibt er es ihm zurück, um
die Uneigennützigkeit von Erotiums Liebe zu erproben. Danach taucht
das Motiv ,Messenio und der Geldbeutel‘ noch zweimal in der Handlung
auf, in V 1, v. 701ff., wo Menaechmus S’ Auftrittsbemerkung, der Diener
sei wohl mit dem Reisegeld in einem Bordell verschwunden, den Zuschau-
ern klarmacht, warum er gegen seine ursprüngliche Absicht, diesen locis
lenoniis künftig fernzubleiben (v. 553), doch wieder mitsamt der palla auf
der Bühne erscheint (Messenio soll ihn lt. v. 437 ja hier abholen), und in V
7, v. 1035ff., wo in einem der letzten Verwechslungsscherze Messenio dem
Menaechmus E verspricht, er werde ihm gleich die Reisekasse holen (worauf
dieser in der Bereitschaft, einen unverhofften Vorteil wahrzunehmen, sich
als echter Zwilling erweist). Was den Kranz betrifft, so wirkt er auch so-
gleich durch die bloße Erscheinung: sein Anblick überzeugt den Parasiten
Peniculus sofort, daß sein vermeintlicher Gönner ihn confecto prandio vinoque
expoto betrogen hat,20 und weckt seine Rachegelüste. Der Kranz bekommt
aber ebenfalls noch seinen eigenen Handlungsanteil: im Übergang von III 3
zu IV 1f. wirft Menaechmus S, der sich mit seiner Beute nach links, Rich-
tung Hafen, absetzen will, den Kranz nach rechts, zur Stadtseite, und lockt
damit seine Verfolger, die Matrone und den Parasiten, auf eine falsche Spur
(natürlich kommt in diesem Augenblick Menaechmus E von rechts).
103
103 Nun also zum spinter. Für dieses kann man gelten lassen, daß es in der
Szene III 3, wo Erotiums Magd es Menaechmus S übergibt, den Punkt der
Handlung mitverdeutlicht oder -ermöglicht, in dem er sich vor dem Ende
seiner Glückssträhne noch einmal als Götterliebling fühlen darf (v. 551 di
me quidem omnes – neben Merkur auch Venus und Bacchus – adiuvant augent
amant).21 Aber man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, daß die Szene
20 v. 463ff.; später (v. 562ff. und 629) erfährt man noch zusätzlich, daß Menaech-
mus S auch betrunken war (der kaum beachtete Zug wird unten für die richtige
Einschätzung seiner Begriffsstützigkeit wichtig).
21 Ähnlich Steidle: „Zur Komposition von Plautusʼ Menaechmi“ (Anm. 6), S. 251:
„Erst die Übergabe des Armreifs schafft … nach der Auseinandersetzung mit
Die Handlung der Menaechmi I 173
das spinter (so wie Szene I 2 die palla) auch für kommende größere Aufga-
ben exponieren soll; jedenfalls erwarten wir von dem ökonomisch arbei-
tenden Autor ohnedies, daß es auch noch an anderer Stelle wie Kleid,
Geldbeutel und sogar Kranz mitspielt. Was wir statt dessen finden, sind
bloß einige nebensächliche Erwähnungen des Armreifs, die man alle ohne
Schaden für den Zusammenhang streichen könnte, weil jedesmal auch die
palla allein dasselbe leisten würde.22 So sagt Erotium in v. 681ff. zu Men-
aechmus E: tibi dedi equidem illam (pallam) … et illud spinter, und er fragt
ebenso zurück: mihi tu ut dederis pallam et spinter? (Aber bis v. 680 und ab
v. 684 geht der Dialog nur um die palla.) Ähnlich nennt die Matrone in
v. 739 pallam atque aurum (vorher in v. 705 und v. 730 nur die palla). Ich er-
spare mir, die weiteren Doppelnennungen in v. 803ff., v. 1061 und v. 1142
auszuschreiben; daß der Goldreif nur in III 3 eine Rolle spielt, also schlech-
ter ausgenützt ist als die anderen Requisiten, sollte klar geworden sein.
Wir dürfen also irgendeinen ändernden Eingriff des Plautus wenigs-
tens vermutungsweise ins Auge fassen, mag er nun (nach Sonnenburg) alle
spinter-Stellen erst eingefügt oder eine spinter-Szene bei V 1 gestrichen haben
(wo der einzige mögliche Handlungsansatz für das Requisit zu finden ist).23
dem Parasiten die Voraussetzung für den … triumphierenden Abgang von Men-
aechmus II; am Abschluß dieses Handlungsteiles wird so dessen Ergebnis dem
Zuschauer noch einmal unmittelbar deutlich.“
22 In der Diagnose richtig also Sonnenburg: De Menaechmis Plautina retractata libellus
(Anm. 12), S. 17f.: „ad totum fabulae argumentum spinter adeo nihil conferre, ut
cur omnino commemoretur non intellegamus, quis est qui neget?“ Wenn man auf
die Gesamthandlung sieht, könnte also auch III 3 gestrichen werden (jedenfalls
in dem uns vorliegenden Text); auch Ribbecks Würdigung („Bemerkungen zu
den Menaechmi des Plautus“ [Anm. 13], S. 539) übertreibt, wenn nach ihr die Sze-
ne nicht nur „allerliebst“, sondern auch „sehr wesentlich“ sein soll. Ribbeck
nennt sie „ein echt weibliches Postscriptum zu dem zärtlichen tête-à-tête und
dem Toilettenauftrag (sc. wegen der palla), gleich charakteristisch für die begehr-
liche Hetäre wie für ihr Mädchen, und auch sehr geeignet, das bisherige Verhält-
nis zwischen den beiden Eheleuten in helleres Licht zu stellen.“ Bestens, aber für
die Handlung wesentlich? (siehe auch bei Anm. 41).
23 Ich lasse die Entscheidung noch offen und bemerke nur, daß Sonnenburgs weite-
re Argumente gegen die Echtheit von III 3 nicht stichhaltig sind. Das eine wäre
die angebliche Unwahrscheinlichkeit, daß Erotiums Magd erst beträchtliche Zeit
(in v. 524) nach Menaechmus S (in v. 466) mit dem spinter auf die Bühne kommt.
Aber sie konnte ja den Auftrag haben, ihm zum Goldsticker nachzugehen; daß er
noch immer vor dem Haus steht, muß sie bei seiner Trunkenheit nicht verwun-
dern; und überhaupt geht der sonst sorgfältige Menaechmendichter mit der
Zeitwahrscheinlichkeit so großzügig um, daß bei richtiger Regie alles gerade noch
klappen kann. (So läßt Erotium in v. 218 ihren Koch Cylindrus aus dem Haus ru-
fen und übergibt ihm in v. 219 auch schon Einkaufskorb und Geld – hatte sie al-
so bei ihrem Auftritt in v. 180 selber einkaufen gehen wollen und der Koch woll-
174 II. Handlungsgliederung
104
104 Zwei weitere relevante Unstimmigkeiten haben mit dem Wissen oder
Nichtwissen der Figuren des Spiels zu tun, und natürlich muß auf diesem
Gebiet auch nicht jede Inkonsequenz in jeder Komödie analytisch von
Bedeutung sein; wieder geht es um Brüche im individuellen Werkstil.
Nicht daß die Matrone in v. 739 gegen ihren bisherigen Wissensstand sich
auf einmal über den spinter-Diebstahl beschwert, ist also bedeutsam, son-
dern daß dies in einem Stück geschieht, dessen Autor ansonsten in einem
scheinbar einfachen Schwank besondere artistische Gewandtheit im Um-
gang mit den Informationen zeigen will, über die die Figuren jeweils ver-
fügen, ja der seine Jongleurkunst manchmal noch herausstreicht, indem er
einen Ball scheinbar fallen läßt und erst im letzten Augenblick wieder
fängt. Wir verfolgen das am besten nicht nur am Wissen um das spinter,
sondern vor allem auch an den Reaktionen des Menaechmus S auf die
Informationen, die er über den Bruder und dessen Lebensumstände erhält.
(Dabei werden wir übrigens auf eine dritte und letzte Schwäche der Szene
V 1 stoßen, die dann auch gegen die Streichung und für die Ausweitung
des spinter-Motivs im Original spricht.)
Bei Menaechmus S liegt klärlich die größte Herausforderung für den
mit unwahrscheinlichen und doch gerade noch akzeptablen Situationen jon-
glierenden Autor. Menaechmus S sucht seit Jahren nach irgendeiner Spur
seines Bruders, er sollte also auf jedes Indiz förmlich lauern und darum
auch relativ bald die richtige Erklärung dafür finden, daß er mit dem Na-
men des Bruders angesprochen24 und von einer ganzen Personengruppe als
Menaechmus ,erkannt‘ wird. Für die erste Verwechslungsszene (II 1) findet
sich zwar bald eine dem Schwankstil gemäße Begründung seiner Blindheit:
er hält seinen Gesprächspartner, den Koch Cylindrus, für verrückt (wie
dieser ihn), und diese simple ,Erklärung‘ läßt man ihm für den Augenblick
der ersten Verblüffung wohl durchgehen. Aber der Autor, der sich mit
105
105 dem schwankhaften Verrücktheitsmotiv nicht begnügen wird, || verläßt
sich, um es zu konterkarieren, nicht darauf, daß es mit jeder Wiederkehr
sozusagen automatisch an Plausibilität verlieren würde (weil die Verblüf-
fung für Menaechmus S immer geringer, sein Wissensstand aber immer
größer und gefestigter werden muß).25 Er hat vielmehr – wie Sophokles
te jetzt gerade nachkommen? Oder: Nachdem Cylindrus v. 332 zum Kochen ins
Haus gegangen war, versichert Erotium, die nach Zwischendialog Messenio –
Menaechmus S schon v. 351 auftritt, in v. 364ff., man könne zu Tisch gehen –
aber vielleicht übertreibt die Hetäre?) – Zum zweiten Argument (des unmögli-
chen Wissens der Matrone) gleich im Text.
24 Er selbst heißt ja eigentlich Sosicles (siehe v. 40ff. und v. 1123ff.).
25 Ein hübscher Beleg dafür, daß der Autor nicht bloß für sich so kalkuliert, son-
dern mit einem das πιθανόόν auch in diesem Betracht sorgsam kontrollierenden
Publikum rechnet, ist ein Spielzug mit dem Parasiten. Menaechmus S hört zuerst
durch Cylindrus, dann durch Erotium (v. 286, 391), daß er einen Parasiten namens
Die Handlung der Menaechmi I 175
Peniculus haben soll. Als der ihm dann in III 2 leibhaftig begegnet, fragt er ihn
v. 498 nach seinem Namen. Da will es genossen werden, daß die ganze Ahnungs-
losigkeitskonstruktion zusammenbräche, wenn Peniculus nicht erwiderte: etiam
derides quasi nomen non noveris!
26 Cylindrus identifiziert ihn in II 2, auch namentlich, als den Menaechmus, der im
Nachbarhaus wohnt und mit seinem Parasiten Peniculus heute bei seiner Hetäre
Erotium tafeln will (fehlen also nur Matrone und palla-Motiv, damit Erotium in
II 3 auch noch etwas, natürlich steigernd, nachliefern kann).
27 Warum sollte gerade ein Verrückter Menaechmus Sʼ Namen kennen? Vers 297
macht eigens auf das Problem aufmerksam: pro sano loqueris cum me appellas nomine.
28 Soweit ich die Sekundärliteratur überblicke, ist weder die Funktion des Motivs
noch (damit zusammenhängend) das Spiel mit den erotischen Zwischentönen in
v. 405–415 bemerkt oder gewürdigt worden.
29 Messenio muß seine frühere Theorie, die Hetären besorgten sich ihre Informati-
onen im Hafen, an dieser Stelle noch überbieten: „Allmächtiger, dieses Weib
kommt doch nicht aus Syrakus, da sie dich so gut kennt!?“
176 II. Handlungsgliederung
daß der Autor eines solchen Spiels auch im Kleinen ganz exakt arbeitet.
Dafür auch noch gleich ein Beispiel aus III 2: Da darf der Parasit Men-
aechmus S einmal nicht verstehen, während er ihn belauscht. (Menaech-
mus S in v. 479ff.:) „Dieses Kleid, sagte sie, hätte ich ihr gegeben, und ich
hätte es meiner Frau gestohlen. Sobald ich merkte, wie sie sich irrte, da
begann ich ihr sogleich zuzustimmen, als hätte ich tatsächlich was mit ihr.“
Würde Peniculus das hören, dann wüßte er, daß Menaechmus S nicht
Menaechmus E sein kann. Der Autor hat schon v. 477 vorgebaut (Pen.):
„Ich kann nicht genau hören, was er sagt.“
Wir dürfen angesichts dieser durchgehenden Eigenheit des Stücks zu-
versichtlich behaupten, daß das plötzliche unerklärte Wissen der Matrone
vom spinter analytisch anstößig ist. Bei dem Trost, den uns Marti36 im Lan-
gen-Stil anbietet, werden wir uns jedenfalls nicht beruhigen. Marti vergleicht
die zwei Geschenke, die Erotium in den Menaechmi bekommt, mit den zwei
Geschenken an die Hetäre Thais im Eunuchus 37 und meint, auch in den
Menaechmi werde „bald das eine Geschenk, bald beide, in freiem Wechsel
erwähnt“. Wie wenig da, sieht man einmal von der Problemszene V 1 ab,
von freiem Wechsel die Rede sein kann, zeigt sich, sobald man wieder die
Informationsvergabe an die in Frage kommenden Figuren verfolgt.
Der Parasit Peniculus, der einzige Informant der Matrone, hört vom
spinter nichts. Das ist zweifach auffällig. Zum einen hätte der Dichter, wie
er ihn am Beginn von III 2 etwas nicht verstehen läßt, ihn noch am Anfang
von III 3 die ersten Verse von Erotiums Magd belauschen lassen können
(bis v. 527 iubeasque spinter novom reconcinnarier). Und zum andern versichert
Peniculus dann in IV 2 sogar einmal ausdrücklich, er habe alles || verraten, 108
108
was er wußte (v. 637 omnia hercle uxori dixi).38 Infolgedessen wirft in IV 2
auch die Matrone ihrem Gatten nur den palla-Diebstahl vor.
In IV 3 wird Menaechmus E mit Erotium konfrontiert. Und so leicht
man da das spinter (als handlungsirrelevant) streichen könnte, so unge-
zwungen paßt die Weise, wie es genannt wird, in den Kontext. Menaech-
36 Heinrich Marti: Untersuchungen zur dramatischen Technik bei Plautus und Terenz. Dis-
sertation, Universität Zürich 1959, S. 88, Anm. 18 (zu Langen: oben Anm. 11).
37 Dort ist z. T. nur von dem für die Handlung wichtigen Eunuchen die Rede, z. T.
auch von einer äthiopischen Sklavin, die wohl erst Terenz aus Effektgründen
hinzugefügt hat.
38 Weil das Argument an dieser Stelle einen doppelten Vorgriff bedeutet (sowohl
von der analytischen Diagnose auf die Therapie wie von der Inhaltsanalyse auf
den strukturanalytischen Nachweis, daß zwischen III 3 und IV 1 im Original kei-
ne Aktgrenze lag), weise ich nur in der Anm. darauf hin, daß Peniculusʼ Aus-
schluß von der spinter-Information auch durch die Szenenführung sichtbar betont
ist: der Denunziant geht in III 2 zur Matrone, dann erhält in III 3 das spinter sei-
nen Expositionsauftritt, und unmittelbar nach dessen Ende kommt der Verräter
mit ihr aus dem Haus.
178 II. Handlungsgliederung
mus E hat zuvor nur die palla zurückverlangt, nur die wollte ja seine Frau
wieder sehen. Nun Erotium, zunächst verblüfft auf seine Bitte reagierend
(v. 681): tibi dedi equidem illam, ad phrygionem ut ferres, paullo prius, „die hab’
ich doch dir gegeben …“; dann fügt sie, um ihm mit einem weiteren Hin-
weis auf die Spur zu helfen oder jede Verneinung abzuschneiden, noch
hinzu: et illud spinter, ut ad aurificem ferres, ut fieret novom. 39 Er streitet natürlich
beides ab, bleibt aber im folgenden wieder bei dem ihn interessierenden
Thema der palla. Dasselbe Spiel wiederholt sich übrigens später in v. 1049
mit v. 1061 und in v. 1138ff.: Immer hat Menaechmus E guten Anlaß, die
palla zu nennen, und ganz ungezwungen wird er auch an das spinter erin-
nert (von Erotium bzw. seinem Bruder, der natürlich Bescheid weiß).
Wir können also – da das spinter außer in V 1 nirgends „in freier
Wahl“ genannt ist, sondern der Wissens- und Interessensstand der Figuren
sonst immer berücksichtigt bleibt – unsere frühere analytische Diagnose
mit größerer Bestimmtheit wiederholen: der Goldreif ist in unserem Men-
aechmen-Text in der Szene V 1 gegen den sonst zu beobachtenden Werkstil
eingesetzt; er gehört also mit ziemlicher Sicherheit entweder als plautini-
scher Zusatz eliminiert, wenn wir die originale Fassung wiederherstellen
wollen, oder in etwas anderer Funktion eingesetzt (indem er irgendwie
mitspielt und die Matrone in der Szene selbst von ihm erfährt).
Hier sei vorausgreifend gleich bemerkt, daß die erstgenannte der bei-
den Therapiehypothesen, der variierte Sonnenburg, auf einem literarhisto-
109
109 risch durchaus akzeptablen Plautusbild basieren würde: Plautus || hätte sich,
als er in III 3 das Motiv von der erbetenen spinter-Umarbeitung einfügte,
von den entsprechenden palla-Versen in II 3 anregen lassen (v. 425ff.),
etwa so, wie er auch in den Bacchides die ganze zweite Briefintrige aus der
einen des Originals entwickelt hat.40 Im plautinischen Sinn lustig genug
wäre die Szene, die in den Versuch von Menaechmus S und der Magd
ausläuft, jeweils den anderen auszubeuten (v. 541–574).41 Und bei den
weiteren spinter-Erwähnungen hätte Plautus eben einmal geschlafen – mit
dem „Werkstil“ seiner Einfügungen wäre nicht so leicht zu rechten.
42 Übrigens läßt sich auch der Abgang des Peniculus zur Matrone (v. 521) so spie-
len, daß Menaechmus S dessen Ziel, das Haus des Bruders, einfach ignoriert: er
kann sich von ihm mit non tu abis quo dignus es (v. 516) verachtungsvoll abwenden.
43 Zu v. 710, quae te res agitat, mulier, zitiert P. Th. Jones (T. Macci Plauti Menaechmi,
hg. mit Einleitung und Anmerkungen von P. Thoresby Jones. Oxford 1918) Aul.
v. 642, laruae hunc agitant, und Verg. Aen. 4, v. 471, scaenis agitatus Orestes. Folgt
v. 714ff. der Vergleich der Matrone mit der Hündin Hecuba: höher als bis in die
Mythologie gehtʼs nicht mehr, darum nur noch v. 738 sanan es als Nachklang.
180 II. Handlungsgliederung
hebt sie bis v. 728 auch keine konkrete Beschuldigung, sondern deutet nur
auf istaec flagitia (v. 719, 721) und tuos mores (v. 726).
Jetzt aber gabelt sich der Weg. Nach unserem Plautustext trifft ab
v. 729 unseren Menaechmus ein Schlag nach dem anderen. Zum fünften
Mal wird er des palla-Diebstahls bezichtigt, jetzt noch dazu von der Eigne-
rin – seine Erklärung, eine andere habe ihm das Kleid zum Umarbeiten
gegeben, bringt sie so in Rage, daß sie nach ihrem Vater schickt, d. h. mit
der Scheidung droht (v. 736f.) – seine neuerliche Abwehr sanan es? beant-
wortet sie mit verdoppeltem Vorwurf (v. 739 pallam atque aurum meum eqs.)
– zu guter Letzt erscheint der Vater –: und Menaechmus kapiert nichts.
Hier ist das intellektuelle Spiel mit der Erwartung des Publikums (Wird er
endlich begreifen? Und wenn nicht, warum nicht?) offenbar aufgegeben,
hier regiert einfach das rasche Slapstick-Tempo, das weder Menaechmus
noch die Zuschauer zur Besinnung kommen lassen will, aus dem Liebäu-
geln mit der Farce ist die reine Farce geworden. Hier fassen wir denselben
Gestaltungswillen, auf den sich die Schlußszene zurückführen läßt (V 9), in
der die Zwillinge einander endlich gegenüberstehen. Denn noch dort pro-
testiert Menaechmus S gegen die Wahrheit, die er sucht (ich greife v. 1078f.
heraus): tu es Menaechmus? Menaechmus E: me esse dico, Moscho prognatum
111
111 patre.44 Menaechmus S: tu meo patre es prognatus? Das ist der || Gipfel des
Mißverstehens, bis zu dem das reine Schwankmotiv der Verblüffung ge-
steigert werden konnte; aber so gut diese eine Linie hier zu Ende geführt
ist, dem Gesamtstil der Verwechslungsszenen bis zum Anfang von V 1
und dann wieder der Szenen V 2 (ab v. 828) und V 3 entspricht sie nicht.
In v. 828ff. legt Menaechmus S, von der Matrone und deren Vater be-
drängt, weil nun selber des Wahnsinns verdächtigt, doch beachtliche Pfif-
figkeit an den Tag: sofort greift er nach der Chance, die beiden gerade mit
der gespielten Aggressivität des scheinbar Wahnsinnigen loszuwerden.
Und dann begreift der zu so schneller Reaktion Fähige in V 9 genau so
wenig wie sein Bruder, nämlich nichts, bis der Sklave Messenio (ab
v. 1081) den Knoten auflöst. Diese wahrhaft plautinische Konstellation
von dummem Herrn und klugem Diener ist dem Publikum gewiß nur
zuzumuten, wenn der ganze Schluß presto gespielt wird.
Ich denke, die angeführten zwei Gründe – betont schwankhafte
Tempokomik in V 1 und V 9 gegen den sonstigen Werkstil, und Wider-
spruch zwischen Menaechmus S’ Begriffsstützigkeit in diesen Szenen und
seinem Verhalten in V 2f. – machen die Diagnose so gut wie sicher, daß
auch diese Inkonsequenz in V 1 quellenanalytisch auszuwerten ist.
44 Überaus witzig, daß dem Menaechmus S jetzt der Bruder mit denselben Worten
seine eigene Identität bestreitet, mit denen ihn Erotium in II 3 überreden wollte,
die Identität des Bruders als die seine zu akzeptieren (v. 407): non ego te novi Men-
aechmum, Moscho prognatum patre?
Die Handlung der Menaechmi I 181
45 Daß es mit der Tilgung der spinter-Stellen nicht geht, ist gewiß nur mehr eine
Anmerkung wert: am Possenstil von V 1 ändert sich nichts, wenn wir atque aurum
in v. 739 streichen. – Eine Folge der banalen Feststellung ist immerhin, daß, so-
bald wir hier nicht streichen, auch III 3 zum Original gehören muß.
46 Setzen wir die von Plautus getilgte Szene hier ein, dann gewinnt der Schwieger-
vater auch etwas längere Zwischenzeit für seinen Anmarsch (in unserem Plautus-
text wird er nach v. 737 von seinem außerszenischen Haus geholt und ist v. 746
für die Figuren auf der Bühne schon sichtbar). Vgl. allerdings zur Zeitbehand-
lung des Autors die Anm. 23.
47 So Ribbeck: „Bemerkungen zu den Menaechmi des Plautus“ (Anm. 13), S. 544.
182 II. Handlungsgliederung
48 Die Komik der Szene V 2 ist im Original um die Pointe reicher, daß Menaechmus
S sich mutwillig selbst in die Zwangslage manövriert: die Matrone will er ja mit
seinem gespielten Wahnsinn nur loswerden, weil sie ihm auf die Nerven geht,
aber er bringt dabei den Vater auf die Idee, Sklaven zu holen, qui hunc tollant et
domi devinciant (vgl. v. 827–832 mit v. 842–847).
Die Handlung der Menaechmi I 183
49 Steidle: „Zur Komposition von Plautusʼ Menaechmi“ (Anm. 6), der S. 258 den An-
stoß bespricht, formuliert ihn nur von den Figuren aus (warum sind der Alte und
der Arzt nicht verwundert?) und handelt sich damit Woyteks Protest ein („Zur
Herkunft der Arztszene in den Menaechmi des Plautus“ [Anm. 10], S. 177): der ana-
lysierende Kritiker dürfte seinen Horizont nicht einfach mit dem der Figuren
gleichsetzen. Richtig, aber es kommt auch auf den Horizont des Publikums an.
50 v. 1040. – Zur richtigen Textgestaltung des Passus vgl. Woytek: „Zur Herkunft
der Arztszene in den Menaechmi des Plautus“ (Anm. 10), S. 174f.
184 II. Handlungsgliederung
Freund mit ins Spiel bringen, nur Frau und Hetäre, allerdings ohne ihm
seine Identität zu bestreiten.
Aber sei dem wie immer: selbst wenn Plautus nicht nur in V 1–3 und
V 8f., sondern auch in V 3f. eingegriffen hat wie eben vorgeschlagen, hat
sich seine Bearbeitertätigkeit wohl quantitativ etwas ausgebreitet, nicht aber
qualitativ intensiviert. Alle diese Änderungen haben ja ein und dieselbe Wur-
zel: Menaechmus S soll nach Plautus’ Willen auch im letzten Werkdrittel
die Schwankfigur bleiben, an der er auch vorher hauptsächlich interessiert
war, ja der Schwankcharakter des Spiels soll sich steigern. Menaechmus S
soll reines Opfer des Zufalls sein, durch immer neue Überraschungen
immer mehr verwirrt, bis zuletzt sein Sklave der Klügere ist. Im Grunde
geht es Plautus also um ein simplex et unum in seinem Stil.
Die quellenanalytische Betrachtung einer Plautuskomödie muß, wie man
sieht, nicht bei einem Plautus enden, der nur an Einzelheiten herumbastelt,
also hier und da etwas zerdehnend oder vergröbernd eingeflickt oder beden-
115
99 kenlos ein Stück des Originals weggeschnitten hätte, || ohne daß ihm selbst
ein Gesamtkonzept seiner Bearbeitung vorgeschwebt wäre. Ich verweise,
um eine Parallele zu nennen, nochmals auf meine Analyse der Bacchides,51
wo Plautus, wie ich glaube,52 die Informationsvergabe an den Hauptlieb-
haber Mnesilochus gegenüber dem dritten Akt des Originals verändert hat,
um einen kammerspielartigen Handlungsteil in eine possenhafte und thea-
tralisch effektvolle Szenenfolge zu verwandeln, und wo er, wie jetzt wohl
allgemein anerkannt, den ganzen Schlußteil neu geschrieben hat, um den
Intrigensklaven als triumphal überlegenen Beherrscher des Spiels heraus-
zustellen. Und erst wenn Ergebnisse dieser Art besser abgesichert sind,
d. h. wenn man Bearbeitungstechnik und Stilwillen des Plautus im Gestal-
ten ganzer Handlungen aus der Analyse von mehr Stücken kennt, werden
auch die Literaturkritiker leichter vergleichen und werten können.53
2 Mit der Analyse des Fünfaktschemas beginnt (nach manchen anderen, unter
denen v. a. T. B. L. Webster zu nennen wäre) auch Alain Blanchard: Essai sur la
composition des comédies de Ménandre. Paris 1983; siehe sein Chap. I („La division en
cinq actes“) und besonders die Plautus- und Terenzanalysen; vgl. ferner: Adolf
Primmer: Handlungsgliederung in Nea und Palliata. Dis Exapaton und Bacchides. Wien
1984 (Sitzungsberichte der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Phi-
losophisch-Historische Klasse 441) [71–166]. Blanchard und ich hantieren auch
beide mit dem Dreiphasenschema der Fabel (s. u.), allerdings in anderer Weise;
daß wir uns aber doch im Konkreten weitgehend einigen können, zeigt jetzt seine
Reaktion auf meine Abhandlung: „Lʼacte III de la ‹double tromperie› de Ménand-
re“, in: Revue des études grecques 100 (1987), S. 462–470.
3 In der Anerkennung dieser Änderung wird das Folgende von meiner allzu flüch-
tigen Diagnose in Primmer: Handlungsgliederung in Nea und Palliata (Anm. 2),
S. 17f. [82f.] abweichen.
Die Handlung der Menaechmi II 187
Wir beginnen also mit dem Fünfaktschema. Unter der (noch zu über-
prüfenden) Voraussetzung, daß Plautus in den relevanten Passagen das
Original wiedergibt, lassen sich dessen vier Aktpausen an vier der sechs
plautinischen Leerbühnenstellen orten. Nach griechischer Technik der
Pausenzeitbehandlung – die Zuschauer müssen erfahren, welche länger-
dauernde außerszenische Aktion die Zwischenzeit ausfüllt 4 – ist nämlich
eine Aktpause nach v. 225, v. 445 und v. 881 nötig, nach v. 558 und v. 700
möglich, während v. 1049/1050 aus der Konkurrenz ausscheiden muß.5
Mit anderen Worten: die Aktgrenzen α/β, β/γ und δ/ε6 stehen unter der
genannten Voraussetzung fest, nur für γ/δ ist noch zwischen v. 558/559
und v. 700/701 zu wählen. Hier die Belege im einzelnen, mit einer ersten
Kontrolle, ob die so angesetzten Pausen Akte von angemessener Länge
trennen und ob die Pausenbegründung jeweils entweder aus Nea-Beispielen
geläufig ist oder sich aus der Handlung des Stücks zwangsläufig zu ergeben
scheint:
1. Die Leerbühne und Zwischenzeit, die sich durch den Einkaufsgang
des Koches Cylindrus zum Markt ergibt, wäre von der Handlung her nicht
notwendig; als künftiger Gesprächspartner für den in II 1 auftretenden
Menaechmus S hätte z. B. auch ein Sklave aus Erotiums Haushalt dienen
können, den sie mit dem Auftrag auf der Straße postiert, die eventuelle Ent-
deckung des palla-Diebstahls im Nachbarhaus auszuspionieren. Da sich
aber die nächste Leerbühne erst v. 445 ergibt, also für einen normalen Akt-
umfang viel zu spät, ist die α/β-Pause nach v. 225, die uns eben der || Fo- 196
196
rumgang des Cylindrus signalisiert (v. 273 kommt er dann mit den Worten
bene opsonavi zurück), gerade an der tradierten Stelle willkommen. Und als
Pausenfüller ist ja der Einkaufsgang bei Menander ganz geläufig, man sehe
neben Bacch. v. 108/109 oder Aul. v. 279/280 besonders Samia β/γ: dort
würde offenbar Demeas’ Monolog am Aktbeginn (v. 206–282) allein ge-
nausowenig als Zeitbrücke für Parmenons Einkaufsgang reichen wie hier
der Auftrittsdialog von Menaechmus S und Messenio in II 1 (v. 226–272).
7 Wolf Steidle: „Zur Komposition von Plautusʼ Menaechmi“, in: Rheinisches Museum
114 (1971), S. 247–261, ist der einzige unter den Neueren, der bewußt zur grie-
chischen Aktteilung Stellung nimmt (andere haben v. a. Plautus im Auge oder
unterscheiden nicht). Steidles Hauptargument (S. 251, Anm. 16), daß bei seiner
Aktteilung (nach v. 225, 558, 700 und 881) am β- und δ-Schluß eine Menaech-
mus S-Handlung zu Ende geht wie in α und γ eine Menaechmus E-Handlung,
setzt das Streben nach (relativ mechanischer, nicht dramaturgisch relevanter) Se-
quenzenbildung voraus, das er erst beweisen müßte, und scheitert schlicht an den
Zeitschwierigkeiten.
8 v. 476 sagt er selbst: prandi, potavi, scortum accubui (ähnlich v. 1142); und der in
solchen Dingen natürlich besonders scharfsichtige Parasit hatte gleich in v. 463f.
aus dem Brauch, sich erst nach dem Essen zu bekränzen, den richtigen Schluß
gezogen: Menaechmus cum corona exit foras – sublatum est convivium (vgl. auch v. 469f.,
confecto prandio vinoque expoto). Später wird Peniculus übrigens noch zweimal
(v. 563, 629) betonen, Menaechmus sei cum corona ebrius aufgetreten (vgl. Teil I,
S. 102, Anm. 20).
9 Hier muß ich Primmer: Handlungsgliederung in Nea und Palliata (Anm. 2), S. 17 [82],
Anm. 18 [24] korrigieren, wonach die Zwischenzeit nur bei v. 558 nicht notwen-
dig wäre.
Die Handlung der Menaechmi II 189
10 Steidles (siehe Anm. 7) Argument wird doch nicht in dem Hinweis bestehen, daß
in v. 700 wie in v. 225 ein Menaechmus E-Handlungsteil zu Ende geht? Da hät-
ten wir jetzt in v. 445 ein Gegenbeispiel.
11 Es wir unten S. 212f. durch das Sequenzkriterium bestätigt werden.
12 Selbstverständlich sind alle diese Zahlen nur als Annäherungswerte zu betrach-
ten. Verschiedene Unsicherheitsfaktoren ergeben sich daraus, daß der Prolog lü-
ckenhaft überliefert und durch nachplautinische Geschwätzigkeit zerdehnt ist,
daß die Cantica den Originaltext auswalzen usw. usw.
13 Steidle: „Zur Komposition von Plautusʼ Menaechmi“ (Anm. 7), S. 253ff.; Teil I,
S. 113f. Im letztgenannten Fall würde übrigens bloß ähnlich wie in α/β vor dem
eigentlichen Repräsentanten der Zwischenhandlung (dort Cylindrus, hier der
Senex) bereits eine andere Figur auftreten, ohne daß dies an dem Zeitargument
irgendetwas ändern könnte.
190 II. Handlungsgliederung
14 Eckard Lefèvre: „Primmer: Handlungsgliederung in Nea und Palliata (Anm. 2)“, in:
Gnomon 57 (1985), S. 693–698; das Zitat im Text: S. 696, Anm. 6. – Nebenbei:
Wenn Lefèvre meint, nach dem bloßen Zeitkriterium müßte auch zwischen v. 738
und v. 746 Aktschluß angenommen werden, so geht es, wie unser praktisches
Vorgehen im Text wohl zeigt, eben nicht ums bloße Zeitkriterium; bereits die
Musterung der Handlungsführung legt nahe, im Umkreis der Verse 738ff. keine
Leerbühne zu erwarten, da Menaechmus S vorher und nachher gebraucht wird.
15 Die Kontrolle der Sequenzbildung im Akt wird sich unten als weiteres Kriterium
der Originalnähe oder -ferne bewähren.
16 Vgl. etwa Primmer: Handlungsgliederung in Nea und Palliata (Anm. 2), S. 33f. [98f.].
Die Handlung der Menaechmi II 191
geht, daß viel Zeit außerhalb der Bühne vergangen ist.“ Sollten wir also
etwa auch hier einen versteckten Aktschluß postulieren? Das reine Zeitkri-
terium würde dazu raten, aber Leerbühne wird sicher nicht gebraucht
(ganz im Gegenteil, Menaechmus S muß doch mit dem Senex zusammen-
treffen, also dableiben). Haben wir dann etwa ein Indiz gefunden, daß
unsere Analyse auf die Menaechmi doch nicht anwendbar und daß „die
Struktur der Menaechmi von A bis Z von Plautus ist“? Dieses Urteil Lefèv-
res17 scheint mir doch etwas voreilig, jedenfalls ohne Differenzierung des
Begriffes Struktur. Ich gestehe gern und dankbar, daß erst seine Kritik an
meinem früheren Urteil18 mich zu dessen Korrektur und zu einer genaue-
ren Analyse der Menaechmi angeregt hat. Ich glaube jetzt zeigen zu können,
daß wir beide übers Ziel geschossen haben: ich hätte nicht vom erhalten
gebliebenen Fünfaktschema auf die erhaltene Fabelgliederung schließen
dürfen, und Lefèvre nicht von der geänderten Fabelgliederung auf die
geänderte Aktstruktur. Ich wende mich also nicht deswegen gegen die
radikale Überarbeitungsthese, weil ich prinzipieller „Vertreter einer weit-
gehenden Abhängigkeit … der römischen Komiker“ wäre. Ich meine nur,
wir sollten unsere konkreten Beweis- und Analysemittel geduldig auszu-
schöpfen lernen – vielleicht läßt uns auch die scheinbar kleinkarierte Be-
obachtung von Aktschlüssen einen aufschlußreichen Blick in das Schaffen
des Plautus tun.
Also geduldig zurück zum Zeitproblem von V 1f. und zur ,Gegen-
probe‘, ob die Schwierigkeit nicht (a) in der Komödie singulär und punk-
tuell eingrenzbar und (b) durch einen leichten rekonstruierenden Eingriff,
der sich aus anderen Gründen empfiehlt, behebbar ist. Beides ist nun in der
Tat der Fall. Denn zum einen (a) gibt es in den ganzen Menaechmi keinen
vergleichbaren Zeitverstoß, nur zwei Scheinparallelen. Wenn Erotium in β
schon in v. 364ff. zum fertigen Essen bittet, obwohl Cylindrus sich erst in
v. 332 zum Herd begeben hatte, so paßt ihre Übertreibung bestens || zu 200
200
dem sonstigen aufschneiderischen Umgangston dieser Halbwelt.19 Und
wenn in ε der Senex, der v. 956 (gegen Ende von V 5) heimgegangen war,
um die vier Sklaven zu holen, die den angeblich verrückten Menaechmus E
zum Arzt schleppen sollen, bereits wieder v. 990 (am Anfang von V 7) mit
ihnen ankommt, so deckt zwar nicht die geringfügig höhere Zahl der Zwi-
schenverse an sich schon einen größeren Zeitraum als in V 1;20 trotzdem
17 Die Zitate im Text stammen aus Lefèvre: „Primmer: Handlungsgliederung in Nea und
Palliata“ (Anm. 14), S. 696, bei und in Anm. 6 (das nächstfolgende Zitat: S. 693).
18 Primmer: Handlungsgliederung in Nea und Palliata (Anm. 2), S. 17f. [82f.].
19 Man soll den Willen des Autors nicht unterschätzen, innerhalb der völlig stan-
dardisierten Typen (zänkische Ehefrau, habgierige Hetäre, freiheitssüchtiger Feig-
ling …) doch scharf zu ,charakterisierenʻ.
20 Zumal man berücksichtigen muß, daß Plautus in Messenios Canticum den Text
gewiß stark gedehnt hat.
192 II. Handlungsgliederung
21 v. 738 ihr Schlagwort flagitia (vgl. v. 719, 721, 738), v. 745 sein Mythenvergleich
(Porthaon) wie v. 716ff. (Hecuba), usw. – Auch wenn wir wie recht und billig
(anders Thomas B. L. Webster: Studies in Later Greek Comedy. Manchester 1953,
S. 70) den Senex gleich in Bühnennähe wohnen lassen, reicht diese magere Zwi-
schenhandlung nicht zur Überbrückung aus.
22 Ich stimme der Bühnenbild-Lösung (wenn auch nicht der ganzen Argumenta-
tion) von Vincent J. Rosivach zu, in: „Plautine Stage Settings“, in: Transaction of
the American Philological Association 101 (1970), S. 445–461 (zu den Menaechmi:
S. 454ff.)
23 Die Bühnenhäuser (links vom Zuschauer, auf der Hafenseite, Erotium; rechts,
auf der Stadtseite, der Bürger) wieder nach Rosivach (für diese Anordnung
spricht, auch schon die traditionelle ,Symbolikʻ; der Nichtstädter, der Arme, die
Hetäre wohnt z. B. auch schon in Dyskolos, Aulularia oder Bacchides links).
24 Man sehe nur v. 995f.: iam sublimem raptum oportuit! ego ibo ad medicum …
25 In Teil I, S. 111, Anm. 46, ist der Schlußsatz, der das Problem verharmlost, zu
streichen.
Die Handlung der Menaechmi II 193
Aber er ist immerhin singulär, und zum andern (b) liefert die unmoti-
vierte und unausgenützte Nennung des aurum in v. 739 (= spinter in v. 807)
sowohl die erwünschte Bestätigung unserer Diagnose, daß der Fehler ge-
rade in den zu kurzen und inhaltsleeren Zwischenversen 738–745 steckt,
als auch den entscheidenden Therapiehinweis: In dem Zwischendialog, der
im Original länger und inhaltsreicher war, müssen Menaechmus S und die
Matrone ausführlich über das spinter debattiert haben. Das heißt im Min-
destfall: sie wird auf den Goldreif aufmerksam, er streitet ähnlich wie ge-
rade vorher bei der palla einfach alles ab, ohne jetzt endlich die Entde-
ckung des gesuchten Bruders wenigstens zu vermuten.26 Denkbar ist aber
auch der Maximalfall, den wir hier ohne Vorgriff auf die Argumentation
aus der Fabeldreiteilung nicht so überzeugend begründen können wie in
der Inhaltsanalyse von Teil I. Immerhin, eines kommt auch hier dazu: mit
dem wissenden oder doch ahnenden Menaechmus wird die Figurenfüh-
rung in einer Einzelheit besser. Ahnte er am Ende von V 1 nichts, so wür-
de er während des ganzen Dialogs Senex-Matrone passiv und unmotiviert
danebenstehen (bei Plautus sind das, wenn auch mit Canticumerweiterung,
die Verse 753–808); im anderen Fall hat er guten Grund, nicht zu fliehen
(so wie v. 557f.), sondern die Ohren zu spitzen. (Sein grundloses Bleiben
ist übrigens der zweite oben angekündigte Figurenführungsmangel im
plautinischen Text von V 1f.)
Die einzige Szenenfolge mit fehlerhafter Figurenführung, die uns noch
stärkere Eingriffe des Römers suggerieren könnte, findet sich in der ersten
Sequenz von ε, also bei den Auftritten von Senex, Arzt und Menaechmus
E. Auch hier ist sozusagen kleinräumig Abhilfe zu schaffen, und ich habe
einen entsprechenden Rekonstruktionsvorschlag schon in || Teil I (S. 113f.) 202
vorgebracht, allerdings in andeutender Zurückhaltung, weil die genaue
Beweisführung erst in unserem Zusammenhang möglich ist. Vor dem
Hintergrund der sonst präzise aufeinander bezogenen Motivationen der
Figurenbewegungen sollte ganz deutlich werden, daß die Anstöße nach
einer Remedur verlangen. Es geht fürs erste um den Auftritt von Men-
aechmus E in V 5, wo dieser die Stelle des vermeintlich verrückten Men-
aechmus S übernimmt. Da hält er – Senex und Arzt sind schon auf der
Bühne – einen Zutrittsmonolog (v. 899–908), in welchem er sich über den
Verrat von Parasit und Hetäre ausläßt, aber kein Wort darüber verliert, wie
es ihm mit seinen Freunden ergangen ist, bei denen er doch gemäß seiner
Abgangsbegründung in v. 700 Rat einholen wollte. Der Autor des Originals
26 In Teil I, S. 112 habe ich als Inhalt der Ergänzung vorgeschlagen, daß Menaech-
mus S noch vor der Ankunft des Senex alles mit Sicherheit durchschaut und sich
rasch entschließt, spaßhalber weiter den Bruder zu mimen. Jetzt sehe ich, daß wir
ihm (auch und gerade für den im Text sogenannten ,Maximalfallʻ) volle Einsicht
besser erst bei seinem Abgangsmonolog in V 3a zuschreiben.
194 II. Handlungsgliederung
muß auf die Freunde zurückgekommen sein, schon weil das seinem Usus
entspricht. Man vergleiche bloß, wie bei jedem anderen Auftritt nach län-
gerer Abwesenheit das Abgangsmotiv rekapituliert wird: das opsonium bei
Cylindrus (v. 220 und v. 273), der Aufschub des prandium durch den Forum-
gang (v. 213f.) bei Peniculus (v. 446ff.) und Menaechmus E (v. 595ff.), die
Suche nach Messenio bei Menaechmus S (v. 557 und v. 701), zuletzt der
Arzt beim Senex (v. 875 und v. 882). Neben das formale Argument, das
die Beseitigung des Stilbruchs verlangt, tritt (wie zuvor bei v. 738ff.) ein
inhaltliches, das auch die Richtung zur Lösung weist. Eine Äußerung, die
Menaechmus E später tut („Die einen behaupten, ich sei nicht der, der ich
bin,27 und sperren mich aus“, v. 1040), kann sich nicht bloß auf seine Frau
und seine Hetäre beziehen, denn die haben ihn zwar beide ausgesperrt,
doch ohne ihm seine Identität zu bestreiten. Zur Gruppe derer, die ihn
kennen, aber verleugnen, muß also mindestens ein Freund gehören, dem er
außerszenisch (wohl auf der Agora) begegnet war; und über sein Gespräch
mit diesem, worin der Freund ihm seine Identität bestritt, muß Menaechmus
E vor v. 1040, also eben bei seinem Wiederauftritt in V, den Zuschauern
berichtet haben. Nun gibt es ferner einen einzigen denkbaren Grund, daß
der Freund ihm sagt, er sei gar nicht er: wenn der Freund inzwischen Men-
aechmus S begegnet war, der sich als sein Zwillingsbruder ausgegeben hatte.
Das ist ja nach unserer Einführung des wissenden Menaechmus S in den
vierten Akt möglich; und wenn Plautus ihn dort eliminierte, mußte er ihn
wohl auch aus dem Bericht des Bruders im fünften Akt entfernen.
Soweit stehen wir denke ich auf sicherem Grund; in den Bereich des
Hypothetischen geraten wir erst, wenn wir uns auch noch den genaueren ||
203
203 Gang des Gesprächs zwischen den Freunden ausmalen.28 So einleuchtend
aber unsere Rekonstruktion sein mag, wir haben uns damit doch eine neue
kleine Inkonvenienz eingehandelt. Der notgedrungen längere Monolog, in
welchem Menaechmus E den Zuschauern sein Gespräch mit dem Freund
vorspielt, dürfte den Zeitrahmen der Lauscherszene mit Senex und Arzt
über Gebühr beanspruchen. Doch da kommt uns überraschend eine wei-
tere Unebenheit der Figurenführung zu Hilfe, deren Beseitigung wir leicht
und ungezwungen mit der unseres kleinen Zeitproblems verbinden können.
Ich meine das auffällige Schweigen des Senex dazu, daß Menaechmus E,
27 Das ist gesagt im Kontrast zu Messenio, der soeben, indem er ihn in v. 1001–
1038 für seinen Herrn hielt, behauptet hatte, er (Menaechmus) sei einer, der er
nicht ist. Vgl. übrigens Teil I, S. 114 mit Anm. 50.
28 Eine Maximallösung habe ich Teil I, S. 113 vorgestellt (Menaechmus S hatte sich
den Spaß gemacht, dem Freund in der Maske des Bruders von dessen Diebereien
zu erzählen). Eine denkbare Minimallösung wäre etwa: Der Freund hatte Men-
aechmus S (als E) auf der Straße getroffen und von diesem gehört, er sei gerade
auf dem Weg ins Hafenviertel; jetzt fragt er Menaechmus E verblüfft, was er
plötzlich auf der Agora wolle usw.
Die Handlung der Menaechmi II 195
den er bei seinem Kommen in v. 882 doch bewußtlos auf der Bühne vor-
zufinden erwarten muß, gar nicht da ist, sondern erst v. 898 auftaucht, und
noch dazu von der Forumseite her, d. h. sozusagen im Rücken der beiden
anderen. Die Zuschauer, vor deren Augen bisher jeder Stellungswechsel
der Brüder glatt und unauffällig erfolgt war, dürften sich wohl wenigstens
eine Pseudo-Rechtfertigung dieser Figurenführung erwarten, und sei es
bloß in Gestalt einer verwunderten Bemerkung des Senex. Noch publi-
kumswirksamer und noch einfacher, weil damit ein Schlag gleich zwei
Fliegen trifft, erscheint mir die folgende Rekonstruktion: Menaechmus E
tritt schon vor Senex und Arzt auf; da hat er genügend Zeit für seinen
Bericht über die merkwürdige Debatte mit dem Freund, und wenn er sich
nach dessen Ende resigniert und abwartend vor seiner Haustür postiert, ist
damit auch für den Senex der Positionstausch der Zwillinge in Ordnung.
Wir drohen uns in Detailargumentation zu verlieren – nicht ohne
Grund, da es immer mit der prinzipiellen Skepsis der Analysegegner zu
rechnen gilt. Aber wichtiger ist doch unser Hauptbeweisziel, der Nach-
weis, daß unsere ,Gegenprobe‘, d. h. die Überprüfung der Figurenführung
durch Bühnenraum und -zeit, keine so irreparablen Anstöße ans Licht
bringt, daß wir das Fünfaktschema in Zweifel ziehen müßten. Im Gegen-
teil, es hat seine erste Feuerprobe bestanden. Denn beide Ergänzungen,
die wir für das Original reklamieren, sowohl die Einfügung einer Dialog-
szene im vierten wie die eines Monologs im fünften Akt, tasten die im
ersten Durchgang gefundene Aktstruktur nicht im mindesten an.
Daß die Aktstruktur für unsere weiteren Analysen doch schon mit ||
ziemlicher Sicherheit feststeht, erleichtert uns die Weiterarbeit aus zwei 204
204
Gründen. In der Sache selbst, da es ja um die Binnengliederung der Akte
bzw. um das Verhältnis der Fabelgliederung zur Aktgliederung gehen soll.
Und im Hinblick auf die Forschungslage, denn die eben genannten weite-
ren ,Vergleichsfolien‘, die ich 1984 zur Debatte gestellt habe, sind noch
nicht so allgemein akzeptiert wie Fünfaktschema und Raum- und Zeitplau-
sibilität. Ich bin zwar überzeugt, daß man gut und nützlich auch umge-
kehrt argumentieren kann, also z. B. von der Beobachtung der Sequenzen
eines Akts auf dessen Vollständigkeit oder richtige Eingrenzung in der
Gesamthandlung;29 zuvor muß man aber offenbar erst erreichen, daß die
Sequenzbildung überhaupt als existent und erkennbar akzeptiert wird. Die
Rezensenten meiner ,Handlungsgliederung‘ haben sie jedenfalls nicht zur
Kenntnis genommen und sich hauptsächlich mit meiner These über die
Fabelgliederung auseinandergesetzt. Aber auch diese, also die Annahme,
daß die Fabel einer hellenistischen Komödie im Regelfall sich im Drei-
schritt einer Anlauf-, Verwirrungs- und Lösungsphase entwickelt, fand
29 Zu den Beispielen, die die Menaechmi liefern werden, nehme man etwa aus Prim-
mer: Handlungsgliederung in Nea und Palliata (Anm. 2) die zu Dis ex. γ und Bacch.
IV 9 hinzu, vgl. S. 39f. und S. 49.
196 II. Handlungsgliederung
nie als die Mutter des Säuglings erkannt.“34 Denn sie erleben diese Weige-
rung, den Mann zu verlassen, ja erst in δ vor ihren Augen, und da nur als
schmerzliche Erprobung von Pamphiles Treue, nicht als Wendung zum
Positiven, und diese erleben sie wiederum erst in dem wahrhaft rührenden
Gespräch Pamphile-Habrotonon. Oder was kann, verglichen mit der prä-
zise fixierten Struktur des Dreiphasenschemas, die mögliche analytische
Leistung einer ,inneren Form‘ sein, deren Wesen in Szenenspiegelungen
und in der Responsion von Handlungsteilen bestehen soll, wo doch diese
Phänomene per definitionem zur Aktgliederung in keiner erkennbaren
Beziehung stünden, in jedem Stück neu und atypisch anders aufträten,
gegenüber dem Interesse des Dichters, die Handlungsneugier des Publi-
kums wach zu halten, auf jeden Fall die Nebenrolle spielen würden und
noch dazu (wie etwa im Fall der Aulularia) auch erst vom römischen Bear-
beiter stammen können?35
207
207 Was die möglichen Regeln oder Grundsätze für die Sequenzbildung
im ersten Akt betrifft, so werden wir abermals gut daran tun, vom ein-
fachsten dramaturgischen Zweck solcher Schwerpunktbildungen auszuge-
hen: das Publikum soll durch eine inhalts- und abwechslungsreiche Hand-
lung gefesselt werden, und das ist auf allen Niveaus der Komödiendrama-
turgie im Minimalfall dann gewährleistet, wenn ein Handlungsschwerpunkt
(meist eine Szenenfolge, in der das Publikumsinteresse auf eine Hauptfigur
gelenkt wurde) durch wenigstens einen weiteren Handlungsschwerpunkt
abgelöst wird. Damit man sieht, was gemeint ist, als Exempel eine Skizze
meiner Sequenzanalyse der ersten Dyskolos-Akte. Akt α: (a) v. 1–80. Prolog
und erste Szene stellen das Handlungsziel und die beiden Gegenspieler
vor. (b) v. 81–178. Die Handlung beginnt: Knemon lehnt, auch in der
direkten Konfrontation, alle Kontakte ab. (c) v. 179–232. Sostratos wird
im Gespräch mit dem Mädchen von Daos, dem Sklaven ihres Stiefbruders,
mißtrauisch beobachtet. – Akt β: (a) v. 233–319. Sostratos gewinnt das
Vertrauen des Stiefbruders Gorgias. (b) v. 320–392. Sie entwickeln den
Plan, Knemon bei der Feldarbeit zu treffen. (c) v. 393–426. Pan, der
Schutzgott des Mädchens, führt eine Opfergesellschaft (Sostratos’ Familie)
zu seinem Heiligtum. – Akt γ: (a) v. 427–521. Knemon wird durch die
34 So räsonniert Blanchard: Essai sur la composition des comédies de Ménandre (Anm. 2),
S. 344f.
35 Ich beziehe mich auf Walther Ludwig: „Aulularia-Probleme“, in: Philologus 105
(1961), S. 44–71, 247–262. Die Arbeit ist inhaltsanalytisch grundlegend, struktur-
analytisch (wie bei der damaligen Quellenlage unvermeidlich) mangelhaft: Der Aktauf-
bau ist ignoriert zugunsten der ,inneren Formʻ, in deren Zentrum (siehe S. 67)
die Szenenfolge IV 1–6 stehen soll, die sich jetzt als im wesentlichen plautinisch
erweisen läßt (dazu vorläufig Adolf Primmer: „Menanders ‚Geiziger‘ “, in: Maske
und Kothurn 30 [1984], S. 5 [221f.]). – Ludwigs Methode der ,inneren Formʻ hat
u. a. Steidle: „Zur Komposition von Plautusʼ Menaechmi“ (Anm. 7) übernommen.
Die Handlung der Menaechmi II 199
36 Apropos: Auch den Begriff Exposition sollte man strikt auf die Handlungsent-
wicklung im Spiel beziehen, weniger auf dessen ,logischeʻ Voraussetzungen (an-
ders geht vor Niklas Holzberg: Menander. Untersuchungen zur dramatischen Technik.
Nürnberg 1974). Wenn sich erst im letzten Akt herausstellt, wer der Mörder der
Leiche war, deren Auffindung im ersten Akt die Handlung in Gang setzte, dann
trägt der fünfte Akt nicht Exposition nach.
37 Vgl. dazu Manfred Pfister: Das Drama. Theorie und Analyse. München 1977,
S. 307ff., als Beleg, wie offen da die Begriffsbildung ist und wie das Sammeln
praktischer Erfahrungen am Material Vorrang hat.
38 Hier bewährt sich wieder unsere simple Auffassung von ,Handlungʻ. Wir brauchen
nicht lang zu überlegen, ob in einem vom Zufall gesteuerten Spiel in einem höhe-
200 II. Handlungsgliederung
40 Seine Maxime von v. 417f., adsentabor quidquid dicet mulieri, si possum hospitium nan-
cisci, formuliert er auch v. 418ff. nochmals in selbstzufriedenem Rückblick: quoni-
am sentio (eam) errare, extemplo, quasi res cum ea esset mihi, coepi adsentari: mulier quidquid
dixerat, idem ego dicebam …: minore nusquam bene fui dispendio.
202 II. Handlungsgliederung
(v. 559–700) und V 1–3a (v. 701–881) auf die Akte γ und δ zu verteilen?
Sieht man auf den Wechsel der Hauptfiguren, so ist gleich zu Beginn die
Feststellung unabweisbar, daß III 1–3 alleine nicht ausreicht, den zentralen
Akt der Epitasis zu füllen. Von den Protagonisten des Spiels steht ja nur
Menaechmus S im Rampenlicht; sein Rencontre mit Peniculus und sein
211
211 Gespräch mit Erotiums Magd, wo die beiden einander zu übervortei-||len
suchen, sind zwar witzig genug (zumal er in seiner Weinseligkeit wieder
einmal die Gelegenheit versäumt, den Bruder zu finden), aber das ließe
sich etwa auch der Reihe von Zusammenstößen nachsagen, die in Dyskolos
γ der ,belagerte‘ Knemon erleidet – und in Dyskolos γ folgen auf diese
Knemonsequenz immerhin noch zwei andere, erst eine mit Sostratos,
dann eine auf den Verwirrungshöhepunkt in δ vorausweisende. Was also
das eingesetzte Personal betrifft, entspricht die Szenenfolge von Menaechmi
III nur der ersten Sequenz von Dyskolos γ. Diese Diagnose bleibt unange-
tastet (wiewohl sie im einzelnen etwas zu differenzieren sein wird), wenn
wir nun das andere Wesensmerkmal einer Sequenz ins Auge fassen, ihre
einheitliche dramaturgische Funktion. Da ist jedenfalls die Funktion von
III 1 und 2 klar: es geht um die Folgen, die das prandium des Menaechmus S
für beide Brüder, nicht nur für ihn selber, haben wird. Denn Peniculus, für
den ja (wie wir aus seinem Monolog in I 1 schon wissen) als Band und
Fessel der Loyalität nur das Essen fungiert, ist jetzt ums Essen betrogen
und fühlt sich zur Rache verpflichtet. So verflechten sich, wiewohl in III
nur der eine Bruder auf der Bühne steht, in der Verwirrungsphase die
,Pläne‘ beider. So weit so gut – aber wie ist III 3 (Menaechmus S und die
Magd) in die Gesamthandlung einzuordnen?41 Nimmt man den
Plautustext so wie er dasteht und mit seiner unmittelbar possenhaften
Theaterwirkung, dann scheint seine Funktion merkwürdig rückwärtsge-
wandt nur den Sieg des mutigen Schlaumeiers über die Hetäre zu feiern.
Aber läßt sich der Text nicht auch anders spielen?42 Vielleicht stolpert der
Betrunkene in Wahrheit nur weiter in die Gefahr hinein – schließlich hatte
doch der treuherzige Messenio wohlmeinend vor der verruchten Stadt
gewarnt!43 Ich glaube, es täte der dramatischen Wirkung der Szene im
Kontext durchaus gut, wenn das Publikum nicht nur den erfolgreichen
Menaechmus S vor sich sähe, sondern das Gefühl vermittelt bekäme, daß
hier ein Ahnungsloser blind weitertappt. So würde die Szene den Verweis-
charakter auf die Folgehandlung haben, den sie an ihrer Stelle, noch im
Vorbereitungsteil der Epitasis, gut brauchen könnte – und den sie, um
zuletzt auf ein Inhaltselement der Analyse zurückzugreifen, ja schon als
41 Zur Analyse dieser Szene vgl. schon Teil I, bes. S. 103 und S. 111f.
42 Hier begegnen wir zum ersten Mal der besonderen Ergänzungsbedürftigkeit
dieses Textes durch das Mimetische; siehe unten S. 218ff.
43 Zur wirkungsvolleren Warnung, durch den Prologus, siehe unten S. 220f.
Die Handlung der Menaechmi II 203
tigung des Dreiphasenschemas der Fabel. Von einem Autor, der am Ende
von β die Strukturregel für den Epitasisbeginn eingehalten hat, dürfen wir
dasselbe in δ erwarten, an der Wende von Epitasis- zu Katastrophéphase.
Nun steht uns von den Hauptakteuren in δ nur Menaechmus S zur Verfü-
gung (sein Bruder muß ja den γ-Schluß und den ε-Anfang bestreiten). So
rechnen wir also mit einer ersten Sequenz, in der Menaechmus S als Ob-
jekt, und mit einer zweiten, in der er eher schon als Subjekt der Komödi-
enhandlung agiert. Das kann nur heißen: er muß etwa in der Aktmitte vom
Unwissenden zum Wissenden oder die Wahrheit zumindest Ahnenden
geworden sein. Ich will hier die schon erörterten spinter- und Figurenfüh-
rungsargumente nicht wiederholen; nur soviel: Die akteinleitende Streit-
szene Menaechmus S-Matrone eignet sich strukturell am besten zur Ver-
selbständigung zu einer Sequenz, und die spinter-Szene aus γ kann die
Fortsetzung in δ gebrauchen. Was dann die Konfrontation mit dem Senex
betrifft, die bei Plautus ernsthaft erfolgt, beim Originalautor aber schon
ein Element des Übermütig-Spielerischen enthalten haben müßte: Spuren
von ebendiesem Element sind bei genauem Zusehen aufzufinden. Eine
von ihnen hat mich zuvor von einer Modifikation sprechen lassen, die
man bei der Aussage anbringen könne (wenn auch nicht müsse), die Se-
quenz laufe dramaturgisch geradlinig durch. Es ist ja doch eine kleine
Zickzacklinie in der Handlung, wenn der Senex, den die Matrone zu ihrer
Unterstützung holte, sich zwischendurch (in v. 784 –797) einmal überra-
schend auf Menaechmus’ Seite stellt. Und die Tragödienparodie des ge-
spielten Wahnsinnsausbruchs, mit der sich Menaechmus S selbst in die
Gefahr, als Verrückter die Zwangsjacke verpaßt zu bekommen, hineinma-
növriert, nun, diese Parodie paßt schon als solche besser in die unbe-
schwert-heitere Lösungsphase.
Wir verzichten darauf, die Struktur des fünften Akts nochmals näher
durchzumustern (die vom Inhalt her nötigsten Korrekturen am Plautustext
sind in Teil I, S. 111ff. besprochen) und halten nur nochmals die Haupt-
änderung fest, die Plautus an der Fabelstruktur angebracht hat: In den
lateinischen Menaechmi läuft das Verwirrspiel bis in den fünften Akt hinein,
ja bis vor die Schlußszene.
Das nunmehr so vielfach abgesicherte Resultat, daß Plautus im letzten
Fabelteil die Rolle des Zufalls wesentlich verstärkt hat, provoziert nun,
nachdem wir die Akte δ – ε der Menaichmoi kennen, die komplementäre
214
214 Frage: Und in der Protasis? Hat Plautus vielleicht auch in den || Akten α
und β eine im Original besser hervortretende Handlungsgliederung ver-
wischt und durch die bloß additive Aneinanderreihung wirksamer Possen-
szenen ersetzt? Hat er zu diesem Zweck womöglich Szenen umgestellt?
Ich wollte nach dem ursprünglichen Plan dieser Arbeit derartige Fragen,
die uns zur Betrachtung seines positiven Kunstwollens weiterführen wür-
den, hier gleich auch mit dem Blick auf ihn ausführlicher behandeln (dazu
würden natürlich auch die Fragen zur plautinischen Aktstruktur gehören –
Die Handlung der Menaechmi II 205
denn es muß ja einen Grund haben, wenn Plautus nirgends so deutlich wie
in den Menaechmi durch ziemlich regelmäßige Wiederholung eines metri-
schen Schemas die beibehaltene griechische Aktgliederung unterstreicht).
Nun fällt aber schon die Behandlung der Nea-Struktur so ausführlich aus,
daß ich mir hier doch Zeit- und Raumgrenzen setze. Ich begnüge mich
also, zum Abschluß die Argumente für meine These zu skizzieren, daß die
griechische Protasis im wesentlichen dieselbe Gestalt hatte wie unser
Plautustext, daß aber der Autor der Menaichmoi mit bisher nicht gewürdig-
ten Mitteln dafür sorgte, daß sich vor den Augen der Zuschauer die Klein-
etappen der Handlung, will sagen die Sequenzen, einigermaßen deutlich
konturieren.
Auf den ersten Blick scheinen zwar die Sequenzen weder in α noch in
β jenen Ansprüchen zu genügen, die wir vom Dyskolos oder von Menaichmoi
γ bis ε herstellen würden. Menaechmus E flüchtet vor der Herrschsucht
und Eifersucht seiner Frau (I 1–2) und geht mit seinem Kumpan zu seiner
Hetäre (I 3); Menaechmus S deutet die Indizien, die auf seinen Bruder
weisen, im Gespräch mit Cylindrus nicht richtig (II 1–2) und ebensowenig
mit Erotium (II 3): Die beiden Protasisakte lassen sich gewiß so inszenie-
ren und aufführen, daß dies der Haupteindruck ist, den das Publikum von
ihrem Inhalt bekommt. Dann ist das zweimal eine linear fortschreitende
Handlung, ohne Schwerpunktverlagerung von Sequenz zu Sequenz; und
der erste Akt verstößt noch zusätzlich gegen einen sinnvollen menandri-
schen Usus,44 da die Zuschauer dadurch, daß sie hier nur den passiven,
aber noch nicht den aktiven Helden zu Gesicht bekommen, geradezu in
die Irre geführt werden. (Soll das vielleicht Teil der gleich unten zu be-
sprechenden Überraschungstaktik sein?)
Trotzdem würde ich davor warnen, die Szenenfolge einfach einem sim-
plifizierenden Plautus aufs Konto zu setzen. Denn einerseits hat, wie wir
schon in Teil I sahen, das im letzten doch raffinierte Spiel mit den || sim- 215
215
plen Situationen für den Originalautor45 seinen eigenen Reiz. Andererseits
hat das Zufallsspiel, das wir in dem plautinischen Text vor uns haben,46
44 Dazu Adolf Primmer: „Karion in den Epitrepontes“, in: Wiener Studien 99 (1986),
S. 135 [61] mit Anm. 42 [48].
45 Wohl auch für sein komödientechnisch schon sehr versiertes, sachverständiges
Publikum: das Spiel mit den voll beherrschten Konventionen sieht doch schon
eher nach ,silbernem Zeitalterʻ aus, und auch Agathokles (auf dessen Regierungs-
zeit Jocelyn: „Anti-Greek Elements in Plautusʼ Menaechmi“ [Anm. 39], S. 4 setzt)
muß ja, soll der Witz des Anachronismus wirken, schon tot sein.
46 ,Zufallʻ ist das wichtigste Stichwort in der Kritik; um einen für fast alle zu zitie-
ren (Walther Ludwig, im Nachwort zu: Antike Komödien. Plautus/Terenz, hg. von
Walther Ludwig. München 1966): „Ohne Intrige und psychologisch simpel, ist es
eine Komödie der Irrungen, die der Zufall rasch und abwechslungsreich in Be-
wegung hält.“
206 II. Handlungsgliederung
47 Leos Formulierungen im Apparat („finis prologi periit. uno versu auctior fuit A“)
gibt zu verstehen, daß er über den einen Vers des Ambrosianus hinaus mit einer
größeren Lücke rechnete; tatsächlich fehlt mindestens eine Schlußwendung ans
Publikum; man vergleiche alle plautinischen Prologe.
48 v. 124 sagt er hodie ducam scortum ad cenam atque aliquo condicam foras, also sinngemäß
etwa „Heute werdʼ ich mit einer Hetäre irgendwohin zum Essen ausgehen“ (zur
Rechtfertigung des überlieferten Textes siehe Leo, App.). Ähnliche Anspielungen
ohne Ortsangabe folgen noch v. 133 und 152.
Die Handlung der Menaechmi II 207
Diese Lösung hätte allerdings auch ihre Nachteile, und die wiegen m. E.
schwerer. Wenn nämlich das Publikum von allem Anfang an Bescheid
weiß, dann wirkt vom Auftritt des Menaechmus E an bis zum Aktschluß
tatsächlich alles als eine einzige, nur eine Handlungslinie verfolgende Se-
quenz (er geht von seiner Frau zu seiner Hetäre hinüber). Diese Primitiv-
dramaturgie werden wir dem raffinierten Konstrukteur zwar als Substruk-
tur, aber nicht als eigentlich intendierte Struktur der Protasis zutrauen. Zu
ihm paßt schon eher das Bemühen, durch den Überraschungseffekt we-
nigstens die Illusion einer Richtungsänderung in der Handlung hervorzu-
rufen: „Ach, seine Freundin wohnt hier? Na, das wird ein schönes Durch-
einander geben!“
Noch spürbarer und wirkungsvoller wird die Wendung oder Schwer-
punktverlagerung natürlich dann, wenn im entscheidenden Augenblick der
Zuschauer auch noch eine Erinnerung an Informationen oder Reizworte
aktivieren kann, die ihm der Prolog geliefert hatte. Und diese Möglichkeit
zur Steigerung der dramatischen Qualität in den einzelnen Sequenzen ist
soweit ich sehe der einzige, aber ausreichende Wahrscheinlichkeitsbeweis,
der sich dafür finden läßt, daß in (b) der Prologus auch solche Andeutungen
machte, die das Publikum später nicht nur an den einen Bruder, der gerade
auf der Bühne steht, denken lassen, – sodaß z. B. beim Auftritt der Hetäre
I 3 Menaechmus S wenigstens virtuell mit anwesend ist: „Ach, die anonyme
Bewohnerin des Nachbarhauses ist also die femme fatale, die wohl die
Brüder durcheinanderwirbeln wird – und da bekommt sie auch schon das
fatale Kleid!“49 (mehr als solche || Ahnungen, d. h. einen größeren Informa- 217
217
tionsvorsprung im Detail, dürfen die Zuschauer auch gar nicht vor den Fi-
guren des Spiels haben, sonst wäre ja wiederum der Sequenzfolge im grö-
ßeren Zusammenhang die Spannung genommen.) Sehen wir also, ob sich
dramaturgisch wichtige Passagen gut in diesem Andeutungsstil spielen
lassen.
In α ist die wichtigste dieser Szenen natürlich der Übergang von I 2
zu I 3, zu Erotiums erstem Auftritt. Die Wirkung, die sie in den Augen der
Zuschauer auf ihren Galan macht (der ja mit seinem Parasiten schon auf
der Bühne steht), hängt u. a. mit dem Eindruck zusammen, den er vorher
erweckt hat; und der ist wohl schon nicht mehr ganz positiv. Das Publi-
kum mag anfangs mit ihm sympathisiert haben, als er seine Frau in ihre
Schranken wies, aber sein übertrieben herzliches Einvernehmen mit dem
windigen Peniculus (o mea commoditas …, v. 137) und vor allem die erste
,Enthüllung‘ des Stücks, daß er die unheilbringende palla an seinem Leib
trägt, lassen ihn unterdessen wohl etwas ambivalent erscheinen. Umso
49 In irgendeinem Sinn mußte die palla im Prolog genannt sein, und sei es nur zu
dem Zweck, die Zuschauer darauf vorzubereiten, daß sie von γ an Menaechmus S
immer durch sie identifizieren können (vgl. ähnliche Erläuterungen in Amphitruo
und Miles gloriosus).
208 II. Handlungsgliederung
mehr wird man Erotium als dominierende Erscheinung, als femme fatale
empfinden können (was sich allerdings in β als übertrieben herausstellt,
aber auch auf diese Enthüllung hat es der Autor wohl angelegt). Nun also
ein kurzer Blick auf ihren Auftritt. Da werde ich, da es so viele anders
interpretierbare Elemente im Text gibt, den Verdacht nicht los, daß
Plautus den Ton in den Äußerungen des Menaechmus E einigermaßen
aufs Possenniveau herabgestimmt hat;50 ich hebe darum einfach die Ein-
zelheiten heraus, die dem Original adäquat sind. Zuerst wird Raum für
ihren Auftritt geschaffen, wird die entsprechend erwartungsvolle Stim-
mung erzeugt. Als nämlich der Parasit v. 176 fragt, ob er an ihre Tür klop-
fen soll, antwortet Menaechmus zuerst mit Ja, besinnt sich aber nochmals.
Offenbar muß er sich erst sammeln und auf den feierlichen Augenblick
ihrer Epiphanie (man beachte den folgenden Sonnenvergleich!) einstim-
men.51 Peniculus macht zwar einen Zwischenwitz, aber Menaechmus
bleibt weiter ganz ergriffen: „Klopfe sanft!“, „Wart’, wart’ um Himmels
willen! Da kommt sie selbst. Sieh nur! Die Sonne – wie verfinstert ist sie
vor dieses Leibes Strahlenglanz!“ Nach solchem Ausbruch sollte er wohl,
bis sie ihren Mund auftut, bescheiden im Hintergrund bleiben, während sie
218
218 ihren großen ersten Auftritt zelebriert, || vielleicht ihn zunächst ignorie-
rend und stolz ihre Primadonnenmacht über den ganzen Theaterraum
genießend – wenn sie sich danach betörend und berechnend zu ihm herab-
läßt (anime mi, Menaechme, salve), dann wird sich das Publikum auch der
fatalen Gefahr erinnern, die der Prologus für den anderen Bruder ange-
deutet hat, zumal sie überdies auf sein Kompliment „Sowie ich dich sehe,
halt’ ich meine Frau nicht mehr aus“ sofort mit einer Anspielung auf die
palla antwortet: „Aber vorläufig mußt du sogar was von ihr anziehen!“
Übrigens hat Plautus leider eine verbale und szenische Responsion ver-
dunkelt, die in II 3, also an der analogen Stelle des zweiten Akts, das Ge-
genstück zu unserem Passus bildet; denkt man sich dort die Zerdehnung,
die der Canticumstil bedingt, aus dem Text fort, dann bleibt, nach einer
knappen Zutrittsbemerkung Erotiums (diesmal ist Menaechmus S schon
auf der Bühne), als ihre erste Anrede: „animule mi (!), komm doch endlich
herein zum Symposion!“ Sie wird die Worte im gleichen selbstbewußt-
verführerischen Ton äußern wie im ersten Akt, nur entpuppt sich ihr
Glanz diesmal jäh als Talmiglanz, denn die Antwort lautet: Quicum haec
mulier loquitur?
Eine Zwischenbemerkung: Ich bitte, meine wiederholten Hinweise
darauf, daß die Wirkung eines Textteils von dem Ton und Stil abhängt, in
dem er gespielt wird, im Fall der Menaechmi nicht als Freibrief, den sich der
Interpret ausstellen will, zu verdächtigen. Wer näher mit dem Text dieser
Komödie arbeitet, wird immer wieder die Erfahrung machen, daß der
Autor wirklich in unüblichem Maß neben dem Wort der Schauspielkunst
vertraut hat. Er muß in jeder Hinsicht, auch in der des Dialogschreibens,
ein außergewöhnlich erfahrener Theaterpraktiker gewesen sein.
In der ersten Sequenz von β läßt sich immerhin deren Hauptfunktion
schon aus dem Text allein ablesen, wenn auch seine mimische Realisierung
die Absicht des Autors noch beträchtlich verdeutlichen kann. Natürlich
kommt es darauf an, die Schwerpunktverlagerung zur zweiten Sequenz
dem Publikum bewußt zu machen, welche bekanntlich (wir haben ja den
Übergang zur Epitasis schon untersucht) den bewußten Entschluß von
Menaechmus S bringt, sich ins Hetärenhaus und damit ins Risiko der kom-
menden Verwicklungen zu·begeben.52 Soweit ich sehe, hat sich der Autor
diesmal auf den Kontrast verlassen, den zu diesem bewußten Entschluß
zum ungewissen Abenteuer das unbewußte Verfehlen des selbstgesetzten
Zieles im Verlauf der ersten Sequenz bildet. Zu deren || Beginn, im Dialog 219
219
mit Messenio, verteidigt und bekräftigt Menaechmus S ja noch die Ab-
sicht, in der Suche nach dem Bruder nicht zu erlahmen.53 Und dann ver-
säumt er in der Begegnung mit Cylindrus gleich seine erste große Chance,
teils aus Voreingenommenheit gegen die sittenlosen Epidamnier, teils aus
dem Ödipus-Fehler, im Vertrauen auf die unfehlbare Rätsellösungskapa-
zität des eigenen Intellekts die im ersten Augenblick verblüffenden Äuße-
rungen eines anderen sofort als falsch (in diesem Fall als verrückt) abzu-
qualifizieren. (Daß ihn nachher gerade die Dummheit der Hetäre verführt,
ergibt eine hübsche Zusatzpointe.) Die Schlüsselszene in der ersten Se-
quenz ist also die Auseinandersetzung zwischen Menaechmus/Oidipus
und Cylindrus/Teiresias, und in ihr ist wieder die entscheidende Passage,
der zentrale Teil, durch die Gesprächsform hervorgehoben. Im Einlei-
tungsteil (v. 278–293) reden die beiden zunächst insofern aneinander vor-
bei, als Cylindrus auf die überraschten Reaktionen des Menaechmus, die
natürlich ihrerseits ihn überraschen müssen, nur ausweichend reagiert:
v. 280 mit „Wo sind die anderen Gäste?“ und v. 287 mit „Du kommst zu
früh zum Essen.“ Aber mit diesen hartnäckigen Themenwechseln provo-
52 Daß und wie der Prolog dort wieder mithilft, ist wohl keine Bemerkung im Text
mehr wert.
53 Es beruht also gewiß auf keinem Unvermögen des Autors, wenn er das Motiv der
Brudersuche nicht einfach in der Erzählung der Vorgeschichte im Rahmen des
Prologs versteckt hält. Nach seinem Willen soll das Publikum gar nicht die un-
wahrscheinliche Voraussetzung ignorieren, damit das Spiel in sich flott ablaufen
kann (so etwa Steidle: „Zur Komposition von Plautusʼ Menaechmi “ [Anm. 7],
S. 247f.): ganz im Gegenteil, das Publikum soll genießen, wie er mit der Plausibi-
litätsschwierigkeit fertig wird.
210 II. Handlungsgliederung
ziert er nur eine beleidigende Reaktion: Menaechmus tut so, als überreiche
er dem Koch Geld für ein Opfer, das er gegen seinen Wahnsinn darbrin-
gen solle. Im entscheidenden Mittelteil (v. 294–315) ändert sich die Ge-
sprächsform: Cylindrus will jetzt mit Indizienbeweisen Menaechmus zwin-
gen, seine Identität zuzugeben; und sein höchster und letzter Trumpf ist
die Frage „Wohnst du denn nicht in dem Haus dort?“ Wenn der Schau-
spieler diese Frage besonders emphatisch stellt, wenn vielleicht Menaech-
mus sich auch etwas Zeit läßt, bevor er, vielleicht in provokant kühlem
Ton, antwortet: „Die Leute dort in dem Haus sollen die Götter verder-
ben!“54 – nun, dann ist auch noch das Reizwort ,Haus‘ besonders heraus-
gestrichen, was die Bedeutung des Augenblicks dem Publikum besonders
einschärfen könnte. Allerdings leistet das auch schon der Fortgang des
Gesprächs nicht schlecht; denn jetzt kommt Cylindrus mit der Retourkut-
sche des Geld- und Opfermotivs. Und im abschließenden dritten Ge-
sprächsteil kommt der Koch dann, da eine Verständigung über die Identi-
220
220 tät des Menaechmus doch nicht zu erwarten ist (er beliebt || offenbar zu
scherzen), zur Taktik des Einleitungsteils zurück und redet wieder vom
Kochen und Essen. Aber gewinnt das Ganze nicht doch an Wirkung,
wenn in der einen Sequenz des Akts das Menaechmushaus, in der anderen
das Hetärenhaus sozusagen mitspielen?
Für unsere Ausdauer (als Publikum oder Interpreten) im Hinhorchen
auf Stellen der Komödie, in denen die Reaktivierung von (ergänzten) Pro-
loginformationen unser Verständnis der Handlung und ihrer Entwicklung
mitbestimmt oder doch erleichtert, werden wir, wenn ich nicht irre, am
meisten belohnt im dritten Akt, in der Szene Menaechmus S – Magd. Das
zeigt sich, sobald wir unsere Beobachtungen über die passive und aktive
Hauptfigur unter dem Aspekt der Charakteristik dieser Hauptfiguren um-
formulieren. Das Publikum will ja einen sympathischen Haupthelden ha-
ben (wenn er auch laut Aristoteles nicht vollkommen sein soll); sein Ge-
genspieler soll es aber jedenfalls mehr verdienen, Opfer des Komödienzu-
falls zu sein. Der Autor der Menaichmoi hat solche Erwartungen in der
Protasis angemessen berücksichtigt: Er hat Menaechmus E als den Spieß-
bürger gezeichnet, der ein verfluchter Kerl sein will, sich ein solches Leben
aber nur durch Diebereien da und Bestechung dort erkaufen kann. Dage-
gen ist Menaechmus S sozusagen ein Dramenheld wie er im Buch steht:
zusammengesetzt aus der Tugend romantischer Familienloyalität, die nach
Belohnung verlangt, und der kleinen ἁµμαρτίία, die die Komödienleiden,
die ihn heimsuchen, rechtfertigt. In der Epitasis gibt es nun auf einmal ein
Problem mit der poetischen Gerechtigkeit: dem Menaechmus S geht es in
der plautinischen Fassung zu gut! Zwar würde ihn das Publikum wohl
kaum moralisch dafür verurteilen, daß er eine habgierige Hetäre betrogen
und dem Satz ,Unrecht Gut gedeihet nicht‘ praktische Geltung verschafft
hat;55 aber die Alltagsmoral steht ja nicht zur Debatte, sein ,Fehler‘ war ein
ganz anderer: er hat die Chance verfehlt, den Bruder zu finden, dafür sollte
er büßen müssen. Die merkwürdige Folge dieses ,poetischen‘ Gerechtig-
keitsdenkens ist, daß Menaechmus S in der plautinischen Fassung beim
Publikum an Sympathie verlieren muß. Man war bereit gewesen, ihm zu
verzeihen, wenn es ihm schlecht ginge, und jetzt geht’s ihm gut! Und jetzt
nimmt er der Magd noch ein weiteres Beutestück ab! Also – zu diesem
Gesamteindruck kommt das Publikum der Plautusfassung – ist er im
Grund auch wie die anderen Figuren bloß Produkt und Mittel der Neigung
des Dichters zu Satire und Karikatur oder seiner Begabung, ein equilibris-
tisches Spiel mit Figuren, Requisiten und lustigen Situationen in Gang zu
halten, aber kein Gegenstand || besonderer Sympathie. Ich erörtere hier 221
221
nicht, welche von den eben skizzierten möglichen Auffassungen – oder
welche noch andere – die von Plautus tatsächlich intendierte ist, wir spre-
chen vom griechischen Stück. Und dieses gewinnt, so meine ich, eine im
Sinn der griechischen Komödientradition wesentliche Qualität in gewis-
sem Ausmaß dann zurück, wenn das Publikum, durch Prologinformatio-
nen und den bisherigen Gang des Spiels auf die richtige Spur gesetzt, bei
den ,Glücks‘szenen in γ daran denken kann, daß die Beutestücke, die er
jetzt in der Hand hat, ihm nicht so ohne weiteres Glück bringen werden
(erst die nächste Wendung der komischen Ironie wird es mit sich bringen,
daß in δ das spinter zwar nicht zum falschen Ziel der Bereicherung, aber
statt dessen zum ursprünglich erwünschten, zum Bruder, führt). Aus dem
technisch perfekten Produkt eines gewandten Komödienkonstrukteurs
wird dadurch gewiß kein Spiel von menandrischem Tiefgang; aber ein
Abglanz der großen Nea-Tradition liegt doch auf ihm, und das Publikum
wird nicht nur über seinen Haupthelden lachen, sondern auch mit ihm.
Den Nachweis unserer erfolgreichen Rekonstruktionsarbeit sollte im
Idealfall der rekonstruierte (und womöglich erfolgreich aufgeführte) Text
der Menaichmoi erbringen. Selbst wenn ich das zu leisten imstande wäre,
unsere Resultate wären damit doch nur zum Teil erfaßt, weil es ja auch um
die Rekonstruktionsmethode ging und um einen besseren Zugang zu
Plautus – und weiter zu Shakespeare oder Regnard (aber so weit sind wir
wieder nicht gekommen). So versuche ich, in ein paar Stichworten auf die
nach meiner Meinung wichtigsten Aspekte hinzuweisen. Zur Rekonstruk-
tion der Menaichmoi: Das Zusammenspiel von Inhalts- und Strukturanalyse
scheint mir erfolgreich (nicht zuletzt dank der Beschränkung auf an-
spruchslose peripatetische Analysebegriffe), und an deren Gesamtresultat
scheint mir besonders lehrreich die Erfahrung, wie geringe und relativ
begrenzte Eingriffe in ein Original zu wie großen Veränderungen des Ge-
samtcharakters der Nachdichtung führen können, sobald diese Eingriffe
Rezension*
Stärk will in dieser mit stupender Belesenheit und in klarem Aufbau prä-
sentierten Arbeit die These beweisen, daß Plautus in seinen Menaechmi
keine griechische Vorbildkomödie verwertet, sondern eigenständig v. a.
aus der Tradition der vorliterarischen italischen Stegreifposse geschöpft
habe. Dies ergebe sich erstens (Kap. I) aus der literarischen Analyse. Denn
sowohl die Großstruktur des Spiels (I 1, S. 13–26) mit den bloß kumulativ,
ohne Handlungsfortschritt, aneinandergereihten Verwechslungsszenen und
mit dem auffälligen Desinteresse für lebensnahe Menschendarstellung und
poetische Gerechtigkeit sei so ungriechisch wie möglich. Auch die Figuren
des Spiels (I 2, S. 27–59) seien rein plautinische Geschöpfe – angefangen
etwa von Menaechmus S, der possenhafter Augenblickswirkung zuliebe
bald vergesse, was er aus früheren Szenen wissen müßte, bald sich unver-
hältnismäßig schlau zeige, über den rachsüchtigen statt speichelleckenden
Parasiten bis zur keifenden uxor dotata, die ihren Mann (wie nie eine grie-
chische Ehefrau) öffentlich bloßstelle. Ferner sei die Dialogführung und
Verlaufsstrukturierung innerhalb der einzelnen Szenen (I 3, S. 60–126)
bloß witz-, nicht handlungsorientiert. Und schließlich gestalte Plautus das
Doppelgängermotiv (I 4, S. 127–133) in allen einschlägigen Stücken (d. h.
auch in Amph. und Mil. II 2–6) vergleichbar selbständig. Zum zweiten
zeige die Betrachtung der Vorgeschichte des Stoffes (II, S. 134–165), daß
die Zwillingsstücke der tragischen und der komischen Bühne bis Menander
vorwiegend mit verschieden gearteten Zwillingspaaren operieren, ferner
mit Wiedererkennungs-, kaum mit Verwechslungsthematik (und wenn,
dann in einer einzigen großen Szene, sodaß das Motiv nicht durch Wie-
derholungen zu Tode gehetzt wird). Kein Grund also, eine nicht erweisba-
re nachmenandrische Nea-Vorlage zu postulieren, zumal drittens auch die
Nachwirkung der plautinischen Menaechmi (III, S. 166–187) deren genuine
Nähe zum Stegreifspiel bestätige: während nämlich die literarischen
Plautus-Bearbeiter beträchtlich änderten, um dem Stoff mehr Komplexität,
Wahrscheinlichkeit oder poetische Gerechtigkeit abzuringen, übernahmen
ihn die Comici dellʼarte ganz gegen ihre sonstige Tendenz zum Simplifizie-
ren im Grund unverändert.
1 A. Primmer: „Die Handlung der Menaechmi“, in: Wiener Studien 100 (1987), S. 97–
115 [167–184] und 101 (1988), S. 193–222 [185–212].
Rezension E. Stärk 215
quisiten) auseinander entwickeln oder mit der der Originalautor mit dem
Wissen oder Nichtwissen der Figuren spielt (etwa wenn Menaechmus S in
v. 446ff. nichts begreift, weil er gerade betrunken ist, oder Peniculus in
v. 477ff. nur undeutlich hört, was er nicht erfahren darf); an die der poeti-
schen Gerechtigkeit dienende Szene Menaechmus S – Magd, v. 524ff. Aber
solchen Korrekturen zum Trotz ist Stärks Analyse sehr anregend. Sie kann
zwar quellenanalytisch nur für den Schlußteil stimmen, aber in der Erfas-
sung des Theatereindrucks, den Plautus erzielen wollte, doch für das Ge-
samtgebilde Menaechmi. Bei dieser Analyse der für die intendierte Possen-
wirkung spezifischen Züge kommt die Fähigkeit Stärks erstmals zum Tra-
gen, die dann die ganze Arbeit auszeichnet: seine Fähigkeit zur ebenso
materialreichen wie eindringenden stoff- und gattungsgeschichtlichen und
die Gattungsmerkmale gut herausarbeitenden Analyse. Ein Königsgedanke
dabei: das fehlende Anschauungsmaterial zu Mimos, Atellane und dgl. aus
der commedia dell’arte zu substituieren.
Unter den genannten Gesichtspunkten sind vor allem die Abschnitte
II und III hervorzuheben. Man folgt Stärk mit Vergnügen, wenn er Rück-
projektionen aus der nachplautinischen Geschichte des Menaechmenstof-
fes (und andere phantastische || Quellenvermutungen) aus der griechischen 273
273
Vorgeschichte des Stücks eliminiert oder schon aus der Stoffgeschichte
das höhere künstlerische Niveau von Zwillingsstücken bis Menander de-
duziert. Und die Nachgeschichte des Plautusstücks erscheint eben dadurch
in ihrer Entwicklung sinnvoll, daß Stärk sie unter den leitenden Gesichts-
punkt der Reaktion auf seine Possenhaftigkeit gestellt hat. (Reizvoll wäre
es natürlich, im Bereich der literarischen Nachfahren zu vergleichen, wie
sich die Plautus-,Verbesserer‘ zum rekonstruierten griechischen Original
verhalten, zu welchen Folgen vor allem die späteren Manipulationen mit
dem Wissensstand der Hauptfiguren führen.)
Nochmals zurück zu Stärks I 2 und I 3 (um I 4 zu besprechen, be-
dürfte es einer Quellenanalyse des Amphitruo). In der Erklärung und Be-
wertung der Figuren und Szenen muß der Leser bisweilen wieder etwas
mehr ergänzen oder umdenken. Das versteht sich für Menaechmus S als
das Hauptobjekt der plautinischen Änderungen fast von selbst; die übrigen
Figuren, so z. B. gleich Menaechmus E als der ,negative Hauptheld‘, waren
wohl schon im Original halb Menschen, halb Karikaturen. Stärks Analyse
trifft da also meist den Punkt; nur daß die Figuren ohne Konstanz ihres
Typus (,Charakter‘ wäre zuviel) bloß dem Augenblickseffekt dienen, ist
übertrieben wie die behauptete Inkohärenz der Szenen. Stärk argumentiert
manchmal in die ,plautinische‘ Richtung, wiewohl er selbst die Gegenar-
gumente verzeichnet oder erst findet. So sind (vgl. S. 65f.) die Parasiten-
szenen durchaus aufeinander bezogen: Peniculus erklärt in den Versen
79ff. die ἐδέέσµματα zu den wahren δέέσµματα seiner Anhänglichkeit an
Menaechmus E, und als er sich dann in Szene III 2 gerade in diesem Punkt
verraten glaubt, übt er konsequente Rache: der Auftrittsmonolog des
216 II. Handlungsgliederung
Ergasilus in den Captivi würde also hier keineswegs dasselbe leisten. Be-
sonders auffallend: S. 115ff. (man beachte v. a. Anm. 486) erklärt Stärk,
meines Wissens als erster, alle Diagnose-Scherze des Arztes richtig als
Anspielungen auf griechisches Medizinerwissen, ohne zu beachten, daß die
Allusionen z. T. nur einem griechischen Publikum verständlich waren, also
für ein solches erfunden wurden.
Doch Schluß mit den Detailfragen – ich müßte sonst beginnen, meine
und Stärks Analyse szenenweise zu vergleichen. Um nochmals ein Ge-
samturteil zu formulieren, greife ich das Nachwort von Eckard Lefèvre
auf, der Stärks Arbeit in zweifacher Hinsicht rühmt: als „Markstein in der
Erforschung der römischen Komödie, insofern sie (die Arbeit) zum ers-
tenmal nachweist, daß Plautus unabhängig von einer Vorlage dichtete“ –
da muß ich widersprechen; wenn die Arbeit aber für „die Erforschung der
Einflüsse des aus der vorliterarischen Epoche stammenden Stegreif-Spiels“
„aufgrund ihrer Methode“ der gattungsspezifischen und -geschichtlichen
literarischen Analyse „allen nachfolgenden Arbeiten zur römischen Ko-
mödie als Muster dienen soll“, so sei ihr die Eignung dazu gerne bestätigt.
1
Menanders ‚Geiziger‘ * 1
Die Wirkung von Menanders komischem Spiel beruht zu einem guten Teil
auf seiner raffinierten Technik der Handlungsgliederung. Menanders Pub-
likum konnte zunächst eine Oberflächenstruktur wahrnehmen, die formale
Gliederung des Spiels in fünf Akte, die durch vier Chorintermezzi von-
einander getrennt waren. In diesem Rahmen entfaltete sich in gleichsam
kontrapunktischer Führung die inhaltliche Tiefenstruktur der Handlung in
den drei Phasen der Protasis (Anlaufphase bis knapp vor dem Ende des
zweiten Akts), der Epitasis (Verwicklungsphase bis zur Mitte des vierten
Akts) und der Katastrophé (Lösungsphase). Kennt man diese Spielregeln
inklusive der Forderung, daß Aktion und Gegenaktion, Haupt- und Neben-
handlung in jedem Akt für die Zuschauer mehrere Interessenschwerpunkte
bilden sollen, paßt man den Handlungsinhalt ihnen entsprechend in den
Fünfaktrahmen ein (und zwar so, daß die Figuren des Spiels die räumlich-
optischen Möglichkeiten der Bühne konsequent ausnützen und sich zudem
an die Konvention halten, längere Zeit beanspruchende Gänge in den Ha-
fen, zum Markt oder aufs Land in der Regel nur während der Zwischenakte
zu unternehmen), und berücksichtigt man schließlich, daß die Menander-
bearbeiter Plautus und Terenz ihrerseits die griechischen Originale oft
recht frei nach eigenen Aufbauregeln umgestalten und dabei Akte bilden,
die relativ selbständige und inhaltlich geschlossene Teileinheiten der Gesamt-
handlung darstellen, arbeitet man also mit dem Vergleich zwischen den
Gesamtstrukturen einer griechischen Nea und einer römischen Palliata, so
läßt sich im günstigen Fall ein nicht überliefertes Original fast Szene für
Szene aus der erhaltenen Bearbeitung rekonstruieren.
Als das Ergebnis einer solchen rekonstruierenden Analyse möchte ich
im folgenden Menanders ‚Geizigen‘ vorstellen, das Vorbild von Plautus’
Aulularia und mittelbar von Molières L’Avare. Ich wiederhole: das Ergebnis;
die genaue Beweisführung für die Richtigkeit der einzelnen Analyseschritte,
die ich hier nur andeuten oder z. T. durch Hinweise auf den ähnlich struk-
turierten Dyskolos ersetzen kann, werde ich in einer klassisch-philolo-
gischen Fachpublikation nachliefern.
Vorausgeschickt sei noch, daß die meisten Eingriffe des Bearbeiters
Plautus einer bestimmten einheitlichen Tendenz folgen. Plautus war von
der Gestalt des Geizigen fasziniert; darum hat er sie ganz in den Vorder-
grund seines Stücks geschoben, und zwar hauptsächlich dadurch, daß er
eine Liebeshandlung, die im Original gleichberechtigt neben der Geizigen-
Akt 2, Szene 1 (Aul. v. 120 –177, leicht verändert) gibt die Antwort
auf diese Frage. Eunomia und Megadorus kommen aus dessen Haus; sie
rät ihm, er solle endlich eine Familie gründen, und bietet sich als Heirats-
vermittlerin an. Da überrascht er sie mit seiner Absicht, die arme Nach-
barstochter zu nehmen. Ihre Überraschung ist bei Menander stärker und
peinlicher als bei Plautus: weiß sie doch von Lyconides’ Interesse an dem
Mädchen. Aber da sie dem Sohn versprochen hat, zu schweigen, bleibt ihr
nichts übrig, als sich mit guten Wünschen zu verabschieden. Sie geht nach
rechts ab (daheim wird sie Lyconides informieren), und als sich Megadorus
nach links zum Haus Euclios wendet, sieht er diesen eben von der Land-
seite zurückkommen.
Akt 2, Szene 2 (Aul. v. 178 –267). Die große Mittelszene des Akts, das
Gespräch der beiden Alten, bildet den passenden Abschluß der Protasis.
Einerseits dient die Szene wieder der Charakteristik Euclios, dessen Miß-
trauen bei der freundlichen Anrede durch den reichen Nachbarn sofort
wieder erwacht; natürlich hält er Megadorus, als dieser seine Werbung
vorbringt, für einen Mitgiftjäger (ganz abgesehen davon, daß Euclio zwi-
schendurch zweimal zu seinem Schatz ins Haus stürzt). Aber am Ende
stimmt er doch der Hochzeit zu, ausdrücklich ohne Mitgift. (Damit hat der
Prologus am Ende der Protasis von seinen zwei Absichten die eine –
Megadors Werbung – erreicht, die andere – die Ausstattung Phaedrias mit
der Mitgift – scheint in weite Ferne gerückt.) Megadorus, der gleich heute
Hochzeit halten will, ruft nun seinen Sklaven Strobilus heraus, der ihn zu
vorbereitenden Einkäufen auf den Markt begleiten soll (beide ab nach
rechts).
44 Akt 2, Szene 3 (Aul. v. 268–279, geringfügig erweitert). Jetzt ruft auch
Euclio seine Magd Staphyla heraus, teilt ihr mit, daß heute geheiratet wird,
und geht ebenfalls zum Markt. Den Akt beschließt ein kleiner Monolog
Staphylas („Jetzt müssen Schande und Schwangerschaft herauskommen“).
Ich vermute, daß Plautus ein Gebet an die benachbarte Prologgottheit
gestrichen hat; wenn Staphyla den Prologus um Hilfe in den kommenden
Nöten anfleht, wird die Epitasisphase ähnlich unter göttlichen Schutz
gestellt wie in der analogen Szene des Dyskolos (vgl. vor allem Dysk.
v. 409–418).
Der dritte Akt führt in der plautinischen Fassung nur die Eucliohand-
lung weiter. Daß aber auch die Lyconideshandlung wenigstens durch eini-
ge Szenen vertreten sein muß, bestätigt wieder der Dyskolos, in dessen
drittem Akt (v. 427–619) der Griesgram Knemon die Hauptrolle spielt,
aber auch der jugendliche Liebhaber seine Auftritte erhält (v. 522–573, in
der Aktmitte, und v. 607–619, am Aktschluß). Zu einer ähnlichen Vertei-
lung der Gewichte im ‚Geizigen‘ wird uns die Restitution des Prologus in
der Bühnenmitte anstelle des Lar familiaris von Euclios Haus Anlaß und
Gelegenheit geben.
Menanders ‚Geiziger‘ 221
als Beginn der Katastrophéphase der Komödie.1 Das wäre für die Euclio-
handlung möglich (weil in dieser der Schatzdiebstahl noch einen weiteren
Höhepunkt der Verwirrungen bedeutet), aber in der mindestens gleich-
gewichtigen Lyconideshandlung muß die Aufklärung Megadors die Kata-
strophé eröffnen, also die zweite Hälfte des vierten Akts einleiten; denn
die falsche Entwicklung der Liebeshandlung, Megadors Hochzeitsplan
vom Protasisschluß, ist ja damit endgültig blockiert oder aufgehoben. Ich
bitte auch zu beachten, daß der dritte Akt in meiner Rekonstruktion dem
Publikum schon genügend Verlagerungen des Interesses bietet, ferner daß
„mein“ dritter Aktschluß dramaturgisch viel besser ist als der eventuelle
plautinische nach v. 586 (bei Plautus bliebe für die Zwischenzeit während
der Aktpause nur das Verstecken des Schatzes im Heiligtum, bei Menan-
der ist man auf das weitere Schicksal des bereits deponierten Schatzes
ebenso gespannt wie auf die Entwirrung der Komplikationen in der Lie-
beshandlung).
Akt 4, Szenenfolge 1 (= Epitasisteil; Aul. v. 587–681, verkürzt und
leicht verändert). Zunächst kommt (von rechts) der Sklave des Lyconides,
der das weitere Geschehen beobachten und eventuell mit Staphyla Ver-
bindung aufnehmen soll. Er bezieht seinen Beobachtungsposten im Ein-
gang zum Heiligtum (bis v. 607). Da findet ihn Euclio (ab v. 628); seine
Fragen und Drohungen, „das Geraubte“ wieder herauszurücken, wecken
die Neugier des ursprünglich Ahnungslosen. So beschließt der Sklave,
während Euclio seinen Schatz aus dem Tempel holt, in einem kurzen Zwi-
schenmonolog dem Geheimnis nachzuspüren (vgl. v. 661–666); er ver-
steckt sich in Megadors Hauseingang, und als Euclio links abgeht, um den
Schatztopf außerhalb der Stadt zu vergraben, schleicht der Sklave ihm
nach. – Plautus hat diese Szenenfolge (durch Aul. v. 705–711 angeregt) vor
allem um die Verse 611–627 erweitert, in denen der Sklave, schon bevor
ihn Euclio im Tempeleingang aufscheucht, von der Existenz des Schatzes
erfährt. Menanders Handlungsführung, in der erst Euclios Mißtrauen ihn
neugierig macht, ist dramatisch feiner.
Akt 4, Szene 2 (= Übergang zur Katastrophé, Aul. v. 682–700). Von
der Stadtseite treten Lyconides und Eunomia auf; auf die Bitten des Soh-
nes entschließt sie sich, Megadorus über dessen Verhältnis zu Phaedria
aufzuklären.
Akt 4, Szene(nfolge) 3 (Katastrophéteil, ergänzt). Es ist undenkbar, daß
Menander das klärende Dreier-Gespräch (wie Plautus v. 694f.) hinter die
Bühne verlagert hätte. Er konnte sich schon den szenischen Effekt nicht
entgehen lassen, wie der Hochzeiter Megadorus, entsprechend ausstaffiert,
auf die Bühne kommt, um zu erfahren, daß der eigentliche Bräutigam
66 Lyconides werden || müsse; noch viel weniger verzichtete er gewiß auf die
1 Richard L. Hunter: „The Aulularia of Plautus and its Greek Original“, in: Proceed-
ings of the Cambridge Philological Association 27 (1981), S. 37–49.
Menanders ‚Geiziger‘ 223
2 Zu ihnen und zur Methode der Komödienanalyse von der Gesamtstruktur her vgl.
Adolf Primmer: Handlungsgliederung in Nea und Palliata. Dis Exapaton und Bacchi-
des. Wien 1984 (Sitzungsberichte der Österreichischen Akademie der Wissen-
schaften, Philosophisch-Historische Klasse 441) [71–166].
Der ‚Geizige‘ bei Menander und Plautus* 69
69
Die Arbeit des klassischen Philologen an Plautus’ Aulularia ist durch zwei
Grundgegebenheiten bestimmt. Der römische Euclio mit seiner aulula
steht diachron in der Reihe zwischen dem ‚Geizigen‘ Menanders und Moli-
ères L’avare – aber der literarische Vergleich der drei Gestaltungen des
Stoffes wird erst möglich, wenn wir Plautus’ griechische ‚Vorlage‘ wenigs-
tens in Umrissen quellenanalytisch wiedergewinnen. Und wollen wir die
Aulularia synchron in der Reihe der zwanzig plautinischen Komödien
würdigen, stoßen wir wieder auf die Frage, in welcher Weise sich – bei
genereller Anerkennung der möglichen Variationsbreite zwischen engem
Anschluß an ein Original und freier Bearbeitung im Stil der italischen
Volksposse – gerade im speziellen Fall die kreative Leistung des Plautus
u. a. auch quellenanalytisch bestimmen läßt. So unverkennbar einheitlich
er in Sprache, Stil, Musikalität ist, in der Handlungsführung schwankt er
zwischen den griechischen und italischen Extremen.
Also: per aspera ad astra. Es kann am Ende sehr reizvoll sein zu be-
obachten, wie Molière in der direkten Verarbeitung des Plautusstücks
indirekt auch Möglichkeiten aufgreift, die Menander genutzt, Plautus aber
weggekürzt oder verändert hatte, oder wie sich die Gestalten Smikrines –
Euclio – Harpagon auseinander entwickeln. Doch bevor sich uns solche
Perspektiven auftun, haben wir die angedeutete doppelte Vorarbeit zu
leisten: die verlorene griechische Vorlage der Aulularia aus dieser zu re-
konstruieren, und dann im Vergleich mit dem ersten ‚Geizigen‘ der Weltli-
teratur den eigenen Charakter der plautinischen Fassung herauszuarbeiten.
Gerade bei der Aulularia sind die Bedingungen für ein solches Arbeits-
programm recht günstig. Wir können die Topfkomödie zum einen seit gut
dreißig Jahren neben den als Spiel um einen Querkopf ähnlich strukturier-
ten Dyskolos des Menander stellen1 – der mir übrigens als Autor auch des ||
* Walther Kraus zum 29. 12. 1992 gewidmet; zuerst abgedruckt in Wiener Studien
105 (1992), S. 69 –127.
1 Das hat als einer der ersten Walther Kraus getan. Seine Arbeit „Menanders Dys-
kolos und das Original der Aulularia“, in: Serta Philologica Aenipontana 7/8 (1962),
S. 185–190 (auch in: Ders.: Aus Allem Eines, hg. von Hubert Petersmann. Heidel-
berg 1984, S. 309–316), wird sich jedenfalls in ihrem Anliegen, das Verhältnis
zwischen Euclios Charakter und der spielbestimmenden Gottheit zu erhellen, im
wesentlichen bewähren. Siehe inzwischen: Netta Zagagi: „Divine interventions
and human agents in Menander“, in: Eric Handley und André Hurst (Hg.): Relire
Ménandre. Genève 1990, S. 63–91, bes. S. 79ff.
226 II. Handlungsgliederung
70
70 ‚Geizigen‘ feststeht.2 Da wird uns, wenn schon die direkte Quelle fehlt,
doch indirekter Vergleich möglich. Zum zweiten wird sich zeigen, daß der
Aulularia-Text selbst der Quellenanalyse besonders gute Ansatzmöglich-
keiten bietet. Zwar hat Plautus den ‚Geizigen‘ eigenständig umgeformt, und
dies nicht nur mit stilistischen Plautinismen oder hinzugefügten Possen-
szenen, sondern mit überlegten Eingriffen in die Handlungsstruktur und
geändertem Charakter des komischen Spiels. Aber der Theaterpraktiker
dürfte für den Bühnenbedarf schnell produziert haben; jedenfalls hat er an
einigen überarbeiteten Stellen doch Textstücke stehen lassen, die uns bei
sorgsamer Beobachtung als rudimentäre Einsprengsel des Originals er-
kennbar sind. Und diese Rudimente sind zum Glück so geartet und so
viele an der Zahl, daß das Original wirklich in seinen Konturen sichtbar
wird.
Überdies besteht angesichts der Spannungen zwischen verschiedenen
textkritischen und -analytischen Ansätzen, durch die die gegenwärtige
Forschungslage gekennzeichnet wird,3 gute Aussicht, bei redlichem Be-
denken der konkurrierenden Richtungen die eigenen Thesen gerade jetzt
wirksam zu überprüfen und abzusichern. Die Meinungs- und Methoden-
71
71 vielfalt sollte || uns nicht einschüchtern, sondern anspornen. Wenn es
derzeit auf dem Meinungsmarkt etwas bunt zugeht, ist dies ja zum guten
Teil Folge der Tatsache, daß zwar seit längerem bekannt ist, daß Plautus
seine Komödien in dem Spannungsfeld zwischen der literarisch durchge-
stalteten Nea und der auf theatralische Detailwirkung ausgehenden itali-
2 Trotz dieser Ansicht, und obwohl ich aus Gründen der Kürze von Anfang an
von Menanders ‚Geizigem‘ spreche, setzt die folgende quellenanalytische Argu-
mentation diese Autorschaft (und diesen Titel) natürlich nicht voraus. Wer will,
mag vorläufig einen ‚Apistos‘ eines Nea-Autors ‚Anonymus‘ substituieren. Nur
vom Lebes des Alexis, den W. Geoffrey Arnott in die Debatte einführte („The
Greek Original of Plautusʼ Aulularia“, in: Wiener Studien 101 [1988], S. 181–191. –
„A Study in Relationship: Alexisʼ Lebes, Menanderʼs Dyskolos, Plautusʼ Aulularia“,
in: Quaderni Urbinati di Cultura Classica 33 [1989], S. 26–38), rate ich von vorn-
herein ab. Euclio könnte in zwei wichtigen Sequenzen des dritten Akts, bei der
‚Rettung‘ seiner aulula vor dem Koch Congrio und vor Megadorus, nie und nim-
mer einen Kessel in seinem Gewand verbergen, und er könnte dasselbe im vier-
ten Akt auch dem Sklaven des Lyconides kaum zutrauen. Wie groß ein λεβήήτιον
ist, illustriert Knemons Antwort auf die Bitte des Getas im Dyskolos (v. 473ff.):
„Ein Kesselchen willst du? Glaubst du, ich opfere Rinder wie ihr?“ – Übrigens
könnte ein λέέβης (als Maskulinum) auch schwerlich die Verwechslung aula/puella
in IV 10 ermöglichen.
3 Einen informativen Überblick über die forschungsgeschichtliche Entwicklung
der plautinischen Originalitätsfrage bietet die Einleitung bei J. Christopher B.
Lowe: „Aspects of Plautusʼ Originality in the Asinaria“, in: Classical Quarterly 41
(1992), S. 152–175 (S. 152–157).
Der ‚Geizige‘ bei Menander und Plautus 227
schen Volksposse geschrieben hat,4 daß aber die beiden Pole des Span-
nungsfeldes und die Kräfte, die von ihnen ausgehen, erst in jüngster Zeit
genauer beschreibbar geworden sind. Da hatte auf der einen Seite, der
italischen, E. Stärk den fruchtbaren Einfall, die (auch quellenanalytisch
wichtigen) Eigenheiten der stegreifspielnahen Volksposse durch einen
Vergleich mit der Commedia dell’arte zu exemplifizieren (genannt seien
etwa: unklare Figurenführung mit unmotivierten Auftritten, kumulativ
reihende statt zielstrebig steigernde Handlungssequenzen, unbekümmert
sprunghafter Wechsel im Informationsstand der Figuren des Spiels); aller-
dings sind die analytischen Beweismöglichkeiten dieser Betrachtungsweise
hypothesenfreudig überschätzt, ist aus Plautus ein viel zu ‚originaler‘ Autor
gemacht worden.5 Von der griechischen Seite her haben die Menander-
funde der letzten Jahrzehnte erlaubt, Plautinisches und Menandrisches
über Detailbeobachtungen zu Stil und Gedankenführung hinaus zu schei-
den, wie sie das beschränkte Material seinerzeit E. Fraenkel gestattet hat-
te,6 und plautinische Szenentypen7 oder Strukturregeln der Gesamtkom-
position bei Menander herauszuarbeiten.8 Über deren Richtigkeit || und 72
72
quellenanalytische Brauchbarkeit ist man sich allerdings auch noch nicht
14 Die derzeit unklare Forschungslage kommt bei Stockert: Plautus, Aulularia (Anm.
12), S. 9f. (zum Prolog) zum Ausdruck. Vgl. auch Hunter: „The ,Aulularia‘ of
Plautus and its Greek Original“ (Anm. 12), S. 38.
15 Der Widerspruch ist überbetont (und analytisch bis zur Leugnung von Euclios
avaritia ausgebeutet) von Batzer: Die Umformung der Aulularia (Anm. 12), S. 1–15.
Extreme Gegenposition: Ludwig: „Aululariaprobleme“ (Anm. 12), S. 45ff.
Der ‚Geizige‘ bei Menander und Plautus 231
men der Quellenanalyse, natürlich die Erwartungen eines Nea-, nicht eines
Palliatenpublikums. Mit der Dramaturgie der Nea durch Erfahrung vertraut,
erwarteten griechische Zuschauer, daß der Komödienautor vom Prolog an
ihre Aufmerksamkeit und ihr Interesse durch die Dosierung der handlungs-
relevanten Informationen steuerte. Dies geschieht im Aulularia-Prolog in
solcher Weise, daß sich das Publikum im Verlauf des Prologs immer mehr
auf eine kommende Liebeshandlung einstellt.
Im ersten Prologteil stellt der Lar familiaris des einen Bühnenhauses
den Hausvater Euclio ausführlich als erblich belasteten Geizkragen vor,
der allerdings eine von diesem Laster freie Tochter hat; und ihr zuliebe hat
der Lar Euclio einen Schatz finden lassen, den sie als Mitgift erhalten soll,
,wenn der Vater will‘.16 Der Gott weiß – und die Zuschauer können sich
unschwer denken –, daß es bei Euclio mit solchem Willen nicht weit her
sein wird. Bis hierher lassen also die Prologinformationen eine Komödien-
handlung erahnen, die auf Versorgung und Heirat der Tochter hinausläuft
und in der Euclio die Funktion des komischen Gegenspielers zufällt. Ob
er dabei auch zum Träger einer sich verselbständigenden Geizigenhand-
lung wird, eine solche Frage stellt sich den Zuschauern vorläufig nicht,
wenn sie auch (etwa in Analogie zu ,Charakterkomödien‘ wie dem Dyskolos,
vielleicht auch durch den originalen Titel vorbereitet) einen entsprechen-
den Problemgehalt des Spiels erwarten mögen.
Die bisher ‚neutrale‘ Erwartungshaltung wird allerdings durch den
zweiten Prologteil verändert, in welchem die Hinweise auf eine kompli-
zierte Liebeshandlung immer massiver werden. Die Zuschauer hören,
warum Euclios Tochter göttliche Hilfe brauchen kann: sie war vergewaltigt
worden; || zwar durch einen jungen Mann aus bestem Haus (Lyconides), 76
der auch ihre Identität kennt, aber immerhin kennt sie ihn nicht, und auch
Euclio weiß noch nichts von der ganzen Geschichte. Zudem kündigt der
Gott einen rechten Komödienumweg zum Handlungsziel an: der reiche
Onkel des Lyconides, Euclios Nachbar Megadorus, soll um sie anhalten,
,damit der Neffe sie leichter bekommt‘.
16 Ganz wörtlich genommen besagt der betreffende Vers (27) „wenn der Vater sie
verheiraten will“. Ludwig: „Aululariaprobleme“ (Anm. 12), S. 53ff. akzeptiert die
wörtliche Interpretation und weist Batzers Kritik (Die Umformung der Aulularia
[Anm. 12], S. 2f., 13f.) daran, daß dieser Ankündigung die folgende Handlung
nicht entspreche, mit dem Argument zurück, eine solche Diskrepanz sei schon
im Ion des Euripides belegt und dramaturgisch sinnvoll. Ich habe im Text so pa-
raphrasiert, daß auch die spielerische Ironie zur Geltung kommt, mit der der Pro-
loggott spricht und die sich im zweimal, bei beiden göttlichen Eingriffen in die
Handlung, gesetzten facilius ausdrückt: Der Lar gab Euclio den Schatz, quo illam
facilius nuptum, si vellet, daret, und er wird Megadorus zum Freier machen, quo ille
eam facilius ducat qui compresserat.
232 II. Handlungsgliederung
Das Spiel selbst macht dann allerdings seinem lateinischen Titel alle
Ehre. Während nämlich die Liebesgeschichte zur Neben- oder Rahmen-
handlung herabsinkt, wächst sich das Geschehen um Euclio und seinen
Schatztopf zu einer richtiggehenden Haupthandlung aus, die sich sogar
recht gut in die traditionellen Fabelteile der Protasis, Epitasis und Kata-
strophé17 gliedern läßt: Der Anlaufteil reicht von I 1f., wo man die Knaus-
rigkeit und das Mißtrauen des Alten in der Auseinandersetzung mit seiner
Magd Staphyla kennenlernt, bis II 1, wo er Megadorus die Tochter aus-
drücklich ,ohne Mitgift‘ verlobt – womit der Goldtopf gerade am Ende
der Protasis am weitesten von seiner endgültigen Bestimmung entfernt ist.
Die Komplikationsphase der Handlung bringt den Topf, der vorher im
Haus versteckt geblieben war, in Gefahr und Bewegung: Euclio will ihn
zuerst vor dem Koch, den ihm Megadorus ins Haus geschickt hat, an sei-
nem eigenen Leib bergen (II 4 – III 4), dann vor Megadorus, der den
Brautvater betrunken zu machen droht, im Tempel der Fides verstecken
(III 5/6), schließlich will er ihn, um ihn vor dem Sklaven des Lyconides zu
retten, draußen vor der Stadt vergraben (IV 1–6). Nach dem dennoch
erfolgten Diebstahl (welcher den Höhepunkt der Verwicklungen in der
Topfhandlung darstellt18 und hinterszenisch während der Szene IV 7 er-
folgt, welcher unser analytisches Interesse gelten wird) kommt die Peripe-
tie, also der Beginn der Lösungsphase, durch die erste Wendung zum Gu-
ten, in dem Augenblick, wo Lyconides Hilfe bei der Topfsuche verspricht
(IV 8–10); ab V 1 folgt schließlich Entdeckung, Rückgabe und Weitergabe
des Schatzes als Mitgift.
Die Liebeshandlung fällt demgegenüber stark ab. Dafür ist schon der
Umstand mitverantwortlich, daß es überhaupt nur zwei Szenen gibt (je
eine in Protasis und Katastrophé-Nähe), in denen sie allein das Feld be-
herrscht: II 1, das Gespräch Eunomia – Megadorus, wo sich Megadorus
77
77 entschließt, || um Euclios Tochter anzuhalten, und 14 Verse in IV 7, das
Gespräch Eunomia–Lyconides, in welchem der Sohn seine Mutter dafür
gewinnt, den Onkel über die ganze Affäre aufzuklären. Noch stärker ins
Gewicht fällt, daß die Anteilnahme, die der Lar an Phaedrias Schicksal
zeigte und beim Publikum hervorrief, später kaum – und jedenfalls nicht
rechtzeitig – durch entsprechende Sympathieträger unter den Figuren des
Spiels wachgehalten wird. In der Protasis gibt es höchstens zwei mitleidige
17 Auch diese Begriffe der literarkritischen Analyse haben die Steuerung des Zu-
schauerinteresses im Auge: vgl. Primmer: „Die Handlung der Menaechmi“ (Anm. 8),
S. 204f. [195f.].
18 Stockert: Plautus, Aulularia (Anm. 12), S. 27 bezeichnet den Verlust des Topfes als
Peripetie – aber diese tritt in der Geizigenhandlung doch erst ein, wenn die Zu-
schauer miterleben, wie Euclio seine Einstellung zu ändern beginnt (sonst könnte
man analog auch für die Lyconideshandlung schon Megadorusʼ Heiratsantrag in
II 2 und nicht erst das Geständnis des Liebhabers in IV 7 zur Peripetie erklären).
Der ‚Geizige‘ bei Menander und Plautus 233
19 Zwierlein: Pseudolus (Anm. 10), S. 210 findet noch dazu Staphylas Monolog
„höchst verdächtig“.
20 Für Prologänderung plädiert Batzer: Die Umformung der Aulularia (Anm. 12), S. 1–
15, eine Lyconidesszene im ersten Akt erwarten viele (siehe Stockert: Plautus,
Aulularia [Anm. 12], S. 10).
234 II. Handlungsgliederung
die Bedeutung ,eine obsecratio wiederholen‘ haben, die ihm die Lexika – bis
zum OLD – für Aulularia v. 684 und Persa v. 48 zuschreiben.21 Eindeutig
belegt ist jedenfalls nur die andere Bedeutung, die die Lexika ausweisen,
,eine sacratio aufheben oder zurücknehmen, von einer religiösen Bindung
befreien‘. Die Paradestelle ist natürlich Paul. Fest. 253L (= 280M), resecrare
– solvere religione; utique cum reus populum comitiis oraverat per deos, ut eo periculo
liberaretur, iubebat magistratus eum resecrare. Diese solenne Anwendung des
Resekrationsbefehls im Komitialprozeß, damit der Angeklagte das Volk
nicht durch obsecratio zum Freispruch nötigen kann, hat gewiß auch Fronto
p. 90, 6 (ad Anton. 1, 2, 9) im Auge, wenn er seinen kaiserlichen Schüler
tadelt, der die Wendung (deos) si fas est obsecro riskiert hatte: nur populus
oder iudices (!) seien regulär Objekte des obsecrare und resecrare.22 Um die
Aufhebung eines Fluches geht es in Nep. Alc. 6, 5 (eidem … sacerdotes rursus
resecrare sunt coacti, qui eum devoverant), um die Zurücknahme eines Schwurs
bei Juppiter in Amm. 24, 6, 17 (Iovem … testatus est – sc. Iulianus – nulla Marti
iam sacra facturum, nec resecravit celeri morte praereptus).
Ich habe diese Belege (es sind alle, die das Thesaurusmaterial bietet)
auch deswegen ausgeschrieben, weil sie den sakralrechtlichen Ernst, mit dem
die Römer Beschwörung oder Fluch vollzogen, nachfühlen lassen. Wer
sich an die dauernde Wirksamkeit und Gültigkeit einer römischen sacratio
oder consecratio erinnert, dem wird ja unmittelbar einsichtig, daß nur ein
Ungläubiger, dem der Eid nicht mehr heilig ist, bereit ist, ,tausend Eide‘ zu
schwören. Bei dem religiosissimus populus gilt die obsecratio ein für allemal, ||
79
79 sie ist nicht beliebig wiederholbar. Mit anderen Worten: resecrare kann
schon von der römischen Denkweise her gar nicht ,wieder und wieder
obsecrare‘ bedeuten.23
Darum verdient das Plautusexzerpt aus Festus auch jeden Kredit,
wenn es nach der oben zitierten Erklärung des solennen Wortgebrauchs
mit folgendem Beleg fortfährt: Plautus: resecroque, mater, quod dudum obsecra-
veram. Sprachlich-stilistisch ist ja die (diesmal komisch-pathetische) Über-
24 Die Gründe: (1) mit resecra wird der handschriftlich bezeugte Sprecherwechsel be-
rücksichtigt, dessen Auftauchen in den Handschriften sonst unerklärt bliebe. (2) Der
Vers fügt sich dann auch metrisch besser in die jambische Umgebung. (3) Der
mehrmalige Sprecherwechsel paßt auch inhaltlich sehr gut in den Kontext: Der im-
mer weiter jammernde und bettelnde Verliebte muß ja seinem Freund lästig werden.
25 So zeigt sich etwa Henry D. Jocelyn (in: Classical Review 33 [1983], S. 195) reser-
viert, weil Woytek nicht erkläre, worin die Pointe liegen soll, wenn Sagaristio sich
auf einmal wie ein Magistrat geriert. Daraus ergibt sich höchstens, daß Woytek in
der Erklärung seiner Konjektur („Die scherzhafte Verwendung des Wortes durch
den Sklaven, der sich damit als Magistrat geriert, ist ein echtes Plautinum in Plau-
to“) den Relativsatz streichen sollte. Auch unser Lyconides geriert sich nicht als
Magistrat, er gebraucht resecrare als ,pointenlose‘, d. h. nicht zur vollen Anschau-
lichkeit der ursprünglichen Verwendung geführte Metapher. – Zwierlein: Pseudo-
lus (Anm. 10), S. 234 erklärt übrigens Persa v. 47–50 für nachplautinisch.
26 Sie wäre erstens nicht ohne Parallelen (Stockert: Plautus, Aulularia [Anm. 12],
S. 217 verweist u. a. auf die Verse 33 und 635); zudem verschwindet sie bei unse-
rer Interpretation, da Lyconidesʼ erste Bitte ja vorzeitig zu ihrer auch schon in
236 II. Handlungsgliederung
füllt,35 ist also eingehalten; und so liegt die β/γ-Grenze des ‚Geizigen‘ bei
v. 279/280 mit Sicherheit fest.
Was die Liebeshandlung in der Epitasis betrifft, kommen wir mit In-
haltsargumenten ein Stück voran, wenn wir nochmals auf Wissen und
Handlungsfunktion der Magd Staphyla achten. Sie ahnt, wie schon er-
wähnt, in II 3, am Schluß der Protasis, noch nichts von Lyconides’ Vater-
schaft; voll informiert scheint sie in IV 10 zu sein, denn Lyconides’ ea rem
novit (v. 807) impliziert dort, daß sie Euclio neben Phaedrias Mutterschaft
auch Lyconides’ Vaterschaft bestätigen kann. Das unauffällige Ein-
sprengsel führt uns also wieder auf mindestens eine Szene, in der Staphyla
mit dem endlich geständniswilligen Lyconides (oder seinem Sklaven) zu-
sammentraf, sei es vor oder nach IV 7. Für die frühere Gelegenheit, bei
der er wenigstens einen ersten Schritt der Annäherung tun könnte, spricht,
wenn wir von Staphyla her argumentieren, die dürftige Rolle, die sie bei
85
85 ihrem einzigen erhalten || gebliebenen Epitasis-Auftritt zu spielen hat: sie
kommt in II 6 eigentlich nur auf die Bühne, damit Plautus ein paar Witze
anbringen kann.36
Beziehen wir auch ein, was wir über Lyconides und seine Funktion in
der Epitasis wissen, werden die Konturen der Handlung noch deutlicher.
Wir sahen schon, daß er in IV 7 über die bevorstehende Geburt seines
Kindes informiert ist. Wenn aber anderseits Staphyla (als Repräsentantin
des Mädchens auf der Bühne) am Protasisende seine Identität noch nicht
kannte, so muß sie seine Kontaktperson im dritten Akt sein, und zwar im
Interesse der abgestuften Steigerung am besten in wenigstens zwei Szenen.
Er muß zuerst (da er von Megadors Verlobung gehört hat), über seinen
Schatten springen und Verbindung mit dem Mädchen aufzunehmen ver-
suchen (zum Beispiel in der Form, daß er Staphyla unter dem Vorwand
anredet, als Bote für einen unsterblich verliebten Freund zu kommen, der
im übrigen Phaedria von den Cereris vigiliae her kenne37). Nach einer Zwi-
schenzeit, in der die Frauen die neue Lage beraten konnten, ist dann Sta-
35 Das bedeutet zweierlei: Erstens soll die Zwischenhandlung von gewisser Dauer sein
(hier also: Gang zur Agora und zurück); zweitens soll der Aktschluß das Publikum
mit einer gewissen Erwartungshaltung entlassen (was hier dadurch geschieht, daß
die Teilhandlungen in II 2 einen Umweg nahmen, und dadurch, daß Staphylas
Schlußworte in II 3 an die Notlage des schwangeren Mädchens erinnern).
36 Die treue Alte (wohl erst von Plautus zur ‚Weinrebe‘ gemacht) wird nur v. 354–
356 als trunksüchtig hingestellt; der Witz mit den asseres als Brennholz wird wohl
an die Stelle eines kurzen Dialogs getreten sein, in dem Staphyla ihr „wir haben
kein Brennholz“ ins Treffen führte, um im Auftrag des mißtrauischen Euclio
dem Koch das Betreten des Hauses zu verwehren.
37 Prolog v. 36, illam stupravit noctu, Cereris vigiliis. Die Erwähnung dieses verhängnis-
vollen Festes müßte Staphyla jedenfalls hellhörig machen und Lyconides vor ihr
als Wissenden bestätigen.
Der ‚Geizige‘ bei Menander und Plautus 241
phyla legitimiert, in einem zweiten Dialog mit Lyconides diesem den nächs-
ten Schock zu versetzen (,Sag deinem Freund, daß er heute Vater wird‘).
Es ist zuzugeben, daß (auch abgesehen vom Inhalt der Szenen, der
nur exempli causa ausgemalt ist) die Erwägungen über nicht nur eine,
sondern zwei Staphyla-Lyconides-Szenen zunächst nicht mehr als eine
gewisse Wahrscheinlichkeit für sich haben.38 Auf sicherem Boden stehen
wir im Rahmen unserer Beobachtungen zur Fabelstruktur wieder, wenn
wir die Peripetie, also den Übergang von Epitasis zu Katastrophé, auf
unsere Szene IV 7 festlegen. An sich haben wir, bei zwei Teilhandlungen,
ja zwei Peripetien zur Auswahl. Für Euclio erfolgt, wie wir oben sahen, die
Wendung zum Guten innerhalb der Szene IV 10, etwa um v. 770, also
dort, wo er und Lyconides endlich ohne Mißtrauen und Mißverständnis
miteinander zu reden beginnen; dagegen kommt die Liebeshandlung schon
mit Lyconides’ Geständnis in IV 7 in die richtige Bahn. Die richtige Wahl
zwischen beiden Möglichkeiten ist nun alles andere als eine müßige Spiele-
rei, sondern quellenanalytisch von großer Bedeutung. In der Nea tritt näm-
lich die Wendung || von der Epitasis zur Katastrophé mit großer Regel- 86
86
mäßigkeit etwa in der Mitte des vierten Aktes ein.39 Nun beginnt, wie oben
erwähnt, der griechische dritte Akt bei v. 280; das Webster-Kriterium ver-
langt anderseits zwingend eine Aktpause zwischen v. 681 (wo der Sklave
des Lyconides Euclio nachfolgt, der den Schatz außerszenisch verstecken
will) und v. 701 (oder v. 713), wo in IV 8 der Sklave und in IV 9 Euclio
nach vollbrachtem Diebstahl und nach dessen Entdeckung zurückkehren.
Wenn also die Eucliohandlung die Haupthandlung wäre, deren Peripetie
(im vierten Akt!) in IV 10 stattfindet, dann müßte dem dritten Akt des
Originals bei Plautus die Szenenfolge II 4 – IV 6 (oder IV 7), v. 280–681
(oder v. 700) entsprechen. Hunter, der für diese Lösung optiert,40 zieht
auch die notwendigen Konsequenzen. Er eliminiert (v. 39f.) aus dem über-
langen dritten Akt die ganze Szenenfolge mit dem Fides-Tempel als Zwi-
schenversteck für den Schatztopf, und er läßt den fünften Akt frühestens
bei v. 807 beginnen. Seine Kritik an den Fidesszenen ist im einzelnen tref-
fend (wie wir später noch sehen werden), im Urteil über die Gesamtstruk-
tur geht er trotzdem fehl. Die fabelgliedernde Peripetie muß in Wahrheit
die der Lyconideshandlung sein. Es wäre einfach undenkbar, die Entwick-
lung einer komischen Handlung zwar vom Prolog an auf der Vorausset-
zung aufzubauen, daß der jugendliche Liebhaber aus Scham schweigt und
erst durch das Komödienmotiv des Onkels als Konkurrenzbräutigam zum
Sprechen gezwungen wird, aber den Augenblick, in dem er sich endlich
deklariert, bloß deswegen nicht als Peripetie einzusetzen, weil es auch eine
Teilhandlung um den geizigen Brautvater gibt. Für die Fabelstruktur muß
dieser Brautvater, wenn die Lösung der Liebeshandlung sich noch dazu
früher abzuzeichnen beginnt als die um seinen Schatztopf, vor dem Bräu-
tigam zurücktreten.
Die vierzehn Verse des Gesprächs Lyconides – Eunomia in IV 7
standen demnach im ‚Geizigen‘ in der Mitte des vierten Akts; mit ihnen
beginnt die Lösungsphase der Komödie. In die erste Akthälfte, die Schluß-
steigerung der Epitasis, paßt sehr gut, daß der Schatzdiebstahl jetzt nicht
87
87 mehr nur in || Euclios Einbildung droht. Und die zweite Akthälfte? Ja, die
muß Plautus wieder einmal hinter die Szene verlegt haben, wie die Ana-
gnorisis- und Verlobungsszene am Schluß der Casina.41 Der 4. Akt endet ja
schon mit IV 7, da in IV 8 der Sklave des Lyconides – zu Beginn von ε –
mit seiner Diebstahlsbeute auf die Bühne kommt.
Die letzten Worte, die Lyconides in seinem kleinen Abgangsmonolog
spricht, deuten gerade noch an, worum es wenigstens in einer der gestri-
chenen Szenen von δ gehen mußte (v. 700): ibo intro, ubi de capite meo sunt
comitia. Wie Menander diese comitia, das Zusammentreffen zwischen dem
Bräutigam Megadorus und dem προγαµμῶν 42 Lyconides gestaltet hat, das
bleibt bis zum entsprechenden Papyrusfund leider unserer Phantasie über-
lassen. Aber daß Plautus eine wichtige Szene der Haupthandlung mittels
einer seiner römischen Metaphern weggekürzt hat, unterliegt keinem
Zweifel. Und so endet IV 7, nach dem Beginn mit der metaphorischen
obsecratio und resecratio, stilecht mit den ebenso plautinischen comitia.43
Über Einzelheiten der Katastrophé-Handlung zu sprechen, fehlt uns im
derzeitigen Kontext Anlaß und Material. Die Gesamtstruktur des ‚Geizigen‘
zeichnet sich ohnedies deutlich ab: Was die Gewichtung von Euclio- und
41 Daß starke Kürzung stattfand, hat Webster: An Introduction to Menander (Anm. 13),
S. 121 ausgesprochen.
42 Wir könnten, um am Blindekuhspiel um die Titelvorschläge teilzunehmen, darauf
verweisen, daß das Tyche-Fragment von Menanders προγαµμῶν im ‚Geizigen‘
nicht stören würde.
43 Zwierlein: Pseudolus (Anm. 10), S. 229 kündigt an, daß er die Metapher als unpoe-
tisch tilgen will – wie soll dies möglich sein, wo das echt plautinische Verkür-
zungssignal schon aus Strukturgründen dringend gebraucht wird?
Der ‚Geizige‘ bei Menander und Plautus 243
44 Vgl. Webster: An Introduction to Menander (Anm. 13), S. 80f. – David Wiles: The
Masks of Menander. Sign and Meaning in Greek and Roman Performance. Cambridge
1991, S. 44.
45 Vincent J. Rosivach: „Plautine Stage Settings“, in: Transactions of the American
Philological Association 101 (1970), S. 449f.
46 So preßt ein weiteres Argument Rosivachs die Wendung ex proximo zu sehr: (a)
Der Tempel kann ohne weiteres zwischen den Häusern auch der ,nächsten
Nachbarn‘ stehen, weil es für die Zuschauer gar keine anderen Nachbarhäuser zu
sehen gibt (vgl. auch Stockert: Plautus, Aulularia [Anm. 12], S. 23, Anm. 5). Und (b):
244 II. Handlungsgliederung
(natürlich auch bei der anderen bekannten Konvention, daß der linke Sei-
tenausgang aufs Land und der rechte in die Stadt führt).
Was die Aktpausen betrifft, gibt es größere quellenanalytische Prob-
leme nur mit der γ/δ-Pause. Die kritische Doppelbedingung, daß im Ideal-
fall die Zeit zwischen den Akten durch länger dauernde Aktionen der
Figuren und durch Spannungserregung, also durch Hinweise vor dem
Aktschluß, die die Neugier des Publikums wachhalten, subjektiv und ob-
jektiv ausgefüllt sein soll,47 ist für die anderen Pausen erfüllt: bei β/γ
89
89 (v. 279/280) durch den Ein-||kaufsgang der Männer zur Agora bzw. durch
die Fehlentwicklung beider Teilhandlungen (Verlobung ohne Mitgift; dro-
hende Hochzeit mit Megadorus, während Phaedria in die Wehen kommt),
bei δ/ε (v. 700/701) durch den außerszenischen Schatzdiebstahl und die
noch ausstehende Aufklärung des Brautvaters. Über α/β ist m. E. leicht
Einigung zu erzielen. Einige Forscher plädieren zwar für den Ansatz der
Aktpause bei v. 177/178, sie möchten die Szene II 1 (das Gespräch
Eunomia – Megadorus) noch zum ersten Akt ziehen, weil sie noch zur
Exposition gehöre.48 Das wäre vom äußeren Zeitablauf her möglich, denn
Euclio kommt von seinem Gang zum Demarchen erst v. 178 zurück.
Trotzdem gewinnt die andere mögliche Pausenstelle (v. 119/120, vor II 1)
die Konkurrenz ganz eindeutig: zum einen, weil der Abschluß der Exposi-
tion ja kein besonders spannender Punkt sein muß (im ‚Geizigen‘ kennen
wir den eigentlichen Expositionsablauf in α ja inzwischen schon, in wel-
chem nach dem Prolog zuerst Lyconides sich und seine Motive vorstellt,
dann Euclio in I 1/2 voll Mißtrauen zu agieren beginnt). Da eignet sich
dann Eunomias Vorsatz, Megadorus zum Heiraten zu überreden, und vor
allem Lyconides’ Bitte, seine Liebe zu Phaedria dem Onkel ja nicht zu
verraten, viel besser als Neugier weckender Handlungsanstoß vor der Akt-
pause. Zum zweiten enthält, wie W. Ludwig49 betont hat, Vers 145 einen
rudimentären Hinweis auf die originale Figurenführung. Bei Plautus treten
nämlich die Geschwister zu ihrem ersten Auftritt aus Megadors Haus, und
noch dazu könnte ex proximo selbst in der Auffassung Rosivachs in den Mund des
griechischen Prologsprechers passen, wenn er mit der Tempelgottheit identisch ist.
47 Das Aktschluß-Kriterium der lang dauernden außerszenischen Aktion hat beson-
ders Webster in seiner Bedeutung erkannt; der Spannung bringende neue Hand-
lungsansatz vor dem Aktschluß wurde betont von Eric W. Handley: „Conven-
tions on the Comic Stage“, in: Entretiens sur lʼantiquité classique 16 (1970), S. 1–26,
hier S. 11.
48 Wolter E. J. Kuiper: The Greek Aulularia. A Study of the Original of Plautus’ Master-
piece. Leiden 1940 (Mnemosyne Supplement 2), S. 33. – Webster: Studies in Menan-
der (Anm. 13), S. 123f. – Niklas Holzberg: Menander. Untersuchungen zur dramatischen
Technik. Nürnberg 1974 (Erlanger Beiträge zur Sprach- und Kunstwissenschaft
50), S. 44.
49 Ludwig: „Aululariaprobleme“ (Anm. 12), S. 259.
Der ‚Geizige‘ bei Menander und Plautus 245
trotzdem sagt sie advento. Sie muß also vorher zu Besuch gekommen sein
(wie sie sich ja dann in v. 175f. auch wieder verabschiedet, um in ihr au-
ßerszenisch gelegenes Haus zurückzukehren). Wir fassen also Eunomias
advento in der Abschiedsszene am besten als plautinischen Reflex der An-
kunftsszene am α-Schluß auf.
Am Rande sei angemerkt, daß Zwierleins (in II 231 und IV 157 avi-
sierte) Tilgung von v. 139–165 (also des z. T. possenhaften, z. T. auch
sprunghaften Dialogs Eunomia – Megadorus über die Heiratsfrage) sicher
ein genesungsfähiges Glied amputiert. Da die Prologgottheit angekündigt
hatte (v. 31ff.), sie werde Megadorus ‚heute‘ zu einem Heiratsantrag veran-
lassen, wäre es für die Zuschauer doch gar zu dürr, wenn am zweiten Akt-
beginn Eunomia von ihrer einleitenden Bemerkung, sie komme ut tuam rem
ego tecum hic || loquerer familiarem (v. 134) gleich zu der (offenbar durch das 90
90
hinterszenische Gespräch hervorgerufenen) Frage weiterspränge (v. 170),
dic mihi quaeso: quis ea est quam vis ducere uxorem? – wonach in weiteren fünf
Versen auch schon alles erledigt wäre. Dagegen spricht nicht nur, daß im
Original eine Debatte zwischen den beiden schon deswegen vorausgegan-
gen sein muß, weil Eunomias (durch ihr Schweigeversprechen bedingtes)
Verstummen ja nur wirksam wird, wenn sie vorher doch einiges mitzure-
den hatte. Vor allem sollten die Zuschauer erleben, wie Megadorus’ Hei-
ratsentschluß zustandekam. Und obendrein enthält der Text Ansätze, die
m. E. durch Ergänzung einer Lücke nach v. 165 ausgenützt werden kön-
nen und sollen. Eunomia hatte den Bruder mit einer sehr reichen, wenn
auch schon ‚mittelalterlichen‘ Frau zu locken versucht (v. 158 –160). Er
weigert sich (mit welchen Argumenten immer, v. 161–164), eine Alte zu
wählen – das zweite Stichwort ‚reich‘ bleibt im negativen Teil seiner Äuße-
rungen unbehandelt; dafür beginnt er chiastisch damit den positiven Teil:
,Schwester, ich werde dir die Mühe (der Brautschau) abnehmen. Eine Rei-
che brauche und will ich nicht‘ (v. 165–169). Fehlt (vor v. 170) das zweite
Teilmotiv: ,Aber eine Junge wüßte ich mir – ja, um die werde ich anhalten!‘
Schwieriger wird es bei der γ/δ-Pause, obwohl ihr Ort im Plautustext
dem ersten Anschein nach festliegt. Zwischen v. 280 (Anfang γ) und 700
(Ende δ) kommt nach der Mehrheitsmeinung nur die Stelle v. 586/587 in
Betracht.50 Jedoch erfüllt da die Handlungsführung die zuvor genannten
Bedingungen nicht. Die Szene nach der Pause (IV 1, der Sklave des Ly-
conides kommt als Späher) mag ein guter Aktanfang sein, aber das Ende
von III 6 gibt keinen guten griechischen Aktschluß. Erstens fehlt der Sze-
nenfolge III 5f. (Megadorus – Euclio; dieser geht am Ende seinen Schatz-
topf im Tempel verstecken) jeglicher Spannungshinweis auf die Weiter-
entwicklung der Lyconideshandlung. Den kann, ja muß man aber postulie-
ren; am besten so, daß Lyconides nach Euclios Abgang in den Tempel in
irgendeiner Form mitteilt oder durchblicken läßt, er wolle jetzt in seiner
Verzweiflung und Ratlosigkeit daheim (also bei Sklave oder Mutter) Hilfe
suchen.51 Versucht man aber auf diese Weise, also durch Anfügen einer
kleinen Lyconidesszene nach III 6, das eine Loch zu stopfen, entsteht wie-
91
91 der ein anderes: Euclio verweilt dann nämlich || während der Lyconides-
szene und der ganzen folgenden Aktpause relativ untätig, vor allem aber
recht undramatisch im Tempel. Das Publikum wird sich ja kaum mit be-
sonderer Anteilnahme vorstellen, wie er seinen Schatz versteckt, oder
gespannt auf seinen Wiederauftritt ohne Topf warten. Sollen wir etwa
noch einen Schritt weitergehen und auch Euclios Rückkehr nach der klei-
nen Lyconidesszene, also seinen Abgangsmonolog in IV 2, noch zum
dritten Akt ziehen?
Wer wenig von Strukturregeln hält, wird die vorstehenden Erwägun-
gen für ganz hypothetisch halten. Wenn wir allerdings ihre Folgen am Text
selbst durchspielen, stoßen wir auf wahrscheinliche, ja sichere Beweise.
Denn die nötigen Eingriffe in die plautinische Fassung bleiben teils im
Bereich des Usuellen, teils gewinnt der Text im Kontext unserer Rekon-
struktion erst seine volle ‚griechische‘ Wirkung. Die erste Änderung, die
wie wir eben sahen die Szenen IV 1/2a betrifft, mutet Plautus nichts Au-
ßergewöhnliches zu: Er mußte am γ-Schluß zwischen III 6 und IV 2a eine
kleine Lyconidesszene streichen und den Erstauftritt des Lyconidessklaven
vom originalen δ-Anfang (der hinter IV 2a lag) sozusagen ersatzweise an
die Stelle der Lyconidesszene nach vorn ziehen. Rein formal haben wir
einen analogen Vorgang in Dis exapaton v. 64ff. bzw. Bacchides v. 525ff.
urkundlich belegt (Plautus streicht dort um den Aktschluß zwei Szenen
mit dem Vater des Verliebten und rückt an deren Stelle den späteren Auf-
tritt von dessen Freund nach vorn); daß Plautus dort andere Motive für
seine Abweichungen vom Original hatte, muß uns derzeit nicht kümmern.
Im Sinn unserer Rekonstruktionsbemühungen sollte jedenfalls neben der
Geringfügigkeit des Eingriffs ins Gewicht fallen, daß sich in IV 2a die
Verse 612–614 bestens für den griechischen Aktschluß eignen. Überbli-
cken wir nochmals kurz den Ablauf: Der Schluß von III 6 (Euclio geht in
den Tempelbezirk, um dort seinen Schatz zu verstecken) zieht sozusagen
das Fazit aus der Eucliohandlung von γ; der ergänzte Zwischenauftritt des
Lyconides führt dem Publikum dessen gesteigerte Befürchtungen und Nöte
in der Liebeshandlung vor. Nun kommt in IV 2 Euclio wieder aus dem
51 Ich erinnere an den Vorschlag, ihn auch von Staphyla seine Vaterschaft erfahren
zu lassen (siehe den Text bei Anm. 37f.).
Der ‚Geizige‘ bei Menander und Plautus 247
von Megadors Haus (IV 5) und verfolgt dann Euclio, als dieser den Schatz
aus dem Tempel holt (IV 6).
In der rekonstruierten Version erleben wir also ein Spiel, in dem mit
dezenter Ironie ein Überängstlicher einen Ahnungslosen erst durch sein
Mißtrauen neugierig macht; in der plautinischen dominiert der freche
Sklave, der der günstigen Gelegenheit nicht widerstehen kann und zum
Vergnügen der Zuschauer sein Spiel mit dem überängstlichen Alten treibt.
Und zu seinem vorteilhaften Wissen kommt er stilecht in einer theatralisch-
93
93 possenhaften || Lauscherszene. Schon die Begründung der Wahl seines
Ansitzes klingt theatralisch sklavenhaft: am Altar könne er sitzen, ohne
Verdacht zu erregen, und beide Häuser beobachten52 (daß ein Sklave am
Altar sitzt, ist wohl auch eher in Plautus’ Bühnenwelt usuell als in der rea-
len – man denkt an die bekannten Altarfluchtszenen in Mostellaria und
Rudens). Während er so – wohl vorn in der Bühnenmitte – dasitzt, kommt
Euclio aus dem Tempel und spricht in einer Mischung aus Gebet und
Pseudomonolog, die dem eigentlichen Adressaten – dem ,quisquam‘ – das
Nötige geradezu einhämmert, vom versteckten Schatz (v. 608ff.): tu modo
cave quoiquam indicassis aurum meum esse istic, Fides; soweit Gebet, jetzt Mo-
nolog: non metuo ne quisquam inveniat, ita probe in latebris situmst. Das Gebet
hatte übrigens auch eher die Form eines Auftrags – und so ist es auch zu
spielen: wie der Befehl des ausgehenden Herrn, der mit dem Rücken voran
auftritt und ins Haus zurückruft. Beim ersten Vers sitzt ja der Sklave noch
sine suspicione am Altar, Euclio darf ihn aber nicht erblicken. Wenn sich
Euclio mit dem zweiten Vers zum Publikum umdreht, muß sich der Sklave
blitzartig vor dem Altar niederducken (und dann natürlich auch im folgen-
den Euclios Bewegungen immer im Gegensinn so mitvollziehen, daß der
Altar seine Deckung bleibt). Euclio ist natürlich so gefällig, das Wesentli-
che gleich nochmals zu wiederholen: edepol ne illic pulchram praedam agat, si
quis illam invenerit /aulam onustam auri,53 und in plautinischer Ringkomposi-
tion nach den oben als original gewürdigten Versen 612–614 nochmals da-
rauf zurückzukommen: tuae fide concredidi aurum, in tuo luco et fano est situm.
Jetzt wissen Fides und der Sklave endgültig Bescheid. Insgesamt also eine
burleske, theaterwirksame, aber eher plautinische als griechische Szene.
Die Reihe ähnlicher Plautinismen im Sprach- und Spielstil ließe sich
fortführen. So brauchte Plautus etwa in IV 3 einen Grund dafür, daß Eu-
clio, der doch mit der rituellen Reinigung occupatus (v. 621) sein sollte, nach
acht Zwischenversen des Sklaven (statt erst nach der Aktpause) schon
wieder zum Tempel kommt – und er kommt, weil (v. 624) corvos cantat mihi
nunc ab laeva manu.54 Oder Euclio kann, da der Sklave nicht wie im Original
im Eingang zum Heiligtum steht, sondern drinnen nach dem Schatz sucht,
nicht ohne Leerbühne zwischen Vers 627 und 628 mit ihm zusammentref-
fen; wenn die || Leerbühnenzeit, wie zu vermuten ist, 55 durch hinterszeni- 94
94
schen Prügellärm und Wehgeschrei ausgefüllt wurde, ist das wieder ein
theatralisches, nicht literarisches Gestaltungsmittel. Die auffälligste und ver-
dächtigste Neuerung ist natürlich, daß Euclio sich seine Geheimnisse gleich
zweimal, in IV 2 und IV 6, ablauschen läßt: nach griechischem Standard
wohl in allzu kümmerlicher bloßer Repetition eines Effekts, im Sinn des
italischen Volkstheaters hingegen mit durch die Wiederholung gesteigerter
Wirkung.56
Doch angenommen, daß selbst oftmals bewährte vergleichende Urtei-
le über Komödien- und Possenstil im Einzelfall noch immer als subjektiv
angezweifelt werden können, und zugegeben, daß plautinische Formge-
bung nicht immer plautinischen Ursprung beweist, die schlichte Interpre-
tation des Dialogs in der Szene IV 4 liefert den sicheren Beweis für die
plautinische Umarbeitung. Euclios Auseinandersetzung mit dem Sklaven
muß im Ganzen anders verlaufen, wenn er einen Ahnungslosen verdäch-
tigt, der nicht einmal weiß, was er eigentlich gestohlen haben soll, als wenn
sich ein wissender Komödiensklave verteidigt, der die Unangreifbarkeit
seiner Position genießt. Insbesondere kann der Wissende zwar eine Zeit-
lang den Ahnungslosen spielen (darum konnte auch Plautus die griechi-
sche Dialogführung zum größten Teil beibehalten), aber nur im Verhältnis
zu seinem Examinator, nicht zum mitwissenden Publikum; ja er kann ei-
gentlich nicht an der Gelegenheit vorbeigehen, im augenzwinkernden Ein-
verständnis mit dem Publikum den mißtrauischen Examinator zu foppen.
Der verblüffte Unschuldige reagiert auf den ersten Angriff Euclios
mit einer Fünferreihe von Fragen nach dem Grund (v. 631f., bis qua me
causa verberas? ) und auf die Antwort, er sei ein Dieb, ganz sachgemäß mit
(v. 634) quid tibi surrupui? Damit setzt er Euclio in Verlegenheit, der für
den Fall, daß sein Diebstahlsverdacht doch falsch war, die Existenz seines
Schatztopfs natürlich verschweigen will. So kommt es bereits im ersten
Hauptteil der Szene zu einer kleinen Wende, wird Euclio vom Angreifer
54 Ist das Vorzeichen von der Straße ins Haus übertragen? Vgl. unten Anm. 97 (zu
IV 8).
55 Auf diese Möglichkeit verwies mich ein Seminarteilnehmer, Mag. Christian Gold-
stern (vgl. auch Hunter: „The Aulularia of Plautus and its Greek Original“ [Anm.
12], Anm. 27). – Zu beachten ist, daß bei der ähnlichen Leerbühne nach II 8 (wo
Euclio in sein Haus stürzt, um den Koch herauszuprügeln) die Zwischenzeit
sorgfältig durch einen Zwischenauftritt des Anthrax überbrückt wird.
56 Zur ästhetischen Kritik an der Szenenfolge IV 1–6 siehe auch Hunter (vgl. oben
Anm. 40), zur ,kumulativen Dramaturgie‘ Stärks Die Menaechmi und kein griechisches
Original (Anm. 5).
250 II. Handlungsgliederung
zum Angegriffenen; als er mehrmals verlangt, der Sklave solle ,es‘, ,das
Gestohlene‘ wieder herausrücken,57 da fragt dieser immer zurück, was ‚das‘
95
95 sei (bis v. 639 quid || ergo ponam? quin tu eloquere quidquid est suo nomine? ).
Das Wortgefecht droht der Sklave also zu gewinnen, und als er in v. 640
resümiert non hercle equidem quicquam sumpsi nec tetigi, da muß Euclio zu
Taten übergehen. Er beginnt also den zweiten Hauptteil der Szene mit
einer Mixtur von Durchsuchung und Verhör des Sklaven. Der soll alle drei
Hände herzeigen (v. 640f.); gestehen, was er gestohlen hat (v. 644f.); Palli-
um und Tunica ausschütteln (v. 646f.); zuletzt wieder die Hände herzeigen
(v. 649f.). Euclio muß in v. 651 zugeben, daß er an einem toten Punkt
angelangt ist, und fällt in die Rückgabeforderung des ersten Teils zurück:
iam scrutari mitto; redde huc. Und als darauf auch der Sklave wieder zu sei-
nem quid reddam? zurückkehrt, da passiert Euclio das Mißgeschick, den
Sklaven erst recht neugierig zu machen, indem er ihm Neugierde nachsagt:
non dico, audire expetis. / id meum quidquid habes redde (v. 652f.). Der Sklave
reagiert darauf allerdings zunächst nur mit der steigernden Wiederholung
einer Äußerung, die er schon zu Beginn des zweiten Teils, dort allerdings
nur a parte, getan hatte. Dort hatte er auf age ostende etiam tertiam (sc. ma-
num) reagiert mit laruae hunc atque intemperiae insaniaeque agitant senem
(v. 642), also etwa „der Alte da ist von Hexen besessen, vom Blitz gestreift
und vom Wahnsinn geschlagen“, was in der Formulierung mit dem drei-
fach gesetzten Begriff ‚Verrücktheit‘ gewiß ein Plautinum ist, aber die
direkte Beleidigung im Dialog hatte er doch nicht gewagt. Jetzt sagt er
Euclio ins Gesicht insanis eqs., „du bist verrückt: du hast mich doch nach
Belieben einer Leibesvisitation unterzogen und nichts, was dir gehört, bei
mir gefunden“ (v. 653). Auf den berechtigten Vorwurf der Realitätsferne
weiß Euclio tatsächlich keine andere Antwort als Realitätsflucht und Kapi-
tulation, die anschließend in IV 6 soweit gehen wird, daß er ein neues
Schatzversteck aufsuchen will; für den Augenblick bildet er sich ein, im
Tempel einen Komplizen des Sklaven zu hören, stürzt wieder hinein und
verjagt den bereits Perlustrierten. Nun wäre es nach der bisherigen Dialog-
entwicklung für den Sklaven (der natürlich nicht abgeht) an der Zeit, sich
zu fragen, was denn der Alte so Kostbares und Stehlenswertes zu verste-
cken habe.
Die entsprechenden Zwischenverse des Sklaven in IV 5, vor dem be-
lauschten Wiederauftritt Euclios in IV 6, muß aber Plautus seiner geänder-
ten Spielvoraussetzung angepaßt haben. Den endgültigen Beweis dafür
liefert die Gegeninterpretation von IV 4. Wenn wir die Szene im Plautus-
Kontext lesen, mit einem Sklaven, der die Existenz des Goldschatzes
schon kennt, so bleibt zwar das dramatische Ziel der Szene, die völlige
57 Vgl. schon v. 449f., wo er erstmals mit dem Topf auf die Bühne kommt und ihn
nur mit hoc und id umschreibt (fortgesetzt in v. 464, 467, 471 und 576f.).
Der ‚Geizige‘ bei Menander und Plautus 251
Verwirrung Euclios, dasselbe, aber das Verhalten des Sklaven auf dem Weg
dorthin wird undramatisch bis unverständlich. Undramatisch, weil er die
Möglichkeit, als Wissender den Alten durchaus zielkonform zu foppen,
nicht ausnützt. Im || ersten Szenenteil geht’s ja noch, da versteht das Pub- 96
96
likum seine Fragen, warum er eigentlich geschlagen werde, als Form des
Leugnens, dann die wiederholte Frage, was er denn gestohlen haben soll,
als höhnische Provokation. Aber wenn er dann im zweiten Teil ohne er-
kennbare Variation von Zweck oder Resultat bis zum Schluß dabei ver-
harrt,58 dann vermißt man doch zumindest die eine Steigerung in seiner
Frechheit, die doch so nahe läge – er könnte ja wenigstens einmal sagen
,Na, du mußt aber ganz was Kostbares im Tempel deponiert haben!‘ Eine
solche Äußerung würde Euclios Angst um den Schatz und seinen Flucht-
willen in durchaus passender Weise verstärken.
Der Szene mit dem wissenden Sklaven fehlt aber nicht nur die drama-
tische Steigerung, sie enthält auch eine Äußerung des Sklaven, die sicher
der Grieche für den Ahnungslosen erfunden, die Plautus aber achtlos als
zur Not spielbar beibehalten hat. Ich meine die a-parte-Bemerkung in
v. 642, die gerade als a-parte-Bemerkung (wo einer ja unverstellt zu spre-
chen pflegt!) kaum denkbar ist. ,Der Alte muß verrückt sein‘ – das kann
gerade der nicht zu sich selbst oder zum Publikum sagen, der die Ursache
von Euclios kuriosem Benehmen schon kennt. Der Originalautor, dem die
zuvor von uns geforderte provokante Bemerkung nicht einfällt, der aber
seinem wissenden Sklaven eine bloß gespielte a-parte-Unwissenheit in den
Mund legt, der existiert nicht.59
Wir notieren im Vorbeigehen kurz zwei Folgerungen, die sich aus un-
serer Restitution des nichtwissenden Sklaven in IV 4 und aus der plautini-
schen Urheberschaft der Szenenabfolge in IV 1/2 ziehen lassen. Erstens.
Wenn die Reihenfolge ,Monolog des Sklaven – belauschter Monolog Eu-
clios – Monolog des Sklaven‘, die sich in IV 5/6 wiederholt, erst durch Plau-
tus’ Doppelsetzung des Effekts entstand, dann ist damit das Herzstück
von Ludwigs Aufbauanalyse gefallen und die eine Zeitlang beliebte analyti-
sche Symmetriesuche in ihrem Hauptvorbild widerlegt.60 Die angeblich
menandrische Symmetrie der Lauscherszenen in der Aulularia ist ebenso
58 Im andern Fall sagt der Unwissende in v. 651 quid reddam? und in v. 652 quid
habeo? eben mit dem Resultat, daß Euclios Antwortverweigerung ihn neugierig
macht.
59 Der im Plautuskontext störende Vers wäre natürlich auch nicht als Interpolation
zu eliminieren; auch ein Interpolator, der um zwei Ecken herum zu einer schlich-
ten Originalfassung zurückfände, ist undenkbar.
60 Ludwig: „Aululariaprobleme“ (Anm. 12), S. 65 und 67f. will ja um diesen Kern,
den Menander in sich symmetrisch gebaut habe, die ganze ,innere Form‘ der
Komödie wieder symmetrisch bauen. Seinem Beispiel folgten in mehreren Arbei-
ten Steidle und Lefèvre.
252 II. Handlungsgliederung
97
97 || plautinisch wie z. B. die Spiegelszenen, die in den Bacchides zwischen
Anfang und Schluß beobachtet wurden.61
Zweitens. Bei Plautus hat Euclio, als es zur Durchsuchungsszene IV 4
kommt, den entscheidenden Fehler schon hinter sich, indem er sich in
IV 2 vom Sklaven belauschen ließ; jetzt ist er in den Augen des Publikums
nur mehr der Dumme, mit dem der Sklave, über dessen Wissen er nichts
Sicheres weiß, sein freches Spiel treibt. Ob sich Euclio in IV 4 an sich
noch konsequent oder vernünftig verhält, ist für die Wirkung der Szene
sekundär. Bei Menander ist das anders. Da liegt die Komik von IV 4 gera-
de darin, daß ein Euclio, der in seinem Mißtrauen bisher immer die Exis-
tenz des Schatzes verheimlichte, gerade durch sein konsequentes Heim-
lichtun mit ‚dem‘, das er nicht nennen will, den ahnungslosen Sklaven
neugierig macht. Nur ein einziges Mal hat er zuvor gegen sein Prinzip
verstoßen: als er in II 1–3 zwar den Koch und seine Leute aus dem Haus
treibt,62 bevor er den Schatztopf ausgräbt, nicht aber Staphyla, der es doch
in I 1 genauso wie dem Koch ergangen war. Der Anstoß ist verständli-
cherweise in der Plautusfassung bisher übersehen worden, wir sollten ihn
aber doch vermerken – vielleicht finden wir später noch eine leichte Abhil-
fe (vgl. bei Anm. 113).
In unserem näheren Argumentationszusammenhang halten wir jeden-
falls fest, daß neben α/β (v. 119/120), β/γ (v. 279/280) und δ/ε (v. 700/
701) auch die letzte offene Pausenstelle γ/δ fixiert ist: Aktschluß γ nach
IV 2a (v. 608 – 615), Aktbeginn δ mit dem Monolog IV 1 (v. 587– 607), den
Plautus nach vorn versetzt hat.
61 Vgl. John R. Clark: On the Dramatic Structure of Plautine Comedy. Michigan 1974 und
Primmer: Handlungsgliederung in Nea und Palliata (Anm. 8).
62 v. 414 (Congrio): omnis exegit foras, me atque hos, vgl. v. 451f., wo Euclio alle wieder
hineinschickt: ite … intro omnes, et coqui et tibicinae.
Der ‚Geizige‘ bei Menander und Plautus 253
heit für die Gesamtauffassung des ‚Geizigen‘ und der Aulularia ist, wird aller-
dings erst im zweiten Hauptteil der Arbeit zur Sprache kommen.
Wir beginnen mit einem allbekannten Anstoß,63 der Fides und Prolog
gemeinsam betrifft: daß der Fidestempel in der Aulularia viel zu spät ‚ex-
poniert‘ wird. Es geht einfach nicht an, daß der Zufluchtsort, den Euclio
für seinen Topf am γ-Ende findet, der dann auch in der Szenenfolge
IV 1– 6 zum wichtigen Schauplatz wird, für die Zuschauer einer Freilicht-
aufführung, die das gesamte Bühnenbild von allem Anfang an vor Augen
haben, drei Akte hindurch unerklärt (und unbenützt!) bleibt. Einen Ge-
genbeleg – und gleich auch den ersten Wahrscheinlichkeitshinweis auf die
Restitution des Originals – liefert uns der Dyskolos-Prolog (in den anderen
vollständig erhaltenen Eingangsszenen Menanders wird ja kein drittes
Bühnenhaus gebraucht). Im Dyskolos identifiziert Pan, der Gott des Nym-
phaions in Bühnenmitte, dieses als sein Heiligtum, indem er zum Prolog
aus ihm heraustritt (ὅθεν προέέρχοµμαι, v. 2). Die Annahme liegt nahe, daß
die analogen Worte in Aul. v. 3 (unde exeuntem me aspexistis) ursprünglich
auch nicht Euclios Lar familiaris sprach, sondern der griechische Inhaber
des Fidestempels (womit der Tempel auch schon identifiziert wäre). Man
muß sich nur einmal die schlechtere Alternative ausmalen, ein Hausgott
Euclios hätte bei der ersten Erwähnung des Megadorushauses einfließen
lassen, dieses liege ,dort auf der anderen Seite des ,Fides‘-Tempels‘, und
man wird auf eine weitere Schwäche der Aufspaltung in ‚Lar‘ und ,Fides‘
aufmerksam: ,Fides‘ wäre nur zwecks Erklärung der Lokalität genannt,
hätte aber bis Ende γ keine Funktion – und dort auch nur die, das Topf-
versteck zu liefern. Welch verschwenderischer Umgang mit dem Götter-
apparat! Das wird schon dann anders, wenn derselbe Komödiengott, der
Euclio seinerzeit den Schatz als zukünftige Mitgift finden ließ, ihn jetzt
auch auf dem entsprechenden Komödienumweg zu diesem Handlungsziel
geleitet (natürlich gerade dadurch, daß er ihm die erbetene Zufluchtsstätte
verweigert). Und erst recht wird die Handlungsbezogenheit der Tempel-
gottheit klar, wenn wir sie nach einem alten Vorschlag mit Tyche identifi-
zieren.64 Da beginnen nämlich einige Texthinweise bereits in α und β noch
deutlicher zu sprechen. (a) Wenn der griechische Autor unser Bühnenbild
beim Heiligtum der Ἀγαθὴ Τύύχη in || Athen65 lokalisierte, gewinnt eine 99
99
schrullig-mißtrauische Äußerung Euclios in I 2 an Schärfe: Staphyla solle
in seiner Abwesenheit niemand ins Haus lassen, und selbst si Bona Fortuna
63 Siehe z. B. Hunter: „The Aulularia of Plautus and its Greek Original“ (Anm. 12),
S. 39 mit Anm. 18 und 19.
64 Laut Karl Kunst: Studien zur griechisch-römischen Komödie mit besonderer Berücksichtigung
der Schlußszenen und ihrer Motive. Wien, Leipzig 1919, S. 119, Anm. 1 schon vorge-
schlagen von Francken in der Edition von 1877; vgl. aber auch Hunter (siehe
Anm. 66).
65 Bezeugt für das Jahr 335/334: IG II2, 333c.
254 II. Handlungsgliederung
veniat, ne intro miseris (v. 100). Die Magd antwortet, die Göttin vermeide
das schon selbst, nam ad aedis nostras nusquam adit, quamquam prope est. Die
Lesart von B, quamquam prope est, ist zwar im Plautuskontext auffällig, aber
als Rudiment der Agathe Tyche als ‚Nachbarin‘ Euclios bestens verständ-
lich.66 – (b) Daß solche Anspielungen auf die Tempel- oder Prologgottheit
zum menandrischen Instrumentarium der stillen Ironie gehören, könnte
der Dyskolos (mit Pan) belegen; jetzt können wir speziell zur Bona Fortuna
vergleichen, wie im Aspis-Prolog die Herrin Tyche die Wiederkehr des
totgeglaubten Kleostratos verheißt und hundert Verse später dessen Sklave
Daos über ihre Ungerechtigkeit klagt (v. 213ff.): ὦ Τύύχη, / οἵῳ µμ᾿ ἀφ᾿ οἵου
δεσπόότου παρεγγυᾶν / µμέέλλεις. τίί σ᾿ ἠδίίκηκα τηλικοῦτ᾿ ἐγώώ; – (c) In der
Einleitungsszene von β mußte auch der falsche Heiratsplan der Prolog-
gottheit von Eunomia mit einem vielsagenden, d. h. viel verschweigenden
ἀγαθῇ τύύχῃ begleitet werden; denn so lautete der griechische Segens-
wunsch bei geplanter Hochzeit,67 welchem bei Plautus (v. 175) di bene
vortant entspricht. – (d) Genau dieses di bene vortant kehrt am β-Schluß zwei-
mal wieder, zuerst im Munde des Hochzeiters Megadorus in v. 257, als
Antwort auf Euclios spondeo, und dann – mit ähnlichem Verschweigungs-
charakter wie bei Eunomia – als Segenswunsch und zugleich Stoßseufzer
der treuen Staphyla (v. 272, nach Euclios Mitteilung filiam despondi ego, hodie
huic nuptum Megadoro dabo). Die Nebentöne dieser dritten und letzten Wie-
derkehr der Formel hat wohl kein Zuschauer mehr überhört (wenn auch
mancher Kommentator).
Im dritten Akt bringt unsere Tyche-Restitution nochmals eine ähnli-
che Motivverdichtung mit sich. Euclio kommt in II 8 von der Agora mit
,ein bißchen Weihrauch und Blumenkränzen‘ für den Lar – also für Tyche,
ut fortunatas (!) faciat gnatae nuptias. Hier sollten besonders Euclios Opfer-
gaben unsere Aufmerksamkeit erregen. Die Prologgottheit hatte Euclio
mit der dos für Phaedria ausgestattet, weil (v. 23ff.) ea mihi cottidie / aut ture
(!) aut vino aut aliqui semper supplicat, / dat mihi coronas (!). Ich denke, die
zuvor für die ersten Akte gesammelten Anspielungen auf Tyche und der
Umstand, daß, wenn sie den Prolog spricht, sie ihren Tempel damit so-
100
100 wohl || identifiziert als auch für das Spiel aktiviert hat,68 machen sie als
66 So etwa Alfred Klotz: „Zu Plautus’ Aulularia“, in: Rheinisches Museum 89 (1940),
S. 317f.; zuletzt Hunter: „The Aulularia of Plautus and its Greek Original“ (Anm.
12), S. 44, der in Anm. 52 als ersten Lambinus nennt. Stockert: Plautus, Aulularia
(Anm. 12) ad v. 102 bleibt reserviert, hat aber auch gegen die Alternative quaquam
prope Bedenken.
67 Belege aus der Samia oben Anm. 29.
68 Die Auflösung der Schwierigkeit, daß der Lar, wenn er ins Haus zurückgeht, am
Prologschluß mit dem aus dem Haus stürzenden Euclio zusammenstieße, Tyche
aber wieder im Tempel verschwindet, ist allerdings kein Argument für sie: eine
eingeschobene Lyconidesszene leistet dasselbe.
Der ‚Geizige‘ bei Menander und Plautus 255
69 Die ökonomische Ausnützung eines Requisits, hier also der Opfergaben, die in
v. 385–387 sozusagen exponiert und dann von v. 465–472 an (siehe dazu unten,
Text nach Anm. 107) weiter sinnvoll eingesetzt werden, hat eine eindrucksvolle
menandrische Parallele in den Epitrepontes: Da führen in β Syros und seine Frau
neben dem Ring des Charisios dem Publikum in zunächst gar nicht als funktio-
nell bedeutsam erkennbarer Schlußstellung unter den verschiedenen Anagnoris-
mata ein Stück Purpurkleid vor (v. 404); in der Erkennungsszene in δ ist es
(v. 864–867) gewiß (nicht bloß „perhaps“ mit Gomme und Sandbach) dieses Pur-
purstück, dessen Anblick dem Zuschauer verständlich macht, warum Pamphile
Habrotonon plötzlich fragt, woher sie das Kind hat, und warum diese zurück-
fragt, ob Pamphile an dem Kind etwas wiedererkennt.
70 Webster: An Introduction to Menander (Anm. 13), S. 120. – Stockert: Plautus, Aulula-
ria (Anm. 12), S. 23.
71 Stockert: Plautus, Aulularia (Anm. 12), Anm. 5, verweist auf Rosivach: „Plautine
Stage Settings“ (Anm. 45), mit Fanum – Euclio – Megador (dazu schon oben
Anm. 46), und Michal Swoboda: Studia Scaenica Plautina et Terentiana. Poznan
1966, mit Megador – Fides – Euclio.
72 Die Zuordnung des Demarchen zur Landseite ist überdies schon von seinen
Verwaltungsaufgaben her wahrscheinlich: siehe etwa Hans Volkmann: „De-
marchoi“, Der Kleine Pauly. Bd. 1 (1979), Sp. 1458; vor allem wichtig Z. 19ff. über
256 II. Handlungsgliederung
die Bürgerliste (vgl. Text bei Anm. 83). Ähnlich argumentiert Rosivach (über den
Phratriarchen).
73 Einmal haben wir diese Regel schon befolgt: als wir den wohl erst von Plautus
kreierten Zusammenhang zwischen Abgang des Prologsprechers und Erstauftritt
Euclios nicht analytisch ausnutzten (vgl. Anm. 68).
74 Dieser Terminus soll die Unterscheidung zwischen lateinischen Actus und grie-
chischen Akten erleichtern.
75 Rosivach: „Plautine Stage Settings“ (Anm. 45), S. 449f.
Der ‚Geizige‘ bei Menander und Plautus 257
rend er sich dessen Haus zuwendet (während er sich also von Eunomias
Abgangsseite wegwendet), sieht er ihn von der anderen Seite kommen (sed
eccum video; nescio unde sese homo recipit domum, v. 177).
Nun hat zwar die Forschung – mit der rühmlichen Ausnahme von
Rosivach81 – den Demarchen und seine Geldverteilung82 immer auf die
Agora verlegt. Wahrscheinlichkeit kann aber nur das Gegenteil beanspru-
chen: Die Mitgliederlisten, also das Verzeichnis der Leute, die bei einer
Verteilung von Überschüssen (wie sie Euclio nicht versäumen will) be-
dacht werden sollten, wurden von den Demarchen in ihren Häusern auf-
bewahrt;83 die Demarchen wohnten aber gewiß nicht alle im Stadtzentrum,
Euclios Demarch also kaum auf der Agora, vielmehr wird der griechische
Dichter den ,Vertreter der lokalen Behörde‘ gerade deshalb eingeführt
haben, damit er Euclio nach der Landseite abgehen lassen kann. Wir hal-
ten fest: Wahrscheinlichkeitsbeweis für (1b).
Zum Übergang II 1/2 bleibt noch zu zeigen, daß er keine Gegen-
instanz zu (2) abgibt. Man könnte zwar die Meinung vertreten, für den
Auftrittsmonolog des vom Demarchen (von links) heimkommenden Eu-
clio, vor allem für dessen letzten Vers (nunc domum properare propero, nam
egomet sum hic, animus domi est, v. 181) sei es günstiger, wenn er viel Spiel-
raum und Distanz zu seinem (darum rechts zu plazierenden) Haus zur
Verfügung hätte. Aber diese allzu naturalistische, auf das πιθανόόν zu ängst-
lich bedachte Argumentation würde dann in II 8, wo Euclio von rechts
104
104 kommend zunächst || einen mindestens gleich langen Monolog spricht, 84
zum genau entgegengesetzten Resultat führen. So werden wir uns beschei-
den und eine maßvoll theatralische Figurenführung als genausogut mög-
lich akzeptieren: Euclio kann die Verse 178 –180 gleich ganz am linken
Bühnenrand zum Publikum gewendet sprechen (dann muß er wenigstens
den sich inzwischen von rechts nähernden Megadorus nicht geflissentlich
übersehen).
Der Schluß von II 2 ist nur dann unverkrampft spielbar, wenn Euclio
am Ende des Gesprächs, das theatergerecht in die Bühnenmitte gehört,85
nach rechts wendet, sieht er ihn kommen ( ἀλλ᾿ ὁρῶ γὰρ τουτονίί ; zum griechi-
schen Text vgl. K. B. Frost: Exits and Entrances in Menander. Oxford 1988, S. 40).
81 Rosivach: „Plautine Stage Settings“ (Anm. 45), S. 452f.; leider nicht zur Kenntnis
genommen von Stockert: Plautus, Aulularia (Anm. 12), S. 23, Anm. 5.
82 Belegt durch v. 107f. (siehe Stockert: Plautus, Aulularia [Anm. 12] ad 1.), bei
Euclios Abgang, und v. 179, bei seiner Rückkehr.
83 Siehe Anm. 72.
84 Zwierlein: Bacchides (Anm. 10), S. 324 tilgt allerdings v. 375 –384.
85 Daß die Tendenz zum Spiel in Bühnenmitte positiv wirken kann, zeigt gut der β-
Beginn. Da kommen die Geschwister aus dem Megadorushaus, und wenn
Eunomias (v. 133) ego secreto ted huc foras seduxi die beiden nicht an den Bühnen-
rand führt, gelangen sie in Bühnenmitte, zum Tycheheiligtum. Das bietet nicht
Der ‚Geizige‘ bei Menander und Plautus 259
noch in Bühnenmitte oder links vor seinem Haus A steht, während Mega-
dorus seinen Sklaven aus dem Haus B herausruft und nach rechts abgeht.
Wohnte Megadorus links, dann müßte der Mitte rechts stehende Euclio
nach Megadors heus, Strobile 86, sequere propere me ad macellum strenue (v. 264)
erst abwarten, bis der Sklave aus dem (linken) Haus tritt und bis die beiden
an ihm vorbeimarschiert sind, um sein illic hinc abiit anbringen zu können;
mit der Hausaufteilung von (2) geht alles glatt.
Wenn wir die Komplikationen, die uns in γ erwarten, vorläufig über-
springen, stoßen wir in δ auf die zweite und m. E. sichere Bestätigung für
(2), zugleich auf einen Hinweis, daß der Sklave auf der Stadtseite wohnt
(1b). Die Beweisführung für (2) ist schlüssig, sobald man den originalen
Handlungszusammenhang und die entsprechende Spielweise mit einkalku-
liert. Der Sklave des Lyconides war, wie wir gesehen haben, gekommen,
um beide Häuser auszuspähen, und hatte vom Goldtopf nicht die gerings-
te Ahnung. Nun hat ihn Euclio in der Durchsuchungsszene (IV 4) neugie-
rig gemacht, er folgt also dessen Befehl, zu verschwinden (fugin hinc ab
oculis? abin an non? :: abeo, v. 660), zum Schein, versteckt sich aber doch
,bei der Tür‘ des einen Hauses (huc ego ad ianuam concessero, v. 666).87 Nun
hängt der im Original intendierte Effekt der Szene, ihre komisch-ironische
Wir-||kung, davon ab, daß sich die Entdeckung des Geheimnisses mög- 105
105
lichst zufällig und natürlich ergibt. Darum wäre es stilwidrig, würde sich
der Sklave bei der linken Bühnentür postieren, wo er von Euclio, der vom
Tempel (in Bühnenmitte) zur Landseite abgeht, nur bei burlesk dummem
Verhalten zu übersehen wäre.88 Der Sklave muß also in IV 5 nach rechts
retirieren. Er wollte sich aber gewiß nicht vor Euclios Tür verstecken, wo
er doch von vornherein damit rechnen mußte, Euclio werde die rätselhafte
Kostbarkeit in sein eigenes Haus zurückbringen. Also kann Haus B nur
das des Megadorus sein.
Zusätzlich wirkt das Verhalten des Sklaven auch ‚natürlicher‘, wenn er
ursprünglich von der Stadtseite gekommen war. Dann finden die Zu-
schauer es selbstverständlich, daß er, als ihn Euclio mit dem letzten Vers
von IV 4 verjagt, unwillkürlich nach rechts flüchtet. Auch in Euclios Au-
nur Schutz vor profanen Lauschern, es ist auch der geeignete Ort, Megadorus zu
dem von Tyche angesteuerten falschen Hochzeitsplan zu inspirieren.
86 Auf die Strobilus-Frage gehe ich nicht ein (siehe dazu Stockert: Plautus, Aulularia
[Anm. 12], S. 16ff.), weder was seinen Namen betrifft noch seine eventuelle plau-
tinische Herkunft. Diese ist übrigens so gut wie unmöglich, weil ja Megadorus
am γ-Beginn noch nicht selbst kommen durfte, um die Handlungssteigerung zur
zweiten Akthälfte zu ermöglichen.
87 Also ganz situationsgerecht nicht ,hinter der Tür‘ – der ‚Spion‘ darf und will ja
keines der Häuser betreten.
88 Noch dazu ist bekanntlich die griechische Bühne weniger tief als die spätere
römische, vgl. Wiles: The Masks of Menander (Anm. 44), S. 46.
260 II. Handlungsgliederung
gen wird es plausibel sein, wenn der potentielle Dieb Richtung Stadt ver-
schwindet.
Die Eingangssequenz von ε (IV 8f.) kann uns den überzeugenden Be-
weis für die Plazierung des Eunomiahauses auf der Stadtseite liefern (1b).
So sieht es jedenfalls gleich beim ersten Anschein aus, wir werden aber
erst manche Quellenprobleme zu diskutieren haben, bis wir endgültig bei
dem simplen Resultat landen. Zwar gilt dieses ohne Zweifel in dem (ers-
ten) Fall, daß der Text von IV 8 dem originalen ‚Geizigen‘ entspricht.89 In
v. 701ff. huscht nämlich der Schatzdieb über die Bühne, von links kom-
mend und vor Euclio selbstverständlich nach rechts flüchtend (ibo ut hoc
condam domum, v. 712).
Wir dürfen auch, wenn der zweite Fall zutrifft, daß IV 8 erst von
Plautus stammt, zuversichtlich auf das originale Bühnenbild zurückschlie-
ßen. Wie leicht es möglich ist, daß der griechische Autor den Akt ε mit
dem ‚tragischen‘ Auftritt Euclios (IV 9) eröffnet hatte und erst der Römer
den Sklaven in den Vordergrund rückte, wissen wir ja aus der analogen
Szenenfolge IV 1–6, wofür wir die plautinischen Erweiterungen oben
nachgewiesen haben.
Die entsprechenden konkreten Texthinweise für IV 8 haben alle da-
mit zu tun, daß auf diesen ersten Auftrittsmonolog des Sklaven, der an-
schließend (nämlich während IV 9, Auftrittsmonolog Euclios, und IV 10,
Aussprache Euclio-Lyconides) den Schatz daheim verstecken will, in V 1
ein zweiter folgt, der zu Text und Situation von IV 8 in einer erst noch zu
klärenden Beziehung steht. Ich deute vorläufig die Argumente W. Lud-
106
106 wigs90 dazu an: || (a) In IV 8 folgt auf einen (in Fraenkels Sinn) plautini-
schen Monologbeginn ein original wirkender Diebstahlsbericht, und in V 1
fehlt gerade ein solcher nach ‚griechischem‘ Monologbeginn. Plautus wird
also den Bericht transferiert haben. (b) In V 1 wäre, wenn der Sklave den
Schatz noch bei sich trüge, die Situation witziger (wegen des Steigerungs-
effekts zur Durchsuchungsszene in IV 4) und die Figurenführung wahr-
scheinlich einfacher (weil der Sklave sonst nochmals den Schatz holen
müßte). Wir diskutieren diese Argumente später; hier genügt es festzustel-
len, daß die Bewegungen des Sklaven im Bühnenraum mit oder ohne IV 8
verständlich und unkompliziert sind, daß für Plautus also kein Grund
bestand, an den Gegebenheiten des griechischen Bühnenbildes irgendet-
was zu verändern. Wir können sogar die Gegenprobe machen. Angenom-
men der Sklave wäre im Original links daheim und Plautus wollte ihn
trotzdem mit dem Schatz auf die Bühne kommen und diesen dann für eine
Weile verstecken lassen: dann hätte er noch immer nicht Eunomias Haus
89 Dafür ist Batzer eingetreten, ohne allerdings zu berücksichtigen, daß sie sich auf
die theatralische Wirksamkeit der Szene beruft (im Gegensatz zur feineren Ko-
mik von IV 9).
90 Ludwig: „Aululariaprobleme“ (Anm. 12), S. 66f.
Der ‚Geizige‘ bei Menander und Plautus 261
Euclio wieder zurückkehren sieht, ihm laut v. 711 aber schon auf dem
Heimweg ausweicht (v. 709 ex eo loco, v. 711 extra viam). Dieser Wider-
spruch ist tatsächlich signifikant, aber erst abzusichern, wenn man ihn (siehe
unten) genetisch erklären kann. Wer aber an den Interpolator glauben will,
müßte eigentlich in v. 709 statt ex eo loco so etwas wie e luco exeo erwarten.95
Auf eine solche Konjektur hätte auch ein ungeschickter Versefabrikant An-
spruch; da sein Motiv für die Einfügung ja offenbar wäre, den (im Original
fehlenden) plausiblen Bericht über den Diebstahl nachzuliefern, müßte
ihm die Erfindung des Umstandes, daß der Sklave sich auf den Heimweg
machte (wobei ihm Euclio entgegen kam), relativ natürlicher und funkti-
onsgerechter erscheinen als die (vom erwähnten Widerspruch abgesehen)
völlig folgenlose Einfügung, er habe Euclio ex eo loco kommen sehen.
Die Grundunsicherheit (daß die Interpolation noch nicht bewiesen
ist) würde auch nicht vermindert durch den Hinweis, daß nach der Tilgung
von IV 8 ein ,handlungslogisch‘ kohärentes Geschehen erhalten bleibt (in
welchem der Sklave sogar den Schatz gleich auf die Bühne mitbringen
könnte). Das stimmt zwar, besonders wenn man annimmt, daß Eunomia
auf der Landseite wohnt. Denn der Sklave des Lyconides wird seinem
Herrn, welcher nach der großen Szene mit Euclio (IV 9f.) auf der Bühne
blieb, also weiß, von welcher Seite der Sklave kam, in V 1 ja wohl eine
108
108 plausible Ausrede || über den Verbleib des Schatzes liefern wollen, wenn er
sagt, er habe ihn daheim deponiert (ubi id est aurum? :: in arca apud me,
v. 823). Es lohnt sich aber gar nicht, auf diesem Niveau der Handlungslogik
weiterzudiskutieren (etwa mit dem Einwand, der Autor könnte justament
eine schlechte Ausrede vorführen, oder mit der gelehrten Annahme, der
Sklave könnte ruhig auch von rechts auftreten, weil das Publikum sich
schon denken werde, er sei zuvor hinterszenisch nach rechts heimgegan-
gen96).
Bleibt also ein non liquet? Die Dinge werden klar, d. h. der Interpola-
tionsverdacht wird positiv widerlegbar, wenn wir vom originalen Text
eines fünften Aktes nicht nur logische Kohärenz der Handlung verlangen,
sondern berücksichtigen, daß sich in deren Katastrophéphase Handlungs-
ökonomie und Informationsvergabe zusätzlich auch der intendierten Ko-
mödienwirkung anpassen werden. Nicht atemloses Vorantreiben, sondern
entspannendes Ausspielen der im Stück angelegten Möglichkeiten ist jetzt
am Platz. Das Publikum hat also gleichsam ein Recht, den hinterszenisch
95 Ähnlich rechnet Stockert: Plautus, Aulularia (Anm. 12), zu v. 711 mit einem Vers-
ausfall, der den Bericht unlogisch machte.
96 Derlei traut Zwierlein: Poenulus und Curculio (Anm. 10), S. (38f. und) 256, entgegen
dem Dis-exapaton-Bacchides-Zeugnis der Nea zu: „Aus der Behandlung der Bacchi-
des (!) wissen wir …, daß die Dichter der neuen Komödie (!) sehr wohl Personen
in Richtung Stadt abgehen, sie danach aber wieder aus dem Haus heraus auftre-
ten lassen können …“ Bei Plautus ist es so, bei Menander gerade nicht!
Der ‚Geizige‘ bei Menander und Plautus 263
97 Vielleicht gar durch ein Vogelzeichen, welches Plautus dann nach IV 3 versetzt
hätte?
98 Hinter dem declinavi me von v. 711 könnte noch ein ἐκκλίίνειν stecken.
99 Also nicht erst ein römischer Interpolator (wie Zwierlein meint) arbeitet mit Rück-
sicht auf Probabilität. Wäre es anders, d. h. hätte nicht schon das griechische Publi-
kum derlei ästimiert, dann wären z. B. die griechischen ,Menaichmoiʻ nicht entstan-
den, deren Wirkung doch zu einem guten Teil auf dem Jongleurspiel des Autors
mit unwahrscheinlichen, aber gerade noch möglichen Situationen beruht.
264 II. Handlungsgliederung
scher und nicht bloß theatralischer Wirkung, auf die der prahlende plauti-
nische Sklave aus ist. Aber daß auch Menander mit leichter Hand die Neu-
gier und Probabilitätserwartungen des Publikums befriedigen wollte, das
zeigen seine Texte jedem aufmerksamen Leser.100
Nochmals: Der Interpolationsverdacht bezüglich IV 8 ist ad absur-
dum geführt, weil der Interpolator notwendige Berichtselemente nicht nur
in IV 8 interpoliert, sondern zugleich aus IV 9 und V 1 herausgekürzt,
d. h. den Anstoß für seine Interpolation selbst geliefert haben müßte; und
damit ist unser Beweisziel in der Bühnenbildfrage (zu 1a) erreicht, weil der
,dritte Fall‘ widerlegt ist.
110
110 Ich möchte aber doch Ludwigs Wahrscheinlichkeitsbeweise für die
plautinische Herkunft von IV 8 variierend bekräftigen. Zuerst zu (a). Da
hat Ludwig wohl gesehen, daß der Bericht v. 705ff. als Fortsetzung zu
v. 808 – 810 paßt; er hat allerdings die Komplikation übersehen, daß extra
viam in v. 711101 doch die Fassung vorbereitet, in der der Sklave als erster
zurückkommt. Aber Ludwigs Beweis wird durch diese Korrektur nicht
geschwächt, sondern ergänzt. Gerade die umständliche, ja widersprüchli-
che Art, in der hier zuerst (mit v. 709 ex eo loco) die andere Version vorbe-
reitet scheint, worauf im letzten Vers der Schwenk zur Textfassung erfolgt,
läßt sich durch Plautusparallelen stützen.102 Wir werden also keineswegs
100 Er läßt z. B., als Knemon in den Brunnen fällt, den Koch nicht gleich mit
,Ausgezeichnet!ʻ reagieren, sondern mit seiner Frage nach dem Wie zuerst der
Magd die Gelegenheit bieten, die Neugierde des Publikums zu befriedigen (Dysk.
v. 625ff.). Oder man sehe, wie er sich in Dysk. γ nicht zu gut ist, einen ganz ne-
bensächlichen Einwand, den das Publikum erheben könnte, vorweg zu erledigen.
Da wollen Getas und Sikon Geschirr ausborgen, im Interesse der Handlung na-
türlich bei Knemon. Es würde wohl kaum ein Zuschauer fragen: ,Warum versu-
chen sie es nicht auch bei Gorgias?‘ Trotzdem läßt Menander den Koch selber
nach anderen Ausleihmöglichkeiten fragen (v. 510), aber furchtsam resignieren
(v. 516ff.).
101 Dazu wohl auch das großsprecherische paululum: nur ein bißchen mußte er Eu-
clio ausweichen, und schon war dieser ausmanövriert!
102 Man vergleiche Primmer: Handlungsgliederung in Nea und Palliata (Anm. 8), S. 56
[119f.], 78f. [140f.] und 84f. [146f.] zu Bacch. v. 572 und 924. Zwierlein: Bacchides
(Anm. 10), S. 13ff. arbeitet übrigens auch da mit Athetesen, aber v. 924 ist gerade
in den plautinischen Bacchides notwendig, um zur plautinischen zweiten Briefintri-
ge überzuleiten; Zwierleins Dis exapaton δ enthält eine auf bloße ,Handlungslogik‘
zusammengestrichene Kombination von erster und zweiter Briefintrige, und die-
ses Resultat scheitert für jeden Strukturbeobachter schon daran, daß der Lö-
sungsteil von δ, also die zweite Akthälfte (ab v. 701), auch in Zwierleins ‚gereinig-
ter‘ Fassung 246 Verse umfassen müßte, also einem überlangen ganzen Akt ent-
spräche, während ε aus einer einzigen Sequenz bestünde (ich kann übrigens in
Zwierlein: Bacchides [Anm. 10] weder S. 91, Anm. 202, noch S. 299f. die Wider-
legung meiner Interpretation von Dis ex. fr. 2 finden).
Der ‚Geizige‘ bei Menander und Plautus 265
103 Und (gegen Ludwigs Bedenken) nicht nur der Aulularia: auch im Original kann
von den Hauptfiguren eigentlich nur mehr Euclio auftreten (über den verständ-
nisvollen Megadorus wird man sich nicht lustig machen). Jedenfalls belegt die
Szenenüberschrift (siehe den kritischen Apparat zu v. 808 bei Leo und Stockert;
vgl. Leos einleitende Bemerkung zu den Fragmenten), daß Euclio noch in V 1
wieder auftrat, und fr. 2 ut admemordit hominem, daß er das Verhör, welches Ly-
conides beim Textabbruch mit dem Sklaven anstellt, belauschte.
104 Dazu paßt fr. 5, in welchem er zusätzlich zur Freilassung noch Geld zu fordern
scheint: qui mi holera cruda ponunt, hallec adduint. – Auch in den Menaechmi stammt
übrigens der souverän die Zwillinge lenkende Messenio des Komödienschlusses
erst von Plautus: siehe Primmer: „Die Handlung der Menaechmi“ (Anm. 8),
S. 110ff. [179ff.].
266 II. Handlungsgliederung
Für die Diskussion des bisher übergangenen dritten Akts sind jetzt
die Voraussetzungen gegeben. Wir haben einerseits anhand der oben (in
Anm. 76–78) genannten Stellen das Bühnenbild abgesichert: links im Haus
A wohnt Euclio (auf derselben Seite außerszenisch sein Demarch), rechts im
Haus B Megadorus und außerszenisch Eunomia (mit Familie). Damit kann
sich unsere Spurensicherung jenem Rudiment zuwenden, das die Identifi-
zierung der Tempelgottheit in Bühnenmitte mit der Prologgottheit bekräf-
tigt (die ihrerseits höchstwahrscheinlich im Original die Agathè Tyche war).
Anderseits wissen wir aus zuvor gemachten Beobachtungen und Erwä-
gungen,105 daß wir noch auf Staphyla- und mögliche Lyconidesszenen
aufmerken müssen.
Die ‚kritische‘ Szene, die oben unter (3) als mögliche Gegeninstanz ge-
112 gen das richtige Bühnenbild genannt war (bei Anm. 79), ist Euclios Mo-
112 ||nolog in III 4. Da steht Euclio, der den Koch Congrio eben wieder ins
Haus gescheucht hat, mitsamt dem Schatztopf, den er in seinem Gewand
verbirgt, auf der Bühne und spricht (v. 473f.):
Er kann also an dem Nachbarn, den er von rechts kommen sieht, nicht
unbemerkt vorbei. Das scheint unspielbar, wenn Megadors Haus ohnehin
auf der rechten Bühnenseite steht: Euclio könnte ja entweder in sein (lin-
kes) Haus retirieren oder, wenn er es mit dem Topf nicht mehr betreten
will, zur Landseite flüchten. Doch er will praeterire, sich also jedenfalls nach
rechts, Megadorus entgegen, in Bewegung setzen.
Wie der Text dasteht, muß man Euclios Monolog entnehmen, daß er
bloß die Absicht hat, Megador auszuweichen (für dessen diebischen Abge-
sandten er ja auch den Koch hielt); über andere Pläne läßt er ja nichts
verlauten. Sollte also sein schwer erreichbares Ziel doch das rechte Büh-
nenhaus sein? Wohnt er doch in Haus B?106
Diese Erklärung könnte nur befriedigen, wenn man sowohl den Kon-
text des Monologs außer acht läßt als auch ungeprüft annimmt, sein Text
sei dem Original konform. Aber schon der Übergang III 3/4 zeigt, daß
Euclios Haus gar nicht sein Ziel sein kann. Er hatte ja in III 3 den Schatz-
topf aus dem Haus ‚gerettet‘ und es ganz erleichtert (ab v. 451) ,allen Kö-
chen, Flötenspielerinnen und der Sklavenschar‘ freigegeben. Noch zum
Szenenabschluß hatte er im Streit wiederholt (v. 458f.) ,Geh kochen oder
geh zum Henker!‘, und Congrio hatte (ins Haus abgehend) repliziert: ,Geh
lieber du!‘ Da muß also Euclio für Congrio erkennbar die Absicht gehabt
haben, das Haus nicht mehr zu betreten. Überdies spricht die Folgeszene,
Megadors belauschter Monolog in III 5 (v. 475–535), auch eher für Eu-
clios Haus A. Als nämlich Megadorus endlich den Lauscher bemerkt (der
ja ohne praeterire links von ihm stehen muß), sagt er v. 536: sed eccum adfi-
nem ante aedis, und da wird er wohl nicht sein eigenes Haus meinen.
Wohin wollte nun aber Euclio eigentlich am Ende von III 4 gehen?
Welches Ziel lag rechts von ihm, und wie erfuhr das Publikum von seiner
Absicht? Nun, die erste Frage beantwortet uns das Bühnenbild: Rechts
vom linken Bühnenhaus gibt es ja nicht nur das rechte Haus (oder die
Agora – aber Euclio will seinen Schatz sicher nicht zur Bank bringen),
sondern auch den (Tyche-)Tempel. Und die Antwort auf Frage zwei: Er
muß sein Ziel || im originalen Monolog mitgeteilt haben, welcher bei 113
113
Plautus disparat und allzu plautinisch wirkt. Er beginnt noch ganz kon-
textgemäß mit einem Nachwort zu Euclios Streit mit Congrio, den Mega-
dorus geschickt habe, um ‚das‘ zu rauben (v. 460–464). Man erwartet da-
nach zu hören, was Euclio als nächstes vorhat, aber in v. 465–472, also bis
zum Auftauchen des Megadorus, unterhält er uns statt dessen mit der
Geschichte vom Haushahn, den er als furem manufestarium erschlagen ha-
be.107 Warum Plautus die skurrile Erfindung, die ohne Inhaltsfunktion ist,
eingeführt hat, haben wir implizit schon mit der Zielangabe ,Tychetempel‘
begründet: als Ersatz für das Originalmotiv, das er streichen mußte. Wenn
Tyche, und nicht der Lar, die originale Prologgottheit war, dann waren ja
der Weihrauch und die Kränze, mit denen Euclio laut v. 385–387 vom
Forum kam, ursprünglich als Opfergaben für sie bestimmt. Nun war er
v. 388 durch den Lärm in seinem Haus von der frommen Absicht abge-
lenkt worden, für das Eheglück seiner Tochter zu opfern. Das Motiv lag
für den Autor des Originals zur Weiterverwendung bereit, besser: war für
die Weiterverwendung eingeführt worden, und es wird hier (statt v. 465–
472) dringend gebraucht, zumindest um die Figurenführung in Ordnung
zu bringen. (Eine andere Erklärung für praeterire ist weit und breit nicht zu
sehen; wir dürfen also die Gleichsetzung von Prolog- und Tempelgottheit
für zwingend notwendig halten).
107 Zwierlein: Bacchides (Anm. 10), S. 98 und 310 (vgl. S. 188) verdächtigt den ganzen
Passus als nachplautinisch; tatsächlich werden wohl nur v. 470–472 zu streichen
sein. Wer mit staatsrechtlichem resecrare und comitia witzelt (siehe bei Anm. 43),
kann dies auch mit dem strafrechtlichen fur manifestus.
268 II. Handlungsgliederung
108 Ganz menandrisch diskret gibt multis dem Publikum eine Begründung dafür,
warum Megadorus so lange nach Euclio kommt.
109 Primmer: „Menanders ‚Geiziger‘ “ (Anm. 8), S. 4 [220f.].
Der ‚Geizige‘ bei Menander und Plautus 269
110 Vgl. bei Anm. 37f. (Inhalt) und Anm. 51 (Ort der Szene).
270 II. Handlungsgliederung
nämlich den Plan, die diebischen Köche im puteus (einer tiefen Grube, die
als Verlies dienen kann) kochen zu lassen, worauf allerdings, wenn sie die
Speisen dann selber essen, superi incenati sunt et cenati inferi. Und das wit-
zelnde Ausmalen der Vorstellung paßt nicht besonders gut zur Sorge und
Eile der Rahmenverse: v. 364 die Bewachung der Köche als cura maxima,
v. 369 der Ordnungsruf, den er sich selbst erteilt: sed verba hic facio,111 quasi
negoti nil siet.
116
116 Es kommt dazu, daß II 7 den Witzstil des Dialogs mit Staphyla fort-
setzt, den wir schon oben an II 6 als störend reklamierten.112 Plautus wird
die romantische Liebeshandlung sowohl in II 6 wie in II 7 zurückgedrängt
bzw. durch possenhafte Details ersetzt haben. In II 6 mochte der originale
Strobilus etwa fragen, warum Staphyla auf die Hochzeitsvorbereitungen so
mürrisch reagiere; und in II 7 konnte er mit Lyconides zusammentreffen,
dem er zu dessen Bestürzung die Hochzeitsnachricht bestätigte. Dann
konnte Lyconides erfragen, daß Euclio jetzt nicht daheim sei, Staphyla
herausklopfen und sich (vielleicht indirekt – siehe bei Anm. 37) als ille qui
compresserat zu erkennen geben. Darauf mochte ihn Staphyla bitten, vor der
Tür zu warten, bis sie im Haus mit Phaedria gesprochen habe, und der
wartende und über seine Liebe, Beschämung und Bestürzung monologisie-
rende Lyconides mochte vor dem rechts auftretenden Euclio nach links
ausgewichen sein.
Ich habe die mögliche Ergänzung bis in diese Details skizziert, weil ich
zeigen wollte, daß (und wie) man bestimmte Unebenheiten des plautinischen
Textes beseitigen kann, deren Vorhandensein immerhin auch die Ergänzung
nahelegt. Eine Inkonsequenz kennen wir schon:113 daß Staphyla in den Fol-
geszenen Euclio beim Ausgraben des Schatzes nicht irritiert. Da war sie
eben im Frauengemach bei Phaedria. Ferner gibt es keine rechte Erklärung
dafür, warum Euclio in II 8 die Haustür offen findet. Vers 388 (sed quid ego
apertas aedis nostras conspicor?) verweist uns zurück auf den Schluß von II 6
(v. 362): STR. duc istos intro. STAPH. sequimini. Das läßt sich natürlich im
Sinn des Plautus so spielen, daß der letzte Gehilfe des Kochs beim Abge-
hen die Tür offen läßt; aber die geplagte treue Magd des ‚Geizigen‘ sollte so
unachtsam sein? Besser schließt sie vor dem wartenden Lyconides die Tür
nicht zu. Schließlich ist der Übergang von Szene II 7 auf II 8 etwas eigen-
artig. Bei Plautus geht Strobilus von Haus A zu Haus B ab, also nach rechts,
ohne eine der usuellen Zwischenbemerkungen über den von rechts kom-
menden Euclio zu machen. Hat sich Plautus auf den Abgangsapplaus für
Strobilus verlassen? Bei Menander wäre ein ganz unglossierter Auftritt
unter solchen Umständen höchst ungewöhnlich, weil hier zunächst kein
111 verba facio schützt übrigens (wie die Parallele III 4) den Mittelteil vor jedem Inter-
polationsverdacht.
112 Siehe bei Anm. 36.
113 Siehe bei Anm. 62.
Der ‚Geizige‘ bei Menander und Plautus 271
114 Dies wäre nach Frost: Exits and Entrances in Menander (Anm. 80), S. 12 (unter
„wholly unannounced entrances“) im allgemeinen eine denkbare Rechtfertigung.
115 Zu Begriff und analytischer Handhabung der Sequenzen vergleiche man übrigens
Primmer: „Die Handlung der Menaechmi“ (Anm. 8), S. 204ff. [195ff.], besonders
S. 207 [198f.] mit der Skizze einer Sequenzanalyse von Dysk. α bis γ.
272 II. Handlungsgliederung
Zuerst also der Überblick über das Bühnenbild und die Sequenzen
des D y sk o lo s :
Akt α
Sequenz a, v. 1–80: Knemon; Sostratos.
Prolog und erste Szene zusammen liefern die Exposition beider
Hauptfiguren. Der Tempelgott Pan erklärt das Bühnenbild (mit den Be-
wohnern der Häuser), stellt Knemon als (zur Negativfigur geeigneten)
Griesgram und Gorgias als ernsthaften jungen Mann vor und deutet als
sein Handlungsziel die Hochzeit von Sostratos und Knemons Tochter an.
Sostratos (mit dem Parasiten Chaireas aus der Stadt kommend) exponiert
sich als naiv-positiver Held: er will möglichst rasch das Mädchen heiraten.
Sequenz b, v. 81–178: Knemon (und Sostratos).
Zwei Szenen der einsetzenden Handlung (Sostratos’ Sklave Pyrrhias
flüchtet, von Knemons Acker her, vor dem aggressiven Menschenfeind;
Knemon selbst weist, sich ins Haus zurückziehend, Sostratos brüsk ab)
legen das Verhältnis der Hauptfiguren für die kommende Handlung fest:
sie sind in dieser die Gegenspieler, da Knemon allen Kontakten auswei-
chen, Sostratos aber unbedingt seinen Heiratsantrag vorbringen will.
Sequenz c, v. 179–232: Sostratos.
Die letzte Szenenfolge von α hat (wie manche folgende Aktschlußse-
quenzen) Überleitungsfunktion. (Nach dem augenblicklichen Wissensstand
des Publikums gehört sie übrigens ganz Sostratos; denn das Ereignis, das die
Auftrittsbegründung für Knemons Tochter liefert – daß sie aus dem Heilig-
tum Wasser holen muß, weil der Magd der Krug mitsamt dem Brunnenseil
in den Brunnen fiel –, wird erst in γ und δ als folgenreich erkennbar). Für
den Augenblick scheint das wichtigste, daß die Handlung durch das Einbe-
ziehen neuer Figuren aus der Pattstellung zwischen Knemon und Sostratos
herausmanövriert wird: Sostratos will einen neuen Helfer holen (Getas, den
Sklaven seines Vaters), und Daos, der Sklave des Gorgias, der das Zusam-
mentreffen von Sostratos und dem Mädchen mißtrauisch beobachtet hat, will
Gorgias als vermeintlichen neuen Gegner des Liebespaares vom Feld holen.
121
121 Akt β
Sequenz a, v. 233–319: Sostratos.
Ein potentieller Gegner wird zum Helfer: Gorgias, von Daos alar-
miert, stellt Sostratos zur Rede, der allein wiederkommt, weil er den seine
Mutter ,zu irgendeinem Opfer‘ begleitenden Getas nicht angetroffen hatte.
Der ‚Geizige‘ bei Menander und Plautus 275
Als Sostratos seine ehrsamen Absichten bei Pan und den Nymphen be-
schwört, wandelt sich Gorgias plötzlich zu seinem Freund.
Sequenz b, v. 320–392: Sostratos (Knemon).
Die neuen Freunde entwickeln einen Plan: Damit Sostratos an Knemon
herankommen kann, geht er mit Gorgias zur Feldarbeit, in der Hoffnung,
daß Knemon aufs Nachbarfeld kommen wird. (Beide ab zur Landseite).
Sequenz c, v. 393–426: Sostratos.
Überleitung zur Epitasis: Getas bringt den Koch Sikon zur Pansgrotte.
Sostratos’ Mutter will nämlich hier opfern, weil sie in einem Traum sah,
wie Pan ihn in Fesseln legte und zur Feldarbeit zwang.
Akt γ
Sequenz a, v. 427–521: Knemon.
Knemon in der Defensive: Er muß, statt wieder zur Feldarbeit zu ge-
hen, sein Haus bewachen und verteidigen: Die Ankunft der Opfergesell-
schaft hält ihn fest, und Getas’ und Sikons Versuche, Geschirr auszubor-
gen, versetzen ihn in Wut.
Sequenz b, v. 522–573: Sostratos.
Sostratos, in kurzem Zwischenauftritt erschöpft von der vergeblichen
Feldarbeit kommend, erfährt durch Getas von dem Opfermahl, zu wel-
chem er auch Gorgias und Daos holen will.
Sequenz c, v. 574–619: Knemon; Sostratos.
Die Ereignisse überstürzen sich: Knemon tobt, weil die Magd beim
Versuch, den Eimer aus dem Brunnen zu holen, auch noch seine Harke
hineinfallen ließ und er jetzt hinunterklettern muß (bis v. 606); Sostratos
bringt Gorgias zum Gelage.119
Akt δ
Sequenz a, v. 620–665: Knemon (und Sostratos).
Knemons Brunnensturz: Simiche ruft Gorgias und Sostratos zu Hilfe;
der beleidigte Koch glossiert das Geschehen.119
Sequenz b, v. 666–759a: Knemon (und Sostratos).
Die Peripetie in Knemons Verhalten: Nach kurzem Bericht des 122
122
Sostratos über seine Nebenrolle bei Knemons Rettung (bis v. 690) zeigt
sich dieser von Gorgias’ uneigennütziger Hilfe beeindruckt und übergibt,
seine Menschenfeindlichkeit einmal überwindend, dem adoptierten Stief-
sohn die Verfügungsgewalt über Besitz und Tochter.
Sequenz c, v. 759–783: Sostratos.
Die Verlobung: Gorgias verlobt seine Schwester und Sostratos, noch
bevor dessen Vater zustimmen kann, der verspätet zum Festmahl kommt.
119 Die Szenenfolge wird man schon wegen ihres geringen Umfangs zu einer Sequenz
vereinigen, dazu kommt noch Getas (wie dann in δ Sikon) als dauernd präsente
Nebenfigur.
276 II. Handlungsgliederung
Akt ε
Sequenz a, v. 784 –879: Sostratos.
Auf dem Weg zur Doppelhochzeit: Sostratos kann erst seinem Vater,
dann Gorgias die Zustimmung dazu abringen, daß ‚morgen‘ nicht nur
seine Hochzeit, sondern auch die zwischen Gorgias und Sostratos’
Schwester stattfinden soll. Alle (außer Knemon) versammeln sich zur
Vorfeier in der Pansgrotte.
Sequenz b, v. 880–969: Knemon.
Heitere Rache: Getas und Sikon holen Knemon auf die Bühne, quä-
len ihn mit fingierten Bitten um Geschirr und nötigen ihn schließlich zur
Teilnahme am Fest.
Akt α
Sequenz a, v. 1–39 (Prolog); ‹…›; ,Euclio‘; ,Lyconides‘.
Prolog und erste Szene zusammen liefern die Exposition beider Haupt-
figuren: Die Prologgottheit Tyche122 [nicht der Lar familiaris] erklärt das ||
123
123 Bühnenbild mit den Hausbewohnern, stellt (als potentiellen negativen
Helden) den geizigen ,Euclio‘ vor, der den jüngst gefundenen Schatz kaum
als Mitgift herausrücken will, und deutet die Hochzeit von ,Euclios‘ Toch-
ter mit ihrem unbekannten Vergewaltiger ,Lyconides‘ als ihr Handlungsziel
an,123 welches auf dem Weg über ,Megadorus’‘ Heiratsantrag erreicht wer-
den soll. ,Lyconides‘ exponiert sich, vielleicht im Gespräch mit seinem Sklaven: er
wagte sich bisher nicht zu deklarieren, weil er sich wegen der Vergewaltigung (beson-
ders vor dem Onkel) schämt.124 (Ab nach rechts oder im Tempel versteckt).
120 Die Verteilung der Figuren auf die Bühnenhäuser ist ausführlich diskutiert im
Text bei Anm. 70–79 (zu einzelnen Szenen ab Anm. 80, wie unten detailliert ver-
zeichnet). Zur Lokalisierung des Tempels siehe bei Anm. 44–46, 63–66.
121 Plautinische Zusätze werden, wo ich auf sie hinweise, mit eckigen Klammern
getilgt, Menanderrekonstruktionen durch Spitzklammern und/oder Schrägdruck
angezeigt.
122 Man beachte die Analogie zu Pan; siehe auch oben bei Anm. 64–69, 105–108.
123 Vgl. oben bei Anm. 15f.
124 Analog zur Exposition des Sostratos; siehe oben bei Anm. 31f., 48f.
Der ‚Geizige‘ bei Menander und Plautus 277
Akt β127
Sequenz a, v. 120 –177 (II 1): ,Lyconides‘.
Ein potentieller Helfer wird zum Rivalen: im Gespräch mit ,Eunomia‘
‹und von Tyche inspiriert?› entschließt sich ,Megadorus‘, um ,Phaedria‘ anzu-
halten.128
Sequenz b, v. 178–263 (II 2): ,Lyconides‘ und ,Euclio‘.
Der neue Rivale und ,Euclio‘ finden sich: ,Megadorus‘ erreicht
,Euclios‘ Einverständnis, noch heute mit ,Phaedria‘ Hochzeit zu halten;
,Euclio‘ || bedingt sich die Heirat ohne Mitgift aus (weil er gegen Tyches 124
124
Absicht den Schatztopf nicht herausrücken will).129
Sequenz c, v. 264–279 (II 2 fin, II 3): ,Lyconides‘.
Überleitung zur Epitasis:130 ,Megadorus‘ mit ,Strobilus‘ sowie ,Euclio‘
gehen einkaufen; ,Staphyla‘ beklagt ‹in einem Gebet an Tyche?› die Notlage
der hochschwangeren ,Phaedria‘.
Akt γ131
Sequenz a, v. 280 –370, ‹…›, v. 371–459 (II 4 – III 3): ,Euclio‘ (,Lyconides‘).
,Euclio‘ in der Defensive gegen die Köche: das ist der Hauptinhalt
dieser Sequenz. Die Köche, die der großzügige ,Megadorus‘ dem armen
Nachbarn ins Haus schickt (,Strobilus‘ bringt sie in II 4–7),132 zwingen
,Euclio‘ zum Entschluß, den Schatztopf von nun an immer mit sich her-
umzutragen (II 8 – III 3).
Zwischen den Hauptteilen der Sequenz, vor ,Euclios‘ Auftritt in II 8, bringt
sich ,Lyconides‘ in Erinnerung:133 Außerszenisch durch ,Eunomia‘ über die ‚falsche‘
Hochzeit informiert, sieht er sich endlich genötigt, mit ,Staphyla‘ Kontakt aufzu-
nehmen; während er aber wartet, welche Antwort diese von ,Phaedria‘ bringen wird,
kommt ,Euclio‘ (von rechts) und zwingt ihn, sich außerszenisch links in Wartestel-
lung zu begeben.134
Sequenz b, v. 460–586, ‹…›, v. 608–615 (III 4–6, IV 2a): ,Euclio‘
(,Lyconides‘).
125
125 Hauptinhalt: ,Euclios‘ Schatz wird vermeintlich von ,Megadorus‘ be-
droht. ,Euclio‘ stößt, als er Tyche ein Opfer darbringen will,135 auf ,Megadorus‘.
Er findet dessen Ankündigung, ihn bei der Hochzeitsfeier betrunken ma-
chen zu wollen, so bedrohlich, daß er den Schatztopf im Tychetempel
versteckt. Die kurze Zwischenzeit nützt ,Lyconides‘ zur Fortsetzung seines Ge-
sprächs mit ,Staphyla‘; diese deutet ihm an, daß er noch heute Vater wird.
,Lyconides‘ eilt zu Mutter und Sklave, ,Euclio‘ geht ohne Schatztopf in sein
Haus.136
Akt δ137
Sequenz a, 587–607, 624–681 (IV 1, IV 3–6): (,Lyconides‘) ,Euclio‘.
Der Sklave erfährt vom Schatz: Der Sklave, der im Auftrag des
,Lyconides‘ den Stand der Hochzeitsvorbereitungen ausspähen soll, wählt
den Tychetempel als Beobachtungsposten. ,Euclio‘ findet ihn dort vor, behandelt
ihn als Dieb und macht ihn so auf den Schatz neugierig.138 Als ‚Euclio‘ abgeht,
um den Schatztopf auf dem Land zu verstecken, folgt ihm der Sklave
heimlich, ‹vielleicht auch in der Erwägung, daß ohne den Brautvater die Hochzeit
nicht beginnen wird 139›.
Sequenz b, v. 682–695 (IV 7a), ‹…›: ,Lyconides‘.
Peripetie und Lösungsansatz der ,Lyconides‘handlung (von Plautus ist
diese Sequenz – und wohl auch eine weitere – so verkürzt,140 daß man nur
beispielshalber aufzählen kann, welche Motive und Szenentypen in der
Neahandlung für den Übergang zur Katastrophéphase zur Verfügung
standen): Klage der Staphyla (?);141 Monolog des ,Lyconides‘, dessen Verzweiflung
und Haltungsänderung darstellend; Gespräch mit der ‹langsamer nachkommen-
den?› Mutter, die den Onkel aufklären soll;142 ,Megadorus‘ kommt || nachsehen, 126
126
wo ,Euclio‘ bleibt, und erfährt – hochzeitlich geschmückt –, daß seine Braut mit
seinem Neffen ein Kind hat; der verständnisvolle Onkel ‚bestraft‘ den Neffen, indem
er ihm die Aufklärung ,Euclios‘ überläßt.
Sequenz c, ‹…› v. 696–700 (IV 7b): ,Lyconides‘ (,Euclio‘).
,Lyconides‘ trifft zu seiner Erleichterung nur ,Staphyla‘ an, die ihm Vorwürfe
macht, aber doch auch Verzeihung und Liebe in Aussicht stellt.143 ,Lyconides‘
sieht sich vergeblich nach seinem Sklaven um und geht in Haus B ab.
Akt ε144
Sequenz a, v. 713–807 (IV 9f.): ,Euclio‘ und ,Lyconides‘.
Die Aussprache über Topf und Tochter: Endlich treffen, nach dem
hinterszenischen Schatzdiebstahl und bei ,Euclios‘ paratragodischer Klage,
der Träger der Liebes- und der Träger der Schatzhandlung aufeinander.
Das anfängliche Mißverständnis (wo jeder ichbezogen glaubt, der andere
137 Zum δ-Beginn siehe bei Anm. 50–59. Als plautinisch sind zu streichen: v. 606
(ara) und v. 616–623 (IV 2b).
138 Zur Figurenführung in IV 5f.: bei Anm. 87f.
139 Ob Menander das Verhalten des Sklaven nur mit Geldgier motivierte, entzieht
sich unserer Kenntnis.
140 Vgl. bei Anm. 41f.
141 Vgl. nach Anm. 73.
142 Zu IV 7a siehe bei Anm. 21–27.
143 Der unsichere Texthinweis, auf den man sich für diese Szene berufen kann, ist
v. 807: vgl. vor Anm. 36 (zu v. 814f. siehe in Anm. 133).
144 Zur Aktgrenze δ/ε: bei Anm. 39–41. IV 8 plautinisch (und Figurenführung in
IV 8f.): bei Anm. 89–102.
280 II. Handlungsgliederung
spreche von seinem Problem) löst sich, als ,Euclio‘ endlich seine Angst um
den Schatztopf artikuliert und dem ,Lyconides‘ dessen Unschuldsbeteue-
rung bezüglich des Diebstahls glaubt; was er aber über die Tochter erfährt,
ist ein neuer Schicksalsschlag für ihn.
Sequenz b, v. 808–fin. (V 1): ,Euclio‘ und ,Lyconides‘.
Der Schatz wird Mitgift: Als ,Lyconides‘ seinen Sklaven zwingt, den
gestohlenen Schatz wieder herauszurücken, bringt es ,Euclio‘, der die Aus-
einandersetzung der beiden belauscht hat, endlich fertig, sich von dem
unruhestiftenden Schatztopf zu trennen.145
Die beiden Schemata verweisen (implizit oder explizit) auf viele Möglich-
keiten, die genetische Verwandtschaft und die dramatische Eigenart der
beiden Komödien vergleichend herauszuarbeiten; ich verweise zum Ab-
schluß nochmals ganz knapp auf einige Gesichtspunkte, die für unsere
analytische Fragestellung relevant sind. Erstens. Akt α und Akt δ des ‚Gei-
zigen‘ könnten, von allen inhaltlich begründeten Restitutionsforderungen
völlig abgesehen, in der plautinischen Fassung (die jedesmal sozusagen nur
eineinhalb Sequenzen des Originals übrigläßt), schon aus strukturellen
Gründen nicht als unverkürzt anerkannt werden (analoge Beobachtungen
sollten uns also auch in Analysen weiterhelfen, bei denen die inhaltlichen
127
127 Argumente fehlen oder || zu schwach sind). Zweitens. Der Vergleich der
dritten Akte mit ihren Sostratos- bzw. ,Lyconides‘szenen zeigt, daß wir zu
Recht den zentralen Epitasisakt nicht ohne szenische Hinweise auf die
‚romantische‘ Haupthandlung akzeptiert haben. Drittens. In den Randse-
quenzen von Dysk. β erinnern Hinweise auf das Wirken des Prologgottes
Pan das Publikum an das Handlungsziel; der Strukturvergleich spricht für
eine ähnliche Funktion der Agathè Tyche im β des ‚Geizigen‘. Die Analogie
wiederholt sich übrigens in der Epitasis: Pan stellt da seine Grotte als
wichtigen Spielort zur Verfügung, wo sich die Opfergesellschaft trifft,
deren Anwesenheit mittelbar Knemons Brunnensturz verursacht; und würde
,Euclio‘ nicht in den Tychetempel gehen wollen, träfe er nicht mit ,Megador‘
zusammen, dessen Verhalten ihn wiederum veranlaßt, seinen Schatztopf im
Tempel zu deponieren usw. In beiden Fällen dient also der Kultort der Pro-
loggottheit auch der Verwirklichung von deren Handlungszielen. Viertens
(und das reicht eigentlich über den fünften Akt, auf den ich mich konkret
beziehe, hinaus): In Dysk. ε sind zwar der naiv-utopische Sostratos mit seinem
Hochzeitsplan für Gorgias und der im Grunde seines Wesens misanthropisch
bleibende Knemon als Charaktere gut gezeichnet, aber dem jungen Menander
ist es, da das Hauptproblem der Handlung für beide schon in δ gelöst wurde,
nicht gelungen, auch die Handlung als solche bis in den fünften Akt drama-
turgisch am Leben zu erhalten. Im ‚Geizigen‘ ist der fünfte Akt (aber nicht nur
dieser) in jeder Hinsicht wirkungsvoller und (im Sinn Menanders) komischer:
In der Handlungsdramaturgie, weil sich die Lösung für ,Euclio‘ erst nach dem
‚tragischen‘ Aktbeginn, also in lange durchgehaltener Spannung abzuzeichnen
beginnt, aber auch weil in der ersten Sequenz beide Akteure in gleicher Weise
die ‚Bestrafung‘ durch das komische Aneinandervorbeireden verdienen
(,Euclio‘ für den Geiz, ,Lyconides‘ für sein spätes Geständnis). In der Fröh-
lichkeit des versöhnlichen Ausklangs, weil Knemon nach seinem Mensch-
lichkeitsanfall in δ am Schluß von ε wieder in seine mürrische Art zurück-
fällt, ,Euclio‘ aber seinen Schatz erst ganz zum Schluß und ohne Widerruf
losläßt, also für die Zuschauer dionysisch ‚gelöst‘ bleibt. Schließlich in der
dezenteren Humanität, mit der die Haltungsänderung der ‚negativen‘
Hauptfigur begründet wird: Knemon wird im Brunnensturz äußerlich
erschüttert, in der Sicherheit seiner Anschauungen durch deren handgreif-
liche Widerlegung durch Gorgias’ Hilfsbereitschaft; ,Euclio‘ braucht zwar
auch den Schock des Schatzdiebstahls, aber er springt doch selbst über die
Hürde seines Mißtrauens und beginnt, ,Lyconides‘ auf dessen Wort hin zu
vertrauen, noch ehe es durch die Tat (der Schatzrückgabe) bestätigt wird.
Die Verse 772–777, in denen ‚Euclio‘ die äußere Handlung dadurch über-
holt, daß er fähig wird, ,Lyconides‘ zuzuhören, sind für mich das menand-
rischste Menander-Einsprengsel des letzten Akts. (Wird fortgesetzt.)
4 Die Bedeutung der Gesamtstruktur für die Analyse betont soeben in ähnlicher
Weise J. Christopher B. Lowe: „Struttura greca e strutture plautine nei Captivi“,
in: Lectiones Plautinae Sarsinatae 5 (2002), S. 17–28 (hier bes.: S. 22f.). Vgl. Adolf
Primmer: Handlungsgliederung in Nea und Palliata. Dis Exapaton und Bacchides. Wien
1984 (Sitzungsberichte der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Phi-
losophisch-Historische Klasse 441) [71–166].
5 Ich vermeide die (in ihrer Brauchbarkeit noch umstrittenen) Termini Protasis –
Epitasis – Katastrophé; jedenfalls muß der Handlungsinhalt irgendwie dramatisch
effektvoll aufgebaut sein.
6 In dieser Richtung arbeitet auf E. Fraenkels Spuren seit längerer Zeit v. a. J.
Christopher B. Lowe, siehe etwa „Aspects of Plautus’ Originality in the Asinaria“,
in: Classical Quarterly 41 (1992), S. 152–175 (mit einleitendem Referat zur For-
schungsgeschichte).
7 Adolf Primmer: „Der ‚Geizige‘ bei Menander und Plautus“, in: Wiener Studien 105
(1992), S. 69–127 [225–281]. Zustimmend äußert sich jüngst Walter Stockert:
„Sull’originalità di Plauto. Metafore e similitudini nell’Aulularia“, in: Lectiones Plau-
tinae Sarsinatae 3 (2000), S. 15–30 (hier: S. 16f.).
8 Walther Ludwig: „Aulularia -Probleme“, in: Philologus 105 (1961), S. 44–71, 247–262.
9 Zur Erinnerung: Ziel der Prologgottheit ist die bürgerliche Versorgung der braven
Tochter Euclios; darum veranlaßt die Gottheit – auf komödienhaften Umwegen –
den jungen Mann, der das Mädchen vor neun Monaten unerkannt vergewaltigt hat-
te, endlich zum Geständnis seiner Liebe, und den knausrig-mißtrauischen Euclio, den
sie einen Schatz hatte finden lassen, dazu, diesen Schatz als Mitgift herauszurücken.
Rezension E. Lefèvre 287
10 L. übertreibt, wenn er (S. 127) Sandbachs (von diesem selbst bezweifelte) Vorbe-
halte gegen die communis opinio zu einem „keineswegs gesichert“ hochspielt.
11 Eine bedauerliche Lücke: Walther Kraus: „Menanders Humanität“, in: Ders.: Aus
Allem Eines, hg. von Hubert Petersmann. Heidelberg 1984, S. 290–308 (urspr. in:
Wiener Humanistische Blätter 13 [1971], S. 7–24).
12 Dieser Abschnitt ist mit L.s Besprechung des Plautinischen in Aul. IV 1–6
(Kap. 3, S. 83–89) zusammenzunehmen.
288 II. Handlungsgliederung
(2a) Ein griechischer Sklave würde nicht aus Eigennutz gegen das Interes-
se seines verliebten Herrn agieren. (2b) Die Szenenfolge mit der doppelten
Belauschung Euclios durch den Sklaven des Lyconides wirkt unerträglich
plump. – 3. Sklaven: Gibt es überhaupt zwei Sklaven, einen des Megadorus
und einen des Lyconides? – (Zu 4. „Köche“ siehe unten S. 32, Anm. 24) –
5. Euclio: (5a) Er ist im Prolog als geizig präsentiert, im Handlungsverlauf
als mißtrauisch. (5b) Die Aussage der Prologgottheit feci thesaurum ut hic
reperiret Euclio, quo illam facilius nuptum, si vellet, daret (v. 26f.) ist nicht in das
Stück zu integrieren. – 6. Anagnorisis: (6a) Megadorus macht als billiges
Werkzeug des Prologgottes eine zu lächerliche Figur.13 (6b) Die Lyconi-
deshandlung ist in Voraussetzungen und Durchführung schlecht motiviert.
30
30 Beispiele dafür, wie L. mit diesen Anstößen in der konkreten Einzel-
argumentation verfährt, folgen unten. Jedenfalls eliminiert er die meisten
Anstöße, indem er umfangreiche Handlungsteile dem Original völlig ab-
spricht (nicht etwa sie als bloß von Plautus überarbeitet zu restituieren
sucht). So kommt seine Analyse zu folgendem Resultat:14 Was die Haupt-
handlung um Euclio betrifft, stammen alle Szenen(teile) von Plautus und
nur von Plautus, in welchen Euclio mißtrauisch (Anstoß 5a) den Verlust
seines Schatzes befürchtet und erleidet, also vor allem die Szenen der
Konfrontation Euclio/Strobilus beim Tempel (im Original gab es den
zweiten Strobilus gar nicht: Anstöße 2 und 3).15 Überhaupt ließ die grie-
chische Prologgottheit Euclio den Schatz erst im Verlauf des Spiels finden,
im Rahmen einer uns nicht mehr kenntlichen Schatzhandlung, etwa bei
der Peripetie der Nebenhandlung um Phaedrias Vermählung (Anstöße 1
und 5b). Diese Liebeshandlung hat Plautus durch starke Kürzung ebenfalls
unrekonstruierbar gemacht (Anstoß 6): Man erkennt nur, daß Euclio aus
Geiz den reichen Megadorus als Schwiegersohn dessen armem Neffen
Lyconides, der ebenfalls um Phaedria warb, vorzog (5b). Schließlich wurde
Megadorus als Vater von Euclios Ziehtochter Phaedria erkannt und Ly-
conides bekannte sich zu seiner Vaterschaft (Anstoß 6).
Kap. 3 soll komplementär zu Kap. 2 vorwiegend der Erfassung des
eigentlich Plautinischen dienen. L. bespricht (unter 1. Diskontinuität, S. 51–
94) die Aulularia Szene für Szene durch, mit dem Ziel, Plautus’ jeweils nur
auf Augenblickswirkung zielende Handlungsführung nachzuzeichnen.16 Es
13 Von diesem Anstoß ist (siehe Vorwort S. 9) L. zu seiner Analyse angeregt worden.
14 Vgl. das jeweilige „Fazit“ am Schluß der sechs Teilabschnitte.
15 Mit dem Schatzdiebstahl verschwindet notabene aus dem Original auch die bis in
die Neuzeit wirkmächtige paratragodische Klage Euclios um den Schatz und das
berühmte Aneinandervorbeisprechen Euclio/Lyconides über aula und puella.
16 L.s Bemerkungen zu den einzelnen Szenen sind von höchst unterschiedlicher
Qualität, weil sie auf den fraglichen Analyseresultaten von Kap. 2 aufbauen. Z. B.
kann die Gesamtkonzeption der Schatzhandlung kaum unter die Kategorie ‚Dis-
kontinuität‘ fallen.
Rezension E. Lefèvre 289
Sie konnte weder zulassen, daß er erfolglos [aber mit Folgen für
Euclios Seelenruhe] in einen etwaigen Pan-Hain transportiert
wurde, noch, daß Strobilus ihn stahl. Daß die Göttin der Fügung
in diesem Handlungs-Zickzack eine höhere Fügung versteckt
hätte, wird man lieber nicht annehmen21 … (Daher trug Euclio
den Schatz) – wie es überhaupt am nächstliegenden ist [!] – nicht
mit sich herum, raubte der Sklave ihn nicht22 und gab ihn Ly-
32
32 conides auch nicht dem Bestohlenen zurück. 23 Plautus || führt
die Handlung wie so oft gegen jedes εἰκόός.
19 Doxographie bei L. S. 21f. mit Anm. 16–20. Ein für alle Male erwähnt sei, daß die
Anmerkungen zu meinem rekonstruierten Aufbauschema des Geizigen (Primmer:
„Der ‚Geizige‘ bei Menander und Plautus“ [Anm. 7], S. 120ff. [274ff.]) vielfach auf er-
gänzende textinterpretierende und formal-strukturelle Argumente weiterverweisen.
20 Die leichten szenischen Umstellungen, die dabei nötig sind und zugleich eine von
Plautus überbrückte Aktpause restituieren, kennen wir aus Dis exapaton/Bacchides.
21 Ausgerechnet ein Komödiengott darf offenbar nicht ‚auch auf krummen Zeilen
gerade schreiben‘.
22 L. begründet dies anschließend (S. 23f.) mit dem an sich plausiblen Anstoß 2a.
Aber der Sklave konnte bei Menander auch das uneigennützige Motiv haben, den
Brautvater Euclio am sofortigen Beginn der Hochzeitsfeier zu hindern.
23 L. (S. 23): „Der Raub ist nur dazu da, den Adulescens durch die Rückgabe der aula
an Euclio einen guten Eindruck auf diesen machen zu lassen; er hat somit im Blick
auf Lyconides [Genügt nicht der Blick auf Euclio?] nicht eine handlungslogische,
Rezension E. Lefèvre 291
fungen gehören. Die Zuschauer lernen dann Euclio schon in Akt α und β
als achtbaren, wenn auch übertrieben sparsamen Mann kennen, dessen
latenter Hang zum Geiz durch den kürzlich erfolgten Schatzfund aktuali-
siert wurde und sich jetzt als krankhaftes Mißtrauen auswirkt. 27 Seine
Angst um den Schatz ist es auch, was ihn in Aul. II 2 für seine Tochter die
Vermählung sine dote aushandeln läßt, welche Tyches eigentlichem Hand-
lungsziel ebenso fern liegt wie der Bräutigam Megadorus. In den bewegte-
ren Akten γ und δ scheitert Euclios Kalkül: Sein Mißtrauen gegen den
Koch des Hochzeitsmahls zwingt ihn, mitsamt dem Schatztopf aus dem
33
33 Haus zu flüchten (II 8 – III 3). || Aus Mißtrauen gegen eine harmlose Be-
merkung Megadors (III 6, v. 569ff.) deponiert er den Schatz bei Tyche, der
er sowohl Tochter wie Schatztopf ans Herz legt. 28 Als er dann (in δ) bei
einem Kontrollgang im Tempelbereich auf den Sklaven des Lyconides
stößt, der die Hochzeitsvorbereitungen ausspionieren soll, bewirkt aber-
mals sein Mißtrauen, daß der zuvor ahnungslose Sklave hellhörig wird und
ihm dann auch vor die Stadt hinaus nachschleicht.29 Ich breche hier ab,
teils weil jedermann die Schlußwendungen kennt, vor allem aber, weil
bereits nach unseren Retuschen an IV 2f. feststehen sollte, daß Menander
das ganze komisch-ironische Spiel um den sich selbst in Katastrophe und
Läuterung treibenden Geizigen so konsequent durchgeführt hat, wie es
Plautus nie zuzutrauen wäre.
Von der verkürzten Liebeshandlung des Geizigen können wir mit in-
haltsanalytischen Argumenten entscheidende Teile sicher, andere wahr-
scheinlich rekonstruieren bzw. von plautinischer Überarbeitung befreien:
sicher die Sequenzen aus Akt α und β (womit auch der Rahmen abgesteckt
ist, in dem sich sowohl die Charaktere von Lyconides und Megadorus
27 Zur differenzierenden Korrektur des Prologeindrucks siehe bes. v. 106 –117, 171f.,
206, 215f. – Die griechischen Aktbezeichnungen (deren Abgrenzungen in Prim-
mer: „Der ‚Geizige‘ bei Menander und Plautus“ [Anm. 7] begründet werden) die-
nen übrigens hier nur der Übersichtlichkeit, nicht zur Strukturanalyse.
28 Laut v. 385–387 hatte er ja Tyche Weihrauch und Kränze für eine glückliche
Hochzeit darbringen wollen; als er ihr nun auch den Schatz anvertraut, wird der
Zuschauer deutlich daran erinnert, daß sie alle Handlungsfäden zieht.
29 Zur näheren Begründung der Analyse von IV 2f. bzw. der Aktfuge γ/δ, wo das
Dis-exapaton-Beispiel eine bestätigende Rolle spielt, muß ich auf Primmer: „Der
‚Geizige‘ bei Menander und Plautus“ (Anm. 7) verweisen. – Im übrigen fällt hier
eine Entscheidung zu Anstoß 3: Da Euclio den Sklaven des Lyconides in der
Verhörszene IV 4 nicht kennen darf, kann dieser nicht zugleich Sklave des Me-
gadorus sein. Der alte Versuch, Megadorus und Lyconides gemeinsam, also auch
nur mit einem Sklaven, in einem Bühnenhaus wohnen zu lassen (L. S. 26), schei-
tert: Mutter Eunomia kommt von außen zu Megadorus (v. 145) und verabschiedet
sich wieder (v. 175f.); Lyconides’ Formulierung aedes nostras beweist gar nichts,
weil sie in der gelösten Stimmung des 5. Akts fällt. Die Frage, wie die zwei Sklaven
zu dem einen Namen Strobilus kommen, bleibt ungeklärt.
Rezension E. Lefèvre 293
30 Erich Woytek: T. Maccius Plautus, Persa. Einleitung, Text, Kommentar. Wien 1982
(Sitzungsberichte der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-
Historische Klasse 385), S. 48, vgl. Primmer: „Der ‚Geizige‘ bei Menander und
Plautus“ (Anm. 7), S. 78 –80 [233–235]. L. hätte die analytischen Möglichkeiten,
die diese Verse bieten – und auf die inzwischen auch Stockert: „Sull’originalità di
Plauto“ (Anm. 7), S. 17 aufmerksam gemacht hatte – nicht ignorieren dürfen.
31 L.s Kritik (S. 41f.) an Unwahrscheinlichkeiten in der Vorgeschichte geht ins
Leere; diese bleiben innerhalb des Spiels ohne Belang, sind also auch nicht analy-
tisch zu hinterfragen.
32 Analog zum Dyskolos gleich in der ersten Sequenz nach dem Prolog.
33 Daß die Peripetie in δ-Mitte erfolgt, ist communis opinio; vgl. außer L. S. 133,
Anm. 556 z. B. auch (den Primmer-kritischen) Hugh Lloyd-Jones: „The Structure
of Menander’s Comedies“, in: Dionisio 57 (1987), S. 314 (zur Appendix-Natur je-
des bekannten 5. Nea-Akts).
294 II. Handlungsgliederung
der Adelphen. Der größere analytische Gewinn ist, daß hinter den plautini-
schen Witzeleien und Inkonsequenzen der Szene II 1 menandrische Ironie
sichtbar wird:34 Eunomia mochte, um den Verdacht eigennützigen Verhal-
tens von ihrem Sohn abzuwenden, ihrem Bruder raten, selber zu heiraten;
und als dieser sich ‚zufällig‘ entschließt, die arme Nachbarstochter zu hei-
raten, versiegelt ihr das Schweigeversprechen die Lippen.
Zum Abschluß drei weiterführende Hinweise: Die Ergebnisse der In-
haltsanalyse könnten, was den Gesamtverlauf der Menander-Handlung
von Sequenz zu Sequenz betrifft, zusätzlich durch den Nachweis abgesi-
chert werden, daß Personenführung und Aktstruktur allen formalen Regeln
der Nea zwanglos entsprechen. – Gewonnen wird damit eine Komödie,
die den Dyskolos des jungen Menander in jeder Hinsicht übertrifft. – Der
Ertrag für Plautus ist nicht minder beachtlich (und er ist zum Teil L.s
provokanter Problemstellung zu verdanken): Auf gesicherter Vergleichs-
basis, d. h. aufgrund eines verbesserten Kap. 2, könnte Plautus’ Fähigkeit
zur stilistisch einheitlichen Herabstimmung und Reduktion der Doppel-
handlung des Geizigen auf das satirisch-possenhafte Spiel um Euclio und
seine aulula weniger unter dem Hauptaspekt der Diskontinuität, der noch
immer auf die Analyse zielt, sondern positiv und synthetisch gewürdigt
werden.
34 L.s Fehlurteil in Kap. 3 (S. 61) „Es ging ehrbar zu, wie es sich für die γέέροντες
der Νέέα ziemte – gewiß auch etwas langweiliger als bei Plautus“ basiert klärlich –
wie in vielen Fällen, für die ich nur das eine Exempel zitiere – auf seiner mangel-
haften Analyse.
Akte und Spannung: Zur hellenistischen Theorie der
Komödienstruktur bei Aelius Donatus*
***
I. Einige Vorbemerkungen zur Forschungslage in den beiden genannten
Problemfeldern, die uns übrigens bis zum König Ödipus zurückführen werden:
4 τάάσις sollte jedenfalls – wiewohl von Andreas Fuchs (Dramatische Spannung. Mo-
derner Begriff – antikes Konzept. Stuttgart, Weimar 2000 [Drama, Beiheft 11], S. 18f.)
und Gudrun Sander-Pieper (Das Komische bei Plautus. Eine Analyse zur plautinischen
Poetik. Berlin 2007 [Beiträge zur Altertumskunde 244], S. 125) ignoriert – als hel-
lenistischer Terminus für das Phänomen Spannung anerkannt werden (siehe auch
unten Anm. 53). Nichtgräzisten seien vor der Verführung gewarnt, τάάσις von
τάάσσω statt von τείίνω abzuleiten, wie z. B. das Reallexikon der deutschen Literatur-
wissenschaft (hg. von Harald Fricke et al. Berlin, New York 1997–2003) unter
„Protasis“.
Akte und Spannung 297
5 Rainer Jakobi: Die Kunst der Exegese im Terenzkommentar des Donat. Berlin 1996
(Untersuchungen zur antiken Literatur und Geschichte 47), S. 152. – Um ein
mögliches Mißverständnis erst gar nicht aufkommen zu lassen: error ist nicht aus-
schließlich ein ‚singularischer‘ Begriff, der (mit Henry W. Prescott: „The Comedy
of Errors“, in: Classical Philology 24 [1929], S. 32–41, hier S. 35) den (meist aus der
Vorgeschichte stammenden) basic error des Stücks bezeichnen würde, in der
Andria also die „misapprehension regarding the identity of Glycerium“. Denn mit
dem nodus erroris, den die Szene Andria II 4 laut 404, 1 innectit fabulae, zielt Donat
auf die Hauptverwicklung im Stück selbst, also auf die zuerst nur fingierte Zu-
stimmung des Liebhabers zu einer zuerst nur fingierten Hochzeit mit der fal-
schen Braut, aus welcher Fiktion aber plötzlich Wirklichkeit zu werden droht.
Die einheitliche Error-Bezeichnung faßt also alle handlungsrelevanten errores aller
Figuren zusammen, sodaß es zu guter Letzt heißen kann (904, 1 zu V 4): hic omni-
no error omnis aperietur fabulae.
6 So Jakobi: Die Kunst der Exegese (Anm. 5) im Kapitel über die Komik (S. 144–151).
– Man vergleiche übrigens, wie dieselben Hauptelemente des Komischen in der
jüngst erschienenen Arbeit von Sander-Pieper: Das Komische bei Plautus (Anm. 4)
(was den Wortwitz betrifft, natürlich anders akzentuiert) wiederkehren (z. B.
S. 82f.). Auch den entschieden hervorgehobenen und (S. 88–170) – ohne Kennt-
nisnahme von Asmuths (Einführung in die Dramenanalyse, Anm. 2) Kapitel IX
„Wissensunterschiede“ – nützlich traktierten „Zusammenhang zwischen dramati-
298 II. Handlungsgliederung
Akte α β γ δ ε
Sequenzen α1 α2 β1 β2 γ1 γ2 δ1 δ2 ε1 ε2
δέσισ λύσισ
Die wichtigste Information, die das Schema vermitteln will, ist die Fest-
stellung, daß und wie die drei Hauptkonstituentien der Handlungsstruktur
eng miteinander vernetzt sind. Es ist demnach etwa so zu lesen: Das ideale
Nea-Drama besteht (erstens) formal, also seiner äußeren, quantitativen
Gliederung nach aus fünf Akten (α bis ε). Inhaltlich, d. h. im Hinblick auf
die innere Dynamik der Handlung sind wichtig (zweitens) die Sequenzen
und (drittens) die Phasen des plot. Die Sequenzen (die für die Handlungs-
gliederung jedenfalls wichtiger sind als die ‚Szenen‘, z. B. also aus mehre-
ren Szenen bestehen, aber auch mitten in einer Szene enden können) sind
9 Zu den Sequenzen vgl. Primmer: „Die Handlung der Menaechmi“ (Anm. 8), S. 207.
10 Dieser Terminus scheint mir jetzt zweckmäßiger als ‚Teile‘ der Fabel, weil man
bei ‚Phasen‘ doch mehr die Dynamik des Geschehens mithört.
11 Völlig abzulehnen ist Blanchards These (Alain Blanchard: La comédie de Ménandre.
Politique, Éthique, Esthétique. Paris 2007, S. 147), man müsse für die Nea δέέσις und
λύύσις ganz von der Dreiteilung der Phasen abkoppeln und ihre Grenze in γ-
Mitte ansetzen: vgl. dagegen Aristoteles über den Umschwung von Glück zu Un-
glück oder umgekehrt (ein Umschwung, der stattfindet durch Peripetie und
Anagnorisis bzw. zwischen Desis und Lysis) in Kap. 11 und 18 der Poetik.
12 Die Bühne wird bei v. 1086 nicht leer, und das die Peripetie verdeutlichende
Tanzlied besteht auch nur aus einem einzigen Strophenpaar.
Akte und Spannung 301
16 Vgl. Andr. praef. 3, 6 nihil … secus factum est ab antiquis, qui ad hunc modum (nämlich
ohne Leerbühne) Terentianas fabulas diviserunt. Hec. praef. 3, 6 docet autem Varro ne-
que in hac fabula neque in aliis esse mirandum, quod actus impares scaenarum paginarum-
que sint numero, cum haec distributio in rerum discriptione, non in numero versuum consti-
tuta sit, non apud Latinos modo, verum etiam apud Graecos ipsos. Auf die griechische
Hekyra kann sich Varro dabei nicht bezogen haben, wie die Quellenanalyse be-
weist (vgl. dazu vorläufig das Szenario in der Beilage). Die Richtigkeit meiner Re-
konstruktion vorausgesetzt, hat Apollodors Akt α einen Umfang von etwa 140+x
Versen (insgesamt vielleicht 200), β von 211, γ von 168, δ von 222 und ε von
82+y (insgesamt vielleicht 160) Versen (die Zahlen gelten natürlich u. a. auch
deswegen nur annähernd, weil Terenz auch im Kleinen vom Original abweicht).
Das führt also nur auf eine Bandbreite zwischen ca. 160 und 220 Versen pro Akt.
Die Terenzakte sind laut Donat 140 – 83 – 235 – 283 – 82 Verse lang, also viel
ungleichmäßiger. – Zur ungleichen Aktlänge vgl. auch Ad. praef. 1, 4*; 3, 7.
17 Euanth. de com. 3, 1 unterstellt übrigens (vgl. auch Eun. praef. 1, 5*) die drohende Ab-
wanderung des Publikums als Motiv für die Abschaffung der Chöre (= der Aktpau-
sen) bereits Menander. – Seine Formulierung ut Menander fecit hac de causa, non ut alii
existimant alia wendet sich offenbar gegen einen besseren Kenner der griechischen
Verhältnisse, wahrscheinlich Aemilius Asper – dazu vgl. unten bei Anm. 81f.
18 Vgl. die merkwürdigen Rezepte dazu in Andr. praef. 1, 3 (maximal fünf Auftritte
einer Person pro Komödie); 3, 6 (siehe Anm. 16).
Akte und Spannung 303
24 Vgl. etwa Pans Wirken im Dyskolos (v. 34–44, 407–417) oder die Ankündigung
des Handlungsziels und seiner vorläufigen Erschwernis in Plaut. Aul. v. 25–33,
271–277 et al.
25 Wenigstens in der Anmerkung ist zu erwähnen, daß Donat die Begriffe error und
periculum comicum – jenseits der Rubriken des Tractatus Coislinianus, die Jakobi: Die
Kunst der Exegese (Anm. 5), S. 148–151 richtig darstellt – auch unbefangen im
Sinne der peripatetischen Poetik verwendet. Diese hatte sie zur Unterscheidung
von Tragödie und Komödie, tragischen Helden und ‚komischen‘ Figuren einge-
setzt, ausgehend von Aristot. Poet. c. 5 und 11: Gemäß 1452b12 erfährt der Held
der Tragödie durch seine ἁµμαρτίία (cf. c. 13, 1453a10) ein πάάθος, das eine πρᾶξις
φθαρτικὴ ἢ ὀδυνηράά ist. Und laut 1449a32 ist das γελοῖον der komischen Figuren
(auch der Hauptgestalten!) ein ἁµμάάρτηµμα καὶ αἶσχος ἀνώώδυνον καὶ οὐ φθαρτικόόν.
Die Opposition zwischen ‚vernichtender‘ und ‚ungefährlicher‘ Bedrohung kehrt
wieder in Theophrasts Definition der Tragödie und Komödie nach Diomedes
gramm. I 487, 11 tragoedia est heroicae fortunae in adversis comprehensio; a Theophrasto ita
definita est: τραγῳδίία ἐστὶν ἡρωικῆς τύύχης περίίστασις und 488, 3 comoedia est priva-
tae civilisque fortunae sine periculo vitae comprehensio, apud Graecos ita definita: κωµμῳδίία
ἐστὶν ἰδιωτικῶν πραγµμάάτων ἀκίίνδυνος περιοχήή. Neben ἀπάάτη ist also auch Aris-
toteles’ ἁµμάάρτηµμα ein Vorläufer des error, und pace Prescott („The Comedy of
Errors“ [Anm. 5], S. 39 „So far as Aristotle is concerned, the Poetics contains no
occurrence of κίίνδυνος or synonymous expressions as part of the theory of trag-
edy“) ist Aristoteles’ ἀνώώδυνον der unverkennbare Vorläufer von ἀκίίνδυνος.
26 Vgl. unten im Text nach Anm. 30 und bei Anm. 39–40.
27 Jakobi: Die Kunst der Exegese (Anm. 5), S. 113–117 bespricht nur die elegantia
verborum.
Akte und Spannung 305
(1) Die Protasis ist der erste Teil der (von den Schauspielern dargestell-
ten 28) Handlung, in welchem Vorgeschichte und Handlungsinhalt
teilweise expliziert, teilweise aber verschwiegen werden, um die Er-
wartung des Publikums wach zu halten.
(2) Die Epitasis ist die Phase der Handlungsverwicklung, deren feine
komische Wirkung sich ‹dadurch, daß Irrtum und Ungewißheit al-
le verwirren,› verknüpft und verdichtet.
(3) Die Katastrophé bringt die volle Klärung der Komödienhandlung, in 414
414
welcher der (gute) Ausgang die Zustimmung des Publikums gewinnt.
Kurz zur Gestaltung des Textes. In der Erklärung der Epitasis muß ein
Überlieferungsfehler stecken, das zeigt schon der vom Pädagogen Donat
sichtlich angestrebte Parallelismus in den Aussagen: Die griechische Be-
nennung der drei Phasen wird jeweils durch eine lateinische aufgenom-
men, als primus actus / involutio / explicatio der Handlung. Der folgende
Relativsatz, der die Termini stufengemäß mit Inhalt füllt, bezieht sich
darum auf die neuen Namen, nicht auf das Genetivattribut fabulae oder
argumenti.29 Leos Änderung qua eius beseitigt den formalen Anstoß, ist aber
paläographisch nicht einfacher als die Ausfüllung einer durch Augen-
sprung entstandenen Lücke, und inhaltlich unbefriedigend: die Aussage,
daß die Verwicklungsphase die Eleganz der Handlung bewirkt (‚ver-
knüpft‘?), wirkt inhaltsleer, wenn man sie mit den einschlägigen Bemer-
kungen Donats zur Andria vergleicht,30 aus denen hervorgeht, daß die
‚Eleganz‘ der Verwicklungsphase durch error oder periculum zustande
kommt, in welche die Personen des Spiels geraten. Die Konkurrenz mit
28 actus steht im Kontrast zur dictio des Prologs (vgl. 7, 2 prologus est prima dictio …,
antecedens veram fabulae compositionem elocutio).
29 Unrichtig also z. B. Elfriede Klien-Paweletz: Aelius Donatus als Kritiker der Komödien
des Terenz. Dissertation, Universität Innsbruck 1948 (S. 41: Verwicklung des Inhalts,
wobei dessen Feinheit verknüpft wird) oder Blanchard (La comédie de Ménandre
[Anm. 11], S. 42: „l’embrouillement de l’action nouée avec raffinement“).
30 Siehe unten im Text (z. B. Andr. praef. 2, 1; Andr. 404, 1; 412, 2, bes. 625, 1 mit
Anm. 39f.).
306 II. Handlungsgliederung
periculum gewinnt für die versuchte Ergänzung der Lücke der error zumin-
dest aus Stilgründen: der fast sprichwörtliche nodus erroris paßt besser zu
conectitur.
Nun zur Sachfrage, wie sich Donats auf Terenz bezogenes Schema
bei seiner Besprechung der Andria-Struktur auswirkt. Die Kontrolle fällt
nicht schwer, weil wir zum Glück die entsprechende Menander-Struktur
(die in Grundzügen erkennbar ist) mit Donats Leseanweisungen zu Beginn
jeder Szene vergleichen können; der Leser wird nur um Geduld und Ver-
ständnis für die notwendigerweise ins Detail gehende Beobachtung der
Binnenstrukturgrenzen gebeten – deren Problematik Donat der modernen
Literaturtheorie weitervererbt hat (vgl. unten Anm. 36). Menanders Andria
entfaltet ihre Handlungsdynamik und -komik aus dem Grundkonzept (auf
das ein Prologgott das Publikum gewiß vorinformierend eingestimmt hat-
te), daß Pamphilus der Einlösung seines ernst gemeinten Heiratsverspre-
chens (wofür allerdings noch die Anagnorisis seiner Geliebten als Tochter
des Chremes nötig sein wird) erst auf dem typischen Komödienumweg
nahe kommt, daß er der – von seinem Vater als fiktiv geplanten – Hoch-
zeit mit einer anderen Tochter des Chremes seinerseits bloß fingiert zu-
stimmt.31 Menanders Epitasishöhepunkt besteht natürlich darin, daß aus
der Fiktion der ‚falschen‘ Heirat bitterer Ernst zu werden droht, und die
Katastrophé zeichnet sich ab, als es gelingt, Chremes zu überzeugen, daß
Pamphilus die von ihm verführte Geliebte heiraten müsse. Das geschieht
in der Szene IV 4, die also bei Menander die Peripetie von Epitasis zu
Katastrophé bewirkt – analog zu der ‚Brückenszene‘ (II 4f.), wo Pamphilus
der Hochzeitsfiktion zustimmt. 32
415
415 Donat hebt nun die Signalfunktion, die die Brücken- und die Peripe-
tieszene bei Menander haben, im ersten Fall sehr deutlich hervor (404, 1
zu II 4): haec scaena nodum innectit erroris fabulae et periculum comicum; im zwei-
ten war ihm am Terminus Katastrophé offenbar der Aspekt der ‚Wende‘33
gegenüber dem ‚Ende‘ weniger wichtig, auf dessen späteren Eintritt er
bereits zu III 3 (wo die beiden Väter die falsche Hochzeit vereinbaren)
aufmerksam macht.34 Die Akzentverschiebung gegen Menander hängt
31 Zu den zwei Hochzeiten und zur Ankündigung des Prologgotts vgl. die Aulularia,
wo der Prologgott auch, damit die Ehe mit dem richtigen Bräutigam ‚leichter‘ zu-
stande kommt, zuerst dessen Onkel vorschiebt.
32 Tatsächlich endet ja β bei Menander knapp nach II 5, siehe oben Anm. 19.
33 Vom Wendeaspekt spricht er nur ‚undogmatisch‘ und zu früh, ohne auf πεκ zu
verweisen, schon anläßlich der Handlungskrise in III 4 (580, 2): hic locus est, in quo
iam ad discrimen mali perducta comoedia in meliorem partem iam incipit (!) inclinare.
Ähnlich verfrüht: Phorm. v. 534.
34 533, 1 haec congressio duorum senum ad tale periculum adigit fabulam, ut id non videatur
consilio, sed eventu posse vitari. Die Fortsetzung qui eventus est Critonis praesentia; nam
nunc ex falsis fient verae nuptiae soll wohl (trotz der Tempora est und fient) besagen:
Akte und Spannung 307
Mit diesem ‚glücklichen Zufall‘ meine ich die späteren Auftritte Critos; denn jetzt
ist ja die falsche Hochzeit im Begriffe, Realität zu werden.
35 Zu I 1 übertreibt Donat sogar, wenn er (28, 2) die fundamenta fabulae schon hier so
gelegt sehen will, daß periocham comoediae populus teneat. Korrekter zu I 3: da beur-
teilt er nicht nur eingangs (206, 1) Davos’ deliberatio im Ganzen als eine Problem-
vorschau magna expectatione (!) populum rerum imminentium commotura, sondern er-
gänzt dann auch noch seine Bemerkung von 28, 2: (220, 1) argumenti partem (sc.
alteram) narrat, (221, 1) modo totius summa argumenti (summae argumentum trad.) populo
narratur.
36 Zitate aus Asmuth: Einführung in die Dramenanalyse (Anm. 2), S. 104. Donats
Schwanken zwischen der längeren Protasis, die zwei Menanderakte umfaßt, und
der kürzeren, die maximal den ersten Akt abdeckt, wiederholt sich übrigens an-
scheinend bei Asmuth diachron. In der Einführung von 1980 formuliert er noch
so vorsichtig, daß die ‚lange‘ Protasis möglich bleibt. Im Artikel „Exposition“ des
Reallexikons (Anm. 4) aus 1997 sind Protasis und erster Akt gleichgesetzt.
37 Siehe 172 zu I 2; 236, 1 zu I 5; 301, 1 zu II 1; 338, 1 zu II 2.
38 Donats Bemerkungen zur Expositionstechnik im Eunuchus sind in doppelter
Weise dazu analog. Erstens bezeichnet πρόότασις von vornherein nur die Szenen
I 1 und 2, also die engere Exposition. Denn Eun. 28, 2 kündigt er an, daß die
Protasis vorführt, quam sapiat qui non amat neque aliter affectus est. Das heißt:
Parmeno ist in I 1 vernünftiger als der verliebte Phaedria, macht sich aber, wie I 2
zeigt, als aliter affectus eines Fehlurteils über Thais schuldig. (Der enge Protasis-
begriff ist auch Phorm. praef. 1, 8 belegt.) Zweitens ergänzt auch Thais – wie Da-
308 II. Handlungsgliederung
416
416 Auch die Unklarheiten im Bereich Epitasis/Katastrophé sind von
Donat selbst verursacht, und zwar durch seine an sich berechtigte Bewun-
derung für Terenz’ Fähigkeit, die raffinierte Verknüpfung, die elegans per-
turbatio, der menandrischen Handlungswirren nachzubilden und durch die
zweite Liebeshandlung aus der Perinthia noch zu bereichern. Lassen wir
einmal die Texte sprechen:
– Andr. praef 2, 1 Simo, Pamphili pater, dum per falsas nuptias temptat
animum Pamphili, multis dolis a Davo ipse deluditur servo, periculumque
Charini et Pamphili et totus error inenodabilis usque ad eum finem est duc-
tus, dum Athenas veniens Andrius quidam Crito rem aperiat et nodum
fabulae solvat.
– 412, 1 (zu II 5) vide quam mire, cum omnes consulto consilio sibi agere
videantur, omnes tamen rerum exitu inopinato ludificentur, et Simo et
Pamphilus et Davus et Charinus et ipse Byrria.
– 625, 1 (zu IV 1) elegans perturbatio, in qua inter se Simo, Davus, Pam-
philus, Charinus, Byrria, Chremes, omnes omnibus redduntur offensi.
vos in Andr. I 3 – zuletzt die Exposition durch einen Vorverweis auf die Anagno-
risis (zu v. 197): recte Thais nunc partem argumenti exsequitur, tacitam apud Phaedriam
propter praesentiam servi, quem poeta vult ita nescire (hier geht es also um den error einer
Figur), ut audeat ad vitiandam virginem subornare Chaeream.
39 Nicht ganz sicher ist als Parallele de com. 6, 5: Anders als die comoediarum formae der
palliatae und togatae sind Atellanae salibus et iocis compositae, quae in se non habent nisi
vetustatum elegantias.
40 Zu omnes (v. 412 und 625) cf. auch Terenz selbst (Andr. v. 601, Davos): iam
perturbavi omnia.
41 Donat weiß sehr wohl, daß erst Terenz zwei von ihnen (Charinus und Byrria)
addidit fabulae (301, 2).
Akte und Spannung 309
Irrungen und Wirrungen reicht bis in die ersten Szenen von V,42 und erst
in V 4 omnino error omnis aperietur fabulae (904, 1). Gewiß, Crito, die persona
ad catastropham machinata (796, 1), war schon in IV 5 einmal aufgetreten;
aber es kommt doch erst in V 4 richtig so weit, ut res progredi ad catastro-
pham possit (915, 4).
Es hat natürlich einen tieferen Grund, daß Donat die Gliederungs-
funktion von Peripetie und ursprünglichem Katastrophébeginn etwas
herunterspielt. Menander || pflegte seinem Publikum zu suggerieren, daß 417
417
die unvollkommenen, aber doch liebenswerten Hauptgestalten seines ko-
mischen Spiels sich in einem von einer wohlwollenden Gottheit be-
herrschten Spielraum bewegen.43 So mag in der griechischen Andria der
Prologgott angedeutet haben, wie viel Pamphilus’ Geliebte Glycerium der
Hetäre Chrysis noch nach ihrem Tod zu verdanken hat: Der Liebhaber,
der seine Verantwortung erst zu übernehmen lernen muß, hatte der ster-
benden Chrysis versprochen, Glycerium zu heiraten (v. 282ff.). Bei Chry-
sis’ Begräbnis wurde dann Pamphilus’ Liebesverhältnis publik, worauf
Chremes dessen geplante Hochzeit mit seiner (anderen) Tochter absagte.
Daraus entspinnen sich nun in Protasis und Epitasis die doli von Vater und
Sohn, bis Glyceriums Anagnorisis durch Crito, der wiederum als Erbe der
Chrysis nach Athen kommt, ermöglicht wird. In der götterfreien Komödi-
enhandlung des Terenz/Donat stehen einander hingegen nur mehr die
error-behafteten consilia der Menschen und das consilium des Dichters ge-
genüber, das der Zuschauer als casus, als bloßen Zufall erlebt.44 Der Zufall
wirkt vordergründig eben nur als zufälliges Handlungselement in der Reihe
der perturbationes.
Donats Handlungsgliederung bzw. seine Verwischung der Epitasis-
Katastrophé-Grenze hält sich also durchaus an den Text seines römischen
Dichters – sodaß auch wir, wenn wir Terenzstrukturen beschreiben wol-
len, vielleicht von ihm lernen könnten. Sollten wir uns zum Beispiel von
ihm anregen lassen, analog zur ‚Exposition im engeren Sinn‘ auch den
Begriff der ‚Katastrophé im engeren Sinn‘ einzuführen, der sich strikt auf
jene Szenen bezieht, in denen das in der Vorgeschichte oder/und der Ex-
III. Der Euanthiuspassus in de com. 4, 5 ist gewiß eines der Vorbilder von
Donats 7, 4; um dies – und zugleich den Unterschied zwischen den beiden
Texten – nachzuweisen, wollen wir seine Eigenheiten in Stil und Inhalt
sowie seine Verwendung und Umsetzung in Praefationes und Kommentar
genauer unter die Lupe nehmen.
Die Protasis ist der Beginn der gespielten Handlung, der Eintritt
ins dramatische Geschehen;
die Epitasis (bringt) Anwachsen und Fortschreiten der Verwirrung,
sozusagen die Verknotung der ganzen Irrtumshandlung;
45 Und steht vielleicht auch Holzberg mit der bevorzugten Behandlung von Exposi-
tions- und Lösungsakt zum Teil noch unter dem Einfluß dieser Donattradition?
46 Hec. 825, 2.
47 Bemerkenswert ist eben, daß Terenz in der Hecyra gerade in α und ε gekürzt hat,
wie mein Apollodor-Schema im Anhang (vorläufig leider ohne Beweis) illustriert. (Zu
„Inhalt und Aufbau“ der Hecyra bei Terenz und zum derzeitigen Forschungsstand
vgl. inzwischen Kruschwitz: Terenz [Anm. 22], S. 117–138; quellenanalytisch extrem
Eckard Lefèvre: Terenz’ und Apollodors Hecyra. München 1999 [Zetemata 101]).
Akte und Spannung 311
die Katastrophé ist die Umwendung der Ereignisse zum allgemeinen happy ending,
wobei sich allen die Einsicht ins Gesamtgeschehen eröffnet.
Die Interpretation dieses Textes nehmen wir am besten in Angriff mit der
Beobachtung, daß Euanthius sich zu Terenz’ Prolog- und Expositions-
technik in zwei deutlich aufeinander bezogenen Aussagen geäußert hat, in
de com. 3, 2 und am Anfang von 4, 5. Der Passus 3, 2 besagt, wenn man
den Text der ersten Zeile richtig konstituiert 48 (meine Paraphrase berück-
sichtigt auch, daß Euanthius hier wie im ganzen Kapitel 3 die virtutes, die
Sonderleistungen, des Terenz im Auge hat):
a) Terenz hat – was es bei den Griechen überhaupt nicht gibt, 419
419
wohl aber bei den Römern 49 – Prologsprecher, die ähnlich
wie Redner, d. h. Sachwalter agieren.
b) Terenz allein setzt, im Unterschied zu den anderen Römern
und den Griechen, nie Prologgötter ein.
c) Zum Ersatz verwendet er für die Exposition häufiger als
andere ein πρόσωπον προτατικόν.
48 Dazu hat sich Friedrich Leo (Plautinische Forschungen. Zur Kritik und Geschichte der
Komödie. 2. Aufl. Berlin 1912, S. 224f.) den Weg verbaut mit der Annahme, es ha-
be schon bei den Griechen personifizierte Prologsprecher (prōlogi) gegeben; vgl.
aber Wilamowitz: Menander: Das Schiedsgericht (Anm. 8), S. 144f. Auch Wessner hat
leider Fritz Schoells Graeci prologos non habent more oratorum (für nostrorum), quos La-
tini habent – m. E. eine coniectura palmaris – nicht in den Text gesetzt. Schoell kann
sich für den Wortlaut auf Haut. v. 11f. (oratorem esse voluit me, non prologum; vostrum
iudicium fecit, me actorem dedit) und Hec. v. 9 (orator ad vos venio ornatu prologi) berufen;
noch stärker wiegt der Sachbezug, denn gerade diese beiden Prologe wurden be-
kanntlich von Ambivius Turpio, dem Leiter der Truppe, vorgetragen, den Terenz
ex poetae et ipsius fabulae et actoris (dazu Anm. 50) commodo argumentieren ließ.
49 Neben Plaut. Asin., Capt. (usw.) vgl. auch Amph. v. 26–31.
50 Der actor (im Singular) kann nur den Schauspielunternehmer meinen; ein junger
Schauspieler (der laut Haut. v. 1f. für gewöhnlich als Prōlogus auftritt) dürfte nie
zu seinem eigenen Vorteil (ex actoris commodo) sprechen. – NB.: Der Rückbezug
auf 3, 2 beweist übrigens zusammen mit der späteren Verwendung durch Donat
(dazu siehe unten z. B. bei Anm. 60–63, 69), daß 4, 5 echter Euanthius ist.
312 II. Handlungsgliederung
51 Durch das nicht exkludierende praeter bezieht Euanthius geschickt auch Donats
Typ des prologus mixtus, omnia haec in se continens (7, 2) mit ein.
52 Hätte Donat nämlich ac totius eqs. als anreihend verstanden, dann hätte er nicht
den nodus erroris schon auf den Epitasisbeginn in der ‚Brückenszene‘ der Andria
bezogen.
53 Leos schiefe Urteile zu 4, 5 und 7, 4 (Plautinische Forschungen [Anm. 48], S. 232–235)
sind wohl die verba magistri, die die τάάσις für viele Gräzisten zum Unthema gemacht
haben. Gegen Leo vertragen sich aber fünf Akte und drei Fabelphasen miteinander,
und πρόότασις darf nicht unter Berufung auf die Spätstufe des Theorems bei Donat
vom Verbum προτείίνω ‚ein Problem vorlegen‘ abgeleitet werden. Der Grieche, der
– von Sophokles und Menander belehrt – die Desis des Aristoteles nochmals in
Protasis und Epitasis unterteilte, ging schlicht und einfach vom Substantiv τάάσις aus.
Akte und Spannung 313
dessen, quod de arte comica (der νέέα κωµμῳδίία) in veterum cartis retinetur (2, 7),
seinerseits die Terentianas virtutes darstellen (3, 5); in neuerer Diktion: er
will aus der literarhistorischen Entwicklung (auf der Linie ‚von Menander
bzw. Plautus zu Terenz‘54) und aus der Dramentheorie (welche zwischen
Tragödie und Komödie55 und zwischen den Unterarten des Genos Komö-
die56 differenziert) verschiedene Kategorien und Rubriken für die kritische
Würdigung von Terenz’ künstlerischen Leistungen gewinnen. In diesem
Sinn, um als grammaticus sein iudicium vorzuführen, charakterisiert er also
vergleichend und differenzierend die Komödien unter anderem auch etap-
penweise von Handlungsphase zu Handlungsphase. Einer von den Aspek-
ten, unter denen er die Phasen betrachtet, kann dabei natürlich die Kunst
der genosadäquaten Handlungsentwicklung selbst sein, wie z. B. in der
Andria, deren πεκ-Schema wir oben schon diskutiert haben.57 Ein anderes
Beispiel: in der Hecyra berücksichtigt Euanthius den originellen Einsatz der
unkonventionell agierenden Charaktere. In hac πρόότασις turbulenta est, ἐπίί-‐‑
τασις mollior, lenis καταστροφήή: So würde er nicht formulieren, wenn er
sich bloß an seine eigene Kurve von Spannung und Lösung hielte, die er
vorher zur Fixierung der Phasengrenzen gebraucht hatte.58 Denn die Epi-
tasis,59 die || von III 3 bis IV 4 reicht,60 ist komplikationsreich genug, daß 421
421
man sie für turbulentior als die Protasis halten möchte. Euanthius und Donat
verweisen aber auf die neuartigen Charaktere: praef. 1, 9 in tota comoedia hoc
agitur, ut res novae fiant …: inducuntur enim benivolae socrus,61 … lenissimus in
uxorem maritus et idem deditus matri suae,62 meretrix bona.63 Die Epitasis ver-
dankt also das Epitheton mollior wohl dem ungewöhnlich liebevollen Ver-
halten des Pamphilus und seiner Mutter; und warum man die Katastrophé
lenis nennen kann, erklärt Donat gleich zu ihrem Beginn (727, 1): rarus hic
vitae color … miscetur a poeta, nam meretrix loquitur et senex, et quod est admira-
bilius, bona meretrix, mitis senex.
Man wird wohl – allein schon deswegen, weil sich jeder Kommenta-
tor notwendig Erkenntnisse seiner Vorgänger aneignet – auch bei gründ-
lichstem Durcharbeiten der Donatmasse meist nicht sicher zwischen den
Kunsturteilen Euanths und Donats unterscheiden können. Aber für das
Dreiphasenschema selbst sehen wir jetzt doch klar, was bei Donat neu ist,
und daß Euanthius einer ursprünglich griechischen Quelle, die die zwei
Spannungsstufen der ansteigenden Handlung erstmals unterschieden hatte,
mit seiner Erklärung von πρόότασις und ἐπίίτασις näher bleibt. Daß diese
Annäherung noch beträchtlich weiter zurück verfolgt werden kann, davon
bin ich im Verlauf meiner Arbeit selbst überrascht worden.
***
Programm 1905]; voll rezipiert in: Handbuch der lateinischen Literatur der Antike, hg.
von Reinhart Herzog und Peter Lebrecht Schmidt. Bd. 4: Die Literatur des Um-
bruchs: von der römischen zur christlichen Literatur; 117 bis 284 n. Chr., hg. von Klaus
Sallmann. München 1997, § 443 B1) als einziger Vermittler griechischer Original-
literatur an Euanth/Donat in Betracht (vgl. auch unten bei Anm. 81f.). – Den
griechischen Urheber des Schemas nenne ich einfach den Peripatetiker, weil er
offensichtlich die Aristotelestradition fortführt. Vgl. dazu weiter Anm. 83.
65 Liv. 40, 55, 3f.: intellexisse videor magno te aestimaturum, si scire vera omnia possis de filiis
tuis, uter ab utro petitus fraude et insidiis esset. homo unus omnium, qui nodum huius erroris
exsolvere possit, in potestate tua est.
66 Hor. ars p. v. 191f.
316 II. Handlungsgliederung
die Katastrophé bringt die Wende zum allgemeinen guten Ausgang, wobei
sich (nach und nach) allen das Verständnis für die ganze Handlung
eröffnet.
67 Zu der Frage, warum der Übersetzer Asper drama im prägnanten Sinn des ‚eigent-
lichen Dramas‘ verwendet, kann ich nur vermuten, daß er wohl eine Parallele zu
der Dreiphasenteilung der Tragödie vor sich hatte, die Donat Ad. 288, 1 zitiert:
tragoedia in tria dividitur, exspectationem, gesta, exitum; da bezeichnet gesta in ähnlicher
Weise die ‚eigentliche‘ πρόότασις.
68 Das ‚crescere‘ des ersten Epitasisteils übertrifft dabei selbstverständlich das
‚initium‘ des Protasisschlusses.
69 Der Fall liegt also anders bei Donats schon mehrfach zitiertem haec scaena nodum
innectit erroris fabulae (Andr. 404, 1 zum Epitasisbeginn) oder bei Euanthius’ auf die
gesamte Epitasis abzielendem ‚sozusagen die Verknotung der ganzen Epitasis-
handlung‘.
Akte und Spannung 317
tigen mußte,70 war natürlich die regelmäßige Aktgliederung der Nea. Daß
er sich durch die Fünfzahl der Akte doch nicht hindern ließ, die Desis und
Lysis zur Dreizahl von πεκ zu erweitern, kann nur bedeuten, daß ihm
(mindestens zum Teil) die innere Dramaturgie der Handlung wichtiger war
als ihre äußere Gliederung durch die χοροῦ-Pausen, welche u. a. bekannt-
lich den Nea-Autoren Gelegenheit zur Wahrung des Zeit-πιθανόόν boten
bzw. das Publikum zur neugierigen Besinnung anregten, wie das Spiel
wohl weiterlaufen werde.
Eine Stelle, an der mit Sicherheit ein Phasenwechsel innerhalb des
Aktes eintrat, ist heute allgemein bekannt und von der communis opinio
akzeptiert (auch in unseren Aufbauanalysen von Ödipus, Epitrepontes und
Hekyra exemplifiziert): der Umschwung von Epitasis zu Katastrophé mit-
ten in δ. Wenn es darüber (wie man vermuten darf) eine direkte Äußerung
des Peripatetikers gab, dann ist diese durch das Desinteresse der Römer
verloren gegangen.71 Aber ein fast ebenso beredtes indirektes Zeugnis
blieb erhalten, nämlich seine schon erwähnte innere Differenzierung der
Phasen in Handlungsteile oder Sequenzen. Zumindest für die Epitasis
unserer drei Dramenexempel kann ich es nicht für Zufall halten, wie tref-
fend die Steigerung und || Intensivierung des dramatischen Geschehens 424
424
von γ1 über γ2 zu δ1 durch incrementum/processus/nodus erroris beschrieben
wird. Ebenso wenig zufällig ist es aber auch, daß den drei Sequenzen bzw.
eineinhalb Akten der Epitasis wieder drei Sequenzen bzw. eineinhalb Akte
der Katastrophé folgen. Wir haben daher unseren Peripatetiker wohl nicht
überinterpretiert, wenn wir seine Sequenzengliederung als Mittel der Ver-
netzung von Akt- und Phasenstruktur verstehen.
Den letzten und stärksten Beweis dafür, daß er die Phasenstruktur eben
als aktübergreifend beschreiben will, liefert uns m. E. seine Behandlung
der Protasis. Hier scheint es zwar fürs erste beunruhigend, daß primus actus
und initium dramatis weder untereinander noch am Ende zur Epitasis hin
ohne weiteres als Sequenzen abgrenzbar sind. Relativ einfach geht es noch
am Anfang mit dem prologus. Der Prologteil der griechischen Nea bietet ja
mit seinen episch-narrativen Elementen (v. a. des Götterprologs) dem
Dichter die Möglichkeit, dem Publikum alles mitzuteilen, was er funktio-
nal-dramaturgisch für den Anfang des Spiels braucht. 72 Da er also die
‚engere Exposition‘ in diesem funktionalen Sinn 73 im Prologteil vollständig
unterbringt, ist der prologus vom folgenden primus actus unschwer zu unter-
scheiden, in welchem nun die Exposition im weiteren Sinn einsetzt, also
‚die Hauptpersonen einschließlich ihrer Interessen und ihrer Beziehungen
zueinander‘ in ihren ersten Aktionen vorgestellt werden. Wenn man diese
selbstverständliche Funktion des so genannten primus actus berücksichtigt
(den wir nur nicht mit neuzeitlichen Lesern als den ‚ersten von fünf Akten‘
mißverstehen dürfen) bzw. wenn man sich einige Nea-Exempel für die
Schluß-Szenen von α und die ersten Sequenzen von β ins Gedächtnis ruft,
erkennt man leicht, a) daß die ‚weitere Exposition‘ über die Aktgrenze α/β
hinwegreichen kann, also daß der erste Aktschluß die Protasis nicht unter-
bricht oder beendet, und b), daß es innerhalb der ersten β-Szenen oder
von ihnen ausgehend ohne große Spannungssteigerung zu einer weiteren
Teilhandlung kommen kann, die sich allmählich zum initium dramatis ent-
wickelt, d. h. als unmittelbare Vorbereitung der Epitasis fungiert. In den
Epitrepontes z. B. lernt das Publikum nach der Exposition (α1 und α2, bis
zum Götterprolog) zunächst Chairestratos, Habrotonon und Smikrines
kennen, und ohne daß die erste Aktpause von größerer dramaturgischer
Bedeutung wäre, wird es in β1 bei Smikrines’ Wiederauftritt ergänzend
über die Loyalität der stillen Hauptheldin Pamphile zu Charisios infor-
miert.74 Die folgende Schiedsgerichtsszene bringt zweifellos Neues, indem
der Großvater die Anagnorismata Syriskos, dem Betreuer seines Enkels,
zuspricht; aber ist die Frage angemessen bzw. entscheidbar, ob wir da
425
425 noch in der Exposition oder eher schon in der Epitasisvor-||bereitung
sind?75 Sicher ist immerhin, daß die Szene β3, in der Onesimos den Ring
des Charisios erkennt, die Brücke zur Epitasis schlägt; hier spätestens muß
ja allen Zuschauern klar sein, daß die Handlung sich jetzt in Richtung
Anagnorisis bewegt – nein, bewegen könnte, wenn Menander die Epitasis-
komplikationen nicht aus dem Zögern des Onesimos entwickeln wollte.
Hier, am Ende von β, betont er darum die Aktpause ganz bewußt (läßt er
doch Onesimos sogar andeuten, daß er den Ring Charisios ‚vielleicht erst
morgen‘ zeigen wird76): Die Zuschauer sollen und werden sich an dieser
Pausenstelle – am Protasisschluß – fragen, auf welchem Umweg der Dichter
nun die Handlung nach der auffälligen Blockade der Anagnorisis weiter-
führen wird.
Unversehens hat uns der β-Schlußeffekt der Epitrepontes zu der letzten
scheinbar offenen Systemfrage geführt, wie unser Peripatetiker wohl die
Brückenszene β3 in das Dreiphasenschema eingeordnet haben mag. Wer
von Donat her rein dramaturgisch-inhaltlich denkt, ist ja bereit, die Szene
einfach zur Epitasis zu schlagen;77 aber das widerspricht offenbar Menan-
ders Gestaltungsabsicht. Gewiß, die Epitrepontes können ein Sonderfall sein,
dem sich andere β-Schlüsse Menanders entgegenstellen ließen, z. B. der
des Dyskolos.78 Da aber unser Peripatetiker solche Gegenbeispiele sicher in
größerer Zahl kannte als wir sie je kennen werden, fällt es umso stärker ins
Gewicht, daß er das initium dramatis, das erregende Moment, ausnahmslos
und per definitionem zur Protasis zählt. Mit anderen Worten: Es gibt ge-
wiß viele Möglichkeiten der Handlungsüberleitung Protasis/Epitasis, von
dramatisch auffälligen bis zu dezent leisen; und wenn der Peripatetiker
diese alle als Protasisabschluß akzeptiert (weil ja z. B. auf den piano-Schluß
im zweiten Akt der Samia zum Ausgleich γ1 sozusagen mit einem Pauken-
schlag beginnen kann), dann kommen wir nicht ohne die Annahme aus,
daß der griechische Theoretiker zur Abgrenzung der Protasis ursprünglich
auch auf den Aktschluß β/γ hingewiesen haben muß.79
Es ist ja überhaupt unwahrscheinlich, daß der römischen Debatte
über die Festlegung der Akte80 nicht griechische Äußerungen über deren
Funktion vorausgegangen wären; und ein Hinweis darauf scheint mir auch
bei Aemilius Asper erhalten. P. Wessner hat in seiner Sammlung der Asper-
Fragmente81 darauf hingewiesen, daß || Donat gern Aspers sich auf Grie- 426
426
chisches berufende Kritik an Terenz anonym zitiert, um ihr dann zu wi-
dersprechen.82 Sollte dann nicht auch in der folgenden Äußerung Euanths
über die Aktpausen Asper gemeint sein? (Ich paraphrasiere de com. 3, 1):
‚Das verwöhnte und anspruchsvoll gewordene Komödienpublikum begann
während der Zwischenaktsmusik abzuwandern, und nicht erst Terenz, son-
dern schon Menander hatte genau diesen Grund, die Chöre zu streichen,
nicht, wie andere meinen, einen anderen (ut Menander fecit hac de causa, non
ut alii existimant alia).‘ Wir wüßten gerne, welche künstlerischen Wirkungen
Menander laut Asper (und seinem peripatetischen Gewährsmann) mit sei-
nen χοροῦ-Pausen bei seinen griechischen Zuschauern hervorrufen wollte.
***
Zum Abschluß noch ein paar Hinweise darauf, was wir mit der Wieder-
entdeckung unseres hellenistischen (peripatetischen 83) Akt- und Phasen-
schemas gewonnen haben:
– Für die Interpretation antiker Dramen, die das vernetzte Schema
anwenden, liefert es unverächtliche erste Hinweise auf ihr inneres dramati-
sches Leben, aber meistens auch nicht mehr als Hinweise (vor allem auf
einzuhaltende Regeln der Dramaturgie). Das Schema bietet einen Rahmen,
einen Kanevas, den der Dichter von Werk zu Werk anders mit Personen-
und Problemkonstellationen und -responsionen ausfüllen kann. Als Inter-
preten müssen wir diese werkeigenen Züge verfolgen, dürfen sie aber ih-
rerseits nicht zu Kompositionsprinzipien hochstilisieren, weder innerhalb
der einzelnen Komödie84 noch indem wir nach allgemein und regelmäßig
wiederkehrenden Responsionen zwischen bestimmten Akten oder Se-
quenzen suchen.85
– Die Quellenanalyse der Palliata besitzt – zur Ergänzung und Kon-
trolle ihrer traditionellen mikroanalytischen Suche nach inhaltlichen und
427
427 künstlerischen Inkonse-||quenzen in den lateinischen Bearbeitungen – in
86 Unter dieser Perspektive bereite ich derzeit die Publikation meiner Analysen von
Amphitryon und Rudens, Heautontimorumenos, Phormio und Hecyra vor.
87 Günther Jachmann: Plautinisches und Attisches. Berlin 1931 (Problemata 3), S. 3 –
104. – Hans Drexler: Die Komposition von Terenz’ Adelphen und Plautus’ Rudens.
Leipzig 1934 (Philologus Supplement 26, 2), S. 41–114. – Wolf-Hartmut Fried-
rich: Euripides und Diphilos. München 1953, S. 171–232.
88 Ein Vorzug des Peripatetikers liegt m. E. darin, daß er die Akte nicht als ge-
schlossene Kompositionseinheit betrachtet. Ähnlich gegen die Überschätzung
der Akte schon Holzberg: Menander (Anm. 8), Kap. 3: Zum Problem der Aktein-
teilung, allerdings ohne das richtige positive Pendant der πεκ-Phasen.
322 II. Handlungsgliederung
429
429 Anhang 2: Menander, Epitrepontes
γ1 Habrotonons Plan:
(a) (v. 419–463) Da Onesimos untätig bleibt, holt sich Syriskos inzwi-
schen in der Stadt Belehrung für den nächsten Rechtsstreit.
(b) (v. 464–556) Habrotonon will Charisios (und den Ring) auf die Probe
stellen, indem sie sich als die seinerzeit Vergewaltigte ausgibt (ab ins
Haus).
Katastrophé, δ2 und ε:
431
431 Aktpause α/β vor v. 198: ‹Gespräch der Väter mit den Frauen;› Parmeno
trifft im Hafen den heimkehrenden Pamphilus.
Monaten miteinander Verkehr hatte). Die Ehe mit der Entehrten will
er aber nicht fortsetzen. ‹Pamphilus ab zur Mutter.›
(Aktpause β/γ nach v. 408: ‹Pamphilus’ Gespräch mit der Mutter,› Parmeno
unterwegs)
δ1 (v. 577–622, IV 2–3) und δ2 (v. 623–705, IV 4a): Pamphilus von 432
432
allen in die Enge getrieben:
(δ1) Sostratas Entschluß, um des Familienfriedens willen aufs Land
zu ziehen, raubt Pamphilus die vorgeschützte pietas-Begründung
für seine Scheidungsabsicht;
(δ2) und die begeisterten Großväter verlangen, er solle, wenn (seiner
Liebe zu Bacchis wegen) schon nicht Philumena, so wenigstens
das Enkelkind ins Haus nehmen. Um das Ärgste (die Legitimie-
rung des Kindes) zu blockieren, läuft er v. 705 davon.
Katastrophé, δ3 und ε:
(a) Die Väter sehen nur einen Ausweg: Bacchis unter Druck zu set-
zen. ‹Da sie aber über die beste Vorgangsweise uneins sind, schickt der
diplomatischere Laches den mißtrauisch-strengen Phidippus um eine Amme
für den Säugling (Phidippus ab rechts, Bacchis kommt von links).›
b) Bacchis erklärt sich bereit, Myrrina und Philumena zu beruhigen.
89 v. 866f. placet non fieri hoc itidem ut in comoediis, omnia omnes ubi resciscunt.
III. Nicht im Druck erschienene Materialien
Der Rudens bei Plautus und Diphilos
Redaktionell bearbeitete Audioaufzeichnung1
[…] An und für sich ist eine gewählt analytische Untersuchung einer
Plautus-Komödie heute natürlich fast antiquiert, aber ich hoffe zu zeigen,
zeigen zu können, daß es nicht unsinnig und nicht resultatlos sein muß,
eine Quellenanalyse zu betreiben.
Idealiter sollte ja jede solche Arbeit einen großen Doppelschritt voll-
ziehen. Wir sollten als Quellenanalytiker zur Komödie zuerst von Plautus
oder Terenz zum rekonstruierten Originalautor – Menander, Philemon,
Diphilos – zurückfinden, und in diesem Sinn möchte ich heute den Rudens
behandeln, der knapp vor dem Ende des Hannibalischen Krieges, also
knapp vor 200 v. Chr., uraufgeführt wurde, nach einem vielleicht um 300
oder knapp danach entstandenen Original des Diphilos – übrigens das
erste Original des Diphilos, dessen Gesamtgestalt uns zugänglich wird,
wenn die Analyse gelingt.
Auf diesen ersten Arbeitsgang sollte dann abschließend ein zweiter
folgen, der wieder die plautinische Umarbeitung – nun positiv vor dem
Diphilos-Hintergrund – würdigt, und zwar mit einem durch den Vergleich
geschärften Blick für die unterschätzte, oft unterschätzte Eigenleistung des
Römers, auch im Aufbau und der Dramaturgie seiner Komödienhandlun-
gen (normalerweise traut man ja Plautus nur das Herumpfuschen an Ein-
zelheiten zu). Leider werde ich heute nicht bis zu diesem positiven
Plautus-Bild zurückkehren können. Aber ich muß ja das Vertrauen in
Plautus bereits voraussetzen, denn wäre sein Text nicht in irgendeiner
Weise gut, dann könnte man ihm ja gar nichts entnehmen. Die Frage ist
nur, was man ihm entnehmen soll. Ich zitiere, um die Zwickmühle, in der
wir uns befinden, zu illustrieren, ein Urteil über den Rudens des Diphilos
von Albin Lesky:
1 Adolf Primmer hielt diesen Vortrag zum plautinischen Rudens und seinem grie-
chischen Original am 20. November 2003 im Rahmen der Veranstaltungen des
Eranos Vindobonensis an der Universität Wien, Hörsaal 21.
332 III. Nicht im Druck erschienene Materialien
alle auf die Bühne kommen – „den richtigen Koffer ans Land
spült“ – mit den Anagnorismata – „und würzige Salzluft über
die Szene wehen läßt.“2
2 Albin Lesky: Geschichte der griechischen Literatur. 3. Aufl., Bern, München 1971,
S. 747.
3 Günther Jachmann: Plautinisches und Attisches. Berlin 1931 (Problemata 3). – Hans
Drexler: Die Komposition von Terenz’ Adelphen und Plautus’ Rudens. Leipzig 1934
(Philologus Supplement 26, 2).
4 Wolf-Hartmut Friedrich: Euripides und Diphilos. München 1953 (Zetemata 5). –
Lothar Schaaf: „Späteuripideische Dramenformen und ihre Fortsetzung in der
Neuen Komödie“, in: Würzburger Jahrbücher 26 (2002), S. 39–51 (zum Rudens:
S. 49).
Der Rudens bei Plautus und Diphilos 333
– Es darf nicht mehr als drei Sprecher auf der Szene geben, also mehre-
re stumme Personen schon, aber nur drei Sprecher in jeder Szene;
– es muß die fünf Akte geben;
– es müssen die Figuren der Handlung widerspruchsfrei durch Bühnen-
zeit und Bühnenraum geführt werden: Da darf es keine dummen Un-
klarheiten geben;
– es dürfen nicht Personen ein unerlaubtes Vorauswissen haben: Einer
darf nicht im zweiten Akt wissen, was er erst im vierten Akt erfährt
usw.
Das sind also leicht kontrollierbare, noch nicht auf künstlerische, drama-
turgische Feinheiten hinauslaufende Beobachtungen. Es kämen dazu – ich
bedaure, daß ich das nicht vorführen kann – die positiven Leistungen des
Diphilos in den ersten zwei Akten und in dem, was bei Plautus Akt vier
und fünf heißt, was in Wirklichkeit die zweite Hälfte des vierten Diphilos-
Aktes und der fünfte Diphilos-Akt sind. Also wenn ich – ohne Schlüsse
daraus zu ziehen – die manchen von Ihnen vielleicht vertrauten Ausdrücke
der Fabeldreigliederung, der inhaltlichen Dreigliederung der Komödienfa-
bel, gebrauchen darf, Protasis – Handlungsanlauf, wo die Spannung, die
Tasis aufgebaut wird, Epitasis – Spannungshöhepunkt in der Mitte des
Stücks, und dann Katastrophé – Wendung zum Guten. Die Katastrophé
setzt prinzipiell in allen uns zugänglichen Nea-Komödien (das ist nicht
meine These, sondern Konsens der Forschung) immer in der Mitte des
334 III. Nicht im Druck erschienene Materialien
vierten Aktes ein. Und wir haben auf jeden Fall hier, wo bei Plautus IV
steht, die Wendung zum Guten.
Ich kann also weder das Positive zeigen, das wirklich Schöne, das
dramaturgisch Elegante, die Vorbereitungstechnik, mit der Diphilos in
einem ersten Akt Motive anschlägt, von denen man noch nicht ahnt, wie
gut sie später gebraucht werden können, die ganze Steuerung des Publi-
kumsinteresses, noch die Gliederung der Szenen in Sequenzen, die für den
Zuschauer überschaubar sind.
Das steckt zwar alles als Behauptung hier drin, ich habe da hinge-
schrieben „erste Sequenz“, „zweite Sequenz“ usw., links und rechts bzw.
dort, wo es einen fortlaufenden, durchlaufenden raschen Szenenschub mit
Presto gibt, steht nichts von Sequenz usw. usw. Ich kann Ihnen das nicht
vorführen, ich bitte Sie nur, mir zu glauben, daß hinter diesen Schlagwor-
ten redliche philologische Arbeit und die Bemühung steckt, die dramatur-
gischen Strukturen wirklich zu dokumentieren.
Damit wir in alles hineinfinden, einige Bemerkungen zur Vorgeschich-
te, und auch auf das Bühnenbild, das oben auf dem Blatt skizziert ist,
möchte ich mit ein paar Worten zu sprechen kommen. Man sieht sofort
den großen Theaterpraktiker, der mit den visuellen Möglichkeiten der
Bühne auch das Handlungsmäßige – was Figuren charakterisieren kann
usw. – zum Ausdruck bringt.
Die Vorgeschichte, von Arcturus im Prolog unübertrefflich gut er-
zählt – einige Schlagworte dazu: eine Hauptgestalt – als erster vorgestellt
wird der Athener Daemones. Plautus gibt ihm dem Namen Daemones, der
Götterfreund, der die Daimonen auf seiner Seite hat, ein rechtlicher, aber
durch ein hartes Schicksal etwas misanthropisch gewordener Mann, also
eine Art Dyskolos; Seeräuber hatten ihm einst ein dreijähriges Töchter-
chen geraubt, und inzwischen war er sogar noch unschuldig aus Philan-
thropie – aus ursprünglicher Philanthropie – für Freunde gut gestanden
und mußte in die Verbannung gehen, wahrscheinlich weil er Bürgschaften
nicht bezahlen konnte (das ist nur angedeutet). Es wurde ihm also sein
Töchterchen geraubt, welches der Kuppler Labrax, die Negativfigur des
Stückes, von Seeräubern gekauft und dann in Kyrene aufgezogen hat. Sie
ist jetzt gerade so herangewachsen, daß der Kuppler sie als Hetäre arbeiten
lassen könnte.
Das Bühnenbild: Die Zuschauer blicken sozusagen vom Meer her auf
die Küste von Kyrene auf die Bühne – wahrscheinlich schon die Bühne
mit der erhöhten Spielfläche, nicht mehr auf Orchestraebene, denn Diphi-
los macht sich diesen Abstand zunutze. Da liegt vor ihnen eine kleine
Hochfläche, links befindet sich auf dieser Hochfläche ein Heiligtum der
Venus, dort ist die Priesterin Ptolemocratia zu Hause, rechts das Gehöft,
ein ärmliches Bauerngehöft des Daemones, der sich hier also als Verbann-
ter verkrochen hat. Denn abweichend von der normalen Bühnenkonventi-
on führt hier die Straße sowohl von der Stadt als auch vom Hafen her nur
Der Rudens bei Plautus und Diphilos 335
von links, auf die linke Seite zum Venusheiligtum (normalerweise geht es
rechts vom Zuschauer von der Stadt her auf die Bühne und links in den
Hafen und aufs Land). Also Daemones, der Einsiedler, wohnt in der Ein-
öde, in der weglosen, auf der Seite, wo es keinen Weg gibt, dort gibt es nur
mehr Felsen, Klippen – ja, das wird also imaginiert im Laufe des Spiels,
paßt also wirklich zu seinem Charakter zunächst.
Nun hat – weiter zur Vorgeschichte – der Kuppler Labrax einem jun-
gen Athener mit dem klangvollen Namen Pleusidippus, der „seefahrende
Ritter“, versprochen, er würde ihm Daemones’ noch unerkannte Tochter
verkaufen, für deren Freikauf aus der Sklaverei der junge Mann und prä-
sumptive Liebhaber schon eine Anzahlung geleistet hat. Rechtlich ist der
Kauf also schon abgeschlossen. Er hat ihm versprochen, heute am Spieltag
hier beim Venusheiligtum das Mädchen zu übergeben. Aber von einem
ebenso großen Schuft, wie er selber ist, beschwatzt, daß man in Sizilien
mit hübschen Mädchen noch bessere Geschäfte machen könne, wollte
Labrax in der Nacht vor dem Spieltag heimlich dorthin absegeln, worauf
eben der Arcturi cadentis impetus das Schiff scheitern ließ, sodaß zu Spielbe-
ginn vier Schiffbrüchige im Meer unterwegs sind oder festhocken: Die
zwei Mädchen schwimmen in einem Rettungsboot – sie werden auch als
erste kommen –, der Kuppler und sein Freund sitzen noch auf einer Klip-
pe im Meer und kommen später. Untergegangen ist im übrigen der Koffer
des Kupplers, der sein ganzes Barvermögen enthält, aber auch die crepun-
dia, die Kinderspielsachen der Hauptheldin Palaestra, womit diese ihre
Identität dokumentieren bzw. ihre Eltern wiederfinden könnte.
Mit dem Stichwort Koffer wären wir also schon bei der Szene, die bei
Plautus dem Stück den Namen gegeben hat, am Anfang des fröhlichen
Abschlusses dieser Großsequenz im vierten Akt. Nur ganz kurz: Einer
zweiten vierten Akthälfte entsprechend gibt es hier eine Mischung von
Heiterem und Besinnlichem, der Fischer Gripus hat wieder erstaunlicher-
weise den Koffer aus dem Meer gefischt; Trachalio, der „Trachälus“, der
hartnäckige Sklave, hat offenbar den Namen schon davon, der Trachalio,
der anständige Sklave, der den abwesenden Liebhaber Pleusidippus ver-
tritt, bemerkt das, weiß, daß die crepundia in dem Koffer sind, und fordert
seinen Anteil daran. Also er will diese crepundia sicherstellen, eine sehr
lustige Szene. Streit über den Koffer und darüber, ob Fundteilung nicht
eine Erpressung wäre und ob eine solche Erpressung möglich wäre. Es
kommt zu einem Schiedsgericht. Daemones, der Vater, wird als Schieds-
richter herangezogen, läßt das Mädchen – er weiß noch nicht, daß es seine
Tochter ist – die crepundia beschreiben. Es wird festgestellt, daß sie Ei-
gentümerin dieser Dinge ist, weil sie diese aus der Ferne beschreiben kann.
Der Anagnorisis steht nichts mehr im Wege, den heiteren Szenenfolgen des
fünften Aktes, auf die ich nicht mehr eingehe, leider, aus Zeitgründen, ge-
nauso wenig wie fast auf die ersten zwei Akte. Im vierten und fünften Akt
hat Plautus einige Szenenanfänge umgeschrieben. Er hat die Personenfüh-
336 III. Nicht im Druck erschienene Materialien
rung ganz leicht geändert, das hat Günther Jachmann entdeckt, großartiger-
weise schon in den 30er Jahren, obwohl man damals noch so wenig von der
Nea-Technik und den Nea-Texten kannte. Plautus hat eine eifersüchtige
Frau des Daemones erfunden, die es bei Diphilos wahrscheinlich gar nicht
gegeben hat, nur damit Daemones auf- und abgehen kann.
[…] Also es gibt einige Stellen, wo +++ steht, dort hat Plautus ein
bißchen etwas hinzugefügt. Die eingeklammerten + besagen, daß Plautus
die Kofferstreitszene, wie nicht anders zu erwarten, zerdehnt hat. Aber
ansonsten ist das ganze Programm erhalten. Fast unangetastet ist die Leis-
te links in den ersten zwei Akten. Da gibt es überhaupt nur zwei kurze
Szenen, über die man debattieren könnte. Das Allerwichtigste, was wir für
die Mitte, der wir uns zuwenden, brauchen, ist, um wieder schematisch zu
reden, daß alle Personen in die Stellung gebracht werden, in der sie in der
Epitasis gebraucht werden. Nicht nur das, so wie im Geizigen des Menan-
der – Vorbild der Aulularia – der Geizige gleich in der ersten Szene auf die
Bühne kommt und seinen Charakter als Halbgeiziger exponiert, so wurde
hier also Daemones gleich etwas abweisend, gereizt – also wirklich noch
der halbe Einsiedler – gezeigt, aber doch höflich dem Fremden Pleusidippus
gegenüber, der nach dem Mädchen fragt, das hierher kommen sollte. Das
Ganze hat jedenfalls die Folge: Daemones verschwindet am Ende der
ersten Sequenz im ersten Akt in seinem Haus und erscheint erst wieder im
dritten Akt. Er zieht sich noch immer misanthropisch – er ist noch immer
der Dyskolos – zurück.
Pleusidippus bekommt Anweisung: „Da unten, da rechts unten“, sagt
jemand, also für das Publikum links unten, „da treiben Schiffbrüchige
entlang“. Pleusidippus marschiert sofort dort hinab in der Hoffnung, die
sich nicht erfüllen wird, daß er den Kuppler und dessen Mädchen, sein
Mädchen, dort unten finden werde. Er marschiert jedenfalls mit ein paar
Freunden, die er eigens bewaffnet mitgebracht hat, weil er sich schon
betrogen weiß; der Kuppler war ja schon in der Nacht abgesegelt. Er mar-
schiert dort hinunter und faßt Posto auf dem Strand, allwo er verbleibt bis
zum Ende des dritten Aktes. Dadurch wird der Raum für die Hauptperson
Daemones im dritten Akt frei gehalten. In den weiteren Sequenzen des
ersten und zweiten Aktes kommen zuerst die Mädchen, sie finden Auf-
nahme bei der Priesterin, also normal Zuflucht für Schiffbrüchige. Tra-
chalio, der ebenfalls aus der Stadt hierher kommen soll im Auftrag seines
Herren, findet zu seiner Freude Ampelisca, in die er etwas verliebt ist (wir
haben ein erstes Dienerliebespaar oder eines der ersten Dienerliebespaare
der heiteren Bühnenliteratur vor uns) und erfährt nun von dem Koffer,
Verweistechnik. Es wird von dem Koffer geredet und den verschwunde-
nen crepundia. Schließlich kommen in der letzten Sequenz des zweiten
Aktes der zunächst ganz mutlose Labrax und der völlig erschöpfte Char-
mides – nomen est non omen – Charmides, sehr charmant ist der Bursche
nicht. Labrax erfährt, daß die Sklavinnen im Tempel sind und seine Le-
Der Rudens bei Plautus und Diphilos 337
Schwalben stammen von der Athenerin Philomela ab. Und ich verhandle
mit ihm“ – ago cum illo
illa [v. 605], Daemones wird zumindest verbal aktiv –
„er solle doch meinen Landsleuten nichts antun.“ Nächste Stufe: „Doch
der Affe wird noch um sehr viel wilder. Mir träumt, daß er jetzt seinerseits
mir Schlimmes androht.“ Also nun wird Daemones das Objekt, er agiert
nicht gegen den Kuppler, sondern der Kuppler wird gegen ihn aktiv wer-
den: „Ja er zitiert mich vor Gericht“ – in ius vocat me [v. 608] – „wirklich
ein dummer Traum, nicht wahr?“ „Da,“ – wieder nächste Stufe –„da pa-
cke ich ihn irgendwie“ – nescio quo modo [v. 608] – „im Zorn den Affen
ganz fest um den Leib und schlage das nichtsnutzige Biest in Fesseln.“
Zur Auswertung: Klar ist, daß hier der bevorstehende Wandel des
Daemones wieder zu einem Eingreifen zugunsten anderer Athener ange-
kündigt wird. Zu reden haben werden wir über die Frage, ob die folgenden
Stufen auch der genaue Plan für die Folgehandlung sind. Herauszufinden
versuchen müssen wir, wie den folgenden Szenen im dritten Akt die Etap-
pen dieses Wandels – mit Drexler – abzugewinnen sind. Wir werden se-
hen, wie weit die Spannung des Bogens trägt, und vor allem werden wir
darauf zu achten haben, wo dieses in ius vocat me kommt. Zur Feststellung
dieser Etappen am wichtigsten ist als Textgrundlage für uns die Szene III 4.
Wir müssen allerdings erst aus vielen Plautus-Erweiterungen das Relevante
herausholen. Ich bitte Sie also, sich mit mir die Mühe zu machen, nach
erkennbaren Trittstufen der Diphilos-Handlung in dieser Szene III 4 zu
suchen.
Das erste, der wichtige Schritt, der übrigens im Traum gar nicht the-
matisiert werden konnte, ist der: Wie erfährt Daemones, daß die schutz-
flehenden Sklavinnen im Tempel „Schwalben“, also Athenerinnen, sind?
Das muß uns hier irgendwie gesagt werden – er weiß ja nichts von diesen
Sklavinnen, von diesen Mädchen. Wie erfährt er es? Den entscheidenden
Beleg haben wir in der Mitte, wir sind in v. 735 angelangt, das ist also si-
cher diphileische Handlung. Trachalio, es ist ein Dreiergespräch, ein Drei-
erstreitgespräch, Trachalio, der Sklave, sagt zum Kuppler Labrax: „Gut,
ich bin ein dreifacher Galgenstrick und du ganz besonders anständig. Ha-
ben die Mädchen da deswegen geringeren Rechtsanspruch frei zu sein?“
Labrax ganz empört: „Was, frei?“ Trachalio: „Ja bei Gott sogar Herrinnen
über dich zu sein und echtbürtige Griechinnen. Denn die eine stammt aus
Athen von freigeborenen Eltern.“ Daemones: „Was sagst du da?“ Tra-
chalio: „Daß die da in Athen frei geboren ist.“ „Was, sie ist meine Lands-
männin?“ Trachalio: „Ja bist denn du kein Bürger von Kyrene?“ – so erfährt
Trachalio [recte: Daemones], daß die andere auch Athenerin ist, usw. usw.
Wir sind hier mit Sicherheit an einer wichtigen Stelle, wir haben hier einen
Beleg für einen kleinen Handlungsschritt aus dem Traum. Sinnvollerweise
kann erst nach dieser Information, also nach v. 735–744 die dritte Hand-
lungsstufe des Traums einsetzen, in der Daemones für die Mädchen einzu-
treten beginnt, vorher hat er ja keinen Grund sich für sie zu erwärmen. Tat-
Der Rudens bei Plautus und Diphilos 339
sächlich haben wir vorher einen Beleg dafür, daß er sich heraushalten will.5
v. 717ff.: Labrax im Streit mit Trachalio: „Das hätte ich mir heute nicht
erwartet, daß ich mich mit so einem Galgenstrick unterhalte.“ Und: „Ich
wende mich an dich.“ Daemones: „Debattiere zuerst mit dem da, der dich
kennt.“ Also Daemones, noch halb Einsiedler, will sich zurückhalten.
Labrax: „Mit dir will ich verhandeln.“ Trachalio: „Nein, mit mir mußt du
illo,
verhandeln.“ (atqui mecum agendumst, v. 719) – agere. Im Traum ago cum illa,
und Daemones wird nachher agere.
Wir können also feststellen, wir haben zwei abgesicherte Belege in
III 4 für die Haltungsänderung des Daemones. Das ist wichtig sowohl für
die Handlung vorher als auch für die nachher.
Vorab einiges zu dieser Quellenanalyse: Zwischen Traum (III 1) und
v. 717 am Anfang von III 4: Bei Plautus ist Daemones in dem Zwischen-
text in den Szenen III 2–3 alles andere als unbeteiligt geblieben (wenn Sie
nur kurz auf den Zettel mit dem Handlungsteil bei Plautus schauen).
Kaum daß Daemones seinen Traum zu Ende erzählt hat, kommt der Hil-
feruf, die quiritatio des Trachalio. Daemones läßt Trachalio [recte: Labrax]
daraufhin im Tempel gleich einmal ordentlich von zwei lorarii, von zwei
Bodyguards, verprügeln, und in III 3 marschiert Trachalio mit den Mäd-
chen auf (die hinter der Bühne an den Altar oder zur Statue der Venus
geflüchtet waren, also Asyl in Anspruch nehmen wollten) und er postiert
die Mädchen auf dem Altar auf der Bühne. Hier gibt es überhaupt keine
Debatten, das sind die Sprecherinnen vier und fünf. Die Mädchen können
im Original nicht auf die Bühne gekommen sein oder wenn, dann nur ganz
kurz als stumme Personen sichtbar gewesen und sofort wieder in den
Tempel geflüchtet sein. Aber Plautus will sie bis zum Abschluß da haben,
das ist ja viel schöner, wenn sie hier sitzen, obwohl es in der Normaldra-
maturgie der Nea wahnsinnig störend sein muß, wenn Daemones mit dem
Sklaven dann über ihren Status verhandelt, statt sich an sie selber zu wen-
den und sie auszufragen. Also es geht rund herum nicht zusammen, die
Szene III 3 ist sicher plautinisch. Es ist inzwischen allgemein anerkannt,
dass die Altarflucht nur von Plautus sein kann, und auch der Hilferuf des
Trachalio vorher verpatzt die Pointe, daß der Kuppler Labrax in eigener
Person den Daemones in die ganze Geschichte hineinzieht. Es ist doch
sicher besser, wie es rechts in meiner Diphilos-Rekonstruktion steht, wenn
es nach Daemones’ Traum eine Sequenz mit ihm gibt, in der die Gefähr-
dung des Asyls besprochen wird, also hier den Zuschauern mitgeteilt wird.
Dazu kann man aber durchaus die Priesterin Ptolemocratia und Trachalio
den Labrax aus dem Tempel weisen lassen. Sehr günstig ist es übrigens,
wenn Ptolemocratia ein bißchen mehr Rolle bekommt. Es steht dieser gut
5 Ganz nebenbei, in v. 728 läßt ihn Plautus bereits eine sententia verkünden, das ist
Unfug, er kann noch keine sententia haben, wenn er erst nachher erfährt, daß es
ihn überhaupt interessieren wird.
340 III. Nicht im Druck erschienene Materialien
angelegten Rolle gut, wenn sie noch weiter vorhanden ist. Labrax wird also
aus dem Tempel gewiesen, es folgt ein kleiner Monolog von ihm, in dem
er sich seine Situation klar machen muß: „Ich muß rasch handeln. Ich muß
die Mädchen rasch in meine Gewalt bringen, denn es droht ja früher oder
später Pleusidippus, den ich betrogen habe, aufzutauchen.“ Und sobald
der da ist, ist Schluß mit seinem Restvermögen. Er entschließt sich, das
Asyl nominell, also nur formal nicht zu brechen, aber die Mädchen auszu-
räuchern, sie also aus dem Tempel herauszuzwingen, damit er sie heraußen
packen kann. Zu diesem Zweck will er bei Daemones Feuer leihen. In
einer Szene des ersten Aktes sagt der misanthropische Daemones: „Stän-
dig kommen sie zu mir und wollen sich Wasser oder Feuer ausborgen.“
Das ausgeborgte Wasser ist im zweiten Akt wichtig, wo Ampelisca auf die
Bühne kommt, ihren Trachalio trifft, dann den Labrax auf ihre Spur lockt
mit dem Wasserholen usw. Und das Feuer kommt eben jetzt dran. Labrax
will bei Daemones Feuer leihen. Natürlich mischt sich jetzt nachträglich
auch Trachalio ein, und es kommt zu dieser Debatte in III 4.
Nun zur großen Sequenz III 4. Da kommen wir in große Schwierig-
keiten, zwischen dem Traum und der Folgehandlung zu parallelisieren –
und schuld sein muß Plautus. Nicht Diphilos. Argumente:
1. Am Ende der dritten Handlungsetappe – laut Traum ago cum illo illa –
müßte Daemones doch in irgendeiner Weise mit Labrax verhandeln. Bei
Plautus hat er natürlich vorher schon zuschlagen lassen oder selber zuge-
schlagen. Das ist eine Wendung. Er sagt zu seinen Sklaven: „Zieht ihn bei
den Beinen heraus wie eine abgestochene Sau“ [v. 660], gemeint ist: den
Kuppler aus dem Tempel, also das ist der Tempel des Plautus natürlich.
Ago cum illo – es gibt keinen Platz für das agere cum illo. Es ist einfach in der
Handlung kein Platz. Ich kann es nicht näher ausführen, Sie können es
nachlesen. Übrigens überhaupt ein Tipp, was Sie bei mir nicht erfahren: Es
gibt eine wunderschöne Nacherzählung des Rudens mit der Analyse aller
wirksamen Plautus-Elemente in der Arbeit von Blänsdorf,6 nach allen
plautinischen Gesichtspunkten, also unitarisch wunderschön nacherzählt,
ein Tipp. Ja, also, es gibt keine Szene, keinen szenischen Anhalt im ganzen
Text, daß Daemones mit dem Kuppler irgendwie zu verhandeln begonnen
hätte. Diese Verhandlung müssen wir uns ergänzen.
2. Labrax erhält auch nicht die mindeste Gelegenheit nun gemäß Stufe
4 des Traums seinerseits aktiv zu werden, Daemones in die Defensive zu
drängen, sondern es folgen sofort wieder ein Haufen Presto-Szenen, die
plautinisch gehen: Trachalio bittet Daemones, den Kuppler festzuhalten,
bis er seinen Herrn herbeigeholt habe. Woher weiß Trachalio, wo sein
Herr ist? Egal, natürlich muß ihm Daemones gesagt haben, der sitzt da
unten am Strand. Aber dazu bleibt bei Plautus gar keine Zeit. Daraufhin
6 Jürgen Blänsdorf: „Plautus“, in: Das römische Drama, hg. von Eckard Lefèvre.
Darmstadt 1978, S. 135–222. Zum Rudens bes. S. 146–149, 200.
Der Rudens bei Plautus und Diphilos 341
aber es würde für Ampelisca gelten. – Mehrfach, v. 712: meas mihi ancillas
invito me eripis; v. 745ff.: „Ich habe für die beiden da, woher immer sie
stammten, ihrem Herrn bares Geld gegeben“ – er hat sie also gekauft –
„was kümmert’s mich, ob sie aus Athen oder Theben stammen, wenn sie
zu Recht meine Sklaven sind“ – so also immer wieder. Trachalio hat eine
Gegenbehauptung, eine völlig andere Sache. Er sagt von vornherein, die
Mädchen müssen frei sein. Das kann er mit einigem Fug und Recht für
Palaestra behaupten, aber nicht für seine geliebte Ampelisca. Die wollte er
auch retten, und darum subsumiert er sie da (er könnte höchstens anneh-
men, sie sei ebenfalls einst Sklavin geworden, obwohl sie ursprünglich als
kleines Kind einmal frei gewesen war; aber dafür gibt es keinen Beweis).
Also diese Gegenbehauptung des Trachalio gilt auch nur zur Hälfte. Es
läßt sich trefflich streiten. Und die Position des Daemones nun – wir müs-
sen voraus mitbedenken, dass Daemones schon einmal in Athen verurteilt
und ins Exil geschickt worden ist – wenn er sich jetzt für die Mädchen
einsetzt, ist nach griechischem Recht 7 seine Situation einigermaßen be-
denklich. Er kann nämlich als ἀνδραποδιστήής, als Sklavenräuber angeklagt
und zunächst einmal sofort abgeführt werden. Es gibt die Institution der
ἀπαγωγήή, des Wegführens, der Festnahme und des Abführens, und zwar
in Athen vor die Hendeka, also vor die Exekutionsbehörde, vor den Hen-
ker kann man gebracht werden als Sklavenräuber, wo theoretisch die To-
desstrafe droht. Praktisch dient die ἀπαγωγήή allerdings laut Scafuro vor
allem dazu, den Gegner zur schiedsrichterlichen Beilegung des Streitfalls
zu zwingen. Damit er der Drohung entgeht, wird er sich einem Schieds-
richter stellen, und das hat für Labrax einen unglaublichen Vorteil. Er
muß, sobald sich Daemones für die Mädchen verantwortlich erklärt, nicht
mehr gegen das Asyl ankämpfen, sondern er kann sagen: „Du behauptest
zu Unrecht, diese Mädchen seien frei. Sie sind meine Sklavinnen, ich führe
dich ab, ich lasse dich abführen und klage dich an“ – in der Erwartung,
daß ein Schiedsrichter dann schon einen Ausgleich finden wird, sodaß er
zu irgendeinem Geld kommt wenn schon nicht [zu den Mädchen.]
[Ich hoffe gezeigt zu haben, dass das] die vernünftigste griechische
Rekonstruktion ist. Labrax wird, als Daemones sich für die Mädchen ein-
zutreten entschließt, seinerseits aktiv. Das Eintreten für die Mädchen wird
darin bestanden haben, daß Daemones gesagt hat: „Warten wir doch die
Ankunft des Pleusidippus ab“, was Labrax nicht tun darf. Darum agiert er
sehr rasch. Doch wie kann ich nachweisen, daß Daemones wirklich für die
Mädchen eingetreten ist? Durch die Spuren davon, daß Daemones, der die
Gefährlichkeit der Lage ja kennt, sich vorher bei Trachalio sorgsamst nach
7 Adele C. Scafuro: The Forensic Stage. Settling Disputes in Greco-Roman New Comedy.
Cambridge 1997, hier S. 400–424: Appendix 3: „Remedies for enslavement, kid-
napping, and slave stealing in Athens and Rome“; Appendix 4: „Controversial
summonses in Rudens and Persa.“
Der Rudens bei Plautus und Diphilos 343
Strukturplan
PLAUTUS I–II ≈ DIPHILOS α – β
zur Stadt1–82 Links vom Zuschauer: Rechts vom Zuschauer: Felsen
I=α PROLOG
zum Hafen Arcturus stellt sich als Diener Juppiters vor (–31);
Pfad zum Strand Heiligtum der Venus, Gehöft desund
erläutert Bühnenbild Daemones (mit (–71):
Vorgeschichte
Priesterin Ptolemocratia Sklaven Sceparnio, Gripus)
Daemones – das Liebespaar – Flucht des Kupplers
u. Seesturm;
(Küste bei Kyrene)derzeitige Position der Schiffbrüchigen
(–82).
IVon
1–2aaußen kommen:
83–159 1. SEQUENZ:
Palaestra + Mitsklavin Ampelisca Sceparnio flickt das Dach; Deamones (abweisend,
Pleusidippus + Sklave Trachalio gereizt) zeigt dem (pseudoaktiven) Pleus. und 3
Labrax + Freund Charmides Freunden, daß li. unten Schiffbrüchige treiben.
(Pleus. ab.)
I 2b 160–184 ZWISCHENSZENE
PLAUTUS I–II ≈ DIPHILOS α– β
X Scep. (mit Dae.?) sieht re. unten die Mädchen.
I =α 1–82 PROLOG. (beide ab)
I 3–5 185–289 2. SEQUENZ
Arcturus stellt sich als Diener Juppiters vor (–31);
Palaestra
erläutert klagt, und
Bühnenbild daßVorgeschichte
Unschuldige (–71):
leiden müssen,
findet mit der (220) nachkommenden
Daemones – das Liebespaar – Flucht des Kupplers Ampelisca
(258) freundliche Aufnahme bei Ptolemocratia
u. Seesturm; derzeitige Position der Schiffbrüchi-
II 290–305 EINLEITUNG
gen (–82).
‚Fischerchor‘?
I 1–2a 83–159
306–413 1. SEQUENZ:
1. SEQUENZ.
X Sceparnio flickt(aus
Trachalio das der
Dach; Daemones
Stadt) (abweisend,
findet wider Erwarten
gereizt) zeigt demhört,
Ampelisca; (pseudoaktiven) Pleus. und
daß mit Labrax’ 3 Freun-
Koffer dessen
Vermögen,
den, daß li. untenaber vor allem Palaestras
Schiffbrüchige crepundia
treiben. (Pleus. ab.) un-
I 2b 160–184 tergingen, geht Pal. trösten.
ZWISCHENSZENE:
414–484 x ZWISCHENSTÜCK
Scep. (mit Dae.?) sieht re. unten die Mädchen. (beide ab)
Der bärbeißige Sceparnio hilft, plötzlich verliebt,
I 3–5 185–289 2. SEQUENZ.
Ampelisca beim Wasserholen.
489–592 – Palaestra
2. SEQUENZklagt, daß Unschuldige leiden müssen,
– findetDer
mitmutlose
der (220)Labrax
nachkommenden
(mit CharmidesAmpelisca
von re. unten)
– (258)wird plötzlich
freundliche wieder aktiv,
Aufnahme als er von Scep. den
bei Ptolemocratia
II 290–305 Aufenthaltsort der Mädchen erfährt. Charmides
EINLEITUNG:
folgt ihm erschöpft in den Tempel.
‚Fischerchor.‘
306–413 x 1. SEQUENZ.
Trachalio (aus der Stadt) findet wider Erwarten
Ampelisca; hört, daß mit Labrax’ Koffer dessen
Vermögen, aber vor allem Palaestras crepundia unter-
gingen, geht Pal. trösten.
414–484 ZWISCHENSTÜCK.
Der bärbeißige Sceparnio hilft, plötzlich verliebt,
Ampelisca beim Wasserholen.
489–592 2. SEQUENZ.
Der mutlose Labrax (mit Charmides von re. unten)
wird plötzlich wieder aktiv, als er von Scep. den Auf-
enthaltsort der Mädchen erfährt. Charmides folgt
ihm erschöpft in den Tempel.
346
346 Adolf erschienene
III. Nicht im Druck Primmer Materialien
PLAUTUS, IIIIII
PLAUTUS, 593593 – 891)
(v. (v.
583–891)
III 1 593–614 EINLEITUNG:
III 1 593–614 (–)(–) EINLEITUNG: Daem.’ Traumerzählung
Daem.’ Traumerzählung
III 2–3 615–705 1. SEQUENZ
III 2–3 615–705 1. SEQUENZ
a) Trach.’ Hilferuf (–653),
~ a) Trach.’
~ Hilferuf
Dae. läßt La.(–653),
im Tempel prügeln
++ Dae. läßt La.
b) Trach. im Tempel
postiert prügeln
die Mädchen ?
+ + b) Trach. postiert die Mädchen
auf dem Altar auf der Bühne
++ auf dem Altar auf der Bühne
III 4–5a 706–820 + 2. SEQUENZ
(+) Debatte La. – Tr. – Dae. um Pal.’ Freiheit:
III 4–5a 706–820 2. SEQUENZ
a) (–735) Tr.: Mädchen sollten frei sein – Dae. hört zu.
(+) Debatte
(+) b) (–759)La.Tr.:
– Tr. – Dae.
Pal. freie um Pal.’ Freiheit:
Athenerin – Dae. ist betroffen.
(–)
(+) a) (–735) Tr.: Mädchen
c) (–773) Nach La.’sollten
Drohung frei mit
seindem
– Dae. hört zu.
Feuer
(–)~ b) (–759) Tr.:Entschluß:
Dae.’ Pal. freie Athenerin – Dae.die
lorarii schützen ist Mädchen.
betroffen.
~ d) Trach.
c) (–773) Nachholt
La.’Pleus.,
Drohung Dae.mitinsdem
Haus.
Feuer
+ Dae.’ Entschluß: lorarii schützen die Mädchen.
III 5b–6 821–891 + 3. SEQUENZ
d) Trach. holt Pleus., Dae. ins Haus.
– Pleus. schleppt Labrax zum Gericht,
III 5b–6 821–891 + 3. SEQUENZ
– schickt Tr. zu den Freunden am Strand;
+ – Pleus. schleppt folgt
– Charmides Labrax zumund
Pleus. Gericht,
Labrax. ?
– schickt Tr. zu den Freunden am Strand;
– Charmides folgt Pleus. und Labrax.
Der
Der Rudens bei Plautus
Rudens bei Plautus und
und Diphilos
Diphilos 347
347
DIPHILOS, γ (+
DIPHILOS, δ1 );δ(v.
γ (+ 593
1);583–891,
(v. 593 –+891,
…) + …)
γ 593–614 EINLEITUNG:
γ 593–614 (+) EINLEITUNG:
(+) Daem.’ ‹ Daem.’ Traum
Traum +Ausschau ›
nach‹+Ausschau
Gripus nach Gripus›
(615–705)
•••••••••
•(615–705)
•••••••• ‹
‹1. SEQUENZ
1. SEQUENZ:
•••••••••
•••••••••
‹›
‹› a) Ptolemocratia und Tr. weisen Labrax aus dem Tempel
a) Ptolemocratia und Tr. weisen
Rasch Labrax aus dem Tempel
‹›
•••••••••
••••••••• ‹ › b) Labrax’ Monolog: handeln!
••••••••• b) Labrax’ Monolog: Rasch handeln!
‹ › c) La. will bei Dae. Feuer leihen, Tr. mischtmischt
c) La. will bei Dae. Feuer leihen, Tr. sich ein›
‹› ›
•••••••••
•••••••••
•••••••••
•••••••••
sich ein
706–820
••••••••• 2. SEQUENZ
•••••••••
•••••••••
•••••••••
Debatte La. – Tr. – Dae um Pal.’ Freiheit:
•••••••••
a) Mädchen sollten frei sein – Dae. hört zu.
706–820 (–)2. SEQUENZ:
b) Tr.: Pal. freie Athenerin – Dae. ist betroffen
(–)(–) Debatte ‹undLa. – Tr.
fragt – Dae
nach derum Pal.’ Freiheit:
Beweislage›
(–)‹ › a) Mädchen
c) Dae.’sollten
Entschluß ‹La. –soll
frei sein Dae. hört zu. abwarten.›
Plausidipp.
‹ › b) Tr.: ‹La.freie
d) Pal. führtAthenerin
Dae. zum– Gericht.›
Dae. ist betroffen
•••••••••
••••••••• ‹›
‹ ›c) Dae.’ ‹
und fragt nach der Beweislage ›
•••••••••
‹› ‹
Entschluß La. soll Pleusidipp. abwarten. ›
821–891
•••••••••
•••••••••
•••••••••
•••••••••
• 821–891
‹‹ ››
‹›
d)
–
La. ‹
– Pleus. ‹kommt zu spät,›
führt
Pleus.
Dae. zum Gericht. ›
– schickt Tr. zu den Freunden am Strand;
‹ ›
••••••••
••••••••• – Pleus. mit zu
kommt spät,
Charmides zur Stadt.
– schickt Tr. zu den Freunden am Strand;
‹Denkbare Hauptszenen:
δ ‹›
– Pleus.
– Dae. mit berichtet
Charmides zurPriesterin)
(der Stadt. über den negativen
‹›
Ausgang des Schiedsgerichts
δ ‹ Denkbare
– Dae.Hauptszenen:
will zum Schutz der Mädchen alles riskieren,
holt sie in sein Haus.›
– Dae. berichtet (der Priesterin) über den negativen
Ausgang des Schiedsgerichts
– Dae. will zum Schutz der Mädchen alles riskieren,
holt sie in sein Haus. ›
348
348 Adolf erschienene
III. Nicht im Druck Primmer Materialien
?? ‹› ‹Verlobungsszene?›
Strukturpläne zu Terenz-Komödien
Die folgenden Strukturpläne aus den 1990er Jahren sind der von Adolf
Primmer rekonstruierten Chronologie der Terenz-Komödien (S. 7 im vor-
liegenden Band) folgend angeordnet. Die Hecyra ist jenes Stück, mit dem
sich Primmer vor seinem plötzlichen Tod beschäftigt hat.
Der Strukturplan zum Rudens (S. 345 –348) stellt eine Weiterentwicklung
dieses Darstellungssystems dar. Statt der Orientierung an der Verszahl der
römischen Komödie steht nun jedoch die Szene(nfolge) im Mittelpunkt.
Unterschiede zwischen Plautus und Diphilos sind in einer eigenen Spalte
angegeben:
x Neue Szene
+ Erweiterung der Szene
~ Annähernd gleicher Verlauf
– Kürzung der Szene
Da die Eingriffe im dritten Akt der Vorlage umfangreich sind, erfolgt die
Darstellung des Handlungsverlaufes bei Plautus und Diphilos in eigenen
Spalten. Die Ergänzungen sind zusätzlich durch Schraffur gekennzeichnet,
die rekonstruierten Szenen(teile) durch Punktierung markiert.
350
350 III. Nicht im Druck erschienene Materialien
III. Nicht im Druck erschienene Materialien
Terenz, Andria
v. 1–28:
Prolog des Terenz
500 und Simo täuscht sich selbst, hält Hebamme nur für
Intrige. Davos: Sie werden dir noch ein Kind vor die
Tür legen!
b) III 3 (533–580)
Chremes läßt sich zögernd umstimmen,
(Chremes zu Simo)
c) III 4 (581–606)
600 Davos hört, daß er die Hochzeit bewirkt hat
(Chremes heim, Simo ins Haus)
Strukturpläne zu Terenz-Komödien
Strukturpläne zu Terenzkomödien
351
351
δ III 5 (607–624)
Pamph. macht Davos Vorwürfe,
a) IV 1 (625–633) + Charinus
Davos ist zu neuer Intrige verpflichtet (‚Ich gebe nicht
Epitasis
auf!‘)
b) 700 IV 2 (684–715)
Mysis will Pamph. zu Glyc. holen,
Davos hat [angeblich] neuen Plan, sed cf. II 2 fin!
IV 3 (716–739)
holt das Kind, ändert den Plan,
c) IV 4 (740–795)
als Chremes kommt und wg. des Kindes die Hochzeit
absagt (zu Simo ins Haus);
d) 800 IV 5 (796–819)
Da kommt Crito, Vetter d. verstorb. Chrysis
(Anagnorisis) (Davos, Mysis, Crito zu Glyc.)
ε a) V 1+2 (820–871)
Katastrophé
Terenz, Eunuchus
46
α a) I 1–2a (46–196)
100 Phaedria u. Parmeno – über untreue Thaïs;
diese rechtfertigt sich mit Plan bezügl. Ziehschwester,
die Bruder in Athen haben soll;
bittet um 2 Tage Zeit für Thraso, ist zugleich an
Eunuch interessiert; (PH. u. PA. ins Haus)
b) I 2b (197–206):
Thaïs-Monolog: Ich habe ehrlich gesprochen!
200 ‹Götterprolog: Eunuch wird stören › (Th. ins Haus)
c)
Protasis
II 1 (207–224):
Phaedria geht aufs Land, Parm. soll Eunuch übergeben.
β a) II 2 (225–291): ‹
GN. von links ›
Parm. beobachtet, wie Gnatho nach ‚Parasitenmonolog‘
das schöne Mädchen als Geschenk des Thraso bringt;
‹
GN. z. Forum ›
b) 300 II 3 (292–390):
vom Hafen Chaerea, der das Mädchen sah und verlor.
Ch. nimmt Parm.’ Scherz, er könne als Eunuch sich
d. Mädchen nähern, ernst
c) III 2 (454–506) ‹
Parm. z. Forum? ›
Thraso holt Thaïs zum Gelage ab,
Parmeno überbringt Chaerea als Eunuch;
Epitasis
IV 1 (615–628)
Dorias, vom Gelage: ‚Sie beginnen zu streiten‘
IV 2, 3 (629–667)
Pythias berichtet heimkehrendem Phaedria die Verge-
c) waltigung;
IV 4 (668–726)
700 Phaedria verhört den echten Eunuch, hört vom
Kleidertausch, will vertuschen (beide ins Haus)
Epitasis
zu Pyth.:
δ a) IV 5, 6 (727–770)
Chremes, beschwipst, dazu Thaïs: alles für deine
Schwester! (Chremes ungläubig, feig)
b) IV 7 (771–816)
800 Thraso (mit Gefolge, zur Belagerung) will das Mäd-
chen zurück – aber sie ist freigeborene Athenerin!
(Chremes holt nutrix)
c) V 1 (817–839)
Thaïs weiß jetzt von Vergewaltigung,
d) V 2 (840–909)
da kommt Chaerea (als Eunuch);
900 er gesteht und erklärt sich zu Heirat bereit
e) V 3 (910–922)
Chremes mit Amme ins Haus d. Thaïs
Katastrophé
ε a) V 4 (923–970)
Parmeno, über s. Streich zufrieden, wird von Pythias
eingeschüchtert: Chaerea sei von Kastration bedroht;
V 5, 6 (971–1024)
1000 Parmeno gesteht dem senex alles u. wird von Pythias
eingekocht
b) V 7–9 (1025–1094)
Thraso kommt zur Kapitulation, Chaerea darf heiraten,
1094 Phaedria ‚teilt‘ Thaïs mit Thraso
354
354 III. Nicht im Druck erschienene Materialien
III. Nicht im Druck erschienene Materialien
Prolog 1–52
Clit.
Clin.
‹Festbeginn › β
II 1
II 2, 3a
213–230
231–310
300
Clit. II 3b 311–380
Clin. 400
Syr. ‹Syr., Ba. › (Nacht)
II 4 381–409
Men. γ III 1 410–511
‹
Syr. in Schwierigkeiten › 500
mit Chr., III 2 512–561
mit Clit., III 3a 562–591
Epitasis
(Men.)
Väter
Die
(Men. war zu hart zu Clin.)
(Chr.: ubi non vere vivitur )
Chr. erfährt durch Clit. die Rückkehr Clin.’, Clin.
schweigt über Men.
Clit. schweigt über seine Bacchis-Affäre Clit.
Autorität
Terenz, Hecyra
α a) I 1 ( 58 ) u. I 2 (76–197)
100+x Von Bacchis kommen πρόσωπα προτατικά, Hetäre Philotis
u. alte Syra, entlocken Parmeno das Eheproblem Pamphilus’:
100 er mußte vor 7 Monaten Bacchis aufgeben u. Philumena heira-
ten (Ehe erst vor 5 Mon. vollzogen). Jetzt ist Pamph. verreist,
Philumena (angebl. krank) wieder bei den Eltern.
(Parm. z. Hafen )
‹b › ‹ Prolog: Pamph. hat Philum. vor 9 Mon. vergewaltigt; Bacchis
wird seine Vaterschaft aufdecken ›
‹ {…}: die Väter; beide kommen, um mit d. Frauen zu reden;
d.h. mit Schwiegermutter u. Schwiegertochter ›
‹c› ‹ ? Phidippus + Myrrina: er will, daß Philum. zur Schwieger-
200 mutter zurückkehrt › α
β a) II 1 ( 198–241) β
211 Laches zu Sostrata: Du bist schuld!
II 2+3 (242–280)
Auch Phidippus bestätigt: Philum. will erst nach Pamph.’
Heimkehr zurück
Sostrata (allein): Ich leide unter dem Vorurteil v. d. ‚bösen
Schwieger mutter‘! (Männer zum Forum )
b) III 1a (281–325) (Parm + Pamph v. Hafen)
Parm. informiert den (wehleidigen) Pamph. über ‚Krankheit‘
300 u. Frauenstreit; auf Philum.’ Weherufe stürzt Pamph. zu ihr
hinein.
III 1b + 2 (326–360)
Parm. rät Sostrata, nicht hinüberzugehen; Pamph. kommt
‚tristis‘ heraus, schickt Mutter heim u. Parmeno dem Gepäcks-
προτ. träger entgegen, z. Hafen.
c) III 3a ( 361–408) (Parm. Hafen )
ἐπιτ. Monolog des Pamph.: er hat das Kind entdeckt u. Myrrina ver-
sprochen, den Ruf Philum.’ zu schonen (Kind aussetzen?). Er
will Liebe zu Ph. ertöten,
400 ‹ weiß nicht, wie er Scheidung rechtfertigen soll ›
‹ Pamph. ins Elternhaus › β
γ a) III 3b–4a ( 409–443) (Parm. von Hafenseite ) γ
168 Parm. kommt wieder, wird von Pamph. sofort z. Forum ge-
schickt (er weiß ja, daß Pamph. die Ehe erst vor 5 Mon. voll-
zog!)
Strukturpläne zu Terenz-Komödien
Strukturpläne zu Terenzkomödien
357
357
100, A. 80 u. 81, 101, 102 A. 87, 104, Schadewaldt, Wolfgang | 51, 55, 57, 58 A.
107, 108, 109, A. 104, 110, A. 106, 38, 59, 66
111, 112, 114, 116, 117, 118, A. 120, Schoell, Fritz | 311 A. 48
119–122, 125–127, 128, A. 151, 129 Scholz, Peter | XVI
A. 152, 130 A. 158 u. 160, 131–134, Shakespeare, William | 168, 184 A. 53,
135, A. 166, 136, 138–141, 142, A. 211, 332
182, 143–147, 148, A. 187 u. 188, Skutsch, Franz | 13 A. 9, 17
149, 150, 152–155, 157, 158, A. 201, Sloman, Arthur | 17
159–163, 167, 168, A. 5, 169, A. 11, Sonnenburg, Peter E. | 170 A. 15 u. 16,
170, 171 A. 18, 173, 178, A. 41, 181, 173, A. 23, 178, A. 39
A. 46, 182, 183, 184, A. 51 u. 53, 185– Sophokles | 174, 298–300, 311, 312 A. 53,
187, 188 A. 7, 190, 191, A. 20, 193, 316
194, 199, 200 A. 39, 203–205, 208, Spengel, Andreas | 161 A. 203
211–218, 220, 221–226, 227, A. 4, Stärk, Ekkehard | XI, XIII, 213–216,
228, 230, 233, 234, A. 22 u. 23, 235, 227, 229 A. 13
236, 237, A. 30, 238, 240, A. 36, 241, Steidle, Wolf | 40, 41, 45, 47, 157, 168, 169
242, 244, 246–252, 254, 256, A. 73, A. 10, 183 A. 49, 188, A. 7, 189, A. 10,
260, 261, 262 A. 96, 263, A. 97, 264, 198 A. 35, 203, 251, A. 60
265, A. 104, 267, 268, 270, 278 A. Stockert, Walter | XIII Anm. 25, XV
133, 279, 285, 287–289, 290, A. 20, Anm. 27, 228, 232 A. 18, 233, 262 A.
292, 294, A. 34, 313, 321, 331–344, 95, 265 A. 103, 278 A. 133, 286 A. 7,
349, 382 293 A. 30
Plutarch | 224 Straus, Juliane | 35
Prepelaos | 88 Sueton | 9
Prescott, Henry W. | 297, 298, 304 A. 25 Tatum, James | 119
Prete, Sesto | 12, 21 Terenz | VII–IX, XII, XV, 3–9, 11–25,
Primmer, Adolf | VII–XV, 281, 349, 381, 27–30, 31–48, 73, 74, 77, 82, 85, 86,
382 94 A. 65, 157, 158, 161, 163, 177 A.
Questa, Cesare | 87, 89, 102, 103 A. 88, 37, 217, 302, A. 16, 303, A. 19, 21 u.
119, 122 22, 306, 308, A. 41, 309, 310 A. 47,
Ratkowitsch, Christine | XIV, 72, 382 311, A. 48, 312, 313, 315, 319, A. 82,
Regnard, Jean-François | 184 A. 53, 211 331, 349, 382
Reinhardt, Karl | 301 A. 13 Theiler, Willy | 123 A. 139, 139, 148 A.
Reithmaier, Leopold | 381 188
Ribbeck, Otto | 170, A. 13, 15 u. 16, 173 Themistios | 51, A. 7, 53, 54, 55, A. 23,
A. 22, 178 A. 41 58, 65 A. 66
Ritschl, Friedrich | 77, 119, 162 Theophrast | XIII, 76 A. 10, 304 A. 25,
Rosivach, Vincent J. | 192 A. 23, 243, A. 314, 320 A. 83 u. 85
46, 256, A. 72, 258 Thierfelder, Andreas | 35, 39
Ronconi, Alessandro | 18 Tränkle, Hermann | 107, 121
Sandbach, Francis H. | VIII, 50, 51, 57, Turpio, L. Ambivius | 6–8, 12 A. 6, 20–
58, 62–66, 79 A. 21, 150, 255 A. 69, 23, 311 A. 48
287 A. 10 Varro | 9, 302, A. 16, 303 A. 20
Sander-Pieper, Gudrun | 296 A. 4 Verdenius, Willem J. | 62
Scaliger, Julius C. | 235 Vergil | 32, 381
Schaaf, Lothar | 332 Vogt-Spira, Gregor | 227 A. 5
Schachermeyr, Fritz | 381 Wagner, Wilhelm | 30
364 Register
Waltz, René | 16
Webster, Thomas B. L. | 74, 78 A. 18, 87,
100 A. 82, 105, 107, 108, 129, 136,
150, 186 A. 2, 229 A. 13, 242 A. 41,
244 A. 47
Weidinger, Hans Ernst | XIV
Wessner, Paul | 311 A. 48, 314 A. 64, 319
Wilamowitz-Möllendorff, Ulrich von | 51–
53, 58, A. 38, 64, 66
Williams, Gordon | 114
Woytek, Erich | 72, 183 A. 49, 234 A. 21,
235, 293
Zwierlein, Otto | XV, XVI, 228, A. 11,
233 A. 19, 235, A. 25, 242 A. 43, 245,
261, 262 A. 96, 263 A. 99, 264 A. 102,
267 A. 107, 289 A. 17
Stellenregister
Alexis de inventione I, 33 | 22 A. 31
Lebes | 226 A. 2 de officiis I, 35 | 30
Ammianus partitiones oratoriae
res gestae XXIV, 6, 17 | 234 27–28 | 4
Anaxippos 31–33 | 5
fr. 1 (Kock III, PCG), 28ff. | 58 A. 34 Philippicae 2, 75 | 30 A. 8.
Anonymus pro Rabirio | 381
Apistos | 226 A. 2 Tusculanae disputationes 3, 2 | 18
Anonymus Diomedes
commentaria in Aristotelem Graeca IV, ars grammatica
5, XXII | 56 I, 487, 11 | 304 A. 25
Anonymus I, 488, 3 | 304 A. 25
Menaichmoi | 190, 199–200, 205, 210– Diphilos
212, 263 A. 99 „Rudens“ | 331–344
Aktgliederung | 203–204 Strukturplan | 344–348
Anonymus Donat
tractatus Coislinianus | 297, 304 A. 25 ad Adelphos
Apollodor praef. 1, 4 | 125 A. 143
Hekyra | 303 A. 19, 317, 318 A. 75, p. 288, 1 | 316 A. 67
320 A. 83 ad Andriam
Strukturplan | 326–328 praef. 1, 3 | 302 A. 18
Epidikazomenos | 85 A. 33, 158 praef. 1, 4 | 302 A. 16
Aristophanes praef. 2, 1 | 305 A. 30, 308
Aves v. 1010 | 59 praef. 2, 3 | 122
Aristoteles praef. 3, 6 | 302 A. 16 u. 18
ars poetica | 298 praef. 3, 7 | 302 A. 16
Kap. 5, 1449a32 | 394 A. 25 p. 28, 2 | 307 A. 35
Kap. 5 | 304 A. 25 p. 172 | 307 A. 37
Kap. 9, 1451b33 | 301 A. 15 p. 206, 1 | 307 A. 35
Kap. 11 | 300 A. 11 p. 220, 1 | 307 A. 35
Kap. 11, 1452b12 | 304 A. 25 p. 221, 1 | 307 A. 35
Kap. 12 | 301 p. 236, 1 | 307 A. 37
Kap. 13, 1453a10 | 304 A. 25 p. 301, 1 | 307 A. 37
Kap. 17, 1455b13 | 301 A. 15 p. 301, 2 | 308 A. 41
Kap. 18 | 300 A. 11 p. 338, 1 | 307 A. 37
Arrian p. 404, 1 | 297 A. 5, 305 A. 30,
Epicteti dissertationes I, 19, 20 | 59 306, 316 A. 69
Athenaios p. 412, 1 | 308
Deipnosophistae XIV, 659b | 58 p. 412, 2 | 305 A. 30
Augustinus p. 459, 1 | 309 A. 44
enarrationes in Psalmos | 382 p. 533, 1 | 306 A. 34
Chorikios p. 580, 2 | 306 A. 33
orationes 32, 73 | 291 A. 25 p. 625, 1 | 305 A. 30, 308
Cicero p. 796, 1 | 309
ad Atticum XIII, 20, 4 | 30 p. 904, 1 | 297 A. 5, 309
p. 915, 4 | 309
366 Register
Ovid v. 36 | 240 A. 37
metamorphoses | 381 v. 39f. | 241
Philemon v. 40–78 (I 1) | 252
Phasma | 77, 158 v. 40–119 (I 1–2) | 232
Platon v. 74f. | 293
Gorgias 464d–465d | 54 A. 21 v. 74–76 | 233
Theaitetos 173d | 54 v. 79–119 (I 2) | 253, 257
Plautus v. 100 | 254
Amphitruo | 207 A. 49, 213, 215, 321 v. 102 | 254 A. 66
A. 86 v. 106–117 | 292 A. 27
Prolog | 6 v. 107f. | 257 A. 77, 258 A. 82
v. 1–550 | 160 v. 113 | 237
v. 17f. | 6 A. 9 v. 119/120 (α/β) | 244, 252
v. 26–31 | 311 A. 49 v. 120–177 (II 1) | 232, 236, A.
v. 50 | 6 A. 9, 19 26, 239, 244, 294
v. 51 | 15 v. 120–267 (II 1–2) | 257, A.
v. 64ff. | 6 A. 9, 19 76, 258
v. 96 | 15 v. 120–279 (II 1–3) | 252
v. 923 | 234 A. 23 v. 133 | 258 A. 85
Asinaria | 160 A. 202, 227 A. 5, 311 v. 134 | 245
A. 49 v. 139–165 | 245
Prolog | 6 v. 145 | 244, 292 A. 29
v. 1–248 | 160 v. 158–170 | 245
v. 6 | 19 v. 165 | 245
v. 8 | 15 v. 170 | 245
v. 9 | 19 v. 171f. | 292 A. 27
v. 188f. | 19 v. 172ff. | 237
v. 230 | 88 A. 44 v. 175 | 237, 254
Aulularia | VII, XI, XII, XV, 84, 86 v. 175f. | 245, 257, 292 A. 29
A. 35, 157, 192 A. 23, 198, v. 176 | 257 A. 80
217, 225–281, 285–294, v. 177 | 258
306 A. 31, 336 v. 177/178 (α/β ?) | 244
Strukturplan | 284 v. 178–180 | 258
Akt- und Szenengliederung | v. 178–272 (II 2) | 232 A. 18,
219–223 239, 240 A. 35, 257 A. 78,
fr. 2 | 265 A. 103 258, 292
fr. 5 | 265 A. 104 v. 179 | 257 A. 77, 258 A. 82
v. 1–39 (Prolog) | 218, 231 v. 181 | 258
v. 1–279 (Actus a) | 160, 218 v. 206 | 292 A. 27
v. 3 | 253 v. 215 | 292 A. 27
v. 23ff. | 254 v. 257 | 254
v. 25–33 | 304 A. 24 v. 264 | 239, 259
v. 26f. | 288 v. 271–277 | 304 A. 24
v. 27 | 231 A. 16 v. 272 | 254
v. 29f. | 237, 293 v. 273–279 (II 3) | 237, A. 30,
v. 31ff. | 245 239, 240, A 35, 266 A. 105
v. 33 | 235 A. 26 v. 274–279 | 233
370 Register
Christine Ratkowitsch
Adolf Primmer – Schriftenverzeichnis
Monographien
Ἀπάάθεια und ἔλεος im Gottesbegriff des Origenes. Dissertation, Universität
Wien 1955.
Cicero numerosus. Studien zum antiken Prosarhythmus. Wien 1968 (Sitzungsbe-
richte der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Philoso-
phisch-Historische Klasse 257).
Handlungsgliederung in Nea und Palliata. Dis Exapaton und Bacchides. Wien
1984 (Sitzungsberichte der Österreichischen Akademie der Wissen-
schaften, Philosophisch-Historische Klasse 441).
Die Überredungsstrategie in Ciceros Rede pro C. Rabirio (perduellionis reo). Wien
1985 (Sitzungsberichte der Österreichischen Akademie der Wissen-
schaften, Philosophisch-Historische Klasse 459).
Herausgegebenes Werk
(gemeinsam mit Kurt Smolak und Dorothea Weber [Hg.]:) Textsorten und
Textkritik. Tagungsbeiträge. Wien 2002 (Sitzungsberichte der Österrei-
chischen Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische
Klasse 693).
Aufsätze
„Cic. Inv. I, 30“, in: Museum Helveticum 17 (1960), S. 230–231.
„Zum Prolog des Heautontimorumenos“, in: Wiener Studien 77 (1964), S. 61–
75.
„Zwei Terenz-Prologe“, in: Jahresbericht des Bundesgymnasiums und -real-
gymnasiums in Krems am Schlusse des Schuljahres 1964/65. Erstattet von der
Direktion. Krems 1965, S. 5–10.
„Schlichter Stil und eingliedrige Periode in Aristoteles’ Rhetorik III, 9“, in:
Rheinisches Museum 109 (1966), S. 73–77.
„Die homo-sum-Szene im Heautontimorumenos“, in: Wiener Studien 79
(1966), S. 293–298.
„Die Schlußszene der Aeneis“, in: Wiener Humanistische Blätter 11 (1968),
S. 20–26.
„Homerische Gerichtsszenen“, in: Wiener Studien, Neue Folge 4 (1970),
S. 5–13.
„Der Prosarhythmus in Catos Reden“, in: Doris Ableitinger und Hermann
Gugel (Hg.): Festschrift Karl Vretska zum 70. Geburtstag überreicht von sei-
nen Freunden und Schülern. Heidelberg 1970, S. 174–180.
„Die Originalfassung von Anianus’ epistula ad Orontium“, in: Rudolf Hans-
lik, Albin Lesky und Hans Schwabl (Hg.): Antidosis. Festschrift für
384 Schriftenverzeichnis
Schriftenverzeichnis 363
Walther Kraus zum 70. Geburtstag. Wien 1972 (Wiener Studien, Beiheft
5), S. 278–283.
„Rhythmus- und Textprobleme in Iul. Aug. op. imperf. 1–3“, in: Wiener
Studien, Neue Folge 9 (1975), S. 186–212.
„Mythos und Natur in Ovids Apollo und Daphne“, in: Wiener Studien, Neue
Folge 10 (1976), S. 210–220.
„Die Vergleiche in Senecas Dramen“, in: Grazer Beiträge 5 (1976), S. 211–
232.
„Historisches und Oratorisches zur ersten Catilinaria“, in: Gymnasium 84
(1977), S. 18–38.
„Rhythmus- und Textprobleme in Iul. Aug. op. imperf. 1–3 (2. Teil)“, in:
Wiener Studien, Neue Folge 11 (1977), S. 192–218.
„Textvorschläge zu Augustins Opus imperfectum“, in: Walther Kraus, Adolf
Primmer und Hans Schwabl (Hg.): Latinität und alte Kirche. Festschrift für
Rudolf Hanslik zum 70. Geburtstag, redigiert von Herbert Bannert und
Johannes Divjak. Wien 1977 (Wiener Studien, Beiheft 8), S. 235–250.
(gemeinsam mit Klaus Zelzer) „Zur Gliederung der Periode Cic. De fin. 3,
6, 21“, in: Wiener Studien, Neue Folge 13 (1979), S. 99–103.
„Zur Lektüre von Terenz’ Eunuchus“, in: Peter Neukam (Hg.): Verpflichtung
der Antike. München 1979 (Dialog Schule-Wissenschaft. Klassische
Sprachen und Literatur 12), S. 93–116.
„Das Lied des Orpheus in Ovids Metamorphosen“, in: Sprachkunst 10 (1979),
S. 123–137.
„Zu Thema und Erzählstruktur der Aeneis“, in: Wiener Studien, Neue Folge
14 (1980), S. 83–101.
„Datierungs- und Entwicklungsfragen bei Vergil und Ovid“, in: Wiener
Studien, Neue Folge 16 (1982), S. 245–259.
„Vergils Erzählkunst“, in: Festschrift und Jahresbericht des BG Krems 1982/
1983 (in italienischer Sprache erschienen unter: „narrativa arte“, in:
Enciclopedia Virgiliana 3 [1987], S. 659–663).
„Ovids Metamorphosen in neuer Sicht“, in: Wiener Humanistische Blätter 25
(1983), S. 15–39.
„Nachlese zur Textgestaltung der neugefundenen Augustinusbriefe“, in:
Les lettres de Saint Augustin découvertes par Johannes Divjak. Communications
présentées au colloque des 20 et 21 septembre 1982. Paris 1983 (Études Au-
gustiniennes), S. 43–82.
„Non usitata …: Die Metamorphose des Horaz“, in: Paul Händel und
Wolfgang Meid (Hg.): Festschrift für Robert Muth zum 65. Geburtstag am
1. Januar 1981 dargebracht von Freunden und Kollegen. Innsbruck 1983,
S. 385–392.
„Menanders ‚Geiziger‘ “, in: Maske und Kothurn 30 (1984), S. 1–7.
„Das Dichterzitat in Sen. dial. 10, 2, 2“, in: Wiener Studien, Neue Folge 19
(1985), S. 151–157.
364 Schriftenverzeichnis
Schriftenverzeichnis 385
„Cassius Dio über die Rabiriusaffäre“, in: Ekkehard Weber und Gerhard
Dobesch (Hg.): Römische Geschichte, Altertumskunde und Epigraphik. Fest-
schrift für Artur Betz zur Vollendung seines 80. Lebensjahres. Wien 1985,
S. 483–493.
„Aufbau der Aeneis“, in: Christine Ratkowitsch (Hg.): Vergil. Lehrerbegleit-
band. Wien 1985 (Orbis Latinus), S. 6–15.
„Jupiters Gerechtigkeit. Dichtung und Philosophie in der Aeneis“, in:
Heikki Koskenniemi, Siegfried Jäkel und Vappu Pyykkö (Hg.): Literatur
und Philosophie in der Antike. Turku 1986, S. 81–98.
„Karion in den Epitrepontes“, in: Wiener Studien, Neue Folge 20 (1986),
S. 123–141.
„Die Handlung der Menaechmi I“, in: Wiener Studien 100 (1987), S. 97–115.
„Die Handlung der Menaechmi II“, in: Wiener Studien 101 (1988), S. 193–
222.
„Gebändigte Mündlichkeit: zum Prosarhythmus von Cicero bis Augusti-
nus“, in: Gregor Vogt-Spira (Hg.): Strukturen der Mündlichkeit in der rö-
mischen Literatur. Tübingen 1990 (ScriptOralia 19), S. 19–50.
„Die Mauriner-Handschriften der Enarrationes in Psalmos“, in: Troisième
centenaire de l’édition mauriste de Saint Augustin: communications présentées au
colloque des 19 et 20 avril 1990. Paris 1990, S. 169–201.
„Der ‚Geizige‘ bei Menander und Plautus“, in: Wiener Studien 105 (1992),
S. 69–127.
„Das Tischprodigium im Rahmen der Aeneis“, in: Wiener Studien 107/108
(1994/1995), S. 397–416.
„Augustinus und der Astrologe: zu Enarratio in Psalmum 61“, in: Ernst
Dassmann, Klaus Thraede und Josef Engemann (Hg.): Chartulae. Fest-
schrift für Wolfgang Speyer. Münster 1998 (Jahrbuch für Antike und
Christentum, Ergänzungsband 28), S. 253–262.
„Die Edition von Augustinus, Enarrationes in Psalmos: eine Zwischenbi-
lanz“, in: Adolf Primmer, Kurt Smolak und Dorothea Weber (Hg.):
Textsorten und Textkritik. Tagungsbeiträge. Wien 2002 (Sitzungsberichte
der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-
Historische Klasse 693), S. 147–192.
„Akte und Spannung. Zur hellenistischen Theorie der Komödienstruktur
bei Aelius Donatus“, in: Acta Antiqua Hungarica 48 (2008), S. 405–432.
Rezensionen
„Pierre Monteil: La phrase relative en grec ancien. Sa formation, son développe-
ment, sa structure, des origines à la fin du V e siècle av. J. C. Paris 1963“, in:
Anzeiger für die Altertumswissenschaft 19 (1966), S. 241–242.
„Joseph Bidez (Hg.): Kirchengeschichte. Berlin 1960“, in: Gnomon 39 (1967),
S. 350–358.
„Ronald F. Willetts (Hg.): The Law Code of Gortyn. Berlin 1967“, in: Deut-
sche Literaturzeitung 90 (1969), S. 306–308.
386 Schriftenverzeichnis
Schriftenverzeichnis 365
„Giuseppe Norcio (Hg.): Cicero (M. Tullius). Opere retoriche. Bd. 1: De orato-
re, Brutus, Orator. Torino 1970“, in: Wiener Studien, Neue Folge 5 (1971),
S. 247–248.
„Åke Fridh: Contributions à la critique et à l’interprétation des Variae de Cassio-
dore. Göteborg 1968“, in: Wiener Studien, Neue Folge 6 (1972), S. 250–
251.
„Åke Fridh: Der sogenannte prospektive Konjunktiv im Lateinischen. Göteborg
1971“, in: Wiener Studien, Neue Folge 6 (1972), S. 253–254.
„André Hurst: Apollonios de Rhodes, manière et cohérence. Contribution à l’étude
de l’esthétique alexandrine. Bern 1967“, in: Anzeiger für die Altertumswissen-
schaft 25 (1972), S. 181–184.
„Herwig Görgemanns und Heinrich Karpp (Hg.): Von den Prinzipien. Περὶ
ἀρχῶν. De principiis. Darmstadt 1976“, in: Wiener Studien, Neue Folge 11
(1977), S. 247.
„Tore Janson: Prose Rhythm in Medieval Latin from the 9th to the 13th Century.
Stockholm 1975“, in: Gnomon 50 (1978), S. 269–273.
„Johannes Tigcheler: Didyme l’Aveugle et l’exégèse allégorique. Étude sémantique
de quelques termes exégétiques importants de son commentaire sur Zacharie. Nij-
megen 1977“, in: Wiener Studien, Neue Folge 13 (1979), S. 242.
„Nino Scivoletto: Musa iocosa. Studio sulla poesia giovanile di Ovidio. Roma
1976“, in: Wiener Studien, Neue Folge 13 (1979), S. 237.
„Christoph Schäublin: Untersuchungen zu Methode und Herkunft der antiocheni-
schen Exegese. Köln 1974“, in: Wiener Studien, Neue Folge 13 (1979),
S. 246.
„Hans Aili: The Prose Rhythm of Sallust and Livy. Stockholm 1979“, in: An-
zeiger für die Altertumswissenschaft 33 (1980), S. 194–196.
„Sven Lundström: Acht Reden in der Aeneis. Uppsala 1977“, in: Wiener Stu-
dien, Neue Folge 14 (1980), S. 242.
„Edward Coleiro: An Introduction to Vergil’s Bucolics. With a Critical Edition
of the Text. Amsterdam 1979“, in: Wiener Studien, Neue Folge 15 (1981),
S. 266.
„John van Sickle: The Design of Vergil’s Bucolics. Roma 1978“, in: Wiener
Studien, Neue Folge 15 (1981), S. 266.
„Eckard Lefèvre (Hg.): Das römische Drama. Darmstadt 1978“, in: Wiener
Studien, Neue Folge 15 (1981), S. 250–251.
„Erich Burck (Hg.): Das römische Epos. Darmstadt 1979“, in: Wiener Studien,
Neue Folge 15 (1981), S. 250–251.
„Helmuth und Karl Vretska (Hg.): Pro Archia poeta. Ein Zeugnis für den
Kampf des Geistes um seine Anerkennung. Darmstadt 1979 (Texte zur For-
schung 31)“, in: Wiener Studien, Neue Folge 15 (1981), S. 265.
„Ulrich Berner: Origenes. Darmstadt 1981 (Erträge der Forschung 147)“,
in: Wiener Studien, Neue Folge 18 (1984), S. 242.
366 Schriftenverzeichnis
Schriftenverzeichnis 387
„Pierre Grimal: Seneca. Macht und Ohnmacht des Geistes. Darmstadt 1978
(Impulse der Forschung 24)“, in: Wiener Studien, Neue Folge 18 (1984),
S. 239.
„Ekkehard Stärk: Die Menaechmi des Plautus und kein griechisches Original.
Tübingen 1989 (ScriptOralia 11)“, in: Wiener Studien 103 (1990),
S. 271–273.
„Eckard Lefèvre: Plautus’ Aulularia. Tübingen 2001 (ScriptOralia 122)“, in:
Gnomon 76 (2004), S. 27–34.
Thesaurus-Artikel
irroratio, ThlL VII 2, Sp. 441, 65–69
irroro, -are, ThlL VII 2, Sp. 441, 70 – Sp. 442, 74
irrumpibilis, ThlL VII 2, Sp. 444, 27–28
irrumpo, -ere, ThlL VII 2, Sp. 444, 29 – Sp. 448, 47
irruo, -ere, ThlL VII 2, Sp. 448, 48 – Sp. 453, 26
irruptio, ThlL VII 2, Sp. 453, 27 – Sp. 454, 38
irruptus, a, um, ThlL VII 2, Sp. 454, 39–48
irruptus, -us, ThlL VII 2, Sp. 454, 50–52
iterabilis, ThlL VII 2, Sp. 545, 59–63
iteramen, ThlL VII 2, Sp. 545, 64–65
iterarium, ThlL VII 2, Sp. 545, 66–67
iteratim, ThlL VII 2, Sp. 545, 68–72
iteratio, ThlL VII 2, Sp. 545, 73 – Sp. 547, 19
iterativus, ThlL VII 2, Sp. 547, 21–34
iterator, ThlL VII 2, Sp. 547, 36–37
iteratrix, ThlL VII 2, Sp. 547, 38–41
itero, -are, ThlL VII 2, Sp. 547, 43 – Sp. 551, 41
itero, -are, ThlL VII 2, Sp. 551, 42–51
itero, ThlL VII 2, Sp. 551, 52–57
iubeleus, ThlL VII 2, Sp. 574, 28 – Sp. 575, 24
iubilatio, ThlL VII 2, Sp. 586, 42 – Sp. 587, 17
iubilatus, ThlL VII 2, Sp. 587, 19–29
iubilo, -are, ThlL VII 2, Sp. 587, 31 – Sp. 588, 28
iubilum, iubilus, ThlL VII 2, Sp. 588, 29 – Sp. 589, 14
ius, ThlL VII 2, Sp. 678, 67 – Sp. 700, 49