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30.05.21
Vorlesung
Grundlagen der
Inklusionspädagogik/
Sonderpädagogisches
Orientierungswissen
7. Sitzung
Montags 10:15 bis 11:45 Uhr (wöchentlich)
Veranstaltungsort/Raum: online via Zoom
Inhalte
Ø Einführung in die Förderdiagnostik
Ø Vorstellung verschiedener diagnostischer Klassifikationssysteme
Ø Systemische Einbettung von SPF
Leitfragen
Ø Wie wird SPF klassifiziert und diagnostiziert?
v Was ist Förderdiagnostik?
v Welche Klassifikationssysteme gibt es?
Ø Wie müssen Verhaltensstörungen verstanden werden?
v Was impliziert Bonfenbrenners Theorie ökologischer Systeme?
v Was erklärt das Vulnerabilitäts-Stress-Modell?
Ø Was ergibt sich daraus für die Lehrpraxis?
GRUNDLAGENLITERATUR
v Textor, Annette (2015): Einführung in die Inklusionspädagogik. Kapitel 10:
Sonderpädagogische Förderung und Diagnostik. Bad Heilbrunn: Verlag Julius Klinkhardt: 81-92.
v DIMDI, Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information (2019): ICD-
10-GM Version 2019 Kapitel V: Psychische und Verhaltensstörungen (F00-F99),
Entwicklungsstörungen (F80-F89).
Exosystem
Indirekte Umwelt
Mesosystem
Verbindungen
Mikrosystem
Direkte Umwelt Soziale Faktoren
bestimmen unsere
Kind
Denkweise,
(mit SPF?) Gefühle, Vorlieben
Was muss und Abneigungen.
Förderdiagnostik Quelle: Bronfenbrenner 1981.
4
leisten? 4 | 18
Was ist „normal“, was nicht? Sonderpädagogische Diagnostik
Das Individuum und seine Umwelt
vs.
Struktur Person
Fremdbild
Diagnose
Identität
Kompetenz
Allgemeine Diagnostik:
Ø Analyse der Ausgangsbedingungen der SuS (bspw. Leistungsstand)
Ø Leistungsbeurteilung und Erstellen von Übergangsdiagnosen
v bspw. Schuleingangsdiagnostik für die Aufnahme in Grundschule, Empfehlung
für weiterführende Schule oder für Berufsorientierung
Förderdiagnostik:
Ø Ziel: Ausgangspunkt (Lernausgangslage) und Erfolgskontrolle (Lernziel) für die
individuelle Förderung bestimmen
Ø Förderdiagnostik findet im Unterricht praktisch ständig statt
Ø Inklusiver Unterricht (Bearbeitung individualisierter Lernziele):
v gute Förderdiagnostik & gute diagnostische Kompetenz der Regelschullehrkräfte
essentiell
Ø Unterteilt in:
v Eingangsdiagnostik
v Begleitdiagnostik
Dr. Steve R. Entrich, Acting Prof. IOE
7 | 18
Was ist „normal“, was nicht? Sonderpädagogische Diagnostik
Sonderpädagogische Förderdiagnostik
Eingangsdiagnostik
Ø Prüft die Art der Förderung für ein Kind
v Gibt es spezifische Problemlagen und wenn ja, warum?
v Relevante Förderziele?
v Form der Förderung?
Ø Durchführung bspw. in Form von relativ oberflächlichen Screening-Verfahren
v Bsp.: Bildung von Lerngruppen nach dem Prinzip der maximalen Heterogenität
nach systematischer Beobachtung
Ø Feststellung SPF: Kind-Umfeld-Analyse
v basiert auf Verhaltensbeobachtungen, problemzentrierten Gesprächen,
standardisierten Verfahren
v dient dazu, einen Überblick über Risiken und Ressourcen, die das jeweilige Kind
bzw. den jeweiligen Jugendlichen betreffen, zu ermöglichen
v Informationen von allen an der Förderung Beteiligten
v Lehrkräfte
v Kind
v Eltern
v Andere…. (außerhalb der Schule…)
v Eingangsdiagnose bildet Grundlage für Förderpläne, konkrete Teilziele im
Unterricht und beim außerunterrichtlichen Lernen und Methoden dafür
v Ergebnisse der Eingangsdiagnostik fließen in den Unterricht ein
Begleitdiagnostik
Ø informelle Verfahren:
v bspw. gezielte Beobachtungen
v Analyse von Arbeitsergebnissen der SuS
v Befragungen der SuS oder anderer am Förderprozess
beteiligter Personen
Ø formelle Verfahren:
v standardisierte Tests etc.
Diagnose
Exosystem
Indirekte Umwelt
Mesosystem
Verbindungen
Mikrosystem
Direkte Umwelt Soziale Faktoren
bestimmen unsere
Kind
Denkweise,
(mit SPF?) Gefühle, Vorlieben
Welche und Abneigungen.
Klassifikationen
Quelle: Bronfenbrenner 1981.
gibt12es? 12 | 18
Was ist „normal“, was nicht? Sonderpädagogische Diagnostik
Klassifikationssysteme der Diagnostik
Klinisch-medizinisch
Unterstützend
kategorial
ICD
Schuladministrativ
ICF
13
13 | 18
Was ist „normal“, was nicht? Sonderpädagogische Diagnostik
Klassifikationssysteme: ICD
ICD (kategorial)
Internationale statistische
Klassifikation der Krankheiten und
verwandter Gesundheitsprobleme
(10. Revision, German
Modification, Version 2019)
Ø von WHO herausgegeben
Ø international weit anerkannt
DSM (kategorial)
Diagnostischer und Statistischer
Leitfaden Psychischer Störungen
(5. Auflage)
Ø steht in Konkurrenz zu ICD-10 (Kapital V)
Ø Klassifikationssystem für die USA
Ø enthält teilweise genauere diagnostische
Kriterien
Ø nur auf psychische Störungen begrenzt
Ø berücksichtigt auch geschlechtsspezifische
Unterschiede
DSM-5, Oberkategorien:
•Störungen der neuronalen und mentalen Entwicklung
•Schizophrenie-Spektrum und andere psychotische Störungen
•Bipolare und verwandte Störungen
•Depressive Störungen
•Angststörungen
•Zwangsstörungen und verwandte Störungen
•Trauma-und belastungsbezogene Störungen
•Dissoziative Störungen
•Somatische Belastungsstörung und verwandte Störungen
•Fütter- und Essstörungen
•Ausscheidungsstörungen
•Schlaf-Wach-Störungen
•Sexuelle Funktionsstörungen
•Geschlechtsdysphorie
•Disruptive, Impulskontroll-und Sozialverhaltensstörungen
•Störungen im Zusammenhang mit psychotropen Substanzen und abhängigen Verhaltensweisen
•Neurokognitive Störungen
•Persönlichkeitsstörungen
•Paraphile Störungen
•Andere psychische Störungen
•Medikamenteninduzierte Bewegungsstörungen
•Andere klinisch relevante Probleme
Dr. Steve R. Entrich, Acting Prof. IOE
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Was ist „normal“, was nicht? Sonderpädagogische Diagnostik
Klassifikationssysteme: ICF
ICF (dimensional)
Internationale Klassifikation der
Funktionsfähigkeit, Behinderung und
Gesundheit (Stand Oktober 2005)
Ø von WHO herausgegeben
Ø klassifiziert die Folgen von Krankheiten in
Bezug auf Körperfunktionen, Aktivitäten
und Teilhabe
Ø Der Einsatz der ICF ermöglicht die Berücksichtigung von Eigenschaften der Person und der Umwelt
in Interaktion zu betrachten
Ø Im Zentrum steht der Grad von Funktion bzw. Dysfunktion in relevanten Bereichen
Ø Gründe für dysfunktionale Ergebnisse werden nicht als in der Person durch eine Behinderung
verursacht begriffen, d.h. nicht primär defizitorientiert:
Ø klassifiziert eher "Komponenten von Gesundheit" als "Folgen von Krankheit"(neutraler
Blickwinkel):
Ø Körperfunktionen,
Ø Körperstrukturen,
Ø Aktivitäten und Partizipation (Teilhabe) sowie
Ø Umweltfaktoren
Ø Behinderung entsteht durch fehlende Passung von Person und Umwelt, kann daher auf alle
Menschen bezogen werden, nicht nur auf Menschen mit Behinderungen (Universalität)
Dr. Steve R. Entrich, Acting Prof. IOE
Quelle: https://www.dimdi.de/dynamic/de/klassifikationen/icf/ 21 | 18
Was ist „normal“, was nicht? Sonderpädagogische Diagnostik
Klassifikationssysteme: FSV
FSV (dimensional)
Feststellungsverfahren des Sonderpädagogischen Förderbedarfs
Förderschwerpunkte (KMK)
1. Der Förderschwerpunkt Lernen beschreibt einen allgemeinen Förderbedarf im Bereich des schulischen
Lernens und des Leistungsverhaltens
2. Der Förderschwerpunkt Sprache beschreibt den Förderbedarf bei Sprachbeeinträchtigungen (Sprachverstehen
und/oder Sprachverwendung, z.B Sprachentwicklungsstörungen oder Stottern)
3. Der Förderschwerpunkt emotionale und soziale Entwicklung beschreibt den Förderbedarf im Bereich der
Selbststeuerung, des Erlebens, des Verhaltens und der emotionalen und der sozialen Entwicklung. (z.B.
Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom mit oder ohne Hyperaktivität)
4. Der Förderschwerpunkt Hören und Kommunikation beschreibt den Förderbedarf bei Hörschädigungen
(Schwerhörigkeit oder Gehörlosigkeit)
5. Der Förderschwerpunkt Sehen beschreibt den Förderbedarf bei Sehschädigungen (z.B. bei Blindheit)
6. Der Förderschwerpunkt geistige Entwicklung beschreibt den Förderbedarf bei geistiger Behinderung (z.B.
bei Trisomie 21)
7. Der Förderschwerpunkt körperliche und motorische Entwicklung beschreibt den Förderbedarf bei
erheblichen Beeinträchtigungen der Bewegung und bei Körperbehinderung (z.B. bei Cerebralparese; aber
auch bei Asthma oder kindlichem Rheuma)
8. Der Förderschwerpunkt langandauernde Erkrankung beschreibt den besonderen Förderbedarf bei
langandauernden und progredienten Erkrankung (z.B. Krebs)
9. Hinzu kommen Empfehlungen zum Unterricht von Kindern mit autistischem Verhalten
Dr. Steve R. Entrich, Acting Prof. IOE
Quelle: Textor 2015.
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Was ist „normal“, was nicht? Sonderpädagogische Diagnostik
Klassifikationssysteme: FSV
FSV
Feststellungsverfahren des SPF im Land
Brandenburg
FSV
Feststellungsverfahren des SPF im Land
Brandenburg
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Was ist „normal“, was nicht? Sonderpädagogische Diagnostik
Klassifikationssysteme: FSV
FSV
Feststellungsverfahren des SPF im Land
Brandenburg
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Was ist „normal“, was nicht? Sonderpädagogische Diagnostik
Klassifikationssysteme der Diagnostik
Dimensionale Diagnostiksysteme
Ø Keine Ja-Nein-Diagnosen
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Was ist „normal“, was nicht? Sonderpädagogische Diagnostik
Teil 3: Diagnose Verhaltensstörung
Exosystem
Indirekte Umwelt
Mesosystem
Verbindungen
Mikrosystem
Direkte Umwelt Soziale Faktoren
bestimmen unsere
Kind
Denkweise,
(mit SPF?) Gefühle, Vorlieben
„Wir müssen das Kind und Abneigungen.
verstehen, bevor wir es
erziehen können.“ Quelle: Bronfenbrenner 1981.
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(Moor 1965) 27 | 18
Was ist „normal“, was nicht? Sonderpädagogische Diagnostik
Verhaltensstörungen: Systemischer Ansatz
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Was ist „normal“, was nicht? Sonderpädagogische Diagnostik
Verhaltensstörungen
Eine Verhaltensstörung…
v ist ein von zeit-und kulturspezifischen Erwartungen abweichendes, maladaptives
Verhalten;
v ist organisch und/oder milieureaktiv bedingt;
v beeinträchtigt wegen der Mehrdimensionalität, der Häufigkeit und des
Schweregrades, die Entwicklungs-, Lern –und Arbeitsfähigkeit sowie das
Interaktionsgeschehen mit der Umwelt;
v bedarf spezifischer pädagogisch-therapeutischer Hilfen, ohne die die Störung nicht
oder nur unzureichend überwunden werden kann
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Was ist „normal“, was nicht? Sonderpädagogische Diagnostik
Prävalenz von Verhaltensstörungen
Quelle: www.kiggsstudie.de 30 | 18
Was ist „normal“, was nicht? Sonderpädagogische Diagnostik
Prävalenz von Verhaltensstörungen
Epidemiologie
psychischer
Störungen des
Kindes-und
Jugendalters:
KiGGS Welle 1
(2009-2012)
(RKI 2018)
Quelle: www.kiggsstudie.de 31 | 18
Was ist „normal“, was nicht? Sonderpädagogische Diagnostik
Prävalenz von Verhaltensstörungen
Epidemiologie
psychischer
Störungen des
Kindes-und
Jugendalters:
KiGGS Welle 2
(2014-2019)
(RKI 2018)
Quelle: www.kiggsstudie.de 32 | 18
Was ist „normal“, was nicht? Sonderpädagogische Diagnostik
Krankheitsmodelle & Kausalität
Medizinisch-klinisches Krankheitsmodell
Ø geht von klaren somatischen Erkrankungen aus, die Symptome linear verursachen
Ø Kausalität ist eine metaphysische Idee – ein zweifelsfreier Nachweis von Ursachen ist im
engeren Sinne schwierig
Ø Ursprüngliche Ursachen, aufrechterhaltende Faktoren und therapeutische Ansatzpunkte
müssen nicht identisch sein
Bio-psycho-soziales Krankheitsmodell
Ø geht von dynamisch-multifaktorieller Bedingtheit aus
Ø Probabilistische statt deterministische Theorien
Ø Diathese-Stress-Modell
Ø Vulnerabilitäten – können sozialisiert und/oder angeboren sein
Ø Paradigmen-Pluralismus
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Was ist „normal“, was nicht? Sonderpädagogische Diagnostik
Bio-psycho-soziales Krankheitsmodell: Vulnerabilitäts-Stress-Modell
Vulnerabilitäts-
Stress-Modell
(nomothetisch)
(Berking & Rief 2012)
Von Resilienz
kann gesprochen
werden, wenn
trotz nomo-
thetischer
Erwartung keine
Störung auftritt.
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Was ist „normal“, was nicht? Sonderpädagogische Diagnostik
Vulnerabilitäts-Stress-Modell: Vulnerabilitäten
Ø Genetische Prädisposition
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Was ist „normal“, was nicht? Sonderpädagogische Diagnostik
Vulnerabilitäts-Stress-Modell: Vulnerabilitäten
Ø Temperament/Persönlichkeit
v Neurotizismus
v Trait-Ängstlichkeit (relativ stabile interindividuelle Differenz in der Neigung,
Situationen als bedrohlich zu bewerten)
v Introversion
v Sensation-/Novelty-Seeking
v geringes Selbstwertgefühl
v Vermeidung aversiver innerer Erfahrungen, auch wenn dadurch Nachteile entstehen
(experiental avoidance/ behavioural inhibition–Bspl. Angstreduktion durch
Alkoholkonsum)
Ø Komorbidität (Begleiterkrankung) und vorangegangene Störungen
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Was ist „normal“, was nicht? Sonderpädagogische Diagnostik
Vulnerabilitäts-Stress-Modell: Vulnerabilitäten
Ø Kultur
v Unterschiede in Prävalenzraten einzelner Störungen in unterschiedlichen Kulturen mit
Vorsicht interpretieren, da ggf. durch Unterschiede in Erhebungsmethoden bzw.
Antwortverhalten bedingt
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Was ist „normal“, was nicht? Sonderpädagogische Diagnostik
Vulnerabilitäts-Stress-Modell: Vulnerabilitäten
Ø Sozioökonomischer Status
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Was ist „normal“, was nicht? Sonderpädagogische Diagnostik
Vulnerabilitäts-Stress-Modell: Auslöser
Ø Kritische Lebensereignisse
Ø Daily Hassles
Ø Inkongruenz
v Auseinanderklaffen von Wünschen, Zielen und Bedürfnissen, Plänen und
Erwartungen einerseits und der Einschätzung des Status und
der Möglichkeiten andererseits
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Was ist „normal“, was nicht? Sonderpädagogische Diagnostik
Vulnerabilitäts-Stress-Modell: Modifizierende Variablen
Ø Problemlösekompetenz
Ø Motivationale Kompetenzen
v Disengagement from incentives/ Loslassen können, wenn etwas nicht geht
Ø Emotionale Kompetenz
Quelle: www.kiggsstudie.de 40 | 18
Was ist „normal“, was nicht? Sonderpädagogische Diagnostik
Vulnerabilitäts-Stress-Modell: Aufrechterhaltende Faktoren
Quelle: www.kiggsstudie.de 41 | 18
Was ist „normal“, was nicht? Sonderpädagogische Diagnostik
Fazit
Fazit:
Ø Unter Berücksichtigung aller Umweltfaktoren kann jedes
Verhalten normales Verhalten sein!
Inhalte
Ø Beeinträchtigungen in den Förderschwerpunkten:
Ø Sprechen
Ø Hören
Ø Sehen
Leitfragen
Ø Wie äußern sich bestimmte Arten von Auffälligkeiten, Störungen und
Lernbeeinträchtigungen konkret?
Ø Was ergibt sich daraus für Ihre Lehrpraxis?
GRUNDLAGENLITERATUR
v DIMDI, Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information (2019):
ICD-10-GM Version 2019, verfügbar unter:
https://www.dimdi.de/static/de/klassifikationen/icd/icd-10-gm/kode-suche/htmlgm2019/